Max Weber-Gesamtausgabe, Band I/9: Asketischer Protestantismus und Kapitalismus: Schriften und Reden 1904-1911 3161531337, 9783161531330

Max Webers weltberuhmte Studie "Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus" wird hie

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Max Weber-Gesamtausgabe, Band I/9: Asketischer Protestantismus und Kapitalismus: Schriften und Reden 1904-1911
 3161531337, 9783161531330

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Einleitung
Schriften und Reden
Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus. I. Das Problem
Die protestantische Askese und das moderne Erwerbsleben
Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus. II. Die Berufsidee des asketischen Protestantismus
„Kirchen“ und „Sekten“ in Nordamerika. Eine kirchen- und sozialpolitische Skizze
Kritische Bemerkungen zu den vorstehenden „Kritischen Beiträgen“
Bemerkungen zu der vorstehenden „Replik“
Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus
Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“
[Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht]
Verzeichnisse und Register
Personenverzeichnis
Glossar
Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur
Bibelstellenregister
Personenregister
Sachregister
Seitenkonkordanzen
Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung I: Schriften und Reden
Bandfolge der Abteilung II: Briefe
Bandfolge der Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften

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Max Weber Gesamtausgabe Im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Herausgegeben von

Horst Baier, Gangolf Hübinger, M. Rainer Lepsius, Wolfgang J. Mommsen †, Wolfgang Schluchter, Johannes Winckelmann † Abteilung I: Schriften und Reden Band 9

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Max Weber Asketischer Protestantismus und Kapitalismus Schriften und Reden 1904 –1911

Herausgegeben von

Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit

Ursula Bube

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Redaktion: Ursula Bube – Edith Hanke – Anne Munding Die Herausgeberarbeiten wurden von der Universität Heidelberg, von der Berthold Leibinger Stiftung sowie von Georg Siebeck gefördert.

ISBN 978-3-16-153133-0 Leinen / eISBN 978-3-16-157763-5 unveränderte ebook-Ausgabe 2019 ISBN 978-3-16-153135-4 Hldr Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen gesetzt und auf alterungs beständiges Werkdruckpapier gedruckt. Den Einband besorgte die Großbuchbinderei Josef Spinner in Ottersweier.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Siglen, Zeichen, Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Anhang zur Einleitung: Hinweise auf die geplante Fortführung der „Protestantischen Ethik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Schriften und Reden Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus. I. Das Problem Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

Die protestantische Askese und das moderne Erwerbsleben Vortrag am 5. Februar 1905 in Heidelberg Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus. II. Die Berufsidee des asketischen Protestantismus Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

„Kirchen“ und „Sekten“ in Nordamerika. Eine kirchen- und sozialpolitische Skizze Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

VI

Inhaltsverzeichnis

Kritische Bemerkungen zu den vorstehenden „Kritischen Beiträgen“ Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 Anhang zum Editorischen Bericht: H. Karl Fischer, Kritische Beiträge zu Prof. M. Webers Abhandlung: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ . . . . . . . . 469 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478

Bemerkungen zu der vorstehenden „Replik“ Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 Anhang zum Editorischen Bericht: H. Karl Fischer, Protestantische Ethik und „Geist des Kapitalismus“. Replik auf Herrn Prof. Max Webers Gegenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498

Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Anhang zum Editorischen Bericht: Felix Rachfahl, Kalvinismus und Kapitalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573

Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“ Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 Anhang zum Editorischen Bericht: Felix Rachfahl, Nochmals Kalvinismus und Kapitalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665

Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht Diskussionsbeiträge auf dem Ersten Deutschen Soziologentag am 21. Oktober 1910 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747

Verzeichnisse und Register Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821

Inhaltsverzeichnis

VII

Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur . . . . . . . . . . 843 Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 869 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 871 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 886 Seitenkonkordanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 980 Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung I: Schriften und Reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 984 Bandfolge der Abteilung II: Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 993 Bandfolge der Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 994

Vorwort

Max Webers inzwischen weltberühmte Studie „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ erschien zuerst in der Jahren 1904 und 1905 im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik in Gestalt von zwei Aufsätzen. Zwischen der Veröffentlichung des ersten und des zweiten Aufsatzes verging nahezu ein Jahr. Dazwischen lagen Max Webers Reise in die USA und sein Vortrag im Heidelberger Eranos-Kreis, in dem er die These seines zweiten Aufsatzes vortrug. Die Erfahrungen der USA-Reise fanden dann in einem eher populär gehaltenen Artikel „‚Kirchen‘ und ‚Sekten‘ in Nordamerika“ ihren ersten literarischen Niederschlag. Bevor Max Weber, wie von ihm zunächst beabsichtigt, seine Aufsatzfolge fortsetzen konnte, wurde er in eine Kontroverse darüber verstrickt, die 1907 begann und bis 1910 dauerte. Sie endete mit Max Webers „Antikritischem Schlußwort“, in dem er sein Vorgehen in der Protestantismus-Studie noch einmal darlegte und verteidigte. Diese Texte aus den Jahren 1904 bis 1910, ergänzt um zwei Diskussionsbeiträge auf dem Ersten Deutschen Soziologentag im Jahre 1910, werden mit diesem Band – textkritisch bearbeitet und kommentiert – vorgelegt. In der Einleitung und in neun Editorischen Berichten findet der Leser die problem- und werkgeschichtlichen Zusammenhänge dargestellt. Außerdem sind, zum besseren Verständnis der Kontroverse, auch die Texte der Kritiker abgedruckt. Die Herausgeberschaft zu diesem Band wurde mir nach einer langen Vorgeschichte im Jahre 2008 übertragen, die editorische Arbeit im darauffolgenden Jahr neu begonnen. Ich danke Ursula Bube, die die Hauptlast der Textkritik und der Kommentierung trug. Mit ihrer theologischen Bildung, ihrer editorischen Erfahrung und ihrem detektivischen Spürsinn drang sie tief vor allem in die von Max Weber benutzten religionsgeschichtlichen Quellen ein. Obgleich dieser sich bei seinem Ausflug auf ein ihm fremdes Gebiet, wie er betonte, an wichtige Darstellungen in der Sekundärliteratur hielt, konsultierte er doch auch immer wieder die dort benutzten Quellen und solche darüber hinaus, und zwar in einem Ausmaß, das in der umfangreichen Literatur über die Protestantismusstudie bisher keine hinreichende Beachtung fand. Hilfreich und von Ursula Bube umfassend erschlossen war auch Webers ‚sprechende‘ Benutzung einschlägiger Werke in seiner eigenen Bibliothek und vor allem in der Heidelberger Universitätsbibliothek, die er mit Randbemerkungen und Unterstreichungen versah. Es ist ihr Verdienst, diese Spuren für eine Art Archäologie der Weberschen Texte verfolgt zu haben. Viele kritische Äußerungen, die man in der Literatur über Webers Protestantismusstudie findet, werden dadurch obsolet.

X

Vorwort

Viele waren während der Arbeit an diesem Band hilfreich, weshalb ihnen besonders gedankt sei. Zu nennen sind: Diemut Moosmann für die Transkription von Max Webers handschriftlichem Eintrag im Eranos-Protokollbuch, von seinen wissenschaftlichen Notizen und seinen Marginalien in den benutzten Büchern, sowie Manfred Schön für die Hilfe bei speziellen Entzifferungsproblemen; Thomas Gipfel für seine Mitarbeit bei den Recherchen; Ingrid Pichler für das Personenregister, welches sie wie immer mit großer Sorgfalt erstellte; Franziska Kaiser für die Hilfe beim Korrekturlesen der Weber-Texte; Dorothee Hanke für ihren Einsatz bei der Sichtung der im Verlagsarchiv Mohr Siebeck (Staatsbibliothek zu Berlin) überlieferten Korrespondenzen; Corinna Schneider für die Anfertigung von Digitalisaten der Marginalien Max Webers im Bestand der Universitätsbibliothek Heidelberg; Dr. Martin Fiedler für seine Ratschläge im Umgang mit textkritischen Problemen im Lateinischen; Dr. Michael Matthiesen für die Bereitstellung von Materialien. Die Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz stellte die Korrespondenzen aus dem Verlagsarchiv Mohr Siebeck zur Verfügung, die Bayerische Staatsbibliothek München die Korrespondenz Max Webers mit dem Verlag. Das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin (Dahlem) gewährte Einsicht in die wissenschaftlichen Notizen Max Webers, die Universitätsbibliothek Heidelberg in Bücher mit Unterstreichungen und Marginalien Max Webers und das Universitätsarchiv Heidelberg in das „Eranos“-Protokollbuch. Ihnen allen sei gedankt. Schließlich ist auch jenen zu danken, welche die Druckvorlage für diesen Band kritisch beurteilten: Friedrich Wilhelm Graf, Gangolf Hübinger, M. Rainer Lepsius und nicht zuletzt Edith Hanke, auch für ihre vorzügliche Redaktionsarbeit. Ein besonderer Dank gebührt zudem Brigitte Schluchter. Von ihrem Sinn für Genauigkeit in der Sache und Präzision im sprachlichen Ausdruck hat der Band sehr profitiert. Heidelberg, im April 2014

Wolfgang Schluchter

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

| Seitenwechsel / Virgel; Zeilenwechsel [  ] Im edierten Text: Hinzufügung des Editors [?] Ein Wort in der Handschrift Max Webers nicht lesbar * In der Handschrift Max Webers: unsichere Lesung |: :| Einschub Max Webers 〈 〉 Streichung Max Webers 1), 2), 3) Indices bei Anmerkungen der Textvorlage 1, 2, 3 Indices bei Anmerkungen des Editors A, B Siglen für die Textfassungen A 1, A 2, A 3 Seitenzählung der Textvorlage a, b, c Indices für textkritische Anmerkungen a .  .  . a, b .  .  . b Beginn und Ende von Varianten oder Texteingriffen & und &c. et cetera § Paragraph % Prozent $ US-Dollar £ Pfund Sterling † gestorben → siehe a.a.O., a.O. am angeführten Ort, am Ort Abs. Absatz Abt., Abth. Abteilung ActaSS Acta sanctorum, hg. von Johannes Bolland u. a. – Antwerpen: Meursius 1643 ff. A. D. Anno Domini Adj. Adjektiv a. d. S., a. S. an der Saale AfSSp Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik a. M. am Main Anm. Anmerkung a.o. außerordentlich(er) Apg Apostelgeschichte Apr. April Art., Artic. Artikel, articulum AT Altes Testament Aufl. Auflage Aug. August Ausg. Ausgabe BA Bundesarchiv B. A. Baccalaureus artium BAdW Bayerische Akademie der Wissenschaften

XII

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

bayer. bayerischer BBKL Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, begr. von Friedrich Wilhelm Bautz, fortgeführt von Traugott Bautz, 14 Bände und zahlreiche Nachtragsbände. – Hamm u. a.: Traugott Bautz 1975 ff. Bd. Band, Bände B. C. Before Christ bearb., Bearb. bearbeitet, Bearbeitung, Bearbeiter begr. begründet bes. besonders Bl. Blatt BSB Bayerische Staatsbibliothek bzw. beziehungsweise c., ca. circa c., cap. capitulum Calvin, Inst. Calvin, Institutio Religionis Christianae (1559) cf. confer ch., chap. chapter christl. christlich Co. Company Conf. Helv. Confessio Helvetica Cor. Corinther(brief) CR Corpus reformatorum, begr. von Karl Gottlieb Bretschneider. – Halle a. d. S. [u. a.]: C. A. Schwetschke und Sohn [u. a.] 1834 ff. cts. currentis D. Doktor d.Ä. der Ältere dän. dänisch das. daselbst dass. dasselbe DDP Deutsche Demokratische Partei ders., dems., dens. derselbe, demselben, denselben Dez. Dezember dgl. dergleichen d. Gr. der/die Große DGS Deutsche Gesellschaft für Soziologie DH Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, hg. von Heinrich Denzinger, verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen [...] von Peter Hünermann, 43.  Aufl. – Freiburg i.Br. u. a.: Herder 2010 d. h. das heißt Dir. direction Diss. Dissertation dist., Distinct. distinctio DNVP Deutschnationale Volkspartei Doktor Dr, Dr. Dr. jur. doctor iuris Dr. phil. doctor philosophiae Dr. rer. pol. doctor rerum politicarum

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

XIII

Dr. theol. doctor theologiae dt. deutsch Dtn Deuteronomium (= 5. Buch Mose) durchgearb. durchgearbeitet durchges. durchgesehen ebd. ebenda ed., Ed., eds. editio, edition, edited, Editor(s) eigentl. eigentlich Einl. Einleitung engl. englisch Entw. Entwicklung eod. eodem EOK Evangelischer Oberkirchenrat Eph Epheser(brief) et al. et alii etc. et cetera Etym. Etymologie ev., evtl. eventuell Ex Exodus (= 2. Buch Mose) f., ff. folgend, fortfolgend Febr. Februar Fn. Fußnote fol., Fol. folio fortges. fortgesetzt franz., frz. französisch Frhr. Freiherr Frl. Fräulein FZ Frankfurter Zeitung GARS I

Weber, Max, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band I. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1920 (MWG I/18 und MWG I/19) gedr. gedruckt Geh. Geheimer Geleitwort Geleitwort [der Herausgeber zum Übergang des „Archivs für Soziale Gesetzgebung und Statistik“ an die neuen Herausgeber Werner Sombart, Max Weber und Edgar Jaffé], in: AfSSp, 19. Band, 1. Heft, 1904, S.  I*-VII* (MWG I/7) Gen Genesis (= 1. Buch Mose) gest. gestorben GLA Generallandesarchiv griech. griechisch GStA PK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz HA Hauptabteilung HD Heidelberg HdStW1,2,3 Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1.   Aufl., hg. von Johannes Conrad, Ludwig Elster, Wilhelm Lexis, Edgar Loening, 6 Bände, 2 Supplementbände. – Jena: Gustav

XIV

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

Fischer 1890–1897, 2.  Aufl., hg. von dens., 7 Bände, ebd., 1898–1909; 3.  Aufl., hg. von dens., 8 Bände, ebd., 1909–1911 hebr. hebräisch Hebr. Hebräer(brief) Hes Hesekiel(buch) hg., Hg. herausgegeben, Herausgeber hist., histor. historisch hl. heilig i.B., i. Br. im Breisgau IISG Internationaal Instituut voor Sociale Geschiednis (Amsterdam) INKA Inkunabelkatalog INKA inkl. inklusive insbes. insbesondere insges. insgesamt italien. italienisch Jahrg. Jahrgang Jak Jakobusbrief Jan. Januar Jer Jeremia(buch) Jes Jesaja(buch) Jg. Jahrgang Joh, Joh. Johannes(evangelium) jun. junior k. königlich K. Karton K., Kap., Kp. Kapitel KGA → Troeltsch KGA kgl. königlich kl. klein Kor Korinther(brief) krit. kritisch lat. lateinisch I.c. loco citato Lev Leviticus (= 3. Buch Mose) Lic. theol. licentiatus theologiae Lk Lukas(evangelium) It. laut LXX Septuaginta M, M. Mark MA Massachusetts M. A. Magister artium marg. marginal(is) Matth. Matthäus(evangelium) m.a.W. mit anderen Worten MdprAH Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses MdR Mitglied des Reichstags

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

XV

m. E. meines Erachtens Me Maître Mio. Million(en) Mk Markus(evangelium) Mk, Mk. Mark Mo.Bl. Morgenblatt Mr. Mister Mt Matthäus(evangelium) Ms., M. S., Mscr. Manuskript(e) Mt. Mount m.W. meines Wissens MWG Max Weber-Gesamtausgabe; vgl. die Übersicht zu den Einzelbänden, unten, S.  984–994. Nachdr. Nachdruck Nachf. Nachfolger Nb, NB Nota bene n.Chr. nach Christus NDB Neue Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. – Berlin: Duncker & Humblot 1953 ff. N. F. Neue Folge Nl. Nachlaß NJ New Jersey No. numero Nov. November Nr. Nummer NT Neues Testament ntl. neutestamentlich NY New York o. ordentlich o.J. ohne Jahr Okt. Oktober o.O. ohne Ort o.V. ohne Verlag p. pagina, page PA Pennsylvania par. parallel Passow, Handwörterbuch5 Handwörterbuch der griechischen Sprache, begründet von Franz Passow, neu bearb. und zeitgemäß umgestaltet von Val[entin] Chr[istian] Fr[iedrich] Rost, Friedr[ich] Palm, Otto Kreussler u. a., Band  1,2 und 2,1, 5.  Aufl. – Leipzig: Vogel 1847 und 1852 Petr. Petrus(brief) Pf., Pfg. Pfennig(e) PG Patrologia cursus completus, Series Graeca (Patrologia Graeca), accurante Jacques Paul Migne, 167 vol. – Paris [u. a.]: Migne [u. a.] 1857–1866 philol. philologisch

XVI

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

philos. philosophisch PL Patrologia cursu completus, Series Latina (Patrologia Latina), accurante Jacques Paul Migne, 217 vol. – Paris [u. a.]: Migne [u. a.] 1841–1855 Pl. Plural pp. pagine, pages pp., p.p. pergite Prof. Professor prot. protestantisch Prov. Proverbien (Sprüche) Proz. Prozent Ps. Psalm(en) q. questio r recto RE3 Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, 24 Bände, 3.  Aufl. – Leipzig: J. C. Hinrichs 1896–1913 reg. regierte resp. respektive rev. revidiert Rez. Rezension RGG Die Religion in Geschichte und Gegenwart, hg. von Friedrich Michael Schiele und Leopold Zscharnack, 5 Bände, 1.  Aufl. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1909–1913 RGG4 Religion in Geschichte und Gegenwart, hg. von Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Janowski und Eberhard Jüngel, 8 Bände, 4., völlig neu bearb. Aufl. – Tübingen: Mohr Siebeck 1998–2005 RI Richmond Röm Römer(brief) röm. römisch Roth, Familiengeschichte Roth, Guenther, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800–1950 mit Briefen und Dokumenten. – Tübingen: Mohr Siebeck 2001 russ. russisch s. siehe S. Seite(n) S., SS. Sankt, Sancti Sap. Sal. Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos) SBPK Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz sc., scil. scilicet Schluchter, Entzauberung Schluchter, Wolfgang, Die Entzauberung der Welt. Sechs Studien zu Max Weber. – Tübingen: Mohr Siebeck 2009 Schluchter/Graf, Schluchter, Wolfgang und Graf, Friedrich Wilhelm (Hg.), Aske  Asketischer Protestan- tischer Protestantismus und der ,Geist‘ des modernen Kapi  tismus talismus. Max Weber und Ernst Troeltsch. – Tübingen: Mohr Siebeck 2005 sel. selig sen. senior

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

XVII

Sept. September Sgl. Singular SHLB Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Sir Sirach(buch) sog. sogenannt Soz. Pol. Sozialpolitik Sp. Spalte span. spanisch SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands Spr, Spr. Sal. Sprüche (Salomos) St, St., St. Sankt, Saint StA Staatsarchiv Str. Straße s. u. siehe unten s.v. sub voce s.Z. seiner Zeit t. tomus, tome teilw. teilweise textkrit. textkritisch(e/er) TH Technische Hochschule Thess Thessalonicher(brief) TI. Transliteration Tim Timotheus(brief) tit. titulus TRE Theologische Realenzyklopädie, hg. von Gerhard Krause und Gerhard Müller, 36 Bände. – Berlin, New York: Walter de Gruyter 1977–2004 Troeltsch KGA Troeltsch, Ernst, Kritische Gesamtausgabe. – Berlin, New York: Walter de Gruyter 1995 ff. – KGA 1 – Band  1: Schriften zur Theologie und Religionsphilosophie (1888–1902), hg. von Christian Albrecht in Zusammenarbeit mit Björn Biester, Lars Emersleben und Dirk Schmid 2009 – KGA 2 – Band  2: Rezensionen und Kritiken (1894–1900), hg. von Friedrich Wilhelm Graf in Zusammenarbeit mit Dina Brandt 2007 – KGA 3 – Band  3: Beiträge zu Enzyklopädien und Lexika (1897–1914) – KGA 4 – Band  4: Rezensionen und Kritiken (1901–1914), hg. von Friedrich Wilhelm Graf in Zusammenarbeit mit Gabriele von Bassermann-Jordan 2004 – KGA 6 – Band   6: Schriften zur Religionswissenschaft und Ethik (1903–1912), 2 Teilbände, hg. von Trutz Rendtorff in Zusammenarbeit mit Katja Thörner 2014 – KGA 7 – Band  7: Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit (1906/1909/1922), hg. von Volker Drehsen in Zusammenarbeit mit Christian Albrecht 2004 – KGA 8 – Band  8: Schriften zur Bedeutung des Protestantismus für die moderne Welt (1906–1913), hg. von Trutz Rendtorff in Zusammenarbeit mit Stefan Pautler 2001 – KGA 9 – Band  9: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (1912)

XVIII

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

u. und u. a., u.A. und andere UA Universitätsarchiv u. a. m. und anderes mehr u. a. O. und anderen Orts UB Universitätsbibliothek Übers. Übersetzer, Übersetzung u. dgl. und dergleichen u.d.T. unter dem Titel umgearb. umgearbeitet undat. undatiert unveränd. unverändert u. ö. und öfter urspr. ursprünglich USA United States of America usw., u. s. w. und so weiter u.v. a. und viele andere v verso (Blattrückseite bei Archivpaginierung) v. von v., V. verso, Vers v. a. viele andere VA Verlagsarchiv v. Chr. vor Christus verb. verbessert vergl., vgl. vergleiche verm. vermehrt vermutl. vermutlich v.H. von Hundert vol., vols. volumen, volumina, volume(s) vollst. vollständig WA WA.Br WA.DB WA.TR Weber, Marianne, Lebensbild[3] Weber, Exzerpt Weber, Grenznutzlehre Weber, Jugendbriefe Weber, Objektivität Weber, Praktische   Nationalökonomie

D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), 120 Bände. – Weimar: Böhlau 1883–2009 – Briefwechsel, 1930 ff. – Deutsche Bibel, 1906 ff. – Tischreden, 1912 ff. Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild, 1.  Aufl. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1926 (= 3.  Aufl., ebd., 1984) Weber, Max, Exzerpt zu Robert Barclay, Apology (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  31, Band  6, Bl.  28–42v) Weber, Max, Die Grenznutzlehre und das „psychophysische Grundgesetz“, in: AfSSp, 27. Band, 2. Heft, 1908, S.  546–558 (MWG I/12) Weber, Max, Jugendbriefe. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) o.J. [1936] Weber, Max, Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: AfSSp, 19. Band, 1. Heft, 1904, S.  22–87 (MWG I/7) Weber, Max, Vorlesung „Praktische Nationalökonomie: Handels-, Gewerbe- und Verkehrspolitik“ (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  31, Band  2 und Band  3) (MWG III/2)

Siglen, Zeichen, Abkürzungen Weber, Protestantische   Ethik (1920)

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Weber, Max, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1920, S.  17–206 (MWG I/18) Weber, Protestantische Weber, Max, Die protestantischen Sekten und der Geist des   Sekten Kapitalismus, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1920, S.  207–236 (MWG I/18) Weber, Roscher und Weber, Max, Roscher und Knies und die logischen Probleme   Knies I-III der historischen Nationalökonomie [Erster Artikel], in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, 27. Band, 4. Heft, 1903, S.  1–41; [Zweiter Artikel] II. Knies und das Irrationalitätsproblem [2 Folgen], in: ebd., 29. Band, 4. Heft, 1905, S.  89–150; (Fortsetzung.), in: ebd., 30. Band, 1. Heft, 1906, S.  81–120 (MWG I/7) Weber, Wertfreiheit Weber, Max, Der Sinn der „Wertfreiheit“ der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften, in: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, 7. Band, Heft 1, 1917, S.  40–88 (MWG I/12) Westf. Westfalen wiss. wissenschaftlich wörtl. wörtlich Z. Zeile z. B. zum Beispiel Zit., zit. Zitat, zitiert z.St. zur Stelle z. T. zum Teil zw. zwischen z.Zt. zur Zeit

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1. Die persönliche Ausgangslage: Gesundheitlicher Zusammenbruch und wissenschaftlicher Neubeginn, S.  1; 2. Logisch-methodische Selbstvergewisserung: Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, S.  12; 3. Annäherungen an ein religionsgeschichtliches Projekt: Lebensgeschichtliche und politische Motive, S.  2 2; 4. Annäherungen an ein religionsgeschichtliches Projekt: Die wissenschaftliche Problemsituation, S.  2 6; 4.1. Wirtschaft und Religion aus sozialistischer Perspektive: Marx, Engels, Bernstein, S.  2 6; 4.2. Wirtschaft und Religion aus ‚bürgerlicher‘ Perspektive: Gothein, Brentano, Jellinek, Sombart, Troeltsch, S.  3 0; 5. Max Webers religionsgeschichtlicher Ansatz, S.  4 3; 5.1. Die Problemstellung (der erste Aufsatz zur „Protestantischen Ethik“), S.  4 3; 5.2. Die Problemlösung (der zweite Aufsatz zur „Protestantischen Ethik“), S.  5 6; 6. ‚Kirchen‘ und ‚Sekten‘: Ein Vergleich zwischen den USA und Deutschland, S.  6 8; 7. Kritiken und Antikritiken, S.  71; 8. Ausblick: Über den asketischen Protestantismus hinaus? S.  8 3; 9. Zur Anordnung der Texte, S.  8 8.

1.  Die persönliche Ausgangslage: Gesundheitlicher Zusammenbruch und wissenschaftlicher Neubeginn Als Folge seiner schweren und langwierigen Krankheit, die ihn seit dem Ende des Sommersemesters 1898 daran hinderte, seine Lehrverpflichtung als ordentlicher Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg zu erfüllen, beantragte Max Weber die Entlassung aus dem Amt, die zum 1. Oktober 1903 wirksam wurde. Man verlieh ihm zwar den Titel eines Ordentlichen Honorarprofessors, womit er Mitglied der Universität blieb, aber damit waren weder Sitz und Stimme in der Fakultät noch das Promotionsrecht verbunden. Das Ministerium hatte vorgeschlagen, Webers Honorarprofessur mit einem Lehrauftrag für kleine fachspezifische Vorlesungen zu versehen und ihm die aktive Fakultätsmitgliedschaft zu belassen, aber die Fakultät folgte dieser auch von Weber gewünschten Regelung nicht, weshalb er auch auf die Wahrnehmung eines Lehrauftrags verzichtete.1 Obgleich das Ausscheiden aus dem Amt für 1  Weber schrieb in diesem Zusammenhang an Franz Böhm, den zuständigen Referenten im Ministerium: „Für die Ablehnung eines Lehrauftrags mußte für mich bestimmend sein, daß bei einigen Mitgliedern der Fakultät formale Bedenken gegen eine Vermehrung der nationalökonomischen Stimmen bestanden. Unter diesen Verhältnissen konnte eine Kontinuation von Spezialvorlesungen und seminaristischer intensiver Arbeit, wie sie meiner Neigung u. Begabung am nächsten läge, wegen des mangeln-

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ihn subjektiv eine Befreiung war, kränkte ihn diese Fakultätsentscheidung. So berichtet Marianne Weber in ihrer Biographie: „Er war darüber doch recht erregt und wollte Titel und Lehrauftrag nun auch ablehnen.“2 Und in einem ihrer Briefe an Helene Weber, Max Webers Mutter, heißt es: „Ich habe den Eindruck, daß für Max die Wiederaufnahme dieser Lehrtätigkeit hier jetzt jeden Reiz verloren hat, weil man ihn nicht in der Fakultät behalten u. ihm nicht das Promotionsrecht gegeben hat.“3 Doch die Wogen scheinen sich nach einer Aussprache zwischen Max Weber und Karl Rathgen, seinem unmittelbaren Kollegen, der zu seiner Entlastung berufen worden war, einigermaßen geglättet zu haben.4 Er selbst hatte ja seit dem Ausbruch seiner schweren Krankheit mehrere Anläufe unternommen, für sich eine Lösung jenseits des Ordinariats zu finden, weil er die damit verbundene Arbeitsbelastung nicht mehr glaubte tragen zu können. Andererseits scheute er auch den endgültigen Bruch mit seinem Beruf. So war die getroffene Lösung letztlich für ihn doch ein akzeptabler modus vivendi, denn sie stellte ihn von allen akademischen Pflichten frei, ohne ihn institutionell völlig zu isolieren. Weber wurde fürderhin im Personalverzeichnis der Universität Heidelberg zunächst als Ordentlicher Honorarprofessor, dann, ab 1908, unter der Rubrik „Ordentliche Honorarprofessuren“, als „Inaktiver Ordentlicher Professor“ geführt.5 Weber hatte im Sommersemester 1897 die Nachfolge von Karl Knies auf dem Lehrstuhl für Nationalökonomie in Heidelberg angetreten, der seinerseits auf Karl Heinrich Rau gefolgt war. Beide rechnete man der älteren historischen den Rechts der Teilnahme an den Promotionen nicht in Frage kommen.“ Brief Max Webers an Franz Böhm vom am 29. Juni 1903, GLA Karlsruhe, Nl. Franz Böhm, 52/ XIV (MWG II/4). In einem Brief an Heinrich Rickert aus dem Januar 1916 kommt Weber auf den Vorgang zurück. Er habe an Friedrich von Duhn, den Dekan der Philosophischen Fakultät, der offenbar bei ihm angefragt hatte, ob er im Lehrbetrieb nicht aushelfen könne, unter anderem geschrieben, die Fakultät habe seinerzeit „mir das Verbleiben in der Seminardirektion und die Annahme der staatlichen Pension durch ihr Verhalten bei meinem Rücktritt unmöglich gemacht. Jetzt sei ich kein Nationalökonom mehr, übrigens auch nicht bereit, jene Vorgänge jemals zu vergessen. (Ich hatte natürlich beansprucht, daß mir das Recht, an Promotionen beteiligt zu sein, fest gegeben würde. Die Art wie (durch den Senior!) die Fakultät dies (mündlich) ablehnte und die Thatsache, daß sie es ablehnte, genügten, denke wenigstens ich!).“ Brief Max Webers an Heinrich Rickert, vor dem 28. Januar 1916, MWG II/9, S.  2 66 f. 2  Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1926, S.  276 (hinfort: Weber, Marianne, Lebensbild). 3  Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 23. November 1903, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 4  Weber hätte übrigens gerne Sombart als Kollegen in Heidelberg gesehen, aber Rathgen machte das Rennen. Sombart galt höheren Orts als Sozialist. 5  Weber traf diese Entscheidung übrigens zu einem Zeitpunkt, als die ökonomische Situation des Ehepaars keineswegs gesichert war. Er hatte zwar Anteil am Weberschen Familienvermögen, aber erst durch das Erbe, das Marianne Weber wenig später zufiel, entspannte sich die finanzielle Lage des Ehepaars.

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Schule der Nationalökonomie zu. Es gab also eine Art Heidelberger Tradition dieser Richtung. Zugleich hatte man im Lehrbetrieb die Rechtswissenschaft mit der Nationalökonomie verbunden. Neben seiner Lehrtätigkeit in der Abteilung „Staats- und Cameralwissenschaften“ der Philosophischen Fakultät und der Leitung des „Volkswirtschaftlichen Seminars“ hatte Weber deshalb zusammen mit Georg Jellinek denn auch die Leitung des „Staatswissenschaftlichen Seminars“ inne, das für diese Verbindung von Jurisprudenz und Nationalökonomie stand.6 Das Programm seiner Lehrveranstaltungen in den drei Semestern bis zu seinem Zusammenbruch entsprach freilich dem Üblichen. Im Mittelpunkt standen die theoretische und die praktische Nationalökonomie sowie nationalökonomische Spezialvorlesungen, etwa über die Arbeiterfrage und über das Geld- und Bankwesen.7 Bereits im Sommersemester 1898 verschlechterte sich Webers Gesundheitszustand so sehr, daß er seine Lehrtätigkeit am 25. Juli für den Rest des Semesters abbrechen mußte. Obgleich er in den folgenden Semestern bis zu seinem Verzicht auf das Ordinariat immer wieder Veranstaltungen ankündigte, konnte er diese krankheitsbedingt nicht abhalten.8 Dieser ‚veranstaltungslose‘ 6 Das „Staatswissenschaftliche Seminar“ war 1871 von Johann Caspar Bluntschli und Karl Knies als fakultätsübergreifendes Seminar gegründet worden, um die juristische Ausbildung um einen nationalökonomischen Anteil zu ergänzen. Es wurde 1911 aufgelöst. Von diesem Seminar ist Webers eigenes „Volkswirtschaftliches Seminar“ zu unterscheiden, das man bei seiner Berufung auf sein Verlangen hin neu einrichtete und das mit den Seminaren in Karlsruhe und Freiburg bei den „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der badischen Hochschulen“ zusammenwirkte. Dazu unten, Anm.  8. 7  Zu den Lehrveranstaltungen Max Webers in der Zeit von 1892 bis 1903 (Berlin, Freiburg, Heidelberg) Anhang 1 zur Einleitung in MWG III/1, S.  52–63. 8 Dies hinderte Weber freilich nicht daran, sich auch während dieser Zeit für das Fortkommen seiner Schüler und Doktoranden einzusetzen. Das zeigt sich insbesondere an der Art und Weise, wie er während seiner schweren Krankheit die Publikation ihrer Arbeiten förderte. Dafür standen ihm zwei Reihen zur Verfügung: Die „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der badischen Hochschulen“, die seit 1898 bei Mohr erschienen und die er zusammen mit Carl Johann Fuchs (Freiburg), Heinrich Herkner (Karlsruhe), Gerhart von Schulze-Gaevernitz (Freiburg) herausgab (wobei Herkner, nach seinem Weggang nach Zürich, schnell aus dem Herausgeberkreis ausschied), sowie „Die Landarbeiter in den evangelischen Gebieten Norddeutschlands“, ebenfalls bei J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) und von Weber für die Publikation der Ergebnisse der Landarbeiterenquete des Evangelisch-sozialen Kongresses etabliert. Zu den „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen“ und ihrer Zielsetzung siehe MWG I/4, S.  674 ff., bes. der vermutlich von Weber entworfene Werbetext, ebd., S.  677, zur Landarbeiterenquete des Evangelisch-sozialen Kongresses, ebd., S.  6 87–711. Über die veröffentlichten Arbeiten, die auf Webers Initiative zurückgehen, informiert Rita Aldenhoff-Hübinger in der Bandeinleitung zu MWG III/5, S.  19 ff. Im Laufe des Jahres 1902 entschied man sich, mit den „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen“ von Mohr zu Braun in Karlsruhe zu wechseln. Alle Arbeiten, die aus der Verbindung mit Weber hervorgingen, erschienen in der Zeit von 1898 bis 1902, also im Mohr-Verlag.

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Zustand in Heidelberg währte bis zum Jahre 1919, als er aus dem Lehrkörper der Universität ausschied, um eine Professur an der Universität München als Nachfolger von Lujo von Brentano zu übernehmen. Davor lag das Zwischenspiel Wien.9 Weber war vor der Jahrhundertwende mit seinen rechts- und wirtschaftsgeschichtlichen Arbeiten zum Mittelalter und zur Antike, vor allem aber mit seinen Studien zum Agrarkapitalismus und zum Börsenwesen der Neuzeit im Fach und darüber hinaus bekannt geworden. Religionsgeschichtliche Arbeiten dagegen prägten sein wissenschaftliches Profil zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Jedenfalls ist kein veröffentlichter Text überliefert, der so einzuordnen wäre. Noch ging es ihm in erster Linie um Wirtschaft und Politik, nicht um Wirtschaft und Religion. Max Weber behauptete allerdings später, die These, die er in der Aufsatzfolge „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ aus den Jahren 1904 und 1905 vorlegte, habe er bereits vor der Jahrhundertwende in seinen Vorlesungen erörtert.10 Prüft man diese Vorlesungen darauf hin, so ergibt sich freilich kein eindeutiges Bild. In der Vorlesung über die „Geschichte der Nationalökonomie“, die er allerdings nur in Freiburg hielt und an die man in diesem Zusammenhang zunächst denken könnte, behandelt er zwar die wirtschaftlichen Auffassungen der Reformationszeit. So finden sich dort Stichworte zu Luther und Melanchthon mit dem Hinweis, sie stünden auf den Schultern von Thomas von Aquin und der Kanonisten. Jene beschäftigten sich wie diese mit dem Wucher und dem gerechten Preis. Weber erwähnt ausdrücklich Luthers „Sermon vom Wucher“ aus dem Jahre 1519, wertet Luthers Position gegenüber allem „Rechnende[n]“ aber als einen Rückschritt, verglichen mit der Auffassung der Kanonisten. Aber von den Reformierten, den asketischen Protestanten, wie er sie später nannte, spricht er in dieser Vorlesung nicht.11 Zieht man die Heidelberger Vorlesung „Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“ heran, die zeitlich infrage kommt, so wird das Bild schon klarer. 9  Weber übernahm zum Sommersemester 1919 als Nachfolger von Lujo von Brentano eine auf seine Interessen zugeschnittene Ordentliche Professur für Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie an der Staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität München. Eine Professur in Wien als Nachfolger des verstorbenen Eugen von Philippovich versah er im Sommersemester 1918 nur probeweise. 10  Weber schreibt 1910: „Meine Arbeiten über diese Dinge, die ich z. T. schon vor 12 Jahren im Kolleg vortrug, sind nicht (wie Rachfahl nach Tröltsch annimmt) erst durch Sombarts ‚Kapitalismus‘ veranlaßt worden (s. darüber meine ausdrückliche Bemerkung Archiv XX S.  19 Anm.  1.)“ Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, unten, S.  575. Diese Zeitangabe spricht für eine Vorlesung aus dem Winter­ semester 1897/98 oder dem Sommersemester 1898. Wichtig dabei ist die Einschränkung „z[um] T[eil]“. 11  Weber, Geschichte der Nationalökonomie, in: MWG III/1, S.  6 65–702, hier S.  6 85.

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Denn hier geht er in §  6, überschrieben „Verhältnis der Wirtschaft zu den anderen Culturerscheinungen, insbesondere Recht und Staat“, auf die Rolle der Religion für die Stellung des Menschen zu seiner Welt ein.12 Dies geschieht im Zusammenhang mit einer Kritik am historischen Materialismus. Weber wehrt sich gegen dessen Vorstellung von Überbau und Basis: Die Kultur, insbesondere die Religion, etwa die Lehre von der Prädestination, sei kein bloßer Reflex der ökonomischen Existenzbedingungen. Denn zum einen produzierten dieselben ökonomischen Verhältnisse verschiedene ‚Reflexe‘, zum andern seien die Bedürfnisse des Menschen als Träger der Kultur nicht allein durch ökonomische Verhältnisse bestimmt. Vielmehr seien für deren Entwicklung „zwar auch, aber nicht nur ökonomische Verh[ältnisse] wirksam, sondern die Gesamtauffassung seiner Stellung in der Welt“, wozu Weber hier ausdrücklich die Religion rechnet.13 Auch folge „die Gestaltung der Empfindungs- und Gedanken-Welt des Menschen [.  .  .] ihren eigenen Gesetzen“,14 sei also schon deshalb mehr als nur Reflex des Ökonomischen. Zwar sei es methodisch durchaus zulässig, „vom Ökonomischen als dem Fundamentalen“ auszugehen,15 nicht aber, es dabei zu belassen. Jeden Reduktionismus dieser Art weist Weber bereits in dieser Vorlesung zurück. Prüft man schließlich die Vorlesung „Praktische Nationalökonomie“, die Weber zunächst in Freiburg, dann im Wintersemester 1897/98 in Heidelberg hielt, hier mit dem Zusatz: „Handels-, Gewerbe- und Verkehrspolitik“,16 so kommt man der Aussage von 1910 dagegen schon ziemlich nahe. Denn Weber behandelt in dieser Vorlesung unter anderem die wirtschaftspolitischen Ideale der „Theokratien“.17 In diesem Zusammenhang diskutiert er die Umbildung der „canonistischen Doktrinen“, wobei er zwei „auseinanderstrebende Richtungen“ unterscheidet: die der Jesuiten von der Calvins und seiner Anhänger. Während Luther in seinem wirtschaftspolitischen Denken rück12  Weber, Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie §  6, MWG III/1, S.  3 63–370, hier S.  365. 13 Ebd. 14  Ebd., S.  366. 15  Ebd., S.  367. 16  Weber, Max, Praktische Nationalökonomie: Handels-, Gewerbe- und Verkehrspolitik, 5-stündig, Wintersemester 1897/98, Vorlesungsnotizen (MWG III/2). Die Vorlesung ist in 5 Kapitel bzw. Bücher und 15 Paragraphen gegliedert, wobei Weber die typischen Vorstadien der Volkswirtschaftspolitik, dann die wirtschaftspolitischen Doktrinen des Altertums, des Mittelalters, des Merkantilismus und Protektionismus und des ökonomischen Liberalismus durchgeht. Die Vorlesung wurde von ihm auch für das Wintersemester 1898/99 angekündigt, aber wegen seines gesundheitlichen Zusammenbruchs nicht mehr gehalten. Man kann also mit Gründen vermuten, daß sich seine Bemerkung von 1910 („vor 12 Jahren“) auf die Vorlesung „Praktische Nationalökonomie“ aus dem Wintersemester 1897/98 bezieht. 17 Die Stichworte finden sich ebd., §  3 „Der Merkantilismus und Protektionismus“, GStA PK, VI. HA, Nr.  31, Bd.  2, Bl.  3 6–59 (MWG III/2), hier Bl.  4 6r.

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ständig geblieben sei, hätten „Calvin u. die Protestanten der Handelsstädte“ die Arbeit zum allgemeinen Lebenszweck erhoben. Zugleich hätten sie die kanonistischen Bedenken gegen den Handel und gegen das Zinsnehmen zerstreut. Erziehung zu produktiver Arbeit habe im Zentrum der calvini­ stischen Umbildung der kanonistischen Doktrinen gestanden. Weber spricht von der „Züchtung des Capitalismus u. der Geldwirtschaft“, von der „Züchtung des wirtsch[aftlichen] Eigennutzes“ und von der Theorie „der Produkti­ vität niederer Löhne“. Nicht der Reichtum als solcher, sondern nur sein un­sittlicher Erwerb, etwa mittels Glücksspiel, oder seine unproduktive Verwendung, etwa in Gestalt von Luxuskonsum, werde perhorresziert. Weber sieht darin gar eine „ethische Theorie des wirtsch[aftlichen] Geizes“, schränkt allerdings sofort ein, dieses Urteil sei wohl zu hart angesichts „der Lebensauffassung derjenigen tüchtigsten Elemente des emporstrebenden Capitalismus, dem die Gewinnung des Reichtums ethischer Beruf ist (Hansestädte)“. Die Zusammenfassung seiner Überlegungen lautet: „Also: Entfesselung u. ethische 〈Rechtfertigung〉 Sanktionierung des Erwerbstriebes, wirtsch[aftlichen] Eigennutzes[,] dag[e]g[en] Einschränkung des Genußtriebes.“18 Später, im zweiten Aufsatz der Protestantismusstudien, spricht er vom asketischen Sparzwang, der auf dem asketischen Protestanten laste.19 Auch die Formel vom „heroischen Zeitalter des Capitalismus“ verwendet er bereits in dieser Vorlesung.20 Das Spätere ist also tatsächlich im Jahre 1898 im Keim vorhanden. Bis zur Ausarbeitung des geschichtlichen Zusammenhangs zwischen asketischem Protestantismus und modernem Berufsmenschentum ist es freilich noch ein weiter Weg. Es gibt zudem einen Brief von Max Weber an Paul Siebeck, aus dem hervorgeht, daß er damals schon mit Doktoranden über den Zusammenhang von Religion und Wirtschaft, insbesondere über die wirtschaftspolitischen Auffassungen Calvins, diskutierte. So schreibt er am 7. Dezember 1898 an den Verleger, als eine der Abhandlungen, die im Rahmen der „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ voraussichtlich publika­ tionswürdig seien, könne er die Arbeit von „Kamm. Joh. Calvin als Wirtschaftspolitiker (mit einer Einleitung von mir, – auf Grund Genfer ungedruckten Materials) fertig Frühjahr 1900, ca 6 Bogen“ nennen.21 Maximilian Kamm hatte im Sommersemester 1896 sein Studium an der Universität Heidelberg aufgenommen und im Sommersemester 1897 und im Wintersemester 1897/98

18  Ebd., Bl.  46v. 19  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  412. 20 Weber, Praktische Nationalökonomie §  3, Bl.  4 6v, sowie Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  276. 21 Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 7. Dezember 1898, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3).

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intensiv bei Max Weber studiert.22 Diese von Weber avisierte Arbeit ist allerdings nie erschienen.23 Nimmt man aber die Dissertation von Martin Offenbacher hinzu, die im Jahre 1900 tatsächlich erschien und von Weber für seine Abhandlung verwendet wurde,24 so spricht doch vieles dafür, daß er sich tatsächlich bereits vor der Jahrhundertwende mit dem Einfluß des Protestantismus, insbesondere der Reformierten, auf die Entwicklung der Wirtschaft beschäftigte, wenngleich dies zu diesem Zeitpunkt noch keinen literarischen Niederschlag in seinen veröffentlichten Arbeiten fand und auch kein Schwerpunkt der Dissertationen an seinem Heidelberger Volkswirtschaftlichen Seminar war.25 Man kann an den aus der Theorievorlesung berichteten skizzenhaften Bemerkungen zur Rolle der Religion im wirtschaftlichen Leben allerdings bereits ein methodisches und theoretisches Credo erkennen. Methodisch geht es um die richtige Gewichtung der ökonomischen Faktoren bei der Analyse von Kulturphänomenen, theoretisch um die Rolle, die man den ideellen Interessen für das Handeln von Menschen und Menschengruppen zuerkennt. Weber verweist zudem auf die „ungeheure Bedeutung“ des Zufälligen, des Kontingenten, in der Geschichte. Es gibt für ihn keine Geschichtsgesetze nach Art des historischen Materialismus. Vor allem aber: Der Mensch ist nicht „allein Produkt seines ökon[omischen] Milieu[s].“26 Wir wissen nicht im Detail, mit welchen Fragen und Stoffen sich Max Weber während der Zeit von Juli 1898, dem Ausbruch der Krankheit, bis Oktober 1903, als er sein Ordinariat niederlegte, beschäftigte. Zunächst mußte er auf jegliche geistige Arbeit verzichten.27 Erst im Sommer 1901 liest er wieder ein

22  Kamm belegte bei Weber im Sommersemester 1897 die Vorlesung „Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“ und das Volkswirtschaftliche Seminar, im Wintersemester 1897/98 die Vorlesungen „Agrarpolitik“ und „Praktische Nationalökonomie“. Vgl. die Einträge in die Quästurlisten der Universität Heidelberg, UA Heidelberg, Rep.  27–1409. 23  Maximilian Kamm wechselte zum Sommersemester 1898 an die Universität Straßburg. Seine Dissertation schloß er nicht ab. 24 Offenbacher, Martin, Konfession und soziale Schichtung. Eine Studie über die wirtschaftliche Lage der Katholiken und Protestanten in Baden (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, hg. von Carl Johannes Fuchs, Gerhard von Schulze-Gävernitz, Max Weber, 4. Band, 5. Heft). – Tübingen und Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1900 (hinfort: Offenbacher, Konfession); dazu: Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  124 ff. in den Fußnoten. 25  Aus den Arbeiten der Schüler, von denen wir wissen, geht hervor, daß der Schwerpunkt auf anderen Themen lag. Dazu die Einleitungen von Rita Aldenhoff-Hübinger in MWG III/4, S.  15 ff. und MWG III/5, S.  19 f. 26  Weber, Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie §  6, MWG III/1, S.  3 66. 27  Weber, Marianne, Lebensbild, S.  255: „Alles und jedes ist zu viel: Er kann ohne Qualen weder lesen noch schreiben, noch reden, noch gehen und schlafen. Alle geistigen und ein Teil der körperlichen Funktionen versagen [den] Gehorsam. Zwingt er

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Buch, freilich keines aus seinem Fach.28 Nur allmählich dürfte er sich wieder mit Beiträgen seiner Fachkollegen im engeren Sinn beschäftigt haben, so zum Beispiel mit Georg Simmels großer Studie über die Psychologie oder Philosophie des Geldes.29 Aber das Interesse scheint zunächst noch relativ diffus. Marianne Weber berichtet, er habe ein „fabelhaftes Gemisch“ an Literatur zu sich genommen, bestehend aus „Geschichte, Verfassung und Wirtschaft der Klöster, dann Aristophanes, Rousseaus Emil[e], Voltaire, Montesquieu, Taines sämtliche Bände und englische Schriftsteller“.30 Dies spricht jedenfalls nicht dafür, daß er zu diesem Zeitpunkt bereits gezielt für die Studien über den asketischen Protestantismus recherchiert.31 Mit der Rückkehr des Ehepaars nach Heidelberg zu Webers 38. Geburtstag nach nahezu zweijähriger Abwesenheit begann, wie Marianne Weber es formulierte, eine neue Produktionsphase.32 Weber tastete sich vorsichtig in sein Fach zurück. Er tat es zunächst mit Auftragsarbeiten. Die erste größere schriftliche Äußerung nach dem Zusammenbruch ist eine Rezension. Sie gilt einem Buch, das sich mit dem Zusammenspiel von Rechtswissenschaft und Nationalökonomie, von normativen und empirischen Fragen, beschäftigt. Weber bespricht Philipp Lotmars Studie über den Arbeitsvertrag.33 Die Universität Heidelberg wollte im Jahre 1903 das einhundertjährige Jubiläum ihrer ‚zweiten Gründung‘ feiern.34 Dafür plante die Philosophische Fakultät eine Festsie dennoch zum Dienst, so bedroht ihn das Chaos, ein Gefühl, als könne er in den Wirbel eines den Geist verdunkelnden Erregungszustandes geraten.“ 28  Marianne Weber berichtet, es sei ein Buch über Kunstgeschichte gewesen. Ebd., S.  264. 29  Ebd., S.  266. 30  Ebd., S.  267. 31  Dies gilt auch für die dreibändige Geschichte des Neuen Testaments von Adolf Hausrath, die Marianne Weber erwähnt. Sie reicht von der Jesusbewegung bis zum Zeitalter Hadrians und den Anfängen der Gnosis, ist also für Webers Thema allenfalls indirekt relevant. Vgl. Hausrath, Adolf, Neutestamentliche Zeitgeschichte. – Heidelberg: Verlagsbuchhandlung von Fr. Bassermann. Erster Teil: Die Zeit Jesu, 1868; Zweiter Teil: Die Zeit der Apostel, 1872; Dritter Teil: Die Zeit der Märtyrer und das nachapostolische Zeitalter, 1874. 32  Weber, Marianne, Lebensbild, S.  272. Marianne Weber fügt hinzu, sie sei „völlig anderen Charakters als die frühere.“ In die neue Wohnung in Heidelberg zogen sie wohl am 12. April 1902. Das Ehepaar hatte etwa zwei Jahre zuvor den Heidelberger Hausstand aufgelöst und war, nach einem längeren Aufenthalt in einer Klinik in Urach, auf Reisen gegangen. Es hielt sich in dieser Zeit überwiegend in Italien auf. 33  Weber, Max, Rezension von: Philipp Lotmar, Der Arbeitsvertrag, MWG I/8, S.  3 4– 61. Auch der zweite Beitrag ist eine Rezension: Weber, Rezension von: Alfred Grotjahn, Über Wandlungen in der Volksernährung, MWG I/8, S.  62–72. 34  Karl Friedrich Markgraf von Baden erneuerte am 13. Mai 1803 nach dem Reichsdeputationshauptschluß die 1386 ins Leben gerufene Universität mittels eines zweiten Stiftungsbriefs. Deshalb trägt sie auch den Doppelnamen Ruperto-Carola (Ru­ precht I. von der Pfalz 1. Stifter, Karl Friedrich Markgraf von Baden 2. Stifter).

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schrift und bat Weber um einen Beitrag dazu, bezogen auf die Geschichte seines Fachs. Dies war der äußere Anlaß, der zu Webers Abhandlung „Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen National­ ökonomie“ führte. Den Teil über „Roschers ‚historische Methode‘“ begann er wohl im Frühjahr 1902, und er konnte diesen „Seufzeraufsatz“ (Marianne Weber) 35 im Oktober 1903, allerdings nicht in der Festschrift, publizieren.36 Die Teile über Knies folgten erst 1905 bzw. 1906.37 Für diese Arbeiten zur Logik und Methodik seines Faches mußte erst eine wichtige Voraussetzung geschaffen sein: Heinrich Rickert beendete 1902 seine vor der Jahrhundertwende begonnene große Studie über „Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung“ mit der Publikation der letzten beiden Kapitel.38 Weber benutzte seine Auseinandersetzung mit Roscher nicht zuletzt dazu, „die Brauchbarkeit der Gedanken dieses Autors [nämlich Rickerts] für die Methodenlehre unserer Disziplin zu erproben.“39 Denn mit Rickert hatte er einen logischen Standpunkt gewonnen, der ihm im Methodenstreit seines Faches zwischen der historischen und der theoretischen Richtung eine befriedigende Lösung versprach.40 Im Sommer 1902 hatte Weber aus Florenz an seine Frau 35 Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 4. Juli 1903, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 36  Marianne Weber, Lebensbild, S.  278, spricht von einer „lastende[n] methodologische[n] Zufallsarbeit“. Diese wurde denn auch für die Festschrift nicht rechtzeitig fertig, und Weber fand, diese methodologische Betrachtung passe sowieso nicht dort hinein. 37  Gemeint sind: Weber, Roscher und Knies I-III. 38  Rickert, Heinrich, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften. – Tübingen und Leipzig: Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1902. Die ersten drei Kapitel dieser Untersuchung waren bereits 1896 erschienen. Nun fügte Rickert zwei weitere Kapitel für die Veröffentlichung als Buch hinzu: 4. Kapitel: Die historische Begriffsbildung; 5. Kapitel: Naturphilosophie und Geschichtsphilosophie. Entscheidend für Weber ist das 4. Kapitel, in dem Rickert den logischen Begriff des absolut Historischen als ein durch Wertbeziehung konstituiertes „historisches Individuum“, als ein logisch Unteilbares (In-dividuum), entwickelt, aber auch die naturwissenschaftlichen Bestandteile in den historischen Wissenschaften diskutiert (S.  4 80 ff.). Danach gibt es bei den historischen Begriffen eine Abstufung nach Graden der Allgemeinheit, ohne daß dies ihren Charakter, historische, d. h. genetische Begriffe zu sein, tangierte. Rickert spricht in diesem Zusammenhang von relativ historischen Begriffen, wie er auch in den naturwissenschaftlichen Begriffen, den „Gattungsbegriffen“, historische Bestandteile anerkennt. Die logischen Begriffe von Natur und Geschichte bedingten sich also wechselseitig. Weber hatte sich vor dem Zusammenbruch skeptisch zu Rickerts bis dahin vorliegendem Versuch geäußert. Nun zeigte er sich von Rickerts Lösung weitgehend überzeugt. 39  Weber, Roscher und Knies I, S.  7, Fn.  1. 40  Der Methodenstreit war 1883 durch eine Rezension von Gustav Schmoller ausgelöst worden, in der er Bücher von Carl Menger und Wilhelm Dilthey besprach. Dabei benutzte er Dilthey auch dazu, seine mitunter sehr polemische Kritik an Menger phi-

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geschrieben: „Rickert habe ich aus, er ist sehr gut, zum großen Teil finde ich darin Das, was ich selbst, wenn auch in logisch nicht bearbeiteter Form, gedacht habe. Gegen die Terminologie habe ich hie und da Bedenken.“41 Dennoch schließt er sich zunächst nicht nur der Sache, sondern auch dieser Terminologie weitgehend an. Man gewinnt also den Eindruck, als wollte Weber, angestoßen durch äußere Anlässe, an seine literarische Produktion aus der Zeit vor dem Zusammenbruch anknüpfen. Dies gilt auch noch für die dritte wichtige literarische Äußerung nach dem Neubeginn: für seine Kritik an dem preußischen „Vorläufigen Entwurf eines Gesetzes über Familienfideikommisse nebst Begründung“, der im Frühsommer 1903 veröffentlicht worden war. In einer langen Abhandlung sucht Weber auf der Grundlage von vor Jahren erhobenen agrarstatistischen Daten die negativen sozial- und staatspolitischen Folgen dieses geplanten Gesetzes nachzuweisen.42 Dabei wiederholte er bereits zuvor Gedachtes und Geschriebenes, wenn auch vielleicht in konziserer Form.43 Verglichen mit den Arbeiten vor dem Zusammenbruch bringt dieser Aufsatz aus dem Jahr 1904 mit seiner Kritik an den feudalen Prätentionen des Bürgertums aber nichts entscheidend Neues. Er ist zudem weniger wissenschaftlich als politisch motiviert.44 losophisch zu fundieren. Er bekennt ausdrücklich: „Nur bei Menger kann ich die Polemik nicht ganz zurückhalten, da seine Angriffe mich theilweise persönlich mitbetreffen“, heißt es zu Anfang der Rezension. Siehe Schmoller, Gustav, Zur Methodologie der Staats- und Sozial-Wissenschaften, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirthschaft im Deutschen Reich, 7. Jg., 3. Heft, 1883, S.  239–258, hier S.  2 39. Menger antwortete mit einer Gegenpolemik. Seitdem schwelte im deutschsprachigen Raum der Konflikt zwischen der historischen Schule und der theoretischen Schule, wobei man mit der letzteren die Vertreter der sogenannten österreichischen Grenznutzenschule, vor allem Carl Menger, Eugen von Böhm-Bawerk und Friedrich von Wieser, meinte. 41  Karte Max Webers an Marianne Weber vom [11. April 1902], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/3). 42  Weber, Max, Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen, in: MWG I/8, S.  81–188 (hinfort: Weber, Fideikommißfrage). 43  Weber hatte zu diesem Zeitpunkt noch den Plan, eine zusammenhängende und vergleichend angelegte Untersuchung über den Agrarkapitalismus zu schreiben, in der er wohl seine verschiedenen Beiträge zu diesem Thema zusammengefaßt hätte. Diesen Plan ließ er fallen, nicht zuletzt wohl deshalb, weil sich sein Erkenntnisinteresse verlagerte. In der Vorlesung „Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ aus dem Wintersemester 1919/20 kam er dann noch einmal auf diese Themen zurück. Dazu MWG III/6, S.  98 ff. (Erstes Kapitel. Haushalt, Sippe, Dorf und Grundherrschaft (Agrarverfassung).) 44  Dazu der Editorische Bericht zu Weber, Fideikommißfrage, MWG I/8, S.  8 0 ff. Entscheidend Neues bringen auch nicht der Vortrag in St. Louis (Weber, The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science, MWG I/8, S.  2 00–243) und die zuletzt aufgefundenen Beiträge zu einer amerikanischen Enzyklopädie, die allerdings vermutlich in das Jahr 1905 fallen (Weber, Agriculture and Forestry, und Weber,

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Zwei Publikationen aber, die ebenfalls 1904 erscheinen, rechtfertigen Marianne Webers Wort von der neuen Produktionsphase: der Aufsatz „Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ und der erste Aufsatz „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“, dem dann 1905 der zweite Aufsatz gleichen Titels folgt.45 Von beiden Publikatio­ nen läßt sich sagen, mit ihnen habe Weber trotz Vorläufern einen neuen wissenschaftlichen Weg begonnen. In beide Publikationen spielen auch Krisenerfahrungen hinein. Es ist die Krise des Fachs, in dem nach wie vor Vertreter der historischen und der theoretischen Richtung miteinander stritten, es ist aber auch die persönliche Krise, der Verlust der Arbeitsfähigkeit. In diesen Texten findet man deshalb auch nur lose Anknüpfungen an die Texte aus der Zeit vor dem Zusammenbruch, im Objektivitätsaufsatz zweifellos deutlicher als in den Protestantismus-Aufsätzen. Denn im Objektivitätsaufsatz ist der Bezug auf den Methodenstreit in der deutschsprachigen Nationalökonomie evident. Damit hatte sich Weber bereits vor dem Zusammenbruch beschäftigt, aber noch keine befriedigende Lösung für sich gefunden. Diese liefert er jetzt. Mit den Aufsätzen „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ aber scheint er sich auf ein von ihm zwar antizipiertes, aber neu zu erschließendes Gebiet zu begeben.46 Sie verlangten die Erweiterung der bisher vorwiegend rechts- und wirtschaftsgeschichtlichen Betrachtungsweise um die religionsgeschichtliche. Denn Weber sucht eine religionsgeschichtIndustries, in: MWG I/8, Ergänzungsheft, dort auch die Einleitung, S.  1–15). Schließlich ist noch der Aufsatz „Der Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung“ zu erwähnen, ein Nebenprodukt von Webers Vorbereitung auf den St. LouisVortrag, MWG I/6, S.  2 28–299. Auch dieser Aufsatz steht in einer Kontinuität mit den Arbeiten vor dem Zusammenbruch. Ob Kontinuität oder Neuanfang, es ist jedenfalls erstaunlich, was Weber nach den langen Jahren der Arbeitsunfähigkeit im Jahre 1904 leistete, zumal er auch noch für längere Zeit auf USA-Reise war. 45  Gemeint sind: Weber, Max, Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 19. Band, Heft 1, 1904, S.  2 2–87 (hinfort: Weber, Objektivität; MWG I/7), sowie Weber, Protestantische Ethik I und II, unten, S.  97–215 und 222–425. 46  Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Briefe, die Max Weber während seines kurzen Aufenthalts in Holland im Juni 1903 an seine Frau Marianne schreibt, in denen es allerdings vorwiegend um ästhetische Fragen geht. Weber zeigt sich besonders beeindruckt von den Arbeiten des späten Rembrandt, von seinem Alterswerk, das ihn, nicht zuletzt ‚geläutert‘ durch sein persönliches Unglück, auf der Höhe seiner Kunst zeige, die Weber mit der von Rubens kontrastiert. Weber stellt fest, Rubens sei „doch überhaupt nicht neben Rembrandts in Freiheit u. Armuth gewachsener protestantischer Seele zu genießen, dieser Höfling, dessen Bildern man die Jesuiten-Erziehung anmerkt.“ Brief Max Webers an Marianne Weber vom [13. Juni 1903], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/4). Darüber hinaus geht er auf die Kirchenarchitektur und auf den Ablauf des Gottesdienstes ein, immer im Vergleich zu den Erfahrungen, die er zusammen mit seiner Frau während ihres Italienaufenthalts mit dem dortigen Katholizismus gemacht hatte.

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liche Erklärung für die moderne Idee der Berufspflicht, die Idee vom weltlichen Beruf als einer Berufung. Es geht ihm, wie er sich später ausdrückt, vor allem um die Herkunft, aber auch um die Zukunft des modernen Berufsmenschentums.

2.  Logisch-methodische Selbstvergewisserung: Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis Verweilen wir zunächst beim Objektivitätsaufsatz, welcher, neben dem Roscher-Aufsatz, der logisch-methodischen Selbstvergewisserung diente. Auch hierfür gab es einen äußeren Anlaß: die Umgründung des Braunschen Archivs in das Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik und Webers Aufnahme in den Herausgeberkreis. Nachdem er die Universität ‚verlassen‘ hatte, wurde das 1904 gegründete Archiv für ihn ein wichtiges professionelles Forum.47 Die Entstehung dieser neuen Zeitschrift war freilich nicht sein Werk.48 Sie bot ihm aber die Möglichkeit, seiner Vorstellung von einer Sozialwissenschaft als einer Kulturwissenschaft Geltung zu verschaffen. Am 5. April 1905 heißt es in einem Brief an Willy Hellpach, daß „das Schwergewicht der Arbeit des ‚Archiv‘ auf der ‚kulturwissenschaftl[ichen]‘ Seite“ liege 47  Ein anderes blieb natürlich der Verein für Sozialpolitik. Die Mitarbeit im Archiv war für ihn freilich keine reine Freude. Immer wieder überlegte er im Laufe der Jahre, ob er die Mitherausgeberschaft nicht niederlegen solle. Er blieb dann doch bei der übernommenen Verpflichtung, meist, weil Paul Siebeck ihn darum bat. 48 Das Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik ging aus dem Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik hervor, einer „Vierteljahresschrift zur Erforschung der gesellschaftlichen Zustände aller Länder“, wie es im Untertitel heißt. Sie wurde von Heinrich Braun, übrigens unter tätiger Mitwirkung von Werner Sombart, herausgegeben, später an Edgar Jaffé für 60 000 Mark verkauft. Über die Beziehung zwischen Heinrich Braun und Werner Sombart u. a. vom Brocke, Bernhard, Werner Sombart 1863– 1941. Eine Einführung in Leben, Werk und Wirkung, in: Sombarts ‚Moderner Kapitalismus‘. Materialen zur Kritik und Rezeption, hg. von Bernhard vom Brocke. – München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1987 (hinfort: Brocke, Materialien), S.  3 4–65. Daß die neue Zeitschrift schließlich beim Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) erschien, war wohl Max Webers Werk. In dem Vertrag, der am 23. August 1903 zwischen Paul Siebeck und Edgar Jaffé abgeschlossen wurde, heißt es: „§  2 Dr. Jaffé übernimmt die Redaktion des Archivs, er hat allein das Recht sich Mitredakteure, Mitherausgeber oder Stellvertreter zu wählen. Er bestimmt die Mitarbeiter sowie die Zusammensetzung des Inhaltes des Archivs.“ (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nl. 488 (Archiv des Verlages Mohr Siebeck), K. 950.) Jaffé entschied sich für Werner Sombart und Max Weber als Mitherausgeber. Das Titelblatt des 1. Bandes lautete: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Neue Folge des Archivs für soziale Gesetzgebung und Statistik, begründet von Heinrich Braun, herausgegeben von Weber Sombart, Professor in Breslau, Max Weber, Professor in Heidelberg und Edgar Jaffé in Heidelberg. Neunzehnter Band (der neuen Folge 1. Band). – Tübingen: Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1904.

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und daß „wir programmatisch für den Grundsatz eintreten, die Eigenart der historischen Methodik neben dem Recht der ‚Gesetzesbildung‘ zu wahren.“ Weber fügt in diesem Brief hinzu, daß er „die begriffliche Durchdringung des historischen Stoffs und die Vertretung des Rechts der ‚Theorie‘ zur wesentlichen Aufgabe unsrer Zeitschrift gemacht zu sehen wünsche“, und dies gehe nicht zuletzt aus seinem Objektivitätsaufsatz hervor.49 Dieser Aufsatz enthält denn auch ein doppeltes Programm, eines für die neue Zeitschrift, eines für ihn selber. Zum einen sagt Weber darin Wichtiges über Ziel und Charakter dieser neuen Zeitschrift, in Ergänzung zum gemeinsamen „Geleitwort“ der Herausgeber und auch hier noch in deren Namen,50 zum anderen äußert er sich über sein eigenes kulturwissenschaftliches Forschungsprogramm. Dessen Realisierung beginnt er mit der Aufsatzfolge „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“. Der Objektivitätsaufsatz und die „Protestantische Ethik“, beide im Archiv erschienen, gehören also in diesem Sinn zusammen, obgleich sie in voneinander unabhängigen Diskussionszusammenhängen stehen und wohl auch nacheinander geschrieben sind.51 Nicht zufällig gliedert Weber den Objektivitätsaufsatz auch äußerlich in zwei Teile. Im ersten Teil ergänzt er, wie gesagt, das „Geleitwort“ des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, das von den drei Herausgebern verantwortet wurde, um einen dort aus seiner Sicht nur unzureichend entwik­ kelten Gedankengang. Im zweiten Teil entwickelt er den Gedanken einer Sozialwissenschaft als Wirklichkeitswissenschaft und die Art der Begriffsbildung, die man dafür benötigt. Hier zeichnet er die Umrisse seines eigenen Forschungsprogramms. 49  Brief Max Webers an Willy Hellpach vom 5. April 1905, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  17, Bl.  8 –10a (MWG II/4). Webers Korrespondenz mit Hellpach über wissenschaftstheoretische Fragen dreht sich vor allem um den Ansatz von Karl Lamprecht, dem Hellpach zuneigte und von dem Weber sagte, dieser sei wissenschaftlich doch nicht ernst zu nehmen. Lamprecht sei ein „Schwindler und Charlatan schlimmster Sorte“, „soweit er als Culturhistoriker und Culturtheoretiker auftritt“, es handle sich bei ihm um „Geschwätz ohne jeglichen wissenschaftlichen Werth“, um „reine[s] Dilettantentum“. Brief Max Webers an Willy Hellpach vom 31. März 1905, ebd., Nr.  17, Bl.  2 –5 (MWG II/4). 50  [Sombart, Werner, Max Weber und Edgar Jaffé], Geleitwort, in: AfSSp, 19. Band, Heft 1, 1904, S.  I-VII (hinfort: Geleitwort). Über die Autorschaft des „Geleitworts“ Ghosh, Peter, „Max Weber, Werner Sombart and the Archiv für Sozialwissenschaft: the authorship of the ‚Geleitwort‘ (1904), in: History of European Ideas, Vol.  3 0, Issue 1, 2010, pp.  71–100. 51  Dazu der Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 12. April 1904, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/4), in dem es heißt, erst müsse der Objektivitätsaufsatz für Heft 1 des Archivs abgeschlossen werden, dann folge die „Protestantische Ethik“, „von der ich mir viel verspreche.“ Weber schiebt dann noch den Aufsatz über die Fideikommißfrage in Preußen dazwischen. Alle drei erschienen im Archiv. Weber bestückte also die ersten Hefte der neuen Zeitschrift mit drei großen Aufsätzen. Sie addieren sich auf 181 Seiten.

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Fragen wir zunächst, welche Ergänzung des „Geleitworts“ Weber für notwendig erachtet. Ausgangspunkt dafür ist die Zusammenstellung der Begriffe, die die neue Zeitschrift im Titel führt. Wer sich außer zu sozialwissenschaftlichen auch zu sozialpolitischen Fragen äußern will, muß sich Klarheit darüber verschaffen, wie er das Verhältnis von Theorie und Praxis verstanden wissen möchte. Im „Geleitwort“ hatten sich die neuen Herausgeber in dieser Hinsicht zunächst an die Auffassung der Vorgängerzeitschrift angelehnt. Sie lobten deren internationalen und vor allem interfraktionellen Charakter, auch, daß sie sich „die kritische Verfolgung des Ganges der Gesetzgebung zur Aufgabe gemacht“ habe.52 Dies setze freilich einen Wertungsstandpunkt voraus. Damit stelle sich die Frage, ob die Vorgängerzeitschrift „bei dieser ‚praktischen‘ Kritik auch eine bestimmte ‚Tendenz‘“ verfolgt habe. Und die Antwort lautet: ja, aber nur insofern, als diese „praktische ‚Tendenz‘ in den entscheidenden Punkten nichts anderes als das Resultat bestimmter Einsichten in die historische sozialpolitische Situation“ gewesen sei. Es hätten also „gemeinsame theoretische Anschauungen über die tatsächlichen Voraussetzungen“ der sozialpolitischen Arbeit bestanden. Die neuen Herausgeber erwähnten davon drei: 1. daß der Kapitalismus schlechthin hinzunehmen sei, und dies die Rückkehr zu den patriarchalen Grundlagen der alten Gesellschaft ausschließe; 2. daß die alten Formen gesellschaftlicher Ordnung den neuen weichen müßten, was insbesondere bedeute, das Proletariat in die „Kulturgemeinschaft der modernen Staaten“ einzugliedern; 3. daß die damit geforderte gesellschaftliche Neugestaltung nur schrittweise erfolgen könne, also auf dem Wege der Reform, nicht der Revolution. Es ist nun bemerkenswert, daß sich auch die neuen Herausgeber ausdrücklich zu diesen ‚Einsichten‘ bekennen.53 Doch Max Weber genügte dieses Bekenntnis im „Geleitwort“ offensichtlich nicht. Wenn man sich überhaupt zu der ‚Tendenz‘ äußern wolle, dann müsse man dies ausführlich begründen. Am 6. Januar 1904 heißt es in einer Karte an Edgar Jaffé: „Die Frage der ‚Tendenz‘ des Archivs sollte m. E. aus den einleitenden Worten fortbleiben. Es läßt sich kurz etwas Adäquates dar­ über nicht sagen u. mein ganzer langer Artikel handelt ja davon.“54 52  Geleitwort, S.  III. 53  Ebd., S.  III f. 54  Karte Max Webers an Edgar Jaffé vom 6. Januar 1904, Privatbesitz (MWG II/4). Es ist übrigens ein Kuriosum, daß Webers Artikel, obwohl er sachlich unmittelbar an das „Geleitwort“ anschließt, erst an zweiter Stelle, hinter dem Artikel von Werner Sombart, stehen durfte. Sombarts Artikel „Versuch einer Systematik der Wirtschaftskrisen“, mit dem die Rubrik „Abhandlungen“ der neuen Folge eröffnet wurde (in: AfSSp, Bd.  19, Heft 1, 1904, S.  1–21), ist eher schmalbrüstig und enthält wenig Programmatisches. Grund für diese ungewöhnliche Abfolge war offensichtlich eine Auseinandersetzung zwischen Sombart und Weber, bei der Sombart darauf beharrte, ihm gebühre der erste Platz aufgrund seiner engen Verbindung mit der Vorläuferzeitschrift. Sombart fühlte sich wohl von Weber an den Rand gedrängt und unterdrückt. Dazu der Brief

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Weber erörtert denn auch in dem ersten Teil des Objektivitätsaufsatzes ausführlich das Verhältnis von Tatsachenurteilen und Werturteilen, ein Thema, das ihn spätestens seit seiner Freiburger Antrittsvorlesung beschäftigte. Und er schwört seine Mitherausgeber auf eine werturteilsfreie Sozialwissenschaft als Kulturwissenschaft ein. Zwar wünscht er praktische Kritik, und er übt sie ja selbst wenig später am Beispiel der Fideikommißfrage in Preußen.55 Aber er bindet sie an Regeln. Die wichtigste ist, daß man eine „prinzipielle Scheidung von Erkenntnis des ‚Seienden‘ und des ‚Seinsollenden‘“ vollzieht. Das Seinsollende ergebe sich weder aus dem angeblich „unabänderlich Seienden“, noch aus dem angeblich „unvermeidlich Werdenden“.56 Mehr noch: Gefährlich sei nicht nur die Vermischung von Sein und Sollen, sondern der in der historischen Schule vertretene entwicklungsgeschichtliche Relativismus, weil dies beim Sollen zu einer Einebnung der Differenz zwischen Ethik und Kulturwerten führe. Dies ist natürlich ein frontaler Angriff auf die ethische Nationalökonomie, wie sie insbesondere von Gustav Schmoller vertreten wurde. Zusammenfassend heißt es bei Weber: „Unsere Zeitschrift als Vertreterin einer empirischen Fachdisziplin muß, wie wir gleich vorweg feststellen wollen, diese Ansicht grundsätzlich ablehnen, denn wir sind der Meinung, daß es niemals Aufgabe einer Erfahrungswissenschaft sein kann, bindende Normen und Ideale zu ermitteln, um daraus für die Praxis Rezepte ableiten zu können.“57 Dennoch, so Weber weiter, könne auch eine Erfahrungswissenschaft für die Klärung von Fragen, die in die Wertungssphäre fallen, etwas leisten: zum einen technische Kritik, zum anderen Kenntnis der Bedeutung des Gewollten, Marianne Webers an Helene Weber vom 29. Februar 1904, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Weber hatte an Marianne zuvor unter anderem über Sombart geschrieben: „Sombart ist einfach ein Kind, mit der Brutalität u. Ungezogenheit eines solchen, aber mehr noch mit seiner Unentwickeltheit, inneren Unsicherheit u. eigentlich der Sehnsucht nach irgend einem aufrichtigen Freunde. Man kämpft immer halb mit Mitleid halb mit Ärger und Degout, wenn er so Abends seine Bekenntnisse losläßt. – Er ist eben in einer ekelhaften Lage in Breslau in jeder Hinsicht.“ Brief Max Webers an Marianne Weber vom 19. September 1903, ebd. (MWG II/4). Weber begnügte sich schließlich mit Platz 2, bestand aber darauf, daß sein Artikel, immerhin dreimal so lang wie der von Sombart, nicht auf zwei Hefte verteilt werde, was dazu führte, daß das erste Heft der neuen Zeitschrift mit Überlänge erscheinen mußte. Die dadurch verursachten Mehrkosten übernahm der Verleger. 55  Dazu Wolfgang Schluchter, Einleitung, MWG I/8, S.  4 –15 sowie ders., Einleitung zu: MWG I/8, Ergänzungsheft, S.  1–15. 56  Weber, Objektivität, S.  24. 57  Ebd., S.  25. Weber hielt an der hier vorgetragenen Kritik, die er schon in der Antrittsvorlesung von 1895, allerdings, wie er später sagt, noch in unreifer Weise, formuliert hatte, bis ins Spätwerk fest. Dazu auch seine spätere Auseinandersetzung mit Schmoller in dem Aufsatz „Der Sinn der ‚Wertfreiheit‘ der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften“, in: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, 7. Band, Heft 1, 1917, S.  4 0–88 (hinfort: Weber, Wertfreiheit; MWG I/12).

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d. h. Selbstbesinnung auf die Wertmaßstäbe, denen man folgt. Es gebe deshalb zwei Pflichten, die diejenigen, die an der Zeitschrift mitarbeiten wollten, zu beachten hätten: 1. dem Leser und sich selbst klar zu machen, „welches die Maßstäbe sind, an denen die Wirklichkeit gemessen und aus denen das Werturteil abgeleitet wird“;58 2. immer zu sagen, „daß und wo der denkende Forscher aufhört und der wollende Mensch anfängt zu sprechen, wo die Argumente sich an den Verstand und wo sie sich an das Gefühl wenden“.59 Aber es wäre fatal, wenn nun an die Stelle der Vermischung der Ebenen ihre Beziehungslosigkeit träte: „Gesinnungslosigkeit und wissenschaftliche ‚Objektivität‘ haben keinerlei innere Verwandtschaft“, heißt es explizit. Auch in der empirischen Wissenschaft lasse sich der stellungnehmende und damit wertende Mensch nicht entbehren. Beobachte man aber die beiden Pflichten, so könnten in der Zeitschrift „scharfe politische Gegner sich zu wissenschaftlicher Arbeit zusammenfinden.“ Die Zeitschrift sei in der Vergangenheit mit ihrem ‚interfraktionellen‘ Charakters kein „sozialistisches“ Organ gewesen, und sie werde in Zukunft kein „bürgerliches“ sein.60 Die Herausgeber hatten im „Geleitwort“ betont, die neue Zeitschrift müsse „die historische und theoretische Erkenntnis der allgemeinen Kulturbedeutung der kapitalistischen Entwicklung als dasjenige wissenschaftliche Problem ansehen“, mit dem sie sich vor allem zu beschäftigen habe. Und gerade weil sie deshalb die „ökonomische Bedingtheit der Kulturerscheinungen“ in den Mittelpunkt stelle, müsse sie den Kontakt zu den Nachbardisziplinen suchen, zu solchen, die Kulturerscheinungen unter einem anderen Gesichtspunkt sehen.61 Im ersten Teil des Objektivitätsaufsatzes fügt Weber dem hinzu, daß es die Aufgabe einer Wissenschaft vom menschlichen Kulturleben sei, „‚Ideen‘, für welche teils wirklich, teils vermeintlich gekämpft worden ist und gekämpft wird, dem geistigen Verständnis zu erschließen.“ Dies überschreite zwar die Grenzen der ökonomischen Fachdisziplin, nicht aber die einer empirischen Wissenschaft. Freilich berühre man damit auch sozialphilosophische Fragen. Entscheidend aber sei die angemessene empirische Behandlung von Ideen. Denn „die historische Macht der Ideen ist für die Entwicklung des Soziallebens eine so gewaltige gewesen und ist es noch, daß unsere Zeitschrift sich dieser Aufgabe niemals entziehen, deren Pflege vielmehr in den Kreis ihrer wichtigsten Pflichten einbeziehen wird.“62 Weber unterstreicht also schon im ersten Teil des Objektivitätsaufsatz, daß man es bei der Erkenntnis von Kulturerscheinungen nicht bei der Erforschung ihrer ökonomischen Bedingtheit belassen sollte. Vielmehr seien die hand58  Weber, Objektivität, S.  32. 59  Ebd., S.  33. 60 Ebd. 61  Geleitwort, S.  V. 62  Weber, Objektivität, S.  2 6 f.

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lungsleitenden Ideen und Ideale von Menschen in eine solche Untersuchung mit einzubeziehen. Weber beginnt denn auch den zweiten Teil des Objektivitätsaufsatzes damit, zwischen ökonomischen, ökonomisch bedingten und ökonomisch relevanten Erscheinungen zu unterscheiden. Und er fügt hinzu, „daß eine Erscheinung überhaupt die Qualität einer ‚wirtschaftlichen‘ nur in soweit und nur so lange behält, als unser Interesse sich der Bedeutung, die sie für den materiellen Kampf ums Dasein besitzt, ausschließlich zuwendet.“63 Weber hält es also für nötig, neben dem ökonomischen auch andere Gesichtspunkte ins Spiel zu bringen, jedenfalls dann, wenn man neben dem materiellen Kampf ums Dasein auch den ideellen Kampf um Deutung, neben dem Klassenkampf auch den Weltanschauungskampf, betrachtet.64 Dies aber müsse eine Sozialwissenschaft als Kulturwissenschaft tun. Im zweiten Teil des Objektivitätsaufsatzes steht deshalb die Frage im Mittelpunkt, wie eine Sozialwissenschaft als Kulturwissenschaft angelegt sein müsse. Es geht, wie Weber sagt, um die „sachliche Abgrenzung unseres Arbeitsgebietes.“ Dafür aber müsse man das Ziel sozialwissenschaftlicher Erkenntnis bestimmen.65 Im zitierten Brief an Hellpach hieß es, daß dabei „die Eigenart der historischen Methodik neben dem Recht der ‚Gesetzesbildung‘ zu wahren“ sei.66 Tatsächlich leitet Weber den zweiten Teil mit der Beobachtung ein, in der Nationalökonomie herrsche der „Kampf um Methode, ‚Grundbegriffe‘ und Voraussetzungen“, und die „theoretische und historische Betrachtungsform“ stünden sich durch eine „scheinbare unüberbrückbare Kluft“ gegenüber. So könne man mit einem Wiener Examinanden stöhnen: „zwei Nationalökonomien“ – „Was heißt hier Objektivität?“67 Weber nimmt also den Methodenstreit in der deutschsprachigen Nationalökonomie auf, und zwar in der Absicht, die konstatierte Kluft zu überwinden. Das logische Rüstzeug dafür stellt ihm, wie gesagt, Rickert bereit. Weber selbst äußerte sich in einem Brief an Georg von Below in diesem Sinne: „Außer dem mir allerdings wichtigsten letzten Drittel enthält der Aufsatz ja eigentlich nur eine Anwendung der Gedanken meines Freundes Rickert.“68 Dieses wichtige letzte Drittel betrifft vor allem die idealtypische Begriffsbildung.69 63  Ebd., S.  37 f., Zitat S.  3 8. 64  Ebd., S.  29. 65  Ebd., S.  36. 66  Oben, S.  13 mit Anm.  4 9. 67  Weber, Objektivität, S.  3 6. 68  Brief Max Webers an Georg von Below vom 17. Juli 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3 0, Bd.  4, Bl.  9 5–96a (MWG II/4). 69  Schon Thomas Burger konstatierte in seiner grundlegenden Studie über Webers methodologischen Standpunkt, der einzige Eigenbeitrag von Weber sei die idealtypische Begriffsbildung, der Rest sei Rickert. Siehe Burger, Thomas, Max Weber’s Theory of Concept Formation. History, Laws, and Ideal Types. – Durham, North Carolina: Duke University Press 1976, bes. Kapitel III.

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Weber hält sich im Methodenstreit offensichtlich zunächst an Carl Menger, weil er als „Erster und Einziger“ die „methodische Scheidung gesetzlicher und historischer Erkenntnis“ vollzogen zu habe,70 dies freilich, wie es im RoscherAufsatz heißt, „mit teilweise unzutreffenden Folgerungen“.71 Diese betreffen aber nicht die beiden Ziele, in der Sozialwissenschaft sowohl nach dem Generellen als auch nach dem Individuellen zu streben, sondern das Verhältnis, in dem sie bei Menger zueinander stehen. Weber möchte beide Ziele und ihr Verhältnis zueinander logisch sauber begründen. Dies geschieht mit Rickerts Unterscheidung zwischen generalisierender und individualisierender Begriffsbildung, zwischen Gesetzes- und Wirklichkeitswissenschaft.72 Die Frage nach dem Ziel sozialwissenschaftlicher Erkenntnis, mit der Weber den zweiten Teil des Objektivitätsaufsatzes einleitet, wird also damit beantwortet, daß sich sozialwissenschaftliche Erkenntnis auf zwei Ziele richten müsse, auf die Erkenntnis des Generellen und des Individuellen. Die Resultate, die dabei erreicht werden, fordern sich offensichtlich wechselseitig und ergänzen sich. Der Methodenstreit, so kann man folgern, gründet für Weber in logischen Mißverständnissen auf beiden Seiten. Denn die historische Schule, in dieser Hinsicht von der theoretischen Schule zu Recht kritisiert, werde durch noch so intensive Durchforschung der Geschichte niemals zu mehr oder weniger strengen Gesetzen gelangen. Die theoretische Schule aber verstehe den Sinn ihrer „theoretischen Gedankengebilde“ falsch. Denn sie wolle in ihren exakten Begriffen „etwas den exakten Naturwissenschaften Verwandtes“ schaffen und daraus die Wirklichkeit deduzieren. Damit huldige sie aber einem „naturalistische[n] Vorurteil“.73 70  Weber, Objektivität, S.  62. Menger hatte seine Untersuchung mit der Feststellung eröffnet. „Die Welt der Erscheinungen kann unter zwei wesentlich verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Entweder sind es die concreten Phänomene in ihrer Stellung in Raum und Zeit und in ihren concreten Beziehungen zueinander. Oder aber die im Wechsel dieser letzteren wiederkehrenden Erscheinungsformen, deren Erkenntnis den Gegenstand unseres wissenschaftlichen Interesses bildet. Die erstere Richtung der Forschung ist auf die Erkenntnis des Concreten, richtiger des Individuellen, die letztere auf jene des Generellen der Erscheinungen gerichtet, und es treten uns demnach, entsprechend dieser beiden Hauptrichtungen des Strebens nach Erkenntnis, zwei große Classen wissenschaftlicher Erkenntnisse entgegen, von welchen wir die ersteren kurz die individuellen, die letzteren die generellen nennen werden.“ Menger, Carl, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Ökonomie insbesondere. – Leipzig: Duncker & Humblot 1883 (hinfort: Menger, Methode), S.  3, ähnlich S.  32. Er gliedert dann diese beiden Hauptrichtungen wiederum in Zweige: bei der Erforschung des Individuellen in Geschichte und Statistik, bei der Erforschung des Generellen in die genannten theoretischen Richtungen. Bei Menger sind diese Unterscheidungen übrigens unabhängig vom ‚Stoff‘. Sie gelten für die Natur- und die Menschenwelt gleichermaßen. 71  Weber, Roscher und Knies I, S.  4, Fn.  1. 72  Ebd., S.  3 –7 und insbes. S.  7, Fn.  1. 73  Weber, Objektivität, S.  61–63, Zitate: S.  62 f.

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Weber sprengt den bisherigen Diskussionsrahmen im Methodenstreit, indem er ein gegenüber Menger und Schmoller anderes Theorieverständnis vorschlägt. Die Sozialwissenschaft sei zwar eine historische Wissenschaft, aber sie benötige theoretische Gedankengebilde, die von denen der exakten Naturwissenschaften verschieden seien. Weber nennt diese Gedankengebilde „Idealtypen“. Diese können, wie es später heißt, sowohl generellen wie individuellen Charakters sein. Die ökonomischen Gesetze der abstrakten Theorie sind für Weber Idealtypen generellen Charakters.74 Damit aber verschwindet die Kluft, die zwischen den beiden Schulen bestand. Theoriebildung und historische Forschung sind zwei logisch verschiedene Betrachtungsweisen derselben Wirklichkeit, die wechselseitig aufeinander verweisen: „theoretische Konstruktionen unter illustrativer Benutzung des Empirischen – geschichtliche Untersuchung unter Benutzung der theoretischen Begriffe als idealer Grenzfälle“,75 so formuliert es Weber im Objektivitätsaufsatz. Weber siedelt den Idealtypus deshalb jenseits von reiner Induktion und reiner Deduktion an, aber auch jenseits von Sein und Sollen.76 Er gilt ihm als ein Grenzbegriff, der ausschließlich heuristischen Zwecken und Darstellungszwecken dient. Über den logischen Status des Idealtypus wurde freilich sehr bald gestritten, und dies bis heute.77 Selbst Rickert scheint zumindest mit der 74  Weber, Roscher und Knies III, S.  105 f. 75  Weber, Objektivität, S.  78. 76  Weber führt den Idealtypus anhand der „Aufstellungen der abstrakten Theorie“ ein, bei denen es sich angeblich um Deduktionen aus psychologischen Grundmotiven handle. So hatte Menger die exakte Theorie definiert. In Wahrheit seien diese Aufstellungen aber nur der „Spezialfall einer Form der Begriffsbildung, welche den Wissenschaften von der menschlichen Kultur eigentümlich und in gewissem Umfange unentbehrlich ist.“ Ebd., S.  6 4. Der Idealtypus sei gebildet „durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Ein­ zelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankengebilde.“ Ebd., S.  6 5. Man könnte das von Weber hier charakterisierte Vorgehen mit Peirce Abduktion nennen. In jedem Fall gelten ihm Idealtypen als genetische Begriffe, durch Wertbeziehung im Sinne Rickerts und unter Beachtung der Kategorie der objektiven Möglichkeit konstruiert. Als ideale Grenzbegriffe können sie zwar die Hypothesenbildung anleiten, selbst aber empirisch nicht falsifiziert werden. Denn sie formulieren einen idealisierten Zustand oder Ablauf und bilden ausschließlich einen heuristischen Maßstab, an dem die Wirklichkeit gemessen und ihre Abweichung davon festgestellt werden soll. Obgleich Idealtypen an der Wirklichkeit nicht scheitern können, können sie unzweckmäßig konstruiert sein. Ob man bereits konstruierte Idealtypen beibehält oder neue entwickelt, ist für Weber deshalb auch eine reine Zweckmäßigkeitsfrage. 77  Im Grunde gibt es zwei Positionen: Idealtypen sind zu verwerfen, weil sie per definitionem nicht falsifizierbar sind, oder Idealtypen sind Modelle, die der Hypothesenbildung dienen. Nicht die Modelle, wohl aber die daraus abgeleiteten Hypothesen lassen sich falsifizieren. Modelle sind also mehr oder weniger nützlich. Heute spricht man hier von ‚non-statement-views‘. Dazu Albert, Gert, Max Webers non-statement-

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Wortwahl unzufrieden gewesen zu sein. Nicht zufällig schreibt Max Weber am 28. April 1905 an ihn: „Daß Sie sprachliche Bedenken bzgl. des ‚Idealtypus‘ haben, betrübt meine väterliche Eitelkeit. Ich bin aber doch auch der Ansicht, daß wenn wir von Bismarck nicht als dem ‚Ideal‘ der Deutschen, sondern als dem Idealtypus der D[eutschen] reden, wir damit nicht schon an sich etwas Vorbildliches meinen“. Und weiter: „Entschließen Sie Sich doch, hier auch zwischen ‚Ideal‘ und ‚Gattungs-Typus‘ diese Zwischenstufe, die sachlich doch gefordert ist, auch sprachlich so zu bezeichnen, wie es m. E. natürlich ist.“78 Der Idealtypus als Zwischenstufe zwischen Ideal und Gattungsbegriff – dies verweist darauf, daß sich aus Webers Sicht das Ergebnis der Generalisierung in den Sozialwissenschaften von dem in den Naturwissenschaften unterscheidet. Man kann vermuten, der Unterschied bestehe darin, daß die Generalisierung in den Sozialwissenschaften zu Regelmäßigkeiten des Handelns, in den Naturwissenschaften zu Naturgesetzen führt. Insbesondere die Kenntnis von Regelmäßigkeiten des Handelns, mehr oder weniger explizit, bleibt nach Weber für den Forscher, der historische Zusammenhänge untersuchen will, unentbehrlich. Geschichtsforschung verlange kausale Zurechnung, erschöpfe sich nicht in schöner Narration. In einem langen Brief, in dem sich Weber mit Willy Hellpachs Habilitationsschrift auseinandersetzt, in der dieser sich von der methodologischen Lehre der südwestdeutschen Schule distanziert hatte, heißt es: „Daß (S.  3 3) Windelband u. Rickert (der letztere ist ja der eigentliche Systematiker der ‚Richtung‘) den Verzicht auf Gesetzesbildung irgendwo auf irgend einem sachlich abzugrenzenden Gebiet lehrten, werden beide entschieden bestreiten. Nur darum handelt es sich, daß historische Arbeit im logischen Sinn Zurechnung konkreter ‚Individuen‘, z. B. einer konkreten Culturerscheinung oder Culturgesamtheit zu ihren concreten Ursachen ist“. Dafür aber benötige man Gesetze als Mittel.79 Um sie in den Dienst der kausalen Zurechnung stellen zu können, müssen sie zunächst erkannt sein, und zwar im Rahmen einer Sozialwissenschaft als Kulturwissenschaft.80 view. Ein Vergleich mit Roland Gieres Wissenschaftskonzeption, in: Albert, Gert et al., Aspekte des Weber-Paradigmas. – Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006, S.  6 0 ff. 78  Brief Max Webers an Heinrich Rickert vom 28. April 1905, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  25, Bl.  15–18 (MWG II/4). Rickert ließ sich tatsächlich von Weber nicht überzeugen. Er ging zwar in der 2. Auflage seiner Schrift aus dem Jahre 1913 auf den Begriff Idealtypus ein, unterschied ihn aber in seinem logischen Status von seinen eigenen relativ historischen Begriffen. Dazu Rickert, Heinrich, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften, 2.  Aufl. – Tübingen: Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1913, S.  4 31 ff. 79  Brief Max Webers an Willy Hellpach vom 10. September 1905, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  17, Bl.  19–25 (MWG II/4). 80  Dies heißt natürlich nicht, daß Naturgesetze im sozialen Leben keine Rolle spielten. Aber das für die Sozialwissenschaft Spezifische sind soziologische Gesetze, wie es später heißt.

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Weber verzichtet also keineswegs auf Theorie, sondern schränkt nur ein: Für einen Geschichtsforscher sei Theorie niemals Selbstzweck, sondern Mittel, um die Wirklichkeit zu erschließen. In diesem Sinne definiert er sein Forschungsprogramm als das einer theoriegeleiteten und auf Erklärung ausgerichteten Wirklichkeitswissenschaft. „Die Sozialwissenschaft“, so heißt es im Objektivitätsaufsatz, „die wir treiben wollen, ist eine Wirklichkeitswissenschaft. Wir wollen die uns umgebende Wirklichkeit des Lebens, in welches wir hineingestellt sind, in ihrer Eigenart verstehen – den Zusammenhang und die Kulturbedeutung ihrer einzelnen Erscheinungen in ihrer heutigen Gestaltung einerseits, die Gründe ihres geschichtlichen So-und-nicht-anders-Gewordenseins andererseits.“81 An dieser Stelle spricht Weber nicht für seine Mitherausgeber, sondern für sich selber. Immerhin: Auch im „Geleitwort“ nahm ‚Theorie‘ eine wichtige Stelle ein. So heißt es dort, Theorie im Sinne der „Bildung klarer Begriffe“ gehöre zu den wichtigsten Aufgaben der neuen Zeitschrift: „Denn soweit wir von der Meinung entfernt sind, daß es gelte, den Reichtum des historischen Lebens in Formeln zu zwängen, so entschieden sind wir davon überzeugt, daß nur klare eindeutige Begriffe, einer Forschung, welche die spezifische Bedeutung sozialer Kulturerscheinungen ergründen will, die Wege ebnen.“82 Eine Sozialwissenschaft als Wirklichkeitswissenschaft ist also auf generalisierende und individualisierende Begriffsbildung angewiesen. Sie ist darüber hinaus eine Wissenschaft, die außer mit logischen (Generalisierung-Individua­ lisierung) und ontologischen (sinnfrei-sinnhaft) auch mit pragmatischen Gesichtspunkten operiert. Einer dieser pragmatischen Gesichtspunkte, die immer einseitig und insofern ‚unwirklich‘ bleiben müssen, ist der ökonomische. Aber der ökonomische Gesichtspunkt besitzt bei der Untersuchung von Kulturerscheinungen kein Monopol. Er kann und muß durch andere pragmatische Gesichtspunkte ergänzt werden, die freilich gleichfalls einseitig bleiben. Denn „die ‚Einseitigkeit ‘ und Unwirklichkeit der rein ökonomischen Interpretation des Geschichtlichen ist überhaupt nur ein Spezialfall eines ganz allgemein für die wissenschaftliche Erkenntnis der Kulturwirklichkeit geltenden Prinzips.“83 Es sind also vor allem logisch-methodische Fragen, mit denen sich Weber im zweiten Teil des Objektivitätsaufsatzes beschäftigt. Sie betreffen zum einen den Methodenstreit in der deutschsprachigen Nationalökonomie, zum andern den Ansatz, den er selbst verfolgen will. Beides konvergiert in seinem Vorschlag, es gelte in der Sozialwissenschaft als Kulturwissenschaft Idealtypen individuellen und generellen Charakters zu bilden, die zwar auf Wertbeziehung, nicht aber auf Wertbeurteilung beruhen. Damit hatte Weber einen 81  Weber, Objektivität, S.  4 6. 82  Geleitwort, S.  VI. 83  Weber, Objektivität, S.  4 5.

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logisch-methodischen Standpunkt erreicht, den er in der Folge nicht mehr verlassen sollte. Er findet seine reifste Ausformulierung im methodischen Teil der „Soziologischen Grundbegriffe“ in der neuen Fassung von Wirtschaft und Gesellschaft, seiner Soziologie.84 Er ist die Voraussetzung dafür, daß er die Aufsatzfolge „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ als eine gesichtspunktabhängige und damit einseitige religionshistorische, er sagt mitunter auch: spiritualistische Studie 85 unter Verwendung idealtypischer Begriffe anlegen kann, wobei er zunächst also nicht die materiellen Interessen und den Klassenkampf, sondern die ideellen Interessen und den Deutungskampf in den Mittelpunkt stellt.

3.  Annäherungen an ein religionsgeschichtliches Projekt: Lebensgeschichtliche und politische Motive Was aber bewog Weber tatsächlich dazu, nahezu parallel zum Objektivitätsaufsatz ausgerechnet eine Studie über die Kulturbedeutung des asketischen Protestantismus zu beginnen? So wichtig logisch-methodische Fragen dabei gewesen sein mögen, sie konnten nicht den einzigen, nicht einmal den ausschlaggebenden Grund dafür abgegeben haben. Um zum Beispiel den historischen Materialismus als eine Theorie der letzten Instanz zu widerlegen und auf eine gesichtspunktabhängige und zugleich multikausale historische Forschung zu pochen, hätte er keine Studie über die Kulturbedeutung des asketischen Protestantismus schreiben müssen. Was also lenkte Webers Erkenntnisinteresse gerade auf diese Bahn? Man könnte zunächst an die religiöse Familienkonstellation denken, in der er aufwuchs und in der das hugenottische Erbe eine wichtige Rolle spielte. Schließlich hatten Webers Mutter Helene, seine Tante Ida Baumgarten und sein Vetter Otto Baumgarten, der spätere Professor für Praktische Theologie an der Universität Kiel, auf das religiöse Empfinden des jungen Max Weber eine beträchtlichen Einfluß ausgeübt. Vor allem über diese Personen aus dem engeren Familienkreis kam er mit Autoren wie William Ellery Channing und Theodore Parker, aber auch mit Frederick William Robertson und Charles Kingsley in Berührung. Die literarische Begegnung mit Channing löste gar, wie zuvor bereits bei der Mutter und der Tante, emotionale Reaktionen aus. So heißt es in einem Brief an die Mutter vom 8. Juli 1884: „Seit verschiedenen Jahren, die ich zurückdenken kann, ist es das erstemal, daß etwas Religiöses für mich ein mehr als objek-

84  Weber, Soziologische Grundbegriffe, in: MWG I/23, S.  147–172. 85  So etwa in dem Brief von Max Weber an Heinrich Rickert vom 2. April 1905, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  25, Bl.  13–14 (MWG II/4), wo er von „eine[r] Art ‚spiritua­ listischer‘ Construktion der modernen Wirtschaft“ spricht.

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tives Interesse gewonnen hat“. Freilich war Channing Unitarier und als solcher dem Calvinismus abhold.86 Guenther Roth stellt in seiner Weberschen Familiengeschichte in diesem Zusammenhang die Frage: „Wie weit war nun Weber von seiner Kenntnis angelsächsischer religiöser Literatur [.  .  .] geformt?“ Seine Antwort lautet: „Er war ganz offensichtlich von der existentiellen Bedeutung beeindruckt, welche diese Literatur für seine Mutter, seine Tante und seinen Cousin hatte, aber er behielt eine objektivierende Distanz.“87 Diese objektivierende Distanz kommt schon in der Stellungnahme des gerade Achtzehnjährigen zur Religion zum Ausdruck: „Im übrigen bin ich ziemlich tief in die Theologie geraten, meine Lektüre besteht aus Strauß, Schleiermacher und Pfleiderer (‚Paulinismus‘) und außerdem nur Platon. Strauß’s ‚der alte und der neue Glaube‘ enthält nicht sehr viel neues, nichts, was man nicht ungefähr selbst wüßte [.  .  .]. Schleiermachers ‚Reden über die Religion‘, in die ich freilich erst wenig hineingelesen habe, machen mir vorläufig gar keinen Eindruck“.88 Diese früh praktizierte objektivierende Distanz gegenüber allem Religiösen aber scheint Weber für den Rest seines Lebens beibehalten zu haben.89 Das Interesse am aske86  Brief Max Webers an Helene Weber vom 8. Juli 1884, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl.  8 0–84 (MWG II/1), dass. auch (mit kleinen Abweichungen) in: Weber, Max, Jugendbriefe. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) o.J. [1936], S.  119–126, Zitat: S.  121. – Dazu die ausgewogene Darstellung bei Roth, Guenther, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800–1950 mit Briefen und Dokumenten. – Tübingen: Mohr Siebeck 2001, Kap. VIII. Religiöse Familienkonstellationen, S.  257–282 (hinfort: Roth, Familiengeschichte). 87  Roth, Familiengeschichte, S.  281 f. 88  Dazu Max Webers Briefe an Helene Weber vom 2. Mai und 16. Mai 1882, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl.  2 –5 und 7–10, Zitat: Bl.  9 f. (MWG II/1); dass. (mit Abweichungen) in: Weber, Jugendbriefe, S.  4 0–44, bes. S.  4 4, und S.  4 5–49, bes. S.  4 8 f. 89  Das zeigt besonders eindrucksvoll der Briefwechsel, den Max Weber im Frühjahr 1909, also nach Abfassung der Studie über den asketischen Protestantismus, mit Ferdinand Tönnies führte. Der Anlaß dafür war Webers Artikel „Die Lehrfreiheit der Universitäten“, in dem es auch um die These von der Werturteilsfreiheit in den empirischen Wissenschaften ging. Weber betont gegenüber Tönnies zwar die Möglichkeit technischer Kritik in den empirischen Wissenschaften, auch die Notwendigkeit, sich an Werten zu orientieren, darunter an ethischen, bei denen Kants kategorischer Imperativ immerhin eine formale Gesinnungskritik erlaube. Aber eine materiale Gesinnungskritik verlange eine Metaphysik. Weber formuliert den bemerkenswerten Satz: „Das Denken ist nicht an die Grenzen der Wissenschaft gebunden“, aber, so kann man diesen Satz fortsetzen, die empirische Wissenschaft hat Grenzen, die einzuhalten sind. Weber unterstreicht also den Hiatus zwischen wissenschaftlichem Wissen und religiösem Glauben, wehrt sich aber entschieden gegen ein „metaphysisch-naturalistisch orientiertes Anti-Pfaffentum.“ Ein inkonsequent Gläubiger sei ihm lieber als ein pharisäischer Naturalist à la Haeckel. Zwar verwerfe auch er, Weber, für sich alle religiöse Dogmatik und Apologetik, doch er gehe nicht so weit wie Tönnies, Theologie für Unsinn zu halten. Er unterstreicht also seinen Respekt vor der Religion. Aber er

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tischen Protestantismus läßt sich also nur sehr bedingt als eine Selbstverständigung über die eigene Familiengeschichte verstehen. Wichtiger ist vermutlich das persönliche Schicksal. Weber wurde aufgrund seiner Krankheitserfahrung der Sinn einer auf Berufspflicht gegründeten Lebensführung zum Problem. Als Berufsmensch hatte er zunächst äußere und vor allem innere Sicherheit gefunden. Doch der Absturz in die Krankheit zerstörte diese Sicherheit. Weber sah jetzt offensichtlich auch das Einseitige an dieser Lebensführung, sah die Unterdrückung der emotionalen Seite. Weber sah sich in eine Welt gestellt, in der vermeintlich nur das berufliche Funktionieren des Menschen zählte. Es gibt dazu Äußerungen von ihm aus der Phase vor der Niederlegung des Lehramts, als er wieder einmal einen Rückschlag auf dem mühsamen Weg der Rekonvaleszenz erlitten hatte. Darüber berichtet Marianne Weber Helene Weber am 10. Dezember 1902 wie folgt: „Inzwischen hat er dem, was ihn am meisten quält, vorhin wieder Ausdruck gegeben, es ist immer dasselbe, der psychische Druck der ‚unwürdigen Situation‘ Geld zu beziehen u. in absehbarer Zeit nichts leisten zu können, u. dazu das Gefühl[,] daß uns allen[,] Dir u. mir u. allen Menschen nur der Berufsmensch u. der, der irgend etwas machen könnte für voll gälte. Dazu allerlei unangenehme Reminiszenzen aus früheren Jahren, wo wir alle u. die Ärzte eben doch immer gemeint hätten, er müßte die Krankheit willensmäßig überwinden u. das sei das allerschrecklich belastendste für sein Ehrgefühl.“90 bekennt sich, auf Schleiermacher anspielend, als religiös „unmusikalisch“, freilich sei er deshalb „weder antireligiös noch irreligiös.“ In Hinblick auf Religion fühle er sich vielmehr als ein Krüppel, als ein verstümmelter Mensch, nicht in der Lage, sich als ein wahrhaft Gläubiger aufzuspielen. Das Erkenntnisinteresse an der Kulturbedeutung der Religionen: ja, das praktische Interesse an einer religiösen Lebensführung: nein. Zu den Briefen Webers an Ferdinand Tönnies vom 19. Februar und 2. März 1909, MWG II/6, S.  6 3–66 und S.  6 9–70, Zitate: S.  6 4 f. 90  Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 10. Dezember 1902, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. Über Webers Krankheit wurde viel spekuliert. Alle Dokumente dazu, insbesondere die ärztlichen Diagnosen, sind verloren. Es bleibt einzig der Briefwechsel zwischen Marianne und Helene Weber während der Krankheit, der ein wenig Aufschluß über die Art dieser schweren Erkrankung gibt. Marianne berichtet Helene kurz nach Ausbruch der Krankheit über das Gespräch mit einem Arzt in einer Konstanzer Klinik, in der sich Weber vorübergehend aufhielt, dieser habe von einer krankhaften, perversen Anlage gesprochen, die Weber in seiner Jugend und in seinen Studententagen willentlich unterdrückt habe, was sie, Marianne, freilich nicht glaube, denn die krankhaften Erscheinungen seien „doch erst Folge der moralischen Selbstüberwindung“ gewesen. Jedenfalls äußerten sich diese „krankhaften Erscheinungen“ in nächtlichen mechanischen Erektionen und Pollutio­ nen, begleitet von Alpträumen und schweren Schlafstörungen. Phasenweise konnte Weber weder sprechen noch schreiben, noch gehen. Zu dem Zitat der Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 4. September 1898, ebd. Zur Studie über den asketischen Protestantismus auch als eine Art Selbstzeugnis Hartmut Lehmann, „Max Webers ‚Protestantische Ethik‘ als Selbstzeugnis“, in: ders., Max Webers ‚Protestantische

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Freilich dürften neben solchen lebensgeschichtlichen auch politische Motive eine Rolle gespielt haben. Weber haderte mit der Lebensführung des deutschen Bürgertums. Es hatte in seinen Augen weder den Übergang vom Agrarstaat zum Industriestaat selbstbewußt vollzogen 91 noch den von der Autokratie zum Parlamentarismus. Nicht nur in höfischen und agrarischen, sondern auch in bürgerlichen Kreisen nahm er eine aus Angst vor dem Proletariat geborene antiparlamentarische Stimmung wahr. Weber machte dafür vor allem das „Epigonengeschlecht“ verantwortlich, das nach Bismarcks Abgang das politische Ruder im Reich übernommen hatte,92 aber auch die Allianz von Thron und Altar in Preußen, von einem autoritätshörigen Luthertum gestützt.93 Weber beklagte die Erziehungswirkung des Luthertums in Deutschland. Es fördere die Anpassung an die scheinkonstitutionellen Verhältnisse, widerstehe ihnen nicht. Im Jahre 1906, als die beiden Protestantismus-Aufsätze bereits veröffentlicht und die Erfahrungen aus der USA-Reise bereits verarbeitet waren, formulierte Weber gegenüber Adolf Harnack folgendes bemerkenswerte Urteil: „So turmhoch Luther über allen Anderen steht, – das Luthertum ist für mich, ich leugne es nicht, in seinen historischen Erscheinungsformen der schrecklichste der Schrecken und selbst in der Idealform, in welcher es sich in Ihren Hoffnungen für die Zukunftsentwicklung darstellt, ist es mir, für uns Deutsche, ein Gebilde, von dem ich nicht unbedingt sicher Ethik‘. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996, S.  109–127. (hinfort: Lehmann, Protestantische Ethik). 91  Dazu besonders Weber, Diskussionsbeiträge zum Vortrag von Karl Oldenberg: „Über Deutschland als Industriestaat“, in: MWG I/4, S.  626–640. 92  Hierzu aus dieser Zeit Webers Zuschrift an die Frankfurter Zeitung vom 3. Juni 1904, überschrieben „Die ‚Bedrohung‘ der Reichsverfassung“, MWG I/8, S.  76–80, Zitat: S.  79. Darin unterstützt er seine Heidelberger Kollegen Georg Jellinek und Gerhard Anschütz in ihrer Kritik an Eugen von Jagemann, der die These vertreten hatte, das Reich sei ein Bund der Fürsten und damit ein Vertrag, der jederzeit den Austritt einzelner Vertragspartner oder gar die Auflösung des Reiches erlaube. Dagegen stellten sie eine Auffassung vom Reich als einer eigenen Rechtspersönlichkeit mit eigener, genuiner Rechtsqualität. Weber forderte bei aller Anerkennung der Monarchie, der Parlamentarismus müsse gleichrangig behandeln werden. 93  Man hat behauptet, die Aufsatzfolge sei eine kulturprotestantische Kampfschrift: „Nur wenig zugespitzt kann man sagen, es handle sich bei der ‚Protestantischen Ethik‘ um eine Kampfschrift des ‚Kulturprotestantismus‘ im Gewand einer wissenschaftlichen Untersuchung.“ So Steinert, Heinz, Max Webers unwiderlegbare Fehlkonstruktion. Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. – Frankfurt, New York: Campus 2010, S.  2 0, ähnlich auch S.  277 (hinfort: Steinert, Fehlkonstruktion). Zur Rolle des Kulturprotestantismus in Webers Entwicklung differenzierter Lehmann, Hartmut, Max Webers Weg vom Kulturprotestantismus zum asketischen Protestantismus, in: Schluchter, Wolfgang und Graf, Friedrich Wilhelm (Hg.), Asketischer Protestantismus und der ‚Geist‘ des modernen Kapitalismus. Max Weber und Ernst Troeltsch. – Tübingen: Mohr Siebeck 2005 (hinfort: Schluchter/Graf, Asketischer Protestantismus), S.  33–47.

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bin, wie viel Kraft zur Durchdringung des Lebens von ihm ausgehen könnte.“ Und weiter: „Aber daß unsre Nation die Schule des harten Asketismus niemals, in keiner Form, durchgemacht hat, ist, auf der andren Seite der Quell alles Desjenigen, was ich an ihr (wie an mir selbst) hassenswerth finde, und vollends bei religiöser Wertung steht eben – darüber hilft mir nichts hinweg – der Durchschnitts-Sektenmensch der Amerikaner ebenso hoch über dem landeskirchlichen ‚Christen‘ bei uns, – wie, als religiöse Persönlichkeit, Luther über Calvin, Fox e tutti quanti steht.“94 Doch sosehr bei der Themenwahl logisch-methodische, lebensgeschichtliche und politische Motive eine Rolle gespielt haben mögen, entscheidend waren doch die wissenschaftlichen Motive. Weber hielt sich an das Programm der neuen Zeitschrift – Untersuchung der allgemeinen Kulturbedeutung des Kapitalismus –, und er reagierte dabei auf eine wissenschaftliche Problem­ situation. Denn die Frage, welche Rolle der Religion, speziell dem Protestantismus und hier wieder den Reformierten, für die Entstehung des modernen Kapitalismus als einer Teilerscheinung der modernen Welt zukomme, spielte in der wissenschaftlichen Diskussion der Zeit eine prominente Rolle. Weber betonte denn auch zu Recht, der Zusammenhang zwischen asketischem Protestantismus und kapitalistischem ‚Geist‘, dem er in seinen Aufsätzen nach­ gehe, sei keineswegs erst von ihm entdeckt worden. Dies sei gewissermaßen Gemeingut, bei den Gläubigen sowohl wie in der Wissenschaft. Neu an seinen Studien sei lediglich die Art und Weise, wie er diesen Zusammenhang interpretiere. Bevor wir darauf eingehen, müssen wir uns diese wissenschaftliche Problemsituation vergegenwärtigen. Wie sah sie aus?

4.  Annäherungen an ein religionsgeschichtliches Projekt: Die wissenschaftliche Problemsituation 4.1.  Wirtschaft und Religion aus sozialistischer Perspektive: Marx, Engels, Bernstein Hegels Versuch in seiner Religionsphilosophie, Religion und Vernunft zu versöhnen und die Religionsentwicklung der Menschheit im Christentum als der vollendeten Religion, der Religion der Freiheit, gipfeln zu lassen,1 war bereits 94  Brief Max Webers an Adolf Harnack vom 5. Februar 1906, MWG II/5, S.  32 f. Dazu auch Webers Ausführungen in dem Aufsatz „‚Kirchen‘ und ‚Sekten‘ in Nordamerika“, wo er die religiöse Durchdringung des Lebens vergleichend darstellt (USA-Deutschland) und zum Landeskirchentum Stellung nimmt. Unten, S.  426–462. 1  Hegel hielt seine Vorlesungen über Religionsphilosophie mehrmals, so daß auch verschiedene Fassungen überliefert sind. Zu den verschiedenen Fassungen der „vollendeten Religion“ Hegel, G. W. F., Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil  3: Die vollendete Religion, neu hg. von Walter Jaschke. – Hamburg: Felix Meiner

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bei seinen unmittelbaren Schülern umstritten. Ludwig Feuerbach etwa behauptete in seinen „Vorläufigen Thesen zur Reformation der Philosophie“ und in seinen „Grundsätzen einer Philosophie der Zukunft“, beide 1843 veröffentlicht, nicht nur Hegels Religionsphilosophie, seine Philosophie insgesamt sei letztlich rationale Theologie.2 Stattdessen gelte es, die Theologie in Anthropologie zu überführen.3 Die Religion projiziere nur in ein Jenseits, was der Mensch im Diesseits zu verwirklichen habe. Er müsse die Verheißungen des Christentums hier und jetzt realisieren, in der liebenden Verbindung zwischen Ich und Du. Denn „das Wesen des Menschen ist nur in der Gemeinschaft, in der Einheit des Menschen mit dem Menschen enthalten – eine Einheit, die sich aber nur auf die Realität des Unterschieds zwischen Ich und Du stützt.“4 Aus dieser Hegelkritik entstand eine Religionskritik auf der Grundlage einer Projektionstheorie, die den jungen Marx prägte. Aus ihrer Radikalisierung entwickelte dieser eine allgemeine Ideologiekritik. In der zusammen mit Friedrich Engels verfaßten Deutschen Ideologie etwa heißt es: „Die Moral, Religion, Metaphysik und sonstige Ideologie und die ihnen entsprechenden Bewußtseinsformen behalten hiermit nicht länger den Schein der Selbständigkeit. Sie haben keine Geschichte, sie haben keine Entwicklung, sondern die ihre materielle Produktion und ihren materiellen Verkehr entwickelnden Menschen ändern mit dieser ihrer Wirklichkeit auch ihr Denken und die Produkte ihres Denkens.“5 Mit anderen Worten: Die religiöse Entwicklung ist, wie die aller Ideen und Ideale, eine unselbständige Begleiterscheinung der wirtschaftlichen. Wenn sich die Struktur der Wirtschaft ändert, ändert sich auch mehr oder weniger schnell die Religion. So kann Marx in dem berühmten Abschnitt über den „Fetischcharakter der Ware“ aus dem 1. Band seines Hauptwerks behaupten, für eine Gesellschaft von Warenproduzenten, die die Produkte ihrer Privatarbeiten auf einem Markt austauschen, sei das „Christentum, mit seinem Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus usw., die entsprechendste Religionsform“.6 Danach ist der Protestantismus also bestimmten kapitalistischen Entwicklungen adäquat. Friedrich Engels präzisiert dies dahin, man müsse innerhalb des Protestantismus zwischen der Wirkung des 1995. In der Fassung von 1827 findet sich der Stufenbau der Religion, von der natürlichen bis zur vollendeten Religion, auf S.  191 ff. 2  Feuerbach, Ludwig, Werke in sechs Bänden, Band  3. – Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1975, S.  2 23 ff. bzw. S.  247 ff. S.  2 38 heißt es, Hegels Philosophie sei „der letzte Zufluchtsort, die letzte rationelle Stütze der Theologie.“ 3  Ebd., S.  248. 4  Ebd., S.  321. 5 Marx, Karl, Werke – Schriften – Briefe, hg. von Hans-Joachim Lieber, Band  II. – Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1971, S.  2 3 (hinfort: Marx, Werke – Schriften – Briefe I–VI, 1963–1971). 6  Ebd., Band  IV, S.  56.

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Luthertums und der des Calvinismus unterscheiden. In der von Karl Kautsky redigierten Zeitschrift „Die Neue Zeit“ veröffentlicht er einen Aufsatz, in dem er dem Leser die religiösen Tendenzen der englischen Mittelklasse im 17. und 18. Jahrhundert aus Sicht des historischen Materialismus auseinandersetzt.7 Dabei greift er auf die Reformation zurück und auf ihre Spaltung in Luthertum und Calvinismus. Das Luthertum habe in Deutschland gesiegt, aber daran mitgewirkt, aus den sich erhebenden Bauern wieder Leibeigene zu machen; der Calvinismus dagegen in England, wo er zur „Kampftheorie“ des sich erhebenden Bürgertums geworden sei: „[.  .  .] wo Luther fehlschlug, da siegte Calvin. Sein Dogma war den kühnsten der damaligen Bürger angepaßt. Seine Gnadenwahl war der religiöse Ausdruck der Thatsache, daß in der Handelswelt der Konkurrenz Erfolg oder Bankrott nicht abhängt von der Thätigkeit oder dem Geschick des Einzelnen, sondern von Umständen, die von ihm unabhängig sind.“8 Zudem habe die Kirchenverfassung des Calvinismus die politische Entwicklung beeinflußt. Sie sei demokratisch und republikanisch gewesen. Das habe der Emanzipation des Bürgertums von feudaler Bevormundung gedient: „Wurde das deutsche Lutherthum ein gefügiges Werkzeug in den Händen deutscher Kleinfürsten, so gründete der Calvinismus eine Republik in Holland und starke republikanische Parteien in England und namentlich in Schottland.“9 Man sieht: Engels gelten der Calvinismus und die protestantischen Sekten im Vergleich zum Luthertum als religiöse Bewegungen mit emanzipatorischer Kraft.10 Seine eigentliche Sympathie galt freilich weder dem Luthertum noch dem Calvinismus, sondern dem Frankreich von 1789, weil die Revolution „den religiösen Mantel gänzlich abgeworfen hatte und auf unverhüllt politischem Boden ausgekämpft wurde.“11 Erst dies habe zu einem „vollständigen Bruch mit den Traditionen der Vergangenheit“ geführt.12 Auch andere Sozialisten faszinierte die englische religiöse Konstellation wegen ihres Zusammenhangs mit der wirtschaftlichen und vor allem der politischen Entwicklung. So widmete zum Beispiel Eduard Bernstein den „kommunistischen und demokratisch-sozialistischen Strömungen während der englischen Revolution des 17. Jahrhunderts“ eine lange und detaillierte Stu-

7  Hier ist die zweite Folge relevant. Es handelt sich übrigens um die deutsche Fassung der Einleitung in die englische Übersetzung von Engels’ Schrift Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft. Siehe Engels, Friedrich, Über historischen Materialismus, in: Die Neue Zeit, 11. Jg., 1892/93, S.  42 ff. 8  Ebd., S.  43. 9 Ebd. 10  Ebd., S.  45. 11 Ebd. 12  Ebd., S.  4 6. Für Engels bedeutete die Einführung des Code civil durch Napoleon eine meisterhafte Anpassung an die kapitalistischen Verhältnisse.

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die.13 Bernstein vergleicht die englische Revolution von 1648 mit der französischen von 1789. Beide gelten ihm, wie auch Marx und Engels, als wichtige bürgerliche Revolutionen, wobei er zwischen ihnen eher Parallelen als Differenzen sieht. So heißt es bei ihm, die englische Revolution habe „in den Presbyterianern ihre Girondisten, in den Independenten ihre Jakobiner, bezw. ihre Bergpartei, und in den Levellers ihre Hébertisten und Babouvisten. Cromwell war ihr Robespierre und Bonaparte in einer Person, und ihr Marat und Hébert in einer Person war John Lilburne, der Leveller.“14 Auch Bernstein sieht im Calvinismus eine religiöse Bewegung, die den Bedürfnissen „des erstarkten städtischen Bürgerthums und des bürgerlichen Grundbesitzes“ in England wirtschaftlich und politisch am meisten entsprochen habe.15 Er behauptet, während der Regierungszeit Karls I. sei die Zahl der Puritaner ständig gestiegen: „Die reichen Kaufleute der City waren fast alle Puritaner, desgleichen eine große Zahl der niederen Landadeligen und der bürgerlichen Grundbesitzer, ja, immer mehr Mitglieder der hohen Aristokratie kehrten der Staatskirche den Rücken.“16 Bernstein verwendet hier eine Definition von Puritanismus, die äußerst weit ist. Wegen der Bedeutung, die sie möglicherweise für Max Weber hatte, sei sie hier ausführlich zitiert: „Wer waren die Puritaner? (‚Purits‘ oder ‚Puritans‘, von pure = rein.) Der Name bezeichnet nicht eine bestimmte kirchliche Sekte, er bezeichnet eine ganze religiös-soziale Strömung. Es ist zunächst ein Sammelname für alle Diejenigen, denen die Reformation in Bezug auf die Reinigung der Kirche von römischen Gebräuchen und römischen Einrichtungen nicht weit genug ging, weiterhin aber für Diejenigen, die zugleich mit der Reinigung der Religion eine solche der Sitten, des sozialen Körpers, verbanden, und schließlich deckt er später auch eine politische Strömung, den Widerstand gegen den Absolutismus in Staat und Kirche. Er ist nicht die Bewegung einer einzelnen Klasse, er hat seine Anhänger im hohen und niederen Adel, in der Geistlichkeit, im Bürgerthum und bei Handwerkern und Bauern. Als Sitten- oder soziale Bewegung entsprach er dem Geist einer Zeit, wo das Erwerbsleben unter dem Einfluß des steigenden Weltverkehrs unsicherer, die Sucht, und je nachdem die Notwendigkeit, Geld, das Tauschmittel 13  Diese Geschichte des Sozialismus in Einzeldarstellungen wurde von E. Bernstein, C. Hugo, K. Kautsky, P. Lafargue, Franz Mehring und G. Plechanow herausgegeben und behandelte unter anderem die Vorläufer des Neueren Sozialismus. Der zweite Teil des Ersten Bandes trug die Überschrift: Von Thomas Morus bis zum Vorabend der französischen Revolution. Im V. Abschnitt behandelte Eduard Bernstein die „Kommunistischen und demokratisch-sozialistischen Strömungen während der englischen Revolution des 17. Jahrhunderts“. – Stuttgart: J. H. W. Dietz 1895, S.  5 07–718 (hinfort: Bernstein, Kommunistische Strömungen). 14  Ebd., S.  509. 15  Ebd., S.  527, Anm. 16  Ebd., S.  535.

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par excellence, aufzuhäufen, zu ‚sparen‘, immer allgemeiner wurde.“17 Es seien soziale Tugenden, die diese religiöse Bewegung gefördert habe, vor allem Sparsamkeit und Enthaltsamkeit. Bernstein spricht von christlicher Askese.18 Er entwirft also das Bild einer religiös bestimmten Lebensführung, die insbesondere der kapitalistischen Entwicklung förderlich war.19 Wir wissen aus verschiedenen Äußerungen Max Webers, wie sehr er Eduard Bernstein schätzte. So ist es nicht verwunderlich, daß bereits im ersten Heft des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik ein Beitrag von Eduard Bernstein erschien.20 Auch wenn Weber bei seinen eigenen Studien nicht explizit auf diese Definition von Puritanismus zurückgegriff, so sah er in Bernsteins Untersuchung jedoch einen wichtigen Beitrag zu dem Thema, dem er sich selbst gerade widmete. 4.2.  Wirtschaft und Religion aus ‚bürgerlicher‘ Perspektive: Gothein, Brentano, Jellinek, Sombart, Troeltsch Aber nicht nur im ‚sozialistischen‘, auch im ‚bürgerlichen‘ Lager war man auf die Zusammenhänge zwischen Calvinismus und kapitalistischer Entwicklung

17  Ebd., S.  524. 18  Ebd., S.  525. 19  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  244, Fn.  2, zitiert beim Begriff Puritanismus allerdings nicht Bernstein, sondern Sanford und bezieht sich auf die populäre Sprache des 17. Jahrhunderts. Dazu Sanford, John Langton, Studies and Illustrations of the Great Rebellion. – London: John W. Parker and Son 1858 (hinfort: Sanford, Great Rebellion). Die religiösen Bewegungen, die er unter diesem ‚historischen‘ Begriff subsumiert, sind identisch mit jenen, für die er den Kunstbegriff ‚asketischer Protestantismus‘ gebraucht. Dazu unten mehr. Zum Begriff Puritanismus auch die Darstellung bei Ghosh, Peter, A Historian Reads Max Weber. Essays on the Protestant Ethic. – Wiesbaden: Harrassowitz 2008 (hinfort: Ghosh, A Historian Reads Max Weber), S.  5 ff., bes. S.  27 ff. – Weber bestätigte später ausdrücklich diesen weiten Begriff von Puritanismus. In seiner Konfuzianismusstudie, zuerst publiziert 1915 und dann in erweiterter Form 1920, betont er, der Begriff Puritanismus sei keineswegs eindeutig: „Die ‚Ecclesia pura‘ bedeutete praktisch, im eigentlichsten Sinne, vor allem die zu Gottes Ehre von sittlich verworfenen Teilnehmern gereinigte christliche Abendmahlsgemeinschaft, ruhe sie nun auf calvinistischer oder baptistischer Grundlage, und sei sie demgemäß in der Kirchenverfassung mehr synodal oder mehr kongregationa­ listisch geartet. Im weiteren Sinne aber kann man darunter verstehen die sittlich rigoristischen, christlich-asketischen Laiengemeinschaften überhaupt, mit Einschluß also der von pneumatisch-mystischen Anfängen ausgegangenen täuferischen, menno­ nitischen, quäkerischen, der asketisch-pietistischen und der methodistischen.“ MWG I/19, S.  4 64. 20  Bernstein, Eduard, Die britischen Arbeiter und der zollpolitische Imperialismus, in: AfSSp, 19. Band, 1. Heft, 1904, S.  112–139. Das erste Heft umfaßte außer den bereits genannten Abhandlungen von Sombart, Weber und Bernstein auch noch solche von Ferdinand Tönnies und Moritz Julius Bonn.

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aufmerksam geworden.21 So hatte etwa Eberhard Gothein, der schließlich in Heidelberg Webers Nachfolger werden sollte, 1892 eine Städte- und Gewerbegeschichte des Schwarzwalds und der angrenzenden Gebiete vorgelegt, die ein Kapitel über die Geschichte der Industrie und darin wiederum einen Abschnitt über die Erziehung zur Industrie enthält. Im 17. Jahrhundert habe es, nach den Handels- und Handwerkermonopolen in den Städten, einen Wechsel in den Anschauungen gegeben. Holland habe dabei als Vorbild gedient. Nach Gothein war Holland aber nur dadurch zu seiner herausgehobenen Stellung gelangt, weil „es sich den Flüchtlingen aller Nationen geöffnet hatte.“ Diese kamen vor allem aus katholisch dominierten Gebieten, in denen Andersgläubige besonders heftig verfolgt wurden. Gothein formuliert: „Wer den Spuren der kapitalistischen Entwickelung nachgeht, in welchem Lande Europas es auch sei, immer wird sich ihm die Thatsache aufdrängen: Die calvinistische Diaspora ist zugleich die Pflanzschule der Kapitalwirtschaft. Die Spanier drückten sie mit bitterer Resignation dahin aus: ‚Die Ketzerei befördert den Handelsgeist‘.“22 Gotheins Fallbeispiel ist die Stadt Mannheim im 17. Jahrhundert. Auch sie bot den Flüchtlingen Aufnahme und günstige Bedingungen. Hier habe man wie in Holland gehandelt, zum Beispiel Steuerfreiheit für 20 Jahre gewährt und keine Zölle erhoben. Aber entscheidend sei gewesen, daß außer Gewerbefreiheit vor allem auch Religionsfreiheit bestand. Letztere galt es hier allerdings nicht nur für die Calvinisten, sondern auch gegen sie zu verteidigen, 21  Zum Folgenden allgemein auch Voigt, Friedemann, Vorbilder und Gegenbilder. Zur Konzeptualisierung der Kulturbedeutung der Religion bei Eberhard Gothein, Werner Sombart, Georg Simmel, Georg Jellinek, Max Weber und Ernst Troeltsch, in: Schluchter/Graf, Asketischer Protestantismus, S.  155–184; Lenger Friedrich, Sozialwissenschaft um 1900. Studien zu Werner Sombart und einigen seiner Zeitgenossen. – Frankfurt a. M.: Peter Lang 2009; vom Bruch, Rüdiger et al. (Hg.), Kultur und Kulturwissenschaften um 1900. Krise der Moderne und Glaube an die Wissenschaft. – Stuttgart: Steiner 1989. 22  Gothein, Eberhard, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, hg von der Badischen Historischen Kommission, 1. Band: Städte- und Gewerbegeschichte. – Straßburg: Karl J. Trübner 1892, S.  674 (hinfort: Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes). Einschlägig ist das zehnte Kapitel, überschrieben: Geschichte der Industrie, darin: Die Erziehung zur Industrie, S.  673 ff. Gothein diskutiert dabei die Fälle Mannheim, Calw und Pforzheim. Er bezeichnet die Calvinisten als wandernde Pioniere der Industrie (S.  6 95), betont aber zugleich ihre Tendenz zu religiöser Intoleranz, sobald sie sich in der Diaspora etabliert hätten: „Auch die religiöse Unduldsamkeit des Calvinismus macht sich geltend: diese Auswanderer, die selber Schutz vor der religiösen Intoleranz ihres Königes suchen, machen zur Bedingung, daß an den Orten, wo sie wohnen, keine Juden geduldet werden.“ Ebd., S.  6 93. Ziel ist auch bei ihnen das Monopol. Zu Calw auch die Studie von Hartmut Lehmann, Pietismus und Wirtschaft in Calw am Anfang des 18. Jahrhunderts. Ein lokalhistorischer Beitrag zu einer universalhistorischen These von Max Weber, in: Lehmann, Protestantische Ethik (wie oben, S.  24 f., Anm.  9 0), S.  6 6–93.

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weil diese selbst zu Intoleranz, etwa gegenüber den Juden, neigten, sobald sie sich einmal etabliert hatten. So wurde Mannheim zu einer Musterstadt der Freiheit, allerdings nur für kurze Zeit.23 Ein besonders interessanter Fall ist in diesem Zusammenhang Lujo Brentano, der später zu einem der schärfsten Kritiker von Webers Studie wurde. Er hielt im Jahre 1901 eine Rede aus Anlaß der Übernahme des Rektorats an der Universität München, in der er sich mit den geistigen Grundlagen der Volkswirtschaftslehre und dem historisch sich wandelnden Verhältnis von Wirtschaftsordnung und Sittengesetz beschäftigte. Dabei schlug er einen großen Bogen von der stoischen Philosophie bis zu Adam Smith, den er den „größten Meister“ der Volkswirtschaftslehre nannte. In diesem Zusammenhang ging er auch auf die Rolle der Reformation, des Calvinismus und der englischen Revolution für die Wiederherstellung der in der Antike erreichten, dann verlorengegangenen Übereinstimmung von „der natürlichen Wirtschafts­ ordnung mit dem Sittengesetz“ ein.24 Brentano sieht den Verlust dieser Übereinstimmung in erster Linie als eine Folge der Wirtschaftsethik der Kirchenväter.25 Sie hätten die Lehre vom Zinsverbot und vom gerechten Preis geschaffen und insbesondere den Handel diskriminiert. Trotz mancher Modifikationen hätten sie letztlich die heilsgefährdende Wirkung von Gewinn und Reichtum gepredigt. Besonders den Handel und damit den Händler habe dies getroffen: „Erscheint somit der Reichtum als eine so große Gefahr für die Seele, so war es nur folgerichtig, wenn die Kirchenväter mit ihrer kraftstrotzenden Beredsamkeit den Handel verurteilten. Denn der Handel erschien von Anfang an als Träger des verpönten Strebens nach dem größtmöglichen Gewinn.“26 Brentano sucht nun zu zeigen, wie im Mittelalter die wachsende Diskrepanz zwischen einer religiös begründeten Wirtschaftsethik und den natürlichen Grundlagen der Gesellschaft, wie er sich ausdrückt, zu einer schrittweisen Emanzipation von dieser Wirtschaftsethik führte. Dabei unterscheidet er eine innerreligiöse von einer außerreligiösen Entwicklung, eine religiöse von einer 23  Ebd., S.  680. 24  Brentano, Lujo, Ethik und Volkswirtschaft in der Geschichte. Rede beim Antritt des Rektorats der Ludwig-Maximilians-Universität, gehalten am 23. November 1901. – München: Kgl. Hof- und Universitäts-Buchdruckerei von Dr. G. Wolf & Sohn 1901, S.  3 4, dass., in: ders., Der wirtschaftende Mensch in der Geschichte (1923), hg. von Richard Bräu und Hans G. Nutzinger. – Marburg: Metropolis-Verlag 2008, S.  5 3 ff., hier S.  7 7 (hinfort: Brentano, Wirtschaftender Mensch). 25  Brentano wurde vor allem wegen seiner Darstellung der mittelalterlichen Schriftsteller von katholischer Seite angegriffen. Er antwortete darauf in einem weiteren Beitrag: Brentano, Lujo, Die wirtschaftlichen Lehren des christlichen Altertums. – München: Verlag der k. Akademie 1902, dass., in: Brentano, Wirtschaftender Mensch (wie oben, Anm.  24), S.  8 3 ff. 26  Brentano, Wirtschaftender Mensch, S.  5 6.

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„heidnischen“, wie er sagt. Diese heidnische Emanzipation habe in Italien begonnen und mit dem „Aufblühen des Handels im Gefolge der Kreuzzüge“ zur Auflösung der ständisch gegliederten Gesellschaft beigetragen.27 Die intellektuelle Speerspitze dieser Entwicklung sei Machiavelli gewesen.28 Interessant für unseren Zusammenhang ist der von Brentano geschilderte innerreligiöse Vorgang. Diesen hat er in der Reformation und besonders deutlich im Calvinismus entdeckt. Die Reformation habe zwei Auffassungen bewirkt, „daß der Mensch von Gott in die Welt gesetzt sei, nicht damit er die Welt fliehe, sondern damit er in der Welt Gott diene; die andere, daß das Individuum in seiner innersten Überzeugung sich keiner äußeren Autorität zu beugen habe, sondern allein der selbsterkannten göttlichen Wahrheit.“29 Aus diesen Auffassungen habe der Calvinismus eine radikale institutionelle Konsequenz gezogen: Seine Kirchenverfassung beruhe auf der absoluten Souveränität der Kirchengemeinde, von der jede weltliche Gewalt fernzuhalten sei: „In der katholischen Kirche herrschten Autorität und Tradition über den Glauben; sie strebte nach Herrschaft über den Staat, damit er die einzelnen zwinge, ihre Autorität anzuerkennen. Nach Calvin ist aber der Glaube Sache des Gewissens und der göttlichen Erleuchtung des Einzelnen und die Kirche die Summe dieser Einzelnen. Der Schwerpunkt also lag nach ihm beim Einzelnen.“30 Brentano interpretiert nun die politische Entwicklung im 17. Jahrhundert als einen Kampf zwischen den beiden emanzipatorischen Strömungen, der heidnischen und der religiösen. In England sei dieser Kampf zwischen Machiavellismus und Calvinismus in Karl I. und Cromwell personifiziert. Der vorübergehende Sieg Cromwells und die von ihm durchgesetzte übertriebene Sittenzucht hätten aber am Ende zur Emanzipation des wirtschaftlichen Denkens von religiöser Bindung überhaupt beigetragen. Doch für unseren Zusammenhang ist nicht dies wichtig, sondern Brentanos Behauptung, der Kampf um die calvinistische Kirchenverfassung und die damit ausgelöste Debatte um das Verhältnis von Kirche und Staat habe langfristige Wirkungen gezeitigt. Der Konflikt sei zunächst in Genf selbst ausgetragen worden. Daraus habe sich eine religiöse Bewegung entwickelt, „die Frankreich erschütterte, über die spanische Herrschaft in den Niederlanden triumphierte, Schottland und England beherrschen sollte und die amerikanischen Staaten ins Leben rief.“31

27  Ebd., S.  67. 28  Ebd., S.  6 8. Dort heißt es: „Was Machiavelli und seine Schriften in Gegensatz zu den mittelalterlichen Schriftstellern stellt, ist sein völliges Absehen von vorgefaßten ethischen Urteilen.“ 29  Ebd., S.  70. 30  Ebd., S.  71. 31  Ebd., S.  72.

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Hier läßt sich nun eine weitere Betrachtung anschließen, die vor Brentanos Rektoratsrede angestellt wurde. Sie findet sich in Georg Jellineks Studie über die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, einer verfassungsgeschichtlichen Untersuchung, die aber gleichfalls im Zusammenhang mit religionsgeschichtlichen Überlegungen steht.32 Georg Jellinek, Max Webers Heidelberger Kollege im Staatswissenschaftlichen Seminar, fragte darin, wie es historisch zu den subjektiven öffentlichen Rechten gekommen sei, die heute in fast allen Verfassungen auftauchten. Und er blickt dafür auf die französische und auf die amerikanische Revolution, also auf die Jahre 1789 und 1776 zurück. Der Vergleich der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte mit den zeitlich davor liegenden entsprechenden Deklarationen der amerikanischen Staaten ergebe, daß die französische Verfassung die bis dahin geltenden Rechtsgrundlagen zerstört habe, die amerikanischen Verfassungen aber diese erhalten und weiterentwickelt hätten. Diese Grundlagen seien allerdings nicht, wie man denken könnte, einfache Übernahmen aus dem englischen Mutterland.33 Denn im Unterschied zu den Regeln in England seien die amerikanischen solche, „die über dem normalen Gesetzgeber stehen.“34 Sie zögen eine Grenzlinie zwischen Individuum und Staat. Das Individuum sei kein Rechtssubjekt durch den Staat, sondern ein Rechtssubjekt von Natur aus, ausgestattet mit unveräußerlichen und unantastbaren Rechten. Das sei im englischen Recht noch nicht der Fall. Es bleibe letztlich Untertanenrecht, das amerikanische dagegen werde zum Menschen- und Bürgerrecht fortentwickelt. Der Vorrang dieser unveräußerlichen und unantastbaren Rechte des Individuums vor allen staatlich verliehenen Rechten aber könne auch nicht aus dem Naturrecht abgeleitet werden. Wenn weder aus englischem Recht noch aus Naturrecht, woraus dann? An dieser Stelle vollzieht Jellinek in seiner Analyse eine religionsgeschichtliche Wende. Es sei die Verfassung der reformierten Kirchen gewesen, die den Menschen- und Bürgerrechten den Weg in die politische Arena ebnete. Entscheidend dafür waren nach Jellinek zwei Grundgedanken der reformierten Kirchen: die radikale Trennung von Staat und Kirche und die Autonomisierung der einzelnen Kirchengemeinde, der institutionelle Ausdruck für einen radikalen Individualismus auf religiösem Gebiet. Dies habe die Anerkennung unbeschränkter Gewissensfreiheit eingeschlossen sowie den 32  Jellinek, Georg, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Ein Beitrag zur modernen Verfassungsgeschichte. – Leipzig: Duncker & Humblot 1895 (hinfort: Jellinek, Menschen- und Bürgerrechte1). 33  Jellinek denkt hier an die Bill of Rights (1689), die Habeas-Corpus-Akte (1679), die Petition of Rights (1627) und die Magna Charta (1215–1225), betont aber zugleich, die amerikanischen Erklärungen trennten eine tiefe Kluft von diesen englischen Vorläufern. Ebd., S.  2 9. 34  Ebd., S.  25.

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Gedanken, diese sei nicht von einer irdischen Macht, sondern von Gott verliehen. Es bedurfte dann nur noch der Übertragung dieser religiösen Auffassung auf politisches Gebiet. Für Jellinek ist also die Idee der unveräußerlichen und unantastbaren Menschen- und Bürgerrechte, die dem Individuum qua Individuum zustehen, nicht politischen, sondern religiösen Ursprungs. „Was man bisher für ein Werk der Revolution gehalten hat, ist in Wahrheit eine Frucht der Reformation und ihrer Kämpfe“ heißt es in seiner Schrift.35 Es handle sich bei den Menschen- und Bürgerrechten also nicht um staatlich verliehene Rechte, sondern um vorstaatliche Rechte, die vom Staat anerkannt werden müßten und die seine Macht begrenzten. Damit seien aus objektiven subjektive öffentliche Rechte geworden. Jellinek behauptet, daß die Prinzipien von 1789, die manche als eine „weltgeschichtliche Offenbarung“, als „das kostbarste Geschenk“ Frank­ reichs an die Menschheit, auffaßten,36 in Wahrheit die von 1776 seien. Wir diskutieren hier nicht, wie überzeugend sich solche Analysen aus heutiger Sicht ausnehmen. Es geht ausschließlich darum, zu zeigen, wie verbreitet die Vorstellung eines Zusammenhangs zwischen dem reformierten Protestantismus und wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Entwicklungen in der Neuzeit sowohl im ‚sozialistischen‘ wie im ‚bürgerlichen‘ Lager war. Doch damit ist die wissenschaftliche Problemsituation, auf die Max Weber reagierte, noch nicht voll ausgeleuchtet. Zwei weitere Autoren aus Webers Umkreis sind wichtig: Werner Sombart und Ernst Troeltsch. Beginnen wir mit Werner Sombart, über den wir bereits im Zusammenhang mit der Gründung des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik sprachen. Er veröffentlichte im Jahre 1902 eine zweibändige Studie über den modernen Kapitalismus, wobei der erste Band eine Genesis, der zweite eine Theorie der kapitalistischen Entwicklung bietet.37 Ihr ließ er im Jahre 1903 ein eher populär gehaltenes Buch über die Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert folgen, in dem er, um mit Weber zu sprechen, Deutschlands Umbau vom Agrarstaat zum Industriestaat, also die deutsche kapitalistische Entwicklung, nachzuzeichnen sucht. Dabei greift er auf die Erkenntnisse in seiner großen Studie zurück.38 35  Ebd., S.  42. 36  Ebd., S.  1. Jellinek eröffnet seine Untersuchung mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Einschätzungen der Erklärung vom 26. August 1789 und stellt neben den negativen diese positiven Einschätzungen heraus. 37  Sombart, Werner, Der moderne Kapitalismus, 1. Band: Die Genesis des Kapitalismus, 2. Band: Die Theorie der kapitalistischen Entwicklung. – Leipzig: Duncker & Humblot 1902 (hinfort: Sombart, Der moderne Kapitalismus I und II). 38  Sombart, Werner, Die deutsche Volkswirtschaft im Neunzehnten Jahrhundert. – Berlin: Georg Bondi 1903 (hinfort: Sombart, Volkswirtschaft). Sombart stellte dem Buch unter der Überschrift „Literaturhinweis“ folgende Bemerkung voran: „Dieses Buch ist das erste, das das im Titel genannte Problem wissenschaftlich behandelt.

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Sombarts umfangreiches Werk fand zunächst ein geteiltes Echo.39 Au­ßerhalb seines Faches überwog die Anerkennung, innerhalb des Faches da­ gegen die Kritik, wenn man es nicht überhaupt vorzog, es gänzlich zu ignorieren.40 Möglicherweise hatte dies außer mit Sombarts Neigung zum Feuilletonismus mit seinem Grenzgängertum zwischen Nationalökonomie, Geschichtswissenschaft und Soziologie zu tun. Max Weber ärgerte die mangelnde Beachtung des Werkes im Fach, und er machte mehrere Versuche, einen der führenden Nationalökonomen für eine Rezension im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik zu gewinnen. Doch keiner erklärte sich dazu bereit. Dabei hoffte er insbesondere auf Brentano,41 der aber nur Ironie für Eine Literatur gibt es deshalb nicht, nur Aufsätze dazu. Sie finden demgemäß, verehrte Freundin, an verschiedenen Stellen dieses Werkes Hinweise auf Einzelschriften, meist mit dem Vermerke, in welcher Hinsicht sie Ihnen von Nutzen sein können. Ehe ich jedoch meine Darstellung beginne, muß ich im vornherein bemerken, daß gleichsam im Hintergrund dieses Buches mein Hauptwerk steht: Der moderne Kapitalismus. 2 Bände. Leipzig, Duncker & Humblot 1902. Ohne in jedem Augenblicke die Darstellung in den folgenden Blättern auf jenes Werk ausrichten zu können, würde ich sie nicht unternommen haben. Sie werden bei der Lektüre verstehen lernen, was ich damit sagen will.“ Im Stil dieser Vorbemerkung ist das ganze Buch, unter Verzicht auf einen wissenschaftlichen Apparat, gehalten. In der 4. Auflage verlängerte Sombart seine Untersuchung bis zum Ende des Weltkriegs und änderte den Titel entsprechend: „Die deutsche Volkswirtschaft im neunzehnten und im Anfang des 20. Jahrhunderts“. Er fügte jetzt den Untertitel „Eine Einführung in die Nationalökonomie“ hinzu. Anders, als es dieser Untertitel nahelegen könnte, handelt es sich bei der Darstellung aber nicht etwa um eine Dogmengeschichte der Nationalökonomie, sondern um eine Wirtschafts- und Sozialgeschichte, in der er übrigens bereits den Juden eine wichtige Rolle für die kapitalistische Entwicklung in Deutschland zuweist. Dazu „Sechstes Kapitel: Das Volk“. Er bemerkt in der 4. Auflage, sein späteres Buch „Die Juden und das Wirtschaftsleben“ von 1911 sei eine Art Ergänzung zu diesem Werk. Ebd., S.  113, Fn. 39 Insgesamt war Sombart ein ungewöhnlich erfolgreicher Schriftsteller. Fast alle seine Werke erreichten mehrere Auflagen und wurden in viele Sprachen übersetzt. 40  Weber charakterisiert die Situation gegenüber Lujo Brentano wie folgt: Es komme darauf an, „daß dem Buche gegenüber der kritiklosen Bewunderung Einzelner und gegenüber dem abgünstigen Neide sehr Vieler, deren Auge allein an den Geschmacksentgleisungen Sombarts haftet u. die vor lauter Schadenfreude über mancherlei Thörichtes, was es enthält, jede Anerkennung des Tüchtigen, was auch darin steckt, vergessen, – daß, gegenüber all’ diesem subjektiv befangenen Aburteilen, von einer Seite, welche die nötige Autorität dazu besitzt u. die Sombart selbst als solche unbedingt anerkennt, dem Buche sein richtiger Platz innerhalb der wissenschaftlichen Arbeit der letzten Zeit zugewiesen wird.“ Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 4. Oktober 1903, BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr.  67, Bl.  161–164 (MWG II/4). 41 Dazu der eben genannte Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 4. Oktober 1903 und die ausführliche Editorische Vorbemerkung dazu in MWG II/4. Weitere Briefe Webers an Brentano in dieser Angelegenheit sind überliefert vom 10. Oktober 1903, vom 9. März, 28. März 1904 und vom 22. Mai [1904], alle in BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr.  67 (MWG II/4). Dazu auch der Brief Max Webers an Gustav Schmoller vom 14. Dezember 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Gustav von Schmoller,

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Sombart übrig hatte.42 In Webers Augen dagegen war Sombarts Untersuchung trotz mancher Schwächen im Einzelnen ein großer Wurf. Er entnahm ihr die Formulierung, welche das Explanandum seiner Aufsatzfolge bezeichnet: „Geist des Kapitalismus“ oder „kapitalistischer Geist“.43 Dabei interessiert sich Weber nicht in erster Linie für Sombarts Ableitung der Kapitalakkumulation aus der Grundrente, die er für falsch hält. Er interessiert sich hauptsächlich für Sombarts Antwort auf die Frage nach der Herkunft des kapitalistischen Geistes. Diesen sieht Sombart mit einer neuen Einstellung des Wirtschaftens entstehen. Im Verhältnis von Wirtschaften und Leben verkehrten sich Zweck und Mittel. Was bisher Mittel war, nämlich Geld zu verdienen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, werde nun zum Zweck an sich.44 Nicht mehr der Standpunkt der ‚Nahrung‘ sei für das Wirtschaften maßgebend, auch nicht mehr die rasche, mehr oder weniger gewaltsame Bereicherung, sondern das langfristige, kalkulatorisch-spekulative Geldverdienen um des Geldverdienens willen. Eine planmäßige, zweckmäßige und rechnungsmäßige Wirtschaftsführung breche sich damit Bahn. Das nötige Hilfsmittel sei die im 12., 13. und 14. Jahrhundert in Italien entwickelte und praktizierte doppelte Buchführung gewesen. So entstand ein ökonomischer Rationalismus, ein rationaler Erwerbstrieb, den man mit Gründen „Geist des Kapitalismus“ nennen könne. Der von diesem Geist beseelte kapitalistische Unternehmer betreibe das Geldverdienen als Geschäft, d. h. mittels Vertrags­ abschlüssen über geldwerte Leistungen und Gegenleistungen verwerte er sein Sachvermögen mit dem Ziel, es zu vermehren. Das unterscheide diese Art von Geldvermehrung etwa von „Raubrittertum und Bauernschinderei, Goldgräberei und Alchemisterei“.45 Sombart ist nun der Meinung, dieser Geist des Kapitalismus sei nicht erst, wie etwa Gothein in seiner Studie nahegelegt hatte, in der calvinistischen Nr.  196b, Bl.  133–134 (MWG II/4). Ferner die Einleitung von Wolfgang Schluchter in MWG III/6, S.  24 ff. 42  Typisch dafür ist die kleine Kontroverse, die sich zwischen Brentano und Sombart im Jahr 1905 in der Wochenschrift Die Nation entspann. Brentano eröffnete mit der Frage an Marxisten und andere „Ist der Handel an sich Parasit?“ (Nr.  18 vom 28. Jan.  1905), Sombart antwortete an Herrn Geheimrat Brentano und andere: „Der Kaufmann – ein Parasit?“ (Nr.  2 0 vom 11. Febr.). Schließlich folgte von Brentano „Die Produktivität des Handels noch einmal“ (Nr.  21 vom 18. Febr.), mit dem Untertitel: „Insipiens an Sapiens“. Weber kommentierte in einem Brief an Brentano, der ihm offenbar die Artikel zugeschickt hatte: „Bei dem ‚sokratischen‘ Frage- und Antwortspiel sind [so], psychologisch, die Rollen etwas ungerecht verteilt[.] Sie haben Ihr Vergnügen dabei, während ich S[ombart]s Nerven schlecht kennen müßte, oder er ärgert sich erklecklich.“ Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 19. Februar 1905, BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr.  67, Bl.  179–180 (MWG II/4). 43  Sombart, Der moderne Kapitalismus I, Kap.  14 und 15 (S.  378–397). 44  Hier folgt Sombart übrigens in Grenzen Georg Simmel. 45  Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  3 88.

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Diaspora entstanden.46 Er habe überhaupt keinen religiösen Ursprung. Ob Calvin oder der Calvinismus, ob Ideen wie Individualismus oder Freiheit, sie alle könnten allenfalls als „nachfolgende Ursachen“ betrachtet werden, als solche also, die eine bereits eingetretene Entwicklung verstärkten, nicht aber als „die primär wirkenden Ursachen der modernen Wirtschaft“. Sie müßten auch schon deshalb als abgeleitet gelten, weil die wirtschaftliche Revolution längst im Gange war, als sie ins Leben traten.47 Sombart verlegt die Geburtsstunde des modernen Kapitalismus in die Zeit der Erfindung der doppelten Buchführung. Nicht zufällig präsentiert er uns Jakob Fugger als das Modell des neuen Wirtschaftsmenschen, der in rationaler Manier Geld häuft um des Geldhäufens willen. Sein Leitspruch laute: „Er wollte gewinnen, dieweil er könnte“,48 er lasse also keine Chance zum Geldverdienen aus. Er habe seine wirtschaftliche Tätigkeit tatsächlich als Geschäft verstanden, als ein Kalkulieren, aber auch als ein Spekulieren, doch dies alles in Form der Rechenhaftigkeit. Sombart, und dies unterscheidet ihn von den bisher besprochenen Positio­ nen, ist also gegenüber einer religionsgeschichtlichen Erklärung des kapitalistischen Geistes skeptisch.49 Aber er gibt für diesen Geist eine richtungweisende Definition. Was er ökonomischen Rationalismus nennt, ist eine historisch geprägte Gestalt der Lebensführung. Man dürfe die treibenden Kräfte des Wirtschaftslebens nicht nur in äußere Bedingungen setzen. Auf die Zwecksetzungen der Menschen komme es vielmehr entscheidend an. Es gehe deshalb darum, die „prävalenten Motivreihen“ als primäre Ursachen aufzudecken.50 Und weiter: „Wir wissen, daß wir uns hüten müssen vor der Zurückführung auf nichtssagende, weil völlig allgemeine seelische Kräfte wie den ‚Egoismus‘, den ‚wirtschaftlichen Sinn‘ oder dergleichen, daß wir uns vielmehr nach den eine bestimmte Zeitepoche beherrschenden, also historisch bedingten Motivreihen umsehen müssen, wollen wir zu einigermaßen brauchbaren Kausalerklärungen gelangen. Welche Kräfte also waren es, die die moderne Wirtschaft geschaffen haben: so lautet genauer die Frage, die wir

46  Sombart bezieht sich explizit auf Gothein. Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  378 ff., bes. S.  381, Fn.  1. Dem geht die Feststellung voraus: „Unzureichend erscheint mir auch eine Begründung modern-kapitalistischen Wesens mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Religionsgemeinschaften. Daß der Protestantismus, zumal in seinen Spielarten des Calvinismus und Quäkertums, die Entwicklung des Kapitalismus wesentlich gefördert hat, ist eine zu bekannte Tatsache, als daß sie des weiteren begründet zu werden brauchte.“ Man kann Webers Aufsatzfolge geradezu als eine Widerlegung dieser Stelle lesen. 47  Sombart, Der moderne Kapitalismus II, S.  5 f. 48  Sombart, Der moderne Kapitalismus I, Kap.  15, S.  3 97. 49  Sombart modifizierte diese Position später. Dazu die Einleitung in MWG I/18. 50  Sombart, Der moderne Kapitalismus II, S.  4.

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stellen wollen.“51 Nach den von Sombart so genannten „prävalenten Motivreihen“ fragt Max Weber dann auch. Nach Sombart ist also eine religionsgeschichtliche Erklärung des Geistes des Kapitalismus nicht überzeugend. Allenfalls den Juden will er einen wichtigen Anteil an dessen Zustandekommen zusprechen, aber nicht in erster Linie wegen ihrer Religion, sondern wegen ihres „Nationalcharakters“.52 Allerdings rekurriert er bei seiner Erklärung auf die Prägung von Motiven, auf die seelische Seite des Wirtschaftslebens, und darin ist er für Weber ein Vorbild. Doch er sagt nicht genauer, woher diese Prägung und damit der kapitalistische Unternehmergeist stammen. Mit seiner Definition des Geistes des Kapitalismus und seiner Vorstellung vom ökonomischen Rationalismus ging Sombart, wirtschaftsgeschichtlich gesehen, über das hinaus, was wir bisher gehört haben. Hinzu kommt die Unterscheidung, die er zwischen kapitalistischem Unternehmer und kapitalistischer Unternehmung trifft. Die kapitalistische Unternehmung verselbständige sich gegenüber dem kapitalistischen Unternehmer, und dies bedeute zugleich eine Verselbständigung des Sachvermögens. Im kapitalistischen Unternehmer bleibe die neue Zwecksetzung subjektiviert und begrenzt, in der kapitalistischen Unternehmung werde sie objektiviert und entgrenzt.53 Man kann vermuten, Weber habe Sombarts Interesse an der historischen Prägung von Motiven für eine neue Art des Wirtschaftens geteilt,54 sich aber mit dessen religionsgeschichtlicher Skepsis nicht abgefunden. Daß er sich eher der überwiegenden Ansicht anschloß, die der Reformation und ihrer Verzweigung in Luthertum und Calvinismus die größte Bedeutung zumaß, ist vermutlich auch dem Dialog zu verdanken, den er mit Ernst Troeltsch in Heidelberg unterhielt. Ernst Troeltsch war zum Sommersemester 1894 an die Theologische Fakultät der Universität Heidelberg gekommen. Er fand das Milieu, in das er gera51  Ebd., S.  5. 52  Besonders deutlich im Sechsten Kapitel von Sombart, Volkswirtschaft, S.  128 ff., wo er sich teilweise an die Charakterisierung der Juden bei Karl Marx anschließt. Dazu Marx, Karl, Zur Judenfrage, in: Marx, Werke – Schriften – Briefe I (wie oben, S.  27, Anm.  5), S.  4 51 ff. 53  Sombart, Volkswirtschaft, S.  76 ff. 54  Dies läßt sich auch aus dem Brief ersehen, den Weber an Brentano am 22. Mai 1904 schreibt, um ihn doch noch für eine Rezension von Sombart Kapitalismusbuch zu gewinnen. Interessanterweise betont er jetzt die Bedeutung von Band  II. Band  I mit der Grundrentenhypothese sei ja weitgehend erledigt. Aber Band  II enthalte doch „noch eine ganze Reihe recht geistvoller, aber hie u. da auch anfechtbarer Theorien, und der Werth der ganzen Methode, der Grundgedanke des Werks für das mächtige Problem der Entstehung des modernen wirtschaftlichen Geistes, welches Ihnen immer so nahe lag, lassen uns den größten Werth auf Ihre Stellungnahme legen.“ Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 22. Mai [1904], BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr.  67, Bl.  159–160 (MWG II/4).

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ten war, zunächst eher steril. Erst als Adolf Deißmann der Fakultät beitrat, änderte sich das Klima. Auch die Berufung Max Webers war für Troeltsch ein großer Gewinn.55 Es entwickelte sich ein intellektueller Kreis, in dem, disziplinund fakultätsübergreifend, vor allem auch über die Kulturbedeutung von Christentum und Protestantismus diskutiert wurde. Hinzu kam der Einfluß des südwestdeutschen Neukantianismus, der mit der Berufung von Wilhelm Windelband an die Philosophische Fakultät noch an Intensität gewann. Aus alldem entstand schließlich der Eranos-Kreis, dessen Diskussionen, kulturwissenschaftlich ausgerichtet, hauptsächlich den Einfluß der Religionen auf die Gestaltung der Welt behandelten.56 Weber trug in diesem Kreis zweimal vor: am 5. Februar 1905 über den Kapitalismus der Neuzeit 57 und am 23. Februar 1908 über den Kapitalismus des Altertums.58 Troeltsch, dessen Interessen weit über die Theologie im engeren Sinne hinausreichten, sah insbesondere in Max Weber einen kongenialen Gesprächspartner. Man prägte für diese Beziehung den Begriff der „Fachmenschenfreundschaft“.59 In Troeltschs Denken spielte der Unterschied zwi55  Dazu die Darstellung von Graf, Friedrich Wilhelm, Einleitung, in: Ernst Troeltsch. Kritische Gesamtausgabe, Band  4: Rezensionen und Kritiken (1901–1914). – Berlin, New York: Walter de Gruyter 2004, S.  1–70, bes. der Abschnitt 3: „Das Heidelberger liberale Gelehrtenmilieu“, S.  52–68, hier S.  52 (hinfort: Graf, Einleitung). 56  Zum Eranos-Kreis: Lepsius, M. Rainer, Der Eranos-Kreis Heidelberger Gelehrter 1904–1908. Ein Stück Heidelberger Wissenschaftsgeschichte anhand der neuaufgefundenen Protokollbücher des Eranos, in: Jahrbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften für das Jahr 1983 – Heidelberg: Winter, S.  4 6 ff. Ferner Treiber, Hubert, Der „Eranos“ – Das Glanzstück im Heidelberger Mythenkranz?, in: Schluchter/ Graf, Asketischer Protestantismus, S.  75–153. 57  Der Vortragstitel lautete: „Die protestantische Askese und das moderne Erwerbsleben“, unten, S.  216–221. 58  Weber, Kapitalismus im Altertum, MWG I/6, S.  748–753. Ernst Troeltsch trug am 15. Januar 1905 über den „Zusammenhang des Protestantismus mit dem Mittelalter“ und am 3. November 1907 über „Soziallehren der alten Kirche“ vor, beide im Eranos-Protokollbuch, UA Heidelberg, KE 94; ersterer auch gedruckt in: Graf, Friedrich Wilhelm und Trutz Rendtorff (Hg.), Ernst Troeltschs Soziallehren. Studien zu ihrer Interpretation (Troeltsch-Studien, Band  6). – Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1993, S.  4 9 f. 59  Graf, Friedrich Wilhelm, Fachmenschenfreundschaft. Bemerkungen zu ‚Max Weber und Ernst Troeltsch‘, in: Mommsen, Wolfgang J. und Schwentker, Wolfgang (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen. – Göttingen, Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S.  313–336. Daß diese Fachmenschenfreundschaft allerdings von komplexen Unterströmungen begleitet war und sich nicht zufällig schließlich in eine Fachmenschenkonkurrenz, ja Fachmenschengegnerschaft verwandelte, zeigen Graf, Friedrich Wilhelm, Wertkonflikt oder Kultursynthese?, in: Schluchter/Graf, Asketischer Protestantismus, S.  257–279, sowie Graf, Friedrich Wilhelm und Schluchter, Wolfgang, Einleitung, ebd. S.  1–7. Schon vor Webers Zusammenbruch, im Jahre 1898, schrieb Troeltsch in einem Brief: „Den meisten Umgang pflege ich außerhalb der Fakultät. Max Weber, Hensel, Carl Neumann u. mehrere andere sind mir sehr liebe Freunde.“ Auch Georg Jellinek, obgleich einer älteren Generation angehörend, rech-

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schen Luthertum und Calvinismus eine wichtige Rolle. Der Altprotestantismus insgesamt habe dazu beigetragen, die relative christliche Einheitskultur des Mittelalters als eine kirchlich geleitete Zwangskultur zu überwinden, an die Stelle der Sakramentsreligion die Glaubensreligion zu setzen und über den Gedanken des religiösen Individualismus den Weg in die moderne Welt zu bahnen. Aber dann sei der reformatorische Gedanke in sehr verschiedene Richtungen weiterentwickelt worden. Während sich das Luthertum „mit seiner antidemokratisch-absolutistischen Staatsgesinnung, seiner Nichtresistenz und Gehorsamsverklärung, seiner wirtschaftlich-traditionalistischen Haltung und seiner Verherrlichung des gegebenen Systems ständischer Berufsgliederungen“ den außerkirchlichen autoritären Entwicklungen weitgehend eingeordnet habe, sei es dem Calvinismus gelungen, „die demokratischen, modern staatsrechtlich-politischen und die modernen wirtschaftlich-fortschrittlichen Prinzipien sich anzueignen“,60 ein Urteil übrigens, das von dem Engels gar nicht so verschieden ist. Diese besondere Bedeutung des Calvinismus für das Entstehen der modernen Welt hatte Ernst Troeltsch bereits in einem Beitrag aus dem Jahr 1903 unterstrichen, von dem er im Rückblick freilich sagte, er gehöre zu seinen „höchst peniblen und schwerfälligen Artikeln“, die in dem „großen Massengrabe der ‚Realencyklopädie für prot. Theologie und Kirche‘ beigesetzt“ seien.61 Dieser Artikel war Weber bei der Konzeption seiner Studie bekannt.62 Es handelt sich um Troeltschs Untersuchung über die englischen Moralisten des 17. und 18. Jahrhunderts.63 Darin zeigt er, wie sich das Verhältnis von Gnadenethik und lex naturae, von lex divina und natürlicher Sittlichkeit des politischen, ökonomischen und sozialen Lebens, im Übergang vom mittelalterlichen Katholizismus zum Protestantismus veränderte und wie innerhalb des Protestantismus der Calvinismus radikalere Folgerungen aus dieser Veränderung als das Luthertum zog. Während der mittelalterliche Katholizismus die Gnadenethik und die lex naturae, die übernatürliche und die natürliche Ethik, dualistisch und hierarchisch aufgefaßt sowie die Gnadenethik in die abgestufte Ethik der Mönche, Priester und Laien überführt habe, sei im Pronete Troeltsch wohl zu seinem Freundeskreis. Brief zitiert nach Graf, Einleitung (wie oben, S.  4 0, Anm.  5 5), S.  52; zu der Beziehung Troeltsch-Jellinek, ebd., S.  5 5 f. 60  Troeltsch, Ernst, Calvinismus und Luthertum (1909), in: Troeltsch-KGA 8, S.  9 9– 107, Zitate: S.  101. 61  Troeltsch, Ernst, Gesammelte Schriften, Band  4: Aufsätze zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie, hg. von Hans Baron. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1925, S.  7 f. (hinfort: Troeltsch, Gesammelte Schriften IV). 62  Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 10. Oktober 1903, BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr.  67, Bl.  157–158 (MWG II/4). Dazu ausführlicher unten, S.  4 4 f. 63  Troeltsch, Ernst, Art. Moralisten, englische, in: RE 3 , 13. Band, 1903, S.  4 36–461 (hinfort: Troeltsch, Art. Moralisten), sowie dass. in: Troeltsch, Gesammelte Schriften IV (wie oben, Anm.  61), S.  374–429.

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testantismus diese Abstufung der Gnadenethik beseitigt und die lex naturae ihr gegenüber in Grenzen verselbständigt worden. Dies habe zu einem Nebeneinander, teilweise auch zu einer wechselseitigen Durchdringung von lex divina und lex naturae geführt. Daraus aber habe eine neue Idee der christlichen Kultur entstehen können, von der des katholischen Mittelalters verschieden. Sie, so Troeltsch, wurde freilich nicht so sehr vom Luthertum als vielmehr vom Calvinismus realisiert. Das Luthertum habe zwar auch die Abstufung der Gnadenethik beseitigt, sei aber letztlich bei dem Nebeneinander der beiden Sphären, der lex divina und der lex natura, stehen geblieben. Nur der Calvinismus habe, hauptsächlich in der englischen Revolution, eine neue Idee einer christlichen Kultur umzusetzen versucht. Entscheidend hierfür aber sei die gegenüber dem Luthertum andere Stellung des Prädestinationsgedankens gewesen. Er habe den Calvinismus auf den Weg der Demokratie und der Kapitalwirtschaft geführt. Troeltsch formuliert: „Im Gegensatz zu dem Patriarchalismus und naturalwirtschaftlichen Konservatismus der Lutheraner huldigen die Reformierten einem politischen und wirtschaftlichen Utilitarismus, der den Staat auf die Höhe seiner natürlichen Leistungsfähigkeit bringen und damit ihn auch leistungsfähiger für seine christliche Bestimmung machen will; und diesen Utilitarismus unterstützen die christlichen Forderungen der Mäßigkeit, Rechtlichkeit und Arbeitsamkeit, in denen sich das Evangelium als auch dem materiellen Gedeihen förderlich erweist. So werden die reformierten Länder Träger der Kapitalwirtschaft, des Handels, der Industrie und eines christlich temperierten Utilitarismus, der ihre Kulturtheorien wie ihre thatsächliche Kraft bedeutsam beeinflußt hat.“64 Dies aber gelte nicht nur für die wirtschaftliche, sondern auch für die politische Entwicklung. In beiden Hinsichten sei der Calvinismus im Vergleich zum Luthertum spezifisch modern. Hinzu kommt: Troeltsch arbeitete in den folgenden Jahren an seiner großen Studie „Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit“, deren Gedanken er dann auf dem Historikertag 1906 vortrug und später erweiterte.65 Dabei untersuchte er die Mitbeteiligung des Protestantismus in seinen 64  Troeltsch, Art. Moralisten, S.  4 44; der letzte Satz ist in der Vorlage durch Fettdruck hervorgehoben (dass., in: Troeltsch, Gesammelte Schriften IV, S.  3 93). Für Troeltsch kumuliert diese Entwicklung zu einer neuen christlichen Kultur in Cromwell, mit dem aber zugleich ihr Scheitern eingeleitet werde. Übrigens zitiert Troeltsch in diesem Artikel überwiegend Literatur, die auch Weber dann verwendet. 65  Troeltsch, Ernst, Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, in: Die Kultur der Gegenwart, Teil  I, Abt. IV, hg. von Paul Hinneberg. – Berlin und Leipzig: B. G. Teubner 1906, S.  253–458 (hinfort: Troeltsch, Protestantisches Christentum), dass. (1906/1909/1922), in: Ernst Troeltsch. Kritische Gesamtausgabe, Band  7. – New York, Berlin: Walter de Gruyter 2004, S.  81 ff.; ein Sonderabdruck von 1905 ist in der Handbibliothek Max Webers, Max Weber-Arbeitsstelle, Bayerische Akademie der Wissenschaften München, überliefert, ebenso ein Sonderabdruck der 2.  Aufl. von 1909. – Der Vortrag des Historikertags erschien in 1.  Aufl. 1906 und in 2.  Aufl. 1911, Troeltsch, Ernst, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der moder-

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verschiedenen Verzweigungen nicht allein, wie Weber, am Entstehen der modernen Wirtschaft, sondern an der modernen europäisch-amerikanischen Kultur insgesamt. Dabei wußte er sich im Grundtenor mit Weber einig, wenngleich er mehr die Lehren, dieser mehr die praktischen Wirkungen der Reli­ gionsarten in den Mittelpunkt stellte. Überblickt man diese wissenschaftliche Problemsituation, so liegen drei Folgerungen nahe. 1. Es existiert eine Diskussion über den Einfluß der Reformation und ihrer Verzweigung in Luthertum und Calvinismus auf politische und wirtschaftliche Entwicklungen.  2. Dabei werden die Kirchenverfassungen und ihre Wirkung und, nur bei Troeltsch, dogmatische Lehren und ihre Wirkung betont. 3. Sombart sieht auf die seelische Seite der Wirtschaftsentwicklung, auf den neuen ‚Geist‘, zeigt sich aber skeptisch gegenüber der Vorstellung, dieser sei religiös verursacht. Wollte man etwas Neues zu dieser Diskussion beitragen, so lag es nahe, Sombart zu folgen und die seelische Seite der Wirtschaftsentwicklung zu betrachten, diese aber, gegen Sombart, auf reli­ giö­­se Ursachen zurückzuführen, dabei aber zunächst auf die Prägekraft religiöser Ideen, nicht auf die der Kirchenverfassungen und ihrer Sanktionsmittel zu achten. So legte Weber seine Studie denn auch an. Wir vermuten also, daß für die Wahl von Thema und Konzeption von Webers Aufsatzfolge „Die Protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ mehrere Motive eine Rolle spielten: logisch-methodische, lebensgeschichtliche, politische und wissenschaftlich-sachliche, daß aber den letzten der Primat gehört. Sombart hatte gefordert, „mit Hilfe eines empirischen Nachweises konkret-historischer Zusammenhänge“ die primären Ursachen für den Geist des modernen Kapitalismus aufzuspüren.66 Weber entscheidet sich – ermutigt nicht zuletzt durch Gothein, Jellinek, Troeltsch und andere, aber auch durch eigenes Quellenstudium –, mit diesem Ziel die Reformierten zu studieren, weil man ihnen, im Vergleich zu den Lutheranern, allgemein eine größere Nähe zur modernen Welt zugesprochen hatte.

5.  Max Webers religionsgeschichtlicher Ansatz 5.1.  Die Problemstellung (der erste Aufsatz zur „Protestantischen Ethik“) Wie bereits gesagt, behauptete Weber im Rückblick, er habe Gedanken, die schließlich zu seiner Aufsatzfolge über „Die protestantische Ethik und der nen Welt, in: Ernst Troeltsch. Kritische Gesamtausgabe, Band  8. – New York, Berlin: Walter de Gruyter 2001, S.  199–316 (hinfort: Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus), sowie zu den beiden Auflagen der Editorische Bericht, ebd., S.  197. 66  Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  3 81, dort auch die Bemerkung, es gelte z. B. dazu die asketisch-protestantische Religionsgemeinschaften zu erforschen.

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‚Geist‘ des Kapitalismus“ führten, zum Teil bereits vor seinem Zusammenbruch in der Lehre vorgetragen. Sombart kann also, um dessen Unterscheidung zu verwenden, nicht die primär wirkende, sondern nur eine nachfolgende Ursache für die Wahl von Thema und Konzeption der Studie gewesen sein. Auch wissen wir nicht, wann genau Weber damit begann, gezielt dafür zu lesen. Selbst Marianne Weber vermag es nicht zu sagen. Sie kann nur vermuten, er habe sich wohl schon länger, „jedenfalls seit beginnender Genesung, mit der Idee dieses Werkes getragen. Vorstudie dazu mag u. a. die intensive Versenkung in Geschichte und Verfassung der mittelalterlichen Klöster und Orden während des römischen Aufenthalts gewesen sein.“67 Vorstudien in einem weiteren Sinne gewiß, doch kaum zu der in Rede stehenden Sache. Sie vermutet ferner, er habe in der zweiten Hälfte des Jahres 1903, nach Abschluß des Roscher-Aufsatzes, mit seiner Aufsatzfolge begonnen, läßt aber offen, ob sich dies auf das Studium der Literatur und der Quellen oder bereits auf die Niederschrift bezieht. Allerdings berichtet sie schon Ende 1901 von Webers intensivierter Lektüre: „Max liest u. liest u. liest u. wenn er nicht laufen braucht, ist er behaglich u. vergnüglich“, heißt es in einem Brief an Helene Weber vom 21. Dezember 1901.68 Und am 1. Mai 1902 teilt sie mit, er lese regelmäßig, am 7. Juni schließlich, er habe eine Masse von Büchern aus der Bibliothek zusammengeschleppt.69 Aber auch hier erfährt man nicht, um welche Bücher es sich handelt. Auch die Hollanderfahrung dürfte eine Rolle spielen.70 Aber greifbar ist dies nicht. Instruktiver ist da schon ein Brief, den Weber am 10. Oktober 1903 an Brentano schreibt. Aus ihm geht hervor, daß sich beide über Literatur zur englischen Entwicklung im 17. Jahrhundert ausgetauscht hatten und auch weiter austauschen wollten.71 So empfiehlt 67  Weber, Marianne, Lebensbild, S.  3 40. 68  Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 21. Dezember 1901, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 69  Briefe von Marianne Weber an Helene Weber vom 1. Mai und 7. Juni 1902, ebd. 70  Weber schreibt im Juni 1903 an Marianne Weber aus Scheveningen: „– ich war im Haag, die Rembrandt’s in der Galerie sind z. T. wunderbar: die ‚Anatomie‘, dann ‚Saul u. David‘ (ganz großartig ergreifend, obwohl er zwei häßliche Juden darstellt) –“. Brief vom [7. Juni 1903], Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/4). Ähnlich in den Briefen vom 8. und 10. Juni 1903, ebd. 71  Anlaß für diesen Austausch war wohl ein Gespräch auf Helgoland am 17. oder 18. September, bei dem, wie es in dem Brief vom 4. Oktober 1903 heißt, Brentano Weber „eine ganze und eine halbe Zusage gegeben“ hatte: „die erstere bezüglich einer kurzen Notiz über eine Arbeit über die franziskanischen Eigentumstheorien, die letztere bezüglich einer eventuellen Besprechung von Sombart’s Kapitalismus“. (Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 4. Oktober 1903, BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr.  67, Bl.  161–164; MWG II/4). Bei der kurzen Notiz handelt es sich um eine Besprechung von Glaser, Friedrich, Die franziskanische Bewegung. Ein Beitrag zur Geschichte sozialer Reformideen im Mittelalter, Stuttgart 1903, die in den von Brentano und Lotz herausgegebenen Münchener Volkswirtschaftlichen Studien erschienen war und die Brentano zum Anlaß nahm, sich allgemein über dieses Thema zu äußern. Die

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Weber Brentano den Artikel von Troeltsch über die englischen Moralisten, der allerdings, wie er betont, wenig über die ökonomische Seite der Sache enthalte, aus dem aber hervorgehe, daß Troeltsch „das Wesentliche richtig gesehen“ habe. Und weiter: „Gute Arbeiten – aber, wie Alles, nur mittelbar für das Ökonomische der Sache von Werth – sind: Das Buch von Weingarten über die englischen Revolutionskirchen und Gooch’s ‚Democratic Ideas‘[,] außerdem Bernsteins Aufsatz in der Geschichte des Sozialismus.“ Dann schränkt er ein, er kenne aber „von der kolossalen Literatur über die Puritaner nur einen Theil“. Dies spricht dafür, daß Weber sich zu diesem Zeitpunkt mit Teilen der für seine Aufsatzfolge einschlägigen Literatur bereits beschäftigt hatte, und wohl noch weitere Quellen durcharbeiten wollte. Am Schluß des Briefes heißt es, er werde „im Laufe dieses Winters für meinen Louis’er Vortrag und einen Aufsatz für das Archiv die Quellen erneut durcharbeiten“. Mit dem Aufsatz im Archiv ist offensichtlich die Protestantismusstudie gemeint.72 Ein erster literarischer Niederschlag von Webers Beschäftigung mit dem Komplex Calvinismus/Puritanismus findet sich denn auch bereits im Roscher-Aufsatz. Es heißt dort, die ältere historische Schule der Nationalökonomie habe die Tendenz, eine Trennung zwischen der von Eigennutz regierten privatwirtschaftlichen und der von Gemeinsinn regierten öffentlichen Sphäre vorzunehmen; eine eingehende Untersuchung dieses Sachverhalts würde ergeben, „daß diese Scheidung auf ganz bestimmte puritanische Vorstellungen zurückgeht, die für die ‚Genesis des kapitalistischen Geistes‘ von sehr großer Bedeutung gewesen sind.“73 Im Objektivitätsaufsatz findet sich gleichfalls eine Passage, die auf eine Beschäftigung mit dieser Materie hindeutet. Sie steht zudem in einem für die Aufsatzfolge zentralen logisch-methodischen Zusammenhang. Weber unterscheidet zwischen der materiali­ stischen Geschichtsauffassung und der ökonomischen Geschichtsinterpretation, wobei er jene ablehnt, diese aber befürwortet74 – sofern ihre Vertreter den logisch-methodischen Sinn gesichtspunktabhängiger Erkenntnis richtig verstehen. Denn es gibt nach Weber bei der kausalen Zurechnung von Kulturerscheinungen überhaupt keine letzten Instanzen, was nicht nur historische Materialisten, sondern häufig auch „rabiate wissenschaftliche Ressortpatrio­ ten“ vergäßen. Und so richtet er gegen beide seine Kritik: „Die Reduktion auf ökonomische Ursachen allein ist auf keinem Gebiete der Kulturerscheinungen je in irgend einem Sinn erschöpfend, auch nicht auf demjenigen der ‚wirtNotiz erschien in der Rubrik „Literatur-Übersichten“: Brentano, Lujo, Zur Genealogie der Angriffe auf das Eigentum, in: AfSSp, Band  19, Heft 1, 1904, S.  251–271. Offenbar wollte sich auch Brentano mit dem Calvinismus beschäftigen. 72  Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 10. Oktober 1903, BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr.  67, Bl.  157–158 (MWG II/4, dort auch die Kommentierung). 73  Weber, Roscher und Knies I, S.  32, Fn.  2. Vgl. auch ebd., S.  2 3, Fn.  1. 74  Weber, Objektivität, S.  42.

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schaftlichen‘ Vorgänge. Prinzipiell ist eine Bankgeschichte irgend eines Volkes, die nur die ökonomischen Motive zur Erklärung heranziehen wollte, natürlich ganz ebenso unmöglich, wie etwa eine ‚Erklärung‘ der Sixtinischen Madonna aus den sozial-ökonomischen Grundlagen des Kulturlebens zur Zeit ihrer Entstehung sein würde, und sie ist in keiner Weise prinzipiell erschöpfender als es etwa die Ableitung des Kapitalismus aus gewissen Umgestaltungen religiöser Bewußtseinsinhalte, die bei der Genesis des kapitalistischen Geistes mitspielten, oder etwa irgend eines politischen Gebildes aus geographischen Bedingungen sein würden.“75 An dieser Stelle läßt sich bereits sagen, was die Konsequenz dieser logisch-methodischen Kritik am historischen Materialismus für die Aufsatzfolge sein muß: die Überführung des Basis-Überbau-Modells in das FormGeist-Modell und die Ersetzung der gesetzlichen Abhängigkeit zwischen den beiden Ebenen durch die Adäquanzbeziehung, durch das, was Weber, wie in der Zeitdiskussion keineswegs unüblich, auch Wahlverwandtschaft nennt.76 Der nationalökonomische Spezialist habe selbstverständlich das Recht, die Kulturwirklichkeit einseitig unter einem ökonomischen Gesichtspunkt zu analysieren. Dafür sei er schließlich trainiert. Aber dieses Recht gelte auch für jene, die wirtschaftliche Vorgänge unter nichtökonomischen Gesichtspunkten betrachten wollen, zum Beispiel unter religiösen, je nachdem, „welcher Klasse von Ursachen diejenigen spezifischen Elemente der betreffenden Erscheinung, denen wir im einzelnen Falle Bedeutung beilegen, auf die es uns ankommt, zuzurechnen sind.“77 Die Erscheinung, um die es in der Aufsatzfolge zur „Protestantischen Ethik“ geht, ist der von Sombart so genannte Geist des Kapitalismus. Wie das vorletzte Zitat zeigt, ist Weber der Meinung, reli­ giö­se Bewußtseinsinhalte hätten bei seiner Genese zumindest mitgewirkt. Doch wir greifen vor. Denn zunächst ist noch von einer weiteren Vorstudie zu berichten, die allerdings nicht von Max Weber selbst stammt, sondern von einem seiner Schüler. Noch vor seiner Krankheit hatte er seinen Doktoranden Martin Offenbacher an Konfessions-, Bildungs- und Berufsstatistiken gesetzt. 75  Ebd., S.  4 4 f. 76  Die Metapher findet sich zum Beispiel bei Gothein. Auch Schopenhauer verwendet sie. Man hat viel in diese Metapher hineingeheimnist, sie auf Goethes Roman zurückgeführt, der wiederum die Chemie bemühte. Methodisch ist der Sachverhalt eigentlich recht schlicht. Es handelt sich um zwei Faktoren (Entwicklungen), die verschiedene Ursachen haben und zusammenkommen. Dies ist aber keine kausale Erklärung des Einen aus dem Andern. Typisch die folgende Formulierung: „Die ‚kapitalistische‘ Form einer Wirtschaft und der Geist, in dem sie geführt wird, stehen zwar generell im Verhältnis adäquater Beziehung, nicht aber in dem einer ‚gesetzlichen‘ Abhängigkeit voneinander“. Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  164. Dies ist übrigens ein weiterer Differenzpunkt zu Sombart, der tendenziell beide Seiten fusioniert, und dies je länger, je mehr. Dazu die Einleitung von Wolfgang Schluchter in: MWG III/6, S.  24 ff. 77  Weber, Objektivität, S.  4 5.

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Er sollte empirisch den Zusammenhang zwischen Konfessionszugehörigkeit und wirtschaftlichem Erfolg ermitteln.78 Und die analysierten Daten schienen zu ergeben, daß in konfessionell gemischten Gebieten Kapitalbesitz und Unternehmertum, aber auch die „oberen gelernten Schichten der Arbeiterschaft“, vorwiegend protestantisch waren.79 Weber nimmt dieses Ergebnis der Dissertation zum Ausgangspunkt, um seine Problemstellung zu formulieren. Woher, so fragt er, rührt dieser Umstand? Er scheint auf eine historische Erbschaft hinzudeuten, deren Ursprung aber weit zurückliegt. Und Weber nähert sich diesem Ursprung, näherliegende Erklärungen widerlegend, Schritt für Schritt.80 Er führt den Leser zurück in das 17. Jahrhundert. Und die Frage ist jetzt nicht mehr, weshalb Protestanten in konfessionell gemischten Gebieten wirtschaftlich erfolgreicher sind als Katholiken, sondern die gänzlich andere, auf die man durch noch so akkurate statistische Untersuchungen nicht gekommen wäre: Wie ist es zu erklären, daß damals, an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert und während des 17. Jahrhunderts, die „ökonomisch entwickeltsten Länder, und, wie wir noch sehen werden, innerhalb ihrer grade die damals ökonomisch aufsteigenden ‚bürgerlichen‘ Klassen jene puritanische Tyrannei nicht etwa nur über sich ergehen ließen, sondern in ihrer Verteidigung ein Heldentum entwickelten, wie gerade bürgerliche Klassen als solche es selten vorher und niemals nachher gekannt haben: ‚the last of our heroisms‘, wie Carlyle nicht ohne Grund sagt?“81 Man stritt viel über den wissenschaftlichen Wert der von Weber aus Offenbachers Dissertation übernommenen Zahlen. Sie seien unvollständig und unzuverlässig, die behaupteten Korrelationen verschwänden, sobald man Drittvariablen, etwa Bildung, kontrolliere. Auch hätte angesichts dessen, was folgt, bei den Protestanten viel schärfer zwischen Lutheranern und Reformierten unterschieden werden müssen. Tatsächlich sind die empirischen Ergebnisse von Offenbachers Dissertation aus heutiger Sicht fragwürdig, und Webers Übernahmen bessern die Sache natürlich nicht.82 Doch es spricht vieles dafür, daß Weber das von Offenbacher präsentierte Zahlenmaterial vor 78  Offenbacher, Konfession. 79  Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  124. 80  Man kann dieses Vorgehen geradezu als beispielhaft bezeichnen. Weber prüft mögliche Hypothesen über die Ursachen des behaupteten Zusammenhangs zwischen Konfession und wirtschaftlichem Erfolg und hält sie alle für unbefriedigend, etwa die Diaspora-Hypothese, die ja auch Gothein, allerdings eingeschränkt auf den Diaspora-Calvinismus, vertreten hatte. Mit dieser Qualifikation hält Weber sie durchaus für relevant. Vor allem aber: Er verwirft auch indirekt die Sombart-Hypothese, daß die „konfessionelle Zugehörigkeit nicht als Ursache ökonomischer Erscheinungen, sondern, bis zu einem gewissen Grade, als Folge von solchen erscheint.“ Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  126. 81  Ebd., unten, S.  127. 82 Weber übernimmt sogar eine fehlerhafte Tabelle von Offenbacher. Siehe ebd., unten, S.  128, Fn.  7, sowie der Kommentar.

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allem dazu benutzen wollte, beim Leser Aufmerksamkeit zu wecken.83 Denn es gab ja am Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland, in den Nachwehen des Kulturkampfs, die Debatte um die Inferiorität des Katholizismus, und sie wurde den Katholiken nicht nur von außen, sondern auch von innen, von führenden Katholiken und katholischen Einrichtungen, aufgedrängt.84 Weber geht zwar von dieser aktuellen Diskussionslage aus, sucht aber, wie die folgenden Passagen zeigen, weiterzukommen, gleichsam hinter sie zu blicken. Er möchte die zeitgenössische Kulturkampfrhetorik, aber auch die „vagen Allgemeinvorstellungen“, welche selbst in der Wissenschaft über Religion und Welt bestehen, überwinden. Deshalb soll mit der Aufsatzfolge auch nicht, wie mitunter behauptet, die wirtschaftliche Überlegenheit des Protestantismus gegenüber dem Katholizismus bewiesen, sondern „in die charakteristische Eigenart und die Unterschiede jener großen religiösen Gedankenwelten einzudringen versucht werden, die in den verschiedenen Ausprägungen der christlichen Religion uns geschichtlich gegeben sind.“85 Man sollte diese Formulierung, die am Ende des ersten Abschnittes der Aufsatzfolge zur „Protestantischen Ethik“ steht, auf dem Hintergrund des ersten Teils des Objektivitätsaufsatzes, der Ergänzung des „Geleitworts“, lesen. Dort hatte Weber sowohl die (zwar wertbezogene, aber) werturteilsfreie Untersuchung von Kulturerscheinungen gefordert als auch die historische Macht der Ideen (neben der der Klasseninteressen) betont. Weber will, wie er ausdrücklich sagt, mit seiner Aufsatzfolge auch empirisch zeigen, wie Ideen in der Geschichte wirken können.86 Man kann sagen: Sie entfalten eine Eigengesetzlichkeit und in diesem Zusammenhang eine Wirkung, die sich weder auf ökonomische Klassenkonstellationen noch auf historisch-politische Lagen, noch auf institutionelle Konstellationen reduzieren läßt.87 83  Weber bezeichnet später die statistisch ‚untermauerten‘ Beziehungen zwischen Konfession und wirtschaftlichem Erfolg explizit als „Anknüpfungspunkt“: „Der Umstand, daß trotz alle dem selbst heute noch Unterschiede des ökonomischen Verhaltens der Konfessionen zu bemerken sind [.   .   .], gab mir ausgesprochenermaßen (a.a.O. [Archiv, Bd.  X X], S.  24) lediglich den Anknüpfungspunkt und den Anlaß, die Frage als berechtigt hinzustellen, wie sich wohl Konfession und wirtschaftliches Gebahren in der Frühzeit des Kapitalismus zu einander gestellt haben möchten.“ Weber, Kritische Bemerkungen, unten, S.  4 82. 84  Siehe die Kommentare unten, S.  124. 85  Zitate aus: Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  140. 86  Ebd., unten, S.  214. Weber fügt sogar hinzu, dies sei der Hauptgrund, weshalb die Aufsatzfolge im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik veröffentlicht werde, das seinem Programm gemäß „an rein historischer Arbeit sich im allgemeinen nicht selbst beteiligt.“ Man sieht daran, wie Weber seine Studie verstanden wissen wollte. Denn gemäß „Geleitwort“ widersprach eine Studie über die Entstehung des Geistes des Kapitalismus dem Programm der Zeitschrift eigentlich nicht. 87  Dazu ausführlich Schluchter, Wolfgang, ‚Wie Ideen in der Geschichte wirken‘: Exemplarisches in der Studie über den asketischen Protestantismus, in: Schluchter/

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Nachdem also klar ist, daß es um die „dauernde innere Eigenart“ der Konfessionen gehen soll und um deren Folgen für das wirtschaftliche Handeln, was zugleich bedeutet, die Untersuchung auf die nachreformatorische Phase, auf das konfessionelle Zeitalter (Troeltsch), zu beschränken, müssen Gegenstand und Methode der Untersuchung genauer bestimmt werden. Es geht also um das Explanandum und um die Frage, wie sein Entstehen erklärt werden kann. Weber sagt denn auch ausdrücklich, bevor es nach der Exposition des Problems weitergehen könne, seien „noch einige Bemerkungen erforderlich, zunächst über die Eigenart des Objektes, um dessen geschichtliche Erklärung es sich handelt, dann über den Sinn, in welchem eine solche Erklärung überhaupt im Rahmen dieser Untersuchungen möglich ist.“88 An dieser Stelle besteht nun die engste Verbindung mit dem Objektivitätsaufsatz und damit auch mit der Methodologie von Heinrich Rickert. Was in den Kulturwissenschaften Erklärung heißen kann, haben wir diskutiert. Man braucht einen Gesichtspunkt, unter dem man die Wirklichkeit betrachtet, und darin ein Objekt, dessen So-und-nicht-anders-Gewordensein man erklären will. Weber wählt einen religionsgeschichtlichen Gesichtspunkt und als das zu erklärende Objekt den „Geist des Kapitalismus“. Es geht ihm also von vornherein nicht um den modernen Kapitalismus als solchen, sondern um die Entstehung einer bestimmten Mentalität.89 Wie Sombart beschäftigt ihn also die Genese des neuen Wirtschaftsmenschen, und zwar seine seelische Seite. Dieser neue Wirtschaftsgeist, so Weber, sei aber vom Betrachter nur als ein „,historisches Individuum‘“ konstituierbar, also als ein „Komplex von Zusammenhängen in der geschichtlichen Wirklichkeit, die wir unter dem Gesichtspunkte ihrer Kulturbedeutung begrifflich zu einem Ganzen zusammenschließen.“90 So hatte es Rickert gelehrt. Weber schränkt allerdings sofort ein: Dieses ‚historische Individuum‘ lasse sich nicht einfach definieren, sondern zunächst nur provisorisch veranschaulichen. Eine endgültige Definition könne nur am Ende der Untersuchung stehen. Diese Feststellung ist deshalb ungewöhnlich, weil eine Erklärung das zu Erklärende, das Explanandum, voraussetzt. Die Definition des zu Erklärenden kann also nicht erst am Ende einer Untersuchung stehen. Tatsächlich scheint sich im Verlauf der Untersuchung Webers Erklärungsobjekt leicht zu verschie-

Graf, Asketischer Protestantismus, S.  49–73, und Schluchter, Wolfgang, Religiöse Wurzeln frühkapitalistischer Berufsethik. Die Weber-These in der Kritik, in: ders., Die Entzauberung der Welt. Sechs Studien zu Max Weber. – Tübingen: Mohr Siebeck 2009, S.  4 0–62, bes. S.  6 0 f. (hinfort: Schluchter, Entzauberung). 88  Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  140. 89  Weber spricht ausdrücklich vom „Geist des (modernen) Kapitalismus“. Ebd., unten, S.  147. 90  Ebd., unten, S.  141.

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ben: Statt des ‚Geistes des Kapitalismus‘ die ‚Idee der Berufspflicht‘, statt des kapitalistischen Neuerers der moderne Berufsmensch ganz allgemein. Weber wählt nun zu dieser provisorischen Veranschaulichung des ‚Geistes des Kapitalismus‘ interessanterweise nicht, wie Sombart, den Großkaufmann Fugger. Dieser repräsentiere gerade nicht den neuen, sondern einen alten Geist des Wirtschaftens, den es historisch immer schon gegeben habe, den des ökonomischen Übermenschentums, wie es später heißt.91 Denn Fugger handle beim Wirtschaften nach Klugheitsregeln, nicht nach moralischen Maximen. Der neue Geist des Kapitalismus, den er, Weber im Auge habe, aber sei mit einer „ethisch gefärbten Maxime der Lebensführung“ verbunden.92 Deshalb könnten Fugger und seine Aussagen über sein Geschäftsgebaren diesen Geist auch nicht veranschaulichen. Man sieht bereits an dieser Stelle die Differenz zu Sombart. Doch wer oder was taugt dann für diese provisorische Veranschaulichung? Weber präsentiert uns dazu Benjamin Franklin und seine Aussage über sein Geschäftsgebaren, und zwar in einer Textmontage.93 Aus ihr gehe „der Gedanke der Verpflichtung des einzelnen gegenüber dem als Selbstzweck vorausgesetzten Interesse an der Vergrößerung seines Vermögens“ hervor.94 Verpflichtung, Selbstzweck, daran ließen sich die bei Franklin allerdings schon weitgehend abgestorbenen religiös-ethischen Wurzeln dieses Geschäftsgebarens erkennen. Es gehe um Ethik, nicht nur um Klugheit, um Lebensführung, nicht nur um Lebenstechnik, um ein Leben, in dem gelebte Tugenden auch das wirtschaftliche Handeln bestimmen. Weber sieht also den neuen ‚Geist des Kapitalismus‘ mit einer ethischen Komponente verbunden.95 Mehr noch: Er sieht ihn durch eine Ethik in seinem Ursprung mit bewirkt. Dies sei die „gegenüber Sombart etwas andere Problemstellung“.96 Dieser habe zwar die ethische Seite des kapitalistischen Unternehmers nicht völlig unterschlagen, sie aber als durch den sich entwik­ 91 Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, unten, S.  5 96, und Weber, Antikritisches Schlußwort, unten, S.  6 86 f. und 700. Weber verwendet den Ausdruck „Übermensch“ übrigens bereits in seiner Vorlesung „Praktische Nationalökonomie“, und zwar bei der Besprechung der antiken Wirtschaft. Dabei spricht er von der Emanzipation des Individuum von der Polis: „Emporwachsen jener eigentüml[ichen] ‚Übermenschen‘ des Altertums: Alkibiades, Lysandros – vaterlandslos“. Weber, Praktische Nationalökonomie, 1. Buch, §  2, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  31, Bd.  2, Bl.  24r (MWG III/2). 92  Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  147. 93  Ebd., unten, S.  142–145 und die Kommentare. 94  Ebd., unten, S.  146. 95  Lujo Brentano wird später sagen, Weber habe bereits hier eine petitio principii begangen, weil er das in die Definition aufnehme, was erst zu erklären sei. Die gesamte Argumentation sei zirkulär. Dazu Brentano, Wirtschaftender Mensch (wie oben, S.  32, Anm.  24), S.  284. 96  Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  147, Fn.  2 2.

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kelnden Kapitalismus bewirkt gedeutet. Dies aber ist nach Weber falsch. Am Ursprung des neuen Geistes habe eine Ethik Pate gestanden. Diesen Zusammenhang zu erschließen, darauf komme es ihm an. 97 Das bei Sombart bloß Bewirkte soll also als das Wirkende nachgewiesen werden, und zwar in einer historischen, man kann auch sagen: in einer wirklichkeitswissenschaftlichen Untersuchung. Dies ist die Aufgabe, die sich Weber explizit stellt. Es ist freilich die Frage: War Weber gut beraten, ausgerechnet Franklins Ratschläge über das Wirtschaften für die provisorische Veranschaulichung zu benutzten? Schon früh äußerte man Zweifel, und sie sind bis heute nicht verstummt.98 Nun sagt Weber selbst, bei Franklin würden die moralischen Maximen, deren Befolgung er empfiehlt, nicht in erster Linie religiös, sondern utilitarisch begründet. Die geforderten Tugenden im Geschäftsgebaren seien nützlich, und weil sie nützlich seien, solle man sie befolgen: honesty is the best policy. Aber dies ändert natürlich nichts daran, daß es sich um Tugenden, nicht um bloße Klugheitsregeln handelt, und daß sie deshalb auch um ihrer selbst willen geübt werden sollten. Ob Tugenden von der Art, wie Franklin sie etwa mit 97 Man sieht daran, daß es Weber in der Aufsatzfolge in erster Linie um den Ursprung, nicht um die Säkularisierung und die Verbreitung des neuen Geistes geht. Zur Unterscheidung zwischen Ursprungs-, Säkularisierungs- und Verbreitungsthese Schluchter, Entzauberung, S.  5 9. 98  Der Erste, der Zweifel an Webers Franklin-Interpretation anmeldete, war sein Neffe Eduard Baumgarten, der in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts eine zweibändige Studie über die geistigen Grundlagen des US-amerikanischen Gemeinwesens vorlegte. Siehe Baumgarten, Eduard, Benjamin Franklin: der Lehrmeister der amerikanischen Revolution. – Frankfurt a. M.: Klostermann 1936, und ders., Der Pragmatismus: R. W. Emerson, W. James, J. Dewey. – Frankfurt a. M.: Klostermann 1938. Einschlägig ist der erstgenannte Band, S.  93 ff. Baumgarten argumentiert, Weber habe Franklins Geldeifer als asketisches Arbeitsethos mißverstanden, denn in demselben Jahr, als er seine Anweisungen an den „young salesman“ formulierte, sei er aus seinem Geschäft ausgestiegen, um der Muße zu leben: „Statt eines Asketen kommt ein Epikuräer voll übermütigen Witzes zum Vorschein“, ebd., S.  9 5. Und zusammenfassend folgert er: „Wenn irgendeine Pathetik bei dem jüngeren Franklin zu finden ist, so ist es die Pathetik des Freiheitskampfes, einerseits als selbstsichere Verachtung gegen das feudale Europa, andererseits als unruhig leidenschaftlicher Eifer, Europas Glanz und überlegenes Ansehen durch eine eigene zugleich gediegenere und loyalere Ritterlichkeit zu überwinden. Dies ist der letzte ‚Wertgesichtspunkt‘ der Franklinschen Geldpredigt.“ Ebd., S.  100. Ähnlich Heinz Steinert, der behauptet, Weber sei die Ironie völlig entgangen, mit der Franklin seine Traktate über das Geld gewürzt habe. Schließlich erteile darin ein „old salesman“ einem „young salesman“ Ratschläge, wie man im Geschäftsleben erfolgreich sei. Außerdem konstruiere er durch Zusammenlegung und Auslassungen einen korrupten Franklin-Text, der im Original gar nicht existiere, Steinert, Fehlkonstruktion (wie oben, S.   25, Anm.  9 3), S.  5 9. Freilich dringt Steinert selbst nicht allzu tief in die Konstitution dieses ‚korrupten Textes‘ ein. Vgl. dazu die Kommentare zu Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  142–145.

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seinem Projekt der moralischen Perfektion anstrebt, oder ob Tugenden überhaupt jemals das wirtschaftliche Handeln aufsteigender bürgerlicher Mittelklassen im 17. Jahrhundert maßgeblich bestimmt haben, das ist die entscheidende Frage, nicht aber, ob Weber Franklin in jeder Hinsicht richtig interpretiert.1 Es ist natürlich auch Weber nicht entgangen, daß Franklin ein, wie er selbst notiert, „konfessionell farbloser Deist“ war,2 also gerade kein Vertreter jenes asketischen Protestantismus, der im zweiten Aufsatz der Aufsatzfolge ins Zentrum der Betrachtung gestellt wird. Dennoch läßt sich mit Weber vermuten, Franklins Denken und Handeln sei von der religiösen Atmosphäre seiner Herkunftsfamilie und seines Herkunftslandes mit geprägt. Hätte ein reiner Utilitarist seinen Eltern einen Grabstein mit der folgenden Inschrift gewidmet? „Hier ruhen Josias Franklin und Abiah seine Gattin. Sie lebten innig und einträglich zusammen neunundfünfzig Jahre und ernährten ohne Vermögen, ohne gewinnbringendes Gewerbe anständig eine zahlreiche Familie und erzogen mit gesegnetem Erfolge dreizehn Kinder und sieben Enkel. Laß’, Leser, dieses Beispiel dich ermuthigen, den Pflichten deines Berufes fleißig nachzukommen und der Vorsehung zu vertrauen. Er war ein frommer und weiser Mann, Sie ein kluges und tugendsames Weib. Im Gefühle kindlicher Pflichtschuldigkeit Weiht diesen Stein ihrem Gedächtnisse. Ihr jüngster Sohn.“3 Weber ist deshalb zu Recht der Meinung, bei allen Wandlungen in Franklins Leben seien seine Aussagen über tugendhaftes Handeln in der Wirtschaft mehr als „eine Verbrämung rein egozentrischer Maximen“.4 Letztlich sei es die Tüchtigkeit im Beruf, die er mit seinen Handlungsanweisungen stützt. Der Kern seiner moralisch imprägnierten Predigt kreise letztlich um den Gedanken der Berufspflicht und lasse sich nicht auf das wirtschaftliche Handeln im engeren Sinn einschränken. Dieser Gedanke von der Berufspflicht aber sei dem sich entwickelnden Kapitalismus kongenial.5 Weber stellt, wie schon Sombart, dem Geist des Kapitalismus den des Traditionalismus gegenüber. Er erläutert diesen am Beispiel von Arbeitern und 1  Franklin entwarf dieses Projekt in seiner Autobiographie, die Weber schon früh las. Franklin nennt es „den kühnen und ernsten Vorsatz, nach sittlicher Vollkommnung zu streben“, das er mit 13 Tugenden unterfüttert: Mäßigkeit, Schweigen, Ordnung, Entschlossenheit, Genügsamkeit, Fleiß, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung, Reinlichkeit, Gemütsruhe, Keuschheit, Demut. Vorbilder sind Sokrates und Jesus. Siehe Benjamin Franklin. Sein Leben, von ihm selbst beschrieben. Mit einem Vorwort von Berthold Auerbach und einer historisch-politischen Einleitung von Friedrich Kapp. – Stuttgart: Aug. Berth. Auerbach 1876, S.  284 ff. (hinfort: Franklin, Sein Leben). 2  Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  149. 3  Franklin, Sein Leben, S.  121. 4  Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  149. 5  Weber stützt sich bei seinen Ausführungen hauptsächlich auf Franklins Autobiographie.

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Unternehmern und geht dabei auch auf die ökonomische Theorie der Anreize ein. Er antizipiert hier bereits Studien, die er erst später ausführen sollte, etwa über die Psychophysik der industriellen Arbeit.6 Aber wichtiger ist die These, daß für die Erklärung einer Revolution der Gesinnung, der Mentalität, des Habitus, die Theorie der ökonomischen Anreize für sich allein nicht genügt. Wolle man eine so fundamentale Veränderung erklären, wie sie der Geist des Kapitalismus gegenüber dem des Traditionalismus darstelle, so müsse man auf stärkere psychische Hebel setzen, als es materielle Anreize sein könnten. Dazu würden ideelle Anreize verlangt. Diese aber entstünden durch Erziehung. Die Vorstellung etwa, der Beruf sei Selbstzweck, sei eben nichts „Naturgegebenes“. Eine solche Gesinnung könne „weder durch hohe noch durch niedere Löhne unmittelbar hervorgebracht werden, sondern nur das Produkt eines lang andauernden ‚Erziehungsprozesses‘ sein.“7 Wenn aus dem Beruf als Mittel zum Zweck des standesgemäßen Lebens ein Selbstzweck wird, dann ändert sich der Sinn der Berufsarbeit selber: Sie wird für die Sinnstiftung des Lebens zentral. Sie wird es zunächst einmal unabhängig davon, ob auch schon die Form existiert, die ihr kongenial ist. Und hier sehen wir noch einmal die beiden Punkte, an denen sich Weber von Sombart distanziert. Die Revolution der Wirtschaftsgesinnung läßt sich weder auf technische Erfindungen wie die doppelte Buchführung noch auf einen wie immer gearteten Erwerbstrieb zurückführen, sondern nur auf innere Antriebe, die in einer entsprechenden Kultur verankert sein müssen. Und eine solche Revolution der Wirtschaftsgesinnung ist unabhängig von der gerade herrschenden Wirtschaftsform.8 Weber spricht ausdrücklich von einem Rationalisierungs-, gar von einem Revolutionierungsprozeß, den der „neue Geist“ ausgelöst habe.9 Er sei Ausdruck einer kühnen Neuerung, die das Wirtschaftleben ergreift. Der Unternehmer ‚alten Stils‘ habe selbst bei Existenz einer kapitalistischen Organisationsform von dem traditionalistischen Geist, der sein Wirtschaften beseelte, nicht lassen können und wollen: „die traditionelle Lebenshaltung, die traditionelle Höhe des Profits, das traditionelle Maß von Arbeit, die traditionelle Art der 6  Dazu Schluchter, Einleitung, in: MWG I/11. 7  Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  159. 8  Weber sagt denn auch, wie man historisch erklären könne, „daß im Zentrum der ‚kapitalistischen‘ Entwicklung der damaligen Welt, in Florenz im 14. und 15. Jahrhundert, dem Geld- und Kapitalmarkt aller politischen Großmächte, als sittlich bedenklich galt, was in den hinterwäldlerisch-kleinbürgerlichen Verhältnissen von Pennsylvanien im 18. Jahrhundert, wo die Wirtschaft aus purem Geldmangel stets in Natural­ tausch zu kollabieren drohte, von größeren gewerblichen Unternehmungen kaum eine Spur, von Banken nur die vorsintflutlichen Anfänge zu bemerken waren, als Inhalt einer sittlich löblichen, ja gebotenen Lebensführung gelten konnte?“ Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  174. 9  Ebd., unten, S.  168.

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Geschäftsführung und der Beziehungen zu den Arbeitern und dem wesentlich traditionellen Kundenkreise, die traditionelle Art der Kundengewinnung und des Absatzes beherrschten den Geschäftsbetrieb“.10 Dieser traditionellen Wirtschaftsethik sei der Unternehmer ‚neuen Stils‘ mit einer neuen Ethik, mit einem neuen ‚Geist‘, entgegengetreten. Und der Kampf der neuen mit der alten Ethik sei keineswegs nur friedlich erfolgt. Er habe auf der Seite der Neuerer Persönlichkeiten von „ungewöhnlich feste[m] Charakter“ verlangt, mit „Klarheit des Blickes und Tatkraft“, mit „nüchterne[r] Selbstbeherrschung“, mit „sehr ausgeprägte[n] ‚ethische[n]‘ Qualitäten“, die aber andere gewesen seien als diejenigen, die den im Traditionalismus befangenen Unternehmer auszeichneten.11 Die Ausbildung dieser anderen Qualitäten aber konnten nach Weber nicht mit der Anpassung an äußere wirtschaftliche Verhältnisse erklärt werden. So sehr solche Anpassung, zudem gesteuert über materielle Anreize, heute im Wirtschaftsleben vorherrschend sein mag, so wenig gelte dies für das 17. Jahrhundert und für das „aufsteigende Kleinbürgertum“, das Träger dieser neuen Berufsauffassung und der damit verbundenen „kapitalistische[n] Ethik“ gewesen sei.12 Dies führt Weber zu der alles entscheidenden Frage: „Welchem Gedankenkreise entstammt also die Einordnung einer äußerlich rein auf Gewinn gerichteten Tätigkeit unter die Kategorie des ‚Berufs‘, dem gegenüber sich der einzelne verpflichtet fühlt?“13 Weber stellt also von Beginn an im Zusammenhang mit Sombarts Frage nach dem Geist des Kapitalismus den Berufsbegriff und die Berufsauffassung in den Mittelpunkt der Betrachtung: Berufsarbeit als Berufung, Berufsarbeit als Pflicht. Daß hier religiöse Faktoren mit hineingespielt haben dürften, vermutlich calvinistisch-puritanische, das hatten, wie wir sahen, viele Zeitgenossen Webers in einer allgemeinen Form behauptet, wenngleich bei ihnen oft ein historisch befriedigender Nachweis fehlte. Diesen will Weber leisten. Ihm geht es in der Folge hauptsächlich um Herkunft der modernen Berufsidee und des mit ihr verbundenen Berufsmenschentums. Weber bereitet diesen Nachweis vor, indem er eine semantische Untersuchung des Berufsbegriffs in den Bibeln verschiedener europäischer Länder durchführt. Er behauptet, die besondere Konnotation, die ihn interessiere, sei ein Produkt der Reformation und der Nachreformationszeit und weder im 10  Ebd., unten, S.  167. Weber nimmt dabei auch indirekt zum Problem der ursprünglichen Akkumulation Stellung. Vermutlich im Gegenzug zu Marx (Raub) und Sombart (Grundrente) heißt es: „Die Frage nach den Triebkräften der Entwicklung des Kapitalismus ist nicht in erster Linie eine Frage nach der Herkunft der kapitalistisch verwertbaren Geldvorräte, sondern nach der Entwicklung des kapitalistischen Geistes. Wo er auflebt und sich auszuwirken vermag, da schaffte er sich die Geldvorräte als Mittel seines Wirkens, nicht aber umgekehrt.“ Ebd., unten, S.  168. 11  Ebd., unten, S.  168 f. 12  Ebd., unten, S.  165, Fn.  3 3. 13  Ebd., unten, S.  174 f.

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„klassische[n] Altertum“ noch bei den „lateinisch-katholische[n] Völkern“ nachweisbar.14 Sie entstamme dem Geist der Bibelübersetzer, die den Geist des Originals dem Empfinden der Zeit anverwandelt hätten. In einem Text, in dem die Fußnoten überhand nehmen und nahezu unüberschaubar werden, will er zeigen, daß Luther für diese Entwicklung den Anstoß gab.15 Ihm seien andere gefolgt, ohne in seinen Grenzen zu bleiben. Denn sein Berufsverständnis bleibe letztlich traditionalistisch, also von „nur problematischer Tragweite“ für Webers Projekt.16 Überhaupt stünden sich hier Katholizismus und Luthertum näher als Luthertum und Calvinismus. Weber greift dabei auf die bei Kirchenhistorikern verbreitete Unterscheidung zwischen einer religiösen Kultur der Schickung (Luthertum) und einer der Bewährung im Handeln (Calvinismus) zurück. So findet er an dieser Stelle Anschluß an die allgemeine Diskussion über Calvinismus und Kapitalismus, über die wir berichtet haben. Und er findet zugleich Anschluß an seinen eigenen Ausgangspunkt. Denn es gehe darum, die inneren Ursachen der Unterschiede festzustellen, welche die religiösen Bewegungen der vorreformatorischen von denen der nachreformatorischen Zeit trennten, und in der nachreformatorischen Zeit den Calvinismus und andere „puritanische Sekten“ vom Luthertum. Katholizismus, Luthertum, Calvinismus und puritanische Sekten, aber auch der Anglikanismus, repräsentierten unterschiedliche ‚Programme‘ religiöser Erziehung mit charakterologischen Folgen: „Erst die Macht religiöser Bewegungen – nicht sie allein, aber sie zuerst – hat hier jene Unterschiede geschaffen, die wir heute empfinden.“17 Diesen ersten Aufsatz „Die Protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“, überschrieben „I. Das Problem“, gab Weber in Druck und las Korrektur, bevor er Mitte August 1904 gemeinsam mit seiner Frau und Ernst Troeltsch in die USA aufbrach. Wie wir aus der Korrespondenz mit dem Verlag wissen, war der Druckvorgang für ihn eine Qual. Weber hatte das Manuskript auf Wunsch der Druckerei nicht gänzlich druckfertig abgeliefert, um Zeit zu gewinnen.18 Der Setzer, der seine handschriftlichen Korrekturen und Zusätze 14  Ebd., unten, S.  178. 15  Weber hält sich dabei in erster Linie an die Untersuchung von Eger, Karl, Die Anschauungen Luthers vom Beruf. Ein Beitrag zur Ethik Luthers. – Gießen: J. Ricker (Alfred Töpelmann) 1900 (hinfort: Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf), geht aber immer auch auf die Originalquellen zurück. Siehe Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  190 mit Fn.  41, und die entsprechenden Kommentare. 16  Ebd., unten, S.  2 09. 17  Ebd., unten, S.  213. 18  Möglicherweise hatte Weber den Artikel Mitte April 1904 so weit gefördert, daß er an den Druck denken konnte. Am 15. April 1904 schreibt er an Paul Siebeck von einer Arbeit, die er fertig gemacht habe, und zwar neben dem Fideikommiß. Es heißt dort: „Mir geht es ganz erträglich, ich habe eine umfangreiche recht schwierige Arbeit fertig machen können.“ Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 15. April 1904, VA Mohr/ Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/4).

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kaum entziffern konnte, machte ständig Fehler. Weber beschwerte sich darüber bei Siebeck.19 Viele Fehler in der Druckfassung erklären sich so.20 5.2.  Die Problemlösung (der zweite Aufsatz zur „Protestantischen Ethik“) Wir wissen nicht, ob ein Entwurf oder gar Teile eines ausgearbeiteten Textes für den zweiten Aufsatz, überschrieben „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus. II. Die Berufsethik des asketischen Protestantismus“, vorlag, als Weber in die USA reiste. Interessant ist, daß er noch vor seinem Aufbruch eine Ergänzung von Georg Jellineks Studie über die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte erwog. Am 19. Juli 1904, also wohl mitten in den Korrekturen des Aufsatzes über die Fideikommißgesetzgebung und des ersten Aufsatzes der Aufsatzfolge, schreibt er an Georg von Below: „Ich möchte Jellineks ‚Erklärung der Menschenrechte‘ gern in einer kurzen Besprechung – nicht: Kritik, das würde kaum passen – ergänzen, in Bezug auf die für den Inhalt der im Cromwellschen Zeitalter geforderten Individualrechte maßgebende geschichtliche Situation.“ Es gehe ihm dabei um die „Staatsdoktrin des Anabaptismus“ und ähnlicher Bewegungen.21 Die Ergänzung blieb ungeschrieben, warum, sagt er im Rückblick in einem Brief an von Below: Er hoffte auf Troeltsch.22 19  Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 17. August 1904 (ebd.; MWG II/4): „Die Correkturen sind Gott sei Dank erledigt[.] Die Druckerei hat dabei constant neue Fehler gemacht, z. B. wenn ein Wort in der Correktur eingeschoben war, ein andres stattdessen weggelassen, beim Neu-Umbrechen von Zeilen diese durcheinandergebracht etc., so daß ich finde, es war wirklich etwas arg. Richtig ist ja, daß die Sache, da ich das Mscr. auf Wunsch nicht ganz druckfertig einlieferte, diesmal recht schwierig war.“ Dazu auch den Editorischen Bericht zu Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  100 f. 20  Es ist aus späteren Drucklegungen bekannt, daß Weber noch während der Fahnenkorrektur mitunter große Erweiterungen in den gesetzten Text handschriftlich einfügte. Dies dürfte hier, wo es sich um ein nicht ganz druckfertiges Manuskript handelte, ähnlich gewesen sein. Bereits am 20. Juli 1904, als er mit den Korrekturen des Fideikommiß-Aufsatzes beschäftigt war, hatte er an Siebeck geschrieben: „ich soll noch den Aufsatz über ‚Protestantische Ethik und Geist des Kapitalismus‘ vor meiner Abreise (15. August) in mindestens zwei Correkturen lesen, muß das auch – da ich bis Ende November fortbleibe – wenn er in Band  X X Heft 1 soll und habe daran sehr viel zu bessern u. zu corrigieren, da ich ihn auf Wunsch der Druckerei vorzeitig einschickte.“ Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 20. Juli 1904, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/4). 21 Brief Max Webers an Georg von Below vom 19. Juli 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3 0, Bd.  4, Bl.  9 6–97 (MWG II/4). Below gab die Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte heraus. 22 Brief Max Webers an Georg von Below vom 23. Aug. 1905, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3 0, Bd.  4, Bl.  130 (MWG II/4): „Ich habe s. Zt. meinen Artikel über Jellinek nicht geliefert, da ich annahm, daß Trö[ltsch] die Sache ganz so wie ich behandeln würde.“

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Dieser Plan zeigt aber ohne Zweifel: Weber hatte sich bereits vor der Reise in die USA mit der Literatur und den Themen des zweiten Aufsatzes beschäftigt. Dennoch dürfte dieser erst nach seiner Rückkehr aus den USA niedergeschrieben sein.23 Während der USA-Reise wird er zwar für den zweiten Aufsatz recherchiert, nicht aber an ihm geschrieben haben. Dazu war wohl das selbstauferlegte Programm zu dicht.24 Im Text schlägt sich jedenfalls die USA-Erfahrung an mehreren Stellen nieder. Allerdings könnten diese Passagen auch in einen bereits vorhandenen Text später eingefügt worden sein. Dennoch deutet alles darauf hin, daß Weber den zweiten Aufsatz nach der USA-Reise verfaßte. Dies bestätigt auch Marianne Weber in ihrer Biographie. Sie schreibt: „Die Abhandlung über den ‚Geist‘ des Kapitalismus reift nun schnell zur Vollendung. Ende März, nach kaum dreimonatlicher Arbeit, ist der zweite Teil fertig“.25 Im April 1905 las Weber Korrektur, übrigens mit noch größerem Ärger über den Setzer als beim ersten Aufsatz.26 Für diese zeitliche Abfolge spricht auch ein interessantes begriffliches Detail. Weber wählt nämlich für die Überschrift des zweiten Aufsatzes den Begriff „asketischer Protestantismus“,27 um eine Vielzahl religiöser Strömungen zusammenzufassen, die für die Idee der Berufspflicht aus seiner Sicht wichtig wurden. Der Begriff „asketischer Protestantismus“ kommt im ersten Aufsatz aber noch nicht vor. Man könnte ihn geradezu als einen Idealtypus bezeichnen, der in begrifflicher Reinheit das formuliert, was in den untersuchten religiösen Bewegungen immer nur in Annäherungen realisiert ist. Was diese Bewegungen bei allen Unterschieden im Einzelnen verbindet und sie sowohl von Katholizismus als auch von Luthertum, aber auch dem Anglikanismus markant unterscheidet, ist die ‚innerweltliche Askese‘, die praktizierte Askese im weltlichen Beruf. Weber sagt am Ende des zweiten Aufsatzes, die moderne Berufsidee und die damit verbundene Lebensführung seien aus dem Geist der christlichen 23  Dazu der Editorische Bericht zu Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  2 22 und 224. 24  Zur USA-Reise allgemein Scaff, Lawrence A., Max Weber in America. – Princeton: Princeton University Press 2011 (hinfort: Scaff, Max Weber in America). 25  Weber, Marianne, Lebensbild, S.  3 59. Dazu auch der Brief Max Webers an Alfred Weber vom 8. März 1905, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3 0, Bd.  4, Bl.  5 9–60 (MWG II/4): „Mir geht es mir verschieden. Ich habe unter ziemlichen Qualen immerhin wenigstens meinen dicken Artikel (Prot[estantische] Ethik u. Capitalismus) für das Juniheft fertig gemacht, das Diktieren in die Schreibmaschine jetzt ist eine rechte Strapaze.“ Am 30. März heißt es in einem Brief an Paul Siebeck: „Zugleich hiermit sende ich Ihnen das Mscr. für den 1ten Artikel von Band  X XI Heft I des Archivs.“ Die Fußnoten lieferte er im separaten Umschlag. Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 30. März 1905, VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/4). 26 Offensichtlich kam der Setzer mit den vielen Fremdwörtern und englischen Zitaten überhaupt nicht zurecht. Dazu das Faksimile der Fahnenkorrektur unten, S.  2 30 f. 27  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  242.

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Askese geboren.28 Diese habe ihren Ursprung zwar nicht in der Reformation, sondern im mittelalterlichen Mönchtum, wo sie bereits Arbeitsaskese war. Doch erst mit der Reformation sei sie aus den Klostermauern heraus in die Welt, in den Alltag, getreten, am konsequentesten bei den Reformierten, weil sie hier, vermittelt über den Bewährungsgedanken, zur Ausbildung einer aktiven Handlungskultur beitragen konnte. Darin sieht Weber das Gemeinsame dieser religiösen Strömungen, jenseits der dogmatischen und organisatorischen Unterschiede, die zwischen ihnen bestehen. Es geht also letztlich gar nicht mehr nur um den ‚Geist des Kapitalismus‘, sondern, viel allgemeiner, um das Entstehen der modernen Berufskultur, in der man den Beruf als Berufung auffassen sollte. Erst sie habe ein Berufsmenschentum ermöglicht, das Sinnerfüllung in Tätigkeit und Selbstbeschränkung findet. Tat und Entsagung, dies sei das „asketische Grundmotiv des bürgerlichen Lebensstils“.29 Weber versammelt unter dem Begriff des asketischen Protestantismus Calvinismus, Pietismus, Methodismus und die aus der täuferischen Bewegung hervorgegangenen Sekten.30 Er spannt den Bogen weit und dehnt die Untersuchung von den primären auch auf die sekundären, späteren Bewegungen aus.31 Den Begriff Puritanismus verwendet er in ähnlicher Breite, wie wir dies bei Bernstein kennengelernt haben. Auf ihn hätte Weber freilich verzichten können, denn der Begriff asketischer Protestantismus erfüllt bereits den Zweck. Dieser ist zudem ein wissenschaftlicher Begriff, nicht mit falschen historischen Assoziationen verbunden.32 Überhaupt muß man fragen, ob Weber bei der Wahl des Gesamttitels der Aufsatzfolge „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ gut beraten war. Weder der erste noch der zweite Teil des Titels treffen exakt die gemeinte Sache. Es geht ja nicht um die „Protestantische Ethik“, sondern, viel eingeschränkter, um die sittliche Lebensführung der Reformierten, und es geht letztlich nicht allein um den Geist der modernen Kapitalisten, sondern, viel allgemeiner, um den Geist des modernen, auf Facharbeit gegründeten Berufmenschen.33 28  Ebd., unten, S.  420. 29  Ebd., unten, S.  421. Weber zitiert Goethe, und zwar sowohl Wilhelm Meister als auch Faust II, weil hier dieses Motiv, seiner religiösen Fundierung entkleidet, im Mittelpunkt steht. 30  Ebd., unten, S.  242–244. 31  Dazu die Übersicht in Schluchter, Entzauberung, S.  4 8. 32  Weber sagt ausdrücklich, er verwende den Begriff „Puritanismus“ in dem Sinn, „den er in der populären Sprache des 17. Jahrhunderts angenommen hatte.“ Diese Verwendung schließe „‚Independenten‘, Kongregationalisten, Baptisten, Mennoniten und Quäker“, also holländische und englische Strömungen, ein. Siehe Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  244, Fn.  2 mit der Kommentierung. 33  Hier gibt es einen Zusammenhang zwischen dieser frühen Analyse des Berufsbegriffs und Max Webers späteren Reden über „Wissenschaft als Beruf“ und „Politik als Beruf“. Auch in diesen beiden Reden geht es um den Beruf als Berufung sowie um die Moral des Wissenschaftlers bzw. des Politikers. Dazu inbes. die Einleitung

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Wir sehen das Explanandum damit klarer. Weber möchte letztlich einen konstitutiven Bestandteil der modernen Kultur erklären. Wir erkennen auch die Umrisse der Theorie, mit der er diese Erklärung leisten möchte. Es ist eine Motivationstheorie. Es geht Weber um die Prägung des Menschen durch religiöse Glaubensvorstellungen und religiöse Praktiken, um die Entwicklung einer durch Heilsprämien gestützten Gesinnung, um eine Formung innerer Antriebe, man kann auch sagen: um den Aufbau einer Persönlichkeit mit intrinsischer Motivation. Heute würde man von einer Theorie der Verinnerlichung institutionalisierter kultureller Muster durch die Gläubigen sprechen. Weber geht dabei davon aus, daß im 17. Jahrhundert, sieht man von einzelnen ‚Übermenschen‘ ab, eine Gesinnungsrevolution oder auch nur eine sittliche Erneuerung ganzer Bevölkerungsgruppen nicht außerhalb religiöser Lebensordnungen zustande kommen konnte.34 Zu sehr habe auch den Alltagsmenschen die Frage nach dem eigenen Seelenheil, nach dem eigenen Erlösungsschicksal, umgetrieben. Wie diese Frage von den einzelnen Religionsgemeinschaften beantwortet wurde, dies habe die Lebensführung der Menschen mit bestimmt. Eine historisch und vergleichend angelegte Untersuchung dieser Zusammenhänge müsse die dogmatischen Grundlagen der verschiedenen Strömungen des asketischen Protestantismus prüfen und nachzeichnen, wie sie von den Gläubigen rezipiert wurden. Wir erinnern uns der Aussage in der Vorlesung von 1898, die Gedanken- und Empfindungswelt der Menschen folge ihren eigenen Gesetzen. In welchem Sinn dies gilt, darum geht es auch hier. Weber verzichtet deshalb ausdrücklich darauf, die Wirkung der ‚Kirchenverfassungen‘ mit ihren Sanktionsmechanismen oder die Wirkung der sozialen Schicht mit ihren materiellen Interessen auf die Lebensführung zu erörtern. Beides behält er sich ausdrücklich für eine nachfolgende Betrachtung vor.35 Er wählt also einen einseitigen innerreligiösen Gesichtspunkt, entlang dessen er seine Untersuchung anordnet, und er begibt sich damit auf ein für ihn bisher fremdes Arbeitsgebiet. Weber ist denn auch mit dem Anspruch, den er mit seiner religionsgeschichtlichen Betrachtung erhebt, sehr bescheiden. Gerade auf dogma-

in MWG I/17. Anders sieht dies Jack Barbalet, der einen Unterschied zwischen den Protestantismusstudien und den beiden Reden erkennt. Er findet ihn hauptsächlich in der unterschiedlichen Rolle, welche die Leidenschaft in den beiden Textgruppen spielt. Dazu Barbalet, Jack M., Weber, passion and profit: ‚the Protestant ethic and the spirit of capitalism‘ in context. – Cambridge: Cambridge University Press 2008. 34 Dies kann man auch als eine Kritik an Brentanos These von der heidnischen Emanzipation lesen. 35  Dazu etwa die Bemerkungen bei Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  374, Fn.  14, S.  3 82, Fn.  27, S.  4 05, Fn.  5 9, S.  411, Fn.  6 9, S.  413, Fn.  71, und S.  415, sowie die Zusammenstellung im Anhang zur Einleitung, unten, S.  9 0–96.

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tischem Gebiet habe er sich „an die Formulierungen der kirchen- und dogmengeschichtlichen Literatur, also an die ‚zweite Hand‘ angelehnt“. Darüber hinaus habe er versucht, so weit als möglich in die reformationsgeschichtlichen Quellen einzudringen.36 Diese Selbstbeschreibung konnte die Kommentierung des Textes in vollem Umfang bestätigen. Weber orientierte sich an wenigen Werken der Sekundärliteratur, denen er weitgehend folgt, wobei er immer wieder auf die meist dort schon benutzten Quellen zurückgeht, um sie am Original zu überprüfen und unter Umständen anders zu akzentuieren oder auch zu ergänzen. Deshalb entsteht nicht zufällig mitunter der Eindruck, er habe passagenweise Ausführungen anderer nur paraphrasiert.37 Daneben steht freilich das eigenständige Erschließen von Quellen. Dies gilt etwa für Calvin, Baxter, Spener und Barclay, wie die Kommentierung zeigt, in der auch die von Weber in der Heidelberger Universitätsbibliothek benutzten Bücher mit seinen Randbemerkungen und Unterstreichungen berücksichtigt sind.38 Weber entscheidet sich, übrigens mit weitreichenden Folgen für die Rezeption seiner Studie, den dogmatischen Kern der von ihm als asketischem Protestantismus zusammengefaßten Strömungen zunächst an der radikalen Prädestinationslehre im Calvinismus zu erläutern. Dies ist deshalb überraschend, 36  Ebd., unten, S.  245, Fn.  3. Zu Webers theologischen Quellen und zu der Art ihrer Verwendung informieren die Editorischen Berichte, unten, S.  109 ff. bzw. S.  233 ff. Diese Berichte zeigen, wie tief sich Weber in die für sein Thema relevante theologische Literatur eingearbeitet hat. 37 Die für ihn wichtigsten Autoren sind Max Scheibe, Matthias Schneckenburger, Gustav Hoennicke und Albrecht Ritschl (dazu auch die Einträge im Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur, unten, S.  8 52 und 860 f.), wobei er zwar nicht die historischen Ausführungen, wohl aber die eingestreuten Werturteile des Letzteren perhorresziert. Charakteristisch ist dieses Urteil über Ritschl: Er vertrete einen „theologischen ‚Bourgeoisstandpunkt‘“ (Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  347, Fn.  123). Er verachte die kleinen radikalen Sektenbewegungen und sehe überall nur den Kollaps in den Katholizismus, wobei er auch die Katholiken falsch zeichne. Weber nennt dies eine „positivistische (um nicht zu sagen: philiströse) Kritik“. Ebd., unten, S.  318 f., Fn.  8 3. 38  Daß die Calvin-Kenntnisse eher peripherer Natur sind, beklagen Calvin-Experten. Dazu etwa Lienemann, Wolfgang, Calvin, Calvinismus, Puritanismus – und Max Weber, in: Hofheinz, Marco et al. (Hg.), Calvins Erbe. Beiträge zur Wirkungsgeschichte Johannes Calvins. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, S.  3 08 ff. Weber betont allerdings selbst, er behandle nicht Calvin, sondern den Calvinismus. Zu der Entwicklung von Calvins Lehre in die verschiedenen Varianten des Calvinismus Benedict, Philip, „Von Calvin zu den Calvinismen“, in: Campi, Emidio, Opitz, Peter, Schmid, Konrad (Hg.), Johannes Calvin und die kulturelle Prägekraft des Protestantismus. – Zürich: vdf Hochschulverlag 2012, S.  27 ff. Benedict bestätigt die von Weber behauptete wachsende Bedeutung der Prädestinationslehre im Calvinismus, relativiert aber die Folgerungen, die Weber aus diese historisch richtigen Einsicht zieht. Dazu insbes. S.  3 3 ff. Ferner der Hinweis auf die Bedeutung der populären Autoren Lewis Bayly, Richard Baxter und John Bunyan für die englischen Entwicklung, auf die sich ja auch Weber bezieht, ebd. S.  3 5.

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weil, wie der Fortgang die Untersuchung zeigt, Weber in einem Gutteil der von ihm behandelten Strömungen diese radikale Lehre nicht findet. Der asketische Protestantismus spaltet sich auch in seiner Darstellung in eine prädestinatorische und eine nichtprädestinatorische Richtung.39 Trotz dieser dogmatischen Unterschiede seien aber, so seine Einlassung bereits in der Eröffnungspassage seines zweiten Aufsatzes, die ethischen Maximen, denen die Gläubigen folgen sollten, bei all diesen Strömungen ähnlich.40 Dies ändert aber nichts daran, daß er das Täufertum neben dem Calvinismus als einen „selbständige[n] Träger protestantischer Askese“ bezeichnet und dabei unterstreicht, daß die aus dieser Bewegung hervorgegangenen Sekten gegenüber der reformierten Lehre auf „heterogenen Grundlagen“ ruhen.41 39  Weber sagt ausdrücklich: „die Prädestinationslehre des Calvinismus ist nur eine von verschiedenen Möglichkeiten.“ Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  3 07. Es sei jene Möglichkeit, bei der nicht die „Gefühlsseite der Religion“ und der Genuß der Seligkeit bereits im Dieseits, sondern der rational-asketische Kampf um die Seligkeit „für die jenseitige Zukunft “ im Mittelpunkt stehe. Ebd., unten, S.  316. Bei vielen der nichtprädestinatorischen Richtungen falle die Gefühlsseite der Religion schon deshalb stärker ins Gewicht, weil sie meist mit einem Erweckungs- oder Bekehrungserlebnis oder gar mit einem „bis zu den fürchterlichsten Ekstasen gesteigerte[n] Bußkampf“ des Gläubigen, also mit seiner emotional geprägten Wiedergeburt, einsetzten. Ebd., unten, S.  3 40. Hier sei denn auch die Gefahr, nach dem Höhepunkt des spirituellen Erlebnisses in den status naturalis abzugleiten, besonders groß. Diese Gefahr teilten diese Strömungen mit dem Luthertum, doch entwickelten sie zugleich im Unterschied zu diesem eine religiös motivierte methodische Lebensführung: „Ganz offenbar enthielt also die Ausrichtung des religiösen Bedürfnisses auf eine gegenwärtige innerliche Gefühlsaffektion ein minus an Antrieb zur Rationalisierung des innerweltlichen Handelns gegenüber dem nur auf das Jenseits ausgerichteten Bewährungsbedürfnis der reformierten ‚Heiligen‘, während sie freilich gegenüber der tradi­ tio­ nalistisch an Wort und Sakrament haftenden Gläubigkeit des orthodoxen Lutheraners immerhin ein plus an methodischer religiöser Durchdringung der Lebensführung zu entwickeln geeignet war.“ Ebd., unten, S.  3 36. Weber illustriert diese Spannung zwischen der emotionalen und der asketisch-rationalen Seite bei nichtprädestinarorischen Strömungen hauptsächlich am Beispiel des deutschen Pietismus und des Methodismus. Zusammenfassend heißt es: „Der Methodismus erscheint danach für unsere Betrachtung als ein in seiner Ethik ähnlich schwankend fundamentiertes Gebilde wie der Pietismus.“ Ebd., unten, S.  3 43 f. 40  Ebd., unten, S.  244 f. 41  Ebd., unten, S.  3 46 f. Weber formuliert diesen Sachverhalt später in seiner Konfuzianismusstudie wie folgt: „Die Menschen waren von Natur alle gleich sündhaft, aber ihre religiösen Chancen waren dennoch nicht gleich, sondern höchst ungleich, und zwar nicht nur zeitweilig, sondern definitiv. Entweder direkt kraft grundloser Prädestination (wie bei den Calvinisten, den Partikularbaptisten, den Whitefieldschen Methodisten und den reformierten Pietisten). Oder doch kraft ihrer verschiedenen Qualifikation zu den pneumatischen Geistesgaben. Oder endlich kraft der verschiedenen Intensität und also auch des verschiedenen Erfolgs ihres Strebens, den bei den alten Pietisten entscheidenden Akt der Bekehrung, den ‚Bußkampf‘ und ‚Durchbruch‘, oder wie die Wiedergeburt sonst geartet sein mochte, zu erringen. Immer waltete aber in diesen Unterschieden Vorsehung und grundlose, unverdiente, ‚freie‘ Gnade eines

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Es sind denn auch heuristische Gründe, aus denen er diesen Ausgangspunkt wählt. Denn diese calvinistische Lehre sei „von ganz einzigartiger Konsequenz“. Sie habe eine „eminente psychologische Wirksamkeit“ entfaltet. Und weiter: „Die nichtcalvinistischen asketischen Bewegungen erscheinen danach, rein unter dem Gesichtspunkt der religiösen Motivierung ihrer Askese betrachtet, für uns als Abschwächungen der Konsequenz des Calvinismus.“42 Der Calvinismus dient also wiederum als heuristischer Maßstab, an dem Weber die übrigen reformierten Strömungen mißt. Der Calvinismus im späten 16. und im 17. Jahrhundert kommt also dem Idealtypus des asketischen Protestantismus aus Webers Sicht am nächsten. Freilich denkt er hier nicht nur heuristisch, sondern auch historisch. Es seien vor allem die Synoden von Dordrecht und Westminster gewesen, in denen die radikalisierte partikularistische Gnadenwahllehre gegen widerstreitende Interpretationen durchgesetzt worden sei. Insbesondere in Dordrecht habe man gegen die mildere Interpretation des Arminianismus die Verbindlichkeit der partikularistisch interpretierten Gnadenwahllehre festgelegt. Der Arminianismus wurde dann auch tatsächlich als heterodox gebrandmarkt und verbannt.43

überweltlichen Gottes. Deshalb war der Prädestinationsglaube zwar nur eine, aber doch die weitaus konsequenteste dogmatische Formung dieser Virtuosenreligiosität.“ MWG I/19, S.  4 65. 42  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  3 07. 43  Die Beschlüsse der beiden Synoden wurden, zusammen mit anderen Schriften der Reformierten, von E. F. Karl Müller, Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche. In authentischen Texten mit geschichtlicher Einleitung und Register. – Leipzig: A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung Nachf. (Georg Böhme) 1903 (hinfort: Müller, E. F. Karl, Bekenntnisschriften), zusammengestellt, eine Sammlung, auf die sich Weber stützt, siehe unten, S.  251, Fn.  6). Diese Sammlung ist nun wieder verfügbar als Müller, E. F. Karl (Hg.), Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche. In authentischen Texten mit geschichtlicher Einleitung und Registern. Theologische Studientexte. – Waltrop: Hartmut Spenner 1999. Dort die Dordrechter Canones von 1619 S.  8 43 ff., die Westminster-Confession von 1647 (mit den Abweichungen der kongregationalistischen Savoy-Declaration von 1658 und der Cumberland-Confession von 1829) S.  5 42 ff. Weber stellt, ähnlich wie bei Franklin, Textpassagen in eigener Übersetzung eigenwillig zusammen. Die Gnadenwahllehre findet sich in der Westminster Confession in Chapter III, 1–8, überschrieben „Of God’s Eternal Decree“. Besonders interessant, auf dem Hintergrund von Webers Interpretation, ist Nr.  8: „The Doctrine of the high Mystery of Predestination is to be handled with special Prudence and Care, that men attending the Will of God revealed in his Word, and yielding Obedience thereunto, may, from the Certainty of their effectual Vocation, be assured of their eternal Election. So shall this Doctrine afford Matter of Praise, Reverence, and Admiration of God, and of Humility, Diligence, and abundant Consolation to all that sincerely obey the Gospel.“ Ebd., S.  5 52 f. Die Dordrechter Canones stellen als „Primum doctrinae caput“ „de divina praedestinatione“ heraus. Zu den Arminianern und ihrem Schicksal Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  242 f., Fn.  1, sowie das Glossar, unten, S.  822.

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Weber versucht nun eine kurzgefaßte Geschichte der Gnadenwahllehre, die ja keine Erfindung des Calvinismus darstellt.44 Hier, so seine These, werde ein Bestandteil der christlichen Überlieferung nur zugespitzt. Dies bedeute, die Kluft zwischen Gott und den Menschen unüberbrückbar zu machen und dem Gott des Alten Testaments gegenüber dem des Neuen Testaments ‚den Vorrang‘ zu geben: statt des gnädigen und gütigen, weil liebenden Vaters der strafende und verborgene Herrscher, der deus absconditus. Gott werde dadurch zu einem Wesen, „welches von Ewigkeit her nach gänzlich unerforschlichen Ratschlüssen jedem einzelnen sein Geschick zugeteilt und über alles Kleinste im Kosmos verfügt hat. Gottes Gnade ist, da seine Ratschlüsse unwandelbar feststehen, ebenso unverlierbar für die, welchen er sie zuwendet, wie unerreichbar für die, welchen er sie versagt.“ 45 Hier wird also das Heilsgeschehen tatsächlich zum Heilsschicksal. Dem Menschen widerfährt etwas, was er nicht beeinflussen kann. Weber verbindet dies mit der Vermutung, dies habe diejenigen Gläubigen, die an diese Lehre glaubten, in eine innere Vereinsamung gestoßen, ein Gefühl, das ihm selbst, seit seiner Krankheit und dann sein Leben lang, nur allzu verstraut war.46 Vielleicht ist dies die lebensgeschichtliche Erfahrung, aus der heraus er die Gefühlslage der „Helden der ‚ecclesia militans‘“47 so einfühlsam beschreiben kann. Denn einsam, so Weber, habe der Gläubige seine Straße ziehen müssen, nicht wissend, wohin sie führe. Kein Prediger, kein Sakrament, keine Kirche, nicht einmal Christus habe ihm helfen können, denn auch Christus war ja nur für die Erlösten, nicht aber für die Verdammten gestorben. Für Weber hat der radikale Individualismus der vom Calvinismus mitgeprägten Kulturen hier seine religiösen Wurzeln. Vielleicht hatte er dies im Auge, als er an von Below schrieb. Weber entwickelt nun sein Erklärungsmodell, indem er fragt, wie man eine solche Lehre ertragen konnte, „in einer Zeit, welcher das Jenseits nicht nur wichtiger, sondern in vieler Hinsicht auch sicherer war, als alle Interessen des diesseitigen Lebens“.48 Es geht ihm dabei nicht um diejenigen, die er später religiöse Virtuosen nennt, sondern um die Alltagsmenschen. Webers Behauptung lautet nun, man habe, auf Drängen der Gläubigen, diese harte Lehre in der seelsorgerischen Praxis uminterpretiert. Zwei Typen seelsorgerischer Ratschläge seien hier zu nennen: 1. die Pflicht, sich für erwählt zu halten; 2. durch 44  Bezugspunkt ist Römer 9, 11–24. Interpretationen auch bei Augustin, bei Luther und natürlich bei Calvin. 45  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  259. 46  Dazu vor allem die späteren Briefe an Mina Tobler und Else Jaffé, in denen immer wieder von dieser Einsamkeit die Rede ist, die ihn von allem Gesunden trenne. Das Bild vom anderen Ufer, an dem er, von allem Normalen geschieden, stehe, wird von ihm mehrmals benutzt. Dazu die Einleitung, in: MWG II/10, S.  32. 47  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  251. 48  Ebd., unten, S.  270–272.

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rastlose Berufsarbeit die religiösen Zweifel zu verscheuchen und schließlich im Berufserfolg ein Zeichen der Erwählung zu sehen. Dies habe die Persönlichkeitsbildung beeinflußt. Statt des demütigen und reuigen Sünders des Luthertums seien jene „selbstgewissen ‚Heiligen‘“ entstanden, „die wir in den stahlharten puritanischen Kaufleuten jenes heroischen Zeitalters des Kapitalismus und in einzelnen Exemplaren bis in die Gegenwart wiederfinden.“49 Weber vergleicht also die Sozialisationsmuster, wie sie in Luthertum und Calvinismus vorherrschen. Sie lassen sich danach charakterisieren, wie man jeweils die certitudo salutis, die Heilsgewißheit, erringt. Angelehnt an die Ausführungen von Matthias Schneckenburger,50 stellt er eine eher kontemplative Gefühlskultur (Luthertum) einer asketischen Handlungskultur (Calvinismus) in ihrer Wirkung auf die Persönlichkeitsbildung gegenüber.51 Der Katholizismus kommt nur beiläufig vor.52 Im Calvinismus habe der Gläubige seinen Glauben nicht in einer Art unio mystica mit Gott oder in einzelnen guten Werken, sondern in einer zum System gesteigerten Werkheiligkeit bewähren müssen, wissend, daß die geforderten Werke nicht nur gottgewollt, sondern gottgewirkt seien.53 Der Mensch als Werkzeug Gottes in dieser Welt, dies sei es letztlich, was der calvinistischen Persönlichkeitsbildung zugrunde liege.54 Daran wird deutlich: Es ist gar nicht in erster Linie die Gnadenwahllehre, sondern die Lehre von der Bewährung, der „fundamentale Bewährungsgedanke“,55 der die verschiedenen Richtungen des asketischen Protestantismus miteinander verbindet und sie vom Luthertum unterscheidet. Auch dort, wo die Gnadenwahllehre keine zentrale Rolle spielt, wie etwa bei den Täufern und den aus ihnen hervorgegangenen Bewegungen der Baptisten, Mennoniten und Quäker, wirkt sich der Bewährungsgedanke disziplinierend und zugleich sektenbildend aus.56 Freilich, gerade in Verbindung mit der Gnaden49  Ebd., unten, S.  276. 50  Schneckenburger, Matthias, Vergleichende Darstellung des lutherischen und reformirten Lehrbegriffs. Aus dem handschriftlichem Nachlasse zusammengestellt und hg. durch Eduard Güder, 2 Theile. – Stuttgart: J. B. Metzler 1855 (hinfort: Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, II). Weber sagt ausdrücklich, daß er hier Schnek­ kenburger folge. 51  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  276–279. 52  Ebd., unten, S.  285–288. 53  Ebd., unten, S.  288: „Der Gott des Calvinismus dagegen verlangt von den Seinigen nicht einzelne ‚gute Werke‘, sondern ein ‚heiliges Leben‘, d. h. eine zum System gesteigerte Werkheiligkeit. Die ethische Praxis des Alltagsmenschen wird ihrer Planund Systemlosigkeit entkleidet und zu einer konsequenten Methode der ganzen Lebensführung ausgestaltet.“ 54 Ebd., unten, S.  292. Zum Persönlichkeitsbegriff unten, S.  289 ff. Ähnlich dann auch in Weber, Roscher und Knies II, vom Oktober 1906. 55  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  3 03 f. 56  Weber verwendet übrigens bereits hier den Sektenbegriff in Abgrenzung von Kirchenbegriff in einem technischen Sinne (die Täufer „sind für unsere Terminologie

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wahllehre, der Vorstellung vom Gnadenpartikularismus, habe dieser eine „rationale Gestaltung des ethischen Gesamtlebens“ bewirkt. Dies sei im Luthertum anders gewesen, weil hier die „unbefangene Vitalität triebmäßigen Handelns und naiven Gefühlslebens ungebrochener“ weiterlebte.57 Die Verbindung von Gnadenwahllehre und Bewährungsgedanken habe Glauben und Sittlichkeit in einmaliger Weise miteinander verbunden, mit der Folge einer „penetranten Christianisierung“ des Alltagslebens,58 wie niemals zuvor und, so kann man hinzufügen, auch nicht mehr danach. Weber schlägt also mittels des Bewährungsgedankens die Brücke zu den übrigen Strömungen des asketischen Protestantismus. Der Gläubige werde als das Werkzeug Gottes verstanden, der seinen Willen in der Welt zu erfüllen und sich darin zu bewähren hat. Keine Handlungssphäre bleibe davon ausgenommen. Auch die Berufsarbeit werde so religiös geheiligt. Von der Werkheiligkeit zur Werkgerechtigkeit sei freilich nur ein kurzer Weg. Tatsächlich sieht Weber die Gesamtentwicklung ähnlich wie im Fall von Franklin: Die religiöse Ethik kollabiert in den Utilitarismus. Aus dem Berufserfolg als Erkenntnisgrund des Heilsschicksals werde der Realgrund des Heils und dieser dann bald nicht mehr religiös, sondern utilitarisch verstanden, wobei dann der philosophische Utilitarismus die Rechtfertigung dafür gibt. In dessen Nachfolge entwickelt dann die ökonomische Theorie die Kunstfigur des homo oeconomicus, an der sie ihre Analysen ausrichtet. Er ist der kalkulierende Rechner, der seine Handlungspläne an einer Kosten-Nutzen-Bilanz orientiert. Weber hatte am Ende des ersten Aufsatzes versprochen, er werde im zweiten Aufsatz zeigen, wie Ideen in der Geschichte wirksam werden.59 Hat er dieses Versprechen erfüllt? Man kann dies wohl bejahen, denn er beschreibt den Prozeß, in dem Ideen als Teil kultureller Muster internalisiert werden und dabei ihre Wirkungsrichtung verändern, weil die Ideen in Spannung mit den ideellen Interessen der Rezipienten geraten, was zur Reinterpretation dieser ‚Sekte‘“). Ausgangspunkt für diesen kurzen Ausflug in die ansonsten ausgeklammerte Organisationsfrage ist der Gedanke der „believers’ church“. Daran anschließend heißt es: „Das heißt, daß die religiöse Gemeinschaft, die ‚sichtbare Kirche‘ nach dem Sprachgebrauch der Reformationskirchen, nicht mehr aufgefaßt wird als eine Art Fideikommißstiftung zu überirdischen Zwecken, eine, notwendig Gerechte und Ungerechte umfassende, Anstalt, – sei es zur Mehrung des Ruhmes Gottes (calvinistisch), sei es zur Vermittlung von Heilsgütern an die Menschen (katholisch und lutherisch), – sondern ausschließlich als eine Gemeinschaft der persönlich Gläubigen und Wiedergebornen und nur dieser: mit anderen Worten nicht als eine ‚Kirche‘, sondern als eine ‚Sekte‘.“ Der Bewährungsgedanke und die Sektenorganisation sind sich gewissermaßen kongenial. Siehe Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  349, sowie Fn.  126. 57  Ebd., unten, S.  3 04–306. 58  Ebd., unten, S.  3 01 f. 59  Weber, Protestantische Ethik I, S.  214; dazu oben, S.  4 8 mit Anm.  8 6.

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Ideen selbst führt. Weber sucht diesen Vorgang anhand der seelsorgerischen Literatur nachzuweisen, einer Art Responsenliteratur, wie er später sagt, in der sich die Beschwernisse der Gläubigen spiegeln. Auch hier geht er wieder idealtypisch und exemplifizierend vor. Er behandelt die verschiedenen Strömungen des asketischen Protestantismus als eine „Gesamtmasse“ und den englischen Puritanismus als „die konsequenteste Fundamentierung der Berufsidee“, wobei er Richard Baxters „Christian Directory“ als das „umfassendste Kompendium der puritanischen Moraltheologie“ bezeichnet, das „überall an den praktischen Erfahrungen der eigenen Seelsorge orientiert“ sei. Speners „Theologische Bedenken“ und Barclays „Apology“ wolle er nur unter dem Strich vergleichend heranziehen. Wie im Fall der Gnadenwahllehre, wird also auch hier eine Ausprägung, Weber sagt: „unserem Prinzip gemäß“, in den Mittelpunkt gestellt.60 Man kann auch hier wiederum zweifeln, ob Weber bei der Auswahl dieser Literatur eine glückliche Hand hatte. Man fragte beispielsweise, ob angesichts der Tatsache, daß er in seiner Untersuchung hauptsächlich die Erziehungswirkungen der Glaubensvorstellungen im Auge hatte, die puritanische Erziehungsliteratur nicht die bessere Quelle sei.61 Wie auch immer: Die formale Struktur des Erklärungsmodells für Ideenkausalität ist auch heute noch von Interesse. Denn Ideen wirken in der Regel nicht direkt, sondern indirekt. Die Analyse ihrer Wirkung verlangt ein Mehr-Ebenen-Modell mit Sequenzialisierung. Beides ist bei Webers Analyse des innerreligiösen Vorgangs und seines Übergangs zum außerreligiösen tatsächlich nachweisbar.62 Wer im Jahre 1905 die beiden Aufsätze las, durfte eine Fortsetzung erwarten. Denn Weber hatte im zweiten Aufsatz an mehreren Stellen eine Fortsetzung avisiert.63 Ein Diskussionsstrang, der ergänzend hätte eingegliedert werden müssen, betraf zweifellos die Wirkung unterschiedlicher ‚Kirchenverfassungen‘ auf den Erziehungsprozeß, also die institutionelle Seite, ein weiterer die materiellen Interessen, also die Klassenverhältnisse der Gläubigen. Weber entwickelte am Ende des zweiten Aufsatzes gar ein ganzes Programm, aus dem hervorgeht, wie er die Aufsatzfolge tatsächlich fortsetzen wollte.64 Bisher habe er ja nur die Beziehungen behandelt, „in welchen eine Einwirkung religiöser Bewußtseinsinhalte auf das ‚materielle‘ Kulturleben wirklich zweifellos ist“.65 Natürlich sei die kapitalistische Entwicklung auch vor dem 60  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  3 66. Zu den vollständigen Titelangaben das Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur, unten, S.  8 43 f. und 863. 61  Lenhart, Volker, Protestantische Pädagogik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus. – Frankfurt a. M.: Peter Lang 1998. 62  Näheres in Schluchter, Entzauberung, S.  62. 63  Vgl. dazu oben, S.  5 9, Anm.  3 5, sowie im Anhang zur Einleitung, unten, S.  9 0–96. 64  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  423–425. 65  Ebd., unten, S.  424, Fn.  8 6.

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17. Jahrhundert in vielfältiger Weise vom Christentum beeinflußt, doch dies gehöre „in ein späteres Kapitel.“66 Auch was aus der innerweltlichen Berufs­ askese wurde – man sollte dabei die Ursprungs- von der Säkularisierungsund Verbreitungsthese unterscheiden –,67 das zu untersuchen gehörte wohl zu diesem Plan. Der interessante Sachverhalt ist nun: Es ging nicht weiter, jedenfalls nicht so, wie der Leser es erwarten durfte. Weber schreibt zwar am 24. November 1905 an Carl Neumann, der ihm die 2. Auflage seines Buches über Rembrandt übersandt hatte: „ich komme in diesen Wochen zu meinen Studien über Calvinismus p.p. zurück, dann muß ich es erneut lesen, auch wenn ich es nicht ohnehin wollen würde“.68 Aber dies scheint nicht der Beginn einer Fortsetzung der Artikelserie zu sein. Acht Monate später, als Paul Siebeck, aufgrund des Erfolgs der Aufsatzfolge, zum ersten Mal eine „Sonderausgabe des Artikels über ‚Protest[antismus] u. Kapit[alismus]‘“ anregt, was er in den folgenden Jahren oft wiederholt, antwortet Weber gar: „ich muß mir erst überlegen, ob der Art[ikel] nicht umgearbeitet werden müßte.“69 Am 24. März 1907 heißt es denn auch in einem Brief an Paul Siebeck: „irgendwann möchte ich die Sache fortsetzen und dann einmal das Ganze ev. als Buch herausgeben, wenn Sie dazu bereit sind.“70 Irgendwann, aber eben nicht gleich, was man erwartet hätte. Weber setzt die kulturgeschichtliche Analyse der Entstehung des modernen Kapitalismus, seine „(stark theologisch angehauchte) entwicklungsgeschichtliche Arbeit“, wie er gegenüber Willy Hellpach formuliert,71 offensichtlich zunächst nicht fort. Statt dessen arbeitet er an den begonnenen logisch-methodischen Betrachtungen weiter, kommentiert ausführlich die bürgerliche Revolution in Rußland, faßt seine agrargeschichtlichen Studien zur Antike in einer großen Abhandlung zusammen und legt seine Überlegungen zur Psychophysik der industriellen Arbeit vor.72 Schließlich läßt er sich gar zum Ersatz des Handbuchs der politischen Ökonomie von Schönberg überreden, ganz zu schweigen von seiner Bereitschaft, die Deutsche Gesellschaft für Soziologie mit zu gründen und weiterzuentwickeln. Es scheint, als sei er nach der Anstrengung auf einem fremden Gebiet erleichtert, sich wieder auf vertrautem wissen66 Ebd. 67  Dazu die Übersicht in Schluchter, Entzauberung, S.  5 9. 68  Brief Max Webers an Carl Neumann vom 24. November 1905, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3 0, Bd.  4, Bl.  148–149 (MWG II/4). 69  Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 24. Juli 1906, MWG II/5, S.  119. Weitere Äußerungen in diesem Zusammenhang ebd., S.  273, 276, 280, 285, 300, 426, 435 und S.  609. 70  Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 24. März 1907, MWG II/5, S.  273. 71 Brief Max Webers an Willy Hellpach vom 11. August 1905, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  17, Bl.  5 0–51 (MWG II/4). 72  Dazu die Bände I/6, I/7, I/10 und I/11 der Max Weber-Gesamtausgabe.

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schaftlichem Terrain zu bewegen. Bereits am 8. März 1905, also zu einem Zeitpunkt, als der zweite Aufsatz gerade erst in Druck ging, heißt es in dem oben zitierten Brief an den Bruder: „Im Übrigen werde ich froh sein, wieder an methodologische und dann agrarpolitische Studien zu kommen. Die Ausgestaltung des ‚Protestantismus‘ zu einem Buch muß nebenher in langsamem Tempo gehen. Dazu muß ich später noch einmal nach England und den V[ereinigten] Staaten und bis das möglich wird, hat es gute Weile.“73

6.  ‚Kirchen‘ und ‚Sekten‘: Ein Vergleich zwischen den USA und Deutschland Nun ist dieses Bild unvollständig insofern, als Weber im Jahre 1906 eine kirchen- und sozialpolitische Skizze über die Kirchen und Sekten in Nordamerika veröffentlichte. Man sah darin eine Fortsetzung der Artikelfolge über die „Protestantische Ethik und den ‚Geist‘ des Kapitalismus“. Das ist diese Skizze nun allerdings nicht. Hätte Weber sie tatsächlich so verstanden, so hätte er sie wohl kaum in der Frankfurter Zeitung und noch einmal, ein wenig verändert, in der Christlichen Welt veröffentlicht. Zudem ist die darin enthaltene begriffliche Unterscheidung zwischen „Kirche“ und „Sekte“ keineswegs neu. Weber hatte sie bereits in seinem zweiten Aufsatz, im Zusammenhang mit dem zweiten selbständigen Träger der protestantischen Askese, dem Täufertum und seinen sekundären Erscheinungen, verwendet.74 Neu ist der deutsch-amerikanische Vergleich. Dennoch wollte Weber die Grundgedanken des Artikels für eine Fortsetzung verwenden. Als sein Verleger wieder einmal einen Separatdruck vorschlug, unverändert und als erste Lieferung bezeichnet, der dann später eine zweite Lieferung mit einer Einleitung nebst Titel und Inhaltsverzeichnis folgen könnte, antwortete Weber: „Ich würde dagegen sein, den Aufsatz formell als ‚1. Lieferung‘ zu bezeichnen. Vielmehr würde ich lieber in einem kurzen (4 Seiten betragenden) Vorwort klarlegen, daß die Arbeit fortgesetzt werden soll. Ev. würde ich auch am Schluß den Anfang einer Fortsetzung beifügen, welche in einem s.Z. in der ‚Christl[ichen] Welt‘ publizierten Artikel enthalten 73  Brief Max Webers an Alfred Weber vom 8. März 1905, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3 0, Bd.  4, Bl.  5 9–60 (MWG II/4). 74  Strenggenommen müßte man zwischen Kirchen- und Sektengeist sowie Kirchenund Sektenform unterscheiden. Jener wirkt innerlich, dieser äußerlich. Der Sektengeist betont den Gnadenpartikularismus und steigert ihn so sehr, daß auch äußerlich die Erwählten von den Nichterwählten sichtbar getrennt werden müssen. In der Artikelfolge steht eher der innere, beim Sektenaufsatz der äußere Gesichtspunkt im Vordergrund. – Die Unterscheidung zwischen Kirche und Sekte und Andeutungen zur Kulturbedeutung des Sektengeistes finden sich übrigens bereits im Objektivitätsaufsatz. Dazu Weber, Objektivität, S.  6 8.

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ist.“75 Und wenig später heißt es: „Bezüglich der Beifügung des Artikels aus der ‚Chr[istlichen] W[elt]‘ geben Sie mir wohl Freiheit? Ich muß sehen, ob ich ihn passend umarbeiten kann, so daß er den eventl. weiteren Gang des Buches nicht stört.“76 Der Artikel in der Christlichen Welt ist also nicht die versprochene Fortsetzung, wohl aber ein Anfang davon. Was könnte dieser Anfang sein? Wir betonten oben, Weber habe in der Aufsatzfolge die ‚Kirchenverfassungen‘, wie es dort heißt, zunächst bewußt ausgeklammert. Aber diese institutionelle Seite ist für die Erziehung und die äußere Kontrolle der Lebensführung der Gläubigen natürlich zentral. Nun hatte er während seiner USA-Reise, deren Ertrag für seine kulturgeschichtliche Arbeit er im übrigen nicht hoch veranschlagte,77 eine strikte Trennung von Kirche und Staat kennengelernt sowie die Gliederung eines Landes in eine Vielzahl von lokal verankerten Denominationen, aus denen sich im Laufe der Zeit auch eine Vielzahl säkularer voluntaristischer Organisationen entwickelt hatte. Das war geradezu das Gegenbild zu Preußen-Deutschland mit seinem autoritären Staats- und Landeskirchentum. Die USA sei kein „Sandhaufen“ von Individuen, wie manche meinten, so Weber,78 sondern ein organisatorisch reich gegliedertes Gemeinwesen, in dem die soziale Kontrolle des Einzelnen durch seine religiöse Gemeinschaft eine große Rolle spiele. Er müsse etwas leisten, um in sie aufgenommen zu werden, und mit der Aufnahme in die Gemeinschaft werde seine Lebensführung unter die scharfe Kontrolle der Genossen gestellt. Diese Beobachtung bringt Weber dazu, im religiösen Bereich begrifflich sauber zwischen Kirche und Sekte zu unterscheiden. In die Kirche werde man hineingeboren, und die

75  Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 2. April 1907, MWG II/5, S.  276. 76  Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 13. April 1907, MWG II/5, S.  280. 77  Dazu den Brief Max Webers an Helene Weber vom 19. November 1905, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446: „Daß das ‚wissenschaftliche‘ Resultat der Reise für mich zu den Kosten im Verhältnis stände, lässt sich natürlich nicht behaupten. Ich habe für meine Zeitschrift eine erhebliche Zahl interessanter Mitarbeiter gewonnen, bin ganz anders als früher im Stande, die Zahlen der Statistik und die Berichte der Regierungen in den V[ereinigten] Staaten zu verstehen, werde selbst einige Kritiken über Negerliteratur und dgl. schreiben, auch sonst einige kleine Sachen vielleicht, aber für meine kulturgeschichtliche Arbeit habe ich nicht viel mehr gesehen als: wo die Dinge sind, die ich sehen müsste, insbesondere die Bibliotheken, die ich zu benutzen hätte, und die weit über das Land verstreut in kleinen Sekten und Colleges stecken.“ Er spricht dann noch von der Erweiterung des wissenschaftlichen Horizonts und den Langzeitwirkungen, die mit solchen Reisen gewöhnlich verbunden seien. Mit etwas anderer Betonung der Brief an Georg Jellinek, allerdings noch während der Reise geschrieben: „Sehr vieles ist sehr anders hier, als es die Reiseschriftsteller, auch Münsterberg, schildern; ich habe für meine Zwecke viel gesehen.“ Brief Max Webers an Georg Jellinek vom 24. September 1904 (aus St. Louis), BA Koblenz, Nl. Georg Jellinek, Nr.  31 (MWG II/4). 78  Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, unten, S.  4 53 f.

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Mitgliedschaft sei nicht an Leistungen gebunden. In eine Sekte dagegen trete man freiwillig ein, falls man, abhängig von der Erfüllung bestimmter Leistungskriterien, aufgenommen werde. Dann müsse man sich aber im Kreis der Genossen weiterhin bewähren. Die verschiedenen Strömungen des asketischen Protestantismus seien nach dieser Definition alle als Sekten verfaßt. Selbst der Calvinismus, obgleich äußerlich eine Kirche, sei innerlich eine Sekte. Das Sektenprinzip stützte also nach Weber den ‚fundamentalen Bewährungsgedanken‘ auch äußerlich. Weber, der ‚Would-be Englishman‘,79 von seiner Familiengeschichte her eng mit dem anglo-amerikanischen Kapitalismus vertraut,80 sieht in der Sekte eine kulturhistorische Erfindung von größter Tragweite. Auch sie ist, wie schon die Askese, von dem mittelalterlichen Mönchtum vorgeprägt. Aber erst im Zusammenhang mit dem asketischen Protestantismus entfaltete sie ihre volle ökonomische und vor allem auch politische Wirkung. Weber stritt sich mit Adolf Harnack nicht nur über die Rolle des Luthertums in Preußen-Deutschland, sondern auch über die ‚amerikanische Freiheit‘, die ihm offensichtlich etwas anderes als Luthers Freiheit eines Christenmenschen war. Noch mitten in der Arbeit an dem zweiten Aufsatz zur „Protestantischen Ethik“, aber auf dem Hintergrund der frischen USA-Erfahrung, schreibt er an Harnack: „Wir dürfen doch nicht vergessen, daß wir den Sekten Dinge verdanken, die Niemand von uns heute missen könnte: Gewissensfreiheit u. die elementarsten ‚Menschenrechte‘, die uns heut selbstverständlicher Besitz sind. Nur radikaler Idealismus konnte das schaffen“,81 ein radikaler Idealismus in Sektenform. Weber veröffentlichte also zum ersten Mal eher beiläufig eine für ihn grundlegend wichtige begriffliche Unterscheidung, die er dann bis ins Spätwerk hinein ausbaute.82 Ernst Troeltsch übernimmt sie und ergänzt sie um eine dritte Form, die er Mystizismus oder Enthusiasmus nennt. Was darüber hinaus im Sektenaufsatz steht, sagt zwar viel über Webers USA-Verständnis, doch wenig über die Fortführung der Aufsatzfolge. Gewiß, er wollte die publizierte Aufsatzfolge als Buch veröffentlichen und sie dafür revidieren und erweitern,

79  So die Formulierung von Guenther Roth. Dazu Roth, Guenther, Weber the WouldBe Englishman: Anglophilia and Family History, in: Lehmann, Hartmut and Roth, Guenther (eds.), Weber’s ‚Protestant Ethic‘: Origins, Evidence, Contexts. – New York: Cambridge University Press 1993, S.  8 3–121. 80  Roth, Familiengeschichte, bes. Kap. II und XIV. 81 Brief Max Webers an Adolf Harnack vom 12. Januar 1905, Staatsbibliothek zu Berlin PK, Nl. Adolf von Harnack, K. 44, Bl.  1–2 (MWG II/4). Ferner Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus, S.  2 01–316. Siehe auch den Editorischen Bericht zu Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, unten, S.  426–434, und die Einleitung, oben, S.  25 f. 82  In den „Soziologischen Grundbegriffen“ sind dann „Kirche“ und „Sekte“ je eine Unterform von Anstalt bzw. Verein. Weber, Soziologische Grundbegriffe, MWG I/23, S.  210.

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daran besteht kein Zweifel. Aber er schob diese Aufgabe, das jedenfalls sagen die zitierten Dokumente, vor sich her und damit auf die lange Bank. Man kann natürlich darüber nur spekulieren, warum er die begonnene Arbeit nicht zügig weiterführte. Fühlte er sich vielleicht doch auf dem theologischen und religionsgeschichtlichen Gebiet nur als Dilettant? Dafür spräche auch seine Entscheidung, die Einladung von Georg von Below, auf dem Historikertag des Jahres 1906 über sein Thema zu sprechen, abzulehnen und statt seiner Ernst Troeltsch als Redner vorzuschlagen.83 Wäre dies nicht eine günstige Gelegenheit gewesen, seine Gedanken zur Entstehung des kapitalistischen Geistes unter Historikern zu verbreiten? Hatte nicht Werner Sombart diese Gelegenheit drei Jahre zuvor für seinen Modernen Kapitalismus äußerst wirkungsvoll genutzt? Oder hielt er Ernst Troeltsch auf diesem Gebiet einfach für den kompetenteren Forscher? Wenig später, 1908, und erst recht im Rückblick 1920, klingt es so, als sei dies der entscheidende Grund.84

7.  Kritiken und Antikritiken Angesichts der Selbstzweifel Webers, ob es denn tunlich sei, die beiden Aufsätze zur „Protestantischen Ethik“ unverändert außerhalb des Archivs für 83  Brief Max Webers an Georg von Below vom 23. August 1905, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3 0, Bd.  4, Bl.  130 (MWG II/4). Ferner der Editorische Bericht zu: Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus, S.  183 ff. 84  In der zweiten Antikritik zu Fischer aus dem Jahre 1908 heißt es über die geplante Separatausgabe: „Daß ich sie noch nicht vorlegen kann, hat seinen Grund nicht etwa in sachlichen Schwierigkeiten, sondern teils in hier nicht interessierenden persönlichen Umständen, teils in einigen – wie jeder, der das ‚Archiv‘ eines Blickes gewürdigt hat, weiß – weit abliegenden anderen Arbeiten, teils endlich darin, daß mein Kollege und Freund E[rnst] Tröltsch inzwischen eine ganze Reihe von Problemen, die auf meiner Route lagen, in glücklichster Weise von seinem Gedankenkreis aus aufgegriffen hatte, und ich ein unnützes Parallelarbeiten (bei dem ihm die weitaus größere Sachkunde zu Gebote stände) zu vermeiden wünschte.“ Weber, Bemerkungen, unten, S.  5 05 f., Fn.  3. – In die zweite Fassung der „Protestantischen Ethik“ von 1919/20 fügte Weber eine Fußnote ein, die folgendermaßen lautet: „Statt der ursprünglich beabsichtigten unmittelbaren Fortsetzung im Sinn des weiter oben stehenden Programms habe ich mich, teils aus zufälligen Gründen, insbesondere wegen des Erscheinens von E[rnst] Troeltschs ‚Soziallehren der christlichen Kirchen‘ (der manches von mir zu Erörternde in einer Art erledigte, wie ich als Nicht-Theologe es nicht gekonnt hätte), teils aber auch, um diese Ausführungen ihrer Isoliertheit zu entkleiden und in die Gesamtheit der Kulturentwicklung hineinzustellen, seinerzeit entschlossen, zunächst die Resultate vergleichender Studien über die universalgeschichtlichen Zusammenhänge von Religion und Gesellschaft niederzuschreiben.“ Weber, GARS I, S.  2 06, Fn.  1 (MWG I/18). Das „seinerzeit“ und die Resultate universalgeschichtlicher Zusammenhänge können sich allerdings nicht auf den hier diskutierten Zeitraum beziehen. Dazu ausführlich die Einleitung zu MWG I/18.

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Sozialwissenschaft und Sozialpolitik zu veröffentlichen, überrascht es dann doch, mit welcher Verve er sie wenig später gegen Kritiker verteidigte. Vielleicht ist hier tatsächlich ein existentielles Moment mit im Spiel. Diese Kritiker zwangen ihn trotz seiner Interessen an anderen Themenfeldern zurück zu seinen Protestantismusstudien. Die erste Runde von Kritik und Antikritik absolviert er mit H. Karl Fischer, die zweite mit Felix Rachfahl. Der Kampf der Kontrahenten geht jeweils über zwei Runden. Dann bricht er ab. Fischer war auf dem Feld ein Neuling, Rachfahl dagegen ein anerkannter Historiker. Die Einwände von Fischer wogen leicht, die von Rachfahl dagegen schwer. Den Kampf mit Fischer bestimmten methodische, den mit Rachfahl mehr inhaltliche als methodische Fragen. Beiden Kämpfen ist jedoch gemeinsam, daß sich Weber mit seinem Ansatz von seinen Kritikern mißverstanden sieht. Weber konzidiert dabei von Beginn an, daß „philologische Funde meine Ergebnisse jederzeit berichtigen“ können.1 Er erkennt also das Vetorecht der Quellen an.2 Die Tatsachen hätten sich nicht nach der Theorie, sondern „die Theorie nach den Tatsachen zu richten“.3 Was die Tatsachen anbelangt, so hält er Fischer für inkompetent. Bei Rachfahl dagegen sieht die Sache anders aus. Resümieren wir zunächst kurz die Antikritiken zu Fischer. Die entscheidenden Punkte sind schnell genannt. Fischer interpretierte Webers Aufsatzfolge als den Versuch, die „Wahrheit der idealistischen Geschichtsdeutung“ darzutun, und er verband dies sogar mit einer Anspielung auf Hegel.4 Dieser angeblichen idealistischen Geschichtsauffassung stellte er die wirtschaftsgeschichtliche Darstellung Sombarts als Alternative gegenüber, und zog aus der behaupteten Einseitigkeit beider Sichtweisen den Schluß, man brauche eine dritte Position, die in der Psychologie zu finden sei. Wer psychische Zustände wie den Geist des Kapitalismus oder den Geist der Berufspflicht historisch erklären wolle, müsse dies psychogenetisch tun, brauche also eine psychologisch-historische Betrachtungsweise, eine Art Psychohistorie. Außerdem sei die Feststellung eines Zusammenhangs zwischen zwei Erscheinungen, wie er zwischen Konfession und wirtschaftlichem Erfolg zweifellos bestehe, noch keine gültige kausale Erklärung. Um zu einer solchen zu gelangen, hätte 1  Weber, Kritische Bemerkungen, unten S.  479. 2  So, im Anschluß an Reinhart Koselleck, Wolfgang Lienemann, Historia vitae magistra, oder: Was ist kritische Rezeption, in: Hofheinz, Marco et al. (Hg.), Calvins Erbe. Beiträge zur Wirkungsgeschichte Johannes Calvins. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, S.  375 ff. 3  Weber, Kritische Bemerkungen, unten, S.  4 90. 4  Fischer, H. Karl, Kritische Beiträge zu Prof. M. Webers Abhandlung: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, in: AfSSp, 25. Band, 1. Heft, 1907, S.  2 32–242; abgedruckt unten, S.  4 69–477 (hinfort: Fischer, Kritische Beiträge), hier unten, S.  470 und 472.

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Weber alle anderen möglichen Deutungen des Zusammenhangs von Konfession und wirtschaftlichem Erfolg ausschließen müssen.5 Das aber habe er versäumt. Weber reagiert darauf äußerst ungehalten. Vermutlich stört ihn nicht so sehr die undifferenzierte Wiedergabe seines Ansatzes,6 als vielmehr die Aufforderung, eine psychologische Erklärung für das von ihm formulierte Problem zu wählen, also das Heil der Sozial- und Geschichtswissenschaft in der Psychologie zu suchen. Dies weckte bei ihm wohl Reminiszenzen an den Methodenstreit in der Nationalökonomie und an den Lamprechtstreit in der Geschichtswissenschaft. In beiden Fällen ging es um die Frage, ob für die Sozial- und Geschichtswissenschaft eine Psychologie als fundierende Disziplin benötigt werde. Weber hatte dies vehement verneint.7 Die Psychologie sei eine Einzeldisziplin wie jede andere, in ihrem Begriffsapparat noch nicht allzu weit gediehen. Wo sie nützliche Erkenntnisse biete, seien diese zu verwerten, wie die anderer Disziplinen auch. Sie habe aber keine Sonderstellung im Konzert der Disziplinen. Nützliche Erkenntnisse für sein Problem erwartet Weber zudem nur von einer exakten, experimentell arbeitenden psychologischen Forschung, etwa auf dem Gebiet religionspathologischer Phänomene. Er dachte dabei an die Arbeiten von Willy Hellpach und Hans Gruhle, nachrangig auch an die von Sigmund Freud.8 5  Fischer, K. H., Protestantische Ethik und „Geist des Kapitalismus“: Replik auf Herrn Prof. Max Webers Gegenkritik, in: AfSSp, 26. Band, 1. Heft, 1908, S.  270–274; abgedruckt unten, S.  4 94–497 (hinfort: Fischer, Replik), hier unten, S.  4 95 f. 6  Dies natürlich auch. So beklagt Weber, Kritische Bemerkungen, unten, S.  478–485, die Tatsache, daß Fischer ständig zusammenwerfe, was er sorgfältig unterschieden habe: Franklin von Fugger, Luthers Berufsbegriff von dem des asketischen Protestantismus, den Geist von der Form, die Gegenwart vom 17. Jahrhundert, schließlich den materialistischen oder ökonomischen vom idealistischen oder spiritualistischen Gesichtspunkt, unter denen man die historische Wirklichkeit betrachten könne. Auch sei Calvin nicht identisch mit Calvinismus, Calvinismus wiederum nicht mit asketischem Protestantismus, Responsenliteratur, auf die es ankomme, eben keine Erbauungsliteratur. Aber darüber könne man nur mit jemandem diskutierten, der, anders als Fischer, die Quellen kenne. 7  Dazu auch die Fortsetzung des Roscher-Aufsatzes: Weber, Roscher und Knies II, S.  128: Die „zuweilen gehörte Behauptung, daß die ‚Psychologie‘ im allgemeinen oder eine erst zu schaffende besondere Art von Psychologie um deswillen für die Geschichte oder die Nationalökonomie ganz allgemein unentbehrliche ‚Grundwissenschaft‘ sein müsse, weil alle geschichtlichen und ökonomischen Vorgänge ein ‚psychisches‘ Stadium durchlaufen, durch ein solches ‚hindurchgehen‘ müßten, ist natürlich unhaltbar.“ 8 Weber schätzte Hellpach wegen seiner Arbeiten über Hysterie und Nervosität (dazu die Einträge im Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur, unten, S.  8 51). Gruhle konsultierte er im Zusammenhang mit seinen Arbeiten zur Psychophysik. 1907 hatte Weber die wichtigsten Schriften von Freud gelesen und in einem Brief an Else Jaffé vom 13. September 1907, in dem er begründet, weshalb er einen Artikel von Otto Gross, einem Schüler Freuds, für das Archiv ablehne, folgendes Urteil gefällt:

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Darüber hinaus hatte sich Fischer erlaubt, Weber methodische Naivität vorzuwerfen.9 Dieser sehe die methodischen Schwierigkeiten einfach nicht, die sich mit dem Anspruch auf zwingende kausale Zurechnungen verbänden. Dies mußte Weber besonders empören, hatte er doch sein Vorgehen aus seiner Sicht penibel beschrieben und zudem kurz davor im Anschluß an den „ausgezeichneten Physiologen v. Kries“ und an die Strafrechtstheorie unter dem Titel „Objektive Möglichkeit und adäquate Verursachung in der historischen Kausalbetrachtung“ seine Lösung des Zurechnungsproblems in der Geschichtswissenschaft entwickelt.10 Es gehe nicht darum, alle anderen Deutungsmöglichkeiten, wie von Fischer gefordert, auszuschließen, sondern für eine plausibilisierte Deutungsmöglichkeit aus den unendlich vielen Ursachen, die ein zu erklärendes Objekt bewirkt haben, diejenigen zu identifizieren, ohne die diese Wirkung nicht eingetreten wäre. Dies geschehe, auf dem Hintergrund unseres nomologischen und ontologischen Wissens, mittels einer kontrafaktischen Konstruktion („was wäre gewesen, wenn .  .  .“). Habe man auf diesem Wege eine adäquaten Verursachung für ein ‚historisches Individuum‘ gefunden, so suche man nach weiteren Verursachungen, um den kausalen Regreß zu vertiefen und den Zurechnungshorizont Schritt für Schritt zu erwei-

„Gleichwohl unterliegt es keinem Zweifel, daß Freud’s Gedankenreihen für ganze Serien von kultur-, speziell religions-historischen und sittengeschichtlichen Erscheinungen zu einer Interpretationsquelle von sehr großer Bedeutung werden können, – wenn auch freilich, von der Warte des Kulturhistorikers aus abgeschätzt, ganz entfernt nicht von so universeller, wie der sehr begreifliche Eifer und die Entdeckerfreude von Freud und seinen Jüngern dies annimmt.“ MWG II/5, S.  3 95 f. – Webers Stellung zur wissenschaftlichen Psychologie ist sicherlich zum Teil zeitgebunden. Fischers Einwand, Weber benötige bei dem von ihm aufgeworfenen Problem eine psychologisch-historische Betrachtung, war keineswegs unberechtigt (Fischer, Kritische Beiträge, unten, S.  474–476). Faktisch präsentiert Weber denn auch eine solche Betrachtung, wenngleich er sie nicht so nennt. Aber die Sozialisationstheorie, mit deren Hilfe er die Erziehungswirkungen der verschiedenen Konfessionen abschätzt, schließt eine Motivationstheorie ein, die er pragmatisch begründet. Pragmatisch heißt dabei, kausale Zurechnungen mit Hilfe unserer Alltagserfahrung vorzunehmen, was in der Mehrzahl der Fälle völlig ausreichend sei. Es gibt aber keinen Grund, bei der Frage nach der Bildung von Motiven nicht auf die Erkenntnisse der Fachpsychologie zurückzugreifen, und zwar nicht nur bei pathologischen Phänomenen, an die Weber hier in erster Linie denkt. Dies zuzugeben heißt nicht, der Psychologie eine Sonderstellung im Konzert der Wissenschaften einzuräumen. In der Ablehnung „einer ‚Hier­ archie‘ der Wissenschaften nach Comte’schem Muster“ war Weber zweifellos im Recht. Zum Zitat Weber, Max, Die Grenznutzlehre und das ‚psychophysische Grundgesetz‘, in: AfSSp, 27. Band, Heft 2, 1908, S.  5 46–558, hier S.  5 53 (MWG I/12). 9  Besonders Fischer, Replik, unten, S.  4 96. 10  Weber, Max, Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik, in: AfSSp, 22. Band, Heft 1, 1906, S.  143–207 (MWG I/7), bes. II. Teil: „Objektive Möglichkeit und adäquate Verursachung in der historischen Kausalbetrachtung“, S.  185 ff., Zitat: S.  188.

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tern. So sei er in seiner Untersuchung vorgegangen, und weitere solche Schritte habe er ausdrücklich vorgesehen.11 Weber stellt noch einmal klar, was er als seine Hauptthese bezeichnet: daß die verschiedenen Richtungen des asketischen Protestantismus mit ihrer Lehre und Praxis die Lebensführung ihrer Anhänger beeinflußt haben, und, daß dieser Einfluß unabhängig von variierenden politischen, ökonomischen, geographischen und ethnischen Bedingungen, vor allem aber unabhängig „von dem Maß der Entwicklung des Kapitalismus als Wirtschaftssystem“, in die gleiche Richtung ging.12 All dies habe mit ‚idealistischer Geschichtsschreibung‘ nichts zu schaffen. Weber prognostiziert, „daß, wenn meine Untersuchungen einmal zu Ende kommen sollten, ich zur Abwechslung ganz ebenso entrüstet der Kapitulation vor dem historischen Materialismus geziehen werde wie jetzt der Ideologie.“13 Weber hatte den kleinen Strauß mit Fischer auf heimischem Territorium ausgefochten: Kritiken und Antikritiken erschienen im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Bei der Auseinandersetzung mit Felix Rachfahl war es anders. Dieser wählte die von Paul Hinneberg herausgegebene Internatio­ nale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik für seinen Angriff. Rachfahl beschränkte sich auch nicht auf eine Rezension, sondern schrieb einen Gegenentwurf von nahezu derselben Länge, wie Webers zweiter Aufsatz war. Schon dies schafft eine ungewöhnliche Ausgangslage. Rachfahl benutzt das Calvin-Jahr für seinen Angriff und beschränkt sich nicht auf die Auseinandersetzung mit Weber, sondern bezieht auch Forscher mit ein, die aus seiner Sicht ähnliche Auffassungen vertraten, insbesondere Ernst Troeltsch.14 Vom Troeltsch-Weberschen Schema,15 dann von der Troeltsch-Weberschen These ist die Rede, die es zu überwinden gelte.16 Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob die religiösen Faktoren, insbesondere 11  Weber, Bemerkungen, unten, S.  5 04–507. 12 Ebd., unten, S.  503. Weber nennt als Gebiete, auf denen sich diese gleiche Wirkungsrichtung im 17. Jahrhundert nachweisen lasse, Neu-England, die deutsche Diaspora, Südfrankreich, Holland, England, Irland, Friesland und „zahlreiche andere deutsche Gebiete“. 13  Ebd., unten, S.  5 09 f., Fn.  5. 14 Neben Ernst Troeltsch rechnet Rachfahl auch Eberhard Gothein und Hans von Schubert zu dieser (Heidelberger) Richtung. Dazu Rachfahl, Felix, Kalvinismus und Kapitalismus, in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, hg. von Paul Hinneberg, 3. Jg., Nr.  3 9 vom 25. Sept. 1909, Sp.  1217–1238, dass. (Fortsetzung), Nr.  4 0 vom 2. Okt. 1909, Sp.  1249–1268; dass. (Fortsetzung), Nr.  41 vom 9. Okt. 1909, Sp.  1287–1300; dass. (Fortsetzung), Nr.  42 vom 16. Okt. 1909, Sp.  1319– 1334; dass. (Schluß), Nr.  4 3 vom 23. Okt. 1909, Sp.  1347–1367; abgedruckt, unten, S.  521–572 (hinfort: Rachfahl, Kalvinismus), hier unten, S.  522 f. Siehe auch unten, S.  8 0 f., Fn.  4 0. 15  Rachfahl, Kalvinismus, unten, S.  5 56. 16  Ebd., unten, S.  5 57.

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die religiösen Lehren, tatsächlich den Einfluß auf die reale Entwicklung hatten, der ihnen von Troeltsch und Weber angeblich zugeschrieben wird. Die Kritik lautet, daß diese Wirkung von beiden maßlos überschätzt werde, weil sie nicht in Rechnung stellten, „wie wenig sich die politische, wirtschaftliche und weltliche Entwicklung überhaupt durch religiöse Lehren binden läßt, wenn diese das rein religiöse Gebiet überschreiten.“17 Es ist also auch das methodische Problem der Gewichtung von Kausalfaktoren mit im Spiel. Rachfahl bestreitet dabei nicht, daß historisch zwischen Calvinismus und Kapitalismus innere Beziehungen bestanden haben. Es gelte aber, „quellenmäßig den Nachweis ihrer Existenz zu führen, sowie ihre besondere Art und ihren Umfang zu ermitteln“.18 Dies sei aber weder bei Troeltsch noch bei Weber zureichend geschehen. Rachfahl macht dabei den einen für den anderen haftbar. Ingesamt seien die Nachweise, die beide für den Einfluß des Calvinismus auf die kapitalistische Entwicklung beibrächten, nicht nur „spärlich und unzulänglich“, sondern auch oft „zweideutig, unbestimmt und widerspruchsvoll.“19 Rachfahl sucht dies an den Beispielen Frankreich, Holland, England und den USA zu zeigen. Letztlich führe das genaue Studium der jeweiligen historischen Situation zumindest für Holland und England zu dem Schluß, „daß das Auftreten des Kapitalismus älter ist als die ‚asketischen Richtungen‘ der Reformation“.20 Außerdem sei auch der kapitalistische Geist, richtig verstanden, älter als die asketischen Richtungen des Protestantismus.21 Alles laufe, insbesondere bei Weber, auf eine ungeheuerliche „Einseitigkeit und Übertreibung“ hinaus.22 Rachfahl macht dafür auch methodische Gründe namhaft. Es sei die idealtypische Begriffsbildung, die eine solch verzerrte Wahrnehmung der historischen Wirklichkeit begünstige. Denn durch diese Art der Begriffsbildung würden „alle anderen wirklich vorhandenen Momente zugunsten eines einzigen eliminiert“, das man dann zum konstitutiven Faktor erkläre. Weber habe auf diese Weise ein einziges Motiv „künstlich und sinnwidrig isoliert“ und es für die ganze historische Wirklichkeit genommen. Sehe man aber auf den Unternehmer neuen Stils – eine Anspielung auf Sombart – „wie er wirklich ist, nicht durch die Brille des ‚idealtypischen Begriffs‘ Webers, so wird man, was seine Stellung zu den Kulturgütern anbelangt, mehr Ähnlichkeit zwischen ihm und dem ‚Frühkapitalisten‘ im Zeitalter und unter dem Einflusse der Renais-

17  Ebd., unten, S.  5 57. 18  Ebd., unten, S.  5 43. 19  Ebd., unten, S.  5 44. 20  Ebd., unten, S.  5 51. 21  Ebd., unten, S.  5 53. 22  Ebd., unten, S.  5 55.

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sance entdecken, als mit dem Kapitalisten, der unter der Herrschaft ‚reformierter Askese‘ steht.“23 Rachfahls Gegenentwurf besteht denn auch hauptsächlich darin, die ideal­ typische Begriffsbildung zu verwerfen und den nichtreligiösen Faktoren ein größeres Gewicht für die Erklärung der Entstehung des Kapitalismus zuzumessen. Die religiösen Faktoren hätten allenfalls eine fördernde, eine bloß verstärkende Wirkung auf eine bereits stattfindende Entwicklung ausgeübt. Strenggenommen ist dies das Argument von Sombart. Er hatte behauptet, die religiösen Faktoren seien nicht ursächlich, sondern sie verstärkten nur eine schon vorhandene Entwicklung – eine Auffassung, die Weber mit seinen Studien gerade korrigieren will. Freilich geht Rachfahl noch einen Schritt weiter. So wichtig die Berufsethik der Reformierten auch sei, noch wichtiger sei das Prinzip religiöse Toleranz. Es spiele hauptsächlich in Holland eine Rolle, schon abgeschwächter in England. Der Beachtung dieses Prinzips sei es letztlich zuzurechnen, daß diese beiden Länder vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zu den Hauptträgern des Kapitalismus unter den protestantischen Völkern geworden seien.24 Besonders an Holland könne man dies studieren. Aber selbst die Republik der Vereinigten Niederlande sei von einem rein calvinistischen Gemeinwesen immer noch weit entfernt gewesen. Denn hier habe Calvin mit Erasmus im Streit gelegen, und selbst die Dordrechter Synode habe „keinen wirklichen, geschweige denn einen dauernden Sieg“ des Calvinismus gebracht.25 Weber reagierte auf diese fundamentale Kritik an seinem Ansatz nicht in der Internationalen Wochenschrift, sondern im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Denn die Redaktion der Wochenschrift hatte eine Antwort auf Rachfahls Kritik nicht von ihm, sondern nur von Ernst Troeltsch erfragt. Weber ärgerte sich natürlich darüber, auch, daß er als Teil eines Kollektivs Troeltsch-Weber behandelt wurde. Bei seinem starken Autonomiebedürfnis und gesteigerten Ehrgefühl mußte ihn beides verletzen. Er läßt denn auch alle kollegialen Rücksichten fallen und setzt zu einer scharfen Gegenpolemik an. Weber konstatiert: Schon die Überschrift von Rachfahls Polemik zeige die Schiefheiten, mit denen er arbeite. Mit der Formulierung ‚Kalvinismus und Kapitalismus‘ nehme er einerseits eine „willkürliche Beschränkung des Themas“ vor.26 Er, Weber, habe nicht nur über Calvinismus, sondern über den asketischen Protestantismus mit seinen vielen Verzweigungen gesprochen. Andererseits liegt für ihn aber auch eine willkürliche Erweiterung des Themas vor. Denn Rachfahl tue so, als habe er neben der seelischen Seite der modernen Wirtschaftsentwicklung auch die institutionelle aus religiösen Zusammen23  Ebd., unten, S.  5 54. 24  Ebd., unten, S.  5 60. 25 Ebd. 26  Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, unten, S.  5 84.

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hängen erklären wollen, nicht nur einen konstitutiven Bestandteil des kapitalistischen Geistes, die Idee der Berufspflicht, sondern auch das kapitalistische Wirtschaftssystem. Dabei habe er doch ausdrücklich betont, „daß es sowohl ‚kapitalistischen Geist‘ ohne kapitalistische Wirtschaft (Franklin) wie auch das Umgekehrte gegeben“ habe.27 Im Übrigen habe er anhand der verschiedenen Strömungen des asketischen Protestantismus nur versucht, die „spezifischen Wirkungen eines bestimmten Motivs“ darzustellen, durch welches Beruf, Leben und Ethik zu einem eigentümlichen Ausgleich gebracht worden seien, einem Ausgleich, der in dieser Art weder in der Antike noch im Mittelalter bestanden habe und auch heute fehle, wo wir erneut in Spannungen lebten, „die – weit über den Kreis der von mir herausgegriffenen Sphäre hinaus – sich zu Kulturproblemen ersten Ranges auswachsen, wie sie, in dieser Art, nur unsere ‚bürgerliche‘ Welt kennt.“28 Weber wiederholt dabei nur bereits Gesagtes, will sich mit Rachfahl auch nicht weiter auseinandersetzen, weil dieser keinen eigenen Standpunkt habe, und er schließt mit der Feststellung: „Die Entwicklung des ‚Berufsmenschentums‘ in seiner Bedeutung als Komponente des kapitalistischen ‚Geistes‘, – auf dies Thema haben sich meine Auseinandersetzungen zunächst ausdrücklich und absichtsvoll beschränkt. Ich kann absolut nichts dafür, wenn liederliche Leser dies zu ignorieren für gut befinden.“29 Liederliche Leser, das trifft freilich nicht nur auf Rachfahl zu. Es war nicht zu erwarten, daß es bei diesem Schlagabtausch bliebe. Denn auch Troeltsch hatte geantwortet,30 und Rachfahl schwang sich zu einer Kritik der Antikritik von abermals beachtlicher Länge auf. Er suchte zwar seine Behauptung von der Troeltsch-Weber-These, jetzt Weber-Troeltsch-Hypothese genannt,31 zu verteidigen, indem er die wechselseitige Abhängigkeit der beiden Autoren erneut darzulegen suchte. Aber er trennte dann die Auseinandersetzung mit Troeltsch von der mit Weber. Letztere nimmt wiederum den größten Raum der in drei Teile gegliederten Abhandlung ein.32 27  Ebd., unten, S.  6 02. 28  Ebd., unten, S.  6 05 f. 29  Ebd., unten, S.  617 f. 30  Troeltsch, Ernst, Die Kulturbedeutung des Calvinismus, in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, hg. von Paul Hinneberg, 4. Jg. – Berlin: August Scherl, Nr.  15 vom 9. April 1910, Sp.  449–468; Nr.  16 vom 16. April 1910, Sp.  501–508 (hinfort: Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus); dass. auch in: Troeltsch-KGA 8, S.  143–181, dazu auch die Einleitung von Trutz Rendtorff, ebd., S.  31 ff. 31  Rachfahl, Felix, Nochmals Kalvinismus und Kapitalismus, in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, hg. von Paul Hinneberg, 4. Jg., 1910, Nr.  22 vom 28. Mai, Sp.  689–702; dass. (Fortsetzung), Nr.  23 vom 4. Juni, Sp.  717–734; dass. (Fortsetzung), Nr.  24 vom 11. Juni, Sp.  755–768; dass. (Schluß), Nr.  25 vom 18. Juni, Sp.  7 75–796; abgedruckt unten, S.  625–664 (hinfort: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus), hier unten, S.  627. 32  Ebd., unten, S.  6 37–664.

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Nachdem er die ‚Kollektivarbeit‘ qualifiziert 33 und die „Abrechnung“ mit Troeltsch für vollzogen erklärt hat,34 behandelt Rachfahl noch einmal drei Punkte zu Weber. Schließlich sagt er noch, wie dieser hätte vorgehen müssen, um zu einem brauchbaren wissenschaftlichen Ergebnis zu kommen. Die drei Punkte sind schnell abgehandelt. 1. Nach Rachfahl ist die protestantische Askese historisch eine Fehldeutung, denn der Protestantismus habe die mittelalterliche Askese nicht fortgebildet, sondern als Sondermoral verworfen.  2. Toleranz sei für die kapitalistische Entwicklung wichtiger als Berufsethik, wenngleich auch sie nur als fördernder, verstärkender Faktor infrage komme. 3. Webers Definition des kapitalistischen Geistes sei so eng, daß es bei ihm „unendlich viel Kapitalismus gibt, der ohne kapitalistischen Geist entstanden sein müßte, und daß sein ‚kapitalistischer Geist‘ eben nicht imstande ist, die Kapitalsbildung und das kapitalistische Wirtschaftssystem der Neuzeit auch nur annähernd zu erklären, daß er ihm weiterhin einen viel zu großen Einfluß auf diesem Gebiete zugeschrieben hat.“35 Und noch einmal zusammengefaßt zur Weber-Troeltsch- oder Troeltsch-Weber-These: Beide hätten „die Bedeutung des Kalvinismus, sowohl des genuinen als auch des puritanischen, für die Entwicklung des ‚Geschäftslebens‘“ einfach übertrieben, und man müsse einsehen, „daß vielmehr als Träger des kapitalistischen Geistes und der Kapitalbildung libertinistische, rationalistische, indifferente und aufklärerische Elemente in viel größerem Umfange in Betracht kommen, als man nach diesen beiden Autoren annehmen sollte.“36 Überhaupt hätte Weber aus Rachfahls Sicht anders vorgehen müssen. Zunächst hätte dies eine klare Formulierung seiner These (Aufgabe) verlangt. Diese hätte folgendermaßen aussehen können (müssen): „es hat sich unter dem Einfluß reformierter Berufsethik eine bestimmte Abart kapitalistischen Geistes im Lauf der Neuzeit entwickelt; ich will ihren Ursprung, die Grenzen ihrer Expansion feststellen, sowie der Frage der qualitativen Prägung nachgehen, d. h. zu ermitteln trachten, ob der kapitalistische Geist, der das kapitalistische Wirtschaftssystem der Gegenwart geschaffen hat (sic), aus dieser Quelle bestimmte Züge empfangen hat, die für sein Wesen von ‚konstitutiver‘ Bedeutung geworden sind.“37 Man sieht an dieser Formulierung, wie wenig Rachfahl tatsächlich Webers Ansatz begriffen hatte. Auch wies Weber ja bereits am Ende des zweiten 33 Rachfahl bestreitet, überhaupt von Kollektivarbeit gesprochen zu haben: „Ich habe diesen Ausdruck nie gebraucht, und noch viel weniger ist es mir eingefallen, eine ‚Kollektivarbeit‘ der beiden Autoren in irgendeinem anderen Punkt als eben in der sogenannten ‚Weber-Troeltschschen Hypothese‘ zu behaupten.“ Ebd., unten, S.  627. 34  Ebd., unten, S.  6 37. 35  Ebd., unten, S.  6 51. 36  Ebd., unten, S.  6 44. 37  Weber, Antikritisches Schlußwort, unten, S.  6 54.

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Aufsatzes zur „Protestantischen Ethik“ ausdrücklich darauf hin, man müsse auch die Herkunft der „anderen plastischen Elemente der modernen Kultur“ untersuchen, wolle man das Maß der Kulturbedeutung abschätzen, das dem asketischen Protestantismus zukomme.38 Kandidaten für eine solche Erweiterung des Zurechnungshorizonts unter einem ‚spiritualistischen‘ Gesichtspunkt sah er im humanistischen Rationalismus, im philosophischen und wissenschaftlichen Empirismus und im Utilitarismus, der die religiös fundierte innerweltliche Askese auflöse und durch eine säkulare Begründung ersetze. Rachfahl rennt also offene Türen ein, wenn er die Berücksichtigung nichtreligiöser Momente für die Erklärung eines Teils der modernen Kultur reklamiert. Weber erwähnt darüber hinaus die Rolle der variierenden sozialen Gemeinschaften und die andere Seite der Kausalbeziehung. Denn es sei für ein einigermaßen vollständiges Bild wichtig, die Art zu untersuchen, „wie die protestantische Askese ihrerseits durch die Gesamtheit der gesellschaftlichen Kulturbedingungen, insbesondere der ökonomischen, in ihrem Werden und ihrer Eigenart beeinflußt“ wurde.39 Angesichts dieses eindeutigen Sachverhalts nimmt es nicht Wunder, wenn Weber sich verärgert darüber zeigt, daß sein Kontrahent einfach nicht sehen wolle, wie er seine Aufgabe absichtsvoll begrenzt habe. Und dies nicht ex post, sondern vom Beginn an.40 Auch dies ist ihm freilich 38  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  424 f. 39  Ebd., unten, S.  424. 40  Rachfahl betont am Ende seiner zweiten Kritik noch einmal, es sei eben kein Zufall, daß das, was Weber (er unterstellt: erst jetzt) als eine Teilerscheinung bezeichne, von den meisten seiner Leser für das Ganze genommen werde, selbst von seinen Freunden und Anhängern. Als ‚Beweis‘ nennt er Eberhard Gothein, Ernst Troeltsch und Hans von Schubert. Dabei kümmert es ihn wenig, daß Gotheins Arbeit vor der von Weber erschienen war und daß von Schubert in seinem Festvortrag aus Anlaß der Calvin-Gedächtnisfeier der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg am 11. Juli 1909 Weber nur in einem Satz am Ende seiner Rede erwähnte. Aus Webers Insistieren darauf, daß er seinen Erkenntnisanspruch von Beginn an eingeschränkt habe, konstruiert Rachfahl gar eine Desavouierung seiner Freunde und Anhänger. Siehe Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, unten, S.  6 60 f. Mit den drei Namen hatte er bereits in seiner ersten Kritik operiert. Siehe Rachfahl, Kalvinismus, unten, S.  522 f., sowie dazu oben, S.  75, Anm.  14. – Ähnlich verfährt Rachfahl auch mit der Arbeit von Gerhart von Schulze-Gaevernitz, um seine Behauptung, Weber habe nicht nur eine Teilerscheinung untersucht, sondern das Ganze behandelt, zu belegen. SchulzeGaevernitz veröffentlichte 1906 eine große Studie über Englands Aufstieg zur Weltmacht. Darin sucht er auch die vom Puritanismus geprägte mentale Seite der englischen Entwicklung seit dem 17. Jahrhundert nachzuzeichnen. In diesem Zusammenhang bezeichnet er die Webersche Aufsatzfolge als vorbildlich. Weber habe die Bedeutung des „Evangeliums der Berufsarbeit “ entschlüsselt. Es genüge, „auf diese ausgezeichnete Arbeit hier zu verweisen, aus der auf das deutlichste hervorgeht, wie die ‚innerweltliche Askese‘ des Puritanismus es war, welche Arbeitgeber und Arbeiter für das Industriezeitalter heranbildete.“ Schulze-Gaevernitz gilt Webers Aufsatzfolge als ein „bewunderungswürdiges Zeugnis deutscher Gelehrsamkeit“. Siehe SchulzeGaevernitz, Gerhart von, Britischer Imperialismus und englischer Freihandel zu Be-

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nicht nur im Falle Rachfahl widerfahren. Ein Großteil der sogenannten Kontroversliteratur zur sogenannten Weber-These basiert darauf. Webers „Antikritisches Schlußwort“, mit dem er die Debatte mit Rachfahl beendet, bringt denn auch nichts entscheidend Neues.41 Rachfahls Toleranzthese, den einzigen inhaltlichen Gedanken, wie Weber sagt, den dieser zu der Debatte beizusteuern hatte, weist er zurück.42 Denn ob toleriert, selbst tolerant oder intolerant, ob herrschend oder unterdrückt, in all diesen Konstellationen habe der asketische Protestantismus seine spezifischen Wirkungen ginn des zwanzigsten Jahrhunderts. – Leipzig: Duncker & Humblot 1906, S.  4 6 bzw. S.  412. (hinfort: Schulze-Gaevernitz, Britischer Imperialismus). Rachfahl, Kalvinismus, behauptet nun, die Darstellung von Schulze-Gaevernitz sei „ganz beherrscht von der Weberschen These“ (unten, S.  5 49, Fn.  25), woran man abermals erkennen könne, wie umfassend diese These gemeint sei, wenn man sie so, wie im Fall von Schulze-Gaevernitz geschehen, rezipieren könne, eine Argumentation, die Weber schon allein deshalb erbost haben muß, weil er seinen eigenen Ansatz mit dem von Schulze-Gaevernitz keineswegs identifiziert sehen wollte. So heißt es in einem Brief an seinen Bruder Alfred vom 30. Januar 1907: „Was den Schulze-Gävernitz’schen ‚Imperialismus‘ anlangt, so bin ich insoweit natürlich Deiner Ansicht, als diese Übertreibungen von Ansichten, die ich auch vertrete, in der That notwendig diesen Ansichten selbst schaden müssen, so glänzend das Buch ist.“ MWG II/5, S.  2 36. Rachfahl betreibt also, im Sinne von Arthur Schopenhauer, eine rabulistische Strategie der Erweiterung: „Die Behauptung des Gegners wird über die natürliche Grenze hinausgeführt, also in einem weiteren Sinne genommen, als er beabsichtigt oder sogar auch ausgedrückt hat, um sie sodann in solchem Sinne bequem zu widerlegen.“ Dazu Schopenhauer, Arthur, Parerga und Paralipomena. Kleine philosophische Schriften II. – Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1976, S.  3 9. 41  Anders urteilt Wilhelm Hennis. Weber habe erst hier seine mit den beiden Aufsätzen verbundene wahre Absicht preisgegeben. Deshalb sei Rachfahl dafür zu danken, „daß er durch sein unverdrossenes Insistieren Weber zur präziseren Offenlegung seiner wissenschaftlichen Absichten zwang“. Siehe Hennis, Wilhelm, Max Webers Fragestellung. Studien zur Biographie des Werks. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1987, S.  17. Zuvor habe Weber ein Versteckspiel getrieben, indem er seine „‚zentralen‘ Absichten“ verwischte. Erst im Herbst 1910 habe er sie „in voller Unschuld“ dargetan. Dies aber hätte er, so Hennis, doch – „‚gefälligst‘ möchte man in seinem Tone sagen – schon im November 1904 eingangs seines ersten Aufsatzes sagen können, statt sich über die badische Berufs-, Konfessions- und Steuerstatistik an das Thema heranzuschlängeln. Es grenzt an Unverfrorenheit, wenn er jetzt, sechs Jahre später, zum ersten Mal damit herausrückt, ‚das‘, nämlich, daß ihn ‚zentral‘ ‚die Entwicklung des Menschentums‘ interessiert habe“ (S.  2 2) – und nicht der kapitalistische Geist. Daß es die Entwicklung des Menschentums war, wird man freilich auch im Antikritischen Schlußwort schwerlich finden. Denn Weber spricht nicht vom Menschentum allgemein, sondern vom Berufsmenschentum. Hennis hält übrigens die beiden Aufsätze unter didaktischen Gesichtspunkten für gründlich mißlungen. Sie seien „für einen Durchschnittsansprüche stellenden Leser, der sich eine einführende Problemskizze, umrißartige Kennzeichnung des Untersuchungsgegenstandes, Hinweise auf die Art des Vorgehen wünscht, eine Katastrophe“. Ebd., S.  16. 42  Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, unten, S.  5 85; ders., Antikritisches Schlußwort, unten, S.  6 84–692.

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entfaltet. Insofern sei die Existenz von Toleranz oder Intoleranz für die Erklärung des ‚historischen Individuum‘, das Weber interessierte, um in seiner Terminologie zu sprechen, keine ‚adäquate Verursachung‘.43 Man kann den zweiten Teil des „Antikritischen Schlußworts“ als eine griffige Zusammenfassung der Aufsatzfolge lesen, obgleich Weber es insgesamt als Dokument einer „Keilerei“ bezeichnet.44 Durch Rachfahl herausgefordert, erläutert Weber noch einmal sein Vorgehen45 und fügt den alten Überlegungen zwei neue ergänzend hinzu. Die eine hängt mit den Erfahrungen der USA-Reise zusammen und betrifft die begriffliche Unterscheidung zwischen Kirche und Sekte für die Abschätzung der Wirkung religiöser Institutionen.46 Die andere betrifft die Tatsache, daß Weber inzwischen auch von antikem Kapitalismus spricht. Diese Einsicht hatte er bei seiner Arbeit über die Agrarverhältnisse im Altertum gewonnen.47 Kapitalismus ist also nicht mehr nur ein vorwiegend neuzeitliches, er ist ein universalgeschichtliches Phänomen.48 Umso wichtiger ist es, das Spezifische des modernen Kapitalismus nach ‚Geist‘ und ‚Form‘ herauszuarbeiten, um ihn von anderen Kapitalismen zu unterscheiden. Deshalb rückt neben der alten Frage nach den Modifikationen in der Wirkung des asketischen Protestantismus in seinen verschiedenen Verbreitungsgebieten die nach den Arten des Kapitalismus (Altertum, Mittelalter, Neuzeit) jetzt stärker als zuvor in den Blick.49 Weber modifiziert denn auch das Programm für die Fortführung der Aufsatzfolge, die ja, wie von ihm immer wieder betont, schließlich in ein Buch münden sollte. Er spricht von den „wirklich dringendsten Fragen“, die er beantworten müsse. Es seien drei: 1. die „sehr viel tiefer ins einzelne zu verfolgende Differenzierung der Wirkungen calvinistischer, täuferischer, pietis43  Weber hatte sich übrigens zur Rolle des Toleranzprinzips bereits im zweiten Aufsatz geäußert. Siehe Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  311–314, Fn.  78. 44  Brief Max Webers an Karl Vossler vom 11. und 14. Dezember 1910, MWG II/6, S.  740: „Ich bin sehr beschämt, Ihnen nichts Werthvolles als Äquivalent schicken zu können. Die gleichzeitig geschickte Rachfahl-Keilerei ist sehr unerfreulich.“ Vossler hatte Weber unter anderem sein Buch über Dante geschickt, das dieser im Detail bespricht und mit dem Urteil versieht, er, Weber, habe „noch nie etwas über Dante gelesen, was auch nur von ferne an den Reichtum, die Präzision und Sauberkeit des Auffassens und der sprachlich-stilistischen und gedanklichen Gestaltung, die congeniale Erfassung des Kerns der dichterischen Schöpfung und ihre Vermittlung an den Leser heranreichte, wie ich sie bei Ihnen finde.“ (ebd.). 45  Weber, Antikritisches Schlußwort, unten, S.  710 f., wobei die Punkte 1–5 die Problemstellung, die darauf folgenden Punkte 1–2 die Problemlösung betreffen. 46  Ebd., unten, S.  715 ff. 47  Dazu Weber, Agrarverhältnisse 3 , MWG I/6, bes. S.  713 ff. Weber trug diese These von der Existenz eines antiken Kapitalismus zuerst im Eranos-Kreis vor. Es war dort sein zweiter Vortrag. Zu Weber, Kapitalismus im Altertum, auch oben, S.  40 mit Anm.  58. 48  Schluchter, Entzauberung, Kap. IV, und ders., Einleitung zu MWG III/6, Abschnitt 2. 49  Dazu etwa Weber, Antikritisches Schlußwort, unten, S.  737–739.

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tischer Ethik auf den Lebensstil“; 2. eine eingehende Untersuchung „der Ansätze ähnlicher Entwicklungen im Mittelalter und im antiken Christentum, soweit die Arbeiten von Troeltsch hier noch Raum lassen“; 3. die Betrachtung der anderen Seite der Kausalbeziehung, der ökonomischen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, wie das Bürgertum oder Teile desselben eine Affinität zu dem asketischen Lebensstil entwickelten.50

8.  Ausblick: Über den asketischen Protestantismus hinaus? Weber verwirklichte weder das erste noch das zweite Fortsetzungsprogramm in den folgenden Jahren. Auch der separaten Veröffentlichung des bereits Geschriebenen verweigerte er sich. Wie weit er mit der Arbeit am ersten Fortsetzungsprogramm vor 1910 vorangekommen war, das ja mit dem Punkt 1 des zweiten Fortsetzungsprogramms weitgehend übereinstimmt, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Am 27. Juli 1908 schreibt er an Paul Siebeck, die Arbeit am „Capitalismus“ sei „schon ziemlich gefördert“.51 Aber da steckt er noch mitten in der Arbeit an seiner „Psychophysik“. Zudem scheint sich sein Forschungsinteresse auf dem Gebiet der Religion vom asketischen Protestantismus auf andere Erscheinungen des Christentums zu verlagern. Wann genau dies geschieht, ist ebenfalls ungewiß. Bereits im zweiten Fortsetzungsprogramm ist eine historische Erweiterung in dieser Hinsicht zu erkennen. Für das Problem der Lebensführung ist vom Rückgang auf das Urchristentum und auf die Zeit bis zur Reformation die Rede. Dabei kommt neben dem lateinischen auch das orthodoxe Christentum in den Blick. Dies ist sicherlich Folge von Webers Beschäftigung mit der bürgerlichen Revolution in Rußland. Wichtige institutionelle Erfindungen, die den Kapitalismus förderten, hatte Weber schon immer auch in der vorreformatorischen Zeit gesehen. Das Erkenntnisinteresse richtet sich also inzwischen auf einen weiteren Zeithorizont. Dies wird auch aus einem Diskussionsbeitrag Webers auf dem Deutschen Soziologentag 1910 deutlich. Hier hält Ernst Troeltsch einen Vortrag über das stoisch-christliche und das moderne, profane Naturrecht.52 Ferdinand Tönnies kommentiert diesen Vortrag mit einer langen Einlassung, und Max Weber erwiderte darauf. Er verteidigte dabei indirekt den Heidelberger Kollegen. Hier wird noch einmal die alte Fachmenschenfreundschaft lebendig, die wenige Jahre später zerbricht.53 50  Ebd., unten, S.  735. 51  Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 27. Juli 1908, MWG II/5, S.  6 09. 52  Troeltsch, Ernst, Das stoisch-christliche und das moderne profane Naturrecht, in: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.–22. Oktober in Frankfurt a. M. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1911, S.  166–192. (hinfort: Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht). 53  Bezeichnend Webers Urteil über Troeltschs Vortrag gegenüber Franz Eulenburg,

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Troeltsch unterstreicht im Kreis der Soziologen die Eigenlogik religiöser Ideen. Er spricht vom christlichen Idealgesetz, das in einem spannungsreichen Verhältnis zu nichtchristlichen Idealen und zu den Natur- und Sozialgesetzen stehe. Dieses christliche Idealgesetz werde von den sich wandelnden Weltzuständen beeinflußt, gestalte sich aber selber. Troeltsch nennt dies die „soziologische Selbstgestaltung der christlichen Idee.“54 Das Idealgesetz des Urchristentums verbinde Individualismus mit Sozialismus, den Wert jeder Einzelseele mit dem Wert der in Liebe verbundenen Gemeinschaft aller. Dieses Idealgesetz treibe im Laufe der Entwicklung drei Sozialtypen hervor. Es sind die Typen Kirche, Sekte und Mystik (oder Enthusiasmus). Sie seien im Urchristentum noch nicht ausdifferenziert und gegeneinander profiliert. Diese drei Typen gestalteten das Gott-Mensch-Verhältnis und die „Auseinandersetzung mit den natürlichen Notwendigkeiten und den außerchristlichen Idealen des sozialen Lebens verschieden.“55 Die erste und wichtigste Gestaltung sei die der Kirche, die das absolute christliche Naturrecht mit dem relativen Naturrecht der Stoa zum stoisch-christlichen Naturrecht verbinde, um ihr Verhältnis zur Welt zu regulieren. Auch der Altprotestantismus mit den beiden Konfessionen Luthertum und Calvinismus und selbst die Sekten folgten zunächst dem dadurch vorgezeichneten Weg. Allerdings hätten sie das mittelalterliche Erbe in unterschiedlicher Weise weiterentwickelt. Nur der dritte Typus, die Mystik, habe mit dem stoisch-christlichen Naturrecht so gut wie nichts tun. Im 18. Jahrhundert löse sich das Naturrecht allmählich aus religiöser Bindung. Aber auch im modernen, profanen Naturrecht wirkten religiöse Einschläge fort. Im Anschluß an den Vortrag von Troeltsch eröffnete Ferdinand Tönnies die Debatte mit einem langen Beitrag. Als Hobbes-Experte fühlte er sich insbesondere von Troeltschs Behandlung des profanen Naturrechts herausgefordert. Aber er berührte auch methodische und soziologische Fragen. Tönnies bestritt die von Troeltsch behauptete Eigenlogik von Ideen. Sie seien doch viel eher Reflexe ökonomischer Verhältnisse. Insofern sei er Anhänger der materialistischen Geschichtsauffassung.56 Außerdem seien Sekten überhaupt erst auf städtischem Boden entstanden. Beide Behauptungen riefen nun wiederum Max Weber auf den Plan. Weber wiederholt seine bekannten methodischen Vorbehalte gegen eine rein ökonomische Geschichtsbetrachtung. Sie führe zu einer „allzu gradlinigen Konstruktion“ der Beziehung zwischen ökonomischen und religiösen der an der Tagung nicht teilnahm: „Troeltsch: Vortrag ausgezeichnet, vor allem: gänzlich wertfrei – Debatte die beste des Tages.“ Brief Max Webers an Franz Eulenburg vom 27. Oktober 1910, MWG II/6, S.  6 55. 54  Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, S.  170. 55  Ebd., S.  174. 56  Ebd., S.  192.

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Sachverhalten, was auch an der Einlassung von Tönnies erkennbar sei.57 Denn die Bemerkung zu den Sekten sei nicht richtig. Die erste Gemeinschaft, die das Sektenprinzip in Reinform verwirklicht habe, sei die der Donatisten. Und diese hätten keinen städtischen, sondern einen agrarischen Hintergrund.58 Religiöse Entwicklungen dürften also nicht als bloße Exponenten oder Reflexe ökonomischer Konstellationen behandelt werden. Dies könne man gerade am Verhältnis von Stadt, Land und religiöser Gemeinschaftsbildung, aber auch an der Art und Weise studieren, wie diese Gemeinschaften unter Umständen die jeweilige sozialen Schichtung durchbrechen, indem sie Anhänger aus allen sozialen Schichten rekrutierten, wenngleich es im Laufe der Entwicklung dann auch häufig wieder zu schichtspezifischen Schließungen komme. Weber betont außerdem, die Typen Kirche, Sekte und Mystik, die Troeltsch in seinem Vortrag in den Mittelpunkt gestellt hatte, seien Konstruktionen. Er nimmt dies zum Anlaß, auf einen wichtigen Aspekt seiner eigenen Begriffsverwendung einzugehen. Was idealtypisch sauber getrennt werde, erscheine empirisch in der Regel in Mischungsverhältnissen. So sei der Calvinismus zwar Kirche, aber innerlich Sekte, die Orthodoxie zwar ebenfalls Kirche, aber innerlich Mystik. Nur im Katholizismus mit dem Papst als letzter Instanz und im Luthertum mit dem Wort der Bibel als letzter Instanz sei das Kirchenprinzip relativ rein verwirklicht. Die verschiedenen Strömungen des asketischen Protestantismus aber, so läßt sich folgern, realisieren in relativ reiner Form das Prinzip der Sekte. Es ist die Art religiöser Gemeinschaft, die dem Bewährungsgedanken institutionell am besten entspricht. Weber wiederholt auch hier seine These, der Calvinismus und der „sektiererische Protestantismus“ hätten aufgrund des institutionalisierten und internalisierten Bewährungsgedankens das Berufsmenschentum gezüchtet, auf dem der moderne Kapitalismus aufruhe.59 Aber nicht dies ist beachtlich, sondern die Tatsache, daß er, zweifellos angeregt von Ernst Troeltsch, nun das Urchristentum in seine Betrachtung mit einbezieht und aus dem Streben nach der certitudo salutis zunächst eine doppelte, eine psychische und eine soziale Folgerung zieht. Entweder gehe man den Weg der Mystik, fundiert in dem Liebesgedanken, mit der letzten Konsequenz der „amorphe[n] Formlosigkeit des Liebes-Akosmismus“, oder den Weg der Askese, fundiert in dem Bewährungsgedanken, mit der letzten Konsequenz des „ad majorem Dei gloriam“, der bedingungslosen Verwirklichung von Gottes Willen in dieser Welt und

57  Weber, Diskussionsbeiträge auf dem Ersten Deutschen Soziologentag am 21. Oktober 1910, unten, S.  747 f. 58  Ebd., unten, S.  748. 59  Ebd., unten, S.  759 f.

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ausschließlich zu dessen Ruhm.60 Die Folge sei bei dem einen letztlich persönliche Verbrüderung, im Sinne von Tönnies Gemeinschaft, bei dem anderen aber „‚Zivilisation‘, Tausch, Markt, sachlicher Zweckverband“, im Sinne von Tönnies Gesellschaft, er sagt hier: Vergesellschaftung.61 Weber hat diesen Gedanken später in die Unterscheidung zwischen ‚Vergemeinschaftung‘ und ‚Vergesellschaftung‘ überführt. Wir sehen also tatsächlich eine Ausweitung des Erkenntnisinteresses auf das Christentum als Ganzes.62 Eine Ausweitung über das Christentum hinaus sehen wir allerdings noch nicht. Drei Jahre später wird Weber in einem Brief an Paul Siebeck schreiben, er habe „eine geschlossene soziologische Theorie und Darstellung ausgearbeitet, welche alle großen Gemeinschafsformen zur Wirtschaft in Beziehung setzt: von der Familie und Hausgemeinschaft zum ‚Betrieb‘, zur Sippe, zur ethnischen Gemeinschaft, zur Religion (alle großen Religionen der Erde umfassend: Soziologie der Erlösungslehren und der religiösen Ethiken, – was Tröltsch gemacht hat, jetzt für alle Religionen, nur wesentlich knapper)“.63 Zu diesem Zeitpunkt hatte Troeltsch seine seit 1908 im Archiv erschienenen Aufsätze über die Soziallehren der christlichen Kirchen in einem großen Buch zusammengeführt und veröffentlicht.64 Webers umfassende Soziologie der Erlösungslehren und religiösen Ethiken, offensichtlich auch eine Reaktion darauf, entstand vermutlich 1912/13, jedenfalls einige Zeit nach dem „Antikritischen Schlußwort“. Damit veränderte er zwar den Kontext der Aufsatzfolge, nicht aber diese selbst. Sie blieb weiterhin unverändert liegen. Eine Überarbeitung erfolgte vermutlich erst 1919, und die geplante Fortsetzung verhinderte der Tod.65 Mit dem „Antikritischen Schlußwort“ ist also der erste Akt des Stückes über die „Protestantische Ethik“ beendet. In den folgenden Jahren steht nicht diese, sondern die „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ im Mittelpunkt. Die Jahre 1911 bis 1913 bedeuten für die Entwicklung von Webers Werk zweifellos einen Einschnitt. Er ist genauso gravierend wie der nach seiner Erkrankung, der schließlich zum Rücktritt von der Professur führte. In die Zeit nach dem 60  Dies präludiert die später ausgearbeitete Unterscheidung zwischen Mystik und Askese in ihrer jeweiligen außerweltlichen und innerweltlichen Ausprägung. 61  Ebd., unten, S.  762 f. 62  In dieses Bild paßt auch die Bitte Max Webers an Paul Siebeck, er möge ihm ein Exemplar der Kirchengeschichte von Karl Müller zuschicken. Diese behandelt in 231 Paragraphen die Geschichte vom Urchristentum bis zur Reformation. Müller, Karl, Kirchengeschichte. Erster Band. – Freiburg i. B.: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1892, und ders., Kirchengeschichte. Zweiter Band. Erster Halbband. – Tübingen und Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1902. 63  Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 30. Dezember 1913, MWG II/8, S.  4 49 f. 64  Troeltsch, Ernst, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1911. 65  Dazu ausführlich die Einleitung in Band  I/18.

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„Antikritischen Schlußwort“ fällt eine Erkenntnis, ja geradezu eine Entdek­ kung, wie Marianne Weber berichtet.66 Sie betrifft das Rationalitätspotential der Weltreligionen, insbesondere das der jüdisch-christlichen Tradition. Webers skeptische Beurteilung der aufschließenden Kraft des Rationalitätsbegriffs, den Sombart ja mit seiner These vom ökonomischen Rationalismus in die Debatte eingeführt hatte, weicht zwar nicht gänzlich, doch die Rationalismusdebatte gewinnt im Werk an Bedeutung. Im ersten Protestantismus-Aufsatz heißt es noch, teilweise gegen Sombart gerichtet, man dürfe den Protestantismus insgesamt nicht einfach als eine „‚Vorfrucht‘ rein rationalistischer Lebensanschauungen“ betrachten. Zudem zeige die Geschichte des Rationalismus „keineswegs eine auf den einzelnen Lebensgebieten parallel fortschreitende Entwicklung“.67 Und überhaupt sei der Rationalismus ein historischer Begriff, „der eine Welt von Gegensätzen in sich schließt“.68 Nun möchte Weber in diese Welt von Gegensätzen tiefer eindringen, und zwar auf allen Lebensgebieten oder Handlungsfeldern. Damit geht er aber zugleich über den Zusammenhang von Religion und Wirtschaft hinaus. Webers Entwicklung von 1903 bis 1910, in welche Zeit die erste Fassung der Protestantismusstudien fällt, zeigt nicht dieselbe Kohärenz, wie wir sie etwa von Ernst Troeltsch kennen. Sie verläuft eher mehrgleisig, weitgehend ohne inneren Zusammenhang. Zum einen werden Themen aus der Zeit vor der Erkrankung weiter vertieft, so etwa im Aufsatz über den Fideikommiß und in der großen Abhandlung über die antiken Agrarverhältnisse, wenn auch bereichert um neue Gedanken, wie den des antiken Kapitalismus; zum anderen werden neue Themen entwickelt, so etwa in den Protestantismusstudien und in den methodologischen Schriften, deren Höhepunkt die Auseinandersetzung mit Stammler ist. Dabei kann man die ersten Umrisse einer verstehenden Soziologie erkennen, die als Handlungs- und Strukturtheorie konzipiert ist. Daneben stehen, relativ isoliert, die als Chroniken bezeichneten Rußlandschriften, bei denen das politische Interesse im Vordergrund steht. Mit der „Psychophysik der industriellen Arbeit“ setzt Weber einen weiteren thematischen Schwerpunkt, die sich mit dem Übrigen kaum überschneidet. Diese Texte stehen zwar der Methodologie sowie der Handlungs- und Strukturtheorie nahe, setzen diese aber nicht einfach fort. Diese ‚Zersplitterung‘ scheint erst nach 1910 zu weichen. Und dies führt zunächst nicht zur Protestantischen Ethik zurück, sondern von ihr weg. Es folgt aber noch ein zweiter Akt in diesem Stück, und die Frage ist: Was ändert sich dabei? Dies wird uns beschäftigen, wenn es um die Überarbeitung der Abhandlungen von 1904, 1905 und 1906 für den Band  I der Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie aus dem Jahre 1920 geht. Der 66  Weber, Marianne, Lebensbild, S.  3 49. 67  Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  176. 68  Ebd., unten, S.  177.

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Ort dafür ist der Band  I/18 der Max Weber-Gesamtausgabe. Dann erst ergibt sich in Bezug auf die Protestantismusstudien das vollständige Bild.

9.  Zur Anordnung der Texte In dem hier vorgelegten Band weichen wir von einem Grundprinzip der Max Weber-Gesamtausgabe ab: Dem Leser wird von den beiden Aufsätzen „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“69 zunächst nicht der Text letzter, sondern der Text erster Hand präsentiert. Der Text letzter Hand erschien im Jahre 1920 als Teil von Band  I der Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie.70 Er wird im Band  I/18 der Max Weber-Gesamtausgabe zusammen mit der „Vorbemerkung“ und dem Text „Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus“ ediert.71 Dieser Text über die „Sekten“ stellt allerdings eine nahezu komplette Neufassung dar, so daß er mit dem in diesem Band edierten Text „‚Kirchen‘ und ‚Sekten‘ in Nordamerika“72 nur noch wenig gemein hat. Hier von erster und letzter Hand zu sprechen, wäre nicht sachgerecht. Bei den Aufsätzen „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ ist das anders. Hier ist Text letzter Hand gegenüber dem Text erster Hand zwar erweitert, aber nicht fundamental verschieden. In Band  I/18 wird der Text letzter Hand zusammen mit dem frühen Text als einer Variante ediert, so daß der Leser verfolgen kann, welche textlichen Veränderungen Weber nach 1905 vornahm. Sie bestehen hauptsächlich in Erweiterungen und in Auseinandersetzungen mit Kritikern, insbesondere mit Werner Sombart und Lujo Brentano. Doch fehlt auch hier die ursprünglich geplante Fortsetzung.73 Warum wurde dennoch nicht bereits hier der Text letzter Hand geboten? Dies begründet sich mit der Wirkung, welche die frühe Fassung zeitigte. Weber wurde nach Erscheinen der beiden Protestantismus-Aufsätze, wie gezeigt, in eine Kontroverse verstrickt, die ihn zu insgesamt vier Antikritiken herausforderte. Die Kritiken74 sowohl wie Webers Antikritiken75 beziehen sich 69  Ediert unten, S.  97–215 und 222–425. 70  Weber, Max, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1920, S.  17–206 (MWG I/18). 71  Die Texte in GARS I, S.  1–16 und 207–236 (MWG I/18). 72  Ediert unten, S.  426–462. 73  Siehe dazu oben, S.  6 6 f. 74  Es handelt sich um: Fischer, Kritische Beiträge, und Fischer, Replik, sowie um: Rachfahl, Kalvinismus, und Rachfahl, Nochmals Kalvinismus. 75  Webers Erwiderungen gegenüber Fischer: Weber, Kritische Bemerkungen, und Weber, Bemerkungen, seine Erwiderungen gegenüber Rachfahl: Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, und Weber, Antikritisches Schlußwort.

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auf die frühe Fassung und lassen sich nur im Zusammenhang damit angemessen verstehen. Um dem Leser ein möglichst genaues Bild über den Ablauf dieser Kontroverse zu ermöglichen, sind auch die teilweise sehr umfangreichen Kritiken, obgleich keine Weber-Texte, in die Edition aufgenommen. Sie erscheinen als Anhang zu den Editorischen Berichten und sind ohne editorische Bearbeitung nachgedruckt.76 Da die Kontrahenten sich wechselseitig auf ihre Texte beziehen, kann auf diese Weise die Auseinandersetzung Schritt für Schritt verfolgt werden. Keiner der aufgenommenen Texte ist gekürzt. An den übrigen Grundsätzen der Max Weber-Gesamtausgabe wird freilich auch in diesem Band festgehalten: am Chronologie- und am Pertinenzprinzip. Seit Talcott Parsons die Aufsatzfolge „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ ins Englische übersetzte,77 wird sie im Ausland zwar häufig als ein „Buch“ behandelt, doch ist sie eben kein Buch, sondern eine Aufsatzfolge, die fortgesetzt werden sollte. Zwischen der Publikation des ersten und der des zweiten Aufsatzes liegt zudem nahezu ein Jahr. In dieser Zeit hielt Weber einen Vortrag im „Eranoskreis“, in dem er erste Ergebnisse seines zweiten Aufsatzes seinen Zuhörern mitteilte. Die Edition gibt diese Entwicklung wieder, indem sie diesen Vortrag Webers, „Die protestantische Askese und das moderne Erwerbsleben“, dem Chronologieprinzip folgend, zwischen die beiden Aufsätze stellt.78 Aus dem Pertinenzprinzip folgt, daß außer Antikritiken auch zwei Diskussionsbeiträge Webers auf dem Ersten Deutschen Soziologentag von Oktober 1910 aufzunehmen waren.79 Denn diese stehen in einem sachlichen Zusammenhang mit den übrigen Texten in diesem Band. Webers „Antikritisches Schlußwort zum Geist des Kapitalismus“ und seine Diskussionsbeiträge auf dem Ersten Deutschen Soziologentag zeichnen ein eindrückliches Bild vom Stand seiner religionssoziologischen Überlegungen im Jahre 1910. Das Jahr 1910 markiert zugleich einen Einschnitt in Webers religionssoziologischer Arbeit, wie sich im Band  I/18 der Max Weber-Gesamtausgabe zeigen wird. Im Übrigen gelten für die Bearbeitung der Texte die sonstigen Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe (im Band unten, S.  9 84–994).

76  Fischers Kritiken sind abgedruckt unten, S.  4 69–477 und 494–497, Rachfahls Kritiken unten, S.  521–572 und 625–664. In Anschluß folgt die Edition der Antikritiken, unten, S.  478–490 und 498–514, S.  573–619 und 665–740. 77  Weber, Max, The protestant ethic and the spirit of capitalism. Translated by Talcott Parsons, with a foreword by R. H. Tawney. – London: Allen & Unwin 1930. 78  Ediert unten, S.  216–221. 79  Weber, Diskussionsbeiträge auf dem Ersten Deutschen Soziologentag am 21. Oktober 1910, ediert unten, S.  741–761 und 761–764 (nach dem vorangehenden Vortrag Ernst Troeltschs stehen sie unter dem Titel „Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht“).

Anhang zur Einleitung

Hinweise auf die geplante Fortführung der „Protestantischen Ethik“ Belegstellen Texthinweise in: Weber, Protestantische Ethik II

MWG-Seite

Hg.Anm.

Was die Ablehnung der „Kreaturvergötterung“ und das Prinzip, daß, zunächst in der Kirche, letztlich aber im Leben überhaupt, nur Gott „herrschen“ solle, politisch bedeutete, davon später.

S.  2 67 f., Fn.  21

29

Die „Menschlichkeit“ der Beziehungen zum „Nächsten“ ist sozusagen abgestorben. [...] – Natürlich bezeichnet das alles nur eine „Tendenz“, und wir werden später selbst bestimmte Einschränkungen zu machen haben.

S.  2 69 f., Fn.  21b

37

[...] sondern wir werden später, wenn wir die politisch S.  273 und sozial so weittragende Bedeutung der reformierten Abendmahlslehre und Abendmahlspraxis betrachten, noch davon zu reden haben, welche Rolle auch außerhalb des Pietismus die Feststellbarkeit des Gnadenstandes des einzelnen z. B. für die Frage seiner Zulassung zum Abendmahl [...] während des ganzen 17. Jahrhunderts gespielt hat.

53

Inwieweit die hier möglichst scharf gezeichneten Gegensätze nur relative sind, ist später zu erörtern.

S.  287, Fn.  5 0

22

Und auch wo die Konsequenz der Sektenbildung nicht gezogen wurde, gingen die mannigfachsten Ausgestaltungen der Kirchenverfassung, wie wir später sehen werden, aus dem Versuch hervor, wiedergeborene und unwiedergeborene, zum Sakrament nicht reife, Christen zu scheiden und nur wiedergeborene Prediger zuzulassen.

S.  2 98

64

[...] die Abstinenz vom Abendmahl bei Teilnahme unwiedergeborener Personen daran (von der in anderem Zusammenhang noch zu reden sein wird) [...]

S.  3 09, Fn.  76

9

Die vorstehenden Bemerkungen [zur Toleranz und Trennung von Kirche und Staat], auf die ja weiterhin eingehender zurückzukommen sein wird [...]

S.  313, Fn.  78

34

91

Anhang zur Einleitung Belegstellen Texthinweise in: Weber, Protestantische Ethik II

MWG-Seite

Hg.Anm.

Die religiöse Aristokratie der Heiligen [...] ist alsdann [...] innerhalb der Kirche voluntaristisch in der Form der Konventikelbildung organisiert, während sie im englischen Puritanismus, wie später zu erörtern sein wird, teils zur förmlichen Unterscheidung von Aktivund Passivchristen in der Verfassung der Kirche, teils [...] zur Sektenbildung drängte.

S.  318

50

Sie [die Gefühlsseite] ist in ihrem Gegensatz gegen den westeuropäischen Rationalismus, wenn überhaupt „sozialpsychisch“, dann am ehesten durch die Rückständigkeit und patriarchale Gebundenheit des deutschen Ostens verständlich zu machen, wie wir später sehen werden.

S.  3 30, Fn.  101a

18

Es ist aber nicht irgend eine ihm immanente „Entwicklungstendenz“, welche sich darin äußert, sondern jene Unterschiede folgen aus Gegensätzlichkeiten des religiösen und sozialen Milieus, dem ihre führenden Vertreter entstammten. Davon in anderem Zusammenhang.

S.  3 36

41

Erst später wird auch davon zu reden sein, wie die Eigenart des deutschen Pietismus in seiner sozialen und geographischen Verbreitung zum Ausdruck kommt.

S.  3 36 f.

42

Indessen ist dabei der Patriarchalismus auf dem Boden der reformierten und erst recht der täuferischen Ethik anders geartet als auf dem Boden des Pietismus. Dies Problem wird uns erst in anderem Zusammenhang beschäftigen.

S.  3 37, Fn.  113

46

Der reine Gefühlspietismus endlich ist […] eine religiöse Spielerei für „leisure classes“. So wenig erschöpfend diese Charakterisierung ist – wie sich noch zeigen wird – […]

S.  3 37 f.

49

Wichtig für unsere Probleme wird er [der Methodismus] erst wieder, wo wir zur Betrachtung der Sozialethik und damit der Reglementierung des Berufslebens durch die kirchlichen Organisationen gelangen.

S.  3 45

82

Sie [die „Particular Baptists“] interessieren uns daher erst in anderem Zusammenhang.

S.  3 46, Fn.  122

89

Daß freilich auch bei diesen ganz bestimmte religiöse Motive zur „believers’ church“ drängten, wurde schon angedeutet und wird uns in seinen Folgen später noch beschäftigen.

S.  3 50, Fn.  126

18

92

Anhang zur Einleitung Belegstellen

Texthinweise in: Weber, Protestantische Ethik II

MWG-Seite

Hg.Anm.

Er [der Grundsatz der Weltmeidung] drückt sich namentlich in der ursprünglich strengen Meidung der Exkommunizierten auch im bürgerlichen Verkehr aus, – ein Punkt, in welchem selbst die Calvinisten der Auffassung, daß die bürgerlichen Verhältnisse grundsätzlich von den geistlichen Censuren nicht berührt werden, Konzessionen machten. Darüber später.

S.  3 52, Fn.  129

28

Die sozial-ethische Bedeutung des [...] Satzes: „Tut anderen nur, was ihr wollt, daß sie euch tun“ – wird uns später beschäftigen.

S.  3 56, Fn.  134

49

Wir werden bei Besprechung der Klassenbeziehungen der protestantischen Askese darauf zurückkommen.

S.  3 59, Fn.  136

58

Dabei prägte nun die ungeheure Bedeutung, welche die täuferische Heilslehre auf die Kontrolle durch das Gewissen, als die individuelle Offenbarung Gottes, legte, ihrer Gebahrung im Berufsleben einen Charakter auf, dessen große Bedeutung für die Entfaltung wichtiger Seiten des kapitalistischen Geistes wir erst bei Betrachtung der Sozialethik der protestantischen Askese näher kennen lernen werden.

S.  3 61

66

Auf Kautskys Darstellung der wiedertäuferischen Bewegung und seiner Theorie des „ketzerischen Kommunismus“ überhaupt (im ersten Bande des gleichen Werkes) wird erst später einzugehen sein.

S.  3 62, Fn.  138

72

Ein weiteres wichtiges Element, welches der Intensität der innerweltlichen Askese der täuferischen Denominationen zugute kam, kann in seiner vollen Bedeutung ebenfalls erst in anderem Zusammenhang zur Erörterung gelangen.

S.  3 63

77

Wir werden auch auf diesen Punkt bei Betrachtung der Sozialpolitik des asketischen Protestantismus zu sprechen kommen und dann den großen Unterschied zu beachten haben, welcher zwischen der Wirkung der autoritären Sittenpolizei der Staatskirchen und der auf freiwilliger Unterwerfung ruhenden Sittenpolizei der Sekten bestand.

S.  3 64

80

Auf die Bedeutung dieser und ähnlicher Äußerungen für die Frage der Klassenbedingtheit der Askese gehen wir hier noch nicht ein.

S.  374, Fn.  14

53

93

Anhang zur Einleitung Belegstellen Texthinweise in: Weber, Protestantische Ethik II

MWG-Seite

Hg.Anm.

Der Utilitarismus ist eben [...] Konsequenz der unpersönlichen Gestaltung der „Nächstenliebe“ und der Ablehnung aller Weltverherrlichung durch die Exklusivität des puritanischen „in majorem Dei gloriam“. [...] Die politische Seite der Sache gehört in einen späteren Zusammenhang.

S.  3 82, Fn.  27

94

[...] über die Frage der Erlaubtheit des Zinses, auf welche wir in einem späteren Kapitel eingehen [...]

S.  3 86 f., Fn.  3 5

20

Eingehender kommen wir auf diesen Punkt [die Theorie, daß das mosaische Gesetz durch den neuen Bund nur soweit seiner Geltung entkleidet sei, als es zeremonielle oder geschichtlich bedingte Vorschriften für das jüdische Volk enthalte, im übrigen aber als Ausdruck der „lex naturae“ seine Geltung von jeher besessen und daher auch behalten habe,] erst in anderem Zusammenhang zu sprechen.

S.  3 93, Fn.  47a

52

Die Satire der Gegner [...] setzt ebenfalls gerade bei S.  4 00 der Stubengelehrsamkeit und geschulten Dialektik der Puritaner ein: dies hängt, wie wir später sehen werden, teilweise mit der religiösen Schätzung des Wissens zusammen, welche aus der Stellung zur katholischen „fides implicita“ folgte.

79

Die Klassenabstufung der Kirchenplätze in den holländischen Kirchen zeigt den aristokratischen Charakter dieses Kirchentums noch heute. – Davon später.

S.  4 03, Fn.  5 4b

94

Auf die Bedeutung für die Entwicklung der Technik und der empirischen Wissenschaften kommen wir später zu sprechen.

S.  4 05, Fn.  59

13

Es ist schon früher gesagt, daß wir auf die Frage der Klassenbedingtheit der religiösen Bewegungen später gesondert eingehen.

S.  411, Fn.  6 9

33

Für diejenigen, deren „kausales Gewissen“ ohne ökonomische [...] „Deutung“ nicht beruhigt ist, sei hiermit bemerkt, daß ich den Einfluß der wirtschaftlichen Entwicklung auf das Schicksal der religiösen Gedankenbildungen für sehr bedeutend halte und später darzulegen suchen werde, wie in unserem Falle die gegenseitigen Anpassungsvorgänge und Beziehungen beider sich gestaltet haben.

S.  411, Fn.  6 9

37

Die Rolle, welche der Kirchenzucht dabei zukam, werden wir später erörtern.

S.  413, Fn.  71

45

94

Anhang zur Einleitung Belegstellen

Texthinweise in: Weber, Protestantische Ethik II

MWG-Seite

Hg.Anm.

Sehr regelmäßig – wir werden das später noch verfolgen – finden wir die genuinsten Anhänger puritanischen Geistes in den Reihen der erst im Aufsteigen begriffenen Schichten der Kleinbürger und Farmer und die „beati possidentes“, selbst bei den Quäkern, recht oft zur Verleugnung der alten Ideale bereit.

S.  415

50

Bemerkt sei nur noch, daß natürlich die vor der von uns betrachteten Entwicklung liegende Periode der kapitalistischen Entwicklung überall mitbedingt war durch christliche Einflüsse, hemmende ebenso wie fördernde. Welcher Art diese waren, gehört in ein späteres Kapitel.

S.  424 f., Fn.  8 6

88

Belegstellen Texthinweise in: Weber, Kritische Bemerkungen

MWG-Seite

Hg.Anm.

[...] über die (im weiteren Verlauf der Untersuchung noch näher zu besprechenden) Determinanten der Entwicklung Hollands habe ich XX S. 26, XXI S. 95, 96 einige (allerdings nur gänzlich provisorische) Bemerkungen gemacht [...]

S.  4 82 f.

31

Über die Bedeutung bestimmter religiöser Gruppen für die Entwicklung des niederrheinischen Gebiets in der frühkapitalistischen Zeit wird wohl noch bei Fortsetzung meiner Darstellung zu sprechen sein.

S.  4 83

35

Belegstellen Texthinweise in: Weber, Bemerkungen

MWG-Seite

Hg.Anm.

Alle diese hatten ja ihre eigenartige spezifische „Methodik“, und von ihnen allen sind eben deshalb Bestandteile in den Lebensstil führender moderner Nationen eingegangen (von manchen derselben werde ich s. Z. zu reden haben).

S.  5 05, Fn.  2

47

95

Anhang zur Einleitung Belegstellen Texthinweise in: Weber, Bemerkungen

MWG-Seite

Hg.Anm.

Mein Herr Kritiker hatte das volle Recht, zu sagen: die Gegenprobe und nähere Interpretation, die versprochen ist, fehlt bisher.

S.  5 06, Fn.  3

54

Es ist sehr gut möglich, daß, wenn meine Untersuchungen einmal zu Ende kommen sollten, ich zur Abwechslung ganz ebenso entrüstet der Kapitulation vor dem historischen Materialismus geziehen werde, wie jetzt der Ideologie.

S.  5 09 f., Fn.  5

83

Texthinweise in: Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus

Belegstellen MWG-Seite

Hg.Anm.

Hätte ich meinen Aufsatz fortgesetzt, so würde ich die Aufgabe gehabt haben, große Teile des jetzt von Tröltsch bearbeiteten Gebiets mitzubehandeln.

S.  576

16

Nun befinde ich mich [...] in dieser Hinsicht keineswegs im Gegensatz zu ihm [Rachfahl], habe vielmehr selbst diese – in meine Darstellung, soweit sie bisher reicht, im Einzelnen noch nicht hineingehörigen – Zusammenhänge erwähnt [...].

S.  5 85

64

[...] gegen die (im 17. Jahrhund[ert] höfischen) Monopolisten und Groß-Finanziers [...] war er [der Kampf] – das würde ich bei Fortsetzung meiner Artikel zu zeigen gehabt haben – von einer sehr bestimmten Theorie des „justum pretium“ getragen [...]

S.  6 04, Fn.  2 3

69

Ich hatte sehr nachdrücklich betont, daß ich im Fall einer Vollendung meiner Aufsätze, wo dann die umgekehrte Kausalbeziehung [...] zur Geltung gelangen müßte, wahrscheinlich der „Kapitulation vor dem Geschichtsmaterialismus“ ganz ebenso geziehen werden würde [...]

S.  6 08, Fn.  28

88

[...] und ausdrücklich die Erörterung der umgekehrten Kausalrelation der Fortsetzung der ausdrücklich als unabgeschlossen bezeichneten Aufsätze überwiesen. Zu einem „Abschluß“ sind nun – und das ist, wie schon gesagt, mein dauernder Nachteil, – jene Aufsätze aus Gründen, die ich deutlich (auch oben) gesagt habe und die an Gewicht seither nur gewonnen haben, nicht gelangt [...].

S.  616

29

96

Anhang zur Einleitung Belegstellen

Texthinweise in: Weber, Antikritisches Schlußwort

MWG-Seite

Hg.Anm.

Ich meinerseits gebe die Hoffnung, gerade diese Partien meiner Arbeit fortführen (und dabei sehr viel weiter vertiefen) zu können, nicht auf [...]

S.  6 89, Fn.  10

55

[...] und dann hätte ich 3. das, was ich in diesem Aufsatz ausgesprochenermaßen und nach seiner ganzen Anlage teils gar nicht, teils noch nicht (nämlich in den bisher allein erschienenen Partien nicht) verfolgen konnte: die Grenzen ihrer Expansion, ermitteln sollen [...]

S.  708

72

Damit ergab sich dann das Problem, nicht für die ganze ursprünglich beabsichtigte Aufsatzreihe (wie ausdrücklich an deren Schluß gesagt ist), wohl aber für die zunächst folgenden Ausführungen in den seinerzeit in diesem Archiv veröffentlichten Studien [...]

S.  710

80

Diese, in vielem sehr fühlbaren, Unterschiede traten nur in diesem Teil meiner Ausführungen (der bis jetzt allein vorliegt) notwendig vor dem Gemeinsamen zurück.

S.  728

67

Noch so viele Einzelansätze zu einer praktischen Berufsethik dieser Art, die sich im Mittelalter finden – ich habe ausdrücklich mir vorbehalten, darauf zu sprechen zu kommen –, ändern nichts daran, daß solch ein „geistiges Band“ eben damals fehlte.

S.  731

76

Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 20. Band, 1. Heft, 1904 Titelseite Exemplar der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf

Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 20. Band, 1. Heft, 1904 Inhaltsverzeichnis Exemplar der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf

Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus I.  Das Problem

Editorischer Bericht I.  Zur Entstehung Max Webers erster Aufsatz mit dem Titel „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ erschien im November 1904, der zweite im Juni 1905,1 beide im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“. Wie in der Einleitung ausgeführt,2 lassen sich mehrere Motive nennen, die Weber vermutlich bewogen haben, sich mit einem religionshistorischen Thema zu beschäftigen. In erster Linie dürfte dafür aber die zeitgenössische wissenschaftliche Diskussion ausschlaggebend gewesen sein. In dieser ging es um die Ursprünge des modernen Kapitalismus, insbesondere um die motivationale Seite dieses Vorgangs. Sombart hatte dafür die Formel „kapitalistischer Geist“ geprägt.3 Daran anknüpfend und Gedanken von Eberhard Gothein, Georg Jellinek, Ernst Troeltsch und anderen aufgreifend, stellte sich Max Weber die Frage, ob bei der Entstehung dieses Geistes religiöse Ideen, insbesondere solche des reformierten Protestantismus, eine Rolle spielten und, wenn ja, welche historische Wirkung ihnen zuzurechnen ist.4 Wie Max Weber im Rückblick sagte, trug er Gedanken, die er in diesen Aufsätzen entwickelte, zum Teil bereits vor der Jahrhundertwende in seinen Lehrveranstaltungen vor.5 Zudem motivierte er zwei seiner Schüler dazu, sich mit Themen zu beschäftigen, die in den Umkreis der späteren Aufsatzfolge 1  Weber, Protestantische Ethik I, unten, S.  123–215, und Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  242–425. Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Protestantische Ethik II, unten, S.  222–225. 2  Oben, S.  22–43. 3  Sombart, Der moderne Kapitalismus I, bes. in der Überschrift zum 2. Buch, 3. Abschnitt: „Die Genesis des kapitalistischen Geistes“, S.  378. 4  Ausführlich in der Einleitung, oben, S.  4 3–68. 5 Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, unten, S.   575; dazu die Ausführungen zu den Vorlesungen „Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“ und insbesondere zur „Praktischen Nationalökonomie“ in der Einleitung, oben, S.  4 –7.

98

Die protestantische Ethik. I. Das Problem

fallen. Martin Offenbacher untersuchte in seiner Dissertation den Zusammenhang von Konfession und sozialer Schichtung,6 Maximilian Kamm die Wirtschaftspolitik Calvins. Während sich Weber auf die Ergebnisse der Untersuchung von Offenbacher in seinem ersten Aufsatz stützte, hinterließ Kamms Versuch darin keine erkennbaren Spuren. Dieser schloß seine Promotion offensichtlich auch nicht ab.7 Zu welchem Zeitpunkt Max Weber den Plan für seine Studie faßte und wann er mit dem Literatur- und Quellenstudium dafür begann, läßt sich nicht genau angeben. Marianne Weber äußert in ihrer Biographie die Vermutung, ihr Mann habe in der zweiten Hälfte des Jahres 1903 mit der „Protestantischen Ethik“ begonnen.8 Im Juni tritt Weber in seinen Reisebriefen aus den Niederlanden als genauer Beobachter religiöser Besonderheiten des Calvinismus und des reformierten Protestantismus auf, berichtet aber nichts über eingehende Studien oder Bibliotheksbesuche.9 Aus dem in der Einleitung bereits erwähnten Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 10. Oktober 1903 geht hervor, daß er für eine Beschäftigung mit dem englischen Calvinismus des 17. Jahrhunderts Troeltschs Artikel über die englischen „Moralisten“, Weingartens „Revolutionskirchen in England“, Goochs „Democratic Ideas“ und Bernsteins Beitrag „Kommunistische und demokratisch-sozialistische Strömungen während der englischen Revolution des 17. Jahrhunderts“ für einschlägig hielt. Diese Werke hatte er zu diesem Zeitpunkt offensichtlich bereits gelesen. Er betonte gegenüber Brentano aber auch, er habe zwar schon viel Literatur über die Puritaner zur Kenntnis genommen, wolle aber für einen Archiv-Aufsatz „die Quellen erneut durcharbeiten“.10 Es muß offen bleiben, welche Literatur und welche Quellen er sich über die genannten hinaus zu diesem Zeitpunkt bereits erschlossen hatte und welche er sich noch zu erschließen gedachte. Einen deutlichen Hinweis auf Webers intensives Quellen- und Literaturstudium bieten aber die von ihm benutzten Exemplare der Universitätsbibliothek Heidelberg, die vor seiner USA- und der späteren Hollandreise wohl die Hauptinformationsbasis darstellten.11 Im Winter 1903/04 6  Vgl. Offenbacher, Konfession, zitiert unten, S.  124, Fn.  3. 7  Vgl. die Einleitung, oben, S.  6 f. 8  Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S.  3 40. Darüber in der Einleitung, oben, S.  4 4. 9  Vgl. den Brief an Marianne Weber vom 13. Juni 1903 aus Scheveningen (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4). 10 Zitate aus dem Brief an Brentano in der Einleitung, oben, S.  4 5. Troeltsch, Art. Moralisten; Weingarten, Revolutionskirchen Englands; Bernstein, Kommunistische Strömungen, zitiert Max Weber in der Protestantischen Ethik II, unten, S.  248, Fn.  5. Das Werk von Gooch, George, P., The History of English democratic ideas in the seventeenth century. – Cambridge: University Press 1898, erwähnt Weber in der „Protestantischen Ethik“ nicht. 11  Vgl. dazu unten, S.  109, S.  115 mit Fn.  6 9 und S.  120, sowie im Editorischen Bericht zu Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  2 33 und 237–239.

Editorischer Bericht

99

verfaßte er jedenfalls zunächst einmal den ersten Teil seines Aufsatzes über „Objektivität“.12 Zu seiner geplanten Protestantismus-Studie äußert sich Weber erst wieder ein halbes Jahr später. So heißt es in einem Brief an den Verleger Paul Siebeck vom 12. April 1904: „Ich schulde Ihnen vielen Dank für das schön ausgestattete Buch über Neumann, welches ich mit großem Interesse lesen werde, sobald meine augenblickliche Arbeit für das Archiv abgeschlossen und die folgende (‚Protestantische Ethik und kapitalistischer Geist‘), von der ich mir viel verspreche, etwas in Gang gebracht ist“.13 Diese Formulierung legt nahe, daß im April 1904 die Niederschrift, wenn überhaupt begonnen, erst in den Anfängen steckte. Mit der „augenblickliche[n] Arbeit“ ist der im März 1904 begonnene Aufsatz über den Fideikommiß14 gemeint. Er hoffte, die Arbeit daran in ein paar Tagen abschließen zu können,15 doch sollte sich diese noch bis zum 23. Mai 1904 hinziehen.16 Ob Weber parallel dazu bereits an der „Protestantischen Ethik“ schrieb, läßt sich angesichts der Quellenlage nicht entscheiden.17 Mitte Juni allerdings nennt er die Protestantismus-Studie seine „Hauptarbeit“. Dazu komme er freilich aus gesundheitlichen Gründen „nur sporadisch“.18 Offensichtlich stand er wegen der geplanten Reise in die USA unter großem Zeitdruck, denn er wollte sowohl den „Fideikommiß“ wie den ersten Aufsatz über den „Geist des Kapitalismus“ samt Korrekturen vor seiner Abreise abschließen. Um Zeit zu gewinnen, ging denn auch der „Geist des Kapitalismus“ auf kurzem Wege und noch unvollständig in den Satz. Wie sich aus der Verlagskorrespondenz ergibt, schickte Edgar Jaffé das noch 12  Weber, Objektivität; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  12–22. 13  Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 12. April 1904 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4); es handelt sich um Neumann, Franz, Erinnerungsblätter von seiner Tochter Luise Neumann. – Tübingen, Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1904. 14  Weber, Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage in Preußen, in: MWG I/8, S.  81–188. 15  Auf den Fideikommiß-Aufsatz muß sich auch der Schlußsatz des Briefes beziehen: „Mir geht es ganz erträglich, ich habe eine umfangreiche recht schwierige Arbeit fertig machen können.“ 16  Paul Siebeck berichtet Edgar Jaffé am 28. April 1904 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck), das Webersche Manuskript sei eingetroffen, womit aber nur ein Manuskriptteil des Fideikommiß-Aufsatzes gemeint sein dürfte. Die Fertigstellung des gesamten Aufsatzes teilt Max Weber Edgar Jaffé am 23. Mai 1904 mit (Privatbesitz; MWG II/4). Der Aufsatz erschien im Septemberheft des „Archivs“ (Band  19, Heft 3). 17  Das Neumann-Buch (vgl. oben, Anm.  13) hatte Weber bis zum 4. Mai 1904 gelesen. Vgl. den Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 4. Mai 1904 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4). 18  „Auch schwankt mein Befinden constant, so daß ich zu meiner Hauptarbeit: ‚protestantische Ethik und Geist des Capitalismus‘ nur sporadisch komme.“ Max Webers Brief an Heinrich Rickert vom 14. Juni 1904 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  25, Bl.  11–12; MWG II/4).

100

Die protestantische Ethik. I. Das Problem

nicht fertige Manuskript am 13. Juli direkt an die Druckerei Lippert & Co. (G. Pätz’sche Buchdruckerei) in Naumburg und nicht erst, wie üblich, an den Verlag, der es dann an die Druckerei weitergeleitet hätte.19 Jaffé schätzte das Manuskript des ersten Aufsatzes auf „2 Bogen“. Weber hatte tatsächlich, wie er schreibt, sein Manuskript „auf Wunsch der Druckerei vorzeitig“20 und „nicht ganz druckfertig“21 eingereicht. Bereits am 20. Juli 1904 bat Max Weber Paul Siebeck, ihm die Korrekturbogen des ersten Aufsatzes schicken zu lassen, denn er wolle vor seiner Abreise in die USA wenigstens noch zweimal Korrektur lesen. Dies müsse sein, weil „daran sehr viel zu bessern u. zu corrigieren“ sei.22 Am 28. Juli 1904 teilte Paul Siebeck Max Weber mit, die Druckerei habe versprochen, „alle Correcturen Ihres Aufsatzes über die Protestantische Ethik heute an Sie abzusenden“.23 Schon einen Tag später saß Weber, wie er im Geburtstagsbrief an seinen Bruder Alfred schreibt, „tief in Correkturen“.24 Diese waren spätestens 19  Edgar Jaffé teilt Paul Siebeck am 13. Juli 1904 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck; MWG II/4) mit: „Da Prof. Weber seinen Beitrag für Bd.  X X Heft 1 vor seiner Abreise nach St. Louis korrigieren will, so sandte ich das M. S. heute direct nach Naumburg. Titel: Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus. Umfang: etwa 2 Druckbogen.“ 20  Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 20. Juli 1904 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4); wiedergegeben unten, Anm.  2 2. 21  Brief an Paul Siebeck vom 17. August 1904 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4); wiedergegeben unten, S.  101. 22  „Aber wichtiger ist mir: ich soll noch den Aufsatz über ‚Protestantische Ethik und Geist des Kapitalismus‘ vor meiner Abreise (15[.] August) in mindestens zwei Correkturen lesen, muß das auch – da ich bis Ende November fortbleibe – wenn er in Band  X X Heft I soll und habe daran sehr viel zu bessern u. zu corrigieren, da ich ihn auf Wunsch der Druckerei vorzeitig einschickte. Wie soll das in diesem Tempo gehen?“ Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 20. Juli 1904 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4). Siebeck antwortete darauf am 21. Juli 1904 (ebd.): „[.  .  .] habe ich die Druckerei sogleich telegraphisch beauftragt, die Korrekturen Ihrer beiden Aufsätze über ‚Fideikommisse‘ und über ‚Protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus‘ schleunigst in Fahnen an Sie abzusenden. Brieflich habe ich sie um Aufklärung ersucht, warum sie die Korrekturen nicht rascher liefert.“ 23  „[.  .  .] teile ich Ihnen ergebenst mit, dass die Druckerei versprochen hat, alle Correcturen Ihres Aufsatzes über die Protestantische Ethik heute an Sie abzusenden. Ich hoffe, dass alles noch rechtzeitig in Ihren Besitz gelangt.“ Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 28. Juli 1904 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446). Dies war auch drei Tage zuvor schon geplant: „Die Korrektur des Weber’schen Aufsatzes über ‚Protestantische Ethik‘ wird, wie die Druckerei schreibt, voraussichtlich am nächsten Donnerstag verschickt.“ Brief Paul Siebecks an Edgar Jaffé vom 25. Juli 1904 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). 24  Brief Max Webers an Alfred Weber vom 29. Juli 1904 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl.  5 6–58; MWG II/4). An diesem Tag dürften die nach Ausweis der Briefe einen Tag zuvor versandten Korrekturen zur „Protestantischen Ethik“ eingetroffen sein (vgl. oben, Anm.  2 3). Weber könnte aber auch die Revision seines „Fidei­ kommiß-Aufsatzes“ mitmeinen, denn Edgar Jaffé hatte Paul Siebeck am 24. Juli 1904

Editorischer Bericht

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am 17. August 1904 abgeschlossen. Unter diesem Datum berichtet Weber dem Verleger darüber: „Die Correkturen sind Gott sei Dank erledigt. Die Druk­ kerei hat dabei constant neue Fehler gemacht, z. B. wenn ein Wort in der Correktur eingeschoben war, ein andres statt dessen weggelassen, beim Neu-Umbrechen von Zeilen diese durcheinandergebracht etc., so daß ich finde, es war wirklich etwas arg. Richtig ist ja, daß die Sache, da ich das Mscr. auf Wunsch nicht ganz druckfertig einlieferte, diesmal recht schwierig war.“25 Tatsächlich weist auch der Druck noch etliche Fehler auf. Schon am 15. August hatte Edgar Jaffé für das erste Heft des 20. Bandes des „Archivs“ bestimmt, daß „Weber an die Spitze kommt“ und sein Beitrag gedruckt werden könne, sobald er, Jaffé, die Imprimaturbögen geschickt habe.26 Zwei Tage zuvor hatte man ihn für die Disposition des Heftes über den tatsächlichen Umfang von Webers Aufsatz informiert. Er betrage „3 Bogen [+] 4 Seiten“, das sind 52 Druckseiten.27 Der Artikel war also um ca. 20 Seiten länger, als von Edgar Jaffé im Juli geschätzt. Die Erweiterung dürfte in erster Linie darauf zurückzuführen sein, daß Weber während des Korrekturvorgangs viel nachtrug. Was er einschob oder besserte, läßt sich nicht mehr feststellen – weder ist das Manuskript noch sind Korrektur- oder Revisionsbogen überliefert.28 Brüche in der Zählung der Fußnoten weist die stets pro Seite neu anhebende Fußnotenzählung des ersten Aufsatzes nicht auf.29 Allerdings ist bei der ursprünglichen Schätzung des Umfangs zu berücksichtigen, daß Webers schwer leserliche Handschrift eine exakte Angabe vor der Absetzung nahezu unmöglich machte.30 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck; MWG II/4) darum gebeten, die Druckerei zu instruieren, „sofort Revision an Prof. Weber zu senden“, was sich auf den Fideikommiß-Aufsatz beziehen muß. 25  Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 17. August 1904 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4). 26  Brief Edgar Jaffés an den Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) vom 15. August 1904 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). 27  Brief Wille/Pflug an Edgar Jaffé vom 13. August 1904 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). – Der Aufsatz umfaßt im „Archiv“ später 54 Druckseiten. Woher die Differenz rührt, konnte nicht geklärt werden. Ob Weber tatsächlich bis zum 17. August korrigierte und dabei den Aufsatz erweiterte? 28 In einem nach dem 21. Juli 1904 geschriebenen Brief an Georg Jellinek (BA Koblenz, Nl. Georg Jellinek, Nr.  31; MWG II/4) bedankt sich Weber für einen nicht näher genannten „freundlichen Hinweis auf die Montesquieu-Stelle“. Dies könnte sich auf die (dann eingeschobene) Stelle im Text, unten, S.  139 f., beziehen. Es könnte jedoch auch zu Webers geplantem Beitrag über Jellineks „Erklärung der Menschenund Bürgerrechte“ gehören; dazu unten, S.  102 mit Anm.  3 9, und die Einleitung, oben, S.  56. 29  So die Fußnotenzählung in dem gesamten Band  X X des „Archivs“. Vgl. dazu aber unten, S.  183, Fn.  4 0 mit Anm.  2 9, und S.  187, Fn.  4 0 mit Anm.  47. 30  Paul Siebeck entschuldigt sich bei Edgar Jaffé am 2. August 1904 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck), daß er Webers Artikel über den Fideikommiß „viel zu

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Die protestantische Ethik. I. Das Problem

Ob Weber zu diesem Zeitpunkt bereits den zweiten Aufsatz konzipiert hatte, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen.31 Allerdings gibt es in Abschnitt 3 des ersten Aufsatzes, überschrieben „Luthers Berufsbegriff. Aufgabe der Untersuchung“, einige Hinweise auf den zweiten Aufsatz.32 So wolle er eine „geschichtliche Zurückverfolgung des puritanischen Berufsbegriffes nach dessen Darstellung“ liefern.33 Der Zusammenhang von deutscher Mystik und Luthertum solle vertieft werden,34 was im zweiten Aufsatz dann auch geschieht.35 Er erwähnt Matthias Schneckenburgers Werk „Vergleichende Darstellung des lutherischen und reformierten Lehrbegriffs“ (Stuttgart 1855), das ihm später im ersten Abschnitt des zweiten Aufsatzes als Grundlage dient.36 Ein weiterer Hinweis betrifft Calvins Nähe zu Luther im Gegensatz zum Bewährungsgedanken des Puritanismus, „wie weiterhin zu erörtern sein wird“.37 Daß Weber noch im Sommer 1904 mit der Ausarbeitung des zweiten Aufsatzes begann, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Er hatte wegen der genannten Korrekturen und anderer Arbeiten vor der Abreise in die USA am 18. August 1904 dafür einfach keine Zeit. Eine ins Auge gefaßte Besprechung von Jellineks „Erklärung der Menschenrechte“ mit einer Ergänzung „in Bezug auf die für den Inhalt der im Cromwellschen Zeitalter geforderten Individualrechte maßgebende geschichtliche Situation“ – eine „wesentlich die Staatsdoktrin des Anabaptismus und dergleichen Dinge berührende – Sache“, über die er am 19. Juli 1904 Georg v. Below berichtete,38 ließ er fallen.39 Das Thema, das er ursprünglich für den „Congress of Arts and Science“ in St. Louis, den äußeren Anlaß seiner USAReise, vorgesehen hatte, „Der Streit um den Charakter der altgermanischen

knapp“ bemessen habe; es gebe kaum eine schwierigere Aufgabe, „als ein Weber’sches Manuskript auf seinen Umfang richtig zu berechnen“. 31  Näheres dazu im Editorischen Bericht zu Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  2 23–225, und in der Einleitung, oben, S.  57. 32  Vgl. dazu besonders unten, S.  2 08–215. 33  Unten, S.  208, Fn.  60. 34  Unten, S.  208. 35  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  277 ff. 36  Unten, S.  201, Fn.  50. 37 Unten, S.  2 05, Fn.  5 6; dann von Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  272 f. und S.  274 mit Fn.  27, ausgeführt. 38  Dazu die Einleitung, oben, S.  5 6, und den Brief Max Webers an Georg v. Below vom 19. Juli 1904 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3 0, Bd.  4, Bl.  9 6 f.; MWG II/4). Die zweite, erweiterte Auflage von Jellineks Studie „Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“. – Leipzig: Duncker & Humblot 1904 war vermutlich Anfang des Jahres erschienen (die Vorrede stammt vom 3. Dezember 1903). 39  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  314, Fn.  78. Weber äußert im Brief an v. Below (wie Anm.  3 8) selbst, er sei sich „nicht sicher [.  .  .], ob ich vor meiner Abreise dazu komme, die Sache zu Papier zu bringen“.

Editorischer Bericht

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Sozialverfassung“,40 tauschte er gegen ein anderes aus. Aus der Beschäftigung mit dem ersten Thema wurde dann der Aufsatz unter dem oben genannten Titel, der im Oktober 1904 erschien, also ebenfalls noch vor der Abreise druckfertig gemacht worden sein mußte. Ob er den in deutscher Sprache gehaltenen Vortrag in St. Louis ebenfalls noch vor der Abreise für den Druck ausarbeitete, läßt sich im Rückblick nicht sagen. Er erschien unter dem Titel „The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science“ im Kongreßbericht in englischer Übersetzung erst 1906, kann also auch noch nach der Reise druckfertig gemacht worden sein.41 Wie schon die Überschrift des ersten Aufsatzes, „I. Das Problem“, besagt, will Weber zunächst auf Methode und Inhalt des zweiten Aufsatzes hinführen, der dann mit „II. Die Berufsidee des asketischen Protestantismus“ betitelt ist. Die Herkunft der modernen Berufsidee wird also erst im zweiten Aufsatz dargelegt. Doch bereits im ersten Aufsatz gibt es zwei Beiträge dazu: (1.) Weber beobachtet, daß in der Reformation die weltliche Arbeit eine religiöse Bedeutung gewonnen hatte. Diese Beobachtung sucht er durch eine Art semantischer Analyse zu stützen.42 An die Stelle der mönchisch-asketischen Weltflucht zur Überbietung der innerweltlichen Sittlichkeit trete die „Schätzung der Pflichterfüllung innerhalb der weltlichen Berufe als des höchsten Inhaltes, den die sittliche Selbstbetätigung überhaupt annehmen könne“.43 Es sei Luther gewesen, der den weltlichen Beruf mit dem Gedanken der Berufspflicht verbunden habe. Dies ist der erste Schritt. (2.) Bei näherem Zusehen zeige sich jedoch, so Weber, daß „[d]er bloße Gedanke des ‚Berufes‘ im lutherischen Sinn [.  .  .] von jedenfalls nur problematischer Tragweite für das [ist], was wir suchen“. Deshalb sei es nötig, sich der „auffällige[n] Rolle des Calvinismus und der protestantischen Sekten in der Geschichte der kapitalistischen Entwicklung“ zuzuwenden.44 Zunächst müsse man sich also mit dem lutherischen Begriff auseinandersetzen. Dazu zeichnet Weber die theologische Entwicklung Luthers nach. Dies führt ihn zu dem Ergebnis, Luther sei „nicht nur traditionalistisch geblieben, sondern immer traditionalistischer geworden“.45 Letztlich obsiege bei ihm der Gedanke vom Beruf als gehorsamer „Schickung“ in die gegebene Lebenslage über den anfänglichen Gedanken

40  Noch am 19. Juli 1904 wollte er darüber auf dem Kongreß referieren. Vgl. Brief Max Webers vom selben Tag an Georg v. Below (wie oben, S.  102 mit Anm.  3 8). 41  Die Publikation im Kongreßband ist ediert in MWG I/8, S.  212–243. Wann Weber den Text für den Druck ausarbeitete und ob er die Übersetzung kontrollieren konnte, läßt sich seiner Korrespondenz nicht entnehmen. Dazu MWG I/8, S.  2 00–211 (Editorischer Bericht). 42  Vgl. unten, S.  178 ff. 43  Unten, S.  189. 44  Unten, S.  2 09 f. 45  Unten, S.  201.

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einer von Gott gegebenen Aufgabe.46 Damit ist der Boden für den zweiten Aufsatz bereitet: Für den Berufsbegriff, wie er sich im reformierten Protestantismus entwickelte.

II.  Zur Überlieferung und Edition 1.  Zur Überlieferung Vom ersten Aufsatz „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ sind weder das handschriftliche Manuskript noch Korrektur- oder Revisionsfahnen überliefert. Die Edition folgt dem Erstdruck: Weber, Max, Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus. I. Das Problem, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Neue Folge des Archivs für soziale Gesetzgebung und Statistik, begründet von Heinrich Braun, hg. von Werner Sombart, Max Weber und Edgar Jaffé, 20. Band (der neuen Folge 2. Band), 1. Heft. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1904, S.  1–54 (A). Das erste Heft des 20. Bandes, das diesen ersten Aufsatz enthält, wurde im November 1904 ausgegeben.47 Max Weber erhielt 40 Separatabzüge.48 Zusammen mit dem zweiten Aufsatz überarbeitete Weber den ersten für seine „Gesammelte[n] Aufsätze zur Religionssoziologie“. Die Überarbeitung erschien im I. Band. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1920, S.  17–206. Sie wird in MWG I/18 gesondert ediert.

46  Vgl. unten, S.  2 06–208. 47 Im „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ wurde das 228 Seiten umfassende Heft am 18. November 1904 angekündigt (71. Jg., Nr.  2 68 vom 18. Nov. 1904, S.  10243). 48  Im Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 12. Dezember 1904 (VA Mohr Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446) heißt es: „Die 40 Separatabzüge Ihrer Abhandlung in Heft 1 des XX. Bandes liess ich in Naumburg reservieren, da ich vermutete, dass Paketsendungen während Ihrer Abwesenheit besser unterblieben. Nachdem Sie zurückgekehrt sind, habe ich die Druckerei beauftragt, Ihnen die Separatabzüge nunmehr zuzusenden.“ Abwesenheit und Rückkehr beziehen sich auf Max Webers USA-Reise von August bis November 1904. Wenige Tage später schreibt Weber bereits Karl Vossler am 17. Dezember 1904 (BSB München, Ana 350, 12.A. Weber, Max, Nr.  1; MWG II/4): „[.  .  .] ich habe leider alle Separatabzüge meiner letzten Aufsätze vergeben [.  .  .]“. Eine Liste mit den Empfängern findet sich in der überlieferten Korrespondenz nicht. Ein Exemplar wollte Weber jedenfalls Hugo Münsterberg zukommen lassen, wie er ihm am 14. November 1904 (Boston Public Library, Münsterberg Papers, Ms. Acc. 2229; MWG II/4) ankündigt: „Ich sende Ihnen von Heidelberg ein kurzes Essay über den Puritanismus (Artikel 1).“ Wahrscheinlich erhielt auch Edwin R. A. Seligman eines, dem Weber „demnächst einige Essays“ schicken wollte; vgl. Brief Max Webers an denselben vom 19. November 1904 (Columbia University Libraries, New York, Archival Collections, Ms Coll/Seligman; MWG II/4).

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Der später gedruckte Titel „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ mit den charakteristischen Anführungszeichen findet sich zum ersten Mal in dem Brief von Edgar Jaffé an den Verlag vom 13. Juli 1904,49 mit dem dieser Webers Manuskript einreicht. Weber selbst spricht bei der ersten Erwähnung seiner Studie gegenüber Paul Siebeck am 12. April 1904 von „Protestantische[r] Ethik und kapitalistische[m] Geist“.50 Mitte Juni 1904 nennt er sie „protestantische Ethik und Geist des Capitalismus“.51 Der Titel mit den charakteristischen Anführungszeichen sowie der Beitrag selbst sind von Max Weber autorisiert.

2.  Zur Edition Textbehandlung und Textgestaltung Wie in der Max Weber-Gesamtausgabe üblich, sind die Hervorhebungen, die im „Archiv“ in Sperrdruck erscheinen, kursiv wiedergegeben. Petitdruckpassagen erfolgen in Normalschrift, werden aber textkritisch ausgewiesen. Die Zählung der Fußnoten, die im „Archiv“ auf jeder Seite mit „1)“ beginnt, ist durch eine durchgängige ersetzt. Nach den Editionsregeln für Abteilung I (vgl. unten, S.  9 84–992) gilt der Grundsatz, so wenig wie möglich in den Text einzugreifen. Allerdings ist der unter Zeitdruck entstandene und korrigierte Text im „Archiv“ teilweise fehlerhaft. Stillschweigend gebessert werden nur offensichtliche Druckfehler im Deutschen (z. B. „Abeiterschaft“, unten, S.  123, Fn.  1, u.v. a.). Mit Ausnahme der nach den Editionsregeln stillschweigend nachzuführenden Kommata vor einem mit „und“ angereihten Hauptsatz, einem Relativ- oder einem mit „daß“ eingeleiteten Nebensatz sowie bei Aufzählungen werden anderweitig er­ gänzte Interpunktionszeichen (Kommata, An- und Ausführungszeichen) durch eckige Klammern kenntlich gemacht. Fehlende Punkte nach „f“ oder „ff“ (folgende Seite/n) sowie bei Herrscherzählungen werden stillschweigend ergänzt. Emendiert werden dagegen alle Versehen, die auf einer Verschreibung Webers oder auf einen Lesefehler des Setzers hindeuten (z. B. „Kapitalrentensteuerkapitel“ statt „Kapitalrentensteuerkapital“, S.  125, Fn.  4). Dazu zählen auch Grammatikfehler. Die ursprüngliche Lesart im „Archiv“ wird stets im text49  Vgl. Brief Edgar Jaffés an Paul Siebeck vom 13. Juli 1904 (zitiert oben, S.  100, Anm.  19). 50  Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 12. April 1904 (wiedergegeben im Briefzitat oben, S.  9 9). 51  Brief an Heinrich Rickert vom 14. Juni 1904 (wie oben, S.  9 9, Anm.  18), so auch im Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 20. Juli 1904 (wie oben, S.  100, Anm.  2 2).

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kritischen Apparat nachgewiesen. Auf diese Weise werden auch andernorts nicht nachgewiesene Eigennamenschreibungen behandelt, etwa von „Pieter de la Cour“, richtig „de la Court“ (S.  157), von „Paul Gerhard“, richtig „Gerhardt“ (S.  211; beide wiederholt unten, S.  246 und 418), und von „Tindal“ statt richtig „Tindale“ (oder „Tyndale“) (beide S.  189, Fn.  52). Dasselbe gilt für überzählige Interpunktionszeichen im Text (z. B. S.  123 mit textkritischer Anm.  b, oder S.  129, Fn.  8 mit textkritischer Anm.  h). Bei Ziffern und Zahlen werden Druck- und Lesefehler oder offensichtliche Versehen emendiert (z. B. S.  128, Fn.  7 mit textkritischer Anm.  e).52 Unverändert beibehalten wird die Weber-eigene oder in seiner Zeit übliche Schreibweise (z. B. „Frohnde“ statt „Fronde“, S.  179, Fn.  3 8). Den Theologen Ernst Troeltsch schreibt Weber immer „Tröltsch“, Voet immer „Voët“ (S.  139 und unten, S.  246, 289, 308 u. ö.). Belassen werden auch gelegentliche Schreibvarianten (z.  B. c/k, t/th, auch: „Neuengland-Kolonien“, S.   125/ „Neu-England-Kolonien“, S.   138, Fn.   16); „gerade“/„grade“ (beide S.   126), Max Webers Groß- anstelle der erwarteten Kleinschreibung (z. B. „zu Allem“, S.  214) und seine Zusammen- oder Getrenntschreibung (z. B. auch „wieviel“ statt „wie viel“, S.  154, Fn.  27). Substantivierte Adjektive oder Partizipien sind uneinheitlich groß oder klein geschrieben. Die Editoren greifen hier nur ein, wenn es für das Verständnis nötig ist. Unverändert bleiben außerdem „von Jemand“ (S.  179, Fn.  3 8, u. ä.) sowie abgeschliffene Endungen (z. B. „Eins der technischen Mittel“ statt erwartetem „Eines [.  .  .]“, S.  155). Adjektive und Partizipien, die nach solcher/e/es, welcher/e/es o. ä. stehen, werden von Weber öfter (nicht immer) stark dekliniert, während wir heute in diesen Fällen schwach deklinieren. Auch hier wird nicht eingegriffen. Außerdem bleibt die bei Weber beliebte doppelte Interpunktion (, – oder : –), auch seine Kommasetzung vor mit „als“ oder „wie“ eingeleiteten Vergleichen (z. B. S.  138, Z.  2), erhalten. Beibehalten werden in den Quellen- und Literaturnachweisen der Editoren auch die in älteren Texten samt Bibelausgaben zu findenden Schreibweisen (v, w auch für „u“) und Umlautwiedergaben, z. B. u° (S.  183, Anm.  28), sowie die dort gebrauchte Virgel. Im Interesse des Lesers werden die von Max Weber verwendeten Abkürzungen in bibliographischen Angaben aufgelöst, z. B. bei Enzyklopädien, Werkausgaben oder bei Zeitschriftentiteln. Die Ergänzungen stehen in eckigen Klammern. Auch abgekürzte Namen und Vornamen im Textzusammenhang (letztere nicht bei rein bibliographischen Angaben) werden auf diese Weise vervollständigt. Nicht berührt davon ist der Gebrauch geläufiger Abkürzungen (z. B. „m. a. W.“, „l. c.“). Für die biblischen Bücher gebraucht Max Weber die zu seiner Zeit bekannten Abkürzungen, die auch heute noch Verwendung finden. Sie werden deshalb nicht ergänzt. Sämtliche Abkür52  Vgl. dazu auch unten, S.  108.

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zungen können im Verzeichnis der Siglen, Zeichen und Abkürzungen nachgeschlagen werden, oben, S.  XI–XIX. Behandlung der Zitate Max Webers Innerhalb eines Zitats werden die im „Archiv“ doppelten durch einfache Anund Ausführungszeichen stillschweigend ersetzt. Ergänzungen in runden Klammern im Zitat stammen stets von Max Weber, ebenso die von ihm gekennzeichneten Auslassungen (im edierten Text durch „.  .  .“ markiert). Die zahlreichen Hervorhebungen innerhalb eines Zitats stammen alle von Max Weber. Auf den Nachweis der Abweichung vom Original wird – mit Ausnahme der Franklin-Passagen (unten, S.  142–145),53 zugleich exemplarisch – verzichtet. Grundsätzlich werden Abweichungen der Zitatwiedergaben Max Webers mit den von ihm benutzten Vorlagen nicht textkritisch behandelt. Die Editoren greifen also nicht bei abweichender Interpunktion und Orthographie oder auch bei kleineren Änderungen ein, die Weber gegenüber seiner Quelle vornahm, etwa bei Eindeutschungen (im Zitat aus einer Predigt Taulers nach der „Basler Ausgabe“, S.  184, Fn.  4 0) oder einem j statt i im Lateinischen (z. B. „juxta“ statt wie in Webers Quelle „iuxta“, S.  182, Fn.  3 9). Einen Grenzfall bilden einzelne, von Weber absichtlich ausgelassene Wörter. Würde ein Nachweis ohne Aussagekraft bleiben, etwa bei ausgelassenen Wortpartikeln, wird er nicht geführt. Stillschweigend gebessert werden nur offensichtliche Druckfehler bei deutschen Zitaten (z. B. „Vergüngen“ statt „Vergnügen“, S.  143). Bei griechischen Wörtern oder Zitaten werden hingegen sowohl Buchstaben- als auch Akzentversehen emendiert. Vermutlich aufgrund der mangelnden Englisch-Kenntnisse des Druckers oder Druckerei-Korrektors 54 entstanden bei englischen Zitaten – besonders im zweiten Aufsatz – viele Fehler. Sie werden mit Nachweis emendiert (z. B. „trough“ statt „through“, S.  198, Fn.  47). Dasselbe gilt für italienische und lateinische Zitate. Hier werden Druck- und Lesefehler, Verschreibungen, Tempus-, Kasus- oder sonstige Grammatikfehler nach der zugrundeliegenden, von Weber ausgewiesenen Quelle emendiert. Nicht emendiert werden dagegen absichtlich vorgenommene, im Satzzusammenhang „stimmige“ Änderungen Max Webers (z. B. S.  206, Fn.  47). Auf diese Abweichungen vom Original wird im Sacherläuterungsapparat hingewiesen (ebd., Anm.  42). Dies gilt auch für alle anderen Besonderheiten in der Handhabung der Quelle.

53  Vgl. dazu unten, S.  109–111. 54  Vgl. dazu auch den Editorischen Bericht zu Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  2 25 f.

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Behandlung der Literaturnachweise Max Webers Es fällt auf, daß die Literaturangaben in Webers Text bei Seiten, Bandnummern oder Jahreszahlen (z. B. S.  128, Fn.  7) häufig Fehler enthalten. Das kann verschiedene Ursachen haben (z. B. versehentlicher Wegfall der Endziffer beim Druck, S.  136, Fn.  14; Lesefehler des Setzers, S.  135, Fn.  13; S.  146, Fn.  21; S.  192, Fn.  4 3; S.  2 05, Fn.  56, u. a.). Weil sie offensichtlich unbeabsichtigt sind, werden sie richtiggestellt. Andere Angaben bleiben unscharf oder unsicher (z. B. S.  147, Fn.  22 mit Anm.  3 6) oder lassen sich nicht nachweisen (S.  2 09, Fn.  62 mit Anm.  5 4). Diese Ziffern oder Zahlen werden im Text unverändert belassen. Eine Anmerkung im Erläuterungsapparat informiert an diesen Stellen über die zu erwartende oder möglicherweise gemeinte Angabe. Dies gilt auch für eine nicht korrekte Angabe des Erscheinungsjahrs bei rein bibliographischen Hinweisen (z. B. S.  191, Fn.  42 mit Anm.  6 9): Die Korrektur erfolgt in einer Sachanmerkung, weil es sich um einen Sachfehler handelt. Dasselbe Verfahren ist bei einer vom Original abweichende Bezeichnung im verwiesenen Titel angewandt. Der korrekte Wortlaut wird im Erläuterungsapparat mitgeteilt (z. B. S.  190, Fn.  41 mit Anm.  6 4), und durch den Kurztitel wird auf die vollständige Titelangabe im Literaturverzeichnis verwiesen. Sprachliche Abweichungen im Titel (Eindeutschungen, Wiedergabe eines Wortes mit „z“ statt „c“, „ie“ statt „i“, etwa bei „reformirt“, etc.) bleiben davon ausgenommen. Bei bibliographischen Belegen wird öfter eine Seitenzahl mit „f.“ („folgende“) angegeben, wo man „ff.“ („fortfolgende“) erwartet, weil Weber sich nachweislich auf einen größeren Abschnitt einer Schrift bezieht (z. B. S.  159, Fn.  28 mit Anm.  77). Dies wurde belassen. Eine Sacherläuterung präzisiert die gemeinten Seitenangaben. Weber weist den Großteil der von ihm zitierten oder referierten Quellen und Literatur mit bibliographischen Angaben nach. Aufgabe der Edition ist es, diese mitsamt Zitat zu überprüfen, Zitate zu belegen und unvollständige Literaturangaben nachzutragen. Versehen werden nach den oben beschriebenen Regeln richtiggestellt. Damit namentliche, aber etwa ohne (Aufsatz-)Titel verwiesene Literatur im „Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur“ (unten, S.  8 43–868) aufgefunden werden kann, wird in einer Sacherläuterung der im Literaturverzeichnis eingeführte Kurztitel eingebracht (z. B. S.  127, Anm.  14). Die im Literaturverzeichnis eingeführten Kurztitel werden generell für Literaturhinweise oder -zitate der Editoren verwendet. Ausgaben oder Auflagen, die Weber nicht näher bezeichnet, werden von den Editoren erschlossen und im Literaturverzeichnis ausbibliographiert. Zur Präzisierung der Angaben wurde – falls vorhanden – auf die überlieferten Handexemplare Max Webers oder auf anderweitig von ihm zitierte Ausgaben zurückgegriffen. Falls beides nicht möglich war, wurde zeitnahe Literatur herangezogen.

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Einige Exemplare sind in der Handbibliothek Max Webers vorhanden, die sich in der Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München, befindet. Sofern dies der Fall ist, wird nach dieser Ausgabe zitiert (z. B. Montesquieu, S.  139 f. mit Anm.  5 4). Marginalien von Webers Hand finden sich in Exemplaren der Heidelberger Universitätsbibliothek, wie dies etwa bei Luthers „Von der Freiheit eines Chri­stenmenschen“ im 27. Band der „Erlanger Ausgabe“ der Fall ist (vgl. unten, S.  191–193, Fn.  4 3 mit Anmerkungen). Darüber informiert eine Sacherläuterung. Sowohl die in der Handbi­bliothek Max Webers befindlichen Bücher als auch die Marginalien enthaltenden Exemplare sind im Literaturverzeichnis ausgewiesen. Behandlung der Quellen Max Webers Max Weber verwendet Quellen in einer ihm charakteristischen Weise; neben Direktzitaten stehen Zitatkombinationen und eine Quellenauswahl, die sich zumeist nicht auf den ersten Blick erschließt. Durch den genauen philologischen Nachweis der benutzten Vorlagen und der von Weber herangezogenen Sekundärliteratur wird in den Sacherläuterungen die Quellenbasis detailliert aufgeschlüsselt. Um dies zu illustrieren, sind hier drei signifikante Beispiele der Kommentierungsarbeit und der im Hintergrund vorgenommenen Recherchen ausführlicher dargestellt. Max Weber kombiniert im Falle von Benjamin Franklin eine deutsche Übersetzung mit dem englischen Original (a), zieht zu seiner semantischen Analyse des Berufsbegriffs zahlreiche, mitunter nur summarisch genannte Bibelübersetzungen, Lexika und Wörterbücher heran (b) und zitiert zum Berufsverständnis Luthers aus dessen Schriften, wobei ihm Karl Egers Untersuchung „Die Anschauungen Luthers vom Beruf“ (1900) als Leitfaden dient (c). a) Weber veranschaulicht seinen Begriff „‚Geist‘ des Kapitalismus“ anhand von Passagen aus Schriften von Benjamin Franklin (vgl. S.  142–145). Im Kontext seiner Protestantismus-Aufsätze handelt es sich an dieser Stelle um ein „provisorisches Beispiel“ (S.  164) des Begriffs. Er gibt die Franklin-Passagen auf Deutsch wieder. Wie er selbst anmerkt, folgt er bei der Übersetzung Kürnbergers Roman „Der Amerika-Müde“ (Frankfurt 1855), worin Kürnberger sie als „Glaubensbekenntnis des Yankeetums“ (S.  145 f.) verhöhne. Weber „korrigiert“ die Passagen nach dem Original der Traktate in einer von Jared Sparks herausgegebenen Werkausgabe (vgl. S.  145, Fn.  18 und 19). Anschließend interpretiert er sie, in dem er sie mit Aussagen aus Franklins Autobiographie über die „Nützlichkeit“ der Tugenden verbindet (vgl. S.  147–151). Im Fokus steht dabei die Berufstüchtigkeit, dem „wirkliche[n] A und O der Moral Frank­ lins, wie sie in der zitierten Stelle ebenso wie in allen seinen Schriften ohne Ausnahme uns entgegentritt“ (S.  150). Der calvinistisch erzogene „Deist“ und Utilitarist Franklin führe, so Weber, die Bedeutung der Tugenden, die sich ihm erschlossen habe, auf göttlichen Ursprung zurück (vgl. S.  149 f.). Frank­lins

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Autobiographie war Weber seit seiner Jugend bekannt.55 Friedrich Kapp, der Herausgeber der Ausgabe der Lebenserinnerungen Franklins (sie trägt das Erscheinungsjahr 1876), hatte Max Weber das Buch zu Weihnachten 1875 geschenkt (so die handschriftliche Widmung in seinem Handexemplar, Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München). Weber ist der Meinung, darin trete Franklins Charakter von einer „immerhin seltenen Ehrlichkeit“ zutage (S.  149). Der erste Text ist in der von Weber benutzten Franklin-Ausgabe (Sparks, Works of Franklin II) mit „Advice to a young tradesman. Written in the year 1748“, p.  87–89, überschrieben; der zweite mit „Necessary hints to those that would be rich. Written in the year 1736“, p.  8 0 f. Beide Texte werden dort unter der Rubrik „Essays on religious and moral subjects and the economy of life“ (vgl. Sparks, Works of Franklin II, p.  1–163) geführt. Während andere „Essays“ im Umfeld die Beigabe „From poor Richard’s Almanac“ (z. B. p.  8 3, 86) tragen, finden sich zu diesen beiden Texten keine präzisen Erstdruckinformationen. Auch Kürnberger schreibt sie lediglich Franklin zu. – Franklins „Advice“ erschien zuerst in: Fisher, George, The American Instructor: or Young Man’s Best Companion, 9 th Ed. – Philadelphia: Printed by B. Franklin and D. Hall, at the New-Printing-Office 1748, p.  375–377. Es handelt sich dabei um „a popular manual of English grammar, penmanship, composition, arithmetic, bookkeeping, and other useful matters for young men entering business“ (p.  3 04 f.). Franklins „Necessary hints“ wurden zuerst gedruckt in: Poor Richard, 1737. An Almanack For the Year of Christ 1737. By Richard Saunders. – Philadelphia: Printed by B. Franklin [.  .  .]. (Angaben der Erstdrucke nach: The Papers of Benjamin Franklin, ed. by Labaree, Leonard W. u. a. – New Haven: Yale University Press, vol. 3, 1961, p.  3 04–308, und vol. 2, 1960, p.  162, 165.) Über „Poor Richard’s Almanack“, den Franklin von 1732–1757 einmal jährlich druckte und der sich großer Beliebtheit und Verbreitung erfreute, äußert er in seiner „Autobiographie“, er habe ihn „sowohl unterhaltend als gemeinnützig“ gestaltet. Er betrachtete ihn „als das geeignete Mittel zur Verbreitung von Belehrung unter dem gemeinen Volk“. Und weiter: „Ich füllte daher alle Zwischenräume, welche zwischen den merkwürdigen Tagen in dem Kalender vorkamen, mit Sprichwörtern und kurzen Sätzen aus, namentlich mit solchen, welche Fleiß und Genügsamkeit [Original: industry and frugality] einprägten, als die Mittel, um zum Wohlstand zu gelangen und dadurch Tugend zu sichern. Es ist nämlich für einen Menschen in der Noth weit schwieriger rechtschaffen zu handeln, denn – um hier gleich eines jener Sprichwörter anzuwenden – ‚für einen leeren Sack ist es schwer, aufrecht zu stehen‘“ (Franklin, Sein Leben, S.  313 f.; dass. engl. auch im Kontext der von Weber zitierten Passagen bei Sparks, Works of Franklin II, p.  92). 55 Gemeint ist: Franklin, Benjamin, Sein Leben, von ihm selbst beschrieben. Mit einem Vorwort von Berthold Auerbach und einer historisch-politischen Einleitung von Friedrich Kapp. – Stuttgart: Aug. Berth. Auerbach 1876.

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Da Weber nicht nur von Kürnbergers Übersetzung, sondern teilweise auch von Franklins Original abweicht, werden diese Abweichungen mit Ausnahme sprachlicher Glättungen oder nebensächlicher Wortauslassungen mitgeteilt (wie oben beschrieben, S.  107). Weber verbindet beide Texte zu einer Art Textmontage. Um die von Weber verfolgte Absicht zu verdeutlichen, wird, abweichend von der sonstigen Handhabung und zugleich exemplarisch, mitgeteilt, an welchen Stellen die Vorlagen Hervorhebungen haben und wo diese von Weber stammen. b) Semantische Analyse des Berufsbegriffs. Weber stellt zu Beginn seines dritten Abschnitts die These auf, der weltliche Berufsbegriff enthalte in den biblischen Texten „bei allen protestantischen Völkern“, insbesondere aber in den deutschen und den englischen, eine religiöse „Färbung“ im Sinne „einer von Gott gestellten Aufgabe“ (unten, S.  178 f.), die bei den biblischen Texten in den klassischen Sprachen und in den romanischen Sprachen der überwiegend katholischen Völker fehle. „Beruf“ und „Berufung“ fielen bei den Protestanten in eins. Weber führt dies auf den Geist der Übersetzer zurück. Diese These sucht er anhand von Bibelstellen und ihrer jeweiligen Übersetzung zu belegen, was zu einem äußerst umfangreichen Fußnotenapparat führt (unten, S.  178–181). Anders als im Fall von Luthers theologischer Entwicklung (dazu unten S.  119–121) konnte er sich hier auf keine Sekundärliteratur stützen. Er sichtet Bibelausgaben – vermutlich vor allem in der Universitätsbibliothek Heidelberg –, schlägt in Wörterbüchern nach und holt Auskünfte von Fachkollegen ein.56 Das Ergebnis seiner gründlichen Untersuchung wurde später anerkennend beachtet.57

56  Namentlich nennt Weber den klassischen Philologen und Religionswissenschaftler Albrecht Dieterich, den Freiburger Romanisten Gottfried Baist, den mit dem Althochdeutschen vertrauten Germanisten Wilhelm Braune und den Anglisten Johannes Hoops, den mit semitischen Sprachen vertrauten Alttestamentler Adalbert Merx und den Neutestamentler Adolf Deissmann. 57  So z. B. in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, hg. von Gerhard Kittel, 3. Band. – Stuttgart: W. Kohlhammer 1938, s.v. κλῆσις, S.  4 92–495, S.  4 92 f., Anm.  1. Kittel nennt auch Holl, Karl, Die Geschichte des Worts Beruf (1924), in: ders., Ges. Aufsätze zur Kirchengeschichte, Band  3. – Tübingen: Mohr 1928, S.  189–219, hebt Webers Untersuchung aber hervor: „Vor, neben und über Holl hinaus hat Weber über die sprachlich und sachlich weitverzweigte und verwickelte Frage nach dem Begriff ‚Beruf‘ das Umfassendste und Beste gewußt und gesagt.“ Des weiteren: Conze, Werner, Art. Beruf, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck, Band  1. – Stuttgart: Ernst Klett – J. G. Cotta 1972, S.  4 89–507 (Holl tritt gegenüber Weber stark zurück); Rendtorff, T[rutz], Art. Beruf, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter u. a., Band  1. – Basel: Schwabe 1971, Sp.  8 33–835 (nennt Weber und Holl).

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Im Einzelnen: Luthers Bibelübersetzung. Weber dürfte den Hinweis auf Jesus Sirach (Sir 11,20 f.), wo aus seiner Sicht in Luthers Übersetzung die neue Bedeutung des Berufsbegriff erstmals begegnet, einer deutschen Bibel-Konkordanz s.v. „Beruf“ entnommen haben, die – neben den neutestamentlichen Stellen 1 Kor 1,26; Eph 1,18; 4,1.4; 2 Thess 1,11; 2 Petr 1,10, Hebr 3,1 – auch 1 Kor 7,20 aufführt.58 Weber stützt sich für seine Argumentation auf die genannten Stellen, insbesondere auf Sir 11,20 f. und 1 Kor 7,20. Wie sich zeigt, zog er originale Lutherbibeln nicht heran, sondern benutzte über eine Konkordanz hinaus „moderne“ Lutherübersetzungen. Luthers Übersetzung lautet im Erstdruck des Jesus Sirach-Buches von Anfang 1533: „20 Bleib jnn Gottes wort, vnd vbe dich drinnen, vnd beharre jnn deinem beruff, Vnd las dich nicht jrren, wie die Gottlosen nach gut trachten, 21 Vertrawe du Gott, vnd bleib jnn deinem beruff, 22 Denn es ist dem HERRN gar leicht, einen armen reich zu machen.“59 Diese Übersetzung ging in die erste Vollbibel von 1534 ein und wurde hinsichtlich der zweimaligen Verwendung des Berufsbegriffs bis zur letzten von Luther überarbeiteten Bibelausgabe im Jahr 1545 beibehalten.60 Vorher schon, so Weber, habe Luther bei der Übersetzung des Neuen Testaments das griechische Wort κλῆσις, Tl. „kle¯´sis“, die „Berufung zum ewigen Heil durch Gott“, in 1 Kor 1,26; Eph 1,18; 4,1.4; 2 Thess 1,11; 2 Petr 1,10; Hebr 3,1 mit „Beruf“ übersetzt (vgl. S.  183, Fn.  4 0). Tatsächlich läßt sich dies für die genannten Stellen für das sog. „Septembertestament“ von 1522, Luthers erste und grundlegende Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen, mit Ausnahme von 1 Kor 1,26 (dort: „ruff“) belegen, 1545 für sämtliche der genannten Stellen.61 Weber brauchte also für die in diesem Abschnitt genannten Stellen nicht Luthers Originalbibeln heranzuziehen. Er wußte, daß Luther zuerst das Neue Testament übersetzt hatte und das Alte Testament inklusive der Apokryphen in den 1530er Jahren vorlag. 58  So z. B. Calwer Bibelkonkordanz oder vollständiges biblisches Wortregister nach der revidierten Luther-Übersetzung. – Calw: Verlag der Vereinsbuchhandlung 1893, s.v. Beruf, S.  133. Auch das „Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm“ gibt unter „Beruf“ „2) vocatio, officium, studium, impulsio, amt, bestimmung“ jene Sirach-Verse wieder. Es folgen die genannten neutestamentlichen Stellen, jedoch ohne 1 Kor 7,20 (vgl. dazu unten im Text). 59  D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Die Deutsche Bibel, 12. Band. – Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1961 (hinfort: WA.DB, 12. Band). Zum folgenden vgl. ebd., S.  L XXIII ff. 60  Zum Vergleich: Die bei Froschauer gedruckte Züricher Bibel von 1531 hat in Sir 11,20 f. beidemale „werck“. Weber zog die Schweizer Bibeln nicht heran. Sie waren in der UB Heidelberg auch nicht vorhanden. 61 Vgl. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Die Deutsche Bibel, 7. Band. – Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1931.

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Anders verhält es sich mit der Stelle 1 Kor 7,20. Nach Weber schlägt die Übersetzung von „kle¯´sis“ in 1 Kor 7,20 die „Brücke“ zwischen der rein weltlichen und der rein religiösen Begriffsverwendung. Der Vers werde nach Luther „in den üblichen modernen Ausgaben“ mit „Ein jeglicher bleibe in dem Beruf, in dem er berufen ist“ übersetzt (vgl. S.  185, Fn.  4 0). Zu weiterem dient Weber Luthers Exegese von 1 Korinther 7 aus dem Jahr 1523. Weber beobachtet sehr genau, daß Luther darin „kle¯´sis“ in V. 20 mit „Ruf“ übersetzt, in der Versauslegung zwischen „Ruf“ und „Beruf“ changiert und „kle¯´sis“ als „Stand“ interpretiert. Nun, so sagt Weber, habe Luther später bei der Sirachübersetzung den griechischen Begriff ἔργον, Tl.  érgon („Hantierung“, Sir 11,20), der eine rein profane (Handwerks-)Tätigkeit ausdrückt, und parallel dazu πόνος, Tl.  pónos („Mühsal“, Sir 11,21), wie in 1 Kor 7,20 mit dem Wort „Beruf“ wiedergegeben. Dies sei aus theologischen Gründen geschehen, und zwar wegen der in der Augsburger Konfession von 1530 ausgesprochenen ethischen Aufwertung der Alltagswelt einerseits, wegen Luthers eigener „Anfang der 30er Jahre sich wesentlich steigernde[r] Schätzung der Heiligkeit der Ordnung, in die der einzelne gestellt ist“ (S.  187), andererseits. In den Bibelausgaben von 1522 bis 1545 bleibt Luther bei der Übersetzung von „kle¯´sis“ in 1 Kor 7,20 jedoch durchgängig bei „ruff“. Weber nimmt allerdings an, Luther habe den Begriff „Beruf“ (irgendwann) in seine Bibelübersetzung von 1 Kor 7,20 eingebracht, wie es ihm die modernen Bibeln (und vermutlich auch eine Konkordanz, s. o.) zeigen. Für seine Argumentation im Text stützt er sich aber wieder auf das Changieren der Exegese von 1523. Auf eine genauere Überprüfung dieser Stelle legt er keinen Wert.62 Die Klärung dieser Frage ist im Grunde auch unerheblich, denn für die Argumentation kommt es Weber allein auf die Brückenfunktion der Stelle zu Sir 11,20 f. an. Dem modernen Berufsbegriff entspricht „kle¯´sis“ laut Weber in 1 Kor 7,20 ohnehin nicht (vgl. S.  186 f., Fn.  4 0).63 Moderne Lutherbibeln. Unklar bleibt ferner, nach welcher Lutherbibel unter den „üblichen modernen Ausgaben“ Weber 1 Kor 7, 17–24, unten, S.  185, Fn.  4 0, zitiert. Der Text der Bibel von 1545 – der letzten gebesserten Ausgabe, die zu Lebzeiten Luthers erschien – wurde im Laufe der Jahrhunderte den

62  Auch wenn ihm keine der originalen Ausgaben der Lutherbibeln zugänglich war (teilweise vorhanden in der UB Heidelberg), muß man sich fragen, weshalb er hier nicht zur Überprüfung z. B. Bindseils Ausgabe heranzog: vgl. Dr. Martin Luther’s Bibelübersetzung nach der letzten Original-Ausgabe, kritisch bearbeitet von Heinrich Ernst Bindseil und Hermann Agathon Niemeyer, 7 Theile. – Halle: Canstein’sche Bibel-Anstalt 1845–1855 (vorhanden in der UB Heidelberg); die Erlanger Ausgabe hat keine Bibelübersetzungs-Reihe, der erste Band WA.DB erschien 1906. 63 Zuerst untersucht von Tatsuro Hanyu, Max Webers Quellenbehandlung in der „Protestantischen Ethik“. Der „Berufs“-Begriff, in: Archives Européennes de Sociologie, tome 35, 1994, S.  72–103.

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Bedürfnissen der Zeit angepaßt und dabei sprachlich leicht geändert. Besonders der in der Cansteinschen Bibelanstalt in Halle gedruckte Text von 1703 und seine Nachfolger, die als besonders „treu“ galten, waren weit verbreitet. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es mehrere gebesserte Textgestalten der Lutherbibel. Im Auftrag der Eisenacher Deutschen Evangelischen Kirchenkonferenz erschien darum 1883 eine von einer theologischen Kommission revidierte, zunächst zur „Probe“ herausgegebene Lutherbibel, die auf dem Cansteinschen Text basierte. Die „durchgesehene Ausgabe“, d. h. die von der Kirchenkonferenz genehmigte, erschien 1892.64 Es ließ sich keine Ausgabe finden, in der Webers Zitat von 1 Kor 7, 17–24 wörtlich steht. Dasselbe gilt für andere, zumeist sehr kurze, biblische Zitate.65 Am wahrscheinlichsten ist, daß er bei 1 Kor 7 einen Cansteinschen, nicht revidierten Text wählte und diesen geringfügig modernisierte.66 Angesichts der Sachlage wurde entschieden, für die Sachkommentierung die zu Webers Zeit in Geltung stehende Bibel von 1892 zu verwenden.67 Eine eigene Hausoder Konfirmationsbibel Max Webers ist nicht überliefert. Katholische deutsche Bibelübersetzungen. Bei diesen – Weber spricht summarisch von „späteren (autorisierten) katholischen Bibelübersetzungen“ (S.  183, Fn.  4 0; „späteren“ meint: nachdem Luthers Übersetzung erschienen war) und „späteren katholischen Übersetzungen“ (S.  188, Fn.  4 0) – zeigt die Ermittlung der in Frage kommenden Bibelübersetzungen, daß Weber vermutlich keine weitere als die von ihm ausdrücklich genannten Ausgaben – Johann Eck, Ingolstadt 1537 (S.  188, Fn.  4 0), und Joseph Fleischütz, Fulda 1778–1781 (S.  183, Fn.  4 0) – einsah. Eck und Fleischütz waren zu seiner Zeit und sind heute noch in der Heidelberger Universitätsbibliothek vorhanden. Weber 64  Nach Fritzsche, O[tto] F[ridolin], und Nestle, Eb[erhard], Art. Bibelübersetzungen, deutsche, in: RE 3 , Band  3, 1897, S.  5 9–84, bes. S.  70–77 (hinfort: Fritsche/Nestle, Art. Bibelübersetzungen, deutsche); Sauer-Geppert, Waltraut Ingeborg, Art. Bibelübersetzungen III/1. Übersetzungen ins Deutsche, in: TRE, Band  6, 1980, S.  228–246, bes. S.  2 39–243; Gundert, Wilhelm, dass. IV/1., ebd., S.  2 69–276, bes. S.  2 69 (hinfort: Gundert, Art. Bibelübersetzungen IV/1). 65  Z. B. Spr. 22,29, unten, S.  150 mit Fn.  25. 66  Charakteristische Abweichung zu einem Cansteinschen Text, Halle 1857: V. 17: wandele (Weber: wandle); V. 20: darinnen (Weber: in dem); V. 21: sorge dir nicht (Weber: sorge des nicht); V. 22: desselbigen gleichen (Weber: desgleichen). Die Probebibel von 1883 hat gegenüber dem Cansteinschen Text weitere Abweichungen: V. 18: ziehe (Weber: zeuge); V. 19: Gebote (Weber: Gebot). Zur revidierten Bibel [1892]: V. 17: wie einen jeglichen der Herr berufen hat, also wandle er (Weber: ein jeglicher, wie ihn der Herr berufen hat, also wandle er); V. 18: der halte an der Beschneidung (Weber: der zeuge keine Vorhaut); V. 19: Gebote; V. 20: darinnen; V. 21: sorge dir nicht; V. 24: der ist ein Freigelassener des Herrn; desselbigen gleichen (Weber: Gefreiter). 67 In den Sacherläuterungen folgt der Wortlaut von deutschen Bibelzitaten in der Luther-Übersetzung nach dieser Bibel und wird darum durch die Hinzufügung von „[1892]“ nach der Bibelstelle kenntlich gemacht, vgl. z. B. unten, S.  150, Anm.  47.

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meint, daß die katholischen Bibelübersetzer – er nennt als Beispiel Fleischütz – sich mit der Wortwahl „Beruf“ der Lutherbibel angeschlossen hätten. Für Fleischütz ist dies auch für Sir 11,20 f. und 1 Kor 7,20 richtig (vgl. S.  183, Fn.  40, Anm.  31). Bei den anderen, im folgenden erwähnten katholischen Bibelübersetzungen seit Kaspar Ulenberg 1630 gilt dies nur für 1 Kor 7,20. Für die Edition wurde überprüft, welche Ausgaben Weber darüber hinaus eingesehen haben könnte. Hierzu wurden die in RE 3 und TRE als einschlägig aufgeführten Bibelübersetzungen eingesehen.68 Sie werden im folgenden wegen der gebotenen Kürze lediglich mit Übersetzer, Herausgeber oder markantem Begriff sowie ihrem Erscheinungsjahr bezeichnet. Teilweise stehen sie in der Universitätsbibliothek Heidelberg zur Verfügung.69 Sofern letztere im folgenden und für Sacherläuterungen herangezogen wurden, erhielten sie – sofern nicht explizit benannt – zusätzlich die Sigle „HD“, um deutlich zu machen, welche Bibeln Weber vor Ort zur Verfügung standen oder auch, welche er, obwohl sie in Heidelberg vorhanden waren, nicht heranzog. Die Überprüfung ergibt für die Stelle Sir 11,20 ein differenzierteres Bild: Johann Eck (Ingolstadt 1537 [HD]) verwendet in Sir 11 „werck“ und „stat“, Kaspar Ulenberg (Köln 1630 [HD], von den Editoren eingesehen auch die in Heidelberg vorhandene Ausgabe 1666 [HD]) und die bis ins 18. Jahrhundert maßgebliche „Mainzer“ oder „Catholische Bibel“ (1662, eingesehen 1740) gebrauchen „werck“ und „ort“ (V. 21 f.). Johann Dietenberger, mit dessen Übersetzung 1534 die erste vollständige Bibel auf katholischer Seite [HD] nach dem Erscheinen von Luthers Vollbibel vorlag, übersetzt an der ersten Stelle „werck“ und fügt an der zweiten Stelle (vermutlich nach Luthers Sirach-Übersetzung von 1533) hinzu: „Vertraw dem Herrn/ vnd bleib in deiner statt/ oder in deinem beruff“ (noch 1626 [HD]). Josef Franz Allioli (1830–1832, eingesehen 1851 und 1892), die bis ins 20. Jahrhundert maßgebliche katholische Übersetzung, hat in Sir 11,20 f. wieder „Werke“ und „Platze“.70 Es ist darum zu vermuten, daß Weber nur die beiden von ihm genannten Bibeln von Eck und Fleischütz herangezogen hat. Romanisch-sprachige Bibelübersetzungen. Wie bei den katholischen deutschen Bibelübersetzungen wurde auch bei den summarisch genannten

68  Vgl. hierzu Fritzsche/Nestle, Art. Bibelübersetzungen, deutsche (wie oben, S.  114, Anm.  6 4), S.  79 und 81; Gundert, Art. Bibelübersetzungen IV/1 (ebd.), S.  274 f. 69  Es läßt sich allerdings nicht mit Sicherheit sagen, daß Weber ausschließlich mit den in der UB Heidelberg vorhandenen Bibeln gearbeitet hat, doch ist es zu vermuten. 70 Die Allioli-Bibel war zu Webers Zeit in der UB Heidelberg nicht vorhanden (lt. Eintrag im Exemplar 1892). In den übrigen in Heidelberg vorhandenen Bibeln ist übersetzt: von dem Benediktiner Thomas Aquin Erhard, Augsburg 1726 in Sir 11,21 f.: „Werck“, „Ort“; von Ignaz Weitenauer 1780 in Sir 11,22: „bleib an deiner Stelle bey deiner Arbeit“.

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„modernen italienischen Bibelübersetzungen“, bei den italienischen „ältere[n]“ und „neue[n] Übersetzungen“ (S.  180 f., Fn.  4 0), bei den französisch-calvini­ stischen und bei den spanischen Übersetzungen verfahren: Bei den älteren italienischen Bibeln benutzt Weber die im Oktober 1471 in Venedig erschienene Bibbia Volgare. Diese war in der Heidelberger Bibliothek, wie Weber selbst mitteilt, in der „Collezione di opere inedite o rare, Bologna 1887“ vorhanden (vgl. S.  180, Fn.  4 0). Als weitere „ältere“ Bibel könnte Weber die in der Heidelberger Universitätsbibliothek vorhandene Bibelübersetzung von Giovanni Diodati, Genf 1607, konsultiert haben. Beide stimmen mit Webers Befund überein.71 Unklar bleibt, welche der „modernen italienischen Bibeln“ (ebd.) er benutzte. Die bis heute maßgebliche italienische Bibelübersetzung der Protestanten nach Giovanni Diodatis Revision von 1641 inkl. einer zeitgenössischen Version ist in der UB Heidelberg nicht belegt, dafür eine protestantische Übersetzung (Mattia d’Erberg, Nürnberg 1711), die Weber nachweislich aber nicht einsah.72 Dagegen ist die katholische Übersetzung (aus der Vulgata) des späteren Florentiner Erzbischofs Antonio Martini vorhanden, die 1769–1781 erschien, mehrmals nachgedruckt und revidiert wurde und zur Standardbibel der italienischen Katholiken avancierte [HD 1821].73 Die französischen calvinistischen Bibelübersetzungen, die in der Heidelberger Universitätsbibliothek vorhanden sind (von den Editoren eingesehen: Genf 1565 und 1638), entsprechen dem von Weber wiedergegebenem Wortlaut in Sir 11,20 f. mit „office“ und „labeur“.74 Es handelt sich um die Übersetzung von Pierre Robert Olivétan (1535; die Apokryphen folgen Faber Stapulensis’ Bibel von 1530) und die calvinistische „Genfer Bibel“ von 1588, eine Revision der Übersetzung Olivétans durch die „Vénérable Compagnie“ (Genfer Geistlichkeit). Sie wurde vielmals revidiert, wobei Weber die Revisionen ab 1644 (Jean Diodati; Jean Frédéric Ostervald, 1724, rev. 1744) mit anders lau-

71  Dies gilt auch von der volkssprachlichen Übersetzung von Antonio Brucioli (1532, untersucht für die Ausgabe von 1541), die aber nicht in der UB Heidelberg vorhanden ist. 72  Vgl. unten, S.  181, Fn.  4 0 mit Anm.  18. 73  Zu den italienischen Bibelausgaben vgl. Reuß, E[douard], und Berger, S[amuel], Art. Bibelübersetzungen, romanische, in: RE 3 , Band  3, 1897, S.  125–145, bes. S.  141 f. (hinfort: Reuß/Berger, Art. Bibelübersetzungen, romanische); Hall, Basil, Art. Bibelübersetzungen III/3. Übersetzungen in romanische Sprachen, in: TRE, Band  4, 1980, S.  254–261, bes. S.  256–258; (hinfort: Hall, Art. Bibelübersetzungen III/3). Gundert, Wilhelm, dass. IV/3., ebd., S.  283–288, bes. S.  285 f. (hinfort: Gundert, Art. Bibelübersetzungen IV/3). 74  Die 1691 in Paris gedruckte, der Tradition von Louvain folgende französische Bibel, die in Heidelberg vorhanden ist, übersetzt dagegen mit „œuvre“ und „lieu“ (Sir 11,21 f.).

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tender Begrifflichkeit aber offensichtlich nicht einsah. Sie waren in Heidelberg auch nicht vorhanden.75 Von den spanischen Bibelübersetzungen wurde die in Heidelberg vorhandene, erste gedruckte spanische Vollbibel, übersetzt von Cas(s)iodoro de Reina, Basel 1569 (in Heidelberg außerdem in einer revidierten Ausgabe in Amsterdam von 1602 und einer von 1622), von Weber offensichtlich nicht konsultiert.76 Er scheint allein die katholische Bibelübersetzung von Phelipe Scio de San Miguel (1790–1793) eingesehen zu haben, die in Heidelberg in der Ausgabe London 1821 vorhanden ist.77 Für den vorreformatorischen Sprachgebrauch untersucht Weber außerdem die in der Heidelberger Universitätsbibliothek vorhandenen Inkunabeln,78 die Predigtsprache Bertholds von Regensburg, des größten mittelalterlichen Volkspredigers, und deutsche Predigten des für seine Zwecke bedeutsamen Mystikers Tauler nach der Basler Ausgabe von 1521.79 Einschlägige skandinavische Bibelübersetzungen waren in Heidelberg nicht vorhanden, weshalb sich Weber in diesem Fall vermutlich ausschließlich auf Lexika stützte und sich seine Funde von Fachkollegen bestätigen ließ (vgl. S.  182, Fn.  4 0). Mit Hilfe von Handwörterbüchern, die 1904 gängig waren, wurde auch dies für die Edition überprüft. Die holländischen Bibelübersetzungen der Heidelberger Bibliothek, darunter eine Bibel nach Luthers Über75 Vgl. Reuß/Berger, Art. Bibelübersetzungen, romanische (wie oben, S.   116 Anm.  73), S.  130–135; Gundert, Art. Bibelübersetzungen IV/3 (ebd.), S.  283–285. 76  Dies ist umso interessanter, als die Ausgabe von 1622 [HD] den „Berufs“begriff in Sir 11,20 mit „vocacion“ (dort V. 21) wiedergibt (V. 22 „trabajo“). 77 Vgl. Reuß/Berger, Art. Bibelübersetzungen, romanische (wie oben, S.   116, Anm.  73), S.  142- 144; Hall, Art. Bibelübersetzungen III/3 (ebd.), S.  259–261; Gundert, Art. Bibelübersetzungen IV/3 (ebd.), S.  287 f. 78  Die Heidelberger Inkunabeln gehören zu den 14 hochdeutschen Bibeldrucken vor Luther (1466–1518), die ein und demselben Übersetzungskreis angehören und auf einer um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstandenen Übersetzung der Vulgata fußen. Zur Gruppierung und den Abhängigkeitsverhältnissen der 14 Drucke vgl. Die deutsche Bibelübersetzung des Mittelalters, dargest. von Wilhelm Walther, Band  1. – Braunschweig: Wollermann 1889, Sp.  10–118. Die Übersetzung wurde erstmals von Mentel(in) 1466 in Straßburg gedruckt (in der UB Heidelberg nicht vorhanden) und wurde von Eggestein c. 1470, ebenfalls Straßburg, abgedruckt (zweiter Druck; wegen der fehlerhaften Angabe 1462 im Stuttgarter Exemplar galt dieser lange als erster Druck; vgl. dazu Walther, ebd., Sp.  113 f. und Sp.  3 8). – Neben Eggestein zieht Weber den zehnten Druck Straßburg 1485 heran, als dessen Verleger Grüninger gilt (Walther, Sp.  112). Außerdem sind in Heidelberg der 5., 6., 9. und 11. Bibeldruck vorhanden. Speziell zu den Heidelberger Inkunabeln vgl. Biblia sacra. Handschriften, Frühdrucke, Faksimileausgaben. Ausstellung der Universitätsbibliothek, hg. von Wilhelm Werner u. a. – Heidelberg: o.V. 1977, und den Inkunabelkatalog INKA. 79  Die Anregung zu Taulers Predigten dürfte Weber Seeberg, Dogmengeschichte II, S.  165, verdanken; vgl. dazu unten, S.  184 mit Anm.  3 5. – Die Basler Ausgabe 1521 war in der UB Heidelberg vorhanden.

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setzung, gedruckt von Christoffel Cunradus, Amsterdam 1671, benutzte Weber nicht.80 Anders verhält es sich bei den englischen Bibelübersetzungen. Weber erwähnt für die Übersetzung von κλῆσις („kle¯´sis“) in 1 Kor 7,20 Wyclif, Tyndale, die Geneva, Cranmer und die Reimser Bibel. Diese Bibeln waren aber in Heidelberg nicht vorhanden und auch sonst in Deutschland schwer zugänglich. Deshalb behilft er sich, wie er selbst sagt, mit „A new English Dictionary on Historical Principles“ (vgl. S.  189 f., Fn.  4 0), und dort mit Murrays Artikel „calling“. Murray wiederum verläßt sich auf „The English Hexapla exhibiting the six important English translations of the New Testament scriptures [.  .  .]“. – London: Bagster o.J. [1841]. Die Hexapla berücksichtigt die von Weber genannten fünf Bibeln sowie die „Authorised“ von 1611, außerdem enthält sie den Text des griechischen Neuen Testaments.81 Bei den Übersetzungen handelt es sich neben der ersten vollständigen Übertragung der Vulgata ins Englische, die mit dem Namen John Wyclif verbunden ist (Ende des 14. Jahrhunderts), um die wichtigsten der vielfältigen und teilweise miteinander konkurrierenden Übersetzungen, die im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts entstanden waren. Dies sind: William Tyndales Neues Testament von 1525/26, in der Hexapla in der revidierten Fassung von 1534 vertreten; die 1539 für den kirchlichen Gebrauch autorisierte Bibel (sie wurde 1540 mit einem Vorwort von Thomas Cranmer versehen und wird in dieser Gestalt auch als „Great Bible“ bezeichnet); das von emigrierten Protestanten, v. a. William Whittingham, übersetzte Neue Testament, das 1557 zu Genf gedruckt wurde (die „Geneva Bible“ in der Vollgestalt von 1560 weist Abweichungen im NT gegenüber 1557 auf; vgl. unten, S.  189, Anm.  61); und das Neue Testament von 1582, das unter den katholischen englischen Emigranten im französischen Reims entstanden war. Als sechste folgt in der Hexapla die „Authorised“ oder King James Version von 1611, die bis ins 19. Jahrhundert in der anglikanischen Kirche in Gebrauch war (rev. 1881).82 Entscheidend dürfte für Webers Beobachtung (vgl. unten, S.  189 f., Fn.  4 0 mit Anm.  62 und 63) gewesen sein, daß Murray die Linie von „calling“ (1 Kor 7,20) zu „trade“ zieht: Murray fügt zur Wortbedeutung von „calling“ im Sinne von „Ordinary occupation, means by

80  Sie übersetzt 1 Kor 7,20 (dort: V. 21) sowie Sir 11, 20 f. (dort: V. 21. 23) mit „be­ roepinge“; „beroep“ gebraucht sie nur in 2 Thess 1,11 (übrige Stellen: beroepinge und roepinge). – Die für die reformierte Kirche gültige Staatenbibel, zuerst Leiden 1637, war in der UB Heidelberg nicht vorhanden. 81  Die Hexapla wurde von Weber vermutlich nicht zusätzlich noch herangezogen. Darauf deutet hin, daß Weber Murrays Datierung der Wyclif-Übersetzung auf 1382 übernimmt (Hexapla: 1380); vgl. unten, S.  188, Fn.  4 0. 82  Vgl. Gregory, Caspar René, Art. Bibelübersetzungen, englische, in: RE 3 , Band  3, 1897, S.  97–100; Hall, Basil, Art. Bibelübersetzungen III/2, in: TRE, Band  6, 1980, S.  247–251 (hinfort: Hall, Bibelübersetzungen III/2).

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which livelihood is earned, business, trade“ hinzu, diese werde oftmals von der biblischen Übersetzung in 1 Kor 7,20 hergeleitet.83 Darüber hinaus gab es im 16. Jahrhundert weitere englische Bibelübersetzungen. Weber spricht summarisch „die höfischen anglikanischen Bibeln der elisabethanischen Zeit“ (S.  189, Fn.  4 0) an. Er meint, sie seien von „calling“ „charakteristischerweise wieder zu ‚vocation‘ in Anlehnung an die Vulgata“ (ebd.) zurückgekehrt. In der Elisabethanischen Zeit (1558–1603) erschien 1568 eine von Matthew Parker, dem Erzbischof von Canterbury, initiierte, für die anglikanische Kirche bestimmte Revision der „Great Bible“, die sog. „Bishops’ Bible“. Sie gibt 1 Kor 7,20 allerdings wie die „Great Bible“ mit „calling“ wieder. Dagegen hat die „Geneva“, die oben genannte Vollbibel von 1560, an dieser Stelle anders als ihr Neues Testament von 1557 „vocation“; „vocation“ behält auch das 1576 von Laurence Tomson, unter Einbeziehung von Theodor Bezas Übersetzung, revidierte Neue Testament der Geneva Bible bei. Sowohl die Geneva Version von 1560 als auch die Geneva-Tomson waren sehr beliebt und wurden in vielen verschiedenen Ausgaben gedruckt. Die Geneva Bible avancierte aufgrund ihrer Handlichkeit zur Hausbibel der Zeit und erlebte zahlreiche Neuauflagen. Besonders die Puritaner sollen sie benutzt haben. Außerdem soll sie größtenteils für die Predigten im anglikanischen Gottesdienst verwendet worden sein,84 auch von den vornehmen Bischöfen bei Hof.85 Von Elisabeth I. wurde sie offiziell nicht anerkannt.86 So muß offen bleiben, worauf sich Weber genau bezieht.87 In den Sacherläuterungen werden die englischen Bibelübersetzungen im Originalwortlaut nur zur näheren Erläuterung und unter Verweis auf die vorstehende Ausführung verwendet (vgl. S.  150, Anm.  4 8). c) Luthers Berufsverständnis. Weber beruft sich bei seinem Nachweis, Luthers Berufsverständnis sei „nicht nur traditionalistisch geblieben, sondern 83  Vgl. Murray, s.v. calling, p.  3 9; vgl. unten, S.  190, Fn.  4 0, Anm.  62. 84  Vgl. Daniell, David, The Bible in English. Its history and influence. – New Haven, London: Yale University Press 2003, p.  2 94 f. 85  Vgl. die Notiz bei Hall, Art. Bibelübersetzungen III/2 (wie oben, S.  118, Anm.  82), S.  250. 86  So Hall, ebd. – Die „Great Bible“ und die „Bishop’s Bible“ haben den Zusatz: „appointed to the use of the churches“ oder „appointed to be read in Churches“, die „Geneva“-Ausgaben nicht. Vgl. zu den gedruckten Bibeln: Historical Catalogue of the printed editions of The English Bible 1525–1961, revised and expanded from the Edition of T[homas] H. Darlow and H[orace] F. Moule, London 1903, by A. S. Herbert. – London: The British and Foreign Bible Society; New York: The American Bible Society 1968 (hinfort: Darlow/Moule/Herbert, Historical Catalogue). 87  In der UB Heidelberg ist laut Quartkatalog eine englische Übersetzung von 1599 vorhanden (im November 2012 nicht am Standort). Es müßte sich um eine Geneva Version mit Tomsons Neuem Testament handeln. Vgl. Darlow/Moule/Herbert, Historical Catalogue (wie oben, Anm.  8 6), p.  115–117. Möglicherweise stützt sich Weber für seine Notiz auf diese Bibel.

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immer traditionalistischer geworden“ (S.  201), auf Luthers Schriften. Diese zitiert er nach der „Erlanger Ausgabe“ (1832–1881), die im Unterschied zur „Weimarer Ausgabe“ (1883–2009) zu seiner Zeit abgeschlossen vorlag.88 Die „Erlanger Ausgabe“ hatte außerdem den Vorteil, daß auch Karl Eger sie in seiner Schrift „Die Anschauungen Luthers vom Beruf. Ein Beitrag zur Ethik Luthers“ (Gießen 1900) benutzte, dessen „lehrreiche Darstellung“ (unten, S.  190, Fn.  41) Weber als Fundgrube zu Luthers Berufsgedanken diente.89 Er suchte viele von Eger genannte Stellen seinerseits in der „Erlanger Ausgabe“ auf, um sie zu zitieren.90 Auch wenn er nicht jedesmal erneut auf Eger verweist, hält er sich doch eng an dessen Vorgaben. Das zeigen folgende Beispiele: Eger gibt die in den „Opera latina“ und „Exegetica opera Latina“ (2. und 3. Reihe der „Erlanger Ausgabe“) eingesehenen lateinischen Lutherstellen stets in deutscher Übersetzung wieder, während Weber dieselbe Stelle oder aus dem Kontext in der Originalsprache zitiert (z. B. Luthers Genesis-Vorlesung, vgl. unten, S.   206, Fn.   57 mit Anm.   39; S.   207, Fn.   57 mit Anm.  4 3). Anderswo schreibt Weber einen Nachweis von Eger ab, der einer anderen Textstelle gilt als der, die Weber selbst dem lateinischen Original entnimmt (vgl. unten, S.  194, Fn.  54 mit Anm.  79). Des weiteren läßt sich Webers Vorgehen anhand des 27. Bandes der „Erlanger Ausgabe“ in der Universitätsbibliothek Heidelberg belegen, der „Von der Freiheit eines Chri­ stenmenschen“ enthält. Hier finden sich von Webers Hand Unterstreichungen, Markierungen und Randbemerkungen. Eine davon formuliert wie Eger die (allerdings auch von anderen vorgetragene) Kritik, es bestehe bei Luther ein loser Zusammenhang von „Glaube“ und „Liebe“ (vgl. unten, S.  192, Fn.  4 3 mit Anm.  72; weitere Markierungen und Marginalien S.  193, Fn.  4 3 mit Anm.  74; S.  193 f., Fn.  4 3 mit Anm.  77). Webers Auseinandersetzung mit der Freiheitsschrift wird in den Erläuterungen dokumentiert. Die Parallelen zu Egers Schrift werden über Max Webers Angaben hinaus gekennzeichnet. Im Interesse des Lesers wurden im Literaturverzeichnis die von Weber genannten Lutherschriften in der Weimarer Ausgabe (WA) lokalisiert, für einzelne Stellen auch im Sachapparat. 88  Weber zitiert aus drei der vier Reihen der Erlanger Luther-Ausgabe: 1. Dr. Martin Luther’s sämmtliche Werke, hg. von Ernst Ludwig Enders und Johann Konrad Irmischer, 65 Bände und 2 Registerbände, teilw. in 2.  Aufl.; 2. Opera Latina [.  .  .], hg. von Heinrich Schmidt, 7 Bände; (3. Commentarium [.  .  .]); 4. Exegetica opera Latina, hg. von Christoph Stephan Theophilus Elsperger und Heinrich Schmidt, 34 Bände. – Erlangen: Heyder; Frankfurt a. M.: Heyer & Zimmer 1832–1881. – Erst im Entstehen war: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, 4 Abt., 120 Bände (ohne Registerbände). – Weimar: Böhlau u. a. 1883–2009. 89  Weber wies stets darauf hin, auf theologischem Gebiet keine Originalität zu beanspruchen. Vgl. etwa Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  245 f., Fn.  3. 90 Wenig anderes entnimmt er der nationalökonomischen Literatur zu Luther, vgl. unten, S.  2 01, Fn.  5 0. Vgl. dazu auch die Einleitung, oben, S.  4 –6.

Editorischer Bericht

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Sacherläuterungen Neben der philologischen Aufschlüsselung des Werks bieten die Sacherläuterungen in Kombination mit den Verzeichnissen (Personenverzeichnis, Glossar und Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur) Hilfe zur inhaltlichen Erschließung des Textes. Bei der Kommentierung wurde primär auf zeitgenössische Literatur zurückgegriffen und bewußt auf die Dokumentation des heutigen Forschungsstandes verzichtet. Diese hätte den Anmerkungsapparat gesprengt und die Edition zu schnell veralten lassen. Ließ sich kein entsprechender zeitgenössischer Beleg finden, wurde neuere Literatur herangezogen. Aus werkgenetischen Gründen wurde in der Regel auf die Angabe späterer Parallelstellen oder Ausführungen Max Webers zum gleichen Gegenstand verzichtet, frühere werden, wenn informativ, genannt.

Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 20. Band, 1. Heft, 1904, S.  1. Exemplar der Universitäts- und Landesbibliothek Düsselsdorf

Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus.a

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I.  Das Problem.

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Inhalt: 1. Konfession und soziale Schichtung. [S.  123] – 2. Der „Geist“b des Kapitalismus. [S.  140] – 3. Luthers Berufsbegriff. Aufgabe der Untersuchung. [S.  178]

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Ein Blick in die Berufsstatistik1 eines konfessionell gemischten Landes pflegt, mit relativ geringen Abweichungen und Ausnahmen1), eine Erscheinung zu zeigen, welche in den letzten Jahren 1)  Diese erklären sich – nicht alle, aber überwiegend – daraus, daß natürlich die A 1 Konfessionalität der Arbeiterschaft einer Industrie in erster Linie von der Konfession ihres Standorts bzw. des Rekrutierungsgebiets ihrer Arbeiterschaft abhängt. Dieser Umstand verwirrt zuweilen auf den ersten Blick das Bild, welches manche Konfessionsstatistiken2 – etwa der Rheinprovinz3 – bieten. Überdies sind natürlich nur bei weitgehender Spezialisierung und Auszählung der einzelnen Berufe die Zahlen schlüssig. Sonst werden unter Umständen ganz große Unternehmer mit alleinarbeitenden „Meistern“ in der Kategorie „Betriebsleiter“ zusammengeworfen.

a  In A folgt: Von Max Weber.  b A: „Geist“, 1  In Deutschland fanden am 5. Juni 1882, am 14. Juni 1895 und am 12. Juni 1907 umfassende Erhebungen zur beruflichen Stellung der Erwerbspersonen statt, verbunden mit einer Zählung der landwirtschaftlichen und gewerblichen Betriebe (veröffentlicht in den amtlichen Statistiken). 2 Die Religionszugehörigkeit wurde seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland bei Volks­ zählungen erfragt, so auch am 1. Dezember 1890, 2. Dezember 1895 und 1. Dezember 1900 (veröffentlicht in den amtlichen Statistiken). 3  Die Provinz Rheinland war von 1822 bis zum 2. Weltkrieg die am stärksten industrialisierte preußische Provinz (v. a. Kohle-, Eisen- und Stahlindustrie). Im Jahr 1900 hatte sie nahezu 6 Mio. Einwohner, davon waren 28,9% evangelisch und 69,8% katholisch. Vgl. Statistik des Deutschen Reichs, Band  150, 1903, hier nach: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, hg. vom Kaiserlichen Statistischen Amt, 24. Jg., 1903. – Berlin: Puttkammer & Mühlbrecht 1903 (hinfort: Statistisches Jahrbuch 1903), S.  1 und 7.

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Die protestantische Ethik. I. Das Problem

mehrfach in der katholischen Presse und Literatur2) und auf den Katholikentagen Deutschlands lebhaft erörtert worden ist:4 den ganz vorwiegend protestantischen Charakter des Kapitalbesitzes und Unternehmertums sowohl, wie der oberen gelernten Schichten der Arbeiterschaft und namentlich des höheren technisch oder kaufmännisch vorge|bildeten Personals der modernen Unternehmungen.3) Nicht nur da, wo die Differenz der Konfession mit einem Unterschied der Nationalität und damit des Grades der Kulturentwicklung zusammenfällt, wie im deutschen Osten zwischen Deutschen und Polen,5 sondern fast überall da, wo überhaupt die kapi-

2)  Vgl. z. B. Schell, Der Katholizismus als Prinzip des Fortschrittes. Würzburg 1897 S.  c31. –c v. Hertling, Das Prinzip des Katholizismus und die Wissenschaft. Freiburg 1899 S.  58.6 | 3) Einer meiner Schüler hat vor einigen Jahren das eingehendste statistische MateA2 rial, welches wir über diese Dinge besitzen, die badische Konfessionsstatistik, durchgearbeitet. Vgl. Martin Offenbacher, Konfession und soziale Schichtung. Eine Studie über die wirtschaftliche Lage der Katholiken und Protestanten in Baden. Tübingen und

c–c A: 31. ; es folgt ein Absatz, aufgehoben und Gedankenstrich ergänzt. 4  Nachdem der Kulturkampf beigelegt war, warfen in den 1890er Jahren die Katholiken die Frage ihrer paritätischen Beteiligung an Staat, Wirtschaft und Kultur auf. Diese „Paritätsfrage“ wurde von der innerkatholischen Diskussion um die Ursachen „katholischer Inferiorität“ begleitet. Julius Bachem setzte sich in der „Kölnischen Volkszeitung“ für eine stärkere Beteiligung der Katholiken am industriellen Leben ein. Die Beteiligung an Wirtschaft und Bildung wurde wiederholt auch auf den Deutschen Katholikentagen diskutiert (letzteres seit 1892 und besonders seit 1896; als Beispiele seien genannt: der Vortrag Georg v. Hertlings über „Katholizismus und Wissenschaft“ von 1897 und die Rede Ernst Feigenwinters über „Der Katholik und das moderne Erwerbsleben“ von 1902, in: Verhandlungen der General-Versammlung der Katholiken Deutschlands 1897. – Landshut: Jos. Thomann 1897, S.  136–145, und dass. 1902. – Mannheim: Jean Grimm 1902, S.  320–330). 5 Die Polen, insgesamt zu 96% römisch-katholisch, siedelten v. a. in den östlichen preußischen Provinzen, so in Posen (61% der Bevölkerung), Westpreußen (35%), Schlesien (knapp 24%) und Ostpreußen (14%). Insgesamt lebten 1900 ca. 3 Mio. Polen in Preußen. 6  Die im Kontext der Inferioritätsdebatte (vgl. oben, Anm.  4) entstandenen Schriften des Würzburger Theologie-Professors Herman Schell und Georg v. Hertlings, des Präsidenten der 1876 gegründeten Görres-Gesellschaft „zur Pflege der katholischen Wissenschaften“, riefen zur Überwindung des „Bildungsdeficits“ (v. Hertling) und der „wissenschaftlichen Inferiorität“ (Schell) auf. Mit den Seitenangaben bezieht sich Weber auf Zitate aus den Schriften, die Offenbacher, Konfession, S.  23 f., zu Schell, Katholizismus, und v. Hertling, Prinzip des Katholizismus, beibringt. (Weber übernimmt charakteristische Fehler; lies: Schell, Katholizismus: 1.  Aufl. 1897, S.  22; 7.  Aufl. 1899, S.  31; daß die Schrift 1899 bereits eine 7. Auflage erreichte, zeigt ihre damalige Popularität.)

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talistische Entwicklung freie Hand hatte, die Bevölkerung nach ihren Bedürfnissen sozial umzuschichten und beruflich zu gliedern, – und je mehr dies der Fall war, desto deutlicher, – finden wir jene Erscheinung in den Zahlen der Konfessionsstatistik ausgeprägt. Nun ist freilich die relativ weit stärkere, d. h. ihren Prozentanteil an der Gesamtbevölkerung überragende Beteiligung der Protestanten am Kapitalbesitz,4) an der Leitung und den oberen Stufen der Arbeit in den großen modernen gewerblichen und Handels­unter­ Leipzig 1901 (Bd.  IV, Heft 5 der volkswirtschaftlichen Abhandlungen der badischen Hochschulen).7 Die Thatsachen und Zahlen, die nachstehend zur Illustration vorgeführt werden, entstammen alle dieser Arbeit. 4)  Es kam z. B. im Jahre 18958 in Baden auf je 1 000 Evangelische ein Kapitalrentensteuerkapitald 9 von 954 060 Mk. „ „ 1 000 Katholiken „ „ „ „  589 000 „ Die Juden mit über 4 Millionen auf 1 000 marschieren freilich weit an der Spitze. (Die Zahlen nach Offenbacher a. a. O. S.  21.)10

d A: Kapitalrentensteuerkapitel 7  Offenbacher, Konfession, erschien bereits 1900 in den von Weber mitherausgegebenen „Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der badischen Hochschulen“, S.  1–102 [409–510]. Weber bezieht sich auf diesen Text, nicht auf Offenbachers 1901 als kürzerer Sonderdruck erschienene Dissertation. – Er übernimmt Offenbachers Titel für den 1. Abschnitt, vgl. oben, S.  123. 8  Bezug ist die Volkszählung von 1895, vgl. oben, S.  123, Anm.  2. 9 Im Großherzogtum Baden verwandte man damals das Steuerkapitalsystem. Das Steuerkapital ist bei direkten Steuern die Summe, für die die Steuer so ausgeworfen ist, daß die relative Steuerhöhe (Steuerfuß) für alle steuerpflichtigen Personen oder Gegenstände gleich erscheint. Es handelt sich beim Steuerkapital also um eine rein rechnerische Größe der Steuerverwaltung, die den Vergleich zwischen verschiedenen Steuerarten (etwa Grund-, Häuser-, Gewerbe-, Einkommens-, Kapitalrentensteuer) erleichtern soll. Das Steuerkapital kann demnach ein Vielfaches des jeweils zu versteuernden Betrages sein. Die in dieser Tabelle ausgewiesenen Relationen zwischen den Steuerkapitalien der Konfessionen dürfen deshalb nicht ohne weiteres mit den Relationen zwischen den zu versteuernden Kapitalrenten gleichgesetzt werden (daher Kapitalrenten-Steuerkapital). 10  Leicht abweichende Zahlen bei Offenbacher, Konfession, S.  21: 954 900 Mk. (Protestanten) und 589 800 Mk. (Katholiken; bei den Israeliten 4 137 100 Mk.). – Nach der amtlichen Statistik lauten die Zahlen für Baden im Jahr 1895 (vgl. Statistisches Jahrbuch für das Großherzogthum Baden, 29. Jg.: 1897 und 1898. – Karlsruhe: Macklot’sche Druckerei 1898): 637 604 evangelische, 1 057 417 katholische, 25 903 israelitische Ortsanwesende am 2. Dez. 1895, Gesamtbevölkerung 1 725 464 (S.  28 f.), Kapitalrentensteuer (nach Kapitalien) für Evangelische und Israeliten 1895: 609 237 180 Mk. bzw. 107 149 910 Mk. (S.  508–512; für die Katholiken nicht angegeben), Kapitalrentensteuerkapital in Baden 1895 insges.: 1 342 541 540 Mk. (S.  465). Rechnet man mit den dort veröffentlichten Zahlen, weichen die Ergebnisse von Offenbachers und Webers Angaben leicht ab.

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Die protestantische Ethik. I. Das Problem

nehmungen,5) zum Teil auf historische Gründe zurückzuführen,6) die weit in der Vergangenheit liegen und bei denen die konfessionelle Zugehörigkeit nicht als Ursache ökonomischer Erscheinungen, sondern, bis zu einem gewissen Grade, als Folge von solchen erscheint. Die Beteiligung an jenen ökonomischen Funktionen setzt teils Kapitalbesitz, teils kostspielige Erziehung, teils, und meist, beides voraus und ist also an den Besitz ererbten Reichtums oder doch einer gewissen Wohlhabenheit gebunden. Gerade eine große Zahl der reichsten, durch Natur oder Verkehrslage begünstigten und wirtschaftlich entwickeltsten Gebiete des Reiches, insbesondere aber die Mehrzahl der reichen Städte, hatten sich aber im 16. Jahrhundert dem Protestantismus zugewendet, und die | Nachwirkungen davon kommen den Protestanten noch heute im ökonomischen Kampf ums Dasein zugute. Es entsteht aber alsdann die historische Frage: welchen Grund hatte diese besonders starke Prädisposition der ökonomisch entwickeltsten Gebiete für eine kirchliche Revolution? Und da ist die Antwort keineswegs so einfach[,] wie man zunächst glauben könnte. Gewiß erscheint die Abstreifung des ökonomischen Traditionalismus als ein Moment, welches die Neigung zum Zweifel auch an der religiösen Tradition und zur Auflehnung gegen die traditionellen Autoritäten überhaupt ganz wesentlich unterstützen mußte. Aber dabei ist zu berücksichtigen, was heute oft vergessen wird, daß die Reformation nicht sowohl die Beseitigung der kirchlichen Herrschaft über das Leben überhaupt, als vielmehr die Ersetzung der bisherigen Form derselben durch eine andere bedeutete, und zwar die Ersetzung einer höchst bequemen, praktisch damals wenig fühlbaren, vielfach fast nur noch formalen Herrschaft durch eine im denkbar weitgehendsten Maße in alle Sphären des häuslichen und öffentlichen Lebens eindringende, unendlich lästige und ernstgemeinte 5)  Hierüber sind die gesamten Ausführungen der Offenbacherschen Arbeit zu vergleichen. 6)  Auch hierfür nähere Darlegungen für Baden in den beiden ersten Kapiteln der Offenbacherschen Arbeit.11 |

11  Nach Offenbacher, Konfession, wurden die badischen Protestanten durch historische Schicksale in ihrem wirtschaftlichen Fortkommen begünstigt („Natürliche und politisch-historische Einflüsse“, S.  4–15), was zu ihren im Vergleich zu den Katholiken besseren Vermögensverhältnissen beitrug und auch ihre Schul- und Berufswahl beeinflußte („Kulturelle Einflüsse“, S.  15–24).

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Reglementierung der ganzen Lebensführung. Die Herrschaft der katholischen Kirche, – „die Ketzer strafend, doch den Sündern mild“,12 wie sie früher noch mehr als heute war, – ertragen in der Gegenwart auch Völker von durchaus moderner wirtschaftlicher Physiognomie, die Herrschaft des Calvinismus, so wie sie im 16. Jahrhundert in Genf und Schottland, um die Wende des 16. und 17. in großen Teilen der Niederlande, im 17. in Neuengland und zeitweise in England selbst in Kraft stand, wäre für uns die schlechthin unerträglichste Form der kirchlichen Kontrolle des einzelnen, die es geben könnte. Nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig von kirchlich-religiöser Beherrschung des Lebens war es ja, was gerade diejenigen Reformatoren, welche in den ökonomisch entwickeltsten Ländern entstanden, zu tadeln fanden. Wie kommt es nun, daß damals gerade diese ökonomisch entwickeltsten Länder, und, wie wir noch sehen werden,13 innerhalb ihrer grade die ökonomisch aufsteigenden „bürgerlichen“ Klassen jene puritanische Tyrannei nicht etwa nur über sich ergehen ließen, sondern in ihrer Verteidigung ein Heldentum entwickelten, wie gerade bürgerliche Klassen als solche es selten vorher und niemals nachher gekannt haben: „the last of our heroisms“, wie Carlyle nicht ohne Grund sagt?14 Aber weiter und namentlich: mag, wie gesagt, die stärkere | Beteiligung der Protestanten am Kapitalbesitz und den leitenden Stellungen innerhalb der modernen Wirtschaft heute zum Teil einfach als Folge ihrer geschichtlich überkommenen durchschnittlich besseren Vermögensausstattung zu verstehen sein, so zeigen sich 12  Die Wendung stammt aus Conrad Ferdinand Meyers Gedichtzyklus „Huttens letzte Tage“ (zuerst 1871, letzte Überarbeitung 1891). Im 40. Gedicht lauscht Ulrich von Hutten im Traum dem Mariengebet des Ignatius von Loyola. Darin heißt es (seit der 5.  Aufl. 1884): „Die Ketzer tötend, doch den Sündern mild, Bekehren wir die Welt zu Deinem Bild.“ Meyer, Conrad Ferdinand, Huttens letzte Tage. Eine Dichtung, in: ders., Sämtliche Werke. Hist.-krit. Ausg., besorgt von Hans Zeller und Alfred Zäch, 8. Band. – Bern: Benteli 1970, S.  85. – Die Wendung findet sich auch in Wittich, Elsaß, S.  20; zitiert unten, S.  133, Anm.  33. 13  Weber, Protestantische Ethik II, unten, bes. S.  414–420. 14  Thomas Carlyle leitete seine Ausgabe von „Oliver Cromwell’s Letters and Speeches“ folgendermaßen ein: „One wishes there were a History of English Puritans, the last of all our Heroisms; but sees small prospect of such a thing at present.“ Carlyle, Cromwell’s Letters and Speeches I, p.  1. – Die von Weber verwendete Kurzform findet sich auch bei Weingarten, Revolutionskirchen Englands, S.  435 (zu Weingarten vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  98; zitiert: Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  248, Fn.  4).

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andererseits Erscheinungen, bei welchen das Kausalverhältnis unzweifelhaft so nicht liegt. Dahin gehören, um nur einiges anzuführen, u. a. die folgenden: Zunächst der ganz allgemein, in Baden ebenso wie in Bayern und z. B. in Ungarn, nachweisbare Unterschied in der Art des höheren Unterrichts, den katholische Eltern im Gegensatz zu protestantischen ihren Kindern zuzuwenden pflegen. Daß der Prozentsatz der Katholiken unter den Schülern und Abiturienten der „höheren“ Lehranstalten15 im ganzen hinter ihrem Gesamtanteil an der Bevölkerung beträchtlich zurückbleibt,7) A4

7)  Von der Bevölkerung Badens waren 1895: 37,0 Proz. Protestanten , 61,3 Proz. [] Katholiken, 1,5 Proz. Juden. Die Konfessionalität der Schüler aber stellte sich 1885/95e auf den über die Volksschulenf 16 hinausgehenden und nicht obligatorisch zu besuchenden Schulen wie folgt darg (nach Offenbacher a. a. O. S.  16):17

Gymnasien Realgymnasien Oberrealschulen Realschulen höhere Bürgerschulen

Protestanten Katholiken Juden 43 Proz. 46 Proz.   9,5 Proz. 69 „ 31 „   9 „ 52 „ 41 „   7 „ 49 „ 40 „ 11 „ 51 „ 37 „ 12 „

Durchschnitt

48 Proz.

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10 Proz.

  Genau die gleichen Erscheinungen in Preußen, Bayern, Württemberg, den Reichslanden,18 Ungarn (s. die Zahlen bei Offenbacher a. a. O. S.  18 f.). e A: 1885/91  f A: Volkschulen  g A: folgt ; wiederholtes Wort sinngemäß durch dar ersetzt. 15  Offenbacher unterscheidet für Baden fünf „‚höhere‘ Lehranstalten“ (auch: „Mittelschulen“): (neuhumanistisches) Gymnasium, (mathematisch-naturwissenschaftlich ausgerichtetes) Realgymnasium, Oberrealschule (ohne Latein, Abschluß mit der Reifeprüfung), Realschule und höhere Bürgerschule (7- oder 6-klassig bzw. 6-klassig, mit oder ohne Latein, ohne Reifeprüfung). Vgl. Offenbacher, Konfession, S.  16. Zu der Einteilung auch: Statistisches Jahrbuch für das Großherzogtum Baden, 28. Jg.: 1895 und 1896. – Karlsruhe: Macklot’sche Druckerei 1897, S.  343–345. 16 Die Volksschule gehörte zum niederen Schulwesen. In allen deutschen Staaten galt bis zum Alter von 14, mitunter auch bis zum Alter von 15 Jahren Schulpflicht. 17  Offenbacher legt für Protestanten und Katholiken (637 946 bzw. 1 057 075), nicht aber für die Juden (bei Offenbacher: Israeliten) und die Gesamtbevölkerung Badens von den offiziellen Statistiken leicht abweichende Zahlen zugrunde, die aber die gerundeten prozentualen Anteile nicht verändern. – In der von Weber im folgenden nach Offenbacher, Konfession, S.  16, wiedergegebenen Tabelle präsentiert Offenbacher den Zehnjahres-Durchschnitt von 1885 bis 1895 (dort ohne Hervorhebungen), macht aber in Zeile zwei einen Fehler, den Weber übernimmt: Die Prozente addieren sich auf 109. Vermutlich liegt der Anteil der Protestanten an den Schülern des Realgymnasiums um 10 Prozentpunkte zu hoch. 18  Elsaß-Lothringen wurde nach der Eingliederung in das Deutsche Reich nicht als Bundesstaat, sondern als reichsunmittelbares Gebiet behandelt und von einem vom Kaiser eingesetzten Statthalter verwaltet.

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wird man zwar zum erheblichen Teile den erwähnten überkommenen Vermögensunterschieden zurechnen. Daß aber auch innerhalb der katholischen Abiturienten der Prozentsatz derjenigen, welche aus den modernen[,] speziell für die Vorbereitung zu technischen Studien und gewerblich-kaufmännischen Berufen, überhaupt für ein bürgerliches Erwerbsleben bestimmten und geeigneten Anstalten: Realgymnasien, Realschulen, höheren Bürgerschulen usw. hervorgehen, wiederum auffallend stärker hinter dem der Protestanten zurückbleibt,8) während diejenige Vorbildung, welche die | humanistischen Gymnasien bieten, von ihnen bevorzugt wird, – das ist eine Erscheinung, die damit nicht erklärt ist, die vielmehr umgekehrt ihrerseits zur Erklärung der geringen Anteilnahme der Katholiken am kapitalistischen Erwerb herangezogen werden muß. Noch auffallender aber ist eine Beobachtung, welche die geringere Anteilnahme der Katholiken an der gelernten Arbeiterschaft der modernen Großindustrie verstehen hilft. Die bekannte Erscheinung, daß die Fabrik ihre gelernten Arbeitskräfte in starkem Maße dem Nachwuchs des Handwerks entnimmt, diesem also die Vorbildung ihrer Arbeitskräfte überläßt und sie ihm nach vollendeter Vorbildung entzieht, zeigt sich in wesentlich stärkerem Maße bei den protestantischen als bei den katholischen Handwerksgesellen. Von den Handwerksgesellen zeigen m. a. W. die Katholiken die

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8)  S[iehe] die Ziffern in voriger Note, wonach die, hinter der katholischen Bevölkerungsquote um ein Drittel zurückbleibende katholische Gesamtfrequenz der mittleren Lehranstalten nur in den Gymnasien (wesentlich behufs Vorbildung zum theologischen Studium)19 um einige Prozente überschritten wird. Als charakteristisch sei mit Rücksicht auf spätere Ausführungenh 20 noch herausgehoben, daß in Ungarn die | Re- A 5 formierten die typischen Erscheinungen der protestantischen Mittelschulfrequenz in noch gesteigertem Maß aufwiesen (Offenbacher a. a.O. S.  19 Anm.  a[m] E[nde]).21

h A: Ausführungen, 19  Voraussetzung für das Studium der Theologie und der Alten Sprachen war das Abitur an einem humanistischen Gymnasium. Absolventen des Realgymnasiums oder der Oberrealschule konnten Theologie nur dann studieren, wenn sie eine Zusatzprüfung in den klassischen Sprachen ablegten (eingeführt 1902). 20  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  242–425, zur asketischen Lebensauffassung im Calvinismus. 21  Nach Offenbacher, Konfession, S.  18 f., waren im Jahre 1876 in Ungarn Juden und Reformierte, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, unter den Gymnasiasten überrepräsentiert, Protestanten (gemeint: Lutheraner), römische Katholiken und griechische Katholiken dagegen unterrepräsentiert.

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stärkere Neigung zum Verbleiben im Handwerk, werden also relativ häufig Handwerksmeister, während die Protestanten in relativ stärkerem Maße in die Fabriken abströmen, um hier die oberen Staffeln der gelernten Arbeiterschaft und des gewerblichen Beamtentums zu füllen.9) In diesen Fällen liegt zweifellos das Kausalverhältnis so, daß die anerzogene geistige Eigenart, und zwar hier die durch die religiöse Atmosphäre der Heimat und des Elternhauses bedingte Richtung der Erziehung, die Berufswahl und die weiteren beruflichen Schicksale bestimmt hat. Die geringere Beteiligung der Katholiken am modernen Erwerbsleben in Deutschland ist nun aber um so auffallender, als sie der sonst in der Gegenwart so häufig gemachten Erfahrung zuwiderläuft, daß nationale oder religiöse Minderheiten, welche als „Beherrschte“ einer anderen Gruppe als der „herrschenden“ gegenüberstehen, durch ihren freiwilligen oder unfreiwilligen Ausschluß von politisch einflußreichen Stellungen gerade in besonders starkem Maße auf die Bahn des Erwerbes getrieben zu werden pflegen, daß ihre begabtesten Angehörigen hier den Ehrgeiz, der auf dem Boden des Staatsdienstes keine Verwertung finden kann, zu befriedigen suchen. So verhält es sich heute unverkennbar mit den in zweifellosem ökonomischen Fortschreiten begriffenen Polen in | Rußland und Preußen22 – im Gegensatz zu dem von ihnen beherrschten Galizien23 –, so früher mit den Hugenotten in Frank9)  S[iehe] die Nachweise bei Offenbacher a. a. O. S.  54 und die Tabellen am Schluß der Arbeit.24 |

22 Polen lebten in Rußland, hier vorwiegend in Russisch-Polen (Königreich Polen oder, nach 1815, Kongreß-Polen), in Österreich (Galizien, vgl. die folgende Anm.) und in Preußen (vgl. oben, S.  124, Anm.  5). 23  Galizien war österreichisches Kronland. Die Bevölkerung bestand 1900 zu 55% aus Polen (meist römisch-katholisch), v. a. in Westgalizien, und zu 42% aus Ruthenen (meist griechisch-katholisch), v. a. in Ostgalizien. Galizien besaß einen eigenen Landtag und eine eigene Verwaltung, wodurch sich das nationale Polentum behaupten konnte. 1890 war die Industrie noch wenig entwickelt, der Bildungsstand niedrig. 24  Offenbacher, Konfession, verweist S.  54 f. auf die hohe Anzahl von Protestanten, die aus Handwerksberufen kamen und in die Großindustrie abströmten, besonders in den Maschinenbau. Die bessere soziale Lage und Bildung der Protestanten äußere sich auch darin, daß sie im Handwerk die geistig anspruchsvollen und Geschicklichkeit erfordernden Berufe wie etwa Setzer oder Drucker ausübten. – Die Tabellen ebd., S.  69–99.

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reich unter Ludwig XIV.,25 den Nonkonformisten und Quäkern26 in England und – last not least – mit den Juden seit zwei Jahrtausenden. Aber bei den Katholiken in Deutschland sehen wir von einer solchen Wirkung nichts oder wenigstens nichts in die Augen Fallendes, und auch in der Vergangenheit haben sie weder in Holland noch in England in den Zeiten, wo sie entweder verfolgt oder nur toleriert waren, irgendeine besonders hervortretende ökonomische Entwicklung aufzuweisen. Der Grund des verschiedenen Verhaltens muß also der Hauptsache nach doch in der inneren Eigenart, nicht in der äußeren historisch-politischen Lage der Konfessionen gesucht werden.10) Es würde also darauf ankommen zu untersuchen, welches diejenigen Elemente jener Eigenart der Konfessionen sind oder waren, die in der vorstehend geschilderten Richtung gewirkt haben und teilweise noch wirken. Man könnte nun bei oberflächlicher Betrachtung und aus gewissen modernen Eindrücken heraus versucht sein, den Gegensatz so zu formulieren, daß die größere „Weltfremdheit“ des Katholizismus, die asketischen Züge, welche seine höchsten Ideale aufweisen, seine Bekenner zu einer größeren Indifferenz gegenüber den Gütern dieser Welt erziehen müßten. Diese Begründung entspricht denn auch in der Tat dem heute üblichen popu­ lären Schema der Beurteilung beider Konfessionen. Von protestantischer Seite benutzt man diese Auffassung zur Kritik jener 10)  Das schließt natürlich nicht aus, daß auch die letztere höchst wichtige Konse- A 6 quenzen gehabt hat[,] und steht namentlich damit nicht im Widerspruch, daß es, wie späterhin zu erörtern,27 für die Entwicklung der ganzen Lebensatmosphäre mancher protestantischer Sekten von ausschlaggebender, auch auf ihre Beteiligung am Wirtschaftsleben zurückwirkender, Bedeutung war, daß sie kleine und deshalb homogene Minoritäten repräsentierten, – wie dies z. B. bei den strengen Calvinisten außerhalb von Genf und Neu-England eigentlich überall, selbst da[,] wo sie politisch herrschten, der Fall war. |

25  Frankreichs Protestanten, die „Hugenotten“, galten um die Mitte des 17. Jahrhunderts als Träger des Fortschritts und der Kultur in Staat, Industrie, Handel und Wissenschaft. Unter Ludwig XIV. (reg. 1661–1715) wurden sie systematisch aus ihren Ämtern und Berufen gedrängt und seit 1681 offen verfolgt. Nach dem Widerruf des Edikts von Nantes (1685) flohen hunderttausende Hugenotten ins Ausland. Näheres im Glossar, unten, S.  831. 26  Für die Quäker in England z. B. anschaulich Bernstein, Kommunistische Strömungen, S.  680–685. 27  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  242–425, zur asketischen Lebensführung der Religionsgemeinschaften.

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(wirklichen oder angeblichen) asketischen Ideale der katholischen Lebensführung, von katholischer antwortet man mit dem Vorwurf des „Materialismus“, welcher die Folge der Säkularisation aller Lebensinhalte durch den Protestantismus sei.28 Auch ein moderner Schriftsteller glaubte den Gegensatz, wie er in dem Verhalten beider Konfessionen gegenüber dem Erwerbsleben zutage tritt, dahin formulieren zu sollen: „Der Katholik .  .  . ist ruhiger; mit ge|ringerem Erwerbstrieb ausgestattet, gibt er auf einen möglichst gesicherten Lebenslauf, wenn auch mit kleinerem Einkommen, mehr, als auf ein gefährdetes, aufregendes, aber eventuell Ehren und Reichtümer bringendes Leben. Der Volksmund meint scherzhaft: entweder gut essen, oder ruhig schlafen. Im vorliegenden Fall ißt der Protestant gern gut, während der Katholik ruhig schlafen will.“11) In der Tat mag mit dem „gut essen wollen“ die Motivation für den kirchlich indifferenteren Teil der Protestanten in Deutschland und für die Gegenwart, zwar unvollständig, aber doch wenigstens teilweise richtig charakterisiert sein. Aber nicht nur lagen die Dinge in der Vergangenheit sehr anders: für die englischen, holländischen und amerikanischen Puritaner war bekanntlich das gerade Gegenteil von „Weltfreude“ charakteristisch[,] und zwar, wie wir noch sehen werden,29 sogar einer ihrer für uns wichtigsten Charakterzüge, – sondern z. B. der französische Protestantismus hat den Charakter, 11) 

Dr. Offenbacher, a. a. O. S.  68.30

28  Vermutlich Anspielung auf die konfessionelle Polemik aus der Zeit des preußischen Kulturkampfs. Z. B. hieß es auf dem Deutschen Katholikentag 1872 (vgl. Verhandlungen der XXII. General-Versammlung der Katholiken Deutschlands zu Breslau 1872. – Breslau: G. P. Aderholz 1872): „Wir haben den modernen Staat, das ist der Staat ohne Gott“, dessen Glückseligkeit darin liege, „zum größten Reichthum“ zu führen (S.  187). Vor dem „Verfall in den Materialismus“ aber schütze die Welt allein der Papst (vgl. S.  130–134, Zitat S.  130). Oder während einer Landtagsdebatte über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen führte der Sprecher der Deutschen Fortschrittspartei „die Freiheit der individuellen, religiösen Ueberzeugung oder des reli­giösen Glaubens“ gegen die Hierarchie der römisch-katholischen Kirche ins Feld. Abgeordnete der Zentrumspartei warfen ihm „Materialismus“ vor (vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Landtags, Haus der Abgeordenten, 1. Band. – Berlin: W. Moeser 1873, 28. Sitzung am 17. Jan.  1873, S.  629–635, Zitat S.  633. 29  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  242–425, zur asketischen Lebensführung der Puritaner. 30  Mit dem „moderne[n] Schriftsteller“ (oben, Z.  4 f.) ist vermutlich Offenbacher selbst gemeint. Bei Offenbacher, Konfession, S.  68, heißt es: „Der Katholik in Baden ist ruhiger; mit geringem Erwerbstrieb ausgestattet [.  .  .]“ (bei Offenbacher kein Zitat).

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der den calvinistischen Kirchen überhaupt und zumal denen „unter dem Kreuz“31 in der Zeit der Glaubenskämpfe überall aufgeprägt wurde, in hohem Maße bis heute bewahrt. Er ist dennoch – oder, so werden wir weiterhin zu fragen haben: vielleicht gerade deshalb? – bekanntlich einer der wichtigsten Träger der gewerblichen und kapitalistischen Entwicklung Frankreichs gewesen und in dem kleinen Maßstabe, in welchem die Verfolgung es zuließ, geblieben.32 Wenn man diesen Ernst und das starke Vorwalten religiöser Interessen in der Lebensführung „Weltfremdheit“ nennen will, dann waren und sind die französischen Calvinisten ebenso weltfremd wie (im allgemeinen) die deutschen oder doch mindestens die norddeutschen Katholiken, denen ihr Katholizismus unzweifelhaft in einem Maße Herzenssache ist, wie keinem anderen Volke der Erde, – und beide unterscheiden sich dann nach der gleichen Richtung von der vorherrschenden Religionspartei: den in ihren unteren Schichten höchst „lebensfrohen“, in ihren oberen direkt religionsfeindlichen Katholiken Frankreichs und den heute im weltlichen Erwerbsleben aufgehenden und in ihren oberen Schichten vorwiegend religiös indifferenten Protestanten Deutschlands.12) 12)  Ungemein feine Bemerkungen über die charakteristische Eigenart der Konfessionen in Deutschland und Frankreich und die Kreuzung dieser Gegensätze mit den sonstigen Kulturelementen im elsässischen Nationalitätenkampf in der vortrefflichen | Schrift von W. Wittich, Deutsche und französische Kultur im Elsaß (Illustrierte El­ A 8 säss[ische]i Rundschau, 1900, auch als Sonderabdruck erschienen).33 |

i A: Elsäß. 31  Bezeichnung für Kirchen, die verfolgt wurden und im Verborgenen bleiben mußten, wie die protestantischen Kirchen in Frankreich, in den Niederlanden oder auch am Niederrhein. So auch von Polenz für die erstgenannten gebraucht (vgl. Polenz, Calvinismus I, S.  434, 442, 503 und S.  600; Polenz wird zitiert: Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  248, Fn.  4). Vgl. auch das Glossar, unten, S.  833. 32  Gemeint sind die Hugenotten. Vgl. dazu oben, S.  131, Anm.  25, und das Glossar, unten, S.  831. 33 Wittich, Elsaß, S.  20, schreibt: „Der Protestantismus Frankreichs ist der strenge weltfeindliche Kalvinismus, der das ganze Leben erfüllt und seinen Anhänger zu einem tüchtigen, aber unduldsamen, der Weltfreude abgeneigten Menschen macht. Der französische Katholizismus ist die katholische Kirche der romanischen Länder, ‚die Ketzer strafend, doch den Sündern mild.‘ Dabei hat die katholische Kirche über einen großen Teil ihrer Bekenner die Macht verloren, sie sind liberal oder sozialistisch, d. h. ungläubig und antikirchlich geworden. In Deutschland ist es gerade umgekehrt. Hier sind es gerade die Protestanten, die Anhänger der Staatskirche, die den politischen Liberalismus und die religiöse Gleichgültigkeit hauptsächlich vertreten, während die Katholiken streng religiös völlig der Kirche unterthan sind [.  .  .].“

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Kaum etwas zeigt so | deutlich, wie diese Parallele, daß mit so vagen Vorstellungen, wie der (angeblichen!) „Weltfremdheit“ des Katholizismus, der (angeblichen!) materialistischen „Weltfreude“ des Protestantismus und vielen ähnlichen hier nichts anzufangen ist, schon weil sie in dieser Allgemeinheit teils auch heute noch, teils wenigstens für die Vergangenheit gar nicht zutreffen. Wollte man aber mit ihnen operieren, dann müßten außer den schon gemachten Bemerkungen noch manche andere Beobachtungen, die sich ohne weiteres aufdrängen, sogar den Gedanken nahe legen, ob nicht der ganze Gegensatz zwischen „Weltfremdheit“, „Askese“ und kirchlicher Frömmigkeit auf der einen Seite, Beteiligung am kapitalistischen Erwerbsleben auf der anderen Seite geradezu in eine innere Verwandtschaft umzukehren sei. In der Tat ist nun schon auffallend – um mit einigen ganz äußerlichen Momenten zu beginnen –[,] wie groß die Zahl der Vertreter gerade der innerlichsten Formen christlicher Frömmigkeit ist, die aus kaufmännischen Kreisen stammen. Speziell der Pietismus verdankt eine auffallend große Zahl seiner ernstesten Bekenner dieser Abstammung. Man könnte da an eine Art Kontrastwirkung des „Mammonismus“ auf innerliche und dem Kaufmannsberuf nicht angepaßte Naturen denken, und sicherlich hat, wie bei Franz von Assisi,34 so auch bei vielen jener Pietisten, sich der Hergang der „Bekehrung“ subjektiv dem Bekehrten selbst sehr oft so dargestellt. Und ähnlich könnte man dann die gleichfalls – bis auf Cecil Rhodes35 herab – so auffallend häufige Erscheinung, daß aus Pfarrhäusern kapitalistische Unternehmer größten Stils hervorgehen, als eine Reaktion gegen asketische Jugenderziehung zu erklären suchen. Indessen diese Erklärungsweise versagt da, wo ein virtuoser kapitalistischer Erwerbssinn mit den intensivsten Formen einer das ganze Leben durchdringenden und regelnden Frömmigkeit in denselben Personen und Menschengruppen zusammentrifft, 34  Franz von Assisi wuchs als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns auf und war der Legende nach Haupt der genußfreudigen Jugend in Assisi. Nach einem einschneidenden Erlebnis bekehrte er sich und wurde ein in freiwilliger Armut umherziehender Bußprediger, dann Ordensgründer. 35  Cecil Rhodes, ein Protagonist des britischen Imperialismus in Südafrika, der durch seine Gold- und Diamantengeschäfte zu einem der reichsten Männer seiner Zeit wurde, stammte aus einem englischen Landpfarrhaus. Erwähnt z. B. in: Cecil Rhodes †, in: FZ vom 27. März 1902, Nr.  86, 2. Mo.Bl., S.  1.

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und diese Fälle sind nicht etwa vereinzelt, sondern sie sind geradezu bezeichnendes Merkmal für ganze Gruppen der historisch wichtigsten protestantischen Kirchen und Sekten. Speziell der Calvinismus zeigt, wo immer er aufgetreten ist, diese Kombination. So wenig er in der Zeit der Ausbreitung der Reformation in irgend­ einem Lande (wie überhaupt irgend eine der protestantischen Konfessionen) | an eine bestimmte einzelne Klasse gebunden war, so charakteristisch und in gewissem Sinn „typisch“ ist es doch z. B., daß in den französischen Hugenottenkirchen alsbald Mönche und Industrielle (Kaufleute, Handwerker) numerisch besonders stark unter den Proselyten vertreten waren und, namentlich in den Zeiten der Verfolgung, vertreten blieben.13) Und schon die Spanier wußten, daß „die Ketzerei“ (d. h. der Calvinismus der Niederlän-

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13)  S[iehe] darüber jetzt: Dupin de St. André, L’ancienne église réformée de Tours. A 9 Les membres de l’église (Bull[etin] de la soc[iété] de l’hist[oire] du Protest[antisme] 4. s[érie] t. 1k).36 Man könnte auch hier wieder – und namentlich katholischen Beurteilern wird dieser Gedanke nahe liegen – die Sucht nach Emanzipation von der klösterlichen oder überhaupt kirchlichen Kontrolle als das treibende Motiv ansehen. Aber dem steht nicht nur das Urteil auch gegnerischer Zeitgenossen (einschließlich Rabelais)37 entgegen, sondern es zeigen z. B. die Gewissensbedenken der ersten Nationalsynoden der Hugenotten (z. B. 1. Synode, C[as] Partic[uliers], larticle 11l bei Aymon, Synod[es] Nat[ionaux] p.  10),38 ob ein Bankier Ältester einer Kirche werden dürfe[,] und die, trotz Calvins unzweideutiger Stellungnahme,39 auf den Nationalsynoden stets wiederkeh-

k A: 10  l-l A: qu. 10 36  Vgl. Dupin, Église réformée de Tours, in der von Weber genannten Zeitschrift, Quatrième série, tome I. 37  Anspielung auf die Zustandsbeschreibung des französischen Satirikers und Humoristen François Rabelais, die das Gegenteil eines reglementierten monastischen Lebens vermittelt (Trunk- und Freßsucht der Mönche). Vgl. z. B. Polenz, Calvinismus I, S.  169–173, 195–197. 38  Weber bezieht sich auf die Verhandlungen der Premier Synode, dort unter Faits speciaux, article XI, in: Aymon, Synodes Nationaux I, p.  10. Die erste Nationalsynode der französischen reformierten Gemeinden, d. h. der Hugenotten, fand in Zeiten schlimmster Verfolgung am 25. Mai 1559 in Paris statt. 39 Calvin billigte das Zinsennehmen, das von der römischen Kirche verboten war (vgl. im Glossar: „Wucherverbot“, unten, S.  842), allerdings mit Einschränkungen: So dürfe man mit Geldleihe keinen Wucher betreiben und keine Zinsen von den Armen und Bedürftigen nehmen. Der Staat habe die Aufgabe, die Obergrenze der Zinsen festzulegen. Nach Wiskemann, Nationalökonomische Ansichten, S.  80 f. (von Weber zitiert unten, S.  201, Fn.  50), auf den sich auch Kampschulte, Calvin I, S.  429, bezieht (Kampschulte wird eingeführt: Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  247, Fn.  4).

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der) „den Handelsgeist befördere“[,] und Gothein14) bezeichnet die calvinistische Diaspora mit Recht als die „Pflanzschule der Kapitalwirtschaft“.15) Man könnte ja hier die Überlegenheit der französischen und holländischen wirtschaftlichen Kultur, welcher diese Diaspora überwiegend entstammte, für das Entscheidende ansehen, oder auch den gewaltigen Einfluß des Exils und der Herausreißung aus den traditionellen Lebensbeziehungen.16) Allein in rende Erörterung40 der Erlaubtheit des Zinsennehmens anläßlich der Anfrage bedenklicher Gemeindeglieder zwar die starke Beteiligung der hieran interessierten Kreise, zugleich aber doch wohl auch, daß der Wunsch, die „usuraria pravitas“41 ohne Beichtkontrolle ausüben zu können, nicht maßgebend gewesen sein kann. 14)  W[irtschafts-]G[eschichte] des Schwarzwalds I, 674m.42 15)  Daran anschließend die kurzen Bemerkungen Sombarts, Der moderne Kapitalismus I S.  380.43 16)  Denn daß die bloße Tatsache des Heimatwechsels bei der Arbeit zu den mächtigsten Mitteln ihrer Intensivierung gehört, steht durchaus fest. – Dasselbe polnische Mädchen, welches in der Heimat durch keine noch so günstigen Verdienstchancen aus seiner traditionalistischen Trägheit herauszubringen ist, wandelt scheinbar seine ganze Natur und ist ungemessener Ausnutzung fähig, wenn es als Sachsengängerin in der Fremde arbeitet.44 Bei den italienischen Wanderarbeitern zeigt sich genau die gleiche m A: 67 40  Vgl. etwa Aymon, Synodes Nationaux I, p.  26 (3. Synode), p.  35 und 39 (4. Synode), p.  86 (6. Synode), das Verbot exorbitanter Zinsen p.  153 (11. Synode) und weitere Fälle. 41  usuraria pravitas (lat.), unerlaubte, strafbare Zinsnahme. Vgl. dazu auch im Glossar: „usura“, unten, S.  840. 42  Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, S.  674: „Wer den Spuren der kapitalistischen Entwickelung nachgeht, in welchem Lande Europas es auch sei, immer wird sich ihm dieselbe Thatsache aufdrängen: Die calvinistische Diaspora ist zugleich die Pflanzschule der Kapitalwirtschaft. Die Spanier drückten sie mit bitterer Resignation dahin aus: ‚Die Ketzerei befördert den Handelsgeist.‘“ 43  Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  380 f.: „Unzureichend erscheint mir auch eine Begründung modern-kapitalistischen Wesens mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Religionsgemeinschaften. Daß der Protestantismus, zumal in seinen Spielarten des Calvinismus und Quäkertums, die Entwicklung des Kapitalismus wesentlich gefördert hat, ist eine zu bekannte Thatsache, als daß sie des weiteren begründet zu werden brauchte.“ Dazu zitiert Sombart Gothein (wie vorherige Anm.) und fährt fort: „Wenn jedoch jemand gegen diesen Erklärungsversuch [.  .  .] einwenden wollte: die protestantischen Religionssysteme seien zunächst vielmehr Wirkung als Ursache des modern-kapitalistischen Geistes, so wird man ihm schwer die Irrtümlichkeit seiner Auffassung darthun können, es sei denn mit Hilfe eines empirischen Nachweises konkrethistorischer Zusammenhänge, auf welche wir also immer wieder hingewiesen werden, sobald wir auch nur einigermaßen befriedigenden Aufschluß über die Entstehung des modernen Kapitalismus gewinnen wollen.“ 44  Fast wörtlich in der zweiten Fassung von Webers Artikel „Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter“ (1894), MWG I/4, S.  362–462. Dort heißt es

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Frankreich selbst stand, wie | aus Colberts Kämpfen bekannt ist,45 im 17. Jahrhundert die Sache ganz ebenso. Selbst Österreich hat – von anderen Ländern zu schweigen – protestantische Fabrikanten gelegentlich direkt importiert.46 Noch eklatanter ist, woran ebenfalls nur erinnert zu werden braucht, der Zusammenhang religiöser Lebensreglementierung mit intensivster Entwicklung des geschäft-

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Erscheinung. Und daß hier nicht nur der erziehende Einfluß des Eintrittes in ein höheres „Kulturmilieu“ das Entscheidende ist – so sehr er natürlich mitspielt, – zeigt sich darin, daß die gleiche Erscheinung eintritt, auch wo – wie in der Landwirtschaft – die Art der Beschäftigung genau die | gleiche ist wie in der Heimat und die Unterbringung A 10 in Wanderarbeiterkasernen usw. sogar ein temporäres Herabsteigen auf ein Niveau der Lebenshaltung bedingt, wie es in der Heimat nie ertragen werden würde. – Die bloße Tatsache des Arbeitens in ganz anderen Umgebungen als den gewohnten bricht hier den Traditionalismus und ist das „Erziehliche“. Es braucht kaum angedeutet zu werden, wieviel von der amerikanischen ökonomischen Entwicklung auf solchen Wirkungen ruht. Für das Altertum ist die ganz ähnliche Bedeutung des babylonischen Exils47

S.  447: „Polnische Mädchen, welche in der Heimath kein noch so hoher Lohn zu energischer Arbeit anspornt, leisten auswärts Außergewöhnliches.“ Über die landwirtschaftlichen Wanderarbeiter („Sachsengänger“) ebd., S.  446–448. 45  Jean Baptiste Colbert war von 1661 an über 22 Jahre Finanzminister Ludwigs XIV. Neben der wirtschaftlichen Vereinheitlichung Frankreichs strebte er auch die religiöse an. Juden und Hugenotten wollte er vertreiben, obwohl man über die Hugenotten sagte, sie besäßen großes Kapital und hätten die tüchtigsten Kaufleute. Darüber hinaus stellten sie „einen sehr bedeutenden Anteil an der Verwaltung der Finanzen, den Staatspachtungen, dem Anleihewesen. Es ist bemerkenswert, mit welchem Eifer und Erfolg sie sich der aufkommenden Manufaktur widmeten. [.  .  .] Es bestand zu jener Zeit das Sprichwort: ‚riche comme un protestant.‘“ Hecht, Gustav Heinrich, Colbert’s politische und volkswirtschaftliche Grundanschauungen (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, 1. Band, 2. Heft). – Freiburg i.B., Leipzig und Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1898, Zitat S.  20 f. (von Weber zusammen mit einem Artikel von Gustav Cohn über Colbert als Literatur aufgeführt im Vorlesungs-Grundriß, MWG III/1, S.  82; vgl. ebd., S.  104). 46  Protestanten wurden zur Ausübung ihres Gewerbes in Österreich angesiedelt, notiert z. B. Adler, Max, Die Anfänge der merkantilistischen Gewerbepolitik in Österreich, in: Wiener Staatswissenschaftliche Studien, hg. von Edmund Bernatzik und Eugen von Philippovich, 4. Band, 3. Heft. – Wien und Leipzig: Franz Deuticke 1903, S.  50. Ausführlicher später Otruba, Gustav, Die Wirtschaftspolitik Maria Theresias. – Wien: Bergland Verlag 1963, S.  33–36: Maria Theresia warb Facharbeiter aus Italien, aus Frankreich, aus den Niederlanden und besonders aus England (Stahlfabrikanten und Maschinisten) zum Aufbau von in Österreich noch nicht vorhandenen Fabrikzweigen an. Den Angeworbenen gewährte sie ökonomische Privilegien, auch freie Religionsausübung. Dasselbe galt für Zeugmacher, die aus Sachsen und der Lausitz angeworben wurden oder aus Preußisch-Schlesien nach Mähren einwanderten. 47 Unter dem babylonischen König Nebukadnezar II. wurden 598/97 und 587/86 v. Chr. (Zerstörung Jerusalems und des ersten Tempels) die Bewohner des Staates Juda, vor allem die Jerusalemer Oberschicht, nach Babylonien zwangsdeportiert.

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lichen Sinnes bei einer ganzen Anzahl gerade derjenigen Sekten, deren „Lebensfremdheit“ ebenso sprichwörtlich geworden ist, wie ihr Reichtum: insbesondere den Quäkern und Mennoniten. Die Rolle, welche die ersteren in England und Nordamerika spielten, fiel den letzteren in den Niederlanden und Deutschland zu. Daß in Ostpreußen selbst Friedrich Wilhelm I. die Mennoniten trotz ihrer absoluten Weigerung, Militärdienst zu tun, als unentbehrliche Träger der Industrie gewähren ließ,48 ist nur eine, aber allerdings bei der Eigenart dieses Königs wohl eine der stärksten, von den zahlreichen wohlbekannten Tatsachen, die das illustrieren. Daß endlich für die Pietisten die Kombination von intensiver Frömmigkeit mit für die Juden, man möchte sagen, mit Händen in den Inschriften zu greifen.49 – Aber für die Calvinisten spielt, wie schon der immerhin unverkennbare Unterschied in der ökonomischen Eigenart der puritanischen Neu-England-Kolonien gegenüber dem katholischen Maryland, dem episkopalistischen Süden und dem interkonfessionellen Rhode Island zeigt,50 der Einfluß ihrer religiösen Eigenart ganz unverkennbar als selbständiger Faktor eine Rolle.

Nach der Eroberung Babylons durch die Perser durften die Juden unter Kyros II. seit 538 v.Chr. in ihre Heimat zurückkehren; manche blieben jedoch in Babylonien (vgl. unten, Anm.  49). 48  Die Mennoniten verweigerten Kriegsdienst und Eid. In Ostpreußen siedelten sie sich seit 1711 im Memelland an, und nach einem Aufruf Friedrich Wilhelms I. kamen sie 1721 nach Königsberg. Gegen Bezahlung wurden sie vom Wehrdienst befreit und durften Gottesdienste abhalten. In Königsberg machten sie sich v. a. durch ihre gewerblichen Tätigkeiten und durch das Kapital, das sie ins Land gebracht hatten, nahezu unersetzlich. Dies wurde deutlich, als es trotz der ihnen zugesicherten Privilegien in der Militärdienstfrage zu Zwischenfällen kam und ihnen 1732 Ausweisung drohte. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verdienste um Königsberg verzichtete der König auf ihre Ausweisung und gewährte ihnen erneut Wehrfreiheit – „unter der Bedingung, daß sie Woll- und Zeugfabriken anlegten“. Vgl. Mannhardt, W[ilhelm], Die Wehrfreiheit der Altpreußischen Mennoniten. Eine geschichtliche Erörterung. – Marienburg: Selbstverlag der Altpreußischen Mennonitengemeinden 1863, S.  116–120, S.  LXX–LXXV, Zitat S.  120. 49  Wahrscheinlich Anspielung auf die Tontafel-Dokumente des Handels- und Kredithauses Muraschu in Nippur (ca. 455–403 v.Chr.). Darauf sind Geschäfte mit den Diaspora-Juden der Umgebung erwähnt, wie man an den Namen erkennen kann. Vgl. Hilprecht, H[ermann V.] und Clay, A[lbert T.], Business Documents of Murashû Sons of Nippur dated in the Reign of Artaxerxes I (464–424 B. C.) (The Babylonian Expedition of the University of Pennsylvania, Ser. A, vol. 9). – Philadelphia, PA: University of Philadelphia 1898; Clay, A[lbert T.], dass. dated in the Reign of Darius II (424–404 B. C.) (ebd., vol. 10), ebd., 1904. – Weber, Agrarverhältnisse3, verweist später auf „die von Hilprecht edierten Ausgrabungen der Univ[ersity] of Pennsylvania“ (MWG I/6, S.  730; dazu S.  841). Ferner später Weber, Antikes Judentum, MWG I/21, S.  707 (dazu Eckart Otto, Einleitung, MWG I/21, S.  127 mit Anm.  30). 50  Einiges dazu unten, S.  152, Anm.  53 und 55.

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ebenso stark entwickeltem geschäftlichen Sinn und Erfolg ebenfalls galt,17) ist bekannt genug: – man braucht nur an Calw zu erinnern51 –; es mögen daher in diesen ja nur ganz provisorischen Ausführungen die Beispiele nicht weiter gehäuft werden. Denn schon diese wenigen zeigen alle das eine: der „Geist der Arbeit“, des „Fort|schritts“ oder wie er sonst bezeichnet wird, dessen Weckung man dem Protestantismus zuzuschreiben neigt, darf nicht, wie es heute zu geschehen pflegt, im „aufklärerischen“ Sinn verstanden werden. Der alte Protestantismus der Luther, Calvin, Knox, Voët52 hatte mit dem, was man heute „Fortschritt“ nennt, wenig zu schaffen. Zu ganzen Seiten des modernen Lebens, die heute der extremste Konfessionelle nicht mehr entbehren möchte, stand er direkt feindlich. Soll also eine innere Verwandtschaft altprotestantischen Geistes und moderner kapitalistischer Kultur gefunden werden, so müssen wir wohl oder übel versuchen, sie nicht in dessen (angeblicher) mehr oder minder materialistischer oder doch anti-asketischer „Weltfreude“, sondern vielmehr in seinen rein religiösen Zügen zu suchen. – Montesquieu sagt (Esprit des lois Buch XX 17)  Das schließt natürlich nicht aus, daß der Pietismus, ebenso wie auch andere religiöse Richtungen, sich gewissen „Fortschritten“ kapitalistischer Wirtschaftsverfassung – z. B. dem Übergang zum Fabriksystem – aus patriarchalistischen Stimmungen heraus später widersetzt habenn. Es ist das, was eine religiöse Richtung als Ideal erstrebte[,] und das, was ihr Einfluß auf die Lebensführung ihrer Anhänger faktisch bewirkte, scharf zu scheiden, wie wir noch oft sehen werden.53 |

n  Zu erwarten wäre: hat 51 Ein Hinweis auf Calw findet sich etwa bei Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, S.  675, 685–689; ausführlich bei: Troeltsch, Walter, Die Calwer Zeughandlungskompagnie und ihre Arbeiter. Studien zur Gewerbe- und Sozialgeschichte Altwürttembergs. – Jena: Gustav Fischer 1897, bes. S.  149–153, den Weber im Vorlesungs-Grundriß als Literatur nennt, vgl. MWG III/1, S.  104 (auf den Pietismus Calws geht Troeltsch allerdings nicht ein). – Die wirtschaftliche Blüte der Stadt war Folge der Geschäftstüchtigkeit der Calwer Zeughandlungs-Compagnie, von 1650 bis 1797 ein Familien- und Geschäftsverband von Calwer Färbern und Wollstoff-Händlern, der auch eine eigene „Manufaktur“ besaß und ausgedehnte Geldgeschäfte betrieb. Erfolgreich war sie v. a. in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts (vgl. Troeltsch, ebd., S.  149–153). Viele der Compagnieverwandten gehörten dem Pietismus an. 52  John Knox, wichtigste Person der Reformation in Schottland; Gisbert Voet, Haupt der „Nadere Reformatie“ (bei Weber: des niederländisch-reformierten Pietismus), die die reformierte orthodoxe Lehre mit asketischer Frömmigkeitspraxis zu verbinden suchte und über 100 Jahre die einflußreichste Richtung in der niederländischen Kirche war. Vgl. die Einträge im Personenverzeichnis, unten, S.  793 f. und 816. 53  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  420 ff.

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cap.  7) von den Engländern, sie hätten es „in drei wichtigen Dingen von allen Völkern der Welt am weitesten gebracht: in der Frömmigkeit, im Handel und in der Freiheit“.54 Sollte ihre Überlegenheit auf dem Gebiet des Erwerbs – und, was wir später in anderem Zusammenhang auch noch berühren werden, ihre Eignung für freiheitliche politische Institutionen – vielleicht mit jenem Frömmigkeitsrekord, den Montesquieu ihnen zuerkennt, zusammenhängen? Eine ganze Anzahl möglicher Beziehungen steigen, dunkel empfunden, alsbald vor uns auf, wenn wir die Frage so stellen. Es wird nun eben die Aufgabe sein müssen, das, was uns hier undeutlich vorschwebt, so deutlich zu formulieren, als dies bei der unausschöpfbaren Mannigfaltigkeit, die in jeder historischen Erscheinung steckt, überhaupt möglich ist. Um dies aber zu können, muß das Gebiet der vagen Allgemeinvorstellungen, mit dem bisher operiert worden ist, notgedrungen verlassen und in die charakteristische Eigenart und die Unterschiede jener großen religiösen Gedankenwelten einzudringen versucht werden, die in den verschiedenen Ausprägungen der christlichen Religion uns geschichtlich gegeben sind. Vorher aber sind noch einige Bemerkungen erforderlich, zunächst über die Eigenart des Objektes, um dessen geschichtliche Erklärung es sich handelt, dann über den Sinn, in welchem eine solche Erklärung überhaupt im Rahmen dieser Untersuchungen möglich ist. 2.  In der Überschrift dieser Studie ist der etwas anspruchsvoll klingende Begriff: „Geist des Kapitalismus“ verwendet. Was soll darunter verstanden werden? |

54  „C’est le peuple du monde qui a le mieux su se prévaloir à la fois de ces trois grandes choses: la religion, le commerce et la liberté.“ Montesquieu, Esprit des lois, p.  301, zitiert nach Webers Handexemplar (Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München). Livre XX, Chapitre VII ist überschrieben: „Esprit de l’Angleterre sur le commerce“. Da die wichtigsten deutschen Ausgaben „religion“ nicht mit „Frömmigkeit“, sondern mit „Religion“ wiedergeben, dürfte Weber den Satz selbst übersetzt haben. Ferner dazu den Editorischen Bericht, oben, S.  101 mit Anm.  28.

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Wenn überhaupt ein Objekt auffindbar ist, für welches der Verwendung jener Bezeichnung irgendein Sinn zukommen kann, so kann es nur ein „historisches Individuum“ sein, d. h. ein Komplex von Zusammenhängen in der geschichtlichen Wirklichkeit, die wir unter dem Gesichtspunkte ihrer Kulturbedeutung begrifflich zu einem Ganzen zusammenschließen.1 Ein solcher historischer Begriff aber kann, da er inhaltlich sich auf eine in ihrer individuellen Eigenart bedeutungsvolle Erscheinung bezieht, nicht nach dem Schema: „genus proximum, differentia specifica“ definiert (zu deutsch: „abgegrenzt“),2 sondern er muß aus seinen einzelnen[,] der geschichtlichen Wirklichkeit zu entnehmenden Bestandteilen komponiert werden. Die endgültige begriffliche Erfassung kann nicht am Anfang, sondern nur am Schluß der Untersuchung stehen: es wird sich m. a. W. erst im Lauf der Erörterung und als deren wesentliches Ergebnis zu zeigen haben, wie das, was wir hier unter dem „Geist“ des Kapitalismus verstehen, am besten – d. h. für die uns hier interessierenden Gesichtspunkte adäquatesten – zu formulieren sei. Diese „Gesichtspunkte“ wiederum (von denen noch zu reden sein wird)3 sind nun nicht etwa 1  Der Begriff „historisches Individuum“ stammt von Heinrich Rickert und steht im Zusammenhang mit seiner Wertbeziehungslehre und der Lehre von der individualisierenden Begriffsbildung. Er bezeichnet Auswahl und Konstitution eines zu untersuchenden Objekts, das ein logisch Unteilbares wird („In-dividuum“). Vgl. Rickert, Heinrich, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften. – Tübingen und Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1902 (hinfort: Rickert, Grenzen), S.  336–370. Charakteristische Formulierung: „Wir fragen nur danach, wie die Einzigartigkeit den Grund der Einheit bilden kann, und da muß die Antwort lauten, daß In-dividuen auf einen Werth bezogene Individuen sind.“ Ebd., S.  351 f. Weber übernimmt diese Lehre vor allem in seinem „Objektivitäts“-Aufsatz, der parallel zur ersten Folge der „Protestantischen Ethik“ entstand (vgl. die Einleitung, oben, S.  12–22). Zum Begriff „historisches Individuum“ vgl. Weber, Objektivität, S.  53–59. 2  Abgekürzte Form; nach der mittelalterlichen Schullogik heißt es: „definitio fiat per genus proximum et differentias specificas“ (nach Aristoteles, bei dem jede Definition aus der Angabe der Gattungs- und Artmerkmale besteht; Topik VI, 5, 143 a 15). Vgl. Weber, Objektivität, S.  54. Auch hier folgt Weber Rickert, der zwischen individualisierender und generalisierender Begriffsbildung unterschied. Letztere ziele unter anderem auch auf Gattungsbegriffe. Vgl. Rickert, Grenzen (wie voherige Anm.  1), S.  123– 146, wo er die Dreistufigkeit naturwissenschaftlicher Begriffsbildung als fortschreitender Entfernung von Anschaulichkeit durch Vereinfachung darstellt (empirische Allgemeinheit, Klassifikation, unbedingt allgemeine Geltung). 3  Zur Rolle der gesichtspunktabhängigen Erkenntnis in den Kulturwissenschaften vgl. Weber, Objektivität, S.  46 ff.

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die einzig möglichen, unter denen die historischen Erscheinungen, die wir betrachten, analysiert werden können. Andere Gesichtspunkte der Betrachtung würden hier, wie bei jeder historischen Erscheinung, andere Züge als die „wesentlichen“ ergeben: – woraus ohne weiteres folgt, daß man unter dem „Geist“ des Kapitalismus durchaus nicht notwendig nur das verstehen könne oder müsse, was sich uns als das für unsere Auffassung „Wesentliche“ daran darstellen wird. Das liegt eben im Wesen der „historischen Begriffsbildung“, welche für ihre methodischen Zwecke die geschichtliche Wirklichkeit nicht in abstrakte Gattungsbegriffe einzuschachteln, sondern in konkrete Zusammenhänge von stets und unvermeidlich individueller Färbung einzugliedern strebt. Soll gleichwohl eine Feststellung des Objektes, um dessen Analyse und historische Erklärung es sich handelt, gegeben werden, – wie dies ja notgedrungen geschehen muß, – so kann es sich also nicht um eine begriffliche „Definition“, sondern nur um eine provisorische Veranschaulichung dessen handeln, was hier mit dem „Geist“ des Kapitalismus gemeint ist. Eine solche ist nun in der Tat zum Zwecke einer Verständigung über den Gegenstand der Untersuchung unentbehrlich, und wir halten uns zu diesem Behufe an ein Dokument jenes „Geistes“, welches das, | worauf es hier zunächst ankommt, in nahezu klassischer Reinheit enthält:4 o„Bedenke,5 daß die Zeit Geld 6 ist; wer täglich zehn Schillinge durch seine Arbeit erwerben könnte7 und den halben Tag spazieo–o  (S.  145) Petitdruck in A. 4  Zu den Passagen aus Benjamin Franklins Werk vgl. Webers Angaben, unten, S.  145 mit Fn.  18. Weber folgt weitgehend der Textauswahl und der Übersetzung von Ferdi­ nand Kürnberger in seinem Roman „Der Amerika-Müde“, S.  19–21, korrigiert die Übersetzung aber auch anhand des Originals in der von Sparks herausgegebenen Werkausgabe, vgl. unten, S.  145, Fn.  19. Bei der ersten Passage (S.  142, Z.  22 – S.  144, Z.  24) handelt es sich um einen Auszug aus dem Traktat „Advice to a young tradesman“ (Sparks, Works of Franklin II, p.  87–89), bei der zweiten (S.  145, Z.  1–13) um einen Auszug aus Franklins „Necessary hints to those that would be rich“ (Sparks, ebd. II, p.  80 f.). Die Eingangssätze und Schlußpassagen beider „Essays“ fehlen bei Weber und Kürnberger. Franklin, Advice, p.  87, beginnt mit „To my Friend, A. B.“, und endet mit „An Old Tradesman“. – Vgl. auch den Editorischen Bericht, oben, S.  109–111. 5  Der Text beginnt wie bei Kürnberger. Im Original folgt auf die Überschrift („Advice to a young tradesman. Written in the year 1748“) und die Widmung (vgl. oben, Anm.  4) ein diese aufgreifender Eingangssatz. 6  Bei Franklin hervorgehoben: „time“, bei Kürnberger: „Geld “. 7  Bei Kürnberger hervorgehoben: „könnte“, bei Franklin nicht hervorgehoben.

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ren geht, oder auf seinem Zimmer faulenzt, der darf, auch wenn er nur sechs Pence für sein Vergnügen ausgibt, nicht dies allein berechnen, er hat nebendem noch fünf Schillinge ausgegeben oder vielmehr weggeworfen. Bedenke, daß Kredit Geld ist.8 Läßt jemand sein Geld, nachdem es zahlbar ist, bei mir stehen, so schenkt er mir die Interessen, oder so viel als ich während dieser Zeit damit anfangen kann. Dies beläuft sich auf eine beträchtliche Summe, wenn ein Mann guten und großen Kredit hat und guten Gebrauch davon macht. Bedenke, daß Geld von einer zeugungskräftigen und fruchtbaren Natur ist.9 Geld kann Geld erzeugen und die Sprößlinge können noch mehr erzeugen und so fort. Fünf Schillinge umgeschlagen sind sechs, wieder umgetrieben sieben Schilling drei Pence und so fort bis es hundert Pfund Sterling sind. Je mehr davon vorhanden ist, desto mehr erzeugt das Geld beim Umschlag, so daß der Nutzen schneller und immer schneller10 steigt. Wer ein Mutterschwein tötet, vernichtet11 dessen ganze Nachkommenschaft bis ins tausendste Glied. Wer ein Fünfschillingsstück umbringt, mordet alles, was damit hätte produziert werden können, ganze Kolonnen von Pfund Sterling.12 Bedenke, daß – nach dem Sprichwort13 – ein guter Zahler der Herr von jedermanns Beutel ist. Wer dafür bekannt ist, pünktlich zur versprochenen Zeit zu zahlen, der kann zu jeder Zeit alles Geld entlehnen, was seine Freunde gerade nicht brauchen.14 Dies ist bisweilen von großem Nutzen. Neben Fleiß und Mäßigkeit15 trägt nichts so sehr dazu bei, einen jungen Mann in der Welt 8  Bei Franklin hervorgehoben: „credit “, bei Kürnberger ohne Hervorhebung. 9  Weber folgt hier nicht Kürnberger, sondern dem Original („prolific, generating nature“). 10  Wiedergabe nach Franklin: „[.  .  .] so that the profits rise quicker and quicker“, während Kürnberger mit „höher und höher“ übersetzt. 11  Im Englischen: „kills“ („tötet“) und „destroys“ („vernichtet“). 12  Bei Franklin heißt es (Advice, p.  88): „He that murders a crown, destroys all that it might have produced, even scores of pounds.“ (Kürnberger, Der Amerika-Müde, S.  20, übersetzt: „Der Verschwender d. h. der Mörder von einem Schilling bringt seinen Enkel um eine Million.“) – Es folgt bei Franklin (ebd.) ein Abschnitt, der inhaltlich weitgehend mit der Passage übereinstimmt, die unten, S.  145, Z.  1–13, aus „Necessary hints“ zitiert ist. Der Abschnitt fehlt auch bei Kürnberger. 13  Einfügung Webers nach Franklin; „this saying“ fehlt bei Kürnberger. Der Wortlaut des Sprichworts ist bei Franklin hervorgehoben. 14  Ohne Absatz bei Franklin und Kürnberger. 15  Im Englischen: „industry and frugality“.

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vorwärts zu bringen,16 als Pünktlichkeit und Gerechtigkeit bei allen seinen Geschäften.17 Deshalb behalte niemals erborgtes Geld eine Stunde länger als du versprachst, damit nicht der Ärger darüber deines Freundes Börse dir auf immer verschließe. Die unbedeutendsten Handlungen, die den Kredit eines Mannes beeinflussen, müssen von ihm beachtet werden.18 Der Schlag deines Hammers, den dein Gläubiger um 5 Uhr morgens oder um 8 Uhr abends19 vernimmt, stellt ihn auf sechs Monate zufrieden; sieht er dich aber am Billardtisch oder hört er deine Stimme im Wirtshause, wenn du bei der Arbeit sein solltest,20 so läßt er dich am nächsten Morgen um die Zahlung mahnen, und fordert sein Geld, bevor du es zur Verfügung hast.21 Außerdem zeigt dies, daß du ein Gedächtnis für deine Schulden hast, es läßt dich als einen ebenso sorgfältigen wie ehrlichen Mann erscheinen und das vermehrt deinen Kredit.22 Hüte dich, daß du alles was du besitzest für dein Eigentum hältst und demgemäß lebst. In diese Täuschung geraten viele Leute, die Kredit haben. Um dies zu verhüten, halte eine genaue Rechnung23 über deine Ausgaben und dein Einkommen. Machst du dir die Mühe, einmal auf die Einzelheiten zu achten, so hat das folgende gute Wirkung:24 Du entdeckst was für wunderbar kleine Ausgaben zu großen Summen | anschwellen25 und du wirst bemerken, was hätte gespart werden können und was in Zukunft gespart werden kann.26 .  .  . 16  Hervorhebung von Weber. 17  Franklin: „in all his dealings“, Kürnberger: „in seinem Handel“. 18  Weber lehnt sich hier, anders als Kürnberger, eng an Franklin an („The most trifling actions that affect a man’s credit are to be regarded.“). 19  Bei Franklin und Kürnberger: 9 Uhr abends. 20  Der Nebensatz fehlt bei Kürnberger, Weber hält sich an das Original. 21  Nach Kürnberger. Franklin, Advice, p.  88: „[.  .  .] demands it, before he can receive it, in a lump.“ 22  Weber folgt Kürnberger; Franklin, Advice, p.  88: „[.  .  .] mindful of what you owe; [.  .  .] and that still increases your credit.“ Hervorhebungen von Weber. 23 Auslassung, auch bei Kürnberger. Bei Franklin, Advice, p.  89 folgt: „for some time“. 24  Weber bleibt im Vorangehenden gegenüber Kürnberger näher an Franklin. 25  Bei Franklin, Advice, p.  89: „[.  .  .] you will discover how wonderfully small, trifling expenses mount up to large sums [.  .  .]“. Weber folgt hier der Wiedergabe Kürnbergers. 26  Franklin, ebd., fährt fort: „[.  .  .] without occasioning any great inconveniance.“ Dies fehlt bei Weber und Kürnberger. – Der Schlußabschnitt von Franklin, Advice, in dem

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Für27 6 £ jährlich kannst du den Gebrauch von 100 £ haben, vorausgesetzt, daß du ein Mann von bekannter Klugheit und Ehrlichkeit bist. Wer täglich einen Groschen nutzlos ausgibt, gibt an 6 £ jährlich nutzlos aus, und das ist der Preis für den Gebrauch von 100 £. Wer täglich einen Teil seiner Zeit zum Werte eines Groschen verschwendet (und das mögen nur ein paar Minuten sein), verliert, einen Tag in den andern gerechnet, das Vorrecht 100 £ jährlich zu gebrauchen.28 Wer nutzlos Zeit im Wert von 5 Schillingen vergeudet, verliert 5 Schillinge und könnte ebenso gut 5 Schillinge ins Meer werfen. Wer 5 Schillinge verliert, verliert nicht nur die Summe, sondern alles was damit bei Verwendung im Gewerbe hätte verdient werden können, – was, wenn ein junger Mann ein höheres Alter erreicht, zu einer ganz bedeutenden Summe aufläuft.“o 29 Es ist Benjamin Franklin,18) der in diesen Sätzen – den gleichen, die19) Ferdinand Kürnberger in seinem geist- und giftsprühenden „amerikanischen Kulturbilde“20) als Glaubensbekenntnis des Yan18)  Der Schlußpassus aus: Necessary hints to those that would be rich (geschrieben A 14 1736), das Übrige aus: Advice to a young tradesmann (1748), Works ed. Sparks Vol. II p.  87. 19)  In etwas freierer Übertragung, die hier nach dem Original korrigiert ist. 20)  „Der Amerikamüde“ (Frankfurt 1855), bekanntlich eine dichterische Paraphrase der amerikanischen Eindrücke Lenaus.30 Das Buch wäre als Kunstwerk heute etwas

o (S.  142) –o  Petitdruck in A. der „Old Tradesman“ seine Ratschläge zusammenfaßt, der Weg zum Reichtum gründe auf „industry and frugality ; that is, waste neither time nor money “ (p.  89), wird weder von Weber noch von Kürnberger wiedergegeben. 27  Oben, Z.  1–13, gibt Weber eine Passage aus Franklin, Necessary hints, p.  80 f., wieder. Bei Franklin folgt nach der Überschrift („Necessary hints to those that would be rich. Written in the Year 1736“) der Eingangssatz: „The use of money is all the advantage there is in having money“ (p.  80), den Weber ausläßt. Kürnberger wählt einen Einstieg, der an den ausgelassenen Abschnitt aus Franklin, Advice (vgl. oben, S.  144 f., Anm.  26), angelehnt ist. Bei Franklin bildet im folgenden jeder Satz einen eigenen Abschnitt. 28  Weber gibt die ersten drei Sätze von Franklin, Necessary hints, inkl. des bei Frank­ lin nicht enthaltenen Klammerzusatzes nahezu wörtlich nach Kürnberger wieder. Bei Weber und Kürnberger fehlt im letzten Satz die Wiedergabe von „idly“ („He that wastes idly a groat’s worth [.  .  .]“, Franklin, ebd., p.  81), und beide korrigieren „[.  .  .] wastes the privilege of using one hundred pounds each day“ (ebd.) zu „[.  .  .] jährlich“. 29  Weber folgt in den letzten beiden Sätzen Franklin, Necessary hints, während Kürnberger, Der Amerika-Müde, S.  21, zwei abweichende Schlußsätze hat. Bei Franklin, Necessary hints, p.  81, im zuletzt wiedergegebenen Satz: „[.  .  .] but all the advantage that might be made by turning it in dealing [.  .  .].“ – Die zweite Hälfte des Franklinschen Essays geben Weber und Kürnberger nicht wieder. 30  Der österreichische Dichter Nikolaus Lenau wollte sich 1832 als Farmer in Nord­ amerika niederlassen, kehrte aber bereits ein Jahr später enttäuscht nach Europa zu-

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keetums verhöhnt31 – zu uns predigt. Daß es der „Geist des Kapitalismus“ ist, der aus ihm in charakteristischer Weise redet, wird niemand bezweifeln, so wenig etwa behauptet werden soll, daß nun alles, was man unter diesem „Geist“ verstehen kann, darin enthalten sei. Verweilen wir noch etwas bei dieser Stelle, deren Lebensweisheit Kürnbergers „Amerikamüder“ dahin zusammenfaßt: „Aus Rindern macht man Talg, aus Menschen Geld“,32 so fällt als das Eigentümliche in dieser „Philosophie des Geizes“ der Gedanke der Verpflichtung des einzelnen gegenüber dem als Selbstzweck vorausgesetzten Interesse an der Vergrößerung seines Vermögens auf. Wenn Jakob Fugger einem Geschäftskollegen, der sich zur Ruhe gesetzt hat und ihm zuredet das gleiche zu tun, da er nun „lang genug gewonnen“ habe und andere auch gewinnen lassen | solle, dies als „Kleinmut“ verweist und antwortet: „er (Fugger) hätte viel einen andern Sinn, wollte gewinnen dieweil er könnte“,21) so unter-

schwer genießbar, aber es ist als Dokument der (heute längst verblaßten) Gegensätze deutschen und amerikanischen Empfindens, man kann auch sagen: jenes Innenlebens, wie es seit der deutschen Mystik des Mittelalters den deutschen Katholiken (K[ürn­ berger] war liberaler Katholik) und Protestanten trotz alledem gemeinsam geblieben ist, gegen puritanisch-kapitalistische Tatkraft schlechthin unübertroffen. | 21)  Sombart hat dies Zitat aus einem Fuggerschen Promemoria dem Abschnitt über A 15 die „Genesis des Kapitalismus“ (Der moderne Kapitalismus Band  I S.  193 cf. das. S.  396p) als Motto vorgesetzt.33 p A: 390 rück. (Heute versteht man Kürnbergers Roman in erster Linie als kritische Gegenstimme zu Ernst Willkomms Roman „Die Europamüden“ (1838). Der Bezug auf Lenau tritt dagegen zurück.) 31 „Amerikanisches Kulturbild“ lautet der Untertitel von Kürnberger, Der AmerikaMüde. – Die Passagen aus dem Werk Franklins werden in Kürnbergers Roman im Schulunterricht einer New Yorker Schule gelesen, wobei der Lehrer sie den Schülern als eine Anweisung zum Geldverdienen empfiehlt. Kürnberger karikiert diese Szene. Der dem Unterricht beiwohnende „amerika-müde“ Protagonist Dr. Moorfeld bemerkt, an den Lehrer gewandt, Franklin habe durch sein Leben ein höheres Ideal aufgestellt und mehr als auf der Bank in der Wissenschaft hinterlassen, etwa mit der Erfindung des Blitzableiters. „Ohne sie würden wir die Doctrine eines Mannes vor uns haben, der sich so weit vergessen hätte, unsre Bestimmung dahin zu definiren: Aus dem Rinde macht man Talg, aus dem Menschen Geld. Mag sein, daß ein unfertiges Volk eine Zeitlang auf diesen Standpunkt sich herabstellen muß, ein fertiges aber sagt: Geist macht man aus dem Menschen, nicht Geld!“ (Kürnberger, Der Amerika-Müde, S.  21). 32  Zitiert oben, Anm.  31. 33  Weber zitiert hier aus einem „Motto“ Sombarts zum Zweiten Buch: Sombart, Der moderne Kapitalismus I, überschrieben „Die Genesis des modernen Kapitalismus“

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scheidet sich der „Geist“ dieser Äußerung offensichtlich von Frank­ lin: was dort als Ausfluß kaufmännischen Wagemuts und einer persönlichen sittlich indifferenten Neigung geäußert wird, nimmt hier den Charakter einer ethisch gefärbten Maxime der Lebensführung an. In diesem spezifischen Sinne wird hier der Begriff „Geist des Kapitalismus“ gebraucht.22) Allerdings sind nun alle moralischen Vorhaltungen Franklins utilitarisch gewendet: die Ehrlichkeit ist nützlich, weil sie Kredit bringt, die Pünktlichkeit, der Fleiß, die Mäßigkeit ebenso, und nur deshalb sind sie Tugenden: – woraus u. a. folgen würde, daß, wo z. B. der Schein der Ehrlichkeit den gleichen Dienst tut, dieser genügen und ein unnötiges Surplus an dieser Tugend als unproduktive Verschwendung in den Augen Franklins verwerflich erscheinen müßte. 22)  Darauf beruht die gegenüber Sombart etwas andere Problemstellung hier. Die sehr erhebliche praktische Bedeutung des Unterschieds wird später hervortreten.34 Übrigens sei schon hier bemerkt, daß Sombart diese ethische Seite des kapitalistischen Unternehmersq keineswegs unbeachtet gelassen hat. Nur erscheint sie in seinem Gedankenzusammenhang naturgemäß als das vom Kapitalismus Bewirkte, während wir für unsere Zwecke hier die umgekehrte Hypothese als heuristisches Mittel in Betracht ziehen müssen. Endgültig kann erst am Abschluß der Untersuchung Stellung genommen werden.35 Für Sombarts Auffassung cf. a. a. O. I S.  357, 380 usw.36 Seine Gedanken-

q A: Unternehmens (ebd., S.  193; dass. S.  396). Für Sombart ist Jakob Fugger der mit kapitalistischem Geist beseelte neue Unternehmer. Er folge einem auf Kalkulation und Spekulation basierenden Geschäftssinn: „Er wolle gewinnen, dieweil er könne – das wird die Devise des kapitalistischen Unternehmers“ (S.  397). 34  Gemeint sein dürfte: Weber, Protestantische Ethik II, unten, bes. S.  366–425. 35  Vermutlich bezieht sich Weber auf die geplante Fortsetzung seiner Artikelfolge; dazu die Einleitung mit Anhang, oben, S.  66 f. und 90–96. 36  Die beiden angegebenen Seitenzahlen können nicht stimmen. Aus dem Zusammenhang zu schließen, dürfte sich Weber bei Sombart, Der moderne Kapitalismus I, auf S.  381–390 beziehen. Sombart skizziert hier die „konkret-historische[n] Zusammenhänge“ (S.  381), wie sie seiner Auffassung nach zur Entstehung des Kapitalismus führten. Auf S.  383 heißt es: „Damit aber war die Zeit erfüllt, daß sich jener merkwürdige psychologische Prozeß in den Menschen abermals vollzog, dessen Verlauf uns neuerdings mit gewohnter Meisterschaft Georg Simmel geschildert hat: die Erhebung des absoluten Mittels – des Geldes – zum höchsten Zweck. In dem Maße, wie man die Wirksamkeit des Geldbesitzes, seine Fähigkeit des Allesverschaffens sah [.  .  .], konzentriert sich von nun ab alles Streben in dem heißen, glühenden, unstillbaren Verlangen nach Geld.“

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Und in der Tat: wer in seiner Selbstbiographie die Erzählung von seiner „Bekehrung“ zu jenen Tugenden23) oder | vollends die Ausführungen über den Nutzen, den die strikte Aufrechterhaltung des Scheines der Bescheidenheit, des geflissentlichen Zurückstellens der eigenen Verdienste[,] für die Erreichung allgemeiner Anerkennung24) habe, liest, muß notwendig zu dem Schluß kommen, daß nach Franklin jene wie alle Tugenden auch nur soweit Tugenden sind, als sie in concreto dem einzelnen „nützlich“ sind[,] und das

gänge knüpfen hier an die glänzenden Bilder in Simmels „Philosophie des Geldes“ (letztes Kapitel) an.37 An dieser Stelle muß zunächst jede eingehende Auseinandersetzung zurückgestellt werden. 23)  In deutscher Übersetzung:38 „Ich überzeugte mich endlich, daß Wahrheit, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit im Verkehr zwischen Mensch und Mensch von höchster Wichtigkeit für unser Lebensglück seien, und entschloß mich von jenem Augenblick an und schrieb auch den Entschluß in mein Tagebuch, sie mein Lebenlang zu üben. Die Offenbarung als solche hatte jedoch in der Tat kein Gewicht bei mir, sondern ich war der Meinung, daß, obschon gewisse Handlungen nicht schlecht, bloß weil die offenbarte Lehre sie verbietet, oder gut deshalb seien, weil sie selbige vorschreibt, doch – in Anbetracht aller Umstände – jene Handlungen uns wahrscheinlich nur, weil sie ihrer Natur nach schädlich39 sind, verboten, oder weil sie wohltätig sind, uns anbefohlen worden seien.“ | 24)  „Ich rückte mich soviel wie möglich aus den Augen und gab es“ – nämlich die A 16 von ihm angeregte Schöpfung einer Bibliothek40 – „für ein Unternehmen einer ‚Anzahl von Freunden‘ aus, welche mich gebeten hätten, herumzugehen und es denjenigen Leuten vorzuschlagen, welche sie für Freunde des Lesens hielten. Auf diese Weise ging mein Geschäft glatter von statten, und ich bediente mich dieses Verfahrens hernach immer bei derartigen Gelegenheiten und kann es nach meinen häufigen Erfolgen aufrichtig41 empfehlen. Das augenblickliche kleine Opfer der Eigenliebe, welches man dabei bringt, wird später reichlich vergolten werden. Wenn es eine Zeitlang unbekannt bleibt, wem das eigentliche Verdienst gebührt, wird irgend jemand, der eitler als der betreffende ist, ermutigt werden, das Verdienst zu beanspruchen, und dann wird der Neid selbst geneigt sein, dem ersten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem er jene angemaßten Federn ausreißt und sie ihrem rechtmäßigen Eigentümer zurückgibt.“ |

37  Vgl. Simmel, Philosophie des Geldes, 6. Kapitel, S.  455–554. Darin schildert er den „Stil des Lebens“ (Kapitelüberschrift), der mit der modernen Geldwirtschaft verbunden sei. 38  Weber folgt der Übersetzung der Lebenserinnerungen Franklins von Berthold Auerbach, hg. von Friedrich Kapp; Zitat: Franklin, Sein Leben, S.  227. (Webers Handexemplar, das er von Kapp im Jugendalter geschenkt bekommen hatte, befindet sich in der Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München; vgl. die Einleitung, oben, S.  52, Anm.  1, und den Editorischen Bericht, oben, S.  110 mit Anm.  55.) 39  Bei Franklin, ebd., heißt es: „schlecht“, nicht „schädlich“. 40  Franklin, ebd., S.  276 f. Franklin und seine Diskussions-Freunde des „Junto-Clubs“ gründeten 1731 die erste öffentliche Leihbibliothek in Amerika. 41  Bei Franklin, ebd., S.  276: „herzlich“, nicht „aufrichtig“.

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Surrogat des bloßen Scheins überall da genügt, wo es den gleichen Dienst leistet – eine für den strikten Utilitarismus in der Tat unentrinnbare Konsequenz. Das, was Deutsche an den Tugenden des Amerikanismus als „Heuchelei“ zu empfinden gewohnt sind, scheint hier in flagranti ertapptr. – Allein so einfach liegen die Dinge in Wahrheit keineswegs. Nicht nur Benjamin Franklins eigener Charakter, wie er gerade in der immerhin seltenen Ehrlichkeit seiner Selbstbiographie zutage tritt, und der Umstand, daß er die Tatsache selbst, daß ihm die „Nützlichkeit“ der Tugend aufgegangen sei, auf eine Offenbarung Gottes zurückführt, der ihn dadurch zur Tugend bestimmen wollte,42 zeigen, daß hier doch noch etwas anderes als eine Verbrämung rein egozentrischer Maximen vorliegt. Sondern vor allem ist das „summum bonum“ dieser „Ethik“, der Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens, so gänzlich aller eudämonistischen oder gar hedonistischen Gesichtspunkte entkleidet, so rein als Selbstzweck gedacht, daß es als etwas gegenüber dem „Glück“ oder dem „Nutzen“ des einzelnen Individuums jedenfalls gänzlich Transzendentes und schlechthin Irrationales erscheint. Der Mensch ist auf das Erwerben als Zweck seines Lebens, nicht mehr das Erwerben auf den Menschen als Mittel | zum Zweck der Befriedigung seiner materiellen Lebensbedürfnisse bezogen. Diese für das unbefangene Empfinden schlechthin sinnlose Umkehrung des, wie wir sagen würden, „natürlichen“ Sachverhalts ist nun ganz offenbar ebenso unbedingt ein Leitmotiv des Kapitalismus, wie sie dem von seinem Hauche nicht berührten Menschen fremd ist. Aber sie enthält zugleich eine Empfindungsreihe, welche sich mit gewissen religiösen Vorstellungen eng berührt. Fragt man nämlich: warum denn „aus Menschen Geld gemacht“ werden soll,43 so antwortet Benjamin Franklin, obwohl selbst konfessionell farbloser Deist,44 in seiner Autobiographie darauf mit einem Bibelspruch, r A: zu ertappen 42 Zur „Offenbarung Gottes“ als Franklins Quelle der Tugend vgl. das Zitat oben, S.  148, Fn.  23. Vgl. auch Franklin, Sein Leben, S.  281 ff. 43  Kürnberger, Der Amerika-Müde, S.  21; im Zitat oben, S.  146, Anm.  31. 44  Weber nimmt hier Franklins Selbstbezeichnung auf (Franklin, Sein Leben, S.  226: „vollkommener Deist“). Als Deist konnte Franklin von sich selbst sagen, er sei „niemals ohne einige religiöse Grundsätze“ gewesen. „Ich bezweifelte z. B. niemals das Dasein Gottes, bezweifelte nie, daß er die Welt geschaffen habe und durch seine Vorsehung

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den, wie er sagt, sein streng calvinistischer Vater ihm in der Jugend immer wieder eingeprägt habe:45 „Siehst du einen Mann rüstig in seinem Beruf, so soll er vor Königen stehen.“25) 46 Der Gelderwerb ist – sofern er in legaler Weise erfolgt – innerhalb der modernen Wirtschaftsordnung das Resultat, und der Ausdruck der Tüchtigkeit im Beruf und diese Tüchtigkeit ist, wie nun unschwer zu erkennen ist, das wirkliche A und O der Moral Franklins, wie sie in der zitierten Stelle ebenso wie in allen seinen Schriften ohne Ausnahme uns entgegentritt. In der Tat: jener eigentümliche, uns heute so geläufige und in Wahrheit doch so wenig selbstverständliche Gedanke der Berufspflicht, einer Verpflichtung, die der Einzelne empfinden soll und empfindet gegenüber dem Inhalt seiner „beruflichen“ Tätigkeit, gleichviel worin sie besteht, gleichviel insbesondere ob sie dem unbefangenen Empfinden als reine Verwertung seiner Arbeitskraft oder gar nur seines Sachgüterbesitzes (als „Kapital“) erscheinen muß, – dieser Gedanke ist es, welcher der „Sozialethik“ der kapitalistischen Kultur charakteristisch, ja in gewissem Sinne für sie von konstitutiver Bedeutung ist. Nicht als ob er nur auf dem Boden des Kapitalismus gewachsen wäre: wir werden ihn vielmehr später in die Vergangenheit zurück zu verfolgen suchen. Und noch weniger soll natürlich behauptet werden, daß für den heutigen KapitaA 17

25)  Spr. Sal. c. 22 v. 29. Luther übersetzt: „in seinem Geschäft“,47 die älteren englischen Bibelübersetzungen „business“.48 S[iehe] darüber weiter unten.49 |

leite; daß der passendste Gottesdienst darin bestehe, den Menschen Gutes zu erweisen [.  .  .]“ (S.  280). 45  Er habe „eine fromme Erziehung in den Grundsätzen der Lehre Calvin’s“ erhalten, schreibt Franklin (Sein Leben, S.  225), an anderer Stelle, er sei „gewissenhaft und fromm als Presbyterianer“ erzogen worden (S.  279 f.). 46  Franklin, ebd., S.  278, dort „redlich“, nicht „rüstig“. 47  In Spr 22,29 übersetzt Luther bereits 1524 in einer Teilausgabe des AT, welche die Sprüche Salomos enthält (dass. 1545), „ynn seynem geschefft“ (vgl. Luther, WA.DB, Band  10/II, z.St.). Weber dürfte allerdings einer modernen Lutherbibel folgen (auch [1892]: „in seinem Geschäft“), vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  113 f. 48  Weber stützt sich sehr wahrscheinlich auf die „authorised version“ von 1611, die „businesse“ übersetzt. („business“ übersetzen auch Coverdale 1535, Cranmer 1539, Geneva 1560 und Parker 1568, während Wyclif und das katholische, 1609 in Douay erschienene AT „werc“ bzw. „worke“ haben; bei Murray, James A. H., A New English Dictionary on Historical Principles, vol. 1. – Oxford: Clarendon Press 1887, s.v. business, p.  1205 f. Zu den Bibeln vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  118 f.) 49  Siehe unten, S.  187, Fn.  40.

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lismus die subjektive Aneignung dieser ethischen Maxime durch seine einzelnen Träger, etwa die Unternehmer oder die Arbeiter der modernen kapitalistischen Betriebe, Bedingung der Fortexistenz sei. Die heutige kapitalistische Wirtschaftsordnung ist ein ungeheurer Kosmos, in den der einzelne | hineingeboren wird und der für ihn, wenigstens als einzelnen, als faktisch unabänderliches Gehäuse, in dem er zu leben hat, gegeben ist. Er zwingt dem Einzelnen, soweit er in den Zusammenhang des „Marktes“ verflochten ist, die Normen seines wirtschaftlichen Handelns auf. Der Fabrikant, welcher diesen Normen dauernd entgegenhandelt, wird ökonomisch ebenso unfehlbar eliminiert, wie der Arbeiter, der sich ihnen nicht anpassen kann oder will, als Arbeitsloser auf die Straße gesetzt wird.26) Der heutige, zur Herrschaft im Wirtschaftsleben gelangte Kapitalismus also erzieht und schafft sich im Wege der „ökonomischen Auslese“50 die Wirtschaftssubjekte – Unternehmer und Arbeiter –, deren er bedarf. Allein gerade hier kann man die Schranken des „Auslese“-Begriffes als Mittel der Erklärung historischer Erscheinungen mit Händen greifen. Damit jene der Eigenart des Kapita-

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26)  Wenn man den auf sozialdemokratischen Parteitagen gefallenen Satz: „wer nicht A 18 pariert, fliegt hinaus“,51 als „Kasernenton“ bezeichnet hat, so ist das ein arges Mißverständnis: aus der Kaserne fliegt der Renitente keineswegs „hinaus“, sondern erst recht „hinein“ – in die Arrestzelle nämlich. Sondern es ist das ökonomische Lebensschicksal des modernen Arbeiters, wie er es auf Schritt und Tritt erlebt, welches er in der Partei wiederfindet und erträgt: die Disziplin in der Partei ist Widerspiegelung der Disziplin in der Fabrik. |

50  Weber verwendet mit dem Begriff „Auslese“ darwinistische Begrifflichkeit. Auf das Wirtschaftsleben bezieht er ihn bereits in seiner Vorlesung „Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“, MWG III/1, „Die natürliche Auslese beim Menschen“, S.  351–358. Er betont, daß nicht naturgesetzliche Ausleseprozesse, sondern „menschl[iche] Institutionen [und] Formen der W[irtschafts]Verfassung“ dabei von Bedeutung seien (ebd., S.  353). 51  August Bebel gebrauchte die Parole auf dem Dresdner Parteitag 1903: „Der Parteitag kann nur Direktiven geben, er kann die Marschroute angeben. Tut er das, so muß die Fraktion danach marschieren, sie mag wollen oder nicht. [.  .  .] Es wäre auch noch schöner, wenn es anders wäre, da würde es allerdings heißen: Wer nicht pariert, fliegt hinaus.“ Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Dresden vom 13. bis 20. September 1903. – Berlin: Expedition der Buchhandlung Vorwärts 1903, S.  298–321, Zitat S.  308. Letzter Satz zitiert etwa in der FZ, 48. Jg., Nr.  259 vom 18. Sept. 1903, 2. Mo.Bl., S.  1, und im Heidelberger Tageblatt, Nr.  220 vom 21. Sept. 1903, S.  1 (allerdings jeweils ohne den Kommentar „Kasernenton“).

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lismus „angepaßte“ Art der Lebensführung und „Berufs“-Auffassung „ausgelesen“ werden, über andere den Sieg davon tragen konnte, mußte sie offenbar zunächst entstanden sein, und zwar nicht in einzelnen isolierten Individuen, sondern als eine Anschauungsweise, die von Menschengruppen getragen wurde. Diese Entstehung ist also das eigentlich zu Erklärende. Auf die Vorstellung des naiven Geschichtsmaterialismus, daß derartige „Ideen“ als „Wiederspiegelung“ oder „Überbau“ ökonomischer Situationen ins Leben treten, werden wir eingehender erst später zu sprechen kommen.52 An dieser Stelle genügt es für unseren Zweck wohl, darauf hinzuweisen, daß jedenfalls ohne Zweifel im Geburtslande Benjamin Franklins (Massachusetts) der „kapitalistische Geist“ (in unserem hier angenommenen Sinn) vor der „kapitalistischen Entwicklung“ da war, daß er z. B. in den Nachbarkolonien – den späteren Südstaaten der Union – ungleich unentwickelter geblieben war, und zwar trotzdem diese letzteren von großen Kapitalisten zu Geschäftszwecken,53 die Neuengland-Kolonien aber von Predigern und „Graduates“ in Verbindung mit Kleinbürgern, Handwerkern und Yeomen54 aus religiösen Gründen ins Leben gerufen wurden.55 52  Anspielung auf das Basis-Überbau-Schema des historischen Materialismus, etwa im „Kommunistischen Manifest“ (vgl. Weber, Objektivität, S.  42). Siehe dazu unten, S.  174. 53 Vgl. Doyle, The English in America I (Doyle wird von Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  248, Fn.  4, eingeführt), p.  134: „Virginia was the offspring of economical distress, as New England was of ecclesiastical conflicts.“ Die Kolonialisierung Virginias z. B. erfolgte durch englische Handelsgesellschaften. Die ersten Kolonisten hofften, Gold und andere Bodenschätze zu finden und schnell zu Reichtum zu kommen (1606–1608). Nach Mißerfolgen sicherte schließlich der Tabakanbau und -export die Existenz der Siedler. Vgl. Doyle, ebd., „The Virginia Company“, p.  134–245. 54  Die Prediger namentlich bei Masson, Milton II, p.  554–563; der Hinweis auf „graduates“ (und die „yeomen“, die kleinen Grundbesitzer) auch bei Doyle, The English in America III (= The Puritan colonies II), p.  113 f. 55  Als Beispiele seien genannt: Plymouth, die erste Puritaner-Kolonie. Sie wurde von den „Pilgervätern“, die sich schon zuvor mit ihrer Flucht ins niederländische Leiden von der anglikanischen Staatskirche losgesagt hatten, zusammen mit anderen Auswanderern 1620 gegründet. Finanziert wurde die Unternehmung allerdings von Londoner Kaufleuten mit Gewinninteressen, doch konnte Plymouth sich bald wirtschaftlich selbst behaupten. Vgl. Doyle, The English in America II (= The Puritan colonies I), p.  14–108. – Massachusetts Bay etabilierte sich bereits 1629 als „exclusively Puritan settlement“ (Doyle, ebd., p.  129). – Rhode Island geht auf den Separatisten Roger Williams zurück, einen Salemer Prediger (1631/32), der gegenüber der sich in der Massachusetts Bay etablierenden Kirche das voluntaristische Prinzip und größere Freiheiten forderte. Vgl. Doyle, ebd., p.  154 ff., 240 ff.

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In | diesem Falle liegt also das Kausalverhältnis jedenfalls umgekehrt[,] als vom „materialistischen“ Standpunkt aus zu postulieren wäre. Aber die Jugend solcher „Ideen“ ist überhaupt dornenvoller, als die Theoretiker des „Überbaues“ annehmen, und ihre „Entwicklung“ vollzieht sich nicht wie die einer Blume. Der kapitalistische Geist in dem Sinne, den wir für diesen Begriff bisher gewonnen haben, hat sich in schwerem Kampf gegen eine Welt feindlicher Mächte durchzusetzen gehabt. Eine Gesinnung[,] wie sie in den zitierten Ausführungen Benjamin Franklins zum Ausdruck kam und den Beifall eines ganzen Volkes fand, wäre im Altertum wie im Mittelalter ebenso als Ausdruck des schmutzigsten Geistes und einer schlechthin würdelosen Gesinnung proskribiert worden, wie dies noch heute von allen denjenigen sozialen Gruppen regelmäßig geschieht, welche in die spezifisch moderne kapitalistische Wirtschaft am wenigsten verflochten oder ihr am wenigsten angepaßt sind. Nicht etwa deshalb, weil „der Erwerbstrieb“ in den „präkapitalistischen“ Epochen noch etwas Unbekanntes oder Unentwickeltes gewesen wäre56 – wie man so oft gesagt hat – oder weil die „auri sacra fames“,57 die Geldgier, damals – oder auch heute – außerhalb des bürgerlichen Kapitalismus geringer wäre als innerhalb der spezifisch kapitalistischen Sphäre, wie die Illusion moderner Romantiker sich die Sache vorstellt. An diesem Punkt liegt der Unterschied kapitalistischen und präkapitalistischen „Geistes“ nicht: Die Habgier des chinesischen Mandarinen, des altrömischen Aristokraten, des rückständigsten modernen Agrariers hält jeden Vergleich aus. Und die „auri sacra fames“ des neapolitanischen Kutschers oder Barcajuolo oder vollends des asiatischen Vertreters ähnlicher Gewerbe, ebenso aber auch des Handwerkers südeuropäischer oder asiatischer Länder äußert sich, wie jeder an sich erfahren kann, sogar außerordentlich viel penetranter und insbesondere 56  Möglicherweise ist Weber hierbei von Sombart angeregt. Nach diesem geht „das Erwachen des Erwerbstriebs“ (Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  378–390, Kapitelüberschrift) mit einer während des Mittelalters intensivierten, die bisherigen Grenzen sprengenden „Wertung des Geldbesitzes“ einher (S.  381). Er meint, das überall und zu allen Zeiten vorhandene „Goldfieber“ habe zu bestimmten Zeiten „einen akuten Charakter“ angenommen (ebd.), so auch im ausgehenden Mittelalter. 57  Redewendung nach Vergil, Aeneis 3,56 f.: „quid non mortalia pectora cogis, auri sacra fames“ („wozu treibst du nicht die Herzen der Menschen, verfluchter Hunger nach Gold“). Für das „Goldfieber“ (vgl. vorherige Anm.) gebraucht auch von Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  383.

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skrupelloser als etwa diejenige des Engländers im gleichen Falle. Die absolute Skrupellosigkeit der Geltendmachung des Eigeninteresses ist gerade ein ganz spezifisches Charakteristikum solcher Länder, deren bürgerlich-kapitalistische Entwicklung „rückständig“ geblieben ist. Wie jeder Fabrikant weiß, ist die mangelnde „coscienziosità“ der Arbeiter27) solcher Länder, etwa Italiens im Gegen|satz zu Deutschland, eines der Haupthemmnisse ihrer kapitalistischen Entfaltung gewesen und in gewissem Maße noch immer. Der Kapitalismus kann den praktischen Vertreter des undisziplinierten „liberum arbitrium“58 als Arbeiter nicht brauchen, so wenig er, wie wir schon von Franklin lernen konnten,59 den in seiner äußern Gebarung schlechthin skrupellosen Geschäftsmann brauchen kann. In der verschiedenen Entwicklung irgend eines „Triebes“ nach dem Gelde also liegt der Unterschied nicht. Die auri sacra fames ist so alt wie die uns bekannte Geschichte der Menschheit, wir werden aber sehen,60 daß diejenigen, die ihr als Trieb sich vorbehaltlos hingeben – wie etwa jener holländische Kapitän, der „Gewinnes halber durch die Hölle fahren wollte, und wenn er sich die Segel ansengte“61 –[,] keineswegs die Vertreter der-

27)  Vgl. die in jeder Hinsicht treffenden Bemerkungen Sombarts, Dies deutsche Volkswirtschaft im neunzehnten Jahrhundert S.  123 oben.62 Überhaupt brauche ich – A 20 obwohl die nachfolgenden Studien in ihren Gesichtspunkten auf viel ältere | Arbeiten zurückgehen – wohl nicht besonders zu betonen, wievielt sie der bloßen Tatsache, daß Sombarts große Arbeiten mit ihren scharfen Formulierungen vorliegen, verdanken,

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s A: die  t Lies: wie viel 58  liberum arbitrium (lat.), „freier Wille“, „freies Ermessen“. 59  Siehe oben, S.  142–145, dazu S.  145–150. 60  Weber, Protestantische Ethik II, unten, bes. S.  366–425. 61 In der von Weber, unten, S.  247, Fn.  4, zitierten Literatur bei Fruin, Tien Jaren, S.  232: „‚Om winst zou de Hollandsche koopman door de hel varen, op gevaar af van er zijn zeilen te zengen‘, zoo pochte de koopman zelf.“ 62  Sombart, Volkswirtschaft, S.  123, äußert sich bei der Frage nach spezifischen charakterlichen Eigenschaften, die die deutsche Bevölkerung in besonderem Maße zur Ausbildung des Kapitalismus befähigten: „Dem Südländer, der die Gebiete nordischer und insonderheit deutscher Kultur bereist, fällt nichts so sehr auf, wie diese unverdrossene Pflichterfüllung in allen Schichten der Bevölkerung, [.  .  .] diese Tüchtigkeit zu allen und in allen Dingen, diese durch nichts von ihrem Ziele abzubringende Gewissenhaftigkeit: die Coscienziosità, die den größten Unternehmer wie den letzten Tagelöhner in gleichem Maße erfüllt und die vielleicht ihren prägnantesten Ausdruck gerade in Deutschland in seinem Beamtentum findet.“ Im Handexemplar Max Webers (Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München) ist der Satz mit senkrechtem Randstrich markiert.

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jenigen Gesinnung waren, aus welcher der kapitalistische „Geist“ als Massenerscheinung – und darauf kommt es an – hervorbrach. Vielmehr ist der Gegner, mit welchem der „Geist“ des Kapitalismus in erster Linie zu ringen hatte, jene Art des Empfindens und der Gebarung, die man als „Traditionalismus“ zu bezeichnen pflegt. Auch hier muß jeder Versuch einer abschließenden „Definition“ suspendiert werden, vielmehr machen wir uns – natürlich auch hier lediglich provisorisch – an einigen Spezialfällen deutlich, was damit gemeint ist, dabei von „unten“, bei den Arbeitern, beginnend. Eins der technischen Mittel, welches der moderne Unternehmer anzuwenden pflegt, um von „seinen“ Arbeitern ein möglichstes Maximum von Arbeitsleistung zu erlangen, die „Intensität“ der Arbeit zu steigern, ist der Akkordlohn. In der Landwirtschaft z. B. auch – und gerade – da, wo sie andere Wege gehen.63 Auch wer durch Sombarts Formulierungen sich immer wieder zu entschiedenstem Widerspruch angeregt fühlt und manche Thesen direkt ablehnt, hat die Pflicht, sich dessen bewußt zu sein. Als geradezu blamabel muß das Verhalten der deutschen nationalökonomischen Kritik gegenüber diesen Arbeiten bezeichnet werden. Der erste und lange Zeit einzige, der eine eingehende sachliche Auseinandersetzung mit gewissen historischen Thesen Sombarts unternommen hat, war ein Historiker (v. Below in der Histor[ischen] Zeitschr[ift] 1903).64 – Was aber gegenüber den eigentlich nationalökonomischen Teilen von Sombarts Arbeiten an Kritik „geleistet“ worden ist, wäre mit dem Ausdruck „platt“ wohl noch zu höflich bezeichnet.65 |

63  Gemeint sind: Sombart, Der moderne Kapitalismus I, II, und ders., Volkswirtschaft. Zu Sombart vgl. auch die Einleitung, oben, S.  35–39 u. ö. 64  Vgl. Below, Entstehung des modernen Kapitalismus. 65  Weber war der Meinung, Sombarts Werk werde im Fach nicht angemessen gewürdigt. Schmollers Rezension, die des Lehrers, hielt er für zu subjektiv, Hans Delbrücks Rezension für fachfremd und inkompetent. (Vgl. Schmoller, G[ustav], [Rez.] Sombart, Werner, Der moderne Kapitalismus, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, 27. Jg., Heft 1, 1903, S.  291–300, und Delbrück, [Hans,] Besprechung von Sombart, Der moderne Kapitalismus. – Die deutsche Volkswirthschaft im neunzehnten Jahrhundert, in: Preußische Jahrbücher, hg. von Hans Delbrück, 113. Band. – Berlin: Georg Stilke 1903, S.  333–350.) Vergeblich versuchte Weber, Lujo Brentano für eine sachgerechte Kritik zu gewinnen. Vgl. etwa Max Webers Briefe an denselben vom 4. Okt. 1903 und vom 9. und 28. März und 22. Mai 1904 (BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr.  67, Bl.  161–164, 149–150, 147–148 und 159–160; MWG II/4), an Georg v. Below vom 17. Juli 1904 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  30, Band  4, Bl.  95–96; MWG II/4) sowie an Heinrich Sieveking vom 1. Dez. 1904 (StA Hamburg, Nl. Heinrich Sieveking; MWG II/4). – Sämtliche Rezensionen zu Sombart, Der moderne Kapitalismus I und II, die im wesentlichen 1902 bis 1904 erschienen, sind dokumentiert (und z. T. abgedruckt) in: Sombarts ‚Moderner Kapitalismus‘. Materialien zur Kritik und Rezeption, hg. und eingeleitet von Bernhard vom Brocke. – München: dtv 1987, S.  450–453.

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pflegt ein Fall, der die möglichste Steigerung der Arbeitsintensität | gebieterisch fordert, die Einbringung der Ernte zu sein, da, zumal bei unsicherem Wetter, an der denkbar größten Beschleunigung derselben oft ganz außerordentlich hohe Gewinn- oder Verlustchancen hängen. Demgemäß pflegt hier durchweg das Akkordlohnsystem verwendet zu werden. Und da mit Steigerung der Erträge und der Betriebsintensität das Interesse des Unternehmers an Beschleunigung der Ernte im allgemeinen immer größer zu werden pflegt, so hat man natürlich immer wieder versucht, durch Erhöhung der Akkordsätze die Arbeiter, denen so sich Gelegenheit bot, innerhalb einer kurzen Zeitspanne einen für sich außergewöhnlich hohen Verdienst zu machen, an der Steigerung ihrer Arbeitsleistung zu interessieren. Allein hier zeigten sich nun eigentümliche Schwierigkeiten: Die Heraufsetzung der Akkordsätze bewirkte auffallend oft nicht etwa, daß mehr, sonder daß weniger an Arbeitsleistung in der gleichen Zeitspanne erzielt wurde, weil die Arbeiter die Akkorderhöhung nicht mit Herauf-, sondern mit Herabsetzung der Tagesleistung beantworteten.66 Der Mann, der z. B. bei 1 Mark pro Morgen Getreidemähen bisher 21/2 Morgen täglich gemäht und so 21/2 Mk. pro Tag verdient hatte, mähte nach Erhöhung des Akkordsatzes pro Morgen um 25 Pfg. nicht, wie gehofft wurde, angesichts der hohen Verdienstgelegenheit etwa 3 Morgen, um so 3 Mk. 75 Pfg. zu verdienen – wie dies sehr wohl möglich gewesen wäre –[,] sondern nur noch 2 Morgen pro Tag, weil er so ebenfalls 21/2 Mk. wie bisher verdiente und damit, nach biblischem Wort, „ihm genügen“67 ließ. Der Mehrverdienst reizte

66  Dazu die Einsichten, die Weber aus der Landarbeiterenquête des Vereins für Socialpolitik gewonnen hatte. Dort schreibt er etwa über die Rübenarbeit in den mecklenburgischen Großherzogtümern und im Kreis Lauenburg: „Die Arbeiter verlangen meist, daß die Akkordsätze so angesetzt werden, daß ca. 50 Pf. bis 2 Mk. oder 25– 50% des Lohnes mehr verdient werden können, und arbeiten dann häufig nicht mehr, sondern kürzen die Arbeitszeit entsprechend, – eine Erscheinung, die sich bei Arbeitern mit hoher Lebenshaltung häufig, so auch in Pommern, findet.“ Weber, Landarbeiter, MWG I/3, S.  867 und 869; ähnlich S.  224, S.  574 f. Vgl. auch Weber, Die Erhebung des Vereins für Sozialpolitik über die Lage der Landarbeiter, in: MWG I/4, S.  120–153, hier S.  142 f. – Im folgenden handelt sich um ein „illustratives“ Rechenbeispiel (vgl. unten, S.  159, Fn.  28). Exakte Zahlen, die von Region zu Region schwanken, in: Weber, Landarbeiter, MWG I/3, passim. 67  Vgl. Sir 40,18 [1892]: „Wer sich mit seiner Arbeit nähret und läßt ihm genügen, der hat ein fein ruhig Leben. Das heißt einen Schatz über alle Schätze finden.“ Im NT:

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ihn weniger als die Minderarbeit; er fragte nicht: wieviel kann ich pro Tag verdienen, wenn ich das mögliche Maximum an Arbeit leiste, sondern: wieviel muß ich arbeiten, um denjenigen Betrag – 21/2 Mk. – zu verdienen, den ich bisher einnahm und der meine traditionellen Bedürfnisse deckt? Dies ist nun dasjenige Verhalten, welches – im Anschluß an den üblichen Sprachgebrauch – als „Traditionalismus“ bezeichnet werden soll: der Mensch will „von Natur“ nicht Geld und mehr Geld verdienen, sondern einfach leben, so leben[,] wie er zu leben gewohnt ist[,] und soviel erwerben, wie dazu erforderlich ist. Überall, wo der Kapitalismus sein Werk der Steigerung der „Produktivität“ der menschlichen Arbeit durch Steigerung ihrer Intensität begann, stieß er auf den unendlich zähen Widerstand dieses Leitmotivs präkapitalistischer wirtschaftlicher Arbeit, und er stößt noch heute überall um so mehr darauf, je „rückständiger“ (vom kapitalistischen Standpunkt aus) die Arbeiter|schaft ist, auf die er sich angewiesen sieht. Es lag nun – um wieder zu unserem Beispiel zurückzukehren – sehr nahe, da der Appell an den „Erwerbssinn“ durch höhere Lohnsätze versagte, es mit dem gerade umgekehrten Mittel zu versuchen: durch Herabsetzung der Lohnsätze den Arbeiter zu zwingen, zur Erhaltung seines bisherigen Verdienstes mehr zu leisten als bisher. Ohnehin schien ja und scheint noch heute der unbefangenen Betrachtung niederer Lohn und hoher Profit in Korrelation zu stehen, alles, was an Lohn mehr gezahlt wurde, eine entsprechende Minderung des Profits bedeuten zu müssen. Jenen Weg hat denn auch der Kapitalismus von Anfang an wieder und immer wieder beschritten, und Jahrhunderte lang galt es als Glaubenssatz, daß niedere Löhne „produktiv“ seien, d. h. daß sie die Arbeitsleistung steigerten, daß[,] wie schon Pieter de la Courta – in diesem Punkte[,] wie wir sehen werden,68 ganz im Geist des alten Calvinismus denkend – gesagt hatte, das Volk nur arbeitet, weil und so lange es arm ist.69 a A: Cour 1 Tim 6,8 [1892]: „Wenn wir aber Nahrung und Kleidung haben, so lasset uns genügen.“ Vgl. dazu 2 Kor 12,9; 1 Tim 6,6. 68  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  417–419; bei der variierten (Zitat-)Wiederholung auf Calvin zurückgeführt, S.  418 mit Anm.  63. 69  Konnte für den niederländischen Textilfabrikanten und Staatstheoretiker Pieter de la Court nicht belegt werden. De la Court, der sich für größtmögliche Handelsfreiheit einsetzte, wandte sich gegen Gilden und Kompanien, die fähige und fleißige Leute

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Allein die Wirksamkeit dieses anscheinend so probaten Mittels hat Schranken.28) Gewiß verlangt der Kapitalismus zu seiner Entfaltung das Vorhandensein von Bevölkerungsüberschüssen, die er zu billigem Preis auf dem „Arbeitsmarkt“ mieten kann. Allein ein Zuviel von „Reservearmee“70 begünstigt zwar unter Umständen sein quantitatives Umsichgreifen, hemmt aber seine qualitative Entwicklung, namentlich den Übergang zu Betriebsformen, welche die Arbeit intensiv ausnützen. Niederer Lohn ist mit billiger Arbeit keineswegs identisch. Schon rein quantitativ betrachtet, sinkt die Arbeitsleistung unter allen Umständen mit physiologisch ungenügendem Lohn und bedeutet ein solcher auf die Dauer oft geradezu eine „Auslese der Untauglichsten“.71 Der heutige durchschnittliche Schlesier | mäht bei voller Anstrengung wenig mehr als zwei Drittel soviel Land in der gleichen Zeit wie der besser gelohnte und genährte Pommer oder Mecklenburger, der Pole leistet phy28)  Auf die Frage, wo diese Schranken liegen, gehen wir hier natürlich so wenig ein wie auf eine Stellungnahme zu der bekannten[,] von Brassey zuerst aufgestellten,72 von

vom Handel ausschlössen, wegen ihrer Privilegierung selbst aber zu Faulheit und Trägheit neigten. In diesem Zusammenhang heißt es etwa: „[.  .  .] we say that necessity makes the old wife trot, hunger makes raw beans sweet, and poverty begets ingenuity. And besides, it is well known, now especially when Holland is so heavily taxed, that other less burdened people, who have no fisheries, manufactures, trafick and freight ships, cannot long subsist but by their industry, subtilty, courage, and frugality.“ Daraus läßt sich Webers Zuspitzung allerdings nicht herleiten. Vgl. de la Courts Schrift „Interest van Holland“ (1662; die Schrift wird Hollands Ratspensionär Johan de Witt zugeschrieben, hier nach der englischen Übersetzung): The true Interest and Political Maxims, of the Republic of Holland [.  .  .]. Written by [.  .  .] John de Witt [.  .  .], translated from the Original Dutch [.  .  .] by John Campbell. – London: J. Nourse 1746, p.  60 f., Zitat p.  61. 70  Anspielung auf die „industrielle Reservearmee“ bei Marx, die (arbeitslose, überschüssige, im Bedarfsfall bereitstehende und daher disponible) „Zuschuß“-Arbeiterbevölkerung auf dem Arbeitsmarkt. Vgl. Marx, Karl, Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie, Erster Band, Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals, 3. vermehrte Aufl. – Hamburg: Otto Meissner 1883, S.  646–664 (dass., in: Karl Marx Friedrich Engels Gesamtausgabe (MEGA), 2. Abt., Band  8. – Berlin: Dietz 1989, S.  590–608). 71  Als Zitat nicht nachgewiesen; möglicherweise Umbildung nach „survival of the fittest“ (Darwin, Charles, Origin of Species by means of natural selection, or the preservation of favored races in the struggle for life. – New York: P. F. Collier & Son 1902, Chapter IV: „Natural selection; or the survival of the fittest“, p.  120–189; bei der Formulierung „survival of the fittest“ folgt Darwin Herbert Spencer, vgl. ebd., p.  99). 72  Vgl. Brassey, Thomas, Work and Wages. Practically illustrated, 2. ed. – London: Bell and Deldy 1872 (von Weber bereits als Literatur aufgeführt im Vorlesungs-Grundriß, MWG III/1, S.  109 und 114, und zur Lohntheorie herangezogen, so Weber, Vorlesungen über „Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“, MWG III/1, S.  589).

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sisch, je weiter östlich er her ist, destoweniger im Vergleich zum Deutschen.73 Und auch rein geschäftlich versagt der niedere Lohn als Stütze kapitalistischer Entwicklung überall da, wo es sich um die Herstellung von Produkten handelt, welche irgendwelche qualifizierte (gelernte) Arbeit oder etwa die Bedienung kostspieliger und leicht zu beschädigender Maschinen oder überhaupt ein irgend erhebliches Maß scharfer Aufmerksamkeit und Initiative erfordern. Hier rentiert der niedere Lohn nicht und schlägt in seiner Wirkung in das Gegenteil des Beabsichtigten um. Denn hier ist nicht nur ein entwickeltes Verantwortlichkeitsgefühl schlechthin unentbehrlich, sondern überhaupt eine Gesinnung, welche mindestens während der Arbeit von der steten Frage: wie bei einem Maximum von Bequemlichkeit und einem Minimum von Leistung dennoch der gewohnte Lohn zu gewinnen sei, sich loslöst und die Arbeit so betreibt, als ob sie absoluter Selbstzweck – „Beruf“ – wäre. Eine solche Gesinnung aber ist nichts Naturgegebenes. Sie kann auch weder durch hohe noch durch niedere Löhne unmittelbar hervorgebracht werden, sondern nur das Produkt eines lang andauernden „Erziehungsprozesses“74 sein. Heute gelingt dem einBrentano theoretisch,75 von Schulze-Gävernitz historisch und konstruktiv zugleich,76 formulierten und vertretenen Theorie vom Zusammenhang zwischen hohem Lohn und hoher Arbeitsleistung. Die Diskussion ist durch Hasbachs eindringende Studien (Schmollers Jahrbuch 1903 S.  385–391 und 417 f.) wieder eröffnet.77 Für uns genügt hier die von niemand bezweifelte und auch nicht bezweifelbare Tatsache, daß niederer Lohn und hoher Profit, niederer Lohn und günstige Chancen industrieller Entwicklung jedenfalls nicht einfach zusammenfallen, – daß überhaupt nicht einfach mechanische Geldoperationen die „Erziehung“ zur kapitalistischen Kulturb und damit die Möglichkeit kapitalistischer Wirtschaft herbeiführen. Alle gewählten Beispiele sind rein illustrativ. | b A: Kultur, 73  Beinahe wörtlich: Weber, Die Erhebung des Vereins für Sozialpolitik über die Lage der Landarbeiter, MWG I/4, S.  142 f. 74  Als Zitat nicht nachgewiesen. 75  Vgl. Brentano, Lujo, Über das Verhältniß von Arbeitslohn und Arbeitszeit zur Arbeitsleistung, 2., völlig umgearbeitete Aufl. – Berlin: Duncker & Humblot 1893 (von Weber als Literatur bereits im Vorlesungs-Grundriß, MWG III/1, S.  110, genannt). 76  Gemeint sein dürfte: Schulze-Gävernitz, Gerhart v., Der Großbetrieb ein wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt. Eine Studie auf dem Gebiete der Baumwollindustrie. – Leipzig: Duncker & Humblot 1892 (hinfort: Schulze-Gävernitz, Großbetrieb; ebenfalls Literaturhinweis Webers bereits im Vorlesungs-Grundriß, MWG III/1, S.  109 f.). 77  Vgl. Hasbach, Charakteristik, S.  385–391, und den Anhang, S.  417–421, wo er sich kritisch mit Brassey und Brentano auseinandersetzt. Dort weist er auf die Faktoren hin, die den positiven Zusammenhang von Leistung und Lohnhöhe stören.

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mal im Sattel sitzenden Kapitalismus die Rekrutierung seiner Arbeiter in allen Industrieländern und innerhalb der ein­zelnen Länder in allen Industriegebieten verhältnismäßig leicht. In der Vergangenheit war sie in jedem einzelnen Fall ein äußerst schwieriges Problem.29) Und selbst | heute kommt er nicht immer ohne die Unterstützung eines mächtigen Helfers zum Ziele, der, wie wir weiter sehen werden,78 ihm in der Zeit seines Werdens zur Seite stand. Was gemeint ist, kann man sich wieder an einem Beispiel klar machen. Ein Bild rückständiger traditionalistischer Form der Arbeit bieten heute besonders oft die Arbeiterinnen, besonders die unverheirateten. Insbesondere ihr absoluter Mangel an Fähigkeit und Willigkeit, überkommene und einmal erlernte Arten des Arbeitens zugunsten anderer, praktischerer, aufzugeben, sich

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29)  Die Einbürgerung auch kapitalistischer Gewerbe ist deshalb oft nicht ohne umfassende Zuwanderungsbewegungen aus Gebieten älterer Kultur möglich gewesen. So richtig Sombarts Bemerkungen über den Gegensatz der an die Person gebundenen „Fertigkeiten“ und Gewerbegeheimnisse des Handwerkers gegenüber der wissenschaftlich objektivierten modernen Technik sind:79 für die Zeit der Entstehung des Kapitalismus ist der Unterschied kaum vorhanden, – ja, die (so zu sagen) ethischen Qualitäten des kapitalistischen Arbeiters (und in gewissem Umfang auch: Unternehmers) standen an „Seltenheitswert“ oft höher als die in jahrhundertelangem Traditionalismus erstarrten Fertigkeiten des Handwerkers. Und selbst die heutige Industrie ist von solchen durch lange Tradition und Erziehung zur intensiven Arbeit erworbenen Eigenschaften der Bevölkerung in der Wahl ihrer Standorte durchaus nicht schlechthin unabhängig. Es entspricht dem heutigen wissenschaftlichen Gesamtvorstellungskreis, daß, wo diese Abhängigkeit einmal beobachtet wird, man sie auf ererbte RassenqualiA 24 tätc statt auf die Tradition und Er|ziehung schiebt, m. E. mit sehr zweifelhaftem Recht.80 Auch davon wird wohl später gelegentlich noch zu reden sein.81

c A: Rassenqualität, 78  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  242–425. 79  Vgl. Sombart, Volkswirtschaft, S.  153–171, bes. S.  165. 80  Weber notiert in seinem Handexemplar von Sombart, Volkswirtschaft (Max WeberArbeitsstelle, BAdW München), zu dessen Äußerung, offenbar alle Europäer besäßen „im Gegensatz zu andern Rassen“ eine „Generalqualifikation zum Kapitalismus“: „alles nicht beweisbar“ (S.  121; „im Gegensatz zu andern Rassen“ ist unterstrichen und mit Fragezeichen am Rand versehen). – Allerdings heißt es bei Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  380, auch: „Denn das Rassenmerkmal als Erklärung eines Phänomens benutzen, heißt den kausalen Regressus sehr früh abbrechen, heißt auf die Aufdeckung intimerer psychologischer Zusammenhänge verzichten, heißt im Grunde eine Bankerotterklärung aller wirklichen Motivierung.“ Man solle „bei der Feststellung socialer Kausalzusammenhänge das Rassenmoment immer lieber nur als bedingendes, aber nicht als verursachendes Moment in Betracht ziehen.“ 81  Weber kommt darauf in der „Protestantischen Ethik“ nicht mehr zurück.

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neuen Arbeitsformen anzupassen, zu lernen und den Verstand zu konzentrieren oder nur überhaupt zu brauchen, ist eine fast allgemeine Klage von Arbeitgebern, die Mädchen, zumal deutsche Mädchen, beschäftigen.82 Auseinandersetzungen über die Möglichkeit, sich die Arbeit leichter, vor allem einträglicher, zu gestalten, pflegen bei ihnen auf völliges Unverständnis zu stoßen, Erhöhung der Akkordsätze prallt wirkungslos an der Mauer der Gewöhnung ab. Anders – und das ist ein für unsere Betrachtung nicht unwichtiger Punkt – pflegt es regelmäßig nur mit spezifisch religiös erzogenen, namentlich mit Mädchen pietistischer Provenienz zu stehen. Man kann es oft hören, und mir wurde es noch kürzlich durch einen Verwandten für die Leinenindustrie bestätigt,83 daß weitaus die günstigsten Chancen wirtschaftlicher Erziehung sich bei dieser Kategorie eröffnend. Die Fähigkeit der Konzentration der Gedanken sowohl als die absolut zentrale Fähigkeit, sich der Arbeit gegenüber verpflichtet zu fühlen, finden sich hier besonders oft vereinigt mit strenger Wirtschaftlichkeit, die mit dem Verdienst und seiner Höhe überhaupt rechnet[,] und mit einer nüchternen Selbstbeherrschung und Mäßigkeit, welche die Leistungsfähigkeit ungemein steigert.84 Der Boden für jene Auffassung der Arbeit als Selbst-

d A: eröffnet 82  Eine schriftliche Quelle zur Anpassungsunfähigkeit und zur Lernunwilligkeit junger Arbeiterinnen konnte nicht ermittelt werden. Die ältere, verheiratete Arbeiterin galt jedoch als „Ideal der ‚Arbeitswilligen‘“, und manche Unternehmer gaben ihr deshalb den Vorzug. Vgl. Handbuch der Frauenbewegung, hg. von Helene Lange und Gertrud Bäumer, IV. Teil: Die deutsche Frau im Beruf. – Berlin: W. Moeser 1902, S.  195 f. 83 Verwandte Webers betrieben eine Leinenweberei in Oerlinghausen. Carl David Weber (1824–1907) war der Firmengründer; sein Sohn Carl (Carlo) Weber (1858– 1923) und sein Schwiegersohn Bruno Müller (1848–1913) leiteten zu diesem Zeitpunkt die Firma. Die persönliche Auskunft ist in den Briefen Max Webers nicht nachweisbar. 84  Weber kommt in seiner späteren Untersuchung „Zur Psychophysik der industriellen Arbeit“ (Weber, Psychophysik, MWG I/11, S.  150–380), die er 1908/09 im Oerlinghauser Betrieb durchführte, zu einem ähnlichen Ergebnis. Dort heißt es, daß „die Arbeiterinnen, welche dem Kreise pietistischer Konventikel entstammen, qualitativ besonders hervortreten. Es ist wohl unmöglich ein Zufall, daß die beiden Arbeiterinnen, welche es in den beiden Abteilungen der Säumerei [.  .  .] zu Meisterinnen gebracht haben [.  .  .], jenen religiösen Kreisen angehörten, – daß ferner die beiden Taschentuchweberinnen, für welche das gleiche zutrifft [.  .  .], – und daß endlich in der verantwortlichen und schwer kontrollierbaren Schlichterei ebenfalls pietistische Arbeitskräfte figurieren“ (S.  278 f.).

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zweck, als „Beruf“, wie sie der Kapitalismus fordert, ist hier am günstigsten, die Chance, den traditionalistischen Schlendrian zu überwinden, infolge der religiösen Erziehung am größten. Schon diese Betrachtung aus der Gegenwart des Kapitalismus30) zeigt uns wieder, daß es sich | jedenfalls verlohnt, einmal zu fragen, wie diese Zusammenhänge kapitalistischer Anpassungsfähigkeit mit religiö­ sen Momenten sich denn in der Zeit seiner Jugend gestaltet haben mögen. Denn daß sie auch damals in ähnlicher Art bestanden, ist aus vielen Einzelerscheinungen zu schließen. Der Abscheu und die Verfolgung, welchen z. B. die methodistischen Arbeiter im 18. Jahrhundert von seiten ihrer Arbeitsgenossen begegneten, bezog sich, wie schon die in den Berichten so oft wiederkehrende Zerstörung ihres Handwerkszeuges andeutet,85 keineswegs nur oder vorwiegend auf ihre religiösen Exzentrizitäten – davon hatte England viel

30)  Die vorstehenden Bemerkungen könnten mißverstanden werden. Die Neigung eines sattsam bekannten Typus modernster Geschäftsleute, den Satz: „Dem Volke muß die Religion erhalten bleiben“86 in ihrer Weise zu fruktifizieren[,] und die Beflissenheit breiter Kreise[,] speziell der lutherischen Geistlichkeit, aus einer allgemeinen SympaA 25 thie für das „Autoritäre“ heraus sich ihnen als „schwarze Polizei“ zur Verfügung | zu stellen, wo es gilt, den Streik als Sünde, die Gewerkvereine als Förderer dere „Begehrlichkeit“ zu brandmarken usw.,87 – das sind Dinge, womit die Erscheinungen, von de-

e A: der der 85  Im Zusammenhang der Verfolgungen von Anhängern der methodistischen Bewegung in den Anfangsjahren erwähnt Jacoby, Handbuch des Methodismus, S.  40 (Jacoby nennt Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  339, Fn.  114), unter den Ver­ wüstungen auch die Zerstörung von Handwerkszeug in ihren Werkstätten. Im Exemplar der UB Heidelberg ist der entsprechende Satz von Weber unterstrichen, mit Randmarkierung und „NB!“ versehen. 86  „Geflügeltes Wort“ nach Kaiser Wilhelm I., der es am 6. November 1887 auf einem Gedenkblatt niederschrieb, das in die Altarbibel der Sieges-Dankkirche zu Altwasser in Schlesien eingelegt wurde. Bereits zuvor hatte Wilhelm I. Ähnliches gegenüber protestantischen Geistlichen in Züllichau geäußert (23. August 1878), vgl. die Notiz in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung vom 18. Nov. 1887, 20. Jg., Nr.  46. – Leipzig: Dörffling und Franke 1887, Sp.  1134. 87  Als „schwarze Polizei“ bezeichnet man die Zusammenarbeit von Pfarrerschaft und staatlichen Instanzen (vgl. auch Weber, Objektivität, S.  44). Konkret ist es möglich, daß Weber hier auf den Streik der Textilarbeiter in der sächsischen Kleinstadt Crim­ mitschau von August 1903 bis zur Niederschlagung im Januar 1904 anspielt. In einer Zuschrift in der von Martin Rade herausgegebenen „Christlichen Welt“ (18. Jg., Nr.  2 vom 8. Jan.  1904, Sp.  41–44) hatte der Crimmitschauer Pfarrer Franz Schink sich auf die Seite der Unternehmer gestellt und behauptet, er könne „weder in materieller noch in formeller Beziehung ein Recht finden, welches die Entfesselung eines so außerordentlichen [.  .  .] Kampfes zu rechtfertigen vermöchte“ (Sp.  41). Gegen die Berichter-

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und Auffallenderes gesehen –, sondern auf ihre spezifische „Arbeitswilligkeit“, wie man heute sagen würde. Doch wenden wir uns zunächst wieder der Gegenwart und zwar nunmehr den Unternehmern zu, um auch hier die Bedeutung des „Traditionalismus“ uns zu verdeutlichen. Sombart hat in seinen Erörterungen über die Genesis des Kapitalismus31) f als die beiden großen „Leitmotive“, zwischen denen sich die ökonomische Geschichte bewegt habe, „Bedarfsdeckung“ und „Erwerb“ geschieden, je nachdemg das Ausmaß des persönlichen Bedarfs oder das von den Schranken des letzteren unabhängige Streben nach Gewinn und die Möglichkeit der Gewinnerzielung für die Art und Richtung der wirtschaftlichen Tätigkeit maßgebend werden. Was er als „System der Bedarfsdeckungswirtschaft“88 bezeichnet, scheint sich auf den ersten Blickh mit dem, was hier als „ökonomischer Traditionalismus“ umschrieben wurde, zu decken. Das ist dann in der Tat der Fall, wenn man den Begriff „Bedarf“ mit „traditionellem Bedarf“ gleichsetzt. Wenn aber nicht, dann fallen breite Massen von Wirtschaften, welche nach der Form ihrer Organisation als „kapitalistische“ auch im Sinne der von Sombart an einer anderen Stelle seines Werkes32) gegebenen Definen hier die Rede ist, nichts zu tun haben. Es handelt sich bei den im Text berührten Momenten um nicht vereinzelte, sondern sehr häufige, und wie wir sehen werden,89 in typischer Art wiederkehrende Tatsachen. 31)  Der moderne Kapitalismus Band  I S.  62.90 32)  S.  195 a. a. O.91 |

f A: Kapitalismus1),  g Lies: nachdem ob  h A: Blick, stattung in den Zeitungen müsse er die Behörden, d. h. die Polizei, verteidigen (vgl. Sp.  43). Sowohl der Vorfall als auch die Zuschrift wurden viel diskutiert und auch von anderen (neben Rade in der „Christlichen Welt“ etwa Lujo Brentano, Friedrich Naumann, Gottfried Traub, auch Alice Salomon) scharf zurückgewiesen. Vgl. dazu Schaarschmidt, Erich, Geschichte der Crimmitschauer Arbeiterbewegung. Inaugural-Diss. – Dresden: Risse 1934. 88  Vgl. unten, Anm.  90. 89  Weber, Protestantische Ethik II, unten, bes. S.  242–425, passim. 90  Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  62, unterscheidet „die beiden grossen Gruppen von Wirtschaftssystemen“: „Bedarfsdeckungswirtschaften“ und „Erwerbswirtschaften“. 91 „Kapitalismus heissen wir eine Wirtschaftsweise, in der die specifische Wirtschaftsform die kapitalistische Unternehmung ist. [.  .  .] Kapitalistische Unternehmung aber nenne ich diejenige Wirtschaftsform, deren Zweck es ist, durch eine Summe von Vertragsabschlüssen über geldwerte Leistungen und Gegenleistungen ein Sachver-

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nition des „Kapitals“ zu betrachten sind, aus dem Bereich der „Erwerbs“-Wirtschaften heraus und gehören zum Bereich der „Bedarfsdeckungswirtschaften“. Auch Wirtschaften nämlich, die von | privaten Unternehmern in der Form eines Umschlags von Kapital (= Geld oder geldwerten Gütern) zu Gewinnzwecken durch Ankauf von Produktionsmitteln und Verkauf der Produkte, also zweifellos als „kapitalistische Unternehmungen“ geleitet werden, können gleichwohl traditionalistischen Charakter an sich tragen, und dies ist im Lauf auch der neueren Wirtschaftsgeschichte nicht nur ausnahmsweise, sondern – mit stets wiederkehrenden Unterbrechungen durch immer neue und immer gewaltigere Einbrüche des „kapitalistischen Geistes“ – geradezu regelmäßig der Fall gewesen. Die „kapitalistische“ Form einer Wirtschaft und der Geist, in dem sie geführt wird, stehen zwar generell im Verhältnis adäquater Beziehung, nicht aber in dem einer „gesetzlichen“ Abhängigkeit voneinander; und wenn wir trotzdem für diejenige Gesinnung, welche berufsmäßig und systematisch Gewinn um des Gewinnes willen in der Art, wie dies an dem Beispiel Benjamin Franklins verdeutlicht wurde,92 erstrebt, hier provisorisch den Ausdruck „Geist des Kapitalismus“ gebrauchen, so geschieht dies aus dem historischen Grunde, weil jene Gesinnung in der kapitalistischen Unternehmung ihre adäquateste Form, die kapitalistische Unternehmung andererseits in ihr die adäquateste geistige Triebkraft gefunden hat. Aber an sich kann beides sehr wohl auseinanderfallen. Benjamin Franklin war mit „kapitalistischem Geist“ erfüllt zu einer Zeit, wo sein Buchdruckereibetrieb der Form nach sich in nichts von irgend­ einem Handwerkerbetrieb unterschied.93 Und wir werden sehen,94 daß überhaupt an der Schwelle der Neuzeit keineswegs allein oder vorwiegend die „kapitalistischen“ Unternehmer des Handelspatriziates, sondern auch und sogar ganz besonders die aufstrebenden Schichten des Mittelstandes die Träger der­ jenigen Gesinnung mögen zu verwerten, d. h. mit einem Aufschlag (Profit) dem Eigentümer zu reproduzieren. Ein Sachvermögen, das solcher Art genutzt wird, heisst Kapital.“ Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  195. 92  Vgl. oben, S.  142–145. 93  Benjamin Franklin betrieb von 1728 bis 1748 in Philadelphia eine eigene Druckerei. 94  Weber, Protestantische Ethik II, unten, bes. S.  414–417.

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waren, die wir hier als „Geist des Kapitalismus“ bezeichnet haben.33) Auch im | 19. Jahrhundert sind nicht die vornehmen Gentlemen von Liverpool und Hamburg mit ihrem altererbten Kaufmannsvermögen, sondern die aus oft recht kleinen Verhältnissen aufsteigenden Parvenüs von Manchester oder Rheinland-Westfalen ihrei klassischen Repräsentanten. Der Betrieb etwa einer Bank, oder des Exportgroßhandels, oder auch eines größeren Detailgeschäfts, oder endlich eines großen Verlegers hausindustriell hergestellter Waren sindj zwar sicherlich nur in der Form der kapitalistischen Unternehmung möglich. Gleichwohl können sie alle in streng traditionalistischem Geiste geführt werden: die Geschäfte der großen Notenbanken dürfen gar nicht anders betrieben werden, der überseeische Handel ganzer Epochen hat auf der Basis von Monopolen und Reglements streng traditionellen Charakter gehabt, im Detailhandel – und es ist hier nicht nur von den kleinen kapitallosen Tagedieben die Rede, welche heute nach Staatshilfe schreien – ist die Revolutionierung, welche dem alten Traditionalismus ein Ende macht, noch in vollem Gange – dieselbe Umwälzung, welche die alten Formen des Verlagssystems gesprengt hat, mit dem ja die moderne Heimarbeit nur der Form nach Verwandtschaft besitzt. Wie sie verläuft und was sie bedeutet, mag – so bekannt ja diese Dinge sind – wiederum an einem Spezialfall veranschaulicht werden. Bis gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts war das Leben eines Verlegers wenigstens in manchen Branchen der kontinenta-

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33)  Es ist eben – nur das soll hier hervorgehoben werden – a priori durchaus nicht A 26 die Annahme geboten, daß die Technik des kapitalistischen Unternehmens und der Geist der „Berufsarbeit“, der dem Kapitalismus seine expansive Energie zu verleihen pflegt, in denselben sozialen Schichten ihren ursprünglichen Nährboden finden. Entsprechend liegt es mit den sozialen Beziehungen religiöser Bewußtseinsinhalte. Der Calvinismus ist historisch einer der zweifellosen Träger der Erziehung zum „kapitalistischen Geist“. Aber die großen Geldbesitzer waren in den Niederlanden z. B., aus Gründen, die später zu erörtern sein werden,95 überwiegend nicht Anhänger des Calvinismus strengster Observanz, sondern Arminianer. Das aufsteigende Kleinbürgertum war hier und sonst „typischer“ Träger kapitalistischer Ethik und calvinistischen Kirchentums. |

i  Bezugswort ist: Gesinnung  j  Zu erwarten wäre: ist 95  Ebd., unten, S.  402 f., Fn.  54b.

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len Textilindustrie34) ein für unsere heutigen Begriffe ziemlich gemächliches.1 Man mag sich seinen Verlauf etwa so vorstellen: Die Bauern kamen mit ihren Geweben – oft (bei Leinen) noch vorwiegend oder ganz aus selbstproduziertem Rohstoffe hergestellt – in die Stadt, in der die Verleger wohnten[,] und erhielten nach sorgsamer – oft amtlicher – Prüfung der Qualität die üblichen Preise dafür gezahlt. Die Kunden der Verleger waren für den Absatz auf alle weiteren Entfernungen Zwischenhändler, die ebenfalls hergereist kamen, nach Mustern oder herkömmlichen Qualitäten vom Lager kauften oder, und dann lange vorher, bestellten – woraufhin dann eventuell weiter bei den Bauern bestellt wurde. Eigenes | Bereisen der Kundschaft geschah, wenn überhaupt, dann selten einmal in großen Perioden, sonst genügte Korrespondenz und Musterversendung. Mäßiger Umfang der Comptoirstunden – vielleicht 5–6 am Tage, zeitweise erheblich weniger, in der Campagnezeit, wo es eine solche gab, mehr, – leidlicher, zur anständigen Lebensführung und in guten Zeiten zur Rücklage eines kleinen Vermögens ausreichender Verdienst, im ganzen relativ große Verträglichkeit der Konkurrenten untereinander bei großer Übereinstimmung der „Geschäftsgrundsätze“, ausgiebiger täglicher Besuch der „Ressource“,2 daneben je nachdem noch Dämmerschoppen, Kränzchen und gemächliches Lebens­tempo überhaupt. Es war eine in jeder Hinsicht „kapitalistische“ Form der Organisation, wenn man auf den rein kaufmännisch-geschäftlichen Charakter der Unternehmenk, ebenso wenn man auf die Tatsache der Unentbehrlichkeit des Dazwischentretens von Kapitalvorräten, welche in dem Geschäft umgeschlagen wurden, ebenso endlich, 34)  Das nachstehende Bild ist aus den Verhältnissen verschiedener Einzelbranchen an verschiedenen Orten „idealtypisch“ kompiliert; es ist für den illustrativen Zweck, dem es hier dient, natürlich gleichgültig, daß der Vorgang in keinem der Beispiele, an die gedacht ist, sich gerade ganz genau in der geschilderten Art abgespielt hat. |

k A: Unternehmer 1  Der im folgenden entwickelte „Idealtypus“ eines traditionalistisch gesinnten Verlegers in der Textilindustrie (vgl. dazu unten, S.  170  f.) trägt Züge von Max Webers Großvater, des Bielefelder Leinenhändlers Carl August Weber (1796–1872). Vgl. Roth, Familiengeschichte, S.  251. 2  Die „Geschlossene Gesellschaft Ressource“ war ein in Bielefeld 1795 vornehmlich von Leinenhändlern gegründeter Verein, der die Geselligkeit pflegte. Vgl. Roth, ebd., S.  251, Anm.  32.

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wenn man auf die objektive Seite des ökonomischen Hergangs sieht. Aber es war traditionalistische Wirtschaft, wenn man auf den Geist sieht, der die Unternehmer beseelte: die traditionelle Lebenshaltung, die traditionelle Höhe des Profits, das traditionelle Maß von Arbeit, die traditionelle Art der Geschäftsführung und der Beziehungen zu den Arbeitern und dem wesentlich traditionellen Kundenkreise, ldie traditionellel Art der Kundengewinnung und des Absatzes beherrschten den Geschäftsbetrieb, lagen – so kann man geradezu sagen – der „Ethik“ dieses Kreises von Unternehmern zugrunde. Irgendwann nun wurde diese Behaglichkeit plötzlich gestört, und zwar oft ganz ohne daß dabei irgend eine prinzipielle Änderung der Organisationsform – etwa Übergang zum geschlossenen Betrieb, zum Maschinenstuhl und dgl. – stattgefunden hätte. Was geschah, war vielmehr oft lediglich dies:3 daß irgend ein junger Mann aus einer der beteiligten Verlegerfamilien aus der Stadt auf das Land zog, die Weber für seinen Bedarf sorgfältig auswählte, ihre Abhängigkeit und Kontrolle verschärfte, sie so aus Bauern zu Arbeitern erzog, andererseits aber den Absatz durch möglichst direktes Herangehen an die letzten Abnehmer: die Detailgeschäfte, ganz in die eigene Hand nahm, Kunden persönlich warb, sie regelmäßig jährlich bereiste, vor allem aber die Qualität der Produkte ausschließlich ihren Bedürfnissen und Wünschen anzupassen, ihnen „mundgerecht“ zu machen wußte und zugleich den Grundsatz „billiger Preis, großer Umsatz“ durchzuführen begann. Alsdann nun wieder|holte sich, was immer und überall die Folge eines solchen „Rationalisierungs“-Prozesses ist: wer nicht hinaufstieg, mußte hinabsteigen. Die Idylle brach unter dem beginnenden erbitterten Konkurrenzkampf zusammen, ansehnliche Vermögen wurden gewonnen und nicht auf Zinsen gelegt, sondern immer wieder im l–l A: der 3  Im folgenden lassen sich Bezüge zu Webers Onkel Carl David Weber (1824–1907), dem Sohn Carl August Webers, herstellen. Carl David Weber gründete 1850 in dem im Fürstentum Lippe gelegenen Dorf Oerlinghausen ein neues Unternehmen (später: Carl Weber & Co., seit 1907 GmbH). Dabei ließ er im Verlagssystem mit Hausindustrie hochwertiges Leinen herstellen. Die Bielefelder Leinenindustrie dagegen ging unter dem Druck der preußischen Regierung zu fabrikmäßiger Leinenproduktion über, woran die Firma „Weber, Laer & Niemann“, bei der Carl David Weber Teilhaber war, 1861 zu Grunde ging. Vgl. Roth, Familiengeschichte, S.  250–256.

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Geschäft investiert, die alte behäbige und behagliche Lebenshaltung wich harter Nüchternheit, bei denen, die mitmachten und hochkamen, weil sie nicht verbrauchen, sondern erwerben wollten, bei denen, die bei der alten Art blieben, weil sie sich einschränken mußten. Und – worauf es hier vor allem ankommt – es war in solchen Fällen in der Regel nicht etwa ein Zustrom neuen Geldes, welcher diese Umwälzung hervorbrachte – mit wenigen Tausenden von Verwandten hergeliehenen Kapitals wurde in manchen mir bekannten Fällen der ganze „Revolutionierungs-Prozeß“ ins Werk gesetzt –, sondern der neue Geist, eben der „Geist des Kapitalismus“, der eingezogen war. Die Frage nach den Triebkräften der Entwicklung des Kapitalismus ist nicht in erster Linie eine Frage nach der Herkunft der kapitalistisch verwertbaren Geldvorräte,4 sondern nach der Entwicklung des kapitalistischen Geistes. Wo er auflebt und sich auszuwirken vermag, da schaffte er sich die Geldvorräte als Mittel seines Wirkens, nicht aber umgekehrt. Aber sein Einzug pflegt kein friedlicher zu sein. Eine Flut von Mißtrauen, gelegentlich von Haß, vor allem von moralischer Entrüstung stemmt sich regelmäßig dem ersten Neuerer entgegen, oft – mir sind mehrere Fälle mder Artm bekannt – beginnt eine förmliche Legendenbildung über geheimnisvolle Schatten in seinem Vorleben.5 Es ist so leicht niemand unbefangen genug zu bemerken, daß gerade einen solchen Unternehmer „neuen Stils“6 nur ein ungewöhnlich fester Charakter vor dem Verlust der nüchternen Selbstm A: derart 4  Dieser Frage geht Sombart nach, der die Grundrentenhypothese vertritt. Nach ihm bildete sich im Mittelalter ein „Urvermögen“, das in der Hand des städtischen Patri­ ziats lag („Die Anfänge des bürgerlichen Reichtums“, Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  282–324). „Jene Summen, mit denen in Italien und Flandern seit dem 13. Jahrhundert und noch früher, in den übrigen Ländern seit dem 14. Jahrhundert in größerem Stile Geld- und Handelsgeschäfte gemacht wurden, die also recht eigentlich als die Urvermögen anzusehen sind, aus denen sich das Kapital zu entwickeln vermochte: sie sind accumulierte Grundrente“ (S.  291). Dazu kamen Gewinne aus der ausbeuterischen Kolonialwirtschaft (vgl. S.  325–377). – Weber lehnte diese Grundrentenhypothese ab. 5 Nach Roth, Familiengeschichte, S.  251–253, wurde im Familien- und Bekanntenkreis kolportiert, Carl David Weber habe sich durch einen geschäftlichen SpanienAufenthalt der preußischen Militärpflicht entzogen und sei deshalb mit seiner Neugründung in das Fürstentum Lippe ausgewichen. Vgl. auch oben, S.  167, Anm.  3. 6 Sombart spricht vom „neuen Stil des Wirtschaftslebens“ (Sombart, Der moderne Kapitalismus II, S.  68–89).

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beherrschung und vor moralischem wie ökonomischem Schiffbruch bewahren kannn, daß neben Klarheit des Blickes und Tatkrafto vor allem doch auch ganz bestimmte und sehr ausgeprägte „ethische“ Qualitäten es sind, welche bei solchen Neuerungen ihm das schlechthin unentbehrliche Vertrauen der Kunden und der Arbeiter gewinnen und ihm die Spannkraft zur Überwindung der ungezählten Widerstände erhalten, vor allem aber die so unendlich viel intensivere Arbeitsleistung, welche nunmehr von dem Unternehmer gefordert wird und die mit bequemem Lebensgenuß unvereinbar ist, überhaupt ermöglicht haben: – nur eben ethische Qualitäten spezifisch anderer Art als die dem Traditionalismus der Vergangenheit adäquaten. | Nun wird man freilich zu bemerken geneigt sein, daß diese persönlichen moralischen Qualitäten mit irgend welchen ethischen Maximen oder gar religiösen Gedanken an sich nicht das geringste zu schaffen haben, daß nach dieser Richtung wesentlich etwas Negatives: die Fähigkeit, sich der überkommenen Tradition zu entziehen, also am ehesten liberale Aufklärung die adäquate Grundlage jener Lebensführung sei. Und in der Tat ist dies heute im allgemeinen durchaus der Fall. Nicht nur fehlt regelmäßig eine Beziehung der Lebensführung auf religiöse Ausgangspunkte, sondern wo eine Beziehung besteht, pflegt sie wenigstens in Deutschland negativer Art zu sein. Solche vom „kapitalistischen Geist“ erfüllte Naturen pflegen heute, wenn nicht gerade kirchenfeindlich, so doch indifferent zu sein. Der Gedanke an die „fromme Langeweile“ des Paradieses7 hat für ihre tatenfrohe Natur wenig Verlockendes, die Religion erscheint ihnen als ein Mittel, die Menschen vom Arbeiten auf dem Boden dieser Erde abzuziehen. Würde man sie selbst nach dem Sinn ihres rastlosen Jagens fragen, welches des eigenen Besitzes niemals froh wirdp und deshalb gerade bei rein diesseitiger Orientierung des Lebens so sinnlos erscheinen muß, so n A: können  o A: Tatkraft,  p A: wird, 7  Sehr wahrscheinlich Anspielung auf Johann Wolfgang von Goethe. In seinen Erläuterungen zum West-östlichen Divan heißt es, die indische „edle reine Naturreligion“ habe sich durch Zoroaster in einen „umständlichen Cultus“ verwandelt, so daß man jetzt „ein verdüstertes Volk [erblicke], welches gemeine Langeweile durch fromme Langeweile zu tödten trachtet“. Goethe, Noten zum West-östlichen Divan, S.  19–24, Zitat S.  20.

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würden sie, falls sie überhaupt eine Antwort wissen, zuweilen antworten: „die Sorge für Kinder und Enkel“, – häufiger aber und – da jenes Motiv ja offenbar kein ihnen eigentümliches ist, sondern bei dem „traditionalistischen Menschen“ ganz ebenso wirkte, – richtiger ganz einfach: daß ihnen das Geschäft mit seiner steten Arbeit „zum Leben unentbehrlich“ geworden sei. Das ist in der Tat die einzig zutreffende Motivierung, und sie bringt zugleich das Irrationale dieser Lebensführung, bei welcher der Mensch für sein Geschäft da ist, nicht umgekehrt, zum Ausdruck. Selbstverständlich spielt die Empfindung für die Macht und das Ansehen, welches die bloße Tatsache des Besitzes gewährt, dabei ihre Rolle: wo einmal die Phantasie eines ganzen Volkes in der Richtung auf das quantitativ „Große“ gelenkt ist, wie in den Vereinigten Staaten, da wirkt diese Zahlenromantik mit unwiderstehlichem Zauber auf die „Dichter“ unter den Kaufleuten, – aber sonst sind es im ganzen nicht die eigentlich führenden und namentlich nicht die dauernd erfolgreichen Unternehmer, die sich davon einnehmen lassen. Und vollends das Einlaufen in den Hafen des Fideikommißbesitzes und Briefadels mit Söhnen, deren Gebarung auf der Universität und im Offizierkorps ihre Abstammung vergessen zu machen sucht, wie es der übliche Lebenslauf deutscher | kapitalistischer Parvenü-Familien ist, stellt ein epigonenhaftes Décadenceprodukt dar.8 Der „Idealtypus“ des kapitalistischen Unter­nehmers,35) wie er auch bei uns in einzelnen hervorragenden Beispielen vertreten war, hat mit solchem gröberen oder feinerenq Protzentum nichts Verwandtes. Er scheut die Ostentation und den unnötigen Aufwand ebenso wie den bewußten Genuß seiner Macht und die ihm eher unbequeme 35)  Das soll nun heißen: derjenige Unternehmertypus, den wir hier zum Gegenstand unserer Betrachtung machen, nicht irgend ein empirischer Durchschnitt (über den Begriff „Idealtypus“ s. m[eine] Ausf[ührungen] in dieser Zeitschrift Bd.  XIX Heft 1).9

q A: feinerem 8  Anspielung auf die damals weitverbreitete Neigung von zu Reichtum gekommenen bürgerlichen Kreisen, ein Rittergut zu erwerben und es durch eine Fideikommißstiftung an die Familie zu binden. Man hoffte, daraufhin einen Adelstitel – mittels eines Adelsbriefes – zu erlangen. Weber bekämpfte diese Tendenz heftig. Vgl. dazu Weber, Fideikommißfrage, MWG I/8, S.  81–188 (S.  175 spricht Weber vom „Parvenü-Fideikommiß“), sowie die Einleitung, oben, S.  10. 9  Weber bezieht sich auf seinen Objektivitäts-Aufsatz, S.  64 ff., wo er den „Idealtypus“ entwickelt. Vgl. dazu auch die Einleitung, oben, S.  12–22, bes. S.  19 ff.

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Entgegennahme von äußeren Zeichen der gesellschaftlichen Achtung, die er genießt. Seine Lebensführung trägt m. a. W. oft – und es wird auf die geschichtliche Bedeutung dieser für uns nicht unwichtigen Erscheinung einzugehen sein – einen gewissen asketischen Zug an sich, wie er ja in der früher zitierten „Predigt“ Franklins deutlich zutage tritt.10 Es ist namentlich keineswegs selten, sondern recht häufig bei ihm ein Maß von kühler Bescheidenheit zu finden, welches wesentlich aufrichtiger ist als jene Reserve, die Benjamin Franklin so klug zu empfehlen weiß. Er „hat nichts“ von seinem Reichtum für seine Person, – außer der irrationalen Empfindung der „Berufserfüllung“.36) Das aber ist es eben, was dem präkapitalistischen Menschen so unfaßlich und rätselhaft, so schmutzig und verächtlich erscheint. Daß jemand zum Zweck seiner Lebensarbeit ausschließlich den Gedanken machen könne, dereinst mit hohem materiellen Gewicht an Geld und Gut belastet ins Grab zu sinken, scheint ihm nur als Produkt perverser Triebe: der „auri sacra fames“[,]11 erklärlich. In der Gegenwart, unter unseren politischen, privatrechtlichen und Verkehrsinstitutionen, bei den Betriebsformen und der Struktur, die unserer Wirtschaft eigen ist, könnte nun dieser „Geist“ des Kapitalismus, wie gesagt,12 als ein reines Anpassungsprodukt verständlich sein. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung braucht diese rücksichtslose Hingabe an den „Beruf“ des Geldverdienens: sie ist eine Art des Sichverhaltens zu den äußeren Gütern, welche jener Struktur so sehr adäquat, so sehr mit den Bedingungen des Sieges im ökonomischen Daseinskampfe verknüpft ist, daß von einem notwendigen Zusammenhange jener „chrematistischen“13 Lebensführung mit | irgend einer einheitlichen Weltanschauung heute keine Rede mehr sein kann. Sie hat es namentlich nicht mehr nötig, 36)  Daß dieser „asketische“ Zug für die Entwicklung des Kapitalismus nichts Peripherisches, sondern von hervorragender Bedeutung war, kann erst die weitere Darstellung lehren. Nur sie kann überhaupt erweisen, daß es sich nicht um willkürlich herausgegriffene Züge handelt. |

10  Siehe oben, S.  142–145. 11  „Verfluchter Hunger nach Gold“. Vgl. auch das Glossar, unten, S.  822. 12  Siehe oben, S.  160–162. 13  Chrematistisch (von griech. χρῆμα, Tl.  chre´¯ ma, „Geld“), am Gelderwerb um seiner selbst willen orientiert.

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sich von der Billigung irgendwelcher religiöser Potenzen tragen zu lassen[,] und empfindet die Beeinflussung des Wirtschaftslebens durch die kirchlichen Normen, soweit sie überhaupt noch fühlbar ist, ebenso als Hemmnis, wie die staatliche Reglementierung desselben. Die handelspolitische und sozialpolitische Interessenlage pflegen dann die „Weltanschauung“ zu bestimmen. Aber das sind Erscheinungen einer Zeit, in welcher der Kapitalismus, zum Siege gelangt, sich von den alten Stützen emanzipiert hat: wie er dereinst nur im Bunde mit der werdenden modernen Staatsgewalt die alten Formen mittelalterlicher Wirtschaftsregulierung sprengte, so könnte – wollen wir vorläufig sagen – das gleiche auch für seine Beziehungen zu den religiösen Mächten der Fall gewesen sein. Ob und in welchem Sinne es etwa der Fall gewesen ist, das eben soll hier untersucht werden. Denn daß jene Auffassung des Gelderwerbs als eines den Menschen sich verpflichtenden Selbstzweckes, als „Beruf“, dem sittlichen Empfinden ganzer Epochen zuwiderlief, bedarf kaum des Beweises. In dem Satz „Deo placere non potest“, der von der Tätigkeit des Kaufmanns gebraucht wurde,14 lag, gegenüber den radikal antichrematistischen Ansichten15 breitester Kreise, schon ein hoher Grad von Entgegenkommen der katholischen Doktrin gegenüber den Interessen der mit der Kirche politisch so eng liierten Geldmächte der italienischen Städte. Und auch wo die Doktrin noch mehr sich akkommodierte, wie etwa bei Antonin von Florenz,16 schwand doch die Empfindung niemals ganz, daß es sich bei der auf Erwerb als Selbstzweck gerichteten Tätigkeit im Grunde um ein pudendum handle, welches nur die einmal vorhandenen Ordnungen des Lebens zu tolerieren nötig14  „[Ein Kaufmann] kann vor Gott keinen Gefallen finden“, Ausdruck des kirchlichen Wucherverbots (vgl. das Glossar, unten, S.  842) für das kaufmännische Erwerbsleben. Zitat aus dem Corpus Iuris Canonici, Decreti prima pars, Distinctio 88, C[aput] XI. Vgl. Friedberg, Aemilius, Corpus Iuris Canonici. Editio Lipsiensis secunda post Aemilii Ludouici Richteri curas ad librorum manu scriptorum [. . .], Pars Prior: Decretum Magistri Gratiani. – Leipzig: B. Tauchnitz 1879, Sp.  308: „Eiciens Dominus uendentes et ementes de templo, significauit, quia homo mercator uix aut numquam potest Deo placere.“ Das Decretum Gratiani (um 1140) fußt hier auf einer Kommentarstelle des Johannes Chrysostomos zum Matthäus-Evangelium. 15 „Antichrematistisch“, Ablehnung eines rein auf Bereicherung zielenden Gelderwerbs. 16  Antonin hielt am kirchlichen Wucherverbot (vgl. das Glossar, unten, S.  842) fest, erkannte aber bereits, daß Geld im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Arbeit auch produktiv sein könne. Vgl. auch unten, S.  199, Anm.  6.

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ten. Eine „sittliche“ Anschauung wie die Benjamin Franklins wäre einfach undenkbar gewesen. Dies war vor allem die Auffassung der beteiligten Kreise selbst: ihre Lebensarbeit war, günstigenfalls, etwas sittlich Indifferentes, Toleriertes, aber immerhin schon wegen der steten Gefahr, mit dem kirchlichen Wucherverbot zu kollidieren, für die Seligkeit Bedenkliches: ganz erhebliche Summen flossen, wie die Quellen zeigen, beim Tode reicher Leute als „Gewissensgelder“ an kirchliche Institute, unter Umständen auch zurück an frühere Schuldner als zu Unrecht ihnen abgenommene „usura“.17 Auch skeptische und unkirchliche Naturen pflegten, weil es zur Versicherung gegen die Ungewißheiten des Zustandes nach dem Tode immerhin | besser so war und weil ja (wenigstens nach der sehr verbreiteten laxeren Auffassung) die äußere Unterwerfung unter die Gebote der Kirche zur Seligkeit genügte, sich durch solche Pauschsummen mit ihr für alle Fälle abzufinden.37) Gerade hierin tritt das Außersittliche und teilweise Widersittliche, welches nach der eigenen Auffassung der Beteiligten ihrem Tun anhaftete, deutlich zutage. Wie ist nun aus diesem, im günstigen Fall, sittlich

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37)  Wie man sich dabei mit dem Wucherverbot abfand, lehrt z. B. Buch I c. 65 des A 33 Statuts der Arte di Calimala (mir liegt augenblicklich nur die italienische Redaktion bei Emiliani-Giudici, Stor[ia] dei Com[uni] Ital[iani] Bd.  III S.  246 vor):18 Procurino i

17  usura (lat.), „Zins“, vgl. auch das Glossar, unten, S.  840. – Weber hatte sich für seine Dissertation mit verschiedenen italienischen Zunftstatuten beschäftigt (darunter auch die Statuten der „Arte di Calimala“, vgl. das folgende Beispiel der „Pauschsummen“ für „usura“, oben und unten, S.  173 f., Fn.  37). Die Statuten bezogen „fast alle“ zum kirchlichen Wucherverbot „Stellung“, weil sie mit ihm kollidierten; vgl. Weber, Handelsgesellschaften, MWG I/1, S.  269–272, Zitat S.  272. – Kirchlicherseits war seit 1139 und 1179 vorgesehen, daß Wucherer exkommuniziert wurden und kein christliches Begräbnis erhielten, es sei denn, sie hatten vor ihrem Tod Ersatz geleistet oder diesen sichergestellt (dies bezog sich allerdings auf die gewerbsmäßige Wucherei, nicht auf jeden Einzelfall). Vgl. Funk, Franz Xaver, Zins und Wucher. – Tübingen: Laupp’sche Buchhandlung 1868, S.  261; Endemann, W[ilhelm], Die nationalökonomischen Grundsätze der canonistischen Lehre, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 1.  Band, 1863, S.  26–48 u. ö., hier S.  32–34. 18  Statuto dell’Arte di Calimala, liber I, c. 65 („Di fare l’perdono dell’usure“), in: Emiliani-Giudici, Storia III, S.  246 f. Bei der „Arte di Calimala“ handelt es sich um die Florentiner Zunft der Tuchkaufleute. Ihre Statuten stammen in der vorliegenden Fassung aus dem Jahr 1331. Der von der Zunft alljährlich pauschal besorgte Ablaß diente dazu, für die Mitglieder die kirchliche Absolution bei Wuchersünden zu erwirken, die während ihrer Geschäfte entstanden waren. – Weber, der in seiner Dissertation intensiv die Statuten der Arte di Calimala herangezogen hatte, kommt darin allerdings auf den hier thematisierten Zusammenhang nicht zu sprechen (vgl. Weber, Handelsgesellschaften, S.  608).

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tolerierten Gebaren ein „Beruf“ im Sinne Benjamin Franklins geworden? Wie ist es historisch erklärlich, daß im Zentrum der „kapitalistischen“ Entwicklung der damaligen Welt, in Florenz im 14. und 15. Jahrhundert, dem Geld- und Kapitalmarkt aller politischen Großmächte, als sittlich bedenklich galt, was in den hinterwäldlerisch-kleinbürgerlichen Verhältnissen von Pennsylvanien im 18. Jahrhundert, wo die Wirtschaft aus purem Geldmangel stets in Naturaltausch zu kollabieren drohte,19 von größeren gewerblichen Unternehmungen kaum eine Spur, von Banken nur die vorsintflutlichen Anfänge zu bemerken waren, als Inhalt einer sittlich löblichen, ja gebotenen Lebensführung gelten konnte? – Hier von einer „Wiederspiegelung“ der „materiellen“ Verhältnisse in dem „ideellen Überbau“ reden zu wollen,20 wäre ja barer Unsinn. – Welchem Gedankenkreise entstammt also die Einordnung einer äußerlich consoli con quelli frati che parrà loro, che perdono si faccia e come fare si possa il meglio per l’amore di ciascuno, del dono, merito o guiderdono21, ovvero22 interesse per l’anno presente e secondo che altra volta fatto fue. Also eine Art Beschaffung des Ablasses von seiten der Zunft für ihre Mitglieder von Amtswegen und im Submissionswege. Höchst charakteristisch für den außersittlichen Charakter des Kapitalgewinns sind auch die weiter folgenden Anweisungen, ebenso z. B. das unmittelbar vorhergehende Gebot (c. 63), alle Zinsen und Profite als „Geschenk“ zu buchen.23 Den heutigen schwarzen Listen der Börse gegen solche, die den Differenzeinwand erheben,24 entsprach oft der Verruf gegen solche, die das geistliche Gericht mit der exceptio usurariae pravitatis25 angingen. |

19 Vgl. Sharpless, Quaker Experiment I, p.  105 f. (Sharpless wird genannt: Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  415, Fn.  75); dazu auch Franklin, Sein Leben, S.  244– 246. 20  Vgl. dazu oben, S.  152 f. 21  Bei Emiliani-Giudici, Storia III: „guiderdone“ (gebräuchlich auch: guiderdono). 22  Bei Emiliani-Giudici, ebd.: „overo“ (im Italienischen allerdings bevorzugt: „ovvero“). 23  Statuto dell’Arte di Calimala, liber I, c. 63 („Di scrivere per dono quello che si dà per merito“), in: Emiliani-Giudici, Storia III, S.  246. 24  Ein Differenzeinwand konnte bei Termingeschäften vor Gericht erhoben werden, bei denen eine Effektiverfüllung – d. h. eine Bezahlung mit effektiven (wirklich vorhandenen) Waren oder Wertpapieren – von vornherein ausgeschlossen wurde, die vielmehr auf die Zahlung der Differenz zwischen dem Kurs zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und dem Kurs am Erfüllungstermin zielten. Diejenigen, die einen solchen Einwand erhoben, kamen zeitweise auf schwarze Listen der Börse. Vgl. Weber, Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete, in: MWG I/5, S.  175–550, hier S.  507 mit Anm.  14. 25  exceptio usurariae pravitatis (lat.), Einrede (Einwand) gegen unerlaubte, strafbare Zinsnahme nach dem kirchlichen Wucherverbot.

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rein auf Gewinn gerichteten Tätigkeit unter die Kategorie des „Berufs“, dem gegenüber sich der einzelne verpflichtet fühlt? Denn dieser Gedanke ist es ja auch hier, welcher der Lebensführung des Unternehmers „neuen Stils“ den ethischen Unterbau und Halt gewährt. Man hat – so namentlich Sombart in höchst glücklichen und wirkungsvollen Ausführungen – als das Grundmotiv der modernen | Wirtschaft überhaupt den „ökonomischen Rationalismus“ bezeichnet. Mit unzweifelhaftem Recht, wenn darunter jene Ausweitung der Produktivität der Arbeit verstanden wird, welche durch die Gliederung des Produktionsprozesses unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten dessen Gebundenheit an die natürlich gegebenen „organischen“ Schranken der menschlichen Person beseitigt hat.26 Dieser Rationalisierungsprozeß auf dem Gebiete der Technik und Ökonomik bedingt nun unzweifelhaft auch einen wichtigen Teil der „Lebensideale“ der modernen bürgerlichen Gesellschaft: die Arbeit im Dienste einer rationalen Gestaltung der materiellen Güterversorgung der Menschheit hat den Vertretern des „kapitalistischen Geistes“ zweifellos immer auch als einer der richtungsweisenden Zwecke ihrer Lebensarbeit vorgeschwebt.27 Man braucht z. B. Franklins Schilderung seiner Bestrebungen im Dienst der kommunalen improvements von Philadelphia nur zu lesen,28 um diese sehr selbstverständliche Wahrheit mit Händen zu greifen.

26  Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  391–397, trägt die Kapitelüberschrift „Die Ausbildung des ökonomischen Rationalismus“. Als Voraussetzung des ökonomischen Rationalismus gilt Sombart die doppelte Buchführung. „Die moderne Buchführung ist so eingerichtet, daß sie nach inneren wissenschaftlichen Regeln unabhängig von dem Belieben und Können des einzelnen Wirtschaftssubjekts dem Laufe des Wirtschaftslebens ganz bestimmte, objektive Normen setzt“ (S.  394). 27  Vgl. Sombart, ebd., S.  397: „Wir beobachten nämlich, wie langsam sich das Verhältnis von Mittel und Zweck wieder umkehrt. Es war das Novum gewesen, die wirtschaftliche Thätigkeit als Mittel zum Zwecke des Erwerbes anzusehen. Langsam vollzieht sich nun abermals eine Wandlung des Inhalts, daß der neue Zweck seine fascinierende Wirkung einbüßt und die wirtschaftliche Thätigkeit selbst wieder als Zweck erscheint. Aber nun in der neugeprägten Form: als Kalkulation, Spekulation, als Geschäft.“ 28  Franklin richtete in Philadelphia nicht nur die erste öffentliche Leihbibliothek ein (vgl. oben, S.  148 mit Anm.  40), sondern verbesserte die Stadtwache, gründete einen Feuerlöschverein, eine Akademie (die spätere Universität), unterstützte die Einrichtung eines öffentlichen Hospitals und anderes mehr. Vgl. Franklin, Sein Leben, S.  331– 335, 366–371, 376 f. u. ö.

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Und die Freude und der Stolz, zahlreichen Menschen „Arbeit gegeben“, mitgeschaffen zu haben am ökonomischen „Aufblühen“ der Heimatstadtr in jenem, an Volks- und Handelszahlen orientierten, Sinn des Worts, den der Kapitalismus nun einmal damit verbindet, – dies alles gehört selbstverständlich zu der spezifischen und unzweifelhaft „idealistisch“ gemeinten Lebensfreude des modernen Unternehmertums. Und ebenso ist es natürlich eine der fundamentalen Eigenschaften der kapitalistischen Privatwirtschaft, daß sie auf der Basis streng rechnerischen Kalküls rationalisiert, – wie Sombart sich ausdrückt: „rechenhaft“ gestaltet,29 – planvoll und nüchtern auf den erstrebten wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet ist, im Gegensatz zu dem svon der Hand in den Mund Lebens des Bauern und dem privilegierten Schlendrian des Zunfthandwerkers. Es scheint also, als sei die Entwicklung des „kapitalistischen Geistes“ am einfachsten als Teilerscheinung in der Gesamtentwicklung des Rationalismus zu verstehen und müsse aus dessen prinzipieller Stellung zu den letzten Lebensproblemen ableitbar sein. Dabei käme also der Protestantismus nur insoweit historisch in Betracht, als er etwa als „Vorfrucht“ rein rationalistischer Lebensanschauungen eine Rolle gespielt hätte. Allein sobald man ernstlich den Versuch macht, zeigt sich, daß eine so einfache Problemstellung schon um deswillen nicht angeht, weil die Geschichte des Rationalismus keineswegs eine auf den einzelnen Lebensgebieten parallel fortschreitende Entwicklung zeigt. Die Rationalisierung | des Privatrechts z. B. ist, wenn man sie als begriffliche Vereinfachung und Gliederung des Rechtsstoffes auffaßt, in ihrer bisher höchsten Form im römischen Recht des späteren Altertums erreicht, sie ist am rückständigsten in einigen der ökonomisch am meisten rationalisierten Länder, speziell in England, wo die Renaissance des römischen Rechts seinerzeit an der Macht der großen Juristenzünfte scheiterte,30 während seine Herrschaft in den katholischen r A: Heimatsstadt  s–s Lies: Von-der-Hand-in-den-Mund-Leben 29  „Rechenhaftigkeit und Schematistik“ brachte die doppelte Buchführung mit sich; Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  395. 30 Englands Common law besteht nicht aus gesatztem Recht wie das römische Recht, sondern aus richterlichen Entscheidungen (Präjudizien). Es wurde im 16. Jahrhundert von den vier großen, in London ansässigen Anwaltsinnungen entwickelt (inns of court), die es lehrten und in den Gerichtshöfen praktisch anwandten. Es behaupte-

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Gebieten Südeuropas stets fortbestanden hat. Die rein diesseitige rationale Philosophie hat im 18. Jahrhundert ihre Stätte durchaus nicht allein oder auch nur vorzugsweise in den kapitalistisch höchst­ entwickelten Ländern gefunden. Der Voltairianismus31 ist noch heute Gemeingut breiter oberer und – was praktisch wichtiger ist – mittlerer Schichten gerade in den romanisch-katholischen Ländern. Versteht man vollends unter praktischem „Rationalismus“ jene Art Lebensführung, welche die Welt bewußt auf die diesseitigen Interessen des einzelnen Ich bezieht und von hier aus beurteilt, so war und ist noch heute dieser Lebensstil erst recht „typische“ Eigenart der Völker des „liberum arbitrium“, wie es dem Italiener und Franzosen in Fleisch und Blut steckt; und wir konnten uns bereits überzeugen,32 daß dies keineswegs der Boden ist, auf welchem jene Beziehung des Menschen auf seinen „Beruf“ als Aufgabe, wie sie der Kapitalismus braucht, vorzugsweise gedeiht. Man kann eben das Leben unter höchst verschiedenen letzten Gesichtspunkten und nach sehr verschiedenen Richtungen hin „rationalisieren“, der „Rationalismus“ ist ein historischer Begriff, der eine Welt von Gegensätzen in sich schließt, und wir werden gerade zu untersuchen haben, wes Geistes Kind diejenige konkrete Form „rationalen“ Denkens und Lebens war, aus welcher jener „Berufs“Gedanke und jenes, – wie wir sahen,33 vom Standpunkt der rein eudämonistischen Eigeninteressen aus so irrationale – Sichhingeben an die Berufsarbeit erwachsen ist, welches einer der charakteristischsten Bestandteile unserer kapitalistischen Kultur war und noch immer ist. Uns interessiert hier gerade die Herkunft jenes irrationalen Elements, welches in diesem wie in jedem „Berufs“Begriff liegt.

te sich erfolgreich gegen das mit Wiedererwachen des klassischen Altertums an den Universitäten gelehrte römische Recht. 31 Bezeichnung einer nach Voltaire benannten Richtung. Voltaire gilt als einer der einflußreichsten französischen Vertreter der europäischen Aufklärung und in vorrevolutionärer Zeit als Vorkämpfer für Vernunft, Menschenwürde und Toleranz. 32  Siehe oben, S.  153 f. 33  Siehe oben, S.  149 und 169 f.

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Nun ist unverkennbar, daß schon in dem deutschen Worte „Beruf“[,] ebenso wie in vielleicht noch deutlicherer Weise in dem englischen „calling“, eine religiöse Vorstellung – die einer von | Gott gestellten Aufgabe – wenigstens mitklingt und, je nachdrücklicher wir auf das Wort im konkreten Fall den Ton legen, desto fühlbarer wird. Und verfolgen wir nun das Wort geschichtlich und durch die Kultursprachen hindurch, so zeigt sich zunächst, daß die lateinisch-katholischen Völker für das, was wir „Beruf“ (im Sinne von Lebensstellung, umgrenztes Arbeitsgebiet) nennen, einen Ausdruck ähnlicher Färbung ebensowenig kennen wie das klassische Altertum,38) wäh38)  Im Griechischen fehlt eine dem deutschen Wort in der ethischen Färbung entsprechende Bezeichnung überhaupt. Wo Luther unserem heutigen Sprachgebrauch schon ganz entsprechend (s. u.)1 bei Jesus Sirach XI, 20 u. 21: „bleibe in deinem Beruf“ übersetzt, hat die LXX das eine Mal: ἔργον, das andere Mal: πόνος.2 Sonst wird im Altertum τὰ προσήκοντα in dem allgemeinen Sinn von „Pflichten“ verwendet.3 In der Sprache der Stoa trägt gelegentlich κάματος (auf welches mich Herr Kollege Dieterich aufmerksam machte) eine ähnliche gedankliche Färbung bei sprachlich indifferenter

1  Siehe unten, S.  183, Fn.  40. 2  Sir 11,20 f. lauten nach der Septuaginta (LXX) und nach Luthers Übersetzung von 1533 (ohne begriffliche Abweichungen 1545); Wiedergabe nach Luther, WA.DB, Band  12, z. St. (wie oben, S.  112, Anm.  59):

στῆθι ἐν διαθήκῃ σου καὶ ὁμίλει ἐν αὐτῇ, V. 20 Bleib jnn Gottes wort, vnd vbe dich drinnen, καὶ ἐν τῷ ἔργῳ σου παλαιώθητι. vnd beharre jnn deinem beruff, μὴ θαύμαζε ἐν ἔργοις ἁμαρτωλοῦ, Vnd las dich nicht jrren, wie die Gottlosen nach gut trachten, πίστευε τῷ κυρίῳ καὶ ἔμμενε τῷ πόνῳ σου· V. 21 Vertrawe du Gott, vnd bleib jnn dei nem beruff, [.  .  .] [V. 22 Denn es ist dem HERRN gar leicht, einen armen reich zu machen.]

Hervorgehoben sind hier die griechischen Begriffe ἔργον, Tl.  érgon (V. 20) – nach Passow, Handwörterbuch5: „Werk, 1) Arbeit, Geschäft, obliegende Sache; Verrichtung, Handthierung, Beschäftigung [.  .  .]“ – und πόνος, Tl.  pónos (V. 21) – „Arbeit, bes. saure, lästige, mühsame, ermattende, erschöpfende Arbeit, Anstrengung, Mühe“. In der unterschiedlichen Verseinteilung des Sirachbuchs folgt Weber hier und im folgenden der Lutherbibel. (Zitat aus der LXX hier nach: Vetus testamentum graece iuxta LXX interpres [.  .  .], ed. Constantinus de Tischendorf, tomus II, 7. ed. – Leipzig: F. A. Brockhaus 1887.) 3 Griech., Tl. tá prose¯´ konta – nach Passow, Handwörterbuch5, s.v. προσήκω: „die Pflichten, Verpflichtungen“.

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rend es bei allen protestantischen Völkern existiert. | Und es zeigt sich ferner, daß nicht irgend eine ethnisch bedingte Eigenart der Provenienz.4 – Im Lateinischen drückt man das, was wir mit „Beruf“ übersetzen, die arbeitsteilige dauernde Tätigkeit eines Menschen, welche (normalerweise) zugleich für ihn Einkommensquelle und damit dauernde ökonomische Existenzgrundlage ist, neben dem farblosen „opus“, mit einer dem ethischen Gehalt des deutschen Wortes wenigstens verwandten Färbung entweder durch officium (aus opificium, also ursprünglich ethisch farblos, später, so besonders bei Seneca[,] de benef[iciis] IV, 18 = Beruf)5 oder durch munus – von den Frohnden der alten Bürgergemeinde abgeleitet, – oder endlich durch professio aus, welch letzteres Wort in dieser Bedeutung charakteristischerweise ebenfalls von öffentlichrechtlichen Pflichten, nämlich den alten Steuerdeklarationen der Bürger abstammen dürfte, später speziell für die im modernen Sinn „liberalen Berufe“ (so: professio bene dicendi) verwendet wird und auf diesem engeren Gebiete eine unserem Wort „Beruf“ in jeder Hinsicht ziemlich ähnliche Gesamtbedeutung annimmt (auch im mehr innerlichen Sinn des Wortes; so wenn es bei Cicero von Jemand heißt: non intelligit quid profiteatur, in dem Sinn von: „er erkennt seinen eigentlichen Beruf nicht“),6 – nur daß es eben natürlich durchaus diesseitig, ohne jede religiöse Färbung gedacht ist. Dies ist bei „ars“, welches in der Kaiserzeit für „Handwerk“ verwendet wird, natürlich erst recht der Fall. – Die Vulgata übersetzt die obigen Stellen bei Jesus Sirach das eine Mal mit „opus“, das andere Mal (v. 21) mit „locus“,7 was in diesem Fall 4  Griech., Tl. kámatos – nach Passow, Handwörterbuch5: „die schwere u. saure Arbeit, Mühe, Anstrengung“. – Weber bezieht sich vermutlich auf eine mündliche Auskunft des klassischen Philologen und Religionswissenschaftlers Albrecht Dieterich (1896–1908), seit 1903 Professor in Heidelberg und Mitinitiator des „Eranos“-Kreises. 5  Seneca, De beneficiis IV,18: „Nam quo alio tuti sumus, quam quod mutuis iuvamur officiis? hoc uno instructior vita contraque incursiones subitas munitior est, beneficiorum commercio.“ (Zit. nach: Seneca, Opera I/2). – Zitiert auch bei Maurenbrecher, Thomas von Aquino (von Weber eingeführt unten, S.  191, Fn.  42), S.  37, Anm.  2. 6  „non intelligit quid profiteatur“ bei Cicero nicht nachweisbar; „professio bene dicendi“ etwa in Cicero, De oratore I, 6, 20 f.: „etenim ex rerum cognitione efflorescat et redundet oportet oratio. [quae nisi sit ab oratore percepta et cognita, inanem quandam habet elocutionem et paene puerilem.] [.  .  .] quamquam vis oratoris professioque ipsa bene dicendi hoc suscipere ac polliceri videatur, ut omni de re, quaecumque sit proposita, ornate ab eo copioseque dicatur“. M. Tullii Ciceronis Opera rhetorica, recensuit C. L. Kayser, vol. II. (editio stereotypa). – Leipzig: Bernhard Tauchnitz 1860, z. St. (eckige Klammern mit Wortlaut im Text). Übersetzt: „[.  .  .] liegt nicht ein vom Redner voll erfasster und erkannter Gegenstand zugrunde, so beherrscht er nur leeres und beinahe kindisches Geschwätz. [.  .  .] gleichwohl scheint das Wesen des Redners und der Anspruch, gut zu reden, das auf sich zu nehmen und zu verheißen, dass er über jedes Thema, welches auch immer ihm gestellt wird, mit reichem Schmuck und Wort und gedankenreich sprechen kann.“ Zitiert nach Cicero, De oratore. Über den Redner. Lat.-dt., hg. und übers. von Theodor Nüßlein (Sammlung Tusculum). – Düsseldorf: Patmos, Artemis & Winkler 2007, z. St. 7  Die Vulgata übersetzt ἔργον (Tl.  érgon; Sgl.) mit opus (hier: Pl. opera) und πόνος (Tl.  pónos) mit locus, die Luther beidemale mit „Beruf“ wiedergibt (vgl. oben, S.  178, Fn.  38 mit Anm.  2): [V. 20] Sta in testamento tuo, et in illo colloquere, Et in opera mandatorum tuorum veterasce. Ne manseris in operibus peccatorum. [V. 21] Confide autem in Deo, et mane in loco tuo. (Hier mit Hervorhebung der entscheidenden Begriffe.)

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germanischen Sprachen, etwa der Ausdruck eines „germanischen Volksgeistes“8 dabei beteiligt ist, sondern daß das Wort in seinem etwa „soziale Stellung“ bedeuten würde. – In den romanischen Sprachen hat nur das spanische „vocacion“9 im Sinne des inneren „Berufes“ zu etwas, vom geistlichen Amt übertragen, eine dem deutschen Wortsinn teilweise entsprechende Färbung, wird aber nie vom „Beruf“ ima äußerlichen Sinn gebraucht. In den romanischen Bibelübersetzungen wird das spanische vocacion, das italienische vocazione und chiamamento10 sonst in einer dem gleich zu erörternden lutherischen und calvinistischen Sprachgebrauch teilweise entsprechenden Bedeutung nur zur Übersetzung des neutestamentliA 37 chen „κλῆσις“11, der Berufung durch das Evangelium zum ewigen Heil, | verwendet, wo die Vulgata „vocatio“ hat. „Chiamamento“ verwendet in dieser Art z. B. die italienische Bibelübersetzung aus dem 15. Jahrhundert, die in der Collezione di opere inedite ob rare, Bologna 1887 abgedruckt ist,12 neben „vocazione“, welches die modernen italienischen Bibelübersetzungen benutzen.13 Die für „Beruf“ im äußerlichen Sinn von regelmäßiger Erwerbstätigkeit verwendeten Worte in den romanischen Sprachen tragen dagegen, wie aus dem lexikalischen Material und aus einer freundlichen eingehenden Darlegung meines verehrten Freundes Professor Baist (Freiburg) hervorgeht,14 durchweg keinerlei religiöse Prägung an sich, mögen sie nun, wie die von ministerium

a A: in  b A: e 8 Webers Anspielung auf einen „Volksgeist“ oder „Volkscharakter“ (unten, S.  212, auch Protestantische Ethik II, unten, S.  246, Fn.  3, S.  262,  366,  389, Fn.  40, S.  411, Fn.  69, S.  424, und Weber, Kritische Bemerkungen, unten, S.  486, Fn.  8) dürfte Anlehnung an den Begriff Friedrich Carl von Savignys und seiner Schule haben, die „den Begriff des – notwendig irrational-individuellen – ‚Volksgeistes‘ als des Schöpfers von Recht, Sprache und den übrigen Kulturgütern der Völker“ hypostasierten. „Dieser Begriff ‚Volksgeist‘ selbst wird dabei nicht als ein provisorisches Verhältnis [.  .  .], sondern als ein einheitliches reales Wesen metaphysischen Charakters behandelt und nicht als Resultante unzähliger Kultureinwirkungen, sondern umgekehrt als der Realgrund aller einzelnen Kulturäußerungen des Volks angesehen, welche aus ihm emanieren.“ Zitate: Weber, Roscher und Knies I, S.  9 f. 9  vocación (span.), „Berufung, Bestimmung“. 10  vocazione (italien.), „Rufen, Ruf; Berufung“ u. a.; chiamamento (italien., Substantiv), von chiamare, „rufen, berufen, nennen“). 11  Griech., Tl.  kle¯´ sis, „Ruf, Aufforderung, Einladung, Berufung“ (nach Cremer, Hermann, Biblisch-theologisches Wörterbuch der Neutestamentlichen Gräcität, 8. verm. und verb. Aufl. – Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1895; hinfort: Cremer, Wörterbuch). 12  In der „Bibbia volgare“ von 1471 [HD] (enthalten in der von Weber hier angegebenen „Collezione“ von 1887) ist lat. vocatio (Vulgata) mit „chiamamento“ in 1 Kor 1,26; 2 Thess 1,11; Hebr 3,1; 2 Petr 1,10 übersetzt (1 Kor 7,20: „E ciascuno che è chiamato“), aber auch mit „vocazione“ in Eph 1,18; 4,1 und 4,4. 13 Die bis heute maßgebliche italienische Bibelübersetzung der Protestanten geht auf Giovanni Diodati, Genf 1607 [HD], rev. 1641, zurück. In ihrer 1888 veröffentlichten Fassung enthält sie an sämtlichen in der vorhergehenden Anm.  genannten ntl. Stellen „vocazione“. Dasselbe gilt für die Bibelübersetzung Antonio Martinis (1760–1781), die Standardbibel der Katholiken, in der Ausgabe von 1821 [HD]. 14  Vermutlich mündliche Darlegung Gottfried Baists (1853–1920), seit 1891 Professor für Romanistik in Freiburg i. Br.

3.  Luthers Berufsbegriff. Aufgabe der Untersuchung

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heutigen Sinn aus den Bibelübersetzungen stammt[,] und zwar aus dem Geist der Übersetzer, nicht aus dem Geist des Originals.39) Es scheint in der lutherischen Bibelübersetzung zuerst an einer Stelle des Jesus Sirach (XI, 20 u. 21) ganz in unserem heutigen Sinn veroder officium abgeleiteten[,] ursprünglich eine gewisse ethische Färbung gehabt haben oder[,] wie die von ars, professio und implicare (impiego)15 abgeleiteten[,] auch dieser von Anfang an völlig entbehren. Die eingangs erwähnten Stellen bei Jesus Sirach, wo Luther „Beruf“ hat, werden übersetzt: französisch v. 20 office, v. 21 labeur (calvinistische Übersetzung),16 spanisch v. 20 obra, v. 21 lugar (nach der Vulgata),17 italienisch: ältere Übersetzungen: luogo (nach der Vulgata), neue Übersetzungen: „posto“ (prote­ s­tantisch).18 39)  Dagegen enthält die Augsburger Konfession den Begriff nur teilweise entwickelt und implicite.19 Wenn Art.  XVI (s. die Ausg. v[on] Kolde S.  43) lehrt: „Denn das Evangelium .  .  . stößt nicht um weltlich Regiment, Polizei und Ehestand, sondern will, daß man solches alles halte als Gottes Ordnung und in solchen Ständen christliche Liebe und rechte gute Werke, ein jeder nach seinem Beruf, beweise“ (lateinisch heißt es nur:

15  impiego (italien.), hier „Amt, Anstellung, Stellung“. 16  Belegt für französische protestantische Bibeln des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts: „office“ und „labeur“ Sir 11,20 f. übersetzen Pierre Robert Olivétan (1535; 1565 [HD]) und die calvinistische „Genfer Bibel“ von 1588, eine Revision der Übersetzung Olivétans durch die „Vénérable Compagnie“, die Genfer Geistlichkeit (1638 [HD]). (Anders später Jean Diodati in seiner Revision der „Genfer Bibel“ (1644): la­beur (V. 22), trauail (V. 23), und Jean Frédéric Ostervald (1724, rev. 1744, überprüft für die Ausgabe 1903): ouvrage (V. 20), travail (V. 21).) 17  Weber scheint sich hier auf die Übersetzung nach der Vulgata von Phelipe Scio de San Miguel (1790–1793, hier eingesehen die Ausgabe 1821 [HD]) zu stützen: obra (V. 21) und lugar (V. 22). (In der ersten gedruckten spanischen Vollbibel (Basel 1569 [HD]) übersetzt Cas(s)iodoro de Reina dagegen: obra (V. 21), trabajo (V. 22). Die Begriffe werden in der von Cipriano de Valera überarbeiteten Ausgabe dieser protestantischen Bibel (Amsterdam 1602 [HD]) beibehalten, während die Ausgabe von 1622 [HD] die Begriffe mit vocacion (!) (V. 21) und trabajo (V. 22) wiedergibt.) 18  Die „Bibbia volgare“ von 1471 [HD] (vgl. oben, S.  180, Fn.  38 mit Anm.  12) übersetzt: opera (V. 21), luogo (V. 22); ebenso Antonio Brucioli (1532, hier eingesehen die Ausgabe 1541). (Die 1562 erschienene protestantische Vollbibel, eine Neufassung von Bruciolis Text, hat dagegen: offitio (V. 21), fatica (V. 22). Giovanni Diodati (1607 [HD]; von ihm rev. 1641) hat: opera (dort V. 25, 1641: lauoro), fatica (dort V. 26); Mattia d’Erberg 1711 [HD] ebenfalls „opera“ und „fatica“.) – Der katholische Antonio Martini (1777 und 1821 [HD], dort V. 22) übersetzt mit „posto“. Für eine protestantische italienische Bibelausgabe konnte „posto“ dagegen nicht nachgewiesen werden. 19  Die Ausgabe von Kolde, Augsburgische Konfession, enthält eine Synopse der lateinischen Editio princeps von April/Mai 1531 und des deutschen Textes (nach einer Kopie aus der Mainzer Erzkanzlei), die 1580 in das Konkordienbuch eingegangen ist (die Originale von 1530 sind nicht erhalten). Abweichungen des deutschen Erstdrucks (Herbst 1531) führt Kolde im Apparat auf. Das 28 Artikel umfassende Bekenntnis hat Philipp Melanchthon entscheidend geprägt, redigiert und immer wieder überarbeitet; er verantwortete auch die lateinische und deutsche Editio princeps. – Weber gibt im folgenden eine Analyse der wichtigsten Stellen, die den Berufsbegriff enthalten.

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wendet zu sein.40) Es hat dann sehr bald in der | Profansprache aller

20 so zeigt die daraus [„]et in talibus ordinationibus exercere caritatem“[,] eod. S.  42), gezogene Konsequenz, daß man der Obrigkeit gehorchen müsse, daß hier, wenigstens in erster Linie, an „Beruf“ als objektive Ordnung im Sinn von κλῆσις 1. Kor. 7, 20 gedacht ist. Und Art.  XXVII spricht (bei Kolde S.  83 unten) von „Beruf“ (lateinisch: in vocatione sua) nur in Verbindung mit den von Gott geordneten Ständen: Pfarrer, Obrigkeit, Fürsten- und Herrenstand u. dgl., und auch dies im Deutschen nur in der Fassung des Konkordienbuches, während in der deutschen Ed[itio] princeps der betreffende Satz fehlt.21   Nur Art.  XXVI (Kolde S.  81) wird in der Wendung: .  .  . „daß Kasteiung dienen soll nicht damit Gnade zu verdienen, sondern den Leib geschickt zu halten, daß er nicht verhindere, was einem nach seinem Beruf (lateinisch: juxta vocationem suam) zu schaffen befohlen ist“,c 22 – das Wort in einem unseren heutigen Begriff wenigstens mit umfassendend Sinn gebraucht. 40)  Vor den lutherischen Bibelübersetzungen kommt, wie die Lexika ergeben | und A 38 die Herren Kollegen Braune und Hoops mir freundlichst bestätigten[,]23 das Wort „Beruf“, holländisch: „beroep“, englisch: „calling“, dänisch: „kald“, schwedisch: „kallelse“ in keiner der Sprachen, die es jetzt enthalten, in seinem heutigen weltlich gemeinten Sinn vor. Die mit „Beruf“ gleichlautenden mittelhochdeutschen, mittelniederdeutschen und mittelniederländischen Worte bedeuten sämtlich „Ruf“ in dessen heutiger deutscher Bedeutung, einschließlich insbesondere auch – in spätmittelalterlicher Zeit – der „Berufung“ (= Vokation) eines Kandidaten zu einer geistlichen Pfründe durch den Anstellungsberechtigten – ein Spezialfall, der auch bei den skandinavischen Sprachen in den Wörterbüchern hervorgehoben zu werden pflegt.24 In dieser letzteren Be-

c A: ist,“  d A: umfassendem 20  Der oben von Weber wiedergegebene deutsche Text der Synopse lautet an dieser Stelle in Art.  XVI („Von der Polizei und weltlichem Regiment“): „[.  .  .] daß man solches alles halte als wahrhaftige Ordnung [.  .  .]“. („Gottes Ordnung“ entnimmt Weber der im Apparat aufgeführten deutschen Editio princeps (Kolde, Augsburgische Konfession, S.  42 f.) oder der lateinischen Fassung („ordinationes Dei“).) 21  Der Text der Synopse von Art.  XXVII („Von Klostergelübden“) enthält den Berufsbegriff: „Item daß man mehr verdienet mit dem Klosterleben denn mit allen andern Ständen, so von Gott geordnet sind, als Pfarrherr- und Predigerstand, Obrigkeit-[,] Fürsten-[,] Herrenstand und dergl., die alle nach Gottes Gebot, Wort und Befehl in ihrem Beruf ohne erdichtete Geistlichkeit dienen [.  .  .].“ In der deutschen Editio princeps weicht der Text ab: „Also rhümen sie das klosterleben, vnd setzens viel höher denn die Tauff, und sonst eusserliche Gottliche stende, als vber Oberkeit, Predigampt, Ehestand“ (Kolde, Augsburgische Konfession, S.  83). Lat.: „[.  .  .] qui in mandatis Dei sine factitiis religionibus suae vocationi serviunt“ (S.  84). 22  Im Art.  XXVI („Vom Unterschied der Speis“, d. h. über Speise- und Fastenregeln sowie Askese) bei Kolde, Augsburgische Konfession, S.  81: „[.  .  .] was einem jeglichen nach seinem Beruf [.  .  .]“. 23  Weber beruft sich auf die vermutlich mündlichen Mitteilungen des Germanisten Wilhelm Braune (1850–1926), seit 1888 Professor in Heidelberg, und des Anglisten Johannes Hoops (1865–1949), seit 1896 a.o. und seit 1902 o. Professor ebd. 24 Z. B. Helms, Svenn Henrik, Neues vollst. Schwedisch-deutsches und deutschschwedisches Wörterbuch [.  .  .], Stereotypausg., 5.  Aufl. – Leipzig: Otto Holzes Nach-

3.  Luthers Berufsbegriff. Aufgabe der Untersuchung

183

protestantischen Völker seine heutige Bedeutung angenommen, deutung braucht auch Luther das Wort gelegentlich. Allein, mag später diese Spezialverwendung des Wortes seiner Umdeutung ebenfalls zugute gekommen sein, so geht doch die Schöpfung des modernen „Berufs“-Begriffs auch sprachlich auf die Bibelübersetzungen, und zwar die protestantischen, zurück, und nur bei Tauler (†  1361) finden sich später zu erwähnende Ansätze dazu.25  Luther übersetzt zweierlei zunächst ganz verschiedene Begriffe mit „Beruf“. Einmal die paulinische „κλῆσις“ im Sinne der Berufung zum ewigen Heil durch Gott. Dahin gehören: 1. Cor. 1, 26; Eph. 1, 18; 4, 1. 4; 2. Thess. 1, 11; Hebr. 3, 1; 2. Petri 1, 10.26 In allen diesen Fällen handelt es sich um den rein religiösen Begriff jener Berufung, die durch Gott vermittels des durch den Apostel verkündeten Evangeliums erfolgt ist[,] und hat der Begriff κλῆσις nicht das Mindeste mit weltlichen „Berufen“ im heutigen Sinne zu tun. Die deutschen Bibeln vor Luther schreiben in diesem Fall: „ruffunge“ (so sämtliche Inkunabeln der Heidelberger Bibliothek),27 brauchen auch wohl statt „von Gott geruffet“: „von Gott gefordert“.28 – Zweitens aber übersetzt er – wie schon früher erwähnt – die in der vorigen Note29 wiedergegebenen Worte Jesus Sirachs: ἐν τῷ ἔργῳ σου παλαιώθητι und καὶ ἔμμενε τῷ πόνῳ σου mit: beharre in deinem Beruf und bleibe in deinem Beruf,30 statt: bleibe bei deiner Arbeit, und die späteren (autorisierten) katholischen Bibelübersetzungen (z. B. die von Fleischütz, Fulda 1781) haben sich hier (wie in den neutestamentlichen Stellen) ihm einfach angeschlossen.31 Die lutherische Übersetzung bei dieser Sirachstelle ist, soviel ich sehe, der erste Fall, in welchem das Wort „Beruf“ ganz in seinem heutigen rein weltlichen Sinn gebraucht wird. In diesem Sinne

folger 1904, S.  206: s.v. Kall: „der Beruf, das Amt, die Pflicht; der Pfarrdienst [.  .  .]“, s.v. „Kallelse“: „die Berufung; der Ruf“, unter den Spezialbedeutungen: „– till ett pastorat, die Berufung od. der Ruf zu einem Pfarramt“; und: ders., Neues vollst. Wörterbuch der dänisch-norwegischen und deutschen Sprache [.  .  .], Stereotypausg., 7.  Aufl., ebd. 1904, S.  196, s.v. Kald: „der Ruf zu Etwas, Beruf, die Berufung zum Amte; das Amt (namentlich das Predigeramt) [.  .  .]“. 25  Siehe in derselben Fn. unten, S.  184 f. 26  Vgl. Luthers Übersetzung 1522–1545 mit „Beruf“ in: WA.DB, Band  7, z. St. (1522: 1 Kor 1,26: „ruff“), dazu den Editorischen Bericht, oben, S.  112. 27  An den von Weber genannten Stellen haben sämtliche 14 hochdeutsche vorlutherische Bibeldrucke, darunter die Heidelberger Inkunabeln (vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  117, Anm.  78), „ru° ffung“ (teilweise auch: ru° ffungen in Eph 1,18) oder „rúffunge“ (1 Kor 1,26) bzw. „rúffung“ (2 Petr 1,10). Vgl. Die erste deutsche Bibel, 2. Band, hg. von W. Kurrelmeyer. – Tübingen: Gedr. für den Litterarischen Verein in Stuttgart [bei Laupp] 1905 (hinfort: Kurrelmeyer, Erste deutsche Bibel II). 28  Im 4. bis 14. Bibeldruck heißt es 1 Kor 7,17 f. 21 f.: „geuodert“, vgl. Kurrelmeyer, Erste deutsche Bibel II (wie oben, Anm.  27), z. St. (von gevordern, auch belegt als gevodern, „fordern“, „verlangen“, vgl. s.v. in: Lexer, Matthias, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, 1. Band. – Leipzig: S. Hirzel 1872). 29  Die „vorige Note“ bezieht sich auf Fn.  38 (S.  178–181). 30  Vgl. oben, S.  178, Fn.  38 mit Anm.  2. 31 Die von Joseph Fleischütz herausgegebene katholische Bibel (6 Bände, 1778– 1781 [HD]) verwendet in Sir 11,21 (dort V. 22) den Berufsbegriff: „Ferne von sündhaften Handlungen, vertraue Gott, und betreib fleißig deinen Beruf.“ Fleischütz verwendet „Beruf“ ebenfalls an den von Weber oben genannten ntl. Stellen (verbale Formulierung in Eph 4,4).

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Die protestantische Ethik. I. Das Problem

während vorher in der profanen Literatur keines | derselben irgend

existierte es vorher, wie oben erwähnt,32 in der deutschen Sprache nicht, auch – soviel ich sehe – nicht im Munde der älteren Bibelübersetzer oder Prediger. Die deutschen Bibeln vor Luther übersetzen in der Sirachstelle „Werk“.33 Berthold von Regensburg gebraucht in Predigten da, wo wir von „Beruf“ sprechen würden, das Wort „Arbeit“.34 Der Sprachgebrauch ist hier also derselbe wie derjenige der Antike. Die erste mir bisher bekannte Stelle, wo zwar nicht „Beruf“, aber „Ruf “ (als Übersetzung von κλῆσις) auf rein weltliche Arbeit angewendet wird, findet sich in der schönen Predigt Taulers über Ephes. 4 (Basler Ausg. f[olio] 117 v): von Bauern, die „misten“ gehen: sie fahren A 39 oft besser, „so sie folgen einfeltiglich irem Ruff denn die geistlichen Menschen, | die auf ihren Ruf nicht Acht haben“.35 Dies Wort ist in diesem Sinne in die Profansprache nicht eingedrungen. Und trotzdem Luthers Sprachgebrauch anfangs (s. Werke, Erl[anger] Ausg. 51, S.  51) zwischen „Ruf“ und „Beruf“ schwankt,36 ist eine direkte Beeinflus32  Siehe in der derselben Fn., oben, S.  182 f. 33  Die erste gedruckte deutsche Bibel, die sog. Mentelin-Bibel 1466, überträgt die beiden Sirachverse: „Ste in deim gezeug vnd entzamt red in im: vnd er alt in den wercken deiner gebott. [.  .  .] Wann versich dich an gott: vnd beleib in deiner stat.“ Statt „den wercken deiner gebott“ lesen die 4. bis 14. Bibel den Singular „dem werck [.  .  .]“. Vgl. Die erste deutsche Bibel, 8. Band, hg. von W. Kurrelmeyer. – Tübingen: Gedr. für den Litterarischen Verein in Stuttgart [bei Laupp] 1912, z. St. – Zu den Inkunabeln vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  117, Anm.  78. 34  Weber dürfte sich bei Berthold von Regensburg, dem bekanntesten mittelalterlichen Volksprediger, in erster Linie auf die Predigt „Von vier Dingen“ beziehen, in: ders., Vollständige Ausgabe seiner deutschen Predigten [.   .   .] von Franz Pfeiffer, 1. Band. – Wien: Wilhelm Braumüller 1862, S.  549–565. „Unde dâ von sült ir an der rehten arbeit funden werden, der bûman an sînem bûwe, der koufman an sînem koufe [.  .  .], der hantwerkman an sînem hantwerke, der ritter an sîner ritterschaft, der geistlîche mensche an sîner arbeit, die im unser herre geordent hât. [.  .  .] Alliu diu antwerk oder ander arbeit, sie sîn geistlich oder werltlich, die eht der werlte nützelich und êrlich sind, die sint gote löbelich, die sol man arbeiten mit der triuwe unde mit der gerehtikeit, daz ez iu nütze werde an lîbe und an sêle“ (Zitat S.  562). In anderen Predigten gebraucht Berthold auch „amt“ (z. B. ebd., S.  11–28 und S.  140–156). 35  In der Predigt über Eph 4,1 ff. (Basler Ausg. 1521, fol.  116v-118r; von Weber wörtlich wiedergegebenes, modernisiertes Zitat nach fol.  117v) beschreibt Tauler, wie der Mensch seinem Ruf, seiner Berufung durch Gott zu einer Lebensaufgabe, gerecht wird. Hierzu betrachtet er drei nach dem Grad ihrer Vollkommenheit unterschiedene Menschengruppen. Die gewöhnlichen Menschen folgen ihrem Ruf, indem sie Gottes Gebote und Verbote halten (praecepta); die Menschen auf der zweiten Stufe (Mönche und Ordensleute) befolgen die „evangelischen Räte“ (consilia), d. h. Reinheit des Leibes, Besitzlosigkeit und Gehorsam. Auf der obersten (mystischen) Stufe folgen die Menschen dem Vorbild Christi, und zwar auf wirkende (aktive) und leidende (passive) Weise. – An der von Weber zitierten Stelle wird dem sich einseitig nach der geistlichen Seite bemühenden Menschen, der seiner Berufung nicht gerecht wird, der weltliche, sich redlich um die Ernährung seiner selbst und seiner Familie bemühende Mensch – Frau, Schuster, Bauer – als mahnendes gutes Beispiel gegenübergestellt. Zur Hochschätzung der weltlichen Arbeit vgl. auch die Predigt Taulers, Basler Ausg., fol.  94v-96r, die jedoch anstelle des Begriffs „Ruf“ Dienst, Tätigkeit, Arbeit, Werk gebraucht. – Hinweise auf beide Predigten gibt Seeberg, Dogmengeschichte II, S.  165, Anm.  4.

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ein Ansatz zu einem derartigen Wortsinn zu bemerken war und sung durch Tauler durchaus nicht sicher, obwohl manche Anklänge gerade an diese Predigt Taulers sich z. B. in der „Freiheit eines Christenmenschen“ finden. Denn in dem rein weltlichen Sinn wie Tauler l. c. hat Luther das Wort zunächst nicht verwendet (dies gegen Denifle, Luther, S.  163).37   Offenbar nun enthält der Ratschlag bei Sirach, von der allgemeinen Mahnung zum Gottvertrauen abgesehen, nicht die geringste Beziehung auf eine spezifische religiöse Wertung der „Berufs“-Arbeit und der Ausdruck πόνος (Mühsal)e wohl eher das Gegenteil einer solchen.38 Was Jesus Sirach sagt, entspricht einfach der Mahnung des Psalmisten (Ps. 37, 3): bleibe im Lande und nähre dich redlich, wie auch die Zusammenstellung mit der Mahnung (v. 20), sich nicht die Weise der Gottlosen, nach Gut zu trachten, zum Muster zu nehmen, auf das deutlichste ergibt. Die Brücke zwischen jenen beiden anscheinend ganz heterogenen Verwendungen des Wortes Beruf bei Luther schlägt eine Stelle im ersten Korintherbrief und ihre Übersetzung.   Bei Luther (in den üblichen modernen Ausgaben) lautet der ganze Zusammenhang, in dem diese Stelle steht[,] wie folgt: 1. Kor. 7, v. 17:39 „.  .  . ein jeglicher, wie ihn der Herr berufen hat, also wandle er .  .  . (18) Ist jemand beschnitten berufen, der zeuge keine Vorhaut. Ist jemand berufen in der Vorhaut, der lasse sich nicht beschneiden. (19) Die Beschneidung ist nichts und die Vorhaut ist nichts; sondern Gottes Gebot halten. (20) Ein jeglicher bleibe in dem Beruf, in dem er berufen ist (ἐν τῇ κλήσει ᾗ ἐκλήθη, – wie Ge­heimrat A[dalbert] Merx mir sagt, ein zweifelloser Hebraismus, – Vulgata: in qua vocatione vocatus est).40 (21) Bist du ein Knecht berufen, sorge des nicht; doch kannst du frei werden, so brauche des viel lieber. (22) Denn wer ein Knecht berufen ist, der ist ein Gefreiter des Herrn; desgleichen wer ein Freier berufen ist, der ist ein Knecht Christi. (23) Ihr seid teuer erkauft; werdet nicht der Menschen Knechte. (24) Ein jeglicher, lieben Brüder, worinnen er berufen ist, darinnen bleibe er bei Gott.“ V. 29 folgt dann der Hinweis darauf, daß „die Zeit kurz“ sei, worauf die bekannten, durch eschatologi-

e A: (Muhsal) 36 Weber bezieht sich auf Luthers Auslegung von 1 Korinther 7 von 1523. Luther übersetzt κλῆσις (kle¯´ sis; V. 20) mit „Ruf“ (Luther, 1 Korinther 7, S.  51). In der Exegese des Verses paraphrasiert er: „[.  .  .] S. Paulus Wort, da er sagt, du sollest im Beruf bleiben, darin du berufen bist [.  .  .]“ (S.  52). 37  Denifle zitiert aus der genannten Tauler-Predigt, in der Tauler die weltliche Arbeit als „Ruf Gottes“ adele. Er stört sich dabei an Walther Köhlers Interpretation, der dies als „spezifisch (!) Lutherisch klingende .  .  . betonte hohe Werthung der Erkenntniß des gottgegebenen Berufes“ werte. Denn Denifle meint, Luther habe nur allgemeines kirchliches Gedankengut übernommen (vgl. Denifle, Luther, S.  163, Anm.  1). 38  Vgl. das Septuaginta-Zitat Sir 11,21, oben, S.  178, Anm.  2. 39  Webers Wiedergabe von 1 Kor 7,17 ff. liegt sehr wahrscheinlich eine Bibelausgabe nach der Übersetzung Luthers zugrunde, die vor der revidierten Lutherbibel von 1892 erschienen war und deren Text Weber seinerseits geringfügig modernisiert. Vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  113 f. mit Anm.  64. 40  Mit Hebraismus dürfte hier die Nachbildung einer figura etymologica (Nomen und Verbum haben denselben Stamm) im Griechischen gemeint sein, wie sie im Hebräischen (bzw. Semitischen) öfters verwendet wird. Zur griechischen Wendung mit Übersetzung vgl. oben, S.  178, Anm.  2. – Die Mitteilung von Adalbert Merx (1838–

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Die protestantische Ethik. I. Das Problem

auch in der Predigtliteratur, soviel ersichtlich, | nur bei einem der

sche Erwartungen (v. 31) motivierten Anweisungen folgen, die Weiber zu haben, als hätte man sie nicht, zu kaufen, als besitze man das Gekaufte nicht usw. In v. 20 hatte Luther im Anschluß an die älteren deutschen Übertragungen noch 1523 in seiner Exegese dieses Kapitels κλῆσις mit „Ruf“ übersetzt (Erl[anger] Ausgabe, fBd.  51,f S.  51) und damals mit „Stand“ interpretiert.41   In der Tat ist offenbar, daß das Wort κλῆσις an dieser – und nur an dieser – Stelle so ziemlich dem lateinischen „status“ und unserem „Stand“ (Ehestand, Stand des Knechtes, usw.) wenigstens annähernd entspricht.42 In einer wenigstens daran erinnernden Bedeutung findet sich dieses Wort – der Wurzel nach mit ἐκκλησίαg, „berufene VerA 40 sammlung“, verwandt – in der griechischen Literatur, soweit das lexikalische | Material reicht, nur einmal in einer Stelle des Dionysius von Halikarnaß, wo es dem lateinischen classis – einem griechischen Lehnworte = die „einberufene“, aufgebotene Bürgerabteilung – entspricht.43 Theophylaktos (11./12. Jahrh[undert]) interpretiert 1. Kor. 7, 20: ἐν οἵῳ βίῳ καὶ ἐν οἵῳ τάγματι καὶ πολιτεύματιh ὢν ἐπίστευσενi (Herr Kollege Deißmann machte mich auf die Stelle aufmerksam).44 – Unserem heutigen „Beruf“ entspricht f–f A: Bd., 51   g A: ἔκκλησια  h A: πσλιτεύματι  i A: ἐπιστευσεν 1909), Orientalist und biblischer Philologe, seit 1875 Professor für Altes Testament in Heidelberg, erfolgte vermutlich mündlich. 41  Vgl. Luther, 1 Korinther 7, S.  51, wie oben, S.  184 f., Anm.  36. Die deutschen Inkunabeln des 15. Jahrhunderts haben in 1 Kor 7,20 „rúffung“ (z. B. Mentelin und Eggestein) oder „beru° ffung“ (4.–14. Bibeldruck). Vgl. Kurrelmeyer, Erste deutsche Bibel II (wie oben, S.  183, Anm.  28). 42  Luther, 1 Korinther 7 von 1523 (Erlanger Ausgabe, Band  51, S.  1–69). Luther will der Höherstellung des Ordens- und Klerikerstands ein Ende machen, indem er den weltlichen Stand samt Eheleben aufwertet. Selig mache nicht der „Stand“, sondern allein der Glaube (S.  47 f.), was Luther über den Ehestand hinaus auch auf andere „Stände“ (bei Luther auch: „Beruf“) wie den des Knechtes (nach 1 Kor 7,21 f.), gleichgültig ob frei oder unfrei, ausweitet (vgl. S.  51). „[D]ieß Wörtlein, Ruf“ (griech. κλῆσις, Tl.  kle¯´ sis, lat. vocatio; 1 Kor 7,20) möchte er darum nicht (wie traditionell üblich) als Ruf in den Ehe- oder Priesterstand verstehen, sondern als den „evangelischen Ruf“ von Gott, was bedeute: „Wie dich das Evangelion trifft, und wie dich sein Rüfen findet, so bleibe. Rüft dirs im Ehestand, so bleibe in demselben Rüfen, darinnen dichs findet; rüft dirs in der Knechtschaft, so bleib in der Knechtschaft, darinnen du berufen wirst“ (Luther, 1 Korinther 7, S.  56 f.). 43  Vgl. hierzu z. B. Passow, Handwörterbuch5, s.v. κλῆσις: Bei Dionysius (Antiquitates 4,18) seien „κλῆσις u. κλῆσεις die Bürgerabtheilungen, die röm. classes, deren Benennung er davon richtig herleitet“. Ähnlich: Meyer, Heinr[ich] Aug[ust] Wilh[elm], Kritisch exegetisches Handbuch über den ersten Brief an die Korinther (Kritisch exegetischer Kommentar über das Neue Testament, begr. von dems., 5. Abth.), 5., verb. und verm. Aufl. – Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1870, S.  201 [dass., neu bearb. von C. F. Heinrici, 8.  Aufl. 1896, S.  230 f.]. Meyer verweist auf Dionysius und fügt hinzu, daß auch bei den griechischen Profanschriftstellern und im gesamten NT κλῆσις (kle¯´ sis) niemals im Sinne von Beruf oder Stand vorkomme (ebd.). So auch Cremer, Wörterbuch (wie oben, S.  178, Anm.  2), s.v. κλῆσις. 44  Das griechische Zitat aus dem Schrifttum des Theophylaktos gibt auch Meyer (wie vorherige Anm.) z. St. wieder. Weber bezieht sich seinerseits vermutlich aber auf eine mündliche Auskunft von Adolf Deissmann (1866–1937), seit 1897 Professor für Neues Testament in Heidelberg und Mitbegründer des „Eranos“-Kreises.

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deutschen Mystiker, deren Einfluß auf Luther bekannt ist.45 | κλῆσις auch in unserer Stelle jedenfalls nicht. Aber Luther, der in der eschatologisch motivierten Mahnung, daß jeder in seinem gegenwärtigen Stande bleiben sollte, κλῆσις mit „Beruf“ übersetzt hatte, hat dann, als er später die Apokryphen übersetzte, in dem traditionalistisch und antichrematistisch motivierten Rat des Jesus Sirach, daß jeder bei seiner Hantierung bleiben möge, schon wegen der sachlichen Ähnlichkeit des Ratschlages πόνος ebenfalls mit „Beruf“ übersetzt.46 Inzwischen (oder etwa gleichzeitig) war 1530 in der Augsburger Konfession das protestantische Dogma über die Nutzlosigkeit der katholischen Überbietung der innerweltlichen Sittlichkeit festgelegt und dabei die Wendung „einem jeglichen nach seinem Beruf“ gebraucht worden (s. vor[ige] Anm.).47 Dies und jene gerade Anfang der 30er Jahre sich wesentlich steigernde Schätzung der Heiligkeit der Ordnung, in die der einzelne gestellt ist, die ein Ausfluß seines immer schärfer präzisierten Glaubens an die ganz spezielle göttliche Fügung auch in den Einzelheiten des Lebens war, zugleich aber seine sich steigernde Neigung zur Hinnahme der weltlichen Ordnungen als von Gott unabänderlich gewollt, treten hier in Luthers Übersetzung hervor.48 Denn während er jetzt πόνος und ἔργον bei Jesus Sirach mit „Beruf“ übersetzt, hatte er einige Jahre vorher noch in Sprüche Salomon[is] 22, 29 das hebräische ‫ְמָלאכָה‬, welches den „πόνος“ und „ἔργον“ des griechischen Textes von Jesus Sirach zweifellos zugrunde lag und vom Stamm ‫ = לאך‬senden, schicken, also von dem Begriff „Sendung“ abgeleitet ist,49 und – ganz wie das deutsche Beruf, und das nordische kald, kallelse,50 – insbesondere vom geistlichen „Beruf“ ausgeht, mit „Geschäft“ übertragen (LXX: ἔργον, Vulg[ata]: opus, englische Bibeln: business,51 entspre-

45  Weber spielt auf Tauler an; vgl. oben, S.  184 f., Fn.  40. 46  Luther übersetzt in den Bibelausgaben von 1522 bis 1545 κλῆσις (kle¯´ sis) in 1 Kor 7,20 stets mit „ruff“, nicht „Beruf“ (Ausnahme das von Weber beobachtete Schwanken zwischen „Ruf“ und „Beruf“ in der Exegese von 1523, vgl. oben, S.  184). Vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S.  113. Im Sirachbuch (1533 = 1545) übersetzte er πόνος (pónos) und ἔργον (érgon) in Sir 11,20 (bzw. V. 21) dagegen mit „beruff“ (vgl. oben, S.  178, Fn.  38 mit Anm.  2). 47  Weber dürfte die gesamte Augsburger Konfession von 1530 meinen, im engeren Sinn Art.  XXVII („Von Klostergelübden“). – Zum Zitat siehe oben, S.  181, Fn.  39. 48  Bei der Entwicklung von Luthers Berufsverständnis folgt Weber der Darstellung von Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf, worauf er selbst unten, S.  190, Fn.  41, hinweist. 49  Spr 22,29 zitiert Weber auch oben, S.  150, Fn.  25. Luther übersetzt die Wortform (mit Präposition und Pronominalsuffix) des von Weber genannten hebräischen Substantivs ‫ְמָלאכָה‬, Tl.  mela¯’ka¯h, schon 1524 in einer Teilübersetzung des AT, die die Sprüche Salomos enthält, mit „in seinem Geschäft“. Dem Substantiv liegt die Wortwurzel ְ‫לאך‬/l’k, „senden“, zugrunde (vgl. s.v., in: Gesenius, Wilhelm, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, bearb. von Frants Buhl, 13.  Aufl. – Leipzig: Vogel 1899). 50  Zu dänisch „kald“ und schwedisch „kallelse“ vgl. oben, S.  182, Fn.  40. 51  Vgl. oben, S.  150, Fn.  25 mit Anm.  48. Auch zeitgenössisch heißt es „business“, z. B. The Holy Bible, containing the Old and New Testaments [.  .  .] appointed to be read in Churches. – Oxford: University Press, for the British and Foreign Bible Society 1898, z. St.

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Und wie die Wortbedeutung[,] so ist auch – das dürfte im ganzen ja bekannt sein – der Gedanke neu und ein Produkt der Reformachend auch die nordischen und alle sonstige Übersetzungen).52 Gedanklich war freilich bei ‫ ְמָלאכָה‬der Zusammenhang mit dem Stammbegriff, wie Herr Geh.-Rat Merx mich belehrt, schon im Altertum ebenso völlig verloren gegangen, wie für unser „Beruf“ etwa in dem Wort „Berufsstatistik“.53   Schon im 16. Jahrhundert ist dann der Begriff „Beruf“ in der außerkirchlichen Literatur im heutigen Sinne eingebürgert. Die Bibelübersetzer vor Luther hatten für κλῆσις das Wort „Berufung“ gebraucht, (so z. B. in den Heidelberger Inkunabeln von 1462/66, 1485),54 die Ecksche Ingolstädter Übersetzung von 1537 sagt: „in dem Ruf, worin er beruft ist“.55 Die späteren katholischen Übersetzungen folgen meist direkt Luther.56 In England57 hat die Wiclefsche Bibelübersetzung (1382) hier „cleping“ (das 52  Die Resen-Svaning-Bibel, Kopenhagen 1647, die in Dänemark und Norwegen zur Standardbibel wurde, übersetzt Spr 22,29 allerdings mit „Gierning“ (dän., „Tat, Handlung, Werk“; ebenso Sir 11,25 (sic), für V. 26 wird „arbeyde“ gebraucht). Sie waren in der UB Heidelberg nicht vorhanden. Ebenso übersetzt die dänische „Biblia det er den ganske Heilige Skrifts Bøger“ von 1819. 53  Zu Adalbert Merx vgl. in derselben Fn. oben, S.  185. – Tatsächlich lag dem griechischen Begriff ἔργον (érgon) in Sir 11,20 der oben von Weber genannte hebräische Begriff zugrunde. Das zeigen die zwischen 1896 und 1900 in der Geniza der Kairoer Ben-Esra-Synagoge gefundenen Fragmente des hebräischen Originals verschiedener Sirach-Handschriften, das bis dahin unbekannt war. Näheres im Glossar, unten, S.  832. 54  Weber bezieht sich mit 1462/66 auf die Eggesteinsche Bibel, den zweiten der 14 hochdeutschen vorlutherischen Bibeldrucke (Inkunabeln), der lange Zeit aufgrund der fehlerhaften Angabe 1462 im Stuttgarter Exemplar als erster Druck galt. Im Quartkatalog der UB Heidelberg ist sie einmal als erster Druck 1462–1466, das anderemal mit „nicht nach 24.  5.  1466“ aufgeführt. – Bei der Inkunabel von 1485 handelt es sich um den (zehnten) Druck, Straßburg, als Verleger gilt Grüninger. Zu den Inkunabeln vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  117, Anm.  78. – Die Inkunabeln geben vocatio e 1 Kor 7,20 im 4. bis 14. Druck mit „beruffung“ wieder, Mentelin und Eggestein (sowie o der 3. Druck) haben hier „rúffung“, zu den übrigen ntl. Stellen („ruffung[en]“/ „rúffung[e]“) vgl. oben, S.  183, Anm.  28. Nach Kurrelmeyer, Erste deutsche Bibel II (ebd.), z. St. 55  Johann Eck (1537 [HD]) folgt im NT weitgehend der Übersetzung von Hieronymus Emser (1527), der seinerseits auf Luther fußt und in 1 Kor 7,20 wie von Weber zu Eck zitiert überträgt. 56  Während Dietenberger (1534 [HD]) 1 Kor 7,20 mit einer Verbform umschreibt, gebrauchen Ulenberg [HD], die Mainzer Bibel, Fleischütz [HD] und Allioli (hier eingesehen: 1838 und 1851) das Substantiv „Beruf“. – Zu den katholischen Bibeln vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  114 f. 57  Die genannten englischen Bibelübersetzungen waren zu Webers Zeit in Deutschland schwer erhältlich, weshalb Weber nach Murrays Wörterbucheintrag „calling“ zitiert (vgl. in dieser Fn., unten, S.  189 f.). Murray gibt darin die englischen Übersetzungsvarianten von κλῆσις (kle¯´ sis) in 1 Kor 7,20 nach den in „The English Hexapla“ in Kolumnen abgedruckten Bibeln z. St. wieder (vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  118 f.). Als sechste Übersetzung folgt in der Hexapla die „Authorised“ oder King James Version von 1611 (mitaufgeführt bei Murray, s.v. calling). Sie übersetzt κλῆσις in 1 Kor 7,20 mit „calling“.

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tion. Nicht als ob gewisse Ansätze zu jener Schätzung der weltlichen Alltagsarbeit, welche in diesem Berufsbegriff vorliegt, nicht schon im Mittelalter vorhanden gewesen wären – davon wird später zu reden sein58 –, aber unbedingt neu war jedenfalls zunächst eins: die Schätzung der Pflichterfüllung innerhalb der weltlichen Berufe als des höchsten Inhaltes, den die sittliche Selbstbetätigung überhaupt annehmen könne. Dies war es, was die Vorstellung von der religiösen Bedeutung der weltlichen Alltagsarbeit zur unvermeidlichen Folge hatte und den Berufsbegriff erzeugte. Es kommt also in dem Begriffe „Beruf“ jenes Zentraldogma aller protestantischen Denominationen zum Ausdruck, welches die katholische Unterscheidung der christlichen Sittlichkeitsgebote in „praecepta“ und „consilia“ verwirft59 und als das einzige Mittel[,] Gott wohlgealtenglische Wort, welches später durch das Lehnwort „calling“ ersetzt wurde),60 die Tindaleschek von 1534 wendet den Gedanken weltlich: „in the same state wherein he was called“, ebenso die Geneva von 1557. Die offizielle | Cranmersche Übersetzung A 41 von 1539 ersetzte „state“ durch „calling“, während die (katholische) Rheimser Bibel von 1582 ebenso wie die höfischen anglikanischen Bibeln der elisabethanischen Zeit61 charakteristischerweise wieder zu „vocation“ in Anlehnung an die Vulgata zurückkehren. Daß die Cranmersche Bibelübersetzung die Quelle des puritanischen Begriffes „calling“ im Sinn von Beruf = trade ist, hat schon Murray s. v. calling zutreffend er-

k A: Tindalsche 58 Weber dürfte sich auf Tauler beziehen: Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  278 f. mit Anm.  33. Vgl. auch oben, S.  184 f., Fn.  40, und unten, S.  208 f. 59  Bei den consilia evangelica („evangelische Räte“, Armut, Keuschheit und Gehorsam) handelt es sich nach der römisch-katholischen Moraltheologie um die Weisungen für das Mönchtum, während für Laien die im Alltagsleben zu befolgenden praecepta (Sittlichkeitsgebote und -verbote) galten. Vgl. auch das Glossar, unten, S.  825. 60  Vgl. Murray, James A. H., A New English Dictionary on Historical Principles, vol. 2. – Oxford: Clarendon Press 1893, s.v. cleping, p.  490 (vgl. auch ders., s.v. calling, p.  39, unter [Nr.] 9). 61 Was Weber unter den „höfischen anglikanischen Bibeln der elisabethanischen Zeit“ versteht, muß offen bleiben. Unter Elisabeth I. (reg. 1558–1603) erschien 1568 eine von Matthew Parker, dem Erzbischof von Canterbury, für den Gebrauch der an­ glikanischen Kirche bestimmte Bibelübersetzung, die sog. „Bishops’ Bible“. Sie hat in 1 Kor 7,20 allerdings „calling“. Dagegen übersetzt die „Geneva“ von 1560 (mit Abweichungen im NT zur von Weber oben im Text zitierten Version von 1557) an dieser Stelle „vocation“; „vocation“ behält auch das 1576 von Laurence Tomson revidierte NT der Geneva Bible bei. Die Geneva Bible wurde auch für die Predigten im anglikanischen Gottesdienst, auch am Hof, verwendet. Vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  119.

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fällig zu leben, nicht eine Überbietung der innerweltlichen Sittlichkeit durch mönchische Askese, sondern ausschließlich die Erfüllung der innerweltlichen Pflichten kennt[,] wie sie sich aus der Lebensstellung des einzelnen ergeben, die dadurch eben sein „Beruf“ wird. Bei Luther41) entwickelt dieser Gedanke sich im Laufe des ersten Jahrzehntes seiner reformatorischen Tätigkeit. Anfangs gehört ihm, durchaus im Sinne der vorwiegenden mittelalterlichen Tradition, wie sie z. B. Thomas von Aquino repräsentiert,42) die | weltliche

kannt.62 Schon Mitte des 16. Jahr­h[underts] findet sich calling in jenem Sinn gebraucht, schon 1588 sprach man von „unlawful callings“, 1603 von „greater callings“ im Sinne von „höhere“ Berufe usw. (s. Murray a. a. O.).63 41) Vgl. zum folgenden die lehrreiche Darstellung bei K. Eger, „Die Anschauung Luthers vom Beruf“ (Gießen 1900),64 deren vielleicht einzige Lücke in der bei ihm, wie bei fast allen anderen theologischen Schriftstellern, noch nicht genügend klaren Analyse des Begriffes der „lex naturae“ bestehen dürfte (s. dazu E. Tröltsch in der Be­ sprechung von Seebergs Dogmengeschichte, Gött[ingische] Gel[ehrte] Anz[eigen] 1902).65 42)  Denn wenn Thomas von Aquin die ständische und berufliche Gliederung der Menschen als Werk der göttlichen Vorsehung hinstellt, so ist damit der objektive KosA 42 mos der Gesellschaft gemeint. Daß der einzelne aber sich einem bestimmten | konkreten „Beruf“ (wie wir sagen würden, Thomas sagt: ministerium oder officium) zuwendet, hat seinen Grund in „causae naturales“. Quaest[iones] quodlibetal[es] VII art. 17 c:66

62 „Calling“ unter der Wortbedeutung „II. Summons, call, vocations“ im speziellen Sinn von „position, estate, or station in life; rank“ (bei Murray, s.v. calling, p.  39, [Nr.] 10) gründet nach Murrays Wörterbucheintrag auf 1 Kor 7,20 („Founded on 1 Cor. vii. 20 [.  .  .]“). Ebenso Wortbedeutung [Nr.] 11, „Hence, Ordinary occupation, means by which livelihood is earned, business, trade“, durch Murrays Hinzufügung: „Often etymologized in the same way as prec[eding]“, d. h. [Nr.] 10 (ebd.). 63  Vgl. Murray, s.v. calling, p.  39. 64  Gemeint ist: Eger, Die Anschauungen Luthers vom Beruf. 65  Weber schließt sich der Kritik Troeltschs, Rez. Seeberg, bes. S.  21 ff. (KGA 4, bes. S.  97 ff.), an. Nach Troeltsch stammt der Begriff „lex naturae“ aus der stoisch-eklektischen Popularphilosophie und muß mit dem christlichen Gesetz in Beziehung gesetzt werden. Weber ergänzt darum seine Darstellung der Entwicklung des Berufsbegriffs bei Luther um den bei Eger ungenügend berücksichtigten Begriff „lex naturae“; vgl. unten, S.  192, Fn.  43, S.  193, Fn.  43, S.  202, Fn.  51, S.  204, Fn.  54, und S.  207, Fn.  57. 66 Das Zitat aus Quaestiones quodlibetales VII („De opere manuali“), art. 17 c[onclusio], entstammt: Thomas von Aquin, Opera Omnia IX/2, p.  566. Zitiert auch bei Maurenbrecher, Thomas von Aquino, S.  34 f., Anm.  6 (dort mit einem weiteren, inhaltlich ähnlichen Zitat, worin Thomas „ministerium“ anstelle von „officium“ verwendet). Auf-

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Arbeit, obwohl von Gott gewollt, zum Kreatürlichen, sie ist die unentbehrliche Naturgrundlage des Glaubenslebens,43) sittlich an sich indifferent wie Essen und Trinken. Aber mit der klareren Durchführung des „sola-fide“-Gedankens67 in seinen Konsequen„Haec autem diversificatio hominum in diversis officiis contingit primo ex divina providentia, quae ita hominum status distribuit, .  .  . secundo etiam ex causis naturalibus, ex quibus contingit, quod in diversis hominibus sunt diversae inclinationes ad diversa officia .  .  .“ Der Gegensatz gegen den protestantischen (auch den sonst, namentlich in der Betonung des Providentiellen, nahe verwandten späteren lutherischen) Berufsbegriff liegt so klar zutage, daß es vorläufig bei diesem Zitat bewenden kann, da auf die Würdigung der katholischen Anschauungsweise später zurückzukommen ist.68 S[iehe] über Thomas: Maurenbrecher, Th[omas] v[on] Aquinos Stellung zum Wirtschaftsleben seiner Zeit, 1898. Wo übrigens in Einzelheiten Luther mit Thomas übereinzustimmen scheint, ist es wohl mehr die allgemeine Lehre der Scholastik überhaupt, als Thomas speziell, was ihn beeinflußt hat. Denn Thomas scheint er, nach Denifles Nachweisungen, tatsächlich nur unzulänglich gekannt zu haben (s. Denifle, Luther und Luthertum, 1903, S.   501 und dazu Köhler, Ein Wort zu Denifles Luther, 1904, S.   25  f.).69 43)  In „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ wird zunächst 1. die „zweierlei Natur“ des Menschen für die Konstruktion der innerweltlichen Pflichten im Sinne der

grund des providentiellen Charakters der Stände- und Berufsgliederung – so Maurenbrecher – „ist nun jede Teilarbeit, die der einzelne verrichtet, sein ‚Beruf‘, seine Pflicht, sein ‚Amt‘, eine Dienstleistung, die er der Gesamtheit gegenüber hat“ (S.  35). 67  „sola fide“, zentraler Begriff Luthers reformatorischer Erkenntnis: Allein durch den Glauben, ohne verdienstliche Werke, werde dem Menschen Rechtfertigung zuteil. Vgl. auch das Glossar, unten, S.  839. 68  Weber, Protestantische Ethik II unten, S.  379–381. 69  Weber nimmt Bezug auf eine aktuelle Debatte. Der römisch-katholische Kirchenhistoriker Heinrich Denifle, ein ausgewiesener Kenner der Scholastik, stellt in seinem Werk „Luther und Luthertum in der ersten Entwickelung quellenmäßig dargestellt“, das Anfang 1904 (nicht: 1903) erschien, die These auf, Luther sei zu Beginn seiner Auseinandersetzung mit den Scholastikern in den Jahren 1515/16 lediglich „ein Halbwisser, ein Halbgebildeter“ gewesen (S.  501 u. ö.), habe nur die Spätscholastik, nicht aber ihre „Blüthezeit“ im 13. Jahrhundert und insbesondere nicht Thomas von Aquin aus den Quellen studiert (vgl. Denifles „Nachweisungen“, ebd., S.  502–568). Der Protestant Walther Köhler entgegnet ihm, Luther habe Thomas sehr wohl gekannt, als Anhänger von Wilhelm von Ockham ihn jedoch von vornherein antagonistisch gelesen (Köhler, Denifle, S.  25 f.). Daß er Thomas auch bei Übereinstimmungen nicht zitiere, liege an dem in der wissenschaftlichen Theologie der Zeit üblichen Umgang mit Quellen (S.  7 ff.). „Ein ‚Halbwisser‘ [.  .  .] war er darnach gewiß vom modernen Standpunkte aus, nicht aber von dem seiner Zeit aus [.  .  .]“ (S.  26). – Weber folgt hier dem Luther­ kritiker Denifle.

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zen und mit dem dadurch gegebenen, mit steigender Schärfe betonten Gegensatz gegen die „vom Teufel diktierten“ katholischen „evangelischen Ratschläge“ des Mönchtums70 steigt die Bedeutung des Berufs. Die mönchische Lebensführung ist nun nicht nur zur Rechtfertigung vor Gott selbstverständlich gänzlich wertlos, lex naturae (hier = natürliche Ordnung der Welt) verwendet, die daraus folgt, daß (Erl[anger] Ausg. 27 S.  188) der Mensch faktisch an seinen Leib und die soziale Gemeinschaft gebunden ist.71 – 2. In dieser Situation wird er (S.  196), – das ist eine daran angeknüpfte zweite Begründung, – wenn er ein gläubiger Christ ist, den Entschluß fassen, Gottes aus reiner Liebe gefaßten Gnadenentschluß durch Nächstenliebe zu vergelten.72 Mit dieser sehr lockeren Verknüpfung von „Glaube“ und „Liebe“ kreuzt sich 3. (S.  190) die alte asketische Begründung der Arbeit als eines Mittels, dem „inneren“

70 Hier deutsch wiedergegebene, oftmals paraphrasierte Formulierung (z. B. Seeberg, Dogmengeschichte II, S.  259) nach „De votis monasticis“ von 1521 (Luther, Opera latina varii argumenti, tomus VI, p.  234–376). Luther führt darin aus, daß das überkommene Mönchswesen und die mit ihm verbundene Scheidung in einen Stand der Vollkommenheit und einen Laienstand, basierend auf der Unterscheidung von consilia evangelica („evangelische Räte“) und praecepta (vgl. oben, S.  189, Anm.  59), keine biblische Grundlage habe: Das Evangelium enthalte keine besonderen „Räte“, wohl aber die Ermahnung an alle Getauften gleichermaßen, Gottes Gebote zu halten. Um zum Mönchsstand zu locken, habe der Satan ihn mit jenen perfectiones und consilia ausgeschmückt („Certe si rem tecum pensites, videri potest Satanas in hoc excogitasse figmentum de consiliis et statu perfectionis, ut adornaret istam perversam monasticen [.  .  .]“, p.  256 [WA 8, S.  585, Z.  38 f., S.  586, Z.  1]). 71  Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ von 1520 gehört zu seinen zentralen reformatorischen Schriften. Nach Luther enthält sie „die ganze Summe eines christlichen Lebens“ (ebd., S.  173). Entsprechend der „zweierlei Natur“ (S.  176) des Christenmenschen, der geistigen und leiblichen, hat die Schrift zwei Teile. Teil  I: Vom innerlichen, durch den Glauben frei gewordenen Menschen gelte: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr uber alle Ding, und niemand unterthan“ (S.  176). Teil  II: Vom äußerlichen Menschen, genauer dem gerechtfertigten Menschen, der in dieser Welt und damit in sozialen Bezügen lebe, gelte: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Ding, und Jdermann unterthan“ (ebd.). Weber gibt im folgenden die Gedanken Luthers aus dem zweiten Teil (S.  188 ff.) in einer eigenen Systematik wieder. – Luthers Schrift wird ausführlich besprochen von Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf, S.  34–38, kritisch S.  39–43. – Zu „lex naturae“ vgl. oben, S.  190, Anm.  65. 72  Weber hat folgende Stelle von Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, im Exemplar der UB Heidelberg am Rand markiert: „Ei, so will ich solchen Vater, der mich mit seinen uberschwenglichen Gutern also ubirschüttet hat, wiederumb frei, fröhlich und umbsonst thung, was ihm wohlgefället, und gegen meinen Nähsten auch werden ein Christen, wie Christus mir worden ist, und nicht mehr thun, denn was ich nur sehe, ihm noth, nützlich und seliglich sein; dieweil ich doch durch meinen Glauben allis Dings in Christo gnug habe“ (ebd., S.  196). Weber notiert am Rand: „loser Zus.hang zwischen Glauben u. Liebe“ (vgl. den folgenden Satz oben im Text). So auch Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf, S.  40 f.

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sondern sie gilt ihm auch als Produkt egoistischer, den Weltpflichten sich entziehender Lieblosigkeit. Im Kontrast dazu erscheint die weltliche Berufsarbeit als äußerer Ausdruck der Nächstenliebe, und dies wird in allerdings höchst weltfremder Art und in einem fast grotesken Gegensatz zu Adam Smiths bekannten | Sätzen44) insbesondere durch den Hinweis darauf begründet, daß die Arbeitsteilung jeden einzelnen zwinge, für andere zu arbeiten. Indessen diese, wie man sieht, wesentlich scholastische Begründung73 ver-

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Menschen die Herrschaft über den Leib zu verleihen.74 – 4. Das Arbeiten sei daher, – so heißt es in Verbindung damit weiter, | und hier kommt wieder der Gedanke der „lex A 43 naturae“ (hier = natürliche Sittlichkeit)75 in anderer Wendung zur Geltung, – ein schon dem Adam (vor dem Fall) eigener, von Gott ihm eingepflanzter Trieb gewesen, dem er „allein Gott zu gefallen“ nachgegangen sei.76 – Endlich 5. (S.  191l und 199) erscheint im Anschluß an Matth. 7, 18 f. der Gedanke, daß tüchtige Arbeit im Beruf Folge des durch den Glauben gewirkten neuen Lebens sei und sein müsse77 ohne daß jedoch daraus der calvinistische Gedanke der „Bewährung“ entwickelt würde. – Die mächtige Stimmung, von welcher die Schrift getragen ist, erklärt die Verwertung heterogener begrifflicher Elemente. 44)  „Nicht vom Wohlwollen des Fleischers, Bäckers oder Brauers erwarten wir unser Mittagessen, sondern von ihrer Rücksicht auf ihren eigenen Vorteil; wir wenden uns l A: 161 73  Vgl. das Zitat von Thomas von Aquin und Maurenbrechers Interpretation, oben, S.  190 f., Fn.  42, Anm.  66; auch unten, S.  194 f., Fn.  45 mit Anm.  83. 74  Im Exemplar der UB Heidelberg hat Weber die zweite Satzhälfte mit einer eckigen Klammer am Rand markiert und teilweise unterstrichen („arbeitet so viel er“): „Daraus denn ein Jglicher kann selbst nehmen die Maaß und Bescheidenheit den Leib zu casteien; denn er fastet, wachet, arbeit so viel er sicht dem Leib noth sein, seinen Muthwillen zu dämpfen“ (Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, S.  190). Weber kommentiert am Seitenrand: „ganz mönchisch“. 75  Zu „lex naturae“ vgl. oben, S.  190, Anm.  65. 76  „Nu war Adam von Gott frumm und wohlgeschaffen ohn Sund, daß er durch sein arbeiten und huten nit durft frumm und rechtfertig werden; doch daß er nit müßig gieng, gab ihm Gott zu schaffen, das Paradies zu pflanzen, bauen und bewahren. Wilchs wären eitel frei Werk gewesen, umb keins Dings willen gethan, denn allein Gott zu gefallen [.  .  .]“ (Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, S.  190). Diese Sätze markiert Weber im Exemplar der UB Heidelberg mit Randstrich, „allein Gott zu gefallen“ ist zusätzlich unterstrichen. Er vermerkt am Rand: „cf Adam in der Staatslehre“. Dabei dürfte es sich um einen Hinweis auf Jellineks Vortrag „Adam in der Staatslehre“ handeln, gehalten im historisch-philosophischen Verein zu Heidelberg (Heidelberg: G. Koester 1893; dass. in: ders., Ausgewählte Schriften und Reden, Band  2. – Berlin: O. Haering 1911, S.  23–44). In dem Vortrag gibt Jellinek einen Abriß über die verschiedenen Begründungen des Staates mit Hilfe des biblischen Adam, von Augustinus über das Mittelalter zu Luther und bis ins 19. Jahrhundert. 77  Vermutlich gemeint: Mt 7,18 ff. Luther zitiert Mt 7,18 und 20 (Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, S.  191 und 193). – „Gute frumm Werk machen nimmer-

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schwindet bald wieder, und es bleibt, mit steigendem Nachdruck betont, der Hinweis darauf, daß die Erfüllung der innerweltlichen Pflichten unter allen Umständen der einzige Weg sei, Gott wohlzugefallen, daß sie und nur sie Gottes Wille sei und daß deshalb jeder erlaubte Beruf vor Gott schlechterdings gleich viel gelte.45) Daß nicht an ihre Nächstenliebe, sondern an ihre Selbstsucht, und sprechen ihnen nie von unseren Bedürfnissen, sondern stets nur von ihrem Vorteil.“ (W[ealth] ofm N[ations] I, 2.)n 78 45)  Omnia enim per te operabitur (Deus), mulgebit per te vaccam et servilissima quaeque opera faciet, ac maxima pariter et minima ipsi grata erunt. (Exegese der Genesis, Op[era] lat[ina] exeg[etica] ed. Elsperger oVIII, 12o.79 Der Gedanke findet sich vor Luther bei Tauler, der geistlichen und weltlichen „Ruf“ dem Wert nach prinzipiell gleichstellt.80 Der Gegensatz gegen den Thomismus ist der deutschen Mystik und Luther gemeinsam. In den Formulierungen kommt er darin zum Ausdruck, daß Thomas – namentlich um den sittlichen Wert der Kontemplation festhalten zu können, aber auch vom Standpunkt des Bettelmönches aus81 – sich genötigt fand, den paulinischen

m A: of.  n A: 2).  o–o A: VII, 213 mehr ein guten frummen Mann; sondern ein gut frumm Mann macht gute frumm Werk. [.  .  .] Also, daß allweg die Person zuvor muß gut und frumm sein vor allen guten Werken, und gute Werk folgen und ausgahn von der frummen, guten Person“ (S.  191). Die Passage versah Weber im Exemplar der UB Heidelberg mit Randmarkierungen, einschließlich des darauf folgenden Zitats von Mt 7,18. 78  Smith, Adam, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations I, zuerst 1776, 2. Kapitel. Weber benutzt die Übersetzung von Wilhelm Loewenthal: Smith, Natur und Ursachen I, S.  16. In seinem Zitat verändert er die Reihenfolge von Fleischer, Brauer oder Bäcker, und er schreibt „Nächstenliebe“ statt „Menschenliebe“ (engl. humanity). 79  Bei Luther: „[.  .  .] ac maxima partiter et minima omnia ipsi grata erunt.“ Das Zitat von Luther, Genesisexegese VIII, p.  12 [WA 44, S.  6, Z.  23–25], entstammt seiner Genesis-Vorlesung, die er mit Unterbrechungen zwischen 1535 und 1545 hielt (zu Gen 31,3, vorgetragen ca. 1542/43; vgl. WA 42, S.  VIII). Es findet sich paraphrasiert auch bei Eger im Kontext der Ausführungen über die letzte Entwicklungsstufe von Luthers Berufsanschauung: „Das in der treuen Berufserfüllung sich beweisende Gottvertrauen ist eben die stetige Quelle der Gewißheit göttlichen Wohlgefallens [.  .  .]. Das Volk Gottes gefällt Gott auch in den kleinsten und geringsten Dingen. Er wirkt selber alles durch dich; er melkt durch dich die Kuh und thut die allerniedrigste Knechtsarbeit“ (Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf, S.  155 f.). In der Auslassung findet sich bei Eger ein Zitat, dem der hier von Weber fälschlich verwendete Beleg gilt (vgl. oben, textkritische Anm.  o). 80  Vgl. den oben, S.  184, Fn.  40 mit Anm.  35, wiedergegeben Inhalt der Predigt Taulers über Eph 4,1 ff. (Tauler, Predigten, Basler Ausg. 1521, fol.  116v-118r). 81  Thomas von Aquin gehörte den Dominikanern, einem Bettelorden, an. Die Dominikaner verzichteten aufgrund eines verschärften Armutsgelübdes auf persönlichen und gemeinschaftlichen Besitz sowie feste Einkünfte und lebten zumindest anfangs von Almosen und Schenkungen. Die Besitzlosigkeit wurde allerdings nie besonders hart

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diese sittliche Qualifizierung des weltlichen Berufslebens eine der folgenschwersten Leistungen der Reformation und also | speziell Luthers war, ist in der Tat zweifellos und darf nachgerade als ein Gemeinplatz gelten. Aber wie nun im einzelnen die praktische Satz: „wer nicht arbeitet, soll nicht essen“82 so zu deuten, daß den Menschen als Gattung, nicht aber allen einzelnen die Arbeit, die ja lege naturae unentbehrlich ist, auferlegt sei. 83 Die Gradation in der Schätzung der Arbeit, von den „opera servilia“ der Bauern84 aufwärts, ist etwas, was mit dem spezifischen Charakter des aus materiellen Gründen an die Stadt als Domizil gebundenen Bettelmönchtumsp zusammenhängt85 und

p A: Bettelmönchstums durchgesetzt und war seit 1425 (Aufhebung des Gütererwerbsverbots durch Papst Martin V.) de jure hinfällig. Auch auf die für das abendländische Mönchtum seit der Benediktsregel (cap.  48) geltende Verpflichtung zur körperlichen Arbeit der Mönche wurde verzichtet. Vgl. Grützmacher, [Georg,] Art. Dominikus, Dominikaner, in: RE3, Band  4, 1898, S.  768–781. 82  2 Thess 3,10 schreibt Paulus über sich und seine Mitarbeiter [1892]: „Und da wir bei euch waren, geboten wir euch solches, daß, so jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen.“ Die Stelle wurde als „neutestamentliches Arbeitsgebot“ im abendländischen Mönchtum immer wieder zitiert (schon bei Augustinus, De opere monachorum). 83 Vgl. Maurenbrecher, Thomas von Aquino, S.  64–66, mit Bezug auf das oben, S.  190 f., Fn.  42, wiedergegebene Zitat: Bei Thomas diene körperliche Arbeit drei Zwecken: Müßigkeit zu vermeiden, den Leib zu kasteien und den Lebensunterhalt zu beschaffen. Das neutestamentliche Arbeitsgebot (vgl. vorherige Anm.) beziehe sich nur auf die Erwerbsarbeit, denn die ersten beiden Zwecke ließen sich auch durch das Studium der Heiligen Schrift oder durch Fasten erfüllen. Die Verpflichtung zur Erwerbsarbeit bestehe sowohl nach göttlichem Recht als auch nach dem Naturrecht. Bezüglich des Naturrechts unterscheidet Thomas solche Gebote, die das Individuum betreffen, wie Essen und Trinken, von solchen, die sich auf die Gattung (Menschheit) beziehen. Zu letzteren zähle etwa das biblische Vermehrungsgebot („Seid fruchtbar und mehret euch“) sowie das Gebot der Erwerbsarbeit. Denn ein Mensch vermöge hier nicht alles allein, sondern bedürfe der Unterstützung durch andere. Die Arbeitsteilung, die Thomas als Grundlage der Gesellschaft voraussetzt, ermöglicht ihm also den Schluß, daß nicht jeder körperlicher Erwerbsarbeit nachgehen müsse. 84 opera servilia (lat.), antike Bezeichnung für die körperliche Arbeit der Sklaven. Nach Maurenbrecher, Thomas von Aquino, S.  67, übernimmt Thomas die Bezeichnung von Aristoteles, bezieht den Begriff auf jegliche körperliche, zweckbezogene Arbeit und stellt sie der geistigen Arbeit, den „freien Künsten“, gegenüber. 85  Geistige Arbeit beurteilt Thomas mit Bezug auf Aristoteles gegenüber körperlicher Arbeit als „vornehmer“ („nobilior“; vgl. Maurenbrecher, Thomas von Aquino, S.  67; zu Thomas’ Hierarchisierung der verschiedenen arbeitenden Klassen vgl. S.  68–75). Der geringe Wert, den er den Bauern und der Landbevölkerung zumesse (vgl. S.  71–73), liege in Thomas’ Anschauung von der „Stadt“ begründet: Sie gelte ihm als die vollkommenste Gemeinschaft, weil sie die bestmögliche Bedarfsdeckung sichere (vgl. S.  38– 51, hier S.  40). Das städtische Leben sei darum im Unterschied zum Landleben das natürliche Leben („homo sit naturaliter civilis“, S.  40, Anm.  1).

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Bedeutung jener Leistung vorzustellen sei, das wird im allgemeinen wohl mehr dunkel empfunden, als klar erkannt. Zunächst ist kaum nötig zu konstatieren, daß nicht etwa Luther als mit dem „kapitalistischen Geist“ in dem Sinne, den wir hier bisher mit diesem Wort verbunden haben, innerlich verwandt angesprochen werden darf. Schon diejenigen kirchlichen Kreise, welche jene „Tat“ der Reformation am eifrigsten zu rühmen pflegen, sind im ganzen heute keineswegs Freunde des Kapitalismus in irgendeinem Sinne. Erst recht aber würde Luther selbst ohne allen Zweifel jede Verwandtschaft mit einer Gesinnung, wie sie bei Franklin zutage tritt,86 abgelehnt haben. Zwar darf man hier nicht seine Klagen über die großen Kaufleute, die Fugger46) u. dgl.[,] als Symp­ den deutschen Mystikern wie dem Bauernsohn Luther,87 welche bei gleicher Schätzung der Berufe die ständische Gliederung als gottgewollt betonten, gleich fern lag. – Die entscheidenden Stellen des Thomas s. bei Maurenbrecher, Th[omas] v[on] Aquinos Stellung zum Wirtschaftsleben seiner Zeit (Leipzig 1898, S.  65 f.). | 46)  Bezüglich der Fugger meint er: es könne „nicht recht und göttlich zugehen, wenn A 44 bei eines Menschen Leben sollte so großes und königliches Gut auf einen Haufen gebracht werden“.88 Das ist also wesentlich Bauernmißtrauen gegen das Kapital. Ebenso ist ihm (Gr[oßer] Sermon v[om] Wucher, Erl[anger] Ausg. 20 S.  109) der Rentenkauf sittlich bedenklich, weil er „ein neues, behendes erfunden Ding ist“, – also weil er ihm ökonomisch undurchsichtig ist,89 ähnlich wie dem modernen Geistlichen etwa der Terminhandel.

86  Vgl. oben, S.  142–145. 87  Luther hob seine Herkunft aus einer (im Dorf Möhra, heute in Thüringen, beheimateten) Bauernfamilie hervor, obwohl sein (nicht erbberechtigter) Vater im Mansfelder Kupferbergbau Hüttenmeister wurde und gesellschaftliches Ansehen gewann: „Ich bin eines Bauern Sohn; mein Vater, Großvater, Ahnherr sind rechte Bauern gewest.“ In dieser Form oft zitiert, hier nach Köstlin, Julius, Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften, 5. neubearb. Aufl., fortges. von Gustav Kawerau, 1. Band. – Berlin: Alexander Duncker 1903, S.  10 (eigentl. lat.-deutsch, WA.TR, Band  5, Nr.  6250, S.  557 f., Zitat S.  558, Z.  13 f.). 88  Das von Weber an das Deutsch seiner Zeit angepaßte und mit kleineren Änderungen versehene Zitat entstammt Luther, Christlicher Adel (1520), S.  357. Die Augsburger Kaufmannsfamilie Fugger machte ihre Finanzgeschäfte mit Papst, Kurie und Habsburgern und verdiente am Ablaßhandel. Hinweis auf die von Weber zitierte Stelle etwa auch bei Wiskemann, Nationalökonomische Ansichten, S.  61, Anm.  7. 89  Als verbotener Zins oder Wucher (vgl. das Glossar, unten, S.  842) galt jede Leistung, die über die Rückerstattung der geliehenen Sache hinausreichte. Man versuchte, das Verbot z. B. mit dem Rentenkauf zu umgehen. Dieser wurde 1425 von Papst Martin V. gestattet: Der Schuldner überließ dem Gläubiger z. B. ein Grundstück zur Nutzung. Luther meinte, ob erlaubt oder nicht, der Renten- oder Zinskauf wirke dennoch wie „Wucher“, weil er Land und Leute beschwere (vgl. Luther, Großer Sermon

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tom heranziehen. Denn der Kampf gegen die rechtlich oder faktisch privilegierte Stellung einzelner großer Handelskompagnien im 16. und 17. Jahrhundert kann am ehesten dem modernen Feldzug gegen die Trusts verglichen werden und ist ebensowenig wie dieser schon an sich Ausdruck traditionalistischer Gesinnung.90 Auch Cromwell schrieb nach der Schlacht von Dunbar (Sept. 1650)91 an das Lange Parlament: „Bitte stellt die Mißbräuche aller Berufe ab, und gibt es einen, der viele arm macht, um wenige reich zu machen: das frommt einem Gemeinwesen nicht“,q 92 – und doch werden wir ihn andererseits von ganz spezifisch „kapitalistischer“ Denkweise erfüllt finden47). Unzweideutiger schon tritt in Luthers | 47)  Was hier darunter verstanden wird, mag vorläufig an dem Beispiel des Manifestes an die Iren erläutert werden, mit dem Cromwell im Januar 1650 seinen Vernichtungskrieg gegen sie eröffnete und welches die Entgegnung auf die Manifeste des irischen (katholischen) Klerus von Clonmacnoise vom 4. u. 13. Dezember 1649 darstellte.93

q A: nicht,“ vom Wucher, S.  110 – ein weiterer gegenüber dem von Weber im Text zitierten Einwand, ebd., S.  109). Vgl. dazu die von Weber unten, S.  201, Fn.  50, zitierte Literatur: Schmoller, National-ökonomische Ansichten, S.  554–571; Wiskemann, Nationalökonomische Ansichten, S.  55 f. 90  Weber dürfte auf die Antitrust-Bewegung in den USA anspielen (seit 1873), die Monopole und Wettbewerbsbeschränkungen unter Verbot gestellt sehen wollte, was mit der Sherman Act 1890 auch geschah. 91  In der Schlacht bei Dunbar (3. September 1650) besiegte die englische Armee unter Führung Oliver Cromwells die Schotten. 92  Am 4. September 1650 berichtet Oliver Cromwell dem Sprecher des Englischen Parlaments William Lenthall über die Schlacht. Wiedergegeben bei Carlyle, Crom­well’s Letters and Speeches II, p.  209–217, Zitat p.  215 f. („Be pleased to reform the abuses of all professions [.  .  .]“; Zitat des Satzes auch bei Gardiner, Commonwealth I, p.  397; Ausschnitt in Übersetzung bei Hoenig, Cromwell III/4, S.  49). Weber übersetzt offensichtlich selbst aus dem Englischen, wobei er Carlyle folgen dürfte (Hoenig übersetzt abweichend: „Möge es Euch gefallen, die Mißbräuche aller Bekenntnisse zu reformiren [.  .  .]“). 93  1649 setzte Cromwell nach Irland über, um den dort ausgebrochenen Aufstand niederzuschlagen. Wie die Massaker von Drogheda und Wexford zeigen, ging er äußerst brutal vor und tötete zahlreiche Zivilisten. Mit dem ersten Manifest vom 4. Dezember 1649 rief der irische Klerus die Bevölkerung zum Widerstand auf. Er befürchtete zurecht, daß Cromwell die katholische Religion ausrotten wollte, was die Vernichtung oder Verbannung der irischen Bevölkerung bedeutet hätte. Im zweiten Manifest vom 13. Dezember 1649 wird eine „Union“ und damit der Zusammenhalt der zersplitterten Parteiungen Irlands gefordert. Vgl. zu den Manifesten Gardiner, Commonwealth I, p.  162 f.; Hoenig, Cromwell II/3, S.  373 f.

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zahlreichen Äußerungen gegen den Wucher und das Zinsennehmen94 überhaupt seine, gegenüber der Spätscholastik, direkt (vom kapitalistischen Standpunkt aus) „rückständige“ Vorstellungsweise

Die Kernsätze lauten: „Englishmen had good inheritances (in Irland nämlich) which many of them purchased with their money .  .  . they had good leases from Irishmen for long time to come, great stocks thereupon, houses and plantations erected at their cost A 45 and charge. .  .  . You broke the union1 .  .  . | at a time when Ireland was in perfect peace and when throughr the example of English industry, through commerce and traffic, that which was in the natives’s hands was better to them than if all Ireland had been in their possession .  .  . Is God, will God be with you? I am confident he will not.“2 Dies, an englische Leitartikel zur Zeit des Burenkrieges3 erinnernde, Manifest ist nicht deshalb charakteristisch, weil hier das kapitalistische „Interesse“ der Engländer als Rechtsgrund des Krieges hingestellt wird, – das hätte, bei einer Verhandlung etwa zwischen Venedig und Genua über den Umfang ihrer Interessensphäre im Orient, als Argument sehr wohl ebenfalls gebraucht werden können.4 Sondern das Spezifische des Schriftstücks liegt darin, daß Cromwell – wie jeder, der seinen Charakter kennt, weiß, mit tiefster subjektiver

r A: trough  s A: nations’ 94  Hauptsächlich in Luthers Schriften: Kleiner Sermon vom Wucher. 1519, in: Luther, Sämmtliche Werke. Erlanger Ausgabe, Band  20, S.  122–127 [WA 6, S.  1–8]; Luther, Großer Sermon vom Wucher (1520; in der Erlanger Ausgabe auf 1519 datiert); Von Kaufshandlung und Wucher. 1524, in: Luther, Sämmtliche Werke. Erlanger Ausgabe, Band  22, S.  199–226 [WA 15, S.  279–322]; An die Pfarrherrn, wider den Wucher zu predigen.  1540, in: ebd., Band  23, S.  282–338 [WA 51, S.  325–424]. 1  Vermutlich meint Cromwell die irische Rebellion, die im Oktober 1641 gegen die englische Herrschaft offen ausgebrochen war. Die katholischen Iren befürchteten weitere Übergriffe, nachdem ihnen bereits seit Jahrzehnten die besten Ländereien für englische und schottische Kolonisten (sog. Plantations) enteignet worden waren. Vgl. Gardiner, Samuel R., History of England from the Accession of James I. to the Outbreak of the Civil War 1603–1642, vol. X. – London: Longmans, Green, and Co. 1884, p.  43 ff.; Ranke, Englische Geschichte II, S.  505–513. 2  Weber zitiert den Auszug aus der Antwort Cromwells an die Iren – wie in derselben Fn. unten, S.  199, angegeben – nach Gardiner, Commonwealth I, p.  163 f.; dass. bei Carlyle, Cromwell’s Letters and Speeches II, p.  115 ff., Zitat p.  117 f. Bei Gardiner (und Carlyle) heißt es „natives’ hands“. Vollständig in deutscher Übersetzung bei Hoenig, Cromwell II/3, S.  373–394, Zitat S.  377. 3 Ein auslösendes Moment für den (zweiten) Burenkrieg (oder Südafrikanischen Krieg), den Großbritannien von Ende 1899 bis Mai 1902 gegen den Oranje-Freistaat (Burenrepublik) und Transvaal (Südafrikanische Republik) führte (die nach dem Sieg Großbritanniens 1902 in das British Empire eingegliedert wurden) waren die Gold- und Diamantenvorräte. Als Beispiel für das Überlegenheitsgefühl der Engländer („ignorance and gullibility of the uneducated Boer“) vgl. den Leitartikel „How the ignorant masses of the Boers [.  .  .]“ in: The Times [London] vom 9. April 1901, Ausg. 36 424, p.  7. 4  Die beiden Seerepubliken Venedig und Genua konkurrierten seit dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts wegen des Orienthandels um die Vormachtstellung im östlichen Mittelmeer. Genua konnte sich zwar in der Seeschlacht bei Curzola (1298) behaupten, seit seiner Niederlage im Chioggia-Krieg (1378–1381) dominierte dann aber Venedig.

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vom Wesen des kapitalistischen Erwerbes hervor.48) Speziell das z. B. bei Antonin von Florenz bereits überwundene Argument von der Unproduktivität des Geldes5 gehört natürlich dahin.6 Doch brauchen wir hier auft Einzelheiten gar nicht einzugehen, – denn vor allem: der Gedanke des „Berufes“ im religiösen Sinn war in seinen Konsequenzen für die innerweltliche Lebensführung sehr verschiedener Gestaltungen fähig. Die Autorität der Bibel, aus der Luther ihn zu entnehmen glaubte, war im ganzen einer traditionalistischen Wendung günstiger. Speziell das Alte Testament, welches eine Überbietung der innerweltlichen Sittlichkeit nur in einzelnen asketischen Ansätzen kannte, hat einen ähnlichen religiösen Gedanken streng traditionalistisch gestaltet: ein jeder bleibe bei seiÜberzeugtheit – den Iren selbst gegenüber die sittliche Berechtigung ihrer Unterjochung unter Anrufung Gottes auf den Umstand gründet, daß englisches Kapital die Iren zur Arbeit erzogen haben. – (Das Manifest ist, außer bei Carlyle, im Auszug in Gardiners Hist[ory] of the Commonw[ealth] I, S.  163 f. abgedruckt und analysiert, und in deutscher Übersetzung auch in Hönigs Cromwell zu finden.)7 48)  Dies näher auszuführen ist hier noch nicht der Ort. Vgl. die in der zweitfolgenden Note zit[ierten] Schriftsteller.8 |

t A: in 5  Das kirchliche Zinsverbot wurde seit dem 13. Jahrhundert mit der Unproduktivität des Geldes (vgl. das Glossar, unten, S.  840) begründet, auch bei Luther, der sich dazu auf Aristoteles’ Politik 1 [cap.  6] berief. „Geld ist von Natur unfruchtbar, und mehret sich nicht, darumb, wo sichs mehret, als im Wucher, da ists wider die Natur des Geldes. Denn es lebt noch trägt nicht, wie ein Baum und Acker thut, der alle Jahr mehr gibt, denn er ist; denn er liegt nicht mußig, noch ohn Frucht, wie der Gulden thut von Natur.“ Zitat aus: An die Pfarrherrn, wider den Wucher zu predigen (wie oben, S.  198, Anm.  94), S.  300. Zitiert bei Schmoller, National-ökonomische Ansichten, S.  568, vgl. auch S.  564; Wiskemann, Nationalökonomische Ansichten, S.  52 und 139. 6  „Pecunia ex se sola minime est lucrosa nec valet seipsam multiplicare; sed ex industria mercantium fit per eorum mercationes lucrosa.“ Zitat aus: Antonin von Florenz, Summa moralis, in: Opera omnia [.  .  .], cura Thomae Mariae Mamachi et Dionysii Remedelli, tomus 2. – Florenz: P. C. Vivianus 1741, tit. 1 cap.  7 §  16, zit. bei Funk (s. u.), S.  151, Anm.  1. Weber verweist in seiner Vorlesung „Geschichte der Nationalökonomie“ (1896), MWG III/1, S.  682, unter anderem auf Funk, Franz Xaver, Über die ökonomischen Anschauungen der mittelalterlichen Theologen. Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie, in: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, Band  25, 1869, S.  125–175, bes. S.  145–151. Funk hebt die entscheidende Einsicht hervor, wonach Antonins Geld nur in der Verbindung mit Arbeit fruchtbar werde. 7  Vgl. oben, S.  198, Anm.  2. 8  Siehe unten, S.  201, Fn.  50. Vgl. z. B. eine ähnlich lautende Beurteilung Luthers bei Schmoller, National-ökonomische Ansichten, S.  563 f., 569, 713–715; Wiskemann, Nationalökonomische Ansichten, S.  56; Ward, Darstellung, S.  100 f.

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ner „Nahrung“ und lasse die Gottlosen nach Gewinn streben:9 das ist der Sinn aller der Stellen, welche direkt von weltlicher Hantierung handeln. Erst der Talmud steht darin teilweise – aber auch nicht grundsätzlich – auf anderem Boden.10 Die persönliche Stellung von Jesus ist mit dem „Unser täglich Brot gib uns heute“ in klassischer Reinheit gekennzeichnet,11 und der Einschlag von radikaler Welt-Ablehnung, wie er in dem „µαµωνᾶς τῆς ἀδικίας“ zum Ausdruck gelangt,12 schloß jede direkte Anknüpfung des modernen | Berufsgedankens an ihn persönlich aus.49) Das im Neuen Testament zum Wort gelangende „apostolische Zeitalter“ des Christentums, speziell auch Paulus, steht dem weltlichen Berufsleben, infolge der eschatologischen Erwartungen, die jene ersten Generationen von Christen erfüllten, entweder indifferent oder ebenfalls wesentlich traditionalistisch gegenüber: da alles auf das Kommen des Herrn wartet,13 so mag jeder in dem Stande und in der weltlichen Hantierung bleiben, in der ihn der „Ruf“ des Herrn gefunden hat[,] und arbeiten, wie bisher:14 so fällt er den Brüdern nicht als Armer lästig, und es ist ja nur noch eine kurze Weile.15 Luther las die Bibel durch die Brille seiner jeweiligen Gesamtstimmung, und 49)  S[iehe] die Bemerkung in Jülichers schönem Buch über die „Gleichnisreden Jesu“ Band  II uS.  636, S.  108 f.u 16

u–u A: 636. S.  108 f. S. 9  Weber greift auf die besprochene Stelle Sir 11,20 f. zurück (vgl. oben, S.  178, Fn.  38 mit Anm.  2) und übersetzt „Beruf“ (Luther) in V. 20 mit „Nahrung“ (Ps 37,3, vgl. oben, S.  185, Fn.  40). 10  Vgl. die von Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  411, Fn.  69, genannten Beispiele aus dem Talmud. 11  Die Brotbitte aus dem „Vaterunser“-Gebet, Mt 6,11 par. Lk 11,3. 12  Griech., Tl.  mamona¯ s te¯´s adikías, „ungerechter Mammon“ (Lk 16,9.11). Jülicher, Gleichnisreden II, S.  109, übersetzt mamona¯ s mit „Gewinn, Reichtum“, „hier personifiziert als eine Art Götze zu denken“. „Ungerecht“ kennzeichne sein Wesen; „es giebt eben keinen andern als ungerechten Mammon“ (S.  110). 13  Im Neuen Testament: die Erwartung der Wiederkunft Christi (Parusie), womit das Reich Gottes beginnt und die Heilsgeschichte vollendet wird. 14  Nach 1 Kor 7,17–24. 15  Nach 1 Kor 7,29. 16 Webers Seitenangaben betreffen Jülichers Exegese (1.) der Beispielerzählung „Vom reichen Mann und armen Lazarus“ (Lk 16,19–31; Jülicher, Gleichnisreden II, S.  617–641) und (2.) des Gleichnisses „Vom Doppeldienst“ (Mt 6,24 par. Lk 16,13; ebd., S.  108–115). Die Beispielerzählung zeige, daß Jesus Armut und Leid sowie die Gesinnung des Armseinwollens – eine Lebenshaltung – als unerläßlich für den Eintritt

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diese ist im Lauf seiner Entwicklung zwischen etwa 1518 und etwa 1530 nicht nur traditionalistisch geblieben, sondern immer traditionalistischer geworden.50) In den ersten Jahren seiner reformatorischen Tätigkeit herrscht bei ihm[,] infolge der wesentlich kreatürlichen Schätzung des Berufes, in bezug auf die Art der innerweltlichen Tätigkeit eine der paulinischen eschatologischen Indifferenz, wie sie 1. Kor. 7 zum Ausdruck kommt,51) entsprechende Anschauung vor: man | kann in 50)  Zum folgenden vgl. wiederum vor allem die Darstellung bei Eger a. a. O.17 Schon hier mag auch auf Schneckenburgers noch heute nicht veraltetes schönes Werk (Vergleichende Darstellung des lutherischen und reformierten Lehrbegriffes, herausgegeben von Güder, Stuttgart 1855) verwiesen werden.18 (Luthardts Ethik Luthers, S.  84 der ersten Auflage, die mir allein vorlag, gibt keine wirkliche Darstellung der Entwicklung.)19 Vgl. ferner Seebergs Dogmengeschichte Bd.  II, S.  262 unten. – Wertlos ist der Artikel „Beruf“ in der Realencyklopädie f[ür] prot[estantische] Theol[ogie] u[nd] Kirche,20 der statt einer wissenschaftlichen Analyse des Begriffes und seiner Genesis allerhand ziemlich seichte Bemerkungen über alles mögliche, Frauenfrage u. dgl. enthält. – Aus der nationalökonomischen Literatur über Luther seien hier nur die Arbeiten Schmollers (Gesch[ichte] der nationalökon[omischen] Ansichten in Deutschland während der Reformationszeit, Z[eitschrift] f[ür] Staatswiss[enschaft] XVI, 1860), Wiskemanns Preisschrift (1861) und die Arbeit von Frank G. Warda (Darstellung und Würdigung von Luthers Ansichten vom Staat und seinen wirtschaftlichen Aufgaben, Conrads Abh[andlungen] XXI, Jena 1898) genannt.21 51) Auslegung des 7. Kap. des ersten Korintherbriefes 1523 Erl[anger] Ausg. 51 S.  1 f.22 Hier wendet Luther den Gedanken der „Freiheit allen Berufs“ vor Gott im Sinn

a A: Ward. ins Himmelreich erachtete (bes. S.  636 f.), und das Gleichnis vom Doppeldienst, daß Jesus eine kompromißlose, radikal-ablehnende Stellung zum Reichtum bezog (bes. S.  108–110). 17  Vgl. Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf; zitiert oben, S.  190, Fn.  41. 18 Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, II; von Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  248, Fn.  4, S.  276, Fn.  32 u. ö., zitiert. 19  Dort heißt es summarisch: „Luther wird nicht müde, die Lehre vom Beruf zu predigen [.  .  .]“ (Luthardt, Ethik Luthers, S.  84), dazu eine systematische Zusammenstellung der Zitate zu „Beruf“ aus dem Werk Luthers, S.  85–88 (Anm.). 20  Gemeint ist: Lemme, Art. Beruf. 21 Vgl. Schmoller, National-ökonomische Ansichten; Wiskemann, Nationalökonomische Ansichten; Ward, Darstellung (dort im Titel: „[.  .  .] der Ansichten Luthers vom Staat [.  .  .]“). 22 Luther, 1 Korinther 7 (Erlanger Ausgabe, Band  51), S.  1–69, zielt in erster Linie darauf, das „Häuptstück“ (ebd., S.  3) der katholischen Ethik zu verwerfen – das biblische Kapitel diente der Kirche als Begründung der sittlichen Höherwertigkeit der Keuschheit gegenüber der Ehe („menschliche Satzunge“, S.  54) –, indem Luther die Ehe als natürlichen, gottgewollten Stand definiert. Selig mache nicht der Stand, sondern allein der Glaube (insbes. S.  48 f.). Die Ausweitung auf die „Freiheit aller Berufe“

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jedem Stande selig werden, es ist auf der kurzen Pilgerfahrt des Lebens sinnlos, auf die Art des Berufes Gewicht zu legen. Und das Streben nach materiellem Gewinn, der den eigenen Bedarf übersteigt und also nur auf Kosten anderer möglich erscheint, muß deshalb direkt als verwerflich gelten.52) Mit steigender Verflechtung in die Händel der Welt geht steigende Schätzung der Bedeutung der Berufsarbeit Hand in Hand. Damit zugleich wird ihm nun der konkrete Beruf des einzelnen zunehmend zu einem speziellen Befehl Gottes an ihn, diese konkrete Stellung, in die ihn göttliche Fügung gewiesen hat, zu erfüllen. Und als nach den Kämpfen mit den „Schwarmgeistern“23 und den Bauernunruhen24 die objektive dieser Stelle noch so, daß damit 1. Menschen-Satzung habe verworfen werden sollen (Mönchsgelübde, Verbot der gemischten Ehen usw.), 2. die (vor Gott an sich indifferenA 47 te) Erfüllung der übernommenen innerweltlichen Verpflichtungen gegen | den Nächsten als Gebot der Nächstenliebe eingeschärft werde. In Wahrheit handelt es sich freilich bei den charakteristischen Ausführungen z. B. S.  55, 56 um den Dualismus der lex naturae gegenüber der Gerechtigkeit vor Gott.25 52) Vgl. die von Sombart mit Recht als Motto vor seine Darstellung des „Handwerksgeistes“ (= Traditionalismus) gesetzte Stelle aus: „Von Kaufhandlung und Wu-

oder Stände vor Gott erfolgt im Mittelteil; dort gegen das Verbot der „Klösterei“ (S.  57) oder gegen das Verbot der Ehe von Christen mit Nicht-Christen (S.  54). – Nach Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf, stand zu Beginn der 1520er Jahre im Mittelpunkt von Luthers Theologie der Glaube des einzelnen Christen, gleich welchen Standes oder Berufs; diese spielten zu diesem Zeitpunkt für ein Leben im Glauben noch keine Rolle, sondern seien „gleichgültige Naturgrundlage“ (Eger, ebd., S.  148). Eger zitiert dazu markante Sätze, die der hier von Weber genannten Lutherschrift, S.  47 f., entstammen (Eger, ebd., Anm.  2). 23  Bezeichnung Luthers für spiritualistische Richtungen, mit denen er sich zwischen 1521 und 1525 auseinandersetzte, wie (1.) die „Zwickauer Propheten“, die die Kindertaufe ablehnten; (2.) Thomas Müntzer, der chiliastischen Vorstellungen anhing und 1524 die Reformation in Allstedt mit Gewalt durchsetzen wollte; (3.) Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, der schon 1521 in Wittenberg einen deutschsprachigen Gottesdienst eingeführt hatte, was Luther nach seinem Wartburgaufenthalt als zu „voreilig“ wieder rückgängig machte; 1524 hatte Karlstadt in Orlamünde eine ähnliche Gottesdienst- und Gemeindereformation durchgeführt. – Luther kritisierte an den „Schwarmgeistern“ oder „Schwärmern“ ihre falsch verstandene „evangelische Freiheit“, die „auf den Buchstaben der Schrift“ sehe und eine „neue religiöse Tyrannei“ errichte. Nach Müller, Kirchengeschichte II/1, S.  309–320, Zitate S.  311. 24  Die Bauernaufstände waren von Süddeutschland aus im Frühjahr 1525 bis nach Thüringen vorgedrungen. Luther mahnte zum Frieden. Nachdem Gewalt ausgebrochen war, wandte sich Luther an die Obrigkeit, die er zur Niederschlagung der „mörderischen Rotten der Bauern“ und Wiederherstellung der Ordnung berechtigt sah. Vgl. Müller, Kirchengeschichte II/1, S.  320–327, mit Betonung des Jahres 1525 als „Wendepunkt“ (S.  325; so auch andere) für Luther. 25  Auf den von Weber ausgewiesenen Seiten (Luther, 1 Korinther 7, S.  55 f.) geht es

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historische Ordnung, in die der einzelne von Gott hineingestellt ist, für Luther immer mehr zum direkten Ausfluß göttlichen Willens wird,53) führt die nunmehr immer stärkere Betonung des Providentiellen auch in den Einzelvorgängen des Lebens zunehmend zu einer dem „Schickungs“-Gedanken entsprechenden traditionalistischen Färbung: der einzelne soll grundsätzlich in dem Beruf und Stand bleiben, in den ihn Gott einmal gestellt hat, und sein irdisches Streben in den Schranken dieser seiner gegebenen Lebenscher“ (1524): „Darum mußt du dir fürsetzen, nichts denn deine ziemliche Nahrung zu suchen in solchem Handel, danach Kost, Mühe, Arbeit und Gefahr rechnen und überschlagen und also dann die Ware selbst setzen, steigern oder niedern, daß du solcher Arbeit und Mühe Lohn davon habst.“26 Der Grundsatz ist durchaus in thomistischem Sinn formuliert.27 53)  Schon in dem Brief an H[ans] v. Sternberg, mit dem er ihm 1530 die Exegese des 117. Psalms dediziert, gilt der „Stand“ des (niederen) Adels trotz seiner sittlichen Verkommenheit als von Gott gestiftet (Erl[anger] Ausg. 40 S.  282 unten). Die entscheidende Bedeutung, welche die Münzerschen Unruhen für die Entwicklung dieser Auffassung gehabt hatten, geht aus dem Brief (S.  282 oben) deutlich hervor.28 Vgl. auch Eger a. a. O. S.  150.29

um das Verhältnis des im Glauben freien Menschen zu Gott und zu seinen Mitmenschen: „Das ist Summa Summarum: Wir sind Niemand Nichts schüldig, denn lieben, und durch die Liebe dem Nähesten dienen. Wo Liebe ist, die macht zu eigen; also, daß kein Fahr des Gewissens oder Sund fur Gott sei, mit Essen, Trinken, Kleider, sonst oder so leben, ohn wo es wider den Nähesten ist: wider Gott kann man hie nicht sundigen, sondern wider den Nähesten“ (ebd., S.  56). – Zu „lex naturae“ vgl. oben, S.  190, Anm.  41. 26  Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  73, vorangestellt dem Ersten Buch „Die Wirtschaft als Handwerk“. Sombart zitiert Luther, Von Kaufshandlung und Wucher, nach WA 15, S.  296, Z.  33–36; von Weber hier wörtlich, aber modernisiert wiedergegeben. („Von Kaufshandlung und Wucher“ heißt die Schrift auch nach der von Weber benutzten Erlanger Ausgabe (vgl. oben, S.  198, Anm.  94), während sie andernorts auch als „Von Kaufhandlung [.  .  .]“ zitiert wird.) 27  Vgl. dazu unten, S.  206 f., Fn.  57 mit Anm.  41. 28  Der dem niederen Adel angehörende Ritter Hans von Sternberg war Pfleger der Veste Coburg, wo Luther 1530 während des Augsburger Reichstags die Auslegung von Ps 117 verfaßte. Für Luther folgt die göttliche Stiftung des Adelsstands daraus, daß er die von Müntzer ausgehenden Unruhen überdauert habe, während der geistliche Stand, der sich zu Beginn des reformatorischen Wirkens in einer vergleichbaren Situation befand, zu Fall gekommen sei (Luther, 117. Psalm, S.  282). Der Adel müsse darum seinen Standespflichten nachkommen und dem Volk vorbildlich begegnen; „Gott fordert es von ihnen“ (S.  283). Andernfalls drohe ihm Gefahr, „der Geistlichen Glück zu erben“ (S.  282). 29 Hinweis auf Luther, 117. Psalm, S.  282 f., bei Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf, S.  150.

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stellung halten. War der ökonomische Traditionalismus anfangs Ergebnis paulinischer Indifferenz, so ist er also später Ausfluß des immer intensiver gewordenen Vorsehungsglaubens,54) der den bedingungslosen Gehorsam gegen | Gott55) mit der bedingungslosen Fügung in die gegebene Lage identifiziert. Zu einer auf grundsätzlich neuer oder überhaupt prinzipieller Grundlage ruhenden Verknüpfung der Berufsarbeit mit religiösen Prinzipien ist Luther auf diese Art überhaupt nicht gelangt,56) die Reinheit der Lehre als

54)  Auch in der Auslegung des 111. Psalms v. 5 u. 6 (Erl[anger] Ausg. 40 S.  215 u. 216) A 48 wird 1530 von der Polemik gegen die Überbietung der weltlichen Ordnung | durch Klöster usw. ausgegangen. Aber jetzt ist die lex naturae30 (im Gegensatz zum positiven Recht, wie es die Kaiser und Juristen fabrizieren) direkt mit „Gottes Gerechtigkeit[“] identisch: sie ist Stiftung Gottes, und umfaßt insbesondere die ständische Gliederung des Volks (S.  215 Abs.  2 a[m] E[nde]), 31 wobei nur die Gleichwertigkeit der Stände vor Gott scharf betont wird. 55)  Wie er insbesondere in den Schriften „Von Konzilien und Kirchen“ (1539) und „Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament“ (1545) gelehrt wird.32 56)  Wie sehr namentlich der für uns so wichtige, den Calvinismus beherrschende Gedanke der Bewährung33 des Christen in seiner Berufsarbeit und Lebensführung bei Luther im Hintergrunde bleibt, zeigt die Stelle in „Von Konzilien und Kirchen“ (1539.

30  Zu „lex naturae“ vgl. oben, S.  190, Anm.  41. 31  Bei Luther, 111. Psalm, S.  216, heißt es: „Diese gottliche Stände und Ordnungen sind dazu von Gott geordnet, daß in der Welt ein beständig, ordenlich, friedlich Wesen sei, und das Recht erhalten werde. Darumb nennet ers hie Gottes Gerechtigkeit, die beständig ist und bleibt immer fur und fur; welchs die Juristen nennen das natürliche Recht“. – Zu Luthers Vorsehungsglaube vgl. Eger, der sich dabei auf Luthers Auslegung von Ps 111 (1530) bezieht: „Die Führungen Gottes vollziehen sich eben vorwiegend gerade in der Gestaltung bzw. Umgestaltung unserer natürlichen Lebensbedingungen und Lebensbeziehungen, und es ist Glaubenspflicht des Christen, diese Führungen auch in der Gestaltung seines äusseren Lebens anzuerkennen.“ Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf, S.  151. 32  Luther, Conciliis und Kirchen, und Luther, Kurzes Bekenntniß. Der Hinweis auf die beiden Schriften könnte durch Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf, S.  127, angeregt sein. Eger führt aus, daß seit Ende der 1520er Jahre bei Luther neben der Verbindung von „Glaube und Liebe“ diejenige von „Glaube und Gehorsam gegen Gott“ und damit die formale Autorität des göttlichen Wortes in den Vordergrund tritt (S.  124 f.). In diesem Zusammenhang zitiert Eger aus den auch von Weber angegebenen Schriften (S.  127). „Summa, wenn dich Gott hieße einen Strohhalm aufheben, oder eine Feder reißen, mit solchem Gebot, Befehl und Verheißung, daß du dadurch solltest aller Sunde Vergebung, seine Gnade und ewiges Leben haben: solltest du das nicht mit allen Freuden und Dankbarkeit annehmen [.  .  .]?“ (hier wiedergegeben nach Luther, Conciliis und Kirchen, 382). „Darumb heißts, rund und rein, ganz und Alles gegläubt, oder Nichts gegläubt!“ (wiedergegeben nach Luther, Kurzes Bekenntniß, S.  415). 33  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  296, u. ö.

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einzig unfehlbares Kriterium der Kirche, wie sie nach den Kämpfen der 20er Jahre bei ihm immer unverrückbarer feststand, hemmte Erl[anger] Ausg. 25 S.  376 unten):34 „Über diese sieben Hauptstücke“ (an denen man die rechte Kirche erkennt) „sind nun mehr äußerliche Zeichen, dabei man die heilige christliche Kirche erkennt, .  .  . wenn wir nicht unzüchtig und Säufer, stolz, hoffärtig, prächtig; sondern keusch, züchtig, nüchtern .  .  . sind.“ Diese Zeichen sind nach L[uther] deshalb nicht so gewiß als „die droben“ (reine Lehre[,] Gebet usw.)[,] „weil auch etliche Heiden sich in solchen Werken geübt und wohl zuweilen heiliger scheinen als Christen“.35 – Calvin persönlich stand, wie weiterhin zu erörtern sein wird, nicht wesentlich anders, wohl aber der Puritanismus.36 Jedenfalls dient der Christ bei Luther Gott nur „in vocatione“, nicht „per vocationem“ (Eger S.  117 ff.).37 – Gerade für den Bewährungsgedanken (allerdings mehr in seiner pietistischen als in calvinistischer Wendung) finden sich dagegen bei den deutschen Mystikern wenigstens einzelne Ansätze (s. z. B. die bei Seeberg, Dogmengesch[ichte] S.  165b oben zitierte Stelle aus Suso, ebenso die früher zit[ierten] Äußerungen Taulers),38 wenn schon rein psychologisch gewendet.

b A: 195 34  Luther, Conciliis und Kirchen, definiert das Wesen der Kirche oder das „christlich heilig Volk“ (in Gegenüberstellung zur päpstlichen Kirche) anhand von sieben äußerlichen Zeichen oder Merkmalen (sog. notae ecclesiae): Sie predigt Gottes Wort, spendet die Sakramente Taufe und Abendmahl, hat die Binde- und Lösegewalt (Schlüssel), bestellt ihre Kirchendiener (Bischöfe, Pfarrer etc.), gibt sich durch das öffentliche Gebet (Gottesdienst) und das Kreuz (Unglück und Verfolgung) zu erkennen (S.  359–376). Es handele sich um die Mittel des Heiligen Geistes, durch die nach der ersten Gesetzestafel Moses das Volk Gottes zum Glauben, zur Erkenntnis Gottes und zur Erfüllung seines Willens geführt werde (S.  376; darauf bezieht sich die erste Zitathälfte). – Der Heilige Geist heiligt das Volk Gottes auch nach der zweiten Tafel des Gesetzes. Die „Zeichen“, die sich hier auf den Lebensvollzug des Christen beziehen, faßt Luther summarisch zusammen. Weber zitiert nachfolgend in der zweiten Zitathälfte einen Ausschnitt der Aufzählung Luthers, Conciliis und Kirchen, S.  377. 35  Luther, ebd., S.  377. Darum bewertet Luther auch die Gebote der ersten Gesetzestafel höher: sie bewirkten größere Heiligkeit als die zweite (ebd.). – Weber ist hier möglicherweise angeregt von Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf, S.  158, der sich auf Luther, Conciliis und Kirchen, S.  375 f., bezieht, um daraus den passiven Zug der Praxis der lutherischen Kirche zu folgern: „Es liegt in der Linie einer ganzen Anzahl anderer Aussprüche Luthers über die Leiden, denen die Bekenner des wahren Glaubens in der Welt ausgesetzt sein müssen, wenn er in der Schrift ‚von Konzilien und Kirchen‘ (1539) das heilige Kreuz zu den unentbehrlichen Kennzeichen der Kirche Christi rechnet, während das religiös-sittliche Thun des Christen nach der andern Tafel Mosis als ein nicht so gewisses Zeichen angesehen werden muß.“ 36  Weber, Protestantische Ethik II, unten, bes. S.  272–276, auch S.  274, Fn.  27. 37 Gemeint sein dürfte: Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf, S.   117 f. (Zitat S.  117). Dort ist die Unterscheidung auch Ausdruck dafür, daß der systematische Zusammenhang von christlichem Glauben und sittlichem Tun, Heilsgut und Heilsaufgabe, bei Luther nicht explizit hergestellt werde. 38  Seeberg, Dogmengeschichte II, S.  165, zitiert Heinrich Seuse (auch: Suso): „‚Wem Innerkeit wird in Ausserkeit, dem wird Innerkeit innerlicher als dem Innerkeit wird in Innerkeit‘“ (es entstammt: Seuse, Heinrich, Die deutschen Schriften. Nach den älte-

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an sich schon die Entwicklung neuer Gesichtspunkte auf dem ethischen Gebiet. So blieb also bei Luther der Berufsbegriff traditionalistisch gebunden.57) Der Beruf ist das, was der Mensch als göttliche | Fügung hinzunehmen, worin er sich „zu schicken“ hat, – diese Färbung übertönt den auch vorhandenen anderen Gedanken, daß die Berufsarbeit eine oder vielmehr die von Gott gestellte Aufgabe

57)  Sein endgültiger Standpunkt ist dann wohl in einigen Ausführungen der Genesis­ exegese (in den Op[era] lat[ina] exeget[ica] ed. Elsperger) niedergelegt:39   Vol. IV p.  109: Neque haec fuit levis tentatio, intentum esse suae vocationi et de aliis non esse curiosum .  .  . Paucissimi sunt, qui sua sorte vivant40 contenti .  .  . (p.  111 eod.) Nostrum autem est, ut vocanti Deo pareamus .  .  . (p.  112) Regula igitur haec servanda est, ut unusquisque maneat in sua vocatione et suo dono contentus vivat, de aliis autem non sit curiosus. Das entspricht im Ergebnis durchaus der Formulierung des TraditionaA 49 lismus bei Thomas v. Aquin | (cSumma th[eologica] V, II-2 qu[estio]c 118 art. I c):41 Unde necesse est, quod bonum hominis circa ea consistat in quadam mensura, dum scilicet homo .  .  . quaerit habere exteriores divitias, prout sunt necessariae ad vitam ejus secundum suam conditionem. Et ideo in excessu hujus mensurae consistit peccatum, dum scilicet aliquis supra debitum modum vult eas vel acquirere vel retinere, quod pertinet ad avaritiam.42 Das Sündliche der Überschreitung des durch den eigenen stan-

c–c A: th. V, 2 gen. ; Summa fehlt in A; hier sinngemäß ergänzt. sten Handschriften in jetziger Schriftsprache, hg. von Heinrich Denifle. – München: Huttler 1880, S.  246). Das mystisch-ekstatische Moment der Einigung mit Gott im Grunde der Seele gelte es zu unterbrechen, wenn Not es erfordere. – Die Predigt Taulers – siehe oben, S.  184, Fn.  40 – bei Seeberg, ebd., Anm.  4. 39  Die Zitate entstammen Luther, Genesisexegese IV [WA 42, S.  639, Z.  11 f. und 28, S.  640, Z.  29 f. und 41 f.]. Bei Gen 17,9 stand Luther 1535 (vgl. WA 42, S.  VII). Paraphrasiert ist die „Regel“ (p.  112), die man in Gehorsam gegenüber Gott halten soll, auch bei Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf, S.  149: „Jeder muß in seinem Beruf bleiben und mit seiner Gabe zufrieden sein.“ 40  Bei Luther: „vivunt“. 41  Die Stelle nach: Thomas von Aquin, Summa theologica, tomus V (dass. in der Parmenser Ausg., Band  3, 1853; in der (neuen) Römischen Ausg., Band  9, 1897). Zitat auch bei Maurenbrecher, Thomas von Aquino, S.  48, Anm.  1, zum Kontext dort S.  48– 50. In Summa theologica II-2, quaestio 118, art. 1, wird erörtert, ob Habsucht (avaritia) Sünde sei. Der Mensch bedürfe der äußeren Güter zum Lebensunterhalt und strebe darum naturhaft nach ihnen. Diese hätten einen Nutzwert oder „Zweck“, wie es im Satz vor Webers Zitat heißt: „Bona autem exteriora habent rationem utilium ad finem [.  .  .].“ Der natürliche Erwerbstrieb in bezug auf äußere Güter soll sich nach Thomas von Aquin innerhalb der vorgegebenen Standesgrenzen bewegen, in die der Mensch durch die göttliche Vorsehung hineingeboren werde. Er schlage dagegen in Habsucht um, wenn der Mensch nach Überfluß, d. h. nach mehr als standesgemäßem Auskommen strebe. Dies aber sei Sünde, weil es sich gegen den Nächsten richte; denn der eine könne nicht Überfluß an zeitlichen Gütern haben, ohne daß ein anderer Mangel leide (ebd., q. 118, art. 1 c[onclusio]). 42  Bei Thomas von Aquin: „[.  .  .] pertinet ad rationem avaritiae“.

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sei.58) Und die Entwicklung des orthodoxen Luthertums unterstrich diesen Zug noch weiter. Etwas Negatives: Wegfall der Überbietung der innerweltlichen durch asketische Pflichten, verbunden aber mit desgemäßen Bedarf gegebenen Ausmaßes im Erwerbstrieb begründet Thomas aus der lex naturae, wie sie im Zweck (ratio) der äußeren Güter zutage trete, Luther aus Gottes Fügung. Über die Beziehung von Glaube und Beruf bei Luther s. noch vol. VII p.  222d:43 .  .  . quando es fidelis, tum placent Deo etiam physica, carnalia, animalia officia, sive edas, sive bibas, sive vigiles, sive dormias, quae mere corporalia et animalia sunt. Tanta res est fides .  .  . Verum est quidem, placere Deoe etiam in impiis sedulitatem et industriam in officio (diese Aktivität im Berufsleben ist eine Tugend lege naturae).44 Sed obstat incredulitas et vana gloria, ne possint opera sua referre ad gloriam Dei (an calvinistische Wendungen anklingend)45 .  .  . Merentur igitur etiam impiorum bona opera in hac quidem vita praemia sua (Gegensatz gegen Augustins „vitia specie virtutum palliata“)46 sed non numerantur, non colliguntur in utref. 58)  In der Kirchenpostille (Erl[anger] A[usgabe] 10, S.  233, 235/6)g heißt es: „ Jeder [ ]  ist in irgend einen Beruf berufen.“47 Dieses Berufes (S.  236 heißt es geradezu „Befehl“) d A: 225  e A: Dei  f A: altro  g  Klammer fehlt in A. 43  Das folgende Zitat entstammt Luther, Genesisexegese VII, p.  222 [WA 43, S.  620, Z.  2–4, 15–17 und 18 f.], Auslegung von Gen 29,1–3 (Vorlesung gehalten ca. 1542/43; vgl. WA 42, S.  VIII). Eger zitiert ebenfalls Luther, Genesisexegese VII, p.  222 (eine Stelle kurz vor dem Zitat Webers) und folgert: „Aus dem Gesagten ergiebt sich aber von selbst, daß man, um auf Gott vertrauen zu können, an dem Platz sich halten muss, an den uns Gott gestellt hat“ (Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf, S.  156). 44  Zu „lex naturae“ vgl. oben, S.  190, Fn.  41 mit Anm.  65. 45  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  266, Fn.  21, und S.  268. 46  Bei Augustinus, De Civitate Dei XIX,25 (PL 41), heißt es über die Tugenden derer, die nicht nach Gott streben: „[.  .  .] vitia sunt potius quam virtutes“, und ders., Contra Julianum IV,20 (PL 44): „Ita omnibus virtutibus non solum sunt vitia manifesta discretione contraria [.  .  .], verum etiam vicina quodam modo, nec veritate, sed quadam specie fallente, similia“. Möglicherweise als „geflügeltes Wort“ gedacht, das Weber auf Augustinus zurückführt. – Allerdings heißt es auch bei Jansenius, Cornelius, Augustinus [.  .  .], tomus II. – Löwen: Zegerus 1641, p.  584 (De statu naturae lapsae IV, 8): „[.  .  .] Augustini doctrinam, qua Romanorum, Philosophorum, vel quorumcumque infidelium virtutes, non veras virtutes, sed vitia specie virtutum palliata fuisse tradit [.  .  .]“ (zitiert auch bei Denifle, Luther, S.  386, Anm.  2). 47  Aus der Weihnachtspostille (enthalten in der Kirchenpostille von 1522). Luther verfaßte sie 1521 auf der Wartburg. Die angegebenen Seiten entstammen der Predigt: Am St. Johannistage. Evangelium Joh. 21,19–24 (Luther, Kirchenpostille, S.  232–247 [WA 10/I/1, S.  305–324]). Weber paraphrasiert S.  233 (dort mitgeteilt als „Lehre“ des Evangeliums): „Unangesehen aller heiligen Exempel und Leben, soll ein jeglicher [wie Petrus im Evangelium Joh 21] warten, was ihm befohlen ist, und wahrnehmen seines Berufs.“ Dies wird anschließend ausgeführt für den Beruf (hier: „Stand“) von Ehemann, Ehefrau, Sohn und Tochter, Knecht und Magd, Fürst, Herr, Bischof, Prälat (vgl. S.  234 f.). Zusammenfassend heißt es: „Siehe, wie nun niemand ohne Befehl und Beruf ist, so ist auch niemand ohne Werke, so er recht thun will. Ist nun einem jeglichen drauf zu merken, daß er in seinem Stande bleibe, auf sich selbst sehe, seines Befehls wahrnehme, und darinnen Gott diene [.  .  .]“ (S.  235 f.). – Hinweis auf die Kirchenpostille bei Eger,

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Predigt des Gehorsams gegen die Obrigkeit und der Schickung in die gegebene Lebenslage, war hier also zunächst der einzige ethische Ertrag.59) – Es war, wie | später60) noch zu erörtern sein wird,48 dem Berufsgedanken in dieser lutherischen Prägung bei den deutschen Mystikern schon weitgehend vorgearbeitet, namentlich durch die prinzipielle Gleichwertung geistlicher und weltlicher Berufe bei Tauler und die geringere Bewertung der überlieferten Formen asketischen Werkverdienstes61) infolge der allein entschei-

soll er warten und darin Gott dienen.49 Nicht an der Leistung, sondern an dem darin liegenden Gehorsam hat Gott Freude. 59)  Dem entspricht es, wenn – ein Gegenbild gegen das, was oben über die Wirkung des Pietismus auf die Wirtschaftlichkeit der Arbeiterinnen gesagt wurde50 – von modernen Unternehmern zuweilen behauptet wird, daß z. B. streng lutherisch-kirchliche Hausindustrielle heute nicht selten, z. B. in Westfalen, in besonders hohem Maß traditionalistisch denken, Umgestaltungen der Arbeitsweise – auch ohne Übergang zum Fabriksystem – trotz des winkenden Mehrverdienstes abgeneigt seien und zur Begründung auf das Jenseits verwiesen, wo ja doch alles sich ausgleichen werde. Es zeigt sich, daß die bloße Tatsache der Kirchlichkeit und Gläubigkeit für die Gesamtlebensführung noch nicht von irgend wesentlicher Bedeutung ist: es sind viel konkretere religiöse A 50 Lebensinhalte, deren Wirkung | in der Zeit des Werdens des Kapitalismus ihre Rolle gespielt haben und – in beschränkterem Maße – noch spielen. 60)  „Später“ heißt in diesem ganzen Abschnitt: bei der geschichtlichen Zurückverfolgung des puritanischen Berufsbegriffes nach dessen Darstellung.51 61)  Vgl. Tauler, Basler Ausg. Fol[io]h 161 f.52

h A: Bl. Anschauungen Luthers vom Beruf, S.  148 f. Eger spricht in diesem Zusammenhang von dem „angewandten Vorsehungsglauben“ bei Luther: „[W]ir haben in unserem Beruf auszuharren, weil wir so und nicht anders von Gott geführt worden sind“ (S.  149). 48  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  277–279 mit Fn.  33. 49  Vgl. Luther, Kirchenpostille, S.  236: „O nein, lieber Mensch, es ist Gott nicht um die Werke zu thun, sondern um den Gehorsam [.  .  .]. Daher kommt’s, daß eine fromme Magd, so sie in ihrem Befehl hingehet, und nach ihrem Amt den Hof kehret, oder Mist austrägt [.  .  .], stracks zu gen Himmel gehet [.  .  .]“. – Paraphrasiert auch bei Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf, S.  146. 50  Siehe oben, S.  161. Auch das folgende könnte über den Oerlinghauser Familienbetrieb vermittelt worden sein. 51  D.h. Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  242–425. 52  Taulers Predigt (vgl. Tauler, Predigten, Basler Ausg. 1521, fol.  161r-163r) handelt von den äußerlichen und innerlichen Übungen der Frömmigkeit. Dabei bleibe man, so Tauler, nicht an den äußerlichen, asketischen Übungen haften (Tauler nennt Fasten, Wachen, Schweigen, deren Maß an den individuellen Bedürfnissen orientiert werden solle), sondern wende sich nach innen, denn nur in der Innerlichkeit könne die Einigung mit Gott geschehen. Dazu dienten das Gebet in stiller, abendlicher Ruhe, die Erkenntnis der eigenen Fehler und das Vertrauen auf Gott.

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denden Bedeutung der ekstatisch-kontemplativen Aufnahme des göttlichen Geistes durch die Seele. Das Luthertum bedeutet sogar in einem bestimmten Sinne gegenüber den Mystikern einen Rückschritt, insofern bei Luther – und mehr noch bei seiner Kirche – die psychologischen Unterlagen für eine rationale Berufsethik gegenüber den Mystikern – deren Anschauungen über diesen Punkt mehrfach teils an die pietistische, teils an die quäkerische Glaubens­ psychologie ierinnern62) –i ziemlich unsichere geworden sind[,] und zwar, wie noch zu zeigen sein wird,53 gerade weil der Zug zur asketischen Selbstdisziplinierung ihm als Werkheiligkeit verdächtig war und daher in seiner Kirche immer mehr in den Hintergrund treten mußte. Der bloße Gedanke des „Berufes“ im lutherischen Sinn also – das allein sollte schon hier festgestellt werden – war, soviel wir bisher sehen können, von jedenfalls nur problematischer Tragweite für das, was wir suchen. Damit ist nun nicht im mindesten gesagt, daß eine praktische Bedeutung auch der lutherischen Form der Neuordnung des religiösen Lebens für die Gegenstände unserer Betrachtung nicht bestanden hättek. Nur ist sie offenbar nicht unmittelbar aus der Stellung Luthers und seiner Kirche zum weltlichen Beruf ableitbar und überhaupt nicht so leicht greifbar[,] wie dies vielleicht bei anderen Ausprägungen des Protestantismus der Fall sein könnte. Es empfiehlt sich daher für uns, zunächst solche Formen desselben zu betrachten, bei denen ein Zusammenhang der 62)  Vgl. die eigentümlich stimmungsvolle Predigt Taulers a. a. O. und Fol[io] 17. 18v. 20.54 |

i–i A: erinnern3),  k  A: hätten 53  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  285 und S.  335 mit Fn.  109a. 54  Die erste Angabe bezieht sich auf die oben, S.  208, Fn.  61, genannte Predigt Taulers. Die Folio-Angaben zur zweiten Predigt (fol.  17. 18v. 20) ließen sich in der Basler Ausgabe von 1521 nicht verifizieren, noch in einer anderen Ausgabe der Predigten Taulers wie angegeben ermitteln. Mit dem Thema in Verbindung bringen ließe sich jedoch Tauler, Basler Ausg. 1521, fol.  121r: „So sollen diese edlen Menschen, wenn sie sich des Nachts gar wohl in dieser innerlichen Einkehr und auch des Morgens ein wenig geübt haben, in gutem Frieden ihre Arbeit verrichten, jeder wie Gott es ihm fügt, und Gott während ihrer Tätigkeit im Sinn haben, denn man darf sicher sein: es kann dir bei deiner Arbeit mehr Gutes geschehen als bei jener Beschauung.“ Hier zit. nach: Johannes Tauler. Predigten. Vollst. Ausg. Übertragen und hg. von Georg Hofmann, Band  II. – Einsiedeln: Johannes Verlag 1979, S.  540 f. – Möglicherweise ist auch die oben, S.  184, Fn.  40 (mit Anm.  35), erwähnte Predigt Taulers gemeint.

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Lebenspraxis mit dem religiösen Ausgangspunkt leichter als beim Luthertum zu ermitteln ist. Schon früher wurde nun die auffällige Rolle des Calvinismus und der protestantischen Sekten in der Geschichte der kapitalistischen Entwicklung erwähnt.55 | Wie Luther in Zwingli einen „anderen Geist“ lebendig fand als bei sich selbst,56 so seine geistigen Nachfahren speziell im Calvinismus. Und erst recht hat der Katholizismus von jeher, und bis in die Gegenwart, den Calvinismus als den eigentlichen Gegner betrachtet. Zunächst hat das ja nun politische Gründe: wenn die Reformation ohne Luthers ganz persönliche religiöse Entwicklung nicht vorstellbar und geistig dauernd von seiner Persönlichkeit bestimmt worden ist, so wäre ohne den Calvinismus sein Werk nicht von äußerer Dauer gewesen. – Aber der Grund des, Katholiken und Lutheranern gemeinsamen, Abscheues liegt doch auch in der ethischen Eigenart des Calvinismus begründet. Schon der oberflächlichste Blick lehrt, daß hier eine ganz andersartige Beziehung zwischen religiösem Leben und irdischem Handeln hergestellt ist, als sowohl im Katholizismus wie im Luthertum. Selbst in der spezifisch religiö­se Motive verwendenden Literatur tritt das hervor. Man nehme etwa den Schluß der Divina Commedia, wo dem Dichter im Paradiese im wunschlosen Schauen der Geheimnisse Gottes die Sprache versagt,57 und halte daneben den Schluß jenes Gedichtes, welches man die „Göttliche Komödie des Puritanismus“ zu nennen sich gewöhnt hat.58 Milton schließt den letzten Gesang des „Para-

55  Siehe oben, S.  123–140. 56  Oft zitiert, lat.: „Vos habetis alium spiritum quam nos.“ Luther bezieht sich mit „vos“ auf Zwingli und Johannes Oecolampad als Repräsentanten der Schweizer und Oberdeutschen, die eine abweichende, spiritualistische Abendmahlsauffassung vertraten. Zitat Martin Luthers im Brief an den Bremer Superintendenten Jakob Probst vom 1. Juni 1530 über das Marburger Religionsgespräch (1.–3.  10. 1529), hier nach: de Wette, Wilhelm Martin Leberecht (Hg.), Dr. Martin Luthers Briefe, Sendschreiben und Bedenken. Vierter Theil. – Berlin: G. Reimer 1827, S.  28 [WA.Br 5, Nr.  1577, S.  338– 342, hier S.  340, Z.  54]. 57  Vgl. Dante, Göttliche Komödie, 33. [= letzter] Gesang, S.  393–397. Dante Alighieris „La Commedia“ entstand in den ersten beiden Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts (Erstdruck 1472). 58  Die Bezeichnung konnte nicht nachgewiesen werden. Miltons „Paradise Lost“ und Dantes „Divina Commedia“ werden allerdings häufig miteinander verglichen, z. B. bei Masson, Milton VI, p.  518–522 und 532–536; Stern, Milton II/4, S.  101–103. Auch Troeltsch, Art. Moralisten, S.  447, hält Milton für den „Dante“ des „protestantisch-reformierten Kulturideals“.

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dise lost“ nach der Schilderung der Ausstoßung aus dem Paradiese wie folgt:59 l„Sie 5

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wandten sich und sah’n des Paradieses Östlichen Teil, – noch jüngst ihr sel’ger Sitz, – Von Flammengluten furchtbar überwallt, Die Pforte selbst von riesigen Gestalten, Mit Feuerwaffen in der Hand, umschart. Sie fühlten langsam Tränen niederperlen, – Jedoch sie trockneten die Wangen bald: Vor ihnen lag die große weite Welt, Wo sie den Ruheplatz sich wählen konnten Die Vorsehung des Herrn als Führerin. Sie wanderten mit langsam zagem Schritt Und Hand in Hand aus Eden ihres Weges.“l

Und wenig vorher hatte Michael zu Adam gesagt: m„.  .  .

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Nur füge zu dem Wissen auch die Tat; Dann füge Glauben, Tugend und Geduld Und Mäßigkeit hinzu und jene Liebe, Die einst als christliche gepriesen wird, Und Seele wird von allen Tugenden. Dann läßt du ungern nicht dies Paradies, Du trägst in dir ja ein viel sel’geres.“m | Jeder empfindet sofort, daß dieser mächtigste Ausdruck der ernsten puritanischen Weltfreudigkeit, das heißt: Wertung des Lebens als Aufgabe, im Munde eines mittelalterlichen Schriftstellers unmöglich gewesen wäre. Aber auch dem Luthertum, wie es etwa in Luthers und Paul Gerhardtsn Chorälen sich gibt,60 ist er ganz l–l  Petitdruck in A.   m–m  Petitdruck in A.   n A: Gerhards 59  Weber zitiert (nach der Übersetzung Adolf Böttgers) Milton, Das verlorene Paradies, zunächst S.  313, dann S.  311 f. Miltons Epos „Paradise Lost“ erschien zuerst 1667 und in zweiter, endgültiger, zwölf Gesänge umfassender Version 1674. 60  Luther, der „Vater des evangelischen deutschen Kirchenliedes“, verfaßte für den von ihm eingerichteten deutschsprachigen Gottesdienst Lieder, aber auch für Schule und Öffentlichkeit, und gab Gesangbücher heraus. Seine Lieder dienten der Verbreitung der reformatorischen Lehre. – Paul Gerhardt gilt mit seinen über 130 Liedern als bedeutendster Kirchenlieddichter des Protestantismus nach Luther. Er dichtete nach den Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges und wollte seinen Zeitgenossen in seinen

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ebenso wenig kongenial. An die Stelle dieser unbestimmten Empfindung gilt es nun hier eine etwas genauere gedankliche Formulierung zu setzen und nach den inneren Gründen dieser Unterschiede zu fragen. Die Berufung auf den „Volkscharakter“ ist nicht nur überhaupt lediglich das Bekenntnis des Nichtwissens, sondern in unserem Fall auch gänzlich hinfällig. Den Engländern des 17. Jahrhunderts einen einheitlichen „Volkscharakter“ zuzuschreiben wäre einfach historisch unrichtig. „Kavaliere“ und „Rundköpfe“ empfanden sich nicht einfach als zwei Parteien, sondern als radikal verschiedene Menschengattungen,61 und wer aufmerksam zusieht, muß ihnen darin recht geben.63) Und ein charakterologischer Gegensatz der englischen merchant adventurers gegen die alten Hanseaten ist ebensowenig auffindbar,62 wie überhaupt keino A 52

63)  Wer freilich die Geschichtskonstruktion der Leveller teilte, wäre in der glücklichen Lage[,] auch dies wieder auf Rassendifferenzen zu reduzieren: sie glaubten als Vertreter der Angelsachsen ihr „birthright“ gegen die Nachfahren Wilhelms des Eroberers und der Normannen zu verfechten.63 |

o A: ein Lob-, Dank- und Trostliedern gelassenes Gottvertrauen vermitteln. Vgl. Hering, Hermann, Art. Kirchenlied III, deutsches, in: RE3, 10. Band, 1901, S.  419–426, Zitat S.  421. 61  Während des Englischen Bürgerkrieges (1642–1649) bezeichnete man die Anhänger der Parlamentspartei als „Roundheads“, die Royalisten als „Cavaliers“ des Königs. Die Bezeichnung „Roundheads“ rührte von der Kurzhaarfrisur her, die parlamentsparteiische Puritaner, besonders Lehrlinge, im Gegensatz zu den schulterlangen Locken(-Perücken) der „Cavaliers“ trugen. 62  Die Company of Merchant Adventurers of London, eine Art Gilde der Überseehändler, hatte während des 16. und 17. Jahrhunderts das Monopol des Tuchexports nach Nordeuropa inne. Ihre Hauptniederlassung auf dem Festland befand sich in Antwerpen. Nach Ausbruch des Niederländischen Krieges verlegte sie den Sitz ihrer Niederlassung in andere Städte, im Jahre 1567 nach Hamburg, wo die Engländer 1654 vom Senat dieselben Handelsrechte wie die Hansekaufleute erhielten und bis Anfang des 19. Jahrhunderts als „Hamburg Company“ aktiv waren. Vgl. Lingelbach, W[illiam] E[zra], The Merchant Adventurers of England. Their Laws and Ordinances with other Documents. – Philadelphia: Longman, Green & Co. 1902, p. xv–xxxix. 63 Die politische Partei der Leveller (engl. Levellers; Näheres im Glossar, unten, S.  833 f.) vertrat unter Berufung auf das Naturrecht weitreichende Demokratie- und religiöse Toleranzvorstellungen. Ihrem Geschichtsverständnis nach wurden ihren angelsächsischen Vorfahren von den Normannen (Eroberung unter Wilhelm im Jahr 1066) ein fremdes Recht und eine neue Herrschafts- und Sozialordnung oktroyiert. Es gelte nun, das normannische Joch zu beseitigen und zur altenglischen Freiheit zurückzukehren. – Zur Berufung auf das „birthright“ vgl. z. B. John Lilburnes Manifest „Englands birth-right justified“ (London, Oktober 1645) die Putney Debates (1647) (vgl. dazu: The Clarke Papers. Selections form the Papers of William Clarke, ed. by C. H. Firth, vol. I. – London: Printed for the Camden Society 1891, p. lx ff.).

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anderer Unterschied englischer von deutscher Eigenart am Ende des Mittelalters zu konstatieren ist, als er sich durch die verschiedenen politischen Schicksale unmittelbar erklären läßt. Erst die Macht religiöser Bewegungen – nicht sie allein, aber sie zuerst – hat hier jene Unterschiede geschaffen, die wir heute empfinden. Wenn wir demgemäß bei der Untersuchung der Beziehungen zwischen der altprotestantischen Ethik und der Entwicklung des kapitalistischen Geistes von den Schöpfungen Calvins, des Calvinismus und der puritanischen Sekten ausgehen, so darf das nun aber nicht dahin verstanden werden, als erwarteten wir,p bei einem der Gründer oder Vertreter dieser Religionsgemeinschaften die Erweckung dessen, was wir hier „kapitalistischen Geist“ nennen, in irgend einem Sinn als Ziel seiner Lebensarbeit vorzufinden. Daß das Streben nach weltlichen Gütern als Selbstzweck gedacht, irgend einem von ihnen geradezu als ethischer Wert gegolten hätte, werden wir nicht wohl vermuten können. Aber es ist überhaupt vor allem eins ein für allemal festzuhalten: | ethische Reformprogramme sind bei keinem der „Reformatoren“ – zu denen wir für unsere Betrachtung auch Männer wie Menno, George Fox, Wesley zu rechnen haben64 – jemals der zentrale Gesichtspunkt gewesen. Sie sind keine Gründer von Gesellschaften für „ethische Kultur“65 oder Vertreter humanitärer sozialer Reformprogramme oder Kulturideale. Das Seelenheil und dies allein ist der Angelpunkt ihres Lebens und Wirkens. Ihre ethischen Ziele und die praktischen Wirkungen ihrer Lehre sind alle hier verankert und Konsequenzen rein religiöser Motive. Und wir werden deshalb darauf gefaßt sein müssen, daß die Kulturwirkungen der Reformation zum guten Teil – vielleicht sogar für unsere speziellen Gesichtspunkte überwiegend – p  In A folgt: daß 64  Menno Simons gab den gemäßigten Täufern ihre organisatorische Gestalt („Mennoniten“). – George Fox, Gründervater der „Society of Friends“ (Quäker). – John Wesley, (Mit-)Begründer des Methodismus. Vgl. auch das Personenverzeichnis, unten, S.  799, 782 und 817. 65  Gesellschaften für ethische Kultur gründen in der „ethischen Bewegung“, deren Anliegen die Pflege einer Ethik in erklärter Unabhängigkeit und Selbständigkeit gegenüber einer Religion und einem persönlichen Bekenntnis war (Näheres im Glossar, unten, S.  829). Weber stand der Bewegung kritisch gegenüber (vgl. ders., Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Akademische Antrittsrede, in: MWG I/4, S.  535–574, hier S.  573 mit Anm.  58; dazu S.  538, Anm.  12).

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Die protestantische Ethik. I. Das Problem

unvorhergesehene und geradezu ungewollte Konsequenzen der Arbeit der Reformatoren waren, oft weit abliegend oder geradezu im Gegensatz stehend zu Allem, was ihnen selbst vorschwebte. So könnten die nachfolgenden Studien an ihrem freilich bescheidenen Teil vielleicht auch einen Beitrag bilden zur Veranschaulichung der Art, in der überhaupt die „Ideen“ in der Geschichte wirksam werden.66 Gerade aus diesem Zweck wird das Recht abgeleitet, sie in diese Zeitschrift, welche ihrem Programm gemäß an rein historischer Arbeit sich im allgemeinen nicht selbst beteiligt, aufzunehmen.67 Damit aber nicht schon von vornherein Mißverständnisse über den Sinn, in dem hier ein solches Wirksamwerden rein ideeller Motive überhaupt behauptet wird, entstehen, mögen darüber als Abschluß dieser langwierigen Erörterungen noch einige wenige Andeutungen gestattet sein. Es handelt sich bei solchen Studien – wie vor allem ausdrücklich bemerkt sein mag – in keiner Weise um den Versuch, den Gedankengehalt der Reformation in irgend einem Sinn, sei es sozialpolitisch, sei es religiös zu werten. Wir haben es für unsere Zwecke stets mit Seiten der Reformation zu tun, welche dem religiösen Bewußtsein als peripherisch und geradezu äußerlich erscheinen müssen. Denn es soll ja lediglich unternommen werden, den Einschlag, welchen religiöse Motive in das Gewebe der Entwicklung unserer aus zahllosen historischen Einzelmotiven erwachsenen modernen materiellen Kultur geliefert haben, etwas deutlicher zu machen. Wir fragen lediglich, was von gewissen charakteristischen Inhalten dieser Kultur dem Einfluß der Reformation als historischer Ursache etwa zuzurechnen sein möchte. Dabei müssen wir uns freilich von der Ansicht emanzipieren, man könne | aus ökonomischen Verschiebungen die Reformation als „entwicklungsgeschichtlich notwendig“ deduzieren. Ungezählte historische Konstellationen, die nicht nur in kein ökonomisches „Gesetz“, sondern überhaupt in keinen ökonomischen Gesichtspunkt irgend welcher Art sich einfügen, namentlich rein politische Vorgänge, mußten zusammenwirken, damit die neu geschaffenen Kirchen überhaupt fortzubeste66  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  242–425. 67 Vgl. dazu das „Geleitwort“ der Herausgeber Werner Sombart, Max Weber und Edgar Jaffé zur Übernahme des „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“, in: AfSSp, 19. Band (N. F. 1. Band), 1904, S.  I*–VII*, und Webers Interpretation der Aufgaben des „Archvis“ in Weber, Objektivität, S.  39–41.

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3.  Luthers Berufsbegriff. Aufgabe der Untersuchung

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hen vermochten. Aber andererseits soll ganz und gar nicht eine so töricht-doktrinäre These verfochten werden wie etwa die: daß der „kapitalistische Geist“ (immer in dem provisorisch hier verwendeten Sinn dieses Wortes) oder wohl gar: der Kapitalismus überhaupt, nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation habe entstehen können. Schon daß gewisse wichtige Formen kapitalistischen Geschäftsbetriebs erheblich älter sind als die Reformation, stände einer solchen These im Wege. Sondern es soll nur festgestellt werden, ob und wieweit hier tatsächlich religiöse Einflüsse bei der qualitativen Prägung und quantitativen Expansion jenes „Geistes“ über die Welt hin mitbeteiligt gewesen sind und welche konkreten Seiten der kapitalistischen Kultur auf sie zurückgehen. Dabei kann nun angesichts des ungeheuren Gewirrs gegenseitiger Beeinflussungen zwischen den materiellen Unterlagen, den sozialen und politischen Organisationsformen und dem geistigen Gehalte der reformatorischen Kulturepochen nur so verfahren werden, daß zunächst untersucht wird, ob und in welchen Punkten bestimmte Wahlverwandtschaften zwischen gewissen Formen des religiösen Glaubens und der Berufsethik erkennbar sind. Damit wird zugleich die Art und allgemeine Richtung, in welcher infolge solcher Wahlverwandtschaften die religiöse Bewegung auf die Entwicklung der materiellen Kultur einwirkte, nach Möglichkeit verdeutlicht. Alsdann erst kann der Versuch gemacht werden, abzuschätzen, in welchem Maße moderne Kulturinhalte in ihrer geschichtlichen Entstehung jenen religiösen Motiven und inwieweit anderen zuzurechnen sind. |

Die protestantische Askese und das moderne Erwerbsleben [Vortrag am 5. Februar 1905 in Heidelberg]

Editorischer Bericht I.  Zur Entstehung Nach der Veröffentlichung des ersten Aufsatzes seiner Studie „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“,1 aber noch vor der Veröffentlichung des zweiten,2 hielt Max Weber im „Eranos“ am 5. Februar 1905 einen Vortrag mit dem Titel „Die protestantische Askese und das moderne Erwerbsleben“. Darin skizziert er in Kurzform, was er dann im zweiten Aufsatz ausführlich entwickeln sollte. Der Aufsatz profitierte also von der mit dem Vortrag verbundenen Diskussion. Der „Eranos“ war ein Kreis Heidelberger Professoren, die sich zur „Erforschung der Religionen und der Religion“ zusammengeschlossen hatten.3 Die Initiative zu seiner Gründung ging von dem Theologen Gustav Adolf Deissmann und dem klassischen Philologen Albrecht Dieterich aus. Sie wollten damit das interdisziplinäre Gespräch fördern. In „Statuten“ regelte man die Reihenfolge und den Ablauf der Zusammenkünfte. So sollten die Treffen während des Semesters einmal im Monat an einem Sonntag von 18 bis 23 Uhr stattfinden, und zwar in der Wohnung eines der Teilnehmer und reihum in alphabetischer Reihenfolge. Der jeweilige Gastgeber, „Hospes“ genannt, hatte einen Vortrag zu einem religionswissenschaftlichen Thema zu halten, an den sich eine Diskussion anschließen sollte. Gegen 20.30 Uhr war ein ein-

1  Oben, S.  97–215. 2  Unten, S.  222–425. 3  Zum „Eranos“-Kreis ausführlich: Lepsius, M. Rainer, Der Eranos-Kreis Heidelberger Gelehrter 1904–1908. Ein Stück Heidelberger Wissenschaftsgeschichte anhand der neu aufgefundenen Protokollbücher des Eranos, in: Jahrbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften für das Jahr 1983, hg. vom Vorstand der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. – Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag 1984, S.  4 6–48; Treiber, Hubert, Der „Eranos“ – Das Glanzstück im Heidelberger Mythenkranz?, in: Schluchter, Wolfgang und Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Asketischer Protestantismus und der ‚Geist‘ des modernen Kapitalismus. – Tübingen: Mohr Siebeck 2005, S.  75–153 (hinfort: Treiber, Der „Eranos“).

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faches Mahl vorgesehen. Danach sollte das wissenschaftliche Gespräch informell weitergeführt werden, bis man gegen 23 Uhr auseinanderginge.4 Die „Statuten“ regelten ferner, daß ein „Album“ zu führen sei, in das der gastgebende Referent den Inhalt seines Vortrags und die wichtigsten Ergebnisse der Diskussion einzutragen hatte. Dem überlieferten Protokollbuch ist zu entnehmen, daß man sich von Januar 1904, dem Beginn der Zusammenkünfte, bis Anfang 1906 auch strikt an die Satzung hielt. Dann aber nahmen sowohl die Frequenz der Zusammenkünfte als auch die Ausführlichkeit ab, mit der Vortrag und Diskussion protokolliert wurden. Nach Januar 1909 fehlt jeglicher Eintrag. Danach löste sich der Kreis allmählich auf. Am 23. Februar 1908 hatte Weber noch einmal vorgetragen, diesmal über „Kapitalismus im Altertum“ und ohne jeden religionswissenschaftlichen Bezug.5 Am 5. Februar 1905 traf man sich in der Heidelberger Wohnung von Max und Marianne Weber in der Hauptstraße 73.6 Außer Max Weber, dem „Hospes“ und Referenten, nahmen Adolf Deissmann (Neues Testament), Albrecht Dieterich (Klassische Philologie), Alfred von Domaszewski (Alte Geschichte), Friedrich von Duhn (Archäologie), Eberhard Gothein (Nationalökonomie), Georg Jellinek (Öffentliches Recht), Erich Marcks (Neuere Geschichte), Karl Rathgen (Nationalökonomie) und Wilhelm Windelband (Philosophie) an der Zusammenkunft teil. Laut Protokollbuch waren damit bis auf Ernst Troeltsch (Theologie) alle Kreis-Teilnehmer anwesend.7 Webers Eintrag in das Protokollbuch zeigt, daß er bei der Darlegung der dogmatischen Grundlagen der protestantischen Askese mit Calvinismus, Täufertum, Pietismus, Methodismus eine andere Abfolge der Träger des asketischen Protestantimus wählte als im zweiten Protestantismus-Aufsatz. Dies läßt jedoch keine weitergehenden Schlüsse zu. Weber verstand das Täufertum, wie er im zweiten Aufsatz schreibt, als „zweite[n] selbständige[n] Träger protestantischer Askese neben dem Calvinismus“.8 Das ist mit dieser Reihenfolge stärker als im Aufsatz zum Ausdruck gebracht. Interessant ist auch der Hinweis auf die „protestantische Fortentwicklung der ‚lex naturae‘“. Sie habe in Verbindung mit dem Vorsehungsglauben an der utilitarischen Wendung der religiös begründeten Berufsaskese mitgewirkt. Im ersten Aufsatz zur „Protestantischen Ethik“ hatte Weber die Rolle der „lex naturae“ im Protestantismus erörtert und sich dabei auf die Schriften von Ernst

4 Protokollbuch des Eranos-Kreises (Universitätsarchiv Heidelberg, KE 94), darin auch das Einladungsschreiben Deissmanns und die „Satzung“. 5  Ediert in MWG I/6, S.  748–753. 6  Das Ehepaar Weber wohnte dort von 1902 bis 1906. 7 Laut Satzung mußte Fehlen begründet werden: „Die Mitglieder betrachten die Teilnahme an den Tagungen als Officium, von dem bloß die triftigsten Gründe dispensieren.“ 8  Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  3 46.

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Die protestanische Askese und das moderne Erwerbsleben

Troeltsch bezogen.9 Danach sei es möglich, das weltliche Naturgesetz und das christliche Moralgesetz zu versöhnen. Den Anwesenden dürfte dieser Gedankengang nicht neu gewesen sein, denn während der vorangegangenen Sitzung, am 15. Januar 1905, hatte Ernst Troeltsch die „lex naturae“ in seinem Vortrag über den „Zusammenhang des Protestantismus mit dem Mittelalter“ behandelt. Dabei führte er unter anderem aus: „Hier bleibt die M[ittel-]A[lter]liche Verlegung des Staates in die rein äußere u. socialeudämonistische Sphäre u. die Entgegenstellung des geistlichen Lebens als das allein wirklich moralische; ferner die Aufeinanderbeziehung beider zum Gesamtsystem des corpus christianum als lex naturae u. lex spiritualis, die beide in der Idee identisch sind u. nur in der erbsündigen Welt auseinandertreten um dann in der christlichen Kultur wieder vereinigt zu werden.“10 Aus einem Brief von Albrecht Dieterich an Hermann Usener vom 6. Februar 1905 wissen wir, daß Weber auch über Eindrücke berichtete, die er auf seiner Reise durch die USA gewonnen hatte.11 Diese waren offensichtlich noch sehr lebendig. Denn auch kurz zuvor, am 20. Januar 1905, hatte er auf einem „Amerika-Abend“ des Heidelberger Nationalsozialen Vereins, den Adolf Deissmann organisiert hatte, in der Diskussion über das amerikanische politische Leben eindrucksvoll improvisiert.12 Am Tag vor dem Vortrag schrieb Marianne Weber an Helene Weber: „Maxens wegen möchte ich eigentlich, daß die Sache erst vorbei wäre, diese letzte Zeit war nämlich nicht viel mit ihm los: sehr wenig u. unregelmäßiger Schlaf, infolge davon Depression, Arbeitsunfähigkeit – u. dgl. Die morgige Veranstaltung wird nun auch nochmals vom Kräftekapital zehren!“13 Rück­ blickend zeigte sie sich erleichtert: „Uns geht es so weit befriedigend. Max ist neulich das wissensch[aftliche] Kränzchen besser bekommen als ich fürchtete u. er hat einen prachtvollen Vortrag gehalten, u. dann hernach auch wie-

9  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  190, Fn.  6 5. 10  Abdruck in: Graf, Friedrich Wilhelm, und Trutz Rendtorff (Hg.), Ernst Troeltschs Soziallehren. Studien zu ihrer Interpretation (Troeltsch-Studien, Band  6). – Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1993, S.  4 9 f. 11  „Gestern gabs in unserem Kränzchen einen höchst interessanten Vortrag von Max Weber ‚Über protestantische Askese und den Geist des Kapitalismus‘. [.  .  .] Einen merkwürdigen Einblick bekam man in die religiöse Denkart der kapitalistischen Calvinisten, Puritaner u. s. w. Er flocht viel ein, was er jetzt in Amerika gesehen hat.“ Zitiert nach Treiber, Der „Eranos“ (wie oben, S.  216, Anm.  3), S.  129 (Brief im Universitätsarchiv Bonn, Handschriftenabt. S 2102,2; Nl. Albrecht Dieterich). 12 Vgl. Weber, Das politische Leben in Amerika (Diskussionsbeitrag auf der Versammlung des Nationalsozialen Vereins am 20. Januar 1905 in Heidelberg), MWG I/8, S.  381–385. 13  Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 4. Febr. 1905 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446).

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der besser produzieren können. Dann geht es mal wieder auf u. ab natürlich [.  .  .]“.14

II. Zur Überlieferung und Edition Der Abdruck des Vortrags folgt Max Webers eigenhändigem Eintrag in das Protokollbuch des Eranos-Kreises, Universitätsarchiv Heidelberg, KE 94, Bl.  19–20 (A). Als Überschrift ist das dort angegebene Thema des Referats gewählt. Weber hielt es in der IX. Sitzung, am 5. Februar 1905. Der Eintrag erstreckt sich über zwei Seiten, die im Protokollbuch als „19“ und „20“ gezählt sind, wobei die S.  2 0 nur zu drei Viertel gefüllt ist. Die Nummer der Sitzung („IX.“), die dem Eintrag voransteht, stammt von fremder Hand und wird daher nicht wiedergegeben.15 Von Max Weber vorgenommene Einschübe in den Text sind mit diakritischen Zeichen gekennzeichnet. Die Verschreibung „Utilitarismusmus“ wird nicht nachgewiesen.16

14  Brief Marianne Webers an Helene Weber (undat.), PSt 27. Febr. 1905 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446). 15  Für die Tanskription des Textes danken wir Frau Diemut Moosmann. 16  Der Text ist erstmals bei Treiber, Der „Eranos“ (wie oben, S.  216, Anm.  3), S.  126 f., wiedergegeben. Abweichend liest die vorliegende Edition: „der formalistisch-legale Charakter“ (statt: formalistisch-loyale; S.   221, Z.   7) und „Expansion der kapitalistischen Wirtschaft“ (statt: Weltwirtschaft; ebd., Z.  9).

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Sonntag 5. Februar [19]05 6 Uhr Hauptstr. 73. Anwesend alle Mitglieder außer Tröltsch.1 Ref[erent] Max Weber: Die protestantische Askese und das moderne Erwerbsleben. In Fortsetzung seines Aufsatzes im Archiv f[ür] Sozialwiss[enschaft] H[eft] XX, 12 suchte Ref[erent] die Einwirkung der Ethik des asketischen Protestantismus: Calvinismus, Täufertum (mit seinen Dependenzen), Pietismus, Methodismus3 auf die Entwicklung des „kapitalistischen Geistes“, speziell auf die Legalisierung und ethische Qualifizierung des „Erwerbstriebes“, zu analysieren. Es wurde von den dogmatischen Grundlagen der asketisch-protestantischen Religiosität ausgegangen, welche – auf verschiedenen Wegen – in den Gedanken ausmündet, daß die Bewährung des Gnadenstandes – der als eine |:von:| Gott verliehene Qualität gedacht wird – durch eine spezifische Art von Lebensführung allein die „certitudo salutis“ gewährleistet.4 Der methodisch-systematische Charakter, welcher dieser Lebensführung, eben weil sie eine inhärente Qualität des ethisch Handelnden manifestieren soll, eignen muß, bedingt ihren asketischen, d. h. rationalen Grundton, und indem die katholischen consilia evangelica und damit die Weltflucht als Mittel der Sicherung der ethischen Dignität der Askese abgeschnitten wurden, wurde sie zur „innerweltlichen“ Askese, genötigt, sich im weltlichen Berufsleben auszuwirken und nur in diesem. Der strenge 1  Vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  217 mit Anm.  7. 2  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I (erschienen in: AfSSp, 20. Band, 1. Heft), ediert oben, S.  123–215. 3  Abweichende Reihenfolge bei Weber, Protestantische Ethik II: Dort wird das Täufertum samt Dependenzen aufgrund der von Calvinismus, Pietismus und Methodismus prinzipiell verschiedenen dogmatischen Voraussetzungen im Anschluß an diese behandelt; vgl. unten, S.  243 und S.  346–363. 4  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, 1. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese, unten, S.  242–366.

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Eintrag Max Webers zu seinem Vortrag „Die protestantische Askese und das moderne Erwerbsleben“ im Eranos-Protokollbuch, 5. Februar 1905 Universitätsarchiv Heidelberg, KE 94

Eintrag Max Webers zu seinem Vortrag „Die protestantische Askese und das moderne Erwerbsleben“ im Eranos-Protokollbuch, 5. Februar 1905 Universitätsarchiv Heidelberg, KE 94

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Vorsehungsglaube | und die protestantische Fortentwicklung der „lex naturae“5 wirken nun dahin, daß diese Berufsaskese einen utilitarischen Charakter annimmt, dergestalt, daß die ökonomische Arbeit, teils als asketisches Mittel, teils als gottgewollter Selbstzweck, als „Gottesdienst“ erscheint und der Erwerb selbst als gottgewollte Erfüllung einer asketischen Lebensaufgabe.6 Zugleich sichert der formalistisch-legale Charakter der asketischen Ethik der Geschäftsgebarung gewisse Qualitäten, welche für die Expansion der kapitalistischen Wirtschaft constitutiv geworden sind. Mit dem Absterben der religiösen Wurzel erfolgt der Übergang in den |:reinen:| Utilitarismus des 18ten Jahrhunderts. Der Geist des Capitalismus ist – wie insbesondere an der Ethik Baxter’s7 zu erläutern versucht awurde –a aus dem Geist der (protestantischen) Askese geboren. An der Diskussion beteiligten sich fast alle Anwesenden, speziell Deißmann, Gothein, Rathgen, Jellinek. Im Ganzen fanden die Auffassungen des Ref[erenten] Zustimmung[.] |

a–a A: wurde, 5  Vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S.  217 f. mit Anm.  10. 6  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, 2. Askese und Kapitalismus, unten, S.  366–425. 7 Zur hervorgehobenen Rolle Richard Baxters als Vertreter der puritanischen Ethik vgl. Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  366–368 und passim; dazu den Editorischen Bericht zum zweiten Aufsatz, unten, S.  236 f.

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Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus II.  Die Berufsidee des asketischen Protestantismus

Editorischer Bericht I.  Zur Entstehung Der zweite Aufsatz von Max Webers Studie „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“,1 überschrieben „II. Die Berufsidee des asketischen Protestantismus“, erschien im Juniheft 1905 des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß Weber bereits vor seiner Reise in die Vereinigten Staaten, die von Mitte August bis Ende November 1904 dauerte, mit der Niederschrift des Textes begann.2 Auch dürfte er während der Reise nicht zur Arbeit daran gekommen sein. Dies ließ schon das dichte Reiseprogramm kaum zu.3 Zudem bewertete er das „‚wissenschaftliche‘ Resultat der Reise“ für seine Studie als wenig ergiebig. Auf der Rückreise von den USA schrieb er an die Mutter: „[.  .  .] für meine kulturgeschichtliche Arbeit habe ich nicht viel mehr gesehen als: wo die Dinge sind, die ich sehen müßte, insbesondere die Bibliotheken etc., die ich zu benutzen hätte, und die weit über das Land zerstreut in kleinen SektenColleges stecken.“4 Dieses Wissen und einzelne Reiseerfahrungen nahm er dann in seinen zweiten Aufsatz auf.5 1  Zum ersten Aufsatz vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  123–215. 2  Vgl. auch den Editorischen Bericht zu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  102 f. 3  Dazu detailliert: Scaff, Max Weber in America (wie oben, S.  57, Anm.  24). 4  Brief Max Webers an Helene Weber und Familie vom 19. Nov. 1904 (in: Brief vom 19. und 26. Nov. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  104–113; MWG II/4). 5 Zu Webers Bibliothekserfahrungen vgl. Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  246 f., Fn.  3; S.  339, Fn.  114, und S.  346, Fn.  122. Laut den Reisebriefen suchte Weber die Johns Hopkins University in Baltimore auf (vgl. Brief Marianne Webers an Helene Weber und Familie vom 27. Okt. 1904, in: Brief vom 27. Okt. – 2. Nov. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  75–85; MWG II/4), ferner das Haverford College, ein „orthodoxes Quäker-College“ bei Philadelphia, „wo ich die Bibliothek für meine Arbeit durchsah“ (Brief Max Webers an Helene Weber vom 1. oder 2. Nov., ebd.). Daher rühren auch seine Aufzeichnungen zu den Quäkern (vgl. dazu unten, S.  240 f. mit Anm.  91). Seine Suche nach „historischer Baptisten-Litteratur“ in der Brown University, Providence, RI, verlief erfolglos (Brief Max Webers an Helene We-

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Max Weber begann also vermutlich erst nach der Rückkehr aus den USA, im Dezember 1904, mit der schriftlichen Ausarbeitung des zweiten Aufsatzes.6 Zu der Abhandlung „Der Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung“, die er im Sommer 1904 verfaßt und vor seiner Abreise in den Satz gegeben hatte, waren zu diesem Zeitpunkt allenfalls noch letzte Korrekturen durchzuführen,7 so daß er sich ganz auf den zweiten Aufsatz konzentrieren konnte. Sein Brief an Eduard Bernstein vom 10. Dezember 1904, in dem er diesen nach einer Quelle zum System der festen Preise bei den Quäkern fragte, zeigt, daß er tatsächlich zu dieser Zeit an der „Protestantischen Ethik“ arbeitete. Darin heißt es: „Ohnehin werde ich in meinem Aufsatz, dessen ersten Artikel Sie vielleicht im ‚Archiv‘ gesehen haben, auf Ihre vortrefflichen Ausführungen überall zurückzugreifen haben“,8 was dann auch so kam. In die Phase der Niederschrift fällt auch Webers Vortrag im EranosKreis „Die protestantische Askese und das moderne Erwerbsleben“ am 5. Februar 1905. Sein Eintrag in das Protokoll-Buch zeigt, wie weit er mit der Ausarbeitung seiner These im zweiten Aufsatz zu diesem Zeitpunkt war.9

ber und Familie vom 6. Nov. 1904, in: Brief vom 6.–16. Nov. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  87–102; MWG II/4). Möglicherweise arbeitete er „auch etwas“ auf der Bibliothek der Columbia University in New York City (Brief an dies. vom 16. Nov. 1904, ebd.). (Über weitere Universitäten, die Max Weber aufsuchte, vgl. Scaff, Max Weber in America (wie oben, S.  57, Anm.  24), p.  14.) – Einzelne Gottesdienstbesuche finden ihren Niederschlag unten, S.  3 65, Fn.  141, und S.  4 01, Fn.  5 4. – Weber beobachtet allgemein eine „Tendenz zur ‚Säkularisation‘ des amerikanischen Lebens“ (S.  246, Fn.  3, dass. S.  3 89, Fn.  4 0). Er erwähnt das Amerikanisierungsprogramm der „Educational Alliance“ (S.  3 94, Fn.  4 9) und verwendet ein ihm in Ohio berichtetes Beispiel für rastloses Erwerbsstreben (S.  423, Fn.  8 5a). Außerdem dürfte sich die Auseinandersetzung mit William James, „Varieties of religious experience“ (S.  285 f., Fn.  4 8), der Begegnung mit ihrem Verfasser verdanken (vgl. dazu Scaff, Max Weber in America, p.  146–151). Anderes entnimmt er der Lektüre von Bryce, American Commonwealth (vgl. S.  2 91, Fn.  5 8; S.  3 89, Fn.  4 0). 6  Max und Marianne Weber trafen Ende November 1904 in Hamburg ein und fuhren von dort nach Heidelberg. 7  Ediert in: MWG I/6, S.  2 28–299, hier nach dem Editorischen Bericht, S.  2 31. Der Aufsatz erschien im Dezember 1904. – Größere Parallelarbeiten gab es nicht. Für das 3. Heft des 20. „Archiv“-Bandes, das im April 1905 ausgegeben wurde, verfaßte Weber lediglich „Redaktionelle Bemerkungen zu: G. Cohn, Wissenschaftlicher Charakter“ (AfSSp, 20. Band, 3. Heft, 1905, S.  479; MWG I/7) und „Bemerkungen zu: R. Blank, Soziale Zusammensetzung“ (MWG I/8, S.  189–199). 8 Brief Max Webers an Eduard Bernstein vom 10. Dez. 1904 (IISG Amsterdam, Nl. Max Weber; MWG II/4; vgl. dazu die spätere Notiz in: Weber, Protestantische Sekten, GARS I, S.  219, Fn.  1, sowie S.  2 02, Fn.  2; MWG I/18). Das Detail nahm Weber allerdings in die „Protestantische Ethik“ nicht auf, referiert es aber – ohne Quelle – im Artikel „‚Kirchen‘ und ‚Sekten‘“, unten, S.  4 44 und 445 (mit Anm.  3 5). – Die im Brief genannten „vortrefflichen Ausführungen“ Bernsteins beziehen sich auf Bernstein, Kommunistische Strömungen. 9  Ediert oben, S.  216–221.

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Die protestantische Ethik II. Die Berufsidee des asket. Protestantismus

Das Manuskript war spätestens am 8. März 1905 fertig. Unter diesem Datum berichtet er seinem Bruder Alfred: „Mir geht es verschieden. Ich habe unter ziemlichen Qualen immerhin wenigstens meinen dicken Artikel (Prot[estantische] Ethik u. Capitalismus) für das Juniheft fertig gemacht, das Diktieren in die Schreibmaschine jetzt ist eine rechte Strapaze.“10 Vermutlich aufgrund seiner schlechten Erfahrung mit der „Archiv“-Druckerei11 beim ersten Aufsatz und wohl auch wegen seiner schlechten Handschrift legte er diesmal den Text also in Maschinenschrift vor. Wie er in einem späteren Brief allerdings mitteilt, galt dies nur für den Haupttext, nicht aber für die Fußnoten.12 Das ‚Abdiktieren‘, das ihm überhaupt schwer fiel, ist ja bei den Fußnoten mit den vielen Literaturangaben und Zitaten besonders kompliziert.13 Den satzfertigen Text jedenfalls konnte er am 30. März 1905 an den Verlag schicken.14 Weber schrieb dazu: „[.  .  .] hiermit sende ich Ihnen das Mscr. für den 1ten Artikel von Band  X XI Heft I des Archiv. Ich versichere dasselbe, da der Verlust schwer zu ersetzen wäre und sehr viel Arbeit darin steckt. Auf den Umschlag der Fußnoten – die ich vom Texte gesondert habe – schrieb ich einige Bitten an die Druckerei, die diese ja wohl berücksichtigen wird.“15 Edgar Jaffé hatte

10  Brief Max Webers an Alfred Weber vom 8. März 1905 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl.  5 9 f.; MWG II/4). Auch Marianne Weber berichtet Helene Weber am Tag zuvor (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446), das Faschingstreiben hindere ihn nicht, „an seiner ‚protestantischen Askese‘ weiterzuarbeiten. Er fängt jetzt an zu diktieren (Frl. Beymann) u. wird also in einiger Zeit wieder etwas fertig haben, was uns Beide froh macht“. 11  Vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  101. 12  Dies geht aus dem Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 8. September 1905 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4) hervor. Thema sind unter anderem die Druckkosten, die Weber horrend erscheinen: „Der Text des Mscr. war abdiktiert, nur die Noten nicht, u. deshalb hielt ich u. halte ich die 248 Stunden (!) Correktur für keine ernst zu nehmende Berechnung.“ Da das Manuskript oder maschinenschriftliche Teile desselben nicht überliefert sind, wissen wir nicht, wie es aussah. Es gibt aber auch keinen Grund, Max Webers Auskunft in Zweifel zu ziehen. 13 „Das Abdiktieren ist für mich physisch fast unerträglich, das Abschreiben hier nicht gut zu beschaffen, wie Versuche ergaben“, heißt es im Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 3. September 1905 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4); vgl. auch den oben im Text zitierten Brief Max Webers an Alfred Weber vom 8. März 1905 (wie Anm.  10). 14  Marianne Weber datiert die Abgabe im „Lebensbild“ ebenfalls auf Ende März. Sie spricht in diesem Zusammenhang von einer Arbeit von kaum drei Monaten (Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S.  359). 15  Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 30. März 1905 (VA Mohr Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4). Weber sandte das Manuskript direkt an Siebeck, weil Jaffé ab 1. April verreist war. (Vgl. dazu den Brief Edgar Jaffés an Paul Siebeck vom 24. März 1905, in der nachfolgenden Anm.) Siebeck bestätigte Weber am 3. April 1905 Empfang und Weiterleitung (VA Mohr Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446): „Ich habe das Manuscript unter Wertversicherung an die Druckerei

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Paul Siebeck Webers Manuskript bereits am 24. März 1905 angekündigt und entschieden, daß der Aufsatz an die Spitze des Juni-Heftes zu stellen sei.16 Die Druckerei tat sich auch diesmal mit Webers Manuskript äußerst schwer, wie zahlreiche Briefe zum Satzvorgang und insbesondere zur späteren Abrechnung der Druckkosten belegen.17 In den Briefen von Paul Siebeck, der Druckerei und Edgar Jaffé ist stets von dem schwer lesbaren „Manuskript“ die Rede, dessen Satz hohe Kosten verursache. Folgt man der oben mitgeteilten Auskunft Webers, so dürften die Schwierigkeiten in erster Linie bei den handschriftlich eingereichten Fußnoten gelegen haben. Dort finden sich in der Tat die meisten fremdsprachlichen Begriffe und Zitate. Die einzig überlieferte Korrekturseite läßt die damit gestellten Anforderungen gut erkennen – sie enthält lediglich den Fußnotentext, der auf den ersten Korrekturbogen offensichtlich noch separat gesetzt worden war (vgl. die Abbildung, unten, S.  230). Von Edgar Jaffé wissen wir, daß die Druckerei rund drei Wochen nach der Abgabe des Manuskripts „gerade zwei !! Bogen der Weber’schen Abhandlung gesetzt“ hatte, für das Juniheft „sonst nichts“.18 Die Druckerei teilte dem Verlag am 21. April 1905 mit: „Mit dem Satze des Weber’schen Artikels kommen wir morgen zu Ende und erlauben nur zu wiederholen, daß solche Manuskripte vorteilhafter für die Herstellung abgeschrieben werden. Die Korrekturen kommen fast dem Neusatz gleich und der Weitersatz ist aufgehalten

weitergeleitet und letztere beauftragt, die Vorschriften auf der Enveloppe der Fussnoten sorgfältigst zu beachten.“ 16  Vgl. Brief Edgar Jaffés an Paul Siebeck vom 24. März 1905 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck): „[.  .  .] Prof. Weber hat eine grössere Abhandlung für dieses Heft beinahe fertig[,] falls dieselbe nicht bis zum 1. April in meinen Händen ist, wird Ihnen Prof. Weber das Manuskript direkt zusenden, Sie wollen es dann freundlichst an die Druckerei weiter leiten[,] es ist in Corpus zu setzen und soll an die Spitze des Heftes treten.“ Diese Bitte wiederholt Jaffé im Brief an Siebeck vom 18. Mai 1905 (ebd.). 17  Vgl. hierzu den Briefwechsel Siebeck – Lippert, bes. den Brief von Lippert & Co. an J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) vom 20. Sept. 1905 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). Im Brief an Paul Siebeck wird das peinliche Vorkommnis der hohen Abrechnungskosten für das Webersche Manuskript von der Druckerei bedauert: „Wie Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, bekannt ist, macht das Lesen der Weber’schen Handschrift viel Schwierigkeiten und besonders schwierig wird der Satz bei fremdsprachlichen Zitaten.“ 18  Edgar Jaffé empörte sich im Brief an Paul Siebeck vom 20. April 1905 über die Langsamkeit der Druckerei (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). Siebecks Antwort: „Wenn die Druckerei bisher nur wenig Correcturen für Heft 1 geliefert hat, so muss ich sie in Schutz nehmen, denn das Manuscript des Herrn Professor Weber war tatsächlich geeignet, den Satz aufzuhalten. Ein so schwer lesbares Manuscript würde nicht einmal jede Druckerei so relativ gut absetzen können, wie es bei Lippert geschieht.“ Brief Siebecks an Jaffé vom 28. April 1905 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck).

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worden.“19 Am 29. April 1905 beklagt sich Weber gegenüber dem Verleger über die Wiedergabe der englischen Zitate in den Korrekturbogen: „Die Druk­ kerei druckt erbärmlich! Die Setzer haben offenbar keine Ahnung von Englisch-Setzen. Mein Mscr. ist ja infolge meiner Handschrift schlecht und schwer zu setzen. Aber vergleichen Sie doch nur die englischen mit den deutschen Partien des Satzes, so sehen Sie sicher, daß es an mangelnder Übung im Englischen liegt. [.  .  .] Ich werde diesmal ja gradezu ein Vermögen für diesen Artikel, der mir kein Honorar trägt, an die Druckerei zahlen müssen, und zum Teil durch deren Schuld.“20 Möglicherweise legte Max Weber diesem Brief die genannte Korrekturseite als Beleg bei.21 Zugleich empfahl er dem Verleger abermals, die Druckerei zu wechseln.22 Die Korrekturen verursachten also nicht nur Druckerei und Verlag, sondern auch Max Weber großen Ärger. Im Nachhinein hebt er wiederholt „die ungeheuerliche Art“ der Behandlung seiner englischen Fußnoten hervor, auch, daß bei jeder Korrektur neue Fehler entstanden seien.23 Aus dem Briefwechsel zwischen Paul Siebeck und Edgar Jaffé, in dem auch die Honorarabrechnung für Webers Aufsatz abgelegt ist, geht hervor, daß es (zumindest teilweise) einen zweiten Satz gab, weil der erste – so Jaffé – „durchgehend unverständlich“ ausfiel, wobei auch er die englischen Textstellen anspricht. Von ihm erfahren wir darüber hinaus, daß es eine zweite Revision gab, in der abermals Fehler gemacht wurden.24 Die Druckerei berichtet sogar von einer „3. Revisi19 Vgl. Mitteilung von Lippert & Co. an J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) vom 21. April 1905 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). 20  Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 29. April 1905 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4). Im Brief von Lippert & Co. an J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) vom 20. Sept. 1905 (wie oben, S.  2 25, Anm.  17) heißt es dazu: „Unsere Hauskorrektoren sind im Englischen nicht unbewandert, aber bei einer solchen Handschrift versagen ihre Kenntnisse und manches Wort wird falsch korrigiert“, wobei zugesichert wird, künftig einen „Sprachkundigen“ mit der Korrektur zu beauftragen. 21  Fundort ist die Verlagskorrespondenz mit der „Archiv“-Druckerei Lippert & Co.; unten, S.  2 30 mit Anm.  4 4. 22  Zu jenem häufigen Monitum Webers vgl. den Brief Max Webers an Paul Siebeck vom 12. April 1904 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4). 23  Vgl. die Briefe Max Webers an Paul Siebeck vom 3. Sept. und 8. Sept. 1905 (dort das Zitat), MWG II/4 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4). 24  „Erstens war der erste Satz einfach durchgehend unverständlich, so schlecht war er; fast jedes englische Zitat war ganz falsch – die Druckerei sollte doch einen Setzer haben der englisch lesen kann. Zweitens sind nicht nur in der ersten sondern auch in der zweiten (!) Revision fortwährend neue Fehler seitens der Druckerei hinein korrigiert worden, die vorher nicht darin waren.“ Die „Hauptschuld“ an den hohen Korrekturkosten lastet Jaffé darum der Druckerei an. Brief Edgar Jaffés an Paul Siebeck vom 3. Aug. 1905 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr/Siebeck). Ähnlich äußert sich Jaffé im Brief an Siebeck vom 6. Sept. 1905 (ebd.): „Was allerdings seine Bemerkungen über die Druckerei anlangt so muß ich ihm [Max Weber] beipflichten, daß die Korrektur zum Teil sehr mäßig ausgeführt worden ist. Die Manuscripte von Prof. Weber sind ja allerdings durchweg recht schwierig, das ist aber kein Grund für die Druckerei bereits

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on“.25 Wegen des zweiten oder „gemischten Satzes“ und wegen des schlechten Manuskripts stellte die Druckerei später einen Extraposten von 66,25 M. in Rechnung, wegen des auf Veranlassung Jaffés gestrichenen Satzes weitere 25,50 M. Außerdem berechnete sie 248 Stunden für Hauskorrekturen, die 148,80 M. kosteten. Nach Abzug von 28 Stunden, die das „Archiv“ übernahm, und nach einer weiteren Reduktion der Kosten um 25 M. für berechtigte Reklamationen verblieben 107 M., die Weber hätte übernehmen müssen, die ihm Paul Siebeck aber erließ.26 Wie sich an der Zählung der Fußnoten ablesen läßt, schob Weber, wie bei ihm üblich, noch in der Korrekturphase zahlreiche Zusätze nach: präzisierende Erläuterungen, Veranschaulichungen, Literatur- und Belegangaben.27 Manches davon könnte auf den Briefwechsel mit Willy Hellpach zurückgehen, der am 31. März 1905, d. h. mit Manuskriptabgabe, einsetzt. Sowohl im Briefwechsel mit Hellpach als auch in manchen nachgetragenen Fußnoten wendet sich Weber vor allem gegen Karl Lamprechts sozialpsychologischen Ansatz.28 richtig gesetzte Stellen in der Revision wieder zu verballhornisieren, wie dies tatsächlich öfters vorgekommen.“ 25  Vgl. unten, S.  2 28 mit Anm.  31. 26  Weber wollte nicht nur die Korrekturkosten, sondern auch die Herstellungsmehrkosten übernehmen, die wegen der Überlänge seines Aufsatzes anfielen. Letztere beliefen sich auf ca. 250 M. Er rechnete damit, insgesamt ca. 500 M. aufbringen zu müssen, wie er an seinen Bruder schrieb (Brief Max Webers an Alfred Weber vom 14. Juli 1905, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl.  6 4 f.; MWG II/4). Er hatte bereits einen Scheck für Paul Siebeck ausgestellt. Da aber Siebeck und Jaffé sein Autorenhonorar von 240 M. auf 250 M. erhöhten, wobei Weber erst einmal davon überzeugt werden mußte, daß ihm überhaupt ein Honorar zustand, und da die oben genannten Kosten dem Konto des „Archivs“ angelastet wurden, schließlich Siebeck die Korrekturkosten von 107,64 M. übernahm, ging der Scheck an Weber zurück. Ihm wurden lediglich die Kosten wegen der Überlänge des Aufsatzes in Rechnung gestellt. Hierzu der Briefwechsel zwischen Paul Siebeck und Edgar Jaffé vom 29. Juli bis 11. Sept. 1905 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr/Siebeck), ferner Siebecks Briefe an Weber vom 2., 6. und 12. Sept. 1905 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446) und Webers Briefe an Paul Siebeck vom 3. und 8. Sept. 1905 (ebd.; MWG II/4; in letzterem akzeptierte er die „Generosität“, weil „sonst des Verhandelns kein Ende wäre“, lehnt aber „nachdrücklich jeden Präcedenz-Charakter desselben ab“). – Zum Vergleich: Die Korrekturkosten des ersten Protestantismus-Aufsatzes sind nicht bekannt, für „schlechtes Manuskript“ wurden von der Druckerei aber 11 M. berechnet, für den Fideikommiß-Aufsatz 27 M. Mit diesen Kosten wurde auch hier das „Archiv“-Konto belastet (vgl. die Briefe von Siebeck an Jaffé vom 15. Dez. 1904 und von Jaffé an Siebeck vom 4. Jan.  1905, Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr/Siebeck). 27  Sie werden im „Archiv“ mit „a“, „b“ und einmal sogar mit „c“ gezählt; vgl. die Übersicht unten, S.  2 31, Anm.  4 6. – Präzisierende Ergänzung z. B. S.  2 68, Fn.  21a; Veranschaulichung z. B. S.  2 68–270, Fn.  21b; Literaturnachweis z. B. S.  2 92, Fn.  5 8a; Belegnachtrag z. B. S.  2 93, Fn.  5 9a. 28 Zu Hellpach vgl. S.  316 f., Fn.  79a; S.  344 f., Fn.  120a; zu Lamprecht zusätzlich S.  329 f., Fn.  101a; S.  3 39 f., Fn.  114a; S.  424 f., Fn.  8 6. Vgl. besonders Max Webers Briefe an Willy Hellpach vom 31. März, 5. und 9. April 1905 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max

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Auch Adolf Harnacks Thesen in „Der Wert der Arbeit nach urchristlicher Anschauung“ nahm er offensichtlich erst nach Manuskriptabgabe zur Kenntnis, was ihn wiederum zu einem Nachtrag anregte.29 Einen kleinen Einblick in diese Art des Vorgehens gibt S.  3 49, Fn.  124. Die Fußnote enthält im „Archiv“ einen Rückverweis auf Fußnote „65a“ (= S.  2 98). Beide Fußnoten dürfte Weber zur selben Zeit verfaßt haben, wobei die „Archiv“-Fußnote 124 noch in die fortlaufende Zählung eingereiht werden konnte, wogegen die Zählung auf S.  2 98 bereits abgeschlossen war.30 Der Aufsatz konnte erst Ende Mai, Anfang Juni 1905 abgesetzt werden. Denn zuvor gab es abermals eine Verzögerung. Am 23. Mai teilte die Druckerei Lippert & Co. dem Verlag mit: „[.  .  .] leider muß von dem 1. Artikel Weber eine 3. Revision versandt werden, wir hoffen, dann die Bogen zum Druck zu bekommen[,] und werden Sombart hierauf fortsetzen.“31 Paul Siebeck erhielt am 25. Mai drei Bogen, die mit Webers Imprimatur versehen waren, und sandte sie am 27. Mai an die Druckerei weiter.32 Das waren aber erst 48 Seiten des auf nahezu 100 Seiten angeschwollenen Textes. Das Erscheinen des für den 1. Juni geplanten Heftes mußte deshalb verschoben werden.33 Am 28. Juni 1905 trafen bei Jaffé die ersten Freiexemplare ein.34 Weber muß am selben Tag Separatdrucke erhalten haben, denn er schickte einen Tag später seinen Aufsatz an Franz Eulenburg.35 Weber, Nr.  17, Bl.  2 –10a; MWG II/4). Auf Lamprecht war er allerdings schon 1903 im ersten Teil von Weber, Roscher und Knies I, S.  24 f., Fn.  5, eingegangen. 29  In: Evangelisch Sozial, 14. Folge der Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses, Nr.  3 –4 vom 25. März 1905; vgl. unten, vgl. S.  375, Fn.  15a. 30  „Späterer Zusatz“ muß folglich der Verweis auf S.  2 64, Fn.  17, sein, denn hier wird auf S.  2 68–270, Fn.  21b, verwiesen. 31  Karte von Lippert & Co. an J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) vom 23. Mai 1905 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr/Siebeck). – Gemeint ist: Sombart, Werner, Studien zur Entwicklungsgeschichte des nordamerikanischen Proletariats, in: AfSSp, Band  21, 1905, S.  210–236 (Heft 1), S.  3 08–346 (Heft 2), S.  5 56–611 (Heft 3). (In AfSSp, Band 21, Heft 1, folgt Sombarts Artikel auf: Schachner, Robert, Kritik des Sparkassenwesens deutscher Selbstverwaltungskörper, ebd., S.  111–161, und Gothein, Georg, Die preußischen Berggesetznovellen, ebd., S.  162–209.) 32  „Die Druckerei hat mir mitgeteilt, dass sie an der Abhandlung Sombart erst weiter setzen kann, wenn von Weber etwas gedruckt ist. Da heute 3 Bogen druckfertig bei mir eingetroffen sind, welche sogleich nach Naumburg weitergehen, wird die Stok­ kung im Satz bald behoben sein.“ Brief Paul Siebecks an Edgar Jaffé vom 25. Mai 1905 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr/Siebeck). Vgl. außerdem die Karte R. Willes/ R. Pflugs an die Druckerei vom 27. Mai 1904 (ebd.). 33 Planung auf 1. Juni 1905 laut dem Brief Edgar Jaffés an Paul Siebeck vom 22. Februar 1905 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr/Siebeck). 34  Vgl. den Brief Edgar Jaffés an Paul Siebeck vom 28. Juni 1905 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr/Siebeck). 35  Vgl. Brief Max Webers an Franz Eulenburg vom 29. Juni 1905 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3 0, Bd.  4, Bl.  123; MWG II/4): „Gleichzeitig erlaube ich mir, Ihnen eine Entgleisung auf das Gebiet der Theologie zuzusenden.“

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Die Nachfrage nach Webers Aufsatzfolge war groß. Jaffé dachte schon drei Wochen nach Erscheinen des Heftes an eine Separatausgabe, wovon der Verleger aber noch abriet: „Irre ich nicht, so verdankt das ‚Archiv‘ den Aufschwung und die jetzt eingetretene grössere Stabilität des Abonnentenstandes zu einem wesentlichen Teil den Weber’schen Aufsätzen.“36 Der Text stand ohnehin schon nicht mehr im Satz. Weber selbst äußerte sich zu diesem Plan ausweichend, vermutlich wegen des damit verbundenen Arbeitsaufwands: „Eine Separatausgabe ist erst möglich, wenn ich die noch fehlende größere Hälfte geschrieben habe“, ließ er seine Mutter am 14. November 1905 wissen.37 Die Richtung und ein Teil des Inhalts der avisierten Fortsetzung sind am Schluß des zweiten Aufsatzes skizziert.38 Im März 1905 hatte er gegenüber seinem Bruder Alfred allerdings selbst die Ausgestaltung der beiden Aufsätze zu einem Buch erwogen, ein Unternehmen freilich, von dem er zugleich sagte, es müsse, wenn überhaupt, wegen anderer Arbeiten nebenherlaufen. Außerdem verlange es Reisen noch einmal in die USA und nach England.39 Die Pläne – Reisen und Fortsetzung – verfolgte Weber noch einige Jahre, gab sie aber schließlich auf.40

36  Antwort Paul Siebecks vom 26. Juli 1905 auf Edgar Jaffés Anfrage vom 23. Juli 1905: „Von allen Seiten sagt man mir, es müsse von Prof. Webers zwei Artikeln ‚Protestantische Ethik + Kapitalismus‘ eine größere Anzahl Sonderabzüge in den Handel gebracht werden, das Interesse ist in Staatsrechtlichen + Theologischen Kreisen sehr groß.“ (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr/Siebeck.) 37 Brief Max Webers an Helene Weber vom 14. Nov. 1905 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4). 38  Unten, S.  423–425. Im Text verweist Weber immer wieder auf jenen projektierten Aufsatzteil, etwa auf ein später auszuführendes „Kapitel“, so unten, S.  3 87, Fn.  3 5, und S.  425, Fn.  8 6, oder später auszuführende Themen, etwa die „Sozialethik“ und „-politik“ der protestantischen Askese, z. B. unten, S.  3 45, 361 und 364. 39  Brief an Alfred Weber vom 8. März 1905 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl.  5 9 f.; MWG II/4). Gegenüber W. E. B. Du Bois äußerte Weber am 1. Mai 1905, er denke an einen USA-Aufenthalt 1907 oder 1908 (University of Massachusetts, Amherst, Du Bois Library, Du Bois Papers, reel 3; MWG II/4). – In England hielten Max und Marianne Weber sich zwar im Sommer 1910 auf, doch ist über dortige Bibliotheksstudien nichts bekannt. 40 Dazu ausführlich die Einleitung, oben S.  6 6 f.; auch die tabellarische Übersicht über Max Webers Hinweise auf die geplante Fortsetzung im Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96.

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II.  Zur Überlieferung und Edition 1.  Zur Überlieferung Ein Manuskript oder Typoskript ist nicht überliefert. Mit Ausnahme der Korrekturseite „33“ (s. u.) gibt es auch keine Korrektur- oder Revisionsfahnen. Die Edition folgt dem Erstdruck: Weber, Max, Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus. II. Die Berufsidee des asketischen Protestantismus, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Neue Folge des Archivs für soziale Gesetzgebung und Statistik, begründet von Heinrich Braun, hg. von Werner Sombart, Max Weber und Edgar Jaffé, 21. Band (der neuen Folge III. Band), 1. Heft. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1905, S.  1–110 (A). Das Heft wurde im „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ am 1. Juli 1905 angekündigt, die ersten Exemplare Ende Juni 1905 ausgegeben.41 Max Weber erhielt 40 Separatabzüge.42 Die von Weber überarbeitete Fassung erschien zusammen mit dem ersten Aufsatz in: Weber, Max, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, I. Band. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1920, S.  17–206. Sie wird in MWG I/18 gesondert ediert. Beitrag und Titel43 sind von Max Weber autorisiert. Die gegenüberliegend abgebildete Korrekturseite „33“, fand sich in der Korrespondenz des Verlags J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) mit der „Archiv“Druckerei, der Fa. Lippert & Co. in Naumburg/Saale.44 Nach den Schneidekanten und dem Stempelaufdruck zu urteilen, von dem nur ein Teil sichtbar ist, handelt es sich um die abgetrennte Seite eines Bogens. Die Seite enthält nur Fußnoten, nämlich die Fußnoten 33–36 auf den Archiv-Druckseiten 85–87 (unten, S.  3 85–387). Weber markiert die von Fehlern strotzenden englischen Zitate und notiert am Rand: „so und schlimmer geht es überall [dur]ch die ganze Correktur. Man sieht, daß der Setzer noch nie englisch gesetzt hat. Die Druckerei denkt, da ich die Correktur-Mehrkosten zahle, hat es keinen Zweck, 41 Vgl. „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“, 72. Jg., Nr.  150 vom 1. Juli 1905, S.  6 023; dazu oben, S.  2 28 mit Anm.  3 4 und 35. 42  Weber erhielt zu den 12 freien Separatabzügen 38 weitere entgeltlich (laut Abrechnungsentwurf des Verlags vom 29. Juli 1905 im Briefwechsel mit Jaffé (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr/Siebeck) und laut der mit Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 2. Sept. 1905 gesandten Abrechnung (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446)). Ein Exemplar erhielt laut Webers Korrespondenz Franz Eulenburg (vgl. oben, S.  2 28, Anm.  3 5), ein anderes Willy Hellpach (vgl. Max Webers Briefe an dens. vom 11. Aug. und 1. Sept. 1905, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  17, Bl.  16– 17 und 50–51; MWG II/4). 43  Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  105. 44  Gefunden von Manfred Schön am 16. Sept. 1997 zwischen dem Durchschlag des Siebeck-Briefes an die Firma Lippert vom 29. April 1905 und dem Brief von Lippert an Siebeck vom 1. Mai 1905 (zur Zeit [2013]: VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446).

Korrekturseite „33“ zu Weber, Protestantische Ethik II Aus der Korrespondenz des Verlags J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) mit der Fa. Lippert & Co. in Naumburg/Saale 1905 VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446

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mir gute Setzer zu geben.“45 Darüber hinaus gibt es Setzfehler bei fremdsprachlichen (Personen-)Namen und Begriffen.

2.  Zur Edition Textbehandlung und Textgestaltung Textbehandlung und Textgestaltung erfolgen, wie zu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  105–107, beschrieben. Hier werden nur den folgenden Aufsatz betreffende Besonderheiten hinzugefügt. Anders als im ersten Aufsatz sind die Fußnoten der Druckvorlage abschnittsweise und nicht seitenweise durchgezählt, wobei die Abschnitte jeweils mit Fußnote „1)“ beginnen. Es gibt allerdings Fußnoten, die, da in einem späteren Stadium eingebracht, auf „a“, „b“ oder sogar „c“ lauten.46 In der Edition folgt die Fußnotenzählung exakt der Druckvorlage, so daß der Arbeitsprozeß erkennbar bleibt. Verweise Max Webers auf Seiten innerhalb dieses Aufsatzes werden stillschweigend der Paginierung der vorliegenden Edition angepaßt.47 Bei expliziten und stillschweigenden Rückverweisen auf den ersten Aufsatz (z. B. S.  248, Fn.  4 mit Anm.  4 0; S.  321 mit Anm.  62) führt die Sacherläuterung die entsprechende Stelle in der vorliegenden Edition auf. Andere Verweise beziehen sich auf die von Max Weber geplante, aber nicht realisierte Fortsetzung seiner Studie.48 Einheitlich wird Ue zu Ü, „ss“ zu „ß“ geändert.49 Wo in griechischen Wörtern heute ein Akut (´) statt des früher üblichen Gravis (`) gesetzt wird, ist dies

45  Transkription Diemut Moosmann. 46 Dies sind im ersten Abschnitt 17 und im zweiten Abschnitt 8 Fußnoten: In Abschnitt 1: S.  247, Fn.  3a; S.  268, Fn.  21a; S.  268–270, Fn.  21b (darauf der Verweis S.  2 64 in Fn.  18); S.  2 92, Fn.  5 8a; S.  2 93, Fn.  5 9a; S.  2 98, Fn.  6 5a (mit Rückverweis, S.  3 49, Fn.  124); S.  316 f., Fn.  79a; S.  320, Fn.  8 4a; S.  329 f., Fn.  101a; S.  3 35, Fn.  109a; S.  3 37 f., Fn.  113a; S.  3 39 f., Fn.  114a; S.  3 41, Fn.  114b; S.  3 41, Fn.  114c; S.  3 44 f., Fn.  120a; S.  3 50, Fn.  127a; S.  3 58 f., Fn.  135a. – In Abschnitt 2: S.  375, Fn.  15a; S.  3 93, Fn.  47a und 47b; S.  3 96, Fn.  4 9a; S.  4 01 f., Fn.  5 4a; S.  4 02 f., Fn.  5 4b; S.  421, Fn.  8 3a, und S.  423, Fn.  85a. 47  Das ist der Fall: S.  245, Fn.  3; S.  281, Fn.  3 6; S.  2 98, Fn.  6 5; und S.  371, Fn.  6. Da Max Webers Fußnotenzählung im zweiten Aufsatz beibehalten wurde, bleiben Max Webers Fußnotenverweise unverändert; das ist der Fall: S.  2 64, Fn.  17; S.  2 66, Fn.  21; S.  289, Fn.  5 3; S.  2 96, Fn.  62; S.  3 08, Fn.  76; S.  3 94, Fn.  124; S. 371, Fn. 6; und S.  3 81, Fn.  27. 48  Vgl. oben, S.  2 29 mit Anm.  4 0. 49  Da „Ue“ (statt Ü) und „ss“ statt „ß“ nur im Haupttext begegnen, könnte es sich um Übernahmen aus Webers Typoskript handeln, das durch eine Schreibkraft angefertigt worden war (dazu oben, S.  2 24 mit Anm.  10). Die Schreibmaschine hatte vermutlich

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stillschweigend verändert (z. B. S.  286, Fn.  4 8). Nicht übliche Abkürzungen werden im Text und dem Fußnotenapparat in eckigen Klammern aufgelöst. Auch in diesem Aufsatz gibt es eine Vielzahl offensichtlicher Druckversehen, zumeist Buchstabenauslassungen (z.  B. „wissenschaftlch“, S.   262, Fn.  16), die stillschweigend korrigiert werden. Wie Interpunktionszeichen behandelt werden, ist bereits im Editorischen Bericht zum ersten Aufsatz ausgeführt, oben, S.  105 f. Emendiert werden Textverderbnisse im Deutschen, die auf ein Versehen des Autors oder auf einen Fehler des Setzers deuten. Die ursprüngliche „Archiv“-Lesart ist im textkritischen Apparat nachgewiesen (z. B. „Inkommunikabilitität“, S.  286, Fn.  51). Emendiert werden Grammatikfehler und fehlerhafte Schreibung von Eigennamen (z. B. „Taylor“ statt richtig „Tayler“, S.  248, Fn.  4, „Herrenhuter“ anstelle von „Herrnhuter“, beide Schreibweisen z. B. S.  3 30, Fn.  102, u. ö.).50 Mit Nachweis korrigiert werden auch überflüssige Interpunktionszeichen (z. B. S.  3 57 mit textkritischer Anm.  u) und Interpunktionsverschiebungen stilistischer Art, z. B. um die englische an die deutsche Zitierweise anzupassen („‚higher life,‘ zu „‚higher life‘, [.  .  .]“, S.  3 44). Der Satzpunkt ist, sofern geboten, hinter die einen Einschub schließende Klammer gerückt. Unverändert bleibt hingegen die Weber-eigene Schreibweise mancher Eigennamen: Ernst Troeltsch (immer „Tröltsch“) und Gisbert Voet (immer „Voët“; z. B. S.  246, Fn.  3, u. ö.) – beide wie bereits im ersten Aufsatz –, Lewis Bayly (immer „Bailey“;51 z. B. S.  262 u. ö.), der Niederländer Busken Huet (nach dem deutschen Titel von Busken-Huet, Rembrandt’s Heimath, immer: „Busken-Huët“, S.  4 03, Fn.  5 4b, und S.  413, Fn.  72) und „Robinson Crusoë“ (S.  416). In der Schreibung der „Herrnhuter Brüdergemeine“ als „Brüdergemeinde“ oder „Gemeinde“ folgt Weber Ritschls „Geschichte des Pietismus“, weshalb sie beibehalten wird (z. B. S.  243 u. ö.). Beibehalten wird außerdem der uneinheitliche Genitiv von Eigennamen als -s oder -’s (z. B. „Ritschl’s“/ „Ritschls“, beide S.  3 08 f., Fn.  76). Beibehalten werden ferner: alternierende Schreibweisen (z. B. c/k, c/z, t/th sowie i/ie); das für Max Weber typische „allmälig“ neben „allmählich“ oder auch „Karrikatur“ statt „Karikatur“ (S.  329, Fn.  100); außerdem ältere Schreibweisen wie „Litteratur“ (S.  310, Fn.  76), „Gebahren“ (S.  268, Fn.  21b u. ö.), „Verläugnung“ (S.  246, Fn.  3), „charitas“ (S.  269, Fn.  21b), „Beghinen“ (S.  3 48, Fn.  123), „indeß“ (S.  378, Fn.  2 0), auch

kein „Ü“ und kein „ß“, wohl aber die Setzerei. „Ue“ und „ss“ enthält der Haupttext allerdings nicht durchgängig. 50 „Herrnhuter“ heißt es auch in der von Max Weber konsultierten Literatur, vgl. Ritschl, Pietismus, und Plitt, Zinzendorfs Theologie. Weber paßt sich dem bei der Überarbeitung der „Protestantischen Ethik“ (GARS I, S.  17–206; MWG I/18) an. 51  In den Hg.-Anmerkungen heißt es im Kurztitel: Bayli, Praxis pietatis I.

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ältere Ausdrucksweisen (z. B. „cessieren“, S.  379; „Hinkunft“, S.  419, Fn.  82). Unverändert bleibt mit wenigen Ausnahmen Webers Groß- und Kleinschreibung (z. B. „ein Anderer“, S.  286, Fn.  4 8, „Altes“ und „Neues“ neben „altem“ und „neuem“ Testament, S.  353, Fn.  131 u. ö.).52 Dasselbe gilt für Webers Zusammen- und Getrenntschreibung (z. B. „mit beteiligt“ neben „mitbeteiligt“, S.  378, Fn.  17, „nicht asketischen“ neben (klassenbildendem) „nichtasketischen“ Reformationskirchen, S.  242). Abgeschliffene Endungen wie „Wiedergebornen“ (S.  3 49) sowie „hat niemand befriedigt“ (S.  3 67, Fn.  1) werden ebenfalls nicht geändert. Sacherläuterungen Für den editorischen Umgang mit Webers Zitaten und Literaturnachweisen gilt das im Editorischen Bericht zum ersten Aufsatz Gesagte (oben, S.  107– 109). Zur Präzisierung von Webers Aussagen und der von ihm genannten Literatur wurden auch hier die überlieferten Handexemplare Max Webers herangezogen und seine Marginalien oder Markierungen mitgeteilt,53 sei es, daß er sie in seine privaten Exemplare (Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München), sei es, daß er sie in ein Bibliotheksexemplar eintrug. Diese Bücher sind im Literaturverzeichnis ausgewiesen, unten, S.  8 43–868. Außerdem wird hier ein Exzerpt Webers aus Robert Barclays „Apology“ (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  31, Bd.  6, Bl.  28–42v) herangezogen (vgl. unten, S.  239 f.). Behandlung der Vorlagen und Quellen Max Webers Bei der Kommentierung und Präzisierung von Webers Literatur- und Quellenangaben ergaben sich im Vergleich zum ersten Aufsatz zusätzliche editorische Probleme, die hier zusammen mit ihren Lösungen dargelegt werden, um die editorischen Entscheidungen zu dokumentieren. a) Wie schon im ersten Aufsatz, betont Weber auch im zweiten die Bedeutung des Begriffs „lex naturae“, auf dessen weitere Behandlung er durch Ernst Troeltsch hofft (vgl. S.  246, Fn.  3; Weber, Protestantische Ethik I, S.  190, Fn.  41, dort mit Verweis auf Troeltsch, Rez. Seeberg). Weber denkt dabei an die Abhandlung „Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit“, die Troeltsch für das von Paul Hinneberg herausgegebene enzyklopädische Werk „Die Kultur der Gegenwart“ verfaßte. Das Manuskript von Troeltschs

52  Bei den Ausnahmen handelt es sich um Abweichungen von der sonst geübten Praxis, die von Weber vermutlich nicht intendiert sind: S.  249 mit textkritischer Anm.  f; S.  2 65 mit textkritischer Anm.  p. 53  * bedeutet: unsichere Lesung der Handschrift Max Webers; [?] nicht (mehr) lesbar.

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Abhandlung lag zwar spätestens Anfang April 1905 dem Verlag vor, als Sonderdruck erschien sie aber erst Ende Dezember 1905 54 und als Teil des Enzyklopädie-Bandes I/4,1 sowie des Gesamtbandes I/4 erst im Februar 1906.55 Von Troeltschs thematisch verwandter Abhandlung erwartete Weber, daß darin die Sozialgestalt des Calvinismus und andere „Dinge (lex naturae etc.)“ behandelt würden (vgl. S.  266, Fn.  21; S.  246, Fn.  3). Inwieweit Weber mit dem Manuskript bereits während der Abfassung vertraut war, wissen wir nicht.56 Wohl aber kannte er viele von Troeltschs bereits erschienenen Schriften. In der „Protestantischen Ethik“ nennt er solche teils einzeln, teils nur summarisch (vgl. S.  246, Fn.  3 mit Anm.  9 –11). Troeltsch gehörte in Heidelberg zu Webers Freundeskreis. Beide pflegten einen intensiven wissenschaftlichen Austausch, arbeiteten im Eranos-Kreis zusammen und reisten 1904 gemeinsam in die USA.57 Wie Weber gegenüber Georg v. Below bekundete, sah er in Troeltsch den theologischen Fachmann, auf dessen Gebiet er sich nicht kompetent fühlte.58 Im Rahmen der Edition mußte allerdings darauf verzichtet werden, soweit Weber nicht zitiert, über die Anregungen, die er von Troeltsch erhielt, im Einzelfall zu spekulieren. Deshalb wurde auch Troeltschs „Protestantisches Christentum“ in die Sachkommentierung nicht mit einbezogen. Sie lag bei der Abfassung des hier edierten Textes jedenfalls gedruckt noch nicht vor. b) Bei der Einschätzung der kulturgeschichtlichen Folgen der Prädestina­ tionslehre behandelt Weber ausdrücklich „nicht die persönlichen Ansichten Calvins, sondern die Lehre des Calvinismus“ (vgl. S.  250, Fn.  5). Dabei

54  Einen solchen besaß Max Weber (Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München). 55 Vgl. Drehsen/Albrecht, Editorischer Bericht zu Troeltsch, Protestantisches Christentum, KGA 7, S.  3 9–80, bes. S.  62–75. 56  Vgl. dazu den Brief an Georg v. Below vom 23. August 1905, unten, Anm.  5 8. 57  Vgl. dazu auch die Einleitung, oben, S.  3 9–43. 58  Brief Max Webers an Georg v. Below vom 23. August 1905 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  30, Bd.  4, Bl.  130; MWG II/4). Dieser Brief zeigt, daß Weber Troeltschs Abhandlung zu diesem Zeitpunkt kannte. Er beurteilt sie als „vortreffliche Leistung“. Diese „mag in sehr vielen Punkten auf Anregung aus unseren Gesprächen und meine Aufsätze zurückgehen, (vielleicht noch mehr, als er weiß) – aber er ist der theologische Fachmann und beherrscht damit das Entscheidende: die maßgebende Idee. [.  .  .] Zudem hat Tr[oeltsch] natürlich eine Fülle von Dingen geleistet (Analyse Luthers, Calvins), die ich so absolut garnicht hätte leisten können, weil mir die Kenntnisse dazu fehlen.“ – Im Sommer 1905 hatte Weber vorgeschlagen, statt seiner Ernst Troeltsch auf dem IX. Historikertag vortragen zu lassen, der im April 1906 in Stuttgart stattfinden sollte. Troeltschs Referat auf dem Historikertag 1906 trägt den Titel „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“ (KGA 8, S.  183–316). – Vgl. auch Graf, Friedrich Wilhelm, Fachmenschenfreundschaft. Bemerkungen zu ‚Max Weber und Ernst Troeltsch‘, in: Mommsen, Wolfgang J. und Wolfgang Schwentker (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S.  313–336.

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betrachtet er hauptsächlich den englischen Puritanismus, bezieht aber auch das reformierte Holland mit ein. Bevor er auf die Wirkung der Prädestinationslehre eingeht, gibt er sie nach der „Westminster Confession“ von 1647 wieder (vgl. S.  251–253). Zur Klärung des Ursprungs dieser Lehre geht er auf Calvin zurück (vgl. S.  256–259). Doch folgt er dabei nicht dem Original, sondern Max Scheibes Dissertation über „Calvins Prädestinationslehre“ aus dem Jahre 1897 (vgl. S.  257 mit Fn.  10).59 Auf die inhaltlichen Unterschiede zwischen Calvins Prädestinationslehre nach der „Institutio Christianae Religionis“ und der „Westminster Confession“ oder auch Hoornbeeks „Theologia practica“ (1663–1666) 60 (vgl. S.  259, Fn.  12) kommt es ihm dabei nicht an. Wo Weber die Konsequenz der Prädestinationslehre beschreibt, etwa als radikale Vereinsamung des Individuums, hält er sich wohl in erster Linie an Edward Dowden, Puritan and Anglican, vgl. unten, S.  259, Fn.  13, dazu Anm.  8 4. Scheint also an manchen Stellen Webers Calvin-Verständnis durch die Sekundärliteratur vermittelt (vgl. S.  268 f., Fn.  21b; S.  3 54, Fn.  133 f.), geht er anderswo offensichtlich doch auf Calvin selbst zurück (vgl. S.  266, Fn.  21; S.  274, Fn.  27; S.  312, Fn.  78; S.  3 99, Fn.  52; S.  4 04, Fn.  5 5). Ob nun indirekt oder direkt zur Kenntnis genommen, in den Sacherläuterungen ist das entsprechende Werk Calvins genannt und, sofern es sich um die „Institutio Christianae Religionis“ handelt und Weber keine andere Auskunft gibt, die dritte Fassung von 1559 herangezogen (in den Kommentaren zitiert als: Calvin, Inst.). Dies geschieht wie allgemein üblich auch bei Weber nach Buch, Kapitel und Abschnitt. Gelegentliche Calvin-Zitate in den Sachanmerkungen sind, um das Verständnis zu erleichtern, in der Übersetzung Otto Webers wiedergegeben.61 In anderen Fällen werden die Bände des „Corpus Reformatorum“ ausgewiesen, die Weber benutzt (vgl. S.  2 96, Fn.  3). Seine Interpre-

59  Ähnlich wie bei Karl Egers Abhandlung über die Anschauungen Luthers vom Beruf bezieht Weber auch hier neuere Spezialuntersuchungen in seine Untersuchung ein. Zu Eger vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  120 f. 60  Auf den unbekannteren Johannes Hoornbeek, dessen Werk in der UB Heidelberg vorhanden war, griff Weber vermutlich zurück, weil ihm, wie er schreibt, das Schrifttum des an und für sich bedeutenderen niederländischen Theologen Gisbert Voet wie „Τὰ Ἀσκητικά sive exercitia pietatis“ (1664), ein „Codex evangelischer Ascetik“ (Heppe, Pietismus, S.  151), nicht zugänglich war (vgl. unten, S.  246, Fn.  3, und S.  368, Fn.  2). Hoornbeek war Schüler von Voet. Dieselbe Beobachtung bei Ghosh, Peter, Max Weber in the Netherlands 1903–7: a neglected episode in the early history of The Protestant Ethic, in: Ghosh, A Historian Reads Max Weber (wie oben, S.  3 0, Anm.  19), p.  51–74, p.  58. 61  Vgl. Calvin, Johannes, Unterricht in der christlichen Religion. Institutio Christianae Religionis. Nach der letzten Ausgabe von 1559 übers. und bearb. von Otto Weber, im Auftrag des Reformierten Bundes bearb. und neu hg. von Matthias Freudenberg, 2.  Aufl. – Neukirchen-Vluyn: foedus-verlag und Neukirchener Verlag 2009.

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tation der Konsequenzen der Prädestinationslehre wird hauptsächlich mit Heinrich Heppes „Dogmatik der evangelisch-reformirten Kirche“ (1861) belegt (vgl. S.  257, Fn.  10). c) Weber teilt dem Leser ausdrücklich mit, bei der Darstellung der Lehr­ unterschiede von Luthertum und Calvinismus folge er Matthias Schneckenburgers Vorlesungszyklus „Vergleichende Darstellung des lutherischen und reformirten Lehrbegriffs“ (postum 1855) (vgl. S.  248, Fn.  4; S.  276, Fn.  32; bereits Weber, Protestantische Ethik I, S.  2 01, Fn.  50).62 Außer der Typologie 63 folgt er dabei auch vielen Details (vgl. S.  273–303 mit Anmerkungen). In den Sacherläuterungen wird genauer, als Weber dies selbst tut, der Bezug auf Schneckenburgers Vorlesungszyklus hergestellt, so daß man sich über Umfang und Inhalt der Übernahme informieren kann. d) Die Schriften von Richard Baxter sind für Weber eine wichtige Quelle für das puritanische Berufsverständnis, vor allem Baxters „A Christian Directory: Or, A Summ of Practical Theologie, and Cases of Conscience“. Das vierteilige Werk wurde während des Predigtverbots für Nonkonformisten in den Jahren 1664/65 verfaßt und erschien zuerst 1673. Weber zitiert aus der zweiten Auflage von 1677/78.64 Von Baxters Werk hatte er sich ein „dicke[s] Exzerpt“ angefertigt.65 Es ist nicht überliefert, könnte aber ähnlich – nur umfangreicher – wie sein Exzerpt aus Barclays „Apology“ ausgesehen haben.66 Nach Webers Urteil handelt es sich bei Baxters „Christian Directory“ um „das umfassendste Kompendium der puritanischen Moraltheologie“ (S.  3 67). Weber zitiert Baxters „Hauptwerk“ (S.  374) in aller Regel mit dem Hinweis auf Teil und Seite. Dies wird in den Anmerkungen um Kapitel und/oder „Direc-

62  Webers Interesse konzentriert sich ganz auf den ersten der beiden Bände. 63  Vgl. auch Graf, Friedrich Wilhelm, Die „kompetentesten“ Gesprächspartner? Implizite theologische Werturteile in Max Webers „Protestantischer Ethik“, in: Religionssoziologie um 1900, hg. von Volkhard Krech, Hartmann Tyrell. – Würzburg: Ergon Verlag 1995, S.  2 09–248, S.  2 25–233. 64  Er schöpft in erster Linie aus dem ersten, auch bei Baxter ausführlichsten Teil, überschrieben mit „Christian Ethicks“, in dem dieser „Directions for the Ordering of the Private Actions of our Hearts and Lives in the work of Holy Self-Government unto and under God“ vorträgt. Den zweiten Teil, überschrieben „Christian Oeconomicks: or, the Family Directory“, zieht Weber nur ergänzend heran. Den dritten Teil „Christian Ecclesiasticks“ läßt er mit einer Ausnahme beiseite (vgl. S.  3 93, Fn.  47b). Aus dem vierten Teil, überschrieben „Christian Politicks“, greift er insbesondere Stellen über die Ablehnung der Kreaturvergötterung, über die christliche Nächstenliebe (vgl. auch S.  3 83, Fn.  3 0) und den „Schluß“ heraus (vgl. S.  276, Fn.  31, und S.  283, Fn.  4 0). 65  Dies geht aus dem Brief Max Webers an Werner Sombart vom 20. Dez. 1913, MWG II/8, S.  4 32–435, hier S.  4 33 mit Fn.  3, hervor: „Ich habe meine eignen dicken Exzerpte [.  .  .]“ (zu Baxter und Antonin [von Florenz]). – Baxters „Christian Directory“ ist in der Heidelberger Universitätsbibliothek nicht vorhanden. Seine Äußerung, S.  246, Fn.  3, Z.  9 –12, legt nahe, daß er das Werk über Fernleihe bezogen hatte. 66  Zum Exzerpt Barclay, Apology, unten, S.  2 39 f.

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tion“ mit Angabe ihres Wortlauts ergänzt, sofern dies aussagekräftig ist. Baxters Schrift „The Saints’ everlasting rest“ zieht Weber ergänzend heran. Wie Webers Kapitelzitation zeigt, benutzt er die von Benjamin Fawcett gekürzte Fassung und zitiert vornehmlich aus Kapitel X, „The Saints’ rest is not to be expected on earth“, und Kapitel XII, „Directions how to lead a heavenly life upon earth“.67 Er scheint außerdem eine deutsche Ausgabe der gekürzten Fassung in der Übersetzung Otto v. Gerlachs verwendet zu haben (vgl. S.  3 01 f., Fn.  72, und S.  370, Fn.  5), wobei er aber unten, S.  422 mit Anm.  81, auch selbst übersetzt.68 Ferner benutzte er einen Band aus der Reihe „Works of the English Puritan Divines“, der weitere Schriften Baxters enthält.69 Biographische Daten sowie Hinweise zur Theologie Baxters folgen Thomas W. Jenkyns „Essay on Baxter’s Life, Ministry, and Theology“, der in diesem Band enthalten ist. Die in der Heidelberger Universitätsbibliothek vorhandene Reihe benutzt Weber auch für weitere puritanische Autoren.70 e) Den weiten Pietismusbegriff entnimmt Weber Albrecht Ritschls dreibändiger Darstellung zur „Geschichte des Pietismus“ (1880–1886).71 Auch Ritschl hatte die Niederlande als Entstehungsland des Pietismus, die heute zumeist als „Nadere reformatie“ bezeichnete Richtung, in seine Darstellung mit einbezogen. Weber weitet den Begriff noch einmal aus, indem er sich Heinrich Heppe, „Geschichte des Pietismus und der Mystik in der Reformirten Kirche, namentlich der Niederlande“ (1879), anschließt, der die niederländische reformierte Kirche durch den „puritanische[n] Pietismus Englands“ (Heppe, ebd., S.  14–73) beeinflußt sieht,72 und indem er für das deutsche Luthertum in Gestalt Philipp Jakob Speners eine Beeinflussung durch den „englisch-niederländischen Pietismus“73 geltend macht. Weber entnimmt Ritschls Werk

67  Vgl. S.  3 01, Fn.  72; S.  3 69, Fn.  4, S.  370, Fn.  5; S.  4 09, Fn.  67; und S.  422, Fn.  8 5. (Ausnahme: S.  280 f., Fn.  3 5 mit Anm.  87; S.  286, Fn.  4 9, dazu Anm.  17.) 68  Eine freie Übersetzung aus Baxter benutzt Weber in seiner vielzitierten Formulierung: „Nur wie ‚ein dünner Mantel, den man jeder Zeit abwerfen könnte‘, sollte nach Baxters Ansicht die Sorge um die äußeren Güter um die Schultern seiner Heiligen liegen. Aber aus dem Mantel ließ das Verhängnis ein stahlhartes Gehäuse werden.“ Unten, S.  422, dazu Anm.  81. 69 Es handelt sich um: Baxter, Works of the English Puritan Divines IV; vgl. z. B. S.  281, Fn.  3 5; S.  3 37, Fn.  113; darin auch der im folgenden erwähnte Essay von Jenkyn, p. i–lviii. 70 Vgl. die Übersicht im Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur, unten, S.  8 67 f. 71  Vgl. Lehmann, Hartmut, Max Webers Pietismusinterpretation, in: ders., Max Webers „Protestantische Ethik“. Beiträge aus Sicht eines Historikers. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996, 50–65 (hinfort: Lehmann, Max Webers Pietismusinterpretation), hier S.  5 8. 72  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, unten, S.  243, Fn.  3, und S.  3 06–310, Fn.  76. 73  Ebd., unten, S.  318.

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viele Details.74 Am ausführlichsten beschäftigt er sich in diesem Zusammenhang mit Spener.75 Dieser hinterließ außer seinem Hauptwerk, dem in den „Pia desideria“ (1675) entfalteten Kirchenreformprogramm, eine Fülle von Predigten und Briefen, erbaulichen, polemischen, katechetischen und anderen Einzelschriften. Webers „Quelle“ bilden Speners deutschsprachige Briefe, Gutachten und Responsen, die dieser gegen Ende seines Lebens zu einem „pastoraltheologischen Nachschlagewerk“76 zusammenstellte und als „Theologische Bedenken“ in vier Bänden 1700–1702 veröffentlichte. Weber benutzt die in der Universitätsbibliothek Heidelberg vorhandene dritte Auflage von 1712–1715. Einzelne Stellen wählt er darüber hinaus aus der lateinischen Briefsammlung „Consilia et Iudicia theologica latina“ aus, die nach Speners Tod 1709 in drei Bänden erschien. Im übrigen folgt er, von wenigen Ausnahmen abgesehen,77 weitgehend Ritschl, der sich in großen Teilen seiner Darstellung auf Speners Sammelwerke stützt.78 Für den Abschnitt „Askese und Kapitalismus“, S.  366–425, konsultiert Weber für den Pietismus mit wenigen Ausnahmen direkt Speners „Theologische Bedenken II“, Kapitel 3, das von den verschiedenen Pflichten des Christen handelt,79 und darin besonders Artikel IV, die „Pflichten eines Chri­ 74  Weber distanziert sich dabei allerdings von Ritschls „religionspolitisch orientierten Werturteilen“, von seiner „Antipathie gegen alle spezifisch asketische Religiosität“, die er als „Rückfälle in den ‚Katholizismus‘“ werte und weshalb er „den Finger auf jedes Zitat aus der katholischen Mystik und Asketik“ in der pietistischen Literatur lege (S.  319, Fn.  76; vgl. auch S.  276 f., Fn.  3 3). 75  Webers Ausführungen zu August Hermann Francke erscheinen demgegenüber pointiert, sind aber weit weniger ausführlich als die zu Spener. Die von Francke ins Leben gerufenen Halleschen Anstalten bleiben unerwähnt (ähnlich die Organisatio­ nen des Methodismus, vgl. S.  3 45). Zinzendorf wird wegen des bei ihm in Steigerung auftretenden gefühlsmäßigen Moments gesondert behandelt, wobei sich Weber – mit Ausnahme zu August Gottlieb Spangenberg, Zinzendorfs Nachfolger in der Herrnhuter Brüdergemeine (S.  2 63, Fn.  17, und S.  3 30 f. mit Fn.  103 und 104) – ganz auf Sekundärliteratur stützt (neben Ritschl, Pietismus I–III, zieht Weber Plitt, Zinzendorfs Theologie I–III, heran). 76  Nach dem Vorwort von Johannes Wallmann zu: Spener, Philipp Jakob, Briefe aus der Frankfurter Zeit 1666–1686, Band  1, hg. von Johannes Wallmann in Zusammenarbeit mit Udo Sträter und Markus Matthias. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1992 (hinfort: Spener, Briefe I), S.  V-XIII, hier S.  V. 77  Die Stellen, die Weber aus Speners „Consilia“ zu Johannes Tauler aufführt, folgen nicht Ritschl. Weber dürfte sie dem Register des dritten Bandes (Spener, Consilia theologica III) entnommen haben. Dasselbe gilt auch für die Stellen zur platonischen und aristotelischen Philosophie (S.  321, Fn.  8 6, und S.  3 32–334, Fn.  108) sowie zu den Quäkern (S.  356, Fn.  134). 78  Vgl. Ritschl, Pietismus II, S.  97–225. Die von Ritschl ebenfalls zitierten postumen „Letzten Theologischen Bedenken“ Speners berücksichtigt Weber nicht. 79  Spener, Theologische Bedenken II, ist überschrieben: „Worinnen sonderlich die pflichten gegen GOtt, die Obern, den nechsten und sich selbs, auch ehe-sachen, so dann aufmunterung- und trost-schreiben enthalten“.

Ph. J. Spener, Theologische Bedencken, 3. Aufl., 1. Theil (Halle 1712) Exemplar der Universitätsbibliothek Heidelberg (Q1866-RES)

Exzerpt Webers aus Robert Barclays „Apology“ Von Max Weber paginiert als „S. 1“ GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 31, Bd. 6, Bl. 40r

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sten gegen sich selbs und seinen beruff“80 (vgl. S.  373 f., Fn.  13; S.  3 80, Fn.  24; S.  3 84 f., Fn.  31 und 32; S.  3 92, Fn.  4 5, und S.  416 f., Fn.  77). Auch dazu regte ihn möglicherweise Ritschls kurze Erörterung des Spenerschen Berufsverständnisses an.81 Dazu kommen Einzelseiten aus dem vorhergehenden Artikel III zur „Berufsarbeit“ (S.  375 f., Fn.  16 f.; S.  380, Fn.  24; S.  384, Fn.  32; S.  416, Fn.  78). In den Inhaltsübersichten zu Artikel III und IV im Exemplar der Heidelberger Universitätsbibliothek (Q1866-RES) markierte Weber die ihn interessierenden Sectiones.82 Nahezu alle zitierten Sectiones sind von Weber mit Marginalien und Unterstreichungen versehen. Weber zitiert Speners „Consilia Theologica“ und Speners „Theologische Bedenken“ nicht einheitlich.83 Da manche seiner bibliographischen Informationen ohnehin korrigiert werden mußten (z. B. S.  321, Fn.  8 6), wurde entschieden, sie in der Sacherläuterung stets zu vervollständigen, mitunter ohne Wiedergabe der Titel der Sectiones.84 f) Weber stützt sich bei seinen Ausführungen zur Berufsidee des Methodismus, anders als beim Puritanismus, Pietismus und den Quäkern, auf keine bestimmte grundlegende Darstellung (S.  3 66–425). Er betont, der Methodismus falle in einen späteren Zeitraum und steuere zur Berufsidee „nichts Neues“ bei (S.  3 45). Wichtig werde der Methodismus wegen der von ihm hervorgebrachten Organisationen erst bei der „Betrachtung der Sozialethik“ (ebd.). – Der Vorverweis zeigt nicht nur hier, daß er seine Studie fortführen wollte, sie in der vorliegenden Form also nicht abgeschlossen ist (Näheres dazu in der Einleitung, oben, S.  6 6 f., und den Anhang, S.  9 0–96). g) Für die Quäker stützt sich Weber auf Robert Barclays „Apology for the True Christian Divinity“. Das Werk, ein theologisches Hauptwerk des Quäkertums, erschien 1676 auf Latein und zwei Jahre später auf Englisch. Barclay schrieb es in der Absicht, seine Glaubensbrüder, die verleumderischen Anfeindungen ausgesetzt waren, zu verteidigen und bei Karl II. für die Tolerierung ihrer Ansichten zu werben.85 Weber benutzte die 4. Auflage von 1701, die ihm nach einer Notiz unten, S.  3 34 f., Fn.  133, Eduard Bernstein „zur Ver80  Spener, Theologische Bedenken II, p.  279. 81  Vgl. Ritschl, Pietismus II, S.  101 f.; S.  102, Anm.  1, mit Verweis auf Spener, Theologische Bedenken II, S.  422 und 424–453. 82  Vgl. Spener, Theologische Bedenken II, Übersichten S.  169 f. und 379 f. 83  Die römische Ziffer bezieht sich bei Speners „Consilia Theologica“ auf den Teil, bei den „Theologischen Bedenken“ auf das Kapitel. 84  Es wurde darüber hinaus überlegt, für weitere Informationen, u. a. Adressat und Datierung, auf die neue Briefausgabe (Spener, Briefe I [und Folgebände], wie oben, S.  2 38, Anm.  76) zu verweisen. Allerdings sind die meisten der von Weber zitierten Briefe und Gutachten noch nicht ediert, so daß darauf verzichtet wurde. 85  Vgl. Barclay, Apology, Vorwort „Unto Charles II.“ Dazu DesBrisay, Gordon, Art. Barclay, Robert, of Ury (1648–1690), in: Oxford Dictionary of National Biography 2004 [http://www.oxforddnb.com/view/article/1347, accessed 9 April 2013]; Loofs, Art. Barclay, Robert, in: RE 3 , 2. Band, 1897, S.  3 98–400.

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fügung“ gestellt hatte.86 Diese Ausgabe hat folgenden Aufbau: Barclays „Apology“ gliedert sich in 15 „Propositions“. Die Leitsätze 87 werden vorangestellt, im Hauptteil des Werkes wiederholt und jeweils ausführlich erläutert. Weber hatte sich von seiner Lektüre ein Exzerpt angefertigt, das heute im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin aufbewahrt wird.88 Bei der Abfassung der einzelnen Passagen stützt er sich ganz auf dieses Exzerpt.89 Er notierte sich auf Deutsch oder Englisch Stichworte und Halbsätze zu fast allen „Propositions“ und zu der argumentativen Entfaltung von Proposition II-IV, VII, IX-XI, XIV und XV. Weber zitiert aus nahezu allen Propositions und gibt insofern ein umfassendes Bild. Aus Proposition X. gewinnt er den Kirchenbegriff der Quäker (vgl. S.  3 49, Fn.  126 mit Anm.  15, und S.  3 54 mit Anm.  37). Später bezieht er sich nur noch auf Proposition XV., aus der die quäkerische asketische Lebensführung zu entnehmen ist (S.  3 69, Fn.  4 mit Anm.  22; S.  372, Fn.  10 mit Anm.  3 9; S.  3 99, Fn.  52 mit Anm.  73; u. ö.). In den Sacherläuterungen wird bei Zitaten sowohl auf die betreffende Stelle bei Barclay als auch auf Webers meist aufschlußreiches Exzerpt hingewiesen.90 Im selben Konvolut des Berliner Geheimen Staatsarchivs existieren weitere Notizen zum Quäkertum, die Weber im Haverford College bei Philadelphia, PA, auf seiner USA-Reise 1904 anfertigte.91 Es handelt sich überwiegend um

86 Bernstein, Kommunistische Strömungen, S.  6 63–673, hatte dieselbe 4. Auflage von 1701 benutzt. Er behandelt die „ökonomisch-soziale Seite des Quäkerthums“ und zeigt, daß die Quäker aufgrund ihrer Askese sehr erfolgreiche Geschäftsleute geworden waren (ebd., S.  6 80–685) – möglicherweise für Weber ein ausschlaggebender Grund, sich zur täuferischen Tradition vorrangig mit den Quäkern zu beschäftigen. 87  Vgl. Barclay, Apology, p.  3 –14; die englischen „Propositions“ hatte Barclay unter dem lateinischen Titel „Theses Theologicae“ schon 1675 verbreitet, das gesamte Werk war 1676 zuerst in Latein erschienen (engl. zuerst 1678). 88  GStA PK Berlin, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  31, Band  6, Bl.  28–42v (hinfort: Weber, Exzerpt). Bei Bl.   28 handelt es sich um einen Briefumschlag mit der Aufschrift „Quäker“ und „Rob[ert] Barclay“. Die Blätter 29–42v liegen im Archiv in ungeordneter Folge, sie sind teilweise auch rückseitig und durchgehend lila beschriftet. Es handelt sich um kleinere Notizzettel, viele mit der Aufschrift „Barclay“ bzw. „R.“ oder „Rob. Barclay“, manchmal auch zusätzlich mit „Quäker“. Vier Notizzettel, Exzerpte aus den vorangestellten „Propositions“, paginierte Max Weber mit 1) bis 4). 89 Die in den Kommentaren gebrauchte Transkription stammt von Diemut Moosmann, der hierfür sehr zu danken ist. In der Wiedergabe des Exzerpts bedeuten eckige Klammern Ergänzungen durch die Editoren, während Spitzklammern (〈, 〉) Max Webers Streichungen ausweisen. 90  In den Kommentaren stets zitiert als: Weber, Exzerpt. 91  GStA PK Berlin, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  31, Band  6, Bl.  4 3–48v. Auf dem dazugehörigen Briefumschlag notierte Weber „Quäker (Haverford Notizen)“. Bl.  44r-48r sind mit Bleistift geschrieben, für den Umschlag (Bl.  4 3) wurde ein lilafarbener Stift benutzt.

Editorischer Bericht

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bibliographische Notizen zu Werken und Schriftenreihen der Quäker.92 Manchen Titel trug Weber bei der Überarbeitung der „Protestantischen Ethik“ nach.93 Für die hier edierte erste Fassung scheint er die Notizen mit einer Ausnahme (vgl. unten, S.  3 61, Fn.  137 mit Anm.  6 9) nicht benutzt zu haben. Sonstiges zu den Sacherläuterungen Zitate aus Webers älteren deutschsprachigen Quellen, die in den Sacherläuterungen angeführt werden, folgen weitgehend dem Druckbild der Vorlage. e e e Beibehalten werden ältere Umlautwiedergaben wie a, o und u sowie die Virgel, während Ligaturen sowie das &-Kürzel (zu „und“) aufgelöst werden. Die Auflösung der Ligaturen und von & („et“) gilt auch für lateinische Quellen. Die ältere deutsche, englische oder lateinische Orthographie wird darüber hinaus beibehalten.

92  Vgl. dazu auch unten, S.  3 68, Fn.  3 mit Anm.  13. – Die College-Bibliothek soll 1904 über 45000 Bücher verzeichnet haben, so Scaff, Max Weber in America (wie oben, S.  57, Anm.  24), p.  143. 93  Es handelt sich um sämtliche Angaben zur „Quäkergeschichte“, die Weber, Protestantische Ethik, GARS I, S.  151, Fn.  4 (MWG I/18), aufführt.

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Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus.a

II.  Die Berufsidee des asketischen Protestantismus. Inhalt: 1. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese. [S.  242] – 2. Askese und Kapitalismus. [S.  366]

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Die geschichtlichen Träger des asketischen Protestantismus (im hier gebrauchten Sinn des Ausdrucks) sind in der Hauptsache viererlei: 1. der Calvinismus in der Gestalt, welche er in den Hauptgebieten seiner Herrschaft im Lauf insbesondere des 17. Jahrhunderts annahm; 2. der Pietismus; 3. der Methodismus; 4. die aus der täuferischen Bewegung hervorgewachsenen Sekten.1) Keine dieser Bewegungen stand der anderen absolut gesondert gegenüber, und auch die Absonderung von den nicht asketischen Reformationskirchen ist keine streng durchgeführte. Der Methodismus ist erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts innerhalb der englischen Staatskirche entstanden, wollte nach der Absicht seiner Begründer1 nicht sowohl eine neue Kirche, als eine Neuerweckung des asketischen Geistes innerhalb der alten sein, und wurde erst im Lauf seiner Entwicklung, insbesondere beim Übergreifen nach Amerika, | von der anglikanischen Kirche getrennt. Der Pietismus ist auf dem 1) Den Zwinglianismus behandeln wir nicht gesondert, da er nach kurzer großer Machtstellung schnell an Bedeutung zurückging.2 – Der „Arminianismus“, dessen dogmatische Eigenart in der Ablehnung des Prädestinationsdogmas in seiner schroffen Formulierung bestand, ist als Sekte nur in Holland (und den Ver[einigten] Staaten)

a  In A folgt: Von Max Weber. 1 In erster Linie John und Charles Wesley sowie George Whitefield; vgl. dazu die Einträge im Personenverzeichnis, unten, S.  817. 2  Die von Zürich ausgehende Reformation war mit der Niederlage im zweiten Kappelerkrieg (1531), in dem Zwingli fiel, an das Ende ihrer Ausbreitung gekommen. Näheres im Glossar unter „Zwinglianismus“, unten, S.  842.

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Boden des Calvinismus in England und besonders Holland zuerst erwachsen, blieb durch ganz unmerkliche Übergänge mit der Orthodoxie verknüpft, und vollzog dann gegen Ende des 17. Jahrhunderts in der Wirksamkeit Speners seinen Eintritt in das Luthertum, teilweise dogmatisch umfundamentiert.3 Er blieb eine Bewegung innerhalb der Kirche, und nur die an Zinzendorf anknüpfende, durch Nachklänge hussitischer und calvinistischer Einflüsse in der mährischen Brüdergemeinde mitbestimmte Richtung („Herrnhuter“) wurde, wie der Methodismus, gegen ihren Willen zu einer eigentümlichen Art von Sektenbildung gedrängt. Calvinismus und Täufertum standen im Anfang ihrer Entwicklung sich schroff getrennt gegenüber, aber im Baptismus des späteren 17. Jahrhunderts berührten sie einander dicht, und schon in den independentischen Sekten Englands und Hollands zu Anfang desselben war der Übergang ein stufenweiser. Wie der Pietismus zeigt, ist auch der Übergang zum Luthertum ein allmählicher, und ebenso steht konstituiert und in diesem Kapitel für uns ohne Interesse.4 Seine Dogmatik galt in der anglikanischen Kirche und in den meisten methodistischen Denominationen.5 |

3  Weber dürfte hier auf Heppe, Pietismus, fußen, dessen Werk er erst unten, S.  324, Fn.  92, einführt. Heinrich Heppe bezieht den Puritanismus Englands (er spricht vom „puritanische[n] Pietismus Englands“, S.  14–73) und dessen Einflüsse auf Holland in seine Darstellung mit ein; zu Holland als Entstehungsland des Pietismus vgl. neben Heppe v. a. Albrecht Ritschl, Pietismus I. Vgl. auch Webers Ausführungen unten, S.  308–311. 4  Der Arminianismus (vgl. auch das Glossar, unten, S.  822) mit seinem gegenüber Calvin und dem orthodoxen Calvinismus moderaten Prädestinationsverständnis wurde auf der Dordrechter Synode (1618/19) verurteilt (vgl. unten, S.  250 f., Anm.  47). Seine Anführer und ihm anhängende Pfarrer wurden verbannt. Vor ihrer Exilierung gründeten sie 1619 in Antwerpen die noch heute bestehende „Remonstrantische Bruderschaft“. (Eine spezifisch arminianische Sekte in den USA ließ sich nicht ermitteln; vgl. aber die folgende Anm.) – Weber hat das Kapitel über den Arminianismus bei Schneckenburger, Kirchenparteien, S.  4–26, gelesen, wie einzelne Marginalien im Exemplar der UB Heidelberg belegen. 5  Einfluß gewann der Arminianismus auch in England, wo er später mit dem Unitarismus zusammenging. Innerhalb der Church of England verband er sich mit dem hochkirchlichen Anglikanismus von William Laud, seit 1633 Erzbischof in Canterbury, allerdings in einer Weise, die seinen ursprünglichen Intentionen kaum noch entsprach. Vgl. auch unten, S.  250, Anm.  46. – Später berief sich John Wesley auf ihn, der im Gegensatz zu George Whitefield die Prädestinationslehre ablehnte. Seit 1741 gab es daher eine „arminianische“ und eine „prädestinatianische“ Richtung des Methodismus (vgl. Friedrich Loofs, Art. Methodismus, S.  765; auf Loofs bezieht sich Weber unten, S.  338, Fn.  114); letztere löste sich nach 1777 auf. Der Methodismus war in England und vor allem in den USA verbreitet. Vgl. auch unten, S.  302 f. und 341 f.

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es zwischen demb Calvinismus und der in ihrem äußeren Charakter und dem Geist ihrer konsequentesten Bekenner dem Katholizismus verwandten anglikanischen Kirche. Jene asketische Bewegung, welche im weitesten Sinn dieses vieldeutigen Wortes als „Puritanismus“ bezeichnet wurde,2) griff zwar in der Masse ihrer Anhänger und namentlich in ihren konsequenten Verfechtern die Grundlagen des Anglikanismus an, aber auch hier verschärften sich die Gegensätze erst allmählich im Kampf. Und auch wenn wir die hier noch nicht interessierenden Fragen der Verfassung und Organisation vorerst gänzlich beiseite lassen – ja dann erst recht –[,] bleibt der Sachverhalt der gleiche. Die dogmatischen Differenzen, selbst die wichtigsten, wie die über die Prädestinations- und Rechtfertigungslehre, gehen in den mannigfaltigsten Kombinationen ineinander über und hinderten schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts die Aufrechterhaltung kirchlicher Gemeinschaft zwar regelmäßig, aber doch nicht ausnahmslos. Und vor allem: | die für uns wichtigen Erscheinungen der sittlichen Lebensführung finden sich bei den Anhängern der verschiedensten, aus einer der oben verzeichneten6 vier Quellen oder einer Kombination mehrerer von ihnen hervorgegan­genen Denominationen in gleichartiger Weise. Wir werden sehen,7 daß ähnliche ethische Maximen mit verschiedenen dogmatischen Unterlagen verknüpft sein konnten. Und auch die ethischen Kompendien der verschiedenen Konfessionen beeinflußten 2) Über die Entwicklung des Begriffs „Puritanismus“ s. statt Andrer Sanford in den „Studies and Reflections of the Great Rebellion“ S.  65 f.8 Wir brauchen hier den Ausdruck, wo wir ihn überhaupt anwenden, stets in dem Sinn, den er in der populären Sprache des 17. Jahrhunderts angenommen hatte: die asketisch gerichteten religiösen Bewegungen in Holland und England, ohne Unterschied der Kirchenverfassungsprogramme und Dogmen, also mit Einschluß der „Independenten“, Kongregationalisten, Baptisten, Mennoniten und Quäker. |

b A: den 6  Siehe oben, S.  242. 7  Siehe im folgenden, S.  244–366. 8  Gemeint ist: Sanford, Great Rebellion; dort im Titel: „Studies and Illustrations . . .“. Weber bezieht sich auf das gesamte Kapitel II „Puritanism: Religious and Social“, p.  64–102. John Langton Sanford gibt darin eine Definition des Puritanismus, indem er 1. dessen religiöse Theorie aus den Gedanken ableitet, die in den verschiedenen Phasen seiner Geschichte bestimmend waren, und ihn 2. in seiner Sozialgestalt betrachtet. Durch diese Art der Definition will Sanford vermeiden, den Puritanismus dogmatischer zu zeichnen, als er nach seiner Auffassung war (ebd., p.  64).

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sich gegenseitig, und man findet in ihnen große Ähnlichkeiten trotz notorisch sehr verschiedener Praxis der Lebensführung. Es könnte also fast scheinen, als täten wir am besten, die dogmatischen Unterlagen ebenso wie die ethische Theorie zu ignorieren und uns rein an die sittliche Praxis zu halten, soweit sie feststellbar ist. – Allein dem ist nicht so. Die dogmatischen Wurzeln der asketischen Sittlichkeit starben freilich, nach fürchterlichen Kämpfen, ab. Aber die ursprüngliche Verankerung an jenen Dogmen hat nicht nur in der „undogmatischen“ späteren Ethik mächtige Spuren hinterlassen, sondern nur die Kenntnis des ursprünglichen Gedankengehalts lehrt verstehen, wie jene Sittlichkeit mit dem die innerlichsten Menschen jener Zeit absolut beherrschenden Gedanken an das Jenseits verknüpft war, ohne dessen alles überragende Macht damals keinerlei die Lebenspraxis ernstlich beeinflussende sittliche Erneuerung ins Werk gesetzt worden ist. Denn nicht auf das, was etwa in ethischen Kompendien der Zeit theoretisch gelehrt wurde, – so gewiß auch dies durch den Einfluß von Kirchenzucht, Seelsorge und Predigt praktische Bedeutung hatte, – kommt es in erster Linie für uns an; sondern zunächst auf die Ermittelung der psychologischen Antriebe, welche der Lebensführung die Richtung wiesen und das Individuum in ihr festhielten. Diese Antriebe aber entsprangen eben vorwiegend rein religiösen Glaubensvorstellungen. Der damalige Mensch grübelte über scheinbar abstrakte Dogmen in einer Art, die ihrerseits wieder nur verständlich wird, wenn wir ihren Zusammenhang mit praktisch-religiösen Interessen durchschauen. Der Weg durch einige dogmatische Betrachtungen,3) wel3) Ich brauche kaum besonders zu betonen, daß diese Skizze, soweit sie sich auf rein A 3 dogmatischem Gebiet bewegt, überall an die Formulierungen der kirchen- und dogmengeschichtlichen Literatur, also an die „zweite Hand“ angelehnt ist und insoweit schlechterdings keinerlei „Originalität“ beansprucht. Selbstverständlich habe ich mich nach Vermögen in die Quellen der Reformationsgeschichte zu vertiefen gesucht. Aber dabei die intensive und feinsinnige theologische Arbeit vieler Jahr|zehnte ignorieren zu A 4 wollen, statt sich – wie das ganz unvermeidlich ist – von ihr zum Verständnis der Quellen leiten zu lassen, wäre eine starke Anmaßung gewesen. Ich kann nur hoffen, daß die notgedrungene Kürze der Skizze nicht zu inkorrekten Formulierungen geführt hat und daß ich wenigstens sachlich erhebliche Mißverständnisse vermieden habe. „Neues“ enthält die Darstellung für jeden mit der wichtigsten theologischen Literatur Vertrauten sicherlich nur insofern, als natürlich Alles auf die für uns wichtigen Gesichtspunkte abgestellt ist, von denen manche für uns entscheidend bedeutsame, – wie z. B. der rationale Charakter der Askese und ihre Bedeutung für den modernen „Lebensstil“, – theologischen Darstellern naturgemäß ferner lagen. Manche andere Gesichtspunkte – z. B. die S.  266–269 gestreiften – sind hier auch um deswillen nur andeutungsweise behan-

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cher dem | nicht theologischen Leser ebenso mühsam wie dem theologisch Gebildeten hastig und oberflächlich erscheinen muß, ist unvermeidlich. Dabei können wir freilich nur so verfahren, daß wir die religiösen Gedanken in einer „idealtypisch“ kompilierten delt, weil hoffentlich E[rnst] Tröltsch in seinem Beitrag zu dem Hinnebergschen Sammelwerke9 auf diese Dinge (lex naturae etc.), denen er, wie außer seinem „Gerhard und Melanchthon“10 besonders auch seine zahlreichen Rezensionen in den Gött[ingischen] Gel[ehrten] Anzeigen beweisen,11 seit Jahren nachgeht, eingehen und sie dann, als Fachmann, natürlich besser erledigen wird[,] als ich beim besten Willen könnte. Citiert ist, schon aus Raumgründen, nicht alles Mitbenutzte, sondern jeweils nur diejenigen Arbeiten, denen der betreffende Teil des Textes folgt oder an die er anknüpft. Dies sind nicht selten gerade ältere Autoren, wenn ihnen die hier interessierenden Gesichtspunkte näher lagen. Die ganz ungenügende pekuniäre Ausstattung der deutschen Bibliotheken bringt es mit sich, daß man in der „Provinz“ die allerwichtigsten Quellenschriften und Arbeiten nur auf kurze Wochen leihweise von Berlin oder anderen großen Bibliotheken erhalten kann. So etwa Voët,12 Baxter,13 Tyerman’s Wesley,14 alle methodistischen, baptistischen und Quäker-Schriftsteller und viele nicht im Corpus Reformatorum15 enthaltenen Schriftsteller der ersten Zeit überhaupt. Für Vieles ist der Besuch englischer und amerikanischer Bibliotheken für jedes eingehende Studium unerläßlich. Für die nachstehende Skizze mußte (und konnte auch) natürlich im allgemeinen genügen, was in Deutschland erhältlich war. – In Amerika führt leider jetzt die charakteristische geflissentliche Verläugnung der „sektiererischen“ Vergangenheit durch die Universitäten dazu, daß die Bibliotheken wenig oder oft geradezu nichts Neues an derartiger Literatur anschaffen, – ein Einzelzug aus jener allgemeinen Tendenz zur „Säkularisation“ des amerikanischen Lebens, welche in nicht langer Zeit den historisch überkommenen „Volkscharakter“ aufgelöst und den Sinn mancher grund-

9  Troeltsch, Protestantisches Christentum, erschien Anfang 1906 in dem von Paul Hinneberg herausgegebenen enzyklopädischen Sammelwerk „Die Kultur der Gegenwart“ (Band  I/4,2; KGA 7). Vgl. dazu auch den Editorischen Bericht, oben, S.  233 f. Über den Begriff „lex naturae“ darin bes. S.  261 f. (KGA 7, S.  97 f.) u. ö. 10 Troeltschs Dissertation erschien, stark überarbeitet, 1891 als Monographie (Troeltsch, Vernunft und Offenbarung; KGA 1, S.  73–338). Zu „lex naturae“ dort bes. S.  154 ff. (KGA 1, S.  266 ff.) und passim. 11  Vgl. u. a. Troeltsch, Rez. Seeberg (KGA 4, S.  87–111), dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  190, Fn.  41 mit Anm.  65 zum Begriff „lex naturae“. Vgl. ferner Troeltschs zahlreiche Rezensionen in der von Weber genannten Zeitschrift, ediert in: KGA 2 (1894–1900) und KGA 4 (1901–1914). 12  Zur Verfügbarkeit der Werke von Gisbert Voet vgl. Webers Äußerung, unten, S.  368, Fn.  2. Weber referiert Voet darum nach Ritschl, Pietismus, so unten, S.  308, Fn.  76. 13 In erster Linie: Baxter, Christian Directory I–IV. Weber hatte hiervon ein Exzerpt angefertigt; vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  236. 14  Tyerman, Wesley I–III, wird im folgenden von Weber nicht zitiert. 15  Das Corpus Reformatorum (CR; begründet von Karl Gottlieb Bretschneider), dessen Bände von 1834 bis 1963 erschienen, enthält die Werke Philipp Melanchthons (Bände 1–28), Jean Calvins (Bände 29–87) und Ulrich Zwinglis (Bände 88–101). Zur Zeit der Abfassung der „Protestantischen Ethik“ lagen die Werke Melanchthons und Calvins im CR vollständig vor.

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Konsequenz vorführen, wie sie in der historischen Realität nur selten anzutreffen war.16 Denn gerade wegen der Unmöglichkeit, in der | historischen Wirklichkeit scharfe Grenzen zu ziehen, können wir nur bei Untersuchung ihrer konsequentesten Formen hoffen, auf ihre spezifischen Wirkungen zu stoßen. – Der Glaube3a) nun, um welchen in den kapitalistisch höchst entwickelten Kulturländern: den Niederlanden, England, Frankreich im 16. und 17. Jahrhundert die großen politischen und Kulturkämpfe geführt worden sind, war der Calvinismus.4) Als sein am |

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legenden Institutionen des Landes völlig und endgültig verändert haben wird. Man muß zu den orthodoxen kleinen Sekten-Colleges auf das Land gehen.17 | 3a) Wir interessieren uns nachstehend zunächst in keiner Weise für Herkunft, Ante- A 5 zedentien und Entwicklungsgeschichte der asketischen Richtungen, sondern nehmen ihren Gedankengehalt so, wie er, voll entwickelt, war, als gegebene Größe hin. 4)  Über Calvin und den Calvinismus im allgemeinen unterrichtet neben der grundlegenden Arbeit von Kampschulte18 wohl am besten die Darstellung von Erich Marcks (in seinem „Coligny“)[.]19 Nicht überall kritisch und tendenzfrei ist Campbell, The Puritans in Holland, England cand Americac (2 Bde.)[.]20 Eine reine anticalvinistische Parteischrift sind Pierson’s Studien over Johan Calvijn.21 Für die holländische Entwicklung sind neben Motley22 die niederländischen Klassiker, speziell Fruin’s Tien jaren uit den tachtigjarigen oorlog23 und jetzt besonders Naber’s Calvinist of Liber-

c–c  A: und Amerika   16  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  170, Fn.  35. 17  Diese Erfahrung hatte Weber in der Bibliothek der Brown University in Providence, RI, gemacht, wie er im Brief an Helene Weber und Familie vom 6. Nov. 1904 (in: Brief vom 6.–16. Nov. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  89–102; MWG II/4) festhält: „Ich wollte auf der Bibliothek nach historischer Baptisten-Litteratur suchen, aber – wieder charakteristisch – die Leute dort wollen ihren jetzigen Charakter als nicht-mehr-‚Sectarian University‘ so stark betonen, daß sie moderne Litteratur über die Geschichte derselben Denomination, die sie gegründet hat, überhaupt nicht anschaffen. Ich werde wohl ein kleines Baptisten-College auf dem Lande aufsuchen müssen.“ Zu Webers Bibliotheksbesuchen vgl. auch den Editorischen Bericht, oben, S.  222 f. mit Anm.  5. 18  Kampschulte, Calvin I, II. – Im folgenden werden die Kurztitel aufgeführt, ausführliche Angaben im „Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur“, unten, S.  843– 868. 19  Vgl. Marcks, Coligny. 20  Der Titel lautet: Campbell, The Puritan in Holland, England, and America I, II. 21  Vgl. Pierson, Studien I–III. 22 Weber benennt nachfolgend keine Werke von Motley; in Frage kämen: Motley, John Lothrop, The Rise of the Dutch Republic, 3 vols., 1856; History of the United Netherlands, 4 vols., 1860–1867; The life and death of John of Barneveld [.  .  .], 2 vols., 1874. 23  Vgl. Fruin, Tien jaren.

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meisten charakteristisches Dogma galt damals und gilt im allgemeinen auch heute die Lehre von der Gnadenwahl. Man hat zwar tijnsch24 zu vergleichen, für Frankreich neben Polenz25 jetzt Baird, Rise of the Huguenots,26 für England neben Carlyle,27 Macaulay,28 Masson29 und – last not least – Ranke30 jetzt vor Allem die verschiedenen später zu citierenden Arbeiten von Gardiner31 und Firth,32 ferner z. B. Taylerd, A retrospect of the religious life in England (1845)33 und das vortreffliche Buch von Weingarten über „die englischen RevolutionsKirchen“, dazu der Aufsatz über die Englischen „Moralisten“ von E[rnst] Tröltsch in der Realencyklopädie für Protest[antische] Theol[ogie] u. Kirche 3.   Aufl.34 und Ed[uard] Bernsteins ausgezeichnetes Essay in der Geschichte des Sozialismus (Stuttgart 1895, Bd.  I S.  506 f.), auf welches in einem späteren Zusammenhang eingehend zurückzukommen sein wird.35 Beste Bibliographie (über 7000 Nummern) bei Dexter, Congregationalism of the last 300 years (freilich vornehmlich – aber doch nicht ausschließlich – Kirchenverfassungsfragen).e 36 Das Buch steht ganz wesentlich höher als Price (Hist[ory] of Nonconformism),37 Skeats38 und andere Darstellungen. Für die amerikanischen Kolonien ragt jetzt aus der zahlreichen Einzelliteratur das Werk von Doyle, The English in America39 hervor. Für die Lehrunterschiede ist die nachfolgende Darstellung ganz besonders Schneckenburgers schon im ersten Artikel citiertem Vorlesungszyklus verpflichtet.40 – Ritschls grundlegendes Werk: Die christliche Lehre von

d  A: Taylor  e A: Kirchenverfassungsfragen.) 24  Vgl. Naber, Calvinist. 25  Vgl. Polenz, Calvinismus I–V. 26  Vgl. Baird, Huguenots I, II. 27 Lediglich zitiert: Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  199, Fn.  47: Carlyle, Cromwell’s Letters and Speeches II. 28  Weber gibt unten, S.  253 f., Fn.  7, und S.  264, Fn.  19, die beiden Essays Macaulay, Milton, und ders., Bunyan, an. 29  Masson, Milton I–VI, genannt unten, S.  254, Fn.  7. 30  Vgl. Ranke, Englische Geschichte I–VII. 31  Die Verweisformulierung ist unklar, denn Gardiner, Commonwealth I, ist bereits zitiert in: Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  199, Fn.  47, und unten, S.  398, Fn.  51, wird lediglich Gardiner, Documents, genannt. 32  Firth, Cromwell’s Army, zitiert unten, S.  292, Fn.  58. 33  Vgl. Tayler, Retrospect. 34  Zu Weingarten, Revolutionskirchen Englands, und Troeltsch, Art. Moralisten, vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  98. 35  Gemeint ist Bernstein, Kommunistische Strömungen (in: Geschichte des Sozialismus, S.  507–718); vgl. hierzu den Editorischen Bericht, oben, S.  98. Von Weber zitiert unten, S.  362, Fn.  138, und S.  412, Fn.  70. 36  Vgl. Dexter, Congregationalism. 37  Der Titel lautet: Price, The History of Protestant Nonconformity in England. 38  Vgl. Skeats, Free Churches. 39  Vgl. Doyle, The English in America I–III. 40  Vgl. Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, II; dazu der Hinweis von Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  201, Fn.  50.

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darüber gestritten, ob sie „das wesentlichste“ Dogma der reformierten Kirche oder ein „Anhängsel“ sei.41 Urteile über die „Wesentlichkeit“ einer historischen Erscheinung sind nun aber entweder Wert- und Glaubensurteile – dann nämlich, wenn das an ihr allein „Interessierende“ oder allein dauernd „Wertvolle“ damit gemeint ist. Oder es ist das wegen seines Einflusses auf andere historische Hergänge kausal Bedeutsamef gemeint: dann handelt es der Rechtfertigung und Versöhnung (3 Bde.[,] hier nach der 3. Auflage citiert)42 zeigt in der starken Untermischung der historischen Darstellung mit Werturteilen die ausge­ prägte Eigenart des Verf[assers], welche bei aller Großartigkeit der gedanklichen Schärfe dem Benutzer nicht immer die volle Sicherheit der „Objektivität“ gibt. Wo er z. B. Schneckenburgers Darstellung ablehnt,43 ist mir das Recht dazu oft zweifelhaft geblieben, so wenig ich mir im Übrigen ein eigenes Urteil anmaße. Was ferner z. B. für ihn aus der großen Mannigfaltigkeit der religiösen Gedanken und Stimmungen, schon bei Luther selbst, als „lutherische“ Lehre | gilt, scheint oft durch Werturteile festge- A 6 stellt: es ist Das, was für Ritschl dauernd wertvoll am Luthertum ist. Es ist Luthertum, wie es (nach R[itschl]) sein sollte, nicht immer, wie es war. Daß die Werke von Karl Müller, Seeberg44 u. ä. überall benutzt sind, bedarf wohl nicht der besonderen Erwähnung. – Wenn ich nachstehend dem Leser ebenso wie mir selbst die Pönitenz einer entsetzlichen Fußnotengeschwulst auferlegt habe, so waren dafür einerseits absolut zwingende Gründe der Raumersparnis, andererseits aber die Nötigung entscheidend, eine wenigstens vorläufige Nachprüfung der Gedanken dieser Skizze, auch durch Andeutung mancher weiter daran sich anschließenden Gesichtspunkte, speziell den nicht theologischen Lesern zu ermöglichen, damit sie in ihrer Kürze nicht zu sehr den Eindruck eines gelegentlichen Einfalles mache.

f  A: bedeutsame 41  Die zeitgenössische Kontroverse wird wiedergegeben bei Scheibe, Calvins Prädestinationslehre, S.  1–5 (dazu auch S.  112–121; die Schrift Max Scheibes zitiert Weber unten, S.  257, Fn.  10). Max Scheibe nennt Alexander Schweizer, der die weit verbreitete Auffassung vertrete, Calvins Lehre von der unbedingten Prädestination bilde das Zentrum seines theologischen Systems. Albrecht Ritschl dagegen sei der Meinung, es handele sich um ein „,sehr wichtiges Anhängsel seiner Lehre von der Erlösung‘“ (Scheibe, ebd., S.  3). Ein Hinweis auf beide Positionen findet sich auch bei Seeberg, Dogmengeschichte II, S.  397 f. 42  Vgl. Ritschl, Rechtfertigung und Versöhnung I–III. 43  Ritschl kritisiert Schneckenburgers subjektivistischen Ansatz (vgl. ders., Rechtfertigung und Versöhnung I, S.  59 und 207) sowie seine Überbetonung des Gegensatzes zwischen der lutherischen und der reformierten Lehre, wobei er zuweilen letztere begünstige (ebd., S.  263 f.). Außerdem habe Schneckenburger Calvin und die reformierte Lehre in manchen Punkten nicht richtig verstanden und mitunter falsch bewertet (vgl. ebd., S.  264–268, S.  278; vgl. ferner S.  212, S.  296 f. sowie dass. III, S.  461). 44 Vermutlich hier gemeint: Müller, Kirchengeschichte I, II/1 (Müller, E. F. Karl, Bekenntnisschriften, zitiert Weber unten, S.  251, Fn.  6); Seeberg, Dogmengeschichte I, II.

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sich um historische Zurechnungsurteile. Geht man nun, wie dies hier zu geschehen hat, von diesem letzteren Gesichtspunkt aus und fragt also nach der Bedeutung, welche jenem Dogma nach seinen kulturgeschichtlichen Wirkungen zuzumessen ist, so muß diese sicherlich sehr hoch angeschlagen werden.5) Der Kulturkampf, den Oldenbarneveldt führte, zerschellte an ihm,45 die Spaltung in der englischen Kirche wurde unter Jakob I. unüberbrückbar, seit Krone und Puritanismus auch dogmatisch – eben über diese Lehre – differierten,46 und überhaupt wurde sie in erster Linie als das Staatsgefährliche am Calvinismus aufgefaßt und obrigkeitlich bekämpft. Die großen Synoden des 17. Jahrhunderts, vor allem Dordrecht47 5)  Zu der folgenden Skizze mag von vornherein nachdrücklich darauf hingewiesen werden, daß wir hier nicht die persönlichen Ansichten Calvins, sondern die Lehre des Calvinismus betrachten, wie er sich Ende des 16. und im 17. Jahrhundert in den großen Gebieten seines beherrschenden Einflusses, die, wie Holland und England, zugleich Träger kapitalistischer Kultur waren, entwickelt hat. Deutschland bleibt vorerst ganz bei Seite, da der Calvinismus hier nirgends große Gebiete beherrscht hat. |

45  Gemeint ist der Konflikt zwischen Arminianern und Gomaristen, der über die Prädestinationsauffassung beider Parteien (genannt „Remonstranten“ und „Contra-Remonstranten) entstanden war und der auf der Dordrechter Synode 1618/19 zu Gunsten letzterer entschieden wurde. Johan van Oldenbarnevelt, seit 1586 Landesadvokat (Ratspensionär) von Holland und leitender Minister der dominierenden Provinz in der jungen niederländischen Republik, hatte die von den Contra-Remonstranten geforderte Generalsynode im Interesse der Souveränität der Provinz abgelehnt. (Sie wurde erst nach der Verhaftung Oldenbarnevelts durch Moritz von Oranien (1618), die zu Oldenbarnevelts Enthauptung führte (1619), von den Generalstaaten (ohne Holland und Utrecht) einberufen.) 46  Als der Puritanismus im englischen Parlament erstarkte, dessen Vertreter sich für bürgerliche Freiheit einsetzten, stützte sich Jakob I., seit 1603 König von England und Schottland, zur Sicherung seiner Herrschaft zunehmend auf hochkirchliche Prinzipien. Sanford führt die hochkirchliche Orientierung am Arminianismus auf dessen gnadenuniversalistische Ausrichtung zurück, worin er der römisch-katholischen Kirche verwandt war, während die „Doctrinal Puritans“ die calvinistische, gnadenpartikularistische Prädestinationslehre vertraten, akzentuiert aber folgendermaßen: „It was, then, on the point of personal religion, and not of religious exclusiveness, that Puritanism assumed the features of Calvinism; it was on the idea of the possibility of a human depository of authority, and not of religious catholicity, that King James adopted Arminianism“ (p.  77 f.). Die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Parlament und Krone brachen allerdings erst unter Karl I. voll aus. – Die Beschlüsse der Dordrechter Synode (vgl. die folgende Anm.) wurden in der englischen Staatskirche allerdings nicht anerkannt. Jakob I. verbot sogar 1622, über die Prädestinationslehre zu predigen. Vgl. Ranke, Englische Geschichte II, S.  212 f.; Weingarten, Revolutionskirchen Englands, S.  440. 47  Die Dordrechter Synode (vgl. auch das Glossar, unten, S.  826 f.) fand vom 13. November 1618 bis zum 9./29. Mai 1619 statt. Sie sollte den Streit um die Lehre der re-

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und Westminster,48 daneben zahlreiche kleinere, stellten ihre Erhebung zu kanonischer Gültigkeit in den Mittelpunkt ihrer Arbeit; unzähligen der Helden der „ecclesia militans“49 hat sie als | fester Halt gedient. Wir können an ihr nicht vorbeigehen und lernen zunächst ihren Inhalt, – da er heute nicht mehr als jedem Gebildeten bekannt gelten darf, – authentisch aus den Sätzen der „Westminster confession“ von 1647 kennen,50 welche in diesem Punkt sowohl von independentischen als von baptistischen Glaubensbekenntnissen einfach wiederholt worden sind:6) 51

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6) Den Wortlaut der hier und weiterhin citierten calvinistischen Symbole s. bei Karl A 7 Müller, Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche. Leipzig 1903. |

formierten Kirche, insbesondere um die Prädestination, beilegen (vgl. oben, S.  250, Anm.  45). Die am 23. April 1619 nach diskutierten Entwürfen aufgestellten Dordrechter Canones enthalten die Lehre von der Erwählung und Verwerfung in einer wesentlich schrofferen Form als von den Remonstranten intendiert. Sie waren fortan Grundlage der nieder­ländischen reformierten Kirche. Vgl. Rogge, H. C., Art. Dordrecht, Synode zu, in: RE3, 4. Band, 1898, S.  798–802. 48  Die Einberufung der Westminster-Synode (vgl. auch das Glossar, unten, S.  841) zum 1. Juli 1643 – sie tagte bis März 1652 – durch das Lange Parlament war Folge des Konflikts zwischen der puritanischen, auf Kirchenreform dringenden Parlamentsmehrheit und den Stuarts, die dem Episkopalismus anhingen, der ihre Macht stützte. Die Synode erarbeitete ein Bekenntnis (Westminster Confession, vgl. unten, S.  250 f. mit Anm.  48), das u. a. die calvinistische Prädestinationslehre in ihrer strengsten Form enthielt (vgl. unten, S.  252 f.). 49  „ecclesia militans“ (lat.), die sowohl geistlich als auch historisch-politisch gegen ihre Feinde „streitende Kirche“. 50  Die Westminster Confession oder „Confession of Faith“ war eines der auf der Westminster Synode erarbeiteten Dokumente (fertiggestellt: 29. April 1647). Darin ist die Lehre von der unbedingten Souveränität Gottes und von der doppelten Prädestination festgehalten. Die Westminster Confession mit ihren 33 Artikeln wurde die Bekenntnisgrundlage der Church of England bis zur Restauration (1660) und blieb es in der presbyterianischen Kirche Schottlands. Sie diente als Vorlage für die „Savoy Declaration of Faith and Order“ (1658) der Kongregationalisten und für die „Second London Baptist Confession“ (1689) der calvinistischen Baptisten. Auch der amerikanische Presbyterianismus stützte sich auf sie. 51  Müller, E. F. Karl, Bekenntnisschriften (zitiert oben, Fn.  6), gibt in dem Kapitel „Die Westminster-Confession von 1647 mit den Abweichungen der kongregationalistischen Savoy-Declaration von 1658 [.  .  .]“, S.  542–612, den lateinischen und englischen Wortlaut der Konfession wieder; im einzelnen: Kap.  9, Nr.  3, S.  564; Kap.  3, Nr.  3, S.  549 f.; Nr.  5, S.  551; Nr.  7, S.  552; Kap.  10, Nr.  1, S.  565 (mit größeren Auslassungen an den von Weber gekennzeichneten Stellen); Kap.  5, Nr.  6, S.  556. – Es ist sehr wahrscheinlich, daß Weber die deutsche Übersetzung von Karl Heinrich Sack heranzieht, die enthalten ist in: ders., Die Kirche von Schottland. Beiträge zu deren Geschichte und Beschreibung, 2. Theil. – Heidelberg: Karl Winter 1845 (hinfort: Sack, Kirche von Schottland II), S.  61–125, hier S.  67–69, 72 und 80 f. (Das Exemplar der UB Heidelberg

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gKapitel

9. (Vom freien Willen.) Nr.  3: Der Mensch hat durch seinen Fall in den Stand der Sünde gänzlich alle Fähigkeit seines Willens zu irgend etwas geistlich Gutem und die Seligkeit mit sich Führendem verloren, so sehr, daß ein natürlicher Mensch, als gänzlich abgewandt vom Guten und todt in Sünde, nicht fähig ist sich zu bekehren oder sich auch nur dafür vorzubereiten.52 Kapitel 3. (Von Gottes ewigem Ratschluß.) Nr.  3: Gott hat zur Offenbarung seiner Herrlichkeit durch seinen Beschluß einige Menschen .   .   . bestimmt (predestinated) zu ewigem Leben und andere verordnet (foreordained) zu ewigem Tode.53 Nr.  5: Diejenigen aus dem Menschengeschlecht, welche bestimmt sind zum Leben, hat Gott, bevor der Grund der Welt gelegt wurde, nach seinem ewigen und unveränderlichen Vorsatz und dem geheimen Ratschluß und der Wilkür seines Willens54 erwählt in Christus zu ewiger Herrlichkeit, und dies aus reiner freier Gnade und Liebe, nicht etwa so, daß die Voraussicht von Glauben oder guten Werken oder Beharrlichkeit in einem von beiden, oder irgend etwas anderes in den Geschöpfen, als Bedingung oder Ursache, ihn dazu bewogen hätten, sondern alles zum Preise seiner herrlichen Gnade. Nr.  7: Es gefiel Gott, die Übrigen des Menschengeschlechts gemäß dem unerforschlichen Rat seines Willens, wonach er Gnade erteilt oder vorenthält, wie es ihm gefällt, zur Verherrlichung seiner unumschränkten Macht über seine Geschöpfe zu übergehen und sie zu

g–g  (S.  253) Petitdruck in A. enthält Marginalien und Unterstreichungen Webers.) Weber folgt Sack mitunter wörtlich (vgl. etwa Kap.  5, Nr.  6). 52  Sack, Kirche in Schottland II, S.  80: „[.  .  .] zu irgend einem geistlichen Guten, welches die Seligkeit mit sich führt, verloren; so daß ein natürlicher Mensch [.  .  .] und todt in Sünden [.  .  .]“ (von Weber im Exemplar der UB Heidelberg ab „so daß ein natürlicher Mensch“ bis Satzende mit Randmarkierung versehen); Müller, E. F. Karl, Bekenntnisschriften, S.  564: „[.  .  .] to any spiritual Good accompanying Salvation: so as, a natural Man [.  .  .]“. Weber ergänzt: „auch nur“. 53 Müller, ebd., S.  67 f.: „By the Decree of God, for the Manifestation of his Glory, some Men and Angels are predestinated unto everlasting Life, and others fore-ordained to everlasting Death.“ Sack, ebd., S.  67, annotiert die beiden auch von Weber eingebrachten englischen Begriffe. 54  Müller, ebd., S.  551: „good Pleasure of his Will“ (entsprechend Sack, ebd., S.  68: „Wohlgefallen seines Willens“).

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ordnen zu Unehre und Zorn für eine Sünde, zum Preise seiner herrlichen Gerechtigkeit.55 Kapitel 10. (Von wirksamer Berufung.) Nr.  1: Es gefällt Gott, alle die, welche er bestimmt hat zum Leben, und nur sie,56 zu der von ihm festgesetzten und passenden Zeit57 durch sein Wort und seinen Geist wirksam zu berufen .  .  . indem er hinwegnimmt ihr steinernes Herz und ihnen gibt ein fleischernes Herz, indem er ihren Willen erneuert und durch seine allmächtige Kraft sie für das, was gut ist, entscheidet .  .  . Kapitel 5. (Von der Vorsehung.) Nr.  6: Was die bösen und gottlosen Menschen betrifft, welche Gott als ein gerechter Richter um früherer Sünden willen verblendet und verhärtet, so entzieht er ihnen nicht allein seine Gnade, durch welche ihr Verstand hätte erleuchtet und ihre Herzen ergriffen werden können, sondern zuweilen entzieht er ihnen auch die Gaben, die sie hatten, und bringt sie mit solchen Gegenständen in Beziehung, aus welchen ihre Verderbnis eine Gelegenheit zur Sünde macht, und übergibt sie außerdem ihren eigenen Lüsten, den Versuchungen der Welt und der Macht Satans, wodurch es geschieht, daß sie sich | selbst verhärten, sogar durch dieselben Mittel, deren Gott sich zur Erweichung anderer bedient.g „Mag ich zur Hölle fahren, aber solch ein Gott wird niemals meine Achtung erzwingen“ – war bekanntlich Miltons Urteil über die Lehre.7) 58 Aber nicht auf eine Wertung, sondern auf die

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7) Über Miltons Theologie s. den Aufsatz von Eibach in den Theol[ogischen] Studien A 8 und Kritiken 187959 (oberflächlich ist darüber Macaulays Essay anläßlich der Sumnerschen Übersetzung der 1823 wiedergefundenen „Doctrina Christiana“,60 Tauchnitz Ed.

g  (S.  252) –g  Petitdruck in A. 55  Abschnitt bei Sack, ebd., S.  69, von Weber im Exemplar der UB Heidelberg mit Randmarkierung versehen, außerdem von „unerforschlichen Rathe“ bis „wie ihm gefällt“ [sic] sowie „zu übergehen“ unterstrichen. 56  Müller, ebd., S.  565: „and those only“ (Sack, ebd., S.  81: „und diese allein“). Mit Randmarkierung Webers im Exemplar der UB Heidelberg: „indem er hinwegnimmt [.  .  .] fleischernes Herz“. 57  Müller, ebd.: „accepted time“ (Sack, ebd.: „angenehmen Zeit“). 58  Als Zitat bei John Milton nicht nachgewiesen. Zu Miltons sich wandelnder Einstellung zur Prädestinationslehre vgl. unten, S.  254, Anm.  63. 59  Vgl. Eibach, Milton. 60  Vgl. Milton, John, A Treatise on Christian Doctrine, compiled from the Holy Scriptures alone. Translated from the original by Charles R. Sumner. – Cambridge: Cambridge

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geschichtliche Stellung des Dogmas kommt es für uns hier an. Nur kurz können wir bei der Frage verweilen: wie diese Lehre entstand und welchen Gedankenzusammenhängen in der calvinistischen Theologie sie sich einfügte. Zwei Wege zu ihr waren möglich. Das Phänomen des religiösen Erlösungsgefühls verknüpft sich gerade bei den aktivsten und leidenschaftlichsten jener großen Beter, wie sie die Geschichte des Christentums seit Augustin immer wieder 185 S.  1 f.),61 für alles Nähere natürlich das, etwas allzu schematisch gegliederte, sechsbändige englische Hauptwerk von Masson und die auf ihm ruhende deutsche Biographie Miltons von Stern.62 – Milton begann früh über die Prädestinationslehre in der Form des doppelten Dekrets herauszuwachsen bis zu der schließlich ganz freien Christlichkeit seines Greisenalters.63 In seiner Loslösung von aller Gebundenheit an die eigene Zeit läßt er sich in gewissem Sinn mit Sebastian Franck vergleichen.64 Nur war Milton eine praktisch-positive, Franck eine wesentlich kritische Natur. Milton ist „Puritaner“ nur in jenem weitern Sinn rationaler Orientierung des Lebens innerhalb der Welt am göttlichen Willen, welche die dauernde Erbschaft des Calvinismus für die Nachwelt dargestellt hat. – In ganz ähnlichem Sinne könnte man Franck einen „Puritaner“ nennen. Beide bleiben, als „Einspänner“, für uns außer Betracht. |

University Press 1825 (dass. von Sumner auf Latein ediert: Cambridge: Smith 1825; dass., Braunschweig: Vieweg 1827). – Miltons Manuskript seiner lateinisch verfaßten „Doctrina Christiana“ galt bis 1823 als verschollen (vgl. Eibach, Milton, S.  715–717). Nach Rudolf Eibach erregte der Fund „das größte Aufsehen“, da Milton bis dahin von seinen Biographen als „durchaus orthodox“ dargestellt worden war (S.  716). 61  Vgl. Macaulay, Milton (enthalten in der im Leipziger Verlag Tauchnitz erschienenen „Collection of British Authors“, vol. 185, p.  1–61). Im Hinblick auf Sumners Übersetzung von Miltons „Doctrina Christiana“ urteilt Thomas Babington Macaulay: „The book itself will not add much to the fame of Milton“ (p.  2), weshalb er sich allein auf den Dichter und Politiker Milton konzentriere (p.  4 ff.). 62  Vgl. Masson, Milton I–VI; Stern, Milton I/1-II/4. 63  Milton entfernte sich mit seiner Deutung der Prädestinationslehre „immer weiter vom Standpunkte der calvinistischen Orthodoxie“, urteilt Alfred Stern, Milton II/4, S.  157. In der „Doctrina Christiana“ heißt es: „Gott beschloß in seiner Weisheit, Mensch und Engel als vernünftige Wesen zu schaffen, d. h. als solche, die frei handeln. Aber er sah zugleich voraus, wohin sich in der Benutzung ihrer ungehemmten Freiheit der Antrieb ihres Willens neigen würde. Wie also, werden wir sagen, daß diese Voraussicht oder dies Vorherwissen auf Seiten Gottes ihnen die Nothwendigkeit auferlegte, in irgend einer bestimmten Weise zu handeln? Nicht mehr, als wenn der künftige Erfolg von irgend einem menschlichen Wesen vorhergesehen gewesen wäre“ (zitiert nach Stern, S.  158, der sich hier auf Milton, Doctrina Christiana IV, 38–41, bezieht). Zum Kontext vgl. Stern, ebd., S.  156–159; Eibach, Milton, S.  724. 64  Sebastian Franck (gest. 1542) vertrat die Auffassung, daß man Gotteserkenntnis nur durch die Suche in sich selbst gewinne (die biblische Offenbarung galt ihm in erster Linie als historisches Zeugnis), wozu es die Welt zu verlassen gelte, da sie mit ihren Unsicherheiten die Gottessuche hindere. Zugleich müsse Christus Vorbild für das praktische Verhalten sein.

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gesehen hat, mit der sicheren Empfindung, alles der ausschließlichen Wirksamkeit einer objektiven Macht, nicht das geringste dem eigenen Wert zu danken zu haben: Die mächtige Stimmung froher Sicherheit, in welche sich der ungeheuere Krampf des Sündengefühls bei ihnen entladet, bricht scheinbar gänzlich unvermittelt über sie herein und vernichtet jede Möglichkeit der Vorstellung, daß dieses unerhörte Gnadengeschenk irgend welcher eigenen Mitwirkung verdankt werden oder mit Leistungen oder Qualitäten des eigenen Glaubens und Wollens verknüpft sein könnte. In jenen Zeiten seiner höchsten religiösen Genialität, in welcher Luther seine „Freiheit eines Christenmenschen“ zu schreiben fähig war,65 stand auch ihm der „heimliche Ratschluß“ Gottes als absolut alleinige grundlose Quelle seines religiösen Gnadenstandes am | festesten.8) Er gab ihn auch später nicht förmlich auf, – aber nicht nur gewann der Gedanke keine zentrale Stellung bei ihm, sondern er tritt immer mehr in den Hintergrund, je „realpolitischer“ er als verantwortlicher Kirchenpolitiker notgedrungen wurde. Melanchthon vermied es ganz absichtlich, die „gefährliche und dunkle“ Lehre in die Augsburger Konfession aufzunehmen,66 und für die

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8) „Hic est fidei summus gradus: credere Deum esse clementem, qui tam paucos sal- A 9 vat, – justum, qui sua voluntate nos damnabiles facit“ – lautet die berühmte Stelle in der Schrift de servo arbitrio.67

65  Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, von 1520 gehört zu seinen zentralen Schriften zu Beginn seiner reformatorischen Tätigkeit (vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  191 f., Fn.  43). 66  Philipp Melanchthon äußert sich in einem Brief an Johannes Brenz vom 30. September 1531 (mit „Apologia“ ist die in erster Linie von Melanchthon formulierte Verteidigung des Augsburger Bekenntnisses, zugleich eine Widerlegung der Confutatio der Altgläubigen – ihrerseits eine Widerlegung des evangelischen Bekenntnisses – gemeint): „Sed ego in tota Apologia fugi illam longam et inexplicabilem disputationem de praedestinatione. Ubique sic loquor, quasi praedestinatio sequatur nostram fidem et opera. Ac facio hoc certo consilio: non enim volo conscientias perturbare illis inexplicabilibus labyrinthis“ (zitiert nach CR 2, Sp.  547, No.  1010; auch von Seeberg, Dogmengeschichte II, S.  336). 67  Vollständig bei Luther, De servo arbitrio, S.  154 (WA 18, S.  633): „[.  .  .] credere illum esse clementem, qui tam paucos salvat, tam multos damnat, credere iustum, qui sua voluntate nos necessario damnabiles facit [.  .  .].“ „De servo arbitrio“ (1525) hatte Luther als Entgegnung auf die Schrift „De libero arbitrio“ (1524) des Erasmus verfaßt. Es ist die einzige Schrift Luthers, in der er die Prädestination erörtert. Auch wenn Luther die Prädestinationslehre nicht aufgab, verwies er später darauf, man solle nicht über

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Kirchenväter des Luthertums steht es dogmatisch fest, daß die Gnade verlierbar (amissibilis) ist und durch bußfertige Demut und gläubiges Vertrauen auf Gottes Wort und die Sakramente neu gewonnen werden kann.68 Gerade umgekehrt verläuft der Prozeß bei Calvin9) in einer fühlbaren Steigerung der Bedeutung der Lehre im Verlauf seiner polemischen Auseinandersetzung mit dogmatischen Gegnern. Sie ist erst in der dritten Auflage seiner „Institutio“ voll entfaltet69 und gewinnt ihre zentrale Stellung erst in den gro9)  Beide, Luther und Calvin, kannten eben im Grunde – s. Ritschls Bemerkungen in der Geschichte des Pietismus70 und Köstlin s. v. „Gott“ R[ealencyklopädie] f[ür] Pro­t[estantische] Theol[ogie] und K[irche] 3.  Aufl.71 – einen doppelten Gott, den geoffenbarten gnädigen und gütigen Vater des N[euen] T[estaments], – denn dieser beherrscht die ersten Bücher der Institutio Christiana, – und dahinter den „Deus absconditus“ als willkürlich schaltenden Despoten. Bei Luther behielt der Gott des Neuen Testaments ganz

die verborgenen Räte oder Werke Gottes grübeln oder sie erforschen wollen, sondern sich an den im Wort offenbaren Willen Gottes halten (vgl. z. B. WA.TR, Band  6, Nr.  6533, S.  23; dass. schon am Ende von „De servo arbitrio“). 68  Entfaltet von Schneckenburger in Entgegensetzung zum reformierten Verständnis der Unverlierbarkeit der Gnade: Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, §  13: „Verlierbarkeit und Unverlierbarkeit des Gnadenstandes. Perseverantia sanctorum“, S.  233–265. 69  Calvins Prädestinationslehre findet sich in der 3. Auflage seiner „Institutio Christianae Religionis“ (1559, diese Aufl. im folgenden: Calvin, Inst.) im III. Buch, cap.  21–24; CR 30, Sp.  678 ff. – Die Entwicklung der Lehre von der 1. (1536) bis zur 3. Auflage stellt Scheibe, Calvins Prädestinationslehre, S.  5–85, dar (vgl. S.  257, Fn.  10). Calvin definiert den Begriff seit der 2. Auflage folgendermaßen (hier nach Inst. III,21,5 in der Übersetzung von Otto Weber): „Unter Vorbestimmung verstehen wir Gottes ewige Anordnung, vermöge deren er bei sich beschloß, was nach seinem Willen aus jedem einzelnen Menschen werden sollte! Denn die Menschen werden nicht alle mit der gleichen Bestimmung erschaffen, sondern den einen wird das ewige Leben, den anderen die ewige Verdammnis vorher zugeordnet. Wie also nun der einzelne zu dem einen oder anderen Zweck geschaffen ist, so – sagen wir – ist er zum Leben oder zum Tode ‚vorbestimmt‘.“ 70  Weber bezieht sich auf Ritschl, Pietismus I, S.  132–135. Der „deus revelatus“ wolle die Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen und die Rettung der Menschheit. Um gegen Erasmus aber die Unfreiheit des menschlichen Willens zum Guten oder Bösen behaupten zu können, greife Luther in „De servo arbitrio“ auf die nominalistische Theologie zurück, die von einem dominium dei absolutum ausgehe. So entwickle er die Vorstellung eines „deus absconditus“. – Calvin habe diese Gottesvorstellung von Luther übernommen, allerdings erst im dritten Buch seiner „Institutio“ (1559) und dort in der Prädestinationslehre. Sie widerspreche auch bei ihm jenem Gottesbegriff, den er im ersten Buch seiner „Institutio“ (in Webers Fn. oben als „Institutio Christiana“ bezeichnet) entfalte und der seine Erlösungslehre leite (Ritschl betrachtet Calvins Prädestinationslehre als deren „Anhang“; vgl. oben, S.  249 mit Anm.  41). 71  Vgl. Köstlin, Art. Gott, S.  791.

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ßen Kulturkämpfen, welche die Synoden von Dordrecht und Westminster abzuschließen suchten.72 Bei Calvin ist eben das „decretum horribile“73 nicht wie bei Luther erlebt, sondern erdacht, und deshalb in seiner Bedeutung gesteigert mit jeder weiteren Steigerung der gedanklichen Konsequenz in der Richtung seines lediglich Gott, nicht den Menschen, zugewendeten religiösen Interesses.10) Nicht Gott ist um der Menschen, sondern die Menschen sind um Gottes willen da, und alles Geschehen – also auch die für Calvin zweifellose Tatsache, daß nur ein kleiner Teil der Menschen zur Seligkeit be|rufen ist – kann seinen Sinn ausschließlich als Mittel zum Zweck der Selbstverherrlichung von Gottes Majestät haben.74 Maßstäbe irdischer „Gerechtigkeit“ an seine souveränen Verfügungen anzulegen, ist sinnlos und eine Verletzung seiner Majestät,11)

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die Oberhand, weil er die Reflexion über das Metaphysische, als nutzlos und gefährlich, zunehmend mied, bei Calvin gewann der Gedanke an die transzendente Gottheit Macht über das Leben. In der populären Entwicklung des Calvinismus freilich konnte sie sich nicht halten, – aber nicht der himmlische Vater des Neuen Testaments, sondern der Jehova des Alten75 trat an ihre Stelle. 10)  Vgl. zum Folgenden: Scheibe, Calvins Prädestinationslehre, Halle 1897. Zur calvinistischen Theologie überhaupt: Heppe, Dogmatik der evangelisch-reformierten Kirche. Elberfeld 1861.76 | 11) Corpus Reformatorum Vol.  77 p.  186 ff.77 A 10

72  Zu den Synoden zu Dordrecht und Westminster vgl. oben, S.  250 f., Anm.  47, und S.  251, Anm.  48, sowie das Glossar, unten, S.  826 f. und 841. 73  Die Bezeichnung stammt von Calvin, Inst. III,23,7. Oftmals zitiert, auch bei Scheibe, Calvins Prädestinationslehre, S.  55 f. 74 Vgl. Scheibe, Calvins Prädestinationslehre, S.   78 (beinahe wörtlich auch bei Kampschulte, Calvin I, S.  261 f.). Scheibe erörtert Calvins Motiv, seine Prädestinationslehre auszubilden und in der dritten Auflage seiner „Institutio“ (1559) in ihrer „vollen Schärfe“ (S.  79) vorzutragen: Calvin beantworte mit seiner Prädestinationslehre nicht allein die Frage, „worin das Heilsleben des Einzelnen begründet sei“, sondern es gehe ihm auch darum, „die ‚Souveränität‘ Gottes über seine Geschöpfe, die Bestimmung der Menschen als Mittel zur Verherrlichung Gottes zu deutlichem Ausdrucke“ zu bringen (S.  78). – Bei der Zusammenstellung der folgenden Aussagen dürfte sich Weber weitgehend an Scheibes Darstellung halten (vgl. oben, Fn.  10). 75  Jehova wird in den puritanischen Schriften des 17. Jahrhunderts für den hebräischen, mit den Konsonanten JHWH (sog. Tetragramm) geschriebenen Gottesnamen gebraucht (nach Forschungen zur Aussprache hatte sich, längst vor Webers Zeit, „Jahwe“ durchgesetzt). 76  Vgl. Scheibe, Calvins Prädestinationslehre; Heppe, Dogmatik. 77 Weber bezieht sich auf Calvins Erläuterung zu Röm 9,21 („Annon habet potestatem figulus?“), in: Calvin, Ad Romanos (in: CR 77), Sp.  186 f. Calvins Erläuterung

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da er, und er allein, frei, d. h. keinem Gesetz unterstellt ist,78 und seine Ratschlüsse uns nur soweit verständlich und überhaupt bekannt sein können, als er es für gut befand, sie uns mitzuteilen. An diese Fragmente der ewigen Wahrheit allein können wir uns halten, alles andere: – der Sinn unseres individuellen Schicksals, – ist von dunklen Geheimnissen umgeben, die zu ergründen unmöglich und vermessen ist.79 Wenn etwa die Verworfenen über das ihrige als unverdient klagen wollten, so wäre das ähnlich, als wenn die Tiere sich beschweren würden, nicht als Menschen geboren zu sein.80 Denn alle Kreatur ist durch eine unüberbrückbare Kluft von Gott geschieden und verdient vor ihm, soweit er nicht zur Verherrlichung seiner Majestät ein anderes beschlossen hat, lediglich den ewigen Tod.81 Was wir wissen, ist nur: daß ein Teil der Menschen selig wird, ein anderer verdammt bleibt. Anzunehmen, daß menschliches Verdienst oder Verschulden dieses Schicksal mitbestimme,82 hieße Gottes absolut freie Entschlüsse, die von Ewigkeit her feststehen, als durch menschliche Einwirkung wandelbar ansehen: ein unmöglicher Gedanke. Aus dem menschlich verständlichen „Vater im Himmel“ des Neuen Testaments, der sich über die Wiederkehr des Sünders freut, wie ein Weib über den wiedergefundenen Groschen,83 ist hier ein jedem menschlichen Verständnis des Verses endet: „Tantum illud memoria tenendum, spoliari Deum honoris sui parte, nisi tales in homines imperium ei conceditur, ut sit arbiter vitae et mortis.“ – Scheibe zitiert die Verserläuterung, Calvins Prädestinationslehre, S.   78 f. (mit Hinweis auf: CR 77, Sp.  186 f.). 78  Vgl. Calvin, Inst. III,23,2 (bei Scheibe, Calvins Prädestinationslehre, S.  56 f.), auch Inst. III,21,6. 79  Vgl. Calvin, Inst. III,21,1 (Übersetzung Otto Weber): „Denn es ist nicht billig, daß der Mensch ungestraft durchforscht, was nach des Herrn Willen in ihm selber verborgen bleiben soll, und daß er die Hoheit seiner Weisheit, die er angebetet und nicht begriffen wissen wollte und um deretwillen er uns ja eben wunderbar sein will, geradezu von der Ewigkeit her durchwühlt. Die Geheimnisse seines Willens, die er uns kundzumachen für gut erachtete, die hat er uns durch sein Wort vor Augen gestellt. Er hat das aber soweit für gut erachtet, als es nach seiner Vorsehung zu unserem Besten dient und uns nützlich ist.“ Ähnlich bei Scheibe, Calvins Prädestinationslehre, S.  23, 28, 44, 58 u. ö. 80  Die Vorzüglichkeit der Menschen gegenüber den Tieren zitiert Scheibe, Calvins Prädestinationslehre, S.  53 f. und 56, und verweist auf Calvin, Inst. III,22,1. 81  Vgl. Calvin, Inst. III,23,3; vgl. Scheibe, Calvins Prädestinationslehre, S.  37 f. 82  Vgl. ebd., bes. S.  54 f.; vgl. Calvin, Inst. III,21,6–7; III,21,1 („unter Beiseitelassen jeder Rücksicht auf die Werke“); III,21,7 („ohne jede Rücksicht auf menschliche Würdigkeit“). 83  Vgl. Lk 15,8–10. Hier folgt Weber weder Calvin noch Scheibe.

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entzogenes transzendentes Wesen geworden, welches von Ewigkeit her nach gänzlich unerforschlichen Ratschlüssen jedem einzelnen sein Geschick zugeteilt und über alles Kleinste im Kosmos verfügt hat.12) Gottes Gnade ist, da seine Ratschlüsse unwandelbar feststehen, ebenso unverlierbar für die, welchen er sie zuwendet, wie unerreichbar für die, welchen er sie versagt. | In ihrer pathetischen Unmenschlichkeit mußte diese Lehre nun für die Stimmung einer Generation, die sich ihrer grandiosen Konsequenz ergab, vor allem eine Folge haben: ein Gefühl einer unerhörten inneren Vereinsamung des einzelnen Individuums.13) 84 In der für den Menschen der Reformationszeit entscheidendsten Angelegenheit des Lebens, der ewigen Seligkeit, war der Mensch darauf verwiesen, seine Straße einsam zu ziehen, einem von Ewigkeit her feststehenden Schicksal entgegen. Niemand konnte ihm

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12)  Man kann die vorstehende Darstellung des calvinistischen Lehrbegriffes ziemlich in der hier gegebenen Form z. B. in Hoornbeeks Theologia practica (Utrecht 1663) L[iber] II c. 2h: de praedestinatione – der Abschnitt steht charakteristischerweise direkt hinter dem Titel: De Deo – nachlesen. Schriftgrundlage ist bei H[oornbeek] hauptsächlich das erste Kapitel des Epheserbriefes.85 – Die verschiedenen inkonsequenten Versuche, mit der Prädestination und Vorsehung Gottes die Verantwortlichkeit des Individuums zu kombinieren und die empirische „Freiheit“ des Willens zu retten usw., haben wir hier nicht nötig zu analysieren. | 13) „The deepest community (mit Gott) is found not in institutions or corporations A 11 or churches, but in the secrets of a solitary heart“, formuliert Dowden in seinem schönen Buch: „Puritan and Anglican“ (S.  234)86 den entscheidenden Punkt.

h A: 1 84  Weber lehnt sich an Edward Dowdens Beschreibung des „inward drama“ an, das sich nach der Darstellung John Bunyans in „The Pilgrim’s Progress“ im einsamen Pilger auf der Reise zur himmlischen Stadt abspielt. Dort heißt es z. B.: „Institutions, churches, ordinances, rites, ceremonies, could help him little, or not at all. The journey from the city of Destruction to the Celestial City must be undertaken on a special summons by each man for himself alone.“ Dowden, Puritan and Anglican, im Kapitel über John Bunyan, S.  232–278, hier S.  234. 85  Bei Johannes Hoornbeek, Theologia practica I, lautet im „liber secundus“ cap. I „De Deo“ (p.  85–140) und cap. II „De Dei Praedestinatione“ (p.  141–164). Unter der Kapitelüberschrift p.  141 ist Eph 1,11 f. ([1892:] „Durch welchen [Christus] wir auch zum Erbteil kommen sind, die wir zuvor verordnet sind nach dem Vorsatz des, der alle Dinge wirket nach dem Rat seines Willens, auf daß wir etwas seien zu Lob seiner Herrlichkeit“) vorangestellt (vgl. auch die häufigen Bezüge auf Eph im Kapitel, passim). Eph 1 handelt von der Prädestination (der Kirche), die – durch Christus – schon „vor Grundlegung der Welt“ erfolgte, daß wir heilig und untadelig vor Gott leben (Eph 1,4) zum „Lob seiner herrlichen Gnade“ (Eph 1,6). 86  Bei Dowden, Puritan and Anglican, S.  234: „[.  .  .] of the solitary heart“.

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helfen. Kein Prediger: – denn nur der Erwählte kann das Gotteswort spiritualiter verstehen.87 Kein Sakrament: – denn die Sakramente sind zwar von Gott zur Mehrung seines Ruhms verordnet und deshalb unverbrüchlich zu halten, aber kein Mittel, Gottes Gnade zu erlangen,88 sondern subjektiv nur „externa subsidia“ des Glaubens.89 Keine Kirche: – denn es gilt zwar der Satz „extra ecclesiam nulla salus“90 in dem Sinne, daß, wer sich von der wahren Kirche fernhält, nimmermehr zu den von Gott Erwählten gehören kann;14) aber zur (äußeren) Kirche gehören auch die Reprobierten, ja sie sollen dazu gehören und ihren Zuchtmitteln unterworfen werden, nicht um dadurch zur Seligkeit zu gelangen, – das ist unmöglich, – sondern weil auch sie zu Gottes Ruhm zur Innehaltung seiner Gebote gezwungen werden müssen.91 Endlich auch: – kein Gott: denn auch Christus ist nur für die Erwählten gestorben, denen Gott seinen Opfertod zuzurechnen von Ewigkeit her beschlossen hatte.92 Verbunden mit der schroffen Lehre von der 14)  Contra qui hujusmodi coetum (nämlich eine Kirche, in der reine Lehre, Sakramente und Kirchenzucht bestehen) contemnunt .  .  . salutis suae certi esse non possunt;

87  Vgl. Heppe, Dogmatik, S.  367–370: „Die Berufung wird nur den Erwählten zu Teil, indem Gott denselben sein Wort nicht nur durch Menschen verkündigen läßt (vocatio externa), sondern dieses auch durch den heil[igen] Geist in die Herzen derselben einführt und daselbst die lebendige Gemeinschaft mit Christo aufrichtet (vocatio interna)“ (Zitat S.  368). (Dazu auch Calvin, Inst. III,2,33.) 88  Vgl. Heppe, Dogmatik, S.  428 f.: Die Sakramente sind ohne den heiligen Geist unwirksam. Für den, der nicht glaubt, haben sie sowieso keine Bedeutung. (Bei Calvin, Inst. IV,1,1.) 89  „Äußerliche Hilfsmittel“ (Calvin, Inst. IV,1,1). Im Grunde sind dem Gläubigen die Sakramente entbehrlich. Die Verzagtheit und Kleingläubigkeit des menschlichen Herzens machen sie jedoch notwendig, „welches sich so oft nur dann zum freudigen Glauben erheben kann, wenn es die ihm gegebene Verheißung augenfällig sieht“ (Heppe, Dogmatik, S.  430 f.). 90  „Außerhalb der Kirche kein Heil“. Zitat nach einer Formulierung von Cyprian von Karthago (vgl. Seeberg, Dogmengeschichte I, S.  141), dogmatisiert 1442 und durch die Kirchengeschichte hindurch kontrovers ausgelegt. (Bei Calvin, Inst. IV,1,4 (Übersetzung Otto Weber): „Zudem ist außerhalb des Schoßes der Kirche keine Vergebung der Sünden zu erhoffen und kein Heil [.  .  .].“) 91  Weber fußt hier auf der Unterscheidung der ecclesia visibilis, d. h. der empirischen Kirche, zu der auch „Heuchler“ und außerhalb des Gnadenbundes stehende „todte Glieder“ gehören, von der ecclesia invisibilis, d. h. der Gemeinschaft der Erwählten. „Unsichtbar“ ist die wahre Kirche, „weil nur das Auge Gottes die Wiedergeborenen von den Heuchlern untrüglich zu unterscheiden vermag“. Vgl. Heppe, Dogmatik, S.  480 f., letztes Zitat S.  481. (Bei Calvin, Inst. IV,1,7, dazu IV,1,4.) 92  Vgl. etwa Heppe, Dogmatik, S.  328: „Dabei steht aber freilich fest, daß Christus nicht für alle Menschen, sondern nur für Diejenigen Genugthuung geleistet und die

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unbedingten Gottferne und Wertlosigkeit alles rein Kreatürlichen enthält diese innere Isolierung des Menschen einerseits den Grund für die absolut negative Stellung des Puritanismus zu allen sinnlichgefühlsmäßigen Elementen in der Kultur und subjektiven Religiosität – weil sie für das Heil unnütz und Förderer sentimentaler Illusionen und des kreaturvergötternden Aberglaubens sind – und damit zur grundsätzlichen Abwendung von aller Sinnenkultur überhaupt.15) Andrerseits aber bildet sie eine der | Wurzeln jenes illusionslosen und pessimistisch gefärbten Individualismus16), wie er

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et qui in illo contemtu perseverat electus non est. Olevian, de subst[antia] foed[eris] p.  222.93 15)  Dies negative Verhältnis zur „Sinnenkultur“ ist, wie Dowden a. a. O. schön ausgeführt hat, geradezu das konstitutive Element des Puritanismus.94 | 16) Der Ausdruck „Individualismus“ umfaßt das denkbar Heterogenste. Was hier A 12 darunter verstanden ist, wird hoffentlich durch die weiter folgenden Andeutungen klar. Man hat – in einem anderen Sinne des Wortes – das Luthertum „individualistisch“ genannt, weil es eine asketische Lebensreglementierung nicht kennt.95 Wieder in einem ganz anderen Sinne braucht z. B. Dietrich Schäfer das Wort, wenn er in einer höchst lehrreichen Schrift (Zur Beurteilung des Wormser Konkordats, Abh[andlungen] d[er] Berl[iner] Akad[emie] 1905)96 das Mittelalter die Zeit „ausgeprägter Individualität“ nennt, weil für das für den Historiker relevante Geschehen irrationale Momente damals von einer Bedeutung gewesen seien, wie heute nicht mehr. Er hat Recht, aber Mitteilung des heiligen Geistes verdient hat, für welche er mit des Vaters Zustimmung als Bürge eingetreten ist. Denn wennschon Christus sufficienter für alle Menschen gestorben, und wennschon Christi Gehorsam und Leiden so absolut vollkommen ist, daß der Vater um dieser Genugthuung willen die Sünden des ganzen Menschengeschlechtes hätte vergeben können, so kann efficaciter das Verdienst Christi doch nur für diejenigen wirklich gelten, [.  .  .] für welche Christus, seiner eigenen Intention nach, hat sterben wollen und gestorben ist.“ 93  Das Zitat entstammt Olevian, De substantia foederis I, p.  222, zitiert bei Heppe, Dogmatik, S.  495. Bei Caspar Olevian (und Heppe) heißt es: „[.  .  .] salutis suae certus esse non potest [.  .  .]“. 94  Dowden, Puritan and Anglican, passim, dazu auch sein einführendes Kapitel „Puritanism and English Literature“, p.  1–34. 95  Vgl. dazu Webers Äußerung im Brief an Adolf Harnack über das Luthertum in der Einleitung, oben, S.  25 f. 96  Schäfer, Wormser Konkordat, S.  94, faßt seine Untersuchung zur Entstehung und Bedeutung des Wormser Konkordats folgendermaßen zusammen: „Der Einzelfall durchbricht immer wieder das Gesetz und macht es zum Brauch (jus – mos). Dem Individuum und den Umständen kommt eine Bedeutung zu, die ihnen die Neuzeit im öffentlichen Leben längst geraubt hat.“ Daß die Renaissance es war, die die Individualität in die abendländische Kultur eingeführt habe, sei ein Schlagwort und nur richtig für die „Entwickelung künstlerischer Gestaltungskraft“, nicht aber darüber hinaus. „Soweit öffentliches Leben im weitesten Sinne in Staat und Kirche, in Stadt und Land, in Recht und Wirtschaft in Frage kommt, ist das Mittelalter die Zeit ausgeprägtester Individualität und selbständigster Persönlichkeit in Wollen und Handeln.“

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in dem „Volkscharakter“ und den Institutionen der Völker mit puritanischer Vergangenheit sich noch heute auswirkt, – in so auffälligem Gegensatz zu der ganz andersartigen Brille, durch welche später die „Aufklärung“ die Menschen ansah. Wir finden die Spuren dieses Einflusses der Gnadenwahllehre in der uns beschäftigenden Zeit deutlich in elementaren Erscheinungen der Lebensführung und Lebensanschauung wieder, und zwar auch da, wo ihre Geltung als Dogma schon im Schwinden war: sie war ja eben auch nur die extremste Form jener Exklusivität des Gottvertrauens, auf deren Analyse es hier ankommt. So z. B. in der auffallend oft wiederkehrenden Warnung namentlich der englischen puritanischen Literatur vor jedem Vertrauen auf Menschenhilfe und Menschenfreundschaft. Tiefes Mißtrauen auch gegen den nächsten Freund rät selbst der milde Baxter an,97 und Bailey empfiehlt direkt, niemandem zu trauen und niemanden etwas Kompromittierendes wissen zu lassen: nur Gott soll der Vertrauensmann sein.17) Im auffäldiejenigen, denen er seine Beobachtung entgegenhält, vielleicht auch, denn beide meinen etwas ganz Verschiedenes, wenn sie von „Individualität“ und „Individualismus“ sprechen. – Jakob Burckhardts geniale Formulierungen98 sind heute teilweise überholt, und eine gründliche, historisch orientierte Begriffsanalyse wäre gerade jetzt wieder wissenschaftlich höchst wertvoll. Das gerade Gegenteil davon ist es natürlich, wenn der Spieltrieb gewisse Historiker veranlaßt, den Begriff, nur um eine Geschichtsepoche mit ihm als Etikette bekleben zu können, im Plakatstil zu „definieren“.99 17) Bailey, Praxis pietatis (deutsche Ausg., Leipzig 1724) S.   187.1 Auch Ph[ilipp] J[akob] Spener in seinen „Theologischen Bedenken“ (hier nach der 3. Ausgabe, Halle

97  Vgl. Baxter, Christian Directory IV, chap. XXV. „Cases and Directions about Trusts and Secrets“ (p.  238–240), Tit. 1. Aus den Antworten zu den dortigen Fragen: „You must not trust man for more than his proportion, and what belongs to man to do: You must not expect that from him which God alone can do. [.  .  .] But having to do with a corrupted World we must live in it with some measure of distrust to all men. [.  .  .] But we must trust men as men, according to the principles of Veracity that are left in corrupted nature [.  .  .]. And the skilfuller and faithfuller any man is, the more he is to be trusted“ (Zitat p.  238). Das bei Richard Baxter angeratene Mißtrauen reicht nicht ganz so tief wie bei Lewis Bayly (Weber schreibt stets: Bailey), vgl. unten, Anm.  1. 98 Weber bezieht sich auf den Abschnitt „Die Entwickelung des Individuums“, in: Burckhardt, Cultur der Renaissance I, S.  141–181. 99  Anspielung auf Lamprecht, Deutsche Geschichte VII/1, überschrieben: „Neuere Zeit. Zeitalter des individuellen Seelenlebens“. Zur Auseinandersetzung mit Karl Lamprecht vgl. auch unten, S.  316, Fn.  79a, S.  329, Fn.  101a, und S.  424, Fn.  86. 1  Bayli, Praxis pietatis I, S.  187, warnt vor der Freundschaft, weil sie auch in Feinde  schaft umschlagen könne: „Furs ander, so thue nichts in Gegenwart eines andern, e  e  daß, wenn es lautbar wurde, dir eintzige Gefahr auf den Halß ziehen konnte; Oder

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ligsten Gegensatz gegen | das Luthertum ist denn auch in den Gebieten des voll entwickelten Calvinismus die Privatbeichte, gegen welche Calvin selbst nur der möglichen sakramentalen Deutung wegen Bedenken hatte,2 stillschweigend verschwunden. In

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1712 zitiert) steht auf ähnlichem Standpunkt: der Freund giebt seinen Rat selten mit Rücksicht auf die Ehre Gottes, sondern meist aus fleischlichen (nicht notwendig egoistischen) Absichten.3 – „He“ – the „knowing man“ – „is blind in no man’s cause, but best sightedi in his own. He confines himself to the circle of his own | affairs, and thrusts A 13 not his fingers in needless fires .  .  . He sees the falseness of it (der Welt) and therefore learns to trust himself ever, others so far, as not to be damaged by their disappointment“, philosophiert Th[omas] Adams (Works of the Puritan Divines p. LI).j 4 – Bailey (Praxis pietatis, a. a. O. S.  176) empfiehlt ferner, sich jeden Morgen vor dem Ausgehen unter die Leute vorzustellen, man gehe in einen wilden Wald voller Gefahren[,] und Gott um den „Mantel der Vorsicht und Gerechtigkeit“ zu bitten.5 – Die Empfindung geht schlechterdings durch in allen asketischen Denominationen und führte bei manchen Pietisten direkt zu einer Art Einsiedlerleben innerhalb der Welt. Selbst Spangenberg in der (herrnhuterischen) Idea fidei fratrumk p.  382 erinnert nachdrücklich an

i A: sightet  j A: LI.)  k A: frateum e 

e 

wann derselbe dein Feind werden solte, du Ursach hattest ihn deßwegen zu furchten. Hast du etwan einen Fehler begangen, so bitte GOtt um Verzeihung, und sey lieber selbst dein bester Rath, als daß du einen andern darum zu Rath ziehen soltest. Dann was du wilt verschwiegen haben, das verschweig zuvorderst selbst, und sey beneben versichert, daß alle Freundschafft (die nicht auf den rechten Grund des Christen­ e  thums, und der wahren Religion gegrundet ist) bey der ersten Ungelegenheit dahin fält [.  .  .]“. 2  U.a. Hinweis bei Kampschulte, Calvin I, S.  460 mit Anm.  3, und S.  461. 3  Spener, Theologische Bedenken I, S.  524 (aus: Cap. II, Artic.  II, Sectio XII, S.  523– e  526): Spener berichtet im Nachhinein von Bedenken (ob „ein gottlicher beruff oder e  versuchung“) bei der Berufung in sein Frankfurter Pfarramt: „Nechst dem ware das e  nachste mittel gewesen/ mit guten freunden/ dero so von verwandten als sonsten/ die e  mich liebten/ in Straßburg nicht wenig hatte/ die sache zu uberlegen/ und dero rath zu folgen: Ich fande aber auch solchen weg nicht sicher/ als der ich durch so viel exempel wahrgenommen/ wie gute freunde so selten pur lauter aus reiner absicht auf das e  gewissen und gottliche ehre rathen/ sondern wie gemeiniglich einige fleischliche absichten aus menschlicher liebe zugleich mit unterlauffen. Daher ich von der sachen e  niemanden/ auch meiner nachsten freund/ part gegeben.“ Von Weber im Exemplar der UB Heidelberg ab „Ich fande [.  .  .]“ mit Randmarkierung versehen sowie der Marginalie: „Mistrauen g[e]g[en] Freunde“. 4 Zitate nach: William Hendry Stowell, Introduction to Adams’ Works (im angege­ benen Band der Schriften von Thomas Adams, Works of the English Puritan Divines V, p. ix-lxiii), p. l und li. – Im Exemplar der UB Heidelberg unterstrich Weber die hier zitierten Sätze. 5  Bayli, Praxis pietatis I, S.  176 (aus dem XV. Capitel „Fernere Betrachtung und gotte  selige Gedancken uber das Gebet eines Christen [.  .  .]“, S.  169–177): „Rock der Vorsichtigkeit und Gerechtigkeit“.

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tiefer innerlicher Isolierung vollzieht sich, trotz der Heilsnotwendigkeit der Zugehörigkeit zur wahren Kirche18), der Verkehr des Calvinisten mit seinem Gott. Wer die spezifischen Wirkungen dieser eigentümlichen Luft empfinden will, der sehe in dem weitaus gelesensten Buch der ganzen puritanischen Literatur: Bunyans „Pilgrim’s progress“19), die Schilderung von „Christian’s“ Verhalten an, nachdem ihm das Bewußtsein, in der „Stadt des Verderbens“ zu weilen, aufgegangen ist und ihn der Ruf, die Pilgerfahrt zur himmlischen Stadt unverweilt anzutreten, ereilt hat. Weib und Kinder hängen sich an ihn, – aber quer|feldein, die Finger in die Ohren steckend, mit dem Rufe: „Leben, ewiges Leben“ stürzt er fort,6 und kein Raffinement könnte besser, als die naive Empfindung des in Jer. 17, 5: „Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verläßt“.7 – Man beachte, um die eigentümliche Menschenfeindlichkeit dieser Lebensanschauung zu ermessen, auch etwa die Erläuterungen Hoornbeeks Theol[ogia] pract[ica] I p.  8828 über die Pflicht der Feindesliebe: Denique hoc magis nos ulciscimur, quo proximum, inultum nobis, tradimus ultori Deo .  .  . Quo quis plus se ulcisciturl, eo minus id pro ipso agetm Deus. Welche raffinierte Steigerung gegenüber dem altjüdischen: „Auge um Auge“,9 und welches specimen christlicher „Nächstenliebe“! Über diese s. auch unten Anm.  21 b.10 18) Gerade diese Kombination ist für die Beurteilung der psychologischen Unterlagen der calvinistischen sozialen Organisationen so wichtig. Sie ruhen alle auf innerlich „individualistischen“ Motiven. Nie geht – wir werden die Folgen noch später betrachten11 – das Individuumn gefühlsmäßig in sie ein. „Gottes Ruhm“ und das eigene Heil bleiben stets über der „Bewußtseinsschwelle“. Das prägt der Eigenart der sozialen Organisation bei Völkern mit puritanischer Vergangenheit noch heute bestimmte charakteristische Züge auf. 19) Über Bunyan vgl. die Biographie von Froude in der Morleyschen Sammlung (English Men of Letters), ferner Macaulays (oberflächliche) Skizze (Miscell[aneous] Works II p.  227)12 – B[unyan] ist indifferent gegenüber den denominationellen Differenzen innerhalb des Calvinismus, seinerseits jedoch strikter calvinistischer Baptist. |

l  A: ulciscituur   m  A: agit   n  A: Individium 6  Vgl. Bunyan, Pilgrim’s Progress, p.  3 f. 7  August Gottlieb Spangenberg, Idea fidei fratrum, S.  382 (im Kapitel „Von der Liebe zu GOtt“, S.  369–437). Zitat Jer 17,5 im Exemplar der UB Heidelberg von Weber mit Randmarkierung sowie der Marginalie „Baxter“ versehen (vgl. dazu oben, S.  262 mit Anm.  97). 8 Hoornbeek, Theologia practica I, p.  882 (aus liber septimus, cap. IX. De Amore proximi, p.  875 ff.). 9  Nach Ex 21,23–25; vgl. Lev 24,19 f., Dtn 19,21. 10  Unten, S.  268–270. 11  Siehe unten, S.  266–270 mit Fußnoten, dazu S.  366–425. 12  Vgl. Froude, Bunyan; Macaulay, Bunyan (der Titel der Ausgabe lautet: Miscellaneous Writings II, darin p.  227–243).

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seinem Gefängnis dichtenden Kesselflickers,13 der dabei den Beifall einer ganzen Welt fand, die Stimmung des im Grunde allein mit sich selbst beschäftigten, allein an sein eigenes Heil denkenden puritanischen Gläubigen wiedergeben, wie sie zum Ausdruck kommt in den fatal an Gottfried Kellers „Gerechte Kammacher“ erinnernden salbungsvollen Gesprächen,14 die er mit Gleichstrebenden unterwegs führt. Erst als er selbst geborgen ist, erwacht der Gedanke, daß es schön wäre, nun auch die Familie bei sich zu haben:15 es ist doch dieselbe qualvolle Angst vor dem Tode und odem Nachhero, die wir bei Alfons von Liguori, wie Döllinger ihn uns geschildert hat,16 so penetrant überall empfinden20), – weltweit entfernt von jenem Geist stolzer Diesseitigkeit, dem Macchiavelli in dem Ruhm jener Florentiner Bürger Ausdruck gibt, denen – im Kampf gegen Papst und Interdikt – „die Liebe zur Vaterstadt höher stand, als die Angst um das Heil ihrer Seelen“.17 20) Nur freilich sind eben die Wirkungen dieser Angst bei Bunyan und Liguori so A 14 charakteristisch verschieden: dieselbe Angst, welche diesen zu jeder erdenklichen Selbstquälerei treibt, spornt jenen zu männlicher rastloser und systematischer Lebensarbeit an.

o–o  A: Dem nachher 13  John Bunyan, gelernter Kesselflicker und Laienprediger, schrieb den ersten Teil seines Hauptwerks (erschienen 1678, erweitert 1679, 2. Teil  1684) vermutlich 1675 im Gefängnis von Bedford. Nach zwölf Jahren Gefängnisaufenthalt (1660–1672) war Bunyan erneut für sechs Monate inhaftiert, weil er sich dem Predigtverbot widersetzt hatte, das für Nonkonformisten bestand. 14  Keller, Die drei gerechten Kammacher, nach Webers Urteil eine Erzählung, deren geschilderter „Vorgang [.  .  .] im Grund in fünf Zeilen abzufertigen und teilweise unerquicklich und possenhaft“ sei (Brief Max Webers an Helene Weber vom 17. Febr. 1886, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  3, Bl.  116–118; MWG II/1), erschien 1856 in der Sammlung „Die Leute von Seldwyla“. 15  Bei Bunyan ist es allerdings die Initiative von Christians Ehefrau. Sie begibt sich mit ihren Kindern auf die Pilgerreise, ihrem Mann entgegen. Vgl. Bunyan, Pilgrim’s Progress, p.  185 ff. (2. Teil). 16  Döllinger/Reusch, Moralstreitigkeiten I, berichten über den katholischen Morallehrer Alphons Maria de’ Liguori (1696–1787), den Gründer der Redemptoristen, S.  356– 476. Über Liguoris lebenslange Skrupel, Ängste und Gewissensqualen ebd., S.  374– 377. 17  Freies Zitat. Bei Machiavelli, Florentinische Geschichten I, S.  195, heißt es: „Umsoviel höher schlugen jene Bürger das Wohl des Vaterlandes an, als ihr Seelenheil, und zeigten der Kirche, daß die Florentiner, wie sie als Freunde sie geschützt, als Gegner sie bedrängen konnten“. Machiavelli schildert hier die Konflikte zwischen Florenz und dem Kirchenstaat im 14./15. Jahrhundert. In deren Verlauf wurde über Florenz mehrmals das Interdikt verhängt (hier 1375–1378). Dies bedeutete offiziell: kein Gottes-

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Es scheint zunächst ein Rätsel, wie mit dieser Tendenz zur innerlichen Lösung des Individuums aus den engsten Banden, mit denen es die Welt umfangen hält, die unbezweifelbare Überlegenheit des Calvinismus in der sozialen Organisation sich verknüpfen konnte.21) Allein gerade sie folgt, so seltsam es zunächst scheint, | aus der

21)  Die große Wichtigkeit des calvinistischen Gedankens von der aus dem Erfordernis der „Einverleibung in Christi Körper“ (Calvin, Instit[utio] III, 11, 10)18 folgenden Heilsnotwendigkeit der Aufnahme in eine den göttlichen Vorschriften entsprechende Gemeinschaft für den sozialen Charakter des reformierten Christentums wird, wie ich annehme, E[rnst] Tröltsch in seinem schon früher erwähnten Aufsatz entwickeln.19 – Für unsere speziellen Gesichtspunkte liegt aber der Schwerpunkt des Problems etwas anders. Jener Gedanke hätte auch bei einem rein anstaltsmäßigen Charakter der Kirche sich ausbilden können und hat dies getan. Und gerade auch außerhalb der göttlich vorgeschriebenen Gemeindeschematap wirkt sich jene gemeinschaftsbildende Tendenz aus. Hier ist eben der allgemeine Gedanke, daß der Christ durch Wirken „in majorem Dei gloriam“ seinen Gnadenstand bewähre20 (s. u.),21 maßgebend, und die scharfe Perhorreszierung der Kreaturvergötterung mußte diese Energie unvermerkt in die Bahnen sachlichen (unpersönlichen) Wirkens lenken. Jede reine gefühlsmäßige – also nicht A 15 rational bedingte – | persönliche Beziehung von Mensch zu Mensch verfällt in der puritanischen, wie in jeder asketischen, Ethik sehr leicht dem Verdacht, Kreaturvergötterung zu sein. Für die Freundschaft zeigt dies – neben dem Anm.  17 schon Gesagtenq 22 – z. B. folgende Warnung deutlich genug: It is an irrational act and not fit for a rational creature to love any one farther than reason will allow us .  .  . It very often taketh up mens minds so as to hinder their love of God. (Baxter, Christian Directory IV p.  253.)23

p  A: Gemeindeschemate   q  A: gesagten dienst, keine Spendung der Sakramente und keine christlichen Begräbnisse. Das Interdikt wurde aber „wenig beachtet“ (ebd.). Der Klerus wurde z. B. genötigt, die Messe abzuhalten. 18  Calvin, Inst. III,11,10 heißt es (Übersetzung Otto Weber): „Bei uns steht also jene Verbindung des Hauptes mit den Gliedern, jene Einwohnung Christi in unseren Herzen, kurz, jene verborgene Einung (mystica unio) an höchster Stelle, daß also Christus unser eigen wird und uns der Güter, die er selber inne hat, teilhaftig macht! Wir schauen ihn also nicht außer uns, von fern an, damit uns seine Gerechtigkeit zugerechnet werde; nein, weil wir ihn angezogen haben und in seinen Leib eingefügt sind, kurz, weil er sich herabgelassen hat, uns mit sich eins zu machen, darum rühmen wir uns, daß wir Gemeinschaft der Gerechtigkeit mit ihm haben.“ 19 Gemeint ist: Troeltsch, Protestantisches Christentum, dort S.  351–361 (KGA 7, S.  272–288); dazu oben, S.  245 f., Fn.  3. 20  Alles menschliche Handeln soll nach Calvin der Ehre oder dem Ruhm Gottes dienen, so Scheibe, Calvins Prädestinationslehre, S.  112–120; Seeberg, Dogmengeschichte II, S.  386, mit Hinweis auf Calvin, Inst. I,16,1 ff. Die Formel „in majorem gloriam Dei“, die Weber hier gebraucht (vgl. auch das in der „Institutio“ Calvins häufig vorkommende „gloria Dei“), soll dies zum Ausdruck bringen. 21  Siehe unten, S.  268 (dort: „in majorem gloriam Dei“), S.  382, Fn.  27, u. ö. 22  Oben, S.  262 f. 23  Baxter, Christian Directory IV, chap. XXVIII. „Special Cases and Directions for Love

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spezifischen Färbung, welche die christliche „Nächstenliebe“ unter dem Druck der inneren Isolierung des einzelnen durch den calvinistischen Gottesbegriff annehmen mußte. Die Welt ist bestimmt, der Selbstverherrlichung Gottes zu dienen, der Christ dazu da, den Ruhm Gottes in der Welt durch Vollstreckung seiner Gebote an seinem Teil zu mehren. Gott will die soziale Leistung des Christen, denn er will, daß die soziale Gestaltung des Lebens seinen Geboten gemäß und so eingerichtet werde, daß sie jenem Zweck entspreche. Wir werden solchen Argumenten immer wieder begegnen. – Namentlich auch der Gedanke, daß der „öffentliche“ Nutzen, oder auch „the good of the many“, wie Baxter (Christian Directory IV p.  262 mit dem etwas gezwungenen Citat Röm. 9, 3)24 es ganz im Sinne des späteren liberalen Rationalismus formuliert, allem „persönlichen“ oder „privaten“ Wohl Einzelner voranzustellen sei, folgte – so wenig err an sich neu war – für den Puritanismus aus der Ablehnung der Kreaturvergötterung. – Die moderne amerikanische Perhorreszierung persönlicher Dienstleistungen hängt (in indirekter Art) natürlich auch mit jener Tradition zusammen. Ebenso aber die relativ große Immunität puritanisch gewesener Völker gegen den Cäsarismus, und überhaupt die innerlich freiere, einerseits mehr zum „Geltenlassen“ des Großen geneigte, andererseits aber alle hysterische „Verliebtheit“ und den naiven Gedanken: man könne zu politischer Obödienz aus „Dankbarkeit“ verpflichtet sein, ablehnende Stellung der Engländer zu ihren großen Staatsmännern, – gegenüber Manchem, was wir z. B. von 1878 an in Deutschland – positiv und negativ – erlebten.25 – Über die Sündhaftigkeit des Autoritätsglaubens, – der eben nur als unpersönlicher, auf den Inhalt der Schrift gerichteter zulässig ist, – und ebenso der übermäßigen Schätzung selbst der heiligsten und hervorragendsten Menschen, – weil dadurch eventuell der Gehorsam gegen Gott gefährdet wird, – s. Baxter, Christian Directory (2.  Aufl. 1678) I p.  56.26 – Was die Ablehnung der r  A: es to Godly persons as such“ (p.  245–256), Tit. 6. „Cases and Directions for intimate special Friends“, aus den Antworten zu Frage 9 („Why should we restrain our Love to a bosome friend [.  .  .] and what sin or danger is in loving him too much?“), p.  253. Dort: „It is an irrational act, and therefore not [.  .  .]“, „mens minds“ [sic, Ed.] und „Love to God“. 24  Baxter, Christian Directory IV, chap.  XXX. „Cases and Directions about works of Charity“ (p.  258–268), heißt es in der Antwort zu Tit. 1, Fragen 6 und 7, auf p.  262: „The good of many is to be preferred before the Good of few, and publick good to be valued above private, Rom. 9.3 “. – Röm 9,3 lautet nach der Lutherbibel [1892]: „Ich habe gewünschet, verbannet zu sein von Christo für meine Brüder, die meine Gefreundeten sind nach dem Fleisch.“ 25  Weber spielt auf die „konservative Wende“ von 1878/79 nach dem Zerfall der liberalen Regierungspartei an. 26  Baxter, Christian Directory I, chap. II. „Directions to young Christians or Beginners in Religion, for their establishment and safe proceeding“ (p.  30–57). Dort heißt es auf p.  56 zu Direction 20 („See that your religion be purely Divine [.  .  .]“): „Even good men, whom you must love and honour, and whose communion and help you must highly value, yet may be made the object of your sin, and may become your snare. [.  .  .] If you do, you will find that while you are too much eying man, you are losing God, and cor-

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Die soziale21a) Arbeit des Calvinisten in der Welt ist lediglich Arbeit „in majorem gloriam Dei“.27 Diesen Charakter trägt auch die Berufsarbeit, welche im Dienste des | diesseitigen Lebens der Gesamtheit steht. Schon bei Luther fanden wir die Ableitung der arbeitsteiligen Berufsarbeit aus der „Nächstenliebe“. Aber was bei ihm ein unsicherer Ansatz blieb, wurde nun bei den Calvinisten ein charakteristischer Teil ihres ethischen Systems. Die „Nächstenliebe“28 äußert sich – da sie ja nur Dienst am Ruhme Gottes, nicht der Kreatur sein darf 21b) – in erster | Linie in Erfüllung der durch

„Kreaturvergötterung“ und das Prinzip, daß, zunächst in der Kirche, letztlich aber im Leben überhaupt, nur Gott „herrschen“ solle, politisch bedeutete, davon später.29 21a)  „Sozial“ natürlich ohne jeden Anklang an den modernen Sinn des Wortes, lediglich im Sinn der Betätigung innerhalb der politischen, kirchlichen und anderer Gemeinschafts-Organisationen. | 21b) Was eine solche durch die alleinige Beziehung des Lebens auf Gott bedingtes A 16 „Unpersönlichkeit“ der „Nächstenliebe“ auf dem eignen Gebiet des religiösen Gemeinschaftslebens bedeutet, kann man sich recht gut etwa an dem Gebahren der „China Inland Mission“ und der „International Missionaries’ Alliance“ verdeutlichen (s. hierüber Warneck, Gesch[ichte] d[er] prot[estantischen] Mission 5.  Aufl. S.  99, 111).30 Mit gewaltigen Kosten werden gewaltige Scharen von Missionaren ausgerüstet, z. B. an die 1000 für China allein, um durch Wanderpredigt das Evangelium allen Heiden in strikt wörtlichen Sinne „anzubieten“, weil Christus dies geboten und seine Wiederkunft davon abhängig gemacht hat. Ob die dergestalt Angepredigten dem Christentum gewonnen und also der Seligkeit teilhaftig werden, ist prinzipiell durchaus nebensächlich und Angelegenheit Gottes, der ja darüber allein verfügt. China habe, meint Hudson Taylor (s. Warneck a. a. O.)31[,] ca. 50 Millionen Familien.  1000 Missionare könnten 50 Familien täglich (!) „erreichen“ und so das Evangelium in 1000 Tagen oder weniger als 3 Jahren allen Chinesen „angeboten“ sein. – Es ist genau das Schema, nach welchem der Calvinismus z. B. seine Kirchenzucht betrieb: nicht das Seelenheil der Censurierten – welches lediglich Gottes (und in praxi ihre eigene) Sache ist, – sondern die Mehrung des Ruhmes Gottes ist Hauptzweck.32 – Für jene modernen Missionsleistungen ist, da s A: „bedingte rupting your Religion at the very heart.“ – Weber zitiert Baxter, Christian Directory I–IV, stets nach der 2. Auflage von 1678. 27  Vgl. oben, S.  266, Fn.  21 mit Anm.  20. 28  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  193. 29  Weber thematisiert lediglich den antiautoritären Zug der Puritaner, unten, S.  397– 399; siehe auch Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, unten, S.  450. 30  Der Titel lautet: Gustav Warneck, Geschichte der protestantischen Missionen; darin wird S.  98–100 die „China Inland Mission“ und S.  111 f. die „International Missionaries’ Alliance“ besprochen. 31  Weber übernimmt hier wörtlich einen Ausspruch des Begründers der „China Inland Mission“ Hudson Taylor (1832–1905), bei Warneck, Missionen, S.  99 f. 32  Schon bei Calvin, Inst. IV,12,5, geht es bei der Kirchenzucht in erster Linie um den „Leib Christi“, d. h. um das christliche Gemeinwesen und seine Reinhaltung, und erst

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die lex naturae gegebenen Berufsaufgaben, und sie nimmt dabei einen eigentümlich sachlich-unpersönlichen Charakter an, den eines Dienstes an der rationalen Gestaltung des uns umgebenden gesellschaftlichen Kosmos. Denn die wunderbar zweckvolle Gestaltung und Einrichtung dieses Kosmos, welcher ja nach der Offen­ barung der Bibel und ebenso nach der natürlichen Einsicht augenscheinlich darauf zugeschnitten ist, dem „Nutzen“ des Menschengeschlechtes zu dienen, läßt die Arbeit im Dienst dieses gesellschaftlichen Nutzens als Gottes Ruhm fördernd und also gottgewollt erkennen. Wir werden späterhin die Bedeutung dieser sie auf interdenominationeller Grundlage ruhen, nicht der Calvinismus als solcher verantwortlich. (Calvin selbst lehnt die Pflicht zur Heidenmission ab, da die weitere Ausbreitung der Kirche „unius Dei opus“ sei.)33 Aber allerdings entstammen sie offensichtlich jenem durch die puritanische Ethik sich hinziehenden Vorstellungskreis, wonach man der „Nächstenliebe“ Genüge leistet, wenn man Gottes Gebote zu dessen Ruhme erfüllt. Damit ist auch dem Nächsten gegeben, was ihm gebührt, und das Weitere ist nun Gottes eigene Angelegenheit. – Die „Menschlichkeit“ der Beziehungen zum „Nächsten“ ist sozusagen abgestorben. Das äußert sich in den verschiedensten Verhältnissen. So etwa, – um noch ein solches Rudiment jener Lebensluft anzuführen, – auf dem Gebiet der in gewisser Beziehung mit Recht berühmten reformierten charitas: Die Amsterdamer Waisen, mit ihren noch jetzt senkrecht in eine schwarze und rote, oder rote und grüne Hälfte gespaltenen Röcken und Hosen – einer Art Narrenkleidung34 – angethan und in Parade zur Kirche geführt, waren für die Empfindung der Vergangenheit sicher ein höchst erbauliches Schauspiel, und sie dienten in eben demt Grade zum „Ruhme Gottes“, als alle persönlich-„menschliche“ Empfindung dabei sich hätte beleidigt fühlen müssen. Und so – wir werden das noch sehen35 – bis in alle Einzelheiten der privaten „Berufstätigkeit“. – Natürlich bezeichnet das alles nur eine „Tendenz“, und wir werden | später selbst bestimmte Einschränkungen zu machen ha- A 17 t A: den nachgeordnet um die Reue und Umkehr des einzelnen. Ähnlich formuliert für die reformierte Kirche bei Heppe, Dogmatik, S.  487. 33  Warneck, Missionen, zitiert S.  19 Calvin (dort ohne bibliographischen Nachweis): „Docemur, non hominum industria vel promoveri vel fulciri Christi regnum, sed hoc unius Dei esse opus, quia ad solam eius benedictionem confugere docentur fideles.“ Gustav Warneck folgert daraus, es bedürfe nach Calvin keiner „besonderen Veranstaltung zur Ausbreitung des Christentums, d. h. der Mission“ (ebd.). Das Zitat entstammt Calvins Auslegung zu Ps 118,25 f. (Commentarii in librum psalmorum pars posterior: Ps XCI ad CL; CR 60, Sp.  213). 34  Vgl. Webers Schilderung der Gottesdienste in der Oude und der Nieuwe Kerk in Amsterdam im Brief an Marianne Weber vom 14. Juni 1903 (Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4): „Auf den Estraden die Waisenkinder in mächtigen Schaaren u. in unendlich bunten u. in ihrer Art malerischen, nur etwas verdrehten Costümen: die Jungen (auch große von 11 Jahren) Röcke, die rechts knallroth, links schwarz sind, ähnlich die Mädchen – es ist doch eine Art Narrentracht!“ 35  Siehe den gesamten 2. Abschnitt, unten, S.  366–425.

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Gesichtspunkte für den politischen und ökonomischen Rationalismus des Calvinismus zu analysieren haben:36 die Quelle des utilitarischen Charakters der calvinistischen Ethik liegt hier, und ebenso gehen wichtige Eigentümlichkeiten des calvinistischen Berufsbegriffes daraus hervor. – Hier kehren wir aber zunächst noch einmal zur Betrachtung speziell der Prädestinationslehre zurück. Denn das für uns entscheidende Problem ist erst: wie wurde diese Lehre ertragen22) in einer Zeit, welcher das Jenseits nicht | nur ben.37 Aber als eine – und zwar sehr wichtige – „Tendenz“ dieser asketischen Religiosität mußte sie hier festgestellt werden. 22)  Hundeshagen (Beitr[äge] z[ur] Kirchenverfassungsgesch[ichte] u. Kirchenpolitik 1864 I S.  37)38 vertritt den – seitdem oft wiederholten – Standpunkt, daß das Prädestinationsdogma stets Theologenlehre, nicht Volkslehre gewesen sei. Das ist doch nur richtig, wenn man den Begriff „Volk“ mit der Masse der bildungslosen unteren Schichten identifiziert. Nicht nur Cromwell – an dem schon Zeller (Das theol[ogische] System Zwinglis S.  17)39 als an einem Paradigmau die Wirkung des Dogmas exemplifiziert vhatte –,v sondern auch seine „Heiligen“ wußten sehr wohl,40 um was es sich handelte, und die Canones der Synoden von Dordrecht und Westminster über die Lehre waren nationale Angelegenheit großen Stils.41 Daß die reformierten Pietisten, die Teilnehmer der englischen und holländischen Konventikel, über die Lehre im Unklaren gewesen wären, ist ganz ausgeschlossen; eben sie war es ja, die sie zusammentrieb, um die certitudo salutis zu suchen. Was die Prädestination bedeutete resp. nicht bedeutete, wo sie Theou  A: Pardigma   v–v  A: hatte, – 36  Siehe im 2. Abschnitt, unten, S.  366–425. 37  Auf Einschränkungen kommt Weber im vorliegenden Aufsatz nicht mehr zu sprechen. 38  Hundeshagen, Beiträge I, S.  37, stützt seine Ansicht darauf, daß in den reformierten Bekenntnisschriften mit Ausnahme jener, die unmittelbar von Calvin beeinflußt seien, „die aktive Beziehung der göttlichen Prädestination auf die Ungläubigen“ nicht thematisiert werde, insbesondere nicht im Heidelberger Katechismus (1563), der weltweit in den reformierten Kirchen verbreitet sei. – Eine andere Erklärung gibt Hundeshagen, ebd., S.  49 f., Anm.  1, worauf sich Weber im folgenden Satz bezieht. Dort setzt sich Karl Bernhard Hundeshagen mit Eduard Zeller (vgl. die folgende Anm.) auseinander und statuiert einen Unterschied zwischen den großen Theologen und Vorbildern des reformierten Glaubens auf der einen, „der breiten Basis der Menschheit“ (S.  50) auf der anderen Seite. Jene könnten aufgrund ihres starken Charakters anders als diese am Prädestinationsdogma einen religiösen Anhalt finden, weshalb die Prädestinationslehre in der reformierten Theologie erhalten geblieben sei. 39  Zeller, System Zwingli’s, S.  17 f., mit besonderem Bezug auf Cromwell, ebd., S.  18, Anm.  1 (referiert auch bei Hundeshagen, Beiträge I, S.  49 f., Anm.  1). 40  Die „Heiligen“ („Saints“) Cromwells, d. h. seine frommen Puritaner-Anhänger, aus denen sich seine New Model Army (seit 1645; bald überwiegend Independents, vgl. Firth, Cromwell’s Army (von Weber zitiert unten, S.  292, Fn.  58), p.  319) und aus deren Armeerat sich 1653 das sog. „Parlament der Heiligen“ (auch: Barebone’s Parliament) rekrutierte. 41  Vgl. oben, S.  250 f.

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wichtiger, sondern in vieler Hinsicht auch sicherer war, als alle logenlehre war, kann der Katholizismus, dem sie ja als esoterische Lehre und in schwankender Form keineswegs fremd geblieben ist, zeigen. (Das Entscheidende war freilich, daß die Ansicht: der Einzelne habe sich für erwählt zu halten und zu bewähren, stets verworfen wurde. Vgl. die katholische Lehre z. B. bei Ad[rian] van Wyck, Tract[atus] de praedestinatione Cöln 1708.)42 – H[undeshagen], dem die Lehre unsympathisch ist, schöpft seine Eindrücke offenbar vorwiegend aus deutschen Zuständen. Jene seine Antipathie hat ihren Grund in der rein deduktiv | gewonnenen Meinung, sie A 18 müsse zum sittlichen Fatalismus und Antinomismus führen.43 Diese Meinung hat schon Zeller a. a. O. widerlegt.44 Daß eine solche Wendung möglich war, ist andererseits nicht zu leugnen, Melanchthon wie Wesley sprechen von ihr: aber es ist charakteristisch, daß in beiden Fällen es sich um eine Kombination mit der gefühlsmäßigen „Glaubens“Religiosität handelte. Für diese, welcher der rationale Bewährungsgedanke fehlte, lag diese Anschauung in der Tat im Wesen der Sache. – Die Abschwächungen der Lehre, welche die Praxis – z. B. Baxter – brachte, traten ihrem Wesen so lange nicht zu nahe, als der Gedanke des auf das konkrete Einzelindividuum bezüglichen Erwählungsentschlusses Gottes und dessen Erprobung nicht berührt wurde. – Vor allem sind endlich aber doch alle großen Gestalten des Puritanismus (im weitesten Sinne des Wortes) von dieser Lehre, deren finsterer Ernst ihre Jugendentwicklung beeinflußte, ausgegangen:

42  Die Aussage Webers entspricht dem Dekret über die Rechtfertigung der 6. Sessio des 13. Januar 1547 des Konzils von Trient (1545–1563), in dem die Anmaßung, mit Sicherheit zu behaupten, zu den Prädestinierten zu gehören (cap.   12; can.   15 [DH 1540; 1565]), verworfen wird. „Nemo, quamdiu in hac mortalitate vivitur .  .  . certo statuat, se omnio esse in numero praedestinatorum; .  .  . nam, nisi ex speciali revelatione, scire non potest, quos Deus sibi elegerit“. Zit. nach: Müller, E. F. Karl, Art. Präedestination. II. Kirchenlehre, in: RE3, 16. Band, 1904, S.  586–602, hier S.  597. Nach Müller bleibt die katholische Prädestinationslehre „grundsätzlich unentschieden“ (ebd.). Weber bezieht sich bei Adrian van Wyck, De Praedestinatione (nachweisbar ist nur der Druck Köln 1706), möglicherweise besonders auf die Erörterung des Satzes (p.  63– 65) „De illo: si non es praedestinatus, fac ut praedestineris“ (S.  63; fälschlich, auch nach Meinung van Wycks, Augustinus zugeschrieben; vgl. auch unten, S.  284, Fn.  45). Van Wyck lehnt die direkte Aussage des Satzes im Sinne des Tridentinum ab. – Der Satz S.  63 ist im Exemplar der UB Heidelberg mit einem lilafarbenen Stift markiert. Auch Weber benutzte einen solchen Stift. 43  Vgl. Hundeshagen, Beiträge I, S.  49 f., Anm.  1. 44  Vgl. Zeller, System Zwingli’s, S.  18 f.: „Die wesentliche religiöse Bedeutung dieser Lehre [.  .  .] liegt nicht in der Überzeugung von der Unbedingtheit des göttlichen Wirkens als solchen, sondern in dem Glauben an seine Unbedingtheit in seiner Richtung auf dieses bestimmte Subjekt, in jener persönlichen Gewißheit der Erwählung [.  .  .], und eben darauf beruht es auch, daß die theoretisch ganz richtigen Konsequenzen des Prädestinatianismus in Beziehung auf die Nutzlosigkeit und Gleichgültigkeit des eigenen Thuns den Reformirten nicht blos nicht stören, sondern gar nicht für ihn vorhanden sind. [.  .  .] die Erwählung ist hier nur die Unterlage für das praktische Verhalten des Frommen, der Mensch verzichtet nur desshalb im Dogma auf die Kraft und Freiheit seines Willens, um sie für das wirkliche Leben und Handeln von der Gottheit, an die er sich ihrer entäußert hat, als eine absolute, als die Kraft des göttlichen Geistes, als die unerschütterliche Selbstgewißheit des Erwählten zurückzuerhalten.“ (Zitiert auch bei Hundeshagen, Beiträge I, S.  49, Anm.  1.)

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Interessen des diesseitigen Lebens.23) Die eine Frage mußte ja alsbald für jeden einzelnen Gläubigen entstehen und alle anderen Interessen in den Hintergrund drängen: Bin ich denn erwählt? Und wie kann ich dieser Erwählung sicher werden?24) – Für Calvin selbst war dies kein Problem. Er fühlte sich als „Rüstzeug“45 und war seines Gnadenstandes sicher. Demgemäß hat er auf die Frage, wodurch der einzelne seiner eigenen Erwählungen gewiß werden könne, im Grunde genommen nur die Antwort, daß wir uns an der Kenntnis des Beschlusses Gottes und an dem durch den wahren Glauben bewirkten beharrlichen Zutrauen auf Christus begnügen lassen sollen.46 Er verwirft prinzipiell die Annahme, man könne bei anderen aus ihrem Verhalten erkennen,47 ob sie erwählt oder verworfen seien, als einen vermessenen Versuch, in die Geheimnisse Gottes einzudringen.48 Die Erwählten unterscheiden sich in diesem Leben äußerlich in nichts von den Verworfenen,25) und | auch Milton ebenso wie Baxter und noch Franklin.49 Ihre spätere Emanzipation von ihrer strikten Interpretation entspricht im einzelnen ganz der Entwicklung, welche die religiöse Bewegung als Ganzes durchmachte. 23)  Wie dies wiederum in so überwältigender Weise noch in Bunyan’s: The Pilgrim’s progress die Grundstimmung bildet. 24) Diese Frage schon lag dem Lutheraner der Epigonenzeit ferner als dem Calvinisten, nicht weil er sich weniger für sein Seelenheil interessiert hätte, sondern weil bei der Entwicklung, die das lutherische Kirchentum genommen hatte, der Heilsanstalts­ charakter der Kirche in den Vordergrund trat, der Einzelne sich als Objekt ihrer Tätigkeit fühlte. Erst der Pietismus erweckte – charakteristischerweise – auch im Luthertum das Problem. 25)  So ausdrücklich in dem Brief an Bucer Corp[us] Ref[ormatorum] 29, 883 f. Vgl. dazu wiederum Scheibe a. a. O. S.  30.50 | 45  Nach Apg 9,15; vgl. auch das Glossar, unten, S.  838. 46  Nach Scheibe, Calvins Prädestinationslehre, S.  9, war das Ziel der 1. Auflage von Calvin, Institutio (1536), die Unverlierbarkeit des Heils zu zeigen: „Die Gewißheit darüber jedoch, daß man erwählt sei, erlangt man nicht dadurch, daß man in den göttlichen Ratschluß einzudringen und zu ergründen sucht, wer erwählt und wer verworfen sei – das ist vielmehr ein gefährliches und vergebliches Beginnen –, sondern durch die gläubige Aufnahme Christi und seiner Botschaft und durch die Gemeinschaft mit ihm.“ Auch in der 3. Auflage der „Institutio“ (1559), vgl. Scheibe, ebd., S.  60–62. 47  Vgl. Scheibe, ebd., S.  8 und 30. 48  Vgl. Scheibe, ebd., S.  58 (bei Calvin, Inst. III,21,1 u. ö.). 49 Zu Miltons Prädestinationslehre vgl. oben, S.  254, Anm.  63; zu Baxter vgl. etwa Webers Bemerkung, unten, S.  366; zu Franklins religiöser Erziehung vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  150 mit Anm.  45. 50  Es handelt sich nicht um einen Brief Calvins an Martin Bucer: Weber entnimmt den Hinweis auf CR 29, Sp.  883 ff. (gemeint: Sp.  883–885): Scheibe, Calvins Prädestinationslehre, S.  30 f., Anm.  1. Scheibe zitiert dort eine Stelle aus der 2. Auflage von Calvin,

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alle subjektiven Erfahrungen der Erwählten sind – als „ludibria spiritus sancti“ – auch bei den Verworfenen möglich, mit einziger Ausnahme jenes „finaliter“ beharrenden gläubigen Vertrauens.51 Die Erwählten sind und bleiben also Gottes unsichtbare Kirche. Anders ganz naturgemäß die Epigonen – schon Beza52 – und vor allem die breite Schicht der Alltagsmenschen. Für sie mußte die „certitudo salutis“ im Sinn der Erkennbarkeit des Gnadenstandes zu absolut überragender Bedeutung aufsteigen, und so ist denn auch überall da, wo die Prädestinationslehre festgehalten wurde, die Frage nicht ausgeblieben, ob es sichere Merkmale gebe, an denen man die Zugehörigkeit zu den „electi“ erkennen könne. Nicht nur in der Entwicklung des auf dem Boden der reformierten Kirche zuerst erwachsenen Pietismus hat diese Frage dauernd eine zentrale Bedeutung gehabt, ist in gewissem Sinne für ihn geradezu konstitutiv gewesen, sondern wir werden später, wenn wir die politisch und sozial so weittragende Bedeutung der reformierten Abendmahlslehre und Abendmahlspraxis betrachten, noch davon zu reden haben,53 welche Rolle auch außerhalb des Pietismus die Feststellbarkeit des Gnadenstandes des einzelnen z. B. für die Frage seiner Zulassung zum Abendmahl, d. h. zu der zentralen, für die soziale Schätzung der Teilnehmer entscheidenden Kulthandlung, während des ganzen 17. Jahrhunderts gespielt hat. Es war zum mindesten, soweit die Frage des eigenen Gnadenstandes auftauchte, unmöglich, bei Calvins von der orthodoxen Institutio (1539), Kap.  14, VIII („De praedestinatione et providentia Dei“) (= CR 29, Sp.  883–885). Calvin, so Scheibe, hebe dort die „gleiche Unwürdigkeit und Verderbtheit aller“ scharf hervor. Damit vertrete er eine andere Auffassung als Martin Bucer, „wonach die electi bereits vor ihrer Berufung vermöge eines in ihnen keimenden semen electionis sich zur Furcht Gottes hingezogen fühlten“ (Scheibe verweist dazu auf zwei Stellen aus exegetischen Werken Bucers; der Bezug auf Bucer findet sich nicht bei Calvin, ebd.). 51 Fast wörtlich nach Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  53: „Bekanntlich setzt Calvin alle subjektiven Erfahrungen und Gefühle eines Wiedergebornen und Erwählten auch im Verworfenen als möglich, so daß sie sich unter Umständen durch ein gewisses ludibrium [Spiel, Ed.] spiritus sancti [.  .  .] für Erwählte halten können. Hienach kann die Unmittelbarkeit der innern Erfahrung [.  .  .] nie ein sicheres Merkmal davon sein, daß ich ein Erwählter, somit wahrhaft Gläubiger sei, da ich möglicherweise in meiner Glaubensstimmung und Glaubensbethätigung nicht beharre, sondern weiter nichts als einen Zeitglauben habe. Ich bin ein Erwählter, meine Gnadenempfindungen sind Wahrheit, mein Glaube ist der ächte, wenn ich finaliter beharre.“ 52  Zu Theodor Bezas Prädestinationsverständnis vgl. unten, S.  280 f., Fn.  35. 53  Das Thema wird von Weber unten, S.  309, Fn.  76, nur berührt. Weiterhin im vorliegenden Aufsatz nicht mehr thematisiert.

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Doktrin wenigstens im Prinzip nie förmlich aufgegebener26) Verweisung auf das Selbstzeugnis des beharrenden Glaubens, den die Gnade im Menschen wirkt, stehen zu bleiben.27) Vor allem | die Praxis der Seelsorge, welche auf Schritt und Tritt mit den durch die Lehre geschaffenen Qualen zu tun hatte, konnte es nicht. Sie fand sich mit diesen Schwierigkeiten in verschiedener Art ab.28) Soweit dabei nicht die Gnadenwahl uminterpretiert, gemildert und im

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26) S[iehe] z. B. Olevian, De substantia foederis gratuiti inter Deum et electos (1585) 257.54 – Heidegger, Corpus Theologiae XXIV, 87 f. und andere Stellen bei Heppe, Dogmatik der ev[angelisch-]ref[ormirten] Kirche (1861) p.  425.55 27)  Die genuine calvinistische Lehre verwies auf den Glauben und das Bewußtsein der Gemeinschaft mit Gott in den Sakramenten und erwähnte die „anderen Früchte des Geistes“ nur nebenher. S[iehe] die Stellen bei Heppe, Dogmatik d[er] ev[angelisch-] reform[irten] Kirche p.  425. Mit großem Nachdruck hat Calvin selbst die Werke, obwohl sie ihm, wie den Lutheranern, Früchte des Glaubens sind, als Merkmale der Geltung vor Gott abgelehnt (Instit[utio] III, 2, 37, 38).56 Die praktische Wendung zu der Bewährung des Glaubens in den Werken, welche eben die Askese charakterisiert, geht parallel mit der allmäligen Verwandlung der Lehre Calvins, wonach (wie bei Luther) in A 20 erster Linie reine Lehre und Sakramente die wahre Kirche kennzeichnen, zur | Gleichstellung der „disciplina“ als Merkmals mit jenen beiden.57 Diese Entwicklung mag man etwa in den Stellen bei Heppe a. a. O. p. a494/495a verfolgen, ebenso auch in der Art, wie schon Ende des 16. Jahrh[underts] in den Niederlanden die Gemeindemitgliedschaft erworben wurde (ausdrückliche vertragsmäßige Unterwerfung unter die Disziplin als centrale Bedingung).58 28)  S[iehe] darüber u. a. die Bemerkungen Schneckenburgers a. a. O. S.  48.59

a–a A: 194/195 54  Olevian, De substantia foederis II, p.  257. Bei Caspar Olevian gehört die certitudo salutis zu den wesentlichsten Eigenschaften des Glaubensbewußtseins: „Porro hinc primum videmus, quanta sit fidei certitudo, quae est velut essentialis eius proprietas. [.  .  .].“ Zitiert bei Heppe, Dogmatik, S.  424 f. 55 Zitate aus Johann Heinrich Heidegger, Corpus Theologiae Christianae, Locus XXIV, 87–90 und 94 (bei Heidegger, ebd., p.  416–419), bei Heppe, Dogmatik, S.  425. 56  Nachdem Calvin, Inst. III,2,37, über die Glaubenszuversicht bei Anfechtungen gehandelt hat, heißt es Inst. III,2,38 (Übersetzung Otto Weber): „Sollten wir nun freilich aus unseren Werken entnehmen, wie der Herr gegen uns gesinnt sei, so würden wir es allerdings nicht einmal mit der leisesten Vermutung feststellen können!“ 57  Bei Calvin (Inst. IV,1,10) gibt es zwei Merkmale der wahren Kirche (notae ecclesiae): „Symbola ecclesiae dignoscendae verbi praedicationem sacramentorumque observationem posuimus.“ Bei den von Heppe, Dogmatik, S.  494 f., zitierten reformierten Dogmatikern des 16.–18. Jahrhunderts tritt zunehmend zur Lehre (doctrina) und zum stiftungsgemäßen Sakramentsgebrauch die Disziplin (disciplina) hinzu. 58  Vgl. unten, S.  349 f., Fn.  126. 59  Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, berichtet S.  48 über „zweierlei Erfahrungen“ der reformierten Seelsorge: Gegenüber den Gewissenhaften, die um die Unzulänglichkeit ihres „studium obedientiae“ gegenüber der göttlichen Norm wüßten,

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Grunde aufgegeben wurde29), treten namentlich zwei miteinander verknüpfte Typen seelsorgerischer Ratschläge als charakteristisch hervor. Es wird einerseits schlechthin zur Pflicht gemacht, sich für erwählt zu halten, und jeden Zweifel als Anfechtung des Teufels abzuweisen,30) da ja mangelnde Selbstgewißheit Folge unzulänglichen Glauben, also unzulänglicher Wirkung der Gnade sei. Die Mahnung des Apostels zum „Festmachen“60 der eigenen Berufung wird also hier als Pflicht, im täglichen Kampf sich die subjektive Gewißheit der eigenen Erwähltheit und Rechtfertigung zu erringen, gedeutet. An Stelle der demütigen Sünder, denen Luther, wenn sie in reuigem Glauben sich Gott anvertrauen, die Gnade 29)  So tritt bei Baxter z. B. der Unterschied zwischen „mortal“ und „venial sin“ wieder – ganz in katholischer Art – hervor.61 Erstere ist Zeichen fehlenden bzw. nicht aktuellen Gnadenstandes, und nur eine „conversion“ des ganzen Menschen kann alsdann die Gewähr seines Besitzes geben. Letztere ist mit dem Gnadenstand nicht unvereinbar. 30)  So – in mannigfacher Abschattierung – Baxter, Bailey, Sedgwick, Hoornbeek. S[iehe] ferner die Beispiele bei Schneckenburger a. a. O. S.  262.62

so daß sich keine „Freudigkeit der Zuversicht“ einstellen könne, verweise die Seelenleitung darauf, „daß man doch das Verlangen, den Wunsch nach dem rechten Studium, der rechten Liebe habe“. 2. Die „Sitte der Tagebücher“ wende man bei jenen an, die sich mit „ihrem im Allgemeinen guten Willen“ selbst trösteten – wobei „das beständige in sich Herumwühlen, um Zeichen der gewünschten Art aus sich herauszupressen [.  .  .] nur das Gefühl der Krankheit, hiemit der höchsten Unbefriedigung zurücklassen“ könne. 60  Weber bezieht sich auf 2 Petr 1,10 [1892]: „Darum, lieben Brüder, thut desto mehr Fleiß, euren Beruf und Erwählung fest zu machen; denn wo ihr solches thut, werdet ihr nicht straucheln.“ 61  Vgl. Baxter, Christian Directory I, chap. VII. „Directions for the Government of the Passions“ (p.  274–301), Tit. 10 „Directions against sinful Despair (and Doubting)“, Direction 7. „Understand well the difference between mortal sins and Infirmities, that you may not think that every sin is a sign of death or gracelessness [.  .  .].“ Darin heißt es p.  299: „[.  .  .] yet the distinction between Mortal and Venial sin, is of very great necessity: that is, between sins which prove a man in a state of death, or unjustified, and sins which consist with a state of Grace and justification: between sins which the Gospel pardoneth not, and those which it pardoneth, that is, all that stand with true Repentance. [.  .  .] It is of great use to the peace of our Consciences to discern the difference between these two, for one sort require a Conversion to another state, and the other require but a particular repentance [.  .  .].“ 62  Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  262, faßt die Beispiele zusammen: „Kurz, es läuft am Ende Alles darauf hinaus, nie den Gedanken aufkommen zu lassen, daß man verworfen, sondern durch sein Verhalten immer wieder zu erproben, ob man nicht doch ein Erwählter sei, immer so zu leben, als ob man es wirklich sei, und zu dem Ende auch zu glauben, daß man es sei [.  .  .].“

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verheißt, werden jene selbstgewissen „Heiligen“ gezüchtet, die wir in den stahlharten puri­tanischen Kaufleuten jenes heroischen Zeitalters des Kapitalismus und in einzelnen Exemplaren bis in die Gegenwart wiederfinden. Und andererseits wurde, um jene Selbstgewißheit zu erlangen, als hervorragendstes Mittel rastlose Berufsarbeit eingeschärft.31) Sie und sie allein verscheuche den religiösen Zweifel und gebe die Sicherheit des Gnadenstandes. Daß die weltliche Berufsarbeit zu dieser Leistung für fähig gilt, hat nun aber seinen Grund in tiefliegenden Eigentümlich|keiten des in der reformierten Kirche gepflegten religiösen Empfindens, welche in ihrem Gegensatz gegen das Luthertum am deutlichsten in der Lehre von der Natur des rechtfertigenden Glaubens zutage treten. Diese Unterschiede sind in Schneckenburgers schönem Vorlesungszyklus32) so fein und mit einer solchen Zurückstellung aller Werturteile rein sachlich analysiert, daß die nachfolgenden kurzen Bemerkungen im wesentlichen einfach an seine Darstellung anknüpfen können. Das höchste religiöse Erlebnis, welchem die lutherische Frömmigkeit, wie sie sich im Verlauf namentlich des 17. Jahrhunderts entwickelte, zustrebt, ist die „Unio mystica“ mit der Gottheit.33) |

31)  So – wie später zu erörtern sein wird63 – in zahllosen Stellen des Baxterschen Christian Directory und in dessen Schlußpassus.64 | 32) Um den Titel nochmals zu wiederholen: Vergleichende Darstellung des lutheriA 21 schen und reformierten Lehrbegriffs, herausg[egeben] von Güder Stuttgartb 1855.65 – An seine Gesichtspunkte knüpft auch die sehr durchsichtig geschriebene Skizze Lobsteins in der Festgabe für H[einrich] Holtzmann an, die zum Folgenden ebenfalls zu vergleichen ist.66 Man hat ihr die zu scharfe Betonung des Leitmotives der „certitudo salutis“ vorgeworfen. Allein hier ist eben Calvins Theologie von dem Calvinismus und das theologische System von den Bedürfnissen der Seelsorge zu unterscheiden. Von der Frage „wie kann ich meiner Seligkeit gewiß werden?“ gingen alle religiösen Bewegungen aus, welche breitere Schichten erfaßten. 33)  Es ist allerdings wohl nicht zu leugnen, daß die Vollentwicklung dieses Begriffes erst in spätlutherischer Zeit (Praetorius, Nicolai, Meisner) erfolgt ist. (Vorhanden ist er auch bei Johannes Gerhard[,] und zwar ganz in dem hier erörterten Sinne.)67 Ritschl im

b A: Stassfurt 63  Siehe unten, S.  374 ff. 64  Zum Schlußpassus von Baxter, Christian Directory IV, vgl. unten, S.  283, Anm.  4. 65  Vgl. Matthias Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, II. 66  Gemeint ist: Lobstein, Evangelisches Lebensideal. 67  Zum Begriff „unio mystica“ bei Stephan Praetorius, Philipp Nicolai und Balthasar

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Wie schon die Bezeichnung, die in dieser Fassung der reformierten vierten Buch seiner „Geschichte des Pietismus“ (Bd.  II S.  3 f.)68 nimmt daher die Einführung dieses Begriffs in die lutherische Religiosität als Wiederaufleben bzw. Übernahme katholischer Frömmigkeit in Anspruch. Er bestreitet nicht (S.  10),69 daß das Problem der individuellen Heilsgewißheit bei Luther und den katholischen Mystikern das gleiche gewesen sei, glaubt aber, daß die Lösung auf beiden Seiten die gerade entgegengesetzte sei. Ich darf mir sicherlich kein eignes Urteil darüber zutrauen. Daß die Luft, welche in der „Freiheit eines Christenmenschen“ weht,70 eine andere ist, als das süßliche Tändeln mit dem „lieben Jesulein“ in der späteren Literatur, und auch als Taulers religiöse Stimmung, empfindet natürlich jeder. Und ebenso hat das Festhalten des mystisch-magischen Elementes in der lutherischen Abendmahlslehre71 gewiß andere religiöse Motive als jene „bernhardinische“ Frömmigkeit – die „Hohe-Lied-Stimmung“ –, auf welche Ritschl immer wieder als Quelle der Züchtung des „bräutlichen“ Verkehrs mit Christus zurückgreift.72 Aber sollte nicht dennoch u. a. auch jene Abendmahlslehre das Wiedererwachen mystischer Stimmungsreligiosität mitbedingt haben?

Meisner vgl. Ritschl, Pietismus II, S.  12–32 (vgl. auch die folgende Anm.). Johann Gerhard kennt hierfür die „spiritualis unio“, „gratiosa Dei inhabitatio“ u. a., so Hoennicke, Studien (von Weber zitiert unten, S.  304, Fn.  74), S.  70–72. 68 Das vierte Buch trägt die Überschrift: „Mystik in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts“, in: Ritschl, Pietismus II, S.  1–93. Im Kapitel über die „Herkunft der Lehre von der mystischen Vereinigung mit Christus in der jüngern lutherischen Theologie“ (S.  3–32) stellt er dar, wie sich die bei Luther und in der Confessio Augustana (Art.  XVI) mit der Rechtfertigungslehre verbindende Lehre von der christlichen Vollkommenheit zunehmend von ersterer löse und sich mit der Rezeption mittelalterlicher mystischer Tradition auf den Begriff „unio mystica“ zubewege. 69  „Die Bereitwilligkeit der Lutheraner, auf die mittelaltrige Mystik einzugehen, ist im Ganzen daraus zu erklären, daß das Problem der individuellen Heilsgewißheit in der Mystik wie bei dem Reformator Luther dasselbe ist. [.  .  .] Die Mystik stützt sich ebenso bestimmt auf die Gnade Gottes, wie es das Lutherthum thut, und die Verneinung des eigenen Willens, welche die Mystik vorschreibt, ist wörtlich im Einklang mit dem lutherischen Lehrsatze von der Unfreiheit des Willens. Aber der Sinn dieser Combination ist auf beiden Seiten verschieden“, so Ritschl, Pietismus II, S.  10, wobei beide in der „Anschauung der christlichen Freiheit“ gipfelten. 70  Zu Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  191–193 mit Fn.  43. 71  Luther wandte sich zwar gegen die römische Lehre von der Transsubstantiation, der Wandlung der Substanzen Brot und Wein in Leib und Blut Christi, hielt aber, in Absetzung von einem symbolischen Verständnis, an der leiblichen Realpräsenz Christi im Abendmahl fest. Realpräsent werde Christus durch die Verheißungsworte (Abendmahls- oder Einsetzungsworte), indem er sich selbst unter den Zeichen Brot und Wein schenke. Seine Gabe sei das Verdienst seines Kreuzestodes, die Sündenvergebung, die den Gläubigen mit dem Sakramentsempfang zum Heil gereiche. Vgl. auch Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  192: nach der lutherischen Abendmahlsauffassung werde die Anteilhabe (oder: unio) am realen Gottmenschen vermittelt. 72  Bezug: Ritschl, Pietismus I, S.  46–61. – Bernhard von Clairvaux verfaßte 86 „Sermones super Cantica canticorum“ (Predigten über das „Hohelied“ des AT). Indem er ihm die Deutung eines Liebeslieds zwischen Christus und Seele, himmlischem Bräuti-

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Lehre unbekannt ist, andeutet, handelt es sich um ein substantielles Gottesgefühl, die Empfindung eines realen Eingehens des Göttlichen in die gläubige Seele,73 welches qualitativ mit den Wirkungen der Kontemplation der deutschen Mystiker gleichartig ist, und durch seinen passiven, auf die Erfüllung der Sehnsucht nach Ruhe in Gott ausgerichteten Charakter und seine rein stimmungsmäßige Innerlichkeit gekennzeichnet ist. Es ist im Luthertum kombiniert mit jenem tiefen Gefühl erbsündlicher Unwürdigkeit, welches die auf Erhaltung der für die Sündenvergebung unentbehrlichen Demut und Einfalt gerichtete „poenitentia quotidiana“ des lutheEs ist keinesfalls zutreffend, daß (S.  11 a. a. O.)74 die Freiheit des Mystikers schlechthin in der Abgezogenheit vonc der Welt bestanden habe. Speziell Tauler hat in religionspsychologisch sehr interessanten Ausführungen als praktischen Effekt jener nächtlichen A 22 Kontemplationen, die er u. a. bei Schlaflosigkeit empfiehlt, die Ord|nung, welche dadurch auch in die der weltlichen Berufsarbeit zugewandten Gedanken gebracht werde, hingestellt: „Nur hierdurch (durch die mystische Vereinigung mit Gott in der Nacht vor dem Schlafen) wird die Vernunft geläutert und das Hirn wird dadurch gestärkt und der Mensch allen den Tag desto friedlicher und göttlicher gefaßt von der innerlichen Übung, daß er sich wahrlich mit Gott vereint hat: dann werden alle seine Werke geordnet. Und darum wenn der Mensch sich also vorgewarnet (= vorbereitet) hat seiner Werk und sich also auf die Tugend hat gestiftet, – wenn esd dann zu der Wirklichkeit

c A: vor  d  A: er   gam und irdischer Braut gab, griff er eine mystische Auslegung des biblischen Buches auf. Seine Christus- und Brautmystik wurde einflußreich. Auch Luther gebrauchte das Bild von der Verlobung oder der Ehe zur Veranschaulichung des Rechtfertigungsgedankens (Bild des „fröhlichen Wechsels“: Übernahme der Sünden durch Christus – Gabe Christi Gerechtigkeit als Heilsgut an den Gläubigen). 73  Nach Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, §  11. „Die realen innern Potenzen des christlichen Lebens. Lehre von der mystischen Inwohnung“, S.  182–225, hier bes. S.  184–188. – Die reformierte Lehre kenne die Bezeichnung nicht, weil sie wegen des „finitum non est capax infiniti“ (vgl. unten, S.  279, Anm.  76) keine essen­ tielle, sondern eine operative Inwohnung des Göttlichen im Menschlichen annehme (S.  206), so auch Webers Argumentation nach Schneckenburger im Fortgang. Schneckenburger hebt aber zugleich hervor, daß „das mystische Verhältniss [.  .  .] die stillschweigend vorausgesetzte Grundanschauung für alle Glaubenssprüche der [reformierten] Dogmatik“ sei. Dies zeige sich auch in der Bezeichnung der Kirche als „unio cum Christo“ oder „[Christus] mysticus“ (Zitate S.  194; vgl. auch das Calvin-Zitat, oben, S.  266, Anm.  18). 74  Weber bezieht sich auf Ritschl, Pietismus II, S.  11: „Die Freiheit ist nach Luther die geistige Beherrschung der Welt, welche aus der Versöhnung mit Gott oder der Rechtfertigung durch Christus dem Gläubigen zusteht [.  .  .]. Die Freiheit des Mystikers ist die Abgezogenheit von der Welt, welche seiner Vereinigung mit Gott entspricht; denn Gott ist eigentlich nur die Verneinung der Welt“ und werde durch diätetische und asketische Übungen erworben.

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rischen Gläubigen sorgsam bewahren soll.75 Die spezifisch reformierte Religiosität nun kennt diese rein nach innen gerichtete Stimmungsfrömmigkeit von Anfang an nicht. Das reale Eingehen des Göttlichen in die Menschenseele ist durch die absolute Tran­ scendenz Gottes gegenüber allem Kreatürlichen ausgeschlossen: „finitum non est capax infiniti“.76 Die Gemeinschaft Gottes mit seinen Begnadeten kann vielmehr nur so stattfinden und zum Bewußtsein kommen, daß Gott in ihnen wirkt („operatur“) und daß sie sich dessen bewußt werden, – daß also ihr Handeln aus dem durch Gottes Gnade gewirkten Glauben entspringt und dieser Glaube wiederum sich durch die Qualität jenes Handelns als von Gott gewirkt legitimiert. „Sola fide“ will auch der Reformierte selig werden,77 aber da schon nach Calvins Ansicht alle bloßen Gefühle und Stimmungen, mögen sie noch so erhaben zu sein scheinen, trügerisch sind,34) 78 muß der Glaube sich in seinen objekkommt, so werden die Werke tugendlich und göttlich.“ (Predigten Fol.  318.)e 79 Man sieht jedenfalls: mystische Kontemplation und rationale Berufsaskese schließen sich nicht aus. Das Gegenteil tritt erst da ein, wo die Religiosität direkt hysterischen Charakter annimmt, was weder bei allen Mystikern noch gar bei allen Pietisten der Fall war. 34)  In dieser Voraussetzung berührt sich der Calvinismus mit dem Katholizis|mus. A 23 Aber für die Katholiken ergibt sich daraus die Notwendigkeit des Bußsakramentes, für die Reformierten die der praktischen Bewährung durch Wirken innerhalb der Welt.80 e  A: 318). 75  Vgl. Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  188–190, über die tägliche Buße („poenitentia quotidiana“) S.  189. 76  Die von Weber zitierte Formel auch bei Schneckenburger, ebd., S.  206. Lobstein, Evangelisches Lebensideal, S.  165 f., erläutert: „finitum capax infiniti (non per se, sed per Christum)“ sei das lutherische Postulat, „welchem nur die vollkommene Durchdringung des Menschlichen und des Göttlichen, die reale Versöhnung des irdisch Kreatürlichen und des Himmlischen und Ewigen genügen kann“ (S.  165), während „finitum non est capax infiniti “ Ausdruck des reformierten Glaubens sei, „welcher nur in der unbedingten Erhabenheit Gottes über die Welt die Bürgschaft seiner absoluten Gewißheit finden kann. Die reformierte Konfession vertritt den Standpunkt der religiösen Transcendenz“ (S.  166). 77  Vgl. Schneckenburger, ebd., S.  206 f. 78  Vgl. dazu oben, S.  272 f. 79  Tauler, Predigten, Basler Ausg. 1521, fol.  161r-163r, Zitat fol.  162r, das Weber zieme  lich wortgetreu wiedergibt, Ausnahme: bei Tauler: „fridlicher vnd gutlicher gefasset“, o d. h. gütlicher, nicht: „göttlicher“ (so Weber); und „wenn es denn zu der wircklichkeit kompt“. – Auf dieselbe Predigt hat Weber bereits in Protestantische Ethik I, oben, S.  208 mit Fn.  61, Bezug genommen. (Webers Angabe „Fol.  318“ konnte hingegen in keiner der verbreiteten Ausgaben der Predigten Taulers verifiziert werden.) 80  Vgl. Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  267.

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tiven | Wirkungen bewähren,81 um der certitudo salutis als sichere Unterlage dienen zu können:82 er muß eine „fides efficax“ sein.35) 83 35)  S[iehe] z. B. schon Beza: (De praedestinat[ionis] doct[rina] ex praelect[ionibus] in Rom[anos] 9. a Raph[aele] Eglino exc[epta] 1584) p.  133:84 .  .  . „sicut ex operibus vere bonis ad sanctificationis donum, a sanctificatione ad fidem .  .  . ascendimus: ita ex certis illis effectis non quamvis vocationemf, sed efficacem illam, et ex hac vocatione electionem et ex electione demumg praedestinationemh in Christo tam firmam quam immotus est Dei thronus certissima connexione effectorum et causarum colligimus .  .  .“ Nur bezüglich der Zeichen der Verwerfung müsse man, da es auf den Finalzustand ankomme, vorsichtig sein. (Hierin dachte erst der Puritanismus anders.) – S[iehe] ferner darüber die eingehenden Erörterungen Schneckenburgers a. a. O.,85 der freilich nur eine begrenzte Kategorie von Literatur zitiert. In der ganzen puritanischen Literatur tritt dieser Zug immer wieder hervor. „It will not be said: did you believe? – but: were you Doers, or Talkers only?“ sagt Bunyan.86 Der Glaube ist nach Baxter (The saints’ everlasting rest Kap. XII),87 der die mildeste Form der Prädestination lehrt, die Unterwer-

f A: vocationen  g  A: donum  h  A: praedestinationis 81  Vgl. Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  48 f., der dort den grundlegenden Unterschied von lutherischem Glauben („unmittelbare Selbstgewißheit“) und reformiertem Glauben („Habitus“, „Qualität“; Selbstgewißheit entstehe erst durch die Reflexion auf die Werke) thematisiert. „Ist diese unmittelbare Selbstgewißheit des Glaubens [des Lutheraners], welche wie alles Unmittelbare eine Gefühlsgewißheit sein muß, nicht in viel höherem Grade den Täuschungen der Eigenliebe, dem Betruge der schwelgenden Phantasie ausgesetzt? [.  .  .] Wo ist das Criterium, das mir [dem Reformierten] Gewißheit gibt [.  .  .]? Es gibt kein anderes als das der realen Bethätigung dieses Glaubens, der Auswirkung meines Glaubens in meinem praktischen Verhalten.“ 82  Vgl. Schneckenburger, ebd., S.  271 f. „Es ist die certitudo salutis also eine reflektirte Gewißheit: weil ich in mir Spuren finde vom Beginn des ewigen Lebens, nämlich in meinem nicht bloß receptiven, sondern eben praktischen Verhalten, so darf ich auf seine Vollendung, die endliche Seligkeit hoffen.“ 83  Vgl. Schneckenburger, ebd., §  3. „Die guten Werke im Zusammenhange mit der subjektiven Glaubensgewißheit“, S.  38–74, Zitat S.  41: „Nun aber daß ich glaube, bedarf selbst wieder des Beweises, da die bloße Wahrnehmung einer Glaubensstimmung ja auf Täuschung beruhen könnte. [.  .  .] der wahre Glaube ist efficax [wirksam, Ed.]; der meinige erweißt sich als ein solcher, denn ich übe Werke des Gehorsams aus Glauben; folglich habe ich den wahren Glauben und ich bin gerechtfertigt.“ (Eingegangen in den Heidelberger Katechismus, Frage 86, vgl. ebd., S.  39.) 84 Beza, De praedestinationis doctrina (erschienen 1582, nicht 1584), p.  133. Das Exemplar der UB Heidelberg enthält Markierungen mit einem lilafarbenen Stift, eine Stiftart, die auch Weber öfters verwendete, so im Kontext ebd., p.  134 f. u. ö. 85  Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I (siehe oben, S.  276, Fn.  32). 86  Bunyan, Pilgrim’s Progress, p.  85, dort mit Bezug auf das apokalyptische Gericht: „[.  .  .] and let us assure ourselves, that at the day of Doom, men shall be judged according to their Fruit: It will not be said then, Did you believe? But were you Doers, or Talkers only? And accordingly shall they be judged.“ 87  Im angegebenen Kapitel in der von Benjamin Fawcett gekürzten Fassung von Bax-

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Stellt man nun weiter die Frage, an welchen Früchten der Reformierte denn den rechten Glauben unzweifelhaft zu erkennen vermöge, so wird wiederum geantwortet: an einer Lebensführung des Christen, die zur Mehrung von Gottes Ruhm dient. Was dazu dient, ist aus seinem, direkt in der Bibel offenbarten oder indirekt aus den von ihm geschaffenen zweckvollen Ordnungen der Welt (lex naturae)36) ersichtlichen, Willen zu entnehmen. Speziell durch Vergleichung des eigenen Seelenzustandes mit dem, welcher nach der Bibel den Erwählten, z. B. den Erzvätern eignete, kann man seinen eigenen Gnadenstand kontrollieren.37) Nur ein Erwählter hat wirklich die fides efficax, nur er ist fähig, vermöge der Wieder|geburti (regeneratio) und der aus dieser folgenden Heiligung (sanctificatio) seines ganzen Lebens Gottes Ruhm durch wirklich, nicht nur scheinbar, gute Werke zu mehren. Und indem er sich dessen bewußt ist, daß sein Wandel – wenigstens dem Grundcharakter und konfung unter Christus von Herzen und mit der Tat. „Do what you are able first, and then complain of God for denying you grace if you have cause“ antwortete er auf den Einwand, daß der Wille unfrei und Gott allein es sei, der die Fähigkeit zur Heiligung vorenthalte. (Works of the Puritan Divines IV. p.  155.)88 Nicht anders Howe in der anderwärts (Anm.  65)89 zitierten Stelle. Jede Durchmusterung der Works of the Puritan Divines ergibt auf Schritt und Tritt Belege. Nicht selten sind es direkt katholische asketische Schriften, welche die „Bekehrung“ zum Puritanismus zur Folge hatten, – so bei Baxter ein jesuitischer Traktat.90 36)  Über die Bedeutung dieser für den materiellen Inhalt der sozialen Ethik wurde schon oben (S.  266–269) einiges angedeutet. Vorerst kommt es uns nicht auf den Inhalt, sondern auf den Antrieb zum sittlichen Handeln an. 37)  Wie diese Vorstellung das Eindringen alttestamentlich-jüdischen Geistes in den Puritanismus befördern mußte, liegt auf der Hand. |

i  A: Widergeburt ter, Saints’ Everlasting Rest, so nicht zu finden (die in den „Practical Works“ XXII und XXIII enthaltene Langfassung hat kein Kapitel XII). Unter der Überschrift zu Kapitel XII. „Directions how to lead a heavenly life upon earth“ (p.  203–225) werden die Hindernisse und Pflichten beschrieben, die es im Hinblick auf den Genuß des himmlischen Lebens zu überwinden bzw. zu befolgen gilt. Darin heißt es z. B.: „Will thy heart get upwards, except thou drive it? Thou knowest that heaven is all thy hopes [.  .  .]“ (p.  212), und: „I know, so far as you are spiritual, you need not all this striving and violence; but in part you are carnal, and as long as it is so, there is need of labour“ (p.  213). 88 Zitat aus Baxters Schrift „A Call to the Unconverted to Turn and Live“ (Baxter, Works of the English Puritan Divines IV, p.  41–195), p.  155. 89  Unten, S.  297. 90  Es handelt sich um das „Booke of Christian Exercise appertaining to Resolution“, verfaßt von dem Jesuiten Robert Parsons, in einer Überarbeitung des Puritaners Ed-

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stanten Vorsatz (propositum oboedientiae) nach91 – auf einer in ihm lebenden Kraft38) zur Mehrung des Ruhmes Gottes ruht, also gottgewollt und vor allem gottgewirkt ist,39) erlangt er jenes höchste A 24

38) „A principle of goodness“ , Charnock in den Works of the Pur[itan] Div[ines] [] p.  175.92 39)  Die Bekehrung ist, wie Sedgwick gelegentlich es ausdrückt, eine „gleichlautende Abschrift des Gnadenwahldekretes“.93 – Und: wer erwählt ist, der ist auch zum Gehorsam berufen und befähigt, lehrt Bailey.1 – Nur diejenigen, welche Gott zum (im Wandel zum Ausdruck kommenden) Glauben beruft, sind wirkliche Gläubige, nicht bloße „temporary believers“[,] lehrt die (baptistische) Hanserd Knollys confession.2

mund Bunny (1585), das Baxter mit 15 Jahren las. Darüber berichtet Jenkyn, Essay on Baxter’s Life (Baxter, Works of the English Puritan Divines IV), p. iv. 91  Vgl. Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  53, dort auch „propositum obedientiae“; und S.  272. 92  Stephen Charnock, Self-Examination (Charnock, Works of the English Puritan Divines VI, 159–180), hier p.  175: „But we must judge ourselves by what we are in our retirements, in our hearts. He only is a good man, and doth good, that doth it from a principle of goodness within, and not from fear of laws, or to gain a good opinion in the world.“ 93 Das Zitat entstammt Obadiah Sedgwick, Buß- und Gnaden-Lehre, S.  877: „Die wahre Bekehrung ist eine gewisse Wirckung der Gnadenwahl GOttes. Ob schon die Bekehrung keine Ursach der Erwehlung/ so ist sie doch eine Frucht der Erwehlung/ sie ist eine wahre gleichlautende Abschrifft der Gnadenwahl.“ 1  Weber bezieht sich auf Bayli, Praxis pietatis I, S.  113: „Aber man muß hergegen wissen, daß GOttes Versehung sowohl auf die Mittel und den Weg, dadurch man zum e  Zweck, das ist, zur Seligkeit kommet, als auf den Zweck selbsten gerichtet sey. Welchen nun GOTT zur Seligkeit, welches das Ende ist, versehen hat, den hat er auch e  versehen, und verordnet das, daß er beruffen, und daß er dem gottlichen Beruff folgen werde, welches das Mittel ist. Und die, so erwehlet sind zur Seligkeit (sagt S. Petrus) die sind auch erwehlet, das ist, kräfftiglich und fruchtbarlich beruffen, durch die Heiligung des Geistes zum Gehorsam.“ 2  In der calvinistisch-baptistischen Confession of Faith (London 1688, 1689 von der General Assembly sanktioniert und von Hanserd Knollys an erster Stelle unterzeichnet; zum Bekenntnis vgl. das Glossar, unten, S.  830) heißt es in Kapitel XIV („Of saving faith“): „The grace of faith, whereby the elect are enabled to believe to the saving of their souls, is the work of the Spirit of Christ; [.  .  .]. [.  .  .] This faith, although it be different in degrees, and may be weak [.  .  .], or strong, yet it is in the least degree of it different in the kind, or nature of it (as is all other saving grace) from the faith [.  .  .] and common grace of temporary believers; and therefore though it may be many times assailed, and weakened, yet it gets [.  .  .] the victory, growing up in many, to the attainment of a full [.  .  .] assurance through Christ [.  .  .].“ Zitiert nach: Underhill, Confessions of Faith, das Bekenntnis p.  169–230, Zitat p.  201 f.

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Gut, nach dem diese Religiosität strebte, die Gnadengewißheit.40) Daß sie zu erlangen sei, wurde aus 2. Kor. 13, 53 erhärtet.41) So absolut ungeeignet also gute Werke sind, als Mittel zur Erlangung der Seligkeit zu dienen – denn auch der Erwählte bleibt Kreatur, und alles was er tut, bleibt in unendlichem Abstand hinter Gottes Anforderungen zurück, – so unentbehrlich sind sie als Zeichen der Man vergleiche etwa den Schluß von Baxter’s Christian Directory.4 z. B. bei Charnock, Self-examination p.  163k,5 zur Widerlegung der katholischen Doktrin von der „dubitatio“.6 40) 

41)  So

k A: 183 3 2 Kor 13,5 [1892]: „Versuchet euch selbst, ob ihr im Glauben seid; prüfet euch selbst. Oder erkennet ihr euch selbst nicht, daß Jesus Christus in euch ist? Es sei denn, daß ihr untüchtig seid.“ 4  Vgl. Baxter, Christian Directory IV, chap.  XXXIV. „Cases and Directions about Selfjudging“ (p.  274–276), Tit. 3, Direction 28: „Spend much more time in doing your duty, than in trying your estate: Be not so much in asking, How shall I know that I shall be saved? as in asking, What shall I do to be saved? [.  .  .] Give up your selves to a Holy Heavenly life, and do all the good that you are able in the World: Seek after God as revealed in and by our Redeemer: And in thus doing, 1. Grace will become more notable and discernable. 2. Conscience will be less accusing and condemning [.  .  .]. Even so a serious holy person, hath more sensible pleasures in the right exercise of Faith and Love, and Holiness, in Prayer and Meditation, and converse with God and with the Heavenly hosts, than the bare discerning of sincerity can afford. [.  .  .] And he [.  .  .] shall know by experience the excellencies of Christianity and Holiness, and in his way on Earth, have both a prospect of Heaven, and a forestate of the Everlasting Rest and Pleasures“ (Zitat p.  276). 5 Charnock, Self-Examination (Charnock, Works of the English Puritan Divines VI), p.  161–163 (Auslegung von 2 Kor 13,5). „The Protestants confirm the doctrine of the possibility of assurance, and a man’s knowledge of himself to be in a state of grace from this text, which doctrine the papists impugn. It is strange, that some of the schoolmen, who assert that a man may by the strength of pure naturals, love God above all things, yet deny that a man can know that he loves God above all“ (p.  163). 6  Nach Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  267, bedeutet die „katholische dubitatio“ (Bezug ist das Dekret über die Rechtfertigung der 6. Sessio des Tridentinum, cap.  9; DH 1534) trotz Versicherung der Gewißheit des Seligwerdens für alle, die in der Kirche sind, zum Sakrament und zur Beichte gehen, „immer eine Ungewissheit, welche bloss Hoffnung zulässt und die darin besteht, dass es sich eben frägt, ob das Subjekt von seiner Seite Alles gethan habe, um die rechte Disposition zum Busssakramente in sich zu erwecken, mithin die Vergebung der Todsünden und damit die Befreiung von der Hölle wirklich zu erlangen. Es ist eine Unsicherheit des Subjekts als solchen, dem zuletzt doch nur die allgemeine Gnadengarantie der Kirche übrig bleibt.“ Dagegen setzte der Protestantismus das Bewußtsein der Seligkeit „gleichsam als primus gradus glorificationis schon in das diesseitige Glaubensleben [.  .  .], eben weil es nicht die eigenen genugthuenden und verdienstlichen Thaten sind,

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Erwählung.42) In diesem Sinn werden sie gelegentlich direkt als „zur Seligkeit unentbehrlich“ bezeichnet43) oder die „possessio salutis“ an sie geknüpft.44) 7 Das bedeutet nun aber praktisch, im Grunde, daß Gott dem hilft, der sich selber hilft,45) daß also der Calvinist, wie es auch gelegentlich ausgedrückt wird, seine Seligkeit – korrekt müßte es heißen: die Gewißheit von derselben – selbst „schafft“,46) daß aber dieses | Schaffen nicht wie im Katholizismus 42)  Diese Argumentation kehrt z. B. bei Joh[annes] Hoornbeek, Theologia practica immer wieder, z. B. II p.  70, 72, 182 I p.  160.8 43)  Z. B. sagt Conf[essio] Helvet[ica] 16 „et improprie his (den Werken) salus adtribuitur“[.]9 44)  S[iehe] zu allem Vorstehenden Schneckenburger p.  80 f.10 45)  „Si non es praedestinatus fac ut praedestineris“ sollte angeblich schon Augustin gesagt haben.11 46)  Man wird an Goethes dem Wesen nach gleichbedeutenden Spruch erinnert: „Wie kann man sich selbst kennen lernen? Durch Betrachten niemals, wohl aber durch Handeln. Versuche, deine Pflicht zu tun, und du weißt gleich, was an dir ist. – Was aber ist deine Pflicht? Die Forderung des Tages.“12 |

sondern die Gnade Gottes in Christo, glaubig angeeignet, was die Seligkeit oder doch das Recht der Seligkeit verschafft“. 7  „So sind also gute Werke zwar nicht nöthig zum Anfange der Seligkeit, ad apprehendendam salutem, ad aquirendum jus salutis, d. h. zur Justification, wohl aber zur Vollendung derselben, zur wirklichen possesio des ewigen Lebens.“ Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  78 f. 8  Vgl. Hoornbeek, Theologia practica II, p.  70, 72, 182, und Hoornbeek, Theologia practica I, p.  160. 9  Weber zitiert aus der Confessio helvetica posterior von 1562 (dt., „[so] wird die Seligkeit nur im uneigentlichen Sinn [improprie] mit ihnen [d. h. den Werken] in Verbindung gebracht“, dort fortgesetzt: „ganz eigentlich wird sie nur der Gnade zugeschrieben“). Das Gemeinte erhellt aus dem Kontext bei Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  77 f.: „Sehr vorsichtig und milde spricht sich die Conf. Helv. 16 aus: non sentimus per bona opera nos servari, illaque ad salutem ita esse necessaria, ut absque illis nemo unquam sit servatus. Vielmehr ist es allein die Gnade und Wohlthat Christi, durch welche wir selig werden. Allein die Werke erzeugen sich mit Nothwendigkeit aus dem Glauben, ac improprie his salus adtribuitur, quae propriissime adscribitur gratiae. [.  .  .] Hiernach also sind gute Werke nothwendig zum Heil, weil sie nothwendig aus dem Glauben fließen, weil der Glaube sich nothwendig wenigstens zum propositum derselben erschließt.“ 10  Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, §  4. „Die Nothwendigkeit der guten Werke zur Erlangung der Seligkeit“, S.  74–92, hier S.  80 ff. 11  Als Zitat in diesem Wortlaut bei Augustinus nicht nachgewiesen, aber oftmals auf ihn zurückgeführt (vgl. Ps-Augustin, Sermo 29, §  2; PL 39,1802), was auch Adrian van Wyck, De Praedestinatione, bekannt war, der den Satz p.  63 zitiert; vgl. dazu oben, S.  271, Anm.  42. 12 Aus der Spruchsammlung „Betrachtungen im Sinne der Wanderer. Kunst, Ethisches, Natur“ am Ende des 2. Buchs von „Wilhelm Meisters Wanderjahre“. Die Spruch-

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in einem allmählichen Aufspeichern verdienstlicher Einzelleistungen bestehen kann, sondern in einer zu jeder Zeit vor der Alternative: erwählt oder verworfen? stehenden systematischen Selbstkontrolle. Damit gelangen wir zu einem sehr wichtigen Punkt unserer Betrachtungen. Immer wieder ist bekanntlich jenem in den reformierten Kirchen und Sekten mit steigender Deutlichkeit47) sich herausarbeitenden Gedankengang von lutherischer Seite der Vorwurf der „Werkheiligkeit“ gemacht worden.48) Und, – so berechtigt der 47) Denn bei Calvin selbst steht zwar fest, daß die „Heiligkeit“ auch in die Erschei- A 25 nung treten muß (Instit[utio] IV, 1, §  2, 7, 9),13 aber die Grenze zwischen Heiligen und Unheiligen bleibt für menschliches Wissen unerforschlich. Wir haben zu glauben, daß da, wo Gottes Wort in einer nach seinem Gesetz organisierten und verwalteten Kirche rein verkündet wird, auch Erwählte – wenn auch für uns unerkennbar – vorhanden sind. 48)  Die calvinistische Frömmigkeit ist ein Beispiel für das Verhältnis logisch und psychologisch vermittelter Konsequenzen aus bestimmten religiösen Gedanken für das praktisch-religiöse Sichverhalten. Logisch wäre natürlich der Fatalismus als Konsequenz der Prädestination deduzierbar, die psychologische Wirkung war aber infolge der Einschaltung des „Bewährungs“-Gedankens die gerade umgekehrte. Hübsch setzt das schon – in der Sprache der Zeit – Hoornbeekl (Theol[ogia] pract[ica] Vol. I p.  157m)14 auseinander: Die electi sind eben kraft ihrer Erwählung dem Fatalismus unzugänglich, gerade in ihrer Abweisung der fatalistischen Konsequenzen bewähren sie sich, „quos ipsa electio sollicitos reddit et diligentes officiorum“. – Andererseits aber ist der Gedankengehalt einer Religion – wie gerade der Calvinismus zeigt – von weitaus größerer Bedeutung, als z. B. William James (The varieties of religious experience, 1902, p.  444 f.)15 zuzugestehen geneigt ist. Gerade die Bedeutung des Rationalen in der reli-

l A: Hoornbeeck  m  A: 159 sammlungen wurden nach Goethes Tod von Johann Peter Eckermann separat ediert und finden sich darum in: Goethe, Ethisches. Maximen und Reflexionen, „Hempel’sche Ausgabe“ (ca. 1870), S.  20 (dass. in der Weimarer oder „Sophien-Ausgabe“, 1. Abth., 42. Band/2. Abth. (erst 1907), S.  167). 13  Calvin, Inst. IV, 1, 2.7.9. 14  Mit folgendem Zitat bei Hoornbeek, Theologia practica I, p.  157 (im Kapitel über „De Dei Praedestinatione“, p.  141–164). 15 James skizziert in der XVIII. Vorlesung über „Philosophy“ (James, Varieties, p.  430–457; hier vermutlich p.  444 ff. gemeint) das Verhältnis von Denken, Glauben und Handeln aus pragmatischer Sicht: „Thought in movement has for its only conceivable motive the attainment of belief, or thought at rest. Only when our thought about a subject has found its rest in belief can our action on the subject firmly and safely begin. Beliefs, in short, are rules for action; and the whole function of thinking is but one step in the production of active habits. [.  .  .] To develop a thought’s meaning we need therefore only determine what conduct it is fitted to produce; that conduct is for us its sole significance.“ (p.  444). Die Anwendung dieser Sichtweise auf die metaphysischen Attribute Gottes (Ansichheit Gottes, seine Notwendigkeit etc.) zeige, daß sich

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Widerspruch | der Angegriffenen gegen die Identifikation ihrer dogmatischen Stellung mit der katholischen Lehre war, – sicherlich mit Recht, sobald die praktischen Konsequenzen für das Alltagsleben der reformierten Durchschnittschristen damit gemeint sind49):

giösen Metaphysik zeigt sich in klassischer Weise in den grandiosen Wirkungen, welche speziell die gedankliche Struktur des reformatorischen Gottesbegriffs auf das Leben geübt hat. Wenn der Gott der Puritaner in der Geschichte gewirkt hat wie nur irgend ein Anderer vor oder nach ihm, so haben ihn dazu jene Attribute befähigt, mit denen die Macht des Gedankens ihn ausgestattet hatte. James’ „pragmatische“ Wertung der Bedeutung religiöser Ideen nach dem Maß ihrer Bewährung im Leben ist übrigens ja selbst ein echtes Kind jener Gedankenwelt der puritanischen Heimat dieses hervorragenden Gelehrten. – Das religiöse Erlebnis als solches ist selbstverständlich irrational wie jedes Erlebnis. In seiner höchsten, mystischen Form ist es geradezu das Erlebnis κατ̓ ἐξοχήν und – wie James sehr schön ausgeführt hat16 – durch seine absolute Inkommunikabilitätn ausgezeichnet: es hat spezifischen Charakter und tritt als Erkenntnis auf, läßt sich aber nicht adäquat mit den Mitteln unseres Sprach- und Begriffsapparates reproduzieren. Und es ist ferner richtig, daß jedes religiöse Erlebnis bei dem Versuch A 26 rationaler Formulierung als|bald an Gehalt einbüßt, um so mehr, je weiter die begriffliche Formulierung vorschreitet. Darin liegt der Grund zu tragischen Konflikten aller rationalen Theologie, wie bereits im 17. Jahrhundert die täuferischen Sekten wußten. – Aber diese Irrationalität, – welche ja übrigens keineswegs nur dem religiösen „Erlebnis“ eignet,o sondern (in verschiedenem Sinn und Maße) jedem – hindert nicht, daß es gerade praktisch von der allerhöchsten Wichtigkeit ist, von welcher Art das Gedankensystem ist, welches das unmittelbar religiös „Erlebte“ nun für sich, sozusagen, konfisziert und in seine Bahnen lenkt; denn darnach richten sich die meisten jener praktisch so wichtigen Unterschiede in den ethischen Konsequenzen, wie sie zwischen den verschiedenen Religionen der Erde bestehen. 49)  Baxter, The Saints’ Everlasting rest I, 6,17 antwortet auf die Frage: Whetherp to make salvation our end be not mercenary or legal? – It is properly mercenary when we n A: Inkommunikabilitität  o  A: eignet –   p A: Wether hier kein Bezug zu unserem Dasein herstellen lasse (vgl. p.  445–447). Allerdings stünden die moralischen Attribute Gottes (Heiligkeit, Allmächtigkeit, Gerechtigkeit, Liebe u. a., vgl. p.  447 f.) zu unserem praktischen Dasein in Bezug. Dem damit verbundenen religiösen Gefühl könne die dogmatische Theologie aber keine sichere Grundlage schaffen, da sich nicht beweisen lasse, daß es einen Gott mit jenen Attributen gebe, weshalb man sich von ihr verabschieden müsse. 16  Weber bezieht sich auf die Vorlesungen XVI und XVII über „Mysticism“; James, Varieties, p.  379–429. Mystische Bewußtseinszustände, die James durch Erzählungen veranschaulicht, zeichnen sich nach ihm durch „ineffability“ und „noetic quality“ (p.  380 f.) aus. „This incommunicableness of the transport is the keynote of all mysticism. Mystical truth exists for the individual who has the transport, but for no one else. In this, as I have said, it resembles the knowledge given to us in sensations more than that given by conceptual thought“ (p.  405). Versprachlicht werde die privat auftretende religiöse Erfahrung mittels philosophischer und theologischer Formeln (sekundäre Produkte), die die Vernunft definiere, um die allgemeinen Fakten der religiösen Erfahrung allgemein zustimmungsfähig zu machen. 17  Weber zitiert Baxter, Saints’ Everlasting Rest (First Part, chapter II, Sect. 6), hier

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– es hat vielleicht nie eine intensivere Form religiöser Schätzung des sittlichen Handelns gegeben, als die, welche der Calvinismus in seinen Anhängern erzeugte. Aber entscheidend für die praktische Bedeutung dieser Art „Werkheiligkeit“ ist nun die Erkenntnis der Qualitäten, welche die ihr entsprechende Lebensführung charak­ terisieren und sie von dem Alltagsleben eines mittelalterlichen Durchschnittschristen unterscheiden. Man kann sie wohl etwa so zu formulieren versuchen: Der mittelalterliche Katholik50) lebt in ethi|scher Hinsicht gewissermaßen „von der Hand in den Mund“. Er erfüllt zunächst gewissenhaft die traditionellen Pflichten. Seine darüber hinausgehenden „guten Werke“ aber sind normalerweise eine planlose Reihe einzelner Handlungen, die er zur Ausgleichung konkreter Sünden oder unter dem Einfluß der Seelsorge oder expect it as wages for work done .  .  . Otherwise it is only such a mercenarinessq as Christ commandeth .  .  . and if seeking Christ be mercenary, I desire to be so mercenary .  .  . Übrigens fehlt bei manchen als orthodox geltenden Calvinisten auch der Collaps in ganz krasse Werkheiligkeit nicht. Nach Bailey, Praxis pietatisr p.  26218 sind Almosen ein Mittel zur Abwendung zeitlicher Strafe. Andere Theologen19 empfahlen den Verworfenen gute Werke mit der Motivierung, daß die Verdammnis dann doch vielleicht erträglicher würde, den Erwählten aber, weil Gott sie dann nicht nur grundlos, sondern ob causam lieben würde, was irgendwie schon seinen Lohn finden werde. Gewisse leise Konzessionen an die Bedeutung guter Werke für den Grad der Seligkeit hatte doch auch die Apologie gemacht (Schneckenburger a. a. O. S.  101).s 20 50)  Auch hier muß, um zunächst die charakteristischen Differenzen herauszuheben, notgedrungen in einer „idealtypischen“ Begriffssprache21 geredet werdent, welche der historischen Realität im gewissen Sinn Gewalt antut, – aber ohne dies wäre vor lauter Verklausulierung eine klare Formulierung überhaupt ausgeschlossen. Inwieweit die hier möglichst scharf gezeichneten Gegensätze nur relative sind, ist später zu erörtern.22 | q  A: mercenarism   r  A: pietaits   s  A: 101.)   t A: werde nach Dowden, Puritan and Anglican, p.  241, Anm.  1, was u. a. aus dem Wortlaut der einleitenden Frage, einer Zusammenfassung nach Baxter, hervorgeht (das Zitat, von Dowden mit Hinweis auf Baxters Schrift „I. vi.“ ausgewiesen, bei Baxter in: Practical Works, vol. XXII, p.  32; dort: „It is properly called mercenary [.  .  .]“). 18  Bei seinem Hinweis auf Bayli, Praxis pietatis I, p.  262, folgt Weber Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  100 (dabei übernimmt Weber die Seitenangabe von Schneckenburger, der nach der Ausgabe Bern 1703 zitiert). 19  Vgl. Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  99 f. 20  Schneckenburger, ebd., S.  101, Anm.  *, zitiert aus der von Melanchthon verfaßten Apologie zum Augsburger Bekenntnis (1530): „Docemus bona opera meritoria esse, non remissionis peccatorum, gratiae aut justificationis, haec enim tantum fide consequimur, sed aliorum praemiorum corporalium et spiritualium in hac vita et post hanc vitam“, heißt es in Art.  IV, der von der Rechtfertigung handelt. 21  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  170, Fn.  35. 22  Im vorliegenden Aufsatz nicht mehr ausgeführt.

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gegen Ende seines Lebens gewissermaßen als Versicherungsprämie vollzieht. Der Gott des Calvinismus dagegen verlangt von den Seinigen und bewirkt in ihnen nicht einzelne „gute Werke“, sondern ein „heiliges Leben“, d. h. eine zum System gesteigerte Werkheiligkeit.51) Die ethische Praxis des Alltagsmenschen wird ihrer Plan- und Systemlosigkeit entkleidet und zu einer konsequenten Methode der ganzen Lebensführung ausgestaltet. Es ist ja kein Zufall, daß der Name der „Methodisten“ ebenso an den Trägern der letzten großen Wiederbelebung puritanischer Gedanken im 18. Jahrhundert haften geblieben ist, wie die dem Sinne nach durchaus gleichwertige Bezeichnung „Präzisisten“ auf ihre geistigen A 27

51) Vgl. z. B. Sedgwick, Buß- und Gnadenlehre (deutsch v[on] Rötcheru 1689): der Bußfertige hat „eine feste Regel“,23 an die er sich genau hält und wonach er sein ganzes Leben einrichtet und wandelt (S.  591).24 Er lebt, – klug, wachsam und vorsichtig, – nach dem Gesetze (S.  596). Nur eine dauernde Veränderung des ganzen Menschen kann, weil Folge der Gnadenwahl, dies bewirkenv (S.  852).25 – Der Unterschied der nur „moralisch“ guten Werke und der „opera spiritualia“ liegt, wie z. B. Hoornbeek, a. a. O. l[iber] IX c. 2 ausführt,26 eben darin, daß diese Folge eines wiedergeborenen Lebens sind, daß (a. a. O. Vol. I S.  160)27 ein stetiger Fortschritt darin wahrnehmbar ist, wie er nur durch die übernatürliche Einwirkung der Gnade Gottes (a. a. O. S.  150)28 erzielt werden kann. Die Heiligkeit ist Verwandlung des ganzen Menschen durch Gottes Gnade (das. S.  190 f.),29 – Gedanken, die ja dem ganzen Protestantismus gemeinsam sind, aber in den asketischen Richtungen erst ihre Konsequenzen zeigen.

u  A: Röscher   v  A: bewirken, 23  Bei Sedgwick, Buß- und Gnadenlehre, S.  591: „eine gewisse Regul“. 24 Weber bezieht sich auf die Charakterisierung des christlichen „Wandels“ bei Sedgwick, ebd., S.  590–597. 25  Vgl. Sedgwick, ebd., S.  852–855. In diesem Abschnitt wird die Veränderung, die von Gottes Gnade herrührt, derjenigen gegenübergestellt, die dem unruhigen, ängstlichen und instabilen Gewissen entspringt. 26  Hoornbeek, Theologia practica II, liber IX, caput II („De bonis operibus“), p.  178– 183, besonders p.  180: „Ergo non naturae sunt bona opera, sed Spiritus sancti, neque quod civiliter bonum, est vere bonum, sed duntaxat quod spirituale, sive non quod merae rationis, naturae, honestatis civilis aut ethicae, sed quod fructus est spiritus. [.  .  .] Magna utique est differentia, et sedulo semper inculcanda, inter opus bonum morale, quod vel apud Gentiles reperire est, et Pharisaei jactant ac Publicani; et spirituale, quod supra illud habet magnum περισσόν [.  .  .]. Et non gradibus tantum inter se differt, sed integris formis.“ 27 Hoornbeek, Theologia practica I, liber II, caput II („De Dei Praedestinatione“), p.  160: „Hinc sequitur, ad confirmandam in nobis magis magisque electionem nostram gratuitam, necesse esse ut indies bene agendo promoveamus, hoc enim faciunt electi [.  .  .]“ (dort hervorgehoben). 28  Vgl. Hoornbeek, ebd., p.  150. 29 Vgl. Hoornbeek, Theologia practica II, liber IX, caput IV („De sanctitate“), hier p.  190 f.

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Vorfahren im 17. Jahrhundert angewendet worden war.52) Denn nur in einer fundamentalen Umwandlung des Sinnes des ganzen Lebens in jeder Stunde und jeder Handlung53) kann sich das | Wirken der Gnade als einer Enthebung des Menschen aus dem status naturae in den status gratiae bewähren. Das Leben des „Heiligen“ ist ausschließlich auf ein transzendentes Ziel, die Seligkeit, ausgerichtet, aber eben deshalb in seinem diesseitigen Verlauf rationalisiert und beherrscht von dem ausschließlichen Gesichtspunkt, Gottes Ruhm auf Erden zu mehren; – und niemals ist mit dem Gesichtspunkt „omnia in majorem Deiw gloriam“ so bitterer Ernst gemacht worden.54) Nur ein durch konstante Reflexion geleitetes

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52)  Der letztere Name ist in Holland allerdings speziell von dem präzis nach den Vorschriften der Bibel geführten Lebenx der „Feinen“ abgeleitet (so bei Voët).30 – Übrigens kommt auch für die Puritaner im 17. Jahrh[undert] vereinzelt der Name „Methodisten“ vor.31 53)  Denn – wie die puritanischen Prediger (z. B. Bunyan in „The Pharisee and the Publican[“], W[orks] of [the] Pur[itan] Div[ines] S.  126)32 hervorheben: – jede einzelne Sünde vernichtet Alles, was im Lauf eines ganzen Lebens an „Verdienst“ durch „gute Werke“ aufgehäuft sein könnte, wenn – undenkbarerweise – der Mensch überhaupt von sich aus dazu fähig wäre, etwas zu leisten, was Gott ihm als Verdienst | anrechnen A 28 müßte[,] oder gar dauernd vollkommen leben könnte. Es findet eben nicht, wie im Katholizismus, eine Art Kontokorrent mit Saldo-Abrechnung statt, sondern für das ganze Leben gilt das schroffe Entweder – Oder: Gnadenstand oder Verwerfung. – S[iehe] freilich andererseits unten Anm.  72.33 54)  Darin liegt der Unterschied gegen die bloße „Legality“ und „Civility“, welche bei Bunyan als Genossen des Mr. „Worldly-Wiseman“ in der City, welche „Morality“ genannt ist, hausen.34

w A: dei  x A: Lebens 30  Die Bezeichnung „Präzisismus“ rührt von Voets Disputation „De Praecisitate“ her; vgl. Ritschl, Pietismus I, S.  112. Vgl. dazu auch unten, S.  308 f., Fn.  76 mit Anm.  5. 31  Nach Tyerman, Wesley I, p.  66 f., wurde die Bezeichnung schon in Traktaten von 1639 und 1693 gebraucht, bevor sie – im Spott über ihr frommes Verhalten – auf die Mitglieder der Oxforder Vereinigung („holy club“) um Charles und John Wesley angewandt und dann von ihnen übernommen wurde. – Vgl. auch Loofs, Art. Methodismus, S.  755, zur gleichen Bedeutung im Sinne eines geregelten Frömmigkeitsverhaltens von „Methodisten“, „Precisians“ oder „Präzisianer“ und „Pietisten“. 32  Weber bezieht sich im folgenden auf Bunyans Zitat und Auslegung von Hes 33,13; Bunyan, Pharisee and Publican (Bunyan, Works of the English Puritan Divines I), p.  126: „When I shall say to the righteous, that he shall surely live; if he trust to his own righteousness, and commit iniquity, all his righteousness shall not be remembered: but for his iniquity that he hath committed, he shall die for it.“ Vgl. auch p.  127: „Note hence further. [.  .  .] That there is more virtue in one sin to destroy, than in all thy righteousness to save thee alive.“ 33  Unten, S.  301 f. 34  Vgl. Bunyan, Pilgrim’s Progress, p.  10–19.

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Leben aber kann als Überwindung des status naturalis gelten: Descartes’ „cogito ergo sum“ wurde in dieser ethischen Umdeutung von den zeitgenössischen Puritanern übernommen.55) Diese Rationalisierung nun gibt der reformierten Frömmigkeit ihren spezifisch asketischen Zug und begründet ebenso ihre innere Verwandtschaft wie ihren spezifischen Gegensatz zum Katholizismus. Die christliche Askese trägt ja in ihren höchsten Erscheinungsformen bereits im Mittelalter durchaus diesen rationalen Charakter. Die welthistorische Bedeutung der mönchischen Lebensführung im Occident in ihrem Gegensatz zum orientalischen Mönchtum beruht auf ihm. Sie ist im Prinzip schon in der Regel des heiligen Benedikt, noch mehr bei den Cluniazensern und Cisterziensern, am entschiedensten endlich bei den Jesuiten, emanzipiert von planloser Weltflucht und virtuosenhafter Selbstquälerei. Sie ist zu einer systematisch durchgebildeten Methode rationaler Lebensführung geworden, mit dem Ziel, den status naturae zu überwinden, den Menschen der Macht der irrationalen Triebe und der Abhängigkeit von Welt und Natur zu entziehen, der Suprematie des planvollen Wollens zu unterwerfen56), seine Handlungen beständiger Selbst|kontrolle und der Erwägung ihrer ethischen Tragweite zu unterstellen und so den Mönch – objektiv – zu einem Arbeiter im Dienst des Reiches Got55)  Charnock, Self-examination (Works of the Pur[itan] Div[ines] S.  172):35 Reflection and knowledge of self is a prerogative of a rational nature. Dazu die Fußnote: Cogito, ergo sum, is the first principle of the new philosophy. 56)  Ganz so definiert z. B. der Artikel „Ascese“ des katholischen „Kirchenlexikons“ ihren Sinn, durchaus in Übereinstimmung mit ihren höchsten historischen Erscheinungsformen. Ebenso Seeberg in der R[eal-]E[ncyklopädie] f[ür] Prot[estantische] Th[eologie] u[nd] K[irche].36 |

35  Bei Charnock, Self-examination (Charnock, Works of the English Puritan Divines VI), p.  172: „[.  .  .] in the new philosophy“. 36  Gemeint sind: Pruner, Art. Ascese, und Seeberg, Art. Askese. Weber betont hier die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede in den Definitionen, die in einem katholischen („Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon“; Pruner) bzw. protestantischen Handwörterbuch („Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche“; Seeberg) erschienen. Pruner definiert: „Ascese ist das geordnete und beharrliche Ringen des von der Gnade getragenen freipersönlichen Willens gegen alle Hindernisse der sittlichen Vollkommenheit, welche in der Concupiscenz, in der Welt und in der dämonischen Versuchung ihm entgegentreten, in Verbindung mit dem rechten Gebrauche der Mittel zur Heiligung und mit eifriger Übung aller Tugenden“ (Sp.  1461). Seeberg definiert: „Askese ist dasjenige christlich sittliche Handeln, welches sich auf die natürlichen Kräfte und Gaben des Menschen richtet mit dem Zweck diese zu Organen des neuen sittlichen Lebens zu gestalten“ (S.  140). Es handele sich um „Disciplinierung

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tes zu erziehen, und dadurch auch – subjektiv – seines Seelenheils zu versichern. Diese unbedingte Selbstbeherrschung ist, wie das Ziel der exercitia des heiligen Ignatius und der höchsten Formen rationaler mönchischer Tugenden überhaupt,37 so auch das entscheidende praktische Lebensideal des Puritanismus. Schon in der tiefen Verachtung, mit der in den Berichten über die Verhöre seiner Märtyrer das fassungslose Poltern der adligen Prälaten und Beamten der kühlen reservierten Ruhe seiner Bekenner entgegen­ gehalten wird,57) tritt jene in den besten Typen noch des heutigen englischen und angloamerikanischen „gentleman“ vertretene Schätzung reservierter Selbstkontrolle hervor.58) In der uns geläu57) So in den vielen in Neal’s „History of the Puritans“ und in Crosby’s „English A 29 Baptists“ wiedergegebenen Berichten über die Verhöre der puritanischen Häretiker.38 58)  Schon Sanford a. a. O. (und vor wie nach ihm viele Andere) haben die Entstehung des Ideals der „reserve“ aus dem Puritanismus abgeleitet.39 Vgl. über jenes Ideal etwa auch die Bemerkungen von James Bryce über das amerikanische College in Bd.  II seiner „American Commonwealth“.40 – Das asketische Prinzip der „Selbstbeherrschung“

des natürlichen Menschen“ mit dem Ziel, „Selbstbeherrschung (in eigentl[ichem] Sinn) zu erlangen“ (ebd.), in der „Stetigkeit und Regelmäßigkeit guten Handelns“ (S.  141). Denn das Gute müsse „habituell“ werden (ebd.). 37  Bei den „Exercitia spiritualia“ („Geistliche Übungen“) von Ignatius von Loyola, des Gründers des Jesuitenordens, handelt es sich um eine methodische Handreichung für den Exerzitienleiter und Übenden (entstanden wohl 1522/23, gedruckt lat. Rom 1548, span.  1615). Die Exercitia dienten zur Einübung geistiger Askese, u. a. durch genaue Selbstprüfung, mit dem Ziel, Selbstbeherrschung zu erlangen (in den Worten Go­ theins: Aufhebung ungeregelter Affekte), die ihm als wichtigste Tugend galt. Vgl. Gothein, Eberhard, Ignatius von Loyola und die Gegenreformation. – Halle: Max Niemeyer 1895 (hinfort: Gothein, Ignatius von Loyola), S.  228–244, bes. S.  228 f. Weber hat das Werk gelesen (wobei offen bleiben muß, wann), vgl. den Brief an Willy Hellpach vom 29. Jan.  1906, MWG II/5, S.  29; das erhaltene Handexemplar (Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München) enthält keine Markierungen. 38  Z. B. Neal, Puritans I, p.  434–437; Crosby, English Baptists II, p.  185–209. 39  „Those, therefore, who deride the ‚moroseness‘ of the Puritan, should recollect that they are to some extent ridiculing that ‚reserve‘ upon which modern Englishmen are generally accustomed to pride themselves. [.  .  .] Place an Englishman of acknowledged high principle and good sense, and at the same time a social favourite of the present day, among the questions and feelings of the days of Charles I., and would he, in any essential point, differ from the Eliots and Hampdens of the Puritan party?“ Sanford, Great Rebellion, p.  92 f. 40  Vgl. Bryce, American Commonwealth II, „The Universities“, p.  541–569 (Markierungen Webers im gesamten Kapitel, Exemplar der UB Heidelberg).

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figen Sprache58a): Die puritanische – wie jede „rationale“ – Askese arbeitet daran, den Menschen zu befähigen, seine „konstanten Motive“, – insbesondere diejenigen, welche sie selbst ihm „einübt“, – gegenüber den „Affekten“ zu behaupten und zur Geltung zu bringen, – daran also, ihn zu einer „Persönlichkeit“ in diesem, formal-psychologischen Sinne des Worts zu erziehen. Ein waches bewußtes helles Leben führen zu können, war, im Gegensatz zu manchen populären Vorstellungen, das Ziel, – die Vernichtung der Unbefangenheit des triebhaften Lebensgenusses die dringendste Aufgabe, – Ordnung in die Lebens|führung derer, die ihr anhängen, zu bringen, das wichtigste Mittel der Askese. Alle diese entscheidenden Gesichtspunkte finden sich in den Regeln des katholischen Mönchtums ganz ebenso59) ausgeprägt wie in den Grundsätzen der

machte den Puritanismus auch mit zum Vater der modernen militärischen Disziplin. (S[iehe] über Moritz von Oranien als Schöpfer moderner Heeresinstitutionen: Roloff in den Preuß[ischen] Jahrb[üchern] 1903 Bd.  111a S.  255.)b 41 Cromwells „Ironsides“, mit der gespannten Pistole in der Hand, ohne Schuß, in scharfemc Trabe an den Feind geführt, waren nicht durch Derwisch-artige Leidenschaft, sondern umgekehrt durch ihre nüchterne Selbstbeherrschung, welche sie stets in der Hand des Führers bleiben ließ, den „Cavalieren“ überlegen, deren ritterlich-stürmische Attacke jedesmal die eigene Truppe in Atome auflöste. Manches darüber bei Firth, Cromwell’sd Army.42 58a)  S[iehe] dafür besonders: Windelband, Über Willensfreiheit, S. e87 f.e 43 | 59) Nur nicht so unvermischt. Kontemplation, gelegentlich mit Gefühlsmäßigkeit A 30 verbunden, istf mit diesen rationalen Elementen mehrfach gekreuzt. Aber dafür ist wiederum auch die Kontemplation methodisch reglementiert.

a A: III  f A: sind

  b  A: 255). 

  c  A: scharfen 

  d  A: Cromwells 

  e–e  A: 77 f.

41  Moritz von Oranien führte das Exerzieren, gesteigerte Disziplin und das Offizierswesen in das Heer ein (dem folgten später Schweden und Preußen). Vgl. Roloff, Moritz von Oranien, S.  255–276. 42  Beschrieben von Charles Harding Firth, Cromwell’s Army, im Kapitel V. „The Cavalry“, p.  110–144. – „Ironsides“ („Eisenseiten“) waren die Kavallerie der New Model Army Oliver Cromwells. Zu den „Cavalieren“ (Royalisten) vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  212 mit Anm.  61. 43  Windelband, Über Willensfreiheit, fünfte Vorlesung über „Die Freiheit des Wählens. (Schluß.)“, S.  68–91, bes. S.  87 f. Wilhelm Windelband erläutert hier, daß zur Freiheit des Wählens neben situativen auch konstante Motive gehören, die der Persönlichkeit eines Menschen entspringen und also auf sie schließen lassen (Kausalität der Persönlichkeit; S.  77 f.). Wo aber Affekte vorherrschen, ist der Mensch unfrei, und sein eigentliches Wesen kann nicht zur Geltung kommen. Darum ist es „Aufgabe aller Erziehung, daß der Mensch über seine Affekte Herr werde“ (S.  88).

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Lebensführung der Calvinisten.59a) Auf dieser methodischen Erfassung des ganzen Menschen beruht bei beiden ihre ungeheure weltüberwindende Macht, speziell beim Calvinismus gegenüber 59a)  Sündig ist nach Richard Baxter Alles, was gegen die von Gott als normgebend uns anerschaffene „reason“ ist: nicht etwa nur inhaltlich sündige Leidenschaften, sondern alle irgendwie sinn- oder maßlosen Affekte als solche, weil sie die „countenance“ vernichten und als rein kreatürliche Vorgänge uns von der rationalen Beziehung alles Handelns und Empfindens auf Gott abziehen und ihn beleidigen. Vgl. z. B. was über die Sündlichkeit des Ärgers gesagt ist (Christian Directory 2.  Aufl. 1678 I S.  285.44 Dazu wird S.  287 Tauler zitiert).45 Über die Sündlichkeit der Angst ebenda S.  287 Sp.  2.46 Daß es Kreaturvergötterung (idolatry) ist, wenn unser Appetit die „rule or measure of eating“ ist, wird sehr nachdrücklich das. I S.  310, 316 Sp.  1 und öfter auseinandergesetzt.47 Zitiert werden bei Gelegenheit solcher Ausführungen neben den überall in erster Reihe stehenden Sprüchen Salomos auch Plutarchs de tranquillitate animi, nicht selten aber auch die asketischen Schriften des Mittelalters, S[ankt] Bernhard, Bonaventura u. a.48 – Der Gegensatz gegen das „Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang .  .  .“49 konnte kaum schärfer formuliert werden als durch die Ausdehnung des Begriffes der idolatry auf alle Sinnenfreuden, soweit sie sich nicht durch hygienische Gründe rechtfertigen, in welchem Fall sie (wie, innerhalb dieser Grenzen, der Sport, aber auch andere „recreations“)g statthaft sind (darüber noch weiter unten).50 |

g A: „recreations“), 44  Baxter, Christian Directory I, chap. VII. „Directions for the Government of the Passions“ (p.  274–301), Tit. 7: „Directions against sinful Wrath and Anger“, p.  285–287. Dort heißt es p.  285: „But it [Anger] is sinful, 1. When it riseth up against God or any Good [.  .  .]. 2. When it disturbeth Reason and hindereth our judging of things aright [.  .  .]“, und: „Observe how unlovely and unpleasing it rendereth you to beholders: deforming the countenance, and taking away the amiable sweetness of it, which appeareth in a calm and loving temper.“ 45  Baxter, Christian Directory I, p.  287, zitiert aus „D. Ioannis Thavleri Flores de veris virtvtibvs“ (Köln, 1588). 46  Vgl. Baxter, ebd., Tit. 8: „Directions against sinful Fear“, p.  287–293, hier p.  287 f. 47  Vgl. Baxter, Christian Directory I, chap. VIII. „Directions for the Government of the Senses“ (p.  302–342), Part IV. „Directions for Governing the Taste and Appetite“, p.  310–330, p.  310 und 316 (p.  312: „Luxury and Gluttony is a sin exceeding contrary to the Love of God: It is Idolatry [.  .  .]“). 48 Plutarch mit Nennung des Werkes bei Baxter, Christian Directory I, im Kontext p.  313 (vgl. auch p.  310, 312, 321 u. ö.), die Sprüche Salomos (Prov.) p.  313, 318 ff. Mit Bernhard von Clairvaux und Bonaventura dürfte Weber über Baxters Werk hinausweisen (Bernhard mit Zitat bei Baxter nur ebd., p.  11 und 63, und ders., Christian Directory III, p.  79, Bonaventura lediglich ebd., p.  199, unspezifisch). 49 „[.  .  .] Der bleibt ein Narr sein Lebenlang“. Auf Martin Luther zurückgeführter Spruch, bei ihm nicht nachweisbar; vgl. Büchmann, Georg, Geflügelte Worte. Der Citatenschatz des Deutschen Volkes, 13. vermehrte und umgearb. Aufl. – Berlin: Haudeund Spener’sche Buchhandlung 1882, S.  55 f. 50  Siehe unten, S.  397 ff.

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dem Luthertum seine Fähigkeit, als „ecclesia militans“ den Bestand des Protestantismus zu sichern.51 Worin andererseits der Gegensatz der calvinistischen gegen die mittelalterliche Askese besteht, liegt auf der Hand: es ist der Wegfall der „consilia evangelica“52 und damit die Umgestaltung der Askese zu einer rein innerweltlichen. Nicht als ob innerhalb des Katholizismus das „methodische“ Leben auf die Klosterzellen beschränkt geblieben wäre. Das war theoretisch keineswegs und auch in der Praxis nicht der Fall. Es ist vielmehr vollständig zuzugeben, daß trotz der größeren moralischen Genügsamkeit des Katholizismus ein ethisch systemloses Leben nicht an die höchsten Ideale heranreicht, welche er – auch für das innerweltliche Leben – gezeitigt hat. Der Tertiarierorden des heiligen Franz war ein mächtiger Versuch in der Richtung asketischer Durchdringung des | Alltagslebens, und nicht etwa der einzige.53 Werke freilich, wie die „Nachfolge Christi“, zeigen gerade durch die Art ihrer starken Wirkung, wie die in ihnen gepredigte Weise der Lebensführung als ein Höheres gegenüber der als Minimum genügenden Alltagssittlichkeit empfunden wurde, und daß diese letztere eben nicht an Maßstäben, wie sie der Puritanismus bereit hielt, gemessen wurde. Und die Praxis gewisser kirchlicher Institutionen, vor allem des Ablasses, der eben deshalb in der Reformationszeit nicht als ein peripherischer Mißbrauch, sondern als der entscheidende Grund51  Zu „ecclesia militans“ vgl. das Glossar, unten, S.  827. – Dazu etwa Schnecken­ burger, Vergleichende Darstellung I, S.  161 f. „Beide Formen der Frömmigkeit bilden mit ihrer aktiven socialen Richtung einen bestimmten Unterschied von der lutherischen. Dieser geht so weit, daß man schon nicht ohne Grund die Frage aufgeworfen hat, ob die Reformation überhaupt in nur lutherischer Besonderheit durchzuführen und zu behaupten gewesen wäre gegen das thatkräftige, gesellschaftsbildende Princip im Katholicismus, wenn die specifisch reformirte ihr nicht zur Seite gestanden hätte?“ (Zitat S.  161). 52  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  189 f.; zu „consilia evangelica“ vgl. das Glossar, unten, S.  825. 53  Auch Ritschl, Pietismus I, S.  13–16. Franz von Assisi wollte das ursprüngliche Christentum wiederherstellen, wozu das Vollkommenheitsideal des Mönchtums mit dem „passiven“ Christentum der Laien zum Ausgleich zu bringen sei. Deshalb empfahl er auch letzteren das asketische Ideal (im folgenden die „Werke“ der „‚Nachfolge Christi‘“ nach Mk 1,16–20 und weiteren Evangelien-Stellen, d. h. ein den Forderungen Jesu an seine Jünger entsprechendes, von Wanderschaft und Besitzlosigkeit geprägtes Leben). Er suchte „das asketische Leben aus den Mauern der Klöster in die Gesellschaft der Weltleute zu übertragen“ (S.  15). Zu diesem Zweck habe er die Laienvereinigung der Tertiarier (Terziarier) und Tertiarierinnen (Terziarierinnen), den franziskanischen Dritten Orden, gegründet.

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schaden schlechthin empfunden wurde, 54 mußte immer wieder die Ansätze systematischer innerweltlicher Askese kreuzen. Das Entscheidende aber war, daß der methodisch lebende Mensch par excellence eben doch allein der Mönch war und blieb, daß also die Askese, je intensiver sie den einzelnen erfaßte, desto mehr ihn aus dem Alltagsleben herausdrängte, weil eben in der Überbietung der innerweltlichen Sittlichkeit60) das spezifisch heilige Leben lag. Das hatte zunächst – und zwar nicht als Vollstrecker irgend einer „Entwicklungstendenz“, sondern aus ganz persönlichen Erfahrungen heraus, dann durch die politische Situation weitergedrängt – Luther beseitigt, und der Calvinismus hat dies von ihm einfach übernommen.61) Dem Herausfluten der Askese aus dem weltlichen Alltagsleben war damit ein Damm vorgebaut, und jene leidenschaftlich ernsten innerlichen Naturen, die bisher dem Mönchtum seine besten Repräsentanten geliefert hatten, waren darauf hingewiesen, innerhalb des weltlichen Berufslebens asketischen Idealen nachzu60) S[iehe] hierzu namentlich den Artikel „Moralisten, englische“, von E[rnst] A 31 Tröltsch in der R[eal-]E[ncyklopädie] f[ür] Prot[estantische] Th[eologie] u[nd] K[irche] 3.  Aufl.55 61) Wie sehr hier ganz konkrete religiöse Bewußtseinsinhalte, die als „historische Zufälligkeit“ erscheinen, gewirkt haben, zeigt sich besonders deutlich darin, daß in den Kreisen des auf reformierter Grundlage entstandenen Pietismus z. B. das Fehlen der Klöster gelegentlich direkt bedauert wurde und daß die „kommunistischen“ Experimente Labadies u. a. ja lediglich ein Surrogat für das Klosterleben waren.56

54  Formuliert im „Tractatus de indulgentiis“ (1517) und insbesondere in den „95 Thesen“, die Luther vermutlich für eine akademische Disputation an der Wittenberger Schloßkirche anbringen ließ (als Datum gilt der 31. Okt. 1517). Luther kritisierte die spätmittelalterliche Bußpraxis, für Geld oder den käuflichen Erwerb eines Ablaßbriefes Sündenstrafen nachzulassen. Dadurch werde eine falsche Heilssicherheit erzeugt, denn Buße sei eine lebenslange Haltung des Christen (These 1). – Vgl. auch im Glossar: „Ablaß“ und „Buße“, unten, S.  821 und 824. 55  Troeltsch, Art. Moralisten. Troeltsch stellt bes. S.  437–440 dar, wie es im „großen Amalgamierungsprozeß“ von Christentum und antiker Kulturwelt zur Ausbildung einer Zwei-Stufen-Ethik in der Kirche, zu einer „unaufheblichen Spannung zwischen mönchisch-klerikaler und laienhaft-bürgerlicher Moral“ kam (Zitate S.  437). – Die protestantische Ethik relativierte die Spannung durch Fortbildung des Autonomie-Gedankens. Sie behauptete „für die normale Welt- und Lebensanschauung die völlige, natürliche und wesenhafte Deckung der religiösen Vollkommenheit und der natürlichkreatürlichen Wesensausstattung.“ Sie verzichte auf „jede Überbietung und Ergänzung von Dekalog und lex naturae durch besondere, aus überkreatürlichen Zielen folgende religiös-kirchliche Sittengesetze und consilia evangelica“ (Zitate S.  439). 56  Zu Jean de Labadie vgl. Ritschl, Pietismus I, S.  194–268. Labadie, zunächst Je­suit und nach seinem Übertritt zum Calvinismus Pfarrer, geriet aufgrund seines Kirchen-

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gehen. Der Calvinismus fügte nun aber im Verlauf seiner Entwicklung etwas Positives: den Gedanken der Notwendigkeit der Bewährung des Glaubens im weltlichen Berufsleben62) hinzu. Er gab damit den positiven Antrieb zur Askese, | und mit der Verankerung seiner Ethik an der Prädestinationslehre trat so an die Stelle der geistlichen Aristokratie der Mönche außer und über der Welt die geistliche Aristokratie63) der durch Gott von Ewigkeit her prädestinierten Heiligen in der Welt, eine Aristokratie, die mit ihrem character indelebilis von der übrigen von Ewigkeit her verworfenen Menschheit durch eine prinzipiell unüberbrückbarere und in ihrer Unsichtbarkeit unheimlichere Kluft getrennt war,64) als der äußerlich von

62)  Und zwar schon in manchen Bekenntnissen des Reformationszeitalters selbst. Auch Ritschl (Pietismus I S.  258 f.) bestreitet, trotzdem er die spätere Entwicklung als A 32 Entartung der reformatorischen Gedanken ansieht, dennoch nicht, daß z. B. | Conf[essio] Gall[icana] 25, 26, Conf[essio] Belg[ica] 29, Conf[essio] Helv[etica] post[erior] 17 „die reformierte Partikularkirche mit ganz empirischen Merkmalen umschrieben und daß zu dieser wahren Kirche die Gläubigen nicht ohne das Merkmal sittlicher Aktivität gerechnet werden.“57 (S[iehe] dazu oben Anm.  27.)h 58 63) Bless God that we are nonei of the many (Th[omas] Adams, W[orks] of the Pur[itan] Div[ines] p.  138).59 64)  Der historisch so wichtige „birthright“-Gedanke erfuhr dadurch eine erhebliche Unterstützung: „The first born which are written in heaven .  .  . As the first born is not to be defeated in his inheritance and the enrolled names are never to be obliteratedj, so

h A: 27).  i A: not  j A: oblitterated   verständnisses in Konflikt mit der Kirche. Nach seinem Tätigkeitsverbot gründete er nacheinander Hausgemeinden in Veere bei Middelburg und in Amsterdam, Herford und Altona. Seit seiner Herforder Zeit waren die Hausgemeinden zugleich als Gütergemeinschaften organisiert. Labadie war der Auffassung, man könne nur die Gemeinschaft der Wiedergeborenen als Kirche anerkennen; diese müßten sich von der Welt separieren und die weltlich Gesinnten von sich fernhalten. Ritschl bemerkt: „Aber indem die geistige Entfremdung gegen die Welt die Hauptsache ist, so ist ein wohlgeordnetes Hauswesen, das den Sinn der Welt nicht hat, eine schöne Art eines christlichen Klosters! Das also ist das Ideal von Labadie“ (Zitat S.  252; vgl. S.  257). 57  Zitat Ritschl, Pietismus I, S.  258, der seine Aussage durch Zitation der Confessio Gallicana und Verweis auf die anderen, von Weber genannten reformierten Bekenntnisse stützt (über diese vgl. das Glossar, unten, S.  825). 58  Oben, S.  274. 59  Zitat aus Adams’ Traktat „The Fool and his Sport“ (Adams, Works of the English Puritan Divines V, 131–147), p.  138 (bei Adams: „There is but one truth, but innumer­ able errors, which should teach us – 1. Not to follow a multitude in evil. [.  .  .] 2. To bless God that we are none of the many; as much for our grace, whereby we differ from the fools of the world [.  .  .]“). Im Exemplar der UB Heidelberg möglicherweise von Weber mit Randmarkierung und Unterstreichungen, u. a. teilweise des Textzitats, versehen; Weber verwies auf diese Seite in Notizen, die er ebd., S.  289, anbrachte.

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der Welt abgeschiedene Mönch des Mittelalters, – eine Kluft, die in harter Schärfe in alle sozialen Empfindungen einschnitt. Denn diesem Gottesgnadentum der Erwählten und deshalb Heiligen ist angesichts der Sünde des Nächsten nicht nachsichtige Hilfsbereitschaft im Bewußtsein der eigenen Schwäche, sondern der Haß und die Verachtung gegen ihn als einen Feind Gottes, der das Zeichen ewiger Verwerfung an sich trägt, adäquat.65) Diese Empfindungscertainly shall they inherit eternal life“ (Th[omas] Adams, W[orks] of [the] Pur[itan] Div[ines] p. XIXk).60 65)  Das lutherische Gefühl bußfertiger Reue ist dem Calvinismus zwar nicht in der Theorie, wohl aber in der Praxis innerlich fremd: Es ist ja für ihn ethisch wertlos, nutzt den Verworfenen nichts, und für den seiner Erwählung Sicheren ist die eigene Sünde, die er sich etwa eingesteht, Symptom rückständiger Entwicklung und unvollständiger Heiligung, die er, statt sie zu bereuen, zu Gottes Ruhme durch die Tat zu überwinden trachtet und haßt. Vgl. die Ausführungen Howes (Cromwells Kaplan 1656–58) in „Of man’sl enmity against God and of reconciliationm between God and Man“, Works of the English Puritan Divines p.  237: „The carnal mind is enmity against God. It is the mind, therefore, not as speculative merely, but as practical and active, that must be renewed.“ (eod. p.  246): „Reconciliationn .  .  . must begin in 1) a deep conviction .  .  . of your former enmityo .  .  . I have been alienated from God .  .  . 2) (p.  251) a clear and lively apprehension .  .  . of the monstrous iniquity and wickedness thereof“.61 Hier wird nur von Haß gegen Sünde, nicht den Sünder, gesprochen. Aber der berühmte Brief der Herzogin Renata von Este („Leonorens“ Mutter)62 an Calvin, – worin sie u. a. von dem „Haß“ spricht, den sie | gegen Vater und Gatten hegen würde, falls sie überzeugt sein A 33 müßte, daß sie zu den Reprobierten gehörten,63 – zeigt die Übertragung auf die Person k  A: XIV  o  A: enemity

  l  A: men’s 

  m  A: reconcilitation 

  n  A: „Reconcilation

60  Weber zitiert nach Stowell, Introduction to Adams’ Works (Adams, Works of the English Puritan Divines V, p. ix–lxiii), p. xix. Stowell zitiert dort die Passage als Beleg für Adams’ nonkonformistische Überzeugung („Doctrinal Puritanism“). Sie entstammt Adams’ „Meditations on some Parts of the Creed“ (vgl. p. xxi; nicht in den Band der „Works [.  .  .]“ aufgenommen). Bei Adams sind die Erstgeborenen zugleich die Erwählten und bilden die (unsichtbare) Kirche (der Bezug zum historischen „birthright“-Verständnis (vgl. Weber, Protestantische Ethik, I, oben, S.  212, Fn.  63) wird von Adams und Stowell nicht hergestellt). 61  Bei Howe, Man’s Enmity against God (Howe, Works of the English Puritan Divines III), p.  246: „1. A thorough conviction [.  .  .]“. Weber unterstreicht im Exemplar der UB Heidelberg „enmity“ und „alienated“ und notiert dazu am Rand: „statt Sündengefühle“; die zitierten Sätze p.  237 und 246 sind mit senkrechtem Randstrich markiert (ohne Markierung p.  251). 62  Anspielung auf Prinzessin Leonore von Este in Goethes Schauspiel „Torquato Tasso“, deren historisches Vorbild die Tochter von Renata d’Este (Renée de France) ist. 63  Renata d’Este (Renée de France) stand der neuen Glaubensrichtung aufgeschlossen gegenüber und mit Calvin brieflich in Kontakt. Im Brief der Herzogin an Calvin vom 21. März 15[64] (in: CR 48, No.  4085, Sp.  266–273) heißt es: „[.  .  .] car combine que je n’eusse point oublié l’article de vostre lettre que David a hay les ennemis de Dieu de

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weise war einer solchen | Steigerung fähig, daß sie unter Umständen in Sektenbildung ausmünden konnte. Dies war dann der Fall, wenn – wie bei gewissen „independentischen“ Richtungen des 17. Jahrhunderts – der genuin calvinistische Glaube, daß Gottes Ruhm es erfordere, die Verworfenen durch die Kirche unter das Gesetz zu beugen, überwogen wurde durch die Überzeugung, daß es Gott zur Schmach gereiche, wenn in seiner Herde ein Unwiedergeborener sich befinde und an den Sakramenten teilnehme oder sie gar – als angestellter Prediger – verwalte.65a) Und auch wo die Konsequenz der Sektenbildung nicht gezogen wurde, gingen die mannigfachsten Ausgestaltungen der Kirchenverfassung, wie wir später sehen werden,64 aus dem Versuch hervor, wiedergeborene und unwiedergeborene, zum Sakrament nicht reife, Christen zu scheiden und nur wiedergeborene Prediger zuzulassen. – Ihre feste Norm, an der sie sich stetig orientieren konnte und deren sie ja offensichtlich bedurfte, empfing nun diese asketische Lebensführung natürlich durch die Bibel, und zwar ist an der oft geschilderten „Bibliokratie“ des Calvinismus für uns das Wichtige, daß das Alte Testament, weil ebenso inspiriert wie das Neue, in und ist zugleich ein Beispiel für das, was oben (S.  264 f.) von der inneren Loslösung des Individuums aus den Banden der durch das „natürliche“ Gefühl geknüpften Gemeinschaften durch die Gnadenwahllehre gesagt wurde. 65a)  „None but those who give evidence of beingp regenerated or holy persons, ought to be receivedq or counted fit members of visible churches. Where this is wanting, the very essence of a church is lost“, formuliert Owen, der independentische (calvinistische) Vize-Kanzler von Oxford unter Cromwell, den Grundsatz (Inq[uiry]r into the origin of Ev[angelical] Ch[urches])[.]65 p A: beeing  q  A: recieved   r  A: (Inv. haine mortelle, je n’entend point de contrevenir de deroger en rien a cela: car quand je sçaurois que le Roy mon pere, et la Royne ma mere, et feu monsieur mon mary, et tous mes enfans seroient reprouvez de Dieu, je les voudrois hayr de hayne mortelle et leur desirer l’enfer, et me conformer à la volonté de Dieu entierement, s’il luy plaisoit m’en faire la grace [.  .  .]“ (Sp.  270). 64 Weber kommt darauf in im vorliegenden Aufsatz nur in Andeutungen, wie etwa unten, S.  349 f. mit Fn.  126, zurück. 65 Zitiert bei Tayler, Retrospect, p.  235. – Tayler weist das Zitat mit dem auch von Weber angegebenen Werk Owens nach („An Enquiry [dagegen bei Tayler: „Inquiry“] Into the Original [.  .  .] of Evangelical Churches“) und fügt hinzu: „quoted by Orme, p.  427“ (ebd., Anm.  *). Tayler bezieht sich dabei auf: Orme, William, Memoirs of the Life, Writings, and Religious Connexions, of John Owen [.  .  .]. – London: Hamilton 1820, p.  427. Orme, der auf dieser Seite Owen nur indirekt wiedergibt, bezieht sich allerdings auf den zweiten Teil von Owens „Enquiry [.  .  .]“, erschienen unter dem Titel:

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seinen Moralvorschriften, soweit sie nicht ersichtlich nur für die historischen Verhältnisse des Judentums bestimmt oder durch Christus ausdrücklich abrogiert waren, an Dignität dem Neuen durchaus gleichstand. Gerade für die Gläubigen ist das Gesetz als ideale, nie ganz erreichbare, aber eben doch geltende Norm gegeben,66) während Luther umgekehrt – ursprünglich – die Freiheit von der Gesetzesknechtschaft als göttliches Privileg der Gläubigen gepriesen hatte.67) Die Wirkung nüchterner hebräischer Lebensweisheit, | welche in den von den Puritanern am meisten gelesenen Büchern: den Sprüchen Salomos und manchen Psalmen, niedergelegt ist, fühlt man in ihrer ganzen Lebensstimmung. Speziell der rationale Charakter, die Unterbindung der Gefühlsseite der Religiosität sind schon von Sanford68) mit Recht auf die Einwir-

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66)  Cat[echismus] Genev[ensis] 149. Bailey, Praxis pietatis S.  125: „Im Leben sollen wir tun, als ob Niemand als Moses über uns zu gebieten habe.“66 67)  Den Reformierten schwebt das Gesetz als ideale Norm vor, den Lutheraner | schlägt es als unerreichbare Norm nieder. Im lutherischen Katechismus steht es, um die A 34 nötige Demut zu erwecken, voran, in den reformierten Katechismen regelmäßig hinter dem Evangelium. Den Lutheranern warfen die Reformierten vor, daß sie eine „wahre Scheu vor dem Heiligwerden haben“ (Möhler), die Lutheraner den Reformierten „unfreie Gesetzesknechtschaft“ und Hochmut.67 68)  Studies and reflections of the Great Rebellion p.  79 f.68

Owen, True Nature of a Gospel Church (vgl. darin bes. „The Subject Matter of the Church“, p.  1–19). 66  Die Belege entnimmt Weber Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, §. 6. „Die Werkthätigkeit vermöge der Geltung des Gesetzes für den Gläubigen“, S.  109– 133. Schneckenburger zitiert dort S.   115 f. aus Calvins Catechismus Genevensis (1545) einen Abschnitt über das Gesetz (nach: Collectio confessionum in ecclesiis reformatis publicatarum [Teil  1], ed. A. H. Niemeyer. – Leipzig: Klinkhardt 1840, darin auf p.  149): „Tametsi ergo in hac terrena peregrinatione legi numquam satisfacimus, non tamen hoc supervacaneum esse censebimus, quod tam exactam a nobis perfectionem flagitet. Scopum enim, ad quem nos collimare, et metam, ad quem eniti convenit, demonstrat [.  .  .]“. – Schneckenburger zitiert weiterhin S.  116 Bayly (Weber übernimmt Schneckenburgers Seitenangabe („S.  125“), wobei sich dieser auf die Ausgabe Bayly, Praxis pietatis, Bern 1703 bezieht). 67  Zu Webers Fn. vgl. Schneckenburger, ebd., S.  113–116, der lutherische Vorwurf gegen die reformierte Frömmigkeit als „eine knechtische, gesetzliche, nicht evangelisch freie“ S.  116. – Webers Zitat nach Schneckenburger, ebd., S.  171, der hierzu auf Möhler verweist (vgl. dazu: Möhler, Johann Adam, Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnißschriften, neueste Aufl. (6. Abdruck). – München, Regensburg: Nationale Verlagsanstalt 1895, §  14. Lehre der Protestanten von der Rechtfertigung und Heiligung, S.  135–145). 68  Gemeint ist: Sanford, Great Rebellion, p.  79–81. Der Titel lautet: „Studies and Illustrations . . .“.

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kung des Alten Testamentes zurückgeführt worden. Immerhin ist an sich dieser alttestamentliche Rationalismus wesentlich kleinbürgerlich traditionalistischen Charakters, und nicht nur das mächtige Pathos der Propheten und vieler Psalmen steht daneben, sondern auch Bestandteile, welche für die Entwicklung spezifischer Gefühlsreligiosität schon im Mittelalter die Anknüpfungspunkte gegeben hatten.69) Es war also letztlich doch wieder der eigene asketische Grundcharakter des Calvinismus selbst, welcher die ihm kongenia­ len alttestamentlichen Elemente auslas und sich assimilierte. – Jene Systematisierung der ethischen Lebensführung nun, welche die Askese des reformierten Protestantismus mit den rationalen Formen des katholischen Ordenslebens gemeinsam hat, tritt schon rein äußerlich in der Art zutage, wie der „präzise“ reformierte Christ seinen Gnadenstand fortlaufend kontrolliert.70) Das religiöse Tagebuch, in welches Sünden, Anfechtungen und die in der Gnade gemachten Fortschritte fortlaufend oder auch tabellarisch eingetragen werden, war der, in erster Linie von den Jesuiten geschaffenen,69 modern-katholischen Frömmigkeit (namentlich Frankreichs) mit derjenigen der kirchlich eifrigsten reformierten Kreise71) gemeinsam. Aber während es im Katholizismus dem Zweck der Vollständigkeit der Beichte diente oder dem „directeur de l’âme“ die Unterlage zu seiner autoritären Leitung des bzw. (meist) der | Gläubigen bietet, „fühlt sich“ der reformierte Christ mit seiner 69)  Von

solchen ist dabei namentlich das – von den Puritanern meist einfach ignorierte – Hohe Lied nicht zu vergessen, dessen orientalische Erotik ja z. B. die Entwicklung des Frömmigkeitstypus des hl. Bernhard bestimmt hat.70 70)  Über die Notwendigkeit dieser Selbst-Kontrolle s. z. B. die schon zitierte Predigt Charnocks über 2 Cor. 13, 5 Works of the Pur[itan] Div[ines] p.  161 f.71 71)  Die meisten Moraltheologen raten es an. So Baxter, Christ[ian] Directory II, p.  77 ff., der jedoch die „Gefahren“ nicht verhehlt.72 |

69  Über den Einsatz des religiösen Tagebuchs bei den jesuitischen „Exercitia spiritualia“ zur Berechnung des Sittlichkeitszustands vgl. Gothein, Ignatius von Loyola (wie oben, S.  291, Anm.  37), S.  234. 70  Dazu oben, S.  276 f., Fn.  33. 71  Die Predigt Charnocks, Self-Examination (Charnock, Works of the English Puritan Divines VI), p.  161–180, oben, S.  282 mit Fn.  38. 72  Baxter, Christian Directory II, in chap. XVII. „Directions for each particular Member of the Family how to spend every ordinary day of the Week“, p.  77–80. In Direction 19 heißt es: „Some think it best to keep a daily Catalogue or Diurnal of their sins and mercies. If you do so, be not too particular in the enumeration of those that are the matter

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Hilfe selbst „den Puls“.73 Von allen bedeutenden Moraltheologen wird es erwähnt, noch Benjamin Franklins tabellarisch-statistische Buchführung über seine Fortschritte in den einzelnen Tugenden gibt ein klassisches Beispiel dafür.74 Und andererseits wird das alte mittelalterliche (und schon antike) Bild von der Buchführung Gottes75 bei Bunyan bis zu der charakteristischen Geschmacklosigkeit gesteigert, daß das Verhältnis des Sünders zu Gott mit dem eines Kunden zum shopkeeper verglichen wird: wer einmal in die Kreide geraten ist, wird mit dem Ertrag all seiner eigenen Verdienste allenfalls die auflaufenden Zinsen, niemals aber die Hauptsumme abtragen können.76 Wie sein eigenes Verhalten, so kontrolliert eben der spätere Puritaner auch dasjenige Gottes und sieht in allen Einzelfügungen des Lebens seinen Finger. Und, im Gegensatz zu Calvins genuiner Lehre, weiß er daher, warum Gott diese oder jene Verfügung trifft. Die Heiligung des Lebens kann so fast den Charakter eines Geschäftsbetriebs annehmen.72) Eine penetrante Chri72) Auch Baxter (Saints’ everlastings rest c. XII) erläutert Gottes Unsichtbarkeit A 35 durch die Bemerkung: wie man im Wege der Korrespondenz gewinnbringenden Handel mit einem nicht gesehenen Fremden treiben könne, so könne man auch durch einen „seligen Handel“ mit dem unsichtbaren Gott die „eine köstliche Perle“ erwerben.77 –

s A: evalasting of every dayes return; for it will be but a temptation to waste your time, and neglect greater duty, and to make you grow customary and sensless of such sins and mercies, when the same come to be recited over and over from day to day“ (Zitat p.  80). 73 Auf die Sitte der Tagebücher als Teil der reformierten Seelsorge weist auch Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  48, hin; dort auch die Wendung „sich gleichsam fortwährend den Puls zu fühlen“. 74  Franklin, Sein Leben, S.  284–301. 75  Hier nach Apk 20,11–15: Im letzten Gericht werden Bücher aufgeschlagen, in denen das Tun jedes Menschen verzeichnet ist. Die Vorstellung begegnet schon in antiken und orientalischen Religionen. 76 Bei Bunyan, Pilgrim’s Progress, p.  156, unterrichtet „Hope“ den Pilger Christian über ihre Gedanken, bevor sie von der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi erfuhr: „I further thought thus: If a man runs a hundred pounds into the shop-keeper’s Dept, and after that shall pay for all that he shall fetch; yet his old Debt stands still in den Book uncross’d, for which the shop-keeper may sue him, and cast him into Prison, till he shall pay the dept. [.  .  .] I have by my Sins run a great way into God’s Book, and that my now Reforming will not pay off that score [.  .  .].“ Im Exemplar der UB Heidelberg sind die zitierten Sätze mit Randmarkierung versehen, „shop-keeper’s Dept“ und „God’s Book“ sind unterstrichen. Dies könnte von Weber stammen, aber nähere Anhaltspunkte gibt es nicht. 77  Vgl. Baxter, Saints’ Everlasting Rest, chap. XII, p.  203–225. Weber folgt hier einer Übersetzung Otto v. Gerlachs: Baxter, Ewige Ruhe der Heiligen, im 12. Abschnitt: „[.  .  .]

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stianisierung des ganzen Daseins ist die Konsequenz dieser Methodik der ethischen Lebensführung, welche der Calvinismus im Gegensatz zum Luthertum erzwang. – Wir haben bisher uns auf dem Boden der calvinistischen Religiosität bewegt und demgemäß die Prädestinationslehre als dogmatischen Hintergrund der puritanischen Sittlichkeit im Sinn methodisch rationalisierter ethischer Lebensführung vorausgesetzt. Dies geschah zunächst, weil jene Lehre tatsächlich auch weit über die Kreise derjenigen religiösen Partei, welche in jeder Hinsicht streng auf dem Boden Calvins sich gehalten hat, der „Presbyterianer“, als Eckstein der reformierten Lehre festgehalten wurde: nicht nur die | independentische Savoydeklaration von 1658,78 sondern ebenso die baptistische Hanserd Knollys confession von 1689 enthalten sie,79 und auch innerhalb des Methodismus war zwar John Diese kommerziellen anstatt der bei den älteren Moralisten und im Luthertum üblichen forensischen Gleichnisse sind recht charakteristisch für den Puritanismus, der im Effekt eben den Menschen selbst seine Seligkeit „erhandeln“ läßt. – Vgl. ferner etwa folgende Predigtstelle: We reckon the value of a thing by that which a wise man will give for it, who is not ignorant of it nor under necessity. Christ, the Wisdom of God, gave himself, his own precious blood, to redeem souls and he knew what they were and hadt no need of them (Matthew Henry, The worth of the soul, Works of the Pur[itan] Div[ines] p.  313).u 80 |

t A: hat  u A: 313.) sollte nicht ein Christ durch weise Benutzung der ihm eröffneten Straßen in diesem seligen Handel die ‚Eine, köstliche Perle‘ sich erwerben können?“ (S.  200; dass., 6.  Aufl. S.  304 f.). (Im Englischen heißt es in der von Benjamin Fawcett gekürzten Fassung lediglich: „[.  .  .] and may not a Christian, in the wise improvement of duties, drive on his happy trade for rest?“ Baxter, Saints’ Everlasting Rest, p.  219, ebenso in der Langfassung: Baxter, Saints’ everlasting rest, in: Practical Works XXIII, darin Part IV, chap. V, p.  299). 78  Bei der Savoy Declaration (1658; vgl. auch das Glossar, unten, S.  838) handelt es sich um das grundlegende Bekenntnis des Kongregationalismus. Grundlage ist die Westminster Confession, die in bezug auf die Kirchenverfassung modifiziert wurde. Ihre Prädestinationslehre ist mit jener identisch (bei Müller, E. F. Karl, Bekenntnisschriften, S.  542–612, sind die Abweichungen der Savoy Declaration von der Westminster Confession annotiert). 79  Zu dem von Weber als „Hanserd Knollys confession“ bezeichneten Bekenntnis der Londoner (calvinistischen) Particular Baptists von 1688/89 vgl. oben, S.  282, Fn.  39 und Anm.  2, sowie das Glossar, unten, S.  830. Auch dieses Bekenntnis hat die Westminster Confession zur Grundlage und folgt ihr in der Prädestinationslehre. Es ist wiedergegeben bei: Underhill, Confessions of Faith, p.  169–230. 80  Henry, Worth of the Soul (Henry, Works of the English Puritan Divines VIII), p.  313.

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Wesley, das große organisatorische Talent seiner Bewegung, Anhänger der Universalität der Gnade, der große Agitator der ersten methodistischen Generation und ihr konsequentester Denker aber, Whitefield, ebenso wie der um Lady Huntingdon gescharte, zeitweise doch recht einflußreiche Kreis[,] Anhänger des „Gnadenpartikularismus“.81 In ihrer grandiosen Geschlossenheit war es diese Lehre, welche in der schicksalvollsten Epoche des 17. Jahrhunderts den Gedanken, Rüstzeug Gottes und Vollstrecker seiner providentiellen Fügungen zu sein,73) in den kämpfenden Vertretern des „heiligen Lebens“ aufrecht erhielt und den vorzeitigen Kollaps in eine rein utilitarische Werkheiligkeit mit nur diesseitiger Orientierung hinderte, die ja zu so unerhörten Opfern um irrationaler und idealer Ziele willen niemals fähig gewesen wäre. Und die Verbindung des Glaubens an unbedingt geltende Normen mit absolutem Determinismus und völliger Transzendenz des Übersinnlichen, welche sie in einer in ihrer Art genialen Form herstellte, war ja gleichzeitig – im Prinzip – außerordentlich viel „moderner“, als die dem Gefühl mehr zusagende mildere Lehre, welche auch Gott dem Sittengesetz unterstellte. Vor allem aber ist der, wie sich immer wieder zeigen wird, für unsere Betrachtungen fundamentale Be73) Demgegenüber sagt schon Luther selbst: „Weinen geht vor Wirken und Leiden A 36 übertrifft alles Tun.“82 |

81  John Wesley lehnte die Prädestinationslehre in ihrer partikularen Form ab und vertrat den Gedanken der freien Gnade für alle Menschen. Darüber kam es in den Jahren 1739–1740 zum Konflikt mit George Whitefield, der während seines zweiten AmerikaAufenthalts von amerikanischen Kongregationalisten in seiner streng partikularen Haltung unterstützt wurde. Es gab somit Anhänger der universalen (um Wesley) und der partikularen Erlösungslehre (um Whitefield). Vgl. Loofs, Art. Methodismus, S.  762 (auch Tyerman, Wesley I, p.  312–335); auch im Glossar: „Gnadenuniversalismus/-partikularismus“, unten, S.  829. – Zur Auseinandersetzung um die Prädestinationslehre kam es wieder von 1770 bis ca. 1777. Nach Loofs, ebd., S.  774–776 (auch Tyerman, Wesley III, p.  80 ff.), handelte es sich dabei um die Auseinandersetzung wesleyanischer Methodisten mit dem von Whitefield beeinflußten, calvinistisch gesonnenen Kreis um Lady Huntingdon (eigentl. Selina Hastings, Countess of Huntingdon; löste sich nach 1777 auf). Der „calvinistische Streit“ wurde mittels Publikationen und auf methodistischen Konferenzen ausgetragen. 82  Zitiert bei Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, S.  140, Anm.  *. Das Zitat entstammt Luthers Auslegung der sieben Bußpsalmen, hier zu Ps 6,8 (1517: vgl. Luther, Erlanger Ausgabe, Band  37, S.  355 [WA 1, S.  165, Z.  16 f.; 2. Bearb. 1525: WA 18, S.  484, Z.  12 f.]).

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währungsgedanke als psychologischer Ausgangspunkt der methodischen Sittlichkeit gerade an der Gnadenwahllehre und ihrer Bedeutung für das Alltagsleben so sehr in „Reinkultur“ zu studieren, daß wir, da dieser Gedanke als Schema der Verknüpfung von Glauben und Sittlichkeit bei den weiterhin zu betrachtenden Denominationen sehr regelmäßig wiederkehrt, von jener Lehre als der konsequentesten Form auszugehen hatten. Innerhalb des Protestantismus bilden die Konsequenzen, welche sie bei ihren ernsten Anhängern für die asketische Gestaltung der Lebensführung haben mußte, die prinzipielle Antithese der (relativen) sittlichen Ohnmacht des Luthertums. Die lutherische „gratia amissibilis“,83 welche durch bußfertige Reue jederzeit wiedergewonnen werden kann, enthält an sich offenbar keinerlei Antrieb zu dem, was für uns hier als Produkt des asketischen Protestantismus wichtig ist: zu einer systematischen, | rationalen Gestaltung des ethischen Gesamtlebens.74) Die luthe|rische Frömmigkeit ließ demgemäß die unbe74) Auch in der Entwicklung der ethischen Theorie des Luthertums zeigt sich dies aufs deutlichste. Über diese siehe Hoennicke, Studien zur altprotestantischen Ethik, Berlin 1902 und dazu die lehrreiche Besprechung von E[rnst] Tröltsch, Gött[ingische] Gel[ehrte] Anz[eigen] 1902 Nr.  8.84 Die Annäherung der lutherischen Doktrin namentlich an die ältere orthodox-calvinistische ist dabei in der Fassung oft sehr weitgehend. Aber die andersartige religiöse Orientierung bricht sich immer wieder Bahn. Durch Melanchthon war, um für die Anknüpfung der Sittlichkeit an den Glauben eine Handhabe zu gewinnen, der Bußbegriff in den Vordergrund gestellt worden.85 Die durch das Gesetz gewirkte Buße muß dem Glauben vorangehen, gute Werke aber ihm nachfolgen, sonst kann er – fast puritanisch formuliert – nicht der wahre rechtfertigende Glaube sein. Ein gewisses Maß relativer Vollkommenheit gilt ihm auch auf Erden für erreichbar, ja Melanchthon hat ursprünglich sogar gelehrt, die Rechtfertigung erfolge, um den Menschen zu guten Werken tüchtig zu machen, und in der steigenden Vervollkommnung liege wenigstens dasjenige Maß schon diesseitiger Seligkeit, welches der Glaube gewähren könne.86 Und auch bei den späteren lutherischen Dogmatikern87 ist der Gedanke, daß gute Werke die notwendigen Früchte des Glaubens sind, daß der Glaube ein neues Leben wirke, äußerlich ganz ähnlich wie bei den Reformierten ausgeführt. Die Frage, was „gute Werke“ seien, beantwortete schon Melanchthon, noch

83  „Verlierbare Gnade“, vgl. dazu oben, S.  255 f. mit Anm.  68, und im Glossar: „Gnade“, unten, S.  829. 84  Vgl. Gustav Hoennicke, Studien; dazu Troeltsch, Rez. Hoennicke. 85  Weber referiert Hoennicke, Studien, S.  15–35 („Der Bußbegriff“), hier S.  20: „Contritio, bonum propositum ist zum Glauben notwendig, denn, wo keine Buße vorhergeht und keine Werke folgen, kann auch nicht von Rechtfertigung die Rede sein“ (nach CR 3, Sp.  179 f.). 86  Vgl. Hoennicke, ebd., S.  25. 87  Z. B. bei Johann Gerhard und Johann Andreas Quenstedt; vgl. Hoennicke, ebd., S.  42.

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fangene Vitalität triebmäßigen Handelns und naiven Gefühlslemehr aber die späteren Lutheraner, zunehmend durch Verweisung auf das Gesetz. Als Reminiszenz an Luthers ursprüngliche Gedanken blieb nunmehr nur der geringere Ernst, der mit der Bibliokratie, speziell mit der Orientierung an den Einzelnormen des alten Testaments gemacht wurde. Wesentlich der Dekalog bleibt, – als Kodifikation der wichtigsten Grundsätze des natürlichen Sittengesetzes, – Norm für das menschliche Handeln.88 – Aber: es führt keine sichere Brücke von seiner statutarischen Geltung hinüber zu der immer wieder eingeschärften ausschließlichen Bedeutung des Glaubens für die Rechtfertigung, schon weil dieser Glaube eben – s. o.89 – einen ganz anderen psychologischen Charakter hatte als der calvinistische. Der genuine lutherische Standpunkt der ersten Zeit war verlassen, und mußte von einer Kirche, die sich als Heilsanstalt betrachtete, verlassen werden, ein anderer aber nicht gewonnen. Speziell konnte man, schon aus Scheu, die dogmatische Grundlage („sola fide“!) zu verlieren, nicht zur asketischen Rationalisierung des Gesamtlebens als sittlicher Aufgabe des einzelnen kommen. Denn es fehlte eben ein Antrieb, den Bewährungs-Gedanken zu einer solchen Bedeutung aufwachsen zu lassen, wie dies im Calvinismus die Gnadenwahllehre bewirkte. Auch die – mit dem Ausfallen dieser Lehrev zusammenstimmende – magische Deutung der Sakramente, namentlich die Verlegung der regeneratio – oder doch ihres Anfanges – in die Taufe[,] mußte, bei Annahme des Gnadenuniversalismus, der Entwicklung methodischer Sittlichkeit entgegen wirken, weil sie den Abstand des status naturalis vom Gnadenstand, zumal bei der starken lutherischen Betonung der Erbsünde, für das Empfinden abschwächte, nicht minder die ausschließlich forensische Deutung des Rechtfertigungsakts,90 welche die Wandelbarkeit der Entschlüsse Gottes durch die Einwirkung des kon|kreten Bußaktes des bekehrten Sünders voraussetzt. A 38 Gerade sie aber wurde von Melanchthon zunehmend betont.91 Jene ganze Wandlung seiner Lehre, welche in der zunehmenden Betonung der Buße hervortritt, hängt eben auch mit seinem Bekenntnis zur „Willensfreiheit“ innerlich zusammen.92 All das entschied den unmethodischen Charakter der lutherischen Lebensführung. Konkrete Gnadenakte für konkrete Sünden mußten in der Vorstellung des Durchschnittsluthera-

v A: Lehr 88  Vgl. Hoennicke, ebd., S.  76–83. 89  Siehe oben, S.  242 ff., hier S.  303 f. 90 Gemeint ist die objektive Seite des mit dem Glauben verbundenen Rechtfertigungsaktes, die Gerechtsprechung des Sünders durch Gott (über die Zurechnung einer fremden Gerechtigkeit, d. h. Christi Gerechtigkeit), ohne daß mit dem Begriff die Auswirkung des Rechtfertigungsgeschehens im Menschen betrachtet wird. 91 Melanchthon akzentuiert zunehmend die forensische Deutung des Rechtfertigungsaktes (seit 1531) und versteht die Rechtfertigung als Trost für die vorangehende Buße, welche die Predigt des Evangeliums im angefochtenen Gewissen des Sünders hervorruft. Dies führt auch dazu, daß die nach Luther (und dem frühen Melanchthon) mit der Rechtfertigung zugleich erfolgende Wiedergeburt (regeneratio), die Erneuerung des Menschen und seine Ertüchtigung zu guten Werken, sich zunehmend von jener löst, so daß später Wiedergeburt und Taufe miteinander verbunden werden. Die ethische Erneuerung bindet Melanchthon darum an den Bußbegriff. Vgl. Hoennicke, Studien, S.  25 f. 92  Vgl. Hoennicke, Studien, S.  28, 60, 64 f. „[.  .  .] liberum arbitrium est in homine facultas applicandi se ad gratiam“ (Melanchthon, zitiert bei Hoennicke, ebd., S.  64).

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bens ungebrochener, es fehlte jener Antrieb zur konstanten Selbstkontrolle und damit überhaupt zur planmäßigen Reglementierung des eigenen Lebens, wie ihn die unheimliche Lehre des Calvinismus enthielt. Der religiöse Genius, wie Luther, lebte in dieser Luft freier Weltoffenheit unbefangen und, – solange die Kraft seiner Schwingen reichte! – ohne Gefahr des Versinkens in den „status naturalis“. Und jene schlichte, feine und eigentümlich stimmungsvolle Form der Frömmigkeit, welche manche der besten Typen des Luther­thums geschmückt hat, findet, ebenso wie ihre gesetzesfreie Sittlichkeit, auf dem Boden des genuinen Puritanismus selten, weit eher dagegen z. B. innerhalb des milden Anglikanismus der Hooker, Chillingwortha u. A., ihre Parallele.93 Aber für den lutherischen Alltagsmenschen, auch den tüchtigen, war nichts sicherer[,] als daß er aus dem status naturalis nur temporär – solange der Einfluß der einzelnen Beichte | oder Predigt reichte – herausgehoben wurde. Bekannt ist ja der den Zeitgenossen so auffällige Unterschied zwischen dem ethischen Standard der reformierten Fürstenhöfe gegenüber den so oft in Trunk und Roheit versunkeners – schon infolge des Fortbestandes der Beichte – den Inhalt des Heils ausmachen, nicht die Entwicklung einer ihre Heilsgewißheit sich selbst schaffenden Heiligenaristokratie. So konnte es weder zu einer gesetzesfreien Sittlichkeit noch zu einer am Gesetz orientierten rationalen Askese kommen, sondern das Gesetz blieb unorganisch neben dem „Glauben“ als Statut und ideale Forderung bestehen, überdies, da man die strikte Bibliokratie als Werkheiligkeit scheute, recht unsicher und unpräzis, vor allem unsystematisch in seinem näheren bInhalt. –b Das Leben aber blieb, ebenso wie Tröltsch (a. a. O.)94 es von der ethischen Theorie gesagt hat, eine „Summe bloßer niemals ganz gelingender Anläufe“, welche in der „Zerstückelung einzelner unsicherer Anweisungen festgehalten“, nicht auf „Auswirkung in einem zusammenhängenden Lebensganzen“ gerichtet waren, sondern im wesentlichen, gemäß der Entwicklung, die schon Luther selbst (s. o.)95 genommen hatte, ein Sich-Schicken in die gegebenec Lebenslage im Kleinen wie im Großen darstellten. – Das so viel beklagte „Sich-Schicken“ des Deutschen in fremde Kulturen, ihr schneller Nationalitätswechsel, ist, – neben bestimmten politischen Schicksalen der Nation, – auch recht wesentlich auf Rechnung dieser, in allen unseren Lebensbeziehungen noch heute nachwirkendend Entwicklung zu setzen. Die subjektive Aneignung der Kultur bleibt schwach, weil sie wesentlich auf dem Wege passiver Entgegennahme des „autoritär“ Dargebotenen erfolgt. | a A: Chillingsworth    b–b  A: Inhalt –. 

  c  A: gegebenene 

  d  A: nachwirkender

93  Zur Position Richard Hookers vgl. etwa Neal, Puritans I, p.  446–449, zu der von William Chillingworth ders., Puritans III, p.  81–83. 94  Troeltsch, Rez. Hoennicke, Zitate (mit Auslassungen einzelner Wörter durch Weber) alle S.  581 (KGA 4, S.  221). 95  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  201–209.

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nen lutherischen75), ebenso die Hilflosigkeit der lutherischen Geistlichkeit mit ihrer reinen Glaubenspredigt gegenüber der asketischen Bewegung des Täufertums. Was man an den Deutschen als „Gemütlichkeit“ und „Natürlichkeit“ empfindet, im Gegensatz zu der – bis auf die Physiognomie der Menschen – noch heute unter der Nachwirkung jener gründlichen Vernichtung der Unbefangenheit des „status naturalis“ stehenden angloamerikanischen Lebensluft, und was Deutsche an dieser letzteren regelmäßig als „Enge“, „Unfreiheit“ und innerliche Gebundenheit zu befremden pflegt, – das sind Gegensätze der Lebensführung, welche jener geringeren asketischen Durchdringung des Lebens durch das Luthertum im Gegensatz zum Calvinismus entstammen.96 Die Antipathie des unbefangenen „Weltkindes“ gegen das Asketische spricht sich in jenen Empfindungen aus. Dem Luthertum fehlt eben, und zwar infolge seiner Gnadenlehre, der psychologische Antrieb zum Systematischen in der Lebensführung, der ihre methodische Rationalisierung erzwingt. Dieser Antrieb, der eben den asketischen Charakter der Frömmigkeit bedingt, konnte an sich durch verschieden geartete religiöse Motive erzeugt werden, wie wir bald sehen werden:97 die Prädestinationslehre des Calvinismus ist nur eine von verschiedenen Möglichkeiten. Aber allerdings überzeugten wir uns, daß sie in ihrer Art nicht nur von ganz einzigartiger Konsequenz war, sondern auch von ganz eminenter psychologischer Wirksamkeit. Die nicht calvinistischen asketischen Bewegungen erscheinen danach, rein unter dem Gesichtspunkt der religiösen Motivierung ihrer Askese betrachtet, für uns als Abschwächungen der Konsequenz des Calvinismus. Aber auch in der Wirklichkeit der geschichtlichen Entwicklung lagen die Dinge, nicht durchweg, aber doch meist, so, daß die refor75)  S[iehe] über diese Dinge etwa das Plauderbuch von Tholuck: Vorgeschichte des A 39 Rationalismus.98 |

96  Vgl. die Äußerung im Brief Max Webers an Adolf Harnack vom 5. Febr. 1906 (MWG II/5, S.  32 f.), zitiert in der Einleitung, oben, S.  25 f. 97  Siehe unten, S.  308–366. 98 Vgl. Tholuck, Vorgeschichte II/1, S.   225–231 über die lutherischen Höfe und S.  301–312 über die reformierten Höfe. Ferner für die 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts ders., Vorgeschichte II/2, S.  190–199 über das höfische Leben im Luxus trotz Staatsbankerott (z. B. in Kursachsen) gegenüber dem sittlichen Leben der deutschen reformierten Fürsten, S.  239–265.

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mierte Form der Askese von den übrigen asketischen Bewegungen entweder nachgeahmt oder bei der Entwicklung der eigenen davon abweichenden oder darüber hinausgehenden Grundsätze vergleichend und ergänzend herangezogen wurde. Historisch ist der Gedanke der Gnadenwahl jedenfalls der Aus|gangspunkt für die üblicherweise als „Pietismus“ bezeichnete asketische Richtung gewesen. Es ist, soweit sich diese Bewegung innerhalb der reformierten Kirche gehalten hat, nahezu unmöglich, eine bestimmte Grenze zwischen pietistischen und nichtpieti­ stischen Calvinisten zu ziehen.76) Fast alle prononzierten Vertreter 76) Ritschl, Geschichte des Pietismus I S.  192e sucht sie für die Zeit vor Labadie (übrigens nur auf Grund niederländischer specimina) darin, daß bei den Pietisten I. Conventikel gebildet, – II. der Gedanke der „Nichtigkeit des geschöpflichen Daseins“ in einer „dem evangelischen Seligkeitsinteresse widersprechenden Weise“ gepflegt – III. „die Versicherung der Gnade in dem zärtlichen Umgang mit dem Herrn Jesus“ in unreformatorischer Weise gesucht worden sei.1 Das letzte Merkmal trifft für diese Frühzeit nur auf einen der von ihm behandelten Vertreter zu,2 der Gedanke der „Nichtigkeit der Kreatur“ ist an sich echtes Kind calvinistischen Geistes, und erst wo er zur praktischen Weltflucht führt, lenkt er aus den Bahnen des normalen Protestantismus heraus.3 Die Conventikel endlich hatte die Synode von Dordrecht in bestimmtem Umfang (insbesondere zu katechetischen Zwecken) selbst angeordnet.4 – Von den in Ritschl’s vorangehender Darstellung analysierten Merkmalen pietistischer Frömmigkeit kämen etwa in Betracht: 1. der „Präzisismus“ in dem in allen Äußerlichkeiten des Lebens stärker dem Bibelbuchstaben verknechteten Sinn, den Gisbert Voët zuweilen vertritt;5 – 2. die Behandlung der Rechtfertigung und Versöhnung mit Gott nicht als Selbstzweck, sondern als bloßes Mittel zum asketisch heiligen Leben, wie sie bei Lodensteyn vielleicht zu finden,6 aber bei Melanchthon z. B. auch angedeutet (Anm.  74)7

e A: 152   1  Die Merkmale mit (teils freien) Zitaten nach Ritschl, Pietismus I, S.  192. Nach Ritschl manifestierte sich der Pietismus erstmals in der niederländischen reformierten Kirche. 2  Jodocus van Lodensteyn, vgl. Ritschl, ebd., S.  192 und passim. 3  Den Grundsatz der Selbstverleugnung vertrat nach Ritschl der Separatist Lodensteyn (ebd., S.  168 f.). Aus Calvins Verständnis der Selbstverleugnung als des Verzichts auf den eigenen Vorteil „nach dem Fleisch“, um alles zur Ehre Gottes zu tun (vgl. Inst. III,7,1), werde bei Lodensteyn der Grundsatz: Gott ist alles und das Geschöpf ist nichts. 4  Vgl. Ritschl, ebd., S.  117 f., mit Hinweis auf die 17. Session der Dordrechter Synode; vgl. auch S.  121 f. 5  Voet formuliert in seiner kasuistisch ausgeführten Moral direkte Handlungsregeln; vgl. Ritschl, ebd., S.  103 ff., bes. S.  112 f. In seiner Disputation „De Praecisitate“ (1643) verlangt Voet, daß die Regeln präzise befolgt und ausgeführt werden. (Daher „Präzisismus“, vgl. oben, S.  289, Anm.  30.) 6  Bei Ritschl ausgeführt für Lodensteyn, vgl. ebd., S.  157 f. 7  Oben, S.  304–306.

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des | Puritanismus sind gelegentlich unter die Pietisten gerechnet

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ist; – 3. die hohe Schätzung des „Bußkampfes“ als Merkmals echter Wiedergeburt, wie sie als erster W[ilhelm] Teellinckf lehrte;8 4. die Abstinenz vom Abendmahl bei Teilnahme unwiedergeborener Personen daran (von der in anderem Zusammenhang noch zu reden sein wird)9 und die damit zusammenhängende[,] nicht in den Schranken der Dordrechter canones sich haltende Conventikelbildung mit Wiederbelebung der „Prophetie“, d. h. der Schriftauslegung auch durch Nichttheologen, selbst Frauen (Anna Maria Schurmann).10 Alles das sind Dinge, die Abweichungen, zum Teil erheblicher Art, von der Lehre und Praxis der Reformatoren darstellen, aber gegenüber den von Ritschl in seine Darstellung nicht einbezogenen Richtungen, besonders der englischen Puritaner, stellen sie, außer Nr. III, doch nur eine Steigerung von Tendenzen dar, welche in der ganzen Entwickelung dieser Frömmigkeit lagen. Die Unbefangenheit von Ritschls Darstellung leidet daran, daß der große Gelehrte seine kirchen- oder vielleicht besser gesagt: religionspolitisch orientierten Werturteile hineinträgt und in seiner Antipathie gegen alle spezifisch asketische Religiosität überall da, wo die Wendung zu dieser hin sich vollzieht, Rückfälle in den „Katholizismus“ hineininterpretiert.11 Aber wie der Katholizismus, so schließt auch der alte Protestantismus an sich „all sorts and conditions of men“ ein,12 und doch hat den Rigorismus der innerweltlichen Askese die katholische Kirche in Gestalt des Jansenismus ebenso abgelehnt, wie der Pietismus den spezifisch katholischen Quietismus des 17. Jahrhunderts zurückwies.13 – Für unsere | speziellen Betrachtungen schlägt jedenfalls der Pietismus erst da in etwas nicht gradu- A 41 ell, sondern qualitativ anders Wirkendes um, wo die gesteigerte Angst vor der „Welt“ zur Flucht aus dem privatwirtschaftlichen Berufsleben, also zur Conventikelbildung

f  A: Teelinck   8  Willem Teellinck in seiner Schrift „Soliloquium“ (1653), vgl. Ritschl, ebd., S.  124–128. 9  Bei den strengen, Voets Auffassung folgenden Christen, vgl. Ritschl, ebd., S.  114– 117. – Weber kommt darauf im vorliegenden Aufsatz nicht zurück. 10  Vgl. Ritschl, ebd., S.  120 und 206. Anna Maria von Schurmann war Schülerin Voets und lebte später in der Hausgemeinschaft Labadies. 11  Zu Webers Kritik an Ritschl vgl. auch oben, S.  248 f., Fn.  4, und S.  276 f., Fn.  33. 12  Die Formulierung entstammt den „Prayers and Thanksgivings upon several occasions“ des „Book of Common Prayer“, des seit 1662 in Gebrauch stehenden Gottesdienst- und Gebetbuchs der Church of England. Eine Fürbitte des Morgen- und Abendgebets („A Collect or Prayer for all Conditions of men“ lautet: „O God, the Creator and Preserver of all mankind, we humbly beseech thee for all sorts and conditions of men; that thou wouldest be pleased to make thy ways known unto them, thy saving health unto all Nations.“ (Zitiert nach der Ausg.: London: G. E. Eyre and W. Spottiswoode o. J. [ca. 1870], p.  82.) – Zugleich handelt es sich um den Buchtitel eines zuerst 1882 erschienenen sozialkritischen, die Lebensbedingungen der Arbeiterfamilien des Londoner East Ends schildernden Romans von Sir Walter Besant (1836–1901; London, 3 vols.), in dessen Folge 1887 der People’s Palace gegründet wurde. Vermutlich spielt Weber auf den Buchtitel an. 13  Zum „Jansenismus“ und katholischen „Quietismus“ vgl. das Glossar, unten, S.  832 und 837, zum „Jansenismus“ außerdem unten, S.  387, Anm.  21. Die Ablehnung des katholischen Quietismus des 17. Jahrhunderts begegnet, folgt man Ritschl, v. a. bei Zinzendorf (vgl. Ritschl, Pietismus III, S.  408, dazu S.  436 f.).

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worden,14 und es ist eine Auffassung durchaus statthaft, welche alle jene Zusammenhänge zwischen Prädestination und Bewährungsgedanken, mit dem ihnen zugrunde liegenden Interesse an der Gewinnung der subjektiven „certitudo salutis“, wie sie oben dargestellt wurden,15 bereits als pietistische Fortbildung der genuinen Lehre Calvins ansieht.77) Für England pflegt man deshalb den Begriff auf klösterlich-kommunistischer Grundlage (Labadie),16 oder – wie dies einzelnen extremen Pietisten von den Zeitgenossen nachgesagt wurde – zur absichtlichen Vernachlässigung der weltlichen Berufsarbeit zugunsten der Contemplation führte.17 Diese Folge trat naturgemäß besonders häufig da ein, wo die Contemplation jenen Zug anzunehmen begann, den Ritschl als „Bernhardinismus“ bezeichnet, weil er in der Auslegung des „hohen Liedes“ durch den hl. Bernhard zuerst deutlich entwickelt ist:18 eine hysterisch-sinnlich fundamentierte mystische Stimmungsreligiosität, – die durch sexuelle Anklänge vergröberte „unio mystica“ erstrebend –, welche schon rein religionspsychologisch gegenüber der reformierten Frömmigkeit,g aber auch gegenüber ihrer asketischen Ausprägung bei Männern wie Voët, unzweifelhaft ein „aliud“ darstellt.19 Ritschl sucht nun aber überall diesen Quietismus mit der pietistischen Askese zu kopulieren und so die letztere in die gleiche Verdammnis zu bringen, und er legt den Finger auf jedes Zitat aus der katholischen Mystik oder Asketik, welches er in der pietistischen Litteratur findet. Allein auch ganz „unverdächtige“ englische und niederländische Moraltheologen zitieren Bernhard, Bonaventura, Thomas a Kempis. – Das Verhältnis zu der katholischen Vergangenheit ist bei allen Reformationskirchen ein sehr komplexes, und je nach dem Gesichtspunkt, den man in den Vordergrund stellt, erscheint hier die eine, dort die andere als die dem Katholizismus – resp. bestimmten Seiten desselben – näherstehende. 77)  So behandelt denn auch der recht lehrreiche Artikel „Pietismus“ von Mirbt in der 3.  Aufl. der Realenc[yklopädie] f[ür] Prot[estantische] Theol[ogie] u[nd] K[irche]

g  In A folgt ein Gedankenstrich. 14 Weber dürfte Heppe, Pietismus, folgen, dessen Werk er unten, S.  324, Fn.  92, nennt. Heppe sieht die ersten Anfänge des Pietismus in England und Schottland (S.  VIII) und bezieht darum den „puritanische[n] Pietismus Englands“ (S.  14–73) in seine Darstellung, die v. a. dem niederländischen Pietismus gilt, mit ein (anders Ritschl, dessen „Geschichte des Pietismus“ nach den Prolegomena mit dem niederländischreformierten Pietismus beginnt). 15  Siehe oben, S.  272 ff. 16  Vgl. Ritschl, Pietismus I, S.  220 ff., dazu oben, S.  295 f., Anm.  56. 17 Als Beispiel nennt Weber unten, S.  317, Fn.  80, Willem Schortinghuis und seine Anhänger. 18  Zu den Hohelied-Predigten Bernhards von Clairvaux und einer entsprechenden Frömmigkeit vgl. Ritschl, Pietismus I, S.  46–61, sowie I–III passim (ohne die Bezeichnung „Bernhardinismus“), dazu bereits Webers Ausführungen oben, S.  277, Fn.  33. 19  Zu Voet vgl. Ritschl, Pietismus I, S.  101–130, über die vorsichtige Distanz Voets zur mystischen Frömmigkeit ebd., S.  122 ff.

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„Pietismus“ meist gar nicht zu brauchen. Aber auch der kontinentale reformierte (niederländisch-niederrheinische) Pietismus ist wenigstens dem Schwerpunkt nach ganz ebenso wie etwa die Religiosität Baileys zunächst einfach Steigerung der reformierten Askese.20 Auf die „praxis pietatis“ rückt der entscheidende Nachdruck so stark, daß darüber die dogmatische Rechtgläubigkeit in den Hintergrund tritt, zuweilen | direkt indifferent erscheint. Dogmatische Irrtümer können die Prädestinierten ja gelegentlich ebenso befallen wie andere Sünden, und es lehrt die Erfahrung, daß zahlreiche über die Schultheologie gänzlich unorientierte Christen die offenbarsten Früchte des Glaubens zeitigen, während sich auf der anderen Seite zeigt, daß das bloße theologische Wissen keineswegs die Sicherheit der Bewährung des Glaubens im Wandel mit sich führt.78)

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die Entstehung des Pietismus lediglich als ein persönliches religiöses Erlebnis Spener’s,21 was doch etwas befremdend wirkt. – Lesenswert ist zur Einführung in den Pietismus noch immer Gustav Freytag’s Schilderung in den „Bildern aus der deutschen Vergangenheit“.22 | 78) Diese Anschauung hat den Pietismus bekanntlich befähigt, einer der Hauptträ- A 42 ger des Toleranzgedankens zu sein. Historisch entspringt derselbe, wenn wir die humanistisch-aufklärerische Indifferenz hier einmal bei Seite lassen – für sich allein hat sie nirgends große praktische Wirkungen geübt – folgenden Hauptquellen: 1. rein politischer Staatsraison (Archetypos: Wilhelm von Oranien)23 – 2. dem Merkantilismus (so

20  Vgl. Lewis Baylys „Practice of Piety“ (3. ed. 1613, dt. „Praxis pietatis“). Das Erbauungsbuch des Puritaners gibt konkrete Handlungsanleitungen für das Leben. Es war populär und durch Übersetzungen weit verbreitet, besonders in Deutschland. 21  „Die Geschichte der Entstehung des Pietismus ist zum großen Teil die Geschichte des Lebens von Philipp Jakob Spener“, so Mirbt, Art. Pietismus, S.  775. 22  Freytag, Bilder IV, behandelt die Zeit von 1700 bis zur Deutschen Revolution von 1848 und in diesem Zusammenhang den Pietismus. Max Webers Handexemplar (Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München) enthält im Kapitel über den Pietismus, überschrieben „Die Stillen im Lande“ (S.  9–69), einzelne Unterstreichungen und Randmarkierungen. 23  Wilhelm I. von Oranien, seit 1559 Territorialstatthalter der unter spanischer Herrschaft stehenden Provinzen Holland, Seeland und Utrecht, hatte folgendes Ideal: „Vertreibung der fremden Soldaten, Verknüpfung aller siebzehn Provinzen zu einer gemein­ samen freien Organisation unter einem erblichen Oberhaupt und einer all­ge­meinen Landesvertretung, eine freisinnige Politik der Toleranz und Aufhebung jedweden Gewissenszwanges – das waren die grossen Ziele [.  .  .]“. Motley, John Lothrop, Der Abfall der Niederlande und Die Entstehung des Holländischen Freistaats, 3. Band. – Dresden: Rudolf Kuntze 1860, S.  67 (im Englischen – vgl. oben, S.  247, Fn.  4 mit Anm.  22 – ohne den Begriff „toleration“). Für kurze Zeit gelang es ihm mit der „Genter Pazifikation“ vom 8. November 1576, die alte Einheit der südlichen und nördlichen Provinzen auf Basis der Forderung des Abzugs der spanischen Truppen und der „Gewissensfreiheit“ bis zu einer Entscheidung der Generalstaaten wieder herzustellen. Sie zerbrach

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Am theologischen Wissen | kann also die Erwählung überhaupt

z. B. besonders deutlich bei der Stadt Amsterdam und bei den zahlreichen Städten, Grundherren und Potentaten, welche die Sektirer als schätzenswerte Träger des ökonomischen Fortschrittes aufnahmen) – 3. der radikalen Wendung calvinistischer Frömmigkeit.24 Die Prädestination schloß es ja im Grunde aus, daß der Staat durch Intoleranz die Religion wirklich förderte. Er vermochte ja dadurch doch keine Seelen zu retten, und nur der Gedanke an Gottes Ehre veranlaßte die Kirche, seinen Beistand zur Unterdrückung der Häresie zu beanspruchen. Je größerer Nachdruck nun aber auf die Zugehörigkeit des Predigers und aller Abendmahlsgenossen zu den Erwählten gelegt wurde, desto unerträglicher mußte jede staatliche Einmischung in die Besetzung des Predigtamts und jede Vergebung der Pfarrstellen als Pfründen an vielleicht unwiedergeborene Zöglinge der Universitäten, nur weil sie theologisch gebildet waren, sein. Der reformierte Pietismus stärkte diesen Gesichtspunkt durch Entwertung der dogmatischen Korrektheit und allmälige Durchlöcherung des Satzes „Extra ecclesiam nulla salus“.25 Calvin hatte die Unterwerfung auch der Verworfenen unter die göttliche Stiftung der Kirche als allein mit Gottes Ruhm verträglich erachtet;26 in Neu-England suchte man die Kirche als Aristokratie der bewährten Heiligen zu konstituieren; schon die radikalen Independenten aber lehnten jede Einmischung der bürgerlichen und ebenso irgend welcher hierarchischer Gewalten in die nur innerhalb der Einzelgemeinde mögliche Prüfung der „Bewährung“ ab. Der Gedanke, daß Gottes Ruhm es erfordere, auch die Reprobierten unter die Zucht der Kirche zu bringen, wurde durch den – von Anfang an ebenfalls vorhandenen[,] aber allmälig immer leidenschaftlicher betonten – Gedanken verdrängt, daß es Gottes Ruhm verletzte, mit einem von Gott Verworfenen das Abendmahl zu teilen. Das mußte zum Voluntarismus führen, denn es führte zur „believers’ Church“, der nur die Wiedergeborenen umfassenden religiösen Gemeinschaft.27 Der calvinistische Baptismus, dem z. B. der Leiter des „Parlamentes der Heiligen“, Praisegod Barebone, angehört, zog die Konsequenzen aus dieser Gedankenreihe am entschlossensten.28 Cromwell’s Heer trat für die Gewissensfreiheit und das Parlament der „Heiligen“ sogar für Trennung von Staat und Kirche ein, weil seine A 43 Angehörigen fromme Pietisten waren, also | aus positiv-religiösen Gründen. – 4.29 Die täuferischen Sekten haben von Beginn ihres Bestehens an, wie wir noch sehen werjedoch schnell, und am 6. Januar 1579 schlossen sich die südlichen, katholischen Provinzen in der Union von Atrecht (Arras) und am 29. Januar 1579 die nördlichen, überwiegend protestantischen Provinzen in der Union von Utrecht zusammen. Diese erklärte 1581 ihre Unabhängigkeit von Spanien. 24  So in der Westminster Confession, oben, S.  252 f., und in den Dordrechter Canones, oben, S.  250 f. mit Anm.  47. 25  „Außerhalb der Kirche kein Heil“. Vgl. das Glossar, unten, S.  828. 26  Vgl. Calvin, Inst. IV,1,7. 27 Weber gebraucht den von ihm hier definierten Begriff „believers’ church“ auch unten, S.  348 f. Eine Übernahme des Begriffs aus der genannten Literatur ließ sich nicht ermitteln (den Begriff verwendet auch Troeltsch, Protestantisches Christentum, KGA 7, S.  414). 28  Das „Parlament der Heiligen“ wurde auch „Barebone’s Parliament“ genannt, vgl. oben, S.  270, Anm.  40. Als Particular Baptist samt den weitreichenden Forderungen dieser Gemeinschaft tritt Praisegod Barebone, Mitglied des Langen Parlaments 1653, z. B. in Masson, Milton III, p.  147–149, hervor. – Zu den calvinistischen Baptisten vgl. unten, S.  346, Fn.  122. 29  Fortsetzung von 1.–3., oben, S.  311 f.

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den,30 stets an dem Grundsatz festgehalten, daß nur persönlich Wiedergeborene in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen werden können[,] und daher jeden „Anstalts“Charakter der Kirche und jede Einmischung der weltlichen Macht perhorresziert. Auch hier ist es also ein positiv-religiöser Grund, der die Forderung unbedingter Toleranz erzeugt. – Roger Williams, der Gründer der ersten aus diesen positivreligiösen Gründen toleranten und jeden Rest von Staatskirchentum ablehnenden Kolonie Rhode-Island, wurde dort neu getauft und war dann – zeitweilig – Baptistenprediger, aber es scheint nicht exakt nachweisbar, woher er seine schon vorher entwickelten antistaatskirchlichen Grundsätze hatte.31 Die von dem katholischen Lord Baltimore gegründete Kolonie Maryland proklamierte die Toleranz – welche die katholische Kirche als exclusive Heilsanstalt als Prinzip nicht zugestehen kann – lediglich aus Opportunität, weil eine offiziell katholische Kolonie unterdrückt worden wäre.32 Pennsylvanien hatte natürlich von Anfang an den Grundsatz der Toleranz und der Trennung von Staat und Kirche aus religiösen Gründen.33 – Die vorstehenden Bemerkungen, auf die ja weiterhin eingehender zurückzukommen sein wird,34 sind hier u. A. auch deshalb eingeflochten, weil letzthin wieder einmal der Abg[eordnete] Gröber im Reichstag für Maryland die Priorität der „Toleranz“ gegenüber Rhode Island in Anspruch genommen hat.35 Toleranz aus politischen (ev[entuell] kirchenpolitischen) Opportunitäts30  Siehe unten, S.  348–363. 31  Williams war überzeugt, „that the civil power has no control over the religious opinions of men“, ebenfalls von der „entire separation of Church and State“, was ihn und Gleichgesinnte 1636 veranlaßte, Massachusetts zu verlassen und Providence (im späteren Rhode Island) zu gründen. Dazu Arnold, Rhode Island I (von Weber zitiert unten, S.  413, Fn.  71), p.  41–47, Zitate p.  41. Jellinek stellt für die Grundordnung des neuen Gemeinwesens fest: „[.  .  .] die Religion ist überhaupt nicht Gegenstand der Gesetzgebung. So wurde denn hier zuerst die unbeschränkteste Freiheit der religiösen Überzeugung anerkannt und zwar durch einen Mann voll glühendster Religiosität“. Jellinek, Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, S.  40. Über Williams zeitweiligen Baptismus berichtet z. B. Weingarten, Revolutionskirchen Englands, S.  36 f. 32  Nach Doyle, The English in America I, war Lord Baltimore (Cecil Calvert), der sich zum römisch-katholischen Glauben seiner Vorfahren bekannte, als Eigentümer der Kolonie Maryland gegenüber der englischen Krone weitgehend unabhängig (1632, besiedelt 1634). Jedoch sollten die kirchlichen Rechte der englischen Staatskirche gelten. „It cannot be supposed that this was intended to interfere with the free exercise of the Romish religion, but merely to prevent it from asserting a claim to be an established religion on an equal footing with the Church of England in the colony“ (p.  374). In der Verfassung von 1649 gewährte „[d]as katholische Maryland [.  .  .] jedem Freiheit der Religionsübung, der Jesum Christum anerkennt“; Jellinek, ebd., S.  42 f. 33  Pennsylvania wurde erst 1681 von William Penn gegründet. In erster Linie diente die Kolonie als Refugium für die seinerzeit verfolgten Quäker. Über die Verfassungsgrundsätze (seit 1683) vgl. Jellinek, Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, S.  44. 34  Auf die Themen Toleranz und Verhältnis von Kirche und Staat geht Weber in diesem Aufsatz nicht mehr ein. Vgl. aber zur Toleranz seine Auseinandersetzung mit Rachfahl bei Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, unten, S.  585–590, dazu die Einleitung, oben, S.  77–82; zum Verhältnis von Staat und Kirche vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, unten, S.  426–462. 35 Der Zentrums-Abgeordnete Adolf Gröber begründete in der Sitzung des deutschen Reichstags vom 8. Februar 1905 den Gesetzentwurf des Zentrums über die

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nicht bewährt werden.79) | Daher beginnt der Pietismus in tiefem gründen und Toleranz als religiöses Prinzip sind aber sehr zweierlei. Die letztere kann die katholische Kirche nicht akzeptieren, weil sie als Stiftung Gottes die Pflicht hat, die Menschen vor der Verdammnis, in welche die Häresie sie unfehlbar führt, zu bewahren. – Es steht mit der Toleranz nicht anders als mit der modernen „liberalen“ Idee überhaupt: die religiöse Verankerung des Prinzips der Verwerfung aller menschlichen Autoritäten als „Kreaturvergötterung“ und Entwertung der allein Gott und seinem Gesetz geschuldeten unbedingtenh Unterwerfung des eigenen Willens, – wie sie am schärfsten bei den Quäkern, in minder konsequenter Form aber bei allen asketischen Sekten auftrat,36 – diese Ableitung der „Autoritätsfeindschaft“ aus positiv-religiösen Motiven war die historisch entscheidende „psychologische“ Grundlage der „Freiheit“ in den puritanischen Ländern. Mag man die historische Bedeutung der „Aufklärung“ noch so hoch einschätzen, so fehlte ihren freiheitlichen Idealen jene, deren Fortbestand erst sichernde, Verankerung an solchen positiven Antrieben, wie sie auch Gladstone’s politischer Arbeit überhaupt erst die „construktive“ Note gaben.37 Für die Geschichte der Entstehung und politischen Bedeutung der „Gewissensfreiheit“ ist bekanntlich Jellinek’s „Erklärung der Menschenrechte“ grundlegend. Auch ich persönlich verdanke dieser Schrift die Anregung zur erneuten Beschäftigung38 mit dem Puritanismus. 79) In seiner praktischen Anwendung tritt dieser Gedanke z.  B. bei den Cromwell’-schen „tryers“, den Examinatoren der Predigtamts-Kandidateni, zu Tage. Sie | h A: unbedingter  i  A: Predigtamts-Kanditaten Freiheit der Religionsübung (sog. „Toleranzantrag“). Dabei bezog er sich auch auf die „geschichtliche Entwicklung“: „Es ist interessant, daß das erste Staatswesen, welches den Grundsatz der Toleranz ausgesprochen hat, gerade ein von einem freisinnigen Katholiken gegründetes Staatswesen gewesen ist, nämlich das von Lord Baltimore gegründete Maryland. [.  .  .] Diese Gründung erfolgte im Jahre 1634; kurz darauf im Jahre 1636 folgte ein von einem Protestanten gegründetes Gemeinwesen, in welchem der Grundsatz aufgestellt wurde, es solle die Religion überhaupt nicht Gegenstand der Gesetzgebung sein: es war dies die von Roger Williams gegründete Stadt Providence. In Maryland ist von Anfang an volle Toleranz für alle christlichen Religionsrichtungen durchgeführt, und später, im Jahre 1649, eine berühmte Toleranzakte in aller Form aufgestellt worden [.  .  .].“ Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags. XI. Legislaturperiode, I. Session 1903/1905, 2. Sessionsabschnitt [.   .   .], 6. Band. – Berlin: Norddeutsche Buchdruckerei und Verlags-Anstalt 1905, S.  4370–4383, Zitate S.  4382. 36  Vgl. unten, S.  352 f. mit Fn.  130 und S.  398 f. 37 William Ewart Gladstone war zeitlebens überzeugter Anglikaner: „[.  .  .] with a steadfast tread he marched along the high anglican road to the summits of that liberalism which it was the original object of the new anglicans to resist and overthrow“. Morley, John, The life of William Ewart Gladstone, vol. I. – London: Macmillan and Co. 1903, p.  153. Seine orthodox-anglikanische Frömmigkeit und seine daraus entspringenden politischen und kirchenpolitischen Ansichten und Handlungen schildert auch Daniel, Emil, Gladstone [I], in: Preußische Jahrbücher, hg. von Hans Delbrück, 117. Band, Heft III. – Berlin: Georg Stilke 1904, S.  385–425; ders., Gladstone II, ebd., 118. Band, Heft I, 1904, S.  38–77. 38 Die erste Auflage von Jellinek, Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, erschien 1895, die 2., erweiterte Aufl. 1904. Im Sommer 1904 plante Weber zu Jellineks Schrift eine Besprechung – dies könnte mit der „erneuten Beschäftigung mit dem Pu-

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Mißtrauen gegen die Theologenkirche, welcher er – das gehört zu seinen Merkmalen – offiziell dennoch angehörig bleibt, die Anhänger der „praxis pietatis“39 in Absonderung von der Welt in „Konventikel“ zu sammeln. Er möchte die unsichtbare Kirche der „Heiligen“ sichtbar auf die Erde herabziehen und, ohne doch die Konsequenz der Sektenbildung zu ziehen, in dieser Gemeinschaft geborgen ein den Einflüssen der Welt abgestorbenes, in allen Einzelheiten an Gottes Willen orientiertes Leben führen und so der eigenen Wiedergeburt auch in täglichen äußeren Merkmalen der Lebensführung sicher bleiben. Die „ecclesiola“ der wahrhaft Bekehrten40 möchte so – das ist ebenfalls allem spezifischen „Pietismus“ gemeinsam – in gesteigerter Askese schon im Diesseits die Gemeinschaft mit Gott in ihrer Seligkeit kosten. Dies letztere Bestreben hat nun etwas mit der lutherischen „unio mystica“41 innerlich Verwandtes und führt sehr oft zu einer stärkeren Pflege der Gefühlsseite der Religion, als sie dem reformierten Durchschnittschristentum normalerweise eignet. Dies wäre dann auf dem Boden der reformierten Kirche als das entscheidende Merkmal des „Pietismus“ anzusprechen, soweit unsere Gesichtspunkte in Betracht kommen. Denn jenes der calvinistischen Frömmigkeit im ganzen ursprünglich fremde, dagegen gewissen Formen mittelalterlicher Religiosität innerlich verwandte Gefühlsmoment lenkt die suchten nicht sowohl die fachlich-theologische Bildung, als den subjektiven Gnaden- A 44 stand des Kandidatenk festzustellen.42 k  A: Kanditaten ritanismus“ gemeint sein –, verwirklichte sie aber nicht. Vgl. die Einleitung, oben, S.  56, sowie den Editorischen Bericht zu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  102. – Jellinek spricht in diesem Kontext oft von „Gewissensfreiheit“ oder gebraucht Äquivalente, ebd., S.  35 ff. 39 Praxis pietatis, „(Aus- oder auch Ein-)Übung der Frömmigkeit“, meint die Wertschätzung eines verinnerlichten und entsprechend gelebten Glaubens. Sie kennzeichnet die gesamte pietistische Bewegung. (Vgl. auch den Buchtitel von Bayly, „Practice of Piety“, dt. „Praxis pietatis“, dazu oben, S.  311, Anm.  20.) 40  Als vollständige Formel bei Spener: „ecclesiola in ecclesia“. Spener versteht darunter, statt äußerer Reform des Kirchenwesens, die Sammlung und Förderung der Frommen, z. B. in Konventikeln zu gegenseitiger Belehrung, Erbauung und Übung des geistlichen Priestertums, um auf diese Weise von innen nach außen zu wirken. Vgl. Ritschl, Pietismus II, S.  135 f. 41  Vgl. oben, S.  276 f. 42  Ausführlich bei Neal, Puritans IV, p.  92 ff.; auch bei Tayler, Retrospect, p.  209 ff. Die Cromwellsche Untersuchungskommission von 38 „triers“ wurde bei der Neuordnung des Kirchenwesens 1654 eingerichtet.

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praktische Religiosität in die Bahn diesseitigen Genusses der Seligkeit statt des asketischen Kampfes um ihre Sicherung für die jenseitige Zukunft. Und das Gefühl kann dabei eine solche Steigerung erfahren, daß die Religiosität direkt hysterischen Charakter annimmt und dann durch jene aus zahllosen Beispielen bekannte, psychophysisch begründete, Abwechslung von halbsinnlichen Zuständen religiöser Verzückung mit Perioden nervöser Erschlaffung, die als „Gottferne“ empfunden werden, im Effekt das direkte Gegenteil der nüchternen und strengen Zucht, in welche das systematisierte „heilige Leben“ des Puritaners den Menschen nimmt, erzielt wird: eine Schwächung jener „Hemmungen“, welche die rationale Persönlichkeit des Calvinisten gegenüber den „Affekten“ stützen.79a) Ebenso kann dabei | der calvinistische Gedanke an die Verworfenheit des Kreatürlichen, gefühlsmäßig – z. B. in der Form des sog. „Wurmgefühls“43 – erfaßt, zu einer Ertötung der Tatkraft

79a)  Es wird hier aus guten Gründen absichtlich unterlassen, auf die – im fachwissenA 45 schaftlichen Sinn des Wortes – „psychologischen“ Beziehungen dieser | religiösen Bewußtseinsinhalte einzugehen, und selbst die Verwendung der entsprechenden Terminologie ist möglichst vermieden. Der einigermaßen gesicherte Begriffsvorrat der Psychologie reicht vorerst entfernt nicht aus, um für die Zwecke der historischen Forschung auf dem Gebiet unserer Probleme nutzbar gemacht zu werden. Die Verwendung ihrer Terminologie würde lediglich die Versuchung schaffen, unmittelbar verständlichen und oft geradezu trivialen Tatbeständen einen Schleier dilettantischer Fremdwörtergelehrsamkeit umzuhängen und so den falschen Anschein erhöhter begrifflicher Exaktheit zu erzeugen, wie dies z. B. für Lamprecht leider typisch geworden ist.44 – Ernster zu nehmende Ansätze zur Verwertung psychopathologischer Begriffe für die Deutung gewisser historischer Massenerscheinungen s. bei W[illy] Hellpach, Grundlinien zu einer Psychologie der Hysterie, 12. Kapitel sowie dessen „Nervosität und Kultur“. Ich kann hier nicht versuchen auseinanderzusetzen, daß m. E. auch diesen sehr vielseitig orientierten Schriftsteller die Beeinflussung durch gewisse Theorien Lamprechts geschädigt hat.45 – Wie völlig wertlos, gegenüber der älteren Literatur,

43  Nach Jes 41,14 (Israels Selbstgefühl während des babylonischen Exils). 44  Zu Karl Lamprecht vgl. auch unten, Anm.  45; ein Beispiel für seinen psychologischen Begriffsgebrauch etwa unten, S.  329, Fn.  101a. – Über die Verwendung psychopathologischer Begriffe in den Geschichtswissenschaften äußert sich Webers ferner in der ersten Replik auf Fischers „Kritische Bemerkungen“, unten, S.  485 f. mit Anm.  49. 45  Das 12. Kapitel von Hellpach, Grundlinien, lautet: „Das sozialpathologische Hysterieproblem“, ebd., S.  469–494. Das Handexemplar Webers (Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München) enthält zahlreiche Marginalien, An- und Unterstreichungen von der Hand Max Webers, auch im angegebenen Kapitel. Weber notiert zu Hellpachs Ausführung zum Stichwort „Subjektivismus“, er folge „in diesen Dingen durchaus der Terminologie Lamprechts“ (S.  473), am Rand: „leider!“; Auseinandersetzung mit Lamprecht marginal S.  479 (und S.  101).

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im Berufsleben führen.80) Und auch der Prädestinationsgedanke kann zum Fatalismus werden, wenn er – im Gegensatz zu den genuinen Tendenzen der calvinistischen rationalen Religiosität – Gegenstand stimmungs- und gefühlsmäßiger Aneignung wird.81) Und endlich der Trieb zur Abgeschiedenheit der Heiligen von der Welt kann bei starker gefühlsmäßiger Steigerung zu einer Art von klösterlicher Gemeinschaftsorganisation halb kommunistischen Charakters führen, wie sie der Pietismus immer wieder und auch in der reformierten Kirche gezeigt hat.82) Aber so lange dieser extreme, eben durch jene Pflege der Gefühlsmäßigkeit bedingte Effekt nicht erzielt wird, der reformierte Pietismus also innerhalb des weltlichen Berufslebens seiner Seligkeit sich zu versichern strebt, ist der praktische Effekt pietistischer Grundsätze lediglich eine noch striktere asketische Kontrolle der Lebensführung im Beruf und eine noch festere religiöse Verankerung der Berufs­ sittlichkeit, als sie die von den „feinen“ Pietisten als Christentum Lamprechts schematische Bemerkungen über den Pietismus (im 7. Band der Deutschen Geschichte) sind,46 weiß wohl Jeder, der auch nur die gangbare Literatur kennt. 80)  So etwa bei den Anhängern des Schortinghuis’schen „Innigen Christendom’s“.l 47 81)  Dies trat bei holländischen Pietisten vereinzelt, und dann unter spinozistischen Einflüssen, auf.48 82)  Labadie, Tersteegen u. A.49 |

l A: Christendom’s.“ 46  Weber bezieht sich auf Lamprecht, Deutsche Geschichte VII/1, S.  162–185 (die Abschnitte „Der eigentliche Pietismus“ und „Zinzendorf, Herrnhut“). 47 Nach Ritschl, Pietismus I, S.  327 ff., mit Anspielung auf die Schrift von Wilhelm Schortinghuis „Het innige Christendom“ (Groningen 1740, 3.  Aufl. 1743). Zum Gefühl der Nichtigkeit bes. S.  328, zum „Vorwurf, die Frommen pflegten ihren bürgerlichen Beruf zu vernachlässigen“, S.  331. 48  Evtl. nach Ritschl, Pietismus I, S.  334: „Das Versinken des Gefühls in die Wunden Christi, welches als das göttliche Complement der Nichtigkeit des Menschen geschätzt werden soll, kann [.  .  .] nicht als die richtige Form der christlichen Religion gelten. Denn die Voraussetzung derselben ist die vernünftige Selbstverantwortlichkeit des Menschen, während die Prätension seiner Nichtigkeit gegen Gott und der vollen Passivität in der Bekehrung nach der Consequenz des Spinozismus hinweist.“ Nach Heppe waren die Verschooristen (oder Schooristen), Hattemisten und Friedrich von Leenhof spinozistisch oder pantheistisch beeinflußt, vgl. Heppe, Pietismus, S.  375– 379 und 381 f. Weber notiert im Exemplar der UB Heidelberg S.  376 marginal ihre „rein determinist[ische] Wendung“ und S.  379 „Fatalist[ische] Wendung“ sowie (ein daraus resultierendes) „passives Christentum“. 49 Zur „Gemeinde Labadie’s“ vgl. Ritschl, Pietismus I, S.   220–246, auch oben, S.  259 f., Anm.  56, und zu „Gerhard Tersteegen“ ebd., S.  455–494, hier S.  478 ff.

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zweiten Ranges angesehene | bloße weltliche „Ehrbarkeit“ der normalen reformierten Christen zu entwickeln vermag. Die religiöse Aristokratie der Heiligen, die ja in der Entwicklung aller reformierten Askese, je ernster sie genommen wird, um so sicherer hervortritt, ist alsdann – wie dies in Holland der Fall war – innerhalb der Kirche voluntaristisch in der Form der Konventikelbildung organisiert, während sie im englischen Puritanismus, wie später zu erörtern sein wird,50 teils zur förmlichen Unterscheidung von Aktiv- und Passivchristen in der Verfassung der Kirche, teils – entsprechend dem schon früher Gesagten51 – zur Sektenbildung drängte. Die Entwicklung des mit den Namen Spener, Francke, Zinzendorf verknüpften, auf dem Boden des Luthertums stehenden deutschen Pietismus führt uns nun vom Boden der Prädestinationslehre ab. Aber damit keineswegs notwendig aus dem Bereich jener Gedankengänge, deren konsequente Krönung sie bildete, wie denn speziell Speners Beeinflussung durch den englisch-niederländischen Pietismus von ihm selbst bezeugt ist und z. B. in der Lektüre von Bailey in seinen ersten Konventikeln zutage trat.83) Für | unsere 83) Am deutlichsten tritt sie vielleicht hervor, wenn er – man denke: Spener! – die Kompetenz der Obrigkeit zur Kontrolle der Konventikel, außer bei Unordnungen und Mißbräuchen, bestreitet, weil es sich um ein durch die apostolische Ordnung garantiertes Grundrecht der Christen handle (Theologische Bedenken II S.  81 f.)[.]52 Das ist – prinzipiell – genau der puritanische Standpunkt bezüglich des Verhältnisses und Geltungsbereichs der ex jure divino folgenden und daher unveräußerlichen Rechte des Einzelnen. Ritschl ist denn auch weder diese (Pietismus II S.  157)53 noch die weiterhin

50  Vgl. auch unten, S.  348–351, im vorliegenden Aufsatz aber nicht weiter erörtert. 51  Siehe oben, S.  298. 52  Spener, Theologische Bedenken II (3. Cap., Artic.  I, Sectio XIX: „Von der obern e  e  gewalt uber besondere zusammenkunfften zur erbauung/ in dero umstanden“, S.  80– 87), hier S.  81 ff. Spener begründet das Grundrecht zur Versammlung in Konventikeln (Collegia pietatis, dazu unten, S.  319, Anm.  55) mit Apg 4,19 und 5,29. Die Obrigkeit habe keine Macht, jene zu verbieten; „dann wie sie allein ihre gewalt von GOTT hat/ ist ihr dieselbe nicht anders vertrauet/ als mit steter unterwerffung unter ihn/ und also daß e  ihre befehle den seinigen niemal zu wider seyn dorffen“ (S.  81). 53 Weber bezieht sich im folgenden auf Ritschl, Pietismus II, S.  157 f., der Spener (vgl. Anm.  52) bespricht: „Zunächst hat Spener hiebei vergessen, daß die Obrigkeit der Stand in der Kirche ist, welcher für deren Rechtsordnung sorgt, und daß alle so genannten Grundrechte nur dann Rechtswirkung haben, wenn sie in die positive Ordnung aufgenommen sind. [.  .  .] Denn die Aufnahme eines vorgeblichen Instituts der apostolischen Kirche bedeutet die Zersetzung der unter anderen Bedingungen ent-

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speziellen Gesichtspunkte jedenfalls bedeutet der Pietismus ledigim Text erwähnte Ketzerei (das. S.  115)54 entgangen. So unhistorisch namentlich die positivistische (um nicht zu sagen: philiströse) Kritik ist, die er an dem „Grundrechts“Gedanken übt, dem wir schließlich doch nicht viel weniger als Alles verdanken, was heute auch demm „Reaktionärsten“ als Minimum seiner individuellen Freiheitssphäre vorschwebt, – so ist ihm natürlich darin ganz beizustimmen, daß in beiden Fällen eine organische Einfügung in Spener’s lutherischen Standpunkt fehlt. –   Die Conventikel (collegia pietatis) selbst, die Spener’s berühmte „Pia desideria“ theoretisch begründeten und die er praktisch ins Leben rief,55 entsprachen im Wesen durchaus den englischen „prophesyings“, wie sie sich zuerst in Joh[annes] v[on] Lasco’s Londoner Bibelstunden (1547)56 finden und seitdem zum stehenden Inventar der als Auflehnung gegen die kirchliche Autorität verfolgten Formen puritanischer Frömmigkeit gehörten. Die Ablehnung der Genfer Kirchenzucht endlich wird bei ihm bekanntlich damit begründet, daß ihr berufener Träger, der „dritte Stand“ (status oeconomicus: die christlichen Laien), in der lutherischen Kirche nicht in die Kirchenorganisation eingefügt sei.57 Schwächlich lutherisch ist andrerseits – bei | Erörterung der Exkommu- A 47 nikation – die Anerkennung der landesherrlich deputierten weltlichen Mitglieder des Konsistoriums als Repräsentanten des „dritten Standes“.

m A: den standenen und bestehenden lutherischen Kirchenverfassung. [.  .  .] Conventikel dieser Art also verrathen vielmehr Gleichgiltigkeit gegen das Zusammenwirken des dritten Standes mit den beiden anderen, als eine Vorbereitung zum Einklang mit ihnen. [.  .  .] Die in ihnen versammelten rechtschaffenen Christen werden gerade dazu angeleitet, sich selbst als die ausschließlichen Träger des Rechtes in der Kirche anzusehen.“ 54  Anspielung auf Ritschls Rückverweis, Pietismus II, S.  159, auf S.  116 (lies: S.  115 f.). 55  Es handelt sich um regelmäßig stattfindende Versammlungen der Gemeindeglieder zur gemeinsamen Lektüre und Schriftauslegung. Ihre Ursprünge liegen in dem Collegium, das seit 1670 im Pfarrhaus Speners in Frankfurt am Main abgehalten wurde. Hier las man anfangs auch Baylys „Praxis pietatis“ (vgl. oben, S.  311 mit Anm.  20) und andere Erbauungsschriften. Spener beschrieb sie in seinen „Pia desideria“ (erschienen 1675), die sein Kirchenreformprogramm enthalten (vollständiger Titel: „Pia desideria: Oder Hertzliches Verlangen nach Gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirchen“). Zweck sei die Förderung der innerlichen Frömmigkeit durch die wechselseitige Erbauung der Gemeindeglieder, um eine Besserung des christlichen Lebens zu erreichen. Spener erachtete gegenüber Regier- und Lehrstand den dritten Stand (Luther: „status oeconomicus“) als Träger der Reform. Vgl. Ritschl, Pietismus II, S.  125 ff. 56  Vgl. die Notiz bei Ritschl, Pietismus I, S.  120 (auch Heppe, Pietismus, S.  15). Demnach fanden in der niederländischen Fremdengemeinde zu London unter Johannes a Lasco (Jan Łaski) seit 1550 Schriftauslegungen statt, die die öffentlichen Predigten der Woche begleiteten und auf praktische Ausübung zielten. Ritschl bezeichnet sie als „Prophetie (Prophezei)“ (ebd.). (Webers Jahreszahl 1547 konnte nicht belegt werden; Johannes a Lasco kam 1548/49 das erste Mal nach England und war seit Juli 1550 (bis 1553) Superintendent der Londoner Fremdengemeinden.) 57  Vgl. Ritschl, Pietismus II, S.  132–135. – Weber bezieht sich im folgenden auf ein bei Ritschl, ebd., S.  133, Anm.  1, beschriebenes Gutachten Speners.

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lich das Eindringen methodisch gepflegter und kontrollierter[,] d. h. also asketischer Lebensführung auch in die Gebiete der nicht calvinistischen Religiosität.84) Das Luthertum mußte aber diese rationale Askese als Fremdkörper empfinden, und die mangelnde Konsequenz der deutschen pietistischen Doktrin ist Folge der daraus erwachsenden Schwierigkeiten. Für die dogmatische Fundamentierung der systematischen religiösen Lebensführung sind bei Spener lutherische Gedankengänge kombiniert mit dem spezifisch reformierten Merkmal der guten Werke als solcher, die mit der „Absicht auf die Ehre Gottes“ unternommen sind[,]84a) und mit dem ebenfalls reformiert anklingenden Glauben an die Möglichkeit für die Wiedergeborenen, zu einem relativen Maße christlicher Vollkommenheit zu gelangen.85) 58 Nur fehlt eben die Konsequenz der Theorie: der systematische Charakter der christlichen Lebensführung, 84)  Schon der in den Gebieten des Luthertums zuerst aufgekommene Name „Pietismus“ besagt ja, daß nach der Auffassung der Zeitgenossen es das Charakteristische war, daß aus der „Pietät“ hier ein methodischer Betrieb gemacht wird.59 84a)  Zugegeben ist freilich, daß diese Motivierung zwar vorzugsweise, aber nicht nur dem Calvinismus eignet. Gerade in den ältesten lutherischen Kirchenordnungen findet sie sich auch besonders oft.60 85)  Im Sinn von Hebr. 5, 13. 14. Vergl. Spener, Theol[ogische] Bedenken I 306.61

58  Mit Zitat nach Ritschl, Pietismus II, S.  115. 59  Vgl. Ritschl, Pietismus II, S.  144 f. 60 Im „Unterricht der visitatoren an die pfarrherrn im kurfürstenthum zu Sachsen“ (1528) heißt es: „Gott hat auch kein wolgefallen an denen, die sie nicht thun, wie Michee am 6. steht [.  .  .]“. Deutlicher im „Merseburger Synodalunterricht 1544 [.  .  .]“: „Das sie auch die exclusivam allein der glaube [.  .  .] wol deuten, das es die leut nicht dohin vorstehen, als solten die guten werk also darmit ausgeschlossen sein, das man die nicht thun dorfe [.  .  .]. Darbei auch die ursachen anzuzeigen, das damit gott die ehre gegeben, als der warhaftig und es allein thue, erkant und gegleubt wirt, und wir unserer selickeit dadurch gewisser werden [.  .  .]. So aber die selickeit auf unser wirdickeit und vordinst der werke stunde, als dan wurde die ehr gotte entzogen und den werken zugelegt, welchs ein warhaftige abgötterei ist.“ Die Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, 1. Abth.: Sachsen und Thüringen, nebst angrenzenden Gebieten, 1. Hälfte, hg. von Emil Sehling. – Leipzig: O. R. Reisland 1902, S.  153; dass., 2. Hälfte, ebd., 1904, S.  14 f. 61  Bei Spener, Theologische Bedenken I (1. Cap., Sectio LXVI. „Von tituln. [.  .  .] von e  Quackern. Von der widergeburt. Von der vollkommenheit. [.  .  .], S.  302–313), S.  306: „Deutlicher zu reden/ ich glaube/ daß unter Christen vollkommene seyen/ welche nach art zu reden der schrifft Hebr 5/ 13.14. und sonsten den kindern in Christo entgegen gesetzet werden/ und diejenige sind/ so in ihrem Christenthum nach allen dessen e  stucken weit gekommen sind/ ob sie wol nichts destoweniger stets ferner zu wachsen noth haben: Hingegen glaube ich nicht/ daß hier in dem fleisch noch solche vollkom-

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der auch für seinen Pietismus wesentlich ist, wird bei dem stark durch die Mystiker beeinflußten86) Spener in ziemlich unbestimmter, aber wesentlich lutherischer Weise mehr zu beschreiben, als zu begründen versucht, die certitudo salutis nicht aus der Heiligung abgeleitet, ebenso für diese selbst statt des Bewährungs­ gedankens die früher erwähnte62 lockere lutherische Verknüpfung mit dem Glauben gewählt.87) Aber immer wieder erzwangen sich, 86)  Neben

Bailey und Baxter (s. Consilia theologica III, 6, 1, dist. 1, 47, das. dist. 7n)63 schätzt Spener speziell Thomas a Kempis und vor allem Tauler (von dem er nicht alles versteht: Consilia theologica III, 6, 1 dist. o1, 16o).64 Eingehend über den letzteren speziell Cons[ilia] theol[ogica] I, 1, 1 Nr.  71p.65 Luther ist für ihn aus Tauler hervorgegangen. 87) S[iehe] bei Ritschl a. a. O. II, S.   113.66 Den „Bußkampf“ der spätern Pietisten (und Luthers) lehnt er als allein maßgebendes Kennzeichen wahrer Bekehrung ab (Theol[ogische] Bedenken III S.  476).67 Über die Heiligung als Frucht der Dankbarkeit aus dem Versöhnungsglauben – spezifisch lutherische (s. dies Archiv XX S.  42 Anm.  1)q 68 | Formulierung – s. die bei Ritschl a. a. O. S.  115 Anm.  2 angeführten Stel- A 48 len.69 – Über die certitudo salutis einerseits Theol[ogische] Bedenken I 324: der wahre Glaube werde nicht sowohl gefühlsmäßig empfunden, als an seinen Früchten (Liebe und Gehorsam gegen Gott) erkannt70 – andrerseits Theol[ogische] Bedenken I S.  335 f.: n3,

n–n  A: 3, 6   o–o  A: 1, 1   p  A: 7   q A: 1).   e 

mene seyen/ die absolute also genennet werden konten [.  .  .]“. Passage von Weber im Exemplar der UB Heidelberg am Rand markiert. 62  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  204–208, auch S.  192, Anm.  72. 63  Vgl. Spener, Consilia theologica III, Cap. VI, Artic. I, Distinct. I, Sectio XLVII, hier p.  137; dass., Distinct. III, Sectio VII, hier p.  351 f. 64  Vgl. Spener, Consilia theologica III, Cap. VI, Artic. I, Distinct. I, Sectio XVI, hier p.  48. 65  Vgl. Spener, Consilia theologica I, Cap. I, Artic. I, Sectio LXXI, p.  180–182. 66  Vgl. Ritschl, Pietismus II, S.  113, dazu auch die folgende Anm. 67 Auf Spener, Theologische Bedenken III, S.  476, verweist Ritschl, Pietismus II, S.  113, Anm.  1 (Spener handelt auf dieser Seite jedoch davon, daß die Wiedergeburt oftmals nicht ohne Schmerzen zu erlangen sei). Weber dürfte sich darum auf folgendes Zitat Speners bei Ritschl beziehen: „Daß ein jeder zu seiner Wiedergeburt durch eine solche Verwesung gehen müsse, daß die Seele eine Weile ebenso wenig Labsal empfinde als Christus an dem Kreuz, saget mir die Schrift nirgends“ (ebd., S.  113, mit Hinweis, ebenfalls in Anm.  1, auf Spener, Theologische Bedenken III, S.  588). 68  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  191–193, Fn.  43. 69  Vgl. Ritschl, Pietismus II, S.  115, Anm.  2, dazu auch die folgende Anm. 70  Spener, Theologische Bedenken I (1. Cap., Sectio LXXIII), S.  323 f.: „Daß ihm vorgekommen/ er habe diejenige kennzeichen nicht/ [.  .  .] daß/ ob wol der glaube das haubt-kennzeichen und versicherung der gnaden kindschafft und seligen standes ist/ dennoch derselbe nicht allemal so wol aus der empfindlichkeit des trostes und gee  e  schmack der gottlichen süßigkeit/ als vielmehr aus seinen fruchten des gehorsams und liebe zu GOtt / zu erkennen seye.“ Im Exemplar der UB Heidelberg von Weber mit

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so|weitr das rational-asketische Element im Pietismus über die Gefühlsseite die Oberhand behielt, die für unsere Gesichtspunkte entscheidenden Vorstellungen ihr Recht, daß nämlich 1. methodische Entwicklung der eigenen Heiligkeit zu immer höherer, am Gesetz zu kontrollierender Befestigung und Vollkommenheit Zeichen des Gnadenstandes sei88) und daß 2. Gottes Vorsehung es ist, welche in den so Vervollkommneten wirkt, indem er bei geduldigems Harren und methodischer Überlegung ihnen seine Winke gibt.89) Die Berufsarbeit ist auch für A[ugust] H[ermann] Francke das „Was aber die Sorge betrifft, worüber Sie ihres Heils- und Gnadenstandes versichert sein sollen, wird sicherer“ – als aus den „englischen Scribenten“ – „aus unsern“ – den lutherischen – „Büchern geschöpft“.71 Über das Wesen der Heiligung stimmt er aber den Engländern bei. 88)  Die religiösen Tagebücher, welche A[ugust] H[ermann] Francke empfiehlt, sind auch hier das äußere Zeichen dafür.72 – Die methodische Übung und Gewohnheit der Heiligung soll das Wachstum derselben und die Scheidung der Guten von den Bösen erzeugen – dies etwa ist das Grundthema von Francke’s Buch „Von des Christen Vollkommenheit“.73 89)  In charakteristischer Weise trat die Abweichung dieses rationalen pietistischen Vorsehungsglaubens von dessen orthodoxer Deutung bei dem berühmten Streit zwischen den Hallenser Pietisten und dem Vertreter der lutherischen Orthodoxie Löscher hervor. Löscher geht in seinem „Timotheus Verinus“ so weit, alles was durch menschliches Tun erreicht wird, den Fügungen der Vorsehung entgegenzusetzen.74 Francke’s

r A: so weit   s A: geduldigen Randmarkierung versehen, ab „als vielmehr [.  .  .]“ außerdem unterstrichen (mit besonderer Hervorhebung von „vielmehr“), am Rand „Nb!“ Hinweis auf diese Stelle auch bei Ritschl, Pietismus II, S.  115, Anm.  2. 71 Vgl. Spener, Theologische Bedenken I, S.  335–337, das (freie) Zitat S.  337 (bei Spener: „was aber die sachen betrifft [.  .  .]“). Von Weber mit doppeltem Randstrich im Exemplar der UB Heidelberg markiert. Hinweis auf diese Stelle bei Ritschl, Pietismus II, S.  111, Anm.  2. 72  Vgl. Ritschl, Pietismus II, im Kapitel über August Hermann Francke (S.  249–294), Hinweis auf die zu führenden Tagebücher S.  258. 73  Franckes kleine Abhandlung „Von der Christen Vollkommenheit“ stammt von 1691 und wurde 1702, 1707 u. ö. im Anhang zu anderen Werken Franckes veröffentlicht. Bei dem hier skizzierten Inhalt folgt Weber Ritschl, Pietismus II, S.  262. 74  Gemeint ist: Löscher, Nachricht von dem Weysen-Hause zu Glauche an Halle. Es handelt sich um eine Replik Valentin Ernst Löschers auf Franckes „Segensvolle Fußstapfen des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen Gottes [.  .  .]“. Löschers Replik erschien allerdings nicht in seinem „Timotheus Verinus“ (eigentl.: Vollständiger Timotheus Verinus [.  .  .], 2 Theile. – Wittenberg: Samuel Hannauer 1718– 1722), sondern in seinen „Unschuldigen Nachrichten“ (1701 ff., hier Jg. 1707, Leipzig 1709, S.  898–905), wie Ritschl, Pietismus II, S.  277 f., richtig angibt: Löscher beanstande Franckes Darstellung, das Hallenser Waisenhaus sei ein „göttliches Werk“, „das

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aske|tische Mittel par excellence90); daß Gott selbst es sei, der durch den Erfolg der Arbeit die Seinen segnet, steht ihm ebenso fest, wie

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immer fest gehaltener Standpunkt war dagegen, jenes Aufblitzen der Klarheit über das, was zu geschehen hat, welches das Ergebnis ruhigen Wartens auf den Entschluß ist, als „Gottes Wink“ anzusehen:75 – ganz analog der quäkerischen Psychologie und entsprechend der allgemein asketischen Vorstellung, daß rationale Methodik der Weg ist, Gott näher zu kommen. – Zinzendorf freilich, der in einem der entscheidendstent Entschlüsse das Schicksal seiner Gemeindebildung dem Los anheimstellte,76 steht der Francke’schen Form des Vorsehungsglaubens fern. – Spener, Theol[ogische] Bedenken I S.  314 hatte sich für die Charakteristik der christlichen „Gelassenheit“, in welcher man sich den göttlichen Wirkungen überlassen, sie nicht durch hastiges eigenmächtiges Handeln kreuzen sollte – im wesentlichenu auch der Standpunkt Francke’s – auf Tauler bezogen.77 Die gegenüber dem Puritanismus doch wesentlich abgeschwächte, den (diesseitigen) Frieden suchende, Aktivität der pietistischen Frömmigkeit tritt überall deutlich hervor. „First righteousness, thenv peace“ formulierte im Gegensatz dazu noch 1904 ein leitender Baptist (G[eorge] White in einer noch weiterhin zu zitierenden Adresse) das ethische Programm seiner Denomination (Baptist Handbook 1904 p.  106).w 78 | 90) Lect[iones] paraenet[icae] IV S.  271.79 A 49 t A: entscheidensten   u  A: wesentlich   v  A: than   w  A: 106.) ohne Gottes besondere Vorsehung nicht erhalten und vor dem Untergang bewahrt werde“. Löscher meine, „[m]an soll sich der Annahme, alles sei im eminenten Sinne Gottes Werk, entschlagen, da menschliche Mittel, Bitte, Fürbitte, Erinnerungen an Gaben, Privilegien, Buchhandlung, Apotheke u. s. w. eingerechnet werden müssen“. Ritschl fährt fort: „Das Auffallende dabei ist Löscher’s Gesichtspunkt, daß etwas in dem Maße aus dem Umfang der göttlichen Providenz heraustrete, als es mit menschlichen Mitteln zu Stande gebracht wird“ (Ritschl, ebd., S.  278). 75  Vgl. Ritschl, Pietismus II, S.  279: „Zu dem hervorragenden Gottvertrauen, in welchem Francke so Großes bewirkt hat, ist seine [.  .  .] ganz ungemeine Passivität zu rechnen, deren Übung er Allen empfahl. Er hat diese Eigenschaft so verstanden, daß man sich durch sein Gottvertrauen nicht zu voreiligem Handeln verleiten lassen, sondern damit warten solle, bis ein offenbarer Wink oder Fingerzeig Gottes eintrete.“ 76  Vgl. unten, S.  329. 77  Spener, Theologische Bedenken I (1. Cap., Sectio LXVII, „Von Tauleri schrifften“, e  S.  313 f.), S.  314: „Er [Taulerus] lehret auch sehr herrlich die materie der prufung unser selbs/ und wie wir in unsern grund gehen sollen; so dann von der gelassenheit/ wie e  man sich den gottlichen wirckungen darstellen/ sie nicht hindern/ sondern vielmehr e  sich denselben in ihrer ordnung uberlassen solle [.  .  .].“ Von Weber im Exemplar der UB Heidelberg mit doppeltem Randstrich markiert und der Randnotiz „Luther“ versehen. 78  Es handelt sich um die Inauguraladresse 1903 des Präsidenten der Baptist Union of Great Britain and Ireland, siehe unten, S.  389, Fn.  39. – White, Nonconformist Con­ science, in: The Baptist Hand-Book 1904, p.  106 (dort ist „then“ sogar hervorgehoben). 79  Bei Francke, Lectiones Paraeneticae IV, heißt es in der 12. Lectio „De cupiditatibus iuvenilibus fugiendis“ (S.  253–272), S.  271 f.: „Wenn man aber in seinem ordentlichen e  Beruf bliebe, und seine Arbeit fein ordentlich vernahme und einrichtete, zu rechter Zeit

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wir dies bei den Puritanern sehen werden.80 Und als Surrogat des „doppelten Dekrets“ schuf sich der Pietismus Vorstellungen, welche in wesentlich gleicher, nur matterer Weise wie jene Lehre eine auf Gottes besonderer Gnade beruhende Aristokratie der Wiedergeborenen91) mit all den oben für den Calvinismus geschilderten psychologischen Konsequenzen etablierten. Dazu gehört z. B. der von den Gegnern des Pietismus diesem (freilich zu Unrecht) generell imputierte sog. „Terminismus“[,]92) d. h. die Annahme, daß zwar die Gnade universell angeboten werde, aber für jeden entweder nur einmal in einem ganz bestimmten Moment im Leben oder doch irgendwann ein letztes Mal.93) Wer diesen Moment verpaßt hat, dem hilft also der Gnadenuniversalismus nicht mehr, er ist in 91) Gegen diese immer wiederkehrende Vorstellung richtet sich vornehmlich Ritschl’s Kritik. – S[iehe] Francke’s in der drittletzten Anmerkung zitierte Schrift, welche die Lehre enthält.81 92) Er findet sich auch bei englischen nicht prädestinatianischen Pietisten, z.  B. Goodwin. Vgl. über ihn und andere Heppe, Gesch[ichte] des Pietismus in der reformierten Kirche, Leiden 1879,82 ein Buch, welches, auch nach dem Ritschl’schen standard work,83 für England, und hie und da auch für die Niederlande, noch nicht entbehrlich geworden ist. 93)  Man suchte dadurch die laxe Konsequenz der lutherischen Lehre von der Wiedererlangbarkeit der Gnade (speziell die übliche „Bekehrung“ in extremis) zu bekämp­ fen.84 –

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schlafen ginge, und zu rechter Zeit wiederum aufstunde, maßig aße und trancke, den e  e  Mußiggang meidete, und sich mit einem herzlichen Gebet wapnete: so wurde man vor solchen Stricken des Satans bewahret bleiben.“ Auf die Stelle weist Ritschl, Pietismus II, S.  260 mit Anm.  2, hin. 80  Siehe unten, S.  384–392, mit dem Ausdruck „God blesseth his trade“ (S.  389). 81  Francke, Von der Christen Vollkommenheit, zitiert oben, S.  322, Fn.  88. – Weber dürfte hier auf Ritschl, Pietismus II, S.  262, fußen: „Wenn nämlich überhaupt von der Grundlage der lutherischen Lehre aus die Aufgabe des Lebens positiver gefaßt werden sollte, als in der fahrlässigen Satzung, daß die guten Werke des Wiedergeborenen nun einmal unvollkommen bleiben, so konnte nichts anderes erreicht werden, als was der Calvinismus auf der gemeinsamen Grundlage schon formulirt hatte. [.  .  .] Daß jene sich für die Wiedergeborenen, und die Anderen eigentlich nicht für Christen achten, ist die Neuerung, welche der Pietismus in der lutherischen Kirche aufrichtete [.  .  .], und welche durch diesen Aufsatz Francke’s nur in Einklang mit der Calvinischen Lehrformel gesetzt worden ist.“ 82  Über Thomas Goodwin vgl. Heppe, Pietismus, S.  39–42. 83  Gemeint ist: Ritschl, Pietismus, I–III. 84 Dargestellt ist der „terministische Streit“ – auch Spener kennt einen „Gnaden­ termin“ (er richtete sich gegen leichtfertigen Lebenswandel und Aufschub der Bekehrung bis zur Todesstunde) – bei Ritschl, Pietismus II, S.  210–212.

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der Lage des von Gott Übergangenen in der calvinistischen Lehre. Im Effekt kommt dieser Theorie auch die z. B. von Francke aus persönlichen Erlebnissen abstrahierte85 und im Pietismus sehr weit verbreitete – man kann wohl sagen: vorherrschende – Annahme, daß die Gnade nur unter spezifischen einmaligen und einzigartigen Erscheinungen, nämlich nach vorherigem „Bußkampf“ zum „Durchbruch“ gelangen könne, ziemlich nahe.94) Da zu jenem Erlebnis nach der eigenen Einsicht der Pietisten nicht jeder disponiert ist, bleibt derjenige, welcher es trotz der nach pietistischer Anweisung auf seine Herbeiführung zu verwendenden asketischen | Methode nicht an sich erfährt, in den Augen der Wiedergeborenen eine Art passiver Christ. Andererseits wird durch die Schaffung einer Methode für die Herbeiführung des „Bußkampfs“ im Effekt auch die Erlangung der göttlichen Gnade Objekt rationaler menschlicher Veranstaltung. Auch die nicht von allen – z. B. von Francke nicht86 –[,] aber doch von vielen Pietisten, namentlich aber, wie die immer wiederkehrenden Anfragen bei Spener zeigen, gerade von pietistischen Seelsorgern gehegten Bedenken gegen die Privatbeichte,87 welche dazu beitrugen, auch im Luthertum ihr die 94)  Gegen die damit verbundene Notwendigkeit, Tag und Stunde der „Bekehrung“ zu wissen, als unbedingtes Merkmal ihrer Echtheit Spener[,] Theol[ogische] Bed[enken] II, 6, 1 p.  197.88 Ihm war eben der „Bußkampf“ ebenso unbekannt,89 wie Melanchthon Luther’s terrores conscientiae.90 |

85  Zum Bußkampf bei Francke vgl. Ritschl, Pietismus II, S.  258 f. 86 Während die Privatbeichte für Spener kein notwendiges kirchliches Institut war (vgl. dazu unten, S.  326, Anm.  91), erachtete Francke sie als „Mittel zur Sittenzucht“ mit Konsequenzen für die Zurückhaltung oder den Ausschluß vom Abendmahl. Vgl. Ritschl, ebd., S.  267 f. 87 Zu den Bedenken Speners und seines Umkreises gegen die Privatbeichte vgl. Ritschl, ebd., S.  201–207. 88  Vgl. Spener, Theologische Bedenken I, Cap. II, Artic. VI, Sectio I, p.  197. Spener grenzt sich dort von „einigen Englischen autoren“ ab; grundsätzlich ist er der Auffase  sung: „Ich halte es aber auch muglich zu seyn/ daß bey solchen leuten/ die vorher e  lang nach der gemeinen art dahin gelebet/ und sich gute Christen geduncket zu seyn e  e  [.  .  .] der gutige Vater allgemach sein werck anfanget und forttreibet/ daß das buch­ e  stabliche wesen erst lebendig wird/ und alsdenn das neue wesen nach und nach zunimmet.“ Von Weber im Exemplar der UB Heidelberg mit Randmarkierung und teilweise mit Unterstreichungen versehen. Hinweis auf die Stelle Speners auch bei Ritschl, Pietismus II, S.  114, Anm.  1. 89  Vgl. oben, S.  321, Fn.  87 mit Anm.  67. 90  Vgl. die Notiz zu Melanchthon bei Ritschl, Pietismus II, S.  111 f.

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Wurzeln abzugraben, gingen aus diesem Gnadenaristokratismus hervor: die sichtbare Wirkung der durch Buße erlangten Gnade im heiligen Wandel mußte ja über die Zulässigkeit der Absolution entscheiden, und es war also unmöglich, sich für deren Erteilung mit der bloßen „attritio“ zu begnügen.95) 91 – Zinzendorfs religiöse Selbstbeurteilung mündet, wenn schon schwankend gegenüber den Angriffen der Orthodoxie, immer wieder in die „Rüstzeug“-Vorstellung ein,92 aber im übrigen freilich scheint der gedankliche Standpunkt dieses merkwürdigen „religiö­ sen Dilettanten“, wie Ritschl ihn nennt,93 in den für uns wichtigen Punkten kaum eindeutig erfaßbar.96) Er selbst hat sich wiederholt A 50

95) Daneben spielte natürlich auch die aller Askese eigentümliche antiautoritative Deutung des „allgemeinen Priestertums“ mit, worüber später.94 – Gelegentlich wurde dem Pfarrer Aufschiebung der Absolution bis zur „Bewährung“ der echten Reue empfohlen, was Ritschl mit Recht als im Prinzip calvinistisch bezeichnet.95 96)  Die für uns wesentlichen Punkte finden sich am bequemsten bei Plitt, Zinzendorfs Theologie (3 Bände, Gotha 1869 f.) Bd.  I S.  325, 345, 381, 412, 429, 433 f., 444, 448, Bd.  II S.  372, 381, 385, 409 f., Bd.  III S.  131, 167, 176.1 – Vgl. auch Bernh[ard] Becker, Zinzendorf und sein Christentum (Leipzig 1900) 3. Buch, Kap. III.2 –

91 Nach römisch-katholischer Dogmatik genügt für die Wirksamkeit des Bußsakraments, das aus Reue (contritio), Sündenbekenntnis (confessio) (mit Absolution) im Beichtakt und anschließenden genugtuenden Leistungen (satisfactio) besteht, als Voraussetzung auch die unvollkommene Reue (attritio). Schon Luther, der die Privatbeichte grundsätzlich empfahl, auch wenn das ganze Leben Buße sein solle und wahre Beichte vor Gott stattfinde, verlangte echte Reue im Glauben (vgl. Seeberg, Dogmengeschichte II, S.  217–223). – Zur Zeit Speners gehörte der Gottesdienstbesuch zur gesellschaftlichen Gepflogenheit und war mit bürgerlicher Ehre verbunden. Entsprechend schätzte man die Beichte als politische, nicht aber religiöse Einrichtung und gab sich wiederum mit der „attritio“ zufrieden. Nach Ritschl, Pietismus II, S.  202 und 206. 92  Nach Apg 9,15; dazu auch das Glossar, unten, S.  328. 93  Ritschl, Pietismus III, S.  404, spricht im Blick auf Zinzendorfs Rhetorik und Methodik von „absichtlichem Dilettantismus in der Theologie“. 94  Siehe z. B. die autoritätsablehnende Haltung der Quäker, unten, S.  352 f., Fn.  130. 95  Ritschl, Pietismus II, S.  205 f., bezieht sich auf eine Empfehlung Speners: „Indem er nämlich bei einer gewissen Klasse von Gemeindegenossen die Sorge hegt, daß sie unbußfertig sein möchten, obgleich an ihnen keine offenbare Laster vorhanden sind, und indem er bei solchen die Absolution bis zur deutlichen Erprobung ihrer Buße aufgeschoben zu sehen wünscht, theilt er den Standpunkt der Feinen in der reformirten Kirche [.  .  .].“ 1  Vgl. Plitt, Zinzendorfs Theologie I–III, erschienen 1869–1874; zu den Seitenangaben: Lies: Plitt, ebd., S.  409–411. 2 Das Kapitel bei Becker, Zinzendorf, lautet: „Kirchlicher und unkirchlicher Pietismus“, S.  211–315.

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als Vertreter des „paulinisch-lutherischen Tropus“ gegen den „pietistisch-jakobischen“, der am Gesetz hafte, bezeichnet.3 Die Brüdergemeinde selbst aber und ihre Praxis, die er trotz seines stets betonten Luthertums97) zuließ und förderte,4 steht schon in ihrem notariellen Protokoll vom 12. August 1729 auf einem Stand|punkt, welcher dem der calvinistischen Heiligenaristokratie in vieler Hinsicht durchaus entspricht.98) Die viel erörterte Übertragung des Ältestenamts auf Christus am 12. November 1741 brachte etwas

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97)  Freilich hielt er die Augsburger Konfession nur dann für eine geeignete Urkunde lutherisch-christlichen Glaubenslebens, wenn man, – wie er in seiner ekelhaften Terminologie es ausdrückt, – eine „Wundbrühe“ darüber ausgegossen habe.5 Ihn zu lesen ist eine Pönitenz, weil seine Sprache in der weichlichen Zerflossenheit der Gedanken noch übler wirkt, als das „Christoterpentinöl“, welches F[riedrich] Th[eodor] Vischer bei seiner Polemik mit der Münchener „Christoterpe“ so fürchterlich war.6 | 98) „Wir erkennen in keiner Religion einige für Brüder, die nicht durch die Bespren- A 51 gung des Blutes Christi gewaschen und durchaus verändert in der Heiligung des Gei-

3 Die beiden Bezeichnungen gebraucht Zinzendorf nach Plitt, Zinzendorfs Theologie I, S.  412 f., für die Charakterisierung des Verhältnisses zu John Wesley und dessen Anhängern; zu „Tropus“ bzw. „Tropen“ („Erziehungsweisen“) vgl. unten, S.   328, Anm.  8; „jakobisch“ nach dem Jakobus-Brief in der Bedeutung, daß Glaube ohne Werke tot sei (Jak 2,14–26). 4  Die Herrnhuter Brüdergemeine war durch Ansiedlung (seit 1722) mährischer Exulanten, Nachfahren der Böhmischen Brüder, und weiterer Erweckter auf dem Grund des Gutes Berthelsdorf in der Oberlausitz entstanden. Grundherr und Patron der lutherischen Parochie war Reichsgraf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. 5  Das Zitat Zinzendorfs (aus: Discurse über die Augsburger Confession, 1748, S.  203) findet sich bei Ritschl, Pietismus III, S.  404, Anm.  1: „Wenn man eine Wundenbrühe darüber [über die Augsburger Konfession] macht, so ist es leicht accommodirt, so kann alles, was drinnen ist, angewendet werden, so kriegt es einen Geschmack; man kann Wort für Wort beibehalten, man kann es anwenden, mit Blut besprengen, und so recht saftig und kräftig aufs Herz zum Genuß des Herzens accommodiren.“ Zu Zinzendorfs Berufung auf Luther vgl. Ritschl, ebd., S.  404 f. und passim. 6  Weber bezieht sich auf eine Kritik von Friedrich Theodor Vischer an dem von dem Pietisten Albert Knapp (u. a.) herausgegebenen religiösen Jahrbuch „Christoterpe“ (griech., „Christenfreude“), das seit 1833 in Tübingen (nicht: München, wie Weber schreibt) erschien. In der Kritik Vischers von 1838 heißt es: Nichts soll in sich, in der Grenze und Bestimmtheit seines Wesens Theil haben an Gott, es soll erst dieser Thran priesterlicher Salbung, dieses Christoterpentinöl darüber gegossen werden.“ Hier zitiert nach Vischer, Kritische Gänge, S.  59 (zuerst in: Hallische Jahrbücher, Jg. 1838, Nr.  57 ff.).

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Ähnliches auch äußerlich zum Ausdruck.7 Von den drei „Tropen“ der Brüdergemeinde war überdies der calvinistische und der mährische von Anfang an im wesentlichen an der reformierten Berufsethik orientiert.8 Auch Zinzendorf sprach ganz nach puritanischer Art John Wesley gegenüber die Ansicht aus, daß, wenn auch nicht immer der Gerechtfertigtex selbst, so doch andere an der Art seines Wandels seine Rechtfertigung erkennen könnten.99) Aber andererstes fortfahren. Wir erkennen keine offenbare (= sichtbare) Gemeinde Christia, als wo das Wort Gottes rein und lauter gelehrt wird und sie auch heilig als die Kinder Gottes danach leben.“9 – Der letzte Satz ist zwar Luthers kleinemb Katechismus entnommen; aber – wie schon Ritschl hervorhebt – dient er dort der Antwort auf die Frage, wie der Name Gottes geheiligt werde, hier dagegen der Abgrenzung der Kirche der Heiligen.10 99)  S[iehe] Plitt I p.  346.11 – Noch entschiedener die bei Plitt I p.  381 zitierte Antwort auf die Frage: „ob die guten Werke nötig zur Seligkeit?“ – „Unnötig und schädlich zur Erlangung der Seligkeit, nach erlangter Seligkeit aber so nötig, daß wer sie nicht tut, auch nicht selig ist.“12

x A: Gerechtfertigste  a  A: Christ   b  A: kleinen 7  Die (symbolische) Übertragung des Ältestenamts auf Christus (da es keinen geeigneten Nachfolger des seitherigen Generalältesten gab) fand am 16. September 1741 auf der Londoner Konferenz der Herrnhuter Brüdergemeine statt, das erste „Ältestenfest“ mit Christus als Generalältestem am 12. (andere: am 13.) November 1741. Man glaubte sich dadurch Christus näher als andere Partikularkirchen, so Ritschl, Pietismus III, S.  318–320. 8  Die Mitglieder der Herrnhuter Brüdergemeine behielten ihre Konfession oder Zugehörigkeit zu ihrer religiösen Gruppierung bei. Es gab darum einen mährischen, einen lutherischen und einen reformierten „Tropus“. Gemäß der von Zinzendorf in den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts entfalteten „Tropenlehre“ (von griech. trópoi paideías, „Erziehungsweisen“ [Gottes]) erstrebte man keine Einheit, sondern sollten die Konfessionen in Toleranz und wechselseitiger Anerkennung und Förderung koexistieren. Vgl. Ritschl, Pietismus III, S.  336–343. 9  Aus dem Notariatsinstrument von 1729, in dem die Eigenständigkeit der Herrnhuter als Gemeinde in mährischer Tradition innerhalb der lutherischen Parochie zum Ausdruck kommt, zitiert bei Ritschl, Pietismus III, S.  247. 10  Aus der Antwort zur ersten Bitte des Vaterunsers; dazu der Kommentar bei Ritschl, Pietismus III, S.  248. 11  „Aber andere können erkennen, daß er gerechtfertigt ist, an seiner Kraft über die Sünde, an seinem Ernst, an seiner Liebe zu den Brüdern, und seinem Hunger und Durst nach Gerechtigkeit, der allein beweist, daß das geistliche Leben begonnen hat.“ Plitt, Zinzendorfs Theologie I, S.  346 f. (im Exemplar der UB Heidelberg auf S.  346 am Rand zweifach markiert, möglicherweise von Max Weber). 12  Im Zitat bei Plitt, ebd., S.  381: „[.  .  .] noch nicht selig ist.“ Die Unterstreichung der zweiten Satzhälfte samt Randmarkierung im Exemplar der UB Heidelberg dürfte von Max Weber stammen.

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seits tritt in der spezifisch Herrnhuterischen Frömmigkeit das Gefühlsmoment sehr stark in den Vordergrund und suchte speziell Zinzendorf persönlich die Tendenz zur asketischen Heiligung in puritanischem Sinn in seiner Gemeinde immer wieder geradezu zu durchkreuzen100) und die Werkheiligkeit lutherisch umzubiegen.101) Auch entwickelte sich, unter dem Einfluß der Verwerfung der Konventikel und der Beibehaltung der Beichtpraxis, eine wesentlich lutherisch gedachte Gebundenheit an die sakramentale Heilsvermittlung. Dann wirkte auch der spezifisch Zinzendorfsche Grundsatz, daß die Kindlichkeit des religiösen Empfindens Merkmal | seiner Echtheit sei, ebenso z. B. der Gebrauch des Loses als Mittel der Offenbarung von Gottes Willen,13 doch dem Rationalismus der Lebensführung so stark entgegen, daß im ganzen, soweit der Einfluß des Grafen reichte,101a) die antirationalen, gefühlsmäßigen Ele-

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100)  Z. B. durch jene Karrikaturen der „christlichen Freiheit“, welche Ritschl a. a. O. III S.  381 geißelt.14 101) Vor allem durch verschärfte Betonung des Strafsatisfaktionsgedankens in der Heilslehre,15 den er, nach der Ablehnung seiner missionierenden Annäherungsversuche durch die amerikanischen Sekten, auch zur Grundlage der Heiligungsmethode machte. Die Erhaltung der Kindlichkeit und der Tugenden des demütigen Sich-Bescheidens wird von ihm seitdem als Ziel der Herrnhutischen Askese in den Vordergrund gestellt, in scharfemc Gegensatz gegen die durchaus der puritanischen Askese analogen Tendenzen in der Gemeinde. | 101a)  Der aber eben seine Grenzen hatte. Es ist schon aus diesem Grunde verfehlt, A 52 Z[inzendorf]s Religiosität in eine „sozialpsychische“ Entwicklungsstufe einschachteln zu wollen, wie es bei Lamprecht geschieht.16 Überdies aber ist seine ganze Religiosität

c  A: scharfen 13 Zur Kindlichkeit, die sogar in Albernheit umschlug, vgl. Ritschl, Pietismus III, S.  399–403, und zum Los, ebd., S.  392–395. 14  Möglicherweise wurde die Seitenangabe zu Plitt (vgl. oben, S.  328, Fn.  99) irrtümlich wiederholt. Weber dürfte sich auf Ritschl, Pietismus III, S.  400 ff., beziehen. 15 Vgl. Ritschl, Pietismus III, S.  398–400; Plitt, Zinzendorfs Theologie II, S.  384 f. „Strafsatisfaktion“ heißt: Christi Leiden ist die Strafe, mit der dem zornigen Gott Genüge getan wird. Nach Ritschl meint Zinzendorf, daß die Anschauung der sinnlichen Umstände des (Straf-)Leidens Christi (z. B. seiner „Wunden“), wodurch er die sündige Menschheit mit Gott versöhnte, der einzige Antrieb zur Heiligung sein sollte. 16  Weber bezieht sich auf das gesamte Kapitel über Zinzendorf bei Lamprecht, Deutsche Geschichte VII/1, S.   176–185. Lamprecht vertritt eine kollektivistische Geschichtswissenschaft, die sozialpsychische Faktoren erforscht (er nennt: Sprache, Wissenschaft, Kunst, Sitte, Moral, Recht, wozu, wie das hier zitierte Kapitel zeigt, auch Frömmigkeit oder Religion treten), um den geistigen Gesamthabitus einer Zeit zu charakterisieren. „Die Kulturgeschichte ist mithin die vergleichende Geschichte der sozi-

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mente in der Frömmigkeit der Herrnhuter doch weit mehr als sonst im Pietismus überwiegen.102) Die Verknüpfung von Sittlichkeit und Sündenvergebung in Spangenbergs17 „Idea fidei fratrum“ ist ebenso locker103) wie im Luthertum überhaupt. Zinzendorfs Ablehdurch nichts stärker beeinflußt, als durch den Umstand, daß er ein Graf mit im Grunde feudalen Instinkten war. Grade die Gefühlsseite derselben würde ferner „sozialpsychisch“ in die Zeit der sentimentalen Decadence des Rittertums ganz ebenso gut wie in die der „Empfindsamkeit“ passen. Sie ist in ihrem Gegensatz gegen den westeuropäi­ schen Rationalismus, wenn überhaupt „sozialpsychisch“, dann am ehesten durch die Rückständigkeit und patriarchale Gebundenheit des deutschen Ostens verständlich zu machen, wie wir später sehen werden.18 102)  Zinzendorfs Kontroversen mit Dippel ergeben dies ebenso,19 wie – nach seinem Tode – die Äußerungen der Synode von 1764 den Heilsanstalts-Charakter der Herrnhutergemeinded deutlich zum Ausdruck bringen. S[iehe] Ritschls Kritik daran a. a. O. III S.  443 f.20 103)  Vgl. z. B. §  151, 153, 160. Daß das Ausbleiben der Heiligung trotz wahrer Reue und Sündenvergebung möglich ist, geht speziell aus den Bemerkungen S.  311 hervor

d A: Herrenhutergemeinde alpsychischen Entwicklungsfaktoren [.  .  .].“ Lamprecht, Karl, Was ist Kulturgeschichte? Beitrag zu einer empirischen Historik, in: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, N. F. 1, 1896/97. – Freiburg i.B. und Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1897, S.  75–145, hier S.  145. 17  August Gottlieb Spangenberg, seit 1762 als Nachfolger Zinzendorfs führende Persönlichkeit der Herrnhuter Brüdergemeine und mit „Idea fidei fratrum“ einer ihrer bedeutendsten Theologen. 18  Weber kommt darauf im vorliegenden Aufsatz nicht explizit zurück (einen ähnlichen Ausblick gibt er aber auch unten, S.  336). 19  Der radikale Pietist Johann Konrad Dippel lehnte die Lehre von der Strafsatisfaktion (vgl. dazu oben, S.  329, Fn.  101 mit Anm.  15) ab. Sie sei mit seinem Christentum nicht vereinbar, das er als eine „Anleitung zur sittlichen Selbstbearbeitung“ des Individuums ansah (S.  429). Zinzendorfs Ansichten dazu änderten sich: Für ihn stand anfangs die erlösende Liebe im Vordergrund, die Christus im Leiden zur Versöhnung mit Gott bewährt habe und die dankbare Gegenliebe erwecke. Zu Dippels Überzeugung verhielt sich das indifferent. Seit 1729 neigte Zinzendorf dem Gedanken zu, Christus habe zur Errettung der Menschheit aus der Gewalt des Teufels ein Lösegeld (lytron) zahlen müssen. Erst später überzeugte sich Zinzendorf von der Strafsatisfaktionslehre: In den Wunden Christi erkenne der Gläubige seine Schuld und Strafwürdigkeit und schaue die Gnadenwahl an. Nach Ritschl, Pietismus III, S.  263–265, 287–291 und S.  429–435 (bei Becker, Zinzendorf, S.  263–315, bes. S.  268–281). 20  Nach den Beschlüssen der Synode von 1764 sollten Disziplinarmaßnahmen oder Exkommunikation über diejenigen nicht verhängt werden, die zwar kein gemeindliches Engagement, wohl aber gottesdienstlichen Eifer zeigten. Man solle mit ihnen Geduld haben und „durch milde Behandlung die Irrenden auf die selig machende Gnade Gottes zurückführen“. Vgl. Ritschl, Pietismus III, S.  443 f., Zitat S.  444.

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nung des methodistischen Vollkommenheitsstrebens entspricht – hier wie überall – seinem im Grunde eudämonistischen Ideal, die Menschen schon in der Gegenwart die Seligkeit104) (er sagt: „Glückseligkeit“) gefühlsmäßig empfinden zu lassen, statt sie anzuleiten, ihrer durch rationales Arbeiten an sich für das Jenseits sicher zu werden.105) Andererseits ist der Gedanke, daß der entscheidende | und entspricht der lutherischen Heilslehre ebenso, wie es der calvinistischen (und methodistischen) widerspricht.21 104)  Vgl. Zinzendorfs bei Plitt Ie S.  345 zitierte Äußerungen.22 Ebenso Spangenberg, Idea fidei p.  325.23 105)  Vgl. z. B. die bei Plitt III S.  131 zitierte Äußerung Z[inzendorf]’s zu Matth. 20, 28 „Wenn ich einen Menschen sehe, dem Gott eine feine Gabe gegeben hat, so freue ich mich und bediene mich der Gabe mit Vergnügen. Wenn ich aber merke, er ist mit dem Seinen nicht zufrieden, sondern will es noch feiner herausbringen, so halte ich das für den Anfang des Ruins einer solchen Person.“24 – Z[inzendorf] leugnete eben – insbesondere bei seinem Gespräch mit John Wesley 1743 – den Fortschritt in der Heiligung, weil er diese mit der Rechtfertigung identifiziertef und allein in dem gefühlsmäßig gewonnenen Verhältnis zu Christus fand. Plitt I S.  413.25 | e  A: II  f A: idenfizierte 21  Die angegebenen Paragraphen finden sich bei Spangenberg, Idea fidei fratrum, im Kapitel „Von der Heiligung“, S.  311 ff. Dort heißt es S.  311: „Es ist aber die Heiligung mit der Rechtfertigung so genau verbunden, daß, wenn ein Mensch, dem seine Sünden vergeben worden, sich der Heiligung nicht befleißiget, sondern dagegen faul und unfruchtbar ist in der Erkentniß unsers HErrn JEsu Christi; so heißt es von ihm: er ist blind [.  .  .]. Wir müssen noch dieses hinzuthun, daß ein Mensch, auch nach seiner Bekehrung, die Rechtfertigung immer nöthig hat [.  .  .]; und das hört nicht auf, solange er in der Welt lebt.“ Von Weber existieren zwei kleine Marginalien sowie Markierungen im Exemplar der UB Heidelberg, auch über die genannten Paragraphen hinaus. Auf S.  311 sind die hier zitierten Stellen mit Randmarkierungen versehen; bei „dem seine Sünden vergeben worden“ hat Weber „worden“ unterstrichen. 22  Vgl. das Zinzendorf-Zitat bei Plitt, Zinzendorfs Theologie I, S.  345: „Man hätte sie so gern selig in der Zeit, daß ihnen das Leben schon hier leichter würde, und an den Seelen zum Preise des Heilandes möchte gesehen werden, wie er sagt: ‚Kommt her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!‘ Das gönnte man den Leuten so gern in der Zeit, und sähe seine Freude mit dran, wie im Himmel darüber Freude entstehet, wenn eine solche Seele zur Gnade und auf seine Achsel mit Freuden kommt, die vorher lange in der Irre war.“ – Weber versah diese und die vorhergehenden Zeilen im Exemplar der UB Heidelberg mit einer Randmarkierung, unterstrich „Das gönnte man den Leuten so gern in der Zeit“ und notierte dazu am Rand: „präsent“. 23  Auch bei Spangenberg, Idea fidei fratrum, p.  325, mit Webers Markierung der betreffenden Stelle im Exemplar der UB Heidelberg. 24  Bei Plitt, Zinzendorfs Theologie III, S.  131, mit kleineren Abweichungen. 25  Das Gespräch von Zinzendorf und John Wesley fand am 3. September 1741 in London statt; vgl. z. B. Tyerman, Wesley I, p.  339 („Frühjahr 1743“ schreibt Plitt, Zinzendorfs Theologie I, S.  413).

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Wert der Brüdergemeinde im Gegensatz zu anderen Kirchen in der Aktivität des christlichen Lebens, in Mission und – was damit in Verbindung gebracht wurde – Berufsarbeit106) liege, auch hier lebendig geblieben. Zudem war doch die praktische Rationalisierung des Lebens unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit ein ganz wesentlicher Bestandteil auch von Zinzendorfs Lebensanschauung.107) Sie folgte für ihn – wie für andere Vertreter des Pietismus – einerseits aus der entschiedenen Abneigung gegen die dem Glauben gefährlichen philosophischen Spekulationen und der dementsprechenden Vorliebe für das empirische Einzelwissen,108) g 106) Die aber eben wegen dieser Ableitung nicht konsequent ethisch begründet wurde. Z[inzendorf] lehnt Luthers Idee vom „Gottesdienst“ im Beruf als dem maßgebenden Gesichtspunkte für die Berufstreue ab. Dieselbe sei vielmehr Entgelt für des „Heilands Handwerkstreue“. (Plitt II S.  411.)26 107)  Bekannt ist sein Ausspruch: „Ein vernünftiger Mensch soll nicht ungläubig und ein gläubiger Mensch nicht unvernünftig sein“ in seinem „Sokrates, d. i. Aufrichtige Anzeige verschiedener nicht sowohl unbekannter als vielmehr in Abfall geratener Hauptwahrheiten“ (1725),27 ferner seine Vorliebe für Schriftsteller wie Bayle.28 108)  Die ausgeprägte Vorliebe der protestantischen Askese für den durch mathematische Fundamentierung rationalisierten Empirismus ist bekannt und hier noch nicht näher zu erörtern. Vgl. über die Wendung der Wissenschaften zur mathematisch-rationalisierten „exakten“ Forschung, die philosophischen Motive dazu, und deren Gegensatz gegen die Gesichtspunkte Bacons: Windelband, Gesch[ichte] d[er] Philos[ophie] S.  305–307, speziell die Bemerkungen S.  305 unten, welche den Gedanken, die moderne Naturwissenschaft sei als Produkt materiell-technologischer Interessen zu begreifen, treffend ablehnt.29 Höchst wichtige Beziehungen sind natürlich vorhanden[,] aber weit

g  In A folgt ein weiteres Komma. 26  Bei Plitt, Zinzendorfs Theologie II, S.  411, abschließend zum „Berufsfleiß“ (S.  409– 411): „Die Ursach davon ist des Heilandes Handwerkstreue.“ Die Randmarkierung im Exemplar der UB Heidelberg zu diesem Satz könnte von Weber stammen. 27 Zinzendorf veröffentlichte Ende oder nach 1726 in einem Band 32 gesammelte Einzelstücke „Socrates“, die 1725/26 periodisch ausgegeben worden waren. Mit Titel und Zitat folgt Weber: Ritschl, Pietismus III, S.  220 (dass. in der Neuausgabe: Der Teutsche Socrates [.  .  .]. – Leipzig: Samuel Benjamin Welther 1732, S.  133). 28  Zur Schätzung von Pierre Bayles „Dictionnaire critique“ vgl. Ritschl, ebd., S.  218– 220. 29 Vgl. Windelband, Geschichte der Philosophie, S.  305–307, über Francis Bacon, der die Aufgabe der Naturerkenntnis darin sah, „das Erfinden“ nicht mehr dem Zufall zu überlassen, sondern selbst zu einer „bewußt auszuübenden Kunst“ zu machen: „In seiner Hand war die Philosophie in Gefahr, aus der Herrschaft des religiösen Zwecks unter diejenige der technischen Interessen zu fallen. [.  .  .] In der Hast der Utilität verfehlte Bacon sein Ziel, und die geistigen Schöpfungen, welche die Naturforschung befähigt haben, die Grundlage unsrer äußeren Cultur zu werden, gingen von den vor-

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andererseits aus | dem weltklugen Sinn des berufsmäßigen Missionars. Die Brüdergemeinde war als Missionsmittelpunkt zugleich Geschäftsunternehmen und leitete so ihre Glieder in die Bahnen

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komplizierter. S[iehe] ferner Windelband, Neuere Philos[ophie] I S.  40 f.30 – Der für die Stellungnahme der protestantischen Askese entscheidende Gesichtspunkt, wie er wohl am deutlichsten in Speners Theol[ogischen] Bedenken Ih S.  232[,] III S.  260 hervortritt,31 war ja, daß wie man den Christen an den Früchten seines Glaubens erkennt, so auch die Erkenntnis Gottes und seiner Absichten nur aus der Erkenntnis seiner Werke heraus gefördert werden könne. Die bevorzugte Disziplin alles puritanischen, täuferischen und pietistischen Christentums ist demgemäß die Physik und demnächst andere mit gleichartiger Methode arbeitende mathematisch-naturwissenschaftliche Disziplinen. Man glaubte eben, aus der empirischen Erfassung der göttlichen Gesetze in der Natur zur Kenntnis des „Sinnes“ der Welt emporsteigen zu können, der auf dem Wege begrifflicher Spekulationen bei dem fragmentarischen Charakter der göttlichen Offenbarung – ein calvinistischer Gedanke – doch nie zu erfassen sein werde. Der Empirismus des 17. Jahrhunderts war der Askese das Mittel, „Gott in der Natur“ zu suchen. Er schien zu Gott hin, die philosophische Spekulation von Gott ab zu führen. Speziell die Aristotelische Philosophie ist nach Spener der Grundschaden für das Christentum gewesen.32 Jede andere sei besser, insbesondere die | „platonische“: Cons[ilia] Theol[ogica] A 54 III, 6, 1, Dist. 2, Nr.  13.33 Vgl. ferner folgende charakteristische Stelle: Unde pro Cartesio quid dicam non habeo (er hat ihn nicht gelesen), semper tamen optavi et opto, ut Deus viros excitet, qui veram philosophiam vel tandem oculis sisterent, in qua nullius hominis attenderetur auctoritas, sed sana tantum magistri nescia ratio, Spener[,] h A: I.   nehmeren Denkern aus, die reinen Sinnes und ohne Weltverbesserungsgelüste die Ordnung der Natur, welche sie bewunderten, verstehen wollten.“ 30  Vgl. Windelband, Neuere Philosophie I, §  7. Die Anfänge der Naturwissenschaft, S.  40–54. 31  Vgl. Spener, Theologische Bedenken I (Cap. I, Sectio XLVI. „Von einrichtung der Philosophischen wissenschafften/ sonderlich der Physic, zur Christlichen erbauung“, S.  232 f.), beginnt auf S.  232: „Was die materie anlangt/ wie zur praxi selbs geschritten/ e  und alle philosophische wissenschafften recht zur auferbauung mochten gerichtet e  werden/ achte ich es wol vor eine der vornehmsten und wurdigsten [.  .  .]. Und halte ich e  es vor eine in dem 2. geboth ernstlich verbotene entheiligung gottlichen namens/ wo man dessen wercke in der natur also ansihet/ daß man auf denselben bloß stehen e  bleibet/ und nicht ihrem eigenen zweck gemaß/ als welche ja zu der ehr und preiß ihe  res GOtes erschaffen sind/ in ihnen auch den Schopffer erkennen zu lernen trachtet/ und also solche erkantnus ferner zu seinem dienst und liebe richtet. Aller fleiß und arbeit/ so hieran gethan wird/ wird wohl und tausendmal besser angelegt seyn/ als alle e  in Physicis unnutzliche Aristotelische Metaphysische grillen [.  .  .]“. Die Passage enthält im Exemplar der UB Heidelberg teilweise Unterstreichungen Webers, der dazu am Rand notiert: „also: die Früchte des Schöpfers das Entscheidende“, und: „Deshalb gegen die Metaphysik  Dies Grundlage der Wissenschaftslehre des *Pietismus [oder: Puritanismus]“. Ähnlich zur Erkenntnis Gottes aus seinen Werken in der Natur Spener, Theologische Bedenken II (3. Cap., Artic. II, Sectio XX), S.  260. 32  Vgl. etwa im Zitat oben, Anm.  31. 33  Vgl. Spener, Consilia theologica III, Cap. VI, Artic. I, Distinctio II, Sectio XIII, hier p.  185.

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der innerweltlichen Askese, welche auch im Leben überall zuerst nach „Aufgaben“ fragt und es im Hinblick auf diese nüchtern und planmäßig gestaltet. Nur steht als Hemmnis wieder die aus dem Vorbild des Missionslebens der Apostel hergeleitete Glorifizierung des Charisma der apostolischen Besitzlosigkeit bei den von Gott durch „Gnadenwahl“ erwählten „Jüngern“109) da, welches eben Cons[ilia] Theol[ogica] II, 5, Nr.  1i 34. – Welche Bedeutung jene Auffassungen des asketischen Protestantismus für die Entwicklung der Erziehung, speziell des Realunterrichts, gehabt haben, ist bekannt.35 Kombiniert mit der Stellung zur „fides implicita“36 ergaben sie sein pädagogisches Programm. 109)  „Es ist das eine Art Menschen, die ihre Glückseligkeit ohngefähr in vier Stücke setzen: 1. gering, verachtet, geschmäht .  .  . zu werden .  .  . 2. alle Sinne, die sie nicht brauchen zum Dienst ihres Herrn, .  .  . zu vernachlässigen .  .  . 3. entweder nichts zu haben oder, was sie bekommen, wieder wegzugeben .  .  . 4. tagelöhnermäßig zu arbeiten, nicht um Verdienstes, sondern um des Berufes und um der Sache des Herrn willen und ihres Nächsten .  .  .“ (Berl[iner] Reden II, S.  180, Plitt I S.  445.)37 Nicht alle können und dürfen „Jünger“ werden, sondern nur die, welche der Herr beruft, – aber nach Zinzendorfs eigenem Eingeständnis (Plitt I S.  449) bleiben dann doch Schwierigkeiten, da die Bergpredigt sich formell an alle wendet.38 Die Verwandtschaft dieses „freien Akosmismus der Liebe“ mit den alten täuferischen Idealen fällt in die Augen.39 | i  A: 2 34  Im Zitat von Spener, Consilia theologica II, Cap. V, Artic. II, Sectio I, p.  196, heißt es: „Unde qui pro Cartesio [.  .  .]“. 35  „Dagegen legte er auf Physik und Mathematik einen weit höheren Wert; jene för­ dere auf ihre Weise die Erkenntnis Gottes [.  .  .]. Ist nicht auch hierin schon der Punkt erkennbar, an welchem später die Entstehung der Realschulen mit dem Pietismus zusammenhieng?“, schreibt etwa Palmer, [Christian,] Art. Spener, in: Encyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens [.  .  .], hg. [.  .  .] von K. A. Schmid, 9. Band, 2., verb. Aufl. – Leipzig: Fues’ Verlag (R. Reisland) 1887, S.  4–13, Zitat S.  10. 36  „Fides implicita“ bezeichnet die Unterordnung der eigenen Glaubensüberzeugung unter eine als maßgeblich erachtete Autorität. Vgl. auch das Glossar, unten, S.  828. 37  Zitat nach Plitt, Zinzendorfs Theologie I, S.  445. Danach (ebd., Anm.  1) handelt es sich nicht um Zinzendorfs „Berliner Reden II“, sondern um Zinzendorf, Büdingische Sammlung I/III, dort S.  326 f. (vgl. Plitt, ebd., S.  444, Anm.  4). Im Exemplar der UB Heidelberg finden sich, vermutlich von Weber, eine Randmarkierung zu 4) und Unterstreichung von „sondern um des Berufs“. 38 Vgl. den gesamten Kontext bei Plitt, Zinzendorfs Theologie I, S.  444–453, zur „Gnadenwahl“ der „Jünger“ S.  444 und 450, der (von Plitt allerdings abgewehrte) Verdacht einer Zwei-Stufen-Ethik („consilia evangelica“) im römischen Sinn S.  452, und das S.  449 bei Plitt wiedergegebene Zinzendorf-Zitat (mit doppelter Randmarkierung im Exemplar der UB Heidelberg, die von Weber stammen könnte): „‚Die Jüngerschaft, die etwas Allgemeines ist, zu etwas Besonderem machen, ist mißlich. Denn die Bergpredigt erfordert das Thun von allen Hörern, die nicht auf den Sand bauen.‘“ (Die Bergpredigt: Mt 5–7.) 39  Der „freie Akosmismus der Liebe“ ist Zitat bei Plitt, ebd., S.  451 (ohne Bezug zum Täufertum; Unterstreichung der zitierten Worte im Exemplar der UB Heidelberg vermutlich von Weber).

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Ph. J. Spener, Theologische Bedencken, 3. Aufl., 1. Theil (Halle 1712), S. 232 Mit Marginalie und Unterstreichungen von Max Weber Exemplar der Universitätsbibliothek Heidelberg (Q1866-RES)

Ph. J. Spener, Theologische Bedencken, 3. Aufl., 1. Theil (Halle 1712), S. 324 Mit Marginalien und Unterstreichungen von Max Weber Exemplar der Universitätsbibliothek Heidelberg (Q1866-RES)

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doch im Effekt eine teilweise Repristination der „consilia evangelica“ bedeutete. Die Schaffung einer rationalen Berufsethik nach Art der calvinistischen wurde dadurch immerhin hintangehalten, wennschon – wie das Beispiel der Umwandlung der Täuferbewegung zeigt – nicht ausgeschlossen. Alles in allem werden wir, wenn wir den deutschen Pietismus unter den für uns hier in Betracht kommenden Gesichtspunkten betrachten, in der religiösen Verankerung seiner Askese ein Schwanken und eine Unsicherheit zu konstatieren haben, welche gegen die eherne Konsequenz des Calvinismus erheblich abfällt und teils durch lutherische Einflüsse, teils durch den Gefühlscharakter seiner Religiosität bedingt ist. Denn es ist zwar eine große Ein|seitigkeit, dieses gefühlsmäßige Element als das demk Pietismus im Gegensatz zum Luthertum Spezifische hinzustellen.109a) Aber im Vergleich mit dem Calvinismus mußte allerdings die Intensität der Rationalisierung des Lebens notwendig geringer sein, weil der innere Antrieb des Gedankens an den stets von neuem zu bewährenden Gnadenstand, der die ewige Zukunft verbürgt, gefühlsmäßig auf die Gegenwart abgelenkt und an Stelle der Selbstgewißheit, welche der Prädestinierte in rastloser und erfolgreicher Berufsarbeit stets neu zu erwerben trachtet, jene Demut und Gebrochenheit110) des Wesens gesetzt wurde, welche teils die Folge der rein auf innere Erlebnisse gerichteten Gefühlserregung,

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109a) Denn die gefühlsmäßige Verinnerlichung der Frömmigkeit ist dem Luthertum A 55 auch der Epigonenzeit keineswegs einfach fremd. Das Asketische, die in den Augen der Lutheraner nach „Werkheiligkeit“ schmeckende Lebensreglementierung[,] ist hier vielmehr der konstitutive Unterschied. 110)  Eine „herzliche Angst“ sei ein besseres Zeichen der Gnade als die „Sicherheit“, meint Spener[,] Theol[ogische] Bedenken I, 324.40 Auch bei puritanischen Schriftstellern finden wir natürlich nachdrückliche Warnungen vor „falscher Sicherheit“, aber wenigstens die Prädestinationslehre wirkte, soweit ihr Einfluß die Seelsorge bestimmte, stets in der entgegengesetzten Richtung.

k A: den 40  Spener, Theologische Bedenken I (1. Cap., Sectio LXXIII. „Anfechtung eines Christen/ ob er die zeichen der wiedergeburt habe [.  .  .]“, S.  323–326), S.  324: „Deucht auch eine seele/ sie finde gleichwol solchen freudigen trieb zu dem guten nicht/ wie e  sie verlange/ mag es wol seyn/ aber zu dero beruhigung dieses ihr genugen/ daß gleichwol die begierde Gott zu gefallen redlich seye/ und die herzliche angst/ welche e  e  e  sie daruber fuhlet/ daß sie zu jenem gefuhl nicht nach verlangen kommen kann/ ist ein

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teils des vom Pietismus zwar vielfach mit schweren Bedenken betrachteten, aber doch meist geduldeten lutherischen Beichtinstituts war.111) Denn in alledem manifestiert sich eben jene spezifisch lutherische Art, das Heil zu suchen, für welche die „Vergebung der Sünden“, nicht die praktische „Heiligung“, das Entscheidende ist. An Stelle des planmäßigen rationalen Strebens darnach: das sichere Wissen von der künftigen (jenseitigen) Seligkeit zu erlangen und festzuhalten, steht hier das Bedürfnis, die Versöhnung und Gemeinschaft mit Gott jetzt (diesseitig) zu fühlen. Wie aber im äußeren, „materiellen“ Leben die Neigung zum Gegenwartsgenuß streitet gegen die rationale Gestaltung der „Wirtschaft“, die ja eben an der Fürsorge für die Zukunft verankert ist, – so verhält es sich, in gewissem Sinne, auch auf dem Gebiet des religiösen Lebens. Ganz offenbar enthielt also die Ausrichtung des religiösen Bedürfnisses auf eine gegenwärtige innerliche Gefühlsaffektion ein minus an Antrieb zur Rationalisierung des innerweltlichen Handelns gegenüber | dem nur auf das Jenseits ausgerichteten Bewährungsbedürfnis der reformierten „Heiligen“, während sie freilich gegenüber der traditionalistisch an Wort und Sakrament haftenden Gläubigkeit des orthodoxen Lutheraners immerhin ein plus an methodischer religiöser Durchdringung der Lebensführung zu entwickeln geeignet war. Im Ganzen bewegte sich der Pietismus von Francke und Spener zu Zinzendorf hin in zunehmender Betonung des Gefühlscharakters. Es ist aber nicht irgend eine ihm immanente „Entwicklungstendenz“, welche sich darin äußert, sondern jene Unterschiede folgen aus Gegensätzlichkeiten des religiösen und sozialen Milieus, dem ihre führenden Vertreter entstammten. Davon in andereml Zusammenhang.41 Erst später wird auch davon zu 111)  Denn der psychologische Effekt des Bestehens der Beichte war überall Entlastung der Eigenverantwortung des Subjekts für seinen Wandel: – deshalb wird sie ja gesucht, – und damit der rigorosen Konsequenz der asketischen Anforderungen. |

l A: anderen e 

e 

viel sicherers zeugnus ihrer aufrichtigkeit/ als manches fuhlen selbs/ in welchem sich auch betrug/ und etwas von dem fleisch/ einmischen kan.“ Weber unterstrich im Exemplar der UB Heidelberg „herzliche angst“, markierte die Passage am Rand und notierte: „Piet[istisch] *konstruiert!“ (unsichere Lesung beim 2. Wort). 41  Weber kommt darauf außer an dieser Stelle (S.  336–338) und in manchen Bemerkungen zur puritanischen Ablehnung der feudalen Lebensweise, unten, S.  413 f., nicht mehr zu sprechen.

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reden sein, wie die Eigenart des deutschen Pietismus in seiner sozialen und geographischen Verbreitung zum Ausdruck kommt.112) 42 Hier haben wir uns noch einmal daran zu erinnern, daß natürlich die Abschattierung dieses Gefühlspietismus gegenüber der reli­ giösen Lebensführung der puritanischen Heiligen sich in ganz allmählichen Übergängen vollzieht. Wenn eine praktische Konsequenz des Unterschiedes wenigstens provisorisch schon hier charakterisiert werden soll, so kann man die Tugenden, welche der Pietismus züchtete, mehr als solche bezeichnen, wie sie einerseits der „berufstreue“ Angestellte, Arbeiter und Hausindustrielle und andererseits vorwiegend patriarchal gestimmte Arbeitgeber in Gott wohlgefälliger Herablassung (nach Zinzendorfs Art)43 entfalten konnten. Der Calvinismus erscheint im Vergleich damit dem harten rechtlichen und aktiven Sinn bürgerlich-kapitalistischer Unternehmer wahlverwandter.113) Der reine Gefühlspietismus endlich ist – wie schon Ritschl113a) hervorgehoben | hat – eine religiöse

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112) Wie stark dabei – auch für die Art der pietistischen Frömmigkeit – rein politische A 56 Momente mitspielen, hat schon Ritschl in seiner Darstellung des Württembergischen Pietismus (Bd.  III des oft zit[ierten] Werkes) angedeutet.44 113)  Selbstverständlich ist auch der Calvinismus, jedenfalls der genuine, „patriarchalisch“. Und der Zusammenhang des Erfolges z. B. von Baxters Thätigkeit mit dem haus­ industriellen Charakter des Gewerbes in Kidderminster tritt in seiner Autobiographie deutlich hervor. S[iehe] die in den Works of the Pur[itan] Divines p. XXXVIII zit[ierte] Stelle: „The town liveth upon the weaving of Kidderminster stuffs, and as they stand in their loom, they can set a book before them, or edify each other .  .  .“45 Indessen ist dabei der Patriarchalismus auf dem Boden der reformierten und erst recht der täuferischen Ethik anders geartet als auf dem Boden des Pietismus. Dies Problem wird uns erst min anderemm Zusammenhang beschäftigen.46 113a) Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, 3.   Aufl. I S.  598.47 – | Wenn A 57

m–m  A: im anderen 42  Von Weber im vorliegenden Aufsatz nicht mehr entwickelt. 43  Als Beispiel hierfür etwa Ritschl, Pietismus III, S.  287, auch S.  362 und 381. 44  Vgl. Ritschl, ebd., „Die sociale und politische Eigenthümlichkeit des Pietismus in Württemberg“, S.  3–42. 45  Bei Jenkyn, Essay on Baxter’s Life, im angegebenen Band (Baxter, Works of the English Puritan Divines IV), p.  xxxviii: „[.  .  .] or edifie one another“. Jenkyn zitiert an der Stelle aus Baxters Autobiographie. – Die Stelle wurde im Exemplar der UB Heidelberg (es enthält keine Marginalien), möglicherweise von Weber, am Rand markiert. 46  Weber thematisiert lediglich die antiautoritäre Haltung der Täufer und Quäker, unten, S.  351 f. und S.  352 f., Fn.  130, und der Puritaner, S.  398. 47  Bei Ritschl, Rechtfertigung und Versöhnung I, S.  598, heißt es: „Die contemplative Art des Umganges mit dem Heilande brachte es mit sich, daß allein die höheren Ge-

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Spielerei für „leisure classes“.48 So wenig erschöpfend diese Charakterisierung ist – wie sich noch zeigen wird49 –[,] so entsprechen ihr doch noch heute gewisse Unterschiede auch in der ökonomischen Eigenart der Völker, die unter dem Einfluß der einen oder anderen der beiden asketischen Richtungen gestanden haben. – Die Verbindung gefühlsmäßiger und dabei doch asketischer Religiosität mit zunehmender Indifferenz oder Ablehnung der dogmatischen Fundamente der calvinistischen Askese charakterisiert nun auch das englisch-amerikanische Seitenstück des kontinentalen Pietismus: den Methodismus.114) Schon sein Name zeigt, Friedrich Wilhelm I. den Pietismus überhaupt als eine für Rentiers geeignete Angelegenheit bezeichnete, so ist das freilich mehr für diesen König als für den Pietismus der Spener und Francke bezeichnend,50 und der König wußte wohl, warum er ihm durch sein Toleranzedikt seine Staaten öffnete.51 114)  Zur orientierenden Einführung in die Kenntnis des Methodismus ist der vorzügliche Artikel „Methodismus“ von Loofs in der Real-Encykl[opädie] f[ür] Prot[estantische] Theol[ogie] u[nd] K[irche] 3.  Aufl. ganz besonders geeignet.52 Auch die

sellschaftsclassen auf die Erweckung eingingen.“ Hatte sich Spener noch an alle Gesellschaftsklassen gewandt, so habe der seit 1817 entstandene moderne Pietismus Adel und Klerus okkupiert, die „niederen Gesellschaftsklassen“ aber nicht gewinnen können. „Diese behaupten den Boden der Aufklärung, und sind in zunehmendem Maße der Kirche entfremdet worden, seitdem die Pietisten es als zweckmäßig erkannt haben, sich als die Vertreter der lutherischen Kirche darzustellen. Die Bekehrung, welche in dem modernen Pietismus zugemuthet wird, trägt die Farbe der Brüdergemeinde“ (S.  599). 48  Mit „leisure classes“ spielt Weber vermutlich auf den Titel von Veblen, Thorstein, The theory of the leisure class. An economic study of institutions. – New York: Macmillan Company 1899 (hinfort: Veblen, Theory of the leisure class), an. (In der deutschen Übersetzung lautet der Titel: „Theorie der feinen Leute“.) 49  Der Bezug ist unklar. Weber kommt darauf in diesem Aufsatz nicht mehr zurück. 50  Friedrich Wilhelm I. äußerte gegenüber Francke, dessen Hallesche Anstalten er 1713 und 1719 besucht hatte und die ihn beeindruckten, „wie schwierig es für einen Weltmann, besonders einen Regenten, sei, immer nach den strengen Vorschriften des Gewissens zu handeln; wer von seinen Renten lebe, für den sei die Frömmigkeit eine leichte Sache“. Ritschl, Pietismus II, S.  289; dass. S.  292. 51  Es ist nicht ganz klar, worauf Weber sich mit dem „Toleranzedikt“ bezieht. Vermutlich ist die „Öffnung des Landes für den Pietismus“ gemeint, vgl. etwa Thadden, Rudolf von, Die Geschichte der Kirchen und Konfessionen, §  6, in: Handbuch der Preußischen Geschichte, hg. von Wolfgang Neugebauer, Band  III. – Berlin, New York: Walter de Gruyter 2001, S.  570–572. Demnach verband Friedrich Wilhelm I. den Halleschen Pietismus mit Staatsinteressen, wodurch dieser öffentliche Anerkennung und große Wirksamkeit erfuhr. 52  Vgl. Loofs, Art. Methodismus.

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was den Zeitgenossen als Eigenart seiner Anhänger auffiel: die „methodische“ Systematik der Lebensführung zum Zweck der Erreichung der certitudo salutis: denn um diese handelt es sich von Anfang an auch hier, und sie blieb Mittelpunkt des religiösen Strebens. Die trotz aller Unterschiede unbezweifelbare Verwandtschaft mit gewissen Richtungen des deutschen Pietismus114a) zeigt sich nun vor allem darin, daß diese Methodik speziell auch auf die Herbeiführung des gefühlsmäßigen Aktes der „Bekehrung“ übertragen wurde. Und zwar nahm hier die – bei John Wesley durch | nHerrnhuterisch-lutherischen Einflüsse erweckte – Gefühlsmäßigkeit,53 da der Methodismus von Anfang an auf Mission unter den Arbeiten von Jacoby (speziell das „Handbuch des Methodismus“), Kolde, Jüngst54 sind dazu brauchbar. Über Wesley: Tyerman, Lifeo and times of John W[esley] London 1870 f.55 Das Buch von Watson (Life of W[esley], auch in Übersetzung) ist populär.56 – Eine der besten Bibliotheken zur Geschichte des Methodismus hat die Northwestern University in Evanston bei Chicago.57 114a)  Sie ist – wenn man von den persönlichen Beeinflussungen der Wesleys58 absieht – historisch durch das Absterben des Prädestinationsdogmas einerseits und durch das wuchtige Wiedererwachen des „sola fide“ bei den Gründern des Methodismus andererseits bedingt,59 vor allem aber durch den Missionscharakter des Methodismus

n–n  A: Herrenhuterisch-lutherische  o A: life 53  John Wesley war anfangs von den Herrnhutern tief beeindruckt. Er war ihnen zuerst auf der Überfahrt und dann in Nordamerika (1735/36–1738, dort z. B. August Gottlieb Spangenberg) begegnet und pflegte nach der Rückkehr in London intensive Kontakte zu dort lebenden „Brüdern“. In den Sommermonaten 1738 war Wesley in Deutschland, besuchte Zinzendorf in Marienborn und fuhr nach Herrnhut. Ab 1740 trennten sich ihre Wege, und in Gesprächen, wie etwa mit Zinzendorf am 3. September 1741, stellte man bei gegenseitigem Respekt die Unterschiede fest (vgl. oben, S.  331, Fn.  105). Vgl. Loofs, Art. Methodismus, S.  756–758 und 761 f.; auch unten, S.  343 f., Fn.  119. 54  Weber bezieht sich, abgesehen von Jacoby, Handbuch des Methodismus, wahrscheinlich auf Jacoby, Geschichte des Methodismus, und Jüngst, Amerikanischer Methodismus (2.  Aufl.: ders., Methodismus in Deutschland I, II). Der Hinweis auf Kolde bezieht sich wahrscheinlich auf den Vortrag Kolde, Methodismus. 55  Vgl. Tyerman, Wesley I–III (vgl. dazu Webers Bemerkung, oben, S.  246, Fn.  3). 56  Vgl. Watson, Life of Wesley; deutsch: ders., Leben Wesley’s (mit der Bewertung „kurz, mehr populär“ bei Loofs, Art. Methodismus, S.  748). 57  Weber erwähnt seinen Besuch der Northwestern University in Evanston bei Chicago während seiner USA-Reise im Brief an Helene Weber vom 20. September 1904 (in: Brief vom 19. und 20. Sept. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  26–35; MWG II/4), geht aber auf die dortige Bibliothek nicht ein; auch nicht: Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, unten, S.  435 mit Anm.  2. 58  Charles und John Wesley, vgl. das Personenverzeichnis, unten, S.  817. 59  Zum methodistischen Rechtfertigungs- und Glaubensverständnis vgl. Schneckenburger, Kirchenparteien, S.  114–120, im Kapitel über den Methodismus, S.  103–151.

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Massen abgestellt war, einen stark emotionellen Charakter an, speziell auf amerikanischem Boden. Ein unter Umständen bis zu den fürchterlichsten Ekstasen gesteigerter Bußkampf, in Amerika mit Vorliebe auf der „Angstbank“ vollzogen,60 führte zum Glauben an Gottes unverdiente Gnade und zugleich damit unmittelbar zum Bewußtsein der Rechtfertigung und Versöhnung. Diese emotionelle Religiosität ging nun, unter nicht geringen inneren Schwierigkeiten, mit der durch den Puritanismus ein für allemal rational abgestempelten Ethik eine Verbindung ein. Zunächst wurde im Gegensatz zum Calvinismus, der alles nur Gefühlsmäßige für der Täuschung verdächtig hielt,61 prinzipiell eine rein gefühlte, aus der Unmittelbarkeit des Geisteszeugnisses fließende, absolute Sicherheit des Begnadeten – deren Entstehung wenigstens normalerweise auf Tag und Stunde feststehen sollte – als das einzig zweifellose Fundament der certitudo salutis angesehen.62 Ein dergestalt Wiedergeborener kann nun nach der Lehre Wesleys, die eine konsequente Steigerung der Heiligungsdoktrin, aber eine entschiedene Abweichung von der orthodoxen Fassung derselben darstellt, schon in diesem Leben kraft des Wirkens der Gnade in ihm durch einen zweiten, regelmäßig gesondert eintretenden und ebenfalls oft plötzlichen inneren Vorgang, die „Heiligung“, zum Bewußtsein motiviert, der eine (umbildende) Repristination gewisser mittelalterlicher Methoden der „Erweckungs“-Predigt herbeiführte und diese mit pietistischen Formen kombinierte. In eine allgemeine Entwicklungslinie zum „Subjektivismus“ gehört die Erscheinung, – die in dieser Hinsicht nicht nur hinter dem Pietismus, sondern auch hinter der bernhardinischen Frömmigkeit des Mittelalters zurückstand, – sicherlich nicht hinein.63 | 60 Schneckenburger schildert den Bußkampf: Er gilt als Voraussetzung des Glaubens und der Wiedergeburt. Bei mehrtägigen oder -wöchigen Zusammenkünften wurde er durch Erweckungspredigten hervorgerufen und vollzog sich auf Kniebänken („maurnes bench, „Sünderangstbank“), die am Abend vor die Kanzel gestellt wurden. Schneckenburger, Kirchenparteien, S.  122 f., Zitat S.  122. Zum Begriff vgl. etwa: Nevin, Johann W., Die Angst-Bank. Übers. aus dem Englischen nach der 2., vermehrten Aufl. – Chambersburg, PA: Druckerei der „Christlichen Zeitschrift“ [.  .  .] 1844 (im engl. Titel: „The anxious bench“). 61  Vgl. oben, S.  272 f. und 279. 62  Ausführlich bei Schneckenburger, Kirchenparteien, S.  124–131. 63 Vermutlich Anspielung auf Lamprecht, Deutsche Geschichte VII/1, der die Geschichte anhand von sozialpsychischen Merkmalen in Zeitalter einteilt und im Pietismus den Übergang vom Zeitalter des Individualismus zum Zeitalter des Subjektivismus sieht (vgl. auch oben, S.  317, Fn.  79a). Auf den Methodismus kommt Lamprecht allerdings nicht zu sprechen.

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der Vollkommenheit im Sinne der Sündlosigkeit gelangen.64 So schwer dies Ziel erreicht wird – meist erst gegen Ende des Lebens –, so unbedingt ist danach – weil es die certitudo salutis endgültig verbürgt und frohe Sicherheit an die Stelle der „mürrischen“ Sorge der Calvinisten setzt114b) – zu streben, und es muß jedenfalls der wirklich Bekehrte sich als solcher vor sich selbst und anderen dadurch ausweisen, daß zum mindesten die Sünde „keine Macht mehr über ihn hat“.65 Trotz der entscheidenden Bedeutung des Selbstzeugnisses des Gefühls wird dabei natürlich doch der am Gesetz orientierte heilige Wandel festgehalten. Wo Wesley gegen die Werkgerechtigkeit seiner Zeit kämpft, belebt er lediglich den altpuritanischen Gedanken wieder, daß die Werke nicht Realgrund, sondern nur Erkenntnisgrund des Gnadenstandes sind,66 und auch dies nur dann, wenn sie ausschließlich zu Gottes Ruhm getan werden. Der kor|rekte Wandel allein tut es nicht – wie er an sich selbst erfahren hat –: das Gefühl des Gnadenstandes muß dazu treten. Er selbst bezeichnet gelegentlich die Werke als „Bedingung“ der Gnade67 und betont auch in der Deklaration vom 9. Aug. 1771114c), daß, wer keine guten Werke tut, kein wahrer Gläubiger sei. Trotz

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114b) So hat Wesley selbst gelegentlich den Effekt des methodistischen Glaubens ge- A 58 kennzeichnet. Die Verwandtschaft mit der Zinzendorfschen „Glückseligkeit“ liegt zutage.68 | 114c) S[iehe] dieselbe z. B. in Watsons Leben Wesleys (deutsche Ausg.) S.  331.69 A 59

64  Vgl. Schneckenburger, Kirchenparteien, S.  136–142. 65  Nach Röm 6. 66  Vgl. dazu oben, S.  273 und S.  280 ff. 67  Dies ist der Fall auf der Londoner Konferenz vom 7. August 1770, auf der Wesley sich gegen die Prädestinationslehre und ihre methodistischen Anhänger wandte (vgl. oben, S.  303 mit Anm.  81). Wesley wollte einem zu starken „Hinneigen zum Calvinismus“ entgegentreten. Im Protokoll heißt es: „Wir haben als Grundsatz angenommen, ‚daß der Mensch zur Erlangung der Rechtfertigung nichts zu thun vermöge‘. Nichts kann aber unrichtiger sein, als diese Behauptung; denn Jeder, der Gnade bei Gott zu finden wünscht, sollte ‚vom Bösen abstehen und lernen Gutes zu thun‘ [.  .  .] Nicht durch das Verdienst der Werke, sondern durch die Werke als eine Bedingung“. Watson, Leben Wesley’s, S.  317 ff., Zitat S.  322 (zitiert auch bei Loofs, Art. Methodismus, S.  775; ausführlich bei Tyerman, Wesley III, p.  72 f.). 68  „Freude durch den heiligen Geist und die Zuversicht“ oder „Freudigkeit“ heißt es bei Schneckenburger, Kirchenparteien, S.  141. Zu Zinzendorfs Begriff „Glückseligkeit“ vgl. oben, S.  331 und 334, Fn.  109. 69  Bei Watson, Leben Wesley’s, S.  331 f., steht die Erklärung vom 9. August 1771, die, während des „calvinistischen Streits“, Wesley zusammen mit 50 Predigern unterzeichnete: „Und obgleich, wer keine guten Werke thut, wo sich ihm Zeit und Gelegenheit

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alledem ergaben sich Schwierigkeiten.115) Für diejenigen Methodisten, welche Anhänger der Prädestinationslehre waren, bedeutete die Verlegung der certitudo salutis statt in das aus der asketischen Lebensführung selbst in stets neuer Bewährung folgende Gnaden­ bewußtsein in das unmittelbare Gnaden- und Vollkommenheitsgefühl 116), – weil ja dann an den einmaligen Bußkampf sich die Sicherheit der „perseverantia“ knüpfte – eins von zwei Dingen: entweder, bei schwachen Naturen, antinomistische Deutung der „christlichen Freiheit“, also Kollaps der methodischen Lebensführung, – oder, wo diese Konsequenz abgelehnt wurde, eine zu schwindelnder Höhe sich aufgipfelnde Selbstgewißheit des Heiligen:117) eine gefühlsmäßige Steigerung des puritanischen Typus. Diesen Folgen suchte man, angesichts der Angriffe der Gegner, einerseits durch gesteigerte Betonung der normativen Geltung der Bibel und der Unentbehrlichkeit der Bewährung entgegenzutreten,118) anderer115) M.p Schneckenburger, Vorlesungen über die Lehrbegriffe der kleinen protestantischen Kirchenparteien. Herausg[egeben] von Hundeshagen. Frankfurt 1863, S.  147.70 116) Whitefield, der Führer der prädestinatianischen Gruppe, welche nach seinem Tode, weil unorganisiert, zerfiel, lehnte Wesleys „Vollkommenheits“-Lehre im wesentlichen ab.71 In der Tat ist dieselbe ja nur ein Surrogat des „Bewährungsgedankens“ der Calvinisten. 117)  Schneckenburger a. a. O. S.  145. Etwas anders Loofs a. a. O.72 118)  So die Konferenz von 1770. Schon die erste Konferenz von 1744 hatte anerkannt, daß die Bibelworte „bis auf Haaresbreite“ den Calvinismus einerseits, den An-

p A: J. dazu darbieten, kein wahrer Christgläubiger ist (und folglich auch nicht erlöst werden kann); so haben doch unsere Werke keinen Theil an dem Verdienste oder der Erlangung unserer Rechtfertigung [.  .  .]“ (Zitat S.  332). 70 Vgl. Schneckenburger, Kirchenparteien (dort im Titel: „[.  .  .] der kleineren protestantischen Kirchenparteien“). 71  Über George Whitefields Ablehnung der Vollkommenheitslehre Wesleys vgl. Loofs, Art. Methodismus, S.  762. Whitefield starb am 30. September 1770, und nach Been­ digung des „calvinistischen Streits“ (1770 bis ca. 1777) begannen sich die calvinistischen Kreise des Methodismus aufzulösen; vgl. Loofs, ebd., S.  774. 72  Weber nach Schneckenburger, Kirchenparteien, S.  144 f. – Loofs, Art. Methodismus, S.  774 f., vertritt dagegen die Auffassung, Wesley habe sich von Beginn seines Wirkens an mit antinomistischen Regungen im Sinne libertinistischer Tendenzen von Erweckungspredigern auseinandergesetzt und stets eine klare Stellung dagegen bezogen. Diese Erweckungsprediger seien in ihren Kreisen erstarkt und hätten versucht, gegenüber Wesleys autokratischer Leitung ihre Selbständigkeit zu bewahren. Doch habe Wesley letztlich die Oberhand behalten.

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seits aber führten sie im Erfolg zu einer Verstärkung der anticalvinistischen, die Verlierbarkeit der Gnade lehrenden Richtung Wesleys innerhalb der Bewegung.73 Die starken lutherischen Einflüsse, denen, unter Vermittlung der Brüdergemeinde, Wesley ausgesetzt gewesen war,119) verstärkten diese Entwicklung und ver|mehrten die Unbestimmtheit der religiösen Orientiertung der methodistischen Sittlichkeit.120) Im Ergebnis wurde schließlich wesentlich nur der Begriff der „regeneration“ – einer unmittelbar als Frucht des Glaubens auftretenden gefühlsmäßigen Sicherheit der Errettung – als unentbehrlichen Fundamentsq der Heiligung mit ihrer Konsequenz der (wenigstens virtuellen) Freiheit von der Macht der Sünde als des aus jener folgenden Erweises des Gnadenstandes konsequent festgehalten und die Bedeutung der äußeren Gnadenmittel, insbesondere der Sakramente,74 entsprechend entwertet. Der Methodismus erscheint danach für unsere Betrachtung als ein in seiner Ethik ähnlich schwankend fundamentiertes Gebilde

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tinomismus andererseits streiften.75 Bei ihrer Dunkelheit solle man um doktrineller Differenzen willen sich nicht von einander scheiden, solange die Geltung der Bibel als praktische Norm festgehalten bleibe. 119)  Von den Herrnhutern schied die Methodisten ihre Lehre von der Möglichkeit sündloser Vollkommenheit, welche speziell auch Zinzendorf ablehnte, während andererseits Wesley das Gefühlsmäßige der herrnhuterischenr Religiosität als | „Mystik“ A 60 empfand und Luthers Ansichten über das „Gesetz“ als „blasphemisch“ bezeichnete.76 120)  John Wesley hebt gelegentlich hervor, daß man überall: bei Quäkern, Presbyterianern und Hochkirchlern, Dogmen glauben müsse, nur bei den Methodisten nicht. – Vgl. zu dem Vorstehenden auch die freilich summarische Darstellung bei Skeats, History of the free churches of England 1688–1851.77

q  In A folgt: und  r A: herrenhuterischen   73  Über die Verlierbarkeit der Gnade bei Wesley vgl. Schneckenburger, Kirchenparteien, S.  131–133. 74  Vgl. Schneckenburger, ebd., S.  147 f. 75  Bei Skeats, Free Churches, p.  374, heißt es über die erste Konferenz der Methodisten im Jahr 1744: „It was decided that the truth of the Gospel was very near both to Calvinism and to Antinomianism, even ‚within a hair’s breadth‘ [.  .  .]“. 76  Weber zitiert in dieser Fußnote Plitt, Zinzendorfs Theologie I, S.  412, dort Zinzendorfs Protest gegen Wesleys Vollkommenheitslehre, Wesleys Kritik an den „Moravians“ und eine Paraphrase aus Wesleys Tagebuchnotiz zu Luthers Auslegung des Galaterbriefes. (Letztere stammt vom 15. Juni 1741.) 77  Vgl. Skeats, Free Churches, mit folgenden Zitaten über die „Methodist societies“ aus Wesleys Schrifttum: „They do not impose [.  .  .] any opinions whatever. People might hold particular or general redemption, absolute or conditional decrees. They

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wie der Pietismus. Aber immerhin diente das Streben nach dem „higher life“,s dem „zweiten Segen“, als eine Art Surrogat der Prädestinationslehre und, auf dem Boden Englands erwachsen, orientierte sich die Praxis seiner Ethik durchaus an derjenigen des reformierten Christentums, dessen „revival“ er ja sein wollte. Methodisch wird der emotionelle Akt der Bekehrung herbeigeführt[,] und, nachdem er erzielt ist, findet nicht ein frommes Genießen der Gemeinschaft mit Gott nach Art des gefühlsmäßigen Pietismus Zinzendorfs statt,78 sondern alsbald wird das erweckte Gefühl in die Bahn rationalen Vollkommenheitsstrebens geleitet. Der emotionelle Charakter der Religiosität führte daher nicht zu einem innerlichen Gefühlschristentum nach Art des deutschen Pietismus. Daß dies mit der, (zum Teil gerade infolge des emotionellen Ablaufs der Bekehrung), geringeren Entwicklung des Sündengefühls zusammenhängt, hat schon Schneckenburger gezeigt79 und ist ein stehender Punkt in der Kritik des Methodismus geblieben. Hier blieb der reformierte Grundcharakter des religiösen Empfindens maßgebend. Die Gefühlserregung nimmt den Charakter eines nur gelegentlich, dann aber „korybantenartig“ geschürten Enthusiasmus an,80 der den rationalen Charakter der Lebensführung im übrigen keineswegs beeinträchtigt.120a) Die „regeneration“ des 120a)  Natürlich aber beeinträchtigen kann, wie er dies heute bei den amerikanischen A 61 Negern tut. – Im übrigen hängt der oft ausgeprägt pathologische Charakter | der methodistischen Emotion im Gegensatz zu der relativ milden Gefühlsmäßigkeit des Pietismus wohl – neben rein historischen Gründen und der Publizität des Vorgangs – vielleicht auch mit stärkerer asketischer Durchdringung des Lebens in den Verbreitungsgebieten des Methodismus näher zusammen. Das zu entscheiden wäre aber nur Sache der Neurologen. (Manche geistreich durchgeführten Hypothesen über die Wir-

s  A: life,“   think and let think“ (p.  387). Und: „[.  .  .] you cannot be admitted into the Church, or society of the Presbyterians, Anabaptists, Quakers, or any others, unless you hold the same opinions with them, and adhere to the same mode of worship. The Methodists alone do not insist on your holding this or that opinion“ (p.  387 f.). 78  Vgl. oben, S.  331. 79  Vgl. Schneckenburger, Kirchenparteien, S.  108 ff., bes. S.  111, und S.  135 f. 80  Schneckenburger, ebd., S.  122, weist auf die Ausartung der methodistischen Erweckungspredigten zu einem „christianisirten Corybantenwesen“ hin. – Korybanten heißen in der griechischen Mythologie die origiastische, wilde Tänze vollführenden Priester der Kybele.

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Methodismus | schuf so lediglich eine Ergänzung der reinen Werkheiligkeit: eine religiöse Verankerung der asketischen Lebensführung, nachdem die Prädestination aufgegeben worden war. Die Kennzeichen des Wandels, unentbehrlich als Kontrolle der wahren Bekehrung, als ihre „Bedingung“, wie Wesley gelegentlich sagt,81 sind in der Sache dabei die gleichen wie im Calvinismus. Als einen Spätling121) können wir den Methodismus im folgenden bei der Erörterung der Berufsidee, zu deren Entfaltung er nichts Neues beisteuerte, im wesentlichen beiseite lassen. Wichtig für unsere Probleme wird er erst wieder, wo wir zur Betrachtung der Sozialethik und damit der Reglementierung des Berufslebens durch die kirchlichen Organisationen gelangen.82 Denn in der Art der Organisation liegt das Eigenartige seiner Wirksamkeit begründet. – Der Pietismus des europäischen Kontinents und der Methodismus der angelsächsischen tVölker sind,t nach ihrem Gedankengekung von „Affektverdrängungen“ usw. in dema früher zit[ierten] Werk von W[illy] Hellpach.)b 83 121)  Loofs a. a. O. S.  750 hebt nachdrücklich hervor, daß der Methodismus sich von anderen asketischen Bewegungen dadurch unterscheidet, daß er nach der englischen Aufklärungsepoche liegt[,] und stellt ihn zu der (freilich sehr viel schwächlicheren) Renaissance des Pietismus im ersten Drittel dieses Jahrhunderts bei uns in Parallele.84 – Aber immerhin wird, im Anschluß an Ritschl, Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd.  I c588 f.c,85 doch wohl auch die Parallelisierung mit der Zinzendorfschen Spielart des Pietismus, die ja – im Gegensatz zu Spener und Francke – auch schon Reaktion gegen die Aufklärung ist, erlaubt bleiben. Nur nimmt eben diese Reaktion im Methodismus, wie wir sahen, eine sehr andere Richtung als im Herrnhutertumd, wenigstens soweit es von Zinzendorf beeinflußt war.86 t–t  A: Völker, sind   a A: den  b  A: Hellpach).   c–c  A: 568 f.   d  A: Herrenhutertum 81  Vgl. z. B. oben, S.  341. 82  Im vorliegenden Aufsatz nicht mehr ausgeführt, vermutlich für die Fortsetzung von Webers Studie vorgesehen; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  66 f., und die systematische Übersicht im Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96. 83 Weber bezieht sich auf das oben, S.  316, Fn.  79a, genannte Werk: Hellpach, Grundlinien, darin bes. S.  350 ff. 84  Der Methodismus wollte ursprünglich als Evangelisationsbewegung innerhalb der englischen Staatskirche deren rationalen Supranaturalismus überwinden. Loofs, Art. Methodismus, S.  750 f., parallelisiert ihn mit der deutschen Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert. 85  Vgl. Ritschl, Rechtfertigung und Versöhnung I, S.  588 f. 86  Siehe oben, S.  330 f. und 339 f. Während zum emotionellen Charakter des Methodismus die rationale Ethik hinzutrat, bewegte sich der „Gefühls­pietismus“ Zinzendorfs von der methodischen Durchdringung der Lebensführung weg.

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halt sowohl als nach ihrer geschichtlichen Entwicklung betrachtet, sekundäre Erscheinungen. Dagegen steht als zweiter selbständiger Träger protestantischer Askese neben dem Calvinismus das Täufertum und die aus ihm im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts direkt oder durch Aufnahme seiner religiösen Denkformen hervorge­ gangenen Sekten122) der Baptisten, Mennoniten und, vor | allem, der Quäker.123) Mit ihnen gelangen wir zu religiösen Ge|meinschaften,

122)  Von den Baptisten gehen nur die sog. „General Baptists“ auf die alten Täufer zurück.87 Die „Particular Baptists“ sind, – wie schon früher gesagt88 – Calvinisten, welA 62 che die Kirchenzugehörigkeit prinzipiell auf die Wiedergeborenen resp. | doch auf persönliche Bekenner beschränken, daher prinzipielle Voluntaristen und Gegner aller Staatskirchen bleiben, – in der Praxis freilich unter Cromwell nicht immer konsequent. Sie interessieren uns daher erst in anderem Zusammenhang.89 Aber auch die General Baptists, so historisch wichtig sie als Träger der täuferischen Tradition sind, bieten für uns hier keinen Anlaß zu besonderer Berücksichtigung. Uns gehen wesentlich die Mennoniten und – besonders – die Quäker an. Daß diese, formell eine Neustiftung von George Fox und seinen Genossen, in ihren Grundgedanken lediglich Fortsetzer täuferischer Tradition sind, ist fraglos. Die beste Einführung in ihre Geschichte, zugleich unter Veranschaulichung ihrer Beziehung zu Baptisten und Mennoniten, gibt Robert Barclay, The inner life of the religious societies of the Commonwealth, 1876.90 Die beste Baptisten-Bibliothek scheint sich ime Colgate College im Staat New York zu befinden.91 – 123)  Es ist eins der vielen Verdienste von Karl Müllers Kirchengeschichte, der in ihrer Art großartigen, wennschon äußerlich unscheinbaren, Täuferbewegung die verdiente Stellung innerhalb der Darstellung eingeräumt zu haben.1 Wie keine andere hat

e  A: in 87  Die General (oder Arminian) Baptists vertraten die allgemeine, universale Gnadenwahl, die Particular (oder Calvinistic) Baptists die partikulare Gnadenwahl. Letztere, die sich 1633 von den seit 1611 in England heimischen Baptisten trennten, wuchsen rasch und waren bald zahlenmäßig den General Baptists überlegen. (Vgl. Hofmann, Art. Baptisten, S.  386.) 1644 sollen die Particular Baptists bereits sieben Londoner Gemeinden und 47 innerhalb Englands gehabt haben, außerdem zahlreiche Anhänger in der Parlamentsarmee; vgl. z. B. Masson, Milton III, p.  147–149. 88  Siehe oben, S.  312, Fn.  78. 89  Weber kommt auf die Particular Baptists im vorliegenden Aufsatz nicht mehr zu sprechen. 90  Vgl. Barclay, Inner Life. 91  Über Webers Besuch der Bibliothek der Brown University in Providence, RI, um historische Literatur zum Baptismus zu suchen, vgl. das Briefzitat, oben, S.  247, Anm.  17. Die Bibliothek der Colgate University in Hamilton, NY, scheint Weber bei seiner USA-Reise nicht besucht zu haben. 1  Bei Müller, Kirchengeschichte II/1, §  207 „Die Anfänge der schwärmerischen und täuferischen Bewegung“, S.  309–320; §  209 „Entwicklung des Täufertums zu einer eigenen religiösen Bewegung“, S.  327–335; §  216 „Die Katastrophe des Täufertums [.  .  .], bis 1536“, S.  389–404.

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deren Ethik auf einer prinzipiell gegenüber der reformierten Lehre heterogenen Grundlage ruht. Die nachfolgende Skizze, die ja nur sie unter der erbarmungslosen Verfolgung von seiten aller „Kirchen“ gelitten, – weil sie eben Sekte im spezifischen Sinn des Worts sein wollte. Sie war durch die Katastrophe der aus ihr hervorgegangenen eschatologischen Richtung in Münster2 noch nach 5 Generationen in der ganzen Welt (England z. B.) diskreditiert[.]3 Und sie ist, immer wieder zerdrückt und in die Winkel gescheucht, vor Allem erst lange nach ihrem Entstehen zu einer zusammenhängenden Formulierung ihres religiösen Gedankengehalts gelangt. So hat sie noch weniger „Theologie“ produziert, als mit ihren an sich dem fachmäßigen Betrieb des Glaubens an Gott als einer „Wissenschaft“ feindseligen Grundsätzen vereinbar gewesen wäre. Das berührte die ältere Fachtheologie – schon ihrer eigenen Zeit, – wenig sympathisch und imponierte ihr auch sehr wenig. Aber selbst bei manchen Neueren steht es nicht andersf. Bei Ritschl, Pietismus I S.  22 f.4 z. B. sind die „Wiedertäufer“ wenig unbefangen, ja in geradezu schnöder Weise behandelt: man fühlt sich versucht, von einem theologischen „Bourgeoisstandpunkt“ zu sprechen. Dabei lag das schöne Werk von Cornelius (Geschichte des Münsterschen Aufruhrs) seit Jahrzehnten vor.5 Ritschl konstruiert auch hier überall einen Collaps – von seinem Standpunkt aus – ins „Katholische“ und wittert direkte Einflüsse der Spiritualen und FranziskanerObservanten.6 Wären solche vereinzelt nachweisbar, so wären diese Fäden doch sehr dünn. Und vor Allem ist der historische Sachverhalt doch wohl der, daß die offizielle katholische Kirche die innerweltliche Askese der Laien, wo immer sie es bis zur Konventikelbildung brachte, mit äußerstem Mißtrauen behandelte und in die Bahn der Ordensbildung – also aus der „Welt“ heraus – zu lenken suchte, oder doch geflissentlich als Askese zweiten Grades den Bettelorden angliederte und ihrer Kontrolle unterordnete. Wo dies nicht gelang, witterte sie ganz ebenso die Gefahr, daß die Pflege subjekf A: andres 2  Über das Münsteraner Täufertum vgl. im Glossar: „Täufertum“, unten, S.  839 f.; bei Müller, Kirchengeschichte II/1, S.   392–394; Cornelius, Münsterischer Aufruhr II, S.  210 ff. 3  Vgl. etwa Barclay, Inner Life, p.  12 f.: „[.  .  .] it is doubtful whether any churches or societies of purely English Baptists had a distinct consecutive existence prior to 1611“ (Zitat p.  13). 1611 kehrte Thomas Helwys nach England zurück, der zwischen 1604 und 1606 mit einer Gemeinde um John Smyth nach Holland geflohen war, wo sie mit mennonitischem Gedankengut in Berührung gekommen waren. In England gründete er die erste baptistische Gemeinde, der bald weitere folgten. Vgl. Barclay, Inner Life, p.  68–73 und 76 f. 4  Weber bezieht sich auf Ritschl, Pietismus I, „Die Eigenthümlichkeit und die Abstammung der Wiedertäufer“, S.  22–36. 5  Die beiden Bände von Cornelius, Münsterischer Aufruhr I und II, waren 1855 und 1860 veröffentlicht worden, während der geplante dritte Band nicht erschien. 6  Nach Ritschl, Pietismus I, S.  22–36, näherten sich die Wiedertäufer, die größtenteils dem niederen Handwerkerstand der Städte entstammten und von den Bettelorden, besonders von den franziskanischen Richtungen, für das franziskanisch-asketische Ideal des Christentums gewonnen worden waren, zunächst Luther und Zwingli an, wandten sich aber alsbald wieder ab, weil sie dort eine asketisch-sittliche Reform des christlichen Lebens vermißten. Es handele sich also um „eine Neubelebung der Reformation des heiligen Franz“ (S.  30).

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das für uns vorläufig Wichtige heraushebt, vermag von der Vielgestalt dieser Bewegung keinen Begriff zu geben. Wir legen natürlich wieder das Hauptgewicht auf die Entwicklung in den altkapitalistischen Ländern. – Der historisch und prinzipiell wichtigste Gedanke aller dieser Gemeinschaften, dessen Tragweite für die Kulturentwicklung freilich erst in einem anderen Zusammenhang ganz deutlich werden kann, ist uns in Ansätzen bereits begegnet: die „belietivistischer asketischer Sittlichkeit zur Autoritätsverneinung und Häresie führe, wie dies – mit gleichem Recht – die Kirche Elisabeths gegenüber den „prophesyings“, den halbpietistischen Bibelkonventikeln, auch wo sie in bezug auf „conformism“ A 63 durch­aus | korrekt waren, tat,7 und wie es die Stuarts in ihrem Book of sports – worüber später8 – zum Ausdruck brachten. Die Geschichte zahlreicher Ketzerbewegungen, aber auch z. B. der Humiliaten und Beghinen,9 und ebenso das Schicksal des heiligen Franz sind Belege dafür.10 – Die Predigt der Bettelmönche, zumal der Franziskaner, hat für die asketische Laiensittlichkeit des reformiert-täuferischen Protestantismus wohl mehrfach den Boden bereiten helfen. Aber die massenhaften Züge von Verwandtschaft zwischen der Askese innerhalb des Mönchtums des Occidentes und der asketischen Lebensführung innerhalb des Protestantismus, – die auch in unserem Zusammenhang, als höchst lehrreich, immer wieder zu betonen sein werden,11 – haben ihren schließlichen Grund doch darin, daß natürlich jede auf dem Boden des biblischen Christentums stehende Askese eben notwendig gewisse wichtige gemeinsame Züge haben muß, – und weiterhin darin, daß überhaupt jede Askese irgendwelchen Bekenntnisses bestimmte probate Mittel zur „Abtötung“ des Fleisches benötigt. – Zu der folgenden Skizze ist noch zu bemerken, daß ihre Kürze dem Umstand zuzuschreiben ist, daß eben für das in diesem Kapitel zu erörternde Problem: die religiösen Grundlagen der „bürgerlichen“ Berufsidee, die täuferische Ethik nur von sehr begrenzter Bedeutung ist. – Die soziale Seite der Bewegung wird vorerst geflissentlich beiseite gelassen. Infolge der Problemstellung kann von dem historischen Gehalt der älteren Täufer­ bewegung auch nur das hier zur Darstellung gelangen, was nachher auf die Eigenart der für uns im Vordergrunde stehenden Sekten: Quäker und (mehr nebenher) Mennoniten, eingewirkt hat. 7  Elisabeth I. begann 1574, die sich seit 1571 ausbreitenden „prophesyings“ zu unterdrücken, und intensivierte dies 1577, obwohl die „prophesyings“, um bei Hof keinen Anstoß zu erregen, kurz zuvor reguliert worden waren. Vgl. Neal, Puritans I, p.  262–264 und 283–488. Die Besucher der Konventikel galten generell als Nonkonformisten oder Puritaner. 8  Siehe unten, S.  398. 9  Vgl. im Glossar: „Humiliaten“ und „Beghinen (Beginen)“, unten, S.  831 und 823. 10  Um als Bußprediger nicht den „Ketzern“ zugerechnet zu werden, pilgerte Franz von Assisi 1209 oder 1210 nach Rom, um eine päpstliche Autorisierung der sich bildenden Büßer-Gemeinschaft zu erlangen. Erst Jahre später wandelte sich die Bru­ derschaft zum (Bettel-)Orden. Die ursprüngliche Radikalität der Brüder ließ sich trotz Bemühungen ihres Gründers nicht bewahren, als sich die Bewegung zu einem Massenphänomen entwickelte. Hier nach Müller, Kirchengeschichte II/1, S.  565–567 und 607 f. 11  Siehe oben, S.  290 f. und 294–297, und unten, S.  365 f., 373 und 375 (Arbeit als alt­erprobtes asketisches Mittel).

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vers’ church“.124) Das heißt, daß die religiöse Gemeinschaft, die „sichtbare Kirche“ nach dem Sprachgebrach der Reformationskirchen125), nicht mehr aufgefaßt wird als eine Art Fideikommißstiftungg zu überirdischen Zwecken, eine, notwendig Gerechte und Ungerechte umfassende, Anstalt, – sei es zur Mehrung des Ruhmes Gottes (calvinistisch), sei es zur Vermittlung von Heilsgütern an die Menschen (katholisch und lutherisch), – sondern ausschließlich als eine Gemeinschaft der persönlich Gläubigen | und Wiedergebornen und nur dieser: mit anderen Worten nicht als eine „Kirche“, sondern als eine „Sekte“.126) Nur dies sollte ja auch das an sich rein

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S[iehe] oben Anmerkung 65a.12 Über dessen Ursprung und Wechsel s. A[lbrecht] Ritschl in seinen „Gesammelten Aufsätzen“ S.  69 f.13 | 126) Natürlich haben die Täufer die Bezeichnung als „Sekte“ stets abgelehnt. Sie A 64 sind die Kirche im Sinne des Epheserbriefes (5, 27).14 Aber sie sind für unsere Terminologie „Sekte“ nicht nur, weil sie jeder Beziehung zum Staat entbehren. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in der ersten Zeit des Christentums war freilich, noch bei den Quäkern (Barclay), ihr Ideal,15 da ihnen, wie manchen Pietisten (Tersteegen),16 nur die Reinheit der Kirchen unter dem Kreuz unverdächtig war. Aber unter einemh ungläubigen Staat, oder gar unter dem Kreuz, mußten auch die Calvinisten, faute de mieux, – ähnlich wie im gleichen Fall selbst die katholische Kirche, – für Trennung von Staat und Kirche sein. Auch nicht deshalb sind sie eine „Sekte“, weil die Aufnahme in die Kirchenmitgliedschaft de facto durch einen Aufnahmevertrag zwischen Gemeinde und Katechumenen erfolgte. Denn das war formell z. B. auch in den niederländischen reformierten Gemeinden (als Folge der ursprünglichen politischen Lage) nach der alten Kirchenverfassung der Fall (s. darüber v. Hoffmann, Kirchenverfassungsrecht der 124) 

125) 

g  A: Fideikommisstiftung  h A: einen 12  Oben, S.  298. 13  Gemeint ist: Ritschl, Begriffe: Sichtbare und unsichtbare Kirche, in: ders., Gesammelte Aufsätze I, S.  68–99. (Der Aufsatz im Exemplar der UB Heidelberg enthält Markierungen, u. a. lilafarbene Anstreichungen, die von Max Weber stammen könnten.) 14  Schon Menno Simons berief sich auf diese Bibelstelle; vgl. Cramer, Art. Menno Simons, S.  593. Eph 5,27 lautet [1892]: „Auf daß er sie ihm selbst darstellte eine Gemeine, die herrlich sei, die nicht habe einen Flecken oder Runzel oder des etwas, sondern daß sie heilig sei und unsträflich.“ 15  Dies resultiert aus Robert Barclays Kirchenbegriff, vgl. Barclay, Apology (Proposition X. „Concerning the Ministry“, p. 271–343), hier p. 271–279: Gemessen an dem Ideal der Kirche in apostolischer Zeit fielen alle späteren Kirchen ab. 16  Vgl. Ritschl, Pietismus I, S.  482 f. und 488 ff.: Tersteegen vertrete „die Ansicht, daß seitdem die Vollkommenheit des ursprünglichen Christenthums mit dem Aufhören der Verfolgungen aus der Kirche so gut wie verschwunden ist und dem Weltsinne Platz gemacht hat [.  .  .]“ (Zitat S.  488). Um nicht mit Gottlosen Abendmahl feiern zu müssen, enthielt er sich dessen sein Leben lang (vgl. S.  482 f.).

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äußerliche Prinzip, ausschließlich Erwachsene, die persönlich den Glauben sich innerlich erworben und bekannt haben, zu taufen, symbolisieren.127) Die „Rechtfertigung“ durch diesen Glauben ist nun bei den Täufern, wie sie bei allen Religionsgesprächen beharrlich wiederholt haben, radikal verschieden von dem Gedanken einer „forensischen“ Zurechnung des Verdienstes Christi, wie er die orthodoxe Dogmatik des alten Protestantismus beherrscht.127a) Sie besteht vielmehr in der innerlichen Aneignung seines Erlösungswerkes. Diese aber erfolgt durch individuelle Offenbarung, die Wirkung des göttlichen Geistes im einzelnen, und nur durch niederl[ändischen] Reformierten Leipzig 1902).i 17 – Sondern deshalb, weil gemäß ihren gleich zu erörternden Grundsätzen die Kirche überhaupt nur voluntaristisch organisiert sein durfte, sollte sie nicht Unwiedergeborene in sich schließen und also von dem altchristlichen Vorbild abweichen. Bei den täuferischen Gemeinschaften liegt es im Begriff der „Kirche“, was bei den Reformierten als faktischer Zustand vorkam. Daß freilich auch bei diesen ganz bestimmte religiöse Motive zur „believers’ church“ drängten, wurde schon angedeutet und wird uns in seinen Folgen später noch beschäftigen.18 127)  Wie wichtig das Symbol geschichtlich für die Konservierung der Gemeinschaft der Kirchen war, – weil es für diese ein unzweideutiges und unverkennbares Merkmal schuf, – hat Cornelius a. a. O. sehr klar ausgeführt.19 127a) Gewisse Annäherungen daran in der Rechtfertigungslehre der Mennoniten können hier außer Betracht bleiben.20 | i A: 1902.) 17 Vgl. Hoffmann, Kirchenverfassungsrecht, in §  4. „Die Mitgliedschaft“, S.  69–83, über den Erwerb der Gemeindemitgliedschaft durch Vertrag, S.  75–77. 18  Siehe oben, S.  312, Fn.  78; die Folgen sind unten, S.  363 f. und 366 (Nichtzulassung zum Abendmahl), angedeutet, aber nicht ausgeführt. 19  Vgl. etwa Cornelius, Münsterischer Aufruhr II, S.  28: „In der That war die Behauptung von der Nothwendigkeit der Wiedertaufe unter allen Lehren eines biblischen Radicalismus die radicalste: sie sprach der gesammten Christenheit die Christlichkeit ab und zerschnitt das letzte Band mit Vergangenheit und Gegenwart. Durch die wirkliche Einführung der Wiedertaufe wurde darum nicht bloß eine Kirche begründet und abgegrenzt, sondern die tief innerliche Sonderung ihrer Glieder von allem, was nicht zu ihrer Gemeinschaft gehörte, zur höchsten Vollkommenheit erhoben.“ 20  Vgl. etwa auch Ritschl, Rechtfertigung und Versöhnung I, S.  317: „Hingegen die Partei der Taufgesinnten (Mennoniten) [.  .  .] verbindet mit der Aufgabe, eine Gemeinde activ Heiliger herzustellen, die Anerkennung des reformatorischen Grundsatzes von der Rechtfertigung durch Christi vollkommenen Gehorsam als dem einzigen Grunde des Heiles, zu welchem sich die Werke nur als nothwendige Folgen des Glaubens verhalten.“ – Zur Ablehnung der Lehre von der stellvertretenden Genugtuung bei den Quäkern vgl. Ritschl, ebd.: „Gott hat doch nicht Christus den Sündern gleich gerechnet, [.  .  .] Christi Tod bietet deshalb die Versöhnung nur an, ist nur Vorbild und Symbol derjenigen wahren Erlösung und Veränderung, welche Christi Geist, das göttliche Licht dem Menschen innerlich abringt. Diese ist auch die reale Justification [.  .  .]“. (Zur forensischen Deutung des Rechtfertigungsaktes vgl. oben, S.  305, Anm.  90.)

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diese. Sie wird jedem angeboten, und es genügt, auf den Geist zu harren und nicht durch sündliches Kleben an der Welt seinem Kommen zu widerstreben. Die Be|deutung des Glaubens im Sinn der Kenntnis der Kirchenlehre, ebenso aber auch im Sinn bußfertigen Ergreifens der göttlichen Gnade, trat demgegenüber natürlich ganz zurück, und es fand eine – natürlich stark umbildende – Renaissance urchristlicher pneumatisch-religiöser Gedanken statt. Die Sekte, welcher Menno Simons in seinem Fondamentboek (1539) als erster eine leidlich geschlossene Lehre schuf,21 wollte ebenso wie die anderen täuferischen Sekten die wahre unsträfliche Kirche Christi sein, wie die Urgemeinde ausschließlich aus persönlich von Gott Erweckten und Berufenen bestehend. Die Wiedergeborenen und nur sie sind Christi Brüder, weil, wie er, von Gott geistig direkt gezeugt.128) Strenge Meidung der „Welt“, d. h. alles

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128) Auf diesem Gedanken beruht vielleicht das religiöse Interesse an den Erörte- A 65 rungen der Fragen, wie die Incarnation Christi und seine Beziehung zur Jungfrau Maria zu denken sei,22 welche, oft als einziger rein dogmatischer Bestandteil, sich so seltsam schon in den ältesten Dokumenten der Täufer (z. B. den bei Cornelius, Appendix zu Band  II a. a. O. abgedruckten „Bekenntnissen“)23 ausnehmenj (s. darüber u. A. K[arl]

j A: ausnimmt   21  Mit Kurztitel und Inhaltsangabe nach Cramer, Art. Menno Simons, S.  590. Gemeint ist: Menno Simons, Dat fundament des Christelycken leers (Erstdruck 1539/40). 22  Nach Cramer, Art. Menno Simons, war die Frage der Menschwerdung Christi „die einzige dogmatische Streitfrage“ (S.  591), in die Menno Simons verwickelt wurde. Menno folge dabei den Hoffmannschen Brüdern (vgl. die folgende Anm.); Christus sei von Gott allein erzeugt; „denn nichts Irdisches vermag auch nur das geringste zu unserem Heile beizutragen, und in seiner irdischen Erscheinung [ergänze: war er] nichts als Mensch, in welchem [sic!] das Wort verwandelt worden war. Lehrte die Kirche, wir seien Christi Brüder dem Fleische nach, weil er unser Fleisch angenommen, so lehrte dagegen M[enno], nur die Wiedergeborenen seien Christi Brüder, und dies nur aus dem Grunde, weil sie als solche gleich ihm von Gott gezeugt sind“ (S.  591 f.). Vgl. auch Cramer, Art. Mennoniten, S.  607 f. 23  Laut Cornelius, Münsterischer Aufruhr II, S.  279–282, heißt es in den „Nikolsburger Artikeln“ von 1527 und 1528: „Die junckfraw Maria sei nicht ein mutter Gottes, si sei allein ein mutter Christi. Cristus sei nit Got, sunder ein prophet [.  .  .]“ (S.  280). Dieselben Sätze finden sich nach Cornelius bei den „Augsburger neuen Christen“ und wurden öfters gedruckt (vgl. S.  281). – Melchior Hoffmann (auch: Hofmann), eine führende Gestalt im Täufertum, bekennt (ebd., S.  285): „Wahrhaftige zeucknus gegen die nachtwechter und sternen, das der dot mensch Jesus Christus am kreutz und im grab nit ein angenomen fleisch und blut aus Maria sei, sunder allein das ware und ewige wort und der unendliche sun des Allerhöchsten.“

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nicht unbedingt nötigen Verkehrs mit den Weltleuten, in Verbindung mit striktester Bibliokratie im Sinn der Vorbildlichkeit des Lebens der ersten Christengeneration ergaben sich daraus für die ersten Täufergemeinschaften, und dieser Grundsatz der Weltmeidung ist, solange der alte Geist lebendig blieb, nie ganz verschwunden.129) Als bleibenden Besitz nahmen die täuferischen Sekten aus diesen ihre Anfänge beherrschenden Motiven jenes Prinzip mit, welches wir – etwas anders begründet – schon beim Calvinismus kennen lernten und dessen fundamentale Wichtigkeit immer wieder hervortreten wird: die unbedingte Verwerfung aller „Kreaturvergötterung“ als einer Entwertung der Gott allein geschuldeten Ehrfurcht.130) 24 Die biblische Lebensführung war | bei der ersten Müller, K[irchen-]G[eschichte] II, 1, S.  330).k 25 Der Differenz in der Christologie der Reformierten und der Lutheraner (in der Lehre von der sog. communicatio idiomatum) lagen ja ähnliche religiöse Interessen zugrunde.26 129)  Er drückt sich namentlich in der ursprünglich strengen Meidung der Exkommuniziertenl auch im bürgerlichen Verkehr aus,27 – ein Punkt, in welchem selbst die Calvinisten der Auffassung, daß die bürgerlichen Verhältnisse grundsätzlich von den geistlichen Censuren nicht berührt werden, Konzessionen machten. Darüber später.28 130)  Wie sich dieser Grundsatz in den scheinbarm unwichtigen Äußerlichkeiten bei den Quäkern äußerte (Ablehnung des Hutabnehmens, Kniens, Sich-Verbeugens und ebenso der Pluralanreden)[,] ist bekannt.29 Aber der Grundgedanke ist an sich jeder

k  A: 330.)   l  A: Exkomunizierten   m  A: scheinbaren   n A: Pluralaranrede 24  Siehe oben, S.  266–268, Fn.  21. 25  Müller, Kirchengeschichte II/1, S.  330: „Eine Theologie hat das Täufertum nie besessen, nur einzelne wenige Theologen; alles erschöpft sich in den praktischen Aufgaben. [.  .  .] Sie fordern den innern Christus und sein heiligendes Werk in uns. [.  .  .] Sie legen allen Nachdruck auf das innere Wort und den Geist [.  .  .]“. 26  In der Lehre von der communicatio idiomatum, dem wechselseitigen Austausch oder der „Mitteilung der Eigenschaften“ Christi, werden diese nach seiner göttlichen und menschlichen Natur unterschieden. Während die Reformierten göttliche und menschliche Natur streng scheiden, kann Luther mit Hilfe dieser Lehre von einer realen Gemeinschaft der beiden Naturen sprechen: „Gott war ganz und gar Mensch geworden [.  .  .]. Alles Tun und Leiden des Menschen ist auch Gottes Tun und Leiden [.  .  .].“ Seeberg, Dogmengeschichte II, S.  311. 27  Menno Simons lehrt in einer Schrift von 1550 („Klaer bericht van de Excommunicatie“), die Meidung Gebannter beziehe sich auch auf gebannte Ehegatten („Ehemeidung“). Dies bedeute aber nicht Eheauflösung; das Gewissen solle man diesbezüglich nicht beschweren. Vgl. Cramer, Art. Menno Simons, S.  593. 28  Weber thematisiert dies im vorliegenden Aufsatz nicht mehr. 29 Beschrieben von Barclay, Apology (Proposition XV. „Concerning Salvations and Recreations“, p.  512–571), hier p.  519–532.

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schweizerisch-oberdeutschen Täufergeneration ähnlich radikal gedacht, wie ursprünglich beim heiligen Franz: als ein schroffer Bruch mit aller Weltfreude und ein Leben strikt nach dem Vorbild der Apostel. Und wirklich erinnert das Leben vieler ihrer ersten Vertreter an dasjenige des heiligen Aegidius.30 Aber diese strikteste Bibelobservanz131) stand gegenüber dem pneumatischen Charakter der Religiosität auf nicht allzu festen Füßen. Was Gott den Propheten und Aposteln offenbart hat, ist ja nicht alles, was er offenbaren kann und will. Im Gegenteil: die Fortdauer des Worts, nicht als einer geschriebenen Urkunde, sondern als einer im täglichen Leben der Gläubigen wirkenden Kraft des heiligen Geistes, Askese in gewissemo Umfang eigen, die deshalb in ihrer genuinen Gestalt stets „autoritätsfeindlich“ ist. Im Calvinismus äußerte er sich in dem Prinzip, | daß in der Kirche A 66 nur Christus herrschen solle. Was denp Pietismus anlangt, so denke man an Speners Mühe, die Titulaturen biblisch zu rechtfertigen.31 – Die katholische Askese hat diesen Zug, soweit die kirchliche Obrigkeit in Betracht kommt, durch das Gehorsamsgelübde gebrochen, indem sie den Gehorsam selbst asketisch deutete. Jene „Umstülpung“ dieses Prinzips in der protestantischen Askese ist die historische Grundlage der Eigenart noch der heutigen Demokratie puritanisch beeinflußter Völker und ihres Unterschiedes von derjenigen des „lateinischen Geistes“. Sie ist es auch, welche jener „Respektlosigkeit“ der Amerikaner historisch zugrunde liegt,32 die – je nachdem – den einen abstoßend, den andern erfrischend berührt. 131)  Freilich galt diese bei den Täufern von Anfang an wesentlich nur dem neuen, nicht in gleicher Weise dem alten Testament. Speziell die Bergpredigt33 erfreut sich bei allen Denominationen einer spezifischen Schätzung als sozialethisches Programm. o  A: gewissen   p  A: der 30  Aegidius stammte der Legende nach aus einer vornehmen griechischen Familie („ex Graecia, unde oriundus ex regia stirpe erat“, ActaSS 9,1, p.  290), lebte ab Anfang des 8. Jahrhunderts als Eremit in der Provence und gründete später ein Kloster (SaintGilles). Ähnlich später Franz von Assisi, vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  134, Anm.  30. 31  Weber bezieht sich auf Spener, Theologische Bedenken I (1. Cap., Sectio LXVI. e  „Von tituln. [.  .  .] von Quackern. Von der Widergeburt. Von der Vollkommenheit [.  .  .]“, S.  302–313), bes. S.  302 f. „Der ort Joh. 5/44. kan auch gegen die titul selbs nicht ane  ders gefu hret werden/ als so fern jemand eigentlich ehre darinnen suchet [.  .  .]. Daher e  halte ich die titul als mittelding/ deren gebrauch gut/ der mißbrauch aber [.  .  .] straflich ist.“ (Zitat S.  303.) – Im Exemplar der UB Heidelberg unterstrich Weber „mittelding“ und markierte die Zeile am Rand. 32  Vgl. auch Bryce, American Commonwealth II, Chapter CV: „Equality“, p.  615–626, der dasselbe Phänomen beobachtete und u. a. mit der „equality of estimation“ (p.  615) einer jeden Person begründet: „There is no rank in America, that is to say, no external and recognized stamp, marking one man as entitled to any social privileges, or to deference and respect from others“ (p.  618); ähnlich Münsterberg, Hugo, Die Amerikaner, Band  1, 1.–3.  Aufl. – Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn 1904, S.  84. 33  Die Bergpredigt: Mt 5–7.

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der direkt zu dem einzelnen, der ihn hören will, spricht, ist – wie schon Schwenckfeld gegen Luther und später Fox gegen die Presbyterianer lehrte34 – nach dem Zeugnis der Urgemeinden das alleinige Kennzeichen der wahren Kirche. Es hat sich aus diesem Gedanken der fortdauernden Offenbarung die bekannte, später bei den Quäkern konsequent entwickelte Lehre von der in letzter Instanz entscheidenden Bedeutung des innerlichen Zeugnisses des Geistes in Vernunft und Gewissen ergeben.35 Damit war nicht die Geltung, wohl aber die Alleinherrschaft der Bibel beseitigt und zugleich eine Entwicklung eingeleitet, welche mit allen äußeren und magischen Resten der kirchlichen Heilslehre, schließlich, bei den Quäkern, auch mit Taufe und Abendmahl, radikal aufräumte.132) | Nur das „innere Licht“ befähigt überhaupt zum wahren Verständnis auch der biblischen Offenbarungen Gottes.133) Seine Wirkung kann sich andererseits, wenigstens nach der Lehre der Quäker, welche hier die letzte Konsequenz zogen, erstrecken auf Menschen, die niemals die biblische Form der Offenbarung kennen gelernt haben. Der Satz: „extra ecclesiam nulla salus“36 gilt nur für diese unsichtbare Kirche der vom Geist Erleuchteten.37 Ohne das innere Licht bleibt der natürliche, auch der von der natürlichen Vernunft

132)  Schon Schwenckfeld hatte die äußere Verrichtung der Sakramente für ein Adiaphoron gehalten, während die „General Baptists“ und die Mennoniten an Taufe und Abendmahl, daneben die Mennoniten an der Fußwaschung, strikt festhielten.38 | 133) Hierfür berufen sich die täuferischen Denominationen, speziell die Quäker A 67

34  Nach Barclay, Inner Life, p.  221–252. 35  Vgl. unten, S.  354 f. mit Fn.  133. 36  „Außerhalb der Kirche kein Heil“, vgl. auch im Glossar, unten, S.  828. 37  In einem Exzerpt zu Barclay, Apology (Proposition X. „Concerning the Ministry“, p.  271–343), hier p.  271–275, notiert Weber: „Unsichtbare Kirche: Die eine kathol[ische] Kirche umfaßt alle (ob Christen oder nicht), welche das innere Licht haben [.  .  .], 〈welche〉 Rechtschaffenheit lieben u[nd] so durch die verborgene Berührung des heiligen Lichts in ihren Seelen im 〈Geheimen〉 Verborgnen mit Gott vereint sind. Außerhalb dieser Kirche ist allerdings kein Heil (aber sie umfaßt Türken u[nd] Heiden). Die sichtbare Kirche ist e[ine] Versammlung v[on] 〈Mit-〉Gliedern der unsichtbaren K[irche], welche auch äußerlich bekennen, Christen zu sein.“ Webers Zusammenfassung: „Also hier die unsichtbare Kirche größer als die sichtbare.“ Weber, Exzerpt (wie folgende Anm.), Bl.  35r. 38  Vgl. zu Schwenckfelds religiös-neutraler Haltung in dieser Hinsicht Barclay, Inner Life, p.  235 f. (Kaspar von Schwenckfeldt war kein Täufer, aber Spiritualist). – Barclay betont das strikte Festhalten an Taufe und Abendmahl bei den genannten Täufergemeinschaften (vgl. p.  222 und p.  83), erwähnt allerdings auch, daß die General Bap-

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Exzerpt Webers aus Robert Barclays „Apology“ „Unsichtbare Kirche“ GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 31, Bd. 6, Bl. 35r

Exzerpt Webers aus Robert Barclays „Apology“ „Gottesdienst“ GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr. 31, Bd. 6, Bl. 36r

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geleitete,134) | Mensch rein kreatürliches Wesen, dessen völlige (Barclay, Apology for the true Christian Divinity 4.  Aufl. London 1701, – mir durch Ed[uard] Bernsteins Liebenswürdigkeit zur Verfügung gestellt –),39 auf Calvins Äußerung in der Inst[itutio] Christ[ianae] Rel[igionis]q III, 2[,] wo sich in der Tat ganz unverkennbare Annäherungen an die täuferische Lehre finden.40 Auch die ältere Unterscheidung der Dignität des „Wortes Gottes“ – als dessen, was Gott den Patriarchen, Propheten, Aposteln geoffenbart hat – und der „heiligen Schrift“ als dessen, was sie davon aufgezeichnet haben, berührte sich, wohl ohne daß ein geschichtlicher Zusammenhang stattfände, doch innerlich mit der Auffassung der Täufer vom Wesen der Offenbarung.41 Die mechanische Inspirationslehre und damit die strikte Bibliokratie bei den Calvinisten ist ebenso erst Produkt einer im Lauf des 16. Jahrhunderts eingetretenen Entwicklung in der einen Richtung, wie die Lehre vom „inneren Licht“ in der auf täuferischer Grundlage ruhendenr Lehre der Quäker das Resultat einer gerade entgegengesetzt verlaufenden Entwicklung ist. Die scharfe Scheidung war hier zum Teil wohl auch Folge konstanter Auseinandersetzung. 134)  Dies wird scharf gegen gewisse Tendenzen der Socinianer betont. Die „natürliche“ Vernunft weiß gar nichts von Gott (Barclay a. a. O. p.  102).42 Damit ist die Stellung, welche die „lex naturae“ sonst im Protestantismus einnimmt, wiederum verschoben.43 Es kann prinzipiell keine „general rules“, keinen Moralkodex geben, denn den „Beq A: Theol.  r  A: ruhender tists oftmals, zusammen mit dem Abendmahl, die Fußwaschung hielten (vgl. p.  222), welche die niederländischen Waterlander Mennonites als „command of the Lord“ erachteten (vgl. p.  83). 39  Von Barclay, Apology, 4. Auflage, existieren Exzerpte, die Max Weber sich angefertigt hat. Sie befinden sich in: GStA PK Berlin, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  31, Band  6, Bl.  28–42 (hinfort zitiert: Weber, Exzerpt). Vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S.  240. 40  Aus Calvin, Inst. III,2, wird Abschnitt 39 über „the Spirit’s In-dwelling in us“ vollständig (engl.) zitiert von: Barclay, Apology (Proposition II. „Of Immediate Revelation“, p.  18–67), hier p.  44–46. Weber notiert die Calvin-Stelle (Inst. III,2) „für den ‚Spirit‘“ (Weber, Exzerpt, Bl.  39). 41  Zur Lehre vom „inneren Licht“ und zum Schriftverständnis der Quäker vgl. Weber, Exzerpt, Bl.  32r, 32v, 39, 40v, 41r und 41v (zu Barclay, Apology, Proposition II. „Of Immediate Revelation“, p.  18–67, und III. „Concerning the Scriptures“, p.  67–94). Der Vorrang der Geistoffenbarung zeigt sich etwa in Webers Zusammenfassung: „Certitudo salutis nur in der inneren Stimme, nie d[urch] die Schrift oder das eigne ‚Herz‘ zu erlangen. Nur Gott giebt sie. Was gegen die Schrift ist, kann nicht richtig sein[.] Aber die Schrift allein genügt nicht“ (Bl.  32r mit Bezug auf Barclay, Apology, p.  77 f.). 42  „Die bloß natürliche Vernunft kann gar nichts von Gott wissen“, notiert Weber, Exzerpt, Bl.  32r,  zu Barclay, Apology (Proposition IV. „Concerning the Condition of Man in the Fall“, p.  94–108), p.  102. Die Sozinianer lehnten ab, was der vernunftmäßig zu deutenden Offenbarung widersprach (vgl. auch das Glossar, unten, S.  838 f.). Gegen ihren Rationalismus setzt Barclay die erleuchtete Vernunft: as the things of a Man cannot be known, but by the spirit of a Man; so the things of God, no Man knoweth, but by the Spirit of God“. Paulus sage in 1 Kor 2,11 nicht, „that they [Men] are Rationally, but Spiritually discerned “ (Barclay, Apology, p.  102). 43  Zu „lex naturae“ vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  190 mit Anm.  41.

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Gottferne die Täufer, auch die Quäker, noch schroffer empfanden, ruf“, den jeder hat, und der für jeden ein individueller ist, zeigt uns Gott durch das Gewissen. Nicht „das Gute“ – im generalisierenden Begriffe der „natürlichen“ Vernunft –[,] sondern Gottes Willen sollen wir tun, wie er uns im neuen Bund in die Herzen geschrieben ist und im Gewissen sich äußert (Barclay p.  73 f., 76).44 Diese – aus der gesteigerten Gegensätzlichkeit des Göttlichen und Kreatürlichen folgende – Irrationalität des Sittlichen spricht sich in den für die Quäker-Ethik grundlegenden Sätzen aus: what a man does contrary to his faith, though his faith may be wrong, is no ways acceptable to God .  .  . though the thing might have been lawful to another (Barclay p.  487).45 Sie war in der Praxis natürlich nicht festzuhalten. Die „moral and perpetual statutes acknowledged by all Christians“ sind z. B. bei Barclay sogar die Schranke der Tole­ ranz.46 Praktisch haben die Zeitgenossen ihre Ethik als – mit einigen Besonderheiten – derjenigen der reformierten Pietisten gleichartig empfunden. „Alles Gute in der Kirche werde als Quäkertum verdächtigt“, hebt Spener wiederholt hervor. Sp[ener] A 68 möchte daher die Quäker um diesen Ruf beneiden. Cons[ilia]s Theol[ogica] III, | 6, 1, Dist. 2 (Nr.t 64).47 – Die Ablehnung des Eides wegen eines Bibelworts zeigt schon, wie wenig weit die wirkliche Emanzipation vom Schriftwort ging.48 Die sozial-ethische Bedeutung des von manchen Quäkern als Inbegriff der ganzen christlichen Ethik angesehenen Satzes: „Tut anderen nur, was ihr wollt, daß sie euch tun“ – wird uns später beschäftigen.49

s A: Cas.  t  A: (N. 44  Diese Sätze, die auf Barclay, Apology (Proposition III. „Concerning the Scriptures“, p.  67–94), p.  73 f. und p.  76, beruhen, finden sich nahezu wörtlich schon als Notizen im Exzerpt Webers, Bl.  32v. Sie sind überschrieben: „Antibibliokratie der Quäker“. 45  Weber zitiert (inkl. der Auslassung) nach seinem Exzerpt, Bl.  29r: Barclay, Apology (Proposition XIV. „Concerning the Power of Civil Magistrate [.  .  .]“, p.  486–512), p.  487, und ergänzt im Zitat „may“. Das Gemeinte ist bei Barclay durch den Bezug auf Röm 14,23 („some kind of Meats“) veranschaulicht: In Webers Auslassung wäre nach Barclay zu ergänzen: „Whatsoever is not of Faith, is sin; and he that doubteth, is damned, if he eat“ (d. h. wenn jüdisch lebende Christen gegen ihre Überzeugung nichtgeschächtetes Fleisch essen, das sie, anders als ihre Tischgenossen, als „unrein“ erachten). 46  Zitat: Barclay, Apology (Proposition XIV, wie vorherige Anm.), p.  488 (dort: „[.  .  .] generally acknowledged by all Christians“); bei Weber, Exzerpt, Bl.  29r. 47  Spener, Consilia theologica III, Cap. VI, Artic. I, Distinct. II, Sectio LXIV, überschrieben: „Quackerismi mox suspecta, quae sunt bona“. Darin heißt es: „Ego saepe Quackeris illum invideo honorem, quod quicquid vel boni non apud omnes obvii, speciem habet communionis, cum ipsis arguitur, ac si soli illi essent, quibus vita ex praescripto Domini esset propria“ (p.  299). Vgl. auch ders., Theologische Bedenken I, S.  304, und dass. III, S.  766. 48  Vgl. Barclay, Apology, p.  542–556, der sich hierzu auf Mt 5,33 f. und Jak 5,12 (vgl. p.  542) bezieht. 49  Auf die „goldene Regel“ (im NT: Mt 7,12; Lk 6,31) kommt Weber im vorliegenden Aufsatz nicht mehr zurück. Bei Barclay, Apology, p.  8, notiert von Weber, Exzerpt, Bl.  41r.

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als der Calvinismus. Die Wiedergeburt andererseits, welche der Geist, wenn wir auf ihn harren und uns ihm innerlich hingeben, herbeiführt, kann, weil gottgewirkt, zu einem Zustand so völliger Überwindung der Macht der Sünde führen,135) daß Rückfälle oder gar der Verlust des Gnadenstandes faktisch unmöglich werden, obwohl, wie später im Methodismus, die Erreichung jenes Zustandes nicht als die Regel, der Grad der Vollkommenheit des einzelnen vielmehr als der Entwicklung unterworfen gilt: alle täuferischen Gemeinschaften wollen aber „reine“ Gemeinden im Sinn des tadellosen Wandels ihrer Mitglieder sein. Die innere Abscheidung von der Welt und ihren Interessen und die unbedingte Unterstellung unter die Herrschaft des im Gewissen zu uns redenden Gottes ist auch allein untrügliches Merkmal wirklicher Wiedergeburt und der dementsprechende Wandel also Erfordernis der Seligkeit. Sie kann nicht verdient werden, sondern ist Gnadengeschenk Gottes, aber nur der nach seinem Gewissen Lebende darf sich als wiedergeboren ansehen. Die „guten Werke“ in diesem Sinn sind „causa sine qua non“.50 Manu sieht, diese letzteren Gedankenreihen Barclays, an den wir uns gehalten haben, kommen der reformierten Lehre praktisch doch wieder gleich und sindv sicherlich entwickelt 135)  Die Notwendigkeit der Annahme dieser Möglichkeit begründet Barclay damit, weil ohne sie „there should never be a place known by the Saints wherein they might be free of doubting and despair, which .  .  . is most absurd“. Man sieht: die certitudo salutis hängt daran. So Barclay a. a. O. p.  269w.51 |

u A: Man,  v  A: ist  w  A: 20 50  Im Hintergrund mag Barclay, Apology (Proposition VII. „Concerning Justification“, p.  196–241), hier p.  207, stehen. Weber zitiert und notiert im Exzerpt, Bl.  37v: „.  .  . yet can we not .  .  . exclude works from justification: for, though properly we be not justified 〈by〉 for them, yet are we justified in them and they are necessary even as causa sine qua non“. Er schließt daran mit Bezug auf Barclay, ebd., an: „Die guten Werke, die zum Zweck der Erfüllung des outward law gethan werden, sind freilich ‚defiled and polluted‘, auch die besten, aber [.  .  .] die als 〈natürliche〉 unvermeidliche Folge der Spiritual Birth gethanen sind heilig u. Gott rechtfertigt uns ‚in them‘ und ‚rewards us for them‘.“ 51  Das Zitat bei Barclay, Apology (Proposition IX. „Concerning Perseverance, and the Possibility of falling from Grace“, p.  263–270), hier p.  269: „It appears such a Condition is attainable [.  .  .]. And since, where assurance is wanting, there is still a place left for doubtings and despairs; if we would affirm it never attainable, then should there never be a place known by the Saints in this World, wherein they might be free of doubting and despair: Which as it is most absurd in it self [.  .  .].“ Das im Text wiedergegebene Zitat (mit Auslassung) samt der Feststellung: „Die Möglichkeit, nicht zu sündigen, wird behauptet“, hatte Weber, Exzerpt, Bl.  37r, festgehalten.

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unter dem Einfluß der calvinistischen Askese, welche die täuferischen Sekten in England und den Niederlanden vorfanden und deren ernstliche und innerliche Aneignung zu predigen die ganze erste Zeit der Missionstätigkeit von G[eorge] Fox52 ausfüllte. Psychologisch ruht aber – da die Prädestination verworfen wird – der spezifisch methodische Charakter der täuferischen Sittlichkeit vor allem auf dem Gedanken des „Harrens“ auf die Wirkung des Geistes, welcher noch heute dem quäkerischen „meeting“ seinen Charakter aufprägt und von Barclay schön analysiert | ist: Zweck dieses schweigenden Harrens ist die Überwindung des Triebhaften und Irrationalen, der Leidenschaft und Subjektivitäten des „natürlichen“ Menschen: er soll schweigen, um so jene tiefe Stille in der Seele zu schaffen, in welcher allein Gott zu Worte kommen kann.53 Freilich kann die Wirkung dieses „Harrens“ in ahysterische Zuständea, Prophetie und, solange eschatologische Hoffnungen bestanden, unter Umständen selbst in einen Ausbruch von enthusiastischem Reformeifer ausmünden, wie dies bei der in Münster vernichteten Richtung der Fall war.54 Aber mit dem Einströmen des Täufertums in das normale weltliche Berufsleben bedeutete andererseits der Gedanke, daß Gott nur redet, wo die Kreatur schweigt, offenbar eine Erziehung zur ruhigen Erwägung des Handelns und zu dessen Orientierung an sorgsamer individueller Gewissenserforschung.135a) Diesen ruhigen, nüchternen, hervorra135a) Es bleibt also eine Differenz in der Tonart zwischen der calvinistischen und der quäkerischen Rationalisierung des Lebens bestehen. Aber wenn Baxter dieseb dahin formuliert, daß der „Geist“ bei den Quäkern auf die Seele wirken solle wie auf einen Kadaver, während der (charakteristisch formulierte) reformierte Grundsatz sei: „rea-

a–a  A: hysterischen Zuständen55  b A: diesen 52  Über den „heilige[n] Ernst der Ethik“ in den Predigten von George Fox, in denen er dazu auffordert, das äußere Leben immer mehr zum Spiegel des „inneren Lichts“ werden zu lassen, berichtet z. B. Weingarten, Revolutionskirchen Englands, S.  212 (im Kontext des Wanderlebens von Fox nach seiner Erfahrung des „inneren Lichts Christi“ 1648 und vor der ersten Organisation der Quäker). 53  Weber spricht von dem „silent meeting“ der Quäker, wie es Barclay, Apology, in Proposition XI. „Concerning Worship“, p.  343–409, beschreibt; Notizen hierzu in Weber, Exzerpt, Bl.  38r. 54  Zum Münsteraner Täuferreich und dessen Untergang vgl. im Glossar: „Täufertum“, unten, S.  839 f. – Weber notiert in seinem Barclay-Exzerpt, Bl.  38r (aus Proposition XI, wie vorherige Anm.): „Das silent meeting kann ein Schlachttag sein“. 55  Zur Emendation vgl. Webers Korrektur in „Kritische Bemerkungen“, unten, S.  481 f., Fn.  4.

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gend gewissenhaften Charakter hat denn auch die Lebenspraxis der späteren täuferischen Gemeinschaften, in ganz spezifischem Maße die der Quäker, sich zu eigen gemacht. Damit ging Hand in Hand die Akkommodation an die Berufsarbeit. Während die Führer der ältesten Täuferbewegung in ihrer Weltabgewandtheit rücksichtslos radikal gewesen waren, war natürlich doch schon in der ersten Generation die strikt apostolische Lebensführung nicht unbedingt bei allen als erforderlich für den Erweis der Wiedergeburt festgehalten worden. Schon dieser Generation gehörten wohlhabende bürgerliche Elemente an, und schon vor Menno, der durchaus auf dem Boden der innerweltlichen Berufstugend und der Privateigentumsordnung stand, hatte die ernste Sittenstrenge der Täufer sich diesem durch die reformierte Ethik gegrabenen Bette praktisch zugewendet,136) weil eben die Entwicklung zur au­ßerweltlichen, mön|chischen Form der Askese seit Luther, dem hierin auch die Täufer folgten, als unbiblisch und werkheilig ausgeschlossen war. Immerhin hat – von den hier nicht zu erörternden son and spirit are conjunct principles“ (Christ[ian] Dir[ectory] II S.  76),56 so galt der Gegensatz in dieser Art für seine Zeit jedenfalls nicht mehr. 136)  S[iehe] die sehr sorgfältigen Artikel „Menno“ und „Mennoniten“ von Cramer in der R[eal-]E[ncyklopädie] f[ür] Pr[otestantische] Th[eologie] u[nd] K[irche][,] spe­ ziell S.  604.57 Wir werden bei Besprechung der Klassenbeziehungen der protestantischen Askese darauf zurückkommen.58 So gut übrigens die eben genannten Artikel sind, so wenig eindringend und z. T. direkt ungenau ist der Art. „Baptisten“ daselbst.59 Sein Verf[asser] kennt z. B. die für die Geschichte des Baptismus unentbehrlichen „Publications of the Hanserd Knollys Society“ nicht.60 | 56  Bei Baxter, Christian Directory II, chap. XVI. „Directions of holy Conference of Fellow-Servants, or others“ (p.  75–77), p.  76: „It is a distracted conceit of the Quakers and other Fanaticks, to think that Reason and the Spirit of God are not conjunct principles in the same act. Doth the Spirit work on a Man as on a Beast or a Stone? [.  .  .] No; the Spirit of God supposeth Nature, and worketh on Man as Man; by exciting your own Understanding and Will to do their parts.“ 57  Vgl. Cramer, Art. Menno Simons, und ders., Art. Mennoniten. Hier schreibt Cramer, S.  604, daß zwar durch den Druck der Obrigkeit die noch nach 1538 „blühenden“ hessischen Täufergemeinden verschwanden, man aber um 1600 zum Täufertum Übergetretenen „überall, auch in der Schweiz [.  .  .] sogar in dem Beamtenstande und anderen angesehenen Stellungen“ begegnete. 58  Weber kommt darauf im vorliegenden Aufsatz nicht mehr zu sprechen. 59  Gemeint ist: Hofmann, Art. Baptisten. 60  Es handelt sich um 10 Bände, die von der 1845 in London gegründeten „Hanserd Knollys Society“ „for the Publication of the Works of Early English and other Baptist Writers“ zwischen 1846 und 1854 herausgegeben wurden. Aus dieser Reihe benutzte Weber, soweit ersichtlich: Underhill, Confessions of Faith, den er aber nicht explizit nennt, vgl. oben, S.  282, Anm.  2, auch S.  302 mit Anm.  79.

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halbkommunistischen Gemeinschaften der Frühzeit abgesehen – nicht nur bis in die Gegenwart eine täuferische Sekte – die sog. „Tunker“ (dompelaers, dunckards) – an der Verwerfung der Bildung und jedes, das zur Lebensfristung Unentbehrliche übersteigenden Besitzes festgehalten,61 sondern es ist z. B. auch bei Barclay die Berufstreue nicht in calvinistischer oder auch nur lutherischer, sondern eher in thomistischer Art62 als „naturali ratione“ unvermeidliche Konsequenz der Verflochtenheit des Gläubigen in die Welt aufgefaßt.137) Lag in diesen Anschauungen eine ähnliche Abschwächung der calvinistischen Berufsidee, wie in vielen Äußerungen Speners und der deutschen Pietisten,63 so wurde andererseits die Intensität des ökonomischen Berufsinteresses bei den täuferischen Sekten durch verschiedene Momente wesentlich gesteigert. Einmal durch die, ursprünglich als eine aus der Abscheidung von der Welt folgende religiöse Pflicht aufgefaßte, Ablehnung der Übernahme von Staatsämtern, welche, auch nach der Aufgabe als Prinzip, doch wenigstens bei Mennoniten und Quäkern praktisch fortbestand infolge der strikten Ablehnung des Waffengebrauchs und Eides,64 da hieraus die Disqualifikation für öffentliche Ämter sich ergab.65 Mit ihr ging die bei allen täuferischen DenominatioA 70

137) So wird von Barclay a. a. O. S.  404 ausgeführt, daß Essen, Trinken und Erwerb natural, nicht spiritual, acts seien, welche auch ohne Gottes speziellen Ruf getan wer-

61  Daß die Anfang des 18. Jahrhunderts in der Grafschaft Wittgenstein entstandenen neutäuferischen, niederdeutsch als „Tunker“ oder „dompelaers“ bezeichneten Gruppen die Bildung verwerfen, erwähnt Hofmann, Art. Baptisten, S.  389. – Die Old Order Brethren, eine Untergruppe der duncards (bei Carroll, s. u.: „Dunkards“) in den USA – einige der Tunker-Familien waren 1719 nach Pennsylvania ausgewandert –, hielten noch Ende des 19. Jahrhunderts an den alten Idealen fest; sie lehnten v. a. das etablierte Bildungssystem ab und bevorzugten eine schlichte Lebensweise. Vgl. The Religious Forces of the United States. Enumerated, classified, and described on the basis of the government census of 1890 [.  .  .], ed. by H. K. Carroll (American Church History, vol. 1). – New York: The Christian Literature Co. 1893, rev. 1896, p. xxviii–xxix und p.  129–138 (zu Carroll vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, unten, S.  434, Anm.  27). 62  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  190 f. 63  Vgl. oben, S.  335–338. 64  Ausführlich dazu Barclay, Apology (Proposition XV. „Concerning Salutations and Recreations, etc.“, p.  512–571), p.  542 ff., p.  556 ff. Für die Mennoniten vgl. Cramer, Art. Mennoniten, S.  611 ff. 65  Vgl. auch Bernstein, Kommunistische Strömungen, im Kapitel „Die ökonomische Seite des Quäkerthums“, S.  680–685, S.  682: „Öffentliche Ämter können sie [die Quäker], infolge ihrer Stellung zum Eid etc. nicht bekleiden, auf alle einträglichen Staats-

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nen unüberwindliche Gegnerschaft gegen jede Art aristokratischen Lebensstils Hand in Hand, teils, wie bei den Calvinisten, eine Folge des Verbotes der Kreaturverherrlichung, teils ebenfalls Konsequenz jener unpolitischen oder geradezu antipolitischen Grundsätze. Die ganze nüchterne und gewissenhafte Methodik der täufe|rischen Lebensführung wurde dadurch in die Bahn des unpolitischen Berufslebens gedrängt. Dabei prägte nun die ungeheure Bedeutung, welche die täuferische Heilslehre auf die Kontrolle durch das Gewissen, als die individuelle Offenbarung Gottes, legte, ihrer Gebahrung im Berufsleben einen Charakter auf, dessen große Bedeutung für die Entfaltung wichtiger Seiten des kapitalistischen Geistes wir erst bei Betrachtung der Sozialethik der protestantischen Askese näher kennen lernen werden.66 Wir werden dann – um wenigstens dies vorwegzunehmen – sehen, daß die spezifische Form, welche jene innerweltliche Askese bei den Täufern, speziell den können.67 – Die Ausführung ist die Antwort auf den (charakteristischen) Einwand, daß, wenn man, wie die Quäker lehren, nicht ohne spezielle „motion of the spirit“ beten dürfe, man auch nicht ohne solchen speziellen Antrieb Gottes würde pflügen dürfen.68 – Daß auch in modernen Resolutionen von Quäker-Synoden der Rat vorkommt, sich nach Erwerb genügenden Vermögens vom Erwerbsleben zurückzuziehen, um in der Ruhe vor den Getrieben der Welt ganz dem Reiche Gottes leben zu können,69 ist natürlich auch bezeichnend, wennschon solche Gedanken sich sicherlich in den Denominationen, auch der calvinistischen, gelegentlich finden. Es kommt eben auch darin zum Ausdruck, daß die Annahme der bürgerlichen Berufsethik seitens der Träger Akkommodation einer ursprünglich weltflüchtigen Askese war. | stellen, Pfründen etc. müssen sie verzichten, das Trinken und der Sport sind bei ihnen verpönt – wie könnte es da anders sein, als daß sich ihre ganze Energie auf das Erwerbsleben richtete [.  .  .]“. Für die Mennoniten vgl. Cramer, Art. Mennoniten, S.  611. 66  Im vorliegenden Aufsatz nicht mehr ausgeführt, für die Fortsetzung von Webers Studie vorgesehen; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  66  f., und die systematische Übersicht im Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96. 67  Bei Barclay, Apology (Proposition XI. „Concerning Worship“, p.  343–409), p.  404: „[.  .  .] seeing there is a great difference betwixt Natural Acts, such as eating, drinking, sleeping, and seeking Sustenance for the body (which things Man hath common with Beasts) and Spiritual Acts. [.  .  .]“. Weber folgt in der Formulierung seinem Exzerpt, Bl.  38v. 68  Vgl. Barclay, ebd., das Fußnoten-Zitat auch in Weber, Exzerpt, Bl.  38v. 69  Ein entsprechender Hinweis findet sich in: Advices and Minutes issued and adopted by the Yearly Meeting of the Religious Society of Friends in Ireland, in relation to Christian Doctrine, Practice and Discipline, 3rd ed. – Dublin: Depository of the Society of Friends 1864. Dort heißt es (p.  126 f.): „We would tenderly invite those who may have acquired a competency of outward substance, to watch the proper period at which they may withdraw from the cares of business, and when disengaged from the regular concerns of trade, to beware how they employ their property in investments which may

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den Quäkern, annahm,138) schon nach dem Urteil des 17. Jahrhunderts in der praktischen Bewährung jenes wichtigen Prinzips der kapitalistischen „Ethik“ sich äußerte, welches man dahin zu formulieren pflegt: „honesty is the best policy“,c 139) und welches ja auch in Franklins früher zitiertem Traktat70 sein klassisches Dokument gefunden hat. Dagegen werden wir die Wirkungen des Calvinismus mehr in der Richtung der Entfesselung der privatwirtschaftlichen Energie des Erwerbs vermuten: denn trotz aller formalen Legalität A 71

138) Es sei schon hier nochmals nachdrücklich auf die vortrefflichen Ausführungen E[duard] Bernsteins a. a. O.71 hingewiesen. Auf Kautskys Darstellung der wiedertäuferischen Bewegung und seiner Theorie des „ketzerischen Kommunismus“ überhaupt (im ersten Bande des gleichen Werkes) wird erst später einzugehen sein.72 139)  Veblen (Chicago), in seinemd anregenden Buch: Theory of business enterprise, ist der Meinung, daß diese Parole lediglich „frühkapitalistisch“e sei.73 Allein wirtschaftliche „Übermenschen“, die, wie die heutigen „captains of industry“,74 jenseits von Gut und Böse stehen,75 hat es immer gegeben, und in der breiten darunter liegenden Schicht kapitalistischen Gebahrens gilt jener Satz noch heute.

c A: policy,“  d  A: seinen   e  A: „frühkapitalisch“ involve them anew in care and anxiety. We affectionately desire that neither these nor other cares may disqualify them from acting the part of faithful stewards in the employment of their time, their talents, and their substance, or from being concerned above all things, through watchfulness unto prayer [.  .  .]“. Die bibliographische Angabe inkl. „p.  126“ findet sich in: Weber, Notizen zur Quäker-Literatur, GStA PK Berlin, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  31, Band  6, Bl.  43–48, hier Bl.  45; vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S.  240 f. 70  Zum Zitat aus Franklin, Advice, und Franklin, Necessary hints, vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  142–145. 71  Vgl. Bernstein, Kommunistische Strömungen, von Weber oben, S.  248, Fn.  4, genannt; hier bes. S.  663 ff. 72  Vgl. Kautsky, Wiedertäufer, hier bes. S.  104 ff. Weber kommt darauf im vorliegenden Aufsatz nicht mehr zu sprechen. 73 Vgl. Veblen, Business Enterprise, p.  52: „Under the system of handicraft and neighborhood industry, the adage that ‚Honesty is the best policy‘ seems on the whole to have been accepted and to have been true. This adage has come down from the days before the machine’s régime and before modern business enterprise.“ (Zuerst 1599 bei Edwin Sandys nach: Murray, James A. H., A English Dictionary on historical principles, vol. X. – Oxford: Clarendon Press 1901, p.  363 (s. v. Honesty); The Oxford Dictionary of English Proverbs, compiled by William George Smith. – Oxford: Clarendon Press o. J. [1936], p.  191.) 74  Die Bezeichnung gebraucht auch Veblen, Business Enterprise, p.  30 u. ö. 75  Anspielung auf Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, und auf Nietzsches Konzeption des Übermenschen.

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des „Heiligen“ galt im Ergebnis doch oft genug auch für den Calvinisten der Goethesche Satz: „Der Handelnde ist immer gewissenlos, es hat niemand Gewissen als der Betrachtende.“140) 76 Ein weiteres wichtiges Element, welches der Intensität der | innerweltlichen Askese der täuferischen Denominationen zugute kam, kann in seiner vollen Bedeutung ebenfalls erst in anderem Zusammenhang zur Erörterung gelangen.77 Immerhin seien auch darüber einige Bemerkungen, zugleich zur Rechtfertigung des hier gewählten Ganges der Darstellung, vorangeschickt. Es ist hier ganz absichtlich vorläufig nicht von den objektiven sozialen Institutionen der altprotestantischen Kirchen und deren ethischen Einflüssen ausgegangen worden, insbesondere nicht von der so wichtigen Kirchenzucht, sondern von den Wirkungen, welche die subjektive Aneignung der asketischen Religiosität seitens der Einzelnen auf die Lebensführung hervorzubringen geeignet war. Dies nicht nur deshalb, weil diese Seite der Sache bisher die weitaus weniger beachtete ist. Sondern auch, weil die Wirkung der Kirchenzucht keineswegs immer in der gleichen Richtung lag. Die kirchenpolizeiliche Kontrolle des Lebens des einzelnen, wie sie in den Gebieten der calvinistischen Staatskirchen bis dicht an die Grenze der Inquisition getrieben wurde, konnte vielmehr jener Entbindung der 140)  In civil actions it is good to be as the many, in religious, to be as the best, meint z. B. Th[omas] Adams (Works of the Pur[itan] Div[ines] p.  138).78 – Das klingt freilich etwas weittragender[,] als es gemeint ist. Es bedeutet, daß die puritanische Redlichkeit formalistische Legalität ist, ebenso wie die von den puritanisch gewesenen Völkern gern als Nationaltugend in Anspruch genommene „Wahrhaftigkeit“ oder „uprightness“ etwas spezifisch Anderes, formalistisch und reflexiv Umgemodeltes gegenüber der deutschen „Ehrlichkeit“ ist. Gute Bemerkungen darüber von seiten eines Päd­ agogen in den Preuß[ischen] Jahrb[üchern] Bd.  112 (1903) S.  226.79 Der Formalismus der puritanischen Ethik ist seinerseits die ganz adäquate Folge der Bindung an das Gesetz. |

76  Zitat: Goethe, Ethisches. Maximen und Reflexionen, „Hempel’sche Ausgabe“ (ca. 1870), S.  45 (dass. in der Weimarer oder „Sophien-Ausgabe“, 1. Abth., 42. Band/ 2. Abth. (erst 1907), S.  138). 77  Im vorliegenden Aufsatz nicht ausgeführt. 78  Adams, The Fool and his Sport (Adams, Works of the English Puritan Divines V, p.  131–147), p.  138: „In civil actions it is good to do as the most; in religious, to do as the best.“ Im Exemplar der UB Heidelberg unterstrich Weber den Satz und markierte die Passage am Rand. 79  Weber bezieht sich auf Schmidt, Walther Eugen, Nationale Jugend, S.  226–248, hier bes. S.  234 f. und 246.

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individuellen Kräfte, welche durch das asketische Streben nach methodischer Heilsaneignung bedingt war, geradezu entgegenwirken und hat dies unter Umständen tatsächlich getan. Genau wie die merkantilistische Reglementierung des Staats zwar Industrien züchten konnte, aber, wenigstens für sich allein, nicht den kapitalistischen „Geist“, – den sie vielmehr, wo sie polizeilich-autoritären Charakter annahm, vielfach direkt lähmte, – so konnte die gleiche Wirkung auch von der kirchlichen Reglementierung der Askese ausgehen, wenn sie sich allzu überwiegend polizeilich entwickelte: sie erzwang dann ein bestimmtes äußeres Verhalten, lähmte aber unter Umständen die subjektiven Antriebe zur methodischen Lebensführung. Wir werden auch auf diesen Punkt bei Betrachtung der Sozialpolitik des asketischen Protestantismus zu sprechen kommen80 und dann den großen Unterschied zu beachten haben, welcher zwischen der Wirkung der autoritären Sittenpolizei der Staatskirchen und der auf freiwilliger Unterwerfung ruhenden Sittenpolizei der Sekten bestand. Daß die Täuferbewegung in allen ihren Denominationen grundsätzlich „Sekten“, nicht „Kirchen“ schuf,81 kam jedenfalls der Intensität ihrer Askese ebenso zu statten, wie dies – in verschieden starkem Maße – auch bei jenen calvinistischen, pietistischen, methodistischen Gemeinschaften der Fall war, die faktisch auf die Bahn der voluntaristischen Gemeinschaftsbildung gedrängt wurden. | Wir haben nunmehr die puritanische Berufsidee in ihrer Wirkung auf das Erwerbsleben zu verfolgen, nachdem die vorstehende Skizze ihre religiöse Fundamentierung zu entwickeln versucht hat. Bei allen Abweichungen im einzelnen und bei aller Verschiedenheit in dem Nachdruck, welcher bei den verschiedenen asketischen Religionsgemeinschaften auf den für uns entscheidenden Gesichtspunkten liegt, zeigten sich diese letzteren doch bei ihnen allen vorhanden und wirksam. Entscheidend aber für unsere Betrachtung war immer wieder, um es zu rekapitulieren, die bei allen Denominationen wiederkehrende Auffassung des religiösen „Gnadenstandes“ eben als eines Standes (status), welcher den Menschen von 80  Auch dies wird im vorliegenden Aufsatz nicht thematisiert, vermutlich für die Fortsetzung von Webers Studie vorgesehen; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  66 f., und die systematische Übersicht im Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96. 81  Vgl. dazu die Definitionen in: Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, unten, S.  448.

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der Verworfenheit des Kreatürlichen, von der „Welt“, abscheidet,141) dessen Besitz aber – wie immer er nach der Dogmatik der betreffenden Denomination erlangt wird – nur durch die Bewährung in einem spezifisch gearteten[,] von dem Lebensstil des „natürlichen“ Menschen unzweideutig verschiedenen Wandel garantiert werden kann. Daraus folgte für den einzelnen der Antrieb zur methodischen Kontrolle seines Gnadenstandes in der Lebensführung und damit zu deren asketischer Durchdringung. Dieser asketische Lebensstil aber bedeutete eben, wie wir sahen,82 eine an Gottes Willen orientierte rationale Gestaltung des ganzen Daseins. Und diese Askese ist nicht mehr ein opus supererogationis,83 sondern eine Leistung, die jedem zugemutet wird, der seiner Seligkeit gewiß sein will. Diese Rationalisierung der Lebensführung innerhalb der Welt im Hinblick auf das Jenseits ist die Berufsidee des asketischen Protestantismus. – Die christliche Askese, anfangs aus der Welt in die Einsamkeit flüchtend, hatte bereits aus dem Kloster heraus, indem sie der Welt entsagte, die Welt kirchlich beherrscht. Aber dabei hatte sie im ganzen dem weltlichen Alltagsleben seinen natürlich unbefangenen Charakter gelassen. Jetzt trat sie auf den Markt des Lebens, schlug 141) „Since God hath gathered us to be a people“ .  .  . sagt z. B. auch Barclay a. a. O. A 73 S.  357,84 und ich selbst hörte noch eine Quäkerpredigt, welche den ganzen Nachdruck auf die Interpretation von „saints“ = sancti = separati legte.85 |

82  Siehe oben, S.  242–364, bes. S.  285–298. 83  Lat., „überpflichtiges Werk“; Mehrleistung, die über das geforderte Maß hinausgeht. Vgl. auch das Glossar, unten, S.  834 f. 84  Die zitierte Wendung bei Barclay, Apology (Proposition XI. „Concerning Worship“, p.  343–409), hier p.  357, dort bezogen auf die vom Geist erleuchteten Quäker im Unterschied zu den in der „Power of Darkness“ Befangenen (p.  356). Zum Zitat bemerkt Weber, Exzerpt, Bl.  38r: „(sie fühlen s[ich] als e[in] Volk für sich)“. 85  Weber bezieht sich auf das Haverford Friends Meeting, das er und Marianne Weber auf ihrer USA-Reise im Haverford College bei Philadelphia am 27. Oktober 1904 besuchten. Max Weber berichtet darüber im Brief an Helene Weber und Familie am 1. oder 2. November 1904 (in: Brief vom 27. Okt. – 2. Nov. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  75–85; MWG II/4). Max Weber schreibt, der „Bibliothekar des College, ein tüchtiger[,] ziemlich lederner Philologe“, habe nach anfänglicher Stille das Wort ergriffen. „Der Geist trieb ihn, eine Anfangs recht lederne, dann aber recht hübsch praktisch gewendete, Interpretation der verschiedenen Bezeichnungen, die das Neue Testament den Christen giebt, zu liefern, – sorgsam präpariert [.  .  .].“ College-Bibliothekar war damals Allen Clapp Thomas, zugleich Professor of History (vgl. Scaff, Max Weber in America (wie oben, S.  57, Anm.  24), p.  143–145).

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die Türe des Klosters hinter sich zu, und unternahm es, gerade das weltliche Alltagsleben mit ihrer Methodik zu durchtränken, es zu einem rationalen Leben in der Welt und doch nicht von dieser Welt oder für diese Welt umzugestalten. Mit welchem Ergebnis, wollen unsere weiteren Kapitel zu zeigen versuchen. |

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Um die Zusammenhänge der religiösen Grundvorstellungen des asketischen Protestantismus mit den Maximen des ökonomischen Alltagslebens zu durchschauen, ist es nötig, vor allem solche theologischen Schriften heranzuziehen, die sich als aus der seelsorgerischen Praxis herausgewachsen erkennen lassen. Denn in einer Zeit, in welcher das Jenseits alles war, an der Zulassung zum Abendmahl die soziale Position des Christen hing, die Einwirkung des Geistlichen in Seelsorge, Kirchenzucht und Predigt einen Einfluß übte, von dem – wie jeder Blick in die gesammelten „consilia“, „casus conscientiae“f usw. ergibt1 – wir modernen Menschen uns einfach keine Vorstellung mehr zu machen vermögen, sind die in dieser Praxis sich geltend machenden religiösen Mächte die entscheidenden Bildner des „Volkscharakters“. – Wir können nun für die Erörterungen dieses Abschnittes, im Gegensatz zu späteren Erörterungen, den asketischen Protestantismus als eine Gesamtmasse behandeln. Da aber der aus dem Calvinismus hervorgewachsene englische Puritanismus die konsequenteste Fundamentierung der Berufsidee bietet, stellen wir unserem Prinzip gemäß einen seiner Vertreter in den Mittelpunkt. Richard Baxter zeichnet sich vor vielen anderen literarischen Vertretern der puritanischen Ethik durch seine eminent praktische und irenische

f A: conscentiae“ 1  Lat., hier: „Ratschläge“ und „Gewissensfälle“. Gemeint sind seelsorgerliche Kompendien, in denen pastorale Anweisungen für Not- oder Krisenfälle, für Gewissensfragen sowie Orientierungen für den Alltag gesammelt sind. – Vgl. die Titel: Spener, Theologische Bedencken und andere Brieffliche Antworten auf geistliche/ sonderlich zur erbauung gerichtete materien [.  .  .]; ders., Consilia et iudicia theologica latina [.  .  .]; Baxter, A Christian Directory: Or, a Summ of Practical Theologie, and Cases of Conscience [.  .  .].

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Stellung, zugleich auch durch die universelle Anerkennung seiner immer wieder neu aufgelegten und übersetzten Arbeiten aus. Presbyterianer und Apologet der Westminster-Synode, dabei aber – wie so viele der besten Geister der Zeit – dogmatisch allmählich dem Hochcalvinismus entwachsend, innerlich ein Gegner der Usurpation Cromwells, weil jeder Revolution, dem Sektentum und zumal dem fanatischen Eifer der „Heiligen“ abhold, aber von großer Weitherzigkeit gegenüber äußerlichen Sonderheiten und objektiv gegenüber dem Gegner, suchte er sein Arbeitsfeld ganz wesentlich in der Richtung der praktischen Förderung des kirchlich-sittlichen Lebens, und hat sich – einer der erfolgreichsten Seelsorger, welche die Geschichte kennt – im Dienst dieser Arbeit der Parlamentsregierung ebenso wie Cromwell und der Restauration zur Verfügung gestellt,1) bis er unter der letzteren – | schon vor dem „Bartholomäustage“ – aus dem Amte wich.2 Sein „Christian Directory“3 ist das umfassendste Kompendium der puritanischen Moraltheologie

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1) S[iehe] die schöne Charakteristik bei Dowden a. a. O.4 – Über Baxters Theolo- A 74 gie[,] nachdem er von dem strikten Glauben an das „doppelte Dekret“ allmählich abgekommen war, orientiert leidlich die Einleitung zu seinen verschiedenen[,] in den „Works | of the Puritan Divines“ abgedruckten Arbeiten (von Jenkyn).5 – Sein Ver- A 75 such, „universal redemption“ und „personal election“ zu kombinieren, hat niemand befriedigt. Für uns ist lediglich wesentlich, daß er eben doch auch damals an der personal election festhielt, d. h. an dem ethisch entscheidenden Punkte der Prädestinations-

2  Baxter lehnte die „Act of Uniformity“, die am 24. August 1662 in Kraft trat, ab. Sie bestimmte die englische Staatskirche endgültig als Episkopalkirche, sah den strikten Gebrauch des Book of Common Prayer und die bischöfliche Ordination ihrer Geistlichen vor. Wer sich ihr widersetzte, wurde seines Amtes enthoben. Nach Jenkyn, Essay on Baxter’s Life (Baxter, Works of the English Puritan Divines IV), p. xvi, hielt Baxter seine letzte Predigt bereits am 25. Mai, zum einen, weil dies der letzte Termin war, an dem er als „Lecturer“ (wie seine offizielle Amtsbezeichnung für eine Art Assistent des Pfarrers in Kidderminster lautete) predigen durfte, zum anderen, weil er, der ja ein bekannter Prediger der englischen Staatskirche war, seine Nonkonformität demonstrieren wollte. – Der 24. August ist der „Bartholomäustag“ im Gedenken an die „Bartholomäusnacht“ (zum 24. August), in der 1572 in Frankreich Tausende Hugenotten auf grausame Weise getötet wurden. 3  Baxter, Christian Directory I–IV. 4  Vgl. Dowden, Puritan and Anglican, über Baxter, den „Puritan Eirenicon“ (p.  197), p.  214–231. 5  Vgl. Jenkyn, Essay on Baxter’s Life (Baxter, Works of the English Puritan Divines IV, p. i–lviii).

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und dabei überall an den praktischen Erfahrungen der eigenen Seelsorge orientiert. – Als Repräsentant des deutschen Pietismus werden Speners „Theologische Bedenken“,6 für das Quäkertum Barclays „Apology“7 und daneben andere Vertreter der asketischen Ethik2), der Raumersparnis halber möglichst unter dem Strich, vergleichend herangezogen.3) lehre.8 Wichtig ist andererseits seine Abschwächung der forensischen Auffassung der Rechtfertigung,9 als eine gewisse Annäherung an die Täufer. 2) Traktate und Predigten von Th[omas] Adams, John Howe, Matthew Henry, J[ames] Janeway, St[ephen] Charnock, Baxter, Bunyan sind in den 10 Bänden der „Works of the Puritan Divines“ (London 1845–48) in einer oft etwas willkürlichen Auswahl gesammelt.10 Die Ausgaben der Arbeiten von Bailey, Sedgwick, Hoornbeek sind bereits oben je beim erstmaligen Zitieren angegeben.11 Gisbert Voëts Ἀσκητικά, welche ebenfalls heranzuziehen gewesen wären, standen mir leider während der Niederschrift des Aufsatzes nicht zur Verfügung.12 3)  Die Auswahl beruht auf dem Wunsch: nicht ausschließlich, aber doch möglichst die asketische Bewegung der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, unmittelbar vor dem Umschlag in den Utilitarismus, zu Wort kommen zu lassen. Auf die reizvolle Aufgabe, den Lebensstil des asketischen Protestantismus auch aus der biographischen Litteratur anschaulich zu machen – namentlich die quäkerische wäre hier, als bei uns noch relativ unbekannt, heranzuziehen, – hat vorläufig, im Rahmen dieser Skizze, leider verzichtet werden müssen.13

6  Spener, Theologische Bedenken I–IV. 7  Barclay, Apology. 8  Baxters Harmonisierungsversuch läuft nach Jenkyn, Essay on Baxter’s Life, p. li–liii, darauf hinaus, daß er das Besondere (personal election) als Anwendung des Allgemeinen (universal redemption) verstanden wissen wollte. 9  Baxter vertritt die Auffassung, daß nur der Glaube des Sünders an Christi Gerechtigkeit zur Rechtfertigung führt, nicht aber, daß dem Gläubigen (Sünder) Christi Gerechtigkeit wie in einer Art Gerichtsverfahren (forensisch) rechtfertigend zugerechnet wird. Vgl. Jenkyn, Essay on Baxter’s Life, p. liii–lv, über Baxters „justification by faith“. 10  Vgl. die Übersicht im Literaturverzeichnis, Works of the English Puritan Divines I–X, unten, S.  867 f.; hier aufgeführt die Verfasser der Traktate und Predigten von vol. I–VIII. 11  Vgl. Bayli, Praxis pietatis I (siehe oben, S.  262 f., Fn.  17); Sedgwick, Buß- und Gnaden-Lehre (siehe oben, S.  288, Fn.  51); Hoornbeek, Theologia practica I, II (siehe oben, S.  259, Fn.  12). 12  Gemeint ist: Voet, Gisbert, Τὰ Ἀσκητικά sive Exercitia Pietatis. In usum Juventutis Academicae nunc edita [.  .  .]. – Gorinchem: Vink 1664. 13  Möglicherweise hätten dazu manche von Webers bibliographischen Notizen, GStA PK Berlin, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  30, Band  6, Bl.  43–48v, dienen sollen, die er sehr wahrscheinlich in der Bibliothek des Haverford College anfertigte (vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  240 f.). Auf Bl.  48r etwa notiert Weber „Life of“ verbunden mit verschiedenen Namen von Quäkern; vgl. auch die Notiz auf Bl.  46v: „Friends Miscellany [.  .  .] (Allerlei 〈persönl[iche]〉 bemerkenswerthe Ereignisse aus dem Leben v[on] Quäkern)“; bibliographische Werke auch auf Bl.  48v.

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Nimmt man nun Baxters „Ewige Ruhe der Heiligen“ und sein „Christian Directory“ oder auch verwandte Arbeiten anderer zur Hand, so fällt auf den ersten Blick in den Urteilen über den Reichtum und seinen Erwerb die Betonung gerade der ebionitischen Elemente14 der neutestamentlichen Verkündigung auf.4) Der 4)  Saints’ everlasting rest cap. X, XII.15 – Vgl. Matthew Henry (The worth of the soul, Works of [the] Pur[itan] Div[ines] p.  319)g: Those that are eager in pursuit of worldly wealth despise htheir soulsh, not only because the soul is neglected and the body preferred before it, but because it is employed in these pursuits: Psalm 127, 2.16 (Auf derselben Seite aber steht die später zu zitierende Bemerkung über die Sündhaftigkeit der Zeitvergeudung aller Art, und besonders derjenigen durch recreations.)17 Ebenso wohl in der ganzen religiösen Literatur des englisch-holländischen Puritanismus. (S[iehe] z. B. Hoornbeeks (a. a. O. l[iber] X c. 18 u. 19i) Philippika gegen die avaritia.18 Bei | diesem Schriftsteller wirken übrigens sentimental-pietistische Einflüsse A 76 mit ein: s. das Lob der Gott wohlgefälligen tranquillitas animi gegenüber der „sollicitudo“ dieser Welt.)19 „Ein Reicher wird nicht leicht selig“, meint – in Anlehnung an eine bekannte Bibelstelle – auch Bailey (a. a. O. S.  182).20 Auch die methodistischen Katechismen mahnen davon ab, „sich Schätze auf Erden zu sammeln“.j 21 Beim Pietismus versteht sich dies vollends von selbst. Und bei den Quäkern stand es nicht anders. Vgl. Barclay a. a. O. S.  517: .  .  . and therefore beware of such temptation as to use their callings as ank engine to be richer.22

g  Klammer fehlt in A.   h–h  A: there soul   i  A: 18   j  A: sammeln.“   k  A: and 14  Von hebr. ’äbjo¯ n, „bedürftig“, „arm (sein)“, seit nachexilischer Zeit zugleich mit der vertieften Bedeutung: „fromm“. Hier: reichtumverachtend; vgl. Jülicher, Gleichnisreden II, S.  506. 15  Gemeint sind (in der von Benjamin Fawcett gekürzten Fassung): Baxter, Saints’ Everlasting Rest, p.  160–181 und p.  203–225. Die Kapitel sind überschrieben: „The Saints’ rest is not to be expected on earth“ und „Directions how to lead a heavenly life upon earth“. 16  Das Zitat bei Henry, The Worth of the Soul (Henry, Works of the English Puritan Divines VIII), p.  319, mit Bezug auf Ps 127,2 [1892]: „Es ist umsonst, daß ihr früh aufstehet, und hernach lange sitzet, und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden giebt er’s schlafend.“ 17  Siehe unten, S.  373, Fn.  11. 18  Die „Habsucht“ (avaritia) – sie gilt nach römisch-katholischer Lehre als eine der sieben Todsünden – behandelt auch Hoornbeek, Theologia practica II, liber X, cap. XVIII „De Avaritia“, S.  551–555; auch in cap. XIX „De Contentatione“, p.  555–560. 19  Vgl. Hoornbeek, ebd., liber X, cap. XIX, hier p.  558 f. 20  Bayli, Praxis pietatis I, zitiert auf S.  182 1 Tim 6,7–9 (V. 9 [Bayly]: „Denn die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke des Satans [.  .  .]“). Webers Formulierung hat allerdings Anklänge an Mt 19,23 f. (V. 23 [1892]: „[.  .  .] Ein Reicher wird schwer ins Himmelreich kommen.“) 21  Formulierung nach Mt 6,19, bei Jacoby, Handbuch des Methodismus, S.  350, im Exemplar der UB Heidelberg von Max Weber unterstrichen und die gesamte Passage mit Randstrich markiert. 22  Bei Barclay, Apology, p.  517: „And therefore beware of such a Temptation, as to use their [those Brethren, who have greater abundance, Ed.] Calling as an Engine to

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Reichtum | als solcher ist eine schwere Gefahr, seine Versuchungen sind unausgesetzte, das Streben danach nicht nur sinnlos gegenüber der überragenden Bedeutung des Gottesreichs, sondern auch sittlich bedenklich. Weit schärfer als bei Calvin, der in dem Reichtum der Geistlichen kein Hindernis für ihre Wirksamkeit, im Gegenteil eine durchaus erwünschte Steigerung ihres Ansehens erblickte,23 ihnen gestattete, ihr Vermögen gewinnbringend anzulegen, nur unter Vermeidung von Ärgernis, scheint hier die Askese gegen jedes Streben nach Erwerb zeitlicher Güter gerichtet. Und es ist mit diesen Bedenken auch durchaus ernst gemeint, – nur bedarf es etwas näheren Zusehens, um ihren entscheidenden ethischen Sinn und Zusammenhang zu bemerken. Das sittlich wirklich Verwerfliche ist nämlich das Ausruhen auf dem Besitz,5) der Genuß des Reichtums mit seiner Konsequenz von Müßigkeit und Fleischeslust, vor allem von Ablenkung von dem Streben nach „heiligem“ Leben. Und nur weil der Besitz die Gefahr dieses Ausruhens mit sich bringt, ist er bedenklich. Denn die „ewige Ruhe der Heiligen“ liegt im Jenseits,24 auf Erden aber muß auch der Mensch, um seines Gnadenstands sicher zu werden, „wirken die Werke dessen, der ihn gesandt hat, solange es Tag ist“.25 Nicht Muße und Genuß, sondern nur Handeln dient 5)  Eingehend entwickelt im 10. Kapitel der „Saints’ everlasting rest“: Wer in der „Herberge“,26 als welche Gott den Besitz gibt, dauernd ausruhen wollte, den schlägt Gott auch in diesem Leben. Fast stets ist satte Ruhe auf dem erworbenen Reichtum Vorbote des Zusammenbruchs. – Hätten wir Alles, was wir in der Welt haben könnten, würde dies auch schon Alles sein, was wir zu haben hofften? Wunschlosigkeit ist auf Erden nicht zu erreichen, – weil sie eben nach Gottes Willen nicht sein soll.

be Richer, knowing, they have this advantage beyond the Rich and Noble that are called [.  .  .].“ Weber hatte dem Textzitat (aus Proposition XV. „Concerning Salutations and Recreations, etc.“, p.  512–571) in seinem Exzerpt vorangestellt: „such as God calls in 〈at〉 a low degree, to be content with their condition .  .  .“, und das Zitat fortgesetzt: „Die Armen sollen stolz auf ihre spirituelle Erhebung sein“ (Bl.  31r). 23  Nach Kampschulte, Calvin I, S.  402 f., hatte Calvin „ein ansehnliches Einkommen“ (S.  402), das er auch für seine Amtskollegen forderte. Der Rat der Stadt Genf kam Anfragen um ein besseres Gehalt der Geistlichen stets nach (bei Kampschulte mit Belegen für die Jahre seit 1542). 24  Anspielung auf Baxter, Ewige Ruhe der Heiligen (deutscher Titel von: Saints’ Everlasting Rest). 25  Zitat nach Joh 9,4. 26  Baxter, Saints’ Everlasting Rest, chap. X, p.  160–181, heißt es p.  166 „inn“ („Herberge“ in der Übersetzung Otto v. Gerlachs: Baxter, Ewige Ruhe der Heiligen, S.  218).

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nach dem unzweideutig geoffenbarten Willen Gottes zur Mehrung seines Ruhms.6) Zeitvergeudung | ist also die erste und prinzipiell schwerste aller Sünden. Die Zeitspanne des Lebens ist unendlich kurz und kostbar, um die eigene Berufung „festzumachen“.27 Zeitverlust durch Geselligkeit, „faules Gerede“,7)

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6)  Christ[ian] Dir[ectory] I S.  376/7l:28 It is for action that God maintaineth us and our abilitiesm: work is the moral as well as the natural end of power .  .  . It is action that God is most served and honoured by .  .  . The public welfare or the good of many is to be valued above our own. Hier zeigt sich der Ansatzpunkt für den | Umschlag aus dem Wil- A 77 len Gottes zu den rein utilitarischen Gesichtspunkten der späteren liberalen Theorie. Über die religiösen Quellen des Utilitarismus siehe weiter unten Anm.  2729 und schon oben S.  266–268 Note 21. 7)  Das Gebot zu schweigen ist ja – ausgehend von der biblischen Strafandrohung für „jedes unnütze Wort“30 – namentlich seit den Cluniazensern ein bewährtes asketisches Mittel der Erziehung zur Selbstkontrolle.31 Auch Baxter verbreitet sich eingehend über die Sünde des unnützen Redens.32 Die charakterologische Bedeutung hat schon Sanford a. a. O. S.  90 f. gewürdigt.33 Die von den Zeitgenossen so tief empfundene „melancholy“ und „moroseness“ der Puritaner ist eben Folge der Brechung der Unbefangenheit des „status naturalis“, und im Dienst dieser Zwecke stand auch die Verpönung gedankenlosen Redens. – Wenn Washington Irving („Bracebridge Hall“ cap. XXX)34

l  A: 376/5   m  A: activities 27  Nach 2 Petr 1,10; vgl. oben, S.  275, Anm.  60. 28  Baxter, Christian Directory I, aus den „Directions about our Labour and Callings“ (p.  376–387), die folgenden Zitate p.  376 und 377. Baxter erläutert vorangehend: „Naturally action is the end of all our Powers; and the Power were vain, but in respect to the act: To be able to understand, to read, to write, to go, etc. were little worth, if it were not that we may Do the things that we are enabled to“ (p.  376). 29  Unten, S.  381 f. 30  Mt 12,36 [1892]: „[.  .  .] die Menschen müssen Rechenschaft geben am jüngsten Gericht von einem jeglichen unnützen Wort, das sie geredet haben.“ 31 Vgl. etwa Sackur, Ernst, Die Cluniacenser in ihrer kirchlichen und allgemeingeschichtlichen Wirksamkeit bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts, 1. Band. – Halle a.S.: Max Niemeyer 1892, S.  50–55. Das bereits in der Benediktsregel enthaltene Schweigsamkeitsgebot, das allerdings bald kaum mehr eingehalten worden sei, habe man, so Sackur, in der ersten Zeit der (Benediktiner-)Abtei Cluny (gegr. 910) wieder befolgt. (Wegen der Unvermeidlichkeit der Verständigung entwickelte sich aus Hand- und Gesichtsbewegungen eine Zeichensprache (signa loquendi), die bereits im 11. Jahrhundert in Cluny in Gebrauch gestanden habe.) 32 „Idle talk is a sinful consumer of time.“ Baxter, Christian Directory I, p.  365, aus chap. IX. „Directions for the Government of the Tongue“ (p.  362–366), Tit. 4 „Special Directions against Idle talk, and Babling“ (p.  362–366). Dass., ebd., p.  244. 33  Sanford, Great Rebellion, p.  90 f., inkl. der von Weber im folgenden zitierten Begriffe. 34  Weber bezieht sich mit „cap.  XXX“ auf Irvings Kurzgeschichte „English Gravity“ der Sammlung „Bracebridge Hall“ (1822). Darin fährt der Erzähler fort, nachdem der Old English Squire über die Veränderungen des „national character“ lamentiert hatte: „It may be still more attributed to the universal spirit of gain, and the calculating habits

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Luxus, 8) selbst durch mehr als der Gesundheit nötigen Schlaf  9) – 6 bis höchstens 8 Stunden – ist sittlich absolut verwerflich.10) Es heißt noch nicht wie bei Franklin: „Zeit ist Geld“,35 aber der Satz gilt gewissermaßen im spirituellen Sinn: sie ist unendlich wertvoll, weil jede verlorene Stunde der Arbeit im Dienst des Ruhmes Gottes entzogen ist. 11) Wertlos und eventuell direkt | 8)

den Grund teils in dem „calculating spirit“ des Kapitalismus, teils in der Wirkung der politischen Freiheit, welche zur Selbstverantwortlichkeit führe, sucht, so ist dazu zu sagen, daß für die romanischen Völker der gleiche Effekt ausblieb und für England die Dinge wohl so lagen: 1. Der Puritanismus befähigte seine Bekenner, freie Institutionen zu schaffen und doch eine Weltmacht zu werden[,] und 2. er verwandelte jene „Rechenhaftigkeit“ (wie Sombart jenen „spirit“ nennt),36 die in der Tat für den Kapitalismus konstitutiv ist, aus einem Mittel der Wirtschaft in ein Prinzip der ganzen Lebensführung. 8)  A. a. O. I S. n243 f.n 37 9)  A. a. O. I S. o242 f.o 38 10)  Ähnlich über die Kostbarkeit der Zeit Barclay a. a. O. S.  14.39 11)  Baxter a. a. O. S.  79:40 „Keep up a high esteem of time and be every day more careful that you lose none of your time, thanp you are that you lose none of your gold and silver. And if vain recreationsq, dressings, feastings, idle talk, unprofitable company, or sleep, be any of them temptations to rob you of any of your time, accordingly heighten n–n  A: 111.  o–o  A: 383 f.   p  A: then   q  A: recreation that commerce has introduced; but I am inclined to attribute it chiefly to the gradual increase of the liberty of the subject, and the growing freedom and activity of opinion.“ Irving, Bracebridge Hall, p.  173 (dass. bei Sanford, Great Rebellion, p.  91). 35  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  142. 36  Vgl. Sombart, Der moderne Kapitalismus I, im Kapitel „Die Ausbildung des ökonomischen Rationalismus“, S.  391–397, bes. S.  395. Vgl. auch Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  176, Anm.  29. 37  Vgl. Baxter, Christian Directory I, p.  243 f., über den „Time-wasting Thief  “, „unnecessary pomp“ etc., aus chap. V, Tit. 4 „The Thieves or Times-wasters to be watchfully avoided“ (p.  242–245). Die fehlerhafte Seitenangabe „111“ (vgl. textkritische Anm.  n) bezieht sich auf das unten, S.  373, Fn.  12, wiedergegebene Zitat aus Baxter, Christian Directory I. 38  Vgl. Baxter, Christian Directory I, p.  242 f., über den „Thief or Time-waster“ „Excess of sleep. [.  .  .] What is exceß? I answer, All that is more than is needful to our health and busineß“ (p.  242). Der Seitenbeleg „383 f.“ (vgl. textkritische Anm.  o) ist falsch. (Er könnte sich auf den „Idle Talk“ beziehen, vgl. oben, S.  371 Anm.  32; in der den Ed. vorliegenden Ausgabe von Baxter, Christian Directory I, sind p.  363 f. falsch als 383 f. paginiert.) 39  Barclay, Apology, p.  14 (Proposition XV. „Concerning Salutations and Recreations, etc.“) benennt, was dazu verführt „to pass away the Precious Time“; Weber, Exzerpt, Bl.  30. 40  Das folgende Zitat: Baxter, Christian Directory II, p.  79, aus chap. XVII. „Directions for each particular member of the Family how to spend every ordinary day of the Week“ (p.  77–80).

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verwerflich ist daher auch untätige Kontemplation, mindestens wenn sie auf Kosten der Berufsarbeit erfolgt. 12) Denn sie ist Gott minder wohlgefällig, als das aktive Tun seines Willens im Beruf. 13)

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your watchfulness.“ – „Those that are prodigal of their time despise their own souls“ meint Matthew Henry (Worth of the soul, W[orks] of [the] Pur[itan] Div[ines] p.  319r.41 Auch hier bewegt sich die protestantische Askese in altbewährten Bahnen. Wir sind gewohnt, als dem modernen Berufsmenschen spezifisch anzusehen, daß er „keine Zeit hat“, und messen z. B. etwa – so schon Goethe in den „Wanderjahren“ – das Maß der kapitalistischen Entwicklung daran, daß die Uhren die Viertelstunden schlagen42 (so auch Sombart in seinem „Kapitalismus“).43 – Wir wollen aber | doch nicht vergessen, A 78 daß der erste Mensch, der (im Mittelalter) mit eingeteilter Zeit lebte, der Mönch war und daß die Kirchenglocken seinem Bedürfnis der Zeiteinteilung zuerst zu dienen hatten.44 12)  Vgl. Baxter’s Erörterungen des Berufes a. a. O. I p.  108 f.45 Darin folgende Stelle: Question: But may I not cast off the world that I may only think of my salvation? – Answer: You may cast off all such excess of worldly cares or business as unnecessarily hinder you in spiritual things. But you may not cast off all bodily employment and mental labour in which you may serve the common good. Every one as a member46 of Church or Commonwealth must employ their parts to the utmost for the good of the Church and the Commonwealth.47 To neglect this and say: I will pray and meditate, is as if your servant should refuse your greatest work and tye himself to some lesser easiea part. And God hath commandeth you some way or other to labour for your daily bread and not to live as drones onb the sweat of others only. Gottes Gebot an Adam: „Im Schweiße deines Angesichtes“ .  .  . und Paulus’ Anweisung: „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen“ werden dazu zitiert.48 13)  Hier liegen Punkte, in denen der Pietismus seines Gefühlscharakters wegen abweicht. Für Spener (s. Theol[ogische] Bedenken III p.  445)49 steht es, trotzdem er ganz r  A: 315   a A: easier  b  A: of 41  Henry, The Worth of the Soul (Henry, Works of the English Puritan Divines VIII), Zitat p.  319. Dazu oben, S.  369, Fn.  4. 42  Vgl. Goethe, Wanderjahre, S.  211. 43  Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  395, handelt von den „Fortschritte[n] der öffentlichen Zeitmessung“, an denen man unter anderem den zunehmenden „Sinn für das Exakte“ sehen könne, und belegt aus der Literatur, ab wann es in Italien und London öffentliche Uhren gab, „die die 24 Stunden schlagen“ (ebd., Anm.  5). 44  Glocken sind als Rufzeichen zum Gottesdienst und zu den „horae canonicae“ erstmals sicher von Gregor von Tours (gest. 595) belegt. Vgl. Müller, Nikolaus, Art. Glocken, in: RE3, 6. Band, 1899, S.  703–709, hier S.  704. 45 Aus den „Directions for faithful serving Christ, and doing Good“, wie die Überschrift bei Baxter, Christian Directory I, für p.  108–117 lautet, das folgende Zitat aus Direction 21, p.  111. 46  Im Baxter-Zitat heißt es: „Every one that is a member [.  .  .].“ 47  Auslassung Webers im Baxter-Zitat vor: „To neglect this [.  .  .]“. 48  Gen 3,19 und 2 Thess 3,10.12, zitiert bei Baxter, Christian Directory I, p.  111. 49  Aus Spener, Theologische Bedenken II (3. Cap., Artic.  IV, Sectio XVI. „Ob man die handlung/ um sich der welt loßzureissen/ bey noch habenden schulden/ verlassen

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Überdies ist für sie der Sonntag da, und es sind nach Baxter immer diejenigen, die in ihrem Berufe müßig sind, welche auch für Gott keine Zeit haben, wenn die Stunde dafür da ist.14) | Demgemäß zieht sich eine immer wiederholte, zuweilen fast leidenschaftliche Predigt harter, stetiger, körperlicher oder gei­ stiger Arbeit durch Baxters Hauptwerk.15) Zwei Motive wirken

im lutherischen Sinn betont, daß die Berufsarbeit Gottesdienst sei, doch – und auch das ist lutherisch – fest, daß die Unruhe der Berufsgeschäfte von Gott abziehe, – eine höchst charakteristische Antithese gegen den Puritanismus. 14)  A. a. O. p.  242[:]50 It’s they that are lazy in their callings that can find no time for holy duties. Daher die Ansicht, daß vorzugsweise die Städte – der Sitz des rationalem Erwerbe zugewendeten Bürgertums – Sitze der asketischen Tugenden seien. So sagt Baxter von seinen Handwebern in Kidderminster: And their constant converse and traffic with London doth much to promote civility and piety among tradesmen[,] in seiner Autobiographie, Excerpt in den W[orks] of the Pur[itan] Div[ines] p. XXXVIII.51 Daß die Nähe der Hauptstadt tugendstärkend sein soll, wird heutige – wenigstens deutsche – Geistliche in Erstaunen setzen. Aber auch der Pietismus zeigt ähnliche Anschauungen. So schreibt Spener gelegentlich einem jungen Amtsbruder: „Aufs wenigste wird sich zeigen, daß unter der starken Zahl in Städten, da zwar das Meiste ganz verrucht ist, doch immer noch einige gute Seelen sich hinwieder finden, an denen gutes auszurichten; da besorglich in Dörfern zuweilen kaum etwas rechtschaffen gutes in einer ganzen Gemeinde sich findet.“ (Theol[ogische] Bed[enken] I, 66 p.  303.)52 – Der Bauer qualifiA 79 ziert sich eben wenig für die as|ketische rationale Lebensführung. Seine ethische Glorifizierung ist sehr modern. Auf die Bedeutung dieser und ähnlicher Äußerungen für die Frage der Klassenbedingtheit der Askese gehen wir hier noch nicht ein.53 15)  Man nehme etwa folgende Stellen (a. a. O. p.  336 f.):54 „Be wholly taken up in diligent business of your lawful callings when you are not exercised in the more immediate service of God.“ – „Labour hard in your callings“ – „See that you have a calling which will find you employment for all the time which Gods immediate service spareth“.

könne“, S.  440–450), S.  445, mit Unterstreichungen Webers im Exemplar der UB Heidelberg, besonders von „unruhe“ mit Randnotiz „lutherisch“. 50  Baxter, Christian Directory I, p.  242 (aus chap. V, Tit. 4 „The Thieves or Time-wasters to be watchfully avoided“, p.  242–245). 51  Zitat nach Jenkyn, Essay on Baxter’s Life (Baxter, Works of the English Puritan Divines IV, p. i–lviii), p.  xxxviii. 52  Spener, Theologische Bedenken I (1. Cap., Sectio LXVI), S.  303 (dort: „Aufs wenigste wird sichs gemeiniglich zeigen“, „etwas gutes“ und „in einer ganzen Gemeinde e sich antreffen la ßt.“). Satz von Weber im Exemplar der UB Heidelberg mit Randmarkierung versehen. 53  Im vorliegenden Aufsatz nicht ausgeführt. 54  Baxter, Christian Directory I, p.  336 ff. (aus chap. VIII. „Directions of the Government of the Senses“, p.  302–341), p.  336: „Take heed of Idleness, and be wholly [.  .  .]“, die beiden folgenden Zitate p.  340 (mit leichten sprachlichen Änderungen).

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Ph. J. Spener, Theologische Bedencken, 3. Aufl., 2. Theil (Halle 1713), S. 428 Exemplar der Universitätsbibliothek Heidelberg (Q1866-RES)

Ph. J. Spener, Theologische Bedencken, 3. Aufl., 2. Theil (Halle 1713), S. 429 Mit Randmarginalie und Unterstreichungen von Max Weber Exemplar der Universitätsbibliothek Heidelberg (Q1866-RES)

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hier zusammen.15a) Die Arbeit ist zunächst das alterprobte asketische Mittel, als welches sie in der Kirche des Abendlandes von jeher geschätzt war.16) Sie ist namentlich das spezifische Präventiv gegen alle jene Anfechtungen, welche der Puritanismus unter dem Begriff „unclean life“ zusammenfaßt,55 – und deren Rolle ist keine geringe. Die sexuelle Askese ist ja im Puritanismus nur dem Grade, nicht dem zugrundeliegenden Prinzip nach von der mönchischen verschieden und infolge der Erfassung auch des ehelichen Lebens weitreichender als jene. Denn der Geschlechtsverkehr ist auch in der Ehe nur als das von Gott gewollte Mittel zur Mehrung seines Ruhmes, entsprechend dem Gebot: „Seid fruchtbar und mehret euch“,56 zulässig.17) Wie gegen religiöse 15a) Daß die spezifische ethische Schätzung der Arbeit und ihrer „Würde“ nicht etwa ein dem Christentum ursprünglich eigener, oder gar eigentümlicher, Gedanke war, hat noch kürzlich wieder Harnack scharf betont (Mitt[eilungen] des Ev[angelisch]Soz[ialen] Kongr[esses] 14. Folge 1905 Nr.  3/4 S.  48).57 16)  So auch im Pietismus (Spener, a. a. O. III p.  429. 430).58 Die charakteristisch pietistische Wendung ist: daß die Berufstreue, die uns wegen des Sündenfalls als Strafe auferlegt ist, der Ertötung des eigenen Willens dient. Die Berufsarbeit ist als Liebesdienst am Nächsten eine Pflicht der Dankbarkeit für Gottes Gnade (lutherische Vorstellung!), und es ist daher Gott nicht wohlgefällig, wenn sie widerwillig und mit Verdruß getan wird (a. a. O. III p.  272).59 Der Christ wird sich also „so fleißig in seiner Arbeit erzeigen wie ein Weltmensch“ (III p.  273).c 60 Das bleibt offensichtlich hinter der puritanischen Anschauungsweise zurück. 17) „A sober procreation of children“ ist ihr Zweck nach Baxter.61 Ähnlich Spe-

c A: 278) ; Punkt fehlt in A. 55 „There is some uncleanness in the best on Earth [.  .  .]“; Baxter, Christian Directory II, p.  41 (aus chap. VII. „The mutual Duties of Husbands and Wives, towards each other“, p.  40–48, unter Direction 1 über die eheliche Liebe). 56  Gen 1,28. 57  Gemeint ist Harnacks Beitrag „Der Wert der Arbeit nach urchristlicher Anschauung“. Harnack, Wert der Arbeit, erschien in der angegebenen Ausgabe von „Evangelisch-Sozial. Mitteilungen des Evangelisch-Sozialen Kongresses“ vom 25. März 1905. 58  Vgl. Spener, Theologische Bedenken II (3. Cap., Artic.  IV, Sectio XIV. „Antwort auff einige scrupul/ betreffend die kauffmannschafft“, p.  428–432), darin die Aussagen des folgenden Satzes von Weber im Exemplar der UB Heidelberg auf S.  429 unterstrichen und mit Marginalie „anders Baxter“ sowie Randmarkierung auf S.  430 versehen. 59 Vgl. Spener, Theologische Bedenken II (3. Cap., Artic.  III, Sectio I. „Fragen der liebe des nechsten/ und beruffsarbeit“, S.  270–274), mit Webers Randmarkierung der entsprechenden Sätze auf S.  272 im Exemplar der UB Heidelberg. 60 Aus der Zusammenfassung des Abschnitts, Spener, Theologische Bedenken II, S.  273. Das Zitat ist von Weber im Exemplar der UB Heidelberg unterstrichen und mit Randmarkierung versehen. 61  Baxter, Christian Directory II, p.  41 (aus chap. VII. „The mutual Duties of Husbands and Wives, towards each other“, p.  40–48), Direction 2: „Another Duty of Husbands

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Zweifel und skrupulöse Selbst|quälerei so wird auch gegen alle

ner,62 indessen mit Konzessionen an die grobe lutherische Ansicht, wonach Vermeidung der – sonst ununterdrückbaren – Unsittlichkeit Nebenzweck ist. Die Concupiszenz ist als Begleiterscheinung der Begattung auch in der Ehe sündlich und nach der Auffassung z. B. Spener’s erst Folge des Sündenfalles, der so einen natürlichen und A 80 gottgewollten Vorgang in etwas unvermeidlich mit sündlichen Empfin|dungen Verknüpftes, und damit in ein pudendum, verwandelte. Nach der Auffassung mancher pietistischer Richtungen ist die höchste Form der christlichen Ehe diejenige mit Bewahrung der Virginität,63 die nächsthöchste diejenige, in welcher der Geschlechtsverkehr ausschließlich der Kindererzeugung dient,64 und so fort bis zu denen, die aus rein erotischen oder rein äußeren Gründen geschlossen werden und ethisch betrachtet als Concubinate gelten. Dabei wird in diesen unteren Stufen die aus rein äußerlichen Gründen geschlossene Ehe (weil immerhin rationaler Erwägung entspringend) der erotisch bedingten vorgezogen. Die Herrnhuterd Theorie und Praxis mag hier außer Betracht bleiben. Die rationalistische Philosophie (Chr[istian] Wolff)65 übernahm die asketische Theorie in der Fassung: daß, was als Mittel zum Zweck verordnet sei: die Concupiscenz und ihre Stillung, nicht zum Selbstzweck gemacht werden dürfe. – Der Umschlag in den reinen „hygienisch“ orientierten Utilitarismus ist schon bei Franklin vollzogen, der etwa auf dem „ethischen“ Standpunkt moderner Ärzte steht, unter „Keuschheit“ die Einschränkung des geschlechtlichen Verkehrs auf das gesundheitlich Wünschenswerte versteht, und sich über das Wie? bekanntlich auch theoretisch geäußert hat.66 – Es ist eben, sobald diese Dinge überhaupt zum Gegenstand rein rationaler d A: Herrenhuter and Wives is, Cohabitation and (where age prohibiteth not) a sober and modest conjunction for procreation.“ 62  Die Ausführungen Speners in Theologische Bedenken II (3. Cap., Artic. III, Sectio e  VIII. „Von der gebuhr christlicher eheleute unter einander [.  .  .]“, S.  305–319), im folgenden S.  307–309. 63  So etwa der Pietist Ernst Christoph Hochmann von Hohenau (1670–1721), wobei er, wie auch andere Pietisten, das höchste Ideal in der Ehelosigkeit sieht, in der die Seele Christus als Braut oder Bräutigam erkennt. Vgl. Ritschl, Pietismus I, S.  423 f. 64  Vgl. Plitt, Zinzendorfs Theologie II, S.  372 f. (vgl. S.  328, Fn.  99), mit Zitat einer Äußerung Zinzendorfs: „Es liegt einmal im Ehestand eine Realität; für die grosseurs, die fleischlichen Leute, dasjenige grobe Gefühl, das sie darin suchen; für die subtilen Leute die Schöpfersidee, da die Menschen durch diesen Stand gewürdigt werden, ihre Menschlichkeit über die ordinaire Länge des menschlichen Lebens hinaus zu verlängern [.  .  .].“ Der „Credit der Ehe“ hänge daran, daß Kinder gezeugt werden (Zitate S.  373). 65  Vgl. z. B. Wolff, Christian von, Grundsätze des Natur- und Völckerrechts worinn alle Verbindlichkeiten und alle Rechte aus der Natur des Menschen in einem beständigen Zusammenhange hergeleitet werden. Aus dem Lateinischen übers. von Gottlieb Samuel Nicolai. – Halle: Renger 1754, §§  854–874 („Von der Ehe, oder ehelichen Gesellschaft“, S.  627–642), bes. §  854, S.  627 f. (Auf diese Schrift Wolffs verweist später auch Weber, Marianne, Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung. Eine Einführung. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1907, S.  297 und 405.) 66  In Franklins Tugendkatalog (Franklin, Sein Leben, S.  286–288) heißt es über die „Keuschheit“ (chastity): „Übe geschlechtlichen Umgang selten, nur um der Gesundheit oder Nachkommenschaft willen, niemals bis zur Stumpfheit, Schwäche oder zur

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sexuellen Anfechtungen – neben | nüchterner Diät, Pflanzenkost

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Erwägungen gemacht werden, diese Entwicklung noch überall eingetreten. Der puri­ tanische und der hygienische Sexualrationalist gehen sehr verschiedene Wege, nur hier „verstehen sie sich gleich“: In einem Vortrage motivierte ein eifriger Vertreter der „hygienischen Prostitution“ – es handelte sich um Bordell- und Reglementierungseinrichtungen – die sittliche Statthaftigkeit des (als hygienisch nützlich angesehenen) „außerehelichen Geschlechtsverkehrs“ durch Bezugnahme auf seine dichterische Verklärung durch Faust und Gretchen.67 Die Behandlung Gretchens als einer Prostituierten und die Gleichstellung des mächtigen Waltens menschlicher Leidenschaften mit dem Geschlechtsverkehr „gesundheitshalber“, – dies beides entspricht durchaus dem puritanischen Standpunkt, ebenso z. B. die von sehr hervorragenden Ärzten gelegentlich vertretene echt „fachmenschliche“ Auffassung, daß eine so in die subtilsten Persönlichkeits- und Kulturprobleme eingreifende Frage, wie die Bedeutung der sexuellen Abstinenz, „ausschließlich“ vor das Forum des Arztes (als des „Fachmannes“) gehöre: bei den Puritanern ist der „Fachmann“ der moralistische, hier der hygienische Theoretiker, dagegen ist das Prinzip – mit teilweise umgekehrten Vorzeichen natürlich – dasselbe: fachmenschliches Banausentum mit sexuellem Banausentum verknüpft. Nur daß der mächtige Idealismus der puritanischen Anschauung – mögen ihre Prüderien uns eng, oft lächerlich, zuweilen widerlich, erscheinen – auch unter rassenkonservierenden Gesichtspunkten und rein „hygienisch“ betrachtet, positive Erfolge aufzuweisen hatte, während die moderne „Sexualhygiene“ schon wegen des für sie nun einmal unvermeidlichen Appells an die „Vorurteilslosigkeit“ überall in Gefahr gerät, dem Faß, in welches sie schöpft, gleichzeitig den Boden auszuschlagen. – Wie bei jener rationalen Deutung der geschlechtlichen Beziehungen bei den puritanisch beeinflußten Völkern schließlich doch jene Verfeinerung und geistig-ethische Durchdringung der ehelichen Beziehungen und die feinen Blüten ehelicher | Ritterlichkeit erwachsen sind, – im Ge- A 81 gensatz zu jenem bäurisch patriarchalen Brodem, der bei uns bis in die Kreise der „Geistesaristokratie“ noch in oft sehr fühlbaren Rückständen vorhanden ist, – das

Schädigung deines eigenen oder eines fremden Seelenfriedens oder guten Rufes“ (S.  287 f.). Zu dem Weiteren vgl. etwa ders., On early Marriage, in: The Works of Benjamin Franklin, ed. by Jared Sparks, vol. 7. – Boston: Hillard, Gray, and Company 1838, p.  413–415. 67  Wegen der Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten vor allem in den Städten waren in Deutschland um die Jahrhundertwende die Reglementierung der Prostitution und ihre hygienischen Bedingungen ein auch unter Ärzten heftig diskutiertes Thema. Aus der Fülle an Schriften ließ sich zu Webers Bezugnahme auf Faust und Gretchen nur ein Vortrag von Max Fleischer ermitteln, den dieser 1904 im staatswissenschaftlichen Seminar der Frankfurter Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften gehalten und später publiziert hat (vgl. Fleischer, Max, Zur Reglementierungsfrage der Prostitution. – München: Seitz & Schauer 1905; das Vorwort stammt von März 1905). Der Autor, ein überzeugter Verfechter des reglementierten Bordellwesens, stellt der „hygienischen Prophylaxis“ eine „moralische Prophylaxe für die Frauen“ beiseite (S.  63). In diesem Zusammenhang erwähnt er Valentins Worte an Gretchen aus Goethes „Faust“: „Du fingst mit einem heimlich an, / Bald kamen ihrer mehre dran, / Und wenn Dich erst ein Dutzend hat, / So hat Dich auch die ganze Stadt“ (S.  64; in: Goethe, Faust I, V. 3736–3739, S.  189 f.), die Weber im nachfolgenden Satz aufgreifen könnte.

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und kalten Bädern – verschrieben: „Arbeite hart in deinem Beruf“.18) Aber die Arbeit ist darüber hinaus, und vor allem, von Gott vorgeschriebener Selbstzweck des Lebens überhaupt.19) Der paulinische Satz: „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen“,68 gilt bedingungslos und für jedermann.20) Die Arbeitsunlust ist Symptom fehlenden Gnadenstandes.21) bleibt hier natürlich außer Erörterung. Täuferische Einflüsse sind dabei entscheidend mit beteiligt; der Schutz der Gewissensfreiheit der Frau und die Ausdehnung des Gedankens des „allgemeinen Priestertums“ auf sie waren auch hier die ersten Breschen im Patriarchalismus. 18)  Kehrt bei Baxter immer wieder.69 Biblische Unterlage ist regelmäßig entweder die uns von Franklin her bekannte (Sprüche Sal[omos] 22, 29)70 oder der Ruhm der Arbeit in Sprüche Sal[omos] 31, 10. Cf. a. a. O. I S.  382, S.  377 usw.71 19)  Selbst Zinzendorf sagt gelegentlich: „Man arbeitet nicht allein, daß man lebt, sondern man lebt um der Arbeit willen und wenn man nichts mehr zu arbeiten hat, so leidet man oder entschläft“ (Plitt, I S.  428).72 20)  Auch ein – mir nicht vorliegendes – Symbol der Mormonen schließt (nach Zitaten) mit den Worten: „Aber ein Träger oder Fauler kann kein Christ sein und selig werden. Er ist bestimmt, totgestochen und aus dem Bienenkorb herausgeworfen zu werden.“73 Indeß hier war es doch vorwiegend die grandiose, zwischen Kloster und Manufaktur die Mitte haltende Disziplin, welche den einzelnen vor die Wahl: Arbeit oder Ausmerzung, stellte und – verbunden freilich mit religiösem Enthusiasmus und nur durch ihn ermöglicht – die erstaunlichen ökonomischen Leistungen dieser Sekte hervorgebracht hat. 21)  Sie wird daher a. a. O. I S.  380 sorgsam in ihren Symptomen analysiert.74 – „Sloth“ und „idleness“ sind deshalb so eminent schwere Sünden, weil sie continuierlichen Cha-

68  2 Thess 3,10. 69 Vgl. etwa Baxter, Christian Directory I, p.  340, von Weber zitiert oben, S.  374, Fn.  15; zu Diät, Pflanzenkost und kalten Bädern vgl. Baxter, ebd., p.  335 f. (aus den „Directions against inward filthy Lusts“, p.  335–339). 70  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  150 mit Fn.  25. 71  Ausführungen zu Spr 31,10–31 bei Baxter, Christian Directory I, p.  381 (aus „Directions about our Labour and Callings“, p.  376–387); p.  377 (ohne Bezug auf Spr) heißt es etwa: „Labour is needful to our health and life: [.  .  .] Next to abstinence, labour is the chief preserver of health.“ 72  Das Zitat Zinzendorfs bei Plitt, Zinzendorfs Theologie I, S.  428. 73 Schlußsatz im Glaubensbekenntnis (d. h. „Symbol“) der Mormonen, von Orson Hyde formuliert und 1849 veröffentlicht (die deutsche Übersetzung in verschiedenen Darstellungen über die Mormonen). Vgl. Schlaginweit, Robert von, Die Mormonen oder die Heiligen vom jüngsten Tage. Von ihrer Entstehung bis auf die Gegenwart, 2.  Aufl. – Köln, Leipzig: Eduard Heinrich Mayer 1878, S.  136–138, S.  138 (dort: „[.  .  .] und nicht selig werden. Er ist eine Drohne und bestimmt, todtgestochen und hinausgeworfen zu werden aus dem Bienenstocke“). 74  Vgl. Baxter, Christian Directory I (aus „Directions against Idleness and Sloth“ [Müßiggang und Fauhlheit, Ed.], p.  379–383), p.  380: „Idleness is a temporary destruction

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Deutlich zeigt sich hier die Abweichung von der mittelalter­ lichen Doktrin. Auch Thomas von Aquin hatte jenen Satz inter­ pretiert. Aber nach ihm22) ist die Arbeit nur naturali ratione notwendig zur Erhaltung des Lebens des einzelnen und der Gesamtheit. Wo dieser Zweck wegfällt, cessiert auch die Geltung der Vorschrift. Sie trifft nur die Gattung, nicht jeden einzelnen. Wer ohne Arbeit von seinem Besitz leben kann, auf den bezieht sie sich nicht, und ebenso steht natürlich die Kontemplation als eine geistliche Form | des Wirkens im Gottesreich über dem Gebot in seiner wörtlichen Auslegung. Für die Populartheologie vollends lag ja die höchste Form mönchischer „Produktivität“ in der Mehrung des „thesaurus ecclesiae“75 durch Gebet und Chordienst. Nicht nur diese Durchbrechungen der ethischen Arbeitspflicht aber fallen bei Baxter selbstverständlich fort, sondern mit größtem Nachdruck schärft er den Grundsatz ein, daß auch der Reichtum von jener bedingungslosen Vorschrift nicht entbinde.23) Auch der Besitzende soll nicht essen, ohne zu arbeiten, denn wenn er auch zur Deckung seines Bedarfs der Arbeit nicht benötigt, so besteht doch Gottes

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rakter haben. Sie werden von Baxter geradezu als „Zerstörer des Gnadenstandes“ angesehen (a. a. O. I S.  379/80 e).76 Sie sind eben die Antithese des methodischen Lebens. 22)  S[iehe] oben Band  XX S.  41 Anm.  2.77 | 23)  Baxter a. a. O. I p.  108 ff.78 Speziell fallen folgende Stellen ins Auge: Question: But A 82 will not wealth excuse us? – Answer: It may excuse you from some sordid sort of work, by making you more serviceable to another, but you are no more excused from service of work .  .  . thanf the poorest man .  .  . Dazu a. a. O. I p.  376:79 „Though they (die Reichen) have no outward want to urge them, they have as great a necessity to obey God .  .  . God had strictly commandeth it (die Arbeit) to all.[“]

e A: 279/80  f  A: then [.  .  .] of all the faculties of mind and body which should be exercised. [.  .  .] Idleness and sloth are consumers of all the mercies of God [.  .  .]“. 75  Vgl. das Glossar, unten, S.  840. 76  Vgl. oben, S.  378 f., Anm.  74. 77  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  190 f., Fn.  42. 78  Vgl. Baxter, Christian Directory I, p.  108–117 („Directions for faithful serving Christ, and doing Good“), das folgende Zitat p.  111 (dort: „serviceable in other“ und „from service and work [.  .  .]“). 79  Webers Zitat aus den „Directions about Labour and Callings“, Baxter, ebd., p.  376– 379, p.  376 (dort: „necessity of obeying God“).

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Gebot, dem er ebenso zu gehorchen hat, wie der Arme.24) Denn für jeden ohne Unterschied hält Gottes Vorsehung einen Beruf (calling) bereit, den er erkennen und in dem er arbeiten soll, und dieser Beruf ist nicht wie im Luthertum25) eine Schickung, in die man sich zu fügen und mit der man sich zu bescheiden hat,80 sondern ein Befehl Gottes an den einzelnen, zu seiner Ehre zu wirken. Diese scheinbar leichte Nuance hat weittragende Konsequenzen und hängt mit einer Weiterbildung jener providentiellen Deutung des ökonomischen Kosmos zusammen, welche schon der Scholastik geläufig war. Das Phänomen der Arbeitsteilung und Berufsgliederung der Gesellschaft hatte, wie andere, schon Thomas von Aquin, an den wir wieder am bequemsten anknüpfen,81 als direkten Ausfluß des göttlichen Weltplanes aufgefaßt. Aber die Eingliederung der | Menschen in diesen Kosmos erfolgt ex causis naturalibus und ist zufällig („contingent“, nach dem scholastischen Sprachgebrauch).82 Für Luther wurde, wie wir sahen,83 die aus der objektiven historischen Ordnung folgende Eingliederung der Menschen in die gegebenen Stände und Berufe zum direkten Ausfluß göttlichen Willens und also das Verharren des einzelnen in der Stellung und in den Schranken, die Gott ihm zugewiesen hat, religiöse Pflicht. Dies um 24)  Ebenso Spener (a. a. O. III, 338, 425),84 der aus diesem Grunde namentlich die Neigung, vorzeitig in Pension zu gehen, als sittlich bedenklich bekämpft und – in Abwehr eines Einwands gegen die Rechtmäßigkeit des Zinsennehmens: der Zinsgenuß führe zur Faulheit – betont, daß, wer von seinen Zinsen leben könne, nach Gottes Befehl dennoch zur Arbeit verpflichtet sei. 25)  Einschließlich des Pietismus. Spener operiert, wo es sich um die Frage des Berufswechsels handelt, stets damit, daß, nachdem einmal ein bestimmter Beruf ergriffen sei, das Verbleiben und Sich-Schicken in diesem Pflicht des Gehorsams gegen Gottes Vorsehung sei.85 |

80  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  201–208. 81  So auch oben, S.  379. 82  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  190 f., Fn.  42, mit Zitat Webers aus Thomas’ Quaestiones quodlibetales. 83  Wie oben, Anm.  80. 84  Vgl. Spener, Theologische Bedenken II (3. Cap., Artic. III, Sectio XI. „Ob zinse von ausgeliehnem geld zu nehmen“, S.  327–339), S.  338, sowie Spener, ebd. (3. Cap., e Artic. IV, Sectio XII. „Uber das verlangen eines Politici die welt-geschaffte mit ruhigerem leben zu verwechseln“, S.  424 f.), S.  425. Die einschlägigen Stellen auf den ausgewiesenen Seiten versah Weber im Exemplar der UB Heidelberg mit Randmarkierung. 85  Speners Auffassung vgl. unten, S.  384, Fn.  31.

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so mehr, als eben die Beziehungen der lutherischen Frömmigkeit zur „Welt“ überhaupt von Anfang an unsichere waren und blieben. Ethische Prinzipien waren von Luthers, die paulinische Welt-Indifferenz niemals ganz abstreifenden, Gedankenkreiseng aus für die Gestaltung der Welt nicht zu gewinnen, und man mußte sie deshalb eben nehmen wie sie war und konnte nur dies zur religiösen Pflicht stempeln. – Wiederum anders nuanciert sich der providentielle Charakter des Ineinanderspielens der privatwirtschaftlichen Interessen in der puritanischen Anschauung. Welches der providentielle Zweck der Berufsgliederung ist, erkennt man, getreu dem puritanischen Schema „pragmatischer“ Deutung, an ihren Früchten. Über diese nun läßt sich Baxter in Ausführungen aus, welche in mehr als einem Punkte direkt an Adam Smiths bekannte Apotheose der Arbeitsteilung86 erinnern.26) Die Spezialisierung der Berufe führt, weil sie die Übung (skill) des Arbeiters ermöglicht, zur quantitativen und qualitativen Steigerung der Arbeitsleistung und dient also dem allgemeinen Wohl (common best), welches mit dem Wohl möglichst vieler identisch ist. Ist soweit die Motivierung rein utilitarisch und durchaus verwandt mit manchen in der weltlichen Literatur der Zeit bereits üblichen Gesichtspunkten27), so tritt Baxter a. a. O. I S.  377.87 A 83 deshalb nicht etwa aus ihnen historisch ableitbar. Vielmehr wirkt sich die ganz genuine calvinistische Vorstellung, daß der Kosmos der „Welt“ dem Ruhme Gottes, seiner Selbstverherrlichung, diene, darin aus. Die utilitarische Wendung, daß der ökonomische Kosmos demh Zweck der Lebensfristung Aller (good of the many, common good etc.) dienen sollte, ist Konsequenz des Gedankens, daß jede andere Deutung zur (aristokratischen) Kreaturvergötterung führt, oder doch nicht Gottes Ruhm, sondern kreatürlichen „Kulturzwecken“ dient. Gottes Wille aber, wie er sich (s. o. I, Anm.  21)88 in der zweckvollen Gestaltung des ökonomischen Kosmos ausdrückt, kann eben, soweit diesseitige Zwecke dabei überhaupt in Betracht kommen, nur das Wohl 26) 

27)  Aber

g A: Gedankenkreise  h A: den 86  Vgl. Webers Zitat, Protestantische Ethik I, oben, S.  193 f. mit Fn.  44. Die Arbeitsteilung steigere, so Adam Smith, die Produktivität der Arbeit und führe zum Wohlstand. Die, welche am Wirtschaftsleben teilhätten, suchten ihren eigenen Vorteil, handelten aus Eigeninteresse und nicht aus Wohlwollen für andere. 87  Nach Baxter, Christian Directory I, Zitat p.  377 (aus „Directions about Labour and Callings“, p.  376–387), gilt es, das öffentliche Wohl über das eigene zu stellen („The publick welfare, or the good of many, is to be valued above our own.“). Die Arbeit diene in erster Linie dem Vorteil des Individuums und sei ihm nützlich: Sie diene dem Erhalt seiner Geistes- und Körperfähigkeiten, sei die beste Medizin für Leben und Gesundheit und halte Versuchungen fern. 88  Oben, 1. Abschnitt dieses Aufsatzes, S.  266–268.

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der charakteristisch puritanische Einschlag als|bald hervor, wenn Baxter an die Spitze seiner Auseinandersetzungen das Motiv stellt: „Außerhalb eines festen Berufs sind die Arbeitsleistungen eines Menschen nur unstete Gelegenheitsarbeit und er verbringt mehr Zeit in Faulheit als in Arbeit“, und wenn er sie folgendermaßen beschließt: „und er (der Berufsarbeiter) wird seine Arbeit in Ordnung vollbringen, während ein anderer in ewiger Verwirrung steckt und sein Geschäft nicht Ort noch Zeit kennt28) .  .  . darum ist ein fester Beruf (‚certain calling‘,i an anderen Stellen heißt es ‚stated calling‘) für jedermann das beste“.89 Die unstete Arbeit, zu welcher der gewöhnliche Tagelöhner gezwungen ist, ist ein oft unvermeidlicher, aber stets unerwünschter Zwischenzustand. Es fehlt eben dem Leben des „Beruflosen“ der systematisch-methodische Cha-

der „Gesamtheit“, die unpersönliche „Nützlichkeit“ sein. Der Utilitarismus ist eben, A 84 wie früher gesagt,90 Konsequenz der unpersön|lichen Gestaltung der „Nächstenliebe“ und der Ablehnung aller Weltverherrlichung durch die Exklusivität des puritanischen „in majorem Dei gloriam“.91 Denn wie intensiv dieser Gedanke: daß jede Kreaturverherrlichung Gottes Ruhm Abbruch tue, und daher unbedingt verwerflich sei, den ganzen asketischen Protestantismus beherrschte, zeigt sich deutlich in den Bedenken und der Mühe, die es selbst dem doch wahrlich nicht „demokratisch“ angehauchten Spener kostete, gegenüber den zahlreichen Anfragen den Gebrauch der Titel als ἀδιάφορον j 92 aufrecht zu erhalten. Er beruhigt sich schließlich damit, daß selbst in der Bibel der Praetor Festus vom Apostel mit κράτιστος tituliert werde.93 – Die politische Seite der Sache gehört in einen späteren Zusammenhang.94 28) The inconstant man is a stranger in his own house , sagt auch Th[omas] Adamsk [] (Works of the Pur[itan] Div[ines] p.  77).95

i  A: calling,“  j A: ἀδιάφον  k  A: Adams: 89  Weber übersetzt Baxter, Christian Directory I, p.  377 (aus „Directions about Labour and Callings“, p.  376–387), die originalen Sätze dort unter Direction 2. 90  Siehe oben, S.  266–270. 91  Zum Zitat vgl. oben, S.  266, Fn.  21 mit Anm.  20, und S.  268. 92  Griech., Tl.  adiáphoron, wörtl. „Nicht-Unterschiedenes“. 93 Vgl. Spener, Theologische Bedenken I, S.  302 f. (vgl. oben, S.  353, Fn.  130). – Tl.  (griech.) krátistos, „hochansehnlich, hochverehrt“, in Apg 26,25 ehrende Anrede des Prokurators von Judäa. 94  Weber streift das Thema nur noch, indem er den „antiautoritären“ Zug der puritanischen Askese feststellt, unten, S.  398. 95  Adams, Semper Idem, or the Immutable Mercy of Jesus Christ (Adams, Works of the English Puritan Divines V, p.  69–86), p.  77 (von Weber mit Unterstreichung und Randmarkierung im Exemplar der UB Heidelberg versehen). Das christliche Leben solle „an imitation of Christ’s constancy“ sein (p.  76).

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rakter, den, wie wir sahen,96 die innerweltliche Askese verlangt. Auch nach der Quäker-Ethik soll das Berufsleben des Menschen eine konsequente asketische Tugendübung, eine Bewährung seines Gnadenstandes an seiner Gewissenhaftigkeit sein, die in der Sorgfalt29) und Methode, mit welcher er seinem Beruf nachgeht, sich auswirkt. Nicht Arbeit an sich, sondern rationale Berufsarbeit ist eben das von Gott verlangte. Auf diesem methodischen Charakter der Berufsaskese liegt bei der puritanischen Berufsidee stets der Nachdruck, nicht, wie bei Luther, auf dem Sichbescheiden mit dem einmal von Gott zugemessenen Los. Daher wird nicht nur die Frage, ob jemand mehrere callings kombinieren dürfe, unbedingt bejaht – wenn es für das allgemeine Wohl oder das eigene30) zuträglich und nie|mandem sonst abträglich ist und wenn es auch nicht dazu führt, daß man in einem der kombinierten Berufe ungewissenhaft („unfaithful“) wird.1 Sondern es wird auch der Wechsel des Berufs als keineswegs an sich verwerflich angesehen, wenn er nicht

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29)  S[iehe] speziell darüber George Fox’ Äußerungen in The Friends’ Library (ed. W[illiam] & Th[omas] Evans Philadelphia 1837 ff.) Vol. I p.  130.2 30) Denn Gott hat, – wie in der puritanischen Literatur sehr oft hervor|gehoben A 85 wird, – nirgends befohlen, daß man den Nächsten mehr lieben sollte als sich selbst,3 sondern wie sich selbst. Man hat also auch die Pflicht der Selbstliebe. Wer z. B. weiß, daß er selbst seinen Besitz zweckmäßiger und also mehr zu Gottes Ehre verwendet, als der Nächste es könnte, ist durch die Nächstenliebe nicht verpflichtet, diesem davon abzugeben.

96  Siehe oben, S.  242–366. 1  Weber referiert Baxter, Christian Directory I, p.  377 (aus „Directions about Labour and Callings“, p.  376–387), unter Direction 2. 2 Vgl. George Fox’ verschiedentliche Ratschläge zu „Trade and Business“, vgl. Friends’ Library I, p.  131 f. (Die Zeitschrift erschien in Philadelphia: Joseph Rakestraw 1837–1850.) 3  Baxter, Christian Directory IV, bes. chap. XXVII. „Cases and Directions for loving our Neighbour as our selves“ (p.  242–245), differenziert p.  243: „Must I love any one more than my self ? Answ. Yes; every one that is and appeareth better than your self. Your sensitive Love to another cannot be as much as to your self: And your beneficence (ordinarily) must be most to your self, because God in nature and his Laws hath so appointed it: And your benevolence to your self and to others must be alike; but your rational estimation, and Love or complacence (with the honor and praise attending it) must be more to every one that is better than your self: For that which is best is most amiable: and that which hath most of God.“

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leichtfertig, sondern um einen Gott wohlgefälligeren[,]31) und das heißt dem allgemeinen Prinzip entsprechend: nützlicheren Beruf zu ergreifen[,] erfolgt.4 Und vor allem: die Nützlichkeit eines Berufs und seine entsprechende Gottwohlgefälligkeit richtet sich zwar in erster Linie nach sittlichen und demnächst nach Maßstäben der Wichtigkeit der darin zu produzierenden Güter für die „Gesamtheit“, aber alsdann folgt als dritter und natürlich praktisch wichtigster Gesichtspunkt: die privatwirtschaftliche „Profitlichkeit.“ 32) Denn wenn jener Gott, den der Puritaner in allen Fügun31)  Auch Spener kommt diesem Standpunkt nahe. Aber er bleibt doch selbst in dem Fall, daß es sich um den Übertritt aus dem (sittlich besonders gefährlichen) Kaufmannsberuf zur Theologie handelt, höchst zurückhaltend und eher abmahnend (III S.  435, 443, I S.  524).5 Die häufige Wiederkehr der Beantwortung gerade dieser Frage (nach der Erlaubtheit des Berufswechsels) in Speners naturgemäß stark gesichteten Gutachten zeigt, beiläufig bemerkt, wie eminent praktisch im Alltagsleben die verschiedene Art der Deutung von 1. Kor. 7 war.6 32) Derartiges findet sich wenigstens in den Schriften der führenden kontinentalen Pietisten nicht. Speners Stellung zum „Gewinn“ schwankt zwischen Luthertum („Nahrungs“-Standpunkt)7 und merkantilistischen Argumentationen von der Nützlichkeit des „Flors der Commerzien“ u. dgl. (a.  a.  O. III S.   330, 332,8 vgl.

4  Vgl. Baxter, Christian Directory I, p.  377, mit Verweis auf die Ausführungen zum Berufswechsel unter „Directions for faithful serving Christ, and doing Good“, p.  108–117, hier p.  110 f., unter Direction 20. 5  Vgl. Spener, Theologische Bedenken II (3. Cap., Artic. IV, Sectio XV. „Von dem vorhaben die kauffmannschafft zu verlassen“, S.  432–440), gemeint vermutlich S.  439 mit dem Rat zum Verbleiben im Kaufmannsberuf, weil alle Dinge unter der göttlichen Providenz stünden, es sich also um eine göttliche Berufung handele (von Weber mit Randmarkierung im Exemplar der UB Heidelberg und Marginalie: „anders Baxter“ versehen). Ähnlich in der folgenden Sectio XVI. „Ob man die handlung/ um sich der welt e  loßzureissen/ bey noch habenden schulden/ verlassen konne“ (S.  440–450), S.  443 e  (dort in der Passage zum „gottlichen beruff“, der das Gewissen binde und eine freie Wahl hindere, notiert Weber: „Lutherisch“); Spener, Theologische Bedenken I, S.  524 (vgl. oben, S.  262 f., Fn.  17). 6  Vgl. Spener, Theologische Bedenken II, S.  426, der in diesem Kontext 1 Kor 7 zitiert. 7 Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  199–208; dazu ebd., S.  156 f. mit Anm.  67. 8  „Flor der Commerzien“, etwa: Blühen der Wirtschaft, u. a. im Merkanilismus häufig gebraucht. Zu Spener, Theologische Bedenken II (3. Cap., Artic. III, Sectio XI. „Ob zinse von ausgeliehnem geld zu nehmen“, S.  327–339), S.  330 und S.  332, hier S.  330: „[. . .] nicht zwahr nur reichthum vor sich zu sammeln/ sondern immer in dem stande zu e  e  seyn/ daß er auch moge an guten wercken desto reicher werden. Es ist eine ubung der liebe gegen das publicum, welchem an beforderung der commercien ein grosses gee  legen ist/ die aber menschlicher weise ohne dergleichen zinse nicht wol mochten zu

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gen des Lebens wirksam sieht, einem der Seinigen eine Gewinnchance zeigt, so hat er seine Absichten dabei. Und mithin hat der gläubige Christ diesem Rufe zu folgen, indem er sie sich zunutze macht.33) | „Wenn Gott euch einen Weg zeigt, auf dem Ihr ohne

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I S.  680l:9 der Tabakbau bringt Geld ins Land und ist daher nützlich, also nicht sündlich!) hin und her (vgl. III S.  426, 427, 429, 434),10 verfehlt aber nicht darauf hinzuweisen, daß, wie das Beispiel der Quäker und Mennoniten zeige, man Profit machen und doch fromm bleiben könne, ja daß besonders hoher Profit sogar – worüber wir später noch zu reden haben werden11 – direktes Produkt frommer Redlichkeit sein könne (a. a. O. S.  435).12 33)  Diese Ansichten sind bei Baxter nicht etwa eine Widerspiegelung des ökonomischen Milieus, in dem er lebte. Im Gegenteil hebt seine Autobiographie hervor, daß für die Erfolge seiner inneren Missionsarbeit mit entscheidend gewesen | sei, daß diejeni- A 86 gen Händler, welche in Kidderminster angesessen waren, nicht reich gewesen seien, sondern nur „food and raiment“ verdient und daß die Handwerksmeister nicht besser als ihre Arbeiter, „from hand to mouth“, zu leben gehabt hätten.13 „It is the poor that receive the glad tidings of the Gospel.“ – Th[omas] Adams bemerkt über das Streben nach Gewinn: „He (the knowing man) knows .  .  . that money may make a man richer, not better, and thereforem chooseth rather to sleep with a good conscience than a full purse .  .  . therefore desires no more wealth than an honest man may bear away“ – aber soviel will er eben doch auch. (Th[omas] Adams, Works of [the] Pur[itan] Div[ines] LI.)14 l A: 418  m  A: thereupon stand gebracht oder erhalten werden.“ Weber versah die Stellen auf den angegebenen Seiten im Exemplar der UB Heidelberg mit Randmarkierungen, auf S.  330 von e  „daß er auch moge“ bis „grosses gelegen ist“. 9  Zu dem einträglichen Tabakbau vgl. Spener, Theologische Bedenken I, S.  680 (ein Bezug zu S.  418 – vgl. textkritische Anm.  l – ist nicht erkennbar). Diese Stelle ist von Weber im Exemplar der UB Heidelberg unterstrichen und mit doppelter Randmarkierung versehen. 10  Vgl. Spener, Theologische Bedenken II, auf den ausgewiesenen Seiten 426, 427 (aus: 3. Cap., Artic. IV, Sectio XIII. „Gefahr unsrer zeiten. Regeln eines christlichen kauffmanns: absonderlich wegen zoll und accise“, S.  425–428), S.  429 (aus Sectio XIV. „Antwort auff einige scrupul/ betreffend die kauffmannschafft“, S.  428–432) und S.  434 (aus Sectio XV. „Von dem vorhaben die kauffmannschaft zu verlassen“, S.  432–440). Im Exemplar der UB Heidelberg weisen die Seiten Markierungen und Unterstreichungen von Weber auf. 11  Siehe unten, S.  412: „Kapitalbildung durch asketischen Sparzwang“. 12  Passage von Spener, Theologische Bedenken II, S.  435, von Weber im Exemplar der UB Heidelberg mit Randmarkierung versehen. 13 Sehr wahrscheinlich entnimmt Weber die Zitate aus Baxters „Autobiographie“: Jenkyn, An Essay on Baxter’s Life, Ministry, and Theology (Baxter, Works of the English Puritan Divines IV, p. i-lviii), p. xl; Passage möglicherweise von Weber im Exemplar der UB Heidelberg mit einer Randmarkierung versehen. 14  Einen ähnlichen Kommentar schrieb Weber an den Rand des Exemplars in der UB Heidelberg („NB! das  *selbe will er auch!“). Das Zitat entstammt Stowell, Introduc-

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Schaden für Eure Seele oder für andere in gesetzmäßiger Weise mehr gewinnen könnt, als auf einem anderen Wege und Ihr dies zurückweist und den minder gewinnbringenden Weg verfolgt, dann kreuzt Ihr einen der Zwecke Eurer Berufung (calling), Ihr weigert Euch, Gottes Verwalter (stewardn) zu sein und seine Gaben anzunehmen, um sie für ihn gebrauchen zu können, wenn er es verlangen sollte. Nicht freilich für Zwecke der Fleischeslust und Sünde, wohl aber für Gott dürft Ihr arbeiten, um reich zu sein.“34) Der Reichtum ist eben nur als Versuchung zu faulem Ausruhen und sündlichem Lebensgenuß bedenklich und das Streben danach nur dann, wenn es geschieht, um später sorglos und lustig leben zu können. Als Ausübung der Berufspflicht aber ist es sittlich nicht nur gestattet, sondern geradezu geboten.35) Das Gleichnis vom Schalks­ 34)  So Baxter a. a. O. I ch. X tit. 1 Dir[ection]o 9 (§  24)p S.  378 Spalte 2.15 Sprüche Sal[omos] 23, 4: „Arbeite nicht, um reich zu sein“ bedeute nur: riches for our fleshly ends must not ultimately be intended.16 Der Besitz in der feudal-seigneurialen Form seiner Verwendung ist eben das Odiöse (cf. die Bemerkung a. a. O. I p.  380 über den debauched part of the gentry),17 nicht Besitz an sich. – Milton in der ersten defensio proq populo Anglicano hat die bekannte Theorie, daß nur der „Mittelstand“ Träger der Tugend sein könne – wobei „Mittelstand“ als „bürgerliche Klasse“ im Gegensatze gegen „Aristokratie“ gedacht ist, wie die Begründung zeigt, daß sowohl „Luxus“ als Not die Tugendübung hindere.18 35)  Dies ist das Entscheidende. – Dazu noch eine allgemeine Bemerkung: Es kommt natürlich hier für uns nicht sowohl darauf an, was die theologische ethische Theorie begrifflich entwickelt, sondern darauf, was im praktischen Leben der Gläubigen geltende Moral war und wie die religiöse Orientierung der Berufsethik praktisch wirkte. Man kann wenigstens gelegentlich in der kasuistischen Literatur des Katholizismus, namentlich des jesuitischen, Erörterungen lesen, welche – z. B. über die Frage der Er-

n  A: (stewart    o A: Dis.  p  In A folgt: Vol. I.  q  A: par tion to Adams’ Works (Adams, Works of the English Puritan Divines V, p. ix–lxiii), p. li. Die zitierten Sätze sind außerdem von Weber unterstrichen. 15  Webers Übersetzung von Baxter, Christian Directory I, aus den „Directions about our Labour and Callings“, p.  376–387, Direction 9 (§  24), p.  378. 16  Spr 23,4 und die Deutung (es handelt sich um ein Zitat) bei Baxter, ebd. 17  Vgl. Baxter, ebd., aus den „Directions about our Labour and Callings“, p.  376–387, über den „debauched [ausschweifenden, Ed.] part of the gentry“, p.  380. 18  Bezug ist nach der Erstausgabe: Milton, Pro populo anglicano defensio, Cap. VII, p.  139 f. Milton definiert die „mittlere“ Schicht des englischen Volkes bei seiner Verteidigung der Volkssouveränität als diejenige, „aus deren Zahl fast die klügsten und in Staatssachen erfahrensten Männer sind. Die Uebrigen hat einerseits Luxus und Reichthum, andererseits Armuth und Mangel von der Tugend und dem Studium der Staatswissenschaft größtentheils abwendig gemacht“. Zitiert nach: Milton, Vertheidigung, S.  274.

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knecht, der verworfen | wurde, weil er mit dem von Gott ihm anvertrauten Pfunde nicht gewuchert hatte,19 schien das ja auch direkt auszusprechen.36) Arm sein wollen hieße, wie häufig argu-

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laubtheit des Zinses, auf welche wir in einem späteren Kapitel eingehen20 – denjenigenr vieler protestantischers Kasuisten ähnlich klingen, ja | in dem, was für „erlaubt“ oder A 87 für „probabel“t gilt, darüber hinauszugehen scheinen. Wie die Calvinisten katholische Moraltheologen, nicht nur Thomas von Aquino, Bernhard v[on] Clairvaux, Bonaventura, sondern auch zeitgenössische zu citieren pflegen, so nahmen – was wir hier nicht näher erörtern – die katholischen Kasuisten von der häretischen Ethik regelmäßig Notiz. Der gewaltige Unterschied ist aber der: daß diese latitudinarischen Ansichten im Katholizismus von der kirchlichen Autorität nicht sanktionierte Produkte spezifisch laxer ethischer Theorien waren, denen gerade die ernstesten und strengsten Anhänger der Kirche fern standen, während umgekehrt die protestantische Berufsidee gerade die ernstesten Anhänger asketischen Lebens in den Dienst des kapitalistischen Erwerbslebens stellte. Das was dort bedingungsweise erlaubt sein konnte, erschien hier als etwas positiv sittlich Gutes. Die praktisch sehr wichtigen grundlegenden Differenzen der beiderseitigen Ethik waren seit dem Jansenistenstreit und der Bulle „Unigenitus“ endgültig festgelegt.21 36)  You may labour in that manner as tendeth most to your success and lawful gain. You are bound to improve all your talents .  .  . Folgt die oben im Text übersetzte Stelle.22 – Direkte Parallelisierung des Strebens nach Reichtum im Gottesreich mit dem Streben nach Erfolg im irdischen Beruf z. B. bei Janeway, Heaven upon earth (in den Works of the Pur[itan] Div[ines]) p.  275 unten.23

r A: derjenigen; lies: denjenigen Erörterungen    s  A: protestantischen    t A: „probabl“ 19  Das Gleichnis des Schalksknechts: Mt 25,14–30; Lk 19, 11–27. 20  Im vorliegenden Aufsatz nicht ausgeführt, für die Fortsetzung von Webers Studie vorgesehen; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  66 f., und die systematische Übersicht im Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96. 21  Vgl. dazu etwa Huber, Johannes, Der Jesuiten-Orden nach seiner Verfassung und Doctrin, Wirksamkeit und Geschichte. – Berlin: C. G. Lüderitz’sche Verlagsbuchhandlung Carl Habel 1873 (Webers Handexemplar in der Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München; hinfort: Huber, Jesuiten-Orden), S.  438–495 („Der Jansenismus“). Huber beschreibt den ca. 120 Jahre währenden unerbittlichen Streit: Er entzündete sich an der von Cornelius Jansen in seinem „Augustinus“-Buch (1640) vertretenen Gnadenlehre und wurde zwischen dessen Anhängern und den Jesuiten ausgefochten. Um die ihm verhaßten Jansenisten endgültig auszuschalten, betrieb der französische König Ludwig XIV. die Veröffentlichung der Konstitution (in Form einer Bulle) „Unigenitus“ (1713) durch Papst Clemens XI., die sich gegen die Jansenisten richtete. Auch danach stritten noch die „Acceptanten oder Constitutionisten“ mit den „Appellanten“, die der Meinung waren, die Konstitution verstoße gegen die katholische Glaubens- und Sittenlehre, und darum ein Konzil forderten (S.  491). 22  Baxter, Christian Directory I, p.  378, Dir. 9 (dort: „your Masters Talents“); die Stelle oben, S.  385 f. 23  Janeway, Heaven upon Earth (Janeway, Works of the English Puritan Divines VII), p.  275: „If you intend to do anything in religion to any purpose, you must buckle to your

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mentiert wurde, dasselbe wie krank sein wollen,37) es wäre als Werkheiligkeit verwerflich und Gottes Ruhm abträglich. Und vollends das Betteln eines zur Arbeit Befähigten ist nicht nur als Trägheit sündlich, sondern auch nach des Apostels Wort gegen die Nächstenliebe.38) 24 37)  Schon in der (lutherischen) Konfession Herzog Christophs von Württemberg, die dem Konzil von Trient eingereicht wurde, wird gegen das Gelübde der Armut geltend gemacht: Wer nach seinem Stand arm ist, solle es tragen, aber wenn er gelobt[,] es zu bleiben, so ist dies dasselbe, als ob er gelobte, dauernd krank zu sein oder üblen Leumund zu haben.25 38)  So bei Baxter26 und z. B. in der Konfession Herzog Christophs.27 Vgl. ferner Stellen wie: „.  .  . the vagrant rogues whose lives are nothing but an exorbitant course: the main begging“ etc. (Th[omas] Adams, W[orks] of [the] Pur[itan] Div[ines] p.  259).28

business at another guess rate than most of the professors of the world do: you must take as much pains about your souls as men do about their bodies or estates.“ 24  Gemeint ist das „neutestamentliche Arbeitsgebot“ 2 Thess 3,10 [1892]: „[.  .  .] so jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen.“ Dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  195, Fn.  45 mit Anm.  82. 25  Im Bekenntnis von Herzog Christoph heißt es in Artikel 26 „Von Kloster Glübden“ über das Armutsgelübde: „Also ists auch nicht recht, Armut zugloben. Denn eintweder bist du deines Stands oder Herkommens halben arm, und besitzest nicht zeitliche Güter, so soltu das Creutz, das dir von Gott auffgelegt ist, gedultiglich tragen. Und so du über das die Armut globest, thust du nichts anders, denn so du in der Kranckheit globen wölltest, für und für kranck zu sein. Oder so du ein böß Geschrey hast, globen wölltest, dein Lebenlang ein böß Geschrey zuhaben [.  .  .]“. Hier zitiert nach: Vollst., historisch und kritisch bearb. Sammlung der württembergischen Geseze, hg. von A. L. Reyscher, 8. Band. – Tübingen: Ludw. Friedr. Fues 1834, S.  150. – Das im Auftrag Herzog Christophs 1551, d. h. während des „Interim“ von 1548, im wesentlichen von Johannes Brenz verfaßte Bekenntnis wurde am 24. Januar 1552 „im Namen“ des Herzogs dem Konzil von Trient zum Vortrag und zur Verteidigung der protestantischen Sache übergeben, wurde dort allerdings nicht behandelt. Es ging 1553 in die Kleine und 1559 in die Große Württembergische Kirchenordnung ein. 26  Das „neutestamentliche Arbeitsgebot“ 2 Thess 3,10 wird mehrfach eingeschärft von Baxter, Christian Directory I, „Directions about our Labour and Callings“ (p.  376– 387): „If any man will not work, neither should he eat“ (hier p.  376, p.  377, p.  380 f. u. ö.). Baxter unterscheidet die Armen, die aus Not betteln, von denjenigen, die aus Faulheit von ihrem Bettel leben. Letztere seien nach den Reichen „the second rank of Idle persons in the Land“ (p.  382, ohne nähere Erläuterung; unter „Idleness“, einer Sünde, versteht Baxter Pflichtvernachlässigung und -vergessenheit, vgl. p.  379). 27  Im Artikel „Von Kloster Glübden“ (wie oben, Anm.  25, ebd.): „Oder hastu zeittliche Güter, und globest, du wöllest sie verlassen, in Armut leben, und dich mit dem Bettel erneeren, das du auß Verdienst dises Glübdts, das ewige Leben erlangest. Als dann so ist diß Glübdt stracks wider die Liebe des Nächsten, wölche erfordert, das du ausserthalb der not, niemandts mit Betteln beschwärlich sein sollest.“ 28 Zitat: Adams, Politic Hunting (Adams, Works of the English Puritan Divines V,

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Wie die Einschärfung der asketischen Bedeutung des festen Berufs das moderne Fachmenschentum ethisch verklärt, so die providentielle Deutung der Profitchancen den Geschäftsmenschen.39) Die vornehme Läßlichkeit des Seigneurs und die | parvenumäßige Ostentation des Protzen sind der Askese gleichermaßen verhaßt. Dagegen trifft ein voller Strahl ethischer Billigung den nüchternen bürgerlichen Selfmademan:40) „God blesseth his trade“ ist eine stehende Wendung für diejenigen Heiligen,41) welche mit Erfolg jenen

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39)  Mit Nachdruck sagte der Präsident der Baptist Union of Great Britain and Ireland, G[eorge] White, in seiner Inauguraladresse für die Assembly in London 1903 (Baptist Handbook 1904 S.  104):29 [„]The best men on the roll of our Puritan churches were men of affairs, who believed, that religion should permeate the whole of life.“ | 40) Eben hierin liegt der charakteristische Gegensatz gegen alle feudale Auffassung. A 88 Nach dieser kann erst dem Nachkommen des (politischen oder sozialen) Parvenus dessen Erfolg und die Weihe des Blutes zu Gute kommen. (Charakteristisch im spanischen Hidalgo = hijo d’algo – filius alicujus ausgedrückt.)a 30 So sehr diese Unterschiede heute bei der rapiden Umwandlung und Europäisierung des amerikanischen „Volkscharakters“ im Verblassen sind, so ist die gerade entgegengesetzte spezifisch bürgerliche Anschauung, welche den geschäftlichen Erfolg und Erwerb als Symptomb der geistigen Leistung glorifiziert, dem bloßen (ererbten) Besitz dagegen keinerlei Respekt entgegenbringt, doch noch heute dort ebenso zu Hause wie umgekehrt in Europa, – wie schon James Bryce einmal bemerkt hat –, für Geld im Effekt ziemlich jede soziale Ehre käuflich ist,31 – wenn nur der Besitzer nicht selbst hinter dem Ladentisch gestanden hat und die nötigen Metamorphosen seines Besitzes (Fideikommißstiftung usw.) vollzieht. – S[iehe] gegen die Ehre des Blutes z. B. Th[omas] Adams, Works of the Pur[itan] Div[ines] p.  216.32 41) So z. B. schon für den Gründer der „Familisten-Sekte“ Hendrik Niklaes, der Kaufmann war. (Barclay, Inner life of the religious communities of the Commonwealth p.  34.)c 33

a A: ausgedrückt).  b  A: Sympton  c  A: 34). p.  227–260), p.  259, im Exemplar der UB Heidelberg von Weber durch Unterstreichung („vagrant rogues“) und Randstrich markiert. 29 White, Nonconformist Conscience (Baptist-Handbook 1904), p.   104–125, Zitat p.  106. 30 „Hidalgo“ bezeichnet einen spanischen Adligen niederer Klasse, der aus alter christlicher Familie stammt. Zur Wortform gibt es zwei Erklärungen, von denen Weber hier die erste wählt: a) von hijo, „Sohn“, und algo (lat. aliquis), „jemandes Sohn“ (filius alicujus), und b) algo (nach lat. aliquod, „etwas“), „Sohn von Vermögen“ (filius de aliquo oder filius alicujus). 31 Vgl. Bryce, American Commonwealth II, chap. CV. „Equality“, p.  615–626, hier p.  619 f. 32  Vgl. Adams, God’s Bounty (Adams, Works of the English Puritan Divines V, p.  169– 226), p.  216, mit Markierungen Webers im Exemplar der UB Heidelberg. 33  So Barclay, Inner Life (dort im Titel: „religious societies“), p.  34, um den Erfolg des

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göttlichen Fügungen gefolgt waren, und die ganze Wucht des alt­ testamentlichen Gottes, der den Seinen gerade in diesem Leben ihre Frömmigkeit entgilt,42) mußte ja für den Puritaner, der, nach Baxters Rat, den eigenen Gnadenstand durch Vergleich mit der Seelenverfassung der biblischen Helden kontrollierte43) und dabei die 42)  Dies steht z. B. für Hoornbeek durchaus fest, da auch Matth. 5, 5 und 1. Tim. 4, 8 rein irdische Versprechungen für die Heiligen gemacht seien (a. a. O. vol. I p.  193).34 Alles ist Produkt von Gottes Providenz, speziell aber sorgt er für die Seinen: a. a. O. p.  192:35 Super alios autem summa cura et modis singularissimis versatur Dei providentia circa fideles. Es folgt dann die Erörterung, woran man erkennen könne, daß ein Glücksfall nicht der „communis providentia“[,] sondern jener Spezialfürsorge entstamme. Auch Bailey (a. a. O. S.  191)36 verweist auf Gottes Vorsehung für den Erfolg der Berufsarbeit. Daß prosperity „oft“ der Lohn des gottseligen Lebens sei, ist in den Schriften der Quäker durchaus stehende Wendung (s. z. B. eine solche Äußerung noch aus dem Jahre 1848 in Selection from the Christian Advices issued by the general meeting of the S[ociety] of Fr[iends] in London VIth Ed. London 1851 S.  209).37 Auf den Zusammenhang mit der Quäker-Ethik kommen wir noch zurück.38 43) Als ein Beispiel dieser Orientierung an den Erzvätern – welches zugleich für A 89 die puritanische Lebensauffassung charakteristisch ist – kann Thomas | Adams’ Analyse des Streites zwischen Jacob und Esau gelten. (Works of the Pur[itan] Div[ines] p.  235:)d 39 [„]His (Esaus) folly may be argued from the base estimation of the

d A: 235):   „mercantile business“ des niederländischen Kaufmanns Hendrik Niclaes zu unterstreichen. – Niclaes, der sich als Prophet verstand, gründete um die Mitte des 16. Jahrhunderts die Familisten, deren Anhänger die Liebe Gottes in ihrer Seele mystisch erfuhren (vgl. auch das Glossar, unten, S.  828). 34  Die Stellen, auf die sich Hoornbeek, Theologia practica I, liber secundus, cap. IV. „De Dei Providentia“, p.  177–201, hier p.  193, bezieht, lauten: Mt 5,5 [1892]: „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen“; 1 Tim 4,8 [1892]: „Denn die leibliche Übung ist wenig nütz; aber die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütz, und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens.“ 35  Das folgende Zitat: Hoornbeek, ebd., p.  192. e  36  Vgl. Bayli, Praxis pietatis I, S.  191, im Kapitel „Wie man den Tag uber vor GOtt heiliglich wandeln solle“: „Wann du in deinem Beruffe etwas Gutes dir vornimmest, so e  e  vertraue der gottlichen Fursehung, ob du schon das Mittel etwan schwach und gering befindest [.  .  .]“. 37  In den Ratschlägen der englischen Quäker heißt es mit dem Datum 1848 für jene, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind: „Endeavour to depend to as small an extent as possible upon borrowed capital, and should the Lord crown your honest industry and your prudent and contented economy with that prosperity which is often the blessing of the upright, be persuaded not to regard the fruits of this success as fairly your own [.  .  .]“ (Society of Friends, Christian Advices, p.  209). 38  Siehe unten, S.  408 f. mit Fn.  68. 39 Gemeint ist: Adams, Politic Hunting (Adams, Works of the English Puritan Divines V, p.  227–260), p.  235 ff., das folgende Zitat p.  237. Satz im Exemplar der UB Hei-

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Aussprüche der Bibel „wie die Para|graphen eines Gesetz­buches“ interpretierte, in der gleichen Richtung wirken. – Ganz eindeutig waren die Aussprüche des Alten Testaments an sich ja nicht. Wir sahen, daß Luther sprachlich den Begriff „Beruf“ im welt­lichen Sinn zuerst bei der Übersetzung einer Sirachstelle anwendete.40 Das Buch Jesus Sirach gehört aber nach der ganzen Stimmung, die darin lebt, unzweifelhaft zu den am meisten traditionalistisch wirkenden Bestandteilen des (erweiterten) alten Testaments.41 Es ist charakteristisch, daß bei den lutherischen deutschen Bauern noch bis in die Gegenwart dies Buch sich oft besonderer Beliebtheit zu erfreuen scheint,44) wie auch der lutherisch gebundene Charakter birthright“,e (die Stelle ist auch für die Entwicklung des birthright[-]Gedankens wichtig, wovon später)42 „that he would so lightlyf pass from it and on so easy condition as a pottage.“ Perfide aber war es, daß er dann wegen Übervorteilung den Kauf nicht gelten lassen wollte. Er ist eben ein „cunning hunter, a man of the fields“: die irrational lebende Unkultur, – während Jakob, „a plain man, dwelling in tents“[,] den „man of grace“ repräsentiert.43 44)  Zur bäuerlichen Glaubens- und Sittenlehre. Von einem thüringischen Landpfarrer. 2.  Aufl. Gotha 1890. S.  16.44 Die Bauern, welche hier geschildert werden, sind in charakteristischer Weise Produkte lutherischen Kirchentums. Ich habe mir wieder und

e  A: birthright,“  f  A: lightely delberg möglicherweise von Weber am Rand markiert, der erste Satzteil ist zusätzlich unterstrichen. Biblischer Bezug ist der Streit zwischen Jakob und Esau, Gen 25, 21– 34; 27. 40  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  178, Fn.  38 (Sir 11,20 f.). 41  Das Sirachbuch ist im hebräischen Kanon, der um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert n.Chr. festgelegt wurde, nicht enthalten, wohl aber in der griechischen (Septuaginta), lateinischen (Vulgata) und syrischen (Peschitta) Bibelübersetzung. Von Luther wurde es in die Apokryphen zum Alten Testament eingereiht (dieser Tradition folgten andere Reformationskirchen, darunter die anglikanische Kirche), während das Konzil von Trient es als kanonisch, d. h. als alttestamentliches Buch, wertete. 42  Die Schätzung des Erstgeburtsrechts hat ihre Parallele darin, Gottes auserwähltes Volk zu sein oder dazu zu gehören. Siehe unten, S.  395 f. mit Fn.  49a. 43  Die Charakterisierungen zu Jakob bei Adams, Politic Hunting (wie oben, S.  388  f., Anm.  28), p.  243, im Exemplar der UB Heidelberg „men of grace“ mit Unterstreichung, Randmarkierungen, möglicherweise von Weber. 44  Der thüringische Landpfarrer (Hermann Gebhardt, in der Schrift anonym) äußert sich über Bibellektüre und -kenntnis der thüringischen Bauern seines Dorfes: „[.  .  .] früher war Jesus Sirach, zum Teil unter Verwechselung mit Jesus Christus, der gelesenste Teil der Bibel; – aber eigentliche Bibelleser sind unsere Bauern meist nicht, sind es auch in dem Maße wie manche in anderen Gegenden zu keiner Zeit gewesen [.  .  .]“ (Gebhardt, Glaubens- und Sittenlehre, S.  16). (Weber äußerte sich über die Schrift bereits 1892, vgl. Zur Rechtfertigung Göhres, MWG I/4, S.  106–119, hier S.  115.)

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breiter Strömungen im deutschen Pietismus sich in der Vorliebe für Jesus Sirach zu äußern pflegte.45) Die Puritaner verwarfen nun die Apokryphen als nicht inspiriert,45 gemäß ihrem schroffen Entweder-Oder zwischen Göttlichem und Kreatürlichem.46) Um so stärker wirkte unter den kanonischen Büchern das Buch Hiob mit seiner Kombination einerseits einer großartigen Verherrlichung von Gottes absolut souveräner, menschlichen Maßstäben entzogener Majestät, die ja calvinistischen Anschauungen so höchst kongenial war, mit der im Schluß doch wieder hervorbrechenden, für Calvin ebenso nebensächlichen, wie für den Puritanismus wichtigen, Gewißheit, daß Gott die Seinigen auch in diesem Leben | und auch in materieller Hinsicht zu segnen pflege.47) Der orientalische Quietismus, welcher in manchen der stimmungsvollsten Verse der Psalmen und der Sprüche Salomos hervortritt, wurde ebenso weggedeutet, wie Baxter dies mit der traditionalistischen Färbung der

wieder „lutherisch“ an den Rand geschrieben, wo der vortreffliche Verfasser allgemein-„bäuerliche“ Religiosität vermutet. 45)  Vergl. z. B. das Zitat bei Ritschl, Pietismus II S.  158.46 Spener gründet seine Bedenken gegen Berufswechsel und Gewinnstreben ebenfalls mit auf Aussprüche Jesus Sirachs. Theol[ogische] Bed[enken]g III S.  426.47 46)  Freilich empfiehlt z. B. Bailey trotzdem ihre Lektüre,48 und es kommen Zitate aus den Apokryphen wenigstens hie und da vor, aber naturgemäß doch selten. Ich erinnere mich (zufällig) keines solchen aus Jesus Sirach. | 47) Wo den offenbar Verworfenen äußerlicher Erfolg beschieden ist, beruhigt sich A 90 der Calvinist (so z. B. Hoornbeek) gemäß der „Verstockungstheorie“ mit der Gewiß-

g A: Bd. 45  So nach der Westminster Confession, chapter I, [Ziffer] 3 (bei Müller, E. F. Karl, Bekenntnisschriften, S.  544). 46  Ein Zitat über das Sirach-Buch oder ein Sirach-Zitat ist ebd. nicht nachweisbar. Allerdings zeigt Ritschl, daß in der pietistischen Kindererziehung einer separatistischen Gruppierung das Sirach-Buch eine hervorgehobene Rolle spielte (vgl. Ritschl, Pietismus II, S.  198). 47  Vgl. Spener, Theologische Bedenken II (3. Cap., Artic. IV, Sectio XIII „Gefahr unsrer zeiten. Regeln eines christlichen kauffmanns [.  .  .]“, S.  425–428), S.  426. Spener zitiert dort mit Sir 27,1 und 4 zwei Regeln, die der Kaufmann als eine Gewissenssache beachten möge: nicht begehren, reich zu werden, und sich von der Furcht Gottes regieren lassen. – Zu Speners Bedenken gegen einen Berufswechsel des Kaufmanns dient ihm dort vorrangig 1 Kor 7,21 (vgl. oben, S.  383 f., Fn.  31 mit Anm.  6). 48  Bayli, Praxis pietatis I, S.  156, kommt bei seiner Empfehlung einer täglichen Bibellektüre auf die Apokryphen zu sprechen. Man solle sie „mit grossem Fleiß“ lesen, „weil e  e  darinnen herrliche Anmahnungen zu allerhand schonen Tugenden vielfaltig gefunden werden [.  .  .]“.

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für den Berufsbegriff konstitutiven Stelle des 1. Korintherbriefes tat.49 Dafür legte man um so mehr den Nachdruck auf jene Stellen des Alten Testaments, welche die formale Rechtlichkeit als Kennzeichen gottwohlgefälligen Wandels rühmen. Die Theorie, daß das mosaische Gesetz durch den neuen Bund nur soweit seiner Geltung entkleidet sei, als es zeremonielle oder geschichtlich bedingte Vorschriften für das jüdische Volk enthalte, im übrigen aber als Ausdruck der „lex naturae“ seine Geltung von jeher besessen und daher auch behalten habe,47a)  50 ermöglichte einerseits die Eliminierung solcher Vorschriften, welche in das moderne Leben schlechterdings nicht einzufügen waren, und ließ doch der mächtigen Verstärkung jenes Geistes selbstgerechter und nüchterner Legalität, welcher der innerweltlichen Askese dieses Protestantismus eigen war, durch die zahlreichen verwandten Züge der alttestamentlichen Sittlichkeit freie Bahn.47b) Wenn also, wie mehrfach heit, daß Gott ihnen denselben zuteil werden lasse, um sie zu verhärten und so desto sicherer zu verderben.51 47a)  Eingehender kommen wir auf diesen Punkt erst in anderem Zusammenhang zu sprechen.52 Hier interessiert nur der formalistische Charakter der „Rechtlichkeit“. 47b)  Die Verbindlichkeit der ethischen Normen der Schrift reicht nach Baxter (Chris­ tian Directory III p.  173 f.)53 so weit[,] als sie 1. nur ein „transcript“ des Law of nature sind oder 2. den „express character of universality and perpetuity“ an sich tragen. 49 Zu 1 Kor 7,20 und der traditionalistischen Interpretation des „Bleibe in deinem Beruf“ vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  199 f.; zu Baxters Berufsauffassung vgl. oben, S.  381–386, besonders das von Weber oben, S.  385 f., wiedergegebene Zitat. 50  Zu „lex naturae“ vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  190 mit Anm.  65. 51  Bezug bei Hoornbeek ist Theologia practica I, liber secundus, im Kapitel „De Dei Praedestinatione“, p.  163. Die „Verstockungstheorie“ beruht auf biblischen Aussagen, die Hoornbeek in seinen Ausführungen über die doppelte Prädestination zur Begründung der Reprobation heranzieht. Er zitiert (lat.) z. B. Röm 2,4 f. [1892]: „Oder verachtest du [d. h. der Mensch] den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmütigkeit? Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet? Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufest dir selbst den Zorn auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes“, und er zitiert (lat.) Jes 6,9 f., den „Verstockungsauftrag“ des Propheten Jesaja [1892], V. 10: „Verstocke das Herz dieses Volks, und laß ihre Ohren hart sein, und blende ihre Augen, daß sie nicht sehen mit ihren Augen, noch hören mit ihren Ohren, noch verstehen mit ihrem Herzen, und sich bekehren, und genesen.“ 52  Im vorliegenden Aufsatz nicht ausgeführt. 53  Vgl. Baxter, Christian Directory III, p.  173 f. (Antwort auf Frage 136 „How shall we know what parts of Scripture Precept or Example, were intended for universal constant obligations, and what were but for the time and persons that they were then directed to“), Zitate p.  173.

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schon die Zeitgenossen, so auch neuere Schriftsteller die ethische Grundstimmung speziell des englischen Puritanismus als „English Hebraism“ bezeichnen,48) so ist dies, richtig verstanden, durchaus zutreffend. Man darf dabei nur nicht an das palästinensische Judentum aus der Zeit der Entstehung der alttestamentlichen Schriften, sondern an das Judentum, wie es unter dem Einfluß der vielen Jahrhunderte formalistisch-gesetzlicher und talmudischer Erziehung allmählich wurde, denken. Denn die im ganzen der unbefangenen Schätzung des Lebens als solchen zugewendete Stimmung des alten Juden|tums liegt doch ziemlich weit ab von der spezifischen Eigenart des Puritanismus. Die charakterologischen Folgen der Durchdringung des Lebens mit alttestamentlichen Normen im einzelnen aufzuzeigen, – eine reizvolle Aufgabe, die aber bisher nicht einmal für das Judentum selbst wirklich gelöst ist49), – wäre Z. B. Dowden (mit Bezug auf Bunyan) a. a. O. p.  34h.54 | Der ungeheure Einfluß z. B., den auf die charakterologische Entwicklung des Judentums, seinen rationalen, der Sinnenkultur fremden Charakter, speziell das zweite Gebot („Du sollst dir kein Bildnis“ usw.) gehabt hat,55 kann hier nicht analysiert werden. Als charakteristisch darf aber vielleicht erwähnt werden, daß mir einer der Leiter der „Educational Alliance“ in den Vereinigten Staaten,56 einer Organisation, welche mit erstaunlichem Erfolg und großartigen Mitteln die „Amerikanisierung“ der jüdischen Immigranteni betreibt, als erstes Ziel der „Kulturmenschwerdung“, welches durch alle Arten künstlerischen und geselligen Unterrichts erstrebt wird, die „Emanzipation vom zweiten Gebot“ bezeichnete.57 – Beim Puritanismus entspricht der israeli48)  49) 

h A: 39  i  A: Immigraten 54  Dowden, Puritan and Anglican, p.  34, über Bunyan: „Perhaps it was also an advantage that, being unlearned in the culture of Greece and Rome, he drew no robe of Hellenism around his Hebraic ideas. The ‚Pilgrim’s Progress‘ is derived from only one of the two antiquities; it is the prose-epic of English Hebraism.“ 55  Ex 20,4; Dtn 5,8. Das Bilderverbot gehört nach der jüdischen Tradition zum zweiten Gebot (Fremdgötter- und Bilderverbot), als selbständiges zweites Gebot zählen es die reformierte und anglikanische (und orthodoxe) Kirche. Die lutherische und römisch-katholische Kirche kennen in ihren Katechismen kein spezielles Bilderverbot (es wird dem ersten Gebot zugerechnet). 56  David Blaustein, mit dem Max Weber 1904 in New York zusammentraf, vgl. die folgende Anm. 57  Max Weber berichtet im Brief an Helene Weber und Familie vom 16. Nov. 1904 (in: Brief vom 6.–16. Nov. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Band  6, Bl.  87–102; MWG II/4) über Blausteins Arbeit: „Der gewaltigste Eindruck war der des Judenviertels und der jüdischen Erziehungsanstalten für Immigranten[.] Das absolute selfgovernment der Kinder, mit Clubs, in die sie Niemand hineinreden u. Fremde auch nicht hineinsehen lassen, ist doch das wesentlichste Amerikanisierungsmittel. Die ab-

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im Rahmen dieser Skizze unmöglich. Neben den angedeuteten Beziehungen kommt für den inneren Gesamthabitus des Puritatischen Verpönung jeder Gottvermenschlichung (s[it] v[enia] v[erbo]!) das etwas anders, aber doch in verwandter Richtung wirkende Verbot der Kreaturvergötterung. – Gewiß sind auch zahlreiche prinzipielle Züge der puritanischen Sittlichkeit dem talmudischen Judentum verwandt. Wenn z. B. im Talmud (bei Wünsche, Babyl[onischer] Talmud II. S.  34)58 eingeschärft wird: es ist besser und wird von Gott reicher belohnt, wenn man aus Pflicht etwas Gutes tut, als eine gute Tat, zu der man durch das Gesetz nicht verpflichtet ist, – m. a. W.: lieblose Pflichterfüllung steht ethisch höher als gefühlsmäßige Philanthropie, – j so würde die puritanische Ethik das dem Wesen nach ebenso akzeptieren, wie Kant, der von Abkunft Schotte und in seiner Erziehung stark pietistisch beeinflußt war,59 im Ergebnis dem Satze nahe kommt60 (wie denn, was hier nicht erörtert werden kann, zahlreiche seiner Formulierungen direkt an Gedanken des asketischen Protestantismus anknüpfen). Aber einmal ist die talmudische Ethik tief in orientalischen Traditionalismus getaucht: „R[abbi] Tanchum ben Chanilai hat gesagt: Niemals ändere der Mensch einen Brauch“ (Gemara zu Mischna VII, 1 Fol.  86b, Nr.  93

j  Gedankenstrich fehlt in A; sinngemäß ergänzt. solute Autoritätslosigkeit der Jugend trägt im Kampf ums Dasein hier ihre Früchte. Als Kinder von Schnorrern, die streng an allem Rituellen der Religion festhalten, kommen sie hierher, als ‚gentlemen‘ verlassen sie diese Trainierungsanstalt – und stürzen sich auf die Neger des Südens, die sie fürchterlich auswuchern.“ – Über das Amerikanisierungsprogramm der Educational Alliance (vgl. dazu auch das Glossar, unten, S.  827) äußerte sich Blaustein, David, The Making of Americans [1903], in: Memoirs of David Blaustein, Educator and Communal Worker, arranged by Miriam Blaustein. – New York: McBride, Nast & Company 1913, p.  127–137. 58  Daß die Handlung aus Pflicht gegenüber der aus Neigung die bedeutendere sei, wird in dem Talmudtext auf Rabbi Chanina zurückgeführt und von Rab Joseph bestätigt, und zwar im Gegensatz zur Ansicht Rabbi Jehudas, der die Freiheit von den Vorschriften der Tora lehrt und auf diese Weise zum freiwilligen Handeln in der Erwartung höheren Lohns von Gott anregen möchte. – Aus Traktat Baba Kamma, bei Wünsche, Babylonischer Talmud II/2, Nr.  63, S.  33 (Bava Qamma [Folio] 86b und 87a). 59  Kant äußert in einem Brief an [Bischof] Iacob Lindblom vom 13. Okt. 1797, sein Großvater, der in Tilsit lebte, sei Anfang des 18. Jahrhunderts aus einem ihm unbekannten Grund mit vielen anderen zusammen aus Schottland emigriert (vgl. Kant, Immanuel, Ges. Schriften, hg. von der Kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften, Band  XII, 2. Abth.: Briefwechsel, 3. Band: 1795–1803 (Akademie-Ausg.). – Berlin: Georg Reimer 1902, S.  204 f. [744]). (Die schottische Herkunft gilt allerdings als nicht belegbar und nachweisbar; vgl. die Literaturhinweise seit 1899 bei: Cassirer, Ernst, Kants Leben und Lehre. – Berlin: Bruno Cassirer 1921, S.  9, Anm.  2.) – Kants Königsberger Elternhaus sowie das Collegium Fridericianum, das er von 1732–1740 besuchte, waren vom Pietismus geprägt. 60  Kant: „Pflicht ist die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz“. Eine moralische Handlung geschieht aus Pflicht. Geschieht sie aus Neigung, so hat sie keine moralische Qualität. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Ges. Schriften, Band  IV, 1. Abth.: Werke, 4. Band (Akademie-Ausg.). – Berlin: Reimer 1903, Zitat S.  420.

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ners vor allem auch in Betracht, daß der Glaube, das auserwählte Volk Gottes zu sein, in ihm eine grandiose Renaissance erlebte.49a) Wie | selbst der milde Baxter Gott dafür dankt, daß er ihn in England und in der wahren Kirche habe zur Welt kommen lassen und

bei Wünsche: es handelt sich um Kost der Tagelöhner),61 nur den Fremden gegenüber gilt diese Bindung nicht. – Dann aber ergab die puritanische Auffassung der „Gesetzlichkeit“ als Bewährung, gegenüber der jüdischen als Gebotserfüllung schlechthin, offenbar stärkere Motive zum positiven Handeln. Auf die gewaltige Verschiebung, welche die innere Stellung zur Welt durch die in eigentümlicher Art stets den Keim neuer Entwicklungsmöglichkeiten in sich bergende christliche Fassung der Gedanken von „Gnade“ und „Erlösung“ erlitt, ist es nicht meine Sache hier einzugehen. Über die alttestamentliche „Gesetzlichkeit“ vergl. noch Ritschl, Rechtf[ertigung] u[nd] Vers[öhnung] II S.  265.62 49a) Die Wahrheit der heiligen Schrift folgt für Baxter in letzter Instanz aus | der A 92 „wonderful difference of the godly and ungodly“, der absoluten Verschiedenheit des „renewed man“ von anderen, und der offensichtlichen[,] ganz speziellen Fürsorge Gottes für das Seelenheil der Seinen (welche sich natürlich auch ink „Prüfungen“ äußern kann). Christ[ian] Dir[ectory] I p.  165, Sp.  2 marg.63

k A: im 61  Vgl. Wünsche, Babylonischer Talmud II/2, Nr.  93, S.  103 f., Zitat aus der Gemara (Mischnakommentar) S.  103, dort in der Form: „Niemals ändere ein Mensch den Brauch (weiche von der herkömmlichen Sitte ab)“; aus Traktat Baba Mezia (Bava Mezi’a [Folio] 86b). Die beigegebene Ergänzung und Erläuterung Webers nach ebd., S.  101–104. (Der Mischnatext lautet an dieser Stelle: „[.  .  .] Geh und miethe uns Arbeiter! Er ging und bestimmte ihnen zugleich die Kost. Als er wieder zu seinem Vater kam, sprach dieser zu ihm: Selbst wenn du ein Mahl bereiten wolltest wie das von Salomo zu seiner Zeit, so wärest du nicht aus deiner Schuld (Pflicht) gegen sie herausgetreten, denn sie sind Kinder Abrahams, Jizchaks und Jacobs“, Zitat ebd., S.  101 f.) 62  Vgl. Ritschl, Rechtfertigung und Versöhnung II, S.  265–379 („Die Gerechtigkeit als Attribut der Gläubigen“), bes. S.  265–274. Ritschl diskutiert das Verständnis von Gerechtigkeit bei Jesus und bei den Pharisäern. Bei Jesus meine Gerechtigkeit die gesinnungsmäßige Orientierung am Willen Gottes, wie ihn das mosaische Gesetz (Ex bis Num) erkennen lasse. Dies entspreche der Tradition der Psalmen und Propheten, die das sittlich-gerechte und gemeinnützige Leben mit dem mosaischen Gesetz verbunden hätten. Darin zeige sich ein fortgebildetes Gesetzesverständnis. Denn die Erfüllung der zeremoniellen und sittlichen Vorschriften des mosaischen Gesetzes habe ursprünglich nicht auf sittliche Gerechtigkeit gezielt, sondern auf Heiligkeit. Die Pharisäer dagegen insistierten auf der wörtlichen Bedeutung der zeremoniellen und sittlichen Vorschriften des mosaischen Gesetzes. Unter der (römischen) Fremdherrschaft sei das Bestreben entstanden, durch genaue Beobachtung dieser Vorschriften (als „gerechtes Handeln“ verstanden) sich von der nicht-jüdischen Umwelt zu unterscheiden. 63  Vgl. Baxter, Christian Directory I, p.  165, in dem von Weber bezeichneten Marginaltext unter den „Directions against Unbelief“ (chap. IV, Part I, p.  164–170).

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nicht anderswo,64 so durchdringt dieser Dank für die eigene durch Gottes Gnade gewirkte Tadellosigkeit die Lebensstimmung50) des puritanischen Bürgertums und bedingt jenen formalistisch korrekten harten Charakter, wie er den Vertretern jener heroischen Epoche des Kapitalismus eigen war. Wir suchen uns nun noch speziell die Punkte zu verdeutlichen, in welchen die puritanische Auffassung des Berufs und die Forderung asketischer Lebensführung direkt die Entwicklung des kapitalistischen Lebensstilsl beeinflussen mußte. Mit voller Gewalt 50)  Man braucht als Charakteristikum dafür nur zu lesen, wie gewunden sich selbst Bunyan – bei demm immerhin gelegentlich eine Annäherung an die Stimmung von Luthers „Freiheit eines Christenmenschen“ zu finden ist, (z. B. in Of the Law and a Chris­ tian, W[orks] of [the] Pur[itan] Div[ines] p.  254 unten)65 – mit dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner abfindet (s. die Predigt The Pharisee and the Publican, a. a. O. p.  100 f.).66 Warum wird der Pharisäer verworfen? – Er hält in Wahrheit Gottes Gebote nicht, denn – er ist offenbar ein Sektierer, der nur auf äußere Kleinigkeiten und Zeremonien bedacht ist (p.  107);67 vor allem aber schreibt er sich selbst das Verdienst zu und dankt dennoch, „wie die Quäker es tun“,68 unter Mißbrauch des Namens Gottes diesem für seine Tugend, auf deren Wert er (p.  126) in sündhafter Weise baut, und dadurch implicite Gottes Gnadenwahl bestreitet (p.  139 f.). Sein Gebet ist also Kreaturvergötterung, und das ist das Sündhafte daran. – Dagegen ist der Zöllner, wie die Aufrichtigkeit seines Bekenntnisses zeigt, innerlich wiedergeboren, denn – wie es in charakteristisch puritanischer Abschwächung des lutherischen Sündengefühles heißt – to a right and sincere confessionn of sin there must be a conviction of the probability of mercy (p.  209).69 –

l A: Lebenstils  m  A: den   n A: conviction 64  Als Aussage nicht nachgewiesen. Möglicherweise dachte Weber aber an die folgende Stelle, die Jenkyn, Essay on Baxter’s Life (Baxter, Works of the English Puritan Divines IV, p. i-lviii), p.  xxxvi, zitiert. Baxters Äußerung stammt aus der Zeit, in der er noch als Geistlicher in der englischen Staatskirche amtierte: „For my part, I bless God who gave me, even under an usurper [gemeint ist Cromwell, Ed.] whom I opposed, such liberty and advantage to preach his Gospel with success [.  .  .]; yea [liberty and advantage] which no age, since the Gospel came into this land, did before possess, as far as I can learn from history.“ (Eckige Klammern bei „liberty and advantage“ von Jenkyn.) 65  Die Zeilen bei Bunyan, Of the Law and a Christian (Bunyan, Works of the English Puritan Divines I), p.  254, handeln von der Freiheit des Glaubenden vom Gesetz dank seiner durch den Glauben erworbenen „righteousness“. – Zu Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  191–193, Fn.  43. 66  Vgl. Bunyan, Pharisee and Publican (Bunyan, Works of the English Puritan Divines I), p.  100 ff. (als Textgrundlage dient das Gleichnis Lk 18,10–13). 67 Der Pharisäer als Sektierer: Bunyan, ebd., p.  100 f., über seine „Gerechtigkeit“ (righteousness) p.  107 ff., bes. p.  111. 68  Vgl. Bunyan, ebd., p.  122 f. (kein wörtliches Zitat). 69  Zitat: Bunyan, ebd., p.  209 (mit kleinen Abweichungen).

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wendet sich die Askese, wie wir sahen,70 vor allem gegen eins: das unbefangene Genießen des Daseins und dessen, was es an Freuden zu bieten hat. Am charakteristischsten kommt dieser Zug wohl in dem Kampf um das „Book of sports“,51) welches Jacob I. und Karl I. zu dem ausgesprochenen Zweck der Bekämpfung des Puritanismus zum Gesetz erhoben, und dessen Verlesung von allen Kanzeln der letztere | anbefahl, zum Ausdruck. Wenn die Puritaner die Verfügung des Königs, daß am Sonntag gewisse volkstümliche Vergnügungen außerhalb der Kirchenzeit gesetzlich erlaubt sein sollten, wie rasend bekämpften, so war es nicht nur die Störung der Sabbatruhe, sondern die ganze geflissentliche Ablenkung von der geordneten Lebensführung des Heiligen, was sie aufbrachte. Und wenn der König jeden Angriff auf die Gesetzlichkeit jener Sports mit schwerer Strafe bedrohte, so war der Zweck gerade, jenen dem Staat gefährlichen, weil antiautoritären asketischen Zug zu brechen. Die monarchisch-feudale Gesellschaft schützte die „Vergnügungswilligen“ gegen die entstehende bürgerliche Moral und das autoritätsfeindliche asketische Konventikel ebenso, wie heute die kapitalistische Gesellschaft die „Arbeitswilligen“ gegen die Klassenmoral der Arbeiter und den autoritätsfeindlichen Gewerkverein zu schüt51)  Abgedruckt z. B. in Gardiners „Constitutional Documents“.71 Man kann diesen Kampf gegen die Askese etwa mit Ludwigs XIV. Verfolgung von Port Royal und der Jansenisten in Parallele setzen.72 |

70  Siehe oben, S.  292 f. und 370. 71  Das „Book of Sports“, oder formaler: die „Declaration of Sports“, wurde erstmals 1617/18 unter Jakob I. und dann 1633 unter Karl I. proklamiert (Fassung von 1633 abgedruckt bei Gardiner, Constitutional Documents, No.  8, p.  31–35). Gegen die zunehmend von den Puritanern betriebene Sonntagsheiligung nach dem Vorbild des jüdischen Sabbats, welche die strikte Enthaltung von Tanz und Vergnügungen verlangte, erlaubte die „Declaration“ nach dem Besuch des Gottesdienstes Tanz, Bogenschießen und andere in England traditionell an Sonn- und Feiertagen ausgeübte körperliche Ertüchtigungen. Nach Skeats, Free Churches, p.  46–48, ging es bei diesen Veranstaltungen meist recht roh und grob zu, und der Alkoholkonsum war reichlich. (1644 wurde das „Book of Sports“ vom Parlament außer Kraft gesetzt.) 72 Anschaulich bei Huber, Jesuiten-Orden (wie oben, S.  387, Anm.  21), im Kapitel „Der Jansenismus“, S.  438–495: Wegen ihres „moralischen Rigorismus“ (S.  488), der sie sogar das Theater als unsittlich verwerfen ließ, zogen die Jansenisten den Haß von Ludwig XIV. auf sich (vgl. ebd., S.  488 f.). Das Kloster Port Royal des Champs, das Zentrum der Jansenisten, wurde im Zuge der Jansenistenverfolgung 1709 aufgehoben.

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zen pflegt. Und die Puritaner vertraten dem gegenüber das Prinzip asketischer Lebensführung. Denn im übrigen war die Abneigung des Puritanismus gegen den Sport, selbst bei den Quäkern, keine schlechthin grundsätzliche.73 Nur mußte er dem rationalen Zweck der für die physische Leistungsfähigkeit erforderlichen Erholung dienen. Als Mittel rein unbefangenen Sich-Auslebens ungebändigter Triebe freilich war er ihm verdächtig, und so weit er zum reinen Genußmittel wurde oder gar den agonalen Ehrgeiz, rohe Instinkte oder die irrationale Lust zum Wetten weckte, war er selbstverständlich schlechthin verwerflich. Der triebhafte Lebensgenuß, der von der Berufsarbeit wie von der Frömmigkeit gleichermaßen abzieht, war eben als solcher der Feind der rationalen Askese, mochte er sich als „seigneurialer“ Sport oder als Tanzboden- und Kneipenbesuch des gemeinen Mannes darstellen.52) 52) Der Standpunkt Calvins war darin noch wesentlich milder, soweit die feineren A 93 aristokratischen Formen des Lebensgenusses in Betracht kamen. Nur die Bibel ist Schranke; wer sich an sie hält und sich ein gutes Gewissen erhält, ist nicht genötigt, mit Ängstlichkeit jede Regung zum Lebensgenuß in sich zu beargwöhnen. Die hierher gehörigen Ausführungen in Kap. X der Inst[itutio] Christ[ianae] Rel[igionis] (z. B.: nec fugere ea quoque possumus quae videntur oblectationi magis quam necessitati inservire)74 hätten an sich einer sehr laxen Praxis Tür und Tor öffnen können. – Hier machte sich eben neben der steigenden Angst um die certitudo salutis bei den Epigonen auch der Umstand geltend – den wir späterhin würdigen werden75 –, daß in dem Gebiete der „ecclesia militans“76 die Kleinbürger es waren, welche Träger der ethischen Entwicklung des Calvinismus wurden. |

73  Vgl. hierzu Baxter, Christian Directory I, „Directions about Sports and Recreations, and against excess and sin therein“ (p.  387–391). – Für die Quäker äußert sich Barclay, Apology, p.  536–542 (aus Proposition XV. „Concerning Salutations and Recreations, etc.“, p.  512–571) zu Sports and Gamings allerdings ziemlich ablehnend, weil sie Gott vergessen ließen (p.  539–542), und benennt ausdrücklich „recreations“, die dies nicht tun (p.  540 f.). Daß die Ablehnung dennoch keine grundsätzliche war, könnte Weber seinem Exzerpt zu Proposition XV. (vgl. Barclay, Apology, p.  14) entnommen haben: „.  .  . the unprofitable plays [.  .  .] divert the mind from the witness of God .  .  . and from the evangelical spirit [.  .  .]; in which, as we abide, the blessing of the Lord is felt to attend us in those actions in which we are necessarily engaged, in order 〈that〉 to the taking care for the sustenance of the outward man“ (Bl.  30). Vgl. auch Barclay, Apology, p.  540. 74  Vgl. Calvin, Inst. III,10; Zitat III,10,1 (in: CR 30, Sp.  528; Übersetzung Otto Weber: „Wir können auch dem nicht aus dem Wege gehen, was mehr dem Genuß als der Notdurft zu dienen scheint.“). 75  Siehe unten, S.  415–420. 76  Die „streitende Kirche“; vgl. auch das Glossar, unten, S.  827.

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Mißtrauisch und vielfach feindlich ist demgemäß auch die Stellung | zu den nicht direkt religiös zu wertenden „Kulturgütern“. Nicht als ob ein düsteres kulturverachtendes Banausentum im Lebensideal des Puritanismus enthalten gewesen wäre. Das gerade Gegenteil ist wenigstens für die Wissenschaft – mit Ausnahme der verabscheuten „Scholastik“ – richtig. Und die größten Vertreter der puritanischen Bewegung sind überdies tief in die Bildung der Renaissance getaucht: die Predigten des presbyterianischen Flügels triefen von Klassizismen,53) und selbst diejenigen der Radikalen verschmähen, trotzdem sie allerdings gerade daran Anstoß nahmen, derartige Gelehrsamkeit doch in der theologischen Polemik nicht. Nie vielleicht ist ein Land so überreich an „graduates“ gewesen, wie Neu-Englando in der ersten Generation seines Bestehens.77 Die Satire der Gegner, wie z. B. Butlers „Hudibras“,78 setzt ebenfalls gerade bei der Stubengelehrsamkeit und geschulten Dialektik der Puritaner ein: dies hängt, wie wir später sehen werden,79 teilweise mit der religiösen Schätzung des Wissens zusammen, welche aus der Stellung zur katholischen „fides implicita“80 folgte. – 53) Th[omas] Adams (Works of the Pur[itan] Div[ines] p.  3)81 z. B. beginnt eine Predigt über „the three divine sisters“ („Die Liebe aber ist die größte unter ihnen“) mit dem Hinweis: – daß auch Paris der Aphrodite den Apfel gereicht habe!

o A: Neu England 77  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  152 mit Anm.  54. 78  Vgl. Butler, Hudibras. Samuel Butler nimmt in seiner dreiteiligen Verssatire (1663– 1678) nach dem Vorbild von Cervantes’ „Don Quijote“ die Puritaner in Gestalt der Abenteuer des Hudibras und seines Knappen Ralph aufs Korn. Vgl. dazu Dowden, Puritan and Anglican, bes. p.  296–310, der Hudibras als „man of narrow brain“ charakterisiert: „His Puritan school-divinity has made him a master in twisting theological ropes of sand, and in solving unprofitable questions in the wrong way“ (Zitat p.  302 f.). 79  Weber kommt darauf im vorliegenden Aufsatz nicht zurück. 80  „Impliziter Glaube“ heißt, sich in Glaubensfragen einer als maßgeblich erachteten Autorität zu unterstellen. Vgl. auch das Glossar, unten, S.  828. 81  Weber bezieht sich auf Adams, Three Divine Sisters (Adams, Works of the English Puritan Divines V), p.  3. Mit den „three divine sisters“ sind Glaube, Liebe und Hoffnung gemeint, von denen Paulus 1 Kor 13,13 die Liebe (bei Adams: „charity“) die größte nennt. Adams parallelisiert seinen Predigttext mit der griechischen Mythologie, indem er auf das Urteil des trojanischen Königssohns Paris anspielt. – Weber notiert im Exemplar von Adams in der UB Heidelberg, p.  289 (freie Seite): „Überall antike Beispiele – z. B. das Urteil des Paris  *für [oder: auf] d[ie] Liebe S. 1“ (gemeint ist die unpaginierte erste Seite des Textes, eigentlich p.  3).

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Schon anders steht es, sobald man das Gebiet der nicht wissenschaftlichen Literatur54) und weiterhin der „Sinnenkunst“ betritt. Hier freilich legte sich die Askese wie ein Reif auf das Leben des fröhlichen alten England, und daß in Holland für die Entwicklung einer großen, oft derb realistischen, Kunst Raum blieb,54a) beweist 54)  Romane u. dgl. sollen als „wastetimes“ nicht gelesen werden (Baxter, Christ[ian] Dir[ectory] I p.  51 Sp.  2).82 – Das Eintrocknen der Lyrik und des Volksliedes, nicht nur des Dramas, nach dem elisabethanischen Zeitalter in England ist bekannt. An bildender Kunst hat der Puritanismus wohl noch nicht allzuviel zu unterdrücken vorgefunden. Auffallend ist der Absturz von einer anscheinend ganz guten musikalischen Veranlagung zu jenem absoluten Nichts, welches wir bei den angelsächsischen Völkern später und noch heute in dieser Hinsicht bemerken. Außer in den Negerkirchen, – und seitens jener Berufssänger, die sich jetzt die Kirchen als „attractions“ (Trinity Church in Boston für 8000 $ pro Jahr) engagieren – hört man auch in Amerika meist nur das für deutsche Ohren unerträgliche Gekreisch als „Gemeindegesang“.p 83 (Teilweise analoge Vorgänge auch in Holland.)84 54a)  Daß die „Renaissance des Alten Testaments“ in der Kunst dazu beigetragen haben muß, das Häßliche als künstlerisches Objekt „möglicher“ zu machen und auch die puritanische Ablehnung der „Kreaturvergötterung“ dabei mitspielte, liegt nahe.85 Aber alles Einzelne scheint noch unsicher. In der römischen Kirche führten ganz andere (demagogische) Motive äußerlich verwandte Erscheinungen herbei, – aber | aller- A 95

p A: „Gemeindegesang.“ 82 Baxter, Christian Directory I, gibt in den „Directions for young Christians [.  .  .]“ (p.  30–57), Direction 16, p.  51 f., eine Abstufung, welche Literatur nach der Heiligen Schrift empfehlenswert sei und welche nicht. 83  Dies dürfte Weber selbst auf seiner USA-Reise 1904 erfahren haben. – Im Brief an Helene Weber und Familie vom 1. oder 2. November 1904 (in: Brief vom 27. Okt. – 2. Nov. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  75–85; MWG II/4) berichtet Weber von seinem Gottesdienstbesuch in einer nicht näher benannten Bostoner Baptistenkirche der Afroamerikaner, schreibt aber nichts über den Gemeindegesang. – Bei der Trinity Church, Boston, handelt es sich um eine Episcopal Church. 84  Während seines Holland-Aufenthalts im Sommer 1903 berichtet Weber aus Amsterdam: „sehr starker Gemeindegesang“, erläutert dies aber nicht näher. Brief Max Webers an Marianne Weber vom 14. Juni 1903 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4). 85 Weber lehnt sich mit dieser Aussage möglicherweise an Neumann, Rembrandt (vgl. in derselben Fn., unten, S.  402), an. Neumann spricht nicht direkt von der „Renaissance des Alten Testaments“, geht aber auf die Darstellung des wirklichkeitsbejahenden „Häßlichen“ ein, das die Niederländer, insbesondere Rembrandt, dem „Kult des Schönen“ der italienischen (und französischen) Kunst entgegengestellt hätten. Ermöglicht habe dies die sich der Gnade Gottes gewisse (protestantische) Religiosität der Niederländer (vgl. S.  184–188). – Neumann betont außerdem, daß sich das calvinistische Holland mit dem Judentum des Alten Testaments als dem „auserwählten Volk“ wesensverwandt fühlte, weshalb das Alte Testament im holländischen Leben (S.  531) und in der Kunst Rembrandts (S.  573 f.) sehr präsent gewesen sei.

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lediglich, wie | wenig exklusiv die dortige autoritär gehandhabte Sittenreglementierung nach diesen Richtungen gegenüber dem Einfluß des Hofes und des Regentenstandes, aber auch der Lebenslust reich gewordener Kleinbürger zu wirken vermochte, nachdem die kurze Herrschaft der calvinistischen Theokratie sich in ein nüchternes Staatskirchentum aufgelöst und damit der Calvinismus seine asketische Werbekraft verloren hatte.54b) Das Theater ist dem Puritaner verwerflich, und bei der strikten Ausscheidung des Erotischen und der Nuditäten aus dem Kreise des „Möglichen“ blieb dings mit künstlerisch ganz anderem Resultat. Wer vor Rembrandts wunderbaren „Saul und David“ (im Haag) steht, glaubt die mächtige Wirkung jenes puritanischen Gedankens direkt zu spüren.86 – Die geistvolle Analyse der holländischen Kultur­ einflüsse in Carl Neumanns „Rembrandt“ dürfte wohl das Maß dessen bezeichnen, was man zur Zeit darüber wissen kann,87 inwieweit dem asketischen Protestantismus positive, die Kunst befruchtende, Wirkungen zuzuschreiben sind. 54b)  Für das relativ geringere Eindringen der calvinistischen Ethik in die Lebenspraxis und die Abschwächung des asketischen Geistes in Holland unter dem Statthalter Friedrich Heinrich88 und für die geringere Expansionskraft des holländischen Puritanismus überhaupt waren die mannigfachsten Ursachen maßgebend. Sie lagen zum Teil auch in der politischen Verfassung (partikularistischer Städte- und Länderbund) und in der weit geringeren Wehrhaftigkeit (der Freiheitskrieg wurde bald in der Hauptsache mit dem Gelde von Amsterdam und mit Soldheeren geführt: die englischen Prediger illustrierten die babylonische Sprachverwirrung durch Verweisung auf das holländische Heer). Damit war der Ernst des Glaubenskampfes zum guten Teil auf andere abgewälzt, damit aber auch die Teilnahme an der politischen Macht verscherzt. Dagegen fühlte sich Cromwells Heer, – obwohl teilweise gepreßt, – als Bürgerheer.89 (Umso charakteristischer ist dabei freilich, daß eben dies Heer die Beseitigung der Wehrpflicht in sein Programm aufnahm, – weil man eben nur zu Gottes Ruhm für eine im Gewissen

86  Weber berichtet über den Eindruck des Gemäldes, das sich seit 1898 in Het Mauritshuis in Den Haag befindet, im Brief an Marianne Weber vom 8. Juni 1903 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4): „Das schönste[,] was ich bisher fand, ist Rembrandt’s ‚Saul u. David‘ (auf der Harfe spielend). Daß man zwei Knalljuden, den König als Sultan obendrein, in geschmacklosestem Costüm, David als richtigen Schwung aus dem Delikateßladen, so malen kann, daß man nur die Menschen und die ergreifende Macht der Töne sieht, ist fast unbegreiflich“. – Ähnlich im Brief an dies. vom 10. Juni 1903 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4): „Der ‚Saul u. David‘ wirkt jedesmal mächtiger.“ – Das Gemälde wird heute überwiegend Rembrandts Werkstatt zugeschrieben. 87  Neumann, Rembrandt, war 1902 erschienen. 88  Friedrich Heinrich war von 1625 bis 1647 Statthalter der Vereinigten Niederlande. 89  Von Cromwell heißt es, daß er seine „Ironsides“ nach ihrem Freiheitsverlangen und ihrer Festigkeit im Glauben ausgesucht habe. „Das war der Stolz von Cromwell’s Truppen, daß sie nicht Söldner seien, sondern freie Bürger des Landes, die aus eigenem Antriebe die Waffen ergriffen hätten für ihre Freiheit und für ihren Glauben.“ Weingarten, Revolutionskirchen Englands, S.  117 mit Anm.  1.

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in Literatur wie Kunst die radikalere Auffassung nicht stehen. Die Begriffe des „idle talk“,90 der | „superfluities[“],55) der „vain osten-

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alsq gut erkannte Sache, nicht aber für die Laune der Fürsten kämpfen darf. Die nach deutschen Begriffen „unsittliche“ englische Heeresverfassung hat historisch sehr „sittliche“ Motive und war die Forderung niemals besiegter Soldaten.)r – Die holländischen schutterijen, die Träger des Calvinismus in der Periode des großen Krieges, sieht man schon eine halbe Generation nach der Dordrechter Synode auf den Hals’schen Bildern sich recht wenig „asketisch“ gebärden.91 Der holländische Begriff der „Deftigkeit“ ist ein Gemisch von bürgerlich-rationaler „Ehrbarkeit“ und patrizischems Standesbewußtsein.92 Die Klassenabstufung der Kirchenplätze in den holländischen Kirchen zeigt den aristokratischen Charakter dieses Kirchentums noch heute.93 – Davon später.94 S[iehe] über Holland z. B.: Busken-Huët, Het land van Rembrandt (auch deutsch herausgegeben durch von der Ropp).95 | 55) Entscheidend ist auch hier, daß es für den Puritaner nur das Entweder-oder gab: A 96 göttlicher Wille oder kreatürliche Eitelkeit. Deshalb konnten für ihn keine „Adiapho-

q  Fehlt in A; als sinngemäß ergänzt.  r  A: Soldaten).   s A: partrizischem 90  Vgl. etwa Baxter, Christian Directory I, p.  244: „idle talk“ als „Time-wasting sin“, und p.  362–366: „Special Directions against Idle talk, and Babling“. Vgl. oben, S.  371, Anm.  32. 91  Schutterij (nl.), hier „Bürgerwehr“, von schutter (nl.), „Schütze“. – Mitglied einer Schützengilde zu sein und die junge Republik – in erster Linie die Stadt – zu verteidigen, war für das regierende Patriziat und andere Ehrenmänner zur Zeit des Achtzigjährigen Krieges (1568–1648) nahezu „Pflicht“. Um den Bürgersinn zu demonstrieren, ließ man sich gruppenweise in Schützenstücken porträtieren. – Von Frans Hals sind fünf Haarlemer Schützenstücke aus der Zeit von 1616 bis 1639 überliefert (Frans Hals Museum, Haarlem). In Hals’ Schützenstücken kommt im Gegensatz zur steifen niederländischen Porträtmalerei vitale, natürliche Lebensfreude zum Ausdruck. 92  Wohl eingedeutscht, deftigheid (nl.), „Stattlichkeit“, „Würde“, „Anstand“, „Vortrefflichkeit“. Vgl. s.v., in: Neues vollst. Holländisch-deutsches und Deutsch-holländisches Taschen-Wörterbuch [.  .  .], bearb. von J. Mieg, 4.  Aufl. – Bielefeld, Leipzig: Velhagen & Klasing 1887. – Weber dürfte hier von Neumann, Rembrandt, S.  87–89, angeregt sein, der sich über die Provinzen der Vereinigten Republik nach ihrer Trennung von den südlichen Provinzen äußert: „Das plebejische Element hatte hier gekämpft und gesiegt, und von den derben Formen dieses old merry Holland war es noch weit bis zu jener aristokratischen Gemessenheit, die man später als holländische ‚Deftigheit‘ so charakteristisch fand. Diese Deftigheit war erst das Erzeugnis jener sozialen Umbildung und Erhebung, aus der ein Patriziat hervorging“ (Zitat S.  87). 93  Weber berichtet über die von ihm besuchten holländischen Gottesdienste in einem Brief an Marianne Weber vom 14. Juni 1903 (Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446; MWG II/4): „Alles sitzt nach Rang u. Stand, am ausgeprägtesten in der Nieuwe Kerk im Haag, wo die Königin ihre Loge u. die Minister ihre Bank haben, aber auch hier: an der einen Bank steht: Regenten, an der andren krijgsgraad, an der dritten wijk-meesters u. s. w.“. Ähnlich äußerte er sich im Brief an dies. vom Tag zuvor (ebd.) nach seiner Besichtigung der Nieuwe Kerk in Delft. 94  Im vorliegenden Aufsatz nicht mehr ausgeführt. 95  Gemeint sind: Busken Huet, Rembrand I–II/2, dt. Busken-Huet, Rembrandt’s Heimath I, II.

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tation“, – alles Bezeichnungen eines irrationalen, ziellosen, daher nicht asketischen und überdies nicht zum Ruhme Gottes, sondern des Menschen dienenden Gebahrens,1 – waren schnell bei der Hand, um gegen die Verwendung künstlerischer Motive die nüchterne Zweckmäßigkeit entschieden zu begünstigen. Vollends galt dies da[,] wo es sich um den direkten Schmuck der Person, z. B. die Tracht[,]56) handelte. Jene mächtige Tendenz zur Uniformierung des Lebensstils, welcher heute das kapitalistische Interesse an der „standardization“ der Produktion57) zur Seite steht, hat in der ra“ existieren. Anders stand in dieser Beziehung, wie schon gesagt,2 Calvin: Was man ißt, was man anzieht u. dgl. ist, – wenn nur keine Verknechtung der Seele unter die Macht der Begierde die Folge ist, – gleichgültig. Die Freiheit von der „Welt“ soll sich – wie bei den Jesuiten – in Indifferenz, d. h. aber bei Calvin: in unterschiedslosem, begierdelosem Gebrauch der Güter, welche die Erde bietet, äußern (p. t509 ff.t der Originalausgabe der Institutio Christianae Relig[ionis]),3 – ein Standpunkt, der dem lutherischen offensichtlich im Effekt näher steht als deru Präzisismus der Epigonen. 56)  Das Verhalten der Quäker in dieser Hinsicht ist bekannt.4 Aber schon Anfang des 17. Jahrhunderts durchtobtena die Exulantengemeinde in Amsterdam ein Jahrzehnt lang die schwersten Stürme wegen der modischen Hüte und Trachten einer Pfarrersfrau. (Ergötzlich geschildert in Dexters Congregationalism of the last 300 years.)b 5 – Schon Sanford a. a. O.6 hat darauf hingewiesen, daß die heutige männliche „Haartour“ diejenige der vielverspotteten „Roundheads“ ist und daß die ebenfalls verspottete männliche Tracht der Puritaner der heutigen jedenfalls in dem zu Grunde liegenden Prinzip wesensgleich ist. 57)  Darüber s. wiederum Veblens schon zitiertes Buch: The theory of business enterprise.7

t–t  A: 409 ff.   u  Zu erwarten wäre: dem    a  A: durchtobte   b  A: years). 1  Über „Vanity and Superfluity of Apparel “ äußert sich z. B. Barclay, Apology (Proposition XV. „Concerning Salutations and Recreations, etc.“, p.  512–571), hier , p.  532–536. 2  Vermutlich gemeint: oben, S.  399, Fn.  52. 3  Weber zitiert die Erstausgabe von Calvin, Institutio (1536), Cap. VI: „De Libertate Christiana [.  .  .]“: „[.  .  .] Quare perverse interpretantur, vel qui suis cupiditatibus ipsam praetexunt ut bonis Dei donis abutantur in suam libidinem [.  .  .]. Aiunt res esse indifferentes. Fateor, modo iis indifferenter quis utatur“ (Zitat nach: CR, Band  29, Sp.  199, darin mit Angabe der Paginierung von 1536: p.  509). 4 Vgl. Barclay, Apology (Proposition XV. „Concerning Salutations and Recreations, etc.“, p.  512–571), p.  534 f. Über die keinem modischen Wandel unterworfene Tracht („breitkrämpiger Hut, der Rock ohne Kragen“ etc.), von der abzuweichen „den Verdacht des Abfalls vom Glauben“ hervorrufen würde, äußert sich u. a. Weingarten, Revolutionskirchen Englands, S.  399 mit Anm.  1. 5  Vgl. Dexter, Congregationalism, p.  271–276, 284–296. 6  Vgl. Sanford, Great Rebellion, p.  99–101. 7  Dazu das zweite Kapitel „The Machine Process“ in: Veblen, Business Enterprise, p.  5–19, zur „standardization“ p.  12–15. Veblens Schrift führt Weber oben, S.  362, Fn.  139, ein.

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2. Askese und Kapitalismus

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Ablehnung der „Kreaturvergötterung“ ihre ideelle Grundlage.58) Gewiß darf man dabei nicht vergessen, daß der Puritanismus eine Welt von Gegensätzen in sich schloß, daß der instinktive Sinn für das zeitlos Große in der Kunst bei seinen Führernc sicher höher stand, als in der Lebensluft der „Kava|liere“,59) und daß ein einzigartiger Genius wie Rembrandt, so wenig sein „Wandel“ durchweg vor den Augen des puritanischen Gottes Gnade gefunden hätte,

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58)  Auf diesen Gesichtspunkt kommen wir noch oft zurück.8 Aus ihm erklären sich Aussprüche wie diese: „every penny, which is paid upon yourselves and children and friends must be done as by Gods own appointment and to serve and please him. Watch narrowly, or else that thievish carnal self will leave God nothing. (Baxter a. a. O. I S.  108 unten rechts.)9 Das ist das Entscheidende: was man persönlichen Zwecken zuwendet, wird dem Dienst zu Gottes Ruhm entzogen.10 | 59) Mit Recht pflegt man z. B. daran zu erinnern (so Dowden a. a. O.),11 daß Crom- A 97 well Raffaels Cartoonsd und Mantegnas Triumph Caesars vor dem Untergang rettete, Carl II. sie zu verkaufen suchte. Zur englischen Nationalliteratur stand die Gesellschaft der Restauration bekanntlich ebenfalls durchaus kühl oder direkt ablehnend. An den Höfen war der Einfluß von Versailles eben überall allmächtig. – Die Ablenkung von den unreflektierten Genüssen des Alltagslebens in ihreme Einfluß auf den Geist der höchsten Typen des Puritanismus und der durch seine Schule gegangenen Menschen im Einzelnen zu analysieren ist eine Aufgabe, die jedenfalls im Rahmen dieser Skizze nicht gelöst werden könnte. Washington Irving (Bracebridge Hall a. a. O.)12 formuliert in der üblichen englischen Terminologie die Wirkung dahin: „it (die politische Freiheit, meint er, – der Puritanismus, sagen wir) evinces less play of the fancy, but more power of imagination.“ Man braucht nur an die Stellung der Schotten in Wissenschaft, Literatur, technischen Erfindungen und auch im Geschäftsleben Englands zu denken, um zu empfinden, daß diese etwas zu eng formulierte Bemerkung an das Richtige streift. – Auf die Bedeutung für die Entwicklung der Technik und der empirischen Wissenschaften kommen wir später zu sprechen.13 Die Beziehung selbst tritt auch im Alltagsleben

c A: Führeren  d  A: Cartons  e  A: ihren 8 Auch unten, S.  409, zuvor S.  400 f., und Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, unten, S.  450. 9  Zitat aus den „Directions for faithful serving Christ, and doing Good“, unter Direction 7, Baxter, Christian Directory I, p.  108, dort: „[.  .  .] penny which is laid out upon your selves [.  .  .]“. 10  Vgl. den Eingangssatz bei Baxter, ebd., zu Direction 7: „Take special heed that the common Thief, your carnal-self [.  .  .], do not rob God of his expected due, and devour that which he requireth.“ 11  Vgl. Dowden, Puritan and Anglican, p.  25. 12  Irving, Bracebridge Hall, das folgende Zitat p.  174, aus der Kurzgeschichte „English Gravity“ (bereits oben, S.  371 f., Fn.  7, eingeführt). Zitiert auch bei Sanford, Great Rebellion, p.  92. 13  Im vorliegenden Aufsatz nicht ausgeführt.

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doch in der Richtung seines Schaffens durch sein sektiererisches Milieu ganz wesentlich mitbestimmt wurde.60) Aber am Gesamtbild ändert das insofern nichts, als die mächtige Verinnerlichung der Persönlichkeit, welche die weitere Fortbildung der puritanischen Lebensluft mit sich bringen konnte und tatsächlich mitbestimmt hat, doch vorwiegend der Literatur und auch da erst späteren Geschlechtern zugute gekommen ist. Ohne auf die Erörterung der Einflüsse des Puritanismus nach all diesen Richtungen hier näher eingehen zu können, vergegenwärtigen wir uns nur, daß die Statthaftigkeit der Freude an den rein dem ästhetischen oder sportlichen Genuß dienenden Kulturgütern jedenfalls immer eine charakteristische Schranke findet: sie dürfen nichts kosten. Der Mensch ist ja nur Verwalter der durch Gottes Gnade ihm zugewendeten Güter, er hat, wie der Schalksknecht der Bibel,14 von jedem Pfennig Rechenschaft abzulegen61), und es ist zum mindesten bedenklich, davon etwas zu | verausgaben zu einem Zweck, der nicht Gottes Ruhm, sondern dem eigenen Genuß gilt.62)

überall hervor: Für den Quäker z. B. sind erlaubte „recreations“ (nach Barclay:)15 Besuch von Freunden, Lektüre historischer Werke, mathematische und physikalische Experimente, Gärtnerei, Besprechung der geschäftlichen und sonstigen Vorgänge in der Welt und dgl. – Der Grund ist der früher erörterte.16 60)  Hervorragend schön analysiert in Carl Neumanns „Rembrandt“, der überhaupt zu den obigen Bemerkungen zu vergleichen ist.17 61)  So Baxter in der oben zitierten Stelle I S.  108 unten.18 | 62) Vgl. z. B. die bekannte Schilderung des Colonel Hutchinson (oft zitiert, z. B. bei A 98 Sanford a. a. O. S.  97f)19 in der von seiner Witwe verfaßten Biographie. Nach Darlegung aller seiner ritterlichen Tugenden und seiner zu heiterer Lebensfreude neigenden Naf A: 57 14  Mt 25,14–30; Lk 19, 11–27; von Weber auch oben, S.  386 f., angeführt. 15  Vgl. Barclay, Apology (Proposition XV. „Concerning Salutations and Recreations, etc.“, p.  512–571), p.  540 f. Weber notiert die den Quäkern „Erlaubte[n] recreations“ in seinem Exzerpt (wie oben, S.  355, Anm.  39), Bl.  33. 16  Siehe oben, S.  399. 17  Rembrandt soll Luxus und Verschwendung geliebt haben. Wegen zu hoher Ausgaben für seine Kunstsammlung wuchsen seine Schulden, so daß er 1656–1658 bankrott war; vgl. Neumann, Rembrandt, S.  574 f. und 582–597. – Die zahlreichen biblisch-religiösen Stoffe seiner Werke führt Neumann auf das den Künstler umgebende religiöse Leben zurück, das ihn zu intensivem Bibelstudium anregte. (Nach Neumann nahm Rembrandt als nicht-asketischer, freisinniger Mennonit selbst am religiösen Leben teil; heute überholt.) Vgl. ebd., S.  523–581. 18  Baxter, Christian Directory I, p.  108; zitiert oben, S.  405, Fn.  58. 19  Aus den „Memoirs of the Colonel Hutchinson“ seiner Ehefrau Lucy Hutchinson wird zitiert bei Sanford, Great Rebellion, das folgende Zitat ebd., p.  97.

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Wem, der die Augen offen hat, wären Repräsentanten dieser Auffassung nicht bis in die Gegenwart hinein begegnet?63) Der Gedanke der Verpflichtung des Menschen gegenüber seinem anvertrauten Besitz, dem er sich als dienender Verwalter oder geradezu als „Erwerbsmaschine“ unterordnet, legt sich mit seiner erkältenden Schwere auf das Leben: je größer der Besitz wird, desto schwerer wird, – wenn die asketische Lebensstimmung die Probe besteht, – das Gefühl der Verantwortung dafür, ihn zu Gottes Ruhm ungeschmälert zu erhalten und durch rastlose Arbeit zu vermehren. Auch die Genesis dieses Lebensstils reicht in einzelnen Wurzeln, wie so viele Bestandteile des kapitalistischen Geistes, in das Mittelalter zurück,64) aber erst in der Ethik des asketischen Protestantismus fand er seine konsequente ethische Unterlage. Seine Bedeutung für die Entwicklung des Kapitalismus liegt auf der Hand.65) | tur heißt es: „He was wonderfully neat, cleanly and genteel in his habit, and had a very good fancy in it; but he left off very early the wearing of anything that was costly.“ .  .  . – Ganz ähnlich ist das Ideal der weltoffenen und feingebildeten Puritanerin, die aber mit zwei Dingen: 1) Zeit und 2) Ausgaben für „Pomp“ und Vergnügen, kargt, in Baxters Leichenrede auf Mary Hanmerg (Works of the Pur[itan] Div[ines] p.  253h)20 gezeichnet. 63)  Ich erinnere mich – neben vielen anderen Beispielen – speziell eines in seinem Geschäftsleben ungewöhnlich erfolgreichen und in seinem Alter sehr begüterten Fabrikanten, der, als ihm ärztlicherseits bei einer hartnäckigen Verdauungsschwäche der Genuß von einigen Austern täglich angeraten wurde, dazu nur mit der größten Schwierigkeit zu bewegen war. Sehr erhebliche Stiftungen zu wohltätigen Zwecken, die er schon bei Lebzeiten vornahm, und eine „offene Hand“ zeigten andererseits, daß es sich dabei lediglich um einen Rückstand jenes „asketischen“ Empfindens handelte, welches den eigenen Genuß des Besitzes für sittlich bedenklich hält, nicht etwa um irgend etwas mit „Geiz“ Verwandtes. 64) Die Trennung von Werkstatt, Kontor, überhaupt „Geschäft“, und Privat-Wohnung, – von Firma und Name, – von Geschäftsvermögen und Privatbesitz, die Tendenz, das „Geschäft“ zu einem „corpus mysticum“ zu machen (zunächst wenigstens das Gesellschaftsvermögen)[,] liegen alle in dieser Richtung. S[iehe] darüber meine „Handelsgesellschaften im Mittelalter“.21 65)  Zutreffend hat schon Sombart in seinem „Kapitalismus“ gelegentlich auf dies charakteristische Phänomen hingewiesen.22 Zu beachten ist nur, daß dasselbe aus g  A: Hammer  h  A: 533 20 Vgl. Baxter, Last Work of a Believer (Works of the English Puritan Divines IV), p.  253. (Die in der Begräbnisrede als tugendhafte Puritanerin charakterisierte Mary Hanmer war die Mutter von Richard Baxters Ehefrau Margaret.) 21  Vgl. Weber, Handelsgesellschaften, MWG I/1, bes. S.  317 f. und 325. – „Corpus mysticum“ bezeichnet eine mit eigener Rechtsfähigkeit ausgestattete juristische Person, etwa eine Korporation oder Körperschaft, also ein „unsichtbares“ Rechtssubjekt (vgl. ebd., S.  556). 22  Vgl. Sombart, Der moderne Kapitalismus I, im Kapitel „Die Anfänge des bürgerli-

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Die innerweltliche protestantische Askese – so können wir das bisher Gesagte wohl zusammenfassen – wirkt also mit voller Wucht gegen den unbefangenen Genuß des Besitzes, sie schnürt die Konsumtion, speziell die Luxuskonsumtion, ein. Dagegen entlastet sie im Effekt den Gütererwerb von den Hemmungen der traditionalistischen Ethik, sie sprengt die Fesseln des Erwerbsstrebens, indem

A 99 zwei | sehr verschiedenen psychologischen Quellen stammt. Die eine reicht in ihrer Wirksamkeit weit in das graueste Altertum zurück und kommt in Stiftungen, Stammgütern, Fideikommissen etc. ganz ebenso oder vielmehr sehr viel reiner und deutlicher zum Ausdruck wie in dem gleichartigen Streben, dereinst mit hohem materiellem Eigengewicht belastet zu sterben und, vor allem, den Bestand des „Geschäftes“ zu sichern, sei es auch unter Verletzung der persönlichen Interessen der Mehrzahl der miterbenden Kinder. Es handelt sich in diesen Fällen neben dem Wunsch, in der eigenen Schöpfung ein ideelles Leben über den Tod hinaus zu führen, darum, den „splendor familiae“ zu erhalten, also um eine Eitelkeit, die so zu sagen der erweiterten Persönlichkeit des Stifters sich zuwendet, in jedem Fall um im Grunde egocentrische Ziele. Nicht so liegt es bei jenem „bürgerlichen“ Motiv, mit welchem wir es hier zu tun haben: da steht der Satz der Askese: „Entsagen sollst du, sollst entsagen“,23 ins positiv-kapitalistische gewendet: „Erwerben sollst du, sollst erwerben“, in seiner Irrationalität schlicht und rein als eine Art kategorischer Imperativ vor uns. Nur Gottes Ruhm und die eigene Pflicht, nicht die Eitelkeit des Menschen, ist hier bei den Puritanern das Motiv, und heute: nur die Pflicht gegen den „Beruf“. Wer Freude daran hat, sich einen Gedanken an seinen extremen Konsequenzen zu illustrieren, erinnere sich etwa jener Theorie gewisser amerikanischer Milliardäre, daß man die erworbenen Milliarden nicht den Kindern hinterlassen solle, damit diesen die sittliche Wohltat, selbst arbeiten und erwerben zu müssen, nicht entzogen werde: heute freilich eine wohl wesentlich „theoretische“ Seifenblase.24 chen Reichtums“, S.  282–324. Über die Wandlung der durch Grundrentenakkumulation reich Gewordenen zu Handelsherren S.  292 f.: „Sparsamere Hausväter hingegen (vielleicht gerade die reichsten?) wollten ihre vermehrten Einkünfte nicht völlig verzehren. Sie legten sie zurück und zwar [.  .  .] zunächst wieder in der Form von Grundbesitz außerhalb der Stadt oder im Ankauf von Renten in der Stadt [.  .  .]. Es stellt sich eine Art von Geldplethora ein, und der Gedanke, es in anderer Weise nutzbringend anzulegen, mußte langsam Wurzel schlagen [.  .  .]. Jetzt kommt die Zeit, da gelegentlich Beträge vielleicht noch erst unentgeltlich der bedürfenden Stadtgemeinde, bald aber auch gegen Entgelt vornehmen Herren leihweise überlassen werden. Es kommt die Zeit, da man einem Faktor Summen anvertraut, mit denen er auswärts Handelsgeschäfte betreiben soll [.  .  .].“ 23  Zitat nach Goethes „Faust“, V. 1549: „Entbehren sollst du! sollst entbehren!“ (Goethe, Faust I, S.  76.) 24  Nach Bryce sind amerikanische Milliardäre wesentlich geneigter als europäische, ihr Vermögen in Projekte von öffentlichem Nutzen statt in die Familie zu investieren. Vgl. Bryce, American Commonwealth II, Chapter CXV. „Social and economic future“, p.  719–734, hier p.  720. Dennoch gelte: „[.  .  .]  though the wealthy do not seek to keep their wealth together after their death by artificial means, many are the sons of the rich who start with capital enough to give them a great advantage for further accumulation“ (ebd.).

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sie es nicht nur legalisiert, sondern (in dem dargestellten Sinn) direkt als gottgewollt ansieht. Der Kampf gegen Fleischeslust und das Hängen an äußeren Gütern ist, wie neben den Puritanern auch der große Apologet des Quäkertums, Barclay, ausdrücklich bezeugt, kein Kampf gegen Reichtum und Erwerb, sondern gegen die damit verbundenen Versuchungen.25 Diese aber liegen vor allem in der Wertschätzung der als Kreaturvergötterung66) verdammlichen ostensiblen Formen des Luxus, wie sie dem feudalen Empfinden so nahe liegen, anstatt der von Gott gewollten rationalen und utilitarischen Verwendung für die Lebenszwecke | des einzelnen und der Gesamtheit. Nicht Kasteiung67) will sie dem Besitzenden aufzwingen, sondern Gebrauch seines Besitzes für notwendige und praktisch nützliche Dinge. Der Begriff des „comfort“ umspannt in charakteristischer Weise den Kreis der ethisch statthaften Verwendungszwecke, und es ist natürlich kein „Zufall“, daß man die Entwicklung des Lebensstils, der sich an jenen Begriff heftet, gerade bei den konsequentesten Vertretern dieser ganzen Lebensanschauung, den Quäkern, am frühesten und deutlichsten beobachtet hat. Dem Flitter und Schein chevaleresken Prunkes, der, auf unsolider ökonomischer Basis ruhend, die schäbige Eleganz der nüchternen Einfachheit vorzieht, setzten sie die saubere und solide Bequemlichkeit des bürgerlichen „home“ als Ideal entgegen.68)

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66)  Dies ist – wie immer wieder hervorzuheben ist – das letzte entscheidende reli­ giöse Motiv (neben deni rein asketischen Gesichtspunkten der Fleischabtötung), was ganz besonders deutlich bei den Quäkern hervortritt. | 67) Diese lehnt Baxter (Saints’ everl[asting] rest 12) ganz mit den bei den Jesuiten A 100 üblichen Motiven ab: dem Leib soll gewährt werden, was er bedarf, sonst wird man sein Knecht.26 68)  Dies Ideal ist speziell im Quäkertum schon in der ersten Epoche seiner Entwicklung klar vorhanden, wie dies in wichtigen Punkten schon Weingarten in seinen „Englischen Revolutionskirchen“ entwickelt hat.27 Auch die eingehenden Auseinanderset-

i A: dem 25  Zu Barclay vgl. Webers Ausführungen unten, Fn.  68. 26  Baxter, Saints’ Everlasting Rest, chapter XII, darin p.  224 f. – Das Exerzitien-Programm des Ignatius enthalte keine Kasteiungen und keine Askese, die den Körper angreife, so Gothein, Ignatius von Loyola (wie oben, S.  291, Anm.  37), S.  416–419. 27  Mit dem Begriff „comfort“ z. B. Weingarten, Revolutionskirchen Englands, S.  396– 400. Weingarten äußert sich dort über „das Behagen des englischen Hauses“, das an die Stelle von Theater, Tanz und Konzert trete und „in der Regel als Ideal englischer Ordnung, englischer Reinlichkeit und englischen Comforts“ erschien (Zitat S.  398).

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Auf der Seite der Produktion des privatwirtschaftlichen Reichtums kämpft die Askese gegen Unrechtlichkeit ebenso, wie gegen rein triebhafte Habgier, – denn diese ist es, welche sie als „covetousness“, als „Mammonismus“ etc. verwirft: das Streben nach Reichtum zu dem Endzweck, reich zu sein.28 Denn der Besitz als solcher ist Versuchung. Aber hier war nun die Askese die Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse – das in ihrem Sinn Böse: den Besitz und seine Versuchungen – schafft.29 Denn nicht nur sah sie, mit dem Alten Testament, und in voller Analogie zu der ethischen Wertung der „guten Werke“, zwar in dem Streben nach Reichtum als Zweck den Gipfel des Verwerflichen, in der Erlangung des Reichtums als Frucht der Berufsarbeit aber den | Segen Gottes. Sondern, was noch wichtiger war, die religiöse Wertung der rastlosen, stetigen, systematischen, weltlichen Berufsarbeit als schlechtzungen Barclays a. a. O. S. j517 ff.j, 533 veranschaulichen dies aufs deutlichste.30 Zu meiden ist: 1. kreatürliche Eitelkeit, also alle Ostentation, Flitterkram und Verwendung von Dingen, die keinen praktischen Zweck haben oder nur um ihrer Seltenheit wegen (also aus Eitelkeit) geschätzt werden – 2. ungewissenhafte Verwendung des Besitzes, wie sie in einer gegenüber den notwendigen Lebensbedürfnissen und der Vorsorge für die Zukunft unverhältnismäßigen Ausgabe für minder notwendige Bedürfnisse liegt: der Quäker ist sozusagen das wandelnde „Grenznutzgesetz“.31 „Moderate use of the creation“k 32 ist durchaus statthaft, namentlich aber darf man auf Qualität und Solidität der Stoffe etc. Gewicht legen, soweit dies nicht zur „vanity“ führt. |

j–j  A: 519 ff.   k A: creature“ 28  Explizit z. B. bei Baxter, Christian Directory I, „Directions against Covetousneß, or Love of Riches, and against worldly Cares“, p.  214–222. 29  Umkehrung von Mephistopheles’ Antwort auf Fausts Frage (V. 1336): „Nun gut, wer bist du denn“: „Ein Theil von jener Kraft, Die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. (Goethe, Faust I, S.  67.) 30 Zum folgenden Barclay, Apology (Proposition XV. „Concerning Salutations and Recreations, etc.“, p.  512–571), hier p.  517 ff. und p.  533. Dazu existieren Notizen in Weber, Exzerpt, Bl.  31r und 31v (Weber hatte sich die Seiten 517 und 533 notiert und Bl.  31r überschrieben: „Moderate use of the creation“). 31  Nach Weber funktioniert das Grenznutzgesetz in der Verkehrswirtschaft „als Regulator der Art, wie die Einzelwirtschaften ihre Geldvorräte wirtschaftlich verwenden (auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse verteilen)“. Weber, Erstes Buch. Die begrifflichen Grundlagen der Volkswirtschaftslehre, MWG III/1, S.  142. 32 Emendation (vgl. textkritische Anm.   k) nach der korrekten Zitatwiedergabe in Weber, Exzerpt, Bl.  31r (vgl. oben, Anm.  30).

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hin höchsten asketischen Mittels und zugleich sicherster und sichtbarster Bewährung des wiedergeborenen Menschen und seiner Glaubensechtheit mußte ja der denkbar mächtigste Hebel der Expansion jener Lebensauffassung sein, die wir hier als „Geist“ des Kapitalismus bezeichnet haben.69) Und halten wir nun noch jene Einschnürung der Konsumtion mit der Entfesselung des Erwerbsstrebens zusammen, so ist das äußere Ergebnis nahelie69) Es ist schon früher gesagt, daß wir auf die Frage der Klassenbedingtheit der reli- A 101 giösen Bewegungen später gesondert eingehen.33 Um aber zu sehen, daß z. B. Baxter, den wir hier vornehmlich benutzten, nicht etwa durch die Brille der „Bourgeoisie“ der damaligen Zeit blickte, genügt es[,] sich gegenwärtig zu halten, daß auch bei ihm in der Reihenfolge der Gottgefälligkeit der Berufe nach den gelehrten Berufen zuerst der husbandman kommt, dann erst mariners, clothiers, booksellers, tailors etc. in buntem Gewimmel.34 Auch die (charakteristisch genug) erwähnten „mariners“ sind vielleicht mindestens ebenso als Fischer wie als Schiffer gedacht. – Anders stehen in dieser Hinsicht schon manche Aussprüche des Talmud. Vgl. z. B. bei Wünsche, Babyl[onischer]l Talmud mII 1m S.  20, 2135 die, freilich nicht unwidersprochenen, Aussprüche Rabbi Eleasars, alle mit dem Sinn: Geschäftsverkehr ist besser als Ackerbau. (Vermittelnder II 2 S.  6836 über ratsame Kapitalanlage: 1/3 in Grund und Boden, 1/3 in Waren, 1/3 als Barschaft.)n –   Für diejenigen, deren „kausales Gewissen“ ohne ökonomische („materialistische“, wie man leider noch immer sagt) „Deutung“ nicht beruhigt ist, sei hiermit bemerkt, daß ich den Einfluß der wirtschaftlichen Entwicklung auf das Schicksal der religiösen Gedankenbildungen für sehr bedeutend halte und später darzulegen suchen werde,37 wie in unserem Falle die gegenseitigen Anpassungsvorgänge und Beziehungen beider sich gestaltet haben. Nur lassen sich jene Gedankeninhalte nun einmal schlechterdings nicht „ökonomisch“ deduzieren, sie sind – daran läßt sich nichts ändern – eben ihrerseits die mächtigsten plastischen Elemente der „Volkscharaktere“ und tragen ihre eigene zwingende Macht in sich. Und die wichtigsten Differenzen – die zwischen Luthertum und Calvinismus – sind überdies vorwiegend politisch bedingt, soweit außerreligiöse Momente hineinspielen.

l  A: babyl.   m–m  A: II1  n A: Barschaft). 33  Im vorliegenden Aufsatz nicht ausgeführt. 34  Weber bezieht sich auf Baxter, Christian Directory I, p.  378 (unter „husbandmen“ subsumiert Baxter z. B. Pflüger, Viehzüchter und Hirten), aus den „Directions about our Labour and Callings“ (p.  376–387). 35  Wünsche, Babylonischer Talmud II/1, Nr.  37, die Sprüche Rabbi Eleasars, die das Geschäftsleben über den Ackerbau stellen, S.  20, die anderslautenden Sprüche anderer Rabbinen S.  21, aus dem Traktat Jebamoth (Jevamot [Folio] 63a). 36  Vgl. Wünsche, Babylonischer Talmud II/2, Nr.  34, S.  68, aus dem Traktat Baba Mezia (Bava Mezi’a [Folio] 42a). 37  Im vorliegenden Aufsatz nicht ausgeführt.

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gend: Kapitalbildung durch asketischen Sparzwang.70) Die Hemmungen, welche dem konsumtiven Verbrauch | des Erworbenen entgegenstanden, mußten ja seiner produktiven Verwendung: als Anlagekapital, zugute kommen. Wie stark diese Wirkung gewesen ist, entzieht sich ziffernmäßig naturgemäß jeder exakten Bestimmung. In Neu-England tritt der Zusammenhang so greifbar hervor, daß er bereits dem Auge eines so vortrefflichen Historikers wie Doyle nicht entgangen ist.71) Aber auch in dem vom strikten Calvinismus nur 7 Jahre wirklich beherrschten Holland38 führte die in den religiös ernsteren Kreisen herrschende größere Einfachheit des Lebens bei enormen Reichtümern zu einer exzessiven Kapital70) 

Daran denkt Ed[uard] Bernstein, wenn er in seinem schon früher zitierten Aufsatz (S.  681 u. S.  525o)39 sagt: „Die Askese ist eine bürgerliche Tugend.“ Seine Ausführungen a. a. O. sind die ersten, die diese wichtigen Zusammenhänge überhaupt angedeutet haben. Nur ist der Zusammenhang ein viel umfassenderer, als er vermutet. Denn nicht die bloße Kapitalaccumulation, sondern die asketische Rationalisierung des gesamten Berufslebens ist das Entscheidende. – | 71) Doyle, The English in America Vol. II ch. 1.40 Die Existenz von EisenwerksA 102 Gesellschaften (1643)[,] Tuchweberei für den Markt (1659)41 und die hohe Blüte des Handwerks in Neu-England in der ersten Generation nach der Gründung der Kolonie sind, rein ökonomisch betrachtet, Anachronismen und stehen zu den Verhältnissen im Süden sowohl, als auch zu dem nicht calvinistischen, sondern volle Gewissensfreiheit genießenden Rhode Island in auffallendstem Gegensatz, wo trotz des vorzüglichen Hafens noch 1686 der Bericht von Governor und Council sagte: „The great obstruction

o  A: 625   38 Gemeint sein dürfte die Zeit vor dem Statthalter Friedrich Heinrich (vgl. oben, S.  402, Fn.  54b mit Anm.  88), d. h. von der Dordrechter Synode 1618/19 bis zum Tod von Moritz von Oranien im April 1625. 39  In der gesamten Fußnote bezieht sich Weber auf Bernstein, Kommunistische Strömungen (zitiert bereits oben, S.  248, Fn.  4, und S.  362, Fn.  138). Das Zitat, S.  681, lautet vollständig: „Der Asketismus ist bürgerliche Tugend, namentlich vor dem Aufkommen der eigentlichen großen Industrie, wo neue Kapitalien in der That oft genug durch Sparen gebildet werden.“ Diese Feststellung gewinnt Bernstein aus der Betrachtung der „ökonomisch-soziale[n] Seite des Quäkerthums“ (S.  680–685). Er bezieht durch einen Rückverweis, dem auch Weber folgt, die Lollarden (Anhänger der Lehren Wyclifs, Vorläufer der Reformation in England) ein: Auf S.  524–526 skizziert er die Entwicklung, wie in England mit Ausbreitung des Handels und Geldverkehrs die bereits von den Lollarden geübte Sparsamkeit und Enthaltsamkeit bei den Puritanern zur „soziale[n] Tugend“ (S.  525) wurde. 40  Vgl. Doyle, The English in America III (= The Puritan Colonies II), Chapter I. „New England in 1650“, p.  1–125. 41  Darüber berichtet Doyle, ebd., p.  37–40. Die erste „fulling mill“ (Walkmühle) wurde von Siedlern aus Yorkshire errichtet, die 1639 das Städtchen Rowley in Massachusetts

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aufsammlungssucht.72) Daß ferner die zu allen Zeiten und überall vorhanden gewesene, auch bei uns heute recht wirksame,42 Tendenz zur „Veradligung“ bürgerlicher Vermögen durch die Antipathie des Puritanismus gegen feudale Lebensformen fühlbar gehemmt werden mußte, liegt auf der Hand. Englische merkantilistische Schriftsteller des 17. Jahrhundertsp 43 führten die Überlegenheit der holländischen Kapitalmacht gegenüber England darauf zurück, daß dort nicht wie hier neu erworbene Vermögen concerning trade is the want of merchants and men of considerable Estates amongst us“ (Arnold, Hist[ory] of the State of R[hode] I[sland] p.  490).q 44 Daß der Zwang, erspartes Kapital immer wieder neu anzulegen, den die puritanische Einschränkung des Konsums übte, dabei mitspielte, ist in der Tat nicht zu bezweifeln. Die Rolle, welche der Kirchenzucht dabei zukam, werden wir später erörtern.45 72) Daß diese Kreise aber in den Niederlanden rasch abnahmen, zeigt BuskenHuët’s Darstellung (a. a. O. Bd.  II K[apitel] IIr u. IV).46

p A: Jahrhundert  q  A: 490.)  r  A: III gegründet hatten (ohne weitere Jahreszahl), p.  40 (1659 eventuell Lesefehler des Setzers). 42  Ähnlich Weber, Fideikommiß, MWG I/8, S.  185, 187 f. 43  In Frage kommen Josiah Child, Thomas Mun, William Petty, William Stafford und James Steuart, die Weber namentlich in seinen Vorlesungen über „Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“, MWG III/1, S.  544, „Geschichte der Nationalökonomie“, MWG III/1, S.  691 f., und „Praktische Nationalökonomie“ (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  31, Band  2, 1. Buch, §  3 über den Merkantilismus, Bl.  47v, MWG III/2) nennt. 44  Zitat aus „Answer of Rhode Island to the Inquiries of the Board of Trade“ von Mai 1680 auf 27 Fragen desselben, wiedergegeben bei Arnold, Rhode Island I, p.  488– 491, Zitat p.  490. – Den „vorzüglichen Hafen“ Newport (RI) beschreibt Doyle, The English in America III, p.  22 f., als finanzkräftig, obgleich noch 1680 mit seinen Blockhütten gegenüber dem Wohlstand von Boston und Ipswich (MA) sichtlich abfallend. Weber könnte Doyle in der Datierung des Berichts auf 1686 folgen (vgl. dort p.  23 und 37). Er übernimmt dann aber nicht Doyles Ansicht, daß Rohde Island im Bericht die gute finanzielle Situation gegenüber dem Board of Trade verschleiern wollte. 45  Im vorliegenden Aufsatz nicht ausgeführt. 46 „Die altväterische Einfachheit wich einem beträchtlichen Aufwande“, und „[d]ie Lustbarkeiten nehmen bei reichen Emporkömmlingen leicht den Charakter von Ausschweifungen an“, schildert Busken-Huet den Wandel, der mit wachsendem Wohlstand einherging. Vgl. Busken-Huet, Rembrandt’s Heimath II, Buch IV „Sitten und Personen“ (S.  166–218), Zitate S.  167. – Gemeint ist nicht Buch III, „Wissenschaft und Literatur“, sondern Buch II, „Der Handel“ (S.  56–110), das den Aufstieg der Niederlande zur Handelsmacht vor allem durch den nachhaltigen Gewinn der Ostindien- (und Westindien-)Kompanie zeigt. (In der niederländischen Ausgabe: Busken Huet, Rembrand II/1, S.  154 ff., und II/2, S.  192 ff.)

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regelmäßig durch Anlage in Land und – denn darauf, nicht auf den Landankauf allein kommt es an – den Übergang zu feudalen Lebensgewohnheiten Nobilitierung suchten und dadurch der kapitalistischen Verwertung entzogen würden.73) s Die auch bei den | Puritanern nicht fehlende Schätzung der Landwirtschaft als eines besonders wichtigen, auch der Frömmigkeit besonders zuträglichen Erwerbszweigs galt (z. B. bei Baxter) nicht dem Landlord, sondern dem Yeoman und Farmer,47 und im 18. Jahrhundert nicht dem Junker, sondern dem „rationellen“ Landwirt.74) So weit die Macht puritanischer Lebensauffassung reichte, kam sie unter allen Umständen – und dies ist natürlich weit wichtiger als die bloße Begünstigung der Kapitalbildung – der Tendenz zu bürgerlicher, ökonomisch rationaler Lebensführung zugute; sie war ihr wesentlichster und einzig konsequenter Träger. Sie stand an der

73)  Für England befürwortete eine z. B. von Ranke, Englische Geschichte IV, S.  127t 48 zitierte Eingabe eines adligen Royalisten nach dem Einzug Carl’s II. in London ein gesetzliches Verbot des Erwerbs von Landgütern durch das bürgerliche Kapital, welches dadurch gezwungen werden sollte, sich nur dem Handel zuzuwenden. – Der Stand A 103 der holländischen „Regenten“ sonderte sich als „Stand“ | aus dem bürgerlichen Patriziat der Städte durch den Aufkauf der alten Rittergüter aus.49 Diese Kreise sind freilich nie innerlich ernstlich calvinistisch gesinnt gewesen. Aber die notorische Adels- und Titelsucht in breiten Kreisen des holländischen Bürgertums in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeigt allein schon, daß man jedenfalls für diese Periode jene Entgegensetzung der englischen gegen die holländischen Verhältnisse nur mit Vorsicht zu akzeptieren hatu. Die Übermacht des Geldes brach hier den asketischen Geist. – 74)  Auf den starken Aufkauf der englischen Landgüter durch bürgerliches Kapital folgte die große Epoche der englischen Landwirtschaft.

s  A: würden73).  t  A: 197   u A: ist 47  Weber schließt dies offensichtlich aus Baxters Rangfolge der Gott wohlgefälligen Berufe, oben, S.  411, Fn.  69. Allerdings spricht Baxter, Christian Directory I, p.  378, nicht vom „yeoman“ oder „farmer“, sondern vom „husbandman“ (inkl. Pflüger, Viehzüchter, Hirten). 48  Ranke schildert die Maßnahmen, die zur Wiedererlangung der autonomen Herrschaft der englischen Krone führen sollten. An erster Stelle nennt er eine Eingabe General Monks, des „Geburtshelfer[s] der Restauration“ (Ranke, Englische Geschichte IV, S.  126), die Karl II. wieder in den Besitz der Domänen und Kronländer setzen sollte, denn „in seinem Reichthum aber bestehe seine Macht“ (S.  127). Den Adel solle der König durch strenge Gesetze an sein Streben nach Besitzsicherung binden, und „[d]en Bürgerlichen soll verboten werden, liegende Gründe bis über einen gewissen Werth hinaus zu erwerben: ihre Capitalien würden sie besser auf Handel und Wandel verwenden“ (S.  127). 49  Anschaulich bei Neumann, Rembrandt, S.  84 f.

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Wiege des modernen „Wirtschaftsmenschen“. Gewiß: diese puritanischen Lebensideale versagten bei einer allzu starken Belastungsprobe durch die den Puritanern selbst ja sehr wohlbekannten „Versuchungen“ des Reichtums. Sehr regelmäßig – wir werden das später noch verfolgen50 – finden wir die genuinsten Anhänger puritanischen Geistes in den Reihen der erst im Aufsteigen begriffenen Schichten der Kleinbürger und Farmer und die „beati possidentes“, selbst bei den Quäkern, recht oft zur Verleugnung der alten Ideale bereit.75) Es war das ja das gleiche Schicksal, welchem die klösterliche Askese des Mittelalters immer wieder erlag: wenn die rationelle Wirtschaftsführung hier, an der Stätte streng geregelten Lebens und gehemmter Konsumtion, ihre Wirkung voll entfaltet hatte, so verfiel der gewonnene Besitz entweder direkt – wie in der Zeit vor der Glaubensspaltung – der „Veradligung“ oder es drohte doch die klösterliche Zucht in die Brüche zu gehen, und eine der zahlreichen „Reformationen“ mußte eingreifen. Ist doch die ganze Geschichte der Ordensregeln in gewissem Sinne ein stets erneutes Ringen mit dem Problem der | säkularisierenden Wirkung des Besitzes. Das gleiche gilt in grandiosem Maßstabe auch für die innerweltliche Askese des Puritanismus. Der mächtige „revival“ des Methodismus, welcher dem Aufblühen der englischen Industrie gegen Ende des 18. Jahrhunderts vorangeht, kann – cum grano salis! – einer solchen Klosterreformation recht wohl verglichen werden. Ihre volle ökonomische Wirkung entfalteten jene mächtigen religiösen Bewegungen, deren Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung ja in erster Linie in ihren asketischen Erziehungs75)  S[iehe] über die Art, wie sich dies in der Politik Pennsylvaniens im 18. Jahrhundert, speziell auch im Unabhängigkeitskrieg, äußerte, Sharpless, A Quaker experiment in Government[,] Philadelphia 1902.51 |

50  Im vorliegenden Aufsatz nicht ausgeführt. 51  Um für religiöse Toleranz und politische Freiheit einzutreten, übernahmen die Quäker Pennsylvaniens politische Ämter. Bis 1756 bildete die „Quaker Party“ in der Assembly die – auch von Nicht-Quäkern gewählte – große Mehrheit. Dies änderte sich, als die Frage einer aktiven oder passiven Kriegsbeteiligung aufkam, insbesonders mit Ausbruch des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs (1775–1783): Auf das politische Engagement wurde zugunsten der pazifistischen Haltung (auch ein altes Quäker-Ideal) verzichtet, 1756 durch Niederlegung der politischen Ämter und während des Unabhängigkeitskriegs durch die Bekundung strikter Neutralität (nur ein kleiner Teil der Männer trat in die amerikanische Armee ein). William Penn’s „Holy experiment“

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wirkungen lag, regelmäßig erst, nachdem die Akme des rein religiösen Enthusiasmus bereits überstiegen war, der Krampf des Suchens nach dem Gottesreich sich allmählich in nüchterne Berufstugend aufzulösen begann, die religiöse Wurzel langsam abstarb und utilitarischer Diesseitigkeit Platz machte, – wenn, um mit Dowden zu reden, in der populären Phantasie „Robinson Crusoë“, der isolierte Wirtschaftsmensch, welcher nebenher Missionsarbeit treibt,76) an die Stelle des in innerlich einsamem Streben nach dem Himmelreich durch den „Jahrmarkt der Eitelkeit“ eilenden Bunyan’schen „Pilgers“ getreten ist.52 Wenn dann weiterhin der Grundsatz herrschend wurde: „to make the best of both worlds“, so mußte schließlich – wie ebenfalls schon Dowden bemerkt hat53 – das gute Gewissen einfach in die Reihe der Mittel komfortablen bürgerlichen Lebens eingereiht werden, wie dies ja auch das deutsche Sprichwort vom „sanften Ruhekissen“54 recht hübsch zum Ausdruck bringt. Was jene religiös lebendige Epoche des 17. Jahrhunderts ihrer utilitarischen Erbin vermachte, war aber eben vor allem ein ungeheuer gutes – sagen wir getrost ein pharisäisch gutes – Gewissen beim Gelderwerb, wenn anders er sich nur in legalen Formen vollzog. Jeder Rest des „Deo placere non potest“55 ist verschwunden.77) Eine spezifisch bürgerliche | Berufs76) Defoe 77)  Auch

war eifriger Nonconformist. Spener (Theol[ogische] Bedenken a. a. O. S.  426 f., 429, 432 ff.)56 hält zwar

der Vereinbarkeit von Religion und Politik kam damit endgültig an ein Ende. Vgl. Sharpless, Quaker experiment II, explizit p.  225 f. 52  Weber folgt Dowden, Puritan and Anglican, p.  274–278: In der Zeit der englischen Restauration erschafft Daniel Defoe mit seinem „Robinson Crusoe“ (erschienen 1719) den allegorischen Gegenentwurf zu Bunyan, Pilgrim’s Progress („Jahrmarkt der Eitelkeiten“, bei Bunyan „Vanity-Fair“, ebd., p.  95 ff.). 53  Zitat Dowden, Puritan and Anglican, p.  275. Dowden umschreibt die Einbettung des guten Gewissens in das komfortable bürgerliche Leben: „The middle classes advanced in wealth, in power, and in influence. After the jagged precipices and forlorn valleys – scenes of spiritual exaltation or despair – a table land was reached – safe, if unheroic – where men might plough and build. To make the best of both worlds was the part of prudence [.  .  .].“ 54  „Ein gut Gewissen, ein sanftes Ruhekissen.“ Deutsches Sprichwörter-Lexikon, hg. von Karl Friedrich Wilhelm Wander, 1. Band. – Leipzig: F. A. Brockhaus 1867, S.  1669 (mit Belegen). 55  „[Ein Kaufmann] kann vor Gott keinen Gefallen finden.“ Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  172, Anm.  14. 56  Die Seiten bei Spener, Theologische Bedenken II, wie oben, S.  384, Fn.  31.

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ethik ist entstanden. Mit dem Bewußtsein, in Gottes voller Gnade zu stehen und von ihm sichtbar gesegnet zu werden, vermag der bürgerliche Unternehmer, wenn er sich innerhalb der Schranken formaler Korrektheit hält, sein sittlicher Wandel untadelig und der Gebrauch, den er von seinem Reichtum macht, kein anstößiger ist, seinen Erwerbsinteressen zu folgen und soll dies tun. – Die Macht der religiösen Askese stellte ihm überdies nüchterne, gewissenhafte, ungemein arbeitsfähige und an der Arbeit als gottgewolltem Lebenszweck klebende Arbeiter zur Verfügung.78) Sie gab ihm dazu die beruhigende Versicherung, daß die ungleiche Verteilung der Güter dieser Welt ganz spezielles Werk von Gottes Vorsehung sei, der mit diesen Unterschieden ebenso wie mit der nur partikuden Beruf des Kaufmanns für voll von Versuchungen und Fallstricken,57 aber er erklärt doch auf eine Anfrage: „Mir ist lieb, daß ich sehe, daß der liebe Freund, was die Kaufmannschaft selbst anlangt, keine Skrupel kennt, sondern sie für eine Lebensart erkennt, wie sie auch ist, damit dem menschlichen Geschlecht vieles genützt und also nach Gottes Willen die Liebe geübt wird.“58 Dies wird an verschiedenen anderen Stellen durch merkantilistische Argumente näher motiviert. Wenn Spener gelegentlich ganz lutherisch die Begierde[,] reich zu werden, gemäß 1. Tim. 6, 8 und 9 und mit Berufung auf Jesus Sirach – s. o.!59 – als den Hauptfallstrick und unbedingt abzulegen bezeichnet und den „Nahrungsstandpunkt“ ein|nimmt (Theol[ogische] Bed[enken]a III A 105 S.  435 oben),60 so schwächt er dies andererseits durch den Hinweis auf die prosperierenden und doch gottselig lebenden Sektierer (Anm.  32)61 wieder ab. Als Effekt fleißiger Berufsarbeit ist auch ihm der Reichtum unbedenklich. Der Standpunkt ist infolge des lutherischen Einschlusses weniger konsequent als der Baxters. 78)  Baxter a. a. O. II S.  1662 warnt vor der Anstellung von „heavy, flegmatickb, sluggish, fleshly, slothful persons“ als „servants“ und empfiehlt die Bevorzugung von „godly“ servants, nicht nur weil „ungodly“ servants bloße „eye-servants“ sein würden, sondern vor allemc weil „a truly godly servant will do all your service in obedience to God,

a A: Bd.  b A: flegmatik  c  A: allen   57  Wegen der Begierde, reich zu werden, vgl. Spener, ebd., S.  434, mit Randmarkierung Webers im Exemplar der UB Heidelberg. 58  Zitat bei Spener, ebd., S.  429 (mit kleinen Abweichungen). 59  Sirach-Zitate bei Spener, ebd., S.  426; siehe oben, S.  392, Fn.  45. 60 Vgl. Spener, Theologische Bedenken II (3. Cap., Artic. IV, Sectio XV. „Von dem vorhaben die kauffmannschaft zu verlassen“, S.  432–440), S.  434 f., mit Zitat 1 Tim 6,8 e  auf S.  435: „wenn wir nahrung und kleider haben/ so lasset uns begnugen“, von Weber im Exemplar der UB Heidelberg unterstrichen und mit Randmarkierung versehen. – Zu dem von Weber so bezeichneten „Nahrungsstandpunkt“, der bei Spener unentschieden bleibe, vgl. oben, S.  384, Fn.  32. 61  Oben, S.  384 f. 62  Aus den „Directions for the right choice of Servants“ (p.  15 f.) in Baxter, Chris­tian Directory II, hier p.  15, die folgenden Zitate alle p.  16 (dort: „For they make no great [.  .  .]“).

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lären Gnade seine geheimen, uns unbekannten Ziele verfolge.79) Schon Calvin hatte den oft zitierten Ausspruch getan, daß nur, wenn das „Volk“, d. h. die Masse der Arbeiter und Handwerker, arm erhalten werde, es Gott gehorsam bleibe.80) 63 Die | Niederländer (Pieter de la Court und andere)64 hatten dies dahin „säkularisiert“, daß die Masse der Menschen nur arbeite, wenn die Not sie dazu treibe, und diese Formulierung eines Leitmotivs kapitalistias if God himself had bid him do it.“ Andere dagegen seien geneigt, „to make no great matter of conscience of it“. Und umgekehrt sei beim Arbeiter nicht das äußere Bekennen der Religion, sondern die „conscience to do their duty“ das Merkmal der Heiligkeit. Man sieht, das Interesse Gottes und dasjenige des Arbeitgebers gehen hier bedenklich ineinander über: auch Spener (Theol[ogische] Bed[enken] III S.  272),65 der sonst dringend mahnt, sich Zeit zum Denken an Gott zu lassen, setzt als selbstverständlich voraus, daß die Arbeiter sich mit dem äußersten Mindestmaß freier Zeit (selbst sonntagsd) zufrieden geben müssen. – 79)  Die Analogie zwischen der nach menschlichem Maßstab „ungerechten“ Prädestination nur Einiger und der ebenso ungerechten, aber ebenso Gott-gewollten Güterverteilung – die ja unendlich nahe lag – z. B. bei Hoornbeek a. a. O. Vol. I S.  153.66 Überdies ist ja – so Baxter a. a. O. I S.  38067 – die Armut sehr oft Symptom der sündlichen Faulheit. 80) Gott läßt – meint auch Th[omas] Adams (Works of the Pur[itan] Div[ines] p.  158)68 – insbesondere vermutlich deshalb so viele arm bleiben, weil sie nach seiner Kenntnis den Versuchungen, welche der Reichtum mit sich bringt, nicht gewachsen wären. Denn der Reichtum treibt nur allzuoft die Religion aus dem Menschen. | d  A: Sonntags 63  Weber hatte dieses Zitat bereits in seiner Vorlesung „Praktische Nationalökonomie“ (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  31, Band  2, Bl.  46r; MWG III/2) im Abschnitt über Calvin verwendet, ohne es allerdings auf diesen zurückzuführen. Zitiert auch bei Kampschulte, Calvin I, S.  430. 64  Weber nennt Pieter de la Court im selben Zusammenhang: Protestantische Ethik I, oben, S.  157; Näheres zu dieser Äußerung S.  157 f., Anm.  69. 65  Vgl. Spener, Theologische Bedenken II (3. Cap., Artic. III, Sectio I. „Fragen der liebe des nechsten/ und beruffsarbeit“, S.  270–274), auf S.  272 von Weber im Exemplar der UB Heidelberg mit doppeltem Randstrich markiert: „Welche in anderer diene  ste/ und unter ihrem befehl stehen/ mussen darmit zu frieden seyn/ wo sie von ihren e  arbeiten nur so viel ubrig behalten/ als die eusserste nothdurfft erfordert/ sonderlich e  an dem darzu von GOTT gewidmeten sonntag: konnen sie aber auch mehr zeit mit e  bitten und sonst desto grosserem fleiß/ da sie es ein andermal wieder einbringen/ von den herrschafften erlangen/ so haben sie sich nicht zu spahren [.  .  .]“ (Zitat S.  272 f.). 66  Vgl. Hoornbeek, Theologia practica I, liber secundus, Cap. II. „De Dei Praedestinatione“, p.  141–164, hier p.  153. 67  Explizit in den „Directions against Idleness and Sloth“ (p.  379–383), Baxter, Chris­ tian Directory I, p.  381: „Idleness usually bringeth Poverty [.  .  .]“. 68  Weber versah im Exemplar der UB Heidelberg einzelne Zeilen der hier referierten Passage bei Adams, The Christian’s walk (Adams, Works of the English Puritan Divines V, p. 131–147), p.  158, mit Randmarkierungen.

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scher Wirtschaft mündete dann weiterhin in den Strom der Theorie von der „Produktivität“ niederer Löhne.69 Auch hier schiebt sich die utilitarische Wendung dem Gedanken unvermerkt mit dem Absterben seiner religiösen Wurzel unter, ganz nach dem Entwicklungsschema, welches wir immer wieder beobachtet haben.70 Von der anderen Seite, derjenigen der Arbeiter, gesehen, glorifiziert z. B. die Zinzendorfsche Spielart des Pietismus den berufstreuen Arbeiter, der nicht nach Erwerb trachtet, als nach dem Vorbild der Apostel lebend und also mit dem Charisma der Jüngerschaft begabt.81) 71 Noch radikaler waren ähnliche Anschauungen anfangs bei den Täufern verbreitet gewesen.72 Nun ist natürlich die gesamte asketische Literatur aller Konfessionen von dem Gesichtspunkt durchtränkt, daß treue Arbeit auch bei niederen Löhnen seitens dessen, dem das Leben sonst keine Chancen zugeteilt hat, etwas Gott höchst Wohlgefälliges sei. Darin brachte die protestantische Askese an sich keine Neuerung. Aber: sie vertiefte diesen Gesichtspunkt aufs mächtigste und schuf jener Norm den psychologischen Antrieb zur Wirkung durch die Auffassung dieser Arbeit als Beruf, als einzigen Mittels, des Gnadenstandes sicher zu werden,82) und sie lega81) Ähnliches hat auch in England nicht gefehlt. Dorthin gehört z. B. auch jener Pie- A 106 tismus, welcher, anknüpfend an Laws „Serious call“ (1728) Armut, Keuschheit und – ursprünglich – auch Isolierung von der Welt predigte.73 82)  Baxters Tätigkeit in der bei seiner Hinkunft absolut verlotterten Gemeinde Kidderminster, in dem Grade ihres Erfolges fast beispiellos in der Geschichte der Seelsorge, ist zugleich ein typisches Beispiel dafür, wie die Askese die Massen zur Arbeit, marxistisch gesprochen: zur „Mehrwert“-Produktion,74 erzog und so ihre Verwertung im

69  Dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  158 f. mit Fn.  28. 70  Siehe etwa oben, S.  266–270. 71  Vgl. dazu oben, S.  334 mit Fn.  109. 72  Vgl. oben, S.  353. 73  William Law, Serious Call (gedruckt 1729, nicht 1728) formuliert das Ideal von „Gesellschaften“ (societies) Freiwilliger zur Förderung ihrer Selbsterbauung und ihres Heiligungsstrebens durch die von Weber genannten Mittel, explizit auf p.  134–138. (Loofs, Art. Methodismus, spricht S.  752 von „mönchische[m] Pietismus“.) 74  Nach Marx entsteht der „Mehrwert“ aus unbezahlter Arbeit. Nach seiner Werttheorie bemißt sich der Wert einer Ware (Preis) nach der für ihre Herstellung gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit. Demgemäß kauft der Kapitalist die Ware Arbeitskraft zu einem Preis (Lohn), der es dem Arbeiter erlaubt, seine Arbeitskraft (wieder)herzustellen (formaler Äquivalententausch). Die dafür notwendigen Mittel zum Leben zu produzieren erfordert eine bestimmte Zeit. Die besondere Qualität der Ware Arbeiterkraft besteht darin, daß sie länger als diese Zeit einsetzbar ist, also einen Mehrwert schaf-

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lisierte auf der anderen Seite die Ausbeutung dieser spezifischen Arbeitswilligkeit, indem sie auch den Gelderwerb des Unternehmers als „Beruf“ deutete.83) Es liegt auf | der Hand, wie mächtig das ausschließliche Streben nach dem Gottesreich durch Erfüllung der Arbeitspflicht als Beruf und die strenge Askese, welche die Kirchenzucht naturgemäß gerade den besitzlosen Klassen aufnötigte, die „Produktivität“ der Arbeit im kapitalistischen Sinn des Wortes fördern mußte. Die Behandlung der Arbeit als „Beruf“ ist für den modernen Arbeiter ebenso charakteristisch wie für den Unternehmer die entsprechende Auffassung des Erwerbes. Ein konstitutiver Bestandteil des kapitalistischen Geistes, und nicht nur dieses, sondern der modernen Kultur: die rationale Lebensführung auf Grundlage der Berufsidee, ist – das sollten diese Darlegungen erweisen – geboren aus dem Geist der christlichen Askese. Man lese jetzt noch einmal den im Eingang dieses Aufsatzes zitierten Traktat Franklins nach,75 um zu sehen, daß die wesentlichen Elemente der dort als „Geist des Kapitalismus“ bezeichne-

kapitalistischen Arbeitsverhältnis (Hausindustrie, Weberei) überhaupt erst möglich machte.76 So liegt das Kausalverhältnis ganz allgemein. – Von Baxters Seite aus gesehen, nahm er die Einfügung seiner Pfleglinge in das Getriebe des Kapitalismus in den Dienst seiner religiös-ethischen Interessen. Von der Seite der Entwicklung des Kapitalismus aus gesehen, traten die letzteren in den Dienst der Entwicklung kapitalistischen „Geistes“. 83)  Und noch eins: Man kann ja zweifeln, wie stark die „Freude“ des mittelalterliA 107 chen Handwerkers an dem „von ihm Geschaffenen“, mit der so viel operiert | wird, als psychologisches Agens ins Gewicht gefallen ist. Etwas war immerhin daran. Jedenfalls aber entkleidete nun die Askese die Arbeit dieses – heute durch den Kapitalismus für immer vernichteten – diesseitigen weltlichen Reizes und richtete sie auf das Jenseits aus. Die berufliche Arbeit als solche ist gottgewollt. Die Unpersönlichkeit der heutigen Arbeit: ihre, vom Standpunkte des Einzelnen aus betrachtet, freudenarme Sinnlosigkeit, ist hier noch religiös verklärt. Der Kapitalismus in der Zeit seiner Entstehung aber brauchte Arbeiter, die um des Gewissens willen der ökonomischen Ausnutzung zur Verfügung standen.

fen kann. Diesen eignet sich der Kapitalist unentgeltlich an („Ausbeutung“). – Weber bestritt die Gültigkeit der Arbeitswerttheorie, die sowohl von den klassischen Ökonomen wie Adam Smith und David Ricardo als auch von Karl Marx vertreten wurde. Vgl. seine Vorlesungen „Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“, MWG III/1, §  14 „Die Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus“, S.  553–562, sowie zur „Arbeiterfrage und Arbeiterbewegung“, MWG III/4, bes. S.  178 und 226. 75  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  142–145. 76  Vgl. Jenkyn, Essay on Baxter’s Life (Baxter, Works of the English Puritan Divines IV, p. i–lviii), p. xxvi, p.  xxx–xliv, anschaulich über Methode und Erfolg von Baxters Wirken in Kidderminster, dessen Pfarrgemeinde, als Baxter sich dort nach dem Bürgerkrieg

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ten Gesinnung eben die sind, die wir vorstehend als Inhalt der puritanischen Berufsaskese ermittelten,83a) nur ohne die religiöse Fundamentierung, die bei Franklin schon abgestorben ist. – Der Gedanke, daß die moderne Berufsarbeit ein asketisches Gepräge trage, ist ja auch nicht neu. Daß die Beschränkung auf Facharbeit, mit dem Verzicht auf die faustische Allseitigkeit des Menschentums, welchen sie bedingt, in der heutigen Welt Voraussetzung wertvollen Handelns überhaupt ist, daß also „Tat“ und „Entsagung“ einander heute unabwendbar bedingen: dies asketische Grundmotiv des bürgerlichen Lebensstils – wenn er eben Stil und nicht Stillosigkeit sein will – hat auf der Höhe seiner Lebensweisheit, in den „Wanderjahren“ und in dem Lebensabschluß, den er seinem Faust gab, auch Goethe uns lehren | wollen.84) Für ihn bedeutete diese Erkenntnis einen entsagenden Abschied von einer Zeit vollen und schönen Menschentums, welche im Verlauf unserer

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83a)  Daß auch die hier noch nicht auf ihre religiösen Wurzeln zurückgeführten Bestandteile, namentlich der Satz: honesty is the best policy,77 und die Erörterungen über den Kredit, puritanischen Ursprungs sind, werden wir in andereme Zusammenhang sehen.78 | 84) Sehr schön analysiert in Bielschowskys Goethe, Bd.  II Kap.  18.79 – Für die Ent- A 108 wicklung des wissenschaftlichen „Kosmos“ hat einem verwandten Gedanken z. B. auch Windelband am Schlusse seiner „Blütezeit der deutschen Philosophie“ (II. Bd. der „Gesch[ichte] d[er] neuerenf Philosophie[“]) Ausdruck gegeben.80

e A: anderen  f A: neuere im Jahr 1649 endgültig niederließ, einer „disorderly mass and an unruly rabble“ (p.  xxxi) glich. 77  Vgl. dazu oben, S.  362. 78  Siehe Weber, „Kirchen und Sekten“, unten, S.  439–445. 79 „Arbeit und Entsagung“ (zum Erwerb von „Sachkenntnis [.  .  .] durch Beschränkung auf ein kleines Gebiet“, S.  562), sind, so Bielschowsky, die beiden großen Grundgedanken von „Wilhelm Meisters Wanderjahren“ (S.   518). Von diesen handelt Bielschowsky, Goethe II, im 18. Kapitel, S.  513–568. – Zum Lebensabschluß des „Faust“ (bei Goethe, Faust II, Fünfter Akt; in der Weimarer oder „Sophien-Ausgabe“: 1. Abth., 15. Band, 1888, S.  290–337) in Bielschowskys Worten: „Selbsterkenntnis [über die Maßlosigkeit des faustischen Strebens] ist Selbstbefreiung und Selbstbeschränkung, weise Selbstbeschränkung aber ist das Gegenteil von dem, was Mephistopheles mit ihm [Faust] gewollt hat“ (S.  662). 80  Windelband, Blütezeit (Geschichte der neueren Philosophie II), S.  408 f.: „Zweifellos ist dem Gesamtwissen jener Zeit [der universalistischen Bildung] das der Gegenwart weit überlegen: aber dafür zersplittert es sich jetzt in die einzelnen Köpfe und Tätigkeiten, und das Individuum, unfähig seine Bildung aus dem Ganzen herauszuarbeiten, muß sich für die Einseitigkeit seiner Berufsarbeit meist durch einen eitlen Dilettantismus entschädigen, der von allem kostet, um sich von nichts zu nähren.“

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Kulturentwicklung ebensowenig sich wiederholen wird, wie die Zeit der Hochblüte Athens im Altertum. Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, – wir müssen es sein. Denn indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschineller Produktion gebundenen, Wirtschaftsordnung erbauen, der heute den Lebensstil aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren werden – nicht nur der direkt ökonomisch Erwerbstätigen –, mit überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist. Nur wie „ein dünner Mantel, den man jeder Zeit abwerfen könnte“, sollte nach Baxters Ansicht die Sorge um die äußeren Güter um die Schultern seiner Heiligen liegen.85) Aber aus dem Mantel ließ das Verhängnis ein stahlhartes Gehäuse werden. Indem die Askese die Welt umzubauen und in der Welt sich auszuwirken unternahm, gewannen die äußeren Güter dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über den Menschen, wie niemals zuvor in der Geschichte. Heute ist ihr Geist – ob endgültig, wer weiß es? – aus diesem Gehäuse entwichen. Der siegreiche Kapitalismus jedenfalls bedarf, seit er auf mechanischer Grundlage ruht, dieser Stütze nicht mehr. Auch die rosige Stimmung ihrer lachenden Erbin: der Aufklärung, scheint endgültig im Verbleichen, und als ein Gespenst ehemals religiöser Glaubensinhalte geht der Gedanke der „Berufspflicht“ in unserm Leben um. Wo die „Berufserfüllung“ nicht direkt zu den höchsten geistigen Kulturwerten in Beziehung gesetzt werden kann, – oder wo nicht umgekehrt sie auch subjektiv einfach als ökonomischer Zwang empfunden werden muß, – da 85) 

Saints’ everlasting rest. cap. XII.81 |

81  Die Metapher nach Baxter, Saints’ Everlasting Rest, chap. XII, 203–225, hier p.  206. In dem Abschnitt geht es um das Ablegen der weltlichen Gesinnung (earthly mind), welche die „Heiligen“ hindere, bereits auf Erden ein himmlisches Leben zu führen: „They thrust themselves into a multitude of employments, till they are so loaded with labours, and clogged with cares [.  .  .]. If once thou come to this, that thou wilt be rich, thou fallest into temptation, and a snare, and into many foolish and hurtful lusts. Keep these things loose about thee, like thy upper garments, that thou mayest lay them by whenever there is need; but let God and glory be next thy heart.“ (Als wörtliches Zitat ist Webers Formulierung in einer gängigen deutschen Übersetzung nicht nachweisbar.)

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verzichtet der Einzelne heute meist auf ihre Ausdeutung überhaupt. Auf dem Gebiet seiner höchsten Entfesselung, in den Vereinigten Staaten, neigt das seines metaphysischen Sinnes entkleidete | Erwerbsstreben heute dazu, sich mit rein agonalen Leidenschaften zu assoziiereng, die ihm nicht selten geradezu den Charakter des Sports aufprägen.85a) Niemand weiß noch, wer künftig in jenem Gehäuse wohnen wird, und ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung ganz neue Propheten oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werden, oder aber – wenn keins von beiden – „chinesische“ Versteinerung, 82 durch eine Art von krampfhaftem Sich-wichtig-nehmen verbrämt. Dann allerdings könnte für die „letzten Menschen“ dieser Kulturentwicklung83 das Wort zur Wahrheit werden: „Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz, dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben.“84 – Doch wir geraten damit auf das Gebiet der Wert- und Glaubens­ urteile, mit welchen diese rein historische Darstellung nicht belastet werden soll. – Die Aufgabe ist vielmehr nun, die in der vorstehenden Skizze ja nur angeschnittene Bedeutung des asketischen Rationalismus nun auch für den Inhalt der sozialökonomischen Ethik, also für die Art der Organisation und der Funktionen der sozialen Gemeinschaften vom Konventikel bis zum Staat aufzuzei-

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85a) „Könnte der Alte nicht mit seinen 75 000 $ jährlich sich zur Ruhe setzen? – A 109 Nein! die Warenhausfront muß nun auf 400 Fuß verbreitert werden. Warum? – That beats everything, meint er. – Abends, wenn Frau und Töchter gemeinschaftlich lesen, sehnt er sich nach dem Bett, sonntagsh sieht er alle 5 Minuten nach der Uhr, wann der Tag zu Ende sein wird: – so eine verfehlte Existenz!“ – dergestalt faßte der (eingewanderte) Schwiegersohn des führenden dry-good-man (deutscher Abkunft) aus einer Stadt am Ohio sein Urteil über den letzteren zusammen, – ein Urteil, welches dem „Alten“ seinerseits wiederum zweifellos als gänzlich unbegreiflich und ein Symptom deutscher Energielosigkeit erschienen wäre.85 |

g A: assozieren  h  A: Sonntags 82  Weber, Objektivität, S.  59: „chinesische Erstarrung des Geisteslebens“. 83  Nach Nietzsche, Friedrich, Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen [aus: 1. Theil, gedr. zuerst 1883], in: ders., Werke, 1. Abth., Band  6. – Leipzig: C. G. Naumann 1899, Zarathustra’s Vorrede. Vom Übermenschen und vom letzten Menschen, S.  9–30. 84  Als Zitat nicht nachgewiesen. 85  Dies könnte Weber auf seiner USA-Reise 1904 berichtet worden sein (die Episode ist durch Max Webers Briefe nicht belegt).

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gen. Alsdann muß seine Beziehung zu dem humanistischen Rationalismus und dessen Lebensidealen und Kultureinflüssen, ferner zur Entwicklung des philosophischen und wissenschaftlichen Empirismus, zu der technischen Entwicklung und zu den geistigen Kulturgütern analysiert werdeni. Dann endlich ist sein geschichtliches Werden von den mittelalterlichen Ansätzen einer innerweltlichen Askese aus und seine Auflösung in den reinen Utilitarismus historisch und durch die einzelnen Verbreitungsgebiete der asketischen Religiosität hindurch zu verfolgen. Daraus erst kann sich die Kulturbedeutung des asketischen Protestantismus im Verhältnis zu anderen plastischen Elementen der modernen Kultur ergeben. | Dabei muß dann auch die Art, wie die protestantische Askese ihrerseits durch die Gesamtheit der gesellschaftlichen Kulturbedingungen, insbesondere auch der ökonomischen, in ihrem Werden und ihrer Eigenart beeinflußt worden ist, zutage treten. Denn obwohl der moderne Mensch im ganzen selbst beim besten Willen nicht imstande zu sein pflegt, sich die Bedeutung, welche religiöse Bewußtseinsinhalte fürk die Lebensführung, die „Kultur“ und die „Volkscharaktere“ gehabt haben, so groß vorzustellen, wie sie tatsächlich gewesen ist, – so kann es dennoch natürlich nicht die Absicht sein, an Stelle einer einseitig „materialistischen“ einel ebenso einseitig spiritualistische kausale Kultur- und Geschichtsdeutung zu setzen. Beide sind gleich möglich,86) aber mit beiden ist, 86) Denn die vorstehende Skizze hat mit Bedacht nur die Beziehungen aufgenommen, in welchen eine Einwirkung religiöser Bewußtseinsinhalte auf das „materielle“ Kulturleben wirklich zweifellos ist.86 Es wäre ein Leichtes gewesen, darüber hinaus zu einer förmlichen „Konstruktion“, die Alles an der modernen Kultur „Charakteristische“ aus dem protestantischen Rationalismus logisch deduziert, fortzuschreiten. Aber Derartiges bleibt besser jenem Typus von Dilettanten überlassen, die an die „Einheitlichkeit“ der „Sozialpsyche“ und ihre Reduzierbarkeit auf eine Formel glauben.87 – Bemerkt sei nur noch, daß natürlich die vor der von uns betrachteten Entwicklung liegende Periode der kapitalistischen Entwicklung überall mitbedingt war durch christ-

i A: worden  k A: auf  l  A: ein 86  Weber hatte die Richtung seiner Untersuchung bereits in: Protestantische Ethik I, oben, S.  215, beschrieben. 87  Anspielung auf Karl Lamprecht; vgl. auch oben, S.  262, Anm.  99; S.  316, Fn.  79a, und S.  329, Fn.  101a. Dazu die ausführliche Darlegung in Weber, Roscher und Knies I, S.  7 f. mit Fn.  2 (ebenfalls mit Bezug auf Lamprechts „Deutsche Geschichte“) mit der Aussage: Das „historisch Zufällige“ werde dadurch eliminiert.

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wenn sie nicht Vorarbeit, sondern Abschluß der Untersuchung zu sein beanspruchen, der historischen Wahrheit gleich wenig gedient. | liche Einflüsse, hemmende ebenso wie fördernde. Welcher Art diese waren, gehört in ein späteres Kapitel.88 Ob übrigens von den oben umrissenen weiteren Problemen das eine oder das andere noch im Rahmen dieser Zeitschrift erörtert werden kann, ist bei dem Aufgabenkreis derselben nicht sicher.89 Dem Schreiben dicker Bücher aber, die so stark, wie es hier der Fall sein würde, an fremde (theologische und historische) Arbeiten angelehnt werden müßten, bin ich nicht sehr zugetan. |

88  Nicht ausgeführt, für die Fortsetzung von Webers Studie vorgesehen; vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  66 f., und die systematische Übersicht im Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96. 89  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik I, S.  214, Anm.  67.

„Kirchen“ und „Sekten“ in Nordamerika Eine kirchen- und sozialpolitische Skizze

Editorischer Bericht I.  Zur Entstehung Zwischen der Veröffentlichung des ersten und des zweiten Aufsatzes seiner Studie „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“1 bereiste Max Weber, zusammen mit seiner Frau Marianne Weber, etwa drei Monate lang die Vereinigten Staaten. Anlaß für diese Reise war ein wissenschaftlicher Kongreß während der Weltausstellung in St. Louis, an dem Weber sich mit einem Vortrag beteiligte.2 Er nutzte diesen USA-Aufenthalt, um Verwandte zu besuchen, Quellen für seine religionshistorischen Studien zu identifizieren und sich vor allem ein Bild von dem amerikanischen Kapitalismus und dem amerikanischen religiösen Leben zu machen.3 Die USA erschienen ihm als ein Land, in dem der Kapitalismus blühte, zugleich aber auch das religiöse Leben. Dabei beeindruckte ihn insbesondere das dortige „Sektenwesen“, das, teilweise durch die zunehmende „Europäisierung“ der USA und des mit ihr einhergehendem Indifferentismus bereits säkularisiert, im Vereinswesen fortlebte und, bei strikter Trennung von „Staat“ und „Kirche“, eine Stütze des demokratischen politischen Prozesses war.4 Sowohl der entfesselte Kapitalismus als auch das Sektenwesen, aber auch die strikte Trennung von Staat und Kirche standen in schärfstem Kontrast zu der Situation in Preußen-Deutschland. Webers Amerikaerfahrung verstärkte offensichtlich seine Skepsis ge1  Oben, S.  97–215 und 222–425. 2  Weber, Max, The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science, in: MWG I/8, S.  212–243, dazu den Editorischen Bericht, ebd., S.  2 00–211. 3  Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  2 22 mit Anm.  5. 4  Das zeigt Max Webers Brief an Helene Weber vom 20. September 1904 (in: Brief vom 19. und 20. Sept. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  2 6–35; MWG II/4). „Chicago ist – infolge der Völkermischung – weniger kirchlich als selbst New York – trotzdem ist grade in den Arbeitervierteln die Zahl der (von den Arbeitern selbst bezahlten) Kirchen sehr groß. Hier liegen die charakteristischen Züge amerikanischen Lebens, zugleich auch die schicksalsvollsten Momente tiefer innerer Umgestaltung. Orthodoxe Sekten waren es bisher, die dem ganzen Leben hier ihr Gepräge gaben. Alle Geselligkeit, aller soziale Zusammenhalt, alle Agitation zu Gunsten philanthropischer oder ethischer, auch – bei Campagnen gegen die Corruption – politischer Zwecke fanden an ihnen Halt. [.  .  .] Aber die Macht der kirchlichen Gemeinschaften ist noch immer gewaltig im Vergleich zu unsrem Protestantismus.“

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genüber der Erziehungswirkung des deutschen landeskirchlichen Luthertums.5 Über seine Eindrücke und Erfahrungen aus der USA-Reise hatte Weber schon zuvor, beim „Amerika-Abend“ des Heidelberger Nationalsozialen Vereins im Januar 1905, in einem längeren Diskussionsbeitrag berichtet.6 Jetzt faßte er diese, zugespitzt auf ein Thema, in einem Artikel für ein gebildetes Publikum zusammen. Diesen Artikel schrieb er nach der Publikation des zweiten Aufsatzes seiner Protestantismusstudie. Bereits in diesem Aufsatz hatte er seine Unterscheidung zwischen „Kirche“ und „Sekte“ eingeführt.7 Dabei betonte er die unterschiedlichen Erziehungswirkungen dieser religiösen Verbände. Doch wollte er dem Einfluß der „Kirchenverfassung“ auf die religiöse Lebensführung hier noch nicht weiter nachgehen, sondern dies späteren Erörterungen vorbehalten.8 Nun griff er außerhalb seiner Protestantismus­ studie auf die Unterscheidung „Kirche“ und „Sekte“ zurück und wandte sie auf USA und Deutschland an. Der Artikel erschien zunächst in der „Frankfurter Zeitung“, der erste Teil am 13. April 1906, einem Karfreitag, der zweite am 15. April 1906, einem Ostersonntag. Zeitpunkt und Inhalt sorgten offensichtlich insbesondere unter der protestantischen Leserschaft für große Aufmerksamkeit. Ob Weber von sich aus den Artikel der Redaktion anbot oder ob diese ihn für ihre Feiertagsausgaben einwarb, ließ sich nicht mehr ermitteln, da die Korrespondenz mit der „Frankfurter Zeitung“ aus dieser Zeit nicht überliefert ist.9 5  Dazu auch der Brief Max Webers an Adolf Harnack vom 5. Febr. 1906, MWG II/5, S.  32: „So turmhoch Luther über allen Anderen steht, – das Luthertum ist für mich, ich leugne es nicht, in seinen historischen Erscheinungsformen der schrecklichste der Schrecken und selbst in der Idealform, in welcher es sich in Ihren Hoffnungen für die Zukunftsentwicklung darstellt, ist es mir, für uns Deutsche, ein Gebilde, von dem ich nicht unbedingt sicher bin, wie viel Kraft zur Durchdringung des Lebens von ihm ausgehen könnte.“ 6 Weber, Max, Das politische Leben in Amerika. Diskussionsbeitrag auf der Versammlung des Nationalsozialen Vereins am 20. Januar 1905 in Heidelberg, in: MWG I/8, S.  3 81–385. Max Weber hatte in der Diskussion spontan einen einstündigen Redebeitrag zu verschiedene Einzelthemen beigesteuert, darunter auch zur Demokratie und den verschiedenen Sekten in den USA. Die verschiedenen Themen, die im Werk Max Webers immer wieder ihren Niederschlag finden sollten, sind ebd., S.  3 84, Anm.  15, zusammengestellt. 7  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  3 49 f. Weber beanspruchte, diese Unterscheidung (man kann sagen: als Idealtypen und damit als wissenschaftliche Begriffe im Unterschied zu ihrer alltäglichen Verwendung) selbst eingeführt zu haben, auch gegenüber Ernst Troeltsch. Vgl. dazu auch Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, unten, S.  575. – Den etwa zeitgleich 1906 erschienenen Artikel von Gustav Kawerau über das „Sektenwesen in Deutschland“, in: RE 3 , 18. Band, 1906, S.  157–166, kannte Weber nicht. 8  Vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  6 6 f. und 69. 9  Das Archiv der „Frankfurter Zeitung“ wurde im 2. Weltkrieg weitestgehend zerstört.

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„Kirchen“ und „Sekten“ in Nordamerika

Gut zwei Monate später, am 14. bzw. 21. Juni, erschienen die beiden Teile abermals, nun in der „Christlichen Welt“, durchgesehen und leicht erweitert sowie mit verändertem Titel: statt „‚Kirchen‘ und ‚Sekten‘“ jetzt „‚Kirchen‘ und ‚Sekten‘ in Nordamerika“ mit dem Untertitel „Eine kirchen- und sozialpolitische Skizze“. Max Weber und Martin Rade (1857–1940), der Herausgeber der „Christlichen Welt“, die sich seit der gemeinsamen Arbeit im „Evangelisch-sozialen Kongreß“ kannten, müssen sich bereits vor der Veröffentlichung des Artikels in der „Frankfurter Zeitung“ über seine abermalige Publikation verständigt haben. Denn Weber schreibt am 15. April 1906, also am Tag nach Veröffentlichung des ersten Teils und noch vor Veröffentlichung des zweiten an Rade: „Ich schicke gleichzeitig hiermit die erste Hälfte des Art[ikels] durchgesehen, – die zweite geht mir erst morgen früh zu u. schicke ich sie dann.“ Er verbindet dies mit dem Hinweis, es müsse wohl das Einverständnis der „Frankfurter Zeitung“ für den Wiederabdruck eingeholt werden, und stellt die Frage: „Vielleicht hatten Sie schon an die Redaktion geschrieben?“ Seinen Artikel selbstkritisch charakterisierend, fügt Weber hinzu: „Ich meinerseits bin angesichts der ganz notgedrungen etwas zur Pointierung der Gegensätze, die in Wahrheit überall in einander übergehen (trotz des Contrastes der Grundprinzipien) neigenden kurzen Fassung des Artikels doch recht im Zweifel, ob er nicht lebhaften Widerspruch finden wird. Aber dann um so besser!“10 Martin Rade verfolgte mit der abermaligen Publikation des dann revidierten Artikels offensichtlich eine kulturpolitische Absicht. Dies ist seinen „Kleine[n] Mitteilungen“ in der Rubrik „Verschiedenes“ zu entnehmen, die er der Ausgabe der „Christlichen Welt“ beifügte, in der die erste Hälfte von Max Webers Artikel veröffentlicht wurde. Dort heißt es: „Der Aufsatz über Kirchen und Sekten in Nordamerika von dem Heidelberger Nationalökonom[en] Max Weber ist, wie er in dieser und der nächstfolgenden Nummer erscheint, ein durchgesehener und mit starken Zusätzen erweiterter Abdruck aus der Frankfurter Zeitung. Wir haben ihn uns ausgebeten einmal rein um seines Inhalts selbst willen. Sodann aber auch, um unseren amerikanischen Freunden zu zeigen, was uns eigentlich an ihnen interessiert. Es ist nämlich eine wunderliche Erfahrung, die man als Vertreter einer deutschen kirchlichen Zeitschrift macht, daß man auf die Bitte nach Amerika hinüber, doch auch von drüben her unsrer Wißbegier entgegenzukommen, immer wieder die ratlose Antwort erhält: Ja was interessiert euch Deutsche, euch Europäer eigentlich an unserm religiösen und kirchlichen Wesen? Es ist uns trotz wiederholter Korrespondenzen noch nicht gelungen, auf diese Frage einen Bescheid zu geben, der die gewünschte Wirkung erzielt hätte. Vielleicht kommen uns da die Beobachtungen und Urteile des Herrn Professor Weber zu Hilfe. [.  .  .] Die Wichtigkeit 10  Karte Max Webers an Martin Rade vom 15. April 1906, MWG II/5, S.  7 7.

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ihrer Entwickelung und ihrer innern Zustände auch für uns haben wir längst angefangen zu begreifen.“11 In den „Kleine[n] Mitteilungen“ der Ausgabe, welche die zweite Hälfte des Artikels enthielt, erklärt Rade zur Erweiterung der Überschrift: „Der Aufsatz Max Webers war in der Frankfurter Zeitung nur ‚Kirchen‘ und ‚Sekten‘ betitelt. Die Zufügung in Nordamerika rechtfertigt sich selbst; immerhin sei dieser Tatbestand mitgeteilt, weil der frühere Titel die ursprüngliche allgemeinere Tendenz des Aufsatzes kennzeichnet, der jetzige die falsche Annahme erweckt, als ginge der Verfasser auf ein allseitiges Verständnis amerikanischen Kirchenlebens aus. Amerika ist ihm nur Beispiel!“12 Ob Weber ihn zu dieser Erläuterung aufforderte, wissen wir nicht. Die „Christliche Welt“, in der Max Weber schon vor der Jahrhundertwende publiziert hatte,13 gilt als „die erfolgreichste religiös-theologische Kulturzeitschrift im deutschen Protestantismus des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts“.14 Sie wurde 1886 von Martin Rade gemeinsam mit drei Theologenfreunden unter dem Einfluß Adolf Harnacks gegründet und firmierte seit 1888 unter dem genannten Titel, nun unter Rades alleiniger Herausgeberschaft. Er verstand dieses Organ als ein überregionales „evangelisches Gemeindeblatt“, so der Untertitel, das sich an „Gebildete aller Stände“ richte.15 Es sollte die bildungsbürgerliche Leserschaft zu einem kritischen Urteil aus der Sicht des evangelischen Glaubens befähigen, wozu unter anderem die „Besprechung der gesamten Erscheinungen unserer Gegenwart“ dienen sollte, „sofern sie eine religiös-sittliche Beurteilung fordern oder vertragen“.16 Die „starken Zusätze“, von denen Rade spricht, die Weber gegenüber der „Frankfurter Zeitung“ vorgenommen habe, sind vermutlich dem neuen Publikationskontext geschuldet. Sie betreffen eine Fußnote (S.   454 f. und die 11 Rade, Martin, Kleine Mitteilungen, in: Die Christliche Welt, 20. Jg., Nr.  24 vom 14. Juni 1906, Sp.  573 f. In seine Zeitschrift hatte Rade kurz zuvor auch eine Reihe „Streiflichter auf das amerikanische Kirchenleben“ (Verfasser: Lohans) aufgenommen; vgl. Die Christliche Welt, 20. Jg., 1906, Nr.  14, Sp.  324–327; Nr.  16, Sp.  3 69–371; Nr.  19, Sp.  446–448; Nr.  23, Sp.  545–547. 12  Die Christliche Welt, 20. Jg., Nr.  25 vom 21. Juni 1906, Sp.  5 98. 13 Besonders Weber, Max, Die Erhebung des Evangelisch-sozialen Kongresses über die Verhältnisse der Landarbeiter Deutschlands (1893), MWG I/4, S.  2 08–219. Die weiteren selbständigen Artikel Webers vgl. ebd. 14  Graf, Friedrich Wilhelm, Art. Rade, Paul Martin, in: BBKL, Band  VII, 1994, Sp.  1195– 1223, Zitat Sp.  1200. Zur „Christlichen Welt“ vgl. auch Schmidt-Rost, Reinhard, Die Christliche Welt. Eine publizistische Gestalt des Kulturprotestantismus, in: Müller, Hans Martin, Kulturprotestantismus. Beiträge zu einer Gestalt des modernen Christentums. – Gütersloh: Gerd Mohn 1992, S.  245–257; Dunkel, Daniela, Art. Christliche Welt/Freunde der christlichen Welt, in: RGG 4, Band  2, 1999, S.  2 68 f. 15  Von 1897 bis 1920 lautete der (im Lauf der Zeit wechselnde) Untertitel: „Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände“. Zur Ausrichtung der Zeitschrift (bis 1909) vgl. Rade, Art. Christliche Welt und Freunde der Christlichen Welt, in: RGG, Band  1, 1909, Sp.  1703–1708 (hinfort: Rade, Art. Christliche Welt). 16  Zitiert nach Rade, Art. Christliche Welt (wie oben, Anm.  15), Sp.  1704.

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„Kirchen“ und „Sekten“ in Nordamerika

Schlußpassage (S.  4 60–462). In der Fußnote setzt sich Max Weber mit Ernst Troeltschs Rede „Die christliche Ethik und die heutige Gesellschaft“ aus­ einander, die dieser auf dem Evangelisch-sozialen Kongreß im Mai 1904 gehalten hatte.17 Schon seit Ende Juli 1904 plante Weber hierüber eine Besprechung in der „Christlichen Welt“.18 Aus Zeitgründen kam sie nicht zustande, jetzt bot sich aber die Gelegenheit, wenigstens einige Zeilen darauf zu verwenden. Es ging Weber darum, die in Deutschland verbreitete Identifikation von konservativ mit aristokratisch sowie den behaupteten Gegensatz von aristokratisch und demokratisch infrage zu stellen. Auch Troeltsch habe sich dieser für Deutschland typischen Begriffsverwirrung schuldig gemacht. Dieser hatte in seiner Rede behauptet, das Christentum besitze keine genuine politische Ethik. Es verbinde sich vielmehr mit den politisch-ethischen Prinzipien der Demokratie einerseits, des Konservatismus andererseits. Mit dem demokratischen Prinzip betone man das Recht der Persönlichkeit und die Gleichheit der Menschen, mit dem konservativen die höhere Autorität und die ungleiche Menschennatur. Beide Prinzipien stünden in einer fruchtbaren Spannung miteinander. Deshalb gelte: „Das Christentum ist demokratisch und konservativ zugleich. Es ist demokratisch, indem es in immer weiterem Umfang Versittlichung, Verselbständigung und geistigen Gehalt der Persönlichkeit fordert und diese Persönlichkeit in der Bildung der Staatsgewalt zur Wirkung kommen läßt. Es ist konservativ, indem es die Autorität in ihrer Begründung durch sittliche Überlegenheit und durch politische Machtverhältnisse anerkennt und die Beugung unter die Autorität als Quelle sittlicher Kräfte versteht. Wie beide Tendenzen jedesmal auszugleichen sind, das ist abhängig von der jeweiligen Lage und ihren Umständen.“19 Von dieser Argumentation war Weber offensichtlich nicht überzeugt. Weder könne man konservativ mit aristokratisch gleichsetzen, noch aristokratisch und demokratisch als sich ausschließende Gegensätze behandeln. Gerade an den USA lasse sich studieren, wie Demokratie und Aristokratie zusammenspielen könnten. Freilich müsse man dafür zwischen einer „Positions“- und einer „Qualitäts“-Aristokratie unterscheiden, zwischen einer, die auf „Erbe“, und einer, die auf persönlicher Leistung beruhe. Diese zweite Art von Aristokratie aber sei nicht zuletzt das Resultat des Sektenwesens. Die mit der Demokratie unverträg-

17  Troeltschs Rede war im Juli 1904 sowohl in den Kongreßprotokollen (vgl. das Literaturverzeichnis, unten, S.  8 63; hinfort: Troeltsch, Christliche Ethik) als auch erweitert unter dem Titel: Troeltsch, Ernst, Politische Ethik und Christentum. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1904, erschienen (KGA 6). 18 Vgl. Max Webers Brief an Alfred Weber vom 29. Juli 1904 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl.  5 6–58; MWG II/4): „Wir fahren [nach Amerika] mit meinem Freund Tröltsch, auf dessen Rede ich übrigens, wenn ich Zeit habe, wohl noch in der Christl. Welt antworten werde.“ 19  Troeltsch, Christliche Ethik, S.  37.

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liche Positionsaristokratie herrsche in Deutschland vor, die mit der Demokratie verträgliche Qualitätsaristokratie aber in den Vereinigten Staaten.20 In der Schlußpassage präzisiert Weber noch einmal seine Sicht der Erziehungswirkung des Landeskirchentums, indem er auf die Stellung der Gebildeten zum „empirisch gegebenen Landeskirchentum“ eingeht (S.  4 62). Dafür wählt er eine Formel, die er Richard Rothe zuschreibt: „Maximum von Religion bei Minimum von Kirche“ (ebd.). Sie ziele auf das genaue Gegenteil zum genuinen Sektentum mit seiner Exklusivität auf der Grundlage persönlicher Qualifikation. Man kann es auch so sagen: Der absoluten Irrationalität des religiösen Individuums sollte möglichst viel, der äußeren religiösen Organisationsform möglichst wenig gegeben werden. Darin sieht Weber wohl ein kulturprotestantisches Ideal. Rothe war in seiner „Theologischen Ethik“ von einer eschatologisch gedachten Aufhebung der kirchlichen Religion im sittlich-religiösen Kulturstaat ausgegangen. Je vollständiger sich die Kirche entwickle, desto mehr christianisiere und entsäkularisiere sie den Staat. Solange dieser Prozeß noch nicht vollendet sei, kämen freilich „die christlich-religiöse Gemeinschaft und die christlich-sittliche oder christlich-staatliche noch nicht schlechthin“ zur Deckung. So lange fielen „also auch schon in dem einzelnen christlichen Volke Kirche und Staat noch irgendwie auseinander“, und es dauere folglich „in ihm noch irgend ein Minimum wenigstens von christlicher Kirche fort“.21 Ernst Troeltsch hatte in seiner „Gedächtnisrede“ zum 100. Geburtstag Rothes diesen Gedanken mitsamt der Formel vom „Minimum von Kirche“ in folgende Worte gekleidet: „[.  .  .] Rothe [sah] die Landeskirchen als Uebergangsformen an, die zum innerlich religiös beseelten Volksleben führen sollten, zur religiös sittlichen Gestaltung des Staates als der vollkommenen Gemeinschaft, wobei nur nicht zu vergessen ist, dass er bis zur völligen Moralisierung der Menschheit – und das heisst bis zur Wiederkunft Christi – ein ‚Minimum von Kirche‘ für unentbehrlich hielt.“22 Weber zeigte sich gegenüber solchen Gedanken, die unter der Leserschaft der „Christlichen Welt“ wohl weit verbreitet waren, zurückhaltend. Eine „religiöse Durchdringung des sozialen Lebens ‚von unten herauf‘“ (S.  4 62) erwartete er jedenfalls nicht.

20  Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, unten, S.  4 53 f.: „Die genuine amerikanische Gesellschaft [.  .  .] war niemals ein solcher Sandhaufen, niemals auch ein Gebäude, wo Jeder, der da kommt, unterschiedslos offene Türen findet: sie war und ist durchsetzt mit ‚Exklusivitäten‘ aller Art.“ Eine ähnliche Formulierung findet sich später in: Weber, Antikritisches Schlußwort, unten, S.  721, und Weber, Staat und Hierokratie, in: ders., Wirtschaft und Gesellschaft, MWG I/22–4, S.  674. 21  Rothe, Richard, Theologische Ethik, 3. Band, 2.  Aufl. – Wittenberg: Hermann Koel­ ling 1870 (hinfort: Rothe, Theologische Ethik III), S.  183 f. 22  Troeltsch, Ernst, Richard Rothe. Gedächtnisrede [.  .  .]. – Freiburg i.B., Leipzig und Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1899 [ediert in: KGA 1, S.  713–752] (hinfort: Troeltsch, Gedächtnisrede Rothe), Zitat dort S.  37 [KGA 1, S.  745].

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„Kirchen“ und „Sekten“ in Nordamerika

Weber hatte zum Zeitpunkt der Doppelpublikation noch die Absicht, seine Aufsatzfolge zur „Protestantischen Ethik“ fortzusetzen. Den Zeitungsartikel sah er allerdings nicht als diese Fortsetzung an. Er wollte dabei zwar die „Kirchenverfassung“ behandeln,23 doch sah er in diesem Artikel allenfalls nützliches Material dafür. Er sagt denn auch, er wolle ihn, umgearbeitet, als Auftakt für eine solche Fortsetzung verwenden.24 Aber auf dieselbe Stufe mit den beiden Protestantismus-Aufsätzen stellt er ihn ausdrücklich nicht.

II.  Zur Überlieferung und Edition Max Webers Manuskripte für die „Frankfurter Zeitung“ und für die „Christliche Welt“ oder Druckfahnen 25 sind nicht überliefert. Beim Erstdruck in der „Frankfurter Zeitung“ handelt es sich um: Weber, Max, „Kirchen“ und „Sekten“, in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, 50. Jg., Nr.  102 vom 13. April 1906, 4. Morgenblatt, S. [1], und dass., (Schluß.), in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, 50. Jg., Nr.  104 vom 15. April 1906, 6. Morgenblatt, S. [1] (A). Bei dem leicht veränderten und erweiterten Nachdruck handelt es sich um: Weber, Max, „Kirchen“ und „Sekten“ in Nordamerika. Eine kirchen- und sozialpolitische Skizze 1, in: Die Christliche Welt. Evangelisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände, 20. Jg., Nr.  24 vom 14. Juni 1906, Sp.  5 58–562, und dass. 2, in: Die Christliche Welt [.  .  .], 20. Jg., Nr.  25 vom 21. Juni 1906, Sp.  577–583 (B). Die Edition folgt dieser durchgesehenen und erweiterten Fassung als dem Text letzter Hand. Deshalb werden auch Überschrift und Untertitel sowie Unterteilung des Artikels aus der „Christlichen Welt“ übernommen. Für die „Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie“ überarbeitete Max Weber den Artikel so stark, daß man von einer Neufassung sprechen kann. Sie erschien unter dem Titel „Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus“, in: GARS I. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1920, S.  2 07–236, und wird in MWG I/18 ediert.

23  Das zeigt insbesondere der Vorverweis, vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  298, Fn.  64. 24  Vgl. Max Webers Briefe an Paul Siebeck vom 2. und 13. April 1907, MWG II/6, S.  276 und 280. Dazu auch der Editorische Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, unten, S.  4 64 f., die Einleitung, oben, S.  6 6 f. und 69, und der Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–66. 25  Das Archiv der „Frankfurter Zeitung“ wurde im Zweiten Weltkrieg weitestgehend zerstört. – Im Nachlaß Martin Rades finden sich nur wenige Materialien zur „Christlichen Welt“, Druckfahnen lediglich als Beilagen zu Briefen (E-Mail-Auskunft von Dr. Bernd Reifenberg, UB Marburg, an Ursula Bube vom 25.  0 9.  2 012). Überliefert ist nur eine Karte Max Webers an Martin Rade vom 15. April 1906 (zitiert oben, S.  428 mit Anm.  10).

Editorischer Bericht

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Die Texte in der „Frankfurter Zeitung“ und der „Christlichen Welt“ sind in Frakturschrift gesetzt, darin vorkommende lateinische und englische Begriffe in Antiqua. Dieser Wechsel der Schrifttype bleibt in der Edition unberücksichtigt. Einfache Anführungszeichen werden einheitlich als doppelte wiedergegeben sowie zweifache Trenn- oder Bindestriche durch einfache ersetzt. Das in Webers Fußnote gebrauchte Frakturzeichen für „et cetera“ wird mit „etc.“ wiedergegeben. A weicht in Überschrift und Zweiteilung von B ab. Diese und weitere Abweichungen werden im textkritischen Apparat dokumentiert. Nachgewiesen werden ferner textliche Änderungen, abweichende Hervorhebungen, sei es durch Sperrdruck (im Editionstext kursiv wiedergegeben), sei es durch die Verwendung von Anführungszeichen. Nicht nachgewiesen werden: (1.) die in A bevorzugte Kleinschreibung z. B. von „jeder“, „etwas“, „alles“, „der einzelne“, „der wenigen“, „jemand“, „nichts“ und „eins“; (2.) das in A bevorzugte „c“ anstelle von „k“ (z. B. von „Couleurstudenten“, „excludiert“); (3.) Ausführungszeichen in A, die nach einem Komma stehen. Offensichtlich wurden in A enthaltene Grammatik-, Druck- und Interpunktionsfehler sowie sachliche Fehler in B verbessert (z. B. „aus dem Kindheitsalter“ statt „in das Kindheitsalter“, S.  4 49, oder „[.  .  .] nur Gott bekannt“ statt „und Gott bekannt“, ebd.). Den Editionsrichtlinien entsprechend werden Druckfehler wie z. B. „dogmatichen Epochen“ (S.  4 44) oder „J told you so“ (S.  4 43) stillschweigend verbessert. Die Fußnote ist in der „Christlichen Welt“ mit *, hier mit 1) markiert. Die Edition übernimmt auch die älteren Schreibweisen („charitativ“, S.  4 41; „endgiltig“, S.  4 45; „Karrikaturen“, S.  4 62; „unstät“, S.  4 39; auch: „Nord Carolina“, S.  4 42). Dasselbe gilt für die Groß- und Kleinschreibung sowie die Zusammen- und Getrenntschreibung. Für die Sachanmerkungen wurden Max Webers Briefe herangezogen, die er, teilweise im Wechsel mit Marianne Weber, während der USA-Reise an seine Mutter Helene Weber und Familie schrieb. Diese sind in MWG II/4 ediert. Sofern sich Max Webers Beobachtungen mit Beschreibungen von Bryce, Amercian Commonwealth, oder Münsterberg, Die Amerikaner, decken, wird dies mitgeteilt.26 Ebenso wurde auf Max Webers Aufsätze zur „Protestantischen Ethik“ zurückverwiesen. Denn manches, was hier lediglich skizziert wird, ist dort ausführlich erläutert, wie etwa Webers Verständnis von asketischem Prote26  Beide Werke hatte Max Weber noch vor seiner Reise in die USA 1904 gelesen. Das zeigt der Brief Max Webers an Hugo Münsterberg vom 17. Juli 1904 (Boston Public Library, Münsterberg Papers, Ms. Acc. 2229; MWG II/4). Bryce, American Commonwealth I, II, zitiert Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  2 91 mit Anm.  4 0, vollständig bibliographiert im Literaturverzeichnis, unten, S.  8 46. Ferner handelt es sich um Münsterberg, Hugo, Die Amerikaner, Band  1: Das politische und wirtschaftliche Leben; Band  2: Das geistige und soziale Leben. – Berlin: Mittler 1904 (hinfort: Münsterberg, Die Amerikaner I, II).

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stantismus; vgl. S.  242–366. Wenn möglich und sinnvoll, wurde auch auf die dort von Max Weber zitierte Literatur zurückgegriffen. Bei den von Weber benutzten „privaten statistischen Erhebungen“ über die amerikanischen Konfessionsverhältnisse (S.  437) dürfte er auf den ersten Band der „American Church History Series“ zurückgegriffen haben, die er bei der Überarbeitung seines Artikels nennt.27 Auf Vorverweise auf die überarbeitete Fassung wurde verzichtet und dort nachgetragene Literatur in die Sachkommentare mit Ausnahme des eben genannten Bandes nicht einbezogen.

27  Vgl. Weber, Protestantische Sekten, GARS I, S.  2 07, Fn.  3 (MWG I/18). Gemeint ist: The Religious Forces of the United States. Enumerated, classified, and described on the basis of the government census of 1890 [.  .  .], ed. by H. K. Carroll (American Church History, vol. 1). – New York: The Christian Literature Co. 1893, rev. 1896 (hinfort: Carroll, Religious Forces).

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Die starke Entwicklung des kirchlichen Gemeinschaftslebens in den cVereinigten Staatenc ist eine Erscheinung, die jedem nicht ganz oberflächlichen Besucher des Landes in die Augen fällt. Allerdings, die rapide Europäisierung drängt heute die kirchliche Durchdringung des ganzen Lebens, die dem genuinen „Amerikanismus“1 spezifisch war, überall zurück. Man kann die wunderlichen Kompromisse, in denen sich dies äußert, z. B. aus dfolgender statutarischend Bestimmung an einer der beiden Chicagoer Universitäten2 kennen lernen: Der e, bei Strafe der | Relegation,e obligatorische Besuch der chapelf seitens der Studenten kann 1. durch Belegen bestimmter Vorlesungen über die vorgeschriebene Mindestzahl hinaus „abgelöst“ werden, 2. aber werden Jedem, der den vorgeschriebenen gchapel recordg (sic!) h, in natura oder durch Ablösung,h in einer Studienperiode nachweislich überschritten hat, die so aufgespeicherten iopera supererogationisi 3 auf die folgenden Perioden gutgeschrieben! j 4 a–a  A: „Kirchen“ und „Sekten“. / Von Prof. Max Weber (Heidelberg).  b  Fehlt in A.  c–c  A: Vereinigten Staaten  d–d  A: anfolgender statutarischen   e–e  Kommata fehlen in A.   f A: „chapel“  g–g  A: „chapel record“  h–h  Kommata fehlen in A.   i–i  A: „opera supererogationis“  j  In A folgt anstelle eines Absatzes ein Gedankenstrich. 1  Möglicherweise Anspielung auf Roosevelts Rede „Der wahre Amerikanismus“ von April 1894, in: Amerikanismus. Schriften und Reden von Theodore Roosevelt, ins Deutsche übertragen und mit einem Vorwort versehen von Paul Raché. – Leipzig: Hermann Seemann Nachfolger 1903, S.  11–25. 2 Es handelt sich um die Statuten der 1851 von Methodisten gegründeten North­ western University in Evanston bei Chicago. Die zweite Universität ist die 1890 gegründete University of Chicago. 3  „Überpflichtige Werke“; vgl. auch das Glossar, unten, S.  834 f. 4 Die Bestimmungen über „Religious Worship“ für das College of Liberal Arts der Northwestern University lauteten: „1. When a student’s record shows an attendance of less than three-fifths of the chapel exercises of any semester, one semester-hour is added to the requirements for graduation of that student for every three credits need-

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Der „moderne“ oder modern sein wollende Amerikaner beginnt allmählich im Gespräch mit Europäern verlegen zu werden, wenn auf die kirchliche Eigenart des Landes die Rede kommt. Aber für das genuine Yankeetum ist das eine junge Erscheinung, und in die Tiefe ist diese „Säkularisation“k des Lebens noch immer nicht gedrungen, soweit es sichl um anglo-amerikanischem Kreise handelt. Ihre Exklusivität einerseits und – wie hier gezeigt werden soll – ein Teil ihrer Überlegenheit im Kampf ums Dasein beruht auf diesen „Rückständen“. Und in Wahrheit ist es fast eine Hyperbel, von „Rückständen“ zu sprechen, wo es sich um einen der noch immer kräftigsten Komponenten der ganzen Lebensführung handelt o, die in einer, für unser Empfinden grotesken, oft abstoßenden Weise in das Leben eingreifto.p Deutsch-amerikanische Familien, die seit mehr als einem Menschenalter in dem –q im Gegensatz zu r„New-York proper“r – als fromm geltenden Brooklyn5 ansässig sind, führen unter den Hemmnissens der Anknüpfung von intimeren Beziehungen zu den alteingeborenen Kreisen noch heute die Schwierigkeitt an, auf die unumgängliche Frage: uTo what church do you belong?u eine befriedigende, und zwar nicht bloß „formale“ k  A: Säkularisation     l  In A folgt: eben      m  A: anglo-amerikanische n  A: einen  o–o  Textpassage fehlt in A.   p  In A folgt Absatz.   q  Gedankenstrich fehlt in A.   r–r  B: ‘New-York proper’  s  A: Schwierigkeiten  t  A: Notwendigkeit  u–u A: „to [.  .  .] belong“ ed [.  .  .]. 2. when at the close of a semester the chapel record of a student shows a surplus of chapel credits, the surplus credits are applied to cancel any semester-hours which may have been added to the requirements [.  .  .]; and the surplus chapel credits not needed to remove such semester-hours are transferred to the chapel record of the following semester. [.  .  .]“. Bei unzureichendem Besuch des „chapel service“, der täglich außer am Samstag stattfand, drohte der Verlust der „registration“ für alle Semesterveranstaltungen. Zitiert nach: Bulletin of Northwestern University, Annual Catalogue 1903–1904. – Evanston, Chicago: Published by the University 1904, p.  168. Der Zweck der Bestimmungen war „the formation of a manly Christian character“ (dass., General Catalogue 1904–1905, p.  174). – Über die Bestimmungen äußert sich Max Weber auch im Brief an Helene Weber vom 20. September 1904 (in: Brief vom 19. und 20. Sept. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  26–35; MWG II/4). 5  Brooklyn gehörte seit 1898 zu Greater New York; mit „New York proper“ dürfte Weber Manhattan meinen, das damals, im Bewußtsein der Zeitgenossen, zusammen mit The Bronx „die eigentliche Stadt New York“ bildete (vgl. Baedeker, K[arl], Nordamerika. Die Vereinigten Staaten nebst einem Ausflug nach Mexiko. Handbuch für Reisende, 2.  Aufl. – Leipzig: Karl Baedeker, 1904, S.  23). Nach Brooklyn strömten Einwanderer aus den verschiedensten europäischen Ländern. Wegen seiner 490 kirchlichen Gebäude trug es laut „Baedeker“ den Beinamen „City of Churches“ (S.  60).

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Antwort zu geben.6 Noch heute ist es etwas durchaus Normales, daß ein Grundstücks-Spekulant, welcher seine Baustellen besetzt zu sehen wünscht, vor allem inmitten derselben eine „Kirche“,a d. h. eine Holzscheuer mit Turmb, nach Art der entsprechenden Gebilde in unseren Spielzeugschachteln, erbaut und alsdann einen eben dem Seminar entsprungenen Kandidaten irgend einer Denominationc für 500 Dollars engagiert, mit der, sei es ausdrücklichen, sei es stillschweigendend Zusage, daß diese Position sich zu einer Lebensstellung auswachsen werde, falls es dem Betreffenden nur gelinge, die Baustellene recht schnell „voll“ zu predigen. Und es gelingt zumeist.f Die privaten statistischen Erhebungen, welche uns zur Verfügung stehen, zeigen noch jetzt im Durchschnitt weit unter ein Zehntel (etwa 1/13) der Bevölkerung als formell „konfessionslos“,7 in einem Lande, welches das verfassungsmäßige Verbot der offiziellen Anerkennung irgend einer Kirche so weit auslegt, daß wir ebeng aus diesem Grunde keine offizielle Konfessionsstatistik haben, hweil schon die, amtliche, Frage nach der Konfessionh als

a  Komma fehlt in A.   b  A: Türe  c  A: „Denomination“  d  A: stillschweigenden,  e A: Baustelle  f  Kein Absatz in A.   g  Fehlt in A.   h–h  A: weil eben schon die amtliche Frage nach der Konfession, die bei uns jeder als Zeuge Vorgeladene beantworten muß, 6  Weber bezieht sich auf ein Gespräch mit der deutsch-amerikanischen Familie Lichtenstein, bei der Max und Marianne Weber am 11. und 17. November 1904 zu Gast waren. Weber notiert in seinem Brief an Helene Weber vom 19. November 1904 (in: Brief vom 19. und 26. Nov. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  104–113; MWG II/4): „Das heutige amerikanische Leben steckt voll solcher säcularisierter Sprößlinge des alten puritanischen Kirchentums.“ Und weiter: „Auch Lichtenstein’s sagten, die erste Frage der Amerikaner – mit denen sie deshalb nicht verkehrten – sei stets: ‚which church do you belong to?‘ Alle gesellschaftlichen Bekanntschaften[,] wenigstens in dem im Gegensatz zu New York sehr frommen Brooklyn und die Verkehrs-, Diner- etc. Beziehungen in den eigentlichen Yankee-Kreisen knüpfen an die Kirche an –, noch jetzt! Trotz allen Verfalls.“ 7  Vgl. Carroll, Religious Forces (wie oben, S.  434, Anm.  27), p.  xxxvi: Demnach gehörten nach der Zählung im Jahr 1890 5  630  000 der 62  622  250 US-Amerikaner keiner christlichen Religion an. Zieht man „Jews and other religious bodies“ ab, so dürften 5 Millionen zu „non-religious and anti-religious classes, including free-thinkers, secularists, and infidels“ gehört haben. Dies entspricht etwa 1/13 der Bevölkerung.

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verfassungswidrig gilt.8 Und dies ferner unter Verhältnissen, wo der Begriff der „Zugehörigkeit“ zu einer kirchlichen Gemeinschaft etwas ganz Anderes als bei uns, schon in rein materieller Hinsicht, bedeutet: ungelernte Holz- und Hafenarbeiter einer evangelischen Gemeinde in der Gegend von Buffalo z. B. lassen sich ihre Kirche jährlich über 80 Mk. an festen Abgaben pro Mitglied kosten, ungerechnet die äußerst zahlreichen und für den Unterhalt des Pfarrers und der Kirche selbst unentbehrlichen icollections.9 Wiei sehr jene amtlich verpönte, privatim kaber noch immer sok bedeutungsvolle Frage nach der Kirchenzugehörigkeitl der homerischen Erkundigung nach Heimatsort und Eltern entspricht, erfuhr ein deutscher Nasenspezialist, der sich in Cincinnati niedergelassen hatte,10 zu seinem nicht geringen Erstaunen, als er von Seiten seines ersten Patienten,m auf die Frage nach der Natur seiner Beschwerden,n vor allem Weiteren als erste Angabe die Mitteilung gemacht erhielt: oI am from the 2d Baptist Church in the X-Street.o Aetiologisch stand dieser Umstand, wie sich für den verblüfften Arzt weiterhin ergab, natürlich mit dem Nasenleiden nicht in Verbindung, dagegen

i–i  A: „collections“. Und wie  k–k  A: aber, wie gesagt, noch immer  l  A: Kir­ chenzugehörigkeit,  m  Komma fehlt in A.   n  A: Beschwerde  o–o  A: „I am [.  .  .] X-Street.“ 8  Die religiöse Neutralität der USA wird mit Artikel VI der Bundesverfassung von 1789 und dem ersten Verfassungszusatz (Amendment) von 1791 begründet: „Art.   VI. No religious test shall ever be required as a qualification to any office or public trust under the United States.“ Und: „Amendment I. Congress shall make no law respecting an establishment of religion or prohibiting the free exercise thereof“ (zitiert nach Bryce, American Commonwealth II, p.  570). Bei einem Census wird deshalb nicht nach der Religionszugehörigkeit gefragt. Die genannten Zahlen stammen von den Kirchen und Denominationen, so Carroll, Religious Forces (wie oben, S.  434, Anm.  27), p.  xii f. 9 Die Information verdankt Weber Hans Haupt, Pfarrer der „German Evangelical Church“ (und Schwiegersohn des Halleschen Nationalökonomen Johannes Conrad) in dem Städtchen North Tonawanda bei Buffalo. Weber berichtet Helene Weber am 8. September 1904 (in: Brief vom 8.–11. Sept. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  16–24; MWG II/4): „Die Gemeinde besteht aus 125 Familien, [.  .  .] die Unterhaltung der Kirche und des Pfarrers bringt die Gemeinde – fast alles ungelernte Handarbeiter aus den Holzmühlen und Packhöfen pp. [–] natürlich selbst auf: den einzelnen Arbeiter kostet das an Umlage ca 20–30 $ (80–120 Mark) jährlich, daneben Collekten“. Das Gehalt des Pfarrers in Tonawanda betrage jährlich „gegen 1000 $ (4200 M)“, das eines Arbeiters ebensoviel. 10  In Webers Reisekorrespondenz nicht erwähnt.

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sollte er etwas Anderes, für ihn nicht Gleichgültiges besagen, nämlich: pSei wegen deines Honorars unbesorgt!p Die Zugehörigkeit zu einer qnach amerikanischen Vorstellungenq „reputierlichen“ Kirchengemeinschaft garantiert die Reputierlichkeit des Individuums, die gesellschaftliche nicht nur, sondern auch und vor allem die geschäftliche. „Herr“, – sagte mir ein schon älterer Gentleman, der in rUndertakers Hard|warer (eisernen Leichenstein-Aufschriften) reiste und mit dem ich in Oklahoma einige Zeit zusammen war – „meinethalben mag Jedermann glau­ ben,s was ihm beliebt, – aber wenn ich von einem Kunden in Erfahrung bringe, daß er seine Kirche nicht besucht, dann ist er mir nicht für 50 Cts. gut: why pay me, if he doesn’tt believe in anything?“11 In einem so ungeheuer ausgedehnten Lande mit dünner Besiedelung und unstäter Bevölkerung, wo überdies das Gerichtsverfahren azur Zeita noch in anglo-normannischem Formalismus12 steckt, das Exekutionsrecht lax und zu Gunsten der Masse der Farmer des Westens durch die Homestead-Privilegienb so gut wie ausgeschaltet ist,13 konnte der Personalkredit eben zunächst nur auf den

p–p  A:  „Sei [.  .  .] unbesorgt!“  q–q  Fehlt in A.   r–r  A: „Undertakers Hardware“  s  Komma fehlt in A.   t  A, B: does n’t  a–a  A: z. Zt.  b  A: homestead-Privilegien 11  In Webers Reisekorrespondenz nicht erwähnt. 12  Im Unterschied zum „statute law“ des europäischen Kontinents, das auf das römische und das kanonische Recht zurückgeht, ist das angelsächsische Recht normannischen Ursprungs und als „case law“ verfaßt. Bei der Rechtsfindung spielten die Klageschemata („writs“) eine zentrale Rolle, unter Umständen ergänzt durch das Equity-Verfahren (zum Ausgleich von Härten nach richterlichem Ermessen). Während man sich in England bereits um Vereinfachung des Common law (1850, 1852) und um die Verschmelzung mit dem Equity-Recht (1875) bemühte, praktizierte man an den Gerichten der nordamerikanischen Bundesstaaten noch auf die herkömmliche Art. Zu Webers Feststellung auch Bryce: „[.  .  .] and in Chicago, a place which living men remember as a lonely swamp, special demurrers, replications de injuria, and various elaborate formalities of pleading which were swept away by the English Common Law Procedure Acts of 1850 and 1852, flourish and abound to this day“ (Bryce, American Commonwealth II, p.  504 f., im Exemplar der UB Heidelberg mit Randmarkierungen Max Webers im Kontext; vgl. auch ebd., p.  453 f.: das bestehende Recht sei unpraktisch in dünnbesiedelten Gegenden). Die formalistische Handhabung des Rechts ironisiert auch Münsterberg, Die Amerikaner I (wie oben, S.  433, Anm.  26), S.  180. 13  Das homestead law (Bundes-Heimstättengesetz) von 1862, modifiziert 1891, ermöglichte es einem Siedler, 80 bis 160 Acres unbebautes, öffentliches Land gegen eine geringe Gebühr als Wohn- und Wirtschaftsstätte zu übertragen (sog. „home-

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Krücken einer solchen kirchlichen Garantie der Kreditwürdigkeit fußen. So waren im Mittelalter bekanntlich die Bischöfe die ersten voll kreditwürdigen Schuldner, weil die päpstliche Exkommuni­ kation im Fall leichtfertiger Nichtzahlung über ihnen schwebte.14 Und das ungeheure Pumpsystem, welches zu meiner Studentenzeit für die Existenz eines Heidelberger Kouleurstudenten15 nahezu die Notwendigkeit eines eigenen „Barvorrats“ ausschaltete,16 – sobald der Fuchs „das Band erhielt“,17 zogen damals die Kreditoren die (nach damaligem Recht zulässige) Pfändung seiner Matrikel zurück, – oder jener so bedenkliche Kredit, den der deutsche Leutnant genießt, weil eventuell sein Oberst gegen ihn ein­schreitet:c 18 c A: einschreitet, – stead“). Während der ersten fünf Jahre (seit 1891: 14 Monate) haftete er bei Schulden nicht mit diesem Land. Nach Ablauf der Frist wurde er Eigentümer des Landes. Danach griff die homestead exemtion law der Bundesstaaten oder Territorien. Bei Schulden schützte es eine bestimmte Fläche (40–200 Acres) der „homestead“ oder eine entsprechende Geldsumme vor gerichtlicher Zwangsvollstreckung. – Das Exemtionsgesetz bot allerdings keinen Schutz für den Fall, daß, etwa zur Anschaffung von Maschinen, ein Kredit aufgenommen werden mußte. Dazu bedurfte es realer Sicherheiten, die unter Umständen nur unter Preisgabe des Heimstättenprivilegs gestellt werden konnten. Vgl. Sering, M[ax], Art. Heimstättenrecht, in: HdStW2, 4. Band, 1900, S.  1175–1184, über Nordamerika S.  1175–1178, Zitate S.  1176. – Auch Bryce, American Commonwealth II, p.  424, äußert sich kritisch zu den Homestead-Privilegien: „Efforts to protect individuals [.  .  .] are so frequent and indulgent that their [the States] policy is beginning to be seriously questioned.“ 14 Dieses System ist „wohl schon um 1200“ ausgebildet. Vgl. Schulte, Aloys, Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen Westdeutschland und Italien mit Ausschluß von Venedig, 1. Band. – Leipzig: Duncker & Humblot 1900, S.  230–272, bes. S.  263 ff., Zitat S.  264. 15  Max Weber war in seinem zweiten Heidelberger Semester am 1. November 1882 in die Studentenverbindung „Allemannia“ eingetreten, deren Mitglied er formell bis 1918 war. Näheres im Editorischen Bericht „Zu einer Erklärung der Heidelberger Couleurstudenten“, MWG I/16, S.  191–193, und Reinbach, Wolf-Diedrich, Max Weber und seine Beziehungen zur Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg. – Heidelberg: o.V. 1999 (hinfort: Reinbach, Allemannia). 16  Für die Heidelberger Allemannia vgl. den Bericht Theodor Pflocks über das Sommersemester 1882: „Man half sich notgedrungen durch Schuldenmachen, zumal dem Couleurpump die Heidelberger Geschäftsleute bereitwilligst entgegenkamen – ebenso wie dem persönlichen Pump der einzelnen Mitglieder [.  .  .]“ (Reinbach, Allemannia (wie oben, Anm.  15), Zitat S.  59. Nicht eingelöste Geldkredite galten als unehrenhaft und konnten zum Ausschluß aus der Verbindung führen. 17  Nach einer in der Regel zweisemestrigen Probezeit wurden die „Füchse“ (Anwärter) Vollmitglieder („Burschen“) und erhielten das meist dreifarbige Couleurband der Verbindung. 18  Schulden von Offizieren galten als Ehrenschulden. Wer seine Schulden auf Ehren-

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sie beruhen ebenfalls auf jener (wirklichen oder vermeintlichen) Bedeutung d„sozialer Bürgschaften“d: die ganze gesellschaftliche Existenz des Kreditnehmers ruht auf der Zugehörigkeit zu jener Gemeinschaft, die deshalb seine Kreditwürdigkeit garantiert.19 So steht es nune auch mit dem amerikanischen Kirchengemeindemitglied, und zwar in der höchsten Potenz: entsprechend der noch geringen Differenzierung der sozialen Zweckverbände umschließt in den Vereinigten Staaten, da, wo die alten Verhältnisse noch in Kraft stehen, die ursprünglichste und universellste Gemeinschaft,f die religiöse Gemeinde, noch fast alle „sozialen“ Interessen, welche das Individuum über die Schwelle des eigenen Heims überhaupt hinausführen. Nicht nur belehrende Vorträge, Tee-Abende, Sonntagsschule, alle denkbaren charitativeng Veranstaltungen, sondern auch die verschiedensten athleticsh, Football-Training und dergl. bietet die Kirchengemeinde und läßt die Zeiten dafür iunter Umständeni am Schluß des Gottesdienstes abkündigenk:20 ein Mann, der wegen dishonourable conductl von ihr – wie dies früher geschah – öffentlich exkludiert oder – wiem jetzt – stillschweigend aus ihren Listen gestrichen wird, verfällt damit neiner Art von sozialem Boykott;n wer außerhalb ihrer steht,o hat keinerlei gesellschaftlichen „Anschluß“. Trotz der Abschwächung, welche, ganz abgesehen von der modernen Entwickelung, schon diep im Gefolge der scharfen Konkurrenz der Denominationen unter einander grassierende Seelenfängerei naturgemäß mit sich bringt, qund trotz der allgemeinen Zersetzung dieser Machtstellung des Kirchlichen,q ist die Garantie, welche für die geschäftlichen Qualitäten in der Kirchenmitgliedschaft liegt, dennoch eine bedeutende.

d–d  A: sozialer Bürgschaften  e  Fehlt in A.   f A: Gemeinschaft:  g  Fehlt in A.    h  A: „athletics“    i–i  Fehlt in A.    k  A: ankündigen    l  A: conduct, m  In A folgt: auch  n–n  A: eo ipso dem sozialen Boykott,  o  Komma fehlt in A. p  A: die,  q–q  Fehlt in A. wort gemacht hatte und nicht tilgte, konnte vor ein Ehrengericht gezogen werden, das Sanktionen bis zur Dienstentlassung verhängen konnte (§  30 Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872). 19 Weber schreibt 1904 über Verbindungen: Sie seien „keineswegs in erster Linie Pflegestätten studentischer Ehre und Sitte, sondern einfach Avancement-Versicherungs-Anstalten“; Weber, Fideikommißfrage, MWG I/8, S.  183, Fn.  67. 20  Weber erwähnt dies auch im Brief an Helene Weber vom 20. September 1904 (in: Brief vom 19.–30. Sept. 1904, wie oben, S.  436, Anm.  4).

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Massenhafte „Orden“ und Klubs der allerverschiedenstenr Art haben nuns heute begonnen, der religiösen Gemeinschaft diese Funktion teilweise abzunehmen: Fast jeder kleine Geschäftsmann, der Etwas auf sich hält, trägt irgend eine badget im Knopfloch.21 Aber das Urbild dieser Gebilde, welche alleu dazu dienen, die „Honorigkeit“ des Individuums zu gewährleisten, ist eben die kirchliche Gemeinschaft. Am vollkommensten aber ist – und auf diesen Punkt sollte hier mit einigen Worten hingewiesen werden – diese Funktion entwickelt bei denjenigen Gemeinschaften, welche „Sekten“ in dem gleich zu erörternden22 spezifischen Sinn des Wortes sind. Mir persönlich wurde dies besonders deutlich, als ich, an einem kalten Oktobersonntag, im Vorlande der Blue Ridge Mountains in Nord Carolina einer Baptistentaufe beiwohnte:23 etwa zehna Personen beiderlei Geschlechts, in bfull dressb, stiegen nach einander in das eisige Wasser des Gebirgsbaches, in welchem während der ganzen Prozedur der schwarz bekleidete Reverend bis zur Hälfte des Körpers stand, lehnten sich nach umfangreichen Verpflichtungsformeln in seinem Arm, in den Knien einknickend, rückwärts bis zum Verschwinden des Gesichtes unter Wasser, stiegen prustendc und schlotternd her|aus und wurden von den massenhaft zu Pferd und zu Wagen gekommenen Farmern congratular A: allerentschiedensten  s  Fehlt in A.   t A: „badge“  u  A: alle  a  A: 10 b–b  A: „full dress“  c  A: pustend   21  Dieselbe Beobachtung hält Weber in seinem Brief an Helene Weber vom 19. Oktober 1904 (in: Brief vom 14.–21. Okt. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  60–73; MWG II/4) fest. Er berichtet anläßlich eines Verwandtenbesuchs auf den Farmen der Familien Jefferson (Jeff) und James Miller bei Mount Airy, North Carolina: „Auch die alte soziale Funktion dieser Sekten ist abgeschwächt. Zwar wird ein jeder, auch der Pfarrer, als ‚brother‘ X vorgestellt, aber James gehört einem ‚Orden‘ an, in den man auf Vorschlag von 5 Mitgliedern cooptiert und aus dem man bei schlechtem Wandel ausgestoßen wird. [.  .  .].“ Weber annotiert dazu: „Darauf beruht zum guten Teil die Creditwürdigkeit, Jeder trägt daher im Knopfloch die ‚badge‘ seines Ordens.“ Ähnlich im Brief an dies. vom 19. November 1904 (in: Brief vom 19. und 26. Nov. 1904, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  104–113; MWG II/4): Eine „badge“, d. h. ein „Abzeichen“ oder eine am Revers befestigte Plakette, trügen Farmer und Geschäftsleute gern, um damit ihre „Legitimation“ als „gentleman“ nach vorausgegangenen Recherchen über Charakter und Wandel zu bekunden, sie übernehme damit die Funk­ tion, die bei den „alten Sekten“ der von der Gemeinde ausgestellte „‚letter of recommendation‘“ für auswärtige „‚Brüder‘“ hatte. 22  Siehe unten, S.  446–460. 23 Die Schilderung der Baptistentaufe findet sich fast wörtlich im Brief an Helene Weber vom 19. Oktober 1904 (wie oben, Anm.  21).

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tedd und schleunigst – aber zum Teil stundenweit – nach Hause gefahren. eFaith schütze sie vor Erkältung, hieß es.e Einer meiner Vettern, der mich von seiner Farm aus hinbegleitet hatte, und – er bewahrt als Zeichen seiner deutschen Abkunft die Unkirchlich­ keit!f 24 – den Vorgang unter despektierlichem Ausspucken über die Achsel hin ansah, zeigte ein gewisses Interesse, als ein intelligent aussehender junger Mann sich der Prozedur unterzog: gOh see: Mr. X! – I told you so!g Zur Rede gestellt, erwiderte er zunächst nur: Mr. X. beabsichtigteh, in Mt. Airy eine Bank aufzumachen und brauche bedeutenden Kredit. Die weitere Erörterung ergab, daß hierfür die Aufnahme in die Baptistengemeinde nicht in erster Linie wegen der iBaptisten-Kundschafti, sondern vielmehr gerade auch für die nicht baptistischen Kunden deshalb von entscheidendem Werte sein mußtek, weil die leingehenden Recherchenl über sittliche und geschäftliche Lebensführung, welche ihr vorangingen – ich gedachte unwillkürlich unserer Recherchen bei Reserve-Offiziers-Aspiranten25 – für die weitaus strengsten und verläßlichsten galtenm: jede Unpünktlichkeit in Zahlung einer Schuld, leichtfertige Ausgaben, Wirtshausbesuch, kurz Alles, was auf die geschäftliche Qualifikation des Betreffenden ein irgend zweifelhaftes Licht fallen ließ, bedeutete – bei der dortigen Gemeinde – Abweisung. Ist er hineinballotiert, so begleitet den Einzelnen die Sekte sein Leben lang bei allen seinen Schritten: verzieht er an einen anderen Ort, so stellt sie ihm das Attest aus, ohne welches er in die dortige Gemeinde seiner „Denomination“ nicht aufgenommen wird.26 Kommt er ohne Schuld in Zahlungsschwierigkeiten, dann – dieser Punkt ist heute bei den Sekten im Verfall, findet sich aber bei zahlreichen „Orden“n – sucht sie ihn zu „sanieren“ o, damit der Ruf der Sekte nicht Schaden nehmeo. d A: „congratulated“      e–e  A: („Faith“ schützt sie vor Erkältung, hieß es). f A: Unkirchlichkeit  g–g  A: „Oh [.  .  .] so!“  h  A: beabsichtige  i–i  B: Baptisten Kundschaft  k  A: müßte  l–l  A: eingehenden Recherchen,   m  A: gelten n  A: „Orden“,  o–o  Fehlt in A. 24  Jefferson (Jeff) Miller. Weber erwähnt dessen Unkirchlichkeit – sein Bruder James sei Methodist – im Brief an Helene Weber vom 19. Oktober 1904 (wie oben, S.  442, Anm.  21). 25  Dieselbe Assoziation in Webers Brief an Helene Weber vom 19. November 1904 (mit Zitat ebd.). 26  Vgl. ebd.: „letter of recommendation“.

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Wir können die rücksichtslose Schärfe der Kontrolle, welche alle auf der Grundlage des Täufertumsp erwachsenen Sekten, besonders auch die Quäkerq, über die Lebensführung, vor allem über die geschäftliche Rechtlichkeit ihrer Zugehörigen ausübten, durch den ganzen Verlauf ihrer Geschichte hindurch verfolgen: die puritanische r„innerweltliche Askese“r gipfelte bei ihnen ja geradezu in der Wendung ihrer „Kirchenzucht“ speziell nach sdieser Seite. Unbedingtes Rechtlichkeit, daher z. B. System der festen Preise im Detailhandel,27 streng solide Kreditgebarung, Vermeidung alles „weltlichen“ Aufwands und jeder Art von debaucheryt, kurz, nüchterne Arbeitsamkeit im „Beruf“ das ganze Leben hindurch, erscheint als die spezifische, ja im Grunde geradezu als die einzige Form, in der man seine Qualifikation als Christ und damit seine moralische Legitimation für die Zugehörigkeit zur Sekte erweisen konnte.28 Wenn in Amerika die Berührung dogmatischer Dinge, speziell der usogenannten „Unterscheidungslehren“u 29 in den Predigten durchaus verpönt, ader pulpit exchangea (zeitweiliger Austausch von beliebten Predigern zwischen den Sekten)30 häufig und die Neigung, interdenominationelleb Kartelle zur Abstellung des „unlauteren Wettbewerbs“ in der Acquisition von Mitgliedern zu schließen, zur Zeit ziemlich fühlbar ist,31 so ist dies heutec zwar zum Teil Symptom des mit der Europäisierung zunehmenden Indifferentismus. Aber auch in der Vergangenheit finden sich solche spezifisch d„undogmatische“ Epochen,d und die (relative) In­­ differenz gegenüber dem Dogma ist jae geradezu Merkmal des p A: „Büßertums“  q A: Quäker  r–r  A: innerweltliche Askese  s–s  A: dieser Seite: unbedingte  t  A: „debauchery“  u–u  A: sog. „Unterscheidungslehre“ a–a  A: oder „pulpit exchange“    b  A: internominationelle    c  A: heute d–d  A: undogmatischen Epochen   e  Fehlt in A.   27  Vgl. unten, S.  445 mit Anm.  35. 28  Vgl. dazu Webers Ausführungen über die Quäker: Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  362 f., 383 und S.  409 f. mit Fn.  68. 29 Lehrhafte Formulierungen der dogmatischen Unterschiede zwischen Konfessionen oder Denominationen. 30  Weber erwähnt diese Praxis auch in seinem Brief an Helene Weber vom 20. September 1904 (in: Brief vom 19. und 20. Sept. 1904, wie oben, S.  436, Anm.  4). Auch Bryce geht darauf ein: „Such exchanges of pulpit are common among Presbyterians, Congregationalists, and other orthodox Protestant bodies“ (Bryce, American Commonwealth II, p.  579, auch p.  584; im Exemplar der UB Heidelberg unterstrich Weber den Satz auf p.  579 und das Stichwort auf p.  584). 31  Auch Bryce, American Commonwealth II, p.  584.

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(im weitesten Sinn des Wortes) „pietistischen“ Christentums.32 Die Grund­these aller Spielarten des „asketischen“ fProtestantismus (radikaler Calvinismus, Baptismus,f Mennonitentum, Quäkertum, Methodismus und die asketischen Zweige des kontinentalen Pietismus):g daß nur die Bewährung im Leben, speziell aber in der Berufsarbeit, die Versicherung der Wiedergeburt und Rechtfertigung enthalte,33 drängte immer wieder in die Bahn: derh „bewährte“ Christ ist der bewährte „Berufsmensch“, iinsonderheit der, vom kapitalistischen Standpunkt aus,i tüchtige Geschäftsmann.34 Das Christentum dieses Gepräges war einer der Haupterzieher des „kapitalistischen“ Menschen, und schon im 17. Jahrhundert jubeln die Quäker-Schriftsteller über den sichtlichen Segen Gottes, der auch die „Kinder der Welt“ in ihre (der Quäker) Geschäfte als Kunden bringe, weil sie hier die | zuverlässigste Bedienung, feste Preise usw.j zu finden sicher seien.35 Und bei dieser „pädagogischen“ Leistung wirkte nun und wirkt, wie gesagt, in gewissem Maß noch heute eben die Konstitution dieser religiösen Gemeinschaften als „Sekten“k im spezifischen Sinne des Wortes mitl. Welches ist denn nun dieser Sinn? und was ist also, auf dem Boden des abendländischen Christentums, eine „Sekte“ im Gegensatz zu einer „Kirche“?m

f–f  A: Protestantismus: – radikaler Baptismus,  g  A: Pietismus –:  h A: Der i–i  A: speziell der vom kapitalistischen Standpunkt aus  j  A: u. s. w.  k  A: „Sekten“  l  Fehlt in A.   m  In B folgt: Max Weber 32  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  311. 33  Vgl. ebd., oben, S.  242–425. 34  Vgl. ebd., oben, bes. S.  366–425. 35  „This trait [of punctuality to Words and Engagements, Ed.] was remarked to be true of them in their concerns in trade. [.  .  .] a strict execution of all commercial appointments and agreements between them and others, and because they never asked two prices for the commodities which they sold.“ Clarkson, Thomas, A Portraiture of the Christian Profession and Practice of the Society of Friends, 3. ed. – Glasgow, London 1869, p.  276. – Weber verdankt, wie er später schreibt, das Wissen über das System der festen Preise bei den Quäkern Eduard Bernstein; vgl. Weber, Protestantische Sekten, GARS I, S.  219, Fn.  1 (MWG I/18). Bernstein, Kommunistische Strömungen, S.  682 mit Anm., erwähnt das Preissystem der Quäker. Weber fragt ihn in einem Brief vom 10. Dezember 1904 (IISG Amsterdam, Nl. Bernstein; MWG II/4) nach einer Quelle dafür. – Das System der „feste[n] Preise“ soll bereits der Quäker-Gründer George Fox entwickelt haben; vgl. Fox, George, An Aurobiography, ed. with an introduction and notes by Rufus M. Jones, vol. I. – Philadelphia: Ferris & Leach 1903, p.  36.

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Was ist also, auf dem Boden des abendländischen Christentums, eine „Sekte“ im Gegensatz zu einer „Kirche“?p n Weder die bloße Beschränktheit der Bekennerzahl – qdie Baptisten sind eine derq stärksten aller protestantischen Denominationen36 – noch das staatskirchenrechtliche Merkmal der fehlenden „Anerkennung“, d. h. Privilegierung,r durch den Staat – die in Amerika ja allen Denominationen gemeinsam ist37 – können schon san sichs entscheidend sein. Allerdingst wissen wir, daß der Umfang einer sozialen Gruppe auf ihre innere Struktur den ein­ schneidendsten Einfluß zu haben pflegt. Und die Beschränkung der Größe der kirchenrechtlichen uEinheit, der Gemeindeu, auf einen solchen Umfang, daß alle Mitglieder einander persönlich kennen, und also ihre „Bewährung“ gegenseitig beurteilen und kontrollieren können, gehörtev von jeher zu den Fundamental­ prinzipiena des Täufertums und, in Form der Bildung der bsogenannten class meetingsb, in denen die Mitglieder, ursprünglich wöchentlich, eine Art gegenseitiger Beicht-Kontrolle ausübten, auch cdes genuinenc Methodismus,38 ebenso daber der ecclesio-

n–n  Fehlt in A; in A folgt ohne Absatz „Weder [.  .  .]“    o In B geht voraus: „Kirchen“ und „Sekten“ in Nordamerika / Eine kirchen- und sozialpolitische Skizze p B: „Kirche?“  q–q  A: Methodisten und Baptisten sind mit die  r  Komma fehlt in A.   s–s  A: an sich   t  In A folgt: aber  u–u  A: Einheit: der Gemeinde v  A: gehört    a  A: Fundamentalprinzipen    b–b  A: sog. „class meetings“ c–c  A: der genuine   d–d  A: der 36  Nach Carroll, Religious Forces (wie oben, S.  434, Anm.  61), p.  445, waren die Baptisten nach den Katholiken (über 8 Mio., davon ca. 7,9 Mio. römisch-katholisch, vgl. p.  445) und den Methodisten (knapp 5,5 Mio.) im Jahr 1895 mit knapp über 4 Millionen die drittgrößte religiöse Gemeinschaft und zweitgrößte protestantische Denomination in den USA (1900: Baptisten 4,4 Mio., Methodisten 5,8 Mio., Katholiken 8,4 Mio., so Scharff, Philipp/Brendel, L. u. a., Art. Nordamerika, Vereinigte Staaten von, in: RE3, 14. Band, 1904, S.  165–213, hier S.  174. 37  Vgl. dazu oben, S.  438, Anm.  8. 38  Die Einteilung der methodistischen „societies“ in Klassen, die anfangs 12, später bis zu 20 Glieder umfaßten und deren class leader mit der sittlichen Aufsicht beauftragt war, wurde 1742 von John Wesley in Bristol begründet. Vgl. Loofs, Art. Methodismus, S.  770, für das 19. und beginnende 20. Jahrhundert in England ebd., S.  796 f. Wöchentliche class meetings dienten auch in den USA der Pflege des geistigen Le-

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lae39 desd Pietismus. Man braucht den Berliner Dom nur anzusehen, um zu wissen, daß jedenfalls nicht in diesem cäsaro|papistischene Prunksaal,40 sondern weit eher in den kleinen, jeden mystischen Schmuckes entbehrendenf Betsälen der Quäker und Baptisten der „Geist“ desg Protestantismus in seiner konsequentesten Gestaltungh lebendig ist. Die starke Ausdehnung der Anhängerschaft des Methodismus, der, in seinen verschiedenen Ausprägungen, eine eigenartige Mischung „kirchen“- und „sekten“hafter Prinzipien darstellt, hat andererseits das heute zweifellose Überwiegen der ersteren sichtlich begünstigt.41 Allein die bloße Tatsache der kleinen Zahl an sich steht zwar in engem Zusammenhang mit dem inneren „Wesen“ des Sektentums, ist aber dieses selbst noch nicht. Was ferneri das Verhältnis zum Staat anlangt, so kann die „Kirche“ natürlich das faktische Fehlen der staatlichen „Anerkennung“ mit der „Sekte“ teilen:k – der wirkliche Unterschied beider liegt auch hier darin, daß, was für die „Kirche“, die lutherische und reformierte ebenso wie die katholische, „Zufall“ und ihrer ganzenl Struktur nach Prinzipwidrigkeit, für die „Sekten“ umgekehrt Ausfluß eines religiösen Gedankens ist. Für alle aus der großartigen volkstümlichen Bewegung des Täufertums hervorgegangenen Sekten ist die „Trennung von Staat und Kirche“ dogmatischer

e A: cäsaropagistischen  f  A: entbehrenden,  g  A: der  h  A: Ausprägung i  A: aber  k A: teilen,  l  In A folgt: rechtlichen bens und der Kirchenzucht. Vgl. Nuelsen, J[ohn] L[ouis], Art. Methodismus in Amerika, in: RE3, 13. Band, 1903, S.  1–25 (hinfort: Nuelsen, Art. Methodismus in Amerika), hier S.  17. Über den Charakter der Versammlungen vgl. auch Jacoby, Handbuch des Methodismus, S.  355–366 (mit Markierungen Max Webers im Exemplar der UB Heidelberg). – Als „Surrogat des katholischen Beichtinstituts in collegialischer Form“ beurteilt die class meetings auch Schneckenburger, Kirchenparteien, S.  133. 39  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  315 mit Anm.  40. Gemeint sind die pietistischen Konventikel, in denen sich die Gläubigen zur Erbauung außerhalb des Gemeindegottesdienstes trafen. 40  Der Berliner Dom wurde am 27. Februar 1905 eingeweiht. Formwahl und ikonographisches Programm des barockisierenden, auf triumphale Repräsentanz zielenden Monumentalbaus zeigen den Anspruch des Bauherrn Kaiser Wilhelm II., ein Sinnbild der Synthese von Thron und Altar zu schaffen. 41  Allein in den USA werden von Carroll, Religious Forces (wie oben, S.  434, Anm.  61), p.  225, 17 methodistische Zweige gezählt (ebenso Nuelsen, Art. Methodismus in Amerika; wie oben, Anm.  38). Die meisten Mitglieder (2,6 Mio.) hatte laut Carroll die Methodist Episcopal Church (ebd., p.  450 f., p.  456).

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Grundsatz,42 mfür diem radikal pietistischen Gemeinschaften (calvinistische Independenten und radikale Methodisten) wenigstens Strukturprinzip.n Eineo „Kirche“p will eine „Anstalt“ sein, eine Art göttlicher Fideikommißstiftung zur Seelenrettung derq Einzelnen, die in sie hineingeboren werden und für sie prinzipiell Objekt ihrer an das „Amt“ gebundenen Leistung sind.43 Eine „Sekte“r – nach der hier ad hoc geschaffenen Terminologie, die selbstredend von den „Sekten“ selbst nicht verwendet werden würde44 – ist dagegen eine freie Gemeinschaft lediglichs religiös qualifizierter Individuen, in welche der Einzelne kraft beiderseits freier Entschließung aufgenommen wird. Die geschichtlich gegebenen Ausprägungen des religiösen Gemeinschaftslebens fügen sich – wie immer, so auch hier – dem begrifflichen Gegensatz durchaus nicht einfach als Exemplare ein. Man kann immer nur fragen, in welchen Hinsichten eine konkrete Denomination dem einen odert anderen „Typus“ entspricht oder nahesteht. Aber der prinzipielle Gegensatz des Grundgedankens macht sich immer wieder fühlbar. Während die Taufe ausschließlich auf Grund eines freien Entschlusses erwachsener Bekenner das adäquate Symbol des spezifischen „Sekten“-Charakters des Täufertums war, zeigta z. B. die innere Unwahrheit der „Konfirmation“,45

m–m  A: bei den  n  In A folgt: (Schluß folgt.)  o  In A geht voraus: „Kirchen“ und „Sekten“. / Von Prof. Max Weber (Heidelberg). / (Schluß.)  p  A: „Kirche“ q  A: des  r  A: „Sekte“  s  A: lediglich  t  In A folgt: dem  a  A: zeugt 42  Für Mennoniten, Quäker, General und Particular Baptists; dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  349 f. mit Fn.  126, auch S.  359 f. 43  Skizziert bereits von Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  349. 44  Vgl. ebd., oben, S.  349, Fn.  126: Weil sie sich als „die Kirche“ nach Epheser 5,27 definieren. Vgl. auch die von Weber gebrauchte Bezeichnung „believers’ church“, ebd., oben, S.  348 f. 45  Als bedenklich diskutierte man im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, daß man den 14- oder 15-jährigen Konfirmanden die Mündigkeit in Glaubenssachen zuspreche, ohne daß sie doch bereits reife Erwachsene wären: „Sollten sie nun kirchlich mündig sein, und sollte das etwas so Großes sein, daß sie nun selbst mit eigenem Mund, eigener freier Entschließung sich zu ihrem Heiland bekennen, dann ist es kein Wunder, wenn sie nun angesehen werden und sich selber ansehen als solche [.  .  .], die in allem Wesentlichen jetzt den Erwachsenen gleich sind. Man ist zu hoch einhergefahren und muß nun von rechts wie von links den Vorwurf hören von der Unwahrheit der K[onfirmation].“ Simons, Ed[uard], Art. Konfirmation I., in: RGG, 3. Band, 1912, Sp.  1642–1652, Zitat Sp.  1646.

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deren Verlegung baus demb Kindheitsalter bekanntlich auch Stoeckerc befürwortet,46 den inneren Widerspruch dieses nur formal „spontanen“ Bekenntnisses gegen die Struktur unserer „Kirchen“, die, eben als solche, nie prinzipiell über die keineswegs so sehr „naive“ bäuerliche Vorstellung hinausgelangen können, wonach der Pfarrer, alsd Verwalter jenes göttlichen Fideikommisses, mehr glauben müsse als die Gemeinde und, kraft besonderer Gnadengaben, dazu auche imstande sei. Der „Universalismus“ der „Kirchen“ läßt ihr Licht über Gerechte und Ungerechte | scheinen:47 nur die offene Auflehnung gegen ihre Autorität, wie sie auch in notorischer und hartnäckiger Unbußfertigkeitf sich äußert, führt zur „Bannung“. Die Gemeinschaft der g„Wenigen, die auserwählt sind“g,48 bleibt, als die „unsichtbare Kirche“,h in ihrem Bestande nuri Gott bekannt.49 Für die genuine „Sekte“ ist dagegen die „Reinheit“ ihres Personalbestandes Lebensfrage:50 in der Periode der Bildung der pietistischen Sekten war das treibende Motiv stets das tiefe Grauen davor, mit einem „Verworfenen“ das Abendmahl zu teilen51 oder gar es aus der Hand eines Verworfenen, eines beamteten

b–b  A: in das  c  A: Stöcker  d  A: der  e  Fehlt in A.   f  A: Sündhaftigkeit g–g  A: „wenigen, die auserwählt“ sind   h  Komma fehlt in B.   i  A: und 46  Adolf Stoecker hatte zur Änderung der Konfirmationspraxis ein dreistufiges Verfahren vorgeschlagen: 1. Am Ende der Volksschulzeit (d. h. für die 14- oder 15-Jährigen) solle nach vorausgehendem Unterricht eine gottesdienstliche Feier stattfinden, aber ohne Abendmahlsrecht. 2. Nur auf Bitten des Konfirmierten solle die Gemeinde das Recht zur Teilnahme am Abendmahl verleihen.  3. Die Gemeinderechte (Patenrecht, kirchliches Wahlrecht) dagegen sollen erst nach weiterem Unterricht und nach Bekenntnis und Gelübde verliehen werden. Vgl. Stöcker, Ad[olf], Die Änderung der bisherigen Konfirmationspraxis. Aus den Verhandlungen der 5. Hauptversammlung der freien kirchlich-sozialen Konferenz zu Erfurt am 18.–20. April 1900. Referat [.  .  .]. – Berlin: Verlag der Buchhandlung der Berliner Stadtmission 1900, S.  10–24 (dass. in: ders., Reden und Aufsätze, hg. von Reinhold Seeberg. – Leipzig: A. Deichertsche Verlagsbuchhandlung 1913, S.  250–264). 47  Nach Mt 5,45 [1892]: „Auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten, und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Weber ersetzt „Vater im Himmel“ durch die „Kirchen“. 48  Zitat nach Mt 22,14. 49  Zur Unterscheidung von „sichtbarer“ und „unsichtbarer“ Kirche nach dem Sprachgebrauch der Reformationskirchen vgl. auch Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  349 mit Fn.  125, sowie das Glossar, unten, S.  838. 50  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  298 und 357. 51  Vgl. ebd., oben, S.  298, auch S.  273, S.  309, Fn.  76, und S.  312, Fn.  78.

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„Mietlings“,52 dessen Wandelk nicht die Zeichen der Erwählungl an sich trug, zu empfangen. Die „Sekte“ will religiöse „Elite“ sein, die „unsichtbare Kirche“ sichtbar in der Gemeinschaft der „bewährten“ Mitglieder dargestellt sehen.53 Unerträglich muß ihr die Einmischung nicht religiös Qualifizierter in ihr inneres Leben, mvor Allem deshalb jedem Beziehung zu irdischen Gewalthabern sein: – der nSatz „Mann muß Gott mehr gehorchen als dem Menschen“,54 dessen verschiedene Auslegungeno und Ausdeutungen, in gewissem Sinn, die ganze Kulturmission des westeuropäischen Christentums in sich schließen, gewinnt hierp seine spezifisch anti-autoritäreq Note.r Die ausschließliche Schätzung des Menschen lediglicha nach den religiösen Qualitäten, die er in seiner Lebensführungb bewährt, schneidet notwendig jeder cfeudalen undc dynastischen Romantik die Wurzel ab. Der Abscheu vor jeder Art von „Kreaturvergötterung“ war zwar weder auf die „Sekten“ in unserem technischen Sinn beschränkt, noch ist er allen sektenartig konstituiertend Gemeinschaften eohne Weiterese eigen.55 Er ist vielmehr Attribut jeder dem Wesen nach asketischen fReligiosität undf bei den calvinistischen Puritanerng direkte Konsequenz des Prädestinationsgedankens, vor dessen fürchterlichem Ernst alles „Gottesgnadentum“ irdischer Instanzen als blasphemischer Schwindel in Nichts zerfallen mußte.56 Aber allerdings gewann hjene Stimmungh auf dem seiner Natur nach anti-autoritären Boden des Sektentums erst seine vollste Ausprägung. Wenn der Quäker um der strikten Versagung aller höfischen oder dem Hofleben entstammenden Ehrfurchtsfor-

k A: „Wandel“  l A: „Erwählung“  m–m A: überhaupt jede  n–n A: Satz: „man  o A: Ausprägungen  p In A folgt: überhaupt  q A: anti-autoritative r Kein Absatz in A.   a A: lediglich  b In A folgt: sittlich  c–c Fehlt in A. d B: konstruierten  e–e A: ohneweiters  f–f  A: Religiosität,  g  In A folgt: aber  h–h  A: er 52  Nach Joh 10,12 f.; d. h. ein von der Kirche angestellter und bezahlter Geistlicher im Gegensatz zu dem sich durch religiöse Qualifizierung ausweisenden Geistlichen einer Freikirche, „Sekte“ oder Denomination, der durch freiwillige Gaben der Mitglieder unterhalten wird. 53  Vgl. dazu auch Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  349. 54  Apg 5,29 („[.  .  .] denn den Menschen“ [1892]). 55  Dazu die Ausführungen: Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  266–268, Fn.  21. 56  Ähnlich bereits ebd., oben, S.  297.

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men willen nicht nur die Märtyrerkrone,57 sondern die so viel schwererei Last der alltäglichen Verspottung auf sich nahm, so geschah dies aus der Überzeugung, daß jene Ehrfurchtsbezeugungen Gott allein gebührten und es eine Beleidigung seiner Majestät sei, sie einem Menschen zu gewähren.58 Die unbedingte Ablehnung aller solcher Anforderungen des Staats, welche „gegen das Gewissen“ gehen, und die Forderung der „Gewissensfreiheit“ als absolut jgültigen Rechtsj des Einzelnen gegen den Staat war nur auf dem Boden des Sektentums konsequent als eine positiv religiöse Forderung denkbar.59 Sie war am folgerichtigsten in der Quäker-Ethik fundamentiert, zu deren Leitsätzenk es gehörte, daß, was für lden Einen Pflicht, für den Andernl verboten sein kann, wenn bei jenem das Tun, bei diesem aber das Unterlassen der Stimme seines eigenenm sorgsam erforschten Gewissensn entspricht.o 60 Die Autonomie des Individuums erhielt so einen nicht im Indifferentismus, sondern in religiösen Positionen ruhenden Ankergrund, und der Kampf gegen alle Arten „autoritärer“ Willkür wuchs zur Höhe einer religiösen Pflicht empor. Und zugleich gewann so der Individualismus in der Zeit seiner heroischen Jugend eine eminente i A: schwierigere  j–j  A: gültiges Recht  k  A: Fundamentalsätzen  l–l  A: die einen [.  .  .] die andern   m  Fehlt in A.   n  A: Geistes  o  In A folgt Absatz. 57  In England sollen von 1656 bis 1658 über 3000 Quäker inhaftiert gewesen sein, 1662 über 4000; vgl. Weingarten, Revolutionskirchen Englands, S.  272 mit Anm.  3; Skeats, Free Churches, p.  70 und 77. Besonders scharf ging man in den Puritanerkolonien in den 50er Jahren des 17. Jahrhunderts gegen die Quäker vor. Sie wurden ins Gefängnis geworfen, gefoltert oder verbannt. Ihre „Märtyrerfreudigkeit“, ausgehend von der Ablehnung der Ehrfurchtsformen, schildert Weingarten, ebd., S.  405–408. 58  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  352 f. mit Fn.  130; die Begründung bei Barclay, Apology, p.   515, 519  ff.; Weingarten, Revolutionskirchen Englands, S.  399 f. 59  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  312–314, Fn.  78, sowie Jellinek, der in diesem Kontext oft von „Gewissensfreiheit“ (oder Äquivalenten) spricht; Jellinek, Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte2, S.  35 ff. Weber hebt die Bedeutung dieses Gedankens auch im Brief an Adolf Harnack vom 12. Januar 1905 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nl. Adolf von Harnack, K. 44, Bl.  1–2; MWG II/4) hervor: „Ich bin über die amerikanische Freiheit sehr andrer Meinung. [.  .  .] Wir dürfen doch nicht vergessen, daß wir den Sekten Dinge verdanken, die Niemand von uns heute missen könnte: Gewissensfreiheit u. die elementarsten ‚Menschenrechte‘, die uns heut selbstverständlicher Besitz sind. Nur radikaler Idealismus konnte das schaffen.“ 60  Vgl. Weber, Protestantischen Ethik II, oben, S.  356, Fn.  134, mit Zitat aus Barclay, Apology, p.  487.

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gemeinschaftsbildende Macht.61 Dem leicht mit ethischer Genügsamkeit sich verkoppelnden Universalismus der „Kirche“ tratp bei der Sekte einq mit ethischem Rigorismus gepaarter Propagandismusr gegenüber: am folgerichtigsten wiederum in der Ethik der Quäker entwickelt in dem Gedanken, daß Gott sein „inneres Licht“ auch denen mitteilen könne, zu welchen sdas Evangelium nie gedrungen seis: nicht objektivierte Urkunden und Traditionent, sondern das religiös qualifizierte Individuum gilt eben als Träger der ewig sich fortsetzenden, nie vollendeten Offenbarung.62 Die „unsichtbare“ Kirche ist also hier größer als die „sichtbare“ Sekte,63 und es gilt, ihre Angehörigen zu sammeln: die protestantische Mission ist dem Schwerpunkt nach nicht aus den Kreisen der korrekten, an die parochiale Fixierung ihres „Amts“ gebundenen „Kirchen“, sondern von seiten des Pietismus und der Sekten aufgenommen worden.64 Welche mächtige ökonomische Interessen dabei die sektenmäßige Form der Gemeinschaftsbildung in ihren Dienst nahmu, | zeigten wohl die Beispiele, welche eingangs dieser Zeilen angeführt wurden.65 Die Sekte selbst ist ein ihrer Natur nach „partikularistisches“ Gebilde, – aber die Sekten-Religiosität

p A: tritt  q  In A folgt: ganz anders gearteter,   r A: Universalismus   s–s A: die Evangelien nie gedrungen seien  t A: Individuen  u  Zu erwarten wäre: nahmen 61  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  261–265. 62  Vgl. ebd., oben, S.  354 f. mit Fn.  133. Grundlage ist Barclay, Apology, Proposition II. „Of Immediate Revelation“, p.  18–67: Der wahre Glaube gründe auf der inneren, un­ mittelbaren Offenbarung Gottes, nicht auf der (heiligen) Schrift (die Relativierung der Schriftautorität ebd. in Proposition III, p.  67–94). 63  Vgl. Weber, Exzerpt, Bl.  35r. Dieser Gedanke kommt Weber zu Barclay, Apology, p.  271–275, vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  354, Anm.  37. Die universale, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umspannende Kirche („Universal“ oder „Catholick Church“) umfaßt nach Barclay auch die vom „inneren Licht“ affizierten „Heathens, Turks, Jews“ (p.  273). 64  Das „persönliche Christentum“ und das „Drängen auf Bethätigung des Glaubens, auf Aktivität“ waren nach Gustav Warneck die Werte, die den Pietismus zur Weltmission animierten (vgl. Warneck, Art. Mission unter den Heiden, protestantische, in: RE3, 13. Band, 1903, S.  125–171, Zitate S.  134): Nach früheren Massentaufen und Indianermissionen wurden im 18. Jahrhundert erstmals in den Franckeschen Stiftungen ca. 60 Missionare für die Dänisch-Hallesche Mission methodisch ausgebildet. Auch die Brüdergemeine Ludwig Reichsgraf von Zinzendorfs betrieb Mission. Später, am Ende des 18. und während des 19. Jahrhunderts, ging von der Erweckungsbewegung die Gründung von Missionsgesellschaften aus. 65  Siehe oben, S.  435–445.

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ist eine der spezifischsten Formen lebendiger, nicht nur traditio­ neller,a „Volks“-Religiosität. Die Sekten allein haben es fertig gebracht, positive Religiosität und politischen Radikalismus zu verknüpfen, sie allein haben vermocht, auf dem Boden protestan­ tischer Religiosität breite Massen und namentlich: moderne Arbeiter, mit einer Intensität kirchlichen Interesses zu erfüllen, wie sie außerhalb ihrer nur in Form eines bigotten Fanatismus rückständiger Bauern gefunden wird. Und darin ragt ihre Bedeutung über das religiöse Gebiet hinaus. Nur sie gaben z. B. der bamerikanischen Demokratieb die ihr eigene elastische Gliederung und ihr individualistisches Gepräge. Einerseits stellte der Gedanke, daß lediglichc die von Gott dem Individuum verliehenen religiösen Qualifikationen alleind über sein Seelenheil entscheiden, daß keinerlei sakramentale Magie ihm darin nützen könne,66 daß nur sein prak­ tisches Verhalten, seine „Bewährung“[,] ihm ein Symptom dafür sein könne, daß er auf dem Wege des Heils sei,67 den Einzelnen in der ihm wichtigsten Angelegenheit absolut auf sich selbst allein;68 andererseits wurde ausschließlich diese sich „bewährende“ Quali­ fikation des Individuums Grundlage des sozialen Zusammenschlusses der Gemeinde.69 Und nach dem Schema der „Sekte“ ist nune die ungeheure Flut sozialer Gebilde konstituiert, welche alle Winkel des amerikanischen Lebens durchdringen. Wer sich unter „Demokratie“, wie unsere Romantiker es lieben, eine zu Atomen zerriebene Menschenmasse vorstellt, der irrt sich, soweit wenigstens die amerikanische Demokratie in Betracht kommt, gründlich: nicht die Demokratie, sondern der bureaukratische Rationalismus pflegt diese Konsequenz des „Atomisierens“ zu haben, die alsdann durch die beliebte Oktroyierung von „Gliederungen“ von oben herab nicht beseitigt wird. Die genuine amerikanische Gesellschaft – und es ist hier gerade auch von den „mittleren“ und „unteren“ Schichten der Bevölkerung die Rede – war a  Komma fehlt in A.   b–b A: amerikanischen Demokratie  c  Fehlt in A.   d In A folgt: lediglich  e  Fehlt in A. 66  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  260. 67  Vgl. ebd., oben, S.  279–285 und 296. 68  Vgl. ebd., oben, S.  259–265 und 272–276. 69  Vgl. ebd., oben, S.  296–298, für den Pietismus S.  321 f., für die Methodisten S.  341 und die täuferischen Gemeinschaften und Quäker S.  357.

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niemals ein solcher Sandhaufen, niemals auch ein Gebäude, wo Jeder, der da kommt, unterschiedslos offene Türen findet: sie war und ist durchsetzt mit „Exklusivitäten“ aller Art.1) f Nirgends bekommt – wo die alten Verhältnisse noch | bestehen – der Eing 1)  Hier liegen einige jener Differenzpunkte, über welche ich, wäre ich nicht durch andre Arbeiten erschöpfend in Anspruch genommen,70 mich gern bei dieser Gelegenheit mit dem Vortrag meines Freundes und Kollegen Troeltsch auf dem Breslauer Evangelisch-Sozialen Kongreß auseinandersetzen würde.71 An dieser Stelle sei nur angedeutet, daß die ständige Identifizierung von „konservativ“ und „aristokratisch“ bei ihm72 (wie bei so vielen Andren) zu manchen anfechtbaren Thesen führt. Daß beide Begriffe aber durchaus nicht identisch sind, und nur in Folge der heutigen historischen Konstellation bei uns in Deutschland so oft identifiziert zu werden pflegen, ist meines Erachtens nicht bestreitbar. Eine „volle“ Demokratie – nach dem üblichen Sinn dieses Wortes – ist in mehr als einem Sinne geradezu das „konservativste“ Gebilde, das es gibt, und die soziale, ökonomische, politische Differenzierung stellt ihr gegenüber einen revolutionierenden Entwicklungsprozeß dar. Des Weiteren ist auch der Sprachgebrauch bezüglich der Worte „Aristokratie“ und „Demokratie“ meines Erachtens bei Troeltsch73 (und bei vielen Andren) zu undifferenziert: setzt man Aristokratie einfach = soziale Exklusivität einer Menschengruppe, dann ist zunächst zu unterscheiden, ob sich die Zugehörigkeit zu jener Gruppe an persönliche Qualitäten oder Leistungen des Einzelnen anknüpft (Prädestination, „Bewährung“ in religiöser, geschäftlicher, sportlicher, „menschlicher“ etc. Hinsicht), oder ob durch die erblich überkommene soziale Schichtung ihm zugekommene Qualifikationsmerkmale oder die ihm zugerechnete soziale Position seiner Vorfahren etc. etc., kurz ob – nicht die Qualität der Person, son-

f  Index und Fußnote fehlen in A.   g–g  (S.  455) Fehlt in A. 70 Im Frühsommer 1906 war dies vor allem die Abfassung und Drucklegung von: Weber, Rußlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus, MWG I/10, S.  280–684, vgl. zur Datierung den dortigen Editorischen Bericht, S.  282 ff. 71  Gemeint ist Ernst Troeltschs Referat „Die christliche Ethik und die heutige Gesellschaft“ (Troeltsch, Christliche Ethik), das er auf dem Evangelisch-Sozialen Kongreß im Mai 1904 in Breslau gehalten hatte. 72  Als „Konservatismus“ gilt Troeltsch ein „ethisch-politisches Prinzip“, das im Unterschied zum demokratischen Prinzip nicht die prinzipielle Gleichheit, sondern die „nie auszutilgende Ungleichheit“ der Menschen postuliert. Dabei gehe es nicht um ein „absolutes Konservieren gegebener Autoritäten, sondern um das Autoritätsprinzip überhaupt“. Es sei „deshalb im Grunde das aristokratische Prinzip, die Aristokratie nur im politisch-sozialen Sinne verstanden, wo sie die aus der Verschiedenheit und aus dem Kampf erwachsende, Herrschaft und Herrschaftsfähigkeit forterbende, Macht Einzelner und einzelner Schichten bedeutet.“ Zitate: Troeltsch, Christliche Ethik, S.  22 f. Dazu auch den Editorischen Bericht, oben, S.  430 f. 73 Bei Troeltsch wurzelt die Aristokratie „vorzugsweise in dem Grundbesitze“; Troeltsch, Christliche Ethik, S.  24.

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zelne endgiltigh Boden unter die Füße, weder auf der Universität noch im Geschäftsleben, wenn es ihm nicht gelingt, in einen sozia­ len Verband, früher fast stets kirchlicher, heute irgendwelcher andereni Art, hineinballotiert zu werden und sich darin zu behauptenk. Und in der inneren Eigenart dieser Verbände waltet der alte „Sektengeist“ mit schonungsloser Konsequenz. Stets sind sie „Artefakte“, in der Terminologie von lFerdinand Tönniesl gesprochen: „Gesellschaften“ und nicht „Gemeinschaften“.74 Das heißt: sie ruhen weder auf „Gemüts“-Bedürfnissen noch erstreben sie „Gemütswerte“; der Einzelne sucht sich selbst zu behaupten, indem er sich der sozialen Gruppe eingliedert; es fehlt jene undifferenziertem bäurisch-vegetative „Gemütlichkeit“, ohne die der Deutsche keine Gemeinschaft pflegen zu können glaubt. Die kühle Sachlichkeit der Vergesellschaftung fördert die präzise Einordnung des Individuums in die Zwecktätigkeit der Gruppe – sei diese Football-Club oder politische Partei –, aber sie bedeutet keinerlei Abschwächung der Notwendigkeit für den Einzelnen, für seine Selbstbehauptung konstant besorgt zu sein: im Gegenteil, gerade dern – ihre Position die exklusive Gruppe konstituieren. An das letztere Merkmal pflegen wir zu denken, wenn wir von „Aristokratie“ reden, – bei Licht besehen: merkwürdig genug! denn von einer Gemeinschaft persönlicher ἄριστοι75 ist dabei ja keineswegs in der Art die Rede, wie bei jener andren, den übernommenen Exklusivitäten der amerikanischen „Demokratie“ eignen Form. Selbst die Millionärsklubs drüben machen noch nicht unbedingt eine Ausnahme: man kann leicht bemerken, daß, während bei uns erst dem Enkel des „Parvenu“ die Weihe des Bluts zuerkannt wird, das genuine Amerikanertum umgekehrt nicht sowohl die Million und den Mann in Millionärsposition, sondern den Mann, der die Million zu erwerben verstand, schätzt.76 Will man also, wie auch Troeltsch es tut, die Stellung des Christentums zur „Demokratie“ oder „Aristokratie“ erörtern, so wird neben den sehr verschiedenen Bedeutungen des Wortes „Demokratie“ auf dem Boden des ihr üblicherweise entgegengesetzten Begriffs „Aristokratie“ doch wohl die „Positions“- und die „Qualitäts“-Aristokratie | scharf zu B 581 scheiden, der Begriff des „Konservativen“ aber zunächst sorgsam davon fernzuhalten sein.g

g  (S.  454) –g  Fehlt in A.    h A: endgültig    i  A: anderer    k  A: behaupten l–l  A: F. Tönnies   m A: indifferenzierte 74  Vgl. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft; Weber äußert sich später kritisch dazu im Brief an Ferdinand Tönnies vom 29. August 1909, MWG II/6, S.  237–239. 75  Griech., Tl.  áristoi (Pl., Sgl. áristos), die „Besten“, „Edelsten“, „Vornehmsten“. 76  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  408, Fn.  65.

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innerhalb der Gruppe, im Kreise der Genossen, tritt diese Aufgabe, sich zu „bewähren“, erst recht an ihn heran. Und nie ist daher der soziale Verband, dem der Einzelne zugehört, für ihn etwas „Organisches“, ein mystisch über ihm schwebendes und ihn umschließendes Gesamtwesen, stets vielmehr ganz bewußt ein Mechanismus für seine eigenen,n materiellen oder ideellen Zwecke. So auch die höchsten sozialen Körper, im Verhältnis zu denen sich die typische „Respektlosigkeit“77 des modernen Amerikaners so energisch manifestiert: Wechsel diskontieren78 ist ein businesso, und Verfügungen in staatliche Akten schreiben ist auch ein businessp, und das letztere ist durch keinerlei „Weihe“ von dem ersterenq unterschieden. Und: „es geht auch so“! – wie unbefangene deutsche Beamte, wenn sie die ausgezeichnete Arbeit, die von amerikanischen Officers geleistet wird und für unser Auge unter der dicken Kruste von großstädtischer Korruption, Parteigetriebe und bluffr verborgen sich vollzieht,79 kennen lernen, sehr regelmäßig mit großem Erstaunen zuzugestehen pflegen.s 80 Gewiß: der demokratische Charakter Nordamerikas ist durch den kolonialen Charakter seiner Kultur bedingt und zeigt daher die Neigung, gemeinsam mit diesem sich abzuschwächen. Und ferner: auch von jenen speziellen amerikanischen Eigentümlichkeiten, die hier besprochen wurden, ist ein Teil durch die nüchternea pessimi-

n  Komma fehlt in A.     o A: „business“      p A: „business“      q A: ersten r A: „bluff“  s  Kein Absatz in A.   a  A: „nüchterne“ 77  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  353, Fn.  130 mit Anm.  32. 78  Bei Ankauf noch nicht fälliger Wechsel (Wertpapiere) werden die Zinsen im Zeitraum des Ankaufstags bis zum Fälligkeitstag sowie eine Diskontprovision abgezogen (diskontiert). 79  Zur Kritik am amerikanischen, korruptionsanfälligen Regierungssystem, dem ein fachqualifiziertes Berufsbeamtentum fehlte, vgl. auch Bryce: „The offices are well paid, the patronage is large, the opportunities for jobs, commissions on contracts, pickings, and even stealings, are enormous“ (Bryce, American Commonwealth II, p.  96), und Münsterberg, Die Amerikaner I (wie oben, S.  433, Anm.  26), S.  86 f. – Das amerikanische Regierungssystem beruhte auf allen Ebenen (Bund, Staaten, Kommunen) auf dem spoils system, d. h. der Stellenbesetzung nach einem Wahlsieg mit eigenen Gefolgsleuten. Zwar bemühte man sich seit den 1870er Jahren um eine civil service reform, und mit der Pendleton Act 1883 hatte man auch eine Eignungsprüfung für Regierungsbeamte durchgesetzt. 80  Nicht nachgewiesen.

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stische Beurteilung der Menschen und alles Menschenwerks, die allen, auch den „kirchlichen“ Ausprägungen des Puritanismus eignet, bestimmt. Aber jene Verbindung der innerlichen Isolierung des Individuums, die ein Maximum von Entfaltung seiner Tatkraft nach außen bedeutet, mit seiner Befähigung zur Bildung von sozia­ len Gruppen von festestem Zusammenhalt und einem Maximum von bStoßkraft – sie istb, in ihrer höchsten Potenz, zuerstc auf dem Boden der Sektenbildungd gewachsen. Wir modernen, religiös „unmusikalischen“e Menschen81 sind schwer imstande, uns vorzustellen oder auch nur einfach zu glauben, welche gewaltige Rolle in jenen Epochen, wo die Charaktere der modernen Kulturnationen geprägt wurden, diesen religiösen Momenten zufiel, die damals, als die Sorge für das „Jenseits“ den Menschen das Realste von Allem war, was es gab, Alles überschattete.82 Es ist und bleibt unser Schicksal, daß, aus zahlreichen historischen Ursachen, die religiöse Revolution damals für uns Deutsche eine Entwicklung bedeutete, die nicht der Tatkraft der Individuen, sondern dem Nimbus des „Amts“ zu gute kam, und daß Hand in Hand damit jene Situation entstand, welche, weil die religiöse Gemeinschaft nach wie vor nur als „Kirche“, als Anstalt, bestand, alles Streben nach Emanzipation des Einzelnen von der „Autorität“, allen „Liberalismus“ im weitesten Sinne des Wortes, in die Bahn der Feindschaft gegen die religiösen Gemeinschaften treiben mußte fund zugleich ihm selbst die Entwicklung jenerf gemeinschaftsbildenden Kraft vorenthielt, welche – neben anderen historischen Faktoren! – auch die Schule des „Sektentums“ der in all diesen Beziehungen so ganz andersartigen angelsächsischen Welt gewährt hat.83 Diese Ent|wicklung ist heuteg auf dem Gebiet des

b–b  A: Stoßkraft ist  c  Fehlt in A.   d  A: Sektenbildung  e  In A folgt ein Komma.  f–f  A: und ihm selbst zugleich jene Schulung der  g  A: heute   81  Musik und Religion verbindende Redewendung, wie sie z. B. bei Friedrich Schleiermacher begegnet; vgl. ders., Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern [1899], in 2.  Aufl. mit neuer Einleitung versehen von Rudolf Otto. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1906. Dazu auch die Einleitung, oben, S.  23 f., Anm.  89. 82  Ähnlich Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  245 und 424. 83  Vgl. dazu Webers Brief an Adolf Harnack vom 5. Febr. 1906, MWG II/5, S.  32 f., mit Zitat im Editorischen Bericht, oben, S.  427, Anm.  5.

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religiösen Gemeinschaftslebens selbstverständlich nicht „nachzuholen“, auch wenn Jemand es wollte. Heutige „Freikirchen“84 würden keine „Sekten“ werden wollen und können. Eine an Goetheh sich orientierende „Bildungsreligion“ vollends ist dem genuinen Sektentum ebenso absolut entgegengesetzt, wie jede, und gerade eine liberale, Theologiei. Gewiß, auch die Sekten sind der Entwicklung einer eigenen Theologie nicht entgangen. Aber gegen Nichtsj protestiert die genuine und konsequente „Sekte“ leidenschaftlicher als gegen die kSchätzung der gelehrten Analysek des Religiö­ sen. Die religiöse Qualifikation der Persönlichkeit, und nicht irgendwelches gelehrte Wissen, legitimiert zur Leitung der Gemeinde, – für diesen Grundsatz haben alle Spielarten des spezifischen protestantischen Sektentums gestritten; deshalb spitzte sich z. B. der Kampf der „Heiligen“ Cromwells zuletzt direkt zu einem Kriegel gegen die Theologie, gegen das „Amt“, gegen den „Zehnten“, der das „Amt“ trägt, und damit gegen die ökonomischen und ideellen Grundlagen der politisch und geistig gebildeten leisurem classes85 und speziell der Universitäten zu.86 Es war der tragische innere Bruch in Cromwells Lebensarbeit, daß er an diesem Punkte sich, als „Realpolitiker“, von den Seinen trennen mußte. Denn es

h  A: Goethe    i A: Theologie    j A: nichts    k–k  A: gelehrte Analyse l A: Kampf  m  A: leisured 84  In Deutschland eine auf dem Freiwilligkeitsprinzip basierende, von Staat und Landeskirche unabhängige, selbständige Kirche. In Preußen war dies z. B. die sich der landeskirchlichen Union von Lutheranern und Reformierten widersetzende „Evangelisch-lutherische Kirche“ (sog. „Altlutheraner“), die in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden war; ähnliche Freikirchen entstanden in Nassau, Baden, Hessen und Hannover. 85  Vermutlich übernommen von Veblen, Theory of the leisure class (wie oben, S.  338, Anm.  48). 86  Das mehrheitlich aus religiös und politisch radikaleren Independenten bestehende sog. „Parlament der Heiligen“ (ab Frühjahr 1653) beriet vom 2. bis 12. Dezember 1653 über die Abschaffung des in erster Linie zur Besoldung der Geistlichen und der Universitäten bestimmten Zehnten. Man wollte auf diese Weise unliebsame Geistliche ihres Amtes entheben. Mit 56 zu 54 Stimmen wurde am 10. Dezember entschieden, die „untauglichen und Anstoß erregenden Mitglieder“ unter den Geistlichen zu ersetzen, den Zehnten aber beizubehalten. Um die Beschlüsse nicht wirksam werden zu lassen, sorgte die unterlegene Minderheit für die Auflösung des Parlaments. Die Gewalt fiel damit am 12. Dezember zurück in die Hände Cromwells, der am 16. Dezember 1653 zum Lord Protector proklamiert wurde. Nach: Ranke, Englische Geschichte III, S.  422– 431, Zitat S.  423.

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bedeutete, daß er die religiösen Postulate an außerreligiösen politischen und geistigen Kulturwerten maß. Daher der Ausspruch auf seinem Totenbett: daß er einst „in der Gnade gestanden“ habe.87 Aber über Eins ist keine Täuschung zulässig: auch alle heutigen Argumentationen gegen die „Enge“ und „Abstrusität“ des Sektentums, die wir von den besten und „mordernsten“, dogmatisch ungebundenstenn Vertretern des Ideals der universalistischen evangelischen „Kirche“ hören, bedeuten ganz das Nämliche: Kulturwerteo und nicht genuine religiöse Bedürfnisse sind für sie das Ausschlaggebende. Ein „Werturteil“ über die „Sekten“-Religiosität pals solche liegt mirp hier fern. Die eingangs gebrauchtenq Beispiele sind, wie Jeder zugeben wird, keineswegs so gewählt, daß sie an und für sich ihr Sympathie erwecken müßtenr. Sie würden den in Deutschland dem „Puritanismus“s gegenüber landesüblichen Glauben, daß er im Grunde eitel „Heuchelei“ gewesen sei und noch sei, eher verstärken können. Nunt – diese törichte Vorstellungu bei dieser Gelegenheit zu bekämpfen war eben nicht meine Absicht;a meine persönliche Ansicht aber ist, daß überall, wo und wie immer intensive religiöse Bewußtseinsinhalte äußere soziale Gestaltung gefunden haben und finden und sich nun – mit oder ohne ihr Wissen und Wollen – mit den politischen, ökonomischen und „gesellschaftlichen“ Interessen verquickenb, in jener Hinsicht in ganz dem gleichen Maße „mit Wasser gekocht“ worden ist und wird:c nur eben, was heute gern vergessen wird, nicht nur mit Wasser. Käme es auf „Bewertung“ an, dann wäre doch sehr die Frage, ob für den, der „religiöse“ Inhalte nicht dmit der formalen psychologischen Qualitätd solcher ästhetischer Dämmer-Stimmungene verwechselt, wie sie fheute wieder so gernf durch musikalische und optische Mystifizierung erzielt werdeng, nicht z. B. das „nüchterne“ Meeting der

n  A: ungebundenen  o A: Kulturwerte  p–p A: liegt nun  q  A: gebrachten r  A: mußten    s A: Puritanismus    t  A: Nun,    u  A, B: Verstellung  a A: Absicht, –  b  A: verquickt haben  c  A: wird, –  d–d  A: mit dem formalen e  A: Dämmer-Stimmung  f–f  Fehlt in A.   g  In A folgt: kann 87  Hoenig, Cromwell III/4, berichtet von folgendem Gespräch Cromwells auf dem Totenbett mit seinem Geistlichen: „‚Sagen Sie mir, ist es möglich, aus dem Zustande der Gnade zu fallen?‘ ‚Es ist nicht möglich,‘ antwortete der Priester. ‚In diesem Falle bin ich ruhig, denn ich weiß, daß ich einmal darin war‘“ (S.  366).

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Quäker, welches das „Gemachte“ und „Gewollte“ des religiösen Miteinander immerhin auf ein Minimum hreduziert und ofth nur in tiefem Schweigen und Sinnen besteht,88 die adäquateste Form des „Gottesdienstes“ sein müßte. Müßte! – denn im allgemeinen gilt doch, daß, auch wo der „moderne“ Mensch im konkreten Fall wirklich (oder, zuweilen,i nur vermeintlich) religiöses „Gehör“ besitzt, er doch jedenfalls absolut kein „religiöses jGemeinschaftswesen“ istj und deshalb für die „Kirche“ – von der er Nichts merktk, wenn er nicht will –, nicht aber für irgend welche Art von „Sekte“ prädestiniert zu sein pflegt. Aber einer Täuschung darüber, daß es eben dies Moment,l in Verbindung mit dem absoluten m, nur nach dem für den „korrekten“ Staatsbürger Üblichen und Rätlichen fragendenm Indifferentismus, also die Schwäche der religiösenn Motive, ist, was die „Landeskirche“89 und nicht nur sie, sondern die „Kirche“ überhaupt,o für alle absehbare Zukunft begünstigt, psollten wir unsp nicht hingeben. qDabei möchte ich, möglicher Mißverständnisse halber, hinzufügen, daß es mir keineswegs unbekannt ist, daß auch eine höchst ideologische Theorie des Landeskirchentums unter genuin | religiö­ sen Gesichtspunkten, ausgehend grade von der absoluten Irrationalität des religiösen Individuums und seiner Erlebnisse, und fortschreitend zu der Konsequenz, daß ein auf bestimmte Merkmale des Glaubens oder Handelns hin als „Verein“ (Sekte) paktierter Zusammenschluß daher dem eigenen Wesen des Religiösen zuwiderlaufe, sehr wohl durchführbar ist. Die tiefe innere Unaufrichtigkeit jenes Landeskirchentums, wie wir es selbst bei solchen, von subjektiv unzweifelhaft ernstgemeintem Reformeifer erfüllten,

h–h  A: reduziert, oft    i  Komma fehlt in A.     j–j  A: Gemeinschaftswesen“ k  A: bemerkt    l  Komma fehlt in A.    m–m  Fehlt in A.    n  A: religiösen o  Komma fehlt in A.   p–p  A: sollte er sich  q–q  (S.  462) Fehlt in A. 88  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  358; vgl. auch Barclay, Apology, Proposition XI. „Concerning Worship“: „As there can be nothing more opposite to the natural Will and Wisdom of Man, than this silent waiting upon God“ (p.  353), und „Our Work then and Worship is, when we meet together, for every one to watch and wait upon God in themselves“ (p.  358). 89 Hier gemeint: Die Landeskirchen, denen bis 1918 der Landesherr als Summus episcopus (oberster Bischof) vorstand und die öffentlich-rechtlich privilegiert waren (sog. „landesherrliches Kirchenregiment“).

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Neuerern wie seiner Zeit Friedrich Wilhelm IV.90 und jetzt etwa Stoecker91 vertreten finden, liegt sicher nicht schon an sich im „Begriff“ des Landeskirchentums als solchenr, sondern sie liegt in der ganz naiven und massiven „Schlangenklugheit“, welche für die postulierte, exklusive, „gläubige“ Kirche nun doch auch das Monopol auf die Kultusbudgets und – was wichtiger ist, denn diese materiellen Potenzen entscheiden gerade hier keineswegs – die weltliche Privilegierung im staatlichen und gesellschaftlichen Leben „mit in den Kauf nimmt“ und dann doch, eben weil sie, trotz ihrer „Exklusivität“, ja „Kirche“ ist und sein will, in ihren religiösen Ansprüchen an die in der „Welt“ privilegierten Schichten jene erastianische92 „Genügsamkeit“ pflegt, die z.  B. Stoecker in seinen Äußerungen über Moltke seiner Zeit so klassisch zum Ausdruck brachte.93 r A: solchem 90  Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 1840–1861, befürwortete auf protestantischer Seite Reformdiskussionen, lehnte aber demokratische Gedanken ab. An Pfingsten 1846 konnte erstmals eine Generalsynode sämtlicher Provinzen der Evangelischen Landeskirche Preußens stattfinden, welche die Konsistorialgewalt zugunsten einer presbyterial-synodalen Ordnung einzuschränken suchte. Der König dagegen ließ ein Oberkonsistorium einrichten. Die weitere Entwicklung führte dazu, daß die evangelische Abteilung des Ministeriums der geistlichen Angelegenheiten in eine selbständige leitende Kirchenbehörde („Evangelischer Oberkirchenrat“, EOK) umgewandelt wurde, die unmittelbar dem Landesherrn unterstand. 91  Die zahlreichen kirchlichen und kirchenpolitischen Aktivitäten des zum sozialkonservativen Protestantismus zählenden Adolf Stoecker zielten auf die „Rechristianisierung“ der Gesellschaft durch Stärkung der Volkskirchlichkeit. Dabei setzte er sich für eine dem Staat gegenüber selbständige, presbyterial-synodal verfaßte Kirche ein. Dazu widmete er sich dem Ausbau der Inneren Mission, war 1890 an der Gründung des Evangelisch-Sozialen Kongresses und – nach Konflikten mit dem sozialliberalen Protestantismus – 1897 an der Gründung der Freien Kirchlich-sozialen Konferenz beteiligt. 92  Nach dem Heidelberger Medizinprofessor und kurpfälzisch-reformierten Kirchenrat Thomas Erastus (1524–1583) wird so die Unterordnung der kirchlichen Verhältnisse unter die staatliche Obrigkeit bezeichnet; als „Erastianism“ v. a. in England rezipiert. 93  Auf der Berlin-Cöllner Kreissynode 1877 wurde über das apostolische Glaubensbekenntnis gestritten. Stoecker kämpfte gegen dessen Abschaffung. Im Rückblick sagte er: „Als auf jener Synode der Ansturm gegen das apostolische Glaubensbekenntnis geschah [.  .  .], nannte ich den großen Feldherrn einen positiven Christen und sagte in voller Überzeugung: Moltke glaubt.“ Tief enttäuscht zeigte sich Stoecker später, als Moltke eine rein moralische oder deistische Auffassung erkennen ließ. Vgl. den anonym erschienenen Beitrag: (Stöcker zu Moltkes Trostgedanken), in: Die Christliche Welt, 6. Jg., Nr.  18 vom 28. April 1892, Sp.  410 f., Zitat Sp.  410.

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„Kirchen“ und „Sekten“ in Nordamerika

Das oben Gesagte gilt meines Erachtens aber trotzdem nicht nur für solche Karrikaturen objektiv „echten“ christlichen Reform­ eifers, sondern für die heutige Stellung der „Gebildeten“ zu dem empirisch gegebenen Landeskirchentum überhaupt. Damit möchte ich aber – und auf die Beseitigung dieses möglichen Mißverständnisses kam es mir an – nicht etwa so verstanden werden, als glaubte ich, daß etwa alle Diejenigen, welche ihre Lebensarbeit in den Dienst eines – idealen – Landeskirchentums gestellt haben, diese Position nur von außerreligiösen Kulturwerten aus gewinnen könnten: das entspräche den Tatsachen, wie ich sehr wohl weiß, nicht. Aber für jene von der Irrationalität der religiösen Persönlichkeit ausgehende Anschauung muß dann Rothes „Maximum von Religion bei einem Minimum von Kirche“94 doch wohl die unentrinnbare Konsequenz sein, – und das hat, neben den Gedanken des Sektentums gehalten, für die religiöse Durchdringung des sozialen Lebens „von unten herauf“ Folgen, die, wie mir scheint, auf der Hand liegen.q s

q  (S.  460) –q  Fehlt in A.   s  In B folgt: Max Weber 94  Nach Richard Rothe, Theologische Ethik III (wie oben, S.  431, Anm.  21), S.  183 f., kein wörtliches Zitat. Formulierung vermutlich nach Troeltsch, Gedächtnisrede Rothe (ebd., Anm.  22), darin Zitation von Rothes „Minimum an Kirche“ auf S.  39 (KGA 1, S.  745): „Wie die Sozialisten auf Grund der gleichen Hegel’schen Methode die Monopole und Ringe als den Uebergang der bürgerlichen zur sozialistischen Gesellschaft ansehen, so sah Rothe die Landeskirchen als Uebergangsformen an, die zum innerlich religiös beseelten Volksleben führen sollten, zur religiös sittlichen Gestaltung des Staates als der vollkommenen Gemeinschaft, wobei nur nicht zu vergessen ist, dass er bis zur völligen Moralisierung der Menschheit – und das heisst bis zur Wiederkunft Christi – ein ‚Minimum von Kirche‘ für unentbehrlich hielt.“

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Kritische Bemerkungen zu den vorstehenden „Kritischen Beiträgen“

Editorischer Bericht I.  Zur Entstehung Die erste kritische Auseinandersetzung mit Max Webers Aufsatzfolge über die „Protestantische Ethik und den ‚Geist‘ des Kapitalismus“,1 auf die dieser mit einer Antikritik reagierte, stammt von Karl Fischer. Dieser war zum Zeitpunkt der Rezension ein Unbekannter in der Welt der Wissenschaft. Als Volksschullehrer ausgebildet, hatte er im Jahre 1905 mit dem Studium der Philosophie in Berlin begonnen. Seit 1906 setzte er dieses Studium, erweitert um die Fächer Psychologie, Pädagogik, Nationalökonomie und Geschichte, in Zürich fort. 1908 reichte er dort seine Dissertation ein, die den Titel „Die objektive Methode der Moralphilosophie bei Wundt und Spencer“ trug und die Gustav Störring, Professor der Philosophie und Psychopathologie, aus der Schule Wilhelm Wundts kommend, begutachtete.2 Mit ihr wurde Fischer zum Dr. phil. promoviert. Fischer wandte sich am 16. Juni 1906 schriftlich an den Verleger Paul Siebeck: „Es wäre mir sehr daran gelegen, von der Abhandlung: Max Weber: ‚Die protest. Ethik u. der Geist des Kapitalismus‘ (Archiv f. Sozialwiss. + Soz. Pol[.], Bd XX1, XXI1) einen Sonderdruck zu besitzen. Könnte ich von Ihnen einen erhalten?“3 Paul Siebeck antwortete zwei Tage später und teilte mit, Sonderdrucke seien nicht erhältlich, fügte aber hinzu: „Ob später eine Sonderausgabe der schon gedruckten und der noch folgenden Abhandlungen im Buchhandel erscheint, steht z. Zt. noch nicht fest. Ich muss Sie daher bitten, sich bis auf weiteres zu gedulden.“4 Fischers Bitte stand offensichtlich im Zusammenhang mit seiner Absicht, eine Rezension über Webers Abhandlungen zu schreiben. Das tat er denn auch und reichte sie spätestens im Februar 1907 bei der Redaktion des 1  Weber, Protestantische Ethik I und II, oben, S.  97–215 und 222–425. 2 Vgl. Fischer, Karl, Die objektive Methode der Moralphilosophie bei Wundt und Spencer. – Leipzig: Wilhelm Engelmann 1909 (Inaugural-Diss.; Sonderdruck aus dem „Archiv für die gesamte Psychologie“, Band  15, Heft 1 und 2) (hinfort: Fischer, Objektive Methode). Darin auch der „Lebenslauf“ von Karl (Heinrich Otto) Fischer bis 1908. 3  Karte Karl Fischers an Paul Siebeck vom 16. Juni 1906 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). 4  Antwort Paul Siebecks an Karl Fischer vom 18. Juni 1906 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck).

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„Archivs“ ein.5 Ob er sie zuvor Max Weber zugesandt hatte, ließ sich nicht mehr ermitteln,6 auch nicht, wann die Entscheidung getroffen wurde, Fischers Kritik und Webers Antikritik zusammen in einem Heft erscheinen zu lassen. Jedenfalls plante Max Weber, wie er dem Verleger Paul Siebeck Ende April schrieb, eine Antikritik: „Meine Arbeitskraft ist ganz unsicher. Ich werde suchen, die ‚Protest[antische] Ethik‘ für die Sonderausgabe fertig zu machen u. e[ine] Antikritik für das Juliheft des ‚Archiv‘“.7 Was ihn zu dieser Antikritik motivierte, sagt er nicht. Der Brief zeigt aber auch, daß Weber zu diesem Zeitpunkt ernsthaft erwog, eine Separatausgabe der „Protestantischen Ethik“ zu veranstalten. Paul Siebeck hatte angesichts der anhaltenden Nachfrage nach den Aufsätzen bereits im Sommer 1906 diese Möglichkeit ins Spiel gebracht.8 Weber hielt sich über Monate bedeckt, doch nachdem der Verleger nicht locker ließ,9 teilte er ihm Anfang April 1907 mit, er wolle die Artikel durchsehen, ihnen ein etwa vierseitiges Vorwort voranstellen und mit der geplanten Fortsetzung beginnen.10 Dazu sollte sein Artikel „‚Kirchen‘ und 5  Im Briefwechsel des Verlags mit Edgar Jaffé gibt es eine Übersicht von Jaffés Hand mit der Überschrift „Manuskripte in Heidelberg“ (Wohnort Jaffés). Sie findet sich zwischen dem Brief Oskar Siebecks an Jaffé vom 23. Febr. 1907 und Jaffés Antwort vom gleichen Tag (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). Unter „1. Abhandlungen“ steht, als einziger ohne Nennung des Aufsatztitels, der Name „Fischer“. Er ist durchgestrichen. 6 Eine Korrespondenz zwischen Karl Fischer und Max Weber ist nicht überliefert. Recherchen von Dr. Michael Matthiesen mit Hilfe der Witwe, Ruth Fischer, Berlin, im Jahr 2003 blieben ergebnislos. 7  Brief Max Webers an Oskar Siebeck vom 29. April 1907, MWG II/5, S.  285. 8  Vgl. Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 17. Juli 1906 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446): „Nach einer Separatausgabe Ihrer Abhandlung ‚Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus‘ wird fortgesetzt bei mir gefragt; wie steht es denn damit?“ Am 27. Juli 1906 (ebd.) erinnert Siebeck Weber an seinen Vorschlag. 9  Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 21. März 1907 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446): „[.  .  .] immer wieder werden Ihre Abhandlungen über protestantische Ethik und Geist des Kapitalismus von mir verlangt. Können Sie sich denn nicht entschliessen, sie separat erscheinen zu lassen, und warum denn nicht? Die Arbeit hat nun einmal zweifellos eine ganze Menge Interessenten [.  .  .]. Machen Sie doch sich und mir die Freude, aus den beiden Abhandlungen ein Buch zu machen.“ 10 Vgl. nach Webers vorsichtigen Briefen voller Bedenken an Paul Siebeck vom 24. Juli 1906 und 24. März 1907 besonders den Brief vom 2. April 1907, dazu den Brief vom 13. April 1907, MWG II/5, S.  119, 273, 276 und S.  280. Doch kam das Vorhaben trotz Webers Forschungen in niederländischen Bibliotheken im Sommer 1907 nicht voran; vgl. Max Webers Briefe an Oskar Siebeck vom 26. Dez. 1907 und 10. Febr. 1908, MWG II/5, S.  426 und 435. Immer wieder erneuerte der Verleger seinen Vorschlag, so in dem Brief Paul Siebecks an Max Weber vom 20. Juni 1908 (VA Mohr/ Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446). Diesmal antwortete ihm Weber am 27. Juli 1908, er habe die Arbeit „schon ziemlich gefördert“ (MWG II/5, S.  6 09). Die letzte Anfrage stammt von Oskar Siebeck vom 1. Dez. 1910 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446): „Darf ich bei dieser Gelegenheit fragen, wie es um die

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‚Sekten‘ in Nordamerika“, umgearbeitet, der Ausgangspunkt sein.11 Im Sommer 1907 forschte Weber tatsächlich in niederländischen Bibliotheken weiter über den „Calvinismus“.12 Es war ihm zu diesem Zeitpunkt also mit der geplanten Fortsetzung ernst.13 Wie die Kritik Fischers Max Weber anzeigte, lösten seine Aufsätze offenbar „Mißverständnisse“ aus, denen er „nicht genügend vorgebeugt“ habe.14 Er nennt in diesem Zusammenhang insbesondere das Verhältnis von kapitalistischem Geist und Wirtschaftsform.15 Dies ist sicherlich ein Motiv, weshalb er seine Antikritik formulierte. Doch wesentlich entscheidender dürfte gewesen sein, daß er Fischers Behauptung über die Rolle der Psychologie bei historischen Erklärungen energisch zurückweisen wollte. Sowohl im Methodenstreit der deutschsprachigen Nationalökonomie als auch im Lamprecht-Streit hatte Weber darauf bestanden, man dürfe der Psychologie weder in der Nationalökonomie noch in der Geschichtswissenschaft die Rolle einer Grundlagenwissenschaft zuweisen. Die Psychologie habe hier keinen anderen Status als jede andere Einzelwissenschaft auch. Sich von einer Psychologie eine besondere Leistung bei der Erklärung historischer Tatsachen zu versprechen, beruhe auf „methodischen Grundirrtümern“.16 Diesen verfallen zu sein, warf er Fischer und seinen Gewährsmännern vor.17 Weber hatte sich in seiner dreiteiligen Aufsatzfolge „Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie“ insbesondere im zweiten Teil mit diesen methodischen Grundirrtümern beschäftigt.18 Dort heißt es unter anderem: Die „zuweilen gehörte Behauptung, daß die ‚Psychologie‘ im allgemeinen oder eine erst zu schaffende besondere Art von Psychologie um deswillen für die Geschichte oder die Nationalökonomie ganz allgemein unent-

Separatausgabe dieser Aufsätze steht? Es wäre sehr erfreulich, wenn sie im nächsten Jahre zu guter Zeit erscheinen könnten.“ Eine briefliche Erwiderung hierauf ist nicht überliefert, doch schreibt Weber noch im „Antikritischen Schlußwort“, er gebe die Hoffnung nicht auf, bestimmte Partien seiner Arbeit fortzuführen, wofür er aber wegen des Literaturstudiums einen Amerika-Aufenthalt für unerläßlich hielt (unten, S.  6 89, Fn.  10). – Zu Webers Lebzeiten erschien weder die Separatausgabe, noch schrieb er die geplante Fortsetzung. Vgl. auch die Einleitung und den Anhang zur Einleitung, oben, S.  6 6 f., 68 f. und S.  9 0–96. 11  Ediert oben, S.  426–462. 12  Vgl. dazu die Karten Max Webers an Marianne Weber vom 17., 20., 23., 24. und den Brief vom 25. Aug. 1907, MWG II/5, S.  3 61, 365 und S.  370–372, sowie an Alfred Weber vom 3. Sept. 1907, MWG II/5, S.  3 84. 13  Vgl. dazu Weber, Kritische Bemerkungen, unten, S.  4 83, 485 und S.  4 86, Fn.  8. 14  Ebd., unten, S.  243. 15  Ebd., unten, S.  4 84 f. 16  Ebd., unten, S.  4 89. 17  Vgl. ebd., unten, S.  4 85–490. 18  Vgl. Weber, Roscher und Knies II und III.

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behrliche ‚Grundwissenschaft‘ sein müsse, weil alle geschichtlichen und ökonomischen Vorgänge ein ‚psychisches‘ Stadium durchlaufen, durch ein solches ‚hindurchgehen‘ müßten, ist natürlich unhaltbar.“19 Für seine Erklärungsabsicht ließ er allenfalls psychologische Arbeiten zu religionspathologischen Phänomenen gelten,20 wobei er an Arbeiten von Willy Hellpach und Hans W. Gruhle dachte, mit Vorbehalten auch an die von Sigmund Freud.21 Weber bringt gegenüber seinen Protestantismus-Aufsätzen weitere Beispiele für das Verhältnis von asketischer Lebensführung und kapitalistischer Gesinnung (Friesland, Ungarn, Belgien, polnische Arbeiter in Westfalen, Kulis in Kalifornien, etc.).22 Dazu mag ihn Fischers sechster Abschnitt angeregt haben.23 Sein Hinweis auf russische Sekten verdankt sich vermutlich seiner Beschäftigung mit der russischen Revolution.24 Oskar Siebeck erhielt von Edgar Jaffé am 13. Mai 1907 sowohl Fischers Kritik als auch Webers Antikritik, zusammen mit weiteren Manuskripten, die auch für das Juliheft des „Archivs“ bestimmt waren.25 Weber notierte auf seinem Manuskript, es solle in „Petit“ gedruckt werden, was auch geschah.26 Am 4. Juli lagen beide Beiträge korrigiert vor,27 am 14. Juli bestimmte Jaffé ihren baldigen Umbruch.28 Die Revision des Bogens 15, den Jaffé am 17. Juli erhielt, zeigt, daß die Kontroverse Fischer-Weber laut Kolumnentitel zunächst für die Rubrik „Literatur“ vorgesehen war. Jaffé entschied dann, sie unter

19  Weber, Roscher und Knies II, S.  128. 20  Vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, unten, S.  4 90. 21  Vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  73 mit Anm.  8. Mit Hans W. Gruhle trat Weber nach Ausweis seiner Korrespondenz 1908 in Verbindung. Über Sigmund Freuds religionspsychologische Überlegungen äußert er sich im Brief an Else Jaffé vom 13. September 1907 (MWG II/6, S.  3 93–403). 22  Vgl. unten, S.  4 81, Fn.  3, S.  4 83 f. mit Fn.  6, und S.  4 84. 23  Vgl. Fischer, Kritische Bemerkungen, unten, 476  f. 24  Vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, unten, S.  4 80 mit Anm.  16. Webers Rußlandstudien waren 1906 erschienen. 25  Vgl. Brief Oskar Siebecks an Edgar Jaffé vom 1[3]. Mai 1907 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). 26  „Auf dem Manuskript von Herrn Professor Weber steht auf der ersten Seite von ihm selber notiert „Petit“, während Sie Borgis vorschreiben, welche Schrift soll benützt werden?“ (Ebd., wie Anm.  25). Jaffé bestätigte ihm in einer Postkarte vom selben Tag, Webers Artikel solle nach dessen Anweisung „petit“ gedruckt werden. Er läuft aber weiterhin unter den Borgisartikeln (vgl. unten, S.  4 67, Anm.  2 9). 27  Vgl. Brief Oskar Siebecks an Edgar Jaffé vom 4. Juli 1907 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck): „Die Borgis-Artikel sind sämtlich in der Korrektur zurück.“ 28  Vgl. Brief Edgar Jaffés an Paul Siebeck vom 14. Juli 1907 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck).

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„Abhandlungen“ drucken zu lassen, und ordnete die Kolumnentitel entsprechend an.29 Das Imprimatur für den Bogen erteilte er am 18. Juli 1907.30

II.  Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Edition folgt dem Erstdruck und übernimmt seine Überschrift: Weber, Max, Kritische Bemerkungen zu den vorstehenden „Kritischen Beiträgen“, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Neue Folge des Archivs für Soziale Gesetzgebung und Statistik, hg. von Werner Sombart, Max Weber und Edgar Jaffé, 25. Band, 1. Heft. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1907, S.  243–249 (A). Das Heft wurde laut Auskunft des Verlags am 25. Juli versandt.31 Im „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ wird es am 5. August 1907 angekündigt.32 Der Text ist von Max Weber autorisiert. Wie schon erwähnt, ist Webers Artikel im „Archiv“ durchgängig in Petit gesetzt. Für die vorliegende Edition wurde auf Normaldruck umgestellt. Sämtliche Hervorhebungen sind kursiv, Ae wird als Ä, Ue als Ü und ss, wo geboten, mit ß wiedergegeben. Offensichtliche Druckversehen sind stillschweigend korrigiert, alle weiteren Versehen emendiert, d. h. mit Nachweis des Originalwortlauts in der textkritischen Anmerkung im Text korrigiert. Zeitbedingte Schreibweisen, wie z. B. „Kulturcomponenten“ (S.  4 82) oder „Attitude“ (S.  4 87, Fn.  9), bleiben erhalten. Eingriffe in die Interpunktion über die Editionsregeln hinaus (vgl. unten, S.  9 84–992) werden in eckigen Klammern nachgeführt. Dies gilt ebenfalls für Ergänzungen, zumeist von (Vor-)Namen. Innerhalb eines Zitats werden statt doppelter die üblichen einfachen Anführungszeichen verwendet. Dies geschieht stillschweigend. Max Weber bezieht sich häufig auf seine beiden Protestantismus-Aufsätze. Die Originalbezüge werden im Text belassen und durch eine Sachanmerkung

29  Vgl. Brief Edgar Jaffés an Paul Siebeck vom 17. Juli 1907 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck): „Eben kommt Revision von Bogen 15. Ich sehe, dass die Kolumnenköpfe von Seite 232 an falsch sind; die Borgisartikel sind keine Literatur, sondern Abhandlungen wie die anderen [.  .  .]. Ich bitte also, für die Artikel Fischer, Weber, Schultze Kolumnenköpfe in gewohnter Weise wie für Abhandlungen zu machen.“ 30  Vgl. Brief Edgar Jaffés an J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) vom 19. Juli 1907 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck): „Gestern sandte ich Ihnen Imprimaturbogen No 15, 16, 17 und heute den Schluß (18), sowie Korrektur des Umschlags.“ Bogen 15 und 16 enthielten Fischers und Webers Beitrag. 31  Vgl. Brief Paul Siebecks an Edgar Jaffé vom 30. Juli 1907 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). 32  Vgl. „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“, 74. Jg., Nr.  180 vom 5. Aug. 1907, S.  7664.

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ergänzt, welche die entsprechende Stelle in dem hier vorliegenden Band nachweist. Einzelbezüge auf die Kritik Fischers werden ebenso behandelt. Zum besseren Verständnis von Webers Antikritik wird die erste Fischer-Kritik im Anhang zum Editorischen Bericht abgedruckt (S.  4 69–477). Dies erspart Wiedergaben im Sacherläuterungsapparat.

Anhang zum Editorischen Bericht

Im folgenden wird Fischers erste Kritik an Weber, Protestantische Ethik I und II, abgedruckt. Zugrunde liegt: Fischer, H. Karl, Kritische Beiträge zu Prof. M. Webers Abhandlung: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 25. Band, 1. Heft, 1907, S.  232–242 (= Fischer, Kritische Beiträge). Über die Randsigle ist der Bezug zur Seitenzählung des Erstdrucks hergestellt. Der Text ist durchgängig und vereinheitlichend in Petit wiedergegeben (im „Archiv“ sind folgende Passagen Petit gesetzt: das Referat Werner Sombarts, S.  473, die Text-„Anm.“, S.  474, das Zitat John Stuart Mills, S.  475, sowie der Schlußabschnitt, S.  477). Sperrungen des Originals werden kursiv, ss wird, wo geboten, mit ß und die Umlaute Ae und Ue werden als Ä und Ü wiedergegeben. Inhaltlich relevante Druck- und Sachfehler sind nachgestellt in eckigen Klammern korrigiert (z. B. S.  473: „Paciola“ in „Paciolo“ – hier nach der Schreibweise bei Sombart; eigentlich: Pacioli). Als Lesehilfe werden Abkürzungen und zum Verständnis notwendige Satzzeichen in eckigen Klammern ergänzt. Mit der am Schluß erwähnten „geschichtsphilosophischen Studie“ (S.  477) meint Fischer seine Dissertation (vgl. oben, S.  463, Anm.  2).

Kritische Beiträge zu Prof. M. Webers Abhandlung: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Von H. Karl Fischer.

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Sowohl die neue, interessante Fragestellung als auch die Beweisführungen der oben bezeichneten verdienstvollen Arbeit1) Prof. M[ax] Webers haben von der Kritik2) reichen Beifall gefunden. Die im folgenden dargebotenen Überlegungen führen im großen und ganzen zu wesentlich anderen Ergebnissen. Das Verdienst der Untersuchungen Prof. Webers soll dadurch keineswegs geleugnet werden: denn wie die nachstehenden kritischen Beiträge einerseits durch jene Arbeit erst veranlaßt worden sind, so haben sie andererseits das Ziel, einen bescheidenen Beitrag zu liefern zur Lösung des aufgeworfenen Problems. Im Interesse einer zusammenhängenden Darstellung erscheint es zweckmäßig, zunächst die wesentlichsten Gedankengänge der besprochenen Arbeit in gedrängter Kürze zu rekapitulieren.

1)  2) 

Bd.  XX 1 und Bd.  XXI 2 [lies: XXI 1] dieser Zeitschrift. Z. B. „Preuß[ische] Jahrbücher“ Bd.  122II. |

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Kritische Bemerkungen zu den vorstehenden „Kritischen Beiträgen“ 1. Die Aufstellung des Problems.

Zur Aufstellung des Problems geben wesentlich folgende Tatsachen Veranlassung: 1) Die Kapitalisten und Unternehmer, die obere gelernte Schicht der Arbeiter, das höhere, technisch oder kaufmännisch vorgebildete Personal der modernen Unternehmungen sind vorwiegend Protestanten.  2) Für Baden, Bayern und Ungarn ist statistisch festgestellt, daß der Prozentsatz derjenigen katholischen Abiturienten, die eine humanistische Vorbildung erhalten haben, bedeutend höher ist, als der Prozentanteil derjenigen, die in Realgymnasien, Realschulen u. s. w. für moderne, speziell technische, 233 gewerbliche und kaufmännische Berufe | vorgebildet worden sind. Bei den protestantischen Abiturienten zeigt sich das entgegengesetzte Verhältnis. 3) Unter den Handwerksgesellen zeigen die Katholiken die stärkere Neigung zum Verbleiben im Handwerk; sie werden relativ häufiger Handwerksmeister als ihre protestantischen Kollegen, die in stärkerem Maße in die Fabriken abströmen, um hier die oberen Staffeln der gelernten Arbeiterschaft und des gewerblichen Beamtentums zu füllen. Zur Erklärung dieser Erscheinungen stellt Prof. Weber die These auf, daß der Geist der christlichen Askese in den Geist des Kapitalismus als integrierender Bestandteil übergegangen ist. Seine Einzeluntersuchung führt W[eber] unter einem umfassenden, großen Gesichtspunkte: Seine Studien sollen einen Beitrag bilden zur Veranschaulichung dessen, wie überhaupt „Ideen“ in der Geschichte wirksam werden. Wenn nach der materialistischen Geschichtsdeutung der Geist des Kapitalismus aufzufassen ist als eine Widerspiegelung der materiellen Verhältnisse in dem ideellen Überbau, so ist dies unhaltbar, barer Unsinn. Wenn nun die Wahrheit der idealistischen Geschichtsdeutung an einem Beispiel dargetan werden soll, so sollen nur die Beziehungen aufgedeckt werden, in denen eine Einwirkung religiöser Bewußtseinsinhalte auf das materielle Kulturleben zweifellos ist.

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2. Der „Geist“ des Kapitalismus. Den „Geist“ des Kapitalismus findet Prof. Weber in Aussprüchen Franklins3) und Fuggers4). Der „Geist“ Franklins wird – so scheint mir – zunächst als von dem kapitalistischen Geist verschieden aufgefaßt, später aber werden beide identifiziert5). Indessen ist bei gehöriger Verwertung von Parallelstellen und von anderen ausdrücklichen Erklärungen des Verfassers ersichtlich, daß er unter dem „Geist“ des Kapitalismus den Gedanken an die Berufspflicht versteht. Dieser Gedanke der Berufspflicht und die Tatsache der Hineinbeziehung der geldwirtschaftlichen Arbeit unter den Begriff der Berufspflicht sollen zur Zeit des Entstehens religiös begründet gewesen sein. 3. a) Die Berufspflicht im lutherischen Protestantismus. b) Der kapitalistische Geist und der Puritanismus. a) Es wird von Prof. Weber der Nachweis versucht, daß der Gedanke der Berufspflicht hervorgegangen sei aus der religiösen Gedankenwelt des lutherischen Protestantismus: 234 in seinem heutigen Sinne stamme | das Wort aus dem Geiste der Bibelübersetzer. Luther

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3) 

Franklin: „Bedenke, daß Zeit Geld ist“ etc. Fugger: „Er, Fugger, hätte viel einen andern Sinn, er wollte gewinnen, dieweil er könnte.“ 5)  Vgl. I S.  16, 17; I S.  26. | 4) 

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gebrauchte es zuerst bei der Übersetzung der Stelle Jesus Sirach XI 20–21. Dazu dürfte kritisch zu sagen sein: Angenommen – wie es vom Verfasser wahrscheinlich gemacht worden ist –, Luther habe hier eine originäre Leistung vollzogen, so ist dies noch kein Beweis für die Notwendigkeit der Annahme, daß die religiösen Vorstellungen Luthers den Berufsgedanken erzeugt haben. Denn wie kam Luther dazu, jene Stelle aus Jesus Sirach mit „Beruf“ zu übersetzen? Es geschah wohl sicher nicht mit der Absicht, bei der Gelegenheit der Bibelübersetzung ein religiöses System zu schaffen, in dem auch die weltliche Berufsarbeit ihren Platz erhielt; sondern Luther glaubte mit diesem im Volke geläufigen Ausdruck die beste, dem Volke verständlichste Bezeichnung gewählt zu haben. Der „Geist“ des Bibelübersetzers dürfte sich in diesem Falle der geläufigen Ausdrucksweise angepaßt haben. Wollte man einwenden, daß im lutherischen Protestantismus neu sei die Schätzung der Pflichterfüllung innerhalb der weltlichen Berufe als des höchsten Inhalts, den die sittliche Selbstbetätigung überhaupt annehmen kann, so wäre darauf zu erwidern, daß zur Erklärung dieses Tatbestandes auch die entgegengesetzte Hypothese verwertet werden könnte, nach der die religiösen Vorstellungsweisen dem Zustand des wirtschaftlichen Lebens sich angepaßt haben. Aus dem gleichen Grunde kann die Irrigkeit der Überbautheorie wohl nicht durch den Hinweis dargetan werden, daß in der lutherischen Dogmatik die weltliche Berufsarbeit als äußerer Ausdruck der Nächstenliebe gewertet wird. Endlich führt Prof. Weber aber selbst an, daß Luther mit zunehmendem Alter immer mehr den traditionalistisch gebunden gebliebenen Berufsbegriff betont hat, wonach der Beruf das ist, was der Mensch als göttliche Fügung hinzunehmen, worin er sich zu schicken habe. b) Hat sich der lutherische Protestantismus somit als ein wenig geeignetes Gebiet erwiesen, die Wahrheit der idealistischen Geschichtsdeutung in der zur Behandlung stehenden Frage zu erhärten, so erhebt sich um so dringender die Frage: in welcher Abhängigkeitsbeziehung steht der kapitalistische Geist zur bedeutendsten Erscheinungsform des Puritanismus, dem Calvinismus? Dessen charakteristisches und hinsichtlich der kulturgeschichtlichen Wirkung bedeutendstes Dogma ist die Lehre von der Gnadenwahl, wie sie ihren klassischen Ausdruck in der Westminsterkonfession von 1647 gefunden hat. Darnach ist nur ein kleiner Teil der Menschen zur Seligkeit berufen. Maßstäbe irdischer Gerechtigkeit an Gottes souveräne Verfügungen anzulegen, ist sinnlos. Gott ist frei und keinem Gesetz unterworfen. Dem Nichterwählten kann niemand helfen: kein Prediger, kein Sakrament, keine Kirche, kein Christus. Diese Gnadenmittel können nur von den Erwählten verstanden und darum mit Erfolg benutzt werden. So ergaben sich für jeden Gläubigen die wichtigen Fragen: Bin ich erwählt? Wie kann | ich dieser Erwählung sicher werden? Dem Menschen, der nach sichtbaren 235 Merkmalen der Erwählung suchte, wurde es zur Pflicht gemacht, sich für erwählt zu halten, jeden Zweifel als Anfechtung des Teufels abzuweisen. Als hervorragendstes Mittel wurde rastlose Berufsarbeit eingeschärft. [„]So durchaus ungeeignet gute Werke und angestrengtes Berufsleben sind, um als Mittel zur Erlangung der Seligkeit zu dienen, so unentbehrlich sind sie als Zeichen der Erwählung.“ Kritisch möchte dazu zu bemerken sein: Gewiß, nach einem Zeichen der Erwählung wird man verlangt haben. Warum wurde aber die angestrengteste Berufstätigkeit als Zeichen der Erwählung betrachtet? Hätten Völker auf einer andern Wirtschaftsstufe auch dieses Zeichen als Zeichen der Erwählung betrachtet? Die Wahl gerade dieses Zeichens scheint mir ein Wahrscheinlichkeitsgrund dafür zu sein, daß die angespannte Berufstätigkeit auch unabhängig von religiösen Erwägungen hochgeschätzt wurde. In wie hohem Maße

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Momente des wirtschaftlichen, des kapitalistischen Lebens die religiösen Vorstellungsweisen beeinflußt haben, dürften gerade folgende Data lehren: Die Lebensführung des Puritaners war einer ständigen Kontrolle unterworfen. Man legte religiöse Tagebücher an, in welche die Sünden, Anfechtungen und die in der Gnade gemachten Fortschritte fortlaufend oder tabellarisch eingetragen wurden. Das Verhältnis des Sünders zu seinem Gott war ähnlich dem eines Kunden zum shopkeeper: wer einmal in die Kreide geraten ist, der wird mit dem Ertrag seiner Verdienste allenfalls die ablaufenden Zinsen, niemals aber die Hauptsumme abtragen können. So nahm die Heiligung des Lebens fast den Charakter eines Geschäftsbetriebes an. Außer dem Calvinismus kommt als selbständiger Träger der protestantischen Askese besonders das Täufertum in Betracht, dessen historisch und prinzipiell wichtigster Gedanke ist, daß die Kirche ausschließlich eine Gemeinschaft der persönlich Gläubigen und Wiedergeborenen sein soll. Die Zugehörigkeit wird erworben durch innerliche Aneignung des Erlösungswerkes Christi. Dazu wird jedem durch individuelle Offenbarung der göttliche Geist angeboten. Es genügt, auf diesen Geist zu harren und seinem Kommen nicht durch sündliches Kleben an der Welt zu widerstreben. Der Gläubige hat darum jeden nicht unbedingt nötigen Verkehr mit den Weltleuten aufzugeben. Es ist m. E. nicht einleuchtend, wie diese Form der protestantischen Askese zur Geburtsstätte des kapitalistischen Geistes werden konnte. Das Harren in hysterischen Zuständen, das Schwelgen in prophetischen und eschatologischen Hoffnungen steht im Gegensatz zur nüchternen Berufsarbeit. Nach dem Tode der rücksichtslosen, radikalen Führer der Täuferbewegung lenkte diese allmählich in das normale Berufsleben ein. Es ist versucht worden, diese Umwandlung zu erklären als Wirkung des Gedankens, „daß Gott nur redet, wo die Kreatur schweigt“. Gibt man zu, daß dieser Gedanke immer mächti236 ger wurde, so ent|steht die Frage: wie kam es, daß er allmählich ins Bewußtsein der Täufer trat? Fand eine logische Entwicklung etwa im Sinne Hegels statt? Dann wäre es merkwürdig, daß diese Entwicklung so spät und nach so vielen Opfern eingesetzt hat. Die ungezwungenste Erklärung dürfte die sein, nach der das Einlenken der Täufer in eine ruhige Bewegung aufzufassen ist als eine Anpassung an die rauhe Wirklichkeit, mit der man sich abfinden mußte. Prof. Weber hat zur Erhärtung seiner These endlich Ausführungen aus solchen theologischen Schriften jener Zeit mitgeteilt, die aus der seelsorgerischen Praxis hervorgegangen sind. Die Benutzung der theologischen Erbauungsliteratur als Beweismaterial dürfte jedoch wenig fruchtbar sein. Denn mit Hilfe jener Schriften kann im günstigsten Falle doch nur bewiesen werden, daß von den Verfassern derselben wirtschaftliche Anschauungen in das dogmatische System hineinverwoben worden sind. Andererseits deuten jene Erbauungsschriften darauf hin, wie stark die Beeinflussung der religiösen Vorstellungsweisen durch wirtschaftliche Faktoren gewesen ist; so z. B. die Wertschätzung der Arbeit und Verwerfung jedes Zeitverlustes durch Geselligkeit, faules Gerede, Luxus und übermäßigen Schlaf, ferner die Wertschätzung der Berufsarbeit gegenüber der Gelegenheitsarbeit, die Wertschätzung der Berufsgliederung und Arbeitsteilung und endlich die providentielle Deutung der privatwirtschaftlichen Profitlichkeit, wonach Gott mit dem Gläubigen eine bestimmte Absicht hat, wenn er ihm eine Gewinnchance zeigt, der gläubige Christ hat diesem Rufe zu folgen; tut er es nicht, so durchkreuzt er einen göttlichen Zweck.

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4. Wirtschaftsgeschichtliche Erklärung der Entstehung des kapitalistischen Geistes.

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Die Frage, ob die materialistische oder die idealistische Geschichtsdeutung zur Lösung dieses Problems zu verwenden ist, kann nach Sombart6) nur mit Hilfe eines empirischen Nachweises konkret-historischer Zusammenhänge beantwortet werden. Dieser Nachweis gestaltet sich bei Sombart in kurzem folgendermaßen: Während des europäischen Mittelalters stieg die Wertung des Geldbesitzes aus mehreren Gründen, z. B. infolge der geldverschlingenden Kreuzzüge und der höheren Lebenshaltung der aus dem Orient heimgekehrten Kreuzfahrer. Die Folge war wachsender Geldbedarf und gesteigertes Streben nach Geldbesitz. Als Methoden zur Gelderlangung kamen in Anwendung: Kaiser und Könige legten neue Steuern auf, brandschatzten die Städte oder raubten die Jugendgemeinden aus; die Ritter und kleinen Grundbesitzer verwandelten die Reallasten des Bauern in Geldlasten oder legten [lies: verlegten] sich gleichfalls aufs Plündern, was als durchaus anständige | Beschäftigung galt; die Päpste verschafften sich infolge ihrer geistlichen 237 Autorität durch Ablaßgewährung etc. Geld. Wo diese Mittel versagten, mußten die Kirchen Darlehen aufnehmen. Aus demselben Grunde entstanden das Goldgräbertum und die Alchemie. Bei den Leuten niederen Standes tauchte dann zuerst der Gedanke auf, Geldvermehrung zu erzielen durch wirtschaftliche Tätigkeit selbst. Wie hat sich dieser neue Zweckgedanke zum vollendeten System kapitalistischer Wirtschaftsbetrachtung ausgewachsen? Zu der auf den Erwerb gerichteten Willensverfassung muß ein ökonomischer Rationalismus hinzutreten. Es gelang dem neuen Zweckgedanken (= Geld zu erwerben durch Wirtschaften) das Mittel zu seiner Realisierung (= das Wirtschaftsleben) vollständig umzugestalten; das Wirtschaftsleben wurde in eine Reihe von Rechenexempeln aufgelöst und zu einem kunstvollen Ganzen ganz neu nach rechnerischen Prinzipien zusammengefügt. Kurz: Das Wirtschaften wurde zum Geschäft gemacht. Daher wurden schon im frühen Mittelalter dementsprechende Arbeitsmethoden ausgebildet: Methoden zur genauen rechnerischen Feststellung jedes einzelnen Geschäftsfalles und zur systematischen Erfassung eines geschäftlichen Gesamtunternehmens. Diese Methoden entwickelten die mathematischen Wissenschaften während des 13. bis 15. Jahrhunderts; und man kann die Schöpfungsperiode der neuen Geschäftstechnik mit den Jahreszahlen 1202–1494, und mit den Namen Leonardo Pisano und Luca Paciola [lies: Paciolo] umgrenzen; ersterer brachte den Abendländern zuerst das indisch-arabische Zahlensystem, letzterer machte durch die wissenschaftliche Darstellung der doppelten Buchführung diese zu einem für jedermann erreichbaren Hilfsmittel der Geschäftsführung. Daß die einfache und doppelte Buchführung schon vor dem Erscheinen des Werkes Paciolas [lies: Paciolos] angewendet wurden, zeigen z. B. die Rechnungsausweise des Papstes Nikolaus III. (1279/80), die Ausgaberegister der Kommunen Florenz (1303), Genua (1340), der Geschäftsbücher der Gebr[üder] Soranzo in Venedig (1406). So hat Sombart ein Zweifaches zu zeigen versucht: 1) die Entstehung des kapitalistischen Geistes aus wirtschaftlichen Ursachen; 2) hat S[ombart] dargetan, daß lange vor dem Auftreten der protestantischen Reformation die Methoden für kapitalistische Betriebsformen ausgebildet und angewendet wurden. Wollte man dagegen einwenden, daß der kapitalistische Geist bei weitem später entstanden sei, so würde darauf zu ent6) 

Sombart: Der moderne Kapitalismus, Bd. I. |

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gegnen sein: wie entstanden denn die kapitalistischen Betriebsformen? Sollten sie nicht etwa als Äußerungen, als Schöpfungen des kapitalistischen Geistes selbst aufzufassen sein? 5. Psychologische Erklärung der Entstehung des kapitalistischen Geistes. So stehen sich die idealistische Erklärung Prof. Webers und die wirtschaftsgeschichtliche Prof. Sombarts mit ihren Vorzügen und Nachteilen gegenüber. (Denn auch des letzteren Darstellung ist angefochten worden)7). Es soll darum zur psychologischen Erklä238 rung der Entstehung | des kapitalistischen Geistes fortgeschritten werden. Der Gegenstand der Untersuchung ist ein komplexes psychisches Phänomen. Gestützt auf den Satz, daß die Funktion der Allgemeinbegriffe unabhängig ist von ihrer Definition8), ist man allerdings berechtigt, die Funktion solcher Allgemeinbegriffe zunächst unabhängig von ihrer Definition zu betrachten, und letztere alsdann nachfolgen zu lassen. In diesem Falle ist dies Verfahren nicht anwendbar, denn indem wir über die Genesis jener Begriffe (psychischen Zustände) Aussagen machen wollen, wird unsere Arbeit zu einer psychologisch-historischen. Darlegungen über die psychologische Entstehung jener Zustände müssen darum den Ausgangspunkt bilden, dürfen aber keinenfalls gänzlich unberücksichtigt bleiben. Anm.: Das Fehlen solcher Erwägungen über die Entstehung und das Wesen jener psychischen Zustände erscheint mir als Mangel der so gründlichen Arbeit Prof. Webers. Der Verfasser sucht sein Verfahren zu rechtfertigen durch den Hinweis darauf, daß die Ergebnisse der modernen Psychologie gering und unsicher seien. Mir scheint, daß ihre Ergebnisse doch nicht gar so gering sind, daß wir gegebenen Falles aber eigene psychologische Erwägungen versuchen müssen, da unser Thema eine psychologisch-historische Arbeit erheischt. Der kapitalistische Geist ist von Prof. Weber bestimmt worden als „Erwerben von Geld und immermehr Geld, rein als Selbstzweck“ oder als „Gedanke an die Berufspflicht“. Bringen wir das „Erwerben von Geld und immermehr Geld, rein als Selbstzweck“, auf einen psychologischen Ausdruck, so können wir es auffassen als die Freude des Individuums an seiner kraftvollen Betätigung. (Vgl. Fuggers Ausspruch: „er wolle gewinnen, dieweil er könne“.) Obgleich die Folge dieser Betätigung die Ansammlung von Kapital ist, so ist dies doch nicht in die Zweckvorstellung aufgenommen, also nicht gewollt worden. Die Freude an der kraftvollen Betätigung ist in keiner Weise religiös begründet, sie verbindet sich mit der kraftvollen Betätigung unmittelbar9). Der „Geist“ Franklins kann ferner auch so verstanden werden, daß das Erwerben von Kapitalbesitz in der Zielvorstellung aufgenommen wird, sodaß die Freude an der kraftvollen Betätigung psychische Begleiterscheinung ist. Mit welchem psychischen

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S[iehe] z. B. die Kritik Delbrücks in den „Preuß[ischen] Jahrbüchern“ Bd.  113II. | Störring: Über die Funktionen der Allgemeinbegriffe. Wundts Philos[ophische] Studien Bd.  XX. 9)  Siehe Störring: Moralphilosophische Streitfragen, I. Teil: Die Entstehung des sittlichen Bewußtseins S.  50/2; 78/87 u. a. O. 8) 

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Phänomen haben wir es hier zu tun? Treffliche Ausführungen darüber bietet J[ohn] St[uart] Mill10). | „Was sollen wir z. B. von der Liebe zum Gelde sagen? Ursprünglich ist das Geld um 239 nichts wünschenswerter als irgend ein Haufe glitzernder Kieselsteine; sein Wert ist nur der Wert der Dinge, die man damit erkaufen kann. Gleichwohl ist die Liebe zum Gelde nicht nur eine der stärksten Triebfedern im menschlichen Leben sondern das Geld wird auch in vielen Fällen an und für sich selbst gewünscht; der Wunsch, es zu besitzen, ist oft stärker, als der Wunsch, davon Gebrauch zu machen. Man kann deshalb mit Recht sagen, daß Geld nicht um eines Zweckes willen, sondern als Teil des Zweckes gewünscht wird. Aus einem Mittel zur Glückseligkeit ist es für sich selbst ein hauptsächlicher Bestandteil der eigenen Vorstellung von Glückseligkeit geworden. Ganz dasselbe kann von der Mehrzahl der großen Gegenstände des menschlichen Strebens gesagt werden, – von dem Streben zur Macht, zum Ruhme. Die innige Assoziation, welche auf diese Weise zwischen ihnen und allen Gegenständen unserer Wünsche entsteht, ist es, was dem direkten Wunsche nach ihnen jene Stärke gab, wie er sie oft annimmt, so daß er bei manchen Charakteren alle anderen Wünsche an Stärke übertrifft.“ Beim Streben nach Macht, Ruhm, Geld hat also eine Übertragung von Gefühlszuständen stattgefunden. Das Gefühl der Freude, das ursprünglich mit der Zielvorstellung sich verband (Glückseligkeit), überträgt sich auf die Vorstellung des Mittels (Geld etc.). Da das Geld das Tauschmittel par excellence ist, so ist ersichtlich, daß die Übertragung von Gefühlszuständen gerade bei der Wertschätzung des Geldes stattfindet. Eine Mitwirkung religiöser Faktoren findet nicht statt. Zwar ist die Schätzung des Geldbesitzes auf Grund religiöser Gedankengänge denkmöglich. Aber diese Betrachtungsweise ist eine reflexions-psychologische, die psychische Phänomene komplizierter erscheinen läßt, als sie in Wirklichkeit sind. Die Übertragung von Gefühlszuständen ist ein allgemeines psychisches Geschehen, das selbstverständlich auch vor dem Aufkommen des Puritanismus stattgefunden hat. Auf das Geld konnte diese Gefühlsübertragung eben nur in Zeiten mit Geldwirtschaft stattfinden, u. a. z. B. bei den Römern. Schon Cato censorius zeigt in einer Schrift, wie man als römischer Aristokrat einen Grundbesitz mit möglichst großem Profit bewirtschaften kann; der Profit soll zur Vermögensvermehrung verwendet werden. Derjenige ist ein tüchtiger Mann, der mehr Kapitalvermögen hinterläßt, als er überkommen [lies: übernommen] hat. Im europäischen Mittelalter konnte erst mit dem Aufkommen der Geldwirtschaft die hohe Schätzung des Geldes Platz greifen; es geschah lange vor der Zeit des Puritanismus. Als spezifischen Geist des Kapitalismus bezeichnet Prof. Weber den Gedanken an die Berufspflicht. Wir haben darum die Entstehung des auf die Berufstätigkeit sich beziehenden Pflichtgefühls zu untersuchen. Woher stammt es? Welches ist seine Wurzel? Das Pflichtgefühl ist ein abstraktes Gefühl, das auf eine ähnliche Weise entsteht, wie abstrakte Begriffe entstehen11). Zahllos angesammelte Erfahrungen haben | in den 240 Menschen die Überzeugung ausgebildet, daß die Leitung durch solche Gefühle, die sich auf entferntere und allgemeinere Folgen beziehen, in der Regel sicherer zum Wohlergehen führt, als die Leitung durch Gefühle, die unmittelbare Befriedigung verlangen. Das gemeinschaftliche Merkmal der Gefühle, die zu Ehrlichkeit, Wohltätigkeit, Fleiß, 10)  J.

St. Mill: Gesammelte Werke, Autorisierte Übersetzung von Gomperz. Bd.  I, Kp.  IV, p.  168/9. | 11)  Vgl. Spencer: System der synthetischen Philosophie, Bd.  X, §  47. | 239

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Vorsicht etc. antreiben, ist dies, daß es lauter komplizierte, an abstrakte Vorstellungen sich anschließende Gefühle sind, die vielmehr auf die Zukunft als auf die Gegenwart hinweisen[.] So erklärt es sich, wie das Merkmal der autoritativen Geltung an diese Gefühle sich anschließt, das Merkmal, worin sie sich von den an niederen Begierden und Reizen sich anschließenden Gefühlen unterscheiden. Der Entstehung dieses autonomen Pflichtbewußtseins ging die Entstehung des heteronomen voraus. Wenn wir zwar nicht, wie Alex[ander] Bain, das Gefühl der moralischen Verpflichtung ausschließlich auf die Wirkungen von Strafen zurückführen, so erkennen wir an, daß die Furcht vor staatlichen, sozialen und religiösen Strafen die Wurzel des heteronomen Pflichtbewußtseins ist. – Wie entsteht das Gefühl der Pflicht zu beruflicher Tätigkeit? Welche Rolle spielen bei seiner Entstehung religiöse Gedankengänge, die nach W[eber] die alleinige Ursache der Berufspflicht sein sollen? Ist dieses Gefühl ein autonom oder heteronom bedingtes? Ohne Zweifel haben Staat, Gesellschaft und Religionsgemeinschaften ein Interesse an der beruflichen Tätigkeit der einzelnen, sie werden daher Gesetze zur Regelung der Berufsarbeit erlassen haben. Ob aber die Berufstätigkeit selbst und das Pflichtgefühl zu derselben aus solchen von jenen drei Autoritäten erlassenen Gesetzen ausschließlich hervorgegangen ist, das ist zweifelhaft, unwahrscheinlich. Ungezwungener ist die Auffassung der Berufspflicht als eines autonom bedingten Gefühles: der emotionelle Drang zu beruflicher Tätigkeit entstand im Menschen, weil die Vorstellung der Berufserfüllung höhere Geltung besaß, als die Vorstellung der Unterlassung der Berufstätigkeit. Die Ausübung des Berufs erwies sich als ein in den Folgen segensreicheres Verhalten als das nur gelegentliche, dem augenblicklichen Bedürfnisse dienende Arbeiten. – Wir sehen: bei der Entstehung des heteronomen Pflichtgefühls können neben staatlichen und sozialen auch religiöse Vorstellungen mitwirkend sein. Höchst unwahrscheinlich ist es aber, daß das Gefühl der Berufspflicht, noch dazu das Pflichtgefühl zu gewerblicher, kapitalistischer Berufstätigkeit ein heteronom bedingtes oder gar ausschließlich religiös bedingtes Pflichtgefühl sei. Das Pflichtgefühl zu gewerblich-kapitalistischer Berufstätigkeit ist autonom bedingt und entspringt, wie aus seinem Wesen sich ergeben haben dürfte, nicht der Befolgung religiöser Vorschriften. |

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6. Der Zusammenhang zwischen Konfession und kapitalistischer Entwicklung – eine geistreiche Parallele? Den psychologischen Bedenken gesellen sich bisher unerwähnt gebliebene historische hinzu. Daß im europäischen Mittelalter der kapitalistische Geist auch innerhalb des Katholizismus sich erhalten konnte, beweisen die Genuesischen, Florentinischen und Venetianischen Kapitalisten, ferner das Haus der Fugger und die Verwaltung des päpstlichen Kapitals. Die katholischen Gebiete des Niederrheines sind gleichfalls ein Hauptsitz kapitalistischer Unternehmungen gewesen. Im katholischen Belgien stand und steht der Kapitalismus höher als in Holland. Es scheinen doch physikalische Bedingungen und allgemeine Welthandelsbeziehungen für die Ausbreitung des kapitalistischen Geistes ausschlaggebend gewesen zu sein. Der strikte Calvinismus hat in Holland nur 7 Jahre wirklich geherrscht. Daß die in puritanischer Strenge lebenden Kapitalistenkreise in Holland schnell abgenommen haben, zeigt Huets Darstellung (Bd.  II, Kap. III–IV). Der Calvinismus hat tatsächlich das Genießen des Reichtums dort nicht verhindert, wo andere Momente eine Entwicklung der Genußfreudigkeit begünstigt

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haben. Die englischen Schriftsteller des 17. Jahrhunderts führen die Überlegenheit der holländischen Kapitalisten gegenüber den englischen darauf zurück, daß jene nicht, wie diese, die neuerworbenen Kapitalvermögen benutzten, um durch Aufkaufen von Landgütern und durch den Übergang zu feudalen Lebensgewohnheiten die Nobilitierung zu erwerben. Die holländischen Kapitalisten, obwohl jeglicher puritanischer Lebensweise abhold, behielten große Kapitalien zur freien Verfügung, weil sie ihre Gelder nicht in Ländereien anlegten. Ferner: In Italien zeigen sich große Unterschiede zwischen Ober- und Unteritalien in bezug auf das Vorhandensein des kapitalistischen Geistes, obgleich alle Teile dieses Landes katholisch sind. Auch in der Schweiz würde man durch das Zurückgreifen auf konfessionelle Unterschiede nicht alle Unterschiede in der Ausbreitung des kapitalistischen Geistes erklären können. Der Kanton Bern ist reformiert und zeigt noch keine kapitalistische Entwicklung. Diesen Erwägungen gegenüber steht freilich die auffallende Tatsache, daß dort, wo in Frankreich die Hugenotten vertrieben wurden, die Industrie zurückging und umgekehrt dort aufblühte, wo die Hugenotten sich niederließen. Waren für diesen Parallelismus rein religiöse Momente bestimmend? Oder stellten die Übergetretenen den von vorn herein lebenskräftigeren, energischeren, für den Fortschritt prädisponierten Teil der Bevölkerung dar, was etwa schon ihr Widerstand gegen die überlieferte Religionsform beweist? Auch das Moment des Stammescharakters spielt in dieser Beziehung vielleicht keine ganz untergeordnete Rolle. Es scheint so, daß einige Volksstämme zur Entwicklung und Aufnahme des kapitalistischen Geistes mehr geeignet sind | als 242 andere. – Unstreitig besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Konfession und der kapitalistischen Entwicklung. Auf diesen Parallelismus hat von neuem und energisch die verdienstvolle Arbeit Prof. Webers hingewiesen. Unsere Ausführungen, namentlich der psychologische Teil derselben, aber suchten zu zeigen, daß der kapitalistische Geist aus dem Puritanismus sich nicht ableiten läßt, daß wir mithin den angedeuteten Parallelismus nur feststellen, nur auf ihn hinweisen können. Eine Erklärung dieser Erscheinung dürfte das Ziel weiterer Forschungen sein. Es sei gestattet, an dieser Stelle auf eine demnächst vom Verfasser erscheinende geschichtsphilosophische Studie hinzuweisen, in der die theoretischen, insbesondere psychologischen Voraussetzungen der materialistischen und idealistischen Geschichtsdeutungen dargelegt werden. |

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Kritische Bemerkungen zu den vorstehenden „Kritischen Beiträgen“.a Ich bin meinen beiden Herren Mitherausgebern dankbar, daß sie dem Abdruck der vorstehenden Ausführungen zustimmten.1 Denn eine Kritik mag noch so mißverständlich sein – und ich glaube, daß die vorstehende dies ist –, sie zeigt dennoch immer, an welchen Punkten der kritisierten Erörterungen Mißverständnisse entstehen können, welchen der Autor, sei es nun mit oder ohne eigene Schuld, nicht genügend vorgebeugt hat. Freilich: für nahezu alle der von meinem Herrn Kritiker gemachten Einwendungen muß ich irgend ein Verschulden meinerseits, für manche auch jede Möglichkeit eines Mißverständnisses für einen aufmerksamen Leser ablehnen. – Während ich (XX, S.  15)2 grade mit dem Gegensatz zwischen dem „Geiste“, der in den von meinem Kritiker zitierten Aussprüchen Jakob Fuggers einerseits, Franklins andererseits sich äußert,3 operiere, läßt er mich jenen „Geist“ in beiden gleichmäßig finden1). Während ich Franklin (XX S.  26)4 als eines der verschiedenen Beispiele2) dafür brauche, daß das, was ich ad hoc „Geist des Kapitalismus“ getauft habe, nicht einfach an der Form des Wirtschaftsbetriebes hängt, läßt der Kritiker mich Frank­ lins Gesinnung das eine Mal als vom kapitalistischen „Geist“ ver-

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1)  Und überdies nur in diesen beiden Aussprüchen. Man wird mir wohl zugestehen müssen, daß auf S.  18–35 a. a. O.5 noch einiges mehr zur (freilich trotz allem nur provisorischen) Erläuterung des Begriffes beigebracht ist. 2)  S[iehe] für den gerade umgekehrten Fall z. B. die Bemerkungen XX. S.  28.6 |

a  In A folgt: Von Max Weber. 1  Mitherausgeber des „Archivs“ waren Edgar Jaffé und Werner Sombart. Die Zustimmung dürfte mündlich erfolgt sein; sie ist weder von Jaffé noch von Sombart in der Verlagskorrespondenz (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck) schriftlich überliefert. Zu Edgar Jaffés Korrespondenzen vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  466 f. Fischers „Kritische Beiträge“ (abgedruckt oben, S.  469–477) gehen im „Archiv“-Heft Webers Antikritik unmittelbar voran. 2  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  146 f. 3  Vgl. Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  470 mit Anm.  3 und 4. 4  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  164. 5  Weber, ebd., oben, S.  151–177. 6  Weber, ebd., oben, S.  166 f.

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schieden, das andere Mal mit ihm identisch behandeln.7 Während ich es mich (XX S.  36)8 ziemlich erhebliche Mühe habe kosten lassen, nachzuweisen, daß der allen protestantischen Völkern seit den Bibelübersetzungen gemeinsame, allen andern fehlende ethisch gefärbte Begriff des „Berufes“ (und also auch die entsprechende Wortbedeutung) in dem für meine Untersuchung entscheidenden Punkt eine Neuschöpfung der Reformation ist, meint mein Herr Kritiker, Luther werde sich bei dieser Neuschöpfung dem „im Volk geläufigen Ausdruck“ angeschlossen haben,9 – ohne natürlich versuchen zu können, für diese „Geläufigkeit“ irgend eine Tatsache anzuführen. Selbstredend können philologische Funde meine Ergebnisse | jederzeit berichtigen. Mit dem bloßen Behaupten des Gegenteils ist es aber doch gegenüber dem derzeitigen Stand des Materials nicht getan. Während ich ferner selbst in ausführlicher Weise zu begründen versucht habe, daß und warum der „Berufs“-Gedanke in der Form der lutherischen Religiosität spezifisch verschieden blieb von derjenigen Ausprägung, welche jene Vorstellung innerhalb der „asketischen“ Formen des Protestantismus als integrierender Bestandteil des kapitalistischen „Geistes“ annahm, – hält mir mein Herr Kritiker dies mein eigenes Resultat, welches doch einen Grundgedanken meiner Aufsätze bildet, als Einwand gegen meine – wie er sich ausdrückt – „idealistische Geschichtsdeutung“,10 die den Kapitalismus aus Luther ableiten wolle, entgegen. Während ich (XX S.  54)11 nachdrücklich die Möglichkeit der „törichten“ These ablehne, daß die Reformation allein den kapitalistischen Geist „oder wohl gar“ den Kapitalismus selbst (als Wirtschaftssystem) geschaffen habe, da ja wichtige Formen kapitalistischen Geschäftsbetriebes erheblich älter als sie seien[,] – entgehe ich dennoch nicht dem Schicksal, diese letztere, gänzlich unbezweifelbare Tatsache, unter Berufung auf meinen Freund Sombart, von meinem Kritiker gegen mich

7  Vgl. Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  470 mit Anm.  5. 8  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  178–190, mit Fußnoten. 9  Vgl. Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  471. 10  Vgl. Fischer, ebd., oben, S.  470 f. und 473, auch: Weber gebe eine „idealistische Erklärung“, S.  474. 11  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  215, dort auch die folgenden Zitate.

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zitiert zu sehen.12 Und während ich in unzweideutigster Weise mich gegen die Benützung der von mir angenommenen historischen Zusammenhänge zur Konstruktion irgend einer „idealistischen“ (ich sagte XXI S.  110: „spiritualistischen“)13 Geschichtsdeutung verwahrt habe, wird mir eine solche von meinem Herrn Kritiker nicht nur in den eben angeführten Bemerkungen dennoch imputiert, sondern er wirft an anderer Stelle sogar die Frage auf, ob ich mir die Wandlung der täuferischen Ethik als einen „logischen Prozeß im Sinne Hegels“14 vorstelle3), und hält mir als seine Auffassung wiederum Dinge entgegen, die ich selbst an der betreffenden Stelle (XXI S.   69)15 doch wohl für jedermann deutlich genug gesagt habe. Ich fühle mich nicht schuldig, wenn die dort (und öfter) von mir gegebene Erklärung für das Einmünden der täuferischen Lebensstimmung in die „Welt“, welche bekanntlich der Erfahrung bei anderen ihnen hierin ähnlichen Sekten, z. B. manchen russischen,16 die im übrigen unter gänzlich anderen ökoA 244

3)  Selbstredend ist, nach meinem eignen Ausdruck, die Umgestaltung der ursprünglichen teils eschatologischen, teils enthusiastischen, teils antipolitischen Ethik des Täufertums „Anpassung an die Welt“, genau wie beim Urchristentum.17 Das ist längst be-

12  Vgl. Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  473. Fischer referiert Sombart, Der moderne Kapitalismus I. 13  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  424. 14  Fischer, Kritische Beiträge, S.  472, dort „logische Entwicklung etwa im Sinne Hegels“. 15  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  358 f. 16  Weber hat die „rationalistischen“, unabhängig von der Kirchenspaltung in Rußland (Raskol) entstandenen Sekten und nicht den eigentlichen Raskol im Blick. Vgl. Weber, Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Rußland, MWG I/10, S.  164 f., Fn.  42: „Die Verwandtschaft der ökonomischen und politischen Ethik der russischen rationalistischen Sekten mit dem Puritanismus [.  .  .] ist schon Leroy-Beaulieu und anderen nicht entgangen. Aber wenigstens bei dem zahlmäßigen bedeutendsten Teil, dem eigentlichen ‚Raskol‘, stehen Dem tiefe Unterschiede in der Eigenart der ‚innerweltlichen Askese‘ gegenüber.“ Leroy-Beaulieu hatte die diesseitigen Hoffnungen (auf Aufhebung der Fronden und Emanzipation der Bauern) mit den „Träumen“ der aufständischen Bauern und Täufer des 16. Jahrhunderts verglichen und für die weitere Entwicklung auf Analogien von russischem Raskol und englischen und amerikanischen Sekten verwiesen, darunter die Verlegung der Raskolniks auf den Handel, Sparsamkeit und Wohlstand. Vgl. Leroy-Beaulieu, Anatole, Das Reich der Zaren und die Russen. Autorisirte deutsche Ausg. von L. Pezold und Joh. Müller, Band  III. – Sondershausen: Fr. Aug. Eupel (Otto Kirchhoff) 1890 (hinfort: Leroy-Beaulieu, Reich der Zaren III), S.  356 f. und 366–378. Vgl. dazu auch Weber, Bemerkungen, unten, S.  500 f., Fn.  1. 17  Von „Akkomodation einer ursprünglich weltflüchtigen Askese“ spricht Weber, Protestantische Ethik II, S.  361, Fn.  137, der Vergleich mit dem Urchristentum ebd., S.  351.

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nomischen Bedingungen lebten, durchaus entspricht, ihm nicht einleuchtend erscheint4). | Ich glaube auch nicht dafür verantwortlich zu sein, wenn mein Herr Kritiker annimmt, ich hätte meine Aufsätze nur zur Erklärung der heute noch bemerkbaren Zusammenhänge konfessionellerb Verhältnisse mit ökonomischen und sozialen Schichtungen geschrieben.18 Ich habe (XX S.  23 und öfter)19 grade sehr nachdrücklich hervorgehoben, daß der heutige, auf mechanischer Grundlage ruhende Kapitalismus, welcher polnische Arbeiter nach Westfalen,20 Kulis nach Kalifornien21 importiert, absolut anders zu kannt, und ich selbst bin darauf deutlich genug zu sprechen gekommen.22 Aber doch nicht: Anpassung an den Kapitalismus. Die entscheidende erste „Anpassung“ des Täufertums an die „Welt“ ging ja dem Schwerpunkt nach in Gebieten vor sich, welche, wie z. B. Friesland,23 an kapitalistischer Entwicklung tief unter der Umwelt standen. 4)  Nur in einem Einzelpunkt hat wohl ein – freilich sehr leicht als solcher erkennbarer – Druckfehler wenigstens mitgespielt. S.  69 a. a. O.24 heißt es von den Wiedertäufern:

b A: konfessionellen   18  Vgl. Fischer, Kritische Bemerkungen, oben, S.  477. 19  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  159 f. 20  Weber erwähnt den Arbeitsfleiß von Minderheiten in fremder Umgebung, Protestantische Ethik I, bes. S.  136 f. mit Fn.  16, allerdings ohne die hier angeführten Beispiele. – Polnische Arbeiter waren in Westfalen wegen Arbeitskräfteknappheit im Bergbau erwünscht (in Recklinghausen stammten z. B. 1905 42% bzw. 44% der im Bergbau Beschäftigten aus östlichen preußischen Provinzen, ähnlich verhielt es sich in Wattenscheid, in Gelsenkirchen waren es 50% und in Herne 39%; 1910: knapp 53%). Vgl. Wachowiak, Stanislaus, Die Polen in Rheinland-Westfalen. – Borna-Leipzig: Robert Noske 1916 [Inaugural-Diss. München], S.  27 und 29. 21  Kuli (Hindi), „Lastträger“; auch: ostasiatischer Tagelöhner. Hier Bezeichnung für chinesische Einwanderer, die seit der Entdeckung von Goldvorräten im 19. Jahrhundert nach Kalifornien kamen (despektierlich „Coolies“ genannt). Sie galten als sehr fleißig und wurden gegen geringen Verdienst auch zum Bau von Straßen und Eisenbahn eingesetzt. 22  Vgl. Webers Ausführungen über das „Einströmen des Täufertums in das normale weltliche Berufsleben“, Protestantische Ethik II, oben, S.  358 f., Zitat S.  358. 23  Es ist unklar, ob Weber die niederländische Provinz Friesland oder die Grafschaft Ostfriesland meint. In Friesland jedenfalls reichten die Wurzeln der Mennonitengemeinden bis auf die Zeit um 1530 zurück. Seit 1550 flüchteten außerdem flämische Täufer nach Friesland. Nach der Einstellung ihrer Verfolgung, spätestens seit dem Toleranzedikt der Utrechter Union 1579, konnten die Mennoniten sich – trotz Verzweigungen – zu Gemeinden mit Ordnung und Versammlungshäusern zusammenschließen. Vgl. Cramer, Art. Mennoniten, S.  605 ff. Auch in Ostfriesland gab es Mennoniten (vgl. Müller, J. P., Die Mennoniten in Ostfriesland vom 16. bis 18. Jahrhundert [.  .  .]. – Emden: W. Haynel 1887). 24  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  358.

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jenem Problem steht als der Kapitalismus der Frühzeit. Der Umstand, daß trotz alle dem selbst heute noch Unterschiede des ökonomischen Verhaltens der Konfessionen zu bemerken sind und gelegentlich öffentlich erörtert wurden, gab mir ausgesprochenermaßen (a. a. O. S.  24c)25 lediglich den Anknüpfungspunkt und den Anlaß, die Frage als berechtigt hinzustellen, wie sich wohl Konfession und wirtschaftliches Gebahren in der Frühzeit des Kapitalismus zu einander gestellt haben möchten. Daß nun diese beiden Kulturcomponenten auch damals nicht in einem Verhältnis „gesetzlicher“ Abhängigkeit von einander standen, – dergestalt, daß wo x (asketischer Protestantismus) ist, auch schlechthin ausnahmslos y (kapitalistischer „Geist“) bestand, – dies ist bei der Art der ursächlichen Verkettung historisch komplexer Erscheinungen miteinander a priori selbstverständlich5). Die Bemerkungen meines Herrn Kritikers über die holländischen Kapitalisten26 aber treffen schon der Sache nach garnicht zu: der Vorgang des Aufkaufes von Rittergütern durch bestimmte Schichten des städtischen Patriziates war auch dort typisch (s. XXI, S.  103),27 und über die (im weiteren Verlauf der Untersuchung „Freilich kann die Wirkung dieses ‚Harrens‘ in hysterische Zustände, Prophetie und .  .  . unter Umständen selbst in einen Ausbruch von enthusiastischem Reformeifer ausmünA 245 den, wie dies bei der in Münster vernichteten Richtung | der Fall war“. Aus „hysterische Zustände“ hat ein Druckfehler „hysterischen Zuständen“ gemacht. Daß es ein Druckfehler ist, ergibt allerdings m. E. der Sinn des Satzes selbst, und die weiterfolgenden Ausführungen erst recht, auf den ersten Blick: – was sollte man sich auch unter einem „Harren in hysterischen Zuständen“ denken, – welches, wie mir der Verf[asser] entgegenhält,28 im Gegensatz zur nüchternen Berufsarbeit stehe? 5) Man könnte mir als einzige unvorsichtige Formulierung die Bemerkung (XX S.  8)29 entgegenhalten: daß der Calvinismus das Zusammentreffen intensiver Frömmigkeit mit kapitalistischem Erwerbssinn zeige, „wo immer er aufgetreten ist“. Ich hatte bei jenem Satze den Diaspora-Calvinismus im Auge, von dem auch Gothein an der von mir alsbald dazu zitierten Stelle spricht.30

c A: 25 25  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  160 f. 26  Vgl. Fischer, Kritische Bemerkungen, oben, S.  476 f. 27  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  414 (Fn. 73). 28  Vgl. Fischer, Kritische Bemerkungen, oben, S.  472. 29  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  135, dort auch das folgende Zitat. 30  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  136 mit Fn.  14.

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noch näher zu besprechenden)31 Determinanten der Entwicklung Hollands habe ich XX S.  26, XXI S. d95, 96d einige (allerdings nur gänzlich provisorische) Bemerkungen gemacht,32 – die mir mein Herr Kritiker nun ebenfalls teilweise als Einwand entgegenhält.33 Über die Bedeutung bestimmter religiöser Gruppen für die Entwicklung des niederrheinischen Gebiets in der frühkapitalistischen Zeit6) 34 wird wohl noch bei Fortsetzung meiner | Darstellung zu sprechen sein.35 Im übrigen darf ich daran erinnern, daß „reformiert“ nicht einfach mit „calvinistisch“ identisch ist36 und daß auch der „Calvinismus“ erst in seiner – mit der genuinen Lehre Calvins, wie ich mehrfach betont habe,37 keineswegs identischen – Entwicklung zum asketischen Puritanismus in vollem Umfang die Züge aufweist, welche für die von mir erörterten Zusammenhänge in Betracht kommen. Ich verweise dabei nochmals nachdrücklich auf meine Ausführungen XXI S.  103, 104.38 Daß die bloße Tatsache der konfessionellen Zugehörigkeit eine bestimmte Entwicklung ökonomischer Art derart rein aus dem Boden stampfen könnte, daß baptistische Sibirier unvermeidlich zu Großhändlern, calvinistische 6)  Denn für die jetzige gilt natürlich das, was ich über den heutigen Kapitalismus gesagt habe.39 So namentlich für das heutige Belgien. Dagegen ist die allmähliche Ab-

d–d A: 85, 86 31  Weber bezieht sich sehr wahrscheinlich auf die geplante Fortsetzung seiner Protestantismus-Aufsätze, vgl. die Einleitung, oben, S.  66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96, und den Editorischen Bericht, oben, S.  464 f. mit Anm.  10. Im Sommer 1907 suchte Weber hierfür niederländische Bibliotheken auf. 32 Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  165 (mit Fn.  33), und dass. II, oben, S.  401–403 (mit Fußnoten). 33  Vgl. Fischer, Kritische Bemerkungen, oben, S.  476 f. 34  Weber greift Fischers Notiz, ebd., S.  476, auf. 35 Weber plante zu diesem Zeitpunkt noch eine Fortsetzung seiner Aufsätze; wie oben, Anm.  31. 36  „Reformiert“ bezieht sich auf eine Konfessionsgemeinschaft oder -familie (staatskirchenrechtlich anerkannt im Westfälischen Frieden 1648) und bezeichnet einen bestimmten, auf die Schweizer Reformation zurückgehenden Typus. An dessen Bildung und Ausbreitung waren Calvin, der Calvinismus, aber auch andere Reformatoren wie Zwingli und die Züricher beteiligt (vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  242 mit Fn.  1). 37  Vgl. etwa Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  272 f., oder S.  256 f. 38  Weber, ebd., oben, S.  414–416. 39  Über den „heutigen Kapitalismus“ äußert sich Weber, ebd., bes. oben, S.  422 f.

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Bewohner der Sahara zu Fabrikanten würden, – diese Meinung wird man mir schließlich kaum imputieren wollen. Für ein Land mit den geographischen und kulturlichen Bedingungen Ungarns z. B. in der Zeit seiner kontinuierlichen Unterjochungen und Wiederbefreiungen von den Türken40 wäre die Annahme, der Calvinismus hätte hier kapitalistische Betriebsformen schaffen müssen, ähnlich seltsam, als die, seine Herrschaft hätte im Boden Hollands Kohlenflöze entstehen lassen müssen. Gewirkt hat er, beiläufig bemerkt, in der ihm spezifischen Art auch in Ungarn, nur auf anderem Gebiet, und übrigens habe ich (XX S.  4 Anm.  1 und 2)41 nebenher auf Zahlen verwiesen, die zeigen, daß trotz allem auch dort jene charakteristischen Erscheinungen in der Berufswahl der Reformierten sich zu zeigen scheinen, von denen, als Anknüpfungspunkten, ich ausging. Über meine Ansichten bezüglich der Beziehungen zwischen religiösen und ökonomischen Bedingungen überhaupt glaube ich mich u. a. XXI S.  101 Anm.  6942 bei aller wanderung der (anfänglich, im 16. Jahrhundert, gerade zuerst in die belgischen Südgebiete eingedrungenen, aber dort in der Minorität befindlichen) Calvinisten nach NorA 246 den (Holland) sowohl politisch wie ökonomisch von | größter Tragweite gewesen,43 wie aus jeder Geschichte des 30jährigen Krieges zu ersehen ist.44 40  Nach der Niederlage der Ungarn in der Schlacht bei Mohács am 29. August 1526 gegen die nach Westen vordringenden Türken unter Süleyman I. kam der größte Teil des bis dahin unabhängigen Königreichs teils unter osmanische, teils unter habsburgische Herrschaft. Am selbständigsten konnte sich das Fürstentum Siebenbürgen im Osten entwickeln. Nach der Befreiung Ungarns von den Türken 1683 wurde Ungarn 1687 als Erbreich in das Habsburgerreich eingegliedert. – Die schon Anfang der 1520er Jahre in Oberungarn eingedrungene reformatorische Bewegung breitete sich auch in den Türkengebieten und in Siebenbürgen aus. Eine evangelische Kirche Augsburger Konfession und eine reformierte Kirche waren seit 1608 anerkannt. Die protestantische Mehrheit bildeten die Reformierten (1901 waren 6,7% der Gesamtbevölkerung lutherisch und 12,7% reformiert). Vgl. (Balogh, Franz) und Koloman Révész, Art. Ungarn, kirchlich-statistisch, in: RE3, 20. Band, 1908, S.  235–245. 41  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  128 f. mit Fn.  7 und 8. 42  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  411 mit Fn.  69. 43  In den südlichen Niederlanden (später Belgien) sorgte Guy de Brès in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts für die Ausbreitung der Reformation nach Genfer Vorbild, besonders in den großen Städten (Lille, Tournai, Valencienne). Vgl. Müller, Kirchengeschichte II/1, S.  512. Nach dem endgültigen Scheitern des Aufstands gegen die Spanier, die 1585 Antwerpen eingenommen hatten, sollen zahlreiche protestantische Südniederländer in die nördlichen Provinzen abgewandert sein. Der ökonomische Schwerpunkt verlagerte sich von Antwerpen nach Amsterdam. Andere Protestanten gingen, wie auch schon in den Jahrzehnten zuvor, ins Ausland. 44  Der Friede von Münster 1648 – Teil des Westfälischen Friedens, der den Dreißigjährigen Krieg beendete – besiegelte auch das Ende des Achtzigjährigen Kriegs zwi-

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Kürze vorerst hinlänglich deutlich geäußert zu haben. Ich kann meinerseits nichts dafür, wenn derartige und zahlreiche ähnliche Äußerungen, insbesondere auch die Schlußbemerkungen des ganzen Aufsatzes,45 einfach nicht beachtet werden. – Ich lehne also die Verantwortung für die Mißverständnisse, welche m. E. der vorstehenden „Kritik“ zugrunde liegen, ab, werde aber bei der aus verlagstechnischen Gründen doch nicht länger zu umgehenden Separatausgabe der Aufsätze46 nochmals versuchen, jede Wendung, die im Sinn einer von mir nie behaupteten Ableitung von Wirtschaftsformen aus religiösen Motiven auch nur verstanden werden könnte, zu beseitigen und womöglich noch deutlicher zu machen, daß es der Geist „methodischer“ Lebensführung ist, welcher aus der „Askese“ in ihrer protestantischen Umbildung „abgeleitet“ werden sollte, und welcher zu den Wirtschaftsformen nur in einem allerdings kulturgeschichtlich m. E. sehr wichtigen „Adäquanz“-Verhältnis steht. Für die Anregung dazu bin ich meinem Herrn Kritiker dankbar, obwohl eine sachlich fruchtbare Kritik auf diesem Gebiet unendlich verschlungener Kausalzusammenhänge nur bei Beherrschung des Quellenstoffes möglich gewesen wäre, die ihm abgeht7). Gar nichts kann ich dagegen, zu meinem Leidwesen, mit seinen positiven, | „psychologischen“, Erörterungen anfangen.47 Wenn ich (XXI, S.  45 Anm.)48 den heutigen gesicherten Begriffsvorrat der „Psychologie“ für unzulänglich erklärt habe, um für ein konkretes religionshistorisches Problem: die Bedeutung bestimmter Hysterisierungsvorgänge im alten Pietismus, mit Sicherheit verwertet zu 7)  Eine solche Kritik erwarte ich, – was manchem vielleicht höchst „rückständig“ erscheint, – von theologischer Seite als der kompetentesten. |

schen Spanien und den Niederlanden. Die Souveränität der Republik der Sieben Vereinigten Niederlande, die sich 1579 zur Utrechter Union zusammengeschlossen und 1581 von Spanien losgesagt hatten, und ihr Ausscheiden aus dem Heiligen Römischen Reich wurden reichsrechtlich anerkannt. Die seit 1585 rekatholisierten südlichen Niederlande blieben weiter unter spanischer Herrschaft. 45  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  423–425. 46  Zur geplanten Separatausgabe vgl. die Einleitung mit Anhang, oben, S.  66 f. und 90–96, und den Editorischen Bericht, oben, S.  464 f. mit Anm.  10. 47  Vgl. Fischer, Kritische Bemerkungen, oben, S.  474–476. 48  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  316 f., Fn.  79a.

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werden, so sprach ich dabei ersichtlich nicht von Versuchen, wie die, welche mein Herr Kritiker benutzt hat, sondern von den exakten Forschungen auf dem Gebiet der Hysterie. Nur von solchere verspreche ich mir eventuell neue, für jenes Problem wertvolle Einsichten8).49 Wie unbrauchbar dagegen das, was mir in der vorstehenden Kritik als „Psychologie“ entgegengehalten wird,50 für die historische Erklärung von Phänomenenf wie die, mit welchen A 247

8)  Von hier aus könnte namentlich auch der Einfluß religiöser Institutionen und Anschauungen auf all das, was man heute mit dem nichtigen Begriff „Volkscharakter“ überdeckt,51 aufgehellt werden. Auch darüber bei Gelegenheit der Separatausgabe.52

e  Zu erwarten wäre: solchen  f A: Phänomen 49  Für „[e]rnster zu nehmende Ansätze zur Verwertung psychopathologischer Begriffe für die Deutung gewisser historischer Massenerscheinungen“ verweist Weber an der genannten Stelle (wie vorherige Anm.) auf Hellpach, Grundlinien, bes. 12. Kapitel, und ders., Nervosität und Kultur. Weber weigert sich allerdings (ebd.), etwa die reli­ giösen Bewußtseinsinhalte des von ihm im Pietismus beobachteten Phänomens der Gefühlssteigerung mit Hilfe der Begriffe der fachwissenschaftlichen Psychologie zu beschreiben, um keinen „falschen Anschein erhöhter begrifflicher Exaktheit zu erzeugen“. – Weber, Roscher und Knies III, S.  87, Fn.  1, formuliert den Anspruch an eine Psychopathologie für sein Erkenntnisinteresse: Verlangt sei „[.  .  .] die Verknüpfung des einfühlend nacherlebten seelischen Zusammenhanges mit den aus der allgemeinen psychiatrischen ‚Erfahrung‘ gewonnenen Begriffen“. Und er fährt, wiederum mit Bezug auf Hellpach, fort: „Sie sind ‚Intuitionen‘ des dafür begabten Forschers ‚über‘ das Objekt, aber inwieweit sie objektiv gelten, bleibt prinzipiell unkontrollierbar und daher ihr wissenschaftlicher Wert durchaus unsicher“ (ebd.) 50  Vgl. Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  474–476. 51  Vgl. auch Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  180 mit Anm.  8. Weber kritisiert den Begriff „Volksgeist“ (oder „Volkscharakter“) bereits im „Roscher-und-Knies“-Aufsatz: „Dieser Begriff ‚Volksgeist‘ selbst wird dabei nicht als ein provisorisches Verhältnis [.  .  .], sondern als ein einheitliches reales Wesen metaphysischen Charakters behandelt und nicht als Resultante unzähliger Kultureinwirkungen, sondern umgekehrt als der Realgrund aller einzelnen Kulturäußerungen des Volks angesehen, welche aus ihm emanieren.“ Zitat: Weber, Roscher und Knies I, S.  9 f. Die Kritik bezieht sich möglicherweise auf Friedrich Carl von Savigny und seine Schule. Zur „kritiklosen bloßen Beschreibung von ‚Volkscharakteren‘“ äußert sich auch Weber, Objektivität, S.  43. 52  Zur geplanten Separatausgabe vgl. die Einleitung mit Anhang, oben, S.  66 f. und 90–96, und den Editorischen Bericht, oben, S.  464 f. mit Anm.  10.

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ich zu tun hatte,53 bleibt, zeigen m. E. grade die Darlegungen meines Herrn Kritikers. „Bringen wir“ –g sagt er – „das Erwerben von Geld .  .  ., rein als Selbstzweck, auf einen psychologischen Ausdruck, so können wir es auffassen als die Freude des Individuums an seiner kraftvollen Betätigung“9).54 Schon dieser allererste Schritt ins Gebiet dieser „Psychologie“ ist, historisch betrachtet, ein Fehltritt. Jene „Freude an der kraftvollen Betätigung“ mag ein zutreffendes Wort sein für eine Begleiterscheinung des Gelderwerbens bei vielen Typen moderner Geschäftsleute und ebenso in der Vergangenheit bei Typen wie Jakob Fugger und hähnlichen ökonomischenh „Übermenschen“, von denen ich auch meinerseits gesprochen habe,55 – Typen, die es seit dem babylonischen Altertum überall 9)  Dazu wird wieder jener Ausspruch Fuggers zitiert,56 den ich, wie schon gesagt,57 in Gegensatz zu dem gestellt hatte, was ich „kapitalistischen Geist“ genannt hatte. Diese Bezeichnung ist mir natürlich für jede andere, geeignetere, feil. – Weiterhin wird auf den „kapitalistischen Geist“ in Florenz u. s. w. Bezug genommen,58 obwohl ich (XX, S.  32)59 die Unterschiede der mittelalterlichen Attitude zu dem, was ich nun einmal ad hoc „kapitalistischen Geist“ nenne, auseinandersetze. Ignoriert man diese spezifischen Unterschiede, dann hört freilich der Sinn des Begriffs auf.

g  Gedankenstrich fehlt in A; sinngemäß ergänzt.   h–h A: ähnliche ökonomische 53  Weber, Roscher und Knies III, S.  87 f., betont, der Historiker stütze sich bei kausalen Zurechnungen in der Regel auf die „vulgärpsychologische“ Erfahrung. Das reiche für seine Zwecke meist völlig aus. Dies heiße freilich nicht, daß ihm nicht auch fachpsychologische Erkenntnisse mitunter nützlich sein könnten, insbesondere dort, wo es um die Präzisierung von ‚Regeln adäquater Verursachung‘ gehe: „Diese letzteren werden nur da, aber auch überall da, von Wert sein, wo die ‚Alltagserfahrung‘ nicht ausreicht, denjenigen Grad relativer ‚Bestimmtheit‘ der kausalen Zurechnung zu gewährleisten, welcher für die Deutung der Kulturerscheinungen im Interesse ihrer ‚Eindeutigkeit‘ erforderlich ist. Der Erkenntniswert ihrer Ergebnisse wird aber eben deshalb regelmäßig um so größer sein, je weniger sie dem Streben nach einer den quantifizierenden Naturwissenschaften verwandten Formulierung und Systematik auf Kosten des Anschlusses an die unmittelbar verständliche ‚Deutung‘ konkreter historischer Gebilde nachgeben, und je weniger sie infolgedessen von den allgemeinen Voraussetzungen in sich aufnehmen, welche naturwissenschaftliche Disziplinen für ihre Zwecke verwerten.“ (S.  88 f.) 54  Zitat: Fischer, Kritische Bemerkungen, oben, S.  474 („‚Erwerben von Geld und immer mehr Geld, rein als Selbstzweck‘“, so formuliert Weber das „‚summum bonum‘“ der „,Ethik‘“ Franklins; Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  149). 55 Zur Bezeichnung ökonomische „Übermenschen“ vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  362, Fn.  139, dazu dass. I, oben, S.  153 f. Zu Jakob Fugger ebd., oben, S.  146 f. 56  Vgl. Fischer, Kritische Bemerkungen, oben, S.  474. 57  Siehe oben, S.  478. 58  Vgl. Fischer, Kritische Bemerkungen, oben, S.  476. 59  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  172 f.

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gegeben hat, wo man irgendwie Geld erwerben konnte10), die aber ja grade nicht charakteristisch sind für jenen Geist nüchterner Lebensmethodik, um dessen Analyse es sich für mich handelte. Die „kraftvolle Betätigung des Individuums“ und seine „Freude“ daran mag man bei den sogen. „Renaissance-Menschen“ studieren60 – wenn man den gleichen Ausdruck auf asketisch nach Art der Mönche gezügelte Puritaner anwendet,61 dann versteht man jedenfalls – wie bei so unpräzisen Abstraktionen nicht wunderbari – beide Male Grundverschiedenes darunter. Die weiter folgenden Auseinandersetzungen über die Frage, unter welches Schema von psychologischen Erscheinungen jene „Freude“ falle,62 ob eine bestimmte | Art von „Übertragung von Gefühlszuständen“ ein „allgemeines psychisches Geschehen“ sei und was daraus theoretisch folge, welche historischen Vorgänge infolge dessen „denkmöglich“ seien und welche nicht, wann die „hohe Schätzung des Geldes“ (die, wie ich nochmals betone,63 bekanntlich unter sich gänzlich heterogene „psychische“ Erscheinungen umfaßt, von Molières „Avare“64 bis zu Carnegie65 einerseits, dem indischen Rajah66 andrerseits, und die an sich mit der puritanischen Lebensmethodik einfach nichts zu schaffen hat)11) entstanden sein könne und wann nicht, daß, ferner,

10)  Ich habe davon meinerseits öfter, z. B. XXI S.  109,67 gehandelt. Es versteht sich, daß dieser Typus nicht nur in dieser amerikanischen Reinheit existiert, daß vielmehr heute etwas davon in breiten Schichten des Unternehmertums steckt. | 11)  S[iehe] XX S.  19 und die ganze letzte Partie des zweiten Aufsatzes.68 A 248

i Lies: verwunderlich 60  Zum allseitig gebildeten, schöpferischen Renaissance-Menschen vgl. etwa Jacob Burckhardt, Cultur der Renaissance I, S.  147–152 („Die Vollendung der Persönlichkeit“). 61  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  292 f., 365 f. und S.  422. 62  Fischer, Kritische Bemerkungen, oben, S.  474, dort auch die folgenden Zitate. 63  Zuletzt oben, S.  487 f. 64  Protagonist in Molières Komödie „L’Avare“ („Der Geizige“; uraufgeführt 1668) ist der habgierige, völlig gefühl- und rücksichtslose Geizhals Harpagon, der seine Geldkassette mehr als das Wohl seiner Kinder schätzt. 65  Andrew Carnegie wurde vom „Spuljungen“ in einer Weberei zu einem der reichsten amerikanischen Unternehmer der Eisen- und Stahlbranche. Nach seinem Rückzug aus dem Erwerbsleben 1901 gründete er verschiedene soziale, kulturelle und wissenschaftliche Stiftungen. 66  Raja (Sanskrit, Tl.  ra¯ ja, „König“, „Fürst“), Herrschertitel in Indien. 67  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  423 (mit Fn.  85a). 68  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  153 f., und dass. II, oben, S.  408 ff.

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das „Pflichtgefühl“ ein abstrakter Begriff sei und wie seine Entstehung zu denken sei, wie man speziell die Entstehung der Berufspflicht „ungezwungener“ (als ich) erklären könne u. s. w.,69 – dies alles zeigt m. E. nur, daß generalisierende Doktrinen dieser Art den Erscheinungen der historischen Wirklichkeit eben weltenfern stehen. Auf welchen methodischen Grundirrtümern dies beruht, habe ich bei andern Gelegenheiten so oft erörtert,70 daß ich mir die Wiederholung hier ersparen darf. Es wäre ja sicherlich wesentlich bequemer für die Auffindung des historischen kausalen Regressus, wenn wir das Entstehen bestimmter eigenartiger Lebensstilisierungen einfach aus Abstraktionen einer „Psychologie“ deduzieren könnten. Allein die historische Wirklichkeit läßt sich schlechterdings nicht kommandieren und fragt nichts darnach, ob es J[ohn] St[uart] Mill, H[erbert] Spencer12) 71 oder auch meinem Herrn Kritiker für ihre psychologischen Schemata lästig ist, daß die Menschen jener Vergangenheit nun einmal sehr konkrete Vorstellungen von dem, was ihrer nach dem Tode harre, und von den Mitteln, ihre Chancen in dieser Hinsicht zu verbessern, besaßen, daß sie darnach ihr Handeln einrich12)  Die zitierten „Erklärungsweisen“72 der beiden genannten bedeutenden Gelehrten sind spezifisch englisch und teilweise selbst Spätlinge jener Art der „natürlichen“ Lebensbetrachtung, die wir auch bei Franklin finden, – die aber das Gegenteil historischer Empirie darstellt. – Was an solchen Konstruktionen richtigj bleibt, sind einige Trivialitäten aus der Alltagserfahrung, mit denen jeder Wirtschaftshistoriker auch ohne Kenntnis Mills und Spencers ständig operiert.73 |

j A: richtig – 69  Vgl. Fischer, Kritische Bemerkungen, oben, S.  475 f. 70  Vgl. v. a. Weber, Roscher und Knies III, S.  86–89. 71  Fischer, Kritische Bemerkungen, oben, S.  475 mit Anm.  10 und 11, stützt sich für seine psychologische Erklärung auf Mill und Spencer. Vgl. Mill, John Stuart, Das Nützlichkeits-Princip, in: Gesammelte Werke. Autorisirte Übersetzung [.  .  .] von Th. Gomperz, 1. Band. – Leipzig: Fues’s Verlag (R. Reisland) 1869, S.  127–200 (hinfort: Mill, Nützlichkeits-Prinzip), hier S.  168 f., und Spencer, Herbert, System der synthetischen Philosophie, Band  X: Die Principien der Ethik, I. Abth.: Die Thatsachen der Ethik. – Stuttgart: E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung (E. Koch) 1879, §  47, S.  137–142 (aus Kap. VII. Der psychologische Standpunkt, S.  112–144). 72 Weber greift Fischers Terminologie auf, der in bezug auf Mill und Spencer von psychologischer „Erklärung“ der Entstehung des kapitalistischen Geistes spricht; vgl. Fischer, Kritische Bemerkungen, oben, S.  474. 73  Vgl. dazu oben, S.  485 f., Anm.  49.

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teten, und daß es für die Kulturentwicklung wichtig wurde, in welcher verschiedenen Art sie es einrichteten je nach den verschiedenen Ansichten über die Voraussetzungen, deren Erfüllung ihnen die Seligkeit garantierte, – so schwierig uns modernen Menschen es ist, uns in die qualvolle Macht jener metaphysischen Vorstellungen zu versetzen.74 Mein Herr Kritiker gibt nach all seinen verschiedenen „psychologischen“ Überlegungen schließlich dennoch den offenkundigen Zusammenhang der Entwicklung kapitalistischen „Geistes“ in Frankreich mit dem Hugenottentum zu.75 Ich bin so unbescheiden, zu glauben, diesen, nach seiner Ansicht vorerst ganz unerklärlichen „Parallelismus“ 1) auch für eine Anzahl anderer Gebiete wahrscheinlich gemacht und 2) einen leidlichen plausiblen Versuch zu seiner Erklärung gegeben und durch eine Reihe immerhin beachtenswerter Tatsachen gestützt zu haben. Ob nun die Abstraktionenk irgend einer „Psychologie“ zu den Tatsachen, die ich beigebracht habe, passen oder nicht, – das ist mir, offen gestanden, ziemlich gleichgültig: die | Theorie hat sich nach den Tatsachen zu richten, nicht umgekehrt. Mir ist jede Psychologie als Helferin hochwillkommen, deren Begriffe mir bei der Zurechnung konkreter historischer Erscheinungen zu ihren konkreten Ursachen irgendwie von Nutzen sindl. Für mein Problem aber kann ich aus dem, was ich an „psychologischer“ Literatur kenne, einschließlich der von meinem Herrn Kritiker zitierten Arbeiten,76 nichts von Belang zur Befriedigung meines kausalen Bedürfnisses entnehmen. Die exakte wissenschaftliche religionspathologische Arbeit aber steckt, soweit die in meinem Fall interessierenden Fragen in Betracht kommen, bekanntlich leider noch in den Anfängen.77 |

k A: Abstraktion  l A: ist 74  Ähnlich Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  245, auch S.  424. 75  Vgl. Fischer, Kritische Bemerkungen, oben, S.  477. 76  Gemeint sind die Arbeiten von Mill und Spencer, dazu oben, S.  489, Anm.  71. 77 Damit dürfte Weber den Ansatz insbesondere von Willy Hellpach meinen (vgl. dazu oben, S.  486 mit Anm.  49), aber auch den von Hans W. Gruhle und bedingt auch den von Sigmund Freud. Vgl. dazu die Ausführungen in der Einleitung, oben, S.  73 f. mit Anm.  8.

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Bemerkungen zu der vorstehenden „Replik“

Editorischer Bericht I.  Zur Entstehung Karl Fischer, der mit seiner Kritik an Webers Aufsatzfolge über die „Protestantische Ethik und den ‚Geist‘ des Kapitalismus“ dessen Antikritik provoziert hatte,1 schrieb eine Replik auf Webers Antikritik. Das mag dem Neuling in der Wissenschaft als eine günstige Gelegenheit erschienen sein, sich bekannt zu machen.2 Abermals ließ er sich dabei auf methodische Fragen ein. Er suchte Weber zu belehren, wie man in der historischen Forschung allein zu gültigen kausalen Zurechnungen komme, insbesondere, weshalb bei einem Thema wie dem seinen ohne Rückgriff auf ‚die Psychologie‘ nicht auszukommen sei. Weber fühlte sich dadurch offensichtlich abermals herausgefordert, gegen methodologische Irrtümer in den Sozial- und Geschichtswissenschaften vorzugehen. In diesem Zusammenhang hatte er auch eine Abhandlung über die historische Kausalbetrachtung geschrieben, die 1906 im „Archiv“ erschienen war.3 Wann und wem Fischer seine Replik zusandte, ist der überlieferten Verlagskorrespondenz nicht zu entnehmen.4 Jedenfalls wurde die Kontroverse im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ fortgeführt. Zu diesem Zweck schickte Max Weber beides, Fischers Replik und seine Antikritik, am 17. Ok­ tober 1907 direkt an den Verlag: „Anbei 3 Mscr. 1) Söderberg, 2) Fischer 3) M. Weber, ersteres zur weiteren Verfügung von Dr Jaffé, letztere beide möglichst für das Novemberheft“, heißt es in Webers Brief an Oskar Siebeck.5 Fischers und Webers Manuskript gingen sofort an die Druckerei.6 Edgar Jaffé 1  Vgl. Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  4 69–477, sowie die Antikritik: Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  478–490. 2 Zu den Hintergründen vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  4 63–468. 3 Weber, Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik, II. Objektive Möglichkeit und adäquate Verursachung in der historischen Kausal­ betrachtung, in: AfSSp, 22. Band, 1. Heft, 1906, S.  185–207 (MWG I/7). Dazu auch die Einleitung, oben, S.  74. 4 Eine Korrespondenz zwischen Max Weber und Karl Fischer ist nicht überliefert. Recherchen von Dr. Michael Matthiesen mit Hilfe der Witwe, Ruth Fischer, Berlin, im Jahr 2003 blieben ergebnislos. 5  Brief Max Webers an Oskar Siebeck vom 17. Okt. 1907, MWG II/5, S.  4 09. 6 Vgl. Brief von Richard Wille/Richard Pflug an Max Weber vom 21. Okt. 1907 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446).

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Bemerkungen zu der vorstehenden „Replik“

wurde allerdings erst Ende Oktober von Webers zweiter Antikritik unterrichtet.7 Aus Platzgründen verschob er diese zweite Kontroverse in das Januarheft.8 Weber hatte für die Korrektur seines Artikels am 3. November 1907 einen Abzug von Fischers Beitrag samt dessen Korrekturen erbeten, um auf dessen eventuelle Zusätze oder Änderungen reagieren zu können.9 Fischers Korrekturen wurden ihm schon zwei Tage später zugesandt.10 Den Satz für beide Beiträge berechnete Oskar Siebeck im November auf acht Seiten, fünf für Fischer und drei für Weber, dessen Text wieder in Petit erscheinen sollte.11 Tatsächlich umfaßte Webers Antikritik im Ausdruck neun Druckseiten, trotz des Petitdrucks. Ob Weber seinen Beitrag während der Korrekturphase so stark erweiterte oder ob sich einfach eine frühere Schätzung der gesamten Kontroverse auf zwölf Druckseiten12 als richtiger erwies, läßt sich im Nach­ hinein nicht mehr feststellen. Am 13. Dezember 1907 mahnte man Weber, seine Korrektur endlich zurückzusenden, damit umbrochen werden könne.13

7  Oskar Siebeck teilte Edgar Jaffé am 29. Okt. 1907 brieflich zum Novemberheft mit (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck): „Da die Abhandlung von Mertens noch etwa weitere 3 Bogen füllen wird, wird es sich fragen, ob die Abhandlungen Ferenczi und Frankenberg aufgenommen werden können, zumal da die Fortsetzung der Controverse Max Weber und Fischer, die Herr Professor Weber, wie ich annehme, in Ihrem Einverständnis direkt an mich eingeschickt hat, nicht wird zurückgestellt werden können. Der Umfang der beiden Manuscripte Weber und Fischer ist schwer zu berechnen, schätzungsweise werden sie 11/2 –2 Bogen stark werden. [.  .  .] Der Raum wird also bei XXV.3 schon jetzt etwas knapp.“ 8  Jaffé erwiderte Siebeck am 30. Okt. 1907 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck): „Von der Sendung einer Antwort auf Fischer seitens Professor Webers war ich nicht unterrichtet; die Kontroverse muß, wenn sie soviel Platz einnimmt wie Sie schreiben im Januarheft kommen.“ Oskar Siebeck korrigierte den geschätzten Umfang (vgl. Anm.  7) einen Tag später: „Inzwischen habe ich festgestellt, dass der Umfang der Kontroverse Fischer – Weber nur etwa 12 Seiten füllen wird.“ Doch Jaffé bestimmte sie im Brief an den Verlag vom 2. Nov. 1907 (ebd.) „trotzdem für XVI, 1“. 9  Vgl. Karte Max Webers an Oskar Siebeck vom 3. Nov. 1907, MWG II/5, S.  419. 10  Mitteilung Oskar Siebecks an Max Weber vom 5. Nov. 1907 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446): „[.  .  .] im Besitz Ihrer freundlichen Zeilen vom 3. habe ich die Rückkunft der Korrektur Fischer abgewartet. Die vom Verfasser darin vorgenommenen Korrekturen finden Sie in den heute an Sie abgehenden Abzug eingetragen.“ 11  Vgl. Telegramm Oskar Siebecks an Edgar Jaffé, zwischen dem 7. und 11. Nov. 1907, und Brief Oskar Siebecks an Jaffé vom 11. Nov. 1907 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). Zur Verwendung des Petitdrucks in der ersten Antikritik vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  4 66. 12  Vgl. Brief Oskar Siebecks an Edgar Jaffé vom 31. Okt. 1907, oben, Anm.  8 mit Zitat. 13 Vgl. Brief von Richard Wille/Oskar Siebeck an Max Weber vom 13. Dez. 1907 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446).

Editorischer Bericht

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Jaffé ordnete die „Kontroverse Fischer – Max Weber“ im Januarheft als einzigen Beitrag der Rubrik „Literatur“ zu.14 Ein Honorar für seine Replik erhielt Fischer nicht.15

II.  Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Editionstext und die Überschrift folgen: Weber, Max, Bemerkungen zu der vorstehenden „Replik“, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Neue Folge des Archivs für Soziale Gesetzgebung und Statistik, hg. von Werner Sombart, Max Weber und Edgar Jaffé, 26. Band, 1. Heft. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1908, S.  275–283 (A). Das Heft wurde im „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ am 17. Januar 1908 angekündigt.16 Der Text ist von Max Weber autorisiert. Wie schon erwähnt, ist Webers Artikel im „Archiv“ durchgängig in Petit gesetzt. Für die vorliegende Edition wurde auf Normaldruck umgestellt. Sämtliche Hervorhebungen sind kursiv, Ae wird als Ä, Ue als Ü und ss, wo geboten, mit ß wiedergegeben. Offensichtliche Druckversehen sind stillschweigend korrigiert, alle weiteren Versehen mit Nachweis im textkritischen Apparat korrigiert. Fehlende Satzzeichen werden in eckigen Klammern nachgeführt. Dies gilt ebenfalls für Ergänzungen von nicht üblichen Abkürzungen, zumeist von (Vor-)Namen. Innerhalb eines Zitats werden statt doppelter die üblichen einfachen Anführungszeichen verwendet. Dies geschieht stillschweigend. Zeitbedingte oder Weber-eigene Schreibweisen, wie z. B. „umsomehr“ (S.  499) oder „Tröltsch“ statt „Troeltsch“ (S.  506, Fn.  3), bleiben erhalten. Zum besseren Verständnis von Webers Antikritik wird Fischers Replik im Anhang zum Editorischen Bericht abgedruckt (S.  494–497). Dies erspart Wiedergaben im Sacherläuterungsapparat. Dieser verweist auf die jeweiligen Bezugsstellen.

14  Vgl. Brief Edgar Jaffés an den Verlag vom 10. Dez. 1907 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). 15  Auf Fischers Bitte an den Verlag vom 23. März 1908 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck), ihm den „kl. Honorarbetrag“, wenn möglich nicht mehr nach Zürich, sondern an eine Berliner Adresse zu schicken, erhielt er von Oskar Siebeck/ Richard Wille am 31. März 1908 (ebd.) den Bescheid, „[.  .  .] dass über die Honorierung der im ‚Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik‘ erscheinenden Arbeiten Herr Dr. Jaffé allein bestimmt. Ich habe ihm daher Ihre Anfrage übermittelt. Er hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass das ‚Archiv‘ prinzipiell für Repliken und Dupliken kein Honorar zahlt.“ 16 Vgl. „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“, 75. Jg., Nr.   13 vom 17. Jan.  1908, S.  654.

Anhang zum Editorischen Bericht

Im folgenden wird Fischers zweite Kritik an Weber, Protestantische Ethik I und II, abgedruckt. Sie ist zugleich seine Erwiderung auf Weber, Kritische Bemerkungen. Dem Abdruck liegt zugrunde: Fischer, K. H., Protestantische Ethik und „Geist des Kapitalismus“: Replik auf Herrn Prof. Max Webers Gegenkritik, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 26. Band, 1. Heft, 1908, S.  270–274 (= Fischer, Replik). Die Originalpaginierung läuft als Randsigle mit. Der Beitrag, der im „Archiv“ in Normaldruck erschienen ist, wird hier in Petit abgedruckt. Hervorhebungen werden einheitlich im Kursivdruck wiedergegeben, doppelte Anführungszeichen im Zitat in einfache überführt, Ae und Ue als Ä und Ü wiedergegeben.

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Protestantische Ethik und „Geist des Kapitalismus“. Replik auf Herrn Prof. Max Webers Gegenkritik. Von K. H. Fischer.

Zu der von Herrn Prof. Weber im 1. Heft des XXV. Bd.  gelieferten Gegenkritik wünsche ich einiges zu erwidern, weil meinem Herrn Gegenkritiker trotz seiner, ich will sagen – temperamentvollen Ausführungen – das Mißgeschick widerfahren ist, den Kernpunkt der Streitfrage außer acht zu lassen. Diesen Kernpunkt noch schärfer herauszuarbeiten, als es in meinem ersten Aufsatz geschehen war, ist der Zweck der nachstehenden Ausführungen. Ich sehe also davon ab, auf die einzelnen Punkte der Gegenkritik einzugehen, teils wegen beschränkten Raumes, teils um mich nicht zu wiederholen. Ob die von meinem Herrn Gegenkritiker vorgebrachten Einwände zu recht bestehen, überlasse ich dem Urteil des nachdenklichen Lesers. Nur will ich kurz erwähnen, daß ich nirgends in meiner Kritik Prof. Weber die Ansicht „imputiert“ habe, er wolle mit seinen Darlegungen die noch heute bestehenden Zusammenhänge zwischen den Konfessionen und den ökonomischen und sozialen Schichtungen erklären oder gar die Wirtschaftsformen des kapitalistischen Betriebes aus religiösen Motiven ableiten. Es sei hier die für mich ungünstigste Position gesetzt und daher angenommen, meine Kritik basierte tatsächlich auf einer unglückseligen Verkettung von Mißverständnissen. Ich halte mich darum an die in der Gegenkritik von Prof. Weber ausdrücklich abgegebene Erklärung, „daß es der Geist ‚methodischer‘ Lebensführung ist, welcher aus der ‚Askese‘ in ihrer protestantischen Umbildung ‚abgeleitet‘ werden sollte.“ Ich erinnere daran, daß von dem Autor (Bd.  XXI. S.  110) ferner erklärt worden ist, daß „mit Bedacht nur die Beziehungen aufgenommen worden sind, in welchen eine Einwirkung religiöser 271 Be|wußtseinsinhalte auf das ‚materielle‘ Kulturleben wirklich zweifellos ist“. Wenn man an die fast verwirrende Fülle von Gründen und Gegengründen denkt, mit denen in der Literatur gefochten wird, um die treibenden Faktoren, oder gar den trei-

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benden Faktor des geschichtlichen Geschehens zu ermitteln, wenn man bedenkt, wie schwierig es ist, aus der Mannigfaltigkeit des wirklichen Geschehens, seinen verschlungenen Kausalzusammenhängen eine einwandfreie Rekonstruktion des wirklichen Geschehens zu finden, dann ist man erfreut, hier – wie verheißen wird – für einen begrenzten Bezirk des geschichtlichen Geschehens die wahrhaft treibenden Kräfte aufgewiesen zu sehen. Umsomehr wird man sich zu einer Nachprüfung des Verfahrens veranlaßt fühlen, mit dessen Hilfe der Autor zu seinem Ergebnis gekommen ist. Zwar wird uns ausdrücklich versichert: „es soll keineswegs eine so töricht-doktrinäre These verfochten werden, wie etwa die, daß der ‚kapitalistische Geist‘ (.  .  .) oder wohl gar der ‚Kapitalismus‘ überhaupt, nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation habe entstehen können“. „Es soll durchaus nicht an Stelle einer einseitig ‚materialistischen‘ eine ebenso einseitige spiritualistische kausale Kultur- und Geschichtsdeutung gesetzt werden.“ Aber für den Nachprüfenden handelt es sich nicht darum, was der Autor will oder nicht will, sondern darum, welches Verfahren er tatsächlich in seiner Untersuchung anwendet, ganz abgesehen von seinen sonstigen Versicherungen. Darum habe ich in meiner Kritik aus der Fülle des dargebotenen Stoffes nur die Partien herausgehoben, die für den methodischen Fortschritt in jener Arbeit in Betracht kamen. „Der ‚Geist methodischer Lebensführung‘ ist also aus der ‚Askese‘ in ihrer protestantischen Umbildung abzuleiten.“ Der „Geist methodischer Lebensführung“ ist natürlich auch schon vor dem Auftreten des Puritanismus im Menschengeschlecht aufgetreten und wirksam gewesen. Wollte man für das jedesmalige Entstehen dieses Geistes von vornherein auf religiöse Motive als Hauptursache zurückgreifen, so würde man eben, bewußt oder unbewußt, Reflexionspsychologie treiben; ich verweise dafür noch einmal auf meine Ausführungen in den „Kritischen Beiträgen“. Aber es kann wohl sein, daß in diesem speziellen Fall der Geist methodischer Lebensführung tatsächlich religiös begründet gewesen war. Warum sollte man sich dagegen sträuben, wenn dieser Kausalzusammenhang als der wahrscheinliche erwiesen wird? Es ist nur die Frage, ob dieser Beweis erbracht worden ist. Freilich ist es unbestritten, daß, nachdem die religiös-wirtschaftliche Gemütsstimmung des Puritanismus erst einmal entstanden war, sie ihrerseits nun auch verstärkend wirkte auf den Geist methodischer Lebensführung dort, wo dieser Geist noch schwach entwickelt war. Doch es handelt sich nicht um die Frage der von niemand ge|leugneten Wechselwirkung beider Größen, sondern um 272 die Frage der Entstehung des Geistes methodischer Lebensführung in jener Zeit. Daß im lutherischen Protestantismus die Pflichterfüllung innerhalb der weltlichen Berufe als höchster Inhalt der sittlichen Betätigung geschätzt wird, daß in der lutherischen Dogmatik die weltliche Berufsarbeit als Ausdruck äußerer Nächstenliebe gewertet wird, diese Tatschen lassen sich gleicherweise auch deuten als eine Anpassung der religiösen Vorstellungswelt an den vorhandenen wirtschaftlichen Zustand. Daß im Calvinismus gerade die angestrengteste Berufsarbeit als äußeres Zeichen der Erwählung betrachtet wurde, läßt die „wirtschaftliche“ Ausdeutung gleichfalls zu, läßt sogar die Vermutung aufkommen, daß der wirtschaftliche Zustand die religiösen Anschauungen beeinflußt hat. Daß endlich mit Hilfe theologischer Erbauungsschriften im günstigsten Falle nur bewiesen wird, daß von den Verfassern derselben wirtschaftliche Anschauungen in das dogmatische System hineinverwoben wurden, darauf hatte ich bereits früher hingewiesen. Mit Hilfe der beigebrachten religiösen Literatur ist nur bewiesen worden das gleichzeitige Vorhandensein und die enge Verknüpfung beider Faktoren miteinander in jenen Schriften. Nicht mehr. Über diesen objektiv gegebenen Befund geht der Autor hinaus

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mit der Behauptung, daß also der Geist methodischer Lebensführung aus religiösen Motiven abgeleitet worden ist. Gerade hier, am entscheidenden Punkt tritt ein Schluß auf, dem keine Beweiskraft innewohnt. Denn um diesen Schluß zu einem zwingenden zu gestalten, hätte nachgewiesen werden müssen, daß in jedem einzelnen Falle die erwähnten anderen Deutungsmöglichkeiten ausgeschlossen sind. Es hätte gezeigt werden müssen, daß vor dem Auftauchen der herangezogenen religiösen Literatur der Geist methodischer Lebensführung nicht vorhanden gewesen ist, und zwar nicht nur nicht in religiösen, sondern auch nicht in weltlichen literarischen Denkmälern. Der Autor hätte endlich dartun müssen, daß die übrigen möglichen Erklärungen der Entstehung des Geistes methodischer Lebensführung, wie sie von Mill, Spencer gegeben werden und von mir versucht wurden, hier tatsächlich ausgeschlossen sind, sodaß einzig und allein nur die vom Autor angenommene Erklärung übrig bliebe. Dergleichen methodische Überlegungen bietet der Autor nirgends; er sieht diese Schwierigkeiten gar nicht. Der allgemeine Hinweis, daß wir modernen Menschen uns gar nicht genügend in die 273 durch und durch religiöse Gemütsstimmung der | Menschen jener Zeit zu versetzen vermögen, beweist natürlich nichts; er beweist ebensowenig, wie der auf entgegengesetzter Seite übliche Hinweis, daß wir in unseren Geschichtsbetrachtungen bisher nur gar zu sehr geneigt waren, religiöse Motive als die in der Vergangenheit ausschlaggebenden zu werten. – Der Versuch einer nachzeichnenden Rekonstruktion der Vergangenheit, insbesondere unser Bemühen, die in der Geschichte wirksam gewesenen Motive zu erkennen, begegnet der großen Schwierigkeit, daß wir in und mit der Geschichte keine Experimente treiben können. Wir können nicht diese oder jene Ursachen-Komponente variieren oder gänzlich ausschalten, um dadurch in der Wirkung das Vorhandensein oder die Größe des Anteils jener Ursachen-Komponente in dem Ursachen-Komplex zu erkennen. Wo das uns vorliegende geschichtliche Material nicht zu einer ganz bestimmten Schlußfolgerung drängt, – und das ist zumeist und auch bei unserem Material nicht der Fall, – da sehen wir uns zu psychologischen Deutungen gezwungen, falls wir überhaupt zu Urteilen über einst wirksam gewesene Motive gelangen wollen. Z. B. bei Urteilen über unsere Umgebung nehmen wir irgend einen erkenntnistheoretischen Standpunkt ein, ohne uns desselben fortwährend bewußt zu sein, weil praktisch ohne Bedeutung. Aber irgend einen erkenntnistheoretischen Standpunkt nehmen wir ein, und bei erkenntnistheoretischen Untersuchungen kommt es sehr darauf an, sich desselben bewußt zu sein. Ähnlich steht es bei Untersuchungen nach den in der Geschichte wirkenden Motiven. Falls nicht das dargebotene Material selbst zu einem bestimmten Schlusse drängt, kommen wir aus der psychologischen Ausdeutung gar nicht heraus. Es kommt nur darauf an, sich bewußt zu werden, welche psychologischen Voraussetzungen man macht, damit man nicht, ehe man sichs versieht, einer reflexionspsychologischen Deutung verfällt. Schließlich gibt Prof. Weber denn auch zu, daß er für die Erscheinungen des Täufertums Aufklärungen erwartet von den heutigen exakten Forschungen auf dem Gebiet der Hysterie. Aber diese Forschungen sollen doch wohl nicht auch Hilfsmittel bieten zur Erklärung der Entstehung des „Geistes methodischer Lebensführung“? Warum wird hier plötzlich die Mithilfe der exakten normalen Psychologie verschmäht? – Indem ich im Anschluß an andere Autoren zu zeigen suchte, welches die Psycho­ genesis der „Berufspflicht“, des „kapitalistischen Geistes“, besser also: „des Geistes methodischer Lebensführung“ ist, habe ich keinerlei „psychologische Schemata“ ver-

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wendet, auch nicht „Abstraktionen irgend einer Psychologie“ dargeboten. „Die Theorie hat sich nach den Tatsachen zu richten, nicht umgekehrt“, sagt mein Herr Gegenkritiker. Dieser Satz ist so unbestritten, wie z. B. der, daß die Zukunft später ist als die Vergangenheit. Durchaus richtig; aber | beide Sätze gehören nicht hierher. „Eine sach- 274 lich fruchtbare Kritik“, hält mir mein Herr Gegenkritiker vor, „auf diesem Gebiet unendlich verschlungener Kausalzusammenhänge ist nur bei Beherrschung des Quellenstoffes möglich“. Nun, ich stelle an eine sachlich fruchtbare Kritik höhere Ansprüche: sie hat besonders auch auf eine methodisch einwandfreie Verwertung des Quellenmaterials zu achten; sie hatte in diesem speziellen Falle auch zu prüfen, ob der Autor dessen eingedenk war, daß das Erkennen und Verwerten historischer Objekte selbst gar nicht möglich ist ohne gewisse – es tut mir leid – psychologische Voraussetzungen. |

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Bemerkungen zu der vorstehenden „Replik“.a Ein Leser, der sich in dieser (wenig fruchtbaren) Erörterung orientieren wollte, müßte nicht nur „nachdenklich“,1 sondern vor allem geduldig genug sein, um bei jedem Punkt sich an der Hand meiner Aufsätze über das, was ich gesagt und zu sagen unterlassen habe, zu informieren. Er würde dann vermutlich über die Behauptung erstaunen: ich hätte die vorstehend in belehrendem Ton vorgetragenen, jedem Anfänger geläufigen, „methodischen“ Prinzipien und Probleme der historischen Kausalbetrachtung nicht „gesehen“ und hätte deshalb an Überlegungen über die entscheidenden kausalen Fragen meiner Untersuchung „nichts geboten“.2 Sie wirkt vollends erstaunlich, wenn man damit die rein aprioristische Art vergleicht, wie mit diesen Problemen mein Herr Kritiker selbst umgehen zu können glaubt, der ja von „unserem“3 hier in Betracht kommenden Material schlechthin nichts kennt, – nicht einmal die allgemeinsten literarischen Eigentümlichkeiten der Quellen.4 Er nennt sie in seinen angeblich „methodologischen“ Darbietungen5 „reli­ giöse Erbauungsbücher“ und verwechselt diese dann wieder mit „dogmatischen Systemen“.6 – Hier fehlt die Sachkunde. Er weiß einfach nicht, daß die für meine Darstellung der Beeinflussung der Lebensführung entscheidenden Quellen – neben denen andre nur da zur Verwendung gelangten, wo die Natur der konkreten Fragestellung dazu Anlaß gab – aus Responsensammlungen entstanden sind,7 die direkt auf ganz konkrete praktische Anfragen an den Geistlichen (damals den schlechthin universellsten Ratgeber, den a  In A folgt: Von Max Weber. 1  Fischer, Replik, oben, S.  494. 2  Vgl. Fischer, ebd., oben, S.  496. 3  Fischer, ebd. 4  Dieselbe Kritik bereits: Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  485. 5  Fischers Anspruch an seine Replik, kein Zitat. 6  Vgl. Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  472, und Fischer, Replik, oben, S.  495. 7 Über die aus der seelsorgerlichen Praxis hervorgegangenen Quellen (Baxter, Christian Directory I–IV, und Spener, Theologische Bedenken I–IV) äußert sich Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  366–368. In Analogie zu römisch-juristischen und jüdisch-rabbinischen Sammlungen von „Antworten“ (responsa) auf tatsächliche oder fiktive Fragen bezeichnet Weber sie hier als „Responsensammlungen“.

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irgend eine geschichtliche Epoche gekannt hat!) zurückgehen und mit „Erbauungs-“ oder „dogmatischen“ Zwecken gar nichts, umsomehr aber mit den Problemen der alltäglichen Lebensgestaltung zu tun haben, die sie uns daher illustrieren, wie wenig andere Quellen dies tun. Seine „methodologischen“ Ansichten über das, was eine ihm gänzlich unbekannte Literatur „höchstens“ beweisen könne,8 und was nicht, dürften also von geringem Belang sein. Und wenn er meine Bemerkung über die Schwierigkeit für den modernen Menschen, sich in die damalige Behandlung praktischer Lebensfragen und deren Beeinflussung durch religiöse Motive zu versetzen,9 ihrer „Allgemeinheit“ wegen für belanglos erklärt,10 so will ich sie gern näher dahin präzisieren: daß ihm jene Fähigkeit zweifellos fehlt. Ich wage auch kaum zu hoffen, ihn wenigstens künftig noch für meine Ansichten zu gewinnen. Denn seine Frage: weshalb „man“ denn sich trotz plausibler | Gründe sträuben sollte, einen solchen Einfluß (wie ich ihn behauptet habe) anzuerkennen,11 – ist für ihn persönlich sehr einfach zu beantworten. Die feste Überzeugung, welche er hegt: selbst ein unendlich einfaches Mittel zur Feststellung historischer „Psychogenesen“ in der Hand zu haben12 – in Gestalt dessen, was er „Psychologie“ nennt –,13 konnte der Unbefangenheit seines Urteils über die (nach seiner Ansicht) allzu komplizierten und mühsamen Versuche Anderer sehr begreiflicherweise nicht zuträglich sein. Um dies zu sehen, bedarf es keiner Hilfe der „Psychologie“. Eine nicht auf irgend welcher Sachkenntnis ruhende Besprechung kann aber überhaupt, auch bei den schönsten „methodologischen“ Vorsätzen, nicht wohl mit der Prätension auftreten, eine „Nachprüfung“14 historischer Untersuchungen darzustellen. Denn statt der angeblichen „methodologischen“ erhalten wir fortwährend sachliche, und zwar durchweg aufs Geratewohl hingeworfene und auf Unkenntnis beruhende Behauptungen vorgeführt. Eine 8  Vgl. Fischer, Replik, oben, S.  496. 9  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  424. 10  Vgl. Fischer, Replik, oben, S.  496. 11  Vgl. Fischer, ebd., oben, S.  495. 12  Bezug: Fischer, ebd., oben, S.  496. 13  Vgl. Fischers „psychologische Erklärung des Entstehung des kapitalistischen Geistes“: Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  474–476. 14  Fischer, Replik, oben, S.  495.

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Redewendung wie die: daß eine „Anpassung“ der religiösen Vorstellungswelt an den vorhandenen wirtschaftlichen Zustand „vermutet“ werden müsse,15 und alle ähnlichen sind doch sachlicher Art. Sie stehen freilich – nachdem diese Fragen, grade unter diesem Gesichtspunkt, bereits in einer nicht ganz unbeträchtlichen Literatur (darunter so verschiedenartige Schriftsteller, wie Kaut­ sky einerseits, Dilthey andrerseits)16 erörtert worden sind, – denn doch allzu tief unter der heutigen historischen Fragestellung, von der ich ausgehen durfte, sind überdies auch gänzlich inhaltsleer1). Und – worauf es hier, gegenüber der eingangs erwähnten Behauptung meines Herrn Kritikers17 vor allem ankommt: – sie ignorieren einfach, daß ich meinerseits, nach meinen ausdrücklichen Erklärungen und nach der ganzen Anlage meiner Untersuchung, die Frage der Beeinflussung der religiösen Bewegungen durch die ökonomischen Prozesse keineswegs als schon durch meine bisherigen Feststellungen über die Richtung, in der sich die umgekehrt gerichtete Beeinflussung bewegt hat, erledigt betrachte.18 Jene meine Erklärungen glaubt freilich mein Herr Kritiker jetzt als einA 276

1)  „Angepaßt“ aneinander ist im historischen Leben, wenn jener Begriff nicht genau erläutert wird, Alles oder – nichts. „Angepaßt“ ist an die ökonomischen „Bedingungen“ von Utah der Mormonismus ebenso[,] wie es die Lebensformen der andern Fel-

15  Vgl. Fischer, Replik, oben, S.  495. 16  Nach Kautsky vollzieht sich die gesellschaftliche Entwicklung als „Anpassung“ an die Veränderungen der ökonomischen Verhältnisse, bedarf aber der „Ideen“ der Denker und Philosophen als „Vermittler des gesellschaftlichen Fortschritts“. Kautsky, Karl, Das Erfurter Programm in seinem grundsätzlichen Theil erläutert, 3.  Aufl. – Stuttgart: J. H. W. Dietz 1899, Zitate S.  138 (im Kontext über den Aufbau des Zukunftsstaates). – Nach Dilthey steht die Person in Wechselwirkung mit der äußeren Welt und „wählt aus, wo sie eine Anpassung der Wirklichkeit an ihr Bedürfniss herbeiführen kann. Und was das Höchste ist: wo sie diese Wirklichkeit nicht zu bestimmen vermag, da passt sie ihr die eignen Lebensprocesse an [.  .  .].“ Dilthey, Wilhelm, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, in: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Jg. 1894, 2. Halbband. – Berlin: Verlag der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften 1894, S.  1309–1407, Zitat S.  1382 (dass. in: ders., Gesammelte Schriften, V. Band, 8., unveränd. Aufl. – Stuttgart: B. G. Teubner 1990, S.  139–240). 17  Vgl. Fischer, Replik, oben, S.  494, mit dem aus dem Kontext gelösten Zitat Webers, Protestantische Ethik II, oben, S.  424, Fn.  86. 18  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  424 f., dasselbe bereits Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  484, mit Hinweis auf ebd., oben, S.  411, Fn.  69.

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fach irrelevant beiseite schieben zu können mit der Begründung: ich hätte eben | dennoch nicht (und zwar: nirgends) ihnen entspresengebirgsstaaten wären;19 der Jesuitenstaat in Paraguay20 war es an den dortigen Urwald ebenso[,] wie das Leben der Indianer vor und nach ihm es war; die ökonomische Lebensführung der Skopzen,21 Stundisten22 und andrer Sektierer in Rußland ist es an die dortigen Existenzbedingungen ebenso wie die Lebensweise der benachbarten orthodoxen Muschiks,23 trotz der in allen drei Fällen recht starken Differenzen. Nicht angepaßt an die ökonomischen Bedingungen von Genf war Calvins Theokratie, als sie geschaffen wurde, wenn man den ökonomischen Rückgang (oder die auffällige, aber leicht erklärliche, Stagnation) in ihrem Gefolge in Betracht zieht.24 U. s. w. u. s. w. Das Thema meiner Untersuchungen könnte ich direkt dahin formulieren: in welchem Sinne man allenfalls von „Anpassung“ (der verschiedenen Kulturelemente aneinander) in diesen Zusammenhängen reden könne? |

19  Die Hauptniederlassung des 1830 von Joseph Smith jun. gegründeten Mormonismus befindet sich seit 1847 in Salt Lake City, Utah, einem der Felsengebirgsstaaten (in den Rocky Mountains). Stadt und Territorium wurden von den Mormonen erst gegründet (Aufnahme in die Union erst nach offizieller Aufhebung der Verpflichtung zur Polygamie 1896). 20  Die Jesuiten gründeten am Mittellauf des Paraguay-Flusses Reduktionen (span. reducciones) und christianisierten die einheimischen Guaraní. Der unter der Selbst­ verwaltung der Jesuiten stehende, obgleich nicht formal souveräne „Staat“ umfaßte um die Mitte des 17. Jahrhunderts 30 Reduktionen mit ca. 100 000 angesiedelten, arbeitspflichtigen Guaraní. Die Vertreibung der Jesuiten 1767 bedeutete das Ende des „Staates“, die Indianer zerstreuten sich. Vgl. Gothein, Eberhard, Der christlichsociale Staat der Jesuiten in Paraguay. – Leipzig: Duncker & Humblot 1883. – Weber ging darauf bereits in seiner Vorlesung „Praktische Nationalökonomie“ (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  31, Band  2, Bl.  44r/v; MWG III/2), samt Bezug auf Gothein, ein. 21  Nach Leroy-Beaulieu, Reich der Zaren III (wie oben, S.  480, Anm.  16), S.  451–465, ging die mystische Sekte der Skopzen (skopcy, „Selbstverstümmler“, so genannt wegen der Verstümmelung ihrer Geschlechtsorgane und der „Feuertaufe“ der Verschneidung) am Ende des 18. Jahrhunderts aus der „Chlysten“-Sekte („Geißler“) hervor. Die Skopzen waren oft im Handel und als Wechsler zu finden und sollen es nach LeroyBeaulieu wegen ihrer „Beharrlichkeit“, „Regelmäßigkeit und Hartnäckigkeit“ zu Millionen gebracht haben (S.  462). 22  Der Stundismus hat seinen Ausgangspunkt in den erbaulichen „Stunden“ („stundy“) nach schwäbisch-pietistischem Vorbild in der deutschen Kolonie Rohrbach in der Ukraine, wo sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts württembergische Kolonisten niedergelassen hatten. Die „Stunden“ wurden ab ca. 1860 auch von Russen besucht. Man beschrieb die „stundisty“ als rechtschaffen, maßvoll, arbeitsam und wohlhabend. Vgl. Leroy-Beaulieu, ebd., S.  478–482. 23  Muschik (russ., „kleiner Mann“, auch grober, roher Mensch), hier der der orthodoxen Kirche angehörende russische Bauer. In diesem Sinn häufig auch bei Leroy-Beaulieu (ebd.) gebraucht. 24  Auch Kampschulte, Calvin I, S.  430, schätzt Calvins Verdienste um den Wohlstand Genfs nicht so hoch ein wie andere „Lobredner“. Vgl. dazu auch ders., Calvin II, S.  372–374. Der „geistige Druck, der auf allen Lebensverhältnissen lastete, ließ nirgends ein frisches fröhliches Schaffen aufkommen und hemmte auf allen Punkten die Freiheit der Bewegung und somit auch die materielle Entwicklung“ (S.  374).

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chend gehandelt.25 Den Versuch, diese ziemlich starke Behauptung nicht nur aufzustellen, sondern durch Analyse meiner Beweisführungen zu erhärten, hatte er nun freilich in seinen „Kritischen Beiträgen“26 nirgends gemacht. Statt dessen „hält“ – sagen wir richtiger: „klammert“ – er sich jetzt an „Worte“.27 Was insbesondere mit dem (von mir nicht unabsichtlich in Anführungsstriche gesetzten) Ausdruck: „ableiten“28 (scil.: der Berufsethik aus der protestantischen Form der Askese und gewisser ökonomisch relevanter Komponenten des modernen Lebensstils aus der „Berufsethik“) gemeint ist, – dies ergibt jedem Leser meines Aufsatzes dessen Inhalt. Aber auch für den Nichtleser geht schon aus den von meinem Herrn Kritiker selbst drei Zeilen nachher zitierten Worten („Einwirkung“ religiöser Bewußtseinsinhalte auf das Kulturleben)29 wahrhaftig zur Genüge hervor, daß es mir nicht beigekommen ist, „den treibenden Faktor des geschichtlichen Geschehens“ irgend einer Epoche oder irgendwelche „wahrhaft treibenden Kräfte“ zu finden:30 – denn derartige Gespenster gibt es für mich nicht in der Geschichte, – sondern daß ich vielmehr, genau entsprechend meinem erklärten Vorsatz, untersuchte: in welcher Richtung die durch grundlegende metaphysische Voraussetzungen entscheidend mitbestimmten religiösen Eigenarten der verschiedenen asketischen Richtungen des Protestantismus die Lebensführung beeinflußt haben, da, wo ein solcher Einfluß überhaupt stattfand. Für seine etwas kühne Annahme, daß ich gleichwohl eine idealistische Geschichtskonstruktion unternommen habe,31 war mein Herr Kritiker, diesem einfachen Tatbestand gegenüber, denn auch jeden Anfang von Beweis schuldig geblieben. Gegen die beweislose Unterstellung aber, daß ich meinen eigenen Erklärungen entgegen handelte, wendete sich mein „temperamentvoller“ Protest.32 – Habe ich es

25  Vgl. Fischer, Replik, oben, S.  495. 26  Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  469–477. 27  Vgl. die Vielzahl von Weber-Zitaten in: Fischer, Replik, S.  494 f. 28 Vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  485, zitiert von Fischer, Replik, S.  495. 29  Vgl. Fischer, Replik, oben, S.  494, der Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  424, Fn.  86, zitiert. 30  Fischer, ebd., oben, S.  495. 31  Vgl. Fischer, Kritische Beiträge, S.  470 und 473 f. 32  Nach Fischer, Replik, oben, S.  494, Z.  6.

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nötig, Lesern meiner Aufsätze gegenüber die fast noch kühnere Behauptung: ich hätte überhaupt keinerlei Erwägungen über die Möglichkeit der Einwirkung anderer, speziell ökonomischer, Motive angestellt,33 noch ausdrücklich als das zu kennzeichnen, was sie ist? Ich erinnere nur an folgendes: Das Maß jener Beeinflussung durch religiöse Motive war nach meiner a. a. O.34 begründeten Ansicht oft ein sehr großes; daß es aber überall ein gleich großes gewesen sei, daß es nicht durch andere Umstände habe abgeschwächt oder völlig überwogen werden können, das habe ich nicht bewiesen, – aber allerdings auch nirgends behauptet. Dagegen habe ich den Beweis für das angetreten, worauf es für mich allein ankam: daß die Richtung, in welcher jener Einfluß sich bewegte, in protestantischen Ländern mit den denkbar verschiedensten politischen, ökonomischen, geographischen und ethnischen Bedingungen – Neu-England, deutsche Diaspora, Südfrankreich, Holland, England (die irischen „Scotch-Irish“b,35 Friesland,36 zahlreiche andere deutsche Gebiete hätten hinzugefügt werden können) – in den entscheidenden Punkten die gleiche war, und insbesondere: daß diese Richtung unabhängig bestand von dem Maß der Entwicklung des Kapitalismus als Wirtschaftssystem.37 Ich habe andrerseits konstatiert, daß auch in dem Gebiete der Höchstentwicklung der kapitalistischen Wirtschaft vor der Reformation: in Italien (ebenso ist es in Flandern),c 38 der „kapitalistische Geist“

b A: „Scotsh-Irish“  c A: Flandern) – 33  Vgl. Fischer, ebd., oben, S.  496. 34  Gemeint sein dürfte: Weber, Protestantische Ethik II, bes. S.  424. 35  Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wanderten Protestanten aus der nordirischen Provinz Ulster wegen ziviler und religiöser Bedrängnis nach Nordamerika aus und ließen sich vor allem in Pennsylvania und Virginia nieder. Sie waren Nachkommen schottischer Presbyterianer, die sich während des 17. Jahrhunderts in der Provinz Ulster angesiedelt hatten. In Nordamerika wurde die Gruppe als „Scotch-Irish“, auch: ScotsIrish, bezeichnet. – Vgl. Hanna, Charles A., The Scotch-Irish or the Scot in North Britain, North Ireland, and North America, Vol.  1. – New York: G. P. Putnam’s Sons, London: Knickerbocker Press 1902, p.  1. 36  Zu Friesland vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  481, Fn.  3 mit Anm.  23. 37  Ausgeführt von Weber, Protestantische Ethik I, bes. oben, S.  163–169. 38  Zu Italien vgl. Weber, ebd., oben, S.  172–174. Die Städte Flanderns (und Brabants) waren durch Tucherzeugung und -handel sehr reich geworden; die niedergehende Tuchindustrie konnte ab 1500 durch die im Hinterland sich entwickelnde Leinwand-, Wollstoff- und Teppichindustrie ersetzt werden. Zwischen 1521 und 1580 war Antwer-

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(in meinem Sinn des Wortes!) fehlte, – nicht ohne daß (wie ich jetzt nur andeutend hinzufügen will) gerade dies die allertief|gehendsten Folgen für den „Lebensstil“ gehabt hat2). Man mag nun jenen von mir angetretenen Beweis einer aus der religiösen Eigenart des asketischen Protestantismus folgendend Gleichheit jener „Einwirkungstendenz“39 für noch so unvollständig oder für nur bis zu einer gewissen Wahrscheinlichkeitsstufe geführt erachten, oder er mag von sachkundiger (insbesondere theologischer) Seite überhaupt angegriffen werden.40 Jedenfalls aber wird man es angesichts 2)  Für die in ihrer Art unsterbliche Eigenart des Florentiner Bürgertums z. B. ist die Konsequenz eben jener Spannung zwischen Wirtschaftsform und ethischem Lebensstil, welche aus dem Fehlen der „Berufsethik“ (in meinem Sinn des Wortes) resultierte, von einem feinsinnigen Kunsthistoriker bis in die Eigenart der künstlerischen Motive hinein verfolgt worden.41 – Man muß diese (und noch recht viele andere) historischen Probleme und Tatbestände eben kennen, ehe man, wie mein Herr Kritiker, es unternimmt, so beiläufig Sätze (NB! wiederum sachlichen Inhalts) aus dem Ärmel zu schütteln, wie den: daß methodische Lebensführung „natürlich“ (!) auch schon vor dem Auftreten des Puritanismus „im Menschengeschlecht aufgetreten“ sei.42 – Bitte: wo? – und: was für eine? Denn ich spreche selbstredend ein für alle Mal von „methodischer Lebensführung“ in dem auf vielen Dutzenden von Seiten meiner Aufsätze analysierten Sinn, in welchem sie als Bestandteil der modernen „Berufsethik“ das Leben beeinflußt hat, nicht von der „Methodik“ etwa der japanischen Samurai,43 oder des „Cortigia-

d A: folgende pen die bedeutendste internationale Handelsstadt. Vgl. Pirenne, Henri, Geschichte Belgiens, Übersetzung des französischen Manuskripts von Fritz Arnheim, Band  III: Vom Tode Karls des Kühnen (1477) bis zur Ankunft des Herzogs von Alba (1576) (Allgemeine Staatengeschichte, I. Abt., 30. Werk). – Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1907, S.  269–359. 39 Fischer, Replik, oben, S.  494, zitiert mit der „Einwirkung religiöser Bewußtseins­ inhalte auf das ,materielle‘ Kulturleben“: Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  424, Fn.  86. 40  Dazu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  485 mit Fn.  7. 41  Weber bezieht sich auf: Warburg, Aby, Francesco Sassettis letztwillige Verfügung, in: Kunstwissenschaftliche Beiträge. August Schmarsow zum fünfzigsten Semester seiner akademischen Lehrtätigkeit gewidmet von H. Weizsäcker, M. Semrau, A. Warburg u. a. (Kunstgeschichtliche Monographien, I. Beiheft). – Leipzig: K. W. Hiersemann 1907, S.  129–152 (dass. in: Warburg, Aby M., Ausgewählte Schriften und Würdigungen, hg. von Dieter Wuttke, 3., durchges. Aufl. – Baden-Baden: Valentin Koerner 1992, S.  137–163). Zum Erhalt des Aufsatzes vgl. den Brief Max Webers an Aby Warburg vom 10. Sept.1907, MWG II/5, S.  390 f. 42  Weber zitiert Fischer, Replik, oben, S.  495. 43  Der Samurai, der japanische Krieger, dessen äußeres Merkmal es ist, ein Schwerterpaar zu tragen, durchlief eine extrem harte Ausbildung, die ihn auf die lebenslange Treue des Vasallen zu seinem Herrn vorbereitete, ihm die Waffentüchtigkeit und vor

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1) meiner Argumentation und 2) meiner damit verbundenen wiederholten Feststellungen über den Sinn meiner These, 3) meiner Angaben über die Richtung der künftig weiter folgenden Untersuchungen zur Ergänzung, Interpretation und weiteren Prüfung derselben3) – ich sage: man wird es nach alledem begreif|lich finden, no“,44 oder des ritterlichen Ehrbegriffs des Mittelalters, oder der Stoa, oder der „objektiven Behandlung“ des Lebens in den Anschauungen der Renaissance in dem Sinn, wie Burckhardt diesen Begriff geprägt hat,45 und selbst nicht gewisser (hierin dem Puritanismus angenähertere) Gedanken Bacons, der zwischen den Einflüssen der Renaissance und der Reformation in der Mitte steht,46 oder endlich der Gegenreformation. Alle diese hatten ja ihre eigenartige spezifische „Methodik“, und von ihnen allen sind eben deshalb Bestandteile in den Lebensstil führender moderner Nationen eingegangen (von manchen derselben werde ich s. Z. zu reden haben).47 Aber sie sind – ich habe dies für einen meinem Thema naheliegenden Fall ausdrücklich schon in meinem Aufsatz hervorgehoben48 – Lebensrationalisierungen in ganz anderer Richtung und andrem Sinn, als die, mit der ich zu tun hatte. 3)  Daß ich sie noch nicht vorlegen kann, hat seinen Grund nicht etwa in sachlichen Schwierigkeiten, sondern teils in hier nicht interessierenden persönlichen Umständen, e A: angenäherten allem eine äußerste Selbstdisziplin anerzog, insbesondere den Mut, im Notfall ehrenvoll durch Harakiri (Selbstentleibung) aus dem Leben zu scheiden. 44  Ital., „Hofmann“. Das Standesideal des vollkommenen Gesellschaftsmenschen am Hofe der Hochrenaissance beschreibt Baldassare Castigliones „Il Cortigiano“ (4 Bücher, überarbeitet erschienen 1528): Der „Hofmann“ besitzt tugendhafte Eigenschaften, wohlgesittete Umgangsformen, ritterliche und sportliche Fertigkeiten, Kenntnis mehrerer Sprachen, ein Urteil über schöngeistige Literatur, musikalische und bildende Künste und weiß all dies ausgewogen anzuwenden. Vgl. Burckhardt, Cultur der Renaissance I, S.  98 f. und 105–107. 45  Über das Aufkommen der Renaissance in Italien heißt es bei Burckhardt: „[.  .  .] es erwacht eine objective Betrachtung und Behandlung des Staates und der sämmtlichen Dinge dieser Welt überhaupt“, er fährt allerdings fort: „daneben aber erhebt sich mit voller Macht das Subjective, der Mensch wird geistiges Individuum und erkennt sich als solches“. Burckhardt, Cultur der Renaissance I, S.  141. 46  Weber dürfte sich auf die Ausrichtung der Lehren Francis Bacons auf den praktischen Zweck beziehen: „Im Geiste der Kultur die Natur zu erforschen, um sie dem Nutzen der gesamten Menschheit zu unterwerfen – das ist das Prinzip Lord Bacons.“ Zur Umgestaltung der Verhältnisse oder Beherrschung der Natur bedürfe es nicht nur (zufälliger) Erfindungen, sondern auch einer wissenschaftlichen Methode des Erfindens (ars inveniendi). Als Vorstufe entwirft Bacon die gegenüber der Scholastik neue Weise der Naturerkenntnis, die darin besteht, aus methodisch durchgeführten Untersuchungen, deren Mittel das Experiment ist, empirische Erkenntnis zu gewinnen. Vgl. Windelband, Neuere Philosophie I, S.  128–145, Zitat S.  132 f. Vgl. auch Webers, Protestantische Ethik II, oben, S.  332 f., Fn.  108. 47  Zur geplanten Fortsetzung der Protestantismus-Aufsätze vgl. die Einleitung, oben, S.  66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  464 f. mit Anm.  10. 48  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  176 f.

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daß die jetzt auch ausdrücklich ausgesprochene Meinung meines Herrn Kritikers: ich hätte jene wirklich etwas simplen „methodischen“ Prinzipien, von denen er redet, nicht „gesehen“ und meine Arbeit lasse keinerlei methodische „Überlegungen“ dieser Art erkennen,49 mir etwas leichtfertig erscheinen mußte und erscheint, und daß dies mich, wie er es nennt: „temperamentvoll“,50 d. h.: ohne besonderes Entgegenkommen, antworten ließ4). Ich vermißte und vermisse eben hier nicht nur Sachkunde, sondern auch den „guten Willen“, erst einmal deutlich hinzusehen, ehe man abspricht. teils in einigen – wie jeder, der das „Archiv“ eines Blickes gewürdigt hat, weiß – weit abliegenden anderen Arbeiten,51 teils endlich darin, daß mein Kollege und Freund E[rnst] Tröltsch inzwischen eine ganze Reihe von Problemen, die auf meiner Route lagen, in glücklichster Weise von seinem Gedankenkreis aus aufgegriffen hatte,52 und ich ein unnützes Parallelarbeiten (bei dem ihm die weitaus größere Sachkunde zu GeA 279 bote stände) zu vermeiden wünschte. Ich hoffe aber[,] im laufenden Jahr wieder | an diese Arbeit zu gelangen und einstweilen bis zum Frühling wenigstens die Aufsätze für eine Separatausgabe durchsehen zu können. Gewiß: die Verzögerung hatte und hat den Nachteil, daß flüchtige Leser diese Artikel leicht als etwas in sich Abgeschlossenes ansehen können.53 Für die Art der „Kritik“, mit der ich mich hier befasse, ist dies natürlich keinerlei Entschuldigung. Mein Herr Kritiker hatte das volle Recht, zu sagen: die Gegenprobe und nähere Interpretation, die versprochen ist, fehlt bisher.54 Aber mir eine „idealistische“ Geschichtskonstruktion zu imputieren, gegen die ich mich mit Grund verwahrt habe,55 und jetzt gar ausdrücklich zu behaupten, ich sähe diese Probleme nicht,56 das ist mehr, als ich mir, noch dazu von einem sachlich ganz Inkompetenten, bieten lasse. 4)  Ich empfahl den Mitherausgebern die Annahme der „Kritik“,57 obwohl ich die Quellenunkenntnis ihres Verfassers sofort erkannte, weil eine Anzahl Einzelbemer49  Vgl. Fischer, Replik, oben, S.  496. 50  Vgl. Fischer, ebd., oben, S.  494. 51  Weber hatte nach der Protestantischen Ethik im „Archiv“ folgende Beiträge veröffentlicht: „Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Rußland“ (22. Band, Beilage zum 1. Heft, 1906; MWG I/10, S.  70–279); „Rußlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus“ (23. Band, Beilage zum 1. Heft, 1906; MWG I/10, S.  280–684); „R. Stammlers ,Überwindung‘ der materialistischen Geschichtsauffassung“ (24. Band, 1. Heft, 1907, S.  94–151; MWG I/7). 52  Vgl. Troeltsch, Protestantisches Christentum; auch das Referat auf dem Historikertag 1906: Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus (wie oben, S.  42 f. mit Anm.  65). 53  Zu einer Separatausgabe der Protestantismus-Aufsätze kam es nicht; vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  464 f. mit Anm.  10. 54  Von Fischer nicht thematisiert; die Ankündigung der Fortsetzung bei Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  424 f. mit Fn.  86. 55  Vgl. Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  473 f., und Webers Erwiderungen bereits in Kritische Bemerkungen, oben, S.  480, sowie hier, oben, S.  502. 56  Vgl. Fischer, Replik, oben, S.  496. 57  Gemeint sein dürfte: Fischer, Kritische Bemerkungen. Schriftliches dazu an Edgar Jaffé und Werner Sombart ist nicht überliefert.

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Wenn freilich der heilige (und in diesem Fall zugleich so „billige“) „methodologische“ Eifer meines Herrn Kritikers jetzt sagt: man hätte verlangen müssen, daß durch mich „jede Möglichkeit“ einer andren Kausalverknüpfung „ausgeschlossen“, gar keinerlei andre Interpretation überhaupt als zulässig und „denkbar“ übriggelassen seif, als eben einzig und allein die, die ich versuchte,58 – so wird der Historiker leider, aus bekannten Gründen, eine solche Beweislast für eine negative Tatsache wohl kaum als allgemeine „Norm“ seines Verhaltens anerkennen können. Er wird, normalerweise, umgekehrt positiv die andern, als kausale Komponenten in Betracht kommenden Momente auf die Art ihrer Wirkung hin untersuchen, und dergestalt zu einem stets umfassenderen (aber kaum je ganz abgeschlossenen) kau|salen Regressus gelangen, – ganz wie ich dies (ich wiederhole es nochmals) ausdrücklich als meine Absicht ausgesprochen und auszuführen übrigens schon in den bisher vorliegenden Artikeln begonnen habe.59 Vor allem aber bildet nun jener ideale Maßstab, den mein Herr Kritiker für die Beweiskraft der Ausführungen Anderer bereit hält,60 denn doch einen allzustarken Kontrast mit seiner Bescheidenheit in seinen Ansprüchen an die eigene Argumentation. Man erwäge: Er hat, nach seiner Erklärung, zu „zeigen“ (!) gesucht, welches die „Psychogenesis“ der „Berufspflicht“, des „kapitalistischen kungen und scheinbarer Schwierigkeiten darin berührt waren, mit denen ich mich sehr wohl erinnerte, s. Z. mich innerlich auseinandergesetzt zu haben, um die Gelegenheit zu deren Erörterung zu benutzen, da ich glaubte, eine solche in die Aufsätze selbst noch nicht aufgenommen zu haben. Ich war dann nicht wenig erstaunt, aber sehr wenig erfreut, beim Wiederdurchlesen meiner Aufsätze zu finden, daß alle jene Dinge in ihnen schon recht ausdrücklich enthalten und in ihren Zusammenhang gestellt waren, aus dem sie dann der „Kritiker“ kritiklos und mißverstehend, weil sachunkundig, herausgerissen hatte, um sie mir als „Einwände“ entgegenzuhalten. Ich bedaure, dem „Archiv“ und seinen Lesern die Belastung mit dieser wertlosen Erörterung nicht erspart zu haben, die mich – einmal aufgenommen – nun schließlich dennoch zu einer langwierigen Beleuchtung der angerichteten Konfusion genötigt hat. Wäre die „Kritik“ an einer anderen Stelle erschienen, so hätte ich sie einer Antwort nicht für wert gehalten. |

f  Zu erwarten wäre: werde 58  Weber bezieht sich auf die hervorgehobene Passage bei Fischer, Replik, oben, S.  496. 59  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  141  f., 214 f., und dass. II, oben, S.  411, Fn.  69, und S.  424 f., Fn.  86. 60  Anspielung auf Fischer, Replik, oben, S.  497.

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Geistes“, des „Geistes methodischer Lebensführung“, ist.61 Wie ist ihm (auf 10 Seiten)62 dieser, nach seiner eigenen Versicherung, so überaus schwierige63 und mir gänzlich mißlungene Versuch geglückt? Man muß es in seinen „Kritischen Beiträgen“ nachlesen: Indem er (S.  238)64 – über Sombart5) und mich „hinaus“ – | zur 5)  Denn auch Sombarts Darstellung sei „angefochten“ worden, – Beweis: Zitat einer von jenen, nach Inhalt und Form gleich bedenklichen, Rezensionen, mit denen Sombart von H[ans] Delbrück in den „Pr[eußischen] Jahrb[üchern]“ bedacht zu werden pflegt.65 Nun ist grade dieser Teil der Sombartschen Darstellung – die Darlegung der Bedeutung der „Rechenhaftigkeit“ und ihrer Technik66 – gewiß der relativ am wenigsten umstrittene, und ich halte ihn meinerseits, bei der Sombartschen Fragestellung: – woher die moderne ökonomische Bedeutung der kapitalistischen Wirtschaftsformen? – für in den entscheidenden Punkten ganz und gar zutreffend.67 Natürlich: ein gewisses Maß von „Rationalisierung“ des Wirtschaftens bringt schon das voll entwickelte Handwerk, ein gewisses Maß von „Rechenhaftigkeit“ bringen schon die in die fernsten uns bekannten Jahrtausende zurückreichenden antiken Formen kapitalistischer Geschäfte mit sich. Warum die „Rechenhaftigkeit“ in jenen quantitativ gelegentlich ganz kolossal entwickelten kapitalistischen Wirtschaftsformen des Altertums so tief unter denjenigeng der beginnenden Neuzeit blieb, daß Sombart im Recht ist, wenn er erst für die Neuzeit nicht nur vom Vorhandensein einzelner – schon vor 4000 Jahren nachweislicher – kapitalistischer Betriebe, sondern von „Kapitalismus“ als Wirtschaftsstufe spricht,68 – davon an anderer Stelle. Daß Sombart für seine Fragestellung die technische

g  Zu erwarten wäre: derjenigen 61  Die Zitate bei Fischer, Replik, oben, S.  496. 62 Fischers „Kritische Beiträge“ umfassen im „Archiv“ 10 Druckseiten und wenige Zeilen. 63  Anspielung auf Fischer, Replik, oben, S.  495, Z.  2. 64  Zitat Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  474. 65  Vgl. Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  474 mit Anm.  7. Genannt wird dort: Delbrück, Besprechung von Sombart (weitere Rezensionen Delbrücks zu Sombart finden sich im 127. Band der „Preußischen Jahrbücher“ von 1907). 66  Fischer gibt in seinen „Kritischen Beiträgen“, oben, S.  473  f., einen Abriß des Abschnitts über die „Genesis des kapitalistischen Geistes“ nach Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  378–397, genauerhin über das Kapitel „Die Ausbildung des ökonomischen Rationalismus“, S.  391–397, das von der Entstehung der doppelten Buchführung oder des modernen Rechnungswesens handelt (die Bezeichnung „Rechenhaftigkeit“ bei Sombart, ebd., S.  395). 67  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  163  f. und 175. 68  Bezug könnte sein: Sombart, Werner, [Besprechung von Max Weber, Römische Agrargeschichte,] in: Zeitschrift für Social- und Wirthschaftsgeschichte, Band  1, 1893, S.  349–356. Sombart äußert Bedenken gegen eine Terminologie, die der „Übertragung moderner Vorstellungen von kapitalistischer Produktion auf die antiken Verhältnisse“ Vorschub leiste; ebd., S.  353. Ähnlich Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S.  64 ff. (allerdings spricht Sombart bezüglich der „Sklaven-W[irtschaft] des Altertums und der „[k]apitalistische[n] Verkehrs-W[irtschaft] mit freier Lohnarbeit“ von verschiedenen „Wirtschaftssystemen“, die zur selben „Wirtschaftsstufe“ gehören, vgl. S.  67).

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höheren Synthese, d. h. bei ihm: „zur psychologischen Erklärung“ jener Vorgänge „fortschritt“.69 Wie diese aussieht, erinnere man sich: „Bringen wir (S.  238h)70 das Erwerben von Geld .  .  . rein als Selbstzweck, auf einen psychologischen Ausdruck, so können wir es auffassen als die Freude des Individuums an seiner kraftvollen Betätigung. .  .  . Die Freude an der kraftvollen Betätigung ist in keiner Weise religiös bedingt, sie verbindet sich mit der kraftvollen Betätigung unmittelbar“. (Seine der Qualität nach ganz entsprechenden Entdeckungen über die „Psychogenese“ des Pflichtgefühls und speziell des Berufspflichtgefühlsi – welches, nach ihm, entstand, weil „die Vorstellung der Berufserfüllung höhere Geltung besaß als die Vorstellung der Unterlassung der Berufstätigkeit“, also ziemlich genau so, wie die Armut aus der „Powerteh“71 – mag man S.  240 „Rechenhaftigkeit“ als entscheidendes Merkmal des „Geistes des Kapitalismus“ bezeichnet,72 ist selbstredend. Für meine Fragestellung, die sich mit der Entstehung desjenigen ethischen „Lebensstils“ befaßt, welcher der Wirtschaftsstufe des „Kapitalismus“ geistig „adäquat“ war, seinen Sieg in der „Seele“ der Menschen bedeutete, ist meine Terminologie die (nach meiner Ansicht) berechtigte. Denn für mich kommen notwendig andre Merkmale der von uns beiden nach verschiedenen Seiten hin untersuchten Erscheinungen in Betracht. Es handelt sich hierbei also um terminologische Unterschiede, nicht – jedenfalls von meiner Seite nicht – um sachliche Differenzen. Gar keine solche besteht insbesondere, soweit ich sehen kann, bezüglich der Stellung zum historischen Materialismus.73 Wenn etwa seitens Andrer die Tragweite meiner Ausführungen für die Würdigung „ideologischer“ kausaler Momente überschätzt worden ist,74 – so ist dies nicht meine Schuld. Es ist sehr gut möglich, daß, wenn meine

h A: 239  i A: Berufspflichtgefühls, 69  Vgl. Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  474–476. 70  Weber zitiert Fischer, ebd., S.  474, mit kleinen Abweichungen und eigener Hervorhebung. 71  „Die große Armut in der Stadt kommt von der großen Powerteh her!“, äußert Inspektor Bräsig in Fritz Reuters Roman „Ut mine Stromtid“. Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen Volkes, gesammelt und erläutert von Georg Büchmann, bearb. von Eduard Ippel, 22., verm. und verb. Aufl. – Berlin: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung 1905, S.  307 (lautmalerisch nach frz. pauvreté, „Armut“; im mecklenburgischen Dialekt power, „arm“, „ärmlich“, vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, unten, S.  590, Fn.  14 mit Anm.  91). 72  Dazu äußert sich Weber später lediglich mit einer kleinen Notiz: Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S.  337, vgl. – auch zur vorhergehenden Anm.  – ebd., Anm.  66. 73  Vgl. Sombart, Der moderne Kapitalismus I, bes. S.  396. 74  Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  474, unterstellt Weber eine einseitig „idealistische“ und Sombart eine „wirtschaftsgeschichtliche“ (materialistische) Geschichtsdeutung.

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a. a. O.75 selbst nachlesen.) Mein Herr Kritiker hat Recht: diese Dikta verdienen den Namen von „Abstraktionen“ und „psychologischen Schemata“, die ich ihnen beilegte, nicht:76 sie sind eine harmlose Spielerei mit Definitionen, aus denen dann deduziert wird, gleichviel ob die Pointe des dergestalt „definierten“ Phänomens dabei unter den Tisch fällt, – wie ich dies in meiner Replik, soweit es nötig schien, gezeigt habe.77 Wenn er nun jetzt gar allen Ernstes derartige Generalisationen von unpräzis wiedergegebenen Alltagstrivialitäten als „historische Psychologie“ hinstellt,78 so werden alle ernst zu nehmenden Psychologen darüber heute wohl ebenso lächeln, wie wir heutigen Nationalökonomen über das Zitat der seinerzeit ganz gewiß „trefflichen“,79 heute aber doch wohl etwas überholten Ausführungen von J[ohn] St[uart] Mill über die historische Entstehung der Schätzung des Geldes (aus der vermeintlich ursprünglichen Vorstellung seiner als eines „Mittels zur Glückseligkeit“),80 – die ich sträflicherweise freilich zu „widerlegen“ weder versucht habe noch jetzt mich versucht fühle. Wenn ich im Schlußsatz meiner Replik81 speziell von der exakten religionspathologischen Forschung – aber doch nicht einfach, wie der Kritiker es wiedergibt: der Hysterie-Forschung6) 82 – als für bestimmte A 281 Untersuchungen einmal zu Ende kommen | sollten,83 ich zur Abwechslung ganz ebenso entrüstet der Kapitulation vor dem historischen Materialismus geziehen werde, wie jetzt der Ideologie. 6)  Von der in ganz anderem Zusammenhang (bez[üglich] bestimmter Erscheinungen im Pietismus) die Rede war!84 Die betreffende Polemik gegen mich ist eigentlich ein

75  Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  476. 76  Vgl. Fischer, Replik, oben, S.  496 f., mit Bezug auf Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  489  f. 77  Vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, insbes. S.  485–490. 78  Vgl. Fischer, Replik, oben, S.  496. 79  Zitat aus Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  475, Z.  1, zur Charakterisierung einer Passage aus: Mill, Nützlichkeits-Prinzip (wie oben, S.  489, Anm.  71), S.  168 f. 80  Zitat nach Mill, bei Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  475. 81  Vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  490. 82  So Fischer, Replik, oben, S.  496. 83  Weber spricht die geplante Fortsetzung seiner Protestantismus-Aufsätze an, vgl. die Einleitung, oben, S.  66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  464 f., Anm.  10. 84  Bereits Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  485 f., mit Bezug auf Protestan­ tische Ethik II, S.  316  f., Fn.  79a.

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Probleme vielleicht künftig ein|mal bedeutsam gesprochen habe, so war damit etwas angedeutet, was jeder Kundige weiß: – daß nämlich jene „Religionspsychologie“, welche das „Erlebnismäßige“, Irrationale, des religiösen Vorgangs als „pathologischen Prozeß“ behandelt, trotz aller ihrer Unvollkommenheiten und Voreiligkeiten doch diejenige ist, welche für die Aufklärung der hier in Betracht kommenden „charakterologischen“ Wirkungen bestimmter Arten von Frömmigkeit eventuell künftig mehr zu leisten verspricht und gelegentlich schon geleistet hat,85 als die Arbeit „ganz gewöhnlicher“ Theologen leisten kann. Für meine Probleme kommt es aber natürlich gerade auf diese Fragen an. Der wirklichen „exakten Normalpsychologie“86 soll damit selbstredend sonst ganz und gar nicht zu nahe getreten sein. Für eine „Psychologie“ von dem Typus,87 den die Ausführungen meines Herrn Kritikers darstellen, scheint mir dagegen auf diesem Gebiet nur allenfalls Gelegenheit gegeben zu sein, – sich nach Verdienst bloßzustellen. – Ich hätte bei all diesen Dingen schwerlich so lange verweilt, wenn nicht doch auch hier wieder sich zeigte, wie der Aberglaube an eine ganz spezifische Bedeutung der „Psychologie“ für die starkes Stück. Nachdem ich meinen Herrn Kritiker darauf aufmerksam gemacht habe, daß seine Bemerkungen über die „hysterischen Zustände“ bei den Täufern einem ganz offenbaren Mißverständnis entsprangen,1 – kehrt jetzt dennoch die Behauptung wieder: ich „gäbe zu“, für die Erscheinungen des Täufertums Aufklärung von der Hysterieforschung zu erwarten,2 mit der „witzigen“ Frage: ob etwa diese Forschungen Hilfsmittel zur Erklärung der Entstehung „methodischer Lebensführung“ darbieten sollten?3 1) habe ich schlechthin nichts „zugegeben“, was nicht in meinem Aufsatz deutlich zu lesen stand, – 2) hat sich mein Herr Kritiker nicht die Mühe genommen, auch nur nachzusehen, was ich eigentlich von der Hysterieforschung im speziellen zu erwarten (und nicht zu erwarten) erklärt habe.4 Man sieht, die „Kette unglückseliger Mißverständnisse“5 reißt auch jetzt nicht ab, – auch jetzt aber aus dem gleichen Grunde wie früher. |

85 Weber dürfte sich hier – wie bereits in Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  285 f., Fn.  48 – auf den religionspsychologischen Ansatz von William James beziehen. 86  Fischer, Replik, oben, S.  496: „exakten normalen Psychologie“. 87  Vgl. dazu bereits Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  485–490. 1  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  480 f. mit Fn.  4. 2  Weber greift Fischer, Replik, oben, S.  496, auf. 3  Vgl. Fischer, ebd. 4  Dazu oben, Anm.  1. 5  Fischer, Replik, oben, S.  494: „unglückselige Verkettung von Mißverständnissen“.

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Geschichte, der heute erfreulicherweise von einem Teil gerade der hervorragendsten Psychologen selbst nicht mehr geteilt wird, geeignet ist, einerseits die Unbefangenheit der historischen Forschung zu beeinträchtigen, andrerseits die wissenschaftliche Psychologie k[vor deren Leistungen auf dem Gebiet ihrer Fragestellungen ich den höchsten Respekt habe]k gradezu zu diskreditieren und den Historiker auch da, wo er allen Anlaß hat, sich von ihr beraten zu lassen – wie dies zweifellos nicht selten vorkommt –[,] gegen ihre Hilfe mißtrauisch zu machen. Auch ich bin genötigt gewesen, mich z. B. über die vermeintlich „psychologisch“ fundamentierten „historischen Gesetze“ eines auf seinem eignen Fachgebiet so hochverdienten Mannes wie Wundt einfach lustig zu machen,6 – wie ich glaube mit Grund und Erfolg. Und was daraus geworden ist, als ein Schriftsteller, der uns einst das „Deutsche Wirtschaftsleben im Mittelalter“ geschenkt hatte,7 den Versuch unternahm, diese sogenannte „Psychologie“ (und nach ihr noch beliebige andere verschiedenster Provenienz) für die Geschichte nutzbar zu machen,8 – das wissen wir leider, und ich komme darauf an andrer Stelle zurück.9 Die Erkenntnisse der Fachpsychologie kommen für die Geschichte in genau dem gleichen Sinn gelegentlich in Betracht, wie diejenigen der Astronomie, Soziologie, Chemie, juristischen Dogmatik, Theologie, Maschinenbaukunde, Anthropologie u. s. w. u. s. w. Der Laienglaube: weil die Geschichte es mit „geistigen Vorgängen“ zu tun habe, also – wie man glaubt und sich im heute modischen Vulgärsprachgebrauch ausdrückt: – „von psychologik–k  [ ] in A. 6  „Psychologie wird als empirische Disziplin erst durch Ausschalten von Werturteilen – wie sie in Wundts ,Gesetzen‘ stecken – möglich“. Weber, Roscher und Knies II, S.  103. Mit Wilhelm Wundt setzt sich Weber ebd., S.  96–109, auseinander. 7  Gemeint ist: Lamprecht, Wirtschaftsleben I–III. Das Werk erschien 1886. 8  Dies in: Lamprecht, Karl, Deutsche Geschichte, Bände 1–7 mit Ergänzungsbänden I, II/1 und II/2. – Berlin: R. Gaertners Verlagsbuchhandlung Hermann Heyfelder und Freiburg i. Br.: Hermann Heyfelder 1891–1905, bis auf Band  5 in der Handbibliothek Max Webers, Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München, überliefert. Vgl. Webers ablehnende Äußerungen in: Weber, Protestantische Ethik II, oben, bes. S.  316 f., Fn.  79a; Roscher und Knies I, S.  24 f., Fn.  5; Roscher und Knies II, S.  98 f. 9  Mit Karl Lamprecht setzte sich Weber nur noch im Rahmen seiner Rezension: Weber, „Energetische“ Kulturtheorien. Wilhelm Ostwald: Energetische Grundlagen der Kulturwissenschaft, in: AfSSp, 29. Band, 1909, S.  575–598 (MWG I/12), hier S.  588, Fn., auseinander.

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schen Voraussetzungen ausgehe“,10 so müsse sie sich in besonders einzigartigem Maße auf „Psychologie“ im Sinne irgend einer Fachdisziplin stützen, – ist ganz genau so begründet, wie die Annahme: weil die Großtaten der „historischen Persönlichkeiten“ heute ausnahmslos an das „Medium“ von Schallwellen oder Tinte gebunden sind, so seien die Akustik und die Physik der tropfbaren Flüssigkeiten ihre Grundwissenschaften, oder: weil die Geschichte sich auf dem Planeten Erde abspielt, müsse dies die Astronomie, oder, weil sie vom Menschen handelt, die Anthropologie sein. Die Geschichte macht – „es tut mir leid“11 – „allgemeine psychologische Voraussetzungen“ nur im | gleichen Sinne[,] wie sie z. B. allgemeine „astronomische Voraussetzungen“ macht. Wer diese Serie scheinbarer „Paradoxien“ nicht wenigstens einmal durchdacht hat, hat keine Legitimation, sich auf das hohe Pferd „erkenntnistheoretischer“ oder „methodologischer“ Schulmeisterei zu setzen.12 Und wenn mein Herr Kritiker von einer ähnlichen Höhe herunter meint, die „höheren Ansprüche“ betonen zu dürfen, die er an seine „Kritik“ (gegenüber den niederen, die ich an die Methodik meiner Arbeiten) gestellt habe,13 – so bedaure ich, ihm unter Hinweis auf meine früheren Bemerkungen entgegnen zu müssen, daß jene seine „Ansprüche“ an sich selbst, auch in methodischer Hinsicht, doch hinter dem zurückbleiben, was jeder kritisierte Schriftsteller von einer „Kritik“ verlangen muß. Möchte er uns in seinem angekündigten Buche14 mit Ausführungen beschenken, die sich wirklich auf einem Gebiet halten, welches er beherrscht, statt andern auf Gebieten, die er nicht genügend kennt, auf die Finger klopfen zu wollen, – dann kann er der unbefangensten und, selbst im Fall noch so großer Meinungsverschiedenheit, einer respektvolleren Aufnahme sicher sein, als sie in diesem Fall, zu meinem Bedauern, nach der Art seines Argumentierens möglich war. Formelle „Höflichkeit“ schließt sachliche Anmaßung nicht immer aus. Und eine solche lag,

10  Z. B. Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  477, wiederholt: Fischer, Replik, S.  496 f. 11  Weber greift die Schlußwendung bei Fischer, Replik, oben, S.  497, auf. 12  Bezug: Fischer, Replik, oben, S.  496. 13  Vgl. Fischer, ebd., oben, S.  497. 14 Vgl. Fischer, Kritische Beiträge, oben, S.  477. Fischer spielt dort auf seine von Gustav Störring betreute Dissertation an, die er 1908 an der Universität Zürich einreichte. Vgl. Fischer, Objektive Methode (wie oben, S.  463, Anm.  2).

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beiläufig bemerkt, auch in den guten Zensuren, die mein Herr Kritiker in seine „Kritik“ einzuflechten für gut fand7). Von einem Inkompetenten lasse ich mir auch diese nicht gefallen (im Übrigen halte ich es darin mit einem Ausspruch unseres Meisters G[eorg] F[riedrich] Knapp, der mir bei ähnlichem Anlaß einmal sagte: „Ich lese gewiß nicht gern gedruckt: ich sei ein Esel. Aber ich freue mich auch nicht, wenn Jemand glaubt[,] drucken lassen zu müssen: ich sei kein Esel“).15 | A 283

7)  Daß, beiläufig, solche Prädikate, wie „gründlich“ etc. , – „damals!“ – einem Auf[] satz erteilt wurden, der – „jetzt!“ – die simpelsten Kausalprobleme nicht „gesehen“ 16 hat, spricht wohl weder für die Sachkunde, noch, leider, für die Sachlichkeit des Verfassers. |

15 Anlaß unbekannt. Persönliche Kontakte Max Webers zu Georg Friedrich Knapp bestanden zur Zeit der Landarbeiterenquête für den Verein für Socialpolitik 1892/93 (vgl. Editorischer Bericht zu Weber, Lage der Landarbeiter, MWG I/3, S.  18–33, hier S.  28). Nach den überlieferten Briefen Max Webers stand Weber mit Knapp 1906 in Briefkontakt (vgl. Brief Webers an Knapp vom 22. Juli 1906, MWG II/5, S.  115–117). 16  Vgl. Fischer, Replik, oben, S.  496.

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Editorischer Bericht I.  Zur Entstehung Anders als der Doktorand Karl Fischer1 war Felix Rachfahl ein ausgewiesener und etablierter Fachmann. Er lehrte als Professor für Geschichtswissenschaft in Kiel und legte in den Jahren 1906 bis 1908 die mehrbändige Studie „Wilhelm von Oranien und der Aufstand der Niederlande“ vor.2 Rachfahl war ein Kenner der Geschichte der Niederlande zur Zeit des Unabhängigkeitskriegs gegen Spanien. Seit Mitte der 1890er Jahre hatte ihn dieses Thema fasziniert. Ihn reizte die „rätselhafte Figur Wilhelms des Schweigers“, der sich in seinen Augen im Spannungsfeld von Katholizismus und Protestantismus, Königtum und Generalständen bewegte.3 In einem autobiographischen Aufsatz, den Rachfahl kurz vor seinem Tod verfaßte, stellt er dies als sein Lebensthema dar.4 In diesem Aufsatz geht er auch auf die Methode der geschichtswissenschaftlichen Arbeit ein. Er folge dabei Leopold von Ranke.5 Für diesen gebe es „in der Geschichte keinen ‚Zufall‘; das, was wir also nennen, ist nichts weiter, als das unvermeidliche Aufeinanderstoßen von Kausalketten, und eben dadurch vollzieht sich das historische Leben“.6 Dort äußert er sich auch rückblickend über seine beiden groß angelegten Kritiken an Max Weber und Ernst Troeltsch, auf die diese reagiert hatten: „Im Zusammenhang mit den allgemeinen Anschauungen, wie ich sie aus der Beschäftigung mit der niederländischen Geschichte und der des Kalvinismus entnommen habe, 1  Zu seinen beiden Weber-Kritiken vgl. die Editorischen Berichte zu Weber, Kritische Beiträge und Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  4 63–477 und 491–497. 2  Vgl. Rachfahl, Felix, Wilhelm von Oranien und der Aufstand der Niederlande. – Halle a.S.: Max Niemeyer, 1. Band 1906, 2. Band, 1. Abt. 1907, 2. Abt. 1908, 3. Band 1924. Die Darstellung blieb unabgeschlossen. 3  Vgl. Felix Rachfahl, in: Die Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, [Band  II,] hg. von Sigfrid Steinberg. – Leipzig: Felix Meiner 1926, S.  1–24 (hinfort: Rachfahl, Selbstdarstellung), hier S.  9. 4  Vgl. Rachfahl, ebd., S.  12 5  Daß es sich bei der Rachfahl-Kritik an Weber und Troeltsch um eine strategische Positionierung der Ranke-Schule gehandelt habe und diese von Max Lenz, dem akademischen Lehrer von Rachfahl, veranlaßt worden sei, behauptet Paul Honigsheim, Erinnerungen an Max Weber, in: Max Weber zum Gedächtnis. Materialien und Dokumente zur Bewertung von Werk und Persönlichkeit, hg. von René König und Johannes Winckelmann. – Köln, Opladen: Westdeutscher Verlag 1963, S.  161–271 (hinfort: Honigsheim, Erinnerungen), hier S.  2 64. 6  Rachfahl, Selbstdarstellung (wie oben, Anm.  3), S.  2 0.

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steht meine Fehde mit Max Weber und Troeltsch (1909/10) über die Herkunft des modernen Kapitalismus resp. kapitalistischen Geistes aus dem Kalvinismus und über dessen Bedeutung für die moderne Welt.“7 Den Auftakt zu dieser „Fehde“ bildete Rachfahls umfangreicher Text unter dem Titel „Kalvinismus und Kapitalismus“, den er in fünf Folgen im September und Oktober 1909 in der „Internationalen Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik“ publizierte.8 Dies geschah einige Wochen nach der Feier von Calvins 400. Geburtstag im Juli 1909. Rachfahl nahm diese Feier zum Anlaß, die literarische Wirkungsgeschichte Calvins und auch des Calvinismus für die verschiedenen Kulturgebiete darzustellen, und er gab in der fünften Folge seines Textes denn auch „eine allgemeine Charakteristik der geschichtlichen Bedeutung Kalvins und seines Werkes“.9 In den ersten vier Folgen aber ging es ihm um die „Entstehung des kapitalistischen Geistes“ in der Auseinandersetzung vor allem mit Max Weber.10 Hier galt Rachfahls Kritik der „These von der Herkunft des kapitalistischen Geistes aus der kalvinistischen Berufs­ ethik“, wie sie Weber aufgestellt und vertreten habe11 und die, in seinen Augen unberechtigterweise, auf „reichen Beifall“ und „ungeteilte Zustimmung“ bei vielen Wissenschaftlern gestoßen sei.12 „Vom Standpunkte des Historikers aus“ wollte er deshalb „ihre Stichhaltigkeit“ überprüfen und verneinen.13 Seine Kritik richtete sich dabei nicht nur an Max Weber, sondern auch an Ernst Troeltsch. Denn mit Troeltschs Studie „Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit“ und seiner Rede auf dem Stuttgarter Historikertag über „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“, beide 1906, habe sich dieser Weber angeschlossen,14 weshalb er auch von der „Troeltsch-Weberschen These“,15 vom „Troeltsch-Webersche[n] Sche-

7  Rachfahl, Selbstdarstellung (wie oben, S.  515, Anm.  3), S.  15. 8  Rachfahl, Kalvinismus, ist im Anhang zu diesem Editorischen Bericht abgedruckt, unten, S.  521–572. 9  Ebd., unten, S.  6 31. 10  Ebd., unten, S.  5 62. 11  Ebd., unten, S.  522. 12 Ebd. 13  Ebd., unten, S.  523. 14  Ebd., unten, S.  522 mit Fn.  4. Rachfahl gibt an: Troeltsch, Protestantisches Christentum (1906); er nennt außerdem die überarbeitete 2.  Aufl. (1909) (= Troeltsch, Protestantisches Christentum 2, wie oben, S.  42, Anm.  6 5); ferner Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus (wie oben, S.  42 f., Anm.  6 5). 15  Rachfahl, Kalvinismus, unten, S.  5 57.

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ma“16 oder, in der zweiten Kritik, von der „Weber-Troeltschschen Hypothese“17 spricht. Möglicherweise ist die später häufig gebrauchte Rede von der sogenannten Weber-These darauf zurückzuführen, zumal Rachfahl in seiner zweiten Abhandlung dies ausdrücklich so sagt.18 Max Weber charakterisiert die Kritik des Kieler Historikers in seiner Antwort als „bloße Polemik“ (S.  574), die „mit ihrem Nichtverstehenwollen einen üblen professoralen Typus“ repräsentiere (S.  618). Auf sie hin brauche er „nicht ein einziges Wort“ (S.  619) in seinen Aufsätzen zu ändern. Hinzu kam ein Affront. Weber erfuhr nämlich, daß die „Internationale Wochenschrift“ zwar Troeltsch, nicht aber ihm eine Antwort ins Belieben gestellt hatte (vgl. S.  573 f.).19 Aber als Hauptbetroffener, als den er sich sah (vgl. ebd.), fühlte er sich zu einer Gegenpolemik herausgefordert. Er trat aber nicht an die „Internationale Wochenschrift“ heran, um seine Antikritik zu publizieren,20 sondern wählte dafür das „Archiv“, also gleichsam heimischen Boden. Seine Gegenpolemik erschien bereits im Januarheft 1910.21 Er entschied sich für das „Archiv“ nicht zuletzt auch deshalb, weil er sich über seine Behandlung als Teil einer „Kollektivität ‚Weber-Tröltsch‘“ ärgerte und es zweckmäßig fand, „auch äußerlich meine eignen Wege zu gehen“ (S.  574). Troeltsch dagegen schrieb seine Erwiderung für die „Internationale Wochenschrift“, wo sie im April 1910 er­ schien.22 In den Erinnerungen von Paul Honigsheim war es Troeltsch, der Max Weber dazu ermunterte, eine eigene Antikritik zu verfassen. Honigsheim berichtet über ein Gespräch zwischen Troeltsch und Weber, das kurz nach dem Erscheinen der Rachfahl-Kritik in Heidelberg stattgefunden haben muß: „Gerade nachdem diese Kritik herausgekommen war, waren Troeltsch und ich mit Weber in dessen Wohnung zusammen. Letzterer wollte ursprünglich gar 16  Ebd., unten, S.  5 56. 17  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, unten, S.  627. 18  Vgl. ebd., unten, S.  626, 629 f. u. ö. 19 Die Herausgeber von KGA 8 begründen die Anfrage der „Internationalen Wochenschrift“ an Ernst Troeltsch damit, daß er als einer ihrer „ständigen“ Mitarbeiter galt, wie sein Name auf dem Titelblatt der Zeitschrift (seit April 1909) zeige. Vgl. Editorischer Bericht zu Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, KGA 8, S.  144 mit Anm.  1. Weber empfand dieses Vorgehen als „Unhöflichkeit“ (S.  574) und führte dies auf „gewisse redaktionelle Gewohnheiten“ der „von F[riedrich] Althoff“ begründeten Zeitschrift zurück. 20  Eine Korrespondenz Max Webers mit Paul Hinneberg, dem Herausgeber der „Internationalen Wochenschrift, oder deren Redaktion ist nicht überliefert. 21  Zusätzliche Korrespondenz von Max Weber mit Felix Rachfahl ist nicht überliefert. 22  Troeltsch trat Rachfahl im April 1910 mit einem Text unter dem Titel „Die Kulturbedeutung des Calvinismus“ entgegen, in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, hg. von Paul Hinneberg. – Berlin: August Scherl, 4. Jg., Nr.  15 vom 9. April 1910, Sp.  4 49–468, und Nr.  16 vom 16. April 1910, Sp.  5 01–508 (KGA 8, S.  143–181).

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nicht antworten, und zwar aus den Gründen, die er in seiner Replik denn auch angegeben hat. Er empfand es als Unhöflichkeit von seiten der Redaktion, nicht ihn, den Hauptschuldigen, sondern Troeltsch, den nur nebenher an­­ gegriffenen, zur Verteidigung in Gestalt einer Entgegnung aufgefordert zu haben. Troeltsch aber insistierte: ‚Sie müssen antworten.‘ Weber erwiderte zögernd: ‚Ich könnte höchstens einige charakteristische englische Autoren aus jener Zeit zitieren, – einen, auf den mich Hermann Levy aufmerksam gemacht hat [.  .  .] und dann den Leser vor die Alternative stellen, ob er lieber diesen englischen asketischen Protestanten glauben will oder Rachfahl.‘ – ‚Das können Sie tun, wie Sie wollen‘, erwiderte Troeltsch, ‚jedenfalls aber müssen Sie antworten‘.“23 Ein erster Hinweis, daß Weber an einer Antikritik zu Rachfahl arbeitete, findet sich in dem Brief an Heinrich Rickert vom Dezember 1909: Er sei zur Zeit „mit sehr lästigen Arbeiten (Antikritiken u. dgl.) unangenehm belastet“.24 Einen Monat später schickte er den Text bereits an den Verlag: „Ich schicke eingeschrieben ein Mscr. für Januar (Litteratur, Borgis). 2 Seiten fehlen noch. Ich bitte um sofortigen Druck.“25 Webers Anweisung macht deutlich, daß er seine Antikritik unter „Kritische Literatur-Übersichten“ eingereiht sehen wollte.26 Die fehlenden Seiten erhielt der Verlag am 11. Januar 1910. Die ersten Korrekturbogen gingen bereits am folgenden Tag an Weber.27 Wie immer gestaltete 23  Honigsheim, Erinnerungen (wie oben, S.  515, Anm.  5), S.  2 64 f. 24  Brief Max Webers an Heinrich Rickert, vor dem 11. Dez. 1909, MWG II/6, S.  3 32 f., Zitat S.  333. 25  Brief Max Webers an Paul Siebeck, vor oder am 7. Jan.  1910, MWG II/6, S.  3 54. Jaffé hatte bereits am 3. Januar mit der Übersendung des Manuskripts gerechnet und bestimmt: „Für das Januarheft sandte Prof. Max Weber Ihnen heute ein Manuskript ‚Antikritisches zur protestantischen Ethik‘. Ich bitte, die Arbeit sofort in Borgis setzen zu lassen. Sie kommt in der Reihenfolge hinter Cornelissen, nach ihr folgt dann der Literaturanzeiger.“ Brief Edgar Jaffés an Paul Siebeck vom 3. Jan.  1910 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). Paul Siebeck bestätigte Weber am 7. Jan.  1910 den Erhalt des Manuskripts und die Weitergabe an die Druckerei (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446). 26  Vgl. auch den Brief Jaffés an Weber vom 3. Jan.  1910, oben, Anm.  25. 27  Antwort der Verlagsvertreter Richard Pflug/Oskar Siebeck/Richard Wille an Edgar Jaffé vom 12. Jan.  1910 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck) auf Jaffés Befürchtung vom Vortag (ebd.), mit dem Januarheft in Verzug zu kommen: „[.  .  .] dass das Manuscript des Herrn Professor Max Weber am 7. cts. bei mir eingetroffen ist und sogleich in Satz genommen wurde. Zwei Blätter erhielt ich gestern nachträglich. Entschuldigen Sie, bitte, dass Ihnen das Eintreffen des Manuscripts nicht sogleich mitgeteilt worden ist. Der Anfang der Korrektur geht heute ab.“ Nach der Mitteilung Oskar Siebecks/Richard Willes an Max Weber vom 13. Januar 1910 (VA Mohr/Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446) waren die „beiden Schlussblätter“ des Manuskripts „gestern“ gekommen, d. h. am 12. Januar, und „gestern“ sei auch der Anfang von Max Webers Korrektur versandt worden.

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sich der Korrekturvorgang schwierig, weil Webers Manuskript schlecht lesbar war.28

II.  Zur Überlieferung und Edition Das Manuskript ist nicht überliefert. Der edierte Text folgt dem Erstdruck: Weber, Max, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. In Verbindung mit Werner Sombart und Max Weber hg. von Edgar Jaffé, 30. Band, 1. Heft. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1910, S.  176–202 (A). Im „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ wurde das Heft am 9. Februar 1910 angekündigt.29 Der Text, einschließlich des Titels,30 ist von Max Weber autorisiert. Die Fußnotenzählung des Erstdrucks wird mit der zusätzlichen Buchstabenzählung unverändert übernommen, weil letztere auf Erweiterungen während der Drucklegung hinweist.31 Sämtliche Hervorhebungen sind kursiv, Ae wird als Ä, Oe als Ö, Ue als Ü und ss, wo geboten, mit ß wiedergegeben. Innerhalb eines Zitats werden doppelte Anführungszeichen stillschweigend durch die üblichen einfachen Anführungszeichen ersetzt. Offensichtliche Druckversehen sind stillschweigend korrigiert, alle weiteren Versehen emendiert, d. h. mit Nachweis des Originalwortlauts in der textkritischen Anmerkung im Text korrigiert. Fehlende und zum Verständnis notwendige Satzzeichen sind in eckigen Klammern nachgeführt. In eckigen Klammern stehen auch Ergänzungen, zumeist von (Vor-)Namen. Gehören eckige Klammern zum Text, wird dies mitgeteilt. Beibehalten sind Max Webers Schreibungen „karrikiert“ neben „Karikatur“ (S.  589, Fn.  13; S.  593), „Newyork“ (S.  590, Fn.  14), „powerer“ Liederlichkeit (ebd. mit Anm.  91) und „Resumé“ (S.  6 02). Unverändert bleiben auch Webers „Tröltsch“ für (Ernst) Troeltsch und Busken-Huët für (Conrad) Busken Huet (S.  598, Fn.  18). Sebastian Frank ist dagegen in „Franck“ (S.  579) korrigiert und die ältere Schreibweise „Dortrecht“ (S.  594, Fn.  14) an die „Dordrechter“ Dekrete einige Zeilen zuvor angepaßt. 28  Brief H. Laupp [jun.] an J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) vom 2. Febr. 1910 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck) mit Übersendung der „definitive[n] Rechnung“ für AfSSp, 30. Band, Heft 1: „Leider ist meinem Vater [bei] Ausstellung der Rechnung entgangen, daß dieses Heft wieder einen Artikel von Weber enthält, dessen Ms. sehr schlecht lesbar war.“ 29 Vgl. „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“, 77. Jg., Nr.  32 vom 9. Febr. 1910, S.  1744. 30  Edgar Jaffé hatte das Manuskript im Brief an Paul Siebeck vom 3. Jan.  1910 mit „Antikritisches zur protestantischen Ethik“ umschrieben. Vgl. oben, S.  518, Anm.  25. 31  Vgl. unten, S.  5 82, Fn.  6 a; S.  5 98, Fn.  16a und 18a; S.  6 02, Fn.  2 2a; S.  6 05, Fn.  2 3a; S.  6 07, Fn.  2 6a. Bis auf zwei Ausnahmen handelt es sich lediglich um Rückverweise auf die „Protestantische Ethik“.

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Als „Kenner“ der niederländischen Geschichte kommt Rachfahl in seiner Kritik auf diese natürlich auch zu sprechen.32 Max Weber berücksichtigt dies in seiner Entgegnung. Dabei greift er sehr wahrscheinlich auch auf Schriften zurück, die er bei seinen Besuchen niederländischer Bibliotheken im Sommer 1907 einsah.33 Er benutzte sie vor allem bei seiner Überarbeitung der „Protestantischen Ethik“ und seiner Neufassung der „Protestantische Sekten“ von 1920 und führt dort aus, was er in seiner Antikritik lediglich andeutet. Für die Kommentierung erscheint es darum gerechtfertigt, an diesen Stellen auf die überarbeite Fassung vorzuverweisen.34 Weber zitiert – gemessen an heutigen Anforderungen – selten ganz exakt und setzt mit Hervorhebungen eigene Akzente. Kleinere sprachliche Abweichungen und Auslassungen von Füllwörtern in Zitaten werden im Sacherläuterungsapparat nicht mitgeteilt. Im übrigen gilt für die Behandlung von Zitaten, was im Editorischen Bericht zu „Protestantische Ethik“ I ausgeführt wurde (oben, S.  107). Max Weber bezieht sich häufig – auch mit Kurzangaben – auf seine beiden im „Archiv“ veröffentlichten Protestantismus-Aufsätze, gelegentlich auch auf seinen Artikel über „‚Kirchen‘ und ‚Sekten‘“ sowie seine Erwiderungen auf Fischer. Die originalen Stellenangaben bleiben unverändert im Text stehen, eine Sacherläuterung weist die entsprechenden Stellen in dem hier vorgelegten Band aus. Dasselbe gilt für die vielfachen Bezüge auf Rachfahls Kritik. Rachfahls umfangreiche Kritik an Webers Aufsätzen über „Die protestantische Ethik“ wird im Anhang zu diesem Editorischen Bericht (S.  521–572) abgedruckt. Das erleichtert das Verständnis von Webers Antikritik und erspart Wiedergaben im Sacherläuterungsapparat.

32  Rachfahl, Kalvinismus, unten, S.  5 45–547. 33 Webers Forschungen in niederländischen Bibliotheken standen in Zusammenhang mit der geplanten Fortsetzung der Protestantismus-Aufsätze. Vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  6 6 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S.  9 0–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  4 64  f. mit Anm.  10. Der Niederlande-Aufenthalt im Sommer 1907 ist dokumentiert in Max Webers Briefen, MWG II/5, S.  3 37–376. 34  Dies betrifft: Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus“, unten, S.  5 96– 598, Anm.  15–17.

Anhang zum Editorischen Bericht

Im folgenden wird Rachfahls erste Kritik an Weber, Protestantische Ethik I und II, abgedruckt. Zugrunde liegt: Rachfahl, Felix, Kalvinismus und Kapitalismus, in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, begr. von Friedrich Althoff, hg. von Paul Hinneberg, 3. Jg., Nr.  39 vom 25. Sept. 1909, Sp.  1217–1238, dass. (Fortsetzung), Nr.  40 vom 2. Okt. 1909, Sp.  1249–1268; dass. (Fortsetzung), Nr.  41 vom 9. Okt. 1909, Sp.  1287–1300; dass. (Fortsetzung), Nr.  42 vom 16. Okt. 1909, Sp.  1319–1334; dass. (Schluß), Nr.  43 vom 23. Okt. 1909, Sp.  1347–1367 (= Rachfahl, Kalvinismus). Über die Randsigle ist der Bezug zur Spaltenzählung des Erstdrucks hergestellt. Der Titel, dem stets „Von Felix Rachfahl, Professor an der Universität Kiel“ folgt, wird nur zu Textbeginn abgedruckt; ebenso entfallen stillschweigend redaktionelle Hinweise auf „Fortsetzung“ oder „Schluß“. Der Text ist durchgängig und vereinheitlichend in Petit wiedergegeben (in der „Internationalen Wochenschrift“ sind die am Anfang zitierten Verse (S.  521 f.) in Petit gesetzt; sie entstammen Voltaire, La Guerre Civile de Genève, Paris 1767). Druckfehler werden stillschweigend korrigiert, Ue wird als Ü wiedergegeben, „ss“ wird, wo geboten, in „ß“ umgewandelt, nicht übliche Abkürzungen werden in eckigen Klammern ergänzt, Hervorhebungen kursiv wiedergegeben. Rachfahls mit Sonderzeichen indizierte Fußnoten werden durchgezählt. Die letzte Fußnote, in der „Internationalen Wochenschrift“ in Sp.  1366 f., enthält eine Übersicht mit nachträglichen Korrekturen Rachfahls. Diese sind in den folgenden Abdruck eingearbeitet. Nur in Ausnahmefällen werden inhaltlich relevante Druckfehler, wie z. B. „unzulänglich“ statt richtig „unzugänglich“ (S.  528), nachgestellt in eckigen Klammern korrigiert; in eckigen Klammern wurden ferner Auslassungen ergänzt, z. B. „von sich selbst [aus] ohnmächtig“ (S.  527). Bei der Namensnennung „Lund“ (S.  561) handelt es sich um eine Verschreibung von (William) „Laud“ (1573–1645), seit 1633 Erzbischof von Canterbury. Statt „W.“ lies „M.“ Schulze (S.  555, Anm.  37) und statt „Kreuzer“ „Kreutzer“ (S.  563, Anm.  44). An drei Stellen fanden sich eckige Klammern in der Druckvorlage (S.  539: „[Die kalvinische Ethik]“; S.  551: 2x „[!]“), sie gehen also nicht auf die Editoren zurück.

Kalvinismus und Kapitalismus. Von Felix Rachfahl, Professor an der Universität Kiel.

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„Noble cité, riche, fière et sournoise. On y calcule et jamais on n’y rit; L’art de Barême1) est le seul qui fleurit. On hait le bal, on hait la comédie, Pour tout plaisir Genève psalmodie 1) 

Der französische „Adam Riese“.

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Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus Du bon David les antiques concerts, Croyant que Dieu se plaît aux mauvais vers. Des prédicants la morne et dure espèce Sur tous les fronts a gravé la tristesse.“

Mit diesen Versen hat der Spötter Voltaire die charakteristischen Züge des von der vénérable compagnie des pasteurs beherrschten Genf, der vom kalvinischen Geiste durchtränkten Genfer Bevölkerung gezeichnet. Abkehr von den Freuden der Welt, den Gütern der Kultur, „asketischer“ Ernst, gepaart mit hochgesteigerter Erwerbssucht, mit stetigem Rechnen für den Gewinn: das war die Signatur Genfs auch schon zur Zeit Calvins, das war das Erbteil, das der düstere Reformator der Stadt hinterließ, in der er es unternahm, das Gottesreich, die Herrschaft des Wortes, wie sie ihm als höchstes Ideal vorschwebten, auf Erden zu verwirklichen. Nicht nur ihr allein hat er es mitgeteilt; Verzicht auf Lebensgenuß und unermüdliche Tätigkeit im Berufe, also auch im geschäftlichen Leben, sind unverkennbar integrierende Bestandteile der ganzen kalvinischen Religiosität überhaupt; wo immer diese fest und dauernd Wurzel geschlagen hat, da muß sie an diesen ihren Früchten erkennbar sein. Und erwägt man, daß gerade in den kalvinistischen Ländern der Kapitalismus zur höchsten Entfaltung seiner Blüte gelangt ist, was liegt da näher als die Annahme, daß darauf gerade der speziell kalvinische Geist von größtem Einflusse gewesen, daß der Kalvinismus als Vorfrucht des Kapitalismus zu betrachten, daß aus der spezifisch kalvinischen Berufsethik der Geist des modernen Kapitalismus hervorgegangen ist? In der Tat hat ein Nationalökonom von großem Ruf, Max Weber in Heidelberg, diese These von der Herkunft des kapitalistischen Geistes aus der kalvinistischen Berufs1218 ethik aufgestellt und vertreten2), und reicher Beifall, | ungeteilte Zustimmung ist ihm aus den Reihen seiner eigenen und anderer Wissenschaften zuteil geworden. Zunächst schloß sich ihm sein Kollege, der ausgezeichnete Heidelberger Theologe Ernst Troeltsch, an, sowohl in seinem Werk über die Geschichte des Protestantismus in der Neuzeit3), als auch in einem Vortrage, den er auf der Stuttgarter Historiker-Versammlung im Jahre 1906 hielt.4) Ein Gelehrter, der auf den beiden Gebieten der Historie und der Nationalökonomie gleich bewährt ist, Eberhard Gothein, erklärt die Verwerfung des kanonischen Zinsverbotes durch Calvin als „das erste Zeichen, daß aus dem Geist des Kalvinismus der Geist des Kapitalismus hervorgehen werde“.5) Und erst neuerdings hat der Kirchenhistoriker v. Schubert betont: „Mit Recht habe man den ‚Geist des Kapitalismus‘, den Kern moderner Wirtschaftsgeschichte abgeleitet aus dem entschlossenen Individualismus der Puritaner mit ihrer ‚inneren Askese‘, die sich ökono-

2)  Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus. I. Archiv für Sozialwissenschaft XX 1 ff. und II ebd. XXI 1 ff. (fortan zitiert Weber I u. II). | 3) Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit. In Hinnebergs „Kultur 1218 der Gegenwart“ I, 5: Die christliche Religion.  1906, S.  356 ff., 2.  Aufl. 1909. 4)  Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, gedr. Historische Zeitschrift 97, 42 ff. Nach dem 1907 erschienenen Berichte über die Versammlung (S.  36) hat der Vortrag weder im allgemeinen noch im einzelnen irgendwelchen Widerspruch gefunden. 5)  Staat und Gesellschaft des Zeitalters der Gegenreformation. Hinnebergs „Kultur der Gegenwart“, II, 5, 1, S.  226.

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misch darstellt als Sparzwang bei vollster Ausnützung der Arbeitskraft.“6) Nur ganz vereinzelt, soviel mir bekannt ist, ist von philosophischer Seite ein Einspruch gegen Webers Theorie versucht worden. Wenn wir es hier unternehmen wollen, sie vom Standpunkte des Historikers aus auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen, so werden wir nicht umhin können, zunächst, um den Leser in das Problem einzuführen, eine kurz zusammengedrängte Übersicht ihres Inhaltes zu geben. Wir werden uns dabei möglichst an den Gedankengang des Autors anschließen; so werden die Punkte am ehesten erkennbar werden, bei denen die Kritik einzusetzen hat. |

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Nicht als ob Weber den Kapitalismus schlechthin aus dem Kalvinismus ableiten wollte. Er verwahrt sich dagegen, „eine so töricht-doktrinäre These“ verfechten zu wollen, „wie etwa, daß der ‚kapitalistische Geist‘ .  .  . oder wohl gar der Kapitalismus überhaupt, nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation hätte entstehen können“; er fügt hinzu: „Schon daß gewisse wichtige Formen kapitalistischen Geschäftsbetriebes erheblich älter sind, als die Reformation, stünde einer solchen These im Wege. Sondern es soll nur festgestellt werden“, so bestimmt er sein Thema, „ob und inwieweit hier tatsächlich religiöse Einflüsse bei der qualitativen Prägung und quantitativen Expansion jenes ‚Geistes‘ über die Welt mitbeteiligt gewesen sind, und welche konkreten Seiten der kapitalistischen Kultur auf sie zurückgehen.“ Nicht die Entstehung des Kapitalismus überhaupt ist somit das Problem, das Weber lösen will, sondern nur die des „kapitalistischen Geistes“, und zwar in einem ganz bestimmten Sinne. Welches nun ist der Sinn, den Weber mit diesem Worte verbindet? Wenn er vom „Geiste des Kapitalismus“ spricht, dann eben in dem „spezifischen Sinne“, daß er ihm „den Charakter einer ethisch gefärbten Maxime der Lebensführung“ beilegt. Das „summum bonum“ dieser „Ethik“ aber ist der Erwerb von Geld, und immer mehr Geld, und das unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens, so gänzlich aller eudämonistischen oder gar hedonistischen Gesichtspunkte entkleidet, so rein als Selbstzweck gedacht, daß es als etwas gegenüber dem „Glück“ oder dem „Nutzen“ des einzelnen Individuums jedenfalls gänzlich Transzendentes und schlechthin Irrationales erscheint. Der Mensch ist auf das Erwerben als Zweck seines Lebens, nicht mehr das Erwerben auf den Menschen als Mittel zum Zweck der Befriedigung seiner materiellen Lebensbedürfnisse bezogen. Diese für das unbefangene Empfinden schlechthin sinnlose Umkehrung des, wie wir sagen würden, „natürlichen“ Sachverhaltes ist nun ganz offenbar ebenso unbedingt ein Leitmotiv des Kapitalismus, wie sie dem von seinem Hauche nicht berührten Menschen fremd ist. Das ethische Moment, das die Grundlage des kapitalistischen Geistes in diesem Sinne bildet, findet Weber in der Anschauung, daß der | Gelderwerb innerhalb der modernen Wirtschafts- 1220 ordnung das Resultat und der Ausdruck der Tüchtigkeit im Berufe ist, und eben dieses Postulat der Tüchtigkeit im Berufe stammt nach Weber, um das hier vorauf zu nehmen, aus der Ethik des Kalvinismus. Durch nichts kann das Wesen dieses kapitalistischen 6)  Calvin, Rede bei der akademischen Calvin-Gedächtnisfeier in der Aula der Universität Heidelberg am 11. Juli 1909. Tübingen 1909, S.  32. |

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Geistes besser gekennzeichnet werden, als daß man sich vor Augen führt, welche Tendenz dem geborenen Gegner des kapitalistischen Geistes zugrunde liegt, nämlich dem Geiste des „Traditionalismus“; sein Wesen besteht darin, daß der Mensch „von Natur“ nicht Geld und immer mehr Geld verdienen will, sondern einfach leben, so leben, wie er zu leben gewohnt ist, und soviel erwerben, wie dazu erforderlich ist. Mit dieser seiner Lehre vom Gegensatz zwischen dem Geist des Traditionalismus und dem des Kapitalismus berührt sich Weber mit der Sombartschen Theorie7) vom Unterschiede zwischen den Systemen der „Bedarfsdeckungs-“ und der „Erwerbs-Wirtschaft“ – je nachdem nämlich das Ausmaß des persönlichen Bedarfs oder das von den Schranken des letzteren unabhängige Streben nach Gewinn und die Möglichkeit der Gewinnerzielung für die Art und Richtung der wirtschaftlichen Tätigkeit maßgebend sind. Und sie berühren sich nicht nur, sie sind sogar miteinander identisch, wie Weber selber erklärt, und zwar unter einer bestimmten Voraussetzung, wenn man nämlich den Begriff „Bedarf“ gleichsetzt mit „traditionellem Bedarf“. Tut man das nicht, so fallen freilich große Massen von Wirtschaften, die nach der Form ihrer Organisation Sombarts Ansicht zufolge als „kapitalistisch“ zu bezeichnen sind, aus dem Bereiche der „Erwerbswirtschaften“ heraus; sie sind bloße „Bedarfsdeckungs-Wirtschaften“. Denn auch „kapitalistische“ Unternehmungen können nicht nur einen traditionalistischen Charakter tragen, sondern sie tragen ihn auch in der Regel. Oft genug sind nicht die gerade vorhandenen Kapitalisten die Träger des „kapitalistischen Geistes“, sondern die aufstrebenden Schichten des Mittelstandes, die dann ihre älteren Konkurrenten überflügeln, – wie die oft aus recht kleinen Verhältnissen emporsteigenden Parvenus 1221 von Manchester und Rheinland-West|falen gegenüber den vornehmen Gentlemen von Liverpool und Hamburg mit ihren altererbten großen Kaufmannsvermögen. Eine Bank, ein Export-Großhandelsgeschäft, auch ein großes Detailgeschäft, ein großer Verlag hausindustriell hergestellter Waren können nur in der Form der kapitalistischen Unternehmung betrieben werden; sie brauchen aber nicht auch mit kapitalistischem Geiste erfüllt zu sein. An einem Beispiele erläutert Weber dieses Verhältnis: Betrachten wir die Zustände, wie sie für irgend eine Produktionsstätte der Textilbranche um die Mitte des 19. Jahrhunderts charakteristisch sind. Wir finden da verschiedene Verleger, die in den herkömmlichen Bahnen des Betriebes, mäßigem Geschäftsumfange und leidlicher Har­ monie, mit mäßigem Einkommen und Wohlstand eine sorgenfreie und gemächliche Existenz genießen. Es ist der Form nach eine unzweifelhaft kapitalistische Wirtschaftsführung, aber sie entbehrt des „kapitalistischen Geistes“; sie ist rein traditionalistisch. „Die traditionelle Lebenshaltung, die traditionelle Höhe des Profits, das traditionelle Maß von Arbeit, die traditionelle Art der Geschäftsführung und der Beziehungen zu den Arbeitern und zu dem wesentlich traditionellen Kundenkreise, die Art der Kundengewinnung und des Absatzes beherrschten den Geschäftsbetrieb, lagen – so kann man geradezu sagen – der ‚Ethik‘ dieses Kreises von Unternehmern zu Grunde.“ Plötzlich wird diese Idylle gestört. Einer der Verleger führt neue Geschäftsgrundsätze ein; es braucht dabei nicht einmal eine prinzipielle Änderung der Organisationsform im Spiel zu sein; es genügt, daß er die Arbeiter besser kontrolliert und ausnützt, daß er in persönliche Beziehungen mit den Kunden tritt, ihren Wünschen und Bedürfnissen seine Produktion anpaßt, den Grundsatz durchführt: „Billiger Preis, großer Absatz!“ Er will

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Vergl. zu ihrer Kritik B. Harms in Schmollers Jahrbuch 1905, S.  179 ff. |

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nicht verbrauchen, sondern nur erwerben. Das Gewicht seiner Konkurrenz macht sich bald für seine Berufsgenossen unangenehm fühlbar; er steigt, während sie sinken: es vollzieht sich also ein „Rationalisierungsprozeß“, und eben deshalb, weil hier ein neuer Geist, der „Geist des Kapitalismus“, seinen Einzug hält. „Die Frage nach den Triebkräften der Entwicklung des Kapitalismus ist nicht in erster Linie eine Frage nach der Herkunft der kapitalistisch verwertbaren Geldvorräte, son|dern nach der Entwicklung 1222 des kapitalistischen Geistes. Wo er auflebt und sich auszuwirken vermag, da schafft er sich die Geldvorräte als Mittel seines Wirkens, nicht aber umgekehrt.“ Freilich sein Einzug pflegt nicht friedlich zu sein, und der „Unternehmer neuen Stils“ muß bestimmt und scharf ausgeprägte „ethische Qualitäten“ haben, – Spannkraft behufs Überwindung der Widerstände, intensivste Arbeitsleistung, Verzicht auf bequemen Lebensgenuß, Fähigkeit, das Vertrauen von Kunden und Arbeitern zu gewinnen usw. Das eben ist im Gegensatz zum „Traditionalisten“ das Kennzeichen des Unternehmers „neuen Stils“: abgelöst von allen anderen Motiven betreibt er das Geschäft nur um des Geschäftes willen, weil ihm das Geschäft zum Leben unentbehrlich erscheint. Der Mensch ist da um des Geschäftes willen, nicht das Geschäft um des Menschen willen. Der Unternehmer „neuen Stils“ scheut Ostentation und Aufwand; nichts liegt ihm an bewußtem Genusse der Macht und gesellschaftlichem Ansehen; seine Lebenshaltung trägt einen „asketischen“ Charakter. Denn er hat von seinem Reichtum nichts für seine Person; es bleibt ihm von seiner Tätigkeit nichts als die „irrationale Empfindung der Berufserfüllung“. Gerade dieser Gedanke ist es, welcher seiner Lebensführung den ethischen Unterbau und Halt verleiht: die Einordnung einer äußerlich rein auf Gewinn gerichteten Tätigkeit unter die Kategorie des „Berufes“, dem gegenüber sich der einzelne verpflichtet fühlt. Welches nun ist die Herkunft dieses irrationalen Elementes, das in jedem „Berufs“Begriffe liegt, also auch in dem des ausschließlichen Erwerbes? Lief nicht die Auffassung des Gelderwerbes als eines den Menschen sich verpflichtenden Selbstzweckes, als eines „Berufes“, dem sittlichen Empfinden ganzer Epochen zuwider? Sie kann nicht dem Ideenkreise des katholischen Mittelalters entstammen. Denn den Kaufleuten selbst galt damals ihre Lebensarbeit im günstigsten Falle als etwas sittlich Indifferentes, höchstens Toleriertes, ja sogar schon wegen der steten Gefahr, mit dem kirchlichen Wuchergebote zu kollidieren, als ein für die Seligkeit bedenkliches, als ein pudendum, das nur die einmal vorhandenen Ordnungen des Lebens zu dulden zwingen. Also kann die Auffassung des Erwerbes als Berufsarbeit im | Sinne einer ethischen Maxime nur 1223 aus dem Protestantismus stammen, und zwar scheidet das Luthertum aus Gründen aus, die wir alsbald kennen lernen werden, und es bleibt somit nur der Kalvinismus übrig. Toeltsch gibt diesen Gedankengang Webers sehr anschaulich mit den Worten wieder: „Sombart hatte gezeigt, wie der Geist des Kapitalismus eine dem natürlichen Trieb zu Genuß und Ruhe, zu Erwerbung der bloßen Existenzmittel ganz entgegengesetzte Rastlosigkeit und Grenzenlosigkeit zeigt, wie er Arbeit und Erwerb zum Selbstzweck und den Menschen zum Sklaven der Arbeit um ihrer selbst willlen macht, wie er das ganze Leben und Handeln unter eine absolut rationalistisch-systemische Berechnung bringt, die alle Mittel kombiniert, jede Minute ausnützt, jede Kraft verwertet, wie er im Bunde mit der wissenschaftlichen Technik und dem alles verknüpfenden Kalkül dem Leben eine durchsichtige Rechenhaftigkeit und abstrakte Genauigkeit verleiht. Dieser Geist aber, sagte sich Weber, kam nicht von selbst mit den industriellen Erfindungen, den Entdeckungen und dem Handelsgewinne; er hat sich auch in der spätmittelalterli-

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chen Geldwirtschaft, in dem Kapitalismus der Renaissance und in der spanischen Kolonisation nicht stark entwickelt. Er ist zu sehr gegen die Natur des Menschen, als daß er ohne eine die Natur gewaltsam und systematisch unterdrückende ungeheure Geistesmacht sich hätte bilden können. So kam Weber auf die Vermutung, aus der Tatsache der Blüte des Kapitalismus gerade auf kalvinistischem Boden den Schluß auf eine besondere Bedeutung des kalvinistischen religiös-ethischen Geistes für die Entstehung dieses kapitalistischen Geistes zu ziehen.“ Und eben die das Wesen der kalvinistischen Berufsethik kennzeichnende „innerweltliche Askese“ ist es, auf deren Boden der kapitalistische Geist erwachsen ist. Die große Kirchentrennung des 16. Jahrhunderts bildet eine Epoche nicht nur für die Geschichte des christlichen Glaubens, sondern auch der christlichen Ethik. Damals fiel die katholische Unterscheidung der christlichen Sittengebote in die für alle Menschen verbindlichen praecepta und in die consilia, die sogenannten evangelischen Räte, der Keuschheit, der freiwilligen Armut und des unbedingten Gehorsams, deren Befolgung naturgemäß immer nur die Sache Weniger sein konnte. Damit wurde die Überbietung 1224 der innerweltlichen | Sittlichkeit durch mönchische Aszese unmöglich; einziges Mittel, Gott wohlgefällig zu leben, war fortan die Erfüllung der innerweltlichen Pflichten, wie sie sich aus der Lebensstellung des Einzelnen ergaben, die fortan sein „Beruf“ wurde. Die Pflichterfüllung innerhalb des Berufes wird fortan geschätzt als der höchste Inhalt, den die sittliche Selbstbetätigung überhaupt annehmen kann. Luther hat zuerst diesen neuen protestantischen Berufsbegriff entwickelt; aber noch blieb dieser bei ihm traditionalistisch gebunden: ihm ist der Beruf das, was der Mensch als göttliche Fügung hinzunehmen, worin er sich zu „schicken“ hat; diese Färbung übertönt den auch vorhandenen Gedanken, daß die Berufsarbeit eine oder vielmehr die von Gott gestellte Aufgabe sei: Wegfall der Überbietung der innerweltlichen durch aszetische Pflichten, verbunden aber mit der Predigt des Gehorsams gegen die Obrigkeit und Schickung in die gegebene Lebenslage. Auf ökonomischem Gebiete mußte diese Lehre zur Folge haben dieselbe traditionalistische Lebenshaltung, wie der Katholizismus; es fehlte ihr jeder Stachel zu wirtschaftlichem Aufschwung; in Übereinstimmung damit war Luthers ökonomisches Ideal „vom agrarischen und handwerklichen Standpunkt aus orientiert“, und er setzte das kanonische Zinsverbot fort. Ganz verschieden von der lutherischen ist die kalvinistische Berufsethik, und zwar gemäß der Differenz, die zwischen lutherischer und kalvinistischer Religiosität überhaupt obwaltet. Das Ziel der ersteren ist die unio mystica mit Gott, die Empfindung des realen Eingehens des Göttlichen in die gläubige Seele; es ist gekennzeichnet durch seinen passiven, auf die Erfüllung der Sehnsucht nach Ruhe in Gott ausgerichteten Charakter und seine rein stimmungsmäßige Innerlichkeit. Dazu kommt das tiefe Gefühl erbsündlicher Unwürdigkeit und daraus fließender Demut und Reue, wie sie für die Sündenvergebung unentbehrlich sind, und eben deshalb, weil die Sündenvergebung mit der durch sie hervorgerufenen Ruhe und Seligkeit der Erlösung im Mittelpunkte des religiösen Interesses steht, wird Gott aufgefaßt als ein Gott der Liebe und des Erbarmens. Anders der Kalvinismus. Hier liegt der Nachdruck nicht auf dem Akte 1225 der Sündenvergebung, sondern auf der Erwählung durch den Willen der | Allmacht Gottes; zu seiner Ehre beruft er die Einen und verwirft er die Andern. Wegen der zentralen Bedeutung, die der Prädestinationslehre im Kalvinismus zukommt, rückt daher in den Vordergrund bei der Betrachtung Gottes sein freier und unumschränkter Machtwille, seine Ehre, seine Herrlichkeit und Furchtbarkeit. Das Gefühl bußfertiger Reue

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ist dem Kalvinismus zwar nicht in der Theorie, wohl aber in der Praxis fremd. Denn es ist für ihn ethisch wertlos; es nutzt dem Verworfenen nichts, und dem, der seiner Erwählung sicher ist, ist die eigene Sünde, deren er sich bewußt ist, ein Symptom rückständiger Entwicklung und unvollkommener Heiligung; er beweint sie nicht; sondern er haßt sie und trachtet darnach, sie zu Gottes Ruhme durch die Tat zu überwinden. Durch die Elektionsgnade, die ihm zuteil geworden ist, wird er erhoben in die Gemeinschaft des Gotteswillens, erhält er das Bewußtsein der Bestimmung zu einem positiven Weltzwecke, der Berufung zur Betätigung der göttlichen Herrlichkeit im Dienste Gottes. Das Moment der Ehre Gottes ist es, worauf alles ankommt: die ganze Welt ist bestimmt zu seiner Verherrlichung; das gleiche ist die Aufgabe des Christen. Gott will die Tätigkeit des Christen in Welt und Gesellschaft; denn diese sollen so eingerichtet sein, daß sie zur Verherrlichung seiner Ehre dienen; die soziale Arbeit, d. h. die Arbeit in Welt und Gesellschaft, ist dem Kalvinisten auferlegt als Pflicht in majorem gloriam Dei, und eben diesen Charakter trägt auch die Berufsarbeit, die im Dienste des diesseitigen Lebens der Gesamtheit steht. Entsprechend dem Unterschiede der Religiosität überhaupt trägt daher die Ethik des Kalvinismus und auch seine Berufsethik im allgemeinen im Gegensatze zu der des Luthertums einen ausgeprägt aktiven Charakter. Aus dem Wesen der kalvinistischen Religiosität fließt noch ein spezielles Moment in der reformierten Berufsethik, das allerdings erst durch die Epigonen Calvins zur Ausbildung gelangt ist. Zwar soll man nach Calvin darauf vertrauen, daß man zu den Erwählten gehört; aber es gibt seiner Ansicht zufolge schlechterdings keinen äußerlichen Unterschied zwischen Erwählten und Verworfenen, keine certitudo salutis. Anders seine Nachfolger, schon Beza. Sie verlangten ein sicheres Kennzeichen des eigenen Gnaden|standes, der Zugehörigkeit zu den electi. Um diesem Bedürfnisse zu 1226 genügen, muß man sich für erwählt halten und jeden Zweifel als Anfechtung des Satans abwehren, da ja mangelnde Selbstgewißheit Folge unzulänglichen Glaubens, also unzulänglicher Wirkung der Gnade ist; und andererseits: um diese Selbstgewißheit zu erlangen, bedarf es vor allem rastloser Berufsarbeit; denn sie allein verscheucht den religiö­ sen Zweifel und gibt die Sicherheit des Gnadenstandes. Die Gemeinschaft des Erwählten mit Gott ist im Kalvinismus nicht, wie im Luthertum, ein reales Eingehen des Göttlichen in die Menschenseele; denn das ist durch die absolute Transzendenz Gottes gegenüber allem Kreatürlichen ausgeschlossen. Sie kann vielmehr nur so stattfinden und zum Bewußtsein kommen, daß Gott in den Erwählten wirkt, und daß sich diese dessen bewußt werden. Sola fide will auch der Reformierte selig werden; aber der Glaube muß sich in seinen objektiven Wirkungen bewähren, um der certitudo salutis als Unterlage dienen zu können; er muß eine fides efficax sein, und zwar muß sich, damit Glauben und Gnadenstand erkennbar werden, die Wirkung des Glaubens in einer Lebensführung äußern, die zur Mehrung von Gottes Ruhme dient. Nur der Erwählte hat die fides efficax; nur er ist fähig, Gottes Ruhm durch wirklich, nicht nur scheinbar gute Werke zu mehren, und indem er sich dessen bewußt ist, daß sein Wandel, wenigstens dem Grundcharakter und konstanten Vorsatze nach, auf einer in ihm lebenden Kraft zur Mehrung von Gottes Ruhme ruht, also gottgewollt oder vor allem gottgewirkt ist, erlangt er jenes höchste Gut, nach welchem die Religiosität strebt, die Gnadengewißheit. So absolut ungeeignet also gute Werke auch sind, als Mittel zur Erlangung der Seligkeit zu dienen (denn auch der Erwählte ist Kreatur und von sich selbst [aus] ohnmächtig), so unentbehrlich sind sie als Zeichen der Erwählung. Das bedeutet aber praktisch, daß Gott dem hilft, der sich selbst hilft, daß also der Kalvinist seine

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Seligkeit – oder korrekter: die Gewißheit seiner Seligkeit – selbst schafft, daß aber dieses Schaffen nicht, wie im Katholizismus, in einem allmählichen Aufspeichern verdienstlicher Einzelleistungen bestehen kann, sondern in einer beständigen systemati1227 schen | Selbstkontrolle, die jeden Augenblick vor der Alternative steht: erwählt oder verworfen? Logisch wäre der Fatalismus als Konsequenz der Prädestination deduzierbar; die psychologische Wirkung aber war infolge der Einschaltung des „Bewährungs“gedankens die gerade umgekehrte. Die electi sind eben kraft ihrer Erwählung dem Fatalismus unzulänglich [lies: unzugänglich]; gerade in ihrer Abweisung der fatalistischen Konsequenzen bewähren sie sich, und durch ihre Erwählung werden sie eifrig und besorgt in ihrem Berufe. Das also ist es, was der kalvinischen Ethik auf der Grundlage des Bewährungsprinzipes ihre charakteristische Eigentümlichkeit gibt – eine Lebensführung, die jederzeit so geregelt wird, daß sich der Christ bei jeder einzelnen seiner Handlungen darüber Rechenschaft gibt, ob sie ein Zeichen seiner Erwählung oder Verwerfung sei. Es werden somit im Unterschiede vom Katholizismus nicht nur einzelne „gute Werke“, d. h. nicht systematisch miteinander zusammenhängende einzelne Handlungen, verlangt, sondern ein „heiliges Leben“, d. h. eine zum System gesteigerte Werkheiligkeit, eine konsequent ausgebildete Methode der ganzen Lebensführung. Denn nur in einer fundamentalen Umwandlung des Sinnes des ganzen Lebens in der Sünde und bei jeder Handlung kann sich das Wirken der Gnade als einer Transferierung des Menschen aus dem Status naturae in den Status gratiae bewähren. Das Leben des Heiligen ist ausschließlich auf ein transzendentes Ziel, die Seligkeit im Jenseits ausgerichtet, und eben deshalb, weil es darauf in jedem Momente bezogen wird, ist es in seinem diesseitigen Verlaufe rationalisiert, nämlich stets beherrscht vom Grundsatze: „omnia ad majorem gloriam Dei“. Nur ein durch konstante Reflexion geleitetes Leben kann als Überwindung des Status naturalis gelten: diese Rationalisierung nun gibt der reformierten Frömmigkeit ihren spezifisch aszetischen Zug. Das Wesen der protestantischen Aszese besteht demnach darin, daß das ganze Leben heiligmäßig eingerichtet wird, daß jede einzelne Handlung, gleichgültig, welcher Natur sie auch immer sei, auf das transzendente Leben bezogen wird, nämlich ob sie zur Ehre Gottes gereicht, und das will sagen, 1228 ob sie zwar nicht ein Realgrund, aber doch ein Erkenntnisgrund des Gnaden|standes ist; das bedeutet in Wirklichkeit, daß das transzendente Ziel bei jeder Handlung im Christen als ausschlaggebendes Motiv gesetzt wird. Eine rationalistische, nämlich eine methodisch gepflegte und kontrollierte Lebensführung, das eben ist die dem Protestantismus eigentümliche Aszese. Sie arbeitet daran, den Menschen zu befähigen, seine konstanten Motive (insbesondere diejenigen, die sie ihm selbst „einübt“) gegenüber den Affekten zu behaupten und zur Geltung zu bringen; sie will ihn in den Stand setzen, den Status naturae zu überwinden, ihn der Macht der irrationellen Triebe und der Abhängigkeit von Welt und Natur entziehen, der Suprematie des planvollen Willens unterwerfen, seine Handlungen beständiger Selbstkontrolle und der Erwägung ihrer ethischen Tragweite unterstellen: so soll er – objektiv – zu einem Arbeiter im Dienste des Reiches Gottes erzogen, zugleich aber auch dadurch – subjektiv – seines Seelenheiles versichert werden. Der Kalvinismus ist die bedeutendste, aber nicht die einzige Richtung des Protestantismus, die eine solche methodisch-gepflegte und kontrollierte, d. h. aszetische Lebensführung vorschreibt; sie ist auch, wenngleich in verschiedenartiger Begründung und Abstufung (auf das Nähere können wir hier nicht eingehen) im Pietismus, im Methodismus und Baptismus zu finden. Allen ist gemeinsam die Auffas-

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sung des Gnadenstandes als eines Standes, der die Menschen von der Verworfenheit des Kreatürlichen abscheidet, dessen Besitz aber nur durch die Bewährung in einem spezifisch gearteten, von dem Lebensstil des „natürlichen“ Menschen unzweideutig verschiedenen Wandel garantiert werden kann. Daraus folgt für den Einzelnen der Antrieb zur methodischen Kontrolle seines Gnadenstandes in der Lebensführung und damit zu deren aszetischer Durchdringung. Dieser „aszetische Lebensstil“ aber bedeutet eine am Gotteswillen orientierte rationale Gestaltung des ganzen Daseins. Auch der Protestantismus hat somit seine Aszese, und daraus ergibt sich von selbst die Frage: wie verhält sie sich zur Aszese des Katholizismus? Beide sind, so meint Weber, miteinander verwandt, und zwar beruht diese Verwandtschaft auf dem rationalen Zuge, der ihnen beiden zu eigen ist, und der, was die katholische Aszese anbetrifft, am schärfsten bei den Jesuiten zur Ausbildung | gelangt ist – nämlich emanzipiert von 1229 planloser Weltflucht und virtuosenhafter Selbstquälerei. Die unbedingte Herrschaft über das eigene Selbst – sie ist das Ziel der Exercitien des hl. Ignatius und der höchsten Formen rationaler mönchischer Tugenden überhaupt, ganz ebenso aber auch das höchste praktische Lebensideal des Puritanismus. Protestantische und katholische Aszese aber unterscheiden sich auch voneinander. Denn jener fehlen die evangelischen Räte; weit davon entfernt, der Welt zu entsagen, die Welt zu fliehen, betätigt sie sich vielmehr in der Welt: sie ist eine „innerweltliche“. Nachdem das weltflüchtige Mönchstum, der Kulminationspunkt der katholischen Aszese, einmal von Luther abgeschafft worden war, ließ sich die Aszese innerhalb des Protestantismus nicht mehr vom weltlichen Alltagsleben absondern; man sah sich darauf angewiesen, den aszetischen Idealen innerhalb des weltlichen Berufslebens nachzugehen. Ihre feste Norm behufs stetiger Orientierung empfing diese neue aszetische Lebensführung durch die Bibel, zumal durch das Alte Testament, das ja, als gleichfalls inspiriert, dem Neuen Testamente völlig gleichgestellt ward. Indem nun freilich der Unterschied zwischen der Alltagssittlichkeit als einer ethischen Ordnung gleichsam niederen Grades und der Aszese als einer höheren Sittlichkeit aufhört, ist die Aszese des Protestantismus nicht mehr ein opus supererogationis, sondern eine Leistung, die jedem zugemutet wird, der seiner Seligkeit gewiß sein will, und sie gipfelt in der Berufsidee. „Auf den Markt des Lebens hinaustretend, die Türe des Klosters hinter sich zuschlagend“, unternahm es diese neue Aszese, gerade das weltliche Alltagsleben mit ihrer Methode zu durchtränkten, es zu einem rationalen Leben in der Welt und doch nicht von dieser Welt oder für diese Welt umzugestalten. Um zu zeigen, wie sich diese Durchdringung des Alltagslebens durch die protestantische Aszese vollzog, analysiert Weber zunächst eine Reihe von Schriften, die, aus der seelsorgerischen Praxis herausgewachsen, das ökonomische Leben in den Kreis ihrer Betrachtung zogen und, wie er meint, entscheidend beeinflußten: „denn in einer Zeit, in welcher das Jenseits alles war, an der Zulassung zum Abendmahl die soziale Position des Christen hing, die Einwirkung | des Geistlichen in Seelsorge, Kirchenzucht und 1230 Predigt einen Einfluß ausübte, von dem .  .  . wir modernen Menschen uns einfach keine Vorstellung mehr zu machen vermögen, sind die in dieser Praxis sich geltend machenden religiösen Mächte die entscheidenden Bildner des Volkscharakters.“ Das Schwergewicht fällt auf die Schilderung der puritanischen Berufsethik an der Hand von Baxters Christian Directory: sie erklärt zwar den Reichtum für gefährlich, aber nur unter der Voraussetzung, daß man auf dem Besitze ausruht und sich dem Genusse hingibt. Denn nicht Muße und Genuß sind unsere Bestimmung, sondern Arbeit zur Ehre Gottes. Zeitvergeudung durch Faulheit, Geselligkeit, Luxus, übermäßigen Schlaf und untä-

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tige Kontemplation auf Kosten der Berufsarbeit ist die erste und prinzipiell schwerste Sünde. Aktives Tun seines Willens im Berufe ist Gott am meisten wohlgefällig. Harte körperliche und geistige Arbeit ist die Pflicht des Menschen, zunächst als das von altersher in der abendländischen Kirche erprobte aszetische Mittel gegen alle unlauteren Anfechtungen, aber auch darüber hinaus als Selbstzweck des Lebens: Arbeitsunlust ist ein Symptom mangelnden Gnadenstandes. Auch der Reiche darf nicht essen, ohne zu arbeiten. Bei Baxter spielt allerdings bereits die Ansicht hinein, daß man arbeiten muß zur Ehre Gottes und zur öffentlichen Wohlfahrt – also ein utilitaristischer Gesichtspunkt, der den späteren Umschlag zur utilitaristisch-liberalen Theorie vorbereitet. Er schreibt direkt die „Profitlichkeit“ von Arbeit und Beruf vor: wenn Gott den Seinigen eine Gewinnchance zeigt, so haben sie (vorausgesetzt ihre moralische Zulässigkeit) diesem Rufe (calling) zu folgen: „nicht freilich zum Zwecke der Fleischeslust und Sünde, wohl aber für Gott dürft Ihr arbeiten, um reich zu sein!“ So war der „kapitalistische Lebensstil“ direkt ein Postulat der dem Kalvinismus eigentümlichen Berufsethik und als solches in der kalvinistischen Literatur ausdrücklich anerkannt; seine tatsächliche Entwicklung und Verbreitung wurde weiterhin gefördert durch das ganze System der reformierten Ethik mit ihrem Gebote „aszetischer Lebensführung“: gerade hierin springt die Übereinstimmung mit der Eigenart des 1231 „kapitalistischen Geistes“ der Jetztzeit deutlich ins Auge, wie er typisch | ist für den „Unternehmer neuen Stils“, dessen Porträt uns ja Weber so plastisch vorgeführt hat. Denn die rationale Aszese des Kalvinismus und des Puritanismus als seiner vollkommensten Erscheinungsform wendet sich gegen den unbefangenen Genuß des Daseins und der Daseinsfreuden, wie Sport, Geselligkeit, Tanzbelustigungen, Kneipenbesuch, kurz gegen allen triebhaften Lebensgenuß, der von der Berufsarbeit und von der Frömmigkeit abzieht; sie nimmt allen nicht direkt religiös zu wertenden Kulturgütern gegenüber eine mißtrauische Stellung ein, so gegenüber der schönen Literatur, aller Sinnenkunst, Musik, Theater. Sie bekämpft alles, was nicht Gottes Ruhme, sondern der menschlichen Eitelkeit dient. Daher schreibt sie Einfachheit der Kleidung, nüchterne, von ästhetischen Rücksichten entblößte äußere Lebenshaltung vor, Vermeidung aller überflüssigen Ausgaben und Kosten, da ja der Mensch nur Verwalter der Güter ist, die ihm Gott verliehen hat, und da er dafür Rechenschaft abzulegen hat. Hier fand der für die Entwicklung des Kapitalismus so bedeutsame Gedanke seine Heimstätte, daß der Mensch seinem Besitze verpflichtet ist, daß er ihm als dienender Verwalter, als Erwerbsmaschine untergeordnet ist. Indem sie also den unbefangenen Genuß des Besitzes verwirft, schränkt sie die Konsumtion ein; zugleich entlastet sie den Erwerbstrieb von allem Drucke traditionalistischer Ethik: hatte schon Calvin das Zinsnehmen für erlaubt erklärt, so galt seinem ethischen Systeme der Erwerb, wie jeder Beruf überhaupt, nicht nur als gestattet, sondern sogar als direkt durch Gott geboten, wenngleich alle Unredlichkeit und rein triebhafte Habgier, aller Mammonismus bekämpft wurde. Allerdings, so gibt Weber zu, zeigte sich schließlich die kalvinistische Ethik als eine Kraft, die zwar das Gute wollte, aber das Böse schuf, nämlich das Böse in ihrem eigenen Sinne, den Reichtum lediglich zum Endzwecke, reich zu sein, den Reichtum mit allen seinen Versuchungen. Und das Resultat ihrer doppelten Wirkung, nämlich der Entfesselung des Erwerbstriebes und der Einschnürung der Konsumtion, mußte sein: Kapitalbildung durch aszetischen Sparzwang, indem das durch Sparsamkeit gesammelte Kapital immer wieder produktiv als Anlagekapital verwandt wurde.

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Wie nun vollzog sich – das ist das letzte Glied in der Beweiskette Webers – der | Übergang von protestantischer Berufsethik zum modernen „kapitalistischen Lebens- 1232 stil“? Von vornherein ist ja eines klar: „Die religiöse Wertung der rastlosen, stetigen, systematischen weltlichen Berufsarbeit als schlechthin höchsten aszetischen Mittels und zugleich sicherster und sichtbarster Bewährung des wiedergeborenen Menschen und seiner Glaubensechtheit mußte ja der denkbar mächtigste Hebel der Expansion jener Lebensauffassung sein, die wir hier als den ‚Geist‘ des Kapitalismus bezeichnet haben.“ Aber noch mehr: der „kapitalistische Geist“ der Jetztzeit ist direkt aus der reformierten Berufsethik hervorgegangen, und zwar durch einen Prozeß der Säkularisation. Es waren ja von Anfang an in ihr Elemente enthalten, die diesen Prozeß vorbereiteten und anbahnten. Dazu gehörte es, wenn Baxter das Streben nach Reichtum sowohl zum Ruhme Gottes als auch zur allgemeinen Wohlfahrt forderte. Darin steckte, wie schon erwähnt wurde, ein utilitaristisches Moment, das den späteren Umschlag zur utilitaristisch-liberalen Theorie einzuleiten geeignet war. Aber das wichtigste ist: der religiöse Sinn, der bisher die Grundlage des Erwerbslebens war, schwindet. Der Ka­pitalist arbeitet nicht mehr aus Motiven der Aszese zur Ehre Gottes. Es erfolgt, wie Troeltsch sich ausdrückt, eine Wendung zum Erwerbe um des Erwerbes willen, mit seinem harten und brutalen Konkurrenzkampfe, seinem agonalen Siegesbedürfnis und seiner weltlich triumphierenden Freude an des Kaufmanns Herrschgewalt; damit löst sich die kapitalistische Tätigkeit völlig von ihrem ursprünglichen Boden und wird zu einer dem echten Kalvinismus und Protestantismus entgegengesetzten Macht; diesem wachsen seine eigenen Schöpfungen über den Kopf; er wird die Geister nicht mehr los, die er gerufen hat. Aber trotzdem: wenngleich durch Verleugnung und Verkehrung des Geistes, aus dem sie erwachsen waren, in sein Gegenteil – Geist und Voraussetzungen des Kapitalismus waren nun einmal geschaffen. Oder, wie Weber sagt: „Soweit die Macht puritanischer Lebensauffassung reichte, kam sie unter allen Umständen – und das ist natürlich wichtiger als die bloße Begünstigung der Kapitalsbildung – der Tendenz bürgerlicher, ökonomisch-rationaler Lebensführung zugute; sie war ihr wesentlichster und einzig | kon- 1233 sequenter Träger. Sie stand an der Wiege des ‚modernen Wirtschaftsmenschen‘. Freilich, sobald die von ihr getragenen Elemente erst in die Höhe gelangt waren, da suchten sie bald, wie gesagt, nicht mehr den Reichtum zur Ehre Gottes, sondern um seiner selbst willen; da waren sie recht oft zur Verleugnung der alten Ideale bereit. Aber die kalvinische Aszese wurde überdauert durch ihr Werk, den durch sie entfesselten Geist des Kapitalismus. Ihre vollen ökonomischen Wirkungen entfalteten jene mächtigen religiösen Bewegungen, deren Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung ja in erster Linie in ihren aszetischen Erziehungsmitteln lag, regelmäßig erst, nachdem die Akme des rein religiösen Enthusiasmus bereits überstiegen war, der Krampf des Suchens nach dem Gottesreiche sich allmählich in nüchterne Berufstugend aufzulösen begann, die religiöse Wurzel langsam abstarb und utilitaristischer Diesseitigkeit Platz machte.“ Was jene religiös lebendige Epoche des 17. Jahrhunderts ihrer utilitaristischen Erbin vermachte, das war vor allem ein ungeheuer gutes – wie Weber wörtlich sagt – pharisäisch gutes Gewissen beim Gelderwerb, wenn anders es sich nur in legalen Formen vollzog. Eine spezifisch bürgerliche Berufsethik ist entstanden. Mit dem Bewußtsein, in Gottes voller Gnade zu stehen und von ihm sichtbar gesegnet zu werden, vermag der bürgerliche Unternehmer, wenn er sich in den Schranken formaler Korrektheit hält, sein sittlicher Wandel untadelig und der Gebrauch, den er von seinem

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Reichtum macht, kein anstößiger ist, seinen Erwerbsinteressen zu folgen, und er soll das tun. Die Macht der religiösen Aszese stellt ihm überdies nüchterne, gewissenhafte, ungemein arbeitsfähige und an der Arbeit als gottgewolltem Lebenszwecke klebende Arbeiter zur Verfügung. Die protestantische Aszese suggerierte ihnen ja als mächtigen Antrieb zur Arbeit die Auffassung der Arbeit als Beruf, als einziges Mittel, des Gnadenstandes sicher zu werden, und sie legalisierte auf der anderen Seite die Ausbeutung dieser Arbeitswilligkeit, indem sie auch den Gelderwerb des Unternehmers als „Beruf“ deutete: so wurde durch sie in zweifacher Hinsicht die „Produktivität“ der Arbeit im kapitalistischen Sinne des Wortes gefördert. So weit die Theorie Webers von der Her|kunft des „kapitalistischen Geistes“ aus der 1234 innerweltlichen Aszese des Kalvinismus. Wir haben sie bei dem komplizierten Charakter ihrer Gedankengänge möglichst eingehend und zur Vermeidung von Irrtümern möglichst in Anlehnung an den Wortlaut ihrer Ausführung wiedergegeben. Wir gehen jetzt an ihre Prüfung, wenigstens was ihre wesentlichen Bestandteile anbelangt. Es sind ihrer drei: zunächst die Erörterung dessen, was unter „kapitalistischem Geiste“ zu verstehen ist; alsdann die Berufsethik Calvins und des Kalvinismus und ihre Stellung zum Wirtschaftsleben, endlich der faktische Einfluß des Kalvinismus auf die Entwicklung des „kapitalistischen Geistes“ und des Kapitalismus.

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II. Was ist nach Weber „kapitalistischer Geist“? Eine ethisch gefärbte Maxime der Lebensführung, und zwar gipfelt diese Ethik im Streben nach Gelderwerb; dieser ist Selbstzweck, abgelöst von allem Streben nach Genuß, so daß daneben die Rücksicht auf das „Glück“ oder auf den „Nutzen“ des Individuums vollkommen zurücktritt: das ist das Leitmotiv des Kapitalismus. Er ist gekennzeichnet durch seinen Gegensatz zum „Traditionalismus“, der für den „traditionellen Bedarf“ arbeitet; denn so ist ja die menschliche Natur angelegt, man will nicht schlechthin verdienen, sondern eben nur so viel, wie man zur Lebenshaltung braucht und zu brauchen gewöhnt ist. Dagegen arbeitet der kapitalistische Geist für den über den traditionellen Bedarf hinausgehenden Erwerb, und zwar nur des Erwerbes halber, unter bewußtem Verzicht auf alle anderen Motive. Der reine Gelderwerb wird als Beruf aufgefaßt, und gerade darin liegt das ethische Moment des „kapitalistischen Geistes“, daß man sich diesem seinem Berufe gegenüber verpflichtet fühlt, daß man durchdrungen ist vom Postulate der Tüchtigkeit auch in diesem Berufe: das ist ein irrationales Element, das der menschlichen Natur an sich widerstrebt. Diese Auffassung vom „kapitalistischen Geiste“ ist auf der einen Seite zu eng, auf der anderen zu weit; es werden in sein [lies: seinen] Bereich Dinge gezogen, die sicherlich nicht von ihm getragen sind, und solche ausgeschlossen, die nicht minder unzwei1235 felhaft seinen Stempel tragen. Bedenken erregt bereits der Aus|gangspunkt: sind traditionalistisches Bedarfswirtschaftssystem und kapitalistisch gerichtetes Erwerbswirtschaftssystem wirklich so scharf gesondert, wie Weber annimmt? Streben nach „Bedarfsdeckung“ und nach „Erwerb“ sind nur relative Gegensätze. Es gilt nicht die Alternative: Arbeiten entweder um des Bedarfes willen oder um des Erwerbes halber; man arbeitet vielmehr entweder nur für seinen Bedarf oder auch darüber hinaus, um mehr zu erwerben, als man braucht, und dieses letztere Motiv geht doch nicht so gegen

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die menschliche Natur, wie Weber und Troeltsch behaupten. Wenn es gleich viele gibt, die zufrieden sind, wenn sie erworben haben, was sie brauchen, so fehlt es doch auch keineswegs an solchen, die vom Bestreben erfüllt sind, falls sich ihnen nur Gelegenheit und Mittel bieten, mehr zu erwerben, als sie brauchen, Schätze nicht nur aufzuspeichern, sondern immer wieder produktiv zu verwerten, d. h. Kapital umzuschlagen: es gibt und gab von jeher Menschen beider Kategorien, und es braucht nicht erst eine übergewaltige religiöse Geistesmacht, wie der Kalvinismus mit seiner „Aszese“ in die Geschichte einzutreten, um solche der zweiten Art zu schaffen, d. h. den mit der Natur des Menschen an sich unvereinbaren und bis dahin auch tatsächlich mangelnden „kapitalistischen Geist“ zu erwecken oder auch etwa nur zur Reife zu bringen. Weber setzt traditionalistisches Bedarfswirtschaftssystem und von „kapitalistischem Geiste“ getragenes Erwerbswirtschaftssystem als absolute Gegensätze. Ist denn aber, was davon die logische Konsequenz wäre, jeder Versuch, über das durch die Tradition überlieferte Wirtschafts- und Bedarfsniveau hinauszugelangen, bereits als eine Emanation „kapitalistischen Geistes“ zu betrachten? Daß Weber tatsächlich dieser Ansicht ist, erhellt schon daraus, daß er an mehreren Stellen ausdrücklich „die aufstrebenden Schichten des Mittelstandes“ als die Träger „derjenigen Gesinnung“ erklärt, die er unter kapitalistischem Geiste versteht. In solchen Fällen aber kann es sich wenigstens oft nur um ein Streben nach besserer Lebenshaltung, nach Erhebung in ein höheres gesellschaftliches Milieu, nach größerem Anteil an den mannigfaltigen Genüssen des Lebens und den Gütern der Kultur, vor allem aber um Förderung der Nachkommenschaft handeln. Es läge | dann vor ein Streben nach Deckung eines Bedarfes, der über 1236 das „Traditionalistische“ hinausgeht, aber keineswegs ein Streben nach Sammlung und Umschlag von Kapitalien. Was aber ist das für ein „kapitalistischer Geist“, der darauf nicht nur nicht ausgeht, sondern auch eventuell darauf anderer Zwecke halber von vornherein bewußt verzichtet? Kann somit vieles von dem, was Weber als Emanation „kapitalistischen Geistes“ ansehen müßte und auch in der Tat ansieht, keineswegs mit diesem Worte im üblichen Sinne bezeichnet werden, so müßte er dieses Prädikat andererseits zahlreichen wirtschaftlichen Erscheinungen versagen, denen es nach dem allgemeinen Sprachgebrauch gebühren würde. Dabei entbehrt seine Auffassung nicht des inneren Widerspruchs. Nach ihr ist es möglich, daß ein bestimmtes wirtschaftliches Handeln als getragen vom kapitalistischen Geiste erklärt werden muß, weil es aus dem Rahmen des traditionellen Bedarfsdeckungssystems herausfällt; trotzdem muß in diesem Falle aber das Walten des „kapitalistischen Geistes“ geleugnet werden, weil das betreffende Handeln nicht rein abzulösen ist von den Motiven des Genusses, der Rücksicht auf „Glück“ und „Nutzen“. Wohl gibt es genug Kapitalisten ohne besonders entwickelten „kapitalistischen Geist“; es ist wohl sogar Kapital möglich, bei dessen Bildung „kapitalistischer Geist“ nicht im Spiele war, indem z. B. glückliche Konjunkturen bisher wertlosem Grundbesitz aus Zufall und jedenfalls ohne Zutun des Besitzers eine riesenhafte Preissteigerung brachten; oder infolge plötzlichen Steigens bisher relativ wertloser Aktien, die man im Erbgange erhalten hat, u. a. m. Aber setzen wir einen Fall, für dessen tatsächliches Vorkommen Geschichte und Gegenwart uns unzählige Belege zu bieten vermögen: ein Unternehmer ist erfüllt von einem über das Maß jeglicher (nicht nur traditioneller) Bedarfsdeckung weit hinausgehenden Erwerbstrieb, der ihn zum Gewinn und Umschlag immer neuer und größerer Kapitalien anreizt und instand setzt; es tritt aber in ihm der Erwerbstrieb nicht isoliert auf, sondern es mischen sich bei ihm mit dem

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Streben nach Gewinn noch andere Motive, Rücksicht auf das „Glück“ und den „Nutzen“, sei es der eigenen Person oder auch anderer, zumal der Familie, Streben nach Genüssen, Ehren, Macht, glänzender | Zukunft der Nachkommen usw.: werden wir diesem Kapitalisten deshalb die Triebfeder des „kapitalistischen Geistes“ absprechen, bei | dem von ihm gesammelten Kapital die Provenienz aus dem „kapitalistischen Geiste“ leugnen wollen und dürfen? | Ganz anders sieht, wie wir wissen, das Bild des Unternehmers „neuen Stils“ aus, wie Weber es entworfen hat; es ist ein „Idealtypus“, wie er vorkommen mag, aber keineswegs die Regel ist. Ich habe in meiner Jugend in meiner Heimat, dem schlesischen Gebirge, so manche Textilfabrikanten gekannt, auf die die Webersche Schilderung der geschäftlichen Qualitäten dieses Idealtypus sehr wohl zutrifft, die ihre Konkurrenten weit überflügelten und Vermögen sammelten; aber was ich an ihnen nicht entdecken kann, das ist die von Weber behauptete Isoliertheit des Motivs. Ihr Erwerbstrieb, wie kräftig auch entwickelt, ward getragen und sekundiert von einer Fülle anderer Motive, für die der Gelderwerb nur Mittel zum Zwecke war. Dem reichen Geschäftsmanne, von dem Weber erzählt, daß er nur mit Mühe zu dem ärztlich verordneten Austerngenusse zu bewegen war, kann wohl jedermann aus persönlicher Kenntnis mehr als einen anderen Kapitalisten entgegenstellen, an dessen „kapitalistischem Geiste“, im üblichen Sinne des Wortes gesprochen, nicht zu zweifeln ist, der sich aber in den Tagen vollster Gesundheit, und gerade dann mit dem größten Genusse, die köstlichen Schalentierchen sehr wohl munden läßt. Sollten nicht solche Artikel in diesen Kreisen jetzt, wie früher, immer noch am meisten konsumiert werden, jedenfalls mehr, als in den übrigen Schichten der sogenannten „besseren Gesellschaft“? Fast möchte ich glauben, daß die Delikatessenhändler, falls in der Sphäre des „kapitalistischen Geistes“ plötzlich „aszetische“ Lebensgewohnheiten einzögen, aus Mangel an Kundschaft ihre Läden schließen könnten. Für den Anfänger mit geringen Mitteln, der erst noch emporkommen muß, sind gewisse Eigenschaften sehr förder|lich und selbst sogar unentbehrlich: Fähigkeit, das Vertrauen von Arbeitern und insbesondere Kunden zu gewinnen, Spannkraft und Arbeitskraft, Mäßigung im Genusse. Inwieweit es sich dabei um „ethische“ Qualitäten handelt, kommt auf den einzelnen Fall an: am nützlichsten zum Zwecke des Reichwerdens werden ihm wohl die spezifisch „geschäftlichen Tugenden“ sein, und mancher, in dem sich der kapitalistische Geist recht kräftig, ungehindert und erfolgreich auswirkte, hat sich nicht immer solcher Mittel bedient, die „ethisch“ ganz einwandfrei waren. Die Hingabe an den Beruf, das Pflichtbewußtsein, das die Tüchtigkeit, die Bewährung im Berufe zur inneren Forderung erhebt, – das ist wohl ein ethisches Moment, welches, wie alle Berufe, so auch den des Geschäftsmannes adeln soll; aber für Existenz und Wirksamkeit des kapitalistischen Geistes ist es ganz gleichgültig, welche Zwecke dem Kapitalisten als Leitmotiv vorschweben, ob der des Gelderwerbens in reiner Isoliertheit, oder auch andere, und gerade diese anderen können unter Umständen der Tätigkeit des Unternehmers eine besonders ausgeprägte ethische Nuance verleihen. Es kann andererseits recht zweifelhaft sein, ob eine Wirksamkeit, die den Gelderwerb als reinen Selbstzweck statuiert, überhaupt noch das Prädikat „ethisch“ verdienen würde. Denn aus einer also gerichteten „Berufsethik“ könnten Handlungen entspringen, die sich nicht mit den allgemeinen ethischen Grundsätzen vertragen. Mit andern Worten: jede spezielle Berufsethik empfängt ihre Normen aus dem Schatze der allgemeinen Ethik, und wer möchte leugnen, daß gerade eine auf den Gelderwerb gerichtete Berufsethik solcher Normierung und Abhängigkeit von den Grundsätzen

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allgemeiner Sittlichkeit am | dringendsten bedarf? Aber selbst wenn sie sich dessen 1251 entschlagen würde, würde man ihren Äußerungen das Kriterium des „kapitalistischen Geistes“ nicht versagen dürfen, wenn sonst die dafür erforderlichen Voraussetzungen vorhanden sind. Wie wahr es auch immer ist, daß der vom „kapitalistischen Geiste“ ergriffene Mensch zur bloßen Erwerbsmaschine herabsinken kann, so braucht doch bei ihm das Motiv keineswegs so isoliert zu sein, daß Webers Auffassung vom Wesen des „kapitalistischen Geistes“ als erschöpfend und richtig anerkannt werden könnte; wenn sie richtig wäre, so würde es selbst heutzutage wenig genug vom „kapitalistischen Geiste“ geben, und aus ihm heraus wäre dann nur sehr wenig von dem tatsächlich existierenden Kapital abzuleiten. Die Einengung des Begriffes, wie sie Weber vornimmt, widerspricht sowohl dem Sprachgebrauch als auch dem Sachverhalte. Nicht einmal Troeltsch teilt vollkommen Webers Standpunkt. Dieser kennzeichnet den Träger des „kapitalistischen Geistes“ dahin, daß er Ostentation und Aufwand scheue, daß er gesellschaftliches Ansehen und bewußten Genuß der Macht verschmähe, daß er nichts von seinem Reichtum habe, als die „irrationelle Empfindung der Berufserfüllung“, was, wenn faktisch in reiner Isoliertheit wirksam, in der Praxis, wie ich fürchte, auf einen ungezügelten Erwerbstrieb hinauslaufen würde, der sich kaum noch von dem unterscheidet, was man sonst Geldgier, Habsucht oder Geiz zu nennen pflegt, also eine „Berufsethik“ begründen würde, die der Sittlichkeit ins Gesicht schlüge. Steht es über Webers Charakteristik des „Unternehmers neuen Stils“ in Einklang, wenn Troeltsch dem modernen Kapitalismus neben „hartem und brutalem Konkurrenzkampfe“ auch „agonales Siegesbedürfnis und weltlich triumphierende Freude an des Kaufmanns Herrschgewalt, Arbeit für den Machtgewinn zur Ehre der Menschen“ vorwirft? Wenn es nun nach Weber „Zweck der idealtypischen Begriffsbildung“, wozu ja auch sein Begriff des „kapitalistischen Geistes“ gehört, „überall ist, nicht das Gattungsmäßige, sondern umgekehrt die Eigenart von Kulturerscheinungen scharf zum Bewußtsein zu bringen“8), so darf man wohl doch die Frage | stellen: Gehört denn der Verzicht auf Macht und auf alle anderen Motive 1252 überhaupt so sehr zur „Eigenart“ des „kapitalistischen Geistes“, daß man unter diesem Gesichtspunkte auch nur seinen „Idealbegriff“ formen darf? Wird man den „kapitalistischen Geist“ bestimmen wollen, wie er im Laufe der Geschichte gewirkt hat, wie er noch heute wirkt und stets wirken wird, so wird man sagen müssen: er ist eine Betätigung des Erwerbstriebes, die über die (zwar nicht traditionelle, aber) vom Erwerbenden selbst als notwendig und erstrebenswert erachtete Bedarfsdeckung hinausgreift, die Ansammlung von Kapitalien und nach Möglichkeit ihr [lies: ihre] weitere gewinnbringende Anlegung verfolgt. Sie kann sich kombinieren (und das ist die Regel) mit anderweitigen Motiven der verschiedensten Art, wie Lebensgenuß, Sorge für die Familie, Streben nach Ehren, Macht, nach Wirksamkeit im Dienste des Nächsten und der Gesamtheit, der Nation und der nationalen Wohlfahrt. Sie kann getragen sein von einer speziellen Berufsethik, kann aber auch im Gegensatze stehen zu allgemeinen ethischen Grundsätzen der Zeit und des Volkes. Die eigentümliche Bewährung im Berufe aber hat bei ihr nicht ihr Kriterium im Verhältnisse zur Konsumtion – jedenfalls nicht in höherem Grade, als das bei anderen Berufen der Fall ist; es ist nur, wie bei diesen, darauf zu achten, daß nicht ein Mißverhältnis zwischen Ein8) Vergl. Weber, Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer 1251 Erkenntnis, Archiv für Sozialwissenschaft 19, S.  76. |

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nahme und Ausgabe eintritt, und es muß hier speziell der Bedarf eine Grenze an der Bereitstellung der für die Erhaltung und Erweiterung des Betriebes im Rahmen der Rentabilität erforderlichen Mittel finden. Insoweit nicht gegen dieses Postulat verstoßen wird, liegt die Bewährung im kapitalistischen Berufe nicht, um das noch einmal zu betonen, auf dem Gebiete der Konsumtion durch möglichste Einschränkung der Ausgabe, womit die Nützlichkeit des Sparens für Kapitalisten, zumal für den Anfänger, keineswegs geleugnet werden soll –, sondern im spekulativen Kalkül, in der schnellen und sicheren Erfassung der jeweiligen geschäftlichen Konjunktur unter rechenmäßiger Schätzung des Verhältnisses, in welchem die anzuwendenden Mittel zum voraussichtlichen Erfolge stehen. „Kapitalistischer Geist“ ist ein Erwerbstrieb, der auf dem Grunde 1253 einer spekulativen Veranlagung dieser Art die An|sammlung von Kapital erstrebt. Die theoretischen Disziplinen sind nicht meine Domäne, und ich erhebe keinen Anspruch darauf, daß dieser Definition absolute Geltung zukommt; aber sie kommt gewißlich der Wahrheit näher als der „idealtypische Begriff“ Webers, und durch ihre Anwendung wird eine richtigere Erkenntnis des historischen Verlaufes bewirkt.

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III. Welches war die Stellung Calvins und des Kalvinismus zum Wirtschaftsleben und insbesondere zum Kapitalismus? Wir erörtern zuerst die des Stifters der Genfer Kirche. Unzweifelhaft hat Calvin für eine freiere Betrachtung der ökonomischen Verhältnisse vom religiösen Standpunkte aus gewirkt. Noch Luther verharrt bekanntlich bei dem kanonischen Zinsverbote; erst Zwingli billigte ein Zinsnehmen innerhalb mäßiger Grenzen, nämlich bis 5 Prozent. Seinem Vorgange schloß sich Calvin an9); ausführlich legte er die Rechtmäßigkeit des Kapitalzinses dar durch den Hinweis auf die Produktivität des Geldes und auf das Opfer, das der Darleiher bringe, indem er zugleich die Ableitung des Zinsverbotes aus der Bibel bekämpfte. Selbst den Geistlichen gestattete er, ihr Vermögen zinstragend anzulegen, nur unter Vermeidung von Ärgernis; er erblickte im Reichtum kein Hindernis für ihre Amtsführung, vielmehr eine sehr erwünschte Steigerung ihres Ansehens.10) Abweichend von Luther betonte er nicht einseitig die Produktivität des Ackerbaus, sondern auch die von Gewerbe und Handel; er verteidigte den Gewinn des Großhandels. Insofern darf man sagen, daß er einer freieren Berufsethik auch für die kapitalistische Unternehmung die Bahn geebnet hat; aber diese sollte doch immer ihre Norm und Grenze an den allgemeinen Vorschriften seiner Ethik finden: die christliche Liebe sollte nicht verletzt und aus dem Zinsnehmen kein Geschäft gemacht werden.11) Daher umgab er das Zinsnehmen mit zahlreichen Restriktionen, von denen manche der ungehemmten Auswirkung kapitalistischen Geistes 1254 nicht gerade günstig waren, z. B. daß der Reiche den | Armen nicht deshalb, weil sie ihm zu geringe Sicherheit böten, Darlehen verweigern dürfe, daß der Schuldner mit dem Darlehen ebensoviel gewinnen solle, wie der Gläubiger, daß neben dem privaten Nutzen auch auf das Beste des Staatswesens Rücksicht genommen werden müßte. Man

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9) Vergl. Elster, Johann Calvin als Staatsmann, Gesetzgeber und Nationalökonom, Jahrb[ücher] für Nat[ional]-Ökon[omie] und Statistik XXXI, 196 ff. 10)  Weber II 76. 11)  Kampschulte, Johann Calvin 1869, I 429. |

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sieht, daß der Spielraum, der durch ihn dem kapitalistischen Geiste vergönnt wurde, doch ziemlich beschränkt war. Man darf die praktische Wirkung der Wirtschaftslehre Calvins im Gegensatze zu der des Katholizismus und Luthers nicht etwa insofern überschätzen, als man daran erst die Entwicklung des kapitalistischen Geistes zu knüpfen versucht. Der Drang der Umstände selbst hatte schon längst die faktische Ausschaltung des Zinsverbotes bewirkt, und Calvin sanktionierte lediglich für seine Anhänger das förmlich, was praktisch längst geübt wurde. Mit Recht ist darauf aufmerksam gemacht worden, daß in Genf selbst schon vor Calvin das Zinsnehmen erlaubt und ein Maximum fixiert war, und daß wohl gerade durch diese Praxis Calvin bei der Ausbildung seiner Lehre beeinflußt wurde. Auch war er gegen die Ansammlung großer Reichtümer; er wollte das Volk in Armut erhalten wissen, damit es im Gehorsam bleibe; keineswegs war der wohlhabende Industriestaat sein Ideal: „Das ungünstige, zürnende Urteil, welches er wiederholt über die großen Industrie- und Handelsstädte seiner Zeit, über Venedig und Antwerpen, fällt, beweist zur Genüge, wie wenig er selbst jenes Verdienst für sich in Anspruch nahm, das seine Verehrer im 16. und 19. Jahrhundert ihm zugesprochen haben.“12) Treffend hat Elster Calvins Bedeutung für die volkswirtschaftliche Entwicklung dahin formuliert: „Vor allem hat er ein Moment im Handel und Gewerbe segensreich zur Geltung gebracht: die Arbeit des sittlichen Menschen. Calvin hat deutlich darauf hingewiesen, daß nicht allein die physischen und die geistigen, sondern vor allem auch die moralischen Kräfte des Menschen bei der Produktion in hohem Maße mitwirken müssen; immer und immer wieder hat er betont, daß die sittlichen Eigenschaften, daß Fleiß und Ausdauer, Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit, wie in allen Handlungen des Menschen, so auch auf | wirtschaftlichem Gebiet tätig sein müssen“: 1255 die Durchdringung der Arbeit mit dem Geiste christlicher Sittlichkeit – darin liegt das, was in Calvins Lehre eine Entwicklung des kapitalistischen Geistes und der volkswirtschaftlichen Verhältnisse in kapitalistischem Sinne fördern konnte, aber ihnen auch, im ganzen Zusammenhange seiner Lehre und seines Wirkens, hin und wieder hemmend in den Weg treten mußte. Jedenfalls kann es ganz schiefe Vorstellungen im Leser erwecken, wenn Troeltsch bei der Erwähnung der kalvinischen Lehre vom Zins bemerkt: „Bei aller Strenge gegen den Wucher ist ein mäßiger Zins, über dessen Höhe die Obrigkeit wacht, ein unentbehrliches Mittel des Gedeihens. So verwendet sich die Genfer vénérable compagnie selbst für Errichtung einer Darleihungsbank, so entstehen die großen Handelskompagnien, die großen Banken und die großen Unternehmer.“ Der kausale Zusammenhang, der durch diese Ausdrucksweise zwischen Calvins Zinslehre und der Entstehung der großen Kompagnien, Banken und Unternehmungen angedeutet wird, ist tatsächlich nicht vorhanden. Noch fruchtbarer für die ökonomische Entwicklung unter der Ägide des „kapitalistischen Geistes“ als Calvins spezielle Wirtschaftslehre aber war, wie wir hören, die kalvinische Berufsethik wegen des ihr innewohnenden Prinzips der „innerweltlichen Aszese“. Wir kommen damit zum Problem der kalvinistischen und überhaupt der altprotestantischen Aszese. Schon früher hat man davon gesprochen, daß Calvin in Genf die Herrschaft der Aszese eingeführt, daß das daselbst von ihm gehandhabte Regiment einen aszetischen Zug getragen habe. Man dachte dabei vornehmlich an die von ihm geübte strenge Sittenzucht, an seinen Kampf gegen den altgenfischen Hang zu Luxus 12) 

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und Vergnügen. Es ist klar, welcher Sinn dem Worte in diesem Zusammenhange beizumessen ist, – der einer gewissen Abwendung von der Welt und ihren Genüssen, einer auf rigoroser Moralität beruhenden Feindschaft gegen Lebensfreude und Genuß der Kulturgüter. Nun ist allerdings zu beachten, daß dieser, wenn man so will, „aszetische Zug“ in Calvins praktischer Wirksamkeit in Genf besonders scharf hervortritt, weil es hier den Kampf gegen eine fest eingewurzelte arge Sittenverderbnis galt. An und für 1256 sich | hielt der Reformator die Freude selbst an materiellen Genüssen keineswegs für unstatthaft, sondern sogar in Ansehung, daß es sich um Geschenke Gottes handle, für geboten, insofern sie nur das Übermaß vermeide.13) Gewiß haften Calvins Religiosität mit Einschluß seiner Ethik und Berufslehre gewisse pessimistisch-weltflüchtige Züge an, entspringend aus seinem eschatologischen Gedankenkreise14); es ist aber mit Recht hervorgehoben worden, daß ihnen im Ganzen seiner Religiosität keineswegs eine „herrschende Stellung“, sondern nur eine sekundäre Bedeutung gebührt, und daß auch sie sich dem Hauptbegriffe Calvins sowohl für seine Dogmatik als auch für seine Ethik unterordnen lassen – nämlich des Dienstes zur Ehre Gottes. Nicht an eine „Aszese“ dieser Art denkt Weber, wenigstens zunächst, wenn er den kapitalistischen Geist, wie er ihn versteht, aus der „innerweltlichen Aszese“ des Kalvinismus hervorgehen läßt. Für ihn ist „Aszese“, wie wir wissen, eine rationalistische, d. h. methodisch gepflegte und kontrollierte Lebensführung, derzufolge jede Handlung auf Gott bezogen wird; ihr „innerweltlicher“ Charakter wird dadurch begründet, daß sie nicht, wie die katholische Aszese, aus der Welt flieht, sondern sich im Alltagsleben betätigt. Im allgemeinen übernimmt Troeltsch, wo er von den Einwirkungen des Kalvinismus auf das Wirtschaftsleben spricht, die Webersche Auffassung von der kalvinistischen Aszese; doch läßt sich nicht verkennen, daß die Webersche Auffassung von der Ansicht vom Wesen der „altprotestantischen Aszese“, wie Troeltsch sie sonst vertritt, erheblich abweicht. Da für den Altprotestantismus wie für den Katholizismus das Jenseits das Wesentliche ist, kommt den irdischen Gütern und Ordnungen, so führt Troeltsch in seiner Lehre aus, kein Selbstzweck zu; nichts Weltliches hat einen Wert in sich selbst, so daß wir uns nur um seinetwillen daran erfreuen könnten; alles dient nur dem religiösen 1257 Zwecke; Kunst und Wissenschaft sind nur | für die Erbauung oder für den Nutzen. „Mitten in der Welt die Welt zu überwinden; sie haben, als hätte man sie nicht; ihre Werke tun und doch das Herz im Himmel haben; keine besonderen Bedingungen und Umstände für die Heiligkeit suchen, sondern sie im strengsten Ernst unter Schickung in die natürlichen Lebensordnungen betätigen; von der Welt empfangen, was ihr Wesen ist, das Leiden und die Strafe für die Sünde, dagegen an ihr tun, was des Geistes ist, die Selbstverleugnung und Liebe: das ist protestantische Askese.“15) Keineswegs deckt sich dieser Begriff der altprotestantischen Aszese, wie ihn Troeltsch entwickelt, vollkommen mit dem Webers. Sie stimmen wohl in manchen Punkten überein, aber nicht in allen. Auch Troeltsch gesteht der protestantischen Aszese, weil sie sich im Gegensatze zur katholischen „nicht in einem Leben außer und

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13) 

Doumergue, Jean Calvin, 1905, III 535. futurae vitae. Ihr Begriff und ihre herrschende Stellung im System Calvins, 1901.  Calvins Jenseits-Christentum in seinem Verhältnisse zu Erasmus, 1902.  W. Lüttge, Die Rechtfertigungslehre Calvins, 1909, S.  104 ff.  Lang, Johannes Calvin, 1909, S.  76 f. | 15)  Hinnebergs Kultur der Gegenwart a. a. O. 263. | 1257 14) M. Schulze, Meditatio

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neben der Welt äußert“, das Prädikat „innerweltlich“ zu. Was das Verhältnis der lutherischen zur kalvinistischen innerhalb der gesamt-altprotestantischen Aszese betrifft, so führt Troeltsch aus: „[Die kalvinische Ethik] ist motiviert wie die lutherische, und ist Berufsethik wie diese; aber ihr ist gelungen, was der lutherischen bei aller Betonung der Freiheit und des Gesinnungscharakters des neuen Lebens wegen ihres beständigen Ausruhens in der Sündenvergebung nicht gelang, die Rationalisierung der Ethik zu einem planmäßigen, zusammenhängenden strengen Ganzen der Lebensführung. .  .  . Die innerweltliche Askese ist hier an sich nicht stärker entwickelt als im Luthertum“; der Unterschied ist nur der: Das Luthertum duldet die Welt in [lies: im] Kreuz von Leid und Martyrium, der Kalvinist meistert sie zur Ehre Gottes in rastloser Arbeit um der in der Arbeit liegenden Selbstdisziplin und des mit ihr erreichten Gedeihens der christlichen Gemeinde willen. Die lutherische Aszese trägt somit einen mehr passiv-resigniertpessimistischen Charakter; die kalvinische ist erfüllt vom Geiste der Aktivität, des Heroismus und der Initiative. Damit gelangen wir zur fundamentalen Differenz zwischen Troeltsch und Weber in der Auffassung von der altprotestantischen Aszese. Was bei Troeltsch nur eine Besonderheit der kalvinischen innerhalb der gesamt|altprote­ 1258 stantischen Aszese ist, nämlich „die Rationalisierung der Ethik zu einem planmäßig zusammenhängenden strengen Ganzen der Lebensführung“ – das ist für Weber das Kennzeichen jeder, sogar der katholischen Aszese. Die Konsequenz seiner Abweichung von der spezifisch Troeltschschen Auffassung müßte also darin bestehen, daß er dem Luthertum die Aszese abspricht, weil der lutherschen Ethik die Rationalisierung abgeht, d. h., daß er von einer gesamt-„altprotestantischen Askese“ im Sinne von Troeltsch nichts weiß. Und dem ist so in der Tat; beginnt doch sein zweiter Aufsatz mit den Worten: „Die geschichtlichen Träger des asketischen Protestantismus (im hier gebrauchten Sinne des Ausdrucks) sind in der Hauptsache viererlei:  1. der Kalvinismus in der Gestalt, welche er in den Hauptgebieten seiner Herrschaft im Laufe insbesondere des 17. Jahrhunderts annahm,  2. der Pietismus,  3. der Methodismus,  4. die aus der täuferischen Bewegung hervorgegangenen Sekten. Keine dieser Bewegungen stand den anderen absolut gesondert gegenüber, und auch die Absonderung von den nicht asketischen Reformationskirchen ist keine streng durchgeführte.“ Welche Vorstellungsinhalte man aber auch immer auf den Ausdruck „Aszese“ beziehen möge, es muß geprüft werden, ob die Beziehung eine richtige ist, oder zum mindesten ob sie nicht vielleicht imstande wäre, Mißverständnisse hervorzurufen. Was nun die Behauptung Troeltschs von der Existenz einer altprotestantischen Aszese im allgemeinen anbelangt, so bemerkt Loofs in der ausgezeichneten Kritik, der er Troeltschs Einschätzung der Bedeutung Luthers für den Gang der Geschichte unterworfen hat,16) sehr treffend: „Eine Stimmungsdifferenz zwischen altprotestantischem und modern christlichem Empfinden gegenüber der Welt will ich nicht leugnen. Aber sie ist minimal dem gegenüber, daß der Grundton aller lebendigen Frömmigkeit nie der der Diesseitigkeit sein kann.“ So ist es auch in der Tat: Jede wahrhaft christliche Religiosität wird den Schwerpunkt der Dinge stets im Jenseits suchen und das Diesseits nur als eine Vorbereitung oder ein Durchgangsstadium nach dem Jenseits ansehen. Ob das nun freilich | eine „aszetische“ Tendenz genannt werden darf, steht dahin; gewißlich ist es 1259 eine relative Indifferenz gegenüber dem Irdischen, die allerdings keineswegs den Chri16) Luthers Stellung zum Mittelalter und zur Neuzeit. Hallenser Rektoratsrede von 1258 1907. |

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sten zu hindern braucht, sich sehr aktiv in der Welt zu betätigen, in die er nun einmal gestellt ist. Man kann sogar nicht einmal sagen, daß diese trübe und pessimistisch gefärbte Jenseitsstimmung nur den Vätern des Altprotestantismus, Luther und, wie wir aus den früheren Ausführungen wissen, auch Calvin, zu eigen gewesen sei, daß sie ein Ergebnis der für sie charakteristischen Grundlehre von der allgemeinen Verderbnis des natürlichen Menschen sei. Um zu beweisen, daß die innerweltliche Aszese des Altprotestantismus „wahrhafte Askese“ sei, weist Troeltsch auf ihren Gegensatz zur „Geisteswelt der Renaissance“ hin. Aber Erasmus, der Fürst der Renaissance, der von der Erbsündenlehre Luthers und Calvins weit entfernt war, teilte diese pessimistische Jenseitsstimmung „der wirklichen Reformatoren“ durchaus; ja es ist sogar neuerdings nachgewiesen worden, daß Calvin gerade in diesem Punkte, zum mindesten was die Form der Äußerung anbelangt, von Erasmus abhängig ist; man sieht: sie ist das gemeinsame Gut jeglicher christlichen Religiosität im Zeitalter der Reformation, auch der des ausschließlich biblizistisch und moralistisch gerichteten Humanismus. Und auch jede christliche Religiosität der Gegenwart, mag sie sich von den historischen Formen des Bekenntnisses innerlich noch so weit freigemacht haben, wird im Jenseits den wahren Zielpunkt ihres Sinnens und Trachtens, die letzte Bestimmung des menschlichen Lebens erblicken müssen. Das eben ist die Frage: Was ist Aszese? Troeltsch definiert sie als die „Konzentration alles Handelns auf das Leben in Gott und die Fernhaltung alles Störenden“. Auf dasselbe läuft es hinaus, wenn Weber unter dem aszetischen Lebensstile eine an Gottes Willen orientierte rationale Gestaltung des ganzen Lebens versteht, die beim Kalvinismus an der Bibel normiert ist. Aber darf man das wirklich schon „Aszese“ nennen? Sehr wohl, wenn man den Ausdruck rein wörtlich nimmt; denn dann bedeutet er „Übung“: Aszese wäre dann also eine beständige Übung, gemäß dem Willen Gottes im allgemeinen und im einzelnen gemäß seinen speziellen Geboten, wie sie in der Bibel 1260 niedergelegt | sind, zu leben und darnach alle Handlungen einzurichten, das natürliche Triebleben also unter die Herrschaft dieses Gesichtspunktes zu stellen. Aber dann wäre die Aszese in Ansehung ihrer Geltung für das Laienelement, oder besser gesagt, für die Gesamtheit der Gläubigen nichts, wodurch sich der Altprotestantismus vom Katholizismus unterscheiden würde. Denn auch der katholische Laie muß Gott bei allem seinem Tun und Lassen „vor Augen haben“; auch er ist verbunden, alle seine Handlungen nach Gottes Willen einzurichten, wie er in den Satzungen der Schrift, zu deren Auslegung allerdings allein die Kirche befugt ist, und in den Geboten der vom heiligen Geiste geleiteten Kirche zum Ausdrucke gelangt. Es gibt doch wohl niemanden, der da glaubt, die „doppelte Moral“ des Katholizismus gipfle darin, daß der Laie dieser Pflicht enthoben wäre. Wie lax auch immer die Praxis sein möge, die im Leben und auch in der Seelsorge in diesem Punkte wohl geübt worden ist, die kirchliche Lehre hat nie anders gelautet. Nun wird tatsächlich nicht nur in der protestantischen,17) sondern auch in der

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17) Es

wäre dafür neben Troeltsch und Weber noch Seeberg (Prot[estantische] RealEnz[yklopädie] II3 139 f.) zu nennen, der unter Aszese dasjenige sittliche Handeln versteht, welches sich auf die natürlichen Kräfte und Gaben des Menschen richtet mit dem Zweck, diese zu Organen des neuen sittlichen Lebens zu gestalten, und den Menschen zur Tragung des von Gott geschickten (nicht mutwillig selbst auferlegten) Leidens zu stählen; das ist eine „Übung“, die eine Disziplinierung der natürlichen Kräfte anstrebt behufs Ausübung des Guten, und dieses Ziel erreicht der Christ durch die Stetigkeit und Regelmäßigkeit guten Handelns.

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katholischen Theologie eine Aszese gelehrt, die eine bloße „Übung“ involviert; es soll nämlich darunter verstanden werden „der Inbegriff alles dessen, was dazu dient, sittliche Vollkommenheit zu erlangen und uns die ewige Auserwählung zu sichern.“18) Daß der Begriff dieser Aszese sich nahe mit dem Troeltsch-Weberschen berührt, liegt auf der Hand; auch sie läuft auf die Forderung hinaus, „den alten Menschen auszuziehen und einen neuen anzuziehen nach dem Bilde Gottes“, und sie stellt ein Ideal auf, dem alle, jeder nach Kräften und Gelegenheit, nachstreben sollen. Dabei ist freilich immer noch zu beachten, daß die Aszese selbst in dieser Fassung des Begriffes für den Katholizismus | nicht etwa die Voraussetzung für die Erlangung des Heils, sondern nur ein 1261 Mittel zu seiner Beförderung ist; sie ist keineswegs ein Praeceptum, das alle verpflichtet. Aber nicht in diesem weiteren Sinne, der alles Handeln umfaßt, das die Erwerbung sittlicher Vollkommenheit zum Ziele hat, fassen wir das Wort, wenn wir von „katholischer Aszese“ als historischer Erscheinung sprechen, sondern im engeren Sinne eines auf Erlangung der Seligkeit durch freiwillige Enthaltung von weltlichen Gütern und Genüssen, ja sogar vollkommene Ertötung aller sinnlichen Empfindungen gerichteten Handelns, dessen konsequenteste Ausgestaltung sich in der Befolgung der drei evangelischen Räte, in der daraus folgenden Weltflucht und in dem darauf basierenden Mönchstum darstellt. Sie tritt auf mit dem Anspruche, als eine Sittlichkeit höherer Ordnung zu gelten; sie verlangt daher nicht nur Beherrschung des Trieblebens durch beständige Selbstkontrolle nach Gottes Willen, sondern seine vollkommene Unterdrückung nach verschiedenen Richtungen, und zwar in der Voraussetzung, daß dadurch ein besonderes Verdienst erworben werde, dessen man zwar nicht zur Seligkeit bedarf, das sie aber mit besseren Garantien zu umgeben vermag, höheren Lohnes seitens des ewigen Richters versichert.19) Die Unterschiede zwischen dieser katholischen und der kalvinistischen Aszese Webers liegen auf der Hand, und Weber verkannte | sie keineswegs. Diese betätigt sich 1262 in der Welt, ist daher „innerweltlich“ und ist auch allen Christen vorgeschrieben; jene flieht die Welt und ist eine Sondermoral; sie gipfelt endlich, was ihre höchste Form, das Mönchstum, die „Religiosität“ κατ̕  ἐξοχήν des Mittelalters, die Lebensführung der viri religiosi, der eigentlichen „Aszeten“ anbelangt, in der Unterdrückung des Trieblebens infolge der drei evangelischen Räte, deren einer ja auch für den Weltklerus gilt und daher auch ihn zu einem höheren Stande christlicher Vollkommenheit erhebt. Und vor 18) 

Pruner im Katholischen Kirchenlexikon I2 1460. | auch faßt ganz neuerdings Scheel den Begriff der Aszese (Artikel „Aszese“ in 1261 „Religion in Geschichte und Gegenwart“ I 730): Nicht jedes zielstrebige (also nicht jedes methodische und auf Selbstkontrolle beruhende) Handeln, so führt er aus, kann als aszetisch charakterisiert werden. Die Abgrenzung gegen die Planlosigkeit (in der Weber gerade den aszetischen Charakter der kalvinistischen gegenüber der lutherischen Ethik begründet findet) ist doch nur ein Moment. Das aszetische Handeln ist ein besonderes neben dem übrigen. Es ist charakterisiert durch den Anspruch, eine besondere Qualität zu besitzen, durch die man das Ziel besser erreicht; es sind auch daran besondere Verheißungen geknüpft, die dem gewöhnlichen Handeln nicht beschieden sind. Es neigt zu weltabgewandter Stimmung in den verschiedensten Nuancen bis zu vollkommener Weltflucht und Weltverneinung: „Stets legt es dem instinktiven und natürlichen Seelenleben eine Beschränkung auf und Zurückhaltung in der Berührung mit dem Weltleben.“ – Nach diesen Kriterien kann der Weber-Troeltschsche Begriff der kalvinistischen resp. altprotestantischen Aszese überhaupt nicht bestehen. | 19) So

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allem: es fehlt der „kalvinistischen Aszese“ nicht nur der Charakter eines besonderen Verdienstes, sondern auch – im Zusammenhange mit der ganzen Rechtfertigungslehre des Protestantismus – überhaupt der Charakter eines Verdienstes, das zur Erlangung der göttlichen Gnade behilflich sein könnte; sie ist die alle Christen ohne Ausnahme und mit ganz derselben Kraft verpflichtende Norm und insofern (abgesehen von den graduellen Unterschieden, die unzweifelhaft vorhanden sind) qualitativ das Gegenstück nicht zur „katholischen Aszese“ im eigentlichen Sinne, sondern zur allgemeinen Moral des Katholizismus, wie sie für alle seine Mitglieder, für „aszetisch“ und „nicht aszetisch“ lebende, verbindlich ist, d. h. im wesentlichen zu seiner spezifischen Laienmoral. Solche Differenzen, so sollte man meinen, müßten geeignet sein, Bedenken gegen die Heranziehung des Namens „Aszese“ für die protestantische Berufsethik zu erwecken. Aber Weber kennt ein Moment der Gleichartigkeit zwischen katholischer und kalvinistischer Aszese, dem gegenüber alle Unterschiede in den Hintergrund treten müssen: es ist dies der „rationale Zug“, der beiden zu eigen ist. Die protestantische Ethik ist ja nichts weiter als rationalisierter Lebensstil, orientiert an Gottes Willen, und andererseits trägt ja „die christliche Aszese in ihren höchsten Erscheinungsformen bereits im Mittelalter durchaus diesen rationalistischen Charakter: sie ist im Prinzip schon in der Regel des hl. Benedikt, noch mehr bei den Kluniazensern und Zisterziensern, am entschiedensten endlich bei den Jesuiten, emanzipiert von planloser Weltflucht und virtuosenhafter Selbstquälerei. Sie ist zu einer durchgebildeten Methode rationaler Lebensführung geworden. .  .  . Die unbedingte Selbstbeherrschung (die sie vom Mönche 1263 for|dert) ist, wie das Ziel der exercitia des hl. Ignatius und der höchsten Formen rationaler mönchischer Tugenden überhaupt, so auch das entscheidende praktische Lebens­ ideal des Puritanismus“. Nun ist es einerseits zweifelhaft, ob Rationalisierung der Lebensführung, „Abgrenzung gegen Planlosigkeit“,20) durch stetige Orientierung an Gottes Willen, bereits Aszese ist, ob daher die kalvinistische Ethik überhaupt als Aszese gelten darf, und andererseits ist die „Rationalisierung“ keineswegs ein konstitutives Merkmal der katholischen Aszese; mit einer solchen haben wir es vielmehr auch schon dann zu tun, wenn durch Weltflucht ein besonderes Verdienst erworben werden soll, auch dann, wenn sie „planlos“ und mit „virtuosenhafter Selbstquälerei“ verbunden ist. Unter Rationalisierung wird eben in beiden Fällen etwas ganz verschiedenes verstanden: bei den Kalvinisten systematische Regulierung der gesamten Lebenshaltung aller, bei den Katholiken Mäßigung in Kasteiung und Selbstpeinigung durch Vermeidung überflüssigen, physisch und psychisch aufreibenden Extrems und also zweckmäßige Regulierung der Aszese, die eine nur für einige gültige Sondermoral ist. Es geht mit dem Ausdrucke „Rationalisierung“ wie mit dem [der] „Aszese“; man muß sich hüten, sie auf wesentlich verschiedenartige Objekte zu beziehen; oder wenn man es tut, so muß man sich des Unterschiedes der Bedeutungen bewußt bleiben: sonst läuft das ganze Verfahren, wenngleich es sich anscheinend nur um Fragen der Nomenklatur handelt, darauf hinaus, eine gewisse Unsicherheit in der Begriffsbestimmung zu begünstigen, durch den Gleichklang des Namens grundlegende Unterschiede zu verwischen. Man kann nicht einfach sagen: Der Altprotestantismus übernahm vom mittelalterlichen Katholizismus die Aszese, nur daß er an die Stelle von Selbstpeinigung und Weltflucht die Berufsarbeit setzte. Das wäre eine Verdrehung des geschichtlichen Hergan-

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Vgl. oben Sp.  1261 Anm.  |

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ges. Die Aszese des Mittelalters war eine Sondermoral, die der Protestantismus nicht übernommen, sondern verworfen hat. Er hat vielmehr die allgemeine christliche Ethik, wie sie für jedermann ohne Ausnahme galt, nach bestimmten Richtungen fortgebildet. Dazu gehörte es, daß die Berufslehre auf | einem neuen Fundamente aufgebaut wurde, 1264 indem die Arbeit eine neue Wertung erhielt, indem sie zur höchsten sittlichen Betätigung des Menschen erklärt und allen zur Pflicht gemacht wurde. Gewiß weist die kalvinistische Ethik in Lehre und Praxis verschiedene Züge der Abgewandtheit von der Welt und der Feindseligkeit gegen bestimmte Kulturgüter auf. Man kann sie „aszetisch“ nennen, weil sie bereits inhärente Bestandteile der mittelalterlich-katholischen Aszese waren; aber sie begründen noch keine Aszese als ausgeprägten Stil der ganzen Lebensführung, solange nämlich nicht damit prinzipielle Weltflucht und die Absicht eines besonderen Tuns verbunden sind. Wenn sowohl im Luthertum wie auch im Kalvinismus die Arbeit zur Mortifikation des Fleisches verlangt wird, wie z. B. Luther sagt, daß die Arbeit „für den Menschen seine Übung sein solle in diesem Leben, das Fleisch zu zwingen“, – so wird dadurch keine Brücke zur mittelalterlichen Aszese geschlagen; denn in eben diesem Sinne muß auch der katholische Laie sein „Fleisch töten“. Die sog. „aszetischen“ Züge des Kalvinismus – sie entstammen teils den eschatologischen Bestandteilen seiner Lehre, teils sind sie Eigentümlichkeiten, die sich, wie bei den Hugenotten und den Kirchen „unter dem Kreuze“ insgesamt, unter dem stetigen harten Drucke der Leiden und Verfolgungen um Christi Willen entwickelt haben. Teils sind sie, wie im Genf Calvins selbst und im englischen Puritanismus, Äußerungen eines moralischen Rigorismus, der auf allen mit gleichem Zwange lastete. Wenn man aber die kalvinistische Berufsethik „Aszese“ nennen will, so darf man nie vergessen, daß sie mit der katholischen Aszese, deren konsequentester Ausdruck das Mönchstum ist, durchaus inkommensurabel ist, indem sie mit ihr nichts gemeinsam hat, als den Namen, so daß man am besten täte, ihn fallen zu lassen.

IV.

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Welches nun ist der Zusammenhang des „kapitalistischen Geistes“ der Gegenwart, wie man ihn auch immer verstehen möge, mit der „innerweltlichen Aszese“ oder, unzweideutig gesagt, mit der Berufsethik des Kalvinismus? Und welches war überhaupt der Einfluß des Kalvinismus auf die Entwicklung des Kapitalismus? | Es kann kein Zweifel darüber obwalten, daß zwischen Kalvinismus und Kapitalismus 1265 innere Beziehungen bestehen; es gilt eben, quellenmäßig den Nachweis ihrer Existenz zu führen, sowie ihre besondere Art und ihren Umfang zu ermitteln. Mit dieser Aufgabe aber haben es sich Weber und Troeltsch ziemlich leicht gemacht. Weber zeigt wohl, wie wir wissen, an der Hand Baxters, daß bei den Puritanern des 17. Jahrhunderts das Streben nach Reichtum zu Gottes Ehre und zum Nutzen der Gesamtheit unter Verbot des Ausruhens zum Zwecke des Genusses als religiös-ethische Maxime gepredigt wurde, und er fügt hinzu: „die religiöse Wertung der rastlosen, stetigen, systematischen weltlichen Berufsarbeit als schlechthin höchsten asketischen Mittels und zugleich sicherster und fruchtbarster Bewährung des wiedergeborenen Menschen und seiner Glaubensechtheit mußte ja der denkbar mächtigste Hebel der Expansion jener Lebensauffassung sein, die wir hier als ‚Geist des Kapitalismus‘ bezeichnet haben.“ Aber wir müssen uns begnügen mit dieser Versicherung, daß es so sein „mußte“. Wir

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vermissen eine eingehende und zusammenhängende Prüfung des Sachverhalts in den einzelnen Ländern, die unter der Herrschaft des Kalvinismus standen – nämlich ob und inwieweit der hier schließlich vorhandene Kapitalismus und hier wirksame kapitalistische Geist ihre Wurzel in der kalvinistischen Berufsethik, im Streben nach Reichtum zu Gottes Ehre haben. Indem Weber vom Einflusse des Kalvinismus auf die Kapitalbildung spricht, bemerkt er nur: „Wie stark diese Wirkung gewesen ist, entzieht sich ziffernmäßig naturgemäß jeder exakten Bestimmung.“ Immerhin hätte der Versuch einer approximativen Schätzung wohl gemacht werden können. Aber nicht nur spärlich und unzulänglich sind die Angaben von Weber und Troeltsch über den Einfluß des Kalvinismus auf die kapitalistische Entwicklung, sondern auch oft zweideutig, unbestimmt und widerspruchsvoll. Was den Geltungsbereich dieser Einwirkung anbelangt, so handelt es sich nach Weber vornehmlich um das puritanische England und Neu-England, um das hugenottische Frankreich und bis zu einem gewissen Grade um Holland. Bei Troeltsch lesen wir: „Der Kalvinismus schafft gerade durch 1266 seine rationale Anspannung der Arbeitsleistung ohne | genießende Hingabe an den Arbeitsertrag den Boden für die kommende Blüte des Kapitalismus, der von Holland, dem hugenottischen Frankreich und vor allem von England und Amerika ausgeht.“ Hiernach muß doch dem Kalvinismus zum mindesten eine vorbereitende Rolle für die kapitalistische Entwicklung in Holland und im hugenottischen Frankreich zugeschrieben werden. Und ähnlich sagt er an einer anderen Stelle: „Auf diesem Boden (sc. der kalvinistischen Aszese) ist denn auch der hugenottische, holländische, englische und amerikanische Frühkapitalismus entstanden, und mit ihm hängt heute noch in dem kalvinistischen Amerika und Schottland sowie bei den englischen Dissenters der Hochkapitalismus ersichtlich (!) zusammen.“ Damit stimmt es nun freilich keineswegs überein, wenn es an einem dritten Orte heißt: „Immerhin aber ist aus dieser allgemeinen Disposition (nämlich der kalvinistischen Aszese) die eigentlich kapitalistische Gesinnung nur im englischen Puritanertum und in den kleinen, von der Welt sich trennenden asketischen Gemeinschaften entstanden, die bei ihrer Trennung von der Welt neben der Religion nichts als die ökonomische Arbeit überbehielten. Hier bildete sich jener Geschäftsgeist, der die rationale, arbeitsteilige Wirtschaft, die systematische Ausnützung der Zeit, möglichste Steigerung des ehrlichen Gewinnes und Verwertung für allgemeine Zwecke zur Aufgabe des frommen Christen und guten Bürgers machte und eben damit freilich auch Gott von der Höhe des prädestinierenden Weltwillens herabzieht auf das Niveau des die Berufstreue seiner Erwählten mit irdischem und jenseitigem Segen lohnenden Arbeitgebers. Gegenüber dem alten Genfer Kapitalismus ist das mit seiner Werkheiligkeit, seiner Gesetzlichkeit und seiner Messung mit Geschäftsmaßstäben freilich eine starke Veräußerlichung. .  .  . In Genf selbst, in dem immer zugleich stark politisch und intellektuell interessierten Hugenottismus, in dem arminianisch gesinnten und der Renaissancebildung erliegenden Reichtum Hollands und vollends in dem agrarischaristokratischen Ungarn ist diese Entwicklung nicht eingetreten. Dagegen hat sie allerdings den Charakter der englisch-amerikanischen Welt durchgreifend bestimmt.“ Mit anderen Worten: Nur in der englisch-amerikanischen Welt hat sich die Säkularisation | 1267 der reformierten „Berufs-Aszese“ vollzogen, und nur hier ist als Produkt dieses Prozesses die Entstehung und Ausbildung des „kapitalistischen Geistes“ zu konstatieren. Ist es möglich, sich nach solchen Äußerungen eine klare, widerspruchslose, alle wesentlichen Momente umfassende Vorstellung von der Einwirkung der reformierten Berufsethik auf die ökonomische Entwickelung derjenigen Gebiete zu machen, die

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unter dem Zeichen der Lehre des Genfer Reformators standen? In Genf selbst müßte man nach den letzten Ausführungen von Troeltsch auf der kalvinistischen Vorbereitungsstufe geblieben sein, ohne daß der Übergang zum kapitalistischen Geiste vollzogen worden wäre; eben dasselbe müßte der Fall sein bei den französischen Hugenotten. Nun hat Frankreich eine beträchtliche Entwickelung von Handel, Industrie und Kapitalismus schon vor dem Auftreten des Hugenottentums, gerade im Jahrhundert von 1450 bis 1550, vornehmlich unter der Ägide Ludwigs XI., zu verzeichnen; ich erinnere nur an Jacques | Coeur aus Bourges, an den großen Aufschwung der Seiden- und Metall-Industrie, an die Börse von Lyon. Alles das nun hat sich vollzogen, ohne daß dabei „kapitalistischer Geist“, oder wenigstens der richtige, im Sinne Webers, irgend welche Rolle gespielt hätte! Und dasselbe gilt vom Kapitalismus Frankreichs im 18. Jahrhundert, an dessen Existenz doch, wenngleich die französische Volkswirtschaft durch das tyrannische Vorgehen Ludwigs XIV. gegen die Hugenotten aufs schwerste geschädigt wurde, nicht gezweifelt werden kann: denn in Frankreich hat sich ja die kalvinistische Aszese nicht zum kapitalistischen Geiste säkularisiert, und wenn ihn die nicht hugenottischen Kapitalisten nicht von ihren hugenottischen Berufsgenossen rezipieren konnten, woher dann? Aber noch gibt es einen Ausweg! War nicht Law von Herkunft schottischer Kalvinist? Also hat er den „asketischen Lebensstil“ des „Unternehmers neuen Stils“ in Frankreich importiert und das Frankreich des 18. Jahrhunderts damit infiziert? | Das allergrößte Rätsel bietet Holland. Wie wir sahen, kommt hier dem Kalvinismus nach Troeltsch eine vorbereitende Bedeutung zu: zum mindesten ist der holländische „Frühkapitalismus“ auf dem „Boden“ der kalvinischen Aszese entstanden. An einem andern Orte aber lehrt er, daß sich diese hier nicht zu „kapitalistischem Geiste“ umgebildet habe, weil Hollands Reichtum arminianisch gesinnt war und der Renaissancebildung erlag (!). Wie reimt sich das zusammen? Wenn man diese Angaben in einen vernünftigen Zusammenhang bringen will, muß man die folgende Entwickelung konstruieren: Zuerst entsteht in Holland auf Grund der kalvinistischen Berufsethik der Frühkapitalismus; sie aber stirbt ab, ohne aus sich heraus den „kapitalistischen Geist“ zu gebären: also ist der „Reichtum“ Hollands beim Auftreten des Arminianismus, zum Anfange des 17. Jahrhunderts, nicht das Produkt des „kapitalistischen Geistes“, d. h. ohne dessen Zutun ist Holland schließlich zum Hochkapitalismus gelangt. Etwas anders | denkt sich Weber den Verlauf. Auch er läßt den Kapitalismus oder wenigstens den „kapitalistischen Geist“ in den Niederlanden mit dem Eindringen des Kalvinismus, also in der Periode des Abfalls von Spanien, einsetzen. Denn ausdrücklich spricht er einmal21) „Flandern“ vor der Reformation den „kapitalistischen Geist“ direkt ab, während er eine Äußerung (wenn ich nicht irre) Gotheins heranzieht: „Schon die Spanier wußten, daß die ‚Ketzerei‘ (d. h. der Kalvinismus der Niederländer) den Handelsgeist befördere.“ Aber er läßt die Wirkung des kalvinistischen Geistes hier länger dauern als Troeltsch und schreibt ihm einen größeren Einfluß auf die Kapitalsbildung zu: „Auch in dem vom strikten Kalvinismus aus sieben Jahre (sc. von 1618 bis 1625) wirklich beherrschten Holland führte die in den religiös ernsteren Kreisen herrschende größere Einfachheit des Lebens bei enormen Reichtümern zu einer exzessiven Kapitalsaufsammlungs|sucht“; er schränkt aber selber seine Behauptung wieder ein, indem er eine

21) 

In seinem Archiv 26, 277. |

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Anmerkung hinzufügt: „daß diese Kreise aber in den Niederlanden rasch abnahmen, zeigt Busken-Huets Darstellung.“ Stimmen die Mitteilungen von Troeltsch und Weber über den Gang der Dinge in Holland nicht völlig untereinander selbst überein, so noch viel weniger mit dem historischen Tatbestande. Die Geschichte des holländischen „Frühkapitalismus“ läßt sich nur begreifen im Zusammenhange mit dem der Niederlande überhaupt; denn der holländische Kapitalismus um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert ist nur zum Teil bodenständig, zum Teil stammt er aus südniederländischer Einwanderung. Der niederländische Kapitalismus im allgemeinen aber ist entstanden vor dem Eindringen des Kalvinismus, dann also freilich nach Weber ohne Mitwirkung „kapitalistischen Geistes“. Erst neuerdings hat Pirenne gezeigt,22) wie eben damals im ländlichen Textilgewerbe Flanderns, in der nieuwen draperie, die moderne industrielle Großunternehmung, die freie Konzentration von Kapital und Arbeitskräften emporblühte; wie der Kapitalismus um dieselbe Zeit die ökonomischen und sozialen Verhältnisse Amsterdams und Hollands umformte, lernen wir aus Ravesteyn kennen:23) hier ist – ganz abgesehen von der Antwerpener Börse – der niederländische „Frühkapitalismus“ zu suchen; er ist jedenfalls aufgetreten, ehe Einflüsse kalvinistischen Geistes spielten. Pirenne führt in seiner ausgezeichneten Geschichte Belgiens24) die Ausbreitung des Kalvinismus gerade darauf zurück, daß hier bereits der Kapitalismus zur Aufnahme gelangt war; er betrachtet das Aufkommen des Kalvinismus als eine Wirkung der Existenz des Kapitalismus, der hier auf dem Grunde einer weiten Ausdehnung der soeben erst geschaffenen Hausindustrie besonders schnell und kräftig gedieh. Trotzdem – noch fehlte dieser neuen Hausindustrie, diesem jugendfrischen Kapitalismus der echte 1290 „kapitalistische Geist“? | Betrachten wir die Zusammensetzung der Kapitalistenklasse beim Ausbruche des Aufstandes, so finden wir, daß sich ihre Mitglieder aus allen Bekenntnissen rekrutierten. Wohl ist es wahr, daß sich viele von ihnen, zumal die flandrischen Großunternehmer und die in Antwerpen sitzenden Marranos (judenchristlicher Herkunft) dem Kalvinismus anschlossen: aber erwachte in ihnen der kapitalistische Geist erst aus diesem Anlasse? Die größten Kaufleute und Bankiers Antwerpens sind katholisch, allerdings von einer stark indifferenten Färbung. Amsterdam, die Hochburg des speziell holländischen Kapitalismus, hat sich von den Städten Hollands am längsten auf der spanischen Seite gehalten, und zwar gerade deshalb, weil die damals herrschende Vroedschap, d. h. derjenige Teil der kaufmännischen Aristokratie, der die Stadt regierte, katholisch war. Politische Momente, die im Zusammenhange mit dem Abfall standen, brachten es zuwege, daß zum Ende des 16. Jahrhunderts die kapitalistische Entwicklung in den Südprovinzen zum Stillstande kam, in den sich befreienden nördlichen Landschaften aber bestehen blieb und enorme Fortschritte machte. Wir können hier nicht näher auf die wechselseitige Beeinflussung des religiösen und wirtschaftlichen Elementes in der niederländischen Geschichte um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts eingehen, sondern nur eines konstatieren: Der holländische Kapitalismus dieser Epoche ist keineswegs als etwas spezifisch kalvinistisches anzusehen. Im wesentlichen lebte in der Kapitalistenklasse, auch nachdem sie sich förmlich dem Kal-

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22) 

Pirenne, Une crise industrielle au 16. siècle. 1905. Ravesteyn, Onderzoekingen over de economische en sociale ontwikkeling van Amsterdam gedurende de 16de en het eerste kwart des 17de eeuw. 1906. 24)  Gesch[ichte] Belgiens. 1906, III, 530 f. | 23) W. van

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vinismus angeschlossen hatte, der alte Geist relativer konfessioneller Indifferenz weiter; Abweichungen davon sind zum guten Teile wirtschaftlichen Momenten, dem Gegensatze zwischen den bodenständigen Elementen und den eingewanderten Südniederländern und den Konkurrenzkämpfen zwischen den einzelnen Kapitalistenkliquen zuzuschreiben, in welchen die ostindische Kompagnie eine sehr wichtige Rolle spielte. Mit diesen Konkurrenzkämpfen hängt es zusammen, wenn eine gewisse kleine Amsterdamer Kapitalistengruppe, „teils aus ausgesprochener Profitsucht, teils ihre privaten Interessen hüllend in eine religiöse Maske“, sich mit der kalvinischen Orthodoxie verband und bewirkte, daß die Stadt Amsterdam von der Mehrheit der holländischen Stände | abschwenkte und sich mit dem Prinzen Moritz verbündete: so wurde der 1291 sogenannte „Sieg“ der Orthodoxie über die Arminianer bewirkt; sie verdankt ihn ganz und gar nicht eigener Kraft, sondern nur einer Allianz mit Machtfaktoren, nämlich dem Statthalter und einer Kapitalistenklique, die mit ihr nichts gemein hatten, die dabei ihre Sonderziele verfolgten, und sich ihrer nur als Waffe zur Vernichtung zufällig gemeinschaftlicher Gegner bedienten; daher konnte ihr der „Sieg“ auch keine Früchte von Dauer bringen. Man denke auch an das kurzsichtige Eifern der Prediger gegen den Handel der einheimischen Kaufmannschaft mit Spanien und den spanischen Niederlanden: sollte nicht der wahre „kapitalistische Geist“ auf der Seite derer sein, die, wie ihnen die Glaubensstrengen vorwerfen, um ihres Handelsgewinnes willen nicht nur das Vaterland, sondern auch Gott verrieten? Wenn Weber die Äußerung der Spanier, die „Ketzerei begünstige den Handelsgeist“, so interpretiert, daß er „Ketzerei“ gleichsetzt mit Kalvinismus, so wird dadurch nur bewiesen, daß er von der eigentlichen Art der holländischen „Ketzerei“ wenig weiß. Jedenfalls ist für das erste Auftreten eines wahren Großkapitalismus in einem Lande offiziell kalvinistischer Observanz Entstehung und Ausbildung aus dem Geiste spezifisch kalvinistischer Religiosität heraus im wesentlichen nicht nachweisbar. Und jedenfalls kalvinische Aszese, auch im Sinne einer Abwendung von der Welt, ihrer Kultur, ihren Gütern und ihren Genüssen, hatte in Holland keine Stätte gefunden. In vollstem Maße hat sich hier Reichtum mit unbeschränktem Lebensgenusse verbunden: davon legt jedes Blatt der holländischen Kultur- und Sittengeschichte sprechendes Zeugnis ab. Eben darum und wegen der Art seiner Entstehung muß somit Weber dem holländischen Kapitalismus den „kapitalistischen Geist“ absprechen: wir haben somit den merkwürdigen Fall einer großartigen kapitalistischen Kultur, der aber leider der „kapitalistische Geist“ mangelt. Noch bleiben England und die Vereinigten Staaten von Nordamerika übrig, und Troeltsch gibt ja in der Tat zu, daß sich hier allein „durchgreifend“ die Einwirkungen der kalvinistischen Aszese auf die wirtschaftlichen Verhältnisse geäußert haben. Für das englische Puritanertum hat Weber den Nachweis geführt, | daß in ihm die kalvini- 1292 stische Berufsethik in einer Richtung fortgebildet oder präzisiert worden ist, die den kapitalistischen Geist, wenngleich nicht zu erzeugen, aber religiös zu legitimieren und dadurch zu befördern geeignet war. Aber das ist ein noch ungelöstes Problem: Welches ist der Anteil des Puritanismus an der Entwicklung von kapitalistischem Geist und Kapitalismus in England? Zweifellos hat sich der englische Wohlstand im 17. Jahrhundert ungemein gehoben, nicht nur der Handel, sondern auch, zumal in den letzten Zeiten der Stuarts, die Industrie; es lag weiterhin die Stärke des Dissentertums im städtischen Gewerbestande und in der seefahrenden Bevölkerung, wie auch dazu zahlreiche Kaufleute und Kapitalisten gehörten. Die Wahrscheinlichkeit ist also sehr groß, daß auch die kalvinistische Berufsethik der Entwicklung kapitalistischen Geistes und der

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Kapitalbildung Vorschub geleistet hat. Aber wer kann sagen, ob für die Träger der kapitalistischen Entwicklung Englands im 17. Jahrhundert, insofern sie Puritaner oder Quäker waren, das spezifisch religiöse Moment, das Streben nach Bewährung im Beruf zur Ehre Gottes, das eigentlich treibende Motiv war? Zum mindesten konnte es sich sehr wohl mit anderen Beweggründen kombinieren, – oder ihnen auch als sehr willkommene Verbrämung dienen; ich erinnere nur an die Ausführungen Webers selbst, wie schnell sich bei ihnen das „pharisäisch-gute Gewissen“ beim Gelderwerb herausgebildet habe, daß sie „recht oft zur Verleugnung der alten Ideale bereit waren“. Er setzt auseinander, wie ihre „Askese“ zwar Luxus und Lebensgenuß perhorresziert, ihnen aber keineswegs Kasteiung auferlegt habe, sondern Gebrauch ihres Besitzes für notwendige und praktisch nützliche Dinge im Sinne des „comfort“: „Dem Flitter und Schein chevaleresken Prunks .  .  . setzten sie die saubere und solide Bequemlichkeit des bürgerlichen home entgegen“. Ich fürchte, daß sich im allgemeinen die Grenze zwischen dem Komfort des „bequemen home“ und dem behaglichen Lebensgenuß, den doch sowohl die reformierte Berufsethik als auch der auf alle „eudämonistische und hedonistische“ Lebensführung verzichtende Unternehmer „neuen Stils“ verschmähen, in der Praxis sehr schwer wird ziehen lassen. Und jedenfalls würde es auf die Kraft des 1293 religiösen | Grundmotives ein sehr bedenkliches Licht werfen, wenn der kapitalistische Geist in seiner, nunmehr direkt dem ganzen Geiste des Protestantismus widersprechenden Gestaltung wirklich durch eine so schnelle und vollständige Säkularisation reformierter Berufsethik hervorgegangen wäre. Nur eine Episode in der politischen Geschichte Englands war die volle Herrschaft des Puritanismus, und keineswegs ist die Frage schon vollkommen spruchreif, welches seine Bedeutung für die englische Wirtschaftsgeschichte ist, ob er auch auf diesem Gebiet jemals eine so absolute Herrschaft ausgeübt hat, wie das nach Weber der Fall sein müßte. Daß der „Kapitalismus“ als solcher in England älter ist, als das Puritanertum, wird auch Weber nicht leugnen wollen. Eine ganz unbewiesene Behauptung ist es jedenfalls, wenn Troeltsch bezüglich des englischen Kapitals nicht-puritanischer Provenienz bemerkt: der „mit der lutherischen und katholischen Ethik vielfach näher verwandte Anglikanismus“ habe sich schließlich dem vom kalvinischen Berufsstil geschaffenen „kapitalistischen Geiste geöffnet“. Das heißt einfach, die Dinge auf den Kopf stellen. Da soll doch erst gezeigt werden, daß der Geist, der einen Thomas Gresham und die merchant adventurers im Zeitalter der Elisabeth beseelte, ein anderer war, wie der der hochkirchlichen Kapitalisten der nachpuritanischen Zeit, daß der Geschäftsgeist des Kaufmannsstandes anglikanischen Bekenntnisses durch puritanische Einflüsse wesentlich modifiziert worden ist. Solche Konstruktionen, die aller quellenmäßigen Begründung entbehren, können nicht mehr als wirkliche Geschichtsforschung gelten. Im Übrigen ist es bekannt, daß die Hauptexpansion des englischen Kapitalismus im Zusammenhang mit der kolonialen Entwicklung und dem enormen Wachstum der Industrie in eine spätere Zeit fällt, d. h. für England in das Zeitalter eines undogmatisch-moralistisch gerichteten Christentums, der Vorherrschaft des Rationalismus in Theologie und Predigt, der Durchdringung der englischen Kirche mit einem weitgehenden Latitudinarismus, der Geltung von Skepsis und Deismus in den führenden, auch in kapitalistischen Schichten der Gesellschaft. Weber würde nun freilich sagen: das eben ist ja die Wirkung der Säkularisation der „innerweltlichen Askese des Purita1294 nismus“; | wir glauben, daß die Existenz des kapitalistischen Geistes und Kapitalismus in England auch ohne dieses Moment zu begreifen ist, wenngleich wir keineswegs sei-

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nen Einfluß leugnen wollen. Und wenn er erklärt, daß „die Macht puritanischer Lebensauffassung wesentlichster und einzig konsequenter Träger der Tendenz bürgerlicher, ökonomisch-rationaler Lebensführung war“ und daher „an der Wiege des modernen Wirtschaftsmenschen stand“, so werden wir das als eine Übertreibung kennzeichnen müssen. Denn das, was Weber als die Eigenart des „modernen Wirtschaftsmenschen“ ansieht, ist keineswegs ein konstitutives Merkmal des kapitalistischen Geistes, und dieser ist keineswegs aus der reformierten Berufsethik hervorgegangen. Wohl war ein Zusammenwirken beider imstande, die kapitalistische Entwicklung vorwärts zu treiben; in welchem Grade das geschehen ist, bedarf freilich noch näherer Untersuchung.25) Als ein besonders beweiskräftiges Beispiel für die Richtigkeit ihrer These führen Weber und Troeltsch die englischen Kolonien in Nordamerika an. Weber erklärt geradezu den Zustand der puritanischen Neu-England-Kolonien mit ihren Eisenwerksgesellschaften und ihrer Tuchweberei, mit ihrer hohen Blüte des Handwerks schon in der ersten Generation nach der Gründung, rein ökonomisch betrachtet, als Anachronismen, die im Gegensatze zum katholischen Maryland, dem episkopalischen Süden und dem interkonfessionellen, völlige Gewissensfreiheit genießenden Rhode-Island stünden. Wenn sogar die „hohe Blüte des Handwerks“ für die kraftvolle Existenz „kapitalistischen Geistes“ zeugen soll, so muß man ja wohl, um das nebenbei zu bemerken, auch das deutsche Mittelalter als eine „Glanzzeit kapitalistischen Geistes“ ansehen. Im übrigen scheint mir das Urteil Webers allzu optimistisch gefärbt.26) Über | die Eisen­ 1295 industrie hören wir für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts, daß ihre Entwicklung den großen Bemühungen der ersten Ansiedler27) nicht entsprach; ähnliches gilt von der Industrie insgesamt.28) Von einer auch noch so schwachen Entfaltung des Kapitalismus kann nicht die Rede sein; machte sich doch noch lange der Mangel an barem Gelde fühlbar; der Naturalaustausch der Produkte überwog; es herrschte fast noch das System der Naturalwirtschaft.29) Irgendwelche nennenswerten Vermögen waren im 17. Jahrhundert noch nicht vorhanden.30) Die industrielle und die kapitalistische Bewegung setzten in den amerikanischen Kolonien Englands im wesentlichen erst im 18. Jahrhundert ein, als auch hier bereits der Rationalismus eingedrungen war31), und man kann auch gar nicht behaupten, daß die puritanische Orthodoxie an ihnen einen besonders

25) Die Darstellung, welche G. v. Schulze-Gävernitz (Britischer Imperialismus und 1294 englischer Freihandel, 1906) von den Grundlagen der britischen Weltmacht gibt, ist ganz beherrscht von der Weberschen These. 26)  Vergl. bei Weeden (Economic and social history of New England 1890, I 115) die zusammenfassende Charakteristik der Entwicklung der ersten Generation: We may now recount briefly these beginnings of the economy of our forefathers; they are small in each detail. .  .  . The planting of | Indian corn was their first and most pregnant indus- 1295 try. 27)  Ebd. 307. 28)  Ebd. 303. 29)  Ebd. 199, 314. 30)  Vergl. die Mitteilung ebd. 290 ff. 31)  Ein interessantes Beispiel dafür, wie sich der Wandel hinsichtlich der religiösen Auffassung im Geschäftsleben wiederspiegelt, nämlich in der Instruktion der Reeder für ihre Kapitäne, gibt Tweeden [lies: Weeden] II 580.

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hervorspringenden Anteil gehabt hätte: Das wird ein Überblick über die Lage der einzelnen Kolonien beim Ausbruch des Aufstandes erweisen.32) Am strengsten hatten sich puritanische Orthodoxie und Sittenstrenge erhalten in den Staaten Neu-Englands; aber sie waren vorwiegend agrarisch gerichtet, und man sagte von ihnen, es gäbe keinen anderen Fleck auf Erden, wo so wenig Reichtum und so wenig Armut zu finden sei. Äußerste Armut war unbekannt; „dagegen stellte es Burke, der amerikanisches Leben vorzüglich kannte, in Frage, ob in Massachusetts oder Connecticut zwei Personen zu ermitteln seien, die imstande wären, wenn sie nicht auf ihren Gütern lebten, jährlich 1000 Pfund auszugeben.“ Wo sind denn da die kapitalistischen Wirkungen „innerweltlicher puritanischer Askese“? New Yorks Handel blühte nach dem Pariser Frieden kräftig auf, „und große Kapitalien wurden aufgehäuft; aber 1296 in der Stadt herrschte weniger Sitten|strenge und mehr Üppigkeit, als in Neu-England.“ Der Kapitalismus tritt somit hier auf, aber keineswegs im Gefolge und als Wirkung puritanischer Einfachheit und puritanischen Sparzwanges. New York wird also kapitalistisch und zu einem der Hauptträger kapitalistischer Entwicklung in Amerika; aber es entbehrt des „kapitalistischen Geistes“, sei es in der religiös-ethischen Prägung des Kalvinismus, sei es, da wir ja auch hier nichts von den „idealtypischen“ Eigenschaften des modernen Kapitalismus finden, im Sinne einer inzwischen erfolgten Säkularisation! Am wichtigsten von den Mittelstaaten war die industrielle Kolonie Pennsylvanien. „Ein fruchtbarer Boden, ein großer Reichtum an Mineralien, eine für den Handel ausnehmend günstige Lage und eine wunderbar energische und betriebsame Bevölkerung hatten zur Entwicklung dieser Provinz zusammengewirkt, die alle übrigen Kolonien in der Vollkommenheit ihres Ackerbaues und in der Mannigfaltigkeit, dem Umfang und Gedeihen ihrer Fabriken übertraf“; die Sitten und das gesellschaftliche Leben gewähren uns freilich „das Bild eines Staates, der sich von der Einfachheit, Armut und herben Strenge seiner quäkerischen Gründer schon weit entfernt hatte“. Wir könnten es also hier mit einer „Säkularisation protestantischer Askese“ zu tun haben; aber ihr Resultat zeigt nicht die „idealtypischen“ Züge modernen „kapitalistischen Geistes“; das hat freilich die kapitalistische Entwicklung Pennsylvaniens seit damals bis heutzutage wenig beeinträchtigt. Ganz verschieden vom puritanischen Typus Neu-Englands und dem industriellen Pennsylvanien war der episkopalische Süden. Hier gab es wenige Fabriken, und das städtische Leben stand auf ziemlich primitiver Stufe; es fehlte aber hier nicht an kapitalistischer Entwicklung. Denn der Süden war das Gebiet der landwirtschaftlichen Großunternehmung.33) Es gab hier reiche, hochkirchliche und (in Maryland) katholische Großgrundbesitzer, in Virginia zum Teil Abkömmlinge der Kavaliere des Stuartschen Zeitalters. Man sieht aus der kurzen Zusammenstellung, daß 1297 sich um die Mitte | des 18. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten Nordamerikas kräftig der Erwerbstrieb regte; man kann aber nicht sagen, daß er puritanisch gebunden war, und auch nicht, daß er die Eigentümlichkeiten aufweist, die Weber dem kapitalistischen Stil der Gegenwart zuweist, nämlich Verzicht auf alle eudämonistischen und hedonistischen Rücksichten.

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Nach Lecky, Gesch[ichte] Englands[.] Deutsche Ausgabe, III 293 ff. | der Großgrundbesitz Virginias eine Folge des Tabakbaues war, zeigt Bruce, Economic history of Virginia in the 17. century, 2 Bde., 1896. Über die Größe der Vermögen in Virginia bereits im 17. Jahrhundert vergl. die Angaben ebd. II 254 f. | 33) Wie

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Schon aus unsern bisherigen Ausführungen, zumal aus denen über Holland und England, erhellt, daß das Auftreten des Kapitalismus älter ist als die „asketischen Richtungen“ der Reformation, und schon daher auch von ihnen unabhängig. Das Gleiche gilt natürlich erst recht von Deutschland und den katholischen Ländern des Südens und Westens von Europa. Aber ist vielleicht trotzdem der „kapitalistische Geist“ hier erst von den kalvinistischen Gebieten her eingeführt worden? Troeltsch scheint dieser Meinung zu sein: Denn dieser Geist widerstrebt ja so sehr der menschlichen Natur, daß er nur durch eine so gewaltige Geistesmacht, wie den Kalvinismus mit seiner „Askese“, erzeugt werden konnte; „damit erst war die seelische Verfassung geschaffen, auf deren Boden die gewaltige und im Grunde so naturwidrige Entfaltung des Kapitalismus erst stattfinden konnte, was natürlich nicht hinderte, daß diese Macht sich dann [!] auch über Menschen ausbreitete, die mit dem Kalvinismus nichts zu tun haben; die kalvinistische Askese hat ihn groß werden lassen, und dann [!] war er stark genug, seine eigenen Wege zu gehen, im eigenen Namen die Welt zu erobern.“ Nur schade, daß uns der phantasievolle Autor nicht diesen Siegeszug des kapitalistischen Geistes von den kalvinistischen Ländern her durch die übrige Welt an der Hand der geschichtlichen Tatsachen näher schildert, daß wir uns mit der einfachen Versicherung begnügen müssen! Und was noch merkwürdiger ist: selbst wenn diese Invasion jemals stattgehabt hat, so hat sie doch in den von ihr betroffenen Ländern nicht erst den Kapitalismus geschaffen; sondern dieser war in ihnen schon vorher vorhanden und sogar teilweise in größerem Umfange. Seine Entstehung muß sich also auch hier wieder vollzogen haben ohne den richtigen „kapitalistischen Geist“. Ausdrücklich vindiziert sich Weber das Verdienst,34) konstatiert | zu haben, „daß auch in dem Gebiete der Höchstentwicklung der kapitali- 1298 stischen Wirtschaft vor der Reformation: in Italien (ebenso ist es in Flandern) der kapitalistische Geist (in meinem Sinne des Wortes) fehlte.“ Damit stimmt es freilich nicht ganz überein, wenn Troeltsch die Ansicht Webers mit den Worten wiedergibt,35) der kapitalistische Geist habe sich „in der spätmittelalterlichen Geldwirtschaft, in dem Kapitalismus der Renaissance und in der spanischen Kolonisation nicht stark entwickelt.“ Oder gebraucht Troeltsch den Ausdruck „kapitalistischen Geistes“ etwa hier einmal nicht in Webers „Sinne“? Damit würde er freilich eingestehen, daß der Weber’sche „Sinn“ nicht ganz paßt. Und so ist es in der Tat. Wenn Weber dem Kapitalismus der Renaissance in Italien, Frankreich, Deutschland, Spanien und den Niederlanden den „kapitalistischen Geist“ abspricht, so beweist das eben nur, daß seine „idealtypische“ Bestimmung dieses Begriffes falsch ist. Um nur auf Oberdeutschland36) zu verweisen: Wie enorm war hier damals der Aufschwung des Waren- und noch mehr des Geldhandels? Wie zahlreich waren damals die strebsamen Kaufleute, denen es gelang, ohne großen Kapitalbesitz von Hause aus doch schließlich kolossale Reichtümer zu sammeln? Man denke an die Riesenvermögen, die damals entstanden: Und das alles ging vor sich, ohne daß der „kapitalistische Geist“ dabei mitwirkte? Aber Weber hat speziell Beweise für seine Behauptungen. Es war eben nicht der richtige kapitalistische Geist; denn er war einmal noch „traditionalistisch“ gebunden,

1297 für Soz[ial-]Wiss[enschaft] 26, 277. | 43. 1298 36)  Über die ungeheure Vermögenszunahme z. B. in Augsburg um diese Zeit, vergl. (nach den Forschungen Strieders) R. Häpke, Die Entstehung der großen bürgerlichen Vermögen im Mittelalter. Jahrb[uch] für Gesetzgebung usw. 1905 S.  1072. | 34) Archiv

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und er hatte weiterhin noch nicht den Charakter einer „ethisch gefärbten Maxime“, wie ihm auch die irrationelle Idee einer besonderen Berufspflicht mangelte. Nun würde auch dies wieder höchstens beweisen, daß Webers Begriffsbestimmung verfehlt ist; aber wir wollen doch zum Überflusse noch die beiden Hilfshypothesen Webers auf ihre Stichhaltigkeit hin prüfen. Wollten denn (das soll doch das Wesen des „Traditionalismus“ sein) die Kapitalisten der Früh|renaissance wirklich nur soviel gewinnen, wie nötig war, um ihren „traditionellen Bedarf“ zu decken? Ebensogut, wie jetzt, gab es unzweifelhaft Menschen, die erwerben wollten, sei es um zu erwerben, sei es um mit dem Schaffen höheren Lebensgenuß zu verbinden; daß in dieser Hinsicht ein Unterschied gegen jetzt bestand, das soll doch erst nachgewiesen werden. Und das kanonische Zinsverbot hat sie dabei wenig geniert; sie wußten sich damit trefflich abzufinden. Hatte doch schon eine so große Kirchenleuchte wie Thomas von Aquino seine Umgehung empfohlen, indem er es dahin erklärte: Man dürfe Geld bei einem Wucherer deponieren, der schon mit anderem Gelde Wucher treibe; denn dann sündige man nicht selbst, sondern man bediene sich nur eines sündigen Menschen. | Es gab nicht viele Sünden, die leichter wogen. Indem sich die Kurie selber darüber hinwegsetzte, sanktionierte sie, daß es faktisch beiseite geschoben wurde. Und wenn sich ein Kapitalist dadurch wirklich so weit geniert fühlte, daß er durch fromme Stiftungen sein Gewissen beschwichtigen zu müssen meinte, – ist das nicht gerade ein Beweis dafür, daß seine Grundanschauung eine antitraditionalistische war? Denn der Erwerbstrieb war ja in ihm so mächtig, daß er nicht einmal ein Vehikel religiöser Ethik, wie später die protestantischen „Asketen“, brauchte, um sich zum Geldverdienen getrieben zu fühlen; er überwand nicht nur das „natürliche“ Streben nach ruhigem Lebensgenuß, sondern er achtete auch die Gefahr gering, seines Seelenheiles verlustig zu gehen! | Aber, so wird Weber noch einwenden, auch das war noch nicht der richtige „kapitalistische Geist“; denn es mangelte noch der Charakter einer ethischen Maxime, die Idee der Berufspflicht. Er zieht dafür eine Äußerung Jakob Fuggers heran. Als diesem ein Berufsgenosse, der sich zur Ruhe gesetzt hatte, das gleiche anriet, da Fugger doch genug gewonnen habe und auch andere gewinnen lassen müsse, verwies der Bankier dem Freunde das als „Kleinmut“, indem er hinzufügte, „er hatte viel einen anderen Sinn, wollte gewinnen, dieweil er könnte“. Weber bemerkte dazu, das sei nur „Ausfluß kaufmännischen Wagemuts und einer persönlichen, sittlich indifferenten Neigung“, trage aber nicht den Charakter einer ethisch gefärbten Maxime der Lebensführung und sei daher nicht ein Ausfluß „kapitalistischen Geistes“. Jedenfalls zeigen die Worte Fuggers, | daß er nicht „traditionalistisch“ gesonnen war: er wollte mehr verdienen, als er brauchte; er wollte gewinnen des Gewinnes halber; er hatte Abscheu vor bloßem Genusse ohne geschäftliche Arbeit. Und das sollte keine ethische Maxime der Lebensführung sein? Woher weiß denn Weber, daß sich Fugger nicht seinem Berufe gegenüber innerlich verpflichtet fühlte, daß nicht auch ihm die Idee vorschwebte, der Mensch habe die Pflicht, seine Aufgabe treu und gewissenhaft zu erfüllen, vor die ihn das Leben nun einmal gestellt hätte? Und wenn das der Fall war, so wird sich Fugger durch den Gedanken an das kanonische Zinsverbot schwerlich haben stören lassen, – er[,] der Bankier jener Instanz, bei der die Gewalt stand, zu binden und zu lösen. Ich will hier nicht auf Webers Ausführungen über das Aufkommen von Wort und Bedeutung von „Beruf“ näher eingehen. | Beruf und Berufsethik sind jedenfalls nicht erst Produkte der Reformation; es gibt eine Berufssittlichkeit, die überhaupt nicht religiös gefärbt zu sein braucht; jeder Beruf hat seine Ethik, losgelöst von allen religiösen Beziehungen, die

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sich aus seinem eigenen inneren Wesen ergibt. Schon im Mittelalter treffen wir in den Städten ein kräftiges Selbstbewußtsein der Laienstände mit intensiver Wertschätzung der eigenen beruflichen Tätigkeit. Und keineswegs entbehrte die mittelalterliche Berufsethik so gar der religiösen Färbung; mit Recht betont Troeltsch, daß die christliche Rechtfertigung des Erwerbslebens nicht erst von Luther herstammt, „daß diese Berufslehre als Lehre von dem geordneten Beitrage jedes Arbeitenden zu dem de lege naturae gesetzten Gesellschaftszweck schon lange katholische Lehre war, und daß für Luther nur die mönchisch-asketischen Einschränkungen wegfallen“. Der Einfluß der Reformation besteht eben bekanntlich darin, daß sie die Betätigung im Berufe als das schlechthin höchste Gebot sittlicher Lebensführung statuierte; aber eine ethische Auffassung des Berufes sogar mit religiöser Motivation gab es auch schon früher, und von ihr waren unzweifelhaft, ob mit oder ohne religiöse Beimischung, die Kapitalisten der Renaissance ebensogut getragen, wie die der Gegenwart. Oder sollte die Berufsethik des modernen Handelsstandes nur entstanden sein können als Säkularisation „innerweltlicher Askese des Kalvinismus“? Auch den Männern der Renaissancezeit, wie Fugger, lag ihr Geschäft am Herzen; auch sie strebten nach Bewährung in ihrem Berufe, und der Ausspruch Fuggers dürfte heute gewiß mehr als Devise für den „kapitalistischen Geist“ gelten, als irgendwelche Lehren Calvins und Baxters, und es wird daher schwerlich nötig sein, ihn da, wo er heutzutage in Kraft ist, abzuleiten aus einer Säkularisation puritanischer Morallehre. Der moderne Kapitalismus wird sich mehr als Erbe des Geistes eines Fugger, wie eines Baxter wissen; es wird schwerlich ein qualitativer Unterschied zwischen dem Geiste bestehen, von dem er getragen ist, und dem, den [lies: der] die Fugger und ihre Berufsgenossen im Zeitalter des Überganges vom Mittelalter zur Neuzeit beseelte, – Rationalisierung der Geschäfts- und ganzen Lebensführung: das Geschäft wird berufsmäßig aufgefaßt und rückt in den | Vordergrund des 1322 Lebensinteresses, so daß die übrigen Beziehungen zwar keineswegs absorbiert werden, aber sich doch bis zu einem gewissen Grade unterordnen oder anpassen müssen; die Rücksicht auf das Geschäft bildet ein konstantes Motiv, welches kontrollierend und regulierend auf die ganze Lebensführung einwirkt; damit verbindet sich zweckmäßige Geschäftsführung, deren höchste Bewährung in der spezifischen Tugend des „kapitalistischen Geistes“ gipfelte, im spekulativen Kalkül, in der schnellen und richtigen Erfassung der Konjunktur, verbunden mit entsprechender Abschätzung der für die Erreichung des Zweckes, d. h. des geschäftlichen Erfolges, erforderlichen Mittel; das eben ist es ja, was Sombart die „Rechenhaftigkeit“ nennt. Dieser „kapitalistische Stil“ aber ist nicht erst ein Produkt der Säkularisation reformierter Sittlichkeit, und ebensowenig ist das der Fall bei einem bis zur Überspannung gesteigerten Erwerbstriebe, der alle anderen Triebe und Interessen im Menschen unterdrückt und ihn zu einer bloßen „Erwerbsmaschine“ herabdrückt; er ist auch gar nicht konstitutiv für den Begriff des „kapitalistischen Geistes“, auch nicht einmal sein Idealtypus, sondern lediglich sein Extrem. Wir haben somit gezeigt, daß der kapitalistische Geist, richtig verstanden, älter ist als die „asketischen Richtungen der Reformation“; noch eine weitere Frage müssen wir nunmehr erörtern: liegt der „kapitalistische Geist“, in welchem Sinne man ihn auch immer fassen möge, wirklich derart im Wesen der kalvinistischen Berufsethik, daß er aus ihr heraus geboren werden konnte? War die kalvinische Ethik, als Ganzes betrachtet, überhaupt imstande, ihn hervorzubringen? Weber findet die Übereinstimmung zwischen der protestantisch-asketischen und der modern-kapitalistischen Berufsauffassung eben darin, daß für beide der Genußzweck bei der wirtschaftlichen Arbeit gänz-

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lich in Wegfall kommt, daß der Erwerb sich selber Zweck ist; aus dieser behaupteten Übereinstimmung erschließt er den Kausalzusammenhang, demzufolge das konstitutive Moment für das eine aus der anderen stammt. Ist es nun wirklich der Fall, daß nach der reformierten Ethik der Gewinn ausschließlich um seiner selbst willen gesucht wurde? War auch bei den Puritanern die Arbeit um der Arbeit willen unter Ausschluß 1323 des Genußzweckes | religiöses Gebot, so ist doch damit nicht gesagt, daß nicht auch vorhandene Motive sowohl als religiöses Gebot gelten konnten, als auch einen mächtigen Einfluß ausüben durften und tatsächlich ausübten: Selbsterhaltungstrieb, Sorge für die Familie, für die öffentliche Wohlfahrt u. a. m. Daß speziell dieses letzte Moment in der Baxterschen Lehre enthalten war, erwähnt ja Weber selbst; er erkennt darin allerdings bereits einen utilitaristischen Gesichtspunkt, der den späteren Umschlag zur utilitaristisch-liberalen Theorie vorbereitete; aber sollte er (wir kommen bald darauf zurück) nicht vielmehr gerade „genuin-kalvinistisch“ sein? Sehr treffend führt der sonst der Weberschen These unbedenklich beipflichtende Schulze-Gävernitz vom englischen Kaufmann des 17. und 18. Jahrhunderts aus: auf seinem Kontorbocke sitzend, sei er vom Bewußtsein erfüllt gewesen, der britischen Weltherrschaft zu dienen: „wenn er Seehandel treibt und Matrosen beschäftigt, legt er die Grundlage zu Englands Kriegsflotte zur Verteidigung des Protestantismus.“ Man sieht daraus: aus dem Geiste des Kalvinismus folgt selbst für die Tätigkeit des Kapitalisten noch mehr, als der Erwerb nur um des Erwerbes willen. Auch hier wird die Totalität der Zwecke geopfert zugunsten eines einzigen Motivs, welches künstlich und sinnwidrig isoliert wird. Und damit wird uns offenbar, worauf Webers Verfahren im letzten Grunde hinausläuft: es wird ein „Idealtypus“ konstruiert, nicht nur für die Gegenwart, wie wir schon früher zeigten, sondern auch für die Vergangenheit, und zwar dadurch, daß alle anderen wirklich vorhandenen Momente zugunsten eines einzigen eliminiert werden; indem nun dieses zum Range eines „konstitutiven Faktors“ für beide Erscheinungskomplexe erhoben wird, wird die Entstehung des einen aus dem andern geschlossen unter willkürlicher Leugnung der Existenz noch älterer Kausalzusammenhänge. Sieht man sich den „Unternehmer neuen Stils“ an, wie er wirklich ist, nicht durch die Brille des „idealtypischen Begriffs“ Webers, so wird man, was seine Stellung zu den Kulturgütern anbelangt, mehr Ähnlichkeit zwischen ihm und dem „Frühkapitalisten“ im Zeitalter und unter dem Einflusse der Renaissance entdecken, als mit dem Kapitalisten, der unter der Herrschaft „reformierter Askese“ steht. | 1324 Eines ist sicher: Niemals hätte den Intentionen der Väter und Führer des Kalvinismus eine Berufsethik entsprochen, die nicht orientiert war an den Grundsätzen ihrer allgemeinen Ethik. Daher lag auch der Hauptnachdruck ihrer Berufsauffassung auf der Arbeit, nicht auf Gewinn und Reichtum; diese waren in ihr nur Faktoren von akzessorischer Bedeutung, und eben dadurch unterscheidet sie sich von dem „Lebensstil“ sowohl eines Fugger als auch des modernen Großkapitalismus. Mit welchen Restriktionen, nämlich in Rücksicht auf die Armen und das allgemeine Wohl, Calvin das Zinsnehmen umgab, haben wir schon kennen gelernt, desgleichen seine Abneigung gegen die großen Industriestaaten. Im letzten Grunde stand auch er auf dem Standpunkte, daß leichter ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe, als ein Reicher in das Himmelreich. „Der Reichtum“, so sagt er, „ist an und für sich seiner Art nach nicht zu verdammen, und es heißt, Gott arg lästern, wenn man den Reichtum derart verwirft, daß es scheint, als ob der Reiche von Grund aus verdorben sei; denn woher rührt der Reichtum, wenn nicht von Gott? .  .  . Aber die Reichen mögen sich keine Illusionen machen, sondern erken-

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nen, daß sie sich gleichsam auf Glatteis bewegen, wo sie sehr schnell zu Falle kommen können, daß sie gleichsam in einem Dornbusche sitzen, und daß sie sich sorgsam in acht nehmen müssen, um nicht gestochen zu werden.“ Aus seinem eschatologischen Gedankenkreise heraus hat er die abnegatio sui gepredigt und befohlen, man solle sich und alles das, was man sein nenne, ganz und gar außer acht lassen, sein Hab und Gut, da man es hier doch nicht lange genießen kann, den Armen geben, da man also davon größeren Genuß im Himmel haben werde.37) Cromwell schrieb an das lange Parlament: „Stellt die Mißbräuche aller Berufe ab, und gibt es einen, der viele arm machte, um wenige reich zu machen: das frommt dem Gemeinwesen nicht!“ Und wenn, wie einst Calvins Geheiß gelautet hatte: „prendre le gaing [lies: gain] qui nous viendra comme de la main de Dieu“, so später Baxter die „Profitlichkeit“ des Kapitals predigte, so liegt in seiner Zweckangabe „zu Ehre Gottes und zur allgemeinen Wohlfahrt“ doch auch eine Be|schränkung: die sittlichen Gebote Gottes, die Pflichten der Rücksicht auf das Ganze, 1325 der christlichen Nächstenliebe, das sind die Schranken, die unserem Erwerbstriebe gesetzt sind. Das ist, wie schon gesagt, nicht ein posthumer utilitaristischer Zug, der die Säkularisation vorbereitet, sondern ein „genuiner“ Zug der kalvinistischen Ethik, die sich vom modernen kapitalistischen Geiste doch noch recht unterscheidet; auf die Aussprüche Calvins, Cromwells und Baxters hin ließe sich wohl eher eine sozialpolitische Gesetzgebung begründen, welche den „kapitalistischen Geist“ einzudämmen bestimmt wäre. Und gewisse Eigenschaften, die Weber bereits im puritanischen Kapitalismus feststellt, wie selbstgerechte und nüchterne Legalität, Bewußtsein der Tadellosigkeit, formalistisch harter Charakter, pharisäisch gutes Gewissen usw., sind, wenn sie wirklich von ihren Trägern aus der kalvinischen Berufsethik abgeleitet oder, wenn diese von ihnen als Rechtfertigung und Basis solcher Handlungsweise herangezogen wurde, als Auswüchse und Verzerrungen zu bezeichnen, als eine Verkennung und Mißachtung des wahren Wesens reformierter Sittlichkeit; die Reformation hätte alle Ursache, die geistige Urheberschaft einer solchen „Berufsethik“ abzulehnen. So ungeheuerlich ist die Einseitigkeit und Übertreibung des Weberschen Schemas, daß sich selbst Troeltsch diesem Eindrucke nicht ganz entziehen kann. Die Macht der Tatsachen öffnet ihm die Augen dafür, daß für die Entwicklung des kapitalistischen Geistes doch wohl noch andere Faktoren maßgebend waren, als die reformierte Berufsethik; es gibt ihm auch zu denken, daß sich schon sehr früh, ehe noch die Invasion vom kalvinistischen Verbreitungsherde hier möglich ist, ein protestantischer Kapitalismus nichtkalvinistischer Provenienz konstatieren läßt, und daß der Kalvinismus keineswegs überall Kapitalismus in seinem Gefolge hatte. Indem er bemerkt, daß „seines Erachtens“ Weber der Nachweis seiner These „vollständig gelungen“ sei, fügt er eine Einschränkung hinzu, die, richtig betrachtet, eine Zurückziehung dieser Erklärung bedeutet: „Man dürfe vielleicht stärker betonen, daß diese besondere Art der reformierten Arbeitsaskese doch auch durch die besonderen Bedingungen der weltlichen Geschäftslage und besonders durch das Zurückdrängen des Dissent vom Staat und | der staatli- 1326 chen Kultur mitbestimmt worden ist, wie andererseits das Luthertum seine traditionalistische Haltung in dem wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands noch verschärft hat. In Ungarn, Ostfriesland, auch in den bäuerlichen Provinzialstaaten der Niederlande hat der Kapitalismus m. W. eine bedeutende Entwicklung nicht gefunden, und andererseits hat das gut lutherische Hamburg die günstigen Gelegenheiten der atlanti37) W.

[lies: M.] Schulze, Meditatio S.  12 und 28. |

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schen Verhältnisse eifrig mitbenutzt, hat auch der mit der lutherischen und katholischen Ethik vielfach näher verwandte Anglikanismus sich diesem Geiste geöffnet.“ Eine Zerpflückung dieses Satzes in allen seinen Bestandteilen würde hier zu weit führen; über die Behauptung bezüglich des Anglikanismus haben wir ja auch bereits gehandelt. Die Hauptsache ist für uns, daß Troeltsch selber zugesteht: es gibt einerseits große kalvinistische Gebiete, wo kapitalistischer Geist und Kapitalismus entstanden, und zwar keineswegs nur auf der Grundlage reformierter Askese; wir haben andererseits zwar protestantische, aber nicht kalvinische Gebiete, wo sich aus eigener Wurzel kapitalistischer Geist regte und kapitalistische Blüte entfaltete. Da liegt doch die Frage nahe: Sollte es nicht einfacher sein, die Entstehung des Kapitalismus, wo immer er sich findet, und die doch ohne Mitwirkung kapitalistischen Geistes nicht denkbar ist, auf andere Ursachen zurückzuführen, wie günstige Verkehrslage, Reichtum an natürlichen Produktionsmitteln, Anlage vor allem der Bevölkerung oder bestimmter ihr zugehöriger Klassen und anderes mehr, wobei bereitwilligst zugestanden werden soll, daß die reformierte Berufsauffassung als ein mächtiger Hebel der Entwicklung zu dienen vermochte? Daß man damit der Wahrheit erheblich näher kommt, zeigt eine Betrachtung des ja auch von Troeltsch herangezogenen lutherischen Norddeutschlands. Jedermann weiß, daß der Niedergang der deutschen Volkswirtschaft seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nichts mit religiösen Momenten (wenigstens als unmittelbar wirkenden Triebkräften) zu tun hat; das gilt sowohl für die oberdeutschen Städte, als auch für die des Hansabundes. Wie wenig Hamburg in das Troeltsch-Webersche Schema paßt, muß Troeltsch selber anerkennen, und diese Stadt steht keineswegs so ganz vereinzelt als 1327 Trägerin kapita|listischer Entwicklung im Bereiche des lutherischen Bekenntnisses da; ich erinnere nur an die ökonomische Blüte Danzigs auf Grund seines polnischen Hinterlandes, an die Landwirtschaft von Nordostdeutschland, die zur selben Zeit mit der Ausbildung der Großunternehmung und der unfreien Arbeitsverfassung des platten Landes ausgesprochen „kapitalistische“ Züge annimmt.38) In diesem zuletzt erwähnten Falle handelte man nicht nur nicht im Sinne Lutherscher Berufsethik, sondern auch gegen die Lehre Luthers von den Pflichten der Obrigkeit gegen ihre Untertanen; trotzdem glaubten die ritterlichen Patrimonialobrigkeiten des deutschen Nordostens gute Lutheraner zu sein. Man sieht daraus, wie wenig sich die Mitglieder eines bestimmten Bekenntnisses, wo ihre realen Interessen ins Spiel kamen, um die Lehren ihrer Theo­ logen kümmerten, insofern diese die Sphäre des rein Religiösen überschritten. Nach Troeltsch ist die Wirtschaftsauffassung des Luthertums „bei der Deutschland beherrschenden naturalwirtschaftlichen Reaktion des 16. und 17. Jahrhunderts“ immer konservativer geworden. Mir ist von einer solchen „naturalwirtschaftlichen Reaktion“ nichts bekannt; ich weiß wohl, daß in einem bestimmten historischen Werke39) davon oft die Rede ist, würde dieses aber für Theologen, die das Grenzgebiet der Geschichtswissenschaft streifen, nicht gerade als Orientierungsmittel empfehlen.

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38) Den Charakter des Rittergutes als kapitalistischer Unternehmung hat für Ostholstein jüngsthin sehr energisch betont Sering, Erbrecht und Agrarverfassung in Schleswig-Holstein; vergl. meine Besprechung des Werkes unter dem Titel „SchleswigHolstein in der deutschen Agrargeschichte“, Jahrb[ücher] für Nat[ional]-Ök[onomie] und Statistik 93, S.  433 ff. 39)  Vergl. meine Besprechung von Lamprechts Deutscher Geschichte, Band  V in den Mitt[eilungen] des Inst[ituts] für österr[eichische] Geschichtsforschung 17 S.  471 f. |

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Die Übertreibung des Einflusses religiöser Momente und Lehren auf die reale Entwicklung, – das ist der charakteristische Zug der Troeltsch-Weberschen These. Auch sonst zeigen beide Autoren eine gewisse Neigung zu solchem Verfahren. Man lese nur die Ausführungen von Troeltsch über das Verhältnis des Luthertums zu Merkantilismus und Absolutismus; ebenso kühn wie falsch kennzeichnet er den aufgeklärten Absolutismus und den alles bevormundenden Polizeistaat als Kinder des Luthertums; es ist nur wunder|bar, daß sich diese Erscheinungen auch in den katholischen Ländern finden. 1328 Eine weitere Wirkung des Luthertums erblickt er „in der Erziehung einer demütigen und geduldigen Arbeiterschaft, die bei dem Wiedereindringen des Kapitalismus nach Deutschland ihm ein widerstandsloses Arbeitermaterial lieferte“. Ähnliches rühmt Weber der protestantischen Askese nach, die ja seiner Ansicht zufolge das Luthertum nicht mit einschließt: „sie macht die Arbeiter arbeitswillig, indem sie ihnen als mächtigen Antrieb die Auffassung der Arbeit als Beruf suggeriert, als einzigen Mittels, des Gnadenstandes sicher zu werden“. Ich will natürlich nicht bestreiten, daß örtlich und zeitweise religiöse Motive dieser Art einen erheblichen Einfluß auf das Verhältnis der Arbeiter zur Arbeit ausüben konnten; aber man soll sie doch auch nicht überschätzen. Die weltlichen Dinge gehen im großen und ganzen ziemlich selbständig ihren Weg; sie werden durch religiöse Momente wohl beeinflußt, je nach der momentanen Kraft, die das religiöse Prinzip zu einer bestimmten Zeit entfaltet, bald stärker, bald schwächer; ihre Wirkung ist bald eine fördernde, bald eine hemmende, aber in beiden Fällen doch nicht ganz unbegrenzt. Wirken sie hemmend, so können sie doch die Entwicklung selten aufhalten; man findet sich dann eben mit ihnen irgendwie ab, wie das Beispiel des kanonischen Zinsverbotes bezeugt; wirken sie fördernd, so sind in der Regel schon in den Dingen selbst liegende Triebkräfte an der Arbeit, denen sie nur zu sekundieren brauchen, so beim Kapitalisten der ihm innewohnende Erwerbstrieb, beim Arbeiter ökonomischer Zwang, Streben nach besserem Verdienste u. a. m. Wo sich religiöses Prinzip und Wirklichkeit stoßen, da ist es nicht immer jenes, welches siegt, und mag es auch eine noch so gewaltige Kraft im Menschen entfalten, so sieht es sich doch auch oft genug zu Kompromissen mit der Praxis gezwungen. Wieviel mußte nicht Luther selbst, durch die Übermacht der realen Verhältnisse gezwungen, im Laufe der Zeit von den Lehren opfern, die er zuerst vertreten hatte, und die unmittelbar aus dem Kerne seiner Religiosität herausgewachsen waren! Selbst Cromwell konnte, als er erst zur Macht gelangt war und den Staat lenken sollte, nicht in den Bahnen der „Heiligen“ verharren, als deren Führer er emporgekommen war. Noch | manches andere steht auf diesem 1329 Blatte. Wir haben ja schon darauf aufmerksam gemacht, wie getreulich die Lehre Luthers von den Pflichten der Obrigkeit durch die Grundobrigkeiten des deutschen Nordostens befolgt wurde. Luther hat bekanntlich den Christen die Anrufung der Obrigkeit untersagt, auch wenn ihnen Unrecht geschähe: haben deshalb in den lutherischen Territorien die Gerichte ihre Tätigkeit eingestellt? Er hat den aktiven Widerstand gegen die gottlose Obrigkeit perhorresziert; aber so, wie er sich selber damit schließlich mehr und mehr befreundete, so haben sich in der Folgezeit seine Anhänger um sein Verbot nicht eben immer gekümmert; man denke nur an die Lutheraner in den habsburgischen Ländern zum Beginne des 17. Jahrhunderts! Aus allem dem erhellt doch eins: wie wenig sich die politische, wirtschaftliche und weltliche Entwicklung überhaupt durch religiöse Lehren binden läßt, wenn diese das rein religiöse Gebiet überschreiten.

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Welches nun waren, um das Ergebnis dieser Untersuchungen kurz zusammenzufassen, die Wirkungen des Kalvinismus auf die wirtschaftliche Entwicklung? Er war geeignet, dem Berufsleben durch seine Ethik, durch die religiöse Sanktion, die er ihm gab, indem er es für die höchste Betätigung menschlicher Sittlichkeit erklärte, Vorschub und Förderung zu leisten, und daher auch dem Berufe des reinen Erwerbes, d. h. dem Kapitalismus, und dem Geiste, von dem dieser getragen ward, d. h. dem kapitalistischen Geiste in seinem richtigen Sinne, – das jedoch eben nur im Rahmen seiner allgemeinen Ethik, also unter gewissen Beschränkungen. Und eben dieser Einschränkungen halber und entsprechend dem Geiste kalvinistischer Religiosität überhaupt hatte er nicht minder die Tendenz, dem Nutzen des mittleren und kleineren Kaufmanns, des Gewerbemannes, des Angestelltenpersonals und der Arbeiterschaft zu dienen, deren Interesse doch dem des Kapitalisten relativ entgegengesetzt ist. Lang in seiner trefflichen Biographie Calvins40) konstatiert als das Resultat der ökonomischen Entwicklung Genfs zur Zeit Calvins: „So blieb zwar Genf bei Lebzeiten Calvins nur eine mäßig begüterte 1330 Stadt. Aber in der Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit, der Arbeit|samkeit und Bescheidenheit der Lebenshaltung, die sich in der nach Calvins Grundsätzen geleiteten Bevölkerung nunmehr ausprägten, war der beste Grund auch für den wirtschaftlichen Fortschritt gelegt.“ Und wo immer die Grundsätze Calvins, richtig verstanden, zur Anwendung gelangten, da dürfte die tatsächliche Wirkung des Kalvinismus auf das Wirtschaftsleben die gleiche gewesen sein. Indem er den sittlichen Segen der Arbeit so entschieden betonte, wie das noch nie zuvor der Fall gewesen war, stärkte er Fleiß und Ausdauer, Ehrlichkeit und Sparsamkeit. Das kam natürlich dem ökonomischen Fortschritte zugute, trug aber nicht gerade von vornherein eine ausgeprägte kapitalistische Tendenz; das wirtschaftliche Leben blieb der religiösen Idee untergeordnet, indem Zucht, Sitte, Ordnung, Rücksicht auf das Wohl des Nächsten und der Gesamtheit die leitenden Gesichtspunkte waren. So ist denn vielleicht durch den Kalvinismus der mittlere Wohlstand mehr gefördert worden, als der Kapitalismus im großen Stile: wenigstens spricht dafür das Beispiel der puritanischen Neu-England-Kolonien in Amerika, wenn man es richtig deutet. Immerhin soll die Möglichkeit nicht in Abrede gestellt werden, daß auch der Reichtum auf dem Boden der kalvinistischen Berufsethik Begünstigung fand; gemäß den Zügen, mit denen sie durch Calvin und seine Nachfolger im Puritanismus ausgestattet wurde, kann sehr wohl durch sie eine Intensitätssteigerung schon vorhandenen „kapitalistischen Geistes“ verursacht worden sein, der, nunmehr getragen von dem Bewußtsein religiöser Sanktion, um so stärker sich auszuwirken vermochte: Die englische Wirtschaftsgeschichte des 17. Jahrhunderts dürfte dafür bei näherer Betrachtung und Durchforschung mancherlei Belege zu liefern imstande sein. Es läge also hier der Fall vor, daß religiöse Momente einer schon im Wesen der Dinge liegenden Entwicklung befreiend und helfend zur Seite standen. Damit kommen wir zu einem Probleme, das anscheinend Weber zu seinen Studien, mit denen wir uns hier beschäftigten, die Anregung gab; es lautet: „Konfession und soziale Schichtung“: wie ist der vorwiegend protestantische Charakter des Kapitalbesitzes und des Unternehmertums zu erklären? Schon der Engländer Petty berechnete 1331 in seiner 1687 | erschienenen Schrift Political Arithmetic, daß Großbritannien, Holland, Dänemark, Schweden, Norwegen, die Hansestädte und die protestantischen Teile Deutschlands zusammengenommen drei Viertel des Welthandels innehätten; im Vor-

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40) A.

Lang: Johannes Calvin, 1909. |

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dergrunde dieser kommerziellen Geltung des Protestantismus standen natürlich England und Holland. In der Folgezeit, im 18. Jahrhundert, hat sich der Schwerpunkt von Handel, Industrie, Unternehmung und Kapitalismus noch viel mehr zu ungunsten der katholischen Teile Europas verschoben. Die Unterschiede, welche durch die natürliche Lage, durch die besonderen Neigungen und Fähigkeiten der Einwohner, durch die aus der Bodenbeschaffenheit und den Bodenschätzen des Landes fließenden Hilfsmittel begründet werden, können allein diese auffallende Tatsache nicht erklären; die Lösung des Rätsels muß tatsächlich in der Verschiedenheit des Bekenntnisses zu suchen sein. Aber auch da läßt sie sich nicht auf eine einzige bestimmte Formel reduzieren, wie auf die „innerweltliche Askese“ des Protestantismus. Vielerlei Umstände kamen zusammen, um das Endergebnis zu erzielen; wir können sie hier nicht in ihrer Totalität aufzählen und in ihrem inneren Zusammenhange aufdecken und würdigen; mit einigen wenigen Andeutungen müssen wir uns begnügen: Bei den Protestanten fehlte jenes angeblich weltentsagende Mönchstum, das, im allgemeinen unproduktiv lebend, am Marke des Volkes zehrte und die Güter der Welt in der toten Hand aufhäufte. Hier herrschte nicht die Besorgnis, daß die zunehmende Intelligenz der Bevölkerung der Priesterherrschaft gefährlich werden könnte; daher war hier eine Volksbildung möglich, welche die breiten Massen für den wirtschaftlichen Wettbewerb der Nationen besser ausrüstete, und mit der höheren Bildung und Intelligenz verbanden sich größere Rührigkeit und Energie. Die Weltverneinung, welche im letzten Grunde das höchste Ideal katholischen Christentums war, mußte in seinen Angehörigen einen relativ höheren Grad der Indolenz gegenüber den weltlichen Dingen erzeugen, die von der protestantischen Berufsethik ganz anders gewertet wurden. An und für sich ein Prinzip des Fortschrittes in sich schließend, von der Tendenz getragen, das Individuum auf eine selbständige Basis zu stellen, entfesselte und stählte der Prote|stantismus alle im Men- 1332 schen wirksamen Triebe, Kräfte und Anlagen. Es läßt sich auch nicht leugnen, zumal wenn man die katholischen Nationen des Südens mit den protestantischen des Nordens vergleicht, daß hier der allgemeine moralische Habitus ein überlegener war. Alles das konnte nicht des Einflusses auf die ökonomische Prosperität entbehren; in allen diesen Stücken wirkte der Protestantismus auf das Wirtschaftsleben befreiend und fördernd, der Katholizismus mehr bannend und hemmend. Wie hoch man aber auch immer die Bedeutung dieser Faktoren anschlagen möge, das Entscheidende war doch das Verhältnis von Politik und Religiosität, sowohl was das innere als auch was das äußere Leben der Staaten anbelangte. In einem viel höheren Grade verschmolzen in den katholischen Ländern Religion und Politik; wiewohl jene dieser äußerlich in der Form des Staatskirchentums untergeordnet war, stellte sie weit höhere Ansprüche an den Staat, beutete sie diesen für ihre besonderen konfessionellen Zwecke ungescheuter aus. Indem der Katholizismus Tendenz und Prätention einer alleinseligmachenden Religion von universaler Bedeutung aufrecht erhielt, zwang er die Machtmittel der ihm ergebenen, von seiner Idee innerlich gebundenen Völker und Staaten in seinen Dienst zur Wiederherstellung seiner Alleinherrschaft, und eben dadurch ruinierte er sie: das beste Beispiel dafür ist ja Spanien. Anders die einmal protestantisch gewordenen Völker: wenn sie aus religiösen Motiven in die Weltpolitik eingriffen, dann doch mehr zu defensivem Zwecke, zur Abwehr der Angriffe der katholischen Staaten und höchstens zum Schutze der im Machtbereiche des Katholizismus lebenden und hier unterdrückten Glaubensgenossen. Aber es ist bekannt, wie lau man dabei verfuhr, wenn man sich wirklich einmal dazu aufschwang, und jedenfalls war

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auf katholischer Seite die Bereitwilligkeit, in diesem Punkte Gleiches mit Gleichem zu vergelten, viel lebhafter und glühender wirksam. Niemals trat die Neigung zu einer weltumspannenden Offensive zum Behufe der konfessionellen Propaganda im Bereiche des Protestantismus so energisch und rücksichtslos auf, wie etwa bei Philipp II. und den Spaniern; die äußere Politik der protestantischen Mächte vermied es, fanatischen 1333 Expansions-Utopien nachzujagen und hielt sich viel | mehr in den Grenzen des Erreichbaren und Realen. Nicht anders war es auf dem Gebiete des inneren Staatslebens. Ihrer und ihrer Anhänger in höherem Grade sich sicher fühlend, ihres inneren Wertes sich wohl bewußt, stellte die protestantische Religiosität viel geringere Ansprüche an den Staat als das katholische Bekenntnis; sie brauchte ihn annähernd nicht im gleichen Maße. Anfangs konnte sie nicht umhin, damit sie überhaupt erst gegenüber der alten Kirche emporkäme und festen Fuß fasse, in natürlichem Instinkt, um der Zersplitterung und dadurch der Ohnmacht sowie der Unterdrückung durch den Katholizismus vorzubeugen, gewisse Einschränkungen an dem individualistischen Prinzip vorzunehmen, auf dem sie beruhte, mit Zwang und Gewalt gegen so manchen, scheinbar allzu exzessiven Dissent im Schoß der Reformation selbst vorzugehen; sobald ihre äußere Existenz aber erst gerettet und sicher gestellt war, mußte sich ihr Wesen in der Richtung eben des individualistischen Prinzips entfalten, aus dem heraus sie geboren war, nämlich in der Richtung von Glaubens-, Religions- und Denkfreiheit: das war freilich eine Entwicklung, für die humanistisch-rationalistische und politische Motive gegenüber dem spezifisch konfessionellen Momente mit seiner retardierenden Tendenz die Bahn brechen mußten. Die Hauptträger des modernen Kapitalismus sind vom 16. bis zum 18. Jahrhundert unter den protestantischen Völkern die Holländer und Engländer; sie aber sind zugleich die beiden Nationen, bei denen sich das Prinzip der Toleranz zuerst erfolgreich durchsetzte und dauernd behauptete, wenngleich mit Restriktionen, die freilich zum Teile auch wieder Reaktion gegen Restaurationsversuche der alten Kirche waren; sie dachten nicht daran, eine äußerliche Glaubenseinheit künstlich auf Kosten des materiellen Wohlstandes bei sich zu erzwingen. Was das in Verbindung mit allen den anderen Faktoren protestantischer Religiosität, die das Wirtschaftsleben mehr begünstigten, als der Katholizismus, zu bedeuten hatte, das zeigt ein Blick auf die Geschichte der Nieder1334 lande | seit ihrer Trennung von Spanien. Was sind bei gleicher Basis des Ausgangs die Generalstaaten des Nordens durch den Protestantismus, was die Südprovinzen durch den Katholizismus geworden! Und dabei kann man nicht einmal behaupten, daß die spezifisch katholische Wirtschaftslehre in Belgien eine Rolle gespielt und umgekehrt in Holland die spezifisch reformierte Wirtschaftslehre einen sicher erkennbaren und einigermaßen beträchtlichen Anteil am Emporblühen des Wohlstandes hierselbst gehabt hätte. Der Republik der Vereinigten Niederlande kam es sogar direkt zustatten, daß sie, wenngleich ein protestantisches, so doch ihrem innersten Wesen zufolge nie ein eigentlich kalvinistisches Gemeinwesens war; die Geschichte der Religiosität und des gesamten Geisteslebens ist hier, im letzten Grunde, ein Kampf zwischen Calvin und Erasmus, in welchem selbst die Dordrechter Synode dem Kalvinismus keinen wirklichen, geschweige denn einen dauernden Sieg brachte. Zwar gab es eine Staatskirche, aber diese war hier tatsächlich „Staatskirche“, d. h. sie entbehrte der theokratischen Stellung im Sinne der Genfer Ansprüche; alle fanden hier Duldung, die Anhänger der verschiedenen protestantischen Bekenntnisse im engeren Sinne, die Täufer, die Juden, die

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Katholiken. Man war soweit davon entfernt, durch Unterdrückung oder Vertreibung aller dieser dissentierenden Elemente das wirtschaftliche Gedeihen zu schädigen, daß man sie nicht nur ganz frei gewähren ließ, sondern auch zur ökonomischen Mitarbeit heranzog und auf den Posten stellte, wo sie dem Wohl der Gesamtheit nützen konnten. Ich erinnere nur daran, daß Steven van der Haghen, einer der ersten und erfolgreichsten Pioniere maritimer und kolonialer Expansion des jungen Freistaates, der als Flottenkommandant der Ostindischen Kompagnie für diese Amboina gewann, katholisch war; mag das immerhin eine Ausnahme sein, so ist es doch bezeichnend, daß hier solche Ausnahmen überhaupt möglich waren: man denke sich doch einmal als Gegenstück einen offenbaren Ketzer an der Spitze einer Flotte Philipps II. oder III.! | Gälte es, das Maß des Einflusses festzustellen, den reformierte Berufsethik oder [1347] Toleranzprinzip auf die Entwicklung der Volkswirtschaft Englands ausgeübt haben, ich weiß nicht, auf welcher Seite die Wagschale sinken würde. Es ist ja bekannt, welch unvergleichliche Rolle die religiösen Exulanten des Kontinents in der englischen Wirtschaftsgeschichte seit den Zeiten der Tudors bereits spielten. Was hat nicht die englische Textilindustrie zur Zeit Heinrichs VIII., Eduards VI. und Elisabeths den niederländischen Flüchtlingen zu verdanken! Nur einmal ist seit den Tagen Elisabeths, damals, als Lund [lies: Laud] in Canterbury residierte, der Versuch gemacht worden, die eingewanderten Protestanten unter Anwendung von Druck zur Staatskirche zu bekehren. In der Regel hielten sie sich zu den Dissenters, und aus dem torystischen Lager erschallten später bittere Klagen darüber, daß sie stets die Whigs verstärkten. Allerdings war England nicht so das Land der Duldung par excellence, wie Holland: das zeigt vor allem die Lage der Katholiken. Gegen sie bestand formell die strenge und barbarische Strafgesetzgebung aus dem Zeitalter der Reformation; aber zur selben Zeit, als in Frankreich nach hundertjähriger Geltung das Toleranzprinzip wieder beseitigt, das Edikt von Nantes aufgehoben wurde, unter den letzten Stuarts, erfreuten sich die Katholiken entschiedener Begünstigung. Im Gefolge der zweiten Revolution und der sich daranschließenden Stuartschen Restaurationsversuche wurden die Zügel gegen die Katholiken wieder schärfer angezogen, zeitweise sogar wider sie, zumal in Irland, mit unentschuldbarer Härte und Grausamkeit eingeschritten; im allgemeinen jedoch blieb die | Praxis 1348 eine sehr milde. Übrigens kamen die Katholiken, was Zahl und wirtschaftliche Bedeutung anbelangte, in Großbritannien selbst kaum in Betracht. Sie betrugen höchstens 1–2 v. H. der Gesamtbevölkerung, und noch zum Ende des 18. Jahrhunderts hatten in der kaufmännischen Welt nur zwei bis drei Katholiken eine große Position. Ganz anders war die Stellung der Hugenotten in Frankreich. Das Vorgehen Ludwigs XIV. gegen sie brachte der französischen Volkswirtschaft in der Tat eine empfindliche Schädigung, und ihre Auswanderung mußte das schon bestehende ökonomische Übergewicht der protestantischen über die katholische Welt nur noch mehr verstärken, indem es jener Kräfte zuführte, die dieser entzogen wurden. Was die großen Reiche und Nationen betrifft, so war es eben in der Hauptsache der Unterschied in der Beeinflussung der Politik durch Momente religiös-konfessionellen Charakters, der den Unterschied in ihrer wirtschaftlichen Stellung schaffen und vertiefen half: dafür spricht auch der Umstand, daß in den katholischen Ländern, seitdem sich in ihnen der Geist der „Aufklärung“ der Staatsleitung bemächtigte und jedenfalls das konfessionelle Element seine allesbeherrschende Geltung verlor, Kapitalismus und Unternehmertum mit verstärkter Betätigung einsetzten, daß seitdem die katholischen Völker Europas den protestantischen gegenüber erheblich an Konkurrenzfähigkeit gewonnen haben. Wo

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die Überspannung des religiös konfessionellen Prinzips einen alles andere Leben erdrückenden Rückhalt an der Staatsgewalt findet, da ist auch dem wirtschaftlichen 1349 Leben die Freiheit der Entwicklung verschränkt, die Erreichung | höchster Blüte versagt, deren es sonst fähig wäre. So werden wir denn dem religiösen Momente für die Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse gewiß eine große Bedeutung zugestehen müssen; wir werden sie allerdings nicht gerade in derselben Richtung suchen, zum mindesten nicht so ausschließlich, wie Weber; wir werden ihre Einflüsse in ihrem ganzen Umfange zu ermitteln trachten, wie sie teils hemmend, teils fördernd gewirkt haben, und wir werden zur Ansicht gelangen, daß der ökonomische Vorsprung des Protestantismus im wesentlichen darauf beruht, daß hier die hemmenden Kräfte fehlten, welche im Geltungsbereiche des Katholizismus das ökonomische Wachstum einschnürten und unterbanden. Zu den fördernden Elementen aber gehört unzweifelhaft die Berufsethik der Reformation: können wir uns auch Weber nicht anschließen, wenn er sie als „Askese“ kennzeichnet, schlagen wir ihre Wirkungen auch bei weitem nicht so hoch an, wie er es tut, – es bleibt sein Verdienst, auf diesen Faktor auch als Triebkraft „kapitalistischen Geistes“ (ein Gesichtspunkt, unter dem er noch nie gewürdigt worden ist), zumal in England, aufmerksam gemacht zu haben, und insofern hat ihm die Religions- und Wirtschafts-Geschichte eine wertvolle Anregung zu verdanken.

V. Einige Wochen sind seit der Feier der vierhundertsten Wiederkehr von Calvins Geburtstage vergangen; sie hat eine geradezu unübersehbare Literatur von Festschriften und Festartikeln angeregt und zutage gefördert. Man hat darin Charakter, Eigenart und Bedeutung des Mannes und seines Werkes zu zeichnen versucht, man hat seinen Einfluß auf die weltgeschichtliche Entwickelung beschrieben und gepriesen. Was ist nicht alles mit ihm und mit seiner Lehre in Zusammenhang gebracht worden: die Existenz und Erhaltung des Protestantismus in Westeuropa und Europa überhaupt, indem der Kalvinismus dem siegreichen Vordringen der katholischen Restaurationspolitik Einhalt gebot, die Entstehung des kapitalistischen Geistes, die Prinzipien der politischen Freiheit und der Demokratie: hat man doch die Erklärung der Menschenrechte und die amerikanische Revolution auf die Genfer Reformation zurückgeführt. Sogar 1350 auf das Gebiet der Künste | sollen sich die Ausstrahlungen des Geistes des Patriarchen von Genf erstreckt haben: indem er das historische Gemälde, das Genre- und das Landschaftsbild sowie das Porträt empfahl, habe er, so lesen wir,41) „das Programm im voraus entworfen, das nachher die holländische Kunst des 17. Jahrhunderts verwirklichte“. Gewiß bestehen manche dieser Zusammenhänge; nur ist es die Frage, ob sie auch immer von Calvin gewollt waren oder doch wenigstens seinen Intentionen entsprachen. Wie es mit seinem Verhältnisse zur Entwicklung des Kapitalismus steht, haben wir ja eingehend untersucht. Ähnlich ist es bestellt mit seinem Anteil an der Ausbildung individueller und politischer Freiheit; er ist begrenzt und lag nicht ohne weiteres in seiner Absicht und in seinem System. Für sich selber nahm er das Recht unbeschränktester Subjektivität in Anspruch, indem er sich für den Träger unmittelbarer

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göttlicher Inspiration hielt: „Gott hat mir die Gnade erwiesen, mir zu erklären, was gut und böse ist“. Wohl erwog er alles bei sich genau: „Ich habe nicht die Gewohnheit, etwas als Wort Gottes zu billigen, ohne es vorher reiflich überlegt zu haben“; aber das Ergebnis, zu dem er schließlich gelangte, war ihm Gottes Wort, und er wollte es als solches angesehen und geachtet wissen. Nur bedingt gestand er dem Individualismus sein Recht zu, nämlich nur für den Anfang der Reformation, wie er sie predigte. „Und das soll nur gelten für dieses Mal, für den rechten Anfang der Kirche.“ Nur bei der Gründung oder in den Momenten der Krise steht es dem einzelnen zu, sich dem Glaubensbekenntnisse anzuschließen; aber verschieden von Gründung und Krisen sind das gewöhnliche Leben und die Ergänzung der Kirche: einmal gegründet, ergänzt sich die Kirche durch Geburt, wie Familie und Staat; da ist die Zugehörigkeit zu ihr nicht mehr ins Belieben des Individuums gestellt, und ist man der Gemeinschaft unwürdig, so wird man verflucht und verstoßen; das eben ist die Aufgabe der Kirchenzucht.42) Zwar sagt Calvin, er fordere nicht Herrschaft für seine Person, sondern für die Bibel, wie Choisy43) das ausdrückt: „Ce n’est donc Calvin comme personnalité autoritaire qui a régné à Genève. | .  .  . C’est la bible“; aber er muß hinzufügen: „interprétée par lui“. Eben weil er 1351 verlangt, daß seine Schriftauslegung die alleingültige ist, läuft diese Bibliokratie auf eine Theokratie hinaus, deren Träger er selbst ist; er ist der Hierarch. Er beansprucht nicht nur für sich das Recht christlicher Subjektivität, sondern er fordert auch, daß seine subjektive Meinung zugleich objektive Norm für die ganze Christenheit sei; denn ihn regiert der Hl. Geist, und wenn ein anderer zu anderer Deutung gelangt, so ist das ein Beweis dafür, daß nicht Gott aus dem andern spricht, sondern Eigendünkel, Unwissenheit, Verblendung und satanische Bosheit.44) Nimmt man noch hinzu, daß die straffe Kirchenzucht alle Mitglieder der Gemeinde, ob Erwählte oder Verworfene, aufs engste einschnürte und aller Freiheit der Bewegung beraubte, so wird man zugeben müssen, daß das individualistische Prinzip, mochte auch aus ihm heraus der Kalvinismus geboren sein, dennoch im Rahmen des kalvinistischen Systems praktisch vernichtet wurde: immerhin war die bloße Tatsache seiner Existenz mächtig genug, so daß es sich auf die Dauer zu behaupten vermochte. Was der Kalvinismus gegen die auf der Tradition von Jahrhunderten fußende alte Kirche in Anspruch nahm und durchsetzte, das konnte er den mit ihm selbst gleichaltrigen übrigen Richtungen der Reformation nicht auf die Dauer versagen, und als sich gar diese, nämlich das humanistisch-rationale Christentum der Renaissance und das Täufertum, bei denen das individualistische Prinzip von vornherein durchgeführt ward, mit ihm vermischten, als er dadurch in eine Entwicklungsphase trat, die eine Zersetzung und Auflösung seines ursprünglichen Wesens bedeutete, da erlangten auch in ihm die Grundsätze der Duldung, der Gewissens- und Denkfreiheit die Oberhand. Wer freilich kann bestreiten, daß diese Prinzipien dem genuinen Kalvinismus fremd waren, daß sie von seinem Stifter nicht nur nicht gewollt waren, sondern daß sie sogar seinen Intentionen direkt zuwider liefen? Der echte Kalvinismus wollte keine Toleranz gewähren, wie das Vorgehen des Reformators selbst gegen Servet zeigt, und wenn er sie heischte, dann nur für sich selbst, wie die kurpfälzische Forderung der „Freistellung“ | 42) 

Doumergue II, 239. Choisy, La théocratie à Genève. 1897, p.  177. | 44)  Kreuzer [lies: Kreutzer], Zwinglis Lehre von der Obrigkeit, Kirchenrechtl[iche] 1351 Abh[andlungen] hgb. von Stutz, Heft 57, 1909, S.  2. | 43) 

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1352 auf den Reichstagen des 16. Jahrhunderts beweist45), nämlich „unbedingter Religionsfreiheit protestantischer Untertanen unter katholischer Obrigkeit, ohne das entsprechende Recht an die Katholiken“. Ja sogar, ehe sie Toleranz mit Antitrinitariern und Baptisten teilen wollten, eher wollten sie selber leiden: so wenigstens war es das Gebot der Genfer Väter, der Hüter des wahren Kalvinismus, an ihre niederländischen Glaubensgenossen bei deren erster Erhebung. Sie kannten kein Paktieren mit anderen Überzeugungen; wenn sie eine allgemeine protestantische Union befürworteten, dann mit dem Anspruch, daß sich die anderen ihnen im wesentlichen fügten. Und doch wird niemand über Calvins Intoleranz den Stab brechen wollen. Die Religiosität, wie er sie lehrte, mußte, wenn sie eine Macht werden sollte, die der alten Kirche gewachsen, die ihr gegenüber dem Protestantismus Halt und Widerstandskraft zu verleihen geeignet war, zunächst vor innerer Auflösung bewahrt werden; rein und unversehrt mußte ihr Kern erhalten werden. Denn sonst hätte sie die gewaltige Triebkraft eingebüßt, die sie ihren Bekennern einflößte; nimmermehr wäre sie das stolze Palladium geblieben, um dessen willen man das Herzblut vergoß. Es war eine tragische Notwendigkeit, daß der Protestantismus, wenngleich ein Kind des Individualismus und der Gewissensfreiheit, sie doch zuerst mit Gewalt niederhalten mußte, um sie für spätere Zeiten möglich zu machen: denn hätte er sie schon in seinen ersten Anfängen ungestört schalten und walten lassen, so wäre er eben nie eine Macht geworden. Durch das System des Zwanges, das er schuf, hat Calvin schließlich die Freiheit gerettet. Das war der Erfolg seines Wirkens; aber er war nicht von ihm gewollt. Ein hervorragender Reformationshistoriker46) hat das Urteil gefällt: „Der Scheiterhaufen Servets hat Calvins Werk erhalten.“ Dazu bemerkt ein reformierter Theologe47): „So hat allerdings Calvin selber die Sache aufgefaßt; aber wenn sein Werk nur durch eine solche Tat zu retten war, so verdiente es 1353 vielmehr unterzugehen.“ Gewiß kann man nicht sagen, daß eben diese | Tat notwendig war, um den Bestand des Kalvinismus zu sichern. Warum hätte man nicht, anstatt Servet zu verhaften, ihm unter der Hand einen Wink geben können, daß er sich aus dem Staube mache: dadurch wäre das Werk Calvins schwerlich gefährdet worden. Aber man darf nicht mit den Männern der Geschichte rechten; man muß sie nehmen, wie sie sind; die Schatten gehören zu ihrer Größe so gut wie ihre Tugenden. Die düstere Energie und Leidenschaft, die Calvin die Fackel in die Hand drückte, mit dem [lies: der] er Servets Scheiterhaufen in Flammen steckte, hat ihn auch die Stadt der Heiligen schaffen lassen, in der es die Protestanten Westeuropas lernten, dem Rom Loyolas die Stirn zu bieten. Der Sieg, den er gegen Rom gewann, kam schließlich allen Gegnern Roms zugute, auch denen, die er als die seinigen betrachtete und unbarmherzig verfolgte. Und eben vor diesen seinen Widersachern, denen sein Kampf gegen Rom Luft und Licht zur Erhaltung ihrer Existenz und zur Entfaltung ihrer Kräfte gewährt hatte, mußte der Kalvinismus schließlich kapitulieren. In Holland begann seine Verschmelzung mit dem Renaissance-Christentum humanistischer Aufklärung erasmianischer Prägung; als ihre theologische Formulierung stellte sich der Arminianismus dar. Dadurch mußte er über sich Veränderungen in seinem Wesen im Sinne des Rationalismus und der Toleranz ergehen lassen; noch viel mehr als in der Theologie kamen sie zum Ausdruck in der praktischen Religiosität des holländischen Volkes, zumal seiner 1352

45) 

Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation.  1889, I, 129. Kawerau in Möllers Kirchengeschichte, III2, 432. 47)  Barth, Calvin und Servet, 1909, S.  21 f. | 46) 

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höheren Stände. Was England anbelangt, so hat Weingarten in seinem klassischen Buche über die englischen Revolutionskirchen gezeigt, wie hier durch die Synthese kalvinistischer und täuferischer Religiosität das Prinzip der Toleranz erzeugt und in einem großen, gewaltigen Anlaufe zum Siege geführt und statuiert wurde. Bei dem Abflauen des religiösen Enthusiasmus, dem es seinen Triumph verdankte, konnte es freilich für England nur durch den Einzug und die Verbreitung von Rationalismus und natürlicher Theologie auf die Dauer sichergestellt werden. Sie aber, wie das Täufertum, wurden England mitgeteilt von Holland aus, wo ja auch der Kongregationalismus zuerst eine Heimstätte gefunden hatte, ganz ebenso wie | der Antitrinitarismus; es ist 1354 bekannt, welche Rolle dieser letzte, der sogenannte „Arianismus“, später in der englischen Theologie spielte. Das Resultat aller dieser Einflüsse auf den Kalvinismus und den „genuinen“ Protestantismus überhaupt aber ist das, was man jetzt wohl auch den „Neuprotestantismus“ nennt. Er ist vom Kalvinismus ausgegangen, ist aber seine innere Umkehrung, insofern als das individualistische Prinzip, auf dem dieser ursprünglich beruhte, dem aber Calvin sofort Einhalt setzte, in der Richtung der Gewissens- und Denkfreiheit, der Freiheit jeglicher Religionsübung, der Autonomie der Vernunft und des vernunftmäßigen Erkennens konsequent fortgebildet wurde. Wie also Calvins Einfluß auf die Entwicklung einer freieren christlichen Religiosität auf der Grundlage wirklicher Durchführung des individualistischen Prinzips ein recht bedingter und indirekter, diese vielmehr im wesentlichen die geistige Erbschaft des von ihm verabscheuten Täufertums und Libertinismus ist, so auch muß man sich hüten, seine direkte Einwirkung auf den Werdegang des modernen Staates zu überschätzen. Calvin wollte Staat und Kirche nur begrifflich sauber geschieden wissen, sie keineswegs tatsächlich trennen. Bei aller Betonung des besonderen Charakters des Staates, der Notwendigkeit eines „freien“ Zusammenwirkens von Kirche und Staat zur Durchführung von Gottes Wort sah er im letzten Grunde doch den Staat als den Knecht der Kirche an, deren Oberhaupt er oder seine Mitbrüder und Nachfolger am Worte Gottes in Wahrheit waren. Denn eben darauf lief ja das Prinzip der Bibliokratie hinaus, dem er, wie alle weltlichen Dinge, so auch den Staat unterworfen wissen wollte: so fiel er in die mittelalterliche Theokratie zurück. Erst durch die in den englischen Revolutionskirchen vollzogene Durchsetzung des Kalvinismus mit täuferischen Gedanken (für die ja von Anfang an das Streben nach bloßer Duldung, der Verzicht auf jede Herrschaft über den Staat als Konsequenz der vollkommenen Abwendung vom Staate und daher auch die prinzipielle Trennung des kirchlichen Lebens vom Staate charakteristisch waren) ist die Proklamation wie des Grundsatzes der Toleranz so auch des der faktischen Scheidung staatlichen und religiösen Lebens zustande gekommen. | Niemand wird freilich verkennen, daß dieses Postulat dem genuinen Kalvinismus 1355 widersprach, und daß es für die Frühzeit der Reformation, für das Genf Calvins selber ein Unding war. Denn ganz abgesehen davon, daß auch der Staat damals der engsten Verbindung mit der Kirche noch nicht entraten zu können vermeinte, so war eine faktische Trennung von Staat und Kirche im Interesse des Protestantismus selber unmöglich. Denn dieser braucht zur Behauptung seiner Existenz gegen die alte Kirche die innigste Verquickung mit dem Staate, und mußte er sich sonst, in den deutschen Territorien und in den schweizerischen Stadtrepubliken, dem Staate unterordnen, so war es für ihn von denkbar höchstem Werte, daß er in Genf eine Stätte fand, wo er dem Staate nicht dienend, sondern selbständig und sogar herrschend gegenüberstand. Denn so wurde in ihm die innere Freiheit der Gesinnung gegenüber dem Staate gefestigt, woran

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es die Epigonen des Luthertums nur allzuoft fehlen ließen; so ward ihm der moralische Mut eingeflößt, sich mit allen Kräften und Mitteln auch da zur Geltung zu bringen, wo er um seine Existenz mit dem Staate ringen mußte, d. h. in den katholischen Ländern, frei von jeglichem inneren Bedenken und lauer Halbheit, kühn und trotzig der Gegenreformation unter staatlich-moderner Ägide, die Stirne zu bieten. Wie sich Calvin als der faktische Leiter des souveränen Freistaates von Genf in gewissem Sinne den Potentaten Europas gegenüber als gleichberechtigt erachten konnte, so lernten sich die Kalvinisten eben durch die Beziehung auf Genf als ihren von aller Welt unabhängigen Mittelpunkt als Glieder einer Gemeinschaft fühlen, die dem staatlichen Organismus gegenüber allüberall ihre absolute Existenzberechtigung zur Geltung zu bringen befugt und berufen sei. Darin lag gleichsam der erzieherische Wert der Genfer Theokratie für den westeuropäischen Protestantismus; es wurde ihm dadurch ein Geist mitgeteilt, der ihn schwerlich, wenn er sich ausnahmslos staatskirchlich gebunden hätte fühlen müssen, in solcher Stärke erfaßt haben würde. Im wesentlichen aber blieb die theokratische Stellung des Kalvinismus beschränkt auf seine engste Heimat, auf die Wirkungsstätte seines Stifters. Die kalvinistische Kirche in Holland erinnert, was ihr Verhältnis zum 1356 Staate anbelangt, trotz ihrer Synodalverfassung | mehr an das Staatskirchentum der anderen schweizerischen Stadtrepubliken. In England ist die Herrschaft des Staates über die kirchlichen Organisationen, welcher Art und welchen Bekenntnisses sie auch immer waren, nie dauernd angetastet worden, und in Frankreich hat sich der Kalvinismus lediglich eine Zeitlang die Stellung eines tolerierten Sonderstaates im Staate zu erkämpfen vermocht; wo er in Deutschland eindrang, mußte er sich dem hier herrschenden Systeme des Territorialkirchentums einfügen. Mit dem modernen Staate und seinem Verhältnisse zur Kirche hat der genuine Kalvinismus nichts zu tun; aber er hat diesen Zustand schaffen helfen, indem er zwar nicht den Anspruch auf Herrschaft, wohl aber auf Existenz und sogar auf eine bevorzugte Stellung, auf die Erklärung zur Staatskirche vielerorts durchsetzte: auf dieser Grundlage und unter den Einwirkungen von Täufertum, Toleranz, Rationalismus und moderner Weltanschauung erwuchsen die Zustände, wie sie heute das Verhältnis zwischen Staat und protestantischem Kirchentum in den verschiedenartigsten Modifikationen in der alten und neuen Welt kennzeichnen. Noch mehr: man hat sogar bestimmte Prinzipien und Formen des modernen Staatslebens aus dem Kalvinismus abgeleitet, – Demokratie und Volkssouveränität, die Lehre von den unveräußerlichen Menschenrechten: „Der Ausgangspunkt hierfür“, so hört man sagen, „ist die kalvinistische Gemeindeverfassung“.48) Nun kann darüber kein Zweifel bestehen, daß Calvin die Aristokratie als die beste Verfassungsform für Staat und Kirche ansah, wenngleich er anerkannte, daß unter bestimmten Umständen eine andere Staatsform vorgezogen werden könnte49). Jedenfalls hält er die Herrschaft des Volkes, die Austeilung gleicher Rechte an alle für schädlich: die mechanische Gleichheit, nämlich das Prinzip der Zahl, auf der die Demokratie beruhe, schade der gesunden und edlen Entwicklung des Staates; nicht selbst regieren solle das Volk, sondern regiert werden. Es ist sogar in Genf die Verfassung, die ursprünglich eine demokratische war, unter Calvins Ägide allmählich mehr und mehr aristokratisiert worden.50)

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48) So

Gothein in Hinnebergs Kultur der Gegenwart a. O. 220. Vgl. zum folgenden Elster a. O. 177 ff. 50)  Ebenda 207. | 49) 

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Und was die Ge|meindeverfassung Calvins anbelangt, so ist die ältere Ansicht von 1357 deren demokratischer Grundlage neuerdings durch Rieker bekämpft worden, unter dem Hinweise darauf, daß die Ältesten nach Calvins Meinung nicht Vertreter des Willens der Gemeinde seien, sondern Träger eines selbständigen, von Gott geordneten Amtes, Funktionäre Christi. Die Doktrin von der Volkssouveränität ist erst in der zweiten Generation des Kalvinismus benutzt worden; sie ist ihm auch nicht originär, sondern ist, wie ihre Voraussetzungen, die Lehren vom Naturrechte und vom Staatsvertrage, ein Erbteil der antiken Philosophie, das schon längst Gemeingut der abendländischen Publizistik war; machten sie doch auch die Jesuiten zur selben Zeit für ihre Zwecke nutzbar. Sie wurde von den Kalvinisten also nur rezipiert, und zwar wurde sie von ihnen in einer aristokratisch-ständischen Färbung vorgetragen; unter Heranziehung der kalvinischen Lehre von den Befugnissen und Pflichten der magistrats inférieurs gegenüber dem gottlosen Herrscher erklärte man nämlich das Recht des Volkes als absorbiert durch die Stände. Weder in Kirche noch auch in [lies: im] Staat begünstigte also der Kalvinismus Calvins selber die Demokratie. Mag diese auch theoretisch in Calvins Gemeindeverfassung gelegen haben, so ging es damit ähnlich, wie mit dem individualistischen Prinzip auf dem Gebiete seiner Religiosität. Das demokratische Gemeindeprinzip mochte eine gewisse Rolle spielen bei der Gründung der Kirche oder bei der Bildung neuer Gemeinden, indem bei dieser Gelegenheit die ersten Gemeindeorgane aus Wahl durch die Gemeinde hervorgingen; eine weitere Entfaltung aber lag nicht im Sinne Calvins und widersprach direkt seinem Systeme. Es hat sich auch tatsächlich erst durchgesetzt, als sich im Kongregationalismus des 17. Jahrhunderts eine wirksame Synthese kalvinistischer mit täuferischen Ideen vollzog: wie die Grundsätze der Toleranz und der Trennung von Staat und Kirche, so auch ist das demokratische Gemeindeprinzip nicht genuin-kalvinistisch, sondern erst durch das Täufertum in den Kalvinismus eingedrungen, und auch dadurch wurde dieser etwas ganz anderes, als die Schöpfung Calvins ursprünglich gewesen war. Und was die politische Demokratie angeht, so ist diese nicht ohne weiteres als eine Art von Säkularisation des demo|kratischen Gemeindeprinzipes 1358 im täuferisch beeinflußten Kalvinismus zu betrachten. Gewisse Beziehungen sind vorhanden; aber im wesentlichen ist die moderne Demokratie in Amerika und Europa von selbst emporgewachsen, teils aus den tatsächlichen Verhältnissen, unter denen sich die Festsetzung der ersten Ansiedler jenseits des Ozeans vollzog, teils im Zusammenhange mit der Ausbildung der politischen Theorie, indem nämlich die Lehre von der Volkssouveränität der unlogischen aristokratischen Verbrämung entkleidet wurde, die sie sich noch bei den kalvinistischen Monarchomachen hatte gefallen lassen müssen: kam der Staatsvertrag, aus dem die Volkssouveränität floß, durch Übereinkunft aller zustande, so war eben die Demokratie seine logische Konsequenz. Und dasselbe gilt von den unveräußerlichen Menschenrechten; sie sind hervorgegangen aus den naturrechtlichen politischen Theorien des 17. und 18. Jahrhunderts, insbesondere aus Locke, indem daraus in den amerikanischen Kolonien Englands ein Katalog spezialisierter individueller Freiheitsrechte abgeleitet wurde, an denen selbst die Staatsgewalt ihre Grenze zu finden hätte. Auch hier ist somit der Zusammenhang mit dem genuinen Kalvinismus teils sehr locker, teils ein indirekter; denn er stellt sich, insoweit er überhaupt besteht, dar als eine Fortbildung des Kalvinismus, die nicht dem Geiste Calvins entsprach, ihm wohl auch geradezu widersprach und durch das Eindringen von Elementen bewirkt wurde, die Calvin sogar ohne Zweifel perhorresziert hätte. Mit anderen Wor-

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ten: die größten weltgeschichtlichen Wirkungen, die dem Kalvinismus zugeschrieben werden, und unter deren Einfluß noch jetzt das moderne Leben steht, sind ihm, insoweit er tatsächlich daran beteiligt ist, nur durch seine Kapitulation vor seinen ursprünglichen Todfeinden, Täufertum und rationalistischem Libertinismus, möglich geworden. Daß von allen Richtungen des Protestantismus der Kalvinismus den Kampf gegen die katholische Restauration am mutigsten aufgenommen und ihr den nachhaltigsten und erfolgreichsten Widerstand geleistet hat, das wird vor allem der Staatslehre Calvins zugeschrieben – wie Häusser das negativ ausdrückt: „Mit dem passiven Wider1359 stande Luthers konnte man den Karaffas, den Philipps, den Stuarts nicht | entgegenwirken.“ Das ist wieder einmal die Überschätzung kirchlicher Lehren, wo sie über das rein Religiöse hinausgehen; im übrigen ist die Formulierung des Gegensatzes zwischen Kalvinismus und Luthertum, wonach dieser sich rein auf die passive Resistenz beschränkt, jener den aktiven Widerstand gegen die ungläubige und gottlose Obrigkeit gepredigt habe, weder für die Lehre noch auch für die Praxis richtig, und man darf doch auch die Bedeutung des Luthertums für die Erhaltung des Protestantismus in Europa nicht zu gering anschlagen. Schon Luther ist, worauf wir bereits aufmerksam machten, über die Lehre vom passiven Widerstande weit hinausgegangen, und auch die Lehre von der Befugnis der niederen Obrigkeit zu aktivem Widerstande findet sich beim Luthertum. Die lutherischen Fürsten Norddeutschlands in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, damals die Träger der politischen und militärischen Machtmittel, die dem Luthertum zur Verfügung standen, waren freilich ein schwaches, tatenscheues Geschlecht, das die Ruhe liebte und den Frieden nach Möglichkeit erhalten wissen wollte: das gab dem Luthertum jener Zeit einen Zug passiver Resignation, der aber nicht aus seiner speziellen Lehre vom Widerstandsrechte erklärt werden darf, sondern aus der individuellen Eigenart jener Generation der lutherischen Machthaber. In den habsburgischen Staaten haben die lutherischen Elemente, worauf wir gleichfalls schon hinwiesen, nichts weniger als Neigung zu stummem Dulden und zaghaftem Leiden an den Tag gelegt, und Gustav Adolf zeigt zur Genüge, daß lutherische Religiosität mit aktivem Heroismus sehr wohl vereinbar war. Das soll man doch nicht vergessen, daß die Rettung des deutschen Protestantismus und damit die Erhaltung der ganzen Machtstellung des Protestantismus in Europa und der Welt – abgesehen von dem rein politischen Moment der habsburgisch-französischen Rivalität – in erster Reihe ein Werk lutherischer Tatkraft und Heldenhaftigkeit war. Die Lehre Calvins vom Widerstandsrechte ist bekannt: auch der schlechten Obrigkeit ist man Gehorsam schuldig, selbst wenn sie Gewalt tut, nur daß dann die magistratus inferiores ihr entgegenzutreten verbunden sind. Wenn die Befehle der Obrigkeit mit 1360 dem Gebote Gottes zusammenstoßen, dann freilich | hört die Pflicht des Gehorsams auf; aber der Gläubige muß das Unrecht, das eine tyrannische Regierung über ihn verhängt, mit Geduld ertragen; Gott wird ihm, wenn die Zeit erfüllt ist, Hilfe bringen: das ist dem Kerne nach dasselbe, was Luther vorschrieb. Das Prinzip vom duldendem [lies: duldenden] Gehorsam und des nur passiven Widerstandes gegen die Obrigkeit wurde von der Genfer Mutterkirche selbst nach Calvins Tode noch vertreten, und durch Beza wurde sogar seine praktische Durchführung gefordert. Als die niederländischen Geusen sich zu ihrer ersten Erhebung anschickten und dazu einer theoretischen Rechtfertigung bedurften, ließen sie nach einer solchen nicht die Gebrüder Marnix in dem Arsenal der kalvinistischen Literatur suchen, sondern ihr Führer Hames bat den Grafen Ludwig von Nassau, er möchte ihnen eine gewisse Abhandlung aus Deutschland mit-

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bringen, die er ihnen versprochen habe, und in der die Gründe angeführt seien, auf welche hin die niedere Obrigkeit die Waffen ergreifen dürfe, wenn die höhere schlafe oder Gewaltherrschaft ausübe.51) Und sie wußten sehr wohl, warum sie sich nicht in Genf Rates erholten. Die erste religiöse Insurrektion gegen das katholische Glaubensjoch Philipps II. in den Niederlanden ist, wie die Briefe Bezas beweisen, nicht nur unabhängig von Einwirkungen seitens der Genfer Zentrale des Kalvinismus entstanden; sondern sie hat hier auch entschiedene Verurteilung gefunden, und zwar sowohl deshalb, weil sie den Charakter einer Toleranzbewegung zu Gunsten aller Richtungen des Protestantismus trug, als auch an und für sich, nämlich als ein Akt der Gewalt und der bewaffneten Auflehnung wider die Majestät des Königs: lieber sollen seine Glaubensbrüder, so rät Beza, ihre Unschuld Gott und der Majestät des Königs empfehlen und alles leiden, was Gott ihnen schickt; denn das ist Gott wohlgefälliger, als eine Gewissensfreiheit zu erstreben, die sie mit allen anderen Ketzereien und Blasphemien teilen. Gewiß darf man von dem „unbeugsamen Mut und Starrsinn der Genfer Kampfes|kirche“ 1361 sprechen; aber man muß dabei im Auge halten, daß es sich dabei, insofern aktiver Widerstand in Frage kommt, nicht immer um die Genfer Mutterkirche, sondern um den Kalvinismus im allgemeinen handelt. Ihm gehörte in den Ländern Westeuropas eine Generation von Bekennern an, die nicht saturiert und schlaffen Mutes waren, wie die lutherischen Fürsten von Norddeutschland; sondern es stachelte sie trotz der warnenden Beschwörungen der Genfer Väter das aus ihrer äußersten Bedrängnis entspringende Bedürfnis, der Selbsterhaltungstrieb, die Reaktion gegen die Jahrzehnte lang währende blutige Unterdrückung und, wie in den Niederlanden, der rationale Geist zu aktivem Widerstande gegen ihre Regierungen auf. Diese Motive waren für sie mächtiger, als der „duldende Vorsehungsglaube“, der ihnen von Genf aus gepredigt wurde. Auch lag in den Niederlanden die Sache keineswegs so, daß der Kalvinismus, wenn er im Kampf gegen die Krone allein gestanden hätte, den Sieg zu erringen vermochte; es waren noch andere Kräfte am Werke. Und was Schottland anbelangt, das zweite Land, wo sich im 16. Jahrhundert der Kalvinismus gegen den katholischen Herrscher durchsetzte, so ist es allgemein anerkannt, daß die Lehren von Knox über das Verhältnis von Fürsten und Volk weit über die genuinen kalvinischen Ideen hinausgingen, und dasselbe gilt von der gesamten Staatslehre der kalvinistischen Monarchomachen. Trotz alledem, wenn sie auch in diesen Stücken über die eigentlichen Lehren Calvins weit hinausgingen, wenn sie sogar direkt den Weisungen zuwiderhandelten, die sie von Genf empfingen, es war doch der Geist kalvinischer Religiosität, von dem sie getragen wurden, der sie erfüllte in allen ihren Leiden und Taten, und dieser Geist wirkte in ihnen um so stärker, als ihm der Reformator in seiner Gemeindeverfassung die denkbar zweckmäßigste und erfolgverheißendste Form der Organisation zur Verfügung gestellt hatte, die alle Kräfte aller in seinen Dienst spannte, die auf dem Prinzip der engsten und durchgreifendsten sozialen Kooperation beruhte. Nicht erfüllt vom Geist der Demokratie war die kalvinistische Gemeindeverfassung; sie hatte nicht zur Voraussetzung eine Gleichheit der Rechte; sie legte vielmehr allen Mitgliedern eine Gleichheit der Pflichten auf, nämlich allen die Ver|pflichtung zur Einsetzung aller ihrer Kräfte 1362 51)  Ritter (Histor[ische] Zeitschr[ift] 58, 425) vermutet unter dieser „Abhandlung“ 1360 die „Vermahnung der Pfarrherrn in Magdeburg“ vom April 1549, „eine Schrift, welche den Ausgang für eine theoretisch wie praktisch gewaltig eingreifende Literatur vom Recht des Widerstandes und seinen Schranken gebildet hat.“ |

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zum Wohle der Gesamtheit, zum Dienste und zur Ehre Gottes. Der Kalvinismus war wie eine große Armee; jeder einzelne war seinem besonderen Fähnlein zugewiesen, nämlich der Gemeinde seines Bereiches. Beitritt zur Gemeinde des Ortes und Gemeindebildung war seinen Bekennern vorgeschrieben; jeder war verbunden, Mitstreiter zu werben und mit ihnen sich durch das Band der Gemeinde fest und unverbrüchlich zu verbinden. Niemandem war es erlaubt, sich davon in vornehmer Reserve oder in individualistischer Vereinzelung fernzuhalten; soziales Zusammenwirken in einem Geiste, das war die Losung, der sich jedermann beugen mußte. Und eine treffliche Disziplin wurde unter diesen Kämpfen für Gottes Ruhm und Größe gehandhabt, die Kirchenzucht, geübt durch die Vorsteher der einzelnen Gemeinden, das aus den Geistlichen und den Laienältesten zusammengesetzte Konsistorium. Die Kirchenzucht, gipfelnd im Banne, war für Calvin „der Nerv der Kirche“, und es war die Pflicht des Staates, ihr hierfür seinen Arm zu leihen. Hierin das Beispiel Genfs nachzuahmen, das war allerdings für diejenigen Länder unmöglich, wo sich der Kalvinismus nicht dauernd zu einer theokratischen Stellung emporzuschwingen vermochte, wo er nur geduldet wurde oder gar verfolgt war, bei den Kirchen „unter dem Kreuze“. Aber gerade bei diesen, die sich über weite Flächen erstreckten, vollzog sich eine Fortbildung der Kirchenverfassung, die eine weitere und noch viel stärkere Konzentration der Kräfte bedeutete: die Gemeinden schlossen sich auf provinzieller Grundlage zu Provinzialsynoden zusammen, über ganze Länder hin zu Generalsynoden. Bei den Hugenotten vollzog sich zuerst diese Krönung der Gemeinde- und Konsistorial-Verfassung durch die Synodalverfassung; von ihnen her wurde sie nach den anderen Verbreitungsgebieten des Kalvinismus übernommen, zuerst, schon um 1561, nach den Niederlanden. Damit waren große, umfassende und mächtige Organisationen geschaffen, welche alle Gemeinden, die zu ihnen gehörten, einer einheitlichen, planvollen und energischen Leitung unterstellten; an ihrer Spitze standen kühne, zähe und verschlagene Männer, in deren Hand alle Fäden zusammen1363 liefen, wie der Advokat Me. Gilles Le Clerq aus Tournai, der geschickte | Sekretär der niederländischen Synode. Im Bewußtsein dessen, was sie vermochten, wenn sie nur wollten, erfüllten sich diese Verbände mit dem Geiste eines aktiven Widertandes gegen die Regierungen, den die Genfer Mutterkirche weder lehrte noch auch immer billigte. Nicht Calvins Lehre vom Staate und insonderheit vom Widerstandsrechte hat die Erhaltung und die Fortschritte des Kalvinismus in Westeuropa bewirkt, sondern neben der ihm eigentümlichen Religiosität vor allem seine Kirchenverfassung, die straffe Organisation der Gemeinde, durch die der Einzelne aufs stärkste gefaßt, innerlich gefestigt und äußerlich geschoben wurde, die das denkbar intensivste Zusammenwirken der Mitglieder zum gemeinsamen Ziele begünstigte, die alle in ihnen vorhanden Kräfte erweckte, konzentrierte und für die Sache des Evangeliums nutzbar machte: so ward ein festes und unzerreißbares eisernes Band um die Massen geschmiedet, und es entstanden Machtorganisationen, die ebenbürtig den Mächten gegenübertraten, welche das Schwert für die alte Kirche schwangen. Auch da ist freilich ein wesentlicher Fortschritt, zwar auf der Grundlage von Calvins Werk, seiner Kirchenverfassung, aber doch darüber und über ihn hinaus wahrnehmbar, nämlich die Synodalverfassung und die Durchdringung dieser Synodalverbände mit aktivem Kampfesmute: damit erst hebt die Epoche der großen Glaubenskriege an. Aber eines gibt es, das stammt im Kalvinismus allüberall, wo immer er auftritt, von Calvin selbst; das ist das beste, was er der Kirche einflößte, die nach ihm benannt wurde,

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sein Größtes, und darauf beruht seine universale Wirkung: jene eigentümliche Religiosität, die, aus seiner Prädestinationslehre herausgewachsen, doch nicht mit ihr steht und fällt, deren einziger und unverrückbarer Zielpunkt die Wahrung von Gottes Ruhm und Ehre ist, das Wirken in seinem Dienste, die Entzündung und Unterhaltung jenes brennenden und leidenschaftlichen Glaubenseifers, der vor nichts zurückschreckt, der keine Kompromisse und Nachgiebigkeit kennt. Die Religion wurde bei ihm zur Leidenschaft, die alles andere beherrschte und mit sich fortriß. Ein Ideal evangelischen Glaubens und evangelischer Sittlichkeit hatte er in seinem Genf aufgerichtet, das alle seine Anhänger zur Nacheiferung anspornte, ein Bei|spiel, das mit unwiderstehlicher Anzie- 1364 hungskraft dem Protestantismus immer wieder neue Gottesstreiter warb, mochten auch ihre Reihen in immer wieder neuen Schlachten durch Fall und Abfall gelichtet werden. Manch einer von ihnen hielt in der Marter der letzten Stunde nicht stand, so jener Guy de Brès, Calvins eifrigster und erfolgreichster Apostel in den südlichen Niederlanden, der Schöpfer der ältesten belgischen Konfession von 1561. Aber die Verbindung von tiefster und glühendster Religiosität mit strengster sittlicher Lebensführung und lebhaftestem Gemeinschaftsgefühle, die er seiner Kirche einpflanzte, erzeugte in ihr Helden, die sich um die Restriktionen nicht kümmerten, mit denen der Meister das Recht aktiven Widerstandes verschränkte: so hat er der Reformation die Bahn gebrochen, wie Luther durch den Heroismus seiner Person, durch den heroischen Geist, den er seiner Kirche als ihr höchstes Gut, als ihr sichtbares Merkzeichen mitteilte. Eines solchen aktiven Heroismus waren das moralistisch und rationalistisch gerichtete Reformchristentum eines Erasmus, das nach der Münsterschen Katastrophe friedfertige, weltabgewandte, alles Blutvergießen scheuende und nur im Leiden starke Täufertum nicht fähig. Wie großartig und erhaben auch immer diese heroische Religiosität des Kalvinismus war, so liegt es doch auf der Hand, daß sie eine Anspannung des religiösen Prinzipes involvierte, wie sie wohl für Zeiten der Gährung, da das Neue sich durchzuringen trachtet, notwendig, aber nicht auf die Dauer möglich ist und nicht die Norm für die Allgemeinheit sein kann: die menschliche Natur ist wohl im Moment der Gefahr, da es sich um Sein und Nichtsein handelt, eines Aufschwunges zu ungeheurer Energie fähig; aber wenn der Sturm vorüber ist, so macht sich das Bedürfnis nach einer Lösung der enormen seelischen Spannung geltend. Schon im genuinen Kalvinismus lagen solche Elemente der Überspannung, seine Grundlehren von der totalen Verderbtheit der menschlichen Natur, vom ewigen Ratschlusse Gottes mit seiner Verwerfung der Vielen und der Erwählung nur Weniger, sein moralischer Rigorismus; sie stellen an die Kräfte des Gemütes und des Willens Anforderungen, die über das Durchschnittsmaß menschlicher Veranlagung und menschlichen Könnens weit | hinausgehen. Die extreme Religio- 1365 sität des Kalvinismus wurde, als sich im Puritanismus seine Synthese mit dem Täufertum vollzog, durch das Eindringen der enthusiastischen Ideen bis zur Siedehitze des Fanatismus gesteigert; da war der Rückschlag unvermeidlich. Auch der Katholizismus involvierte eine Überspannung des religiös-transzendenten Prinzipes. Die strenge Unterordnung aller irdischen Ordnungen, Verhältnisse und Interessen unter den jenseitigen Zweck der Menschheit, wie sie ihn lehrt, das war das Joch, welches die katholische Kirche des Mittelalters ihren Gläubigen auferlegte. Vor dem transzendenten Ziele der Menschheit und dem ausschließlichen Mittel zu seiner Erreichung, der Alleinherrschaft des Dogmas, mußten alle anderen Zwecke und Werte zurücktreten; sie hatten nur Geltung, insofern sie sich mit der katholischen Idee, d. h. letztlich mit

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dem Gebote der Kirche in weitestem Umfange, vertrugen. Gewiß vermochte die Kirche diesen Anspruch den realen Mächten des Lebens gegenüber keineswegs immer durchzusetzen, und zeitweise ist sie auch in seiner Verfolgung erlahmt. Das eben ist die Bedeutung des Zeitalters der Renaissance, daß sich in ihm eine selbständige Wertung der irdischen Dinge anbahnte, die zwar den offenen Kampf gegen die katholische Idee vermied, aber eine innere Loslösung, eine wachsende Emanzipation von ihrer Vormundschaft bewirkte: das adogmatische und moralistisch gerichtete Renaissancechristentum eines Erasmus war die Form christlicher Religiosität, die sich dieser Entwicklung, innerhalb des Katholizismus verbleibend, anzupassen trachtete. Unter dem Einflusse der Reformation aber wurde im Katholizismus das dogmatisch-transzendente Prinzip wieder neu belebt; nicht minder ward es tätig im Protestantismus und zumal im Kalvinismus: er war derjenige Zweig der Reformation, der der Darstellung und Auswirkung dieses Prinzipes geradezu gewidmet war, und eben daher wurde er ein ebenbürtiger Gegner der katholischen Restauration. Und im Vergleich mit dem Katholizismus stellte er viel höhere Ansprüche. Denn diese begnügte sich schließlich, wenn auch nicht im Kerne seiner Lehre, aber in der Praxis mit der förmlichen und ostensiblen Unterwerfung unter Dogma und Kirchengebot und deren unvermeidliche politische 1366 und gesellschaftliche Konsequenzen; seine | doppelte Moral gab ihm die Möglichkeit, die Anforderungen an die Laien erträglich zu gestalten. Anders der Kalvinismus; er kannte keine laxe Praxis, kein Paktieren und keine Kompromisse; er verlangte eine stetige Anspannung aller sittlichen Kräfte von allen seinen Mitgliedern in allen Stücken, und zwar im Geist eines extremen moralischen Rigorismus; zumal nach seiner Verschmelzung mit der enthusiastisch-täuferischen Idee war sein Ziel die sichtbare Darstellung der Gemeinschaft der Heiligen auf Erden. Das war eine Überspannung des religiös-transzendenten Prinzips, die wohl eine einmalige ungeheure Explosivwirkung auslösen, die sich aber nicht auf die Dauer behaupten konnte. Eine Reaktion trat ein, die der Aufnahme und der Verbreitung der rationalistisch-moralistischen Tendenzen des duldsamen Renaissance-Christentums günstig sein mußte, wie sie insbesondere von jeher in Holland gehütet, gepflegt und fortgebildet worden waren: sie drangen mehr und mehr in die Theologie ein, noch viel tiefer und stärker jedoch in die praktische Religiosität in den verschiedensten Lagern des protestantischen Bekenntnisses. Es ist der Geist jener freien christlichen Religiosität, die, dogmatisch relativ uninteressiert oder doch wenigstens nur das Fundamentale betonend, das freilich verschieden bemessen werden kann, die Welt und ihre Ordnungen als etwas Göttliches und doch als unabhängig von der transzendent-religiösen Idee anerkennt, für welche die Grundsätze autonomer Vernunfterkenntnis, individualistisch gerichteter Weltanschauung und daher vollkommener Toleranz feststehen, und die sich vor allem in einer christlichen Lebensführung zu bewähren trachtet. Und mit ihm war sehr wohl vereinbar das, was der Nachwelt als das beste Erbteil des genuinen Kalvinismus überkommen ist, – unermüdliches Schaffen und Wirken in tief innerlichst empfundenem Streben nach Gottes Dienst, Ruhm und Ehre als höchstes Ideal christlicher Sittlichkeit; es hat seine unverrückbare Geltung. |

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In der „Internationalen Wochenschrift“ (3. Jahrgang, No.   39–43, 25. Sept. – 23. Okt. 1909)1 veröffentlicht Professor Rachfahl eine Kritik meiner Aufsätze über die protestantische Ethik und den „Geist“ des Kapitalismusb (Bd.  XX, XXI dieser Zeitschrift, dazu ferner Bd.  XXV, XXVI und den Artikel in der „Christl[ichen] Welt“ 1906 Sp.c 558 ff., 577 ff.1)),2 auf welche, soweit sie sich (nebenher) auch gegen meinen Freund E[rnst] Tröltsch richtete,3 dieser am gleichen Ort antworten wird.4 Meinerseits ebenfalls – wie es das Natürlichste und für mich Zweckmäßigste gewesen wäre, – an der gleichen Stelle zu antworten, fühlte und fühle ich mich leider, trotz aller Schätzung des namentlich als Leiter der „Deutschen Literaturzeitung“ verdienstvollen Herausgebers,5 behindert. Darüber, 1)  Diesen, von Tröltsch zitierten, Aufsatz6 läßt R[achfahl] bequemlichkeitshalber A 176 ganz bei Seite. |

a  In A folgt: Von Max Weber.   b  A: Kapitalismus“  c  A: S. 1  Gemeint ist die Artikelfolge Rachfahl, Kalvinismus, abgedruckt oben, S.  521–572. 2  Weber, Protestantische Ethik I und II, oben, S.  123–215 und 242–425, seine Erwiderungen auf Fischers Kritiken: Weber, Kritische Bemerkungen, und Weber, Bemerkungen, oben, S.  478–490 und 498–514, sowie der in der Christlichen Welt erschienene Artikel: Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  435–462. 3 Rachfahls Kritik gilt außerdem Troeltsch, Protestantisches Christentum (er nennt auch die 2.  Aufl. 1909: Troeltsch, Protestantisches Christentum2, wie oben, S.  42, Anm.  65, zitiert daraus aber nicht), und Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus (wie oben, S.  42  f., Anm.  65); vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  522 mit Anm.  3 und 4. 4 Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, erschien als Antwort auf Rachfahls Kritik am 9. und 16. April 1910 in der „Internationalen Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik“. 5  Paul Hinneberg war seit 1892 Herausgeber und Schriftleiter der wissenschaftlichen Rezensionszeitschrift „Deutsche Literaturzeitung“ (1880 ff.), die unter seiner Ägide großes Ansehen erwarb. Hinneberg, v. a. als Initiator und Editor der vielbändigen Enzyklopädie „Die Kultur der Gegenwart“ bekannt, war außerdem von 1907 bis 1910 Herausgeber der von Friedrich Althoff begründeten „Internationalen Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik“. 6  Den Literaturhinweis auf Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, bringt Troeltsch in die von Rachfahl genannte Zweitauflage von 1909 (vgl. oben, Anm.  3) ein: Troeltsch, Protestantisches Christentum2 (wie oben, S.  42, Anm.  65), S.  753 (KGA 7, S.  528); bereits 1908 auch in: Troeltsch, Soziallehren I, S.  13, Fn.  8 (von Rachfahl allerdings nicht herangezogen). Vgl. dazu auch unten, S.  574 f., Anm.  9.

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daß die von F[riedrich] Althoff begründete Internationale Wochenschrift gewisse redaktionelle Gewohnheiten hat, denen ich mich nicht anzupassen geneigt sein würde, hätte ich hier, wo es sich um bloße Polemik handelt, natürlich ebenso, wie E[rnst] Tröltsch es tut, hinweggesehen. Aber die Redaktion hat es vorgezogen, gegenüber diesem fast ganz gegen mich gerichteten Artikel lediglich meinem nur nebenher betroffenen Kollegen Tröltsch anheimzustellen, ob eine Antwort beliebt werde.7 Auch diese Unhöflichkeit – denn das ist sie unter den gegebenen Umständen – würde ich natürlich ignorieren. Allein auch mein Herr Kritiker hat die Gepflogenheit angenommen, uns beide als Kollektivität zu behandeln, um uns für einander verantwortlich machen zu können, – was den Vorteil bot, daß wirkliche d[oder angebliche]d Irrtümer des Einen den Andren mitzutreffen scheinen. Und er hat sich dabei andrerseits doch auch den weiteren Vorteil nicht entgehen lassen, je nach Bedarf auch wieder den Einen von uns gegen den Andern auszuspielen, so daß nun jene Kollektivität „Weber-Tröltsch“,8 welche als Träger der Ansichten sowohl des Einen wie des Andern hingestellt ist, sich in offenbarem innerem Widerspruch zu befinden scheint. Angesichts dieser, beiläufig bemerkt, wenig loyalen, Praxis scheint es mir zweckmäßig, auch äußerlich | meine eignen Wege zu gehen und überdies ausdrücklich, ebenso wie Tröltsch dies zweifellos seinerseits tun würde, jede Verantwortung für das, was nicht ich gesagt habe, abzulehnen. Es sei gestattet, noch Folgendes hinzuzufügene. Wer unsre beiderseitigen Aufsätze wirklich gelesen hat, weiß, daß Tröltsch für seine Zwecke und Aufstellungen meine Resultate (abgesehen von dem von Rachfahl gar nicht miterörterten Sektenbegriff – vgl. Archiv XXI S.  63, 64 Anm.  1, und den zit[ierten] Arti-

d–d  [ ] in A.   e A: hinzufügen 7 Zur ‚ungleichen‘ Behandlung von Weber und Troeltsch durch die „Internationale Wochenschrift“ vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  517. 8  Vgl. dazu auch Rachfahls Bezeichnungen wie: der „Troeltsch-Weberschen These“ (Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  557, auch ebd., S.  549), das „Troeltsch-Webersche“ Schema (ebd., S.  556), des „Troeltsch-Weberschen“ Begriffs (ebd., 541) oder „Weber und Troeltsch“ (ebd., S.  533 und 543); näherhin den Editorischen Bericht, oben, S.  516 f.

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kel in der „Christl[ichen] Welt“)9 überhaupt nicht benötigt.10 Seine Resultate könnten richtig sein, auch wenn die meinigen falsch wären und umgekehrt. Er entwickelt den historischen Prozeß des Aufbaues der Soziallehren der christlichen Kirchen,11 – ich habe bisher nur ein bestimmtes Phänomen der Lebensführung in seiner (ursprünglich) religiösen Bedingtheit verständlich zu machen gesucht. Wenn er gelegentlich sich auf Darlegungen von mir bezogen hat2), so handelte es sich (außer in jenem hier gar nicht zur Debatte stehenden einen Falle: Kirche und Sekte) stets um für sein Problem peripherisch liegende Berührungen seiner Resultate mit den meinigen. Und es scheint mir am Platze, hier auch sehr nachdrücklich festzustellen, daß überhaupt keinerlei, auch keine latente, Kollektiv-Arbeit vorliegt. Meine Arbeiten über diese Dinge, die ich z. T. schon vor 12 Jahren im Kolleg vortrug,12 sind nicht (wie Rachfahl nach Tröltsch annimmt)13 erst durch Sombarts „Kapitalismus“ veranlaßt worden (s. darüber meine ausdrückliche Bemerkung 2) Dabei sind Tröltsch wohl in einigen wenigen (für sein Thema gänzlich irrelevan- A 177 ten) Punkten Formulierungen untergelaufen, die, – wie es bei solchen, notgedrungen stark verkürzten, Wiedergaben fremder Ansichten kaum vermeidlich ist, – nicht ganz meinen Aufsätzen entsprechen. Es blieb der illoyalen Kleinlichkeit einer „historischen“ Kritik vorbehalten, diesen Umstand zu fruktifizieren: Rachfahl war über jenen Sachverhalt in keinem Punkt im Zweifel. |

9  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  346 und 347 mit Fn.  123; Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  435–462. 10  Troeltsch, Protestantisches Christentum2 (wie oben, S.  42, Anm.  65), die überarbeitete Zweitauflage von 1909 ist durchgehend um die „Gegenüberstellung Kirchen­typus und Sektentypus“ ergänzt (vgl. Drehsen, Volker und Christian Albrecht, Einleitung zu KGA 7, S.  33). Zum Sektentypus vgl. Troeltsch, ebd., S.  506 f. und 513 f. (KGA 7, S.  178 f. und 188–190). 11  V.a. in: Troeltsch, Soziallehren I–III. 12 Gemeint sein könnte Webers Vorlesung „Praktische Nationalökonomie“ (MWG III/2), die er im Wintersemester 1897/98 in Heidelberg hielt. Auch seine Vorlesung „Allgemeine (‚theoretische‘) Nationalökonomie“ (MWG III/1), die er in den Sommersemestern 1897 und 1898 hielt, enthält hierzu Ansatzpunkte. Vgl. ausführlich die Einleitung, oben, S.  4–7. 13  Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus (wie oben, S.  42 f., Anm.  65), S.  43 (KGA 8, S.  272), schreibt: „[.  .  .] die eigentliche Bedeutung des Calvinismus für den Aufschwung des modernen Kapitalismus liegt viel tiefer. Sie ist neuerdings von Max Weber aufgezeigt worden, der seinerseits den scharfsinnigen Analysen Sombarts über das Wesen des kapitalistischen Geistes nachging und nach den seelischen Vorbedingungen und Ursachen für die Entstehung dieses Geistes suchte.“ Daran schließt sich das bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  525 f., wiedergegebene Zitat Troeltschs an. Bezug ist Sombart, Der moderne Kapitalismus I.

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Archiv XX S.  19 Anm.  1).14 Es mag schon sein, daß Tröltsch, der auf völlig eignen Wegen ebenfalls schon lange vorher dem ihn interessierenden Thema nachging, wie durch andre Schriftsteller, so auch durch einzelne Bemerkungen meiner Aufsätze zum Überdenken mancher seiner Probleme unter ökonomisch-soziologischen Gesichtspunkten mit angeregt wurde, wie er dies gelegentlich ausgesprochen hat.15 Aber keinerlei „Übernahme“ einer „Theorie“ des Einen durch den Andern, sondern einfach die Sache: der Umstand, daß Jeder, der diese Zusammenhänge überhaupt einmal sieht, zu einer ähnlichen Betrachtungsweise gelangen muß, ist es, welcher dazu geführt hat, daß allerdings die Resultate Tröltschs auf seinem weit umfassenderen Problemgebiete derartige sind, daß die wesentlichen Züge dessen, was ich für mein Problem ausgeführt habe, sich recht gut als Ergänzung einfügen lassen. Hätte ich meinen Aufsatz fortgesetzt,16 so würde ich die Aufgabe gehabt haben, große Teile des jetzt von Tröltsch bearbeiteten Gebiets mitzubehandeln. Ich würde das, als Nicht-Theologe, sicherlich niemals in der Art haben durchführen | können, wie es durch Tröltsch geschehen ist. Soweit aber meine eignen früheren Studien mir ein Urteil gestatten, sehe ich keine irgendwie entscheidenden Punkte, wo ich einen Grund zum Widerspruch gegen seine Darstellung hätte. Am allerwenigsten kann ich einen solchen aus den Trivialitäten entnehmen, die Rachfahl ihm entgegenhält. Aber die wissenschaftliche Verantwortlichkeit für das von ihm Gesagte gegenüber der Kritik wird Tröltsch natürlich ebenso ausschließlich zu tragen haben, wie, für meine Ausführungen, ich. Ich habe die vorhergehende Bemerkung über Tröltschs Artikel nur um deswillen gemacht, damit Kritiker von der Eigenart Rachfahls nun aus dieser Trennung der Verantwortungen nicht eine Ablehnung der Tröltschschen Resultate durch mich herauslesen. Damit zur Sache. Die Schiefheiten der Rachfahlschen Polemik beginnen schon mit dem ersten Worte der Überschrift seines Aufsatzes: „Kalvinis-

14  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  154 f., Fn.  27. 15  Vgl. z. B. das Troeltsch-Zitat, oben, S.  575, Anm.  13. 16  Zur geplanten Fortsetzung der Protestantismus-Aufsätze vgl. die Einleitung, oben, S.  66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  464 f. mit Anm.  10.

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mus und Kapitalismus“.17 Bei mir ist vom ersten Male an3), daß der Calvinismus überhaupt (im Gegensatz gegen Katholizismus und Luthertum) genannt wird, von ihm in vollster Gleichstellung mit denjenigen Sekten (oder sektenartigen Bildungen innerhalb der Kirche) die Rede, welche ich in der Überschrift zum zweiten Kapitel meines Aufsatzes und durchweg innerhalb desselben als „asketischen Protestantismus“ zusammengefaßt habe.18 In denkbar größter Breite polemisiert nun (um dies vorweg abzumachen) Rachfahl – es ist dies eigentlich das Einzige, was er selbst am Schluß seiner seltsamen „Kritik“ von dieser letzteren unbedingt aufrechterhält19 – gegen den Namen „Askese“ für diejenige Art der Lebensführung, die ich zu analysieren versucht habe. Zwar hat er selbst am Beginn seiner Artikel (Sp.f 1217 Zeile 7)20 nicht wohl umhin gekonnt, den gleichen Ausdruck für die gleiche Sache zu gebrauchen4). Allein wir werden sehen, daß diese sich in seiner „Kritik“ 3) Dieses Archiv XX, S.  10, 50 unten, 52 unten.21 Auf S.  10 ist hervorgehoben, daß A 178 wenigstens der direkte Zusammenhang zwischen „Askese“ und bürgerlicher Reichtumsbildung bei den asketischen Sekten (Quäkern, Mennoniten usw.) oft „noch eklatanter sei“ als beim Calvinismus. Warum weiterhin der Calvinismus zuerst und in besonderer Ausführlichkeit (XXI, S.  5–38)22 behandelt wurde, ist (XXI S.  36)23 eingehend motiviert: weil er in Bezug auf die Antriebe zur methodischen Lebensgestaltung, welche seine Dogmatik enthält, mir, als die „konsequenteste“ Antithese zum (Katholizismus und) Luthertum, dazu am geeignetsten erschien. Denn 33 Seiten, welche den Calvinismus analysieren, folgen aber alsdann immerhin grade ebensoviele (XXI S.  39–72)24 über die übrigen asketischen Denominationen. 4)  Die Abweichung mir gegenüber besteht lediglich in den dem Wort „asketisch“ hinzugefügten Gänsefüßchen. (Um ein Zitat handelt es sich nicht.) |

f A: (S. 17  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  521. 18  Die Überschrift lautet: „II. Die Berufsidee des asketischen Protestantismus“, Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  242, darin die Ausführungen S.  242–366. 19 Gemeint ist der Schlußabschnitt von Teil  IV, vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  562. (Teil  V enthält, anders als die vorangehenden Teile, keine direkte Auseinandersetzung mit Weber oder Troeltsch.) 20  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  522, Zeile 7: „,asketischer‘ Ernst“. 21  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  137 f. (mit Fn.  16), S.  210 und 213, das Zitat im folgenden Satz ebd., S.  137. 22  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  247–307. 23  Weber, ebd., oben, S.  304. 24  Weber, ebd., oben, S.  307–364.

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stetig wiederholende Verschiedenheit des Maßstabes für sich und Andre ihn niemals stört, – und es ist ja schließlich auch ein Unterschied, ob der historische „Fachmann“ oder der outsider, der die Geschichte „konstruiert“,25 ein und dasselbe sa|gen! Askese ist nach ihm „Weltflucht“,26 und da die Puritaner (im weiten, alle „asketischen“ Sekten einschließenden Sinn) keine Mönche oder ähnliche kontemplative Existenzen gewesen sind, so ist eben das, was ich „innerweltliche Askese“ nenne,27 schon an sich ein „falscher“ Begriff, der vor allem eine Verwandtschaft mit der katholischen Askese irrtümlich voraussetzt.28 Ich kann mir nun schwer eine sterilere Polemik denken, als eine solche um Namen. Der Name ist mir für jeden andern feil, der besser paßt. So lange wir uns aber nicht entschließen, jedesmal ad hoc gänzlich neue Worte zu prägen oder aber, nach Art der Chemie oder der Avenariusschen Philosophie mit Buchstabenbezeichnungen zu operieren5),29 müssen wir für einen Sachverhalt, der noch keine Bezeichnung trägt, die möglichst nächstliegenden und bezeichnendsten Worte 5) Ob wenigstens das Erstere nicht oft nützlich wäre, steht dahin. Ich halte es für ein Verdienst von Knapp, daß er den Mut hatte, es umfassend zu tun;30 ebenso geschieht es

25  „Solche Konstruktionen, die aller quellenmäßigen Begründung entbehren, können nicht mehr als wirkliche Geschichtsforschung gelten“, urteilt Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  548, über Weber. 26  Rachfahl möchte allein das mittelalterlich-katholische Verständnis von Askese gelten lassen, vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  541, auch S.  542. 27  Zur „innerweltlichen Askese“ vgl. Weber, Protestantische Ethik II, S.  290–298, bes. S.  294. 28  Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, explizit S.  543, wiederholt S.  562. 29  Richard Avenarius begründete die „Empiriokritizismus“ genannte erkenntnistheoretische Richtung (Hauptwerk: „Kritik der reinen Erfahrung“, 2 Bände, 1888–1900). Für das „Ich“ und seine „Umgebung“ beschreibt er die Abhängigkeit des einen vom anderen. Dazu entwickelt er ein Zeichensystem: R-Werte sind die Umgebung, C-Werte das Nervensystem des Individuums, E-Werte sind die Erfahrung, abhängig von C und R und geschieden in „Elemente“ (Empfindungsinhalte) und „Charaktere“ (subjektive Reaktion auf die Empfindungen). 30  Georg Friedrich Knapp schreibt im Vorwort seines Werkes „Staatliche Theorie des Geldes“ (Leipzig: Duncker & Humblot 1905), S.  VII: „[.  .  .] für meinen Zweck, die metallistische Auffassung durch eine staatswissenschaftliche zu ersetzen, war ich genötigt, eine ausgebildete Kunstsprache zu schaffen.“ Diese ist zusammengestellt in dem „Register der technischen Ausdrücke“, S.  395–397 (z. B. „Lytron“ für „Zahlungsmittel“, davon abgeleitet „Lytrologie“ und „lytrologisch“). Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Georg Friedrich Knapp vom 22. Juli 1906, MWG II/5, S.  115–117. Später, in den „Soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens“, kommt Weber auf diese Kunstsprache zurück. Vgl. MWG I/23, S.  373, 415 ff. u. ö.

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der traditionellen Sprache nehmen und nur besorgt sein, sie – wie ich es bezüglich der „innerweltlichen Askese“ m.  E. genugsam getan habe – unzweideutig zu definieren. Was aber die Sache – die innere Verwandtschaft mit der katholischen Askese – anlangt, so erinnere ich nur beiläufig daran, daß ein Mann wie Ritschl in der Identifikation der (in meinem Sinn) asketischen Züge des „Pietismus“ (bei ihm weit gefaßt)g mit „katholischen“ Resten im Protestantismus so weit gegangen ist, daß ich seine Darstellung in dieser Hinsicht ausdrücklich einzuschränken versuchte.31 Und wenn schon unter den Zeitgenossen der Reformation ein Mann wie der von Tröltsch mit Recht zitierte Sebastian Franckh geradezu eine ihrer Leistungen darin erblickte, daß fortan nicht mehr nur die Berufsmönche, sondern jeder Mensch sein Leben lang eine Art Mönch sein müsse,32 – so meinte er damit in der Sache durchaus das Gleiche wie ich und verdient also von Rachfahl ebenso wie ich die ernste Mahnung, doch zu bedenken, daß ein Mönch ja keine Frau haben, kein Geld erwerben, überhaupt nicht sich an die Dinge dieser Welt hängen dürfe, also jener Ausdruck höchst unpassend sei. Nun weiß aber doch jeder, daß, wenn wir heute von „Askese“, sei es nun speziell auf sexuellem Gebiet oder dem des „Lebensgenusses“ überhaupt, sei es hinsichtlich des Verhaltens etwa zu ästhetischen oder sonstigen, nicht „ethischen“ Werten reden, wir ja z. B. mit augenfälligem Erfolg für die Unzweideutigkeit in Alfred Webers Buch über die Standorte der Industrie.33 Allein bei unsren Lesern begegnet es heute noch allzu oft einem ablehnenden Kopfschütteln, und vor allem widerstrebt die Professoreneitelkeit grundsätzlich der Akzeptierung irgend einer nicht von dem betreffendem selbst geprägten Bezeichnung. |

g A: gefaßt),  h  A: Frank 31  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, S.  308–310, Fn.  76, dort mit Bezug auf Ritschl, Pietismus. 32 „Die Weltverleugnung ist allen Christen geboten, hilft nicht, daß du es von dir schiebst auf die Münch“. Zitat Sebastian Francks bei Troeltsch, Protestantisches Christentum, S.  263 (KGA 7, S.  100). Das Zitat entstammt Sebastian Francks Schrift „Von dem greüwlichen laster der trunckenhayt“ von 1528, zitiert nach: Hegler, Alfred, Geist und Schrift bei Sebastian Franck. Eine Studie zur Geschichte des Spiritualismus in der Reformationszeit. – Freiburg i.B.: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1892, S.  26 (vgl. Troeltsch, KGA 7, S.  100, Anm.  11). 33  Vgl. Weber, Alfred, Standort, darin die Übersicht über die von ihm verwendeten technischen Ausdrücke (z. B. Agglomeration, Isodapanen, Ubiquitäten), S.  224.

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damit eine, dem Wesen der Sache nach ganz ebensolche Lebensführung meinen, wie sie der gesamte Puritanismus (nicht eben nur: der Calvinismus, sondern erst recht: das Täufertum und was ihm nahe stand) zur Pflicht machte. Ein Lebensideal also, iwelches –i nur eben mit dem Unterschiede, daß die „Askese“ sich innerhalb der Ordnungen der Welt: Familie, Erwerbsleben, soziale Gemeinschaft[,] zu bewegen hat und folglich | in ihren materiellen Anforderungen entsprechend modifiziert ist, – in der Tat jenen protestantischen Richtungen mit den rationalen Formen der als Lebensmethodik geregelten mönchischen Askese dem „Geiste“ nach gemeinsam war: ich habe das ja für verschiedene[,] auch außerhalb des „Erwerbs“ liegende Lebenssphären skizzenhaft, aber doch immerhin wohl soweit unmißverständlich dargelegt, daß ich hier auf eine Wiederholung verzichten darf 6). Selbst die Mittel, mit denen die protestantische Askese arbeitet, gehen, wie ich 6) Wenn Rachfahl Sp.  124934 sagt: „Dem reichen Geschäftsmann, von dem Weber erzählt, daß er nur mit Mühe zu dem ihm ärztlich verordneten Austerngenuß zu bewegen war, kann wohl jedermann .  .  . mehr als einen Kapitalisten entgegenstellen, an dessen ‚kapitalistischem Geist‘ im üblichen Sinn (NB!) .  .  . nicht zu zweifeln ist, .  .  . der sich aber .  .  . die köstlichen Schaltierchen sehr wohl munden läßt. .  .  . Fast möchte ich glauben, daß die Delikateßhändler, falls in der Sphäre des kapitalistischen Geistes plötzlich asketische Lebensgewohnheiten einzögen, aus Mangel an Kundschaft ihre Läden schließen könnten“, – so ist dies Niveau einer „Kritik“ wohl nicht sehr hoch gegriffen. Was der „übliche Sinn“ des „kapitalistischen Geistes“ ist, kümmerte mich nicht, auch nicht, ob das „Tiergartenviertel“35 oder die „Agrarier“ oder Leutnants und andre junge Leute mit üppigem Geldbeutel die meisten Austern konsumieren. Sondern es kam mir bei jenem (gänzlich beiläufig erwähnten!) Beispiel36 an auf die Illustration einer sehr spezifischen innerlichen Beziehung zum Erwerb und Besitz: des Gefühls der „Verantwortung“ gegenüber dem eigenen Vermögen, welches „irrationale“ Ausgaben nicht nur ablehnt, sondern wie eine eigentümliche Art von „Versündigung“ ansieht (was mit gewöhnlichem Geiz, von dem Rachfahl an andrer Stelle redet,37 nichts zu schaffen hat). Es ist ein asketisches Bedenken gegen den Genuß als solchen. |

i A: welches, 34  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  534. Rachfahl greift an dieser Stelle seinerseits das illustrative Beispiel Webers, wie unten, Anm.  36, auf. 35  Am Südrand des Berliner Tiergartens entstanden in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts vornehme Villen, auf deren begüterte Bewohner Weber hier anspielt. 36  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  407, Fn.  63. 37  Anspielung auf Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  535.

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(XXI S.  77 ff.)38 bemerkt habe, gänzlich parallel. Ich habe andrerseits daranj erinnert, daß grade die Askese der Klöster es war, welche sie zu ihren ökonomisch so erheblichen Leistungen befähigte:39 – ich hätte noch hinzufügen können, daß die rational-asketischen Sekten oder sektenartigen Gebilde des Mittelalters in der Eigenart ihrer bürgerlichen Gebahrung sehr regelmäßig schon ganz ähnliche Züge aufweisen, wie (namentlich) die täuferischen Sekten später und wie die entsprechende Kategorie der russischen Sekten (nicht alle gehören dazu!)40 bis in die letzte Zeit. Daß „der Altprotestantismus“ als Ganzes die Askese „vom mittelalterlichen Katholizismus übernommen“ habe (Sp.  1263)[,]41 ist eine der zahlreichen törichten Behauptungen, die Rachfahl mir unterschiebt. Es steht bei mir ausführlich zu lesen, wie scharf und rücksichtslos von seiten des lutherischen, anglikanischen und sonstigen (in meinem Sinn) nicht „asketischen“ Alt-Protestantismus jene von mir analysierten Züge als „Werkheiligkeit“ – genau wie das Mönchtum des Katholizismus – angegriffen wurden.42 Der Protestantismus ist sehr weit davon entfernt gewesen, in der Stellung zur Askese (in meinem Sinn) eine Einheit zu bilden. Ich weiß vorerst zur gemein|samen Charakterisierung der von mir behandelten Gruppen gegenüber dem Luthertum, dem Anglikanismus und den abgeblaßteren Spielarten der reformierten Konfession kein besseres Wort als „asketisch“. Jene gemeinsamen Unterschiede aber sind vorhanden. Und die Entwicklung, welche jene „asketischen“ Gruppen nahmen, ist genau ebenso ein Produkt der unter dem Namen der „Reformation“ zusammengefaßten Vorgänge, wie etwa das „Gnesioluther-

j  Fehlt in A; daran sinngemäß ergänzt. 38  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  371 ff. 39  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  415. 40  Nicht alle aus dem „Raskol“ hervorgegangenen, aber die rationalistischen russischen Sekten, darunter Duchoborzy und Molokani (vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  480 mit Anm.  16). Vgl. dazu auch Weber, Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Rußland, MWG I/10, S.  164 f., Fn.  42. 41  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  543. 42  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  285–288.

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tum“,43 k dessen „Geist“ sich übrigens von dem des Luther der 1520er Jahre weiß Gott nicht weniger unterschied, wie – was ich selbst nachdrücklich hervorgehoben habe 6a) und, wie fast immer, trotzdem (oder auch: eben deshalb) von Rachfahl belehrend entgegengehalten bekomme44 – der mich interessierende „Calvinismus“ von den persönlichen Ansichten Calvins selbst. Was aber ist das für eine Art von „Historiker“, der, weil eine Erscheinung (die puritanische Erwerbsethik) von immerhin (wie er selbst zugibt) mächtiger Tragweite ihm, als nicht „ethisch“ (Sp.  1250, 1324)45 und antipathisch, nicht in das – begriffliche – Schema hineinpaßt, welches er sich von dem Gang der Entwicklung der protestantischen Ethik gemacht hat, wie er – eigentlich hätte sein sollen (denn darum handelt es sich hier in Wahrheit), nun jene Erscheinung (NB.! die Erscheinung selbst, nicht etwa meine Darstellung derselben) mit Werturteilen wie: „Verzerrung“46 u. dgl. bewirft?7) Was ist das für ein Methodiker, der (Sp.  1294)47 die sonderbare These aufstellt: in England sei die Existenz des kapitalistischen Geistes „auch ohne dies“ (das religiöse) „Moment zu begreifen“, obschon „wir keineswegs seinen Einfluß leugnen wollen“. Also: ein „Moment“, welches kausal wichtig war für einen bestimmten Zusammenhang, A 181

S.  6 Anm.  5.48 überhaupt, so kommt es auch hier Rachfahl nicht darauf an, nur zum Zweck effektvoller Polemik jeweils das grade Gegenteil voneinander zu sagen. Das gleiche Streben nach dem Gewinn um des Gewinnes willen, welches auf Sp.l 132049 (bei Fugger) sehr wohl einer „ethischen Maxime der Lebensführung“ entsprungen sein kann, kann auf Sp.  1250, 125550 überhaupt nicht „ethisch“ genannt werden, weil es R[achfahl] verwerflich findet. 6a) XXI

7)  Wie

k A: „Gnesioluthertum“ –   l A: S. 43  Begriff (von griech. gne´¯ sios, „echt“) für eine Bewegung, die bei den entstehenden Lehrstreitigkeiten innerhalb der Wittenberger Theologie in besonderer Weise Luthers Erbe bewahren und dieses vor Überfremdung schützen wollte. Einen anderen Ansatz vertraten der vermittlungsbereitere Philipp Melanchthon und seine Anhänger („Philippisten“). Vgl. auch das Glossar, unten, S.  829 f. 44  Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, etwa S.  536–538, 554 f., 558 u. ö. 45  Rachfahl, ebd., oben, S.  534. 46  „Verzerrung“: Rachfahl, ebd., oben, S.  555. 47  Rachfahl, ebd., oben, S.  548. 48  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  250, Fn.  5. 49  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  552. 50  Rachfahl, ebd., oben, S.  534 und 537.

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welches aber dennoch der „Historiker“ auch als irrelevant bei Seite lassen kann, wenn er jenen Zusammenhang „begreifen“ will. Statt „begreifen“ dürfen wir hier doch wohl „konstruieren“ sagen,51 und finden so bei Rachfahl, mit seinem ressortpatriotischen Eifer gegen die nicht zünftigen „Geschichtskonstrukteure“, einen „Idealtypus“ jenes so häufigen Verfahrens, welches Historikern zu passieren pflegt, wenn sie ungeklärte, mit Vorurteilen und Werturteilen durchsetzte Begriffe verwenden, ohne dies zu bemerken. Einen abgestempelten „Askese“-Begriff gibt es nicht8). Daß man den Begriff sehr viel weiter fassen kann[,] als ich es getan habe, wo ich die von mir als „innerweltliche“ Askese bezeichnete Art der Lebensführung mit der „außerweltlichen“ Askese des Mönchtums verglich,52 | ist einigermaßen selbstverständlich und von mir selbst zugegeben: ich spreche bei der katholischen Askese ausdrücklich von der rationalisierten Askese (wie sie in höchster Potenz der Jesuitenorden aufweist) im Gegensatz z. B. zu „planloser Weltflucht“ (auf katholischer Seite) und bloßer Gefühls-„Askese“ (auf protestantischer Seite).53 Mein Begriff ist daher z. B. ein von dem Tröltschschen ausdrücklich abweichender, wie jedermann, bei irgendwelchem gutenm Willen, sehen muß – auch Rachfahl. Dieser hat es auch „gesehen“. Er redet9) sogar von „fundamentalen“ Gegensätzen unsrer beiderseitigen Auffassung. Trotzdem aber, wo es ihm grade paßt, schlägt er sich mit einem „Tröltsch-Weberschen“ Begriff54 der Askese herum, und trägt zu dessen „Widerlegung“ allerlei unter einander verschiedene „Askese“-Begriffe anderer Schriftsteller zusammen,55 die für deren Zwecke passend sein

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Man vergleiche nur die ganzen Ausführungen Sp. n1260, 1261.n 56 | Sp.  1257.57 Freilich töricht genug: Es handelt sich einfach um Unterschiede der A 182 Terminologie, nicht aber der Sache. 8)  9) 

m  A: gutem  n–n  A: 1250, 1251 51  Vgl. dazu oben, S.  578 mit Anm.  25. 52 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  290–298, „innerweltliche“ Askese S.  294 (der Begriff „außerweltliche“ Askese fällt dort allerdings nicht). 53  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  290 f., 315 (dort: „stärkere Pflege der Gefühlsseite der Religion“) u. ö. 54  Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  541 und ebd., Anm.  19. 55  Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S.  541, Anm.  18 und 19. Rachfahl bezieht sich dort auf lexikalische Artikel über „Askese“. 56  Rachfahl, ebd., oben, S.  540 f. 57  Rachfahl, ebd., oben, S.  539.

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mögen, nicht aber für die meinigen. Daß man ferner die „Rationalisierung“ des Lebens unter sehr verschiedenen Gesichtspunkten vornehmen, also darunter auch sehr Verschiedenes verstehen kann, steht ausführlich am Anfang meiner Erörterungen (XX, S.  35) und ist zum Überfluß auch später (XXVI S.  278) scharf hervorgehoben worden.58 – Trotzdem (oder vielmehr eben deshalb) hält mir Rachfahl (Sp.  1263)59 auch dies als „Einwand“ entgegen, – obwohl auch hier, wie ihm genau bekannt ist, alles, was ich für meine Zwecke darunter verstehe, hinlänglich deutlich gesagt war. Ich gestehe, daß ich eine solche Art der Diskussion für ziemlich wertlos halte und es ein etwas starkes Stück finde, wenn ein Schriftsteller, der in solchem Maße von der durch bloße Wort-„Kritik“ künstlich und absichtsvoll angerichteten Konfusion lebt, die Befürchtung äußert, mein bestimmter, deutlich ad hoc geschaffener Sprachgebrauch könne „grundlegende Unterschiede verwischen“.o 60 Man versuche doch, das Positive aus denp Rachfahlschen verschwommenen Plaidoyers herauszuschälen und frage sich dann: wo denn hier noch „grundlegende“ Unterschiede zu finden sind? Doch kehren wir zum Ausgangspunkt zurück. Rachfahls ganz willkürliche Beschränkung des Themas auf den „Calvinismus“ bleibt fast für die gesamte Argumentation gegen mich maßgebend10). Gleich das eigentliche Thema der Polemik wird (Sp.q 1217)61 darauf abgestellt, und an zahlreichen Stellen der Aufsätze kehrt die gleiche Verdrehung des Diskussionsobjekts wieder, wie sie denn auch für die einzige ernsthafte These, die mir entgegengehalten wird, überhaupt erst die Möglichkeit bietet. 10)  Obwohl er bei der Inhaltsangabe meines Aufsatzes (Sp.r 1228)62 und ganz gelegentlich auch späterhin einmal nicht umhin kann, meine entsprechenden Ausführungen selbst wiederzugeben. |

o A: verwischen.“  p  A: dem  q A: (S.  r  A: (S. 58  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  176 f., und Weber, Bemerkungen, oben, S.  504 f., Fn.  2. 59  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  542. 60  Vgl. Rachfahl, ebd. 61  Rachfahl, ebd., oben, S.  521. 62  Rachfahl, ebd., oben, S.  528. Mit der folgenden Stelle („späterhin einmal“) ist gemeint: ebd., oben, S.  539.

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Diese These möge zunächst erledigt werden. R[achfahl] ist überzeugt von der überragenden Rolle, welche die „Toleranz“ als solche für die ökonomische Entwicklung besessen habe.63 Nun befinde ich mich, | wie jeder Leser meiner Aufsätze weiß, in dieser Hinsicht keineswegs im Gegensatz zu ihm, habe vielmehr selbst diese – in meine Darstellung, soweit sie bisher reicht,64 im Einzelnen noch nicht hineingehörigen – Zusammenhänge erwähnt (XXI S.   42 Anm.  1).65 Aber dabei liegt der für mich entscheidende Punkt darin: daß zwar ganz gewiß jede Art von Toleranz unter den damaligen Verhältnissen dazu beitragen mußte, „das Land zu peuplieren“,66 auswärtige Vermögen, auswärtige Gewerbe zu importieren, – daß mich aber diese Seite der Sache nicht interessiert. Für die Entwicklung desjenigen Habitus, den ich (ad hoc und lediglich für meine Zwecke) „kapitalistischen Geist“ getauft habe, kam es ganz offenbar darauf an, wem die Toleranz im konkreten Falle zugute kam. Waren dies z. B. Juden oder (in dem von mir – XXI, S.  28 f.,67 – gebrauchten Sinn des Wortes) „asketische“ christliche Denominationen, dann wirkte sie regelmäßig im Sinn der Verbreitung dieses „Geistes“ – aber natürlich war dann diese Wirkung nicht einfach Folge der „Toleranz“ als solcher. Und vollends ist ganz generell der Grad der „Toleranz“ sehr weit davon entfernt gewesen, maßgebend zu sein für den Grad der Entwicklung „kapitalistischen Geistes“ (immer: in meinem Sinn). Denn es ist ja grade umgekehrt bekannt (vgl. XX, S.  5),68 daß unvollständige Toleranz, namentlich: der systematische Ausschluß konfessioneller Minoritäten von der staatlichen und sozialen Gleichberechtigung, die Deklassierten

63  Über die „Toleranz“ vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  560 f. und S.  562–572. 64  Hinweis auf die geplante Fortsetzung der „Protestantismus-Aufsätze“, vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  464 f. mit Anm.  10. 65  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  311–315, Fn.  78. 66 Wahrscheinlich Anspielung auf die preußische „Peuplierpolitik“, begonnen von Friedrich Wilhelm von Brandenburg (reg. 1640–1688), dem Großen Kurfürsten, der nach dem Dreißigjährigen Krieg den entvölkerten Gebieten sowie dem einheimischen Gewerbe durch Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen, in erster Linie von Hugenotten (Edikt von Potsdam 1685), zu neuem Aufschwung verhelfen wollte. Seine Nachfolger setzten diese Politik fort. Freilich wollten auch Katharina die Große und Maria Theresia ihr Land ‚peuplieren‘. 67  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  290–292. 68  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  130 f.

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sehr häufig in besonders starkem Maße auf die Bahn des ökonomischen Erwerbes zu treiben sich geeignet zeigte, und dem entspricht es, daß die „Kirchen unter dem Kreuz“69 am meisten daran beteiligt erscheinen. Grade diese Tatsache hebt denn auch der von Rachfahl zitierte Sir William Petty (Political Arithmetick, Ausgabe London 1691 S.  26)70 nachdrücklich hervor: überall seien es die Heterodoxen, welche das „Geschäft“ in der Hand haben, insbesondere seien in den von der römischen Kirche beherrschten Ländern „drei Viertel“ des Geschäfts in ketzerischer Hand. Nun aber stehen wir – und diese Ergänzung gibt der Situation erst die Pointe – vor der Tatsache, daß entrechtete oder doch zurückgesetzte katholische Minoritäten – wie ich sofort hervorgehoben hatte (XX S.  6)71 – diese Erscheinung in irgend unzweideutiger Weise nirgends gezeigt haben, bis heute nicht 11), daß ferner jene Erscheinung auch bei lutherischen Minderheiten in solcher Weise wie bei den „asketischen“ Denominationen nirgends zu konstatieren gewesen ist, – während andrerseits keineswegs nur in der Minorität befindliche, sondern ganz ebenso auch herrschende calvinistische, quäkerische, baptistische Schichten die sonst für ihre ökonomische Gebahrung und Lebensführung charakteristischen Eigentümlichkeiten aufzuweisen pflegen. Und wo „asketische“ protestantische mit andern christlichen Denominationen gleichberechtigt konkurrieren, war die Regel, daß die ersteren die Träger des Geschäfts|lebens sind. Noch bis in die letzte Generation hinein war auf dem klassischen alten Industrieboden des Wuppertals die Art der Lebensführung der „Reformierten“ einerseits, der Nichtreformierten andrerseits grundverschieden, und zwar grade in den hier entscheidenden 11) Denn die ökonomische Reaktion des Polentums, (die ich selbst zitiert habe),72 ruht auf nationaler Basis. |

69  Verfolgte oder um ihre Selbstbehauptung ringende Kirchen; vgl. auch das Glossar, unten, S.  833. 70  „[.  .  .] in that part of Europe, where the Roman Catholick Religion now hath, or lately hath had Establishment; there three quarters of the whole Trade, is in the hands of such as have separated from the Church [.  .  .]“ (Petty, Political Arithmetick, p.  26; ebd. als „the Hetrodox [sic, Ed.] part of the whole“ bezeichnet). Auf diese Stelle bezieht sich Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  558. 71  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  130 f. 72  Die Polen in Rußland und Preußen im Gegensatz zu denjenigen in Galizien, vgl. Weber, ebd., oben, S.  130.

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Zügen.73 Die geschäftliche Aktivität des „Berufsmenschen“, verbunden mit dem, was ich (ad hoc) „asketischen Sparzwang“74 genannt hatte, stach bei den reformierten und pietistischen Kreisen – der Pietismus ist reformierter Provenienz – trotz aller von Rachfahl ad hoc erfundenen „gemeinchristlichen Sittlichkeit“75 stark und auffällig ab, wie jeder, der dort heimisch war, bestätigen muß. Der ganze Inhalt jener Lebensführung entsprach, so unvollkommen zweifellos mein Versuch geblieben ist, doch immerhin so weit Dem, was ich darüber sagte, daß mir aus der Mitte jener Kreise selbst heraus – und zwar nicht etwa nur von einer Seite, – direkt versichert wurde: sie verständen die spezifische Eigenart ihrer eigenen Traditionen aus diesen Antezedenzien erst jetzt vollständig. Und wenn mir z. B. von Rachfahl das lutherische Hamburg entgegengehalten worden ist als eine Stätte, wo der „kapitalistische Geist“ ohne Mitwirkung „asketisch“-protestantischer Einflüsse geblüht habe und blühe,76 so darf ich für jetzt mich begnügen, von einer freundlichen brieflichen Mitteilung des Herrn Kollegen Adalbert Wahl in Hamburg77 Gebrauch zu machen: darnach reicht, in

73  Das Wuppertal mit seinen zu Webers Zeit sehr bedeutenden Industriestädten Barmen und Elberfeld galt mit der dort ansässigen Textil- und Zulieferindustrie im 19. Jahrhundert als eine Art „deutsches Manchester“. Wo Webers oben mitgeteilte Kenntnisse herrühren, konnte nicht geklärt werden. (Friedrich Engels, der 1839 die Überschwemmung des Wuppertals durch ein „Meer von Pietismus und Philisterei“, d. h. durch die Erweckungsbewegung, karikiert, zielt vorrangig auf Erscheinungsformen der reformierten – für ihn äußerst bigotten – Lebensart, wobei Abgrenzungen zu Lutheranern und Katholiken angedeutet, aber nicht ausgeführt werden. Vgl. Engels, Friedrich, Briefe aus dem Wupperthal [1839], in: Karl Marx Friedrich Engels Gesamtausgabe (MEGA), Abt. I, Band  3. – Berlin: Dietz 1985, S.  32–51, Zitat S.  51.) – Seit dem 16. Jahrhundert bestanden gemischt-konfessionelle Verhältnisse: Die Elberfelder Kirche, zu der auch Unterbarmen gehörte, war reformiert, während Oberbarmen kirchengemeindlich (reformierte Kirche Barmen-Gemarke erst seit 1712/14) zum lutherischen Schwelm (Grafschaft Mark) zählte. In der Minderheit waren Katholiken und Juden. 74  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  412. 75  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  535 (dort: „allgemeine Sittlichkeit“). Ähnlich ebd., S.  543, 554 und 558. 76  Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  555 f., der sich dort mit einer Notiz Troeltschs zu Hamburg auseinandersetzt (vgl. Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus – wie oben, S.  42 f., Anm.  65 –, S.  45; KGA 8, S.  276). 77  Überliefert ist lediglich eine Karte des Historikers Adalbert Wahl an Max Weber vom 13. Februar 1910 (BSB München, Deponat Max Weber-Schäfer, Ana 446), mit der er Max Weber für die Übersendung seiner Antwort an Rachfahl dankt, aber auf den hier angesprochenen Sachverhalt nicht eingeht.

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charakteristischstem Gegensatz zu den ihm von früher bekannten Verhältnissen in dem reformierten Basel mit seinem sparsam festgehaltenen Reichtum des alten Patriziates, in Hamburg keines der jetzt bedeutenden Familienvermögen, auch der als altererbt geltenden, in das 17. Jahrhundert zurück, – mit einer einzigen Ausnahme: und diese bildet eine bekannte reformierte Familie.78 Doch genug von solchen Einzelheiten, die ich durch manche ähnliche persönliche Mitteilungen von anderen Seiten über die Stellung der Baptisten usw. ergänzen könnte. Meine entscheidende „These“ über die Bedeutung des „Berufes“ enthielt – wie ich nachdrücklich betonen möchte – nur in der Art der Durchführung „Neues“. In der Sache selbst wird es, denke ich, doch wohl bei dem bleiben, was der gleiche hervorragende Zeitgenosse: Sir W[illiam] Petty, den Rachfahl recht gut kennts und den er als Autorität anerkennt,79 wo er seine Äußerungen über den ökonomischen Segen der Toleranz – wie man sieht, sehr verkehrter Weise – gegen mich verwenden zu können glaubt, nur 2 Seiten vorher (S.  23, 24)80 über die Gründe gesagt hat, aus denen die Toleranz (speziell in Holland, mit dem er sich dort beschäftigt) so günstig auf das „Geschäft“ wirke: „I now come to the first policy of the Dutch, viz.: liberty of Conscience .  .  . Dissenters of this kind“ – gemeint sind: die Träger des holländischen Freiheitskampfes, in erster Linie: Calvinisten – [„]are for the most part thinking, sober and patient Men, and such as believe that Labour and Industry is their Duty towards God (How erroneous

s A: kennt, 78  In Frage kommen folgende Hamburger Familien: 1. Die Kaufmanns- und Reederfamilie Godeffroy. Ihre Vorfahren stammten aus La Rochelle, wo die Familie bereits im 17. Jahrhundert als sehr vermögend galt. Sie war bis Ende des 19. Jahrhunderts reformiert. – 2. Die Kaufmannsfamilie de Chapeaurouge. Jacques de Chapeaurouge (1744–1805) immigrierte 1764 aus Genf, wo sich die Familie seit 1468 nachweisen läßt, nach Hamburg. Vgl. Schramm, Percy Ernst, Zwei „Millionäre“ aus Refugié-Familien [. . .], und ders., Godeffroy, in: Hugenotten in Hamburg, Stade, Altona. Tagungsschrift zum Deutschen Hugenottentag Hamburg 23.–26. April 1976, hg. von Hans W. Wagner u. a. – Obersickte/Braunschweig: Verlag des Deutschen Hugenotten-Vereins e.V. 1976, S.  29–40, S.  41–48. 79  Vgl. oben, S.  586 mit Anm.  70. 80  Petty, Political Arithmetick, p.  23 und 24; die folgenden Zitate p.  23.

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soever their Opinions be)“12). Mir | scheint fast, daß die Stelle so sehr geeignet ist, eine der Grundthesen meines Aufsatzes zu einem, leider unbewußten, Plagiat an Petty13) zu stempeln, daß ich dem Leser die Wahl zwischen der Autorität Pettys und derjenigen moderner Kritiker überlassen darf 14), und | scheide also meinerseits

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12)  Shakespeare – ein Kenner des Puritanismus mit den scharfen Augen | des Has- A 184 A 185 ses – wußte also offenbar recht gut, weshalb er die karrikierten „Mittelklassen“ ihr karrikiertes Programm auch aus dem Grundsatz: „It is written: work in your calling“ ableiten läßt.81 13)  Ich hatte seit den Zeiten, wo ich Handelsgeschichte trieb,82 Petty nicht mehr in der Hand gehabt und bin Herrn Kollegent H[ermann] Levy dafür dankbar,83 daß er mich auf diese mir gar nicht mehr erinnerliche Stelle aufmerksam machte. 14)  Ich darf nur noch – ein Nebenpunkt – bemerken, daß ich selbstredend, wenn ich das streng intolerant calvinistische Neuengland dem in Bezug auf die Entwicklung „kapitalistischen Geistes“ (s. u.)84 anscheinend minder entwickelten toleranten RhodeIsland gegenübergestellt habe,85 dies ersichtlich in dem Sinne geschah, daß trotz der

t A: Kollege 81  1 Kor 7, 20. Weber dürfte Shakespeares Second Part of King Henry VI (4. Akt, 2. Szene) meinen. John Holland äußert darin gegenüber George Bevis (beides Gefolgsleute Jack Cades, s. u.): „[. . .] and yet it is said, labour in thy vocation; which is as much to say as, let the magistrate be labouring men; and therefore should we be magistrates.“ The Works of William Shakespeare, ed. by William George Clark and William Aldis Wright [The Globe Edition]. – London: Macmillan and Co. 1878, p.  496–525, Zitat p.  516. – Die Trilogie „Henry VI“ handelt vom Aufstieg Yorks und Niedergang des Hauses Lancaster (sog. „Rosenkriege“) und endet mit der Ermordung von Henry VI (1471). Das Zitat steht im Zusammenhang mit dem Aufstand des Jack Cade, den dieser, von York angestachelt, gegen die politische, ökonomische und geistige Führungsschicht Englands führte. 82  Worauf Weber sich genau bezieht, muß offen bleiben. In seiner „Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter“ (MWG I/1) kommt Pettys Schrift nicht vor. Weber hielt außerdem in Vertretung seines Lehrers Levin Goldschmidt zwischen 1892 und 1894 in Berlin Vorlesungen über Handelsrecht (Übersicht in: MWG III/1, S.  52–54), ein Handelsrechtspraktikum hielt er in Berlin und Freiburg i.Br. (ebd., S.  54–57) bis 1896 ab. Aufzeichnungen dazu sind nicht überliefert. Auf Petty verweist Weber, allerdings lediglich summarisch, in seinen Vorlesungsnotizen zur „Allgemeinen (,theoretischen‘) Nationalökonomie“, MWG III/1, S.  544, und zur „Geschichte der Nationalökonomie“, MWG III/1, S.  691 f. 83  Der Nationalökonom Hermann Levy war seit 1907 hauptamtlicher Dozent an der Handelshochschule Mannheim, außerdem seit 1908 Privatdozent und seit 7. Februar 1910 a.o. (Titular-)Professor an der Universität Heidelberg. Möglicherweise handelt es sich um eine mündliche Mitteilung an Max Weber (in Max Webers Korrespondenz nicht dokumentiert). 84  Siehe unten, S.  591, in dieser Fußnote. 85  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  313, Fn.  78, und S.  412 f., Fn.  71.

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aus dieser Diskussion aus. – Dies um so lieber, als ich überdies noch Intoleranz dort und trotz der Toleranz hier dieser Unterschied zu Gunsten des (von der Natur weit ungünstiger ausgestatteten) intoleranten Gebietes bestanden zu haben scheint, nach meiner Ansicht, weil in ihm in stärkerem Maße der „Geist“ der protestantischen Askese herrschte. Im übrigen ist dies nur gänzlich beiläufig ausgesprochen worden in Form einer Vermutung, die ich zwar vielleicht noch durch einige Hinweise mehr als die von mir angegebenen stützen könnte, ohne jedoch dadurch – wie ich gern wiederholt bekenne – zu dem Anspruch gelangen zu können, etwas „bewiesen“ zu haben.86 – Um bei dieser Gelegenheit einige der faktischen „Einwände“ Rachfahls zu erledigen,87 so scheint ihm die innere Entwicklung Pennsylvaniens, die tragischen Konflikte der Quäkerethik mit der „Welt“88 und ebenso die – auch für Newyork (obwohl Manhattan schon seit geraumer Zeit als Einwanderungszentrum an Kirchlichkeit weit hinter Brooklyn zurückstand) bis an die Schwelle der Gegenwart reichende – Intensität der aus Askese und Rationalismus gemischten Lebensluft dort, die allein schon jede gute ältere Schilderung europäischer Reisender bezeugt und deren Reste man selbst heute noch überall spüren kann, in ihrer Rolle für Lebensstil und Berufsauffassung völlig unbekannt zu sein, ebenso die Geschichte und die noch in Resten bis heute nachwirkende Eigenart der Neuengländer. Ich verweise auf meinen (natürlich sehr skizzenhaften) Aufsatz in der Christl[ichen] Welt.89 Der landwirtschaftliche „Kapitalismus“ der episkopalistischen Südstaaten unterschied sich in den für mein Problem relevanten Punkten in nichts von der „kapitalistischen“ Wirtschaft des Altertums.90 Ich habe – abgesehen von der bekannten[,] zum Teil ausgezeichneten Literatur – aus eigner Anschauung bei südstaatlichen Verwandten, die in alten Pflanzerhäusern leben, ein auch in den Äußerlichkeiten leidlich deutliches Bild gewonnen von der, im striktesten Gegensatz zu dem „Geist“ des puritanischen Yankeetums stehenden, „seigneurialen“ Mischung von powerer91 Liederlichkeit und aristokratischer Ostentation in Wirtschaft und Leben,92 welche diese spezifisch unbürgerliche Gesellschaft beherrschten. Es hing

86  Gegen die von Rachfahl statuierte „Beweiskette Webers“: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  531. 87  Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S.  549 f. 88  Pazifismus und aktive Teilnahme am politischen Leben erwiesen sich zunehmend als nicht vereinbar, so daß der amerikanische Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) das Ende des Quäkerstaates Pennsylvania bedeutete. Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  415, Fn.  75, Anm.  51. 89 Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  426–462, darin dieser, auf seiner USA-Reise 1904 beobachtete Unterschied zwischen Brooklyn und Manhattan, S.  436 f. (mit Anm.  5). 90  Vgl. dazu Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S.  320–747. 91  power (Adj., von frz. pauvre), „arm“, „ärmlich“; „dürftig“, gering“ (vgl. Mecklenburgisches Wörterbuch. Im Auftrage der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin aus den Sammlungen Richard Wossidlos [.  .  .] bearb. und hg. von Hermann Teuchert, Band  5. – Berlin: Akademie-Verlag GmbH 1970, Sp.  570 f.; auch: Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch, hg. von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Leipzig, 3. Band. – Berlin: Akademie Verlag 1994, Sp.  689). 92  Auf ihrer Reise durch die Vereinigten Staaten im Jahr 1904 besuchten Max und Marianne Weber auch Verwandte in North Carolina. William Miller, genannt Bill, Sohn von Max Webers Onkel Fritz Fallenstein (Francis Miller), lebte mit seiner Familie in einem unkomfortablen Holzhaus. Er war assoziierter Inhaber eines Büros. Zuvor war er

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eingestehen muß, daß auch Groen van | Prinsterer, ein Schriftstel-

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bekanntlich an einem Haar, so wäre auch Neuengland in die Hände eines der | zahlrei- A 186 chen Hof-Günstlinge geraten, welche koloniale Landkonzessionen zu erlangen und zu verwerten suchten,93 – und wenn auch freilich dort keine Baumwollplantagen hätten entstehen können, so weiß doch Niemand, welche Physiognomieu Nordamerika dann, also: ohne die Siedlungen der Pilgerväter, denen weiter südlich diejenigen der Baptisten, der Holländer, der Quäker zur Seite traten, angenommen hätte. Jedenfalls nicht die, welche durch den „Geist“ dieser Schichten bestimmt wurde und welche in immerhin sehr bedeutsamen Resten bis in die Gegenwart hinein fortgedauert hat. Daß eine „kapitalistische“, ja selbst eine gewerbliche Entwicklung in Neuengland im 17. Jahrhundert nicht nur ein Anachronismus, sondern auch geographisch damals wie später so gut wie unmöglich war, – dies ist freilich kein Zweifel und von mir nie bestritten. Ich selbst habe die dort, nach der puritanischen Einwanderung, trotzdem entstandenen Ansätze gewerblicher Entwicklung als eben deshalb bemerkenswert zitiert.94 Da ich sofort am Eingang meiner Arbeit Franklin als Repräsentanten des „kapitalistischen Geistes“ zitiere,95 da ferner jedermann weiß, daß dieser kleine Drucker denn doch sehr weit davon entfernt war, ein „Großkapitalist“ à la Fugger zu sein, und da ich zum Überfluß meinerseits nachdrücklichst auf die für meine Argumentation wichtige Tatsache hingewiesen habe, daß jener „Geist“ sich hier in einem Gebiet, dessen Wirtschaft noch in den Kinderschuhen halber Naturalwirtschaft steckte, entwickelt hat (XX S.  33),1 – so hätte selbst eine Kritik von der Art der Rachfahlschen darauf verzichten dürfen, mir diese und ähnliche Dinge als „Einwände“ entgegenzuhalten. Daß ferner ein Historiker kein Unterscheidungsvermögen für die ökonomischen Existenzbedingungen des Gewerbes in einem Kolonialland, wie das alte Neuengland es war, und im europäischen Mittelalter hat – wie die höhnische, aber m. E. etwas lächerliche Bemerkung Sp.  12942 unten

u A: Physionomie sieben Monate „miner“, fünf Monate „primary-school-teacher“ und 14 Tage sogar mit seinem zweijährigen Universitätsstudium „‚Professor‘ für common law“ gewesen. Über ihn äußert Max Weber im Brief an Helene Weber vom 12. Okt. 1904 (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  6, Bl.  52–58; MWG II/4): „[.  .  .] eben diese Mischung von demokratischen Instinkten und Jefferson’schen Ideen, dem Typus der Fallenstein’schen Unfähigkeit sich zur Geltung zu bringen, [.  .  .] und eben doch mit dem aristokratischen Instinkt des alten Miner’s, des weißen Südstaatlers und des werdenden Honoratioren ist doch etwas sehr Wunderliches [.  .  .].“ 93 Vermutlich ist der britische Kolonialunternehmer Sir Ferdinando Gorges (1565– 1647) gemeint, selbst im Besitz eines Patents für das heutige Maine. Unstimmigkeiten bei der Landvergabe an ihn und Massachusetts nutzte er aus, damit die englische Regierung Maßnahmen gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kolonie ergriff. Karl II. setzte Gorges daraufhin zum Governor über die New England-Kolonien ein (1635, wiederholt 1637). Dieses Amt trat der in England residierende Gorges aus verschiedenen Gründen aber nie an. Vgl. Doyle, The English in America II, bes. p.  192– 198. 94  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  412, Fn.  71. 95  Vgl. Weber, Protestantischen Ethik I, oben, S.  142–145. 1  Weber, ebd., oben, S.  174. 2  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  549.

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ler, dem man, bei aller sonstigen Schätzung Rachfahls, denn doch zeigt – ist schlimm genug. Noch schlimmer freilich, daß er von der Bedeutung des Hugenottentums und seinen Beziehungen zur Industrie in Frankreich einfach gar nichts weiß.3 – Daß der Calvinismus auf der ungarischen Pußta im 17. und 18. Jahrhundert keine kapitalistische Wirtschaft schaffen konnte, muß ich nun schon zum zweiten Mal „zugeben“,4 ebenso aber betonen, daß er auch dort (in der Art der Berufswahl der Reformierten) seine typischen Begleiterscheinungen zeigt, wie gleich eingangsv meines Aufsatzes zu lesen steht.5 – Sogar zu dem ihm eigentlich naheliegenden[,] höchst verwickelten und interessanten Problem der Eigenart des holländischen Kapitalismus und des inneren Verhaltens der Bevölkerung dazu entwickelt R[achfahl], dessen Auge stets nur an den, in nichts Wesentlichem von den Erscheinungen aller Zeiten und Länder unterschiedenen großen Geldleuten haftet, nur ganz oberflächliche Sentiments.6 Ich bezweifle auf Grund derselben, daß er hier mehr weiß, als – nach seiner dankenswerten Versicherung – ich, der ich in der Tat mit diesen Problemen noch entfernt nicht im Reinen bin. Alles freilich, was er über den Arminianismus der Kaufmannschaft mir A 187 entgegenhält, habe ich – wie fast immer – selbst | gesagt,7 ebenso auf ganz die gleichen kunsthistorischen Erscheinungen hingewiesen, die Rachfahl gegen mich heranzieht.8 Aber damit sind erst die äußersten Peripherien des Problems – welches ich ja gar nicht verfolgen wollte – gestreift. Um nur ein Moment zu erwähnen, welches tiefer führt, so ist die Eigenart des holländischen „Geistes“ damals sicherlich auch dadurch mitbestimmt worden, daß das Einpoldern von Neuland eines der allerrentabelsten Geschäfte war, daß hier die Städte das platte Land – mit einiger Übertreibung gesagt – zum großen Teil aus sich geschaffen haben.9 Die Kapitalverwertung wurde, neben dem, allem Puritanismus leicht verdächtigen, Kolonialgeschäft sehr stark in diese Bahn der Schaffung von Bauernexistenzen gelenkt, – was für die „Physiognomie“a des Landes auch im

v A: Eingangs  a A: „Physionomie“ 3  Bezug: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  545 und 561 f. 4  Bereits gegenüber Fischer, vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  484. „Ungarn“ begegnet als Einwand bei Rachfahl im Kontext zweier Troeltsch-Zitate, vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  544 (er zitiert dort: Troeltsch, Protestantisches Christentum, S.  358; KGA 7, S.  283) und S.  555 f. (er zitiert dort: Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus – wie oben, S.  42 f., Anm.  65 –, S.  45; KGA 8, S.  276). 5  Vgl. Weber, Protestantischen Ethik I, oben, S.  128, Fn.  7. 6  Die Ausführungen zu Holland bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  545–547. 7  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  402 f. mit Fn.  54b und S.  413 f., dazu Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  545–547. 8  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  401 f. mit Fn.  54a, dazu Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  562. 9  Weber kannte von seinem Holland-Aufenthalt im Sommer 1907 den Beemster Polder, „das Werk Oldenbarneveldt’s aus dem Anfang des 17. Jahrh.“ Vgl. seine Karte an Marianne Weber vom 12. Aug. 1907 (MWG II/5, S.  357). – Zwischen 1608 und 1641 wurden allein in Westfriesland 27 Polder angelegt (mit Damm umschlossene, von Wassergräben durchzogene, dem Meer abgewonnene Flächen) und Marschland für den Ackerbau gewonnen. Besonders der Beemster Polder erwies sich für seine Anteilhaber, sechs Amsterdamer Kaufleute, als sehr lukrativ (letzteres nach Busken-Huet, Rembrandt’s Heimath II, S.  101).

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eine wesentlich gründlichere und originalere Be|schäftigung mit innerlichen Sinn seine Konsequenzen haben mußte und hatte, speziell in der Richtung, daß die als vorhanden durchaus hinlänglich bezeugte Tendenz des „asketischen“ Protestantismus, in seiner Art zu wirken, in wichtigen – aber nicht: in allen – Punkten wieder gebrochen wurde. Denn daß diese Bauern, welche sogar für den Kunstmarkt ihre Bedeutung hatten: – es kommen bei ihnen Anlagen von Summen in Gemälden vor, welche damals ein kleines Vermögen darstellten (und sicher oft spekulativen Charakters waren),10 – zwar etwas sehr Anderes waren als die traditionelle Bauernschaft des Kontinents, aber auch etwas Anderesb als die Bauern Neuenglands, begreift sich. Die Rückwirkung des halbgebrochenen Puritanismus Hollands auf seine Kunst ist ein sehr verwickeltes Problem, und meine hingeworfenen Bemerkungen11 darüber prätendieren schlechterdings nichts. Immerhin: der Gegensatz von Rubens und Rembrandt – man erinnere sich der freilich bezüglich Rembrandts zur Karikatur übertreibenden, aber für die Grundstimmung doch charakteristischen Verse Baudelaires12 – ist zwar ebensowenig wie ihre Lebensführung einfach identisch mit den Unterschieden des Milieus beider, aber freilich sehr weit entfernt davon, Zufall zu sein. – Daß ein Historiker von den Dordrechter Dekreten als von etwas historisch für Holland fast Irrelevantem reden kann,13 ist nur verständlich, wenn er von der modernen holländischen Kirchenund politischen Geschichte keine Ahnung hat. Der Neo-Calvinismus in Holland ist gewiß ein Gebilde mit sehr modernen Einschüssen,14 – aber wenn man sieht, wie das für die ganze derzeitige politische Konstellation in Holland noch immer maßgebende Kuypersche Schisma,15 eingeleitet durch das echt „puritanische“ Verlangen, daß die

b A: anders 10  Dazu Floerke, Hanns, Studien zur niederländischen Kunst- und Kulturgeschichte: die Formen des Kunsthandels, das Atelier und die Sammler in den Niederlanden vom 15.–18. Jahrhundert. – München, Leipzig: Georg Müller 1905, S.  20. 11  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  401 f. mit Fn.  54a. 12  Charles Baudelaire charakterisiert Rubens und Rembrandt in dem Gedicht „Die Leuchttürme“: „Rubens – der müssigkeit garten – fluss von vergessen / Und pfühl frischen fleisches – für unsre liebe wol leer – / Doch von einem leben so strömend und drängend besessen / Wie luft in dem himmel und wie das meer in dem meer.“ Im Gegensatz dazu: „Rembrandt – trauriges siechhaus voll murmelnder stimmen / Und mit einem grossen kruzifix nur geschmückt – / Wo beten und weinen über dem unrat schwimmen – / Und jählings von einem winterstrahle durchzückt.“ Zitiert nach: Baudelaire: Die Blumen des Bösen. Umdichtungen von Stefan George. – Berlin: Georg Bondi 1901, S.  20–22, Zitate S.  20 und S.  21 (frz.: Les fleurs du mal. – Paris: Poulet-Malassis et de Broise 1857, p.  23 f.). 13 Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.   560. – Die auf der Dordrechter Synode (1618/19) verabschiedeten Canones hielten die Lehre von der doppelten Prädestination fest (vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  250 f., Anm.  47). 14  Der niederländische „Neo-Calvinismus“ verbindet sich mit dem Kirchenpolitiker, Staatsmann und späteren Ministerpräsidenten Abraham Kuyper (1837–1920), der die Theologie Calvins und die Bekenntnisse des 16. und 17. Jahrhunderts mit dem Zeitgeist und den gesellschaftlichen Anforderungen des 19. Jahrhunderts zu verbinden suchte. 15  Die Mehrheit des Amsterdamer Gesamtpresbyteriums, darunter der Laienälteste Abraham Kuyper, weigerte sich 1885, die von Pfarrern der liberalen, „modernisti-

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der Eigenart seines holländischen Heimatlandes zutrauen wird, Abendmahlsgemeinde zur Ehre Gottes sich müsse „rein“ erhalten dürfen,16 in allen seinen Stadien sich auf Rechtsbegriffe und Glaubenslehren stützt, welche vor, in und nach Dordrechtc geschaffen wurden, wird man jene Behauptung ziemlich seltsam finden. Ebenso, wenn man auch nur die gedruckt vorliegenden Aktenstücke zur holländischen Kirchenzuchtsgeschichte jener alten Zeit17 und die ungeheure Autorität der „sacrosancta synodus“18 kennt, welche Jahrhunderte lang von ihren Getreuen nur mit Entblößung des Kopfs genannt wurde. Daß die neucalvinistische Kirchenbildung KuyA 188 pers just in dem „ungläubigen“ Amsterdam | ihren Anfang nahm, könnte ja wieder ein „Zufall“ sein, wie, nach Rachfahl, die Abschwenkung von Amsterdam auf die Seite der calvinistischen Partei gegen Oldenbarnevelt,19 – aber es könnte dieser eigentümliche

c A: Dortrecht schen“ Richtung innerhalb der Hervormde Kerk (niederländische Reformierte Kirche) ausgestellten Konfirmationsscheine anzuerkennen (die Scheine dokumentierten die sittliche Führung der Betroffenen und wurden für die Zulassung zum Abendmahl benötigt). Als sich das Presbyterium einer Anweisung der Synode widersetzte und Verselbständigungstendenzen desselben zu erkennen waren, wurden die Ältesten Anfang 1886 suspendiert. Die „Dolerenden“ („Trauernden“) feierten daraufhin eigene Gottesdienste. 1892 schlossen sie sich mit einem Teil der „Afscheiding“ („Abspaltung“) von 1834 zu den „Gereformeerde Kerken in Nederland“, einer Freikirche, zusammen. Das Schisma betraf den orthodoxen niederländischen Protestantismus. Es hat seine Parallele in dem Kampf der von Kuyper 1878 gegründeten „Antirevolutionären Partei“ gegen die Liberalen. Vgl. Weber, Protestantische Sekten, GARS I, S.  226, Fn.  1 (MWG I/18), der dazu auf Hogerzeil, H. V., De Kerkelijke Strijd te Amsterdam, tweede druk [No.  1–3]. – Amsterdam: F. W. Egeling 1886, verweist. 16  Über seine Abendmahlsauffassung vgl. Kuyper, Abraham, Het dreigend conflict. Memorie van de gevolmachtigde commissie uit den Amsterdamschen kerkeraad ter voorlichting der Gemeente in zake de Attesten. – Amsterdam: J. H. Kruyt 1886, S.  37– 44. – Vermutlich hatte Weber diese, später in die „Protestantischen Sekten“ eingegangene Schrift (GARS I, S.  222, Fn.  1; MWG I/18), bei seinem Hollandaufenthalt 1907 eingesehen (in deutschen Bibliotheken nicht erhältlich). 17  Vermutlich bezieht sich Weber auf: Acta der Provinciale en Particuliere Synoden, gehouden in de Noordelijke Nederlanden gedurende de jaren 1572–1620, hg. von Johannes Reitsma und Sietse D. van Veen, 8 Bände. – Groningen: J. B. Wolters 1892– 1899. – Vgl. Weber, Protestantische Sekten, GARS I, S.  222, Fn.  1 (MWG I/18). 18  Hier: die Dordrechter Synode (1618/19); zu dieser das Glossar, unten, S.  826 f. 19  Nach Rachfahl bewirkte eine „kleine Amsterdamer Kapitalistengruppe“ und mit ihr ganz Amsterdam, die sich teils aus „‚ausgesprochener Profitsucht‘“, teils aus anderweitigem Interesse mit Moritz von Oranien gegen Oldenbarnevelt verbündete, auf der Dordrechter Synode (1618/19) den Sieg der calvinistischen Orthodoxie über den Arminianismus. Die calvinistische Partei verdanke ihren Sieg also nicht eigener Kraft, „sondern nur einer Allianz mit Machtfaktoren [.  .  .], die mit ihr nichts gemein hatten [.  .  ..] und sich ihrer nur als Waffe zur Vernichtung zufällig gemeinschaftlicher Gegner bedienten [.  .  .]“. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  547.

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gelegentlich über die Gründe der Reichtumsbildung dort (Verhältnis des – relativ! – geringen Verbrauches zum Verdienst) der Sache nach schon ganz dasselbe gesagt hat,20 wie ich. Die Fortsetzung der Stelle bei Petty erläutert dann noch einen ferneren Punkt, den Rachfahl zum Gegenstand einer jener vielen moderne „Zufall“ doch vielleicht Manchem Anlaß geben, darüber nachzudenken, ob nicht auch jener Vorgang von 1618 in etwas mehr als der bloßen Tageskonstellation verschiedener „Cliquen“ in der Vroedschapd,21 wie sie überall bestanden, seinen Grund hatte. (In der Minorität hat sich das Asketentum in der Welt fast immer und überall befunden: in Holland damals und unter Kuyper, in England unter Cromwell, in Pennsylvanien schon unmittelbar nach Penn, in Frankreich von Anfang an und ebenso in der Zeit des Pietismus bei uns.) Die Rolle, welche der puritanische Dissent in England noch in der Cobdenschen Anti-Kornzoll-Agitation gespielt hat,22 ist Rachfahl – nach seinen Bemerkungen zu schließen23 – wohl kaum bekannt. – Die interessante Erscheinung, welche in der Beziehung zwischen den Klassen und dem religiösen Leben zu beobachten wäre – fast in allen Ländern –[,] ist die allmähliche Wandlung der anfänglich (oft sogar mit Einschluß des Täufertums) vertikal durch die soziale Schichtung gehenden Risse in horizontale: hier setzt dann das Recht der geschichtsmaterialistischen „Deutung“ ein.

d A: Vroedshap 20 „De Nederlanders verkoopen veel en verbruiken weinig“, Groen van Prinsterer, G[uillaume], Handboek der Geschiedenis van het Vaderland, Derde Aflevering. – Leiden: Luchtmans 1863, S.  254. 21  Vroedschap (nl.), „Magistrat“. Weber greift den von Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  546, gebrauchten Begriff auf; bei Rachfahl umschrieben als „derjenige Teil der kaufmännischen Aristokratie, der die Stadt regierte“. 22  Richard Cobden gründete 1839 während seines Vorsitzes der Handelskammer in Manchester die „Anti-Corn-Law-League“. Ziel Cobdens und seiner Anhänger war es, völlige Handelsfreiheit mit dem Ausland zu erreichen, zuerst durch die Aufhebung der Getreidezölle. Die Agitation wandte sich mit Vorträgen und Broschüren in MillionenAuflage an die Wähler in ganz England. Die Liga wurde 1841 in einer Aktion von über 700 Geistlichen religiöser Gruppierungen außerhalb der Staatskirche unterstützt. 1846 war das erste Ziel mit Einführung eines entsprechenden Gesetzes erreicht. Die Getreidepreise fielen anschließend deutlich. Vgl. Laves, Theodor, und [Wilhelm] Lexis, Art. Anti-Corn-Law-League, in: HdStW3, 1. Band, 1909, S.  544–549. – Zu Webers Äußerung über den „puritanischen Dissent“ vgl. auch Morley, John, The Life of Richard Cobden, vol. I. – London: Chapman and Hall 1881, p.  198–204. Morley erläutert anhand von Briefzitaten Cobdens Verhältnis zu „evangelical dissenters and religionists“, von deren „views of philosophy of morals“ sich Cobden, selbst Angehöriger der anglikanischen Staatskirche, allerdings distanzierte, obgleich er in der Anti-Corn-Law-League mit ihnen kooperierte (Zitate p.  200). – Allgemein formuliert bei Bonn, [Rez. Schulze-Gaevernitz,] Britischer Imperialismus: Das Manchestertum sei „[.  .  .] in gewisser Richtung eine Fortbildung des Puritanismus“. 23  Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  547–549.

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Scheinkontroversen mit mir gemacht hat, von denen sein Aufsatz fast gänzlich lebt: e„These people (nämlich die puritanischen Dissenter) believing the Justice of God, and seeing the most Licentious persons to enjoy most of the world and its best things, will never venture to be of the same religion and profession with voluptuaries and Men of extreme Wealth and Power, who they think have their portion in this World“.e 24 Es sind eben nicht die, in allen Zeitaltern kommerzieller oder kolonialer Expansion immer wiederkehrenden ganz großen Konzessionäre und Monopolisten: ökonomische „Übermenschen“, sondern deren Gegner: die wesentlich breiteren Schichten bürgerlicher aufsteigender Mittelstände, welche typische Träger der puritanischen Lebensauffassung waren – wie ich das meinerseits recht nachdrücklich hervorgehoben habe und, obwohl Rachfahl dies weiß (denn er zitiert es), von ihm, wie immer, wo es ihm paßt, als „Einwand“ entgegengehalten bekomme15).25 Die Bemerkungen Pettys, | im Zusammenhalt mit der früher zitierten Stelle,26 sind aber offensichtlich auch geeignet, um, durchaus entsprechend dem,

15)  Wenn Rachfahl übrigens (Sp.  1320) schließlich auch noch fragt, woher ich denn wisse, daß der von ihm (nach mir) zitierte Ausspruch Jacob Fuggers Ausdruck einer anderen (als der puritanischen) „Berufsethik“ sei,27 – so antworte ich: weil Jeder, der weiß, wie ein Puritaner sich im gleichen Falle ausdrücken würde, auch weiß, daß er – A 189 und zwar mit voller subjektiver Wahr|haftigkeit – sich anders ausgesprochen haben würde. Bereits auf Sp.  132428 weiß denn auch Rachfahl selbst, – ohne zu sagen: woher? –, daß die Berufsethik der Calvinisten sich von dem Fuggerschen Lebensstil dadurch unterscheide, daß bei jenen Gewinn und Reichtum – ganz wie ich es dargelegt habe29 – „nur Faktoren von akzessorischer Bedeutung waren“!

e–e  In A Anführungszeichen am Anfang jeder Zeile. 24  Zitat: Petty, Political Arithmetick, p.  23 f. (Klammerzusatz von Weber); Fortsetzung des oben, S.  588 f., wiedergegebenen Zitats. 25  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  127 und 164 f., dass. II, S.  414 f. u. ö., Zitat bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  533. 26  Die Zitate Pettys, Political Arithmetick, p.  23 f. und p.  26, hier oben, S.  588 f. und auf dieser Seite, oben, Z.  2–7, Webers Rückverweis auf oben, S.  586 (mit Anm.  70). 27 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  552; vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  146 f. 28  Rachfahl, ebd., oben, S.  554. 29  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  147.

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was ich andern Quellenf und vor allem den in ihren Ausläufern bis auf die Gegenwart fortwirkenden Prinzipien der asketischen Denominationen entnommen hatte, die (scheinbar!) so paradoxe Attitüde der „protestantischen Askese“ (in meinem Sinn des Worts) zum Reichtum zu illustrieren. Der Reichtum als solcher ist, als Quelle der Genuß- und Machtgier, nicht nur eine, sondern die Gefahr schlechthin, das Streben nach den Gütern dieser Welt ist – ich könnte die von mir zitierten Stellen30 beliebig vermehren – an sich schlechthin verwerflich: das besagt auch Petty. Und doch hatte Petty selbst soeben erst die „industry“ dieser den reichen Leuten und dem Reichtum so feindselig gesonnenen Elemente als eine besonders wichtige Quelle der Reichtumsbildung hingestellt31 und ihren überwältigenden Anteil am Unternehmertum betont,32 – wiederum schon eben so, wie ich es auch getan habe. Wie einfach sich die scheinbare Paradoxie lösen läßt, ist jedem, der meine Aufsätze wirklich gelesen hat, erinnerlich. Auch Rachfahl weiß es, wenn auch die Form, in der er in diesem Punkte meine Darstellung wiedergibt, mehr als seltsam ist16). Denn er ist gut bekannt mit meinen doch ziemlich ausführlichen Erörterungen über das gewiß eigentümliche, für uns heutige Menschen schwer ohne den Verdacht von Heuchelei und Selbstbetrug vorstellbare, aber für Menschen, die zwischen Diesseits und Jenseits eine Brücke finden mußten, keineswegs so besonders „komplizierte“ Verhältnis der Puritaner (im weiten Wortsinn) zum Erwerb. Er kennt ferner auch die von mir vorgenommene ausdrückliche Scheidung gegenüber dem Habitus, welcher in der von Sombart zitierten Äußerung Fug16) Sp.g

1231:33 „Allerdings, so gibt Weber zu, zeigte sich schließlich die kalvinistische Ethik als eine Kraft, die zwar das Gute wollte, aber das Böse schuf, .  .  . den Reichtum mit allen seinen Versuchungen“. Von einem Schriftsteller zu sagen, daß er eine seiner eigenen, fast wörtlich zitierten Grundthesen „zugibt“, ist eine für den Leser mindestens reichlich mißverständliche Umschreibung des Sachverhaltes.

f A: Quellen,  g A: S. 30  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  408–412. 31  Vgl. Petty, Political Arithmetick, p.  23 („industry“), im Zitat oben, S.  586 f. 32  Vgl. Petty, ebd., p.  26; oben, S.  586. 33  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  530. Er bezieht sich im Zitat auf Weber, Protestantische Ethik II, S.  410.

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gers zum Ausdruck kommt16a). Ebenso kennt er meine ausdrückliche Erinnerung daran, daß der ganze Typus, wie ihn die großen italienischen, deutschen, englischen, holländischen und überseeischen Finanziers darstellen, eben ein Typus ist, den es, wie ich notgedrungen abermals wiederhole17), gegeben hat, so lange wir über-| haupt eine Geschichte kennen, der in seiner Eigenart schlechterdings gar nichts dem „Frühkapitalismus“ der Neuzeit irgendwie Charakteristisches ist, der vielmehr grade im entschiedensten Gegensatz steht zu denjenigen Zügen in dessen Antlitz, deren Aufdeckung mir nun einmal am Herzen lag, weil sie sich dem Auge leichter entziehen und doch zu den allerwichtigsten zählen. Aber diese seine genaue Kenntnis meiner Ansichten hindert Rachfahl nicht, mir jenen, wie auch er wissen könnte, schon seit der Pharaonenzeit bekannten Typus von Kapitalisten, dem der von mir als „asketisch“ bezeichnete Zug fehlt, als Argument gegen mich vorzuhalten.34 Obwohl bei mir mit größter Deutlichkeit zu lesen steht, daß ich mich mit ihm nicht beschäftige, also z. B. in Holland18) nicht mit jenem mir so gut wie jedermann bekannten Typus „erwerbsgieriger“ Händler, die – ich hatte dies wohlgemerkt selbst zitiert18a): – „um Gewinns willen durch die Hölle fahren würden, auch wenn ihnen dabei die Segel ansengten“, wird mir die Frage entgegengehalten: ob das denn nicht der „eigentliche“ kapitalistische Geist

XX. S.  15.35 Vgl. Archiv XXV, S.  247 bei Anm.  10.36 Rachfahl kennt auch diesen Aufsatz, da er ihn selbst gelegentlich zitiert.37 | 18) Über den Arminianismus in den führenden Schichten des holländischen GroßA 190 bürgertums habe ich geredet, im übrigen auf Busken-Huët verwiesen.38 Es ist ein starkes Stück, wenn Rachfahl, der nichts Neues von Belang darüber beibringt, glaubt behaupten zu dürfen, ich „wisse“ von diesen Verhältnissen nichts.39 18a)  XX. S.  20.40 | 16a)  17) 

34  Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  554. 35  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  146 f. 36  Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  487 f. mit Fn.  10. 37  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  545, Anm.  21, und S.  551, Anm.  34, zitiert Weber, Bemerkungen, wenn auch nicht Weber, Kritische Bemerkungen. 38  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  413 mit Fn.  72. 39  Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  547. 40  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  154 f.

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sei?41 Für einen Leser meiner Aufsätze darf ich die Antwort wohl schuldig bleiben. Ähnlich steht es, wenn sich Rachfahls Eifer auf die Suche nach allerhand Gebieten mit kräftiger Entwicklung kapitalistischer Wirtschaft begibt, in denen die „protestantische Askese“ eine entscheidende Rolle (wirklich oder angeblich) nicht spielte[,] oder hin demh sie umgekehrt eine solche spielte, ohne daß, als Resultat, großkapitalistische Wirtschaft sich eingestellt hätte.42 Über die Einzelheiten dieser Kritik ist schon oben geredet worden.43 Prinzipiell hatte ich mich zwar auch darüber schon, und zwar wiederholt, hinlänglich deutlich ausgesprochen, will aber gern nochmals darauf eingehen. Denn vielleicht sind wir damit bei einem Punkte angelangt, wo der Versuch einer Konfrontierung der beiderseitigen Standpunkte möglich zu werden scheint? Ich sage: scheint: Denn in Wahrheit hat leider Rachfahl einen eignen Standpunkt, mit dem man sich auseinandersetzen könnte, überhaupt nicht. Man kaut bei ihm auf Sand. Vergebens fragt man sich vor allem, was denn eigentlich seine durch fünf Artikel dauernde wunderliche Kanonade gegen mich bezweckt hat, wenn er selbst schließlich als Ergebnis erklärt, man werde den von mir erörterten religiösen Momenten (Sp.i 1349)44 „für die Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse gewiß eine große Bedeutung zugestehen müssen“. Nur, heißt es weiter, „nicht grade in derselben Richtung“, oder – was dann sofort doch wieder zugegeben wird: – wenn in derselben Richtung, dann in dieser wenigstens nicht so ausschließlich, wie ich es – ich wüßte beim besten Willen nicht: wo? – getan hätte. Überdies | aber heißt es dann noch: zu den die ökonomische Entwicklung fördernden Elementen (und gleich darauf gradezu: zu deren „Triebkräften“) gehörte „unzweifelhaft die Berufsethik der Reformation“, wobei sogar (irrtümlicherweise: s. o.)45 behauptet wird, daß ich sie zuerst in dieser ihrer Bedeutung

h–h Lies: nach Gebieten, in denen   i A: (S. 41  Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, S.  547. 42  Über Holland, England und Nordamerika und weiter Länder vgl. Rachfahl, ebd., oben, S.  554–551. 43  Siehe oben, S.  589–595, Fn.  14. 44  Alle folgenden Zitate im Schlußabschnitt von Teil  IV: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  562. 45  Siehe oben, S.  589. Weber spielt auf Petty, Political Arithmetick, an.

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analysiert hätte. Sein einziger substanziierter Vorbehalt betrifft die von ihm in seinen Artikeln breit kritisierte Bezeichnung dieser Berufsethik als „asketisch“ – wovon schon oben die Rede war.46 Ich könnte mich mit diesen Zugeständnissen meines Herrn Zensors durchaus zufrieden geben, denn ich selbst hatte so nachdrücklich, wie wohl überhaupt nur möglich, hervorgehoben, daß es mir nicht in den Sinn komme, mehr als eben das Vorhandensein dieser „Triebkraft“ anzunehmen.47 In welchem Maße sie, verglichen mit anderen Komponenten, faktisch in der ihr adäquaten Richtung gewirkt hat, habe ich in der Tat nicht versucht, „im Einzelnen“ (wie Rachfahl es wünscht) zu ermitteln,48 so gewiß auch das eine wichtige, aber nur für die einzelnen Länder je besonders in Angriff zu nehmende und schwerlich leicht lösbare19) Aufgabe ist. Rachfahls Zumutung vollends, hier eine Art Statistik zu treiben, halte ich meinerseits und muß jeder, der aus einiger Erfahrung weiß, welche unerhörten Schwierigkeiten sich heute, am noch lebenden Objekt, dem Versuch, die Tragweite eines bestimmten, noch so zweifellos vorhandenen und wirksamen „weltanschauungsmäßigen“ Motivs zu messen, entgegentürmen, für etwas reichlich harmlos halten 20). Die von mir gewählte Aufgabe war – sie ist als solche in meinem Aufsatz so deutlich wie nur möglich umschrieben worden: – zunächst einmal festzustellen, nicht wo und wie stark, sondern wie, durch welche seelischen Motivationsverknüpfungen, bestimmte Formungen des protestantischen Glaubens in den Stand gesetzt wurden, so zu wirken, wie sie dies – auch nach Rachfahls Ansicht – taten. Daß sie so wirkten, wurde natürlich zunächst einmal an einer Anzahl von BeiA 191

19) Denn auf die Verteilung des Kapitals u. dgl. käme es dabei natürlich absolut nicht in erster Linie an. 20)  Vgl. z. B. meine Bemerkungen in dieser Zeitschrift XXVIII S.  263, XXIX S.  529.49

46  Siehe oben, S.  577–583. 47  Erwiderung auf Rachfahls Resümee, vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  562. 48  Weber bezieht sich auf Rachfahl, ebd., oben, S.  543  f. 49 Die Frage der „Weltanschauung“ behandelte Weber in seiner Aufsatzfolge „Zur Psychophysik der industriellen Arbeit“ (in: AfSSp, Bände 27–29, 1908/09; MWG I/11, S.  150–380). Demnach erweisen sich sozialistische Gewerkschaftler und pietistische Arbeiterinnen als besonders leistungsfähig (vgl. AfSSp, 28. Band, S.  263–266; MWG I/11, S.  278–281). Mit Rückbezug schreibt Weber an der zweiten angegebenen Stelle (AfSSp, 29. Band, S.  529; MWG I/11, S.  362, folgendes Zitat Fn.  95), „die wahrschein-

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spielen illustriert, im übrigen aber – weil es ja gar keine „Neuigkeit“ war –, als bekannt vorausgesetzt. Auch Rachfahl setzt es (Sp.  1265 oben)21) 50 genau wie ich ausdrücklich als zweifellos feststehend voraus, – wozu sich freilich (wohl nicht nur für den Nichthistoriker!) der alsbald folgende Nachsatz seltsam genug ausnimmt22), in dem es heißt: es gelte nun erst, den | Nachweis der Existenz dieser Zusammenhänge – über die doch, hörten wir, „kein Zweifel“51 besteht – zu führen. Von dieser „Aufgabe“, – die ich mir, wie gesagt, gar nicht gestellt hatte, – erklärt dann Rachfahl: ich hätte sie mir „leicht“ gemacht.52 Ich muß abwarten, ob andere Leser den Eindruck haben, daß ich die mir wirklich vorschwebende Leistung allzu „leicht“ genommen habe. Aber man fragt angesichts solcher immerhin recht anmaßenden Bemerkungen nun auch weiter: wie „schwer“ sich denn der anspruchsvolle Kritiker seinerseits jene von mir – nach seiner Erklärung – nicht gelöste Aufgabe gemacht habe? Und angesichts des Umstandes, daß über die Beziehung auch nur zwischen Calvinismus (von dem R[achfahl] allein spricht) und Kapitalismus in seinen gesamten fünf Aufsätzen nichts, schlechterdings nichts, beigebracht wird – oder bitte: was? –, das nicht schon genau ebenso in meinem Aufsatz stände, darf ich mich wohl einer Replik enthalten. Es bleibt mir in dieser Hinsicht natürlich in der Hauptsache nichts andres übrig, als die einfache, aber freilich 21) „Es

kann kein Zweifel darüber obwalten, daß zwischen Kalvinismus“ (über diese ganz falsche Begrenzung s. o.)53 „und Kapitalismus innere Beziehungen bestehen.“ 22)  Und natürlich erst recht die von ihm immer wieder unterstrichene Behauptung, daß es die „gemeinchristliche“ Reformationssittlichkeit (also doch auch die nicht- und anticalvinistische)54 gewesen sei, die fortbestanden habe. |

liche Wirkung pietistischer Erziehung auf die Arbeitsleistung“ bleibe „durchaus hypothetisch“; „die Erscheinung“ finde aber „auch heute doch noch wesentlich zahlreichere Parallelen“, als er 1904 (d. h. während der Abfassung des ersten Aufsatzes zur „Protestantischen Ethik“) angenommen habe. Dabei rufe nicht mehr die Konfession jene Unterschiede hervor, „[.  .  .] sondern die Intensität, mit der sie, heiße sie nun Katholizismus oder Protestantismus, im Einzelfall die Lebensführung überhaupt beeinflußt“. 50  Das Zitat in Webers Fn.  21: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  543. 51  Zitat: Rachfahl, ebd. 52 Vgl. Rachfahls Urteil über Weber und Troeltsch gleichermaßen: Rachfahl, ebd., oben, S.  543. 53  Siehe oben, S.  576 f. 54  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  543: „allgemeine christliche Ethik“; ähnliche Formulierungen ebd., S.  535, 554 und 558.

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anspruchsvolle Bitte an etwaige Interessenten, sie möchten nach der Rachfahlschen „Kritik“ meine Aufsätze erneut vornehmen und – hierin liegt die hauptsächlichste Unbescheidenheit – vollständig lesen. Sie werden dann finden,k 1) daß ich die Unterstellung, man könne das kapitalistische Wirtschaftssystem aus religiösen Motiven überhaupt, oder aus der Berufsethik des von mir so genannten „asketischen“ Protestantismus ableiten, in meinem Aufsatz selbst „töricht“ genannt habe55 und dabei selbst auf das Ausführlichste, ja geradezu zur Begründung meiner Problemstellung hervorhob, daß es sowohl „kapitalistischen Geist“ ohne kapitalistische Wirtschaft (Franklin) wie auch das Umgekehrte gegeben hat56 (was Alles Rachfahl zwar selbst zitiert, aber, sobald es ihm paßt, alsbald wieder vergißt und dann als „Einwand“ gegen mich vorbringt22a), – 2) daß es mir nicht eingefallen ist, jene, nach meiner Ansicht ur­sprünglich religiös bedingten Motive „asketischen Charakters“ mit dem kapitalistischen „Geist“ zu identifizieren (wie es bei Rachfahl von A bis Z – schon in dem Resumé meiner Aufsätze, Sp.  1219  57 – seinen Lesern vorgetäuscht wird), sondern daß ich sie (XXI, S.  107)58 nur als einen konstitutiven Bestandteil dieses „Geistes“ (und übrigens daneben, | ausdrücklich, noch weiterer moderner Kultureigenarten!) neben andern in Anspruch nehme (was Rachfahl nach endlosem Hin- und Herreden schließlich, wie gesagt, 22a) Ich habe aus dem Auftauchen des „kapitalistischen“ Geistes (in meinem Sinne!) an einer Stelle, wo die ökonomischen Bedingungen dafür (damals noch!) so ungünstig wie möglich waren, grade geschlossen, daß die Methodik der Lebensführung, welche (damals) Neuengland und Pennsylvanien beherrschte, von sich aus die Antriebe dazu in sich barg.59 Daß ein solcher Keim dann der erforderlichen „Bedingungen“ bedurfte, um zur Entstehung eines kapitalistischen „Wirtschaftssystems“ mitwirken (mitwirken!) zu können, – diese Selbstverständlichkeit habe ich zwar der Sicherheit halber auch noch (XX, S.  53, 54; XXI, S.  110)60 gesagt, aber allerdings in der (wie ich sehe, irrigen!) Meinung, daß dies eigentlich überflüssig sei. |

k  In A folgt: nicht nur 55  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  215. 56  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  164 und 166 f. 57  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  523. 58  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  420. 59  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  174; dass. II, oben, 412. 60  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  214 und 215; dass. II, oben, S.  424.

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selbst als richtig zugibt),61 – 3) daß ich über das Verhältnis des sogenannten „Erwerbstriebs“ zum „kapitalistischen Geist“ so eindeutig mich ausgesprochen habe, daß die Bemerkungen Rachfahls über diesen Punkt62 nur ein weiterer Beweis dafür sind, daß er entweder nicht dazu neigt, polemische Auseinandersetzungen mit dem guten Willen zu führen, bei dem Gegner – ich will nicht einmal sagen: den möglichst vernünftigen Sinn, sondern: – überhaupt irgend einen vernünftigen Sinn seiner Äußerungen vorauszusetzen, – oder daß er im Moment der Niederschrift seiner „Kritik“ sich nicht mehr erinnerte, was in der kritisierten Arbeit gesagt war. Ob man die höchst heterogenen psychischen Tatbestände, welche dem Streben nach Geld und Gut zu Grunde liegen können, überhaupt mit dem, einer sonst längst überwundenen Art der „Psychologie“ entnommenen[,] einheitlichen Namen „Erwerbstrieb“ bezeichnen sollte, bleibe unerörtert. Ganz entbehrlich ist er wohl nicht. Daß dieser sogenannte „Trieb“ sich, und zwar gerade recht eigentlich in triebhafter: irrationaler, ungezügelter Form, in allen Stadien der Kulturentwicklung und in allen möglichen sozialen Schichten: beim neapolitanischen barcajuolo, beim antiken und modernen orientalischen Krämer, beim „biederen“ kleinen Tiroler Gastwirt, beim „notleidenden“ Agrarier, beim afrikanischen Häuptling[,] in kolossalstem Maßstab findet, – dagegen grade in dieser naiv triebhaften Form beim „Typus“ des Puritaners oder bei einem so streng „respektabel“ denkenden Mann wie dem von mir zitierten B[enjamin] Franklin63 nicht, – dies ist einer der ausgesprochensten Ausgangspunkte meiner Darstellung, und ich durfte erwarten, daß wenigstens dies einem Mann, der sie „kritisieren“ wollte, nicht aus dem Gedächtnis kommen würde. Und, um es nun noch einmal zu wiederholen: wo immer großkapitalistische Entwicklung sich je gefunden hat, im fernen Altertum sowohl wie in unseren Tagen, da hat es selbstverständlich jenen Typus von skrupellosem money-maker gegeben, welcher in der Exploitierung der römischen Provinzen ebenso wie in den Raubkolonien der italieni-

61  Im Schlußabschnitt von Teil  IV, vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  562. 62  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, bes. oben, S.  149, 154; Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  532–536. Auf diesen Abschnitt bei Rachfahl bezieht sich Weber auch im folgenden. 63  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  142–145.

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schen Seestädte und den weltumspannenden Spekulationen der Florentiner „Geldgeber“, in den Plantagen der Sklavenhalter und den Goldfeldern aller Erdteile ebenso wie in den amerikanischen Eisenbahnen oder den großfürstlichen Praktiken im fernen Osten oder den ebenfalls weltumspannenden Spekulationen der „Imperialisten“ der City sich auswirkt. In den technischen Möglichkeiten und Mitteln, nicht aber in der Erwerbs-Psychologie ist hier ein Unterschied. Solche erstaunlichen Wahrheiten allerdings, wie: daß das Streben nach „Glück“, nach „Nutzen“, nach „Genuß“, „Ehre“, „Macht“, „Zukunft der Nachkommen“ und dergleichen bei der Auslösung des Strebens nach dem Höchstmaß von Gewinn immer und überall in sehr verschiednen Kombinationen mitbeteiligt waren und sind, hätte Rachfahl, glaube ich, sich sparen können,64 da schwerlich Jemand zu finden sein wird, | der sie bestreitet23). Ich 23) Wo ich von einer „absoluten“ Herrschaft des Puritanismus im englischen Wirtschaftsleben gesprochen haben soll, ist mir unverständlich.65 Der Kampf der bürgerlich-kapitalistischen Mittelklassen hatte zwei Fronten: gegen die „Squirearchie“66 beginnt er als ein ganz ausdrücklicher Kampf der „Askese“ mit dem „fröhlichen alten England“, ein Kampf, in welchen die Krone durch das book of sports eingriff;67 – gegen die (im 17. Jahrhund[ert] höfischen) Monopolisten und Groß-Finanziers auf der andren Seitel (vergl. die bekannten Schritte des [„]langen Parlaments“m in dieser Richtung)68 war er – das würde ich bei Fortsetzung meiner Artikel zu zeigen gehabt haben69 – von einer sehr bestimmten Theorie des „justum pretium“70 getragen, welche die puritanische Ethik erfüllte.

l  Fehlt in A; Seite sinngemäß ergänzt.  m A: Parlements“ 64  Vgl. dazu Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  533–535. 65  Bezug: Rachfahl, ebd., oben, S.  548. 66  Squirearchy (engl.), „Landjunkertum“. 67 Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.   397  f. mit Anm.   71. Mit der „Declaration of sports“ erklärten Jakob I. 1617/18 und Karl I. 1633 die sonntäglichen traditionellen Vergnügungen entgegen der von den Puritanern betriebenen „Sabbatheiligung“ ausdrücklich für erlaubt. 68  Nämlich die „Great Remonstrance“ von 1641, jene an die Regierung Karls I. gerichteten Forderungen des Langen Parlaments wegen unzähliger Mißbräuche (abgedruckt bei Gardiner, Constitutional Documents, p.  127–154). 69  Vgl. dazu die Einleitung, oben, S.  66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96, sowie den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Beiträge, oben, S.   464 f. mit Anm.  10. 70  Lat., „gerechter Preis“; Bestandteil christlicher Ethik. Vgl. dazu das Glossar, unten, S.  832.

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habe jene Motive nur dann (dann aber ausdrücklich) erwähnt23a), wo sie in ihrer Tragweite in Spannung gegenüber der mich interessierenden asketischen „Berufsethik“ traten. Von einer ebenso erstaunlichen Richtigkeit ist das breite Plaidoyer Rachfahls dafür, daß es von allen den verschiedenen Arten von innerlichen Beziehungen zum Erwerb zu derjenigen, mit welcher ich mich befaßt habe, psychologische Übergänge gebe, daß ferner das von mir „isoliert“ dargestellte24) Motiv in der Realität „nicht rein abzulösen“, meist „mit andern kombiniert“, „selbst heute nicht“25) erschöpfend usw. sei.71 Dies dürfte für alle nur irgend erdenklichen Motive menschlichen Handelns zutreffen und hat noch Niemand gehindert, wenn es sich um den Versuch, die spezifischen Wirkungen eines bestimmten Motivs nzu ermittelnn, handelt, dieses in möglichster „Isoliertheit“ und innerer Konsequenz zu analysieren. Wen nun diese ganze „Psychologie“ nicht interessiert, sondern nur die äußeren Formen der Wirtschaftssysteme, den darf ich bitten, meine Versuche ungelesen zu lassen, ebenso aber auch, mir dann gefälligst anheimzustellen, ob ich meinerseits mich grade für diese seelische Seite der modernen Wirtschaftsentwicklung interessieren will, welche im Puritanismus die großen inneren Spannungen und Konflikte zwischen „Beruf“, „Leben“ (wie wir uns heute gern ausdrücken), | „Ethik“o im Stadium eines eigentümlichen Ausgleichs Vgl. z. B. XXI, S.  98 Anm.  65.72 Aber doch weiß Gott nicht, wie Sp.  1249 behauptet wird,73 als in jedem oder auch nur den meisten Trägern von „kapitalistischem Geist“ (in meinem Sinn) in absoluter Einzigkeit wirkend hingestellte. 25)  Da doch sogar Rachfahl nachweislich bekannt ist, daß ich ausführlich das Geschwundensein jener in den Zeiten der Blüte des asketischen Protestantismus wirksamen Motivationsverknüpfung zu erklären gesucht habe – er polemisiert ja gegen meine Art der Erklärung –, so ist dies „selbst heute“ wiederum ein Beispiel für die Art seiner, keinerlei möglicherweise eindrucksvolle Wendung verschmähenden, „Kritik“. Dazu tritt, um das Bild zu vervollständigen, noch, daß er selbst Sp.  1324 oben74 den heutigen Großkapitalismus in seinem Lebensstil in Gegensatz stellt zu dem calvinistischen, – und zwar genau in dem Sinn, in dem er es bei mir gelesen hat, nur mit etwas anders gesetzten Worten. | 23a) 

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n  Fehlt in A; zu ermitteln sinngemäß ergänzt.   o A: „Ethik“, 71  Die Zitate bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  533 und 535. 72  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  98 f., Fn.  65. 73  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  534. 74  Rachfahl, ebd., oben, S.  554.

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zeigen, wie er in dieser Art weder vorher noch nachher bestanden hat. Und zwar auf einem Gebiet, wo die Traditionen der Antike und des Mittelalters andre Wege wiesen, und wo wir heute mitten in erneuten Spannungen leben, die – weit über den Kreis der von mir herausgegriffenen Sphäre hinaus – sich zu Kulturproblemen ersten Ranges auswachsen, wie sie, in dieser Art, nur unsere „bürgerliche“ Welt kennt. Es ist eben einfach nicht richtig, wenn Rachfahl ins Blaue hinein – und überdies ebenso wie in seiner ganzen Polemik im schreiendsten Widerspruch gegen seine eigenen früher zitierten Zugeständnisse am Schlusse seiner „Kritik“75 – behauptet, die „Berufsethik“, wie sie die (in meinem Sinn) „asketischen“ Richtungen des Protestantismus kannten, sei ebenso schon im Mittelalter herrschend gewesen.76 Bei dem Gegensatz gegen das Mittelalter sind solche mehr äußerlichen Punkte, wie die Stellung der kirchlichen Doktrin zum „Wucher“[,] für mich keineswegs das Entscheidende, wie jeder Leser meines Aufsatzes weiß,77 während allerdings die Bemerkungen Rachfahls grade hierüber zu den klassischen Zeugnissen seiner völligen Verständnislosigkeit für das gehören, worum es sich bei diesen Problemen handelt. Hören wir ihn: „Und wenn sich ein Kapitalist dadurch (durch das Zinsverbot) wirklich so weit geniert fühlte, daß er durch fromme Stiftungen sein Gewissen beschwichtigen zu müssen meinte – ist das nicht gerade ein Beweis dafür, daß seine Grundanschauung eine anti­ traditionalistische war? Denn der Erwerbstrieb war in ihm so mächtig, daß er nicht einmal ein Vehikel religiöser Ethik, wie später die protestantischen ‚Asketen‘ brauchte, um sich zum Geldverdienen getrieben zu fühlen .  .  .“ (Sp.  1300)26).78 Der „Erwerbstrieb“ aller jener Gründer und Spekulanten, die „mit dem Ärmel an das Zuchthaus streifen“,79 um die Millionen zu verdienen, der „Erwerbstrieb“ A 195

26) Die Sperrungen hier und – wie nachträglich bemerkt sei – auch früher bei Zitaten aus den R[achfahl]schen Artikeln rühren von mir her.

75  Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  562. 76  Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S.  553. 77  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  173 f. 78  Zitat: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  552, bei Weber mit kleinen Abweichungen, z. B. „in den“ statt „die“ (Asketen). 79 Sprichwort, vgl. Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk, hg. von Karl Friedrich Wilhelm Wander, 5. Band. – Leipzig: Brockhaus 1880, Sp.  1823.

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des in den Reisezentren der Riviera zur Schamlosigkeit erzogenen Kellners, der die Gäste gewohnheitsmäßig mit der Rechnung betrügt, braucht noch weit weniger „Ethik“ als „Vehikel“, – und käme es auf die Konstruktion einer Stärke-Skala des „Erwerbstriebs“ an, so würde der Puritanismus ganz gewiß nicht an der Spitze marschieren, auch nicht jener Typus von Rationalisten des Gelderwerbes, als den ich Benjamin Franklin gewählt hatte26a). Aber | nicht um die triebmäßige Gier nach Geld, nach Glück, nach dem splendor familiae usw. handelt es sich80 – Alles Dinge, die den ernsten Puritanern grade ferner liegen als Andern: ihrer Weltabgewandtheit zum Trotz werden sie reich, – sondern darum, daß der „asketische“ Protestantismus für den Kapitalismus auch die entsprechende „Seele“ schafft, die Seele des „Berufsmenschen“, der solche Mittel wie der Mensch des Mittelalters nicht braucht, um sich einig zu fühlen mit seinem Tun. – Das war der Kaufmann der Florentiner Frührenaissance nicht.81 Es ist hier nicht der Ort, die tiefe Zerrissenheit, welche bei aller strotzenden Kraft und scheinbaren Geschlossenheit durch die Ernstesten unter den Menschen jener Tage ging, zu analysieren. Nur eine, und gewiß eine mehr an der Oberfläche liegende, Erscheinung, die sich diesem Bilde einfügt, sind jene Restitutionen „wucherisch“ erworbenen Gutes. Aber allerdings gehört sie in dieses Bild. Ich – und wohl eigentlich jeder 26a)  Sombart (XXIX S.  701)82 eignet sich ganz mit Recht die Äußerung eines Großunternehmers wie Rathenau (in dessen „Reflexionen“) an, der „noch niemals einen wahrhaft großen Geschäftsmann und Unternehmer“ gekannt haben will, „dem das Verdienen die Hauptsache seines Berufs war und ich möchte behaupten, daß, wer am persönlichen Geldgewinn hängt, ein großer Geschäftsmann überhaupt nicht sein kann“. (Ganz dies würde auch Franklin, ganz unbeschadet seiner „Predigt“,83 gesagt haben und erst recht die Puritaner. Der Reichtumsgewinn ist ihnen allen – mit Rachfahl zu reden – etwasp „Akzessorisches“.)q 84 |

p A: „etwas  q  In A fehlende Klammer ergänzt. 80  Wie oben, S.  604; vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  534. 81  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  173 f. mit Fn.  33. 82  Gemeint ist: Sombart, Unternehmer, S.  701, dort auch das anschließende Zitat. Es entstammt: Rathenau, Reflexionen, S.  81, und dient Sombart zum Beleg, daß das Grundmotiv eines jeden Unternehmers „nicht etwa das Gewinnstreben“ oder die „‚Profitwut‘“ sei, sondern „das Interesse an seinem Geschäft “ (S.  700 f.). 83  Die aus Franklin zitierten Passagen: Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  142– 145. 84  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  554.

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einigermaßen Unbefangene – kann in jenen „Beschwichtigungsmitteln“ nur eines der zahlreichen Symptome für die Spannung zwischen „Gewissen“ und „Handeln“, für die Unvereinbarkeit des auch von Luther nicht überwundenen „Deo placere non potest“,85 der Ideale grade der ernstlich katholisch gestimmten Menschen[,] mit dem „kaufmännischen“ Gewinnstreben sehenr, und die zahllosen praktischen und theoretischen „Kompromisse“27) – eben als „Kompromisse“. Es ist eben nicht richtig, daß eine jede Art der Tätigkeit sich ihre „Berufsethik“ einfach – wie Rachfahl behauptet86 und wie es ja das „Nächstliegende“ zu sein scheint – zu allen Zeiten in gleicher Art geschaffen habe. Meine Aufsätze hätten grade einen Beitrag zur Erkenntnis liefern mögen, in wieweit diese (im Wesen „geschichtsmaterialistische“) Auffassung, deren trivia­ les Recht an sich selbstverständlich kein Mensch, am allerwenigsten ich, anficht, in der historischen Entwicklung ihre Schranken hat28). | A 196

27) Ich habe dafür weit drastischere Beispiele angeführt als „fromme Stiftungen“,87 die – nur aus gänzlich andern, in charakteristischer Art andern, Motiven! – grade z. B. auf dem Boden des Calvinismus und des Reformiertentums überhaupt in mindestens gleichem Maße gang und gebe waren. 28)  Ich hatte sehr nachdrücklich betont, daß ich im Fall einer Vollendung meiner Aufsätze, wo dann die umgekehrte Kausalbeziehung: – Bedingtheit des Religiösen durch die ökonomischen Verhältnisse – zur Geltung gelangen müßte, wahrscheinlich der „Kapitulation vor dem Geschichtsmaterialismus“ ganz ebenso geziehen werden würde,88 wie, nach dem, was vorliegt, der „Übertreibung des Einflusses religiöser Momente“,89 – bei R[achfahl] (Sp.  1325)90 findet sich für meine angebliche „These“ sogar

r A: auffassen 85  Das Wucherverbot in seiner Wendung für den Kaufmann: „[Ein Kaufmann] kann vor Gott keinen Gefallen finden“ (nach dem Corpus Iuris Canonici). Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  172 mit Anm.  14. Zu Luther vgl. Weber, ebd., oben, S.  197– 199, S.  198 mit Anm.  94. 86  Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  552 f. 87  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  407 f., Fn.  65. – Der Bezug auf „fromme Stiftungen“ bei Rachfahl: Kalvinismus, oben, S.  552. 88  Über eine geplante Untersuchung der umgekehrten Kausalbeziehung hatte sich Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  424 f. geäußert. Zur geplanten Fortsetzung seiner Protestantismus-Aufsätze vgl. die Einleitung, oben, S.  66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  464 f. mit Anm.  10. 89  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  557; ähnlich S.  555 u. ö. 90  Rachfahl, ebd., oben, S.  555.

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Um das Gesagte zusammenzufassen: bei meinen Ausführungen handelte es sich darum, eine bestimmte, konstitutive Komponente des Lebensstils, der an der Wiege des modernen Kapitalismus stand, an dem sie – mit zahlreichen andren Mächten – mit gebaut, zu analysieren und in ihren Wandlungen und ihrem Schwinden zu verfolgen. Ein solcher Versuch kann sich nicht die Aufgabe stellen, zu ermitteln, was zu allen Zeiten und überall, wo Kapitalismus existierte, vorhanden war, sondern sie hat grade umgekehrt das Spezifische der einmaligen Entwicklung zu ermitteln29). Dafür verant-

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der Ausdruck „ungeheuerlich“, freilich nicht gerade im Einklang damit, daß R[achfahl] den Inhalt derselben, wie schon bemerkt,91 selbst sich aneignet. – Beiläufig: jener Einfluß ist denn doch auch auf politischem Gebiet von ganz anderer, fundamentalerer, Bedeutung, als nach dem Eindruck der „Nichts-als-Politiker“ unter den Historikern, die unter den „großen Mächten“ nur die großen Bataillone verstehen, mit denen freilich der liebe Gott auf dem Schlachtfelde zu gehen pflegt. Noch so viele „Mächte“ dieser Art haben | z. B. den einen Satz der Bibel: „Man soll Gott mehr gehorchen als den A 197 Menschen“,92 – solange er den Glauben entschlossener Männer, und seien es auch kleine Minderheiten, wie die Puritaner fast überall es waren, beherrschte, – nicht außer Gefecht zu setzen vermocht. An ihm scheiterten die „Kulturkämpfer“ des 17. wie des 19. Jahrhunderts, und beide Male hatte ihre Niederlage Konsequenzen von einer in Generationen nicht zu überwindenden Tragweite.93 Er ist selbstredend sehr weit davon entfernt, das einzige Fundament des politischen Individualismus (ich nehme an, daß dieser Ausdruck in diesem Fall unzweideutig ist) gewesen zu sein. Aber der Umstand, daß dem heutigen politischen Individualismus dieser Einschlag fehlt und fehlen muß, in Deutschland, dank unter anderem auch dem Luthertum, von jeher teils gefehlt hat, teils nur mit passiven Konsequenzen ausgestattet wurde,94 ist für weit mehr verantwortlich, als jene klugen Leute sich träumen lassen. 29)  Schier unglaublich ist es, wenn Rachfahl (Sp.  1251)95 die „agonalen Triebe“, von denen ich hervorgehoben habe, daß sie heute vielfach an die Stelle des erloschenen asketischen „Geistes“ getreten sind,96 mir als einen von mir übersehenen Bestandteil im

91  Siehe oben, S.  584, Fn.  10. 92  Apg 5,29. 93  Gemeint sein dürften Johan van Oldenbarnevelt im 17. Jahrhundert und für das 19. Jahrhundert wahrscheinlich Bismarck. 94  Ähnlich äußert sich Weber im Brief an Adolf Harnack vom 5. Februar 1906 (MWG II/5, S.  32 f.), zitiert in der Einleitung, oben, S.  25 f., Anm.  94; vgl. dazu auch Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  206–209, dass. II, S.  304–307. 95 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.   535, mittels eines unvollständigen Zitats von Troeltsch (das Zitat entstammt: Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus – wie oben, S.  42 f., Anm.  65 –, S.  45 (KGA 8, S.  277); in der Zitatfortsetzung heißt es auch bei Troeltsch (ebd.), der kapitalistische Geist mit „seiner schließlichen Wendung zum Erwerb um des Erwerbes willen [.  .  .], seinem agonalen Siegesbedürfnis [.  .  .]“ habe sich vom „ursprünglichen Boden“ gelöst und sei zu „einer dem echten Calvinismus und Protestantismus geradezu entgegengesetzten Macht geworden“). 96  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  423.

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wortlich zu sein, wenn Andere die von mir ausdrücklich und mit denkbar größtem Nachdruck als eine Einzelkomponente bezeichneten religiösen Momente verabsolutieren und mit dem „Geist“ des Kapitalismus überhaupt identifizieren oder gar den Kapitalismus daraus ableiten, habe ich schon einmal mit aller Schärfe abgelehnt,1 – ohne daß Rachfahl die Pflicht fühlte, dies, obwohl er es weiß, zu berücksichtigen. Mein Versuch mag nun geglückt oder auch mißglückt sein. Wenn aber ein Historiker ihm nichts Besseres entgegenzuhalten weiß, als die Aufzählung einer Reihe anderer Komponenten, die – wie kein Mensch bezweifelt – zu jeder Zeit kapitalistische Expansionen begleitet haben,2 so dient er den Aufgaben und Interessen seiner Disziplin wenig: wozu sich denn eigentlich für „Geschichte“ interessieren, wenn diese nur den Finger drauf legt, daß im Grunde „Alles schon dagewesen“ sei? – Genug davon und nur noch einige Bemerkungen über die Be-| ziehungen zwischen dem „Geist“ des Kapitalismus und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem. Werner Sombart hat diesem Thema (im vorigen Bande dieses Archivs S.  689 ff.)3 eine Studie gewidmet, welche mich bei der groBegriff vom „Geist“ des Kapitalismus entgegenhält. Was das Wesen dieser „agonalen“ Triebe ist – denn hier kann man von „Trieben“ sprechen4 – das veranschaulicht ebenso wie das von mir (XXIa, S.  109 Anm.)5 zitierte Beispiel sehr gut Rockefellers Aussage vor der Industrial Commission (cf. die Bemerkungen von Sombart dazu: XXIX, S.  710).6 |

a  In A fehlende Klammer ergänzt. 1  Gegenüber Fischer, vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  478–485. 2  Vgl. oben, S.  604. 3  Gemeint ist: Sombart, Unternehmer. 4  Vgl. dazu oben, S.  603. 5  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  423, Fn.  85a. 6  „[.  .  .] As the business grew and markets were obtained at home and abroad more persons and capital were added to the business and new corporate agencies were obtained or organized, the object being always the same, to extend our business by fournishing the best and cheapest products.“ Schlußsatz der bei Sombart, Unternehmer, S.  710 wiedergegebenen Aussage Rockefellers in dem „Report of the Industrial Commission on Trusts“ von 1900 (bei Rockefeller, Answers, Zitat ohne Hervorhebung p.  795). Nach Sombart bringt Rockefeller „in geradezu klassischer Form die jeden vernünftigen Grundes bare Tendenz zum schrankenlosen Erwerbe zum Ausdruck [. . .]. Das Monomanische tritt prachtvoll in die Erscheinung. Sinnlos wird Kapital auf Kapital getürmt: warum? weil (!) das Geschäft wächst.“

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ßen, namentlich methodischen, Übereinstimmung30) in allen | 30) Denn daß Sombart (S.  709) die aus dem Zwang der „Sache“: der Situation, ent- A 198 springenden, typischen „Tendenzen“ im zweckbewußten Handeln der Unternehmer zur „Psychologie“ des Unternehmertums rechnet,7 während ich alle derartigen kausalen Komponenten als „pragmatische“ oder „rationale“ (weil aus dem unvermeidlichen Mittel zum Zweck: ökonomische Selbstbehauptung, ableitbar) bezeichne, ist ein rein terminologischer Unterschied, da in der Sache grade Sombarts Darstellung die entscheidenden Punkte sehr schön hervorhebt. Warum ich meinerseits gewisse terminologische Bedenken gegen den Ausdruck „Psychologie“ für jene Art von Analyse des Handelns habe, ist in diesem Archiv (XXVII S.  546)8 entwickelt. Man pflegt z. B., wenn man von „Börsenpsychologie“ redet, grade an „irrationale“, aus der geschäftlichen Lage nicht rational ableitbare Erscheinungen zu denken.   In der Sache lassen sich natürlich zu Sombarts Ausführungen noch eine Fülle von Erläuterungen und Beispielen geben. Z. B. über die „pragmatisch“ bedingten Schranken der „Rechenhaftigkeit“: Mir wurden zufällig einmal die inneren Verhältnisse eines allergrößten, aus einem Familienkonzern erwachsenen Geschäfts bekannt, welches in drei großen Handelsplätzen Europas und zwei ausländischen fast alle denkbaren Formen des Großhandels betrieb.9 Die einzelnen „Sitze“ hatten sehr verschieden intensiv

7 Sombart, Unternehmer, S.  709, unterscheidet eine logische und eine psychologische Betrachtungsweise der Erwerbsidee des kapitalistischen Wirtschaftssystems: „Jene [die logische Betrachtungsweise] entwickelt die verschiedenen Inhalte der Idee aus dieser selbst, verfolgt die Grundidee in ihre einzelnen Bestandteile hinein; diese [die psychologische Betrachtungsweise] versucht, die aus der Maxime des Gewinnstrebens folgenden Zwecksetzungen der handelnden Personen zu ermitteln. Was auf diesem Wege festgestellt werden kann, sind ,Tendenzen‘ des Handelns, die sich aus jenem Gewinnstreben mit (psychologischer) Notwendigkeit ebenso ergeben wie dort die Einzeläußerungen der Idee aus logischer Notwendigkeit. Beide Betrachtungsweisen müssen letzten Endes zu demselben Ergebnis führen (da ja die scheinbar ganz freie logische Deduktion im letzten Grunde doch wiederum psychologisch verankert ist).“ 8 Weber, Grenznutzlehre, erschienen in: AfSSp, 27. Band, 1908, hier S.  556: „Wer beispielsweise die Notwendigkeit der Berücksichtigung der spezifischen ‚Börsen­ psychologie‘ neben der rein theoretischen Preislehre betont, der denkt sich als ihr Objekt grade den Einfluß ökonomisch irrationaler Momente, ‚Störungen‘ also der theoretisch zu postulierenden Preisbildungsgesetze. Die Grenznutzlehre, und überhaupt jede subjektive Wertlehre, sind nicht psychologisch, sondern – wenn man dafür einen methodologischen Terminus will – ‚pragmatisch‘ fundamentiert, d. h. unter Verwendung der Kategorieen: ‚Zweck‘ und ‚Mittel‘.“ 9  Weber spielt hier möglicherweise auf den Bunge-Konzern an, der seinerzeit weltweit im Getreidehandel tätig war und auch heute noch existiert. Zu diesem, in Europa in Antwerpen, Amsterdam und London agierenden Konzern bestanden verwandtschaftliche Beziehungen. Laura Fallenstein, Tochter aus erster Ehe von Max Webers Großvater Georg Friedrich Fallenstein, hatte um 1840 den holländischen Kaufmann Carl Gustav Bunge geheiratet, der den Hauptsitz seiner väterlichen Export- und Importfirma um 1850 von Amsterdam nach Antwerpen verlegte. Unter seinen Söhnen expandierte die Firma: Ernst Bunge gründete 1884 in Buenos Aires eine auf den Wei-

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wesentlichen Punkten der Pflicht überhebt, ausführlich zu werden. zu arbeiten – fast unglaublich verschieden nach Quantität und Intensität10 –, und ihr Beitrag zum Gesamtprofit, der, wie im Mittelalter, in eine Kasse ging, war ebenfalls höchst verschieden, ebenso der Kapitalbedarf. Einer der Verwandten, der genialste Kaufmann, hatte überdies das Contor satt bekommen und wohnte in Paris, von wo er jeweilig, wenn etwas wichtiges vorlag, zur Konferenz an den betreffenden Ort fuhr.11 Gleichwohl ging der sehr hoch in die großen Zahlen laufende Gewinn einfach in Kopfteile, so zwar, daß nur der eine Unterschied: doppelte oder einfache Teilquote, gemacht wurde. Doppelten Anteil erhielten: der Chef der größten, mit einem wahren MonsterKontor arbeitenden Filiale, und ein andrer, der an einem spezifisch antipathischen überseeischen Ort zu residieren hatte,12 einfache alle andern, auch der in Paris residierende „Gelegenheits“-Arbeiter. Eine Verteilung auf Grund genauerer Verrechnung wurde zwar als durchaus möglich, aber schon wegen der Höhe des Gewinns zu „unbequem“, „kleinlich“ und „unnötig“ bezeichnet. Dagegen einem nahen, sehr geschätzten und intim befreundeten, dabei für das Geschäft fast unentbehrlichen Verwandten der Chefs, dessen kleinerer Geschäftsanteil in einer Krise durch Zubußen verloren war und der nun als „Angestellter“ (Prokurist) „diente“,13 denb Gehalt besonders hoch, höher als üblich und für ihn anderweit erlangbar, anzusetzen, galt als gegen alle „Ge-

b  Zu erwarten wäre: das zenexport konzentrierte Handelsfirma, und sein Bruder Eduard engagierte sich zugunsten von Bunge & Co. (Antwerpen) im Kongofreistaat und investierte nach der Jahrhundertwende in malaiische und indische Kautschukplantagen. (Das Familienunternehmen in seinen Verzweigungen beschreibt Roth, Familiengeschichte, S.  88–104.) – Im Sommer 1907 besuchte Weber während seines Aufenthalts in Amsterdam seinen damals 60jährigen Vetter Fritz Fallenstein, der im Amsterdamer Bunge-Kontor arbeitete, und mit ihm Julius Bunge und Familie, den Schwiegersohn Carl Gustav Bunges, der die Amsterdamer Tabakimportfirma leitete (vgl. seinen Brief an Marianne Weber vom 18. Aug. 1907, MWG II/5, S.  362 f.). – Welches der zweite ausländische Handelsplatz außerhalb Europas war, ließ sich nicht definitiv ermitteln. In Frage kommt eine 1905 von Argentinien aus gegründete Tochterfirma in Brasilien. 10  Nach Fritz Fallensteins Schilderung im Jahr 1907 ging das Amsterdamer Geschäft zurück. Die Geschäftspraktiken des Tabakverkaufs charakterisiert Weber in seinem Brief an Marianne Weber vom 18. August 1907 als altmodisch (vgl. MWG II/5, S.  362 f.). 11  Wer gemeint ist, ließ sich nicht ermitteln. 12  Vermutlich: Eduard Bunge im Firmenhauptsitz in Antwerpen und Ernst Bunge mit „Bunge y Born“ in Argentinien. 13  Gemeint sein könnte Fritz Fallenstein. Über ihn schreibt Max Weber im Brief an Marianne Weber vom 18. August 1907, MWG II/5, S.  362 f., er habe „[.  .  .] sein Leben lang im Contor des Bunge’schen Hauses auf dem Schemel gesessen u. für sie anspruchslos u. ehrlich gearbeitet, es aber dabei so wenig wie die Andren [Fallensteins] zu etwas gebracht“ (Zitat S.  362; vgl. auch Roth, Familiengeschichte, S.  97). Einer der „Chefs“ wäre demnach der Chef der Amsterdamer Tabakfirma Julius Bunge, Ehemann von Fritz Fallensteins Cousine und Max Webers Halbcousine Emmy Bunge (gest. 1899). Welchen Geschäftsanteil Fritz Fallenstein in einer Krise verloren haben soll, ist nicht bekannt.

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Sowohl der Begriff: „Kapitalismus“ wie, erst recht, der andere: „Geist des Kapitalismus“ sind nur als „idealtypische“31) Denkgebilde konstruierbar.14 Und zwar beide entweder abstrakt, so, daß das dauernd Gleichartige in begrifflicher Reinheit herausdestilliert wird: alsdann wird der zweite der beiden Begriffe ziemlich inhaltsleer und fast reine Funktion des ersten. Oder historisch: so also, daß „idealtypische“ gedankliche Bilder der für eine bestimmte Epoche im Gegensatz zu andern spezifischen Züge gebildet, die generell vorhandenen dabei also als ebenfalls gegeben und bekannt vorausgesetzt werden. Dann kommt es natürlich gerade auf die, in dieser schäftsgrundsätze“ und schon deshalb unmöglich, weil die andern Angestellten Ähnliches fordern könnten. Vor allem: er habe eben „nichts andres zu erwarten“.15 | Sein A 199 Gehalt war eben Teil der Kosten und daher von rein ökonomischen, „rechenhaften“ Gesichtspunkten beherrscht. Der einmal über die Schwelle des Bilanzstriches entkommene „Gewinn“ dagegen nicht. Bei ihm erreichte die Rechenhaftigkeit ihr Ende, weil sie „pragmatisch“, für die Existenz des Geschäfts, nicht unentbehrlich war. Solche Erscheinungen, deren es viele gibt, lassen sich aus dem „Wesen“ des „Kapitalismus“ ohne alle und jede „Psychologie“ rational mit Hilfe der Kategorien „Mittel“ und Zweck erklären. Aber für die historische Betrachtung reicht diese rationale Ableitungc allein nicht aus, denn es vermählen sich solche aus dem Wirtschaftssystem als solchem erklärbaren Bestandteile mit anderen von heterogenster Provenienz und schaffen an dem „Geist“, der es jeweils beseelt. – „Erwerbstrieb“, „Profitwut“ u. dgl. vollends sind jedenfalls – das hat grade auch Sombart sehr zutreffend hervorgehoben,16 – keinerlei ausreichende Kategorien für die Analyse des „kapitalistischen Geistes“ –[,] wie immer man diesen Begriff fasse. 31) Über den Begriff „Idealtypus“ s. meinen Aufsatz im XIX. Bande dieses Archivs.17

c A: Abteilung 14  Im Hintergrund von Webers folgender Erläuterung zum Idealtypus stehen die Äußerungen Rachfahls, Kalvinismus, oben, S.  535 und 554, vgl. insbesondere dessen rhetorische Frage: „Gehört denn der Verzicht auf Macht und auf alle anderen Motive überhaupt so sehr zur ‚Eigenart‘ des ,kapitalistischen Geistes‘, daß man unter diesem Gesichtspunkte auch nur seinen ‚Idealbegriff‘ formen darf?“ (S.  535). 15  Im Brief an Marianne Weber vom 25. August 1907, MWG II/5, S.  372 f., hält Max Weber nach vorausgehenden Gesprächen mit Fritz Fallenstein und dem gemeinsamen Besuch bei Julius Bunge den Eindruck fest: „Knallig reich sind sie dabei alle [die Bunges], und Bourgeois par excellence. Die Behandlung der Fallensteins durch sie ist eine ganze Serie höchst unerquicklicher Geschichten von Ausbeutung und Misachtung [.  .  .]. Ich wußte das immer, habe es nur jetzt so gelegentlich wieder bestätigt gefunden“ (Zitat S.  373). Allerdings war es den Fallenstein-Brüdern ermöglicht worden, im Bunge-Unternehmen Fuß zu fassen (so Roth, Familiengeschichte, S.  95–97). 16  Vgl. Sombart, Unternehmer, bes. S.  700 ff. 17  Vgl. Weber, Objektivität, S.  64 ff.

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Art in den andren Lebensepochen des Gebildes nicht oder dem Grade nach spezifisch verschieden vorhanden gewesenen Züge an. Für den „Kapitalismus“ des Altertums als Wirtschaftssystem habe ich dies in einer übrigens sicherlich noch sehr unvollkommenen Art (im Handw[örter]b[uch] d[er] Staatswiss[enschaften] Artikel „Agrargeschichte des Altertums“) zu tun versucht32); – für das, was ich „Geist“ des modernen Kapitalismus nennen wollte, hatte mein Aufsatz den Anfang33) einer Ausführung dar|stellen sollen, welche zunächst die neuen, durch die Reformationszeit eingewebten Fäden verfolgen wollte. Und nun die Frage: was kann man unter dem „Geist“ des Kapitalismus im Verhältnis zum „Kapitalismus“ selbst verstehen?18 Was den „Kapitalismus“ selbst anlangt, so kann darunter nur ein bestimmtes „Wirtschaftssystem“, d. h. eine Art des „ökonomischen“ 32)  Ich

habe dabei gegen früher insofern eine Änderung der Terminologie vorgenommen, als ich s. Z. nicht geneigt war, mehr als vereinzelte Erscheinungen der antiken Wirtschaft als „kapitalistisch“ zu bezeichnen, daher Bedenken trug, von antikem „Kapitalismus“ zu reden. Darüber denke ich jetzt anders, wie dies aus einem Artikel „Agrargesch[ichte] im Altertum“ im H[and-]W[örter-]B[uch] d[er] St[aats-]W[issenschaften] III. Aufl. hervorgeht.19 33)  Ich habe (dieses Archiv XXVI S.  279 Anm.  3)20 selbst hervorgehoben, daß ich durch die Nichtvollendung in den Nachteil versetzt bin, daß „flüchtige Leser diese Artikel leicht als etwas in sich Abgeschlossenes ansehen können“. Ein „Kritiker“ hat aber nicht das Recht, ein solcher flüchtiger Leser zu sein. Schon die bloße Berücksichtigung meiner kleinen Skizze in der „Christl[ichen] Welt“21 muß Jedem zeigen, daß das ProA 200 blem in meinen Aufsätzen im Archiv absichtlich zu|erst von der am schwersten greifbaren und „beweisbaren“, den inneren Habitus angehenden Seite angeschnitten war und der mächtige Einfluß der Erziehung, der Zucht in den Sekten usw. – noch bis zur Schwelle der Gegenwart – noch gar nicht erörtert, sondern nur angedeutet war. Wenn Rachfahl seinerseits die Bedeutung der Erziehung betont,22 so gehört nur wenig Kenntnis von der Rolle, welche speziell die pietistischen Erziehungsgrundsätze in diesem Zusammenhang gespielt haben, dazu, um zu wissen, daß auch hier ganz spezifische Einflüsse des „asketischen“ Protestantismus im Sinn der von mir geschilderten Entwicklung im Spiel waren.23

18  Bezug ist: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  532–534. 19  Gemeint ist: Weber, Agrarverhältnisse3. Zu Webers Begriffen antiker Kapitalismus oder Kapitalismus im Altertum ausführlich Deininger, Einleitung, MWG I/6, S.  36–38, 41 f., 44 f., 48 f. und S.  50–54. 20  Weber, Bemerkungen, oben, S.  505 f., Fn.  3. 21  Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  435–462 (den Rachfahl nicht berücksichtige, so Weber, oben, S.  573, Fn.  1). 22  Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  559. 23 Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  161 f., dazu auch oben, S.  600 f., Anm.  49.

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Verhaltens zu Menschen und Sachgütern[,] gelten, welches „Verwertung“ von „Kapital“ ist und welches in seiner Gebahrung von uns „pragmatisch“, d. h. durch Feststellung des nach der typisch gegebenen Sachlage „unvermeidlichen“ oder „besten“ Mittels, analysiert wird, – wie gesagt, entweder: Alles, was solchen Wirtschafts­systemen zu allen Zeiten gemeinsam war, oder aber: die Spezifika eines bestimmten historischen Systems dieser Art. Hier geht uns der letztere Fall allein an. Eine historisch gegebene Form des „Kapitalismus“ kann sich mit sehr verschiedenen Arten von „Geist“ erfüllen; sie kann aber auch – und wird meist – zu bestimmten historischen Typen desselben in, sehr verschieden abgestuften, „Wahlverwandschaftsverhältnissen[“] stehen: – der „Geist“ kann der „Form“ mehr oder minder d[oder: gar nicht]d „adäquat“ sein. Kein Zweifel, daß der Grad dieser Adäquanz auf den Gang der historischen Entwicklung nicht einflußlos bleibt, daß auch „Form“ und „Geist“ sich – wie ich das s. Z. schon gesagt hatte24 – aneinander anzugleichen trachten, daß endlich, wo ein System und ein „Geist“ von untereinander besonders hohem „Adäquanzgrade“ aufeinanderstoßen, eine Entwicklung von auch innerlich ungebrochener Einheitlichkeit einsetzt, von der Art, wie diejenige, die ich zu analysieren begonnen hatte. Da es sich mithin bei dem entscheidenden Begriff „Geist“ des (in meinem Fall: des neuzeitlichen)34) Kapitalismus um ein historisches, ungemein komplexes Gebilde handelt, so ist so etwas wie eine Definition dieses Begriffes, wie bei allen im höchsten Sinne „historischen“ Begriffen, nicht etwa als Anfang, sondern als Abschluß der Untersuchung, als Resultat der Schritt für Schritt vorzunehmenden Synthese möglich, – wie ich selbst am Beginn meiner Aufsätze nachdrücklich hervor|gehoben habe.25 In den 34)  Denn nur von diesem ist ja bei mir die Rede. Ich hätte natürlich klug getan, dies auch in der Überschrift und im Text überall in der Nomenklatur ausdrücklich anzudeuten, tat dies bei Abfassung der Aufsätze aber nicht aus dem oben Anm.  32 angegebenen Grunde.26 |

d–d  [ ] in A. 24  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  163–169. 25  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  141 f. 26  Oben, S.  614.

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Anfang einer solchen Untersuchung kann man nur ein möglichst drastisches Veranschaulichungsmittel stellen, und dazu hatte ich ein Beispiel aus halb naturalwirtschaftlichem, jedenfalls (relativ!) sehr unkapitalistischem Milieu, B[enjamin] Franklin, verwertet:27 ausgesprochenermaßen in der Absicht, das Eigenleben des kapitalistischen „Geistes“ gegenüber dem ihm adäquaten kapitalistischen „Wirtschaftssystem“ zu zeigen. Ich hatte vorher bereits an die Tatsache, daß der „Geist“ auf die Entfaltung des „Wirtschaftssystems“ nicht einflußlos sei, illustrativ erinnert,28 und ausdrücklich die Erörterung der umgekehrten Kausalrelation der Fortsetzung der ausdrücklich als unabgeschlossen bezeichneten Aufsätze überwiesen.29 Zu einem „Abschluß“ sind nun – und das ist, wie schon gesagt,30 mein dauernder Nachteil, – jene Aufsätze aus Gründen, die ich deutlich (auch oben)31 gesagt habe und die an Gewicht seither nur gewonnen haben, nicht gelangt: es ist in ihnen wesentlich erst ein Teil der historischen Entwicklung der „Berufs“-Idee und ihrer Erstreckung auf den Erwerb als solchen dargestellt. Weiter konnten und wollten sie nichts für sich in Anspruch nehmen. Es blieb einem „kritisierenden“ Historiker vorbehalten, das Resultat der gesuchten Synthese durch eine „Definition“ vorwegnehmen zu wollen.32 Was dabei herausgekommen ist, mag man Sp.  1236 unten33 nachlesen: daß der „kapitalistische Geist“ (d. h. nach Rachfahl – Sp.  1238  34 –, diejenige Triebfeder, welche für die Provenienz eines bestimmten Kapitals entscheidend ist) aus einer Mischung von „Erwerbstrieb“ mit „noch andern“ Motiven: „Rücksicht“ auf „Glück“ und „Nutzen“, eignen oder fremden, „zumal“ der Familie, Streben nach Genüssen, Ehren, Macht, glänzender Stellung der Nachkommen usw. besteht. In dem „usw.“ stecken selbstredend alle denkbaren andern Motive, insbesondre z. B. auch – um einen praktisch recht wichtigen „Zweck“ der „Kapitalaufsammlung“ zu

27  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  142–145. 28  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  123–140. 29  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  424 f., Fn.  86. 30  Siehe oben, S.  614 mit Anm.  20. 31  Siehe oben, S.  576. 32  Die der Kritik vorangestellte „Definition“ bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  532. 33  Rachfahl, ebd., oben, S.  533 f. 34  Rachfahl, ebd., oben, S.  534.

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nennen – charitative. Und da nun Rachfahl überdies den (subjektiven) „Geist“ des Kapitalismus von dem (objektiven) Wirtschaftssystem nicht zu scheiden weiß und beides mit dem „Erwerbstrieb“ in Eins setzt, so hat er natürlich über meine Feststellung, was denn eigentlich das A und O des „Evangeliums des Geizes“ bei meinem Beispiel: Franklin, sei (XX, S.  17),35 ebenso hinweggelesen, wie über das, was (auf der gleichen Seite)36 über den Gegensatz von Erwerbsgier und Berufspflicht gesagt ist[,] und dann den andern Gegensatz von „traditionalistischer“ und „Erwerbs“-Wirtschaft trotz meinen ausdrücklichen Vorbehalten zum Angelpunkt meiner Auseinandersetzungen gemacht. Allein: kommt es nur auf den Erwerb von mehr als dem „Bedarf“ an, dann ist der Wilde, in seiner durch keinerlei rationalistische Erwägungen getrübten Unersättlichkeit nach Weibern und Schätzen, der Gipfelpunkt des Erwerbsmenschentums, – der Puritaner aber steht so ziemlich am andern Ende der Reihe. Ein vom „Geist des Kapitalismus“ (in meinem Sinn) getragenes Wirtschaften ist zwar dem Traditionalismus direkt entgegengesetzt – und dies hatte ich zunächst festzustellen –; aber es ist sehr weit entfernt davon, mit dem Streben nach dem mög-| lichsten Überschuß über den Bedarf identisch zu sein. Es bildet daher zwar einen Gegensatz, aber keinen erschöpfenden, gegenüber der „traditionalistischen“ Wirtschaft, – dies umsomehr, als es auch mit einer der Form nach kapitalistischen Wirtschaft, wie ich ausdrücklich gesagt (XX, 26e)37 und an einem Beispiel (XX, 27 f.)38 erläutert habe, nicht zusammenfällt. Diejenige Komponente des kapitalistischen „Geistes“ der Neuzeit endlich, welche ich speziell analysierte: – der Gedanke der „Berufspflicht“ mit allem, was an ihm hängt, – findet sich innerhalb des vom „Geist“ des Kapitalismus (im generellen Sinn des Ausdrucks) getragenen Wirtschaftens wiederum nur in einem bestimmten historischen Ausschnitt und ragt andrerseits über das Gebiet des Ökonomischen hinaus in ganz heterogene Sphären menschlichen Handelns. Die Entwicklung des e  A: 23 35  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  150. 36  Weber, ebd. 37  Weber, ebd., oben, S.  164. 38  Gemeint ist: XX, 27–29. Weber, ebd., oben, S.  165–169, mit einem Beispiel aus der kontinentalen Textilindustrie.

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„Berufsmenschentums“ in seiner Bedeutung als Komponente des kapitalistischen „Geistes“, – auf dies Thema haben sich meine Auseinandersetzungen zunächst ausdrücklich und absichtsvoll beschränkt. Ich kann absolut nichts dafür, wenn liederliche Leser dies zu ignorieren für gut befinden. Es muß mit diesen Bemerkungen hier genug sein. Denn irgendwelche Teile und Gesichtspunkte meiner Aufsätze, etwa die Ausführungen über die Bedeutung des Sektentums – die Sekte ist in einem wichtigen Sinn für die werdende Neuzeit der Archetypos jener gesellschaftlichen Gruppenbildungen,39 welche heute die „öffentliche Meinung“, die „Kulturwerte“ und die „Individualitäten“ prägen – bei dieser Gelegenheit weiter auszubauen oder näher auf die weiten Verzweigungen, welche vom puritanischen Lebensstil zu dem der Gegenwart führen, einzugehen35), ist bei diesem Anlaß nicht möglich. Es ist bedauerlich, daß die Antwort auf eine ganz sterile, mit dem höhnischen Ton, den sie anschlägt[,] wie mit ihrem Nichtverstehenwollen einen üblen professoralen Typus darstellende Kritik auch ihrerseits so steril ausfallen mußte, wie es die Umstände bedingten[,] und dem Archiv Raum kostet. Alles, was A 202

35) Recht subaltern – man kann es kaum anders nennen – ist die Art, wie Rachfahl an meinen kurzen Bemerkungen über die Entwicklung des bürgerlichen „Comfort“ im Gegensatz zum seigneurialen Lebensstil herumkrittelt.40 Die Existenz dieses Gegensatzes kennt jeder kulturhistorische Anfänger. Daß die „Grenzen“ zwischen historischen Erscheinungen von noch so großer Gegensätzlichkeit überall flüssige sind, ist gewißlich wahr. Daß man eben deshalb begriffscheiden muß, scheint einzelnen Historikern durchaus nicht einzugehen. Ich verweise auf das, was ich im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Auflage S.  183, rechte Spalte, darüber gesagt habe.41 |

39  Einiges darüber: Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  446–462. 40 Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  548. Er zitiert dort Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  409. 41 Weber äußert sich am genannten Ort (Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S.  728 f.) über die Funktion präziser Begriffe, die manche Historiker wegen der Komplexität historischer Erscheinungen ablehnten: „Aber diese ungegliederte Mannigfaltigkeit der Fakta beweist doch nicht, daß wir unscharfe Begriffe bilden sollen, sondern umgekehrt: daß scharfe (,idealtypische‘ [.  .  .]) Begriffe richtig angewendet werden müssen, nicht als Schemata zur Vergewaltigung des historisch Gegebenen, sondern um den ökonomischen Charakter einer Erscheinung mit ihrer Hilfe dahin bestimmen zu können: inwieweit sie sich dem einen oder anderen ‚Idealtypus‘ annähert“ (Zitat S.  729).

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hier gesagt wurde, steht bereits in meinen Aufsätzen, – Alles (mit gänzlich irrelevanten Ausnahmen), was Rachfahl gesagt hat, hat er ihnen entnommen und „verballhornt“. Wer es nach den vorstehenden Ausführungen noch nicht glaubt, den verweise ich wiederholt darauf, nach der Rachfahlschen Kritik meine Ausführungen unbefangen zu lesen, an denen ich, gegenüber dieser Kritik, nicht ein einziges Wort zu ändern habe. |

Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“

Editorischer Bericht I.  Zur Entstehung Felix Rachfahl fühlte sich durch die Antikritiken von Max Weber und Ernst Troeltsch1 abermals zu einer längeren Abhandlung herausgefordert, um die historische Stichhaltigkeit der „Weber-Troeltschschen Hypothese“, wie er jetzt sagt,2 zu bestreiten. Er wiederholte damt seinen Angriff gegen die „Heidelberger Schule“. Seine Abhandlung erschien unter dem Titel „Nochmals Kalvinismus und Kapitalismus“ in vier Folgen von Ende Mai bis Mitte Juni 1910, wiederum in der „Internationalen Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik“.3 Letztlich wiederholte er seine bereits in der ersten Abhandlung vorgetragene Kritik. Er gliedert sie in fünf Abschnitte, die drei Schwerpunkten gewidmet sind. Zunächst erläutert er, weshalb er bei den Ausführungen von Weber und Troeltsch von einer „Kollektivarbeit“4 spreche (I). Als nächstes steht Troeltschs Auffassung von der Kulturbedeutung des Calvinismus im Mittelpunkt seiner Kritik (II). Schließlich folgt die Auseinandersetzung mit Max Weber, einschließlich der Belehrung, wie dieser bei seinem Thema eigentlich hätte vorgehen müssen (III, IV, V). Die Auseinandersetzung mit Max Weber ist wiederum am ausführlichsten. Knapp dreieinhalb Wochen, nachdem der „Schluß“ von Rachfahls zweiter Kritik erschienen war, schrieb Weber am 11. Juli 1910 an Edgar Jaffé: „Ich muß leider nochmals kurz auf eine weitere ‚Kritik‘ Rachfahls antworten. Diesmal aber sehr kurz. 1/2 Bogen höchstens: ‚Antikritisches Schlußwort zum ‚Geist‘ des Kapitalismus‘.“5 Wann Weber das Manuskript an die Redaktion des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ übermittelte, geht aus der überlieferten Korrespondenz nicht hervor.6 Wenige Tage vor dem 1 Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  573–619, und Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus. 2  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, unten, S.  627. 3  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, ist im Anhang zu diesem Editorischen Bericht, unten, S.  625–664, abgedruckt. 4  Ebd., unten, S.  625. 5  Karte Max Webers an Edgar Jaffé vom 11. Juli 1910, MWG II/6, S.  5 87. 6  Emil Lederer teilte dem Verlag in seinem Brief vom 5. August 1910 mit (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck), er habe in Absprache mit Edgar Jaffé eine Änderung des Inhalts des Septemberheftes vorgenommen. Unter der Rubrik „Kritische Li-

Editorischer Bericht

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20. August teilte er dem Verlag mit, er befinde sich vom 13. August bis 11. September auf einer Englandreise und man möge ihm die Korrekturen dorthin nachsenden.7 Sie wurden denn auch am 23. August nach Bristol geschickt.8 Aus Warwick sandte Weber die Korrekturen zurück, und der Verlag erhielt sie am 5. September.9 Die Revision ging nach London,10 kam aber vor Webers Abreise am 11. September nicht an.11 Neue Abzüge der Revision sandte man deshalb nach Heidelberg.12 Weber lieferte die Korrektur der Revision am 15. September.13 Vermutlich hatte er noch einmal größere Korrekturen eingefügt,14 worauf auch nachgetragene Fußnoten hindeuten.15 Emil Lederer, der Redaktionssekretär des „Archivs“, erbat nämlich am 18. September vom Verleger noch eine Superrevision von Webers Aufsatz: „Von teratur-Übersicht“ waren vorerst die Beiträge von Max Weber, Leopold v. Wiese und David Koigen vorgesehen. Er fügt in Klammern an: „Das Ms. wird Ihnen von Herrn Professor Weber direkt zugesandt worden sein.“ Ob das der Fall war, ließ sich nicht feststellen. Vielleicht schickte es Weber auch aus Brügge, wohin er am 4. August 1910 gereist war. 7  Vgl. Karte Max Webers an Paul Siebeck, vor dem 20. Aug. 1910, MWG II/6, S.  6 01. 8  Vgl. Brief Oskar Siebecks an Emil Lederer vom 1. Sept. 1910 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck): „Von Herrn Professor Max Weber habe ich die Korrektur seines Aufsatzes, die ich ihm am 23. August nach Bristol sandte, noch nicht zurückerhalten.“ Dieses Datum geht auch aus der Mitteilung Oskar Siebecks/Richard Willes an Max Weber vom 22. Aug. 1910 (VA Mohr Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446) hervor. 9 Vgl. Brief Richard Pflugs/Oskar Siebecks an Edgar Jaffé vom 5. Sept. 1910 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck): „Von Herrn Professor Weber erhielt ich heute die Fahnenkorrektur zurück.“ 10  Vgl. Brief Max Webers an Oskar Siebeck, vor dem 5. Sept. 1910, MWG II/6, S.  6 02. Oskar Siebeck antwortete Max Weber am 5. Sept. 1910 (VA Mohr Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446): „Ich lasse Ihnen umbrochene Korrektur nach London senden, darf aber wohl um umgehende Rückgabe derselben bitten, da sonst rechtzeitige Fertigstellung des Archivheftes nicht mehr möglich ist.“ 11 Vgl. Telegramm Max Webers an Oskar Siebeck am 11. Sept. 1910, MWG II/6, S.  6 05, mit Antwort Oskar Siebecks an Weber vom 12. Sept. 1910 (VA Mohr Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446): „[.  .  .] ich liess Ihnen daher heute neue Abzüge nach Heidelberg senden“. 12  Vgl. Brief Oskar Siebecks an Edgar Jaffé vom 13. Sept. 1910 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck): „Herr Professor Max Weber hat die Korrekturen in London nicht vorgefunden und deshalb neue Abzüge nach Heidelberg erhalten. Diese werden wohl bald zurückkommen.“ 13  Vgl. Brief Oskar Siebecks an Edgar Jaffé vom 15. Sept. 1910 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck): „Von Herrn Professor Weber erhielt ich heute die Revision seiner Arbeit zurück.“ Bestätigung des Rückempfangs von „Bogen 36 und 37“ im Brief Oskar Siebecks an Max Weber vom 15. Sept. 1910 (VA Mohr Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446). 14  Vgl. Brief Oskar Siebecks an Max Weber vom 19. Sept. 1910 (VA Mohr Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446), worin von einem „Empfang der Korrektur“ die Rede ist). 15  Vgl. unten, S.  623 mit Anm.  27.

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Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“

[Bogen] 36, 37, 38 (die ich gleichzeitig sandte) erbitte ich Superrevision wegen der gleichzeitig an Sie gelangenden Korrekturen von Weber. Aus demselben Grunde erbitte ich auch noch nachträglich Superrevision von Bogen 35, der ja wohl noch nicht ausgeschickt ist.“16 Noch am 18. September gab Lederer das Imprimatur.17 Weil Webers Antikritik nicht, wie angekündigt, 1/2 Bogen, sondern schließlich nahezu 3 Bogen umfaßte, mußten andere „Archiv“-Beiträge, die für die Rubrik „Kritische Literatur-Übersichten“ vorgesehen waren, auf das Novemberheft verschoben werden.18 Im Druck waren es schließlich 46 Seiten.19 Mit der zweiten Antikritik beendete Weber die für ihn unerfreuliche „Rachfahl-Keilerei“,20 nutzte aber die Gelegenheit, seine eigene Position nochmals ausführlich darzulegen. Weber ließ die polemische Auseinandersetzung mit Rachfahl, die den ersten Teil des Beitrags umfaßt, in Petit setzen.21 Er wollte damit dem Leser anzeigen, er könne die „unvermeidlich ziemlich langwierige Auseinandersetzung“ mit Rachfahl auch „überschlagen“.22 Nicht darauf, sondern auf die in „normaler“ Schriftgröße gesetzte Zusammenfas-

16  Brief Emil Lederers an Paul Siebeck vom 18. Sept. 1910 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). Webers Aufsatz beginnt mit den „Archiv“-Seiten 554–556 auf Bogen 35; er endet mit S.  5 99 auf Bogen 38, der bis S.  6 04 reicht. 17  Vgl. Brief Emil Lederers an Paul Siebeck vom 18. Sept. 1910 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck): „Gleichzeitig sende ich Bogen 36, 37, 38, 39, 40, 41 mit Imprimatur ab.“ 18  Vgl. Brief Edgar Jaffés an Oskar Siebeck vom 2. Sept. 1910 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck): „Ferner sehe ich aus der soeben erhaltenen Korrektur des Beitrages von Max Weber für das Septemberheft, dass dieser – statt wie angekündigt 1/ Bogen – 2 1/ Bogen umfasst; damit würde das, sowieso schon überlange, Heft 2 2 weit über den äusserst möglichen Umfang hinauswachsen und es bleibt also nichts anderes übrig, als die Beiträge Wiese und Koigen nochmals zurückzustellen; ich bitte also diese ins Novemberheft hinüber zu nehmen. Ferner bitte ich um Mitteilung wohin Sie die Autorkorrektur Max Weber gesandt haben und ob Aussicht besteht, dass die Korrektur in Zeiten zurückkommt; ich selbst habe z. Zt. keine Adresse für Prof. Max Weber und ich fürchte, dass die Rücksendung der Korrektur sich sehr verzögern wird. Im Notfalle müsste man Weber’s Beitrag zurückstellen & dafür Wiese und Koigen her­ einnehmen; ich würde dies mit Hinsicht auf Prof. Webers Empfindlichkeit jedoch nur sehr ungerne tun.“ 19  Vgl. auch das Honorartableau in der Anlage des Briefes von Oskar Siebeck an Edgar Jaffé vom 4. Okt. 1910 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). Daraus geht außerdem hervor, daß Weber 50 Separata erhielt und für seinen Aufsatz 44 Korrekturstunden (in rot notiert) berechnet wurden. 20  Brief Max Webers an Karl Vossler vom 11. und 14. Dez. 1910, MWG II/6, S.  740, dem er offensichtlich eines der Separata übermittelte: „Die gleichzeitig geschickte Rachfahl-Keilerei ist sehr unerfreulich!“ 21  Vgl. Weber, Antikritisches Schlußwort, unten, S.  6 67–707. – Direkte Korrespondenz zwischen Max Weber und Felix Rachfahl ist nicht überliefert. 22  Weber, Antikritisches Schlußwort, unten, S.  6 67.

Editorischer Bericht

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sung seiner beiden Protestantismus-Aufsätze, den zweiten Teil, komme es ihm an.

II.  Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Edition folgt dem Erstdruck: Weber, Max, Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, in Verbindung mit Werner Sombart und Max Weber hg. von Edgar Jaffé, 31. Band, 2. Heft. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1910, S.  5 54–599 (A). Das Heft wurde am 29. September an den Buchhandel versandt 23 und am 7. Oktober 1910 im „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ bekannt gemacht.24 Eine längere Petitdruckpassage (S.  6 67–707) 25 wird in normaler Schriftgröße wiedergegeben, aber textkritisch ausgewiesen.26 Die Zählung der nachgetragenen Fußnoten („a“) wird beibehalten, weil sie Indiz für eine Überarbeitung während der Drucklegung ist.27 Zeitgenössische Schreibweisen, wie „Resumé“ (S.  6 65 u. ö.) oder „Resümé“ (S.  6 84), „Wiederspiegelung“ (S.  728), „Bureaukratismus“ (S.  668), „grade“ (S.  727), bleiben erhalten, ebenso Besonderheiten bei der Namensschreibung, etwa die doppelte Schreibweise von Ernst „Tröltsch“ bzw. „Troeltsch“ (Weber geht hier teilweise zu „Troeltsch“ über). Emendiert wird hingegen Sebastian „Frank“ zu „Franck“ (S.   726) oder „herrenhuterische“ zu „herrnhuterische“ (ebd.).28 Weiterhin galten für die editorische Arbeit die oben bereits dargelegten Regeln.29

23 So die Mitteilung im Brief Oskar Siebecks an Edgar Jaffé vom 4. Okt. 1910 (Nl. 488, SBPK zu Berlin: VA Mohr Siebeck). 24 Vgl. „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“, 77. Jg., Nr.  2 33 vom 7. Okt. 1910, S.  11639 25  Vgl. oben, S.  622 mit Anm.  21. 26  Johannes Winckelmann kürzte in seiner Ausgabe der „Kritiken und Antikritiken“ längere polemische Sätze Max Webers im einleitenden Abschnitt (unten, S.  665, Z.  11 – S.  6 66, Z.  1, sowie Teile der dazugehörigen Fußnote 1) und im Petitdruckbereich (unten, S.  6 67, Z.  16 – S.  6 68, Z.  6). Vgl. Weber, Max, Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“, in: ders., Die protestantische Ethik. II. Kritiken und Antikritiken, hg. von Johannes Winckelmann, 1.  Aufl. – München, Hamburg: Siebenstern Verlag 1968, S.  283–345, hier S.  283. 27  Vgl. S.  6 82, Fn.  7a; die lange Fußnote 11a, S.  6 92–696, mit Belegstellen u. a. zu Petty und Calvin, sowie S.  731, Fn.  25a. 28 Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  232 mit Anm.  50. 29  Vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  519 f.

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Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“

Zum besseren Verständnis von Webers Antikritik wird die zweite Rachfahl-Kritik im Anhang zu diesem Editorischen Bericht (S.  625–664) abgedruckt. Dies erspart Wiedergaben im Sacherläuterungsapparat.

Anhang zum Editorischen Bericht

Im folgenden wird Rachfahls zweite Kritik an Weber, Protestantische Ethik I und II, die eine Erwiderung auf Weber, Antikritisches zum „Geist des Kapitalismus“ ist, abgedruckt. Zugrunde liegt: Rachfahl, Felix, Nochmals Kalvinismus und Kapitalismus, in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, hg. von Paul Hinneberg, 4. Jg., 1910, Nr.  22 vom 28. Mai, Sp.  689–702; dass. (Fortsetzung), Nr.  23 vom 4. Juni, Sp.  717–734; dass. (Fortsetzung), Nr.  24 vom 11. Juni, Sp.  755–768; dass. (Schluß), Nr.  25 vom 18. Juni, Sp.  775–796 (= Rachfahl, Nochmals Kalvinismus). Der Text ist fortlaufend wiedergegeben, auf die Wiederholung der Autoren- und Titelangabe bei den einzelnen Aufsatzfolgen wird verzichtet. Eine Zuordnung ist durch die marginal mitlaufende Spaltenzählung möglich. Der Text wird hier durchgängig in Petit wiedergegeben. Im Original gesperrt Gedrucktes ist hier kursiv gesetzt, der Fettdruck beibehalten. Die seitenweise Fußnotenzählung des Originals mit Sonderzeichen ist auf fortlaufende arabische Zählung umgestellt. Stillschweigend korrigiert sind doppelte Anführungszeichen in Zitaten und reine Rechtschreibfehler, wie z. B. „Enwicklung“ (S.  632), „Verwandschaft“ (S.  639) oder „mann“ statt „man“ (S.  648). Andere sinnstörende Verschreibungen, wie „Nebenliebe“ statt richtig „Nächstenliebe“ (S.  658, Anm.  37) sowie die fehlerhaften Spaltenangaben Sp. „1372“ statt richtig „1352“ (S.  644), Sp. „1203“ statt „1293“ (S.  645) und Sp. „85“ statt „780“ (S.  656), werden in eckigen Klammern korrigiert. Dies gilt auch für Sebastian „Frank“ statt „Franck“ (S.  639 f.). Als Lesehilfe werden Abkürzungen und zum Verständnis notwendige Satzzeichen in eckigen Klammern ergänzt. An einer Stelle fanden sich eckige Klammern in der Vorlage (S.  650, Fn.  29: „[1906]“).

Nochmals Kalvinismus und Kapitalismus. Von Felix Rachfahl, Professor an der Universität Kiel.

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Auf meinen Einspruch1) gegen die Art und Weise, wie die Heidelberger Gelehrten Weber und Troeltsch einen kausalen Zusammenhang zwischen dem die ökonomische Entwicklung der Neuzeit beherrschenden „kapitalistischen Geiste“ und gewissen Richtungen der Reformation feststellen zu dürfen vermeinten, haben sich nunmehr beide Autoren zum Worte gemeldet.2) Indem sie beide heftig dagegen protestieren, daß ihre Ausführungen zu diesem Thema „Kollektivarbeit“ seien, haben sie sich in die [lies: sich die] Aufgabe, mich zu widerlegen, im großen und ganzen geteilt: Weber wendet | sich 690 1) Vergl. meine Abhandlung „Kalvinismus und Kapitalismus“ in dieser Zeitschrift 689 Jahrg. 3 Nr.  39 bis 43, fortan zitiert „Abhandlung“ mit Angabe der betreffenden Spalte. 2)  Weber, Antikritisches zum „Geist des Kapitalismus“ im „Archiv für Sozialwissenschaft“, XXX, S.  176 ff., fortan zitiert „Webers Antikritik“. – Troeltsch, Die Kulturbedeutung des Kalvinismus, in dieser Zeitschrift Jahrg. 4 Nr.  15 und 16. |

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ausschließlich gegen meine Kritik der von ihm behaupteten Herleitung „kapitalistischen Geistes“ aus Kalvinismus und anderen protestantischen Sekten, Troeltsch in der Hauptsache gegen den letzten Teil meiner Abhandlung3), der dazu bestimmt war, häufig auftretende Vorstellungen über die Beziehungen des Kalvinismus zu bestimmten Entwicklungsreihen der modernen Kultur auf ein richtiges Niveau zurückzuführen. Ausdrücklich überläßt er das Problem „Kalvinismus und Kapitalismus“ seinem Kollegen Weber als dem „nationalökonomischen Fachmanne“ und begnügt sich hier mit einigen Einwendungen, die ihm als Theologen besonders nahe liegen. Der Schwerpunkt meiner Replik wird also in der Auseinandersetzung mit Webers Aufsatze liegen, und sie gliedert sich von selbst in drei Abschnitte. Zuerst werde ich den übereinstimmenden Protest von Weber und Troeltsch dagegen, daß bei ihnen eine „Kollektiv­arbeit“ vorliege, 691 beleuchten müssen; dann werde ich auf die Ausführungen von | Troeltsch bezüglich der „Kulturbedeutung des Kalvinismus“ antworten. Zum Schlusse kommt als letzter und Hauptteil nochmals eine Erörterung über die Frage „Kalvinismus und Kapitalismus“; er wird sich im wesentlichen mit Weber beschäftigen und daneben die hierher gehörigen Bemerkungen von Troeltsch auf ihre Stichhaltigkeit hin prüfen.

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I. Mit großer Energie protestieren Weber und Troeltsch dagegen, daß man ihre Ausführungen über den konfessionellen Ursprung des modernen kapitalistischen Geistes als „Kollektivarbeit“ behandele, um beide „für einander verantwortlich zu machen“, – oder wie Troeltsch sagt, es ist „durchaus irreführend“, wenn sie beide bei mir „als eine gemeinsame wissenschaftliche Firma erscheinen, wo man jeden mit den wirklichen oder vermeintlichen Passiven des Andern belasten kann“. Weber bezeichnet das sogar als „eine, beiläufig bemerkt, wenig loyale Praxis“. Demgegenüber stellen sie vielmehr fest, daß bei ihnen „keinerlei, auch keine latente, Kollektivarbeit vorliege: beide seien sie ganz selbständig, bei durchaus unabhängiger Forschung, von völlig verschiedenem Ausgangspunkte und bei völlig verschiedener Fragestellung zu den gleichen Ergebnissen gelangt“. Und für sich selber fügt Weber noch hinzu, daß er schon seit langen Jahren Ausführungen im Kolleg vertreten habe, die seiner jetzigen These entsprächen, und daß er dazu nicht erst die Anregung aus Sombarts „Kapitalismus“ geschöpft habe. Wie es sich gebührt, nehme ich von diesen Äußerungen Notiz. Daß Sombarts Kapitalismus Einfluß auf Webers These ausgeübt hätte, berichtete Troeltsch selber: wie hätte ich auf die Vermutung kommen können, daß er in einem für die Herkunft von Webers These so wichtigen Punkte so vollkommen falsch orientiert wäre? In seiner Rede auf dem Historikertage von 19064) hat Troeltsch die Entdeckung „der eigentlichen Bedeutung des Kalvinismus für den Aufschwung des modernen Kapitalismus“, nämlich durch die Einflüsse der protestantischen Askese, ausdrücklich auf das Verdienstkonto von Weber gesetzt; er hat über Ursprung, Wesen und Bedeutung dieser Entdeckung in einer 692 Weise gesprochen, die niemand anders als dahin | auffassen konnte, daß er sich hier lediglich referierend verhalte, und zwar zustimmend; nirgendswo findet sich eine Zeile oder auch nur ein Sterbenswörtchen, worin die leiseste Andeutung steckt, daß er auch seinerseits, und zwar unabhängig, zur selben „Entdeckung“ gelangt sei. Im Gegenteil;

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Abhandlung, Heft 43 Sp.  1349 ff. | Zeitschrift 97, S.  42–46. |

4) Historische

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er sagt sogar noch jetzt (Internat[ionale] Wochenschr[ift] Sp.  453), er habe bei seinen speziellen Studien „den sachlichen Ergebnissen Webers betreffs des Kalvinismus nicht aus dem Wege gehen können“, und fährt fort: „da ich sie in allem wesentlichen für richtig hielt und halte, habe ich sie übernommen.“ Ganz anders freilich stellt Weber den Sachverhalt dar (Antikritik S.  177): „Es mag schon sein, daß Troeltsch, der auf völlig eigenen Wegen ebenfalls schon lange vorher dem ihn5) interessierenden Thema nachging, wie durch andere Schriftsteller, so auch durch einzelne Bemerkungen meiner Aufsätze zum Überdenken mancher seiner Probleme unter ökonomisch-soziologischen Gesichtspunkten mit angeregt wurde, wie er dies gelegentlich ausgesprochen hat. Aber keinerlei ‚Übernahme‘ einer Theorie des einen durch den andern.“ Man sieht den Widerspruch, in den die beiden wiederum gefallen sind. Weber lehnt jede Übernahme irgendeiner „Theorie“ des einen durch den andern ab, also auch der Theorie von der Entstehung des „kapitalistischen Geistes“ der Neuzeit aus der reformierten Berufsethik. Troeltsch dagegen sagt nur, daß es ganz andere Probleme sind, die im Mittelpunkte seines Interesses stehen, wie das bei Weber der Fall ist, und daß das, worauf Webers Augenmerk hauptsächlich gerichtet ist, für ihn eine nur peripherische Bedeutung habe, daß er aber eben deshalb Webers „sachliche Ergebnisse“ in diesem Falle „übernehme“, zumal da er sie auch für richtig halte. Wer hat nun recht von beiden? Wo es sich um Vorgänge im Innern Webers handelt, da muß ich, wo die Aussagen beider auseinandergehen, wie z. B., was das Verhältnis von Webers These zu Sombart betrifft, mich schon an die Erklärungen von Weber selber halten, nicht aber da, wo Troeltsch Aussagen darüber macht, wie sich die Dinge in seinem Geiste entwickelt haben; da ist er | doch schließlich ein besserer Gewährsmann als Weber. Und da 693 Troeltsch noch jetzt ausdrücklich versichert, er habe die These über die Provenienz des „kapitalistischen Geistes“ von Weber „übernommen“ und eben hier dessen „Ergebnisse lediglich“ in einen andern, von seinem eigenen „Erkenntnisziel aus bestimmten Zusammenhang eingestellt“, so nehme ich das unbedenklich als unumstößlich sicher an. Inwieweit man in einer solchen „Übernahme“ eine „Kollektivarbeit“ erblicken will, lasse ich dahingestellt. Ich habe diesen Ausdruck nie gebraucht, und noch viel weniger ist es mir eingefallen, eine „Kollektivarbeit“ der beiden Autoren in irgend einem andern Punkte als eben in der sogenannten „Weber-Troeltschschen Hypothese“ zu behaupten. Wenn die Kritik die „Übernahme“ einer These eines Autors durch einen andern feststellt und zwar auf Grund der eigenen Äußerungen dieses zweiten, wenn dieser zweite auch noch ausdrücklich nachher die Richtigkeit dieses Sachverhaltes anerkennt und bestätigt – inwiefern darf man das als eine „wenig loyale Praxis“ brandmarken? Ist sich Weber der Schwere dieses Vorwurfes wohl überhaupt bewußt geworden? Selbst wenn den Versicherungen von Troeltsch zuwider eine „Übernahme“ nicht vorläge, wenn zwischen ihm und Weber in diesem Punkte nicht der geringste Zusammenhang bestünde (unmöglich wäre es ja keineswegs, daß Troeltsch auch in diesem Punkte sich selber noch einmal in Zukunft desavouiert), so wäre ich doch berechtigt gewesen, auf die Unterschiede aufmerksam zu machen, die sich – bei aller Gleichheit des Resultats – zwischen beiden Autoren in der Begründung und in der Ausführung der Einzelheiten konstatieren lassen. Das ist ein gutes Recht der Kritik bisher jederzeit gewesen, das zu bestreiten noch Niemandem eingefallen ist. Nehmen wir an, daß zwei Gelehrte 5)  Die Sperrungen in den Zitaten aus Webers Antikritik rühren von diesem selbst 692 her; ebenso verhält es sich bei Zitaten aus der Antwort von Troeltsch. |

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ganz unabhängig voneinander zum gleichen Ergebnis gelangt sind – eine Prüfung darauf hin, was bei ihnen miteinander übereinstimmt, und worin sie voneinander abweichen, ist dann nicht nur zulässig, sondern geradezu geboten; denn es ist der sicherste Weg, um zu einer Gewißheit über die Stichhaltigkeit des gemeinsamen Resultats zu gelangen. Es handelt sich ja darum, die sachliche Richtigkeit eines bestimmten Satzes 694 zu ermitteln, nicht etwa darum, festzustellen, | ob der oder jener recht oder unrecht hat. Und darin soll ein Mangel an Loyalität liegen? Es müßte denn überhaupt illoyal sein, die Geistesprodukte eines Max Weber mit demselben Maßstabe zu messen, wie er an die Erzeugnisse anderer angelegt wird, worauf er offensichtlich Anspruch macht. Nicht eine illoyale Usurpation der Kritik ist hier also im Spiele, sondern der Anspruch Webers auf ein Privileg, auf ein Ausnahmerecht in der kritischen Behandlung seiner Expektorationen, und ich wüßte nicht, welchen Grund er für die Bewilligung eines solchen geltend machen könnte – er, der doch selber sonst mit andern nicht eben sehr sänftiglich umzugehen pflegt. Oder meint er, daß, wenn er sich zu einer Befruchtung der Historie herbeiläßt, dieser nichts anderes geziemt, als in stummer und ehrfürchtiger Bewunderung den ungeahnten Segen in sich aufzunehmen? Das Schönste aber ist: indirekt gibt Weber selber zu, daß eine „Übernahme“ seiner Ansichten bei Troeltsch vorliegt, – freilich nur, um dabei abermals gegen mich den Vorwurf der Illoyalität schleudern zu können. Er bemerkt nämlich (S.  177 Anm.  2) wörtlich: „Dabei sind Troeltsch wohl in einigen wenigen (für sein Thema gänzlich irrelevanten) Punkten Formulierungen unterlaufen, die, wie es bei solchen notgedrungen stark verkürzten Wiedergaben fremder Ansichten kaum vermeidlich ist, nicht ganz meinen Aufsätzen entsprechen. Es blieb der illoyalen Kleinlichkeit einer ‚historischen‘ Kritik vorbehalten, diesen Umstand zu fruktifizieren. Rachfahl war über jenen Sachverhalt in keinem Punkt in Zweifel.“ Man sieht: Weber gibt hier zu, daß es sich bei den Ausführungen von Troeltsch über die Provenienz des „kapitalistischen Geistes“ (denn etwas anderes kann dabei nicht in Betracht kommen, und es ist ganz gleichgültig, ob es sich dabei für Troeltsch um Fragen von nur peripherischem Werte handelt; für Weber sind sie von zentraler Bedeutung) um eine „Wiedergabe fremder Ansichten“ handelt, und gerade in den Fällen, wo ich auf Differenzen zwischen beiden aufmerksam machte. Aber eine „Wiedergabe fremder Ansichten“ ist um Gottes Willen keine „Übernahme“, und „kleinlich“ und „illoyal“ ist meine Gegenüberstellung dieser Differenzen auf 695 jeden Fall! Ich meine freilich, daß die Kritik nicht nur das Recht, sondern | auch die Pflicht hatte, hier „den einen gegen den andern auszuspielen“ – und das um so mehr, als ich nie daran gezweifelt habe, daß es sich bei diesen Differenzen keineswegs nur um ungenaue Exzerpte handelt, vielmehr um Korrekturen, die Troeltsch stillschweigend, aber bewußt an Webers Ausführungen vornahm, wo sie ihm mit der historischen Wirklichkeit in allzu grellem Widerspruche zu stehen schienen.6) Durch eine inzwischen erfolgte Erklärung von Troeltsch hat sich zu meinem großen Erstaunen gezeigt, daß diese Auffassung irrig war; ich komme darauf alsbald noch näher zu sprechen. Trotzdem bleibt bestehen, daß ich sie gehabt habe, und niemand, der den darauf bezüglichen Passus meiner Abhandlung unbefangen gelesen hat, wird eine andere Ansicht vom

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6)  Vergl. z. B. Hist[orische] Zeitschr[ift] 97 S.  45: „Der Nachweis ist m. E. Weber vollständig gelungen, wenn man vielleicht auch stärker betonen darf“ .  .  . sowie ebenda den Passus über Ungarn, Ostfriesland, die bäuerlichen Provinzialstaaten der Niederlande und „das gut lutherische Hamburg“. |

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Sachverhalte haben. Weber freilich – derselbe, der sich noch jetzt nicht einmal über das Verhältnis der Ausführungen von Troeltsch zu seinen eigenen zur Gewißheit durchgerungen hat – hegt keinen Zweifel daran, daß ich die Abweichungen bei Troeltsch für irrige Exzerpte gehalten habe; wenn er nun also auch über die Vorgänge, die sich in mir abspielten, besser Bescheid weiß, als ich selber, so geht es wohl doch etwas zu weit, wenn er dem Gegner Illoyalität beimißt, wo für diesen höchstens eine sehr beklagenswerte Ignoranz in den Dingen seines eigenen Selbst gelten könnte. Ich mußte „den einen gegen den andern ausspielen“, weil es meine Aufgabe war, zu zeigen, daß jeder Versuch, auch der von Troeltsch, die These Webers für die historische Wirklichkeit durchzuführen, mißglückt ist, und darin eine „illoyale Kleinlichkeit“ zu erblicken, dazu gehört wieder der Anspruch Webers auf besondere Schonung durch die Kritik. Schwerlich wird er auch auf allgemeine Zustimmung für seinen lapidaren Satz rechnen dürfen, daß bei der „Wiedergabe fremder Ansichten“ im Exzerpte „Formulierungen kaum vermeidlich sind“, die der Vorlage nicht entsprechen. Die historische Kritik wenigstens wird bei der „Kleinlichkeit“, die ihr nun einmal anhaftet, nicht so schnell, wie ich fürchte, den Mut haben, sich auf diesen | ebenso erhabenen wie angenehmen Stand- 696 punkt emporzuschwingen. Die Frage der „Kollektivarbeit“ von Weber und Troeltsch dürfte somit zur Genüge geklärt sein; ich knüpfe daran nur noch einige Bemerkungen über die Art und Weise, wie Troeltsch speziell sein Verhältnis zur Weberschen These jetzt aufgefaßt wissen will. Unumwunden erklärt er sich, was die These Webers anbelangt, jetzt als nicht kompetent; er gibt seine früheren Ausführungen, durch die er sie zu stützen und auszugestalten versuchte, rückhaltlos preis, und er läßt, wie schon erwähnt wurde, für ihre Verteidigung Weber als „dem nationalökonomischen Fachmanne“ das Wort. Er betont, ich hätte mehr berücksichtigen sollen, daß seine Ausführungen, insofern sie sich auf „den Gang der Dinge“, d. h. auf die tatsächliche historische Entwicklung, beziehen, für das Hauptthema seiner Untersuchungen, die Geschichte der christlichen Soziallehren, nur von peripherischer Bedeutung sind, keinerlei fachwissenschaftliche Autorität beanspruchen, und daß ihm daher Irrtümer im einzelnen untergelaufen sein können. Aber er erachtet doch die sachlichen Aufstellungen Webers, betreffend die Herkunft des modernen kapitalistischen Lebensstils, im wesentlichen für richtig; er beteuert, daß er seinerseits „den Nachweis, heute noch, auch nach Rachfahls Kritik für glänzend gelungen und das Ganze für ein Meisterstück historisch-genetischer Analyse“ hält. Er geht noch viel weiter: er gesteht ein, daß er bei der Wiedergabe der Weberschen Sätze „vielleicht manchmal unzulässig generalisiert, und insbesondere bei dem Versuch einer Darstellung von der Art der Durchsetzung und Ausbreitung des kalvinistischen Kapitalismus vielfach auch zu allgemein geurteilt hat“. Trotzdem sei, dabei beharrt er, Webers Theorie in ihrer Richtigkeit oder Unrichtigkeit völlig unabhängig von den Irrthümern, die sich bei ihm selber fänden, nämlich in seinem Versuche, mit Hülfe der ihm bekannten Literatur den von Weber absichtlich nicht dargestellten Gang der Dinge anzudeuten: diesen Irrtümern nun hätte ich „ein Gewicht für die Beurteilung der Weberschen Lehre beigelegt, die [lies: das] ihnen nicht zukommt“. Mit anderen Worten: Troeltsch bekennt sich, was „den Gang der Dinge“, d. h. die tatsächliche historische Entwicklung, anbelangt, als Nichtfachmann; er gesteht ein, in dieser | Richtung Irrtümer begangen, ja sogar Weber nicht immer ganz richtig verstan- 697 den und wiedergegeben zu haben. Sollte nicht unter diesen Umständen die unumwundene Zustimmung und Anerkennung, die er Weber von neuem auszusprechen sich

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gedrungen fühlt, etwas an Wert verlieren? Kommt sie doch von einem Manne, der als Einziger den Versuch gemacht hat, die Webersche These wirklich an der Hand des geschichtlichen Materials durchzuführen, und der nunmehr rund aussprechen muß, daß er dabei gescheitert ist! Die gesamte Erörterung zeugt aber auch von einer völligen Verkennung der für die historische Arbeit maßgebenden methodologischen Gesichtspunkte. Webers These gipfelte, wie Troeltsch einmal7) ganz richtig sagt, im Versuche, „die eigentliche Bedeutung des Kalvinismus für den Aufschwung des modernen Kapitalismus“ zu ermitteln. Da muß denn doch zuerst festgestellt werden, ob und in welchem Umfange ein „Aufschwung des Kapitalismus“ unter dem Einflusse des Kalvinismus stattgefunden hat; dann erst kann untersucht werden, welchen speziellen Faktoren innerhalb des kalvinistischen Systems diese Wirkung zuzuschreiben ist. Aber nur der zweiten Aufgabe dieses Doppelproblems hat sich Weber zugewandt, indem er die reformierte Berufsethik als eine mögliche Triebfeder für die Entwicklung des kapita­ listischen Geistes nachwies; die erste hat er durchaus vernachlässigt. Das giebt auch Troeltsch nunmehr zu; er sagt ausdrücklich, Weber habe zunächst (in seinen Aufsätzen über die protestantische Ethik usw.) „über den Gang der Dinge im einzelnen nichts geäußert“ und auch jetzt (d. h. in seiner „Antikritik“) nur [„]manches derartige inzwischen nachgeholt“. Trotzdem erklärt er „den Nachweis Webers für glänzend gelungen“. Fühlt er denn nicht selbst den klaffenden Widerspruch, der in solcher Argumentation liegt? Um so weniger wird seine erneute Zustimmung eine andere Bedeutung als die einer bloßen, sachlich belanglosen, weil unbegründeten Sympathiebezeugung beanspruchen können. Denn für Thesen und Theorien auf dem Gebiete der historischen Forschung gibt es nur eine Form des „Nachweises“: an der Hand des geschichtlichen Materials zu zeigen, daß für die Entwicklung tatsächlich eben der Gesichtspunkt maß698 gebend war, von dem die | Theorie das supponiert, und zwar in der von ihr behaupteten Intensität. Daran hat sich Weber überhaupt zunächst nicht gewagt, und die Versuche, die er jetzt neuerdings in seiner „Antikritik“ in dieser Richtung gemacht hat, sind vereinzelt, ungenügend und teilweise verfehlt, wie noch gezeigt werden wird. Nur Troeltsch ist im Zusammenhange an diese Aufgabe herangetreten; aber er selber hat seine Lösung als unrichtig preisgegeben und widerrufen. Was Weber „gelungen“ ist, das habe ich von vornherein ausdrücklich konstatiert: der Nachweis, daß die kalvinistische Berufsethik (und zwar nicht nur die puritanische, sondern, worauf ich noch zu sprechen komme, auch die Kalvins selber) Elemente enthält, die der Entwicklung des kapitalistischen Geistes Vorschub zu leisten geeignet waren. Darüber hinaus hat er nichts bewiesen, sondern lediglich manches angedeutet, wovon einiges wahr sein kann, das meiste aber falsch und übertrieben ist. Und da nach Troeltschs eigenem Eingeständnis eine Rekonstruktion des „Ganges der Dinge“ vom Autor der These selbst nicht vorliegt, sollte es da nicht das gute Recht des Kritikers sein, falls eine solche von anderer Seite gemacht ist, und zwar unter ausdrücklicher Berufung auf Weber eben als den Autor dieser These, sich damit zu beschäftigen, um zu zeigen, daß der einzige zusammenhängende Versuch, das Webersche Schema dem historischen Verlauf als zu Grunde liegend aufzudecken, keineswegs als geglückt anzusehen ist, welches auch immer die Bedeutung sein möge, die ihm im Verhältnis zu dem eigentlichen Thema der Studien von Troeltsch zukomme? Wie recht ich dabei hatte, zeigt ja der Erfolg, nämlich der Widerruf, zu dem sich Troeltsch für seine Rekonstruk-

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Histor[ische] Zeitschr[ift] a. O. 43. |

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tion der Entwicklung verstanden hat. Jedenfalls hat Troeltsch durch seine Argumentation weder die Position der Weberschen Theorie gefestigt und gebessert, noch auch für meine Kritik seiner Ausführungen über Kalvinismus und Kapitalismus irgend welchen Mangel an Berechtigung dargetan. 5

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II. In der Hauptsache ist die Polemik von Troeltsch, wie schon bemerkt wurde, dem Problem der „Kulturbedeutung des Kalvinismus“ gewidmet. Er meint, daß ich hier seine Thesen bekämpft habe, ohne sie freilich von | denen Webers gesondert zu haben. Darin 699 täuscht er sich; ich habe garnicht daran gedacht, ihn im Schlußkapitel meines Aufsatzes zur Zielscheibe irgendwelcher Angriffe zu machen. Ich habe darin lediglich auf Wunsch der Redaktion im Anschluß an meine Kritik der Weberschen Theorie aus Anlaß des Kalvin-Jubiläums eine allgemeine Charakteristik der geschichtlichen Bedeutung Kalvins und seines Werkes gegeben. Meine Auffassung weicht nun freilich in dieser Hinsicht mehrfach von der von Troeltsch ab; insbesondere bewerte ich den Einfluß des humanistisch-rationalistischen Elements höher, als das bei Troeltsch wenigstens zum Ausdruck kommt; ich sehe auch manches nicht als eine Schöpfung der konfessionellen Faktoren an, was Troeltsch dafür erachtet. Das aber ist noch lange keine Unterschätzung des Kalvinismus und hatte auch keineswegs die Bestimmung einer Polemik gegen Troeltsch, dessen Name in diesem ganzen Abschnitt auch nicht ein einziges Mal erwähnt worden ist. Ob nun aber die Ausführungen, an denen Troeltsch Anstoß genommen hat, als Angriffe von meiner Seite gegen ihn intentioniert waren oder nicht, – ich bin der Letzte, der ihm das Recht absprechen würde, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, wenn er die darin enthaltenen Ansichten nicht teilt. Tatsächlich aber ist die ganze Polemik, die Troeltsch gegen mich entfaltet, nur dadurch möglich geworden, daß er mir Ansichten unterschiebt, die ich nie geäußert habe, und die ich auch garnicht besitze, sowie daß er unbestreitbare Wahrheiten ausspricht, deren Spitze sich offenbar gegen mich kehren soll, die ich aber nie bestritten habe und auch garnicht zu bestreiten willens bin. Wenn ich gegen handgreifliche Übertreibungen hinsichtlich des Einflusses der religiösen Lehren auf dem Gebiet des Nichtreligiösen protestiere, so macht Troeltsch (Sp.  460) daraus, daß ich „die religiösen Ideen für etwas historisch verhältnismäßig unwichtiges halte“. Wo habe ich denn das – direkt oder indirekt – gesagt? Wo habe ich denn „kulturfördernde Wirkungen des Kalvinismus und der Konfessionen überhaupt“ (Sp.  506) geleugnet, wo die „These einer allein wirklich kulturfördernden Macht der Toleranz und Aufklärung“ aufgestellt? Und wenn mir Troeltsch darauf erwidern wollte, ich hätte das zwar nicht verbis expressis behauptet, das wäre aber der Grundton, der | aus meinen 700 Erörterungen herausklänge, so müßte ich ihm darauf zurückgeben, daß ein solcher Eindruck nur auf Grund einer recht flüchtigen und voreingenommenen Lektüre entstanden sein könnte. Immerhin könnte man die Entstellung meiner Ansichten in diesen Fällen noch durch eine Annahme solcher Art, nämlich eines unrichtigen Allgemeineindruckes auf Grund flüchtiger Lektüre, einigermaßen erklären. Anders aber steht es, wenn er einen Passus über die Macht, die das konfessionelle Element noch heutzutage entfaltet, mit dem Satze abschließt: „Es kann also sogar für die Gegenwart gar keine Rede davon sein, daß ‚kirchliche Kräfte ihre Wirksamkeit über das eigentlich Religiöse nicht hinaus zu

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erstrecken pflegen‘“. Troeltsch vindiziert mir hier eine Äußerung als wörtlich von mir getan, die ich vergeblich in meiner Abhandlung suche8). Ich könnte sie sogar nach der Grundanschauung, die mir Troeltsch – fälschlich – zuschreibt, nicht einmal getan haben: denn ich, der ich ja doch, wie er meint, die kulturfördernde Wirkung des konfessionellen Elementes in Abrede stelle, werde doch nicht etwa aber deshalb auch jede Wirksamkeit des Religiösen über das eigentlich religiöse Gebiet heraus, also auch einen kulturhemmenden Einfluß, bestreiten wollen? Die Anführungszeichen können doch nur den Zweck haben, den Leser glauben zu machen, daß ich solche Ungereimtheiten tatsächlich behauptet hätte; da ist es freilich leicht, zu polemisieren. Wenn Troeltsch bekennen muß – schüchtern genug, wie aus den Worten „vielleicht manchmal“ hervorgeht, – die Sätze seines Freundes Weber ungenau wiedergegeben zu haben, so darf ich mich ja nicht wundern, wenn mir durch ihn ein Gleiches widerfährt; aber von da bis zur Anführung falschen Wortlautes ist es doch noch ein starkes Stück Weges. Mir fällt es übrigens, nebenbei hier noch bemerkt, keineswegs „schwer, zu sagen, was denn dieses ‚eigentlich Religiöse‘ sei, über das die kirchlichen Kräfte nicht (vielleicht gestattet mir Troeltsch hier behufs richtiger Wiedergabe der Erörterungen auf Spalte 1327 meiner 701 Abhandlung die daselbst sich findenden, keineswegs belanglosen, von | ihm freilich bezeichnenderweise unterdrückten Wörtchen ‚ganz unbedingt‘ einzuschieben) hinauswirken.“ Aber das hat wohl seinen Grund darin, daß ich „offenbar nicht gewohnt bin, über solche Probleme nachzudenken, und daß ich das nicht für die Aufgabe des Historikers halten mag.“ Um die Tiefe dieses Problems zu würdigen, muß man eben mehr als bloß Historiker sein. Wie Troeltsch mir bestimmte Ansichten und Urteile mit und ohne Anführungszeichen supponiert, um dagegen mit Mut und Eifer zu kämpfen, so stellt er sich für gewisse Wahrheiten in Verteidigungspositur, gleich als ob ich sie angegriffen hätte, obwohl mir das nie eingefallen ist. „Unrichtig“, so ist bei ihm zu lesen (Sp.  504), „ist schon der Satz, daß der Protestantismus wesentlich religiöser Individualismus ist. Er ist ebensosehr kirchliches Denken und als solches die Einbefassung des Staates und der gesamten Kultur nicht unter hierarchische Elemente, aber unter religiöse Normen.“ Das glaubt er mir vorhalten zu müssen, der ich (Abh[andlung] Sp.  1354) gerade davor gewarnt hatte, den Anteil des Kalvinismus an der Entwicklung einer freieren christlichen Religiosität auf der Grundlage einer wirklichen Durchführung des individuellen Prinzips und an der Ausbildung des modernen, religiös relativ weniger beeinflußten Staates zu überschätzen. Er tritt ein für die „mitbestimmende Macht des religiösen Gedankens“ bei der Ausbildung der Idee der Kirchenfreiheit und der Menschenrechte wie bei der 702 Demokratisierung des | politischen Denkens, während ich doch nur versucht habe, gewisse Behauptungen, die darüber weit hinausgehen, auf ein bescheideneres Maß zurückzuführen (vgl. Abh[andlung] Sp.  1357 f.). Auf demselben Blatt steht es, wenn Troeltsch sich nicht genug tun kann, die Rolle der konfessionellen Momente als Kulturund vollends gar als Machtfaktoren zu unterstreichen. Es soll eben der Eindruck im Leser erweckt werden, als ob ich davon überhaupt nichts wissen wollte, und zu diesem Zwecke muß mir die Meinung vindiziert werden, „daß positive Kulturwirkungen nur von einem dogmenfreien und aufgeklärten Toleranz- und Moralchristentum ausgehen können“. Daß ich das nie gesagt und sogar nicht einmal gedacht haben kann, erhellt

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8)  Meines Erachtens handelt es sich dabei um eine schiefe Wiedergabe meiner Ausführungen, Abhandl[ung] Sp.  1327 ff., deren Sinn natürlich ein ganz anderer ist. |

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schon daraus, daß ich die Möglichkeit eines Einflusses reformierter Berufsethik auf die wirtschaftliche Kultur anerkannt habe. Freilich was das Maß dieser Kulturwirkungen im einzelnen anbelangt, so wird zwischen Troeltsch und mir schwerlich Übereinstimmung herrschen: das gibt ihm aber noch lange nicht die Befugnis, mir schlechthin eine Verneinung alles Einflusses konfessioneller Momente auf die Kulturentwicklung nachzusagen. Und wenn er mir gar die Machtstellung der kalvinischen Orthodoxie des Kuyperschen Schlages in Holland und des Zentrums in Deutschland vor Augen führt, um mich an die Bedeutung des konfessionellen Elementes als Machtfaktor zu erinnern, so scheine ich ihm doch wohl der Belehrung etwas allzu bedürftig. | Einen ziemlich breiten Raum in der Polemik von Troeltsch (Sp.  502 ff.) nimmt der [717] Widerspruch ein, den er gegen die einzelnen Beispiele einlegt, mit denen ich „mit einem an sich gewiß schätzenswerten, gesunden Menschenverstande9) die Unwirksamkeit des religiösen Elementes gegenüber dem allgemeinen Leben veranschaulichen wolle“. Das ist zunächst wiederum eine durchaus falsche Supposition: ich habe nicht Beispiele zum Belege für „die Unwirksamkeit des religiösen Elementes gegenüber dem allgemeinen Leben“ beigebracht, sondern habe lediglich Beispiele für Übertreibung des Einflusses religiöser Momente angeführt: das ist doch wohl etwas ganz anderes. Ich werde die einzelnen Fälle nach einander prüfen, die er heranzieht; vorher muß ich indes noch einen Einwand allgemeiner Natur gegen diesen Passus bei Troeltsch erheben. Er wirft nämlich hier zwei ganz verschiedene Dinge durch einander: meine Zurückweisung des Übertreibens der religiösen Einflüsse und meinen Widerspruch gegen die Häussersche Formulierung des Gegensatzes zwischen Kalvinismus und Luthertum in ihrem Verhältnisse zur Lehre vom Widerstandsrechte. Selbstverständlich habe ich die Berufung der Geusen auf die deutsch-lutherische Publizistik statt auf Beza nicht als Beleg „der Gleichgültigkeit religiöser Theorien für die Praxis erzählt“. Das ist abermals eine falsche Unterstellung | von Troeltsch, die lediglich beweist, daß er meine 718 Abhandlung mit einer Flüchtigkeit gelesen hat, die denn doch selbst, um mit Weber zu reden, für die Zwecke einer „effektvollen Polemik“ zu weit geht.10) Und es ist, um nochmals mit Weber zu reden, geradezu „unerhört“, wenn Troeltsch den Zweck der „Beispiele“, die ich in diesem Zusammenhange angeführt habe, darin erblickt, „die Bedeutungslosigkeit der religiös-ethischen Ideale für die Praxis des Lebens“ zu erweisen. Ich habe bestimmte konkrete Fälle vorgebracht, in denen Übertreibungen des Einflusses religiöser Momente auf dem Gebiet staatlicher und allgemein-kultureller Entwicklung begangen worden sind; daraus habe ich aber keinen allgemeinen Schluß nach der von Troeltsch behaupteten Richtung hin gezogen, und wenn er mir einen solchen unterschiebt, so ist das ein Verfahren, das ich hier lieber nicht charakterisieren will, da ich dann sehr bittere Worte wählen müßte. Nun aber zu den einzelnen „Beispielen“! Troeltsch behauptet, das Luthersche Verbot der Anrufung der Obrigkeit durch die Christen, auch wenn ihnen Unrecht geschähe, stamme aus seinen spiritualistischen Anfängen und sei durch ihn später ausdrücklich widerrufen worden. Der größeren Sicherheit halber wandte ich mich um Auskunft an Erich Brandenburg, in dessen spezielles Forschungsgebiet diese Dinge ja fallen; ich gebe seine Ansicht darüber mit seiner Erlaubnis wieder. | Darnach findet sich das 719 Etwas wohlwollend herablassend! Aber immer noch besser, als wenn einem der 717 gesunde Menschenverstand abgesprochen werden könnte! | 10)  Man vergl. z. B. den ersten Satz auf Sp.  1359 meiner Abhandlung. | 718 9) 

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besagte Verbot in der Schrift „von weltlicher Obrigkeit“ von 1525; in der Auslegung des Matthäus von 1532 statuierte Luther davon zwei Ausnahmen, nämlich wenn der zu Unrecht Betroffene durch seine Stellung als Obrigkeit, Gatte, Hausvater, Dienstherr usw. zum Eintreten für andere verpflichtet ist, oder wenn sein Motiv nicht im Streben nach Rache und persönlicher Genugtuung, sondern nach Wiederherstellung des gekränkten Rechtes als solchen besteht. Das ist aber noch kein Widerruf des Verbotes: Luther bleibt vielmehr seiner Grundanschauung völlig treu, daß der Christ als solcher und für sich selbst zur Verhütung seines Schadens oder Sicherung seines Vorteiles die Gerichte nicht anrufen soll, sondern nur als Beschützer Anderer und als Verteidiger des Rechtes als solchen; dabei aber warnt Luther selber vor der Gefährlichkeit des letzten Argumentes. – Niemals habe ich behauptet, daß sich die Lutheraner mit ihren religiösen Skrupeln, betreffend das Widerstandsrecht, „so leicht abgefunden hätten“. Auch mir ist es nicht ganz unbekannt, wie sehr durch solche Skrupel die Aktionskraft der deutschen Lutheraner geschwächt worden ist; aber man hat sich schließlich doch damit abgefunden, sogar Luther selber: die realen Bedürfnisse waren eben hier einmal stärker, als das anfängliche religiöse Postulat. Und wenn man dabei verlangte, daß dazu das positive Recht eine Handhabe biete, so brauchte man da in der Regel nicht lange zu suchen. – Als Beleg dafür, daß auch Luthertum und Heroismus zusammengewirkt und große Erfolge erzielt hätten, verwies ich auf Gustav Adolf. Troeltsch entgegnet mir darauf, daß die Grundsätze des Königs „in diesem Punkte auch nicht wesentlich lutherisch waren“, daß er vielmehr unter dem Einflusse der Lehren von Hugo Grotius stand. Er beweist damit eben nur die Richtigkeit meiner These, daß nämlich religiöse Momente oft da ausgeschaltet werden, wo ihre Befolgung den realen Interessen schädlich sein würde. Gewiß war Gustav Adolf ein guter Lutheraner; aber in seiner Politik ließ er sich durch die lutherische Lehre, wo diese über das „eigentlich Religiöse“ hinausging, nicht binden: wo dieses aufhört, dafür haben die handelnden Personen der Geschichte oft einen merkwürdig feinen Instinkt bewiesen, wenngleich dem modernen Theologen die Abgrenzung schwer fallen mag. Im Übrigen ist doch Grotius nichts | 720 weniger als ein „genuiner Kalvinist“; jedenfalls hatte der Widerstand gegen die katholische Restauration auch noch andere Wurzeln als die kalvinistische Resistenzlehre. – Gegenüber meiner Bemerkung, die Passivität des Luthertums in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts sei zum guten Teile auf die Tatenscheu und Saturiertheit der Fürsten jener Generation zurückzuführen, macht Troeltsch geltend, daß doch zu diesen „der Hauptführer des sächsisch-lutherischen Konservativismus, Kurfürst August, sicherlich nicht gehörte“. Er irrt sich; gerade auf diesen bezieht sich mein Urteil in erster Linie. An seinem Mangel an Mut und Energie, an seinem kleinlichen Geize ist das Bestreben Wilhelms von Oranien, die lutherischen Fürsten Deutschlands in den niederländischen Aufstand hineinzuziehen, vornehmlich gescheitert, und seine religiö­ sen Grundsätze hätten dem Kurfürsten das Eingreifen nicht verboten; hätte es heimlich, ohne Gefahr und Kosten geschehen können, so war er wohl dafür zu haben. Wenn man über den „Gang der Dinge“ so wenig orientiert ist, sollte man etwas vorsichtiger sein. – Entstehung landwirtschaftlicher Großbetriebe und Steigerung der agrarischen Produktion waren, wie ich Troeltsch nochmals (vergl. Abh[andlung] Sp.  1327) vorhalten muß, keineswegs eine „naturalwirtschaftliche Reaktion“, sondern bedeuteten im 16. Jahrhundert geradezu eine Entwicklung im Sinne kapitalistischer Unternehmung. Worauf es ankommt, das hat er bei diesem Punkt, wie man sieht, immer noch nicht erfaßt. – Das die lutherische Staatslehre der absolutistischen Tendenz Vorschub zu lei-

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sten geeignet war, wird Niemand leugnen wollen, aber deshalb darf man noch lange nicht den bevormundenden Polizeistaat des patriarchalischen Absolutismus als „ein echtes Kind des Luthertums“ bezeichnen. Wenn von einer Parallelentwicklung in der katholischen Welt gesprochen wird, so wird man in erster Linie nicht an Frankreich denken, sondern an die größeren katholischen Territorien in Deutschland, vor allem die habsburgischen Gebiete und Bayern. In den lutherischen Ländern kommt für diese Institutionen dem religiösen Element eben nur eine „fördernde“ Bedeutung zu, und eine solche hat es auch in Ländern reformierten Bekenntnisses gehabt.11) Wenn der Kalvinis|mus in Holland, Schottland und England in antimonarchische, republikanische 721 oder ständisch-parlamentarische Bahnen einlenkte, so dürfte die Ursache dafür weniger in seiner speziellen Staatslehre zu erblicken sein, als vielmehr in der Notwendigkeit, sich überhaupt als religiöses Prinzip durchzusetzen, d. h. zunächst seine Existenz gegenüber dem andersgläubigen Herrscher zu behaupten; von da bis zur „politischliberal-demokratischen Gesellschaft“ (Sp.  461) ist es noch recht weit, so daß ihre und des Kalvinismus „innerliche Verschmelzung“12) ein Problem ist, das vielleicht noch etwas schwieriger ist, als es nach dem recht bequemen Konfessions-Schema ist, wie Troeltsch es sich zurechtlegt. Und bekanntlich ist in zahlreichen lutherischen Staaten das „echte Kind des Luthertums“, der absolute Staat, nicht in die Erscheinung getreten, sondern es haben sich hier die Landstände im Besitz einer geschützten verfassungsmäßigen und auch starken politischen Position erhalten. Diese Dinge sind ja so bekannt, daß ich sie für den einigermaßen Kundigen nur anzudeuten brauche. Man wird es verstehen, wenn ich es vermeide, auf die Schlußbemerkungen von Troeltsch einzugehen, daß meine These von einer allein wirklich kulturfördernden Macht von Toleranz und Aufklärung mehr mein persönliches | Kulturideal betreffe, als 722 die „tatsächliche Kultur, die wir leben“, daß nicht nur die Konfessionen intolerant seien, sondern auch die heutige Aufklärung, und daß meine Leugnung der kulturfördernden Wirksamkeit der Konfessionen eben einer intoleranten Animosität rationalistischer Grundauffassung als meines Kulturideals entspringe. Schon die Voraussetzungen sind falsch, nämlich die Behauptung, daß ich Toleranz und Aufklärung als die allein Troeltsch bemerkt (Sp.  503), daß seines „Wissens auf dem Boden des reformier- 720 ten Individualismus | derartige Entwicklungen (im Sinne von Patrimonialstaat und Ab- 721 solutismus) nicht eingetreten sind“. Da darf ich ihn vielleicht auf ein Beispiel in seiner nächsten Umgebung aufmerksam machen. In der Abhandlung von R. Sillib, Stift Neuburg bei Heidelberg (N[eues] Arch[iv] f[ür] d[ie] Gesch[ichte] der Stadt Heidelberg und der Rhein[ischen] Pfalz V, Heidelberg 1903), findet sich (S.  201) der Satz: „In der kommenden Epoche (sc. seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrh[underts]) steht die Geschichte Neuburgs unter dem Zeichen der kurfürstlichen Herrschaft. Die Reformation erwies sich in ihren Folgen für die weitere Ausbildung der fürstlichen Machtentfaltung günstig, ja der Absolutismus fand gerade in den Theologen seine wirksame Stütze. Er wurde zur herrschenden Staatsform.“ 12)  Daß das wieder eine der unzulässigen Generalisierungen ist, wie sie Troeltsch so sehr liebt, geht aus dem Beispiel der von ihm selbst so oft angeführten antirevolutionären, kalvinistisch-orthodoxen Partei Hollands von Groen van Prinsterer bis Kuyper hervor. Die Existenz dieser Partei hindert ihn aber nicht, (Sp.  465) zu behaupten, daß der moderne Kalvinismus zwar die Anwandlungen des Rationalismus des 18. Jahrhunderts ausgeschieden habe und wieder orthodox geworden sei, daß er aber den „politisch-sozialen Liberalismus“ beibehalten habe! | 11) 

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wirklich kulturfördernden Faktoren erklärt, den konfessionellen Elementen dagegen diese Bedeutung abgesprochen hätte13); falsch ist daher erst recht, was Troeltsch aus diesen Prämissen für die Motive und grundlegenden Gesichtspunkte meiner Ausführungen zu folgern unternimmt. Ob diese den „Gang der Dinge“ richtig wiedergeben oder nicht, lediglich darauf kommt es an. Die Frage des persönlichen Kulturideals scheidet so lange aus, bis mir schiefe und unrichtige Vorstellungen und Urteile nachgewiesen sind, die sich als unbewußte oder gar als bewußte Ausflüsse meines angeblichen „Kulturideals“ entpuppen würden. Es handelt sich hier um eine Kontroverse rein sachlicher Natur; was soll da die Verquickung mit dem Momente der persönlichen Weltanschauung, eine Gewissensriecherei solcher Art? Mit Recht könnten sich Weber und Troeltsch beschwert fühlen, wenn jemand z. B. zur Erklärung ihrer Stellungnahme zum Luthertum einerseits, zum reformierten Kirchentum andererseits auch nur auf die Möglichkeit der Existenz persönlicher Beweggründe hinweisen würde. Eine bequeme, freilich nicht gerade in ihren Mitteln sehr wählerische Polemik ist es, dem Gegner den Vorwurf der „Animosität“ wider gewisse Einrichtungen entgegenzuschleudern, die gerade das Objekt der Diskussion sind. Wenn man die Hauptbedeutung eines bestimmten positiven Bekenntnisses in dem erblickt, was von ihm für die Fortbil723 dung christlicher Religiosität geleistet worden ist, | wenn man ihm nicht alle diejenigen Wirkungen zuzuerkennen vermag, die ihm auf Gebieten zugeschrieben werden, welche mit dem Religiösen nur in losem und indirektem Zusammenhange stehen – ist das wirklich eine „Animosität“? Je vollkommener sich in einem Bekenntnisse das religiöse Prinzip darstellt, um so wohltätiger werden seine Ausstrahlungen auf die übrigen Lebensgebiete sein, auch wo diese ihm gegenüber ihre Selbständigkeit behaupten, und gerade dafür bietet der Kalvinismus genug der Beweise. Gewiß ist weder die frühere noch auch die heutige Aufklärung „durchaus tolerant“. Aber die Toleranz verdankt nichts anderem in höherem Grade ihre Entstehung, Ausbildung und Aufrechterhaltung, als der Aufklärung, und sie ist hinwiederum das Prinzip, auf dem die Aufklärung beruhte, der Boden, aus dem sie ihre Nahrung saugte. Wenn die Aufklärung nicht tolerant war, dann oft genug nur deshalb, weil es sich um eine notgedrungene Abwehr handelte, da Toleranz nicht gleichbedeutend mit kampfscheuer Kapitulation vor feindlichen Mächten ist. Was die Frage der relativen Intoleranz der Aufklärung mit meinen Aufsätzen zu tun hat, ist mir freilich schlechterdings unfaßbar; denn in ihnen wird kein Unbefangener eine Spur von „Animosität“ gegen den Kalvinismus als positiv-christliches Bekenntnis finden. Gewiß, ein scharfer Hauch, das gebe ich zu, mag Troeltsch aus meinen Blättern entgegengeweht haben. Aber diese „Animosität“ hat nichts mit dem Objekte der Diskussion zu tun. Sie ist nichts weiter als der Ausdruck der Stimmung, die den Historiker befällt, wenn er sieht, wie der „Gang der Dinge“ zu Gunsten konstruktiver Theorien mitunter vergewaltigt wird. Voreiliges, unbefugtes Generalisieren auf Grund unzuläng-

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13)  Troeltsch fällt über mein Buch „Wilhelm von Oranien“ (Sp.  464) das Urteil: „Es ist daran unverkennbar eine persönliche Auffassung der religiösen Dinge beteiligt, derzufolge die Wirkung der Religion auf das Leben nicht bloß heute, sondern auch früher eine verhältnismäßig geringe ist und positive Kulturwirkungen nur von einem dogmenfreien und aufgeklärten Toleranz- und Moralchristentum ausgehen können.“ Was man nicht alles aus einem Buch heraus- oder (richtiger gesagt) in ein Buch hineinlesen kann! |

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licher Kenntnis des Sachverhaltes, – das ist das Merkzeichen der Art und Weise, wie sich Troeltsch auf dem historischen Gebiete betätigt. Und ebenso verhält es sich mit seiner Praxis des literarischen Kampfes: warnt der Gegner davor, den Einfluß des religiösen Momentes auf die weltlichen Dinge in einzelnen ganz bestimmten Punkten zu überschätzen, so macht Troeltsch daraus eine von der Intoleranz der Aufklärung eingeblasene Geringschätzung der positiven Bekenntnisse im Allgemeinen, ihrer Machtund Kulturwirkungen, ja sogar der Bedeutung der religiös-ethischen Ideale für die Praxis des Lebens | überhaupt, der Wichtigkeit der religiösen Ideen schlechthin. So kon- 724 struiert er sich ein Phantom, gibt es für die Ansicht des Gegners aus und schlägt wacker drauf los. Eine Polemik dieser Art ist zur Unfruchtbarkeit verdammt.14) III.

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Mit Troeltsch wäre somit in der Hauptsache die Abrechnung vollzogen. Insoweit als noch von ihm Äußerungen zum Thema „Kalvinismus und Kapitalismus“ im engeren Sinne vorliegen, werden sie berücksichtigt werden bei der nunmehr folgenden Auseinandersetzung mit Weber. Bei eben dieser wird es sich vornehmlich um drei Punkte handeln, um die sogenannte protestantische Askese, sodann um das Verhältnis von Toleranz und Kalvinismus für die Entwicklung des neuzeitlichen Kapitalismus und endlich um die Art und Weise, wie Weber den Begriff des „kapitalistischen Geistes“ aufgefaßt wissen will. Der Ethik gewisser Richtungen innerhalb des Protestantismus, die er als „asketisch“ bezeichnet, schreibt Weber eine bestimmte Bedeutung für die Entwicklung des „kapitalistischen Geistes“ zu. Er versteht unter „Askese“ eine an Gottes Willen orientierte rationale Gestaltung des ganzen Daseins, | eine methodisch gepflegte und kontrollierte 725 Lebensführung und bezeichnet als asketische Richtungen im Protestantismus Kalvinismus, Methodismus, Baptismus und Pietismus. Durchaus korrekt hatte ich (Abh[andlung] Sp.  1228) Webers Ansicht über den Umfang der „asketischen Richtungen“ im Protestantismus mit den Worten wiedergegeben: „Der Kalvinismus ist die bedeutendste, aber nicht die einzige Richtung des Protestantismus, die eine solche methodisch-gepflegte und kontrollierte, d. h. asketische 14)  Zum Schlusse dieses Abschnittes noch einige Bemerkungen: Auf Sp.  1353 meiner 724 Abhandlung hatte ich gesagt: Weingarten habe gezeigt, wie in England „durch die Synthese kalvinistischer und täuferischer Religiosität das Prinzip der Toleranz erzeugt und in einem großen, gewaltigen Anlaufe zum Siege geführt und statuiert wurde.“ Das glossiert Troeltsch (Sp.  505) mit den Worten: „Die kalvinistische Toleranz ist auch nach meiner Meinung aus dem Täufertum erst eingedrungen, was Rachfahl aus dem glänzenden Buche Weingartens gelernt haben will, wo jedoch gerade davon nichts steht.“ Was ich in meinem Satze gesagt habe, wird allerdings durch Weingarten belegt; er ist geradezu das Thema des ersten Teiles. Bei dieser Gelegenheit belehrt mich Troeltsch auch über die Unterschiede zwischen der kalvinistischen und der rationalistisch-aufklärerischen Toleranz. Ich bin ihm dafür natürlich sehr dankbar, möchte aber hinzufügen, daß sich bekanntlich die Toleranzbewegung in England selbst im Zeitalter der ersten Revolution nicht nur mit der Rechtfertigung der nichtkonformistischen Freikirchenbildungen begnügte, sondern auch die Forderung der individuellen Gewissensfreiheit statuierte, ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu bestimmten Sekten, und das auch von independentistischer Seite; vgl. u. a. Weingarten S.  110 ff. insbesondere S.  112 Anm.  1. |

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Lebensführung vorschreibt; sie ist auch, wenngleich in verschiedenartiger Begründung und Abstufung .  .  . im Pietismus, im Methodismus, im Baptismus zu finden.“ Nun erklärt Weber, daß ich viel zu lange bei seinen Ausführungen über den Kalvinismus, nicht auch bei denen bezüglich der übrigen asketischen Denominationen verweilt und dadurch ein falsches Bild von seiner These gegeben hätte: „Die Schiefheiten der Rachfahlschen Polemik beginnen schon mit dem ersten Worte der Überschrift seines Aufsatzes „Kalvinismus und Kapitalismus“. Denn er handele, so setzt Weber auseinander, nicht nur vom Einflusse des Kalvinismus auf die Entwicklung des kapitalistischen Geistes, sondern des asketischen Protestantismus, da den asketischen Sekten in dieser Hinsicht vollste Gleichstellung mit dem Kalvinismus zukomme. Er bezichtigt mich demgemäß (S.  182) einer „Verdrehung des Diskussionsobjektes“. Nicht nur in meiner Kritik, sondern auch in Webers These steht tatsächlich der Kalvinismus im Mittelpunkte der Erörterung. Denn aus seinem Schoße ist ja eben die Ethik entsprungen, der Weber solchen Einfluß auf die Entwicklung des neuen kapitalistischen Stils zuschreibt, – nämlich die Lehre vom Gnadenstande und von der Bewährung und damit des Antriebes für den Einzelnen zur methodischen Kontrolle seines Gnadenstandes in der Lebensführung: das eben ist ja die „Askese“ im Sinne Webers. Die „asketischen“ Sekten, die in England im 17. Jahrhundert entstanden, sind in diesem entscheidenden Punkte einfach die Erben des Kalvinismus, und dasselbe gilt nach Webers eigener Auffassung vom Pietismus.15) Nicht anders wie ich haben Webers Freunde und Anhänger, Troeltsch und Gothein, den Zusammenhang aufgefaßt; sie 726 haben nicht anders wie ich die Weber|sche These in dem Schlagworte „Kalvinismus und Kapitalismus“ zusammengefaßt. Und da ich nicht nur gegen Webers These allein und an und für sich kämpfen wollte, sondern auch gegen die Art und Weise, wie sie in der wissenschaftlichen Literatur Geltung zu gewinnen begann, mußte ich meinem Aufsatze eben jene Überschrift geben. Troeltsch sekundiert anscheinend Weber in diesem Punkte, wenigstens bis zu einem gewissen Grade. Er bezeugt (Sp.  452), Weber habe ausdrücklich hervorgehoben, „daß es sich nicht um eine unmittelbare Wirkung des primitiven Genfer Kalvinismus, sondern um eine solche des späteren puritanischen Kalvinismus handele“, und an einer andern Stelle sagt er (Sp.  455): „Überdies unterscheidet Weber vollkommen scharf den primitiven Genfer Kalvinismus von dem späteren englisch-puritanischen .  .  . Um die praktische Bedeutung dieses Puritanismus handelt es sich allein.“ Aber ob „primitiver Genfer“ oder „späterer englisch-puritanischer Kalvinismus“, – die Berechtigung meiner Überschrift wird dadurch nicht in Frage gestellt; hat doch eben derselbe Troeltsch vorher (Hist[orische] Zeitschrift 97, 43) schlechthin von einer „eigentlichen Bedeutung des Kalvinismus für den modernen Kapitalismus“ gesprochen. Und die Position der Weberschen These wird durch die neue Einschränkung von Troeltsch keineswegs gebessert; durch die Einschränkung, daß es sich bei ihr lediglich „um die praktische Bedeutung des Puritanismus handele,“ wird der Kreis ihrer Geltung noch mehr eingeengt. Für den Kapitalismus in der reformierten Schweiz, bei den Hugenotten und in den Niederlanden wird dadurch die Provenienz aus der „Askese“ revoziert: wir haben hier also den Fall der Koexistenz von Kalvinismus und Kapitalismus, aber ohne kausale Verknüpfung; in diesen Geltungsgebieten reformierter Religiosität ist wohl also der Kapitalismus noch auf Grund des „zu allen Zeiten wirksam gewesenen Erwerbstrie-

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Vergl. z. B. Archiv 21 S.  39 f. und Antikritik 184. |

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bes“ ohne „spezifisch modern-kapitalistischen“ Habitus entstanden? Oder „belastet“ Troeltsch hier wieder einmal die These Webers „mit Irrtümern“? Nimmt man noch dazu, daß wie wir noch sehen werden, nach dem Geständnisse beider Autoren der puritanische Kapitalismus in England und Nordamerika auf die Mittelklassen beschränkt blieb, so muß man allerdings sagen, daß sehr wenig vom modernen Kapitalismus in diesem | „spezifisch modern-kapitalistischem“ Geiste wurzelt. Was bleibt dann über- 727 haupt von den praktischen Wirkungen noch übrig, die er angeblich gehabt hat? In meiner Kritik hatte ich die Frage gestellt: paßt für eine am Gotteswillen orientierte rationale Gestaltung des Daseins, für eine methodisch gepflegte und kontrollierte Lebensführung der Name „Askese“, den Weber ihr beilegt? Daß ich sie verneinte, hat Weber mit Groll erfüllt. Das Einzige, so führt er in seiner Antikritik aus, was ich selber zum Schlusse meiner „seltsamen“ Kritik aufrechterhalte, sei mein Widerspruch dagegen, daß er der von ihm analysierten Lebensführung den Namen „Askese“ beilege. Um so steriler sei diese Polemik über den Namen, als ich ihn schließlich für die gleiche Sache anwende, nur daß ich ihn in Gänsefüßchen setze. Er kann sich das nicht anders erklären, als dadurch, daß „die Professoreneitelkeit grundsätzlich der Akzeptierung irgend einer nicht von dem betreffenden selbst geprägten Bezeichnung widerstrebt“. Als Eideshelfer dafür, daß zwischen der katholischen Askese und der von ihm analysierten „innerweltlichen Askese“ des Protestantismus eine innere Verwandtschaft bestehe, zitierte er Sebastian Frank [lies: Franck] mit seinem Ausspruche, daß „jeder Mensch fortan eine Art von Mönch sei“, und Ritschls Äußerung von den „katholischen Resten“ im Protestantismus. Er betont nochmals, das Eigentümliche in der protestantischen Askese, was zugleich die Anwendung eben dieses Namens rechtfertige, bestehe eben im Bedenken gegen den Genuß als solchen, sowohl gegen den sinnlichen als auch gegen den ästhetischen, und in der rationalen Durchdringung des Lebens innerhalb der Ordnungen der Welt: Familie, Erwerb, soziale Gemeinschaft; er protestiert dagegen, daß ich ihm die Meinung supponiere, der Protestantismus habe diese seine „Askese“ einfach vom Katholizismus übernommen, und rügt das niedrige Niveau, auf das ich die Diskussion hinabgezogen habe. Wenn Weber meint, die Polemik gegen den Namen „Askese“ sei das einzige, was ich zum Schlusse selber von meiner Kritik aufrechterhalten habe, so hat er von ihr doch wohl einen allzu optimistischen Eindruck empfangen, und seine übrigen Erörterungen gegen mich stimmen mit dieser seiner Behauptung schlecht überein. Verfehlt ist es, | wenn er mir einen Widerspruch insofern zuschreibt, als ich selbst ohne das Wort „aske- 728 tisch“ nicht auszukommen vermöchte, nur daß ich ihm Gänsefüßchen beifüge. Denn diese sind hier das Entscheidende; sie sollen dem Leser natürlich zum Bewußtsein bringen, daß ich den Ausdruck hier in einem Sinne anwende, wie er populär oft vorkommt, wie er aber nur uneigentlich zu verstehen ist, oder eben im Sinne Webers. Es ist mir gar nicht eingefallen, das Wort in der von mir reprobierten Weberschen oder in seiner populär-uneigentlichen Bedeutung von mir aus zu gebrauchen. Oft gebraucht man die Bezeichnung „asketisch“, um irgendwelche Unbequemlichkeiten, ein wenngleich geringes Maß von Enthaltsamkeit, eine gewisse durch Rücksicht und Einsicht diktierte Diskretion gegenüber dem Lebensgenusse zu charakterisieren. Der starke Raucher redet wohl schon von „Askese“, wenn er sich auf Gebot des Arztes nur noch eine Importe am Tage gönnen darf: solch populären Sprachgebrauch16) aber darf man nicht 16) 

Die Literatur bietet dafür unzählige Beispiele. Besonders häufig findet er sich bei 728

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in die wissenschaftliche Terminologie einschmuggeln. Bei dieser Gelegenheit, da von Askese in solchem Sinne die Rede ist, will ich mich alsbald mit Webers Tadel abfinden, ich hätte das Niveau meiner Kritik „nicht sonderlich hoch gegriffen“. Dem von ihm als Idealtypus der Unternehmer „neuen Stils“ herangezogenen reichen Geschäftsmanne, der, „asketisch“ gestimmt, nur mit Mühe zum ärztlich verordneten Austerngenuß zu bewegen war, hatte ich nämlich die gewißlich größere Zahl von Kapitalisten gegenüber gestellt, die dazu nicht erst ärztlicher Vorschrift bedürfen, ohne doch deshalb „kapitalistischen Geistes“ zu ermangeln. Nun, das Niveau der Kritik ist dem Niveau der Argumente, die durch sie bekämpft werden sollen, vollkommen angemessen. Sicherlich gibt es Kapitalisten, die „von asketischen Bedenken gegen den Genuß als solchen“ erfüllt sind; aber sie sind nicht typisch für die Kapitalistenklasse der Neuzeit, auch im Weberschen Sinne des „Unternehmers neuen Stils“, und ihre „asketischen Bedenken“ sind nicht charakteristisch für den kapitalistischen Stil der Neuzeit und seine Entstehung. 729 Ich | habe jedenfalls nicht damit angefangen, die Modalitäten des Austerngenusses für die Erkenntnis von Entstehung und Wesen des kapitalistischen Geistes zu verwerten. Handelt es sich hier aber wirklich nur um eine „sterile Namens-Polemik“, und ist von meiner Seite lediglich „Professoreneitelkeit“ im Spiele, wenn ich gegen diesen Weberschen Terminus Einspruch erhebe? Niemals würde ich es wagen, bei Weber ein gleiches Motiv dafür vorauszusetzen, daß er mit solcher Zähigkeit und Vaterfreude an dem Worte „innerweltliche Askese“ festhält. Aber es ist in der Tat nicht nur der Name, der meine Bedenken erregt. Aus Webers neuesten Ausführungen (179) geht ja abermals hervor, daß er den Namen für sachlich vollkommen berechtigt erachtet, nämlich wegen der inneren Verwandtschaft zwischen katholischer und protestantisch-innerweltlicher Askese: es soll also tatsächlich durch den Namen ein sachlicher Zusammenhang angedeutet werden. Prüfen wir die Gründe, die Weber neuerdings dafür beigebracht hat. Wenn Sebastian Frank [lies: Franck] die Leistungen der Reformation dahin kennzeichnet, daß jeder Mensch fortan „sein Leben lang eine Art von Mönch sein müsse“ (Antikritik 179), so geht schon aus der ganzen Art dieser Äußerung hervor, daß es sich lediglich um einen Vergleich, um eine Redefigur handelt, die er zur Wiedergabe seines subjektiven Eindruckes verwendet; darauf läßt sich keine wissenschaftliche These begründen. Ohne Zweifel hat Ritschl Recht, wenn er von „katholischen Resten“ im Protestantismus, zumal im Pietismus spricht; es finden sich hier Züge, die man als „asketisch“ bezeichnen kann, und zwar im Sinne der echten katholischen Askese, nämlich in der Richtung zu Weltflucht und zu Erwerbung besonderen Verdienstes: das sind gewiß katholisierende Tendenzen, wenn man so will, „katholische Reste“. Ein gleiches gilt von den Täufern und den von ihnen abgeleiteten Sekten. Was sie vom eigentlichen Protestantismus unterscheidet, das ist ja gerade ihre in des Wortes eigentlichster Bedeutung „asketische“ Grundauffassung im Sinne mittelalterlicher Weltflucht, und 730 auch darin findet ein Kenner der Reformationsgeschichte, wie Kawerau17), | den Beweis, daß sie im Gegensatz zum Protestantismus noch von der „katholischen Stufe des Christentums“ sich nicht vollständig emanzipiert hatten: gerade der Mangel an „Askese“ ist somit nach Kawerau das entscheidende Merkmal, welches die protestantische von der katholischen Religiosität trennt; einer Auffassung dieser Art aber würde die Annahme Keller; so läßt z. B. im „Grünen Heinrich“ (II 10) eine „asketische Laune“ dem Helden eine Wanderung durch Nacht, Kot und Regen als eine Wohltat erscheinen. | 17)  Möller-Kawerau, Lehrbuch der Kirchengeschichte. III2 1899. S.  83. | 729

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einer „inneren Verwandtschaft“ reformierter Berufsethik mit katholischer Askese wahrlich nicht entsprechen. Weber verwahrt sich dagegen (S.  180), daß ich ihm „die törichte Behauptung unterschiebe, daß der Altprotestantismus als Ganzes die Askese vom mittelalterlichen Katholizismus übernommen habe“. Daß ich ihm diese Behauptung nicht untergeschoben haben kann, geht daraus hervor, daß gerade ich auf die Meinungsdifferenz aufmerksam gemacht habe, die zwischen Weber und Troeltsch insofern vorliegt, als nur dieser von einer Askese des Altprotestantismus als eines Ganzen spricht, – und was die Berechtigung des schmückenden Beiwortes „töricht“ anbelangt, so überlasse ich die Äußerung darauf dem Autor des Satzes: „Aber auch noch ein weiteres Hauptcharakteristikum dieser Kultur (sc. der supranaturalistischen Kultur des katholischen Mittelalters) dauert fort, die Askese“.18) Wie sich Weber mit der von mir konstatierten, soeben erwähnten „Meinungsdifferenz“ zwischen ihm und Troeltsch abfindet, werden wir alsbald erfahren; hier sei nur noch einmal speziell zu Webers kalvinistischer „Askese“ bemerkt: keineswegs bestehen in der kalvinistischen Ethik Bedenken gegen den Lebensgenuß an und für sich, weder in sinnlicher, noch auch in ästhetischer Hinsicht; weit davon entfernt, ihn zu verbieten, hat Kalvin ihn sogar für geboten erklärt, in Ansehung, daß es sich dabei um Geschenke Gottes handelte, insofern nur die Freude an diesen Genüssen das Übermaß vermeide. Eine rationalistisch geregelte Lebenshaltung, die an Gottes Willen orientiert ist, ist keine Askese; sie wird auch vom katholischen Laien gefordert, und noch viel weniger dürfen wir eine unter religiösen Gesichtspunkten methodisch gepflegte und kontrollierte Lebensführung deshalb Askese nennen, weil es im Katholizismus eine besondere Art der Askese gibt, deren Kenn|zeichen methodische Regelung und Kontrolle ist. 731 Zur Frage der Askese hat sich auch Troeltsch sehr eingehend (Sp.  458 ff.) geäußert; sie ist fast das einzige Kapitel im Thema „Kalvinismus und Kapitalismus“, das er jetzt noch im Zusammenhange behandelt, und er tut das, weil er sich hier als theologischer Fachmann auf seinem Gebiete fühlt, über das ich als Laie „kaum zu urteilen“ imstande bin. Sowohl er wie auch Weber erkennen an, daß sie mit dem Worte „Askese“ verschiedenartige Vorstellungen verbinden. Troeltsch sucht diese Differenz dadurch zu erklären, daß sie beide „von einer ganz verschiedenen Problemstellung“ ausgegangen seien. Das mag ja ganz richtig sein; aber eine Tatsache ist es, daß beide unter „Askese“ im Protestantismus etwas ganz anderes verstehen, und ich habe eben lediglich dieses Faktum konstatiert. Noch bequemer findet sich Weber mit der Schwierigkeit ab; indem er meine Feststellung erwähnt, bemerkt er (S.  182 Anm.  1): „Freilich töricht genug: Es handelt sich einfach um Unterschiede in der Terminologie, nicht in der Sache.“ Das ist freilich eine billige Manier, Meinungsverschiedenheiten in grundlegenden Fragen unter einen Hut zu bringen. Für den einen ist jedenfalls die ganze altprotestantische Ethik „Askese“, für den andern nur die des Kalvinismus und bestimmter Sekten: ist das wirklich nur ein Unterschied der Terminologie? Auch Troeltsch meint freilich: „Auf Worte kommt es nicht an. Der Sachverhalt ist klar.“ Ganz kann man doch wohl nicht der passenden „Worte“ für die Feststellung des Sachverhalts entbehren. Im übrigen formuliert er jetzt einen Unterschied zwischen „asketischen Übungen im engeren Sinne“ und zwischen „Askese im weiteren Sinne“, indem er hierunter „die überweltliche Richtung des christlichen Denkens“ versteht; er erklärt, daß das „ein längst einge-

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Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus, Histor[ische] Zeitschr[ift] 97. S.  24. |

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bürgerter Sprachgebrauch“ sei. Da hätten wir nun also glücklich die dritte Art „protestantischer Askese“. Allerdings über die „Askese“ mitzureden, habe ich kein Recht; das ist ein mir „fachwissenschaftlich nicht vertrautes Gebiet“, auf dem mir ebensolche Entgleisungen widerfahren, wie Troeltsch auf dem meinigen. Er führt das auch dem Leser eindringlich genug vor Augen. In meiner Abhandlung (Sp.  1263) hatte ich das Urteil gefällt: „Die 732 Askese des Mittelalters war eine Sondermoral, die der | Protestantismus nicht übernommen, sondern verworfen hat. Er hat vielmehr die allgemeine christliche Ethik, wie sie für jedermann ohne Ausnahme gilt, nach bestimmten Richtungen fortgebildet. Dazu gehörte es, daß die Berufslehre auf einem neuen Fundamente aufgebaut wurde, indem sie zur höchsten sittlichen Betätigung des Menschen erklärt und allen zur Pflicht gemacht wurde.“ Das glossiert Troeltsch mit den Worten (Sp.  460): „Also der Katholizismus ist allgemeine christliche Ethik plus Sondermoral der Askese, der Protestantismus ist dasselbe ohne hinzukommende Sondermoral, überdies aber eine Fortbildung in bestimmten Richtungen, die trotzdem gleichzeitig doch ein neues Fundament sind; und das Ergebnis von alledem ist die Arbeit als höchste sittliche Betätigung!“ Wenn er hinzufügt: „Hier ist jeder Satz falsch und geht alles drunter und drüber“, so hat er damit ganz recht, wenn er nämlich seine Verdrehung meiner Erörterung meint. Urteile über bestimmte Entwicklungsvorgänge in das Gewand einer arithmetischen Formel kleiden, – das kann nichts anderes als ein Zerrbild geben. Er korrigiert weiterhin die letzte Wendung in dem aus meiner Abhandlung zitierten Passus dahin, die Berufsarbeit sei für den Protestanten nicht die höchste sittliche Leistung, sondern nur „die natürliche Form, innerhalb deren die eigentlich sittliche Leistung der Gottesliebe und Nächstenliebe sich zu bewegen hat.“ Ich akzeptiere diese Belehrung sehr gern, wundere mich aber, warum er sie nicht in erster Linie an die Adresse Webers gerichtet hat, dem ich in diesem Falle nur gefolgt bin19); ich will es mir aber merken, daß nicht einmal auf die Partien Webers unbedingter Verlaß ist, die ich bisher im Gefühle meiner Unzuständigkeit nicht angezweifelt habe. Im übrigen bin ich mir der Grenzen meiner Kompetenz sehr wohl bewußt, und ich greife nicht gern auf Gebiete hinüber, wo ich zu den Urteilen eigentlicher Fachleute Stellung nehmen muß. Hier liegt nun die Sache so, daß ich mit 733 meiner Auf|fassung, insofern ich mich damit in Widerspruch gegen die Autorität von Troeltsch setze, keineswegs allein als Nichtfachmann dem Fachmanne gegenüberstehe; ich schließe mich hier lediglich gegen Troeltsch anderen Fachleuten an, wie Loofs, Lang, Scheel und Kawerau, die von einer protestantischen Askese im Sinne von Troeltsch nichts wissen und sie zum Teil direkt ablehnen20), und das um so lieber, als sich mein historisches Gefühl gegen die Vermengung zweier so grundverschiedener Erscheinungskomplexe, wie der katholischen Weltverneinung und der protestantischen 734 Ethik, durch das Bindeglied einer | gemeinsamen Benennung sträubt. Ich kann es wohl

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19)  Vergl. Weber, Archiv 20, S.  41: „unbedingt neu war jedenfalls (sc. in der Reformation) zunächst eines: die Schätzung der Pflichterfüllung innerhalb der weltlichen Berufe als des höchsten Inhaltes, den die sittliche Selbstbetätigung überhaupt annehmen konnte“. Man sieht: ich referiere in dem durch Troeltsch beanstandeten Passus lediglich Webers Ansichten. | 20)  Kattenbusch, in dem soeben erschienenen Referate „Kirchengeschichte“ in der 733 „Theolog[ische] Rundschau“, Jahrg. 1910, Heft 4, S.  144, schließt die „innerweltliche Askese“ gleichfalls in Gänsefüßchen und fügt hinzu: „wie er (sc. Weber) es nannte[“] – eine recht skeptische Nuance. |

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verstehen, wenn gerade bei diesem Probleme Troeltsch das Bedürfnis nach einer kleinen Revanche anreizt, nun einmal mir gegenüber den Fachmann herauszukehren; ich fürchte nur, daß die Gelegenheit vielleicht nicht ganz glücklich gewählt ist. Sollte seine Lehre von der protestantischen Askese erst einmal in der theologischen Wissenschaft allgemein anerkannt sein, so will ich mich einer vox communis der Fachmänner schließlich beugen; vorderhand scheint es mir geraten, erst noch ein Weilchen eine abwartende Haltung einzunehmen und nichts zu übereilen. | IV.

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Nur eine „einzige ernsthafte These“, so dekretiert Weber (Antikritik S.  182), setze ich der seinigen entgegen, und auch für diese, fügt er hinzu, „bietet überhaupt erst die Möglichkeit“ die von mir beliebte „ganz willkürliche Beschränkung des Diskussionsobjektes auf den Kalvinismus.“ Dieser Zusammenhang leuchtet mir nicht ganz ein; ich halte dafür, daß ich auch, wenn ich statt „Kalvinismus“ den Titel „asketische Denominationen im Protestantismus“ gesetzt hätte, der Toleranz ganz dieselbe Rolle für die ökonomische Entwicklung hätte zuschreiben können, von der Weber hier spricht. Wenigstens gibt er hier doch zu, daß ich eine „ernsthafte These“ aufgestellt habe, wenngleich sie die „einzige“ ist und bleibt, und er geht daran, sie zu „erledigen“. Nicht viel später (S.  190) hat er dieses kleine Zugeständnis aber schon wieder vergessen, indem er mir vorwirft, ich hätte überhaupt keinen Standpunkt, mit dem man sich auseinandersetzen könnte: „Man kaut bei ihm (sc. Rachfahl) auf Sand!“ Wohl bekomm’s! Sowohl Weber wie auch Troeltsch sind mit der Rolle nicht einverstanden, die ich der Toleranz zuschreibe; ihre Argumentation ist ganz dieselbe; ich halte mich hier an die Formulierung bei Troeltsch (Sp.  505): „Die Toleranz ist unzweifelhaft ein Mittel der ökonomischen Förderung gewesen. Aber nicht die Toleranz an sich bewirkte Intensität der wirtschaftlichen Arbeit, sondern die Eigenart der Menschen, denen die Toleranz zugute kommt .  .  . Wenn heute in Spanien die volle Toleranz eingeführt würde, so würde sie vermutlich an dem wirtschaftlichen Charakter der Bevölkerung wenig ändern .  .  . Daß die Toleranz als Wegfall kirchlicher Bindungen dann einem natürlichen und normalen, überall vorhandenen Erwerbstriebe damit eo ipso Raum schaffen würde, das wäre doch eine sehr kindliche, längst überwundene ‚Psychologie‘.“ Und ebenso führt Weber aus: „Für die Entwicklung desjenigen Habitus, den ich (ad hoc und lediglich für meine Zwecke) ‚kapitalistischen Geist‘ getauft habe, kommt es | ganz offenbar darauf 756 an, wem die Toleranz im konkreten Fall zugute kam.“ Waren das, so fügt er hinzu, die asketischen Richtungen im Protestantismus, so wirkten sie regelmäßig im Sinne der Verbreitung dieses Geistes; aber diese Wirkung war nicht eigentlich Folge der Toleranz als solcher: „wo ‚asketische‘ protestantische Denominationen mit den anderen christlichen Denominationen gleichberechtigt konkurrieren, war die Regel, daß die ersteren die Träger des Geschäftslebens sind.“ Das ist wieder einmal das bewährte Fechterstückchen, – einen Popanz herzustellen, als Meinung des Gegners auszugeben und wacker drauf los zu pauken. Wo habe ich denn auch nur mit einem Wort die Toleranz als solche als Trägerin „kapitalistischen Geistes“ oder als wirkende Ursache kapitalistischer Entwicklung hingestellt? Wer immer meine Abhandlung mit einiger Aufmerksamkeit gelesen hat, wird mir zugestehen, daß ich die Toleranz für die ökonomische Entwicklung lediglich zu den kulturfördernden Faktoren rechne. Ich muß es mir doch sehr verbitten, daß mir eine so „kindli-

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che Psychologie“ zugeschrieben wird, als ob ich meinte, es gäbe einen überall gleichmäßig vorhandenen und normalen Erwerbstrieb, der mit dem Wegfall kirchlicher Bindungen sofort eo ipso in Aktion träte. Kann man mit Gegnern, die mit derartigen Suppositionen arbeiten, überhaupt noch diskutieren? Mit solchen Ungereimtheiten haben meine Ausführungen über Toleranz und Wirtschaft nichts gemeinsam. Ich habe lediglich (Abh[andlung] Sp.  1372 [lies: 1352] ff. ) ausgeführt, wie für die ökonomischen Schicksale der großen Nationen das Verhältnis von Einfluß war, in welchem bei ihnen Religion und Politik standen, und wie die freiere Gestaltung dieses Verhältnisses in der Tendenz zur Ausbildung einer staatlichen Toleranz in religiösen Dingen dem wirtschaftlichen Gedeihen der protestantischen Völker Vorschub leistete; sie war der Boden, dessen der kapitalistische Geist bedurfte, um feste Wurzel zu fassen und nicht der Verkümmerung ausgesetzt zu sein, und das ist nicht Konstruktion, sondern historische Tatsache. | Es ist selbstverständlich, daß da, wo die reformierte Ethik unter der Herrschaft des 757 Toleranzprinzipes die ökonomische Entwicklung vorwärts getrieben hat, das „nicht einfach Folge der Toleranz als solcher war“. Ich gebe auch weiterhin zu, daß unter der Herrschaft der Toleranz reformierte und pietistische Minderheiten vielfach vor den anderen christlichen Gruppen einen Vorsprung gewonnen haben, Träger kapitalistischer Entwicklung geworden sind, und daß dafür ihre spezielle Berufsethik eine Rolle gespielt haben mag.21) Aber leugnen muß ich, daß es da, „wo ‚asketische‘ protestantische Denominationen mit anderen christlichen Denominationen gleichberechtigt konkurrierten, die Regel war, daß die ersteren die Träger des Geschäftslebens sind.“ Wenn Weber jetzt abermals diese Behauptung ausspricht, so ignoriert er einfach denjenigen Teil meiner Abhandlung, worin ich für die Länder Westeuropas und für die Vereinigten Staaten von Nordamerika nachgewiesen habe, daß Weber und Troeltsch die Bedeutung des Kalvinismus, sowohl des genuinen als auch des puritanischen, für die Entwicklung des „Geschäftslebens“ übertreiben, daß vielmehr als Träger des kapitalistischen Geistes und der Kapitalbildung libertinistische, rationalistische, indifferente und aufklärerische Elemente in viel größerem Umfange in Betracht kommen, als man nach diesen beiden Autoren annehmen sollte.22)

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21)  Mehr als die Möglichkeit (allerdings in einem hohen Grade der Wahrscheinlichkeit) wird man, wie bisher die Sachlage immer noch ist, nicht behaupten können. Damit ist nun freilich Troeltsch nicht zufrieden. Ich hatte Webers These, daß die Lehre Baxters das praktische Leben entscheidend beeinflußt hätte, als eine „bloße Meinung“ gekennzeichnet. Troeltsch ist damit nicht einverstanden: „dafür gibt Rachfahl keinen Grund an. Jedenfalls hat er ihre Unwirksamkeit in diesem Falle nicht bewiesen, und die Übereinstimmung von Theorie und Praxis, für die Weber genug Beispiele bringt, braucht daher hier garnicht in Frage gestellt zu werden“. Eine sonderbare Art von historischer Methode! Die Verpflichtung des Beweises liegt doch wohl dem Autor einer These ob. Wo sind denn übrigens die Beispiele Webers für die Übereinstimmung zwischen Theorie und Praxis zu finden? Auch habe ich gar nicht die „Unwirksamkeit“ von Webers These „in diesem Falle“ behauptet. 22)  In meinen Aufsätzen hatte ich zur Korrektur der zumal von Weber vertretenen Ansicht vom kalvinistischen Monopol für die kapitalistische Entwicklung auf das lu758 therische Hamburg hingewiesen. | Dem gegenüber begnügt sich Weber (S.  184) „für jetzt von einer freundlichen brieflichen Mitteilung des Herrn Kollegen Adalbert Wahl in Hamburg Gebrauch zu machen“. Darnach reicht in charakteristischem Gegensatz zu

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Es lohnt sich, die Antikritik Webers, | insoweit sie sich mit diesem Teile meiner 758 Abhandlung beschäftigt, etwas schärfer unter die Lupe zu nehmen. Ich richte, so hält er mir vor, das Augenmerk viel zu sehr auf die „großen Geldleute, die ökonomischen Übermenschen“, während doch die Repräsentanten des kapitalistischen Geistes vielmehr gerade „in den bürgerlichen aufstrebenden Mittelständen“ zu suchen sind, welche die Träger der puritanischen Lebensauffassung waren. Gewiß kann auch ein Flickschuster in der Verwertung seiner Arbeit Gaben entfalten, die man „kapitalistischen Geist“ zu nennen sich versucht fühlen möchte: aber sollten sich nicht – wir kommen noch darauf zu sprechen – Untersuchungen über die Geschichte des „kapitalistischen Geistes“ lieber solche Verhältnisse zum Objekte wählen, wo wirklich der Kapitalismus das Substrat des „kapitalistischen Geistes“ ist? Die „bürgerlichen Mittelklassen“, wie sehr sie auch aufstrebten, ihre ökonomische und soziale Position verbesserten, sind doch als solche nicht zu Trägern des Kapitals und des kapitalistischen Systems geworden, und so dürfte es für Fragen, die im weitesten Umfange mit der Geschichte des Kapitals zusammenhängen, doch geraten sein, den Blick vornehmlich auf die „großen Geldleute“ und „auf die ökonomischen Übermenschen“ zu lenken, d. h. auf die Entstehung der großen Vermögen23) und den „Geist“ zu ergründen, der dabei wirksam war. | Einen ernsthaften Versuch, meinen Nachweis, daß kapitalistische Entwicklung und 759 „kapitalistischer Geist“ in seinem Sinne keineswegs in dem von ihm angedeuteten Verhältnisse stehen, im einzelnen zu bestreiten, hat Weber nicht einmal gewagt. Was Frankreich betrifft, so begnügt er sich mit dem Ausrufe: „Noch schlimmer freilich, daß er (sc. Rachfahl) von der Bedeutung des Hugenottentums und seiner Beziehungen zur Industrie einfach gar nichts weiß!“ Noch nie ist mir meine Ignoranz so fürchterlich zum Bewußtsein gekommen. Für England hatte ich (Sp.  1203 [lies: 1293]) darauf hingewiesen, daß Kapitalismus und „kapitalistischer Geist“ schlechthin bereits im 16. Jahrhundert wirksam waren, also vor dem Eindringen der reformierten Berufsethik, und daß auch später, unbeeinflußt von dieser, Kapitalismus und kapitalistischer Geist ihre Wege gegangen sind. Das veranlaßt Weber abermals zu einem Ausrufe, der meine ganze Torheit an den Pranger stellt: „Was aber ist das für ein Methodiker, der die sonderbare These aufstellt: in England sei die ‚Existenz des kapitalistischen Geistes auch ohne dies‘ (das religiöse Moment) zu begreifen, ‚obschon wir keineswegs seinen Einfluß leugnen wollen‘. Also ein ‚Moment‘, welches kausal wichtig war, welches aber dennoch der ‚Historiker‘ auch als irrelevant beiseite lassen kann, wenn er jenen Zusammenhang dem ihm (A. Wahl) von früher bekannten Verhältnissen in dem reformierten Basel mit seinem sparsam festgehaltenen Reichtum des alten Patriziates, in Hamburg „keines der bedeutenden Familienvermögen, auch der als altvererbt geltenden, in das 17. Jahrhundert zurück, – mit einer einzigen Ausnahme: und diese bildet eine bekannte reformierte Familie.“ Ich weiß nicht, ob Weber dem Briefschreiber einen besonderen Dienst mit der Wiedergabe dieser Äußerung erwiesen hat. Einmal ist, worauf mich ein Kollege von auswärts aufmerksam macht, der Reichtum einer Überseehandelsstadt viel beweglicher und unsicherer, als der einer Industriestadt, wie Basel. Sodann kommt es in diesem Falle auf die ökonomische Stellung und Bedeutung Hamburgs nach der Mitte des 16. Jahrhunderts an, auf den seit diesem Zeitpunkte unverkennbaren wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt, nicht auf die Provenienz des heutigen Hamburger Großkapitals. 23)  Anderwärts weiß Weber freilich sehr genau, daß dies das wahre Problem ist, wenigstens benutzt | er sehr gern Wahls Mitteilung über Hamburg bezüglich der jetzt „be- 759 deutenden Familienvermögen, auch der altererbten“; vergl. die vorige Anmerkung. |

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‚begreifen‘ will.“ Was mit meinem Satze gesagt sein sollte, ist wohl jedermann klar, außer dem wahren „Methodiker“ Weber: der kapitalistische Geist ist nicht einfach, wie Weber behauptet, in England aus der kalvinistischen Berufsethik hervorgegangen; aber diese kann seine Ausbildung in der Folgezeit gefördert und seine Wirkungen erhöht haben. Aber nicht nur als „Methodiker“ errege ich Webers Anstoß, sondern auch als „Historiker“. Weil mir die puritanische Berufsethik, so läßt sich Weber vernehmen, nicht sympathisch ist und nicht in das begriffliche Schema hineinpaßt, welches ich mir vom Gange der Entwicklung der protestantischen Ethik gemacht habe, „wie er – eigentlich hätte sein sollen“, bewerfe ich sie mit Werturteilen, wie Verzerrung u. dergl.; entrüstet 760 fragt er: „was ist das für eine Art von ‚Historiker‘?“ Der Satz, dem Webers Ent|rüstung gilt, lautete (Sp.  1325): „Und gewisse Eigenschaften, die Weber bereits im puritanischen Kapitalismus feststellt, wie selbstgerechte und nüchterne Legalität, Bewußtsein der Tadellosigkeit, formalistisch harter Charakter, pharisäisch gutes Gewissen usw., sind, wenn sie wirklich von ihren Trägern aus der kalvinischen Berufsethik abgeleitet, oder, wenn diese von ihnen als Rechtfertigung und Basis solcher Handlungsweise herangezogen wurde, als Auswüchse und Verzerrungen zu bezeichnen, als eine Verkümmerung des wahren Wesens reformierter Sittlichkeit.“ Man erkennt aus dem Wortlaute, aus dem beigefügten Wörtchen „wirklich“, daß ich hier nur hypothetisch spreche24); ich lasse deutlich genug den Zweifel durchblicken, ob diese Züge, wenn sie sich gleich im puritanischen Kapitalismus finden, so ohne weiteres auch zur puritanischen Berufsethik gehören. Wenn mir Herr Weber auf diese Sachlage hin die Qualität als „Historiker“ abspricht, so werde ich das zu ertragen wissen; darin aber eine „Bewertung“ puritanischer Ethik25) zu erblicken, dazu gehört eine Aufgeregtheit, die Augenmaß und billiges Urteil ganz und gar geraubt hat. Nicht minder unsubstanziiert ist Webers Antikritik hinsichtlich der Entwickelung in den Vereinigten Staaten. Er hilft sich hier mit einer längeren Anmerkung (188 Anm.  14), worin er sich in Erörterungen ergeht, die mit dem, was ich ihm entgegengehalten 761 habe, | zum Teile keine Beziehung haben, und auf die ich einzugehen daher keinen Anlaß habe.26) Hier insbesondere variiert er das Thema, daß sein Habitus des kapitali-

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24)  Als einen weiteren Beleg dafür, wie Weber mit hypothetisch verschränkten Urteilen des Gegners umspringt, führe ich an seinen Satz S.  194 Anm.  23: „Wo ich von einer ‚absoluten‘ Herrschaft des Puritanismus im englischen Wirtschaftsleben gesprochen haben soll, ist mir unverständlich.“ Meine Bemerkung (Sp.  1293) lautete: „Nur eine Episode in der politischen Geschichte Englands war die volle Herrschaft des Puritanismus, und keineswegs ist die Frage schon vollkommen spruchreif, welches seine Bedeutung für die englische Wirtschaftsgeschichte ist, ob er auch auf diesem Gebiet jemals eine so absolute Herrschaft ausgeübt hat, wie es nach Weber der Fall sein müßte“, d. h. wenn die Webersche These von Wesen und Herkunft des „kapitalistischen Geistes“ richtig wäre. Das ist wohl doch etwas ganz Anderes. 25) Troeltsch hinwiederum schreibt auf Grund dieser Ausführungen (ich wüßte nicht, welche Stellen er sonst dabei im Augen haben könnte) meiner Abhandlung „starke allgemein moralische Allüren“ zu; in pikantem Kontrast dazu findet er, daß manche meiner Sätze „zum barsten Geschichtsmaterialismus“ führen könnten. Ich notiere das nur, um die „Allüren“ der Polemik von Troeltsch zu beleuchten. | 26)  So hält er mir vor, daß mir „die innere Entwicklung Pennsylvaniens, die tragi761 schen Konflikte der Quäkerethik mit der ‚Welt‘ und ebenso die .  .  . Intensität der aus

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stischen Geistes es gar nicht mit dem Großkapitalismus zu tun habe. Für die Existenz eines „kapitalistischen Geistes“ in Nordamerika im 17. Jahrhundert, der diesen Namen verdienen würde, bringt er auch jetzt noch keinen Nachweis, sondern nur dafür, daß hier ein Geist des Fleißes, der Sparsamkeit, Strebsamkeit und ernster Berufsauffassung gewaltet hat; darin aber wird man schwerlich schon die Spuren eines „kapitalistischen Geistes“ entdecken und höchstens daraus schließen, daß Webers Habitus „kapitalistischen Geistes“ gar nicht als „kapitalistischer Geist“ gelten kann. Es ist ihm sehr unangenehm, daß ich ihn darauf festgenagelt habe, daß er hier aus der frühen Blüte des Handwerks auf die Existenz kapitalistischen Geistes geschlossen hat. Da zieht er denn flugs wieder meine Historiker-Qualität in Zweifel: „daß ein Historiker kein Unterscheidungsvermögen für die ökonomischen Existenzbedingungen des Gewerbes in einem Kolonialland, wie das alte Neuengland es war, und im europäischen Mittelalter hat – wie die höhnische, aber meines Erachtens etwas lächerliche Bemerkung Sp.  1294 unten zeigt – ist schlimm genug“. Hier handelt es sich einfach um die Frage, ob kapitalistischer Geist nachweisbar ist, und aus einer noch so frühen Blüte des Handwerkes darf das eben noch nicht geschlossen werden. Das Handwerk des deutschen Mittelalters mußte sich gleichfalls aus primitiven ökonomischen Bedingungen, aus dem Zustande der Naturalwirtschaft heraus in die Höhe arbeiten, | wie das im amerikani- 762 schen Koloniallande; im Gegenteile konnten hier durch die Beeinflussung von Europa aus mit seinen entwickelteren Zuständen viel schnellere Fortschritte erzielt werden. Die Quintessenz der Ansichten Webers über das Verhältnis von puritanischem Lebensstil und kapitalistischem Systeme in Nordamerika gibt jetzt der folgende Satz (192 Anm.  22a): „Ich habe aus dem Auftauchen des ‚kapitalistischen Geistes‘ (in meinem Sinne!) an einer Stelle, wo die ökonomischen Bedingungen dafür (damals noch!) so ungünstig wie möglich waren, gerade geschlossen, daß die Methodik der Lebensführung, welche (damals) Neuengland und Pennsylvanien beherrschte, von sich aus die Antriebe dazu in sich barg. Daß ein solcher Keim dann der erforderlichen ‚Bedingungen‘ bedurfte, um zur Entstehung eines kapitalistischen ‚Wirtschaftssystems‘ mitwirken (mitwirken!) zu können .  .  . habe ich .  .  . gesagt.“ Tatsächlich sind für die Entstehung und Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, als die „Bedingungen“ dafür gegeben waren, in Nordamerika in der Hauptsache ganz andere Faktoren maßgebend gewesen, und die Mitwirkung der „Methodik der Lebensführung“ war, wenn sie stattfand, eine recht bescheidene. Am luftigsten sind die Vorstellungen, die sich Weber über den Gang der Dinge in Holland gebildet hat, und der Kommentar, den ich dazu geliefert habe, hat Webers hellsten Zorn entfacht. Ich muß hier etwas länger verweilen, zumal da Weber für Holland – abermals mit Freundeshilfe – ein neues Argument vorgebracht hat, dem er zugleich eine fundamentale Bedeutung für seine These überhaupt zuschreibt. Weil er in dem bekannten Ausspruche, „die Ketzerei“ begünstige den Handelsgeist, unter „KetAskese und Rationalismus gemischten Lebensluft .  .  . in ihrer Rolle für Lebensstil und Berufsauffassung völlig unbekannt zu sein scheint“ u. dgl. m. Meine Aufgabe war es, den wirklichen Manifestationen „kapitalistischen Geistes“ nachzugehen, nicht aber über Sachen zu reden, die Weber interessieren, mit meinem Thema aber eben nicht viel zu schaffen haben. Wer wird die Einwirkungen des Puritanismus auf die gesellschaftliche Entwicklung in den Vereinigten Staaten, auf den hier noch heutzutage herrschenden Lebensstil leugnen? Aber er war nicht der Boden für die Anfänge des kapitalistischen Systems im 18. Jahrhundert. |

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zerei“ schlechtweg Kalvinismus verstand, hatte ich ihm bedeutet, daß er von der eigentlichen Art der holländischen „Ketzerei“ wenig wisse. Darüber ist er sehr entrüstet. Er nennt das „ein starkes Stück“, da ich selber „nichts Neues von Belang“ darüber beigebracht habe, und erwidert, daß er sehr wohl vom Arminianismus in den führenden Schichten des holländischen Großbürgertums geredet habe. Ich kann darauf nur antworten, daß das Problem der „holländischen Ketzerei“ mit dem späteren Gegensatze 763 zwischen Arminianismus und kalvinisch-orthodoxer Theo|logie noch keineswegs erschöpft ist.27) Mit welcher Kunst es Weber versteht, aus den Schriften des Gegners etwas ganz anderes herauszulesen, als drin steht, dafür hier ein besonders schlagendes Beispiel. Ich hatte (Sp.  1290 f.) von dem „Siege“ gesprochen, den die Orthodoxie mit Hilfe des Prinzen Moritz und einer bestimmten Amsterdamschen Kapitalistenklique auf der Synode zu Dordrecht über den Arminianismus errang, und hinzugefügt, daß ihr dieser „Sieg“, da sie ihn nicht aus eigener Kraft gewonnen hatte, keine Frucht auf die Dauer zu bringen vermochte: es ist bekannt, daß die Orthodoxie trotz ihres damaligen Triumphes nicht einmal den Arminianismus auszurotten, geschweige denn eine wirkliche Herrschaftsstellung durch Unterdrückung aller abweichenden freieren Regungen zu behaupten im Stande war. Damit habe ich natürlich nicht bestreiten wollen, daß sie auch weiterhin noch große Massen hinter sich hatte, ein starker Machtfaktor blieb; aber sie hat weder dem Staate noch auch der Kultur in Holland ihr eigentümliches Gepräge aufzudrücken vermocht. Was macht Weber (S.  187, Anm.  14) daraus? „Daß ein Historiker von den Dordrechter Dekreten als von etwas für Holland fast Irrelevantem reden kann, ist nur verständlich, wenn er von der modernen holländischen Kirchen- und poli764 tischen Geschichte | keine Ahnung hat.“ Jede Bemerkung darauf ist überflüssig. Kurz zuvor hatte er bezweifelt, daß ich über die holländischen Dinge mehr wisse als er. Das ist sehr unvorsichtig, denn das gibt immerhin der Deutung Raum, daß der eine ungefähr soviel wisse wie der andere, und da er mir andererseits hinwiederum vorwirft, daß ich „gar keine Ahnung“ habe, so könnte man daraus den Schluß ziehen, daß es nach seinem eigenen Eingeständnis mit seiner Kennerschaft auf diesem Gebiete nicht gerade von sehr weit her ist. Aber Weber hat noch einen neuen Beweis nicht nur für die Richtigkeit seiner Auffassung der holländischen Verhältnisse, sondern auch für seine These überhaupt. Er hat

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27) Nicht minder verzerrt gibt Troeltsch meine Ansichten hier wieder. Spalte 463 schiebt er mir den Satz unter, daß die Niederlande „zu ihrem ihnen eigentlich natürlichen Geiste, der erasmischen Aufklärung, und damit zur historischen Größe erst durch den Arminianismus gelangt“ seien! Wo habe ich solchen Unsinn gesagt? In dieselbe Kategorie gehört es, wenn er behauptet, ich sähe „im Arminianismus nur den Geist der Niederlande zu sich selber kommen“. Gegen diesen Ausspruch, den ich, nebenbei gesagt, nie getan habe, erhebt er den Einwand, man könne dann „ebensogut behaupten, daß der deutsche Geist erst im Altkatholizismus sich erfaßt habe“. Sollte nicht immerhin der Arminianismus in der holländischen Geistesgeschichte eine etwas andere Rolle spielen, als in der deutschen der Altkatholizismus? Wenn er endlich die Meinung, daß „Erasmus den niederländischen Nationalgeist darstellt, für eine unbegreifliche Übertreibung hält, so mag er sich doch mit Busken-Huet, der sonst Webers Autorität für Holland ist, auseinandersetzen, der (Rembrandts Heimat I 120) das Urteil gefällt hat: „Trotz der reformierten Staatskirche und des Heidelberger Katechismus läßt sich die allgemeine Denkweise der Holländer mit den Worten bezeichnen: La Hollande est de la religion d’Erasme.“ |

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ihn nicht selbst gefunden; er verdankt ihn der Mitteilung seines „Herrn Kollegen H. Levy“, wodurch also die „besonders glücklich sich ergänzende Arbeitsgemeinschaft in Heidelberg“ um ein neues Mitglied bereichert worden ist. Das von Herrn Levy gelieferte Argument stammt aus Pettys Political Arithmetic (S.  23), einem Werk, das ich, wie Weber mir strafend vorhält, doch sonst „recht gut“ kenne und sogar einmal als Autorität gegen ihn, wenngleich „sehr verkehrter Weise“, verwertet habe. Indem nämlich Petty davon spricht, daß die Holländer mit Spanien gebrochen hätten, um dem Drucke des Klerus zu entrinnen, fährt er fort: „Dissenters of this kind, are for the most part, thinking, sober and patient Men, and such as believe that Labour and Industry is their Duty towards God.“ Triumphierend ruft Weber nun aus: „Mir scheint fast, daß die Stelle so sehr geeignet ist, eine der Grundthesen meines Aufsatzes zu einem, leider unbewußten, Plagiat an Petty zu stempeln, daß ich dem Leser die Wahl zwischen der Autorität Pettys und derjenigen meines modernen Kritikers überlassen darf, und scheide also meinerseits aus dieser Diskussion aus.“ Ich freue mich einerseits, Weber von diesem Selbstvorwurfe des Plagiates entlasten zu dürfen, bedaure aber andererseits lebhaft, nicht zugestehen zu können, daß er aus der Diskussion ausscheidet. Denn was sagt denn Petty eigentlich? Nichts weiter, als daß die Holländer „Arbeit und Fleiß“ als ihre Pflicht gegen Gott betrachten. Das hat aber nichts mit irgendwelcher „asketischer Berufsethik“ zu tun; das hat auch Luther gelehrt, der dem Christenmenschen den Müßiggang verbot, | nicht nur, um der Übung seines Leibes willen, sondern seiner gött- 765 lichen Bestimmung halber, weil er „zum Arbeiten geboren ist, wie der Vogel zum Fliegen“.28) Keinesfalls hat das etwas mit dem „kapitalistischen Geiste“ von irgendwelchem „Habitus“ zu tun; es gilt ebensogut für den Tagelöhner, der von der Hand in den Mund lebt, und hat nicht im geringsten etwa die Bedeutung, wie die von Weber herangezogenen Aussprüche Baxters über die Profitlichkeit des Kapitals. Daß Petty dabei an Kapitalismus und Kapitalisten nicht denkt, zeigt der bei ihm auf die zitierte Stelle folgende Passus: „These people believing the Justice of God, and seeing the most licentious persons, to enjoy most of the World, and its best Things, will never venture to be of the same Religion, and Profession with Voluptuaries, and Men of extreme Wealth and Power, who they think have their Portion in this World.“ Weber verbirgt diese Stelle keineswegs vor dem Leser; er findet sich aber mit ihr in seiner Weise ab, indem er eben daraus schließt, die Träger des kapitalistischen Geistes (daß es sich darum handelt, wird einzig aus den Worten labour and industry geschlossen) seien eben nicht die Großkapitalisten, sondern deren Gegner, die wesentlich breiteren Schichten bürgerlicher, aufsteigender Mittelstände. Dabei passiert ihm das Mißgeschick, daß er die Worte „these people“, welche sich offenbar auf die Holländer zur Zeit des Aufstandes beziehen, ganz sinnwidrig glossiert: „nämlich die puritanischen Dissenter“ (Antikritik S.  188). Die „holländische Ketzerei“ zur Zeit des Bruches mit Spanien hat mit den puritanischen Dissenters gar nichts zu tun, und Weber „hob“ ja, wie ihm Troeltsch (Sp.  452) bezeugt, „ausdrücklich hervor“, daß es sich bei seiner These „nicht um eine unmittelbare Wirkung des primitiven Genfer Kalvinismus, sondern um eine solche des späteren puritanischen Kalvinismus handle“. Oder gibt Troeltsch hier einmal wieder Webers Intentionen unrichtig wieder? Keinesfalls ist es leicht, aus diesem Labyrinth der Irrsale und Widersprüche einen Ausweg zu finden. Dazu kommt aber noch etwas ganz anderes: Petty schrieb sein Buch etwa hundert Jahre nach dem Bruche Hollands mit Spanien, zu 28) 

Vergl. z. B. K. Eger, Die Anschauungen Luthers vom Beruf. 1900. S.  152. |

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766 einer Zeit, | da die Engländer bereits die Holländer zu überflügeln begannen und jene Entwicklung einsetzte, derzufolge der Holländer vom Unternehmer „kapitalistischen Geistes“ zum Rentner, d. h. zum Kapitalisten des „traditionalistischen“ Typus Webers, herabsank; er kann also keineswegs als eine Quelle für diejenige Epoche der holländischen Wirtschaftsgeschichte angesehen werden, in welche die eigentlichen Manifestationen kapitalistischen Geistes für Holland fallen; was er gibt, trägt überhaupt den Charakter einer zufälligen subjektiven Bemerkung, und er denkt dabei an eine bestimmte – nicht kapitalistische – Klasse der holländischen Bevölkerung zu seiner eigenen Zeit, der er ganz willkürlich für die Ausbildung des Toleranzgedankens in Holland eine Bedeutung zuschreibt, die den tatsächlichen Verhältnissen nicht unbedingt entspricht. Aber solche Erwägungen verursachen dem korrekten „Methodiker“ Weber keine Bedenken. Wie man sieht, hat Weber mit seinen freiwilligen Mitarbeitern wenig Glück; er sollte sich doch ihre Beiträge etwas näher ansehen, ehe er sie, allzu gutgläubig, akzeptiert. Und der neueste Akt „soziologischer Befruchtung des wissenschaftlichen Denkens gerade dieser Südwestecke Deutschlands“ hat ein recht bescheidenes Produkt gezeitigt.29) |

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29)  Nicht einmal beim Ausbruche des Aufstandes war das kalvinistische Element in der Geschäfts- und Handelswelt alleinherrschend. Wenn Weber die Publikationen Groens van Prinsterer wirklich kennen würde (daß er sie nicht kennt, hindert ihn freilich nicht, Prinsterer als Autorität auf wirtschaftsgeschichtlichem Gebiete gegen mich auszuspielen), würde er über die „holländische Ketzerei und ihr Verhältnis zur kapitalistischen Entwicklung“ einigermaßen besser gegründete Vorstellungen haben. Sehr interessant ist z. B. (Archives de la maison d’Orange-Nassau I, T. II S.  328 ff.) die Note sur la situation d’Anvers, in der sich ein Verzeichnis der hervorragendsten Kalvinisten und Lutheraner Antwerpens findet. Für beide Bekenntnisse ist die Zugehörigkeit zu den einzelnen Berufsständen ungefähr dieselbe, und reiche Kaufleute finden sich hier wie da. Es gab wohl einige sehr reiche Kaufleute, die sich zu den Kalvinisten hielten (darunter einige spanische Judenchristen, bei denen der kapitalistische Geist also vom „Judaismus“, nicht von der reformierten „Askese“ kam); aber bei den Straßenkämpfen im März 1567 machten die Kaufleute, und nicht nur die fremden, gemeinsame Sache mit den Katholiken gegen die Kalvinisten, zu denen „la plus grande partie des citoyens des mestiers“ gehörte, und die sich zumeist aus dem raublustigen Proletariat rekrutierten. Was es mit der „holländischen Ketzerei“ jener Zeit für eine Bewandtnis hat, das 767 zeigt der | auf der kalvinistischen Liste befindliche Name: „Me Jan Rubens echevin de leur temps“. Es ist dies jener Dr. Rubens, der nachher im Exil der Geliebte der Prinzessin Anna von Oranien wurde: dieses Muster von „Askese“ hielt sich später in Deutschland zum Luthertum und gab von seinem Gefängnisse in Dillenburg aus der Gattin den Rat, nach Antwerpen zurückzukehren und „katholisch zu leben“; das tat sie denn auch nach seinem Tode, wodurch ihr Sohn, der berühmte Maler, zum Katholizismus zurückgeführt wurde. Und unter den niederländischen Exulanten, die als Träger höheren Wirtschaftslebens wirksam in Deutschland waren, gab es auch Lutheraner. In Frankfurt a. M. sind Großkaufmannstand, Industrie und Exporthandel durch die niederländische Einwanderung entstanden; an ihr waren wohl großenteils, nicht aber ausschließlich Kalvinisten beteiligt, worauf Heldmann in seiner im letzten Heft der Jahrb[ücher] für Nat[ional]-Ök[onomie] erschienenen Besprechung von Bothe (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Reichsstadt Frankfurt [1906]) aufmerksam macht. |

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Ich komme jetzt zum Hauptvorwurf, den Weber meiner Kritik macht, und in den Troeltsch natürlich (Sp.  452) einstimmt, gleich als ob er nie den Genossen mißverstanden hätte, daß ich nämlich gegen etwas polemisiere, was er (Weber) nun und nimmer gesagt hätte. Niemals, so betont Weber mit Energie, habe er behauptet, daß man das kapitalistische Wirtschaftssystem aus religiösen Motiven überhaupt oder aus der Berufsethik des „asketischen“ Protestantismus ableiten könne. Er selber habe, wie er hinzufügt, diese Unterstellung „töricht“ genannt und hervorgehoben, daß es kapitalistischen Geist | ohne kapitalistische Wirtschaft und umgekehrt geben könne: trotzdem 768 hätte ich in meiner Kritik diese „Unterstellung“ gegen ihn gebracht. Nichts ist unrichtiger als das. Ausdrücklich habe ich im Eingange meines Resumés seiner Theorie (Sp.  1219) erklärt: „Nicht als ob Weber den Kapitalismus schlechthin aus dem Kalvinismus ableiten wollte. Er verwahrt sich dagegen, ‚eine so töricht-doktrinäre These‘ verfechten zu wollen, ‚wie etwa, daß der kapitalistische Geist oder wohl gar der Kapitalismus nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation hätte entstehen können.‘“ | Wenn es auch kapitalistischen Geist ohne kapitalistisches Wirtschaftssystem geben [775] kann, so hat es doch für die Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit nur Wert, den Manifestationen kapitalistischen Geistes nachzugehen, wenn er von der Tendenz getragen war und dazu beigetragen hat, Kapital zu sammeln, das kapitalistische Wirtschaftssystem zu statuieren, aufrecht zu erhalten und auszubauen. Und gewiß hat Weber ausgesprochen, daß es kapitalistische Wirtschaft ohne kapitalistischen Geist gebe. Ich habe ihm aber gar nicht „unterstellt“, daß er das kapitalistische Wirtschaftssystem nur aus religiösen Motiven abgeleitet habe; bloß darauf habe ich vielmehr aufmerksam gemacht, daß es bei Webers Fassung des kapitalistischen Geistes unendlich viel Kapitalismus gibt, der ohne kapitalistischen Geist entstanden sein müßte, und daß sein „kapitalistischer Geist“ eben nicht imstande ist, die Kapitalsbildung und das kapitalistische Wirtschaftssystem der Neuzeit auch nur annähernd zu erklären, daß er ihm weiterhin einen viel zu großen Einfluß auf diesem Gebiete zugeschrieben hat. Es ist aber nicht nur eine falsche Unterstellung, so setzt Weber auseinander, wenn man ihm vorwirft, er hätte den Kapitalismus der Neuzeit aus der Reformation ableiten wollen, sondern auch wenn man von ihm behauptet, daß er das gleiche bezüglich des kapitalistischen Geistes für die Neuzeit versucht hätte: keineswegs habe er die ursprünglich religiös bedingten Momente asketischen | Charakters mit dem kapitalisti- 776 schen Geiste identifiziert, sondern sie nur als einen konstitutiven Bestandteil neben andern hingestellt. Es war, wie er versichert, lediglich sein Ziel, „eine bestimmte konstitutive Komponente des Lebensstiles, der an der Wiege des modernen Kapitalismus stand, an dem sie – mit zahlreichen anderen Mächten – mitgebaut, zu analysieren und in ihren Wandlungen und ihrem Schwinden zu verfolgen“. Der kapitalistische Geist, wie er ihn versteht, ist also nicht der kapitalistische Geist der Neuzeit in seinem ganzen Umfange, sondern nur eine bestimmte Art oder ein bestimmter „Habitus kapitalistischen Geistes“, der durch Aktivität im Berufsleben und asketischen Sparzwang charakterisiert wird, und nur diesen will er auf Wesen, Herkunft und Wirkungen untersuchen. Kapitalistischer Geist ist ihm somit identisch mit Berufsethik, angewandt auf das Erwerbsleben und verbunden mit asketischem Sparzwang. Die ganze Frage spitzt sich (S.  183) für ihn zu nach der Entwicklung desjenigen Habitus, den er (ad hoc und ledig-

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lich für seine Zwecke) ‚kapitalistischen Geist‘ getauft hat. Und feierlich wäscht er seine Hände in Unschuld, wenn seine scheinbaren Anhänger durch eine falsche Auffassung seiner These Unheil gestiftet haben: „Dafür verantwortlich zu sein, wenn andere die von mir ausdrücklich und mit denkbar größtem Nachdrucke als eine Einzelkompo777 nente bezeichneten religiösen Momente verabsolutieren und mit dem ‚Geist‘ | des Kapitalismus überhaupt identifizieren oder gar den Kapitalismus daraus ableiten, – habe ich schon einmal abgelehnt. Ein solcher Versuch wird nicht dadurch bekämpft, daß man eine Reihe anderer Komponenten aufzählt, die zu jeder Zeit kapitalistische Expansion begleitet haben, wie kein Mensch bezweifelt.“ Der „kapitalistische Geist“, von dem Weber gehandelt hat, ist also gar nicht der „kapitalistische Geist“ schlechthin, sondern eine besondere Spezies von „kapitalistischem Geist“, der erst in der Neuzeit aufgekommen ist30), oder anders ausgedrückt, ein Zug des allgemeinen kapitalistischen Geistes, den dieser in der Neuzeit unter dem Einflusse des „asketischen“ Protestantismus angenommen hat; daneben ist auch der ältere Typus bestehen geblieben. Webers „kapitalistischer Geist“ ist also nicht einmal identisch mit dem „kapitalistischen Geiste“ der Neuzeit in seiner Totalität. Er bedeutet lediglich eine Redefigur, und zwar diejenige, die man schulgemäß pars pro toto nennt. Noch niemals hat sich Weber so bestimmt und klar über das Verhältnis seines kapitalistischen Geistes zum kapitalistischen Geiste überhaupt ausgesprochen, mit aller Schärfe anerkannt, daß es sich dabei nur um einen besonderen Zug, eine bestimmte Nuance des kapitalistischen Geistes auch in der Neuzeit handelt. Er hat sich vielmehr bisher über diesen Punkt nur ziemlich schwer faßbar geäußert; denn sonst hätte er doch wohl nicht allein von seinen Gegnern, sondern auch gerade von seinen Anhängern so bedauerlich mißverstanden werden können; wir kommen darauf noch bald zurück. Früher hatte er31) gesprochen von der aus dem Geiste der christlichen Askese geborenen rationalen Lebensführung auf Grund der Berufsidee als einem „konstitutiven Bestandteil des kapitalistischen Geistes“. Dieser Ausdruck ließ noch zwei Deutungen Raum. Wollte er damit sagen: Das religiös-asketische Moment und das Produkt seiner Säkularisation ist im modernen kapitalistischen Stile eine konstitutive Komponente, und zwar, wie er jetzt ausdrücklich betont, „neben anderen“, und nämlich solchen (so fügen wir 778 hinzu), die ihm gleichwertig | sind? Oder gibt es andere gleichwertige Komponenten nicht, so daß es ein konstitutiver Faktor ist, nämlich in dem Sinne, daß es ein Faktor neben anderen ist, aber der konstitutive, durch den schließlich das Wesen des kapitalistischen Geistes in der Neuzeit bestimmt wird? Ich glaube, daß die zweite Deutung ursprünglich seinen Intentionen in höherem Grade entsprach. Denn das bezeichnete er ja von Anfang an als seine Aufgabe, die religiösen Einflüsse festzustellen, die „bei der qualitativen Prägung und quantitativen Expansion“ des kapitalistischen Geistes mitbeteiligt gewesen sind. M. a. W.: er nahm an, daß bestimmte Züge, die für das Wesen des kapitalistischen Geistes der Neuzeit charakteristisch seien, aus den von ihm ins Auge gefaßten religiösen Momenten stammten, und daß diese weiterhin die räumliche Verbreitung des Kapitalismus, wo wir ihn immer seit der Reformation diesseits und jenseits des Ozeans finden, zum mindesten stark gefördert haben.

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30) 

Vgl. S.  200: „Geist des (in meinem Falle: des neuzeitlichen) Kapitalismus“; dazu Anm.  34: „Denn nur von diesem ist ja bei mir die Rede“. 31)  Archiv 21, S.  107. |

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Dem gegenüber muß ich feststellen: Ich habe nirgends die von Weber reprobierte Identifikation von Bestandteilen, die aus religiös-„asketischer“ Wurzel stammen, und kapitalistischem Geiste der Neuzeit überhaupt vorgenommen. Ich habe im Gegenteil stets zwischen „kapitalistischem Geiste“ im Sinne Webers und „kapitalistischem Geiste“ im üblichen Sinne oder schlechthin unterschieden. Weber hat diese meine Ausführungen, indem er sie zitierte, mit einem Ausrufungszeichen versehen; er wird aber wohl nicht behaupten wollen, daß der Begriff vom kapitalistischen Geiste, wie er ihn geprägt hat, der „übliche“ sei; denn bisher hat noch niemand asketisches Verhalten gegenüber dem Reichtum (wie Weber das beim Unternehmer „neuen Stils“ getan hat) als ein wesentliches Merkmal des Begriffes vom kapitalistischen Geiste gehalten. Ich leugne es nicht, daß diese Verbindung oft genug vorkommen mag, und daß sie in hohem Grade geeignet ist, wo sie vorhanden ist, sei es bei einem einzelnen, das Emporkommen, sei es[,] wo sie gleichsam als Massenerscheinung auftritt, die kapitalistische Entwicklung ganzer Gruppen und der gesamten Volkswirtschaft zu fördern. Charakteristisch ist sie aber nicht für das Wesen des kapitalistischen Geistes, wie sehr sie auch seine Wirksamkeit zu verstärken imstande ist, und er vermag ihrer auch recht gut zu entraten, | wo er 779 sonst mit der nötigen Intensität ausgestattet ist, und wo schon vorhandene Kapitalansammlung es erlaubt. Keineswegs habe ich somit, um den von Weber gebrauchten Ausdruck zu akzeptieren, die von ihm als Einzelkomponente bezeichneten religiösen Momente „verabsolutiert“. Ich habe nur darauf hingewiesen, daß diese Einzelkomponente nicht bestimmend ist für das Wesen des kapitalistischen Geistes in der Neuzeit, daß sie also keine „konstitutive“ Bedeutung hat, und daß sie nicht entfernt ausreicht, das kapitalistische System der Neuzeit zu erklären. Eben dies gibt ja Weber jetzt selber zu, wenn er jetzt ausführt (S.  193 f.): Der kapitalistische Geist, mit dem er sich beschäftige, beziehe sich gar nicht auf die großkapitalistische Entwickelung: von jeher gebe es den Typus der skrupellosen moneymaker vom Altertum an bis zum Imperialismus der City. Mit andern Worten: Es gibt, wie Troeltsch (Sp.  452) sagt, einen zu allen Zeiten wirksam gewesenen Erwerbstrieb32), der aber für den „kapitalistischen Geist“ als nichts spezifisch modern-kapitalistisches außer Acht bleiben kann. Demgemäß erklärt es Weber (S.  186 Anm.  14) für falsch, wenn bei der Untersuchung über die Geschichte des kapitalistischen Geistes, das „Auge nur an den, in Nichts Wesentlichem von den Erscheinungen aller Zeiten und Ländern unterschiedenen großen Geldleuten haftet“ .  .  . „Es sind eben nicht die, in allen Zeitaltern kommerzieller oder kolonialer Expansion immer wiederkehrenden ganz großen Konzessionäre und 32)  Die Schwäche der psychologischen Position des „Erwerbstriebes“ ist mir sehr 779 wohl bekannt. Aber Weber sagt selbst (S.  153) „Ganz entbehrlich ist er wohl nicht“, und auch Troeltsch (s. o.) kommt nicht um ihn herum. Seine Erhebung von einem „naivtriebhaften, irrationalen Faktor auf das Niveau des Rationalen“ innerhalb der christlichen Kulturwelt ist aber keineswegs lediglich das Werk „asketisch“-reformierter Berufsethik oder eines Prozesses ihrer Säkularisierung. Wenn mir Weber weiterhin vorhält, er habe sich über das Verhältnis des Erwerbstriebes zum kapitalistischen Geiste „so eindeutig ausgesprochen, daß ich diese Erörterung nur aus bösem Willen oder Vergeßlichkeit nicht beachten konnte“, so könnte ich ihm mit gleicher Münze heimzahlen, wenn ich ihn erst daran erinnern muß, daß ich mich des längeren (Sp.  1234 ff.) gerade mit seinen Erörterungen über das Verhältnis von Erwerb und Erwerbstrieb zum kapitalistischen Geiste auseinandergesetzt habe. |

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780 Monopolisten: ökonomische ‚Übermenschen‘, sondern deren | Gegner: die wesentlichen Schichten bürgerlicher, aufsteigender Mittelstände, welche typische Träger der puritanischen Lebensauffassung waren.“ Den Inhalt des letzten Satzes wird niemand bezweifeln, wohl aber, worauf wir schon hinwiesen, daß diese Mittelklassen allgemein wieder Quelle und Träger des Reichtums geworden sind, und wir werden weiterhin fordern müssen, daß eine Untersuchung[,] die sich mit der Entwicklung des kapitalistischen Geistes in der Neuzeit beschäftigt, die „ganz großen Konzessionäre und Monopolisten, die ökonomischen Übermenschen“ nicht unter den Tisch fallen lasse: denn Träger kapitalistischen Geistes sind sie ohne Zweifel gewesen, und es kann noch viel weniger Ungewißheit darüber herrschen, wer für die Ausbildung des kapitalistischen Systems mehr geleistet hat, sie oder die aufstrebenden bürgerlichen Mittelklassen. Mit Emphase erinnert Weber daran, er habe stets betont, „daß der ganze Typus, wie ihn die großen italienischen, deutschen, englischen, holländischen und überseeischen Finanziers darstellen, eben ein Typus ist, den es gegeben hat, so lange wir überhaupt eine Geschichte kennen, der in seiner Eigenart schlechterdings gar nichts dem ‚Frühkapitalismus‘ der Neuzeit irgendwie charakteristisches ist“. Wenn diese Elemente für Weber bei seinen Studien über die Geschichte des kapitalistischen Geistes in der Neuzeit ausscheiden, so ist das ungefähr dasselbe, wie wenn jemand über das „Pferd“ schreiben will; aber er bemerkt von vornherein: ich verstehe unter „Pferd“ nur Schimmel; wo man bei mir von „Pferden“ liest, sind also nur „Pferde in meinem Sinne“, d. h. Schimmel, zu verstehen. Vielleicht findet Weber dieses Niveau meiner Argumente wieder einmal zu „niedrig“, oder auch zu „trivial“ oder „subaltern“ (zur Abwechslung würde ich hier „banausisch“ vorschlagen); aber es ist schwer, in solchem Falle nicht drastisch zu werden. Zum mindesten hätte Weber seinen Lesern und zumal seinen Anhängern manche fatale Mißverständnisse erspart, wenn er von Anfang an, um seine These hier nun mal ganz schlicht wiederzugeben, seine Aufgabe klar und deutlich dahin bestimmt hätte: es hat sich unter dem Einfluße reformierter Berufsethik eine bestimmte Abart kapitalisti781 schen Geistes im Laufe der Neuzeit entwickelt; ich will ihren | Ursprung, die Grenzen ihrer Expansion feststellen, sowie der Frage der „qualitativen Prägung“ nachgehen, d. h. zu ermitteln trachten, ob der „kapitalistische Geist“, der das kapitalistische Wirtschaftssystem der Gegenwart geschaffen hat, aus dieser Quelle bestimmte Züge empfangen hat, die für sein Wesen von „konstitutiver“ Bedeutung geworden sind. Nehmen wir einmal an, daß sich Weber das Problem in dieser Formulierung gestellt hätte, und sehen wir zu, was er zu seiner Lösung beigetragen hat. Wertvoll ist seine Untersuchung über den Ursprung des Sondertypus, dem er nachgeht auf grund seiner Analyse der einschlägigen religiösen Schriften, wenngleich man ihm nicht folgen kann, wenn er dabei die reformierte Berufsethik als eine „Askese“ bezeichnet. Dagegen war ich nicht in der Lage, mich seinen Ausführungen über die räumliche Expansion des kapitalistischen Geistes in seinem Sinne anzuschließen. Ich hatte darauf hingewiesen, daß sie teils zu unbestimmt, teils zu weitgehend waren, und daran die Forderung geknüpft, daß wenigstens der Versuch gemacht würde, die Stärke ihrer Wirkung im Verhältnis zu der anderer Komponenten des kapitalistischen Geistes im allgemeinen Sinne abzuschätzen. Das bezeichnet Weber nunmehr als eine „schwerlich lösbare Aufgabe“; er fügt hinzu: „Rachfahls Zumutung vollends, hier eine Art Statistik zu treiben, halte ich meinerseits, und muß jeder .  .  . für etwas reichlich harmlos halten.“ Ein neuer Beleg dafür, wie Weber mit den Argumenten des Gegners umspringt! In seinen Aufsätzen hatte Weber bemerkt, daß, was den Einfluß des Kalvinismus auf die Kapitalbildung

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anbelange, ziffernmäßig naturgemäß „jede exakte Bestimmung“ unmöglich sei; das hatte ich mit den Worten glossiert: „Immerhin hätte der Versuch einer approximativen Schätzung gemacht werden können“. Was ich damit sagen wollte, liegt auf der Hand; der Nachdruck liegt auf der Gegenüberstellung von „exakter Bestimmung“ und „approximativer Schätzung“. Natürlich wäre es Unsinn, wenn man daran gehen wollte, Tragweite und Wirkungen eines „weltanschauungsmäßigen Motivs zu messen“. Das habe ich aber auch gar nicht gefordert; ich habe nicht von „messen“ gesprochen, sondern von „schätzen“. Was ich verlangte, das lief darauf hinaus: die kapitalistischen | Erscheinungen in Holland, England und Nordamerika daraufhin zu prüfen, ob bei 782 ihrer Entstehung die reformierte Berufsethik beteiligt war oder beteiligt sein konnte, und in welchem Verhältnisse ungefähr zu den anderen „Komponenten“ kapitalistischen Geistes. Es hätte sich dann herausgestellt, und ich habe in meiner Abhandlung das angedeutet, indem ich die Skizze einer solchen „approximativen Schätzung“ dort gab, daß bei einer großen Masse kapitalistischer Phänomene der Einfluß der Weberschen „Askese“ direkt ausgeschlossen ist, sodaß der in den genannten Ländern tatsächlich vorhandene Kapitalismus gar nicht auf eben dieses Moment ohne weiteres zurückgeführt werden kann. Weber und Troeltsch hatten sich in dieser Hinsicht ihre Aufgabe von vornherein viel zu leicht gemacht, indem sie für die Länder reformierten Bekenntnisses in so unbestimmter und weitgehender Fassung von den Wirkungen des religiösen Momentes sprachen, den Anteil der libertinistisch, aufklärerisch und religiös indifferent gesinnten Elemente an der kapitalistischen Entwicklung daselbst so vollkommen ignorierten, daß da eine ins einzelne gehende Prüfung der Verhältnisse unumgänglich notwendig wurde.33) Größere Exaktheit war da sehr wohl zu fordern; von einer „ziffernmäßig“ herzustellenden exakten Bestimmung war nie die Rede.34) | Wir kommen nun zur Frage des Maßes der religiös-„asketischen“ Einflüsse bei der 783 „qualitativen Prägung“ des kapitalistischen Geistes im allgemeinen, d. h. des Verhältnisses zwischen kapitalistischem Geiste überhaupt und solchem im Sinne Webers. Hat der Zug des neuzeitlichen Kapitalismus, den Weber willkürlich „Geist des Kapitalis33)  Noch jetzt operiert Troeltsch mit seinen unbestimmten Redensarten. So sagt er 782 (Sp.  451/2), für Weber handele es sich bei seiner These darum, „den modernen Arbeitsund Berufsmenschen zu erklären, der die Verpflichtungen gegen seine Arbeit und sein Vermögen wie eine objektive Notwendigkeit empfindet und damit innerhalb des modernen Kapitalismus einen bedeutsamen Grundstock bildet“, mit anderen Worten: der moderne Kapitalist stammt als Arbeits- und Berufsmensch aus der Askese (vgl. darüber die folgenden Ausführungen oben im Texte), und diese hat also „einen bedeut­ samen Grundstock des Kapitalismus“ geschaffen. Und ebenso spricht er daselbst im Sinne Webers vom „bürgerlich-puritanischen Kapitalismus vor allem Englands und Nordamerikas“ als einem „der wichtigsten Haupttypen modernen Kapitalismus“. Dann müßte er zum mindesten den Versuch machen, sich mit meinen Ausführungen über den Anteil von Puritanismus und Aufklärung für Entstehung und Entwicklung des nordamerikanischen Kapitalismus auseinanderzusetzen. Aber es ist seine Maxime: nur immer flott die alten Behauptungen zu wiederholen, gleich als ob darüber kein Zweifel bestände und bestehen könnte, – das macht doch schließlich Eindruck! 34)  Wo sich Kapitalismus kalvinistisch-puritanischer | Provenienz konstatieren läßt, 783 da kommen übrigens für den darin herrschenden Geist als Quelle in Betracht nicht nur die „asketische Berufsethik“, sondern auch der Einfluß einer an alttestamentlichen Traditionen und Vorbildern orientierten Lebensführung, also Momente judaistischen Ursprungs. Hier kann darauf nicht eingegangen werden. |

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mus“ nennt, den gesamten Geist des Kapitalismus der Neuzeit in dem Grade beherrscht, wie Weber behauptet? Welches war der Einfluß, den er tatsächlich ausübt? Hat Weber Recht, wenn er behauptet, daß seinem „kapitalistischen Geist“ zum mindesten für den kapitalistischen Geist im allgemeinen die Rolle eines „konstitutiven Faktors“ zukommt? Berufsethik, angewandt auf das Erwerbsleben, in Verbindung mit einem „asketischen Sparzwange“, das sind die charakteristischen Merkmale des „kapitalistischen Geistes“ im Sinne Webers. Was wir bereits oben (Sp.  85 [lies: 780]) vom „asketischen Verhalten“ gegenüber dem Reichtum gezeigt haben, das gilt auch vom „asketischen Sparzwange“. Er ist keineswegs von „konstitutiver“ Bedeutung für den Begriff des kapitalistischen Geistes, sondern lediglich ein akzessorisches Moment, das von großem praktischen Werte sein kann. Er ist aber auch nichts, was dem kapitalistischen Geist der Neuzeit im Gegensatze zur Vergangenheit eine charakteristische Eigenart verleiht. Denn der Geist der Sparsamkeit ist zu allen Zeiten als Hilfskraft des kapitalistischen Geistes aufgetreten; er hat gewirkt zu jeder Zeit. Keineswegs soll geleugnet werden, daß er, wo er in der Neuzeit wirksam gewesen ist, ganz besonders gut auf dem Boden der reformierten Sittlichkeit gedieh und seine fördernde Kraft zu entfalten vermochte; aber so liegt doch die Sache nicht, daß er, sei es erst als Produkt reformierter Sittlichkeit, aufkam, sei es, wo er in neuerer Zeit bis in die Gegenwart hinein tätig ist und obwaltet, ohne weiteres als eine „Säkularisation“ religiös-„asketischer“ Motive betrachtet werden konnte. Es handelt sich vielmehr bei ihm um einen konstanten Fak784 tor, der unter dem Einflusse | jener Motive ohne Zweifel gesteigert und für die Entfaltung kapitalistischen Geistes besonders fruchtbar gestaltet worden ist. Ebensowenig, wie Sparsamkeit, ist ethische Auffassung des Berufes, Hingabe an den Beruf, Aktivität im Berufe erst ein Produkt reformierter Sittlichkeit, und ebensowenig ist die Verbindung dieser beiden Momente bereits „kapitalistischer“ Geist. Auch jetzt behauptet Weber wiederum: der „asketische“ Protestantismus habe für den (von jeher vorhandenen) Kapitalismus erst die entsprechende „Seele“ geschaffen, nämlich die Seele des Berufsmenschen, der sich einig fühle mit seinem Tun, was im Mittelalter nicht der Fall gewesen sei. Er hält mir vor, daß die Berufsethik für eine bestimmte Tätigkeit nicht immer dieselbe sei, sondern mit der historischen Entwicklung wechsle. Das habe ich natürlich nie bezweifelt; wenn er mir aber weiterhin nachsagt, ich hätte zum Schlusse meiner „Kritik“ behauptet, daß die Berufsethik, wie sie der „asketische“ Protestantismus kannte, schon im ganzen Mittelalter herrschend gewesen sei, so ist das wiederum eine jener Entstellungen gegnerischer Ausführungen, aus denen sich leider seine ganze Antikritik zusammensetzt. Ich hatte im Einklange mit Troeltsch selber (Sp.  1321) nichts anderes behauptet, als daß Berufsethik und sogar mit religiöser Färbung nicht erst ein Produkt der Reformation sei, sondern daß durch diese lediglich für die Berufsethik die mönchisch-asketischen Einschränkungen in Wegfall kämen; daraus hatte ich geschlossen, daß ethische Auffassung des Berufes, geschweige denn Hingabe an den Beruf, Aktivität im Berufe keineswegs erst als Wirkungen einer Säkularisation reformierter Sittlichkeit in den kapitalistischen Geist der Neuzeit eingedrungen wären. Wenn das unrichtig sein sollte, müßte sich Weber mit seinem Freunde und Kollegen Troeltsch auseinandersetzen, auf dessen Lehre meine Ansichten fußen; hatte ich sie doch mit ausdrücklicher Erwähnung seines Namens übernommen.35) Was aber macht

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35) 

Im übrigen hatte ich darauf aufmerksam gemacht, daß sich jeder Beruf seine

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Weber? Er | schiebt mir die Behauptung unter, daß ich die Berufsethik des „asketi- 785 schen“ Protestantismus schon rückwärts in das Mittelalter projiziert habe. Solche Kampfesweise beweist nichts anderes, als die innere Schwäche der Position desjenigen, der sie zur Anwendung bringt.36) | Tatsächlich sind die charakteristischen Züge des „kapitalistischen Geistes“ der Neu- 786 zeit dieselben, wie sie es zu allen Zeiten waren. Es gibt solchen mehr „triebhafter Natur“ und solchen, der rationalisiert und von einer bestimmten Berufsethik getragen ist, von jeher, und sie bestehen noch heutzutage neben einander. Ein gewisses Maß von Rationalisierung aber ist immer erforderlich, damit sich der bloße Erwerbstrieb auf das Niveau eines wahren „kapitalistischen Geistes“ erhebe, aber nicht eine Rationalisierung der Lebenshaltung schlechthin, sondern des Erwerbstriebes selber, indem das spekulativ-rechenhafte Moment als regulierender Faktor bei der Betätigung eben des besondere Ethik schaffe; diese Bemerkung reizt Troeltsch (Sp.  460) zum Ausfalle, das sei „nicht sehr tiefsinnig“: „In Wahrheit liegt in solchen Fällen stets eine Heranziehung allgemeiner ethischer oder metaphysischer Vorstellungen für diese bestimmten Zwecke vor.“ Er wirft mir | dabei vor, meine „Sätze würden zum barsten Geschichtsmateria- 785 lismus führen“. Als ob ich je geleugnet hätte, daß die besondere Berufsethik, wie sie aus den speziellen Bedürfnissen und Verhältnissen eines bestimmten Berufes resultiert, zumal in gewissen Zeitaltern, eine allgemein-ethische oder metaphysische Färbung getragen hat! Daß das nicht der Sinn meiner „Sätze“ gewesen sein kann, geht schon daraus hervor, daß ich – eben unter Berufung auf Troeltsch selber – davon spreche, daß es im Mittelalter bereits nicht nur eine Berufsethik, sondern noch dazu eine solche mit religiöser Motivation gegeben habe, da ja die christliche Rechtfertigung des Erwerbslebens nicht erst von Luther stamme. Was sich wohl Troeltsch unter „Geschichtsmaterialismus“ vorstellen mag? 36)  Noch einige drastische Belege für Webers Polemik. In seinen Aufsätzen hatte Weber die Äußerung Jakob Fuggers herangezogen, „er wolle gewinnen, dieweil er konnte“. Daraus hatte Weber geschlossen, Fugger habe noch nicht den richtigen „kapitalistischen Geist“ gehabt, da diesem Ausspruch noch der „Charakter einer ethischen Maxime, die Idee der Berufspflicht“ fehle. Darauf hatte ich erwidert, daß diese Folgerung übereilt sei, da der Ausspruch für sich allein noch nichts beweise; ich hatte gefragt: „Woher weiß denn Weber, daß sich Fugger nicht seinem Berufe innerlich verpflichtet fühlte, daß nicht auch ihm die Idee vorschwebte, der Mensch habe die Pflicht, seine Aufgabe treu und gewissenhaft zu erfüllen, vor die ihn das Leben nun einmal gestellt hätte?“ Was macht Weber (S.  188, Anm.  15) daraus: „Rachfahl fragt, woher ich denn wisse, daß der von ihm (nach mir) zitierte Ausspruch Jakob Fuggers Ausdruck einer anderen (als der puritanischen) ‚Berufsethik‘ sei[“]. Das ist keine richtige Wiedergabe meines Gedankens. – In meinen Ausführungen über den erwähnten Ausspruch Fuggers findet Weber (S.  181, Anm.  7) einen Widerspruch: „Da gleiche Streben nach dem Gewinn um des Gewinnes willen, welches auf Sp.  1320 (bei Fugger) sehr wohl einer „ethischen Maxime der Lebensführung“ entsprungen sein kann, kann auf Sp.  1250, 1255 überhaupt nicht ‚ethisch‘ genannt werden, weil es R[achfahl] verwerflich findet.“ Ich habe es Sp.  1250 (auf Sp.  1255 habe ich über diese Dinge gar nicht gehandelt) als zweifelhaft erklärt, ob eine Wirksamkeit, die den Gelderwerb als reinen Selbstzweck statuiert, überhaupt noch das Prädikat „ethisch“ verdienen würde, da aus solcher „Berufsethik“ Handlungen entspringen könnten, die sich nicht mit den allgemein ethischen Grundsätzen vertragen; auf Sp.  1320 habe ich ausgeführt, daß Abscheu vor bloßem Genusse ohne Arbeit den Wert einer ethischen Maxime haben könnte: worin liegt da ein Widerspruch? |

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Erwerbstriebes zur gebührenden Geltung gelangt. Und daß dieses Moment nicht aus einer Säkularisation reformierter Berufsethik entstanden ist, liegt auf der Hand, wenngleich sie ihn, wie ich schon so oft und von vornherein zugegeben habe, zu fördern in hohem Grade geeignet war. Aber der kapitalistische Geist der Neuzeit ist das, was er ist, nicht erst auf dem Umwege über die protestantische „Askese“ geworden; diese ist nicht die Wurzel der Rechenhaftigkeit, die das charakteristische Merkmal am Geiste des Kapitalismus ist. Bei weitem übertreibt Weber (S.  196) die Zerrissenheit und die Notwendigkeit von Beschwichtigungsmitteln für den Kapitalisten der vorreformatorischen Zeit: nicht erst und nicht nur durch die Einflüsse religiöser „Askese“ ist der Kapitalist zum „Berufsmenschen“ geworden, der sich innerlich eins fühlt mit seinem Berufe.37) |

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Ich setze mich hier am besten mit den Ausführungen von Troeltsch (Sp.  455 bis 458) zur Frage der Berufsethik auseinander. Ihnen zufolge begnüge ich mich, „bei der Bestreitung der religiösen Herleitung (sc. des Kapitalismus aus dem Kalvinismus) lediglich damit, Webers Auffassung Kalvins und des primitiven Kalvinismus zu bemängeln und zu behaupten, daß von diesem aus keine besondere Disposition des Puritanismus für den Kapitalismus gefolgert werden könne“. Das ist eine totale Verschiebung meiner Ansichten. Ich habe nirgends das „behauptet“, was mir Troeltsch zuschreibt; ich habe vielmehr selber (Sp.  1324) gezeigt, daß der Satz von der Profitlichkeit des Kapitals in allgemeiner Wendung schon von Kalvin gelehrt worden ist; aber ich habe zugleich (ebd. und Sp.  1254) betont, daß zwar solche und ähnliche Äußerungen förderlich auf die kapitalistische Entwickelung wirken konnten, daß jedoch sowohl bei Kalvin als auch bei den Puritanern die Berufsethik, insoweit sie dem Kapitalismus günstig war, 787 eine Norm und Grenze an den Anforderungen der allgemeinen Ethik, an | den Geboten der christlichen Nebenliebe [lies: Nächstenliebe] fand, und daß daraus Züge flossen, die mit dem modernen kapitalistischen Geiste unvereinbar sind. Das zu widerlegen, haben weder Weber noch auch Troeltsch versucht. In diesem Zusammenhange wird auch die Haltlosigkeit gewisser weiterer Vorwürfe von Troeltsch offenbar: meine Würdigung der wirtschaftlichen Ethik Kalvins als einer Anbahnung freierer Betrachtung des ökonomischen Lebens und damit einer freieren Berufsethik auch für die kapitalistische Unternehmung sei ebenso unvollständig und nichtssagend, wie meine „Phrase“, daß Kalvin die „Durchdringung der Arbeit mit dem Geiste christlicher Sittlichkeit“ bewirkt habe. Troeltsch bringt dabei eine lange Erörterung über das Verhältnis lutherischer und kalvinischer Ethik zu Arbeit und Besitz, die ich zu bestreiten ebensowenig Grund habe, wie ich Grund hatte, meinerseits auf diese Probleme einzugehen. Wie konnte ich leugnen wollen, daß die freiere Stellung Kalvins zum Wirtschaftsleben aus seiner besonderen Berufsethik folgt? Denn ich erkenne ja vollkommen die Existenz einer besonderen kalvinistisch-puritanischen Berufsethik an und behaupte nur, daß sie stets an der allgemeinen Ethik dieser Richtung in der Reformation orientiert war und blieb, und eben dazu hatte ich (im Gegensatze zu Weber, der diesen Punkt ganz unberücksichtigt ließ) allen Anlaß. Troeltsch sagt (Sp.  458) kategorisch: „Kalvin hatte keinen allgemeinen Geist christlicher Sittlichkeit, mit dem er die Arbeit durchdringen konnte“. Nun, schließlich ist ja doch die besondere Berufsethik Kalvins nur eine Applikation seiner allgemeinen Ethik, und diese war (bei allen ihren Besonderheiten, bei allen Abweichungen von der der anderen christlichen Richtungen) ein Ausfluß des allgemeinen Geistes christlicher Sittlichkeit. Oder ist dieser nur eine veraltete Utopie, an die nur noch der „Nicht-Fachmann auf theologischem Gebiete“ glaubt? Es 788 bleibt trotz | Troeltsch dabei, daß die Durchdringung der Arbeit mit dem Geiste christlicher Sittlichkeit nebst der freieren Stellung zum Wirtschaftsleben charakteristische

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Nicht energisch genug kann Weber jetzt versichern, daß er die religiös-„asketischen“ 787 Einflüsse nur als eine Komponente für den modernen kapitalistischen Geist angesehen wissen will. Sein Ziel war es lediglich, so beteuert er, Bedeutung und Wirksamkeit gerade dieser einen Komponente festzustellen, und ein solcher Versuch, so beschwert er sich, wird nicht dadurch bekämpft, daß man „eine Reihe anderer Komponenten“ aufzählt, die zu jeder Zeit kapitalistische Expansionen begleitet haben, „wie kein Mensch bezweifelt“. Oder, wie er mir in das Stammbuch schreibt: „Solch erstaunliche Wahrheiten allerdings, wie: daß das Streben nach ‚Glück‘, nach ‚Nutzen‘, nach ‚Genuß, Ehre, Macht, Zukunft der Nachkommen‘ und dergleichen bei der Auslösung des Strebens nach dem Höchstmaß von Gewinn überall in sehr verschiedenen Kombinationen mitbeteiligt waren und sind, hätte Rachfahl, glaube ich, sich sparen können, da schwerlich | jemand zu finden sein wird, der sie bestreitet.“ Weber hat Recht: man sollte mei- 788 nen, ich hätte mir diese erstaunlichen Wahrheiten sparen können; aber er irrt sich, wenn er sagt, daß schwerlich jemand zu finden sein wird, der sie bestreitet: eben deshalb, weil sich jemand fand, der sie bestritt, konnte ich mir ihre Aufzählung nicht „sparen“, – und dieser jemand war niemand anders, als – Herr Weber selber, der demnach ein sehr kurzes Gedächtnis zu haben scheint. Erinnert er sich denn gar nicht an seine lebhafte und temperamentvolle Schilderung des „Unternehmers neuen Stils“, der im Gegensatze zum „traditionalistischen“ Kapitalisten der Träger des wahren „kapitalistischen Geistes“ ist, der die Geschäfte nur aus der „irrationalen Empfindung der Berufserfüllung“ heraus betreibt, dem von seinem Reichtum nichts für seine Person bleibt, der Ostentation und Aufwand scheut, dem nichts an bewußtem Genuß von | Macht und 789 gesellschaftlichem Ansehen liegt, der, ein wahrer Asket, Austern kaum auf ärztliche Verordnung hin ißt?38) Züge der allgemeinen Wirtschaftsanschauungen Kalvins waren, wozu dann aber noch seine spezielle Berufslehre kam. Und es bleibt weiterhin dabei, daß der „eigene Geist“, mit dem er die Arbeit durchdrang, an der allgemeinen christlichen Liebesmoral in einem Grade orientiert war, der nicht nur vom triebhaften Erwerbsdrange, sondern auch vom kapitalistischen Stile der Jetztzeit (als dessen rationalisierter Form) in entscheidenden Punkten ebenso abwich, wie späterhin die Soziallehren der Puritaner. „Unerhört“ aber ist es – leider sehe ich mich hier genötigt, diesen von Weber gegen mich gerichteten Ausdruck im vorliegenden Falle auf Troeltsch zu beziehen, – wenn dieser mir (Sp.  456) vorwirft, ich hätte mir betreffend die Stellung Kalvins zum Wirtschaftsleben meine Belehrung „bloß“ aus Elster und Kampschulte geholt. Ausdrücklich habe ich die Übereinstimmung meiner Ansichten mit Lang, dem Autor der jüngsten besten zusammenfassenden Biographie Kalvins, konstatiert und die entscheidende Stelle aus Lang (Sp.  1329 f.) zitiert. Der Unterschied zwischen gesicherten Ergebnissen historischer Einzelforschung und „reiner Konstruktion“ scheint für Troeltsch noch nicht aufgegangen zu sein, wenn er als solche (Sp.  504) meine, wie gesagt, mit Lang sich deckende Charakteristik des Einflusses von Kalvin auf die ökonomische Entwickelung Genfs und überhaupt erklärt. Gewiß wird niemand dem reformierten Theologen Lang „innerliche Abneigung“ gegen Kalvin nachsagen können. Aber es gehört nun eben zu den polemischen „Allüren“ von Troeltsch, durch die Zeilen (Sp.  468) durchblicken zu lassen, ich hätte den Kalvinismus „bloß aus dem ihm innerlich abgeneigten Kampschulte studiert“. Das ist eine Insinuation, deren Motiv mehr als durchsichtig ist. | 38)  Noch ein Beitrag zur Charakteristik Weberscher Polemik! Er sagt S.  197 Anm.  29: 789 „Schier unglaublich ist es, wenn Rachfahl (Sp.  1251) die ‚agonalen Triebe‘, von denen ich hervorgehoben habe, daß sie heute vielfach an die Stelle des erloschenen asketi-

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Wie gesagt, immer wieder betont Weber, daß er nur eine Komponente des kapitalistischen Stils zur Erkenntnis hat bringen wollen. Aber ist dem wirklich so? Von Anfang an betont er die Wichtigkeit dieser Komponente für die quantitative Expansion und die qualitative Prägung des kapitalistischen Geistes mit dem denkbar stärksten Nachdrucke; er weist ihr bei der Durchführung seiner These im einzelnen, sowohl was die begriffliche als auch was die historische Erörterung anbelangt, eine Rolle zu, derzufolge sie tatsächlich, um Webers eigenen Ausdruck zu gebrauchen, „verabsolutiert“ erscheint; es wird im Leser der Eindruck erweckt, zumal da ihr ja auch der Name des Ganzen beigelegt wird, als ob es sich bei dieser Komponente nicht nur um eine Teil­ erscheinung, sondern eben um das Ganze handelt, als ob dieser konstitutive Faktor so bedeutsam sei, daß er dem Ganzen seinen Stempel aufprägt und es gleichsam restlos in sich aufnimmt. So und nicht anders haben Webers Freunde und Anhänger die Sache aufgefaßt. Sie haben nicht daran gezweifelt, daß Webers „kapitalistischer Lebensstil“ 790 wirklich identisch sei mit dem kapitalistischen Geist der Neuzeit | in seinem ganzen Umfange. Die Schriften von Troeltsch sind von dieser Ansicht, wie wir sahen, getragen; jetzt hat er allerdings erklärt, Webers These unzulässig generalisiert zu haben; aber die Tatsache bleibt bestehen, daß er sie zuerst in diesem Sinne aufgefaßt hat. Auch Gothein hat einfach den Geist des Kapitalismus aus dem Geiste des Kalvinismus heraus entstehen lassen, und v. Schubert sagte in Beziehung auf Weber: „Mit Recht hat man den ‚Geist des Kapitalismus‘, den Kern moderner Wirtschaftsgeschichte,39) abgeleitet aus dem entschlossenen Individualismus der Puritaner.“ Weber erklärt jetzt, er habe solche mißverständliche Auffassung durch andere schon einmal mit aller Schärfe abgelehnt, und zwar, wie er hinzufügt, „ohne daß Rachfahl die Pflicht fühlte, dies, obwohl er es weiß, zu berücksichtigen“. Ich muß dazu bemerken, daß ich das keineswegs „weiß“; mir ist, als ich meine Abhandlung niederschrieb, von dieser Ablehnung nichts bekannt gewesen; ich muß sie wohl übersehen haben, und ich habe sie auch bis jetzt noch nicht zu finden vermocht. Es ist jedenfalls sehr sonderbar, daß noch vor zehn Monaten, zu der Zeit, als ich mit der eingehenden kritischen Nachprüfung der Weberschen These begann, diese ihre irrtümliche Interpretation in der Aula der Heidelberger Universität durch den Festredner bei der Kalvin-Säkularfeier vorgetragen worden ist: daraus ist zu schließen, daß die besagte Aufklärung oder Desavouierung selbst am Wohnorte des schen ‚Geistes‘ getreten sind, mir als einen von mir übersehenen Bestandteil im Begriffe vom ‚Geist‘ des Kapitalismus entgegenhält.“ Zunächst tue ich das gar nicht an der zitierten Stelle, sondern anderswo (Sp.  1222), und zwar konstatiere ich da lediglich einen Unterschied zwischen Webers Charakteristik des Unternehmers neuen Stils, dem er tatsächlich das Streben nach bewußtem Genusse der Macht abspricht, der doch aber für ihn der wahre Träger „kapitalistischen Geistes“ ist, und der Schilderung, die Troeltsch vom modernen Kapitalismus gibt, und worin diesem ein „agonales Siegesbedürfnis“ zugeschrieben wird. Weber selbst hat, soviel mir erinnerlich ist, nur einmal von „rein agonalen Leidenschaften“ (Archiv 21 S.  109) gesprochen, die sich in den Vereinigten Staaten heutzutage mit dem Erwerbsstreben „assoziieren und ihm nicht selten geradezu den Charakter des Sportes aufprägen“. Nach seinen eigenen neuesten Erklärungen würde das aber nicht in die Sphäre des „kapitalistischen Stils“ in seinem Sinne, sondern des wilden, ungezügelten Erwerbstriebes fallen, der in „allen Stadien der Kulturentwicklung“ auftritt. | 39)  Dazu gehören nun freilich nach Webers neuester Kundgebung die ökonomischen 790 Übermenschen, die großen Finanziers usw., nicht mehr. |

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Autors, im Kreise seiner Kollegen und Anhänger, damals noch unbekannt war oder auch übersehen worden ist. Wenn solches aber am Sitze der „glücklich sich ergänzenden Arbeitsgemeinschaft“ möglich war, so wird man mir es wohl auch verzeihen, daß ich von jener „Ablehnung“ nichts erfahren habe. Bei Weber mögen sich seine Anhänger bedanken, wenn er sie jetzt also rauh abschüttelt, wenn er sie, die doch nur seiner Entdeckung Apostel, seines Ruhmes Verkünder sein wollten, grausam bezichtigt, ihn nicht verstanden zu haben. Daß dadurch ihre Anhänglichkeit und Begeisterung nicht erschüttert worden ist, zeigt das Beispiel von Troeltsch, der die Zurechtweisung, die ihm zu Teil geworden ist, mit gebührendem | Danke hingenommen hat. Da nun aber auch ich (was ich freilich zurückweisen muß) 791 von Weber beschuldigt worden bin, auf der gleichen Spur zu wandeln, so muß ich mich umsomehr der Genossen meines Unglücks annehmen, als ich ja dadurch auch für mich, wenn der Vorwurf doch berechtigt wäre, mildernde Umstände erwirken könnte. Bei allem Vorbehalt, daß er keineswegs den Kapitalismus und den kapitalistischen Geist „nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation“ betrachte, hatte er diesen doch, wie wir sahen, für die Ausprägung des modernen kapitalistischen Lebensstils eine solche Rolle zugeschrieben, daß der Leser den Eindruck erhalten mußte, er sei durch sie im Wesentlichen geschaffen worden. In derselben Richtung wirkte seine Schilderung vom Unternehmer neuen Stils, die Gegenüberstellung dieses Typs als alleinigen Trägers kapitalistischen Geistes im Verhältnisse zum „traditionalistisch“ gebundenen Kapitalisten, seine Auseinandersetzung, daß der richtige kapitalistische Geist (gegenüber dem nur „triebhaften“ Erwerbsdrange) auf einer „ethisch gefärbten Maxime“ beruhe, nämlich auf der irrationellen Idee einer besonderen Berufspflicht, die ihrerseits wieder das Produkt der Säkularisation der innerweltlichen Askese des reformierten Protestantismus sei, des Puritanismus, der also „an der Wiege des modernen Wirtschaftsmenschen stand.“ Und wenn ein Autor fortwährend von kapitalistischem Geiste spricht, dabei aber nicht diesen schlechthin und in seinem ganzen Umfange, sondern nur einen besonderen Habitus meint, dürfte das nicht dem Leser zur Entschuldigung dienen, wenn er den wahren Intentionen des Verfassers gegenüber in Konfusion gerät? Aber noch jetzt ist es mir nicht absolut sicher, ob Webers Anhänger und eventuell auch ich selber wirklich auf Irrpfaden gegangen sind. Wie sehr er jetzt auch betont, das religiös-„asketische“ Moment sei nur eine Komponente „neben andern“, so ist er im geheimsten Winkel des Herzens doch noch immer der Überzeugung, daß diese Komponente die anderen so überragt und zurückdrängt, daß sie das Wesen des modernen kapitalistischen Lebensstils erschöpfend in sich darstellt. Sogar noch in seiner letzten Polemik gegen mich, in der er doch (m. E. allerdings mit Unrecht) zeigen will, daß ich demselben Mißverständnisse verfallen bin, wie Troeltsch, | Gothein und v. Schubert, 792 entschlüpfen ihm einige Stellen, die schlecht zu seinen sonstigen Protesten und Beteuerungen passen. So auf S.  183: „Für die Entwicklung desjenigen ‚Habitus‘, den ich (ad hoc und lediglich für meine Zwecke) „kapitalistischer Geist“ getauft habe, kam es ganz offenbar darauf an, wem die Toleranz im konkreten Falle zu Gute kam. Waren dies z. B. Juden oder ‚asketische‘ christliche Denominationen, dann wirkte sie regelmäßig im Sinne der Verbreitung dieses ‚Geistes‘.“ Hier ist noch immer scheinbar lediglich von einem „Habitus“ die Rede; aber was bedeutet dieser „Habitus“ in Wahrheit? Durch ihn bzw. durch das ihm zugrunde liegende religiös-„asketische“ Moment wird nicht nur das Streben nach Gewinn seines „triebhaften“ Charakters entkleidet, „rationalisiert“ und zugleich in die Sphäre einer „irrationellen“ Berufsethik hinübergeleitet, d. h. der kapi-

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talistische Stil der Jetztzeit in seinen charakteristischen Merkmalen in Wahrheit geschaffen; sondern Weber sagt noch dazu selber geradezu: „Nicht um die triebmäßige Gier nach Geld, nach Glück, nach dem splendor familiae usw. handelt es sich, .  .  . sondern darum, daß der ‚asketische‘ Protestantismus für den Kapitalismus auch die entsprechende ‚Seele‘ schafft, die Seele des ‚Berufsmenschen‘.“ Also ist der Webersche „Habitus“ kapitalistischen Geistes doch schließlich die „Seele des Kapitalismus“, allerdings in Gänsefüßchen. Was nun? Deutlich steht hier zu lesen: der Kapitalismus der Jetztzeit hat seine „Seele“ empfangen durch den asketischen Protestantismus; dabei müssen wir in Rücksicht auf seine soeben zitierten Ausführungen allerdings die Einschränkung hinzufügen, insoweit er nicht jüdischen Ursprungs ist. Judaismus und „asketischer“ Protestantismus sind somit für Weber die beiden Wurzeln des heutigen Kapitalismus; die Erforschung der ersteren überläßt er bekanntlich Sombart. Insoweit der Kapitalismus also nicht jüdischer Provenienz ist, hat er schlechthin und in seinem ganzen Umfange seine „Seele“ erhalten durch das „asketische“ Element in der Reformation. Ich will nicht noch einmal in ausführlicher Wiederholung auseinandersetzen, daß das eine bloße Behauptung ist, für die Weber den Beweis nicht erbracht hat: der „Berufsmensch“ ist keineswegs erst ein Produkt reformierter Ethik. Aber ganz davon abgesehen: Ist die | 793 „Seele“ denn nur eine Komponente, die nicht mehr bedeutet, als die andern Komponenten auch? Wenn der Kapitalismus der Jetztzeit, d. h. der nichtjüdische, seine „Seele“ aus dieser Quelle empfangen hat, haben denn nicht doch die, welche die von Weber so herb gerügte „Verabsolutierung“ der einen Komponente vornahmen, einigermaßen Recht, und wird man es nicht mindestens verzeihlich finden, wenn sie in so schweren Irrtum verfielen, Webers Intention dahin aufzufassen, daß der kapitalistische Geist der Neuzeit schlechthin und in seinem ganzen Umfange aus der protestantischen „Askese“ hervorgegangen sei? Oder ist hier die „Seele“, weil sie in Gänsefüßchen gerückt ist, etwas anderes als das, was man sonst unter „Seele“ versteht? Handelt es sich hier wiederum, wie bei dem Wörtchen „Geist“ um einen Kunstausdruck, den er „ad hoc und lediglich für seine Zwecke“ angewandt hat, um also irgend ein Ding zu „taufen“, das ihm dabei gerade vorschwebte? Oder bedeutet „Seele“ etwas anderes als „Geist“? Ich bin zu wenig „Fachmann“ auf dem Gebiet der Nationalökonomie, um zu wissen, ob man hier zwischen „Geist“ und „Seele“ irgendwelche feinen Unterschiede macht, die auf den vorliegenden Fall zutreffen könnten. Ich bin nur Historiker, dem vom Anfange seiner Studien an stets eingeprägt worden ist, daß historische Methode nichts anderes ist, als lediglich Anwendung des gesunden Menschenverstandes auf das unserer Forschung zugewiesene Gebiet menschlichen Erkennens, und unter dem Drucke des Bewußtseins dieses meines trivial-subalternen Standpunktes40) bescheide ich mich, aus 794 diesem | Labyrinth der Zweifel und Möglichkeiten keinen Ausweg mehr zu finden.

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40)  Er kommt mir so recht niederschmetternd zum Bewußtsein, wenn ich Webers zornige Philippika (S.  196 Anm.  28) lese: „Beiläufig: der Einfluß religiöser Momente ist denn doch auf politischem Gebiete von ganz anderer, fundamentalerer Bedeutung, als nach dem Eindrucke der ‚Nichts-als-Politiker‘ unter den Historikern, die unter den ‚großen Mächten‘ nur die großen Bataillone verstehen, mit denen freilich der liebe Gott auf dem Schlachtfelde zu gehen pflegt. Noch so viele ‚Mächte‘ dieser Art haben z. B. den einen Satz der Bibel ‚Man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen‘, solange er den Glauben entschlossener Männer, und seien es auch kleine Minderheiten, wie die Puritaner fast überall es waren, beherrschte, nicht außer Gefecht zu setzen ver-

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––––– Mögen mir meine Leser verzeihen, wenn ich von meinem „Antikritiker“ nicht Abschied nehmen kann, ohne ihnen in kurzer Übersicht das ganze Maß der Verworfenheit und der Ignoranz vorzuführen, das er bei mir festgestellt hat. Des wuchtigeren Eindruckes halber wiederhole ich dieses und jenes, wovon ich schon in den vorhergehenden Zeilen en passant Notiz genommen hatte; erst in ihrer Totalität vermag diese Symphonie des Zornes und der Verachtung ihre ganze Wirkung zu entfalten. S.  176 „wenig loyale Praxis“. – S.  177 Anm.  2 „illoyale Kleinlichkeit“. – S.  178 „denkbar größte Breite“. – S.  179 kann sich Weber keine „sterilere Polemik“ denken. – „Professoreneitelkeit“. – S.  182 „eine ziemlich (warum diese Einschränkung?) wertlose Art der Diskussion“. – „Rachfahls verschwommenes Plädoyer“. – „Er lebt von der durch bloße Wortkritik künstlich und absichtsvoll angerichteten Konfusion“. – S.  186 „etwas lächerlich“, – „ganz oberflächliche Sentiments“. – S.  190 „eine durch fünf Artikel dauernde wunderliche Kanonade“. – S.  191 „Reichlich harmlos“. – S.  192 „recht anmaßende Bemerkungen“. – S.  195 Rachfahl behauptet „ins Blaue hinein“. – „Völlige Verständnislosigkeit für das, worum es sich bei diesen Problemen handelt“. – S.  197 „schier unglaublich“. – S.  202 „recht subaltern“. Diese Blütenlese dürfte wohl für einen Artikel von etwa 25 Druckseiten genügen. Der Leser weiß jetzt, was er von mir zu halten hat, und ich bin zerschmettert von solcher – Geistesüberlegenheit. Wenn ich mich mit ihm auf einen Wettstreit in der Anwendung solcher Kraftausdrücke einlassen wollte (daß ich es so gut könnte, wie er, bezweifle ich freilich), könnten wir ein Bild darbieten, wie weiland die homerischen Helden, oder wie man es wohl mitunter auf dem | Gemüsemarkte sehen kann. Etwas 795 unvorsichtig ist Webers Verfahren doch wohl aber: ein naiver Leser, der mit den Gepflogenheiten wissenschaftlicher Polemik nicht zur Genüge vertraut ist, könnte gar auf den Glauben verfallen, daß mein Herr Antikritiker eines solchen Tones bedarf, weil er sich in seiner Position nicht übermäßig sicher fühlt. Ich habe ein Anderes gar nicht erwartet; wer die „Anmaßung“ hat, Webersche „Entdeckungen“ zu bezweifeln, muß sich schon auf so etwas gefaßt machen; auch ist mir der Hut schon mehr als einmal naß geworden. Einigermaßen sonderbar mutet es an, wie Weber auf meine Eigenschaft als Professor anspielt. Er ist doch selber Professor und zwar älteren Datums als ich. Oder will er etwa zum Ausdrucke bringen, daß es zwei Arten Professoren gibt: den professor communis vulgaris, der mit allen schlechten Eigenheiten seiner Kaste behaftet ist, wozu übler professoraler Ton, Überhebung, Professoreneitelkeit usw. gehören, – und dann den Überprofessor, der als Höhenwanderer in der bengalischen Beleuchtung seiner eigenen Geistesgröße einsam seine Straße zieht, und der, seines besonderen individuellen Wertes bewußt, für den er einer offiziellen Etikette nicht bedarf, auf die Plebs der Nur- und Kommiß-Professoren mit unendlicher Geringschätzung herabschaut? Und so wundere ich mich auch nicht, wenn er es für nötig hält, mir das Zeugnis auszustellen, daß man mocht. An ihm scheiterten die ‚Kulturkämpfer‘ des 17. und 19. Jahrhunderts, und beide Male hatte ihre Niederlage Konsequenzen von einer in Generationen nicht zu | über- 794 windenden Tragweite.“ – Welche Fülle der Anregungen für uns „klugen Leute“, die wir uns solche Dinge nie hätten „träumen lassen“. Eine neue Epoche bricht an nicht nur für die Wirtschaftsgeschichte, nein, auch für die politische Geschichte! Ganze Generationen von Historikern werden zu tun haben, um diese neuen und originellen Ideen zu verarbeiten. |

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aus meinen Ausführungen „nichts lernen kann“; ich kann auch meinerseits nur bestätigen, daß er wenigstens nichts daraus gelernt hat. Woher ich alle meine Weisheit habe, verrät er seinen Lesern: „Alles (mit gänzlich irrelevanten Ausnahmen), was Rachfahl gesagt hat, hat er meinen Aufsätzen entnommen und ‚verballhornt‘.“ Dafür gibt er auch im einzelnen Belege: Wenn ich z. B. seiner These eine bedingte Richtigkeit zugestehe, so macht er (S.  196 Anm.  28) daraus, daß ich sie „mir selbst aneigne“. Oder er macht darauf (vgl. z. B. S.  188 Anm.  15 und S.  190) aufmerksam, daß das oder jenes Zitat aus älteren Schriften schon bei ihm zu lesen steht. Daß es mir in solchen Fällen gar nicht darauf ankommt, Webers Priorität zu verschleiern, geht doch wohl schon daraus | 796 hervor, daß ich gegen die Deutung polemisiere, die Weber diesen Aussprüchen zuschreibt, oder daraus Beweise für meine davon abweichende Meinung zu holen versuche. Aber das geniert Weber nicht: für ihn bin ich gleichsam ein Geier, der sich vom Aas des Gegners nährt. Weber faßt das Ergebnis der Kontroverse dahin zusammen: „Es ist bedauerlich, daß die Antwort auf eine ganz sterile, mit dem höhnischen Tone, den sie anschlägt, wie mit ihrem Nichtverstehenwollen einen üblen professoralen Typus darstellende Kritik auch ihrerseits steril ausfallen mußte.“ Daß ihm meine Kritik „übel“ gefallen hat, glaube ich recht gern, muß aber die Verantwortlichkeit dafür auf das kritisierte Objekt abwälzen. Und da ich leider bisher in der Regel so unhöflich sein mußte, anderer Meinung zu sein wie Weber, so ist meine Freude um so größer, daß ich ihm nun einmal, ich will nicht gerade sagen, beistimmen kann, aber wenigstens nicht gerade zu widersprechen Anlaß habe – nämlich in seinem eigenen Urteile über seine „Antikritik“. Und eben deshalb, weil dem so ist, hat es schwerlich einen Wert, die Diskussion fortzusetzen. Ich kann mit ihrem Ergebnisse durchaus zufrieden sein. Mein Zweck ist erreicht: die Aufrichtung einer Warnungstafel, damit die „Weber-Troeltsch’sche These“ (als solche wird sie doch trotz des Einspruches beider auch weiterhin gelten) nicht unbesehen akzeptiert werde, und damit sie nicht noch mehr Verwirrung anrichte, wie bisher, sei es, daß der eigentliche Urheber daran unschuldig ist oder nicht. So vollständig habe ich diesen Zweck erreicht, daß Weber selbst die Folgerung, die Freund und Feind, ob mit Recht oder Unrecht, aus seinen Erörterungen herauslesen zu dürfen vermeinten, förmlich desavouiert hat. Und so darf man sich wohl der Hoffnung hingeben, daß die „Entdeckung“, die wenigstens andere zu einer solchen stempeln wollten, ein für allemal beseitigt ist. Die schillernde Seifenblase, die am Neckarufer aufstieg, ist geplatzt. Der Beifall, den ihr Erscheinen hervorrief, war blinder Lärm, und vom ersten Rausche der Begeisterung wird den Beteiligten vermutlich auf die Dauer nicht viel mehr bleiben, als ein nicht gerade sehr behagliches Gefühl der Ernüchterung. |

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Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“.a Inhalt: I. Antikritisches S.  665. – II.b Positives Resumé S.  708.

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Professor Rachfahl antwortet in wiederum vier Nummern der Internationalen Wochenschrift (4. Jahrgang Nr.  22–25)1 auf meine „Antikritik“.2 Statt eines ehrlichen Eingeständnisses seiner durch oberflächliche Lektüre verschuldeten groben Irrtümer enthält seine Antwort teils eine andere Wendung, teils eine noch krampfhaftere Übersteigerung der meisten von ihnen und bewegt sich übrigens in ganz der gleichen Art von Diskussionsführung, die ich zu kennzeichnen genötigt war. Zum Schluß findet man die auffallend an die Gepflogenheit amerikanischer Parteiorgane im Wahlkampf erinnernde Versicherung: er habe den „Zweck“ seiner Kritik „erreicht“: „die Seifenblase am Neckar“ sei „geplatzt“.3 Und an anderer Stelle glaubt er gar, er (Rachfahl) müsse mir vorkommen „wie der Geier, der sich vom Aase des Gegners nährt“.4 Dieses „Aas“ ist nun aber, wie sich zeigen wird, noch recht lebendig, und ihm erscheint Rachfahl seinerseits ganz und gar nicht als ein Adler oder irgend etwas dem ähnliches. Sondern: so, wie er sich in dieser „Kritik“ und „Replik“5 präsentiert, nach wie vor als ein etwas sehr leicht gefiederter und dabei dennoch allzu stark schulmeisterisch veranlagter Schriftsteller, dem man übrigens trotz allen Kopfschüttelns doch nicht recht gram werden kann, weil sein allerdings oft schier unglaublicher Mangel an Bedürfnis nach literarischer Aufrichtigkeit durch die schiefe Lage, in die er sich begab, verschuldet ist und durch die Naivität seiner offenbar – so schwer es zuweilen fällt, das zu glauben – ganz von sich überzeugten Rechthaberei

a  In A folgt: Von Max Weber.  b A: 2. 1  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, abgedruckt oben, S.  625–664. 2  Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  573–619. 3  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  664. 4  Rachfahl, ebd. 5  Gemeint sind hier und im folgenden: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  521–572, und Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  625–664.

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überboten wird1). Nach|dem ich einmal, dem Wunsch (unbeteiligter) Freunde entsprechend,6 das sterile und lästige Geschäft der Auseinandersetzung mit seiner rein an Worten haftenden Rabulistik, welche den offen zutage liegenden Sachverhalt verschleiert,

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1)  Ich möchte sehr nachdrücklich erklären, daß die absolute Wertlosigkeit von R[achfahl]s „kritischen“ Leistungen mich nicht im mindesten hindert, andere ArbeiA 555 ten | von ihm sehr zu schätzen,7 bei denen er sich nicht auf ein für seine Eigenart nun einmal ungünstiges Gebiet begeben hatte. „Ungünstig“ nicht nur, weil er sachlich nun einmal schlecht informiert ist, sondern auch deshalb, weil seine Freude an der gelehrten „Mensur“8 rein als solcher mit einer steten Gefahr, sich zu „incommentmäßigen“ (man sagte früher im Studentenjargon: „Sau“-) Hieben hinreißen zu lassen, gepaart ist und jene Mensurfreude auch an sich so ungezügelt wuchert, daß die „Sache“ darüber notwendig zu kurz kommt. R[achfahl] beschwert sich über die rücksichtslose Form meiner Antwort an ihn.9 Allein die in der Form und in der Sache absichtsvoll generöse und entgegenkommende Art, wie Troeltsch ihm entgegengetreten ist,10 hat nur den Erfolg gehabt, daß, wie man sich leicht überzeugt, R[achfahl] von diesem Entgegenkommen in recht wenig loyaler Art „taktisch“ zu profitieren sucht und daß überhaupt seine Ausfälle gegen Troeltsch sich durch ein Maß von Animosität auszeichnen, welches das, was er davon gegen mich aufbringt, noch übersteigt.11 Er wird eben, wo er „kritisiert“, anscheinend unvermeidlich zum bloßen Klopffechter12 und mit einem solchen spricht man, wenn überhaupt, in unverblümtem Deutsch. Ich hoffe[,] niemals wieder mit einem „Kritiker“ dieser Art abrechnen zu müssen. Eine loyalere Art der Polemik würde mir, auch wenn sie formal scharf wäre, darin ganz andere Rücksichten auferlegen und, selbst wenn ich sie sachlich noch so scharf bekämpfen müßte, vor allem nicht so viel – deutlich gesagt: – Geringschätzung einflößen. Welche andere als diese, gewiß unerfreuliche, Empfindung aber soll ich gegenüber einem „Kritiker“ haben, der, ohne die geringsten Leistungen zu bieten, seine „Auseinandersetzung“ mit mir mit der Versicherung glaubte beginnen zu dürfen: ich hätte mir meine Aufgabe „leicht“ ge-

6  Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  517 f. 7  Positive Äußerungen sind nicht belegt. Weber, Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung, setzt sich – ebenfalls kritisch – mit Rachfahl, Felix, Zur Geschichte des Grundeigentums, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 74. Band (3. Folge, 19. Band), 1900, S.  1–33 und 161–216, auseinander (vgl. MWG I/6 S.  250, 263 und S.  285–287). Zuletzt waren von Rachfahl, Wilhelm von Oranien (wie oben, S.  515 mit Anm.  2), die Bände 1, 2/1, und 2/2 (1906–1908) erschienen. 8  Anspielung darauf, daß Rachfahl Weber „Fechterstückchen“ unterstellte, vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  643. 9  Vgl. Rachfahl, ebd, oben, S.  628. 10  Gemeint ist: Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus. 11  Kein Zitat („taktisch“), vgl. vielmehr Rachfahls Äußerung, er habe „[m]it Troeltsch [.  .  .] die Abrechnung vollzogen“ (Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  637). – Zur Auseinandersetzung Rachfahls mit Troeltschs Kritik vgl. ebd., oben, S.  631–637. 12 Klopffechterei: ein im Spätmittelalter verbreiteter Schaukampf mit stumpfen Schwertern, später abwertend gebraucht für eine unfruchtbare geistige Auseinandersetzung, bei der es um persönliche Eitelkeiten und nicht um die Sache geht.

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auf mich genommen habe, muß ich es durchführen. Im folgenden werde ich also 1. den „Geist“ von R[achfahl]s Polemik notgedrungen nochmals feststellen – eine nach Lage der Dinge leider, um R[achfahl] in alle Schlupfwinkel zu folgen, unvermeidlich ziemlich langwierige Auseinandersetzung, die ich aber jedem Leser, der nicht speziell daran interessiert ist, zu überschlagen anheimstelle[,] – und dann 2. meinerseits – gegenüber der von Rachfahl angerichteten und jetzt, zur Vermeidung des Eingeständnisses seines Unrechts, noch vermehrten Konfusion – einige von R[achfahl] hartnäckig ignorierte Züge meiner wirklichen „These“ nochmals auf wenigen Seiten zusammenfassen, lediglich für diejenigen, die meine Aufsätze nicht jetzt nochmals genau gelesen haben. Für die anderen ist es überflüssig, aber sie sind naturgemäß eine verschwindende Minderheit. cI.

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Da ich Rachfahls Polemik „professoral“ genannt habe, so behauptet er, daß ich seine Qualität als „Professor“ herabsetze, also wohl meinerseits irgend | etwas „besseres“ zu sein beanspruche.13 Ein innerhalb unserer sonst so gänzlich sterilen Diskussion immerhin noch lehrreicher Irrtum, der zugleich auch für Rachfahls Verständnislosigkeit in der verhandelten Sache typisch ist. Denn es trifft sich zwar bei ihm so, daß er zugleich „Professor“ ist und einen (m.  E.) ungewöhnlich „professoralen“ Aufsatz geschrieben hat. Jedermann weiß aber: es hat ebensowenig alles, was ein Professor (Gott sei Dank: auch Rachfahl selbst) schreibt, schon um deswillen macht[,]14 und der sie jetzt mit der Mahnung zur Vorsicht vor „Weberschen Entdeckungen“15 glaubt abschließen zu können? |

c–c  (S.  707) Petitdruck in A. 13  Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, schreibt oben, S.  618, es handele sich bei der Rachfahlschen um eine „einen üblen professoralen Typus darstellende Kritik“; dazu die Erwiderung bei Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  664. 14  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  543, wiederholt bei Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  655. 15  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  663 f.

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den wohlbekannten Beigeschmack jener gewissen kleinlichen[,] rechthaberischen Wortklauberei und besserwissenden Süffisance, welche das Wesen des „Professoralen“ ausmacht, wie etwa allen Arbeiten eines Redakteurs der ebenso wohlbekannte Beigeschmack des „Journalistischen“ (in Gänsefüßen!) anhaftet, oder wie jedes in bureaukratischen Formen funktionierende Staatswesen schon um deswillen vom „Geist des Bureaukratismus“ beherrscht ist, oder jede noch so sehr nach deutschem oder französischem Muster organisierte Armee und der Staat, dem sie dient, von „militaristischem Geiste“ beseelt sein muß (man denke an Italien im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich), oder etwa jeder Gewerkverein (französisch: „syndicat“, englisch: „trade union“) bei ganz gleicher Organisation, vom Geist entweder des „Tradesunionismus“ oder des „Syndikalismus“ (zwischen denen hier ja die Wahl freistünde), oder ein Land mit kolonialem Imperium stets vom „Geist des Imperialismus“, – oder endlich: jede kapitalistisch organisierte Wirtschaft vom „Geist des Kapitalismus“ (erst recht nicht natürlich: von jener spezifischen Ausprägung dieses Geistes, die ich als eine dem modernen Kapitalismus im Gegensatze zum Altertum und Mittelalter, und zwar am stärksten in der Zeit seines frühkapitalistischen Heroenzeitalters, eignende in Anspruch genommen habe). Daß wir nun trotzdem von einem solchen „Geist“ mit Beisetzung des jenen Systemen entlehnten Adjektivs sprechen, hat – um es zu wiederholen16 –d seinen Grund darin, daß allerdings diejenige oder diejenigen mehreren möglichen Attitüden, welche wir so bezeichnen, uns eben jenen Organisationsformen als irgendwie spezifisch „adäquat“: aus inneren Gründen ihnen „wahlverwandt“ erscheinen, ohne daß sie doch deshalb in jedem einzelnen Falle, ja auch nur in der Mehrzahl oder dem Durchschnitt der Fälle notwendig daran gebunden wären. Es ist ja z. B. ein typischer Vorgang in aller Geschichte, daß eine (staatliche oder andere soziale) Institution in ganz den gleichen Formen weiter besteht, aber in ihrem „Sinn“ für das geschichtliche Leben, ihrer kulturhistorischen „Bedeutung“ verändert erscheint. Wenn wir in solchen d A: wiederholen –, 16  Bereits Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  615; grundlegend Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  163–169.

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Fällen von einer Änderung ihres „Geistes“ sprechen – und wir pflegen es zu tun – [,] so haben wir natürlich die unbedingte Pflicht, jeweils zu verdeutlichen, was darunter verstanden sein soll und welche konkreten Ursachen diese Änderung bedingten. Dazu in meinem Fall durch die Aufdeckung einer – allerdings m. E. einer ganz besonders wichtigen – Ursachenreihe beizutragen, welche die Herausbildung einer (wiederum: einer besonders wichtigen) konstitutiven Komponente des „Geistes“ der modernen kapitalistischen Wirtschaft bedingte: eine Färbung desselben also, welche vom Altertum und Mittelalter in wichtigen Punkten spezifisch verschieden war, – dies war die Aufgabe, welche ich mir ausgesprochenermaßen gestellt hatte. | Wenn Rachfahl, im Vertrauen darauf, daß sein Publikum zu 99 Hundertstel sicher weder meine Aufsätzee noch meine Antikritik17 gelesen hat oder lesen wird, – sich jetzt so gebärdet, als sei diese sorgfältig erwogene Begrenzung meiner Aufgabe erst ex post (natürlich womöglich: auf Grund seiner „Kritik“)18 hineininterpretiert, so erinnere ich zur Beurteilung dessen hier nur nochmals daran: daß ich als Ergebnis meiner Untersuchungen (die Stellen waren auch in meiner Antikritik zitiert!) hingestellt hatte: daß (XXI S.  107)19 „ein (NB.!) konstitutiver“ Bestandteil des „kapitalistischen Geistes“ den von mir behaupteten Ursprung habe: die spezifisch „bürgerliche Berufsethik“ (XXI S.  105)20 und speziell der „asketische“ Zug, welcher ihr anhaftete und seine Bedeutung, gegenüber den gewaltigen seelischen Widerständen der Tradition, behielt, bis der auf rein mechanischer Basis ruhende Kapitalismus unserer Gegenwart dieser Stütze entbehren konnte (XXI S.  108),21 daß ich ferner die „Ableitung“ (nicht etwa nur: des kapitalistischen Wirtschaftssystems, sondern ausdrücklich auch:) des kapitalistischen „Geistes“ (ausdrücklich ferner in meie A: Aufsätze, 17  Gemeint sind hier und im folgenden: Weber, Protestantische Ethik I und II, oben, S.  123–215 und 242–425, sowie Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  573–619. 18  Vgl. dazu Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  654. 19  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  420; zitiert von Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  602. 20 Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  416; dazu Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  596. 21  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  422.

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nem Sinne des Wortes, auf den ich unten zurückkomme)22 aus der Reformation allein „töricht“ genannt habe (XX S.  54)23 und überdies (XXf S.  4 Anm.  1 und 2, XXV S.  246)24 die Selbstverständlichkeit, daß jene religionspsychologischen Bedingungen nur unter Voraussetzung zahlreicher anderer, insbesondere auch natürlichgeographischer „Bedingungen“ die Entfaltung des Kapitalismus direkt mit herbeiführen konnten, auch noch ausdrücklich ausgesprochen hatte; – daß ich aber endlich und vor allem schon 1908, in Erwiderung (XXVI S.  275)25 auf eine der Rachfahlschen geistesverwandte Kritik, zum Überflusse auch noch, um jeder „Verab­ solutierung“ des von mir erörterten Kausalzusammenhanges vorzubeugen, nochmals feststellte: es handle sich bei meinen Untersuchungen um die Analyse der Entwicklung eines dem entstehenden Kapitalismus der Neuzeit adäquaten ethischen „Lebensstils“, und nur um diese: wenn also seitens anderer „die Tragweite meiner Ausführungen .  .  . überschätzt worden“26 sei, so sei dies nicht meine Schuld; es sei, fügte ich noch bei, sogar recht wohl möglich, daß nach Beendigung meiner Aufsätze ich „der Kapitulation vor dem historischen Materialismus geziehen“27 werde. Auch den polemischen kleinen Aufsatz, in welchem diese letzten Bemerkungen stehen, hatte Rachfahl in seiner „Kritik“ (III, Sp.  1288, Anm.)28 zitiert. Auf meinen, mit den vorstehenden Zitaten belegten Vorhalt aber, daß er trotz alledem nicht die Pflicht gefühlt habe, dies alles, obwohl er es wisse, zu berücksichtigen,29 hat er jetzt die erstaunliche Keckheit, dem Publikum der „Intern[ationalen] Wochenschr[ift]“ zu versichern: ihm sei von jenen meinen Ausfühf A: (XXI 22  Siehe unten, S.  709 f. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, S.  651–653, bes. S.  652, kritisiert Webers Verständnis von „kapitalistischem Geist“. 23 Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  215; zitiert von Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  523, und wiederum von Weber in seiner ersten Rachfahl-Antikritik, oben, S.  602. 24  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  128 f., Fn.  7 und 8, und Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  483 f. Auch Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  592, Fn.  14. 25 Gemeint ist die zweite Antikritik gegen Fischer: Weber, Bemerkungen, oben, S.  498–514. 26  Weber, Bemerkungen, oben, S.  509, Fn.  5. 27  Weber, ebd., oben, S.  510, Fn.  5. 28  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  545, Anm.  21. 29  Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  609, Fn.  28.

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rungen nichts bekannt gewesen, ja: er „habe sie auch heute noch nicht zu finden vermocht“ (Sp.  790).30 Ich stelle jedem anheim, welchen Ausdruck für dieses „Nichtkönnen“ ich gebrauchen müßte, wollte ich einen anderen Standpunkt einnehmen, als den des Achselzuckens über einen von der Manie des Rechtbehaltens um jeden Preis, auch den der literarischen Aufrichtigkeit, Befallenen. Ich konstatiere nur, daß Rachfahl überdies auch jetzt noch, wo immer es ihm gerade in den Zweck seiner Polemik hineinpaßt, auf der „von Weber vertretenen Ansicht von dem calvinistischen“ (sic, – nach allen seinen Beteuerungen, | daß er meine Ansichten „richtig“ wiedergebe!) „Monopol“ (sic) „für die“ (sic) „kapitalistische Entwicklung“ (Sp.  757 unten)31 herumreitet, obwohl er auf der andern Seite auch wieder versichert: „er habe mir ja gar nicht unterstellt, daß ich das kapitalistische Wirtschaftssystem aus religiösen Ursachen abgeleitet habe“ (Sp.  775g).32 Dem gegenüber ist es natürlich völlig gleichgültig, daß R[achfahl] ein „Exzerpt“ aus meinen Aufsätzen an die Spitze seiner Kritik gestellt hatte33 und aus deren Inhalt dort zwar keineswegs überall, aber wenigstens überwiegend auch Richtigesh wiedergab. Denn auch wo dies der Fall war, vergaß er selbst diese Reproduktion schon auf den nächsten Spalten, wie ich ihm wieder und wieder nachwies und nachweisen werde. Er war und ist eben in einer Zwangslage: da er nun einmal einen Fest­ artikel über Calvin schreiben wollte und es ihm reizvoll erschien, bei dieser Gelegenheit einem „Outsider“ seine kritische Überlegenheit als historischer „Fachmann“ zu zeigen,34 auf einem Gebiet, für welches er sich erst ad hoc „Material“ beschaffen mußte, so fiel seine „Kritik“ eben so aus, wie sie nun vorliegt, – jetzt aber muß er

g A: 759  h A: richtiges 30  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  660 („[.  .  .] bis jetzt noch nicht“ [.  .  .]). 31  Rachfahl, ebd., oben, S.  664, Anm.  22. 32  Rachfahl, ebd., oben, S.  651 (bei Rachfahl: „Ich habe ihm aber gar nicht ‚unterstellt‘, daß er [.  .  .]“). 33  Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  523–532 (Teil  I). 34  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  631, äußert zu Teil  V seiner ersten Kritik, er habe auf Wunsch der Redaktion der „Internationalen Wochenschrift“ aus Anlaß des Calvin-Jubiläums 1909 im Anschluß an seine Kritik der „Weberschen Theorie“ (d. h. Teil  I-IV) „eine allgemeine Charakteristik der geschichtlichen Bedeutung Kalvins und seines Werkes gegeben“. – Zu „Outsider“ und „historischer ‚Fachmann‘“ vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  522 f.

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schon aus ressortpatriotischen Gründen „Recht behalten“, und, damit dies möglich sei, muß meine „These“ so aussehen, wie sie zu seiner „Kritik“ paßt. Man tut eben nicht gut, in diesem „Geiste“ an eine literarische Aufgabe zu gehen. Zur Charakteristik des daraus sich ergebenden Niveaus seiner Polemik mache ich hier nur noch darauf aufmerksam, wie gütig Rachfahl meine (offenbar recht bedauernswerten) „Freunde und Anhänger“ darauf hinweist, daß ich jetzt (vermutlich um mich vor seiner Polemik zu retten?) sie „rauh abschüttle“2).35 | Schein2)  Damit übrigens kein Zweifel obwaltet, wen ich mit jenen „Anderen“ seinerzeit gemeint habe, deren Verwertung meiner Ansichten mir (hie und da) einseitig erschien, bemerke ich: vor allem hat Hans Delbrück m. E. in der Tat viel zu sehr in die Trompete gestoßen, wie denn einzelne Historiker noch immer darauf aus sind, vor allem „Widerlegungen“ der materialistischen Geschichtsauffassung geliefert zu erhalten.36 Auch kann ich die (übrigens mit viel Geist unternommenen) Ideenkonstruktionen von F[erdinand] J[akob] Schmidt (ebenfalls in den Preuß[ischen] Jahrbüchern),37 die, scheint mir, gleichfalls etwas zu viel aus dem schließen, was ich bisher allein näher ausführen konnte, nur als „Konstruktion“ gelten lassen, ohne sie damit übrigens an sich niedrig werten zu wollen. Der „britische Imperialismus“ meines Freundes v. SchulzeGävernitz ist sicherlich sehr weit davon entfernt, eine einfache Konstruktion, und vollends eine solche an der Hand nur meiner Ansicht zu sein, wie R[achfahl] behauptet hat.38 Soweit er diese überhaupt verwertet, hat er sie überdies seinerseits in sehr glücklicher Weise ergänzt und erweitert. Daß er die Kausalreihen „einseitig“, nach der spiritualistischen Richtung hin verfolgt, wird er freilich selbst nicht in Abrede stellen: es ist dies zugleich seine Stärke und, wenn man will, seine Schwäche;39 ich trete insbesondere in dem Punkt: daß der Dualismus der Squirearchie und der bürgerlichen, immer wieder, noch in der Cobdenschen Bewegung in charakteristischer Art an den Dissent angelehnten Mittelklassen durch die ganze englische Geschichte der letzten 300 Jahre

35  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  661. 36  Weber bezieht sich auf Delbrück, Besprechung von Sombart. Delbrücks Gesamturteil über Sombart lautet: „[D]as Werk ist eine schwere Enttäuschung“ (S.  334). Sombarts „Unglück“ liege darin, „früh von Karl Marx eingefangen worden zu sein“ – „[w]er aber einmal in die Tretmühle dieses Pseudodenkers hineingerathen ist, der findet [.  .  .] nicht so leicht zur echten Wissenschaft wieder zurück“ (S.  347). Zur Kontroverse zwischen Delbrück und Sombart vgl. auch Max Webers Brief an Alfred Weber vom 30. Jan.  1907, MWG II/5, S.  231–236. 37  Gemeint ist: Ferdinand Jakob Schmidt, Kapitalismus und Protestantismus. 38 Schulze-Gaevernitz, Britischer Imperialismus. Von Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  549, Anm.  25, zitiert mit der Notiz: „[.  .  .] ist ganz beherrscht von der Weberschen These“ (vgl. auch ebd., S.  554). 39  Dem entspricht Webers Urteil im Brief an Alfred Weber vom 30. Jan.  1907, MWG II/5, S.  231–236: „Was den Schulze-Gävernitz’schen ‚Imperialismus‘ anlangt, so bin ich insoweit natürlich Deiner Ansicht, als diese Übertreibungen von Ansichten, die ich auch vertrete, in der That notwendig diesen Ansichten selbst schaden müssen, so glänzend das Buch ist“ (Zitat S.  236).

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bar hält er solche (in einer ernsten Arbeit doch eigentlich recht geht, natürlich den Bemerkungen von Bonn durchaus bei.40 Auch Schulze-Gäver|nitz A 559 wird aber diesen Sachverhalt nicht bestreiten. – Mit Übertreibungen, wie sie speziell Delbrück vornahm,41 war dem Zweck, den mein, ein fest umrissenes Thema, und zwar, wie ich denn doch wohl behaupten darf: in schlichter und prätensionsloser Sachlichkeit, behandelnder Aufsatz verfolgte, in der Tat nicht gedient. Aber ich war dafür nach meineni ausdrücklichen Vorbehalten einerseits nicht verantwortlich und habe überdies, wie Rachfahl genau wußte, – denn wie gesagt: er zitiert die betreffende Abhandlung42 – bei der ersten gegebenen Gelegenheit das meinige getan, sie gar nicht erst aufkommen zu lassen, so daß es der nachträglichen freundlichen Nachhilfe R[achfahl]s wohl kaum bedurfte. Wenn er trotzdem solche Übertreibungen gegen mich ausspielt,43 so mag er das mit seinem literarischen Anstandsgefühl abmachen.   Die Wiedergabe meiner Ansichten durch Troeltsch,44 bei dem einige wenige Sätze allenfalls der Beflissenheit eines „Kritikers“, der solche Zitate nach Art der talmudischen Exegese von Thorastellen auspreßt (und dies jetzt gar noch für das Wesen der „historischen Kritik“ erklärt!)[,]45 Anlaß zu einer Fruktifikation in Rachfahls Art geben konnten, – und vollends die kurze Bemerkung v. Schuberts46 gehören natürlich

i A: meinem 40  Weber bezieht sich auf Moritz Julius Bonn, [Rez. Schulze-Gaevernitz,] Britischer Imperialismus. Dieser stimmt Schulze-Gaevernitz zu, daß das moderne industrielle England ein Werk der Puritaner und Nonkonformisten sei, hebt darüber hinaus aber hervor, daß die englische Geschichte „seit mehr als drei Jahrhunderten“ „ein Kampf [.  .  .] zwischen ‚Rundköpfen‘ und ‚Kavalieren‘“ gewesen und das „‚Merry England‘“ des Elisabethanischen Zeitalters „entgegen den Schulzeschen Ausführungen“ nie verschwunden sei: Es habe in der „‚Squirerarchie‘ [„Landjunkertum“, Ed.] lustig fortgelebt“, die England bis um 1850 beherrscht habe, d. h. bis in die Zeit der Cobdenschen Anti-Corn-Law-League. – Vgl. dazu auch Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  595, Fn.  14 mit Anm.  22. 41 Gemeint ist: Delbrück, Besprechung von Sombart; vgl. oben, S.  672, Fn.  2 mit Anm.  36. 42  Siehe oben, S.  670 mit Anm.  28. Gemeint ist die zweite Antikritik gegen Fischer: Weber, Bemerkungen. 43  Weber dürfte auf Rachfahls Äußerung: „Übertreibung des Einflusses religiöser Momente und Lehren auf die reale Entwicklung – das ist der charakteristische Zug der Troeltsch-Weberschen These“, anspielen (Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  557, ähnlich Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  631 und 633). 44  Vgl. Troeltsch, Protestantisches Christentum, und Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus (wie oben, S.  42 f., Anm.  65). – Weber bezieht sich im folgenden auf die von Rachfahl genannte, die „Protestantische Ethik“ positiv rezipierende Literatur (vgl. Rachfahl, Kalvinismus, S.  522 f.). 45  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, S.  629, ist der Auffassung, historischer Kritik hafte nun einmal „,Kleinlichkeit‘“ an. 46  Vgl. das von Rachfahl beigebrachte Zitat Hans v. Schuberts über Calvin (ders., Calvin. Rede bei der akademischen Calvin-Gedächtnisfeier in der gr[oßen] Aula der Universität Heidelberg am 11. Juli 1909. – o.O.: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1909, S.  32): Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  522 f. mit Anm.  6 (vgl. auch ders., Nochmals Kalvinismus, oben, S.  660).

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läppische!) Mätzchen, von denen leider seine Kritik und Replik wimmeln, für „geistreiche Bosheiten“? – Indessen: zur Sache selbst. | überhaupt nicht hierher. Was aber gar den ebenfalls genannten E[berhard] Gothein anlangt, so weiß Rachfahl nicht oder hat, da er es bei mir hätte zitiert lesen können, wieder einmal einfach vergessen, daß dessen hierher gehörige Bemerkungen über ein Jahrzehnt vor Erscheinen meines Aufsatzes gedruckt waren.47 Gothein hat natürlich seinen Standpunkt seitdem nicht geändert. – Wo ich gegenüber Schriftstellern, die sich in ihren Ergebnissen mit mir berühren, wirklich Differenzen zu haben glaube, pflege ich dies natürlich nicht zu verschweigen. So hat sich jetzt Troeltsch durch die kecke Sicherheit von Rachfahls Auftreten den Eindruck beibringen lassen, als hätte ich doch wohl irgend etwas zur Begründung meiner Ansichten erst „nachgeholt“.48 Sehr zur Wonne Rachfahls, versteht sich, der sich, ganz nach seiner Manier, natürlich nunmehr statt anderen Beweisen auf ihn als Kronzeugen beruft. Ich meinerseits kann nur erneut bitten, sich durch Lektüre meines Aufsatzes davon zu überzeugen: daß alles, was in meiner Antikritik gesagt ist, ganz ebenso deutlich schon in meinen Aufsätzen gestanden hat. In meiner Antikritik ist lediglich auf den Einwurf betreffend Hamburgs und der holländischen Entwicklung mit zwei Einzelheiten geantwortet49 und sind – was ich, da schon Gothein die These von der Bedeutung speziell des Calvinismus für Deutschland begründet hatte,50 nicht für nötig hielt, – die Verhältnisse des Wuppertals zitiert (ich hätte für den Pietismus noch Calw hinzufügen können).51 Das ist alles! Was aber besagen diese winzigen „Neuheiten“ gegenüber dem, was in meinen Aufsätzen für alle großen Hauptgebiete der Ausbreitung des asketischen Protestantismus (England, Frankreich, Niederlande, Amerika) gesagt war? – Daß Troeltsch, der lediglich für sich A 560 antwortete und mich nur nebenher erwähnte,52 | nicht noch einmal ad hoc für eine Polemik über seine Thesen meinen Aufsatz von A bis Z durchsah, versteht sich in der

47 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  522 mit Anm.  5, zitiert aus Gothein, Eberhard, Staat und Gesellschaft des Zeitalters der Gegenreformation, in: Hinneberg, Paul (Hg.), Die Kultur der Gegenwart. Ihre Entwicklung und ihre Ziele, Teil  II, Abt. V, 1. – Berlin und Leipzig: B. G. Teubner 1908, S.  127–230 (Zitat S.  226); Weber, Protestantische Ethik I, S.  136 mit Fn.  14, zitiert hingegen aus Gotheins 1892 erschienener „Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes“. 48  Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, S.  454 f. (KGA 8, S.  151 f.), räumt gegenüber Rachfahls Kritik ein, er könne einige von Webers Sätzen unscharf wiedergegeben haben: „Allein mit diesen Irrtümern, so groß oder klein sie sein mögen, darf Webers Theorie nicht belastet und widerlegt werden. [.  .  .] Seine Theorie ist in ihrer Richtigkeit oder Unrichtigkeit völlig unabhängig von diesen bei mir sich findenden Sätzen“ (Zitat S.  454; KGA 8, ebd.). Aufgegriffen von Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  629. – Troeltsch, ebd., S.  451–460 (KGA 8, S.  147–161), äußert sich sogar prinzipiell über das Verhältnis seiner Arbeiten zu denjenigen Max Webers. 49  Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  587 f. (zu Hamburg) und S.  592–595, Fn.  14 (zur holländischen Entwicklung). 50  Vgl. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, S.  673 ff. 51 Zum Wuppertal vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  586; zum Pietismus in Calw vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  139. 52  Dazu auch oben, Anm.  48.

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Die Replik Rachfahls beginnt mit einem längeren Ausfall gegen Troeltschs Antikritik in der Intern[ationalen] Wochenschr[ift] (Jahrgang IV Nr.  15 und 16).53 Ob Troeltsch es der Mühe wert findet, darauf zu antworten, weiß ich nicht.54 Ich meinerseits habe, da ich nun einmal überhaupt antworte, ein Interesse daran, aus dieser Diskussion auf folgendes hinzuweisen: in der „Kritik“ Rachfahls (Jahrg. III Sp.  1329)55 hieß es (nach Anführung von Beispielen, in welchen, wirklich oder angeblich, keine Einwirkung religiöser TatTat leicht. Er hielt eben Rachfahl für wenigstens partiell zuverlässig. Aber jemand, der diese Aufsätze von Grund auf j „kritisiert“ zu haben behauptet, und dabei noch, wie wir sehen werden,56 mit der „Exaktheit“ seiner „historischen Kritik“ (ausdrücklich im Gegensatz zu Troeltsch!) prunken will?   Eine besonders charakteristische Leistung bietet dann Sp.  792/93,57 wo in der bei Rachfahl beliebten breiten Art, unter Verwendung von Fettdruck für die einzelnen Worte, an die er sich klammern möchte, den Lesern vorgeführt wird, daß, weil ich einmal davon rede, daß „der asketische Protestantismus für den Kapitalismus“ – der Zusammenhang ergibt natürlich: für die jener Zeit, von der ich rede, spezifische Art von bürgerlich-kapitalistischer Entwicklung – auch die entsprechende „Seele“ schaffe: die Seele des „Berufsmenschen“,58 – eben doch schließlich nach meiner These der von mir analysierte „Habitus“ allein und an und für sich alles in sich enthalte, was an Motiven im heutigen (!) Kapitalismus wirke (soweit er nicht jüdischen Ursprungs sei, wird mir hier freundlichst noch untergeschoben,59 weil ich mit einem einzigen Worte an einer gänzlich anderen Stelle60 gelegentlich auch die Bedeutung des Verhaltens der Staaten gegenüber den Juden erwähnt hatte, als eines Falles, wo Toleranz oder Intoleranz in der Tat – s. u.61 – ökonomisch relevant werden konnte). Und das schönste ist, daß j A: aus 53 Der „Ausfall“ gegen Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, bei Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  629–637. 54  Troeltsch verfaßte keine zweite Antikritik. In der 1911 erschienenen Zweitauflage: Troeltsch, Ernst, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt (Historische Bibliothek, Band   24). – München, Berlin: R. Oldenbourg 1911, S.  1–66 (KGA 8, S.  183–316), heißt es S.  8 (KGA 8, S.  207): „Auf den von ihm [Rachfahl] eingeschlagenen Ton kann und mag ich nicht eingehen; auf einzelnes habe ich in meinen ‚Soziallehren‘ geantwortet“ (Zusammenstellung der betreffenden Seiten in Troeltschs „Soziallehren“, in: KGA 8, S.  207, Anm.  13). 55  Das folgende Zitat: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  557. 56  Siehe im Folgenden, bes. unten, S.  676–685 mit Fußnoten. Im Hintergrund stehen Rachfahls Äußerungen über Troeltsch, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  629–631, sowie Rachfahls an Weber und Troeltsch gerichtete Forderung „[g]rößerer Exaktheit“ (ebd., S.  655). 57  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  662. 58  Rachfahl, ebd., zitiert Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  607. 59  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  662. 60  Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  585. 61  Siehe unten, S.  684–692.

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bestände auf politische Geschehnisse stattgefunden haben sollte): „aus allem dem erhellt doch eins: wie wenig sich die politische, wirtschaftliche und weltliche Entwicklung überhaupt (sic) durch religiöse Lehren binden läßt, wenn diese das rein religiöse Gebiet überschreiten“3). | Jetzt heißt es (Sp.  718):62 „ich (Rachfahl) habe

R[achfahl] auf Grund dieser kläglichen Wortklauberei es einerseits (Sp.  793)63 „mindestens verzeihlich“ findet, daß andere auf Grund jener von ihm zusammengetragenen Worte zu einer „Verabsolutierung“ jenes einen Motivs gelangt seien, andererseits (Sp.  792)64 als solche, denen dies passiert sei, neben Troeltsch auch Gothein (der[,] wie gesagt,65 über ein Jahrzehnt vor mir schrieb) und v. Schubert nennt, nachdem er vorher (Sp.  791)66 versichert hatte, er selbst sei nicht in diesen, von ihm, wie wir sahen,67 sowohl in seiner Kritik wie, je nach Bedarf, noch jetzt vertretenen Irrtum über meine Ansichten verfallen. Ich finde das alles in der Tat lediglich „subaltern“.68 – Und in welchem Tone soll man eigentlich einem „Kritiker“ antworten, der davon redet, ich hätte neuerdings in einer „Antikritik“ Versuche gemacht, Aufgaben zu lösen, an die ich mich vorher „nicht gewagt“69 hätte? 3)  Diese Formulierung allein schon ist für einen Historiker doch eigentlich | allzu A 561 naiv. Ob etwas „das religiöse Gebiet überschreitet“, – eben dies ist bekanntlich in allen Kulturkämpfen aller Geschichte und bis heute der unerledigte Streitpunkt, um den sich alles dreht. R[achfahl] behauptet: ihm falle es nicht schwer, die Grenzlinie anzugeben,70 – daß er es gleichwohl unterläßt, dies zu versuchen, scheint mir kein Verlust für uns. Denn er äußert weiterhin die wunderliche Ansicht, daß für diesen Punkt, „die handelnden Personen der Geschichte oft einen merkwürdig feinen Instinkt bewiesen“71 haben. Nun: dieser „feine Instinkt“ gestattete z. B. manchen hugenottischen Heerführern die Piraterie, derselbe Instinkt aber veranlaßte die hugenottische Kaufmannschaft nicht nur, sondern auch die ökonomisch uninteressierten Teilnehmer der Hugenottensynoden (die doch auch „handelnde“ Personen waren) zu dem Versuch, sie dieserhalb zur Rechenschaft zu ziehen.72 Der gleiche „Instinkt“ veranlaßte die Stuarts zum

62  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  633. 63  Rachfahl, ebd., oben, S.  662. 64  Rachfahl, ebd., oben, S.  661. 65  Siehe oben, S.  674, in derselben Fn. 66  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  661. 67  Siehe Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  573–619. 68  Bereits Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  618, Fn.  35. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  662, auch S.  654, spricht daraufhin von Webers „trivial-subalterne[m] Standpunkt“. 69  Anspielung auf Rachfahl, ebd., oben, S.  645. 70  Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S.  634. 71  Zitat: Rachfahl, ebd. 72  Auf der ersten Nationalsynode der französisch-reformierten Gemeinden in Paris 1559 wurde unter den „faits speciaux“, Art.  XIII, festgehalten, daß Piraten (Pirates) wie andere, die sich vor Aufnahme in die Kirche (Compagnie) fremden Gutes unrechtmäßig bedient hätten, dieses nach Möglichkeit dem Eigentümer zurückgeben und, falls sie Buße und Reue zeigten, zum Abendmahl zugelassen werden sollten. Vgl. Aymon, Synodes Nationaux I, p.  10 f.; Polenz, Calvinismus I, S.  453. Als unter dem Prinzen von Condé (Henri I. de Bourbon, 2. Prince de Condé) „eine Prise auf der See“ gemacht

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bestimmte konkrete Fälle vorgebracht, in denen Übertreibungen Kampf gegen die asketische Sonntagsruhe der Puritaner73 und die radikalen Schichten dieser zum Kampf gegen die Zehnten, auf denen z. B. die Existenz der Universitäten ruhte, und dies wieder Cromwell zum Bruch mit ihnen.74 Eben dieser angeblich eindeutige Instinkt inspirierte einerseits Bismarcks Maigesetze,75 andererseits die Anordnungen des Papstes über das politische Verhalten der Katholiken in Italien und Deutschland76 und endlich die Opposition der Zentrumspartei einerseits gegen die Maigesetze,77 andererseits (gelegentlich) gegen den Papst.78Alle Schwierigkeiten, de-

wurde, mahnte ihn das Konsistorium von La Rochelle vom Abendmahl ab. Auf die Appellation des Prinzen an die (IX.) Nationalsynode zu Sainte-Foy hin (1578) bestätigte diese die Maßnahme des Konsistoriums. Nach Polenz, ebd., S.  467 f. (Zitat S.  468); Aymon, ebd., p.  133 f. (dort aber mit der Aufforderung an den Prinzen und das Konsistorium, sich aufeinander zuzubewegen). 73  Mit Hilfe des „Book of Sports“. Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, S.  398. 74  Mit den „radikalen Schichten“ der Puritaner ist hier die Mehrheit des Parlaments der „Heiligen“ Oliver Cromwells von 1653 gemeint, die für die Abschaffung des „Zehnten“ plädierte, woraufhin das Parlament aufgelöst wurde. Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  458 mit Anm.  86. 75  In Bismarcks „Maigesetzen“ 1873 kulminierten die „Kulturkampf“-Maßnahmen der preußischen Regierung. Sie betrafen die inneren Angelegenheiten der katholischen Kirche: Eines von vier Gesetzen stellte die Ausbildung und Anstellung der Geistlichen unter staatliche Aufsicht, ein weiteres sah die Einrichtung eines königlichen Gerichtshofs zur Eingrenzung der kirchlichen Disziplinargewalt vor. Hinzu kam ein Gesetz über die Begrenzung „kirchlicher Straf- und Zuchtmittel“ und eines über den Kirchenaustritt. (Enthalten in: Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten. – Berlin: Gesetzsammlungsamt 1873, S.  191–208.) 76  Papst Pius IX. verlangte von der katholischen Bevölkerung Italiens, die parteipolitisch nicht organisiert war, an den Parlamentswahlen nicht teilzunehmen (Dekret „Non expedit“ vom 10. Sept. 1874). – Im Blick auf den deutschen Kulturkampf erklärte Pius IX. die jüngsten Kirchengesetze in der Enzyklika „Quod numquam“ vom 5. Feb­ ruar 1875 für „ungültig“ und ermahnte die Bischöfe in Preußen, an ihrem Widerstand gegen die Staatsgewalt festzuhalten, bei Strafe der Exkommunikation (letzteres: Abdruck bei Schulthess, H[einrich] (Hg.), Europäischer Geschichtskalender, 16. Jg. 1875. – Nördlingen: C. H. Beck 1876, S.  408–411, hier S.  410). 77  Schon in der Debatte im preußischen Abgeordnetenhaus am 9. Mai 1873 hatte der Zentrumsabgeordnete Ludwig Windthorst entschiedenen Widerspruch seitens der Katholiken erklärt. (Vgl. Schulthess, H[einrich] (Hg.), Europäischer Geschichtskalender, 14. Jg., 1873. – Nördlingen: C. H. Beck 1874, S.  130–132.) Der Widerstand, den das Zentrum unterstützte, begann mit der Eingabe des preußischen Episkopats an das Staatsministerium vom 26. Mai 1873 (in: Siegfried, Nikolaus, Actenstücke betreffend den preußischen Culturkampf. – Freiburg i.Br.: Herder’sche Verlagsbuchhandlung 1882, S.  188 f.) und mit dem Einspruch im Schreiben Papst Pius IX. an Kaiser Wilhelm I. vom 7. August 1873 (in: ebd., S.  198). Noch während 1886/87 Preußen und die katholische Kirche zur Beendigung des Kulturkampfes eine Novellierung aushandelten, kämpfte Windthorst für eine vollständige Revision der Maigesetze (vgl. Bachem, Karl, Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei [.  .  .], 4. Band. – Köln: J. P. Bachem 1928, S.  140 f., 146 f., 227 f. und S.  236). 78  Z. B. stimmte das Zentrum im Januar 1887 gegen Bismarcks Militäretat und stellte

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des Einflusses religiöser Momente .  .  . begangen worden sind; daraus habe ich aber keinen (sic) allgemeinen Schluß nach | der von

nen das vatikanische Dogma79 ausgesetzt ist und sein wird[,] und alle Schwierigkeiten der Trennung von Kirche und Staatk resultieren aus der in der Sache liegenden Unmöglichkeit, eine Grenze des religiös Relevanten eindeutig zu bestimmen. Daß also nur „moderne Theologen“ über jene Grenze im Zweifel sein könnten (Sp.  719),80 gehört wohl in die politische Kinderstube. Solche Dinge sind ja allbekannt, und es ist mir wirklich nicht eingefallen, sie, wie R[achfahl] mir in hämischer Form vorhält, für „originell“ auszugeben.81 Und wenn ich deshalb auch wahrhaftig nicht der Ansicht war, daß „ganze Generationen von Historikern“82 sich mit der Ausschöpfung jener palpablen Dinge noch befassen müßten, – denn jeder sachlich ernst diskutierende Historiker vergißt dergleichen eben auch nicht, wie Rachfahl, in der Polemik zum Zweck des Rechtbehaltens, – so glaube ich doch nach wie vor, daß sie R[achfahl] selbst und seinesgleichen gelegentlich nachdrücklich in die Erinnerung zurückgerufen werden müssen. – Rachfahl hat sich eben den Kampf gegen eine vermeintliche „Heidelberger“ Spezialität zur speziellen Aufgabe gemacht. Eine mir vorliegende Dissertation, mit der bei ihm promoviert wurde, die sich u. a. mit den Arbeiten von G[eorg] Jellinekl über die religiöse Mitbedingtheit der „Menschenrechte“ beschäftigt,83 zeigt, wie ich mich überzeugen konnte, die gleiche Manier bei der Wiedergabe bekämpfter Ansichten und dem Aufspüren angeblicher „Widersprüche“ u. dergl. wie R[achfahl]s eigene „kritische“ Leistung. Nun ist gewiß niemand geneigt und verpflichtet, die Verantwortung für alles A 562 zu übernehmen, was in Dissertationen, auf die hin er promoviert, steht, | – ich meinerseits würde das wenigstens ablehnen. Aber die „Manier“ ist im vorliegenden Falle schwerlich zufällig. – Wenn übrigens R[achfahl] seinerseits gegenüber Troeltsch seine Ansicht über die Entwicklung der amerikanischen Demokratie dahin resumiertm

k A: Staat,  l A: Jellinek,  m A: resumiert, sich damit gegen den ausdrücklichen Wunsch Papst Leos XIII., der mit dieser Intervention Bismarck für eine Beilegung des Kulturkampfes gewinnen wollte. (Im neuen Reichstag enthielt sich das Zentrum in dieser Frage im März 1887.) Vgl. Bachem, ebd., S.  148–217, bes. S.  165–174 und 202–206. 79  Gemeint ist das auf dem 1. Vatikanischen Konzil 1870 verabschiedete Dogma der Unfehlbarkeit (Infallibilität) päpstlicher Lehrentscheidungen in Glaubens- und Sittenfragen: Wenn der Papst „ex cathedra“ spricht, d. h. in Ausübung seines Amtes als Oberhaupt der Christenheit kraft seiner apostolischen Autorität über eine Lehre entscheidet, dann sind solche Entscheidungen „ex sese, non autem ex consensu ecclesiae irreformabiles“. Zitat nach Mirbt, Carl, Art.  Vatikanisches Konzil, in: RE3, 20. Band, 1908, S.  445–474, hier S.  468. 80  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  634. 81  Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S.  662 f., Anm.  40. 82  Rachfahl, ebd. 83  Weber dürfte den Teildruck: Hägermann, Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, im Auge haben, der am 10. Februar 1910 als Dissertation an der Universität Kiel eingereicht wurde. Hägermanns Dissertation ist genannt im Jahres-Verzeichnis der an den Deutschen Universitäten erschienenen Schriften XXV. 15. Aug. 1909 bis 14. Aug. 1910. – Berlin: Behrend & Co 1911, mit „Ref[erent] Rachfahl“.

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Troeltsch behaupteten Richtung hin4) gezogen, und wenn er mir einen solchen unterschiebt (sic), so ist das ein Verfahren, das ich hier lieber nicht charakterisieren will, da ich dann sehr bittere Worte (sic) wählen müßte.“ – So ist R[achfahl]s Replik durchweg beschaffen, wie sich zeigen wird. Aber soll man da nun selbst „bittere Worte brauchen“? Ich meinerseits stehe erheitert und bereue es im Gegenteil aufrichtig, einen verworrenen Kritiker5), dem es (III Sp.  1358),84 dieselbe habe sich „im wesentlichen von selbst entwickelt“, – so dürfte diese originelle Lösung des Problems den Vorzug einer für alle historischen Fragen empfehlenswerten Einfachheit an sich tragen. Im Ernst gesprochen: die völlige Selbstverständlichkeit der religiösen Basis des Lebens war in dem formal streng neutralen amerikanischen Staat gerade das, was ihn am wesentlichsten von europäischen und anderen Demokratien unterschied und was, – wie gerade Troeltsch vortrefflich herausgearbeitet hat, – auch der „Trennung von Staat und Kirche“ dort ein so völlig anderes Cachet gab als bei uns.85 Man kann ernstlich fragen: ob ohne diese (wie auch ich in der Christl[ichen] Welt hervorhob)86 im Leben überall vorausgesetzte Selbstverständlichkeit die amerikanische Demokratie in ihrer alten Eigenart möglich gewesen wäre. Heute schwindet das und ist natürlich z. B. das Gebet, mit dem der höchste Gerichtshof so gut wie auch jede Parteiversammlung eröffnet wurde,87 ebenso wie der „chapel record“ (sic), von dem als Erfordernis für die Anrechnung des Semesters die Statuten vieler Universitäten reden,88 zu einer Farce geworden wie etwa der Gottesdienst vor der Reichstagseröffnung bei uns. Aber das war früher sehr anders! 4) Troeltsch sagt (und Rachfahl zitiert dies): Rachfahl habe durch seine Beispiele „die Unwirksamkeit des religiösen Moments gegenüber dem allgemeinen Leben veranschaulichen“ wollen.89 5)  Rachfahl selbst führt für sich an, er sei durch meine Darlegungen konfus geworden.90 Dafür darf ich die Verantwortung ablehnen, wie Rachfahls Kritik und Replik jedem zeigen, der es sehen will. |

84  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  567 (kein wörtliches Zitat). 85  Gemeint ist Troeltschs Rede „Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten“, die er als Prorektor der Universität Heidelberg zum Jahresfest der Universität am 22. November 1906 hielt (vgl. die Druckfassung: Troeltsch, Trennung von Staat und Kirche). 86  Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, bes. S.  454 f. mit Webers Fn. 87  Bryce, American Commonwealth II, berichtet, daß Parteiversammlungen (p.  176 und 186) und auch Sitzungen des House of Congress (p.  576) mit einem Gebet eröffnet werden; Münsterberg, Die Amerikaner II (wie oben, S.  433, Anm.  26), berichtet dies auch für Feste, Bankette und andere Versammlungen (S.  190). 88  Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  435 f. mit Anm.  4. 89 Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, S.  468 (KGA 8, S.  170); zitiert bei Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  633 (bei Troeltsch und Rachfahl: „die Unwirksamkeit des religiösen Elementes [.  .  .]“). 90  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  661.

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solche Kümmernisse verursacht, wenn man ihm seine eigenen Behauptungen vorhält, jemals so ernst genommen zu haben, wie es, immerhin, geschah. Ein anderer Zweck einer Polemik, als der, dem „Publikum“ gegenüber im Recht zu scheinen,91 ist R[achfahl] offenbar unfaßbar. Weiter: In meiner Antikritik (Archiv XXX S.  177 Zeile 23)92 verweise ich (unter Angabe des Orts, nämlich: Archiv XX S.    19 Anm.  1)93 gegenüber den irrtümlichen Angaben Rachfahls über die Beziehungen von Sombarts Arbeiten zu den meinigen auf meine ausdrücklichen und erschöpfenden Bemerkungen über diesen Punkt, die bereits in meinem, von R[achfahl] „kritisierten“, Aufsatz stehen. Die Replik Rachfahls hierzu lautet: „daß Sombarts Kapitalismus Einfluß auf Webers These ausgeübt hätte, berichtet Troeltsch (sic), – wie (sic) | hätte ich auf die Vermutung kommen sollen, daß er (Troeltsch!) .  .  . falsch orientiert wäre?“1 Was ferner die Beziehungen zwischen den Arbeiten von Troeltsch und mir anlangt, so haben Troeltsch sowohl wie ich erklärt,2 1. daß und warum keiner von uns für die Leistung des anderen verantwortlich ist; – 2. daß für die „Thesen“, welche Troeltsch vertritt, meine „These“ kein Beweisgrund ist und umgekehrt: jeder von uns könnte für seine Aufstellungen völlig Recht haben, auch wenn der andere mit den seinigen gänzlich fehlgehen sollte; – ferner 3. daß die Resultate meiner Arbeiten aber allerdings eine mit Troeltsch’s Ergebnissen sehr gut zusammenstimmende Ergänzung dieser letzteren darstellen, von welcher demgemäß 4. Troeltsch referierend Notiz genommen hat, wobei ihm 5. in einigen für ihn gänzlich unwesentlichen Einzelpunkten kleine Irrtümer untergelaufen sind (die dann Rachfahl, wie ich hervorhob,3 in

91 Vgl. etwa die Polemik am Ende seiner Kritik: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  663 f. 92  Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  575, Z.  15 – S.  576, Z.  1. 93  Weber, Protestantische Ethik I, S.  154, Fn.  27. 1  Zitat: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  626 (dort: „können“ statt „sollen“). Bezug ist Sombart, Der moderne Kapitalismus I. 2 Zum folgenden vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  575 f., und Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, S.  451–460 (KGA 8, S.  147– 161). 3  Siehe oben, S.  673, Fn.  2.

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überaus kleinlicher Weise zu „fruktifizieren“ versucht hat)6). Ich hatte es nun „illoyal“ genannt,4 daß ein angeblicher „Kritiker“ Unterschiede zwischen Troeltsch und mir, welche für jedermann offensichtlich Unterschiede in der Terminologie sind (kombiniert mit jenen an sich gänzlich gleichgültigen Irrtümern in der Wiedergabe einiger weniger meiner Formulierungen), dazu benutzt, um seinem Publikum gar nicht vorhandene Differenzen in der Sache vorzutäuschen und dabei auf der anderen Seite doch von „Troeltsch-Weberschen Begriffen“ gerade an denjenigen Punkten („Askese“) spricht, wo jene von ihm selbst zu Zwecken „effektvoller“ Polemik ausgenutzten, wie Jedermann sehen mußte: rein terminologischen Differenzen zwischen uns bestehen7).5 Dies Geschäft betreibt R[achfahl] 6)  Damit übrigens auch hier kein Zweifel bleibe: Es handelt sich um solche Kleinig- A 563 keiten, wie die Irrtümer Troeltschs über mein Verhältnis zu Sombart,6 ferner über das, was in meinem Aufsatz über die Reformierten in Ungarn schon gesagt7 war und ähnliches, um Dinge also, welche Rachfahl noch jetzt, nachdem ich ihn auf die Irrtümlichkeit seiner aus Troeltsch entnommenen Behauptungen in meiner Antikritik hingewiesen habe,8 seinem Publikum auftischt,9 – was ihn ergötzlicherweise nicht hindert, Troeltsch, der diese Dinge mit Recht für herzlich gleichgültig hält, darauf hinzuweisen, daß die historische Kritik solchen Sünden gegenüber „nicht den Mut haben wird, sich zu diesem ebenso erhabenen wie angenehmen Standpunkt emporzuschwingen“ (sic).10 7)  Jahrgang III, Sp.  1257:11 „Damit gelangen wir zur fundamentalen Differenz (zwischen Troeltsch und mir) .  .  . der Auffassung (sic) von der altprotestantischen Askese“, – diese besteht darin (Sp.  1258):12 „daß er“ (ich) „von einer gesamtaltprotestantischen

4  Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, S.  575, Fn.  2, auch S.  574, aufgegriffen von Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  626–629. 5  Ähnlich argumentiert Weber schon in: Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  583, Fn.  9. 6  Vgl. Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus (wie oben, S.  42 f., Anm.  65), S.  43 (KGA 8, S.  272), thematisiert von Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  525. Sein Verhältnis zu Sombart hatte Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  575 f., schon klargestellt. 7  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, S.  128 f., Fn.  7 und 8. 8  Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  592, Fn.  14. – Für seine Bemerkungen über Ungarn geht Rachfahl an beiden Stellen von Troeltsch aus: Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  544 (Rachfahl zitiert: Troeltsch, Protestantisches Christentum, S.  358; KGA 7, S.  283) und S.  555 f. (Rachfahl zitiert: Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus – wie oben, S.  42 f., Anm.  65 –, S.  45; KGA 8, S.  276). 9  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  626 (Sombart) und S.  628, Anm.  6 (Ungarn). 10  Zitat: Rachfahl, ebd., oben, S.  629. 11  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  539. 12  Rachfahl, ebd. (Rachfahl hatte in seiner Schlußanmerkung „Ethik“ zu „Askese“ kor-

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auch jetzt noch gelegentlich | in gleicher Art weiter7a). Wenn er aber dabei nunmehr sogar (Sp.   731)13 sagt: sowohl Troeltsch als ich „erkennen an (sic), daß sie mit dem Wort Askese verschiedenartige Vorstellungen verbinden“, so wird der Versuch, dieses „Anerkenntnis“ als Verdienst seiner „Kritik“ in Anspruch zu nehmen, nur den täuschen, der weder Troeltschs noch meine Arbeiten gelesen hat. Denn da Troeltsch ganz ausdrücklich von der Askese im Luthertum sprach,14 ich ganz ausdrücklich meinen ganz andersartigen Askesebegriff als auf das Luthertum (und noch andere protestantische Gemeinschaften) nicht nur nicht zutreffend, sondern in schärfstem Gegensatz zu ihm stehend bezeichnet hatte,15 so brauchte für die Feststellung dieses terminologischen Unterschiedes in der Tat „kein Geist aus dem Grabe“ – vielmehr: aus einem Tintenfasse – „aufzusteigen“.16 Auch der denkbar flüchtigste Leser mußte vielmehr

Ethik (sic) im Sinn von Troeltsch nichts weiß“ (sic). Damit zu vergleichen: Sp.  1260:17 der „Weber-Troeltsch’sche“ Askesebegriff (ebenso noch jetzt in seiner Replik ausdrücklich: „die Weber-Troeltsch’sche These“),18 ferner: Sp.  1259:19 die Versicherung, daß das, was ich über den „asketischen Lebensstil“ sagte, „auf dasselbe hinauslaufe“, wie die Troeltsch’sche „Definition“ des Askesebegriffs[,] und überhaupt die ganze geA 564 gen uns beide kollektiv | gerichtete Polemik über diese von Rachfahl erst zu polemischen Zwecken geschaffene „Frage“.   7a)  Vergl. Sp.  755, 782, 786 Anm.20 und öfter.

rigiert, vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zu Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  521. 13  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  641. Zum folgenden vgl. Rachfahls erneute Einwände gegen den Askesebegriff von Weber und Troeltsch, ebd., S.  639–643. 14  Troeltsch, Protestantisches Christentum, S.  262–264 (KGA S.  98–102), differenziert innerhalb der (alt-)„protestantischen Askese“, die eine Umwandlung der mittelalterlich-katholischen darstelle und „innerweltliche Askese“ sei, zwischen Askese im Luthertum und Askese im Calvinismus; vgl. auch Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus (wie oben, S.  42 f., Anm.  65), S.  26–28 (KGA 8, S.  241–245). 15  Vgl. Webers vier geschichtliche „Träger des asketischen Protestantismus“: Weber, Protestantische Ethik II, bes. S.  242; zur weitgehend fehlenden Askese im Luthertum vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  206–209, dass. II, oben, S.  304–307, sowie Webers Brief an Adolf Harnack vom 5. Febr. 1906, MWG II/5, S.  32 f. (zitiert in der Einleitung, oben, S.  25 f.). 16  Möglicherweise Anspielung auf den erschlagenen Komtur in Mozarts „Don Giovanni“, dessen Statue auf dem Kirchhof wie ein Geist mit Don Giovanni spricht und auf dessen Einladung dann an seiner Tafel erscheint (2. Akt, 11. und 13. Szene). 17  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  541: „Daß der Begriff dieser Aszese sich nahe mit dem Troeltsch-Weberschen berührt [.  .  .]“. 18  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  664. 19  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  540. 20  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  643, 655, 658 mit Fn.  37.

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sehen (und Rachfahl hatte es gesehen), daß es sich eben um terminologische Verschiedenheiten handelte und nicht um sachliche. Ohne noch ein Wort zu verlieren, überlasse ich es daher jedem, der dafür Zeit hat, mit diesem klaren Tatbestand die kleinen Kunststücke zu vergleichen, mittels deren Rachfahl trotz allem auch jetzt noch, also nachdem zum Überfluß Troeltsch wie ich dies noch ausdrücklich erklärt hatten,21 die Sache „besser wissen“ möchte8). | 8)  Der kleine – ich kann nur sagen: – Klopffechterkunstgriff: die Bemerkung von Troeltsch, daß er meine Resultate einfach „übernommen“ (d. h. in diesem Fall für jedermann ersichtlich: referierend und zustimmend wiedergegeben) habe, da wo sie eine Ergänzung der seinigen darstelltenn 22 – und meine Bemerkung: daß keine „Übernahme“ meiner Theorien durch Troeltsch23 (für jedermann ersichtlich: als wissenschaftliche Begründung seiner eigenen, ganz andere und weitere Ziele verfolgenden Forschungen) erfolgt sei, durch Fettdruck des Wortes „Übernahme“ als „Widerspruch“ erscheinen zu lassen,24 – entspricht durchaus dem Gesamtniveau dieser sogenannten „Kritik“. – Jetzt (Sp.  698o)25 sucht R[achfahl] seine Leser sogar glauben zu machen, Troeltschs Arbeiten seien „der einzige zusammenhängende Versuch, das Webersche Schema dem historischen Verlauf als zugrundeliegend aufzudecken“ (sic, – ein „chemisch reiner“ Unsinn, über welchen wohl Troeltsch ebenso erheitert sein dürfte wie jeder, der weiß, womit sich eigentlich dessen Arbeiten in Wahrheit beschäftigen, auf den aber freilich der Unorientierte, auf den R[achfahl] wie überall spekuliert, vielleicht hineinfällt). An anderer Stelle (in seiner ersten „Kritik“) waren u. a. v. Schulze-Gävernitz und v. Schubert in der gleichen Lage, eigentlich nur Apostel meiner „Lehren“ zu sein.26 Und die „Juden“ habe ich (nach Rachfahl) „bekanntlich“ Sombart „überlas-

n A: darstelle  o A: 689 21  Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  575 f. und S.  583, Fn.  9, und Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, S.  458–460 (KGA 8, S.  157– 159). 22  Bei Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, S.  453 f. (KGA 8, S.  150 f.), heißt es: „Da ich sie [die sachlichen Ergebnisse Webers betreffs des Calvinismus] in allem Wesentlichen für richtig hielt und halte, habe ich sie übernommen ohne jeden Anspruch auf selbständige wissenschaftliche Förderung der Erkenntnis dieser Zusammenhänge. Ich habe seine Ergebnisse lediglich in einen anderen, von meinem Erkenntnisziel aus bestimmten Zusammenhang eingestellt. [.  .  .] Aber es handelte sich für mich doch um das Verständnis des Protestantismus in dem großen Gesamtumfang seiner Beziehungen, nicht um ein wirtschaftsgeschichtliches Problem. Was bei Weber das zentrale Thema ist, das ist bei mir nur ein in das Ganze einzuarbeitendes Einzelphänomen.“ 23  Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  576. 24  Im Rachfahlschen Originaltext Fettdruck von „übernommen“ und „Übernahme“ in den Zitaten aus Troeltsch und Weber: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  627. 25  Rachfahl, ebd., oben, S.  630. 26 Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  522 f. (v. Schubert), S.  549, Anm.  25, und S.  554 (v. Schulze-Gaevernitz).

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Und um endlich mit dieser doch wirklich etwas läppischen Kontroverse über die Terminologie ein Ende zu machen: ich hatte, wie erinnerlich, erklärt und, da Rachfahl dies seinen Lesern, wie üblich, verschweigtp und mir in seinem üblichen, nicht anders als „hämisch“ zu nennenden, Ton „Vaterfreude“27 an meiner (von mir eingehend aus sachlichen Gründen motivierten) Ausdrucksweise zuschreibt, so erkläre ich hier sehr gern erneut, daß mir selbstverständlich der Ausdruck „innerweltliche Askese“ für jeden beliebigen anderen feil ist.28 – Sehr anders freilich steht es mit dem sachlichen Tatbestand. Von diesem nachher im Zusammenhang meines positiven Resümés (Abschnitt II).29 Hier muß notgedrungen zunächst noch weiter rein negativ gezeigt werden, daß die gleiche liederliche und sich um das ehrliche Eingeständnis seiner Oberflächlichkeiten herumwindende Art der Polemik durch die gesamte Replik R[achfahl]s sich hindurchzieht. R[achfahl] versichert, die Toleranz nicht nur nicht als Trägerin kapitalistischen Geistes, sondern auch nicht als wirkende Ursache kapitalistischer Entwicklung hingestellt zu haben,30 – obwohl er doch (von den Ausführungen in seiner Kritik, die ich völlig korrekt wiedergegeben habe, ganz abgesehen)31 auch jetzt schon auf derselben Spalte (756 unten)32 wieder versichert: „Sie (die Toleranz)

sen“.33 Es scheint also, daß ich ein wahres Vasallenheer der allerhervorragendsten Gelehrten nach meiner Pfeife tanzen lasse. Vermutlich gehört jetzt auch Professor H[ermann] Levy, den – nachdem ich mich auf eine freundliche Notiz von ihm bezogen A 565 hatte34 – R[achfahl] in ebenso hämischer wie (m. E.) kindlicher | Form als Mitverp A: verschweigt, 27  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  640. 28  Ähnlich: Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kalvinismus, oben, S.  578. 29  Siehe unten, S.  708–740. 30  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  643 f. 31  Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  585. 32  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  644. 33  Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S.  662. Sombart hatte 1909 und 1910 vier Vorträge zum Thema „Judaismus und Kapitalismus“ gehalten, die stark erweitert in: ders., Die Juden und das Wirtschaftsleben. – Leipzig: Duncker & Humblot 1911, eingingen. Über seine Vorträge gab es Zeitungsberichte, außerdem einen Vorabdruck des ersten Buchteils im Februar 1910 „Der Anteil der Juden am Aufbau der modernen Volkswirtschaft“, in: Die neue Rundschau, 21. Jg. der freien Bühne. – Berlin: S. Fischer Verlag 1910, Band  1, S.  145–173. 34  Die Notiz über Hermann Levy: Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  589, Fn.  13.

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war der Boden, dessen der kapitalistische Geist bedurfte, um feste Wurzeln zu fassen und nicht der Verkümmerung ausgesetzt zu sein, und das ist nicht Konstruktion, sondern historische Tatsache“9). Nein, das ist, mag man hier, um Rachfahls Wortklauberei entgegenzukommen, etwa statt „Ursache“: „Bedingung“ setzen, weder Tatsache noch (sinnvolle!) Konstruktion, sondern eine recht oberflächliche Behauptung, die von mangelndem Durchdenken der wirk|lichen Probleme zeugt. Der kapitalistische Geist (in jenem Sinne des Worts, den Rachfahl nach seinen eigenen Äußerungen damit verbindet)q 35 hat in Venedig, Genua, Florenz, Flandern, groschworenen der nach ihm bestehenden „Arbeitsgemeinschaft“ begrüßt,36 und schließlich doch wohl auch Professor A[dalbert] Wahl dazu, dem ich durch Wiedergabe einer Bemerkung von ihm (nach R[achfahl]) „schwerlich einen Gefallen erwiesen“ habe.37 – Ein ähnliches Niveau zeigt es auch, wenn Rachfahl, genau wissend, daß Troeltsch da, wo er mir ausdrücklich zustimmt, teils ausgesprochenermaßen, teils selbstverständlich die in meinen Aufsätzen allein eingehender behandelten theologisch-religionspsychologischen Ausführungen im Auge hat, die er als Fachmann zu beurteilen sicher vielfach besser als ich berufen ist, dagegen da, wo er sich als Nichtfachmann für inkompetent erklärt, selbstverständlich nicht jene in sein Fachgebiet schlagenden, sondern die von mir illustrativ, für die ohnedies bekannte Tatsache der ökonomischen Vormachtstellung des asketischen Protestantismus angeführten wirtschaftshistorischen Angaben, dennoch seinem Publikum vortäuscht: hierin liege ein Widerspruch oder sogar: ein „Widerruf“38 von Troeltschs ausdrücklich auch jetzt wiederholter Zustimmung zu jenen meinen religionspsychologischen Thesen.39 9)  Worin ich über die Rolle der Toleranz mit Rachfahl übereinstimme, geht aus meinen Aufsätzen hervor, auf die ich in meiner Antikritik verwiesen hatte.40 Neues hat Rachfahl schlechterdings nicht hinzugefügt. |

q A: verbindet), 35  Vgl. dazu Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  532–536, sowie ders., Nochmals Kalvinismus, oben, S.  653 mit Kontext. 36  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  649. 37  Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S.  644 f., Anm.  22 (kein wörtliches Zitat), der sich auf Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  589, Fn.  13, bezieht. 38  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  630. 39  Bei Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus, S.  455 (KGA 8, S.  152 f.), heißt es: „Dagegen kann ich [Troeltsch] allerdings eintreten für denjenigen Teil von Webers Untersuchungen, der sich mit meinem Fachgebiet berührt, für die dogmatischen und religionspsychologischen Analysen des Calvinismus. Diese sind durchaus zutreffend, und eben, weil ich sie für so schlagend richtig halte, konnte ich auch die daraus gefolgerten Übergänge zur Psychologie des ökonomischen Verhaltens in diesen Kreisen so einleuchtend finden.“ 40  Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  585, mit Verweis auf die Ausführungen in Weber, Protestantische Ethik II, S.  311–314, Fn.  78.

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ßen Teilen Frankreichs im ausgehenden Mittelalter und – beispielsweise – auch in Sevilla im 16./17. Jahrhundert wahre Orgien gefeiert, ohne daß die dort und damals selbstverständliche Intoleranz als solche ihm irgend Schaden getan hätte.41 Wo zum Beispiel die Quellen der Verkümmerung Sevillas (wohlgemerkt: soweit daran die Eigenart des Katholizismus mitbeteiligt war, – und sie war es in immerhin erheblichem Grade –) wirklich lagen, das zeigen die jedem Kenner der spanischen Wirtschaftsgeschichte bekannten Konflikte der streng katholischen Stadt mit Kirche und Staat deutlich genug.42 Die Intoleranz hat insbesondere den, von Rachfahl als die eigentlichen „Träger“ des kapitalistischen Geistes herausgehobenen „ökonomischen Übermenschen“,43 also den ganz großen Bankiers und Monopolisten (die sich damit bekanntlich von Anbeginn der Geschichte her immer ziemlich leicht abgefunden haben), auch hier nichts zu leide getan. Die Fugger und ebenso z. B. die 41  Der außerordentliche Reichtum Sevillas beruhte auf verschiedenen Faktoren: Es trieb Handel mit Indien und Amerika, sicherte sich den Zwischenhandel in den Beziehungen der anderen Mittelmeerländer mit den spanischen Kolonien und lebte von einer bedeutenden Seidenindustrie und dem Anbau von Öl und Wein im Umland. Vgl. Häbler, Konrad, Die wirtschaftliche Blüte Spaniens im 16. Jahrhundert und ihr Verfall (Historische Untersuchungen, hg. von I. Jastrow, Heft IX). – Berlin: R. Gaertners Verlagsbuchhandlung 1888 (hinfort: Häbler, Blüte Spaniens), S.  57, 69 und S.  75 f. – Zur Intoleranz nicht nur gegen Juden und Protestanten, sondern auch gegen die Moriscos, die zwangsbekehrten Nachfahren der Mauren, vgl. Häbler, ebd., S.  83 f.; Buckle, Heinrich Thomas, Geschichte der Civilisation in England. Mit Bewilligung des Verfassers übers. von Arnold Ruge, 2. Band. – Leipzig, Heidelberg: C. F. Winter’sche Verlagshandlung 1861 (hinfort: Buckle, Civilisation II), S.  52–65. – Zu Sevilla vgl. auch Webers Vorlesung „Praktische Nationalökonomie“ (GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  31, Band  2, Bl.  42r/v und 43r; MWG III/2). 42  „Noch steckte der wirtschaftliche Geist des Mittelalters in den Spaniern“, schreibt auch Moritz Julius Bonn: Blieb der Gewinn – wie nach dem Staatsbankrott Philipps II. 1575, wiederholt 1595 – aus, stellte man die wirtschaftliche Tätigkeit ein. Bonn berichtet von der Massenflucht derer, die von ihrem Besitz nicht mehr leben konnten, in Klöster und Stiftungen, die zu gründen Philipp II. „in Mode gebracht“ habe. Bis zum Tod Philipps III. hatte die Zahl der Klöster und Geistlichen einen exorbitanten Umfang angenommen: 100 Geistliche beschäftigte der Dom von Sevilla, die Diözese 14000 Kapläne, während von den 3000 Seidenwebstühlen unter der Regierung Philipps IV. nur noch 60 übrig geblieben waren. Vgl. Bonn, Moritz Julius, Spaniens Niedergang während der Preisrevolution des 16. Jahrhunderts. Ein induktiver Versuch zur Geschichte der Quantitätstheorie (Münchener Volkswirtschaftliche Studien, hg. von Lujo Brentano und Walther Lotz; 12. Stück). – Stuttgart: J. G. Cotta 1896, S.  159–170, Zitate S.  165 und 166; dazu Buckle, Civilisation II (wie oben, Anm.  41), S.  45, sowie Häbler, Blüte Spaniens (wie ebd.), S.  87. 43  Bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  552–554 (die Fugger); dazu auch Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  645 und 654.

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Großkapitalisten in Sevilla und sonst haben im 16. Jahrhundert aller Intoleranz ungeachtet ganz ebenso glänzende Geschäfte gemacht wie einerseits etwa die Peruzzi und Bardi und ihresgleichen im intoleranten Mittelalter und wie andrerseits die englischen und holländischen Großkapitalisten ähnlichen Gepräges in intoleranten sowohl wie in toleranten Ländern. Und: die lange Zeit praktisch äußerst weitgehende „Toleranz“ des Normannenstaates44 hat ihrerseits den Schwerpunkt des mittelalterlichen Mittelmeerkapitalismus ebensowenig von den damals mit Leib und Seele kirchlichen und „intoleranten“ oberitalienischen Städten in die sizilianischen Städte hinwegzuziehen vermocht, wie das (innerhalb der Grenzen der „Staatsräson“) praktisch so gut wie völlig tolerante Verhalten des Römerreichs dem Verfall des spezifisch antiken kapitalistischen „Geistes“ und des antiken Kapitalismus selbst vorgebeugt hat.45 Und endlich hat der (wieder einmal von Rachfahls Eifer einfach vergessene) Umstand, daß ja das protestantische, anglikanische wie presbyterianische, England (und ebenso: Neu-England) prinzipiell so intolerant war wie ein katholischer Staat10), dem Entstehen | des kapitalistischen Geistes (in jenem

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10)  Ein „Geschichtskonstrukteur“46 könnte sehr wohl darauf verfallen, die Eigenart A 566 der holländischen Entwicklung daraus abzuleiten, daß hier der Calvinismus auf seine Intoleranz in besonders weitgehendem Maße (übrigens gerade z. B. in der Provinz Hol-

44  In dem normannischen Staat in Süditalien und Sizilien lebten unter der herrschenden Oberschicht viele Völker: Lateiner (Italiener, Langobarden), Griechen, Araber, Berber und andere Muslimen sowie in kleiner Zahl Mozaraber, Slawen, Juden u. a. Über den jungen Staat unter dem Eroberer Roger I. (1031–1101) urteilt Erich Caspar: „Hier zum erstenmal in der Geschichte der christlichen Welt wurde durch die zwingende Macht der Umstände die Idee eines toleranten Staatswesens gefaßt und verwirklicht.“ Caspar, Erich, Roger II. (1101–1154) und die Gründung der normannisch-sicilischen Monarchie. – Innsbruck: Wagner 1904, S.  9. Als „erste[n] Toleranzstaat“ unter dem Stauferkaiser Friedrich II. bezeichnet ihn auch: Köhler, Ludwig, Art. Friedrich II., in: RGG, Band  2, 1910, Sp.  1067–1070, Zitat Sp.  1069. 45  Vgl. dazu Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S.  716: Mit Befriedung der Oikumene im Hellenismus und römischen Reich hatte „für den antiken Kapitalismus [.  .  .] die Todesstunde geschlagen: der Friede und der monarchische Staat, der Übergang von der Küsten- zur Binnenkultur erdrückten ihn, wie er nun einmal war, statt ihm, wie man a priori glauben sollte, erst recht zur Blüte zu verhelfen. Jenen Übergang zum Frieden und zur Binnenkultur aber hat endgültig die römische Kaiserzeit vollzogen“. 46  „Solche Konstruktionen, die aller quellenmäßigen Begründung entbehren, können nicht mehr als wirkliche Geschichtsforschung gelten“, urteilt Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  548, über Weber und Troeltsch (dazu schon Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  576 und 582).

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generellen, unhistorischen Sinne Rachfahls) durchaus nichts in den land bekanntlich am wenigsten) hat verzichten müssen.47 Und ein Körnchen Wahrheit (aber freilich nur ein kleines) würde sogar in der Tat darin stecken können. – Da übrigens hier gerade von Holland die Rede ist, so erledige ich bei dieser Gelegenheit einige dahin gehörende „kritische“ Leistungen Rachfahls: Ich habe darauf verwiesen, daß Groen van Prinsterer (dessen zum sehr erheblichen Teil religiös motivierte politische Sonderstellung gegenüber dem preußischen Konservatismus namentlich in den Korrespondenzen und Auseinandersetzungen mit dem Stahlschen Kreise, der ihm nahe stand und von ihm beeinflußt wurde, plastisch hervortritt)48 ganz ebenso wie ich die Kombination von starkem Verdienst mit begrenzten Ausgaben als ein Spezifikum der A 567 hollän|dischen ökonomischen Entwicklung erwähnt.49 Rachfahl, der die Stelle nicht kennt (er mag sie zur Vertiefung seiner Lektüre nur suchen!), bezweifelt, daß ich die Arbeiten dieses Gelehrten gelesen habe.50 Bei jedem anderen Schriftsteller von minder leichtem Geblüt müßte ich dies wohl eine „Unverschämtheit“ nennen. Bei Rachfahl, der, auf Grund seiner eigenen Gepflogenheiten, dabei natürlich gar nichts oder doch sehr wenig findet, liegt mir dies selbstverständlich fern. (Wenn Busken-Huet gelegentlich von Erasmus als einem Vater der holländischen Kultur redet,51 so dürfte das für die Dinge, von denen er dort spricht[,] und in dem Sinne, in welchem es geschieht, schon seinen guten Sinn haben. Für die religiöse Eigenart Hollands hat Rachfahl seinerseits jenes Wort äußerst bedenklich „verabsolutiert“.52 Aber Erasmus nun gar als Vater ökonomischer Eigentümlichkeiten Hollands? Groen van Prinsterer und auch Busken-Huet würden, wie ich es tat, gelacht haben. – Wer immer sich mit der holländischen Geschichte des 16. und, vor allem, 17. Jahrhunderts unvoreingenommen befaßt, weiß, daß angesichts desjenigen weiteren „Kultur“-Begriffs, der hier in Frage steht, es töricht wäre, so von „der“ holländischen Kultur zu sprechen, wie Rachfahl es BuskenHuet nachspricht,53 daß vielmehr innerhalb der holländischen Geschichte und zwar im wesentlichen bis heute, die schroffsten Gegensätze nebeneinander standen und sich auslebten.) Daß nun jene von Groen nur als Tatsache erwähnte Eigenart der Holländer sehr wesentlich mit der scharfen Zucht ihrer religiösen Gemeinschaften zusammen47  Möglicherweise Erwiderung auf Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  560 f. 48  Der niederländische Politiker und Anführer der Antirevolutionären Guillaume Groen van Prinsterer, der in seiner Partei „Evangelium“ und nationalstaatliches Interesse zu verbinden suchte, ein vom réveil, der niederländischen Erweckung, beeinflußter Calvinist, pflegte eine Korrespondenz und einen Gedankenaustausch mit den Gründern der konservativen Partei in Preußen, dem Rechtsphilosophen Friedrich Julius Stahl und den Brüdern Leopold und Ernst Ludwig v. Gerlach sowie mit Moritz August v. Bethmann Hollweg. Mit ihnen verband ihn die Vorstellung von einem christlichen Staat; nach 1866 Auseinandersetzung mit denselben. Vgl. Veen, S. D. van, Art. Groen van Prinsterer, in: RE3, Band  7, 1899, S.  174–180. 49 Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  590–595 (mit Hinweis auf Groen van Prinsterer). 50  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  650, Anm.  29. 51  „Trotz der reformierten Staatskirche und des Heidelberger Katechismus läßt sich die allgemeine Denkweise der Holländer mit den Worten bezeichnen: La Hollande est de la religion d’Erasme“. Busken-Huet, Rembrandts’ Heimath I, S.  120. 52 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinimus, oben, S.  648, Anm.  27, mit Zitat der Stelle Busken-Huets. 53  Vermeintlich gemeint: ebd., mit Bezug auf die „ökonomische[n]“ Eigentümlichkeiten Hollands“.

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Weg gelegt. Die, sei es offiziell tolerierte, sei es nichttolerierte, wenn nur faktisch nicht ausgerottete Existenz der Puri|taner dagegen hat, ganz ebenso wie ihre Herrschaft, mochte diese ihrerseits

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hing, sieht jeder, der sich in die internen Auseinandersetzungen innerhalb dieser Gemeinschaften überhaupt irgendwie vertieft. Es sind durchaus typische Probleme der Lebensführung, die in Holland ebenso, wie bei den Hugenotten, in Amerika und bei den kontinentalen Pietisten auftauchen und von all diesen asketischen Gemeinschaften zwar im einzelnen gelegentlich sehr charakteristisch nach dem Kulturmilieu differenziert, dennoch aber im Grundton streng einheitlich erledigt werden. Rachfahl, der sich durch seine gesamte Polemik hin die Attitüde des Kenners gibt, möchte ich über seinen geistigen Besitz auf diesem Gebiet lieber keinen Offenbarungseid zuschieben. Jeder, der darüber gearbeitet hat, sieht: er kennt nichts davon, kennt größtenteils nicht einmal den literarischen Charakter auch nur des von mir in dem „kritisierten“ Aufsatz zitierten kleinen Bruchteils der gedruckten Literatur darüber.54 Vielleicht holt er wenigstens dies nach. Freilich: um einen wirklichen Überblick zu erhalten, dazu würde immerhin mehr gehören als das, was er hier bis jetzt geleistet hat: ein kleiner Spaziergang durch fremde Arbeiten mit dem Stöckchen des Fachschulmeisters in der Hand, um vielleicht den unberufenen Nichthistorikern irgendwo auf die Finger klopfen zu können. – Ich meinerseits gebe die Hoffnung, gerade diese Partien meiner Arbeit fortführen (und dabei sehr viel weiter vertiefen) zu können,55 nicht auf, was freilich einen erneuten Aufenthalt in Amerika voraussetzt. Denn sowohl für die Quäker-, wie für die Baptistengeschichte | sind manche Dinge nur dort zu haben.56 Auf dem europäischen A 568 Kontinent, auch in den holländischen Bibliotheken, fehlt manches, was in den alten Sekten-Collegesr dort und sonst nur (ich bin nicht ganz sicher, ob vollständig) in England zu haben ist. –   In Holland stand auf der anderen Seite: jenen pietistischen Kreisen und asketischen Sekten gegenüber, zweifellos viel Protzentum und Gefräßigkeit von Parvenus, dann naive derbe Lebensfreude jener Marschenbauern, welche die Kapitalverwertung der Städte geschaffen hatte und denen es im ganzen, asketisch bewertet, „zu gut“ ging[,] und ebenso eines teilweise ähnlich gestimmten Kleinbürgertums; etwas künstlerische Bohême und endlich die feine ästhetische, literarische, wissenschaftliche Geschmacksund Urteilsrichtung der humanistisch durchbildeten Schichten. Diese Gegensätze lagen übrigens schon, in etwas anderer Wendung, in der Zusammensetzung der südniederländischen Emigration nach dem Norden beschlossen: sie umfaßte bekanntlich, neben politischen Flüchtlingen ohne religiöses Pathos, einerseits zahlreiche Calvinisten, r A: Sekten-Kolleges 54 Die von Weber hauptsächlich herangezogenen Werke, etwa Baxter, Christian Directory I-IV, Barclay, Apology, und Spener, Theologische Bedenken I-IV, werden von Rachfahl nicht zitiert (Rachfahls gelegentliche Bezüge auf Baxter verdanken sich der Lektüre von Weber, Protestantische Ethik II, vgl. Rachfahl, Kalvinismus, S.  529–531, 543 und S.  553–555; Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  649). 55 Zu der geplanten Fortsetzung der Aufsätze zur „Protestantische Ethik“ vgl. die Einleitung, oben, S.  66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  464 f. mit Anm.  10. 56  Ähnlich hatte sich Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  246, Fn.  3, geäußert. Seine Erfahrungen mit den Bibliotheken in Nordamerika stammen von 1904, niederländische Bibliotheken hatte er im Sommer 1907 aufgesucht.

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intolerant sein oder tolerant, gerade jene „Nuance“ (mit R[achfahl] zu reden)57 des kapitalistischen Geistes allgemein gefördert, auf die ich das entscheidende Gewicht lege. Gerade diese „Nuance“, nicht aber die Existenz jener Rachfahlschen großen Finanzleute,58 hat umgekehrt der intolerante katholische Staat, z. B. Frankreich, in der Aufhebung des Ediktes von Nantes, in ihrer Entwicklung geknickt, wie dies die Zeitgenossen überhaupt, und speziell bekanntlich Colbert,59 am besten gewußt haben. Mit einem Wort: Der Protestantismus und speziell der asketische, hat, gleichviel ob toleriert, tolerant oder intolerant, dem kapitalistischen Geist sowohl in seiner generellen (Rachfahlschen) wie in seiner (in meinem Sinn) spezifischen Ausprägung, Wurzel schlagen helfen. Der tolerierte oder herrschende Katholizismus dagegen hat ihn nirgends – oder bitte: wo? und wie? – befördert. Die Toleranz tat dies, nach Rachfahls jetzigem eigenem Zugeständnis, nur da, wo sie, als solche, dem „Wurzelschlagen“ kapitalistischen Geistes zugute kam.60 Das aber konnte doch nur da der Fall sein, wo Bevölkerungsgruppen eben aus religiösen, von einer etwaigen Intoleranz betroffenen Gründen, Träger jenes (spezifischen) Geistes waren, – und nach R[achfahl]s eigenen Ausführungen ist dies ja bei jenen großen Finanzleuten, die es doch in intoleranten ebenso wie in toleranten Zeitaltern und Staaten gegeben hat, eben nicht der Fall gewesen. Um die Kette zu schließen: – der intolerante Katholizisandererseits z. B. auch solche Künstler, die der Inkorrektheit ihrer persönlichen oder auch künstlerischen Ansichten wegen von der Kirche Verfolgung oder doch Zurücksetzung zu gewärtigen hatten, – deren typischer Lebensstil aber sich derartig gestaltete, daß man, und zwar ernstlich, behaupten konnte: die Liederlichkeit wäre von ihnen „aus Prinzip“ methodisch gepflegt, – als eine Art Berufsethik mit, gegenüber der innerweltlichen Askese, negativem Vorzeichen also. Schon diese Behauptung ist übrigens charakteristisch – für die, von welchen sie ausging.61 | 57  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  652. 58  Zuletzt Rachfahl, ebd., oben, S.  654. 59  Dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  137, Anm.  45. 60  Anspielung auf Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  644. 61  Worauf Weber hier anspielt, ließ sich nicht klären. Houbraken, selber Maler und Kunstschriftsteller (1660–1719), fällt etwa das Urteil über den in Antwerpen geborenen und in Harlem wirkenden Frans Hals: „Man sagt, dass sich van Dyk [gemeint ist Anthonis van Dyck] viel Mühe gab, ihn zu bewegen, mit nach England zu kommen, aber er zeigte keine Lust dazu, weil er hier schon zu sehr durch die liederliche Lebensweise gebunden war.“ Arnold Houbraken’s grosse Schouburgh der niederländischen Maler und Malerinnen, übers. von Alfred Wurzbach, 1. Band. – Wien: Wilhelm Braumüller 1880, S.  47.

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mus | wurde für den kapitalistischen „Geist“ tödlich in der Neuzeit nur da, wo er 1. die häretischen Träger bürgerlichen Geschäftsgeistes ausrottete, – und, um es zu wiederholen: es ist eben kein Zufall, wie schon die Zeitgenossen (Petty)62 wußten, daß asketische Häretiker oder doch der Häresie Verdächtige (übrigens schon im Mittelalter: siehe die von mir schon zitierten Humiliaten63 und ähnliche – erst recht aber in der Reformations- und Gegenreformationszeit) κατ҆ ἐξοχήν dessen Träger waren, ferner 2. wo er durch Forcierung von Klostergründungen die (auch in den Klöstern, wie mein Aufsatz hervorhob,64 durch die Lebensmethodik der Askese bedingte) Akkumulation von erworbenem Besitz aus dem privaten Erwerbsleben ausschaltete und in einen, privatkapitalistisch angesehen, „toten Kanal“ leitete und wo er, was uns hier speziell angeht, damit zugleich jenen Menschen, welche ihrer, durch Anlage und Erziehung bedingten, rational-asketischen Eigenart nach aus der „gottgewollten“ Arbeit einen „Beruf“ zu machen spezifisch prädisponiert gewesen wären, aus der Welt sozusagen heraus sog und in die Zellen des Klosters versetzte. Also: was die Toleranz, rein als solche, d. h. unabhängig von der Frage, welcher Art von Religiosität sie zugute kam, tatsächlich für die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft bedeuten konnte und mehrfach bedeutet hat, war genau das, was ich seinerzeit in meinen Aufsätzen schon gesagt hatte65 und was Rachfahl mir nachzusprechen versuchte, ohne es auch nur jetzt korrekt fertig zu bringen,66 nämlich: 1. sie erhielt unter Umständen dem Lande Einwohner und – eventuell – Vermögensbestände, welche die Intoleranz verscheucht hätte11), – 2. dem kapitalistischen „Geist“ (gleichviel wie man ihn definiert) ist sie da, aber auch natürlich nur da, zugute gekommen, wo sie es war, die

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11)  Derartige Schmälerungen des Vermögens- und Bevölkerungsbestandes sind na- A 569 türlich des öfteren Folge der Intoleranz gewesen, sowohl katholischer wie protestanti-

62 Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  586, bezieht sich hierzu bereits auf Petty, Political Arithmetick, p.  26. 63  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  348, Fn.  123; auch das Glossar, unten, S.  831. 64  Weber, ebd., oben, S.  415. 65  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  311–314, Fn.  78. 66  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  643 f., zuvor bereits Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  560–572, über die Toleranz in Holland, S.  560 f., und in England, S.  561.

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spezifische Träger desselben dem Lande erhielt: Leute also, die als solche, d. h., wie schon gesagt:67 weil dieser „Geist“ mit der Eigenart ihrer Religiosität zusammenhing, von der Intoleranz nicht geduldet worden wären. Dies eben war mit den Repräsentanten des asketischen Protestantismus der Fall. – 3. Unsinn ist es dagegen zu behaupten, die religiöse Intoleranz habe, als solche, irgend einem nicht derartig religiös verankerten „Geist des Kapitalismus“ den Boden abgraben können, wie R[achfahl] behaupten muß,68 um „Recht zu behalten“. Wo hat sie das getan? Wie hätte sie es eigentlich machen sollen? Und warum hätte sie es versuchen sollen? Sie hat ja die Florentiner und alle späteren Großkapitalisten jederzeit ganz ruhig ihre Geschäfte machen lassen, wenn sie der Kirche die verlangte Obödienz bewiesen. Ja, die Kirche hat mit ihnen Geschäfte gemacht, an denen sie ganz kolossal viel Geld verdienten.69 – Damit wohl genug hiervon. – | Da ich Rachfahl, nach Möglichkeit[,] auch keine irgend wesentlichen Einzelheiten seiner durch und durch vom „Geist“ einer peinlich wirkenden Nichtaufrichtigkeit getragenen Polemik durchgehen zu lassen beabsichtige (denn es ist, so unwahrscheinlich ein solches Maß von Leichtfertigkeit erscheinen mag, tatsächlich nicht eine von ihnen, die nicht auf Verzerrung, oberflächlicher Lektüre – oder Üblerem – beruhte), – so verweise ich eine Anzahl solcher Einzelpunkte unter den Strich11a) und bringe zum Schluß dieser

scher (z. B. auch in Genf, wie ich seinerzeit hervorhob).70 Aber: Vermögen ist nicht gleich: Erwerbskapital, und Bevölkerung nicht gleich: nach ihrer psychischen Disposition für die kapitalistische Verwertung qualifizierte Bevölkerung. Das Entscheidende blieb der „Geist“, der die tolerierte oder nicht tolerierte Bevölkerung und damit das Wirtschaftsleben beherrschte. | A 570   11a)  Dahin gehört 1. das „gut lutherische Hamburg“. Rachfahl wendet gegen das, was ich, unter Berufung auf eine Mitteilung Adalbert Wahls, darüber gesagt hatte,71 ein: Kaufmännische Vermögen seien labiler als industrielle (daher der Unterschied zwischen Basel und Hamburg).72 Die generelle Richtigkeit dieser These einmal vorausgesetzt (die ihm ein „geschätzter auswärtiger Kollege“ mitgeteilt hat, vermutlich derselbe auch von mir sehr hoch geachtete Historiker, der auch mir diese Bemerkung mach-

67  Siehe oben, S.  690. 68  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, S.  643 f. 69  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  172 f. 70  In der zweiten Antikritik gegen Fischer: Weber, Bemerkungen, oben, S.  501, Fn.  1. 71  Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  587 f. 72  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  644 f., Anm.  22.

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polemischen | Partie des Aufsatzes nur noch einige besonders

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te),73 so wird dadurch natürlich die Beweiskraft des Umstandes nur noch größer, um dessentwillen ich den Fall überhaupt zitierte: daß nämlich das anscheinend einzige große kaufmännische Vermögen, welches seit dem 17. Jahrhundert in derselben Familie als Kapital arbeitet und also ebenso stabil geblieben ist wie die Baseler industriellen Vermögen, der reformierten Konfession zugehört hat. Denn darauf kommt es ja für die Wirkung konfessioneller Unterschiede gerade an. Übrigens, der Sicherheit halber, nochmals: ich kann diese Einzeltatsache jetzt persönlich in ihren ursächlichen Zusammenhängen nicht im einzelnen nachprüfen, und sie kann selbstverständlich zahlreichen „Zufällen“ zuzurechnen sein, – nur daß sich eben auch die „Zufälle“ doch recht stark häufen, von den großen, von mir angeführten Entwicklungszusammenhängen zwischen Kapitalismus und Protestantismus ganzer Länder ganz abgesehen. Ich habe sie nur zitiert, weil mir die von mir selbst als ganz selbstverständlich bezeichnete Tatsache, daß es zu jener Zeit auch Orte mit kapitalistischer Entwicklung und ohne asketischen Protestantismus gab, trotzdem als „Einwand“ entgegengehalten wurde.74   2. Petty – den Rachfahl zuerst zitiert hatte,75 natürlich ganz unvollständig, d. h. nur soweit es ihm in seine „Kritik“ paßte – soll nach ihm bei den von mir zitierten Bemerkungen76 an Kapitalisten „nicht gedacht“ haben, obwohl doch seine ganzen Auseinandersetzungen von der Tatsache ausgehen,77 daß das Geschäft in allen katholischen Ländern wesentlich in ketzerischen Händen sei, und obwohl spezieller Gegenstand der Untersuchung bei ihm (wie in so vielen Schriften der damaligen Zeit) die Frage ist, warum dies so sei und insbesondere woher eigentlich die internationale ökonomische Machtstellung Hollands stamme: seine „kapitalistische“ Blüte, die ja der Merkantilismus an dem Maße des Geldzustroms in die einzelnen Länder messen wollte. Und das Paradoxe seiner (Pettys) Erklärung liegt an genau dem gleichen Punkte, wo ich es, ohne damals diese Stelle beachtet zu haben,78 als Problem fand und zu erklären suchte: daß nämlich die breiten Schichten des aufsteigenden bürgerlichen Mittelstandes, obwohl und gerade weil sie Feinde des in sündhaftem Ge|nuß verzehrten Reichtums und seiner A 571 Besitzer waren (siehe die Stelle aus Petty bei mir XXX, 188)79 und mit diesen deshalb keine religiöse Gemeinschaft hielten, aus der Art ihrer eigenen, religiös orientierten Berufsethik heraus (siehe daselbst),80 Träger des „Geistes“ jenes nicht mehr wie im Mittelalter auf ethischer Laxheit ruhenden modernen Früh-Kapitalismus wurden, von dem ich gehandelt habe. Daß Petty die holländischen Freiheitskämpfer im Auge hatte, was mir R[achfahl] einwendet,81 habe ich, wie immer, selbst (S.  184)82 gesagt; daß er sie

73  Anspielung auf den Historiker Adalbert Wahl, vgl. in derselben Fn., oben, S.  692. 74  Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  555 f. 75  Rachfahl, ebd., oben, S.  558 f., zitiert Petty, Political Arithmetick, p.  26. 76 Gemeint ist: Petty, Political Arithmetick, p.  23 f., zitiert von Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  586 und 595 f. 77  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  648–650, hier S.  649. 78  Weber hatte Petty, Political Arithmetick, bei der Abfassung seiner ProtestantismusAufsätze nicht herangezogen. Vgl. dazu Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  589 mit Fn.  13. 79  Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  596, mit Zitat: Petty, Political Arithmetick, p.  23 f. 80  Weber, ebd. 81  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  649. 82  Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  588.

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charaktervolle Beispiele dessen, was er sich gestatten zu dürfen glaubt. | nicht als Historiker, sondern mit den Augen seiner Zeit (des 17. Jahrhunderts) interpretierte (was R[achfahl] Anlaß gibt, jetzt die Bedeutung der Äußerungen dieses von ihm selbst herangezogenen Schriftstellers zur Abwechslung wieder einmal zu bezweifeln),83 zeigt ja gerade, wie damals, also: als nach Rachfahls eigner These Holland schon nicht mehr von jenen religiösen Motiven beherrscht war, dennoch die Dinge sich für einen geschäftlich gut unterrichteten Mann ausnahmen. Daß mir das „Mißgeschick“ passiert sei, die holländischen Freiheitskämpfer mit jenen englischen Dissenters zu identifizieren,84 welche Petty in der Nähe hatte, wird wohl selbst von Rachfahls Lesern nicht jeder ihm glauben. Daß aber, wie R[achfahl] behauptet, die holländische Ketzerei zur Zeit des Bruchs mit Spanien mit den späteren englischen Dissenters „nichts zu tun“ habe,85 kann nur jemand behaupten, der nichts von diesen Dingen weiß. Der puritanische Dissent in England ist, wie nicht nur die religiösen Prozesse schon unter Elisabeth, sondern überhaupt alle Quellen der Zeit beweisen, kontinuierlich aufs allerstärkste von Holland aus und (wie Holland selbst) durch südniederländische Flüchtlinge gespeist und geistig gestützt. In letzter Linie auf holländische Einflüsse rückführbar ist nicht nur die spezifisch asketische Wendung des Calvinismus, sondern ebenso die Entwicklung des für das Independententum so wichtigen Baptismus86 (dessen Literatur von jeher für sich den Ruhm, Träger spezifisch moderner politischer und wirtschaftlicher Grundsätze gewesen zu sein, in Anspruch genommen hat und noch nimmt), des Mennonitentums (dessen „merkantilistische“ Verwertbarkeit selbst preußische Soldatenkönige veranlaßte, seine Anhänger unter Dispens vom Kriegsdienst anzusiedeln),87 ferner, indirekt, auch der letzten Renaissance des Täufertums: des aus baptistischen Prädispositionen englischer Independentenkreise hervorgegangenen Quäkertums88 (dessen Tradition ebenfalls seit dem 17. Jahrhundert konstant für sich den Ruhm, Trä83  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  649. 84  Rachfahl, ebd., mit Bezug auf Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  596. 85  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  649. 86  John Smyth, der zwischen 1604 und 1606 mit Separatisten aus Southwark in eine Amsterdamer Exulantengemeinde ausgewandert war, kam dort mit Mennoniten in Kontakt und gründete daraufhin mit seinen Anhängern eine eigene Gemeinde. Thomas Helwys, ein Mitstreiter von Smyth, kehrte 1611 nach England zurück und gründete in London die erste baptistische Gemeinde (später als General oder Arminian Baptists bezeichnet), der bald weitere folgten. Vgl. Barclay, Inner Life, p.  68–73 und p.  76 f. Aus diesen Gemeinden gingen 1633 die calvinistischen Baptisten (später als Particular Baptists bezeichnet) hervor, die während des Bürgerkriegs und Commonwealths einen einflußreichen Teil der „Independents“ gebildet haben sollen. – Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  346, Anm.  87, und S.  347, Anm.  3. 87  Unter Friedrich Wilhelm I. (reg. 1713–1740), vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  138 mit Anm.  48. 88  Die von Thomas Helwys in England gegründeten baptistischen Gemeinden standen anfangs den holländischen Mennoniten sehr nahe (vgl. oben, Anm.  86). So wurde auch George Fox, der Gründer der Society of Friends („Quäker“), von mennonitischem Gedankengut beeinflußt (Barclay, Inner Life, p.  116 f.). „So closely do these views correspond with those of George Fox, that we are compelled to view him as the unconscious exponent of the doctrine, practice, and discipline of the ancient and stricter party of the Dutch Mennonites, at a period when, under the pressure of the times,

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In langen, ebenso wortklauberischen wie (m. E.) trivialen Ausführungen (Sp.  777 ff.)89 versucht Rachfahl seinem Publikum – trotz

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ger moderner Geschäftsethik zu sein und deshalb „von Gott mit Gütern gesegnet zu werden“, in Anspruch nimmt),90 und endlich: des Pietismus.91 Wie in Neuengland und Pennsylvanien, so hat sich auch in den Niederlanden das Grundschema der praktischen Berufsethik zunächst auf relativ sehr wenig kapitalistischem Boden entwickeln müssen (Ostfriesland),92 ist also nicht etwa eine Folge kapitalistischer Entwicklung; dann aber wurden Amsterdam und Leyden die Brutstätten, von denen aus z. B. spezifisch sektenmäßige Prinzipien des Gemeindelebens, nachdem sie dort ihre Vollendung erlangt hatten, ihre Fäden nach Eng|land spannen;93 und daß auch der Anstoß zur Fahrt der Pil- A 572 gerväter von Holland ausging,94 könnte schließlich dieser Historiker ebenfalls wissen, wenn man von ihm auch nicht verlangen wird, daß er über die Positionen orientiert sei, welche das schottische und englisch-quäkerische Element, der englische Dissent überhaupt, bis an die Schwelle der Gegenwart heran in England eingenommen hat.   3. Daß nach R[achfahl] Calvin (Sp.  730)1 den Lebensgenuß „in sinnlicher Hinsicht“ geboten hat (eine immerhin recht schiefe Interpretation der von mir zitierten Äußerung,2 welcher übrigens noch einige andere zur Seite zu stellen wären), hindert ihn

some deviation took place among the General Baptists from their original principles.“ Barclay, Inner Life, p.  77. 89  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  652 ff. 90  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  390 mit Fn.  42. 91  Zu holländischen Einflüssen auf den deutschen (lutherischen) Pietismus vgl. Weber, ebd., S.  308–311. 92  Es ist unklar, ob Weber die zu den Niederlanden gehörende Provinz Friesland (vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  481, Fn.  3 mit Anm.  23) oder die ehemalige Grafschaft Ostfriesland meint. Sowohl im niederländischen wie im deutschen Gebiet der Friesen – in beiden lebte man vorwiegend von Landwirtschaft und Fischerei – konnten sich jedenfalls Mennoniten halten. Ostfriesland galt im 16. Jahrhundert sogar als ihr sicherster Aufenthaltsort (Gemeinden in Emden, Leer, Norden u. a.). Letzteres nach: Cramer, Art. Mennoniten, S.  607. 93  Zunächst bestand in Amsterdam eine englische Exulantengemeinde (in Webers Literatur: „Ancient Church“, in den 1590er Jahren gegründet von Henry Ainsworth und Francis Johnson), von der sich Ende 1608 oder 1609 eine – bald ebenso große – Leidener Gemeinde (unter John Robinson) abspaltete. Die Exulanten standen mit ihrer Heimat in Verbindung. „The influence which Ainsworth and Johnson’s church, and the Church of Leyden exerted upon the course of religious opinion in England was unquestionably large. The Churches of Amsterdam and Leyden not only calmly thought out, but carried out for themselves in exile, all that is comprehended in the principles of the Congregational or Independent Churches of our times.“ Barclay, Inner Life, p.  62. 94  Der Impuls zum Aufbruch in die Neue Welt ging von der seit 1609 in Leiden ansässigen englischen Exulantengemeinde (vgl. die vorherige Anm.) aus. Nach Neal, Puritans II, p.  110, trieb sie die Sorge um die religiöse und gemeindliche Fortexistenz, da die Älteren starben und andere in holländische Familien einheirateten, nach Barclay, Inner Life, p.  121, die Suche nach „freedom of religion“. Ein Teil der Leidener Gemeinde segelte in der Mayflower nach Cape Cod, wo die Pilgrim Fathers im November 1620 an Land gingen. 1  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  641. 2  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  399, Fn.  52.

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seiner ausdrücklichen Ableugnung dieser Absicht, die er, ebenso wie seine eigenen Zitate aus meinem Aufsatz, schon in der nächsten Spalte wieder vergißt – die Meinung beizubringen: daß ich die Bedeutung derjenigen Züge des kapitalistischen Geistes, welche zu allen Zeiten den Trägern des Kapitalismus eigen gewesen sind, entweder geleugnet oder doch von kapitalistischem Geist nur da gesprochen habe, wo die von mir als bei der Geburt des modernen kapitalistischen Geistes beteiligt bezeichneten asketischen Züge vorhanden seien12). Daß dies nicht richtig ist, daß ich in meinen Aufsätzen genau so meine Aufgabe begrenzt hatte, wie dies in meiner „Antikritik“ angegeben ist,3 habe ich Rachfahl schon in dieser letzteren nachgewiesen. R[achfahl]s Publikum aber bekommt diese nun einmal jetzt selbst für ihn nicht mehr abzustreitende Tatsache in der Form zu hören (Sp.  779):4 Ich gäbe jetzt – offenbar: infolge der R[achfahl]schen Kritik! – zu, daß die von mir analysierte Komponente „nicht entfernt ausreicht, das kapitalistische System (sic) der Neuzeit zu erklären“. Diese Leistung, angesichts der schon nicht, an anderer Stelle zu behaupten,5 daß schon Calvin selbst dieselben Prinzipien vertreten habe, die dem asketisch gewendeten Calvinismus charakteristisch und für die Entwicklung des kapitalistischen Geistes wichtig sind. 12)  Vergl. Sp.  776 Zeile 10 ff.:6 man muß ja bei einem Wortrabulisten wie Rachfahl nach Art von Handschriften zitieren, sonst kann er – siehe oben7 – seine eigenen Behauptungen nicht mehr finden. Vergl. ferner Sp.  777 Zeile 22,8 wo man darüber belehrt wird, meine Ansicht sei eine bloße „Redefigur, die man schulgemäß (sic) pars pro toto nennt“. Rachfahl seinerseits hat dagegen vergessen, daß er selbst bezweifelt hatte (III Sp.  1322),9 daß die „kapitalistische Ethik, in welchem Sinne man sie auch fassen mag, im Sinne calvinistischer Berufsethik[“] lag. |

3  Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, bes. S.  602 f. 4  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  653, dort die folgenden Zitate. 5  Nach Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  537, war es schon Calvin, der zur „Durchdringung der Arbeit mit dem Geiste christlicher Sittlichkeit“ verhalf und dessen praktische Wirksamkeit in Genf bereits einen „‚aszetische[n] Zug‘“ im Kampf gegen die Sittenverderbnis kannte. 6  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  651, Z.  39 ff. 7  Siehe oben, Z.  2 f. 8 Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  652, Z.  15–17 (Auslassung von Weber nach „Redefigur“). 9  Als rhetorische Frage bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  553: „[.  .  .] liegt der ‚kapitalistische Geist‘, in welchem Sinne man ihn auch immer fassen möge, wirklich derart im Wesen der kalvinistischen Berufsethik, daß er aus ihr heraus geboren werden konnte?“ (Rachfahl korrigierte „kapitalistische Ethik‘“ in „[.  .  .] Geist“, vgl. die Editorische Vorbemerkung zu Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  521).

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oben wiedergegebenen Stellen aus meinen Aufsätzen an sich schon ein starkes Stück, wird aber noch überboten durch den gleich folgenden Satz: ich hätte „zugestanden“: „der kapitalistische Geist, mit dem ich mich beschäftige, beziehe sich gar nicht auf die großkapitalistische Entwicklung“. Was ich wirklich gesagt habe, ist Lesern meiner Aufsätze, auf die ja freilich seine „Kritik“ und „Replik“ nicht berechnet sind, wohl erinnerlich: Gerade eine durch spezifisch „asketische“ Lebensführung bedingte Anhäufung von Reichtum tendiert, – wie die immer wieder erforderlich werdenden „Reformationen“ der Klöster im Mittelalter | (auf die ich als Parallele verwiesen hatte)10 zeigen, und wie auch die Puritaner, Quäker, Baptisten, Mennoniten, Pietisten recht wohl aus eigenen[,] nur zu verständlichen Erfahrungen wußten, – immer wieder dahin, die Macht der Askese zu brechen: Wenn nicht der aufgestiegene selfmademana selbst, so seine Söhne oder Enkel widerstehen eben von sich aus der „Versuchung“, der „Welt“ (in diesem Fall: dem genußfrohen Gebrauch des erworbenen Gutes) zu leben, an sich noch seltener[,] wie reichgewordene Klöster des Mittelalters dies taten.11 Es ist nun eben eine der Leistungen des asketischen Protestantismus, daß er dieser Tendenz entgegenwirkt, daß er insbesondere den von ihm als „Kreaturvergötterung“ abgelehnten Tendenzen, den „splendor familiae“ durch Immobilisierung des Besitzes als rentenbringenden Vermögens zu sichern, wie der „seigneurialen“ Freude am „high life“, dem schönheitstrunkenen Rausch im ästhetischen Genießen und „Sichausleben“[,] wie dem protzenhaften Bedürfnis nach ostensiblem Prunk gleichmäßig widerstrebt.12 Und diese, vom asketischen Protestantismus perhorreszierten Tendenzen sind es ja doch, welche ihrerseits die Gefahr „kapitalistischer Erschlaffung“: die Neigung zur Verwendung des Vermögens für andere Zwecke denn als „Erwerbskapital“, immer wieder heraufbeschwören, welche also dem kapitalistischen „Geist“ (in jedem Sinn, den man mit

a A: selfmade man 10  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  415. 11  Vgl. Weber, ebd. 12 Vgl. Weber, ebd., oben, S.  389 mit Fn.  40, S.  408 f. Weber greift dabei auf ebd. verwendete Begriffe zurück: S.  408, Fn.  65 (splendor familiae), S.  399 (vgl. zum SichAusleben und zur „seigneurialen“ Freude).

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dem Wort verbinden kann) entgegenwirken; denn jeder einzelne dieser Züge ist, wo immer er sich bei großen Unternehmern findet, eine Hemmung seiner vollen Entfaltung und tut der „Kapitalbildung“ Abbruch. Und zugleich sind gerade diese Züge solche, welche allen Arten von großen Vermögens- oder Einkommensbesitzern: feudalen Rentengrundherren so gut wie Kuponschneidern13 und wie hochsalarierten Staats- und Hofbeamten[,] ganz ebenso sich anzuheften pflegen, wie den ganz großen Kapitalisten. Oder vielmehr diesen letzteren, wenn sie überhaupt „Kapitalisten“ im präzisen erwerbswirtschaftlichen Sinn des Wortes bleiben wollen, notwendig weniger als allen andern: – denn ihr Vermögen wird ja eben parallel mit dem Wachsen des (wie man heute in unklarer Terminologie zu sagen pflegt) „unproduktiven“ Verbrauchs seiner kapitalistischen Zeugungskraft beraubt. Auf der anderen Seite: das, was an privatkapitalistisch relevanten Motiven einem solchen Großkapitalisten, der nicht unter der Macht jener von mir analysierten asketischen Lebensmethodik steht, verbleibt, insbesondere also, ganz allgemein gesprochen: das bewußte[,] planvolle Streben nach Erweiterung seiner ökonomischen Leistungssphäre, darnachb also: „etwas in der Welt fertig zu bringen“ mit seinen ökonomischen Machtmitteln, – dieses durch die Natur des unvermeidlichen Mittels innerhalb der Sphäre der Erwerbswirtschaft in seiner Richtung determinierte Streben teilt der von allen religiösen Bestimmungsgründen emanzipierte Lebensstil mit demjenigen, den ich analysiert habe. Nur fehlt ihm das entscheidende Fundament im persönlichen Leben. Denn der seit der Aufklärung übliche Optimismus, wie er später in „Liberalismus“ gipfelte, war nur ein Surrogat nach der sozial gewendeten Seite: er ersetzt das „in majorem Dei gloriam“.14 Nicht aber die persönliche Bedeutung der „Bewährung“, welche, rein diesseitig gewendet, vielmehr die Neigung zeigt, ins lediglich „Agonale“ | umzuschlagen oder aber unter die verb A: darnach, 13  Von frz. couper, „(ab)schneiden“. Von einem Couponbogen, der festverzinslichen Wertpapieren, Schuldverschreibungen oder Aktien beigegeben war, wurde zum Termin ein Coupon (Abschnitt) abgeschnitten und zur Auszahlung der Zinsen oder Dividenden vorgelegt. – Despektierlich für Aktionäre oder Rentiers gebraucht. 14  Zu dieser Wendung vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  266, Fn.  21 mit Anm.  20.

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schiedenen Komponenten trivial-bürgerlicher Selbstzufriedenheit sich einzureihen (s. m[einen] Aufs[atz]).15 Alle jene spezifischen Züge, welche einem von irgend etwas, was man „Geist“ des Kapitalismus nennen kann, wirklich ganz durchtränkten Leben eignen: die kühle und menschlichkeitsfremde „Sachlichkeit“, die „Rechenhaftigkeit“, die rationale Konsequenz, der aller Lebensnaivität entkleidete Ernst der Arbeit und die fachmenschliche Verengung, alle diese Züge, welche den pathetischen antichrematistischen Widerspruch vom künstlerisch orientierten sowohl wie vom ethischen und vor allem vom rein menschlichen Standpunkt aus herausgefordert haben und herausfordern, entbehren eben dann bei ernsten Menschen ihrerseits einer geschlossenen Einheit der ethischen Selbstrechtfertigung, welche dabei vielmehr, – ich habe das ja angedeutet,16 – wenn überhaupt, durch allerhand leicht als solche kenntliche Surrogate ersetzt wird. Dabei kann selbstredend der Kapitalismus recht bequem existieren, aber entweder, wie heute zunehmend, als eine fatalistisch hingenommene Unvermeidlichkeit, oder, wie in der Aufklärungsperiode einschließlich des Liberalismus modernen Stils, legitimiert als irgendwie relativ optimales Mittel, aus der (im Sinn etwa der Leibnizschen Theodicee) relativ besten der Welten das relativ Beste zu machen.17 Aber er erscheint gerade den ernstesten Menschen nicht leicht mehr als äußerer Ausdruck eines in einer letzten, geschlossenen und angebbaren, Einheit der Persönlichkeit fundamentierten Lebensstils. Und es wäre ein erheblicher Irrtum, zu glauben, daß dieser Umstand für die Stellung des Kapitalismus innerhalb der Gesamtkultur: seine Kulturwirkungen zunächst, ebenso aber: sein eigenes inneres Wesen und schließlich auch: sein Schicksal, gleichgültig bleiben müsse.

15  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  423, auch 417. 16  Siehe oben, S.  698. 17 Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Essais de Théodicée (1710), dt. Die Theodicee, übers. und erläutert von J. H. v. Kirchmann (Philosophische Bibliothek, Band  79). – Leipzig: Erich Koschny 1879 (Max Webers Handexemplar in der Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München). – Leibniz’ aufklärerisch-optimistische Schrift enthält das Postulat, daß Gott bei Voraussetzung seiner Vollkommenheit, seiner Allweisheit, Allgüte und Allmacht, unter den unendlich vielen möglichen Welten die beste Welt gewählt hat. Die bestehende Welt ist bei Leibniz zwar unvollkommen; jede andere mögliche Welt wäre aber noch unvollkommener. Vgl. etwa Windelband, Neuere Philosophie I, S.  491–493.

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Was ich über die nicht von der protestantischen Askese mitbedingten Züge des „kapitalistischen Geistes“ gesagt habe, war also in der Tat nicht solcher Rachfahlscher Unfug, wie: daß gerade die großen Kapitalisten „nicht in die moderne Wirtschaftsgeschichte hineingehören“18 und dergleichen, sondern: 1. daß ökonomischen „Übermenschen“ (um der Kürze halber den Ausdruck beizubehalten) die asketischen Züge der kapitalistischen Berufsethik auch in der Reformationszeit weit weniger spezifisch sind, daher an ihnen weit weniger studiert werden können, als (damals) an den aufsteigenden bürgerlichen Mittelklassen.19 Dies erklärt sich neben den schon erwähnten spezifischen „Versuchungen“,20 welchen gerade sie ausgesetzt sind, natürlich u. a.13) einfach daraus, daß Leute, die einmal in dieser Machtstellung sich befinden, mit der Möglichkeit eines sol|chen politischen und ästhetischen Horizonts, wie sie ihn gewährt, die innere Situation des „Jenseits von Gut und Böse“:21 die Losgerissenheit von den ethischen und kirchlichen Gewissensbindungen, weit leichter ertragen können, als, nach allen Erfahrungen der Geschichte, das eben damals in den modernen Staatenverbänden mächtig erwachende Bürgertum dies konnte, wenn es 13)  Ich kann hier im übrigen für die amerikanische Gegenwart z. B. auf Veblens vortreffliches Buch: „Theory of business enterprise“ verweisen, dessen Betrachtungen u. a. gerade die allmähliche Emanzipation des allermodernsten Milliardärtums von der dem neuzeitlichen Kapitalismus bisher charakteristischen bürgerlichen Denkweise: „hones­ ty isc the best policy“ herausheben.22 Ich habe in meinen Aufsätzen im Archiv und in dem von Rachfahl ignorierten in der Christlichen Welt die Genesis dieser Devise beleuchtet und komme unten darauf zurück.23 |

c A: ist 18 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  659 f. mit Anm.  38 (kein direktes Zitat). 19  Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  596–599. 20  Siehe oben, S.  697. 21 Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse; bereits Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  362, Fn.  139 mit Anm.  75. 22  Veblen, Business Enterprise, bes. p.  52; zitiert inkl. der „Devise“ von Weber, Protestantische Ethik II, S.  362, Fn.  139. 23  Weber, Protestantische Ethik I und II, oben, S.  123–215 und 242–425, die „Devise“ selbst S.  362, Fn.  139, und S.  421, Fn.  83a; Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  435–462, zum puritanischen Ursprung der „Devise“ bes. S.  439–445 (die „Devise“ ist dort nicht zitiert). Zum Verweis siehe unten, S.  719 f. (auch dort ohne Zitat der „Devise“).

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innerlich in den „Geist“ des Kapitalismus hineinwachsend und seinen Lebensstil so gestalten sollte, wie er es erheischt. Ferner habe ich 2. gesagt: die bloße „auri sacra fames“,das Streben nach Geld, ist nicht nur zu allen Zeiten der Geschichte vorhanden gewesen, 24 es ist auch nicht einmal der „Kapitalistenklasse“ irgendwie eigentümlich, es ist außerhalb ihrer mindestens ebenso verbreitet gewesen und noch heute verbreitet, als innerhalb ihrer, ja der orientalische kleine Krämer, der barcajuoloe, Kutscher, Kellner, Portier des heutigen Italien und ebenso anderer Länder (mit Ausschluß vornehmlich gerade der puritanisch beeinflußt gewesenen), ebenso der „notleidende Agrarier“ usw. – sie alle haben es noch weit mehr als der Typus des „Kapitalisten“, dem, wo er dauernd erfolgreich sein soll, immer zum mindesten ein Zug von 1. Hingabe an die „Sache“ und 2. rationaler Beherrschtheit zu eignen pflegt. Die Leistung der „innerweltlichen Askese“ war die Schaffung einheitlicher Grundmotive für die Pflege dieser Qualitäten. Rachfahl behauptet jetzt gegenüber meinem Hinweis auf seine kenntnislose Vergröberung der Probleme, um die es sich hier handelt, mit der ihm eigenen kecken Sicherheit: „die Schwäche der psychologischen Position (sic) des Erwerbstriebs sei ihm sehr wohl bekannt“.25 Mit Verlaub: er wußte garnichts davon, denn sonst hätte er mir nicht die Stärke eben dieses „Triebes“ (bei andern als den Puritanern) in seiner „Kritik“ in jener breiten und flachen Weise entgegengehalten, die ich zurückwies.26 Aber freilich: „er weiß es besser“, trotzdem und – eben deswegen. Er hat sich jetzt aus dem, was ich ihm entgegnet habe und was er, bei leidlich sorgsamer Lektüre, in meinem Aufsatz ausführlich erörtert finden konnte, einiges darüber angeeignet: nicht genug freilich, um nicht noch jetzt an verschiedenen Stellen seiner „Replik“ ganz dieselben Platitüden wiederum vorzutragen. Aber es genügt ihm, um ganz munter, man möchte sagen: „altklug“,

d A: hineinwachsen,  e A: barcajaolo 24  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  153 (mit Anm.  57); auch Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  603 f. 25  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  653, Anm.  32 („[.  .  .] ist mir sehr wohl bekannt“). 26 Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  532–536; dazu Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  606 f.

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davon zu fabulieren: daß die Erhebung dieses „Triebes“ aus dem Gebiet des „Naivtriebhaften“ auf das Niveau des „Rationalen“ keineswegs „lediglich“ das Werk der „reformierten Berufsethik“ (auf die ich mich bekanntlich keineswegs beschränkte!) sei,27 – nähere Erläuterung oder Andeutung, wessen Werk denn nun sonst: – „vacat“14). Auf ähnlichem Niveau stehen seine hierzu parallel laufenden Erörterungen über das, was ich „asketischen Sparzwang“ genannt habe28 und dessen ethische Einschärfung die negativ gewendete Ergänzung zu jener Rationalisierung und | ethischen Verklärung des Gewinnstrebens als Beruf durch die innerweltliche Askese bildet. Rachfahl entdeckt jetzt die erstaunliche Wahrheit, daß zur Akkumulation von Kapital (die übrigens, was ihm offensichtlich keineswegs klar ist, was aber jeder nationalökonomische Anfänger weiß, mit der Aufsammlung von großen „Vermögen“, von der er redet,29 ganz und gar nicht identisch ist), daß zum Sparen also – der „Geist der Sparsamkeit“30 gehört. Und da man ja zu allen Zeiten „sparen“ mußte, um Kapital zu akkumulieren, so ist – ganz nach dem Muster des zu allen Zeiten vorhanden gewesenen „Erwerbstriebs“ (der, wie erinnerlich, deshalb einer „Stütze“ durch die von mir analysierte Berufsethik gar nicht bedurfte) – offenbar die innerweltliche Askese auch in dieser ihrer Funktion gar nichts „Neues“.31 Ich will dem Tiefsinn dieser Argumentation nichts hinzufügen. Daß freilich gegenüber dem: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden“32 und also: „Deo placere non potest“33 des 14)  In welchen seiner Ausführungen ich vollends eine „Auseinandersetzung“ R[achfahl]s mit mir über die Beziehung zwischen irrationalem „Trieb“ und rationalem „Geist“ hätte erblicken können (Sp.  779 Anm.),34 ist mir gänzlich dunkel. Ich verweise auf meine Antikritik35 und empfehle R[achfahl], doch etwas höhere Anforderungen an sich selbst zu stellen. |

27  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  653, Anm.  32. 28  Weber, Protestantische Ethik II, oben S.  412. 29  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, etwa S.  645. 30  Rachfahl, ebd., oben, S.  656. 31  Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S.  656 f. 32  Nach Mt 6,19. 33  „[Ein Kaufmann] kann vor Gott keinen Gefallen finden“. Dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  172 mit Anm.  14. 34  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  653, Anm.  32. 35  Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  573–619.

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mittelalterlichen Katholizismus es die eigentümliche, wenn man will: paradoxe, Leistung der Askese gewesen ist, eben jenen gegen das Sparen gerichteten Bibelsatz zu predigen, gleichzeitig aber durch die Art der von ihr geschaffenen Lebensführung erst recht jene von ihr perhorreszierten „Schätze“ mit noch nie dagewesener Wucht und Kontinuität immer von neuem zu schaffen und vor naiv genußfrohem Verbrauch zu schützen (solange ihr „Geist“ die Oberhand über die „Versuchung“ behielt15)), also: das Sparen und ebenso die Verwendungsweise des Gesparten zu anderen als persönlichen Genußzwecken zu rationalisieren und zu verklären, – dieser einfache, aber wie ich ausgeführt habe,36 grundlegend wichtige Tatbestand ist wahrscheinlich für die etwas „groben Pfoten“, mit welchen diese sogen. „historische Kritik“ hantiert, nicht zu fassen. Man mag nach alledem ermessen, was man davon zu halten hat, wenn R[achfahl] | auf der einen Seite versichert, er habe in seiner Kritik „ganz wie ich“f geschieden „zwischen den zu allen Zeiten im

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15)  Rachfahl beschwert sich, daß ich die dem Tone nach hämische und in der Sache A 576 kleinliche Art niedriger hängte, mit der er jenes – wohlgemerkt: von mir in einer Fußnote in wenigen Zeilen illustrativ erwähnte – Beispiel eines sehr erfolgreichen Kaufmannes, der gegen gewisse luxuriöse Genüsse (Austern) auch bei ärztlicher Verordnung seine Antipathie beibehielt, weil ihm jener, m. E. für ganze Generationen allerdings sehr charakteristische „asketische“ Zug eignete: daß Genuß und Luxus als solche ein „Unrecht“ gegenüber der berufs- und bestimmungsmäßigen Verwendung des Besitzes (als Kapital) sei, breittrat, um den Anschein zu erwecken, als spiele Derartiges bei mir als „Beweis“ eine entscheidende Rolle.37 Ich stelle fest, daß trotz meiner entsprechenden Bemerkungen noch jetzt in seiner Replik dies Beispiel die gleiche Rolle spielt,38 ja daß R[achfahl] – obwohl er weiß, daß ich so weitfassend und mit so viel Beispielen, wie es mir eben die Gelegenheit gestattete, die Gesamtattitüde charakterisiert habe, in welche, neben zahlreichen anderen, eben auch jener kleine Zug hineingehört, – sich nicht schämt, nunmehr seinen Lesern den Satz vorzusetzen: „ich (Rachfahl) habe wenigstens nicht damit angefangen, die Modalitäten des Austerngenusses für die Erkenntnis .  .  . zu verwerten“.39 Dies ist in der Tat äußerst „effektvoll“.40 |

f A: ich“, 36  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, bes. S.  412–414. 37  Webers Austern-Beispiel (Protestantische Ethik II, oben, S.  407, Fn.  63) wurde von Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  534, aufgegriffen; dazu bereits Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  580, Fn.  6 38  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  659, auch S.  640. 39  Zitat: Rachfahl, ebd., oben, S.  640. 40 Anspielung auf Rachfahls Wendung „effektvolle Polemik“: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  633.

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Kapitalismus wirksam gewesenen geistigen Triebkräften und dem kapitalistischen Geist im Weberschen Sinn“,41 auf der anderen aber sagt: die Züge des kapitalistischen Geistes der Neuzeit seien „dieselben, die sie zu allen Zeiten waren“ (Sp.  786),42 oder auf der einen Seite: die von mir hervorgehobenen Züge seien nur eine „Nuance“ jenes „Geistes“,43 die „auch“ (sic) der Neuzeit (welchen Epochen noch?) angehöre, insbesondere sei die „Mitwirkung der Methodik der Lebensführung recht bescheiden“ (Sp.  762),44 ja bei vielen „kapitalistischen Phänomenen“ (sic) sei die Wirkung der von mir analysierten Motive „ausgeschlossen“ (Sp.  782g:45 – es wird natürlich in keiner Weise auch nur im entferntesten anzudeuten versucht, bei welchen Phänomenen denn nun das letztere der Fall sein möchte), – auf der anderen Seite: kein Mensch bezweifle ja – und also, heißt das doch, habe ich damit gar nichts Neues gesagt, – das Bestehen einer „inneren Beziehung zwischen Calvinismus (was[,] wie gesagt, wieder zu eng ist) und Kapitalismus“46 und, wie es jetzt heißt: erst recht bezweifle niemand die maßgebende Rolle des Puritanismus für den amerikanischen Lebensstil,47 – die aber R[achfahl] in seiner „Kritik“ so entschieden wie möglich bezweifelt hatte, soweit das in diesem Zusammenhang Spezifische dieses Lebensstils: die Bedeutung der puritanischen Berufsethik für das Geschäftsleben, in Betracht kam: Er bestreitet ja noch jetzt diese Einwirkung, – womit er freilich wohl allein stehen dürfte, auch ganz abgesehen von meinen speziellen Nachweisen in dem schon mehrfach zitierten, aber von R[achfahl] nach wie vor geflissentlich ignorierten Aufsatz in der „Christlichen Welt“.48 Ganz das gleiche gilt natürlich, wenn er, ohne den Schatten einer Begründung, ja selbst einer Erläuterung, einfach wie immer: ins g A: 787 41  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  653: „Ich habe im Gegenteil stets zwischen ‚kapitalistischem Geiste‘ im Sinne Webers und ‚kapitalistischem Geiste‘ im üblichen Sinne oder schlechthin unterschieden.“ 42  Rachfahl, ebd., oben, S.  657. 43  Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S.  652. 44  Zitat mit kleineren Abweichungen: Rachfahl, ebd., oben, S.  647. 45  Rachfahl, ebd., oben, S.  655. 46  Zitat: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  543. 47  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  646 f., Anm.  26. 48  Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  426–462.

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Blaue hinein, seinem Publikum mit der Geste des „Kenners“ versichert: der Kapitalist sei schon ohne die Einwirkung der von mir analysierten Motive „Berufsmensch“ gewesen (Sp.  786),49 keineswegs bestünden in der calvinistischen Ethik Bedenken gegen den Genuß (Sp.  730h),50 die „ethische Auffassung des Berufs“ sei „nicht erst Produkt der reformierten (sic) Sittlichkeit“ (Sp.  783),51 asketische Bedenken gegen den Genuß seien „nicht der neuzeitlichen Kapitalistenklasse“, speziell auch in meinem Sinn, wie ausdrücklich hinzugefügt wird, irgendwie typisch (Sp.  728, 748),52 „Berufsethik“, „und sogar mit religiöser Färbung“[,] habe schon vor der Reformation bestanden, während ich 1. nachgewiesen habe, daß selbst der Name „Beruf“ erst ein sehr spezifisches Produkt der Bibelübersetzung war und, aus rein religiösen Bedeutungen herstammend, weiterhin der Säkularisation verfallen ist,53 – 2. auch mehrfach die Unterschiede der thomistischen und ebenso der lutherischen Stellung zu dem, was man seit der Reformation „Beruf“ nannte, gegenüber dem asketischen Protestantismus analysiert habe,54 ohne daß R[achfahl] natürlich auch nur den leisesten Anfang eines Versuchs gemacht hätte, daran zu rütteln. Er hat statt dessen die Unbefangenheit, einfach zu versichern: es handle sich bei mir um „eine bloße Behauptung“.55 Oder wenn (Sp.  779 und öfter)56 der Anschein erweckt wird, als sei das, was ich über die spezifische Bedeutung des asketischen Protestantismus des 17. Jahr|hunderts16) für die eben damals und

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16)  Bei Rachfahl ist – je nach Bedarf – bald das 16., bald das 18. Jahrhundert der A 578 Zeitraum, „auf den es ankommt“.57 Da sowohl die spezifisch asketische Wendung des Calvinismus, wie die Ausgestaltung des bis dahin durch den Münsterschen Aufruhr diskreditierten Täufertums zum Anabaptismus, Generalbaptismus, Partikularbaptismus, wie die Entstehung des Quäkertums und des Pietismus (den Methodismus habe ich

h A: 710 49  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  658. 50  Rachfahl, ebd., oben, S.  641. 51  Rachfahl, ebd., oben, S.  656. 52  Rachfahl, ebd., oben, S.  640 (kein direktes Zitat), das folgende Zitat S.  658. 53  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  178–190 mit Fußnoten. 54  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, insbes. S.  379–388. 55  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  662. 56  Rachfahl, ebd., oben, S.  653. 57  Kein wörtliches Zitat bei Rachfahl.

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gerade in den Gebieten desselben aufsteigenden bürgerlichen Mittelklassen gesagt habe, nicht schon ganz ebenso, größtenteils wörtlich, in meinem Aufsatz gesagt,58 wobei überdies jetzt diese Bemerkung dahin zu wenden versucht wird, als ob es sich bei „bürgerlichen Mittelklassen“ nach meiner Ansicht um „Flickschuster“ handle17).59 selbst als Nachzügler und „revival“ geschildert)60 gerade im 17. Jahrhundert und nur in den diesem unmittelbar benachbarten Jahren liegen, ebenso aber auf der andern Seite auch die erste großzügige und systematische Entfaltung bewußt bürgerlich-kapitalistischer moderner Staatenpolitik und Literatur, so kennzeichnen jene zeitlichen Fixierungen sich selbst als Produkte der sehr begreiflichen Verlegenheit, eine falsche, polemisch eingenommene, Position rechthaberisch à tout prix zu halten. 17)  In Wahrheit entspräche dies letztere speziell doch wohl eher der Ansicht, die Rachfahl selbst in seiner „Kritik“ vertritt, – wenn man überhaupt von „Vertreten einer Ansicht“ in einem Fall, wo es sich schließlich ja lediglich um Klopffechterei um ihrer selbst willen handelt, reden könnte. Nach R[achfahl] ist es (III Sp.  1329)61 der Calvinismus („ausgerechnet“ gerade er), welcher unter anderem die Tendenz hat, (neben den „Kapitalisten“) nicht nur den „mittleren und kleineren Kaufleuten und Handwerkern“, sondern speziell auch dem Angestelltenpersonal (sic) und der „Arbeiterschaft“ (sic) zu „dienen“ (sic) – ein Dictum, von dem man sich vergebens fragt, wie selbst eine blind um sich schlagende Gedankenlosigkeit es hat entstehen lassen können. Wie völlig gedankenlos freilich Rachfahl überhaupt, wenn er sich „auf der Mensur stehend“ fühlt,62 isich gebahrti, möge ein Fall illustrieren, über den er selbst ein derartiges Triumphgeschrei veranstaltet, daß ich ihm (nach so zahlreichen[,] wenig ehrenvollen Blößen, auf die ich hinweisen mußte) es wirklich gern auch einmal gönnen würde, er hätte Recht, – könnte dies auch nur der oberflächlichsten Nachprüfung standhalten. Es sei mir, versichert er sein Publikum, offenbar äußerst „unangenehm“, von ihm darauf „festgenagelt“ zu sein, daß ich bei Erwähnung Neu-Englands – wie er in seiner Kritik behauptet hatte – das Handwerk als Beweis des kapitalistischen Geistes hingestellt hätte.63 Würden sich seine Leser diese „festgenagelte“ Stelle ansehen, so fänden sie dort: „Die Existenz von Eisenhüttenwerksgesellschaften (1643), Tuchweberei für den Markt (1659) und die hohe Blüte des Handwerks in Neu-England in der ersten Generation nach der Gründung der Kolonie sind, rein ökonomisch betrachtet, Anachronismen und stehen zu den Verhältnissen im Süden .  .  . in auffallendstem Gegensatze .  .  .“.64 An dieser Be-

i–i  Veraltet für: sich gebärdet 58  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  127 und 164 f., und dass. II, S.  415 u. ö. 59  Zitat: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  645. 60  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  344 und 415. 61  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  558. 62 Anspielung auf das „Fechterstückchen“, bei Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  643. 63  Mit Zitaten: Rachfahl, ebd., oben, S.  647. Die Behauptung bei Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  549. 64  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  412, Fn.  71 (lies: „1639“ statt „1659“).

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Ich denke mit der Erwähnung dieser Leistung können wir die Analyse beschließen. | Vermerkt sei nur noch, daß R[achfahl] meint: wenn ich einen Aufsatz über den „Geist des Kapitalismus“ schreibe und dabei nur eine spezifische „Nuance“ desselben behandle, so sei das, wie wenn ein Schriftsteller in einer Arbeit über „das Pferd“ erklärte: nur vom „Schimmel“ handeln zu wollen.65 Ich verweise den ebenso geistreichen (wie man sieht) als vergeßlichen (wie man gesehen hat) „Kritiker“ auf die Überschrift meines Aufsatzes, lautend: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Natürlich also doch nicht: die Totalität beider (R[achfahl] hätte mich ja sonst auch anklagen können, daß ich nur vom „Schimmel“ rede, weil ich bezüglich der Ethik z. B. die Sexualethik Luthers oder dergl. nicht behandelt habe), – sondern eben die Relationen zwischen beiden, woraus doch selbstredend folgt, daß nur das, was beiderseits, als causierend, oder causiert, in Betracht kommt, behandelt wird. Um eine Polemik pflegt es nach meiner Erfahrung immer übel zu stehen, wenn der Polemiker, um wenigstens dem Schein nach „Recht“ zu behalten, zu dem Mittel gezwungen ist: sich noch törichter zu stellen, als er (im vorliegenden Fall) ist.c

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merkung habe ich natürlich kein Wort zu ändern, ebensowenig | an der Begründung, A 579 welche diese, teils kapitalistischen, teils (in einem Kolonialgebiet auf – wie ja Rachfahl bei mir gelesen hat und mir gelegentlich als eigenen Gedanken entgegenhält66 – vielfach noch naturalwirtschaftlicher Entwicklungsstufe) immerhin auffallenden Erscheinungen eines selbständigen kräftigen Kleingewerbes als mit durch den in penetranter Weise religiös durchdrungenen Lebensstil der Einwanderer bedingt hinstellte, – wie dies übrigens vor mir von Amerikanern geschehen war.67 Ganz absehend von der wohl nicht zweifelhaften Antwort auf die Frage: wer und was denn nun hier für den konkreten Fall „festgenagelt“ ist, „nagele“ ich meinerseits nur wiederum ganz generell die Frage „fest“: wes Geistes Kind eine „Kritik“ sein kann, die ihr Geschäft durchweg in nichts besserem als dem (überdies auch noch immer wieder mißglückenden) Versuche sieht, den „kritisierten“ Schriftsteller auf einzelne Worte und Einzelsätze „festzunageln“. Und nichts anderes enthalten Rachfahls „Kritik“ und „Replik“68 von A bis Z. | c  (S.  667)–c  Petitdruck in A. 65  Mit Zitaten: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  654. 66  Vgl. Rachfahl, ebd., oben, S.  647, mit Bezug auf Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  591, Fn.  14 (auch: Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  174). 67  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  412 mit Fn.  71, nennt Doyle, The English in America III (= The Puritan Colonies II), chapter 1 (p.  1–120). 68  Gemeint sind: Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  521–572, und Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  625–664.

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Doch, nach so viel Polemik, nun endlich genug. Ich vergesse ja ganz, daß R[achfahl] die große Freundlichkeit hat, mir auch eine gute Lehre zu geben, wie ich es besser hätte machen können. Nämlich (Sp.  780 unten, 781 oben):69 ich hätte sagen sollen: „es hat sich unter dem Einfluß reformierter Berufsethik eine bestimmte Abart kapitalistischen Geistes im Lauf der Neuzeit entwickelt; ich will ihren Ursprung, die Grenzen ihrer Expansion feststellen, sowie der Frage der qualitativen Prägung nachgehen, d. h. zu ermitteln trachten, ob der kapitalistische Geist, der das kapitalistische Wirtschaftssystem der Gegenwart geschaffen hat (sic), aus dieser Quelle bestimmte Züge empfangen hat, die für sein Wesen von konstitu­ tiver Bedeutung geworden sind“. – Mit anderen Worten: Ich hätte 1. zunächst eine Voraussetzung machen müssen, die R[achfahl] an anderen Stellen selbst perhorresziert: daß irgend ein „kapita­ listi|scher Geist“ (gleichviel wie definiert) das kapitalistische Wirtschaftssystem allein aus sich geschaffen habe – eine rein spiritualistische Konstruktion, die ich in meinen Aufsätzen ausdrücklich abgelehnt habe.70 Ich hätte ferner 2., wenn ich recht verstehe, das, was ich ja unter anderem gerade erst beweisen wollte: daß nämlich die reformierte Berufsethik (lassen wir R[achfahl] diese „pars pro toto“ hier durchgehen) die Bildung einer „Abart des kapitalistischen Geistes“71 (lassen wir auch diesen Ausdruck durchgehen) maßgebend beeinflußt habe, voraussetzen müssen, und dann hätte ich 3. das, was ich in diesem Aufsatz ausgesprochenermaßen und nach seiner ganzen Anlage teils gar nicht, teils noch nicht (nämlich in den bisher allein erschienenen Partien nicht)72 verfolgen konnte: die Grenzen ihrer Expansion, ermitteln sollen, worauf ich dann endlich 4. die (vergl. Nr.  1) schief gestellte Frage nach der „qualitativen Prägung“ hätte erörtern dürfen. Damit hätte ich 5. mein Problem in einer Weise orientiert, die meinen Absichten nun einmal 69  Das folgende Zitat: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  654. 70  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  215. 71  „Abart kapitalistischen Geistes“: Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  654. 72  Weber plante schon länger eine Fortsetzung der Aufsätze zur „Protestantischen Ethik“, vgl. die Einleitung, oben, S.  66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96, sowie den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  464 f. mit Anm.  10.

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nicht entsprach: denn nicht die Förderung des Kapitalismus in seiner Expansion war das, was mich zentral interessierte, sondern die Entwickelung des Menschentums, welches durch das Zusammentreffen religiös und ökonomisch bedingter Komponenten geschaffen wurde: das war am Schluß meiner Aufsätze deutlich gesagt.73 Wie aber schließlich ersichtlich, hätte ich überdies, um dieses Programm, soweit es sinnvoll ist, ausführen zu können, gleich an die Spitze der Erörterung vor allem eine Definition dessen stellen müssen, was alles der komplexe Begriff: „Geist des Kapitalismus“ enthalten kann. Denn ohne dies ist die Feststellung der Existenz einer „Abart“ ja gar nicht möglich. Ich habe aber in meinem Aufsatz gesagt, warum dies nicht geschehen ist und, sollte ich nicht von vornherein die Geschichte vergewaltigen, nicht geschehen konnte.74 Ein spezifisch historisches Gebilde, wie das, was wir unter jenem Namen, zunächst ganz ungeklärt, vorstellen, kann zu begrifflicher Deutlichkeit eben nur – ich vermisse jeden Versuch einer Widerlegung dieser Ausführungen – durch Synthese seiner einzelnen Komponenten, wie sie die Realität der Geschichte darbietet, erhoben werden. So zwar, daß wir aus der Realität des historisch Gegebenen jene Einzelzüge, die wir dort in vielfach vermittelter, gebrochener, mehr oder minder folgerichtiger und vollständiger Art, mehr oder minder vermischt mit anderen, heterogenen, sich auswirkend finden, in ihrer schärfsten, konsequentesten Ausprägung auslesen, nach ihrer Zusammengehörigkeit kombinieren und so einen „idealtypischen“ Begriff, ein Gedankengebilde, herstellen, dem sich die faktischen Durchschnittsinhalte des Historischen in sehr verschiedenem Grade annähern. In Wahrheit verwendet ja jeder Historiker, bewußt oder (meist) unbewußt, kontinuierlich Begriffe dieser Art, wo er überhaupt scharfe „Begriffe“ verwendet.75 Darüber habe ich mich ja, ohne bisher Widerspruch zu erfahren, auch außerhalb jener Aufsätze wiederholt ausgesprochen76 (ohne übrigens irgendwie mir einzubilden, daß durch jene methodologischen Versuche dieses gar nicht einfache Problem irgendwie endgültig „erle73  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  420–425. 74  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  141 f. 75  Dazu Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  618, Fn.  35 mit Anm.  41. 76  Über die Bildung idealtypischer Begriffe vgl. Weber, Objektivität, S.  64 ff., und die Einleitung, oben, S.  19–22.

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digt“ sei, – ich habe vielmehr gewiß dring|lichen Anlaß, über meine bisherigen Arbeiten in dieser Richtung sehr bescheiden zu denken –). Jedenfalls aber konnte in vorliegendem Fall, bei einer sehr komplexen historischen Erscheinung, zunächst nur von dem anschaulich Gegebenen ausgegangen werden und allmählich, durch Ausscheiden des für den notwendig isolierend und abstrahierend gebildeten Begriff „Unwesentlichen“, dieser zu gewinnen versucht werden. Demgemäß verfuhr ich so,77 daß ich zunächst 1. die von niemandem bisher bezweifelte Tatsache der auffällig starken Kongruenz von Protestantismus und modernem Kapitalismus: kapitalistisch orientierter jBerufswahl undj kapitalistischer „Blüte“, durch Beispiele in die Erinnerung rief, sodann 2. illustrativ einige Beispiele vorführte für solche ethische Lebensmaximen (Franklin),78 die wir unzweifelhaft als von „kapitalistischem Geiste“ zeugend beurteilen, und die Frage stellte, wodurch sich diese ethischen Lebensmaximen von abweichenden, speziell von den Lebensmaximen des Mittelalters, unterscheiden, und dann 3. die Art, wie solche seelische Attitüden sich zu dem Wirtschaftssystem des modernen Kapitalismus kausal verhalten, wiederum durch Beispiele zu illustrieren suchte, wobei ich 4. auf den „Berufs“-Gedanken stieß, dabei an die längst (insbesondere durch Gothein)79 festgestellte[,] ganz spezifische Wahlverwandtschaft des Calvinismus (und daneben des Quäkertums und ähnlicher Sekten) zum Kapitalismus erinnerte, und gleichzeitig 5. aufzuzeigen suchte, daß unser heutiger Begriff des Berufs irgendwie religiös fundamentiert sei. Damit ergab sich dann das Problem, nicht für die ganze ursprünglich beabsichtigte Aufsatzreihe (wie ausdrücklich an deren Schluß gesagt ist),80 wohl aber für die zunächst folgenden Ausführungen in den seinerzeit in diesem Archiv veröffentlichten Studien, dahin: j–j A: Berufswahl, 77  Weber rekapituliert im folgenden (bis unten, S.  715) Aufbau und Gedankengang seiner Aufsätze: Weber, Protestantische Ethik I und II. 78 Die zitierten Textpassagen Benjamin Franklins: Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  142–145. 79  Vgl. das Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, S.  674, entstammende Zitat: Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  136. 80  Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  420–425. Über die im folgenden erwähnte geplante Fortsetzung der Aufsätze zur „Protestantischen Ethik“ vgl. die Einleitung, oben, S.  66  f., den Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  464 f. mit Anm.  10.

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wie verhält sich der Protestantismus in seinen einzelnen Abschattierungen zur Entwickelung des Berufsgedankens in seiner spezifischen Bedeutung für die Entwickelung derjenigen ethischen Qualitäten des Einzelnen, welche seine Eignung für den Kapitalismus beeinflussen. Die Frage hatte natürlich nur Sinn, wenn es überhaupt solche religiös bedingten spezifischen ethischen Qualitäten gab. Welcher Art diese sein könnten, war vorerst nur an Beispielen allgemein erläuterbar. In Verbindung mit der Erörterung des Problems selbst mußte also in immer weiterer Vertiefung der Nachweis erbracht werden (in Ergänzung zu dem schon bei der Entwickelung des Problems Gesagten), daß es solche Qualitäten in der Tat in bestimmten Bestandteilen protestantischer Ethik gab, welche dies seien, welche Arten von Protestantismus sie in spezifisch hohem Grade entwickeln konnten, und worin sie sich von den durch die mittelalterliche Kirche und von anderen Spielarten desk Protestantismus teils anerzogenen, teils geduldeten Qualitäten unterschieden. Die eigentliche Behandlung des Problems selbst mußte dabei 1. nach Möglichkeit (d. h. soweit dies ein theologischer Laie leisten kann) zunächst die theoretisch-dogmatische Verankerung der Ethik bei den einzelnen Schattierungen des Protestantismus aufzufinden suchen, um zu zeigen, daß es sich nicht um rein akzessorische, mit dem Gedankengehalt der Religiosität außer Verbindung | stehende Dinge handelte, – 2. aber, was ja davon sehr verschieden ist: erörtern, welche praktisch-psychologischen Motive die Eigenart der Religiosität einer jeden von ihnen für das reale ethische Verhalten enthielt. Von allen seinen anderen Schiefheiten und Oberflächlichkeiten abgesehen, hat nun Rachfahl noch nicht einmal das zu begreifen vermocht: daß diese eben genannten beiden Fragen untereinander ganz verschiedene Dinge betreffen. Daß es also zwar eine gewiß auch praktisch recht wichtige und interessante Frage ist, was an ethischen Idealen die kirchliche Doktrin des Katholizismus, Luthers, Calvins und anderer in ihren Übereinstimmungen und Gegensätzen untereinander enthielt, ob gewisse, durch den asketischen Protestantismus praktisch-psychologisch gezüchtetel, Arten des Verhaltens von der kirchlichen Theorie etwa, wie Rachfahl vorträgt, „auch vom katholischen Laien“ (nicht nur

k A: der  l A: gezüchteten

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vom Mönch) „gefordert“ wurden oder für ihn „galten“81 – daß aber mit dieser Feststellung ja schlechterdings gar nichts darüber ausgemacht ist, ob der betreffende Typus von Religiosität denn nun auch in seinen Bekennern die psychologischen Vehikel schuf, welche ein jener kirchlichen Doktrin entsprechendes (oder etwa ein faktisch ganz anderes, oder etwa ein die Doktrin nach bestimmten einseitigen Richtungen hin noch übersteigerndes) typisches Verhalten zu erzeugen geeignet warenm. Wie ich selbst ausgeführt habe, findet sich z. B. Lob und Empfehlung gewissenhafter Arbeit für den in der Welt stehenden Laien selbstredend zu allen Zeiten, sowohl bei den Theoretikern der Ethik82 wie bei den Predigern im Mittelalter (Berthold von Regensburg83 und ganz ebenso auch anderen) sehr regelmäßig (wogegen allerdings das Urchristentum – worauf schon Harnack gelegentlich in einem kleinen Aufsatz hinwies84 – inbetreff der „Arbeit“ wesentlich den antiken Standpunkt teilte18)). Die Aussprüche Luthers nach gleicher Richtung sind bekannt.85 | An der Lehre vom Segen auch weltlicher Arbeit hat es außerhalb 18)  Denn das: „wer nicht arbeitet, soll nicht essen“86 wendet sich gegen ein gewisses Schmarotzer-Missionartum, wie es zu jeder Zeit vorkam und wie es doch heut in klassischer Form der von Booker Washington ergötzlich geschilderte göttliche „Call“ repräsentiert, der den Neger zu befallen pflegt, wenn er die Existenz als Heiliger derjenigen als Arbeiter vorzieht.87 Die anderen Stellen sind teils Bestandteile von Gleichnissen,

m A: war 81  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  641; ähnlich bereits Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  540–542. 82  Vermutlich meint Weber Thomas von Aquin, vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  190 f. mit Fn.  42, S.  194–196, Fn.  45, auch dass. II, oben, S.  380 f. 83  Vgl. die Notiz bei Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  184, Fn.  40. 84  Vgl. Harnack, Wert der Arbeit (zitiert von Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  375, Fn.  15a; vgl. auch Harnack, Adolf, Das Urchristentum und die sozialen Fragen, in: Preußische Jahrbücher, 131. Band, Heft, 3, 1908, S.  443–459. 85  Ausgeführt von Weber, Protestantische Ethik I, oben, bes. S.  201–207 mit Fn. 86  Nach 2 Thess 3,10; vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  195, Fn.  45 mit Anm.  82. 87 Booker T. Washington berichtet in seiner Autobiographie, daß unmittelbar nach Aufhebung der Sklaverei (offiziell am 18. Dezember 1865) der Bildungsdrang der Freigelassenen ganz enorm war. Schon wer über eine Grundausbildung verfügte, konnte den „besseren“ Beruf eines Lehrers oder Predigers (preacher) ergreifen. Aber auch Lese- und Schreibanfänger erschlichen sich die Existenz eines Predigers: Dazu verwiesen sie auf einen „call to preach“ während des Gottesdienstes, bei dem der Betroffene auf den Boden fiel und dort stundenlang sprach- und bewegungslos verharrte, bis sich die Neuigkeit seines „calls“ verbreitet hatte. Vgl. Washington, Up from Slavery, p.  82 f., auch p.  128 mit Kontext.

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des asketischen Protestantismus gewiß nicht gefehlt. Aber was hilft sie, wenn (wie im Luthertum) keine – in diesem Fall: psychischen – Prämien darauf gesetzt sind, daß diesen theoretischen Lehren methodisch konsequent nachgelebt wird?88 Oder wenn (wie im Katholizismus) die weitaus größeren Prämien auf ganz andere Arten des Verhaltens gesetzt sind?89 und überdies in Gestalt der Beichte ein Mittel gegeben ist, welches dem einzelnen immer aufs neue ermöglicht, sich von schlechthin allen Arten von Verfehlungen gegen die Postulate der Kirche an das Leben seelisch zu entlasten?19) – Während umgekehrt der Calvinismus in seiner Entteils eschatologisch bedingt. Die Arbeit mit positivem Vorzeichen findet sich weit stärker als im Urchristentum bei den Kynikern90 und in einigen heidnisch-hellenistischen Grabschriften aus Kleinbürgerkreisen.91 Angesichts der Ausführungen, welche ich in meinen Aufsätzen über die Einflüsse alttestamentlichen Geistes auf die puritanische Berufsethik gemacht habe, wirkt es etwas grotesk, wenn R[achfahl], der davon nach Ausweis des Inhalts seiner hingeworfenen nichtssagenden Bemerkung doch nur aus eben diesen Ausführungen etwas weiß, mir diese selben Dinge jetzt entgegenhält.92 Ich habe übrigens auch daran erinnert, in welcher Art bekanntlich diese Renaissance des alten Testamentes mit den von mir besprochenen spezifischen Eigenschaften puritanischer Religiosität zusammenhing,93 – was R[achfahl] vergessen hat. | 19)  Das soll über den möglichen pädagogischen Wert der Beichte gar nichts Allge- A 583 meines aussagen. Aber man nehme die Beichtanweisungen zur Hand oder informiere sich anderweit, nach was denn eigentlich in der Beichte gefragt wurde: es waren und sind ganz andere Dinge als solche, worauf es hier für uns ankommt. – Übrigens: ein hübsches Beispiel, wie sich in der Praxis die katholische Doktrin zum wirtschaftlichen Leben verhalten hat, bietet die Geschichte des Wucherverbots. Es ist bekanntlich auch heute nicht „aufgehoben“, konnte es auch, nach der feststehenden Maxime katho­ lischen Kirchenregiments, nicht werden, da es in den Dekretalen ausdrücklich ent­ 88  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  302–307. 89  Vgl. Weber, ebd., oben, bes. S.  287 f. mit S.  300. 90  „[N]ur im Kynismus und in dem hellenistisch-orientalischen Kleinbürgertum“ fänden sich gegenüber der antichrematistischen Staatstheorie im Altertum „leise An­ sätze“ zu einer „ethische[n] Verklärung der Erwerbsarbeit“, notiert Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S.  359. Im Kynismus galt „mühevolle Arbeit als Mittel zur Tugend“, ebd., Anm.  39. 91  Belege bei Deissmann, Adolf, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1908, S.  227 f. Weber, der sich bei Deissmann für das Buchgeschenk bedankt, schreibt am 4. Mai 1908 an den Kollegen zu dieser Stelle: „[.  .  .] zu dem S.  227 Gesagten hätte ich mancherlei zu bemerken, was hier zu weit führte.“ Wiedergabe des Briefes: Nottmeier, Christian, Ein unbekannter Brief Max Webers an Adolf Deißmann, in: Mitteilungen der Ernst-Troeltsch-Gesellschaft XIII. – Augsburg: o.V. 2000, S.  91– 131, Zitat S.  130 (MWG II/11). 92  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  390–394, auch S.  300; bei Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  655, Anm.  34. 93  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  390–394.

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wickelung seit der letzten Zeit des 16. Jahrhunderts (und ähnlich das Täufertum) in dem Gedanken von der Notwendigkeit asketischer Bewährung, im Leben überhaupt und speziell auch im Berufshalten ist,1 bekanntlich auf Grund einer auf falscher Lesart („μηδὲν“ statt „μηδένα ἀπελπίζοντες“) beruhenden und daher ganz schiefen Übersetzung in der (inspirierten!)

Vulgata.2 Aber es ist praktisch außer Kraft gesetzt, definitiv erst seit weniger als einem Jahrhundert, durch Anweisungen der Kongregation des heiligen Offiziums, dahin­ gehend: daß fortan die Beichtiger nicht mehr nach usuraria pravitas3 durch Eingehung von Zinsgeschäften inquirieren sollen, vorausgesetzt, daß es als verbürgt gelten könne, daß das Beichtkind sich in Gehorsam fügen würde, falls etwa die Kirche es wieder opportun finden sollte, auf der Innehaltung des Verbots zu bestehen.4 (Ganz ähnlich also, wie gewisse, m. W. bisher von der kirchlichen Zensur unangefochten gelassene öffentliche Erörterungen in katholischen Kreisen Frankreichs den Wunsch aussprechen, die Beichtväter möchten nach dem „Onanismus matrimonialis“, der sterilisierten Begattung zum Zweck des Zweikindersystems,5 in der Beichte nicht mehr inquirieren,6 –

1  Das Wucherverbot ging in das um 1140 entstandene „Decretum Gratiani“ und damit in das Corpus Iuris Canonici ein. Damit war es bis zu dessen Ablösung durch den Codex Iuris Canonici 1917 kirchliches Recht. Vgl. auch das Glossar, unten, S.  842. 2 Das christliche Zinsverbot leitete man von Lk 6,34 f. in der Fassung der Vulgata („mutuum date nihil inde sperantes“, V. 35) her. Der Heidelberger Alttestamentler Adalbert Merx weist darauf hin, daß „nihil inde sperantes“ („indem ihr davon keinen Gewinn (Zins) erhofft“) auf einem Textverderbnis beruht (griech. me¯ dén apelpízontes, „an Nichts verzweifelnd“, lat. „nihil desperantes“, woraus „nihil inde sperantes“ wurde). Er zeichnet die Geschichte dieses Verderbnisses detailliert nach. Aufgrund seiner Erkenntnis formuliert er Lk 6,35 so: „Vielmehr aber liebet eure Feinde und thut ihnen wohl und leihet, und schneidet nicht ab die Hoffnung eines Menschen [.  .  .]“ (griech. me¯ déna apelpízontes). Vgl. Merx, Adalbert, Die vier kanonischen Evangelien nach ihrem ältesten bekannten Texte [.  .  .], 2. Teil, 2. Hälfte. – Berlin: Georg Reimer 1905, S.  223–226; Übersetzung in: dass. 1. Theil, ebd., 1897, S.  120. 3  „usuraria pravitas“ (lat.), wucherisches Unrecht; vgl. dazu im Glossar: „usura“, unten, S.  840. 4  Die Anweisungen zum Aussetzen des Wucherverbots durch das hl. Offizium (seit 1908 Bezeichnung für die höchste Behörde der römisch-katholischen Kirche in Glaubens- und Sittenfragen, heute: Kongregation für die Glaubenslehre), besonders seit den 1830er Jahren, sind dargestellt bei Funk, Franz Xaver, Geschichte des kirchlichen Zinsverbotes. – Tübingen: Heinrich Laupp 1876, S.  68–72. 5 Die durch Geburtenkontrolle („Zweikindersystem“) beeinflußte Geburtenrate und der Bevölkerungszuwachs lagen in Frankreich während des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts deutlich niedriger als in anderen europäischen Ländern. Empfängnisverhütung bezeichnete man im katholisch-kirchlichen Sprachgebrauch als „(Ehe-) Onanismus“ (zumeist (lat.) onanismus conjugalis, hier nach lat. matrimonium, „Ehe“). Die gebräuchlichste empfängnisverhütende Methode war in Frankreich der coitus interruptus, seit Beginn des 20. Jahrhunderts schloß der Terminus „(Ehe-)Onanismus“ auch andere präventive Maßnahmen ein. 6  Die Geburtenregelung und deren kirchlich erlaubte und unerlaubte Methoden wurden um 1910 (und schon viel länger) in Frankreich lebhaft diskutiert. Zur Befragung in der Beichte: Laut Anweisung der Pönitentiare (ab 1886) sollten die Beichtväter strenger als zuvor nachfragen, was aber, da man ein allgemeines Ärgernis befürchtete,

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leben, als subjektiver Verbürgung der certitudo salutis (also nicht als Real-[,] sondern als einern der wichtigsten | Erkenntnisgründe der eigenen Bestimmung zur Seligkeit) eine sehr spezifische[,] und in ihrer Wirksamkeit auf diesem Gebiet nicht leicht zu überbietende, psychische Prämie für die asketische Lebensmethodik, die er forderte, schuf.7 Diesen Sachverhalt habe ich in meinen Aufsätzen aufkläreno und die daraus folgende Lebensmethodik, und zwar, dem Zweck einer derartigen Analyse entsprechend, zunächst in ihren spezifischen Zügen und also in einer inneren Konsequenz darlegen müssen, wie sie in solcher absoluter Ungebrochenheit und vollends: in so voller Durchreflektiertheit dieses Zusammenhangs, ganz gewiß nicht als ein bewußter Besitz in jedem einzelnen lebte, welcher in der Luft, die diese religiösen Mächte erzeugten, aufwuchs. Daß und welche mächtigen Stützen jene Motive aber des weiteren auch in den kirchlichen und von den Kirchen und Sekten beeinflußten sozialen Institutionen fanden, suchte ich teils schon in trotz des biblischen Fluchs über den „Coitus interruptus“).8 Die Art des Vorgehens ist durchaus der katholischen Kirche spezifisch: sie duldet, temporum ratione habita,9 wie im Mittelalter die faktische Existenz des von ihr in keiner Form positiv gebilligten kapitalistischen Getriebes, vorbehaltlich der Ahndung gewisser Formen, deren es sich bediente, so jetzt auch den Gebrauch dieser Formen. Die protestantische Askese dagegen schuf ihm die positive Ethik, die „Seele“, deren jenes Getriebe bedurfte, damit „Geist“ und „Form“ einig seien. |

n A: eines  o A: aufzuklären kaum befolgt wurde. „Öffentliche Erörterungen“ (Weber) dieser Sache ließen sich nicht ermitteln. Möglich, daß ein Vorkommnis aus dem Jahr 1901 die Diskussion anregte: Ein angesehener französischer Bürger, der bereits zwei Kinder hatte, ließ öffentlich werden, daß der Gemeindepfarrer ihm wegen Empfängnisverhütung die Absolution verweigert hatte. Vgl. Noonan, John T. Jr., Empfängnisverhütung. Geschichte der Beurteilung in der katholischen Theologie und im kanonischen Recht (Walberger Studien der Albertus-Magnus-Akademie, Theol. Reihe, Band 6). – Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 1969, S.  477–541, bes. S.  514–517. 7  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  279–294, auch S.  341. 8  Vgl. Gen 38,8–10: Onan muß sterben, weil er durch coitus interruptus die Befruchtung seiner Schwägerin Tamar, der kinderlosen Witwe seines Bruders, verhindert (Verstoß gegen das Gebot der Leviratsehe). Deshalb kommt es zu keiner Geburt eines Sohnes, der als Erbe des Verstorbenen gelten könnte (vgl. Dtn 25,5–10). – Der „EheOnanismus“ (vgl. oben, S.  714, Anm.  5) galt seit dem Hochmittelalter als Sünde, weil damit der Zweck der Ehe, Kinder zu zeugen, untergraben wurde. 9  „temporum ratione habita“ (lat.), „unter Berücksichtigung der Zeiten“, d. h. der Zeitverhältnisse; Formulierung einer Konzession im kanonischen Recht.

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meinem Aufsatze in diesem Archiv kurz anzudeuten, teils in der mehrfach erwähnten Skizze in der Christlichen Welt etwas anschaulicher zu beleuchten.10 Ich rekapituliere das. Zunächst: die zentrale Kulthandlung des Abendmahls gewann gerade im „asketischen“ Protestantismus einen sehr spezifischen Akzent. Der Gedanke, daß, wer nicht zu Gottes unsichtbarer Kirche gehört und dennoch an diesem Akt teilnimmt, „ißt und trinkt ihm selber zum Gericht“,11 dieser Gedanke ist ja an sich von einem pathetischen Gehalt, dessen Wucht uns heute, auch den meisten „Christen“ unter uns, fast gänzlich abhanden gekommen ist, der aber doch auch für uns noch recht wohl aus den Jugendreminiszenzen der absterbenden Generation und aus den (für unseren Blick) sozusagen in die Winkel gescheuchten Resten kirchlich gebundener Lebensschwere lebendig rekonstruierbar ist. Im asketischen Protestantismus fehlt nun (und keineswegs etwa zufälligerweise!) das Institut der Beichte, welches dem Katholiken eine Entlastung von dem Druck solcher an den Einzelnen ergehenden pathetischen Fragen nach seiner Qualifikation gewährte.12 Und auch hier, wie überall, beantwortete sich das Problem, ob er zu den Qualifizierten gehöre, dem Protestanten nicht nach mittelalterlich-katholischer Art durch eine Summierung und Gegeneinanderrechnung von Schuld und Verdienst mit dem Resultat eines Mehr oder Minder von approximativer Zulänglichkeit, welches dann durch den Gebrauch kirchlicher Gnadenmittel ergänzt werden konnte, sondern, und zwar, wie ich darlegte,13 ganz speziell im asketischen Protestantismus: durch ein starres Entweder-oder der ganzen, in der Gesamtheit ihrer ethischen Lebensführung sich manifestierenden Persönlichkeit. Der Einzelne ist erst hier, und wiederum auf dem Boden des asketischen Protestantismus unendlich schroffer als auf dem Boden des Luthertums (wie ebenfalls näher begründet wurde)[,]14 einzig auf 10  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  242–366, und Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  435–462. 11  Im Passus, der die Einsetzungsworte des Abendmahls (1 Kor 11, 23–25) enthält, heißt es in V. 29 [1892]: „Denn welcher unwürdig isset und trinket, der isset und trinket ihm selber zum Gericht, damit, daß er nicht unterscheidet den Leib des Herrn.“ 12  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  362, auch S.  336, Fn.  111. Zur Entlastungsfunktion der Beichte in der römisch-katholischen Kirche und ihrem Fehlen im Calvinismus vgl. auch das Glossar, unten, S.  823. 13  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  300–302, auch S.  403, Fn.  55, u. ö. 14  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  259–265 und S.  304–307.

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sich selbstn: auf seinen Gnadenstand, der nur an seiner gesamten Lebensführung spürbar werden kann, seinem Gott gegenübergestellt. Auf der anderen Seite aber wieder untersteht nun seine äußere Lebensgestaltung auf diesem Boden sehr viel mehr der Kontrolle durch seinesgleichen: durch die Gemeindeglieder. Im | Katholizismus und auch im Luthertum ist es letztlich doch allein der Vertreter des „Amts“, welcher es mit sich und mit dem einzelnen Kommunikanten abzumachen hat, ob er zum Abendmahl reif ist. Im Calvinismus trifft die Verantwortung dafür, daß nicht „Gottes Ruhm“ – auf dessen Verherrlichung ja das ganze soziale Leben eindeutig in einer in dieser Art den anderen großen Kirchen fremden Wucht bezogen ist – geschändet werde durch die Teilnahme eines offensichtlich die Zeichen der Verwerfung an sich Tragendeno, jedes einzelne Mitglied der ganzen Gemeinde. Gerade die Laien haben vor einem knappen Menschenalter das Kuypersche Schisma gemacht (Kuyper war Laienältester) durch das Verlangen der Zurückweisung ihrer Ansicht nach nicht qualifizierter, von auswärtigen Prädikanten geprüfter Konfirmanden vom Abendmahl:15 – in letzter Linie stand dahinter der prinzipielle Protest dagegen, daß überhaupt eine nicht der konkreten, ihre Korrektheit selbst kontrollierenden Abendmahlsgemeinde zugehörige Instanz, welche immer sie sei, sich in diese jedes einzelne Gemeindemitglied direkt berührende Frage einmische. Die gewaltige soziale Bedeutung dieser Gedankengänge trat s. Z. wohl am schärfsten zutage in den neuenglischen Kirchen, wo das Verlangen nach der ecclesia pura16 und der Reinheit speziell der Abendmahlsgemeinschaft direkt „Klassenunterschiede“ im eigentlichsten Sinn stiftete, Kämpfe und Kompromisse über die Stellung der „Auch-Christen“, deren Berechtigung z. B.[,] ihre Kinder zur Taufe zu bringen und dort zu vertreten[,] und ähnliches hervorgerufen hat.17 Wenn man n  Zu ergänzen wäre: gestellt  o A: tragenden 15  Zum Kuyperschen Schisma vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  593 f., Anm.  15. 16  „Reine Kirche“ (von purus (lat.), „rein“, leiten sich auch die Puritaner her, so Bernstein, Vorläufer, S.  524: „Wer waren die Puritaner? (‚Purits‘ oder ‚Puritans‘, von pure = rein) [.  .  .]“). 17  Jene Frage, welche die zweite Generation der Kongregationalisten in New England und ihre Kinder betraf und die sich aus dem Grundgedanken ergab, daß die Gemeinde aus „visible saints“ bestehen müsse, wurde auf der Bostoner Konferenz

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die Kirchenordnungen des Protestantismus durchsieht, ihre Entwickelung und, soweit dies möglich, ihre praktische Handhabung verfolgt und in ihren Konsequenzen durchdenkt, so fällt zunächst auf, wie hier sehr erhebliche Teile jener sittlichen Lebensreglementierung, die wir in der Karolingerzeit im Sendgericht,18 im ausgehenden Mittelalter vielfach in der Hand der Städte, in der Zeit der Territorialstaaten in der Hand der fürstlichen Polizei finden, von den Kirchen in die Hand genommen werden, in sehr verschiedenem Grade freilich und im ganzen natürlich in den calvinistischen Gebieten (wo die ausdrückliche Unterwerfung unter die Kirchenzucht bei der Aufnahme in die Gemeinde, wie ich seinerzeit schon andeutete,19 gerade erst nach Calvin in ihrer Bedeutung gesteigert wurde) wesentlich stärker als in den lutherischen. Aber – wie ich schon hervorhob20 – noch ganz ungleich stärker und wirksamer war (und ist in Resten bis auf die Gegenwart) jene Art des ethischen „training“, welches die asketischen Sekten ihren Mitgliedern oktroyierten. Ich habe davon auf Grund heutiger Beobachtungen in den Vereinigten Staaten seinerzeit in dem zitierten Aufsatz in der „Christlichen Welt“ einiges erzählt.21 Der gegenwärtige Säkularisationsprozeß des amerikanischen Lebens und die ungeheuere Einwanderung heterogener Elemente schwemmt derartige Reste schnell hinweg, und der rücksichtslose „Seelenfang“ der konkurrierenden Denominationen22 schwächt überdies die Intensität ihrer Erziehungsleistung. Gleichwohl genügt schon ein geringes Maß 1657 sowie auf der Synode von Massachusetts 1662 dahingehend entschieden, „[.  .  .] that persons not actually admitted into communion with a church, but who had been baptized in infancy and were undoubtedly orthodox in belief and upright in life, might bring their children to baptism“. Vgl. Doyle, The English in America III, p.  96–100, Zitat p.  99. Der „Mittelweg“ wurde von den Gegnern spöttisch als „half-way covenant“ bezeichnet; vgl. Loofs, [Friedrich,] Art. Kongregationalisten, in: RE3, 10. Band, 1901, S.  680–693, hier S.  689 f. 18  Von Kirchenvertretern (Archidiakonen) oder beauftragten Sendrichtern regelmäßig in einem Sprengel abgehaltenes, zunächst für die Geistlichen, dann auch für die Laien bestimmtes Gericht. Die Sendgerichte der Karolingerzeit dienten der Anzeige und disziplinarischen Aburteilung von Vergehen, die gegen die kirchliche Ordnung verstießen. 19  Indirekt: Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  363  f.; dazu Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  444. 20  Siehe die folgende Anm. 21  Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  446  f. (gemeint ist die gegenseitige Beichtkontrolle). 22  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  444.

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von Aufmerksamkeit auf diese Dinge, um noch jetzt die Reste der für ihre Wirksamkeit charakte|ristischen Erscheinungen in ihrer einstigen Bedeutung lebendig vor sich zu sehen. Ich erinnere an das, was ich a. a. O.23 über die Funktion der Sekten im Wirtschaftsleben (die ihnen heute von allerhand rein weltlichen Organisationen allmählich abgenommen wird)p gesagt habe. Speziell z. B. (statt zahlreicher ähnlicher Erlebnisse) daran, wie mir der Eintritt eines jungen Mannes in eine Baptistengemeinde in North Carolina damit motiviert wurde, daß er eine Bank aufzumachen gedenke, und sich bei näherer Nachfrage herausstellte, daß dabei nicht etwa speziell auf Baptistenkundschaft, sondern gerade auf diejenige der in jenem Gebiet weitaus überwiegenden Nichtsektierer gerechnet wurde,24 – Grund: wer dort zur Taufe zugelassen werden wollte, hatte während seines „Katechumenats“25 ein ganz erstaunlich systematisches Inquirieren der Gemeinde nach seinem Wandel (Wirtshausbesuch? überhaupt jemals Trunk? jemals Karten? jemals „unclean life“?26 Verschwendung? nicht pünktlich bezahlte Schecks? oder andere Schulden? überhaupt Spuren geschäftlicher Unzuverlässigkeit irgendwelcher Art? usw. usw.) mit Erkundungen an allen früheren Orten seines Aufenthalts zu gewärtigen. Wurde er dann rezipiert – nun[,] so war damit seine Kreditwürdigkeit und geschäftliche Qualifikation derart verbürgt, daß er jeden nicht so legitimierten Konkurrenten schlagen konnte, zumal ein etwaiger Ausschluß wegen schlechten Verhaltens, wie von jeher bei den Sekten, seine soziale Exkommunikation bedeutete20).27 Genau dies finden wir vor zwei Jahrhunderten schon ebenso entwickelt. Ferner z. B.: die Quäker rühmen sich von jeher, das kapitalistisch sehr wichtige System der „festen Preise“ anstelle des Feilschens nach orientalischer Art geschaffen zu haben.28 In der Tat ergibt die histo|rische

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20)  Ich habe s. Zt. die so geschaffene Kreditwürdigkeit mit der spezifischen „Pump- A 586 fähigkeit“ eines deutschen Verbindungsstudenten (zu meiner Zeit konnte man in Hei-

p A: wird), 23  Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  435–462. 24  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  442  f. 25  (Zeit der) Vorbereitung mit Unterweisung eines erwachsenen Taufbewerbers auf die Taufe. 26  Zum Begriff vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  375. 27  Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  439–441 und S.  443. 28  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  444 f. mit Anm.  35.

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Zurückverfolgung, daß vor 200 Jahren die Blüte des quäkerischen Detaillistentums damit motiviert wurde, daß sich die Kundschaft der Festhaltung dieses Grundsatzes bei ihnen sicher fühlte,29 sicherer[,] als irgend welche mittelalterliche oder moderne Preisordnungen dies zu erreichen vermochten. Die Quäkergemeinde schritt auch ein, wenn jemand ein Geschäft begann, zu dessen Führung ihm das nötige Kapital oder Kenntnisse fehlten usw. usw. Und in der Literatur aller dieser Sekten kann man, schon bald nach der Zeit ihres Entstehens, den Jubel darüber finden, daß der Herr sie sichtbar segne, indem die „Kinder der Welt“ ihr Geld (als Depot, als Kommanditgut oder wie immer) zu ihnen trügen und nicht zu ihren eigenen Glaubens- oder Unglaubensgenossen, weil sie bei ihnen der erforderlichen persönlichen ethischen Garantien sicher seien.30 Ich verweise für ähnliche Einzelbeispiele auf jene Skizze und bemerke nur noch:31 Jedermann weiß, daß es bis in die letzten delberg fast „gratis“ leben, nachdem man „das Band erhalten“ hatte, – beim Fuchs wurde von den Kreditoren die Matrikel belegt) und der ebenso spezifischen Kreditfähigkeit des Klerus im Mittelalter (weil über ihm der Kirchenbann als Zwangsmittel schwebte)q verglichen, und auch die oft bedenkliche Kreditfähigkeit des modernen jungen Offiziers, über dem die Entlassung schwebt, gehört hierher.32 Allein der soziologisch sehr wesentliche Unterschied liegt darin, daß in all diesen Fällen nicht, wie bei der Sekte, die Kreditwürdigkeit als subjektive Qualität der Persönlichkeit (durch Auslese bei der Aufnahme nach entsprechender Erziehung) gefordert, sondern nur (was bei den Sekten nebenher auch noch der Fall war) die objektive Garantie für die Gläubiger erhöht ist. – Die charakteristische Institution des methodistischen Jugend„training“ und der ebenso charakteristische Usus des Zusammenschlusses zu kleinen Gruppen zwecks regelmäßiger gegenseitiger Darlegung des Seelenstandes, zu einer beschränkt öffentlichen Beichte also, – die natürlich, da sie, im Gegensatz zu der katholischen Beichte hinter dem vergitterten Fenster, sich an eine Mehrheit persönlich Gleichstehender richtete, eine psychologisch ganz andere Situation bedeutete als jene, [–] ist verfallen, bedeutete aber früher sehr viel.33 | q A: schwebte), 29  Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  445. 30  Z. B. bei Clarkson, Portraiture (wie oben, S.  445, Anm.  35), p.  276. 31 Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  435–445, dort auch das folgende Beispiel, S.  436 f. 32  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  440. 33  Über die class meetings der Methodisten und ihre Beichtfunktion vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  446 f. mit Anm.  38. – Zur Zeit John Wesleys gab es ebenso „Kinder-Klassen“ (junior classes), vgl. Loofs, Art. Methodismus, S.  796. Nach Jacoby, Handbuch des Methodismus, S.  326, wäre dabei an die gemeindliche Sonntagsschule für Kinder oder den Religionsunterricht für Jugendliche und junge Erwachsene zu denken.

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Jahrzehnte hinein der Yankee von einigermaßen altem Schlage, und zwar gerade der Geschäftsmann, einfach nicht verstand, zuweilen noch heute nicht versteht, daß jemand gar keiner „denomination“ angehört (diese möge nun sonst übrigens sein, welche immer: darin ist er absolut „tolerant“): ein solcher religiöser outlaw war ihm gesellschaftlich und geschäftlich verdächtig, weil ethisch nicht „legitimiert“. Daß ähnliches auch in Schottland und in englischen bürgerlichen Kreisen sich noch immer hie und da äußert, daran konnte wenigstens bis vor 15 Jahren sogar der Tourist, besonders sonntagsr, erinnert werden.34 Der Geschäftsmann des amerikanischen Mittelstandes nun, wo er sich diesem früher überwältigenden Zwang zur religiösen Legitimation entzieht, hat heute statt dessen beliebige andere sich zunehmend bildende Organisationen zur Verfügung und trägt auch oft zur Legitimation, daß er die Qualitäten eines „gentleman“ durch Hineinballotierung nachgewiesen habe, noch immer im Knopfloch deren „badge“ (man sieht solche, an die Ehrenlegionsrosette erinnernde, Abzeichen massenhaft, wenn man nur darauf achtet).35 Soweit und solange der echte Yankee-Geist noch herrschte, war die amerikanische Demokratie, auch ohne alle Trusts und Gewerkschaften, niemals ein einfacher Sandhaufen isolierter Individuen,36 sondern in starkem Maße ein Gewirr exklusiver Vereine, deren Urtypus die Sekte ist und welche alle bei ihren Mitgliedern diejenigen Qualitäten als selbstverständliche Bedingung der Zugehörigkeit stellen und züchten, welche den geschäftlichen Gentleman ausr A: Sonntags 34  Max und Marianne Weber reisten im August und September 1895 nach England, Schottland und Irland. Weber spielt hier auf das starke denominationelle Leben an, das er dort erfuhr. In den Briefen berichtet Max Weber vom „toten schottischen Sonntag“ (Brief Max Webers an Fritz Baumgarten vom 24. Aug. 1895, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  7, Bl.  71–72; MWG II/3), und Marianne Weber über den mit „nicht weniger als sechs Kirchen“ ausgestatteten kleinen Ort Portree auf der Isle of Skye (Mariannes Webers Notiz zum Brief Max Webers an Helene Weber vom selben Tag, GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  5, Bl.  9–11; MWG II/3). 35  Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  442 mit Anm.  21. – Die „Ehrenlegionsrosette“ gehörte zu einem französischen Militär- und Zivilverdienst­orden, der von den Geehrten an einem kleinen roten, mit einer Rosette verzierten Band auf der linken Brust getragen wurde. 36  Dieselbe bildhafte Formulierung gebraucht Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  454.

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machen, wie ihn der Kapitalismus braucht. Gewiß: jemand in der Lage von Mr. Pierpont Morgan bedarf für sich dieser Legitimation nicht, um seine ökonomische Position einzunehmen.37 Und auch sonst liegen die Dinge heute schon sehr anders. Aber die Durchdringung des gesamten Lebens mit jenem spezifischen „Geist“, wie ihn diese Verbände förderten, war allerdings eine äußerst wichtige Voraussetzung dafür, daß der moderne Kapitalismus „Wurzel schlug“,38 d. h. in der breiten Schicht der bürgerlichen Mittelklassen sowohl wie schließlich auch in den von ihm in seinen Mechanismus einzufügenden Massen einen ihm adäquaten „Lebensstil“ vorfand und dadurch das Leben so in seine Gewalt bekommen konnte, | wie es geschehen ist. Begreiflicherweise haben Historiker vom Schlage Rachfahls keine Ahnung, welches Maß von Erziehungsarbeit zu tun war, um das zu ermöglichen21). Wenn aber jemand auf die, für eben jenen Typus von „gesundem Menschenverstand“, dessen R[achfahl] sich so laut rühmt,39 so sehr „naheliegende“ Vermutung käme: ob denn jene Qualifikation des religiösen trainings, Geschäftsleute heranzubilden, und ob dieser ganze Zusammenhang von spezifisch geschäftlichen und von religiösen Qualifikationsmerkmalen überhaupt nicht etwa erst Folge davon sei, daß jene religiösen Gemeinschaften sich eben, in einem bereits kapitalistischen „Milieu“, entwickelten – so frage ich: warum entwickelte denn wohl die katholische Kirche solche Kombinationen und eine derartig auf den Kapitalismus abgestellte Erziehungsrichtung nicht? Weder in den großen Zentren des Mittelalters, die, wie Florenz, denn doch weiß Gott in ganz anderem Grade kapitalistisch „entwickelt“ waren, als z. B. das noch dünn besiedelte Bauerngebiet im westlichen North Carolina, aus dem ich erzählte,40 oder wie die noch wesentlich naturalwirtschaftlichen Gebiete der amerikanischen Kolonien, in denen sich bereits vor 200 Jahren das gleiche abspielte?41 Warum nicht das 21)  Die Erziehung zu dem vorwaltenden Interesse für die „Realien“ ist ein alter, in sehr bestimmter Art (wie ich angedeutet hatte) religiös verankerter Grundsatz der pie-

37 John Pierpont Morgan war der einflußreichste US-amerikanische Bankier seiner Zeit. 38  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kapitalismus, oben, S.  644. 39  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  662. 40  Siehe oben, S.  719, mit Bezug auf Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  442 f. 41  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  174 (Pennsylvania).

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Luthertum? – Es vermählte sich eben ein Strang von psychischen Inhalten, der aus sehr spezifischen sittlich-religiösen Wurzeln entsprang, mit kapitalistischen Entwickelungsmöglichkeiten. Wahr ist dagegen gewiß: daß jener mit so gewaltiger Energie gezüchtete Lebensstil der asketischen Gemeinschaften in konfessionell gemischten Gebieten, trotz aller heftigen Gegensätze22), doch von Anfang an und | steigend mit zunehmender Durchtränkung des Wirtschaftslebens mit kapitalistischem Geiste, auch auf den Lebensstil anderer, mit ihnen konkurrierender Denominationen „abfärbte“: so sehr früh auf das holländische und amerikanische Luthertum, und auch auf den amerikanischen Katholizismus (während für das

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tistischen Pädagogik;42 bei den Quäkern und Baptisten findet sich ganz Ähnliches von Anfang an; bei den Reformierten tritt es nicht selten noch heute, z. B. in der Art der Verteilung auf Real- und andere Schulen und in der Berufswahl, hervor.43 – Diese Spezifika sind unzweifelhaft sehr wichtig für die Zusammenhänge dieser Religiositätsformen mit der Entwicklung des modernen Kapitalismus. Ebenso sind die wohlbekannten Leistungen der Reformation überhaupt auf dem Gebiet des Volksschulwesens ganz sicher von Bedeutung. Aber diese letzteren ganz allgemeinen Zusammenhänge hatten ihre Grenzen: die Leistungen des preußischen Staats auf dem Gebiet der Volksschule fehlten in dem kapitalistisch höchstentwickelten Lande: England, bekanntlich: die „gute Volksschule“ als solche und die kapitalistische Entwicklung gingen nicht parallel.44 – Daß übrigens im Protestantismus keine Besorgnis vor zunehmender Volksbildung herrsche resp. geherrscht habe, wie R[achfahl] sich (III S.  1331)45 ausdrückt, ist auch eine sehr bedenkliche Übertreibung, speziell für unsere gut protestantischen Ostelbier. In meinem Aufsatz hatte ich auf den Zusammenhang gewisser konfessionell bedingter Schultendenzen mit der Stellung zur „fides implicita“ hingewiesen.46 22)  In den konfessionell gemischten westfälischen Gebieten war noch vor 30 Jahren, unter den beiderseitigen Konfirmanden zumal, die ewige Plänkelei | zwischen den Lu- A 589 theranern, die „den Heiland durch die Gosse“ (des Darmkanals nämlich: wegen des: hoc „est“ corpus meum) „zogen“ und den reformierten „heuchlerischen Werkheiligen“ an der Tagesordnung.47

42  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  332–334, Fn.  108. 43  Vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  128–130 mit Fußnoten. 44  Die staatliche Elementarschule wurde in England erst 1870 eingeführt, die allgemeine Schulpflicht erst 1880. Davor war das Schulwesen v. a. in der Hand der anglikanischen Kirche, die den Arbeiterkindern auch in Sonntagsschulen Lesen und Schreiben beibrachte. 45  Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  559. 46  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  334, Fn.  108; zu „fides implicita“ auch das Glossar, unten, S.  828. 47 Möglicherweise durch die Oerlinghauser Verwandtschaft vermittelt oder durch Marianne Weber, die in gemischt-konfessionellen Verhältnissen in Lemgo aufwuchs (vgl. den Bericht über ihre Konfirmandenzeit, in: Weber, Marianne, Lebenserinnerungen. – Bremen: Johs. Storm Verlag 1948, S.  41). – Max Weber spricht charakteristische Unterschiede zwischen Lutheranern und Reformierten an: „Hoc est corpus meum“

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deutsche Luthertum bekanntlich der ältere Pietismus eine Form war, in der sich das Gleiche vollzog). Natürlich geschah dies so, daß die Unterschiede auf dem Wege dieser „Angleichung“ nur gradweise verringert, nie aber voll verwischt wurden23). Aber allerdings: eine Angleichung an die konsequentesten Ausprägungen der protestantischen Askese (die calvinistische speziell) fand in der Tat, zum mindesten bei den mit ihnen gemischten Protestanten, nach allem, was wir heute davon erkennen können, fast immer statt, und schon deshalb allein könnte eine bloße Statistik der Zahl48 der eigentlichen Calvinisten z. B. unter den protestantischen Emigranten noch keinerlei Argument gegen die Bedeutung jener asketischen Lebensformen sein. Die heutigen Erörterungen im Katholizismus, wie man sich wohl am besten die Überlegenheit der ökonomischen Qualifikation der Protestanten zueignen könne,49 finden, der Sache, wenn auch nicht der Form nach, in manchen Bemerkungen Speners über das gute Fortkommen der Quäker50 durchaus ihr Gegenbild, und unausgesprochen wirkte das gleiche Motiv natürlich von jeher und überall ebenso wie noch jetzt in Amerika. Und wenn man nun schließlich fragt, ob es – den Ausdruck: „innerweltliche Askese“ einmal gänzlich bei Seite24) – berechtigt 23)  Die Sonderart der lutherischen Missouri-Kirche den anderen Denominationen gegenüber ist eine sehr starke geblieben.51 24)  Es gehört zu R[achfahl]s Eigenart, einerseits die größten Anstrengungen zu machen, um diesen Ausdruck nicht nur, sondern, wie er ja selbst behauptet, auch die ent-

(1 Kor 11,24) soll Luther beim Marburger Religionsgespräch 1529 mit Kreide auf den Tisch geschrieben haben, um auf die reale Gegenwart des Leibes (und Blutes) Christi in den Elementen Brot (und Wein) im Abendmahl zu verweisen (manducatio corporalis). Für Zwingli ist das Abendmahl dagegen eine Feier der Gemeinde zum Gedächtnis an den Versöhnungstod Christi (manducatio spiritualis). Er deutet das „est“ als „significat“. – Zum Vorwurf der „Werkheiligkeit“ gegenüber den Reformierten vgl. Weber, Protestantische Ethik II, S.  285–288. 48  Gegen Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  654. 49  Zur sog. Inferioritätsdebatte im Deutschen Kaiserreich vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  124, Anm.  4. 50  Mit Zitat bei Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  356, Fn.  134. 51  Die Kirche mit der Bezeichnung „Deutsche Evangelisch-Lutherische Synode von Missouri, Ohio und anderen Staaten“ (seit 1947: Lutheran Church – Missouri Synod) wurde 1847 von kurz zuvor eingewanderten deutschen Lutheranern gegründet (Hauptsitz bis heute in St. Louis, Missouri). Streng konfessionell-lutherisch ausgerichtet, pflegte sie einen an Luthers „Deutsche Messe“ von 1526 angelehnten Gottesdienst und hielt an den Bekenntnissen des 16. Jahrhunderts fest.

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ist, das, was ich so genannt habe, mit der katholischen Mönchsaskese | sachlich in Parallele zu stellen, so will ich ganz davon absehen, daß von den hierher gehörigen protestantischen Ethikern, speziell Englands, die mittelalterliche Erbauungsliteratur mönchischen Ursprungs (Bonaventura u.   A.) sehr regelmäßig zitiert wird,52 wo es sich um jene Forderungen handelt, die ich „asketisch“ nannte. Aber man vergleiche doch einfach: Die Mönchsaskese verlangt: Keuschheit. Die protestantische Askese (in meinem Sinn des Worts) Keuschheit auch in der Ehe, im Sinne der Ausschaltung der „Begierde“ und der Begrenzung des sittlich zu billigenden Geschlechtsverkehrs auf den rationalen „Naturzweck“ der Fortpflanzung.53 Und diese Reglementierungen waren hier immerhin mehr als bloßes Theoretisieren. Gewisse asketisch-protestantische sprechende sachliche These: die innere Verwandtschaft mit der katholischen rationalen Mönchsaskese, zu „diskreditieren“54 (denn darauf läuft seine Art des sogen. „Kritisierens“ ja überall hinaus), – andererseits mich darauf hinzuweisen, daß, nach Ansicht geachteter Kirchenhistoriker, jene Specifika asketisch-protestantischer Religiosität eine „noch nicht“ volle Überwindung des Katholizismus bedeuten.55 In dem „noch“ liegt aber eine Entwicklungskonstruktion an der Hand einer (subjektiv natürlich unangreifbaren) Wertung vor, welche z. B. etwa das, jede Werkheiligkeit ablehnende, Luthertum als die schlechthin „höchste“ Ausprägung des Protestantismus ansieht und von da aus Stufenfolgen bildet.56 Historisch aber ist die Entwicklung der innerweltlichen Askese ein Produkt der nachreformatorischen Zeit, also eher ein Wiedererwachen von religiösen Motiven, welche auch der Katholizismus pflegte, nur eben in ganz anderer Art und mit anderer Wirkung. |

52  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  293, Fn.  59a (von Baxter), dazu aber Anm.  48; S.  310, Fn.  76 (von englischen Moraltheologen), und S.  387, Fn.  35 (von Calvinisten). 53  Vgl. ebd., oben, S.  375–378 mit Fn.  17. 54 Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  639–643. Auch schon Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  537–543. 55  Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  640 f., stützt sich auf Kawerau, der in den Tendenzen zur Weltflucht bei den Täufern und den von ihnen abgeleiteten Sekten „den Beweis“ finde, „daß sie im Gegensatz zum Protestantismus noch von der ‚katholischen Stufe des Christentums‘ sich nicht vollständig emanzipiert hatten [.  .  .]“ (Zitat S.  640, mit Bezug auf Kawerau, Gustav, Reformation und Gegenreforma­tion, in: Lehrbuch der Kirchengeschichte, hg. von Wilhelm Moeller, 3. Band, 2. überarb. und vermehrte Aufl. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1899, S.  83). Rachfahl bezieht sich dabei außerdem auf Albrecht Ritschl und widerspricht damit Webers Ritschl-Kritik, vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  276–279, Fn.  33, und S.  308–310, Fn.  76. 56  Vgl. auch dazu Webers Kritik an Ritschl, wie oben, Anm.  55.

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(pietistische, herrnhuterisches)[,] uns heute teilweise als direkt widernatürlich sich darstellende Lebensregeln auf diesem Gebiet sind ja bekannt. Die Art der Behandlung der Frau überhaupt aber ist von der Ausschaltung ihrer Betrachtung vornehmlich als Geschlechtswesen, gegenüber z. B. Luther’s ungebrochener Bauernauffassung, aufs allertiefste beeinflußt. – Die Mönchsaskese verlangt: Armut, – man weiß, mit welchem faktisch paradoxen Erfolge: das ökonomische Prosperieren der Klöster hat, außer bei einigen strikt spirituellen, von den Päpsten bekanntlich als durchweg höchst verdächtig behandelten Denominationen, überall als Folge göttlichen Segens gegolten und war – neben den Stiftungen – in stärkstem Maße Folge ihrer rationalen Wirtschaft. Die protestantische Askese verwirft ihrerseits nicht nur das genußfrohe „Ausruhen“ auf dem Besitz, sondern ebenso sein Erstreben „um seiner selbst willen“. Ich habe ausgeführt, mit welchem faktischen[,] ganz ebenso paradoxen Erfolge.57 Die Mönchsaskese verlangt Unabhängigkeit von der „Welt“ und verwirft insbesondere naiven Genuß. Die protestantische tut genau das gleiche, und beide finden sich auch in den Mitteln der „Übung“ (denn dies bedeutet ja das Wort „Askese“) zusammen: streng eingeteilte Zeit, Arbeit, Schweigen als Mittel der Bändigung alles Trieblebens, ferner Loslösung von allen allzu starken Bindungen an das Kreatürliche (Bedenklichkeit zu intensiver persönlicher Freundschaft u. dgl.), Verzicht auf den Genuß als solchen, sei er im engsten Sinn „sinnlicher“, sei er ästhetisch-literarischer Art, überhaupt auf den nicht rational, z. B. hygienisch, zu rechtfertigenden Gebrauch der Güter dieses Lebens. Ausführlich habe ich auch daran erinnert, wie, bis in Einzelheiten hinein, sich der Umstand geltend macht, daß im Mittelalter der spezifisch von „Berufs“ wegen „methodisch“ lebende Mensch eben der Mönch war, – und also zeigt Sebastian Franckst Äußerung (auf die R[achfahl] jetzt mit gewohnter Loyalität meine wissenschaftliche These „begründet sein“ läßt, obwohl ich erst in meiner Antikritik von ihr als Beispiel der Ansicht von Zeitgenossen sprach)58 doch wohl etwas mehr Verständnis von diesen Dingen als s A: herrenhuterische  t A: Franks 57  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  406–414. 58  Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  579, zitiert Sebastian Franck. Dies verwendet Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  640.

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mein „Kritiker“. Was die rationale protestantische Askese (in meinem Wortsinn) von der Mönchsaskese scheidet, ist 1. die Ablehnung aller irrationalen asketischen Mittel, welche übrigens ganz ebenso von gewissen[,] gerade | besonders bedeutsamen katholischen Orden, in spezifischer Art auch von den Jesuiten, abgelehnt oder beschränkt werden,59 – 2. die Ablehnung der Kontemplation, – 3. endlich und hauptsächlich: die Wendung der Askese ins Innerweltliche, ihr Sich-auswirken in Familie und (asketisch gedeutetem) Beruf, aus der sich die schon erwähnten Unterschiede60 und alle anderen von selbst ergeben. Aber wenn der „Geist“, der in den beiderseitigen Grundsätzen der Lebensmethodik dort und hier sich zeigt, nicht als im innersten Wesen parallel und miteinander verwandt zu beurteilen ist, – dann weiß ich nicht, wann man noch von einer „Verwandtschaft“ sprechen soll. Wie stark aus pietistischen Kreisen heraus bekanntlich gelegentlich geradezu das Verschwinden der Klöster bedauert worden ist, erwähne ich nur nebenbei, ebenso die klosterartigen Organisationen, welche grade aus diesen Kreisen heraus immer wieder einmal geschaffen wurden,61 und verweise ferner auf das, was in meinen Aufsätzen z. B. über Bunyan gesagt ist.62 Innere Spannung und innere Verwandtschaft beider Seiten bezüglich der Stellung asketischer Ideale im Gesamtsystem des religiös orientierten Lebens keimen schließlich aus dem schon erwähnten63 Grunde hervor: daß, was bei den Mönchen als Realgrund der Anwartschaft auf die Seligkeit wichtig war, im asketischen Protestantismus als ein (ein – nicht: der absolut einzige, aber allerdings wohl der wichtigste) Erkenntnisgrund ihrer seine Bedeutsamkeit besaß. Und da selbst moderne „Methodologen“ (gerade auch auf dem Gebiet der Geschichtsmethodik, wie ich gelegentlich festzustellen hatte)64 diese beiden Sachverhalte nicht immer auseinanderhalten können, so ist es ganz gewiß wenig

59  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  290 f., 300 f. und S.  409, Fn.  67. 60  Siehe oben, S.  725 f. 61  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  309 f., Fn.  76, und S.  317 mit Fn.  82. 62  Vgl. Weber, ebd., oben, S.  264 f. 63  Siehe oben, S.  713–715. 64  Vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  478–490, und Weber, Bemerkungen, S.  498–514.

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wunderbaru, daß diese Entwicklung protestantischer „Werkheiligkeit“ in der Praxis katholischen Eigentümlichkeiten oft wie ein Ei dem andern zu gleichen schien.65 Nur stammten eben die Keime in jedem von beiden Eiern von einem anderen geistigen Vater und entwickelten sich daher auch die Früchte zu einer sehr verschiedenen inneren Struktur. Die dogmatische Fundamentierung der innerweltlichen Askese hier noch einmal zu rekapitulieren, führte nun wirklich zu weit: dafür muß ich den Leser gänzlich auf meinen Aufsatz verweisen, wo auch, wenigstens provisorisch und daher sehr skizzenhaft, angedeutet ist, daß die Frage: ob die Prädestinationslehre der Calvinisten oder die untheologische Dogmatik des Täufertums jene Basis bildetenv, natürlich trotz aller Angleichung nicht schlechthin irre­ levant für die praktische Lebensorientierung war.66 Diese, in vielem sehr fühlbaren, Unterschiede traten nur in diesem Teil meiner Ausführungen (der bis jetzt allein vorliegt)67 notwendig vor dem Gemeinsamen zurück. Näheres führte hier zu weit. Ich muß aber auch hier noch einmal nachdrücklich darauf hinweisen, daß für die empirische Nachprüfung der Frage: ob denn nun für die Praxis der Lebensführung jene religionspsychologischen Grundverhältnisse wirklich gerade in dieser ihrer von mir behaupteten spezifischen Wirkungsrichtung zur Geltung kamen, in meinen Aufsätzen nicht etwa Lehrbücher der Dogmatik, oder theoretische Abhandlungen über Ethik zugrunde gelegt sind, | sondern ein ganz anderes Quellenmaterial: Baxters und Speners Publikationen insbesondere, die ich heraushob,68 beruhen auf der Seelsorge, und zwar ganz wesentlich auf Antworten gelegentlich von Anfragen der Seelsorgebefohlenen über konkrete praktische Fragen ihres Lebens. Und sie gerade stellen also in dem Maße der Wiederspiegelung des praktischen Lebens einen Typus dar, der ungefähr den responsa der römischen Juristen für die Geschäfts- und Gerichtspraxis ihrer Zeiten u Lies: verwunderlich  v  Zu erwarten wäre: bildete 65  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  285–295. 66  Vgl. Weber, ebd., oben, bes. S.  242–366; speziell zur Frage S.  346 f. und 363 f. 67  Über die geplante Fortsetzung der Aufsätze zur „Protestantischen Ethik“ vgl. die Einleitung, oben, S.  66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  464 f. mit Anm.  10. 68  Baxter, Christian Directory I-IV, und Spener, Theologische Bedenken I-IV, dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  366–368.

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entspricht.69 Gewiß enthalten diese und ihnen ähnliche Werke daneben auch kasuistische Spekulationen ihrer Urheber, wie dies auch bei den römischen Juristen der Fall ist, und wie es in einem weder mit diesen, noch mit jenen vergleichbaren[,] ganz ungeheuerlichen Maße für den Talmud zutrifft, der aber ebenfalls an direkt praktisch gewesenes Responsenmaterial anknüpfte. Aber schon die Form und der Zusammenhang machen es, natürlich nicht immer, aber glücklicherweise hinlänglich oft, kenntlich, wo aus dem Leben geschöpft ist. Und wo dies der Fall ist, da gibt es, außer Briefwechseln und allenfalls Autobiographien, keine Quelle, die an Authentizität und Lebendigkeit dieser gleichkäme. Weder populäre Pamphlete und Traktätchen, noch Predigten, – die man aber natürlich daneben, als Ergänzung, sehr wohl berechtigt ist, ausgiebig zu benutzen –, noch vollends irgendwelche Erzeugnisse der zeitgenössischen Literatur (so wichtig als Nebenquelle auch sie werden können), oder gar endlich die ganz am äußerlichen haften bleibenden Feststellungen der Konfessionalität einzelner Kapitalistengruppen, zumal wenn man ihre Beeinflussung durch die von der protestantischen Askese geschaffene „Lebensluft“ außer Betracht läßt. Recht selten leider sind wir in der glücklichen Lage, so genau das Ineinandergreifen religiöser und kapitalistischer Interessen an der Arbeit sehen zu können, wie z. B. bei den von mir zitierten Webern von Kidderminster.70 – Damit soll nun nicht im mindesten die Wichtigkeit von Arbeiten, wie sie Rachfahl wünscht,71 herabgesetzt werden. Aber: die spezifische Richtung, in welcher eine bestimmta gefärbte Religiosität wirken konnte, war m. E. nur auf dem Wege zu erschließen, den ich einschlug, – und darauf eben kam es mir ausgesprochenermaßen an. Diese Richtung war nun aber nicht eine bloße „Förderung“ einer an sich schon ganz ebenso vorhandenen psychischen Disposition, sondern sie bedeutete,

a A: bestimmte 69  Responsa (lat.; responsum (Sgl.), „Antwort“, „Bescheid“) der römischen Juristen waren gutachtliche Antworten auf Ersuchen nach Rechtsauskunft, etwa von Parteien, Magistraten oder Richtern. Daraus erwuchsen ganze Sammlungen. Vgl. Weber, Bemerkungen, oben, S.  498 f. 70  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  337, Fn.  113 (auch: S.  374, Fn.  14, S.  385, Fn.  33, und S.  419, Fn.  82. 71  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  630.

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innerhalb der weltlichen Sphäre wenigstens, einen neuen „Geist“: aus ihrem eigenen religiösen Leben, aus ihrer religiös bedingten Familientradition, aus dem religiös beeinflußten Lebensstil ihrer Umwelt heraus erwuchs hier in den Menschen ein Habitus, der sie in ganz spezifischer Weise geeignet machte, den spezifischen Anforderungen des modernen Frühkapitalismus zu entsprechen. Schematisch ausgedrückt: anstelle des Unternehmers, der sich in seinem „Chrematismus“ von Gott höchstens „toleriert“ fühlen konnte, der, wie etwa noch heute der einheimische indische Händler, seine „usuraria pravitas“72 abzubüßen oder wett zu machen hatte, trat der Unternehmer mit dem ungebrochen guten Gewissen, von dem Bewußtsein erfüllt, daß die Vorsehung ihm nicht ohne bestimmte Ab|sicht den Weg zum Gewinn zeige, damit er ihn zu Gottes Ruhm beschreite, daß Gott in der Vermehrung seines Gewinns und Besitzes ihn sichtbar segne, daß er vor allem am Erfolge in seinem Beruf, wenn dieser mit legalen Mitteln erreicht sei, seinen Wert nicht nur vor den Menschen, sondern vor Gott messen könne, daß Gott seine Absichten habe, indem er gerade ihn zum ökonomischen Aufstiege auserlesen und mit den Mitteln dazu ausgerüstet habe,73 – im Gegensatz zu andern, die er aus guten, freilich unerforschlichen, Gründen zur Armut und zur harten Arbeit bestimmt habe, – der in „pharisäischer“ Sicherheit74 seinen Weg geht in strenger formaler Legalität, die ihm die höchste und, da es eine „Zulänglichkeit“ vor Gott überhaupt nicht gibt, auch die einzige in ihrer Bedeutung sicher greifbare Tugend ist. Und auf der andern Seite, als hausindustrieller Handwerker oder als Arbeiter, steht der Mann der spezifischen „Arbeitswilligkeit“, dem die Gewissenhaftigkeit im gottgewollten „Berufe“ das Bewußtsein seines religiösen Gnadenstandes gibt. Und die Perhorreszierung des spezifischen Frevels: derb Vergötterung des Kreatürlichen durch Ausruhen auf dem Besitz, durch Genußfreude, durch Geld- und Zeitvergeuden für Nichtberufliches, drängt die Verwendung des im Beruf erworbenen Besitzes immer wieder in die „berufsmäßige“ Bahn der Kapitalverwertung (beim Unternehmer) oder des „Sparens“ und dadurch: des möglichsten b A: die 72  Vgl. das Glossar, unten, S.  840. 73  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, bes. S.  416–420. 74  Weber, ebd., oben, bes. S.  416.

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Aufsteigens (bei den „ethisch“ qualifizierten Besitzlosen).75 Beruf und innerster ethischer Kern der Persönlichkeit – das ist das Entscheidende – sind hier eine ungebrochene Einheit. Noch so viele Einzelansätze zu einer praktischen Berufsethik dieser Art, die sich im Mittelalter finden – ich habe ausdrücklich mir vorbehalten, darauf zu sprechen zu kommen25) 76 –, ändern nichts daran, daß solch ein „geistiges Band“ eben damals fehlte.77 Und in der Gegenwart, welche so sehr mit dem Begriff des „Lebens“, „Erlebens“ usw. als mit einem spezifischen Wert operiert, ist die innere Lösung jener Einheit, die Verfehmung des „Berufsmenschen“, mit Händen zu greifen. Der moderne Kapitalismus aber, gegen dessen Getriebe ja jene moderne Empfindungsweise, welche eben angedeutet wurde, nicht nur aus sozialpolitischen Gründen, sondern jetzt erst recht wegen seiner Verknüpftheit mit dem Geist des Berufsmenschentumsc sich auflehnt, bedarf dieser Stütze längst nicht mehr. Zwar finden wir die Reste der einstigen Bedeutsamkeit der religiösen Lebensinhalte für die kapitalistische Entwicklung, wie ich innerhalb und außerhalb meiner Aufsätze wiederholt gezeigt habe,78 sogar bis heute. Wo die | Industrie noch jetzt auf diejenigen Qualitäten ihres Personals, die aus jenem Lebensstil folgten, angewiesen ist, da äußert sich dies auch noch jetzt oft genug in der konfessio-

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25)  Daß ferner der Entstehung des „homo oeconomicus“ ganz bestimmte objektive A 593 Bedingungen, unter denen die Kultur des Mittelalters im Gegensatz zu der des Altertums aus geographischen, politischen, sozialen und anderen Bedingungen stand, entgegenkamen, habe ich an anderer Stelle (H[and]w[örter]b[uch] d[er] St[aats-]W[issen­ schaften] 3.  Aufl., Art.: „Agrargeschichte im Altertum“),79 soweit es die Gelegenheit erlaubte, angedeutet. Daß und wodurch ferner die Einbeziehung der modernen Wissenschaft in den Kreis der „Bedingungen“ des ökonomischen Fortschritts, in diese Ursachenreihe[,] gehört, ist von Sombart eingehend ausgeführt worden.80 |

c A: Berufsmenschentums, 75  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  411f. 76  Vermutlich spielt Weber auf seine Ankündigung der Fortsetzung seiner Aufsätze zur „Protestantischen Ethik“ an, vgl. die Einleitung, oben, S.  66 f., den Anhang zur Einleitung, oben, S.  90–96 und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  464 f. mit Anm.  10. 77  Dagegen Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  552 f., und Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  656 f. 78  Vgl. etwa Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  600 f. 79  Gemeint ist: Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, bes. S.  692 ff.; zum „Wirtschaftsmenschen“ ebd., S.  703, auch S.  359. 80  Vermutlich: Sombart, Der moderne Kapitalismus II, Erstes Buch: Die Neubegründung des Wirtschaftslebens, 3. Kapitel: Die neue Technik, S.  42–67.

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nellen Zusammensetzung z. B. ihrer von unten her aufgestiegenen Werkmeister und Angestellten im Gegensatz zu den einfachen Arbeitern, und ebenso im Unternehmertum, – dies alles statistisch erkennbar natürlich nur, wenn man jene Zufälligkeiten, die durch den Standortd (wie er durch das Vorhandensein des unentbehrlichen Rohmaterials oft eindeutig bestimmt wird) und ferner durch die in der Statistik nicht geschiedene Einbeziehung handwerksmäßiger Betriebe einfließen, ausscheidet. Aber im Ganzen ist allerdings der heutige Kapitalismus, wie ich wiederhole, von der Bedeutsamkeit solcher Momente in weitgehendstem Maße emanzipiert.81 Was aber die Zeit des modernen Frühkapitalismus anlangt, so war es bisher noch niemandem eingefallen, zu bezweifeln, daß der Hugenottismus auf das engste mit der französischen bürgerlichkapitalistischen Entwicklung verknüpft war,82 daß er, wohin er auch Ende des 17.e Jahrh[underts] nach der Aufhebung des Edikts von Nantes emigrierte, nicht etwa nur nach Ländern minder entwickelter Wirtschaft, sondern nachweislich gerade auch nach Holland, wo die Kapitalverwertung, wie ich schon bemerkt habe,83 teils anders instradiert,84 teils, wenn auch nur in bestimmten Schichten, zugunsten von Rentengenuß, sozialer Ostentation und einem dementsprechenden Verbrauch erschlafft war, seine typischen gewerblichen Qualitäten exportierte. Daß in den Nordstaaten der Vereinigten Staaten die Art der bürgerlich-kapitalistischen Entwicklung nicht in ganz spezifischer Weise auf ihrem ebenfalls ganz spezifisch puritanisch bedingten Lebensstil beruht habe, dies zu behaupten ist R[achfahl]s „Kritik“ (anders: seine Replik) vorbehalten geblieben.85 Die gleiche Erscheinung in England gab er selbst, in der bei ihm üblichen verschwommenen Form, zu.86 Für Schottland haben schon die englischen Romantiker ganz den gleichen Zusammen-

d A: Standort,  e A: 18. 81  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  422 f.; auch oben, S.  731. 82  So Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  545 und 561 f. 83  Siehe oben, S.  687–690, Fn.  10, hier S.  689. 84  Von (italien.) instradare, „den Weg (strada) festlegen, leiten“. 85 Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  594 f., anders Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  647. 86 Vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  548, und Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  645.

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hang erkannt25a). Für Deutschland hatte Gothein diese Dinge bereits festgestellt, einige Beispiele habe ich hinzugefügt.87 Für Holland habe ich Gründe dafür angeführt,88 warum hier die, ich wiederhole: in ganz derselben Richtung wirkenden Kräfte des asketischen Protestantismus durch ein Knäuel von teilweise vorstehend erwähnten Ursachen, von denen ich mir übrigens nicht im entferntesten schmeichle, bisher auch nur die wesentlichsten angedeutet zu haben, in einem Maße gebrochen wurden26), welches 25a)  Vergleiche z. B. den Brief von John Keats an seinen Bruder Thomas (3. Juli A 594 1818): „Diese Kirchenmänner“ haben Schottland in „Colonnen von Sparern und Gewinnern formiert“ (Gegensatz gegen Irland, von wo aus er schreibt).89 26)  Aber natürlich nicht durch die von mir in meinem Aufsatz erwähnte überwiegende Zugehörigkeit gewisser politischer Oberschichten zum Arminianismus oder doch zur Indifferenz.90 Denn entsprechendes findet sich anderwärts ganz ebenso, und auch in Holland sind es diese Oberschichten, welche durch „Veradligung“ ihres Vermögens (Ankäufe von Rittergütern, wie in England) aus dem kapitalistischen Getriebe (mindestens partiell) am meisten auszuscheiden | trachteten. Daß übrigens R[achfahl] ange- A 595 sichts meiner ausdrücklichen Bemerkung über den Arminianismus in meinem Aufsatz zu behaupten sich gestattete: diese allbekannten Dinge seien mir unbekannt gewesen[,] und ähnliches noch jetzt,1 nachdem ich darauf hingewiesen habe,2 seinem Publikum zu wiederholenf angemessen findet, entspricht nur allem dem, – was ich nicht immer wieder über ihn sagen mag.

f A: wiederholen, 87  Vgl. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, S.  673 ff., zitiert von Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  136; die weiteren Beispiele Webers, ebd., S.  123– 140. 88  Dazu oben, S.  687–690, Fn.  10; die vorstehend erwähnten Ursachen oben, S.  732. 89  Zitat möglicherweise nach: Gothein, Marie, John Keats. Leben und Werke, Band  I: Leben. – Halle a.S.: Max Niemeyer 1897. – Der englische Dichter Keats berichtet von einer Wanderreise durch Schottland und Irland seinem Bruder über ein irisches Zimmermädchen (Gothein datiert auf den 3. Juli 1818): „Sie ist lustig, freundlich und bereit zu lachen, weil sie außerhalb der schrecklichen Knechtschaft der schottischen Kirche steht. [.  .  .] Diese Kirchenmänner haben Schottland gut gethan. Sie haben Männer und Frauen, Alt und Jung, Knaben und Mädchen sorgsam gemacht, so daß sie sie in regelmäßigen Kolonnen von Sparern und Gewinnern formiert haben. Solch eine wirtschaftliche Armee mußte ihr Land bereichern und ihm einen größeren Anstrich von Wohlstand geben, als ihn die armen, unbesonnenen Nachbarn haben“ (Zitat S.  156). – (Engl.) Brief Nr. LXVI vom 3., 6. und 9. Juli 1818, in: The Letters of John Keats. Complete rev. edition [.  .  .], ed. by H. Buxton Forman. – London: Reeves & Turner 1895, p.  153–157 (Webers Zitat dort unter dem 6. Juli 1818). 90  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  412–414, sowie S.  414 mit Fn.  73. 1  So Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  547, und ders., Nochmals Kalvinismus, oben, S.  648. 2  Vgl. Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, oben, S.  592, Fn.  14.

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Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“

ungefähr der ja auch ziemlich bald ein|tretenden auffallenden Stagnation seiner kapitalistischen (ich spreche nicht etwa speziell von der kolonialen) Expansion entsprach27).3 All dies (entsprechend der ökonomischen Qualifikation bestimmter Sekten schon im Mittelalter) waren zum großen Teil schon seit dem 17. Jahrhundert bekannteg und von niemandem, der sich damit überhaupt befaßte, bisher bezweifelte Dinge. Und sie sind in der Tat auch auf keine Weise, am allerwenigsten – aus den schon oben erwähnten Gründenh 4 – durch an sich natürlich eventuell historisch durchaus wertvolle Feststellungen wie die: daß es in Frankfurt, neben den calvinistischen, auch lutherische holländische Immigranten gab[,] und dergleichen,5 zu erschüttern. Ich habe deshalb, wie ich schon bemerkte, an diese Dinge in meinem Aufsatz lediglich erinnert.6 Ich erinnere ebenso nochmals daran, daß die, ihrem inneren Wesen nach überhaupt asketisch-rationale Züge an sich tragenden russischen Schismatiker und Sektierer (das sind aber nicht etwa alle russischen Sekten), ganz ähnliche ökonomische Züge aufweisen, sobald ihre erste weltfremde Jugend überwunden ist. Das äußerste Extrem von Kombination geschäftlicher Qualifiziertheit mit ethischer „Weltablehnung“ bildet – die Kastratensekte.7 Bei dieser illustrativen Verwendung ganz bekannter Dinge mußte es (und muß es auch hier trotz R[achfahl]s Schulmeisterei) bleiben. Und so nützlich und nötig für die historische Spezialanalyse der Entwicklung der einzelnen Gebiete die weitere Einzelforschung über das Kräftemaß der einzelnen Konfessionen ist, so nötig (vielmehr: wesentlich nötiger) die Vergleichung der Eigenart der Ent27)  Damit kein Mißverständnis entstehe: diese Stagnation hatte sicherlich sehr wesentlich politische (äußere und innere) Ursachen. Damit ist aber andererseits natürlich die Mitwirkung jener Gebrochenheit der asketischen Züge durchaus nicht ausgeschaltet. Ich kann diese Frage z. Zt. meinerseits in keinerlei Weise abschließend beantworten wollen, – und Andere wohl auch nicht. |

g A: bekannte,  h A: Gründen, 3  Die wirtschaftliche Expansion der Republik reichte bis 1650. 4  Siehe oben, S.  730 f. 5  So Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  650, Fn.  29. 6  Siehe oben, S.  728. 7  Gemeint sind die Skopzen, vgl. schon Weber, Bemerkungen, oben, S.  501, Fn.  1 mit Anm.  21: Sie waren zahlreich im Handel und als Wechsler anzutreffen, und ihre Geschäfte sollen viele zu Millionären gemacht haben.

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wicklung der einzelnen[,] vom asketischen Protestantismus beeinflußten Länder ist (welche ja erst über die Gründe des hervortretenden Unterschieds ihrer Entwicklung Aufschluß geben kann), – die wirklich dringendsten Fragen liegen, wenigstens für mich, anderswo. Zunächst natürlich in der sehr viel tiefer ins einzelne zu verfolgenden Differenzierung der Wirkungen calvinistischer, täuferischer, pietistischer Ethik auf den Lebensstil. Ferner in der eingehenden Untersuchung der Ansätze ähnlicher Entwicklungen im Mittelalter und im antiken Christentum, soweit die Arbeiten von Troeltsch hier noch | Raum lassen.8 Dafür bedarf es aber der intensivsten Mitarbeit von Fachtheologen28). Dann in der Untersuchung, wie, von der ökonomischen Seite her gesehen, jene immer wieder sich zeigende, in stets anders gewendeter, aber doch offenbar immer ähnlich fundamentierter Art, hervortretende Wahlverwandtschaft des Bürgertums zu bestimmten Lebensstilen, darunter auch (nicht etwa: nur) zu gewissen Einzelbestandteilen religiöser Lebensstilisierungen, wie sie am konsequentesten der asketische Protestantismus bot, zu erklären ist. Sehr vieles einzelne ist von sehr vielen Seiten zu jenem allgemeineren Problem schon gesagt, aber sehr vieles und, wie ich glaube, gerade auch Grundsätzlichesi bleibt zu sagen übrig.

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28)  Daß meine Versuche von einer Anzahl angesehener theologischer Kollegen nicht A 596 schlechthin interesselos und prinzipiell unfreundlich aufgenommen wurden,9 ist mir an sich schon eine reichliche Genugtuung im Interesse der Sache. Denn ich verstehe natürlich vollkommen, daß ihnen diese Art der Inbeziehungsetzung gewisser religiöser Motivationsreihen, welche ja das, religiös gewertet, Grobe und Äußerliche, gerade für innerlich religiös gestimmte Naturen an der Peripherie Liegendek, der eigentlich reli­ giösen Inhalte sind, zu ihren Konsequenzen für das bürgerliche Leben als etwas erscheinen muß, was dem letzten Wertgehalt der betreffenden Religiositätsformen nicht

i A: Grundsätzliches,  k A: liegende 8  Gemeint sein dürfte v. a.: Troeltsch, Soziallehren I und II. 9 Neben Troeltsch und dem von Rachfahl zitierten Heidelberger Kirchenhistoriker Hans v. Schubert (vgl. Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  522 f.; Nochmals Kalvinismus, oben, S.  660) waren dies (nach Rezensionen): Schubring, Wilhelm, [Rez.] Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: Protestantenblatt 1905, Nr.  46 und 47; Traub, G[ottfried], [Rez.] Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: Die Christliche Welt, 19. Jg., Nr.  40 vom 5. Okt. 1905, Sp.  942–946. Vgl. auch den Briefwechsel mit Adolf Harnack vom 12. Jan.  1905 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nl. Adolf von Harnack, K. 44, Bl.  1–2; MWG II/4) und vom 5. Febr. 1906 (MWG II/5, S.  32 f.).

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Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“

Um wenigstens auf eine Frage, mit der R[achfahl] mir gegenüber in der hilflosesten Weise herumhantiert,10 noch eine kurze Antwort zu geben: darauf nämlich, welche Figuren im Gesamtbilde des modernen Kapitalismus denn nun unbedingt nicht von der „innerweltlichen Askese“ aus verstanden werden können und sollen, so bemerke ich: die „Abenteurer“ der kapitalistischen Entwicklung, – den Begriff des „Abenteuers“ hier im gleichen Sinn genommen, wie ihn G[eorg] Simmel kürzlich in einem hübschen kleinen Essay präzisiert hat.11 Ihre wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung ist innerhalb der Geschichte gerade auch (aber nicht nur) des Frühkapitalismus bekanntlich äußerst bedeutend,12 – und dennoch kann man die Entwicklung zur zunehmenden Herrschaft des Kapitalismus über das gesamte Wirtschaftsleben in gewissem Sinn und cum grano salis annähernd gleichsetzen der Entwicklung vom ökonomischen Gelegenheitsprofit zu einem ökonomischen System; und die Genesis des kapitalistischen „Geistes“, in meinem Sinne des Wortes, der Entwicklung von der Romantik des | ökonomischen Abenteuers zur rationalen ökonomischen Lebensmethodik29).

gerecht wird. Das ist in der Tat so. Aber diese lediglich „soziologische“ Arbeit (wie sie unter den Theologen selbst vornehmlich Troeltsch betreibt)13 muß eben auch geleistet werden. Am besten gewiß durch die Fachleute selbst, denen wir Außenstehende nur vielleicht auf unserem Wege und mit unserer Betrachtungsweise hie und da einige auch sie interessierende Möglichkeiten von Problemstellungen nahebringen können, mögen sie sich nun zu unseren eigenen Versuchen zustimmend oder kritisch verhalten. Dies tun zu können war meine Hoffnung, und von jenen Seiten, nicht aber von solchen gelegentlich dilettantisch hineinpfuschenden Klopffechtern wie R[achfahl], erwarte ich fruchtbare und belehrende Kritik. | 29)  Dies bedürfte natürlich der näheren Interpretation, die ich hier beiläufigl nicht A 597 geben kann. Ein, rein objektiv betrachtet, noch so waghalsiges Unternehmer-Risiko bedeutet, wenn es ein durch die „Sache“ gegebener Bestandteil eines rational kalkulierten Geschäftes ist, durchaus kein „Abenteuer“. |

l A: beiläufig, 10  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  645, auch S.  653 f.; bereits Rachfahl, Kalvinismus, oben, S.  532–534. 11  Simmel, Philosophie des Abenteuers, war am 7. und 8. Juni 1910 erschienen. 12  Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  146 f., verweist hierzu auf Jakob Fugger. 13  Troeltsch in seinen zwischen 1908 und 1910 im „Archiv“ erschienenen Aufsätzen „Die Soziallehren der christlichen Kirchen“ (KGA 9) und anderen, zur gleichen Zeit erschienenen Arbeiten. Vgl. Drehsen, Volker und Christian Albrecht, Einleitung, zu: Troeltsch, Protestantisches Christentum, KGA 7, S.  30 f.

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Und wenn schließlich Jemand auch noch von mir zu wissen begehrte: welches denn das vermutliche Schicksal der kapitalistischen Entwicklung (als Wirtschaftssystems) gewesen wäre, wenn wir uns die Entfaltung der spezifisch modernen Elemente des kapitalistischen „Geistes“ fortdenken, – wie erinnerlich, hat auch darüber Rachfahl einige m. E. recht leichtfertige Bemerkungen hingeworfen14 – so kann man gewissenhafterweise darauf natürlich in summa nur antworten: das wissen wir nicht. Aber es darf an die großen Züge der Entwicklung erinnert werden, für solche Nichtfachleute wenigstens, welche von dem populären Irrtum, daß bestimmte technische „Errungenschaften“ die eindeutige Ursache der kapitalistischen Entwicklung gewesen seien,15 meist nicht ganz loskommen: Der Kapitalismus des Altertums entfaltete sich ohne technischen „Fortschritt“, ja man kann geradezu sagen: gleichzeitig mit dem Aufhören technischer Fortschritte.16 Die technischen Mehrleistungen des kontinentalen Mittelalters sind an Bedeutung für die Möglichkeit der modernen kapitalistischen Entwicklung nicht gering, aber freilich kein entscheidender „Entwicklungsreiz“. An objektiven Faktoren zählen letztlich bestimmte klimatische, die Lebensführung und die Arbeitskosten beeinflussende Momente, daneben solche, welche durch die zum erheblichen Teil durch den Binnen-Kultur-Charakter des Mittelalters (relativ, im Verhältnis zum Altertum, gesprochen) bedingte politisch-soziale Organisation der mittelalterlichen Gesellschaft und den daraus folgenden spezifischen Charakter der mittelalterlichen, speziell der binnenländischen Stadt und ihres Bürgertums erzeugt wurden, zu den wichtigsten der historischen Vorbedingungen (s. meinen schon zitierten Artikel im H[and-]W[örter-]B[uch] d[er] St[aats-]W[issenschaf­ ten]).17 Dazu treten gewisse, gegenüber dem Altertum zwar viel-

14  Vgl. Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  651. 15  Weber greift das Thema kurz nach Erscheinen des „Antikritischen Schlußworts“ in seinem Diskussionsbeitrag zum Vortrag Werner Sombarts über „Technik und Kultur“ auf dem Ersten Deutschen Soziologentag im Oktober 1910 auf, in: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.–22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1911, S.  95–101 (MWG I/12). 16 Vgl. Weber, Agrarverhältnisse3 (vgl. die folgende Anm.), MWG I/6, S.  343 f. (mit Kontext). 17  Gemeint ist: Weber, Agrarverhältnisse3 (bereits zitiert oben, S.  731, Fn.  25), MWG I/6, S.  691 ff.

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Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“

leicht nicht absolut, aber doch der Struktur, Verbreitung und Bedeutung nach neue Organisationsformen im Gewerbe (Hausindustrie) als spezifisch ökonomisches Moment. Der große Entwicklungsprozeß, der zwischen den spätmittelalterlichen, noch immer höchst labilen, kapitalistischen Entwicklungsvorgängen und der, für den heutigen Kapitalismus entscheidenden, Mechanisierung der Technik liegt, ist durch die Schaffung gewisser wichtiger objektiv-politischer und objektiv-ökonomischer Vorbedingungen für diese letztere ausgefüllt, vor allem aber durch die Schaffung und Vorbereitung des rationalistischen und antitraditionalistischen „Geistes“ und des ganzen Menschentums, welches ihn praktisch in sich aufnahm: Die Geschichte der modernen Wissenschaft und ihrer erst | in der Neuzeit entwickelten praktischen Beziehungen zur Wirtschaft einerseits, die Geschichte der modernen Lebensführung in ihrer praktischen Bedeutung für dieselbe anderseits haben darüber die Hauptaufschlüsse zu geben. Von der letzteren Komponente ist in meinen Aufsätzen die Rede gewesen und sollte noch weiter die Rede sein.18 Die Entwicklung der praktisch-rationalen Methodik der Lebensführung ist selbstverständlich etwas von der Entwicklung des wissenschaftlichen Rationalismus Grundverschiedenesm, mit ihm durchaus nicht einfach Gegebenes: die ersten Grundlagen der modernen Naturwissenschaft sind katholischen Gebieten und Köpfen entsprungen,19 und erst die methodische Inbeziehungsetzung der Wissenschaft zu praktischen Zwecken ist vornehmlich „protestantisch“, ebenso wie gewisse spezifische[,] für die Methodik wichtige Denkprinzipien eine Art von Verwandtschaft mit protestantischer Denkweise gehabt zu haben scheinen (das Nähere führt zu weit). – Daß es gänzlich irrig wäre, die – noch so strenge – „Gläubigkeit“ als solche, in der damaligen Zeit ebenso wie später, als Hindernis der Entwicklung der empirischen Wissenschaft anzusehen, beweisen insbesondere die meisten englischen Heroen der Naturm A: grundverschiedenes 18  Weber plante, seine Aufsätze zur „Protestantischen Ethik“ fortzusetzen; vgl. die Einleitung mit Anhang, oben, S.  66 f. und 90–96, und den Editorischen Bericht zu Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  464 f. mit Anm.  10. 19  Z. B. Nikolaus Kopernikus, der Kanoniker in Frauenburg, Bistum Ermland, war; der Italiener und Priester Giordano Bruno, ferner Galileo Galilei, der, in einem italienischen Kloster erzogen, zeitlebens sehr fromm war. Vgl. Windelband, Neuere Philosophie I, S.  54–57, 67–79 und S.  87–91.

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wissenschaft, vom 17. Jahrhundert bis zu Faraday und Maxwelln (von denen Einer bekanntlich noch im 19. Jahrhundert in der Kirche seiner Sekte gepredigt hat).20 Die praktische und zwar nicht nur gelegentliche, sondern methodische Einbeziehung der Naturwissenschaft in den Dienst der Wirtschaft ist einer der Schlußsteine jener Entwicklung der „Lebensmethodik“ überhaupt, zu welcher sowohl bestimmte Einflüsse der Renaissance, wie der Reformation, insbesondere in der von mir (bruchstückweise) beschriebenen Wendung, entscheidend beigetragen haben. Fragt man mich nun aufs Gewissen, wie hoch ich denn nun die Bedeutung, speziell dieses letzteren Momentes veranschlage, so antworte ich, nach stets aufs Neue wiederholter, gewissenhafter Überlegung lediglich: nach meiner Ansicht sehr hoch. Daß es „ziffernmäßige“ Teilungsschlüssel bei der historischen Zurechnung nicht gibt, liegt nicht an mir.21 – Genug und übergenug. Vor der Masse des „Publikums“, welchem ja wirklich nicht zugemutet werden kann, weil es eine schlechthin verständnislose und der Sache nach illoyale „Kritik“ gelesen hat, nun auch die „kritisierte“ Arbeit selbst eingehend zu lesen, behalten jene Art von Klopffechter-Naturen, zu denen Rachfahl als „Kritiker“ gehört (dies wenigstens habe ich, denke ich, nachgewiesen)[,] stets recht. Daß einem Ordinarius der Geschichte es passiert sein könne, zumal bei dieser Sicherheit des Auftretens, die ganze Frage, um die es sich handelt, infolge einer maßlos oberflächlichen Lektüre de parti pris fundamental mißzuverstehen[,] und daß er dann nicht die geeigneten Qualitäten in sich aufbringen sollte, um dies einzugestehen, wenn man es ihm zeigt, – dies wird sicher von Leuten, welche den Gegenstand nicht genau kennen, schwer geglaubt werden. Das ändert freilich nichts daran, daß dem eben leider doch n A: Maxwell, 20  Von den beiden im 19. Jahrhundert für die Elektrizitätslehre bedeutenden Experimentalphysikern Michael Faraday und James Clerk Maxwell gehörte Faraday den in Schottland, mit wenigen Gemeinden auch in England und Amerika verbreiteten Sandemaniern an. Diese wurden 1728 von der Church of Scotland ausgeschlossen, weil sie eine lediglich geistige Verbindung von Kirchen- oder Gemeindegliedern und eine völlige Unabhängigkeit der Gemeinden untereinander und der Kirche vom Staat propagierten. Faraday war gewählter Gemeindeältester (1840–1844 und 1860–1864) und hielt regelmäßig die Predigt. Vgl. Thompson, Silvanus P., Michael Faradays Leben und Wirken, übers. von Agathe Schütte und Heinrich Danneel. – Halle a.S.: Wilhelm Knapp 1900, S.  220–230. 21  Webers Antwort auf Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, oben, S.  654 f.

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Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus“

so ist, und daß | ich dies habe beweisen können30), zu meinem Be­dauern auf Kosten des Raumes dieser Zeitschrift, welcher für notwendig – durch die ausschließliche Schuld des „Kritikers“ – sterile Polemiken nicht so im Überfluß bereitstehen kann, wie, anscheinend, derjenige der „Internationalen Wochenschrift“.22 | 30)  Wenn man seine früheren Äußerungen mit seinen jetzigen vergleicht, wird man freilich wohl auf die Vermutung kommen, daß die letzteren mehr eine Art „Strafe“ für mein freilich sehr respektwidriges Verhalten bedeuten, als irgend etwas Andres. |

22 In der genannten Zeitschrift waren Rachfahl, Kalvinismus, und Rachfahl, Nochmals Kalvinismus, erschienen; vgl. die Editorischen Vorbemerkungen, oben, S.  521 und 625.

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[Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht] [Diskussionsbeiträge auf dem Ersten Deutschen Soziologentag am 21. Oktober 1910]

Editorischer Bericht I.  Zur Entstehung Das „Statut“ der im Januar 1909 gegründeten „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ (DGS) bestimmte, daß neben soziologischen Untersuchungen und Veröffentlichungen auch „periodisch stattfindende deutsche Soziologentage“ durchgeführt werden sollten.1 Nach einigem Hin und Her wegen des Tagungsortes fand der erste dieser Soziologentage vom 19. bis 22. Oktober 1910 in der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften in Frankfurt am Main statt.2 Max Weber hatte es übernommen, die Referenten zu gewinnen und Vorschläge für die Abfolge der Referate zu unterbreiten.3 Auf der Vorstandssitzung vom 5. Januar 1911 wurde er mit der Suche nach einem geeigneten Verlag für die Publikation der Verhandlungen beauftragt,4 und er ent-

1  Vgl. Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.–22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M. Reden und Vorträge von Georg Simmel u. a. (Schriften der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, I. Serie, I. Band). – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1911 (hinfort: Verhandlungen 1910), Abdruck der Statuten, S.  V–IX, hier Statut §  1, S.  V. 2  Man hatte zunächst Leipzig, dann Berlin ins Auge gefaßt, bevor man sich für Frankfurt entschied. Vgl. Briefe Max Webers an Hermann Beck vom 29. März 1910, MWG II/6, S.  448–450, hier S.  448 mit Anm.  1 und 2, und vom 8. Juni 1910, MWG II/6, S.  5 56–558, hier S.  5 57 f. mit Anm.  7, und vom 10. Juli 1910, MWG II/6, S.  5 83 f., hier S.  583 mit Anm.  1. 3 Vgl. Briefe Max Webers an Hermann Beck vom 8. Febr., 11. Febr., 8. März, 29. März, 12. Sept. und 18. Sept. 1910, MWG II/6, S.  3 97–399, 401, 422 f., 448–450, 606 f. und S.  613 f., an Hermann Kantorowicz vom 17. Okt. 1910, MWG II/6, S.  6 49, und an Ferdinand Tönnies vom 18. Okt. 1910, MWG II/6, S.  6 51. Dazu Webers Korrekturen an der Teilnehmerkarte im Brief an Hermann Beck vom 18. Sept. 1910, MWG II/6, S.  610 f. 4  Schon im Vorfeld der Tagung hatte Weber mit dem Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) in Tübingen wegen der Publikation der Referate und Diskussionen Verbindung aufgenommen. Vgl. Briefe Max Webers an Hermann Beck vom 4. Okt. 1910, MWG II/6, S.  6 32 f., hier S.  6 33 mit Anm.  5, sowie an Oskar Siebeck vom 11. Okt., 14. Okt., 16. Okt., 18. Okt. und 29. Nov. 1910, MWG II/6, S.  6 42 f., 647, 648, 650 und S.  6 99.

742 Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht

schied sich für den Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck).5 Außerdem sollte Weber die Redaktion des Verhandlungsbandes übernehmen einschließlich der Kürzung der Diskussionsbeiträge, die stenographisch aufgenommen worden waren.6 Max Weber war als Gründungs- und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziologie maßgeblich an der inhaltlichen Gestaltung des Ersten Deutschen Soziologentages beteiligt. Ein Referent sollte sich mit religionssoziologischen Fragen beschäftigen. Dafür hielt Max Weber seinen Heidelberger Kollegen und Freund Ernst Troeltsch für besonders geeignet. An ihn erging denn auch vor dem 8. Februar 1910 eine schriftliche Einladung.7 Am 8. März heißt es in einem Brief an Hermann Beck, den Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Soziologie: „Was den Soziologentag anlangt, so ist Prof. Troeltsch im Prinzip nicht abgeneigt, teilzunehmen.“ Als Thema für ihn gibt Weber „profanes und religiöses Naturrecht in ihren Beziehungen und Konflikten“ an.8 Ob Weber oder Troeltsch den Vorschlag machte, über das Naturrecht zu sprechen, ließ sich nicht mehr ermitteln. Im September korrigierte Weber noch einmal die „Eintrittskarte“ zu dem Soziologentag mit dem gesamten Programm. In dem Brief an Hermann Beck heißt es: „bezüglich der Themaformulierung (Tröltsch: ‚Religiöses und profanes Naturrecht‘ ohne Zusatz)“.9 Schließlich wurde das Referat unter dem Titel „Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht“ geführt.10 5  Vgl. Editorische Vorbemerkung und Brief Max Webers an Oskar Siebeck, vor dem 11. Jan.  1911, MWG II/7, S.  28–30, die Karten an dens. vom 13. Jan. und 15. Jan.  1911, MWG II/7, S.  3 6 und 44 f., Webers Schreiben an den Vorstand der DGS vom 3. Febr. 1911, MWG II/7, S.  8 0 f., und die Briefe an Oskar Siebeck vom 20. Febr. und am oder nach dem 2. März 1911, S.  108 f. und 123 f. Als nicht erfolgreich hatten sich seine Anfragen bei den Verlagen Dr. Werner Klinkhardt und Quelle & Meyer, beide Leipzig, erwiesen. 6 „Die stenographische Wiedergabe der Diskussion soll von Herrn Prof. Weber in angemessener Weise zusammengestrichen werden“, heißt es im Protokoll der Vorstandssitzung vom 5. Jan.  1911, hier zitiert nach der Editorischen Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Oskar Siebeck, vor dem 11. Jan.  1911, MWG II/7, S.  28. Vgl. auch Brief Max Webers an Oskar Siebeck vom 20. Febr. 1911, MWG II/7, S.  108 f., hier S.  108. 7  Vgl. Brief Max Webers an Hermann Beck vom 8. Febr. 1910, MWG II/6, S.  3 97–399, hier S.  398. 8  Brief Max Webers an Hermann Beck vom 8. März 1910, MWG II/6, S.  422 f. 9  Brief Max Webers an Hermann Beck vom 18. Sept. 1910, MWG II/6, S.  610. 10  Gedruckt unter diesem Titel: Troeltsch, Ernst, Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht, in: Verhandlungen 1910 (wie oben, S.  741, Anm.  1, S.  166–192 (hinfort: Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht). Troeltschs Vortrag erschien außerdem in: Historische Zeitschrift, Band  106, Heft 2, 1911, S.  2 37– 267 (ediert in: KGA 6). Einen ausführlichen Bericht über Troeltschs Vortrag, dort allerdings mit dem Titel „Religiöses und profanes Naturrecht“ (vgl. dazu oben im Text), und über die anschließende Diskussion gibt die Frankfurter Zeitung: Erster Deutscher

Editorischer Bericht

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Troeltsch hielt sein Referat am Nachmittag des zweiten Verhandlungstags, am Freitag, den 21. Oktober 1910. Er unterschied darin die „soziologischen Naturgesetze von den idealen Gesetzgebungen der verschiedenen Ideenmächte“.11 Das christliche Idealgesetz gestalte sich durch die gesamte Kulturgeschichte in Auseinandersetzung mit den Naturgesetzen, aber auch mit außerchristlichen Idealgesetzen. Dabei ging er auch auf die für Soziologen besonders relevante gemeinschaftsbildende Kraft des christlichen Ideal­ gesetzes ein, welche die Sozialgestalten Kirche, Sekte und Mystizismus (Enthusiasmus) hervorgebracht habe. Weber äußerte sich kurz nach dem Soziologentag über den Vortrag. Er hielt ihn für vorbildlich, auch weil Troeltsch alle Werturteile vermieden habe: „Troeltsch: Vortrag ausgezeichnet, vor allem: gänzlich wertfrei – Debatte die beste des Tages.“12 An der Debatte beteiligten sich Weber (zweimal), Ferdinand Tönnies, Eberhard Gothein, Georg Simmel, Martin Buber und Hermann Kantorowicz, bevor Troeltsch das Schlußwort hatte.13 Ferdinand Tönnies, selbst ein Experte auf dem Gebiet des Naturrechts, eröffnete die Diskussion mit einem langen kritischen Kommentar. Weber reagierte in seinem ersten Diskussionsbeitrag zunächst darauf, bevor er sich direkt zu Ernst Troeltschs Ausführungen äußerte.14 Er stimmte seinem Heidelberger Kollegen weitgehend zu, betonte aber, man müsse bei der Unterscheidung zwischen Kirche, Sekte und Mystizismus auf die empirischen Mischungsverhältnisse achten. In diesem Zusammenhang lenkte er die Aufmerksamkeit auch auf das Urchristentum und auf das orthodoxe Christentum. Er betonte den Einfluß des antiken Mystizismus, der die orthodoxen Kirchen immer noch präge. In diesem Zusammenhang ging er auch auf die Kirchenbegriffe im Denken des Slawophilen Aleksej Stepanovicˇ Chomjakov und des Religionsphilosophen Vladimir Sergeevicˇ Solov’ev ein. Es ist freilich nicht klar, welche Schriften er dabei vor Augen hatte.15 Immerhin wird deutlich, daß sein Interesse an den russischen VerhältSoziologentag, in: Frankfurter Zeitung, 55. Jg., Nr.  2 92 vom 22. Okt. 1910, 3. Morgenblatt, S.  2. 11  Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, S.  166. 12  Vgl. Brief Max Webers an Franz Eulenburg vom 27. Okt. 1910, MWG II/6, S.  6 55 f., hier S.  6 55. Max Weber hatte das Prinzip der Werturteilsfreiheit in die Statuten (§  1) aufnehmen lassen; vgl. Brief Max Webers an Lujo Brentano, 2. Aprilhälfte 1909, MWG II/6, S.  107 f., hier S.  107, sowie Editorische Vorbemerkung zum Brief an Hermann Beck vom 31. Aug. 1909, MWG II/6, S.  240. 13  Die Diskussionsbeiträge sind abgedruckt in: Verhandlungen 1910, S.  192–214. 14  Unten, S.  747–753, zu Troeltsch S.  754–761. 15  Treiber nimmt an, daß Weber seine Kenntnis der beiden russischen Autoren aus dem 1910 erschienenen 2. Band einer in 6. Auflage erschienenen russischen Ausgabe von Miljukov, Pavel N., Skizzen russischer Kulturgeschichte, 2 Bände. – Leipzig: E. Wigand 1898–1901 („Ocˇ erki po istorii russkoj kul’tury“), bezog, deren Vorgänger­ auflage er für seine Rußland-Studien gelesen hatte (vgl. MWG I/10, S.  745). In diese Ausgabe habe Miljukov einen hier thematisch passenden Passus über Chomjakov

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nissen keineswegs erlahmt war, also nicht auf seine Rußland-Studien von 1905/06 beschränkt blieb.16 Er pflegte neben dem Briefwechsel mit russischen Gelehrten17 auch seine persönlichen Kontakte in Heidelberg, etwa mit Fedor Stepun, der sich mit Solov’ev beschäftigte.18 Für die russische Ausgabe des „Logos“, die im Oktober 1911 erscheinen sollte, wollte er einen Beitrag über die Ethik Tolstois verfassen. Marianne Weber berichtet im „Lebensbild“ außerdem von einem Buchprojekt über Tolstoi, doch schrieb er weder den Artikel noch das Buch.19 Auch Webers zweite Intervention20 war weniger durch Troeltschs Vortrag als durch einen Diskussionsbeitrag von Georg Simmel veranlaßt. Dieser hatte die Unmittelbarkeit im Verhältnis von Mensch und Gott als das Entscheidende im Christentum betont, demgegenüber die Sozialgestalten, die das Christentum annehmen könne, gleichgültig seien. Auch hier ging es für Weber letztlich und Solov’ev eingefügt. Vgl. Treiber, Hubert, Max Weber und die russische Geschichts­ philosophie, in: Religionssoziologie um 1900, hg. von Volkhard Krech und Hartmann Tyrell. – Würzburg: Ergon 1995 (hinfort: Treiber, Russische Geschichtsphilosophie), S.  249–288, hier S.  2 65 mit Anm.  2 9. Für 1906 läßt sich belegen, daß Weber sich Bücher und Schriften aus Rußland schicken ließ; vgl. den in der Einleitung, MWG I/10, S.  15–17, abgedruckten Brief von Bogdan Kistjakovskij vom 6./19. Mai 1906 an Max Weber. Weber könnte aber genauso gut seine Anregungen anderweitig bezogen haben; vgl. die Sacherläuterungen unten, S.  756 mit Anm.  37 und S.  758 mit Anm.  4 3. 16  Ediert in: MWG I/10. Zum Kirchenbegriff von Chomjakov und von Solov’ev äußert er sich in den Texten nicht. Von Solov’evs „Glauben an die ethisch-religiöse Eigenart der politischen Aufgabe des Russentums“ wußte Weber aber durch mündliche Vermittlung schon 1905 (vgl. Weber, Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Rußland, MWG I/10, S.  124). Außerdem hatte er Solov’evs „Die nationale Frage Rußlands“ in der russischen Gesamtausgabe gelesen (ebd., S.  144, Fn.  2 6a). – Ausführlich über Webers Beschäftigung mit Rußland nach 1905/06 die Einleitung von Wolfgang J. Mommsen, in: MWG I/10, S.  1–54, hier S.  1–25. 17  Wolfgang J. Mommsen berichtet in der Einleitung, MWG I/10, S.  24, Weber habe in jenen Jahren insbesondere mit Bogdan Kistjakovskij, Sergej Bulgakov und Aleksandr A. Kaufman korrespondiert. Die Korrespondenz mit russischen Gelehrten ist sehr wahrscheinlich nicht vollständig überliefert. Die spärlichen Hinweise in MWG II/6 und II/7 geben zu Chomjakov und Solov’ev keine weitere Information. 18 Stepun geht in seiner bei Wilhelm Windelband verfaßten Dissertation nur mit kurzen Worten auf Solov’evs Glaubensverständnis und mystische Erfahrung ein, vgl. Steppuhn, Friedrich, Wladimir Ssolowjew. – Leipzig: Eckardt 1910, S.  92 f. Dazu näher: Treiber, Russische Geschichtsphilosophie (wie oben, Anm.  15), S.  2 66–268. 19  Vgl. Einleitung, MWG I/10, S.  24 mit Anm.  6 4, und Brief Max Webers an Heinrich Rickert, um den 24. Juli 1911, MWG II/7, S.  250 f., hier S.  250 mit Anm.  1. Zum Buchprojekt vgl. Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S.  474. – Im Brief an Marianne Weber vom 1. Nov. 1910, MWG II/6, S.  674 f., berichtet Max Weber über Tolstoi-Bettlektüre. – Zu Webers Tolstoi-Lektüre, die sich teilweise schon in den Rußland-Studien 1905/06 niederschlägt, vgl. auch Hanke, Edith, Prophet des Unmodernen. Leo N.  Tolstoi als Kulturkritiker in der deutschen Diskussion der Jahrhundertwende. – Tübingen: Niemeyer 1993, hier S.  168 ff. 20  Unten, S.  761–764.

Editorischer Bericht

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um die von Troeltsch aufgeworfene Frage, in welchem Sinne das Christentum trotz Anerkennung dieser Unmittelbarkeit gemeinschaftsbildend wirkte. Er kommt auch auf die für seine eigenen religionsgeschichtlichen Untersuchungen zentrale Frage zu sprechen, wie das Verlangen nach der „certitudo salutis“ die Lebensführung bestimmte. Die gedruckten „Verhandlungen“ des ersten Deutschen Soziologentages wurden am 8. Juni 1911 an die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Soziologie versandt.21 Max Weber muß folglich seine eigenen Beiträge für den Protokollband in den ersten Monaten des Jahres 1911 – vermutlich auf der Basis des Stenogramms – für den Druck vorbereitet haben.22

II. Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert, auch nicht das Stenogramm der Verhandlungen.23 Der Abdruck der beiden Diskussionsbeiträge Max Webers im Anschluß an den Vortrag von Ernst Troeltsch „Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht“ folgt: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.–22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M. Reden und Vorträge von Georg Simmel, Ferdinand Tönnies, Max Weber, Werner Sombart, Alfred Ploetz, Ernst Troeltsch, Eberhard Gothein, Andreas Voigt, Hermann Kantorowicz und Debatten (Schriften der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, I. Serie, I. Band). – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1911, S.  196–202 [1.] und S.  210 f. [2.]. Beide Texte sind als A sigliert. Die mitgeführte Randsigle weist die Seiten der Druckvorlage aus. Beide Beiträge werden mit dem Titel des Referats von Troeltsch überschrieben. Da Weber die Redaktion des Bandes selbst in der Hand hatte, muß er auch seine eigenen Diskussionsbeiträge überprüft, offensichtlich auch überarbeitet haben.24 Sie können als autorisiert gelten. 21  Vgl. die Mitteilung Paul Siebecks an Max Weber unter diesem Datum (VA Mohr Siebeck, Deponat BSB München, Ana 446). 22  Außer den hier edierten Diskussionsbeiträgen zu Ernst Troeltschs Vortrag legte Max Weber von sich vor: Geschäftsbericht der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, in: Verhandlungen 1910, S.  3 9–62 (MWG I/13) sowie die Diskussionsbeiträge zu dem Vortrag von Werner Sombart, Technik und Kultur, ebd., S.  9 5–101 (MWG I/12), von Alfred Ploetz, Die Begriffe Rasse und Gesellschaft, ebd., S.  151–165 (MWG I/12), von Andreas Voigt, Wirtschaft und Recht, ebd., S.  2 65–270 (MWG I/12) und von Hermann Kantorowicz, Rechtswissenschaft und Soziologie, ebd., S.  312, 313 (MWG I/12). 23  Die Durchsicht der Konvolute/Titel der Akten der DGS – I. Periode (1909–1914) nach dem Stenogramm in der SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Tönnies, verlief ergebnislos (E-Mail-Auskunft Dr. Kornelia Küchmeister, SHLB Kiel, an Ursula Bube vom 22. Okt. 2012). 24  Über den „Ersten Deutschen Soziologentag“ berichtet die „Frankfurter Zeitung“ (wie oben, S.  742 f., Anm.  10). Dabei gibt sie auch Webers Diskussionsbeiträge kurz

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Max Webers Diskussionsbeiträge werden in den „Verhandlungen“ jeweils eingeführt mit „Professor Dr. Max Weber, Heidelberg“ (S.  196) bzw. „Professor Dr. Max Weber-Heidelberg“ (S.  210). Zwischenrufe werden nur da (in Kleindruck) eigefügt, wo dies für den Zusammenhang nötig ist, sonst im textkritischen Apparat wiedergegeben.25 Setzt nach einer Intervention Webers Rede wieder ein, kennzeichnet das Protokoll den Sprecher erneut mit „Prof. Dr. Max Weber.“ Das entfällt in der Edition. Die Emendierung von „erklärt“ zu „verklärt haben“, unten, S.  756 mit textkritischer Anm.  i, und von „exozen­ trischer“ zu „egozentrischer Grundlage“, unten, S.   762 mit textkritischer Anm.  n, folgen: Weber, Max, Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1924, S.  4 66 bzw. 470. Im Sacherläuterungsapparat wurden die von Max Weber ursprünglich nur mündlich vorgetragenen Titel ausbibliographiert. Für die Sachkommentierung wurde auf die ihm bekannte, vor allem in den Aufsätzen zur „Protestantischen Ethik“ und zu „‚Kirchen‘ und ‚Sekten‘“ zitierte Literatur rekurriert, aber auch z. B. auf Troeltschs „Soziallehren“, die seit 1908 in Fortsetzung im „Archiv“ erschienen.26 Darüber hinaus wurden die im Handapparat Max Webers überlieferten Werke herangezogen, z. B. Karl Müllers „Kirchengeschichte“, die Weber sich erst Ende Juli 1908 vom Verlag hatte zuschicken lassen, weil sein „Buch“ verloren gegangen war,27 oder Adolf Harnacks „Dogmengeschichte“ in 2. Auflage (Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München), von der er sehr wahrscheinlich auch die nachfolgenden Auflagen kannte, die als „Lehrbuch der Dogmengeschichte“ (3. und 4.  Aufl.) erschienen.28 Alles weitere mußte erschlossen werden. Zu Chomjakovs und zu Solov’evs Kirchenbegriff wurde die bis 1910 erschienene Literatur benutzt.29 Was Weber zu bestimmten Spezialfragen tatsächlich gelesen hat, muß offenbleiben.30 Das gilt z. B. für Webers Bemerkungen über die schottischen Kirchenverhältnisse, über Clemens von Alexandrien sowie seine Notiz, die italienischen Städte und ihre Zünfte hätten „in der Zeit der großen Kämpfe“ im Gegensatz zu den (ländlichen) Feudalgewalten auf Seiten des Papstes gestanden.31

wieder. Hier wird etwas berichtet, was in den Weber-Beiträgen in den „Verhandlungen“ nicht mehr vorkommt. Vgl. unten, S.  754, Anm.  3 0. 25  Unten, S.  748, 751 und S.  764; S.  752, textkrit. Anm.  f, S.  763, textkrit. Anm.  o. 26  Vgl. Troeltsch, Soziallehren I–III (KGA 9). 27  Vgl. Max Webers Brief an Paul Siebeck vom 27. Juli 1908, MWG II/5, S.  6 09. Unklar bleibt hiernach, ob es sich um Müller, Kirchengeschichte I oder II/1 handelt (eventuell Band  I, weil 1905 davon ein anastatischer Neudruck erschienen war? Hand­ exemplar Max Webers in der Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München). 28  Vgl. unten, S.  748 f. mit Anm.  8. 29  Vgl. unten, S.  756, Anm.  37, und S.  758, Anm.  4 3. 30  Vgl. oben, S.  743 f., Anm.  15. 31  Vgl. unten, S.  750, 752 f. und S.  763.

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Verehrte Anwesende! Ich möchte Einiges sagen zu dem, was Herr Professor Tönnies ausgeführt hat.1 Er hat sich auf dem Gebiet, über das wir sprechen, in immerhin weitgehendem Maße als Anhänger der ökonomischen Geschichtsdeutung, wie wir statt materialistische Geschichtsauffassung sagen wollen, bekannt.2 Man wird seine Auffassung doch wohl im ganzen dahin resumieren können, mit einem modernen, oft gebrauchten[,] aber innerlich nicht ganz klaren Ausdruck, daß diejenigen religiösen Gegensätzlichkeiten, von denen hier die Rede gewesen ist in dem Vortrag, den wir hörten,3 „Exponenten“ irgendwelcher ökonomischer Gegensätze gewesen seien. Nun, meine Herren, es kann auch nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß die ökonomischen Verhältnisse, wie überall, so auch hier, weit eingreifen, und in seinen bekannten Arbeiten hat mein Kollege und Freund Troeltsch auch in der nachdrücklichsten Weise auf die ökonomischen Beziehungen und Bedingungen der Entwicklung religiöser Spezifika hingewiesen.4 Aber man darf sich diese Entwicklung nicht so ganz einfach denken. Ich glaube, vielleicht in letzter Linie mit Tönnies vielfach einig

1  Im Anschluß an den Vortrag von Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, eröffnete Ferdinand Tönnies die Diskussion (hinfort: Tönnies, Verhandlungen 1910, S.  192–196). Sein Diskussionsbeitrag ging dem von Weber unmittelbar voraus. 2  Vgl. Tönnies, Verhandlungen 1910, S.  192: „Ich mache keinen Hehl daraus, daß ich der für meine Person dieser Auffassung [dem „‚historische[n] Materialismus‘ oder der ‚materialistische[n] Geschichtsauffassung‘“, Ed.] sehr nahestehe [.  .  .]. In diesem Sinne glaube und behaupte ich nun, daß diejenigen Lehren, insbesondere diejenigen, die soziale Ideale ausprägen, in gewissem Sinne als Reflexe betrachtet werden müssen, als Ausstrahlungen eines tiefer liegenden Wollens [.  .  .].“ 3  Das Christentum prägt sich nach Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, S.  170– 174, soziologisch gesehen in den Typen Kirche, Sekte und Enthusiasmus oder Mystik aus. 4 Gemeint sind: Troeltsch, Protestantisches Christentum, und Troeltsch, Soziallehren I–III. Letztere waren als Aufsatzserie im „Archiv“ vom 26. Band (1908) bis zum 30. Band (1910) erschienen.

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zu sein; aber bei dem, was er gesagt hat, lag doch in einigen seiner Bemerkungen ein Versucha einer allzu gradlinigen Konstruktion. Professor Dr. Tönnies: Vorläufig!

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Er hat insbesondere, wenn ich ihn recht verstanden habe, die Verwandtschaft der Sekten-Religiosität mit der Stadt betont.5 Nun, meine Herren, die erste spezifische Sekte, die Mustersekte sozusagen, der alle späteren eigentlichen Sekten in der Struktur entsprechen, die Sekte der Donatisten6 im Altertum, ist auf rein agrarischem Boden entstanden.7 Das Charakteristikum dieser Sekte, wie jeder Sekte, trat darin zutage, daß sie sich nicht damit begnügt, daß die christliche Kirche eine Art von Fideikommiß-Stiftung der Gnade sei, gleichgültig, welcher Mensch diese Gnade im Sakrament spendet, gleichgültig also, ob der Priester würdig ist oder nicht: er spendet eben magische Wunderwirkungen, über welche seine Anstalt verfügt, die ganz unabhängig davon sind, welcher Wert ihm als Individuum innewohnt. Hiergegen wendet sich der Donatismus und verlangt, daß der Priester, wenn er als Priester von seiner Gemeinde anerkannt werden soll, auch in seinem Wandel, in seiner Persönlichkeit eine Verkörperung voller religiöser Qualifikation sei.8 Eine „Sekte“ | ist – wenn man sie von einer „Kirche“ a A: Versuch, 5  Vgl. Tönnies, Verhandlungen 1910, S.  194 f. 6  Auch Troeltsch, Soziallehren II, S.  399, Anm.  165, hatte den Donatismus als „Urtypus alles Sektentums“ bezeichnet und sich dabei auf Gustav Kawerau bezogen (Kawerau, Art. Sektenwesen in Deutschland, in: RE3, 18. Band, 1906, S.  157–166, S.  159). In seinem Vortrag (Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, S.  172) wies er auf „Montanismus und Donatismus“ hin. 7 Die Donatisten spalteten sich 311/12 von der karthaginiensischen Kirche in der Überzeugung ab, selbst die legitime nordafrikanische Kirche fortzusetzen (vgl. auch das Glossar, unten, S.  826). Als Hauptsitz der Donatisten galt die Provinz Numidien (vgl. Bonwetsch, Art. Donatismus, in: RE3, 4. Band, 1898, S.  788–798, S.  794; die ländlichen Gegenden Nordafrikas auch nach Weber, Soziale Gründe, MWG I/6, S.  114, und Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S.  591). 8  Weber könnte hier – ohne ihn zu nennen – Harnack folgen: Harnack, Adolf, Lehrbuch der Dogmengeschichte, 3. Band, 3., verb. und verm. Aufl. – Freiburg i.B., Leipzig, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1897, S.  37–39 (dass., 4.  Aufl., 3. Band, 1910, S.  39–41): „Die donatistische Partei [.  .  .] fand in der cyprianischen Auffassung, dass der Bischof nur Bischof sei unter Voraussetzung einer gewissen christlich-sittlichen Qualität, sowie in dessen Vertheidigung der Ketzertaufe einen Halt, während die Gegenpartei, ebenfalls in der Consequenz cyprianischer Gedanken, den Amtscharakter des Episkopats und die objective Wirksamkeit des Sacraments so geltend machte, daß die persönliche Qualität des Amtsträgers resp. des Spenders gleichgiltig wurde“ (S.  37). Die Auseinandersetzungen mit den Donatisten lehrten die Kirche, sich als

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begrifflich scheiden will – eben nicht, wie diese, eine Anstalt, sondern eine Gemeinschaft von religiös Qualifizierten, sie ist die alleb zum Heil Berufenec und nur diese umfassende Gemeinde, die als unsichtbare Kirche, auch in den Gedanken Luthers und Calvins, Augustins, existiert, aber nun hier, bei der Sekte, ins sichtbare übersetzt wird.9 Alles, was später an Sekten entstanden ist, knüpft in den entscheidenden Punkten, in dem Verlangen der Reinheit, der ecclesia pura, der Gemeinschaft nur von solchen Gliedern, die nach Artd ihres Wandels und ihrer Lebensformen nicht offensichtlich die Zeichen der göttlichen Verwerfung an sich tragen, daran an10 – während dagegen die Kirchen ihr Licht scheinen lassen über Gerechte und Ungerechte,11 nach der calvinistischen und der katholischen so gut wie nach der lutherischen Lehre, denn z. B. auch nach der calvinistischen Lehre mit ihrem Prädestinationsglauben ist es Aufgabe der Kirche, auch die unwiderruflich von Ewigkeit her Verdammten äußerlich unter ihre Fuchtel zu zwingen, – zu Gottes Ruhme.12 Jene „Sekten“-form der Gemeinschaftsbildung aber findet sich, wie gesagt,13 zum erstenmal außerhalb der Städte. Nun, wie steht es denn außerhalb des Altertums? Da hat Professor Tönnies die Einfachheit der Zustände des agrarischen Mittelalters verantwortlich gemacht für die Art der Entwicklung des mitb A: allen  c A: berufene  d  In A folgt: der eine Institution zu verstehen, deren „Heiligkeit und Wahrheit unverlierbar ist, mag es mit den Gliedern der Kirche noch so traurig bestellt sein“ (S.  39). – Bei Müller, Kirchengeschichte I, S.  176–179 und S.  249, markierte Weber entsprechende, gegenüber Harnacks Formulierungen allerdings weniger prägnante Stellen zum Donatismus; dasselbe gilt für Harnack, Adolf, Dogmengeschichte, 2., neu bearb. Aufl. – Freiburg i.B., Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1893, S.  230 f. (die beiden letztgenannten Handexemplare Max Webers in der Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München). 9  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  384–350, sowie Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  454–458. 10  Vgl. auch Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  272 f. und 357, sowie Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  449; die Bezeichnung „ecclesia pura“ („reine Kirche“) auch bei Weber, Antikritisches Schlußwort, oben, S.  717. 11  Nach Mt 5,45 [1892]: „Auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten, und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Weber ersetzt den „Vater im Himmel“ durch „die Kirchen“. Dasselbe auch in Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  449. 12 Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  298 und S.  312, Fn.  78 mit Anm.  26. 13  Siehe oben, S.  748.

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telalterlichen Christentums und hat hervorgehoben, daß auf dem Boden der Städte die Kirchenauffassung – ich vereinfache das, was er gesagt hat, wohl mit seiner Zustimmung etwas, ohne es, glaube ich, zu verfälschen – durchlöchert wurde, teils zugunsten eines rein weltlichen oder wenigstens zur reinen Weltlichkeit sich entwickelnden Rationalismus, teils zugunsten des Sektenprinzips.14 Dem­ gegenüber ist doch festzustellen, daß die Machtstellung des Papsttums grade, und keineswegs nur politisch, auf den Städten ruhte. Im Gegensatz zu den Feudalgewalten standen die Städte Italiens zum Papst. Die Zünfte Italiens waren das katholischste, was es überhaupt gegeben hat in der Zeit der großen Kämpfe.15 Der heilige Thomas und die Bettelorden waren gar nicht möglich auf einem anderen Boden als auf dem der Städte, denn gerade weil sie vom Bettel leben, können sie nicht vome Bauern leben, der den Bettler zur Türe hinausweist.16 e A: von 14  Vgl. Tönnies, Verhandlungen 1910, S.  194 f. Nach Tönnies ist es die „bürgerliche Lehre“, die als „die eigentliche Wurzel“ den „Willen der Menschen“ betrachte, der „dem Naturrecht der Sekte und dem rationalistischen Naturrecht gemeinsam“ sei; Sekte und Rationalismus seien von Anfang an „rebellisch“ und revoltierten gegen die Kirche und ihre theologische Auffassung der weltlichen Gewalt (S.  194). Der Bürger habe gegenüber der vom Evangelium gelehrten „Ehrfurcht vor der Obrigkeit“, die „dem Bauer in Fleisch und Blut lebt“, durch die städtische Verfassung des Mittelalters das Bewußtsein: „diese Stadt und ihr Recht, das ist meine Hütte, die habe ich geschaffen“ (S.  195). 15  Die von wirtschaftlichen Interessen geleiteten Zünfte, wie z. B. die Florentiner Arte di Calimala (Tuchkaufleute, darunter auch durch den Tuchhandel reich gewordene Bankiers), waren während der Kämpfe der mittelalterlichen Universalmächte Kaiser und Papst um die Vorherrschaft mit dem Papst verbunden, weil er über Machtmittel verfügte (Exkommunikation, Bann und Interdikt gegen ganze Städte), mit denen er sie hätte schädigen können. Anschaulich etwa bei Davidsohn, Robert, Geschichte von Florenz, 2. Band, 1. Teil. – Berlin: Siegfried Mittler 1908, S.  551–555 (für das Jahr 1263); dass. 2. Band, 2. Teil, ebd., 1908, S.  212–215 (mit Einsetzung des PriorienRegiments für 1282). Für den Verzicht, diese Machtmittel einzusetzen, gewährte man dem Papst Darlehen für seinen Kampf und half ihm bei der Einziehung des Kreuzzugszehnten. 16  Thomas von Aquin war Dominikaner und gehörte somit einem Bettelorden an. Die Anfang des 13. Jahrhunderts entstandenen und vorzugsweise in den Städten angesiedelten Bettelorden verzichteten auf Eigentum, Besitz und Geld des einzelnen wie des gesamten Ordens (Franziskaner), verboten Handarbeit, Grundbesitz und feste Einkünfte (Dominikaner). Für ihren Lebensunterhalt waren sie ursprünglich auf Almosen und Spenden angewiesen. Vgl. dazu Müller, Kirchengeschichte I, S.  565–570 (das Kapitel enthält Randmarkierungen Max Webers im Handexemplar, Max WeberArbeitsstelle, BAdW München), bes. S.   569 f. Nach Maurenbrecher, Thomas von

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Professor Dr. Tönnies: Sie revoltierten gegen den Benediktinerorden.

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Gewiß, aber vom Boden der Städte aus.17 Der hochgespannteste Kirchengedanke sowohl wie der Sektengedanke, alle beiden höchsten Formen der Religiosität, sind erst auf dem Boden der Städte im Mittelalter .  .  . Professor Dr. Tönnies (den Redner unterbrechend): Die Franziskaner haben sehr bedeutende Beziehungen zu den Sekten!

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Zweifellos, das ist gar keine Frage;18 aber die Dominikaner nicht,19 und ich konstatiere hier ja lediglich, daß überhaupt die volle, auch grade die kirchliche, Christianisierung des Mittelalters erst durchgeführt worden ist, nachdem es Städte gab, und daß sowohl die Form der Kirche und ihres Naturrechts wie die Form der Sekte und des ihrigen ihre Blüte erst auf dem Boden der Städte gefunden haben. Ich würde also nicht zugeben, daß hier eine prinzipielle Unterscheidung zu machen sei. Ich würde das auch für später nicht zugeben. Es ist unendlich oft der Gedanke | vertreten worden, daß der Protestantismus eigentlich die Form sei, in der sich die christ­ liche Religiosität der modernen Geldwirtschaft angepaßt habe.20 Aquino, sah Thomas von Aquin darum auch die „Stadt als vollkommene Wirtschaftseinheit“ (vgl. S.  38–51) und schätzte die bäuerliche Landbevölkerung nur gering (vgl. S.  72 f.); dazu Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  195, Fn.  45 mit Anm.  85. 17  Weber argumentiert hier gegen den Einwand von Tönnies. Der Benediktinerorden war durch Schenkungen an seine meist ländlichen, abgelegenen Abteien und Klöster teilweise zu großem Grundbesitz gelangt. Aus den daraus entstandenen Verflechtungen in das mittelalterliche feudale System suchten ihn die Reformen der Cluniazenser und der Zisterzienser zu befreien. Die Laien um Franz von Assisi orientierten sich am apostolischen Armutsideal, führten als Bußbrüderschaft ein unstetes Wanderleben und widmeten sich vorrangig karitativen Tätigkeiten sowie der Laienpredigt. Unter kurialem Einfluß und durch die Gründung von städtischen Niederlassungen wandelten sich die Franziskaner bis 1223 in einen kirchlich mit Predigt- und Seelsorgeprivilegien ausgestatteten Bettelorden, der die neue Frömmigkeit der städtischen Laien an die Kirche zu binden suchte. Nach Müller, Kirchengeschichte I, bes. S.  565–570. 18  Hier dürften die frühen Franziskaner gemeint sein (vgl. auch vorherige Anm.), die durch ihr Leben in apostolischer Armut anderen, im 12. Jahrhundert entstandenen Bewegungen, z. B. den Waldensern, ähnlich waren. Auf die Anfänge hatte auch Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, S.  172, hingewiesen: „Einen Teil ihrer [der Sekte] Motive hat der Katholizismus in sich selbst aufgenommen, indem das Mönchswesen teilweise das Sektenideal verkirchlicht. Das Franziskanertum insbesondere war ursprünglich ein Ableger des Sektentypus und hat mit seiner gewaltsamen Verkirch­ lichung auch seinen ursprünglichen Charakter verloren.“ 19  Dominikus war anders als Franz von Assisi ein kirchlicher Würdenträger (Domherr und Subprior des Domstifts zu Osma in Kastilien), bevor er sich zusammen mit anderen der Bekehrung der als Häretiker gebannten Katharer in Südfrankreich widmete. 20  Dazu die Einleitung, oben, S.  26 ff.

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Ganz ebenso, wie man sich eingebildet hat, daß die Rezeption des römischen Rechts erst durch moderne geldwirtschaftliche Verhältnisse herbeigeführt worden wäre.f 21 Es steht felsenfest demgegenüber, daß ausnahmslos alle spezifisch kapitalistischen Rechtsformen der modernen Zeit mittelalterlichen, zum großen Teil direkt germanischen, Ursprungs und dem römischen Rechte völlig unbekannt sind, und es steht ferner fest, daß die Reformation erstmalig von Gegenden aus in Bewegung gesetzt worden ist, die in ökonomischer Beziehung hinter Italien, hinter Florenz usw. unendlich weit zurückstanden. Auch alle Sekten, auch die täuferischen Sekten z. B. haben sich grade auf dem Boden z. B. von Friesland und auf agrarischem Boden besonders gut entwickelt.22 Sie werden ja gleich sehen,23 wie weit trotzdem wir beide übereinstimmen. Nur das – und das werden Sie vielleicht auch gar nicht bestreiten, was ich dagegen sage – nur das wende ich ja ein: es darf nicht dem nachgegeben werden, der Ansicht, die immerhin indirekt und wohl gegen Ihre Absicht aus Ihren Worten geschlossen werden könnte, als ob man die religiöse Entwicklung als Reflex von irgend etwas anderem, von irgendwelchen ökonomischen Situationen betrachten könnte. Das ist meiner Meinung nach unbedingt nicht der Fall. Will man sich klar machen, wie sich ökonomische undg religiöse Dinge zu einander verhalten, so wird man etwa an folgendes erinnern dürfen. Wie sich Herr Professor Tönnies erinnern wird, war in Schottland und ebenso auch in Frankreich der Adel – in Schottland ganz, in Frankreich hervorragend – der Führer der calvinistisch-hugenottischen Revolte. Und so ist es überall. Die Kirchenspaltung geht senkrecht und vertikal durch die Ständeschichtung der Zeit des

f  In A folgt der Protokollzusatz: (Zwischenruf).  g  In A folgt: wie sich 21  Über die – sozialen oder wirtschaftlichen – Gründe für die Rezeption des römischen Rechts wurde im 19. Jahrhunderts kontrovers diskutiert, vgl. den Literaturüberblick von Below, Georg v., Die Ursachen der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland (Historische Bibliothek, 19. Band). – München: Oldenbourg 1905, S.  1–33. Als dezidierten Verfechter der These von der „Geldwirtschaft“ nennt v. Below den Rechtswissenschaftler Wilhelm Arnold (im Anschluß an Friedrich Carl von Savigny und Otto Stobbe), ebd., S.  10–13. 22  Zu den täuferischen Sekten (Mennoniten) in Friesland vgl. Weber, Kritische Bemerkungen, oben, S.  481, Fn.  3 mit Anm.  23, auch Weber, Antikritisches Schlußwort, oben, S.  695 mit Anm.  11a. 23  Siehe unten, S.  752 f.

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16. Jahrhunderts hindurch, sie umfaßt Personen von den obersten bis zu den untersten Schichten der Bevölkerung hinab. Aber im weiteren Verlauf der Entwicklung ändert sich das. Es ist ganz gewiß kein Zufall und hat selbstverständlich auch ökonomische Gründe, daß der schottische Adel in den Schoß der Episkopalkirche zurückgekehrt ist, und daß umgekehrt das schottische Bürgertum in die schottische Freikirche ausgemündet ist.24 Es ist kein Zufall, daß der französische Adel je länger je mehr die Fahne des Hugenottismus verließ, und daß das, was an Hugenottismus in Frankreich weiter verblieb, zunehmend bürgerlichen Charakters war. Aber auch das ist nicht so zu verstehen, daß das Bürgertum, als solches, aus ökonomischen Gründen, aus sich die betreffende Religiosität entwickelt habe. Umgekehrt! Das Bürgertum, das in Schottland geprägt wurde, hat z. B. John Keats als ein Produkt der dortigen Kirchenmänner bezeichnet.25 Und für Frankreich hat z. B. Voltaire das Richtige recht gut gewußt.26 Kurzum, auch hierin wäre es gänzlich irrig – und nur dagegen wende ich mich –, wollte man eine einseitig ökonomische Deutung geben, auch nur in dem Sinne, daß das Ökonomische Hauptursache sei, oder gar: daß es sich nur um Reflexe des Ökonomischen oder Derartiges handle. 24  Seit der Reformation der Church of Scotland (1560) kämpften die Anhänger einer presbyterianischen gegen die einer bischöflichen Kirchenverfassung. Erstere, die eine weitreichende Unabhängigkeit vom Staat vorsah, konnte erst mit dem Ende der Stuart-Herrschaft 1688 endgültig Gestalt gewinnen. Zuvor hatte die Monarchie zeitweise zur Stärkung ihrer Autorität eine bischöfliche Verfassung durchgesetzt, die auch ihre Parteigänger, zum Großteil Adlige, bevorzugten. Zur Entstehung der Free Church of Scotland 1843 kam es, weil man wegen der Parlamentsreformgesetze von 1832 eine Einschränkung der geistlichen Unabhängigkeit befürchtete. Etwa ein Drittel der staatskirchlichen Geistlichen schloß sich ihr an. – Die Episkopalisten hatten sich nach 1688 zu eigenen hochkirchlichen Gottesdiensten versammelt; Ende des 19. Jahrhunderts schlossen sie sich der anglikanischen Kirchengemeinschaft an. – Vgl. Sack, Karl Heinrich, Die Kirche von Schottland. Beiträge zu deren Geschichte und Beschreibung, 1. Theil. – Heidelberg: Karl Winter 1844. 25  Zur Äußerung von John Keats vgl. Weber, Antikritisches Schlußwort, oben, S.  732 f., Fn.  25a mit Anm.  89. 26 In einer sehr ähnlichen Formulierung steht „Colbert“ statt „Voltaire“ bei Weber, Antikritisches Schlußwort, oben, S.  690. – Voltaire empfand gegenüber den Hugenotten große Abneigung. Aber auch er berichtet, daß Frankreich Gewerbefleiß und Aufschwung im Handel in erster Linie dem Einsatz der Hugenotten durch Colbert verdanke. Mit Aufhebung des Ediktes von Nantes 1685 und der Emigration von ca. 500 000 Hugenotten seien ihre Künste, Handwerke und ihr Reichtum dem Ausland zugute und Frankreich abhanden gekommen. Vgl. Voltaire, Siècle de Louis XIV [II], 1–38, bes. p.  22 und 29.

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Nun möchte ich zu dem Vortrag von Professor Troeltsch noch einiges direkt sagen. Zunächst die verschiedenen Typen, die er uns vorgeführt hat.27 Von denen muß man sich nun gegenwärtig halten, das versteht sich eigentlich von selbst, daß sie sich gegenseitig in hohem Maße durch|dringen. So ist z. B. der Calvinismus eine Kirche, die eigentlich kraft ihrer dogmatischen Unterlagen auf die Dauer keine Kirche bleiben kann. Denn wenn durch ein Dekret Gottes vor Erschaffung der Welt für alle Zukunft der eine Mensch zur Hölle, der andere zum Himmel bestimmt war,28 so mußte man eigentlich schließlich zu der Frage kommen, die Calvin selbst ablehnt: ob man dem Menschen denn nicht es ansehen könne, wozu er bestimmt war, ob er so oder so prädestiniert ist?29 Und es mußte ferner die Vorstellung erweckt werden: wozu der Eingriff der Staatsgewalt und kirchlichen Disziplin? die helfen ja dem Menschen, der zur Hölle verurteilt ist, absolut gar nichts. Gott hat den Menschen vor so und so viel tausend Jahren, gleichviel was er tut und was er ist, dazu bestimmt: er kommt zur Hölle und wird verbrannt, da ist nichts zu machen. Wozu also irgend welche Apparate, wie sie die Kirche im Gegensatz zur Sekte besitzt, überhaupt in Bewegung setzen! Das ist in der Tat – ich vereinfache die Dinge wieder – vielfach eingetreten, und die kolossale Expansion des am Prädestinationsglauben hängenden Baptismus in England, der ein starker Träger der Cromwellschen Bewegung ist,30 und ebenso der Zustand, daß beispielsweise in Neu-England nur diejenigen die Kirche 27  Zu den drei Typen Kirche, Sekte, Mystik vgl. Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, S.  170–174. 28  Vgl. dazu Webers Zitate aus der „Westminster confession“ (1647), bes. Kapitel 3: „Von Gottes ewigem Ratschluß“: Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  252 f. 29  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  274, Fn.  27. 30  1644 soll es in London sieben Gemeinden der später so genannten Particular Baptists gegeben haben (vgl. Weber, Protestantische Ethik II, S.  346, Fn.  122, Anm.  87), die 1644 und 1646 eine die calvinistische Prädestinationslehre enthaltende „Confession of Faith“ formulierten. Nach Neal, Puritans V, erhielten die Baptisten nach 1649 im ganzen Land enormen Zulauf, waren in Cromwells Armee stark vertreten und konnten – wie Praisegod Barebone – öffentliche Ämter übernehmen (vgl. p.  124, p.  153–158). Ihre Gesinnung bildete die Majorität des von Cromwell einberufenen Parlaments von 1653. – Nach dem Bericht „Erster Deutscher Soziologentag“ in der „Frankfurter Zeitung“ (wie oben, S.  742 f., Anm.  10) hatte Weber in diesem Zusammenhang „die Ablehnung des stehenden Heeres in England, die auf das siegreiche Revolutionsheer Cromwells zurückgeht“, als direkte Wirkung der Prädestinationslehre geltend gemacht.

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beherrschen, deren äußerer Wandel wenigstens die Möglichkeit einschließt, daß sie nicht zu den Verworfenen gehören, zeugtenh davon. Das ging so weit, daß die anderen, die nicht dieses äußere Zeichen an sich tragen, und die man deshalb nicht zum Abendmahl zuließ, weil das zur Unehre Gottes gereicht hätte, auch nicht zur Taufe ihrer Kinder zugelassen werden durften.31 Nun spielt ferner – das möchte ich ergänzend hinzufügen – eine wichtige Sonderrolle die griechische Kirche.32 Sie läßt sich nicht so ganz ohne weiteres einrangieren. Meine Herren, Rußland befand sich vor drei Jahrzehnten, und noch mehr natürlich bis zur Aufhebung der Leibeigenschaft,33 staatlich und organisatorisch ungefähr in dem Zustande des Reiches Diokletians,34 obwohl die Kulturverhältnisse, in vieler Hinsicht auch die ökonomischen Verhältnisse zum Teil wesentlich anders waren. Das russische Christentum war und ist noch heute in seinen spezifischen Typen in hohem Maße antikes Christentum. Wenn man nun eine autoritäre Kirche vor sich sieht, so fragt man sie zunächst darnach ab: wo ist diejenige Instanz, in der die letzte infallible Gewalt ruht, die also darüber befinden kann, ob jemand zur Kirche gehört oder nicht, ob eine Kirchenlehre dogmatisch korrekt ist oder nicht? und so weiter. Wir wissen, daß das in der katholischen Kirche heute nach langen Kämpfen der Papst allein ist;35 wir wissen, daß es in der lutherischen Kirche das „Wort“, die Schrift, ist, und diejenigen, die von Amts wegen dazu berufen sind, es auszulegen, und nur diese.36 h A: zeugt 31  Vgl. Weber, Antikritisches Schlußwort, oben, S.  717. 32  Gemeint ist die Kirche des griechisch-byzantinischen Kulturraums, deren einzelne autokephale Nationalkirchen man heute amtlich als „orthodoxe Kirchen“ bezeichnet; darunter auch die russische Kirche, die 1448 volle Selbständigkeit erlangte. 33  Durch Zar Alexander II. am 3. März 1861 (nach julianischem Kalender am 19. Februar 1861). 34 Diokletian steht bei Weber für einen umfassenden Staatsumbau des spätrömischen Reiches. Ähnlich Weber, Demokratie in Rußland, MWG I/10, S.  110. 35  Weber meint das Dogma der Unfehlbarkeit (Infallibilität) des päpstlichen Lehramts bei Entscheidungen in Glaubens- und Sittenfragen. Es wurde zusammen mit dem Jurisdiktionsprimat des Papstes in Fragen der Kirchenordnung am 18. Juli 1870 auf dem 1. Vatikanischen Konzil verabschiedet. Vgl. Weber, Antikritisches Schlußwort, oben, S.  673, Fn.  3 mit Anm.  79. 36 Im Luthertum wird nicht die Schrift durch die Kirche autorisiert, sondern diese begründet die Kirche (Luther: „Ecclesia enim creatura est Euangelii“, WA 2, 430,6 f.). Das „Amt“ ist nach der Augsburger Konfession, Art.  V, gegenüber dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen insofern hervorgehoben, als sich die Gemeinde der Predigt

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Fragen wir nun die griechische Kirche darnach ab, wer denn bei ihr diese Instanz darstellt, so lautet die offizielle Antwort, wie sie namentlich Chomjakoff schon interpretiert hat: die in Liebe verbundene Gemeinschaft der Kirche.37 Und hier zeigt sich, daß, während die calvinistische Kirche mit Sektentum durchsetzt ist, die griechische Kirche in hohem Grade durch einen sehr spezifischen, antiken Mystizismus durchsetzt ist. Es lebt in der orthodoxen Kirche ein spezifisch mystischer, auf dem Boden des Ostens unverlierbarer Glaube, daß Bruderliebe, Nächstenliebe, jene eigentümlichen, uns so blaß anmutenden menschlichen Beziehungen, welche die großen Erlösungsreligionen38 verklärti haben, einen Weg bilden nicht etwa nur zu irgend welchen sozialen Effekten – die sind ganz nebensächlich, – sondern | zur Erkenntnis des Weltsinns, zu einer mystischen Beziehung zu Gott. Es ist von Tolstoj bekannt, wie er sich mit diesem mystischen Glauben auseinandergesetzt hat. Wenn Sie aber überhaupt die russische Literatur, grade die ganz große, verstehen wollen, so müssen Sie immer berücksichtigen, daß das einer der Untergründe ist, auf den sich alles aufbaut. Wenn man russische Romane liest, z. B. „Die Brüder Karamasow“ von Dostojewskij, oder „Krieg und Frieden“ von Tolstoj39 oder etwas ähn­ liches, so hat man zunächst den Eindruck vollster Sinnlosigkeit i A: erklärt (und den Sakramenten) verdankt; aufgrund seines öffentlichen Charakters sei mit ihm eine besondere Verantwortung verbunden. 37  Als Papst Pius IX. mit der Enzyklika „In suprema Petri apostoli sede“ vom 6. Januar 1848 die orthodoxen Kirchen aufrief, sich wieder in die katholische Kirche einzugliedern, antworteten die Patriarchen (und Hierarchen) des Ostens (nach Chomjakow), daß „‚die Unfehlbarkeit einzig und allein in der Allgemeinheit der durch gegenseitige Liebe vereinten Kirche beruhe, und daß die Unwandelbarkeit des Dogmas, sowie die Reinheit des Ritus dem Schutze nicht irgend welcher Hierarchie anvertraut sei, sondern dem Schutze des gesammten kirchlichen Volkes, welches der Leib Christi ist‘“. Chomjakow, Einige Worte eines orthodoxen Christen über die abendländischen Glaubensbekenntnisse. Aus dem Französischen [1853]. – Bautzen: J. E. Schmaler 1856, Zitat S.  23. 38  Gemeint sind hier die Religionen mit starken „weltüberwindenden“ Jenseitserwartungen (im Christentum: das kommende, vollkommene Gottesreich), die in der Nächsten- oder Bruderliebe die Erfüllung des Willens Gottes für das irdische Dasein sehen und auf jegliche Sozialreformen verzichten. Vgl. (zum Urchristentum) Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S.  597, mit Bezug auf Troeltsch, Soziallehren I, zum Begriff bes. S.  39–41, Anm.  24, dazu S.  46 f. (Sein eigenes Konzept der Erlösungsreligionen entfaltete Weber erst später.) 39  Vgl. die deutschen Übersetzungen: Dostojewsky, Brüder Karamasow; Max Webers

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des Geschehens, ein sinnloses Durcheinander von Leidenschaften. Dieser Effekt ist absolut nicht zufällig, er rührt auch nicht nur daher, daß diese Romane durchweg für Zeitungen geschrieben wurden und, wie sie angefangen wurden zu schreiben, der Autor noch keine Ahnung hatte, wie sie endigen würden,40 – denn das war bei Dumas z. B. ebenso der Fall –,41 sondern es hat seinen Grund in der geheimen Überzeugung von der tatsächlichen Sinnlosigkeit dieses politisch, sozial, ethisch, literarisch, künstlerisch, familiär geformten Lebens gegenüber dem Untergrund, der sich darunter ausbreitet, und der in den spezifischsten Gestalten, die die russische Literatur aufweist, verkörpert ist, die aber deshalb für uns so außerordentlich schwer greifbar sind, weil sie auf dem einfachen[,] ganz antik christlichen Gedanken ruhen, daß dasjenige, was Baudelaire die „heilige Prostitution der Seele“ nennt:42 die Liebe zum Nächsten, das heißt zum Beliebigen, gleichviel wer der sei, zum Nächstenbesten also, daß diese amorphe, ungeformte Liebesbeziehung es sei, die den Zugang zu den Pforten des Ewigen, Zeitlosen, Göttlichen verleihe. Die künstlerische Einheit, die wir zu vermissen pflegen an diesen Produktionen der russischen Literatur, das formende Prinzip ihrer größten Werke, liegt sozusagen auf der Reversseite dessen, was man zu lesen bekommt, es liegt in der Gravitation nach den seelischen Antipoden der handelnden Menschen, deren Aktion sich da sichtbar auf der Bühne der Welt abspielt. Und das ist ein Produkt russischer Religiosität. Auf diesem akosmistischen Grundzug aller russischen Religiosität ruht aber auch ein Handexemplar dieser Ausgabe enthält Randmarkierungen (Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München), und Tolstoj, Krieg und Frieden I-IV; zu Max Webers Beschäftigung mit Tolstoi vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  744. 40  Dostojewskjs Roman „Die Brüder Karamasow“ (russ. Brat’ja Karamazovy), mit dem er Anfang 1878 begann, wurde von Januar 1879 bis November 1880 in der Zeitung „Russkij vestnik“ veröffentlicht, bevor er 1881 als Buch erschien. – Tolstoi arbeitete an „Krieg und Frieden“ (russ. Vojna i mir) von 1863 bis 1869 und veröffentlichte die ersten Stücke in der „Russkij vestnik“, bevor die ersten vier von sechs Bänden seit 1867 unter dem dann erst feststehenden Titel im Buchhandel erschienen. 41  So erschienen z. B. die bekanntesten Romane von Alexandre Dumas „Le comte de Monte-Cristo“ in Fortsetzung im „Journal des débats“ (1845/46) und „Les trois mousquetaires“ im Feuilleton von „Le Siècle“ (1844). 42  „Und was die Menschen Liebe nennen, ist klein, ist winzig und schwach im Vergleich zu dieser unbeschreiblichen Orgie, dieser heiligen Prostitution der Seele, die sich in Hochherzigkeit und Mitleid ganz hingibt dem, der sich ihr unvermutet zeigt, dem Unbekannten, der vorüberstreift.“ Baudelaire, Kleine Dichtungen in Prosa, S.  135 (aus: XII. Die Menge).

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spezifisches Naturrecht, – jenes, welches Sie in den russischen Sekten und auch bei Tolstoj ausgeprägt finden, und welches freilich daneben auch durch den Fortbestand des Agrarkommunismus, der die Bauern noch an das göttliche Recht weist für die Regulierung ihrerj sozialen Interessen, gestützt wird. – Ich kann das jetzt nicht eingehend ausführen. Aber alle Grundideale von Leuten wie Wl[adimir] Solowjew gehen auf jene Basis zurück. Auf ihr ruht namentlich auch Solowjew’s spezifischer Kirchenbegriff,43 der – in Tönnies’ Sinn – auf „Gemeinschaft“, nicht auf „Gesellschaft“ fußt.44 – Ich möchte, der Zeit entsprechend kurz, noch auf eins hinweisen. Der Vortrag des Kollegen Troeltsch hat die Gegensätze zwischen Kirche, Sekte, Mystik und ihr Verhältnis zur Welt, zum Naturrecht usw. selbstverständlich konstruktiv behandelt und behandeln müssen. Aber das Berechtigte dieses Verfahrens beruht darin, daß, wenn man einen Sektierer über diejenigen Gedankengänge, die ihn zum Sektierer machen, fragt, er letztlich in das ausmünden wird – wie unklar er es auch ausdrücke –[,] was wir heute vom Kollegen Troeltsch erfahren haben, und wenn man ein Mitglied der katholischen Kirche letzthin fragt, warum er Mitglied dieser Kirche ist und kein Sektierer, er dann ebenfalls letztlich auf diese Gedanken geführt wird. Und Sie können den Beweis mit Händen greifen, Sie können | ihn greifen, wenn Sie finden, daß der Freiherr v. Hertling seinen Glaubensgenossen versichert: ob die Bibel so oder so her j A: seiner 43  Solov’evs Religionsphilosophie beruht auf der Liebe Gottes zu den Menschen und der gegenseitigen Bruderliebe. Ziel sei die „Vergöttlichung des Menschen“. Dieser Prozeß vollziehe sich in und durch die Kirche, wo die Liebe mystisch erfahren und praktiziert werde. Dabei hatte er eine Universalkirche, die sich nach ökumenischen, überkonfessionellen Gesichtspunkten gestalte, vor Augen. Unter den vielen in Frage kommenden Schriften könnte sich Weber mit Solov’evs „Vorlesungen über das Gottˇ tenija o menschentum“ (1877–1881) nach der russischen Gesamtausgabe (C Bogocˇ  elovecˇ  stve, in: Solov’ev, Vladimir Sergeevicˇ , Sobranie socˇ  inenij, tom III. – St. Peterburg: Tovarišcˇ  estvo Obšcˇ estvennaja Pol’za o.J. [ca. 1901–1903]) beschäftigt haben, ferner mit Solov’evs Schrift „Die geistlichen Grundlagen des Lebens“ (1882– 1884) (Duchovnye osnovy žizni, in: ebd., tom III). Diese lag außerdem in deutscher Übersetzung vor. Ihr 2. Kapitel des II. Teils handelt „Von der Kirche“ (Solowieff, Wladimir, Die religiösen Grundlagen des Lebens. Autorisierte Uebersetzung [.  .  .] mit einem Vorwort des Herausgebers N.  Hoffmann. – Leipzig: Oswald Mutze 1907, S.  109–139). 44  Gemeint ist: Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft; vgl. dazu Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  455 mit Anm.  74.

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gestellt ist, was mit ihr historisch passiert ist, ist gleichgültig, denn die Kirche als göttliche Fideikommiß-Stiftung sagt uns, daß das, was in der Bibel steht, gleichviel, wer es geschrieben hat und wie es hergegangen ist, göttliche Norm ist, göttliche Wahrheit ist.45 Hätten wir die Kirche nicht, die Bibel der Protestanten hülfe uns gar nichts.46 Da, in ihrer letzten Konsequenz, entsprechen sich offensichtlich diese Auffassung von der Kirche und die, die uns vorgetragen ist, und deshalb habe ich hier einigen möglichen Einwänden gegen den Vortrag: daß nämlich diese Gedankengänge nicht in jedem Anhänger in Kirche oder Sekte bewußt leben, vorgreifen zu sollen geglaubt. Ich will schließlich nur noch auf eins hinweisen. Wenn man die naturrechtliche Lehre vom Standpunkt der Kirche, der Sekte usw. so analysiert wie Troeltsch, so ist natürlich nicht gesagt, daß nun diese Lehre nicht vielleicht praktische Folgen für das Verhalten gezeitigt hätte, die uns ihrerseits als gänzlich heterogen gegenüber dem eignen Inhalt dieser kirchlichen Lehre erschienen. Das Prinzip der Irrationalität und Wertdiskongruenz zwischen Ursache und Wirkung besteht soweit, daß eine Lehre wie die des sektiererischen Protestantismus, des Calvinismus, Pietismus, die es am eifrigsten verdammt, wenn man sich Schätze auf Erden sammelt,47 vermöge der psychologischen Motive, welche diese Lehre in Bewegung setzte, dazu führte, daß grade diese selben Leute diejenigen waren, die mit zu den großen Trägern der modernen kapitalistischen Entwicklung gehört haben, – weil noch schärfer als das Aufsammeln von Schätzen auf Erden der Verbrauch für den eigenen Genuß verdammt wurde und folglich nichts anderes als eine immer neue Verwertung dieser Schätze für kapitalistische Zwecke hervorgerufen 45  Z. B. in der von Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  124, Fn.  2, zitierten Schrift von Hertling, Prinzip des Katholizismus, S.  14 f.: „Besäßen wir als äußeres Zeugniß der Offenbarung nur den Text der Heiligen Schrift, so hätten wir zu gewärtigen, daß der Inhalt unseres Glaubens durch die schwankenden Ergebnisse der Bibelkritik beeinflußt würde. [.  .  .] Nach unserer Auffassung ist die Kirche älter wie die heiligen Schriften, aus ihrer Hand entnehmen wir diese letztern, sie verbürgt ihre Glaubwürdigkeit, und gegenüber den Gefahren der handschriftlichen Überlieferung, gegenüber den Umgestaltungen des Wortlautes bei dem Übergange in alle Sprachen der Erde ist uns die Kirche die allein zuverlässige Auslegerin des Sinnes und der Tragweite aller einzelnen Aussprüche.“ 46  Vgl. dazu oben, S.  755 f. mit Anm.  36. 47  Nach Mt 6,19 [1892]: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen, und da die Diebe nachgraben und stehlen.“

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wurde und weil die Notwendigkeit asketischer Bewährung in der Welt das Berufsmenschentum züchtete, auf dem der Kapitalismus ruht.48 So aber steht es oft. Wenn z. B. Troeltsch hervorgehoben hat, daß nur die Kirche eine Form sei, welche universell, universalistisch ihrer Idee nach, als Volkskirche, als Volkschristentum denkbar sei,49 so ist dem natürlich aus der Praxis entgegenzuhalten, daß das, nicht nur quantitativ[,] sondern auch qualitativ gemessen, religiöseste Land bis an die Schwelle dieses Jahrhunderts Amerika war, welches eine Staatskirche längst nicht mehr kennt und in dem auch das Christentum weit vorwiegend die Form der Sekten angenommen hatte; wenn ich nicht irre, so waren es Mitte der neunziger Jahre ungefähr nur 5% der amerikanischen Bevölkerung, die offiziell keiner Religionsgemeinschaft angehörten.50 Und die Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft kostet in Amerika unglaublich viel mehr als bei uns, sie kostet auch den Unbemittelten etwas, sie kostet auch die deutschen Arbeiter, die von Deutschland nach Amerika auswandern und die ich gelegentlich z. B. in der Umgegend von Buffalo kennen lernte, bei 1800 Mk. Einnahmen jährlich ungefähr 100 Mark an kirchlichen Steuern, ganz abgesehen von den Kollekten und ähnlichem.51 Suchen Sie einen deutschen Arbeiter, der so viel für irgend eine kirchliche Gemeinschaft, sie sei, was sie wolle, bezahlen würde. Gerade, weil der religiöse Typus dort faktisch der Sektentypus ist, ist die Religion dort Volkssache, und weil dieser Sektentypus nicht universal, sondern exklusivk ist, und weil exklusiv, seinen Anhängern innerlich | und äußerlich ganz

k A: exklusive 48  Vgl. dazu Weber, Protestantische Ethik II, oben, bes. S.  366–425. 49  In seinem Vortrag hatte Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht, S.  170–172, das Wesen des Kirchentypus skizziert (das Heil beruhe auf subjektiver Aneignung des objektiven, in Christi Erlösungstod bereits verwirklichten und damit von eigenen Leistungen unabhängigen, durch die Kirche verbürgten und verkörperten Heils im Glauben), dem empirisch die „Volks- und Staatskirche“ (S.  172) entspreche. 50  Nach Carroll, Religious Forces (wie oben, S.  434, Anm.  27), p.  xxxvi, gehörten ca. 5 Millionen von insgesamt 62 622 250 US-Amerikanern keiner Religion an. Das sind ca. 8 Prozent. Carrolls Angaben beruhen allerdings auf dem Census von 1890. Dazu Weber, Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  437, Anm.  7. 51 Weber schildert Erfahrungen seiner Amerika-Reise 1904; vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  438 mit Anm.  9 (mit Zitat).

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bestimmte Vorzüge bietet,52 darum ist dort die Stätte des Universalismus der effektiven Zugehörigkeit zu religiösen Gemein­ schaften, und nicht bei dem Namens-Christentum in Deutschland, wo ein Teil der Begüterten alle Steuern für die Kirche – dafür, daß „dem Volke die Religion erhalten wird“53 – bezahlt und im übrigen froh ist, wenn er seinerseits nichts mit der Sache zu tun hat, und nur deshalb nicht austritt, weil das unangenehme Konsequenzen hat für das Avancement und für alle möglichen sonstigen gesellschaftlichen Chancen. 2.

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Ich wollte nur noch einige Worte zu dem sagen, was Simmel ausgeführt hat.54 Die Frage nach dem eigentlichen Sinn der christlichen Religiosität steht ja heute nicht zur Diskussion. Trotz alledem sind wir gewiß glücklich gewesen, diese Ausführungen gemacht zu bekommen. Da sie teilweise gegen mich gerichtet gewesen sind, so erlaube ich mir, darauf in Kürze zu antworten. Die These, daß nach dem metaphysischen Sinn des Christentums nichts sich zwischen die Seele und ihren Gott zu schieben habe,55 vollständig zugegeben, so liegen die Dinge doch so, daß für die empirischen Verhältnisse, mit denen es die Soziologie zu tun hat, davon auszugehen ist, daß jede religiös gläubige Seele, daß die Mehrzahl auch der religiös noch so hochgestimmten Seelen im Urchristentum und in allen Zeiten religiöser Erregung das Bedürfnis empfinden mußten, dessen, daß sie auch wirklich ihrem Gott 52  Vgl. Weber, „Kirchen“ und „Sekten“, oben, S.  435–462. 53 „Geflügeltes Wort“ nach Kaiser Wilhelm I., vgl. Weber, Protestantische Ethik I, oben, S.  162, Fn.  30 mit Anm.  86. 54  Der Diskussionsbeitrag Georg Simmels in: Verhandlungen 1910, S.  204–206. 55  Nach Simmel hat das Christentum „ein Problem“: „die Seele und ihren Gott und weiter nichts“ (Verhandlungen 1910, S.  204). In dieser metaphysischen „Schicht“ spiele sich der „Sinn der Christentums“ ab (S.  205). Das Soziale bleibe hingegen prinzipiell gleichgültig, weswegen sich das Christentum mit den verschiedensten Sozialgestalten verbinden könne. Die „direkte Linie von der Seele zu ihrem Gott“ sei nicht zu unterbrechen, auch die Liebe bleibe „eine Art Umweg, im absoluten Sinne kann kein anderer Mensch stehen zwischen dem Menschen und seinem Gott“ (ebd.). Denn auch das „Liebesprinzip“ sei aus den empirischen Ordnungen der Welt „hineingesetzt worden in das Christentum, wie die Kirche mit ihren Ordnungen aus dem, was man bereits in der übrigen geschichtlichen Welt hatte, in diese christlichen Gedankenkreise hineingesetzt worden“ sei (ebd.).

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gegenübergestanden hatten und nicht etwas anderem, in irgend einer Weise auch in ihrem Alltag sicher zu bleiben, die „certitudo salutis“ zu haben. Diese Sicherheit nun kann auf verschiedene Weise gewonnen werden. Es ist zunächst noch keine soziologische, sondern eine rein psychologische Frage, die damit berührt wird, 5 aber eine solche, die soziologisch interessierende Konsequenzen hat. – Die beiden extremsten Gegenpole, die es da gibt, sind auf der einen Seite jene die Formungen der Welt ablehnenden Religiositäten, wie wir sie auch in der modernen Zeit erleben, die in denjenigen geistigen Bewegungen, von denen ich früher sprach,56 noch 10 forterhalten sind und sicherlich auch gewissen Teilen des Urchristentums eigentümlich gewesen sind: eine Art „akosmistischer“l Menschenliebe – das ist die eine Möglichkeit, – und auf der andern ihr extremstes Gegenbild: die calvinistische Religiosität, die in der ad majorem Deim gloriam57 zu gewinnenden „Bewährung“ inner- 15 halb der gegebenen und geordneten Welt die Sicherheit fühlt, Gottes Kind zu sein.58 Auf der einen Seite die völlige amorphe Formlosigkeit des Liebes-Akosmismus, auf der anderen Seite jenes eigentümliche und für die Geschichte der Sozialpolitik praktisch äußerst wichtige Verhalten, daß der Einzelne sich hineingestellt 20 fühlt in die sozialen Gemeinschaften zu dem Zwecke, darin zum Heile seiner Seele „Gottes Ruhm“ zu verwirklichen. Diese letztere Eigentümlichkeit des Calvinismus bedingt dem Sinne nach die gesamte innere Gestaltung der sozialen Gebilde, die wir auf diesem Boden entstehen sehen. Immer steckt in diesen Gebilden ein eigen- 25 tümliches Moment der Gesellschaftsbildung auf egozentrischern Grundlage; immer ist es der Einzelne, der sich sucht, indem er der Gesamtheit, heiße diese wie immer, dient: immer ist es – um die Gegensätze zu gebrauchen, die in einem der Grundbücher unserer modernen sozial-philosophi|schen Betrachtungsweise, in Ferdi­ - 30 nand Tönnies’ Werk über „Gemeinschaft und Gesellschaft“ gebraucht worden sind – immer ist die auf diesem Boden erwachsene menschliche Beziehungsweise eine „Gesellschaft“, eine „Vergesellschaftung“, ein Produkt der das „Menschliche“ abstreifenden l A: „akosmitischer“  m  A: dei  n  A: exozentrischer 56  Siehe oben, S.  756–758. 57  Vgl. Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  266, Fn.  21 mit Anm.  20. 58  Darüber Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  279–285.

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„Zivilisation“, Tausch, Markt, sachlicher Zweckverband, statt persönlicher Verbrüderung, immer ist dagegen jenes Andere, jener Liebes-Akosmismus „Gemeinschaft“ auf rein menschlicher Grundlage der „Brüderlichkeit“. Der Kommunismus des Urchristentums und seine Derivate haben empirisch die allerverschiedensten Motiveo, die aber immer – so im Urchristentum – an die alte Tradition der naturgewachsenen Brüderschaftsverhältnisse anknüpften, in denen die Gemeinschaft von Speise und Trank familienartige Gemeinschaft begründete,59 wie ja auch das Zinsverbot für Christen noch in der Zeit von Clemens von Alexandrien mit dem alten Satz motiviert wird, daß man unter Brüdern nicht feilscht, unter Brüdern kein Herrenrecht gebraucht – und Zins ist Herrenrecht –, unter Brüdern seinen Vorteil nicht übt, sondern Brüderlichkeit übt.60 Alles also, was Simmel sagt, für den Sinn der religiösen Attio  In A folgt der Protokollzusatz: (Zuruf: Toter Punkt!) und die durch den Zuruf bedingte Wiederholung von: Motive 59  Weber antwortet Simmel, Verhandlungen 1910, S.  204 f., der Analogien zwischen Empirischem und Transzendentem ablehnt und die Rede von einem „früheren christlichen Sozialismus oder Kommunismus“ zurückweist, weil ein solcher den „heutigen sozialistisch-kommunistischen Idealbildungen“ geradezu entgegengesetzt sei; vielmehr hätte die „Gleichgültigkeit gegen die äußeren Güter“ ihre gleichmäßige Verteilung „von selbst“ bewirkt und auf diese Weise „irgend einen möglicherweise dem Kommunismus ähnlichen Zustand“ erzeugt. 60  Das alttestamentliche Zinsverbot, hier Dtn 23,20 f. [1892]: „Du sollst von deinem Bruder nicht Wucher nehmen, weder mit Geld, noch mit Speise, noch mit allem, damit man wuchern kann. Von dem Fremden magst du Wucher nehmen, aber nicht von deinem Bruder [.  .  .]“. Bei Clemens von Alexandrien heißt es in der oft zitierten Stelle Stromata II,84,4 (andere Zählung: II, cap.  18; PG 8, 1024): „[.  .  .] Das Gesetz verbietet, dem Bruder auf Zinsen zu leihen, wobei es unter Bruder nicht bloß den versteht, der dieselben Eltern hat, sondern auch den, der dem gleichen Stamme angehört, die gleiche Gesinnung hat und des gleichen Logos teilhaftig geworden ist; es verbietet dieses, indem es nicht will, daß man Gewinn aus dem Gelde ziehe, sondern vielmehr mit offenen Händen und bereitwilligem Herzen den Bedürftigen mitteile; denn Gott hat solchen Erweis der Liebe befohlen.“ Hier zitiert die Übersetzung von Funk, Franz Xaver, Klemens von Alexandrien über Familie und Eigentum, in: ders., Kirchengeschichtliche Abhandlungen und Untersuchungen, 2. Band. – Paderborn: Ferdinand Schöningh 1899, S.  45–60, Zitat S.  56 f. (Lujo Brentano weist Funks Unterlegung, „daß man von Nicht-Brüdern Zins nehmen dürfe“, zurück; vgl. ders., Die wirtschaftlichen Lehren des christlichen Altertums (Vortrag vom 7. Juni 1902). Separat-Abdruck aus den Sitzungsberichten der philos.-philol. und histor. Classe der kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften. – München: Verlag der k[gl]. Akademie 1902, S.  141–193, Zitat S.  169.) – Nach Weber, Agrarverhältnisse3, MWG I/6, S.  534, gehörte es zur antiken „urwüchsigen Bauern- und Kleinbürger-Ethik“ oder „ältesten ‚ökonomischen Moral‘“, „‚unter Brüdern‘“ unentgeltlich zu leihen, während Zinsnahme „ebenso Fremden- und Herren-Recht war“.

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Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht

tüde zugegeben, so muß vom Standpunkt der Soziologie doch stets die psychologische Frage gestellt werden, und sie ist auch in der Realität von allen Seiten, auch den extremsten und deshalb vom religiösen Standpunkt aus vielleicht höchsten Formen der Mystik gestellt worden: wie, durch welches Medium wird der Einzelne seiner Beziehung zum Ewigen gewiß? Professor Simmel: Ratio!

Das ist vollständig richtig, gewiß, es ist unzweifelhaft lediglich ein Erkenntnisgrund, nicht ein Realgrund der Seligkeit.61

61  Vgl. dazu die Ausführungen von Weber, Protestantische Ethik II, oben, S.  279–294, auch S.  341.

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Verzeichnisse und Register

Personenverzeichnis

Dieses Verzeichnis berücksichtigt nur diejenigen Personen, die in den Texten Max Webers Erwähnung finden, inklusive der von ihm genannten Autoren. Dynastien und biblische Gestalten werden im Glossar aufgeführt. Die Einträge folgen zumeist RE3, RGG, RGG4, TRE, BBKL, NDB, dem Oxford Dictionary of National Biography oder den Personenverzeichnissen anderer Bände der Max Weber-Gesamtausgabe. Zugrunde liegt die Schreibung Max Webers.

Adams, Thomas (1583–1652). Pfarrer der englischen Staatskirche. 1606 M. A. in Cambridge; Pfarrer in Bedfordshire, Buckinghamshire, seit 1619 in London. Galt seinen Zeitgenossen als exzellenter Prediger. Seine Schriften sind teilweise in den von Weber herangezogenen „Works of the English Puritan Divines“ enthalten. Aegidius von St. Gilles (Ende 7. Jahrhundert – Anfang 8. Jahrhundert). Einsiedler. Gilt als Gründer und erster Abt der Abtei Saint-Gilles in Südfrankreich. Der Legende nach (10. Jahrhundert) wurde der aus einer vornehmen Familie Griechenlands stammende Eremit von einer Hirschkuh ernährt und von einem Gotenkönig aufgefunden. Sein Grab in Saint-Gilles wurde seit dem 11. Jahrhundert Pilgerziel; seit dem 15. Jahrhundert als einer der 14 Nothelfer verehrt. Althoff, Friedrich Theodor (19.2.1839–20.10.1908). Preußischer Staatsbeamter. Jurist, 1872 a.o. Professor, 1880 o. Professor für französisches Zivilrecht in Straßburg; 1882–97 als Vortragender Rat und Geh. Regierungsrat Referent für Hochschulangelegenheiten im preußischen Kultusministerium, 1897–1907 Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung für das Universitäts- und höhere Unterrichtswesen; bedeutender Organisator des preußischen Hochschulwesens. Antonin(us) von Florenz (eigentl. Antonino Pierrozzi) (1.3.1389–2.5.1459). Erzbischof von Florenz. Der Sohn eines Notars wurde 1405 Dominikanermönch, seit ca. 1444/46 Erzbischof von Florenz; 1523 von Papst Hadrian VI. heiliggesprochen. Verfaßte eine „Summa theologica moralis“, in der spätscholastische Ideen zu Kapitalgewinn und Zins über → Thomas von Aquin hinaus weiterentwickelt wurden. Von Max Weber zusammen mit Bernhardin von Siena als spätmittelalterlicher Wirtschaftsethiker und -theoretiker bezeichnet. Aurelius Augustinus (13.11.354–28.8.430). Kirchenlehrer. Rhetoriklehrer im nordafrikanischen Thagaste und in Karthago; seit 383 in Rom und Mailand an der kaiserlichen Residenz; 386 in Mailand Konversion des langjährigen Manichäers zum Christentum, 387 von Bischof Ambrosius getauft, 388 Rückkehr nach Thagaste, Gründung einer monastischen Gemeinschaft, 391 Priester und 397 Bischof von Hippo Regius; bekämpfte in seinem Bischofsamt den Manichäismus;

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Gegner des verbreiteten Donatismus und der Anhänger des Pelagius; zählte die Prädestinationslehre zu den kirchlichen Lehrstücken. Hauptwerke: „Confessiones“, „De trinitate“ und „De civitate Dei“. Avenarius, Richard (19.11.1843–18.8.1896). Philosoph. 1868 Promotion zum Dr. phil. in Leipzig, 1876 Habilitation ebd.; seit 1877 als Nachfolger von → Wilhelm Windelband o. Professor in Zürich; dort Weiterentwicklung seines erkenntnistheo­ retischen Systems des „Empiriokritizismus“. Ziel war ihm die Grundlegung der Wissenschaften auf der „reinen Erfahrung“ oder des unmittelbar „Vorgefundenen“. Hauptwerk: „Kritik der einen Erfahrung“ (2 Bände, 1888–1900). Aymon, Jean (1661–ca. 1734). Französisch-niederländischer Theologe. Zunächst Priester im Bistum Maurienne; Konversion zum Calvinismus in Genf; 1706, nach Rückkehr zum Katholizismus, in Paris, wo er aus der königlichen Bibliothek Manuskripte entwendet haben soll; vermutlich seit 1707, abermals konvertiert, in den Niederlanden (Den Haag), wo er als Pfarrer lebte und als Herausgeber hervortrat, u. a. von „Tous les Synodes nationaux des Eglises réformées de France“ (2 Bände, 1710). Bacon, Francis (22.1.1561–9.4.1626). Englischer Philosoph und Staatsmann. Seit 1573 Studium in Cambridge und Paris; seit 1579 Advokat in London; 1595 Mitglied des Unterhauses; 1604 Kronadvokat, 1613 Generalfiskal (Attorny General), 1617 Großsiegelbewahrer, 1618–21 Lordkanzler, 1621 wegen Korruption aus allen öffentlichen Ämtern entlassen. Gilt als einer der Väter der modernen Naturwissenschaften und Begründer des philosophischen Empirismus, demzufolge allein Beobachtung und Experiment Ausgangspunkt der Erkenntnis sein können. Bailey, Lewis → Bayly, Lewis. Baist, Gottfried (28.2.1853–22.10.1920). Romanist. 1880 Promotion in Erlangen, 1884 Assistent an der Bibliothek und 1890 Habilitation ebd., 1891–1918 o. Professor in Freiburg i.Br. Textkritisch-literaturgeschichtliche und etymologisch-sprachgeschichtliche Arbeiten; sein Interesse galt dem Spanischen und Altspanischen. Max Weber war mit ihm seit seiner Freiburger Zeit befreundet. Lord Baltimore → Calvert, Cecil. Barclay, Robert (23.12.1648–3.10.1690). Schottischer Quäker. Entstammte einer angesehenen, vermögenden Familie; Ausbildung am Collegium Scoticum in Paris; wurde unter dem Einfluß seines Vaters 1667 Quäker; lebte, unterbrochen von Reisen, auf dem väterlichen Landsitz Ury und widmete sich literarischen Arbeiten; 1676 und 1679 wegen seines Bekenntnisses zum Quäkertum inhaftiert; 1677 Missionsreisen mit → William Penn und → George Fox; seit 1680 gute Kontakte zum späteren König Jakob II. (reg. 1685–1688). Werke: „Catechism and Confession of Faith“ (1673) und das bis heute als Standardwerk des Quäkertums geltende „An Apology for the true Christian Divinity“ (1678, zuerst lat. 1676).

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Barclay, Robert (4.8.1833–11.11.1876). Englischer Quäker. Nachfahre des gleichnamigen Quäkers → Barclay; erhielt seine Erziehung auf Quäkerschulen; Besitzer einer Papiermanufaktur; betätigte sich als Laienprediger auf Quäkerversammlungen. Eigene Forschungen führten zu „The inner Life of the Religious Societies of the Commonwealth“ (1876). Barebone (auch: Barbon), Praisegod (ca. 1598–1679/80). Englischer Laienprediger und Staatsmann. Lederhändler in London; seit ca. 1632 Mitglied und Prediger einer halbseparatistischen (auch baptistisch genannten) Gemeinde; 1653 von → Oliver Cromwell nominiertes Mitglied des Langen Parlaments, das wegen seiner radikalen Neuerungsbestrebungen auch als „Barebone’s Parliament“ bekannt ist; als Gegner der Restauration 1661/62 inhaftiert. Baudelaire, Charles (9.4.1821–31.8.1867). Französischer Dichter, Kunstkritiker und Essayist. Insbesondere bekannt durch seinen Gedichtband „Les fleurs du mal“ (1857). Baxter, Richard (12.11.1615–8.12.1691). Pfarrer der englischen Staatskirche, Puritaner und Erbauungsschriftsteller. 1638 Ordination zum Geistlichen der englischen Staatskirche, 1641 Pfarrassistent (Lecturer) in Kidderminster, Worcester­ shire; schloß sich im Bürgerkrieg der puritanischen Partei an; 1645 Militärgeistlicher in → Oliver Cromwells Parlamentsheer, das er 1647 schwer krank verließ; 1649 Rückkehr in das als sittlich und religiös verwahrlost geltende Kidderminster, das er zur „Mustergemeinde“ (Rudolf Buddensieg, RE3, 2. Band, 1897, S.  4 86) formte; 1660 königlicher Kaplan → Karls II. in London; schied 1662 wegen Ablehnung der Uniformitätsakte aus der Staatskirche aus; lebte anschließend v. a. als Erbauungsschriftsteller in Acton, Middlesex, d wirkte nach der Indulgenzerklärung 1672 wieder als Prediger; 1685/86 wegen angeblicher Verleumdung der Staatskirche in seiner „Paraphrase of the New Testament“ in Gefangenschaft, bis zum Toleranzedikt 1689 Anfeindungen ausgesetzt. Verfaßte weit über 100 Schriften, darunter „The Saints’ Everlasting Rest“ (1650) und das umfangreiche „Christian Directory“ (1664/65, 21678). Bayle, Pierre (18.11.1647–28.12.1706). Französischer Philosoph. Aus einer reformierten Pfarrfamilie stammend; seit 1670 geschichtsphilosophisches Studium in Genf, Hauslehrer; 1677 Professor für Philosophie an der reformierten Akademie in Sedan, die 1681 aus religionspolitischen Gründen geschlossen wurde, danach an der École illustre in Rotterdam, 1693 Amtsenthebung aus politischen Gründen. Hauptwerk: „Dictionnaire historique et critique“ (1697, 21702, dt. 1740). Gilt als von → René Descartes beeinflußter Inspirator der Aufklärungsphilosophie. Bayly, Lewis (um 1575–26.10.1631). Pfarrer der englischen Staatskirche und Puritaner. 1600 anglikanischer Pfarrer in Evesham; 1613 Doctor of Divinity, Oxford; Pfarrer in London und Hofkaplan → Jakobs I., seit 1616 Bischof von Bangor, Nordwales; fiel am Hof wegen seiner Kritik am „Book of Sports“ und an katholisierenden Tendenzen in Ungnade, deswegen 1621 inhaftiert; wegen seiner

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puritanischen Einstellung von William Laud, des späteren Erzbischof von Canterbury, heftig bekämpft. Verfaßte das häufig aufgelegte und vielmals übersetzte Erbauungsbuch „The Practice of Piety“ (31613), das aus seinen frühen Predigten hervorgegangen ist und sich durch kasuistisch-konkrete Lebensanleitung auszeichnet. Gilt Max Weber darum als Vertreter des puritanischen „Pietismus“. Below, Georg von (19.1.1858–20.10.1927). Historiker. 1883 Promotion zum Dr. phil. in Bonn, 1886 Habilitation in Marburg, 1888 Umhabilitation nach Königsberg; 1889 a.o. (Titular-)Professor ebd., 1891 o. Professor in Münster, 1897 in Marburg, 1901 in Tübingen und 1905–24 in Freiburg i.Br. Arbeiten zur mittelalterlichen Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte und zu Methodenproblemen der Geschichtswissenschaft. Max Weber stand zu ihm in kollegialen Beziehungen. Benedikt von Nursia (um 480–21.3.547). Einsiedler und Abt. Aus wohlhabender Familie stammend; kurzes Studium in Rom, danach drei Jahre als Einsiedler in einer Grotte bei Subiaco lebend, dort Gründung von zwölf Klosterzellen für seine Schüler, zwischen 520 und 530 Umzug auf den Monte Cassino, dort Gründung des gleichnamigen Klosters. Verfaßte für sein Kloster die „Regula Benedicti“ (Benediktsregel), auf die mit der karolingischen Reform das gesamte abendländische Mönchtum verpflichtet wurde (oder monasticus, der ordo canohicus lebte nach der Augustinerregel). Bernhard von Clairvaux (1090/91–20.8.1153). Abt und Mystiker. Trat 1113 in das Zisterzienserkloster in Cîteaux ein, 1115 mit der Gründung von Clairvaux beauftragt, dessen Abt er wurde. Nahm auf den institutionellen Ausbau und die geistliche Formung des Zisterzienserordens entscheidenden Einfluß, gründete und reformierte bestehende Klöster. Seine mystische Theologie entfaltete er anhand der allegorischen Deutung des alttestamentlichen Hohelied-Buches (86 Sermones über das Hohelied); zugleich rückten Leiden und Passion Christi erstmals ins Zentrum theologischer Frömmigkeit; 1174 kanonisiert, 1830 zum Kirchenlehrer erhoben. Bernstein, Eduard (6.1.1850–18.12.1932). Sozialdemokratischer Politiker und Publizist. 1872 Anschluß an die Sozialdemokraten, auf dem Parteikongreß 1875 maßgeblich am Zustandekommen des Gothaer Programms beteiligt; seit 1881 Herausgeber der Zeitschrift „Der Sozialdemokrat“; 1887 Übersiedlung nach London, enge Kontakte zu Friedrich Engels; 1901 Rückkehr nach Deutschland, 1902–06, 1912–18 und 1920–28 MdR für die SPD. Gilt als theoretischer Begründer und Führer des revisionistischen Flügels der Sozialdemokratie. Max Weber schätzte seine Studien zur englischen Revolution und bemühte sich um seine Mitarbeit am „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“. Berthold von Regensburg (um 1210–14.12.1272). Mittelalterlicher Volksprediger. Wohl um 1226 Eintritt in die Regensburger Niederlassung der Franziskaner; 1240 Prediger in Augsburg, schon um 1250 gerühmt als gewaltiger und vielerorts bekannter wandernder Volksprediger, 1263 zum Kreuzzugsprediger bestellt.

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Die überlieferten Predigtsammlungen zeigen scharfe Kritik an gesellschaftlichen Mißständen, sie umfassen mehrere hundert Predigten in lateinischer Sprache (dabei handelt es sich nicht um Übersetzungen, sondern um nachträgliche Redaktionen) und über 70 deutsche Predigten, die vermutlich nur in den ältesten Stücken von Bertholds Vortrag inspiriert sein dürften. Beza, Theodor (Théodore de Bèze) (24.6.1519–13.10.1605). Genfer Reformator und Anhänger → Calvins. Aus wohlhabender französischer Familie stammend; 1535–39 juristisches Studium in Orléans, danach in Paris; nach offenem Bekenntnis zur evangelischen Lehre Flucht aus Frankreich; seit 1549 unterrichtete er Griechisch an der Akademie in Lausanne; 1559–98 erster Rektor der von Calvin zur Ausbildung reformierter Prediger gegründeten Genfer Akademie, zugleich Prediger; wirkte 1560–63 für die französischen Protestanten, u. a. 1561 auf dem Religionsgespräch in Poissy, und während des ersten Religionskriegs 1562/63 als Berater ihrer politischen Anführer Coligny und Condé; 1564–1598/1600 Nachfolger Calvins in der Leitung der Genfer Kirche. Verfaßte u. a. die erste „Vita Calvini“ (1554) und schuf eine Übersetzung des Neuen Testaments (1565, 51598). Trug wesentlich zur Festigung der Genfer Kirche und der reformierten Kirchen bei. Bielschowsky, Albert (3.1.1847–21.10.1902). Literaturwissenschaftler. Studium der Philologie, 1869 Promotion in Breslau; 1870–86 im höheren Schuldienst in Brieg (Schlesien) tätig. Bekannt durch „Goethe, Sein Leben und seine Werke“ (1. Band  1896, 2. Band postum 1904). Blaustein, David (15.5.1866–26.8.1912). Aus Rußland stammender jüdischer Pädagoge. Seit 1883 in Preußen (Memel, Schwerin) Studium des Hebräischen, der rabbinischen Literatur und jüdischen Geschichte; 1886 Ausweisung, Ausreise nach Boston; 1889–93 Studium am Harvard College; 1892–98 Rabbiner in Providence, RI; 1896 Dozent („assistant professor“) für Semitistik an der Brown University; 1898–1907 Leiter („superintendent“) der Education Alliance in New York City; kurzzeitig Superintendent des Chicago Hebrew Institute; 1910–12 Dozent an der New York School of Philanthropy. Max Weber lernte ihn auf seiner USA-Reise 1904 kennen. Bonaventura (eigentl. Giovanni Fidanza) (um 1217–15.7.1274). Franziskaner. Studium an der Pariser Artistenfakultät, etwa 1243 Eintritt in den Orden, Theologiestudium bei Alexander von Hales, seit 1257 Magister regens an der Universität Paris; im selben Jahr auch Generalminister seines Ordens, 1273 zum Kardinalbischof von Albano erhoben, in dieser Funktion wirkte er an der Vorbereitung des II. Konzils von Lyon mit, starb vor dessen Abschluß. Vereint in seinem Denken und Schrifttum ältere Traditionen (→ Augustinus, → Bernhard von Clairvaux) mit der Scholastik und franziskanischem Gedankengut; seit 1257 Reflexionen über das mystische Leben und Erleben; beeinflußte die spätmittelalterliche Frömmigkeit; 1482 heiliggesprochen. Zeitgenosse des in der Folgezeit wesentlich bekannteren → Thomas von Aquin.

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Bonn, Moritz Julius (28.6.1873–25.1.1965). Nationalökonom. 1895 Promotion zum Dr. oec. publ. in München bei Lujo → Brentano, 1905 Habilitation ebd.; 1910 a.o. Professor und Direktor an der Handelshochschule in München, 1914–17 und 1924–26 Gastprofessor in den USA, 1920–33 o. Professor der Staatswissenschaften an der Handelshochschule in Berlin (Entlassung aus rassistischen Gründen); 1933–38 an der London School of Economics, 1939–46 Professor in den USA. Brassey, Thomas (seit 1911:) 1st Earl Brassey (11.2.1836–23.2.1918). Englischer Unternehmer, Politiker und Publizist. 1865 und 1868–86 liberales Mitglied des Unterhauses; 1879/80 Präsident der Royal Statistical Society. Herausgeber und Verfasser von Standardwerken über die britische Marine, die Lohnbildung in England sowie die Arbeiterfrage im allgemeinen. Braune, Wilhelm (20.2.1850–10.11.1926). Germanist. 1872 Dr. phil. in Leipzig, 1874 Habilitation ebd.; 1877 a.o. Professor ebd., 1880 o. Professor in Gießen, 1888–1919 in Heidelberg. Autor sprachgeschichtlicher und grammatischer Standardwerke, letzteres etwa zum Althochdeutschen und Gotischen. Brentano, Lujo (18.12.1844–9.9.1931). Nationalökonom. 1866 Dr. jur., 1867 Dr. phil., 1871 Habilitation in Berlin; 1872 a.o. Professor in Breslau, 1873 o. Professor ebd., 1882 in Straßburg, 1888 in Wien, 1889 in Leipzig und seit 1891 in München. Linksliberaler Vertreter der historischen Schule der deutschen Nationalökonomie; führender „Kathedersozialist“, unternahm den Versuch einer wissenschaftlichen Begründung von Sozialpolitik. Kämpfte für die Anerkennung der Gewerkschaften und gegen Protektionismus. 1872 Beteiligung an der Gründung des Vereins für Socialpolitik, dessen linksliberalem Flügel er angehörte. Verfasser wirtschaftshistorischer Arbeiten. Max Weber trat seit 1893 in persönliche Beziehungen zu Brentano, dessen Lehrstuhlnachfolger er 1919 in München wurde. Bryce, James (seit 1914:) 1st Viscount of Dechmont (10.5.1838–22.1.1922). Britischer Jurist, Politiker und Historiker. 1870–93 Professor für Römisches Recht (civil law) in Oxford; 1880–1907 Mitglied des Unterhauses für die liberale Partei; 1894/95 Handelsminister, 1905/06 Staatssekretär für Irland, 1907–13 Botschafter in Washington; 1914 Mitglied des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag, nach dem 1. Weltkrieg Förderer des Völkerbundes. Sein Werk „The American Commonwealth“ (1888, 21890 u. ö.) wurde von Max Weber sehr geschätzt. Bucer (auch: Butzer), Martin (11.11.1491–28.2. oder 1.3.1551). Straßburger Reformator. seit 1506 Dominikanermönch, 1516/17 Priesterweihe, 1518 prägende Begegnung mit → Luther während der Heidelberger Disputation, 1521 Entlassung aus dem Orden; seit 1523/23 evangelischer Prediger im elsässischen Weißenfels, 1523 vom Bischof gebannt, erhielt Asyl in Straßburg, dort nach 1525 Vermittler in der die Reformationsbewegung spaltenden Abendmahlsfrage, wobei die Straßburger in die Nähe → Zwinglis rückten; 1529 beim Marburger Religionsgespräch um die Überbrückung der Gegensätze bemüht, 1530 Mitverfasser

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der auf dem Augsburger Reichstag eingebrachten Confessio Tetrapolitana, 1534 an der Einführung der Reformation im Herzogtum Württemberg beteiligt; 1549 zwang ihn die Einführung des Interims in Straßburg zur Emigration nach England. Sein Leichnam wurde im Ketzerprozeß unter Maria I. Tudor 1557 öffentlich verbrannt (rehabilitiert 1560). Bunyan, John (28.11.1628–31.8.1688). Englischer Laienprediger und Erbauungsschriftsteller. Der gelernte Kesselflicker kämpfte 1644–46 im englischen Bürgerkrieg in der Parlamentsarmee → Oliver Cromwells; zwischen 1650 und 1655 tiefe Seelenkämpfe (beschrieben in seiner geistlichen Autobiographie „Grace Abounding to the Chief of Sinners“, 1666), um 1655 Anschluß an eine independente (baptistische) Gemeinde in Bedford, dort als Laienprediger tätig, nach der Restauration 1660–72 und 1676/77 kurzzeitig erneut wegen Mißachtung des Predigtverbots für Nonkonformisten inhaftiert, 1672 bis zu seinem Tod Pastor der Bedforder Gemeinde. Sein während der zwölfjährigen Gefängniszeit verfaßtes Werk „The Pilgrim’s Progress“ (1678, erweitert 1679, 2. Teil  1684) avancierte zum Klassiker der Weltliteratur. Burckhardt, Jacob (25.5.1818–8.8.1897). Schweizer Kultur- und Kunsthistoriker. 1836–43 Studium der Philologie, der Alten Geschichte, Theologie, Kunstgeschichte und Geschichte, 1855–58 Professor für Archäologie am Polytechnikum Zürich, 1858–86 o. Professor für Geschichte in Basel, bis 1893 Professor für Kunstgeschichte ebd. „Die Cultur der Renaissance in Italien“ (1860) ließ ihn zum Begründer der modernen Renaissance-Forschung werden; als Historiker der abendländischen Kulturentwicklung analysierte er in den kulturpessimistischen „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“ (aus dem Nachlaß hg. 1905) die politischen und gesellschaftlichen Tendenzen seiner Zeit vom Standpunkt eines konservativ geprägten Humanismus. Busken Huet, Conrad (28.12.1826–1.5.1886). Niederländischer Schriftsteller und Kritiker. Zunächst Pastor in Haarlem, danach Kritiker auf theologischem und literarischem Gebiet, auch in der tonangebenden Zeitschrift „De Gids“. Zu seinen Werken zählt das von Weber herangezogene „Het land van Rembrand“ (1882– 1884, dt. 1886/87). Butler, Samuel (getauft am 8. oder 14.2.1613–25.9.1680). Englischer Satiriker. Studium in Cambridge; zunächst Schreiber eines Friedensrichters, unter → Cromwell Sekretär eines radikal-puritanischen Offiziers. Während der Restaurationszeit entstand die bei den Zeitgenossen beliebte dreiteilige Verssatire „Hudibras“ (1663–1678), die sich gegen den Puritanismus der vorangehenden Epoche richtet. Calvert, Cecil, 2nd Baron Baltimore (8.8.1605–30.11.1675). Englischer Kolonie­ gründer. Konvertierte wie sein Vater George Calvert zum Katholizismus; erhielt 1632 nach dessen Tod das von jenem angestrebte Patent zur Koloniegründung Marylands (seit 1634). Für die 1649 eingeführte Maryland „Act of Toleration“ war er nur zu einem geringen Teil verantwortlich.

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Calvin, Johannes (eigentl. Jean Cauvin) (10.7.1509–27.5.1564). Reformator. 1523– 1531 Studium der Artes liberales und Rechtswissenschaft in Paris, Orléans und Bourges, anschließend humanistische Studien in Paris; mußte 1533 als Anhänger der reformatorischen Lehre aus Paris fliehen, 1536–38 reformatorisches Wirken mit Guillaume Farel in Genf, wegen Konflikten mit den bürgerlichen Behörden ausgewiesen, 1538–41 Pfarrer für die französischen Flüchtlinge in Straßburg, 1541 Rückkehr nach Genf, dort umfangreicher Reformplan mit den „Ordonnances ecclésiastiques“, der das kirchliche Leben neu organisierte und dabei das weltlich-behördliche, v. a. das richterliche, mit einbezog; strenge Handhabung der Kirchenzucht, die zum Abendmahl zuließ oder von ihm ausschloß; seit 1551 Auseinandersetzung mit Jerome (Hieronymus) Bolsec über die Prädestinationslehre; veranlaßte 1553 die Hinrichtung des Antitrinitariers Michael Servet; 1559 Eröffnung der Genfer Akademie. Hauptwerk: „Institutio christianae religionis“ (lat. 1536, 21539, 31559), außerdem Bibelkommentare und theologische Abhandlungen. Aktive Beteiligung an der Ausbreitung seines Reformationswirkens auch in der deutschsprachigen Schweiz (Consensus Tigurinus, 1549/1555), an der Gestaltung einer Nationalkirche in Frankreich, in England und durch Vermittlung von → John Knox in Schottland. Carlyle, Thomas (4.12.1795–5.2.1881). Schottischer Schriftsteller und Historiker. Streng puritanisch erzogen, studierte er Mathematik, Philosophie und alte Sprachen in Edinburgh; nach Schullehrer- und Privatgelehrtendasein 1865 Lordrektor der Universität Edinburgh. Beschäftigte sich mit deutscher Literatur und der Philosophie des Idealismus, die er nach England vermittelte. Durchbruch u. a. mit „Oliver Cromwell’s letters and speaches“ (1845). Sein teleologisches Geschichtsbild, dargestellt am aufsteigenden Heldentum der Gottheiten, Propheten, Dichter, Theologen (Luther, Knox), Schriftsteller (Rousseau u. a.) bis zu dem der Staatsmänner (Cromwell, Napoleon), zeigt sich v. a. in „On heros, hero-worship and the heroic in the history“ (1841). Lehnte Liberalismus und Demokratie ab und verurteilte in der Schrift „Past and Present“ (1843) scharf den Materialismus („Mammonismus“) seiner Zeit. Carnegie, Andrew (25.11.1835–11.8.1919). Amerikanischer Industrieller. 1848 als Sohn eines Webers von Schottland nach Amerika gekommen, mit 13 Jahren als Spuler in einer Weberei tätig. Begann nach Karriere in einer Eisenbahngesellschaft seit 1865 mit Investitionen in Eisen- und Stahlwerke und war um 1890 Haupteigentümer des größten Stahlwerkskomplexes der Welt. Mit seinem Rückzug aus dem Geschäftsleben kaufte der Bankier → John Pierpont Morgan seinen Anteil, während er einen Großteil seines Vermögens für gemeinnützige Einrichtungen und Stiftungen verwandte. Gehörte zu den reichsten Menschen seiner Zeit. Charnock, Stephen (1628–27.7.1680). Englischer Puritaner. Studium in Cambridge, 1650 Fellow am New College, Oxford; seit 1656 Kaplan Henry Cromwells in Irland; 1659 Senior Fellow am Trinity College, Dublin; widmete sich nach seiner Rückkehr nach London wegen der Uniformitätsakte (1662) dem literari-

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schen Leben, übernahm erst 1675 wieder ein Amt einer nonkonformistischen Gemeinde. Seine Schriften erschienen fast alle erst postum; enthalten in den von Weber konsultierten „Works of the English Puritan Divines“. Chillingworth, William (12.10.1602–30.1.1644). Anglikanischer Theologe. Studium am Trinity College, Oxford, Schüler von William Laud, des späteren Erzbischofs von Canterbury; 1629 Übertritt zum Katholizismus, der ihn an die Ausbildungsstätte englischer Katholiken in Douai führte; 1631 Rückkehr nach Oxford; 1634 Lossagung vom Katholizismus, kehrte 1638 in die anglikanische Kirche zurück; 1638 Wahl zum Bevollmächtigten (chancellor) des Domkapitels von Salisbury; im Bürgerkrieg Royalist. Gilt als Begründer des Latitudinarismus („broad church“), einer Richtung innerhalb der Church of England, als solcher tolerant gegenüber Dissenters (Nonkonformisten), nicht jedoch gegenüber Katholiken und Deisten. Chomjakoff, A. S.; Tl.   (russ.) Chomjakov, Aleksej Stepanovicˇ (1.5./13.5.1804– 23.9./5.10.1860). Slawophiler Geschichtsphilosoph. Studium der Mathematik, Philosophie und Theologie. Trat gegenüber der westeuropäischen Kultur für die Selbständigkeit der russischen Kultur ein, die sich seit Peter d. Gr. verwestlicht habe. Entwickelte die Auffassung einer auf Einheit und Freiheit gegründeten christlichen Gemeinschaft („sobornost’“), in kritischer Ablehnung des „Romanismus“, Protestantismus und der russischen, als erstarrt empfundenen Orthodoxie seiner Zeit. Von großem Einfluß auf das russische Geistesleben des 19. Jahrhunderts. Christoph von Württemberg (12.5.1515–28.12.1568). Herzog von Württemberg (1550–68) und evangelischer Landesfürst. Übernahm 1550 das Herzogtum, in dem seit 1534 die Reformation durchgeführt worden war, das aber 1548 das Augsburger Interim annehmen mußte (das Reichsgesetz enthielt eine „Zwischenreligion“, die bis zur Entscheidung eines allgemeinen Konzils über die Wiedereingliederung der Protestanten in die Kirche gelten sollte). Es galt, weltliche und kirchliche Ordnungen festzulegen. Für letztere berief er Johannes Brenz als kirchlichen Berater, den er mit der Abfassung der „Confessio Wirtembergica“ beauftragte; diese wurde 1552 dem Konzil von Trient überreicht, aber nicht besprochen, so daß der Herzog das Interim für aufgehoben erklärte und mit der Ordnung des lutherischen Kirchenwesens begann; entscheidend hierfür war u. a. die „Große Kirchenordnung“ (1559), in die neben dem Augsburger Bekenntnis (1530) das württembergische Bekenntnis, seit 1553 bereits geltendes Bekenntnis der württembergischen Kirche, einging. Clemens von Alexandrien (eigentl. Titus Flavius Clemens) (ca. 150–215 n.Chr.). Griechischer Theologe und Kirchenlehrer. Leiter einer Theologen- und Katechetenschule in Alexandrien. Sein Schrifttum umfaßt „Proptrepticus“ (Aufforderung zur Bekehrung zum Christentum), „Paedagogus“ (Einführung von Neugetauften in die christliche Lehre), „Stromata“ („Flickwerk“; über die Vereinbarkeit von griechischer Philosophie und christlichem Glauben), „Quis dives salvetur“ (Homilie über Mk 10,17–31).

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Cobden, Richard (3.6.1804–2.4.1865). Englischer Wirtschaftspolitiker. Als Vertreter eines radikalen Wirtschaftsliberalismus (Manchestertum) 1839 Gründer der „Anti-Corn-Law-League“, die sich für die Abschaffung der Getreidezölle engagierte; 1860 Ausarbeitung eines britisch-französischen Handelsvertrags auf freihändlerischen Grundsätzen, der als „Cobden-Vertrag“ bekannt wurde. Colbert, Jean-Baptiste (seit 1658:) Marquis de Seignelay (29.8.1619–6.9.1683). Französischer Staatsmann und Vertreter des Merkantilismus. Förderer des Handels und Manufakturwesens, seit 1661 Oberintendant der Finanzen, später auch der königlichen Bauwerke, der schönen Künste, der Fabriken und der Marine, 1665 Generalkontrolleur der Finanzen; schuf 1661–72 durch grundlegende administrative, wirtschaftliche und finanzielle Reformen im Inneren die Basis für die Außen- und Kolonialpolitik → Ludwigs XIV. Zur Finanzierung der Hofhaltung und der Kriege des Königs waren er und seine Nachfolger entgegen der Maxime des Merkantilismus gezwungen, die Steuern zu erhöhen (Verdoppelung der Steuer­ einnahmen zwischen 1661 und 1667). Nach ihm wurde das merkantilistische Wirtschaftssystem Frankreichs auch als Colbertismus bezeichnet. Cornelius, Carl Adolf (12.3.1819–10.2.1903). Historiker. Studium in Bonn und Berlin, u. a. bei → Leopold v. Ranke, 1851 Habilitation in Münster; 1854 a.o. Professor ebd., 1855 o. Professor in Bonn, seit 1856 in München. Wissenschaftlicher Par­teigänger → Ignaz v. Döllingers; wurde altkatholisch. 1890–98 Sekretär der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Arbeiten zum Täuferreich und Humanismus in Münster und zu → Calvin (u. a. Bearbeiter des 2. Bandes seines verstorbenen Schülers → Franz Wilhelm Kampschulte über „Johann Calvin“, hg. von Walter Goetz 1899). Court, Pieter de la (1618–28.4.1685). Niederländischer Textilfabrikant und politischer Ökonom. Entstammte einer protestantischen flandrischen Immigrantenfamilie; Mitgründer und Inhaber einer erfolgreichen Textilfirma in Leiden; in den 1660er Jahren Berater von Johan de Witt, dem Ratspensionär von Holland (1653–1672); republikanischer Gegner des Hauses Oranien-Nassau, darum 1672 Flucht, 1673 Rückkehr nach Amsterdam. Nach Hugo Grotius (1583–1645) Begründer des Wirtschaftsliberalismus in den Niederlanden. Hauptwerk: „Inter­ est van Holland“ (1662), das unter dem Namen von Johan de Witt erschien. Cranmer, Thomas (2.7.1489–21.3.1556). Erzbischof von Canterbury und Reformator der englischen Staatskirche. 1523 Dr. theol., 1523–29 Professor für Theologie in Cambridge, Amtsniederlegung in der Überzeugung, daß der päpstliche Supremat dem Willen Gottes widerspreche; 1532 zum Erzbischof von Canterbury ernannt, befürwortete die Ehescheidungen Heinrichs VIII. (1533, 1535 und 1540) und förderte unter dem minderjährigen Thronfolger Edward VI. (reg. 1547–1553) die Ausgestaltung der seit 1534 bestehenden anglikanischen Staatskirche („Book of Common Prayer“, 1549, rev. 1552). Verfaßte eine Vorrede zur „Great Bible“ (1539), einer Revision der Matthew-Bible (1537), die sich aus der Bibelübersetzung von → William Tyndale und Miles Coverdale zusammen-

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setzte. Unter Maria I. Tudor 1553 im Tower inhaftiert, starb als Häretiker auf dem Scheiterhaufen. Cromwell, Oliver (25.4.1599–3.9.1658). Englischer Heerführer und Staatsmann.  1628 Mitglied des Parlaments und 1640–53 des Langen Parlaments; im englischen Bürgerkrieg einer der Führer des königsfeindlichen Lagers gegen die absolutistische Politik → Karls I.; bildete eine von religiöser Überzeugung getragene Kavallerie aus strengen Puritanern („Ironsides“), mit der er 1644 zum Sieg des Parlamentsheeres bei Marston Moor entscheidend beitrug, ebenso mit der „New Model Army“ 1645 bei Naseby; schlug 1649 den 1641 begonnenen irischen Aufstand blutig nieder; betrieb mit dem vom „Rumpfparlament“ gebildeten Gerichtshof die Hinrichtung Karls I. (1649); proklamierte kurz darauf die Republik des „Commonwealth of England“ und wurde erster Vorsitzender des Staatsrats; 1649 Niederwerfung des Aufstands in Irland, wo der Prinz von Wales zum König (→ Karl II.) ausgerufen worden war, 1650 in Schottland, wohin Karl II. geflohen war (3. Sept. 1650 Sieg bei Dunbar über die Schotten, 3. Sept. 1651 Vernichtung des royalistischen Heeres bei Worcester); löste 1653 das Rumpfparlament auf und berief das „Parlament der Heiligen“ (4. Juli. – 12. Dez. 1653); am 16. Dez. 1653 Proklamation einer neuen Verfassung mit Cromwell an der Spitze als „Lord Protector of the Commonwealth of England, Scotland and Ireland“. Trat radikalen Zielen entgegen (gegen die Levellers und → Barebone’s Parliament), verfolgte im allgemeinen zumindest für die Protestanten eine Politik religiöser Toleranz; wegen ständigem Kampf mit dem Parlament zeitweilig Militärdiktatur; außenpolitisch erfolgreich. Dante Alighieri (zwischen Mai/Juni 1265–14.9.1321). Italienischer Dichter. Als Mitglied der Regierung der Stadtrepublik Florenz, die im Hegemonialstreit zwischen Kaiser und Papst den päpstlichen Herrschaftsanspruch von Bonifatius VIII. zugunsten der Unabhängigkeit von Florenz abwies, 1302 verbannt, daraufhin lebenslanges Exil in Ober- und Mittelitalien, zuletzt in Ravenna. Verfasser des allegorischen Lehrgedichtes „La divina commedia“ (entstanden zwischen 1300–1321, erstmals gedruckt 1472). Defoe, Daniel (eigentl. Daniel (= De) Foe) (1660? – 26.4.1731). Englischer Schriftsteller. Ausbildung an einer Akademie für nonkonformistische Pfarrer, wurde jedoch Kaufmann, blieb als solcher erfolglos. Herausgeber von Zeitschriften, darunter „The Review“ (1703–13); schrieb Romane, aber auch politische, soziale und volkswirtschaftliche Abhandlungen. Von der Kirche seiner Zeit forderte er größere Toleranz. Sein erster und bekanntester Roman ist „The life and strange surprizing adventures of Robinson Crusoe“ (1719/20). Deissmann (auch: Deißmann), Gustav Adolf (7.11.1866–5.4.1937). Evangelischer Theologe. 1892 Habilitation in Marburg; 1895–97 Pfarrer und Dozent am Theologischen Seminar Herborn; 1897–1908 o. Professor für Neues Testament in Heidelberg und 1908–34 in Berlin; zahlreiche Vortragsreisen nach England und in die USA. Versuchte, das neutestamentliche Griechisch aus Papyrusfunden und

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Inschriften neu zu erschließen. Gehörte zu den Gründern und Führern der ökumenischen Bewegung; zusammen mit → Albrecht Dieterich Initiator des Heidelberger „Eranos“-Kreises (1. Eintrag 1904), in dieser Zeit kollegiale Beziehungen zu Max Weber. Delbrück, Hans (11.11.1848–14.7.1929). Historiker, Politiker und Publizist. 1873 Promotion zum Dr. phil. in Bonn, 1874–79 Lehrer von Kronprinz Friedrich Wilhelms Sohn Waldemar, 1881 Habilitation in Berlin, 1885 a.o., 1895–1921 als Nachfolger Heinrich v. Treitschkes o. Professor für Geschichte ebd.; 1882–85 MdprAH und 1884–90 MdR für die Deutsche Reichspartei; 1883–1919 Herausgeber der „Preußischen Jahrbücher“. Während der 1890er Jahre war er Mitglied des Aktionskomitees des Evangelisch-sozialen Kongresses, wo er die mittelparteiliche kirchenpolitische Richtung vertrat. Denifle, Heinrich (eigentl. Joseph Denifle, Ordensname: Heinrich Seuse) (16.1. 1846–10.6.1905). Katholischer Kirchenhistoriker. 1861 Eintritt in den Dominikanerorden, 1866 Priesterweihe, 1870–80 Lektor für das Ordensstudium in Graz, anschließend als Generaldefinitor der Dominikaner nach Rom berufen, seit 1883 Unterarchivar im Vatikanischen Archiv. Bedeutend war seine Forschung zur Mystik, weiterhin Arbeiten zur Universitätsgeschichte und zum kirchlichen Verfall im 14. und 15. Jahrhundert; sein scharf formuliertes Werk „Luther und das Luthertum in der ersten Entwicklung quellenmäßig dargestellt“ (1. Band  1904) führte inhaltlich zu Korrekturen in der protestantischen Forschung zum frühen → Luther. Descartes, René (31.3.1596–11.2.1650). Französischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler. 1629 Emigration in die Niederlande, 1649 Reise nach Schweden, wo er verstarb. Methodischer Zweifel an allem, was man zu wissen glaubt, führte ihn zur Einsicht des „Cogito, ergo sum“. Von großem Einfluß auf die neuzeitliche Philosophie. Dexter, Henry Martyn (13.8.1821–3.11.1890). Amerikanischer Kongregationalist. Studium an der Yale University und am Andover Theological Seminary, 1877–79 Dozent an letzterem; Pfarrer kongregationalistischer Gemeinden in Boston und New Hampshire; Herausgeber kongregationalistischer Zeitschriften und Verfasser mehrerer Werke zum Kongregationalismus und seiner Geschichte. Dieterich, Albrecht (2.5.1866–6.5.1908). Klassischer Philologe und Religionswissenschaftler. 1895 a.o. Professor in Marburg, 1897 o. Professor in Gießen, seit 1903 in Heidelberg; Herausgeber des „Archivs für Religionswissenschaft“. Sein Interesse galt der Erforschung des Wesens der Volksreligion und der Genesis des Christentums. Neben → Adolf Deissmann Mitinitiator des Heidelberger „Eranos“-Kreises. Dilthey, Wilhelm (19.11.1833–1.10.1911). Philosoph. Studium der evangelischen Theologie und Philosophie, der klassischen Philologie und Geschichte, 1864

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Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1864 Habilitation ebd.; ab 1867 Professuren für Philosophie in Basel, Kiel, Breslau, 1882–1905 in Berlin. Begründer der Erkenntnistheorie der Geisteswissenschaften, Weiterentwicklung ihrer Methode der Hermeneutik und verstehenden Psychologie. Gehörte zum engeren Freundeskreis von Max Weber sen. Diokletian (Gaius Aurelius Valerius Diocletianus) (gest. 3.12.313 n.Chr.). Römischer Kaiser (284–305). Sicherte die Reichsgrenzen gegen die Germanen und Perser; behielt in der zusammen mit Maximilian, Constantinus I. und Galerius gebildeten Tetrarchie die Oberherrschaft; verantwortlich für eine der schlimm­ sten Verfolgungen der Christen, beginnend mit ihrem Ausschluß aus Heer, Verwaltung und Hof und fortgesetzt durch das Edikt von 303, das zur Zerstörung ihrer Kirchen, Verbrennung von Büchern und Rechtlosigkeit führte, nochmals verstärkt durch ein Edikt von 304, das den Opferkult für die römischen Götter zwingend vorschrieb und bei Nichteinhaltung mit Folter oder Tod drohte; die Repressalien gegenüber den Christen dauerten auch nach Diokletians Abdankung 305 noch bis 311 an. Dionysios von Halikarnaß (ca. 54 v. Chr. – ca. 8 n. Chr.). Griechischer Rhetor und Historiograph. Lebte in der Zeit des Augustus in Rom, verfaßte eine nur teilweise erhaltene Römische Geschichte (Antiquitates Romanae) der Zeit vor dem I. Punischen Krieg (264–241 v.Chr.), die 7 v. Chr. erschien. Dippel, Johann Conrad (10.8.1673–25.4.1734). Pietist, Arzt und Alchemist. Studium der Theologie in Gießen und Straßburg, Lektüre der Schriften → Philipp Jakob Speners, vertrat aber einen radikalen Pietismus; Streitschriften gegen die protestantische Orthodoxie. Später Arzt und Alchemist; Flucht aus Berlin in die Niederlande, dann ins dänische Altona, wegen politischer Kritik Festungshaft auf Bornholm, danach in Schweden, 1729–34 im Wittgensteiner Land. Sein Hauptwerk „Vera Demonstratio evangelica“ (1729) enthält eine Kritik an der orthodoxen Versöhnungslehre: Versöhnt werden müsse nicht Gott, sondern der durch Sünde von Gott geschiedene Mensch. Döllinger, Johann Joseph Ignaz (seit 1860:) von (28.2.1799–10.1.1890). Katholischer Theologe. 1823 Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht am Lyzeum in Aschaffenburg, 1826–90 in München (1847–50 amtsenthoben). 1845– 1847 und 1849–51 Abgeordneter im Bayerischen Landtag, 1848/49 im Frank­ furter Parlament (Wortführer der katholischen Konservativen, Eintreten für eine mit Rom verbundene deutsche Nationalkirche). Zunehmend kritische Haltung gegenüber Rom, unbedingter Gegner des Unfehlbarkeitsdogmas und päpstlichen Jurisdiktionsprimats von 1870, daher im folgenden Jahr exkommuniziert; regte die altkatholischen Bewegung an, trat deren Kirche jedoch nicht bei. Seit 1873 Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Neben einer Vielzahl theologischer Werke veröffentlichte er zusammen mit dem Alt-Katholiken Heinrich Reusch eine „Geschichte der Moralstreitigkeiten in der römisch-katholischen Kirche“ (1889).

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Dostojewskij, F. M.; Tl. (russ.): Dostoevskij, Fëdor Mihajlovicˇ (30.10./11.11.1821– 28.1./9.2.1881). Russischer Schriftsteller. 1849 Verhaftung wegen Mitgliedschaft in einem politischen Geheimbund, Verurteilung zum Tod, Begnadigung zu Zwangsarbeit in Sibirien (1850–54), 1859 Rückkehr nach Rußland als gläubiger Christ und mit sozialistischen Ideen; Wiederaufnahme der literarischen Tätigkeit, wegen Spielschulden und finanziellen Nöten Anfang der 1860er Jahre Auslandsaufenthalte. Öffentliche Anerkennung durch seine Rede zur Einweihung des Puškin-Denkmals in Moskau (1880). Zu seinen großen Romanen gehören „Schuld und Sühne“ (1866), „Der Idiot“ (1868) und „Die Brüder Karamasov“ (1879/80). Dowden, Edward (3.5.1843–4.4.1913). Irischer Literaturwissenschaftler. Seit 1867 Professor für englische Literatur am Trinity College, Dublin, in den 1890er Jahren Gastdozent in Oxford und Cambridge. Verfaßte u. a. kritische Werke zu Shakespeare und eine Biographie des englischen Dichters Percy Bysshe Shelly (1866). Weber zieht seine Schrift „Puritan and Anglican“ (1900) heran. Doyle, John Andrew (14.5.1844–5.8.1907). Englischer Historiker. Seit 1869 Fellow am All Souls College, Oxford. Sein Interesse galt der britischen Kolonialzeit in Nordamerika während des 17. und 18. Jahrhunderts, über die er ein mehrbändiges, von Max Weber konsultiertes Werk schrieb. Dumas, Alexandre (eigentl. A. Davy de la Pailleterie) (24.7.1802–5.12.1870). Französischer Schriftsteller. Lebte seit 1829 als freier Schriftsteller, verschwendete sein Vermögen und starb arm und vergessen; verfaßte ca. 300 Romane, darunter „Les trois mousquetaires“ (1844) und „Le comte de Monte-Cristo“ (1845/46). Eck, Johannes (eigentl. Johannes Mai[e]r/May[e]r aus Eck/Egg) (13.11.1486– 10.2.1543). Katholischer Theologe und Gegner der Reformation.  1508 Priesterweihe in Straßburg, 1510 Promotion zum Dr. theol. in Freiburg, seit 1510 Professor für Theologie in Ingolstadt; 1519 in der Leipziger Disputation Gegner → Luthers und Karlstadts, half der Kurienkommission Papst Leos X. bei der Abfassung der Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ (15. Juni 1520) gegen Luther; legte zum Augsburger Reichstag 1530 in „404 Artikeln“ eine Widerlegung der lutherischen „Irrtümer“ vor und war maßgeblich an der altkirchlichen Erwiderung („Confutatio“) auf die von → Philipp Melanchthon formulierten Augsburger Konfession beteiligt. Seine auf Wunsch Herzog Wilhelms IV. gedruckte deutsche Bibel (1537) umfaßte seine eigene Übersetzung des Alten Testaments und Hieronymus Emsers Übersetzung des Neuen Testaments von 1527. Eger, Karl (18.8.1864–3.7.1945). Evangelischer Theologe. 1892–1900 Pfarrer in Darmstadt; 1900 Promotion zum Dr. theol. in Gießen; 1901 Professor am Predigerseminar in Friedberg (Hessen) und 1907 Direktor ebd., 1913–29 o. Professor für Praktische Theologie und Universitätsprediger in Halle. Seine in Gießen eingereichte Dissertation erschien im selben Jahr vollständig unter dem Titel „Die Anschauungen Luthers vom Beruf“ (1900).

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Eibach, Rudolf (28.12.1841–26.8.1923). Evangelischer Theologe. Seit 1864 verschiedene Pfarrstellen; 1903 Promotion zum Dr. theol. in Marburg, 1908 Geh. Konsistorialrat. Weber zieht einen von ihm verfaßten Aufsatz zur Theologie → John Miltons heran. Elisabeth I. (engl. Elizabeth I.) (7.9.1533–24.3.1603). Königin von England (1558– 1603). Befestigte nach ihrer katholischen Vorgängerin Maria I. Tudor (1653–1658) mit dem „Settlement“ in Form der Supremats- und Uniformitätsakte (1559) die anglikanische Staatskirche; gab 1587 ihre Zustimmung zur Hinrichtung der 1568 von Schottland nach England geflüchteten und zwei Jahre später von Papst Pius V. exkommunizierten Thronrivalin Maria Stuart und konnte dadurch Sturzversuche der katholischen Opposition beenden; entschied 1588 den langjährigen Krieg gegen Spanien durch die Abwehr der spanischen Armada; förderte den Ausbau eines staatlich privilegierten Außenhandels und erste koloniale Gründungen, verbunden mit einer innerstaatlichen, rigorosen Monopolpolitik; Blüte des geistigen Lebens (Shakespeare), Grundlegung der modernen Wissenschaft (→ Francis Bacon). Das Elisabethanische Zeitalter gilt als Epoche großer Stabilität. Erasmus von Rotterdam (seit 1496 gab er sich den Beinamen Desiderius) (27./28.10.1466/1469–12.7.1536). Niederländischer Humanist und Theologe. Lernte in seiner Schulzeit in Deventer die Devotio moderna (spätmittelalterliche Frömmigkeitsbewegung) kennen, 1492 Priesterweihe, 1495–99 Theologiestudium in Paris, selbst Lehrtätigkeit für Grammatik und Rhetorik, 1506–09 in Italien, 1506–14 bei Thomas Morus in London, dort philologische Studien, die zur ersten gedruckten Ausgabe des griechischen Neuen Testaments führten (1516), das die Reformatoren für ihre Bibelübersetzungen benutzten; 1516–36 Kommentare zu den biblischen Büchern und Kirchenvätern, 1518/19 Formulierung eines Reform- und Bildungsprogramms für ein erneuertes Christentum; nach anfänglicher Sympathie mit → Luthers kirchlichen Reformanliegen Streitschriften über die Freiheit des menschlichen Willens („De libero arbitrio“, 1524, und „Hyperaspistes“, 1526, erstere von Luther erwidert mit „De servo arbitrio“, 1525); verließ 1529 das reformierte Basel, wo er seit 1521 gelebt hatte, und ging nach Freiburg i.Br. (zu Vorderösterreich), 1535 Rückkehr nach Basel. Este, Renata und Leonore von → d’Este, Renata und Leonore. d’Este, Leonore (auch: Eleonora) (19.6.1537–19.2.1581). Tochter von Herzog Ercole II. und → Renata d’Este. Adressatin von Gedichten und Widmungen des Dichters Torquato Tasso (1544–1595), auf deren Grundlage vor allem im 18. und 19. Jahrhundert die Annahme verbreitet war, er habe sie geliebt; so etwa in Goethes „Torquato Tasso“. d’Este, Renata (auch: Renée de France, Renata von Ferrara) (25.10.1510– 12.7.1574). Tochter König Ludwigs XII. von Frankreich, seit 1528 Ehefrau von Herzog Ercole II. d’Este, seit 1534 Herzog von Ferrara, Modena und Reggio.

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Sympathisantin des Protestantismus, gewährte verfolgten Calvinisten Zuflucht, darunter → Calvin (1536), mit dem sie korrespondierte. Unharmonische Ehe, auch wegen unterschiedlicher Haltung in der Glaubensfrage. Nach dem Tod ihres Gatten 1559 Rückkehr nach Frankreich, wo sie Protestanten unterstützte. Eines ihrer fünf Kinder war → Leonore d’Este. Faraday, Michael (22.9.1791–25.8.1867). Britischer Physiker und Chemiker. Entdeckungen, u. a. des Benzols (1824) und insbes. auf dem Gebiet der Elektrizität, die später für die Elektroindustrie bedeutsam waren: Nachweis der elektromagnetischen Induktion, die zur Konstruktion des ersten Dynamos führte (1831); Formulierung der Grundgesetze der Elektrolyse (1833/34), daß ein geschlossener, leitfähiger Körper elektrische Abschirmung bewirkt („Faradayscher Käfig“). Firth, Sir Charles Harding (16.3.1857–19.2.1936). Britischer Historiker. Studium in Oxford, 1904 Regius Professor of Modern History ebd., 1913–17 Präsident der Royal Historical Society. Werke zum englischen Bürgerkrieg und Commonwealth (sein Interesse war von → Samuel Rawson Gardiner beeinflußt), darunter etwa „The Clarke Papers“ (4 Bände, 1891–1901) und das von Max Weber zitierte über „Cromwell’s Army“ (1902). Fischer, Karl Heinrich Otto (3.6.1879–22.3.1975). Pädagoge. 1896–99 Besuch des evangelischen Lehrerseminars in Barby, danach Lehrer; 1904 Studium der Philosophie in Berlin, 1905–08 der Philosophie, Psychologie und Pädagogik in Zürich, 1908 Promotion zum Dr. phil. bei Gustav Störring ebd.; seit 1908 Lehrer und 1909–12 Direktor der Deutschen Schule in Valdivia (Chile), seit 1913 an der Deutschen Schule in Santiago de Chile; nach seiner Rückkehr Kreisschulrat in Halle, später Stadtschulrat für das Volksschulwesen der Stadt Berlin. Verfaßte 1907 und 1908 zwei Kritiken zur „Protestantischen Ethik“ Max Webers. Fleischütz, Joseph Andreas (1.12.1735–1785). Jesuit. Ausbildung im Jesuitenorden in Fulda, Studium in Bamberg und Heidelberg; (1772/73?) Hofkaplan des Fürstbischofs von Speyer zu Bruchsal (und möglicherweise 1778–1784 Gemeindepfarrer an der Stiftskirche Unsere Liebe Frau, ebd.). Herausgeber einer deutschsprachigen Bibelübersetzung (6 Bände, 1778–1781, 21787). Fox, George (Juli 1624–13.1.1691). Gründer der „Religious Society of Friends“ (Quäker). Schaf- und Viehzüchter, 1643–46 Wanderleben; sammelte nach Offenbarungserlebnis Gleichgesinnte um sich, die seine radikale religiöse Überzeugung teilten; 1649 erstes öffentliches Auftreten, seit 1652 Niederlassung in Swarthmoor Hall, von wo er Wanderprediger aussandte; in den 1660er Jahren beginnende Organisation, 1670–73 Missionsreise nach Westindien und Nordamerika, 1677 nach Holland und Deutschland. Zwischen 1650 und 1674 wegen unerlaubten Kultus mehrfach inhaftiert. Im Mittelpunkt seiner Verkündigung steht die Überzeugung, daß das „innere Licht Christi“ verläßlicher Lehrer und Wegweiser sei.

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Franck, Sebastian (ca. 1500–1542). Spiritualistischer Schriftsteller, Drucker und Verleger. Studium der Theologie in Ingolstadt und Heidelberg, Priester im Bistum Augsburg, seit etwa 1525 evangelischer Prediger bei Nürnberg; seit etwa 1528 Kontakt zu religiösen Schwärmern; 1530 (oder 1531) in Straßburg, nach Ausweisung unstetes Leben; seit 1535 in Ulm eigene Buchdruckerei, nach Ausweisung 1539 als Buchdrucker in Basel; 1540 wird seine spiritualistische Auffassung, Gotteserkenntnis sei durch Suche in sich selbst zu gewinnen, von protestantischen Theologen verurteilt. Verfaßte u. a. eine „Chronica“ (1531), eine Weltgeschichte mit Kritik an der Kirche, inkl. einer Ketzerchronik, in die er → Erasmus einreihte. Francke, August Hermann (22.3.1663–8.6.1727). Hauptvertreter des Halleschen Pietismus. Studium in Erfurt, Kiel und Leipzig, 1685 Magister der Theologie mit einer Arbeit zur hebräischen Sprache in Leipzig, dort gründet er das „Collegium Philobiblicum“, einen Kreis zur Bibelauslegung im Sinne → Speners; 1687 hatte er ein Bekehrungserlebnis; seit 1689 Dozent an der Universität Leipzig, wo er „erweckte“ (pietistische) Studenten anzog, wurde deshalb 1690 aus der Stadt ausgewiesen; durch Speners Einfluß als Berliner Konsistorialrat und Propst von St. Nicolai auf die kirchliche Stellenbesetzung seit 1692 Pfarrer in Glaucha und Professor für Griechisch und orientalische Sprachen in Halle, 1698 Professor der Theologie ebd. und 1715 Pfarrer an St. Ulrich; dort gründete und leitete er die nach ihm benannten „Franckeschen Stiftungen“, Erziehungsanstalten für Kinder und Jugendliche unterschiedlicher sozialer Herkunft, verbunden mit Armenschule und Waisenhaus, die sich seit 1698 durch angegliederte „erwerbende Betriebe“ (Buchdruckerei, Apotheke u. a.) selbst finanzierten und denen seit 1706 die Missionsorganisation (Dänisch-Hallesche Mission) sowie die 1710 gegründete Cansteinsche Bibelanstalt angegliedert waren. Franklin, Benjamin (17.1.1706–17.4.1790). Amerikanischer Unternehmer und Staatsmann. Zunächst Buchdrucker, erfolgreich mit der „Pennsylvania Gazette“ (seit 1729) und dem „Poor Richard’s Almanack“ (1732–57); 1751–64 im Abgeordnetenhaus von Pennsylvania, 1757–62 und 1764–75 als Agent Pennsylvanias und weiterer Kolonien in London; unterzeichnete 1776 die amerikanische Unabhängigkeitserklärung; 1776–85 als Gesandter in Frankreich; 1787 Unterzeichner der amerikanischen Verfassung. Auf wissenschaftlichem Gebiet Experimente zur Elektrizität, Erfinder des Blitzableiters (1752). Verfasser zahlreicher Essays und Satiren und einer Autobiographie („Memoirs of the life and writings of B. Franklin“, 1771–1790). Max Weber erhielt zu Weihnachten 1875 von dem Deutschamerikaner Friedrich Kapp eine deutsche Ausgabe mit Widmung geschenkt. Franz(iskus) von Assisi (eigentl. Giovanni Battista di Bernardone) (1181/82– 3.10.1226). Ordensstifter. Der Sohn eines reichen Tuchhändlers zog sich bereits in jungen Jahren vom gesellschaftlichen Leben zurück und widmete sich der Pflege Aussätziger, verzichtete auf familiäres Erbe und Besitz, lebte in freiwilliger, radikaler Armut, fand bald zahlreiche Gefolgschaft; 1209 (oder 1210) ließ er die Lebensform der Bruderschaft (genannt pauperes/fratres minores) vom Papst genehmigen, worauf sich in Italien, später in ganz Europa, franziskanische Bru-

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derschaften bildeten. In den letzten Jahren schwer krank, entglitt ihm die Leitung der größer werdenden Bruderschaft, aus der 1223 mit päpstlicher Bestätigung der Franziskaner-Orden hervorging, der seine Mitglieder zur Armut verpflichtete (Bettelorden). 1228 heiliggesprochen. Freytag, Gustav (13.7.1816–30.4.1895). Schriftsteller und Publizist. 1839 Habilitation für deutsche Sprache und Literatur in Breslau, lebte als freier Schriftsteller in Dresden, Leipzig und Gotha, 1848–61 und 1867–70 Mitherausgeber der Zeitschrift „Die Grenzboten“, die sich an das national-liberale Bürgertum wandte. 1867–70 Abgeordneter des Norddeutschen Reichstags für die Nationalliberale Partei. Bis heute gelten seine „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“ (5 Bände, 1859–1867) als wichtiger Beitrag zur Kulturgeschichte. Friedrich Heinrich, Prinz von Oranien, Graf von Nassau (29.1.1584–14.3.1647). Sohn → Wilhelms I. von Oranien, seit 1625 Statthalter der Niederlande; legte mit seinen militärischen Eroberungen (s’Hertogenbosch, Maastricht, Breda) im Kampf gegen Spanien die Grenze der Republik nach dem Frieden von Münster (1648) fest. Während seiner Regierung wirtschaftlicher Aufschwung des Landes. Friedrich Wilhelm I. (14.8.1688–31.5.1740). König von Preußen (seit 1713), Kurfürst von Brandenburg, bekannt als „Soldatenkönig“. Schuf durch ein rigoroses Kabinettsregiment vor allem in der Verfassungs- und Verwaltungspolitik (Verwaltungszentralisierung u. a.) die Voraussetzungen für den machtpolitischen Aufstieg Preußens; baute ständische Vorrechte weiter ab und leitete Maßnahmen zur Bauernbefreiung ein; förderte die Wiederbesiedlung der durch die Pest verödeten Gebiete Ostpreußens; betrieb Wirtschaftslenkung im Sinne des Merkantilismus; ließ sich von → August Hermann Francke von dessen Halleschen Anstalten überzeugen; unter ihm konnte sich der Pietismus in Brandenburg-Preußen entfalten. Friedrich Wilhelm IV. (15.10.1795–2.1.1861). König von Preußen (1840–1858). Getragen von einer romantischen Staatsauffassung und dem Gottesgnadentum, wies er die ihm von der Frankfurter Nationalversammlung zugedachte Kaiserkrone zurück; die Preußen aufoktroyierte Verfassung von 1848, konservativ revidiert 1850, festigte seine Machtposition. Fruin, Robert Jacobus (14.11.1823–29.1.1899). Niederländischer Historiker. Studium der klassischen Philologie, Gymnasiallehrer; 1860–94 Professor für niederländische Geschichte in Leiden. Arbeiten über die Zeit des niederländischen Unabhängigkeitskriegs. Fugger, Jakob II., der Reiche, (seit 1514:) Reichsgraf (6.3.1459–30.12.1525). Augsburger Handelsherr und Bankier. Baute das Familienunternehmen zum größten europäischen Bankhaus der Zeit aus; Bankier der Päpste, der römischen Kurie, Kaiser Maximilians I. und Karls V., dessen Wahl zum römischen König er 1519 finanzierte; errichtete ein Kupfermonopol in Europa, das er zusammen mit dem Krakauer Kaufmann Johann Thurzo d.Ä. (1437–1508) besonders in Ungarn

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ausbeutete; 1519 Gründung der „Fuggerei“ in Augsburg, einer Siedlung für in Not geratene Bürger. Gardiner, Samuel Rawson (4.3.1829–23.2.1902). Englischer Historiker. 1851 Bachelor und 1884 Magister in Oxford, 1872 Lecturer, seit 1877 Professor of Modern History am King’s College, London. Widmete sich v. a. der englischen Geschichte des 17. Jahrhunderts, dazu intensives kritisches Quellenstudium. Werke: „History of England from the Accession of James I to the Outbreak of the Civil War, 1603–1642“ (10 Bände, 1883/84), „History of the Great Civil War, 1642–1649“ (4 Bände, 1886–1891), „History of the Commonwealth and Protectorate, 1649–1660“ (3 Bände, 1894–1901), „Constitutional Documents of the Puritan Revolution“ (1889), „Oliver Cromwell“ (1899). Gebhardt, Hermann (22.7.1824–28.4.1899). Evangelischer Pfarrer. 1869–96 Landpfarrer in der thüringischen Gemeinde Molschleben, 1896 Kirchenrat. Veröffentlichte 1885 anonym die Schrift „Zur bäuerlichen Glaubens- und Sittenlehre“ (21890, 31895). Gerhard, Johann (17.10.1582–17.8.1637). Lutherischer Theologe. Studium der Medizin in Wittenberg, der Theologie in Jena und Marburg, 1606 Dr. theol. in Jena; Superintendent in Heldburg, 1615 Generalsuperintendent in Coburg; 1616 Professor für Theologie in Jena. Gilt als bedeutender Theologe der lutherischen Orthodoxie. Hauptwerk: „Loci theologici“ (9 Bände, 1610–1622, Neubearbeitung der ersten vier Loci 1625). Gerhardt, Paul (12.3.1607–7.6.1676). Evangelischer Lieddichter. 1628 Studium der Theologie in Wittenberg; kam vermutlich 1643 als Hauslehrer nach Berlin, 1651–57 Pfarrer in Mittenwalde, 1657 an der Berliner Nikolaikirche, 1669 in Lübben. Seine nachgewiesenen 15 lateinischen und 138 deutschen Gedichte und Lieder fielen in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, davon finden sich noch heute 26 im Stammteil des „Evangelischen Gesangbuchs“, darunter „O Haupt voll Blut und Wunden“, „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“, „Befiel du deine Wege“. Gladstone, William Ewart (29.12.1809–19.5.1898). Britischer Politiker und Staatsmann. Seit 1832 Mitglied des Unterhauses; 1843–45 Handelsminister, 1845–46 Kolonialminister, mehrfach Schatzkanzler. Wechselte 1859 von den Konservativen zu den Liberalen; viermal britischer Premierminister: 1868–74, 1880–85, Febr. – Juli 1886 und 1892–94. Seine erste Regierungszeit war von einer liberalen Gesetzgebung geprägt, die Außenpolitik an Freihandelsidealen orientiert, die späteren Kabinette durch eine liberale Irlandpolitik, die zweite Amtszeit insbesondere durch den Aufstand der Buren in Transvaal, den Aufstand in Ägypten und das Auftreten des Mahdı¯ im Suda¯n bestimmt. Goodwin, Thomas (5.10.1600–23.2.1680). Englischer Puritaner. Studium in Cambridge, seit 1625 Lizenz als Universitätsprediger, 1628 Lecturer an der Trinity

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Church ebd. Seit 1624 Kongregationalist, 1639 Flucht nach Arnheim, Niederlande; 1640 Rückkehr nach England, dort 1643–46 Mitglied und Anführer der Dissenters in der „Westminster Assembly“; 1650–60 Präsident des Magdalen College, Oxford; 1656–58 Kaplan → Oliver Cromwells; zusammen mit anderen Ausarbeitung der „Savoy Declaration“ für die kongregationalistischen Kirchen (1658). Lebte nach der Restauration 1660 in London als Prediger, Seelsorger und Verfasser religiöser Traktate. Gothein, Eberhard (29.10.1853–13.11.1923). Nationalökonom, Finanzwissenschaftler und Kulturhistoriker. 1877 Promotion zum Dr. phil. bei → Wilhelm Dilthey in Breslau, 1879 Habilitation ebd., 1882 Umhabilitation in Straßburg; 1884 o. Professor für Nationalökonomie an der TH Karlsruhe, 1890 in Bonn, 1904–23 als Nachfolger Max Webers in Heidelberg. Mitbegründer der Handelshochschulen Köln (1901) und Mannheim (1909). Arbeiten zur Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts, darunter eine „Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes“ (1892), und zur Kulturgeschichte der Renaissance und Gegenreformation. Mitglied im Heidelberger „Eranos“-Kreis; gehörte mit seiner Frau Marie Luise Gothein zum engeren Bekanntenkreis Max Webers in Heidelberg. Gröber, Adolf (11.2.1854–19.11.1919). Zentrumspolitiker. 1887–1919 MdR, 1917– 1919 Vorsitzender der Zentrumsfraktion im Reichstag, 1919 in der Weimarer Nationalversammlung; 1889–1919 Mitglied der Württembergischen 2. Kammer. 1896 Präsident des Katholikentags in Dortmund, 1906 in Essen. Groen van Prinsterer, Guillaume (21.8.1801–19.5.1876). Niederländischer Staatsmann und Publizist. 1823 Promotion im Fach klassische Philologie sowie zum Dr. jur., 1827 Referendar; 1829 Sekretär des königlichen Kabinetts, 1833–66 Direktor des königlichen Hausarchivs und Herausgeber der „Archives ou Correspondance inédite de la maison d’Orange-Nassau“ (13 Bände, 1835–1861); 1849–1857 und 1863–1865 „antirevolutionäres“ Mitglied der 2. Kammer. Nach Berührung mit der niederländischen Erweckungsbewegung („Réveil“) Bekenntnis eines persönlichen, calvinistischen Glaubens, den er später als „christlich-historisch“ bezeichnete. Sah sich in seinem Kampf gegen den Liberalismus und im Einsatz für die Unabhängigkeit kleiner Staaten als konservativer Gesinnungsgenosse von → Friedrich Julius Stahl und Karl Ludwig v. Haller. Verfaßte ein vierbändiges „Handboek der Geschiedenis van het Vaderland“ (1846). Hals, Frans (um 1582/83–26.8.1666). Holländischer Maler. Sohn eines aus Antwerpen emigrierten Tuchmachers, lebte in Haarlem, gehörte dort seit 1610 der Lukasgilde an. Wertschätzung durch das Haarlemer Großbürgertum, wie lebenslange Aufträge zeigen; zuletzt von diesem finanziell unterstützt. Ausbildung des Haarlemer Genrebilds; Porträts, Familien- und Gruppenbilder; seine „fünf Schützenstücke“ positionieren die Mitglieder der Haarlemer Schützengilde nach ihrem sozialen Rang. Gilt als einer der bedeutendsten holländischen Porträtmaler des 17. Jahrhunderts.

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Hanmer, Mary (gest. Januar 1661). Schwiegermutter von → Richard Baxter, die er durch seine Begräbnisrede „Last work of a believer“ (in: Baxter, Works of the English Puritan Divines IV) ehrte. Harnack, Adolf (seit 1914:) von (7.5.1851–10.6.1930). Evangelischer Theologe. 1873 Promotion zum Lic. theol. in Leipzig, 1874 Habilitation für Kirchengeschichte ebd.; 1876 a.o. Professor ebd., 1879 o. Professor in Gießen, 1886 in Marburg und 1888–1921 (trotz massiven Widerstandes kirchlich-konservativer Kreise gegen seine Berufung) o. Professor in Berlin.  1890 Mitbegründer des Evangelisch-sozialen Kongresses und 1903–11 dessen Vorsitzender; 1905–21 Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek; Initiator und erster Präsident der 1911 ins Leben gerufenen „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“ zur Förderung der Wissenschaften. Er trat für eine historische Betrachtung des Christentums mit dem Ziel ein, den Kern des Evangeliums aufzuzeigen. Deshalb problematisierte er auch die kirchliche Dogmenbildung als hellenistische Überfremdung der Botschaft Jesu Christi, der lediglich relative Bedeutung zukomme. In seinen Vorlesungen über das „Wesen des Christentums“ (1899/1900) entdogmatisierte er die christliche Botschaft zugunsten ihres ethischen Gehaltes. Aus seinem Schülerkreis (u. a. Martin Rade) entstand 1886/87 die „Christliche Welt“. Gilt als klassischer Vertreter der liberalen Theologie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts; bedeutend auch als Wissenschaftsorganisator. Hasbach, Wilhelm (25.8.1849–30.4.1920). Nationalökonom. 1875 Promotion in Tübingen, 1884 Habilitation in Greifswald; 1887 a.o. Professor ebd., 1888 in Königsberg, 1893–1906 o. Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften in Kiel. Arbeiten zu Methodenfrage im Bereich der Nationalökonomie sowie nach seiner Emeritierung zu politikwissenschaftlichen Themen. Hastings, Selina, Countess of Huntingdon (24.8.1707–17.6.1791). Englische Methodistin. Seit 1739 dem Methodismus um → John Wesley zugehörig, wandte sich 1748 dem calvinistischen Zweig um → George Whitefield zu. Suchte die Adeligen ihrer Salons mit der englischen Erweckungsbewegung in Berührung zu bringen; ließ Kapellen errichten und verpflichtete privat Kapläne, richtete 1768 in Trevecca ein Ausbildungsseminar ein; unterhielt weitreichende Kontakte. Ihre Anhänger formten seit 1781 die religiöse Gemeinschaft der „Countess of Huntingdon’s Connexion“. Heidegger, Johann Heinrich (1.7.1633–18.1.1698). Schweizer reformierter Theologe. Studium in Zürich, Marburg und Heidelberg; seit 1659 Professor für Theologie an der Akademie Steinfurt (Westfalen), Kontakte mit Johannes Coccejus, 1665 Rückkehr nach Zürich, seit 1667 Lehrstuhl für Exegese und Dogmatik ebd. Vertreter der reformierten Spätorthodoxie und einer maßvollen Föderaltheologie, die den Bundesgedanken Gottes mit dem Menschen in den Vordergrund stellt. Hellpach, Willy (26.2.1877–6.7.1955). Psychologe, Nervenarzt und Politiker. Studium der Medizin und Philosophie, Mitarbeit in → Wilhelm Wundts Institut für

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Experimentalpsychologie, 1900 Promotion zum Dr. phil. bei Wundt in Leipzig und 1903 zum Dr. med. bei Emil Kraepelin in Heidelberg, 1904 Nervenarzt in Karlsruhe, 1906 Habilitation für Psychologie in Heidelberg, Privatdozent in Karlsruhe; seit 1911 a.o. (Titular-)Professor ebd., 1920 o. Professor und Direktor des Instituts für Sozialpsychologie an der TH Karlsruhe, 1926 o. Honorar-Professor in Heidelberg. Weber stand seit Ende März 1905 mit Hellpach in akademischem Briefwechsel, wirkte informell auf eine Beschleunigung seines Habilitationsverfahrens hin und kannte seine „Grundlinien einer Psychologie der Hysterie“ (1904) durch intensive Lektüre. Henry, Matthew (18.10.1662–22.6.1714). Englischer Presbyterianer. Seit 1687 Pfarrer der presbyterianischen Gemeinde in Chester, seit 1712 in Hackney, London. Bekannt durch einen Bibelkommentar („Exposition of the Old and New Testament“, 1708–1710). Weitere Schriften sind in den von Weber herangezogenen „Works of the English Puritan Divines“ enthalten und zeigen seine praktische Frömmigkeit. Heppe, Heinrich (30.3.1820–25.7.1879). Reformierter Theologe. 1844 Promotion zum Dr. phil., 1845 Lic. theol., 1845 Pfarrverweser an St. Martini in Kassel; 1849 Privatdozent, 1850 a.o. Professor in Marburg, erst 1864 (wegen Konflikten mit seinem konfessionell-lutherischen, anfangs sehr geschätzten Kollegen August Vilmar über Entstehung und Bekenntnis der kurhessischen Kirche) o. Professor für Dogmatik reformierter Konfession ebd. Betonte die Vielfältigkeit reformatorischer Theologie und Frömmigkeit im 16. Jahrhundert, darum auch Eintreten für die Union von Lutheranern und Reformierten. Arbeiten zur Geschichte der reformierten Theologie und Kirche. Hertling, Georg Friedrich Freiherr (seit 1914: Graf) von (31.8.1843–4.1.1919). Katholischer Philosoph und Politiker. 1867 Privatdozent in Bonn, 1880 (verzögert durch den Kulturkampf) a.o. Professor ebd., 1882 o. Professor für Philosophie in München.  1876 Mitgründer der „Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland“ und 1876–1919 deren Präsident. 1875–1900 und 1903–12 MdR für das Zentrum; 1912 bayerischer Ministerpräsident, 1917/18 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident. Thematisierte um die Jahrhundertwende das katholische Bildungsdefizit in Deutschland; setzte sich für Freiheit der Wissenschaft und Parität der Katholiken ein. Hoennicke, Gustav (11.9.1871–17.7.1938). Evangelischer Theologe. 1897 Dissertation in Geschichte in Halle, 1900 theologische Dissertation in Berlin („Studien zur altprotestantischen Ethik“, 1902), 1903 Habilitation im Fach Neues Testament; seit 1913 o. Professor für neutestamentliche Exegese und Theologie in Breslau. Hooker, Richard (1554–2.11.1600). Anglikanischer Theologe. Studium am Corpus Christi College in Oxford, seit 1577 Fellow ebd.; seit 1581 Pfarrer in London und seit 1585 Hauptpfarrer an der Temple Church ebd., dort Auseinandersetzung mit seinem Kollegen Walter Travers über die Verfaßtheit der Church of England,

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gegen das von diesem vertretene reformierte Kirchenmodell verteidigte Hooker erfolgreich die bischöfliche Amtsstruktur, so daß Travers 1586 weichen mußte. Arbeitete nach seinem Rückzug 1591 an dem Werk „Of the Laws of Ecclesiastical Polity“ (5 Bände, 1593–1597, Bände 6–8 postum), das Kriterien und Normen für die anglikanische Kirchenverfassung gegen die puritanischen Forderungen der Zeit aufstellt und die bestehende königliche Suprematie sowie die Einheit von Staat und Kirche rechtfertigt. Hoops, Johannes (20.7.1865–14.4.1949). Anglist und Altertumswissenschaftler. 1889 Promotion zum Dr. phil. in Freiburg i.Br.; 1894 a.o. Titular-Professor in Tübingen, 1895 Habilitation ebd., 1896 etatmäßiger a.o. Professor in Heidelberg, 1902–34 o. Professor für Englische Philologie ebd.; 1910 Geheimer Hofrat, Lehrauftrag für Germanische Altertumskunde. Seit 1898 Herausgeber der „Englischen Textbibliothek“ und seit 1899 der „Englischen Studien“ sowie des „Reallexikons der Germanischen Altertumskunde“ (4 Bände, 1911–1919). Mitglied des Heidelberger „Eranos“-Kreises. Hoornbeek, Johannes (4.11.1617–1.9.1666). Niederländischer reformierter Theologe. Nach dem Studium der Theologie in Leiden 1639–43 Pfarrer in Mülheim am Rhein, 1643 Promotion zum Dr. theol. bei → Gisbert Voet in Utrecht; 1644 Professor ebd., 1645 Pfarrer ebd., seit 1654 Professor in Leiden. Theologischer Gegner seines Kollegen Johannes Coccejus und dessen Rezeption cartesianischer Gedanken (→ Descartes); verband stattdessen seine Gelehrsamkeit mit praktischer Frömmigkeit im christlichen und kirchlichen Leben. Dies zeigt insbesondere seine „Theologia pracitica“ (2 Bände, 1663). Howe, John (17.5.1630–2.4.1705). Englischer Puritaner. Studium in Cambridge und Oxford; 1656–59 Kaplan → Oliver Cromwells; mit der Uniformitätsakte 1662 schied er aus der Staatskirche aus, danach freier Prediger, seit 1670 Hauskaplan in Irland, seit 1675 Prediger in einer Nonkonformistengemeinde in London, vorübergehend 1685–87 in Utrecht. Seit 1672 Eintreten für die Vereinigung von Presbyterianern und Kongregationalisten mit kurzfristigem Erfolg (1690–94) und 1700 für die Teilnahme von Nonkonformisten am Gottesdienst und Abendmahl der Staatskirche (1702 eingestellt), darüber Konflikt mit → Daniel Defoe. Verfasser zahlreicher puritanischer Schriften, Auswahl in den von Weber benutzten „Works of the English Puritan Divines“. Hundeshagen, Karl Bernhard (30.1.1810–2.6.1872). Theologe reformierter Herkunft. 1834 a.o., 1845 o. Professor für Exegese und Kirchengeschichte in Bern, 1847 in Heidelberg, 1867 in Bonn. Sein Interesse galt der geschichtlichen Entwicklung der evangelischen Kirchenverfassung, dem Verhältnis von Staat und Kirche und dem als reformbedürftig empfundenen Zustand des zeitgenössischen Protestantismus; befürwortete die Selbständigkeit der Kirche im Nationalstaat. Sein Hauptwerk „Beiträge zur Kirchenverfassungsgeschichte und Kirchenpolitik, insbesondere des Protestantismus“ (1864) schließt die Frage nach Herkunft und

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Bedeutung der Konfessionsunterschiede und Frömmigkeit von Lutheranern und Reformierten ein. Lady Huntingdon → Hastings, Selina, Countess of Huntingdon. Hutchinson, Sir John (getauft am 18.9.1615–11.9.1664). Englischer Staatsmann. Seit 1643 in der Parlamentsarmee; 1646–53 und 1659/60 Parlamentsabgeordneter, unterschrieb als Mitglied des hohen Gerichts Ende 1648 zusammen mit 38 anderen das Hinrichtungsurteil → Karls I.; nach der Restauration 1660 Verlust der öffentlichen Ämter; 1653 wegen Konspirationsverdacht inhaftiert und in der Haft verstorben. Max Weber erwähnt die von seiner Eherfrau Lucy (1620–1681) verfaßte Lebensbeschreibung „Memoirs of the Colonel Hutchinson“. Ignatius von Loyola (eigentl. Don Íñigo López Oñaz y Loyola) (23.10.1491– 31.7.1556). Begründer des Jesuitenordens (Societas Jesu). Entstammte einer baskischen Adelsfamilie, erhielt eine höfische Erziehung und wählte die Offizierslaufbahn; wandte sich nach einer Verwundung bei der Verteidigung Pamplonas 1521 religiösen Studien zu; als Büßer im Kloster Montserrat, dann Manresa; begann 1522 mit der schrittweisen Ausarbeitung der „Exercitia spiritualia“, einer methodischen Handreichung vierwöchiger intensiver Meditationen, die für den Orden maßgeblich wurden; nach spirituellen Erfahrungen und Palästinawallfahrt 1526/27 Studium der Artes liberales an den Universitäten Alcalá und Salamanca, seit 1528 der Theologie und Philosophie in Paris und Venedig; 1537 Priesterweihe, danach in Rom systematischer Aufbau des Jesuitenordens; 1541 General des Ordens und 1548–50 Vollendung der Ordensregeln; 1622 heiliggesprochen. Irving, Washington (3.4.1783–28.11.1859). Amerikanischer Schriftsteller. Langjährige Europaaufenthalte, v. a. in England und Spanien; schrieb stimmungsvolle Essays, Satiren und Biographien; gilt als Begründer der amerikanischen Kurzgeschichte. Eine seiner bekannten und von Max Weber zitierten Sammlungen ist „Bracebridge Hall“ (1822). Jacoby, Ludwig Sigismund (21.10.1813–20.6.1874). Mitbegründer der methodistischen Kirche in Deutschland. In Deutschland jüdisch erzogen, war er in den 1840er Jahren führend in der Methodist Episcopal Church in den USA tätig; lebte von 1849–72 in Bremen und widmete sich dem Aufbau der methodistischen Kirche. Verschiedene Werke zum Methodismus, darunter das von Max Weber benutzte „Handbuch des Methodismus“ (1853). Jaffé, Edgar (14.5.1866–29.4.1921). Kaufmann und Nationalökonom. 1888–98 kaufmännischer Teilhaber der von seinem Vater gegründeten Textilexportfirma in Manchester; 1902 Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg, 1904 Habilitation ebd.; 1909 a.o. (Titular-)Professor ebd., 1910 o. Professor für Geld- und Kreditwesen an der Handelshochschule München; 1914 wissenschaftlicher Sachverständiger beim Generalgouvernement in Brüssel; Nov. 1918 bis März 1919 Finanzminister von Bayern im Kabinett Eisner. Seit 1904 mit → Werner Sombart und Max Weber

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Herausgeber des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“, dessen Eigentümer er war. Seit 1902 mit Elsé Jaffé, geb. von Richthofen, verheiratet und zum Freundeskreis von Max und Marianne Weber gehörend. Jakob I. (engl. James I.) (19.6.1566–27.3.1625). König von England und Irland (seit 1603), als James VI. König von Schottland (seit 1567). Nachfolger → Elisabeths I. Stützte sich gegenüber den Puritanern, die eine Kirchenreform erhofften, auf die anglikanische Staatskirche und ihre Episkopalverfassung; keine Aussöhnung mit den Katholiken. Das 1617 für Lancashire und 1618 für ganz England ausgegebene „Book of Sports“ lockerte die von den Puritanern geforderte strenge Sonntagsheiligung. Die von ihm 1611 autorisierte Bibelübersetzung wird auch als „King James Version“ bezeichnet. James, William (11.1.1842–26.8.1910). Amerikanischer Philosoph und Psychologe. Seit 1872 Professor an der Harvard University, zunächst für Anatomie und Physiologie, dann Psychologie, schließlich Philosophie. Nach ihm sollte die innere Erfahrung mit der Exaktheit der Beobachtung in der Außenwelt beschrieben werden, während die Psychologie nach Erklärungen suchen sollte, die in ihrer Beschreibung nie absolut sein könnten (a posteriori-Metaphysik). Gilt als Begründer der amerikanischen experimentellen Psychologie und zusammen mit Charles Sanders Peirce als Begründer des amerikanischen Pragmatismus. Max Weber lernte James auf seiner USA-Reise 1904 persönlich kennen und schätzte sein Buch „The Varieties of Religious Experience“. Janeway, James (1636–16.3.1674). Englischer Puritaner. Nach dem Studium in Oxford Privatlehrer; 1665 infolge der Uniformitätsakte (1662) Prediger einer nonkonformistischen Gemeinde in London, die ihm 1672 als damals sehr bekanntem puritanischen Prediger ein eigenes Versammlungshaus in Rotherhithe, Surrey (heute Greater London), baute. Einige seiner Schriften enthält die von Weber benutzte Sammlung „Works of the English Puritan Divines“. Jellinek, Georg (16.6.1851–12.1.1911). Staats- und Völkerrechtler. 1872 Promotion zum Dr. phil. in Leipzig, 1874 zum Dr. jur. in Wien, 1874–76 Tätigkeit im österreichischen Verwaltungsdienst, 1879 Habilitation und Privatdozent für Rechtsphilosophie, 1882 auch für allgemeines Staats- und Völkerrecht in Wien; 1883 etatmäßiger a.o. Professor ebd., 1889 o. Professor in Basel, 1891–1911 für Staatsrecht, Völkerrecht und Politik in Heidelberg. Leitete mit seinem philosophischen und rechtsvergleichenden Forschungsansatz eine Neuorientierung der positivistischen Staatsrechtslehre in Deutschland ein und stand seit Mitte der 1890er Jahre in engem wissenschaftlichen und persönlichen Kontakt mit Max Weber, dessen Werk er in nicht unerheblichem Maße beeinflußte, insbesondere durch seine „Allgemeine Staatslehre“ (1900), aber auch durch seine Studie „Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ (1895). Mitglied des Heidelberger „Eranos“-Kreises.

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Jülicher, Adolf (26.1.1857–3.8.1938). Evangelischer Theologe und Kirchenhistoriker. 1875–80 Studium der Theologie in Berlin, u. a. bei Otto Pfleiderer, 1880 Promotion in Halle, 1886 Lic. theol. in Berlin, 1887 Privatdozent ebd.; 1888 a.o. Professor in Marburg, 1889–1923 o. Professor für Neues Testament und Kirchengeschichte ebd. Begründer der modernen Gleichnisforschung, indem er historisch-kritisch zwischen den Allegorien der Evangelien und den auf einen Vergleichspunkt hinauslaufenden Gleichnissen Jesu unterschied („Die Gleichnisreden Jesu“, 2 Teile, 1886–1899). Kampschulte, Franz Wilhelm (12.11.1831–3.12.1872). Historiker. 1856 Promotion in Bonn; seit 1861 o. Professor ebd. (auf Betreiben des preußischen Kultusmini­ steriums, das ein konfessionell ausgewogenes Verhältnis der Bonner Professuren anstrebte, ohne Zustimmung der Fakultät). Der gläubige Katholik gehörte nach dem 1. Vaticanum zum Kreis um → Ignaz v. Döllinger. Arbeiten zum Humanismus und zur Reformationsgeschichte, die er in Diskontinuität sah; verfaßte die erste Calvin-Biographie nach historisch-kritischer Methode (1. Band 1869, 2. Band 1899 aus dem Nachlaß hg.). Karl I. (engl. Charles I.) (19.11.1600–30.1.1649). König von England, Schottland und Irland (seit 1625). Sohn von → Jakob I., aus dem Hause Stuart. Während seiner Regierungszeit spitzte sich der Kampf zwischen Krone und Parlament zu; mußte 1628 die „Petition of Right“ annehmen, regierte 1629–40 ohne Parlament; setzte die antipuritanische Politik seines Ratgebers Erzbischof William Laud (1573–1645, seit 1633 Erzbischof von Canterbury) durch, strebte andererseits nach Versöhnung der anglikanischen mit der katholischen Kirche; berief 1640 zur Finanzierung seiner religionspolitisch motivierten Kämpfe in Schottland das „Lange Parlament“ ein, das ihm Zugeständnisse und Beschränkungen der königlichen Macht abforderte. Die Spannungen führten 1642 zum Ausbruch des Bürgerkriegs, der mit der Niederlage der königlichen Truppen endete. 1649 auf Betreiben → Oliver Cromwells durch das Parlament des Hochverrats angeklagt und hingerichtet. Karl II. (engl. Charles II.) (29.5.1630–6.2.1685). König von England, Schottland und Irland (seit 1660). Sohn → Karls I. Flüchtete während des Bürgerkriegs 1646 nach Frankreich. Sein Versuch, von Schottland aus England zurückzugewinnen, endete 1651 mit der Niederlage gegen → Oliver Cromwell. Gelangte durch die Restauration 1660 auf den englischen Thron. Kautsky, Karl (16.10.1854–17.10.1938) Deutsch-österreichischer sozialdemokratischer Politiker, Publizist und Theoretiker. Studierte an der Universität Wien Geschichte, Nationalökonomie und Philosophie ohne förmlichen Abschluß; 1875 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei in Wien; 1885–90 Aufenthalt in London als Privatsekretär von Friedrich Engels; 1883–1917 Mitbegründer und Chefredakteur der sozialdemokratischen Zeitschrift „Die Neue Zeit“; 1891 Mitverfasser des Erfurter Programms der SPD. Führender sozialistischer Theoretiker vor dem 1. Weltkrieg.

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Keats, John (31.10.1795–23.2.1821). Englischer Dichter der Romantik. 1811–16 Ausbildung zum Apotheker und Wundarzt. Sein lyrisches Werk, darunter die Verserzählungen „Endymion“ und die Fragmente „Hyperion“ und „The Fall of Hyperion“, entstand zwischen 1814–21; verkehrte in Londoner literarischen Kreisen.  1817 Wanderung durch den Lake District, nach Schottland und Irland. Erkrankte an Tuberkulose und verstarb in Rom, wohin er zur Besserung seines Gesundheitszustandes gereist war. Keller, Gottfried (19.7.1819–15.7.1890). Schweizer Schriftsteller, Vertreter des bürgerlichen Realismus. 1840–42 Ausbildung zum Maler in München, 1848–55 zum theoretischen und praktischen Studium des Dramas in Heidelberg, dann in Berlin; 1861–76 Erster Stadtschreiber des Kantons Zürich. Sein Werk umfaßt v. a. Erzählungen und Novellen, u. a. den Bildungsroman „Der grüne Heinrich“ (1854/55, 2. Fassung 1879/80) und die Erzählsammlung „Die Leute von Seldwyla“ (1. Teil  1856, 2. Aufl. in vier Bänden 1874). Knapp, Georg Friedrich (7.3.1842–20.2.1926). Nationalökonom, Statistiker und Agrarhistoriker. 1865 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen, 1867 Direktor des Statistischen Bureaus der Stadt Leipzig; 1869 a.o. Professor für Nationalökonomie und Statistik an der Universität Leipzig, 1874–1919 o. Professor in Straßburg. Gründungsmitglied des Vereins für Socialpolitik und Vertreter der jüngeren hi­storischen Schule der Nationalökonomie. Aufgrund seines Werkes über die Bauernbefreiung (1887) galt er als einer der führenden Experten auf dem Gebiet der preußischen Agrarentwicklung. Max Weber schätzte sein Buch über die „Staatliche Theorie des Geldes“ (1905, 21918). Knollys, Hanserd (1598–19.9.1691). Englischer Organisator der Particular Baptists. Seit ca. 1627 Studium in Cambridge, 1629 Ordination zum Geistlichen der anglikanischen Kirche; begann bald mit der Predigt der freien Gnade, woraufhin er 1636 verhaftet wurde; vermutlich 1638 Flucht nach Boston, wegen Konflikten 1641 Rückkehr nach England, kurzzeitig Prediger in der Parlamentsarmee; 1644 Anschluß an die (erste) independente Gemeinde in London; sammelte 1645 seine eigenen Anhänger, die ersten „Particular Baptists“; unterzeichnete 1646 die „Confession of Faith“ der Londoner Baptisten (von 1644); 1658 Vicar von St. Giles in Scartho, Lincolnshire (trotz seiner baptistischen Ansichten). Nach der Restauration im holländischen und deutschen Exil, nach der Rückkehr Mitorganisation der Baptisten, 1689 Unterzeichnung der baptistischen „Confession of Faith“ (von 1688). Die nach ihm benannte „Hanserd Knollys Society“ legte im 19. Jahrhundert seltene Werke älterer baptistischer Theologen neu auf. Knox, John (wahrscheinlich 1514–24.11.1572). Schottischer Reformator. Schloß sich 1547, vermutlich beeinflußt von der Hinrichtung des reformatorisch gesonnenen George Wishart im Jahr 1546, dem Aufstand protestantischer Kreise in St. Andrews an; zusammen mit anderen Aufständischen in französischer Gefangenschaft (Galeerenstrafe); danach 1549 Pfarrer in Berwick-upon-Tweed und Newcastle; seit 1554 im Exil in Genf, dort tief beeindruckt von → Calvin, betreute

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die englische Flüchtlingsgemeinde ebd.; Kontakte zum schottischen Adel im Kampf um die Reformation; nach der Rückkehr 1559 Pfarrer von St. Giles in Edinburgh, durch seine Predigten ausgelöste Bilderstürme und Klosterzerstörungen führten zur vehementen Zurückdrängung des Katholizismus. Aufbau des schottischen Kirchenwesens, deren Agenda und Bekenntnisschriften er verfaßte. Köhler, Walther (27.12.1870–18.2.1946). Evangelischer Kirchenhistoriker. Studium der evangelischen Theologie und Geschichte in Halle, Heidelberg, Straßburg, Bonn, 1895 Promotion zum Dr. phil., 1898 Lic. theol. in Tübingen, 1900 Habilitation in Gießen; 1904 a.o. Professor ebd., 1909 o. Professor für Kirchengeschichte in Zürich, wo er später auch Dogmengeschichte und Geschichte des Christentums las, 1929 als Nachfolger → Hans von Schuberts in Heidelberg. Lebenslang schwerhörig. Geprägt von → Ernst Troeltsch; philosophische Grundfragen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, Arbeiten, teils editorisch, zu Luther, Johannes Brenz, dem Täufertum und besonders zu Zwingli. Kolde, Theodor (seit 1910:) Ritter von (6.5.1850–21.10.1913). Evangelischer Theologe. 1876 Habilitation im Fach Kirchengeschichte in Marburg; seit 1881 Professor in Erlangen. Arbeiten zur Reformationsgeschichte. Kürnberger, Ferdinand (3.7.1821–14.10.1879). Österreichischer Kritiker und Erzähler. 1848 Beteiligung an der Revolution, Flucht aus Wien, Festungshaft in Dresden, 1864 Rückkehr nach Wien. Mitarbeiter verschiedener Zeitungen. „Der Amerika-Müde“ (1855) war sein erster und erfolgreichster Roman. Kuyper, Abraham (29.10.1837–8.11.1920). Niederländischer reformierter Theologe, Publizist und Politiker. 1862 Promotion in Theologie; 1863 Pfarrer in Bees, 1867 in Utrecht, 1869 in Amsterdam; 1870 Eigentümer des Wochenblatts „Héraut“ (seit 1878 dessen Schriftleiter), 1872 Gründer, Schriftleiter und späterer Eigentümer der Tageszeitung „De Standaard“; 1874 Abgeordneter der 2. Kammer, Niederlegung seines Pfarramtes; 1880 Gründung der Vrije Universiteit Amsterdam, 1880–1901 Professor für Systematik ebd.; 1881 Vorsitzender der „Antirevolutionaire Partij“; 1886 Anführer der „Doleantie“, einer Austrittsbewegung aus der Nederlandse Hervormde Kerk, aus der 1892 die „Gereformeerde Kerken in Nederland“ entstand; 1901–05 Ministerpräsident, 1913–20 Senator. Vertrat als Theologe eine neocalvinistische Position gegen den Modernismus; forderte als Politiker eine gegen Liberalismus und Sozialismus gerichtete „christliche Politik“ sowie die Gleichstellung von Konfessionsschulen mit den öffentlichen Schulen. Labadie, Jean de (13.2.1610–13.2.1674). Calvinistischer Separatist, Vertreter eines mystischen Spiritualismus. Zunächst Jesuit in Bordeaux und seit 1639 Weltpriester in Frankreich, wurde vom Jansenismus beeinflußt; 1650 Übertritt zum Calvinismus, deshalb aus Frankreich verbannt und 1659–66 Prediger in Genf; 1666 an die wallonische Gemeinde im niederländischen Middelburg berufen, Gründung von Gemeindekreisen (nach 1 Kor 14), 1669 Gründung einer separatistischen Hausgemeinde nach urchristlichem Vorbild in Amsterdam (Labadi­

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sten), zu der auch → Anna Maria van Schurman gehörte; nach Konflikten 1670 Umzug der Gemeinde nach Herford, 1672 nach Altona. Verstand seine separatistischen Konventikel als Gemeinde der Wiedergeborenen, denen allein die Sa­ kramente galten; beeinflußte den entstehenden reformierten Pietismus, während der Labadismus selbst Episode blieb. Lamprecht, Karl (25.2.1856–10.5.1915). Historiker, Geschichtsphilosoph. Studium der Geschichtswissenschaft, Nationalökonomie und Rechtswissenschaften in Göttingen, Leipzig und München, 1878 Promotion zum Dr. phil. in Leipzig, 1880 Habilitation, Privatdozent in Bonn; 1885 a.o. (Titular-)Professor in Bonn, 1889 etatmäßiger a.o. Professor ebd., 1890 o. Professor für mittelalterliche und neue­re Geschichte in Marburg, 1891–1915 in Leipzig; 1881 Mitbegründer der ersten deutschen landesgeschichtlichen historischen Kommission, der „Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde“. Schuf mit der zwölfbändigen „Deutschen Geschichte“ (1891–1909) eine Gesamtdarstellung, die in der Geschichtswissenschaft einen langen und erbitterten Methodenstreit, den sog. „Lamprecht-Streit“, auslöste. Max Weber störte sich an seiner Geschichtsdarstellung als aufeinanderfolgende Zeitalter psychisch verursachter Kulturstufen. Lasco, Johannes a (polnisch: Jan Łaski) (1499–8.1.1560). Polnischer Theologe und Reformator. Aus polnischem Hochadel stammend, 1513–19 Studium in Bologna und Padua; 1521 Priesterweihe; Übernahme kirchlicher Ämter in Gnesen und Krakau; 1524 Studium in Paris und 1525 bei → Erasmus in Basel; 1526 Propst von Leczyce und Gnesen, dort aus politischen Gründen keine Karrierechance. 1540 Heirat und Flucht nach Emden, 1542–49 Superintendent von Ostfriesland, Organisation der evangelischen Landeskirche, Auseinandersetzung mit den Täufern, u. a. mit → Menno Simons, 1550–53 Superintendent der protestantischen Flüchtlingsgemeinde in London; 1554 Rückkehr nach Emden, wo sich Glaubensflüchtlinge v. a. der Südniederlande niederließen; 1556 nach Polen, wo seine Bemühungen um eine evangelische Nationalkirche erfolglos blieben. Annäherung an → Calvin, ohne dessen Prädestinationslehre zu übernehmen. Gab der reformierten Kirchenordnung wichtige Impulse. Law, William (1686–9.4.1761). Anglikanischer Priester. 1711–16 Fellow am Emmanuel College in Cambridge und Priester der Church of England, verweigerte dem Hannoveraner George I. den Treueid, danach Privatlehrer. Der zugleich streng puritanische und hochkirchliche eingestellte, später von der Mystik und Jakob Böhme beeinflußte Law wurde 1727 Geistlicher einer Non-Juror-Gemeinde (Treueidverweigerer); 1740 Rückzug nach King’s Cliffe, Northamptonshire, seinem Geburtsort. Hauptschriften: „A Pracitcal Treatease upon Christian Perfection“ (1726) und „A Serious Call to a Devout and Holy Life“ (1728, 201816). Beide Schriften beeinflußten die Begründer des Methodismus, Charles und → John Wesley sowie → George Whitefield. Lenau, Nikolaus (eigentl. N.  Franz Niembsch, Edler von Strehlenau) (13.8.1802– 22.8.1850). Österreichischer Schriftsteller. Nach abgebrochenen Universitätsstu-

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dien (v. a. Philosophie und Medizin) seit 1830 freier Schriftsteller; 1832/33 Amerikareise, 1844 Zusammenbruch, danach in Nervenheilanstalten. Gilt als Lyriker der Melancholie. Levy, Hermann (22.5.1881–16.1.1949). Nationalökonom. Nach Eigenstudien in Großbritannien und den USA 1902 Promotion bei → Lujo Brentano in München, 1905 Habilitation in Halle, 1907 Umhabilitation in Heidelberg, 1907–20 hauptamtlicher Dozent an der Handelshochschule Mannheim; 1910 a.o. Professor in Heidelberg und 1920–33 an der TH Berlin; 1933 Emigration nach England, Lehraufträge in Cambridge und Oxford. Hauptwerk: „Grundlagen des ökonomischen Liberalismus in der Geschichte der englischen Volkswirtschaft“ (1912). Liguori, Alfonso Maria de (27.9.1696–1.8.1787). Katholischer Moraltheologe. Zunächst Anwalt; 1726 Priesterweihe, 1732 Mitbegründer der Redemptoristen, der „Kongregation vom Heiligsten Erlöser“, die sich v. a. der Predigt und Seelsorge widmeten; 1762–75 Bischof von Sant’ Agata dei Goti (Königreich Neapel); 1839 heiliggesprochen, 1871 zum Kirchenlehrer erhoben. Stellte dem Moral­ rigorismus einen gemäßigten Probabilismus gegenüber; lebte als extremer Asket und praktizierte die Selbstgeißelung. Lobstein, Paul (28.7.1850–13.4.1922). Deutsch-französischer evangelischer Theologe. Studium in Straßburg, Tübingen, Göttingen, 1876 Promotion zum Lic. theol. in Straßburg mit einer Arbeit über → Calvins Ethik; seit 1877 a.o., seit 1884 o. Professor für Dogmatik ebd. Hauptwerk: „Einleitung in die evangelische Dogmatik“ (frz. 1896, dt. 1897). Lodensteyn, Jodocus van (6.2.1620–6.8.1677). Niederländischer reformierter Theologe. Studium bei → Voet in Utrecht und bei Johannes Coccejus in Franeker; seit 1644 Pfarrer in der Provinz Zoetermeer und seit 1653 in Utrecht, gehörte dort zum Kreis um Voet. Als Vertreter der „Nadere Reformatie“, einer dem deutschen Pietismus vergleichbaren Erneuerungsbewegung innerhalb der niederländisch-reformierten Kirche, legte er Wert auf die lebenspraktische Umsetzung der Heiligung des Lebens und die innere Erfahrung; lehnte den Separatismus → Jean de Labadies ab. Loofs, Friedrich (19.6.1858–13.1.1928). Evangelischer Theologe. Während des Studiums beeinflußt von → Adolf Harnack und → Albrecht Ritschl; 1882 Habilitation für Kirchen- und Dogmengeschichte in Leipzig, 1886 a.o. Professor ebd., 1887 a.o. Professor in Halle, 1888–1926 o. Professor ebd.; 1886 zusammen mit Martin Rade u. a. Mitbegründer der „Christlichen Welt“. Bedeutend als Patristiker, außerdem Studien zur lutherischen Rechtfertigungslehre. Löscher, Valentin Ernst (29.12.1673–12.2.1749). Evangelischer Theologe. Studium in Wittenberg, 1699 Pastor und Superintendent in Jüterbog, 1702 in Delitzsch, 1707 Professor in Wittenberg, 1709 Pfarrer an der Dresdner Kreuzkirche, Super-

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intendent und Assessor des Oberkonsistoriums ebd. Begründete 1701 mit den „Unschuldigen Nachrichten von alten und neuen theologischen Sachen“ die erste evangelisch-theologische Zeitschrift. Bekämpfte als Vertreter der lutherischen Spätorthodoxie den „Indifferentismus“, durch den er die Kirche gefährdet sah, den Pietismus („Vollständiger Timotheus verinus“, 2 Teile, 1718–1722) sowie die Philosophie → Christian Wolffs. Ludwig XIV. (frz. Louis XIV.) (5.9.1638–1.9.1715). König von Frankreich (seit 1661). Vollendete den absolutistischen Machtstaat durch den Ausbau einer zentralistischen Verwaltung und eine rigorose, staatlich gelenkte Wirtschaftspolitik, die sein Minister → Jean-Baptiste Colbert prägte. Gegen Ludwigs expansive Außenpolitik, die ansteigenden Staatsschulden, die Unterdrückung der Parlamente und religiös Andersdenkender (Jansenisten und Hugenotten) kündigten sich bereits während seiner Regierungszeit Widerstände an. Luther, Martin (10.11.1483–18.2.1546). Reformator. 1507 Priesterweihe im Erfurter Augustiner-Eremitenkloster, seit 1511 Professor für Theologie in Wittenberg; 1517 Ablaßkritik, 1518 Heidelberger Disputation, 1519 Leipziger Disputation mit → Eck: seit 1520/21 reformatorische Bewegung und literarische Tätigkeit, 15. Juni 1520 Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“, 3. Jan.  1521 Exkommunikation, 1521/22 nach Ablehnung des Widerrufs auf dem Wormser Reichstag Wartburgaufenthalt, lebte danach unter dem Schutz des sächsischen Kurfürsten in Wittenberg, zeitlebens exegetische Vorlesungen und Predigten; 1523 Abendmahlsfeier mit Brot und Wein für die Laien, 1526 Einführung des deutschsprachigen Gottesdienstes in Wittenberg; Auseinandersetzung mit spiritualistischen Reformern (→ Thomas Müntzer; Karlstadt); 1525 Schriften zum Bauernkrieg; Heirat mit Hausstand („Tischreden“); 1524–26 Auseinandersetzung mit → Erasmus über den freien Willen, 1529 Marburger Religionsgespräch mit → Zwingli über die Abendmahlsfrage (Teilnahme auch von → Bucer), Apr.–Okt. 1530 während des Augsburger Reichstags Aufenthalt auf der Veste Coburg, 1536 Zustimmung zur Wittenberger Konkordie, 1536 Schmalkaldische Artikel, 1539 über das Kirchenwesen in „Von Konziliis und Kirchen“, noch 1545 „Wider das Papsttum zu Rom“. Werke u. a.: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (Verhältnis Glaube und Werke), „An den christlichen Adel deutscher Nation“ (Kirchenreform auf der Grundlage des allgemeinen Priestertums), „De votis monasticis iudicium“ (Aufruf zur Glaubens- und Gewissensfreiheit bezüglich der Ordensgelübde, das eine Klosteraustrittsbewegung zur Folge hatte) sowie die Übersetzung des Neuen Testaments (erschien am 1. Sept. 1522, 2. Ausg. im Dez. 1522), die vollständige Bibelübersetzung (mit Altem Testament und Apokryphen) wurde zuerst 1534 gedruckt. Macaulay, Thomas Babington (seit 1857:) 1st Baron M. of Rothley (25.10.1800– 28.12.1859). Britischer Historiograph. Studium in Cambridge, 1826 Anwaltszulassung am Gray’s Inn in London, daneben vor allem schriftstellerische Tätigkeit, insbes. politische Portraits (1825 über Milton). 1830–32, 1832–34, 1839–47 und 1852–57 im Unterhaus für die Whig-Partei; 1834–38 Mitglied des Supreme Coun-

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cil in Kalkutta und nach der Rückkehr 1839–41 Sekretär im Kriegsministerium, 1846–48 Paymaster General. Hauptwerk: „History of England from the Accession of James II“ (5 Bände, 1848–1861). Mantegna, Andrea (1431–13.9.1506). Italienischer Maler und Kupferstecher der oberitalienischen Frührenaissance. Seit 1460 Hofmaler der Gonzaga in Mantua, vorrangig profane Werke mit mythologischen und antik-geschichtlichen Darstellungen. Marcks, Erich (17.11.1861–22.11.1938). Historiker. 1884 Promotion zum Dr. phil. in Straßburg (bei Hermann Baumgarten), 1887 Habilitation in Berlin (bei Heinrich v. Treitschke); 1892 o. Professor in Freiburg, 1894–1901 in Leipzig, 1901–07 in Heidelberg, 1907–13 an der wissenschaftlichen Stiftung in Hamburg, 1913–22 in München und 1922–28 in Berlin. Zahlreiche Arbeiten zur Geschichte des Deutschen Kaiserreichs. Gehörte zum engeren Bekanntenkreis Max Webers in Berlin und Heidelberg. Masson, David Mather (7.12.1822–6.10.1907). Schottischer Literaturwissenschaftler und Publizist. Nach dem Studium der Theologie in Edinburgh (1839– 1842) Herausgeber und Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften und Buchserien; 1852 Professor für englische Sprach- und Literaturwissenschaft am University College, London, 1865–95 für Rhetorik und englische Literatur in Edinburgh. Hauptwerk: „Life of John Milton“ (6 Bände, 1859–1880). Maurenbrecher, Max (17.7.1874–30.4.1930). Evangelischer Theologe und Pu­blizist. Nach dem Theologie-Examen nationalökonomische, philosophische und historische Studien, 1898 Promotion zum Dr. phil. bei Karl Bücher in Leipzig mit „Thomas von Aquino’s Stellung zum Wirtschaftsleben seiner Zeit“, seit den späten 1890er Jahren dem Kreis um Friedrich Naumann nahestehend, 1899– 1903 Generalsekretär des Nationalsozialen Vereins sowie Schriftleiter der „Hilfe“, 1903–13 Mitglied der SPD; 1907 Austritt aus der evangelischen Kirche, danach Tätigkeit in den freireligiösen Gemeinden in Erlangen und Mannheim, 1919 nach Wiedereintritt in die evangelische Kirche Pfarrer der reformierten Gemeinde in Dresden; 1920–24 Schriftleiter der alldeutschen „Deutschen Zeitung“. Entwickelte sich von einer ursprünglich liberalen Prägung zu einem antiliberalen, antisemitischen und deutsch-völkischen Theologen und Wegbereiter der „Deutschen Christen“. Maxwell, James Clerk (13.6.1831–5.11.1879). Britischer Physiker. 1856–60 Professor in Aberdeen, 1860–65 in London, seit 1871 in Cambridge, wo das von ihm eingerichtete Institut als Zentrum moderner Experimentalphysik gilt. Seine Forschungen auf den Gebieten der Theorie des Elektromagnetismus und kinetischen Gastheorie waren von großer Bedeutung für die Entwicklung der Physik. Meisner, Balthasar (3.2.1587–29.12.1626). Lutherischer Theologe. 1611 Professor für Ethik in Wittenberg, 1613 für Theologie ebd.; verfaßte eine philosophisch

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argumentierende Analyse der Lehren → Luthers, → Calvins und der Katholiken in seiner dreibändigen „Philosophia sobria“; der zur lutherischen Orthodoxie rechnende Balthasar entwickelte die lutherische Frömmigkeit weiter, indem er sie mit mystischer Verinnerlichung und ethischer Wirksamkeit zu verbinden suchte („Rede über den Christen“, 1622). Melanchthon, Philipp (eigentl. Schwarzerdt, Philipp) (16.2.1497–19.4.1560). Humanist, Reformator und Vertrauter → Luthers. Studium in Heidelberg und Tübingen (M. A. 1514), humanistische Studien, bes. des Griechischen und He­bräischen (bei Johannes Reuchlin); 1518 Professor für Griechisch in Wittenberg, studierte Theologie bei Luther, 1519 Baccalaureus biblicus; Eintreten für eine Universitätsreform; 1525 universitärer Sonderstatus: freie Wahl der Vorlesungsthemen (wie Luther). Enges Zusammenwirken mit Luther, trat hervor bei der Reform des Visitationswesens und weiteren Kirchenordnungsfragen; 1530 Ausarbeitung und Verhandlung des Augsburger Bekenntnisses und ihrer Apologie (gegen → Johannes Ecks „Confutatio“) auf dem Augsburger Reichstag. Prägte maßgeblich die Wittenberger Konkordie (1536). Teilnahme an Religionsgesprächen, Verwicklung in innerprotestantische Lehrstreitigkeiten. Wichtigstes Werk: „Loci communes“ (1521, Neufassungen 1535 und 1544). Menno Simons (1496–31.1.1561). Niederländisch-friesischer Täufer. Studium der Theologie und Philosophie in Utrecht; seit 1524 Priester, frühe Zweifel an der Realpräsenz Christi im Abendmahl und der Rechtmäßigkeit der Kindertaufe; 1532–36 Priester in seiner Geburtsstadt Witmarsum, Provinz Friesland, dort Berührung mit dem Täufertum; Reisen mit Predigt und Taufe durch die Niederlande, Ostfriesland, nach Emden, Köln, Holstein und entlang der Ostseeküste; lebte seit 1554 bei Oldesloe. Sammelte die Täufer nach der Katastrophe der Täuferherrschaft in Münster 1535 zu friedfertigen Gruppen; seine Gemeinden entwickelten sich zu kleinen Freikirchen. Hauptwerk: „Fondamentboek“ (1539). Merx, Adalbert (2.11.1838–4.8.1909). Evangelischer Theologe und Orientalist. Seit 1857 Studium der Orientalistik und Theologie in Marburg, Halle und Berlin, 1861 Dr. phil. in Breslau, 1865 Habilitation für Altes Testament in Jena; 1869 a.o. Professor ebd., 1869 o. Professor für semitische Sprachen in Tübingen, 1873 o. Professor für Altes Testament in Gießen, seit 1875 in Heidelberg. Galt wegen seiner philologischen Begabung (u. a. Kenntnis des Arabischen, Syrischen, Persischen, Sanskrit) und seiner universal ausgerichteten geisteswissenschaftlichen Forschungsinteressen als einer der bedeutendsten Orientalisten und biblischen Philologen seiner Zeit; stand, obwohl ein Vertreter der historisch-kritischen Bibelwissenschaft, den modernen Strömungen der religionsgeschichtlichen Schule kritisch gegenüber. Mill, John Stuart (20.5.1806–8.5.1873). Englischer Philosoph und Ökonom. 1823–58 im „India House“, dem Sitz der British East India Company in London, tätig; 1865–68 Mitglied des Unterhauses. Verfasser zahlreicher bedeutender politischer, nationalökonomischer und philosophischer Schriften. Seine erstmals

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1848 veröffentlichten „Principles of Political Economy“ waren über Jahrzehnte das Standardlehrbuch der klassischen Nationalökonomie. Milton, John (9.12.1608–8.11.1674). Englischer Dichter, Schriftsteller und Staatssekretär. Studium in Cambridge, 1628 B. A., 1632 M. A. ebd.; seit 1640 Privatlehrer, Veröffentlichung von Streitschriften, darunter als Befürworter der Ehe-Scheidung; Verteidigung der Volkssouveränität anläßlich der Hinrichtung → Karls I. (1649), 1649–52 Sekretär des Staatsrates unter → Oliver Cromwell; 1651 vollständige Erblindung; nach der Restauration 1660 kurze Zeit inhaftiert, anschließend zurückgezogenes Leben und schriftstellerische Tätigkeit. Neigte erst den Presbyterianern zu, dann Distanz zum Calvinismus; Entwicklung einer antitrinitarischen Haltung, Ablehnung der Lehre von der göttlichen Verwerfung, starke Betonung der Lehre vom freien Willen. Hauptwerke: „Pro populo anglicano“ (1651), eine Verteidigung des Tyrannenmords, das Versepos „Paradise lost“ (1667, 21674), „Paradise regained“ (1671) und das theologische Werk „De Doctrina Christiana“ (veröffentlicht erst 1825). Mirbt, Carl (21.6.1860–27.9.1929). Evangelischer Kirchenhistoriker. Entstammte der Brüdergemeine in Gnadenfrei (Schlesien), 1888 Promotion und Habilitation in Göttingen; 1889 a.o., 1890 o. Professor für Kirchengeschichte in Marburg, 1911–28 in Göttingen. Bedeutung erlangten seine „Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus“ (1895) und seine missionswissenschaftlichen Gründungen. Möhler, Johann Adam (6.5.1796–12.4.1838). Katholischer Kirchenhistoriker. Studium der katholischen Theologie in Ellwangen und Tübingen, 1819 Priesterweihe, 1822 zum Privatdozenten für Kirchengeschichte ernannt; 1826 a.o. Professor und seit 1829 o. Professor in Tübingen, teilweise auch für Kirchenrecht und Apologetik (Vertreter der katholischen Tübinger Schule), seit 1835 o. Professor in München; 1838 zum Domdechant in Würzburg ernannt. Eines seiner Hauptwerke, „Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften“ (1832, zahlreiche Aufl.), verursachte heftige Konflikte mit dem evangelischen Kollegen Ferdinand Christian Baur wegen der darin vertretenen Auffassung, daß Kirche fortgesetzte Inkarnation sei und die Konfessionsgegensätze auf den Begriff gebracht werden sollten, um schließlich überwunden werden zu können. Molière (eigentl. Jean-Baptiste Poquelin) (getauft 15.1.1622–17.2.1673). Französischer Komödiendichter. Durchbruch mit „Les préciuses ridicules“ (1659); zu seinen Sitten- und Charakterkomödien gehören „Tartuffe“ (1664/69), „Dom Juan“ (1665/82), „L’avare“ (Uraufführung 1668, gedruckt 1682, dt. „Der Geizige“), zu seinen Ballettkomödien „Le malade imaginaire“ (1673; dt. „Der eingebildete Kranke“). Moltke, Helmuth (seit 1870:) Graf von (16.10.1800–24.4.1891). Preußischer Generalfeldmarschall (seit 1871). Chef des Generalstabs im Deutsch-dänischen Krieg

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(1864), Preußisch-österreichischen Krieg (1866) und Deutsch-französischen Krieg (1870/71). Montesquieu (eigentl. Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de M.) (18.1.1689–10.2.1755). Französischer Staatsphilosoph. 1716–26 Präsident des Parlements (Gericht) von Bordeaux; 1728 Aufnahme in die Académie Française. In seinem Hauptwerk „De l’esprit des lois“ (1748, zahlreiche Aufl. und vielmals übersetzt) entwickelte er v. a. mit seiner Gewaltenteilungslehre die Grundlagen der modernen Verfassungslehre. Morgan, John Pierpont (17.4.1837–31.3.1913). Amerikanischer Bankier. Mit dem Ertrag seines Bankhauses (gegr. 1861, seit 1895 JP Morgan & Co.) finanzierte er Unternehmenszusammenschlüsse und den Bau von Eisenbahnlinien; sein Vermögen legte er in Kunst- und Büchersammlungen an (1924 Stiftung Pierpont Morgan Library, New York). Moritz von Oranien (14.11.1567–23.4.1625). Statthalter von Holland und Seeland (seit 1585), von Utrecht und Overijssel (seit 1590) und von Gelderland (seit 1591); Sohn von → Wilhelm I. von Oranien. Seit 1590 Generalkapitän und Admiral der Union der niederländischen Provinzen; konnte durch eine Heeresreform (Einführung einer neuen Taktik und Kriegstechnik, Soldatenausbildung durch Exerzieren) die von den Spaniern eroberten niederländischen Nordprovinzen in den 1590er Jahren befreien.  1609 Entzweiung mit → Oldenbarnevelt und den holländischen Regenten wegen deren zwölfjährigem Waffenstillstandsschluß mit Spanien. Befürchtete Hochverrat und Bürgerkrieg, nachdem Oldenbarnevelt den gleichzeitigen innerkirchlichen Konflikt von Remonstranten und Contra-Remon­ stranten durch Unterwerfung der Kirche unter die staatliche Obrigkeit beenden wollte und zum Schutz der Städte Söldner anwerben ließ. Ließ Oldenbarnevelt inhaftieren und in Folge des Urteils der Dordrechter Synode 1619 hinrichten. Müller, Ernst Friedrich Karl (27.7.1863–20.5.1935). Evangelisch-reformierter Theologe. Studium in Tübingen und Halle (Schüler von Martin Kähler), 1891 Habilitation im Fach Neues Testament in Halle; 1892 a.o., 1896–1935 o. Professor für Reformierte Theologie in Erlangen. Dort zeitweise auch Pfarrer der deutsch-reformierten Gemeinde, 1906–35 Präses der reformierten Synoden in Bayern. Max Weber konsultierte die von ihm herausgegebenen „Bekenntnisschriften der reformierten Kirche“ (1903). Müller, Karl (3.9.1852–10.2.1940). Evangelischer Kirchenhistoriker. 1876 Promotion zum Dr. phil. in Tübingen, 1880 Habilitation in Berlin; 1882 etatmäßiger a.o. Professor ebd., 1884 a.o. Professor in Halle, 1886 o. Professor als Nachfolger → Adolf Harnacks in Gießen, 1891 in Breslau, 1903–22 in Tübingen. In seinem (unvollendeten) Hauptwerk „Kirchengeschichte“ (1. Band  1892, 2. Band/1. Halbband 1902, 2. Halbband 1919) behandelt er die Kirchengeschichte als Teil der allgemeinen Geschichte.

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Müntzer, Thomas (evtl. 20./21.12.1489 oder: 1490–27.5.1525). Radikaler Reformator, Anführer im Thüringer Bauernkrieg. 1513/14 Priesterweihe, dann Probst, 1517–19 Aufenthalte in Wittenberg, 1520 Prediger in Zwickau, zunehmend spiritualistische und apokalyptische Ausrichtung, darum des Aufruhrs verdächtigt und entlassen, 1521 in Prag, wo er ebenfalls wegen seiner Predigten weichen mußte, 1523 Pfarrer in Allstedt (Thüringen), dort Einführung des deutschsprachigen Gottesdienstes (Luther erst 1526), was zu Konflikten führte, ebenso der sehr wahrscheinlich von seinen Anhängern vorgenommene Niederbrand der Mallerbacher Wallfahrtskapelle am 24. März 1524, danach Flucht und im August 1524 Versuch der Gottesdienstreform in Mühlhausen; nach Ausweisung bis Febr. 1525 in Südwestdeutschland, im April 1525 als Führer des Frankenhäuser Haufens am Bauernaufstand beteiligt, in dessen Verlauf er hingerichtet wurde. Murray, Sir James Augustus Henry (7.2.1837–26.7.1915). Britischer Lexikograph. Ursprünglich Lehrer, Publikationen zur englischen Philologie. Seit 1879 Herausgeber des von der Philological Society initiierten „New English Dictionary“ (heute bekannt als „Oxford English Dictionary“, OED). Neumann, Carl (1.7.1860–9.10.1934). Kunst- und Kulturhistoriker. 1882 Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg, 1894 Habilitation für Geschichte und Kunstgeschichte ebd.; 1897 a.o. (Titular-)Professor in Heidelberg, 1903 etatmäßiger a.o. Professor in Göttingen, 1904–11 o. Professor für Kunstgeschichte an der Universität Kiel, 1911–29 in Heidelberg. Empfing wesentliche Anregungen von → Jacob Burckhardt; Arbeitsschwerpunkt zunächst in der byzantinischen Geschichte und der italienischen Kunstgeschichte, später in der deutschen und niederländischen Malerei. Sein Buch über Rembrandt erschien 1902 (2.  Aufl. Ende 1905). Seit den 1890er Jahren freundschaftliche Beziehungen zu Max und Marianne Weber. Nicolai, Philipp (10.8.1556–26.10.1608). Lutherischer Pfarrer und Lieddichter. Studium in Erfurt und Wittenberg; Pfarrer in Herdecke, in der heimlichen evangelischen Gemeinde in Köln, Pfarrer und Hofprediger in Waldeck, Pfarrer in Unna, seit 1601 in Hamburg. Sein während der Pestzeit verfaßtes Trost- und Erbauungsbuch „FreudenSpiegel deß ewigen Lebens“ (1599) enthält im Anhang die heute noch im „Evangelischen Gesangbuch“ enthaltenen Lieder „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ und „Wachet auf, ruft uns die Stimme“. Niklaes (Niclaes), Hendrik (9./10.1.1501 oder 1502 – nach 1570). Deutsch-niederländischer Gründer der Familisten. Seit 1531 Kaufmann in Amsterdam, 1540 Berufungserlebnis zum „Propheten“, woraufhin er nach Emden zog; vermutlich täuferisch beeinflußt, verkündigte er dort und auf Reisen (1552/53 England) den Anbruch des Zeitalters der Liebe und gründete für die Erwählten das „Haus der Liebe“ („Family of Love“), in der die Mitglieder durch Geisterfahrung miteinander verbunden sind. Nach Ausweisung 1560 aus Emden lebte er in Kampen, Utrecht und Köln.

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Offenbacher, Martin (26.3. 1876–23.3.1942). Ingenieur. 1892/93 Industrieschule in Nürnberg, 1894–98 Studium an der TH München (Examen als Elektroinge­nieur) und zugleich volkswirtschaftliche Vorlesungen bei → Lujo Brentano, Walther Lotz und Georg v. Mayr, 1898–99 in Heidelberg bei Max Weber und Ernst Leser, dort 1901 über „Konfession und soziale Schichtung“ zum Dr. phil. promoviert. Seit 1902 als Ingenieur in der Firma MAN in Nürnberg, 1905–08 Geschäftsführer des Verbands Bayerischer Metallindustrieller, bis 9. November 1938 vermutlich Leiter der Patentabteilung der MAN.  Nahm sich zusammen mit seiner Ehefrau vor der Deportation nach Polen das Leben. Oldenbarnevelt (Oldenbarneveldt), Johan van (14.9.1547–13.5.1619). Niederlän­ discher Staatsmann. Jurastudium, u. a. in Heidelberg, dort Übertritt zum Calvinismus; seit 1570 Anwalt beim „Hof van Holland“; schloß sich 1572 den Aufständischen unter der Führerschaft von → Wilhelm I. von Oranien im Kampf gegen Spanien an; setzte sich 1584 für dessen Sohn → Moritz als Statthalter ein; 1586 Ernennung zum Landesadvokat (Ratspensionär, leitender Minister) der mächtigen Provinz Holland; konnte 1596 England und Frankreich als Verbündete gegen die Spanier gewinnen; handelte 1609 mit Spanien einen zwölfjährigen Waffenstillstandsschluß aus, den Moritz nicht billigte; endgültiges Zerwürfnis mit diesem wegen religiöser und bürgerkriegsähnlicher Kontroversen, als Unterstützer der gemäßigten Calvinisten (sog. Remonstranten) lehnte Oldenbarnevelt die Einberufung einer nationalen Synode der von Moritz von Oranien unterstützten orthodoxen Calvinisten ab; 1617 verabschiedeten die (patrizisch gesinnten) Staaten von Holland auf Betreiben Oldenbarnevelts eine Resolution, die das Anwerben von Söldnern zum Schutz der Städte vorsah, woraufhin die gegnerischen Generalstaaten unter Moritz von Oranien Oldenbarnevelt am 29. August 1618 festnehmen und hinrichten ließen. Olevian, Caspar (10.8.1536–15.3.1587). Reformierter Theologe und Kirchenpolitiker. Anschluß an die Hugenotten während des Jurastudiums in Frankreich, 1557 Promotion zum Dr. iur., 1558 Studium der Theologie bei → Calvin in Genf; 1559 Prediger in seiner Heimatstadt Trier, wo die reformatorischen Bestrebungen im selben Jahr unterdrückt wurden; 1561 kurzzeitig Dogmatik-Professor in Heidelberg; 1562 Stadtpfarrer und Hofprediger des calvinistischen Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz (1559–1576), 1577 Hofprediger in Berleburg, 1584 Gründung und Rektor der Hohen Schule in Herborn. Mitverfasser des Heidelberger Katechismus und der reformierten Kurpfälzer Kirchenordnung (beide 1563). Hauptwerk des Föderaltheologen: „De substantia foederis gratuiti inter Deum et electos“ (1585). Owen, John (1616–24.8.1683). Englischer Puritaner. Studium in Oxford; 1646 Predigt vor dem Langen Parlament, 1649 auch am Tag nach der Hinrichtung → Karls I.; 1649/50 Kaplan → Oliver Cromwells, begleitete ihn auf die Feldzüge nach Irland und Schottland; 1652–58 Vizekanzler der Universität Oxford. Wandte sich schon in den 1640er Jahren vom Presbyterianismus zum Kongregationalis-

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mus, als dessen einflußreichster Vertreter er in den 1650er Jahren und nach der Restauration auftrat. Mitverfasser der Savoy Declaration (1658). Penn, William (14.10.1644–30.7.1718). Quäker und Gründer Pennsylvanias. Ausschluß von der Universität Oxford wegen seiner religiösen Überzeugungen, Jurastudium an der Académie Protestante in Frankreich und am Lincoln’s Inn in London. Seit 1667 Quäker, mehrmals deswegen inhaftiert. Erhielt 1681 als Eigentümer die Konzession zur Gründung einer Kolonie in Amerika, die er nach den Grundsätzen der Quäker (Friede, Gerechtigkeit und Gewissensfreiheit) errichtete („Holy Experiment“), mußte 1701 die politische Führung aufgrund der „Charter of Privilegs“ zugunsten des Volkes abgeben; die Macht seines Provinzrates wurde reduziert. Wegen der religiös-toleranten Politik konnte sich Pennsylvania zur Kolonie mit der größten ethnischen und religiösen Vielfalt entwickeln. Petty, Sir William (27.5.1623–16.12.1687). Englischer Ökonom. 1643 während des Bürgerkriegs in Holland, dort Sekretär von Thomas Hobbes in Amsterdam; 1646 Stu­dium der Medizin in Oxford, Mitbegründer der Royal Society, 1651 Professor für Anatomie ebd. und für Musik in London; 1652 Generalarzt der Armee → Oliver Cromwells in Irland, dort 1654–56 verantwortlich für die Katastrierung des irischen Grundbesitzes, für die er von Cromwell mit Landbesitz entlohnt wurde. Nach der Restauration 1666–85 in Irland, widmete sich dort der Frage, wie Irland zu Wohlstand kommen könne. Hauptwerk u. a.: „Political Arithmetic“ (postum 1690). Pierson, Allard (8.4.1831–27.5.1896). Niederländischer Theologe. Legte 1865 sein Amt als Pfarrer der wallonischen Gemeinde in Amsterdam nieder, weil er modernes kritisches Denken mit Kirche und Theologie für unvereinbar hielt; 1877–95 Professor für Kunstgeschichte, Ästhetik und moderne Sprachen an der Universität Amsterdam. Seine „Studien over Johannes Kalvijn“ (1881–1891) verfaßte er nach seiner Amtsniederlegung. Plitt, Hermann (5.1.1821–26.11.1900). Theologe der Brüder-Unität. Seit 1847 Dozent, 1853–1880 Inspektor (Direktor) des Predigerseminars der Evangelischen Brüder-Unität in Gnadenfeld (Oberschlesien). Verfaßte ein dreibändiges Werk über → Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorfs Theologie (1869–1874). Praetorius, Stephan (3.5.1536–4.5.1603). Lutherischer Erbauungsschriftsteller. Nach Studium in Rostock zeitlebens Pfarrer in seiner Heimatstadt Salzwedel, dort 1580 Miterleben der Pest. Verfaßte Traktate und das Erbauungsbuch „Geistliche Schatzkammer der Gläubigen“ (1636). Rabelais, François (um 1494? – 9.4.1553). Französischer Humanist. Zeitweise Ordensbruder (Franziskaner, Benediktiner), seit 1530 Studium der Medizin, Arzt, zeitweise Sekretär und Leibarzt seines Gönners Kardinal Jean du Bellay und schriftstellerische Tätigkeit, zuletzt 1551 Kanoniker in Meudon. Wegen seiner Auffassungen sowohl von → Calvin als auch von der reformfeindlichen theo-

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logischen Fakultät der Sorbonne scharf kritisiert. Hauptwerk ist der wortgewaltige, zeitsatirische Romanzyklus über die Riesen „Gargantua und Pantagruel“ (5 Bände, 1532–1564). Rachfahl, Felix (9.4.1867–15.3.1925). Historiker. 1890 Promotion zum Dr. phil. in Breslau, 1893 Habilitation in Kiel; 1898 a.o. Professor in Halle, 1903 o. Professor in Königsberg, 1907 in Gießen, 1909 in Kiel, 1914 in Freiburg i.Br. Arbeiten zur schlesischen Landesgeschichte und über „Wilhelm von Oranien und der niederländische Aufstand“ (3 Bände, 1906–1924); verfaßte 1909–10 zwei Kritiken zur „Protestantischen Ethik“ Max Webers. Ranke, Leopold (seit 1865:) von (20.12.1795–23.5.1886). Historiker. 1814–18 Studium der evangelischen Theologie und der Philologie in Leipzig, Promotion in klassischer Philologie; 1818 Gymnasiallehrer in Frankfurt/Oder; 1825 a.o. Professor in Berlin, 1827–31 Studienreisen nach Wien und Italien, 1834–71 o. Professor in Berlin; 1841 von → Friedrich Wilhelm IV. zum Historiographen des preußischen Staates ernannt. Forderte die Rekonstruktion der Geschichte aus den Quellen; beschrieben werden solle literarisch, „wie es eigentlich gewesen ist“. Abhandlungen zur europäischen Staatengeschichte in der frühen Neuzeit, darunter u. a. eine „Englische Geschichte“ (7 Bände, 1859–1868). Nach 1871 widmete er sich der Herausgabe seiner „Sämtlichen Werke“; seit 1875 Arbeit an einer „Weltgeschichte“. Im Luthertum verwurzelt, suchte er Gottes immanentes Wirken in der Geschichte; er gilt als Begründer der modernen Geschichtswissenschaft und führender Vertreter des Historismus. Rathenau, Walther (29.9.1867–24.6.1922). Industrieller und Politiker. Als Sohn des Gründers der „Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft AG“ (AEG) seit 1899 Vorstandsmitglied, seit 1915 ihr Präsident; 1914/15 Leiter der Rohstoffabteilung im Preußischen Kriegsministerium, 1921 Wiederaufbauminister und 1922 Außenminister, ermordet. Rathgen, Karl Friedrich Theodor (19.12.1856–6.11.1921). Nationalökonom, Finanzwissenschaftler und Kolonialpolitiker. 1881 Promotion zum Dr. rer. pol. bei → Georg Friedrich Knapp in Straßburg; 1882–90 o. Professor der Staatswissenschaften an der Reichsuniversität Tokio (Japan); 1892 Habilitation in Berlin, 1893 a.o. (Titular-)Professor der Staatswissenschaften in Marburg, 1894 etatmäßiger a.o., 1895 o. Professor ebd., erhielt 1900 den zweiten Lehrstuhl (neben Max Weber) für Nationalökonomie in Heidelberg; seit 1907 Direktor des deutschen Kolonial-Instituts in Hamburg; 1919 o. Professor für Volkswirtschaftslehre an der neugegründeten Universität Hamburg. Von Max Weber mit seinen Arbeiten zur japanischen Wirtschaft und Geschichte rezipiert; Mitglied des Heidelberger „Eranos“-Kreises. Rembrandt (eigentl. Rembrandt Harmenszoon van Rijn) (15.7.1606–4.10.1669). Holländischer Maler und Graphiker. Seit 1624 in Leiden, seit 1633 in Amsterdam

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tätig; bevorzugte biblische Stoffe, neben Historienbildern auch Gruppenbilder und Portraits, darunter ca. 100 Selbstbildnisse. Rhodes, Cecil (5.7.1853–26.3.1902). Britischer Kolonialpolitiker und Unternehmer. Sohn eines englischen Pfarrers, kam 1870 nach Südafrika; seit 1873 Jura-Studium in Oxford und anschließend Anwalt in London; seit 1881 Parlamentsmitglied der Kapkolonie, 1884 Finanzminister und 1890–96 Premierminister ebd.; 1888 Gründung von De Beers Consolidated Diamond Mines (mit Monopol in Süd­ afrika) und 1889 der British South African Company (im Auftrag der britischen Regierung zur Erschließung neuer Kolonieländer); 1895 Unterstützung des sog. Jameson Raid, durch den die Burenregierung in Transvaal gestützt werden sollte. Durch sein Diamanten- und Goldgeschäft wurde er zu einem der reichsten Unternehmer seiner Zeit; er gilt als der bedeutendste Repräsentant des britischen Imperialismus in Südafrika, nach ihm wurden Nord- und Südrhodesien (heute Sambia und Simbabwe) benannt. Ritschl, Albrecht (25.3.1822–20.3.1889). Evangelischer Theologe. Seit 1839 Studium der Theologie in Bonn, Halle, Heidelberg und Tübingen, 1846 Privatdozent; 1852 a.o., 1859 o. Professor für Neues Testament und Kirchengeschichte in Bonn, seit 1864 o. Professor für Kirchengeschichte und Dogmatik in Göttingen. Zentral für seine Theologie war die „Reich-Gottes-Lehre“ im Sinne eines sittlichen Ideals zur Vervollkommnung aller Kultur, realisiert in Nächstenliebe, Berufsarbeit und Bürgerpflichten; kennzeichnend ist das Fehlen einer Eschatologie; einflußreich durch seine Schüler → Adolf Harnack, → Friedrich Loofs, → Paul Lobstein und → Ernst Troeltsch. Werke u. a.: „Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung“ (3 Bände, 1870–1874, 21882, 31889); „Geschichte des Pietismus“ (3 Bände, 1880–1886). Rockefeller, John Davison (8.7.1839–23.5.1937). Amerikanischer Unternehmer. Erwarb mit Erdölraffinerien das seinerzeit weltweit größte Vermögen, von dem er einen erheblichen Teil auf Stiftungen (v. a. Rockefeller Foundation) und philan­ thropische Projekte (z. B. Mitgründung der University of Chicago 1890) verwandte. Rothe, Richard (28.1.1799–20.8.1867). Evangelischer Theologe. Während des Berliner Studiums von der Erweckungsbewegung beeinflußt; 1824 preußischer Gesandtschaftsprediger in Rom; 1828 Professor am Wittenberger Predigerseminar, 1837–49 Professor für Neues Testament und Dogmatik in Heidelberg, 1849–54 für Praktische Theologie in Bonn, 1854 Rückkehr an die Universität Heidelberg. 1855, 1861 und 1867 Teilnahme an der Badischen Generalsynode, 1861 a.o. Mitglied des Oberkirchenrats in Karlsruhe, seit 1863 Vertreter der Universität in der 1. Badischen Kammer. Prägte den 1863 gegründeten „Allgemeinen Deutschen Protestantenverein“. Hauptwerk: „Theologische Ethik“ (3 Bände, 1845–1848; 5 Bände, 21867–1871). Vertritt in seinem Werk die These, daß das Christentum, beginnend mit der Reformation und insbesondere nach der Aufklä-

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rung, die kirchliche Phase hinter sich gelassen habe und in ein sittlich-politisches Stadium eingetreten sei, um im sittlich-religiösen Kulturstaat aufzugehen. Rubens, Peter Paul (28.6.1577–30.5.1640). Flämischer Maler. 1600–08 Italienund Spanienaufenthalt, danach mit Werkstatt in Antwerpen tätig; erhielt als Hofmaler des spanischen Statthalters zahlreiche Aufträge. Historien-, Bildnis- und Altarmaler, mit Erwerb von Schloß Steen 1635 auch von Landschaften. Gilt als Hauptmeister des flämischen Barocks. Sanford, John Langton (22.6.1824–27.7.1877). Englischer Historiograph. Juri­ stisches Studium am University College, London; 1853–55 Mitherausgeber des „Inquirer“, schrieb seit 1861 Beiträge für „The Spectator“. Zu seinen Arbeiten zur Geschichte Englands zählen u. a. seine „Studies and Illustrations of the Great Rebellion“ (1858), die zuerst im „Christian Reformer“ erschienen; er galt als profunder Kenner der englischen Genealogie und Parlamentsgeschichte. Schäfer, Dietrich (16.5.1845–12.1.1929). Historiker. 1871 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen; 1877 a.o. Professor, 1883 o. Professor für Geschichte in Jena, 1885 in Breslau, 1888 in Tübingen, 1896 in Heidelberg, 1903–21 in Berlin. Mitglied des Alldeutschen Verbandes; im September 1917 Mitbegründer der Vaterlandspartei. Mit seinen Hauptwerken „Weltgeschichte der Neuzeit“ (1907) und „Deutsche Geschichte“ (1910) beeinflußte er weithin das nationalpolitische Denken im Kaiserreich. Scheibe, Max (13.6.1870–5.7.1935). Reformierter Theologe. 1893 Dr. phil. in Halle, 1897 Lic. theol. mit „Calvins Prädestinationslehre“, 1897–1911 Privatdozent in Halle; seit 1902 Pfarrer der reformierten Gemeinde in Leipzig. Schell, Herman (28.2.1850–31.5.1906). Katholischer Theologe. Studium in Freiburg, Würzburg und Rom, 1883 Promotion in Tübingen, 1873 Priesterweihe; 1884 a.o., 1888 o. Professor für Apologetik, vergleichende Religionswissenschaft und christliche Kunstgeschichte in Würzburg. Führend in der katholischen Erneuerungsbewegung. Verfaßte vielgelesene Reformschriften, in denen er die Kulturbedeutung des Katholizismus gegen zeitgenössische ultramontanistische Auswüchse hervorhob: „Der Katholizismus als Princip des Fortschritts“ (1897) und „Die neue Zeit und der alte Glaube“ (1898); beide Ende 1898 auf den „Index librorum prohibitorum“ gesetzt, Schell unterwarf sich dieser Entscheidung und verblieb in der Kirche. Schmoller, Gustav (seit 1908:) von (24.6.1838–27.6.1917). Nationalökonom. 1857–61 Studium der Staatswissenschaften, Geschichte und Philosophie in Tübingen, 1861 Promotion zum Dr. oec. publ. in Staatswissenschaften ebd.; ohne Habilitation 1864 etatmäßiger a.o. Professor, 1865 o. Professor für Staatswissenschaften in Halle, 1872 in Straßburg, 1882–1912 in Berlin. Seit 1884 Mitglied des preußischen Staatsrates; seit 1881 Herausgeber des „Jahrbuchs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche“ (später:

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„Schmollers Jahrbuch“). Beeinflußte sowohl als Anführer der jüngeren historischen Schule der Nationalökonomie als auch als Mitbegründer (1872) und von 1890–1917 als Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik die staatliche Sozialpolitik und die Entwicklung der Nationalökonomie in Deutschland. Schneckenburger, Ma(t)thias (17.1.1804–3.6.1848). Evangelischer Theologe. Studium in Tübingen und 1826/27 in Berlin, 1827 Repetent am Tübinger Stift; 1831 im Pfarrdienst der württembergischen Landeskirche, 1834 Berufung an die reformierte Berner Akademie, (nach deren Umwandlung zur Universität) Professor für Systematische Theologie ebd., wirkte dort neben → Karl Bernhard Hundeshagen. Die aus dem Nachlaß herausgegebene Vorlesung „Vergleichende Darstellung des lutherischen und reformirten Lehrbegriffs“ (1855) zeigt eine psychologischen Gesetzen folgende idealtypische Darstellung der Konfessionsdifferenzen in Lehre und praktischer Frömmigkeit. Max Weber zieht außerdem seine „Vorlesungen über die Lehrbegriffe der kleineren protestantischen Kirchenparteien“ (hg. aus dem Nachlaß 1863) heran. Schortinghuis, Willem (23.2.1700–20.11.1750). Niederländischer reformierter Theologe. 1723 Pfarrer in Weener (Ostfriesland), 1734 in Midwolda (Provinz Groningen). Seine auf ein praktisches Christentum zielenden, teils aber mystischen Ansichten gingen in die in den Niederlanden und Ostfriesland weit verbreitete Schrift „Het innige Christendom“ (1740, 31742) ein (die Schrift wurde 1745 von der Synode von Overijssel verurteilt). Schubert, Hans von (12.12.1859–6.5.1931). Kirchenhistoriker. Seit 1878 Studium der Geschichte, klassischen Philologie, Rechtswissenschaft und Nationalökonomie, 1884 Promotion zum Dr. phil. in Straßburg, anschließend Studium der evangelischen Theologie; 1891 a.o. Professor für Kirchengeschichte in Straßburg, 1892 o. Professor in Kiel, 1906–28 in Heidelberg. Sein besonderes Interesse galt dem Mittelalter und der gegenseitigen Bezüge von Reformation, Politik und Recht im 16. Jahrhundert. Mitglied des Heidelberger „Eranos“-Kreises und Gründungsmitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Schulze-Gaevernitz, Gerhart (bis zur Nobilitierung des Vaters 1888: Gerhart Schulze) von (25.7.1864–10.7.1943). Nationalökonom. 1886 Promotion zum Dr. jur. in Göttingen und 1891 zum Dr. phil. in Leipzig, 1891 Habilitation ebd.; 1893 etatmäßiger a.o., 1896–1923 o. Professor in Freiburg i.Br. 1912–20 MdR und der Nationalversammlung. Im Verein für Socialpolitik gehörte er zum sozialreformerischen Flügel im Anschluß an → Lujo Brentano; er war einer der originellsten Arbeitsmarkt- und Lohntheoretiker seiner Zeit; u. a. auch Studien zur Kulturgeschichte und zum Verhältnis von Immanuel Kant und Karl Marx. Seit den gemeinsamen Jahren an der Universität Freiburg freundschaftlich-kollegiale Beziehung zu Max Weber. Schurman (auch: Schuurman, Schurmann, Schürmann), Anna Maria van (5.11.1607–4. oder 14.5.1678). Niederländische Theologin, Dichterin, Künstlerin.

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Einzige weibliche Schülerin → Gisbert Voets an der Akademie in Utrecht; 1641 Dissertation „De ingenii muliebris ad doctrinam“. Sie soll äußerst sprachbegabt gewesen sein, korrespondierte mit Gelehrten ihrer Zeit, gründete Hausgemeinden, schloß sich 1669 der Separatistengemeinde → Jean de Labadies in Amsterdam an, mit der sie 1670 nach Herford, Altona und Wieuwert in Friesland floh. Schwenckfeld, Kaspar von (auch: Caspar Schwenkfeld von Ossig) (Nov./Dez. 1489–10.12.1561). Reformator und spiritualistischer Theologe. Entstammte schlesischem Adel. Studium u. a. in Köln; seit 1511 Dienst an verschiedenen Höfen in Schlesien, dann seit 1518/19 Hofrat von Herzog Friedrich II. am Hof in Liegnitz; Anhänger → Luthers, versuchte seit 1523 durch Predigttätigkeit und persönlichen Einfluß bei Hof die Reformation in Schlesien zu verbreiten; 1525/26 kam es wegen Ablehnung von Luthers realpräsentischer Abendmahlsauffassung zum Bruch, danach zunehmend spiritualistische Theologie; nach Verlust der Protektion des schlesischen Landesherren 1529–34 in Straßburg (Konflikte mit → Bucer), 1537–39 in Ulm; 1540 wurden seine Lehren vom Schmalkaldener Bundestag verurteilt. Anhänger in Niederschlesien (ein Zweig emigrierte 1724 nach Pennsylvania) und in Form kleiner Gemeinschaften im südwestdeutschen Raum. Sedgwick, Obadiah (1599/1600–1658). Englischer Presbyterianer. 1630 Bachelor of Divinity in Oxford, seither Geistlicher in London und Essex, hielt seit 1642 Predigten vor dem Langen Parlament; 1643 Mitglied der Westminster Assembly; 1646 Prediger an St. Paul’s Church, Covent Garden, London. Verfasser religiöser Schriften und Traktate. Seeberg, Reinhold (5.4.1859–23.10.1935). Evangelischer Theologe. Studium der Theologie in Dorpat, Erlangen und Göttingen, 1884 Privatdozent in Dorpat; 1885 a.o. Professor ebd., 1889 o. Professor für neutestamentliche Zeitgeschichte, Pa­tristik und Theologische Enzyklopädie in Erlangen, seit 1894 auch der Systematischen Theologie, 1898–1927 für Systematische Theologie, Religionsphilosophie, Ethik und neutestamentliche Exegese in Berlin (als konservativer Gegenpart zu → Adolf Harnack). 1909 Nachfolger → Adolf Stoeckers als Präsident der Freien kirchlich-sozialen Konferenz; im 1. Weltkrieg Vertreter der alldeutschen Politik und annexionistischer Kriegsziele, Mitinitiator der sog. „Seeberg-Adresse“ von Juli 1915; 1917 Mitbegründer der DNVP. Vertrat eine „moderne positive Theologie“; bezog die eugenische und rassenhygienische Frage in die Sozialethik mit ein. Sein Denken trug dazu bei, den Nationalsozialismus politisch-ideologisch mitvorzubereiten. Zu seinen Hauptwerken zählt das „Lehrbuch der Dogmengeschichte“ (2 Bände, 1895–1898). Seuse, Heinrich → Suso, Heinrich. Sharpless, Isaac (16.12.1848–16.1.1920). Amerikanischer Pädagoge, Collegepräsident und Quäker. 1883 Doctor of Science in Harvard, seit 1875 Dozent, 1879–84 Professor für Mathematik und Astronomie am Haverford College (Penn-

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sylvania), 1887–1917 Präsident des Haverford College, 1915 Ehrendoktor der Theologie. Veröffentlichungen zur Kolonialgeschichte der Quäker. Simmel, Georg (1.3.1858–26.9.1918). Philosoph und Soziologe. 1881 Promotion zum Dr. phil. in Berlin, 1885 Habilitation für Philosophie ebd.; 1901 etatmäßiger a.o. Professor ebd., seit 1914 o. Professor in Straßburg. Gehörte seit 1890 zu den Begründern der „formalen Soziologie“ in Deutschland, hatte besonderen Einfluß auf die nordamerikanische Soziologie; verfaßte zahlreiche transzendentallogische, kunst- und geschichtsphilosophische Schriften und zeichnete u. a. mit der „Philosophie des Geldes“ (1900) ein kulturkritisches Bild der Moderne. Seit den 1890er Jahren freundschaftliche Beziehung zu Max Weber, der sich 1907/08 vergeblich für seine Berufung nach Heidelberg einsetzte und mit ihm 1909 zu den Gründern der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) gehörte. Skeats, Herbert Stradling (1828–12.10.1881). Englischer Autor. Bekannt durch sein Buch „A History of the Free Churches of England“ (1868). Smith, Adam (5.6.1723–17.7.1790). Schottischer Sozialphilosoph und politischer Ökonom. 1751–63 Professor für Logik bzw. Moralphilosophie in Glasgow, 1764– 1766 als Erzieher eines jungen Grafen in Frankreich und der Schweiz, lebte danach vornehmlich in seinem Geburtsort Kirkcaldy, ab 1778 Mitglied der obersten Zollbehörde Schottlands. Sein 1776 erschienenes Hauptwerk „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ gilt als das initiale Werk in der Geschichte der Nationalökonomie als wissenschaftliche Disziplin. Solowjew, Wladimir Sergejewitsch; Tl.   (russ.) Solov’ev, Vladimir Sergeevicˇ (16./28.1.1853–31.7./13.8.1900). Russischer Religionsphilosoph. 1874 Promotion, 1880 Habilitation in St. Petersburg, seit 1875 Philosophie-Dozent in Moskau und St. Petersburg, 1881 öffentliches Plädoyer für die Begnadigung der Mörder Zar Alexanders II., deshalb vom Lehramt suspendiert, anschließend freier Schriftsteller. In seinen philosophischen Werken strebte er nach einer Synthese des Glaubens des christlichen Ostens mit der Philosophie des deutschen Idealismus; er vertrat mystische All-Einheit-Vorstellungen und leitete daraus (sozial-)politische Gesellschaftsentwürfe einer „freien Theokratie“ ab; konkret setzte er sich für eine Überwindung der christlichen Kirchenspaltung ein und kann als Wegbereiter der ökumenischen Bewegung angesehen werden. Sombart, Werner (19.1.1863–18.5.1941). Nationalökonom und Soziologe. 1888 Promotion zum Dr. phil. bei → Gustav Schmoller in Berlin, 1888 Syndikus der Handelskammer in Bremen; 1890–1906 etatmäßiger a.o. Professor in Breslau, 1896–1902 parteiloser Stadtverordneter ebd.; 1906 o. Professor an der Handelshochschule Berlin, 1917–31 als Nachfolger von Adolph Wagner o. Professor der wirtschaftlichen Staatswissenschaften an der Universität Berlin. Pläne zur Nachfolge Max Webers an der Freiburger wie Heidelberger Universität stießen auf den Widerstand des badischen Großherzogs. Seit 1892 im Ausschuß des Vereins für Socialpolitik, Repräsentant des linken Flügels; seit 1904 zusammen mit → Edgar

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Jaffé und Max Weber Mitherausgeber des „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“. Arbeiten zur Wirtschaftsgeschichte, insbesondere zur Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus auf systematisch-empirischer Grundlage, und über die sozialen Bewegungen des 19. Jahrhunderts. Zu seinen Hauptwerken zählt „Der moderne Kapitalismus“ (2 Bände, 1902, 21916/17). Seit den späten 1880er Jahren freundschaftliche Beziehungen zu Max Weber; in der Kriegs- und Nachkriegszeit zunehmende Distanz, die sich bereits 1911 in der Auseinandersetzung mit Sombarts Buch „Die Juden und das Wirtschaftsleben“ zeigte. Spangenberg, August Gottlieb (15. oder 16.7.1704–18.9.1792). Bischof und Theologe der Herrnhuter Brüdergemeine. Seit 1722 Studium der Theologie in Jena, dort Kontakt zu Herrnhutern, 1728 persönlicher Kontakt zu → Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf; 1732/33 Lehrbeauftragter an der Universität Halle und Mitarbeiter des Waisenhauses, wegen Nähe zu den Herrnhutern entlassen; unternahm Missionsreisen für die Herrnhuter, begründete 1735–39 den amerikanischen Zweig der Brüder-Unität (Moravian Church) in Pennsylvania und förderte 1741–43 das englische Brüdertum. 1744 zum Bischof der Herrnhuter Brüdergemeine ordiniert, drei weitere Amerikareisen, nach dem Tod Zinzendorfs 1762 führende Persönlichkeit der Herrnhuter. Arbeitete an den Ausbildung der Verfassung der Brüdergemeine, dem Ausbau ihres Missions- und Erziehungswesen; prägte ihre Theologie mit „Idea fidei fratrum“ (1779). Spencer, Herbert (27.4.1820–8.12.1903). Englischer Philosoph und Sozialwissenschaftler. Zunächst Eisenbahningenieur und Selbststudium, 1848–53 Mitherausgeber des „Economist“, danach freier Schriftsteller. Sein „System of Synthetic Philosophy“ (1862–1896) umfaßt Psychologie, Biologie, Soziologie und Ethik. Er suchte, soziale Phänomene streng unter Einbezug allgemeiner Evolutionsideen (natur-)wissenschaftlich zu betrachten; Sozialdarwinist und Propagandist eines extremen laissez-faire-Standpunkts. Spener, Philipp Jakob (13.1.1635–5.2.1705). Evangelischer Theologe, Begründer des lutherischen Pietismus. Zunächst philosophische und geschichtliche Studien in Straßburg, 1654–59 Studium der Theologie an der lutherisch-orthodoxen Fakultät ebd., anschließend Aufenthalt in der Schweiz, u. a. 1661 in Genf; 1663 Freiprediger am Straßburger Münster; 1664 Dr. theol. ebd.; 1666 Annahme des Senior-Amts des lutherischen Predigerministeriums und Pfarrer an der Barfüßerkirche in Frankfurt a. M. (bis 1686), 1670 Einrichtung des Collegium pietatis (Erbauungsversammlung neben dem öffentlichen Gottesdienst), 1675 Veröffentlichung seines Kirchenreformprogramms „Pia desideria“; 1686–91 Oberhofprediger (und Oberkonsistorialrat) in Dresden (höchste geistliche Stelle des lutherischen Deutschlands); nach Bruch mit dem Kurfürsten 1691–1705 Propst an St. Nikolai und Konsistorialrat in Berlin; erwies sich in den Kämpfen zwischen Orthodoxie und Pietismus seit 1690 als überlegener Wortführer des letzteren. Ziele waren die Erneuerung der Kirche durch die Förderung der Frommen („ecclesiola in ecclesia“), die Erbauung des inneren Menschen durch vertieftes Bibelstudium sowie „praxis pietatis“; hielt stets an Luthers Rechtsfertigungslehre fest.

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Stahl, Friedrich Julius (bis zur Taufe 1819: Julius Jolson, auch: Golson) (16.1.1802– 10.8.1861). Staatsrechtslehrer, Rechtsphilosoph und konservativer Politiker. 1819 Studium der Rechtswissenschaft in Würzburg, wegen seines burschenschaftlichen Engagements zwischenzeitlich vom Studium relegiert, 1826 Promotion zum Dr. jur. ebd., 1827 Habilitation in München; 1832 o. Professor in Würzburg, 1834 in Erlangen, 1840 in Berlin; Mitbegründer der Konservativen Partei in Preußen, lieferte vielbeachtete Beiträge für ihre „Neue Preußische Zeitung“ (Kreuzzeitung); seit 1849 im Erfurter Parlament und Mitglied der 1. Kammer des preußischen Landtags, seit 1854 Mitglied des Staatsrates; 1852–59 Mitglied im Oberkirchenrat. Verfechter eines autoritären Staats- und Kirchenverständnisses. Stahls Leitbild war der „christliche Staat“, der als göttliche, für den Menschen festgesetzte Ordnung („Anstalt“) in allen Bereichen des öffentlichen Lebens auf christlichen Prinzipien gegründet sein sollte. Wirkte auf → Abraham Kuyper. Stoecker, Adolf (11.12.1835–7.2.1909). Hofprediger und Politiker. Seit 1863 evangelischer Pfarrer, 1874–90 vierter Hof- und Domprediger in Berlin; 1879–98 MdprAH, 1881–93 und 1898–1908 MdR (Deutschkonservative Partei, Christlich-soziale Partei). Er suchte die Arbeiterschaft im sozialkonservativen, monarchistischen Sinn zu beeinflussen und gründete im Kampf gegen die Sozialdemokratie 1878 die Christlich-soziale (Arbeiter-)Partei; in der „Berliner Bewegung“ bekämpfte er das Judentum als Träger des Liberalismus; 1890 begründete er (zusammen mit → Adolf Harnack) den Evangelisch-sozialen Kongreß, als dessen hochkonservativer Exponent er galt; 1896 schied er wegen Differenzen mit der Gruppe der „Jungen“ um Friedrich Naumann, Paul Göhre und Max Weber aus und gründete 1897 die Freie kirchlich-soziale Konferenz. Kämpfte zeitlebens für eine selbständige evangelische Kirche als konservative Ordnungsmacht. Suso (Seuse), Heinrich (21.3.1295/97–25.1.1366). Mystiker und Seelsorger. Als 13-Jähriger Eintritt in den Dominikanerorden in Konstanz; um 1322 Studium generale in Köln, dort Schüler Meister Eckharts; seit 1326 Lektor am Heimatkonvent in Konstanz; brach nach Jahren seine dort praktizierte asketische Selbstzüchtigung ab und widmete sich dann der Seelsorge und Mission am Rhein, im Elsaß und in der Schweiz; seit 1347/48 im Ulmer Dominikanerkonvent, dort Redaktion seines „Exemplars“, das u. a. das „Büchlein der Wahrheit“ (Theorie seines mystischen Wissens), seine „Vita“ (Leben als Mystiker) und das „Büchlein der ewigen Weisheit“ oder – erweitert – „Horologium sapientiae“ (Einübung in die „compassio cum Christo“) umfaßt. Gilt neben Meister Eckhart und → Tauler als bekanntester Vertreter der deutschsprachigen Dominikanermystik. Tauler, Johannes (ca. 1300–16.6.1361). Mystiker und Seelsorger. Um 1314/15 Eintritt in den Dominikanerkonvent seiner Heimatstadt Straßburg, Ausbildung und Studium durch den Orden, dort möglicherweise persönlicher Kontakt zu Mei­ ster Eckhart; als Seelsorger und Prediger insbes. bei den Dominikanerinnen und Beginen tätig; 1339 Verlegung des Konvents nach Basel, dort Volkspredigten, woraus die Bewegung der „Gottesfreunde“ entstand; Reisen nach Köln und an den Niederrhein; seit 1346 wieder im nach Straßburg rückverlegten Konvent. Die

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erhaltenen Predigtsammlungen zum Kirchenjahr (die Volkspredigten sind nicht überliefert) sind von Meister Eckharts Mystik beeinflußt und betonen die innere, mystische Erfahrung Gottes, für die sich der Mensch durch Reue und Buße, nicht aber äußere asketische Übungen disponiere; die mystische Frömmigkeit verwirkliche sich im Alltag. Gilt neben Meister Eckhart und → Heinrich Suso als bekanntester Vertreter der deutschsprachigen Dominikanermystik. Taylor, James Hudson (21.5.1832–3.6.1905). Britischer Missionar in China. Methodistische Prägung. 1853–60 erste Missionsreise nach China, 1865 Gründung der „China Inland Mission“, Reisen ins Innere Chinas, plante die Mission ganz Chinas. Teellinck, Willem (4.1.1579–8.4.1629). Niederländischer Pastor und Erbauungsschriftsteller. Jurastudium in Leiden und Poitiers, 1604 unter dem Eindruck englischer Puritaner Studium der Theologie in Leiden; seit 1606 Pfarrer in Duiveland, seit 1613 neben Franciscus Gomarus in Middelburg. Versuchte in seinen Schriften englisch-puritanische und niederländisch-calvinistische Tradition miteinander zu verbinden. Zu seinen Spätschriften zählt das „Soliloquium“ (1635). Gilt als Vertreter der „Nadere Reformatie“, einer dem deutschen Pietismus vergleichbaren Erneuerungsbewegung innerhalb der niederländisch-reformierten Kirche. Tersteegen, Gerhard (25.11.1697–3.4.1769). Niederrheinischer reformiert-pieti­ stischer Erbauungsschriftsteller und Dichter. 1713 Kaufmannslehre in Mülheim/ Ruhr, dort Anschluß an den reformierten Pietismus; seit 1727 aktiv in pietistischen Konventikeln, 1750–60 Gnaden-, Bekehrungs- und Heiligungspredigten („Er­weckungs-Reden“). Seine Schriften (u. a. Übersetzung von → Jean de Labadie, → Thomas a Kempis, geistliche Lyrik „Geistiges Blumengärtlein“) und seelsorgliche Korrespondenz wirkten auf erweckte Kreise im Bergischen Land, am Niederrhein und in Holland. Vertrat einen mystisch gefärbten Glauben der „HerzensGottseligkeit“. Theophylakt von Achrida/Ochrid (ca. 1050 – ca. 1126). Byzantinischer Theologe. Um 1090 Erzbischof von Ochrid und Bulgarien. Verfaßte größtenteils katenenartige, d. h. mit Zitaten älterer Exegeten versehene Bibelkommentare. Thomas a Kempis (eigentl. Thomas Hemerken) (zw. 29.9.1379 und 24.7.1380–1.5. oder 25.7.1471). Mystiker. 1392–99 Schulbesuch in Deventer bei den „Brüdern vom gemeinsamen Leben“, seit 1399/1400 im Augustinerchorherrenstift Agnetenberg bei Zwolle, 1413/14 Priesterweihe ebd. Am bekanntesten ist das vermutlich von ihm nicht selbst verfaßte, sondern kompilierte Werk „De imitatione Christi“ (zahllose Abschriften, lateinische und volkssprachige Druckausgaben). Die „Imitatio“ hatte große Bedeutung für die spätmittelalterliche Frömmigkeit und wurde auch später im Katholizismus, in England, den Niederlanden und besonders im deutschen Pietismus sehr geschätzt. Gilt als bedeutendster Repräsentant der Devotio moderna, einer Frömmigkeitsbewegung in der spätmittelalterlichen Kirche.

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Thomas von Aquin (Tommaso d’Aquino) (1224/25–7.3.1274). Dominikanermönch, führender Theologe und Philosoph des Hochmittelalters. Von adliger Herkunft, 1239 Studium in Neapel; ca. 1244 Eintritt in den Dominikanerorden; vermutlich schon 1245–48 Studium bei Albertus Magnus in Paris, 1248–52 als dessen Assistent in Köln; lehrte 1252–59 in Paris, 1259–65 Konventslektor in Orvieto, 1265–68 Regens des Studienhauses in Rom, 1268–72 wieder in Paris und seit 1272 in Neapel. Er förderte unter Einbeziehung der gesamten christlichen Tradition die Hinwendung zur aristotelischen Philosophie und begründete durch eine Synthese von Glauben und Wissenschaft, Offenbarung und Vernunft, Theologie und Philosophie ein System axiomatisch-spekulativer Theologie. Sein Hauptwerk „Summa Theologiae“, woran er von 1266/67 bis 1273 arbeitete, gilt als Hauptwerk der Scholastik; 1323 Heiligsprechung. Thomas, Allen Clapp (26.12.1846–15.12.1920). Amerikanischer Quäker. Seit 1878 Bibliothekar und Geschichtsdozent am Haverford College, wo ihn Max Weber auf seiner Reise 1904 kennenlernte. Werke u. a. (mit Richard H. Thomas): „History of the Society of Friends in America“ (1894). Tindale → Tyndale, William. Tolstoj (auch Tolstoi), Leo; Tl. (russ.) Tolstoj, Lev Nikolaevicˇ Graf (28.8./9.9.1828– 7./20.11.1910). Russischer Schriftsteller. Lebte zumeist auf dem väterlichen Gut Jasnaja Poljana im Gouvernement Tula. Weltruhm erlangte er durch seine Romane „Krieg und Frieden“ (Buchausgabe 1868/69, 31873) und „Anna Karenina“. In seinen späten Romanen und Erzählungen entwickelte er eine radikale Ethik christlicher Nächstenliebe unter Abwertung der bestehenden Kultur- und Sozialordnung. Für Max Weber verkörperte Tolstoi den Idealtypus der reinen, weltflüchtigen Gesinnungsethik. Tönnies, Ferdinand (26.7.1855–9.4.1936). Philosoph, Soziologe und Nationalökonom. 1877 Promotion zum Dr. phil. in Tübingen, Reisen nach England zum Studium des Philosophen Thomas Hobbes, 1881 Habilitation in Kiel; 1909 etatmäßiger a.o. Professor, 1910 o. Honorar-Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften ebd., 1913–33 o. Professor ebd., ab 1921 Lehrauftrag für Soziologie ebd. Mit seinem Hauptwerk „Gemeinschaft und Gesellschaft“ (1887) einer der Mitbegründer der deutschen Soziologie; 1909–33 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), für die sich auch → Georg Simmel und Max Weber engagierten. Kollegiale Beziehungen zu Max Weber. Troeltsch, Ernst (17.2.1865–1.2.1923). Evangelischer Theologe, Politiker, Philosoph und Historiker. 1891 Promotion zum Lic. theol. in Göttingen, 1891 Habilitation ebd.; 1892 a.o. Professor für Systematische Theologie in Bonn, 1894 o. Professor in Heidelberg, 1906 Prorektor der Universität Heidelberg, seit dem Wintersemester 1909/10 Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät ebd., seit 1915 Lehrstuhl für Kultur-, Geschichts- und Religionsphilosophie und christliche Religionsgeschichte an der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin.  1909

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Angehöriger der Badischen 1. Kammer als Vertreter der Universität Heidelberg; 1918 Mitbegründer der DDP; 1919 Mitglied der Preußischen Nationalversammlung; 1919–21 im Nebenamt Unterstaatssekretär für evangelische Angelegenheiten im preußischen Kultusministerium. Werke u. a.: „Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit“ (1906, 21909); „Die Soziallehren der christlichen Kirchen“ (1908–10, überarb. Buchausg. 1912). Mitglied des Heidelberger „Eranos“-Kreises; wohnte 1910–15 im gleichen Haus wie Max Weber, freundschaftliche Beziehungen zu ihm, jedoch späterhin erhebliche Differenzen. Tyndale, William (um 1494–6.10.1536). Englischer Bibelübersetzer. Studium in Oxford und Cambridge; 1521 Priesterweihe, Pläne einer Neuübersetzung der Bibel ins Englische ließen sich wegen seiner reformatorischen Bestrebungen und mangelnder Genehmigung durch Krone und Kirche in England nicht realisieren, daher 1524 über Wittenberg nach Hamburg; 1526 erschien in Worms sein Neues Testament, das in England verbrannt wurde (2 Exemplare sind erhalten); das Alte Testament übersetzte er in Antwerpen, dort 1535 wegen Konflikt mit Heinrich VIII. von England festgenommen und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Seine Übersetzung ging zu großen Teilen in das „Book of Common Prayer“ und in die King James Bible (1611) ein. Veblen, Thorstein (30.7.1857–3.8.1929). Amerikanischer Ökonom und Sozialwissenschaftler. Entstammte einer norwegischen Einwandererfamilie; 1881–84 Studium der Philosophie am Carlton College in Minnesota, 1884 Ph.D. an der Yale University; konnte trotz guter Zeugnisse wegen seiner agnostischen Einstellung über Jahre keine akademische Anstellung finden; 1891 als Student bei J. Laurence Laughlin an der Cornell University, 1892–1906 Lehrtätigkeit für politische Ökonomie an der University of Chicago, 1906–09 an der Stanford University, 1911–18 an der University of Missouri in Columbia, 1918–26 an der von ihm mitbegründeten New School of Social Research in New York; seit 1892 Herausgeber des „Journal of Political Economy“, und 1918/19 des Literaturmagazins „The Dial“. In den Werken „The Theory of Leisure Classes“ (1899) und „The Theory of Business Enterprise“ (1904) untersuchte er die Entwicklung des US-Kapitalismus, dessen Industriekapitäne eine rein monetäre Politik verfolgten, und übte scharfe Kritik am Verhalten der Oberschicht. Vischer, Friedrich Theodor (30.6.1807–14.9.1887). Literatur-, Kunst- und Kulturkritiker. 1825–30 Studium der evangelischen Theologie, Philosophie und Philologie in Tübingen, 1835 Habilitation für Ästhetik und deutsche Literatur; 1837 Extraordinarius, 1844 o. Professor für Ästhetik und deutsche Literatur ebd., 1845–47 wegen seines öffentlichen Bekenntnisses zum Pantheismus im pietistischen Milieu Tübingens mit Lehrverbot belegt; 1848/49 liberaler Abgeordneter der Paulskirche; 1855 Dozent am Züricher Polytechnicum, 1866 Lehrstuhlinhaber in Tübingen und Dozent in Stuttgart. Hauptwerke sind: „Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen“ (6 Teile, 1846 ff.) und eine Satire auf Goethes Faust II (1862). Seine Sammlung „Kritische Gänge“ (2 Bände 1844, 6 Hefte 1860–1873) enthält tagespolitische Beiträge des seinerzeit einflußreichen Kritikers.

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Voet (latinisiert: Voetius), Gisbert (3.3.1589–1.11.1676). Niederländischer reformierter Theologe. Seit 1604 Studium der Theologie in Leiden (Schüler des Franciscus Gomarus); 1618/19 Teilnahme an der Dordrechter Synode, Zustimmung zur orthodoxen Prädestinationslehre; seit 1636 Professor für Theologie in Utrecht, wo er der Theologie Johannes Coccejus entgegentrat (fortgesetzt als Streit der „Voetianer“ gegen die „Coccejaner“). Propagierte einen an den puritanischen Frömmigkeitsidealen orientierten Lebensstil, wobei alles menschliche Handeln in ethischer Hinsicht mit dem Gesetz Gottes exakt übereinstimmen sollte („Präzisismus“). Handlungsrahmen blieb gegenüber separatistischen Tendenzen (→ Jean de Labadie) die Kirche. Bei „Ta Asketika sive exercitia pietatis“ (1664) handelt es sich um ein Handbuch religiöser Frömmigkeitspraxis. Gilt als führender niederländischer Vertreter der calvinistischen Orthodoxie. Wahl, Adalbert (29.11.1871–5.3.1957). Historiker. 1895 Promotion zum Dr. phil. in Bonn, 1900 Habilitation in Freiburg i.Br.; 1905 a.o. Professor ebd., 1908 o. Professor in Hamburg, 1910–38 in Tübingen, 1921/22 Rektor ebd. Arbeiten zur deutschen Geschichte von der Reichsgründung bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs. Washington, Booker Taliaferro (5.4.1856–14.11.1915). Afroamerikanischer Päd­ agoge und Sozialreformer. Als Sklave geboren; Studium in Hampton, Viriginia; 1881 Gründungsdirektor des Tuskegee Institute in Alabama, einer Art Berufsschule für Afroamerikaner, die sich später zu einer erfolgreichen Hochschule entwickelte und für die er Sponsoren wie → Andrew Carnegie gewann.  1901 erschien seine Autobiographie „Up from Slavery“. Max Weber besuchte 1904 seine Bildungseinrichtung in Tuskegee. Watson, Richard (22.2.1781–81.1.1833). Britischer Methodist. 1821–27 Sekretär der Wesleyan Missionary Society, 1826 Präsident der britischen Methodistenkonferenz. Verfasser eines Buchs über John Wesley (1831). Weber, Alfred (30.7.1868–2.5.1958). Nationalökonom und Soziologe. 1897 Promotion zum Dr. phil. bei → Gustav Schmoller in Berlin und 2. Juristisches Staatsexamen ebd., 1899 Habilitation für Nationalökonomie ebd.; 1904 o. Professor in Prag, 1908–33 und 1945–55 o. Professor für Nationalökonomie, seit 1926 auch für Soziologie in Heidelberg; 1933 aus politischen Gründen emeritiert. Seit 1899 Mitglied im Verein für Socialpolitik. Arbeiten zur Hausindustrie, Standorttheorie, Kultursoziologie und Geschichtsphilosophie; politische Aufsätze. Bruder Max Webers. Weingarten, Hermann (12.3.1834–22.4.1892). Evangelischer Kirchenhistoriker. Studium der Theologie und Orientwissenschaften in Jena (v. a. bei Karl Hase), 1857 Lic. theol. ebd., aus finanziellen Gründen seit 1858 Gymnasiallehrer in Berlin, 1862 Habilitation ebd.; 1868 Extraordinariat für Kirchengeschichte ebd., 1873 o. Professor in Marburg, 1876 in Breslau, 1891 wegen Nervenkrankheit (seit 1872) vorzeitig emeritiert. Seine Forschung und Sympathie galt religiösen Außenseitern

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wie den Täufern, Independenten und den Quäkern, denen er zu neuer Würdigung verhalf. Weber schätzte sein Werk „Die Revolutionskirchen Englands“ (1868). Wesley, John (17.6.1703–2.3.1791). Englischer Erweckungsprediger und Mitbegründer der Methodisten.  1727 M. A., 1728 Weihe zum Priester der anglikanischen Kirche; 1729 Dozent in Oxford, übernahm 1730 dort die Leitung des von seinem Bruder Charles gegründeten „Holy Club“, zu dem auch → George Whitefield gehörte und dessen Mitglieder spöttisch „Methodisten“ genannt wurden, Studium der Mystiker, auch der Schriften → William Laws; 1735–37 reiste er zur Evangelisierung nach Nordamerika (Georgia), dort Kontakt mit Herrnhutern; hatte nach der Rückkehr in England 1738 ein Bekehrungserlebnis; Reiseprediger und zusammen mit Whitefield Predigten unter freiem Himmel, 1739–41 Entzweiung mit diesem über die von Wesley abgelehnte Prädestinationslehre. Maßgeblicher Organisator des Methodismus auf lokaler Ebene (classes) bis zu überregionalen jährlichen Konferenzen; sozialkaritative Ausrichtung. White, (seit 1907:) Sir George (13.3.1840–11.5.1912). Britischer Industrieller und Politiker. Arbeitete sich vom Schuhmacherlehrling zum Partner einer Schuhfabrik in Norwich hoch, seit 1899 eine GmbH, deren Vorstand er bis zum Tod war; 1900–12 Mitglied des Unterhauses für die Liberalen. Seit 1857 engagierter Baptist, 1903 Präsident der Baptist Union, insbesondere Kampf gegen den Alkoholismus, den er für das größte Gesellschaftsproblem hielt, und Eintreten für ein christliches Erziehungswesen des Staates. Whitefield, George (16.12.1714–30.9.1770). Englischer methodistischer Erwek­ kungsprediger. Während des Studiums in Oxford schloß er sich 1734 dem „Holy Club“ um Charles und → John Wesley an. Ursprünglich Geistlicher der anglikanischen Kirche (1736), entwickelte er sich zum erfolgreichen methodistischen Reise- und Feldprediger in England und v. a. in Nordamerika, wohin er mehrmals reiste; dort war er zeitweise der bekannteste und meistgedruckte Prediger; 1739–41 Kontroversen mit John Wesley über die Prädestinationslehre, die jener ablehnte; trotz persönlicher Annäherung blieb die theologische Spaltung in der methodistischen Bewegung bestehen. Wiclef → Wyclif, John. Wilhelm der Eroberer (1027/28–7.9.1087). Herzog der Normandie (seit 1035), König von England (seit 1066). Entschied den englischen Thronstreit durch den Einmarsch seiner Truppen in England (1066); beanspruchte als englischer König das gesamte eroberte Land als Krondomäne und königliches Lehnsgebiet; führte zahlreiche Neuerungen in Verfassung und Verwaltung ein sowie die Zentralisierung der Verwaltung. Wilhelm I. von Oranien (24.4.1533–10.7.1584). Graf von Nassau, Prinz von Oranien (seit 1544), Statthalter in den niederländischen Provinzen Holland, Seeland und Utrecht (seit 1559). Auflehnung gegen die Politik des spanischen Landesherrn

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Philipp II. und dessen Bedrohung der niederländischen Privilegien. Selbst religiös indifferent, aber 1573 wohl aus politischen Gründen zum Calvinismus konvertiert, verurteilte er den Bildersturm (1566). Unterstützte den Beschluß der Staatenversammlung zu Dordrecht (1572), der sowohl Protestanten als auch Katholiken die freie Ausübung des Gottesdienstes gewähren sollte; konnte die nördlichen und südlichen niederländischen Provinzen in den Freiheitskämpfen gegen die spanische Krone mit der Genter Pazifikation (1576) einigen. Wurde zum Statthalter der in der Utrechter Union (1579) vereinigten Nordprovinzen ernannt, die 1581 ihre Unabhängigkeit erklärten und damit zur Republik wurden. Vom spanischen König geächtet und 1584 von einem Katholiken in Delft ermordet. Williams, Roger (um 1603–1683). Gründer der Kolonie Rhode Island, Verfechter der Trennung von Staat und Kirche. Zunächst Jura-, dann Theologiestudium in Cambridge, ca. 1629 zum Priester der anglikanischen Kirche geweiht, wegen seiner puritanischen Ansichten Hauskaplan; übersiedelte 1631 in die Massachusetts Bay Colony, wo er wegen seiner als extrem und separatistisch geltenden Ansichten über die Nichteinmischung des Staats in kirchliche Angelegenheiten in Konflikt geriet; nach seiner Ausweisung kaufte er von indianischen Stämmen Land und gründete 1636 in der Narragansett Bay die Siedlung Providence, die dort geübte Toleranz zog andere Dissenters an; 1639 Mitbegründer der ersten amerikanischen Baptistengemeinde, wandte sich jedoch bald vom Baptismus ab; erwirkte 1644 in England zur Sicherung seiner Gründung vor den umliegenden Kolonien ein Patent für Rhode Island, für die er eine auf Trennung von Staat und Kirche zielenden Verfassung schuf; 1654–57 erster gewählter Präsident von Rhode Island, bewirkte 1656 Aufnahme der verfolgten Quäker und betrieb India­ nermission nach toleranten Grundsätzen. Windelband, Wilhelm (11.5.1848–22.10.1915). Philosoph. 1870 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen, 1873 Habilitation in Leipzig; 1876 o. Professor in Zürich, 1877 in Freiburg i. Br., 1882 in Straßburg und 1903–15 in Heidelberg; repräsentiert mit Heinrich Rickert die südwestdeutsche Schule des Neukantianismus. Kollegiale Beziehungen zu Max Weber. Wittich, Werner (5.8.1867–11.8.1937). Nationalökonom und Finanzwissenschaftler. 1891 Promotion zum Dr. rer. pol. in Straßburg bei → Georg Friedrich Knapp; 1901–18 etatmäßiger a.o. Professor ebd.; 1919 Annahme der französischen Staatsbürgerschaft, lebte bis zu seinem Tode in Langenschloessel im Elsaß. Arbeiten zur Wirtschaftsgeschichte, zur Grundherrschaft Nordwestdeutschlands sowie zur Kultur des Elsaß. Kollegiale Beziehungen zu Max Weber. Wolff, Christian (seit 1745:) Freiherr von (24.1.1679–9.4.1754). Philosoph der Aufklärung. 1707–23 Professor der Mathematik, Philosophie und Naturlehre in Halle, 1723–40 in Marburg, 1740–54 Professor des Natur- und Völkerrechts wieder in Halle. Vertrat merkantilistische Ansichten und sprach sich für den eudämonistischen Wohlfahrtsstaat aus.

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Wundt, Wilhelm (16.8.1832–31.8.1920). Philosoph, Mitbegründer der Psychologie als wissenschaftliches Fach. Studium der Naturwissenschaften, Philosophie und Medizin, 1855 Promotion zum Dr. med. in Heidelberg, 1857 Habilitation ebd.; 1864 a.o. Professor an der medizinischen Fakultät, 1871 etatmäßiger a.o. Professor ebd., 1874 o. Professor für induktive Philosophie in Zürich, 1875–1917 für Philosophie in Leipzig; 1879 Gründer des ersten psychologischen Instituts für experimentelle Psychologie ebd.; 1866–68 Vertreter Heidelbergs in der Badischen Kammer. Werke auf dem Gebiet der Psychologie, Logik (1880–1883), Ethik (1886), eine „Völkerpsychologie“ (5 Bände, 1900–1909; 10 Bände, 31911–1920). Wyck, Adrian van (auch: Wijck, Adriaan van) (23.9.1641–16.12.1719). Niederländischer katholischer Theologe. Seit 1664 Priester in Kethel; hervorgetreten durch Schriften gegen die Jansenisten, Verfasser eines „Tractatus theologicus de praedestinatione“ (1706). Wyclif, John (um 1330–31.12.1384). Englischer Theologe und Kirchenreformer. Philosophische Lehrtätigkeit, Weltpriester; Studium der Theologie und seit 1373 Professor in Oxford; wegen umstrittener kirchenpolitischer Wirksamkeit 1381 Rückzug als Ortspfarrer nach Lutterworth, Leicestershire. Vollzog in seinem philosophischen Schrifttum bereits den Übergang vom Nominalismus zum Realismus, übte scharfe Kritik an der Lehre und Verfassung der Kirche, daher 1382 Verurteilung seiner Lehre in England und postum 1415 auf dem Konstanzer Konzil von 45 Artikeln aus seinem umfangreichen Schrifttum, dort auch zum Ketzer erklärt, weshalb 1428 sein Leichnam exhumiert und verbrannt wurde. Umstritten ist, ob Wyclif bei seinen Anhängern (Lollarden) die Bibelübersetzung nach der Vulgata ins Englische lediglich anregte oder eventuell an deren erster Fassung (ca. 1380–1384) mitwirkte. Seine Anhänger verbreiteten sein Gedankengut in volkssprachlichen Predigten. Zeller, Eduard (22.1.1814–19.3.1908). Evangelischer Theologe, Philosophie­ historiker, Vertreter des Neukantianismus. Studium der Philosophie und Theologie in Tübingen, 1836 Promotion zum Dr. phil., 1840 Habilitation für Theologie ebd.; 1847 Professor in Bern für Dogmatik und Exegese, 1849 o. Professor in Marburg (philosophische Fakultät), 1862 in Heidelberg und 1872–94 in Berlin. Seine wichtigsten Werke sind eine mehrbändige „Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung“ (verschiedene Aufl.) und „Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntnistheorie“ (1862). Weber bezieht sich auf sein Werk „Das theologische System Zwinglis“ (1853). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig, Reichsgraf von Zinzendorf und Pottendorf (26.5.1700–9.5.1760). Begründer und Leiter der Herrnhuter Brüdergemeine. Erzogen im Halleschen Pädagogium (→ August Hermann Francke), 1716–19 Jurastudium, 1721–27 Hof- und Justizrat in Dresden.  1722 Aufnahme mährischer Exulanten auf seinem Gut Berthelsdorf (Oberlausitz), die dort die Siedlung Herrnhut gründeten, aus der sich die kirchlich eigenständige, konfessionsübergreifende Brüdergemeine entwickelte; dieser widmete sich Zinzendorf bald aus-

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schließlich. Nach Ausweisung aus Kursachsen 1736 Gemeindegründungen in der Wetterau mit Zentrum Herrnhaag, Reisen bis nach Pennsylvania (1742/43) und ins Baltikum, 1747 Rückkehr nach Herrnhut, lebte 1751–55 in London, zum Schluß auf seinem Gut. Zentrum seiner pietistischen Herzensfrömmigkeit war „die tägliche Konnexion mit dem Heiland“, die er in verschiedenen biblischen Bildern (Lamm, Seitenwunde Jesu, Blut, Bräutigam, Ehe) beschrieb. Zwingli, Ulrich (Huldrych) (1.1.1484–11.10.1531). Züricher Reformator. Seit 1519 Leutpriester am Großmünster in Zürich, dort reformatorische Maßnahmen. Neben Konflikten mit den Täufern, die zu Verbannungen und Hinrichtungen führten, stand seit 1525 die Auseinandersetzung mit → Luther um das Abendmahlverständnis im Vordergrund: Im Marburger Religionsgespräch 1529 konnte man sich in allen reformatorischen Lehrfragen (mit Ausnahme der Frage der Gegenwart Christi im Abendmahl) einigen. Zwingli fiel im 2. Kappeler Krieg, zu dem es bei dem Versuch, die Züricher Reformation auszuweiten, gekommen war.

Glossar

Dieses Verzeichnis berücksichtigt Begriffe und Familien, die Max Weber in seinen Texten nennt. Die Einträge erfolgen in der Schreibweise Max Webers.

Ablaß (lat. indulgentia). Verwurzelt im mittelalterlichen Bußsystem (→ Buße), bedeutet er den Erlaß der zeitlichen Sündenstrafen für Lebende, seit 1476 auch für Verstorbene. Ermöglicht wird dies durch einen in der Kirche gesammelten Überschuß an Verdiensten (→ thesaurus ecclesiae). Seit Mitte des 14. Jahrhunderts Ablaßhandel, d. h. gegen Vorlage eines gekauften Ablaßbriefes in der → Beichte wird Absolution erteilt. Luther kritisiert die Ablaßpraxis, weil sie eine falsche Heilssicherheit erzeuge. Adiaphoron (griech. ἀδιάφορον), Pl. Adiaphora, wörtl. „Nicht-Unterschiedenes“ im Sinne von „Mittelding“, d. h. in sittlicher Hinsicht weder „gut“ noch „böse“. Akosmismus, akosmistisch (von griech. κόσμος). Eine Lehre, die die Realität der Welt leugnet und nur Gott und Mensch kennt. Bei Max Weber in Verbindung mit Liebe (Liebesakosmismus) zur Kennzeichnung einer Haltung verwandt, die das christliche Liebesgebot zur Hingabe als solche steigert, zur Hingabe nicht nur an den Nächsten, sondern an den Nächstbesten („Die heilige Prostitution der Seele“, Charles Baudelaire). Alt-Protestantismus, altprotestantisch. Bezeichnung für die Eigenart des Prote­ stantismus im Reformationszeitalter und der (lutherischen) → Orthodoxie (16.–18. Jahrhundert); auch Epochenbegriff. Bei Ernst Troeltsch ein Grundtypus prote­ stantischer Theologie (gegenüber dem „Neuprotestantismus“). anglikanische Kirche. In ihrer Anfangsphase identisch mit der → englischen Staatskirche, seit der Kolonialisierung auch in Nordamerika beheimatet, heute mit vielen Nationalkirchen eine der größten Kirchengemeinschaften; verbindet Elemente des Katholizismus mit solchen des Protestantismus. Anglikanismus → anglikanische Kirche. Anstalt, Kirche als (Heils-)Anstalt → Heilsanstalt. antichrematistisch. Gegensatz zu chrematistisch (→ Chrematismus). Apokryphen (von griech. ἀπόκρυφος, „geheim“, „verborgen“). Im vorliegenden Zusammenhang Schriften, die nicht in den alttestamentlichen Kanon der Reformationskirchen aufgenommen wurden (der Kanon entspricht dem ca. 100 n.Chr. festgelegten der Hebräischen Bibel), die jedoch in der → Septuaginta enthalten sind (in der römisch-katholischen Kirche gelten sie als „deuterokanonisch“). Zu den Apokryphen zählt etwa das Buch → Jesus Sirach.

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Glossar

Arminianismus, Arminianer. Von dem Niederländer Jacobus Arminius (eigentl.: Jacob Hermansz, 1560–1609) begründete Richtung des reformierten Protestantismus. Seine Anhänger verfassen 1610 eine fünf Artikel umfassende Remonstration (darum auch „Remonstranten“) zur Verbreitung ihrer moderaten Auffassung der → Prädestinationslehre: Christus sei für alle gestorben, die Heilsbedeutung seines Todes universal. Wer das Heilsangebot im Glauben annehme, dem gereiche es zum Heil; man könne es aber auch ausschlagen. Auf der → Dordrechter Synode (1618/19) wird ihre Auffassung zugunsten des orthodoxen Prädestinationsverständnisses der Gomaristen (nach Franciscus Gomarus, 1563–1641) verworfen. Augsburger Konfession (lat. Confessio Augustana). Grundlegendes Bekenntnis des lutherischen Protestantismus. Hauptsächlich von Philipp Melanchthon während des Augsburger Reichstags 1530 unter Mitbenutzung von Vorlagen (Bekenntnisartikel und Schriften) formuliert, mehrfach bearbeitet, umfaßt es 28 Lehrartikel zur Abwehr der 404 Artikel des Johann Eck. In der Folge suchten altgläubige Theologen, das Bekenntnis mit einer „Confutatio“ zu widerlegen, der die Lutheraner (in erster Linie wieder Melanchthon) mit einer „Apologie“ begegneten (ebenfalls lutherische Bekenntnisschrift). auri sacra fames. Nach Vergil, Aeneis 3,56 f.: „quid non mortalia pectora cogis, auri sacra fames“, dt. „wozu treibst du nicht die Herzen der Menschen, verfluchter Hunger nach Gold“. Baptismus, Baptisten. Kennzeichen dieser Religionsgemeinschaft ist die Gläubigen- oder Erwachsenentaufe, die ein selbständiges Bekenntnis voraussetzt (→ „believers’ church“). Starke Betonung der Gewissens- und Religionsfreiheit. In England ab 1611 entstanden aus dem Kontakt mit niederländischen → Mennoniten (verwurzelt im → Täufertum des 16. Jahrhunderts), später wegen ihres Glaubens an die universelle Erwählung als „General Baptists“ bezeichnet; ca. 1638–1641 Abspaltung der „Particular Baptists“, die unter calvinistischem Einfluß die partikulare Erwählung vertreten und bald mehr Mitglieder als die „General Baptists“ haben. Beide zählen zum puritanischen Separatismus und werden nach 1660 verfolgt. Seit 1813 „Baptist Union of Great Britain and Ireland“, worin ab 1891 beide Traditionen offiziell zusammengeschlossen sind. – In Nordamerika gründet Roger Williams 1639 in Providence, RI, die erste baptistische Gemeinde, aus der der amerikanische Baptismus hervorgeht. Baptist Union of Great Britain and Ireland → Baptismus, Baptisten. barcajuolo, eigentl. barcaiuolo (italien.), „Bootsmann“, „Schiffer“, „Fährmann“. Bardi (Familie). Erfolgreiche Florentiner Bankiersfamilie seit der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts. Auch nach ihrem Bankrott in den 1340er Jahren weiterhin einflußreich. Ähnlich: die → Peruzzi.

Glossar

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„beati possidentes“ (lat.). „Glücklich die Besitzenden“. Beghinen (eigentl.: Beginen). Weibliche Semireligiose, d. h. Frauen, die eine Lebensform zwischen Klerus und Laien wählen; hervorgegangen aus der religiösen Laienbewegung im Hochmittelalter, vor allem in den heute zu Belgien gehörenden Gebieten und im Rheinland (männliches Pendant: Begarden). Die frühen Beginen propagieren ein Leben in Armut, Einfachheit, Demut und Buße ohne gemeinsame Regel. Ab der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts bilden sich Beginengemeinschaften (Beginenhöfe). Mit päpstlicher Unterstützung ab 1311/1317 unterdrückt, doch bleiben achtbare Beginenhöfe erlaubt. Beichte, Privatbeichte. In den christlichen Kirchen Schuldgeständnis des Sünders (vor einem Geistlichen), um Vergebung zu erhalten.  1. In der römisch-katholischen Kirche ist die private Beichtbuße ein Teil des Bußsakraments (→ Buße): nach dem Sündenbekenntnis Auferlegung von Bußen, nach deren Ableistung Absolution und Wiederaufnahme in die Sakramentsgemeinschaft. Ab dem 5. Jahrhundert entstehen Bußbücher, die die Bußtarife (Strafen) festlegen. Im Hochmittelalter verwenden Geistliche Poenitentialsummen, die ausgefeilte Frageschemata (und Bußtarife) enthalten. Reue und subjektive Vollständigkeit des Geständnisses gilt als Voraussetzung einer wirksamen Absolution (hierzu sog. Beichtspiegel für die Laien). – 2. Luther faßt die Beichte neu (kein Sakrament); Angemessenheit der Reue, Vollständigkeit und Satisfaktionsleistungen spielen keine Rolle; er schätzt die Privatbeichte wegen des Vergebungswortes. In der Praxis vermischt sich die Privatbeichte mit dem Abendmahlsverhör, bei dem für die Zulassung zum Abendmahl der Glaube geprüft wird, deshalb schon seit dem 16. Jahrhundert oftmals durch die allgemeine Beichte ersetzt. Offizielle Aufhebung der Privatbeichte im Luthertum erst im 18. Jahrhundert. – 3. Im Calvinismus wird die Beichte mit der → Kirchenzucht verbunden. In der Liturgie bekommt darum die allgemeine oder öffentliche Beichte ihren Platz (als „Offene Schuld“ am Beginn des Gottesdienstes oder allgemeine Beichte zur Vorbereitung auf das Abendmahl), während die Privatbeichte keine eigene Institution bleibt, sondern ganz in den Bereich der Seelsorge fällt. Bekehrung (engl. conversion). 1. Gewinnung eines Menschen für das Christentum oder Zuwendung zum Christentum; 2. innerchristlich: Hinwendung zu einer strengeren Lebensform; im → Pietismus und → Methodismus als Gnadenerfahrung der → Wiedergeburt (erlebt als einmaliger Akt der Erneuerung des Lebens; bei August Hermann Francke (→ Personenverzeichnis) als „Bußkampf“ bezeichnet). „believers’ church“ (engl.). „Kirche der Gläubigen“. Von Weber zur Bezeichnung für Kirchen verwendet, deren Mitglieder allein persönlich Bekennende oder Wiedergeborene sind, wie die → Baptisten. Bettelmönche, Bettelmönchtum → Bettelorden.

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Glossar

Bettelorden. In Europa im frühen 13. Jahrhundert aus der Armutsbewegung entstanden. Verzicht auf persönliches oder gemeinschaftliches Eigentum; ohne festen Aufenthaltsort lebt man vom Bettel oder von Schenkungen, hauptsächlich in den Städten, dort oft Konkurrenz zum Pfarrklerus. Die vier klassischen Bettel­ orden (auch Mendikanten) sind → Dominikaner und → Franziskaner, Karmeliter und Augustiner-Eremiten. Brüdergemein(d)e → Herrnhuter. Buße, Bußsakrament. Im Mittelalter entwickeltes Bußschema: Reue des Sünders (contritio cordis), Beichte vor dem Priester (confessio oris), Genugtuung durch Ableistung der auferlegten Werke (satisfactio operis; etwa in Gestalt von Gebeten, Almosen, Wallfahrten), Absolution. Auch: → Beichte. Seit der Frühscholastik auf die zeitlichen Sündenstrafen (poena) konzentriert, die auf Erden oder im Fegefeuer (purgatorium) abzugelten sind, während die ewige Sündenschuld (culpa) allein Gott vergeben könne (die Versöhnung mit Gott erfolgt durch den Akt der Reue). Seit dem 12. Jahrhundert wird zwischen unvollkommener (attritio) und vollkommener (contritio) Reue des Sünders unterschieden, die attritio wird jedoch bald aufgewertet: Die Kirche kann die ewige Sündenschuld (culpa) vergeben, wodurch die Absolution eigenständige Heilsbedeutung erhält. Für unerfüllbar gewordene Satisfaktionsforderungen kann der → Ablaß eingesetzt werden. Bußkampf → Bekehrung. Campagnezeit. Geschäftszeit oder Saison. casus conscientiae → Kasuisten. certitudo salutis (lat.), (subjektive) Heilsgewißheit. character indelebilis (lat.). „Untilgbares [geistliches] Prägemal“ einer Person, das nach katholischer Lehre durch die Sakramente Taufe, Firmung und Priesterweihe unverlierbar verliehen wird. Luther und Calvin lehnen diese Auffassung ab, weil etwa mit der Priesterweihe ein Wesensunterschied zwischen Klerikern und Laien gesetzt wird. Chrematismus, chrematistisch (von griech. χρήμα, „Geld“). Streben nach Geld um seiner selbst willen. Cisterzienser(-Orden) (lat. Sacer ordo cisterciensis). Als Reformbewegung 1098 von Robert von Molesme im Benediktinerkloster Cîteaux gegründet, das zum Stammkloster der Zisterzienser wird. Der Zisterzienserorden wurde besonders von Bernhard von Clairvaux geprägt. Rückkehr zur Benediktsregel (→ Personenverzeichnis: Benedikt von Nursia), strenge und einfache Lebensweise.

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Cluniazenser(-Orden). Monastische Reformbewegung, deren Ausgangs- und Mittelpunkt das Kloster Cluny in Burgund (gegründet 910) ist. Andere Klöster übernehmen den „ordo cluniacensis“ samt seiner consuetudines. Konzentration auf strenge Beachtung der Benediktsregel und Spiritualität (Liturgie und Gebetswesen). Concupiszenz (lat. concupiscentia, „(sinnliche) Begehrlichkeit“, „Begierde“). Theologischer Begriff zur Beschreibung und Reflexion der Macht der Sünde über den Menschen. Augustinus lehrt, die Sünde werde durch die menschliche Zeugung übertragen, da diese mit Konkupiszenz verbunden sei (De peccatorum meritis 1,10). Davon ausgehend wird die Konkupiszenz als Erscheinungsform der Erbsünde (reformatorisch: neben der Abwendung von Gott im Unglauben; Augsburger Konfession, Art.  2: „sine metu Dei, sine fiducia erga Deum et cum concupiscentia“) oder als deren Trägerin diskutiert (laut Tridentinum verbleibt die Konkupiszenz auch nach der Taufe, die das Wesen der Sünde aufhebt, im Menschen). Confessio Belgica. 1561 von Guy de Brès formuliert, 1619 durch die → Dordrechter Synode als reformiertes Bekenntnis autorisiert. Confessio Gallicana. Auf der ersten Nationalsynode der französischen Reformierten (→ Hugenotten) 1559 formuliertes Bekenntnis. Confessio Helvetica posterior. Formuliert von Heinrich Bullinger (→ Zwinglianismus), gedruckt 1566. Die umfangreiche Bekenntnisschrift erlangte große Verbreitung in der Schweiz, darüber hinaus in Ungarn, in Österreich nach 1781. Sie gilt nach dem Heidelberger Katechismus als am weitesten verbreitetes reformiertes Bekenntnis. conformism (engl.), Gegensatz zu Nonkonformismus (→ Nonkonformisten). consilia evangelica („evangelische Räte“). Nach der römisch-katholischen Moraltheologie zusätzliche Weisungen für jene, die sich zu einer radikaleren Nachfolge Christi berufen fühlen. Sie unterscheiden sich dadurch von den übrigen Getauften, für die nur praecepta (Sittlichkeitsgebote) gelten. Biblische Grundlage ist 1 Kor 11,25. Ab Ende des 3. Jahrhunderts bilden sich die drei evangelischen Räte Keuschheit, Armut und Gehorsam als Tugenden des Mönchtums heraus, als Inhalt der Ordensgelübde seit dem 12. Jahrhundert kanonisiert. Die Reformatoren lehnen dies als eine zweistufige Ethik ab. conversion (engl.). Konversion; → Bekehrung. Deist. Anhänger einer natürlichen, vernünftigen (im Gegensatz zu einer offenbarten) Religion. Er glaubt an eine erste Ursache der Schöpfung der Welt, verhält sich aber gegenüber kirchlichen Bekenntnissen, Lehren und Praktiken kritisch oder ablehnend.

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Denomination. Eine religiöse oder kirchliche Gemeinschaft, die sich unter den Bedingungen von Religionsfreiheit oder denen der Trennung von Kirche und Staat bildet. Detailgeschäft, Detailhandel. Einzelhandelsgeschäft, Ladengeschäft; Einzel-, Kleinhandel. directeur de l’âme (frz.), „Seelenführer“. Dominikaner(-Orden) (lat. Ordo fratrum praedicatorum). Zu Beginn des 13. Jahrhunderts von Dominikus in Südfrankreich gegründeter (Prediger-)Orden. Entstand zu dem Zweck, die Albigenser zu bekehren; 1216 als Orden regulierter Kanoniker bestätigt. Trotz vieler Ähnlichkeiten mit dem gleichzeitig entstandenen Franziskanerorden (→ Franziskaner) weniger rigorose Auslegung des Armutsgelübdes, stattdessen Konzentration auf die Bekämpfung der Häresie mit den Mitteln der Predigt und des theologischen Studiums. Dem Papsttum dienen sie als Inquisitoren, darin später von den → Jesuiten abgelöst. Aus dem Orden gingen unter anderem Thomas von Aquin, Meister Eckhart und Johannes Tauler hervor. Donatismus, Donatisten. Im 4. Jahrhundert in Nordafrika entstandene schismatische Sekte, benannt nach ihrem Bischof Donatus. Zum donatistischen Schisma kam es, als in Karthago Caecilian zum Bischof geweiht wurde und seine Gegner die Weihe für ungültig erklärten, weil sich unter den Weihenden ein während der diokletianischen Verfolgung abtrünniger Bischof befand. Unter den Gegnern ist Donatus, 313 zum Gegenbischof Caecilians erhoben (bis 315). Nach der Lehre der Donatisten hängt die Wirksamkeit von Sakramenten von der ethischen Qualität und der Würdigkeit dessen ab, der sie spendet. Die Donatisten tauften (nach afrikanischer Gewohnheit) auch diejenigen erneut („Ketzertaufe“), die sich vor ihrem Beitritt an die von Rom bestätigte „katholische“ karthaginiensische Kirche gehalten hatten. Augustinus formuliert gegen den Donatismus den Lehrsatz, die Sakramente seien durch ihren Vollzug wirksam, weil Gott sie gebe und der Heilige Geist ihnen ihre Wirkung verleihe. doppeltes Dekret → Prädestination, Prädestinationslehre. Dordrechter Canones → Dordrechter Synode. Dordrechter Synode (13.11.1618–9./29.5.1619). Nationalsynode der reformierten Kirche in den Niederlanden, an der auch auswärtige Theologen teilnahmen. Sie trat zusammen, um die Streitigkeiten zwischen → Arminianern und Gomaristen über die → Prädestinationslehre zu beenden und die kirchliche Einheit herzustellen. Die Dordrechter Canones verwerfen das arminianische Prädestinationsverständnis und lehren eine (infralapsarische) orthodox-calvinistische doppelte Prädestination. – Die von Johan van Oldenbarnevelt (→ Personenverzeichnis) im Interesse der Souveränität der Provinz stets abgelehnte Generalsynode läßt

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der niederländische Statthalter und militärische Oberbefehlshaber Moritz von Oranien im Sommer 1618 einberufen. dritter Stand (status oeconomicus). In der lutherischen Dreiständelehre der „Hausstand“, Bereich von Familie und Beruf (gegen die katholische Unterscheidung von Klerus und Laien gerichtet). Die anderen Stände sind der geistliche Stand (status ecclesiasticus) und der weltliche Stand (status politicus). ecclesia militans. Die Gemeinde oder Kirche, die auf Erden sowohl geistlich als auch politisch gegen ihre Feinde streitet oder kämpft. Educational Alliance. 1889 als Anlaufstelle für osteuropäische jüdische Einwanderer in Downtown Manhattan (New York) gegründete Einrichtung. Der Eingliederung in die amerikanische Gesellschaft diente ein Assimilationsprogramm mit Sprach- und anderen Kursen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Besonderes Gewicht legte man auf Kunst und Theater (Art School seit 1895). Seit 1891 residiert die Educational Alliance in 197 East Broadway, wo sie sich noch heute befindet. englische Staatskirche (engl. Church of England). Die → anglikanische Kirche entstand 1534 mit der Anerkennung Heinrichs VIII. als Oberhaupt der englischen Kirche durch den Klerus von Canterbury und York, dann des Parlaments. Trotz ihrer Ablösung vom Papsttum versteht sie sich nicht als Reformationskirche, sondern als die Fortsetzung der christlichen Kirche in England. Protestantischere Ausgestaltung durch Erzbischof Thomas Cranmer (→ Personenverzeichnis) und unter Elisabeth I., vor allem mit dem „Book of Common Prayer“ (1549); unter Jakob I. 1611 autorisierte Bibelübersetzung. Während des Bürgerkriegs und Commonwealth puritanisch-presbyterianische Ausrichtung (→ Puritaner, → Presbyterianer), mit der Restauration 1660 Rückkehr zu den alten Zuständen (Verfolgung der → Nonkonformisten); 1662 Act of Uniformity, mit der Folge, daß die Gottesdienstordnung des „Book of Common Prayer“, inkl. ihrer „39 Artikel“ (in der bis heute gültigen Fassung von 1662), verbindlich wurde und diejenigen Pfarrer, die sie ablehnten, ihrer Ämter enthoben wurden; 1689 Act of Toleration (eingeschränkte Religionsfreiheit für Nonkonformisten). episkopalistisch (von griech. ἐπίσκοπος, „Aufseher“, „Bischof“). Bezieht sich auf eine Kirchenverfassung, bei der die oberste Kirchengewalt den Bischöfen zukommt oder von ihnen beansprucht wird; so z. B. in der römisch-katholischen Kirche und den Kirchen der anglikanischen Gemeinschaft, wozu auch die Episcopal Church in den USA zählt. Erwählung. Begriff der biblischen Theologie, besonders für das Verhältnis von Jahwe zum Volk Israel (vgl. Dtn 7,6–8). In der lutherischen und der reformierten Dogmatik wird zwischen ewiger Erwählung und der Berufung in der Zeit unterschieden. Die Frage nach der Erwählung wird aus dem geschichtlichen Zusammenhang gelöst, von Calvin mit der Frage nach der Verwerfung verbunden und

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mit dem verborgenen ewigen Ratschluß (eines abstrakten) Gottes begründet. Aus der Erwählung wird terminologisch die → Prädestination. eschatologisch (Adj., von griech. ἔσχατα, „letzte [Dinge]“). Bezogen auf die Lehre von den „letzten Dingen“ wie Tod, Auferstehung, jüngstes Gericht, Vollendung der Welt, ewiges Heil und ewige Verdammnis. „evangelische Ratschläge“ (auch: „evangelische Räte“) → consilia evangelica. Exkommunikation. In den evangelischen Kirchen Ausschluß vom Abendmahl (Sakramentsgemeinschaft), in den reformierten Kirchen Bestandteil der → Kirchenzucht. „extra ecclesiam nulla salus“ (lat.). „Außerhalb der Kirche kein Heil“; erstmals von Cyprian von Karthago formulierter kirchlicher Grundsatz. Familisten-Sekte („Family of Love“). Von Hendrik Niclaes um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Emden gegründete mystisch-christliche Lebensgemeinschaft; mit eigener Zeitrechnung, die sich nach dem Zeitalter der Liebe (Anbruch des Gottesreiches auf Erden) bemißt. Anhänger auch in Holland und England (bis Mitte/Ende des 17. Jahrhunderts). Fideikommiß. Der aus dem römischen Erbrecht entlehnte Begriff bezeichnet im deutschen Recht eine Vermögensmasse, die nicht veräußert, nicht geteilt und nur nach bestimmten Regeln vererbt werden darf. fides implicita (lat., „[im Kirchenglauben] eingeschlossener Glaube“). Von der Hochscholastik ausgebildete römisch-katholische Lehre, derzufolge der überkommene, schlichte Glaube des Laien, solange er nicht gegen den expliziten Glauben der Kirche verstößt, in diesem eingeschlossen ist. Von Luther und Calvin scharf kritisiert. Franziskaner(-Orden) (lat. Ordo fratrum minorum). Der von Franz von Assisi gegründete Minderbrüderorden (1210 bestätigt) entwickelt sich zum → Bettel­ orden (Regel von 1223). Die ursprünglichen Anhänger führen ein Wanderleben in apostolischer Armut, wirken in den Städten, widmen sich vorrangig karitativen Tätigkeiten sowie der Laienpredigt und tragen die mönchische Lebensweise in die Laienbevölkerung hinein. Schon ab 1230 wird die rigorose persönliche und gemeinschaftliche Besitzlosigkeit abgemildert. Seit dem 14. Jahrhundert gibt es einen strenge Armut und Askese beobachtenden (Observanten) und einen gemäßigten (Konventualen) Zweig. 1517 Teilung des Ordens. Franziskaner-Observanten → Franziskaner. Freikirchen. Protestantische Kirchengemeinschaften auf Basis des voluntaristischen Prinzips, die von einer Staats- oder → Landeskirche unabhängig sind

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(z. T. im Gegensatz zu ihr stehen) und sich über freiwillige Beiträge und nicht über Kirchensteuer finanzieren. Gericht, geistliches. In der römisch-katholischen Kirche zuständig für die Feststellung von Schuld und Kirchenstrafen bei Angelegenheiten, die Gottesdienst, Lehre, Kirchenvermögen sowie kirchliche Ämter und Gesetze betreffen. Gesellschaften für ethische Kultur. Organisatorischer Ausdruck der „ethischen Bewegung“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die moralische Vorstellungen unabhängig vom religiösen Bekenntnis verbreitet. Die erste Gesellschaft wird von Felix Adler 1875 in New York gegründet. Verbreitung auch in europäischen Ländern und internationaler Zusammenschluß in einem Bund. 1892 Gründung der „Deutschen Gesellschaft für Ethische Kultur“ in Berlin, weitere Unterabteilungen in deutschen Städten. Die Gesellschaften verfolgen meist praktisch-humanitäre Zwecke (z. B. Engagement im Rechts- und Kinderschutz, Unterstützung der Frauenbewegung) und werben durch Vorträge, Unterrichtskurse sowie Zeitschriften für ihre Ziele. Gnade (lat. gratia). In theologischer Hinsicht die erlösende Wirkung des Heilshandelns Gottes und Ausdruck seines bedingungslosen Gebens. Bei Luther ist die Gnadenlehre in der Lehre von der → Rechtfertigung formuliert (sola gratia). Im Luthertum werde (so Weber nach Schneckenburger) die Gnade als verlierbar dargestellt (gratia amissibilis), weil auch der Glaube verlierbar ist; die reformierte Lehre betont hingegen die → perseverantia. Gnadenpartikularismus → Gnadenuniversalismus/-partikularismus. Gnadenstand. Heilsgeschichtlicher Begriff; das Leben im christlichen Glauben oder der durch die (in → Rechtfertigung und → Wiedergeburt) zuteil gewordene Gnade erlangte „Stand“; dazu auch: → status naturalis. Gnadenuniversalismus/-partikularismus. In der christlichen Theologie bezeichnet „Gnadenuniversalismus“ die Vorstellung, daß die → Gnade Gottes allen Menschen ausnahmslos gilt oder angeboten wird, und „Gnadenpartikularismus“ die Vorstellung, daß sie allein den Erwählten zu Gute kommt (oft verbunden mit der Lehre von der doppelten → Prädestination). Beiden Auffassungen entsprechen unterschiedliche ekklesiologische Modelle (bei Max Weber: „Kirche“ bzw. „Sekte“). Gnadenwahl, Gnadenwahllehre → Prädestination, Prädestinationslehre. Gnesioluthertum (von griech. γνήσιος, „echt“). Bewegung, die infolge des Augsburger Interims 1548 entstand. Ihre Träger berufen sich bei den aufkommenden Lehrstreitigkeiten innerhalb der Wittenberger Theologie darauf, Luthers Erbe zu bewahren und es vor Überfremdung zu schützen. Den Gnesiolutheranern gegen-

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über stehen der vermittlungsbereite Philipp Melanchthon und seine Anhänger („Philippisten“). gratia amissibilis → Gnade. Hanserd Knollys confession. Bezeichnung Max Webers für das von über 100 calvinistisch-baptistischen Gemeinden (→ Baptisten) in England und Wales angenommene Bekenntnis mit dem Titel „A Confession of Faith, Put forth by the Elders and Brethren of many congregations of Christians baptised upon profession of their faith“, verfaßt 1688 (andernorts auch als „Second London [Baptist] Confession bezeichnet), sanktioniert von der General Assembly 1689. Der Geistliche Hanserd Knollys (→ Personenverzeichnis) hat das Vorwort der Ausgabe von 1689 an erster Stelle unterzeichnet. Das Bekenntnis fußt auf der Westminster Confession (→ Westminster-Synode). „Heilige“ Cromwells (auch: „Saints“). Bezeichnung für die puritanischen Anhänger Oliver Cromwells, aus denen sich seine New Model Army (seit 1645; bald überwiegend → Independente) und aus deren Armeerat sich 1653 das sog. „Parlament der Heiligen“ (auch „Barebone’s Parliament“ genannt) rekrutierte. Auch: → Heiligung. Heiligkeit → Heiligung. Heiligung (lat. sanctificatio). Bezeichnet nach christlicher Lehre die Wiederherstellung der durch die Sünde verletzten Gemeinschaft des Menschen mit Gott durch Teilhabe an Christi Heiligkeit (als zugeeignete Heiligkeit) und die entsprechende lebenserneuernde Wirkung des Heiligen Geistes. Ethisch gesehen wird dem neuen Sein ein neues Handeln im Glauben verbunden. Bei Luther fällt die Heiligung mit der → Rechtfertigung zusammen (der Mensch bleibt immer zugleich Sünder), bei den Methodisten (→ Methodismus) herrscht die Vorstellung, daß der Wiedergeborene in seiner „Heiligkeit“ sündlos sei, aber weiterhin nach Heiligung und Vollkommenheit streben müsse. Heilsanstalt, Kirche als (Heils-)Anstalt. Bei Weber Organisationsform der Kirche im Gegensatz zur Sekte. Wesentlicher Gesichtspunkt: Man wird Mitglied nicht kraft eigener Entscheidung, sondern durch die – zur Zeit Webers noch weitgehend selbstverständliche – Kindertaufe (und Konfirmation). Die Heilsvermittlung der von Christus gestifteten Kirche geschieht „objektiv“ durch (Wort und) Sa­krament. Herrnhuter (Herrnhuter Brüdergemeine). Pietistisch geprägte Erweckungsgemeinde um Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (→ Personenverzeichnis), der 1722 den zur Emigration gezwungenen böhmisch-mährischen Brüdern die Ansiedlung in seiner Parochie Berthelsdorf (Oberlausitz) gewährt, wo sie die Kolonie Herrnhut gründen. Das Notariatsinstrument 1729 verleiht den sich überkonfessionell ausformenden Herrnhutern einen Sonderstatus in der zur

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lutherischen Landeskirche gehörenden Parochie (1749 Anerkennung als Teil der Landeskirche in Sachsen). Leitung der Brüdergemeine durch Konferenzen, Bischofsamt (durch Los), seit 1741 gilt Christus als der „Generalälteste“; Gründung weiterer Gemeinden, auch in England und Nordamerika (Moravian Church); intensive Mission. Hochkirchler. Innerhalb der nachreformatorischen → englischen Staatskirche Verfechter der Katholizität in Fragen von Autorität, Sakrament, Episkopat u. a. Der Begriff „High Church“ kommt erst im 17. Jahrhundert in Abgrenzung zum → Latitudinarismus auf. Als kirchenpolitische Partei steht sie im 19. Jahrhundert der „Low Church“ (evangelikale Ausrichtung) und „Broad Church“ (liberal ausgerichtete breite Mittelpartei) gegenüber. Hugenotten (vermutl. von franz. eyguenot, „Eidgenossen“). Bezeichnung für die französischen Reformierten. Wegen ihres calvinistischen Glaubens unterdrückt, erfolgt 1559 mit der Nationalsynode in Paris der erste förmliche Zusammenschluß (dort Festlegung des Bekenntnisses (→ Confessio Gallicana) und Verabschiedung einer eigenen kirchlichen Verfassung mit sich selbständig verwaltenden Gemeinden). In den acht Religionskriegen (1562–1598) werden die Hugenotten von den Bourbonen unterstützt, u. a. durch Henri de Condé und Gaspard II. de Coligny. Blutiger Höhepunkt der Verfolgung ist die „Bartholomäusnacht“ (Nacht zum 24. Aug. 1572). Beendigung der Kriege durch das Edikt von Nantes (13. April 1598) mit Duldung und Rechten, eingeschränkt seit 1629. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts gelten die Hugenotten als Träger von Fortschritt und Kultur in Staat, Industrie, Handel und Wissenschaft; unter Ludwig XIV. (reg. 1661–1715) wieder verfolgt und Verlust ihrer gesellschaftlichen Position durch Ausschluß von Staatsämtern, freien Berufen und Zünften; daraufhin verstärkt im Handel und dem aufkommenden Manufakturwesen tätig. Das Edikt von Fontainebleau (18. Okt. 1685; zugleich Widerruf des Edikts von Nantes) verbietet den Protestantismus. Daraufhin fliehen trotz Emigrationsverbots Hunderttausende von Hugenotten (divergierende Zahlen) ins Ausland, wo sie auf wirtschaftlichem, militärischem, intellektuellem und künstlerischem Gebiet eine bedeutende Rolle spielen. Humiliaten. Ursprünglich religiöse Laienbewegung, deren Anhänger – eine Bußbrüderschaft von Wollarbeitern – sich gemeinsamer Arbeit, sozialer Hilfe und der Laienpredigt in den reicher werdenden lombardischen Städten widmen (Ende des 12. Jahrhunderts). 1201 als dreiteiliger Orden konstituiert; 1571 aufgehoben. Independenten. Von Max Weber als Sammelbezeichnung für diejenigen puritanischen Richtungen (→ Puritaner) verwendet, die sich von der → englischen Staatskirche trennten und unabhängig formierten (andernorts gehört eine radikale Ausrichtung zu den Begriffsmerkmalen; auch als Synonym für die → Kon­ gregationalisten gebraucht). Inspirationslehre. Theologische Lehre vom göttlichen Ursprung der Bibel (durch den Heiligen Geist eingehaucht), deren Autorität daher unbestreitbar ist.

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Jansenismus, Jansenisten. Nach Cornelius Jansen (1585–1638) benannte oppositionell-kritische Reformbewegung innerhalb der katholischen Kirche während des 17. und 18. Jahrhunderts, mit Schwerpunkt in den spanischen Niederlanden und Frankreich (Zentrum: → Port Royal). Kernpunkte der durch Augustinus’ Gnadenlehre und Jansens „Augustinus“-Buch beeinflußten Lehre sind eine streng christliche Lebensführung und das Beharren auf der Unverletzlichkeit des individuellen Gewissens gegenüber Kirche und Staat; lehramtlich verurteilt, insbesondere durch die Bulle „Unigenitus Dei Filius“ (1713). Gegner waren die → Jesuiten mit einer weniger strengen Moraltheologie (Probabilismus); Verfolgungen, zeitweise in den Untergrund oder ins Exil gezwungen. Jesuiten(-Orden) (lat. Societas Jesu). Im wesentlichen von Ignatius von Loyola gegründeter Orden (1540/1558), zentralistische Leitung und Führung des Einzelnen mittels der von Ignatius aufgestellten Exerzitien. Die Vollmitglieder (Professen) legen zu den üblichen Ordensgelübden das Gelübde des Papstgehorsams ab. Seit 1550 als Träger der Gegenreformation (bes. in Deutschland) Förderer des katholischen Lebens; größter katholischer Missionsorden, stark im Bildungsbereich; wegen der Auseinandersetzung mit dem → Jansenismus 1773–1814 päpstlich aufgehoben, in Deutschland seit dem Kulturkampf bis 1917 verboten. Jesus Sirach (Sir). Zwischen 1896 und 1900 findet man in der Geniza der Kairoer Ben-Esra-Synagoge Fragmente des hebräischen Originals verschiedener Sirach-Handschriften. Bis dahin sind nur zwei griechische Rezensionen sowie die syrische und lateinische Übersetzung des Sirachbuches bekannt. Bei dem Anfang des 2. Jahrhunderts v. Chr. entstandenen Buch, das zu den → Apokryphen zählt und denen Verfasser traditionell „Jesus Sirach“ genannt wird, handelt es sich um eine späte Schrift der Weisheitsliteratur. justum pretium (lat., „gerechter Preis“). Ein unter ethischen Gesichtspunkten festgesetzter Preis eines Gutes für den Tausch. Eigentlich Begriff der scholastischen Preislehre, nach der die Herstellungskosten eines Gutes, inkl. Arbeitskosten, notwendigen Ausgaben und Aufwendungen, dem Angebotspreis „gleich“ sein sollen. Kasuisten (von lat. casus, „Fall“). In der (Moral-)Theologie der Versuch, ethisch problematische Fälle durch Anwendung älterer, ebenfalls an konkreten Fällen entwickelter moralischer Normen zu lösen. In kasuistischer Tradition stehen Bußbücher und Beichtsummen, seit dem 17. Jahrhundert Sammlungen von „casus conscientiae“ zur moraltheologischen Orientierung der Beichtväter. Katechumenen (von griech. κατήχειν, „unterrichten“). (Erwachsene) Taufbewerber, die zur Vorbereitung auf die Taufe unterrichtet werden.

κατ᾽ ἐξοχήν, Tl.  (griech.): kat’ exoche¯´n, „vorzugsweise“, „im eigentlichen Sinne“.

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Kirchen „unter dem Kreuz“. Verfolgte, sich im Untergrund organisierende Kirchen, wie die protestantischen Kirchen in Frankreich und in den Niederlanden. Auch die reformierten Minderheitskirchen unter katholischem landesherrlichem Kirchenregiment, die im 16. Jahrhundert am Niederrhein entstehen und um Selbstbehauptung ringen. Kirchenzucht. Besonders in den reformierten Kirchenordnungen festgelegte Maßnahmen, um die Reinheit und Heiligkeit des Abendmahls sowie der religiösen Gemeinschaft zu erhalten und den Sünder zu Reue und Umkehr zu bewegen. Bei Calvin wird der nicht bereuende Sünder vom Abendmahl ausgeschlossen (→ Exkommunikation) und nach weiterer, folgenloser Ermahnung der weltlichen Obrigkeit überstellt. Wahrgenommen wird die Kirchenzucht vom Konsistorium (bestehend aus Pfarrern und Ältesten, die zugleich Räte der Stadt sind). Äußerste Strafen sind Verbannung oder bei Gotteslästerung Tod (1553 in Genf Hinrichtung Michael Servets auf dem Scheiterhaufen). Große Bedeutung hat sie durch Aufnahme in die Westminster Confession im englischen und amerikanischen Puritanismus und im Baptismus. Kongregationalisten. Hervorgegangen aus dem englischen → Puritanismus, lehnen sie die Episkopalstruktur der → englischen Staatskirche sowie den Presbyterianismus (→ Presbyterianer) ab. Die Gemeinde soll keinem Bischof und keinem einer Synode anhängigen Ältestenrat unterstehen, sondern autonom sein (z. B. ihre Mitglieder selbst auswählen). Besonders in Neuengland verbreitet. Konkordienbuch. 1580 in deutscher Sprache erschienene Sammlung lutherischer Bekenntnisschriften (1584 lat.), die z. B. auch das → Augsburger Bekenntnis und seine „Apologie“ enthält. Konsistorium. In den deutschen evangelischen Landeskirchen seit dem 16. Jahrhundert kirchenleitendes und -verwaltendes Gremium, zusammengesetzt aus geistlichen (Theologen) und weltlichen (Juristen) Mitgliedern. Es nimmt die bischöflichen Aufgaben der deutschen Fürsten oder Landesherrn in ihrer Funktion als Summepiskopus wahr (bis 1918). Kyniker. Anhänger einer griechischen philosophischen Richtung (Kynismus), die extreme Bedürfnislosigkeit und Genügsamkeit fordert. latitudinarisch (von lat. latitudo, „Breite“, „Weite“); Adj. zu Latitudinarismus. Bezeichnung für die seit Mitte des 17. Jahrhunderts tolerante und rationale, den Erkenntnissen der modernen Wissenschaften aufgeschlossene Richtung in der → englischen Staatskirche, in Abgrenzung zum strengeren Puritanismus wie auch zur High Church-Partei (→ Hochkirchler); allgemein auch: duldsam. Leveller (engl. Levellers; von engl. level, „einebnen“, „gleichmachen“). Teilweise radikal agierende politische Bewegung, die während des englischen Bürgerkriegs entsteht, mit Anhängern auch in Oliver Cromwells New Model Army. Sie

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fordert Volkssouveränität, Gleichheit vor dem Gesetz, Religionsfreiheit, Sozialund Agrarreformen. Ihr wichtigster Anführer war John Lilburne. Mammonismus (vermutl. urspr. aramäisch, hier von griech. μαμωνᾶς, Tl.  mamonás, „Mammon“). Geldgier, Herrschaft des Geldes. Mennoniten. Bezeichnung für die nach der Niederschlagung des Münsteraner Täuferreichs 1535 verfolgten und von Menno Simons gesammelten und organisierten Täufergruppen (→ Täufertum) in den Niederlanden (Westfriesland), am Niederrhein und an der deutschen Nord- und Ostseeküste; bald auf die Täufer oberdeutschen und Schweizer Ursprungs ausgedehnt. Kennzeichen sind Erwachsenentaufe, Pazifismus (Wehrlosigkeit) und Eidesverweigerung sowie freikirchliche Organisation (→ Freikirche). Methodismus, Methodisten. Von den Brüdern Charles und John Wesley sowie George Whitefield innerhalb der → englischen Staatskirche ins Leben gerufene Erweckungs- bzw. Erneuerungsbewegung („revival“), die sich in den 1730er und 1740er Jahren formierte (Scheidung von den Londoner → Herrnhutern 1740, erste leitende „Konferenz“ 1744) und sich erst in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts von der etablierten Kirche trennte. Von den Angehörigen wird ein Streben nach Vollkommenheit (→ Heiligung) und eine „methodische“ Lebensführung erwartet. John Wesley lehnt die → Prädestinationslehre ab und vertritt einen heilsuniversalistischen Ansatz. Der Methodismus verbreitete sich außerhalb Englands hauptsächlich in Nordamerika. Mönchsaskese. Verzicht und Entbehrungen im monastischen Leben: Keuschheit, Armut und Gehorsam (→ consilia evangelica) sowie, je nach Ordensregel, spezielle Forderungen. Mönchsgelübde → consilia evangelica. Nationalsynode. Oberste kirchenleitende Zusammenkunft (nach der Tradition Calvins) in Ländern oder Territorien ohne landesherrliches Kirchenregiment, wie in Frankreich oder den Niederlanden. Nonkonformisten. 1. Seit der Zeit Elisabeths I. die Puritaner (→ Puritanismus), die katholisierende Praktiken innerhalb der → englischen Staatskirche ablehnen. 2. Nach 1662 Bezeichnung für diejenigen, die der Uniformitätsakte ihre Zustimmung verweigern, sich von der Staatskirche abspalten und eigene Gemeinschaften bilden, d. h. → Presbyterianer, → Kongregationalisten, → Baptisten. Dazu werden auch die → Quäker und später die → Methodisten gerechnet. opera supererogationis (von lat. supererogare, „darüber hinaus zahlen“), „Werke der Übergebühr“. Sittliche Handlungen, die über die von der Kirche gebotenen, heilsnotwendigen hinausgehen (→ consilia evangelica). Dazu rechnen auch die überschüssigen Verdienste Christi und der Heiligen, die einen Kirchenschatz

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(→ thesaurus ecclesiae) begründen und zum Ausgleich für noch offene zeitliche Sündenstrafen Lebender oder Verstorbener verwendet werden können; auch: → Ablaß. Orthodoxie (von griech. ὀρθός, „gerade, richtig“, und δόξα, „Meinung, Lehre“). 1. Allgemein der Glaube, das Verhalten oder die Lehre, die als „wahr“ oder „richtig“ gelten, im Gegensatz zu Heterodoxie und Häresie. – 2. Lutherische (oder altprotestantische) Orthodoxie, hier als Eigenart der lutherischen Theologie in der Zeit zwischen Reformation und Pietismus/Aufklärung, inkl. der ausgefochtenen Lehrstreitigkeiten. Die Spätorthodoxie kämpft gegen den → Pietismus. – 3. Die reformierte Hochorthodoxie, wie in den Dordrechter Canones formuliert (→ Dordrechter Synode). Sie hat ihren lehrmäßigen Höhepunkt mit Gisbert Voet (→ Personenverzeichnis), der sie zugleich – gegen Johannes Coccejus und seinen Cartesianismus – mit individueller Frömmigkeit verbindet („Nadere Reformatie“). perseverantia (lat., „Beharrlichkeit“). In der christlichen Theologie die Beständigkeit der Gottesbeziehung des Glaubenden. Nach der reformierten Tradition ist das Beharren im Glauben Gabe Gottes an die Erwählten (→ Prädestination). Die lutherische Tradition betont im Wissen um Gefährdung und Verlierbarkeit des Glaubens (gratia amissibilis, → Gnade) das Vertrauen auf die Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Peruzzi (Familie). Eine der mächtigen Florentiner Familien im Handels- und Bankgeschäft in der 2. Hälfte des 13. und 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts. Ähnlich: die → Bardi. Pietismus. Erneuerungsbewegung innerhalb des Protestantismus, zuerst in den reformierten Niederlanden (heute meist als „Nadere Reformatie“ bezeichnet) und dann im deutschen Luthertum, mit Betonung der individuellen, innerlichen Frömmigkeit („praxis pietatis“), deren Wurzel Max Weber (nach Heinrich Heppe) im 17. Jahrhundert in England im → Puritanismus sieht. Das Programm des lutherischen Pietismus wird von Philipp Jakob Spener (→ Personenverzeichnis) in seiner Schrift „Pia desideria“ (1675) vorgestellt. Als Ursprung gelten die von Spener in Frankfurt a. M. ab 1670 eingerichteten Erbauungsversammlungen (Konventikel, Collegia pietatis) der „Wiedergeborenen“ (→ Wiedergeburt). Anders als radikalere, separatistische Pietisten bleibt man in der Kirche, deren → Orthodoxie man reformieren will. Unter August Hermann Francke (→ Personenverzeichnis) entsteht ein preußisches und gesamtdeutsches Zentrum des Pietismus in Halle/ Saale (Franckesche Anstalten und Universität Halle). In dieser Zeit wird der Pietismus von Friedrich Wilhelm I. (reg. 1713–1740) staatlich unterstützt. Eine selbständige Ausrichtung hat Zinzendorfs → Herrnhuter Brüdergemeine. Port Royal (eigentl.: Kloster Port Royal des Champs). Zisterzienserinnenkloster südlich von Versailles, zu Beginn des 17. Jahrhunderts reformiert und im selben Jahrhundert Zentrum des → Jansenismus. Hier entstehen Einsiedlergemein-

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schaften, wohin sich auch Laien, darunter Blaise Pascal, als „solitaires“ zurückziehen. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Jansenismus 1709 Aufhebung und 1710 Zerstörung des Klosters. Prädestination, Prädestinationslehre (von lat.: praedestinatio, „Vorherbestimmung“). Nach christlicher Lehre die vorausgehende und endgültige (ewige) Entscheidung Gottes über das Heilsschicksal des Menschen: Erwählung (electio) oder Verwerfung (reprobatio). Wegen dieser zwei Beschlüsse (Dekrete, auch Ratschlüsse oder doppeltes Dekret) auch „doppelte Prädestination“ genannt. Biblisch begründet wird die „Erwählungs“-Vorstellung in erster Linie mit Röm 8,28–30, Röm 9 und Eph 1. Die Prädestinationslehre berührt die → Vorsehung Gottes, die Wirksamkeit der → Gnade und die menschliche Willensfreiheit. Ausgefeilt ist sie bei Zwingli und Calvin, während sie bei Luther in den Hintergrund tritt. Aufgenommen in die Westminster Confession (→ Westminster-Synode) und die Dordrechter Canones (→ Dordrechter Synode). praecepta → consilia evangelica. Presbyterianer. Anhänger der englischsprachigen Kirchen in calvinistischer Tradition; bezeichnet nach ihrer Kirchenleitung, an der Geistliche und Gemeindeälteste (Presbyter) beteiligt sind. Die auf der → Westminster-Synode verfaßte Westminster Confession (1647) ist heute noch Bekenntnisgrundlage vieler presbyterianischer Kirchen. In England ist der Presbyterianismus nach dem Bürgerkrieg nur noch eine unbedeutende nonkonformistische Gruppe (→ Nonkonformisten), verbreitet dagegen in Schottland und Nordamerika. Privatbeichte → Beichte. Proselyten (griech.). Konvertiten. Providentielle, das → Vorsehung. Puritanismus, Puritaner. In England seit ca. 1560 Bezeichnung für → Nonkonformisten, die katholisierende Tendenzen in der → englischen Staatskirche ablehnen und weiterführende, „reinere“ (engl. pure) Reformen für Kirchenleitung (u. a. Ablehnung des Bischofsamts), Liturgie und Lehre anstreben. Aufgrund staatlicher Repressionen unter Elisabeth I. fliehen viele Puritaner in die Niederlande, die Zurückbleibenden verharren zunächst in der Staatskirche und konzentrieren sich auf die private Lebensführung und gesellschaftliche Forderungen (z. B. nach strenger Sonntagsruhe). In den 1620er Jahren verschärft sich die Lage durch das Bündnis von Karl I. und den → Hochkirchlern („High Church“), was viele Puritaner zur Auswanderung nach Nordamerika (darunter die „Pilgerväter“) bewegt. Im englischen Bürgerkrieg (1642–1649) kämpfen die Puritaner mit dem Parlament für eine Kirchenreform (Einberufung der → Westminster-Synode) gegen die Royalisten und Episkopalisten um den Erzbischof von Canterbury, William Laud. Unter Cromwells Herrschaft sind neben den Episkopalisten noch

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sämtliche puritanische Richtungen (wie → Presbyterianer, → Kongregationali­ sten und → Baptisten) in der Staatskirche, während sie nach der Restauration und der Uniformitätsakte 1662 als → Nonkonformisten aus ihr verbannt werden und illegale Konventikel bilden. Verfolgungen und Inhaftierungen werden 1689 durch die Legalisierung ihrer Gottesdienste (Toleranzakte) beendet. – Puritanische Bewegungen gibt es auch in Irland, Wales und Schottland und infolge von Migration besonders in Nordamerika. – Max Weber verwendet den heterogene Strömungen einschließenden Begriff im umfassenden, „populären“ Sinn für sämtliche asketische nonkonformistische Richtungen, darunter die genannten Strömungen, inkl. der → Mennoniten und → Quäker (vgl. oben, S.  244, Fn.  2). Quäker (von engl. quake, „zittern“). Ursprünglich Spottbezeichnung für die Mitglieder der „Society of Friends“, die während ihrer gottesdienstlichen Versammlungen („meetings“) in enthusiastisch-ekstatische Bewegungen verfallen. Von George Fox Ende der 1640er Jahre in England gegründet (anfangs auch „Kinder des Lichts“ genannt), lehnen sie die Staatskirche, aber auch Eid und Waffendienst ab. In England und nach Auswanderung auch in Nordamerika verfolgt. William Penn (→ Personenverzeichnis) gründet für sie die Kolonie Pennsylvania. Quietismus, katholischer (von lat. quies, „Ruhe“, „Stille“). Römisch-katholische Richtung in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts in Italien, Frankreich und Spanien. Unter Verzicht auf alles Handeln und Denken soll sich der Gläubige im Gebet und in passiver Kontemplation Gott hingeben, um, als höchstes Ziel, die „Seelenruhe“ zu erreichen. Die Lehren Miguel de Molinos werden 1687, die von François Fénelon 1699 verurteilt. – Der Begriff „Quietismus“ wird später allgemein für eine passive Lebenshaltung gebraucht. Ratschlüsse Gottes → Prädestination, Prädestinationslehre. Rechtfertigung. Für Luther zentral mit der Erkenntnis verbunden, die „Gerechtigkeit Gottes“ (Röm 1,17) meine eine iustitia passiva, eine Gerechtmachung des Sünders als bedingungsloses Geschenk (ohne dessen Mitwirken oder verdienstliche Werke), ermöglicht durch den stellvertretenden Tod Christi. Rechtfertigung geschehe allein aus Gnade (sola gratia; → sola fide). Nur der im Glauben Gerechtfertigte kann gute Werke hervorbringen. – Melanchthon setzt in den Bekenntnisschriften den Akzent auf den forensischen Charakter, die Gerechtsprechung (imputatio, Zurechnung) des Angeklagten. – Calvin rückt die → Heiligung in ihre Nähe: Durch die Gegenwart des Heiligen Geistes im Glaubenden kann er gerechte Werke tun (Rechtfertigung aus Glauben als Grund für die Gerechtigkeit der Werke). – Im Pietismus teilweise „ersetzt“ durch den die Erneuerung des Lebens bezeichnenden Begriff der → Wiedergeburt. Regel des heiligen Benedikt → Benedikt von Nursia (Personenverzeichnis). regeneration (engl.) → Wiedergeburt.

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Rentenkauf. Neubegründung oder Veräußerung/Erwerb des Rechts auf wiederkehrende Geld- oder Naturalleistung, das in der Regel als Reallast auf einem Grundstück o. ä. ruht. Da dieses Recht oft durch Hingabe von Kapital erworben wird, kann der Rentenkauf mit dem mittelalterlichen Zins- bzw. → Wucherverbot in Konflikt geraten. In der mittelalterlichen Wirtschaft in vielen Formen weit verbreitet. Repristination. Wiederherstellung von etwas Früherem. Reprobierte (Verworfene) → Prädestination. revival (engl.) → Methodismus. Rüstzeug(-Vorstellung). Nach Apg 9,15 (über Paulus) [1892]: „Gehe hin; denn dieser ist mir ein auserwählt Rüstzeug, daß er meinen Namen trage vor den Heiden und vor den Königen und den Kindern von Israel.“ Sachsengänger. Landwirtschaftliche Wanderarbeiter. Zunächst nur für die Saisonarbeiter bei der Zuckerrübenernte in der Provinz Sachsen, dann allgemein gebrauchter Begriff. Sie kamen hauptsächlich aus Schlesien, Posen, Westpreußen, Brandenburg sowie Russisch-Polen und Galizien und arbeiteten für geringen Lohn. Savoydeklaration (eigentl.: „Savoy Declaration of Faith and Order“). Das Bekenntnis der → Kongregationalisten von 1658 hat die Westminster Confession zur Grundlage, deren → Prädestinationslehre sie unverändert übernimmt; sie enthält Modifikationen zur Kirchenverfassung. Septuaginta (lat., „siebzig“, LXX). Griechische Übersetzung der Schriften des sich bis ca. 100 n.Chr. formierenden Kanons der Hebräischen Bibel (des Alten Testaments) und der → Apokryphen (begonnen vermutlich im 3. Jahrhundert v. Chr. in Alexandria für die Bibliothek und jüdische Gemeinde); der Legende nach benötigten 72 Gelehrte, gerundet 70, dafür ebensoviele Tage. sichtbare und unsichtbare Kirche (lat.: ecclesia visibilis et invisibilis). Die sichtbare Kirche meint bei den Reformatoren des 16. Jahrhunderts die empirische Kirche bzw. die „Institution“ Kirche, während die unsichtbare Kirche alle Glaubenden umfaßt (bei Luther die „verborgene“ Kirche, bei Calvin die Gemeinschaft der Erwählten). Sirach, Sirachstelle → Jesus Sirach. Socinianer. Anhänger einer um die Mitte des 16. Jahrhunderts, besonders in Polen verbreiteten Bewegung, benannt nach den Italienern Fausto Soz(z)ini (1539–1604) und seinem Onkel Celio Soz(z)ini (1526–1562). Sie vertreten ein ra­ tional bestimmtes, freies Christentum (in ihrem Gottesglauben sind sie antitrinita-

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risch, verwerfen die reformatorische Rechtfertigungslehre sowie die Erbsünde). Mit der polnischen Gegenreformation 1658 des Landes verwiesen, wandern sie nach Siebenbürgen, Schlesien, Brandenburg oder Holland aus. sola fide. Einer der „Exklusivpartikel“ und zentralen Begriffe in Luthers reformatorischer Erkenntnis (nach Röm 3,28). Allein durch den Glauben (sola fide) werde dem Menschen → Rechtfertigung zuteil. Dazu bedürfe es im Unterschied zur Lehre und Praxis der römischen Kirche keiner zusätzlichen verdienstvollen Werke, denn die Rechtfertigung des Sünders geschehe aus reiner Gnade Gottes (sola gratia), durch Zurechnung einer ihm fremden Gerechtigkeit, die Christus durch sein Erlösungswerk erworben habe (solus Christus). Heilsmittlerin sei die Heilige Schrift (sola scriptura). Spiritualen. Südfranzösische und italienische Reformgruppen innerhalb des Franziskanerordens (→ Franziskaner) Ende des 13. und zu Beginn des 14. Jahrhunderts, die nach dem ursprünglichen Vorbild des Franz von Assisi absolute Armut fordern.  1317 zu Häretikern erklärt, woraufhin ein Teil im Orden verbleibt (später die observante Richtung), ein anderer sich abspaltet (wie die „Fraticelli“). status naturalis. In theologischer Deutung der Stand der gefallenen Natur (bi­blisch: nach Adams Sündenfall), im Gegensatz zum Urstand, dem unwiederbringlich verlorenen Stand der heilen Natur (Adam vor dem Fall). Dem status naturalis folgen der Stand der wiederhergestellten Natur (nach → Rechtfertigung und → Wiedergeburt der „Gnadenstand“) und der der vollendeten Natur (nach der Auferstehung; Stand der Vollkommenheit). Strafe, zeitliche → Beichte; → Buße. Talmud (von hebr. talmu¯  d, „Studium“, „Lehre“, im Sinne von [die von der Tora ausgehende] „Belehrung“). Literarisches Hauptwerk des nachbiblischen Judentums, bestehend aus der Mischna (Lehre der Rabbinen, die um 200 n.Chr. gesammelt und verschriftlicht wurde) und Gemara (Mischnakommentar der späteren Rabbinen („Amoräer)). Der Talmud ist in zwei Versionen überliefert: als Jerusalemischer und als Babylonischer Talmud. Endredaktion des letzteren im 6. Jahrhundert n.Chr. Talmudisches Judentum. Das Judentum etwa zur Entstehungszeit des → Talmud. Entwickelte sich nach der Zerstörung des Zweiten Tempels 70 n.Chr. bis zur arabischen Eroberung 638 n.Chr. Täufertum. Täuferische Bewegungen entstanden aus verschiedenen Motiven während des reformatorischen Aufbruchs in der Schweiz, in Mittel- und Oberdeutschland sowie im niederdeutschen Raum und den Niederlanden. Gemeinsam ist den sonst heterogenen Gruppen, daß sie statt oder zusätzlich zu der Taufe Unmündiger (Säuglinge) die Bekenntnis- oder Erwachsenentaufe praktizieren (darum auch „Wiedertäufer“, engl. „anabaptists“). Wegen ihrer zumeist

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die politische und soziale Ordnung in Frage stellenden Überzeugungen oft blutig verfolgt (z. B. Niederschlagung des nur anderthalb Jahre währenden Münsteraner Täuferreichs 1535). Organisatorische und gedankliche Fortführung bei den → Mennoniten und → Baptisten. Tertiarier (Terziarier). Brüder und Schwestern des „Dritten Ordens“. Einige Orden (vorzugsweise → Bettelorden) haben neben dem Ersten (Mönchen) und Zweiten (Nonnen) Orden einen dritten, bestehend aus männlichen und weiblichen Laien, die sich dem Orden samt Regel anschließen, aber in ihrem weltlichen Beruf und Lebenszusammenhang bleiben. Der wichtigste Tertiarierorden ist der Franziskanische Dritte Orden (→ Franziskaner). thesaurus ecclesiae (lat., „Kirchenschatz“). Nach scholastischer Lehre haben Christus und die Heiligen überschüssige Verdienste (sog. → opera supererogatoria) erworben, die einen Verdienstschatz bilden, der von der Kirche verwaltet wird. Dieser kann vom Papst genutzt werden, Bußstrafen zu erlassen (→ Ablaß). Unio mystica. In der christlichen Tradition die (ekstatische) Vereinigung des Glaubenden mit Gott oder Christus, oft als Einwohnen Gottes in ihm beschrieben. Spielt eine Rolle in der mittelalterlichen Mystik, u. a. bei Bernhard von Clairvaux; als geistliche Vereinigung auch von Luther aufgenommen. In der lutherischen → Orthodoxie des 17. Jahrhunderts eigenes Lehrstück: Grund der unio mystica ist Gottes Heilshandeln (im Gegensatz zur menschlichen Erhebung zu Gott), oft als Folge des Rechtfertigungsglaubens (→ Rechtfertigung). Spielt teilweise im → Pietismus als Kennzeichen wahren Christentums eine Rolle. Universalismus der Kirche/Kirchen → Gnadenuniversalismus. Unproduktivität des Geldes. Seit dem 13. Jahrhundert Bestandteil des kirchlichen → Wucherverbots mit der Argumentation, Geld bringe weder dem Darleiher noch dem Darlehensnehmer Frucht. Für den Gebrauch des Geldes dürfe man keine Vergütung verlangen, weil das Darlehen mit der Rückerstattung voll ausgeglichen sei. Zinsnahme (→ usura) heißt, sich am Leihenden zu bereichern. usura (lat.), „Zins“, „Wucher“ (ursprünglich „Geldkapitalzins“). Nach dem mittelalterlichen → Wucherverbot gilt Zinsnahme für geliehenes Kapital als Wucher; usura wurde zum Terminus technicus für den verbotenen Zins. usuraria pravitas, das wucherische Unrecht. Utilitarismus (von lat. utilis, „nützlich“). Ethik, die die moralische Qualität des Handelns an seinem Nutzen für den einzelnen oder für alle bemißt. Im 18. Jahrhundert entstanden und in viele Richtungen ausdifferenziert. Verleger, Verlagssystem. Leiter einer Unternehmung, bei der die Arbeiter in ihren eigenen Wohnungen oder Werkstätten beschäftigt werden (das Verlagssystem

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wird darum auch Haussystem genannt). Der Verleger hat Warenmarktkenntnisse (kaufmännische Qualitäten). Vokation (lat. vocatio). Berufung in ein kirchliches Amt; Ordination. Vorsehung, göttliche (lat. providentia). Im Christentum Ausdruck für das planende Wirken Gottes zur Erhaltung und Regierung der Welt. Bei Thomas von Aquin ein rational erkennbarer Bewegungsprozeß einer Seinsordnung; bei den Reformatoren verbunden mit dem Vertrauen auf den Gnadenwillen Gottes; Calvin betont die Alleinwirksamkeit des fürsorglich zugewandten Gottes. Vulgata. Lateinische Bibelübersetzung, an der Hieronymus durch Korrektur einer bereits vorhandener lateinischer Versionen in Abgleich mit ursprachlichen Handschriften ab ca. 383 n.Chr. beteiligt war (keine homogene Entstehung); standardisiert in der Karolingerzeit, vom Tridentinum als „authentisch“ erklärt (1546). Westminster confession → Westminster-Synode. Westminster-Synode (1.7.1643–25.3.1652). Die Einberufung der Synode ist Folge der religiösen Konflikte zwischen dem Parlament, das mehrheitlich dem → Puritanismus zuneigt, und den Stuarts, die dem Episkopalismus anhängen. Das Parlament beruft zu Beginn des Bürgerkriegs eine „Assembly“ mit 121 Geistlichen und 30 Laien, die die „39 Artikel“ des „Book of Common Prayer“ revidieren und die → englische Staatskirche in Lehre, Kultus und Verfassung umgestalten sollen. Nach dem mit Schottland geschlossenen „Solemn League and Covenant“ (25. Sept. 1643) erhält die nun um sechs einflußreiche Abgesandte der schottischen Kirche erweiterte Synode die Aufgabe, eine für beide Kirchen geltende Verfassung sowie eine gemeinsame Gottesdienstordnung, ein gemeinsames Bekenntnis und einen gemeinsamen Katechismus auszuarbeiten. Es tagen verschiedene Gruppierungen, wobei die → Presbyterianer überwiegen. Die Sy­no­de bearbeitet die „39 Artikel“ und verabschiedet fünf Dokumente, darunter die „Westminster confession“ oder „Confession of Faith“ von 1646 (gedr. 1647; angenommen vom englischen Parlament 1648 (in Geltung nur bis 1660), vom schottischen Parlament 1649). Diese enthält die calvinistische Lehre von der doppelten → Prädestination. Die Beschlüsse der Westminster-Synode sind noch heute – z. T. modifiziert – Grundlage vieler presbyterianischer Kirchen, insbesondere in Nordamerika. Wiedergeburt (lat. regeneratio). Im Christentum die Erneuerung des Menschen durch das Heilshandeln Gottes. Sie besteht in der Konstitution der Gottesbeziehung und Aufnahme in die christliche Gemeinschaft, symbolisch dargestellt in der Taufe. Die Reformatoren verstehen die Wiedergeburt als Neugeburt des Glaubenden durch das Evangelium und Begabung zu guten Werken; von Calvin mit der Buße verbunden, der eine prozeßhafte Wiedererlangung der Gottebenbildlichkeit folgt; Spener betont die geistgewirkte Erneuerung, die die Heilsgewißheit (→ certitudo salutis) des Glaubenden freisetzt, erkennbar an geistgewirkten

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„guten Werken“; Zinzendorf sieht die Wiedergeburt als völlige Neuschöpfung des Menschen. Wiedertäufer → Täufertum. Wucher/Wucherverbot, kirchliches. Der Kern des kirchlichen Wucherverbots besteht darin, daß für geliehenes Geld keine Zinsen (→ usura) genommen werden dürfen. Zur Begründung beruft man sich auf das Gebot der Nächstenliebe (Lk 6,34 f.), wonach die Menschen einander umsonst helfen oder unentgeltlich leihen sollen (nach der Vulgata: „mutuum date nihil inde sperantes“). Bei den Kirchenvätern, z. B. bei Clemens von Alexandrien, auf die Glaubensgenossen beschränkt. Erstmals als Konzilsbeschluß im 4. Jahrhundert formuliert (Nicaea 325), bezieht sich das Verbot zunächst auf die Kleriker, im 5. Jahrhundert (443) ausgedehnt auf die Laien. Es geht in das Decretum Gratianum (um 1140) und damit in das Corpus Iuris Canonici ein, ist somit als kanonisches Recht von allgemeiner Geltung. Im 12. und 13. Jahrhundert zunehmend im Widerspruch zum Wirtschaftsleben insbes. der oberitalienischen Städte. Einerseits droht die Kirche zinsnehmenden Laien mit → Exkommunikation und Verweigerung des christlichen Begräbnisses (II. und III. Laterankonzil 1139 und 1179) und brandmarkt auf dem Konzil von Vienne 1311 jede Verteidigung des Wuchers als Häresie, andererseits erläßt der Papst Ausnahmeregelungen (z. B. 1425 den → Rentenkauf). Die Kirche verteidigt das Wucherverbot mit der aristotelischen Lehre von der → Unproduktivität des Geldes. – Milder als Luther urteilt Calvin über die moderne Geldwirtschaft. – Erst im 19. Jahrhundert praktisch aufgehoben. Yankee, Yankeetum. Eigentl. Spottbezeichnung, ursprünglich für den Neuengländer; bis hinein ins 20. Jahrhundert typisierend für den (geschäftstüchtigen, weißen) Nordamerikaner. Zins → usura. Zinsverbot → Wucherverbot, kirchliches. Zisterzienser → Cisterzienser. Zwinglianismus. Auf Ulrich Zwingli (→ Personenverzeichnis) zurückgehende reformatorische Lehre, mit inhaltlichen Abgrenzungen zum Luthertum und Calvinismus. Die von Zürich ausgehende Reformationsbewegung kommt mit der Niederlage im zweiten Kappelerkrieg, in dem Zwingli fällt, an die Grenzen ihrer Ausbreitung. Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger (1504–1575) kann dessen Theologie befördern und die Züricher Reformation konsolidieren.  1549 kommt es mit dem Consensus Tigurinus zwischen der Genfer und der Zürcher Kirche zu einem gemeinsamen Bekenntnis. Auch wenn Zwinglis Ideen fortwirken, gewinnt der sich formierende Calvinismus in der Folge die Oberhand.

Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur

Aufgenommen sind die von Max Weber zitierten Schriften und Werke nach seinen bibliographischen Angaben. Unvollständige Angaben werden, soweit möglich, durch die in der Universitätsbibliothek Heidelberg vorhandenen Ausgaben oder Auflagen ergänzt. Anson­ sten werden zeitnahe Ausgaben angeführt. Mit * gekennzeichnete Titel enthalten Marginalien Webers im betreffenden Exemplar der Universitätsbibliothek Heidelberg. Titel mit ** befanden sich im Privatbesitz Webers, heute Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München. Nicht aufgenommen sind Inkunabeln und möglicherweise von Max Weber eingesehene Bibelausgaben (anders die von Weber zitierten Bibelausgaben). In Klammern stehen die von den Editoren benutzten Kurztitel. Bei mehreren Titeln eines Autors erfolgt die alphabetische Anordnung nach dem ersten sinntragenden Wort.

*Adams, Thomas, The Three Divine Sisters, Faith, Hope, and Charity. – The Leaven; or, a Direction to Heaven. – A Crucifix; or, a Sermon upon the Passion. – Semper Idem; or, the Immutable Mercy of Jesus Christ. – Etc. etc. etc. With Introduction by W[illiam] H[endry] Stowell (Works of the English Puritan Divines [vol. 5]). – London, Edinburgh: Thomas Nelson 1847. (Adams, Works of the English Puritan Divines V ) –,  The Three Divine Sisters, Faith, Hope, and Charity, in: Adams, Works of the English Puritan Divines V, p.  1–19. (Adams, Three Divine Sisters) Arnold, Samuel Greene, History of the State of Rhode Island and Providence Plantations, vol. I: 1636–1700. – New York, London: D. Appleton & Company 1859. (Arnold, Rhode Island I) Aymon, [Jean,] Tous les Synodes Nationaux des Eglises Reformées de France. Auxquels on a joint des Mandemens Roiaux, et plusieurs lettres politiques [.  .  .] (Actes Ecclesiastiques et Civils de tous les Synodes Nationaux des Eglises Reformées de France. En II Volumes). Tome Premier. – La Haye: Charles Delo 1710. (Aymon, Synodes Nationaux I) Bailey → Bayli. Baird, Henry M., History of the Rise of the Huguenots. In two volumes. – London: Hodder and Stoughton 1880. (Baird, Huguenots I, II) Baptist Handbook 1904 → White, Nonconformist Conscience. Barclay, Robert, An Apology for the True Christian Divinity. As the same is Held Forth, and Preached, by the People, called in Scorn, Quakers: Being a Full Explanation and Vindication of their Principles and Doctrines, by many Arguments,

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deduced from Scripture, and Right Reason, and the Testimonies of Famous Authors, both Ancient and Modern: With a full Answer to the strongest Objections usually made against them. The fourth Edition in English. – London: T. Sowle 1701. (Barclay, Apology) Barclay, Robert, The Inner Life of the Religious Societies of the Commonwealth. Considered principally with Reference to the Influence of Church Organization on the Spread of Christianity. – London: Hodder and Stoughton 1876. (Barclay, Inner Life) Baudelaire, Charles, Kleine Dichtungen in Prosa (Der Wahn von Paris), in: ders., Werke in deutscher Ausgabe, hg. von Max Bruns, 1. Band: Novellen und Kleine Dichtungen in Prosa, übers. von Margarete Bruns. – Minden in Westf.: J. C. C. Bruns o.J. [1904], S.  101–282. (Baudelaire, Kleine Dichtungen in Prosa) Baxter, Richard, A Christian Directory: Or, a Summ of Practical Theologie, and Cases of Conscience. Directing Christians, how to Use their Knowledge and Faith; How to improve all Helps and Means, and to Perform all Duties; How to Overcome Temptations, and to escape or mortifie every Sin. In Four Parts, I. Christian Ethicks (or private Duties), II. Christian Oeconomicks (or Family Duties), III. Christian Ecclesiasticks (or Church Duties), IV. Christian Politicks (or Duties to our Rulers and Neighbours). The Second Edition. – London: Printed by Robert White for Nevil Simmons 1678. (Baxter, Christian Directory I–IV ) –,  The Last Work of a Believer, his Passing Prayer, Recommending his Departing Spirit to Christ, to be received by him, in: Baxter, Works of the English Puritan Divines IV, p.  197–264. (Baxter, Last Work of a Believer) –,  Making Light of Christ and Salvation, too of the Issue of Gospel Invitations. – A Call to the Unconverted to Turn and Live. – The last Work of a Believer; his Passing Prayer, Recommending his Departing Spirit to Christ, to be received by him. – Of the Shedding Abroad of God’s Love on the Heart by the Holy Ghost. With an Essay on his Life, Ministry, and Theology, by Thomas W. Jenkyn (Works of the English Puritan Divines [vol. 4]). – London, Edinburgh: Thomas Nelson 1846. (Baxter, Works of the English Puritan Divines IV ) –,  The Saints’ Everlasting Rest; or, a Treatise on the Blessed State of the Saints in their Enjoyment of God in Heaven. Abridged by Benjamin Fawcett. – London: William Tegg and Co. 1852. (Baxter, Saints’ Everlasting Rest) –,  dass. in: ders., Practical Works. With a Life of the Author, and a critical Examination of his Writings by William Orme, vol. XXII und XXIII. – London: James Duncan 1830. (Baxter, Saints’ Everlasting Rest, in: Practical Works XXII, XXIII)

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–,  dass. dt.: Die ewige Ruhe der Heiligen. Aus dem Englischen von Otto von Gerlach, 3.  Aufl. – Berlin: W. Thome 1840, S.  2 00 [dass., 6.  Aufl. – Leipzig: J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung 1874]. (Baxter, Ewige Ruhe der Heiligen) –,  Works of the English Puritan Divines IV → Baxter, Making Light of Christ and Salvation. Bayli, Ludwig, Praxis Pietatis, Das ist: Ubung der Gottseligkeit, Erster Theil: Darinnen begriffen, wie ein Christgläubiger Mensch in wahrer Erkenntniß GOttes und seiner selbst zunehmen, sein Leben zubringen, und seliglich beschliessen könne; Erst in Englischer Sprache beschrieben [.  .  .]. Hernach aus dem Englischen in unsere Deutsche Sprache übersetzt. – Leipzig: Johann Friedrich Brauns 1724. (Bayli, Praxis pietatis I) Bayly, Lewis → Bayli, Ludwig. Becker, Bernhard, Zinzendorf und sein Christentum im Verhältnis zum kirchlichen und religiösen Leben seiner Zeit. Geschichtliche Studien, 2. wohlfeile Ausg. – Leipzig: Friedrich Jansa 1900. (Becker, Zinzendorf) Below, G[eorg] von, Die Entstehung des modernen Kapitalismus, in: Historische Zeitschrift, 91. Band [N.F. 55. Band]. – München und Berlin: R. Oldenbourg 1903, S.  4 32–485. (Below, Entstehung des modernen Kapitalismus) Bernstein, Ed[uard], Kommunistische und demokratisch-sozialistische Strömungen während der englischen Revolution des 17. Jahrhunderts, in: Die Vorläufer des Neueren Sozialismus, 1. Band, 2. Theil (Die Geschichte des Sozialismus in Einzeldarstellungen von E. Bernstein, C. Hugo, K. Kautsky, P. Lafargue, Franz Mehring, G. Plechanow). – Stuttgart: J. H. W. Dietz 1895, V. Abschnitt, S.  5 07–718. (Bernstein, Kommunistische Strömungen) [Beza, Theodor von,] De praedestinationis doctrina et vero usu tractatio absolutissima. Ex Th. Bezae praelectionibus in nonum Epistolae ad Romanos caput à Raphaele Eglino Tigurino Theologiae studioso in schola Geneuensi recens excepta [.  .  .]. – [Genf:] Eustathius Vignon 1582. (Beza, De praedestinationis doctrina) La bibbia volgare. Secondo la rara edizione del I di ottobre MCCCCLXXI ristampata per cura di Carlo Negroni (Collezione di opere inedite o rare dei primi tre secoli della lingua [.  .  .]), vol. X e ultimo: Nuovo Testamento. – Bologna: Gaetano Romagnoli-Dall’ Acqua 1887. (Bibbia volgare) Bielschowsky, Albert, Goethe. Sein Leben und seine Werke. In zwei Bänden, 2. Band, 1. bis 3.  Aufl. – München: C. H. Beck, Oskar Beck 1904. (Bielschowsky, Goethe II)

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Bonn, M[oritz] J[ulius], [Rez. Schulze-Gaevernitz,] Britischer Imperialismus und englischer Freihandel, in: Frankfurter Zeitung, 51. Jg., Nr.  9 8 vom 9. April 1907, 4. Mo.Bl., S. [1]. (Bonn, [Rez. Schulze-Gaevernitz,] Britischer Imperialismus) *Bryce, James, The American Commonwealth. In two volumes, 2nd Ed. revised. – London, New York: Macmillan and Co. 1890. (Bryce, American Commonwealth I, II) Bunyan, John, The Jerusalem Sinner Saved. – The Pharisee and the Publican. – The Trinity and a Christian. – The Law and a Christian. – &c &c. To which is appended, An Exhortation to Peace and Unity. With Life of Bunyan by James Hamilton (Works of the English Puritan Divines [vol. 1]). – London: Thomas Nelson 1845. (Bunyan, Works of the English Puritan Divines I) –,  Of the Law and a Christian, in: Bunyan, Works of the English Puritan Divines I, p.  251–256. (Bunyan, Of the Law and a Christian) –,  The Pharisee and the Publican, in: Bunyan, Works of the English Puritan Divines I, p.  9 3–243. (Bunyan, Pharisee and Publican) –,  The Pilgrim’s Progress from this World to that which is to come (Collection of British Authors. Tauchnitz Edition, vol. 330). – Leipzig: Bernhard Tauchnitz 1855. (Bunyan, Pilgrim’s Progress) –,  Works of the English Puritan Divines I → Bunyan, The Jerusalem Sinner Saved. Burckhardt, Jacob, Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch [1860], 7., durchgearb. Aufl. von Ludwig Geiger, 1. Band. – Leipzig: E. A. Seemann 1899. (Burckhardt, Cultur der Renaissance I) Busken Huet, C[onra]d, Het Land van Rembrand. Studien over de Noordnederlandsche Beschaving in de zeventiende Eeuw, tweede [.  .  .] Druk, Teile 1–2,2. – Haarlem: H. D. Tjeenk Willink 1886. (Busken Huet, Rembrand I, II/1 und II/2) –, dass. dt.: Busken-Huet, K[onrad], Rembrandt’s Heimath. Studien zur Geschichte der nordniederländischen Kultur im siebzehnten Jahrhundert. Autorisirte Übers. aus dem Holländischen von Marie Mohr, hg. von G[oswin] Frhr. von der Ropp, 2 Bände. – Leipzig: T. O. Weigel 1886/87. (Busken-Huet, Rembrandt’s Heimath I, II) Butler, Samuel: Hudibras. Written in the time of the late wars, ed. by A. R. Waller. – Cambridge: University Press 1905. (Butler, Hudibras) Calvin, Jean, Commentarius in Epistolam Pauli ad Romanos [1539], in: Corpus Reformatorum, vol. LXXVII (Ioannis Calvini opera [.  .  .], vol. XLIX). – Braunschweig:

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C. A. Schwetschke und Sohn (Appelhans & Pfenningstorff) 1892, Sp.  1–292. (Calvin, Ad Romanos) –, Institutio Religionis Christianae [Editio Princeps 1536], in: Corpus Reformatorum, vol. XXIX (Ioannis Calvini opera [.  .  .], vol. I). – Braunschweig: C. A. Schwetschke und Sohn (M. Bruhn) 1863, Sp.  1–251. (Calvin, Institutio (1536)) –, Institutio Religionis Christianae [1539–1554], in: Corpus Reformatorum, vol. XXIX, ebd., Sp.  253–1152. (Calvin, Institutio (1539–1554)) –, Institutio Religionis Christianae [Editio Postrema 1559], in: Corpus Reformatorum, vol. XXX (Ioannis Calvini opera [.  .  .], vol. II). – Braunschweig: C. A. Schwetschke und Sohn (M. Bruhn) 1864, Sp.  1–1118. (Calvin, Institutio (1559) = Calvin, Inst.) Campbell, Douglas, The Puritan in Holland, England, and America. An Introduction to American History. In two volumes. – London: James R. Osgood, McIlvaine & Co. 1892 [dass. 2 vols. 4th Ed., revised and corrected. – New York und London: Harper & Brothers 1902]. (Campbell, The Puritan in Holland, England, and America I, II) Carlyle, Thomas, Oliver Cromwell’s Letters and Speeches. With Elucidations. In four volumes (Centenary Edition. The Works of Thomas Carlyle. In thirty volumes, vol. VI/I–IX/IV). – London: Chapman and Hall 1897. (Carlyle, Cromwell’s Letters and Speeches I–IV ) Charnock, Stephen, The Chief of Sinners Objects of the Choicest Mercy. – The Knowledge of Christ Crucified. – Self Examination. – The Pardon of Sin. – Delight in Prayer. – &c. With an Essay on his life and writings by W. Symington (Works of the English Puritan Divines [vol. 6]). – London, Edinburgh: Thomas Nelson 1847. (Charnock, Works of the English Puritan Divines VI) –, Self-Examination, in: Charnock, Works of the English Puritan Divines VI, p.  159–180. (Charnock, Self-Examination) Cornelius, C[arl] A[dolph], Geschichte des Münsterischen Aufruhrs in drei Büchern, 1. Buch: Die Reformation; 2. Buch: Die Wiedertaufe [3. Buch nicht erschienen]. – Leipzig: T. O. Weigel 1855–1860. (Cornelius, Münsterischer Aufruhr I, II) Cramer, S[amuel], Art. Menno Simons, in: RE3, 12. Band. – Leipzig: J. C. Hinrichs 1903, S.  5 86–594. (Cramer, Art. Menno Simons) –,  Art. Mennoniten, in: RE3, ebd., S.  594–616. (Cramer, Art. Mennoniten)

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Crosby, Tho[mas], The History of the English Baptists, from the Reformation to the Beginning of the Reign of King George I., 4 vols. – London: o.V. [Printed for the Author] 1738–1740. (Crosby, English Baptists I–IV ) **Dantes Göttliche Komödie in deutschen Stanzen frei bearb. von Paul Pochhammer. – Leipzig: B. G. Teubner 1901. (Dante, Göttliche Komödie) Delbrück, [Hans,] Besprechung von Sombart, Der moderne Kapitalismus. – Die deutsche Volkswirthschaft im neunzehnten Jahrhundert, in: Preußische Jahrbücher, hg. von Hans Delbrück, 113. Band. – Berlin: Georg Stilke 1903, S.  3 33–350. (Delbrück, Besprechung von Sombart) Denifle, Heinrich, Luther und Lutherthum in der ersten Entwickelung quellenmäßig dargestellt, 1. Band. – Mainz: Franz Kirchheim 1904. (Denifle, Luther) Dexter, Henry Martyn, The Congregationalism of the last three hundred years, as seen in its literature. With special reference to certain recondite, neglected, or disputed passages. In twelfe lectures [.  .  .]. With a Bibliographical Appendix. – New York: Harper & Brothers 1880. (Dexter, Congregationalism) Döllinger, Ignaz von, und Reusch, Fr[anz] Heinrich, Geschichte der Moralstreitigkeiten in der römisch-katholischen Kirche seit dem sechzehnten Jahrhundert mit Beiträgen zur Geschichte und Charakteristik des Jesuitenordens. Auf Grund ungedruckter Aktenstücke, 2 Bände. – Nördlingen: C. H. Beck 1889. (Döllinger/ Reusch, Moralstreitigkeiten I, II) **Dostojewsky, F[jodor] M[ichailowitsch], Die Brüder Karamasow. Roman. Deutsch von H. v. Samson-Himmelstjerna, 2.  Aufl., 4 Bände [Ausg. in 2 Teilen]. – Leipzig: O. Gracklauer 1901. (Dostojewsky, Brüder Karamasow) Dowden, Edward, Puritan and Anglican. Studies in Literature. – London: Kegan Paul, Trench, Trübner & Co. 1900. (Dowden, Puritan and Anglican) *Doyle, J[ohn] A[ndrew], The English in America, [vol. 1:] Virginia, Maryland, and the Carolinas; [vol. 2 und 3:] The Puritan Colonies. – London: Longmans, Green, and Co. 1882–1887. (Doyle, The English in America I–III) Dupin de Saint-André, A[rmand], L’ancienne église réformée de Tours. Les Membres de l’Église, in: Bulletin historique et littéraire, ed. Société de l’histoire du Protestantisme français, tome I, Quatrième série, dixième année. – Paris: Agence centrale de la Société 1901, S.  7–24. (Dupin, Église réformée de Tours) [Eck, Johann,] Bibel. Alt und new Testament/ nach dem Text in der hailigen kirchen gebraucht/ durch doctor Johan Ecken/ mit fleiß/ auf hohteutsch/ verdolmetscht. – Ingolstadt: Georg Krapff 1537. (Eck (1537))

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Eger, Karl, Die Anschauungen Luthers vom Beruf. Ein Beitrag zur Ethik Luthers. – Giessen: J. Ricker (Alfred Töpelmann) 1900. (Eger, Anschauungen Luthers vom Beruf) Eibach, R[udolf], John Milton als Theologe, in: Theologische Studien und Kritiken. Eine Zeitschrift für das gesamte Gebiet der Theologie, [.  .  .] hg. von J. Köstlin und E. Riehm, [52.] Jahrgang, 4. Heft. – Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1879, S.  705–732. (Eibach, Milton) Emiliani-Giudici, Paolo, Storia dei Comuni Italiani, volume terzo: Documenti. – Florenz: Felice le Monnier 1866. (Emiliani-Giudici, Storia III) Erlanger Ausgabe → Luther, Sämmtliche Werke. Erlanger Ausgabe. Firth, C[harles] H[arding], Cromwell’s Army. A History of the English Soldier during the Civil Wars, the Commonwealth and the Protectorate. Being the Ford Lectures Delivered in the University of Oxford in 1900–1. – London: Methuen & Co. 1902. (Firth, Cromwell’s Army) Fischer, H. Karl, Kritische Beiträge zu Prof. M. Webers Abhandlung: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, in: AfSSp, 25. Band, 1. Heft, 1907, S.  232–242 (→ oben, S.  4 69–477). (Fischer, Kritische Beiträge) –,  Protestantische Ethik und „Geist des Kapitalismus“: Replik auf Herrn Prof. Max Webers Gegenkritik, in: AfSSp, 26. Band, 1. Heft, 1908, S.  270–274 (→ oben, S.  494–514). (Fischer, Replik) [Fleischütz, Joseph,] Die Heilige Schrift nach der uralten, gemeinen, von der katholischen Kirche bewährten Übersetzung, deutsch hg., 4. Band. – Fulda: Johann Jakob Stahel 1781. (Fleischütz (1778–1781)) Francke, August Hermann, Lectiones Paraeneticae, Oder Oeffentliche Ansprachen/ An die Studiosos Theologiae auf der Vniuersität zu Halle, in dem so genannten Collegio Paraenetico, in welchen dieselben, nach Abhandlung verschiedener nöthigen und nützlichen Materien, zu einer wahren Bekehrung, zu einem exemplarischen Wandel, und zur ordentlichen und weislichen Art zu studiren, erwecket und aufgemuntert sind, IV. Theil, hg. von Gotthilf August Francke. – Halle: im Waysen-Hause 1731. (Francke, Lectiones Paraeneticae IV ) –,  Von der Christen Vollkommenheit [1691], in: ders., Oeffentliches Zeugniß vom Werck/ Wort und Dienst GOttes, Teil  3. – Halle 1702, S.  190–192. (Francke, Von der Christen Vollkommenheit) Franklin, Benjamin, Advice to a young tradesman. Written in the year 1748, in: The Works of Benjamin Franklin. Containing several political and historical tracts not

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included in any former edition [.  .  .], ed. by Jared Sparks, vol. 2. – Boston: Hillard, Gray, and Company 1840, p.  87–89. (Franklin, Advice) –,  Necessary hints to those that would be rich. Written in the year 1736, in: ebd., p.  8 0 f. (Franklin, Necessary hints) **–,  Sein Leben, von ihm selbst beschrieben. Mit einem Vorwort von Berthold Auerbach und einer historisch-politischen Einleitung von Friedrich Kapp. – Stuttgart: Aug. Berth. Auerbach 1876. (Franklin, Sein Leben) **Freytag, Gustav, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, 4. Band: Aus neuer Zeit (1700–1848), 11.  Aufl. – Leipzig: S. Hirzel 1879. (Freytag, Bilder IV ) The Friends’ Library: Comprising Journals, Doctrinal Treatises, and Other Writings of Members of the Religious Society of Friends, vol. 1, ed. by William Evans and Thomas Evans. – Philadelphia: Printed by Joseph Rakestraw, for the editors 1837. (Friends’ Library I) Froude, James Anthony, Bunyan (English Men of Letters, ed. by John Morley). – London, New York: Macmillan and Co. 1895. (Froude, Bunyan) Fruin, R[obert], Tien jaren uit den tachtigjarigen oorlog 1588–1598, 5.  Aufl. – ’s Gravenhage: Martinus Nijhoff 1899. (Fruin, Tien jaren) Gardiner, Samuel Rawson (Ed.), The Constitutional Documents of the Puritan Revolution 1628–1660. – Oxford: Clarendon Press 1889 [*dass., 1625–1660, 2nd ed., revised and enlarged, ebd., 1899]. (Gardiner, Constitutional Documents) –,  History of the Commonwealth and Protectorate 1649–1660, 3 vols. – London, New York and Bombay: Longmans, Green, and Co., vol. 1, 2. ed. 1897, vol. 2–3 1897–1901. (Gardiner, Commonwealth I–III) [Gebhardt, Hermann,] Zur bäuerlichen Glaubens- und Sittenlehre. Von einem thüringischen Landpfarrer, 2., vermehrte Aufl. – Gotha: Gustav Schloeßmann 1890. (Gebhardt, Glaubens- und Sittenlehre) Goethe, Johann Wolfgang von, Ethisches. Maximen und Reflexionen, in: Goethe’s Werke. Nach den vorzüglichsten Quellen rev. Ausg., 19. Theil: Sprüche in Prosa, hg. und mit Anm.  versehen von G. von Loeper. – Berlin: Gustav Hempel o.J. [1870]. (Goethe, Ethisches. Maximen und Reflexionen, Hempel’sche Ausgabe) –,  Faust. Eine Tragödie [1.Theil], in: Goethes Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, 1. Abth., 14. Band. – Weimar: Hermann Böhlau 1887 (Goethe, Faust I)

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–, Noten und Abhandlungen zu besserem Verständniß des West-östlichen Divans, in: Goethes Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, 7. Band. – Weimar: Hermann Böhlau 1888 (Goethe, Noten zum West-östlichen Divan) –,  Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden [2. Theil], in: Goethes Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, 1. Abth., 25. Band: 1. Abth. – Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1895. (Goethe, Wanderjahre) Gothein, Eberhard, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, hg. von der Badischen historischen Kommission, 1. Band: Städte- und Gewerbegeschichte [2. Band nicht erschienen]. – Straßburg: Karl J. Trübner 1892. (Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes) Hägermann, Gustav, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in den er­­ sten amerikanischen Staatsverfassungen (Historische Studien, Heft 78). – Berlin: Ebering 1910. (Hägermann, Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte) Harnack, Adolf, Der Wert der Arbeit nach urchristlicher Anschauung, in: Evangelisch-Sozial. Mitteilungen des Evangelisch-sozialen Kongresses, 14. Folge vom 25. März 1905, Nr.  3/4. – Berlin: Alexander Duncker 1905, S.  4 8 f. (Harnack, Wert der Arbeit) Hasbach, W[ilhelm], Zur Charakteristik der englischen Industrie, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, hg. von Gustav Schmoller, 26. Jg., 2. Heft. – Leipzig: Duncker & Humblot 1902, S.  4 55– 504, [II.] 3. Heft, S.  117–164 [1015–1062]; [III.] 27. Jg., 2. Heft, ebd., 1903, S.  1–73 [349–421]. (Hasbach, Charakteristik) Heidegger, Joh[ann] Heinrich, Corpus Theologiae Christianae, exhibens Doctrinam Veritatis, quae secundum pietatem est [.  .  .], adeoque sit plenissimum Theologiae didacticae, elenchticae, moralis et historicae, tomus posterior. – Zürich: Joh. Heinrich Bodmer 1700. (Heidegger, Corpus Theologiae II) **Hellpach, Willy, Grundlinien einer Psychologie der Hysterie. – Leipzig: Wilhelm Engelmann 1904. (Hellpach, Grundlinien) –, Nervosität und Kultur (Kulturprobleme der Gegenwart, hg. von Leo Berg, Band  V ). – Berlin: Johannes Räde 1902. (Hellpach, Nervosität und Kultur) Henry, Matthew, Daily Communion with God. – Christianity no Sect. – The Sabbath. – The Promises of God. – The Worth of the Soul. – A Church in the House. With Life of Henry by James Hamilton (Works of the English Puritan Divines [vol. 8]). – London: Thomas Nelson 1847. (Henry, Works of the English Puritan Divines VIII)

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–,  The Worth of the Soul, in: Henry, Works of the English Puritan Divines VIII, p.  3 09–320. (Henry, The Worth of the Soul) Heppe, Heinrich, Die Dogmatik der evangelisch-reformirten Kirche dargestellt und aus den Quellen belegt (Schriften zur reformirten Theologie von Heinrich Heppe, Band  II). – Elberfeld: R. L. Friderichs 1861. (Heppe, Dogmatik) *–,  Geschichte des Pietismus und der Mystik in der Reformirten Kirche, namentlich der Niederlande. – Leiden: E. J. Brill 1879. (Heppe, Pietismus) Hertling, Georg Freiherr von, Das Princip des Katholicismus und die Wissenschaft. Grundsätzliche Erörterungen aus Anlaß einer Tagesfrage. – Freiburg i.Br.: Herder 1899 [2.–4., unveränd. Aufl., ebd., 1899]. (Hertling, Prinzip des Katholizismus) *Hoenig, Fritz, Oliver Cromwell, 3 Bände in vier Theilen. – Berlin: Friedrich Luckhardt 1887–1889. (Hoenig, Cromwell I/1, I/2, II/3 und III/4) Hoennicke, Gustav, Studien zur altprotestantischen Ethik. – Berlin: C.  A. Schwetschke und Sohn 1902. (Hoennicke, Studien) Hoffmann, Hermann Edler von, Das Kirchenverfassungsrecht der niederländischen Reformierten bis zum Beginne der Dordrechter Nationalsynode von 1618/19. – Leipzig: C. L. Hirschfeld 1902. (Hoffmann, Kirchenverfassungsrecht) Hofmann, Rudolf, Art. Baptisten, in: RE3, 2. Band, 1897, S.  3 85–393. (Hofmann, Art. Baptisten) Hönig → Hoenig. Hoornbeek, Johannes, Theologia Practica. Pars Prior und Tomus Alter. – Utrecht: Heinrich Versteeg 1663–1666. (Hoornbeek, Theologia practica I, II) *Howe, John, Man’s Enmity against God, in: Howe, Works of the English Puritan Divines III, p.  215–238. (Howe, Man’s Enmity against God) –,  The Redeemer’s Tears wept over lost Souls. – Union among Protestants. – Carnality of Religious Contention. – Man’s Enmity to God. – And Reconciliation between God and Man. With life of the author by W. Urwick (Works of the English Puritan Divines [vol. 3]). – London: Thomas Nelson 1846. (Howe, Works of the English Puritan Divines III) Hundeshagen, K[arl] B[ernhard], Beiträge zur Kirchenverfassungsgeschichte und Kirchenpolitik insbesondere des Protestantismus, 1. Band – Wiesbaden: Julius Niedner 1864. (Hundeshagen, Beiträge I)

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Irving, Washington, Bracebridge Hall, in: The Works of Washington Irving, vol. III. – London: Bell & Daldy 1868/71, p.  170–174. (Irving, Bracebridge Hall) Jacoby, L[udwig] S., Geschichte des Methodismus, seiner Entstehung und Ausbreitung in den verschiedenen Theilen der Erde. Nach authentischen Quellen bearbeitet, 2 Theile. – Bremen: Verlag des Tractathauses 1870. (Jacoby, Geschichte des Methodismus) *–, Handbuch des Methodismus, enthaltend die Geschichte, Lehre, das Kirchenregiment und eigenthümliche Gebräuche desselben. Nach authentischen Quellen bearbeitet. – Bremen: Joh. Georg Heyse 1853. (Jacoby, Handbuch des Methodismus) James, William, The Varieties of Religious Experience. A Study in Human Nature. Being the Gifford Lectures on Natural Religion Delivered at Edinburgh in 1901–1902. – New York, London and Bombay: Longmans, Green and Co. 1902. (James, Varieties) Janeway, James, Heaven upon Earth; or, Jesus the Best Friend of Man. With History of the Janeway Familly by F. A. Cox (Works of the English Puritan Divines [vol. 7]). – London: Thomas Nelson 1847. (Janeway, Works of the English Puritan Divines VII) –, Heaven upon Earth, in: Janeway, Works of the English Puritan Divines VII, p.  3 5–304. (Janeway, Heaven upon Earth) Jellinek, Georg, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Ein Beitrag zur modernen Verfassungsgeschichte (Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen, hg. von Georg Jellinek und Gerhard Anschütz). – Leipzig; Duncker & Humblot 1895. (Jellinek, Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte) –,  dass., 2., erweiterte Aufl. – Leipzig: Duncker & Humblot 1904. (Jellinek, Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 2) Jenkyn, Thomas W., An Essay on Baxter’s Life, Ministry, and Theology, in: Baxter, Works of the English Puritan Divines IV, p. i-lviii. (Jenkyn, Essay on Baxter’s Life) Jülicher, Adolf, Die Gleichnisreden Jesu, 2. Teil: Auslegung der Gleichnisreden der drei ersten Evangelien. – Freiburg i. B., Leipzig und Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1899. (Jülicher, Gleichnisreden II) Jüngst, Johannes, Amerikanischer Methodismus in Deutschland und Robert Pearsell Smith. Skizze aus der neuesten Kirchengeschichte. Mit einem Vorwort von W. Krafft. – Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1875. (Jüngst, Amerikanischer Methodismus)

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–,  [= dass.] Der Methodismus in Deutschland. Beitrag zur neuesten Kirchengeschichte in zwei Abtheilungen, 2.  Aufl. – Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1877. (Jüngst, Methodismus in Deutschland I, II) Kampschulte, F[ranz] W[ilhelm], Johann Calvin. Seine Kirche und sein Staat in Genf, 1. Band; 2. Band, nach dem Tode des Verfassers hg. von Walter Goetz. – Leipzig: Duncker & Humblot 1869–1899. (Kampschulte, Calvin I, II) Kautsky, Karl, Von Plato bis zu den Wiedertäufern, in: Die Vorläufer des Neueren Sozialismus (Die Geschichte des Sozialismus in Einzeldarstellungen von E. Bernstein, C. Hugo, K. Kautsky, P. Lafargue, Franz Mehring, G. Plechanow), 1. Band, 1. Theil. – Stuttgart: J. H. W. Dietz 1895. (Kautsky, Wiedertäufer) Keller, Gottfried, Die drei gerechten Kammacher, in: ders., Gesammelte Werke, 4. Band: Die Leute von Seldwyla. Erzählungen. – Berlin: Wilhelm Hertz 1889, S.  215–265. (Keller, Die drei gerechten Kammacher) Köhler, W[alther], Ein Wort zu Denifle’s Luther. – Tübingen und Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1904. (Köhler, Denifle) Kolde, Th[eodor], Die Augsburgische Konfession lateinisch und deutsch, kurz erläutert. Mit fünf Beilagen. – Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1896. (Kolde, Augsburgische Konfession) –, Der Methodismus und seine Bekämpfung. Ein Vortrag auf der bayrischen Pastoralconferenz zu Erlangen am 23. Juni 1886 gehalten. – Erlangen: Andreas Deichert 1886. (Kolde, Methodismus) Köstlin, J[ulius], Art. Gott, in: RE3, 6. Band, 1899, S.  779–802. (Köstlin, Art. Gott) Kürnberger, Ferdinand, Der Amerika-Müde. Amerikanisches Kulturbild. – Frankfurt a. M.: Meidinger Sohn & Cie. 1855. (Kürnberger, Der Amerika-Müde) **Lamprecht, Karl, Deutsche Geschichte, 2. Abt.: Neuere Zeit. Zeitalter des individuellen Seelenlebens, 3. Band, 1. Hälfte (Der ganzen Reihe 7. Band, 1. Hälfte). – Freiburg i. Br.: Hermann Heyfelder 1905. (Lamprecht, Deutsche Geschichte VII/1) –,  Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter. Untersuchung über die Entwicklung der materiellen Kultur des platten Landes auf Grund der Quellen des Mosellandes, Bände I/1, I/2, II und III. – Leipzig: Dürr 1886. (Lamprecht, Wirtschaftsleben I–III) Law, William, A Serious Call to a Devout and Holy Life. Adapted to the State and Condition of All Orders of Christians. – London: William Innys 1729. (Law, Serious Call)

Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur

Lemme, L[udwig], Art. Beruf, irdischer, in: (Lemme, Art. Beruf)

RE3,

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2. Band, 1897, S.  652–657.

Lobstein, P[aul], Zum evangelischen Lebensideal in seiner lutherischen und reformierten Ausprägung, in: Theologische Abhandlungen. Eine Festgabe zum 17. Mai 1902 für Heinrich Julius Holtzmann [.  .  .]. – Tübingen und Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1902, S.  159–181. (Lobstein, Evangelisches Lebensideal) Loofs, [Friedrich,] Art. Methodismus, in: RE3, 12. Band, 1903, S.  747–801. (Loofs, Art. Methodismus) [Löscher, Valentin Ernst,] Nachricht von dem Weysen-Hause zu Glauche an Halle, in: [ders.,] Unschuldige Nachrichten. Von Alten und Neuen Sachen/ Büchern/ Uhrkunden/ Controversien [.  .  .]. Auf das Jahr 1707. – Leipzig: Jo. Großens sel. Erben und Jo. Friedrich Braun 1709, S.  8 98–905. (Löscher, Nachricht von dem Weysen-Hause) –,  „Timotheus Verinus“ → Löscher, Nachricht von dem Weysen-Hause. Luthardt, Chr[istoph] Ernst, Die Ethik Luthers in ihren Grundzügen. – Leipzig: Dörffling und Franke 1867. (Luthardt, Ethik Luthers) Luther, Martin, Auslegung des 7. Kapitels der I. Epistel St. Pauli an die Korinther. 1523, in: Luther, Erlanger Ausgabe, 51. Band, 1852, S.  1–69 [WA 12, S. [88] 95–142]. (Luther, 1 Korinther 7) –,  Auslegung des 111. Psalms. 1530, in: Luther, Erlanger Ausgabe, 40. Band, 1846, S.  192–239 [WA 31/I, S. [384] 393–426]. (Luther, 111. Psalm) –,  An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung. 1520, in: Luther, Erlanger Ausgabe, 21. Band, 1832, S.  274–360 [WA 6, S.  381–469]. (Luther, Christlicher Adel) –,  Von den Conciliis und Kirchen.  1539, in: Luther, Erlanger Ausgabe, 25. Band, 1830, S.  219–388 [WA 50, S. [488] 509–654]. (Luther, Conciliis und Kirchen) –,  Erlanger Ausgabe → Dr. Martin Luther’s sämmtliche Werke. *–,  Von der Freiheit eines Christenmenschen.  1520, in: Luther, Erlanger Ausgabe, 27. Band, 1833, S.  173–199 [WA 7, S.  12–38 deutsch, S.  49–73 lat.]. (Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen) –,  In Genesin Enarrationum, in: D. Martini Lutheri Exegetica opera latina, tomus IV: cap. XVI–XIX, ed. Christoph Stephan Gottlieb Elsperger. – Erlangen: Carl Heyder 1829 [hier WA 42]. (Luther, Genesisexegese IV )

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–, dass., in: ebd., tomus VII: cap. XXVI–XXX, ed. Christoph Stephan Gottlieb Elsperger, ebd. 1831 [hier WA 43]. (Luther, Genesisexegese VII) –,  dass., in: ebd., tomus VIII: cap. XXXI–XXXV, ed. Christoph Stephan Gottlieb Elsperger, ebd. 1831 [hier WA 44]. (Luther, Genesisexegese VIII) –,  Großer Sermon vom Wucher. Anno 1519, in: Luther, Erlanger Ausgabe, 20. Band, 1829, S.  89–122 [WA 6, S. [33] 36–60]. (Luther, Großer Sermon vom Wucher) –, Kirchenpostille. II. Predigten über die Evangelien, in: Luther, Erlanger Ausgabe, 10. Band, 1827 [WA 10/I/1]. (Luther, Kirchenpostille) –,  1 Korinther 7 → Luther, Auslegung des 7. Kapitels der I. Epistel St. Pauli an die Korinther. –,  Kurzes Bekenntniß Doctor Martin Luthers vom heiligen Sacrament. 1545, in: Luther, Erlanger Ausgabe, 32. Band, 1842, S.  3 96–425 [WA 54, S. [119] 141–167]. (Luther, Kurzes Bekenntniß) –,  111. Psalm → Luther, Auslegung des 111. Psalms. –, Der 117. Psalm. Ausgelegt 1530, in: Luther, Erlanger Ausgabe, 40. Band, 1846, S.  280–328 [WA 31/I, S. [219] 223–257]. (Luther, 117. Psalm) Dr. Martin Luther’s sämmtliche Werke, 1.  Aufl. – Erlangen: Carl Heyder 1826 ff. (Luther, Erlanger Ausgabe)  – Band  10, 1827 → Luther, Kirchenpostille.  – Band  20, 1829 → Luther, Großer Sermon vom Wucher.  – Band  25, 1830 → Luther, Von Conciliis und Kirchen.  – Band  27, 1833 → Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen.  – Band  40, 1846 → Luther, Auslegung des 111. Psalms; Luther, 111. Psalm.  – Band  51, 1852 → Luther, Auslegung des 7. Kapitels der I. Epistel St. Pauli an die Korinther. –,  De servo arbitrio Martini Lutheri ad D. Erasmum Roterodamum. 1525, in: D. Martini Lutheri opera latina varii argumenti ad reformationis historiam imprimis pertinentia, tomus VII. – Frankfurt a. M., Erlangen: Heyder & Zimmer 1873, S.  113– 368 [WA 18, S. [551] 600–787]. (Luther, De servo arbitrio) Macaulay, Thomas Babington, John Bunyan. (May 1854.), in: ders., The Miscellaneous Writings. In two volumes, vol. II. – London: Longman, Green, Longman, and Roberts 1860, S.  227–243. (Macaulay, Bunyan) –,  Milton. (August, 1825), in: ders., Critical and Historical Essays, contributed to the Edinburgh Review. Copyright ed. in 5 vols., vol. 1 (Collection of British authors, vol. 185). – Leipzig: Bernhard Tauchnitz 1850, p.  1–61. (Macaulay, Milton)

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Machiavelli, Niccolò, Florentinische Geschichten. Übers. von Alfred Reumont, 1. Theil. – Leipzig: F. A. Brockhaus 1846. (Machiavelli, Florentinische Geschichten I) Marcks, Erich, Gaspard von Coligny. Sein Leben und das Frankreich seiner Zeit, 1. Band, 1. Hälfte. – Stuttgart: J. G. Cotta 1892. (Marcks, Coligny) Masson, David, The Life of John Milton: Narrated in Connexion with the Political, Ecclesiastical, and Literary History of His Time, 6 vols. – London: Macmillan and Co., vol. 1, 2. ed. 1875, vol. 2–6 1871–1880. (Masson, Milton I–VI) Maurenbrecher, Max, Thomas von Aquino’s Stellung zum Wirtschaftsleben seiner Zeit. Einleitung und erster Teil als Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Philosophischen Doktorwürde eingereicht. – Leipzig: J. J. Weber 1898. (Maurenbrecher, Thomas von Aquino) Menno Simons, Dat fundament des Christelycken leers: op dat alder corste geschreuen. – o.  O.: o. V. [1539/40]. [= dass., hg. von Hendrik W. Meihuizen. – Den Haag: Nijhoff 1967; u.d.T. der 2.  Aufl.: Een fundament en klare aenwysinge [.  .  .], in: Menno Simons, Opera omnia theologica. – Amsterdam: Joannes van Veen 1681]. (Menno Simons, Dat fundament des Christelycken leers) Milton, John, Das verlorene Paradies. Ein Gedicht in zwölf Gesängen. Deutsch von Adolf Böttger (Reclams Universal Bibliothek Nr.  2191/2192). – Leipzig: Philipp Reclam jun. o.J. [1. Auflage 1883–1886]. (Milton, Paradies) –,  Pro populo anglicano defensio. Contra Claudii Anonymi, alias Salmasii, Defensionem Regiam. – London: Du Gardianis 1651. (Milton, Pro populo anglicano defensio) –,  dass. dt.: [Vertheidigung des englischen Volkes], in: Politische Hauptschriften. Übers. und mit Anm.  versehen von Wilhelm Bernhardi, 1. Band. – Berlin: Erich Koschny (L. Heimann’s Verlag) 1874, S.  163–321. (Milton, Vertheidigung) Mirbt, Carl, Art. Pietismus, in: RE3, 15. Band, 1904, S.  774–815. (Mirbt, Art. Pietismus) **[Montesquieu,] De L’Esprit des lois par Montesquieu avec les notes de Voltaire, de Crevier, de Mably, de la Harpe, etc. Nouvelle Éd. [.  .  .]. – Paris: Garnier Frères, Libraires-Éditeurs 1869. (Montesquieu, Esprit des lois) Müller, E. F. Karl, Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche. In authentischen Texten mit geschichtlicher Einleitung und Register. – Leipzig: A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung Nachf. (Georg Böhme) 1903. (Müller, E. F. Karl, Bekenntnisschriften)

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Müller, Karl, Kirchengeschichte, 1. Band; 2. Band, 1. Halbband (Grundriß der Theologischen Wissenschaften, 4. Teil). – Tübingen und Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1892–1902 [**Anastatischer Nachdruck Band  1, 1905, Band  2 /1, 1911]. (Müller, Kirchengeschichte I, II/1) Murray, James A. H., s.v. calling, in: A New English Dictionary on Historical Principles. Founded mainly on the materials collected by the Philological Society, vol. 2. – Oxford: Clarendon Press 1893, p.  3 8 f. (Murray, s.v. calling) Naber, J[ean] C[harles], Calvinist of Libertijnsch? (1572–1631). – Utrecht: J. L. Beijers 1884. (Naber, Calvinist) Neal, Daniel, The History of the Puritans; or, Protestant Nonconformists; from the Reformation in 1517 to the Revolution in 1688. Comprising an Account of their Principles, their Attempts for a Farther Reformation in the Church, their Sufferings and the Lives and Characters of their Most Considerable Divines. A new ed., 5 vols. – London: William Baynes & Son 1822. (Neal, Puritans I–V ) Neumann, Carl, Rembrandt. – Berlin und Stuttgart: W. Spemann 1902. (Neumann, Rembrandt) Nietzsche, Friedrich, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft. – Leipzig: C. G. Naumann 1866. (Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse) Offenbacher, Martin, Konfession und soziale Schichtung. Eine Studie über die wirtschaftliche Lage der Katholiken und Protestanten in Baden (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, hg. von Carl Johannes Fuchs, Gerhard von Schulze-Gävernitz, Max Weber, 4. Band, 5. Heft). – Tübingen und Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1900 [dass., S.  1–30 und 71–76, als Inaugural-Dissertation. – Tübingen: H. Laupp 1901]. (Offenbacher, Konfession) Olevian, Caspar, De Svbstantia Foederis Gratviti inter Devm et Electos, itemque de Mediis, qvibus ea ipsa svbstantia nobis commvnicatvr, 2 Bände. – Genf: Eustathius Vignon 1585. (Olevian, De substantia foederis I, II) Owen, John, An Enquiry Into the Original, Nature Institution, Power, Order and Communion of Evangelical Churches → Owen, True Nature of a Gospel Church. –,  The True Nature of a Gospel Church and its Government [.  .  .]. – London: William Marshall 1689. (Owen, True Nature of a Gospel Church) Petty, William, Political Arithmetick, Or A Discourse Concerning The Extent and Value of Lands [.  .  .]. – London: Robert Clavel 1691. (Petty, Political Arithmetick)

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*Pierson, A[llard], Studien over Johannes Kalvijn, Folge 1: (1527–1536), Folge 2: Nieuwe Studiën [.  .  .] (1536–1541), Folge 3: Studiën [.  .  .] (1540–1542). – Amsterdam: P. N.  van Kampen & Zoon 1881–1891. (Pierson, Studien I–III) *Plitt, Hermann, Zinzendorfs Theologie, 1. Band: Die ursprüngliche gesunde Lehre Zinzendorfs, 1723–1742; 2. Band: Die Zeit krankhafter Verbildungen in Zinzendorfs Lehrweise, 1743–1750; 3. Band: Die wiederhergestellte und abschließende Lehrweise Zinzendorfs, 1750–1760. – Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1869–1874. (Plitt, Zinzendorfs Theologie I–III) *Polenz, Gottlob von, Geschichte des französischen Calvinismus bis zur Nationalversammlung i. J. 1789. Zum Theil aus handschriftlichen Quellen, 5 Bände. – The History of Protestand nonconformity in England. *Price, Thomas, The History of Protestant Nonconformity in England, from the Reformation under Henry VIII., 2 vols. – London: William Ball 1838. (Price, History of Protestant Nonconformity I, II) Pruner, [Johann Evangelist von,] Art. Ascese, Ascetik, Ascetische Schriften, in: Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon oder Encyklopädie der katholischen Theologie und ihrer Hülfswissenschaften, 1. Band, 2.  Aufl. – Freiburg i. Br.: Herder’sche Verlagshandlung 1882, Sp.  1460–1469. (Pruner, Art. Ascese) Publications of the Hanserd Knollys Society → Underhill, Confessions of Faith. Rachfahl, Felix, Kalvinismus und Kapitalismus, in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, begr. von Friedrich Althoff, hg. von Paul Hinneberg, 3. Jg., Nr.  3 9 vom 25. Sept. 1909, Sp.  1217–1238, dass. (Fortsetzung), Nr.  4 0 vom 2. Okt. 1909, Sp.  1249–1268; dass. (Fortsetzung), Nr.  41 vom 9. Okt. 1909, Sp.  1287–1300; dass. (Fortsetzung), Nr.  42 vom 16. Okt. 1909, Sp.  1319– 1334; dass. (Schluß), Nr.  4 3 vom 23. Okt. 1909, Sp.  1347–1367 (→ oben, S.  521– 572). (Rachfahl, Kalvinismus) –,  Nochmals Kalvinismus und Kapitalismus, in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, hg. von Paul Hinneberg, 4. Jg., Nr.  22 vom 28. Mai 1910, Sp.  6 89–702; dass. (Fortsetzung), Nr.  23 vom 4. Juni 1910, Sp.  717– 734; dass. (Fortsetzung), Nr.  24 vom 11. Juni 1910, Sp.  755–768; dass. (Schluß), Nr.  25 vom 18. Juni 1910, Sp.  775–796 (→ oben, S.  625–664). (Rachfahl, Nochmals Kalvinismus) Ranke, Leopold, Englische Geschichte vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, 7 Bände. – Berlin: Duncker & Humblot 1859–1868. (Ranke, Englische Geschichte I–VII) Rathenau, Walther, Reflexionen. – Leipzig: S. Hirzel 1908. (Rathenau, Reflexionen)

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Ritschl, Albrecht, Ueber die Begriffe: sichtbare und unsichtbare Kirche. 1859, in: ders., Gesammelte Aufsätze [Band  1]. – Freiburg i.B. und Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1893, S.  6 8–99. (Ritschl, Begriffe: Sichtbare und unsichtbare Kirche) –,  Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, 1. Band: Die Geschichte der Lehre; 2. Band: Der biblische Stoff der Lehre; 3. Band: Die positive Entwickelung der Lehre, 3.  Aufl. – Bonn: Adolph Marcus 1889/1889/1888. (Ritschl, Rechtfertigung und Versöhnung I–III) –,  Geschichte des Pietismus, 1. Band: Der Pietismus in der reformirten Kirche; 2. und 3. Band: Der Pietismus in der lutherischen Kirche des 17. und 18. Jahrhunderts, 2 Abth. – Bonn: Adolph Marcus 1880–1886. (Ritschl, Pietismus I–III) –, Rechtfertigung und Versöhnung → Ritschl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung. Rockefeller, John D., Answers to interrogatories, in: Industrial Commission Report. Preliminary report on trusts and industrial combinations, together with testimony, review of evidence, charts showing effects on prices, and topical digest. Authorized by act of Congress approved June 18, 1898 (56 th Congress, 1st Session. House of Representatives, Doc. No.  476). – Washington: Government Printing Office 1900, p.  794–797. (Rockefeller, Answers) Roloff, Gustav, Moritz von Oranien und die Begründung des modernen Heeres, in: Preußische Jahrbücher, hg. von Hans Delbrück, 111. Band. – Berlin: Georg Stilke 1903, S.  255–276. (Roloff, Moritz von Oranien) Sanford, John Langton, Studies and Illustrations of the Great Rebellion. – London: John W. Parker and Son 1858. (Sanford, Great Rebellion) Schäfer, Dietrich, Zur Beurtheilung des Wormser Konkordats, in: Philosophische und Historische Abhandlungen der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Aus dem Jahre 1905. – Berlin: Verlag der Königlichen Akademie der Wissenschaften 1905, S.  1–94. (Schäfer, Wormser Konkordat) Scheibe, Max, Calvins Prädestinationslehre. Ein Beitrag zur Würdigung der Eigenart seiner Theologie und Religiosität. – Halle a. S.: Max Niemeyer 1897. (Scheibe, Calvins Prädestinationslehre) Schell, Herman, Der Katholicismus als Princip des Fortschritts. – Würzburg: Andreas Göbel 1897 [7.  Aufl., 1899]. (Schell, Katholizismus) Schmidt, Ferdinand Jakob, Kapitalismus und Protestantismus, in: Preußische Jahrbücher, hg. von Hans Delbrück, 122. Band. – Berlin: Georg Stilke 1905, S.  189–230. (Schmidt, Kapitalismus und Protestantismus)

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Schmidt, Walther Eugen, Nationale Jugend, in: Preußische Jahrbücher, hg. von Hans Delbrück, 112. Band. – Berlin: Georg Stilke 1903, S.  226–248. (Schmidt, Walther Eugen, Nationale Jugend) Schmoller, Gustav, Zur Geschichte der national-ökonomischen Ansichten in Deutschland während der Reformations-Periode, in: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, 16. Band. – Tübingen: Laupp’sche Buchhandlung 1860, S.  4 61–716. (Schmoller, National-ökonomische Ansichten) Schneckenburger, M[atthias], Vergleichende Darstellung des lutherischen und reformirten Lehrbegriffs. Aus dem handschriftlichem Nachlasse zusammengestellt und hg. durch Eduard Güder, 2 Theile. – Stuttgart: J. B. Metzler 1855. (Schneckenburger, Vergleichende Darstellung I, II) *–,  Vorlesungen über die Lehrbegriffe der kleineren protestantischen Kirchenparteien. Aus dem handschriftlichen Nachlass hg. von Karl Bernhard Hundeshagen. – Frankfurt a. M.: H. L. Brönner 1863. (Schneckenburger, Kirchenparteien) Schulze-Gaevernitz, G[erhart] von, Britischer Imperialismus und englischer Freihandel zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. – Leipzig: Duncker & Humblot 1906. (Schulze-Gaevernitz, Britischer Imperialismus) Sedgwick, Obadiah, Buß- und Gnaden-Lehre/ Oder Der verlohrene und wiedergefundene Sohn/ [.  .  .] Aus dem Englischen übersetzet Und anitzo zum andernmal mit Fleiß übersehen/ auch vieler Orten verbessert/ Durch Franciscum Christianum Rötcher. – Frankfurt und Leipzig: Jeremias Schrey und Hinrich Joh. Meyer 1689. (Sedgwick, Buß- und Gnaden-Lehre) Seeberg, R[einhold], Art. Askese, in: RE3, 2. Band, 1897, S.  134–142. (Seeberg, Art. Askese) –,  Lehrbuch der Dogmengeschichte, 1. Hälfte: Die Dogmengeschichte der alten Kirche; 2. Hälfte: Die Dogmengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. – Erlangen und Leipzig: A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung Nachf. (Georg Böhme) 1895–1898. (Seeberg, Dogmengeschichte I, II). A Selection from the Christian Advices Issued by the Yearly Meeting of the Socie­ty of Friends, held in London. From its Early Establishment to the Present Time, 6. ed., enlarged. – London: Edward Marsh 1851. (Society of Friends, Christian Advices) Seneca, De beneficiis libri VII, in: L. Annaei Senecae opera quae supersunt, vol. I fasc. II, ed. Carolus Hosius. – Leipzig: B. G. Teubner 1900. (Seneca, De beneficiis)

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Sharpless, Isaac, A Quaker Experiment in Government. History of Quaker Govern­ ment in Pennsylvania, 1682–1783. Popular Edition, 2 vols. in one. – Philadelphia: Ferris & Leach 1902. (Sharpless, Quaker Experiment I, II) Simmel, Georg, Philosophie des Abenteuers, in: Der Tag. Morgenausgabe, Illu­ strierter Teil, Nr.  130 vom 7. Juni 1910, S. [1–3]; Nr.  131 vom 8. Juni 1910, S. [1–3] [dass. in: Georg Simmel Gesamtausgabe, Band  12: Aufsätze und Abhandlungen 1909–1918, Band  I, hg. von Rüdiger Kramme und Angela Rammstedt. – Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2001, S.  97–110]. (Simmel, Philosophie des Abenteuers) –,  Philosophie des Geldes. – Leipzig: Duncker & Humblot 1900. (Simmel, Philosophie des Geldes) Skeats, Herbert S., A History of the Free Churches of England from A. D. 1688 to A. D. 1851. – London: Arthur Miall 1868. (Skeats, Free Churches) Smith, Adam, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 2 vols., vol. I. – London: W. Strahan, and T. Cadell 1776. (Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations I) –,  Natur und Ursachen des Volkswohlstandes. Neu übersetzt von Wilhelm Loewenthal, 1. Band. – Berlin: Elwin Staude 1879. (Smith, Natur und Ursachen I) Society of Friends, Christian Advices → A Selection from the Christian Advices. Sombart, Werner, Der moderne Kapitalismus, 1. Band: Die Genesis des Kapitalismus, 2. Band: Die Theorie der kapitalistischen Entwicklung. – Leipzig: Duncker & Humblot 1902. (Sombart, Der moderne Kapitalismus I, II) –,  Der kapitalistische Unternehmer, in: AfSSp, 29. Band, Heft 3, 1909, S.  6 89– 758. (Sombart, Unternehmer) **–,  Die deutsche Volkswirtschaft im Neunzehnten Jahrhundert (Das Neunzehnte Jahrhundert in Deutschlands Entwicklung, hg. von Paul Schlenther, Band  VII). – Berlin: Georg Bondi 1903. (Sombart, Volkswirtschaft) *Spangenberg, August Gottlieb, Idea Fidei Fratrum oder kurzer Begrif der Christlichen Lehre in den evangelischen Brüdergemeinen. – Barby: Christian Friedrich Laux, Leipzig: Weidmanns Erben und Reich 1782. (Spangenberg, Idea fidei fratrum) Sparks, Works of Franklin → Franklin, Advice, und Franklin, Necessary hints. *Spener, Philipp Jacob, Consilia et iudicia theologica latina: opus posthumum, ex ejusdem litteris singulari industria ac fide collectum, et in tres partes dividum,

Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur

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nunc in usum ecclesiae publicatum. – Frankfurt a. M.: Joh. David Zunner & Joh. Adam Jungen 1709. (Spener, Consilia theologica I–III) –, Pia Desideria: Oder Hertzliches Verlangen/ Nach Gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirchen [.  .  .]. – Frankfurt a. M.: Joh. Dav. Zunners S. Erb. und Johann Adam Jungen 1712. (Spener, Pia desideria) –, Theologische Bedencken und andere Brieffliche Antworten auf geistliche/ sonderlich zur erbauung gerichtete materien/ zu unterschiedenen zeiten aufgesetzet/ endlich auf langwieriges Anhalten Christlicher Freunde in einige Ordnung gebracht/ und nun zum dritten mal heraus gegeben, 4 Theile. – Halle: in Verlegung des Waysen-Hauses 1712–1715. (Spener, Theologische Bedenken I–IV ) Stern, Alfred, Milton und seine Zeit, 2 Theile, 4 Bücher – Leipzig: Duncker & Humblot 1877–1879. (Stern, Milton I/1, I/2, II/3, II/4) Joannis Tauleri des seligen lerers Predig/ fast fruchtbar zu eim recht christlichen leben [.  .  .]. – Basel: o.V. 1521. (Tauler, Predigten, Basler Ausg. 1521) Tayler, John James, A Retrospect of the Religious Life of England: or the Church, Puritanism, and Free Inquiry. – London: John Chapman 1845. (Tayler, Retrospect) Tholuck, A[ugust], Vorgeschichte des Rationalismus, 2. Theil: Das kirchliche Leben des 17. Jahrhunderts bis in die Anfänge der Aufklärung, 2 Abth. – Berlin: Wiegandt und Grieben 1861–1862. (Tholuck, Vorgeschichte II/1, II/2) Sancti Thomae Aquinatis Quaestiones Disputatae cum Quolibetis [.  .  .], in: ders., Opera Omnia, tomus IX, vol. 2. – Parma: Pietro Fiaccadori 1859. (Thomas von Aquin, Opera Omnia IX/2) –,  Summa theologica diligenter emendata Nicolai, Sylvii, Billuart & C.-J. Drioux notis ornata, tomus quintus. – Barri-Ducis: Guerin 1869. (Thomas von Aquin, Summa theologica, tomus V ) Tolstoj, Leo N., Krieg und Frieden, Bände 1–4, in: Tolstoj’s Gesammelte Werke. Vom Verfasser genehmigte Ausgabe von Raphael Löwenfeld, Bände V–VIII. – Berlin: Richard Wilhelmi 1892. (Tolstoj, Krieg und Frieden I–IV ) Tönnies, Ferdinand, Gemeinschaft und Gesellschaft. Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen. – Leipzig: Fues 1887. (Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft) Troeltsch, Ernst, Die christliche Ethik und die heutige Gesellschaft, in: Die Verhandlungen des 15. Evangelisch-sozialen Kongresses abgehalten in Breslau am 25. und 26. Mai 1904. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1904, S.  11–40 [KGA 6]. (Troeltsch, Christliche Ethik)

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Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur

–, Die Kulturbedeutung des Calvinismus, in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, hg. von Paul Hinneberg, 4. Jg. – Berlin: August Scherl, Nr.  15 vom 9. April 1910, Sp.  4 49–468; Nr.  16 vom 16. April 1910, Sp.  5 01– 508 [KGA 8, S.  143–181]. (Troeltsch, Kulturbedeutung des Calvinismus) –, Art. Moralisten, englische, in: RE3, 13. Band, 1903, S.  436–461 [KGA 3]. (Troeltsch, Art. Moralisten) –, Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, in: Die Kultur der Gegenwart, Teil  I, Abt. IV [1. Hälfte]: Die Christliche Religion mit Einschluß der israelitisch-jüdischen Religion, hg. von Paul Hinneberg. – Berlin und Leipzig: B. G. Teubner 1906, S.   253–458 [**Sonderabdruck 1905; **Sonderabdruck 2.  Aufl. 1909] [KGA 7]. (Troeltsch, Protestantisches Christentum) –,  [Rez.] Hoennicke, G., Studien zur altprotestantischen Ethik. Berlin (Schwetschke u. Sohn) 1902, in: Göttingische gelehrte Anzeigen. Unter der Aufsicht der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften, 164. Jg., 2. Band, Nr.  8. – Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1902, S.  577–583 [KGA 4, S.  217–223]. (Troeltsch, Rez. Hoennicke) –,  [Rez.] Seeberg, R., Lehrbuch der Dogmengeschichte, Zweite Hälfte: Die Dogmengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Erlangen 1899, in: Göttingische gelehrte Anzeigen. Unter der Aufsicht der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften, 163. Jg., 1. Band, Nr.  1. – Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1901, S.  15–30 [KGA 4, S.  87–111]. (Troeltsch, Rez. Seeberg) –,  Die Soziallehren der christlichen Kirchen, I. Die Grundlagen in der Alten Kirche, in: AfSSp, 26. Band, 1908, S.  1–55, S.  2 92–342, S.  6 49–692; dass., II. Der mittelalterliche Katholizismus, in: AfSSp, 27. Band, 1908, S.  1–72, S.  317–348, und AfSSp, 28. Band, 1909, S.  1–71, S.  3 87–416, S.  621–653; dass., III. Der Protestantismus, in: AfSSp, 29. Band, 1909, S.  1–49, S.  3 81–416, und 30. Band, 1910, S.  3 0–65, S.  6 66–720 [KGA 9/1 und 9/2]. (Troeltsch, Soziallehren I–III) –,  Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht, in: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.–22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1911, S.  166–192 [KGA 6]. (Troeltsch, Stoisch-christliches Naturrecht) –, Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten. Akademische Rede zur Feier des Geburtsfestes des höchstseligen Grossherzogs Karl Friedrich am 22. November 1906 bei dem Vortrag des Jahresberichts und der Verkündung der akademischen Preise. – Heidelberg: Hörning 1906 [dass. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1907] [KGA 6]. (Troeltsch, Trennung von Staat und Kirche)

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–,  Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Melanchthon. Untersuchung zur Geschichte der altprotestantischen Theologie. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1891 [KGA 1, S.  73–338]. (Troeltsch, Vernunft und Offenbarung) Tyerman, L[uke], The Life and Times of the Rev. John Wesley, M. A., Founder of the Methodists, 3 vols. – London: Hodder and Stoughton 1870/71. (Tyerman, Wesley I–III) Underhill, Edward Bean (Ed.), Confessions of Faith, and other Public Documents illustrative of the History of the Baptist Churches of England in the 17th Century, edited for the Hanserd Knollys Society. – London: Haddon, Brothers, and Co. 1854. (Underhill, Confessions of Faith) Veblen, Thorstein, The Theory of Business Enterprise. – New York: Charles Scribner’s Sons 1904. (Veblen, Business Enterprise) Vischer, Friederich Theod[or], Kritische Gänge, 1. Band – Tübingen: Ludwig Friedrich Fues 1844. (Vischer, Kritische Gänge I) Voltaire, Siècle de Louis XIV [II], in: Oeuvres complètes de Voltaire. Nouvelle édition [.  .  .]. Conforme pour le texte à l’édition de Beuchot, t. 15. – Paris: Garnier Frères, Libraires – Editeurs 1878 [Nachdr. 1967]. (Voltaire, Siècle de Louis XIV [II]) Ward, Frank G., Darstellung und Würdigung der Ansichten Luthers vom Staat und seinen wirtschaftlichen Aufgaben (Sammlung nationalökonomischer und stati­ stischer Abhandlungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Halle a.d.S., hg. von Joh[annes] Conrad, 21. Band). – Jena: Gustav Fischer 1898. (Ward, Darstellung) Warneck, G[ustav], Abriß einer Geschichte der protestantischen Missionen von der Reformation bis auf die Gegenwart. Ein Beitrag zur neueren Kirchengeschichte, 5.  Aufl. – Berlin: Martin Warneck 1899. (Warneck, Missionen) Washington, Booker T., Up from Slavery. An Autobiography. – New York: Doubleday, Page & Co. 1901. (Washington, Up from Slavery) Watson, Richard, The Life of the Rev. John Wesley, A. M., sometime Fellow of Lincoln College, Oxford, and Founder of the Methodist Societies, 2. ed. – London: John Mason 1831. (Watson, Life of Wesley) –,  dass. dt.: Das Leben Johann Wesley’s, nebst einer Schilderung des Methodismus und seiner Anhänger in Großbritannien und Irland. Beitrag zur christlichen Religions- und Kirchen-Geschichte. Nebst einem Vorwort von L[ouis] Bonnet. – Frankfurt a. M.: Siegmund Schmerber 1839. (Watson, Leben Wesley’s)

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Weber, Alfred, Ueber den Standort der Industrien, 1. Teil: Reine Theorie des Standorts. Mit einem mathematischen Anhang von Georg Pick. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1909. (Weber, Alfred, Standort) Weber, Max, Art. Agrargeschichte, I. Agrarverhältnisse im Altertum, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hg. von Johannes E. Conrad, Ludwig Elster, Wilhelm Lexis, Edgar Loening, Band  I, 3., gänzlich umgearb. Aufl. – Jena: Gustav Fischer 1909, S.  52–188 (MWG I/6, S.  3 00–747). (Weber, Agrarverhältnisse 3) –, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus, in: AfSSp, 30. Band, 1. Heft, 1910, S.  176–202 (→ oben, S.  573–619). (Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus) –, Bemerkungen zu der vorstehenden „Replik“, in: AfSSp, 26. Band, 1. Heft, 1908, S.  275–283 (→ oben, S.  498–514). (Weber, Bemerkungen) –,  Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter. Nach südeuropäischen Quellen. – Stuttgart: F. Enke 1889 (MWG I/1). (Weber, Handelsgesellschaften) –,  Die Grenznutzlehre und das „psychophysische Grundgesetz“, in: AfSSp, 27. Band, 2. Heft, 1908, S.  5 46–558 (MWG I/12). (Weber, Grenznutzlehre) –, „Kirchen“ und „Sekten“ in Nordamerika. Eine kirchen- und sozialpolitische Skizze 1, in: Die Christliche Welt, 20. Jg., Nr.  24 vom 14. Juni 1906, Sp.  5 58–562, und dass. 2, in: Die Christliche Welt [.  .  .], 20. Jg., Nr.  25 vom 21. Juni 1906, Sp.  577–583 (→ oben, S.  4 35–462). (Weber, „Kirchen“ und „Sekten“) –, Kritische Bemerkungen zu den vorstehenden „Kritischen Beiträgen“, in: AfSSp, 25. Band, 1. Heft, 1907, S.  243–249 (→ oben, S.  478–490). (Weber, Kritische Bemerkungen) –,  Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: AfSSp, 19. Band, 1. Heft, 1904, S.  22–87 (MWG I/7). (Weber, Objektivität) –,  Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus. I. Das Problem, in: AfSSp, 20. Band, 1. Heft, 1905, S.  1–54 (→ oben, S.  123–215). (Weber, Prote­ stantische Ethik I) –,  Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus. II. Die Berufsidee des asketischen Protestantismus, in: AfSSp, 21. Band, 1. Heft, 1905, S.  1–110 (→ oben, S.  242–425). (Weber, Protestantische Ethik II) –,  Zur Psychophysik der industriellen Arbeit, in: AfSSp, 27. Band, 3. Heft, 1908, S.  730–770; 28. Band, 1. Heft, 1909, S.  219–277, 3. Heft, S.  719–761; 29. Band, 2. Heft, 1909, S.  513–542 (MWG I/11, S.  150–380). (Weber, Psychophysik)

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Weingarten, Hermann, Die Revolutionskirchen Englands. Ein Beitrag zur inneren Geschichte der englischen Kirche und der Reformation. – Leipzig: Breitkopf und Härtel 1868. (Weingarten, Revolutionskirchen Englands) White, G[eorge], The Nonconformist Conscience in its Relation to Our National Life, in: The Baptist Hand-Book for 1904, ed. by W. J. Avery, published under the direction of the council of the Baptist Union of Great Britain and Ireland. – London: Veale, Chifferiel & Co., Limited 1903 [sic], S.  104–125. (White, Nonconformist Conscience) Windelband, W[ilhelm], Die Blütezeit der deutschen Philosophie (Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Cultur und den besonderen Wissenschaften, 2. Band: Von Kant bis Hegel und Herbart), 3., durchges. Aufl. – Leipzig: Breitkopf und Härtel 1904. (Windelband, Blütezeit) –,  Geschichte der Philosophie. – Freiburg i. B.: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1892. (Windelband, Geschichte der Philosophie) –,  Die Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen Cultur und den besonderen Wissenschaften, 1. Band: Von der Renaissance bis Kant, 3., durchges. Aufl. – Leipzig: Breitkopf und Härtel 1904. (Windelband, Neuere Philosophie I) –,  Über Willensfreiheit. Zwölf Vorlesungen. – Tübingen und Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1904. (Windelband, Über Willensfreiheit) Wiskemann, Heinrich, Darstellung der in Deutschland zur Zeit der Reformation herrschenden nationalökonomischen Ansichten (Preisschriften gekrönt und hg. von der Fürstlich Jablonowski’schen Gesellschaft zu Leipzig, X. Band). – Leipzig: S. Hirzel 1861. (Wiskemann, Nationalökonomische Ansichten) Wittich, Werner, Deutsche und französische Kultur im Elsaß. Aus der Illustrirten Elsässischen Rundschau. – Straßburg: Schlesier & Schweikhardt 1900. (Wittich, Elsaß) –, dass. in: Revue alsacienne illustrée, Band  2. – Strasbourg: Noiriel 1899, S.  71–92, 113–140, 177–216. Works of the English Puritan Divines, 10 vols. – London: Thomas Nelson 1845– 1848. (Works of the English Puritan Divines I–X) –  vol. 1: → Bunyan, John, The Jerusalem sinner saved [.  .  .] (1845). –  vol. 2: Bunyan, John, The greatness of the soul, and unspeakableness of the loss thereof [.  .  .] (1845). –  vol. 3: → *Howe, John, The redeemer’s tears wept over lost souls [.  .  .] (1846).

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Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur

–  vol. 4: → Baxter, Richard, Making light of Christ and salvation: too of the issue of gospel invitations [.  .  .] (1846). –  vol. 5: → *Adams, Thomas, The three divine sisters: faith, hope, and charity [.  .  .] (1847). – vol. 6: → Charnock, Stephen, The chief of sinners: objects of the choicest mercy [.  .  .] (1847). –  vol. 7: → Janeway, James, Heaven upon earth: or, Jesus the best friend of man [.  .  .] (1847). –  vol. 8: → Henry, Matthew, Daily communion with God [.  .  .] (1847). –  vol. 9: Life and times of the Rev. Philip Henry [.  .  .] (1848). –  vol. 10: English puritan divines in the reign of Queen Elizabeth. Cartwright and his contemporaries [.  .  .] (1848). Wünsche, Aug[ust], Der Babylonische Talmud in seinen Haggadischen Bestand­ theilen wortgetreu übersetzt und durch Noten erläutert, 2. Halbband, 1. und 2. Abth. – Leipzig: Otto Schultze 1887–1888. (Wünsche, Babylonischer Talmud II/1, II/2) Wyck, Adrian van, Tractatus Theologicus de Praedestinatione Divina, ex SS. Scripturis, Conciliorum, Pontificumque Decretis, SS. Patrum ac Doctorum placitis concinnatus: Cui & accedit Tractatio brevior de Reprobatione. – Köln: Heinrich Rommerskirchen 1706. (Wyck, De Praedestinatione) Zeller, Eduard, Das Theologische System Zwingli’s. Besonderer Abdruck aus Jahrgang 1853 der Theologischen Jahrbücher. – Tübingen: L. Fr. Fues 1853. (Zeller, System Zwingli’s) Zinzendorf, Nikolaus, Berliner Reden II → Zinzendorf, Büdingische Sammlung I/III. –,  Büdingische Sammlung. Einiger In die Kirchen-Historie Einschlagender Sonderlich neuerer Schrifften, 1. Band, III. Stück. – Leipzig: Korte 1742. (Zinzendorf, Büdingische Sammlung I/III). –,  Socrates d. i. Aufrichtige Anzeige verschiedener nicht so wohl Unbekanter als vielmehr In Abfall gerathener Haupt-Wahrheiten, 1. Theil. – Leipzig: Joh. Sam. Heinsio o.J. [ca. 1726]. (Zinzendorf, Socrates)

Bibelstellenregister

Das Register erfaßt die Stellen des Alten und Neuen Testaments sowie die Apokryphen des Alten Testaments. Die Bibelstellen finden sich links, die Seitenverweise rechts. Gerade gesetzte Zahlen verweisen auf Max Webers Text, kursiv gesetzte Zahlen auf die Herausgeberrede.

I.  Altes Testament Genesis (1. Buch Mose) Gen 1,28 375 Gen 3,19 373 Gen 38,8–10 715 Exodus (2. Buch Mose) Ex 20,4 394 Deuteronomium (5. Buch Mose) Dtn 5,8 394 Dtn 23,20 f. 763 Dtn 25,5–10 715 Hiob

392

Psalmen Ps 37,3 Ps 111,5 f.

299 f., 392 185, 200 204

Ps 117 Ps 127,2

203 369

Sprüche Salomos (Proverbien) Spr Sal 22,29 Spr Sal 23,4 Spr Sal 31,10

293, 299, 392 187, 378 386 378

Hohes Lied

300, 310

Jesaja Jes 6, 9 f.

393

Jeremia Jer 17,5

264

Hesekiel Hes 33,13

289

II.  Apokryphen des Alten Testaments Jesus Sirach Sir 11,20 f.

178 f., 181, 183–185, 187, 188, 391 f., 417 112 f., 115–118, 178 f., 181, 183,

(Sir 11,20 f.) Sir 27,1.4 Sir 40,18

185, 187 f., 200, 391, 471 392 156

870

Bibelstellenregister

III.  Neues Testament Matthäusevangelium Mt 5–7 334, 353 Mt 5,5 390 Mt 5,33 f. 356 Mt 5,45 449, 749 Mt 6,11 200 Mt 6,19 369, 702, 759 Mt 6,24 200 Mt 7,12 356 Mt 7,18 f. 193 Mt 12,36 371 Mt 19,23 f. 369 Mt 20,28 331 Mt 22,14 449 Mt 25,14–30 387 Lukasevangelium Lk 6,31 356 Lk 6,34 714 Lk 11,3 200 Lk 15,8–10 258 Lk 16,9.11 200 Lk 16,13 200 Lk 16,19–31 200 Lk 18,10–13 397 Lk 19,11–27 387 Johannesevangelium Joh 9,4 370 Joh 10,12 f. 450 Apostelgeschichte Apg 5,29 Apg 26,25

450, 609 382

Römerbrief Röm 6 Röm 9,3 Röm 9,21

341 267 257

1. Korintherbrief 1 Kor 1,26 1 Kor 7

185, 393 112, 183 201, 384

1 Kor 7,17–24 1 Kor 7,20

1 1 1 1

Kor Kor Kor Kor

7,29 7,31 11,24 11,29

113 f., 183, 185, 200 112 f., 115, 118 f., 180, 182, 186, 187–190, 393, 589 185 185 f. 723 f. 716

2. Korintherbrief 2 Kor 13,5

283, 300

Epheserbrief Eph 1 Eph 1,18 Eph 4,1 ff. Eph 4,1.4 Eph 5,27

259 112, 180, 183 184 112, 180, 183 349

2. Thessalonicherbrief 2 Thess 1,11 112, 180, 183 2 Thess 3,10 195, 373, 378, 388, 712 2 Thess 3,12 373 1. Timotheusbrief 1 Tim 4,8 1 Tim 6,6 1 Tim 6,7–9 1 Tim 6,8 1 Tim 6,8 f.

390 157 369 157 417

2. Petrusbrief 2 Petr 1,10

112, 183, 275

Hebräerbrief Hebr 3,1 Hebr 5,13 f.

112, 183 320

Jakobusbrief Jak 5,12

356

Apokalypse /Offenbarung des Johannes Apk 20,11–15 301

Personenregister

Gerade gesetzte Zahlen verweisen auf Webers Text, kursiv gesetzte Zahlen auf die Herausgeberrede. Familien, Dynastien, biblische Gestalten und griechische Götter stehen im Sachregister. Max Weber wird nur im Zusammenhang mit seinen Schriften und besonderen Lebensstationen aufgeführt.

Adams, Thomas 263, 296 f., 363, 368, 382, 385 f., 388–391, 400, 418, 767, 843 Adler, Max 137 Aegidius von St. Gilles 353, 767 Ainsworth, Henry 695 Albert, Gert 19 f. Albrecht, Christian 234, 575, 736 Aldenhoff-Hübinger, Rita 3, 7 Alexander II. (russ. Zar) 755 Allioli, Josef Franz 115, 188 Althoff, Friedrich Theodor 517, 521, 573, 574, 767 Anna von Oranien (Anna von Sachsen) 650 Anschütz, Gerhard 25 Antonin(us) von Florenz 172, 199, 236, 767 Aristophanes 8 Aristoteles 195, 199 Arnold, Samuel Greene 313, 413, 843 Arnold, Wilhelm 752 Auerbach, Berthold 52, 110, 148 August (Kurfürst von Sachsen) 634 Augustinus (Aurelius Augustinus) 63, 193, 207, 254, 271, 284, 749, 767 f. Avenarius, Richard 578, 768 Aymon, Jean 135, 136, 676 f., 768, 843

Bachem, Julius 124 Bachem, Karl 677 f. Bacon, Francis 332, 505, 768 Baedeker, Karl 436 Bailey, Lewis  Bayly, Lewis

Bain, Alexander 476 Baird, Henry M. 248, 843 Baist, Gottfried 111, 180, 768 Balogh, Franz 484 Lord Baltimore  Calvert, Cecil Barbalet, Jack M. 59 Barclay, Robert (schottischer Quäker, 1648–1690) 60, 66, 233, 239 f., 349, 352, 355–358, 360 f., 365, 368 f., 372, 399, 404, 406, 409 f., 451 f., 460, 689, 768, 843 f. Barclay, Robert (englischer Quäker, 1833–1876) 60, 346, 347, 354, 389, 694 f., 769, 844 Barebone, Praisegod 312, 754, 769 Barrême (Barême), François 521 Baron, Hans 41 Barth, Fritz 564 Baudelaire, Charles 593, 757, 769, 844 Bäumer, Gertrud 161 Baumgarten, Eduard 51 Baumgarten, Fritz 721 Baumgarten, Ida 22 f. Baumgarten, Otto 22 f. Baxter, Margaret 407 Baxter, Richard 60, 66, 221, 236 f., 246, 262, 266–268, 271 f., 275 f., 280 f., 283, 286 f., 293, 300–303, 321, 337, 358 f., 366–375, 378 f., 381 f., 383 f., 385–388, 390, 392 f., 396, 399, 401, 403, 405–407, 409, 411, 414, 417–420, 422, 498, 529–531, 543, 553–555, 644, 689, 728, 769, 844 f. Bayle, Pierre 332, 769 Bayli, Ludwig  Bayly, Lewis

872

Personenregister

Bayly, Lewis 60, 232, 262, 275, 282, 287, 299, 311, 315, 318, 319, 321, 368 f., 390, 392, 769 f., 845 Bebel, August 151 Beck, Hermann 741–743 Becker, Bernhard 326, 845 Below, Georg von 17, 56, 63, 71, 102 f., 155, 234, 752, 770, 845 Benedict, Philip 60 Benedikt von Nursia 290, 542, 770 Berger, Samuel 116 f. Bernatzik, Edmund 137 Bernhard von Clairvaux 277, 293, 300, 310, 387, 770 Bernstein, Eduard 26, 28–30, 45, 58, 98, 131, 223, 239 f., 248, 355, 362, 365, 412, 445, 717, 770, 845 Berthold von Regensburg 117, 184, 712, 770 f. Besant, Sir Walter 309 Bethmann Hollweg, Moritz August von 688 Beymann, Frl. 224 Beza, Theodor 119, 273, 280, 568 f., 633, 771, 845 Bielschowsky, Albert 421, 771, 845 Bindseil, Heinrich Ernst 113 Bismarck, Otto Fürst von 20, 25, 609, 677 f. Blaustein, David 394, 395, 771 Bluntschli, Johann Kaspar 3 Bodenstein, Andreas (genannt Karlstadt) 202 Böhm, Franz 1 f. Böhm-Bawerk, Eugen von 10 Bonaventura 293, 310, 387, 725, 771 Bonn, Moritz Julius 30, 595, 673, 686, 772, 846 Bonwetsch, Gottlieb Nathanael 748 Bothe, Friedrich 650 Böttger, Adolf 211 Brandenburg, Erich 633 Brassey, Thomas 158, 159, 772 Bräu, Richard 32 Braun, Heinrich 12, 104, 230 Braune, Wilhelm 111, 182, 772

Bray, Guy de  Brès, Guy de Brendel, L. 446 Brentano, Lujo 4, 30, 32–34, 36 f., 39, 41, 44 f., 50, 59, 88, 98, 155, 159, 163, 686, 743, 763, 772 Brenz, Johannes 255, 388 Brès, Guy de 484, 571 Bretschneider, Karl Gottlieb 246 Brocke, Bernhard vom 12, 155 Bruce, Philip Alexander 550 Bruch, Rüdiger vom 31 Brucioli, Antonio 116, 181 Brunner, Otto 111 Bruno, Giordano 738 Bryce, James 223, 291, 353, 389, 408, 433, 439 f., 444, 456, 679, 772, 846 Buber, Martin 743 Bucer, Martin 272, 273, 772 f. Büchmann, Georg 293, 509 Buckle, Henry Thomas 686 Buhl, Frants 187 Bulgakov, Sergej 744 Bunge, Carl Gustav 611 f. Bunge, Eduard 611 Bunge, Emmy 612 Bunge, Ernst 611 f. Bunge, Julius 612 f. Bunny, Edmund 282 f. Bunyan, John 60, 259, 264 f., 272, 280, 289, 301, 368, 394, 397, 416, 773, 846 Burckhardt, Jacob 262, 488, 505, 773, 846 Burger, Thomas 17 Burke, Edmund 550 Busken Huet, Conrad 403, 413, 476, 546, 592, 598, 648, 688, 773, 846 Butler, Samuel 400, 773, 846 Calvert, Cecil 313, 314, 773 Calvin, Johannes 5 f., 26, 28, 33, 38, 60, 63, 73, 75, 77, 102, 139, 205, 213, 234 f., 243, 246, 247, 249, 250, 256 f., 258, 260, 263, 266, 268, 269, 270, 272–274, 276, 279, 285, 297, 299, 301 f., 308, 310, 312, 355, 370, 392,

Personenregister 399, 404, 418, 483, 501, 517, 522 f., 527, 530, 532, 536–538, 540, 543, 545, 553–555, 558, 560, 562–571, 582, 593, 623, 630 f., 641, 658 f., 671, 673, 695 f., 711, 718, 749, 754, 774, 846 f. Campbell, Douglas 247, 847 Campi, Emidio 60 Carlyle, Thomas 47, 127, 197 f., 199, 248, 774, 847 Carnegie, Andrew 488, 774 Carroll, Henry K. 360, 434, 437 f., 446 f., 760 Caspar, Erich 687 Cassirer, Ernst 395 Castiglione, Baldassare 505 Cato (Marcus Porcius Cato Censorius) 475 Cervantes Saavedra, Miguel de 400 Chanina (Rabbi) 395 Channing, William Ellery 22 Chapeaurouge, Jacques de 588 Charnock, Stephen 282, 290, 300, 368, 774 f., 847 Child, Josiah 413 Chillingworth, William 306, 775 Choisy, Eugène 563 Chomjakoff, A. S. (Chomjakov, Aleksej Stepanovicˇ ) 743 f., 746, 756, 775 Christoph (Herzog von Württemberg) 388, 775 Cicero (Marcus Tullius Cicero) 179 Clark, William George 589 Clarke, William 212 Clarkson, Thomas 445 Clay, Albert T. 138 Clemens XI. (Papst) 387 Clemens von Alexandrien 746, 763, 775 Cobden, Richard 595, 672 f., 776 Cœur, Jacques 545 Cohn, Gustav 137 Colbert, Jean-Baptiste 137, 690, 753, 776 Comte, Auguste 74 Conrad, Johannes 438 Conze, Werner 111 Cornélissen, Christian 518

873

Cornelius, Carl Adolf 347, 350 f., 776, 847 Court, Pieter de la 157, 418, 776 Coverdale, Miles 150 Cramer, Samuel 349, 351 f., 359, 360 f., 481, 695, 847 Cranmer, Thomas 118, 150, 189, 776 f. Cremer, Hermann 180, 186 Cromwell, Oliver 29, 33, 56, 102, 197–199, 270, 292, 298, 312, 314, 315, 346, 367, 402, 405, 458 f., 555, 557, 595, 677, 754, 777 Crosby, Thomas 291, 848 Cyprian von Karthago 260 Daniel, Emil 314 Daniell, David 119 Danneel, Heinrich 739 Dante Alighieri 82, 210, 777, 848 Darlow, Thomas H. 119 Darwin, Charles 158 Davidsohn, Robert 750 Defoe, Daniel 416, 777 Deininger, Jürgen 614 Deissmann (Deißmann), Gustav Adolf 40, 111, 186, 216–218, 221, 713, 777 f. Delbrück, Hans 155, 314, 474, 508, 672 f., 778, 848 Denifle, Heinrich 185, 191, 206 f., 778, 848 DesBrisay, Gordon 239 Descartes, René 290, 778 Dexter, Henry Martyn 248, 404, 778, 848 Dietenberger, Johann 115, 188 Dieterich, Albrecht 111, 178, 179, 216–218, 778 Dilthey, Wilhelm 9, 500, 778 f. Diodati, Giovanni 116, 180 f. Diokletian (röm. Kaiser) 755, 779 Dionysios von Halikarnaß 186, 779 Dippel, Johann Conrad 330, 779 Döllinger, Johann Joseph Ignaz von 265, 779, 848 Domaszewski, Alfred von 217 Dominikus 751

874

Personenregister

Dostojewskij, F. M. (Dostoevskij, Fëdor Mihajlovicˇ ) 756 f., 780, 848 Doumergue, Émile 538, 562 f. Dowden, Edward 235, 259, 261, 287, 367, 394, 405, 416, 780, 848 Doyle, John Andrew 152, 248, 313, 412 f., 591, 707, 718, 780, 848 Drehsen, Volker 234, 575, 736 Du Bois, W(illiam) E(dward) B(urghardt) 229 Duhn, Friedrich von 2, 217 Dumas, Alexandre 757, 780 Dunkel, Daniela 429 Dupin de Saint André, Armand 135, 848 Dyck, Anthonis van 690 Eck, Johannes 114 f., 188, 780, 848 Eckermann, Johann Peter 285 Eduard VI. (engl. König) 561 Eger, Karl 55, 109, 120, 187, 190, 192, 194, 201, 202, 203, 204 f., 207, 235, 649, 780, 849 Eggestein, Heinrich 186, 188 Eglin(us), Raphael 280 Eibach, Rudolf 253, 254, 781, 849 Eleasar (Rabbi) 411 Elisabeth I. (engl. Königin) 119, 189, 348, 561, 694, 781 Elsperger, Christoph Stephan Theophilus 120, 194, 206 Elster, Ludwig 536 f., 566 Emiliani-Giudici, Paolo 173, 174, 849 Emser, Hieronymus 188 Endemann, Wilhelm 173 Enders, Ernst Ludwig 120 Engels, Friedrich 26–29, 41, 587 Erasmus von Rotterdam 77, 255, 540, 560, 572, 648, 688, 781 d’Erberg, Mattia 116, 181 Erhard, Thomas Aquin 115 Este, Leonore und Renata und von  d’Este, Leonore und d’Este, Renata d’Este, Leonore 297, 781 d’Este, Renata 297, 781 f. Eulenburg, Franz 83 f., 228, 230, 743

Faber Stapulensis (Jacques Lefèvre d’Étaples) 116 Fallenstein, Friedrich (Fritz) 612 f. Fallenstein, Georg Friedrich 611 Fallenstein, Laura 611 Faraday, Michael 739, 782 Fawcett, Benjamin 237, 280, 302, 369 Feigenwinter, Ernst 124 Ferenczi, Imre 492 Feuerbach, Ludwig 27 Firth, Sir Charles Harding 212, 248, 292, 782, 849 Fischer, Karl Heinrich Otto 72–75, 88, 463–466, 468, 478–490, 491–493, 498–514, 515, 573, 592, 610, 673, 692, 782, 849 Fischer, Ruth 464, 491 Fisher, George 110 Fleischer, Max 377 Fleischütz, Joseph Andreas 114 f., 183, 188, 782, 849 Floerke, Hanns 593 Forman, H. Buxton 733 Fox, George 26, 213, 346, 354, 358, 383, 445, 694, 782 Franck, Sebastian 254, 579, 639 f., 726, 783 Francke, August Hermann 238, 318, 322–325, 336, 338, 345, 783, 849 Frankenberg, Hermann von 492 Franklin, Abiah 52 Franklin, Benjamin 50–52, 62, 65, 73, 78, 107, 109 f., 142–144, 145, 146, 147–150, 152 f., 164, 171, 174 f., 196, 272, 301, 362, 372, 376–378, 420 f., 470, 474, 478, 487, 489, 591, 602 f., 607, 616 f., 710, 783, 849 f. Franklin, Josias 52 Franz(iskus) von Assisi 134, 294, 347, 348, 353, 751, 783 f. Freud, Sigmund 73 f., 466, 490 Freudenberg, Matthias 235 Freytag, Gustav 311, 784, 850 Friedberg, Aemilius 172 Friedrich Heinrich (Prinz von Oranien) 402, 412, 784

Personenregister Friedrich Wilhelm (Markgraf und Kurfürst von Brandenburg) 585 Friedrich Wilhelm I. (König von Preußen) 138, 338, 585, 694, 784 Friedrich Wilhelm IV. (König von Preußen) 461, 784 Fritzsche, Otto Fridolin 114 f. Froude, James Anthony 264, 850 Fruin, Robert Jacobus 154, 247, 784, 850 Fuchs, Carl Johannes 3, 7 Fugger, Jakob II. („der Reiche“) 38, 50, 73, 146 f., 470, 474, 478, 487, 552–554, 582, 591, 596–598, 657, 736, 784 f. Funk, Franz Xaver 173, 199, 714, 763 Galilei, Galileo 738 Gardiner, Samuel Rawson 197 f., 199, 248, 398, 604, 785, 850 Gebhardt, Hermann 391, 785, 850 George, Stefan 593 Gerhard, Johann 246, 276, 277, 304, 785 Gerhardt, Paul 211, 785 Gerlach, Ernst Ludwig von 688 Gerlach, Leopold von 688 Gerlach, Otto von 237, 301, 370 Gesenius, Wilhelm 187 Ghosh, Peter 13, 30, 235 Gladstone, William Ewart 314, 785 Glaser, Friedrich 44 Goethe, Johann Wolfgang von 46, 58, 169, 284 f., 297, 363, 373, 408, 421, 458, 850 f. Goldschmidt, Levin 589 Gomperz, Theodor 475 Gooch, George P. 45, 98 Goodwin, Thomas 324, 785 f. Gorges, Sir Ferdinando 591 Gothein, Eberhard 30, 37 f., 43, 46 f., 75, 80, 97, 136, 139, 217, 221, 291, 300, 409, 482, 501, 522, 545, 566, 638, 660 f., 674, 676, 710, 733, 743, 745, 786, 851 Gothein, Georg 228 Gothein, Marie 733

875

Graf, Friedrich Wilhelm 25, 40 f., 49, 216, 218, 234, 236, 429 Gregor von Tours 373 Gregory, Caspar René 118 Gresham, Thomas 548 Grimm, Jacob 112 Grimm, Wilhelm 112 Gröber, Adolf 313, 786 Groen van Prinsterer, Guillaume 591, 595, 635, 650, 688, 786 Gross, Otto 73 Grotius, Hugo 634 Gruhle, Hans W. 73, 466, 490 Grüninger, Johann 117, 188 Güder, Eduard 64, 276 Gundert, Wilhelm 114, 116 f. Gustav (II.) Adolf (König von Schweden) 634

Häbler, Konrad 686 Hadrian (röm. Kaiser) 8 Haeckel, Ernst 23 Hägermann, Gustav 678, 851 Haghen (Hagen), Steven van der 561 Hall, Basil 116–119 Hals, Frans 403, 690, 786 Hames, Nicolaus de 568 Hanke, Edith 744 Hanmer, Mary 407, 787 Hanna, Charles A. 503 Hanyu, Tatsuro 113 Häpke, Rudolf 551 Harms, Bernhard 524 Harnack, Adolf 25, 70, 228, 261, 307, 375, 427, 429, 451, 457, 609, 682, 712, 735, 746, 748 f., 787, 851 Hasbach, Wilhelm 159, 787, 851 Hastings, Selina 303, 787 Haupt, Hans 438 Hausrath, Adolf 8 Häusser, Ludwig 568, 633 Hébert, Jacques René 29 Hecht, Gustav Heinrich 137 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 26 f., 72, 472, 480

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Personenregister

Hegler, Alfred 579 Heidegger, Johann Heinrich 274, 787, 851 Heinrich (Henry) VI. (engl. König) 589 Heinrich VIII. (engl. König) 561 Heinrici, Carl Friedrich Georg 186 Heldmann, Karl 650 Hellpach, Willy 12 f., 17, 20, 67, 73, 227, 230, 291, 316, 345, 466, 486, 490, 787 f., 851 Helms, Svenn Henrik 182 Helwys, Thomas 347, 694 Hennis, Wilhelm 81 Henri I. de Bourbon (Prince de Condé) 676 f. Henry, Matthew 302, 368 f., 373, 788, 851 f. Heppe, Heinrich 235–237, 243, 257, 260 f., 269, 274, 310, 317, 319, 324, 788, 852 Herbert, Arthur Sumner 119 Hering, Hermann 212 Herkner, Heinrich 3 Hertling, Georg Friedrich Frhr. von 124, 758 f., 788, 852 Hilprecht, Hermann V. 138 Hinneberg, Paul 42, 75, 78, 233, 246, 516 f., 521 f., 538, 566, 573, 625, 674 Hobbes, Thomas 84 Hochmann von Hohenau, Ernst Christoph 376 Hoenig, Fritz 197 f., 199, 459, 852 Hoennicke, Gustav 60, 277, 304, 305, 788, 852 Hoffmann, Hermann Edler von 349 f., 852 Hoffmann (Hofmann), Melchior 351 Hoffmann, N.  758 Hofheinz, Marco 60, 72 Hofmann, Georg 209 Hofmann, Rudolf 346, 359 f., 852 Hogerzeil, Hendricus Vredenrijk 594 Holl, Karl 111 Holtzmann, Heinrich 276 Honigsheim, Paul 515, 517 Hooker, Richard 306, 788 f.

Hoops, Johannes 111, 182, 789 Hoornbeek, Johannes 235, 259, 264, 275, 284 f., 288, 368 f., 390, 392 f., 418, 789, 852 Houbraken, Arnold 690 Howe, John 281, 297, 368, 789, 852 Huber, Johannes 387, 398 Hugo, C. (Pseudonym für Hugo Lindemann) 29 Hundeshagen, Karl Bernhard 270 f., 789 f., 852 Lady Huntingdon  Hastings, Selina Hutchinson, Sir John 406, 790 Hutchinson, Lucy 406 Hutten, Ulrich von 127 Hyde, Orson 378 Ignatius von Loyola 127, 291, 409, 529, 542, 564, 790 Ippel, Eduard 509 Irmischer, Johann Konrad 120 Irving, Washington 371, 405, 790, 853 Jacoby, Ludwig Sigismund 162, 339, 369, 447, 720, 790, 853 Jaffé, Edgar 12–14, 99–101, 104 f., 214, 224–230, 464, 466 f., 478, 491–493, 506, 518 f., 620–623, 790 f. Jaffé, Else 63, 73, 466 Jagemann, Eugen von 25 Jakob I. (engl. König) 118, 188, 250, 398, 604, 791 James, William 223, 285 f., 511, 791, 853 Janeway, James 368, 387, 791, 853 Jansen(ius), Cornelius 207, 367 Jaschke, Walter 26 Jastrow, Ignaz 686 Jefferson, Thomas 591 Jehuda (Rabbi) 395 Jellinek, Georg 3, 25, 30, 34, 41, 43, 56, 69, 97, 101 f., 193, 217, 221, 313, 314, 315, 451, 678, 791, 853 Jenkyn, Thomas W. 237, 282, 337, 367 f., 374, 385, 397, 420, 853 Johannes Chrysostomos 172 Johnson, Francis 695

Personenregister Jones, Rufus M. 445 Joseph (Rab) 395 Jülicher, Adolf 200, 369, 792, 853 Jüngst, Johannes 339, 853 f. Kamm, Maximilian 6 f., 98 Kampschulte, Franz Wilhelm 135, 247, 263, 370, 418, 501, 536 f., 792, 854 Kant, Immanuel 395 Kantorowicz, Hermann 741, 743, 745 Kapp, Friedrich 52, 110, 148 Karl I. (engl. König) 29, 33, 250, 398, 604, 792 Karl II. (engl. König) 239, 405, 414, 592, 792 Karl Friedrich von Baden (Markgraf von Baden) 8 Karlstadt R Bodenstein, Andreas Katharina die Große (russ. Kaiserin) 585 Kattenbusch, Ferdinand 642 Kaufman, Aleksandr A. 744 Kautsky, Karl 28 f., 92, 362, 500, 792, 854 Kawerau, Gustav 196, 427, 564, 640 f., 725, 748 Keats, John 733, 753, 793 Keats, Thomas 733 Keller, Gottfried 265, 640, 793, 854 Kingsley, Charles 22 Kirchmann, Julius Hermann von 699 Kistjakovskij, Bogdan 744 Kittel, Gerhard 111 Knapp, Albert 327 Knapp, Georg Friedrich 514, 578, 793 Knies, Karl 2 f. Knollys, Hanserd 282, 302, 359, 793 Knox, John 139, 569, 793 f. Köhler, Ludwig 67 Köhler, Walther 185, 191, 794, 854 Koigen, David 621 f. Kolde, Theodor 181, 339, 794, 854 König, René 515 Kopernikus, Nikolaus 738 Koselleck, Reinhart 72, 111 Köstlin, Julius 196, 256, 854

877

Krech, Volkhard 236, 744 Kreutzer, Jakob 563 Kries, Johannes von 74 Kürnberger, Ferdinand 109 f., 142–144, 145 f., 149, 794, 854 Kurrelmeyer, William 183 f., 186, 188 Kuyper, Abraham 593 f., 633, 635, 717, 794 Kyros II. (pers. Herrscher) 138 Labadie, Jean de 295 f., 308–310, 317, 794 f. Labaree, Leonard W. 110 Lafargue, Paul 29 Lamprecht, Karl 13, 227 f., 262, 316 f., 329 f., 340, 424, 465, 512, 556, 795, 854 Lang, August 538, 558, 642, 659 Lange, Helene 161 Lasco, Johannes a 319, 795 Laud, William 243, 561 Laupp, Heinrich jun. 519 Laves, Theodor 595 Law, William 419, 545, 795, 854 Lecky, William E. H. 550 Le Clerq, Gilles 570 Lederer, Emil 620–622 Leenhof, Friedrich von 317 Lehmann, Harmut 24 f., 31, 70, 237 Leibniz, Gottfried Wilhelm 699 Lemme, Ludwig 201, 855 Lenau, Nikolaus 145, 795 f. Lenger, Friedrich 31 Lenhart, Volker 66 Lenthall, William 197 Lenz, Max 515 Leo XIII. (Papst) 678 Lepsius, M. Rainer 40, 216 Leroy-Beaulieu, Anatole 480, 501 Levy, Hermann 518, 589, 649, 684, 796 Lexer, Matthias 183 Lexis, Wilhelm 595 Lichtenstein, Paul 437 Lieber, Hans-Joachim 27 Lienemann, Wolfgang 60, 72 Liguori, Alfonso Maria de 265, 796

878

Personenregister

Lilburne, John 29, 212 Lindblom, Iacob 395 Lingelbach, William Ezra 212 Lobstein, Paul 276, 279, 796, 855 Lodensteyn, Jodocus van 308, 796 Lohans [, Ludwig] 429 Loofs, Friedrich 239, 243, 289, 303, 338, 339, 341, 342, 345, 419, 446, 539, 642, 718, 720, 796, 855 Löscher, Valentin Ernst 322 f., 796 f., 855 Lotmar, Philipp 8 Lotz, Walther 44, 686 Ludwig (Graf von Nassau) 568 Ludwig XI. (frz. König) 545 Ludwig XIV. (frz. König) 131, 137, 387, 398, 545, 561, 797 Luthardt, Christoph Ernst 201, 855 Luther, Martin 4 f., 25 f., 28, 55, 63, 70, 73, 102 f., 109, 111–113, 115, 117, 119–121, 123, 139, 150, 178, 181, 183–188, 190 f., 192 f., 194–197, 198, 199, 200, 201, 202 f., 204–207, 208, 209–211, 234 f., 249, 255–257, 268, 274 f., 277, 278, 293, 295, 299, 303, 305 f., 321, 323, 325, 326 f., 328, 332, 343, 347, 352, 354, 359, 380 f., 383, 391, 397, 427, 470 f., 479, 526, 529, 536 f., 539 f., 543, 553, 556 f., 568, 571, 582, 608, 633, 657, 707, 711 f., 724, 726, 749, 755, 797, 855 f. Lüttge, Willy 538 Macaulay, Thomas Babington 248, 253, 254, 264, 797 f., 856 Macchiavelli, Niccolò 33, 265, 857 Mannhardt, Wilhelm 138 Mantegna, Andrea 405, 798 Marat, Jean-Paul 29 Marcks, Erich 217, 247, 798, 857 Maria Theresia (Erzherzogin von Österreich) 137, 585 Marnix, Jan van 568 Marnix, Philips van 568 Martin V. (Papst) 195 f. Martini, Antonio 116, 180 f.

Marx, Karl 27, 29, 39, 54, 158, 419 f., 672 Masson, David Mather 210, 248, 254, 312, 346, 798, 857 Matthias, Markus 238 Matthiesen, Michael 464, 491 Maurenbrecher, Max 179, 190, 191, 193, 195, 196, 206, 750, 798, 857 Maxwell, James Clerk 739, 798 Mehring, Franz 29 Meisner, Balthasar 276 f., 798 f. Melanchthon, Philipp 4, 181, 246, 253, 271, 287, 304, 305, 308, 325, 582, 799 Menger, Carl 9 f., 18 f. Menno Simons 213, 349, 351, 352, 359, 799, 857 Mentelin, Johannes 183, 186, 188 Mertens, Wilhelm 492 Merx, Adalbert 111, 185 f., 188, 714, 799 Meyer, Conrad Ferdinand 127 Meyer, Heinrich August Wilhelm 186 Mieg, Johannes 403 Miljukov, Pavel Nikolaevicˇ  743 Mill, John Stuart 469, 475, 489 f., 510, 799 f. Miller, Francis (bis 1837: Fallenstein, Friedrich (Fritz)) 590 Miller, Emil James (Jim) 442 f. Miller, Jefferson Frederick (Jeff) 442, 443 Miller, William Francis (Bill) 590 Milton, John 210 f., 253, 272, 386, 800, 857 Mirbt, Carl 310, 678, 800, 857 Moeller, Wilhelm 640 Möhler, Johann Adam 299, 800 Molière 488, 800 Moltke, Helmuth Karl Graf von 461, 800 f. Mommsen, Wolfgang J. 40, 234, 744 Monk (Monck), George 414 Montesquieu, Charles de Secondat 8, 101, 109, 139 f., 801, 857 Morgan, John Pierpont 722, 801 Moritz von Oranien 250, 292, 412, 547, 594, 648, 801

Personenregister Morley, John 314, 595 Motley, John Lothrop 247, 311 Moule, Horace F. 119 Mozart, Wolfgang Amadeus 682 Müller, Bruno 161 Müller, Ernst Friedrich Karl 62, 251, 252 f., 271, 302, 392, 801, 857 Müller, Johannes 480 Müller, J. P. 481 Müller, Karl 86, 202, 249, 346, 347 f., 351 f., 484, 746, 749–751, 801, 858 Müller, Nikolaus 373 Mun, Thomas 413 Münsterberg, Hugo 69, 104, 353, 433, 439, 456, 679 Müntzer, Thomas 202, 203, 802 Murray, Sir James Augustus Henry 118 f., 150, 188, 189 f., 362, 802, 858 Naber, Jean Charles 247 f., 858 Napoleon Bonaparte 28 f. Naumann, Friedrich 163 Neal, Daniel 291, 315, 348, 695, 754, 858 Nebukadnezar II. (neubabylonischer Herrscher) 137 Nestle, Eberhard 114 f. Neugebauer, Wolfgang 338 Neumann, Carl 67, 401, 402, 406, 414, 802, 858 Neumann, Franz 99 Neumann, Luise 99 Nevin, John (Johann) W. 340 Nicolai, Gottlieb Samuel 376 Nicolai, Philipp 276, 802 Niemeyer, Hermann Agathon 113 Nietzsche, Friedrich 362, 423, 700, 858 Niklaes (Niclaes), Hendrik 389 f., 802 Nikolaus III. (Papst) 473 Noonan, John T. Jr. 715 Nottmeier, Christian 713 Nuelsen, John Louis 447 Nüßlein, Theodor 179 Nutzinger, Hans G. 32

879

Ockham, Wilhelm von (Occam, Guillelmus) 191 Oecolampad, Johannes 210 Offenbacher, Martin 7, 46–48, 98, 124–126, 128–130, 132, 803, 858 Oldenbarnevelt (Oldenbarneveldt), Johan van 250, 592, 594, 609, 803 Olevian, Caspar 261, 274, 803, 858 Olivétan, Pierre Robert 116, 181 Opitz, Peter 60 Orme, William 298 Ostervald, Jean Frédéric 116, 181 Otruba, Gustav 137 Otto, Eckart 138 Otto, Rudolf 457 Owen, John 298 f., 803 f., 858 Paciolo, Luca 473 Parker, Matthew 119, 150, 189 Parker, Theodore 22 Parsons, Robert 281 Parsons, Talcott 89 Passow, Franz 178 f., 186 Paulus (Apostel) 185, 195, 200, 355, 373 Peirce, Charles Sanders 19 Penn, William 313, 415, 595, 804 Petty, Sir William 413, 558, 586, 588, 595–597, 599, 623, 649, 691, 693 f., 804, 858 Pezold, Leopold 480 Pfeiffer, Franz 184 Pfleiderer, Otto 23 Pflock, Theodor 440 Pflug, Richard 101, 228, 491, 518, 621 Philipp II. (span. König) 560 f., 569, 686 Philipp III. (span. König) 561, 686 Philipp IV. (span. König) 686 Philippovich, Eugen von 4, 137 Pierson, Allard 247, 804, 859 Pirenne, Henri 504, 546 Pisano, Leonardo 473 Pius IX. (Papst) 677, 756 Platon 23 Plechanow, G. W. (Plechanov, Georgij Valentinovicˇ ) 29

880

Personenregister

Plitt, Hermann 232, 238, 326, 327, 328, 329, 331, 332, 334, 343, 376, 378, 804, 859 Ploetz, Alfred 745 Plutarch 293 Polenz, Gottlob von 133, 135, 248, 677, 859 Praetorius, Stephan 276, 804 Price, Thomas 248, 859 Probst, Jakob 210 Pruner, Johann Evangelist von 289, 541, 859 Quenstedt, Johann Andreas 304 Rabelais, François 135, 804 f. Raché, Paul 435 Rachfahl, Felix 4, 72, 75–82, 88, 95, 313, 515–518, 520 f., 573–619, 620, 622, 624 f., 628, 665–696, 700–708, 713, 722–726, 729, 731, 732–737, 739 f., 805, 859 Rade, Martin 162 f., 428 f., 432 Raffael (italien. Maler) 405 Rakestraw, Joseph 383 Ranke, Leopold von 198, 248, 250, 414, 458, 515, 805, 859 Rathenau, Walther 607, 805, 859 Rathgen, Karl Friedrich Theodor 2, 217, 221, 805 Rau, Karl Heinrich 2 Ravesteyn, Willem van 546 Reifenberg, Bernd 432 Reina, Cas(s)iodoro de 117, 181 Reinbach, Wolf-Diedrich 440 Reitsma, Johannes 594 Rembrandt 11, 44, 67, 401, 402, 405, 406, 593, 805 f. Rendtorff, Trutz 40, 78, 111, 218 Reusch, Franz Heinrich 265, 848 Reuß, Edouard 116 f. Reuter, Fritz 509 Révész, Koloman 484 Reyscher, August Ludwig 388 Rhodes, Cecil 134, 806 Ricardo, David 420

Rickert, Heinrich 2, 9 f., 17–20, 22, 49, 99, 105, 141, 518, 744 Rieker, Karl 567 Riese, Adam 521 Ritschl, Albrecht 60, 232, 237–239, 243, 246, 248 f., 256, 276 f., 278, 289, 294 f., 296, 308–310, 315, 317, 318, 319 f., 321, 322 f., 324, 325, 326, 327, 328–330, 332, 337, 338, 345, 347, 349, 350, 376, 392, 396, 579, 639 f., 725, 806, 860 Ritter, Joachim 111 Ritter, Moritz 564, 569 Robespierre, Maximilien Marie Isidore de 29 Robertson, Frederick William 22 Robinson, John 695 Rockefeller, John Davison 610, 806, 860 Roger I. (Herrscher von Sizilien) 687 Rogge, Hendrik C. 251 Roloff, Gustav 292, 860 Roosevelt, Theodore 435 Ropp, Goswin Frhr. von der 403 Roscher, Wilhelm 9 Rötcher, Franz Christian 288 Roth, Guenther 23, 70, 166–168, 612 f. Rothe, Richard 431, 462, 806 f. Rousseau, Jean Jacques 8 Rubens, Jan 650 Rubens, Peter Paul 11, 593, 650, 807 Ruge, Arnold 686 Ruprecht I. von der Pfalz 8 Sack, Karl Heinrich 251–253, 753 Sackur, Ernst 371 Salomo 396 Salomon, Alice 163 Sandys, Edwin 362 Sanford, John Langton 30, 244, 291, 299, 371 f., 404, 406, 807, 860 Sauer-Geppert, Waltraut Ingeborg 114 Saunders, Richard 110 Savigny, Friedrich Carl von 180, 486, 752 Scaff, Lawrence A. 57, 222 f., 241, 365

Personenregister Schaarschmidt, Erich 163 Schachner, Robert 228 Schäfer, Dietrich 261, 807, 860 Scharff, Philipp 446 Scheel, Otto 541, 642 Scheibe, Max 60, 235, 249, 256, 257, 258, 266, 272 f., 807, 860 Schell, Herman 124, 807, 860 Schink, Franz 162 Schlaginweit, Robert von 378 Schleiermacher, Friedrich 23 f., 457 Schluchter, Wolfgang 15, 25, 31, 37, 46, 48 f., 51, 53, 58, 66 f., 82, 216 Schmid, Karl Adolf 334 Schmid, Konrad 60 Schmidt, Ferdinand Jakob 672, 860 Schmidt, Heinrich 120 Schmidt, Walther Eugen 363, 861 Schmidt-Rost, Reinhard 429 Schmoller, Gustav von 9 f., 15, 19, 36, 155, 197, 199, 201, 807 f., 861 Schneckenburger, Mat(t)hias 60, 64, 102, 201, 236, 243, 248 f., 256, 273, 274–276, 277–279, 280, 283, 284, 287, 294, 299, 301, 303, 339–341, 342, 343, 344, 447, 808, 861 Schopenhauer, Arthur 46, 81 Schortinghuis, Willem 310, 317, 808 Schramm, Percy Ernst 588 Schubert, Hans von 75, 80, 522, 660 f., 673, 676, 693, 735, 808 Schubring, Wilhelm 735 Schulte, Aloys 440 Schulthess, Heinrich 677 Schulze, Martin 538, 555 Schulze-Gaevernitz, Gerhart von 3, 7, 80 f., 159, 549, 554, 672 f., 683, 808, 861 Schurman, Anna Maria van 309, 808 f. Schütte, Agathe 739 Schweizer, Alexander 249 Schwenckfeld, Kaspar von 354, 809 Schwentker, Wolfgang 40, 234 Scio de San Miguel, Phelipe 117, 181 Sedgwick, Obadiah 275, 282, 288, 368, 809, 861

881

Seeberg, Reinhold 117, 184, 190, 192, 201, 205, 206, 249, 255, 260, 266, 290, 326, 352, 449, 540, 809, 861 Sehling, Emil 320 Seligman, Edwin R. A. 104 Seneca 179, 861 Sering, Max 440, 556 Servet, Michael 564 Seuse, Heinrich R Suso, Heinrich Shakespeare, William 589 Sharpless, Isaac 174, 415 f., 809 f., 862 Siebeck, Oskar 464, 466, 491–493, 518, 621–623, 741 f. Siebeck, Paul 5, 12 f., 55–57, 67–69, 83, 86, 99–101, 104 f., 224–230, 432, 463 f., 466 f., 518 f., 621 f., 745 f. Siegfried, Nikolaus 677 Sillib, Rudolf 635 Simmel, Georg 8, 37, 148, 736, 743–745, 761, 763 f., 810, 862 Simon, Eduard 448 Skeats, Herbert Stradling 248, 343, 398, 810, 862 Smith, Adam 32, 193 f., 381, 420, 810, 862 Smith, Joseph Jr. 501 Smith, William George 362 Smyth, John 347, 694 Söderberg, Gunnar 491 Sokrates 52, 332 Solowjew, W. S. (Solov’ev, Vladimir Sergeevicˇ ) 743 f., 746, 758, 810 Sombart, Werner 2, 4, 12–15, 30, 35–39, 43 f., 46 f., 49–52, 54, 71, 72, 87, 97, 104, 136, 146–148, 153, 154 f., 160, 163 f., 168, 175 f., 202, 203, 214, 228, 230, 236, 372 f., 407, 467, 469, 473 f., 478 f., 480, 493, 506, 508 f., 519, 524, 575, 597, 607, 610, 613, 623, 626 f., 662, 672, 680 f., 683 f., 731, 745, 810 f., 862 Soranzo, Gebrüder 473 Spangenberg, August Gottlieb 238, 263 f., 330, 339, 811, 862 Sparks, Jared 109–111, 142, 377, 862 Spencer, Herbert 158, 475, 489 f., 811

882

Personenregister

Spener, Philipp Jakob 60, 66, 237–239, 243, 262 f., 311, 315, 318–321, 322, 323, 324, 325, 326, 333–336, 338, 345, 353, 356, 360, 366, 368, 373–376, 380, 382, 384 f., 392, 416–418, 498, 724, 728, 811, 862 f. Stafford, William 413 Stahl, Friedrich Julius 688, 812 Stammler, Rudolf 87 Steinberg, Sigfrid 515 Steinert, Heinz 25, 51 Stepun, Fedor (auch: Steppuhn, Friedrich) 744 Stern, Alfred 210, 254, 863 Sternberg, Hans von 203 Steuart, James 413 Stobbe, Otto 752 Stoecker, Adolf 449, 461, 812 Störring, Gustav 463, 474, 513 Stowell, William Hendry 263, 297, 385 f. Strauß, David Friedrich 23 Sträter, Udo 238 Stutz, Ulrich 563 Süleyman I., „der Prächtige“ (osman. Herrscher) 484 Suso (Seuse), Heinrich 205, 812 Sumner, Charles R. 253, 254

Thomas, Allen Clapp 365, 814 Thompson, Silvanus P. 739 Tobler, Mina 63 Tolstoj, Leo 744, 756–758, 814, 863 Tomson, Laurence 119 Tönnies, Ferdinand 23 f., 30, 83–86, 455, 741, 743, 745, 747–752, 758, 762, 814, 863 Traub, Gottfried 163, 735 Treiber, Hubert 40, 216, 218 f., 743 f. Troeltsch, Ernst 4, 30, 35, 39–43, 45, 49, 55 f., 70 f., 75–80, 83–87, 89, 95, 97 f., 190, 210, 217 f., 220, 233 f., 246, 248, 266, 295, 304, 306, 312, 427, 430, 454 f., 462, 506, 515–518, 522, 533, 535, 537–541, 543–549, 551, 553, 555–557, 573–576, 579, 583, 587, 592, 609, 620, 625–639, 641–644, 646, 648 f., 651, 653, 655–661, 664, 666, 673–676, 678–683, 685, 687, 735 f., 742–746, 747, 748, 751, 754, 756, 758–760, 814 f., 863–865 Troeltsch, Walter 139 Tyerman, Luke 246, 289, 303, 331, 339, 341, 865 Tyndale, William 118, 189, 815 Tyrell, Hartmann 236, 744

Taine, Hyppolyte 8 Tanchum ben Chanilai (Rabbi) 395 Tauler, Johannes 107, 117, 183–185, 187, 189, 194, 205, 206, 208 f., 238, 278 f., 293, 321, 323, 812 f., 863 Tayler, John James 248, 298, 315, 863 Taylor, James Hudson 268, 813 Teellinck, Willem 309, 813 Tersteegen, Gerhard 317, 349, 813 Teuchert, Hermann 590 Thadden, Rudolf von 338 Theophylakt von Achrida/Ochrid 186, 813 Tholuck, August 307, 863 Thomas a Kempis 310, 321, 813 Thomas von Aquin 4, 190 f., 193, 194–196, 206 f., 379 f., 387, 552, 712, 750 f., 814, 863

Ulenberg, Kaspar (Caspar) 115 Underhill, Edward Bean 282, 302, 359, 865 Usener, Hermann 218 Valera, Cipriano de 181 Veblen, Thorstein 338, 362, 404, 458, 700, 815, 865 Veen, Sietse D. van 594, 688 Vergil 153 Vischer, Friedrich Theodor 327, 815, 865 Voet, Gisbert 139, 235, 246, 289, 308, 309, 310, 368, 816 Voigt, Andreas 745 Voigt, Friedemann 31 Voltaire 8, 177, 521 f., 753, 865 Vossler, Karl 82, 104, 622

Personenregister Wachowiak, Stanislaus 481 Wagner, Hans W. 588 Wahl, Adalbert 587, 644 f., 685, 692 f., 816 Wallmann, Johannes 238 Walther, Wilhelm 117 Wander, Karl Friedrich Wilhelm 416, 606 Warburg, Aby 504 Ward, Frank G. 199, 201, 865 Warneck, Gustav 268, 269, 452, 865 Washington, Booker T. 712, 816, 865 Watson, Richard 339, 341 f., 816, 865 Weber, Alfred 57, 68, 81, 100, 224, 227, 229, 430, 579, 672, 816, 866 Weber, Carl (Carlo) 161 Weber, Carl August 166 f. Weber, Carl David 161, 167 f. Weber, Helene 2, 9, 15, 22–24, 44, 69, 218 f., 222–224, 229, 247, 265, 339, 365, 394, 401, 426, 433, 436–438, 441–444, 591, 721 Weber, Marianne 2, 7–11, 15, 24, 44, 55, 57, 87, 98, 217–219, 222, 229, 269, 365, 376, 401–403, 426, 433, 437, 465, 590, 592, 612 f., 721, 723, 744 Weber, Max –, Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Vorlesung 1919/20) 10 –, Agrarpolitik (Vorlesung 1897/98) 7 –, Agrarverhältnisse im Altertum3 (1908/09) 67, 82, 87, 138, 509, 590, 614, 618, 687, 713, 731, 737, 748, 756, 763, 866 –, Agriculture and Forestry (1907) 10 –, Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie (Vorlesungen 1894–1898) 3–5, 7, 97, 151, 158, 413, 420, 575, 589 –, Antikes Judentum (1917–1919/21) 138 –, Arbeiterfrage und Arbeiterbewegung (Vorlesung 1895/98) 3, 420 –, Die „Bedrohung“ der Reichsverfassung (1904) 25

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–, Bemerkungen zu: R. Blank, Soziale Zusammensetzung (1905) 223 –, Diskussionsbeiträge zum Vortrag Karl Oldenberg (1897) 25 –, Diskussionsrede zu Werner Sombarts Vortrag über Technik und Kultur (1910) 737 –, Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter (1894) 136 –, Ergebnisse der deutschen Börsenenquete (1894–96) 174 –, Die Erhebung des Evangelischsozialen Kongresses über die Verhältnisse der Landarbeiter Deutschlands (1893) 156, 429 –, Die Erhebung des Vereins für Sozialpolitik über die Lage der Landarbeiter (1893) 156, 159 –, Zu einer Erklärung der Heidelberger Couleurstudenten (1919) 440 –, Exzerpt zu Antonin von Florenz 236 –, Exzerpt zu Barclay 233, 236, 240, 354–358, 361, 365, 370, 372, 399, 406, 410, 452 –, Exzerpt zu Baxter 236, 246 –, Fideikommißfrage (1904) 10, 13, 15, 55 f., 87, 99–101, 170, 227, 413, 441 –, Geld-, Bank- und Börsenwesen (Vorlesung 1895/96) 3 –, „Geleitwort“ (der „Archiv“-Herausgeber 1904) 13 f., 16, 21, 48, 214 –, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band  I (GARS I) (1920) 71, 87 f., 104, 223, 230, 232, 241, 432, 434, 445, 594 –, Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik (1924) 746 –, Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter (1889) 173, 407, 589, 866 –, Geschichte der Nationalökonomie (Vorlesung 1896) 4, 199, 413, 589 –, Die Grenznutzlehre und das „psychophysische Grundgesetz“ (1908) 74, 611, 866

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Personenregister

–, Grundriß zu den Vorlesungen über Allgemeine („theoretische“) Nationalökonomie R VorlesungsGrundriß –, Handelsrecht (Vorlesungen 1892– 94) 589 –, Handelsrechtspraktikum (1892–96) 589 –, Industries (1907) 10 f. –, Kapitalismus im Altertum (Vortrag 1908) 40, 82, 217 –, Konfuzianismus und Taoismus (1915/20) 30, 61 f. –, Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik (1906) 74, 491 –, Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Rußland (1906) 67, 83, 87, 466, 480, 506, 581, 743 f., 755 –, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (1892) 156, 514 –, Die Landarbeiter in den evangelischen Gebieten in Norddeutschland (1899) 3 –, Die sog. „Lehrfreiheit“ an den deutschen Universitäten (1908) 23 –, Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik (Akademische Antrittsrede 1895) 213 –, Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904) 11–13, 15–19, 21 f., 45 f., 48 f., 68, 99, 141, 152, 162, 170, 214, 423, 486, 535, 613, 709, 866 –, Politik als Beruf (Vortrag 1919) 58 –, Das politische Leben in Amerika (Diskussionsbeitrag 1905) 218, 427 –, Praktische Nationalökonomie (Vorlesungen 1895–99) 3, 5–7, 50, 97, 413, 418, 501, 575, 686 –, Protestantische Ethik (1904/05)/ Separatausgabe 71, 229, 464 f., 485 f., 506

–, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1920) 71, 88, 104, 230, 232, 241 –, Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus (1920) 88, 223, 432, 434, 445, 594 –, Zur Psychophysik der industriellen Arbeit (1908/09) 53, 67, 73, 83, 87, 161, 600, 866 –, Zur Rechtfertigung Göhres (1892) 391 –, Redaktionelle Bemerkungen zu: G. Cohn, Wissenschaftlicher Charakter (1905) 223 –, Reise in die USA (1904) 11, 25, 55–57, 69 f., 82, 98–100, 102–104, 218, 222 f., 234, 240, 339, 346, 365, 401, 423, 426 f., 433, 435–438, 441–443, 590, 689, 760 –, Reise nach England (1910) 229, 621 –, Reisen nach Holland (1903, 1907) 11, 44, 98, 269, 401, 464 f., 483, 520, 592, 594, 611 f. –, The Relations of the Rural Community (1904/06) 10, 103, 426 –, Rezension von: Grotjahn, Über Wandlungen in der Volksernährung (1903) 8 –, Rezension von: Lotmar, Der Arbeitsvertrag (1902) 8 –, Roscher und Knies I-III (1903–06) 9, 12, 18 f., 44 f., 64, 73, 180, 228, 424, 465 f., 486, 489, 512 –, Rußlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus (1906) 67, 83, 87, 454, 466, 506, 743 f. –, Der Sinn der „Wertfreiheit“ der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften (1917) 15 –, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur (1896) 748 –, R. Stammlers „Überwindung“ der materialistischen Geschichtsauffassung (1907) 87, 506

Personenregister –, Der Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung (1904) 11, 102 f., 223, 666 –, Universität Heidelberg: Lehrtätigkeit in der Abteilung für Staats- und Cameralwissenschaften; Leitung des Volkswirtschaftlichen Seminars und (mit Georg Jellinek) des Staatswissenschaftlichen Seminars 3 –, Volkswirtschaftliches Seminar (1897) 7 –, Vorbemerkung zu den Gesammelten Aufsätzen zur Religionssozio­ logie 88 –, Vorlesungs-Grundriß (1898) 137, 139, 158 f., 410 –, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen (1915–20) 86  auch: Antikes Judentum; Konfuzianismus und Taoismus –, Wissenschaft als Beruf (1917/19) 58 –, WuG/Herrschaft/Staat und Hierokratie 431 –, WuG/1. Lieferung/Soziologische Grundbegriffe 22, 70 –, WuG/1. Lieferung/Soziologische Grundkategorien des Wirtschaftens 578 Weber, Otto 235, 256, 258, 260, 266, 274, 399 Weeden, William B. 549 Weingarten, Hermann 45, 127, 248, 250, 313, 358, 402, 404, 409, 451, 565, 637, 816 f., 867 Weitenauer, Ignaz 115 Werner, Wilhelm 117 Wesley, Charles 242, 289, 339 Wesley, John 213, 242 f., 271, 289, 302 f., 327, 328, 331, 339–343, 345, 446, 720, 817 Wette, Wilhelm Martin Leberecht de 210 White, Sir George 323, 389, 817, 867

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Whitefield, George 61, 242 f., 303, 342, 817 Whittingham, William 118 Wiese, Leopold von 621 f. Wieser, Friedrich von 10 Wilhelm I. (deutscher Kaiser) 162, 677, 761 Wilhelm II. (deutscher Kaiser) 447 Wilhelm der Eroberer 212, 817 Wilhelm I. von Oranien 311, 515, 634, 817 f. Williams, Roger 152, 313, 314, 818 Willkomm, Ernst 146 Wille, Richard 101, 228, 491–493, 518, 621 Winckelmann, Johannes 515, 623 Windelband, Wilhelm 20, 40, 217, 292, 332 f., 421, 505, 699, 738, 744, 818, 867 Windthorst, Ludwig 677 Wiskemann, Heinrich 135, 196 f., 199, 201, 867 Witt, Johan de 158 Wittich, Werner 127, 133, 818, 867 Wolff, Christian Frhr. von 376, 818 Wright, William Aldis 589 Wundt, Wilhelm 463, 474, 512, 819 Wünsche, August 395 f., 411, 868 Wurzbach, Alfred 690 Wuttke, Dieter 504 Wyck, Adrian van 271, 284, 819, 868 Wyclif, John 118, 150, 188, 412, 819 Zäch, Alfred 127 Zeller, Eduard 270 f., 819, 868 Zeller, Hans 127 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig, Reichsgraf von 238, 243, 309, 318, 326, 327, 328–332, 334, 336 f., 339, 341, 343–345, 376, 378, 419, 452, 819 f., 868 Zwingli, Ulrich 210, 242, 246, 347, 483, 536, 724, 820

Sachregister

Gerade gesetzte Zahlen verweisen auf Webers Text, kursiv gesetzte auf die Herausgeberrede. Das Register enthält Begriffe sowie Sach- und geographische Angaben, Familien, Dynastien, literarische, biblische Gestalten und Gottheiten. Die Schreibweise folgt in der Regel der von Max Weber verwendeten, wobei bei Abweichungen fremdsprachiger Ausdrücke von der heute üblichen verwiesen wird (caritas  charitas; Reimser Bibel  Rheimser Bibel).

Abendmahl 312, 354, 449, 716 f. – Abstinenz vom 309 – (Nicht-)Zulassung zum 273, 366, 529, 755  auch: Kommunikanten Abendmahlsgemeinde 594, 717 Abendmahlsgemeinschaft, Reinheit der 717 Abendmahlsgenossen 312 Abendmahlslehre –, lutherische 277 –, reformierte 273 Abendmahlspraxis, reformierte 273 Abenteuer, Abenteurer 736 Aberglaube 511 –, kreaturvergötternder 261 Abgaben, kirchliche 438  auch: Kollekten, collections Abhängigkeit, Abhängigkeitsbeziehung 160, 167, 471 –, gesetzliche 46, 164, 482 – von Welt und Natur 290, 528  auch: Unabhängigkeit Ablaß 173, 174, 294, 473, 821 abnegatio sui 555 Absolution 173, 326, 715 Absolutismus 557 –, patriarchaler 635 Abstinenz – vom Abendmahl 309 –, sexuelle 377 Abstraktionen 488, 510

R auch: Psychologie, Abstraktionen einer Ackerbau 411, 536, 550 „Act of Uniformity“ (1662) 367 „(omnia) ad majorem Dei gloriam“/ „ad Gloriam Dei“ R „in majorem Dei gloriam“ Adam (bibl. Stammvater) 193, 211, 373 Adäquanzgrad, Adäquanzbeziehung 46, 485, 615 adäquat 141, 164, 169, 171, 286, 292, 363, 448, 460, 509, 600, 615 f., 668, 670, 722 R auch: Verursachung, adäquate Adel –, französischer 752 f. –, niederer 203 –, schottischer 752 f. R auch: Briefadel; Veradligung Adels- und Titelsucht (in Holland) 414 Adiaphoron, ἀδιάφορον 354, 382, 403, 821 Affekte 292 f., 316, 528 Affektverdrängungen 345 Agonales 698 R auch: Ehrgeiz; Leidenschaften; Siegesbedürfnis; Triebe, agonale Agrarier 580 –, notleidender 603, 701 –, rückständiger moderner 153 Agrarkommunismus 758 Akkomodation

Sachregister – an die Berufsarbeit 359 – weltflüchtiger Askese 361, 480 Akkorderhöhung 156 Akkordlohn, Akkordlohnsystem 155 f. Akkordsatz, Akkordsätze 156, 161 Akkumulation 54 – von Besitz 691 R auch: Kapitalakkumulation Akosmismus, askosmistisch 757, 762, 821 R auch: Liebes-Akosmismus; Menschenliebe, akosmistische Akquisition (von Sekten-Mitgliedern) 444 Aktivität – der pietistischen Frömmigkeit 323 – des christlichen Lebens 332 –, geschäftliche 587 – im Berufsleben 207, 651, 656 –, sittliche 296, 323 R auch: Handlungskultur; Tat, Tun; Widerstand, aktiver Aktiv- und Passivchristen 318 „all sorts and conditions of men“ 309 Allemannia (Heidelberger Studentenverbindung) 440 allgemeines Priestertum R Priestertum, allgemeines Alltag 762 R auch: Lebensgestaltung, alltägliche Alltagsarbeit 189 Alltagserfahrung 489 Alltagsleben 65, 286 f., 294 f., 304, 384, 405 –, ökonomisches 366 –, weltliches 295, 365 f. Alltagsmensch, Alltagsmenschen 59, 63, 273 – ethische Praxis des 288 –, lutherischer 306 Alltagssittlichkeit 294, 529 Alltagstrivialitäten 510 Almosen 287 Altertum 82, 137, 153, 176, 188, 408, 422, 508, 590, 603, 653, 668 f., 731, 737, 748

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–, babylonisches 487 –, klassisches 178 Altes Testament 112, 199, 300, 305, 353, 391, 393, 410, 713 – Moralvorschriften des 298 f. – Renaissance des 401, 713 R auch: Apokryphen; sowie die Einträge zu: Geist; Gesetzlichkeit; Gott; Normen; Rationalismus; Schriften; Sittlichkeit Ältester, Älteste (einer Gemeinde/ Kirche) 135, 567 R auch: Laienältester Altprotestantismus 41, 84, 538, 540, 542, 581, 641, 821 R auch: Askese; Ethik; Geist; Kirche, altprotestantische Amerika, Amerikaner, Amerikanertum 242, 246, 340, 353, 436, 444, 446, 455, 674, 689, 707, 724, 760 – Gemeindegesang in 401 –, moderner 456 R auch: angloamerikanisch; Neuengland, Neuengland-Kolonien; Nordamerika; Unabhängigkeitskrieg; Vereinigte Staaten (von Nordamerika); sowie die Einträge zu: Bevölkerung; Bibliotheken; College; Demokratie; Dienstleistung; Eisenbahnen; Empfinden; Entwicklung; Europäisierung; Familien; Freiheit; Gesellschaft; Kapitalismus; Katholizismus; Kirchengemeindemitglied; Kultur; „Kulturbild“; Leben; Lebensstil; Luthertum; Menschen- und Bürgerrechte; Milliardäre; Mittelstand; Neger; Officers; Puritaner; Recht; Revolution; Säkularisation; Sekten; Universitäten, Vergleich; Volkscharakter; Welt Amerikanisierung 394 Amerikanismus 149, 435 amissibilis R Gnade, verlierbare; gratia amissibilis Amsterdam 312, 402, 404, 546f., 594 f., 648, 695

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Sachregister

R auch: Vroedschap (Amsterdams) Amsterdamer Waisen 269 Amt, Ämter 367, 457 f., 717 – der Kirche 448, 452, 755 –, geistliches 180 –, öffentliche 360 R auch: Predigtamt; Staatsämter; Statistik, amtliche Anabaptismus 56, 102, 705 Anachronismus, Anachronismen 591, 706 Anfechtung, Anfechtungen 275, 300, 375 –, sexuelle 377 Angestellte, Angestelltenpersonal 558, 612 f., 706, 732 –, berufstreue 337 anglikanische Kirche, Anglikanismus 55, 57, 118 f., 242–244, 250, 306, 548, 556, 581, 821 angloamerikanisch 307, 436 R auch: Gentleman; Kapitalismus, anglo-amerikanischer Angst, Ängstlichkeit 265, 293, 309, 335, 399 „Angstbank“ 340 Anlage, Anlagen, Anlagekapital 412–414, 530, 556, 593 R auch: Kapitalakkumulation, Kapitalanlage Anpassung, Anpassungsvorgänge 54, 411 – an den Kapitalismus 481 – an den wirtschaftlichen Zustand 495, 500 – verschiedener Kulturelemente aneinander 501 R auch: Kapitalismus; Täufertum; sowie die Einträge zu: Lebensführung; Naturen Anpassungsfähigkeit 161, 162 Anreize 53 f. Anstalt 349, 448, 457, 748 f. R auch: Hallesche Anstalten; Heilsanstalt; Kirche als Anstalt/Heilsanstalt; Lehranstalten

Anstaltscharakter, anstaltsmäßiger Charakter der Kirche 266, 313 Anthropologie 27 antiautoritär, antiautoritativ 326, 398, 450 R auch: Puritaner, antiautoritärer Zug der; Sekten, antiautoritärer Boden der antichrematistisch 172, 187, 699, 821 Antike, antik 78, 184, 301, 508, 606 R auch: Altertum; sowie die Einträge zu: Christentum; Geist; Geschäfte; Kapitalismus; Philosphie; Wirtschaft Anti-Kornzoll-Agitation 595, 672, 673 Antinomismus, antinomistisch 271, 342 antirational 329 Antithese 304, 577 – des methodischen Lebens 379 – gegen den Puritanismus 374 Antrieb, Antriebe 304–307, 314, 335, 361, 532, 557, 602, 647 –, fehlender (zur Selbstkontrolle) 306 –, innere 53, 59 –, positiver (zur Askese) 296 –, psychologische 245, 307, 419 – zum sittlichen Handeln 281 – zur methodischen Lebensführung/ -gestaltung 364 f., 529, 577, 638 – zur Rationalisierung des innerweltlichen Handelns 336 Antwerpen 537, 546, 611 f., 650 Aphrodite (griech. Göttin) 400 Apokryphen 112, 116, 187, 391, 392, 821 R auch: Jesus Sirach Apostel 183, 275, 353, 355, 382, 388, 419 R auch die Einträge zu: Charisma; Lebensführung; Missionsleben; Ordnungen apostolisches Zeitalter 200 Appetit 293 Arbeit, Arbeiten 125, 137, 139, 142, 144, 156–161, 169, 175 f., 193, 199, 203, 378 f., 383, 388, 456, 553 f., 557 f., 642 f., 658 f., 665 f., 712, 726, 729 – als asketisches Mittel 375

Sachregister – als gottgewollter Lebenszweck 417, 543 – als Selbstzweck (Beruf) 159, 161, 378 – asketische Begründung der 192 –, berufliche/als Beruf 419 f., 557 – Definition 184 – Erfolg der 323 – Ernst der 699 – Erziehung zur intensiven 160 –, gottgewollte 691 –, harte 374, 530, 730 – im Dienst des Ruhmes Gottes 372 – im Dienst gesellschaftlichen Nutzens 269 – im Urchristentum 713 – Intensivierung der 136 – Maximum an 157 –, ökonomische 221, 544 –, präkapitalistische wirtschaftliche 157 – Produktivität der 175, 420, 532 –, qualifizierte (gelernte) 159 –, rastlose 407, 539 –, rationales 331 – Ruhm/Schätzung der 378, 195, 375, 472 – Sinnlosigkeit der 420 –, soziale 268, 527 –, stete 170 – traditionalistische Form der 160 – traditionelles Maß von 53, 167 –, treue 419 –, tüchtige 193 – Übung der 381 – Unpersönlichkeit der heutigen 420 –, unstete 382 – Verpflichtung zur 380 –, weltliche 103, 184, 185, 190 f., 712 – Würde der 375 R auch: Alltags-; Berufs-; Fach-; Gelegenheits-; Heim-; Lebens-; Missionsarbeit; sowie die Einträge: „bleibe bei deiner Arbeit“; „Geist der Arbeit“; „.  .  . für Gott dürft ihr arbeiten, um reich zu sein“; „.  .  . daß das Volk nur arbeitet .  .  .“; „Wer nicht arbeitet .  .  .“

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„Arbeit und Fleiß“ 649 R auch: Labour and Industry „Arbeite hart in deinem Beruf“ 378 R auch: „labour hard in your callings“; „work in your calling“ „Arbeite nicht, um reich zu sein“ 386 Arbeiter, Arbeiterschaft 54, 124, 154–157, 167, 169, 381, 385, 557 f., 706, 730, 732 –, berufstreue 337, 419 –, deutsche 760 – ethische Qualitäten des 160 –, gelernte/obere gelernte Schichten der 47, 124, 129 f. – im Dienst des Reiches Gottes 290, 528 – Klassenmoral der 398 – Konfessionalität der 123 – Masse der 418 –, methodistische 162 –, moderner 151, 420, 453 –, nüchterne, gewissenhafte, arbeitsfähige 417 –, polnische (in Westfalen) 466, 481 – Rekrutierung der 123, 160 – und Unternehmer 151, 155 R auch: Berufs-; Gelegenheits-; Wanderarbeiter Arbeiterinnen 160 – pietistischer Provenienz 161, 600 – Wirtschaftlichkeit der 208 Arbeiterschaft R Arbeiter, Arbeiterschaft Arbeitgeber 161, 418, 544 –, patriarchal gestimmte 337 Arbeitsamkeit 444 Arbeitsaskese 58, 555 Arbeitsformen, neue 161 Arbeitsgebot/Gebot der Arbeit, neutestamentliches 195, 379, 388 R auch: „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen“ Arbeitsintensität/Intensität der Arbeit, Steigerung der 155–157 Arbeitskosten 737

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Sachregister

Arbeitskraft, Arbeitskräfte 129, 150, 419, 523, 534, 546 Arbeitsleistung, Arbeitsleistungen 158, 382, 544 –, hohe 159 –, intensivere/intensivste 169, 525 – Maximum von 155 – Steigerung der 156 f., 381 f. Arbeitsloser, arbeitslos 151, 158 R auch: Berufsloser Arbeitsmarkt 158 Arbeitspflicht – als Beruf 420 –, ethische 379 R auch: Berufspflicht Arbeitsteilung 193, 195, 380 f., 472 R auch: Beruf als arbeitsteilige Tätigkeit; Berufsarbeit, arbeitsteilige Arbeitsunlust 378, 530 Arbeitsverhältnis, kapitalistisches 420 Arbeitswillige, Arbeitswilligkeit 163, 398, 420, 730 Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 12 f., 14–17, 21, 26, 35 f., 45, 48, 71 f., 75, 77, 425 ἄριστοι 455 Aristokrat, Aristokratie 386, 546, 566 –, (alt-)römischer 153, 475 – der Mönche R Mönche, Aristokratie – der Wiedergeborenen 324 – und Demokratie 430, 454 f. R auch: Geistesaristokratie; Gnadenaristokratismus; Heiligen-; Positions-; Qualitätsaristokratie; sowie die Einträge zu: Lebensgenuß; Lebensstil; Ostentation Arme R Armut „mit dem Ärmel an das Zuchthaus streifen“ 606 Arminianismus, Arminianer 62, 165, 242 f., 250, 545 f., 564, 592, 598, 648, 733, 822 Armut, Arme 157, 197, 200, 370, 380, 388, 419, 536, 550, 554 f., 726 – als Symptom sündlicher Faulheit 418

– (von Gott) bestimmt zur 730 – Gelübde der 194, 388 – (kommt) aus der „Powerteh“ 509 R auch: „.  .  . daß das Volk nur arbeitet, weil und so lange es arm ist“ ars (lat.) 179, 181 Arte di Calimala 173, 174, 750 Arzt, Ärzte 376 f., 639 Askese, Asketen, Asketentum 70, 85, 134, 274, 290 f., 292, 295, 326, 333, 335, 348, 364 f., 370, 389, 398, 401, 410, 419 f., 422, 541, 562, 579–581, 590, 595, 604, 637–642, 654 f., 681 f., 691, 703, 727 – als bürgerliche Tugend 412 – als Enthaltung 541 – als Übung 540 f., 543 –, altprotestantische/des Altprotestantismus 537–540, 581, 681, 641, 681, 682 – Antrieb zur 296 –, außerweltliche 359, 583 – Autoritätsfeindlichkeit der 353 – Begriff/Name/Wort R Askesebegriff –, calvinische 531, 539, 545, 547 –, calvinistische/des Calvinismus 294, 338, 358, 530, 533, 537–539, 541–545, 547, 551, 641, 724 –, christliche 30, 57 f., 290, 365, 420, 470, 652 – der Täuferbewegung R Täufer, Täuferbewegung, Askese der –, Herrnhutische 329 –, gesamt-altprotestantische 539, 681 f. –, gesteigerte/Steigerung der 311, 315 –, innerweltliche 57 f., 80, 220, 242, 294 f., 309, 334, 347, 361, 363, 383, 393, 408, 415, 424, 444, 526, 532, 537–540, 543, 548, 550, 553, 548, 559, 578 f., 583, 639 f., 661, 684, 690, 701 f., 724 f., 728, 736 –, katholische 353, 578 f., 529, 538 f., 541 f., 583, 639–641 – Klassenbedingtheit/-beziehungen der 359, 374 –, klösterliche/der Klöster 415, 581

Sachregister –, lutherische 539 – Macht der 417, 532, 697 –, mittelalterliche/des Mittelalters 79, 294, 415, 543, 642 –, mönchische/des Mönchtums R Mönchsaskese –, pietistische/im Pietismus 310, 315 –, protestantische 61, 79 f., 217, 220 f., 332 f., 346, 353, 359, 361, 373, 408, 419, 424, 472, 502, 528 f., 532, 538, 552, 557, 550, 580, 590, 597, 599, 528 f., 538, 557, 606, 626, 637, 639 f., 642 f., 658 f., 662, 700, 715, 724–727, 729 – protestantische Umbildung der 485, 494 f. –, puritanische/des Puritanismus 292, 329, 444, 530, 548, 550 –, rationale/rationaler Charakter der 245, 290, 292, 306, 320, 399, 530, 727 –, rationalisierte 583 –, reformierte/des reformierten Protestantismus 77, 300, 308, 311, 318, 554, 556, 650 –, religiöse/religiöse Motivierung der 62, 307, 417, 532, 658 –, sexuelle 375, 579 – systematischer Charakter der 295, 382 f. – und Mystik 86 –, weltflüchtige/als Weltflucht 361, 578 – zweiten Grades 347 R auch: Arbeits-; Berufs-; Gefühlsaskese; sowie die Einträge zu: Bewährung; Bewegung; Denomination; Ethik; Geist; Gruppe; Ideal; Leben; Lebensführung; Lebensmethodik; Lebensstil; Protestantismus; Religiosität; Sekten Askesebegriff/Askese als Begriff 538, 541–543, 577–580, 583, 639 f., 681 f., 726 – Troeltsch-Weberscher 541, 583, 682 Asketismus 26 Athen 422

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Attest (einer Gemeinde) 443 R auch: letter of recommendation attritio (unvollkommene Reue) 326 Auch-Christen 717 Auffassung, geschichtsmaterialistische R Geschichtsauffassung, materialistische; Geschichtsmaterialismus Aufgabe, Aufgaben 177, 292, 334, 456 –, sittliche 305 – von Gott gestellte 178, 206, 526 – Wertung des Lebens als 211 R auch: Berufs-; Lebensaufgabe Aufklärung 262, 314, 345, 422, 561, 56, 631, 635–637, 648, 655, 698 –, liberale 169 Aufklärungsepoche, Aufklärungs­ periode 699 –, englische 345 Aufstieg, ökonomischer 730 „Auge um Auge“ 264 Augsburger Konfession/Bekenntnis (1530) 113, 181, 187, 255, 327, 822 – Apologie des 287 auri sacra fames 153 f., 171, 701, 822 Ausgaben 144, 407, 443, 530, 536, 688 –, irrationale 580 Auslese – Begriff 151 – bei der Aufnahme in eine Sekte 720 – der Untauglichsten 158 –, ökonomische 151 Austern, Austerngenuß 407, 534, 580, 640, 659, 703 Außersittliches 173 „Authorised (version)“ (engl. Bibelübersetzung 1611) 118, 150, 188 Autonomie 451 Autorität, Autoritäten 33, 334, 400, 430, 449, 457, 473, 476, 629, 678, 753 – der Bibel R Bibel, Autorität der – der „sacrosancta synodus“ 594 –, kirchliche 319, 387 –, traditionelle 126 – (Verwerfung) menschliche 314 R auch: polizeilich-autoritär; sowie die Einträge zu: Kirche; Leitung; Willkür

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Sachregister

Autoritätsfeindschaft, autoritätsfeindlich 314, 353, 398 Autoritätsglauben 267 Autoritätsverneinung 348 avaritia 206, 369 Baden (Großherzogtum) 124–126, 128 Bäder, kalte 378 badge 442, 721 Ballot R Hineinballotierung Bank, Bankier 135, 165, 174, 443, 686, 719, 750 Baptismus, Baptisten 58, 64, 243, 359, 445–447, 588, 528, 564, 591, 637 f., 694, 697, 723, 754, 822 – als aus dem Täufertum hervorgegangene Sekten 346 – als zum Puritanismus gehörige Bewegung 244 –, calvinistischer 312 – Expansion des 754 R auch: General Baptists; Particular Baptists; sowie die Einträge zu: Bekenntnisse; Denominationen; Schicht Baptist Union of Great Britain and Ireland 389 Baptistengemeinde 443, 719 Baptistengeschichte 689 Baptistenkundschaft 719 Baptisten-Literatur 222, 247 Baptistenprediger 313 Baptistentaufe 442 barcajuolo (barcaiuolo) 153, 603, 701, 822 Bardi (Florentiner Bankiersfamilie) 687, 822 Bartholomäustag 367 Basel 588, 645, 692 f. Basis-Überbau-Modell 46 Bauer, Bauern, Bauernschaft 166 f., 176, 184, 195, 374, 593, 750, 758 –, lutherische deutsche 391 –, rückständige 453 –, traditionelle 593 R auch: Marschenbauern

Bauernexistenzen 592 Bauerngebiet (North Carolinas) 722 Bauernmißtrauen (gegen das Kapital) 196 Bauernunruhen 202 Baumwollplantagen 591 Bayern 128 Beamte, Beamtentum 291 –, deutsche 456 –, gewerbliches 130 R auch: Hofbeamte; Staatsbeamte „beati possidentes“ 415, 823 Bedarf 202, 379, 524, 532 f., 536, 617, 676 – Begriff 163 –, standesgemäßer 207 –, traditioneller 163, 524, 532, 552 R auch: Kapitalbedarf Bedarfsdeckung 163 f., 532 f., 535 Bedarfsdeckungswirtschaft 163 f., 524 Bedingungen –, geographische/physikalische 476, 484, 670, 731 –, ökonomische 480 f., 484, 500 f., 503, 602, 647, 670, 747 –, politische 503, 731 –, religionspsychologische 670 R auch: Existenz-; Kulturbedingungen Bedürfnis, Bedürfnisse 29, 125, 194, 410 – der Kunden 167 – der Seelsorge 276 –, kausales 490 –, religiöses 61, 336, 459 –, traditionelle 157 R auch: Bewährungs-; Gemüts-; Lebens-; Siegesbedürfnis Befehl Gottes R Gottes Befehl Begierde 404, 417, 476, 725 Beghinen (Beginen) 348, 823 Begriff, Begriffe –, genetische 9, 19, 141, 615 –, historische 9, 141, 177, 615 –, idealtypische 22, 76, 536, 554, 709 – mit Werturteilen durchsetzte 583 –, psychopathologische 316, 486 –, relative historische 20

Sachregister –, scharfe 709 R auch: Askese-; Berufs-; Buß-; Ehr-; Gattungs-; Ideal-; Gottes-; Kirchen-; Kultur-; Lehr-; Pietismusbegriff; sowie die Einträge zu: Auslese; Bedarf; Idealtypus; Kapitalismus; Leben; Rationalismus; Spekulation Begriffsbildung 13, 21 –, generalisierende 18, 21, 141 –, historische 142 –, idealtypische 17, 76 f., 535 –, individualisierende 18, 21, 141 Begriffssprache, idealtypische 287 Beherrschtheit, rationale 701 Beichte, Beichtinstitut 713 f., 716, 823 –, katholische/im Katholizismus 300, 720 –, lutherisches/im Luthertum 336, 306 –, öffentliche 720 –, psychologischer Effekt der 336 R auch: Privatbeichte Beichtkontrolle 136, 446 Beichtpraxis (Beibehaltung der) 329 Bekehrung, Bekehrte 134, 282, 315, 321, 324 f., 341, 345, 823 – gefühlsmäßiger/emotioneller Akt der 339, 344 – zu Tugenden 148 – zum Puritanismus 281 R auch: conversion Bekehrungserlebnis 61 Bekennen, Bekenner 712 – der anglikanischen Kirche 244 – der Religion 418 – des Katholizismus 131 – des Pietismus 134 – des Puritanismus 291, 372 –, persönliche (der Particular Baptists) 346 – Taufentschluß erwachsener 448 Bekenntnis, Bekenntnisse 348, 397, 563 –, independentische und baptistische 251 – der Täufer 351 – des Reformationszeitalters 296

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– Konfirmation als formal spontanes 449 R auch: Augsburger Konfession; Confessio .  .  .; Hanserd Knollys Confession; Konfession; Savoydeklaration; Westminster Confession Belgien 466, 476, 483 f., 560 „believers’ Church“ 65, 312, 348–350, 448, 823 Benediktinerorden 751 Benediktsregel/Regel des heiligen Benedikt 195, 371, 290, 542 Bequemlichkeit 159, 409, 548 R auch: comfort; Lebensgenuß, bequemer Bergpredigt 334, 353 Berliner Dom 447 Bernhardinismus 310 beroep (holländisch) 182 Beruf, Berufe 123, 159, 162, 172, 174 f., 189 f., 192 f., 197, 207, 317, 334, 373 f., 378 f., 380, 383 f., 417, 419 f., 471, 479, 522, 526, 528, 530, 532, 534–536, 548, 552 f., 557 f., 588, 605, 607, 656–658, 691, 702, 726, 730 f. – als arbeitsteilige dauernde Tätigkeit 179 – als Befehl Gottes 202, 380 – als Berufung 12, 58 – als göttliche Fügung 206 – als Lebensstellung 178, 190 – als objektive Ordnung 182 – als „Schickung“ 103, 380 – als Selbstzweck 53 – Arbeitsamkeit im 444 –, asketisch gedeuteter 727 – des Gelderwerbs R Gelderwerb als Beruf – des Geldverdienens R Geldverdienen, Beruf des – Erfolg im 387, 730 –, erlaubter 194 –, ethischer/ethische Auffassung des 6, 705 –, fester 382, 389 –, geistlicher 187

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Sachregister

–, geistlicher und weltlicher 208 –, gelehrte 411 –, gewerblich-kaufmännische 129, 470 – Gottesdienst R Gottesdienst im Beruf – Gottgefälligkeit der 411 –, gottgewollter 730 – Hingabe (rücksichtslose) an den 171, 534, 544, 656 –, höhere 190 – im äußerlichen Sinn 180 – im weltlichen Sinn 391 –, individueller 356 –, innerer 180 –, irdischer 387 –, kombinierte 383 –, liberale 179 –, nützlicher 384 – Pflicht gegen den Beruf R Berufspflicht – Schätzung der/des 196, 201 – Spezialisierung der 123, 381 – Tüchtigkeit im 52, 150, 193, 52, 532, 534 – Tun von Gottes Willens im 373, 530 – Wechsel des R Berufswechsel –, weltliche 103, 183, 189, 209, 471, 495, 642 R auch: „Arbeite hart in deinem Beruf“; beroep; „bleibe in dem Beruf“; calling; „ein jeder nach seinem Beruf“; ἔργον; „Freiheit allen Berufes“; „in einen Beruf berufen“; Kaufmannsberuf; κλῆσις; Nichtberufliches; πόνος; „rüstig in seinem Beruf“; sowie die Einträge zu: Angestellte; Arbeit; Arbeitspflicht; Arbeiter; Bewährung; Glaube; Gliederung; Hausindustrielle; Schicksale; Tätigkeit Berufene R Berufung Berufloser 382 Berufsarbeit, Berufsarbeiter 65, 204, 268, 332, 373, 382, 399, 445, 476, 525–527, 530, 542, 642 – Akkomodation an die 359

– als asketisches Mittel 322 f. – als Ausdruck der Nächstenliebe 193, 375 – als Berufung 54 – als die von Gott gestellte Aufgabe 206 – als Gottesdienst 374 – als Pflicht 54 –, arbeitsteilige 268 –, erfolgreiche/Erfolg der 335, 390 – Geist der 165 –, fleißige 417 –, moderne 421 –, nüchterne 472, 482 –, rastlose 64, 276, 335, 410, 471, 495, 531, 543 –, rationale 383 – religiöse Wertung der 185 – Schätzung der 202 – Sichhingeben an die 177 – Sinnstiftung durch 53 – Vernachlässigung der 310 –, weltliche 193, 276, 278, 310, 410, 471, 495, 531, 543 R auch: „Evangelium der Berufsarbeit“ Berufsaskese 67, 217 –, methodischer Charakter der 383 –, puritanische 421 –, rationale 279 –, reformierte 544 – utilitarischer Charakter der 221 Berufsauffassung/Auffassung des Berufs 54, 152, 553 f., 556, 590, 647 –, puritanische 397 Berufsaufgaben/Beruf als Aufgabe 104, 177, 269 Berufsbegriff/Begriff des Berufs 54, 104, 111–113, 178 f., 189, 391, 393, 705, 710 –, calvinistischer 270 – irrationales Element im 177, 525 – Luthers 178–215 –, moderner 183 –, protestantischer 191, 526 –, puritanischer 102, 208

Sachregister –, späterer lutherischer 191 Berufserfüllung 171, 422, 476, 509, 525, 535, 659 Berufsethik 79, 215, 502, 534–536, 552, 554, 596, 606, 608, 644, 656–658, 690, 702, 705 –, asketische 600, 605, 649, 655 –, bürgerliche 361, 416 f., 531, 668 –, calvinische/Calvins 522, 537, 555, 630 –, calvinistische/der Calvinisten/des Calvinismus 522, 526 f., 530, 543 f., 547, 553, 558, 596, 630, 646, 696 – der Reformation 562, 599 – des asketischen Protestantismus 602 –, irrationelle 661 –, kapitalistische 700 – Luthersche 556 –, mittelalterliche 553 –, moderne 504 –, praktische 695, 731 –, protestantische 531, 542, 559 –, puritanische 630, 646, 704, 713 –, rationale 209, 335 –, reformierte/der Reformierten 77, 328, 531, 544, 548 f., 555, 561, 627, 630, 633, 641, 645, 654 f., 658, 702, 708 – religiöse Orientierung der/religiös orientierte 386, 693 Berufsgedanke/Gedanke des Berufs 177, 471, 479, 711 – im lutherischen Sinn 208 f. – im religiösen Sinn 199 –, moderner 200 Berufsgeschäfte 374, 674 Berufsgliederung 380 f. R auch: Arbeitsteilung Berufsidee 345, 366, 420, 652 –, bürgerliche 348 –, calvinistische 360 – historische Entwicklung der 616 –, moderne 54, 57, 103 –, protestantische 242–425, 365, 387 –, puritanische 364, 383 Berufsinteresse, ökonomisches 360 Berufskultur, moderne 58 Berufsleben 422, 471 f., 557, 714

– – – –

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Aktivität im 207, 651, 656 als asketische Tugendübung 383 Ertötung der Tatkraft im 316 f. Flucht aus dem privatwirtschaftlichen 309 – Rationalisierung des 412 – Reglementierung des 345 –, unpolitisches 361 –, weltliches 195, 200, 220, 295 f., 317, 358, 529, 558 berufsmäßig 164, 333, 553, 730 Berufsmensch, Berufsmenschentum 54, 58, 78, 81, 85, 422, 587, 616, 655, 658, 705, 731, 760 –, bewährter 445 –, moderner/s 6, 12, 50, 373 – Seele des 607, 656, 662, 675 Berufsmönche 579 Berufspflicht/Pflicht gegen den Beruf 12, 52, 103, 150, 386, 408, 422, 470, 474–476, 489, 617, 661 – Idee der 50, 57, 78, 552, 657 – Psychogenesis der 496, 507 Berufspflichtgefühl/Gefühl der Berufspflicht 476, 509 Berufssittlichkeit 317, 552 Berufsstatistik 46, 123, 188 Berufstätigkeit 471, 475 f. –, private 269 – Unterlassung der 509 Berufstreue 332, 360, 375, 544 Berufstugend 359, 416, 531 Berufsverständnis – Luthers 119 –, puritanisches 236 Berufswahl 130, 723 – der Reformierten 484, 592, 723 –, kapitalistisch orientierte 710 Berufswechsel/Wechsel des Berufs 380, 383, 392 – Erlaubtheit des 384 Berufung, Berufene 12, 54, 58, 111, 253, 351 – Begriff 183, 188 f. – Festmachen der eigenen 275, 371 – von wirksamer 253

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Sachregister

– zu einer geistlichen Pfründe 182 – zum ewigen Heil 180, 183 R auch: „Ruf“; „ruffunge“ Besitz, Besitzer 360, 379, 383, 389, 406, 410, 580, 693, 697, 726, 730 – Ausruhen auf dem 370, 726, 730 –, eigener 169 –, erworbener 691 – Gebrauch des 409 – Genuß des 407 f., 530 – Immobilisierung des 697 – säkularisierende Wirkung des 415 – Tatsache des 170 – Verpflichtung gegenüber dem 407 – Versuchung des 410 f. – Verwendung des 386, 410, 703 R auch: Einkommensbesitzer; Fideikommißbesitz; Klassen, besitzlose; Sachgüterbesitz; Veradligung des Besitzes Betrachtung –, historische 613 –, psychologisch-historische 72, 74 –, religionsgeschichtliche 59 Betrieb, Betriebe 536 –, geschlossener 167 –, handwerksmäßige 732 –, kapitalistische (vor 4000 Jahren) 508 –, methodischer 320 –, moderne kapitalistische 151 Betriebsformen 171 –, kapitalistische 473 f., 484 Betsäle der Quäker und Baptisten 447 Bettel, Bettler, Betteln 388, 750 Bettelmönch, Bettelmönchtum, Bettelorden 194 f., 347 f., 750, 824 R auch: Dominikaner; Franziskaner Bevölkerung –, amerikanische 760 –, tolerierte/nicht tolerierte 692 Bevölkerungsbestand 691 Bevölkerungsgruppen 690 Bewährung, Bewährungsgedanke 55, 58, 65, 102, 193, 280, 285, 304 f., 310 f., 321, 326, 342, 396, 411, 453 f., 638, 698, 762

–, asketische 714 – Aufgabe der 456 – calvinistische/pietistische Wendung des 205 – calvinistischer Gedanke der 193, 204, 296, 342 – des Gnadenstandes R Gnadenstand, Bewährung des – disziplinierende und sektenbildende Wirkung des 64 –, fundamentaler 64, 70 – im Beruf 535 f., 548, 553 – im Berufsleben/in der Berufsarbeit 274, 296, 445 – im Wandel 282, 311, 365 – in der Welt 760 – Kontrolle der 446 –, praktische 279, 362 – Prüfung der 312 –, rationaler 271 – und Sektenprinzip 85 – Unentbehrlichkeit der 342 R auch: Berufsmensch; Calvinismus; Christ; Heilige; Mitglieder; Prädestination; Täufertum Bewährungsbedürfnis 61, 336 Bewährungsgedanke R Bewährung Bewegung, Bewegungen –, asketische 244, 308, 345, 368 –, industrielle und kapitalistische 549 –, nichtcalvinistische asketische 62, 307 –, religiöse 213, 215, 244, 276, 411, 415, 500 –, täuferische (primäre/sekundäre) 58 –, wiedertäuferische 362 R auch: Anti-Kornzoll-Agitation; Baptismus als Bewegung; Cromwellsche Bewegung; Erweckungs-; Ketzer-; Täufer-; Toleranzbewegung Bewußtsein, religiöses 214 R auch: Selbst-; Standesbewußtsein Bewußtseinsinhalte –, religiöse 66, 295, 424, 459, 502 – und Kulturleben 66, 424, 470, 494, 502

Sachregister Bibel 54, 200, 281, 289, 298, 382, 391, 399, 406, 529, 536, 540, 563, 609, 662, 758 – Alleinherrschaft der 354 – als (göttliche) Norm/normative Geltung der 342 f., 759 – Autorität der 199 – Vorschriften der 289 R auch: Bibelübersetzung; Christentum; Lebensführung; Offenbarung, biblische Bibelkonventikel, halbpietistische 348 Bibelobservanz 353 Bibelübersetzung, Bibelübersetzungen 181, 471, 479, 705 –, englische 118 f. R auch: Authorised (version); Cranmersche (Bibel-)Übersetzung; Geneva Bible; Rheimser Bibel; Tindalesche (Bibel-)Übersetzung; Wiclefsche Bibelübersetzung –, französische calvinistische 116 f., 181 –, holländische 117 –, italienische 116, 180 f. –, katholische deutsche 114 f., 183, 188 –, lutherische/Luthers 112–114, 178, 181–183 R auch: Lutherbibel –, protestantische 183 –, romanische 115 f., 180 –, skandinavische 117 –, spanische 117, 181 R auch: Inkunabeln; Vulgata; Septuaginta Bibliokratie 298, 305 f., 352, 355, 563, 565 Bibliotheken –, amerikanische 246, 339, 346 –, deutsche 246 –, holländische/niederländische 464 f., 689 Bielefeld 166 Bildung – im Puritanismus 400 – Verwerfung der 360

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R auch: Gebildete; graduates; Schichten, bildungslose; Volksbildung Bildungsreligion 458 „Bill of Rights“ (1689) 34 „billiger Preis, großer Umsatz“ 167 Binnenkultur-Charakter 737 birthright(-Gedanke) 212, 296, 391 Bischöfe 440 blasphemisch 343 „bleibe bei deiner Arbeit“ 183, 115 „bleibe in dem Beruf“/„im Beruf bleiben“ 113, 178, 183, 185, 203 Bohème 689 Book of sports 348, 398, 604, 677 Bordelleinrichtungen 377 Börsenpsychologie 611 Boston (Trinity Church) 401 Bourgeoisie, Bourgeoisstandpunkt 60, 347, 411 Boykott, sozialer 441 Briefadel 170 Brooklyn 436, 590 Brown University (Providence, RI) 222, 247, 346 Brüder 763 – Christi 351 Brüdergemeinde, mährische 243 R auch: Herrnhuter (Brüdergemeine) Brüderlichkeit 763 Bruderliebe 756 Brüderschaftsverhältnisse, naturgewachsene 763 Buchführung –, doppelte 37 f., 53, 175 f., 473 – Gottes 301 –, tabellarisch-statistische 301 Buffalo 760 R auch: North Tonawanda Bund, neuer 356, 393 Bunge-Konzern 611 f. Burenkrieg 198 Bürger, Bürgertum, bürgerlich 10, 28 f., 30, 35, 374, 700, 735, 737 – Florentiner 265, 504 –, holländisches 414 –, puritanisches 397

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Sachregister

– Religiosität des 753 –, schottisches 753 R auch: Klein-; Großbürgertum; sowie die Einträge zu: Askese; Berufsethik; Berufsidee; „comfort“; Ehrbarkeit; Entwicklung; Erwerbsleben; Gebarung; Geschäftsgeist; Gesellschaft; home; Kapital; Kapitalismus; Klassen; Leben; Lebensführung; Lebensstil; Mittelklassen; Mittelstand; Moral; Motive; Patriziat; Reichtumsbildung; Schichten; Selbstzufriedenheit; selfmademan; Staatenpolitik; Unternehmer; Verhältnisse; Verkehr; Vermögen; Welt Bürgerrechte R Menschen- und Bürgerrechte Bürgschaften, soziale 441 business 150, 187, 374, 456 Buße, Bußbegriff 279, 295, 326, 824 – Melanchthons 304 f. R auch: Unbußfertigkeit Bußkampf 61, 309, 321, 325, 340, 342 Bußsakrament 269, 326, 824 „calculating spirit“ 372 „Call“, göttlicher 712 calling, callings 118 f., 178, 182, 188, 189 f., 369, 374, 380, 383, 589 –, certain/stated 382 –, greater/unlawful 190 – im Sinne von Berufung 386 Calvinismus 29, 32, 41 f., 58, 60, 62 f., 70, 77, 85, 103, 135, 157, 165, 210, 213, 244, 247, 254, 257, 263, 269, 276, 285, 287 f., 293, 307, 320, 324, 326, 335, 337, 342, 345 f., 352 f., 357, 366, 402 f., 412, 471 f., 482, 495, 525–528, 530–533, 536, 538–540, 543–547, 550 f., 553–555, 560, 562 f., 565–570, 572, 577, 580, 582, 584, 592, 608, 626 f., 632, 635–638, 641, 643 f., 648, 654, 658 f., 660, 674, 687, 706, 713, 717, 762

– als geschichtlicher Träger des asketischen Protestantismus 61, 220, 242 – als heuristischer/historischer Maßstab 62 – als (Typus) Kirche 754 – asketische Handlungskultur des 64 – asketische Wendung des 694, 696, 705 – asketischer Grundcharakter des 300 – Bibliokratie des 298 – denominationelle Differenzen im 264 – der Niederländer/in Holland 135 f., 165, 412, 476, 545 –, englischer 98 – Entwicklung zum asketischen Puritanismus 483 – Erbschaft des 254 – ethische Eigenart/Entwicklung des 210, 399 – Genfer 569, 638, 649 – Gnadenwahllehre des 305 f. – Gott des 299 – Herrschaft des/der calvinistischen Theokratie 127, 242, 402, 484, 539, 544 – in Ungarn 484 – Kirchenverfassung des 28, 33 – Kulturbedeutung des 631 – Lehre des 250, 759 –, patriarchalischer 337 –, politischer und ökonomischer Rationalismus des 270 –, radikaler 445 – religiöse Unduldsamkeit des 31 – Staatsgefährliches am 250 – Überlegenheit des in der sozialen Organisation 266 – und Bewährung(sgedanke) 204, 296, 305 – und Demokratie 42 – und das Gefühlsmäßige 340 – und Kapitalismus/kapitalistische Entwicklung 30, 55, 76, 522 f.,

Sachregister 543–546, 555,, 601, 626, 630 f., 637 f., 651, 658, 704, 710 – und Katholizismus 279, 577 – und Kirchenzucht 268 – und Luthertum 28, 39, 41 f., 55, 64, 236, 293–295, 297, 302, 307, 335, 411, 568, 577, 633 – und Pietismus 242 f. – und Prädestinationslehre 60 f., 307, 526, 728 – und Täufertum 243 – Wirkung, Wirkungen des 28, 362, 544, 558, 568, 631 R auch: Diaspora-; Hochcalvinismus; Neo-Calvinismus; sowie die Einträge zu: Askese; Baptismus; Berufsbegriff; Berufsethik; Berufsidee; Bibelübersetzung; Denominationen; Doktrin; Ethik; Frömmigkeit; Gebiete; Gemeindeverfassung; Gemeinschaft; Glaube; Gottesbegriff; Independenten; Intoleranz; Kapitalismus; Kirchen; Kirchentum; Länder; Lebensstil; Lehrbegriff; Lehre; Literatur; Monarchomachen; Neuengland; Organisation; Partei; Puritaner; Rationalisierung; Religiosität; Revolte; Sichten; Staatskirche; Symbole; System; Toleranz Calvinist, Calvinisten 138, 264, 384, 272, 341 f., 346, 349, 352, 361, 363, 387, 392, 588, 596, 689, 724 – als Minorität 484 – Berufsethik der 596 – Bibliokratie der 355 –, französische 133 – Lebensführung der 293 –, orthodox geltende 287 –, pietistische und nichtpietistische 308 –, soziale Arbeit des 268 –, strenge 131 R auch: Persönlichkeit, rationale „calvinistischer Streit“ (im Methodismus) 303, 341 f. Calw 31, 139, 674 Campagnezeit 166, 824

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„captains of industry“ 362 caritas R charitas Caraffa 551 Carl Weber & Co./GmbH 167 Cäsarismus 267 „casus conscientiae“ 366 Catechismus Genevensis 299 certitudo salutis 64, 85, 220, 270, 273, 274, 276, 280, 310, 321, 339–342, 357, 399, 527, 715, 745, 762, 824 „chapel record“ 435, 679 Chapeaurouge (Hamburger Familie) 588 character indelebilis 296, 824 Charisma – der apostolischen Besitzlosigkeit 334 – der Jüngerschaft 419 charitas, reformierte 269 chiamamento (italien.) 180 Chicagoer Universitäten 435 China 268 China Inland Mission 268 „chinesische“ Versteinerung 423 Chrematismus, chrematistisch 171, 730, 824 R auch: antichrematistisch Christ, Christen, Christentum 27, 67, 86, 200, 204 f., 266–268, 298, 311, 317 f., 333, 349, 366, 375, 378, 430, 444 f., 527–529, 540–542., 544, 548, 557, 559, 633 f., 641, 716, 745, 760 f., 763 –, abendländisches 445 f. –, antikes 83, 735, 755 –, bewährter 445 –, biblisches 348 – Geschichte des 254 –, gläubiger 192, 385, 472 – Grundrecht des 318 f. –, humanistisch-rationales 563 – Kulturbedeutung des 40 –, landeskirchliches 26 – Lebensführung des 281 –, mittelalterliches 750 –, orthodoxes 83, 743 –, passiver 325

900

Sachregister

–, pietistisches 333, 445 –, reformiertes 266, 300, 318, 344 –, russisches 755 – soziale Position des 366 – Sozialgestalten des 744 –, westeuropäisches 450 R auch: Aktiv- und Passivchristen; Auch-Christen; Durchschnittschrist; Gefühls-; Moral-; Namens-; Renaissance-; Toleranz- und Moral-; Ur-; Volkschristentum; sowie die Einträge zu: Aktivität; Askese; Einheitskultur; Ethik; Freiheit; Gelassenheit; Idealgesetz; Laien; Lebensführung; Liebe; Liebesmoral; Moralgesetz; Naturrecht; Reformationssittlichkeit; Religion; Religiosität; Sittlichkeit; Sittlichkeitsgebote; Vollkommenheit Christengeneration, erste 352 Christianisierung – des Alltagslebens/ganzen Daseins 65, 302 –, kirchliche 751 Christologie (Reformierter und Lutheraner) 352 „Christoterpentinöl“ 327 „to what church do you belong“ 436 Cincinnati 438 Cisterzienser 290, 542, 751, 824 civil service reform 456 class meetings 446, 720 classis (lat.) 186 cleping 188 Club R Millionärsclubs; Orden und Clubs Cluniazenser 290, 825 – Schweigegebot der 371 Cobdensche Anti-Kornzoll-Agitation R Anti-Kornzoll-Agitation Code civil 28 „cogito ergo sum“ 290 Coitus interruptus 715 Colgate College (Hamilton, NY) 346 collections R Kollekten College, amerikanisches 291

collegia pietatis R Konventikel „comfort“, bürgerlicher 409, 548, 618 common best 381 common law 176 communicatio idiomatum 352 Concupiszenz 376, 825 Confessio Belgica (belgische Konfession 1561) 296, 571, 825 Confessio Gallicana (1559) 296, 825 Confessio Helvetica posterior (1562) 284, 296, 825 Confession R Hanserd Knollys –; Westminster Confession conformism 348, 825 „conscience to their duty“ 418 consilia evangelica/evangelische Ratschläge 220, 335, 541, 825 – und praecepta 184, 189, 192, 334, 526 – Wegfall der 294 conversion 275, 825 corpus mysticum 407 Cortigiano 504 coscienziosità 154 Couleurstudenten R Kouleurstudenten Couponschneider R Kuponschneider covetousness 410 Cranmersche (Bibel-)Übersetzung (1539) 118, 150, 189 Cromwellsche Bewegung 754 Cromwellsches Zeitalter 56, 102 Dänemark 558 Danzig 556 Daseinskampf R Kampf ums Dasein debauchery, „debauched part of the gentry“ 386, 444 decretum horribile 257 Deftigkeit 403 Deismus, Deist 52, 149, 548, 825 Dekalog 305 Deklassierte 585 Dekret –, doppeltes 254, 324, 367 – Gottes 754 R auch: decretum horribile; Gnadenwahldekret

Sachregister Dekretalen 713 Demokratie 42, 353, 382, 453, 562 f., 566 f., 569, 679 – als konservativstes Gebilde 454 –, amerikanische 453, 455, 678 f., 721 – und R Aristokratie R auch: Nordamerika, demokratischer Charakter; Prinzip, demokratisches; „Sandhaufen“ (amerikanische Demokratie kein) Demut 256, 278, 299, 335 R auch: Sünder, demütiger; Tugend des demütigen Sich-Bescheidens Denomination, Denominationen 69, 244, 304, 353, 361, 363, 365, 437, 443, 446, 448, 721, 724, 826 –, asketische 263, 577, 585 f., 597, 643 f., 661 –, baptistische 323 –, calvinistische 361 – fehlende staatliche Anerkennung einer 446 f. –, konkurrierende/Konkurrenz der 441, 586, 718, 723 –, methodistische 243 –, protestantische 189, 446 –, spirituelle (von Klöstern) 726 –, täuferische/der Täuferbewegung 354, 363 f. R auch: Calvinismus, denominationelle Differenzen „Deo placere non potest“ 172, 416, 608, 702 Detailgeschäft, Detailhandel 165, 167, 444, 826 Detaillistentum, quäkerisches 720 Determinismus 303 Deus absconditus 63, 256 Deutsche, Deutschland 48, 69 f., 123, 124, 138, 154, 149, 159, 169, 246, 250, 267, 306, 426 f., 430 f. , 455, 457, 459, 551, 555, 557 f., 566, 609, 633, 635, 668, 674, 677, 733, 760 f. – Gemütlichkeit der 307, 455 – kapitalistische Entwicklung in 35 f.

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– Katholiken und Protestanten in 131–133 – „konservative Wende“ 267 – Luthertum in 25, 28, 70, 609, 650, 724 – Namens-Christentum in 761 – wirtschaftlich entwickeltste Gebiete in 126 R auch: Katholikentage Deutschlands; Nord-; Nordost-; Oberdeutschland; Preußen; sowie die Einträge zu: Arbeiter; Bauern; Beamte; Bibelübersetzung; Bibliotheken; Diaspora; Ehrlichkeit; Empfinden; Energielosigkeit; Gebiet; Geistliche; Industriestaat; Katholiken; Mittelalter; Mystik; Osten; Pietismus; Volkswirtschaft deutsch-amerikanisch R Familien; Vergleich, deutsch-amerikanischer Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) 67, 741 f. Deutung –, geschichtsmaterialistische 595 R auch: Geschichtsdeutung, materia­listische –, ökonomische 753 Deutungskampf, ideeller 17, 22 Diaspora, Diaspora-Hypothese 47 –, deutsche 75, 503 Diaspora-Calvinismus 31, 37 f., 47, 136, 482 Diät 377 Dienstleistung, persönliche (amerikanische Perhorreszierung) 267 Diesseits, Diesseitigkeit 27, 265, 315, 539, 597 –, utilitarische 416 R auch: Jenseits; sowie die Einträge zu: Genuß; Interessen; Leben; Orientierung; Seligkeit; Zwecke, diesseitige Differenzeinwand 174 directeur de l’âme 300, 826 disciplina 274 dishonourable conduct 441 Disposition, psychische 692, 729 R auch: Prädisposition

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Sachregister

Dissent, Dissenter, Dissentertum 547, 560 f., 588, 672 –, englische 544, 694 f. –, puritanische 595 f., 649 Disziplin, Disziplinierung 378, 540, 570 – in der Fabrik/Partei 151 –, kirchliche 754 –, militärische 292 – Unterwerfung unter die 274 R auch: Bewährung, disziplinierende Wirkung; Selbstdisziplinierung „Divina Commedia“ (Dante) 210 Dogma, Dogmen 187, 244 f., 270, 343, 444 – der Lehre von der Gnadenwahl 248–250, 254, 262, 471 – Gebiet des 245 – Indifferenz gegenüber dem 444 –, vatikanisches/der päpstlichen Unfehlbarkeit 678, 755 R auch: Prädestinationsdogma; sowie die Einträge zu: Epochen, undogmatische; Ethik, undogmatische; Irrtümer; Rechtgläubigkeit; System; Unterlagen; Zwecke Dogmatik, Dogmatiker 365 – des Arminianismus 243 – des Calvinismus 577 – Lehrbücher der 728 –, orthodoxe (des Protestantismus) 350 –, spätere lutherische 304 –, untheologische (des Täufertums) 728 Doktrin 489 –, kanonistische 5 f. –, katholische 172, 283, 713 –, kirchliche 606, 711 f. –, lutherische und orthodox-calvinistische 304 –, mittelalterliche 379 –, orthodoxe 273 f. –, pietistische 320 R auch: dubitatio (katholische Doktrin); Heiligungsdoktrin „Dolerenden“ 594 Dominikaner 751, 826

dompelaers R Tunker Donatismus, Donatisten 85, 748, 826 doppelte Buchführung R Buchführung, doppelte doppeltes Dekret R Prädestination Dordrechter Canones/Dekrete 62, 251, 270, 309, 519, 593, 648, 826 Dordrechter Synode (1618/19) 62, 77, 243, 250, 257, 270, 308, 403, 560, 594, 648, 826 f. R auch: sacrosancta synodus Dreißigjähriger Krieg 484 dritter Stand (status oeconomicus) 319, 827 dubitatio (katholische Doktrin) 283 Dunbar, Schlacht von (1650) 197 dunckards R Tunker Durchschnittschrist, Durchschnittschristentum –, mittelalterlicher 287 –, reformierter 286, 315 Durchschnittslutheraner 305 f. Durchschnitts-Sektenmensch 26 „duty towards God“ 588 ebionitisch 369 ecclesia militans 63, 251, 294, 399, 827 ecclesia pura 30, 717, 749 ecclesia visibilis/invisibilis R Kirche, sichtbare und unsichtbare ecclesiola (des Pietismus) 315, 446 Edikt von Nantes (Aufhebung 1685) 131, 561, 690, 732, 753 Educational Alliance 394, 827 Ehe 201, 375 f. – Keuschheit in der 725 – Verbot der gemischten 207 R auch: Geschlechtsverkehr, außerehelicher; Leben, eheliches; Onanismus matrimonialis; Virginität (in der Ehe) Ehelosigkeit (als Ideal) 376 „Ehemeidung“ 352 Ehestand 181 f., 186, 376 Ehrbarkeit 318 –, bürgerlich-rationale 403

Sachregister Ehrbegriff, ritterlicher 505 Ehre, Ehren 132, 604, 616 –, soziale 389 – Streben nach 534 f., 604, 616, 659 Ehre Gottes R Gottes Ehre Ehrenschulden (der Offiziere) 440 Ehrfurcht, Ehrfurchtsformen 352 – Versagung der 450 f. Ehrgeiz, agonaler 399 Ehrlichkeit 110, 145, 147–149, 475, 558 –, deutsche 363 R auch: „honesty is the best policy“ Eid, Ablehnung des 138, 356, 360 „ein jeder nach seinem Beruf“ 181, 187 Eigenverantwortung 336 Einfachheit 409, 413, 530 – des Lebens 412, 545 –, puritanische 550 Einheitskultur, christliche (des Mittelalters) 41 Einkommen, Einkommensbesitzer 132, 144, 179, 524, 698 Einübung (konstanter Motive durch die Askese) 292 „Einverleibung in Christi Körper“ 266 R auch: corpus mysticum; unio mystica Einwanderung, Einwanderer 291, 381, 436, 707, 718 –, puritanische 591 –, (süd-)niederländische 546, 650 R auch: Immigranten Einwirkung, Einwirkungen 220, 258, 288, 305, 366, 503, 529, 538, 544, 548, 566, 569, 547, 675, 704 f. Einwirkungstendenz 504 Einzelgemeinde 312 Einzelleistungen, verdienstliche 285, 528 Eisenbahnen, amerikanische 604 Eisen(hütten)werksgesellschaften (Neuengland-Kolonien 1643) 412, 549, 706 Eitelkeit 403, 408, 410, 530 ἐκκλησία 186 Ekstasen 340 ekstatisch-kontemplativ 209

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electi 273, 285, 527 f. Elisabethanische Zeit/Zeitalter 119, 189, 401, 548 Elite, religiöse 450 Elsaß-Lothringen, elsässisch 128, 133 Emanzipation 28, 272, 356, 394, 572, 700 – „vom zweiten Gebot“ 394 – von der Autorität 457 – von der Wirtschaftsethik der Kirchenväter 32 f. – von kirchlicher Kontrolle 135 Emigration, Emigranten –, protestantische 724 –, südniederländische 689 R auch: Immigration Emotion –, methodistische 344 R auch: Bekehrung, emotioneller Akt; Religiosität, emotionelle Empfinden, Empfindung, Empfindungen 155, 255, 263 f., 278, 293, 305, 307, 436, 526, 539, 541, 666 –, asketisches 407 –, deutsches und amerikanisches 146 –, feudales 409 – für Macht und Ansehen 170 –, irrationale der Berufserfüllung 171, 525, 535, 659 –, persönlich-menschliche 269 –, religiöses 276, 329, 344 –, sittliches 172, 525 –, soziale 297 –, unbefangenes 149 f., 523 –, unbestimmte 212 „Empfindsamkeit“ (Zeit der) 330 Empfindungsweise 297 f., 731 Empirie –, historische 489 R auch: Ideen, empirische Behandlung; Verhältnisse; Wissenschaften, empirische Empirismus –, philosophischer und wissenschaftlicher 80, 424 –, rationalisierter 332 f.

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Sachregister

Energielosigkeit, deutsche 423 England, Engländer 28 f., 76, 80, 131, 154, 162, 176, 188, 212, 244, 248, 267, 310, 322, 324, 344, 347, 372, 396, 405, 413 f., 419, 503, 554, 561, 565, 650, 689, 732 f. –, asketische/independentische Sekten in 243, 638 – asketischer Protestantismus in 674 – Baptismus in 754 –, fröhliches altes 401, 604 – Frömmigkeitsrekord der 140 – (Herrschaft des) Calvinismus in 28, 127, 243, 247, 250, 635 – Herrschaft des Puritanismus in 548 – Kapitalismus in R Kapitalismus, englischer – kapitalistischer Geist in 526, 547, 645 f., 582 – kapitalistisches Interesse der 198 – Landwirtschaft 414 – politische Entwicklung in 33 – Prinzip der Toleranz in 559 f., 565, 637 – protestantische Ethiker in 725 –, protestantisches 687 –, puritanisches 544 – „puritanischer Pietismus Englands“ 243, 237, 310 – Quäker in 131, 138 – täuferische Sekten in 358 – Volksschule in 723 R auch: Anglikanismus; common law; Cromwellsche Bewegung; Cromwellsches Zeitalter; Dunbar; HabeasCorpus-Akte; Elisabethanisches Zeitalter; Frömmigkeitsrekord (der Engländer); Kavaliere; Langes Parlament; Magna Charta; merchant adventures; „Parlament der Heiligen“; Petition of Rights; Stuarts; sowie die Einträge zu: Aufklärungsepoche; Bibelübersetzungen; Bürgertum; Calvinismus; Dissent; Entwicklung Gentleman;

Geschichte; Großkapitalismus; Heeresverfassung; Industrie; Kapital; Kaufmann; Kirche; Konventikel; Literatur; Mittelklassen; Moralisten; Moraltheologen; Nationalliteratur; Naturwissenschaft, englische Heroen; Pietismus; Prediger; Puritanismus; Recht; Restauration; Romantik; Schriftsteller; Staatskirche; Textilindustrie; Theologie; Vergnügen, volkstümliche; Verhältnisse; Volkswirtschaft; Wirtschaftsgeschichte; Wirtschaftsleben englische Staatskirche 242, 827 Englischer Bürgerkrieg 212, 420, 694 R auch: Revolution, englische „English Hebraism“ 394 enmity 297 Enthaltsamkeit 30, 412, 639 Enthusiasmus 70, 84, 743, 747 –, „korybantenartig“ geschürter 344 –, religiöser 378, 416, 531, 565 „Entsagen sollst du, sollst entsagen“ 408 Entschluß, freier (zur Aufnahme in eine Gemeinschaft) 448 „entweder gut essen, oder ruhig schlafen“ 132 Entwicklung 423, 609, 690 f. –, amerikanische ökonomische 137 –, bürgerlich-kapitalistische 154, 675, 732 – der materiellen Kultur 214 f. – des kapitalistischen Geistes 168, 176, 213, 220, 420, 490, 585, 589 – des kapitalistischen Lebensstils 124 f., 373, 397, 424, 481, 544, 549 f., 558, 670 –, englische (mentale Seite der) 60, 80 –, ethische (des Calvinismus) 399 –, gewerbliche (in Neuengland) 591 –, gewerbliche und kapitalistische (in Frankreich) 133 –, großkapitalistische 603, 653, 697 –, historische 608, 615, 629

Sachregister –, holländische (ökonomische) 247, 674, 687 f. –, industrielle 159 –, kapitalistische/des Kapitalismus 27, 35, 66, 75 f., 79, 103, 124 f., 133, 152, 159, 168, 171, 174, 210, 373, 407, 420, 424, 477, 481, 503, 525, 530, 532, 543 f., 546, 548–550, 556, 562, 643–645, 650, 653, 655, 671, 684, 693, 695, 723, 731, 736, 737, 759 –, ökonomische/wirtschaftliche 131, 411, 415, 483, 537, 585, 625, 643 f. – ökonomischer Verhältnisse 599 –, politische und wirtschaftliche 42, 557, 676 –, religiöse/religiöser Spezifika 210, 747, 752 –, technische/der Technik 405, 424 Entwicklungsprozeß 738 –, revolutionierender 454 Entwicklungstendenz 295, 336 Entwicklungsstufe, sozialpsychische 329 Entwicklungsvorgänge, kapitalistische 738 Entwicklungszusammenhänge 693 Episkopalkirche (Schottlands) 753 episkopalistisch(er Süden der USA) 138, 549 f., 590, 827 Epoche, Epochen 165, 172, 409, 414, 457, 502, 613, 704 – der Glaubenskriege 570 –, geschichtliche 499 –, heroische des Kapitalismus 397 –, präkapitalistische 153 –, religiös lebendige 416, 531 –, schicksalvollste 303 –, undogmatische 444 R auch: Aufklärungsepoche, englische; Kulturepochen „Eranos“(-Kreis) 40, 89, 216 f., 219, 223, 234 Erbauungsbücher, Erbauungsliteratur, Erbauungsschriften 472, 495, 498, 725 Erbauungszwecke 499

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Erbschaft 254 –, historische 47 Erbsünde 305, 540 Erfolg, Erfolge 148, 337, 634, 726 –, äußerlicher (der Verworfenen) 392 –, geschäftlicher 139, 389, 553 –, wirtschaftlicher 46., 72 f., 176 R auch: Arbeit; Beruf, Erfolg des; Berufsarbeit, erfolgreiche ἔργον 113, 178, 179, 183, 187, 188 Erhebungen, private statistische (in den USA) 437 Erkenntnis 286, 536, 608, 627, 640, 660 – der Fachpsychologie 74, 512 – des Weltsinns 756 – Gottes und seiner Werke 333 –, sozialwissenschaftliche (des Generellen/Individuellen) 18 Erkenntnisgrund, Erkenntnisgründe – des Gnadenstandes/der Seligkeit 341, 528, 715, 727, 764 – des Heilsschicksals 65 R auch: Realgrund Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte R Menschen- und Bürgerrechte Erlebnismäßiges (des religiösen Vorgangs) 511 Erleuchtete (vom Geist) 354 Erlösung 396, 526 Erlösungsgefühl, religiöses 254 Erlösungsreligionen 756 Erlösungswerk Christi (Aneignung des) 350, 472 Errungenschaften, technische 737 Erscheinung, Erscheinungen, historische 618, 710 R auch: Kulturerscheinungen Erwachsenentaufe R Taufe Erwählte 260, 273, 281, 283, 285, 287, 297, 312 R auch: electi Erwähltheit 275 Erwählung 272, 285, 297, 312, 827 f. – Zeichen der 283 f., 450 R auch: „personal election“

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Sachregister

Erwählungsentschluß Gottes 271 R auch: Gottes Gnadenwahl Erweckte (persönlich von Gott) 351 Erweckung, Erweckungsbewegung 345, 452, 587 –, niederländische 688 Erweckungserlebnis 61 Erweckungspredigt 221, 340 Erwerb, Erwerben 130, 140, 163, 369, 389, 409, 414, 419 f., 473, 525, 530, 531 f., 554, 558, 580, 597, 605, 616, 639, 653 – als Lebensaufgabe 221 – als Mittel zum Zweck 149 – als natural act 360 – als Selbstzweck 172, 525, 554 – als Zweck des Lebens 149, 523 –, kapitalistischer/ökonomischer 129, 199, 586 – privatwirtschaftliche Energie des 362 –, rationaler 374 – von Vermögen 361 – von mehr als dem Bedarf 532, 617 R auch: Geld-; Gütererwerb „Erwerben sollst du, sollst erwerben“ 408 Erwerbsdrang, triebhafter 659, 661 Erwerbsethik, puritanische 582 Erwerbsgier 617 R auch: Händler, erwerbsgieriger Erwerbsinteressen 417, 532 Erwerbskapital 692, 697 Erwerbsleben 132, 364, 531, 553, 580, 651, 656, 657, 691 –, bürgerliches 129 –, kapitalistisches 134, 387 –, modernes 130, 220 –, privates 691 – Rückzug aus dem 361 –, weltliches 133 Erwerbsmaschine 617 Erwerbsmenschentum 407, 530, 535, 553 Erwerbs-Psychologie 604 Erwerbssinn 134, 157, 482

Erwerbsstreben 408, 411, 423, 532, 660 Erwerbstätige, Erwerbstätigkeit 180, 422 Erwerbstrieb 6, 37, 53, 132, 206, 207, 530, 533–536, 550, 552 f., 555, 557, 603, 606 f., 613, 617, 638, 643 f., 653, 657 f., 660, 701 f. – in den präkapitalistischen Epochen 153 – Legalisierung und ethische Qualifizierung des 220 Erwerbswirtschaft, Erwerbswirtschaften 163, 164, 617, 698 Erwerbswirtschaftssystem 524, 532 f. „er wollte gewinnen, dieweil der könnte“ 38, 146, 552 Erziehliches 137 Erziehung 53, 126, 130, 334, 358, 395, 614, 691, 720, 722 – Bedeutung der 614 –, formalistische/talmudische 394 –, religiöse 55, 162 –, wirtschaftliche 161 – zu einer Persönlichkeit 292 – zum kapitalistischen Geist 165 – zur intensiven Arbeit 160 – zur kapitalistischen Kultur 159 – zur Selbstkontrolle 371 R auch: Jugenderziehung; Realunterricht Erziehungsgrundsätze, pietistische 614 Erziehungsleistung 718 Erziehungsprozeß 53, 159 Erziehungswirkungen –, asketische 415 f. – der Glaubensvorstellungen/Konfessionen 66, 74 – des Luthertums/des Landeskirchentums 25, 427, 431 Erzväter 390 Esau (bibl. Gestalt) 390 f. eschatologisch 200 f., 347, 358, 431, 472, 480, 538, 828 Essen und Trinken 191, 195, 203, 260

Sachregister Ethik, Ethiker 50 f., 149, 206, 297, 346 f., 356, 387, 430, 523, 532, 539, 605, 607, 637 f., 682, 711 f., 728 –, allgemeine (christliche) 534, 543, 554, 558, 642, 658 –, alte/neue 54 –, altprotestantische 213, 641 –, asketische 221, 266, 368 – Baxters 221 – Benjamin Franklins 149 –, calvinische/Calvins 528, 536, 538, 553, 658 –, calvinistische/des Calvinismus 82, 270, 296, 402, 597, 516, 522 f., 527, 530, 541–543, 555, 558, 630, 641, 705, 735 –, christliche 356, 526 – der Quäker R Quäker-Ethik – des asketischen Protestantismus 220, 407 – des Methodismus 343 f. –, häretische 387 –, kapitalistische 54, 165, 362, 696 –, lutherische (und katholische) 539, 541, 548, 556 –, natürliche und übernatürliche 41 –, pietistische 82, 356, 735 –, puritanische/des Puritanismus 266, 269, 340, 363, 366, 395, 604, 646 –, positive 715 –, protestantische 542, 582, 642, 646, 707, 711, 725 –, reformierte 337, 359, 530, 554 f., 644, 662 –, religiöse 65, 86, 552, 606 – Rationalisierung der 539 –, soziale (materieller Inhalt der) 281 –, sozialökonomische 423 –, talmudische 395 –, täuferische/des Täufertums 82, 337, 348, 480, 735 – Tolstois 744 –, traditionalistische 408, 530 –, undogmatische 245 – von Unternehmern R Unternehmer, ethische Qualitäten/Ethik von

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R auch: Berufs-; Erwerbs-; Geschäftsethik; Gesellschaften für ethische Kultur; Gnaden-; Sexual-; Sozial-; Wirtschaftsethik; sowie die Einträge zu: Arbeitspflicht; Beruf; Calvinismus; Garantien; Gebiet; Genügsamkeit; Gesamtleben; Gewissensbindungen; Ideale; Kompendien; Laxheit; Leben; Lebensführung; Lebensmaxime; Lebensstil; Maximen; Nationalökonomie; Normen; Prädestinationslehre; Praxis; Prinzipien; Programm; Qualitäten; Rigorismus; System; Täufertum; Theorie; training; Verhalten; Verwendungszwecke; Weltablehnung; Werte Europa, Europäer 31, 389, 428, 436, 551, 559, 561 f., 566–568, 611, 647, 657 R auch: Mittelalter; Kontinent, europäischer; Süd-; Westeuropa Europäisierung 389, 426, 435, 444 evangelische Ratschläge R consilia evangelica Evangelium 180 f., 183, 268, 299, 452 – „der Berufsarbeit“ 80 – „des Geizes“ 617 „ewige Ruhe der Heiligen“ 370 Ewiges 757, 764 R auch: Heil; Leben; Seligkeit; Tod; Verwerfung; Wahrheit; Zukunft, ewige Ewigkeit 63, 258–260 – von her prädestiniert/verworfen 296, 749 ex causis naturalibus 380 exceptio usurariae pravitatis 174 Exegese, talmudische 673 Exekutionsrecht 439 Exercitia spiritualia 291 Exil 136 –, babylonisches 137, 316 Existenz, Existenzen 524, 613, 712 –, gesellschaftliche (des Kreditnehmers) 441 –, kontemplative 578

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Sachregister

–, verfehlte 423 R auch: Bauernexistenzen Existenzbedingungen, Existenzgrundlage 591, 647 –, ökonomische 179 ex jure divino 318 Exklusivität, Exklusivitäten 262, 282, 436, 454 f., 461 –, soziale 454 R auch: Gruppen; Kirche; Vereine, exklusive Exkommunikation 319, 330, 750, 677, 828 –, päpstliche 440 –, soziale 719 Expansion – des kapitalistischen Geistes 79, 215, 411, 523, 531, 543, 652, 654, 660, 708 f., 734 –, kapitalistische/des Kapitalismus 221, 548, 610, 652, 659, 708 f., 734 –, (kommerzielle oder) koloniale 561, 596, 653 Expansions-Utopien 560 Exploitierung (römischer Provinzen) 603 Exponenten/Reflexe ökonomischer Verhältnisse R Verhältnisse, ökonomische externa subsidia 260 „extra ecclesiam nulla salus“ 260, 312, 354, 828 Exulanten, Exulantengemeinde – in Amsterdam 404, 694 f. –, niederländische 650 –, religiöse 561 Fabrik, Fabrikanten, Fabriksystem 129 f., 137, 139, 151, 154, 208, 407, 484 R auch: Textilfabrikanten Facharbeit 58, 421 Fachleute, Fachmann, Fachmänner 377, 642 f., 662, 685, 736 –, historischer 578, 671 –, nationalökonomischer 626, 629 –, theologischer 234, 246, 641

R auch: Nichtfachleute Fachmenschen, Fachmenschentum, fachmenschlich 377, 699 –, modernes 389 – „ohne Geist“ 423 Fachmenschenfreundschaft 40, 83 Fachpsychologie 74, 512 Fachtheologen 347, 735 Faktor, Faktoren –, konstitutiver 76, 554, 652, 656, 660 –, religiöse 54, 75, 77, 475 – treibender des geschichtlichen Geschehens 494 f., 502 – von akzessorischer Bedeutung 554, 596 R auch: Kausalfaktoren Familie, Familien 265, 268, 436, 580, 616, 693, 727 –, deutsch-amerikanische 436 –, reformierte 588, 645 R auch: Gemeinschaft, familienartige; Parvenü-; Verlegerfamilien Familienkonzern 611 Familientradition 730 Familienvermögen 588, 645 Familisten-Sekte 389, 828 Farmer 414 f., 439, 442 R auch: yeomen Fatalismus – als Konsequenz des Prädestinationsgedankens 285, 317, 528 –, sittlicher 271 Faulheit 380, 382, 418 Faust und Gretchen 377 Feilschen (nach orientalischer Art) 719 Feind, feindlich 139, 153, 292, 693 – Gottes 297 R auch: enmity; kirchenfeindlich; Macht, feindliche; Menschenfeindlichkeit Feindesliebe 264 Feindschaft (gegen religiöse Gemeinschaften) 457 R auch: Autoritätsfeindschaft „Feine“, „feine“ Pietisten 289, 317 R auch: Präzisisten

Sachregister „Festmachen“ (der Berufung) 275, 371 feudal R Besitz; Bürgertum; Empfinden; Gesellschaft; Lebensformen; Rentengrundherren; Romantik, feudale Feudalgewalten 750 Fideikommiß, Fideikommißbesitz 170, 408, 449, 828 Fideikommißstiftung 349, 389 – Kirche als 448, 748, 759 fides efficax 280 f., 527 fides implicita 334, 400, 723, 828 Finanziers, Finanzleute 598, 654, 660, 690 R auch: Großfinanziers „finitum non est capax infiniti“ 179 Flandern 545 f., 503, 551, 685 Fleischabtötung 409 Fleischeslust 370, 386 – Kampf gegen die 409 Fleiß 147, 475, 537, 558, 647, 649 – und Genügsamkeit/Mäßigkeit 110, 143 R auch: Arbeit und Fleiß; Berufsarbeit, fleißige; industry; industry and frugality; Labour and Industry Flickschuster 645, 706 Flor der Commerzien 384 Florenz 53, 174, 265, 685, 722, 752 – „kapitalistischer Geist“ in 487 R auch: Bürgertum; Frührenaissance; Geldgeber; Großkapitalismus, Florentiner Flüchtlinge 31 –, (süd-)niederländische 561, 694 –, politische 689 R auch: Einwanderer; Emigration; Exulanten; Immigranten „foreordained“ 252 Form R Geist und Form R auch: Lebens-; Organisations-; Sektenform; sowie die Einträge zu: Kirche; Wirtschaftsbetrieb; Wirtschaftssystem Formalismus –, anglo-normannischer 439

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– der puritanischen Ethik 363 Forschung 21, 511 –, „exakte“ (psychologische) 73, 486, 496 –, historische 19, 22, 316, 512 –, mathematisch-rationalisierte „exakte“ 332 –, religionspathologische 510 R auch: Geschichts-; Hysterieforschung Fortpflanzung 725 Fortschritt, Fortschritte 139, 288, 300 f. – in der Heiligung 331 –, ökonomischer 312, 731 –, technischer 737 Frankfurt a. M. 650, 734 Frankreich, Franzosen 28, 130–133, 137, 177, 247 f., 300, 477, 490, 551, 561, 566, 595, 645, 668, 674, 686, 690, 753 –, hugenottisches 544 – Industrie in 545, 592 – Kapitalismus in 545 – Katholiken/katholische Kreise in 133, 714 R auch: Südfrankreich; sowie die Einträge zu: Adel; Bibelübersetzung; Calvinisten; Entwicklung; Konfessionalitäten; Hugenottenkirchen; Kultur; Protestantismus; Revolution; Volkswirtschaft Franziskaner, Franziskaner-Observanten 347 f., 751, 828 Frau, Frauen 309, 378, 579, 726 Freiheit, Freiheitssphäre 319 – „allen Berufs“ 201 –, amerikanische 70 –, christliche 329, 342 – des Mystikers 278 –, politische 372, 405, 562 – psychologische Grundlage der 314 – von der Gesetzesknechtschaft 299 – von der Macht der Sünde 343 – von der „Welt“ 404 R auch: Gewerbe-; Gewissensfreiheit; Ideale, freiheitliche; Institutionen, freiheitliche politische; Religions-; Werturteils-; Willensfreiheit

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Sachregister

Freiheitskampf, Freiheitskämpfer (holländische) 588, 693 f. Freikirche, Freikirchen 458, 828 f. –, schottische 753 Freude, Freuden 176, 208, 398, 406, 408, 420 – „an der kraftvollen Betätigung“ 474, 487 f., 509 –, seigneuriale 697 R auch: Genuß-; Lebens-; Sinnen-; Weltfreude Freund, Freundschaft 143 f., 196, 262 f., 266, 406, 726 R auch: Fachmenschenfreundschaft; Feinde; Feindschaft Friesland 466, 481, 503, 752 „fromme Langeweile“ des Paradieses 169 Frömmigkeit 390, 399, 414, 511 – asketischer Charakter der 307 –, bernhardinische 277, 340 –, calvinistische 285, 312, 315 – gefühlsmäßige Elemente/Verinnerlichung der 329, 335 – Herrnhuterische 329 f. –, intensive 138, 482 –, (modern-)katholische 277, 300 –, kirchliche 134 –, lutherische 276, 304, 381 –, pietistische 308, 323, 337 –, puritanische 319 –, reformierte 290, 310 R auch: Bernhardinismus; Genießen, „frommes“; Stiftungen, „fromme“; Stimmungsfrömmigkeit Frömmigkeitsrekord (der Engländer) 140 „Früchte“ 381 – des Geistes 274 – des Glaubens R Glaube, Früchte des –, weltliche 281 Frühkapitalismus, Frühkapitalisten 76, 544, 554, 736 – der Neuzeit 598, 654 –, holländischer 545 f.

–, moderner 730, 732 R auch: Heroenzeitalter; Zeiten, frühkapitalistische Frührenaissance 552, 607 Fugger 196, 476, 553, 686 Fuggersches Promemoria 146 Fügung, Fügungen –, göttliche/Gottes 187, 202, 206 f., 384, 390 – in die gegebene Lage 204 –, providentielle/der Vorsehung 303, 322 Fürsorge 336 – Gottes 390, 396 Fürstenhöfe, reformierte/lutherische 306 f. Fußwaschung 354 Gabe Gottes R Gottes Gabe Garantien 441 –, kirchliche 440 –, objektive 720 –, persönliche ethische 720 Gattung der Menschen R Menschengattungen Gattungsbegriffe 9, 20, 141, 142 Geba(h)ren, Geba(h)rung 268, 404, 615, 361 –, bürgerliche 581 –, kapitalistisches 362 –, ökonomische 586 –, wirtschaftliches 482 R auch: Geschäfts-; Kreditgebaren Gebet 205, 379, 397, 679 R auch: „Vaterunser“-Gebet Gebiet, Gebiete –, calvinistische/des Calvinismus 551, 556, 718 – des Luthertums 320 –, deutsches 126 –, ethisches 206 –, intolerantes 590 –, katholische 738 –, konfessionell gemischte 47, 723 –, naturalwirtschaftliche 722 –, niederrheinische 476, 483

Sachregister –, ökonomisch entwickeltste 126 –, politisches 609, 662 –, religiöses 268, 453, 557, 632, 676 –, westfälische 723 R auch: Bauern-; Industrie-; Kolonial-; Rekrutierungs-; Verbreitungsgebiet Gebildete 246, 251, 429, 431, 462 Gebot, Gebote – Gottes 185, 260, 267, 269, 373, 375, 379 f., 397, 540, 555, 568 – der Kirche R Kirche, Gebote der – der Nächstenliebe 202, 658 –, zweites 394 R auch: Arbeitsgebot; Dekalog; Sittlichkeits-; Schweigsamkeitsgebot Gebotserfüllung 396 Gefühl, Gefühle 303, 341, 344, 407, 475 f. – der Vereinsamung 259 – erbsündiger Unwürdigkeit 278, 526 –, lutherisches (bußfertiger Reue) 297, 526 –, natürliches 298 – Steigerung des 316 –, trügerische 279 R auch: Berufspflicht-; Erlösungs-; Gnaden-; Gottes-; Pflicht-; Sünden-; Vollkommenheits-; Wurmgefühl Gefühlsaffektion 61, 336 Gefühls-„Askese“ 583 Gefühlscharakter – der Religiosität 335 f. – des Pietismus 373 Gefühlschristentum (des Pietismus) 344 Gefühlserregung 335, 344 Gefühlsleben 305 f. gefühlsmäßig, Gefühlsmäßiges, Gefühlsmäßigkeit 264, 266, 292, 316 f., 321, 329, 331, 336, 338–340, 342–344, 395 R auch: Bekehrung; Frömmigkeit; Glaubensreligiosität, gefühlsmäßige Gefühlsmoment 315, 329 Gefühlspietismus 337 Gefühlsreligiosität 300

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Gefühlszustände (Übertragung von) 475, 488 Gegenreformation, Gegenreformationszeit 505, 566, 691 Gegenwartsgenuß 336 Gehalt (eines Angestellten) 612 f. Gehäuse 423 –, faktisch unabänderliches 151 –, stahlhartes 237, 422 Geheimnisse –, dunkle 258 – Gottes 210, 272 Gehorsam 282, 537, 714 – asketische Deutung des 353 – gegen die Obrigkeit 182, 208, 526, 568 – gegen(über) Gott 204, 267, 321, 380 R auch: Obödienz Gehorsamsgelübde 353 Geist 142, 244, 393, 405, 580, 667–669, 692 f., 727 –, altprotestantischer 139 –, alttestamentlicher 713 –, alttestamentlich-jüdischer 281 –, asketischer/der Askese 242, 402, 414, 422, 609, 703 –, calvinische/Calvins 522, 567, 659 –, calvinistische/des Calvinismus 157, 308, 522, 526, 545 f., 554, 558, 569, 660 – „der Arbeit“ 139 – der (christlichen/protestantischen) Askese 70, 221, 420, 422, 470, 590, 652 – der „Berufsarbeit“ 165 – der (Bibel-)Übersetzer 55, 181, 471 – der christlichen Sittlichkeit 537, 658 – der modernen kapitalistischen Wirtschaft 669 – der Toleranz/Intoleranz 585, 684–686 – „der Zeit“ 367 – des Berufsmenschentums 731 – Franklins 470, 474 –, göttlicher/Gottes/heiliger 209 f., 253, 274, 350, 353 f., 357 f., 472, 540, 563 R auch: ludibria spiritus sancti; motion of the spirit

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Sachregister

–, holländischer 592 –, kapitalistischer/des Kapitalismus 26, 37, 46, 49 f., 52 f., 78 f., 97, 43, 76, 105, 140–142, 146 f., 152 f., 155, 164 f., 168 f., 171, 175, 196, 213, 215, 221, 361, 364, 407, 411, 420, 470–477, 478 f., 482, 487, 495, 503, 507–509, 522–526, 530–538, 543–553, 555 f., 558, 562, 580, 582, 585, 587, 589, 591, 598, 602 f., 605, 610, 613 f., 616–618, 625–628, 630, 637, 639 f., 643–647, 649–662, 668 f., 684–686, 690–692, 696 f., 699–701, 704, 706–710, 722 f., 736 f. –  „Abart“ des 654, 708 f. –  als Anpassungsprodukt 171 –,  antiker 687 – Begriff/Definition 39, 147 613, 615, 533, 535, 637, 653, 615, 656, 709 – Entstehung/Herkunft des 37, 97, 473, 516, 522, 532, 544, 562, 627, 687 – Entwicklung des 176, 168, 213, 220, 490, 494, 537, 555, 589, 630, 638, 654, 656, 696 –  Genesis des 736 – Erklärung (psychologische/ religionsgeschichtliche) 38 f., 73, 474 –,  moderner 550, 555, 614, 626, 639, 658 f., 696 –  Sondertypus des 654 –, lateinischer 353 – Luthers/des Luthertums 571, 582 – methodischer Lebensführung 485, 494-496, 508 –, neuer 54, 168, 525, 730 – nüchterner Lebensmethodik 488 –, präkapitalistischer 153 –, puritanischer 415 – qualitative Prägung/quantitative Expansion des 215, 523, 652, 660 –, rationaler 569, 702 –, rationalistischer 738 – stolzer Diesseitigkeit 265

–, traditionalistischer/des Traditionalismus 52 f., 165, 524 – und Form/Wirtschaftsform/Wirtschaftssystem 46, 164, 465, 610, 613, 615–617, 669, 715 R auch: Erklärungen; Fachmenschen „ohne Geist“; „Geschäftsgeist“; Handwerksgeist; „die Ketzerei befördert den Handelsgeist“; Imperialismus, Geist des; „Kirchengeist“; Protestantismus, Geist des; „Sektengeist“; Sparsamkeit, „Geist“ der; Volksgeist, germanischer; sowie die Einträge zu: Kulturgüter; Leistung; Triebkräfte „Geist aus dem Grabe“ 682 Geistesaristokratie 377 geistlich R Amt; Beruf; Gericht; Menschen; „Ruf“; Zensur, geistliche Geistliche, Geistlichkeit 196, 366, 370, 498, 529, 536, 570 –, deutsche 374 –, lutherische 162, 307 R auch: Pfarrer; Prediger Geistzeugnis, Unmittelbarkeit des 340 Geiz 6, 407, 535, 580 R auch: Philosophie des Geizes Gelassenheit, christliche 323 Gelegenheitsarbeiter 612 Geld 143–146, 149, 157, 164, 168, 171 f., 385, 389, 473–475, 552, 579, 536, 607, 662, 692, 720 – als Mittel zur Glückseligkeit 475, 510 – hohe Schätzung des 488, 510 – Streben nach 603, 701 – Übermacht des 414 R auch: Gewissensgelder; „aus Menschen macht man Geld“; Unproduktivität des Geldes; „Zeit ist Geld“ Gelderwerb/Erwerb von Geld 149 f., 416, 474, 487 f., 509, 523, 531, 548, 607 – als Beruf 420, 525, 532 – als Mittel zum Zweck 534

Sachregister – als Selbstzweck 149, 172, 474, 487, 509, 523, 525, 532, 534, 567 Geldgeber, Florentiner 604 Geldgewinn 607 Geldgier 153, 535 Geldleihen R Pumpsystem Geldleute, große 592, 645, 653 Geldmangel 174 Geldmarkt 53, 174 Geldsummen/Summen an Geld 143–145, 173 R auch: Pauschsummen Geldverdienen 37 f., 552, 606 – Beruf des 171 Geldvergeuden 730 Geldvorräte 54, 525 –, kapitalistisch verwertbare 168 Geldwirtschaft 475, 526, 551, 751 Geldzustrom 693 Gelegenheitsarbeit, Gelegenheitsarbeiter 382, 612 Gelegenheitsprofit 736 Gemeinde, Gemeinden 329, 374, 419, 438, 443, 449, 453, 539, 567, 718 f., 748 f. – Christi 328 – Leitung der 458 –, niederländische reformierte 349 – Organisation der (im Calvinismus) 570 –, „reine“ 357 –, religiöse 441 – Umfangsbeschränkung der 446 R auch: Ältester; Attest (einer Gemeinde) Gemeindebildung 323, 567, 570 Gemeindeleben 695 Gemeindemitglieder, Gemeindemitgliedschaft 274, 446, 563, 717 Gemeindeverfassung (Calvins, calvinistische) 567–569 Gemeinschaft, Gemeinschaften 86, 266, 274, 298, 315, 348, 448 f., 455, 527, 544, 563, 566, 572, 749, 758 –, asketische 689, 723

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–, calvinistische 364 – der bewährten Mitglieder 450 – der persönlich Gläubigen 349, 472 –, familienartige 763 –, halbkommunistische 360 –, methodistische 364 – mit Gott 274, 279, 315, 336, 344 –, pietistische 364 –, protestantische 682 –, radikal pietistische 448 –, religiöse 69, 85, 312, 346, 349, 442, 445, 457, 688, 693, 722, 761 –, sektenartig konstituierte 445, 450 –, soziale 80, 192, 423, 580, 639, 762 –, täuferische R Täufergemeinschaften – und Gesellschaft 455, 758 –, universellste 441 R auch: Abendmahls-; Kirchen-; Religionsgemeinschaft Gemeinschaftsbildung – sektenmäßige Form/Sektenform der 452, 749 –, voluntaristische 364 R auch: Vergemeinschaftung Gemeinschaftsleben –, kirchliches 435 –, religiöses 268, 448, 458 Gemeinschaftsorganisationen 268 –, klösterliche 317 Gemeinschaftswesen, religiöses 460 Gemeinsinn 45 Gemütlichkeit 307, 455 Gemütsbedürfnisse, Gemütsstimmungen, Gemütswerte 455, 495 f. General Baptists, Generalbaptismus 346, 354, 705 Geneva Bible (1557/1560) 118 f., 189 Genf, Genfer 33, 127, 131, 319, 501, 522, 537 f., 543–545, 558, 659, 565 f., 569–571, 638, 649, 659, 692 Genießen 476, 697 –, frommes 344 –, unbefangenes 149, 398, 523 Genossen 456 R auch: Abendmahls-; Glaubens-; Unglaubensgenossen

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Sachregister

Gentleman, Gentlemen 439, 721 –, englischer und angloamerikanischer 291 – Legitimation als 442 –, vornehme 165, 524 Genua, Genueser 198, 473, 476, 685 Genügsamkeit –, erastianische 461 –, ethische/moralische 294, 452 „genus proximum, differentia specifica“ 141 Genuß, Genüsse 407, 525, 529 f., 532–534, 538, 541, 547, 552, 555, 580, 604, 616, 639 f., 660, 703, 705, 759 – asketisches Bedenken gegen den 580, 640 –, ästhetischer oder sportlicher 406 – der Macht 170, 525, 535 – des Alltagslebens 405 – des Besitzes/Reichtums 370, 407 f., 476, 530, 693 –, diesseitiger der Seligkeit 61, 316 –, sündhafter 693 – Verzicht auf 726 R auch: Austern-; Gegenwartsgenuß; Genießen; Lebens-; Rentengenuß; Verbrauch, genußfroher Genußfreude 730 Genußgier 597 „Genußmenschen ohne Herz“ 423 Genußmittel 399 Genußzweck 553 f., 703 Gerechtigkeit 144, 148, 263 – Gottes 204, 253 – Maßstäbe irdischer 257, 471 – vor Gott 202 R auch: Prädestination, ungerechte; Preis, gerechter; Werkgerechtigkeit Gericht 716 –, geistliches 174, 829 –, letztes 301 R auch: „ißt und trinkt ihm selber zum Gericht“ Gerichtsverfahren (in den USA) 439 Gesamthabitus (des Puritaners) 395 Gesamtkultur 699

Gesamtleben – asketische Rationalisierung des 305 –, ethisches 304 Gesamtlebensführung 208 Gesamtprofit 612 Geschäft, Geschäfte 144, 148, 150, 165 f., 168, 170, 187, 382, 407 f., 525, 553, 586, 588, 592, 611, 613, 659, 687, 692 f., 707, 720, 736 – antike Formen kapitalistischer 508 – der Quäker R Quäker, Geschäfte der – Geldverdienen als 37 –, rational kalkuliertes 736 R auch: Berufs-; Detail; Kolonial-; Zinsgeschäfte; sowie die Einträge zu: Aktivität; Bewährung; Erfolg; Lebensführung; Qualifikation; Rechtlichkeit; Sinn; Tugend; Unzuverlässigkeit, geschäftliche Geschäftsbetrieb 167, 301, 472, 524 – Formen des kapitalistischen 215, 479, 523 Geschäftsethik 695 Geschäftsführung 473, 553 – traditionelle Art der 167, 524 Geschäftsgebaren, Geschäftsgebarung 50 f., 221 Geschäftsgeist 544, 548 –, bürgerlicher 691 Geschäftsleben 405, 407, 455, 586, 643 f., 704 Geschäftsmann, Geschäftsmensch, Geschäftsleute 389, 442, 445, 607, 721 f. –, moderne 162, 487 –, reicher 534, 580, 640 –, skrupelloser 154 Geschäftsverkehr 411 Geschäftsvermögen 407 Geschäftszwecke 152 Geschichte 154, 214, 286, 367, 422, 444, 470, 496, 502, 512 f., 539, 535, 564, 578, 598, 634 f., 654, 610, 668, 676, 686, 700 f., 709, 736 –, englische/Englands 548, 646, 672

Sachregister –, holländische/niederländische 546, 648, 688 – Kontingentes in der 7, 380 –, ökonomische 163 –, politische 593, 663 R auch: Historiker; „historisches Individuum“; Lamprecht-Streit; welthistorisch; sowie die Einträge zu: Begriffsbildung; Berufsidee; Betrachtung; Empirie; Entwicklung; Epochen; Erbschaft; Erscheinungen; Fachleute; Forschung; Kapitalismus; Kausalbetrachtung; Konfession; Konstellation; Leben; Mächte; Massenerscheinungen; Materialismus; Nationalökonomie; Ordnungen; Persönlichkeit; Rationalismus; System; Typen; Ursache; Verhältnisse; Wahrheit; Werden; Wirklichkeit; Wirkungen; Zufälligkeiten; Zurechnungsurteile Geschichtsauffassung –, idealistische 72 –, materialistische 45, 84, 672, 747 R auch: Geschichtsmaterialismus Geschichtsdeutung, Geschichtsbetrachtung, Geschichtsinterpretation –, idealistische 72, 470 f., 473, 477, 479 f., 495 –, materialistische 473, 477, 424, 470, 595 –, ökonomische 45, 84, 747 –, spiritualistische kausale 424, 480, 495 Geschichtsforschung 20, 548 Geschichtskonstruktion, Geschichtskonstrukteure 212, 548, 578, 583, 687 –, idealistische 502, 506 Geschichtsmaterialismus 152, 608, 646, 657 Geschichtsmethodik 727 Geschick 259 Geschlechtsverkehr 375–377, 725 –, außerehelicher 377 Geselligkeit 371, 472, 529 f. Gesellschaft, Gesellschaften 86, 380, 758, 762

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–, amerikanische 453 –, englische der Restauration 405 –, kapitalistische 398 –, mittelalterliche 737 –, moderne bürgerliche 175 –, monarchisch-feudale 398 – objektiver Kosmos der 190 – soziale Verbände als 455 –, unbürgerliche 590 R auch: Deutsche Gesellschaft für Soziologie; Religionsgesellschaft; Vergesellschaftung; sowie die Einträge zu: Existenzen; Gemeinschaft; Gruppenbildungen; Interessen; Kosmos; Leben; Nutzen Gesellschaften für ethische Kultur 213, 829 Gesellschaftsbildung 762 Gesellschaftsvermögen 407 Gesetz, Gesetze 258, 512 –, ökonomische 214 –, soziologische 20 R auch: Grenznutz-; Ideal-; Mai-; Moral-; Natur-; Sitten-; Sozialgesetz; sowie die Einträge zu: Abhängigkeiten; Sittlichkeit Gesetz, göttliches/Gottes 285, 288, 298, 304–306, 314, 322, 327, 333, 341, 343, 363, 395 – als ideale Forderung/Norm 299, 306 –, mosaisches 393 R auch: lex divina Gesetzgebung, sozialpolitische 555 Gesetzesknechtschaft 299 Gesetzeswissenschaft 18 Gesetzlichkeit 544 –, alttestamentliche 396 – der „Sports“ 398 –, puritanische 396 Gesinnung 53, 59, 153, 155, 159, 164, 196, 421, 533, 544, 565 – Franklins 153, 190, 478 –, traditionalistische 197 R auch: Wirtschaftsgesinnung Gesinnungsrevolution R Revolution der Gesinnung

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Sachregister

Gestaltung, rationale (des ganzen Daseins) 269, 365, 529, 540, 637, 639 Getriebe –, kapitalistisches/des Kapitalismus 420, 715, 731, 733 R auch: Parteigetriebe Gewalt –, hierarchische 312 –, infallible 755 R auch: Feudal-; Staatsgewalt Gewalthaber, irdische 450 Gewerbe 145, 153, 377, 536 f., 585, 738 – Existenzbedingungen des (in Neuengland) 591, 647 –, kapitalistische 160 R auch: Kleingewerbe; Manufaktur Gewerbefreiheit 31 Gewerkschaften 721 Gewerkverein 668 –, autoritätsfeindlicher 398 Gewinn, Gewinner 54, 164, 175, 154, 200, 384 f., 522, 525, 533, 536, 544, 596, 598, 604, 612 f., 659, 730, 733 –, materieller 202 – um des Gewinnes willen/des Gewinnes halber 164, 552, 554, 582, 657 R auch: „er wollte gewinnen .  .  .“; Geldgewinn; Handel, gewinnbringender; Kapital-; Reichtumsgewinn Gewinnchancen 156, 385, 472, 530 „Gewinnes halber durch die Hölle fahren .  .  .“ 154, 598 Gewinnstreben/Streben nach Gewinn 163, 385, 392, 534, 604, 608, 661, 659, 702 Gewissen 354, 356 f., 361, 363, 399, 402, 420, 451, 552, 606, 608, 739 –, gutes 399, 416, 531, 548, 555, 646, 730 –, „kausales“ 411 R auch: „conscience to their duty“; „Der Handelnde ist immer gewissenlos .  .  .“; „terrores conscientiae“ Gewissensbedenken 135 Gewissensbindungen, ethische und kirchliche 700

Gewissenserforschung, individuelle 358 Gewissensfreiheit 34, 70, 312, 314, 412, 549, 564 f., 569, 637 – der Frau 378 – Forderung der 451 R auch: liberty of Conscience Gewissenhaftigkeit 154, 383, 537, 558, 563, 730 R auch: Arbeiter, gewissenhafte; Besitz, ungewissenhafte Verwendung des Gewissensgelder 173 Gewißheit, gewiß werden/sein wollen 272, 276, 365, 529, 764 – der Seligkeit 284, 528 – des Verderbens 393 –, subjektive 275 – um den Segen Gottes 392 R auch: Gnaden-; Heils-; Selbstgewißheit Gier, triebmäßige 607, 662 R auch: Erwerbs-; Geld-; Genuß-; Habgier; Händler, erwerbsgieriger; Machtgier Glaube, Gläubige 187, 193, 247, 255, 260, 272, 274, 279–282, 296, 299 f. 303–306, 320 f., 332, 340 f., 347, 349–351, 353, 360, 367, 386, 396, 460, 471 f., 526 f., 540, 568, 571, 609, 662, 756 –, calvinistischer 298 – Früchte des 274, 304, 311, 321, 333, 343 –, methodistischer 341 –, mystischer 756 – psychologischer Charakter des 305 –, protestantischer 600 –, puritanischer 265 –, rechtfertigender 276, 304 –, religiöser 215 –, reuiger 275 – und Beruf 207 – und (gute) Werke 252, 274, 304 – und Liebe 192, 204 – und Sittlichkeit 304 –, unzulänglicher 275, 527

Sachregister R auch: Aber-; Autoritätsglaube; fides efficax; fides implicita; Laien-; Prädestinationsglaube; sola fide; „temporary believers“; unfaithful; Versöhnungs-; Vorsehungsglaube; sowie die Einträge zu: Christ; Kirchen; Seelen Glaubensechtheit 411, 531, 543 Glaubensgenossen 564, 559, 720, 758 R auch: Unglaubensgenossen Glaubensinhalte, religiöse 422 Glaubenskampf, Glaubenskämpfe 133, 402, 415 Glaubenspredigt, lutherische 307 Glaubenspsychologie, pietistische/ quäkerische 209 Glaubensreligiosität, gefühlsmäßige 271 Glaubensurteile 249, 423 Glaubensvorstellungen, religiöse 59, 66, 245 Gläubige R Glauben, Gläubige Gläubiger (Kreditwesen) 144, 536, 720 Gläubigkeit 208, 336, 738 Gleichberechtigung, staatliche und soziale 585 Glieder R Mitglieder Gliederung –, ständische (und berufliche) 190, 196, 204 R auch: Berufsgliederung Glück 149, 532–534, 604, 607, 616, 650, 659, 662 R auch: Lebensglück Glückseligkeit 331, 334, 341, 475, 510 Gnade (Gottes)/Gottes Gnade 63, 182, 252 f., 259 f., 274 f., 279, 289, 324 f., 340, 351, 375, 396 f., 405 f., 417, 459, 527 f., 531, 542, 563, 829 – durch Buße erlangte 326 – in der gemachte Fortschritte 300, 472 –, partikuläre 418 – Spendung der (im Sakrament) 748 – übernatürliche Einwirkungen der 288

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–, unverdiente 340 –, unverlierbare 259 –, verlierbare/Verlierbarkeit der 256, 343 – Versicherung der 308 – Werke als „Bedingung“ der 341 – Wiedererlangbarkeit der 324 – Zeichen der 335 R auch: Gnadenuniversalismus; gratia amissibilis Gnadenaristokratismus 326 Gnadenethik 41 f. Gnadengaben 449 Gnadengefühl, unmittelbares 342 Gnadengeschenk 255, 357 Gnadengewißheit 283, 527 Gnadenlehre 307 Gnadenmittel 343, 471 –, kirchliche 716 Gnadenpartikularismus 65, 68, 303, 829 Gnadenstand 289, 717, 305, 343, 638, 829 – Bewährung des 220, 266, 335, 383 – des (Predigtamts-)Kandidaten 315 – Erkennbarkeit/Erkennungsgrund des 273, 341 –, fehlender 275, 378, 530 – Gefühl des 341 – Kontrolle des 281, 300, 365, 390, 529 –, religiöser 255, 364, 730 – Sicherheit des 276, 527 – Sichersein/-werden des 272, 370, 419, 527, 532, 557 – Verlust des 357 – Zeichen des 322 – Zerstörer des 379 R auch: status gratiae Gnadenuniversalismus/Universalität der Gnade 303, 305, 324, 829 R auch: universal redemption Gnadenwahl Gottes R Gottes Gnadenwahl Gnadenwahldekret 282 Gnadenwahllehre/Lehre von der Gnadenwahl 62–66, 248, 262, 298, 304 f., 471

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Sachregister

Gnesioluthertum 581 f., 829 f. „God blesseth his trade“ 389 Godeffroy (Hamburger Familie) 588 Gold, Goldfelder 604 Gott, Göttliches 278 f., 333, 526 f., 572, 757 –, alttestamentlicher/des Alten Testaments 63, 390 – des Neuen Testaments 63 – Eingehen des in die gläubige Seele 278 f. – und Kreatürliches 356 R auch: „Deo placere .  .  .“; Deus absconditus; „duty towards God“; „God blesseth .  .  .“; Gottheit; Jehova; „(in/ad) majorem Dei gloriam“; „Vater im Himmel“; sowie die Einträge zu: Buchführung; „Call“; Dekret; Erwählungsentschluß; Feind; Fügung; Fürsorge; Gebote; Geheimnisse; Geist; Gemeinschaft; Gerechtigkeit; Gesetz; Güter; Herrschaft; Liebe; Macht; Offenbarung; Ordnungen; Recht; Rüstzeug; Segen; Selbstverherrlichung; Souveränität; Stiftung; Unehre; Unsichtbarkeit; Verherrlichung; Vorsehung; Wahrheit; Weltplan; Werke; Winke; Wirkungen „für Gott dürft Ihr arbeiten, um reich zu sein“ 386 Gottes Befehl (des Berufs/der Arbeit) 202, 297, 380 Gottesbegriff, calvinistischer 267 Gottesdienst 221 – der Quäker R Quäker, Gottesdienst der – im Beruf 332, 374 – vor der Reichstagseröffnung 679 Gottes Ehre 263, 312, 320, 380, 383, 555, 594 R auch: Gottes Ruhm; Unehre Gottes Gottes Finger (in Einzelfügungen des Lebens) 301 Gottes Gaben 331, 386 Gottesgefühl, substantielles 278

Gottes Gnade R Gnade Gottes Gottesgnadentum – der Erwählten/Heiligen 297 – irdischer Instanzen 450 Gottes Gnadenwahl 274, 288, 308, 397 – der „Jünger“ 334 Gottes Kinder 328, 762 Gottes Majestät 257 f., 392, 451 Gottes Providenz 390 R auch: providentia divina/Dei; Providentielles Gottes Ratschlüsse 63, 252, 255, 258 f., 571 Gottes Reich, Gottesreich/Reich Gottes 290 f., 361, 370, 379, 387, 416, 420 Gottes Ruhm 260, 264, 268 f., 297 f., 312, 341, 372, 381 f., 388, 402, 404–408, 527, 570–572, 717, 730, 749, 762 – Mehrung des 260, 267 f., 281 f., 289, 349, 371, 375 Gottes Verwalter 386, 406 f., 449, 530 Gottes Wille 85, 194, 203, 252–254, 281, 315, 329, 356, 370, 373, 380 f., 403, 417, 526, 528, 540–542, 641 – aktives Tun des 373, 530 –, geoffenbarter 329, 371 – rationale Orientierung des Lebens an 254, 365, 540, 637 Gottes Wort 256, 285, 328, 355 Gottferne 261, 316, 356 Gottheit 276 –, transzendente 257 „Göttliche Komödie des Puritanismus“ 210 Göttliches R Gott Gottvermenschlichung 395 Gottvertrauen 185, 262 Gottwohlgefälligkeit 384, 393 R auch: Wandel, gottwohlgefälliger Grabschriften, heidnisch-hellenistische 713 graduates 152, 400 gratia amissibilis (lutherische) 256, 304 Grenznutzgesetz 410 Großbritannien 558, 561

Sachregister R auch: England; Schottland Großbürgertum, holländisches 598, 648 Großfinanziers 604 Großhandel, Großhändler 483, 536, 611 Großindustrie, moderne 129 Großkapitalismus, Großkapitalist, Großkapitalisten 547, 554, 605, 647, 649, 692, 698 – à la Fugger 591 –, englische 687 – Florentiner 692 –, holländische 687 – in Sevilla 687 R auch: Entwicklung; Wirtschaft, großkapitalistische Großunternehmer, Großunternehmung 546, 550, 556, 607 Grundirrtümer, methodische 465, 489 Grundrecht (der Christen) 318 f. Grundrente, Grundrentenhypothese 37, 39, 168 Gruppe, Gruppen 130, 135, 454–456, 644, 653, 720 –, asketische 581 –, exklusive 455 –, prädestinatianische 342 –, religiöse 483 –, soziale 153, 446, 455, 457 R auch: Bevölkerungs-; Kapitalistengruppe; Zwecktätigkeit (einer Gruppe) Gruppenbildungen, gesellschaftliche 618 Gut, Güter 164, 185, 196, 282, 384, 406, 522, 530, 533, 538, 547, 555, 559, 603, 695, 697, 726 –, äußere (Sorge um) 171, 207, 409, 422 – (begierdeloser) Gebrauch der 404, 726 – Restitution von wucherisch erworbenem 607 – ungleiche Verteilung der 417 –, weltliche/dieser Welt 131, 213, 417, 541, 597 –, zeitliche 370

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R auch: Heils-; Kommandit-; Kultur-; Land-; Ritter-; Sachgüter Gut, höchstes 282 f., 527, 571 R auch: summum bonum Gütererwerb/Erwerb von Gütern 370, 408, 532 Güterversorgung, materielle 175 Güterverteilung 418 Gutes, das Gute 356, 362, 395, 530, 540, 410, 530, 597, 700 – etwas positiv sittlich 387 R auch: Gewissen; „eine Kraft, die stets das Gute will .  .  .“; Seelen; Tat; Werke; Wille, guter Gymnasien 128 f. Habeas-Corpus-Akte (1679) 34 Habgier 153 –, triebhafte 410, 530 R auch: avaritia Habitus 53, 585, 597, 614, 639, 643, 646 f., 649, 651, 661 f., 675, 730 –, allgemein moralischer 559 R auch: Gesamthabitus Hallesche Anstalten 238, 338 Hamburg 165, 555 f., 587 f., 628, 644 f., 674, 692 „von der Hand in den Mund“/„from hand to mouth“ 287, 385 Handel, Händler 6, 32 f., 42, 140, 203, 385, 414, 536 f., 545, 547, 550, 559, 598, 730 –, erwerbsgieriger 598 –, gewinnbringender 301 –, indischer 730 –, überseeischer 165 R auch: Detail-; Groß-; „seliger Handel“; Terminhandel Handeln, Handelnde 220, 284, 293, 358, 370, 460, 489, 541, 605, 608, 617 – Analyse des 611 –, eigenmächtiges 323 –, innerweltliches 336 –, irdisches 210 –, positives 396 – Qualität des 279

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– rationale Beziehung alles 293 – religiöse Schätzung des sittlichen 287 –, sittliches 281, 540 –, triebmäßiges 305 – Verurteilung des durch die Kirchenväter 32 –, wertvolles 421 –, wirtschaftliches 49 f., 52, 151, 533 –, zweckbewußtes 611 R auch: Handlung; Personen, handelnde „Der Handelnde ist immer gewissenlos .  .  .“ 363 Handelsgeist R „die Ketzerei befördere den Handelsgeist“ Handelskompagnien 197, 537 Handelspatriziat 164 Handelsunternehmungen 125 f. Handlung, Handlungen 144, 289 f., 528, 534, 537 f., 540, 657 – planlose Reihe einzelner 287 –, schädliche/wohltätige 148 Handlungskultur, aktive 58 Handlungs- und Strukturtheorie 87 Handwerk, Handwerker 129, 135, 152, 179, 418, 508, 647, 706 – Fertigkeiten des 160 –, hausindustrieller 730 – in Neuengland 412, 549, 706 –, mittelalterlicher 420 –, südeuropäischer oder asiatischer Länder 153 – Verbleiben im 130, 470 R auch: ars; Betriebe, handwerksmäßige; Gewerbe; „des Heilands Handwerkstreue“ Handwerkerbetrieb 164 Handwerksgeist 202 Handwerksgesellen –, katholische 129, 470 –, protestantische 129 Handwerksmeister 130, 385, 470 Hansabund 556 Hanseaten 212 Hansestädte 6, 558

Hanserd Knollys Confession (1689) 251, 282, 302, 830 Hantierung, weltliche 200 Häresie, Häretiker 312, 314, 348, 691 –, asketische 691 –, puritanische 291 R auch: Ethik, häretische Harren 322, 482 – auf die Wirkung des Geistes 358 – in hysterischen Zuständen 472 Haß 168, 297, 589 Häßliches (in der Kunst) 401 Häuptling, afrikanischer 603 Hausindustrie, Hausindustrielle 420, 546, 738 –, berufstreue 337 –, lutherisch-kirchliche 208 R auch: Handwerker, hausindustrieller Haverford College (bei Philadelphia) 222, 240, 368 Haverford Friends Meeting 365 Heer – Cromwells (Bürgerheer) 312, 402 –, holländisches (Soldheer) 302 R auch: Ironsides (Cromwells) Heeresinstitutionen 292 Heeresverfassung, unsittliche englische 403 Heerführer, hugenottische 676 Heidelberg 720 R auch: Allemannia; Universität Heidelberg Heidelberger Inkunabeln R Universitätsbibliothek Heidelberg, Inkunabeln der Heidelberger Katechismus (1563) 270, 688 Heil 261, 264 f., 306, 336, 541, 749 –, ewiges 180, 183 – Wege des 453 R auch: Gnade .  .  .; possessio salutis; Seelenheil „den Heiland durch die Gosse ziehen“ 723 „des Heilands Handwerkstreue“ 332

Sachregister Heilige, Heiliges, heilig 205, 289, 297, 317, 328, 342, 363, 370, 389 f., 398, 422, 528, 564, 572 –, bewährte 312 – Cromwells 270, 458, 557, 830 – Existenz als 712 – fanatischer Eifer der 367 –, prädestinierte 296 –, puritanische 337 –, reformierte 336 –, selbstgewisse/Selbstgewißheit des 64, 276, 342 – und Unheilige 285 R auch: „ewige Ruhe der Heiligen“; holy persons; „Parlament der Heiligen“; „saints“; Werkheilige; sowie die Einträge zu: Geist; Gottesgnadentum; Kirche; Leben; Schrift; Wandel Heiligenaristokratie/Aristokratie der Heiligen 296, 306, 312, 318, 327 „heilige Prostitution der Seele“ (Baudelaire) 757 heiliges Offizium 714 Heiligkeit 285, 288, 322, 538 – der Ordnung 187 – Merkmal der 418 R auch: Werkheiligkeit Heiligung (sanctificatio) 281, 321 f., 327, 330–332, 336, 340, 343, 830 – als Geschäftsbetrieb 301 –, asketische 329 – des Lebens 301, 472 –, unvollständige 297, 527 Heiligungsdoktrin 340 Heiligungsmethode (Zinzendorfs) 329 Heiligwerden 299 Heilsaneignung, methodische 364 Heilsanstalt, Heilsanstaltscharakter 72, 305, 313, 330, 830 R auch: Kirche als Anstalt/Heilsanstalt Heilsgewißheit 64, 306 –, individuelle 277 R auch: certitudo salutis Heilsgüter 65, 349 Heilslehre 329

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–, lutherische 331 – magische Reste der kirchlichen 354 –, täuferische 361 Heilsnotwendigkeit – der Aufnahme in eine Gemeinschaft 266 – der Zugehörigkeit zur wahren Kirche 264 Heilsvermittlung, sakramentale 329 Heroenzeitalter, frühkapitalistisches 668 Heroismus 539, 568 571, 634 R auch: „the last of our heroisms“ Herrenrecht 763 Herrnhuter (Brüdergemeine), Herrnhutertum, herrnhuterisch 232, 243, 263, 327 f., 329 f., 339, 345, 376, 726, 830 f. – Lehren der 343 – Synode (1764) 330 R auch: Brüdergemeinde, mährische; Frömmigkeit, Herrnhuterische; Heiligungsmethode (Zinzendorfs); Los; Methodismus und Herrnhuter; Pietismus, Zinzendorfsche Spielart; Religiosität, herrnhuterische; Tropen Herrschaft – (Beseitigung der) kirchlichen 126 – Gottes 357 – des Menschen über den Leib 193 – des römischen Rechts in Südeuropa 176 – der katholischen Kirche 127 – der reformierten Askese 77, 554 R auch: Calvinismus; Kapitalismus; Puritanismus, Herrschaft des Heterodoxe 586 Heuchelei 149, 459, 597 Hidalgo 389 „high life“, „higher life“ 344, 697 Hineinballotierung, hineinballotiert 443, 455, 721 Hiob 392 Historiker 155, 261 f., 412, 507, 512, 523, 582 f., 591, 593, 609 f., 616, 618, 632,

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636, 645–648, 662 f., 672, 676, 678, 689, 692, 694 f., 709, 722 R auch: Geschichte; Kirchen-; Kunst-; Nicht-; Wirtschaftshistoriker Historikertag (1906) 42, 71, 234, 516, 522, 626 „historisches Individuum“ 9, 49, 74, 82, 141 „hoc est corpus meum“ 723 Hochcalvinismus 367 Hochkirchler, hochkirchlich 243, 250, 343, 548, 550, 753, 831 Hochmut 299 Hofbeamte 698 Hof-Günstlinge 591 Hohes Lied/„Hohe-Lied-Stimmung“ 277, 300, 310 R auch: Bernhardinismus Holland, Holländer 131, 242, 244, 289, 318, 403, 476, 483 f., 503, 544–547, 551, 558–561, 564–566, 572, 588, 591, 594 f., 598, 633, 635, 647–650, 655, 688 f., 694 f., 732 f. – (abgeschwächter) asketischer Geist in 402 – als Hauptträger des Kapitalismus 77 – als Vorbild der Erziehung zur Industrie 31 – Calvinismus in 243, 250, 412, 476, 545 – halbgebrochener Puritanismus in 593 – independentische Sekten in 243 – internationale ökonomische Machtstellung 693 – Kapitalismus in R Kapitalismus, holländischer – Konkurrenzkämpfe von Kapitalistencliquen in 547 – Kunst in 401, 593 – Neo-Calvinismus in 543 – Pietismus in 243 – politische Konstellation/Verfassung 402, 593 – Reichtum der 370, 386, 415, 418, 530, 597

– religiöse Eigenart der 688 R auch: Adels- und Titelsucht; Arminianismus; Deftigkeit; Friesland; Kuypersches Schisma; Nadere reformatie; Orthodoxie, Sieg der; schutterijen; sowie die Einträge zu: Bibelübersetzung; Bibliotheken; Bürgertum; Entwicklung; Freiheitskämpfer; Frühkapitalismus; Geist; Geschichte; Großbürgertum; Großkapitalismus; Heer; Kapitalmacht; Kapitalverwertung; Ketzerei; Kirche; Kirchengeschichte; Kirchentum; Kirchenzuchtgeschichte; Konventikel; Kultur; Kultureinflüsse; Kultur- und Sittengeschichte; Kunstmarkt; Luthertum; Pietismus; Puritanismus; Stand der holländischen Regenten; Verhältnisse; Volk; Wirtschaftsgeschichte holy persons 298 home (bürgerliches) 409, 548 Homestead-Privilegien 439, 440 homo oeconomicus 65, 731 „honesty is the best policy“ 51, 362, 421, 700 Hugenotten, Hugenottismus, Hugenottentum 130, 131, 137, 367, 477, 490, 543, 545, 561, 570, 592, 638, 645, 689, 732, 753, 831 R auch: Frankreich; Heerführer; Kaufmann; Revolte, hugenottische Hugenottenkirchen, französische 135 Hugenottensynoden/Nationalsynoden der Hugenotten 135, 676 Humanismus 540 R auch: Aufklärung; Christentum; Indifferenz; Rationalismus; Schichten, humanistische Humiliaten 348, 691, 831 husbandman 411, 414 Hygiene, hygienisch 293, 376. R auch: Sexualhygiene Hysterie, hysterisch 73, 267, 310, 316, 486, 496

Sachregister R auch: Religiosität; Zustände, hysterische Hysterieforschung 510 f. Hysterisierungsvorgänge 485 Ideal, Ideale 20, 139, 291, 349, 407, 409, 423, 526, 537, 541, 571 f., 608 –, asketische 132, 295, 529, 727 – der universalistischen Kirche 459 –, ethische 711 –, eudämonistisches 331 –, freiheitliche 314 –, höchste 131, 294, 522, 559 –, kulturprotestantisches 431 –, religiös-ethische 633, 637 –, täuferische 334 – Verleugnung der alten 415, 531, 548 R auch: Ehelosigkeit (als Ideal); Gesetz als ideale Forderung; Kultur-; Lebensideal; Puritanerin, Ideal der Idealbegriff 535 Idealgesetz, christliches/außerchristliches 84, 743 Idealismus 377 –, radikaler 70 Idealtypus, Idealtypen, idealtypisch 19–21, 57, 62, 66, 166, 247, 534, 550 f., 553 f., 583, 613 – Begriff 20, 170, 613 – des (kapitalistischen) Unternehmers 170, 640 R auch: Begriffe; Begriffsbildung; Begriffssprache, idealtypische Idee, Ideen 16 f., 27, 42, 65 f., 332, 559, 567, 569, 571 f., 632, 661, 663 – des Geschichtsmaterialismus 152 f. – Eigengesetzlichkeit/-logik von 48, 84 – empirische Behandlung von 16 – historische Macht der 16, 48 –, moderne liberale 314 –, religiöse 43, 97, 286, 558, 631, 637 –, universalistische (der Kirche) 760 R auch: Anreize; Berufsidee; Berufspflicht, Idee der; Deutungskampf; Interessen; Leben; Motive; Überbau;

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„wie Ideen in der Geschichte .  .  .“; Zwecke, ideelle Ideenkausalität 66 Ideologie, Vorwurf der 75, 510 R auch: Theorie, ideologische (des Landeskirchentums) Ideologiekritik 27 idle talk 371, 372, 403 idleness 374, 378, 379, 388, 418 idolatry 293 Immigranten – in Frankfurt a. M. 734 –, jüdische 394 Immobilisierung des Besitzes 697 Imperativ, kategorischer R kategorischer Imperativ Imperialismus, Imperialisten 604, 653 – „Geist des“ 668 impiego (italien.) 181 „in einen Beruf berufen“ 207 Independenten, Independententum 29, 244, 312, 694, 831 –, calvinistische 448 R auch: Bekenntnisse; Sekten, independentische Indianer 501 Indifferenz, Indifferentismus, indifferent 79, 131, 169, 191, 200, 202, 264, 311, 338, 404, 426, 444, 451, 460, 539, 644, 655, 733 –, eschatologische 201 – gegenüber dem Dogma 444 –, humanistisch-aufklärerische 311 –, konfessionelle 547 –, paulinische 204, 381 R auch: Neigung, sittlich indifferente; Protestanten, kirchlich/religiös indifferente Individualismus 84, 261 f., 451, 563 f. – der Puritaner 522, 660 –, illusionsloser 261 –, politischer 609 –, radikaler 34, 63 –, reformierter 635 –, religiöser 41, 632

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Individualität, Individualitäten 261 f., 618 R auch: Mittelalter als Zeit „ausgeprägtester Individualität“; Motive; Prinzipien, individualistische Individualrechte 56, 102 Individuelles, Erkenntnis des 18 R auch: Beruf; Gewissensforschung; Offenbarung; Schicksal, individuelles Individuum, Individuen 20, 149, 245, 261 f., 264, 266, 298, 455, 559, 563, 748 – als Rechtssubjekt durch Natur/Staat 34 – Autonomie des 451 – Glück/Nutzen des 523, 532 –, historisches R „historisches Individuum“ – Honorigkeit/Reputierlichkeit des 439, 442 – Irrationalität des religiösen 460 –, isolierte/Isolierung des 152, 457, 721 –, religiöse (qualifizierte) 431, 448, 452 f., 460 – Sandhaufen isolierter 69, 721 – Tatkraft der 457 – Vereinsamung des 63, 235, 259 Industrial Commission 610 Industrie, Industrielle 123, 135, 138, 160, 364, 548, 559, 592, 645, 731 –, englische/in England 415, 547 – in den Neuengland-Kolonien 549 – in Frankreich 545, 592, 650 R auch: Haus-; Groß-; Leinenindustrie; Standorte der Industrie; Textilindustrie; sowie die Einträge zu: Bewegungen; Entwicklung; Vermögen Industrieboden, Industriegebiete, Industrieländer 160, 586 Industriestaat 537, 554 – Deutschland als 25, 35 Industriezeitalter 80 „industry“ 597 – „and frugality“ 110, 143, 145 R auch: „captains of industry“; Labour and Industry

Inferiorität (der deutschen Katholiken) 48, 124, 724 Inhalte, religiöse 459 R auch: Bewußtseins-; Glaubens-; Kultur-; Lebensinhalte Inkarnation Christi 351 Inkunabeln 184, 186 – der Heidelberger Bibliothek R Universität Heidelberg, Inkunabeln der „(omnia) in majorem Dei gloriam“ 85, 207, 266, 268, 382, 289, 527 f., 698, 762 „inneres Licht“ 354 f. Innerlichkeit, Innerkeit 205, 208 –, stimmungsmäßige 278, 526 R auch: Isolierung; Übungen, innerliche; Verinnerlichung Innerweltliches 727 R auch: Askese; Handeln; Leben; Lebensführung; Pflicht; Sittlichkeit; Tätigkeit; Verpflichtung, innerweltliche Inquisition 363 Inspirationslehre 279, 355, 831 Instinkt (der handelnden Personen der Geschichte) 676 f. Institution, Institutionen 247, 635 – der Völker 262 – des Jugendtraining 720 –, freie (der Puritaner) 372 –, freiheitliche politische 140 –, kirchliche 294 –, religiöse 82, 486 –, soziale 363, 668, 715 R auch: Beicht-; Heeresinstitutionen; Konstellationen, institutionelle; Verkehrsinstitutionen Interessen, Interessenssphäre 143, 146, 156, 172, 198, 310, 408, 547, 722 – der Arbeitgeber 418 – der Welt 357 –, diesseitige/des diesseitigen Lebens 177, 272 –, gesellschaftliche 459 –, ideelle 22, 65 –, kapitalistische 198, 404, 729

Sachregister –, kirchliche 453 –, materielle 59, 66 –, materiell-technologische 332 –, ökonomische 452 –, politische 459 –, privatwirtschaftliche 381 –, religiöse 133, 245, 257, 351 f., 420, 526, 729 –, soziale 441, 758 R auch: Berufs-; Erwerbs-; Seligkeitsinteresse „Internationale Wochenschrift“ 75, 77, 516 f., 573 f., 665, 670, 675, 740 International Missionaries’ Alliance 268 Intoleranz 312, 686 f., 690–692 – Calvins 564 – der Aufklärung 636 f. – des Calvinismus 31 f., 687 – oder Toleranz 81, 590, 675 –, religiöse 31 f., 692 R auch: Geist der Intoleranz/Toleranz; Gebiet; Katholizismus; Länder; Mittelalter; Neuengland; Staat; Zeitalter, intolerantes Irland, Iren 198 f., 561, 733 Ironsides (Cromwells) 292 Irrationales, Irrationalität 149, 170, 286, 356, 408, 431, 460, 462, 523, 759 – des religiösen Vorgangs 511 – Überwindung des 358 R auch: Ausgaben; Berufsbegriff, irrationales Element im; Empfinden; Mittelalter; Triebe, irrationale Irrtum, Irrtümer –, dogmatische 311 –, methodologische 491 – (Vorwurf des/der) 574, 629, 639, 662, 665, 667, 676, 680 f., 699, 737 R auch: Grundirrtum Isolierung, Isoliertheit –, innere/(tiefe) innerliche 261, 264, 267 – von der Welt 419

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„ißt und trinkt ihm selber zum Gericht“ 716 Italien, Italiener 33, 154, 177, 477, 503, 551, 668, 677, 701, 752 – Katholiken in 677 – Zünfte in 750 R auch: Arte di Calimala; Bibelübersetzung; Seestädte; Städte; Wanderarbeiter, italienische „Jahrmarkt der Eitelkeit“ 416 Jakob (bibl. Gestalt) 390 f. Jansenismus, Jansenisten, Jansenistenstreit 309, 387, 398, 832 Jehova 257 Jenseits 27, 63, 208, 270, 331, 336, 365 f., 370, 420, 457, 538–540, 597 – Macht des 245 R auch: Zukunft, jenseitige Jesaja (bibl. Prophet) 393 Jesuiten, Jesuitenorden 5, 290, 300, 404, 409, 583, 727, 832 Jesuitenstaat in Paraguay 501 Jesus Sirach 178 f., 181, 183–185, 187, 188, 391 f., 417, 832 R auch: Bibelstellenregister Juden, Judentum, Judaismus 31 f., 36, 39, 131, 138, 299, 560, 585, 650, 661 f., 675, 683 – in Baden 125, 128 –, palästinensisches 394 –, talmudisches 395, 839 R auch: „Auge um Auge“; Geist; Immigranten; Muraschu; Staaten, Verhalten der gegenüber Juden; Talmud; Volk, jüdisches Jugenderziehung, asketische 134 Jugendtraining, methodistisches 720 Junker 414 justum pretium 604, 832 kald (dänisch) 182, 187 Kalifornien, Kulis in 466, 481 kallelse (schwedisch) 182, 187 κάματος 178, 179 Kampagnezeit R Campagnezeit

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Sachregister

Kampf, Kämpfe 137, 197, 202, 205, 244 f., 265, 398, 451, 717, 755 –, asketischer (um Sicherung der Zukunft) 316 – der (englischen) Mittelklassen 604 – der „Heiligen“ Cromwells 498 – gegen die Askese 398, 677 – gegen die feindliche Welt 153 – gegen Fleischeslust 409 – gegen Reichtum 409 –, täglicher (um Heilsgewißheit) 275 R auch: Buß-; Freiheits-; Glaubens-; Klassen-; Konkurrenz-; Kultur-; Nationalitäten-; Weltanschauungskämpfe; Zeit der großen Kämpfe Kampf ums Dasein/Daseinskampf 436 –, materieller 17 –, ökonomischer 126, 171 Kanonisten 4 R auch: Doktrin, kanonistische Kapital, Kapitalien 150, 196, 477 f., 550, 616, 645, 693, 703, 720 –, bürgerliches 414 – Definition (Sombarts) 163 f. –, englisches 199, 548 –, hergeliehenes 168 – Profitlichkeit des 555, 649, 658 – Umschlag von 164, 533 – Verteilung des 600 – Zwang zur Anlage von erspartem 413 R auch: Anlagekapital Kapitalakkumulation, Kapitalanlage, Kapitalansammlung, Kapitalaufsammlung 37, 411–413, 474, 534–536, 550, 616, 651, 653, 702 Kapitalbedarf 612 Kapitalbesitz 126, 474, 551 – Beteiligung der Protestanten am 124 f., 127, 538 Kapitalbildung 79, 414, 533, 544, 548, 644, 651, 654, 698 – durch asketischen Sparzwang 412, 530 Kapitalgewinn 174

Kapitalismus, Kapitalisten 6, 14, 55, 76 f., 79, 82 f., 146 f., 149–152, 154, 157 f., 160, 162 f., 165, 176 f., 196, 215, 372, 479, 580, 606, 610, 614, 670, 696, 698–701, 704–706, 709–711, 722, 760 – als universalgeschichtliches Phänomen 82 – als Wirtschaftsstufe 508 f. – als Wirtschaftssystem 75, 479, 503, 614 –, (anglo-)amerikanischer/in Nordamerika 70, 426, 638, 655 – Anpassung an den 481 –, antiker/des Altertums 40, 82, 87, 217, 614, 687, 737 – auf mechanischer Basis ruhender 422, 481, 669 – Begriff 613 –, bürgerlicher 153 –, calvinistischer(-puritanischer) 629, 655 – der Neuzeit 670 – der (Früh-)Renaissance 526, 551–553 –, englischer/in England 77, 547 f., 551, 638 f., 645, 655 – Entstehung des (modernen) 26, 67, 77, 136, 147, 160, 420, 495, 523, 551, 556 – Entwicklung des R Entwicklung, kapitalistische – Expansion des R Expansion, kapitalistische – Florentinische 476 – Frühzeit des 482 – Frankreichs 545 – Geist des R „Geist“, kapitalistischer/des Kapitalismus – Genfer 544 – Genuesische 476 – Getriebe des R Getriebe, kapitalistisches – heroisches Zeitalter des 64, 276, 397 – Herrschaft des/zur Herrschaft gelangte 151, 736 –, heutiger 150, 481, 483, 662, 675, 732, 738

Sachregister – historisch gegebene Form des 615 –, holländischer 477, 482, 545–547, 592 –, landwirtschaftlicher (in den Südstaaten der USA) 590 –, moderner 38, 49, 82, 85, 535, 550, 553, 560, 609, 614, 626, 630, 638 f., 651, 655, 660, 668, 710, 722 f., 731, 736 –, neuzeitlicher/der Neuzeit 40, 615, 637, 651, 655, 670, 700 –, nichtjüdischer 662 –, puritanischer 555, 638 f., 646, 655 –, siegreicher/zum Sieg gelangter 172, 422 –, traditionalistischer 650, 659, 661 – Typus von 598, 650, 654, 701 – und Calvinismus R Calvinismus und Kapitalismus – und Protestantismus R Protestantismus und Kapitalismus – Ursprünge des modernen R Ursprungsthese – Venetianische 476 – Wesen des 613 R auch: Epochen, präkapitalistische; Früh-; Groß-; Mittelmeerkapitalismus; privatkapitalistisch; Wirtschaft .  .  .; sowie die Einträge zu: Arbeitsverhältnis; Berufsethik; Betriebe; Betriebsformen; Erwerb; Erwerbsleben; Ethik; Gesellschaften; Getriebe; Gewerbe; Interessen; Kultur; Kulturländer; Lebensstil; Mensch; Milieu; Organisationsform; ParvenüFamilien; Phänomene; Privatwirtschaft; Rechtformen; Schichten; Stil; System; Zweck Kapitalistengruppen/-clique 547, 648, 729 Kapitalistenklasse 546, 640, 701, 705 Kapitalmacht, holländische 413 Kapitalmarkt 53, 174 Kapitalrentensteuerkapital 125 Kapitalverwertung/Verwertung, kapitalistische 592, 615, 692, 730 – der (holländischen) Städte/in Holland 689, 732

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Kapitalwirtschaft 42 R auch: „Pflanzschule der Kapitalwirtschaft“ Karolingerzeit 718 Kaserne, Kasernenton 151 Kasteiung 182, 409, 542, 548 Kasuisten 387, 832 R auch: „casus conscientiae“; Literatur, kasuistische Katechismus, Katechismen 548 –, kleiner (Luthers) 328 –, lutherischer 299 –, methodistische 369 –, reformierte 299 R auch: Catechismus Genevensis; Heidelberger Katechismus Katechismus, Katechumenat, Katechumenen 349, 719, 832 kategorischer Imperativ 23, 408 κατ᾽ἐξοχήν 541, 691, 832 Katholiken, Katholizismus 48, 55, 57, 85, 128–130, 132 f., 210, 244, 271, 279, 284, 289 f., 294, 300, 309 f., 386, 470, 476, 526, 528 f., 537 f., 540–542, 559–562, 564, 571 f., 577, 639, 642, 650, 686, 711, 713, 716 f., 724 f. –, amerikanischer 723 – deutsche/in Deutschland 124, 131, 133, 146, 677 – in Frankreich 133 – in Italien 677 –, intoleranter 690 f. – latitudinarische Ansichten im 387 –, mittelalterlicher 41, 287, 542, 641, 581, 703 –, norddeutsche 133 –, tolerierter oder herrschender 690 – Weltfremdheit des 131, 134 R auch: Bußsakrament; dubitatio; Inferiorität; sowie die Einträge zu: Askese; Beichte; Bibelübersetzung; Doktrin; Ethik; Frömmigkeit; Gebiete; Handwerksgesellen; Kasuisten; Kirche; Kirchenregiment; Kreise; Laien; Länder; Lebensführung; Lehre; Minoritäten; Mittelal-

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Sachregister

ter; Mönchtum; Moraltheologen; Mystik; Orden; Quietismus; Restauration; Staat; Städte; Völker Katholikentage Deutschlands 124, 132 Kaufleute 135, 170, 196, 525, 546 f., 551, 650, 706 –, stahlharte puritanische 276 Kaufmann, Kaufmannschaft, Kaufmannsberuf 134, 172, 384, 389, 417, 531, 535, 547 f., 558, 592, 607, 612, 703 –, englischer 554 –, hugenottische 676 Kaufmannsvermögen 165, 524 kausal R Bedürfnis; Geschichtsdeutung, spiritualistisch kausale; Geschichtsforschung; Gewissen; Ideenkausalität; Kulturdeutung, spiritualistisch kausale; Momente, ideologisch kausale; Regressus; Zurechnung, kausale Kausalbetrachtung, historische 489, 491 Kausalbeziehung, Kausalprobleme, Kausalverhältnis, Kausalzusammenhänge 80, 83, 128, 130, 420, 485, 495, 497, 507, 537, 514, 554, 608, 616, 668, 672 Kausalfaktoren, Gewichtung der 76 Kavaliere 292, 405, 550 R auch: Roundheads Kellner 701 Ketzerbewegungen 348 Ketzerei 319, 569 –, holländische 547, 648–650, 694 R auch: Häresie; Kommunismus, ketzerischer „die Ketzerei befördert den Handelsgeist“ 31, 135 f., 545, 547, 647 „die Ketzer strafend, doch den Sündern mild“ 127, 133 Keuschheit 376, 419, 526, 725 Kidderminster 337, 374, 385, 419, 729 „Kinder der Welt“ 307, 445, 720 Kinder Gottes R Gottes Kinder Kindlichkeit (des religiösen Empfindens) 329

Kirche, Kirchen 135, 172, 215, 243, 260, 268 f., 285, 387, 313, 318, 332, 347, 353, 356, 387, 401, 437–439, 449, 460, 575, 690, 692, 713–715, 717, 749, 756 – als Anstalt/Heilsanstalt 266, 272, 305, 313, 448, 457, 448, 457, 748 f. – als Fideikommißstiftung 448, 748 f., 759 – als (Sozial-)Typ 84 f., 743, 758 – als Stiftung Gottes 312, 314 –, altprotestantische 363 – an das Amt gebundene 452 –, anglikanische R anglikanische Kirche –, äußere 260 –, autoritäre 755 – Beugung der Verworfenen unter die 298 –, calvinistische 133, 566, 756 – der Heiligen 312, 315, 328 – des Abendlandes 375, 530 – Elisabeths 348 –, exklusive, gläubige 461 – Form der 751 – Gebote der 173, 572 – Genfer 536 –, griechische/orthodoxe 743, 755 f. –, holländische 403, 648 –, katholische 127, 309, 313 f., 347, 349, 447, 571, 715, 722, 755, 758 f. – Kennzeichen/Zeichen der (notae ecclesiae) 205, 274, 354 –, lutherische/Luthers 209, 319, 447, 755 –, mittelalterliche 711 – Naturrecht der 751, 759 –, neuenglische/Neuenglands 312, 717 –, orthodoxe R griechische –, protestantische 135 –, reformierte 34, 249, 276, 285, 308, 315, 317, 447 –, römische 401, 586 –, „sichtbare“ (ecclesia visibilis) 260, 349, 838

Sachregister – und Sekte 68 f., 70, 82, 349, 351, 364, 427, 445–447, 575, 577, 715, 748 f., 751, 754 – und Staat R Staat und Kirche –, universalistische/Universalismus der 449, 452, 459 f. –, „unsichtbare“ (ecclesia invisibilis) 260, 273, 315, 354, 449 f., 452, 716, 749, 838 – „unter dem Kreuz“ 133, 349, 543, 570, 586, 833 –, wahre 260, 264, 274, 296, 351, 354, 396 R auch: Ältester; believers’ church; ecclesia militans; ecclesia pura; „extra ecclesiam nulla salus“; Episkopal-; Freikirche; Hochkirchler; Hugenotten-; Landes-; „Maximum von Religion bei einem Minimum von Kirche“; MissouriKirche; Partikular-; Puritan churches; Reformations-; Staats-; Territorial-; Theologenkirche; thesaurus ecclesiae; „to what church .  .  .“; Trennung von Staat und Kirche; „visible churches“; Volkskirche; sowie die Einträge zu: Abgaben; Amt; Autorität; Christianisierung; Disziplin; Doktrin; Frömmigkeit; Garantien; Gemeinschaftsleben; Gewissensbildungen; Gnadenmittel; Institution; Interessen; Leben; Lehren; Machtstellung; Norm; Obrigkeit; Organisationen; Revolution; Statistik; Steuern; Theorie; Wucherverbot; Zensur; Zinsverbot Kirchenauffassung 750 Kirchenbann 720 Kirchenbegriff/Begriff der Kirche 64, 350 – Chomjakovs/Solov’evs 743, 746, 758 Kirchenbildung, neucalvinistische 594 kirchenfeindlich 169 Kirchenform R Kirche und Sekte Kirchengedanke 751

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Kirchengemeinde, Kirchengemeindemitglied 33 f. –, amerikanisches 441 Kirchengemeinschaft/Gemeinschaft, kirchliche 244, 313, 350, 438 f., 442, 756, 760 Kirchengeschichte, moderne holländische 593, 648 Kirchenglocken 373 Kirchenhistoriker 522, 725 Kirchenlehre 351, 755 Kirchenmänner (in Schottland) 733, 753 Kirchenmitgliedschaft 758 – durch Aufnahmevertrag 349 –, geschäftliche Qualitäten der 441 R auch: Kirchenzugehörigkeit Kirchenordnungen –, älteste lutherische 320 – des Protestantismus 718 Kirchenorganisation 319 Kirchenregiment –, katholisches 713 –, landesherrliches 460 Kirchenspaltung 752 Kirchentum –, calvinistisches 165 –, holländisches 403 –, lutherisches 272, 391 –, protestantisches 566 –, reformiertes 636 Kirchenverfassungen/Verfassungen der Kirche 34, 43, 59, 66, 69, 244, 298, 318, 349, 427, 432, 570 – des Calvinismus 28, 33 Kirchenverfassungsprogramme 244 Kirchenzucht/Zucht der Kirche 244 f., 260, 312, 363, 366, 398, 413, 420, 529, 563, 570, 718, 833 – des Calvinismus 268 – Genfer 319 Kirchenzuchtgeschichte, holländische 594 Kirchenzugehörigkeit/Zugehörigkeit zur Kirche 346, 438, 563

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Sachregister

Kirchlichkeit 590 – und Gläubigkeit 208 R auch: Unkirchlichkeit Klasse, Klassen, Klassenverhältnisse 66, 135, 556, 595, 650 –, besitzlose 420 –, bürgerliche 47, 127, 386 R auch: Kapitalisten-; Mittelklasse Klassenabstufung 403 Klassenbedingtheit – der Askese 374 – der religiösen Bewegungen 411 Klassenbeziehungen 359 Klassenkampf 17, 22 Klassenkonstellationen, ökonomische 48 Klassenmoral 398 Klassenunterschiede 717 Kleinbürger, Kleinbürgertum, kleinbürgerlich 152, 174, 300, 689, 713 – als Träger der ethischen Entwicklung des Calvinismus 399 –, aufsteigendes 54, 165, 415 –, reich gewordene 402 Kleingewerbe 707 κλῆσις 112 f., 118, 180, 182–188 Klopffechter, Klopffechterei, Klopffechterkunstgriff 666, 683, 706, 736, 739 Kloster, Klöster 8, 44, 204, 365 f., 378, 529, 691, 697 – (Bedauern des) Fehlen/Verschwinden der 295, 727 – ökonomische Leistungen/Prosperieren der 581, 726 R auch: Askese; Denomination; Gemeinschafts-Organisation; Mönchtum; Organisation, klosterartige; Zucht, klösterliche Klostergründungen 691 Klosterreformation/Reformationen der Klöster 415, 697 Klosterzellen/Zellen des Klosters 294, 691 Klugheit 50 f., 145, R auch: Schlangenklugheit

Kollekten, collections 438, 760 Kolonialgebiet 707 Kolonialgeschäft 592 Kolonialland, Kolonien, amerikanische 248, 549 f., 567, 591, 647, 722 R auch: Expansion; Neuengland, Neuengland-Kolonien; Landeskonzessionen, koloniale Kommanditgut 720 Kommunikanten (des Abendmahls) 717 Kommunismus – des Urchristentums 763 –, ketzerischer 362 R auch: Agrarkommunismus; Gemeinschaften, halbkommunistische Kompendien, ethische 244 f. Konfession, Konfessionalität, Konfessioneller 47, 72 f., 128, 131 f., 139, 244, 419, 437, 476 f., 482, 631, 635, 734 – äußere historisch-politische Lage der 131 – der Arbeiterschaft 123 – in Deutschland und Frankreich 133 – innere Eigenart der 49, 131, 133 –, protestantische 135 –, reformierte 581, 693 – und soziale Schichtung 98, 123, 494, 558 – von Kapitalistengruppen 729 R auch: Bekenntnisse; sowie die Einträge zu: Gebiete; Indifferenz; Minoritäten; Rhode Island; Schulen; Unterschiede; Ursprung; Verhältnisse; Zeitalter; Zugehörigkeit Konfession Herzog Christophs von Württemberg 388 konfessionslos 437 Konfessionsstatistik 46, 123, 125, 437 –, badische 124 R auch: Erhebungen, private statistische (in den USA) Konfirmation, Konfirmanden 448, 717, 723 Kongregation des heiligen Offiziums 714

Sachregister Kongregationalismus, Kongregationalisten 244, 565, 567, 833 Konkordienbuch 182, 833 Konkubinate 376 Konkupiszenz R Concupiszenz Konkurrenten, Konkurrenzkampf 166 f., 524, 531, 534 f. 547, 561, 719 – der Denominationen 441 Konsequenzen – (Abweisung) fatalistische 285 – der Sektenbildung R Sektenbildung, Konsequenzen der –, logisch und psychologisch vermittelte 285 –, psychologische 324 –, rationale 699 –, soziologisch interessierende 762 –, unentrinnbare 462 –, ungewollte 214 Konservatismus, Konservatives 430, 454, 455 –, preußischer 688 R auch: Demokratie als konservativstes Gebilde Konsistorium 319, 570, 833 Konstellationen –, (heutige) historische 214, 454 –, institutionelle 48 –, politische (in Holland) 593 Konstruktion, Konstruktionen –, kontrafaktische 74 R auch: Geschichtskonstruktionen Konsum, Konsumtion 535 f. – Einschnürung/Einschränkung der 408, 411, 413, 530 –, gehemmte 415 Kontemplation 194, 278, 310, 373, 379 – Ablehnung der 727 –, methodisch reglementierte 292 –, mystische 279 –, untätige 373, 530 R auch: Bernhardinismus; ekstatischkontemplativ; sowie die Einträge zu: Existenz; Luthertum Kontinent 561, 593 –, europäischer 345, 689

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Kontingentes, kontingent 7, 380 Kontor 407, 554, 612 Kontrolle 167, 345, 347 –, asketische (der Lebensführung) 317 – der Genossen/Gemeindeglieder 69, 717 – der Konventikel 318 – durch das Gewissen 361 –, kirchenpolizeiliche 363 –, kirchliche 127, 135 – (methodische) der Lebensführung 69, 444, 472 –, methodische (des Gnadenstands) 365, 529, 638, 641 R auch: Beicht-; Selbstkontrolle Konventikel, Konventikelbildung 318, 329, 347, 423 – als collegia pietatis 319 –, autoritätsfeindliche asketische 398 – der Pietisten 308–310 – in Absonderung von der Welt 315 –, englische und holländische 270 R auch: Bibelkonventikel; prophesyings Konzessionäre 596, 653 Konzil von Trient (Tridentinum) 388 –, Rechtfertigungsdekret des 271, 283 Korintherbrief 185, 393 R auch: Bibelstellenregister Korruption, großstädtische 456 Kosmos 151, 190, 259 – der modernen Wirtschaftsordnung 422 –, gesellschaftlicher 269 –, ökonomischer 380 f. –, wissenschaftlicher 421 Kouleurstudenten 440 „eine Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft“ (Goethe) 410, 530, 597 Krämer 603, 701 κράτιοτος 382 Kreatur, Kreatürliches, kreatürlich 191, 201, 258, 261, 268, 279, 283, 293, 355 f., 358, 392, 472, 527, 726 – Nichtigkeit der 308

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Sachregister

–, Verworfenheit des 316, 365, 529 R auch: Kulturzwecke, kreatürliche Kreaturvergötterung, Kreaturverherrlichung 293, 361, 381 f., 397, 409, 697, 730 – Ablehnung/Perhorreszierung/ Verwerfung der 267–268, 314, 352, 401, 405, 450 – Verbot der 395 R auch: Aberglaube, kreaturvergötternder; idolatry Kredit 143 f., 147, 421, 440, 443 – „ist Geld“ 143 R auch: Personalkredit Kreditfähigkeit (des Klerus/Offiziers) 720 Kreditgebarung 444 Kreditnehmer 441 Kreditoren 440, 720 Kreditwürdigkeit 441, 719 f. – kirchliche Garantie der 440 Kultur 261 – der Bewährung im Handeln (Calvinismus) 55 – des Altertums/Mittelalters 731 –, europäisch-amerikanische 43 –, französische wirtschaftliche 136 –, holländische (wirtschaftliche)/in Holland 136, 648, 688 –, moderne 59, 80, 420, 424, 626 –, (moderne) kapitalistische 139, 150, 159, 177, 215, 250, 523, 547 –, (moderne) materielle 214 f. – religiöse der „Schickung“ (Luthertum) 55 –, wirtschaftliche 633 R auch: Berufs-; Binnenkultur-Charakter; Einheits-; Gesamtkultur; Gesellschaften für ethische Kultur; Handlungs-; Sinnenkultur Kulturbedeutung 49, 141 – des asketischen Protestantismus 22, 80, 424 – des Calvinismus 626, 631 – der Religionen 24

– von Christentum und Protestantismus 40 Kulturbedingungen 80, 424 Kulturbegriff 688 „Kulturbild“, amerikanisches 145, 146 Kulturdeutung –, materialistische 424, 495 –, spiritualistische kausale 424, 495 Kultureigenarten, moderne 602 Kultureinflüsse – des humanistischen Rationalismus 424 –, holländische 402 Kulturentwicklung 124, 348, 422 f., 490, 603, 633, 660 Kulturepochen, reformatorische 215 Kulturerscheinungen 16 f., 45, 48 Kultur- und Sittengeschichte, holländische 547 Kulturgüter/Güter der Kultur 400, 406, 522, 530, 533, 538, 543, 554 –, geistige 424 Kulturideale 213 Kulturinhalte, moderne 215 Kulturkampf, Kulturkämpfer 247, 257, 609, 663, 676 – Oldenbarneveldts 250 –, preußischer/in Deutschland 48, 124, 132, 677 f. Kulturkampfrhetorik, zeitgenössische 48 Kulturländer, kapitalistisch höchst entwickelte 247 Kulturleben 502 –, materielles 66, 424, 466, 470, 494 Kulturmenschwerdung 394 Kulturmilieu 137, 689 Kulturmission 450 Kulturnationen, moderne 457 Kulturprobleme 78, 377, 606 Kulturverhältnisse 755 Kulturwerte 422, 618 –, außerreligiöse 459, 462 Kulturwirklichkeit 21, 46 Kulturwirkungen 632 f., 636 f., 699 – der Reformation 213

Sachregister Kulturzwecke, kreatürliche 381 Kultusbudgets 461 Kunden, Kundschaft 54, 166 f., 169, 301, 439, 443, 445, 472, 524 f., 534, 580, 720 R auch: Baptistenkundschaft Kunst, Künstler 401–403, 405, 538, 562, 593, 690 R auch: Sinnenkunst Kunsthistoriker 504 Kunstmarkt (in Holland) 593 Kuponschneider 698 Kutscher 153, 701 Kuypersches Schisma 593, 717 Kyniker 713, 833 labeur (frz.) 181 Labour and Industry 588, 649 „labour hard in your callings“ 374 R auch: „Arbeite hart in deinem Beruf“; „work in your calling“ Laie, Laien 347, 717 –, christliche 319 – in der Welt stehende 712 – innerweltliche Askese der 347 –, katholische/im Katholizismus 540, 543, 572, 641, 711 –, theologischer 711 Laienältester 570, 717 Laienglaube 512 Laiensittlichkeit, asketische 348 Lamprecht-Streit 73, 465 Land, Länder 12, 137, 154, 158, 160, 167, 247, 436, 477, 484, 544, 559, 561, 569 f., 592, 595, 600, 644, 653, 668, 693, 701, 732 –, altkapitalistische 348 –, am meisten rationalisierte 176 –, calvinistische 522, 551 –, habsburgische 557 –, intolerante und tolerante 687 –, kapitalistisch höchst entwickelte 177 –, lutherische 635 –, ökonomisch entwickeltste 47, 127 –, plattes 556, 592 –, protestantische 503 –, puritanische (beeinflußte) 314, 701

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–, reformierten Bekenntnisses 635, 655 –, religiösestes 760 –, (römisch-)katholische 177, 551, 557, 559, 561, 566, 693 –, südeuropäische oder asiatische 153 – vom asketischen Protestantismus beeinflußte 735 – von der römischen Kirche beherrschte 586 R auch: Kulturländer „das Land peuplieren“ 585 Landankauf 414 Landeskirche, Landeskirchentum 69, 431, 460–462 Landgüter, Aufkauf von (englischen) 414, 477 Landkonzessionen, koloniale 591 Landlord 414 Landwirt, Landwirtschaft 137, 155, 414, 556 R auch: Agrarier; Bauern; husbandman; yeoman Langes Parlament 197, 555, 604 „the last of our heroisms“ (Carlyle) 47, 127 Latitudinarismus, latitudinarisch 387, 548, 833 Law of nature 393 Laxheit, ethische 693 Leben 394, 605 –, amerikanisches 246, 426, 453, 718 – an Gottes Willen orientiertes 315 – asketische Durchdringung des 307, 344 –, asketisches 308, 387 –, äußeres, materielles 336 – Begriff des 731 –, bürgerliches 416, 735 – diesseitige Orientierung des 169 –, diesseitiges 268, 272, 527 – durch Reflexion geleitetes 289 f. –, eheliches 375 –, ethisch systemloses 294 –, ewiges 252, 264 – gegen Ende des 288, 341 –, geschichtliches/historisches 500, 668

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Sachregister

–, gesellschaftliches 461, 550 –, gottseliges 390 –, häusliches und öffentliches 126 –, „heiliges“/des „Heiligen“ 288 f., 295, 303, 316, 370, 528 –, ideelles 408 –, inneres 450 –, innerweltliches 294 – kirchliche Durchdringung des 436 –, kirchlich-sittliches 367 –, methodisches 294, 379 –, modernes 139, 393, 568 –, mönchisches 375 –, neues 193, 304, 539 – Ordnungen des 172, 525 –, persönliches 698 –, praktisches 386, 728 –, rationales (in der Welt) 366, 529 – Rationalisierung des R Lebensrationalisierung – Reglementierung des R Lebensreglementierung –, religiöses/religiös orientiertes 209 f., 336, 595, 679, 727, 730 –, soziales 267, 462, 717 –, streng geregeltes 415 –, tägliches (der Gläubigen) 353 – Vorbild, Vorbildlichkeit des 352 f. –, wiedergeborenes 288 –, wirtschaftliches 7, 471, 558, 562, 713 R auch: Alltags-; Berufs-; Erwerbs-; Gefühls-; Gemeinde-; Gemeinschafts-; Gesamt-; Geschäfts-; Kulturleben; Markt des Lebens; Neuordnung des religiösen Lebens; Ordens-; Trieb-; „unclean life“; Wirtschaftsleben Lebensanschauung, Lebensanschauungen 262, 264, 332, 409 –, rationalistische 87, 176 Lebensarbeit 173, 458, 462, 525 –, rastlose und systematische 265 – Ziel/Zweck der 171, 175, 213 Lebensauffassung 411, 543 –, puritanische 390, 414, 531, 549, 596, 645, 654

Lebensaufgabe, asketische 221 Lebensbedürfnis, Lebensbedürfnisse 149, 410, 523 Lebensbetrachtung, natürliche 489 Lebensformen 500, 749 –, asketische 724 –, feudale 413 Lebensfragen, praktische 499 Lebensfremdheit 138 Lebensfreude, lebensfroh 133, 176, 406, 538, 689 Lebensführung 38, 50, 57-59, 61, 69, 75, 83, 139, 166, 169, 174, 177, 204, 245, 262, 287, 292–294, 307, 315, 363, 365, 372, 398, 424, 436, 444, 450, 472, 494–496, 498, 502, 525, 527 f., 531, 538 f., 541 f., 548 f., 575, 577, 580, 583, 586 f., 593, 637, 639, 641, 655, 689, 703, 717, 728, 737 – angepaßte Art der 152 –, apostolische 359 –, asketische 220, 298, 304, 317, 320, 342, 345, 348, 397, 399, 528–530, 638, 697 –, asketische rationale 374 –, biblische 352 –, bürgerliche, ökonomisch rationale 414 –, chrematistische 171 –, christliche/des Christen 281, 572 – der „Heiligen“ 398 – der Nichtreformierten 586 – der Reformierten 58, 586 – des Unternehmers 171, 175 –, ethische 302, 716 –, geschäftliche 443 –, innerweltliche 199 – Irrationales der 170 –, lutherische 305 –, methodische/Methodik der/Methode der 64, 288, 342, 364, 485, 504, 508, 511, 523, 532, 552, 582, 602, 704, 738 – (methodisch-)systematischer Charakter der/Systematisierung der 220, 300, 307, 320, 339

Sachregister –, (mittelalterliche-)katholische 132, 543 –, moderne 738 –, mönchische 192, 290 –, ökonomische 501 –, rationale/rationaler Charakter der 290, 344, 420, 652 – Rationalisierung der 365, 542, 553 – Rationalismus der 329 – Reglementierung der 127 –, religiöse (Durchdringung/Interessen der) 30, 61, 133, 320, 336 f. –, sittliche 244, 443,, 553, 571 –, täuferische 361 R auch: Gesamtlebensführung Lebensgenuß 522, 525, 535, 548, 552, 579, 639, 641, 695 – aristokratische Formen des 399 –, bequemer 169 –, sündlicher 386 –, triebhafter 292, 399 –, unbeschränkter 547 Lebensgestaltung 717 –, alltägliche 499 –, methodische 577 Lebensglück 148 Lebenshaltung 137, 473, 526, 530, 532 f., 542, 558, 657 –, behäbige/behagliche 168 –, rationalistisch geregelte 641 –, traditionelle 53, 167, 524 Lebensideal, Lebensideale 175, 580 – des humanistischen Rationalismus 424 –, puritanische/des Puritanismus 291, 400, 415, 529, 542 Lebensinhalte 132 –, religiöse 208, 731 Lebensluft 269, 405, 590, 647, 729 –, angloamerikanische 307 –, puritanische 406 Lebenslust 402 Lebensmaximen – des Mittelalters 710 –, ethische 710 Lebensmethodik 727, 739

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– als geregelte mönchische Askese 580 –, asketische/der Askese 691, 698, 715 –, puritanische 488 –, rationale ökonomische 736 Lebensorientierung, praktische 728 Lebenspraxis 210, 245, 359, 402 Lebensrationalisierung 332, 335, 358, 505, 584, Lebensregeln, asketisch-protestantische 725 f. Lebensreglementierung 306 –, asketische 261 – nach Werkheiligkeit schmeckende 335 –, religiöse 137 –, sittliche 718 Lebensschicksal, ökonomisches 151 Lebenssphären, außerhalb des Erwerbs liegende 580 Lebensstellung 178, 190 –, gegebene 202 f. Lebensstil, Lebensstile 82, 177, 407, 409, 422, 504 f., 554, 590, 609, 651, 690, 698 f., 701, 704, 722 f., 731, 735 –, amerikanischer 704 –, aristokratischer 361 –, asketischer 83, 361, 365, 529, 540, 545, 682 –, bürgerlicher 58, 421 –, calvinistischer 605 – des asketischen Protestantismus 368 – des Großkapitalismus 554, 605 –, ethischer 504, 509, 670 – Fuggerscher 554, 596 –, kapitalistischer 397, 530 f., 540, 660 f. –, moderner 245, 502 –, moderner kapitalistischer 629, 661 –, puritanischer 618, 732 –, rationalisierter 542 –, religiös durchdrungener/beeinflußter 647, 707, 730 –, seigneurialer 618 – Uniformierung des 404 Lebensstilisierung 489, 735 Lebensstimmung 299, 397, 480 –, asketische 407

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Sachregister

Lebenstechnik 50 Lebensweisheit 146, 421 –, hebräische 299 Lebenszwecke 409, 532 Legalisierung (des Erwerbstriebs) 220 Legalität –, formale/formalistische 362 f., 393, 555, 646, 730 R auch: Mittel, legale Legitimation 513, 721 f. –, moralische 444 –, religiöse 721 Lehranstalten 128 f. Lehrbegriff, calvinistischer 259 Lehre, Lehren 213, 271, 303, 324, 712 f. –, calvinistische/des Calvinismus 62, 250, 274, 306, 325, 749 – Calvins 274, 301, 310, 483, 537, 545, 553, 567–570 – der Herrnhuter R Herrnhuter, Lehren der – der Quäker R Quäker, Lehren der –, katholische 271, 286, 553, 749 –, kirchliche 540, 543, 568, 759 –, lutherische/Luthers 249, 324, 556 f., 634, 749 –, naturrechtliche/des Naturrechts 567, 759 –, offenbarte 148 –, reformierte 277 f., 302, 347, 357 –, reine/Reinheit der 204 f., 274 –, religiöse 76, 557, 631, 676 –, täuferische/Menno Simons 351, 355 – vom „inneren Licht“ 354 f. – vom rechtfertigenden Glauben R Rechtfertigungslehre – von der Gnadenwahl R Gnadenwahllehre – von der Gottferne 260 f. – Wesleys R Vollkommenheitslehre Wesleys R auch: Abendmahlslehre; disciplina; Doktrin; Gnaden-; Heils-; Inspirations-; Kirchen-; Prädestinations-; Sozial-; Staats-; Strafsatisfaktions-;

Theologen-; Unterscheidungs-; Wirtschaftslehre Lehrunterschiede 248 Leibeigenschaft, Aufhebung der 755 Leiden R Leyden Leidenschaften 292, 295, 358, 377, 564, 571, 757 –, agonale 423, 660 –, sündige 293 Leinenindustrie 161, 167 R auch: Carl Weber & Co./GmbH; Textilfabrikanten; Weberei; Weber, Laer & Niemann Leistung, Leistungen 70, 159, 208, 255, 276, 365, 701, 703, 723 – an das Amt gebundene 448 – der Askese 579, 581 – der Klöster R Klöster, ökonomische Leistungen – der Reformation/Reformatoren 195 f., 723 – der wissenschaftlichen Psychologie 512 – des asketischen Protestantismus 697 – des Glaubens und Wollens 255 –, geistige 389 –, ökonomische (der Mormonen) 378 –, pädagogische 445 –, persönliche 454 –, sittliche 642 –, soziale (des Christen) 267 R auch: Arbeits-; Dienst-; Einzel-; Erziehungsleistung Leistungsfähigkeit 161, 399 Leistungssphäre, ökonomische 698 leisure classes 338, 458 Leitung 458 –, autoritäre 300 letter or recommendation 442 f. „letzte Menschen“ 423 Leutnants 440, 580 Leveller 29, 212, 833 f. lex divina 41 f. lex naturae 41 f., 190, 192 f., 195, 202, 203, 204, 207, 217 f., 221, 233 f., 246, 269, 281, 355, 393

Sachregister Leyden 695 Liberalismus 457, 635, 698 f. –, ökonomischer 5 R auch: Aufklärung; Berufe; Ideen; Rationalismus; Theologie; Theorie, liberale und utilitaristisch-liberale Libertinismus 565, 568 „liberty of Conscience“ 588 liberum arbitrium 154, 177 „Licht“, inneres R „innere Licht“ Lichtenstein (deutsch-amerikanische Familie) 437 Liebe 192, 211, 265, 321, 334, 400, 417, 755 f. –, christliche 181 – Gottes 192, 252 – zum Nächsten/Nächstenbesten 757 R auch: Bruder-; Feindes-; Menschen-; Nächsten-; Selbstliebe Liebes-Akosmismus 85, 334, 762 f. R auch: Menschenliebe, akosmistische Liebesbeziehung, amorphe 757 Liebesdienst (am Nächsten) 375 Liebesmoral, allgemeine christliche 659 Liederlichkeit 590 Listen – Streichung aus kirchengemeindlichen 441 R auch: schwarze Listen (der Börse) Literatur 210, 277, 280, 316 f., 402, 405 f., 499 f., 590, 689, 694, 706, 720 –, asketische 419 –, außerkirchliche 188 –, calvinistische 530, 568 – der Sekten 720 –, (englische) puritanische 262, 264, 280, 383 –, griechische 186 – in Amerika 246 –, kasuistische 386 –, katholische 124 –, kirchen- und dogmengeschichtliche 60 –, nationalökonomische 210 –, profane 184 –, psychologische 490

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–, religiöse 369, 495 f. –, russische 756 f. –, seelsorgerische 66 –, theologische 245, 495 –, weltliche 381 –, wissenschaftliche 401, 638 –, zeitgenössische 729 R auch: Baptisten-; Erbauungs-; National-; Predigtliteratur; Schriften; Schriftsteller Liverpool 165 locus (lat.) 179 Lohn, Löhne, Lohnsätze 157, 203, 287, 390 –, hoher 159, 541 –, niedere 53, 157–159, 419 R auch: Akkordlohn London 374, 414 Los (der Herrnhuter) 323, 329 ludibria spiritus scancti 273 lugar (span.) 181 luogo (italien.) 181 Lutheraner, Luthertum 47, 55, 57, 209–211, 243, 249, 256, 261, 263, 272, 274, 276, 278, 294, 302, 305, 320, 325, 327, 330, 335, 380, 525, 527, 539, 543, 555–557, 566, 568, 581, 609, 634–636, 650, 682, 713, 716 f., 723, 725 –, amerikanisches 723 –, deutsches/in Deutschland 25, 28, 70, 609, 650, 724 – ethische Theorie des 304 –, holländisches 723 – Kirchenprinzip im 85 – kontemplative Gefühlskultur des 64 –, landeskirchliches 427 –, orthodoxe 336, 207 – sittliche Ohnmacht des 304 – und Calvinismus R Calvinismus und Luthertum – und Pietismus R Pietismus und Luthertum – und Reformierte 299, 352, 723 – Wirkungen des 28 – Wirtschaftsauffassung des 556

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R auch: Christologie (der Lutheraner); Durchschnittslutheraner; Erziehungswirkungen des Luthertums; Geist Luthers/des Luthertums; Gnesioluthertum; sowie die Einträge zu: Abendmahlslehre; Alltagsmensch; Askese; Bauernschaft; Beichte; Berufsbegriff; Berufsgedanke; Bibelübersetzung; Dogmatik; Doktrin; Ethik; Frömmigkeit; Fürstenhöfe; Gefühle; Geistliche; Glaubenspredigt; gratia amissibilis; Hausindustrielle; Heilslehre; Katechismus; Kirche; Kirchenordnungen; Kirchentum; Länder; Lebensführung; Lehre; Minoritäten; Missouri-Kirche; Orthodoxie; Protestantismus; Religiosität; Staaten; Staatslehre Lutherbibel 112–115, 150, 178, 185 Luxus 372, 385, 409, 472, 529, 537, 548, 703 Luxuskonsumtion 6, 408 LXX R Septuaginta Macht, Mächte 170, 176, 257, 286, 411, 475, 525 f., 551, 564, 570, 572, 609, 632, 651, 698 – der Begierde 404 – der Güter 422 – der irrationalen Triebe 290, 528 – der (religiösen) Askese R Askese, Macht der – der Sünde R Sünde, (Überwindung der) Macht der – des Genusses R Genuß der Macht – des Jenseits R Jenseits, Macht des – des Satan 253 –, feindliche 153, 636 –, gemeinschaftsbildende 452 – Gottes 252 –, große 609, 662 –, historische der Ideen 16, 48 –, kulturfördernde (der Toleranz und Aufklärung) 631, 635 – metaphysischer Vorstellungen 490

–, objektive 255 –, politische 402 –, protestantische 560 – puritanischer Lebensauffassung 414, 531, 549 –, religiöse/religiöser Bewegungen 55, 172, 213, 366, 529, 715 – Streben nach 534 f., 604, 616, 659 –, weltliche 313 –, weltüberwindende 293 R auch: Geld, Übermacht des; Kapitalmacht; Luthertum, sittliche Ohnmacht Machtgier 597 Machtmittel 559, 564 –, ökonomische 698 Machtstellung – des Kirchlichen 441 – des Papsttums 750 – des Protestantismus 568 – des Zwinglianismus 242 – Hollands 693 – von Leuten 700 Magie, magisch 748 –, sakramentale 453 R auch: Heilslehre, magische Reste; mystisch-magisch; Sakramente, magische Deutung Magna Charta (1215–1225) 34 Maigesetze (Bismarcks) 677 Majestät Gottes R Gottes Majestät „(in/ad) majorem Dei gloriam“ R „in majorem Dei gloriam“ „to make the best of both worlds“ 416 Mammonismus 134, 410, 530, 834 μαμωνᾶς τῆς ἀδικίας 200 „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ 450, 609 Manchester 165, 524, 595 Mandarin, chinesischer 153 Manhattan 590 Manifeste – (Cromwells) an die Iren (1650) 197–199 – des irischen Klerus (1649) 197 Mannheim 31 f.

Sachregister Manufaktur 378 mariners 411 Markt 151, 763 – des Lebens 365, 529 R auch: Arbeits-; Geld-; Kapital-; Kunstmarkt Marranos 546 Marschenbauern 689 Märtyrer 291 Maryland 138, 313, 549 f. Massachusetts 152, 550 Masse, Massen 244, 270, 340, 418 f., 439, 453, 722 –, breite (von Wirtschaften) 163 R auch: Arbeiter, Masse der; Menschenmasse Massenerscheinung 155, 653 –, historische 316 Mäßigkeit 42, 143, 147, 161, 211 Materialismus 132 –, historischer (Kritik am) 5, 7, 22, 28, 46, 75, 519 f., 670 R auch: Deutung, geschichtsmaterialistische; Geschichtsmaterialismus; sowie die Einträge zu: Geschichtsauffassung; Geschichtsdeutung; Kulturdeutung Matrikel 720 Maxime, Maximen 366, 713 –, egozentrische 52, 149 –, ethische 61, 151, 169, 244, 525, 543, 552, 657 –, ethisch gefärbte der Lebensführung 50, 147, 523, 532, 552, 582, 661 –, moralische 50 f. R auch: Lebensmaximen „Maximum von Religion bei einem Minimum von Kirche“ 432, 462 Mecklenburger 158 meeting (der Quäker) 358, 459 Mehrverdienst 156, 208 Mehrwert-Produktion 419 μηδὲν/μηδένα ἀπελπίζοντες 714 Meidung – der Exkommunizierten 352 – der Welt 351 f.

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R auch: Ehemeidung

‫( ְמ ָלא ָכה‬Tl.  mela¯ ’ka¯ h) 187 f.

„melancholy“ (der Puritaner) 371 Mennoniten, Mennonitentum 64, 244, 350, 385, 445, 577, 694, 697, 834 – Ablehnung von Eid und Waffengebrauch der 360 – als Sekte 346, 348, 557 – als Träger der Industrie in Ostpreußen 138 – Reichtum der 138, 557 – und Fußwaschung 354 – und Kriegs-/Militärdienst 138, 694 R auch: Lehre, täuferische/Menno Simons Mensch, Menschen, Menschentum 81, 423, 709 – als Mönch 579, 640, 726 – als Werkzeug Gottes 64 –, ernste/ernsteste 699 – faustische Allseitigkeit des 421 –, geistliche 184 –, heutige/moderne 366, 424, 460, 490, 496, 499, 529, 597 –, kapitalistische 445 –, „letzte“ 423 –, methodisch lebender 726 –, natürlicher 252, 358, 365, 529, 540 –, präkapitalistischer 1717 –, religiös „unmusikalische“ 457 –, traditionalistischer 170 –, wertender 16 –, wiedergeborener 411, 531, 543 R auch: Alltags-; Berufs-; Durchschnitts-Sekten-; Fach-; Erwerbs-; „Genuß-“; Geschäftsmensch; Herrschaft des Menschen über den Leib; holy persons; homo oeconomicus; Kulturmenschwerdung; Renaissance-Mensch; „renewed man“; Übermenschen; Unmittelbarkeit von Gott und Mensch; Verkehr zwischen Mensch und Mensch; Weltmensch; Wille der Menschen; Wirtschaftsmensch

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Sachregister

„aus Menschen macht man Geld“ 146, 149 Menschenfeindlichkeit 264 Menschengattungen/Gattung des Menschen 195, 212, 279 Menschengeschlecht 252, 269, 495, 504 Menschenliebe, akosmistische 762 Menschenmasse, zu Atomen zerriebene 453 Menschen- und Bürgerrechte 34, 70, 102, 562, 632, 678 – religiöser Ursprung der 35 –, unveräußerliche 566 f. Menschenwerk 457 Menschliches, Menschlichkeit 269, 762 R auch: Autorität, (Verwerfung) menschlicher; Empfindungen, menschliche Mensur 666, 706 Mentalität 49, 53 merchant adventurers 212, 548 Merkantilismus 5, 311, 384, 557, 693 R auch: Reglementierungen; Schriftsteller, merkantilistische Metaphysik, Metaphysisches 257, 286 R auch: Sinn; Voraussetzungen; Vorstellungen, metaphysische Methode 333, 340, 383, 473, 644, 662 –, asketische 325 – (rationaler) Lebensführung 64, 288, 290, 528, 542 R auch: Heiligungsmethode; sowie die Einträge zu: Berufsaskese; Betrieb; Grundirrtümer; Heilsaneignung; Kontemplation; Kontrolle; Leben; Lebensführung; Lebensgestaltung; Mensch, methodisch lebender; Prinzipien; Rationalisierung; Sittlichkeit; Systematik; Überlegungen; Übungen; Zwecke Methodenstreit der Nationalökonomie R Nationalökonomie Methodik, Methodiker 339, 505, 582, 645 f., 650, 738 – der christlichen Askese 366

– der (ethischen) Lebensführung 302, 602, 647, 704, 738 – der täuferischen Lebensführung 361 – des Samurai/Cortigiano 504 –, rationale 323 R auch: Geschichts-; Lebensmethodik Methodismus, Methodisten 58, 61, 217, 220, 239, 243, 302, 338–345, 445 f., 528, 539, 637 f., 705, 834 – als Träger des asketischen Protestantismus 220, 242, 445 – (Bezeichnung des) 288, 289 – Gefühlsmäßigkeit im 339 f. – kirchen- und sektenhafte Prinzipien im 447 – Konferenzen im 342, 343 – Missionscharakter des 339 – Organisationen des 345 – prädestinatianische Anhänger des 342 –, radikale 448 – revival des 415 – (sündlose) Vollkommenheit im 341, 357 – und Ethik 343 f. – und Herrnhuter 343, 345 – und Pietismus 338, 345 – Verfolgung von 162 R auch: Angstbank; „calvinistischer Streit“; class meeting; Jugendtraining; Verbreitung des Methodismus; Vollkommenheits-Lehre Wesleys; sowie die Einträge zu: Arbeit; Denominationen; Emotion; Gemeinschaften; Glaube; Katechismen; Prädestinationslehre, methodistische Anhänger der Sittlichkeit; Vollkommenheitsstreben Methodologen, methodologisch 491, 498 f., 507, 513, 630, 709 –, moderne 727 Mietling 450 Milieu 593 –, höheres 533 –, kapitalistisches 722 –, naturalwirtschaftliches 616

Sachregister –, ökonomisches 7, 385 –, religiöses und soziales 336 –, sektiererisches 406 R auch: Kulturmilieu Milliardäre, Milliardärtum 408, 700 Millionärsclubs 455 Minderheiten R Minoritäten ministerium (lat.) 180, 190 Minoritäten, Minderheiten 131, 484, 609, 662 – des Asketentums 594 –, katholische 586 –, konfessionelle 585 –, lutherische 586 –, nationale und religiöse 130 –, reformierte und pietistische 644 R auch: Calvinisten als Minoritäten; Puritaner als Minderheit Mission, Missionsarbeit, Missionar 268, 332 f., 416 –, innere (Baxter) 385 –, protestantische 452 R auch: China Inland Mission; International Missionaries’ Alliance; Methodismus, Missionscharakter des; Pietismus und Mission; Schmarotzer-Missionartum Missionsleben (der Apostel) 334 Missouri-Kirche, lutherische 724 Mißtrauen 168, 347 – gegen den nächsten Freund 262 – gegen die Theologenkirche 315 R auch: Bauernmißtrauen Mitglied, Mitglieder, Mitgliedschaft 70, 319, 357, 438, 444 –, bewährte (einer Gemeinde) 450 – einer Gemeinde R Gemeindemitglieder – einer Kirche R Kirchenmitgliedschaft – einer Sekte 718 – einer Zunft 174 – von Vereinen 721 R auch: Akquisition (von Sekten-Mitgliedern); Kirchengemeindemitgliedschaft

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Mittel –, asketisches/der Askese 221, 292, 323, 333, 348, 375, 580, 727 –, legale 730 –, technische 155 – und/zum Zweck 37, 53, 149, 257, 376, 611, 613 R auch: Geld als Mittel .  .  .; Genuß-; Gnaden-; Macht-; Produktions-; Veranschaulichungs-; Zucht-; Zwangsmittel Mittelalter 78, 82 f., 146, 153, 213, 290, 297, 300, 340, 373, 400, 407, 505, 541, 553, 571, 606 f., 612, 656 f., 668 f., 686, 691, 693, 697, 715, 718, 720, 722, 726, 731, 735, 751 –, agrarisches 749 – als Zeit „ausgeprägter Individualität“ 261 – Askese des R Askese, mittelalterliche – asketische Schriften des 293 –, deutsches 549, 647 – (Einheits-)Kultur des 41, 731 –, europäisches 473, 475 f., 591, 647 –, intolerantes 687 –, irrationales asketisches 727 –, katholisches 42, 525, 641 –, kontinentales 737 – Lebensmaximen des 710 – Schätzung der Arbeit im 189 – Sekten des 581, 734 R auch die Einträge zu: Berufsethik; Christentum; Doktrin; Durch­ schnitts­christ; Gesellschaft; Handwerker; Katholiken; Katholizismus; Kirche; Kultur; Mönchtum; Orden; Prediger; Preisordnung; Religiosität; Schriftsteller; Sekten; Selbstbewußtsein; Theokratie; Tradition, Wirtschaftsregulierung Mittelklasse, Mittelklassen 589, 639, 672 –, aufsteigende/aufstrebende bürgerliche 52, 654, 700, 706 –, bürgerliche 645, 706, 722

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Sachregister

–, bürgerlich-kapitalistische 604 –, englische 28 Mittelmeerkapitalismus 687 Mittelstand, Mittelstände – als bürgerliche Klasse 386 – als Träger der Tugend 386 –, amerikanischer 721 – aufstrebende Schichten des 164, 524, 533 –, bürgerliche aufsteigende/aufstrebende 596, 645, 649, 654, 693 „moderate use of the creation“ 410 Momente, ideologisch kausale 509 Monarchomachen, calvinistische 567, 569 Mönch, Mönchtum 135, 192, 290, 295, 348, 373, 488, 542 f., 578 f., 583, 639 f., 712, 727 – als methodisch lebender Mensch 295, 726 – Aristokratie der 296 – des Okzidents 348 –, katholisches/des Katholizismus 292, 581 –, mittelalterliches/des Mittelalters 58, 70, 297 –, orientalisches 290 – von der Welt abgeschiedenes/ weltflüchtiges 297, 529, 541, 559 R auch: Benediktsregel; Bettelmönchtum; sowie die Einträge zu: Leben; Lebensführung; Produktivität; Tugend; Weltflucht Mönchsaskese 190, 348, 359, 526, 580, 583, 725–727, 834 –, katholische (rationale) 725 Mönchsgelübde 202 R auch: consilia evangelica Mönchszellen 422 money-maker 603, 653 Monopolisten 596, 604, 654, 686 Moral –, bürgerliche 398 – des Katholizismus 542 –, doppelte 540, 572 – Franklins 150

–, geltende 386 R auch: Genügsamkeit; Habitus; Legitimation; Maximen; Qualität; Rigorismus, moralischer Moralgesetz, christliches 218 Moralisten –, ältere 302 –, englische 41, 45 Moralkodex 355 Moraltheologie, Moraltheologen 300 f. –, englische und niederländische 310 –, katholische 387 –, puritanische 236, 367 Moralvorschriften R Altes Testament, Moralvorschriften des Mormonen, Mormonismus 378, 500 „moroseness“ (der Puritaner) 371 „mortal“ und „venial“ sin 275 „motion of the spirit“ 361 Motiv, Motive 78, 135, 170, 352, 374, 382, 396, 401, 403, 408 f., 449, 605, 608, 616, 675 f., 704 f., 715, 724, 763 –, bürgerliche 408 –, individualistische 264 – Isolierung eines/isoliert dargestelltes 534, 605 –, konstante 292 –, künstlerische 404, 504 –, ökonomische 503 –, philosophisches 332 –, praktisch-psychologische 711 –, privatkapitalistisch relevante 698 –, psychologische 759 –, rein ideelle 214 –, religiöse 210, 213–215, 277, 307, 350, 409, 460, 485, 499, 503, 602, 694, 725 –, weltanschauungsmäßiges 600, 655 – Wirkung eines bestimmten 605 Motivation, motivational, Motivierung 97, 132, 170, 287, 320 –, intrinsische 59 –, religiöse 307, 553 –, utilitarische 381 Motivationsreihen, religiöse 735 Motivationstheorie 59, 74 Motivationsverknpüfungen

Sachregister – im asketischen Protestantismus wirksame 605 –, seelische 600 Motivreihen, prävalente 38 f. Mount Airy (North Carolina) 442, 443 Mühsal 113, 185 Münsterscher Aufruhr/Münsteraner Täufertum 347, 358, 482, 571, 705 munus (lat.) 179 Muraschu (jüdisches Handels- und Kredithaus) 138 Muschik 501 Muße, Müßigkeit 195, 370, 529 Mystifizierung, musikalische und optische 459 Mystik, Mystiker 86, 209, 279, 321, 343, 764 – als (Sozial-)Typ 84 f., 758 –, deutsche 146, 187, 194, 196, 205, 208, 278 –, katholische 277, 310 R auch: Askese und Mystik; Freiheit des Mystikers; unio mystica; sowie die Einträge zu: Gläubige; Kontemplation; Stimmungsreligiosität mystisch-magisch 277 Mystizismus 70, 743, 756 „Nachfolge Christi“ 294 Nachkommen, Nachkommenschaft 143, 389, 533 – glänzende Stellung/Zukunft der 534, 604, 616, 659 Nächster, Nächste 202, 269, 334, 375, 383, 535, 559, 757 – als Feind Gottes 297 R auch: Liebe zum –; Liebesdienst am –; Mißtrauen gegen den Nächsten Nächstenliebe 192, 194, 202, 264, 267–269, 383, 388, 471, 495, 555, 642, 658, 756 – Unpersönlichkeit der/unpersönlicher Charakter der 269, 382 R auch: Berufsarbeit als Ausdruck der –; Gebot der Nächstenliebe Nadere reformatie 139, 237

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Nahrung, Nahrungsstandpunkt 37, 200, 203, 384, 417 Nation, Nationen 306, 505, 535, 559–561, 644 R auch: Kulturnationen Nationalität 124 Nationalitätenkampf, elsässischer 133 Nationalitätenwechsel 306 Nationalliteratur, englische 405 Nationalökonomie, Nationalökonomen 36, 510, 662 –, ethische 15 –, historische (Betrachtung/Schule der) 2 f., 9–11, 15, 17 f., 45 – Methodenstreit der 9, 11, 17–19, 21, 73, 465 –, theoretische (österreichische Schule) 3, 9–11, 17 f. R auch: Fachmann; Literatur, nationalökonomische Nationalsynoden der Hugenotten 135, 676 f., 834 Nationaltugend 363 natural acts 360, 361 naturali ratione 360, 379 Naturaltausch 53, 174, 549 Naturalwirtschaft 549, 591, 647 R auch: Gebiete; Milieu, naturalwirtschaftliches Naturen –, ernste 295 –, nicht angepaßte 134 – mit kapitalistischem Geist erfüllte 169 –, religiös gestimmte 735 –, schwache 342 –, unkirchliche 173 Naturgesetz, Naturgesetze 20, 84 –, soziologische 743 –, weltliches 218 Naturrecht 567, 751, 743 –, absolutes christliches 84 – der russischen Religiosität 758 –, modernes profanes 83 f., 742 –, relatives (der Stoa) 84 –, stoisch-christliches 83 f., 742

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Sachregister

R auch: Kirchen, Naturrecht der; Lehren, naturrechtliche; „law of nature“; lex naturae Naturwissenschaft 20, 738 f. –, moderne 332, 738 Naturzweck, rationaler 725 „Neger“, amerikanische/„Negerkirchen“ 344, 401, 712 Neigung –, sittlich indifferente 147, 552 – zum Gegenwartsgenuß 336 Neo-Calvinismus 593 R auch: Kirchenbildung, neucalvinistische Nervosität 73 Neuengland, Neuengland-Kolonien/ -Staaten 127, 131, 138, 152, 400, 412, 503, 544, 549 f., 558, 590 f., 593, 602, 687, 695, 754 – als Kolonialland 591, 647 – Gewerbe/hohe Blüte des Handwerks in 412, 549, 647, 706 –, intolerant calvinistisches 589 – Kirchenkonstitution in 312 – Reichtum in 550 R auch: Eisen(hütten)werksgesellschaften (in Neuengland); Industrie in den Neuengland-Kolonien; Kirchen, neuenglische Neuerer 168, 461 –, kapitalistischer 50 Neues Testament 200, 298 f., 353 R auch: Arbeitsgebot, neutestamentliches Neukantianismus, südwestdeutscher 40 Neuordnung des religiösen Lebens 209 Neuprotestantismus 565 Neurologen 344 Neuzeit 82, 164, 508, 553, 598, 617 f., 625, 627, 651–654, 656–658, 660, 662, 670, 691, 696, 704, 708, 738 R auch: Kapitalismus, neuzeitlicher New York 550, 590 „New York proper“ 436 Nichtberufliches 730

Nichtfachleute, Nichtfachmann 629, 642, 658, 685, 737 Nichthistoriker 601, 689 Nichtigkeit 308, 317 nichtprädestinatorisch 61 Nichtreformierte 586 Nichtsektierer 719 Niederlande, Niederländer, niederländisch 33, 77, 98, 127, 138, 165, 274, 324, 413, 418, 515, 545 f., 551, 555, 560, 569 f., 628, 638, 648, 674, 695 – als Entstehungsland des Pietismus 237 – Aufstand in den 546 – Calvinismus in den 247, 545 f. – Erwerb der Gemeindemitgliedschaft in den 274 – Genter Pazifikation (1576) 311 – Gereformeerde Kerken in Nederland 594 – Hervormde Kerk 594 –, spanische/Südprovinzen der 546 f., 571 – täuferische Sekten in den 358 R auch: Flandern; Holland; sowie die Einträge zu: Bibliotheken; Einwanderer; Emigranten; Erweckung; Exulanten; Flüchtlinge; Gemeinden; Geschichte; Moraltheologie; Pietismus Niederrhein 476 R auch: Gebiete, niederrheinische; Pietismus, niederländisch-niederrheinischer Nobilitierung 414, 477 „Non expedit“ (Dekret von 1874) 677 Nonkonformist, Nonkonformisten 131, 236, 265, 348, 367, 416, 673, 834 R auch: conformism Nordamerika 138, 429, 591, 639, 647, 655 – demokratischer Charakter 456 R auch: Kapitalismus, (anglo-) amerikanischer in –; Neuengland, Neuengland-Kolonien; Quäker,

Sachregister Rolle in –; Vereinigte Staaten (von Nordamerika) Norddeutschland 556, 568 f. R auch: Katholiken, norddeutsche Nordosten, deutscher/Nordostdeutschland 556 f. Nordstaaten der Vereinigte Staaten R Vereinigte Staaten (von Nord­ amerika) Norm, Normen 15, 298 f., 303, 305, 419, 507, 529, 534, 536, 542, 563, 571, 658 –, alttestamentliche 394 – Bibel als R Bibel als (göttliche) Norm – des wirtschaftlichen Handelns 151 –, ethische (der Schrift) 393 – Gesetz als ideale/unerreichbare 299 –, kirchliche 172 –, religiöse 632 Normalpsychologie, „exakte“ 496, 511 Normannen, Normannenstaat 212, 687 North Carolina 442, 719, 722 North Tonawanda (bei Buffalo) 438 Northwestern University (Evanston, IL) 339, 435 Norwegen 558 Not 386, 418 Nüchternheit 168 Nutzen, Nützlichkeit 143, 148 f., 332, 523, 536, 538, 532–534, 543, 558, 604, 616, 659 – der Tugenden 109, 149 – des Berufs R Beruf, nützlicher – des Flors der Commerzien 384 –, gesellschaftlicher 269 –, öffentlicher 267 –, unpersönliche 382 R auch: Utilitarismus Oberdeutschland 551 R auch: Städte, oberdeutsche; Täufergeneration, erste schweizerische oberdeutsche Oberschichten, politische 733 Obödienz 267, 692 obra (span.) 181

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Obrigkeit 318, 537, 564, 633 f. – Gehorsam gegen die 182, 208, 526, 568 –, kirchliche 353 – Pflichten der 556 f. – Widerstand gegen die 568 f. Oerlinghausen 161, 167, 208, 723 Offenbarung, Offenbarungen –, biblische/der Bibel 269, 354 – der Herrlichkeit Gottes 252 –, fortdauernde/nie vollendete 354, 452 –, göttliche/von Gottes Willen 148 f., 329, 333 –, individuelle 350, 361, 472 R auch: Quäker, Offenbarungsverständnis der; Täufertum und individuelle (Geist-)Offenbarung office (frz.) 181 Officers, amerikanische 456 officium, officia (lat.) 112, 179, 181, 190 f. Offizier, Offizierkorps 170, 720 R auch: Reserveoffiziers-Aspiranten Ohio, Stadt am 423 Oklahoma 439 Ökonomik, Ökonomisches 5, 175, 617, 753 R auch: Alltagsleben, Anreize; Arbeit; Aufstieg; Auslese; Bedingungen; Berufsinteressen; Deutung; Entwicklung; Existenzbedingungen; Fortschritt; Gebarung; Gebiete; Gelegenheitsprofit; Geschichte; Geschichtsbedeutung; Gesetze; Interessen; Kampf ums Dasein; Klassenkonstellationen; Klöster, ökonomische Leistungen der; Kosmos; Kulturerscheinungen; Länder; Lebensführung; Lebensmethodik; Lebensschicksal; Leistungen; Leistungssphäre; Liberalismus; Machtmittel; Milieu; Motive; Prozesse; Qualifikation; Rationalismus; Rückgang; Rußland; Schichten; Segen; Sekten, ökonomische Qualifikation der; Selbstbehauptung;

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Sachregister

System; Theorie; Toleranz; Traditionalismus; Triebfeder; Überbau ökonomischer Situationen; Übermenschen; Verhalten; Verhältnisse; Voraussetzungen; Widerspiegelung ökonomischer Situationen; Wirkungen; Zwang, ökonomischer Okzident 290, 348 R auch: Orient „omnia ad/in majorem Dei gloriam“ 289, 528 R auch: „in majorem Dei gloriam“ Onanismus matrimonialis 714 opera servilia 195 opera spiritualia 288 operatur 279 opus, opera (lat.) 179, 187, 194, 207 opus (opera) supererogationis 365, 435, 529, 834 f. Orden, Ordensleben 442 f. –, katholische/mittelalterliche 44, 300, 727 – und Clubs 442 R auch: Benediktiner-; Bettel-; Jesuiten-; Tertiarierorden Ordensbildung 347 Ordensregeln 415 R auch: Benediktsregel Ordnung, Ordnungen 14, 292, 382, 529, 558 –, apostolische 318 – des Lebens R Leben, Ordnungen des – Gottes (zweckvoll geschaffene) 181, 281 –, irdische 538, 571 –, natürliche (der Welt) 192 –, objektive (historische) 182, 202 f., 380 – Schätzung der Heiligkeit der 187 –, weltliche 187, 204, 572, 580, 639 R auch: Beruf als subjektive Ordnung; Kirchenordnungen; Neuordnung des religiösen Lebens; Preis-; Privat­ eigentumsordnung; Sittlichkeit

höherer Ordnung; Welt, geordnete; Wirtschaftsordnungen Organisation, Organisationen 244, 668, 721 –, calvinistische soziale 264 – der Gemeinde (im Calvinismus) 570 – der sozialen Gemeinschaften 423 – im Methodismus 345 –, kirchliche/der Kirche 244, 345, 566 –, klosterartige 727 –, politisch-soziale 737 –, säkulare voluntaristische 69 –, soziale 264, 266 –, weltliche 719 R auch: Gemeinschafts-; Kirchen-; Macht-; Sektenorganisation Organisationsform/Formen der Organisation 163, 167, 431, 524, 668, 738 –, kapitalistische 53, 166 –, soziale und politische 215 „organische“ Schranken der Person 175 Organisches 456 Orient 198, 473 R auch: Okzident; sowie die Einträge zu: Feilschen; Mönchtum; Quietismus; Traditionalismus Orientierung 305, 358, 390, 529, 542 –, diesseitige 169, 303 –, rationale 254 –, religiöse 304, 386 R auch: Lebensorientierung Orthodoxie 85, 243, 326, 547, 648, 835 –, calvinische 547, 633 –, lutherische 322 –, puritanische 549 f. R auch: Calvinisten; Christentum; Dogmatiker; Doktrin; Kirche, griechische; Lutheraner, orthodoxe Ostelbier, protestantische 723 Osten 756 –, deutscher 124, 330 –, ferner 604 Ostentation 170, 410, 525, 535, 659 –, aristokratische 590

Sachregister –, parvenümäßige 389 –, soziale 732 R auch: vain ostentation Österreich 137 Ostfriesland 481, 595, 628, 695 R auch: Friesland Ostpreußen 138 outlaw, religiöser 721 outsider 671 Oxford 298 Pädagogik, pietistische 723 R auch: Erziehung; Leistungen; Programm, pädagogisches Papst, Päpste, Papsttum 85, 473, 677, 726, 750, 755 R auch: Dogma, vatikanisches; Exkommunikation, päpstliche „Paradise lost“ (Milton) 210 f. Paradoxien 513, 597 Paraguay 501 Paris 612 Paris (griech. Gott) 400 Parlament der Heiligen 270, 458, 312, 677 Parlamentsregierung 367 Parallelismus 477, 490 Partei 151 –, calvinistische 594, 635 –, politische 455 –, religiöse 302 –, sozialdemokratische 302 R auch: Zentrumspartei Parteigetriebe 456 Particular Baptists, Partikularbaptismus 302, 312, 346, 448, 649, 754, 705 Partikularkirche, reformierte 296 Parvenü, Parvenus 165, 389, 455, 524, 689 Parvenü-Familien, kapitalistische 170 Patriarchalismus 337, 378 R auch: Absolutismus, patriarchaler; Arbeitgeber, patriarchal gestimmte Patriarchen – des Alten Testaments 355

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R auch: Calvinismus; Stimmungen, patriarchalistische Patriziat 588 –, bürgerliches/städtisches 414, 482, 588, 645 R auch: Handelspatriziat; Standesbewußtsein, patrizisches Pauschsummen 173 Pennsylvanien 53, 174, 313, 415, 550, 590, 595, 602, 646 f., 695 perseverantia 342, 835 Person, Personen –, handelnde (der Geschichte) 634, 676 R auch: organische Schranken der Person Personen, Personal 124, 470 – der Industrie 731 R auch: Angestelltenpersonal; Reinheit des Personalbestands „personal election“ 367 Personalkredit 439 Persönlichkeit 59, 210, 406, 408, 699, 716, 731, 748 – Erziehung zu einer 292 –, historische 513 – im formal-psychologischen Sinn 292 –, rationale des Calvinisten 316 –, religiöse 462 – religiöse Qualifikation der 458 – subjektive Qualität der 720 R auch: Unpersönlichkeit Peruzzi (Florentiner Familie) 687, 835 Petition of Rights (1627) 34 Pfarrer 449 Pflanzenkost 377 Pflanzerhäuser 590 „Pflanzschule der Kapitalwirtschaft“ 31, 136 Pflicht, Pflichten 155, 178, 269, 275, 314, 375, 395, 471, 527, 530, 540, 543, 552, 555–557, 567–570 – als „Forderung des Tages“ 284 –, asketische 207, 526 – der Feindesliebe 264 – der Lebensführung 580 – der Selbstliebe 383

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–, innerweltliche 190 f., 194, 207, 526 –, öffentlichrechtliche 179 –, religiöse 360, 380 f., 451 –, traditionelle 287 R auch: Arbeitspflicht; Berufsarbeit als Pflicht; „conscience to their duty“; „duty towards God“; Obrigkeit, Pflichten der; Selbstliebe, Pflicht zur; Verpflichtung; Wehr-; Weltpflicht Pflichterfüllung 103, 154, 189, 395, 471, 495, 526, 642 Pflichtgefühl (zur Berufstätigkeit) 475 f., 489, 509 R auch: Berufspflichtgefühl Pfründe 182, 312 Phänomene 486, 510, 575 –, kapitalistische 655, 704 –, psychische 474 f. –, religionspathologische 73 R auch: Kapitalismus als universalgeschichtliches Phänomen Philadelphia 164, 175 Philanthropie 395 Philosophie –, antike 567 – Aristotelische 333 – Avenariussche 578 –, platonische 333 –, rationale 177 –, rationalistische 376 R auch: Empirismus; Motiv; Spekulationen, philosophische „Philosophie des Geizes“ 146 Physik 333, 513 R auch: psychophysisch Physiognomie (eines Landes) 591 f. Pietismus, Pietisten 138 f., 208, 217, 256, 263, 279, 295, 308–319, 321, 324 f., 330, 332, 336, 338, 340, 349, 353, 369, 374 f., 380, 419, 447, 452, 510, 528, 539, 595, 637 f., 640, 674, 695, 697, 705, 724, 759, 835 – als asketische Richtung/asketische Züge des 308, 579 – als Hauptträger des Toleranzgedankens 311

– als Träger des asketischen Protestantismus 58, 220, 242 – aus dem Calvinismus erwachsener/ reformierte Provenienz des 243, 273, 295, 587 – Bußkampf im 321, 325 –, deutscher 61, 318, 335, 337, 339, 344, 360, 368, 392 –, englisch-niederländischer 237, 318 –, englische nicht prädestinatianische 324 –, „feine“ 317 –, gefühlsmäßiger/Gefühlscharakter des 322, 330, 335 f., 344, 373 – Hallenser 322 –, holländische 317 – Hysterisierungsvorgänge im 485 –, kontinentaler 345, 384, 445, 689 –, niederländisch-niederrheinischer 311 –, puritanischer/und Puritanismus 237, 243, 309, 310 – rational-asketisches Element im 322 –, reformierter 270, 311 f., 317, 356 – Renaissance des 345 – und Bekehrung 134 – und Luthertum 243, 272, 318, 320, 335, 384, 724 – und Mission 452 – und Patriarchalismus 337 – Zinzendorfsche Spielart des 345, 419 R auch: Calvinismus und Pietismus; Calw; ecclesiola; England, puritanischer Pietismus; „Feine“; Gefühls­ pietismus; Hallesche Anstalten; Herrnhuter; Methodismus und Pietismus; Nadere reformatie; Niederlande als Entstehungsland des Pietismus; praxis pietatis; Präzisismus; Terminismus; Verbreitung, soziale und geographische (des Pietismus); Württembergischer Pietismus; sowie die Einträge zu: Arbeiterinnen; Askese; Bewährungsgedanke; Calvinisten; Christentum; Doktrin; Erziehungsgrundsätze; Ethik; Frömmigkeit; Gemeinschaft;

Sachregister Glaubenspsychologie; Konventikel; Pädagogik; Sekten; Seelsorge; Vorsehungsglaube Pietismusbegriff/Begriff des Pietismus 237, 310 f., 320 Pilgerväter 591, 695 Piraterie 676 Plantagen (der Sklavenhalter) 604 R auch: Baumwollplantagen Plymouth 152 poenitentia quotidiana 278 Polen, Polentum, polnisch 158, 566, 586 – in Galizien 130 – in Preußen 124, 130 – in Rußland 130 – Mädchen 136 f. R auch: Arbeiter, polnische (in Westfalen) Politik 559–561 R auch: Sozial-; Staaten-; Wirtschaftspolitik; sowie die Einträge zu: Berufsleben; England; Entwicklung; Flüchtlinge; Freiheit; Gebiete; Geschichte; Holland; Individualismus; Institutionen; Interessen; Konfessionen; Macht; Oberschichten; Organisationen; Partei; Radikalismus; Rationalismus; Schicksal; Staatsräson; Toleranz; Verhalten Polizei –, fürstliche 718 –, schwarze 162 R auch: Kontrolle, kirchenpolizeiliche; Sittenpolizei polizeilich-autoritär 364 Polizeistaat 557, 635 Pommern, Pommer 158 πόνος 113, 178, 179, 183, 185, 187 Port Royal 398, 835 f. Portier 701 „Positions“-Aristokratie“ 430 f., 455 positiv-religiös 312–314 possessio salutis 284 posto (italien.) 181 Postulate – der Kirche 713

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–, religiöse 459 „power“, „Powerteh“ 509, 590 Prädestination, Prädestinierte, prädestiniert 259, 270, 280, 311 f., 335, 454, 460, 754, 836 – Aufgeben der/Verwerfung der 345, 358 – Fatalismus als Konsequenz der 285, 528 – und Bewährungsgedanke 310 –, ungerechte 418 R auch: decretum horribile; Dekret; Erwählung; Erwählungsentschluß Gottes; (von) Ewigkeit her prädestiniert; „foreordained“; Gottes Gnadenwahl; Gnadenwahldekret; Heilige, prädestinierte; prädestinatorisch; predestinated; „Si non es praedestinatus .  .  .“ Prädestinationsgedanke 42, 317, 450 R auch: Fatalismus als Konsequenz .  .  . Prädestinationsglaube 62, 749, 754 Prädestinationslehre, Prädestinationsdogma 5, 243, 244, 249–251, 253, 254, 255, 270, 273, 296, 302 f., 318, 344, 367 – Ablehnung des 242 – Absterben des 339 – als esoterische Lehre im Katholizismus 271 – als Theologenlehre 270 – Calvins 256–258, 571 – des Calvinismus 60 f., 307, 526, 728 – Einfluß der auf die Seelsorge 335 – methodistische Anhänger der 342 – und Ethik (im Calvinismus) 296 R auch: decretum horribile; Dekret; Gnadenwahldekret; Gnadenwahllehre prädestinatorisch 61 R auch: nichtprädestinatorisch Prädikanten 717 Prädisposition 126, 694 praecepta R consilia evangelica präkapitalistisch R Arbeit; Epochen; Geist; Mensch, präkapitalistischer Prämien, psychische 713, 715

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Sachregister

Praxis, Praktiken – der Lebensführung 245, 728 –, ethische/der Ethik 288, 344 –, großfürstliche 604 –, seelsorgerische/der Seelsorge 63, 274, 366, 472, 529 –, sittliche 245 R auch: Berufsethik; Bewährung; Leben; Lebensfragen; Lebensorientierung; Motive; Rationalismus; Religiosität; Sichverhalten; Verhalten; Zwecke, praktische praxis pietatis 311, 315 Präzisismus, Präzisisten 288, 289, 308, 404 R auch: Christ, „präzise“ reformierter; „Feine“ predestinated 252 Prediger, Predigtamt 63, 152, 184, 260, 312, 402, 444, 471, 547 – im Mittelalter 712 –, puritanische 289 –, wiedergeborener 298 R auch: Baptistenprediger; Prädikanten Predigt, Predigten 208, 245, 300, 306, 366, 368, 374, 397, 400, 444, 729 – der Bettelmönche 348 – des presbyterianischen Flügels (des Puritanismus) 400 –, englische 402 – Taulers 184 f., 209, 279 R auch: Bergpredigt; Erweckungs-; Glaubens-; Quäkerpredigt „Predigt“ Franklins 171, 607 Predigtliteratur 186 Preis, Preise 145, 166 –, billige 158, 167 –, feste 444 f., 223, 719 –, gerechter 4, 32 R auch: justum pretium; System der festen Preise Preisordnungen 720 Presbyterianer 29, 150, 302, 343, 354, 367, 836

R auch: Predigten des presbyterianischen Flügels Preußen 15, 25, 69 f., 128, 130 R auch: Landeskirchen in Preußen; Ostpreußen; Polen in Preußen; Rheinprovinz; sowie die Einträge zu: Konservatismus; Kulturkampf; Soldatenkönige; Staat Priester, Priestertum –, „allgemeines“ 326, 378 – Wandel des 748 Prinzip, Prinzipien 268, 350, 352 f., 360, 362, 375, 404, 597, 690, 695 f., 757 –, allgemeines 384 –, asketisches 291 –, demokratisches 430 – der (asketischen) Lebensführung 399, 372 – der Irrationalität 759 –, ethische 381 –, individualistisches 560, 563, 565, 567 –, methodische 498, 506 –, religiöses 557, 635 –, sektenhafte/sektenmäßige 447, 695 R auch: Luthertum, Kirchenprinzip im; Methodismus, kirchen- und sektenhafte Prinzipien im; Sekten-; Toleranzprinzip Prinzipienwidrigkeit 447 Privatbeichte 263, 325 Privateigentumsordnung 359 privatkapitalistisch 691, 698 Privatwirtschaft, kapitalistische 176 R auch: Erwerb; Interessen; Profitlichkeit; Reichtum, privatwirtschaftlicher Privilegierung – einer Denomination 446 – einer Landeskirche 461 R auch: Homestead-Privilegien; Schichten, privilegierte probabel 387 Produktion 410, 524, 537, 634 –, mechanisch-maschinelle 422 – standardization der 404 R auch: Mehrwert-Produktion

Sachregister Produktionsmittel 164, 556 Produktionsprozeß 175 Produktivität, produktiv 412, 530, 533, 536 – der Arbeit R Arbeit, Produktivität der –, mönchische 379 – niederer Löhne 6, 419 – Steigerung der 157 R auch: Unproduktivität des Geldes; Verbrauch, unproduktiver professio (lat.) 179, 181 professio bene dicendi 179 Professoreneitelkeit 579, 639 f., 663 Profit –, hoher 157, 159, 385 – Minderung des 157 – traditionelle Höhe des 53, 167, 524 R auch: Gelegenheits-; Gesamtprofit Profitchancen, providentielle Deutung der 389 Profitlichkeit 530 –, privatwirtschaftliche 384, 472 R auch: Kapital, Profitlichkeit des Profitwut 613 Programm –, ethisches 323 –, pädagogisches 334 –, sozialethisches 253 R auch: Kirchenverfassungsprogramme Projektionstheorie 27 Prokurist 612 Propagandismus (der Sekte) 452 Propheten – (des Alten Testaments) 300, 353, 355 –, neue 423 Prophetie 358, 482 „Prophetie“ – als Schriftauslegung durch Nichttheologen 309 prophesyings 319, 348 propositum oboedientiae 282 Proselyten 135, 836 τὰ πρσήκοντα 178 prosperity 390 Prostitution, hygienische 377

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Protektionismus 5 Protestanten, Protestantismus 7, 26 f., 40–42, 47 f., 87, 126, 129 f., 132, 134, 139, 146, 176, 209, 217 f., 288, 294, 304, 308, 348, 447, 470, 525, 528, 531, 542 f., 554, 559, 561 f., 564 f., 568-572, 581, 632, 640, 642, 690, 693, 711, 716, 718, 723 f., 725, 751, 759 –, alter 139, 309, 350 –, asketischer/asketische Richtungen des 4, 6, 22–24, 26, 52, 57–62, 64–66, 70, 73, 75, 77 f., 80–83, 304, 334, 364–366, 368, 382, 395, 402, 407, 479, 482, 502, 504, 539, 577, 593, 602, 606 f., 614, 637 f., 643, 662, 674 f., 685, 690, 692 f., 705, 711, 713, 716, 727, 733 –  als Idealtypus 57 –  beeinflußte Länder des 735 –  Berufsethik des 602 –  Berufsidee des 365, 651, 657, 705 – Calvinismus als Träger des 61, 220, 242 –  Ethik des 407, 637 –  Kulturbedeutung des 22, 80, 424 –  Leistungen des 697 – Methodismus als Träger des 220, 242, 445 – (nicht-)prädestinatorische Richtung des 61 – Pietismus als Träger des 58, 220, 242 –  Sozialpolitik des 364 – wirksame Motivationsverknüpfungen im 605 – Beteiligung der am Kapitalbesitz 125, 127 – „Geist“ des 447, 548 –, französischer 132 – in Baden 128 – katholische Reste im 579, 639 f. –, kirchlich/religiös indifferente 132 f. – lex naturae im 355 –, lutherischer 470 f., 495 – Machtstellung des 568 –, reformierter 35, 97, 98, 104, 300, 661 –, reformiert-täuferischer 348

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Sachregister

–, sektiererischer 85, 759 – und Askese 393, 529, 559, 581, 639, 641, 661 – und Kapitalismus 607, 662, 656, 675, 693, 710 – und kapitalistischer Geist 26 –, westeuropäischer 566 R auch: Altprotestantismus; Askese des reformierten Protestantismus; Kirchenordnungen des Protestantismus; Lebensstil; Neuprotestantismus; sowie die Einträge zu: Askese; Berufsbegriff; Bibelübersetzung; Denominationen; Emigranten; Ethik; Gemeinschaften; Glaube; Handwerksgesellen; Kasuisten; Kirchen; Konfessionen; Länder; Lebensregeln; Macht; Mission; Ostelbier; Rationalismus; Religionsgemeinschaften; Religiosität; Sekten; Völker; Werkheiligkeit providentia – communis 390 – divina/Dei 191, 390 Providentielles 191, 203 R auch: Vorsehung; sowie die Einträge zu: Berufsgliederung; Fügungen; Profitchancen Providenz Gottes R Gottes Providenz Prozeß, Prozesse –, logischer (im Sinne Hegels) 472, 480 –, ökonomische 500 –, pathologischer 511 –, religiöse 694 R auch: Entwicklungs-; Erziehungs-; Produktions-; Rationalisierungs-; Revolutionierungs-; Säkularisationsprozeß Prüfung, Prüfungen 166, 312, 396 Prunk 409, 548, 697 Psalmen 299 f., 392 Psychogenesis, Psychogenesen, psychogenetisch 72, 496, 499, 507, 509 Psychohistorie 72

Psychologie 72 f., 474, 486 f., 490, 491, 499, 510–513, 605, 611, 613, 644 – „Abstraktionen“ einer 489 f., 497 – als Fachdisziplin 513 – Begriffsvorrat der 316, 485 –, quäkerische 323 – überwundene Art der 603, 643 –, wissenschaftliche 74, 512 – Zurückweisung der als Grundlagenwissenschaft 465 R auch: Börsen-; Erwerbs-; Fach-; Glaubens-; Normal-; Reflexions-; Religionspsychologie; sowie die Einträge zu: Antriebe; Beichte; Betrachtung; Forschung; Freiheit; Glaube; Konsequenzen; Literatur; Motive; Qualität; Schemata; Überlegungen; Unterlagen; Voraussetzungen; Wirkungen psychopathologisch R Begriffe, psychopathologische psychophysisch 316 pudendum 172, 376 pulpit exchange 444 „Puls“ fühlen 300 f. Pumpsystem (der Studenten) 440, 719 Pünktlichkeit 144, 147 R auch: Unpünktlichkeit Puritan churches 389 Puritaner, Puritanertum, Puritanismus 45, 80, 205, 210, 250, 254, 261, 267, 271, 280 f., 286–292, 294, 299–302, 306, 309, 314, 316, 323 f., 340, 371 f., 374 f., 377, 384, 390, 392, 394, 398–406, 408 f., 413, 415, 459, 471 f., 475, 477, 495, 504 f., 522, 530, 543, 548, 554, 558, 571, 578, 580, 589, 592, 596 f., 603–605, 607, 617, 638, 646 f., 655, 658–662, 677, 697, 701, 704, 836 f. – Abneigung gegen Sport 399 – Askese des R Askese, puritanische – als Berufsmensch 422 – als Minderheiten 609 –, amerikanische 132 –, antiautoritärer asketischer Zug der 398

Sachregister – Antipathie der gegen feudale Lebensformen 413 – Antithese der gegen den 374 –, asketischer 483 – Baptismus als zum gehörende Bewegung 244 – Begriff/Definition des 29 f., 58, 244 – Bekehrung zum 281 – Bildung im 400 –, calvinistische 450 – Eindringen des alttestamentlichjüdischen Geistes in den 281 – englischer 66, 132, 309, 318, 366, 394, 543 f., 547 f., 646 –, englisch-holländischer 369 – Herrschaft des 548, 604, 646, 689 –, holländischer/Hollands 132, 402, 593 – kirchliche Ausprägungen des 457 – Lebensideal des R Lebensideal, puritanisches – nach Art der Mönche gezügelte 488 – negatives Verhältnis zur Sinnenkultur 261 – radikale Schichten der 677 – Schätzung der Landwirtschaft im 414 – und moderne militärische Disziplin 292 R auch: Calvinismus, Entwicklung des zum –; „Göttliche Komödie des –“; prophesyings; Rigorismus, moralischer (im –); Sonntagsruhe (im Puritanismus); sowie die Einträge zu: Berufsaskese; Berufsbegriff; Berufsidee; Berufsverständnis; Bürgertum; Dissent; Einfachheit; Einwanderung; England; Erwerbs­ ethik; Ethik; Frömmigkeit; Geist; Gesetzlichkeit; Glaube; Häresie; Heilige; Heiligung; Kapitalismus; Kaufleute; Konsum; Länder; Lebensauffassung; Lebensluft; Lebensmethodik; Lebensstil; Literatur; Moraltheologie; Orthodoxie; Pietismus; Prediger; Religiosität; Schriftsteller; Sekten; Sittenstrenge;

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Sittlichkeit; Tatkraft; Typus; Tyrannei; Verhöre; Völker; Weltfreude; Yankeetum Puritanerin, Ideal der 407 Pußta, ungarische 592 Quäker, Quäkertum 64, 131, 223, 239–241, 244, 314, 343, 346, 348 f., 356, 359, 361 f., 368 f., 385, 397, 404, 409 f., 444 f., 447, 450, 460, 548, 591, 694, 697, 705, 710, 723 f., 837 – Ablehnung von Ämtern/Eid der 360 – Abneigung gegen den Sport 399 – „Geist“ bei den 358 – Geschäfte der 445 – Gottesdienst der 460 – Kirchenbegriff der 240 – Lehren der 354 – Offenbarungsverständnis der/ „inneres Licht“ bei den 354 f., 452 – prosperity bei den 390 – recreations der 406 – Reichtum/Reichtumsbildung der 138, 577 – (Rolle) in England 131, 138 – (Rolle) in Nordamerika 138 – Schriften der 390 – System der festen Preise bei den 223, 719 – Tradition des 694 – Verleugnung der Ideale bei den 415 – Versagung der Ehrfurchtsformen durch die 352, 450 – Verspottung der 451 R auch: Betsäle der Quäker; sowie die Einträge zu: Detaillistentum; Glaubenspsychologie; „meeting“; Psychologie; Rationalisierung; Schichten Quäker-Ethik 356, 383, 390, 451 f., 590, 646 Quäkergemeinde 720 Quäkergeschichte 689 Quäkerpredigt 365 Quäker-Schriftsteller 445 Quäker-Synoden 361

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Sachregister

Qualifikation, Qualifizierter, Qualifiziertheit 716, 722 – als Christ 444 –, geschäftliche 443, 719, 734 –, ökonomische 724, 734 –, religiöse 450, 453, 458, 748 f. – sich bewährende des Individuums 453 R auch die Einträge zu: Arbeiter; Individuen; Persönlichkeit Qualifikationsmerkmale 454, 722 Qualität, Qualitäten 279, 287, 701, 721 – des Glaubens/Wollens 255 – des (Industrie-)Personals 731 – die Lebensführung charakterisierende 287 –, ethische 54, 160, 169, 525, 534, 711 –, formale psychologische 459 –, geschäftliche/der Geschäftsgebarung 221, 441, 534 –, gewerbliche 732 –, persönliche moralische/der Person 169, 454 –, religiöse 450 –, subjektive 720 – von Gott verliehene 220 R auch: Rassenqualität; Unternehmer, ethische Qualitäten des „Qualitäts“-Aristokratie 430 f., 455 Quellen, reformationsgeschichtliche 60 Quietismus –, katholischer 309 f., 837 –, orientalischer 392 „Quod numquam“ (Enzyklika von 1785) 677 Radikalismus –, politischer 453 R auch die Einträge zu: Calvinismus; Gemeinschaften; Idealismus; Individualismus; Methodisten; Puritaner; Sekten; Weltablehnung Rajah 488 Raskol, russischer 480 Rassendifferenzen 212 Rassenqualität, ererbte 160

Rationales 285, 653, 702 R auch: antirational; Irrationales; sowie die Einträge zu: Arbeiten; Askese; Beherrschtheit; Berufsarbeit; Berufsaskese; Berufsethik; Bewährungsgedanke; Erwerb; Ethik; Gestaltung; Konsequenzen; Leben; Lebensführung; Lebensmethodik; Methodik; Naturzweck; Philosophie; Sekten; Theologie; Vollkommenheitsstreben; Wirtschaft; Zweck Rationalisierung 290, 528, 542, 553, 657, 702 –, asketische 305, 412 –, calvinistische 358 – des innerweltlichen Handelns 61, 336 – des Privatrechts 176 – des Wirtschaftens 508 –, methodische 307 –, quäkerische 358 R auch: Gesamtleben; Lebensrationalisierungen; sowie die Einträge zu: Askese; Berufsleben; Empirismus; Ethik; Forschung; Länder; Lebensführung; Lebensstil; Philosophie Rationalisierungsprozeß 53, 167, 175 Rationalismus, Rationalisten 289, 548 f., 564–566, 635, 647, 590, 607 – als historischer Begriff 87, 177 –, alttestamentlicher 300 –, asketischer 423 –, bureaukratischer 453 – Gesamtentwicklung des 176 – Geschichte des 87, 176 –, humanistischer 80, 424 –, liberaler (späterer) 267 –, ökonomischer 37–39, 87, 175, 270, 473 –, politischer 270 –, praktischer 177 –, protestantischer 424 –, weltlicher 750 –, westeuropäischer 330 –, wissenschaftlicher 738

Sachregister R auch: Geist; Lebensanschauung, Lebensführung; Lebenshaltung, rationalistisch geregelte Rationalismusdebatte 87 Ratschläge –, evangelische R consilia evangelica –, seelsorgerische 63, 275 Ratschlüsse Gottes R Gottes Ratschlüsse Raubkolonien (italienischer Seestädte) 603 Realgrund, Realgründe – der Seligkeit 715, 764 – des Gnadenstands 341, 528 – des Heils 65 R auch: Erkenntnisgrund Realgymnasien, Realschulen 128 f., 723 Realien, Realunterricht 334, 722 Rechenhaftigkeit, rechenhaft 38, 176, 372, 508 f., 525, 553, 611, 613, 658, 699 R auch: calculating spirit Recht, Rechte 440, 451 –, amerikanisches 34 –, englisches 34 –, göttliches 758 –, objektive 35 –, positives 204, 634 –, römisches 176, 752 –, subjektive öffentliche 34 f. –, unveräußerliche 318 –, vorstaatliche 35 R auch: common law; Exekutions-; Grund-; Herren-; Individual-; Menschen- und Bürgerrechte; Naturrecht; Pflichten, öffentlichrechtliche; Privat-; Widerstandsrecht Rechtfertigung, Rechtfertigungslehre 192, 244, 275 f., 304 f., 308, 328, 331, 340, 350, 363, 445, 542, 837 – forensische Auffassung der 368 R auch: Glaube, rechtfertigender; Selbstrechtfertigung Rechtgläubigkeit, dogmatische 311 Rechtlichkeit –, formale 393 –, geschäftliche 444

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R auch: Unrechtlichkeit Rechtsformen, kapitalistische 752 Rechtssubjekt 34 reconciliation 297 recreations 293, 369, 372, 406 Redlichkeit 363, 385, 537, 558 Reduktion, Reduktionismus 5, 45 Reflexe ökonomischer Verhältnisse R Verhältnisse, ökonomische Reflexionspsychologie 495 Reformation 28, 32 f., 39, 58, 103, 126, 135, 188, 196, 210, 214 f., 479, 505, 523, 545, 552, 555, 560–563, 571, 581, 599, 625, 635, 642, 651 f., 656, 658, 662, 670, 705, 739, 752 – (asketische) Richtungen der 551, 553 – Einfluß/Einflüsse der 495, 553, 572, 651, 661 – Frühzeit der 565 – Gedankengehalt der 214 – Kulturwirkungen der 213 – Leistungen der 195 f., 579, 640, 723 – vor der 473, 503, 551 R auch: Gegenreformation; Kulturepochen; Tätigkeit, reformatorische Reformationen der Klöster R Klosterreformation Reformationskirchen 349 –, nicht asketische 242, 539 – und katholische Vergangenheit 310 Reformationssittlichkeit, gemeinchristliche 602 Reformationszeit, Reformationszeitalter 4, 259, 294, 296, 540, 561, 614, 691, 700 R auch: Gegenreformationszeit; Zeit, vorreformatorische Reformatoren 127, 196, 213 f., 309, 540 Reformchristentum (des Erasmus) 571 Reformeifer –, enthusiastischer 358, 482 – (Karikaturen) echten/ernstgemeinten 460, 462 Reformierte, Reformierten 47, 58, 279, 281, 299 f., 304, 350, 352, 527, 586, 608 – Berufswahl der 484, 592, 723

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Sachregister

– Lebensführung der 58, 586 – in Ungarn 129, 681 R auch: Lutheraner und Reformierte; Nichtreformierte; sowie die Einträge zu: Abendmahlslehre; Abendmahls­ praxis; Askese; Berufsethik; charitas; Christentum; Christologie; Ethik; Familien; Frömmigkeit; Durchschnittschrist; Fürstenhöfe; Heilige; Individualismus; Katechismen; Kirchen; Kirchentum; Konfession; Lehre; Minoritäten; Partikularkirche; Pietismus; Protestantismus; Religiosität; Sittlichkeit; Werkheilige Regel, Regeln – des heiligen Benedikt R Benediktsregel – des katholischen Mönchtums 292 – eine feste 288 R auch: Klugheits-; Lebens-; Ordensregeln; sowie die Einträge zu: Leben; Lebenshaltung; Lebensmethodik regenerated (persons) 298 regeneratio, regeneration 281, 305, 343 f. R auch: Wiedergeburt Reglementierung, Reglementierungen 725 – der Lebensführung 127 – des Berufslebens 345 – des Lebens 306 –, kirchliche der Askese 364 –, merkantilistische des Staats 364 –, staatliche des Wirtschaftslebens 172 R auch: Kontemplation, methodisch reglementierte; Lebens-; Sittenreglementierung Regressus, (historischer) kausaler 489, 507 Reich – Diokletians 755 – Gottes R Gottes Reich „Ein Reicher wird nicht leicht selig“ 369 Reichtum, Reichtümer 6, 132, 171, 369, 379, 387, 409, 412, 525, 529, 532,

535–537, 543, 551, 554, 556, 558, 588, 596, 645, 653 f., 656, 659 – als Effekt fleißiger Berufsarbeit 417 – als Gefahr für die Seele/schlechthin 32, 597 – Anhäufung/Ansammlung von 537, 697 – Ansehenssteigerung durch 370 – der Mennoniten 138, 557 – der Quäker 138 –, ererbter 126 –, erworbener 370 – Genuß des 370, 476, 693 – Hollands R Holland, Reichtum in – Kampf gegen 409 – Neuenglands R Neuengland, Reichtum in –, privatwirtschaftlicher 410 – Streben nach 387, 410, 531, 543 f. – Versuchungen des 370, 386, 415, 418, 530, 597 R „Arbeite nicht, um reich zu sein“; Geschäftsmann, reicher; „für Gott dürft Ihr arbeiten, um reich zu sein“; Kleinbürger; Klöster, reichgewordene; „Ein Reicher wird nicht leicht selig“ Reichtumsbildung 595, 597 –, bürgerliche 577 Reichtumsgewinn 607 Reimser Bibel R Rheimser Bibel Reinheit 142, 200 –, begriffliche 613 – der Abendmahlsgemeinschaft 717 – der „Kirchen unter dem Kreuz“ 349 – der Lehre R Lehre, reine – (von Sektenmitgliedern) 449, 749 R auch: Gemeinden, reine; „unclean life“ Religion 5, 23, 26 f., 83, 86, 169, 117, 312, 327, 418, 544, 559, 571, 636, 644, 649, 760 –, christliche 140 – der Freiheit (bei Hegel) 26 – Gedankengehalt einer 285 – Gefühlsseite der 61, 315

Sachregister – und Wirtschaft R Wirtschaft und Religion R auch: Bildungs-; Erlösungs-; Glaubensreligion; „Maximum von Religion .  .  .“; Sakramentsreligion; „Dem Volke muß die Religion erhalten bleiben“; Weltreligionen; sowie die Einträge zu: Askese; Bedürfnis; Berufsarbeit; Berufsethik; Berufsgedanke; Berufung; Bewährung; Bewegungen; Bewußtsein; Bewußtseinsinhalte; Elite; Empfinden; Enthusiasmus; Entwicklung; Epochen; Erlebnismäßige; Erlösungsgefühl; Erziehung; Ethik; Exulanten; Faktoren; Gebiet; Gemeinde; Gemeinschaft; Gemeinschaftsleben; Gemeinschaftswesen; Glaube; Glaubensinhalte, Glaubensvorstellungen; Gnadenstand; Gruppen; Ideale; Idee; Individualismus; Individuen; Inhalte; Institutionen; Interessen; Intoleranz; Land; Leben; Lebensführung; Lebensinhalte; Lebensreglementierung; Lebensstil; Legitimation; Lehren; Literatur; Mächte; Milieu; Minoritäten; Motive; Motivation; Motivationsreihen; Naturen; Normen; outlaw; Partei; Persönlichkeit; Pflicht; Postulate; Prinzip; Prozesse; Qualifikation; Qualitäten; Revolution; Sanktion; Schriften; Seele; Sichverhalten; Stimmungen; Streben; Tagebücher; Toleranz; Tradition; training; Typus; Ursachen; Virtuosen; Vorstellungen; Zeiten; Zweifel Religionsfreiheit 31, 564 Religionsgemeinschaften 38, 213, 760 –, asketische/asketisch-protestantische 43, 364 Religionsgesellschaft 760 Religionskritik 27 Religionspsychologie, religionspsychologisch 278, 310, 511, 670, 685, 728 religionssoziologisch 89

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Religiöses 460, 556, 568, 608, 631 f., 634, 636 – gelehrte Analyse des 458 Religiosität 283, 311, 329, 541, 557, 559, 691 f., 711 f., 729, 751 –, allgemein-bäuerliche 392 –, asketische/asketisch-protestantische 220, 270, 309, 338, 363, 424, 450, 725, 751 –, calvinische/Calvins 522, 538, 564, 567, 569 f. –, calvinistische/des Calvinismus 302, 526 f., 558, 571, 762 –, calvinistisch rationale 317 –, christliche 539 f., 547, 572, 636, 751, 761 – des Bürgertums 753 –, emotionelle (des Methodismus) 340, 344 –, freie/freiere christliche 565, 572, 632 –, gefühlsmäßige, Gefühlscharakter der 299, 335, 338 –, herrnhuterische 343 – hysterischer Charakter der 279, 316 –, katholische 640 –, lutherische 277, 479, 568 –, mittelalterliche 315 –, nicht calvinistische 320 – pneumatischer Charakter der 353 –, positive 453 –, praktische 564 f., 572, 316 –, protestantische 453, 560 –, puritanische 713 –, reformierte 279, 638 –, russische 757 –, subjektive 261 –, täuferische 565, 637 – Welt ablehnende 762 R auch: Gefühls-; Glaubens-; Sekten-; Stimmungs-; Volks-Religiosität Religiositätsformen 723, 735 Remonstrantische Bruderschaft 243 Renaissance (Zeitalter der) 76, 400, 505, 526, 540, 544 f., 551, 553 f., 563, 739 R auch: Frührenaissance

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Sachregister

Renaissance-Christentum 563 f., 572 Renaissance-Mensch 488 „renewed man“ 396 Rentengenuß 732 Rentengrundherren, feudale 698 Rentenkauf 196, 838 Repristination 335, 340, 838 Reprobierte 260, 297, 312 Reserveoffiziers-Aspiranten 443 „Respektlosigkeit“ (der Amerikaner) 353, 389, 456 „Reservearmee“, industrielle 158 responsa, Responsensammlungen 66, 498 – der römischen Juristen 728 f. Restauration – in England 367, 405 –, katholische 568, 572, 634 Restitutionen (wucherisch erworbenen Gutes) 607 Reue 326, 330, 526 –, bußfertige 297, 304 R auch: attritio; Glaube, reuiger revival 344, 415, 706 Revolte, calvinistisch-hugenottische 752 Revolution 367 –, amerikanische 34 – der Gesinnung/Mentalität/des Habitus 53, 59 –, englische 28 f., 32, 42, 98, 561, 637 –, französische 28 f., 34 –, kirchliche 126 –, religiöse 457 –, russische (1905) 67, 83, 466 –, wirtschaftliche 38 Revolutionierung, Revolutionierungsprozeß 53, 165, 168 R auch: Entwicklungsprozeß, revolutionierender Rheimser Bibel (1582) 118, 189 Rheinland-Westfalen 165 R auch: Westfalen Rheinprovinz 123 Rhode Island 152, 313, 412, 549, 589 –, interkonfessionelles 138

„First righteousness, then peace“ 323 Rigorismus –, ethischer 452 –, moralischer (des Calvinismus/ Puritanismus) 543, 571 f. – der innerweltlichen Askese 309 Rittergüter, Aufkauf von 477, 482, 733 „Robinson Crusoe“ (Defoe) 416 Romantik, Romantiker 153, 453, 732 –, englische 736 –, feudale und dynastische 450 Römerreich 687 R auch: Reich Diokletians Roundheads, Rundköpfe 212, 404 Rückgang, ökonomischer (in Genf) 501 Rückstand, Rückständigkeit, rückständig 154, 157, 160, 176, 198, 297, 377, 407, 436, 485, 527 – des deutschen Ostens 330 R auch: Agrarier, rückständige; Bauern „Ruf“ 244, 356, 443 – (als Übersetzung von κλῆσις) 113, 182, 184, 186, 188 – des Herrn/Gottes 200, 360 –, geistlicher und weltlicher 194 ruffunge 183 Ruhe 146, 278, 291, 361, 423, 525 f., 552, 568 – auf erworbenem Reichtum 370 R auch: Besitz, Ausruhen auf dem; „ewige Ruhe der Heiligen“; Sonntagsruhe; tranquillitas animi; Unruhe „Ruhekissen“, sanftes 416 Ruhm Gottes R Gottes Ruhm Rundköpfe R Roundheads Rußland 103, 501, 755 – Kultur-/ökonomische Verhältnisse in 755 – Revolution in R Revolution, russische R auch: Muschik; Raskol; Skopzen; Stundisten; sowie die Einträge zu: Christentum; Literatur; Religiosität; Schismatiker; Sekten; Sektierer „rüstig in seinem Beruf“ 150

Sachregister Rüstzeug Gottes, Rüstzeug-Vorstellung 272, 303, 326, 838 Sabbatruhe R Sonntagsruhe Sachgüter, Sachgüterbesitz 150, 615 Sachlichkeit – der Vergesellschaftung 455 –, menschlichkeitsfremde 699 R auch: Wirken, sachliches (unpersönliches) Sachsengänger 136 f., 838 sacrosancta synodus 594 Sahara 484 „saints“ (als sancti/separati) 365 Sakramente 256, 260, 274, 298, 336, 343, 354, 471, 748 – magische Deutung der 305 R auch: Abendmahl; Bußsakrament; externa subsidia; Gnadenmittel; Heilsvermittlung, sakramentale; Magie, sakramentale; Kommunikanten; Taufe; Wort und Sakrament Sakramentsreligion 41 Säkularisation 544, 555, 567, 652, 705 – aller Lebensinhalte 132 – amerikanischen Lebens 246 – der innerweltlichen/protestantischen Askese 548, 550, 553, 661 – des Lebens 436 – reformierter Berufsethik/Sittlichkeit 548, 553, 656, 658 R auch: Organisationen, säkulare voluntaristische Säkularisationsprozeß 531, 718 Säkularisierung 51, 653 R auch: Besitz, säkularisierende Wirkung des Säkularisierungsthese 51, 67 Samurai 504 Sandemanier 739 „Sandhaufen“ (amerikanische Demokratie kein) 69, 454, 721 Sanktion, religiöse 558 „Saul und David“ (Gemälde Rembrandts) 402

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Savoydeklaration (1658) 62, 251, 302, 838 „(sich) Schätze auf Erden sammeln“ 369, 702, 759 Schein 149 – chevaleresken Prunks 409, 548 – der Bescheidenheit 148 – der Ehrlichkeit 147 Schemata, psychologische 489, 496, 510 Schicht, Schichten, Schichtung 534, 558, 591, 654, 677, 732, –, aufstrebende/im Aufsteigen begriffene 164, 415, 524, 533 –, bildungslose untere 270 –, breite/breitere 177, 273, 276, 362, 488, 596, 649, 693, 722 –, bürgerliche 596, 649, 654, 693 – des Patriziats 482 –, führende 598, 648 –, herrschende calvinistische, quäkerische, baptistische 586 –, humanistisch durchgebildete 689 –, kapitalistische 548 –, mittlere 177, 453 –, obere/oberste 133, 753 –, obere gelernte der Arbeiterschaft 47, 124, 470 –, ökonomische 481, 494 –, privilegierte 461 –, soziale 59, 85, 165, 454, 481, 494, 595, 603 –, untere/unterste 133, 453, 753 R auch: Konfession und soziale Schichtung; Mittelklasse; Mittelstand; Oberschicht; Schließung, schichtspezifische; Ständeschichtung Schicksal, Schicksale 258, 323, 348, 411, 415, 457, 479, 644, 699 –, berufliche 130 – der kapitalistischen Entwicklung/des Kapitalismus 699, 737 –, individuelles 258 –, politisches 213, 306 – von Ewigkeit her feststehendes 259 R auch: Epochen, schicksalsvollste; Geschick; Lebensschicksal

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Sachregister

Schickung, „Schickungs“-Gedanke 55, 203, 538 – Beruf als 103, 380 – in die gegebene Lebenslage 103, 208, 526 R auch: „Sich-Schicken“ Schisma, Kuypersches R Kuypersches Schisma Schismatiker, russische 734 Schlaf 372 „Schlangenklugheit“ 461 Schlesier, schlesisches Gebirge 158, 534 Schließung, schichtspezifische 85 Schmarotzer-Missionartum 712 Scholastik, scholastisch 191, 193, 380, 400 R auch: Spätscholastik; Thomismus Schotten, Schottland 127, 405, 569, 635, 721, 732 f., 752 f. R auch: Episkopalkirche; Kirchenmänner (in Schottland) Schrift, heilige 267, 355 f., 393, 396, 540, 755 Schriften –, alttestamentliche 394 – der Quäker 390 – führender Pietisten 384 –, (katholische) asketische 281, 293 –, religiöse 654 –, theologische (seelsorgliche) 366, 472, 529 R auch: Erbauungsschriften Schriftsteller 394, 500, 576, 583 –, englische 8, 477 –, englische merkantilistische 413 –, mittelalterliche 32 f., 211 –, puritanische 335 –, theologische 190 R auch: Quäker-Schriftsteller Schuld, Schulden 144, 443, 716, 719 R auch: Ehrenschulden Schuldner 173, 536 – Bischöfe als kreditwürdige 440 Schulen, Schultendenzen 128, 723 R auch: Real-; Sonntags-; Volksschule schutterijen (holländische) 403

„Schwarmgeister“ 202 schwarze Listen (der Börse) 174 schwarze Polizei 162 Schweden 558 Schweigen, Schweigsamkeitsgebot 371 f., 460, 726 „im Schweiße deines Angesichtes .  .  .“ 373 Schweiz 477, 638 Scotch-Irish 503 Segen 544 – der (weltlichen) Arbeit 323, 558, 712 –, göttlicher/Gottes 392, 410, 445, 726 –, ökonomischer (der Toleranz) 588 – „zweiter“ (als „higher life“) 344 Seele, Seelen 209, 211, 312, 358, 374, 509, 526, 607, 662, 715, 757 – des Berufsmenschen 607, 656, 662, 675 – ohne Schaden für die 386 –, (religiös) gläubige 278, 761 – Verknechtung der 404 R auch: Eingehen des Göttlichen in die gläubige –; „heilige Prostitution der –“; Reichtum als Gefahr für die Seele Seelenfang, Seelenfängerei 441, 718 Seelenheil 59, 213, 265, 268, 272, 291, 396, 453, 528, 552, 762 Seelenstand, Seelenverfassung, Seelenzustand 281, 390, 720 Seelsorge, Seelsorger 66, 245, 276, 287, 301, 335, 366–368, 419, 529, 540, 728 – Bedürfnis der 276 –, pietistische 325 R auch: Literatur; Praxis; Ratschläge; Schriften, seelsorgerliche Seestädte, italienische 604 „Seid fruchtbar und mehret euch“ 375 Seigneur, seigneurial 386, 389, 399, 590, 618, 697 Sekte, Sekten, Sektentum 70, 84 f., 138, 285, 347–349, 367, 426–431, 442–453, 457–460, 462, 577 f., 637, 641, 710, 715, 719 f., 739, 748 f., 751, 756, 760, 759

Sachregister – als Archetypos gesellschaftlicher Gruppenbildungen 618 – als Gemeinschaft religiös Qualifizierter 749 – als partikularistisches Gebilde 452 –, amerikanische 329 – antiautoritärer Boden des 450 –, asketische 314, 577 f., 638, 689, 718 – aus dem Täufertum hervorgegangene 58, 61, 242, 346, 444, 447, 539, 640 – (Definition) 448–453 – der Mormonen 378 – des Donatismus 748 – Funktion der im Wirtschaftsleben 719 –, independentische Englands und Hollands 243 – Konstitution religiöser Gemeinschaften als 445 – Literatur der 720 – Mitglieder einer 718 – ökonomische Qualifikation der (im Mittelalter) 734 –, pietistische 449 –, protestantische 28, 103, 131, 135, 210, 458, 626 –, puritanische 55, 213 –, radikale 60 –, rational-asketische des Mittelalters 581 –, russische 466, 480 f., 581, 734, 758 –, täuferische 286, 312, 351 f., 358, 360, 581, 752 –, „sichtbare“ 452 – und Kirche 65, 68–70, 82, 349, 364, 427–430, 445–448, 452, 458–462, 575, 748 f., 754, 758 – und Verein 460, 721 – Zucht in den 614 R auch: Durchschnitts-Sektenmensch; Familisten-Sekte; Nichtsektierer; Stadt und Sekte; sowie die Einträge zu: Akquisition; Arminianismus; Auslese; Baptismus; Bewährung; Calvinismus; Gemeinschaft; Metho-

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dismus; Mittelalter; Progagandismus; Reinheit; Theologie; Wirtschaftsleben; Zugehörigkeit Sektenbegriff/Bezeichnung, Terminologie Sekte 64, 349, 448, 574 Sektenbildung 243, 298, 315, 318, 457 Sektencharakter (des Täufertums) R Täufertum, Sektencharakter des Sekten-Colleges (in Amerika) 222, 247, 689 Sektenform/Form der Sekte 68, 70, 749, 751, 760 R auch: Gemeinschaftsbildung, sektenmäßige Form der Sektengedanke 751 „Sektengeist“ 68, 455 Sektenorganisation 65 Sektenprinzip 70, 85, 750 R auch: Methodismus, kirchen- und sektenhafte Prinzipien im Sekten-Religiosität 452, 459, 748 Sektentypus, Sozialgestalt der Sekte 84 f., 575, 743, 747, 754, 758, 760 Sektierer 397, 417, 758 –, russische/in Rußland 501, 734 Selbstbehauptung 455 –, ökonomische 611 Selbstbeherrschung – asketisches Prinzip der 291 –, nüchterne 54, 161, 168 f., 292, 542 Selbstbetätigung, sittliche 103, 189, 642, 471, 526 Selbstbetrug 597 Selbstbewußtsein (der Laienstände im Mittelalter) 553 Selbstdisziplinierung, asketische 209 Selbsterhaltungstrieb 554, 569 Selbstgewißheit 276, 335 – des Heiligen 342 –, mangelnde 275, 527 Selbstkontrolle 300, 306 –, beständige 290, 528, 541 – Erziehung zur 371 – Schätzung reservierter 291 –, systematische 285, 528 Selbstliebe, Pflicht der 383

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Selbstpeinigung 542 Selbstquälerei 265, 290, 376 –, virtuosenhafte 290, 529, 542 Selbstrechtfertigung 699 Selbstsucht 194 Selbstverantwortlichkeit 372 Selbstverherrlichung Gottes/von Gottes Majestät 257, 267, 381 Selbstverleugnung 308, 538 Selbstzeugnis – des beharrenden Glaubens 274 – des Gefühls 341 Selbstzufriedenheit, trivial-bürgerliche 699 Selbstzweck 146, 376, 378, 538 –, gottgewollter 221 – Streben nach weltlichen Gütern als 213 R auch: Arbeit; Erwerb; Gelderwerb als Selbstzweck selfmademan –, aufgestiegener 697 –, bürgerlicher 389 „seliger Handel“ 301 Seligkeit 173, 202, 252, 257, 260, 268, 276, 279, 283 f., 289, 302, 317, 357, 365, 471, 490, 528 f., 541, 715 – Bedeutung guter Werke/des Wandels für die 287, 328, 357 –, diesseitige/diesseitiger Genuß der 61, 304, 315 f., 331 –, ewige 259 –, künftige (jenseitige)/der jenseitigen Zukunft 61, 336 – Realgrund für die 727, 764 R auch: Glückseligkeit; „Ein Reicher wird nicht leicht selig“ Seligkeitsinteresse, evangelisches 308 Sendgericht 718 Septuaginta (LXX) 178, 187, 838 servants 417 Sevilla 686 f. Sexualethik (Luthers) 707 Sexualhygiene 377 shopkeeper 301, 472 „Si non es praedestinatus .  .  .“ 284

Sibirier 483 Sichbescheiden 383 Sicherheit 249, 311, 255, 335, 340, 343, 536, 762 – der perseverantia 342 –, pharisäische 730 R auch: Gnadenstand, Sicherheit/ Sicherwerden des „Sich-Schicken“ 306, 380 „sichtbare“ und „unsichtbare“ Kirche R Kirche, „sichtbare“ und „unsichtbare“ Sichverhalten 171 –, praktisch-religiöses 285 Siegesbedürfnis, agonales 531, 535, 660 Sinn 668 – des ganzen Lebens 289, 528 – des individuellen Schicksals 258 –, geschäftlicher 137–129 –, metaphysischer (des Christentums) 761 Sinnenfreuden 293 Sinnenkultur 261, 394 Sinnenkunst 401, 530 Sinnlosigkeit 420, 756 f. Sitte, Sitten 550, 558 Sittengesetz 32, 303 –, natürliches 305 Sittenpolizei 364 Sittenreglementierung 402 Sittenstrenge 359 –, puritanische 550 Sittenzucht 33, 537 Sittlichkeit, Sittliches 65, 557 f. –, allgemeine/allgemeiner Geist christlicher 535, 658 –, alttestamentliche 393 –, asketische 245, 348 –, christliche 537, 572 –, evangelische 571 –, gemeinchristliche 587 –, gesetzesfreie (im Luthertum) 306 –, höhere/höherer Ordnung 529, 541 –, innerweltliche 422 – Irrationalität des 356 –, methodische 304 f.

Sachregister – methodischer Charakter der täuferischen 358 –, methodistische 343 –, natürliche 41, 193 –, puritanische 302, 395 –, reformierte 553, 555, 646, 656, 705 – Überbietung der innerweltlichen 103, 187, 190, 199, 295, 526 – und Glaube 304 – und Sündenvergebung 330 R auch: Alltagssittlichkeit; Außersittliches; Berufs; Laien-; Reformations-; Unsittlichkeit; Widersittliches; sowie die Einträge zu: Aktivität; Aufgabe; Empfinden; Fatalismus; Gutes; Handeln; Leben; Lebensführung; Lebensreglementierung; Leistung; Luthertum; Neigung; Praxis; Selbstbetätigung; Vollkommenheit; Wohltat Sittlichkeitsgebote, christliche 189 Sklavenhalter 604 skill 381 Skopzen 501, 734 Skrupel 265, 417, 634 sloth 378, 379 sola fide 191, 279, 305, 339, 527, 839 Soldaten, Soldatenkönige, preußische 403, 694 sollicitudo 369 Sondermoral 79, 541–543, 642 Sonntag 374, 398 Sonntagsruhe, Sabbatruhe (der Puritaner) 398, 677 Sonntagsschule 441 Soranzo (Gebrüder) 473 Sorge – der Calvinisten 341 – für das Jenseits 457 – für die Familie/öffentliche Wohlfahrt 170, 535, 554 – um äußere Güter 422 – um die certitudo salutis 332 Souveränität Gottes 251, 257 Sozialethik 150, 239, 345, 356, 361 R auch: Programm, sozialethisches

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Sozialgesetze 84 Sozialgestalten/-typen (des Christentums) 84, 743 f. R auch: Sektentypus Sozialisationsmuster, Sozialisationstheorie 64, 74 Sozialismus, sozialistisch 30, 35, 84 Soziallehren –, christliche/der christlichen Kirchen 575, 629, 746 – der Puritaner 659 Sozialpolitik 364, 762 R auch: Gesetzgebung, sozialpolitische Sozialpsyche, sozialpsychisch 424, 329 f. Sozialtypen R Sozialgestalten Sozialwissenschaft, Sozialwissenschaften 12, 15, 17–21 R auch: Erkenntnis, sozialwissenschaftliche Sozinianer (Socinianer) 355, 838 f. Soziologentag, Erster Deutscher (1910) 83, 741 f. R auch: Deutsche Gesellschaft für Soziologie Soziologie 36, 512, 761, 764 – der Erlösungslehren 86 –, „verstehende“ 87 R auch: Gesetze; Konsequenzen; Naturgesetze, soziologische; religionssoziologisch Spanien, Spanier 31, 135, 545, 547, 551, 559 f., 643, 649, 694 R auch: Niederlande, spanische; Sevilla Sparen, Sparsamkeit 30, 530, 536, 558, 647, 703, 730 – Geist der 656, 702 Sparzwang, asketischer 6, 412, 523, 530, 550, 587, 651, 656, 702 Spätscholastik 191, 198 Spekulanten 606 Spekulationen –, begriffliche 333 –, philosophische 332 f. –, weltumspannende 604 Sphäre 42, 45, 78, 218, 556, 660 f. – der Erwerbswirtschaft 698

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– des häuslichen/öffentlichen Lebens 126 – des kapitalistischen Geistes 534, 580 –, heterogene des menschlichen Handelns 617 –, kapitalistische 153 –, weltliche 730 R auch: Freiheits-; Interessens-; Lebens-; Leistungs-; Wertungssphäre spinozistisch 317 spirit, calculating R calculating spirit spiritual acts 360, 361 Spiritualen 347, 839 splendor familiae 408, 607, 662, 697 spoils system 456 Sport 293, 398 f., 423, 530, 660 R auch: Book of sports; recreations Sprüche Salomos 392 Squirearchy 604, 672, 673 Staat, Staaten, Staatswesen 312, 338, 398, 423, 446, 431, 451, 476, 535, 555, 557, 559 f., 563, 565 f., 570, 632, 668, 675 –, habsburgischer 568 –, intolerante/tolerante 690 –, katholischer 687, 690 –, lutherische 635 –, preußischer 723 – und Juden 675 – und Kirche 33, 312 f., 349, 565–567, 686 – und Kirche/Sekte 447 –, ungläubiger 349 R auch die Einträge zu: Denomination; Gleichberechtigung; Rechte; Reglementierung; Trennung von Kirche und Staat Staatenpolitik, bürgerlich-kapitalistische moderne 706 Staatenverbände, moderne 700 Staatsbeamte 698 Staatsgefährliches (am Calvinismus) 250 Staatsgewalt 172, 562, 567, 754

Staatskirche, Staatskirchentum 29, 313, 346, 364, 402, 566, 559–561, 648, 760 –, calvinistische 363 –, englische/in England 242, 561, 827 – in Preußen/Deutschland 69 Staatslehre 193 – Calvins/des Calvinismus 568 f., 635 –, lutherische 634 Staatsräson 687 –, politische 311 Stadt, Städte 31 f., 126, 166, 195, 264, 312, 414, 473, 546, 550, 553, 556, 558, 564, 592, 689, 718 – als Sitz asketischer Tugenden 374 –, binnenländische 737 –, italienische/Italiens 172, 746, 604, 750 –, katholische 686 –, oberitalienische 687 –, sizilianische 687 – und Sekten 748–751 R auch: Hansestädte; Korruption, großstädtische; Patriziat, städtisches Stagnation 501, 734 Stahlscher Kreis 688 Stand, Stände 113, 181, 186 f., 202, 364, 388, 473, 529, 541, 547, 565, 567 – der holländischen Regenten 414 – der Sünde 252 – des (niederen) Adels 203 –, gegebene 380 – Gleichwertigkeit der 204 – in dem bleiben 200, 203 – von Gott geordnete/gestiftete 182, 203 R auch: „dritter Stand“; Ehestand; Gliederung, ständische; Gnaden-; Kaufmannsstand; Lebensstellung; Mittelstand; state; status .  .  . standardization 404 Standesbewußtsein, patrizisches 403 Ständeschichtung 752 Standort, Standorte der Industrie 123, 160, 579, 732 state (engl.) 189

Sachregister Statistik, Statistiken 600, 654, 724, 732 –, amtliche/offizielle 123, 235, 238 –, kirchliche 437 R auch: Erhebungen, private statistische (in den USA); Konfessionsstatistik status (lat.) 186, 191, 364 status gratiae 289 status naturae/naturalis 289 f., 305–307, 371, 839 status oeconomicus R „dritter Stand“ Steuern, kirchliche 760 f. R auch: Abgaben, kirchliche steward 386 Stiftung, göttliche/Gottes 204, 312, 314 Stiftungen 408, 726 –, „fromme“ 552, 606, 608 – zu wohltätigen Zwecken 407 R auch: Fideikommißstiftung Stimmung, Stimmungen 279 – froher Sicherheit 255 –, patriarchalistische 139 –, religiöse 249, 277 R auch: Gemüts-; Hohe-Lied-Stimmung; Innerlichkeit, stimmungsmäßige; Lebensstimmung Stimmungsfrömmigkeit 279, 306, Stimmungsreligiosität, mystische 277, 310 Stil, kapitalistischer 553, 638, 660, 662 Stoa 84, 178, 505 Strafe 398, 435, 476 – Sündenfall als 375 –, zeitliche 287 R auch: „Die Ketzer strafend .  .  .“; Sündenstrafen Strafsatisfaktionsgedanke, Strafsatisfaktionslehre 329, 330 Streik in Crimmitschau 162 Strömungen 28 f., 33, 57 f., 60, 62, 392 – des asketischen Protestantismus 59, 65 f., 70, 78, 85 – nichtprädestinatorische 61 Stuarts 348, 547, 550, 561, 568, 676 Stundisten 501 Subjektivismus 316, 340

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Subjektivität 358, 562 f. R auch: Gewißheit; Qualität; Rechte, subjektive öffentliche; Religiosität; Wahrhaftigkeit, subjektive Südeuropa 177 Südfrankreich 503 Südstaaten (der USA) 152, 590 summum bonum 149, 487, 523 Sünde, Sünden, Sünder 127, 252 f., 258, 275, 287, 289, 297, 300 f., 305, 311, 386, 472, 527 f., 530, 538, 552, 681 –, demütiger 64, 275 – der Nächsten 297 – des unnützen Redens 371 – Macht der (Überwindung der) 341, 343, 357 – sloth und idleness als 378 – Stand der 252 – Streik als 162 – Zeitvergeudung als 371 R auch: Erbsünde; „die Ketzer strafend, doch den Sündern mild“; „mortal“ und „venial sin“; sowie die Einträge zu: Armut; Lebensgenuß Sündenfall 375 f. Sündengefühl 255, 344 –, lutherisches 397 Sündenstrafen 295, 538 Sündenvergebung 278, 330, 336, 526, 539 Sündhaftes, Sündhaftigkeit 267, 369 R auch: Genuß, sündhafter Sündliches, Sündlichkeit 206, 293 Sündlosigkeit 341 superfluities 403 Surrogat, Surrogate 149, 295, 324, 342, 344, 698 f. Symbole 350, 378 –, calvinistische 251 Syndikalismus 668 Synodalverfassung 566, 570 Synode von Dordrecht R Dordrechter Synode Synode von Westminster R Westminster-Synode

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System 163, 276, 440, 471, 473, 524, 549, 566, 668 –, calvinistisches/Calvins 562–564, 567, 630 – der festen Preise 223, 444, 719 –, dogmatisches 472, 495, 498 –, ethisches 268, 530 –, historisches 615 –, kapitalistisches 645, 647, 653 f., 696 –, ökonomisches 736 R auch: Akkordlohn-; Erwerbswirtschafts-; Fabrik-; Pumpsystem; spoils system; Verlags-; Wirtschafts-; Zweikindersystem; sowie die Einträge zu: Bedarfsdeckungswirtschaft; Leben; Werkheiligkeit Systematik, Systematisierung – der Lebensführung R Lebensführung, methodisch-systematische und systematischer Charakter der R auch: Askese; Selbstkontrolle, systematische Tabakbau 385 Tagebücher, religiöse 148, 300, 301, 322, 472 Tagelöhner 382, 396, 649 Talmud 200, 395, 411, 729, 839 R auch: Erziehung; Ethik; Exegese; Judentum, talmudisches Tat, Tun 173, 211, 281, 297, 303, 322, 451, 527, 564, 607, 656 –, aktives 373, 530 – der Reformatoren 196 –, gute 395 „Tat“ und „Entsagung“ 58, 421 Tätigkeit 58, 172, 179, 272, 419, 527, 531, 534, 554, 557, 608, 656 – auf Gewinn gerichtete 54, 175, 525 –, berufliche/im Beruf 150, 476, 522, 553 –, innerweltliche 201 –, reformatorische 190, 201 –, wirtschaftliche 38, 163, 473, 524 R auch: Berufs-; Erwerbs-; Zwecktätigkeit

Tatkraft 316, 457, 568 –, puritanisch-kapitalistische 146 Tatsachenurteile 15 Taufe 305, 354, 719 – erwachsener Bekenner/Erwachsenentaufe 350, 448 – von Kindern 717, 755 Täufer, Täufertum, Täuferbewegung 64, 220, 243, 335, 337, 346–364, 368, 419, 444, 447, 472, 496, 560, 563, 565–568, 571, 580, 595, 637, 640, 705, 714, 839 f. – als asketische Bewegung 307 – als Träger protestantischer Askese 61, 68, 217, 346 –, alte/ältere/älteste 346, 348, 359 – Anpassung des an die „Welt“ 472, 480 f. – antipolitische Ethik des 480 – Askese der 364 – „hysterische Zustände“ bei den 511, 358 – Renaissance der 694 – Sektencharakter des 347, 349, 448 – Sittenstrenge der 359 – Theologie/untheologische Dogmatik des 347, 352, 728 – und Bewährung(sgedanke) 446, 714 – und individuelle (Geist-)Offenbarung 350, 355 – und Staat 349 – Verfolgung der 347 R auch: Anabaptismus; Baptismus; Mennoniten; Münsterscher Aufruhr; Quäker; Tunker; Wiedertäufer; sowie die Einträge zu: Bewegung; Denominationen; Ethik; Heilslehre; Ideale; Lebensführung; Lehre; Protestantismus; Religiosität; Sekten; Tradition Täufergemeinschaften 350, 352, 357, 359 Täufergeneration, erste schweizerischoberdeutsche 353 Tausch 86, 763 R auch: Naturaltausch

Sachregister Technik 525 – des kapitalistischen Unternehmens 165 – Entwicklung der 405 – Mechanisierung der 738 – Rationalisierungsprozeß der 175 –, wissenschaftlich objektivierte moderne 160 R auch: Entwicklung; Errungenschaften; Fortschritt, technischer; Lebenstechnik; Mittel, technische „temporary believers“ 282 temporum ratione habita 715 Terminhandel 196 Terminismus 324 Territorialkirchentum 566 Territorien, Territorialstaaten 557, 565, 635, 665, 718 terrores conscientiae 325 Tertiarierorden 294, 840 Textilfabrikanten, Textilindustrie 166, 524, 534, 534, 546, 561, 587 R auch: Leinenindustrie; Weberei Theater 402, 530 Theodizee (Leibnizsche) 699 Theokratie, Theokratien –, Calvins/calvinistische/Genfer 402, 501, 563, 566 –, mittelalterliche 565 – wirtschaftspolitische Ideale von 5 Theologen, Theologie 23, 40, 253, 287, 347, 384, 511 f., 541, 548, 556, 564, 572, 635, 648, 736 – Calvins 276 –, calvinistische 254, 257 – der Sekten 458 –, englische 565 –, liberale 458 –, moderne 634, 678 –, natürliche 565 –, rationale 27, 286 R auch: Fachtheologen; Moraltheologie; sowie die Einträge zu: Laien; Literatur; Schriften; Schriftsteller; Täufer; Wissen; Wissenschaften

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Theologenkirche 315 Theologenlehre 270 Theorie 159, 297, 316, 320, 325, 362, 374, 386, 393, 408, 419, 605 –, abstrakte 19 –, asketische 376 – der Herrnhuter 376 –, ethische 6, 245, 306, 386 f., 604, 627, 630 –, ideologische (des Landeskirchentums) 460 –, kirchliche 711 –, liberale 371 –, ökonomische (der Anreize) 53 –, politische 576 – und Tatsachen 490, 497 –, utilitaristisch-liberale 530 f., 554 R auch: Handlungs- und Struktur­ theorie; Luthertum, ethische Theorie des; Motivations-; Projektions-; Sozialisations-; Überbau-; Verstockungstheorie thesaurus ecclesiae 379, 840 Thesen –, religionspsychologische 685 R auch: Anti-; Säkularisierungs-; Toleranz-; Ursprungs-; Verbreitungsthese; „Weber-Troeltsch“ (These/ Hypothese) Thomismus, thomistisch 194, 203, 360, 750 Tiergartenviertel (Berlin) 580 Tindalesche (Bibel-)Übersetzung (1534) 189 Titulaturen 353 Tod 173, 265, 408, 489 –, ewiger 252, 258 Toleranz, Toleranzbewegung, Toleranzgedanken 79, 81, 313 f., 356, 564, 566 f., 569, 572, 590, 631, 633, 635–637, 643 f., 650, 661, 675 – aus politischen Gründen/als religiöses Prinzip 313 f. – des Normannenstaates 687 – in Maryland/Pennsylvania 213 – Pietismus als Hauptträger des 311

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–, religiöse 77 – und Calvinismus 563 f. – und ökonomische Entwicklung 585, 584, 588, 690 f. R auch: Geist der Intoleranz/Toleranz; Intoleranz; Länder; Staaten; Zeitalter, intolerante/tolerante Toleranzedikt 338 Toleranzprinzip 77, 82, 559–561, 565, 637, 644 Tournai 570 Tracht 404 trade 118 f., 189, 190, 389 Tradesunionismus 668 Tradition, traditionell 169, 267, 533, 563, 763 –, mittelalterliche 190 –, religiöse 126 – seelische Widerstände der 669 –, täuferische 346 – und Erziehung 160 R auch: Familientradition; sowie die Einträge zu: Arbeit; Autorität; Bauern; Bedarf; Bedürfnis; Geschäftsführung; Lebenshaltung; Pflicht; Profit; Quäkertum; Wirtschaftsethik Traditionalismus, traditionalistisch 52, 54, 103, 137, 155, 157, 160, 162–165, 169 f., 187, 199–201, 203, 206, 208, 300, 532 f., 552 –, jahrhundertelanger 160 –, ökonomischer 126, 163, 204 –, orientalischer 395 – Trägheit 136 – und „Handwerksgeist“ 202 R auch: Ethik; Geist; Gewinnung; Kapitalismus; Mensch; Wirtschaft, traditionalistische Träger, Trägheit 136, 378, 388 Training –, ethisches 718 –, religiöses 722 R auch: Jugendtraining „tranquillitas animi“ 369 Transzendenz, Transzendentes 149

–, absolute (Gottes) 279, 527 –, völlige (des Übersinnlichen) 303 R auch: Gottheit, transzendente Trennung von Staat und Kirche 34, 69, 312 f., 349, 426, 447, 565, 567, 678 f. Tridentinum R Konzil von Trient Trieb, Triebe, Triebhaftes 171, 193, 317, 553, 559, 701 f. –, agonale 609 f., 659 –, irrationale 290, 528, 603, 702 – nach dem Geld 154 – Sich-Ausleben ungebändigter 399 – Überwindung des 358 R auch: Erwerbs-; Geschäfts-; Selbsterhaltungstrieb; sowie die Einträge zu: Erwerbsdrang; Gier; Habgier; Handeln; Lebensgenuß Triebfeder, Triebkräfte 168, 475, 534, 556 f., 562, 564, 704 – der ökonomischen Entwicklung 525, 599 f., 616, 630 –, geistige 164 Triebleben 540 f., 726 Triebwerk 422 triers (tryers) 314, 315 Tropen (der Herrnhuter Brüdergemeine) 327 f. Trusts 197, 721 Tüchtigkeit R Arbeit, tüchtige; Beruf, Tüchtigkeit im Tugend, Tugenden Tugendübung 50–52, 109, 147, 207, 211, 278, 383, 397, 553, 564, 730 –, asketische/Askese als bürgerliche 374, 383, 412 – Bekehrung zu 148 – des demütigen Sich-Bescheidens 329 – Fortschritte in den einzelnen 301 –, geschäftliche 534 – Nützlichkeit der 109, 149 –, (rationale) mönchische 291, 529, 542 –, ritterliche 406 –, soziale 30 R auch: Berufstugenden; Mittelstand als Träger der Tugenden; National­ tugenden

Sachregister Türken 484 Tun R Tat, Tun; „Tut anderen nur .  .  .“ Tunker (dompelaers, dunckards) 360 „Tut anderen nur, was ihr wollt, daß sie euch tun“ 356 Tyndalesche Bibelübersetzung R Tindalesche (Bibel-)Übersetzung Typus, Typen 291, 306, 424, 487, 511, 550, 652, 654, 661, 722, 728 – des Kapitalisten 598, 650, 654, 701 – des skrupellosen money-maker 603, 653 – erwerbsgieriger Händler 598 –, historische 615 – moderner Geschäftsleute 162, 487 –, professoraler 517, 618, 664 –, puritanischer/des Puritaners/des Puritanismus 342, 405, 603 – Reinheit des 488 –, religiöser/von Religiosität 712, 760 – von Rationalisten des Gelderwerbes 607 R auch: Geist (kapitalistischer), Sondertypus des; Ideal-; Sekten-; Sozialgestalten/-typen (des Christentums); Verhalten, typisches Tyrannei, puritanische 47, 127 Überbau, Überbautheorie 471 –, „ideeller“ 174, 470 – ökonomischer Situationen 152 – Theoretiker des 153 – und Basis 5 R auch: Basis-Überbau-Modell Überlegungen 498 –, methodische 496, 506 –, psychologische 490 Übermenschen, ökonomische 50, 362, 487, 596, 645, 654, 660, 686, 700 Übung, Übungen 540 f., 543 –, asketische 208, 278, 641 – des Arbeiters (skill) 381 –, innerliche 278 –, leibliche/des Leibes 390, 649 –, methodische 322 – Mittel der 726

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R auch: Askese als Übung; Ein-; Tugendübung Unabhängigkeit (von der „Welt“) 726 Unabhängigkeitskrieg, amerikanischer (1775–1783) 415, 590 unbiblisch 359 Unbußfertigkeit 449 unclean life 375, 719 Unehre Gottes 253, 755 unfaithful 383 Unfehlbarkeit R Dogma, vatikanisches Ungarn 128, 466, 470, 484, 544, 555, 628 – Reformierte in 129, 681 R auch: Pußta, ungarische Unglaubensgenossen 720 Unigenitus (Bulle von 1713) 387 unio mystica 64, 266, 276, 277 f., 310, 315, 526, 840 R auch: Eingehen des Göttlichen in die gläubige Seele Unitarismus 243 universal redemption 367, 368 Universalismus, universalistisch, Universalität 760 f. – der Kirche/Kirchen 449, 452 R auch: Gnadenuniversalismus Universität, Universitäten 170, 312, 455, 458, 660, 677 –, amerikanische, sektiererische Vergangenheit der 246 – Statuten der 435, 679 Universität Heidelberg 1–3, 7 f. Universitätsbibliothek Heidelberg 60, 98, 109, 111 f., 114–120, 162, 188, 192–194, 235–239, 243, 251–253, 263 f., 271, 280, 291, 296 f., 301, 317, 321–323, 325, 328, 331–334, 336 f., 349, 353, 363, 369, 374 f., 380, 382, 384 f., 389, 391, 399, 417 f., 439, 444, 447 – Inkunabeln der 117, 183, 184, 188 Unkirchlichkeit 443 Unmittelbarkeit 340, 273 – von Gott und Mensch 744 f. R auch: Gnadengefühl; Vollkommenheitsgefühl, unmittelbares

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Unpersönlichkeit 268, 420 R auch: Nutzen, unpersönlicher; Wirken, sachliches (unpersönliches) Unproduktivität des Geldes 199, 840 Unpünktlichkeit (bei Zahlung einer Schuld) 443 Unrechtlichkeit 410 Unruhe, Unruhen – der Berufsgeschäfte 374 – Münzersche 203 R auch: Bauernunruhen Unsichtbarkeit 296 – Gottes 301 R auch: Kirche, unsichtbare Unsittlichkeit 376 R auch: Heeresverfassung, unsittliche Unterhalt (des Pfarrers und der Kirche) 438 Unterlage, Unterlagen –, dogmatische 244 f., 754 –, materielle 215 –, psychologische 209, 264 –, sichere (für die certitudo salutis) 280 Unternehmer, Unternehmungen, Unternehmertum 47, 151, 156, 163, 167–169, 420, 532 f., 537, 559, 561, 597, 607, 611, 650, 730, 732 – „alten Stils“ 53 – breite Schichten des 488 –, bürgerlicher/bürgerlich-kapitalistische 337, 417, 531 – ethische Qualitäten/Seite des, Ethik von 147, 160, 167, 169, 524 –, führende 170 –, gewerbliche 174 –, große 123, 537, 698 – größten Stils 134 – Idealtypus des 170, 640 –, kapitalistische 37, 39, 50, 134, 147, 164 f., 476, 524, 536, 556, 634, 658 – Lebensführung des 171, 175 –, moderne 124, 155, 176, 208, 470 – „neuen Stils“ 54, 76, 168, 175, 525, 534 f., 545, 548, 554, 640, 653, 659–661 –, private 164

– protestantischer Charakter des 124, 558 – Psychologie des 611 R auch: Arbeiter und Unternehmer; Großunternehmer Unternehmergeist, kapitalistischer 39 Unternehmer-Risiko 736 Unterscheidungslehren 444 Unterschiede – des ökonomischen Verhaltens 482 –, konfessionelle 477, 693 R auch: Klassen-; Lehr-; Vermögensunterschiede Unterwerfung – des eigenen Willens 314 –, freiwillige (bei den Sekten) 364 – unter die Gebote der Kirche 173, 572 – unter die Kirche 312 – unter die Kirchenzucht 718 –, vertragsmäßige 274 Unwiedergeborene, unwiedergeboren 298, 309, 312, 350 Unzuverlässigkeit, geschäftliche 719 „uprightness“ 363 Urchristentum, urchristlich 83–85, 351, 480, 712 f., 743, 761–763 Urgemeinde, Urgemeinden 351 – Zeugnis der 354 Ursache, Ursachen 126, 252, 402, 490, 669, 684 f., 733 f., 737, 753, 759 –, historische 214, 457 –, primäre (für die Entstehung des modernen Kapitalismus) 38 f. –, religiöse 43, 671 Ursachenreihe 669, 731 Ursprung – des neuen/kapitalistischen Geistes 51, 79, 669, 654, 708 –, jüdischer (des Kapitalismus) 655, 662, 675 –, konfessioneller (des kapitalistischen Geistes) 626, 654 Ursprungsthese (innerweltlicher Berufsaskese) 51, 67

Sachregister R auch: Säkularisierungs-; Verbreitungsthese USA R Vereinigte Staaten usura 173, 840 usuraria pravitas 136, 714, 730, 840 R auch: exceptio usuraria pravitas Usurpation (Cromwells) 367 Utah 500 Utilitarismus 42, 65, 80, 149, 221, 368, 371, 382, 424, 840 –, hygienisch orientierter 376 R auch: Berufsaskese; Diesseitigkeit; Motivierung, utilitarische; Theorie, utilitaristisch-liberale; Werkheiligkeit, utilitarische vain ostentation 403 f. vanity 410 Vater im Himmel 258 Vaterunser-Gebet 200 Venedig 198, 473, 537, 685 Veradligung (des Besitzes/Vermögens) 413, 415, 733 Veranschaulichungsmittel 616 Verband, Verbände 427, 570, 722 – als Gesamtwesen 456 –, sozialer 455 f. R auch: Zweckverband Verbrauch 595, 732, 759 –, genußfroher 703 –, konsumtiver 412 –, unproduktiver 698 Verbreitung, Verbreitungsgebiete 82, 530, 565, 738 – der asketischen Religiosität 424 – des Calvinismus 570, 572 – des (neuen) Geistes 51, 585, 643, 661 – des Kapitalismus 652 – des Methodismus 344 – (soziale und geographische) des Pietismus 337 Verbreitungsthese 51, 67 Verdammnis, Verdammte 63, 287, 310, 314, 749 Verdienen (als Hauptsache des Berufs) 607

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Verdienst, Verdienste 148, 156 f., 161, 166, 258, 301, 334, 346, 397, 472, 537, 541 f., 557, 595, 640, 688, 716 – Christi 350 – durch „gute Werke“ 289 Verein, Vereine 460 –, exklusive 721 R auch: Gewerkverein Verein für Sozialpolitik 12, 514 Vereinigte Staaten 69 f., 170, 242, 426 f., 431, 435–443, 547, 550, 644, 646 f., 660, 718 – als Gebiet des Erwerbsstrebens 423 – Nordstaaten der 732 – starkes kirchliches Gemeinschaftsleben in den 435 – Süden der 412, 706 – religiöse Neutralität der 437, 438 R auch: Homestead-Privilegien; Neuengland, Neuengland-Kolonien; Nordamerika; Respektlosigkeit; Sekten-Colleges; Südstaaten; sowie die Einträge zu: Erhebungen, private statistische; episkopalistisch; Gerichtsverfahren; Verhältnisse, alte Vereinsamung R Individuum, Vereinsamung des Verfassung der Kirche R Kirchenverfassung Verfolgung – calvinistischer Künstler 690 – der Täufer 347 – französischer Calvinisten 133, 135 – methodistischer Arbeiter 162 – von Port Royal 398 Vergebung der Sünden R Sündenvergebung Vergemeinschaftung 86 Vergesellschaftung 86, 455, 762 Vergleich, deutsch-amerikanischer 68 Vergnügen, Vergnügungen 143, 407, 538 –, volkstümliche (in England) 398 Vergötterung des Kreatürlichen R Kreaturvergötterung

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Verhalten 157, 264, 272, 364, 404, 476, 507, 579, 687, 759, 762 –, asketisches 653, 656 –, äußeres 364 – der Konfessionen (ökonomisches) 131 f., 482 – der Staaten gegenüber Juden 675 –, ethisches 711 – Kontrolle des eigenen 301 –, ökonomisches (als Kapitalverwertung) 615 –, politisches (der Katholiken) 677 –, praktisches 759 – Prämien auf das 713 –, schlechtes 719 –, typisches 712 – zum Kapitalismus 592 R auch: Sichverhalten Verherrlichung 527 – von Gottes Macht/Majestät/Ruhm 252, 258, 392, 717 R auch: Kreatur-; Selbst-; Weltverherrlichung Verhältnisse –, alte (in den USA) 441, 454 –, bürgerliche 352 –, empirische 781 –, englische und holländische 414 –, historische (des Judentums) 299 –, konfessionelle 481 –, materielle 174, 470 –, moderne geldwirtschaftliche 752 –, ökonomische 5, 84 f., 536, 562, 599, 608, 747, 753, 755 Verhöre (puritanischer Häretiker/ Märtyrer) 291 Verinnerlichung 335, 406 – institutionalisierter kultureller Muster 59 Verkehr –, bräutlicher (mit Christus) 277 –, bürgerlicher 352 – des Calvinisten mit Gott 264 – mit den Weltleuten 352, 472 – zwischen Mensch und Mensch 148 R auch: Geschäftsverkehr

Verkehrsinstitutionen 171 Verkehrslage 126, 556 Verlagssystem, Verleger, Verlegerfamilien 165–167, 524, 840 f. Vermögen 166 f., 361, 534, 536, 549–551, 593, 645, 692, 697 f. – Aufsammlung großer 702 –, auswärtige 585 –, bürgerliches 413 –, industrielles 692 f. –, kaufmännisches 692 f. –, neu erworbene 413 –, rentenbringendes 697 – Veradligung des 413, 733 – Verantwortung gegenüber dem 580 – Vergrößerung des 50, 146 – von Geistlichen 370 R auch: Familien-; Geschäfts-; Gesellschafts-; Kaufmanns-; Riesenvermögen Vermögensausstattung 127 Vermögensbestände 691 Vermögens- und Einkommensbesitzer 698 Vermögensunterschiede 129 Vernunft 278, 565 –, natürliche 354–356 Verpflichtung 50, 146, 150, 476, 655 – gegenüber dem Besitz 407 –, innerweltliche 202 R auch: Arbeit, Verpflichtung zur Versailles 405 Verschulden 258 Verschwendung 147, 719 Versöhnung, Versöhnungsglaube 308, 321, 336, 340 Versuchung, Versuchungen 417, 697, 700, 703 – der Welt 253 – des Besitzes 410 f. – des Reichtums R Reichtum, Versuchungen des Versündigung 580 Versteinerung, „chinesische“ R „chinesische“ Versteinerung Verstockungstheorie 392, 393

Sachregister Vertrauen 169, 525, 534 – auf Gottes Wort 256 – auf Menschenhilfe 262 –, („finaliter“ beharrendes) gläubiges 273 R auch: Gottvertrauen Verursachung, adäquate 74, 82 Verwalter Gottes R Gottes Verwalter „Verwandtschaft“ 134, 165, 196, 290, 334, 339, 341, 348, 529, 578 f., 629, 639–641, 727, 738, 748 – von altprotestantischem Geist und kapitalistischer Kultur 139 R auch: Wahlverwandtschaft Verwendungszwecke, ethisch statthafte 409 Verwerfung, Verworfene, Verworfenheit 258, 272 f., 287, 289, 297 f., 312, 329, 360, 392, 449, 755 – der Kreaturvergötterung R Kreaturvergötterung, Ablehnung/ Verwerfung der – des Kreatürlichen R Kreatürliches, Verworfenheit des – menschlicher Autorität 314 – Zeichen ewiger/göttlicher 280, 297, 717, 749 R auch: Ewigkeit, von her verworfen; Reprobierte; Verdammnis Virginia 152, 550 Virginität (in der Ehe) 376 viri religiosi 541 Virtuosen, religiöse 63 visible churches 298 vocacion (span.) 180 vocatio (lat.) 112, 119, 180, 182, 185, 206, 280 – „in vocatione“/„per vocationem“ 205 vocation (engl.) 119, 189, 589 vocazione (ital.) 180 Vokation 182, 841 Volk, Völker 127, 133, 140, 153, 170, 270, 338 –, angelsächsische 345, 401 –, auserwähltes (Gottes) 396

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– des „liberum arbitrium“ 177 –, holländisches 564 –, jüdisches 393 –, lateinisch-katholische/romanische 55, 178, 353, 372, 561 –, protestantische 77, 179, 183, 479, 559–561, 644 – ständische Gliederung des 204 –, puritanisch beeinflußte/mit puritanischer Vergangenheit 262, 264, 267, 353, 363, 377 „.  .  . daß das Volk nur arbeitet, weil und so lange es arm ist“ 157, 418 „Dem Volke muß die Religion erhalten bleiben“ 162, 761 Volksbildung 559, 723 Volkscharakter, Volkscharaktere 212, 246, 262, 366, 411, 424, 486, 529 –, amerikanischer 389 Volkschristentum 760 „Volksgeist“, germanischer 180 Volkskirche 760 Volks-Religiosität 453 Volksschulen, Volksschulwesen 128, 723 Volkssouveränität 566 f. Volkswirtschaft 653 –, deutsche 556 – Englands 561 –, französische 545, 561 „Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen“ 3, 6, 125 Volkszählungen 123, 125 Vollkommenheit – als Sündlosigkeit/Möglichkeit sündloser 341, 343 – am Gesetz zu kontrollierende 322 – Grad der 357 – höherer Stand christlicher 541 –, relative/relatives Maß christlicher 304, 320 –, sittliche 541 Vollkommenheitsgefühl, unmittelbares 342

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Sachregister

Vollkommenheitslehre Wesleys 340, 342 Vollkommenheitsstreben –, methodistisches 331 –, rationales 344 Voltairianismus 177 Voluntarismus, Voluntaristen, voluntaristisch 312, 318, 346, 350 R auch: Gemeinschaftsbildungen; Organisationen, voluntaristische Voraussetzungen –, geographische 670 –, metaphysische 502 –, psychologische 477, 496 f., 513 –, technische und ökonomische 422 – wertvollen Handelns 421 Vorsehung (göttliche/Gottes) 149, 190, 206, 253, 258, 259, 322, 370, 380, 390, 417, 841 – „.  .  . des Herrn als Führerin“ 211 Vorsehungsglaube 204, 208, 217, 221, 569 –, pietistischer 322 f. Vorstellungen, Vorstellungswelt –, metaphysische 489 f., 657 –, religiöse 149, 471, 476, 495, 500 R auch: Glaubens-; Rüstzeug-Vorstellung Vorteil 574 –, eigener 193 f., 643 – unter Brüdern üben 763 Vorurteil 583 –, naturalistisches 18 Vorurteilslosigkeit 377 Vroedschap (Amsterdams) 546, 595 Vulgata 116, 118 f., 179–181, 185, 189, 714, 841 Wagemut, kaufmännischer 147, 552 Wahlverwandtschaft, Wahlverwandtschaftsverhältnisse, wahlverwandt 46, 215, 337, 615, 668, 735 – von Calvinismus und Kapitalismus 710 Wahrhaftigkeit 363 –, subjektive 596

Wahrheit 148 – der heiligen Schrift 396 –, ewige 258 –, göttliche 759 –, historische 425 R auch: Kirche, wahre Wandel 281 f., 311, 328, 336, 345, 365, 405, 450, 527, 529, 531, 719, 748 f. –, äußerer 755 –, gottwohlgefälliger 393 –, heiliger 326, 341 –, tadelloser/untadeliger 357, 417 R auch: Seligkeit, Bedeutung des für die Wanderarbeiter, italienische 136 wastetimes 401 Weber, Laer & Niemann (Bielefelder Leinenfirma) 167 „Weber-Troeltsch“ – Arbeitsgemeinschaft 649, 661, 685 – Fachmenschenfreundschaft 40, 83 – Kollektivarbeit 79, 517, 574 f., 620, 625–627, 629 – These/Hypothese 75, 78 f., 517, 557, 620, 627, 664, 682 – Übernahme einer Theorie 576, 627 f., 683 Weber, Weberei 420, 729 Wechsel des Berufs R Berufswechsel Wehrpflicht, Beseitigung der 402 Weihe 456 – des Blutes 389, 455 „Weinen geht vor Wirken .  .  .“ (Luther) 303 Welt, „Welt“ 131, 140, 143, 153, 174, 177, 192, 202, 211, 215, 252 f., 254, 263, 265–268, 278 f., 290, 296, 309, 333, 347, 351, 361, 366, 369 f., 381, 396, 404–406, 417, 419, 421 f., 457, 461, 579, 595, 597, 691, 697 f., 712, 726, 754, 757 f., 760 – Anpassung an die 480 f. – Abscheidung/Absonderung von der 297, 315, 317, 357, 360, 365 –, bürgerliche 78, 606 –, englisch-amerikanische 544

Sachregister –, feindliche 153 –, geordnete/Ordnungen der 762, 580 f. – Gestaltung der 381 – Konflikte mit der 590 – Meidung der 351 f. – Unabhängigkeit von der 726 R auch: Innerweltliches; „Kinder der Welt“; „to make the best of both worlds“; Vorstellungswelt; sowie die Einträge zu: Alltagsleben; Arbeit; Beruf; Berufsarbeit; Berufsleben; Erwerbsleben; „Früchte“; Güter; Hantierung; Isolierung; Literatur; Macht; Mönchtum; Naturgesetz; Ordnung; Organisation; Rationalismus; „Ruf“; Sphäre; Täufer; Versuchungen; Wirken Weltabgewandtheit 359, 607 Weltablehnung –, ethische 734 –, radikale 200 R auch: Religiosität, Welt ablehnende Weltanschauung, weltanschauungsmäßig 171 f., 566, 572, 600, 636, 655 Weltanschauungskampf 17 „aus der relativ besten der Welten das relativ Beste machen“ 699 Weltflucht 220, 308, 541–543, 578, 640 –, mönchisch-asketische 103 –, planlose 290, 583 R auch: Askese; Mönchtum, weltflüchtiges Weltfremdheit, weltfremd 133, 193, 734 R auch: Katholizismus, Weltfremdheit des; Lebensfremdheit Weltfreude, Weltfreudigkeit –, anti-asketische 139 – Bruch mit aller 353 – Gegenteil von 132 –, materialistische 134, 139 –, puritanische 211 R auch: Lebensfreude welthistorisch 290 Welt-Indifferenz, paulinische R Indifferenz, paulinische Weltkind R „Kinder der Welt“

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Weltlichkeit 750 Weltmensch 375 Weltplan, göttlicher 380 Weltpflichten 193 Weltreligionen 86 f. – Rationalitätspotential der 87 Weltsinn 756 Weltverherrlichung, Ablehnung der 382 Weltverneinung 541, 559, 642 „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen“ 195, 373, 378, 712 „Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang“ 293 Werden, geschichtliches 424 „Werk“ (Sir 11,20 f.) 184 Werke 278 f., 284, 294, 341, 370, 538 – als Erkenntnisgrund des Gnadenstandes 341 – als Früchte des Glaubens 274 – Gottes 333 –, gute 181, 281, 283, 287–289, 304, 320, 328, 341, 357, 410, 471, 527 f. R auch: Glaube und Werke; opus .  .  .; opera .  .  .; „wirken die Werke .  .  .“ Werkgerechtigkeit 65, 341 Werkheilige, Werkheiligkeit, werkheilig 65, 209, 287, 306, 329, 335, 345, 359, 388, 544, 581, 725 –, protestantische 728 –, reformierte heuchlerische 723 –, utilitarische 303 – Vorwurf der 285 – zum System gesteigerte 64, 288, 528 Werkmeister 732 Werkverdienst, asketischer 208 Wert, Werte 145, 255, 397, 713, 730 f., 748 –, ästhetische, nicht ethische 579 –, ethischer 213 –, sittlicher 194 Wertdiskongruenz 759 Wertgehalt 735 Wertlosigkeit (alles Kreatürlichen) 261 Wertmaßstäbe 16 Wertung 185, 253, 211, 286, 410, 725 Wertschätzung 409, 472, 475, 552, 565 f.

976

Sachregister

Wertungssphäre 15 Werturteil, Werturteile 15, 249 f., 276, 423, 459, 582 f., 646, 743 –, religionspolitisch orientierte 238, 309 Werturteilsfreiheit (in den empirischen Wissenschaften) 23 Wertvolles 249 Westeuropa 562 f., 569 f., 644 Westfalen 208, 466, 481 Westminster Confession (1647) 62, 235, 251–253, 302, 312, 392, 471, 754, 841 Westminster-Synode 62, 250 f., 257, 270, 367, 841 Wiclefsche (Wyclifsche) Bibelübersetzung (1382) 118, 188 Widersittliches 173 Widerspiegelung 151, 470, 728 – der materiellen Verhältnisse 174 – ökonomischer Situationen/des ökonomischen Milieus 152, 385 Widerstand, Widerstände 159, 169, 477, 525, 634 –, aktiver/passiver 557, 568 f., 571 –, seelische 669 Widerstandsrecht 568–571, 633 f. „(wie) ein dünner Mantel .  .  .“ 422 „wie Ideen in der Geschichte wirksam werden“ 48, 65, 214, 470 Wiedergeburt, Wiedergeborene, wiedergeboren 61, 281, 309, 312 f., 315, 320, 324 f., 340, 346, 351, 357, 359, 397, 445, 472, 841 f. – als Gnadengeschenk Gottes 357 – alter Gedanken und Ideale 423 R auch: Aristokratie der Wiedergeborenen; Leben; Mensch; Prediger, wiedergeborener; regenerated (persons); regeneratio, regeneration; Unwiedergeborene Wiedertäufer 347, 481 R auch: Anabaptismus; Bewegung, wiedertäuferische Wille, göttlicher R Gottes Wille Wille 314 – der Menschen 750 – Ertötung des eigenen 375

–, „guter“ 506, 583 –, unfreier 281 R auch: Wollen Willensfreiheit 259, 305 R auch: liberum arbitrium Willkür, autoritäre 451 Winke Gottes 322 f. Wirken 168, 213, 266, 289, 309, 379 – innerhalb der Welt 279 –, sachliches (unpersönliches) 266 „wirken die Werke dessen, der ihn gesandt hat“ 370 Wirklichkeit 278, 472 – der geschichtlichen Entwicklung 307 –, geschichtliche 141 f. –, historische 247, 489, 628 f. R auch: Kulturwirklichkeit Wirklichkeitswissenschaft 13, 18, 21 Wirkung, Wirkungen 82, 299, 605, 704 – Bewährung des Glaubens in objektiven 280 –, göttliche 323 –, historische 97 –, ökonomische 415 –, psychologische 285 – von Werken 294 R auch: Erziehungs-; Kulturwirkungen; sowie die Einträge zu: Besitz; Bewährung; Calvinismus; Harren; Luthertum Wirtschaft, Wirtschaften 37 f., 51–53, 86, 174, 372, 473, 644, 591, 617, 738 f. –, antike/kapitalistische des Altertums 50, 590, 614 –, großkapitalistische 599 –, kapitalistische 78, 159, 221, 419, 503, 551, 592, 599, 602, 651, 668 f., 691 – Länder minder entwickelter 732 –, moderne (kapitalistische) 38, 43, 127, 153, 175, 669 –, rationale (Gestaltung der)/Rationalisierung des 336, 508, 544, 726 – Struktur der 171 –, traditionalistische/traditionalistischer Charakter der 164, 167, 617 – und Politik 4

Sachregister – und Religion 4, 6 f., 26 f., 30, 87 R auch: Bedarfsdeckungs-; Erwerbs-; Geldwirtschaft; Kapitalismus; Kapital-; Land-; Natural-; Privat-; Volkswirtschaft; sowie die Einträge zu: Arbeit; Eigennutz; Entwicklung; Erfolg; Gebaren; Handeln; Kultur; Leben; Rationalisierung des Wirtschaftens; Revolution; Tätigkeit; Zustand Wirtschaftlichkeit 161, 208 Wirtschaftsbetrieb (Form des) 478 Wirtschaftsentwicklung 77 –, moderne 605 – seelische Seite der 43 Wirtschaftsethik – der Kirchenväter 32 –, traditionelle 54 Wirtschaftsform, Wirtschaftsformen 53, 163 f., 465, 485, 494, 504, 524, 508, 617 –, kapitalistische (des Altertums) 508 Wirtschaftsführung –, kapitalistische 524 –, rationelle 415 –, rechnungsmäßige 37 Wirtschaftsgeist, Wirtschaftsgesinnung 49 f., 53, 164 Wirtschaftsgeschichte 522, 662 f. –, englische 548, 558, 561, 646 –, holländische 650 –, moderne 660, 700 –, neuere/der Neuzeit 164, 651 –, spanische 686 Wirtschaftshistoriker 489 Wirtschaftsleben 38, 53 f., 131, 151, 172, 473, 532, 536, 538, 558–560, 646, 650, 658 f., 692, 723, 736 –, englisches 604 – Funktion der Sekten im 719 –, seelische Seite des 39 Wirtschaftslehre 537, 560 Wirtschaftsmensch – Genese des neuen 49 –, isolierter 416 –, moderner 415, 531, 549, 661

977

–, neuer (nach dem Modell Fuggers) 38 Wirtschaftsordnung –, (heutige) kapitalistische 151, 171 –, moderne 150, 422, 523 – und Sittengesetz 32 Wirtschaftsregulierung, mittelalterliche 172 Wirtschaftsstufe 471, 508 f. Wirtschaftssubjekte 151 Wirtschaftssystem, Wirtschaftssysteme 75, 479, 503, 605, 613–617, 737 –, kapitalistisches 78 f., 602, 610, 614, 616, 647, 651, 654, 669, 671, 708, 710 R auch: Erwerbswirtschaftssystem Wirtschaftsverfassung, kapitalistische 139 Wissen 211 –, gelehrtes 458 –, nomologisches 74 –, ontologisches 74 – religiöse Schätzung des 400 –, sicheres (von der Seligkeit) 336 –, theologisches 311 f. Wissenschaft, Wissenschaften 738, 347, 400, 473, 522, 538 – Ablehnung einer Hierarchie der 74 –, empirische 16, 23, 405, 738 –, moderne 731, 738 –, theologische 643 R auch: Gesetzes-; Natur-; Sozial-; Wirklichkeitswissenschaft; sowie die Einträge zu: Empirismus; Kosmos; Literatur; Psychologie; Rationalismus Wohl, allgemeines/der Gesamtheit 381, 383, 554, 558, 561 Wohlfahrt, allgemeine/öffentliche 530 f., 535, 554 f. (Gott) Wohlgefälliges 419 Wohlstand 524, 547, 558, 560 Wohltat, sittliche 408 R auch: Handlungen; Zwecke, wohltätige Wollen –, planvolles 290

978

Sachregister

– und Glauben 255 – Wissen und 459 „work in your calling“ 589 „Wort“ (im Sinn von Evangelium) 353, 755 – und Sakrament 336 Wort Gottes R Gottes Wort Wucher, Wucherverbot, kirchliches 4, 135, 172, 173, 174, 196, 525, 537, 606, 608, 713, 714, 842 – Luthers Äußerungen gegen den 198 R auch: „Deo placere non potest“; usura; Zins; Zinsverbot „Wundbrühe“ 327 Wuppertal 586, 587, 674 Wurmgefühl 316 Württemberg 128 Württembergischer Pietismus 337 Wyclifsche Bibelübersetzung R Wiclefsche Bibelübersetzung Yankee, Yankeetum 436, 721, 842 – „Glaubensbekenntnis“ des 145 f. –, puritanisches 590 yeomen 152, 414 Zahl, kleine (Tatsache der) 447 Zahlung, Zahlungsschwierigkeiten 443 Zehnt 458, 677 Zeit, Zeiten 143, 145, 374, 763 – der Glaubenskämpfe 133, 415 – der großen Kämpfe 750 –, frühkapitalistische 483 – Mindestmaß freier 418 –, moderne 762 – religiöser Erregung 761 –, streng eingeteilte 726 –, vorreformatorische 83, 658 R auch: Campagne-; Elisabethanische –; Gegenreformations-; Karolinger-; Neu-; Reformationszeit; sowie die Einträge zu: Empfindsamkeit; Geist; Geschichte; Güter; Kapitalismus; Mittelalter; Reformation; Strafe „Zeit ist Geld“ 142, 372, 470

Zeitalter 340, 548, 550, 553, 637, 657 –, heroisches (des Kapitalismus) 6, 64, 276 –, intolerante/tolerante 690 – kommerzieller oder kolonialer Expansion 596, 653 –, konfessionelles 49 R auch: „apostolisches“ –; Cromwellsches –; Elisabethanisches –; Heroen-; Industriezeitalter; Renaissance, Zeitalter der; Reformationszeitalter Zeiteinteilung 373 Zeitvergeuden, Zeitvergeudung, Zeitverlust 369, 371, 730 Zensur, geistliche/kirchliche 352, 714 Zentrumspartei 313, 677 Zeugungskraft, kapitalistische 698 Zins, Zinsen 167, 174, 301, 380, 472, 537 – als Herrenrecht 763 – Erlaubtheit des 387 R auch: usura Zinsennehmen 135, 198, 380, 536 – Erlaubtheit des 136, 537 Zinsgeschäfte 714 Zinsverbot, kirchliches/kanonisches 32, 199, 522, 526, 536 f., 552, 557, 606, 714, 763 R auch: Wucherverbot Zisterzienser R Cisterzienser Zucht 316, 614, 688 –, klösterliche 415 R auch: Kirchen-; Sittenzucht Zuchtmittel 260 „Zufall“ 409, 447, 515, 594 f., 691, 693, 753 Zufälligkeit, Zufälligkeiten 732 –, historische 295 R auch: Kontingentes Zugehörigkeit –, konfessionelle 126, 483 – zu den electi/Erwählten 273, 312 – zu einer Gemeinschaft/Sekte 441, 444 – zu einer Gruppe 454

Sachregister – zu einer kirchlichen Gemeinschaft 438 f. – zu einer Religionsgemeinschaft 760 f. – zu Vereinen 721 – zur wahren Kirche 264 R auch: Kirchen-; Konfessionszugehörigkeit Zukunft 336, 410, 534, 604, 659, 754 –, ewige 335 –, jenseitige 61, 316 Zunft, Zünfte 174, 750 R auch: Arte di Calimala Zurechnung –, forensische 350 –, historische 739 – historischer Erscheinungen zu ihren Ursachen 490 –, kausale 20, 45, 74, 491 Zurechnungsproblem (in der Geschichtswissenschaft) 74 Zurechnungsurteile, historische 250 Zusammenhänge, universalgeschicht­ liche 71 Zustand, Zustände –, halbsinnliche 316 –, hysterische 358, 472, 482, 511 –, psychische 72, 474 –, wirtschaftlicher 495, 500 R auch: Gefühls-; Seelenzustand Zwang, ökonomischer 423, 557 R auch: Kapital, Zwang zur Anlage des; Sparzwang Zwangsmittel 720

979

Zweck, Zwecke 207, 257, 339, 358, 371, 375, 381, 386, 398, 406, 410, 616, 697, 762 – der Lebensarbeit R Lebensarbeit, Ziel/Zweck der – des Lebens 149 –, diesseitige 381 –, dogmatische 499 –, kapitalistische 759 –, katechetische 308 –, materielle/ideelle 456 –, methodische 142 – und Mittel/Mittel zum R Mittel und/zum Zweck –, persönliche 405 –, praktische 410, 738 –, rationaler 399 –, überirdische 349 –, wohltätige 407 R auch: Erbauungs-; Genuß-; Geschäftszweck; Handeln, zweckbewußtes; Kultur-; Lebens-; Natur-; Selbst-; Verwendungszweck Zwecktätigkeit (der Gruppe) 455 Zweckverband, Zweckverbände 763 –, soziale 441 Zweifel – als Anfechtung des Teufels 275, 471, 527 –, religiöse 276, 376 Zweikindersystem 714 Zwinglianismus 242, 842

Seitenkonkordanzen

Die Seitenkonkordanzen beziehen sich auf die bisher gebräuchlichen Voreditionen der in diesem Band edierten Texte. Es handelt sich um: KuA1

KuA2 KuA3

KuA4–6

Weber, Max, Die protestantische Ethik. II. Kritiken und Antikritiken, hg. von Johannes Winckelmann, 1.  Aufl. – München, Hamburg: Siebenstern Taschenbuch Verlag 1968. dass., 2., durchges. und erweiterte Aufl. 1972. dass., 3., durchges. und hinsichtlich der Bibliographie erweiterte Aufl. (Gütersloher Taschenbücher Siebenstern 119). – Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1978. dass., 4., erneut durchges. und erweiterte Aufl. 1982; 5., unveränderte Aufl. 1987; 6. unveränderte Aufl. 1995

Hinsichtlich der Textwiedergabe sind die Auflagen seitenidentisch. Die Seitenkonkordanzen zu Weber, Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus, und ders., „Kirchen“ und „Sekten“ in Nordamerika. Eine kirchen- und sozialpolitische Studie, finden sich unter den Titeln der Überarbeitungen von 1919/20 in MWG I/18. Die Paginierung der Textzeugen, die der Edition zugrundeliegen, wurde dem edierten Text marginal beigefügt.

MWG I/9

KuA1–6

Fischer, Kritische Beiträge 469 11 470 11–13 471 13–15 472 15/16 473 17/18 474 18–20 475 20/21 476 21–23 477 23/24 Weber, Kritische Bemerkungen 478 27 479 27/28 480 28/29 481 29 482 29/30 483 30 484 30/31

MWG I/9

KuA1–6

485 486 487 488 489 490

31/32 32 32 32/33 33 33/34

Fischer, Replik 494 495 496 497

38/39 39–41 41/42 42/43

Weber, Bemerkungen 498 499 500 501 502

44 44/45 45/46 46 46/47

981

Seitenkonkordanzen

MWG I/9

KuA1–6

MWG I/9

KuA1–6

503 504 505 506 507 508 509 510 511 512 513 514

47 47/48 48 48 48/49 49 49 49/50 50/51 51 51/52 52

553 554 555 556 557 558 559 560 561 562 563 564 565 566 567 568 569 570 571 572

109–111 111/112 112–114 114–116 116/117 118/119 119–121 121–123 123–125 125/126 126–128 128–130 130–132 132/133 133–135 135–137 137–139 139/140 140–142 142–144

Rachfahl, Kalvinismus und Kapitalismus 521 57 522 57/58 523 58–60 524 60/61 525 61–63 526 63–65 527 65–67 528 67–69 529 69/70 530 70–72 531 72–74 532 74–76 533 76–78 534 78/79 535 79–81 536 81–83 537 83/84 538 84–86 539 86–88 540 88/89 541 89/90 542 90–92 543 92–94 544 94–96 545 96/97 546 97–99 547 99–101 548 101–103 549 103/104 550 104/105 551 105–107 552 107–109

Weber, Antikritisches zum „Geist“ des Kapitalismus 573 149 574 149/150 575 150 576 150/151 577 151/152 578 152 579 152/153 580 153 581 153/154 582 154/155 583 155/156 584 156 585 156/157 586 157/158 587 158/159 588 159 589 159 590 159 591 159 592 159 593 159/160 594 160 595 160

982

Seitenkonkordanzen

MWG I/9

KuA1–6

MWG I/9

KuA1–6

596 597 598 599 600 601 602 603 604 605 606 607 608 609 610 611 612 613 614 615 616 617 618 619

160 160/161 161/162 162/163 163 163/164 164/165 165/166 166 166/167 167/168 168 168/169 169 169/170 170 170 170 170 170/171 171/172 172/173 173/174 174

644 645 646 647 648 649 650 651 652 653 654 655 656 657 658 659 660 661 662

245/246 247/248 248/249 249/250 250–252 252/253 253/254 254–256 256/257 258/259 259–261 261/262 262–264 264 264 264/265 265–267 267/268 268–270

Rachfahl, Nochmals Kalvinismus und Kapitalismus 625 216 626 216–218 627 218/219 628 219–221 629 221–223 630 223–225 631 225/226 632 226–228 633 228–230 634 230/231 635 231–233 636 233/234 637 234/235 638 235–237 639 237–239 640 239/240 641 240–242 642 242–244 643 244/245

Weber, Antikritisches Schlußwort 665 283 666 283 667 283 668 283/284 669 284/285 670 285/286 671 286/287 672 287 673 – 674 – 675 287 676 287 677 288 678 288 679 288 680 288/289 681 289 682 289 683 289/290 684 290 685 290/291 686 291 687 291/292 688 292 689 292

983

Seitenkonkordanzen

MWG I/9

KuA1–6

MWG I/9

KuA1–6

690 691 692 693 694 695 696 697 698 699 700 701 702 703 704 705 706 707 708 709 710 711 712 713 714 715

292 292/293 293/294 294 294 294 294/295 295 295/296 296/297 297/298 298/299 299 299/300 300/301 301 301 301/302 302/303 303/304 304/305 305/306 306 306/307 307 307

716 717 718 719 720 721 722 723 724 725 726 727 728 729 730 731 732 733 734 735 736 737 738 739 740

307/308 308/309 309/310 310/311 311 311/312 312/313 313 313/314 314 314/315 315/316 316/317 317/318 318/319 319/320 320 320/321 321 321/322 322/323 323 323/324 324/325 325

Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe Abteilung I: Schriften und Reden

1.  Aufbau der Gesamtausgabe In der Max Weber-Gesamtausgabe werden die veröffentlichten und die nach­ gelassenen Texte Max Webers mit Ausnahme seiner Exzerpte, Marginalien, ­Anstreichungen oder redaktionellen Eingriffe in die Texte anderer wiedergegeben. Berichte anderer über Webers Reden, Diskussionsbeiträge und Vorlesungen werden nur dann wiedergegeben, wenn ein autoreigener Zeuge nicht überliefert ist. Liegen mehrere Fassungen eines Textes vor, so werden alle mitgeteilt. Editionen der Texte Webers, die er nicht selbst zum Druck gegeben hat, werden nur dann berücksichtigt, wenn dem betreffenden Herausgeber Manuskripte vorlagen, die uns nicht mehr überliefert sind. Jedem Band ist eine Konkordanz mit den bisher gebräuchlichen Ausgaben beigegeben. Die Max Weber-Gesamtausgabe gliedert sich in drei Abteilungen:       Abteilung I: Schriften und Reden       Abteilung II: Briefe       Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften

2. Aufbau der Abteilung I: Schriften und Reden Die Abteilung I umfaßt Max Webers veröffentlichte und nachgelassene Schriften und Reden, unter Einschluß seiner Diskussionsbeiträge und Stellungnahmen. Ebenso werden Paralipomena, Entwürfe und andere Vorarbeiten mitgeteilt. Einzelne Äußerungen sind uns nur durch Zeitungsberichte, Sitzungsprotokolle, Kongreßprotokolle und ähnliches überliefert. Solche Ersatzzeugen werden dann in die Ausgabe aufgenommen, wenn sie in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der betreffenden Rede oder Stellungnahme Webers entstanden. Außerdem sind Texte wiedergegeben, die er zusammen mit anderen Personen verfaßte oder unterzeichnete. Für die Verteilung der Texte auf die Bände werden zwei Kriterien verwendet: der Sachzusammenhang und die Chronologie. Dadurch werden thematisch und zeitlich nahestehende Texte zu Bänden vereinigt und die Schwerpunkte des Werkes in ihrer zeitlichen Folge und ihrem Nebeneinander sichtbar gemacht. Jeder Bandtitel enthält deshalb eine thematische und eine zeitliche Angabe. Für die thematische Angabe wird entweder ein Titel von Weber verwendet oder, wo dies wegen der Vielfalt der Texte nicht möglich ist, ein seinem Wortgebrauch nahestehender Titel neu gebildet. Jedem Bandtitel ist ferner eine Zeitangabe

MWG Abteilung I: Aufbau und Editionsregeln

985

zugeordnet. Dabei bezieht sich die erste Jahreszahl auf das Datum der Veröffentlichung des ersten, die zweite auf das Datum der Veröffentlichung des letzten in den Band aufgenommenen Textes. Bei Texten aus dem Nachlaß ist das Ent­ stehungsjahr maßgebend. Dies gilt sowohl für Texte, die uns im Original vorliegen, als auch für solche, von denen wir nur noch eine Edition aus dem Nachlaß besitzen, weil das Original inzwischen verloren ist. Wo das Datum der Entstehung auch nicht annähernd ermittelt werden kann, wird der Text am Ende des Bandes eingeordnet, dem er thematisch nahesteht. Bände mit einem oder mehreren nachgelassenen Texten tragen als zweite Jahreszahl 1920, Webers Todesjahr, wenn wir Hinweise haben, daß er an diesen Texten bis zu seinem Tode ­arbeitete. Für die Bandfolge ist das Chronologieprinzip maßgebend. Über die Stellung eines Bandes in der Bandfolge entscheidet das Datum des ersten darin abgedruckten Textes. Abweichend davon sind die „Gesammelten Aufsätze zur Reli­ gionssoziologie“ und das Textkonvolut „Wirtschaft und Gesellschaft“ an das Ende der Abteilung gestellt. Dies ergibt sich aus der besonderen Überlieferungslage. Die Abteilung I hat folgenden Aufbau: Band 1:  Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter Schriften 1889 – 1894



Hg. von Gerhard Dilcher und Susanne Lepsius; 2008

Band 2: Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht. 1891



Hg. von Jürgen Deininger; 1986 (Studienausgabe 1988)

Band 3:  Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland. 1892



Hg. von Martin Riesebrodt; 2 Halbbände, 1984

Band 4:  Landarbeiterfrage, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik Schriften und Reden 1892 – 1899



Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Rita Aldenhoff; 2 Halbbände, 1993

Band 5:  Börsenwesen Schriften und Reden 1893 – 1898



Hg. von Knut Borchardt in Zusammenarbeit mit Cornelia Meyer-Stoll; 2 Halbbände, 1999, 2000

Band 6:  Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Altertums Schriften und Reden 1893 – 1908

Hg. von Jürgen Deininger; 2006

Band 7:  Zur Logik und Methodik der Sozialwissenschaften Schriften 1900 – 1907

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MWG Abteilung I: Aufbau und Editionsregeln

Band 8:  Wirtschaft, Staat und Sozialpolitik Schriften und Reden 1900 – 1912



Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Peter Kurth und Birgitt Morgenbrod; 1998 (Studienausgabe 1999); Ergänzungsheft 2005

Band 9:  Asketischer Protestantismus und Kapitalismus Schriften und Reden 1904 – 1911



Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Ursula Bube; 2014

Band 10:  Zur Russischen Revolution von 1905 Schriften und Reden 1905 – 1912



Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Dittmar Dahl­mann; 1989 (Studienausgabe 1996)

Band 11:  Zur Psychophysik der industriellen Arbeit Schriften und Reden 1908 – 1912



Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Sabine Frommer; 1995 (Studienausgabe 1998)

Band 12:  Verstehende Soziologie und Werturteilsfreiheit Schriften und Reden 1908 – 1917 Band 13:  Hochschulwesen und Wissenschaftspolitik Schriften und Reden 1895 – 1920 Band 14:  Zur Musiksoziologie Nachlaß 1921

Hg. von Christoph Braun und Ludwig Finscher; 2004

Band 15:  Zur Politik im Weltkrieg Schriften und Reden 1914 – 1918



Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Gangolf Hübinger; 1984 (Studienausgabe 1988)

Band 16:  Zur Neuordnung Deutschlands Schriften und Reden 1918 – 1920



Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Wolfgang Schwentker; 1988 (Studienausgabe 1991)

Band 17:  Wissenschaft als Beruf 1917/1919  –  Politik als Beruf 1919



Hg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Birgitt Morgenbrod; 1992 (Studienausgabe 1994)

MWG Abteilung I: Aufbau und Editionsregeln

Band 18: 

Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus/ Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus Schriften 1904 – 1920

Band 19: 

Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus Schriften 1915 – 1920



Hg. von Helwig Schmidt-Glintzer in Zusammenarbeit mit Petra Kolonko; 1989 (Studienausgabe 1991)



Band 20:



Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Hinduismus und Buddhismus 1916 – 1920



Hg. von Helwig Schmidt-Glintzer in Zusammenarbeit mit Karl-Heinz Golzio; 1996 (Studienausgabe 1998)

Band 21: 

Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Das antike Judentum Schriften und Reden 1911 – 1920



Hg. von Eckart Otto unter Mitwirkung von Julia Offermann; 2 Halbbände, 2005 (Studienausgabe 2009)



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Band 22: 

Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaft­ lichen Ordnungen und Mächte. Nachlaß 22-1: Gemeinschaften

Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Michael Meyer; 2001 (Studienausgabe 2009)

22-2: Religiöse Gemeinschaften Hg. von Hans G. Kippenberg in Zusammenarbeit mit Petra Schilm unter Mitwirkung von Jutta Niemeier; 2001 (Studienausgabe 2005)

22-3: Recht

Hg. von Werner Gephart und Siegfried Hermes; 2010 (Studienausgabe 2014)

22-4: Herrschaft



Hg. von Edith Hanke in Zusammenarbeit mit Thomas Kroll; 2005 (Studienausgabe 2009)

22-5: Die Stadt Hg. von Wilfried Nippel; 1999

(Studienausgabe 2000)

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MWG Abteilung I: Aufbau und Editionsregeln

Band 23: 

Band 24: 

Band 25: 

Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie Unvollendet 1919 – 1920 Hg. von Knut Borchardt, Edith Hanke, Wolfgang Schluchter; 2013 (Studienausgabe 2014)

Wirtschaft und Gesellschaft. Entstehungsgeschichte und Dokumente Dargestellt und hg. von Wolfgang Schluchter; 2009

Wirtschaft und Gesellschaft. Gesamtregister

3.  Aufbau der Bände Jeder Band enthält eine Einleitung des Herausgebers, die historisch-kritisch bearbeiteten Texte Webers, denen jeweils ein Editorischer Bericht vorangestellt ist, Verzeichnisse und Register. Innerhalb der Bände sind die Edierten Texte chronologisch geordnet. Bei von Weber veröffentlichten Texten ist das Datum der Veröffentlichung, bei nachgelassenen Texten das Datum der Entstehung maßgebend. Äußerungen Webers, über die wir nur Ersatzzeugen besitzen, werden im zweiten Teil eines Bandes zusammengefaßt und nach dem Datum der Äußerung wiederum chronologisch angeordnet. Einzelnen Bänden sind Anhänge beigegeben. Darin finden sich zunächst Texte, die Weber mit anderen Personen zusammen verfaßte oder unterzeichnete, ge­gebenenfalls Hinweise auf verlorene Texte sowie auf Dokumente.

4. Bandeinleitung Die Einleitung des Herausgebers informiert über die Anordnung, die thematischen Schwerpunkte und über den wissenschaftsgeschichtlichen und zeitgeschichtlichen Hintergrund der Texte. Enthält ein Band mehrere Texte, geht die Einleitung außerdem auf deren Zusammenhang ein. Die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte sowie die Geschichte von Nacheditionen dagegen bleiben in der Regel außer Betracht. Die Einleitung berichtet ferner über bandspezifische Editionsfragen, z. B. über sprachliche Eigentümlichkeiten Webers und deren editorische Behandlung. Alle textspezifischen Informationen geben die Editorischen Berichte.

5.  Editorische Berichte Jedem Text ist ein Editorischer Bericht vorangestellt, der über dessen Entstehung, Entwicklung und Überlieferung sowie über editorische Entscheidungen informiert. Er ist in die Abschnitte „Zur Entstehung“ und „Zur Überlieferung und Edition“ gegliedert.

MWG Abteilung I: Aufbau und Editionsregeln

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5.1  „Zur Entstehung“ Dieser Abschnitt skizziert die historisch-politischen, wissenschaftlichen und biographischen Zusammenhänge, in denen ein Text steht. Er stellt ferner seine Entstehung und Entwicklung dar. Sofern mehrere Fassungen eines Textes vorliegen, wird deren Verhältnis zueinander beschrieben. 5.2  „Zur Überlieferung und Edition“ Dieser Abschnitt informiert über Textbefund und Überlieferungslage. Liegen mehrere Fassungen eines Textes vor, wird dargelegt, welche der Fassungen Edierter Text und welche Variante ist. Ferner werden alle weiteren editorischen Entscheidungen begründet. Dazu gehört unter anderem auch die Behandlung textspezifischer Eigentümlichkeiten.

6. Texte Bearbeitung und Präsentation der Texte folgen der historisch-kritischen Methode. Dies geschieht mit Hilfe von drei Apparaten: dem Korrekturen- und dem Variantenapparat, die zum textkritischen Apparat zusammengefaßt sind, und dem Erläuterungsapparat. 6.1  Textkritischer Apparat Der textkritische Apparat hat in erster Linie zwei Aufgaben: Aufweis der Textentwicklung und Nachweis der Texteingriffe. 6.1.1 Textentwicklung Liegt ein Text in mehreren autorisierten Fassungen vor, ist eine Fassung zum Edierten Text bestimmt. Dies ist in der Regel die Fassung letzter Hand. Jede zur Variante bestimmte Fassung wird im textkritischen Apparat mitgeteilt, in der Regel mit Hilfe eines negativen Apparats. Wo es die Sachlage erfordert, insbesondere bei umfangreichen Varianten, ist der positive Apparat oder die ­synoptische Darstellung gewählt. Die früheste oder einzige Fassung eines Textes trägt die Sigle A. Spätere Fassungen sind in chronologischer Folge mit B, C usw. bezeichnet. 6.1.2 Texteingriffe Texteingriffe sind auf ein Minimum beschränkt. Sie werden bei Textverderbnissen vorgenommen. Als verderbt gelten Textstellen, die den Sinnzusammenhang ­zerstören. Der Eingriff wird dadurch nachgewiesen, daß die verderbte Stelle im textkritischen Apparat mitgeteilt wird. Läßt sich eine unklare Stelle nicht eindeutig als verderbt erkennen, so wird sie unverändert gelassen. Je nach Sachlage bietet der Apparat dann Lesarten in Voreditionen oder andere Verständnishilfen

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MWG Abteilung I: Aufbau und Editionsregeln

an. Nicht als Textverderbnis gelten Spracheigentümlichkeiten, einschließlich regelwidriger, aber nicht sinnentstellender grammatischer Konstruktionen, nicht mehr gebräuchlicher Lautstand, veraltete Orthographie und Interpunktion. In ­folgenden Fällen werden Texteingriffe ohne Nachweis im textkritischen Apparat vorgenommen: a) Bei der Gestaltung von Überschriften, Zwischentiteln, anderen Gliederungsmerkmalen (z. B. Paragraphen) sowie Hervorhebungen: Sie werden typographisch vereinheitlicht. b) Bei Umlauten: Sie werden – soweit sie Folge der zu Webers Zeit üblichen Drucktechnik sind – der heutigen Schreibweise angeglichen (Ä statt Ae). Die Schreibweise ss für ß wird zu ß vereinheitlicht. c) Bei Abkürzungen: Sie werden, sofern sie schwer verständlich und heute nicht mehr üblich sind, in eckigen Klammern ausgeschrieben. d) Bei offensichtlichen Druckfehlern: Sie werden korrigiert (z. B. „Erleicherung“, „aucht“). e) Bei Interpunktionsfehlern: Sie werden bei der Reihung von Hauptsätzen, Aufzählungen, Relativsätzen und „daß“-Sätzen korrigiert. In allen anderen ­ Fällen werden eingefügte Satzzeichen durch eckige Klammern kenntlich ­ gemacht. f) Bei der Numerierung von Anmerkungen: Sie werden text- oder kapitelweise durchgezählt. Entsteht dadurch eine Abweichung gegenüber Webers Zählung, so wird dies im Editorischen Bericht vermerkt. g) Bei der Einfügung von Titeln und Zwischenüberschriften: Sie werden in eckige Klammern gesetzt und im Editorischen Bericht begründet 6.2 Erläuterungsapparat Der Erläuterungsapparat dient dem Nachweis, der Ergänzung oder der Korrektur der Zitate und der Literaturangaben sowie der Sacherläuterung. 6.2.1 Zitate Webers Zitate werden überprüft. Sind sie indirekt, unvollständig oder fehlerhaft, gibt der Apparat den richtigen Wortlaut wieder. Hat Weber ein Zitat nicht belegt, wird es im Apparat nachgewiesen. Ist uns der Nachweis nicht möglich, so lautet die Anmerkung: „Als Zitat nicht nachgewiesen“. 6.2.2 Literaturangaben Webers Literaturangaben werden überprüft. Sind sie nicht eindeutig oder fehlerhaft, werden sie ergänzt oder berichtigt, wenn möglich, unter Verwendung der von Weber benutzten Ausgabe. Es wird dafür ein Kurztitel verwendet. Die vollständigen bibliographischen Angaben finden sich im Verzeichnis der von Weber zitierten Literatur. Verweist Weber ohne nähere Angaben auf Literatur, so ist sie, wenn möglich, im Apparat nachgewiesen.

MWG Abteilung I: Aufbau und Editionsregeln

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Literaturangaben des Herausgebers werden beim ersten Auftreten vollständig aufgeführt, bei Wiederholungen wird ein Kurztitel verwendet. 6.2.3 Sacherläuterung Erläutert werden Ereignisse und Begriffe, deren Kenntnis für das Verständnis des Textes unerläßlich erscheint. Informationen über Personen finden sich im Personenverzeichnis am Ende des Bandes. Erfordert eine Textstelle darüber hinaus­ gehende Informationen über eine Person, so bietet sie der Apparat. Sachliche Fehler Webers werden im Apparat berichtigt. Für Wörter aus fremden Schriftsystemen verwendet der Editor in seinen Erläuterungen die Transliteration nach den heute gültigen Richtlinien. 6.3 Präsentation Um die Benutzung der Ausgabe zu erleichtern, erscheinen Webers Text und die dazugehörigen Apparate in der Regel auf derselben Seite. Edierter Text und Varianten sind gleichwertig. Die Varianten werden so präsentiert, daß der Leser die Textentwicklung erkennen kann. Kleine lateinische ­Buchstaben verbinden den Edierten Text mit dem textkritischen Apparat. Sie ­stehen hinter dem varianten oder emendierten Wort. Bezieht sich die textkritische A ­ nmerkung auf mehr als ein Wort, so markiert ein gerade gesetzter Index ­den Anfang und ein kursiv gesetzter Index das Ende der fraglichen Wortfolge (amit Amerikaa). Die Ersatzzeugen von Webers Äußerungen, auf die wir zurückgreifen müssen, stimmen nicht immer überein. In solchen Fällen sind sie alle ohne Wertung auf­ einanderfolgend oder synoptisch wiedergegeben. Zeitungsberichte enthalten in der Regel einen redaktionellen Vorspann, Zwischentexte oder Nachbemerkungen; Sitzungs- und Kongreßprotokolle geben auch Beiträge anderer Redner wieder. Wenn diese Texte in unmittelbarem sach­ lichen Zusammenhang mit Webers Äußerungen stehen, werden sie entweder in Form eines Regests, wörtlich in kleinerer Drucktype oder im textkritischen Apparat mitgeteilt. Die historisch-kritisch bearbeiteten Texte Webers und die Erläuterungen des Heraus­gebers sind durch arabische Ziffern ohne Klammern miteinander verbunden. Um die Herausgeberrede von Webers Text abzuheben, ist sie in anderer Schrifttype gesetzt.

7.  Verzeichnisse und Register Dem Band sind folgende Verzeichnisse und Register beigefügt: 1. Ein Inhaltsverzeichnis. 2. Ein Verzeichnis der Siglen, Zeichen und Abkürzungen.

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MWG Abteilung I: Aufbau und Editionsregeln

3. Ein Literaturverzeichnis: Es enthält die von Weber zitierte Literatur vollständig bibliographisch erfaßt. Auf den Titel folgt in Klammern der vom Editor in seinen Erläuterungen gebrauchte Kurztitel. 4. Ein Personenverzeichnis: Aufgenommen sind alle Personen, die Weber erwähnt, mit Ausnahme allgemein bekannter (z. B. Bismarck, Wilhelm II.) und in Literaturangaben genannter Personen. Es liefert die wichtigsten Lebensdaten, gibt die berufliche oder politische Stellung an und führt ggf. die verwandtschaftlichen oder persönlichen Beziehungen zu Weber auf. Das Personenverzeichnis hat den Zweck, den Erläuterungsapparat zu entlasten. 5. Ein Personenregister: Es verzeichnet sämtliche von Weber und vom Editor erwähnten Personen einschließlich der Autoren der von Weber und vom Editor zitierten Literatur. 6. Ein Sachregister: Es enthält alle wichtigen Begriffe und Sachbezeichnungen. Ist ein Begriff für einen Text thematisch, werden nur zentrale Stellen und besondere Bedeutungen verzeichnet. Es verzeichnet ferner alle geographischen Namen, mit Ausnahme der Verlagsorte in Literaturangaben und der Archivorte. Es werden die Namen benutzt, die im deutschen Sprachraum vor 1920 üblich waren oder amtlich gebraucht wurden. Kann ein Ort nicht als bekannt vorausgesetzt werden, wird zur Erläuterung die Verwaltungseinheit nach dem Gebietsstand von 1920 (z.B. Kreis, Regierungsbezirk) und ggf. auch der heute amtliche Name beigefügt. Personen- und Sachregister erfassen Webers Texte und die Herausgeberrede. Gerade gesetzte Zahlen verweisen auf Webers Text, kursiv gesetzte Zahlen auf die Herausgeberrede. Einem Band können weitere Verzeichnisse, wie z. B. Glossare, Konkordanzen, Maß- und Gewichtstabellen sowie Karten beigefügt sein.

8.  Indices und Zeichen Folgende Indices werden verwendet: a) Arabische Ziffern mit runder Schlußklammer (1), 2), 3) ...) kennzeichnen Webers eigene Anmerkungen. b) Arabische Ziffern ohne Klammern (1, 2, 3 ...) und in von a) abweichender Schrift markieren die Erläuterungen des Editors. c) Kleine lateinische Buchstaben (a, b, c ...) kennzeichnen eine textkritische Anmerkung. Folgende Zeichen werden verwendet: d) Das Zeichen  gibt die Stelle des Seitenwechsels nach der ursprünglichen Paginierung einer Textfassung wieder. e) Das Zeichen [  ] markiert Hinzufügungen zum Text durch den Editor.

MWG Abteilung I: Aufbau und Editionsregeln

Bandfolge der Abteilung II: Briefe

Band 1: Band 2: Band 3: Band 4: Band 5:

Jugendbriefe bis 1886 Briefe 1887 –1894 Briefe 1895 –1902 Briefe 1903 –1905 Briefe 1906 –1908

Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 1990

Band 6: Briefe 1909 –1910

Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 1994

Band 7: Briefe 1911 –1912

Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen

in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 2 Halbbände, 1998

Band 8: Briefe 1913 –1914

Hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen

in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 2003

Band 9: Briefe 1915 –1917





Hg. von Gerd Krumeich und M. Rainer Lepsius in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön; 2008

Band 1 0: Briefe 1918 –1920





Hg. von Gerd Krumeich und M. Rainer Lepsius in Zusammenarbeit mit Uta Hinz, Sybille Oßwald-Bargende und Manfred Schön; 2012

Band 1 1: Nachträge und Gesamtregister

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MWG Abteilung I: Aufbau und Editionsregeln

Bandfolge der Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften

Band  1: Allgemeine („theroretische“) Nationalökonomie. Vorlesungen 1894 –1898 Hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Cristof Judenau, Heino H. Nau, Klaus Scharfen und Marcus Tiefel; 2009

Band 2: Praktische Nationalökonomie. Vorlesungen 1895 –1899 Band 3: Finanzwissenschaft. Vorlesungen 1894 –1897 Band 4: Arbeiterfrage und Arbeiterbewegung. Vorlesungen 1895 –1898 Hg. von Rita Aldenhoff-Hübinger in Zusammenarbeit mit Silke Fehlemann; 2009

Band 5: Agrarrecht, Agrargeschichte, Agrarpolitik. Vorlesungen 1894 –1899 Hg. von Rita Aldenhoff-Hübinger; 2008

Band 6: Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Mit- und Nachschriften 1919/20 Hg. von Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Joachim Schröder; 2011

Band 7: Allgemeine Staatslehre und Politik (Staatssoziologie). Unvollendet. Mit- und Nachschriften 1920 Hg. von Gangolf Hübinger in Zusammenarbeit mit Andreas Terwey; 2009