Massenmedien im Dienst der Kirche: Theologie und Praxis [Reprint 2018 ed.] 3110026465, 9783110026467, 9783110830613

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Massenmedien im Dienst der Kirche: Theologie und Praxis [Reprint 2018 ed.]
 3110026465, 9783110026467, 9783110830613

Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
A. INTERMEDIÄRE KOMMUNIKATION ALS THEOLOGISCHES PROBLEM
B. DIE MEDIEN UND DIE PRAXIS INTERMEDIÄRER KOMMUNIKATION
Register

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BERNHARD

KLAUS

MASSENMEDIEN IM D I E N S T D E R

KIRCHE

MASSENMEDIEN IM DIENST DER KIRCHE Theologie und Praxis

VON BERNHARD

KLAUS

VERLAG W A L T E R DE G R U Y T E R & CO. B E R L I N 1969

THEOLOGISCHE BIBLIOTHEK HERAUSGEGEBEN K.ALAND,

K.G.KUHN,

C . H . R A T S C H O W H E F T

TÖPELMANN

VON UND

E S C H L I N K

21

© 1970 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 (Priilted in Germany) Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Archiv-Nr. 3901702/21 Satz und Druck: Franz Spiller, Berlin 36 Umschlagentwurf Rudolf Hübler

VORWORT Die Entwicklung technischer Medien erschloß der Kirche neue Wege für die Ausrichtung des ihr aufgetragenen Verkündigungsdienstes. Die bis dahin ungeahnten Möglichkeiten der Breitenwirkung beflügelten ihren Eifer, so daß die kirchliche Praxis der theologischen Reflexion stürmisch vorauseilte. Ein Defizit an theologischer Fundierung mußte in Kauf genommen werden. Kritische Fragen zur publizistischen Praxis der Kirche stellte auch die um das Informations- und Kommunikationsproblem in Theorie und Praxis bemühte Publizistikwissenschaft. So ergab sich ein neuer Aufgabenbereich, dem sich insonderheit die Praktische Theologie verpflichtet weiß. Nachdem bereits in verschiedenen Monographien und Aufsätzen zahlreiche Teilfragen behandelt worden sind, will die hier vorgelegte Untersuchung in der Art einer Bestandsaufnahme die mit den Möglichkeiten zu intermediärer Kommunikation aufgetretenen theologischen Probleme darlegen und das Interesse an den praktischen Fragen der sachentsprechenden und der mediengerechten Gestaltung dieses Dienstes fördern helfen. Mit den Theologen und engagierten Laien möchte sie auch die Publizistikwissenschaft ansprechen und um ihre Partnerschaft bitten, damit es zu interdisziplinärer Kommunikation kommt und die Praktische Theologie ihre Aufgabe im Interesse des Dienstes erfüllen kann, durch den die Kirche heute in der Welt außerhalb der Sakralräume präsent wird. Erlangen, im Sommersemester 1969

Bernhard Klaus

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort

V

A. INTERMEDIÄRE KOMMUNIKATION ALS THEOLOGISCHES PROBLEM I. Publizistik im Erfahrungsfeld

der Kirche

1 1

§ 1 : Intermediäre Kommunikation als historische Erfahrung der Kirdie

1

§ 2:

7

Intermediäre Kommunikation als Gegenwartsaufgabe der Kirche 1. Das Dekret des II. Vatikanischen Konzils: „Über die Werkzeuge der sozialen Massenkommunikation", 1963 2. Das Dokument der Weltkirchenkonferenz in Uppsala: „Die Kirche und die Medien der Massenkommunikation", 1968 . . .

II. Die publizistische Aussage im Dienst der Kirdie

7 15 20

§ 3 : Der Kommunikator

20

§ 4:

Die Aussage 1. Motivationen 2. Strukturen

27 28 38

§5:

Der Rezipient

42

III. Der publizistische Prozeß und seine theologische Problematik

46

§ 6: Die Kommunikation 1. Der kommunikationstheoretische Befund 2. Theologische Aspekte für den Kommunikationsprozeß in der mediatisiert ergehenden Verkündigung der Kirche

46 46

§ 7:

60 60 64 66 67 69

Behinderung kirchlicher Kommunikationsbemühungen 1. Veränderung des Wortes durch die Mediatisierung der Aussage 2. Veränderungen in den Verhaltensweisen der Rezipienten . . . . a) Gestaltete Freizeit b) Gestaltete Gemeinschaft c) Gelenkter Konsum

§ 8 : Die Information 1. Informationstheoretische Grundlinien 2. Die Funktion der Information im Dienst der Kirche 3. Verkündigung als Information

50

72 73 78 85

Inhaltsverzeichnis

VII

B. D I E M E D I E N U N D D I E P R A X I S INTERMEDIÄRER K O M M U NIKATION

96

I. Die Presse

96

§ 9: Morphologie der evangelischen Presse § 10: Die evangelisdie Presse als Medium direkter Verkündigung . . . . § 11: Die evangelisdie Presse als Medium indirekter Verkündigung . . 1. Zeitungen und Zeitschriften 2. Der evangelische Pressedienst § 12: Grundsätze der Mediengereditigkeit 1. Anschaulichkeit und Eindringlichkeit 2. Vereinfachung 3. Wiederholung 4. Steigerung 5. Kontrastwirkung § 13: Praxis des kirchlichen Dienstes durch die Presse 1. Verkündigung a) Direkte Verkündigung durch die kirchliche Presse b) Direkte kirchliche Verkündigung in der außerkirchlichen Presse c) Indirekte Verkündigung durch die kirchliche Presse d) Indirekte kirchliche Verkündigung in der außerkirchlichen Presse 2. Unterricht a) Voraussetzungen b) Praxis 3. Seelsorge a) Lebensberatung durch die außerkirchliche Presse b) Publizistische Seelsorge durch die kirchliche Presse c) Briefseelsorge II. Der Hörfunk § 14: Strukturen des Hörfunks und ihr Bezug zu den gesellschaftlichen Gruppen 1.Der Rundfunk als Bildungsinstitution des Staates 2. Der Rundfunk als Instrument autoritärer Diktatur 3. Der Rundfunk als öffentlich-rechtliche Institution § 15: Der Kirchenfunk als Institution der Rundfunkanstalten § 16: Medienspezifische Ausdrucksformen der Hörfunk-Sendungen . . . 1. Allgemeine Gestaltungsprinzipien 2. Die Gestaltung der Aussage im Kirchenfunk § 17: Das Problem der „Rundfunk-Theologie" § 18: Praxis des kirchlichen Dienstes durch den H ö r f u n k

96 99 102 102 106 110 111 112 113 115 117 118 118 118 120 122 125 126 127 133 136 137 139 141 143 143 144 146 147 148 151 151 153 157 162

Vffl

Inhaltsverzeichnis 1. Verkündigung a) Direkte Verkündigung der Kirche über den H ö r f u n k b) Indirekte Verkündigung im H ö r f u n k 2. Unterricht a) Die Bildungsaufgabe des Rundfunks b) Sdiulfunksendungen des Hörfunks zum Religionsunterricht 3. Seelsorge im Hörfunk

III. Das Fernsehen § 19: Strukturen des Fernsehfunks § 20: Medienspezifische Formen der Aussage 1. Information und Dokumentation a) Information als Nadiricht b) Information als Reportage und Originalübertragung c) Information als Gespräch und Diskussion d) Dokumentarsendungen 2. Bildung und Belehrung 3. Unterhaltung § 21 : Wirkungen § 22: Praxis des kirchlichen Dienstes durch das Fernsehen 1. Information 2. Verkündigung 3. Lebenshilfe IV. Das Fernspreeben § 23: Intermediäre Kommunikation in der Telefonseelsorge 1. Strukturen der Telefonseelsorge 2. Motive der fernmündlichen Kommunikation 3. Praxis der fernmündlichen Kommunikation Register

162 162 166 168 168 170 173 174 174 178 179 179 180 181 182 182 184 185 191 193 196 199 201 202 202 204 206 210

Personenregister

210

Sachregister

213

A. INTERMEDIÄRE K O M M U N I K A T I O N ALS THEOLOGISCHES PROBLEM I. P u b l i z i s t i k § 1: Intermediäre

im E r f a h r u n g s f e l d

Kommunikation

der

Kirche

als historische Erfahrung der Kirche

Als Mitteilung aktueller Bewußtseinsinhalte an die Öffentlichkeit gehört die publizistische Aussage zur geschichtlichen Erfahrung der Menschheit. In jedem politischen Gemeinwesen, in jeder sozial bestimmten oder religiös geprägten Gruppe ist sie das Mittel, mit dem die entscheidenden Impulse für die Kommunikation der Glieder des Gemeinwesens oder der Gruppe ausgelöst werden. So kommt es in einem ständig sich ereignenden Prozeß sowohl zur Bewußtwerdung des vorhandenen gemeinsamen geistigen Besitzes, indem Sachverhalte mitgeteilt werden, als auch zur Aktivierung und gegebenenfalls zur Neuorientierung des gemeinsamen Willens, indem zu bestimmten Verhaltensweisen aufgefordert wird. Die publizistische Aussage mit dem durch sie ingang gebrachten publizistischen Prozeß kann aus dieser Sicht von den Anfängen der Sozialgeschichte der Menschheit an festgestellt und weiterverfolgt werden 1 . Prinzipiell kann unter diesem Aspekt auch die gesamte Geschichte der christlichen Kirchen überdacht werden. Da Kommunikation nicht nur Bewußtwerdung der vorhandenen Gemeinsamkeit des Denkens und Wollens, sondern auch aktivierende Beeinflussung zu neuen Entschlüssen und deren Verwirklichung bedeutet, könnte die Betrachtung der Kirchengeschichte unter publizistischem Aspekt auch dort einsetzen, wo die Kirche im Dienst der staatlichen Gewalten ein Erziehungswerk in die Hand zu nehmen hatte, wie es z. B. in der karolingischen Reichskirche der Fall war 2 . Grundlage ist insoweit, wo immer man auch die Anfänge sucht, die direkte

1

2

1

W. Hagemann, Grundzüge der Publizistik, als eine Einführung in die Lehre von der sozialen Kommunikation; neu hrsg. von H. Prakke, 2. Aufl., Münster 1966, S. 172 ff. H.-E. Bahr, Verkündigung als Information. Zur öffentlichen Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft, Hamburg 1968, S. 9—15. Klaus, Massenmedien

2

Publizistik im Erfahrungsfeld der Kirche

Aussage, die im unmittelbaren Gegenüber des Redenden und des Hörenden erfolgt und die originäre Kommunikation ergibt. Die Aufgabe, die indirekte, durch technische Medien ergehende Aussage und den durch diese ingang gesetzten publizistischen Prozeß als Erfahrungsschatz der Kirche zu erhellen, kann nur dort einsetzen, wo sich die Kirche erstmalig technischer Medien bediente und so zu einer intermediären Kommunikation als Massenkommunikation gelangte. Das geschah erstmalig durch die reformatorischen Kirchen des 16. Jahrhunderts. Die Rasanz des reformatorischen Aufbruchs wäre nicht denkbar gewesen ohne bestimmte technische Voraussetzungen für das in vielfältig verschiedener Form verfügbar gewesene gedruckte Wort. Zu diesen Voraussetzungen rein technischer N a t u r gehört die Gründung von Papiermühlen, die auf industriellem Fertigungswege das Drudematerial in großen Mengen herstellten. Die erste als vollständiger Industriebetrieb angelegte Papiermühle auf deutschem Boden richtete Ulimann Stromer im Jahre 1390 in Nürnberg ein. Etwa 1394 wurde Johannes Gutenberg geboren, der Erfinder der Buchdruckerkunst, genauer der Erfinder des Gießinstruments zur mechanischen Vervielfältigung von Buchstaben und der Erfinder der Druckerpresse. Zwischen 1440 und 1450 war diese Erfindung zum Abschluß gekommen; bereits zwischen 1450 und 1460 gründete Johann Mentelin seine berühmt gewordene Druckerei in Straßburg, der bald eine Offizin nach der anderen folgte. In den Zeitraum dieser Gründungen ist das Geburtsjahr Luthers eingebettet. Die technischen Möglichkeiten, die mit der Druckerpresse gegeben waren, stehen am Anfang einer Entwicklung, in deren Verlauf die Technik in immer stärkerem Maße in den Dienst der Kirche gestellt wurde. Die Buchdruckerkunst war soeben erst zu echter Leistungsfähigkeit erwachsen, als der reformatorische Aufbruch erfolgte, und die reformatorische Kirche bediente sich dieses Mittels der Technik, das soeben erst aktionsfähig geworden war und durch die Bedürfnisse der Reformation zu einer ungeahnt schnellen Blüte gelangen konnte. Einige Zahlenangaben mögen andeuten, wie modern der reformatorische Aufbruch war, wie aufgeschlossen er sich der neuen Gegebenheiten bediente. Vor Luthers Bibelübersetzung aus dem Urtext stand das 1516 erstmals in der Geschichte des Christentums verzeichnete Ereignis einer gedruckten Ausgabe des griechischen Neuen Testamentes, herausgegeben von Erasmus von Rotterdam. Luther benutzte während seines Wart-

Intermediäre Kommunikation als historische Erfahrung der Kirche

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burgaufenthaltes die bis dahin zuletzt erschienene, neueste Auflage; das war die 2. Auflage von 1519. Damit stand er auf der Höhe seiner Zeit und ihrer technischen Errungenschaften. Für die Durchsetzung seines Arbeitsergebnisses, also f ü r die Verbreitung der deutschen Lutherbibel, boten Buchdruckerkunst und Buchhandel die entscheidenden Voraussetzungen. N u n läßt sich über diese Funktion hinaus feststellen, daß die Technik des Buchdrucks unmittelbar in den Dienst der öffentlichen Meinungsbildung gestellt wurde, indem die Reformatoren, ganz besonders Luther selbst, die reformatorische Verkündigung auch auf publizistischem Wege durch verschiedene drucktechnische Medien vorantrieben. Hier darf man die berühmten 95 Thesen an den Anfang stellen. Ob der Thesenanschlag in der überlieferten Form überhaupt stattgefunden hat, ist umstritten. Wichtig ist in unserem Zusammenhang die publizistische Bedeutung dieser Aktion 3 . Den Inhalt der nur f ü r Gelehrte bestimmten 95 Thesen ließ Luther auf deutsch und in allgemeinverständlicher Zusammenfassung durch den „Sermon von Ablaß und Gnade" verbreiten. Der ersten Ausgabe dieser Flugschrift von 1518 folgten in kurzen Abständen bis 1520 insgesamt 24 Ausgaben. In einer 1940 erschienenen Doktorarbeit ist der Versuch gemacht worden, die berühmten Ablaßthesen in den Rahmen einer von Luther gezielt eingesetzten Publizistik zu stellen 4 . Unbestritten ist die Tatsache einer ungemein wirkkräftigen intermediären Kommunikation, die damit begann und mittels einer wahren Flut von Flugschriften und Einblattdrucken fortgesetzt wurde. „Sturmtruppen der Reformation" hat man die zahllosen Flugschriften genannt: „Sie haben damals dieselben Aufgaben, wie später die Zeitungen erfüllt und haben dem Vordringen der reformatorischen Bewegung jene Unwiderstehlichkeit gegeben, die jeder gewaltsamen Unterdrückung Trotz bieten konnte 5 ." Nicht nur die Glaubensfragen, sondern auch politische, soziale und wirtschaftliche Probleme wurden auf diesem Wege breiten Schichten des Volkes vorgetragen. Zweifellos erfüllten sie damit schon in jener 3

4

5

l

S. v o n Kortzfleisdi, D i e publizistische Bedeutung v o n Luthers Thesenanschlag, in: Publizistik, 5. Jg. 1960, S. 131—136. A. Centgraf, Martin Luther als Publizist. Geist und Form seiner Volksführung, Frankfurt/Main 1940. A. E. Berger. D i e Sturmtruppen der Reformation. Ausgewählte Flugschriften der Jahre 1520—1525. 1931; Neuausgabe: Darmstadt 1964, S. 6.

4

Publizistik im Erfahrungsfeld der Kirche

Zeit eine gesellschaftliche Funktion hinsichtlich ihrer Bedeutung für eine öffentliche Meinungsbildung. Sie dienten der Information, aber sie gestalteten auch die öffentliche Meinung und sie spiegelten sie wider. Ihre Massenwirkung, die dem raschen Siegeszug der Reformation ein besonderes Gepräge verlieh, bestätigt die durch sie erzielte Massenkommunikation. Als Verfasser solcher in den Bereich der Publizistik einzugliedernden Schriften sind neben Luther Theologen und Laien, auch Frauen bekanntgeworden. Unter ihnen verdienen Namen wie Ulrich von Hutten, Johann Eberlin von Günzburg, Heinrich von Kettenbach und Argula von Grumbach hervorgehoben zu werden 8 . Ungeheuer war die Breitenwirkung der reformatorischen Literatur; die Drudeerpressen hatten buchstäblich Tag und Nacht zu arbeiten, um den Bedarf zu befriedigen. Ein wiederholt zitiertes Beispiel bietet Luthers Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung": Am 18. August 1520 erschien sie erstmals in einer Auflage von 4000 Stück; bereits nach fünf Tagen waren alle Exemplare vergriffen, so daß schon am 23. August 1520 eine Neuauflage vorlag 7 . Auf der Frankfurter Herbstmesse 1520 wurde eine Flugschrift über Luthers Disputation mit Eck in 1400 Exemplaren verkauft 8 . Audi das evangelische Liedgut trat in der Form von Einblattdrucken den Weg in seine Geschichte an. Das sogenannte Wittenberger „Achtliederbuch" von 1524 war die erste in Buchform erfolgte Zusammenstellung solcher Einblattdrucke durch den Nürnberger Drucker Jobst Gutknecht 9 . Besonderer Erwähnung ist in diesem Zusammenhang die Tatsache wert, daß Luther den Kleinen Katechismus in seiner Erstausgabe von 1529 in Plakatform erscheinen ließ 10 . Damit blieb er bei der Publikationsform, die er schon für eine seiner ersten katechetischen Schriften gewählt hatte: „Die zehn Gebote Gottes mit einer kurzen Auslegung ihrer Erfüllung und Übertretung", 151811. * K . Schottenloher, Flugblatt und Zeitung, Berlin 1 9 2 2 ; H. Volz, Flugschriften der Reformationszeit, in: R G G 3 II, 985 f. (Lit.). 7 W.Matthias, Evangelischer Buchhandel in Deutschland, in: RGG® I, 1 4 6 1 . 8 P. Roth, Die neuen Zeitungen in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert, Leipzig 1 9 1 4 , unveränderter Nachdruck 1963, S. 75. ' W.Blume, Die evangelische Kirchenmusik, Potsdam 1931, S . 2 2 ; vgl. auch G. Kieslich, Das „Historische Volkslied" als publizistische Erscheinung, Münster (1958), Anhang S . 1 1 9 — 1 5 9 . 1 0 W A 30, I, 561. » W A 1, 247 ff.

Intermediäre Kommunikation als historische Erfahrung der Kirche

5

Ungewöhnlich intensiv war neben der Breitenwirkung audi die Tiefenwirkung der eingesetzten publizistischen Mittel. Die Gegner fühlten sich gerade von der Intensität kommunikativer Wirkung auf das äußerste gereizt und es ist sehr bezeichnend, daß sie z. B. von Eberlin von Günzburg sagten, er könne wohl eine ganze Provinz verführen, so viel Eindruck mache er bei dem gemeinen Mann 12 . Damit tritt schon am Anfang der reformatorischen Praxis, Medien in den Dienst der Kirche zu stellen, ein Vorwurf auf, dem die publizistische Praxis bis heute standzuhalten hat. Die technischen Möglichkeiten, die mit der Drudkerpresse gegeben waren, stehen am Anfang einer Entwicklung, in deren Verlauf die Tedinik immer stärker in den Dienst der Kirche gestellt werden sollte. Dem Mittelalter gegenüber hatte ein völlig verändertes Informationssystem eingesetzt. Biblische Texte, ihre Interpretationen und Applikationen ergingen nicht mehr nur in autoritärer Weise „von oben herab" als Kanzelpredigt, sondern auch „aus der Mitte heraus" als Massenmedien. Sie dienten der intermediären Kommunikation und bedeuteten wichtige Faktoren im Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung. Hans-Eckehard Bahr hat das Ergebnis des Umbruchs in diesen Bereichen unter folgenden Gesichtspunkten aufgegliedert: „a) In der Reformation ergeht evangelische Verkündigung nicht nur von der Kanzel her, sondern ebenso publizistisch, durch verschiedenste drucktechnische Medien. b) Mit höchster Phantasie benutzen die evangelischen Autoren vorgeprägte literarische Muster und entwickeln ihrerseits neue Stilformen (Privatbrief, öffentliche Sendschreiben, Traktat, Sermon, Bericht, Schutzund Strafrede, Edikt, Spruchgedicht, Parodien, Glossen und Satiren, Bild-Auslegung, halbdramatische Emblemszenen etc.). Beliebtestes Mittel ist der Dialog in allen Stilisierungsarten. c) Die unbefangene Rezeption verschiedenster Stilformen dient der größtmöglichen Zuspitzung ad hominem. Kaum je zuvor gelang der Verkündigung eine so differenzierte Hinwendung zu den Menschen in ihrer je verschiedenen Situation. Druckschriften wenden sich an die verschiedenen Stände, an Bauern, städtische Handwerker, vor allem an den ,gemeinen Mann'. 12

L. von Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Wien o. J „ S. 269.

6

Publizistik im E r f a h r u n g s f e l d der Kirche

d) Träger dieser neuen evangelischen Publizistik sind nicht mehr nur Theologen, sondern Laien, nicht nur Männer, sondern auch Frauen 1 3 ." Eine solche Aufgliederung ist freilidi nur aus kritischer Rückschau möglich. Die Zeitgenossen erkannten die Gelegenheiten nicht, die in der intermediären Kommunikation durch die publizistische Aussage beschlossen liegen. Darum darf in der Systematisierung kein Programm gesucht werden, das die reformatorische Kirche zu klaren Konsequenzen geführt hätte. „Weder Luther noch die Lutheraner haben schließlich die Befreiung des biblischen ,Wortes' zur vollen, institutionell unabgesicherten Konkurrenzsituation mit anderen Weltauslegungen im Feld öffentlicher Meinungsbildung vollendet" 1 4 . Der reformatorische Aufbruch kam schon im ausgehenden 16. J a h r hundert zum Erliegen. Die zeitungsähnlichen Publikationen vom 17. Jahrhundert an, besonders die sogenannten „Intelligenzblätter", standen im Dienst absolutistisch regierender Fürsten 1 5 . Erst nachdem im Jahre 1848 die Pressezensur gefallen war, öffneten sich für die evangelischen Landeskirchen in Deutschland neue Wege des Verkündigungsdienstes durch Massenmedien. Die Geschichte der evangelischen Presse ist so gegenwartsnah, daß sie nicht unter die hier zusammengestellten „Erfahrungen" der Kirche eingereiht sei, sondern als hinführendes V o r w o r t auf das, was über den Dienst der evangelischen Presse heute zu sagen ist. Was die mediatisierte Verkündigung zu leisten vermochte, ist durch die Frühstadien der modernen Kirchenpresse tatsächlich nicht verwirklicht worden. Erst die umwälzenden technischen E r findungen der neuesten Zeit schufen eine neue Situation, und in diesem Sinne formulierte die Weltkirchenkonferenz in Uppsala 1968 den Satz, mit dem sie den zeitlichen Abstand zwischen der Reformation und der Gegenwart überbrückte: „Im allgemeinen war der Beitrag der Massenmedien zum interkonfessionellen Verständnis für die ökumenische Bewegung ebenso wichtig wie die Erfindung der Druckkunst für die Reformation" 1 0 .

13

H . - E . B a h r S. 18 f.

14

H . - E . B a h r S. 19.

15

W . H a g e m a n n S. 1 9 7 ff.

10

Veröffentl. in: Medium, 5. J g . 1 9 6 8 , S. 2 0 3 .

7

Intermediäre Kommunikation als Gegenwartsaufgabe der Kirdie

§ 2: Intermediäre

Kommunikation

als Gegenwartsaufgabe

der

Kirchen

1. Das Dekret des II. Vatikanischen Konzils: „Über die Werkzeuge der sozialen Massenkommunikation", 1963 Dem modernen Katholizismus unserer Zeit ist es vorbehalten geblieben, den Problemen der Massenkommunikation durch Massenmedien erstmalig offiziell in der Kirche Raum geschaffen zu haben. Daß dies in R o m früher geschah als im Protestantismus, darin liegt das eigentliche Verdienst der konziliaren Bemühungen um die mit den Massenmedien aufgetretenen Fragen. Daß es auf unzulängliche Weise und mit unzureichenden Mitteln versucht wurde, schmälert nicht das Verdienst, wirksame Impulse ausgelöst zu haben, die auch für einen im Bann alter Traditionen schwerfällig gewordenen Protestantismus Bedeutung gewinnen sollten und den Blick auf diese katholische Aktion in unserem Zusammenhang erforderlich machen. Bereits Pius X I I . hatte diesen Fragen Aufmerksamkeit gewidmet, indem er sich, persönlich engagiert, an den III. Weltkongreß der katholischen Presse in R o m 1950 wandte. Dieser Papst ging von der These aus, daß eine funktionsfähige öffentliche Meinung „die Mitgift jeder normalen menschlichen Gesellschaft" sei und daß ihr Verstummen oder Fehlen „eine Schwäche, eine Krankheit des sozialen Lebens" anzeige. „Eine öffentliche Meinung im Schoß der Kirche selbst" war seine Forderung; „denn schließlich ist sie (die Kirche) ein lebendiger Körper, und es würde ihrem Leben etwas fehlen, wenn die öffentliche Meinung fehlte, ein Mangel, wofür die Schuld sowohl auf den Hirten wie auf die Gläubigen fiele" 17 . Es ist erstaunlich, mit welcher Aufgeschlossenheit für die Sachfragen, wie sie in der Publizistikwissenschaft verhandelt werden und für das Recht der freien Meinungsbildung innerhalb der Kirche sowie für den lebendigen Dialog zwischen „Hirten" und „Gläubigen" Pius X I I . sowohl den Erfordernissen der Zeit zu entsprechen wußte als auch der Eigengesetzlichkeit des Sachbereichs der Medien 18 . Seine Anstöße haben wei17

Acta Apostolicae Sedis, 1950, S . 2 5 1 — 2 5 7 ; deutsche Übersetzung in: J . - F . Groner (Hrsg.), Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens



Soziale Summe Pins' X I I . , 3 Bde., Freiburg (Schweiz) 1 9 5 4 — 1 9 6 1 , S. 1072 bis 1081. 18

Vgl. W . Hamerski, Reden Papst Pius' X I I . zu Fragen der Publizistik, in: Publizistik, 8. Jg. 1963, S. 6 1 1 — 6 3 1 .

8

Publizistik im Erfahrungsfeld der Kirche

tergewirkt; aber das Konzil hat über die Position Pius' XII. nicht hinausführen können. Schon in der ersten Vorbereitungsphase des II. Vatikanischen Konzils waren so viele Anregungen zur Einbeziehung der Frage der Massenmedien in die Konzilsthematik gegeben worden, daß bereits in der zweiten Vorbereitungsphase 1960 ein eigenes „Sekretariat zur Behandlung der Fragen, die das moderne Nachrichtenwesen betreffen (Presse, Rundfunk, Fernsehen, Film usw.)" eingerichtet wurde. Das Sekretariat erarbeitete die Sitzungsvorlage, deren erster Entwurf 1961 vorlag. Schon der erste Entwurf läßt Positionen erkennbar werden, die sich über Art und Problematik intermediärer Kommunikation voll informiert erweisen. So heißt es z . B . : „(95) Dem Rundfunk und Fernsehen kommt eine besondere Bedeutung dadurch zu, daß sie die Grenzen und Hindernisse zwischen den Nationen überwinden, die Menschen an die Ereignisse fast der ganzen Welt unmittelbar heranführen und sie auf der Stelle an allen Problemen und Geschehnissen, die oft sehr weit entfernt sind, teilnehmen lassen. (96) Außerdem werden die Menschen durch den Gebrauch dieser Instrumente einem kollektiven Druck unterworfen; Formen des Denkens und auch verschiedene Lebensweisen von gesellschaftlichen Gruppen, die nationalen oder internationalen Gemeinschaften eigen sind, werden mit Hilfe dieser Instrumente bekannt. Ihre Macht wird um so größer, je zahlreicher die Anzahl derer ist, der diese Denk- und Lebensformen vorgeführt werden, da einzelne Menschen von dem Gewicht einer gesellschaftlichen Masse erdrückt werden. (97) Darüber hinaus üben diese Instrumente einen besonderen und entscheidenden Einfluß auf das Familienleben aus, da sie ihrer Natur nach in die Häuser eindringen wie Gäste, die Böses oder Gutes mit sich bringen, und das Heiligtum der Familie entweder ehren oder schänden können 19 ." Die Vorverhandlungen zeitigten mannigfache Gesichtspunkte, unter denen hervorgehoben zu werden verdient, daß mehrfach angeregt wurde, die besondere Ausbildung und Erfahrung von Laien einzubeziehen und den Gebrauch der Publikationsmittel überhaupt und grundsätzlich Laien zu übertragen, weil es die wichtigste Aufgabe der Priester sei, zu predigen und die Sakramente zu spenden. Einen Höhepunkt ergab die in der ersten Sitzungsperiode von Kardinal Léger aus "

Teil IV, K a p . III, Ziff. 95—97 des ersten Entwurfs; abgedr. bei O . B . Roegele, Das Konzilsdekret „Über die Werkzeuge der sozialen Kommunikation"', in: Publizistik, 9. J g . 1964, S. 346.

Intermediäre Kommunikation als Gegenwartsaufgabe der Kirche

9

Montreal temperamentvoll vorgetragene Forderung, die Kirche solle, statt hauptsächlich auf ihr Recht zur Benutzung der Publikationsmittel zu pochen, lieber das Recht aller Menschen betonen, die Wahrheit zu erfahren 2 0 . Praktisch hat die Konzilsvorlage über die Massenmedien das Schicksal eines Lückenbüßers erfahren müssen. Wo komplizierte Auseinandersetzungen wie z. B. über die Quellen der Offenbarung dem Fortgang der Verhandlungen Schwierigkeiten bereiteten, da glaubte man, mit der Erörterung des Problems der Massenmedien leichter voranzukommen. P. Mario von Galli S. J. hat über das Schicksal des Schemas über die Massenmedien im Verlauf der ersten Sitzungsperiode geurteilt: „Fast ein bißchen zu leicht haben die Konzilsväter, wenn ich mir eine Kritik erlauben darf, diese Frage genommen. Sie hätte verdient, von einem Konzil tiefschürfender und, wenn ich so sagen darf, theologischer behandelt zu w e r d e n . . . Die Abwesenheit von Laien, deren ausschließlicher Beruf die Handhabung der Massenmedien (Presse, Film, Funk, Fernsehen) darstellt, macht sich hier doch recht schmerzlich bemerkbar" 2 1 . Als man im Herbst 1963 bei der zweiten Sitzungsperiode erkannte, daß sich dieser noch weitere Sessionen anschließen müßten, bis Entscheidungen über die großen anstehenden Fragen möglich werden würden, wandte man sich rasch dem Schema über die Kommunikationsmittel zu auf Grund der vagen Vorstellung, daß es in dieser Sache nicht viel zu beraten und zu entscheiden gebe, zumal es sich wohl u m minder wichtige Dinge handele. Uberraschend wurde das Schema auf die Tagesordnung gesetzt; in aller Eile wurden Umarbeitungen des Entwurfs vorgenommen. Ein Teil der Konzilsväter hatte weniger das Positive der neuen kommunikativen Möglichkeiten im Blick als vielmehr ihren möglichen Mißbrauch, gegen den sie sich energisch zur Wehr setzen zu müssen meinte. Man beklagte die Verdummungswirkung besonderer Formen der Massenpresse und wollte die sittliche Destruktion durch unmoralische Filme, Funksendungen und Druckerzeugnisse verurteilt sehen. In dieser Lage versuchten 90 Konzilsteilnehmer mit Unterstützung mehrerer Kardinäle, z. B. der Kardinäle Frings und Alfrink, einen Vorstoß, der festgehalten zu werden verdient, weil die Opponenten wirk20 21

O . B. Roegele S. 308 f. M. von G a l l i und B. Moosbrugger, D a s K o n z i l . Chronik der ersten Session, Mainz 1963, S. 111.

10

Publizistik im E r f a h r u n g s f e l d der Kirche

lieh auf den Kern der Dinge stießen. Ein Antrag auf Ablehnung des Schemas wurde schriftlich abgefaßt mit einer in fünf Punkten zusammengefaßten Begründung: „1. Das Schema geht von unleugbaren Rechten der Kirche aus; es schweigt aber von der Grundlage jeder K o m m u nikation, nämlich dem Streben nach Wahrheit und dem Drang, sie auszusagen. 2. Deshalb wird das Wesen der Kommunikationsmittel nicht gebührend berücksichtigt. Die Kommunikationsmittel werden mehr im technischen Sinne als Mittel der bloßen Anrede beschrieben, weniger als Mittel wahrer Kommunikation, d. h. eines eigentlich menschlichen Gesprächs. 3. Vergeblich sucht man im Schema die Darlegung des Gedankens der Bildung einer wahren christlichen Humanität, durch die der Mensch angeleitet wird, nicht bloß das Sensationelle wahrzunehmen, sondern sein Verlangen auszubilden, die Wahrheit zu hören und auf richtige Weise zu sehen. Eine solche Bildung vermeidet die Distanz des rein abstrakten Wissens und Urteilens und führt den Menschen zur wahren Kommunikation, durch die er teilhaftig gemacht wird am Schicksal anderer. 4. A m meisten ist zu bedauern, daß den Laien der ihnen zukommende Platz nicht zuerkannt wird, so daß sie auch dort, wo sie zuständiger sind als die Kleriker, das Gefühl haben müssen, unter klerikaler Vormundschaft gehalten Zu werden. 5. Viele Fragen, die im Schema berührt werden, können nicht in allgemeingültiger Weise entschieden werden. Sie gehören weniger auf ein ökumenisches Konzil als auf die nationale oder regionale Bischofskonferenz" 22 . Aus Deutschland unterzeichneten den Antrag Erzbischof Dr. Hermann Schäufele von Freiburg i. Br., Bischof Prof. Dr. Hermann Volk von Mainz und die Weihbischöfe Dr. Reuss, Mainz und Dr. Nordhues, Paderborn. Das Schicksal dieses Antrags, der letztlich auf Sachgemäßheit im Einsatz der Medien zielte, ist wahrhaftig tragisch zu nennen. Offiziell wurde der Antrag aus rein formalen Gründen damit zurückgewiesen, daß er zu spät eingereicht und auch nicht in der vorgeschriebenen Form vorgelegt worden sei. Die Antragsteller reagierten in geradezu spektakulärer Weise. Sie verteilten in der Vorhalle von St. Peter Handzettel an die zur entscheidenden Abstimmung in der Konzilsaula eintreffenden Konzilsväter, um diese buchstäblich noch in letzter Minute mit ihren Gegenmaßnahmen vertraut machen zu können. Die päpstlichen Gendarmen wurden eingesetzt mit dem Befehl, gegen die Flugblattverteiler einzuschreiten. Als sie aber erkannten, daß auch Bischöfe 22

Deutsch bei O. B. Roegele S. 313.

I n t e r m e d i ä r e K o m m u n i k a t i o n als G e g e n w a r t s a u f g a b e d e r Kirchen

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dazu gehörten, weigerten sie sich, dagegen einzuschreiten. Es kam zu turbulenten Szenen, über die die Presse ausführlich berichtete. Dennoch gelang es den Opponenten nicht, die Abstimmung von der Tagesordnung abzusetzen. Trotz einer großen Zahl von Gegenstimmen wurde das Sdiema über die Massenmedien angenommen. Der Papst hatte damit die Möglichkeit, am Ende der zweiten Sitzungsperiode über faktische Ergebnisse des Konzils zu verfügen. Verabschiedet wurden am 4. Dezember 1963 die Konstitution „Über die heilige Liturgie" und das Dekret „Über die Werkzeuge der sozialen Kommunikation". Das Dekret spricht von den Massenmedien als von „den erstaunlichen Erfindungen der Technik, welche die menschliche Geisteskraft . . . mit Gottes Hilfe aus der Schöpfung entwickelt hat". Im Vorwort werden als Motive f ü r die Beschäftigung der Kirche mit den Massenmedien zwei Gesichtspunkte hervorgehoben. Einerseits wird ihre wirksame Hilfe „bei rechtem Gebrauch" herausgestellt: „Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Erholung und Bildung des Geistes; sie dienen ebenso auch der Ausbreitung und Festigung des Gottesreiches." Andererseits wird aus der Sorge wegen des häufig erwachsenen Unheils „durch deren Mißbrauch" zum Ausdrude gebracht, „daß die Menschen diese technischen Erfindungen gegen Gottes Schöpfungsplan und zu ihrem eigenen Schaden mißbrauchen können". In den zwei Kapiteln des Dekrets werden diese beiden Gedankenkreise ausführlich behandelt. Was im Vorwort als ein zweites Motiv angesprochen ist, gewinnt ein solches Gewicht, daß seine Entfaltung im ersten Kapitel vorrangige Bedeutung annimmt durch eine Aufstellung von Grundsätzen zur Verhütung von Schaden und Unheil durch die Massenmedien. Thematisch stellt das erste Kapitel den Rechtsanspruch der Kirche auf Besitz und Benutzung der Massenmedien voran. Damit hat eine sehr unrealistische Auffassung die Thematik bestimmt. In christentumsfernen oder gar kirchenfeindlichen politischen oder sozialen Systemen kann die Kirche einen Rechtsanspruch überhaupt nicht durchsetzen. In der freien Welt ist die Verfügbarkeit dieser Mittel „eine Frage der wirtschaftlichen, fachlichen und geistlichen Potenz, die die Kirche jeweils besitzt, die Benutzung ihrer Einrichtungen, die sich im Besitz privater oder öffentlicher Träger befinden, eine Frage des gesellschaftlichen Gewichts und der Bedeutung, derer sich die Kirche in einer pluralistisdien Gesellschaft erfreut" 2 3 . Daß der heimliche Wunsch nach einer Klerikalisierung des 2

' Das Zweite Vatikanische Konzil. Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen

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Publizistik im Erfahrungsfeld der Kirche

gesamten Bereichs zu den Vätern der Endfassung des Dekrets gezählt werden muß, ergibt die dem Rechtsanspruch unmittelbar folgende Feststellung, daß die Benutzung der sozialen Kommunikationsmittel zum „Auftrag der Oberhirten" gehört. Daß hier auch Laien einzusetzen sind, wird mit der Wendung „im übrigen" hinzugefügt. Ihre Aufgabe aber wird damit eingegrenzt, daß sie die Massenmedien „mit echt humanem und christlichem Geist zu beseelen" haben (I, 3). Die Kenntnis der Grundsätze sittlicher Wertordnungen und die Bereitschaft, sie zu verwirklichen, wird bei denen vorausgesetzt, die mit den Kommunikationsmitteln umgehen (I, 4). Zurückhaltung bei Themen, die „leicht niedrige Instinkte wecken", wird geboten (I, 7). Die Leser, Zuschauer und Zuhörer, „die sich ja in freier und persönlicher Entscheidung der sozialen Kommunikationsmittel bedienen", werden aufgefordert, „das Minderwertige oder Verführerische abzulehnen" (I, 9). Eltern und Erzieher sollen sorgfältig darauf achten, „daß nicht glaubens- und sittenwidrige Darbietungen, Druckerzeugnisse und ähnliches ins Haus gelangen oder den Kindern anderswo begegnen" (1,10). Die staatliche Gewalt wird aufgerufen, „schwere Schäden f ü r die öffentliche Sitte und den Fortschritt der Gesellschaft (zu) verhindern, die durch Mißbrauch der sozialen Kommunikationsmittel entstehen könnten" (1,12). Es nimmt wahrhaftig nicht wunder, daß unter diesem Aspekt Berufsstand und Berufsethos der Journalisten an keiner Stelle konkret beschrieben werden. Das Dekret begnügt sich damit, sie als Laien an ihre besondere Verantwortung zu erinnern und ihnen nahezulegen, sich in Berufsvereinigungen zusammenzuschließen, „wenn nötig, auch unter Eingehung der gegenseitigen Verpflichtung, festgelegte moralische Richtlinien zu beobachten" (I, 11). Vermißt werden auch Erwägungen „über die Grundlagen der Kommunikation und ebenso über das Wesen der Kommunikationsmittel, nämlich als Mittel wahrer Mitteilung, d. h. des eigentlich menschlichen Gesprächs" 24 . Vermißt werden schließlich Erwägungen über das Wesen der Information als wesentlicher Inhalt der durch die Massenmedien vermittelten Kommunikation in der technisierten Welt der Industriegesellschaft. Die Information tritt f ü r den Menschen dieser Zeit an die Stelle der unmittelbaren Wirklichkeit. Daß

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lateinisch und deutsch. Kommentare. Teil I, Freiburg-Basel-Wien 1966. Hier: Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel (Decretum de instrumentis communicationis socialis), Einleitung und Kommentar von K. Schmidthüs, S. 118. K. Schmidthüs S. 119.

Intermediäre Kommunikation als Gegenwartsaufgabe der Kirchen

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die Wirklichkeitserfassung durch Information über die Medien auch manipuliert oder verfälscht werden kann, ist wahrhaftig nicht alles, was sich darüber sagen läßt. Der Größe der Gefahr entspricht durchaus die Größe der Möglichkeiten zur Offenheit gegenüber der Welt, zur Teilnahme am Schicksal der Mitmenschen, zur Bewußtseinserhellung in der durch Information bewirkten Solidarität, deren Ausdruck das mitmenschliche Gespräch sein kann. Darüber schweigt das Dekret und verharrt in einer präkonziliaren Phase, die von Pius XII. bereits sehr viel weiterführende Anstöße empfangen hatte. Wenn die öffentliche Meinungsbildung innerhalb der Kirche „ein notwendiger kirchlicher Lebensprozeß" ist, dann ist „die Vermittlung von Information, durch die die Meinungsbildung in Gang gesetzt wird, ebenso notwendig" 23 . Das zweite Kapitel beginnt mit dem thematischen Aufruf: „Alle Glieder der Kirche sollen einmütig und planmäßig darangehen, ohne Aufschub und mit größtem Eifer die sozialen Kommunikationsmittel in den vielfältigen Arbeiten des Apostolates, wie es Zeit und Umstände erfordern, zu benutzen". Die Laien sollen „mit ihren technischen, wirtschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Kräften die kirchliche Seelsorge unmittelbar unterstützen" (II, 13). Fast noch stärker als im ersten Kapitel und ungenierter noch als dort erscheinen die Bestrebungen einer Klerikalisierung des gesamten Komplexes: „Die gute Presse" soll gefördert werden; aber es soll auch „eine katholische Presse gegründet und gefördert werden, die diesen Namen wirklich verdient". Dies soll „in der erklärten Absicht" geschehen, „öffentliche Meinung zu bilden, zu festigen und zu fördern, die mit den katholischen Lehren und Grundsätzen übereinstimmt". In diesem Sinne soll auch die Verleihung von Filmpreisen durchgeführt werden und „die Förderung und der Zusammenschluß von Lichtspieltheatern, die von katholischen und zuverlässigen Persönlichkeiten geleitet werden" (II, 14). Daß die Presse die „öffentliche Meinung" nicht nur „macht", sondern auch widerspiegelt und der Meinungsbildung in dialogischer Weise dient, wird übersehen. Es scheint, als sei das Dekret über die Massenmedien zu einem Sammelbecken letzter noch verbliebener Relikte aus der Zeit des Kulturkampfes geworden! Otto B. Roegele, der katholische Experte für Fragen der Publizistik im Raum der römischen Kirche, faßte seine Kritik mit Bezugnahme auf Äußerungen des Weihbischofs Walther Kampe im „Kirchenboten des » K. Sdrmidthüs S. 121.

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Publizistik im Erfahrungsfeld der Kirche

Bistums Osnabrück" vom 19. April 1964 in zwei Punkten zusammen: „1. Das Dekret ist von den Konzilsvätern etwas .stiefväterlich' behandelt worden", es hat tatsächlich nicht ganz das Interesse gefunden, „das es vom Thema her verdient hätte", weil es eben als Erholungs- und Lockerungsübung nach den Konflikten und Anstrengungen des Offenbarungsschemas betrachtet wurde. 2. Die Bischöfe verstanden in ihrer Mehrheit von diesem Thema sehr viel weniger als von den übrigen Konzilsthemen, denen sie in ihrer theologischen Ausbildung, in ihrer Lehr-, Seelsorge- und Regierungspraxis von Amts wegen näher gekommen sind"2«. Zweifellos fehlt dem Dekret eine spezifisch theologische Fundierung. Eine Theologie der intermediären Kommunikation war ein noch ferner Gedanke; Untersuchungen über „Verkündigung als Information" waren noch nicht durchgeführt worden. Leider hatte man audi von den Ergebnissen moderner Kommunikationswissenschaft wenig Notiz genommen. Die innerkatholische Kritik bemängelte, daß der publizistische Prozeß in der alten Vorstellung einer Wirkung von oben nach unten erscheine, „wie sie dem traditionellen Bilde der horizontal geschichteten Gesellschaft des Obrigkeitsstaates entsprechen mag, aber gewiß nicht der heutigen Gesellschaft, in der der publizistische Prozeß' (wenn der Begriff hier überhaupt anwendbar ist) sich in der Form eines Regel- oder Steuerkreises vollzieht, als ,Zeitgespräch der Gesellschaft', das von den Medien der Kommunikation, wenn auch nicht allein von ihnen, geführt, angestoßen, in Gang gehalten und fortwährend mit Stoff versorgt wird" 27 . Die evangelische Kritik stellte heraus: „Das Schema sieht in den Mitteln der Massenkommunikation Presse, Film, Funk, Fernsehen vor allem eine Gefahr und erst in zweiter Linie eine Möglichkeit der Mission. Es spricht gesetzlich von Rechten und Pflichten und kaum evangelisch von Möglichkeiten und Aufgaben. Es verliert sich auch in seiner verkürzten Fassung in vielen praktischen Ratschlägen, welche nur in Teilen der Welt überhaupt verstanden und befolgt werden können. Es besitzt weder einen biblischen noch den vom Konzil so oft geforderten ökumenischen Bezug und könnte nach dem Austausch weniger Worte auch von jeder beliebigen Religionsgemeinschaft erlassen werden" 28 . 26

O . B . Roegele S. 317. " O . B . Roegele S. 318. 28 J. C. H a m p e , Ende der S. 130.

Gegenreformation?, Stuttgart

und

Mainz

1964,

Intermediäre K o m m u n i k a t i o n als Gegenwartsaufgabe der Kirchen

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Die positive Bedeutung des Dekrets liegt zweifellos zuerst in der Tatsache, daß es die Debatte über die Fragen christlicher Publizistik ingang gebracht hat. Positiv zu werten ist vor allem der Optimismus des Dekrets in seinem Vertrauen auf die Wirksamkeit der Massenmedien im Dienst der kirchlichen Verkündigung. 2. Das Dokument der Weltkirchenkonferenz in Uppsala: „Die Kirche und die Medien der Massenkommunikation", 1968 Auf Seiten der nichtrömischen christlichen Kirchen hat man sich seit langem dem Problem der Kommunikation durch Massenmedien zu stellen versucht; aber ein Wort der Ökumene war erst 1968 möglich geworden. Marksteine in Deutschland auf dem Wege zu diesem ersten beachtenswerten Teilziel seien kurz skizziert. Institutionalisiert wurden in der EKD das Amt des Filmbeauftragten der EKD (OKR Dr. Hermann Gerber, Darmstadt) und das Amt des Fernsehbeauftragten der EKD (KR Robert Geisendörfer, Frankfurt/ Main). Es entstanden die Konferenz der evangelischen Rundfunk- und Fernseharbeit in Deutschland (Vorsitz: OKR Dr. Manfred Müller, Stuttgart) und der Evangelische Arbeitskreis Lichtbild (Vorsitz: Pfarrer Michael Hederich, Kassel). Ein wichtiges Ergebnis war die Gründung der Zeitschrift „medium" durch die Konferenz der evangelischen Rundfunk* und Fernseharbeit in Deutschland im Jahre 1964. Diese Zeitschrift versteht sich als die deutsche Ausgabe von „The Christian Broadcaster", das ist das Publikationsorgan der World Association for Christian Broadcasting (WACB). Ein gewisser Bereich der Ökumene trat damit schon in den Anfängen ins Blickfeld. Eine weitere Station auf dem Wege zu grundsätzlicher Einbeziehung der Probleme der intermediären Kommunikation in die theologische Reflexion bedeutete ein vom 22. Januar bis 4. März 1968 durch das Prediger- und Studienseminar der VELKD in Pullach veranstalteter Studienkurs über das Thema „Publizität und Publizistik" 29 . Hinzu kommt die unübersehbare, jahrzehntelange publizistische Arbeit der Kirche, wie sie theologisch unreflektiert, in unbekümmertem Optimismus praktiziert worden ist, nicht ohne einen Erfahrungsschatz als Ergebnis eingebracht zu haben. Viele Statio-

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D i e Ergebnisse sind als Sammelband veröffentlicht w o r d e n : H . Breit und W. H ö h n e (Hrsg.), D i e provozierte Kirdie. Überlegungen z u m T h e m a Kirche und Publizistik, München 1968.

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Publizistik im Erfahrungsfeld der Kirche

nen also bezeichnen den Weg, der in Uppsala 1968 auf der Vierten Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen zu dem an die Kirchen gerichteten Dokument geführt hat 30 . Im Vorwort wird das Dokument als „Aufruf zum Engagement" bezeichnet, was aber nicht als Fanfarenklang verstanden werden soll, sondern als Eingeständnis, daß „ein endgültiger Bericht auf Grund erschöpfender Studien" nicht möglich gewesen ist. Gewisse Wendungen erwecken den Anschein, daß die Ökumene insonderheit vermeiden will, was Rom an Fehlern unterlaufen ist. Als „Bindeglieder der modernen Welt" werden die Medien nicht verteufelt, sondern in ihrer Bedeutung gewürdigt: „Ohne sie würde eine technologische Gesellschaft rasch zugrundegehen; ohne sie wäre sie gar nicht erst entstanden." Das hat seine Bedeutung für die Kenntnis der Welt, an die sich die Verkündigung der Kirche richtet: „Man muß sie verstehen, um die Welt verstehen zu können, der die Kirche die gute Botschaft Christi bringt." Die Kirchen erheben keinen Rechtsanspruch auf die Benutzung der technischen Einrichtungen, sondern stellen fest, daß sie „der Massenkommunikation ausgesetzt" sind. Darum und weil das kirchliche Leben stark durch sie beeinflußt wird, fühlen sie sich „für die Medien mit verantwortlich". Absolut realistisch werden die von politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen diktierten Möglichkeiten der Benutzung der Massenmedien für den Dienst der Kirche eingeschätzt. Thematisch wird festgestellt: Die Kirchen täten gut daran, „ihr traditionelles Mißtrauen gegenüber den Medien aufzugeben und eine feste Partnerschaft mit denjenigen einzugehen oder zu suchen, die die modernen Kommunikationssysteme schaffen, erstellen, gebrauchen und bewerten". Damit ist die Notwendigkeit der Einbeziehung von fachkundigen Laien klar zum Ausdruck gebracht worden (S. 196 f.). Der erste Teil hat bezeichnenderweise keine Gesamtüberschrift erhalten, sondern begnügt sich damit, in Teilüberschriften die komplexe Situation näher zu umschreiben. Hier wird von den „Auswirkungen auf die Gesellschaft" und dem Erfordernis großer Organisationen gesprochen. Daß die Medien als Kommunikatoren das Leben ebenso bereichern wie behindern können, wird thesenartig einleuchtend begründet. Information bereitet den Weg „für ein neues Verständnis zu den Denk80

Die Kirche und die Medien der Massenkommunikation, in :Medium, 5. Jg. 1968, S. 1 9 6 — 2 1 4 ; dieser Veröffentlichung der endgültigen Fassung sind die folgenden Zitate entnommen.

Intermediäre Kommunikation als Gegenwartsaufgabe der Kirchen

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und Verhaltensformen anderer Menschen". Die Medien ermöglichen es den Menschen mit Hilfe der Information, „ihre Erfahrungen zu teilen in der Hoffnung, daß die Menschen in wachsendem Maße erkennen, verstehen und mitfühlen . . . Die Leiden anderer werden rasch bekannt und können schnell gelindert werden. Die wesentlichen Probleme unserer Zeit werden vor allen Menschen diskutiert. Minderheitsansichten können öffentlich vertreten werden" (S. 198). Andererseits wird zugegeben: „Diese echte demokratische Funktion kann unter besonderem Drude entstellt werden: wenn das breite Volk keinen Zugang zu den Medien hat; wenn eine politische oder rassische Minderheit den Zugang zu ihnen verwehrt; wenn der Zugang so kostspielig ist, daß nur die Reichen sich den Wahlkampf um öffentliche Ämter leisten können, oder wenn sie zur Beeinflussung statt zur Information benutzt werden" (S. 199 f.). Es gereicht den in Uppsala versammelt gewesenen Vätern der Ökumene zur Ehre, daß sie in der Erkenntnis dieser Sachlage für die Kirchen keine Sonderstellungen gefordert haben: „Die Kirchen haben weder das erste noch das letzte Wort, sondern sind nur eine Stimme unter vielen" (S. 201). Sie sind „eine unter vielen Gruppen" geworden und können „keine Sonderbehandlung" verlangen. „Sie werden in wachsendem Maße zu lernen haben, daß sie in einer offenen Situation leben müssen, wo ihre Botschaft durch ihre eigene Authentizität Gewicht erhält, durch die ihr innewohnende Wahrheit dessen, was sie sagen und tun, und nicht durch irgendeine anerkannte Autorität" (S. 202). Von diesen Voraussetzungen aus werden im zweiten Teil „Theologische Bemerkungen" zum Problem der Massenkommunikation gewagt. Die „Bemerkungen" erscheinen in thesenartiger Kurzform, mit denen eine Fülle von Einzelfragen angesprochen wird. Über die Kommunikation wird geäußert, daß sie „die Substanz des Lebens" sei. Das gilt nicht nur im Blick auf unser körperliches und geistiges Leben: „Kommunikation ist auch die Art, in der Gott sich dem Menschen zu erkennen gibt und in der der Mensch Gott antwortet". Die Inkarnation Gottes in Christus „bestätigt die Kommunikation als die wesentliche Bewegung in der Geschichte, die das Heilige und das Profane versöhnt". Um auszusagen, wie die Personen der Trinität und die zwei Naturen Christi verbunden sind, haben sich die Väter der Kirche des Wortes „communicatio" bedient. In Kommunikation vollzieht sich aber auch die bleibende Gemeinschaft zwischen Gott und seinen Geschöpfen. Das drückt die Kirche aus, wenn sie den Heiligen Geist anbetet; denn sie 2

Klaus, Massenmedien

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Publizistik im E r f a h r u n g s f e l d der Kirche

erkennt damit „eine ständige schöpferische Aktivität zwischen G o t t und seiner Welt" an (S. 204). Wie ein Credo formuliert das D o k u m e n t eine Konsequenz aus dieser Erkenntnis: „Wir glauben, daß die Macht der Kommunikation mit der Schöpfung gegeben ist und deshalb als ein Geschenk und Werkzeug für den Menschen anzunehmen ist, das er in der Beziehung zu seinem Nächsten gebraudien soll" (S. 206). Die Gefahr des Mißbrauchs der Kommunikationsmittel wird keineswegs übersehen: „Selbst Gottes Kommunikation mit dieser Welt, die in der Bibel offenbart ist, kann verfälscht werden. Das Gesetz kann ein Sklaventreiber werden, die Prophetie die Krücke der Arroganz, die Weisheit ein moralisches System" (S. 206). Die Kenntnis solcher Gefahren soll die Bedeutung der modernen Massenmedien für den Dienst der Kirche nicht in Frage stellen, schon darum nicht, weil sie als Informanden die Augen für das öffnen, was G o t t auch außerhalb der Kirche in der Welt tut. „Christen müssen oft durch die Kommunikationsmittel lernen, wie isoliert sie von der modernen Welt und von dem in ihr wirkenden lebendigen G o t t waren. Oft vermitteln Filme, R o m a n e und andere Medien die Botschaft des Evangeliums mit wirksameren Mitteln, als die institutionelle Kirche sie finden kann" (S. 207). Den „riesigen Dimensionen" der mit den Medien verbundenen missionarischen Aufgabe wird ein besonderer Abschnitt gewidmet. „Die Welt der Kommunikation" wird hier „Gottes Aktionsfeld" genannt. Das hat beachtliche Konsequenzen, vor denen sich die Verfasser des D o kuments und die in Uppsala versammelt gewesenen Glieder des Weltkirchenrates nicht gescheut haben: „Mission geschieht, wo immer Christen bei der Arbeit in den Medien mit allen Menschen guten Willens zusammenarbeiten, um die Mächte zu Dienern zu machen, d. h. für eine Rolle und Funktion der Medien zu arbeiten, die das Entstehen und Wadisen einer verantwortlichen Gesellschaft möglich machen" (S. 207). Damit die Medien aus dieser Sicht als „potentielle Werkzeuge der Mission" eingesetzt werden können, ist die Berücksichtigung der hohen „Qualität der Darbietung" und die „Achtung vor Menschen anderen Glaubens oder ohne Glauben" erforderlich. Immer wieder wird der Blidc auf beide Pole der Kommunikation gelenkt, auf das Medium als Kommunikator und auf den Menschen der Gegenwart als Rezipienten der Botschaft. Achtung vor der Integrität der Medien und Verantwortung für die Anwendung ehrlicher Methoden sind Forderungen, die in der Achtung vor der Freiheit des Publikums und in einer hohen Meinung vom Wesen des Menschen (S. 208) ihr Äquivalent finden. Damit

Intermediäre Kommunikation als Gegenwartsaufgabe der Kirchen

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erweisen sich die „Theologischen Bemerkungen" des Dokuments als Versuch, das Phänomen der Kommunikation von der theologischen Mitte bis in die Breite der äußersten Profanität zu weiten: „Gott spricht, und die Kirche ,verkündigt'. Unsere dogmatische Kurzschrift sieht aktive und schöpferische Kommunikation als Quelle und Triebkraft allen Lebens an" (S. 204). Das Dokument schließt im dritten Teil mit „Empfehlungen". Die Einzelheiten stehen unter der Forderung, „freie Information für alle Menschen zu gewährleisten" (S. 209). Wie weit der Integrationswille der Kirchen geht unter der Aufgabe, „daß alle Medien möglichst genaue und objektive Information vermitteln", verdeutlich der Grundsatz: „Außer in Bereichen wie etwa der privilegierten Komunikation in der Beichte, sollten die Kirchen sich nicht scheuen, ihr eigenes Leben der öffentlichen Kritik auszusetzen. Die Kirchen dürfen nicht auf andere Institutionen Prinzipien anwenden, die sie in ihren eigenen Angelegenheiten nicht zu praktizieren bereit sind" (S. 209). Die Empfehlungen bekunden das Interesse der Kirdien an Theorie und Praxis der intermediären Kommunikation. Sie betreffen ebenso die Entwicklung einer „Theologie des Engagements der Kirchen in den Massenmedien" und die Klärung der Grundsätze f ü r die Vermittlung von Information wie die praktischen Probleme der technischen Durchführung bis hin zum Gebrauch von Satelliten. Dazu kommen Erörterungen der Finanzierungsfragen und der Ausbildungsprobleme bis hin zur Forderung nach der Einrichtung von „Lehrstühlen für Medien", wo qualifizierte Kräfte „die Medien und ihre Bedeutung für Kirche und Gesellschaft erforschen und untersuchen können" (S. 213); sie lenken die Aufmerksamkeit auf die Programmgestaltung und beziehen die verschiedenen Möglichkeiten der Ubertragung gottesdienstlicher Veranstaltungen in ihre Erwägungen ein. Alles aber steht unter dem Eingeständnis der Vorläufigkeit und Unzulänglichkeit: „Die Welt der Massenkommunikationsmittel ist so neu und oft so verwirrend f ü r die Kirdien, daß wir gerade erst ihre Bedeutung, ihre Möglichkeiten, Entstellungen und endgültige Verwendungsarten zu sondieren beginnen" (S. 213 f.). Darum wird am Schluß der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß mit den Studien begonnen und daß die begonnene Diskussion fortgesetzt werde, „damit wir mit allen Menschen guten Willens zur Humanisierung unserer Gesellschaft beitragen und damit so das Amt der Kirche für ein wirksameres Zeugnis vor allen Menschen erneuert wird" (S. 214). T

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Die publizistische Aussage im Dienst der Kirdie

Mit diesem Dokument ist ein Anfang gemacht worden, der trotz der Notwendigkeit mancher kritischer Rückfragen Respekt und Zustimmung verdient. Der Weg der Kirche in eine neue Weltgesellschaft ist ihr unabänderliches Schicksal geworden. Soll sie sich weiterhin als „Licht der Welt" und als „Salz der Erde" bewähren, so wird sie sich der Aufgabe der mediatisierten Verkündigung mit dem gleichen Ernst stellen müssen, wie der Durchdringung der Probleme der Sozialisation und der Massenkommunikation.

II. D i e p u b l i z i s t i s c h e A u s s a g e im D i e n s t der K i r c h e § 3: Der

Kommunikator

Zu den grundlegenden Faktoren auf dem Felde der Massenkommunikation zählen der Kommunikator, die Aussage, der Rezipient und das Medium. Der Kommunikator ist die Person, die die Aussage macht. Träger der publizistischen Aussage der Kirche ist ihrer Tradition gemäß der Träger des kirchlichen Amtes. In dieser Eigenschaft ist der kirchliche Publizist in seiner engen Bindung an die Kirche als Gruppe Sprecher dieser Gruppe, deren Aufträge er ausführt. Das entspricht der Art, in der von Seiten des Staates, der politischen Parteien oder der wirtschaftlichen Interessenverbände die publizistische Aufgabe wahrgenommen wird. Hier wird die publizistische Aussage der „Ausrichtung" oder der „Werbung" dienstbar gemacht. Der kirchliche Journalist, der die gleiche Rolle für die Kirche als Gruppe übernimmt, unterliegt der gleichen Verpflichtung. Er drückt nicht seine eigene Meinung aus, sondern wird zum Sprachrohr der Kirche. Das ihm gemäße Kommunikationsfeld kann demnach nur auf innerkirchliche Publikationsorgane beschränkt sein, z. B. auf die Kirchenpresse, besonders auf kirchliche Sonntagsblätter. Neben der Werbung kommen auf diesem Felde auch Polemik und Apologetik ins Spiel, wenn die Kirche in Konkurrenz mit anderen Weltanschauungsgruppen steht oder sogar eine Beeinträchtigung ihrer Interessen befürchten muß. Praktisch wird der Sprecher der Kirche als Kommunikator ein Theologe sein, der die Sachfragen als Experte der Kirche publizistisch behandelt auf der Grundlage der Weisungen, die er von der Kirche entgegennimmt. Der Unterschied zum tradierten kirchlichen Dienst Hegt lediglich im Methodischen. Autoritär-repressive Formulierungen kirchlicher Ansprüche treten zurück

Der Kommunikator

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zu Gunsten überzeugen wollender Werbungsmethoden. Dennoch bleibt der Dirigismus im Willen zu einer ganz bestimmten und auf ein ganz bestimmtes Ziel ausgerichteten Meinungsbildung unverkennbar. In der pluralistischen Gesellschaft der freien Welt wird niemand der Kirche das Redit streitig machen, auf dem Felde der Meinungsvielfalt ihren Platz auch mit solchen Mitteln zu behaupten, wie sie politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen zugestanden werden; aber die publizistische Aussage wird sich in diesem Falle auf die „objektive" Wiedergabe der kirchlich sanktionierten Meinung beschränken, die in einer dem Medium entsprechenden unbegrenzten Zahl an eine unbegrenzte Öffentlichkeit ergeht. Träger der Aussage ist aus dieser Sicht letztlich die Gruppe selbst, die in den technischen Medien ein Mittel ihrer öffentlichen Wirksamkeit erkannt hat. Die Rolle ihres Sprechers über die Massenmedien erschöpft sich in der Aufgabe des Multiplikators der für die Gruppe verbindlichen Meinung. Die Kirchen als von der Tradition besonders stark „gehaltene" Gruppen, werden auf die Funktion des Kommunikators als eines Multiplikators niemals gänzlich verzichten können. Exklusiv beharrt das Dekret des II. Vatikanischen Konzils bei dieser Tradition und behält als Träger der Aussage im Prinzip das kirchliche Lehramt im Blickfeld, wie es in kirchenamtlichen schriftlichen Verlautbarungen und im Dienst des Predigers von der Kanzel kirchenamtlich mündlich zur Massenkommunikation gelangt. Dabei wird übersehen, daß der Kanzelprediger als Massenkommunikator wohl für das Mittelalter bedeutsam und sogar typisch war, für die Gegenwart aber als durchaus untypisch zu gelten hat. Es werden auch alle Möglichkeiten einer mediengerechten Gestaltung übersehen, wenn dem Kommunikator lediglich die Rolle des Multiplikators zugestanden wird. Das Dokument der Ökumene von Uppsala berücksichtigt für diese Aufgabe den kirchlichen Publizisten, also den „Laien". Hier zeichnet sich theologisch eine Revolutionierung der tradierten Vorstellungswelt ab. Bisher waren auch evangelische Christen die autoritär ergehende Aussage der Kirche gewohnt, nur daß die priesterliche Autorität von der theologischen Autorität abgelöst worden war. Jetzt wird eine neue Linie des Amtsverständnisses sichtbar, die in Wirklichkeit eine Wiederaufnahme der ursprünglichen, im Neuen Testament feststellbaren Situation bedeutet. Sie wird theologisch in der Gegenwart im Zusammenhang des Problems der „Demokratisierung der Kirche" verhandelt. Obwohl sich in den späteren neutestamentlichen Schriften eine personal-autoritäre Linie der Amtsübertragung, die den monarchischen

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D i e publizistische A u s s a g e im Dienst der Kirche

Episkopat und die hierarchische Struktur des Klerus ergab, bereits abzeichnet, spiegelt sidi auch eine frühere gemeindliche Linie wider, wie Apg 6, 1—5 deutlich zeigt: Im Verlauf einer freien Diskussion, mit der Möglichkeit der freien Meinungsäußerung zum Zweck der gemeinsamen Willensbildung wird eine freie Wahl durchgeführt, als deren Ergebnis sieben Männer in den Dienst der Kirche gestellt werden, die „voll heiligen Geistes und Weisheit" waren und in geistlicher Vollmacht die Christusverkündigung wahrnahmen, wie von Stephanus und Philippus ausdrücklich bezeugt wird. Daß die charismatischen Gaben entscheidend waren für die Wahrnehmung einer Amtsaufgabe der Kirche als „Dienst" (Diakonia) an der Gemeinde, betont Paulus R o m 12 und I Kor 12. In der Ursprungszeit der Kirche übernahm jeder die Aufgaben, die seinen „Begabungen" entsprachen. Nicht der Priester oder Theologe, sondern jeder, der die „ G a b e " hatte, konnte in der Gemeindeversammlung predigen oder beten, das Brot brechen und die Eucharistie feiern, Leitungsfunktionen, Verwaltungsaufgaben oder Verantwortung für die Finanzen der Gemeinde übernehmen. Sehr bald aber trat ein „Klerus" den „Laien" gegenüber. In der Reformationszeit wiederholte sich der gleiche Vorgang. Luther hatte die Praxis der Urchristenheit wieder aufgenommen, als er „Laien" mit der Predigtaufgabe betraute. Sehr bald aber forderte die reformatorische Kirche das Studium der Theologie als Voraussetzung 3 1 , so daß dem mittelalterlichen Gegensatz von Klerus und Laien nun das Gegenüber von „Pfarrer" und „Gemeinde" folgte. Heute zeichnet sich wieder die Notwendigkeit ab, auf Grund autoritärer Strukturen erworbene Privilegien abzubauen, dem Willen des Herrn die Ehre zu geben und in jeder besonderen „Begabung" die Pflicht zur Übernahme besonderer „Aufgaben" in der Gemeinde zu erkennen. Es ist durchaus an der Zeit, auch die Gabe der publizistischen Aussage in die von Paulus gemeinten Charismata einzubeziehen und den Journalisten, der über die Massenmedien die frohe Botschaft zu verkündigen versteht, in die Reihe der nach Gottes Willen legitimierten Träger der Aussage der kirchlichen Verkündigung einzubeziehen. Die Rolle des Multiplikators wird unter dieser Prämisse aufgegeben zugunsten einer eigenständigen Funktionalität des Kommunikators, dem nicht eine Ordination oder Installation, sondern das Charisma erlaubt, den 11

B. K l a u s , S o z i a l e H e r k u n f t und theologische B i l d u n g lutherischer der r e f o r m a t o r i s d i e n Frühzeit, in: Z K G , 80. B d . 1969, S. 2 2 — 4 9 .

Pfarrer

Der Kommunikator

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das Charisma befähigt und zwingt, seine Stimme in der Weise der lirchristlichen Prophetie zu erheben. Voraussetzung ist eine Korrektur der landläufigen Vorstellung vom „Laien" in der Kirche. Die Bezeichnung „Laie" ergibt heute überall, wo sie auftaucht, z. B. auch in der Wirtschaft und in der Technik, eine herabsetzende Wirkung, und wer sich selbst so bezeichnet, fügt entschuldigend das Wörtchen „nur" hinzu. Wer „nur Laie" ist, gilt gegenüber den Experten als Dilettant. Experte für Fragen des Glaubens und der Sitte im R a u m der Kirche ist der Theologe als Träger des geistlichen Amtes, der die Autorität der autoritär strukturierten Kirche als Institution garantieren soll. Alle Glieder der Gemeinde stehen ihm „ n u r " als „Laien" gegenüber, als Herde, die der geistliche Herr leitet. In diesem Verhältnis überdauert die Kirchenstruktur, die sich aus der Anpassung an die autoritären Strukturen der Staaten seit der Spätantike ergeben hatte, die veränderte Zeit. Die Anpassung an die demokratischen Strukturen in Politik und Gesellschaft fordert den Demokratisierungsprozeß der Kirche, zu dessen Ergebnissen der Autoritätsverlust des kirchlichen Amtes gehören wird; die Kirche der Zukunft wird eine Kirche der „Laien" sein: „Nicht einmal Primus inter pares, Erster unter Gleichen, mehr wird der Pfarrer sein, sondern der theologische Partner der Laien. Die Laien sind mündig, sie können mitdenken und mithandeln, nicht gegen den Pfarrer, sondern mit ihm und, wenn es sein muß, auch ohne ihn" 3 2 . Mitdenken und Mithandeln, das ist die Aufgabe der Laien in der Kirche der nächsten Zukunft; es ist auch die Umschreibung für die dem christlichen Publizisten gestellte Aufgabe. Der Dienst der Kirche mit Hilfe der Massenmedien verlangt jedenfalls gebieterisch, den Blick auf den Publizisten und das Selbstverständnis seines Berufs zu richten. Was legitimiert ihn für seine Aufgabe? Experten der Publizistik gelangen zu einer im R a u m der Theologie geradezu aufregenden, übereinstimmenden Antwort. Emil Dovifat, Herausgeber des gelehrten „Handbuches der Publizistik", meint: „Der junge Publizist wird von dem ergriffen, was man eine Art von .Berufung' nennen kann . . . Aus seiner Berufung entwickelt sich, hochgesprochen: eine Sendung . . . Oft wird die Erkenntnis dessen, was not tut, plötzlich erfaßt und sofort unter schweren Wandlungen, oft unbegreif"

C. Bormann, Der Laie, in: H . - J . Girock, Notstand in der Kirche? Gemeinde zwischen Tradition und Auftrag, Gütersloh (1969), S. 66.

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Die publizistische Aussage im Dienst der Kirdie

lieh und unter dem Anschein krasser Gesinnungsbrüche, in Angriff genommen. Sie ist häufig, nicht immer, ein ,Damaskus'. Man könnte von einem Augenblick plötzlicher Erkenntnis sprechen. Es wäre wohl berechtigt, ihn den ,Paulinischen Punkt' zu nennen." Dovifats A n t w o r t liegt auf der gleichen Linie, auf der Burghard Freudenfeld, Chefredakteur beim Bayerischen Rundfunk, den Publizisten in die prinzipielle Nähe zum Charismatiker rückt: Der Publizist ist nicht durch ein D i plom legitimiert, das ihn als Angehörigen eines Standes ausweist und einen Anspruch auf eine bestimmte Laufbahn oder Karriere begründet. Publizistik ist kein Reservat für Menschen mit politisch-ideologischen oder mit akademischen Weihen. Publizistik ist ihrem Wesen nach überhaupt „kein originärer Beruf. Es ist eine Umsetzungsmöglichkeit, eine Methode, eigene Absichten und Pläne öffentlich zu verbreiten". Legitimiert ist der Journalist, der seinen Dienst als eine A r t Zweitberuf versteht, um „anderswo und auf andere Weise erworbene Basiskenntnisse in dieser publizistischen Funktion anzuwenden". Von daher ist es geraten, „daß man dieses Geschäft möglichst spät ergreifen soll". Die von Freudenfeld konstatierte Nähe des Publizisten zum Theologen, der mit dem Beziehen eines neutralen Beobachter- und Berichterstatterstandortes seinen Beruf verfehlt, zeigt wichtige Perspektiven auf: „Wir sind nicht Betrachter, sondern Handelnde des Wortes", deren erklärte Absicht es ist, „mit der Information Meinung, mit der Meinung Willen zu bilden und den Willen in Verhalten zu wandeln" 3 3 . Die von Freudenfeld als Beispiel herangezogene Bedeutung der publizistischen Tätigkeit des auf besondere Erfahrungen zurückschauenden Politikers, der die publizistische Aufgabe als eine A r t „nobile officium" betreibt, läßt sich unschwer auf den Christenmenschen übertragen, der über Erfahrungen eines von seinem christlichen Glauben geprägten Lebens öffentlich informiert, um auf den Willen und das Verhalten der Christenheit Einfluß zu gewinnen. Die Legitimation bestätigt ihm die öffentliche Aufmerksamkeit auf seine Aussagen. Diesem Kriterium hat sich in der gegenwärtigen Gesellschaft grundsätzlich jeder Träger eines Amtes, jeder, der einer öffentlichen Aufgabe dient, zu beugen. Das Berufsethos des christlichen Journalisten kann nicht von einer als kirchliche Bindung verstandenen Christlichkeit abgeleitet werden, die ihn als „Brückenkopf der Kirche" in der Welt kirchlich domestizieren 3S

E. Dovifat, Handbuch der Publizistik, Bd. I, Berlin 1968, S. 44. B. Freudenfeld, Die Bedeutung der Information für das Funktionieren der Gesellschaft, in: Breit/Höhne S. 13.23.26.

Der Kommunikator

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würde 84 . Eberhard Stammler, der selbst über einen reichen Erfahrungsschatz im Dienst der christlichen Publizistik verfügt, gelangt zu dem Urteil, es komme nicht darauf an, daß der christliche Journalist fromme Worte macht, sondern daß er „eine saubere Feder behält"; er habe sich darin zu bewähren, „daß er unter dem Schatten der Vergänglichkeit und unter den vielfältigen Versuchungen des Opportunismus und der Menschenverachtung die Unbestechlichkeit seines Gewissens und den Respekt vor Wahrheit und Würde des Menschen zu wahren vermag" 35 . Ähnliche Urteile haben auf katholischer Seite Otto B. Roegele und auf evangelischer Seite Christoph Freiherr von Imhoff gefällt. Roegele stellt betont heraus: „Für einen katholischen Journalisten bedeutet seine Berufsarbeit das Adlern in einem Kultursachbereich von relativer Eigenständigkeit, bei dem es in erster Linie darauf ankommt, schlicht das Rechte zu tun: saubere Information zu geben, gute handwerkliche Arbeit zu leisten, die Funktion des Übermittlers zwischen den Weltereignissen und dem Leser, Hörer oder Fernsehteilnehmer mit einem Höchstmaß von Wahrhaftigkeit auszufüllen." Wie Roegele die publizistische Aufgabe freihalten will von einer „Form des Apostolats im Sinne von Einflußnahme, Einwirkung, Tendenz, die sich von römischen Zentralstellen über nationale Relaisstationen steuern läßt", so wendet sich Imhoff gegen die Verkirchlichung der Publikationsorgane auf evangelischer Seite. Vom evangelischen Journalisten fordert er, er habe „in die Welt hineinzugehen und in ihr zu wirken, sie im übrigen aber Welt sein zu lassen" 36 . Es ist die geistig unabhängige Individualität des Publizisten, die er als Leitbild des evangelischen Journalisten zeichnet. Abhängig allein von der Regula Christi, beseelt von der inneren Freiheit eines Christenmenschen, habe es sich der evangelische Journalist angelegen sein zu lassen, die Dinge dieser Welt zum besten zu führen. Die Pressefreiheit des evangelischen Publizisten schließt die Freiheit zur Kritik an der Kirche ein, die sich freilich nicht in permanenter Querulanz 34

Vgl. Chr. Frhr. von Imhoff, Die Aufgabe des evangelischen Publizisten, in: F. Karrenberg und J . Beckmann (Hrsg.), Verantwortung für den Menschen. Beiträge zur gesellschaftlichen Problematik der Gegenwart, Stuttgart 1 9 5 7 ; E. Stammler, Der Journalist, in: H . J. Schultz (Hrsg.), Frömmigkeit

in

einer weltlichen Welt, Stuttgart 1959; K . - W . Bühler, Evangelisdie Presseethik nach 1945, in: H . - D . Wendland, Sozialethik im Umbruch der Gesellsdiaft, Göttingen 1969 (Lit.). 35

E. Stammler S. 276 f.

56

O. B. Roegele S. 3 2 1 ; Chr. Frhr. von Imhoff S. 164.

26

D i e publizistische Aussage im Dienst der Kirche

erschöpfen kann. Karl-Werner Bühler betont völlig zurecht: „Es gibt einen Zusammenhang zwischen Pressefreiheit und der Freiheit, die aus dem Glauben kommt" 3 7 . In dieser Freiheit ist das Redht des evangelischen Publizisten auf seine eigene Meinung und auf seine meinungsbildende Tätigkeit begründet. Es gibt aber keine Freiheit aus Glauben ohne Bindung im Glauben. Aus solcher Bindung erwächst dem evangelischen Publizisten der Mut für seine verantwortungsvolle Tätigkeit als Kommunikator der Kirche einer neuen Zeit für die Christen einer neuen Gesellschaft. Träger einer publizistischen Aussage ist er als Individualität, die die gestellte Aufgabe bewußt nicht als nur „private" Meinungsäußerung erfüllt. Er äußert sich als Glied einer Gruppe, der er sich zugehörig weiß und die mit ihm die Verantwortung teilt, ohne daß er von ihr Weisungen entgegenzunehmen hätte. Als Glied der Gruppe darf er bei seiner publizistischen Aussage damit rechnen, daß er den publizistischen Bedürfnissen der Rezipienten entspricht und ihre Meinung widerspiegelt. Indem er auf diesem Wege das Ohr seiner Rezipienten für sein Anliegen gewinnt, hat er die Möglichkeit, auf die fortgehende Meinungsbildung Einfluß zu nehmen und dem sozialen Handeln neue Wege zu erschließen. So gewinnt die Kommunikation den Charakter eines fortwährenden dynamischen Prozesses, den der Kommunikator ingang gesetzt hat und ingang hält. Damit ist er im fortschreitenden Leben der Kirche den anderen Gliedern immer um einen Schritt voraus, sofern und solange ihm die öffentliche Aufmerksamkeit sein Wirken ermöglicht. Darin bestätigt sich für den christlichen Publizisten als Kommunikator der Botschaft des Evangeliums das charismatische Verständnis seines Auftrags und die im Sinn der neutestamentlichen Prophetie zu leistende Art seines Dienstes. Er betrachtet nicht nur in kritischer Reflexion, was einmal war, sondern spricht in die Gegenwart der Gemeinde im Blick auf ihre Zukunft hinein und führt damit den dialogischen Prozeß der Verkündigung im Sinne des „homilein" der Urchristenheit fort. Schon zeichnet sich ein wachsendes Verständnis für diese hohe Bedeutung des christlichen Publizisten als Mitarbeiter Gottes in unserer Welt in kirchenleitenden Gremien ab, wie die ermunternde Äußerung des Geschäftsführers des Evangelischen Presseverbandes für Deutschland, Kirchenrat Robert Geisendörfer, belegt: „ZwischenTheologen und Jour37

K . - W . Bühler S. 232.

Die Aussage

27

nalisten müßte eigentlich eine große sachliche Nähe bestehen, haben dodh beide den Auftrag, eine Nachricht — in unserem Falle die gute Nachricht von Jesus Christus — in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Da Theologiestudium und Ordination nidit einen besonderen Stand (im Sinne des katholischen Priesters) begründen, gibt es im evangelischen Bereich auch keinen vorgegebenen Unterschied zwischen Pfarrer und Journalist." Sein praktischer Vorschlag geht dahin, daß die Kirche auf hundert Theologen einen qualifizierten Journalisten hauptamtlich unter ähnlichen Bedingungen anstelle wie die Pfarrer; — „dann wären gegebenenfalls hundert bis hundertfünfzig Menschen mehr vorhanden als bisher, die auf den Wegen des 20. Jahrhunderts mithelfen würden, dem ,Wort der Wahrheit' Gehör zu schaffen"! Zunächst aber wird man wenigstens „mit geduldiger Hartnäckigkeit daran arbeiten müssen, den Journalisten, die ihren Beruf gelernt haben und bereit sind, sich für die Sache des Evangeliums zu engagieren, ein Heimatrecht in der Kirche zu erkämpfen" 3 8 . § 4: Die Aussage Eignung zur publizistischen Aussage haben Bewußtseinsinhalte, die aktuell und von öffentlichem Interesse sind. Der normale Ablauf des Alltagslebens ist dafür nicht geeignet. „Dagegen ist alles Regelwidrige, Variable und Un-.gewöhnliche', auch wenn es sich im nicht-öffentlichen Bereich vollzieht, mindestens potentiell geeignet für die publizistische Aussage. O b diese erfolgt und öffentliche Aufmerksamkeit findet, hängt ab von der Ungewöhnlichkeit oder Bedeutsamkeit des Vorganges, von der Deutlichkeit und Deutbarkeit des Bewußtseinsinhalts, von der Aktualität, Genauigkeit und Wirksamkeit der Aussage und der Empfänglichkeit des ,Publikums* " 3 9 . Die evangelische Kirche hat die Publizität ihrer Aussagen, gemessen an den von Walter Hagemann zusammengestellten Kategorien, zweimal in ihrer Geschichte erlebt und beide Male publizistisch genutzt. Erstmalig geschah es in der Reformationszeit, ein zweites Mal ereignete es sich im 19. Jahrhundert. Als nach dem reformatorischen Aufbruch das Regelwidrige und Ungewöhnliche in die Regeln einer neuen Alltäglichkeit eingemündet war, verschwanden die publizistischen Aussageweisen aus dem Tätigkeitsfeld der Kirche. Die publizistische Aussage s8

R . Geisendörfer, D e r P l a t z des Journalisten in der Kirche, in: Nachrichten der E v a n g . - L u t h . Kirche in B a y e r n , 2 4 . J g . 1 9 6 9 , S. 12.

' W . H a g e m a n n S. 4 1 .

3 J

28

Die publizistische Aussage im Dienst der Kirche

der Kirche des 19. Jahrhunderts ergab das kirchliche Pressewesen, das sich zu ausgedehnter publizistischer Betätigung unter Einbeziehung sämtlicher technischer Massenmedien ausweitete. Das Regelwidrige, U n gewöhnliche, dem das öffentliche Interesse nach wie vor gilt, liegt in den Veränderungen der politischen Strukturen und des Sozialgefüges unter den wirtschaftlich-technischen Vorgegebenheiten; es liegt für die Kirche im Wandel der ökumenischen Beziehungen und ebenso in der Verlagerung des religiösen Bereichs aus dem R a u m der öffentlichen Angelegenheiten in den R a u m der Privatangelegenheiten jedes Einzelnen. Die Veränderungen und Verlagerungen ergeben für den publizistischen Prozeß eine motorische Kraft, auch innerhalb der Kirche, denn die Kirche ist von dem ständigen Wandel nicht ausgeschlossen. Die theologische Deutung ihrer publizistischen Aussage ergibt sich aus dem Einsatz ihrer publizistischen Wirksamkeit und den jeweils aktuellen Motivationen dieser Wirksamkeit. Der Wandel und die Variationsbreite möglicher Motivationen zeigt sich am deutlichsten im Bereich der kirchlichen Presse, die als Massenkommunikator bereits seit über einem Jahrhundert eingesetzt wird und hier als Beispiel herangezogen sei.

1. Motivationen „Uber allen Pressebestrebungen seit 1849 steht die Parole: M i s s i o n durch das gedruckte Wort" 4 0 . Was August Hinderer in diesem programmatischen Satz mit dem Wort „Mission" zum Ausdruck bringen wollte, wird heute generalisierend „kirchliche Verkündigung" genannt. Seit der Zeit ihrer Gründung wollte evangelische Pressearbeit immer auf dem Gebiet des kirchlichen Verkündigungsdienstes angesiedelt sein. Ob sie sich mit der Vorfeldexistenz zufrieden gab und dort indirekt der Verkündigung zugute kam, oder ob sie sich auf dem eigentlichen Feld der predigenden Kirche angesiedelt wußte, — daß sie mit der kirchlichen Verkündigung zu tun habe oder um der kirchlichen Verkündigung willen da sei, das war immer das Anliegen ihrer Experten. Was im einzelnen als zum Vorfeld oder zum Feld der kirchlichen Verkündigung gehörig empfunden wurde, darüber waren die Meinungen häufig genug geteilt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Apologetik und Polemik als unaufgebbarer Bestandteil kirchlicher Ver40

A. Hinderer, Art. Evangelisch-kirchliche Pressearbeit, in: R G G 2 IV, 1465.

Die Aussage

29

kündigung beurteilt. Auch die von der Kanzel gehaltene Sonntagspredigt konnte ihrer nicht entraten. Selbstverständlich gehörten Apologetik und Polemik erst recht zu den Motiven der mit publizistischen Mitteln durchgeführten Verkündigung. Die Auseinandersetzung mit der Wissenschaftsgläubigkeit der Gebildeten, mit den sozialistischen Ideologien der weniger Gebildeten und mit den Ansprüchen des ultramontanen Katholizismus verlangten den Einsatz eben auch solcher Mittel. Stärkere Akzentuierungen geschahen u m des Leserkreises willen und lassen zugleich erkennen, an wen sich das jeweilige Organ in erster Linie wandte. Die Gründer der „Christlichen Welt" gedachten, apologetisch gegen den Wissenschaftsglauben der Gebildeten ihrer Zeit vorzugehen; dem evangelisch-sozialen Preß verband ging es unter dem Einfluß der Inneren Mission um die Gewinnung „der durch die Sozialdemokratie verführten unteren Stände für die evangelische Kirche" 4 1 . Weitere Motivationen der Arbeit des evangelisch-sozialen Preßverbandes ergaben ein Gemisch von Motiven, dem man nicht mehr sofort und auch nicht mehr absolut eindeutig die Absicht anmerkt, damit direkt oder indirekt dem Verkündigungsauftrag der Kirche gehorsam zu sein. Dagegen qualifizierten die Aktualität der angesprochenen Bewußtseinsinhalte und das öffentliche Interesse an ihnen die Äußerungen der evangelischen Presse als publizistische Aussagen. Das für jene Jahrzehnte Regelwidrige und Ungewöhnliche sprach die Satzung des evangelischsozialen Preßverbandes von 1891 an und nannte zunächst „die durch alle Stände verbreitete Gottentfremdung und Unsittlichkeit", die es zu bekämpfen gelte, dann „die durch die Sozialdemokratie verführten bzw. gefährdeten Volkskreise" (sie!), die „ f ü r die evangelische Kirche, für Vaterlandsliebe und soziale Ordnung wieder zu gewinnen" seien, um dann als positives Anliegen die Aufgabe zu formulieren, „das Interesse aller Stände für die soziale R e f o r m " zu wecken 42 . Ohne Frage stand das Leitbild politisch konservativer Kreise des 19. Jahrhunderts hinter diesen Bemühungen. Das politische Leitbild änderte sich kaum, zumal die Kirche institutionell so fest mit dem politischen Gemeinwesen verflochten war, daß der Landesfürst wie seit den Tagen der Reformation noch immer de jure das A m t des Summus Episcopus innehatte und de facto in vielen Fällen davon auch sehr M. Hennig, Quellenbuch zur Gesdiichte der Inneren Mission, Hamburg 1912, S. 514. " M. Hennig S.512. 41

30

D i e publizistische Aussage im Dienst der Kirche

bewußt Gebrauch machte. Als 1910 der E P D gegründet wurde, erklangen im Gründungsaufruf nur scheinbar neue Töne: „Die evangelische Kirche muß auch die Presse, jene hohe Geisteskanzel, deren Schallwellen Millionen erreichen, benutzen, um in allen wechselnden Zeiten und Geistesströmungen immer wieder auf das eine hinzuweisen, was ewig dauert, was fest besteht." Wenn es nämlich im gleichen Aufruf heißt: » Es ist höchste Zeit, daß sich alle, die unser Volk lieb haben, zum Kampf wider die Schmutzpresse verbinden" 4 3 , so wird — zwar in der Ausdrucksweise vorsichtiger, für den Kundigen aber noch immer klar — zum Ausdruck gebracht: Die Kirche hält zu denen, „die unser Volk liebhaben", und der gemeinsame Feind steht links. Aus historischer Sicht wird man zugeben müssen, daß politisch-soziale Zielsetzungen dieser Art für die evangelische Pressearbeit damals nicht außerhalb des kirchlichen Verkündigungsdienstes standen, wie er in Predigt, Unterricht und Seelsorge wahrgenommen wurde. Es ist daher zumindest sehr einseitig geurteilt, wenn man der evangelischen Pressearbeit in ihrer Frühzeit vorwirft, sie sei ein Werkzeug der sozial-diakonischen Beeinflussung der öffentlichen Meinung gewesen, nicht aber im gleichen Maße ein Werkzeug der missionarisch-evangelistischen Bemühungen. Noch viel weniger kann man der evangelischen Pressearbeit vorwerfen, sie hätte in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz für ihre Aufgabe keine theologische Begründung gehabt und sei bar einer aus einer theologischen Begründung erwachsenen Zielsetzung gewesen 44 . Vielmehr hatte sie ebenso teil an allem guten Wollen der Kirche wie an ihren politischen Irrtümern und an allen Mängeln der Orientierung in der sich durch die Industriealisierung ändernden Welt. Man wird zwischen den historisch bedingten politischen Orientierungsschwierigkeiten und der durchaus klaren Erkenntnis des biblischen Auftrags unterscheiden müssen und darin die kirchliche Presse von der Kirche jener Zeit nicht isolieren dürfen. Die national-konservative Grundhaltung der Kirchenleitungen war auch die politische Grundhaltung der das Kirchenleben tragenden Gemeinden. Sie bestimmte die politische Orientierung der Mehrzahl der kirchlichen Amtsträger, sie äußerte sich auch als ein bestimmender Grundzug in der durchschnittlichen kirchlichen Predigt. Die einschlägige Kriegspredigt von 1914 war vollständig davon durchdrungen und 43

M. H e n n i g a.a.O.

44

S. von Kortzfleisch,

Verkündigung

S t u t t g a r t 1960, S. 208. 206.

und

„öffentliche

Meinungsbildung",

D i e Aussage

31

wäre ohne den politischen Grundzug national-konservativer Gesinnung nicht vorstellbar gewesen. Wenn diese politische Grundhaltung auch in der damaligen Kirchenpresse erschien, so war das wahrhaftig kein Wunder. Eine kirchliche Presse, die in ihren Verlautbarungen politisch eindeutig anders motiviert gewesen wäre, hätte beim Kirchenvolk keine öffentliche Aufmerksamkeit gefunden und schon darum ihren eigentlichen Dienst verfehlt. Sie hätte auf das Kommunikationsfeld verzichtet und sich nicht wundern dürfen, wenn es zu keiner Kommunikation gekommen wäre. Daß damit nicht alles gesagt war, was die Kirche am Ende des 19. Jahrhunderts zu sagen hatte, wird aus den religiös-sozialen Bestrebungen hinreichend deutlich. Wenn ein Fehlverhalten auf dem politischen Felde festzustellen ist, so betrifft dies jedenfalls nicht die kirchliche Presse allein, sondern mit ihr die kirchlich-klerikalen Kreise überhaupt. Schließlich sollte nicht übersehen werden, daß Vorwürfe über mangelnden politischen Spürsinn erst nach dem Zusammenbruch der Monarchie voll gerechtfertigt sein konnten. Hier hat die Kirche in der Tat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Was kirchliche Pressearbeit mittels der publizistischen Aussage auf Grund des biblischen Auftrags der Kirche zu leisten habe, ist schon ein Jahrzehnt nach der Begründung des Evangelisch-sozialen Preßverbandes von seinem ersten Sekretär so ausgedrückt worden, daß es, abgesehen von der zeitbedingten sprachlichen Form, noch immer Gültigkeit beanspruchen darf. Er kleidete seine grundsätzlichen Anliegen in die Fragen: „Ist das nicht Gemeindearbeit im Vollsinn des Wortes, denen, die auf dem Wege des gedruckten Zeitungswortes, denen, die als Getaufte und Konfirmierte sich längst vom Christentum und Kirche gelöst haben, die kleinen und großen Machtbeweise evangelischen Lebens fort und fort zu Gesichte kommen lassen und auf diese Weise den Verlassenen, Entfremdeten und Verlorenen, die auf dem geordneten Wege nicht erreichbar sind, die Hand der Liebe entgegenstrecken? Und hat unsere Kirche nicht die heilige Pflicht, gerade in der täglich erscheinenden Zeitung vor der Welt der Andersgläubigen ihr Licht leuchten zu lassen, um sie durch ihre aufbauende, das Gesamtwohl fördernde Tätigkeit zur anerkennenden Achtung zu zwingen? Und daß durch solches Auftreten unserer Kirche auch die Treue ihrer gutgesinnten Glieder gestärkt und ermutigt wird, liegt wohl auf der Hand" 4 5 . Vor dem Hintergrunde solcher Posi45

St. Swierczewski, Evangelische Preßbestrebungen und H o f f n u n g e n im Jahre 1903, 3. Aufl., H a l l e 1904, S. 55.

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Die publizistische Aussage im Dienst der Kirche

tionen hat Siegfried von Kortzfleisch mit Recht den Vorwurf zurückgewiesen, der kirchlichen Pressearbeit von einst sei es darum zu tun gewesen, „Machtpositionen, ,Interessen' oder Einflußsphären zu vertreten, zu sichern und zu gewinnen" 4 8 . Viel eher läßt sich schon aus der vom Anfang des 20. Jahrhunderts stammenden Äußerung entnehmen, daß eine der Kernfragen heutiger kirchlicher Pressearbeit bereits damals als entscheidendes Problem erkannt worden war, nämlich die Frage nach dem kerygmatischen Gehalt der als publizistisdie Aussage ergehenden Information 4 7 . Die zufammenfassende Feststellung von Ernst-Albert Ortmann trifft den Kern der Sache: „Den aktuellen Impuls für die Gründung des evangelisch-sozialen Preßverbandes in Sachsen liefert die soziale Frage. Das grundsätzliche Motiv aber für die schon seit Jahrzehnten geforderte Pressearbeit bestand in dem Anliegen der Inneren Mission, die christliche Botschaft denjenigen zuzutragen, die von der Kirche in ihren klassischen Ämtern nicht mehr erreicht wurden. Diesem Anliegen sollte auch die Presse dienstbar gemacht werden" 4 8 . Dies Anliegen ist seit 1891 bis heute durchaus das gleiche geblieben; aber mit der Kirche hat auch die kirchliche Pressearbeit zu lernen gehabt, daß die veränderlichen Sozialstrukturen kein unaufgebbarer Bestandteil der christlichen B o t schaft sind. Hervorzuheben ist, daß kirchliche Pressearbeit sich noch vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges als Dienst der Kirche an der Presse zu verstehen begann, nicht nur als Dienst der Kirche am Menschen mit den Mitteln der Presse. Das ist ein ganz beachtenswerter Fortschritt gewesen, durch den Gedanken ins Spiel gebracht wurden, die noch heute zum unaufgebbaren Bestand der Motivationen kirchlicher Pressearbeit gehören. Aufschlußreich sind die vom ersten Sekretär des Evangelisch-sozialen Preßverbandes zusammengefaßten 1913 publizierten Grundsatzgedanken, in denen die Frage: „Was wollen evangelische

« S. von Kortzfleisch S. 215.

4

47

Vgl. den Bericht über den Evangelischen Pressetag 1961 in Düsseldorf, „Information und Kerygma", in: KidZ. 1961, S. 2 6 6 — 2 6 8 . Zum ganzen siehe auch: E . - A . Ortmann, Motive einer kirchlichen Publizistik, dargestellt an den Gründungsaktionen des Evangelischen Bundes, der „Christlichen Welt" und des evangelisch-sozialen Preßverbandes für die Provinz Sachsen (1886 bis 1891), Hamburg 1966, S. 133—138.

48

E . - A . Ortmann S. 140.

Die Aussage

33

Preßbestrebungen?" so beantwortet wird: ,,a) nicht neue Zeitungen auf evangelischer Grundlage gründen, sondern diese Grundlage der vorhandenen Tagespresse, soweit sie irgendwie deutsch und evangelisch fühlt, vermitteln und ihr durch Zuführung evangelisch-kirchlicher Lebensäußerungen im weitesten Sinne persönlichen Dienst leisten, zur Veredlung des Zeitungsbildes und zur Vertiefung der volkserziehlichen Aufgabe der Presse, b) ihren aus der Inneren Mission herausgewachsenen Dienst als kirchlichen Gemeindedienst ansehen und pflegen" 4 '. Daraus wird klar, daß die Arbeit a n der Presse als eine ebenso „vollgültige Funktion der Kirche" 50 angesehen wurde wie die kirchliche Arbeit d u r c h die Presse. Das war und ist eine der fundamentalen Erkenntnisse f ü r die evangelische Pressearbeit überhaupt; denn durch diese Erkenntnis wird die große Bedeutung in das Blickfeld gerückt, die dem Journalisten f ü r den komplexen Vorgang kirchlicher Verkündigung zukommt. Bereits ein Jahrzehnt nach ihrem Beginn ist die evangelische Pressearbeit zu dieser Erkenntnis gelangt. Sie darf unter keinen Umständen wieder verdunkelt werden mit dem klerikalen Anspruch, Verkündigung käme nur ordinierten Amtsträgern zu. Für eine Neubesinnung über die Motivation kirchlicher publizistischer Tätigkeit gab nach dem 1. Weltkrieg Karl Barth entscheidende Anstöße. Indem er die Arbeit der Kirchenpresse theologisch überhaupt infrage stellte, nötigte er den Verantwortlichen f ü r diese Arbeit die Auseinandersetzung mit ihm auf. 1930 formulierte er unter der Überschrift „Quousque t a n d e m . . s e i n e Abneigung gegen die „Pressa unseligen Andenkens", auf der sich die Kirche selbst angepriesen habe „als eine Marktbude neben anderen" 51 . In der Tat war das auf der „Pressa", der Internationalen Presseausstellung in Köln 1928, gezeigte Ergebnis publizistischer Arbeit der Kirche Anlaß genug zur Freude über sichtbar zutage getretene Leistungen und Erfolge gewesen. Die Kirche freute sich darüber, daß sie der öffentlichen Aufmerksamkeit gewiß sein durfte und daß ihr für ihre publizistische Aussage in der Kirchenpresse ein gewichtiges Instrument zur Verfügung stand. Eben dies war es, was ihr Karl Barth vorhielt. Er meinte, daß sich die Kirche 49

St. Swierczewski und W. Stark (Hrsg.), Kirche und Presse — 50 Leitsätze aus der Arbeit für die Arbeit, Halle 1913, S. 4.

50

E.-A. Ortmann S. 137.

51

K.Barth, „Quousque t a n d e m . . . " , in: Zwischen den Zeiten, 8. Jg. 1930, S. 1—6.

3

Klaus, Massenmedien

34

Die publizistische Aussage im Dienst der Kirche

mit solchen Erfolgen als Kirche selbst verrate. Wenn sie, deren Substanz nach der Verheißung durch Angriffe von außen gar nicht zerstört werden kann, sich selbst wolle und selbst rühme, statt sich im Glauben an die ihr zugesprochene Verheißung angesichts der Anfechtung zu bewähren, dann gerate sie in einen Akt der Selbstzerstörung. Was Barth gegen die kirchliche Pressearbeit einzuwenden hatte, das richtete sich auch unmittelbar gegen August Hinderer. Hinderer war, wie seine um die gleiche Zeit abgefaßten Beiträge zur 2. Auflage der R G G ausweisen, zu dem Standpunkt gelangt, daß die Einsicht in das Wesen der Presse mit ihrem Doppelcharakter als Gestalterin und als Ausdruck der „Öffentlichkeit" zum Postulat evangelischer Willensbildung weitergeführt habe, in die er sehr viel mehr einbezog als die intermediär ergehende Multiplikation der Predigt des „Wortes". Er äußerte: „Mobilisierung und Aktivierung der Evangelischen zu planvoller Erfassung der Aufgaben in Staat und Volk namentlich auf dem Gebiete der Kulturpolitik wird jetzt die Losung" 52 . Bei allen Mängeln, zu denen er insbesondere das Fehlen einer systematischen Fundierung evangelischer Öffentlichkeitsarbeit zählte, bewahrte er sich einen starken Optimismus hinsichtlich des von ihm vertretenen Anliegens: „Mag in den Grundlinien viel noch der Klärung harren, mag heilsame Kritik zu immer neuer innerer Zentrierung anleiten, entraten wird eine Volkskirche, die neben dem Dienst am Wort des Berufes eingedenk bleibt, formend in der Geschichte tätig zu sein, des Dienstes an der öffentlidikeit nicht können" 53 . Es ist klar, daß er damit den Widerspruch Karl Barths wecken mußte. 1931 bekräftigte Karl Barth seine Gegenposition in einem Vortrag über „Die N o t der evangelischen Kirche", in dem er den Vorwurf erhob, daß so wenig oder auch gar keine rechtschaffene Theologie hinter manchen Bemühungen der Kirche stehe, zu denen auch ihre publizistische Tätigkeit zählt 64 . 1933 sagte sich K. Barth unter der Überschrift „Abschied" von bisherigen theologischen Freunden los, die er auf einem verhängnisvollen Wege sah, und löste sich auch von der von ihm selbst mitbegründeten Zeitschrift „Zwischen den Zeiten". Die von K. Barth ausgelöste Kontroverse und seine Ablehnung der damaligen Praxis kirchlicher Publizistik wurden sehr bald dadurch gegenstandslos, daß 52

A. H i n d e r e r in: R G G 1 IV, 1466.

=» A. Hinderer in: RGG2 IV, 1467. 54

E.-A. O r t m a n n S. 169.

35

D i e Aussage

die kirchliche Presse den Angriffen der nationalsozialistischen Reichspressekammer erlag. Nicht der Angriff von innen hatte sie zerstört, sie ist, ganz im Gegensatz zur These des auf der inneren Linie angreifenden Karl Barth, durch den Angriff der ideologischen Feinde von außen zerstört worden. Focko Lüpsen hat die Kontroverse als Auseinandersetzung um Positionen gekennzeichnet, die noch immer im Zentrum theologischer Motivationen kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit stehen, nämlich „um die Grenzziehung gegenüber einem falschen und um die Rechtfertigung eines echten Öffentlichkeitsanspruchs der Kirche: eines falschen, der Machtgewinn f ü r die Kirche erstrebt, eines echten, der um des Menschen willen öffentliche Verantwortung übernimmt" 5 5 . Die Alternative ist erst für die nach 1945 wieder einsetzende Theorie und Praxis publizistischer Tätigkeit der Kirche wichtig geworden und bedeutet noch immer eine achtungsgebietende Mahnung f ü r alle, die in diesem Zweig des kirchlichen Dienstes stehen. Die Praxis des restaurierten Pressewesens knüpfte 1945 dort wieder an, wo ihr unter dem Zwang der Gewaltherrschaft ein Ende gesetzt worden war. Die theologische Motivation beachtete sorgfältig jene Alternative, die in der Zurechtweisung durch Karl Barth sichtbar in Erscheinung getreten war. Das Ergebnis ist das Verständnis der publizistischen Aussage der Kirche als Verkündigungsdienst schlechthin oder wenigstens als Zuordnung zur Verkündigung der Kirche. In diesem Sinne äußerte sich auch die Kirchenkonferenz von Treysa 1945 in ihrem „Wort zur Verantwortung der Kirche für das öffentliche Leben". Die Zuordnung der Verkündigungspraxis durch die Presse zum Verkündigungsauftrag der Kirche bedeutet die grundsätzliche Orientierung kirchlicher Publizistik am Gesamtauftrag der Kirche und den grundsätzlichen Verzicht auf Orientierung an anderen Größen. Kirchliche Publizistik weiß sich an den Auftrag gewiesen, „das lebendige Wort Gottes in seiner Aktualität in einer der Würde und Universalität dieses Auftrages entsprechenden Form darzubieten, allen ihren Gliedern zu dienen und in die Öffentlichkeit hineinzuwirken" 36 . Die publizistische Arbeit der evangelischen Kirche der Gegenwart erhält ihre Legitimation dadurch, daß sie den Verkündigungsauftrag 53

F . L ü p s e n , Art. Protestantismus und Presse, in: R G G 3 V, 550.

59

E.Stammler, 1957, S. 53 f.

3*

Presse als Aschenbrödel, in: Deutsches

Pfarrerblatt, 57. Jg.

36

D i e publizistische A u s s a g e im Dienst der Kirche

der Kirche in besonderen, mediengerechten Formen zu erfüllen sucht. Die Konsequenz besteht darin, daß dem Journalisten und dem Verleger Anteil am Verkündigungsdienst zugebilligt werden muß. Das ist theoretisch und praktisch der Fall, wie die 1958 auf einer Veranstaltung des ökumenischen Rates der Kirchen erfolgte Annahme eines „Memorandums christlicher Journalisten Europas" beweist. Dem christlichen Journalisten wird hier expressis verbis die Aufgabe zugewiesen, „das Evangelium auch dem Randsiedler zu verkündigen". Die anfechtbare Bezeichnung „Randsiedler" ist leider geeignet, Assoziationen zur Aufgabenstellung zu wecken, die das 19. Jahrhundert für den Journalisten bereithielt; aber aus dem Kontext ergibt sich der unverwechselbare Neuansatz mit der zur Aufgabe hinzugefügten Bestätigung: „Damit bekommt der Journalist verantwortlichen Anteil an dem gesamten prophetischen und missionarischen Dienst der Gemeinde Jesu Christi in der modernen Welt" 5 7 . Der theologischen Frage: „Kann die Presse Kanzel sein?", stellte sich der Deutsche Evangelische Pressetag in Stuttgart 1958. Karl Halaski antwortete mit einem Referat, dem er die programmatische Überschrift gab: „Die Presse ist nicht Kanzel." Die Gegenposition bezog K u r t H u t ten mit einem Referat über das Thema: „Die Presse ist auch Kanzel" 5 8 . Halaski hatte im Blickfeld, daß es Dinge und Anliegen um die Predigt herum gibt, die für sich allein genommen nicht „Verkündigung" sind, und auch nicht sein wollen, die aber dennoch im Gesamtbereich der kirchlichen Verkündigung unentbehrlich bleiben. Für die kirchliche Presse, die „Zeitung" sein will, die also etwas mit dieser unserer Zeit zu tun haben will, ergibt sich, „daß sie von den Zeiterscheinungen in der Kirche und um die Kirche herum berichtet, daß sie zu Zeitfragen Stellung nimmt, daß sie in den Streitfragen unserer Zeit nach einer Antwort sucht". Mit Bezug auf die schon von August Hinderer bezogene Position, die kirchliche Presse habe etwas anderes zu tun als zu verkündigen und bedürfe deshalb auch für ihre Begründung eines anderen theologischen Ortes, zentrierte Halaski seinen Standort präzis mit der Forderung, daß die Presse wie auch alle anderen Massenmedien lediglich einen D i e n s t an der kirchlichen Verkündigung zu leisten habe. Er stellte mit Betonung heraus: „Unsrer ganzen Pressearbeit muß man es anmer57

Zit. bei F . L ü p s e n in: R G G 3 V , 555.

58

D i e R e f e r a t e veröffentlichte E. S t a m m l e r (Hrsg.), D i e Kirche und ihre Presse, München 1959, S. 34 ff. und 48 ff.

Die Aussage

37

ken, daß wir nichts ersetzen, sondern unserem H e r r n und seinem Leibe dienen, indem wir durch Information, Konfirmation und Diskussion dazu beitragen, daß der Predigt seines Wortes und damit seiner H e r r schaft über die Gemeinde und über die ganze Welt jener geringe Dienst erwiesen wird, den wir an unserer Stelle leisten können" 5 9 . Hutten richtete den Blick auf die praktischen Fragen und die faktische Lage der kirchlichen Praxis. E r ist im Recht, wenn er auf die ungleich größere Reichweite der Massenmedien gegenüber dem Aktionsradius der Kanzelpredigt verweist. E r ist ferner im Recht mit seiner Erkenntnis der nahezu unterschiedslosen Gleichgeartetheit einer um die Kanzel versammelten großstädtischen Gemeinde, die aus lauter Einzelnen besteht, die sich nicht kennen und sich auch nicht kennenzulernen wünschen, und dem anonymen Rezipientenkreis, wie er von den Massenmedien erreicht wird. Will man die mediatisierte Botschaft als Vorfeldarbeit werten, die lediglich im Dienst der Verkündigung steht, dann muß man zugeben, daß auch von einer Großstadtkanzel im Gottesdienst Vorfeldarbeit zu leisten ist. Die Kommunikation einer Kanzelpredigt vor einer Gemeinde, deren Kennzeichen die Anonymität ihrer Glieder ist, steht vor der gleichen Problematik wie die Kommunikation einer kirchlichen Zeitung gegenüber ihrem Leserkreis. Sicher kann ein Gemeindeblatt zu einem „geistigen und geistlichen Umschlagplatz voll Lebens inmitten der Gemeinde" werden. Wir stehen damit vor der Erkenntnis, daß beide, Halaski und Hutten, zutreffende Gesichtspunkte geltend gemacht haben. Die Alternativfrage kann offenbar nicht gestellt werden, und eine Alternativlösung ist nicht möglich. Vorfeldarbeit müssen auch Predigt und Unterricht als originär ergehende Verkündigung leisten; dagegen muß mit den Medien durchgeführte Verkündigung nicht auf dem Vorfelde bleiben, sondern kann mit der publizistischen Aussage in das Zentrum kirchlichen Verkündigungsdienstes vorstoßen. Die Kirche kann weder auf die eine noch auf die andere Weise der Ausrichtung ihres Dienstes verzichten. „Die kirchliche Presse k a n n Kanzel sein. O b sie es w i r d , das hängt von der wirkenden Macht des Heiligen Geistes ab und über ihn können wir nicht verfügen. Aber über ihn kann auch der Prediger so wenig verfügen wie der Redakteur" 6 0 .

59

K. Halaski, Die Presse ist nicht Kanzel, in: E. Stammler (Hrsg.), Die Kirche

60

K . H u t t e n , Die Presse ist audi Kanzel, in: E.Stammler a.a.O., S. 51. 54.

und ihre Presse, München 1959, S. 40. 47.

38

D i e publizistische Aussage im D i e n s t der K i r d i c

Ob das Wort mit homiletischen Mitteln oder mit katedietisdien Mitteln oder mit publizistischen Mitteln verkündigt wird, das bietet in der Tat kein Mehr und kein Weniger in der zu erwartenden Wirksamkeit Gottes in seinem Wort. Die Verheißung seiner Wirksamkeit in, mit und unter dem Wort kann weder an die eine noch an die andere äußere Weise der Mitteilung gebunden werden. Wer wollte den kranken Menschen, den die Verkündigung ausschließlich mediär erreicht, außerhalb der verheißenen Wirksamkeit Gottes im Wort stellen, den bettlägerigen, der die Rundfunkpredigt hört, oder den tauben Menschen, der das Wort nicht zu hören, wohl aber zu lesen vermag? Was in der Verkündigung wirksam wird, ist das „Wort Gottes"; aber dies Wort bedarf der Wörter, unserer Wörter als Medium. Darum ist das wirkende „Wort" in jedem Falle mediatisiert durch die Wörter, die sein vehiculum bilden. Die Bedeutung der originären Kommunikation soll damit nicht in Frage gestellt sein, die Unmittelbarkeit der Wirkungsweise der Martyria soll nichts von ihrer Leuchtkraft einbüßen; aber die Möglichkeiten, die in der intermediären Kommunikation beschlossen liegen, dürfen von einer Kirche nicht ignoriert werden, deren Predigt und Zeugnis von der Kanzel f ü r den größten Teil der Gemeinde ungehört verhallen. 2. Strukturen Eine formale Beschreibung dessen, was unter „Verkündigung" zu verstehen ist, könnte sich damit begnügen, überall dort von Verkündigung zu sprechen, wo die biblische Botschaft weitergereicht wird. So hat etwa Hans-Wolfgang Heidland gemeint: „Immer geschieht Verkündigung, wenn das, was wir geistig erfassen, substantiell die biblische Botschaft darbietet"" 1 . Seine Aussage bedarf zweifellos der Ergänzung. Zum geistigen Erfassen im Sinne eines Vorgangs im Intellekt gehört die Adaption des vorgelegten Inhalts an die Denkstrukturen des gegenwärtigen Hörers der Botschaft, ferner seine Befähigung zur Transposition der von der Bibel stillschweigend vorausgesetzten sozialen und religiösen Verhältnisse in die diesen entsprechenden, aber völlig andersgearteten Verhältnisse der jeweiligen Gegenwart. Schließlich treten zu diesem rational zu bewältigenden Vorgang im Intellekt noch die voluntaristischen Kräfte hinzu, die den A k t des geistigen Erfassens begleiten. 61

H.-W. Heidland, auf dem Deutschen Evangelischen Pressetag 1958 in Stuttg a r t , zit. bei E. S t a m m l e r a.a.O., S. 31.

D i e Aussage

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Wir haben es also mit einem komplexen Vorgang zu tun, dem intellektualistische und voluntaristische Komponenten wesentlich sind, wenn wir von „Verkündigung" sprechen. Daß solche Komponenten der Verkündigung überall dort feststellbar sind, wo ein Mensch als Prediger und Zeuge Jesu Christi einen biblischen Text expliziert und seinen Aussagegehalt den Hörern appliziert, ist unbestreitbar. Durch Jahrhunderte hat die Kanzel in diesem Sinne als Massenkommunikator unentbehrliche Dienste für den Verkündigungsauftrag der Kirche geleistet. Seitdem aber Verkündigung als publizistische Aussage durch Massenmedien ergeht, taucht als ein ganz neues Problem die Frage auf, ob „Verkündigung" als Botschaft und Zeugnis eines Menschen gegenüber einer Gruppe anderer hörender Menschen auch unter Verzicht auf homiletische Strukturen und rhetorische Regeln möglich ist, die auf die Auslösung intellektualistischer und voluntaristischer Kräfte angelegt sind, ohne das Gegenüber einer sichtbaren H ö rergemeinde aber fragwürdig erscheinen. Die an Karl Barth geschulte Theologie verneint diese Frage entschlossen; denn Karl Barth erkennt nur der für den Gemeindegottesdienst bestimmten Predigt Verkündigungscharakter zu Alles andere führt wohl auf Verkündigung hin, steht im Dienst der Verkündigung, ist selbst aber nicht Verkündigung. In diesem Sinne bestreitet er ausdrücklich der Theologie und dem Religionsunterricht den Verkündigungscharakter 62 . Karl Barth und andere in seinem Gefolge binden damit sich ereignende Verkündigung an eine Reihe von Voraussetzungen, zu denen u. a. auch die Methode der Verkündigungspraxis gehört. Wenn man ihm darin folgt, dann muß man ihm zustimmen: Wer Unterricht erteilt, der predigt nicht, er wäre andernfalls ein Versager auf dem methodischen Feld. Die moderne Religionspädagogik, die f ü r die Entscheidung unserer Frage ihren Standort dort einnimmt, wo der Unterricht tatsächlich seinen Ort hat, ist völlig im Recht, wenn sie auf Grund dieser Vorgegebenheit eine klare terminologische Unterscheidung fordert. Wer „Predigt" und „Religionsunterricht" zu unterscheiden weiß, der ist in der Lage, den methodischen Erfordernissen dieser sehr verschiedenen Aufgaben jeweils besser zu entsprechen als derjenige, der um eines Prinzips willen alles das unter den Oberbegriff „Verkündigung" subsumiert, was sich in der Praxis der Kirche als gut und nützlich erweist. - K . B a r t h , Kirchliche D o g m a t i k , I. Bd., l . H a l b M . , München 1932, S . 51.

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40

Die publizistische Aussage im Dienst der Kirdie

Das gleiche gilt f ü r die durch Massenmedien zu lösenden Aufgaben. Der kirchliche Dienst durch Massenmedien ist damit nicht getan, daß ein technisches Medium als Multiplikator verwendet wird. Wer die Tätigkeit im Studio oder in der Redaktionsstube mit der Aufgabe der Kanzelpredigt identifiziert und den Sinn seiner Tätigkeit nur in der Multiplikation des Kanzelwortes erblickt, der ignoriert die Eigengesetzlichkeiten in diesen Bereichen und verzichtet sehr zu seinem Schaden auf die mediengerechte Ausformung seiner Aufgabe. Wer den Predigtdienst durch Massenkommunikatoren leisten will und in der methodischen Gestaltung eines Pressebeitrags, einer Rundfunk- oder Fernsehsendung auf die Beachtung der Besonderheiten und Eigenheiten der Wirkungsweise dieser Medien verzichtet, der kann seine Fehler und sein Versagen jedenfalls nicht damit entschuldigen, daß er eben der Verkündigungsaufgabe gerecht werden wollte. Es ergibt sich daraus, daß die publizistische Aussage als kirchlicher Dienst durch Massenmedien methodisch die publizistischen Strukturen beachten muß, um mediengerecht und medientypisch wirksam werden zu können. Franz Ronneberger hat die „Idealtypen publizistischer Aussagen"" 8 zusammengestellt und in folgender Weise charakterisiert: a) Die N a c h r i c h t ist die wertfreie Information über Tatsachen, Vorgänge und Entwicklungen. Er vergleicht sie der Photographie hinsichtlich der Strenge der Beobachtung. Sie begegnet gewissermaßen als einer unkommentiert vorgezeigten sprachlichen, bildlichen oder akustischen Photographie. b) Der B e r i c h t ist eine Aneinanderreihung von Nachrichten. Entscheidend ist das rein deskriptive und wertfreie Verfahren, das sich auf die ganz nüchterne Mitteilung des Inhalts der aneinandergereihten Nachrichten beschränkt. c) Die R e p o r t a g e ist die rein deskriptive, wertfreie Wiedergabe eines Ereignisses unter Berücksichtigung der Wirkung des erlebten oder berichteten Ereignisses auf den Reporter. Es geht dabei um einen Augenzeugenbericht. „Man unterscheidet den Augenzeugenbericht des erlebten Ereignisses, also die unmittelbare Reportage, und die mittelbare Reportage durch die Befragung von Augenzeugen, die das Ereignis, den Vorgang oder die Entwicklung miterlebt haben." 6

* F. Ronneberger, Strukturen und Typen heutiger Publizistik, in: Breit/Höhne S. 71 ff.

Die Aussage

41

d) Das F e a t u r e , ein Stimmungsbericht, für den es kein adäquates deutsches W o r t gibt, beschreibt „entweder die eigene Stimmung, die etwa bei einer Reportage oder bei irgendeinem Dabeigewesensein entstanden ist, oder die Stimmung derer, die bei diesem Ereignis mitgewirkt haben". Hier geht es also nicht um den Hergang eines Ereignisses, sondern um dessen Stimmungsgehalt bei dem Beobachter oder bei den Beobachteten. e) das B i l d ist eine besondere Form der publizistischen Aussage, bedeutet für sich allein aber noch keine Nachricht. Es bedarf des Wortes nur dann nicht, wenn es im Zusammenhang eines Films eingesetzt wird, der es aus dem Zusammenhang verständlich macht. In allen anderen Fällen wird das Bild erst durch seine Kombination mit dem W o r t zur Information. „Einem Standbild auf dem Fernsehschirm oder einem Standbild in der Zeitung müssen Unterschriften oder Erklärungen beigefügt werden, damit eine Nachricht entsteht." f) Der K o m m e n t a r ist im ganzen eine wertende Aussageweise. E r entsteht aus der Zusammenfügung verschiedener Nachrichten zu einem Sinn-Zusammenhang, wie ihn der Kommentator sieht. In seiner Verantwortung liegt das Urteilen und Werten des zu Verwertenden. „Der Kommentator hat also das Recht, sich aus den Nachrichten diejenigen herauszuholen, die sinnnvoll zusammenzugehören scheinen, um dann tadelnd, lobend, warnend, prognostisch und, wie auch immer, dazu Stellung zu nehmen." Der Kommentar ist als publizistische Aussage aus dem politischen Bereich abgeleitet. g) Die G l o s s e ist die wertende Stellungnahme zu einer einzelnen Nachricht aus dem politischen oder dem allgemeinen und alltäglichen Geschehen. „Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf sprachlichem Witz, sprachlicher Brillanz und geschickter Darbietung." h) Die K a r i k a t u r ist eine Mischung aus Kommentar und Glosse. Ähnlich dem Bild, ist sie ohne Unterschrift kaum denkbar. Sie enthält eine wertende Aussage von eigenem Gepräge. i) Die R e z e n s i o n erstreckt sich auf den weiten Bereich der Buchbesprechungen, Theater- und Konzertkritiken und ähnlichem. k) Die e r z ä h l e n d e n F o r m e n sind vielfältig verschiedener Art. Ronneberger zählt dazu nicht nur die Kurzgeschichte und den Fortsetzungsroman in der Zeitung, sondern auch das Hörspiel, das Fernsehspiel und den Film. „Diese erzählenden Formen in den Medien sind nur dann typisch, wenn es sich um relative Kurzformen handelt."

42

D i e publizistische Aussage im D i e n s t d e r K i r c h e

1) Die A n z e i g e erfolgt im Interesse der Werbung; sie hat sowohl informierenden als auch wertenden Charakter. Als eigener Industriezweig ist die Werbung zu einem wichtigen Faktor für die Medien ebenso wie für die Privatwirtschaft geworden. Wer die publizistische Aussage für die kirchliche Verkündigungsaufgabe zum Einsatz bringt, sollte diese von der Publizistikwissenschaft ermittelten Idealtypen auf ihre Anwendungsmöglichkeit für seinen Auftrag sorgfältig überprüfen und nicht mehr nur in den von der traditionellen Homiletik gesetzten Schranken laufen. „Verkündigung" erfolgt bereits seit unvorstellbar weit zurückliegenden Zeiträumen, nämlich schon in mancher synoptischen Perikope, als „Reportage", das kann noch immer legitimerweise praktiziert werden. Verkündigung kann in Presse und Rundfunk die Weitergabe von T e x t und Predigt als „Nachricht" und „Kommentar" Gestalt werden lassen. Das „Feature" kann aus Impressionen der Frömmigkeit Bekenntnisakte und Bekenntnisformen einsichtig machen. Das kurze „Wort zum Sonntag" hat als publizistische Aussage in der „Glosse" sein idealtypisches Vorbild. Das „Bild" ist im katechetischen Einsatz unentbehrlich geworden. Die „Anzeige" hat als Strukturmodell für den Plakatdienst und die Plakatmission der Kirche ihre Bedeutung. „Prüfet alles, und das Gute behaltet" (I Thess 5, 21)!

§ 5: Der

Rezipient

Der Partner des Kommunikators im Prozeß der Kommunikation ist der Rezipient. Nicht jeder Zeitungleser, Rundfunkhörer oder Fernsehzuschauer ist dadurch schon Rezipient, daß er liest, hört oder zuschaut; zum Rezipienten der übermittelten Bewußtseinsinhalte wird er, indem eine durch ein technisches Medium übermittelte publizistische Aussage in ihm einen Denkprozeß und Verstehensvorgang auslöst, so daß ihm der Sinn der Aussage zugänglich wird. Die Gesamtheit der Rezipienten einer Aussage wird als „Publikum" bezeichnet, zu deutsch: „Öffentlichkeit". Aus der Fülle der Fragen, die mit dem Begriff „Öffentlichkeit" auftreten, soll insonderheit der Frage nach der Öffentlichkeit als Adressat der kirchlichen Verkündigung durch Medien nachgegangen werden und, nach einem Vorschlag von Hans Jürgen Schultz, der Offenheit der Aussage als Aufgabe des Kommunikators gegenüber der Öffentlichkeit als Empfänger der Botschaft.

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Der Recipient

„Öffentlichkeit ist eine Realität, die noch niemand eindeutig zu definieren vermocht hat" 64 . Sie läßt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Sie ist etwas anderes als eine bloße Summe von Individuen unbekannter bildungsmäßiger Voraussetzungen und sozialer Schichtungen. Sie stellt sich zunächst als „unsichtbare Masse" dar, über die nähere Aussagen nahezu unmöglich erscheinen. Der kirchlichen Verkündigung, die schon der ihr sichtbaren gottesdienstlich versammelten Gemeinde große Aufmerksamkeit zuwendet, um nicht zum zweckverfehlten Selbstgespräch zu werden, ist äußerst viel an der Erhellung des Dunkels gelegen, in dem sich der Rezipientenkreis ihrer in Massenmedien ergehenden Verkündigung bewegt. Der Kommunikator, der sich an Menschen wendet, die er nicht kennt und von denen er in der Regel wenig weiß, sucht dem Unsicherheitsfaktor für die Fragen der Aussagegestaltung durch Informationen zu begegnen, die er aus der demoskopischen Publikumsforschung gewinnt 05 . Die bisher vorliegenden Ergebnisse haben jedoch die Unsicherheit noch nicht zu beseitigen vermocht. Der ständige Wandlungsprozeß, in dem sich die Gesellschaft der Gegenwart befindet, macht zudem Antworten von länger dauernder Gültigkeit unmöglich. Der Kommunikator weiß um die in der Menschheitsgeschichte erstmalig gegebene Möglichkeit, Menschen in unbegrenzter Zahl, auch unkirchliche Menschen, anzusprechen, ohne Vorleistungen von ihnen zu erwarten, die bisher vorausgesetzt werden mußten, z. B. den Gang zum Gottesdienst; aber er weiß auch um die Schwierigkeit, die gesuchten Empfänger wirklich zu erreichen, solange sie ihm als kompakte Masse gegenüberzustehen scheinen. In dieser Lage hat Gerhard Maletzke vorgeschlagen, eine terminologische Unterscheidung durchzuführen zwischen einer „Situationsmasse" und einem „dispersen Publikum" 06 . Im Unterschied zum „Präsenzpublikum" im Theater oder Konzertsaal oder auch im Gotteshaus versteht er das „disperse Publikum" als den Rezipientenkreis in der Massenkommunikation. Hilfreich wird sein Vorschlag durch die drei essentiellen 04

H . J . Schultz, I n f o r m a t i o n als Verkündigung? in: B r e i t / H ö h n e S. 93. Vgl. S. v o n

Kortzfleisch, D i e Publizität des Evangeliums, ebda S. 111 ff.; ders.,

Verkündigung und „ ö f f e n t l i c h e Meinungsbildung", Stuttgart 1960; E. D o v i fat, Handbuch der Publizistik, Bd. I, Berlin 1968, S. 13 ff. Quellenangaben bei W. H a g e m a n n S. 126 f. m

G. Maletzke,

Grundbegriffe

der Massenkommunikation

Berücksichtigung des Fernsehens, München 1964, S. 47.

unter

besonderer

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Die publizistische Aussage im Dienst der Kirche

Merkmale für das disperse Publikum: Die gemeinsame Zuwendung von Menschen zur Aussage als zu einem gemeinsamen Gegenstand, die Vermittlung der Aussage unter Verzicht auf direkte, persönliche K o m m u nikation und die Erscheinungsweise des dispersen Publikums als „Aggregat von räumlich voneinander getrennten Individuen oder von relativ kleinen an einem Ort versammelten Gruppen" 0 7 . Der Kommunikator, der als Publizist den Dienst der Kirche durch Massenmedien wahrnimmt, wendet sich an eine unbestimmte, relativ große Zahl von Menschen. Versteht er sie als „Masse", so kann ihm der Rezipientenkreis als unüberschaubare, amorphe, kritiklose oder durch Manipulationen kritiklüsterne Menge von Menschen „ohne Gesicht" erscheinen, mit denen er sich selbst in die Zwänge des Kollektivs gestellt sieht. Versteht er sie als „disperses Publikum", so erfaßt er die Wirklichkeit des Rezipientenkreises in dem einen Zeitungleser, in den zwei Menschen, die gemeinsam eine Rundfunksendung hören, in der Familie, die gemeinsam vor dem Bildschirm sitzt, in der Jugendgruppe, dem Helferkreis einer Gemeinde und in anderen Gruppen, wo man gemeinsam h ö r t oder sieht und sich mit dem Aussagegehalt des Gehörten oder Gesehenen in der Diskussion auseinandersetzt. E r wird auch den einzelnen bettlägerigen Kranken und die alten Menschen als Rezipienten nicht vergessen, mit denen Kommunikation ausschließlich oder im wesentlichen nur noch durch Medien möglich ist. Mit der publizistischen Aussage der Kirche ist, obwohl sie in eine unbegrenzte Öffentlichkeit ergeht, jeder einzelne Rezipient persönlich gemeint und will auch persönlich angesprochen sein, ohne deswegen aus seiner Anonymität heraustreten zu müssen. Als „disperses Publikum" erfährt die Öffentlichkeit für den Kommunikator Konturen, ohne die sein Dienst nahezu unmöglich wäre. Die theologische Bedeutung der „Öffentlichkeit" liegt jedoch nicht in dieser Praxishilfe für die Aussagegestaltung beschlossen. Sie wird aufgefunden, wenn man mit Hans Jürgen Schultz „nicht Masse, sondern eher Offenheit, Weltoffenheit" als Korrelat für „Öffentlichkeit" setzt. So verstanden, „verlangt die Öffentlichkeit, in der wir das W o r t nehmen, nicht nur gelegentliche Angleidiungen und Umstellungen des Vokabulars, sondern ein ganz und gar verändertes Gesamtverständnis der Wirklichkeit" 6 8 . "

G. Maletzke S. 34.

»8 H . J . Schultz a.a.O., S. 93.

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D e r Rezipient

Auf ein solches Welt-Wirklichkeitsverständnis tendiert das Evangelium, das sich nicht an eine von Konfessionsgrenzen eingeengte manifeste Konfessionskirche wendet, sondern an die Menschheit, an das Weltganze, und das Heil nidit einigen wenigen darbietet, sondern allen Menschen, unter denen eine latente Kirche ihre Existenz hat. Die traditionelle Aussageweise der Kirche berücksichtigt den weltweiten Horizont ihrer Aufgabe nicht. Ihre „personale Intimtheologie" und ihre übliche „introvertierte Denk- und Sprechweise" sind nur innerhalb der Kirchenmauern rezipierbar. Sie durchbricht die Mauern damit nicht, daß sie ihre Aussagen in der gleichen Denk- und Sprechweise durch Massenmedien multipliziert, sondern sie begeht nur auf neue Weise einen A k t der Selbstbehauptung. Dabei hat gerade das Evangelium in der Gestalt der publizistischen Aussage die f ü r die Kirche vorher noch niemals dagewesene Möglichkeit ergeben, in Weltoffenheit die Weltöffentlichkeit zu erreichen. Schultz konstatiert: „Das Evangelium ist eine in der Öffentlichkeit stattfindende und die Öffentlichkeit betreffende Proklamation. Ja, es konstituiert überhaupt erst Öffentlichkeit. Für Gott gibt es keine Heimlichkeiten, keine Tabus. Vor ihm ist alles offen. Alles hat sich vor dem Forum seines Gerichts zu verantworten. Von dieser Instanz her k o m m t eine Intention der Ver-Öffentlichung in die Welt, und in einem gebrochenen, ambivalenten Sinne vollzieht die Publizistik diese Intention, zumeist freilich unbewußt, mit. Darin sehe ich ihre theologische Bedeutung" 69 . In dieser Perspektive gewinnt der Dienst der Kirche durch Massenmedien eine neue, sowohl dem Evangelium als auch dem Verkündigungsdienst gerechte Dimension, in der es nicht mit Vorfeldarbeit sein Bewenden hat und nicht nur ein Instrument für missionarische Aktionen gewonnen wird, sondern mit der das Evangelium der Welt weltlich ausgeteilt wird. Der R a u m der Verkündigung weitet sich; es ist der Raum, in dem das Kreuz Jesu Christi seinen Ort hat, in dem er in die Zeit eingegangen ist. Es ist der Raum, in den das Evangelium auch heute ergeht 70 . Dieser R a u m ist der Ort äußerster Profanität. Indem das Evangelium in der Sprache der äußersten Profanität hier laut wird, ereignet es sich, daß die Verkündigung nicht nur in die 09

H . J . Schultz S. 94 f .

70

Vgl. M . Josuttis,

Verkündigung

als Lebenshilfe und Lebensweisung?,

M. Josuttis (Hrsg.), Beiträge zu einer R u n d f u n k h o m i l e t i k , München S. 1 8 8 ff.

in:

1967,

46

D e r publizistische P r o z e ß u n d seine theologische Problematik

Öffentlichkeit hinein ergeht, sondern aus der Mitte der Öffentlichkeit heraus laut wird. Die Art, wie kirchliche Verkündigung mittels der Massenmedien in der Lebensmitte der Welt und aus der Mitte heraus geschieht, lehrt etwas über die Art, wie sich christliche Existenz inmitten der Welt in aller Offenheit f ü r die Welt vollzieht: Die Massenmedien stellen unsere als Verkündigung gemeinten Beiträge in die unmittelbare Nachbarschaft mit ganz anderen Beiträgen, ihren Verfassern und ihren Konsumenten. Das als Pressebeitrag hinausgehende Wort existiert nicht in einem von der Öffentlichkeit isolierten Sakralraum; es findet sich inmitten der Beiträge zu Politik, Wirtschaft oder Kultur. Die vom Rundfunk oder Fernsehen durchgeführte Andacht befindet sich nicht in einem akustisch oder optisch ausgesparten geheiligten Bereich, sondern dort, wo Information und Unterhaltung einander ablösen. Die Plakate der Kirche müssen nicht erst gesucht werden; sie begegnen dem Menschen dort, wo auch andere Plakate um sein Interesse werben. Inmitten alles dessen, was der Information, der Weiterbildung, der Unterhaltung oder gar nur der kommerziellen Werbung dienen soll, findet sich auch christliche Verkündigung vor. Damit wird der Rezipientenkreis über den gewohnten Kreis der sonntäglichen Predigthörer hinaus bis in unübersehbare Bereiche erweitert. Die Ausrichtung der Botschaft über die Medien hat nicht zur Voraussetzung, daß zuerst ein Ausweg aus den Sakralräumen gefunden werden müßte, um die säkularen Gelegenheiten des Alltags zu suchen. Die Botschaft durch Medien weiß von keinem sakralen Ort, sie findet sich inmitten der Gelegenheiten vor, die der Alltag bietet. In ihrer Offenheit für die Öffentlichkeit fordert sie disziplinierte Sachlichkeit in der Übermittlung ihrer Informationen und gewährt dem Rezipienten die Freiheit eigener, reflektierter Entscheidung.

III. D e r

publizistische Prozeß und theologische Problematik § 6: Die

seine

Kommunikation

1. Der kommunikationstheoretische Befund Mit „Kommunikation" wird das komplexe Beziehungssystem bezeichnet, das Menschen miteinander verbindet. Man kann sich verständigen, Sachverhalte aller Art, Vorgänge und Zustände einander mitteilen, man

Die Kommunikation

47

kann auch zu bestimmten Verhaltensweisen auffordern bzw. sich mit Aufforderungen auseinandersetzen. Das bedeutendste Mittel der Kommunikation ist die Sprache, aber sie ist nicht das einzige, mit dessen Hilfe ein Kommunikationsfeld entsteht. In elementarer Vereinfachung durch eine schematische Aufschlüsselung der wirkenden Faktoren dargestellt, k o m m t es auf folgendem Wege zum Kommunikationsprozeß: Eine bestimmte Motivation veranlaßt den Kommunikator zu einer Aussage. Sie erreicht den Rezipienten, der sie sich aneignet, indem er sich mit ihr auseinandersetzt. „In einer A r t Reproduktion setzt der Empfänger die Aussage in eigenes Erleben und Verhalten um, es werden bei ihm bestimmte Gedanken, Vorstellungen, Emotionen, Triebregungen usw. aktiviert, die man sich als ,Resultante* aus der Aussage einerseits und aus der Persönlichkeit, der jeweiligen Befindlichkeit und der sozialen Situation des Rezipienten andererseits denken kann" 7 1 . Eine „Rücksteuerung" oder ein „Feedback", eine „Interdependenz", wie man dies Phänomen auch nennt, ergibt einen Uberprüfungseffekt des erzielten Ergebnisses, durch den ein konstatierter Erfolg oder Mißerfolg den weiteren Fortgang des Prozesses beeinflußt. Charakteristisch für die „Massenkommunikation" ist, daß sie immer indirekte Kommunikation ist, daß sie einseitig verläuft und daß sie öffentlichen Charakter trägt. Während die originäre Kommunikation immer als personale K o m munikation zu verstehen ist, die direkt und unvermittelt von Angesicht zu Angesicht verläuft, erfolgt die intermediäre Kommunikation indirekt, durch ein technisches Medium vermittelt, und schafft ein Feld von räumlicher und zeitlicher Distanz zwischen dem Kommunikator und dem Rezipienten. Die schriftliche Mitteilung steht in historischer Ferne am Anfang der Versuche, eine raumzeitliche Distanz zu überbrücken. Die Druckertechnik leitete die Möglichkeit ein, eine Aussage in beliebiger Vervielfältigung einer beliebig großen Zahl von Rezipienten zu vermitteln. Rundfunk und Fernsehen sind weit in die Dimensionen von Raum und Zeit eingedrungen. Die originäre Kommunikation kann dialogisch oder monologisch erfolgen, wobei die Rollen der Partner austauschbar sind. Die intermediäre Kommunikation erlaubt den Rollentausch nicht, so daß die Aussage immer nur in einer Richtung vom Kommunikator zum Rezipienten verlaufen kann. 71

G. Maletzke S. 26 f.

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Der publizistische Prozeß und seine theologische Problematik

Da die technischen Medien die Begrenzung auf einen Empfänger allein oder auf einen bestimmten kleinen Empfängerkreis ausschließen, ist Massenkommunikation immer auf Öffentlichkeit angelegt. Die Wirkungen der Massenkommunikation sind von außerordentlicher Vielfalt. Gerhard Maletzke hat sie als Veränderungen des Menschen gekennzeichnet im Verhalten, im Wissen, in den Meinungen und Attitüden, im emotionalen Bereich, in den Tiefensphären des Psychischen und im physischen Bereich72. Das ist ein weites Feld, auf dem unser Interesse beansprucht, was für den praktischen Dienst der Kirche mit Massenmedien vordringlich Beachtung erfordert: Die Erweiterung des Wissens, die Einstimmung der Gefühle im emotionalen Bereich und die Impulse für bestimmte Verhaltensweisen. Erweiterung des Wissens erfolgt durch Informationen und Interpretationen. Die audio-visuellen Unterrichtsmittel haben als Schulfunksendungen für den Religionsunterricht große pädagogische Bedeutung. Informationen und Interpretationen über technische Medien sind aber auch Erwachsenen gegenüber eine unabdingbare Aufgabe der Kirche. Der Vorgang der Aneignung und Verwertbarkeit von Wissen erfolgt auch über die Medien in pädagogisch-psychologischer Gesetzmäßigkeit. Stellt die Information eine Ergänzung oder Bestätigung bereits bekannter Zusammenhänge dar, so wird sie in die vorhandenen Bewußtseinsinhalte eingeordnet, widerspricht sie diesen, so ist eine kritische Auseinandersetzung die Folge. Zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Bereitschaft des Rezipienten, publizistische Aussagen in seine kritischen Reflexionen einzubeziehen und dadurch sein Wissen zu erweitern, gehört die Klarheit der Formulierung der Aussage. Als neue Information appelliert sie an die Vernunft des Rezipienten und gibt Impulse f ü r sein Denken; „nur klare Tatbestände lassen sich einordnen, unklare oder unvollständige stiften Verwirrung und Unbehagen" 73 . Das publizistische Mittel, das auf der Ebene der Ratio wirksam wird, die Vernunft anspricht und auf das Denken einwirkt, ist vorzugsweise das gedruckte Wort, wie es in den vielfältigen Erscheinungsweisen der Presse den Empfänger erreicht. Das gedruckte Wort ermöglicht jedenfalls die wiederholte Überprüfung der Aussage und der eigenen Stellungnahme. Stärker als Appelle an die Vernunft wirken in der Massenkommunikation Appelle an das Gefühl. Zu den wichtigsten Voraussetzungen für 72 73

G. Maletzke S. 58. W. H a g e m a n n S. 144.

Die Kommunikation

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die Aufnahmebereitschaft gehört auf dieser Ebene das Vertrauen des Rezipienten zum Kommunikator und seiner Aussage. N u r die Aussage, die Glauben findet, kann wirksam werden. Sie findet Glauben, wenn die Persönlichkeit des Kommunikators (z. B. ein bekannter Rundfunkprediger) oder des Publikationsorgans (z. B. eine renommierte Zeitung) öffentliches Ansehen und Vertrauen genießt. Die Aussage findet aber auch dann Glauben, und zwar dann ganz besonders, wenn sie sich inhaltlich in Übereinstimmung mit den bereits vorhandenen Vorstellungen des Rezipienten befindet, der sich dadurch in seiner Meinung bestätigt fühlt. Auf diesem Wege dringt die Aussage auch in den Bereich der Emotionen ein. Ist das der Fall, dann vergißt der Rezipient leicht, über Glaubwürdigkeit oder tendenziöse Färbung der Information überhaupt zu reflektieren. Er wird selber Partei, wenn der Kommunikator mit seiner Aussage Partei ergreift und den Rezipienten in seiner geistigen Existenz bestätigt oder infrage stellt. Die Aussage als Verkündigung des Evangeliums wird in diesem Sinne immer in irgendeiner Weise Partei ergreifen. Zur Wirkung beim Rezipienten wird sie nicht durch eine einzige Aktion gelangen. Sie kann den Rezipienten erst nach mehrfacher Wiederholung als Partner gewinnen. „Es bedarf erst mehrerer gleichartiger Aussagen, der Gewißheit der Bundesgenossenschaft, der Überzeugung von der Zweckmäßigkeit und den Erfolgsaussichten, um ihn zur Entscheidung zu bewegen" 7 4 . An dieser Erkenntnis der Publizistikwissenschaft sollte die Kirche für die Praxis ihres publizistischen Auftrags nicht vorübergehen. Daß ihre Aussagen weithin auch auf dem Felde der Emotionen wirksam werden, wird sie schwerlich bestreiten können. Die publizistischen Mittel, die in besonderer Weise Emotionen anregen, sind H ö r f u n k , Fernsehen und Film. Verhaltensänderungen können sich aus planmäßiger und bewußter Beeinflussung durch den Kommunikator ergeben. Das geschieht aus pädagogischer Zielsetzung, die für die Aufgabe der Kirche Legitimität beanspruchen kann; es geschieht aber auch in den politischen und kommerziellen Bereichen, die im kirchlichen Aufgabenbereich keine Parallelunternehmungen hervorrufen sollten. Unbeabsichtigt ergeben sich Verhaltensänderungen, wenn dargestellte Personen bei den Rezipienten, insbesondere bei Jugendlichen, die Qualität von Leitbildern oder gar von Idolen erhalten. Diese Tatsache erhellt die Größe der Verantwortung, die den Kommunikatoren im Dienst der Kirche auferlegt ist. ' 4 W. Hagemann S. 145. 4

Klaus, Massenmedien

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D e r publizistische P r o z e ß und seine theologische P r o b l e m a t i k

Für die massenkommunikative Wirkung ist die richtige Wahl des Mediums als Aussagemittel entscheidend. Nicht minder wichtig ist der Einsatz der jeweils medienspezifischen Stilmittel. Wenn unter Beachtung dieser Voraussetzungen die Aussage neu und glaubwürdig erscheint, klar formuliert ist und als wichtige Nachricht werbend an den Empfänger herangetragen wird, dann ist sie für die Massenkommunikation qualifiziert. U b e r ihren publizistischen Wert entscheidet jedoch letztlich allein ihre öffentliche Wirkung. „Der langwierige Prozeß, den die Aussage vom Ereignis bis zum letzten Empfänger zurücklegt, findet erst bei seinem Abschluß seine innere Rechtfertigung, das Ergebnis erhält erst seine Würde und seinen Wert durch den Menschen, der sich der Aussage erkennend, wollend und handelnd bedient" 7 3 . 2. Theologische Aspekte für den Kommunikationsprozeß in der mediatisiert ergehenden Verkündigung der Kirche Hat die Sprache als bedeutendstes Mittel der Kommunikation zu gelten, so weitet sich das Problem der Kommunikation in eine wichtige theologische Dimension aus. Die Christenheit kennt seit ihren Anfängen, die in den biblisdien Berichten ihren Niederschlag gefunden haben, das W o r t als Symbol für G o t t : „Im Anfang war das W o r t . . . und G o t t war das W o r t " ( J o h 1 , 1 ) . Sie kennt die Sprache als Mittel, mit dem G o t t sich den Menschen offenbart: „Das W o r t ward Fleisch und wohnte unter uns" (Joh 1, 14). Sie versteht das gesprochene W o r t als Mittel und Ausdruck für die Kommunikation, die von G o t t her an den Menschen ergeht, indem G o t t sich ihm mitteilt: „Nachdem vorzeiten G o t t manchmal und mancherleiweise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn . . . (welcher ist) das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen W o r t " (Hebr 1, 1—3). Die Weitergabe dieses Wortes in der Verkündigung bewirkt Kommunikation zwischen dem Verkündiger und den Hörern und zwischen den das W o r t hörenden Menschen untereinander. Das Mittel ist die in verstehbaren Wörtern ergehende Mitteilung der Taten Gottes in Christus. Der Verlust der Gemeinschaft mit G o t t und der Gemeinschaft der Menschen untereinander, wie er Genesis 3 beschrieben wird, findet seine Kennzeichnung als Verlust, zumindest als Verzerrung der K o m 75

W . H a g e m a n n S. 1 4 7 .

Die Kommunikation

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munikationsmöglidikeit. Damit gewinnt die Sprache jene Doppelrolle, daß sie die Kommunikation ermöglicht, andererseits aber die Verständigung vereitelt. In eigentümlicher Entsprechung kennzeichnet die Bibel den Verlust der Kommunikationsmöglichkeit als Verwirrung der Sprache (Gen 11,7) und die Wiedergewinnung der Kommunikation durch die sprachliche Verstehensmöglichkeit als äußeres Merkmal der in Christus erfolgten Versöhnung (Apg 2, 8). In dieser wiedergewonnenen Kommunikation erkennt sich die Christengemeinde als Kirche. Jesus Christus hat die unterbrochene Beziehung wiederhergestellt und den Weg zu neuer Kommunikation gebahnt. N u n findet die durch Christus ermöglichte und eröffnete Kommunikation von Gott her zu den Menschen und zwischen den Menschen untereinander in der Verkündigung des Evangeliums als Übermittlung des öffentlich gesprochenen Wortes in der kirchlichen Verkündigung ihre durch alle Zeiten reichende Fortsetzung. Die „Magna Charta" der Kommunikation im biblischen Sinne hat Hendrik Kraemer im neutestamentlichen Zeugnis gefunden: „Was von Anfang an war, was wir gehört, was wir gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände betastet haben in bezug auf das Wort des Lebens; . . . was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt; unsere Gemeinschaft besteht aber auch mit dem Vater und mit seinem Sohne Jesus Christus" (I Joh 1, 1—3). Kraemer versteht diese Sätze als Formulierung der „wiedergewonnenen Kommunikation", die gewissermaßen dem „wiedergewonnenen Paradies" entspricht 76 . In den dogmatischen Formulierungen ist die Kirche später in ihrer Theologie und in ihrer Christologie in ähnlicher Weise ohne den Gedanken der Kommunikation nicht ausgekommen. Sie sieht das Wesen der Trinität in der Kommunikation von Vater, Sohn und Heiligem Geist; sie drückt das Verhältnis der beiden Naturen Christi mit der Formel „communicatio idiomatum" aus; sie versteht die Kirche als „communio sanctorum". Die Kommunikation, die von Gott her zum Menschen hin erfolgt, ist rettendes Heilshandeln, das sich als solches in der Kommunikation zwischen Mensch und Mitmensch fortsetzt. In diesem Sinne dürfte die Definition des Begriffs „communicatio" durch Hanns Lilje zu verstehen sein, der sie als „das, was den Menschen 76

•t*

H . Kraemer, Die Kommunikation des christlichen Glaubens, Zürich 1958, S. 19.

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D e r publizistische Prozeß und seine theologische P r o b l e m a t i k

zum Menschen macht" bezeichnet hat, als „eine der elementaren Q u a litäten menschlicher Existenz" 7 7 . Daß Kommunikation so verstanden tatsächlich in die Dimension der Freiheit der Kinder Gottes hinein reicht, wird durch die in den Medien ergehende Verkündigung und die durch sie bewirkte Kommunikation klarer erkennbar als durch die traditionelle Weise personaler Kommunikation im Gemeindegottesdienst. Die mediatisiert ergehende Botschaft ist prinzipiell frei von konfessionell geprägten Strukturen und überwindet alle derartigen von Menschen gesetzten Grenzen; denn das Medium kennt und anerkennt solche Grenzen nicht. Sie überspielt Vorgegebenheiten, die durch Sakralsphäre und Sakralraum, durch liturgisch geprägte Verhaltensformen und Denkschemata zum Hindernis für freie Entscheidungen werden können. Alle im religiösen Bereich lediglich oder vorwiegend als Kulturerbe mit wirksam werdende Faktoren sind ausgeschaltet. Die durch das technische Mittel vermittelte Entscheidungsfreiheit wird den Rezipienten unmittelbar zuteil. Kommunikation ist immer Begegnung. Die frei von aller A r t Zwängen erfolgende Begegnung mit dem Zeugnis von der Hinwendung Gottes zum Menschen ermöglicht die von Vorbehalten freie Begegnung mit dem Mitmenschen. Die Begegnung mit ihm als Kommunikation verwirklicht sich in einem dialogischen Prozeß. Seine Voraussetzung ist die Anerkennung des Rechtes, das der andere hat, auch des Rechts, das Gott auf den anderen hat. Sie äußert sich in der Bereitschaft zum Dialog auf partnerschaftlicher Basis. Sie verwirklicht sich in der personalen Kommunikation als Fortsetzung der durch Medien ingang gebrachten Kommunikation und wird dadurch zur Existenzhilfe. Damit soll nicht gesagt sein, die intermediäre Kommunikation erhalte ihren Sinn als missionarische Aktion, durch die Menschen in die Ortsgemeinde herkömmlicher Struktur geführt oder wieder zurückgeführt werden sollen. Dies ist gerade nicht gemeint. Es geht um die Offenheit für die Welt, um den Dialog mit der Welt, um die Auslegung der Welt als Ort der Begegnung Gottes mit dem Menschen, als dem, der die Liebe und das Erbarmen Gottes von seinen Mitmenschen als Tat erwartet. „Nicht was ich als Glauben propagiere, sondern ob und wie sich mein Glaube in meinem tatsächlichen Denken und Leben auswirkt — das wird wahrgenommen von meinen Kollegen, von meinen Nachbarn, 77

H . Lilje, Kirche und Massenkommunikationsmittel, in: M e d i u m , 5. J g . 1968, S. 10.

Die Kommunikation

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von meinen Kindern." Hans Jürgen Schultz sieht darin die Kommunikation verwirklicht als Evangelisation „aus der Mitte heraus". Wie sich unter der Voraussetzung des vom verkündigten Wort ausgelösten Prozesses Kommunikation verwirklicht, hat er gültig so beschrieben: „Wir Christen sind in unsrem Zeitalter, das man das Zeitalter der Abwesenheit Gottes nennt, nicht gefragt nach lauten Behauptungen und Bekundungen, sondern nach unserer brüderlichen Anwesenheit. Wir leben nicht im Zeitalter der Abwesenheit Gottes, sondern der Abwesenheit der Christen. Wir können, wenn wir Christen sind, weder die Abwesenheit Gottes feststellen noch seine Anwesenheit herstellen. Wir können nur selber da sein, wirklich ganz zuverlässig da sein. Denn das ist der Sinn der vermeintlichen Abwesenheit Gottes, daß er nicht anders als in unserer Anwesenheit anwesend sein will. H o m o factus est" 78 . Wir bejahen damit eine Frage, an der sich viel entscheidet für die Indienstnahme der technischen Medien durch die Kirche und f ü r die Gestaltwerdung einer „Rezipienten-Kirche" im Sinne der „communio sanetorum". Ist das überhaupt möglich? Die Kirche bezieht sich für die traditionelle Art der Ausrichtung ihres Dienstes immer auf die Verheißung der Gegenwart des Herrn, „wo zwei oder drei versammelt sind" in seinem Namen (Mt 18,20). Sie kann aber die Anwesenheit des Herrn nicht feststellen, auch nicht in einer solchen „Versammlung". An Versuchen, hier etwas zu „machen", was doch nicht machbar ist, hat es nicht gefehlt. Im Meßopfer sind solche Versuche bis zu magischen Manipulationen gediehen; aber auch die evangelische Theologie der Predigt ist von mancher transsubstantiationsähnlichen Vorstellung nicht frei. Es ist jedoch einfach nicht möglich, die Gegenwart des Herrn herabzuzaubern oder herbeizuzwingen. Möglich ist nur dies, daß wir selber da sind — für den Anderen neben uns. Madien wir uns dies in aller Nüchternheit klar, dann sind die tradierten Vorstellungen über die Gegenwart Gottes entzaubert, und wir erkennen: Bereits die kurze Zeitspanne des Erfahrungsbereichs kirchlichen Verkündigungsdienstes mit Hilfe technischer Medien bestätigt das Vorhandensein der Kommunikation als gemeinschaftsbildende Kraft unter den einzelnen Rezipienten, die sich nicht kennen und die räumlich weit voneinander getrennt leben. Es gibt „Lesergemeinden", deren partnerschaftlich-dialogische Existenz in Leserbrie78

H . J. Schultz, Evangelisation im Rundfunk?, in: Medium, 1. Jg. 1964, S. 105.

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D e r publizistische P r o z e ß und seine theologische Problematik

fen und Antworten Gestalt gewinnt. Dabei ist von Belang, daß Antworten auf Leserbriefe nicht nur vom Kommunikator gegeben werden, sondern ebenso von Lesern an andere Leser. So entsteht ein breites Kommunikationsfeld, und das „Homilein" der alten Kirche, das „miteinander reden" (Luk 24,14 f.), ereignet sich auf einer neuen Ebene, auf der die alte Verheißung der Gegenwart des Herrn bei den SichUnterredenden in ungeminderter Gültigkeit bleibt. Zu den bekanntesten Erscheinungen gehört die faktische Existenz latenter Rundfunkprediger-Gemeinden, die mit dem Prediger und auch untereinander in regem Austausch stehen. Eine Institutionalisierung dieser Gemeinden als „Rezipienten-Kirche" im Sinne der verfaßten Kirche ist nicht möglich; aber ihre Existenz ist dennoch unleugbar. Die Kirche wird sich daran gewöhnen müssen, daß es Gemeinden gibt, die nicht „verfaßbar" sind und von ihr nicht „erfaßt" werden können, deren Glaube nicht der Kontrolle ihres „Wächteramtes" unterliegt und deren Liebe als Leben aus Glauben nicht innerhalb des Pferchs der vom „Hirtenamt" betreuten Herde verwirklicht wird. Wenn es der Glaube ist, der ihre Entscheidungen bestimmt, dann erweisen sich die im Kommunikationsprozeß stehenden LeserGemeinden und Hörer-Gemeinden als eine neue communio sanctorum, die entschlossene Schritte in die Welt wagt, um mit ihren Aktionen zu erreichen, daß Menschen menschlich miteinander leben können, d. h. daß sie untereinander in der Kommunikation verbunden sein und bleiben können, die Gott in Christus verwirklicht hat und immer wieder verwirklicht wissen will. Indem wir uns dazu entschließen, von „intermediärer Kommunikation" zu sprechen als von einer neuen Erscheinungsweise der communio sanctorum, können wir den Dienst der Kirche über technische Medien nicht mehr nur als „Vorfeldarbeit" verstehen, die ihren Sinn darin finden würde, Menschen per Lautsprecher aus der gesellschaftlichen Gruppe, in der sie sich vorfinden, herauszurufen, um sie in die Ortsgemeinde als in eine andere Gruppe zu integrieren. Dazu gehört, daß wir die falschen Ansprüche aufgeben, die sich hinter den Vokabeln „Kerngemeinde" und „Randsiedler" verbergen. Das Ziel des kirchlichen Verkündigungsdienstes kann es nicht sein, kerngemeindlich-einheitliche Verhaltensnormen durchzusetzen, sondern den Glauben zu stärken, der sich in jeder gesellschaftlichen Gruppe mit ihrer jeweils verschiedenen Art der Existenzverwirklichung als die entscheidende Lebenshilfe bewährt. Der Dienst der Kirche über technische Medien ist nicht nur

D i e Kommunikation

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Vorfeldarbeit, sondern er ist eine andere neue Weise der Ausrichtung des eigentlichen Auftrags der Kirche. Verkündigung des „Wortes" ist die formelhafte Umschreibung ihres eigentlichen Auftrags, der im Glauben daran ausgeführt wird, daß sich die Menschwerdung Gottes immer neu als „Wortwerdung" verwirklicht. Was einst von den ersten Zeugen ausgesagt wurde, war Weitergabe dessen, was ihnen von Jesus Christus zugesprochen worden war. Im Sprachgebrauch der Publizistik wäre somit Jesus Christus als ein „ Generalkommunikator " zu verstehen 79 . Informationsquelle für die gegenwärtigen Kommunikatoren ist die Bibel. In publizistischer Terminologie kann sie als „Nachrichtenspeicher" bezeichnet werden, in dem der Informationskern seinen Ort hat. Die Fülle der gespeicherten Information ist das „Aussagegut" der Bibel. Aus dem Aussagegut gewinnt der Prediger die der Information zugrundeliegende Aussage. Kommunikation ergibt sich dadurch, daß zur Aussage als Ubersetzung und Weitergabe eines Textes der predigende Mensch als Kommunikator hinzutritt. E r erweitert die Information, die den Charakter einer Nachricht trägt, um einen Kommentar, dem ein Aufruf zur Aktivitätsentfaltung folgt oder der einen solchen Impuls implizit enthält. Das Ergebnis besteht schließlich in einer Existenzhilfe. Erfolgt der Kommunikationsprozeß unmittelbar, in personalem Gegenüber des Kanzelpredigers und der Gemeinde, so ist das alle verbindende Gemeinsame mit dem Sakralraum oder zumindest der Sakralsphäre und der Gleichheit der Erwartungen gegeben. Ebenso wie der Prediger, verfügen auch die Predigthörer über Kenntnisse des biblischen Aussagegutes. Der Prediger übersetzt nicht nur die biblische Aussage, die er für einen größeren Kreis von Hörern multipliziert; es ist unausbleiblich, daß er sie durch die seinen eigenen Intentionen entsprechenden Erweiterungen und Aktualisierungen in gewisser Weise auch mediatisiert. Dazu fließt in den Verstehensvorgang bei den Predigthörern mit ein, was sie an eigenen Kenntnissen des biblischen Aussagegutes mitbringen. Originär bleibt die Kommunikation in diesem Falle dennoch, weil sie Auge in Auge erfolgt und die Möglichkeit der Rückfrage, des Dialogs oder der Diskussion zumindest theoretisch offen läßt. Originär bleibt sie ferner dadurch, daß der R a u m ihrer Wirkungsentfaltung die allen Beteiligten gemeinsame Sakralsphäre ist, die zugleich das Erwartungsfeld der Gottesdienstteilnehmer bestimmt und abgrenzt. Ori79

Ich folge hier Thesen von Gerhard E. Stoll.

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D e r publizistische P r o z e ß und seine theologische P r o b l e m a t i k

ginär bleibt sie schließlich dadurch, daß auf Grund der bei den Hörern bereits vorhandenen Kenntnis des biblischen Aussageguts dieses auch unter Umgebung des Predigers über dessen Verkündigung auf die hörende Gemeinde trifft. Dieses zuletzt genannte Phänomen hat für die originäre K o m m u n i kation durch die Predigt immer besondere Bedeutung gehabt. Sie ergibt nämlich eine Einheit des Kommunikators mit den Rezipienten in der Gemeinsamkeit des Hörens auf das Aussagegut der Schrift überhaupt. Bereits Augustin hat dies als Charakteristikum direkter Verkündigung durch die Predigt erkannt und in einem seiner Sermone gesagt: „Höre midi, du Christ, oder nein, höre du mit mir. Wir wollen zusammen hören, zusammen l e r n e n . . . Hier sind wir alle Schüler, der Himmel ist der Lehrstuhl, von ihm spricht der größte Lehrer, der unser aller Lehrer ist." Augustin deutete die so entstehende originäre Kommunikation damit, daß er sagte, eine „gewaltige Sympathie" herrsche zwischen dem Prediger und seiner Gemeinde. „Einer wohnt im andern", so daß „wir Prediger durch den Zuhörer gewissermaßen gerade das zu lernen scheinen, was wir ihn lehren" 8 0 . Markante Beispiele für die Reichweite, den Umfang und die Existenzkonsequenzen der durch die Predigt erfolgenden originären Kommunikation liefern die Bußpredigten des Mittelalters, die Predigten der Albigenser und Waldenser, die Predigten eines Franz von Assisi und die Kreuzzugspredigten. Sie bewirkten nicht nur die Kenntnisnahme von Information, sondern gaben dem Denken und Handeln ihrer H ö r e r entscheidende Wendungen von z. T . historischem Gewicht. Auch auf die Wirkungsweise der reformatorischen Predigt sei verwiesen. Die Predigten, die der letzte Hochmeister des Deutschen Ritterordens gelegentlich seiner Teilnahme am Nürnberger Reichstag 1522 von Andreas Osiander in Nürnberg allsonntäglich hörte, wurden mitbestimmend für seine Entscheidung, das Ordensland in ein evangelisches Herzogtum umzuwandeln. Daß die originäre Kommunikation von bleibender fundamentaler Bedeutung für die Ausrichtung des kirchlichen Dienstes ist, bedarf keiner weiteren Begründung. In der Gegenwart zeigt das Handeln der Kirche aber als neue Gelegenheit eine immer stärker werdende Entfaltung der mediatisierten Verkündigung, deren Erwartungsfeld die von den Massenmedien 80

Augustinus, Sermones K a p . 5 6 , Abs. 11, zit. bei E . D o v i f a t , H a n d b u c h Publizistik I, 2 2 8 , A n m . 16.

der

Die Kommunikation

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bestimmte Umwelt ist. Mit der pressemäßig publizierten oder mit der durch den Äther entsandten Botschaft gelangt die kirchliche Verkündigung auch zu denen, für die die Kirche eine fremde Welt ist. Sie erhalten Informationen. Sie können Kenntnis nehmen von den christlichkirchlichen Denkstrukturen. Ihr Interesse kann geweckt und wachgehalten werden. Man wird freilich davon ausgehen müssen, daß sich dies Interesse auf die Registrierung mehr oder weniger interessant erscheinender Zeitereignisse beschränkt, ähnlich wie eine Olympiade mit ihren Vorbereitungen, ihrer Durchführung und ihren Nachspielen als aktuelles Ereignis auch von solchen Zeitgenossen registriert wird, die kein Verhältnis zum Sport haben und auch kein Verhältnis zum Sport wünschen. Die intermediäre Kommunikation kommt in diesem Falle lediglich aus der Gemeinsamkeit des von den Massenmedien bestimmten und publizistisch bereiteten Erwartungsfeldes. Die intermediäre Kommunikation ist also dadurch gekennzeichnet, daß sich ein technisches Medium zwischen den Kommunikator und den Rezipienten zwischenschaltet. Ausgangspunkt seiner Aussage ist nicht nur das Bibelwort, sondern auch die von den Massenmedien bestimmte Umwelt. Der Kommunikator erlebt diese Welt durch den Filter des Aussageguts der Bibel. Seine Bemühungen zielen auf die Auslegung einer schon ausgelegten Welt. Bevor er selbst zu einer Aussage kommt, vollzieht sich bei ihm dadurch ein Kommunikationsprozeß, daß sich Welt und Bibel in zwei nicht sauber voneinander abtrennbaren Bereichen gegenseitig auslegen. Zwischen den Kommunikator und den Rezipientenkreis ist das f ü r den Einsatz in Aussicht genommene publizistische Mittel zwischengeschaltet als Bestandteil des von den Massenmedien bestellten Kommunikationsfeldes. Dies Mittel gehört als technisches Medium zum Erfahrungsbereich des Rezipienten, der damit so vertraut ist, daß es ihm nähersteht als der ihm von Angesicht unbekannte Kommunikator. Das Erwartungsfeld des Rezipienten wird daher weder vom Aussagegut der Bibel noch von den Tendenzen der Interpretation eines Textes durch den Kommunikator begrenzt; es ist in keinen Sakralraum gebannt und entbehrt der Sakralsphäre. Die Kommunikation ereignet sich auf dem publizistisch bereiteten und von dem zwischengeschalteten Medium nach allen Seiten durch Orientierung ausgeleuchteten Felde der Erwartungen des Menschen. Hier fallen die existenzbestimmenden Entscheidungen, und so wird das Medium zum Bestandteil der Existenzhilfe. Über Beispiele f ü r Reichweite, Umfang und Existenzkonsequenzen

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durch die der mediatisierten Verkündigung folgende intermediäre Kommunikation verfügt die Kirche noch nicht. Die Kommunikation durch Verkündigung über die technischen Medien ist jedenfalls ein unbestreitbares Faktum, dessen Relevanz aus den Vorgängen auf politischer Ebene längst klargeworden ist. Wesentlich für die so bewirkte Kommunikation ist die der vertretenen Sache gemäße und dem zum Einsatz gebrachten Medium gerechte Sprache. Wird die übliche Predigtsprache für die Verkündigung durch ein technisches Medium verwendet, so bildet sie vielfach das Haupthindernis für Kommunikationsmöglichkeiten, weil sie für die Rezipienten nicht verstehbar ist und mangels der erforderlichen Klarheit erst gar nicht die Qualität einer publizistischen Aussage erreicht. Für die gottesdienstliche Verkündigung der Kirche gilt das nicht. Sie trifft im allgemeinen noch immer auf einen klar umgrenzten Sakralraum und erreicht dort einen durch die Taufe limitierten Hörerkreis. Sie ist Kultrede und ihr Vokabular wird nur unter der Voraussetzung der Zugehörigkeit zu diesem institutionell umgrenzten R a u m verstehbar. Die Kommunikation der Hörer ist in diesem Fall nicht ihre Wirkung, sondern die Voraussetzung dafür, daß die Predigt gehört wird. Das war nicht immer so. Die apostolische Missionspredigt, von der das Neue Testament berichtet, war in bemerkenswerter Weise von der heutigen Verkündigung der Kirche unterschieden, obwohl die Missionssituation noch immer gegeben ist. Damals erging das Evangelium als eine Nachricht, eine Mitteilung, die einer unbegrenzten und unbeschränkten Öffentlichkeit galt. Diese Verkündigung war nicht Kultrede in einer nur Eingeweihten verständlichen Kultsprache. Sie war die Rede, die, auf einem öffentlichen Platz gehalten, ohne weiteres von jedermann verstanden wurde. Diese Sprache und der mit ihrer Hilfe weitergegebene Verkündigungsinhalt bewirkten bei den Hörern problemlos die Kommunikation. Diese Weise der Verkündigung entsprach dem Auftrag, dem die Kirche in Fortsetzung des Dienstes Jesu an der Welt gehorsam war. Das Aussagegut der Bibel umgreift den Zentralgedanken der Kondeszendenz Gottes in seiner Menschwerdung in Jesus Christus und in seiner fortdauernden Gestaltwerdung im wirkenden Wort der Verkündigung. „Daß Gott die Welt anspricht, indem er sein ewiges Wort in die menschliche Sprache hineinlegt, ist ein A k t seiner Selbstentäußerung, geboren aus seiner suchenden Liebe zu dieser verlorenen Welt. Die Weitergabe dieses Wortes durch die oft so armselige menschliche Ver-

Die

Kommunikation

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kündigung ist die Fortsetzung dieser Selbstentäußerung Gottes. Es ist der Sinn und das Ziel dieser Selbstentäußerung Gottes, mitten hinein in die Menschenwelt zu dringen, in ihren Alltag, ihre Irrungen und Wirrungen, ihren Schmutz und ihre Schuld, um überall den Menschen aufzusuchen, ihm zu begegnen und nahe zu sein. Die Verkündigung erfüllt ihren Auftrag nicht, wenn sie nur im umzirkelten und kultisch geheiligten Raum, im Rahmen einer würdigen liturgischen Ordnung und mit den Mitteln einer sakralen Sprache geschieht. Sie soll vielmehr hineintreten in die Profanität. Es ist eine Konsequenz dieser Selbstentäußerung Gottes, wenn auch die Mittel der Massenpublikation in den Dienst der Verkündigung gestellt werden" 8 1 . Wenn Gottes Menschwerdung den Eingang in die äußerste Profanität bedeutet, dann kann die Bekanntmachung dieses Ereignisses nur mit dem Vokabular der äußersten Profanität erfolgen. Dazu zeigt sich die Predigt als Kultrede kaum in der Lage, und die gottesdienstlich versammelte Gemeinde ist zumeist nicht bereit, das Evangelium mit dem Vokabular äußerster Profanität aufzunehmen. Wenn es geschieht, dann empfindet die Gemeinde einen solchen Predigtstil als Maniriertheit, als einen ihr unzumutbaren Versuch der Akkomodation mit der „Welt", die ja gar nicht anwesend ist bei den versammelten Predigthörern! Man kann dagegen einwenden: „Das Evangelium überspielt die religiösen, sakralen und kultischen Horizontierungen, mit denen die Menschen es immer wieder eingrenzen und sich seiner zu bemächtigen trachten" 8 2 ; man kann auf der anderen Seite nicht bestreiten, daß der Prediger, der seinem jeweiligen Hörerkreis verstehbar werden soll, den gegenwärtigen „Kirchentreuen" mit der Sprache äußerster Profanität nicht verstehbar werden kann, weil diese eine solche Sprache nicht vertragen. In dieser Lage erweisen sich die technischen Massenmedien als besonders geeignete Mittel der Kommunikation. Was einst auf der Agora, auf dem Areopag, im Stadion oder an anderen entsprechenden Orten geschah und wie es geschah als Veröffentlichung von Neuigkeiten, das geschieht heute durch Zeitungsartikel, durch Lautsprecher und über den Bildschirm. Die kirchliche Verkündigung durch diese Medien erlaubt ohne Schwierigkeiten und ohne Ärgernis die Hineinnahme der Denkstrukturen und des Vokabulars der äußersten Profanität. So kann 81

K . H u t t e n in: E . S t a m m l e r (Hrsg.), D i e K i r d i e und ihre Presse, S. 53.

8i

H . J . Schultz, E v a n g e l i s a t i o n im R u n d f u n k ? , a.a.O., S. 97.

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D e r publizistische Prozeß und seine theologische P r o b l e m a t i k

deutlich werden, daß es sich nicht u m eine unwürdige Effekthascherei handelt, nicht u m eine unzulässige A k k o m o d a t i o n , wenn so geredet wird, sondern u m eine legitime Fortsetzung dessen, was bei den ersten Zeugen begonnen hat und um eine sich aus dem Wesen des Evangeliums ergebende N o t w e n d i g k e i t : Gottes Menschwerdung als Eingang in die äußerste Profanität wird mit den Mitteln der äußersten Profanität bekanntgemacht. Was der Kultrede ärgerlich ist, das ist der Verkündigung durch Massenmedien dienlich. Kirchliche Verkündigung durch Massenmedien muß sich einer diesen Medien angemessenen Sprache, d. h. also einer ganz profanen Alltagssprache bedienen, wenn anders sie nicht als Glossolalie ungehört verhallen soll. Es ergibt sich daraus, daß die gegenwärtige Sprache des Journalisten in Presse, H ö r f u n k und Fernsehen die Anerkennung v o n Seiten der Theologie verdient, dem Verkündigungsinhalt adäquat zu sein. Es ergibt sich ferner daraus, daß die profane Sprache der Alltagsinformation dem geistigen Erfassen der biblisdien Botschaft sehr viel mehr und besser dient als die Kultrede, die ohne Erfüllung bestimmter Voraussetzungen nicht verstehbar ist. Die gegenwärtige E r f a h r u n g der Kirche mit den in ihrem Umkreise entstandenen sogenannten „Paragemeinden" zeigt eindeutig, daß mit bestimmten Denkstrukturen der Weltlichkeit und einem bestimmten Vokabular der Alltagssprache jeweils ganz bestimmte G r u p p e n innerhalb der Pluralität unserer Gesellschaft angesprochen werden können, so daß sich neben der Gemeinde der traditionell „Kirchentreuen" andere Gemeinden v o n ganz anderer Struktur bilden, die ein geistliches Eigenleben entwickeln. Es wäre falsch, das Ziel der Bemühungen u m die Paragemeinden darin zu sehen, daß sie den sogenannten „Kerngemeind e n " der Kirchentreuen eingegliedert würden. Die Kirche sollte sich die Vielfalt der Möglichkeiten f ü r die Ausrichtung ihres Dienstes nicht entgehen lassen. Sie sollte die Massenmedien sinnvoll einsetzen und auch in den entstandenen Paragemeinden Ergebnisse der K o m m u n i k a tion, die diese Mittel zeitigten, verstehen. Auch „Lesergemeinden" und „ H ö r e r g e m e i n d e n " gehören im weiteren Sinne zu den Paragemeinden! § 7: Behinderung

kirchlicher

Kommunikationsbemühungen

1. Veränderung des Wortes durch die Mediatisierung der Aussage Durch die mediengerechte methodische Gestaltung k o m m t es unvermeidlich zu medienspezifischen Veränderungen der A r t der publizisti-

Behinderung kirchlicher Kommunikationsbemühungen

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sehen Aussage. Die Frage, vor die sich die Theologie der intermediären Kommunikation gestellt sieht, betrifft darüber hinaus eine mögliche „qualitative Veränderung des Wortes durch seine Mediatisierung" 8 3 . Daß das W o r t von der Person des Verkündigers abgezogen wird, wenn es den H ö r e r mediatisiert erreicht, ist eine sehr alte Erfahrung der Kirche, die aber deshalb nie von einer qualitativen Veränderung gesprochen hat. Die sehr alte Erfahrung besteht darin, daß das „ W o r t " seit der Kanonbildung vom Buch der heiligen Schrift nicht abgezogen werden kann. Das geschriebene oder gedruckte W o r t ist nicht hörbar und kann daher nicht mit der persönlichen Anrede ausgewechselt werden. Gleichsam objektiviert, hat das gedruckte W o r t die Tendenz, sich zu verselbständigen, eigenes Gewicht und eigenes Leben zu bekommen, unkontrolliert von seinem Urheber, um insofern gegenüber der ursprünglichen mündlichen Proklamation des Kerygmas in veränderter Weise wirksam zu werden. Diese Beobachtung erfährt eine Bestätigung von der seit der Frühzeit des Christentums nachweisbaren Mediatisierung des Wortes durch das Bild. Von den Fresken in den Katakomben und den Mosaiken in Ravenna und an anderen Orten über die Biblia pauperum des Mittelalters bis hin zu den Radierungen Rembrandts und weiter bis zu den Ergebnissen gegenwärtigen Kunstschaffens hat das Bild seine eigene Sprache und verkündigt in je eigener und eigenwilliger Weise. Der Künstler bietet seine Interpretation des Gehörten als Kommunikator, der Betrachter interpretiert seinerseits das durch Schauen vernommene Aussagegut des Bildes, das nunmehr die Rolle des Kommunikators übernimmt. Wer auf die Gefahr der bewußten Verfälschung und der unbewußten sinnändernden Interpretation verweist, der muß sich darüber im Klaren sein, daß das in der Bibel als Buch vorliegende technische Erzeugnis der Buchdruckerkunst als ein zwischengeschaltetes Mittel nicht von anderer Qualität sein kann als ein solches Bild oder als etwa ein besprochenes Tonband, das durch den Rundfunk verbreitet wird. Wer also die Verkündigung des Wortes durch die modernen technischen Massenkommunikatoren wegen einer angeblichen oder tatsächlichen qualitativen Veränderung des Wortes durch seine Mediatisierung ablehnt oder in Frage stellt, der sollte die Konsequenzen bedenken, die 83

S. v o n Kortzfleisch, S. 2 2 2 .

Verkündigung

und

„öffentliche

Meinungsbildung",

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D e r publizistische Prozeß und seine theologische Problematik

sich f ü r die gleiche Frage gegenüber der Bibel als Buch ergeben: Wir haben überhaupt keine Möglichkeit der Wortverkündigung unter Verzicht auf die Mediatisierung des Wortes! Im Grunde geht es hier um die Überwindung konservativer Vorurteile. Wie sollte überzeugend einsichtig gemacht werden, daß das gedruckte Bibelbuch als Medium des „Wortes" von anderer Qualität sei als das, was durch die von der gegenwärtigen Technik bereitgestellten Massenmedien in den Dienst der Verkündigung genommen wird? Die Wirksamkeit des Heiligen Geistes ist für den Augenblick verheißen, an dem das „Wort" wahrnehmbar wird. Eine Bedingung an die Art oder Beschaffenheit der Mittel, durdi die es zur Wahrnehmbarkeit des Wortes kommt, ist nicht gestellt. Darum verdient Kurt Huttens Auffassung volle Zustimmung: „Es ist ein Aberglaube, daß nur das persönlich gesprochene Wort geistliches Leben erwecken k ö n n e . . . Auch das gedruckte Wort kann jederzeit geistlich virulent werden und Herzen entzünden" 84 . Das gilt ganz allgemein für das mediatisierte Wort: „Die .Fides ex auditu' (Rom 10,17) bindet sich nicht an den sakralen Raum und an die Nachbarschaft auf der Kirchenbank" 85 . Verstehen wir „Verkündigung" als einen komplexen Vorgang, dem insonderheit intellektualistische und voluntaristisdie Komponenten eigen sind; gehen wir weiter davon aus, daß die verheißene Wirksamkeit des verkündigten Wortes von keinerlei Voraussetzungen geheiligter Räume oder Zeiten abhängt, sondern allein davon, ob es Gott gefällt, sich in der Verkündigung wirksam zu erweisen, dann bleibt es unsere Aufgabe, die Impulse auszulösen, die auf Geist und Willen treffen. Der komplexe Vorgang der „Verkündigung" wird von solchen Impulsen ausgelöst, die von einem Kommunikator ausgehen und auf den Intellekt des Rezipienten auftreffen. Die Art und Beschaffenheit des Mediums ist dafür unerheblich. Daraus folgt, daß der erste, rein dem rationalen Bereich verhaftete Akt geistigen Erfassens der biblischen Botschaft mit Hilfe der technischen Medien ebenso gut gelingen kann wie mittels der herkömmlichen Kanzelpredigt. Entscheidend ist lediglich die Qualität der Impulse. Selbstverständlich muß für beide Möglichkeiten die wache geistige Be84 85

K . H u t t e n in: E.Stammler (Hrsg.), Die Kirdie und ihre Presse, S. 53. H. Gerber in: Evangelische Rundfunk- und Fernseharbeit im Bereich des Hessischen Rundfunks, Informationsblatt 62; zit. bei G. Hegele, Werden wir genormt? Umgang mit Massenmedien, Gütersloh 1965, S. 140.

B e h i n d e r u n g kirchlicher K o m m u n i k a t i o n s b e m ü h u n g e n

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reitschaft des Rezipientenkreises vorausgesetzt werden, sonst ist alles vergeblich, selbst wenn „mit Menschen- und mit Engelzungen" geredet wird (I Kor 13,1)! Problematisch erscheint jedoch die Frage der Aktivierung voluntaristischer Kräfte. Kann ein „Aufruf zur Tat" wirksam werden, wenn er medial ergeht und der Unmittelbarkeit personaler Kommunikation entbehrt? Die Kirche verfügt über Erlebnisse und Erfahrungen, die ein Ja auf diese Frage ermöglichen und so unsere These von der qualitativen Gleichheit des durch die Predigt und des durch andersartige Mittel mediatisierten „Wortes" erhärten. Die Bekehrung des Apostels Paulus ist nach Auffassung der biblischen Berichterstatter durch eine nur ihm allein wahrnehmbar gewesene akustische Einwirkung zustande gekommen. Diese Einwirkung, wie immer sie auch beschaffen gewesen sein mag, vollzog sich nicht in personalem Gegenüber als originäre Kommunikation; sie hatte nicht den Glauben des angerufenen Paulus oder seine Zugehörigkeit zur Gemeinde zur Voraussetzung. Sie stand außerhalb der gottesdienstlichen Situation und war in ihrer andersartigen qualitas mit der Gemeindepredigt überhaupt nicht zu vergleichen. Was für Paulus hörbar geworden war und wie sich die akustische Einwirkung artikulierte, das kann nur einem Vergleich mit der gegenwärtig möglichen intermediären Kommunikation standhalten. Dies Ereignis aber bewirkte die Hinführung zur Gemeinde, wo der ersten, fraglos intermediär zu deutenden Kommunikation die originäre Kommunikation folgte (vgl. Apg 9). Als ein ähnlicher Vorgang ereignete sich die Bekehrung Augustins, als er auf den Ruf aus dem Munde spielender Kinder, „tolle lege!", die Bibel nahm und las. Die Stimmen, die keinesfalls eine Kommunikation intendierten, sondern wie absichtslos aus dem Nachbarhause zu ihm drangen, leiteten als mediatisierter Anruf den Bekehrungsvorgang ein, die Lektüre des durch das Bibelbuch mediatisierten Wortes schloß ihn ab. In dem gesamten Vorgang kann von originärer Kommunikation keine Rede sein. Die qualitative Veränderung des Wortes durch seine Mediatisierung kann, wenn sie überhaupt konstatiert wird, für die Verkündigungsaufgabe nur mit positiven Vorzeichen versehen werden. Ein weiteres Beispiel, die Bekehrung des Grafen Zinzendorf, verdient besonderes Interesse, weil in diesem Falle die Impulse mediatisierter Verkündigung nicht als akustische Signale ergingen, sondern als optische Information. Das Bild des Gekreuzigten mit der Unterschrift: „Das tat ich f ü r dich, was tust du für mich?", wurde zum Medium der

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D e r publizistische Prozeß und seine theologische Problematik

glaubensdiaffenden Wirksamkeit Gottes an ihm. In diesem, wie in den anderen angeführten Beispielen, ist kein Zeuge als Prediger mit der diesem Dienst zugeschriebenen qualitas wirksam geworden und doch ereigneten sich Glaubensentscheidungen von ungeheurer Tragweite. Die Erfahrung der Kirche erstreckt sich nicht nur auf Ausnahmefälle, wie sie die genannten Beispiele bieten. Jedem Gottesdienstteilnehmer kann es widerfahren, daß ihn die Predigt faktisch nicht erreicht, während er von dem angesprochen wird, was im liturgischen Vollzug, durch die Musik mediatisiert auf ihn zukommt. Wer aus einer Osterpredigt lediglich historisch-sein wollende Orientierung empfangen haben mag, dem kann es mittels der intermediären Kommunikation durch die Musik zur Gewißheit werden: „Jesus, er mein Heiland lebt; ich werd' auch das Leben schauen!" Die Andersartigkeit mediengerechter Verkündigung gegenüber der Predigt als „qualitative Veränderung" abzuwerten, besteht kein Anlaß. Die Kirche ist ermutigt, ihren Dienst mit allen Mitteln zu vollziehen, die ihr jeweils verfügbar sind. 2. Veränderungen in den Verhaltensweisen der Rezipienten David Riesman hat überzeugend dargelegt, daß der Mensch unserer Zeit in stärkstem Maße außengelenkt ist86. Diese Erkenntnis ist die Voraussetzung für die Anerkennung der Unentbehrlichkeit intermediärer Kommunikation; denn die Außenlenkung erfolgt vornehmlich durch die der Information dienenden Medien. Das war nicht immer so. Der geschlossene Lebenskreis des vorindustriellen Menschen mit der Zuordnung von Wohnbereich und Arbeitsplatz war eine überschaubare Welt, für die Informationen als Nachrichten von außen zwar erwünscht aber doch entbehrlich waren. Die Großfamilie lebte miteinander im Hause in der Unmittelbarkeit originärer Kommunikation. Die Alten gaben ihre Erfahrungen als Information an die Jungen ihres Hauswesens weiter und standen mit Dienstleistungen nach dem Maße ihrer Möglichkeiten zur Verfügung. Weiterführende Impulse durch die jeweils jüngere Generation konnten sich nur im Dialog mit dem Bewährten durchsetzen. Die Innenlenkung war perfekt. Indem die Arbeit des Bauern auf die Ernte als Ergebnis gerichtet war, die Arbeit des Handwerkers auf die Qualität der unter seinem Dach produzierten Erzeugnisse, gab das Produkt als Arbeitsergebnis dem Sorgen und Schaffen seinen Sinn. Der Feiertag war die f ü r 86

D . Riesman, Die einsame Masse, Rowohlts Deutsche E n z y k l o p ä d i e 1956.

Behinderung kirchlicher Kommunikationsbemühungen

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alle gleichzeitig ausgesparte Zeit der Ruhe und der Zurüstung für die Existenzbewältigung. Er diente mit Selbstverständlichkeit auch der geistlichen Zurüstung durch die kirchliche Verkündigung. Kultus und Arbeit ergaben in organisch verstandener Zuordnung den Lebensrhythmus, aus dem auszubrechen gar nicht möglich war. Arbeitsgemeinschaft, Lebensgemeinschaft, Religionsgemeinschaft formten die Lebenseinheit als ein Ganzes. Die damit vollzogene originäre Kommunikation gab der Innenlenkung wesentliche Akzente als Impuls zu schöpferischer Eigentätigkeit. In der technisierten Welt der Industriegesellschaft ist die Ganzheitlichkeit verschwunden. Die Sprengung dieses Kreises hat eine Desintegration nicht nur des Arbeitsprozesses, sondern auch des gesamten Lebensprozesses bewirkt. Die Großfamilie gibt es nicht mehr. Der Innenlenkung dienende Informationen durch die wegen Alters oder Krankheit aus dem Arbeitsprozeß ausgegliederten Angehörigen entfallen. Technische Apparate im städtischen Haushalt der Kleinfamilie ersetzen Dienstleistungen durch Menschenkraft. Der Arbeitsplatz im Betrieb und der Wohnbezirk am Stadtrand oder auf dem Lande sind zwei getrennte Ebenen der Existenz. Das Arbeitsergebnis wird vom Arbeitnehmer kaum wahrgenommen; die Stabilität seiner Existenz ist an das permanente Funktionieren des Betriebes gebunden. Jetzt ist die Information als Nachricht von außen zur unumgänglichen Notwendigkeit für die Kommunikation mit der Umwelt geworden. Die Information erfolgt durch die technischen Medien. Sie bewirken die Kommunikation, ohne die der einzelne in dieser Welt und mit dieser seiner Welt nicht existieren könnte. Die Folge ist das Bedürfnis nach Konsum von Informationen: „Wie die Energien des innen-geleiteten Menschen ständig in die Produktion geleitet wurden, so werden die gewaltigen Energien des außen-geleiteten Menschen jetzt den sich immer mehr ausweitenden Gebieten des Konsums zugeführt" 87 . Diese Beobachtung Riesmans gelangt für die Frage des kirchlichen Dienstes durch Massenmedien zu besonderer Bedeutung, weil auch der Dienst der Kirche als Konsum hingenommen wird. Dazu kommt, daß der in den Lebensrhythmus eingegliederte Feiertag der vom Rhythmus des Industriebetriebes abhängigen Freizeit gewichen ist. Die unter der Herrschaft der Technik vollzogene Änderung der Sozialstrukturen und der Existenzbewältigung mit Hilfe eines von Mas87

5

D.Riesman S.91. Klaus, Massenmedien

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Der publizistische Prozeß und seine theologisdie Problematik

senmedien ermöglichten technologischen Wirklichkeitszuganges haben f ü r den Dienst der Kirche durch technische Medien Voraussetzungen geschaffen, die eine drohende Gefahr des Substanzverlustes des Verkündigungsinhaltes heraufbeschworen haben. Gefahr droht nidit von der Mediatisierung als solcher, wie wir sahen; denn seitdem die christliche Freudenbotschaft die Buchform der Bibel angenommen hat, ist Mediatisierung unvermeidbar geworden. Die Gefahr des theologischen Substanzverlustes bei der Lösung der dem Kommunikator gestellten Aufgabe und die Gefahr der Integration des mediatisiert ergangenen Wortes durch die Konsumentenhaltung seiner Rezipienten ist mit dem Phänomen der technologischen Außenlenkung durch Massenmedien gegeben. Die Kenntnis der Gefahren gehört zu den eigentlichen Voraussetzungen, diese Gefahren zu bannen. a) Gestaltete Freizeit Nachdem aus dem Sonntag die Freizeit geworden ist, taucht die mit Nachdruck gestellte ganz neue Frage nach der Freizeitgestaltung auf. Freizeit stellt sich nicht mehr dar als ausgesparte Zeit zu schöpferischer Eigentätigkeit der sich frei entfaltenden Persönlichkeit, nicht mehr als freie Zeit zur meditativen Hingabe an Gott, sondern als ein System technologischer Außenlenkung zur Integration des Menschen in den technologischen Existenzbereich, dem er eingegliedert ist. Freizeit bedeutet „frei sein f ü r eine neue Weise des Integriertwerdens durch Technik" 8 8 . Die Technik der Nachrichtenübermittlung bestimmt diese Integration. „Die Weise des Benachrichtigens im modernen Zeitalter aber ist im Blick auf die Repräsentation von Wirklichkeit durch Massenmedien zu einem komplizierten Funktionszusammenhang geworden" 8 9 . Ernst Jünger hat die Übernahme der Technik mit der Annahme einer neuen, bis dahin fremd gewesenen Religion verglichen: „Die Annahme einer fremden Technik ist ein Unterwerfungsakt, dessen Folgen um so gefährlicher sind, als er sich zunächst im Geiste vollzieht" 9 0 . In der Tat vollzieht sich der Umgang mit den Apparaten in unreflektiert mechanischer Weise als ein Unterwerfungsakt. Die Funktionsweise der Apparate bleibt dem Menschen des technischen Zeitalters verborgen, er begnügt 88

89 80

G. Huntemann, Provozierte Theologie in technischer Welt, Wuppertal 1968, S. 120. G. Huntemann S. 109. E. Jünger, Der Arbeiter — Herrschaft und Gestalt, Hamburg 1932, S. 72.

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sich mit dem f ü r ihn erfahrbaren Effekt, den er auszulösen vermag. Er stellt seine Geräte an oder ab und erlebt damit seinen Anteil am technischen Wirklichkeitszugang. Da seine Existenz ohne die Apparate, besonders auch ohne die der Nachrichtenübermittlung dienenden Apparate, nicht mehr vorstellbar ist, steht er einem Totalitätsanspruch des technischen Wirklichkeitszugangs gegenüber, dem er sich unterwirft. In der Freizeitgestaltung — nicht nur dort, aber dort besonders deutlich — kommt es zum Zusammenstoß dieses Anspruchs mit den Prinzipien der herkömmlichen christlich-kirchlichen Lebensverwirklichung. Freizeitgestaltung ist ja nur ein Teil der von außen geleiteten Lebensgestaltung überhaupt. Der Sonntag war Ruhetag und die Gelegenheit zur Sammlung der Glieder eines Gemeinwesens im Gottesdienst; dafür hatte man Zeit. Die Freizeit kennt keine meditative Ruhe; vielmehr stellt sie vor die Frage: Was „machen" wir heute? Im ganzen Lebensvollzug, in Arbeit und Freizeit, hat der Mensch keine Zeit. Der moderne Tourismus treibt die Glieder eines Gemeinwesens auseinander und zwingt sie in einen bis dahin unbekannt gebliebenen Mobilisierungsprozeß. Mobilisierung bringt Steigerung des Lebensgefühls. Mobilisiertes Lebensgefühl steht im Gegensatz zur Hingabe und Demut christlicher Frömmigkeitsverwirklichung und nimmt den einzelnen total in Anspruch, so daß er gerade in der Freizeitgestaltung dem System der technologischen Außenlenkung nicht einmal entgehen will. Darum läßt sich die Frage, ob und wie er diesem System entgehen könnte, gar nicht stellen; sie ist für den Menschen des technischen Zeitalters keine echte Frage. Kirchlicher Dienst durch Massenmedien konkurriert mit dem System der Freizeitgestaltung. Das Angebot der Kirche steht im Konkurrenzverhältnis zu den Angeboten andersartiger Freizeitgestaltung, die dem Menschen packend und ihn prägend begegnen. Die Gefahr, immer reizstärkere Mittel im Rahmen der Angebote der Kirche einzusetzen, übersieht die Grenzen des Menschen-Möglichen und den Anspruch Gottes in seinem Erlösungswerk durch das Wort als Instrument seines Heilshandelns. b) Gestaltete Gemeinschaft Für den innen-geleiteten Menschen der vorindustriellen Gesellschaft bot die Gemeinschaft den unentbehrlichen Halt. So weit auch der einzelne in die Gemeinschaft integriert wurde, sein Person-Sein blieb im allgemeinen unangetastet. Das äußere Zeichen dafür war die Duldung der Originale und Außenseiter. 5*

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Der publizistische Prozeß und seine theologische Problematik

Für den außen-geleiteten Menschen wird die Anpassungsfähigkeit zur unentbehrlichen Voraussetzung zur Integration in die Gesellschaft; denn diese Integration ist eine totale. In der totalen Integration ist das Person-Sein der Individualität kaum noch möglich. Es gibt keine Originale, der Zwang zur Anpassung bestimmt die Verhaltensweisen, wie sie beispielhaft im amerikanischen way of life verwirklicht werden: Man lächelt sich an, lässig distanziert klopft man dem andern auf die Schulter. Entschlossen, sich jeder moralisierenden Wertung des anderen zu enthalten, bekundet man die unbedingte Bereitschaft, sich anzupassen. Wer sich integrieren läßt, der kommt voran; außerhalb einer Gruppe ist man so gut wie verloren. So erwartet man von der Sozialisation die Lösung aller Konflikte; denn nicht die konfliktgeladene Entscheidung wird zur Lebensmaxime, sondern die in einer Grundhaltung der Wertfreiheit vollzogene Einordnung. Sie ist perfekt, wenn sie Konflikten durch Anpassung entgangen ist. Hier nun treten die Probleme des kirchlichen Dienstes durch Massenmedien auf; denn perfekte Sozialisation ist ohne technische Perfektion nicht möglich. Wie alle anderen Dienstleistungen durch Medien, so steht auch die mediatisierte Verkündigung der Kirche — gewollt oder ungewollt — unter den Maximen der Einordnung und der Anpassung. Damit trägt die Kirche wesentlich zum Prozeß der Sozialisation bei. Vielleicht m u ß sie es tun, wenn es keine erfahrbare Gemeinschaft gibt als Stätte originärer Kommunikation. In den USA hat sich daraus aber bereits eine die Grundsatzfragen betreffende theologische Neuorientierung ergeben, die auch dann gilt, wenn es nicht um den mediatisierten Dienst der Kirche geht. W. Whyte hat in seinem Buch „The Organisation Man", 1958, das Phänomen der Sozialisation im kirchlichen Leben der USA beschrieben. Er gelangte zu dem Ergebnis, daß für den amerikanischen Christen, mit Ausnahme der lutherischen Fundamentalisten und der römischen Katholiken, alle konfessionellen und dogmatischen Gesichtspunkte an Bedeutung verlieren. Im Vordergrund religiöser Bedürfnisse steht Religion als Gruppenerlebnis. Wichtig wird die Frage, wie man in der kirchlichen Gemeinschaft Freunde bekommt 9 1 . Theologisch ist diese Auffassung in dem Buch von Link, „Return to Religion", 1. Aufl. 1936, zu untermauern versucht worden. Hier wird der Mensch, der sich Gewissensbisse macht und sich mit Entscheidungen quält, als der Typ 91

W Whyte, The Organisation Man, N e w Y o r k 1958, S. 365 ff.

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bezeichnet, der sich gegen die von Christus gewollte Entscheidung auflehnt; denn Christus sei in Leben und Lehre Urbild der Einfügung gewesen. Link behauptet sogar, daß Christus der Typ extravertierter Einstellung zum Leben schlechthin gewesen sei, und er folgert daraus, daß in der von Jesus zu lernenden Kunst der Einfügung auch eine Garantie für den Erfolg im Leben beschlossen liege 92 . Es ist klar, daß sich aus einem solchen theologischen Ansatz Rückwirkungen für die Praxis des kirchlichen Dienstes durch Massenmedien ergeben mußten. Charakteristisch ist das Bulletin des protestantischen Rates der Stadt New York für die Sprecher in Rundfunk- und Fernsehandachten. Hier heißt es: „Das Thema sollte Liebe, Freude, Mut, Hoffnung, Glaube, Gottvertrauen, guten Willen ausstrahlen. Vermeiden Sie im allgemeinen Verurteilungen, Kritik, Kontroversen. In sehr wirklichem Sinn verkaufen wir Religion, die gute Botschaft des Evangeliums. Darum veranlassen Ermahnung und Erziehung der Christen zum Kreuztragen, Aufgeben alles anderen, Opfern und Dienen, gewöhnlich den durchschnittlichen Zuhörer, einen anderen Sender einzustellen. Die Trauernden zu trösten und die Sünder zur Buße aufzurufen, indem man die Zuhörer unmittelbar anklagt, ist nicht am Platze (mit gewissen Ausnahmen) . . . Können wir nicht als Apostel eine Einladung so aussprechen: Kommt und genießt unsere Vorrechte, begegnet guten Freunden, seht, was Gott für euch tun kann?" 93 Wo die Sozialisation an die Stelle der Gemeinschaft tritt, da taucht die Gefahr der Anpassung auf. Diese Gefahr ist nicht in der Mediatisierung des Wortes an sich begründet, sondern im Mangel an theologischer Fundamentierung der Aufgabe, die den Kommunikatoren gestellt ist. Ohne eine saubere Theologie kann der Dienst durch Massenmedien nicht vollzogen werden. Es gibt kaum ein deutlicheres Zeichen als diese amerikanischen Verhältnisse dafür, daß die Theologie das Fundament für den Dienst der Kirche durch Massenmedien sein muß. c) Gelenkter Konsum Unter den als Informationsträgern wirkenden Massenmedien dominiert das Fernsehen und gewinnt eine noch immer und stetig weiter wachsende Bedeutung. „Teilhabe an der Welt wird immer mehr indirekte Teilhabe an einer durch Tele-Kommunikation sekundär geworde92

83

Vgl. die Besprechung von G. Anders in: Zeitschrift f ü r Sozialforsdiung, 1938, H. 1 und 2. Mitgeteilt von G. Huntemann a.a.O. S. 149.

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D e r publizistische P r o z e ß und seine theologische P r o b l e m a t i k

nen Welt." 9 4 Sekundär ist die Welt für den Rezipienten geworden, w e i l es Teilhabe an der Welt nur durch die Außenlenkung von Massenmedien gibt. Dieser technologische Welt- und Wirklichkeitszugang teilt Welt und Wirklichkeit in lauter Bruchstücke auf und bietet einen charakteristischen Ersatz für Welt und Wirklichkeit an. Die Aufteilung der erfahrbaren Wirklichkeit in Bruchstücke ist für alle Massenmedien charakteristisch, nicht nur für das Fernsehen; aber dort wird sie in besonderer Weise sinnfällig. Nicht nur das Nebeneinander von ganz verschiedenen Wirklichkeitsausschnitten kennzeichnet die Tele-Kommunikation, sondern auch das Aphoristische und Sprunghafte der einzelnen Nachrichtenkomplexe. „Nachricht k o m m t in Bruchstücken, in Fetzen zu dem einzelnen." 9 5 Welterfahrung durch Information ist nicht möglich ohne Punktualisierung, d. h. Zerstückelung der Welt. Diese Tatsache erschwert es dem in den technischen Lebensrhythmus hineingestellten Menschen, in sich geschlossene Gedankensysteme aufzunehmen. Kirchliche Verkündigung als Fernsehsendung hat zu bedenken, daß es dem Menschen, der gewohnt ist, von einem Thema zum andern zu springen, schwer wird, einer Predigt in ihrer Ganzheit verstehend zu folgen. Nicht die Ganzheitskonzeption der christlichen Heilsgeschichte kommt an, sondern punktuell eingesetzte Informationsbruchstücke werden wahrgenommen. Mediengerechte Verkündigung kann an dieser Erkenntnis nicht vorübergehen. Hinzu kommt ein weiteres Symptom der Tele-Kommunikation: Das Ungewöhnliche menschlicher Existenz, das Non-Konformistische nicht nur des Originals und des Außenseiters, sondern etwa auch des „heldischen" Menschen oder des „religiösen" Menschen, hat im System der Außen-Lenkung keine Möglichkeit. Man kann eine solche Existenz nicht mehr selbst leben, aber man kann sie sich auf dem Bildschirm vorleben lassen. Das Miterleben des Geschehens auf dem Bildschirm wird zum Ersatz für Welt und Wirklichkeit. Außenlenkung durch Massenmedien nimmt „das Fleischliche und gibt dafür das Bild" 9 0 . Als Folge stellt sich die Sucht ein, fortwährend Handlungen im Bild zu sehen. „Die Bildsucht offenbart sich als ein Geschehensbegehren." 97 Die Teilnahme des Rezipienten am Bild, wie es über den Bildschirm übermittelt wird, ist rein passiv. Der Bilder konsumierende Rezipient » 4 G . H u n t e m a n n S. 120. 95

G . H u n t e m a n n S. 109.

90

E . M o r i n , D e r Geist der Zeit, K ö l n - B e r l i n 1965, S. 220.

87

G . H u n t e m a n n S. 121.

B e h i n d e r u n g kirchlicher K o m m u n i k a t i o n s b e m ü h u n g e n

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verharrt in der Konsumentenhaltung. Auch „Religion" wird konsumiert! Die Gefahr bricht auf, daß der Dienst der Kirche durch Massenmedien zur Unterhaltung wird, wie alles andere, was als Konsum hingenommen wird. Die Kirche erscheint dem Konsumenten als eine Art „Dienstleistungs-Betrieb". Das „Wort zum Sonntag" stellt nicht in die Entscheidung, sondern vor die Frage, ob der R u n d f u n k - oder Fernsehpfarrer seine Sache gut gemacht hat oder nicht. Natürlich kann auch der Rezipient direkter Verkündigung durch die gottesdienstliche Predigt in die Zuschauermentalität geraten; aber der Fernseh-Konsument wird in die Rolle des Zuschauers mit weit stärkerer Intensität gedrängt, weil die von ihm erlebte Wirklichkeit immer nur vorgestellte Wirklichkeit ist. Seine Welt ist eben nur Welt als Nachricht. Er sieht keinen Anlaß, sich gegen das aufzulehnen oder sich f ü r das zu engagieren, was er als Film gesehen hat. Er nimmt diese Art der Nachricht hin, konform mit allen anderen, die in der TeleKommunikation stehen. Tele-Kommunikation bedeutet Konformismus. Die Konsequenz ist die „Vergleichgültigung durch Nachricht". Hier liegt nun eine der größten Gefahren vor f ü r den kirchlichen Dienst durch Massenmedien; denn die Tele-Kommunikation des Kirchenfunks und -fernsehens ist vom Prozeß der Vergleichgültigung nicht ausgenommen. „Biblische Botschaft im Geflecht der Nachricht wird vergleichgültigt, weil akzeptierte Nachricht eben nur als Nachricht, nicht aber als zur Entscheidung aufrufender Wahrheitsanspruch begegnet." 9 8 Wir stehen damit vor der Frage nach der christlichen Existenz in der technischen Welt, die sich weder mit einer Verdammung noch mit einer Verklärung der Technik beantworten läßt. Sicher ist, daß es keinen Rückzug aus der Welt der Technik in die Ganzheit der vorindustriellen Gesellschaft mit ihrer dieser Ganzheit zugehörigen kirchlichen Parodiialstruktur gibt; ebenso sicher stellen Anpassung und Vergleichgültigung besondere Gefahren für den in die Welt der Technik integrierten außengelenkten Christenmenschen dar, für den die Desintegration der Sozialbereiche typisch ist. Der Gefahr einer Vergleichgültigung der biblischen Botschaft kann der Christ nur dadurch begegnen, daß ihm die Welt nicht gleichgültig ist, der er die Botschaft von der Liebe Gottes und von seiner vergebenden Gnade schuldig ist. Ein Ja zur Welt als der Welt Gottes duldet keine Einschränkung auf die vorindustrielle Weltwirklichkeit, es schließt das Ja zur Welt der Tech98

G . Huntemann S. 150. 1 5 1 .

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D e r publizistische P r o z e ß und seine theologische P r o b l e m a t i k

nik ein, die in der gleichen Weise Welt Gottes ist. Der Christ steht im Dienst der kirchlichen Verkündigung durch technische Medien nicht unter der Technik, sondern unter Gott, der ihm die technischen Mittel für den von ihm gewollten Dienst in die Hand legt. Darum sollte der Kommunikator nicht nur über feste theologische Fundamente verfügen, sondern sein Leben in der Glaubensexistenz unter G o t t zu verwirklichen versuchen. U n t e r dieser Voraussetzung verdient die These von Hans-Eckehard Bahr Zustimmung: Für die Ansatzbestimmung zukünftiger kirchlicher Praxis dürfte die Einsicht notwendig sein, daß in der heutigen Gesellschaft mit ihren technischen Kommunikationsmedien „die öffentliche Meinung einen schlechthin beherrschenden Charakter im gesellschaftlichen Dasein erlangt hat. Alle geographischen, alle sozialen Parzellierungen (Arbeits- und Freizeitbereich, D o r f — Stadt etc.) schrumpfen jedenfalls zu zweitrangigen Prägefaktoren angesichts dieser so überaus penetranten Aufhebung der alten Polarität von öffentlich' und ,privat' in die transzendentale Publizität" 9 9 .

§ 8: Die

Information

U m der Verkündigung der Christusbotschaft willen haben die Kirchen ihre Existenz in der Welt. M i t dem Ende des Verkündigungsdienstes bei der Parusie Christi erlischt auch die Existenz der Kirchen. Inzwischen leisten sie den Dienst der Verkündigung in der Gewißheit der fortdauernden Wirksamkeit Gottes in, mit und unter dem verkündigten W o r t . Das verkündigte W o r t ist als Kerygma „Nachricht", die durch ihren Informationsgehalt Überraschung bei den Empfängern auslösen soll. Als Evangelium ist das verkündigte W o r t „frohe B o t schaft", also eine Nachricht, deren Informationsgehalt Freude bei den Empfängern auslösen will. Die A r t der Übermittlung ihrer „Freudenbotschaft" weist besonders Predigt, Unterricht und Seelsorge als K o m munikationsbemühung der Kirche aus. Diese Bemühungen zielen auf personale Kommunikation entsprechend der originär ergehenden Ubermittlungspraxis. Der Verkündigungsdienst der Kirchen durch Massenmedien will auf medienspezifische Weise den gleichen Informationsgewinn vermitteln. Diese Bemühungen zielen auf intermediäre Kommunikation, die sich unter der Voraussetzung eines umfassenden Systems von Information ereignet. 99

H.-E. Bahr S. 95.

Die Information

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Die theologische Problematik ergibt sich aus der zentralen Frage nach dem Verhältnis von Verkündigung und Information; sie zielt auf die Frage: Ist Verkündigung als Information möglich? Hans-Eckehard Bahr hat mit seinem uneingeschränkten Ja eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Entschlossene Gegnerschaft äußerte Erich Gräßer 100 , als ebenso entschlossener Verteidiger trat Hans-Dieter Bastian auf den Plan 101 . Es ergibt sich daraus die Notwendigkeit, zunächst über das Wesen der Information informiert zu sein, um eine theologische Stellungnahme beziehen zu können und schließlich nach den Konsequenzen für die kirchliche Praxis zu fragen. 1. Informationstheoretische Grundlinien Wie den Kirchen keine anderen Informations- und Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen als der Welt, so gibt es keinen Unterschied zwischen einer geistlichen oder einer weltlichen Information; es gibt auch keine spezifisch theologische Informationstheorie 102 . Theologie und Kirche haben keine andere Wahl, als den Dienst der Kommunikationsforschung zur Gewinnung einer Informationstheorie in Anspruch zu nehmen. Die entscheidenden Aufgaben stellt die Kybernetik. Daß sie es tatsächlich ist, die der Theologie Aufgaben nahelegt, ermutigt dazu, ihr Anliegen wenigstens in den Grundlinien referierend nachzuzeichnen103. E. Gräßer, Die falsch programmierte Theologie. Kritische Anmerkungen zu ihrer gegenwärtigen Situation, in: Evang. Kommentare, 1. Jg. 1968, S. 694 ff. 1 0 1 H.-D. Bastian, Information über den Unfug. A n t w o r t an Erich Gräßer, in: Evang. Kommentare, 2. Jg. 1969, S. 78 ff. los Ygj m. Mezger, Gibt es eine spezifisch christliche Information?, in: KidZ, 21. Jg. 1966, S. 55 ff. >03 Yg[_ z u m folgenden: N . W i e n e r , Mensch und Menschenmaschine. Kybernetik und Gesellschaft, 2. Aufl., Bonn 1964; K . Steinbuch, Automat und Mensch. Kybernetische Tatsachen und Hypothesen, 3. Aufl., Berlin-Heidelberg-New Y o r k 1965; ders., Die informierte Gesellschaft. Geschichte und Zukunft der Nachrichtentechnik, Stuttgart 1966; H. Reimann, Kommunikationssysteme. Umrisse einer Soziologie der Vermittlungs- und Mitteilungsprozesse, Tübingen 1968. 100

Vgl. ferner dazu die Aufnahme des Gesprächs der Theologie mit der K y b e r netik bei: W.-D. Marsch, Kybernetik und Ethos. Theologische Überlegungen, in: MPTh, 56. Jg. 1967, S. 170 ff., und bei H.-D. Bastian, Anfangsprobleme im Gespräch zwischen Kybernetik und Theologie, in: Theologia Practica, 3. Jg. 1968, S. 33 ff.

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Die Kybernetik versteht sich selbst als „Wissenschaft von den informationellen Strukturen im technischen und außertechnischen Bereich" 1 0 4 ; sie begreift den Menschen als ein „System", das Informationen verarbeitet und auf Informationen angewiesen ist. Sie definiert „Information" als „ N a m e für den Inhalt dessen, was mit der äußeren Welt ausgetauscht wird, wenn wir uns ihr anpassen und sie dies spüren lassen" 1 0 3 . Die Definition zeigt, daß das landläufige Verständnis der Information als „Mitteilung" keineswegs ausreicht, um die Reichweite des Begriffs zu erfassen. Vor allem zeigt sie das Interesse des kybernetischen Informationsbegriffs an Funktionen, die die Information auslösen und die von ihr erfüllt werden. Es geht um den Austausch, das Verarbeiten, Steuern und technische Auswerten von Information sowie um die sich daraus ergebende Kommunikation 1 0 6 . Information gewährt Anteil an Vorgängen und Entscheidungen, die alle angehen. Als Aufdeckung von alle angehenden Zusammenhängen und Sachverhalten wird Information zu einer Methode der Beseitigung von Unordnung; damit wird sie im weitesten Sinn eine Voraussetzung und ein Bestandteil von Frieden 1 0 7 . Die so verstandene Information ist in einen ganzen Nachrichtenkreis eingebettet, der sich in folgendem Phasenverlauf schließt: „1. die Nachrichtenquelle; 2. die Codierung der Nachricht; 3. die Transformation in ein Signal (Sprache, Schrift usw.); 4. die Beförderung des Signals durch einen Kanal; 5. der Empfang und die Decodierung des Signals durch den Empfänger; 6. das Verstehen der Nachrichten 1 0 8 ." Wenn man die These der Kybernetik zu akzeptieren vermag, daß Information neben Materie und Energie die dritte Grundgröße unserer Wirklichkeit bezeichnet 109 , dann kann man Störungen des Nachrichtenkreises nicht als „Pannen" abtun, die im Grunde wenig Bedeutung haben, sondern muß die darin auftretende lebensbedrohende Gefahr erkennen, daß Störung des Nachrichtenkreises Störungen im laufenden Kommunikationsprozeß ergeben. Solche Störungen festzustellen und nach Möglichkeit zu beseitigen, ist Aufgabe der Kybernetik. Ihr Mittel besteht in einem System der Rüdcsteuerung oder Rückkopplung, 104

K . Steinbuch, A u t o m a t und Mensch, S. 325.

105

N . W i e n e r S . 114.

100

W . - D . Marsch S . 171.

107

H . - D . B a s t i a n S. 34 f.

108

H . - D . B a s t i a n S. 34.

109

K . Steinbuch, D i e informierte Gesellschaft, S. 38.

Die Information

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auch „Feedback" oder „Interdependenz" genannt. Es handelt sich um ein Kontrollsystem, das dadurch gekennzeichnet ist, „daß zwei oder mehrere Variable einander wechselseitig steuern, kontrollieren, korrigieren und regulieren" 1 1 0 . Kontrolle und Korrektur, auch Steuerung des weiteren Verfahrens oder Verhaltens ergeben sich auf Grund der Rückfragen im Rücksteuerungssystem. Voraussetzung für die Einwirkung der Nachricht auf den K o m m u nikationsprozeß ist die aus der Analyse der Nachricht gewonnene Erkenntnis ihrer Zusammensetzung aus „Redundanz" und „Information". U n t e r „Redundanz" wird der Teil der Nachricht verstanden, der „Regelmäßigkeiten und Wiederholung" vermittelt; „Information" ist der Teil der Nachricht, der „Überraschung und Neues" mitteilt. Ziel der Nachricht ist Informationsgewinn; aber „wo Redundanz völlig fehlt, ist Informationsgewinn nicht möglich" 1 1 1 . Es ist nicht das Neue an sich, das den Gewinn vermittelt, sondern das Neue, das als fortsetzende Überhöhung des schon Bekannten oder als dessen Gegensdilag und Außerkraftsetzung auftritt. „Redundanz läßt Nachrichten besonders überzeugend erscheinen" 1 1 2 . Information vermittelt Neues; aber neu ist das Neue nur gegenüber dem schon Bekannten. Darum kann Information auf Redundanz nicht verzichten. Kommunikative Wirkung ergibt sich, wenn die Information den Empfänger zum Betroffenen macht. Überraschung löst sie nicht nur dadurch aus, daß sie neu ist; der Informationsgehalt muß den Empfänger auch in irgendeiner Weise angehen. Wenn sie ihm von Wert oder Nutzen ist, dann erst macht sie den Empfänger zum Betroffenen und löst ihm gegenüber einen Richtungsstoß aus, der die aus dem Verstehen der Nachricht folgenden Verhaltensweisen bestimmt 1 1 3 . Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines Kommunikationsfeldes, auf dem die Information ergeht, eines Bezugssystems zwischen dem Kommuniktor als Nachrichtenquelle und dem Rezipienten, der verstehen und aus dem verstandenen Informationsgehalt Konsequenzen ziehen soll. Information ergeht nicht „in the air", sondern auf jemanden hin, der den Aussagegehalt aufnimmt, ihn in seine Existenz hineinnimmt, sich mit ihm auseinandersetzt. Sie gilt im allgemeinen Sinne als 110

G. Maletzke S. 27.

111

H . - D . Bastian S. 3 6 ; vgl. auch H . Reimann S. 100 ff.

112

K. Steinbuch, Automat und Mensch, S. 47.

1,3

E. Dovifat, Zeitungslehre, 3. Aufl., Berlin 1955, S. 52. 54.

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„etwas, was zwischen einem Redenden und einem Hörenden vermittels Worten vor sich geht und sich ereignet". Dieses „ E t w a s " verlangt „Eindeutigkeit" in der Mitteilung, damit K o m m u n i k a t i o n mit dem Informationsgehalt möglich wird, K o m m u n i k a t i o n sowohl durch positive als auch durch negative Stellungnahme z u m Informationsgehalt, jedenfalls nidht ohne sie. Hans-Dieter Bastian faßt diesen Tatbestand so z u s a m m e n : „ I n f o r m a t i o n als eindeutige R e d e f o r m intendiert auf Entscheidung" 1 1 4 . Die wirkende K r a f t der einmal ergangenen I n f o r m a t i o n ist nicht v o n Dauer. „ D e r Gedanke, daß Information in einer sich ändernden Welt ohne merkbare Minderung ihres Wertes gestapelt werden kann, ist falsch" 1 1 5 . Diese K r a f t nimmt ab, indem der Informationsgehalt in das vorhandene Bewußtseinsgut integriert wird. D a m i t wird zugleich die Entscheidungspotenz geringer. Sie ist vollständig verschwunden, wenn der Informationsgehalt f ü r die H ö r e r selbstverständlich geworden ist. Die Nachricht über etwas, was schon bekannt ist, hat überhaupt keinen Informationswert. Die Kommunikationswissenschaft spricht v o m Gesetz der Entropie und kennzeichnet damit die Wirkungsbehinderung und den Wirkungsverlust, der jede Nachricht als I n f o r m a t i o n ausgesetzt ist. „ V o n einer Nachricht geht ein .Richtungsstoß' aus. Nach dem Gesetz der Entropie werden diese Richtungsstöße u m so schwächer, je mehr sich die Neuigkeit des Mitgeteilten mindert. Schließlich ist die Nachricht tot. Nichts ist so unwichtig u n d unwirksam wie eine alte Zeitung" 1 1 8 . Wesentlich f ü r die Wirkkraft der Information ist neben dem Gehalt die F o r m , die der Mitteilung dient. Sie hat zu berücksichtigen, daß O h r und Auge Empfänger von Informationen sind und muß die Eigenarten der akustischen Information als Sprache und der optischen Information als Schrift und Bild sorgfältig voneinander unterscheiden 1 1 7 . Nicht jede F o r m der Mitteilung, die an das O h r dringt, kann als 114

115 116 117

H.-D. Bastian, Verfremdung und Verkündigung. Gibt es eine theologische Informationstheorie?, Mündien 1965, S. 22 f. N. Wiener S. 122. H.-D. Bastian, Verfremdung und Verkündigung, S. 29. F. Eberhard, Optische und akustische Information. Ein Beitrag zur Vergleichung der Massenkommunikationsmittel, in: Das Recht auf Information ( = Schriftenreihe der Evang. Akademie für Rundfunk und Fernsehen H. 12), München 1967, S. 45 S.

Die Information

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Information angesprochen werden; „wenigstens zweierlei wird nötig sein: sprachlicher Charakter und Eindeutigkeit" 118 . Nicht jede Form der optischen Mitteilung ist als Information qualifiziert. Darum gehört zu den Formelementen der Information das Bild, sofern es zur Anrede wird. Bilder können in der Tat „reden"; Plakate können die Vorübergehenden geradezu „anschreien"; aber ihre Weise der „Rede" ist der Art der Sprache nicht gleich. Ihr Informationsgehalt bedarf der Entschlüsselung durch die Sprache. Es kann sich dabei sowohl um einen bereits vor der Bildbetrachtung gewußten, vorher schon sprachlich vermittelten Informationsgehalt handeln, der Konnotationen hervorruft, als auch um Interpretationen mit einem kommentierenden gesprochenen Wort oder mit Texten, die in das Bild hineinkomponiert werden. Das Bild dient also nicht der Information, sondern stellt eine eigenwertige Informationsform dar, die Kommunikationen ergibt. Einer der Hauptunterschiede liegt darin, daß Sprache eine sukzessive, das Bild eine schlagartig erhellende Informationsform darstellt; ein anderer ergibt sich daraus, daß das Bild imstande ist, „in kürzester Zeit mehr auszusagen, ganze Stimmungen und komplexe Situationen ,auf einmal' kundzutun und als Information zu übertragen" als das gesprochene Wort. „Das Bild enthält das Moment der Gleichzeitigkeit der Information, ist aber in jedem Fall nur durch eine wörtliche Interpretation in seinem Informationsgehalt aufzuschließen" 11 ». Sprachlicher Charakter, Eindeutigkeit und Entscheidungspotenz der Information sind Kriterien formaler Art. Daß sich kommunikative Wirkung durch Beachtung solcher formaler Kriterien ergibt, sollte keinesfalls unterschätzt werden. Politische Propaganda und kommerzielle Werbung setzen die Informationsform so stark in Rechnung, daß dem Wähler oder Käufer die Qual der Wahl abgenommen wird, ohne daß er sich dessen bewußt wird. Er nimmt nicht nur Nachricht zur Kenntnis, er fällt auf Grund von Informationen Entscheidungen. Nicht nur Politik und Wirtschaft, auch die moderne Pädagogik macht sich Ergebnisse der Informationstheorie zunutze. „Medienpädagogik" wurde als ein neues Problemfeld der Erziehungswissenschaft erschlos118

C. F. von Weizsäcker, Spradie als Information, in: Die Sprache, 5. Folge, München 1959, S. 65.

119

J . Zielinski und W. Sdiöler, Pädagogische Grundlagen der programmierten Unterweisung unter empirischem Aspekt, Ratingen 1964, S. 22.

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sen 120 . Die Kulturfunktion der technischen Medien bleibt selbstverständlich nicht auf Kinder und Jugendliche beschränkt. „Es gibt keinen Bereich der Kultur, der sich der Erfassung durch die Publizisten und Programmgestalter der Medien entziehen, keine öffentliche Angelegenheit, die ihre Beteiligung entbehren, kein Geistesleben, das ohne ihre Wirkung in die Breite zur Wirksamkeit in der Gesellschaft gelangen könnte" 121 . Dem Problem der „Bildung durch Information" ist Hertha Sturm nachgegangen. Sie zeigt in ihrer Untersuchung 122 , wie die Bildungswirkung durch Information von der Berücksichtigung bestimmter Voraussetzungen bei den Rezipienten abhängt. N u r wenn Informationen so angeboten werden, daß der Rezipient aktiv mit ihnen umgehen kann, wird Bildungsförderung erreicht. Ein passiver Konsum von übermittelten Einzelheiten ergibt noch keine Bildung. Wenn aber der Rezipient das Mitgeteilte auf vorherige Erfahrungen beziehen und es in bereits vorher Gedachtes einfügen kann, dann wird Bildung durch Information möglich. Hier hat das Prinzip der Redundanz in der Medienpädagogik seinen Ort gefunden. H. Sturm fordert für Sendungen mit Bildungsanspruch die Berücksichtigung der in sich richtigen Darstellung eines Stoffes oder einer Frage, ferner der angemessenen Anwendung bestimmter didaktischer und lernmethodischer Einsichten und schließlich Berücksichtigung der spezifischen Kenntnis der W i r k weisen des jeweiligen Mediums 123 . Damit sind Gesichtspunkte angesprochen, die auch für das Problem der Verkündigung durch Information Berücksichtigung verlangen. Das gilt im Bereich des Formalen auch für die Begriffsdeutung: informare bedeutet bilden, formen; mit dem Substantiv informatio wird das in eine Form Gebrachte bezeichnet, es schließt darüber hinaus auch den Sinn von Vorstellung, Anweisung und Ermahnung ein. 2. Die Funktion der Information im Dienst der Kirche Die Voraussetzungen, unter denen „Bildung" durch Information als möglich erkannt wird, entsprechen den informationstheoretischen 120

121 122

123

A. P. Hall (Hrsg.), Computers in Education, O x f o r d 1962; E. Feldmann, Neue Studien zur Theorie der Massenmedien, München-Basel 1969, S. 13 ff. E. Feldmann S. 152. H. Sturm, Bildung durch Information?, in: Das Recht auf Information, München 1967, S. 35 ff. H. Sturm S. 41

Die Information

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Grunderkenntnissen. Es ist zu prüfen, ob das gleiche für die Funktion der Information bei den Kommunikationsbemühungen der Kirche gilt. Jesu Botschaft erging unmittelbar und ergab eine personale Kommunikation mit seinen Jüngern. Die nachösterliche Gemeinde folgte seinem Beispiel. Sie gab die Botschaft mündlidi weiter und nicht mediatisiert durch schriftliche Dokumente. Als sie zur schriftlichen Dokumentation überging, geschah dies im Interesse ihres Verkündigungsdienstes. „Man schrieb, weil gepredigt worden war und weiterhin gepredigt werden sollte"; man stellte die Schrift als Medium in den Verkündigungsdienst der Kirdie „im Interesse der Ausbreitung der Botschaft und der Präsenz der Kirche in der Welt" 1 2 4 . Das Vorwort zum Lukasevangelium erweist sich als ein bezeichnendes Beispiel, das zugleich Aufschlüsse über die Funktion der Information in diesem frühen Stadium des Dienstes der Kirche gibt. Der Verfasser widmet sein Werk dem im christlichen Glauben bereits unterwiesenen Theophilus, dem er die Absicht mitteilt, die ihn zur schriftlichen Abfassung des Evangeliums bewogen hatte: „damit du die Zuverlässigkeit der Dinge erkennst, über die du unterrichtet worden bist" (Luk 1,4). Theophilus konnte also die ihm schriftlich zugestellte Information in das ihm bereits verfügbare Wissensgut einbeziehen. Die Information will durch das Neue, das sie dem Bekannten hinzufügt, das Ganze des Christenglaubens durch Vertiefung weiter ausformen. Bewußtmachung der Zuverlässigkeit impliziert Anweisungen und Mahnungen. Theophilus soll auf das Wort, das ihm verkündigt worden ist, Antwort geben können. Er soll befähigt werden, auf Grund der ihm zusätzlich zuteil werdenden Information eine eigene Entscheidung für seinen Glauben und für sein Leben zu treffen. Es ist klar, daß Lukas über Theophilus hinaus die Öffentlichkeit seiner Zeit erreichen und sie über Jesus von Nazareth auf Grund sorgfältiger Forschungen informieren wollte. Es ist weiter klar, daß Information hier in einer viel weiter gehenden Absicht erfolgt, als sie in der bloßen Vermittlung von Kenntnissen beschlossen läge. Sie steht nicht nur im Dienst der Predigt, sie ist die Fortsetzung der Predigt, mit der Jesus selbst vor die Öffentlichkeit hingetreten war, durch die Nachgeborenen einer späteren Zeit für die Nachkommen zu jeder späteren 121

G . H e i d t m a n n , Zwischen W o r t und A n t w o r t . Ü b e r die F u n k t i o n der I n f o r mation in der K i r d i e , in : G . H e i d t m a n n und E . S t a m m l e r ( H r s g . ) ,

Evan-

gelische Presse heute. Berichte und D o k u m e n t e aus den J a h r e n 1951 — 1 9 6 6 , München o. J . , S. 30. 31.

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Der publizistische Prozeß und seine theologische Problematik

Zeit. In diesem Sinne kann Hans Jürgen Schultz feststellen: „Das Evangelium ist eine Information, die etwas Neues, etwas Erfreuliches, etwas Beglückendes, etwas Ermutigendes zum Inhalt hat. Man kann sie eigentlich n u r von ihrem E f f e k t u n d n i c h t von irgendwelchen V o r a u s s e t z u n g e n her definieren: hat man die Information vernommen, ist man erleichtert. Man atmet auf. Man gewinnt eine neue Zuversicht f ü r die Zukunft" 1 2 5 . Er hat die Funktion der Information in eben der gleichen Weise interpretiert, wie sie dem „Kerygma" und dem „Evangelium" im Neuen Testament eigen ist. Das Kerygma ist als „Nachricht" und „Bekanntmachung", als „Aufforderung" u n d „Verordnung" zu verstehen; das Evangelium ist die „Nachricht, die Freude bereitet" 1 2 6 . Die zentralen neu testamentlichen Verkündigungsbegriffe sind deckungsgleich mit dem Begriff „Information", als dessen Funktion sich daraus die Verkündigung ergibt. Wird die Funktion der Information als Verkündigung auf den O r t der bereits vorinformierten Gemeinde beschränkt, wie es im V o r w o r t zum Lukasevangelium geschieht, dann ist die K i r c h e der O r t der Information. Er erweist sich als „ O r t des Glaubens", der dort zu suchen ist, „wo man miteinander spricht u n d miteinander lebt" 127 . Information bewirkt in diesem Fall personale oder originäre Kommunikation; sie ergeht als direkte Verkündigung. Die Kirche, die sich des ständig wachsenden Informationsbedürfnisses der Menschen bewußt ist, sucht diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen u n d findet Gelegenheiten zur Information auf dem breiten Feld ihrer vielfach differenzierten Verkündigungstätigkeit, „von informativen Predigten über den Unterricht bis zu Kursen f ü r junge Eltern oder ähnliches" 128 . U n t e r der Voraussetzung dieser Ortsbestimmung läßt sich die Funktion der Information exemplarisch als Verkündigung im Predigtgeschehen darstellen. In der herkömmlichen Predigt werden neben der Information noch andere Komponenten wirksam, u n d die Information bestellt nicht allein das Kommunikationsfeld. Sie ist nicht das Ganze dessen, was „Predigt" bedeutet, wenn auch einer ihrer wesentlichen Teile, wie G ü n t e r Heidtmann mit Betonung herausstellt. Er versteht die Predigt als einen unaufhörlichen Prozeß, „in dem die Botschaft von einem zum anderen us 126 127 128

H. J. Schultz, Evangelisation im Rundfunk?, S. 97. G. Friedrich in: ThWNT III, 695 ff. und II, 705 ff. G. Heidtmann S. 30. G. Gerner, Der Pfarrer, in: H.-J. Girodc (Hrsg.), Notsund in der Kirche?, S. 40.

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und zu allen unterwegs ist, in fortwährender Bewegung auf immer neue Adressaten zu". Diesen Predigtprozeß beschreibt er als „Dreiklang von Tradition, Interpretation und Information", der sich verwirklicht in einem Vorgang „von überliefern, übersetzen und unterrichten, von weitergeben, auslegen und feststellen, von herholen, ausdeuten und einweisen" 129 . Indem Heidtmann so die Information als Teil eines umfassenderen Vorgangs versteht, begegnet er der Informationstheorie von Gerhard Maletzke, der die Information als einen Teilbereich des Kommunikationsprozesses deutet. Er will sauber trennen zwischen Kommunikationstheorie und Informationstheorie und erklärt die Kommunikation als den übergreifenden Vorgang, in den die Information eingeordnet ist130. Entsprechend handelt es sich in Heidtmanns Sicht bei der Information um einen Teilbereich des umfassenderen Predigtganzen, freilich um einen wesentlichen, sogar um einen unersetzlichen Teil: Die Information „arbeitet die geschichtliche und zeitliche Gestalt des Evangeliums und der Wirkungen, die es hervorbringt, heraus, sie bringt die Werke des Glaubens in den Blick, sie geht den Motiven und Tendenzen nach, die von der Botschaft im weltlichen Leben und Handeln ausgelöst werden. Information stellt das Material bereit, auf Grund dessen sich der Mensch entscheiden kann" 181 . Auf katholischer Seite ist ein entsprechendes Verständnis der Information festzustellen. Information gilt hier ebenfalls nur als Teilbereich, freilich als „der wesentliche Inhalt der . . . Kommunikation" 1 3 2 . Stärker als auf evangelischer Seite sieht man sich dem „Verdacht der Unverbindlichkeit" ausgesetzt, in den die Information als Funktion in der Kirche geraten kann, und setzt als Sicherung „den im Glauben engagierten Informator" voraus 133 . Hier fließt unausgesprochen etwas vom katholischen Amtsverständnis in das Informationsverständnis ein: Kirche ist nicht nur Objekt der Information, sondern auch das Subjekt, das für den Dienst der Information verantwortlich ist. Auf dieser Linie liegt ein traditionelles Verständnis des Verkündigungsdienstes, wie es auch auf evangelischer Seite angetroffen wird. 129 130 131 132 133

6

G. Heidtmann S. 31. G. Maletzke S . 2 8 . G. Heidtmann S. 34. K. Sdimidthüs S. 119. F. Pöggeler, Glaubensunterweisung als Information, in: Katedietische Blätter — Kirchliche Jugendarbeit, 93. Jg. 1968, S. 733.739. Klaus, Massenmedien

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Der publizistische P r o z e ß und seine theologische Problematik

Die Funktion der Information wird anders beurteilt, wenn als Ort der Information nicht nur die Kirche angesprochen wird, sondern die unbegrenzte Öffentlichkeit der W e l t , an die sich die Information der Kirche richtet. Unter diesem Aspekt k o m m t die Kybernetik ins Spiel. Bastian erkennt die enge Verbindung der theologischen Hermeneutik mit der Kybernetik bereits in der von Paulus getroffenen Feststellung, daß christlicher Glaube aus dem Hören kommt (Rom 10, 17); denn hier ist Glaube „Ausdruck einer Kommunikation", und Information ist „das Medium der Verkündigung". Daraus resultiert seine These: „Der Glaube ist eine spezifische Funktion der Nachrichtenwirkung und der Nachrichtenverarbeitung" 134 . Sie setzt voraus, daß auch für die kirchliche Verkündigung die Phasen des Nachrichtenkreises entscheidende Bedeutung haben. Bastian demonstriert dies an einem biblischen Beispiel: In Korinth waren Ekstatiker in der Gemeinde aufgetreten, die ihre Predigt als Glossolalie ergehen ließen. Dazu nahm Paulus mit einem Vergleich Stellung: „Falls eine Trompete einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zum Kampfe rüsten? So auch ihr, wenn ihr mit der Zunge nicht eine verständliche Rede darbietet, wie soll man das Gesprochene verstehen? Ihr werdet ja in den Wind reden" (I Kor 14, 8—9). Die kybernetische Analyse ergibt: Die Ekstatiker produzieren eine Signalfolge als Glossolalie; aber die Empfänger können die Signale nicht decodieren und darum auch nicht verstehen. So kommt es nicht zur Übermittlung von Information. „Das Beispiel mit der Kriegstrompete zeigt sehr schön, wie Paulus die Verkündigung verstanden wissen möchte: als Nachricht. Denn es ist eine mögliche Fähigkeit des Signals, in einem Empfänger eine Nachricht hervorzurufen. Das gelingt aber nur, wenn die Nachricht Information enthält, also einen Gehalt an Ordnung und Organisiertheit besitzt, mit der Ungewißheit beseitigt wird." Die Glossolalie vermittelt keine Information, es kommt nicht zum Verstehen des Gesprochenen. „Die Schlußfolgerung ist zwingend: das Verstehen ist ein (quasi-stationärer) Zustand der Ordnung, Unverständnis erscheint als Zustand der Unordnung. Das hermeneutische Verstehen bedeutet kybernetisch einen Prozeß abnehmender Entropie und zunehmender Ordnung. Daß Paulus an diesem Prozeß interessiert ist, beweist er mit dem Satz: ,denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens' (Vers 33)" 135 . 134

133

H . - D . Bastian, Anfangsprobleme im Gespräch zwischen Kybernetik Theologie, S. 34. H . - D . Bastian S. 35.

und

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Die Bedeutung der Redundanz f ü r die als kirchliche Verkündigung ergehende Nachricht zeigt das Vorwort zum Lukasevangelium. Theophilus wird auf das angesprochen, was er schon weiß, damit nun durch neue Informationen alle Ungewißheit beseitigt wird. Von Seiten der Kybernetik wird versichert: Weil Redundanz Nachrichten besonders überzeugend erscheinen läßt, ist es nicht überraschend, daß im sakralen Bereich redundante Formulierungen häufig verwendet werden 1 3 6 . Das ist richtig, wird aber zur Gefahr, wenn kirchliche Verkündigung nicht mehr als nachrichtenwürdig gilt und die im „Spiegel" geäußerte Meinung zum Allgemeingut w i r d : „Die Kirchen haben der Gesellschaft nichts Nennenswertes mehr zu sagen" 137 . Bastian diagnostiziert die Situation in folgender Weise: „Die kirchliche Rede ist unverständlich, weil das nachrichtentechnische Element der Wiederholung zu groß, das Element der Überraschung zu gering ist. Ihr Informationswert muß als dürftig gelten, weil die Gesellschaft nichts oder wenig von ihr erwartet, was zur Entscheidung disponieren könnte." Als Element der Uberraschung, das Ungewißheiten beseitigen, zu Entscheidungen disponieren und Verhaltensweisen ändern kann, bedarf die Information einer ständigen Aktualität. Aus der Erkenntnis der Kybernetik, daß Informationen in einer sich ändernden Welt ohne Wertminderung nicht gestapelt werden können, zieht Bastian f ü r die Verkündigung die gleiche Konsequenz: „Verkündigung läßt sich nicht stapeln, ohne daß sie ihren Wert verliert. Sie bedarf im Gegenteil der fortlaufenden Transformation, die ohne den komplizierten Prozeß der Nachrichtenverarbeitung nicht denkbar ist" 138 . Die fortlaufende Transformation berührt die Wahrheitsfrage. Der Verdacht, ständiges Umsprechen der Botschaft ergebe Veränderungen, zumindest Verkürzungen oder Entschärfungen ihres Inhalts, und die Übermittlung als Information ergebe den Charakter der Unverbindlichkeit der Anrede, wird nicht nur auf katholischer Seite geäußert (s. oben S. 81). Hans Jürgen Schultz hat sich gegen Verdächtigungen dieser Art zur Wehr gesetzt. Wenn das Richtige und das Wichtige, das Nötige und Mögliche als solches erkannt und verstanden werden soll, dann muß eben dies zeitgerecht und lagegerecht ausgesagt werden. „Sage ich bei verschiedenen Gelegenheiten einfach dasselbe, so sage ich eben nicht 136

K . Steinbuch, A u t o m a t und Mensch, S. 47.

137

R. Augstein in: D e r Spiegel, 2 1 . J g . 1 9 6 7 , N r . 39, S. 1 2 6 .

138

H . - D . Bastian S. 36. 37.

6'

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dasselbe, sondern allein dadurch, daß ich es anders sage, bleibt gewährleistet, daß es dasselbe ist" 139 . Daraus wächst dem Kommunikator der Kirche, sei es der Pfarrer oder sei es der Journalist, für seine Kommunikationsbemühungen ein hohes Maß an Verantwortung zu. Er will mit seinen Bemühungen interpretierend informieren, so daß sich bei den Rezipienten Orientierung und nicht Desorientierung ergibt, Ordnung und nicht Unordnung! Er interpretiert bereits durch die Auswahl und die methodische oder medienspezifische Gestaltung den Gehalt der als Information ergehenden Aussage. Er kann sie nur von seinen individuellen Voraussetzungen her werten, aufnehmen und weitergeben, aber von diesen Voraussetzungen aus kann er ihre Wirkung nicht im voraus berechnen. Hilfe bietet die Erkenntnis der Kybernetik, daß Information nicht ohne Rücksteuerung funktioniert, die die Verarbeitung des Vernommenen bewirkt. Die Verarbeitung vollzieht sich innerhalb des Bezugssystems, in das die Information eingeflochten ist, steht sie doch immer in einem größeren Zusammenhang auf einem weiten Feld zwischenmenschlicher Kommunikation. Diesen Verarbeitungsvorgang sollte der Kommunikator der Kirche immer mit bedenken, und die „Kirche" als Kommunikationsfeld sollte er nicht aus den Augen verlieren. Er könnte sonst leicht Schaden anrichten und Unordnung stiften, auch wenn jede Einzelinformation an sich „wahr" ist. Was die „Kirche" als Kommunikationsfeld betrifft, so hat Günter Heidtmann darauf verwiesen, daß es die Information vornehmlich mit der leibhaften Verwirklichung der Kirche zu tun hat im Sinne einer positiv verstandenen Verweltlichung: „Sie folgt den Spuren, die das verkündigte Wort im menschlichen Leben und in der Geschichte unserer Welt h i n t e r l ä ß t . . . und sorgt dafür, daß sie in das Bewußtsein und in das Gedächtnis der Zeitgenossen eingehen" 140 . Hans Jürgen Schultz ist den Konsequenzen solcher Bewußtwerdung nachgegangen und hat, was f ü r die Funktion der Information im Dienst der Kirche nicht überhört werden darf, ein immer dringlicher sich abzeichnendes Bedürfnis ermittelt, „sich nicht bloß zu informieren, um als informiert zu gelten, sondern um aus der Information Richtungen und Ziele des Han139

140

H. J. Schultz S. 105, mit Bezug auf G. Ebeling, Die Geschichtlichkeit der Kirche und ihrer Verkündigung als theologisches Problem, Tübingen 1954, S. 23. G. Heidtmann S. 34.

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delns zu erurieren. Man ist an Konsequenzen interessiert. Man fragt: "Was folgt daraus? . . . Information disponiert zur Tat". Schultz konstatiert mit Bastian ein Gefälle von der „Wissenskommunikation" über die „Willenskommunikation" zu einer „Wirkungskommunikation" 1 4 1 . Das ist ein überaus ermutigendes Ergebnis, den Dienst der Kirche im technischen Zeitalter mit Hilfe der technischen Medien und unter gewissenhafter Beachtung aller von der Kybernetik und von der Kommunikationswissenschaft gezeigten Wegweisungen in neuer Weise wahrzunehmen. 3. Verkündigung als Information Der Streit der Meinungen um das Problem „Verkündigung als Information" betrifft vorwiegend die prinzipielle Fragestellung und das Ausmaß der Konsequenzen, die die Theologie aus Erkenntnissen der Kybernetik zu ziehen willens ist. Norbert Wiener hat eine Organisation, „in der alle Information von oben k o m m t und keine zurückgeht", als antihuman gekennzeichnet 142 . Die theologische Konsequenz aus dieser kybernetischen Erkenntnis zog Hans-Eckehard Bahr mit der Fragestellung: „Der horizontal-dialogische Informationsaustausch in den heutigen technischen Kommunikationssystemen zwingt die Kirche unausweichlich dazu, ihr vertikal-monologisches Informationssystem aufzugeben" 143 . Dagegen wandte Erich Gräßer ein: „Theologisch geurteilt ist das schlicht ein ,Verlust der Mitte'" 1 4 4 . Bastian ergriff Partei für Bahr mit der Warnung vor einem Mißbrauch der Autorität des Wortes Gottes und mit der Feststellung einer fundamentalen Krise, in der sich Theologie und Kirche ebenso befinden wie die Gesellschaft, in der wir leben. Sein letztes Wort, mit dem einstweilen die Debatte abgeschlossen wurde, ist von seinem Postulat einer „kybernetischen Theologie als Theorie der informationellen Wirkungen" bestimmt: „Das Ganze der Theologie ist ein Dialog im Verständigungsprozeß, der sich kirchlich vergesellschaftet und der kraft der stets überraschenden (also informationellen) Gegenwart Gottes nicht abbricht" 145 . 141 142 143 144 145

H. J. Schultz S. 102. N. Wiener S. 27. H.-E. Bahr S. 134. E. Gräßer S. 696. H.-D. Bastian, Information über den Unfug, S. 80. 81.

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D e r publizistische Prozeß und seine theologische P r o b l e m a t i k

O h n e in die Auseinandersetzung über einen angeblichen oder tatsächlichen D e g r a d a t i o n s p r o z e ß des Wortes G o t t e s eintreten z u wollen, soll es uns im folgenden u m die v o n der Bibel her zu klärende Frage nach dem Recht u n d u m die f ü r die Praxis der Kirche zu lösende Frage nach den Möglichkeiten einer V e r k ü n d i g u n g als I n f o r m a t i o n zu tun sein. Wenn, wie wir sahen, interpretierend i n f o r m i e r t werden muß, so gilt es in diesem Z u s a m m e n h a n g den Problemen der T e x t a u s l e g u n g und der Weltauslegung nachzudenken. Die einst ergangene mündliche Botschaft, die in den biblischen T e x t e n ihren schriftlichen Niederschlag g e f u n d e n hat, war zu ihrer Zeit Nachricht, die nicht ohne R e d u n d a n z erging, aber durch die I n f o r m a t i o n mit der ihr innewohnenden Entscheidungspotenz zur überraschenden, neuen u n d beglückenden P o t e n z wurde. H e u t e ist die Bibel in kybernetischer Sicht nicht m e h r an sich Nachricht, sondern etwas, was m a n zutreffender einen Nachrichtenspeicher nennen kann. Werden aus diesem Speicher z u m Zweck der heutigen V e r k ü n d i g u n g Nachrichten abgerufen, dann w i r d die D e c o d i e r u n g u n d Dechiffrierung zur wichtigsten A u f g a b e . Sie erfolgt nach dem R a t v o n Willi M a r x s e n als ein U m s p r e chen: » J e d e neue Zeit, jede neue U m g e b u n g , jeder andere Sprachbereich, iede k o n k r e t e Situation der Angeredeten machen ein Umsprechen der Botschaft nötig. Diese begegnet also i m m e r in je neuer, i m m e r in ,moderner' Gestalt, will aber in dieser a m Ein-für-allemal orientiert sein" 1 4 6 . Wesentlich f ü r die „ m o d e r n e G e s t a l t " ist der Aussagecharakter der Botschaft, der aus dem T e x t neu erhoben werden muß. Ist der Aussagecharakter biblischer T e x t e erkennbar, so stellt sich die A u f g a b e , die Aussage als I n f o r m a t i o n aktuell werden zu lassen. Als Mittel zu diesem Ziel schlägt H a n s - D i e t e r Bastian die V e r f r e m d u n g v o r : „ V e r f r e m d u n g macht sprachliche Mitteilung zur eindeutigen Information — auf U m w e g e n " 1 4 7 . Einen solchen U m w e g erkennt er in der Mediatisierung der Verkündigung, durch die bereits eine Verf r e m d u n g eintritt, je nach der Weise, die den betreffenden Medien eigen ist. Worauf es a n k o m m t , ist, eine alte Botschaft wieder zur Neuigkeit, zur Nachricht werden zu lassen; denn die W i r k k r a f t steckt ja nicht in einem Nachrichtenspeicher, sondern in der jeweils neu ergehenden Mitteilung selbst, die als I n f o r m a t i o n ergeht und den I n f o r m a t i o n s 146

W . M a r x e n , Einleitung in d a s N e u e Testament, Gütersloh 1963, S. 16.

147

H . - D . Bastian, V e r f r e m d u n g und V e r k ü n d i g u n g , S. 27.

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prozeß ingang setzt, bis hin zur Willens- und zur Wirkungskommunikation, mit der dem Rezipienten Entscheidung ermöglicht wird. Wenn die Verkündigung der Kirche Selbstverständliches mitteilt, dann ist sie kein Zeugnis. „Sie muß ihre Empfänger also zuerst einmal dazu bewegen, aufzuhorchen, aufmerksam zu werden und mit der Möglichkeit einer neuen Mitteilung zu rechnen" 148 . Darum muß sie immer wieder und immer neu bemüht sein; denn das Gesetz der Entropie bedroht die kirchliche Verkündigung auf das stärkste. Hier nun sind die Kommunikatoren, Pfarrer oder Publizisten, als Zeugen im Dienst der Kirche gefordert: „Der Christ als Zeuge muß die biblische Aussage umformen, d. h. das wirkungsschwache Schriftwort in die wirkungsstarke Redeform überführen, dergestalt, daß er mittels der Kräfte, die den sprachlichen Wirkungsquanten eigen sind, der Botschaft die Wichtigkeit gibt, auf die sie Anspruch hat. Der Christ als Zeuge ist dafür verantwortlich, daß die Verkündigung heute und morgen bleibt, was sie vor 2000 Jahren einmal war: Nachricht." Um die dem „Christen als Zeugen" auferlegten Schwierigkeiten weiß Bastian natürlich: Jede Information verliert in der sich ständig wandelnden Welt ständig an Wert und an Wirkung; auch die kirchliche Verkündigung ist dem Prozeß des Wirkungsschwundes nach dem Gesetz der Entropie unterworfen. Bastian verharrt aber nicht bei dem betrüblichen diagnostischen Befund, sondern verweist auf die Mediatisierung der Botschaft als Gegenmaßnahme: „Jedes Medium, sei es Schrift, Rede oder Bild, ist fähig, den Wirkungsschwund einer Mitteilung zu stoppen und neue Aufmerksamkeit zu wecken; denn die Transformation von einem Medium in ein anderes verfremdet" 149 . Um zu erkennen, was praktisch zu geschehen hat, verweist Bastian auf das, was, schon im Neuen Testament erkennbar, im Verkündigungsdienst getan worden ist: Gleichnisse sind umgeformt worden, einige erhielten in späteren formgeschichtlich zu ermittelnden Stufen einen neuen Skopus, der der ursprünglichen Aussage nicht entsprach (Mt 20, 16); es ist auch zu förmlichen Neuinterpretationen gekommen (Lk 16, 8 b—13); Akzente sind umgesetzt worden, etwa vom Eschatologischen auf das Paränetische. Die Umformung der Aussagen sollte erkannt werden als „ein Phänomen der Informationstheorie, also ein interessantes Beispiel dafür, wie Verkündigung veralten und wie sie wieder erneuert werden kann. Auch für die Rede Jesu gilt das Gesetz der 148

H . - D . Bastian S. 33.

119

H . - D . Bastian S. 48. 63.

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Der publizistische Prozeß und seine theologische Problematik

Entropie in seiner kybernetischen Form: Die Gleichnisse können ohne spürbare Minderung ihres Verkündigungswertes nicht gestapelt werden. Die Urkirche hat dies auch nicht getan." Mit äußerster Entschlossenheit zur hermeneutischen Konsequenz aus dem kybernetisch ermittelten Ergebnis fragt Bastian an: „Was berechtigt uns eigentlich zu der satten Meinung, die Gleichnisgestalt des Lukas oder Matthäus für die letzte zu halten? Was hindert die kirchliche Rede in unserer Zeit, das Werk der Umformung fortzusetzen? Oder noch konsequenter: Was hält uns davon ab, neue Gleichnisse zu erzählen?" 150 . Zugegeben sei, daß die kirchliche Ordnung, an der Textauslegung mit Ausschließlichkeit festzuhalten, der Neuwerdung der Botschaft im Sinne einer je und je neu ergehenden Information Hindernisse entgegensetzt; aber Bastian bleibt sogar mit der Erwägung, neue Gleichnisse zu erzählen, selber im Bereich der Textauslegung. Textaussagen von einst sollen mit Hilfe neuer Gleichnisse aktualisiert und in die Gegenwart geleitet werden. Die Formgeschichte wird fortgesetzt, die Form der Nachricht wird laufend verändert, damit die Information dem Prozeß des Wirkungsschwundes entzogen werden kann. Dabei bleibt der Informationsgehalt prinzipiell der gleiche. Bastians Rechtfertigung leuchtet ein: „Die Propheten und Evangelisten werden ihre Botschaft nicht wiedererkennen, wenn sie aus unserem Munde neu erklingt. Denn dies ist u n s e r e Botschaft, für die wir und nicht sie unterwegs sind." Das klingt revolutionärer als es ist; denn Bastian bleibt prinzipiell beim Text, auch wenn er ihn durch „Umsprechen, Neuinterpretieren und Neuadressieren der biblischen Tradition gelegentlich mit Hilfe der Verfremdung . . . im Laufe der Zeit bis zur Unkenntlichkeit verändern" will 151 . Was verändert wird, ist lediglich die die informationstheoretischen Grundsätze berücksichtigende Struktur. Der Informationsgehalt des Textes bleibt der gleiche, seine Aktualität wird jeweils neu durch ständig neue Strukturveränderungen. Es läßt sich nicht übersehen, daß die Kirche, die Texte auslegt, — auch wenn sie sie durch Umsprechen, Neuinterpretieren oder gar durch das Erfinden ganz neuer Gleichnisse zu jeder Zeit aktuell und neu auslegt, — im Gespräch mit sich selbst bleibt. Sie legt sich nicht selbst aus, indem sie ihre Theologie auslegt; aber sie bleibt im Gespräch mit ihrer eigenen Vergangenheit und mit ihrer existentiellen Betroffenheit, indem 150 151

H.-D. Bastian S. 44. H.-D. Bastian S. 68. 69.

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sie Texte auslegt. Die Bedeutung der Textauslegung und diese A r t des Selbstgesprächs als Konfrontation der Gegenwart mit der eigenen Vergangenheit sei unbestritten. Wäre sie nicht, dann lauerte die Gefahr des Abgleitens in eine erneuerte Gnosis vor der Tür. Die Kirche muß bei der Textauslegung bleiben, und Bastians Vorschläge zur Aktualisierung der Auslegung durch Anwendung informationstheoretischer Kriterien ergeben nicht nur eine diskutable, sondern sogar eine besonders gute Möglichkeit f ü r die Erfüllung dieser Aufgabe. Es ist aber zu fragen, ob die Kirche prinzipiell bei der Textauslegung als der einzigen Möglichkeit ihrer Verkündigung bleiben muß. Für die Verkündigung als Information ergeben sich durchaus noch mehr legitime Verfahrensweisen als diese. Die Urchristenheit hatte mehr! Ihre Verkündigung war nicht nur Didaskalia, die in der Tradierung und Interpretation von Texten ihrer vornehmsten Pflicht genügte. Ihre Verkündigung war auch Prophetie, die auf die ihrem Ende zueilende Welt blickte und diese den Menschen erläuterte. Prophetie war nicht Textauslegung; Verkündigungs- und Seelsorgedienst vollzog sich „prophetisch" auch als Weltauslegung. Hier nun liegt der theologische Ansatz für neue Versuche, Verkündigung als Information ergehen zu lassen. Nachdenkenswerte Experimente in den USA, über die Hans-Eckehard Bahr berichtet hat, zeigen neue Wege in den Bemühungen, durch medienspezifische Veränderungen der Verkündigungspraxis Verkündigung als Information möglich zu machen. Information ergeht nicht über Texte, die im Sinne Marxsens und Bastians f ü r die Qualifikation der Verkündigung erst zurechtgemacht werden müßten, sondern über aktuelle Ereignisse aus dem Alltagsgeschehen der Welt. Als Nachricht werden sie über das Medium vermittelt, das vom Interpretationsgehalt dieser Nachrichten her in den der kirchlichen Verkündigung dienenden Sendungen zur Weltauslegung vorstößt. Wir haben nach der Legitimität dieses Verfahrens zu fragen. Kriterien dafür müssen im Neuen Testament gesucht werden; so überraschend es klingen mag: Sie sind dort zu finden. Schon das Lukasevangelium berichtet (Luk 13, 1—9), wie sich mit der Hineinnahme von Nachrichten über Tagesereignisse Verkündigung als Information ereignete: „Es waren aber zu der Zeit etliche dabei, die verkündeten ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihrem Opfer vermischt hatte. Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meinet ihr, daß diese

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Galiläer mehr als alle anderen Galiläer Sünder gewesen sind, weil sie das erlitten haben? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. Oder meinet ihr, daß die achtzehn, auf welche der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, seien schuldiger gewesen als alle anderen Menschen, die zu Jerusalem wohnen? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand sie nicht. Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang alle Jahre gekommen und habe Frucht gesucht auf diesem Feigenbaum und finde sie nicht. Haue ihn ab! Was hindert er das Land? Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, laß ihn noch dies Jahr, bis daß ich um ihn grabe und bedünge ihn, ob er doch noch wollte Früchte bringen; wo nicht, so haue ihn ab." Mitteilungen über zwei Ereignisse aus jüngster Vergangenheit ergehen als Nachricht, eine Parabel schließt sich an. „Nicht als Bußruf, sondern als Weissagung von dem Untergang der unbußfertigen Nation wird Lc die Äußerung verstanden haben" 152 . Für diesen Informationsgehalt benutzt er keine Textauslegung, sondern das, was wir Weltauslegung nennen. V. 1—3: Er wiederholt eine offenbar noch gedächtnisfrische Nachricht, vielleicht, wie schon Wellhausen und andere vermutet haben, einen von Pilatus zu verantwortenden Mord an Samaritanern, die er bei einer Opferhandlung auf ihrem heiligen Berge Garizim durch seine Soldaten hatte überfallen lassen. Josephus, der den Vorfall überliefert hat, wußte zu berichten, daß Pilatus wegen dieses Vorgehens auf Grund einer Klage der Samaritaner sein Amt verlor (Josephus, Altertümer XVIII, 4, 1). Das war „ein nach Ostern 35 anzusetzendes, von Jesus selbst nicht mehr erlebtes Ereignis" 153 . Es belegt die Verwendung der Tagesnachrichten f ü r den Verkündigungsdienst an der nachösterlichen Gemeinde. V. 4—7: Eine weitere Nachricht dient dem gleichen Zweck; es handelt sich um einen bei den Hörern als bekannt vorausgesetzten Unglücks15i

E. Klostermann, D a s Lukasevangelium, 2. Aufl., Tübingen 1929, S. 143.

' 5 3 E. Klostermann S. 142.

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fall, der erst kurz vorher einige Einwohner Jerusalems betroffen hatte. Ein Mauerturm im Bereich der Siloahquelle war, vielleicht bei der Ausführung von Arbeiten an der Wasserleitung, eingestürzt und hatte einige Opfer unter sich begraben. Die beiden Nachrichten betreifen also zwei Vorfälle der jüngsten Zeit mit dem gleichen, und zwar eindeutigen Informationsgehalt. Er liegt in der Frage: Mußten diese Menschen vielleicht darum sterben, weil sie sich geheimer Sünden schuldig gemacht hatten? Die Antwort trifft in der Art der urchristlichen Prophetie das gesamte Volk, dessen Untergang ebenso zu erwarten ist, wie der plötzliche Tod jener, über die die Nachricht Mitteilungen gemacht hatte. Der Informationsgehalt macht Weltauslegung der Verkündigung unmittelbar dienstbar. Wenn das Volk von seinen politischen Messiasträumen nicht abläßt, dann wird es in seiner Gesamtheit ein Schlachtopfer der Römer werden; es wird unter den Ruinen seiner Türme und Festungen begraben werden. Die Eindeutigkeit der Nachricht ist gegeben. Die Nachricht wird zur Information durch den ihr innewohnenden Entscheidungscharakter. V. 6—9: Mit der Parabel vom unfruchtbaren Feigenbaum verdichtet sich die Information zur unmittelbar an die Hörer gerichteten Verkündigung: Jetzt ist für euch dies letzte Jahr angebrochen (V. 8). Wenn ihr in diesem letzten Jahr keine Frucht bringt, nämlich die Frucht des Glaubensgehorsams durch die Tat, dann werdet ihr zugrunde gehen (V. 9), so wie jeder Gartenbesitzer einen Baum fällen läßt, der jahrelang keine Früchte getragen hat. Das hier praktizierte Verfahren der urchristlichen Prophetie als Verkündigung durch Weltauslegung taucht in der Geschichtc der kirchlichen Verkündigung wieder auf, wo Medien in den Dienst gestellt werden, Medien, die Information übermitteln. H.-E. Bahr nennt als frühes Beispiel einer kirchlichen Verkündigung, die sich als Information verstand und mit technischen Mitteln zu großer Breitenwirkung gelangte, die „Neuen Zeitungen" des 16. Jahrhunderts, „örtliche Ereignisse ohne spezifisch politische Relevanz, wie Unglücksfälle, Mißgeburten, Unwetter und Himmelszeichen, finden in diesen Blättern ihren Niederschlag." Bahr beschreibt die homiletische Nutzung von Katastrophen und ähnlichen Ereignissen, wie sie besonders durch Pfarrer und Prediger geübt wurde: „Extraordinäres und Mirakulöses bestimmt besonders in der zweiten Jahrhunderthälfte zunehmend das Repertoire. Diese Darstellungen werden mit religiösen Betrachtungen verknüpft und laufen

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Der publizistische Prozeß und seine theologische Problematik

häufig aus in moralische Ausdeutungen, Ermahnungen und theologische Erklärungen des Kontingenten" 1 5 4 . V o m 16. bis zum 18. Jahrhundert lassen sich dafür viele Beispiele erbringen. Die „wahrhafftige Beschreybung" einer Überschwemmungskatastrophe bei Annaberg wurde 1565 vom Superintendenten Philipp Wagner „allen Göttförchtigen Glaubigen Christen zu trewer Warnung auffs kürtzte in Truck verfasset", wie er in der Überschrift angibt 1 3 5 . Man meint, die alte Warnung neu zu hören: „So ihr euch nicht bessert, werdet ihr alle auch also u m k o m m e n " (Lk 13, 5). Aus dem 18. Jahrhundert sei auf das von Bahr angeführte Beispiel verwiesen: M. Gotthelf — Friedrich Oesfeld, Beweis der Wahrheit: D a ß die meisten im Hunger verschmachteten Menschen vor der Zeit ihrer Heimsuchung im Jahre 1772 unbekehret gewesen sind, Chemnitz 1773. Die Möglichkeit der Verbreitung solcher Einzelschriften wie die N u t zung des Zeitungswesens durch die Pfarrer ergaben viele Gelegenheiten, Verkündigung als Information mittels dieses Massenmediums zu treiben. Die Massenmedien des technischen Zeitalters vervielfältigten solche Gelegenheiten ganz erheblich. Dabei führte der Ansatz, Verkündigung als Information zu treiben, zu wahrhaft medienspezifischen Lösungen. Die stärkste Beachtung verdient das Experiment von Kansas City, über das H . - E . Bahr als ein exemplarisches Modell neuer Verkündigung berichtet hat. Die Redakteure der Fernsehstation in Kansas City verzichteten auf kommentierte Nachrichtengebung aus christlicher Sicht, sie verzichteten auf Selbstdarstellungen der Kirchen (grundsteinlegende Pfarrer und dergleichen), sie verzichteten darauf, dem NachrichtenKaleidoskop der Woche ein weiteres Mosaik kirchlicher Nachrichten hinzuzufügen. Sie fanden ganz neue Wege, indem sie begannen, an jedem Sonntag „drei Nachrichtenfilmstreifen der jeweils zurückliegenden Woche noch einmal in ihrem Programm aufzublenden, mit kurzen Kommentaren dazu. Diesmal jedoch nicht nur kurz angerissen, das Ereignis zerfetzend, sondern diesmal je lOminütig, somit den Betrachter wirklich ins Bild setzend. Die Themen? J e drei exemplarische Ereignisse der Woche, einmal den Menschen als einzelnen betreffend, im Grenzfall seiner Entscheidung vor G o t t und den Nächsten (e. g. Eutha154 155

H . - E . Bahr S. 27, vgl. auch die dort angegebene Literatur. P. Roth, Die neuen Zeitungen in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert, Leipzig (1914), 1963, S. 29.

Die Information

93

nasie-Fall in Kalifornien), einmal eine Meldung, den Betrachter behaftend als Angehörigen seines Volkes, mit allen moralischen Implikationen (e. g. Probleme v o n Ehen zwischen Schwarzen und Weißen) und schließlich drittens eine Bildsequenz, in der die weltpolitische Verspannung des Zuschauers unausweichlich wurde. Man zeigte ein öffentliches Hearing in Washington, in dem Journalisten f ü r das Recht des Bürgers auf unzensierte Information über den vietnamesischen Krieg eintraten. U n d man sah einen bekannten Journalisten, der erklärte, als Christ habe er die Pflicht, f ü r die zu sprechen, die keine Stimme haben, in diesem Falle also . . . alle an diesem Krieg Beteiligten zu repräsentieren" 1 5 6 . Verkündigung als Information, als mediengerechte I n f o r m a t i o n ! Das ist in der Tat als Ergebnis zu verbuchen. „In diesem P r o g r a m m erscheint die Kirche nicht bloß als Sektor einer pluralistischen Gesellschaft neben anderen Sektoren, sondern eben als Anwalt des Ganzen. D e m Zuschauer wird deutlich: Immer vertritt der Christ die res publica der Weltgesellschaft, nie nur die res privata seiner Konfession oder seiner N a t i o n : Nach allem, was geschehen ist, kann er nur noch ausgehen von der primären Zusammengehörigkeit aller Menschen und Nationen, die in der Gleichheit aller Menschen vor Gott gründet" 1 5 7 . K o m m u n i k a t o r e n sind nicht mit Sondervollmachten ausgestattete Amtsträger, sondern Gemeindeglieder, die als Experten der Publizistik den Verkündigungsvorgang desakralisiert, aber mediengerecht verändert durchführen. Das geschieht freilich nicht ohne Parteinahme. Indem sie Partei ergreifen, sind die Redakteure jener Sendungen Zeugen; sie erweisen sich als echte christliche Zeugen, die aus Ereignissen der Welt den Willen Gottes jetzt zu erkennen suchen und diesen — auf medienspezifische Weise — zur Aussage bringen. Die Verkündigungsform berücksichtigt alle informationstheoretischen Voraussetzungen. Sie unterscheidet sich daher v o n der Weise der kerygmatisch vorgetragenen Predigt; aber sie unterscheidet sich nicht v o n den übrigen, der Information der Rezipienten dienenden Sendungen. Die Verkündigung ergeht als Sachinformation, sie berücksichtigt die Bedingung der Neuigkeit der mitgeteilten Nachrichten, sie ist in ihrer Eindeutigkeit verstehbar und sie zielt als eindeutige R e d e auch auf Entscheidung. „ D e r Modellfall jener amerikanischen Nachrichtengebung — der Euthanasie-Konflikt in Kalifornien, eine Ehe zwischen 158 157

H.-E. Bahr S. 116 f. H.-E. Bahr S. 119.

94

D e r publizistische P r o z e ß und seine theologische Problematik

Schwarzen und Weißen und das öffentliche Hearing in Washington — illustriert, wie dicht Indikativ und Imperativ in einer Nachricht zusammengeschlossen sein können, schon wenn man die Filmstreifen als solche nimmt, ohne den in Kansas City hinzutretenden Kommentar" 158 . Eine Brücke wird erkennbar, auf der christliche Verkündigung aus lukanischer Zeit in unsere Gegenwart hinübergelangt. Weltauslegung ist an die Stelle der Textauslegung getreten. Die prophetische Funktion christlicher Weltauslegung ist zu voller Entfaltung gelangt. Adressaten sind die Menschen einer unbegrenzten Öffentlichkeit, wie sie nur immer „von den Dächern" dieser Welt erreichbar sind. Welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen? Die Konsequenzen können nicht auf Abschaffung des tradierten Verkündigungsdienstes zugunsten der mediatisierten Verkündigung gerichtet sein, wohl aber auf gegenseitige Ergänzung. Der Redakteur kirchlicher Sendungen und der Prediger müssen zur Kommunikation miteinander gelangen; jedenfalls darf die Existenz des Redakteurs nicht isoliert gesehen werden von der Gemeinde. Die Gefahren der Außenlenkung mittels der Medien, die in der Manipulierbarkeit sowohl des Informationsgutes wie des Rezipientenkreises drohen, verlangen den zur Kritik offenen und zur Selbstkritik entschlossenen Redakteur, der nicht ohne theologische Kenntnisse an sein Werk geht und der seine eigene christliche Existenz aus der Bibel nährt. Die als Information ergehende Verkündigung durch Massenmedien sollte in der Welt des Rezipientenkreises mit ihrer unübersehbaren Weite immer wieder und überall auf Menschen stoßen, die mit der unmittelbaren, nicht mediatisierten Kommunikation mit der Gemeinde ernst machen. Es ist die Existenz dieser Gemeinde, die die Verkündigung als Information rechtfertigt. Voraussetzung f ü r die Weltauslegung ist die Auslegung der Texte, mit der die Kirche in Kommunikation mit ihrer eigenen Vergangenheit und mit ihrer gegenwärtigen existentiellen Betroffenheit bleibt. Voraussetzung f ü r Luk 13 waren die Grunddaten der Jesus-Christus-Tatsache, sein Leben und Leiden, sein Sterben und Auferstehen und sein Auftrag an seine Gemeinde, der Welt den Verkündigungsdienst zu leisten. Von dieser Voraussetzung kann der Dienst der Kirdhe nicht absehen, ob er direkt vollzogen wird oder mit dem Einsatz publizistischer Medien erfolgt. Beachtung verdient die Konsequenz, zu der Hans-Eckehard H . - E . Bahr S. 122.

Die Information

95

Bahr gelangt ist: „Bleibt die kirchliche Verkündigung auch in Zukunft primär auf ihren althergebrachten Darbietungsort, die Kanzel, konzentriert, läuft sie Gefahr, unterhalb des heutigen Publizitätsbereichs abzusinken. Eine radikale Schwerpunktverlagerung der Verkündigung in die publizistischen Medien wäre jedoch eine verzweifelte Alternative. Wir stehen vielmehr unausweichlich vor der Aufgabe, die Z u o r d n u n g b e i d e r K o m m u n i k a t i o n s e b e n e n heutiger Verkündigung endlich umfassend und langfristig zu planen" 150 .

I3,J

H . - E . Bahr S. 126 f.

B. D I E M E D I E N U N D D I E P R A X I S INTERMEDIÄRER I. D i e § 9: Morphologie

KOMMUNIKATION Presse

der evangelischen

Presse

Das grundlegende Erfordernis einer gegliederten Bestandsaufnahme der evangelischen Presseerzeugnisse ist wegen der Fülle publizistischer Erscheinungsweisen in Vollständigkeit nahezu unmöglich. Gerhard E. Stoll hat den Versuch einer Zusammenschau nach publizistikwissenschaftlichen Gesichtspunkten gewagt und damit erreicht, daß der gegenwärtige Stand des evangelischen Zeitschriftenwesens wenigstens in einer übersichtlichen Gliederung, die auch die kirchliche Funktion der Zeitschriften berücksichtigt, erfaßbar wird 1 6 0 . Seine Gliederung stellt den geeigneten Rahmen dar, der die Gesamtheit der gegenwärtigen evangelischen Presseerzeugnisse zu umschließen geeignet ist. Wir übernehmen sie in geringfügig modifizierter F o r m : 1. Theologische und katechetische Zeitschriften a) Theologisch-wissenschaftliche Zeitschriften b) Populär-theologische Zeitschriften c) Pfarramtliche Zeitschriften (Erziehung und Unterweisung) 2. Amts- und Nachrichtenblätter a) Amtsblätter der E K D und der Landeskirchen b) Nachrichtenblätter 3.

Sonntagsblätter a) Landeskirchliche Sonntagsblätter b) Regionale und sonstige Sonntagsblätter

4.

Gemeindebriefe 1 6 1

180

G. E . Stoll, Die Evangelische Zeitschriftenpresse der G e g e n w a r t , in:

Publi-

zistik, 2 . J g . 1 9 5 7 , S. 2 2 3 — 2 4 1 . 101

Stoll h a t Sonntagsblätter und Gemeindebriefe als „Kirchliche zusammengefaßt.

Um

Zeitschriften"

aber nicht publizistische und inhaltliche

Merkmale

miteinander zu vermischen, erscheinen in unserer Aufstellung die Gemeindebriefe als eigene G r u p p e .

Morphologie der evangelischen Presse

97

5. Kulturelle und politische Zeitschriften a) Kulturelle Zeitschriften b) Politische Zeitschriften 6. Missionszeitschriften a) Blätter der Äußeren Mission b) Blätter der Inneren Mission und diakonische Blätter c) Volksmissionarische Blätter 7. Kinder- und Jugendzeitschriften a) Kinderblätter b) Jugendzeitschriften und Zeitschriften für Jugendarbeit c) Monatsweiser 8. Standes- und Berufszeitschriften a) Männerzeitschriften b) Frauenzeitschriften c) Zeitschriften f ü r Berufsgruppen 9. Freikirchliche und ökumenische Zeitschriften a) Freikirchliche Zeitschriften b) ökumenische Zeitschriften Im einzelnen gehören zu den theologischen und katechetischen Zeitschriften alle Periodica, die sich mit Ergebnissen der theologischen Forschung auseinandersetzen und sie sowohl f ü r das innertheologische Gespräch als auch f ü r die Praxis des geistlichen Amtes fruchtbar machen. In populärtheologischen Blättern wird das Fachliche auch mit Erbaulichem gemischt, oder das Fachliche wird als Hilfe dargeboten für die Gestaltung und innere Füllung der Verkündigung, des Unterrichts und der Seelsorge. Amts- und Nachrichtenblätter dienen der Bekanntgabe amtlicher Verordnungen und Mitteilungen sowie der Information mit zum Teil ausführlichen Kommentaren zu den amtlidien Verlautbarungen oder auch zu anderen, das kirchliche Leben tangierenden Ereignissen. Die Sonntagsblätter haben den erbaulichen Charakter ihrer der direkten Verkündigung dienenden Beiträge im Prinzip seit einem Jahrhundert nicht geändert, finden aber nach wie vor ihre Leserschaft und liegen der Auflageziffer nach sogar an der Spitze. Im allgemeinen sind regionale Sonntagsblätter älter als landeskirchliche. Die Analyse kirchlicher Sonntagsblätter, die Untersuchung des theologischen Gehalts ihrer Aussagen und der Vergleich dieses Gehalts mit dem Gehalt biblischer Aussagen sowie mit Positionen der jeweils herrschenden Mei7

Klaus, Massenmedien

98

Die Presse

nungen theologischer Schulen ist eine der christlichen Publizistik gestellte Aufgabe, die noch ungelöst ist. Eine umfassende Lösung verlangt neben den abgedruckten Predigten, Andachten, den Auslegungen der Jahreslosungen, der Monats- und Wochensprüche auch die Erzählungen zu analysieren, die als Kurzgeschichten oder als größere literarische Erzeugnisse in Fortsetzungen den Sonntagsblättern beigegeben sind. Sie beeinflussen den Leserkreis auf funktionale Weise und sind darum nicht ohne Gewicht. Eine neue Weise, die Glieder einer Kirchengemeinde publizistisch zu erreichen, stellen die Gemeindebriefe dar. Sie bilden den Versuch, unmittelbare Kommunikation zu bewirken und dadurch jedes einzelne Gemeindeglied persönlich zu engagieren. In der äußeren Gestaltung findet sich eine erstaunliche Breite, die auch der Aktualität und Modernität, sogar dem H u m o r und der Satire Raum zu gewähren vermag. Zu den kulturellen Zeitschriften zählen neben den bereits genannten, wie z. B. „Eckart" oder „Zeitwende", auch die der kirchlichen Kunst oder der Kirchenmusik gewidmeten Periodica. Die erst nach 1945 entstandenen politischen Wochenblätter machen das gesamte öffentliche Gesdiehen zum Gegenstand ihrer Berichterstattung als Information und als Kommentar. Das öffentliche Interesse ist groß und das offenbare Bedürfnis nach einer so geprägten Presse hat auf katholischer Seite zur Gründung des Wochenblatts „Publik" geführt, mit dem ein katholisches Pendant den evangelischen Wochenblättern „Christ und Welt" und „Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt" zur Seite gestellt wird. Die Missionszeitschriften setzen sich mit den ihnen aufgegebenen Problemen auseinander. Sie berichten vom Leben und Werk der Missionsgesellschaften, ihrer Arbeit auf den Missionsfeldern oder vom Geschick der diakonischen Werke. Neben der Information dienen sie der Belehrung, der Beeinflussung und der Unterhaltung. Die Personalnotizen bilden vielerlei Brücken f ü r persönliche und sachliche Kontakte. Volksmissionarische Blätter erscheinen zumeist als Traktate mit evangelistisch aufgemachtem erbaulichem Inhalt. Unter den Kinder- und Jugendzeitschriften verdienen die Kindergottesdienstblätter hervorgehoben zu werden. Audi die Zeitschriften für die Jugendarbeit haben häufig ein beachtenswertes Niveau. In diesem Bereich evangelischer Pressearbeit findet sich im allgemeinen das inhaltlich Beste und formal Beachtenswerteste aus den evangelischen Presseerzeugnissen.

Die evangelische Presse als Medium direkter Verkündigung

99

In den beiden letzten Gruppen — Standes- und Berufszeitschriften, freikirchliche und ökumenische Zeitschriften — sind inhaltliche Unterschiede im allgemeinen nur im Blick auf die Besonderheiten des Empfänger- und Leserkreises feststellbar. Prinzipiell werden hier wie in anderen Fällen erbauliche Tendenzen für die Zwecke der direkten Verkündigung eingesetzt. Die Verbreitungsdichte des periodischen Schrifttums der Freikirchen ist im Verhältnis zur Zahl der Gemeindeglieder größer als die der übrigen evangelischen Presse. Vom Inhalt der Presseerzeugnisse und seiner Gestaltung läßt sidi über die formal publizistisch gegliederte Erfassung des Bestandes noch eine andere Gruppierung durchführen, die im folgenden berücksichtigt werden soll. Das Anliegen der kirchlichen Praxis zielt auf die Möglichkeiten, Predigt, Unterricht und Seelsorge mittels des gedruckten Wortes durchzuführen oder diesen Aufgaben der Kirche mit dem gedruckten Wort und dem von Massenmedien verbreiteten Bild Unterstützung zuteil werden zu lassen. Darum unterscheiden wir im Blick, auf die innerkirchliche Funktion zwischen der Pressearbeit, die direkt zur Verkündigung zählt, indem ihre Erzeugnisse selber unmittelbar Verkündigung sein wollen, und jener, die auf indirekte Weise der Verkündigungsaufgabe dienen will. § 10: Die evangelische

Presse als Medium

direkter

Verkündigung

Den Anstoß zu einer durch die Presse mediatisierten Verkündigung gab der Pietismus. Bereits gegen Ende des 18. Jahrhundert erschienen erbauliche Periodica, zumeist gedruckte Predigten, die Impulse pietistischer Frömmigkeit einer breiten Öffentlichkeit vermitteln sollten. Die seit 1786 verbreiteten, von Johann Urlsperger gegründeten „Sammlungen für Liebhaber Christlicher Wahrheit und Gottseligkeit" waren die eigentlichen Wegbereiter dieser Presse, die ihre bis in die Gegenwart reichende Ausprägung durch die seit 1830 erscheinenden S o n n t a g s b l ä t t e r erfahren hat. Zu den frühesten Gründungen gehören das „Sonntagsblatt für Bayern" und der „Christenbote" für Schwaben, die beide seit 1830 bestehen. 1835 folgte der „Pilger aus Sachsen". Von 1848 an kam es rasch zu einer Neugründung nach der anderen in ganz Deutschland. Diese „religiöse Volkspresse" (A. Hinderer) war und ist durch ein missionarisches Element gekennzeichnet, das seit den Anfängen feststellbar ist und insonderheit auf die Einflußnahme durch Johann Hinrich Wichern 7»

100

Die Presse

zurückgeht. Wichern wünschte sich einen systematisch durchdachten Einsatz der kirchlichen Presse im Dienst der Kirche. In seiner „Denkschrift" wies er ihr die Aufgabe zu, „mit dem Erbaulichen zugleich dasjenige, was dem schlichten Mann aus der Geschichte des Reiches Gottes zu wissen Bedürfnis sein muß", zu verbinden 162 . Den damals ausschließlich anzutreffenden Typ der erbaulichen Sonntagsblätter im Blickfeld, hatte er damit zugleich den von diesen angesprochenen Leserkreis umschrieben. Inhalt und Aufbau der Sonntagsblätter standen im allgemeinen fest und sind sich im Grunde bis heute gleich geblieben: „Der sonntäglichen Betrachtung folgt ein allgemeiner, Fragen des religiösen oder sittlichen Lebenskreises behandelnder Aufsatz, eine Erzählung, Berichte aus Kirche, innerer und äußerer Mission, eine Zeitschau" les . Der Leserkreis setzte sich aus Angehörigen der kleinbürgerlichen und der ländlichen Bevölkerung zusammen. Gerhard Stoll hat geurteilt: „Durch die Sonntagsblätter sollte das Kirchenvolk in seiner ganzen Breite angesprochen werden, jedoch gruppierten sich um sie schon damals im wesentlichen die bürgerlichen Kreise und die Landbevölkerung. Die infolge der Industrialisierung entstehenden neuen soziologischen Gruppen wurden von der kirchlichen Presse nicht erreicht" 164 . Träger der populär-religiösen Zeitschriften waren vielfach Vereine der Inneren Mission und verwandte Institutionen, nicht aber die Kirchen als solche. Dadurch haben die Sonntagsblätter ihren Ursprung niemals verleugnet, auch dann nicht, als sie sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in voller Breite durchsetzen konnten. Die überregionalen Sonntagsblätter fanden in den regionalen G e m e i n d e b l ä t t e r n eine Ergänzung vom gleichen Typ. Seit etwa 1900 sind die Gemeindeblätter in großer Zahl feststellbar. Sie sollten über Leben und Arbeit einer bestimmten Kirchengemeinde informieren, um die Gemeinschaft der Glieder zu stärken und sie zu aktiver Teilnahme am Gemeindeleben anzuregen. Zugleich sollten sie der Entfremdung der am Leben der Gemeinde unbeteiligten Glieder entgegenwirken. Zu den Gemeindeblättern trat ferner eine nicht mehr übersehbare 182

J . H . Widiern. Die innere Mission der deutschen evangelischen Kirche. Eine Denkschrift an die deutsche Nation, in: P. Meinhold (Hrsg.), Johann Hinrich Wichern, Sämtliche Werke, Bd. I, Berlin und Hamburg 1962, S. 222.

183

A. Hinderer, Art. Evangelische kirchliche Presse, in: R G G 2 IV, 1454.

161

G. E. Stoll S. 224 f.

Die evangelische Presse als Medium direkter Verkündigung

101

Zahl kleinerer und größerer Periodica, mit denen Ortsverbände der Inneren Mission, die Äußere Mission, der Evangelische Bund, der Gustav-Adolf-Verein, die evangelischen Frauenvereine und die Verbände der sozialen Arbeit ihre publizistischen Bedürfnisse befriedigten 165 . Die wirtschaftliche Notzeit nach dem ersten Weltkrieg führte zu starken Rückschlägen. Der Wiederaufbau nach der Inflation aber ergab eine neue ungewöhnliche Blütezeit des kirchlichen Pressewesens. Auf der „Pressa", der Internationalen Presseausstellung in Köln 1928, wurde das periodisch erscheinende evangelische Schrifttum in Deutschland mit fast 2000 Titeln vorgestellt. Die Gesamtauflage konnte mit der stattlichen H ö h e von 17 Millionen beziffert werden. Die mit dem Jahre 1933 einsetzenden Gewaltmaßnahmen führten zu immer stärkeren Einschränkungen und setzten schließlich diesem gesamten kirchlichen Pressewesen ein Ende. Durch eine Verordnung der Reichspressekammer vom 1. Juni 1941 wurden die kirchlichen Zeitschriften mit wenigen Ausnahmen gezwungen, ihr Erscheinen einzustellen, mit der Begründung, daß „Menschen und Material für andere kriegswichtige Zwecke freizumachen" seien 188 . Obwohl die Stimme der Kirche damit nicht gänzlich zum Schweigen gebracht werden konnte, war sie doch für die breite Öffentlichkeit nicht mehr vernehmbar. Interessierte Kreise waren schon vorher in der Zeit des Kirchenkampfes von einer illegalen kirchlichen Presse versorgt worden, deren Erzeugnisse — hektographierte Rundbriefe, illegale Flugblätter u. ä. — mit erstaunlicher Schnelligkeit von Hand zu Hand gereicht wurden. Nach dem 2. Weltkrieg unterstand die kirchliche Presse wie die gesamte Presse in Deutschland dem Lizenzierungszwang der Besatzungsmächte. Dies wirkte sich positiv im Sinne einer Konzentration der Presse aus. Jeder Landeskirche wurde zunächst nur ein Blatt zugebilligt. Als aber das Lizenzsystem im September 1949 aufgehoben wurde, entwickelte sich in kurzer Zeit wieder der alte Blätterwald. In großer Publikationsfreudigkeit entfaltete sich die evangelische Presse zu ihrer früheren Breite. Zu einer wirklichen Neugestaltung kam es nicht. Was seit 1949 an Sonntagsblättern, Gemeindeblättern, Missions- und Volksmissionsblättern, Männer-, Frauen-, Jugend- und Kinderzeitschriften erschien, das knüpfte an den bis 1933 erreichten Stand an, so daß lediglich von einer „Restauration der Zeitschriftenarbeit" gesprochen wer165

Titel dieser Blätter hat A. Hinderer zusammengestellt in: R G G 2 IV, 1455 f.

166

F. Lüpsen, Art. Evangelische kirchliche Presse, in: R G G 3 V, 553. 554.

102

Die Presse

den kann. Zu den unumgänglichen Zukunftsaufgaben zählt die besonders von Robert Geisendörfer mit Nachdruck erhobene Forderung nach einer neuen Pressekonzentration auf Grund sorgfältiger Planung. Siebenhundert evangelische Zeitschriften mit einer Auflage von insgesamt 7,5 Millionen belegen das Ausmaß der Verzettelung und den Mangel an weitreichender Kommunikationsmöglichkeit 1 8 7 . Restaurativ ist auch das heute zumeist anzutreffende Verständnis vom Sinn und Zweck der Sonntagsblätter. Im Grunde wird die Aufgabe mediatisierter Verkündigung durch die kirchliche Presse bis in die Gegenwart unter dem gleichen Aspekt gesehen, unter dem sie von Johann Hinrich Wichern ihre Leitlinien empfing. Das Sonntagsblatt und alle ihm verwandten Erscheinungsformen kirchlicher Presse, einschließlich der modernen Form der Gemeindebriefe, dienen als Multiplikatoren der Gemeindepredigt und der übrigen kirchlichen Aktivität, wie sie in der Inneren und Äußeren Mission und in den anderen kirchlichen Werken Gestalt gewonnen hat. Mag auch frömmelnde Betulichkeit in der Aufmachung und in der äußeren Form einem moderneren Image gewichen sein, die inhaltliche Ausrichtung entspricht noch immer dem Leserkreis, der seit Johann Hinrich Wicherns Zeiten kaum ein anderer geworden ist. Zu den dringlichsten Zukunftsaufgaben evangelischer Pressearbeit gehört daher neben der Pressekonzentration eine neue Versachlichung im Stil und Gehalt der Arbeit. §11:

Die evangelische

Presse als Medium indirekter

Verkündigung

1. Zeitungen und Zeitschriften Neben den erbaulichen Sonntags- und Gemeindeblättern entwickelte sich im 19. Jahrhundert ein anderes, zeitgeschichtlich motiviertes evangelisches Pressewesen, das der kirchlichen Verkündigung Hilfsdienste zu leisten bemüht war und so auf indirekte Weise am Verkündigungsdienst teil hatte und hat. Dazu gehören die Kirchenzeitungen, deren Aufgabe es war, konfessionelle und auch kirchenpolitische Richtungen innerhalb der evangelischen Landeskirchen als „Führungsblätter" (F. Lüpsen) publizistisch zu vertreten. 187

R . Geisendörfer, Zukunftsaufgaben

evangelischer Publizistik, in: G. H e i d t -

m a n n und E . S t a m m l e r ( H r s g . ) , Evangelische Presse heute, S. 21 ff.; vgl. auch W.Baader,

Konzentration

1 9 6 6 , S. 6 0 ff.

in d e r evangelischen Presse?, in: K i d Z ,

21. Jg.

Die evangelische Presse als Medium indirekter Verkündigung

103

An erster Stelle ist die von Hengstenberg 1827 gegründete „Allgemeine Kirchenzeitung" zu nennen, die bis 1860 bestanden hat. Ursprünglich als erbauliche Zeitung gedacht, nahm sie bald den Charakter eines Organs der Kirche an, indem sie kirchliche Berichterstattung und die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Fragen einbezog. So nahm sie den Kampf auf gegen den an der Theologischen Fakultät in Halle vertretenen Rationalismus und führte den Kampf im Sinne der Kirchenleitung. Hengstenbergs These von der Zusammengehörigkeit von Thron und Altar beeinflußte die von der „Allgemeinen Kirchenzeitung" erreichte Öffentlichkeit und hatte starken Anteil an der Meinungsbildung. Das hatte schwerwiegende Folgen. Die Kirche mußte das Odium eines Horts der Reaktion auf sich nehmen. Die Verquickung von Christentum und reaktionärer Politik betraf besonders das Luthertum; denn konfessionell wußte sich Hengstenbergs Zeitung dem innerhalb der Altpreußischen Union vertretenen Luthertum verpfliditet. Im Gegensatz dazu entstand die „Reformierte Kirchenzeitung" als Organ des Reformierten Bundes. 1851 von Ebrard gegründet, hat sie für die reformierten Kirchen und Gemeinden in Deutschland große Bedeutung erlangt. Für die nicht zur Union gehörigen lutherischen Kirchen gründete Luthard 1868 die „Allgemeine Evangelisch-lutherische Kirchen-Zeitung". Sie wandte sich programmatisch gegen den Geist des Unionismus. Dem Geist der Zeit entsprechend kam es auch zu einem Pressewesen, das das evangelische Anliegen mit politischen Zielsetzungen verquickte. Als christlich-konservatives Blatt wurde 1848 die „Neue Preußische Zeitung" gegründet, die wegen des am Kopf abgebildeten Eisernen Kreuzes unter der Bezeichnung „Kreuzzeitung" bekannt geworden ist. Audi in dieser Zeitung bildete die These von der Zusammengehörigkeit von Thron und Altar das geistige Fundament für die dem Junkertum angehörigen Leserkreise. Den gleichen Tendenzen diente der 1873 gegründete „Reichsbote". Während die „Kreuzzeitung" feudalen Charakters war, sollte der „Reichsbote" dem christlich-konservativen Mittelstand dienen. Er tat diesen Dienst bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. 1928 wurde er unter Beibehaltung seiner politisch rechtsorientierten Grundhaltung vom Evangelischen Bund übernommen. Die damit eingeschlagenen Entwicklung zielte auf die Schaffung evangelischer Tageszeitungen. Mit dem „Reichsboten" war dieser Typ gebildet worden. Zu den bekanntesten Blättern dieser Art zählte der in

104

Die Presse

Bethel erscheinende, aber weit über die Anstaltsgemeinde hinaus verbreitete „Aufwärts", der 1919 gegründet worden war. Nicht nur politische Anliegen wurden publizistisch mit kirchlichen Anliegen verquickt, bedeutsamer noch war der Wunsch, mit kulturellen Zeitschriften evangelischen Gepräges den Ansprüchen der gebildeten Evangelischen entgegenzukommen. Zu den bedeutendsten Zeitschriften dieser Art zählte die „Christliche Welt", 1886 von Martin Rade gegründet als „Evangelisch-lutherisches Gemeindeblatt für die gebildeten Glieder der evangelischen Kirche", wie der Untertitel lautete. Rade wollte mit seinem Blatt weder einer kirchlichen Partei, noch einer politischen Richtung oder einer theologischen Schule dienen, sondern er wollte das Evangelium mit der modernen Kultur versöhnen, Bildung und Christentum vereinigen. Theologische Grundlegung für ihr Anliegen fanden Herausgeber und Mitarbeiter in der Theologie Albrecht Ritschis. Kein Wunder, daß die „Christliche Welt" als liberal, und das hieß ungläubig, beschimpft wurde. Die Herausgeber, die an der Gründung des Evangelischen Bundes beteiligt waren, nahmen wie dieser zunächst an der Auseinandersetzung mit dem Katholizismus teil. Dann aber wandten sie sich stärker der sozialen Frage zu. Friedrich Naumann, der Schwager Rades, gewann Einfluß. Gegen Ende des Jahrhunderts öffnete sich Rade der religionsgeschichtlichen Schule, so daß auch die „Christliche Welt" ein neues Profil erhielt: „Aus dem evangelisch-lutherischen Gemeindeblatt war eine weithin anerkannte, kirchenpolitisch, theologisch und kulturell aktive Zeitschrift geworden" 188 , die als geistige Potenz nicht zu übersehen war. Die „Christliche Welt" hat bis 1941 bestanden. In ihrer Endphase aber verlor sie an Bedeutung. Karl Barth war in seiner Jugendzeit Redaktionshelfer gewesen. Als er aber mit seiner dialektischen Theologie die Kirche zur Neubesinnung aufrief, fand er in der „Christlichen Welt" kein Echo. Bezeichnend ist, daß die berühmte Auseinandersetzung zwischen Barth und Harnack 1923 in der „Christlichen Welt" geführt wurde. Jetzt steuerte die „Christliche Welt" einen neuen Kurs, sie wurde ein liberales Blatt, das in der Zeit des Kirchenkampfes „nicht mehr die Kraft zu dem neuen, jetzt geforderten Weg fand" 18 ». Zu den kulturellen Zeitschriften evangelischen Gepräges zählen eine Reihe weiterer Periodica, von denen die wichtigsten genannt seien: 168

169

W. Schneemeldier. Art. Christliche Welt und Freunde der Christlichen Welt, in: RGG 3 I, 1738. W. Schneemeldier Sp. 1739.

Die evangelische Presse als Medium indirekter Verkündigung

105

1864 wurde die Zeitschrift „Geisteskampf der Gegenwart" als Monatsschrift für christliche Bildung und Weltansdiauung gegründet. 1910 entstand die „Furche", die die Grundfragen des Lebens vom Evangelium aus betrachten und der Auffassung der damals jungen Generation Ausdruck geben wollte. 1925 wurde unter Beteiligung von Friedrich Langenfaß die „Zeitwende" gegründet, die das gesamte Kulturleben unter einer evangelischen Weltanschauung betrachten wollte. August Hinderer zählt zu den Gründern der 1925 entstandenen Zeitschrift „Eckart". Hier wollte man der Verbindung evangelischer Geisteskultur mit dem künstlerischen, besonders dem literarischen Schaffen dienen. In der Gegenwart wird die Aufgabe, der Öffentlichkeit mit kulturellen Zeitschriften evangelischen Gepräges zu dienen, insbesondere von zwei Wochenblättern wahrgenommen, die sich zugleich den politischen und sozialen Fragen geöffnet haben. Es sind dies die nach dem 2. Weltkrieg gegründeten Zeitschriften „Christ und Welt" und das von Landesbischof Lilje gegründete Wochenblatt „Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt". „Christ und Welt" ist theologisch und politisch mehr konservativ bestimmt; das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt" behandelt unter der theologischen Leitung von Heinz Zahrnt recht nachdrücklich die Probleme der modernen Theologie und ihre Auswirkung auf das Leben der Kirche; es ist nach seinem Untertitel eine „Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Kultur". Mit beiden Gründungen ist ein alter Wunsch August Hinderers, des Nestors evangelisch-kirchlicher Pressearbeit, in Erfüllung gegangen. Die Gründe dafür, daß es bis zu seiner Zeit dazu nicht kommen konnte, erkannte er im „Fehlen normativer Grundlagen f ü r die Behandlung der Zeit- und Öffentlichkeitsprobleme vom evangelischen Gesichtspunkt". Seine Klage gipfelte in der Feststellung: „Ohne ein die Fragenkreise des staatlichen, wirtschaftlichen und allgemeinen Kulturlebens umgreifendes Programm kann vielleicht ein Generalanzeiger geleitet werden, nicht aber eine Weltanschauungspresse" 170 . „Christ und Welt" und das „Deutsche Allgemeine Sontagsblatt" verfügen über ein solches Programm. Wenn Hinderer bedauern mußte, daß 1848 die Stunde versäumt wurde, die die Schaffung einer evangelischen Presse zweifellos begünstigt hätte, so darf festgestellt werden, daß die sich nach 1945 bietende Gelegenheit in ausgezeichneter und inzwischen längst bewährter Weise genutzt worden ist. 170

A. Hinderer in: RGG 2 IV, 1463.

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Die Presse

Was die verlegerische Struktur der kirchlichen evangelischen Zeitschriftenpresse angeht, so bilden zumeist kirchliche Institutionen, auch Vereine und Verbände, den Kreis der Träger; daneben gibt es auch Verlage, die sich in den Händen von Privatpersonen befinden, jedoch sind diese in der Minderzahl. 2. Der evangelische Pressedienst Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der politischen Einigungsbestrebungen in Deutschland, das Jahrhundert der aufblühenden sozialen Bestrebungen und der Selbstfindung des Sozialismus; es war aber auch das Jahrhundert, in dem der Katholizismus in besonderer Weise religiös und politisch erstarkte. In dieser Zeit war der Protestantismus auf Grund der Unterschiede in der historischen Entwicklung und der konfessionellen Abgrenzungen der einzelnen Landeskirchen zu keiner einheitlichen Handlung fähig. Der Wunsch nach kirchlicher Einigung und die Abwehrhaltung sowohl gegen den Sozialismus als auch gegen den Katholizismus gaben die entscheidenden Anstöße, auf Mittel und Wege zu sinnen, wie das kirchliche Anliegen in der allgemeinen politischen Tagespresse zur Geltung gebracht werden könne. Solche Mittel und Wege fand man in einer evangelischen Pressekorrespondenz. Als 1886 der Evangelische Bund gegründet wurde, waren die Pläne gereift. Dem geschäftsführenden Ausschuß des Evangelischen Bundes wurde ein „Preßkomitee" angegliedert 171 , dem es nicht nur um die Edition aufklärender Broschüren zu tun war, sondern auch um eine Zeitungskorrespon'denz. Richtungweisende Bedeutung für die damit systematisch einsetzende publizistische Arbeit des Evangelischen Bundes erhielt das erste vertrauliche Rundschreiben des Preßkomitees vom 6. Februar 1887 an sämtliche Mitglieder des Evangelischen Bundes 172 , mit dem die Gründung einer Pressekorrespondenz für die zuverlässige Nachrichtenübermittlung aus den evangelischen Kirchen vollzogen wurde. Das Programm der Korrespondenz umfaßte drei Punkte: 1. zuverlässige Nachrichtengebung aus der evangelischen Kirche, 2. Handreichung f ü r konfessionelle Friedensbestrebungen, 3. Beobachtung und Kennzeichnung des „kurialistischen Erbfeindes". 171

172

Einzelheiten bei F. Nippold, Die Anfänge des Evangelischen Bundes und seiner Preßthätigkeit, Berlin 1897. Text des Rundschreibens bei: F. Nippold S. 94 ff.

D i e evangelische Presse als M e d i u m i n d i r e k t e r V e r k ü n d i g u n g

107

Der erste Programmpunkt betraf die Information der Öffentlichkeit über die „Heilsgüter und Lebenskräfte" der evangelischen Kirche, die weiten Kreisen unbekannt seien. Gegenstand der Information sollten die Werke der Äußeren und der Inneren Mission sein, der GustavAdolf-Verein, die Diakonissenwerke, die Tätigkeit der Bibel- und Volksschriftenvereine, die Sozialarbeit der Kirdie, aber auch „die Schöpfungen alter und neuer Dichtung, kirchlicher und außerkirchlicher Kunst" sollten einbezogen werden. Die Art und Form der Information sollte dem Stil der Tagespresse angepaßt werden. Der zweite Programmpunkt betraf apologetische Interessen, der dritte die damals als notwendig empfundene polemische Auseinandersetzung mit dem militanten Katholizismus. Das Rundschreiben mit seinem publizistischen Programm war das erste Dokument in der Geschichte der kirchlichen Publizistik, das die theoretischen und die praktischen Grundlagen schuf für die publizistische Tätigkeit innerhalb der evangelischen Kirchen. Bereits am 1. April 1887 erschien erstmalig die „Kirchliche Korrespondenz für die deutsche Tagespresse." Dies Datum bezeichnet den Beginn einer evangelischen kirchlichen Pressekorrespondenz überhaupt 1 7 3 . Zugleich war damit die organisatorische Form für die Arbeit der kommenden Zeit gefunden, der sich nun bald auch die Landeskirchen, bzw. einzelne Kirchenprovinzen bedienten. 1891 wurde in der Provinz Sachsen ein evangelischer Presseverband gegründet, der den bezeichnenden Namen „Evangelisch-Sozialer Preßverband" trug. Uber die Motive seiner Tätigkeit bekundete der erste Sekretär dieses Verbandes, Stanislaus Swierczewski, der aus einem Pfarramt in den Preßverband als dessen Geschäftsführer berufen worden war, daß sie mit denen des Evangelischen Bundes übereinstimmten. Er gelangte zu dem Urteil: „Der Evangelische Bund hat durch seine Einwirkung auf die politische Tagespresse am meisten dazu beigetragen, daß der ,Unwissenheit in religiösen Dingen' weniger geworden ist, daß unsere evangelische Kirche ihrer Aschenbrödelstellung entrückt und öffentliche Angelegenheiten in das Licht des Evangeliums gerückt, daß 173 y g , j

z u m

g a n z e n : c . A r n d t , P r e s s e a r b e i t u n d V e r l a g des E v a n g e l i s c h e n

B u n d e s 1 8 8 7 — 1 9 2 8 , B e r l i n 1928, s o w i e d i e Z u s a m m e n f a s s u n g e n b e i : E . - A . O r t m a n n S . 2 7 — 7 4 . O r t m a n n stellt a . a . O . S. 59 fest, d a ß d e r A n f a n g e v a n gelischer P r e s s e a r b e i t lvicr a n z u s e t z e n ist u n d nidit, w i e z u m e i s t

behauptet

w i r d , bei der 1 8 9 1 e r f o l g t e n G r ü n d u n g d e s „ E v a n g e l i s c h - s o z i a l e n

Preßver-

b a n d e s f ü r die P r o v i n z S a c h s e n " .

108

Die Presse

endlich weiteren Kreisen unseres Volkes und darüber hinaus die Augen für die ultramontane Gefahr geschärft wurden. Nicht zu unterschätzen ist auch die bedeutsame Vorarbeit, die er durch seine Preßtätigkeit für die ähnlich geartete Tätigkeit der Inneren und Äußeren Mission geleistet hat" 1 7 4 . Neu und andersartig war nicht die Motivierung der Pressearbeit geworden, sondern ihre Fundamentierung als Werk der Kirche. Insofern wurde der „Evangelisch-soziale Preßverband f ü r die Provinz Sachsen" zum Vorbild für die seit dieser Zeit betriebene kirchliche Pressearbeit. Den zeitgeschichtlichen Impuls gab die allgemein bedrängende soziale Frage, zu deren Lösung auch kirchlich-publizistische Wege eingeschlagen werden sollten. Die Aktivität der Inneren Mission wurde aufgenommen als apologetische Auseinandersetzung mit dem Sozialismus in seiner damaligen Ausformung als Sozialdemokratie. Der sächsische Provinzialausschuß f ü r Innere Mission rief 1891 zur Konstituierung eines Preßkomitees auf und bezeichnete als dessen Hauptaufgaben: „a) Bekämpfung der durch alle Stände verbreiteten Gottentfremdung und Unsittlidikeit; b) Gewinnung der durch die Sozialdemokratie verführten unteren Stände f ü r die evangelische Kirdie, für Vaterlandsliebe und soziale Ordnung" 175 . Die Übernahme dieser Impulse von der Inneren Mission in die evangelische kirchliche Pressearbeit hat dieser in ihrer Frühzeit eigentümliche Akzente verliehen. Sie war an der kämpferischen Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie orientiert und blieb von dieser Kampfrichtung her bestimmt, bis ihr August Hinderer durch seine persönliche Wirksamkeit in der Theorie und Praxis kirchlicher Publizistik zu einer entscheidenden Wandlung verhalf 1 7 6 . Obwohl also der Weg mit einem lastenden Gepäck eingeschlagen wurde, führte er bald zumindest zu dem Ziel, daß die Kirche f ü r die Presse interessant und wichtig wurde, weil sie nunmehr auf dem Felde aktiver Auseinandersetzung angetroffen werden konnte. Indem sich die Kirche in der sozialen Frage engagierte, gewann sie im positiven wie im negativen Sinn publizistisches Interesse. Die Bedeutung des neuen 174 175

179

Zit. bei: E.-A. Ortmann S. 60. M. Hennig, Quellenbuch zur Geschidite der Inneren Mission, Hamburg 1912, S. 514 f. Vgl. W. Schwartz, August Hinterer — Leben und Werk, Stuttgart 1951, S. 76.

Die evangelisdie Presse als Medium indirekter Verkündigung

109

Zweiges kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit erwies bald die Nachfrage durch die allgemeine Presse. Die „Deutsch-evangelische Korrespondenz", die seit 1902 als Nachfolgerin der „Kirchlichen Korrespondenz" aufgezogen worden war, wurde im Jahre 1903 von nidit weniger als 350 Zeitungen in ganz Deutschland und von 350 Privatpersonen abonniert. Von 800 im Jahre 1903 veröffentlichten Nachrichten der Korrespondenz sind rund 5000 Abdrucke in der Tagespresse erschienen177. Der sächsischen Gründung folgten alsbald weitere. Der Zentralausschuß für Innere Mission hatte bereits 1891 einen Ausschuß für Schriftenwesen gebildet, dem u. a. die Aufgabe gestellt war, die Tagespresse mit religiösen Betrachtungen zu den kirchlichen Festen zu versorgen. Von 1908 an versandte dieser Ausschuß eine vierzehntägige Korrespondenz für Innere Mission sowie Sonntagsbetrachtungen an die Presse. 1910 gab es bereits 23 evangelisdie Preß verbände. 1910 wurde auch der überregionale Evangelische Presseverband für Deutschland, EPD genannt, gegründet, dem 1912 der Evangelisch-soziale Preßverband für die Provinz Sachsen beitrat, so daß der EPD wirklich zentrale Funktionen zu erfüllen in der Lage war. Unter seinen Geschäftsführern, zu denen schon damals August Hinderer gehörte, entwickelte sich der EPD zum organisatorischen und geistigen Zentrum der evangelisch-kirchlichen Pressearbeit 178 . Nach dem 1. Weltkrieg sah sich die kirchliche Pressearbeit zu einer gründlichen Neuorientierung, zu wissenschaftlicher Fundierung und Systematisierung sowie zur Intensivierung ihrer praktischen Arbeit genötigt. Diesen Erfordernissen kam 1925 die Gründung eines Seminars für Publizistik in der Theologischen Fakultät der Universität Berlin zu Hilfe. Das Seminar unterstand dem Ordinarius für Publizistik August Hinderer, der zugleich in der Theologischen Fakultät einen Lehrauftrag für „Protestantisches Pressewesen" wahrnahm. Als Leiter des EPD wurde er in den evangelischen Landeskirchen Deutschlands zum Organisator der regionalen Evangelischen Presseverbände. Ihm und seiner Wirksamkeit erst ist es zu danken, daß die evangelische Pressearbeit von ihrem konservativen politischen Ballast frei wurde. Im Verlauf des 2. Weltkrieges wurde die kirchliche Pressearbeit völlig lahmgelegt. Sie stand 1945 vor der Aufgabe eines absoluten Neubeginns. 177 178

Quellennachweise bei: E.-A. Ortmann S. 62. A. Hinderer in: RGG 2 IV, 1465.

110

Die Presse

1948 kam es wieder zu Gründungen einer sehr rührigen evangelischen Nachrichtenkorrespondenz durch den Zusammenschluß aller bis dahin getrennt gewesenen landeskirchlichen Nachrichtendienste. Der so entstandene Evangelische Pressedienst, epd genannt (nicht zu verwechseln mit dem 1910 gegründeten EPD), versorgt mit einer in Frankfurt erscheinenden Zentralausgabe und mit seinen einzelnen landeskirchlichen Ausgaben die gesamte Tagespresse und die Rundfunkanstalten mit aktuellen Nachrichten aus dem kirchlichen Bereich. Die Gliederung in eine Zentralredaktion und in die verschiedenen Landesdienste entspricht der Struktur der EKD. Sie hat sich als sehr zweckmäßig erwiesen. Neben einem täglichen Dienst f ü r die Tagespresse, in der die epdNachrichten einen festen Platz gewonnen haben, und einem Wochendienst f ü r die kirchliche Presse gibt die Zentralredaktion Spezialkorrespondenzen f ü r Rundfunk, Fernsehen und Film heraus. Die Kammer für die publizistische Arbeit der EKD ist das offizielle Organ des Rates der EKD zur Wahrnehmung seiner Verantwortung für den Gesamtbereich der Publizistik und damit auch der Presse. Die Kammer treibt selbst keine publizistische Arbeit; sie hat die Kirchen zu beraten, indem sie publizistische Aufgaben anregt, ihre Durchführung fördert und die Arbeitsbereiche und -themen koordiniert.

§ 12: Grundsätze

der

Mediengerechtigkeit

Um ohne Substanzverlust des kerygmatischen Gehalts Leser von heute zu erreichen, ist es nötig, Stilmittel einzusetzen, die dem Medium „Presse" gerecht werden. Allein die Berufung auf den Verkündigungsauftrag ergibt noch keine Methodik mediengerechter Ausrichtung dieses Auftrags durch die Presse. Dazu gehören der Blick auf die Sache, auf das Medium und auf den Leserkreis. Der pauschal ergehende und global sich erstreckende Verkündigungsauftrag verlangt die Berücksichtigung der Sache, wie sie im weitesten Sinn mit dem Begriff Kerygma umschrieben wird. Die Presse als technisches Medium verlangt die Berücksichtigung technischer Voraussetzungen zur Wahrung des Grundsatzes der Mediengerechtigkeit. Der von den verschiedenen Gruppen kirchlicher Presseorgane jeweils besonders und jeweils anders anzusprechende Leserkreis dokumentiert den Anspruch des Rezipienten auf Berücksichtigung seiner Vorgegebenheiten. Was die S a c h g e m ä ß h e i t betrifft, so erstellt die Theologie auf gesicherten Grundlagen einen Bau bis in die Details. Verkündigung

Grundsätze der Mediengerechtigkeit

111

durch die Presse kann wie alle kirchliche Verkündigung auf die Theologie nicht verzichten, wenn sie bei der Sache bleiben und nicht an der Sache vorbeireden will. Darauf braucht hier in Ausführlichkeit nicht eingegangen zu werden. Die

Mediengerechtigkeit

verlangt für die methodische

Gestaltung die Berücksichtigung pressemäßiger Techniken. Solche Tediniken liegen vor in der Anschaulichkeit und Eindringlichkeit, in der geistigen Vereinfachung, in der hämmernden Wiederholung, in der gefühlsmäßigen Steigerung und in der Berücksichtigung der Kontrastwirkung. 1. Anschaulichkeit und Eindringlichkeit „Die F o r m ist für jede publizistische Aktion das Mitentscheidende. Sie ist der Schlüssel, der öffnet" 1 7 9 . Die Publizistikwissenschaft stellt ganz realistisch fest, daß die Form und ihre Gesetze nicht nur künstlerischen oder gar ästhetischen, nicht einmal moralischen Prinzipien folgt, sondern aus rationaler Berechnung oder aus instinktsicherem Trieb die Mittel einsetzt, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden; denn die publizistische Formgebung ist zweckbestimmend. Sie erreicht ihren Zweck nur mittels der anschaulichen und eindringlichen Darstellung. „Eindringlichkeit und Anschaulichkeit der Form sind entscheidend für das Gelingen jeder publizistischen Arbeit" 1 8 0 . Was die christliche Publizistik betrifft, so hat Hanns Lilje gefordert, daß sie dem Rezipienten bewußt machen muß, um was für ein interessantes, faszinierendes und wichtiges Gebiet es sich handelt, auf dem er sich befindet. Als Stilmerkmal für die Presse, mit dem am ehesten der Zugang zur Mentalität des Menschen von heute geöffnet wird, nennt er die Präzision, „genauer gesagt: Präzision, die auf der Erfahrung aufbaut" 1 8 1 . E r empfiehlt dem Journalisten, das zu verkündigende W o r t so aktuell und modern zu sagen, daß auch der entchristlichte Mensch aufhorcht und sich den biblisdien Aussagen stellt. 179

E. Dovifat, Handbuch der Publizistik, I, 37.

180

E. Dovifat I, 40.

181

H . Lilje, Gibt es evangelisdie Journalistik?, in: Sonntagsblatt Nr. 20, 1 3 . 5 . 1956, S. 24.

112

Die Presse 2. Vereinfachung

Da die Presse eine anonyme Masse ansprechen will, muß sie massenpsychologischen Gesetzen gehorchen. Dazu gehört, daß massenverständlich gesprochen werden muß. Jakob Burckhardts Wort von den „terribles simplificateurs" ist abwertend gemeint gewesen und bedeutete eine Warnung vor der Vereinfachung. Die Publizistikwissenschaft teilt diese Auffassung nicht; sie will bewußt erreichen, daß mit dem Mittel der Vereinfachung auch „erfreuliche, nützliche, wissenswerte, notwendige Dinge" f ü r die Masse der Rezipienten verstehbar gemacht werden: „Die Vereinfachung, darüber darf keine Sentimentalität hinwegtäuschen, geht dem publizistischen . . . Erfolg voraus. Wer aus ästhetischem Dünkel oder gelehrtem Geiz auf diese Technik verzichtet, überläßt den Skrupellosen das Feld" 182 . Der beste Lehrmeister ist die gute Karikatur. Indem sie das Wesentliche übertreibt und das Nebensächliche fortläßt, dokumentiert sie Sinn und Wesen der geistigen Vereinfachung. Von dem, was auf diese Weise audi dem schlichtesten Gemüt einleuchtet, wird sogar der Kenner oder der Eingeweihte nicht abgestoßen. Wo dies erreicht wird, da ist die erste und wichtigste Voraussetzung für den Erfolg gegeben: „der vereinfachte, einprägsame, anschauliche Ausdruck" 183 . Die christliche Publizistik, die sich ja nicht nur an Wissende oder Eingeweihte wendet, sollte sich bewußt werden, daß viele Zusammenhänge erst dann von der Masse der Nichtwissenden begriffen werden, wenn eine vereinfachende Darstellung derartige Zusammenhänge erhellt und verstehbar macht. Die von H. Lilje geforderte Präzision wird also erst dann wirksam, wenn sie von der Kunst der Vereinfachung begleitet wird. Anschaulichkeit und Eindringlichkeit der Darstellung haben die Kunst der geistigen Vereinfachung zur Voraussetzung. In der schlichten aber durchschaubaren Einfachheit und Bildhaftigkeit der biblischen Sprache gewinnt die biblische Aussage ihre Eindringlichkeit. Biblische Aussagen anschaulich und eindringlich so weiterzugeben, daß der schlichte Leser sie begreift und der anspruchsvolle von der Form der Weitergabe nicht abgestoßen wird, ist in der christlichen Zeitschriftenpresse, wie die Untersuchung von G. E. Stoll ergeben hat, im allgemeinen möglich. Problematisch wird hier die vereinfachende Weitergabe aktueller, moderner Tatbestände. Der Grund dürfte wohl darin zu 182 183

E. Dovifat 1,115. E. Dovifat 1,117.

113

Grundsätze der Mediengerechtigkeit

suchen sein, daß die Schriftleiter der Kirchenpresse vielfach dem Pfarrerstande angehören und unter den Gebundenheiten ihres Standes „die kleinen Wichtigkeiten, die eine industrialisierte Massengesellschaft prägen", nicht bemerken und unbeachtet lassen. „Der komplexe Sachverhalt, der sich im Arbeitsablauf eines Großbetriebes abspielt, muß sich einem in der Studierstube ohne das Problem des Stundenlohnes arbeitenden Akademiker natürlicherweise verbergen. Deshalb werden die Fragen

der arbeitsteiligen

Gesellschaft weithin

vergröbernd

behan-

d e l t " 1 8 4 . Das ist mit der geistigen Vereinfachung aber nicht gemeint. Vergröbernde Darstellung ergibt eine Verzeichnung des Erscheinungsbildes des Dargestellten, geistige Vereinfachung bleibt bei der Sache und stellt diese im Sinn und Stil der Karikatur für jedermann verstehbar dar. Darauf k o m m t es an. 3. Wiederholung „Du m u ß t es dreimal sagen!" M i t Mephistos Aufforderung an Faust formuliert G o e t h e das Grundgesetz der Wiederholung für die W i r k kraft einer Aufforderung. V o n h o h e r Geisteswarte aus wird dies Gesetz und die Empfehlung seiner Anwendung gern verspottet. D a r u m ist es nicht eben einfach, in der christlichen Publizistik die R e l e v a n z gerade dieses Gesetzes zu vertreten. Was es m i t der geschickten Handhabung dieses Stilmittels als dem eigentlichen Geheimnis des Erfolges auf sich hat, zeigt seine Anwendung in der F o r m einhämmernder Wiederholung bei der

kommerziellen

Werbung und bei der politischen Propaganda. D i e Wirtschaftswerbung erzielt mit ihrer stereotypen Wiederholung v o n Slogans und Bildern größte Wirkungen. D a f ü r bieten Tageszeitungen und Illustriertenpresse viele interessante Beispiele. D e r suggestiven Kraft der Wiederholung ist sich besonders die politische Propaganda des Nationalsozialismus wußt gewesen. H i t l e r schrieb in seinem Buch „Mein K a m p f " :

be„Die

Masse braucht in ihrer Schwerfälligkeit i m m e r eine bestimmte Zeit, ehe sie v o n einer Sache Kenntnis zu nehmen bereit ist, und n u r einer tausendfachen Wiederholung einfachster Begriffe wird sie endlich ihr G e dächtnis schenken." Goebbels meinte: „Das Wesen der Propaganda ist unentwegt die Einfachheit und die Wiederholung. N u r wer die P r o bleme auf die einfachste F o r m e l bringen k a n n und den M u t hat, sie . . . ewig . . . zu wiederholen, der wird auf die D a u e r zu grundlegenden E r 181

8

G. E. Stoll S. 239. Klaus, Massenmedien

114

Die Presse

folgen kommen." Goebbels hat sein Rezept in der Zeitschrift „Das Reich" selbst erprobt: In 220 Leitartikeln aus seiner Feder behandelte er insgesamt nur sieben Themen, für die er immer neue aktuelle Einkleidungen fand 1 8 5 . Die einfachste Formel, deren ständige Wiederholung ein Maximum an publizistischer Wirkung ergibt, ist das Schlagwort; „es ist vorgeprägt und vorgewogen und enthebt die Masse der Unbequemlichkeit, selbst wägen und urteilen zu müssen. Durch ständiges Nachsprechen und Wiederholen wird es Gemeinbesitz, senkt sich ins Unterbewußtsein, wird den im Umlauf befindlichen politischen Grundbegriffen eingereiht und ist oft langlebiger als große Parteien und geistesmäditige Bewegungen" 1 8 6 . Der Kirche begegnet immer wieder ein bekanntes Schlagwort ihrer Gegner, das zum Arsenal kirchenfeindlicher publizistischer A k t i o nen gehört: die bereits seit vier Jahrhunderten fast unverändert gebliebene polemische Typisierung des „Pfaffen". Der „Pfaffentyp" in W o r t und Bild ist zu jeder Zeit ein erfolgreiches Kampfmittel religionsfeindlicher Agitation gewesen. Die christliche Publizistik kann sich agitatorischer Mittel aus ethischen Gründen nicht bedienen; ihre Christlichkeit erweist sich in der Wahrheit ihrer Berichterstattung und im Verzicht auf Versuche zur Manipulation der Leser. Aber sie muß darum wissen, daß die Wiederholung „das rhythmische Gesetz der Massenführung" ist, „das immer wiederkehrende Fugenwerk der Publizistik", durch das „Haltepfeiler in die Vergeßlichkeit der Massen" gesetzt werden können 1 8 7 . Damit ist zum Ausdruck gebracht, daß das Gesetz der Wiederholung in den Gesamtbereich der Pädagogik gehört. Wie sich die Kirche in ihrer Unterrichtsform diesem Gesetz beugt, so sollte sie ihm auch in ihren publizistischen Aktionen Rechnung tragen. Aus diesem Gesetz erklärt sich nicht nur die Wirkung des ständig wiederholten Schlagwortes; es umgreift sehr viel weiter reichende Gebiete wie z. B. das täglich wiederkehrende äußere Bild der Zeitung, die Stelle, an der der Leser bestimmte Beiträge zu finden gewohnt ist, ständig wiederkehrende Symbole und Formeln. Die Technik der Wiederholung ist der kirchlichen Publizistik für die Gestaltung pressegerechter Verkündigung aufgegeben. Sie gewinnt Gestalt, 185 Belege und weitere Quellen- und Literaturangaben bei E. Dovifat I, 118, Anm. 13. 188

W . Hagemann S. 153.

187

E. Dovifat I, 121.

Grundsätze der Mediengerechtigkeit

115

wo Information und Kommentare in der gleichbleibenden A r t der Darbietung in jeder Nummer einer Zeitung oder Zeitschrift wieder erscheinen. Die immer wiederkehrende Auslegung der Monatssprüche ist ein Beispiel für die Wiederholung. Dem „rhythmischen Gesetz" k o m m t der Rhythmus des Kirchenjahres entgegen. Das ist das Fugenwerk für die stets wiederholte und doch immer neu eingekleidete Betrachtung der Hauptthemen aus Schrift und Bekenntnis. „Pointiert ist die Wiederholungstechnik in den volksmissionarischen Blättern. Unablässig wird dort die Frage Luthers gestellt und beantwortet: ,Wie finde ich einen gnädigen Gott?" 1 8 8 . Der Publizistikwissenschaftler Emil Dovifat meint: „Die stets gleiche Aussage wechselnd und geistvoll einzukleiden und einen Rhythmus zu finden, dem sich die Umworbenen überlassen, der ihnen schließlich ins Blut geht, erfordert den Geschmack oder die U n verfrorenheit, jedenfalls das Geschick eines großen Könners" 1 8 9 . 4. Steigerung Die gefühlsmäßige Steigerung äußert sich als Einsatz der Dynamik der Emotionen in die Elemente der Mediengerechtigkeit. Das ist ein nicht ungefährliches Mittel, kann doch Emotionalität als Steigerung aller Gefühle und Triebe ebenso sittliche Impulse auslösen, wie Kräfte der Brutalität freilegen. Wer aber mittels der Presse in die Öffentlichkeit hineinwirken und die Masse ansprechen will, kann nicht darauf verzichten, gefühls- und triebmäßige Kräfte zu aktivieren. Die Mittel sind psychologischer A r t , die dann zur Wirkung gelangen, wenn sie unkompliziert und leicht eingängig sind. Dovifat nennt als solche Mittel unter anderem den Haß, das Mitleid, das sexuelle Element, das massenüberhöhende Geltungsbedürfnis und den moralischen Grundwillen der Masse 190 . Die Möglichkeiten emotionaler Massenführung durch den Journalisten eröffnen einen breiten Bereich mit zum Teil erschreckenden Konsequenzen. Die christliche Publizistik weiß um ihre Verantwortung für die Massenführung aus Vernunft und Gewissen und wird die Technik der gefühlsmäßigen Steigerung so einsetzen, daß sie der planmäßigen Erregung triebhafter Instinkte entgeht. Dagegen wird sie es sich angelegen seih lassen, nicht nur das Wissen der Rezipienten durch Information zu 168

G. E. Stoll S. 238.

189

E. Dovifat I, 121.

180

E. Dovifat I, 122 ff.

116

Die Presse

erweitern, sondern auch das Wollen und Handeln zu aktivieren. „Verwandlung des Bewußtseins" hat Walter Hagemann diesen Vorgang genannt, der damit eintritt, daß neue Bewußtseinsinhalte selbsttätig fortwirken 191 . Zu starken Wirkungen kann es kommen, wenn die publizistische Aussage an vorhandene Stimmungen und Haltungen anknüpft, um von daher weitergehende Reaktionen auszulösen. Damit kommt der Grundsatz der Redundanz zum Tragen. Für die Redundanz der publizistischen Aussage der Kirche kommt alles auf die Kenntnis der Stimmungselemente an, mit deren Vorhandensein gerechnet werden kann. Hagemann zählt als „zeitlose Grundgefühle der Menschen und Völker, die stets der stärksten publizistischen Werbekraft gewiß sein können", auf: „Vaterlandsliebe, Freiheitswille, Erfolgsstreben", und er meint: „Der Appell an Pietät, Dankbarkeit, Hilfsbereitschaft wird mindestens in sittlich wertvollen Menschengruppen auf starken Widerhall rechnen können" 192 . Dovifat faßt die einzelnen vorhandenen Gefühle und Triebe, um deren Steigerung und Umsetzung in Tatwillen es geht, mit dem Begriff „der moralische Grundwille" zusammen. Ein moralischer Grundwille ist der Masse eigentümlich und dieser Grundwille kann angesprochen und aktiviert werden. „Er kann zu ethisch großen Aktionen bis zur Hingabe des Lebens entwickelt werden, beherrscht aber auch die alltägliche Massenführung. Die Masse will nicht belogen, nicht irregeführt werden. Glaubt sie es zu sein, reagiert sie spontan." Sie verteidigt ihre ethische Grundhaltung mit der Kraft des Selbsterhaltungstriebes 193 . Den sinnvollen Einsatz der publizistischen Technik der Steigerung im Dienst der kirchlichen Presse hat Stoll am Beispiel geschlossener Heftthemen der evangelischen Jugendzeitschriften erläutert: „Da wird das Thema Passion und Ostern vom Naturhaften angesetzt, mit kirchengeschichtlichen Ereignissen dramatisiert, die biblische Exegese des Themas schafft: ein breites und tiefgehendes Fundament, und in einem packenden, aktualisierenden Artikel wird an den Leser die persönliche Herausforderung zu einer klaren Stellungnahme zum Passions- und Ostergeschehen gerichtet"194. Die Jugendzeitschriften bieten für eine solche Technik der Steigerung die besten Voraussetzungen; sie sprechen zumeist über Jahre hinaus immer denselben Leserkreis an und haben daher echte Gelegenheiten zu planvoller Steigerung. 191 162 193 194

W. Hagemann S. 160. W. Hagemann S. 161 f. E. Dovifat I, 146. G. E. Stoll S. 238.

Grundsätze der Mediengereditigkeit

117

5. Die Kontrastwirkung Als publizistisches Mittel wird die Kontrastwirkung besonders in Bildberichten genutzt. Indem zwei kontrastierende Ereignisbilder einander gegenübergestellt werden, löst sich der sogenannte „dritte E f f e k t " aus, nämlich das Eigenurteil des Beschauers, das dann selbständig wird. Zu dieser Wirkung kann es beim Betrachter bewußt oder unbewußt kommen 1 9 5 . Die christliche Publizistik arbeitet in den evangelischen Zeitschriften mit kontrastierenden Textgehalten. Ein häufig anzutreffendes Kontrastmittel ist der Gegensatz gut und böse, im Kindergottesdienstblatt ist es der Gegensatz zwischen dem gehorsamen und dem ungehorsamen Kind. Das Blatt „Rettung" prangert die Schäden des Alkohols an und stellt diesen die Vorzüge einer abstinenten Lebenshaltung gegenüber. Stoll urteilt: „Wenn man die biblische Aussage zur Richtschnur kontrapunktischer Darstellung nimmt, dann kann solches Vorgehen als legitim angesehen werden" 1 9 6 . Die Anwendung aller dieser Techniken, die um der Mediengerechtigkeit der Aussage willen Beachtung fordern, erfolgt in ständiger Berücksichtigung der berechtigten E r w a r t u n g e n d e s L e s e r k r e i s e s . Eine vom Institut für Publizistik in Münster durchgeführte U n t e r suchung ergab, daß die in den Dienst der direkten Verkündigung gestellte kirchliche Presse im wesentlichen mit einem kirchlich gebundenen Leserkreis rechnet. Die volksmissionarischen Blätter setzen zwar keine Affinität der Leser zur Kirche voraus, aber auch sie verfolgen unverkennbar die Absicht, den Leser aus den Randgebieten der Gemeinde wieder in ihre Mitte zu holen. Diese Presse ist also insgesamt auf die Kirchengemeinde hin orientiert. Zu den erstaunlichsten Beobachtungen zählt die Verwendung der Frakturschrift in 74 der analysierten Blätter. Dieser Umstand läßt den Schluß zu, daß sie sich durchweg an eine Leserschaft wenden, die sidi in einem höheren Lebensalter befindet. Andere Beobachtungen, wie z. B. die Aufnahme von landwirtschaftlichen Rubriken und Wetterregeln in manche regionalen Sonntagsblätter, lassen auf eine Leserschaft aus ländlichen Kreisen schließen. Der geringe Anteil von Artikeln über den Alltag der Industriewelt bestätigt das Fehlen von Lesern aus diesem Lebensraum. Eine Leseranalyse des Evangelischen Gemeindeblattes in Württemberg zeitigte das aufschluß195

E. Dovifat I, 251.

198

G. E. Stoll S. 239.

118

Die Presse

reiche Ergebnis, daß zwei Drittel der Leser Frauen sind, 40 °/o der Leser über 50 Jahre alt sind, 30 fl/o R e n t n e r und 45 %> Besitzer eines Hauses. Stoll führt diesen Umstand auf die sonst im Pressewesen nicht übliche Vertriebsform zurück: Ortspfarrer oder Kirchengemeinden setzen die Blätter ab, Jugendgruppen verteilen die Jugendzeitschriften an ihre Mitglieder 1 9 7 . Diese Vertriebsform bringt es mit sich, daß im allgemeinen nur kirchlich gebundene Leser erreicht werden, die ohnedies im Kontakt mit ihrer Gemeinde stehen. Damit sind die Fragen der Mediengerechtigkeit an Voraussetzungen gebunden, die solange Berücksichtigung fordern, wie diese Voraussetzungen unverändert bestehen.

§ 13: Praxis des kirchlichen Dienstes durch die Presse 1. Verkündigung a) Direkte Verkündigung durch die kirchliche Presse Seit mehr als 100 Jahren hat die Gestaltung der in den Dienst der direkten Verkündigung gestellten Sonntagsblätter kaum eine nennenswerte Veränderung erfahren, so daß die tatsächliche Lebensfähigkeit dieser Presse schier ans Wunderhafte grenzt. Wenn auch gelegentliche aktuelle Reportagen und Reiseschilderungen eine zeitgemäße Auflockerung ergeben, so ist im Grunde doch noch immer alles beim alten geblieben. D e r Auslegung eines Bibeltextes folgt ein Aufsatz über biblische Realien oder über allgemeine religiös-sittliche Fragen, eine erbauliche Erzählung schließt sidi an, Nachrichten informieren über Ereignisse in der Kirche, in den kirchlichen Werken oder über Persönlichkeiten des kirchlichen Lebens. Die kritische Überprüfung dieser Praxis durch Gerhard E. Stoll 1 9 8 zeitigte die folgenden Ergebnisse: Die Auslegung des Bibeltextes erfolgt zumeist nach der deduktiven Methode. Ein Bibelwort, häufig der jeweilige Monats- oder Wochenspruch, steht am Anfang und ist typographisch hervorgehoben. In mehr oder weniger anschaulicher F o r m wird das T e x t w o r t erläutert. Über den Stil der Darbietung ist Stoll zu der Überzeugung gelangt, die evangelische Presse werde von der unausgesprochenen Vorstellung geprägt, das Heilige in einer dem Heiligen 197

G. E. Stoll a.a.O.

193

Vgl. zum folgenden: G. E. Stoll S. 236 ff.

Praxis des kirchlichen Dienstes durch die Presse

119

angemessenen Stilform darzustellen, was notwendig zu einem getragenen, bisweilen pathetischen Stil der Aussage führe. Er bemängelt auch die fast generell anzutreffende Weise der referierenden Erörterung, die häufig an gedruckte Vorträge erinnert und für die biblische Betrachtungen ebenso wie für „sonstige Kommentare" allgemein üblich geworden ist. In dieser pressemäßig verbreiteten Wortverkündigung steckt ein missionarisches Element, eng gekoppelt mit einer katechetischen Absicht, die wohl für manche Eigentümlichkeit der Struktur verantwortlich zeichnet. Die Belehrung, die moralisch oder anklagend auftritt, bedeutet sogar ein wesentliches Element des so gestalteten Verkündigungsganzen. Wenn dies Element in modernen Kirchenblättern weniger offen sichtbar wird, so ist es doch in einer Vielfalt von Erscheinungsformen vorhanden. Die Analyse der erbaulichen Erzählungen, wie sie in zahlreichen konservativen Sonntagsblättern angetroffen werden können, ergibt, daß das Erzählgut als psychologisch weithin unwahrhaftig bezeichnet werden muß. Die Darstellung weist oft eine Rahmenhandlung mit künstlicher Aktualität auf und endet mit einer moralischen oder zumindest stark aufgetragenen pädagogischen Tendenz. Die Erzählung, die nicht Selbstzweck oder nur literarische Aussage sein darf, stellt einen ethischen Gedanken oder ein erstrebenswertes Leitbild heraus. Sie will also primär nicht entspannend wirken, sondern zum Nachdenken anregen. Die von den Sonntagsblättern verbreiteten Nachrichten weichen in der Form ihrer Weitergabe im allgemeinen von der Art der Nachrichtenverbreitung durch die Tagespresse ab, weil sie mit den Nachrichten zumeist gleich Kommentare verquicken. Sie beschränken sich auf Nachrichten aus dem kirchlichen Raum. Daß solche innerkirchliche Informationen vielfach nur von sekundärer Aktualität sind, liegt an der wöchentlichen oder monatlichen Erscheinungsweise vieler Blätter. Die Beschränkung der Nachrichten auf eine überschaubare Anzahl von Standardthemen ist eine weitere Beobachtung: „Immer wieder werden Missionare ausgesandt und Kirchen eingeweiht, werden Lichtbildervorträge angekündigt und mitteldeutsche Ereignisse mitgeteilt!" Der Nachrichten teil f ü h r t als Unterrichtung der Lesergemeinde kein Eigenleben; er tritt als Bestandteil des Denkens und Handelns der Kirche und ihrer Werke insgesamt in Erscheinung. In den Sonntagsblättern geht man aktuellen Kontroversen gern aus dem Wege. Wenn aber doch pointiert gegen einen Gegner gesprochen wird, dann handelt es sich meist um einen Widersacher, der sich durch

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eine eigene Stellungnahme selber nicht zur Wehr setzen kann. Hierhin gehört auch die Stellungnahme zur Bedrohung der Kirche durch die östlichen Ideologien. Der Mediengerechtigkeit völlig abhold ist die offenbare Annahme einer ausdauernden Lesefreudigkeit. In 1 7 , 9 % aller von Stoll untersuchten Zeitschriften waren die Beiträge recht lang und boten weder durch eine Illustration noch durch Zwischenüberschriften Abwechslung oder einen neuen Anreiz zur Fortsetzung der Lektüre. „Die Wirkungsintensität der evangelischen Zeitschriften für die breite Öffentlichkeit ist gering", das ist das einleuchtende Ergebnis der von G. E. Stoll angestellten Untersuchung. Die offenbaren Mängel rufen zu neuer Besinnung auf. Den Forderungen nach Pressekonzentration und nach Versachlichung der Arbeit muß die Forderung nach dem Einsatz fachkundiger Journalisten mit gleicher Dringlichkeit an die Seite gestellt werden, damit die Mediengerechtigkeit ihrer Organe den Weg zur Kommunikationsmöglichkeit mit dem Menschen der Gegenwart bahnen hilft. b) Direkte kirchliche Verkündigung in der außerkirchlichen Presse Wenn es der Presse nur darum zu tun wäre, öffentliche Meinung zu m a c h e n , dann böte sich in ihren Spalten schwerlich ein Raum für die direkte kirchliche Verkündigung; es sei denn, diese Aufgabe würde kommerziell verstanden und kirchliche Verkündigung würde in kirchliche Propaganda oder Reklame umgedeutet werden. Das hätte zur Folge, daß die Kirche derartige Beiträge mit den gleichen Sätzen honorieren müßte, wie die Firmen der verschiedenen Branchen ihre Wirtschaftswerbung mit nicht geringen Aufwendungen finanzieren müssen. Sollte diese Praxis eines Tages für die Kirche notwendig werden, dann dürfte sie weder die Kosten noch die Anwendung von Praktiken der Werbung und der Propaganda scheuen. Noch ist es nicht so weit, weil die Presse im demokratischen Staatswesen auch die Funktion wahrnimmt, die öffentliche Meinung w i d e r z u s p i e g e l n . In der öffentlichen Meinung wie im öffentlichen Ansehen nimmt die Sache der christlichen Kirche und des Christenglaubens einen respektablen Rang ein. Ihren pressemäßigen Ausdruck findet dieses Faktum immer dann, wenn die Öffentlichkeit insgesamt, gleichzeitig und gemeinsam, von der Kirche Kenntnis zu nehmen veranlaßt ist und sich selbst von einem kirchlichen Anliegen engagiert fühlt. Das ist regelmäßig bei den

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großen Kirchenfesten der Fall. In der Tat enthalten die Festausgaben der Tageszeitungen im allgemeinen nicht nur der festlichen Freizeit gewidmete Beiträge, sondern auch solche, die als direkte Verkündigung anzusehen sind. Renommierte Tageszeitungen pflegen Beiträge aus der Feder bekannter Theologen oder führender Persönlichkeiten des kirchlichen Lebens an bevorzugter Stelle zu placieren. Das Motiv für diese Praxis der Presse dürfte im allgemeinen kommerziell bestimmt sein. Die Presse will ihr Image gegenüber der dem Christentum verpflichteten Leserschaft wahren. Darüber hinaus hat ein Teil der Illustriertenpresse der direkten kirchlichen Verkündigung auch regelmäßige Gelegenheiten geöffnet. Sie hat dem „Wort zum Sonntag" das „Bild zum Sonntag" hinzugefügt und bekannten Publizisten unter der Geistlichkeit beider Konfessionen direkte Verkündigung ermöglicht. Adolf Sommerauer hat aus dieser Arbeit in der Illustrierten „Revue" 52 Beiträge in Buchform unter dem Titel „Das Bild zum Sonntag", München 1964, veröffentlicht. In starkem Maße unterbaut er die geistliche „Information" mit Elementen der Redundanz, so daß der publizistische Verkündigungsbeitrag in echter Weise „Nachricht" wird. Die 52 Bilder sind Bilder aus dem Alltag, die Situationen festhalten, in die jeder Mensch jederzeit geraten kann oder die er an anderen schon erlebt hat, so daß er sich selbst im dargestellten Bildmotiv wiedererkennen kann. N u r auf den ersten Augenblick scheinen diese Bilder mit der Aussage von Glaubenswahrheiten wenig oder gar nichts zu tun zu haben. Sommerauer aber gibt im Begleittext Erkenntnishilfen, die nach dieser Richtung aufschlußreich sind, weil sie die dargestellten Bruchteile des Seins transparent werden lassen für andere Wahrheiten, die hinter ihnen stehen. U m dahin zu gelangen, bedient er sich immer wieder des Motivs des Wiedererkennens und der Selbstidentifizierung. Adolf Sommerauers Versuch, das „Wort zum Sonntag" durch das photographisch gewonnene „Bild zum Sonntag" in die erlebte Gegenwart zu leiten und für den Menschen der Gegenwart verstehbar zu machen, bedeutet einen Bruch mit der herkömmlichen Auffassung, das „Wort Gottes" verlange einen altväterlichen Anschauungshintergrund, der schon durch seine Unzeitgemäßheit die Wahrhaftigkeit der Aussage zum Problem werden läßt. Zugleich hat er eine Antwort gefunden auf die Frage, wie die Verkündigung des Wortes Gottes dem Bilder konsumierenden Menschen von heute so begegnen kann, daß das Bild den Dienst der Verstehenshilfe für das zu hörende Wort leistet. Sie besteht

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in der legitimen Möglichkeit, das aus einer zeitlich nicht vorstellbaren Ferne auf uns überkommene Bibelwort mit Photographien aus dem gegenwärtigen Leben nicht nur zu illustrieren, sondern auch in seiner Gegenwartsbedeutung zu erhellen, so daß „Hören" und „Sehen" auf ganz neue Weise zum „Verstehen" führen 199 . c) Indirekte Verkündigung durch die kirchliche Presse Die Tediniken und Praktiken der kirchlichen Pressearbeit ergaben sich seit der Zeit ihrer Anfänge aus der aktuellen Aufgabe, vor die sich die kirchliche Presse jeweils gestellt sah. Die Motive f ü r ihre Gründung bestimmten auch die praktische Gestaltung, mit der die Presse indirekt Anteil nahm am Verkündigungsauftrag der Kirche. P o l e m i k war eines der ursprünglichsten Anliegen für die Gründung evangelischer Presseunternehmungen. Der Evangelische Bund war aus dem Gefühl einer Bedrohung durch polemische Aktionen des Katholizismus gegen den Protestantismus entstanden. Der Angriff hatte einen mit publizistischen Mitteln geführten Gegenangriff ausgelöst. Polemik war das Motiv, Polemik bestimmte die Praxis, Polemik grenzte die Verkündigung lehrmäßig ab gegen Absolutheitsansprüche der Gegenseite. Direkte Verkündigung erging nicht als Polemik; aber im Sinne eines Kontrastmittels diente Polemik der Verkündigung des Evangeliums, wie es von den Reformatoren wieder entdeckt worden ist. Die Auseinandersetzung mit Rom ist eine bleibende, auch für die Gegenwart verbindliche Aufgabe geblieben; aber sie erfolgt auf beiden Seiten nicht mehr im Stil der Polemik. Die evangelische Presse der Gegenwart hört aufmerksam auf die Lebensäußerungen der katholischen Kirche, sie hört die Gegenseite als Partner, den sie zu verstehen versucht. Entsprechend informiert die evangelische Presse ihre evangelischen Leser und kommentiert die Nadiriditen aus dem katholischen Lager im Sinne des Verstehensversuchs. Zugleich spricht die evangelische Presse katholische Leser an, wie auch umgekehrt von der katholischen Presse evangelische Leser angesprodien werden. Der dialogische Charakter bestimmt Sprache und Stil so, daß die Situation des abgebrochenen Gesprächs bewußt vermieden wird. Der „Materialdienst" des Konfessionskundlichen Instituts in Bensheim/Bergstraße repräsentiert die gegenwärtige Form der Publizistik des Evangelischen Bundes und doku" 9 B. Klaus, D a s W o r t Gottes im Zeitalter des Bildes, in: Medium, 2. Jg. 1965, S. 9—34.

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mentiert die veränderte Lage, in der der Evangelische Bund „zu einer unbefangenen gründlichen Kenntnis der katholischen Kirche verhelfen und die ökumenische Verantwortung des Protestantismus gegenüber der römischen Kirche wachhalten" mödite 2 0 0 . A p o l o g e t i k war seit der Zeit der Anfänge ein weiteres Motiv, von dem die praktische Gestaltung der kirchlichen Presse bestimmt wurde. Es ging um die Auseinandersetzung mit dem Sozialismus. Das Ziel war die Rückgewinnung der der Kirche entfremdeten Glieder ihrer Gemeinden. Die „Christliche Welt" erweiterte das apologetische Programm auf die vom Darwinismus ergriffenen gebildeten Glieder der Kirche, die infolge der Tendenzen in der damals neu erblühenden Naturwissenschaft ihrer Kirche den Rücken gekehrt hatten. Direkte Verkündigung erging nicht als Apologetik; aber das Gespräch mit dem Entfremdeten als Gespräch mit der „Welt" diente indirekt der Verkündigung, soweit der Dialog ingang kam. Praktisch ist bis zur Gegenwart aus diesem historischen Anliegen die Auseinandersetzung mit dem Thema „Kirche und Welt" als Aufgabe geblieben. Angesprochen wird „der moderne Mensch". Die Schwierigkeit liegt heute darin, daß als solcher nicht nur der Mensch außerhalb der Kirche gemeint ist, nachdem in ihm sogar das Selbstbildnis des modernen Theologen auftaucht. Hat die Theologie die Kategorien der Diesseitigkeit aufgenommen, so kann nunmehr von einer Solidarität der Fragenden gesprochen werden. Bezeichnend f ü r die Wandlung ist die Umwandlung der einstigen „Apologetischen Zentrale" in die „Zentralstelle f ü r Weltanschauungsfragen der EKD". Das von dieser „Zentralstelle" verbreitete Material gewährt der Gegenwart gemäße publizistische Hilfen im Sinne indirekter Verkündigung. D a s s o z i a l e M o t i v , das ebenfalls seit den Anfängen kirchlicher Pressearbeit als bedeutungsvoll erkennbar war, hat nicht das Schicksal der Fragwürdigkeit erlitten wie die polemische und die apologetische Zielsetzung. Einer Wandlung ist freilich auch das soziale Motiv unterworfen worden. Wicherns Gedanke, soziales Elend und Abfall von der Kirche stünden in engem Zusammenhang, führte zur Konsequenz, daß die Behebung dieses Elends und die Rechristianisierung der Betroffenen als zusammengehörig betrachtet wurden 2 0 1 . Die Verände200 2111

K . Nitzschke, A r t . Evangelischer Bund, in: R G G 3 II, 7 8 9 — 7 9 2 . G. B r a k e l m a n n , D i e soziale Frage des 19. Jahrhunderts, Witten/Ruhr 1 9 6 4 , S. 1 1 9 ff.

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rung der Gesellschaftsstruktur lag nicht in seinem Blickfeld. Das aber ist heute der Fall, wo das „christliche Volk" nicht mehr das Leitbild christlichen Handelns abgibt. Die Kirche sieht ihre Aufgabe nicht mehr im Kampf gegen Theorien oder Personen, die an bestehenden Ordnungen rütteln, sie versteht sich als einen Partner unter mehreren in der allgemeinen Diskussion über die rechte soziale Ordnung. Christliche Publizistik, die sich dem Verkündigungsauftrag der Kirche verpflichtet weiß und an seiner Erfüllung indirekt teilnimmt, wird das Bewußtsein der Kirche für ihre öffentliche Verantwortung dokumentieren. Sie äußert sich in der Mitarbeit der Kirche und ihrer Organe an der Lösung der anstehenden Probleme. Vorbildliche Beispiele finden sich in theologischen und kirchenamtlichen Verlautbarungen. Hnzuweisen ist etwa auf die Denkschrift der EKD „Eigentumsbildung in sozialer Verantwortung", in deren Kommentar von E. Müller es heißt: „Die Verpflichtung zur Nächstenliebe ist jedem Christen auferlegt, sie schließt das Eintreten für eine Verbesserung der gesellschaftlichen Ordnung ein. Das gilt besonders in einer Zeit, in der den wirtschaftlich Schwachen wirksam nur noch durch gesellschaftliche Maßnahmen, aber nicht mehr durch die Hilfsbereitschaft einzelner geholfen werden kann" 202 . Ein m i s s i o n a r i s c h e s und ein u n i o n i s t i s c h e s M o t i v verlangt schließlich für die Aufgabenstellung evangelischer Pressearbeit seit ihrer Gründung Berücksichtigung. Ursprünglich liefen beide Motive nebeneinander her, sie sind inzwischen miteinander verschmolzen. Die Verschmelzung wird an den Versuchen einer ökumenischen Theologie sichtbar, die zugleich ein neues Verständnis vom Dienst der Kirche an der Welt offenbart. Im Auftrage des ökumenischen Rates der Kirchen sind Studien zu diesem Problem durchgeführt und in Arbeitsheften niedergelegt worden, wo es unter anderem heißt: „So gründen sich die Verpflichtung, der ganzen Welt das Evangelium zu bringen, und die Verpflichtung, das ganze Volk Christi zusammenzuführen, auf Christi ganzes Werk und sind unauflöslich miteinander verbunden. Jeder Versuch, diese beiden Aufgaben voneinander zu trennen, verletzt die Ganzheit des Dienstes Christi an der Welt. Beide sind im strengsten Sinne des Wortes Wesensbestandteile der Kirche und der Erfüllung ihres Dienstes als des Leibes Christi" 203 . Die unionistischen Bestrebungen von 205

203

Eigentumsbildung in sozialer Verantwortung, der Text der Denksdirift der EKiD, erläutert von E. Müller, Hamburg 1962, S. 117 f. Zit. bei: E.-A. Ortmann S. 207.

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einst, die der Zusammenführung der getrennten evangelischen Landeskirche dienen sollten, sind ökumenischen Zielsetzungen gewichen. Die Pflege dieses Gedankens durch die kirchliche Presse dient zweifellos den als indirekte Verkündigung gekennzeichneten Aufgaben. Die Form, in der die genannten Elemente pressegerechter indirekter Verkündigung am wirkungsvollsten eingesetzt werden können, ergibt sich aus der vom epd durchgeführten Versorgung der säkularen Presse mit kirchlichen Informationen. Hier in der Tagespresse oder in den unabhängigen Wochenzeitungen findet sich für den Dialog mit dem Katholizismus ein neutrales Podium, hier wird die Solidarität der Fragenden glaubwürdig, hier kann das Angebot an Mitarbeit wirklich ernstgenommen und angenommen werden und muß nicht in bloßer Deklamation verharren. Dadurch wird aus der Information wie von selbst eine funktional wirksame und darum besonders eindringliche Weise gegenwärtiger kirchlicher Verkündigung. d) Indirekte kirchliche Verkündigung in der außerkirchlichen Presse Die Aufgabe der Tagespresse, die allgemeine Meinung widerzuspiegeln, wirkt sich für die indirekte Verkündigung ungemein günstig aus. Indirekte Verkündigung erfolgt mit der Berichterstattung über Ereignisse aus dem kirchlichen Leben, die im Dienst der direkten Verkündigung stehen. Etwas davon fängt der Journalist auf und gibt es auf seine Weise pressegerecht weiter. Dazu gehören die Übernahme von epd-Meldungen über regionale Ereignisse und die eigene Berichterstattung über lokale Ereignisse des kirchlichen Lebens. Im Interesse einer ebenso korrekten wie umfassenden Information sollte die Bedeutung der persönlichen Kommunikation zwischen Pfarrer und Journalist nicht gering veranschlagt werden. Der indirekten Verkündigung können Nachrichten aus dem Tagesgeschehen im überregionalen und im lokalen Bereich dienen, wenn die Ereignisse und die Weise der Information über die fraglichen Ereignisse bei den christlichen Lesern zum Bewußtsein des Waltens Gottes in der Welt führen oder zum Aufruf werden, dem Willen Gottes in den Alltagsentscheidungen recht zu geben. Voraussetzung dafür, daß Informationen dieser Art Verkündigungsqualität erhalten, ist die Kenntnis des kerygmatischen Gehalts der kirchlichen Verkündigung beim Leser. Der Konnotation ist es aber besonders dienlich, wenn auch beim Journalisten solche Kenntnisse vorausgesetzt werden können. Ob es beim Rezipienten zu Konnotationen kommt, die dem Bericht über

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ein Tagesereignis die Qualität indirekter kirchlicher Verkündigung verleihen, kann nicht vorausgesehen werden. Wichtig wird eine Erziehung der Jugend zur Überwindung der Konsumentenhaltung und zu kritisch reflektierender Auseinandersetzung mit dem Berichteten. 2. Unterricht U n t e r den Presseerzeugnissen hat die Illustriertenpresse die bekannte Bedeutung der „geheimen Miterzieherin" gewonnen. In großer Zahl geraten Illustrierte Kindern und Jugendlichen in die Hände. Der Pädagogik ist die Aufgabe gestellt, das Geheimnis dieser Erziehungsmacht aufzudecken, unter Kontrolle zu bekommen und das in der Illustriertenpresse vorliegende Material bewußt und planmäßig in das Erziehungsganze einzuordnen. Ihr Anliegen sollte nicht als Versuch einer „Pädagogisierung der Presse" mißdeutet werden. Die Pädagogik ist vordringlich daran interessiert, die Atmosphäre zu kennen, in der Erziehung geschieht. Dabei will sie die Möglichkeiten überprüfen, intentional in ihren Dienst zu stellen, was funktional ohnehin bereits wirksam wird 2 0 4 . Der Religionspädagogik ist nach dieser Richtung ein besonderes Maß an Verantwortung auferlegt. Sie kann das Bildmaterial der Illustrierten nicht wertfrei, nicht religiös und ethisch neutral ansehen, sondern ist der A r t ihres Auftrags nach Partei. Ihr Ziel wird es sein, die ihr anvertrauten Jugendlichen zur Reife des kritisch-freien eigenen Urteils über das Angebot zu führen. Da die Illustriertenpresse die Photographie als Signal für ihre Nachrichtengebung benutzt, konzentriert sich die der Religionspädagogik gestellte Aufgabe auf das Thema: „Die Photographie im Religionsunterricht" 205 . Nachdem kirchenamtlich legitimierte Lehrbücher für den Religionsunterricht mit Photographien ausgestattet worden sind, wie sie in jeder Zeitung gefunden werden können, ist das Illustriertenphoto als Arbeitsmittel für den Religionsunterricht anerkannt worden. Praktische Wegweisung zum Einsatz dieses Unterrichtsmittels hat Voraussetzungen zu bedenken, die sich aus dem Wesen des Religionsunterrichts, aus der Eigenart der Photo204

Vgl.

zum ganzen: H . - J .

Ipfling,

Jugend

und

Illustrierte.

Pädagogisch-

zeitungswissenschaftlidie Untersuchung, Osnabrück 1965. 205

B. Klau«, Die Photographie im Religionsunterridit, in: 56. Jg. 1967, S. 4 4 8 — 4 6 0 .

Pastoraltheologie,

Vgl. audi I. Riedel, Bildinterpretation.

Zum

Umgang mit Bildern in der Schule, Jugend- und Gemeindearbeit, Mündien 1969.

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graphie als Nachrichtenmittel der Illustriertenpresse und aus der entwicklungspsychologischen Situation der Kinder und Jugendlichen ergeben. a) Voraussetzungen Der Religionsunterricht, der in die Ganzheit des Lebens eines Kindes oder Jugendlichen eingebettet ist, hat seine Existenz nicht in einem isolierten Bereich. Er soll und darf kein Fremdkörper im Schulalltag sein. Er verfügt über keinen sakralen Raum, über keine geheiligte Sprache; die Religionsstunde gehört nicht zu den geheiligten Zeiten. Der Religionsunterricht verfügt lediglich über das, was allen anderen Fächern im Alltag der Schule auch verfügbar ist. Für die Interpretation von Bibeltexten oder Psalmen stehen keine anderen methodischen Mittel zur Verfügung als dem Deutschunterricht für die Interpretation von Texten der weltlichen Literatur oder der profanen Lyrik. Die Weltlichkeit der Mittel mindert nichts am Inhalt der biblischen Botschaft, der für den Inhalt der Religionsstunde zentrale Bedeutung hat, aber nur mit Hilfe methodischer, also weltlicher Mittel erschlossen werden kann. Mit der Fleischwerdung des Wortes in Christus gab sich Gott in den menschlichen Erkenntnisbereich. Fleischwerdung heißt Verweltlichung. „Das Christentum ist die immer neue notwendige Verweltlichung der Botschaft des Evangeliums." Gert Otto, der die These so formuliert hat, folgert daraus, daß die weltliche Auslegung des Evangeliums ihrem Wesen nach unabgeschlossen und unabschließbar ist, „weil sie die Weise ist, in der der Mensch sich dem Evangelium stellt, es annimmt oder verwirft" 2 0 6 . Das betrifft: erst recht den jungen Menschen, der sich als Schüler im Religionsunterricht durch die hier stattfindende Auslegung der Texte auf den Ursprung der biblischen Botschaft zurückverwiesen und dadurch zur Stellungnahme veranlaßt sieht. Dazu könnte es schwerlich kommen, wenn die Religionsstunde der Besichtigung und Sichtung musealer Schätze gleichkäme oder wenn sie unter Weckung psychischer Emotionen auf eine fragwürdige Überhöhung des Schulalltags angelegt wäre. Die immer neue und notwendige „Verweltlichung der Botschaft des Evangeliums" verlangt nach immer neuer Einbeziehung von Mitteln, die der Botschaft einen Hörbereich in der jeweiligen Gegenwart der Welt sichern. 206

G . O t t o , Schule — Religionsunterricht — Kirche, 2. A u f l . , Göttingen 1964, S. 45.

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„Das Wort ward Fleisch" — dieser Satz besagt über die verallgemeinernde Feststellung ¡der „Verweltlichung" der Botschaft des Evangeliums hinaus, daß Gott sich in Christus in die Sichtbarkeit der menschlichen Existenz begeben hat und in ihm als Urbild umd Abbild in einem anschaubar geworden ist. Die Inkarnation beherrscht prinzipiell auch „alles Abbilden, alles Nachschaffen und Nachdenken des Urbildhaften"; sie macht die bildhafte Darstellung der Wirklichkeit Gottes möglich 207 . Sie begründet das Recht der Einbeziehung der Photographie in die weltlichen Mittel zur Auslegung biblischer Texte, so daß alles, was als Botschaft des Evangeliums anschaulich ausgesagt wird, in der Sichtbarkeit der gegenwärtigen Welt anschaubar werden kann. Die Photographie der Illustriertenpresse, die jedem Menschen täglich neu und immer wieder anders begegnet, präsentiert sich als Mittel und Möglichkeit, die Lebenssituation der Gegenwart in einer unvorstellbar großen Variationsbreite zu erläutern. Sie erhellt sie schlaglichtartig durch das optische Herausstellen exemplarischer Vorgänge. Indem dies geschieht, überschreitet sie kühn die Grenzen des Optischen und spricht den Menschen an mit einer Stimme, die über alle Frequenzbereiche verfügt; sie kann ihn leise anrühren, sie kann ihn anschreien. Für ihre Aussage erhebt die Photographie den Anspruch absoluter Glaubwürdigkeit. Wenn sich mit Wörtern Vorgänge nicht nur erläutern und verdeutlichen, sondern erst recht auch verschleiern, umdeuten und verfälschen lassen, so eignet dem Objekt der Kamera die kalte Unbestechlichkeit der Apparatur, und die auf photographischem Wege erreichte Aussage fordert für sich die Anerkennung ihrer Objektivität. Die von der Photographie scheinbar selbst zur Schau gestellte Qualifikation läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß das Photo zum Sehen auffordert und beim Vorgang des Betrachtens aussagewirksam wird, so daß es im übertragenen Sinn zum Hören auf die Bildaussage kommt. Was gesehen und gehört wird, will als „Selbstdarstellung der Wirklichkeit" 208 mit dem Anspruch unbedingter Wahrhaftigkeit gewertet sein. Die kritischen Fragen gegenüber dieser vordergründigen Urteilsweise betreifen das Problem der Bildwirksamkeit der Photographie. Wirksamkeit ist Aktivitätsentfaltung. Daß der Anblick der Wirklichkeit Impulse 207 808

H.-J. Thilo, Der ungespaltene Mensch, Göttingen 1957, S. 118. K. Pawek, Das optische Zeitalter, Ölten und Freiburg i. B. 1963, S. 56.

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zur Aktivitätsentfaltung auslöst, kann nicht bestritten werden. Der unmittelbare und nicht durch ein technisches Medium vermittelte Anblick eines Teilbereiches der wirklichen Welt, von der man durch Hörensagen weiß, bedeutet eine Begegnung mit dieser Wirklichkeit, die in ausgewogenen Relationen von Hören und Sehen, von Wahrnehmen und Denken verläuft. Die Vermittlung eines Anblicks der Wirklichkeit durch die Photographie verdrängt die Ausgewogenheit dieser Relationen. Auf dem Optischen allein ruhen so starke Akzente, daß Impulse nicht nur auf bewußte, sondern auch auf unbewußte menschliche Reflexionen ausgelöst werden. Der Mensch gerät in den „Bann der Bilder". Er wird im Akt des Sehens von der Wirklichkeit überwältigt, statt im Denkakt die Wirklichkeit zu bewältigen 209 . Man hat mit Recht gesagt: „Das Optische ist aktiv geworden, es ist regelrecht auf den Menschen angesetzt. Es hat Reize auszulösen und Bedürfnisse zu wecken, die den Tendenzen derer entsprechen, die es gebrauchen" 210 . Die kritischen Fragen betreffen ferner den Anspruch auf Objektivität und unbestechliche Wirklichkeitstreue der Photographie. So klein ist die Welt nicht, wie sie sich dem Bildbetrachter darbietet. Fritz Leist hat daher über das Ergebnis des Anblicks der Photographie geurteilt. „Die wirkliche Welt sehen wir nicht, nicht einmal ihr wirklichkeitsgetreues Abbild, sondern eine Ubersetzung in verkleinertem Maße. Wir sehen Unwirkliches" 211 . Karl Pawek ist noch erheblich weitergegangen und hat sogar die Möglichkeit aufgezeigt, daß sich logischer Irrtum oder moralische Unwahrheit in das photographisch erzeugte Bild einschleichen können 212 . Eine radikale Absage an die Wirklichkeitstreue der Photographie erteilte Heinrich Boll: „Die große Täuschung der Photographie liegt in der Vortäusdiung objektiver Wirklichkeit" 213 . Kritisch zu fragen ist schließlich nach der Aussagekraft des durch die Illustrierten in ungeahnter Häufung auftretenden Photos. Das technische Mittel tritt in Erscheinung mit allen technischen Möglichkeiten, über die es verfügt. Sie äußern sich in der Bilderfülle, für die es offenbar 208 2X0

211

212 213

9

K. Pawek S. 93. Ch. Pesch, Das Bild in der katechetisdien Unterweisung, Düsseldorf 1957, S. 68. F. Leist, Der Mensch im Bann der Bilder. Verführung oder Geleit?, München 1962, S. 28. K. Pawek S. 99 f. Zit. bei K. Pawek, Der Streit um die Photographie, in: K. Pawek (Hrsg.), Panoptikum oder Wirklichkeit?, 1965, S. 5. Klaus, Massenmedien

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keine Grenzen gibt. Die Reizüberflutung durch die Bilderfülle ist zu einer vielverhandelten Gefahr für die Menschen geworden 214 . Die technische Möglichkeit der unbegrenzten Reproduktion fördert die Kenntnisnahme nicht apperzipierbarer Eindrücke in der Art eines flüchtigen Augen-Blicks. Die Bilderfülle mit ihrer Reizüberflutung wehrt der Möglichkeit des Eindringens in die Tiefe des Bildgehaltes einer bestimmten einzelnen Photographie. Damit erlischt die Aussagekraft des photographisch produzierten und reproduzierten Bildes. Als Voraussetzung für die Verwendung der Photographie ergibt sich aus den kritischen Anmerkungen zu ihren Wesensmerkmalen, daß der Betrachter ein sehender werden muß, um sich in eine Bildaussage hineinhören zu können. Der Betrachter soll nicht das Bild auslegen, wie es etwa ein Gemälde verlangt, sondern die in ihm dargestellte Wirklichkeit sehen lernen, sie so wiederkennen, wie sie der Photograph gesehen hat. Karl Pawek hat die Verschiedenheit der Positionen so ausgedrückt: „Der Künstler erschafft die Wirklichkeit, der Photograph sieht sie"215. Diese geschaute Wirklichkeit, die er photographisch festgehalten hat, als solche wieder zu sehen, darauf kommt es an. Dazu ist es nötig, das Sehen zu lernen und zu üben. Vom Kinde her ist zu bedenken, daß die religiöse Entwicklung als ein Akt der Prägung durch die Umwelt erfolgt und das Kind nur mit seiner Umwelt zusammen psychologisch gesehen werden kann. Diese Umwelt wirkt bis zum Ende des 3. Schuljahres schlechthin autoritär. Das gilt in besonderem Maße f ü r die prägende Einwirkung durch den Lehrer bzw. den Religionslehrer. Im 4. Schuljahr, also etwa bei den Zehnjährigen, tritt eine Modifizierung ein; es kommt zu ersten Ansätzen einer kritischen Auseinandersetzung mit der Umwelt. Das Kind hat nun schon manche Konflikte erlebt, nicht nur mit Gleichaltrigen, sondern auch mit Erwachsenen, und beginnt, die Autoritätswerte abzubauen durch kritische Urteile. Das Kind sucht jetzt nach einem ihm sinnvoll erscheinenden Zusammenhang dessen, was ihm in der Bibel begegnet, mit dem, was seine Erlebniswelt füllt. Das gilt in noch viel stärkerem Maße für Kinder im 5. Schuljahr und in der anschließenden Zeit der Vorpubertät. Zum reflektierenden Realismus tritt der praktische Tatendrang, der diese Altersstufe als starke Aktivitätsphase kennzeichnet. 214

Vgl. dazu: B. Klaus, Das Wort Gottes im Zeitalter des Bildes, in: Medium,

2. Jg. 1965, S. 9 ff. 215

K. Pawek, Das optisdie Zeitalter, S. 58.

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Die Gebundenheit des Kindes an die Autorität der Erwachsenen betrifft auch alles das, was die Erwachsenen dem Kinde zeigen. In naiver Empfangsbereitschaft nehmen die Kinder Bilder in sich auf und identifizieren sich mit dargestellten Personen. Insofern haben Bilder in ganz besonderem Maße normierende Kraft. Wer sie im Unterricht gebraucht, muß sich darüber im Klaren sein, daß diese Kraft sogar die kindliche Phantasie niederzuringen vermag. Hier lauern die pädagogischen Gefahren. Da die biblischen Texte in den ersten drei Schuljahren vorwiegend durch Erzählen nahegebracht und auf diesem Wege auch interpretiert werden sollten, hat die nur auf Information beschränkte Einsatzmöglichkeit des Photos wenig Sinn. Hingegen erwächst dem der Dokumentation dienenden Photo die Möglichkeit, den Lebensbereich der Gemeinde und die Formen des Gemeindelebens zu vergegenwärtigen und zu erläutern, also den R a u m zu erhellen, in dem der praktische Glaube der Eltern und Erzieher seine Stätte hat und in dem das Kind selber heimisch werden will und soll. Die Möglichkeit der Verwendung als Dokumentation bleibt dem Photo auch für den Religionsunterricht vom 4. Schuljahr an. Die photographische Wiedergabe des gottesdienstlichen Lebens der Gemeinde, der Diakonie und der Mission zielt auf den Anruf, hier heimisch zu werden und hier mitzutun. Photographien dienen dem Unterricht als Verstehenshilfe, wenn sie selbst keiner Interpretation bedürftig sind. Ein Photo ist dann für den Religionsunterricht richtig gewählt, wenn es in irgendeiner Weise kommentarlos vom Kind als Teil seiner Erlebniswelt wiedererkannt werden kann. Die um das 10. Lebensjahr einsetzende Weiterentwicklung der Kinder läßt vom 4. Schuljahr an auch einen noch weitergehenden Gebrauch des Photos als Interpretationshilfe zu; trägt es doch in starkem Maße dem Anschauungsprinzip Rechnung und fördert die Möglichkeiten der Aktualisierung des Angeschauten. Anschauung ist das Fundament der Erkenntnis, aber nicht die Erkenntnis selbst. Darum ist es nötig, die Beziehungen und Sinnzusammenhänge einsichtig zu machen. Das Angeschaute muß gedanklich verarbeitet werden. Das ist durch die Denkentwicklung im späten Kindesalter möglich, die deutliche Fortschritte zeigt in der Begriffsbildung, im Urteilen und im Schlußfolgern. Im Blick auf diese Möglichkeiten aber gilt es, eine vom Kind aus vorgegebene Bedingung zu beachten und vor einem entscheidenden Fehler zu warnen. Die angriffige Reizüberflutung durch die technisch produzierte Bil9»

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derfülle der Illustriertenpresse führt die kirchliche Praxis in die Versuchung, die Mittel der Technik in der gleichen Absicht und A r t in ihren Dienst zu stellen. Natürlich ist es möglich, reizstarke Bilder serienweise in schneller Folge den Kindern vor Augen zu führen; aber von der Sache her geurteilt, wäre es sinnlos. Es wäre auch vom Kinde her geurteilt sinnlos, weil es den psychologischen Vorgegebenheiten widerspricht. Die Aktivitätsentfaltung des auf den Menschen angesetzten Bildes steht dem Willen nach Aktivitätsentfaltung des Kindes, seinem Tatendrang und seiner Entdeckerfreude schroff entgegen. Das Kind will sehen, was auf der ihm gezeigten Abbildung passiert und wie das, was passiert, vor sich geht. Dies alles will es selbst herausfinden. Das will es entdecken, apperzipieren, es will das Entdeckte mitteilen und sich so des neuen Besitzes bemächtigen. Die Beachtung der Voraussetzungen vom Kinde aus ergibt für die Praxis einige Grundsätze, die niemals übersehen werden sollten: 1. D e r maßvolle und sparsame Einsatz des Photos für Unterrichtszwecke muß oberstes Gebot sein. Man sollte weder in jeder Stunde mit einem Photo arbeiten, noch sollte man für die Gestaltung einer einzelnen Stunde eine Vielzahl von Bildern beanspruchen. 2. Zum Betrachten eines Photos gehört viel Zeit, wenn aus den optischen Wahrnehmungen die Bildaussage gewissermaßen als akustischer Impuls aufgefangen und das Vernommene vom Kind in die Wörter seiner Sprache umgesetzt werden soll. 3. Der Einsatz eines Photos darf die Schulklasse, z. B. angesichts der angriffigen Aktivität des Optischen, niemals zur Passivität der Konsumentenhaltung verurteilen; vielmehr muß der Anspruch des Bildes der Aktivitätsentfaltung der Schüler dienen. 4. Das zu verwendende Photo muß sehr sorgfältig auf seine Eignung überprüft werden: a) es darf weder irreführende Maßstäbe noch falsche Akzente setzen, sondern muß eindeutig sein, kein Vexierbild; b) es darf nicht zur Fremdheit und Ferne des Bibeltextes die Fremdheit und Ferne eines optischen Eindruckes hinzufügen, sondern muß zur Erlebniswelt des Kindes gehören; c) es muß die Geschichte von einst in das Geschehen der Gegenwart übersetzen, damit es als Verstehenshilfe erfaßt und verarbeitet werden kann. 5. Für die Auswahl des Photos müssen die gleichen Grundsätze beachtet werden wie für alle Unterrichtsmittel, nämlich die Prinzipien der

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Kindesgemäßheit, Anschaulichkeit, Lebensnähe, der und der Ertragssicherung.

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b) Die Praxis Die Funktionen der Photographie eröffnen mehrfach gefächerte Möglichkeiten ihres methodischen Einsatzes. Wir beschränken uns auf zwei im Ansatz unterschiedene Möglichkeiten. Die erste besteht darin, daß der Lehrer das Bildmaterial aussucht und bereitstellt, die andere darin, daß die Schüler das Material in eigener Aktivitätsentfaltung beschaffen. 1. Mit Hilfe der Photographie können Dinge und Vorgänge anschaulich gemacht werden, die sich ohne ihre Hilfe nur beschreiben ließen. Dazu gehört der gesamte Bereich des Dokumentarischen: geographische Gegebenheiten, die Landschaft als Hintergrund bestimmter Geschehnisse, historische Stätten biblischer oder kirchengeschichtlicher Ereignisse, Zeugnisse der Kult- und Frömmigkeitsgeschichte, zeitgenössische Porträts, Bilder und Graphiken, denen der Charakter von Dokumentationen eignet, — das alles läßt sich photographisch erfassen und in den Unterricht hineinnehmen. Damit dient das Photo der Information oder wenigstens doch der Illustration; die Photographie wird zum Mittel, die intellektuelle Kenntnis durch Anschauung zu fördern. In dieser Funktion gewinnt der methodische Einsatz des Photos Möglichkeiten in der Stufe der „Begegnung" des Schülers mit einem neuen Sachstoff. Das Photo dient in der gebundenen Lehrform der „Darbietung" des Neuen, dem der Schüler begegnet, indem es das Neue durch Illustration verdeutlicht oder die durch Erzählung gewonnene Kenntnis mit einer optisch vermittelten Information erweitert oder das dort verhandelte Geschehen dokumentarisch bestätigt. In der freien Arbeitsform kann das Photo, wie überhaupt das Bild, die Begegnung mit dem Neuen durch Betrachten und Interpretieren vermitteln. Über die Vermittlung von Kenntnissen durch Anschauung purer Fakten hinaus ist das Photo in der Lage Verstehenshilfe zu leisten. Indem es Vorgänge, die sonst wegen ihres zeitlich oder räumlich weiten Abstandes in einem undeutlichen Dämmerlicht bleiben müßten, optisch unmittelbar nahe bringt, verfügt das Photo über die Qualität, ein Miterleben der dargestellten Vorgänge zu ermöglichen. Es konfrontiert den Betrachter mit dem photographierten Objekt unmittelbar. Die Unmittelbarkeit setzt durch die Nähe und durch die Verkleinerung der Maßstäbe die Identifizierung des Betrachters mit dem Dargestellten in Gang. Das Photo fordert zur Stellungnahme heraus. In dieser Funktion dient

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das Photo dem verstehenden Beteiligtsein, es nimmt den Betrachter in den dargestellten Vorgang mit hinein, so daß eine Auseinandersetzung zwingend wird. Der Apperzeptionsvorgang macht das Neue zum Besitz und gliedert es in den Bestand des Vorhandenen ein. Damit wird das Photo für den methodischen Einsatz in der Stufe der „Verarbeitung" erschlossen, die in der „Besinnung" auf die Bezugspunkte des Neuen zum Alten und zum Betrachter selbst ihr Wesen hat. Für die freie Arbeitsform dient das Photo in dieser Stufe als Mittel, das Unterrichtsgespräch zu führen; vor allem kann es für die Gruppenarbeit fruchtbar sein. Über das Kennenlernen und das Verstehen des Kennengelernten hinaus vermag das Photo auch Erkenntnisse zu vermitteln. Das kann im Sinne einer allgemeinen Situationserhellung geschehen, wenn durch ein Photo die alltägliche Wirklichkeit als eigene erlebte Gegenwart zum Gegenüber wird. Die vom Bild ausgelöste Frage- und Erwartungshaltung wird zum Ausgangspunkt und zur Richtungsorientierung für einen zu beschreitenden Erkenntnisweg, wenn das Wort zum Bild etwa mit der folgenden kommentierenden Information hinzutritt: dem Alltag der Bibel mit den einstigen Adressaten eines bestimmten Textes wird hier der Alltag der gegenwärtigen Empfänger der biblischen Botschaft gegenübergestellt, in dem auch der Betrachter angesiedelt ist. Damit bietet das Photo methodisch die Möglichkeit der „Anknüpfung" oder der vorbereitenden „Hinführung" auf eine kerygmatische Aussage, die in eine durch das Photo bewußt gemachte Situation ergeht, wie sie der Situation der einstigen Hörer entspridit. Die durch ein Photo bewirkte oder doch geförderte Erkenntnis kann aber auch auf die zentrale kerygmatische Textaussage bezogen sein. Was durch einen Bibeltext ausgesagt wird, gewinnt in seiner überzeitlichen Verbindlichkeit durch die photographisch festgehaltene Situationsschilderung unmittelbare Gegenwartsbezogenheit. Bilder aus dem Alltag können in Verbindung mit der Aussage eines Bibeltextes den Betrachter zur Uberprüfung des eigenen Standortes herausfordern, und das schließt auch die Möglichkeit zur Opposition gegen die Textaussage ein. Solche Bilder können die bisherige Standortbestimmung des Betrachters erschüttern, in Frage stellen und damit fragwürdig werden lassen; sie können, indem sie den Betrachter mit sich selbst konfrontieren, die gehörte Textaussage aktualisieren bis hin zur unmittelbaren Anrede: „Du bist der Mann!" (2 Sam 12, 7). In diesem Falle gelingt der methodische Einsatz des Photos in der Stufe der aktualisierenden „Anwendung"; auch

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als Impuls, der die „Oppositionsstufe" auslöst, dient die Aussage des Photos der Aktualisierung und Vergegenwärtigung der Textaussage. In der letzten methodischen Stufe der Anwendung schließt das Photo den Erkenntnisweg einer Unterrichtseinheit ab und eröffnet zugleich eine ganz neue Perspektive für den Blick auf die Lebenswirklichkeit des Alltags. Zum Durchdringen und Erfassen des Bildgehaltes einer Photographie im Sinne des Sehenlernens sollten grundsätzlich drei Schritte beachtet werden, die sich aus folgender Aufgabenstellung ergeben: Was sieht man auf dem Bild? ( = Feststellung der Situation) Was geschieht auf dem Bild? ( = Erkennen der Handlung) Warum stehen wir an dieser Stelle der Stunde vor diesem Bild? ( = Verknüpfung mit dem Text oder Thema). 2. Für den arbeitsteiligen Gruppenunterricht ergibt sich eine Möglichkeit, die in hervorragendem Maße dem Drang der Kinder nach Selbsttätigkeit, nach ihrer Entdeckerlust, ihrem Wunsch nach Aktivitätsentfaltung, dem Spontaneitätsprinzip und dem Prinzip der Lebensnähe Rechnung trägt: man überlasse die Wahl des zum Thema gehörigen Photos den Kindern selbst! Die Möglichkeit ist dann gegeben, wenn jede Gruppe eine oder mehrere Illustrierte Zeitungen in die Hand bekommt mit dem Auftrag, das der Arbeitsanweisung entsprechende Photo herauszusuchen und auszuschneiden. Die Durchführung hätte so auszusehen, daß die Arbeitsanweisung an die Tafel geschrieben wird, Beispiel: Das 7. Gebot — „Du sollst nicht stehlen!" Aufgabe der Arbeitsverteilung als der 2. Phase wäre es nun, das Gesamtthema in Teilprobleme aufzulösen und je ein Teilproblem je einer Gruppe zu übertragen, Beispiel: 1. Gruppe: „Wir sollen Gott fürchten und lieben", 2. Gruppe: Wir sollen „unseres Nächsten Geld oder Gut nicht nehmen", 3. Gruppe: Wir sollen unseres Nächsten Geld oder Gut „nicht mit falscher Ware" an uns bringen, 4. Gruppe: Wir sollen unseres Nächsten Geld oder Gut nicht mit „Handel" ain uns bringen, 5. Gruppe: Wir sollen Gut und Nahrung unseres Nächsten bessern helfen, 6. Gruppe: Wir sollen Gut und Nahrung unseres Nächsten behüten. Jede Gruppe hätte auf ihr Sonderthema hin das aktuelle Bildmaterial der Illustrierten zu durchforsten. Dazu werden bestimmte Fragen gestellt: Wo kommt das heute vor? Wo und wie geschieht es heute? Wo und wie kann man das Gegenteil beobachten von dem, was Gottes Wille ist? Die Verwirklichung wird ohne Anleitung nicht gelingen und der erste Versuch wird Schwierigkeiten bereiten. Trotzdem geht es um ein im späten Kindesalter verheißungsvolles Be-

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mühen. Besonders sei auf die positiven Aussagen verwiesen. Ein bekannter Mangel herkömmlicher Katechismusillustrationen besteht darin, daß nur die negativen Aussagen Berücksichtigung finden. Schon in den frühen Katechismusausgaben von 1529 kann in den Illustrationen die überwiegende Darstellung der Übertretungen als unpädagogischer Mangel festgestellt werden 2 1 6 ! In der 3. Phase, der Arbeitsvereinigung, geht es schließlich darum, über die Ergebnisse zu berichten und im gemeinsamen Unterrichtsgespräch ein Gesamtergebnis zusammenzufassen. Diese als Hochform unter den freien Arbeitsformen zu wertende Methode ist bei Kindern bis zur Vorpubertät einschließlich nicht möglich. Mit ihren Häufungen von Darstellungen der Sexualität, Kriminalität und Brutalität bieten die Illustrierten nicht das geeignete Arbeitsmaterial f ü r Schüler dieser Jahrgänge. Dagegen eignen sie sich in hervorragendem Maße für den Unterricht an Jugendlichen der weiterführenden Schulen von der 9. oder 10. Klasse ab. Die Kontrastwirkung der von den Illustrierten bevorzugten Themen zu der Stellungnahme der Kirche gegenüber diesen Fragen ergibt wirkkräftige Impulse, und die Pubertierenden erfüllen die Voraussetzungen für die Auseinandersetzung. In zunehmendem Maße erlangen sie die Befähigung zu eigener kritischer Entscheidung, zu der sie im späteren Leben immer wieder gefordert sind. 3. Seelsorge Die Krisensituation der bestehenden Gemeinschaftsformen hat sich auch auf die Kirche ausgewirkt. Der Mensch, der mit seinen persönlichen Sorgen und Nöten nicht einmal bei seinen nächsten Angehörigen das ihm erforderlich scheinende Maß an Resonanz erlebt, findet zur Kirchengemeinde erst recht keinen Kontakt und zeigt sich der Seelsorge durch seinen Pfarrer nicht ohne weiteres aufgeschlossen. Der unkirchliche Mensch ist der Kirche gegenüber sehr mißtrauisch geworden. Den noch bewußt in kirchlichen Konventionen lebenden Menschen hindert ein bürgerlich-moralisch geprägtes Prestigedenken daran, die Seelsorge in Anspruch zu nehmen. Er möchte seinen Pfarrer nicht wissen lassen, was ihn umtreibt, um sein Ansehen nicht zu gefährden. Tatsache ist es aber, daß sowohl der unkirchliche, mißtrauische Mensch als auch der von bürgerlicher Scheu befangene kirchliche Mensch Seelsorge braucht; er will sie nur nicht so, wie die Kirche sie von Amts 218

WA 30, I, 634.

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wegen übt. Was er braucht, erhält er auf einem ganz anderen Wege, auf dem er sich ansprechbar zeigt. Dieser Weg wurde seit den Wandlungen beschritten, die der erste Weltkrieg ergeben hatte. a) Lebensberatung durch die außerkirchliche Presse Bald nach 1918 richtete erstmalig eine Berliner Massenzeitung eine neue Spalte ein mit der Überschrift „Frau Brigitte". Sie forderte die Leser auf, sich an „Frau Brigitte" zu wenden in allen persönlichen Angelegenheiten, mit denen sie selbst nicht fertig werden. Die Fragen und die Antworten wurden laufend veröffentlicht. Das Beispiel machte im Handumdrehen Schule. Es war erstaunlich, was hier alles zur Sprache kam. Der nationalsozialistische Staat verbot diese A r t der Pressetätigkeit; er wünschte, daß sich der Mensch auch in seinen innersten persönlichen Bereichen den Parteiinstitutionen eröffnete. Nach 1945 trat die Erscheinung in unverminderter Stärke wieder auf. „Fragen Sie Frau Irene" oder „Frau Brigitte" oder sonst wen, das ist der Aufruf, dem der heutige Mensch zu folgen bereit ist. Zweifellos hat bei der Entstehung dieser Rubrik die Spekulation Pate gestanden, die Leser durch „Frau Brigritte" enger an das Blatt zu binden. Der Erfolg aber hatte ebenso unbezweifelbar den tatsächlichen Bedarf zur Voraussetzung nach einem „Seelenarzt" von der Art der „Frau Brigitte". Die auf diesem Wege entstandene säkulare Seelsorge beweist das tiefe Bedürfnis des in der Massengesellschaft einsam gewordenen Menschen nach R a t und Lebenshilfe. „Frau Brigitte" wird geradezu überlaufen; kein Seelsorger und kein Psychiater hat eine auch nur annähernd so große Praxis wie sie. „Die Anzahl der einlaufenden Briefe erreicht bei größeren Zeitschriften bis zu 50 und mehr (pro Tag). Wenn man die stattliche Zahl der Blätter, die heute R a t in Lebensfragen erteilen, in Betracht zieht, kann man mit 1000 und mehr Menschen rechnen, die in der Bundesrepublik täglich bei Wochenzeitschriften um R a t in perpersönlichen Problemen anfragen" 2 1 7 . Ein Beispiel: Die BILD-Zeitung erhielt in wenigen Tagen mehr als 15 000 Briefe, als sie den Lesern einmal die Möglichkeit bot, ihre N ö t e brieflich vorzubringen 2 1 8 . Der weit überwiegende Teil der Zuschriften zeugt von seelischen Bedräng217

F . Stein, Lebensberatung durch Wochenzeitschriften, in: B a y e r . Wohlfahrtsdienst 1966, S. 57.

219

A . Volbracht, Wonach die Menschen heute f r a g e n , in: D a s W o r t 1965, S. 68.

missionarische

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nissen und Nöten, die echt sind. Oft genug überwindet der Mensch sogar seine Scheu, intimste Privatissima zu enthüllen. Man spricht darum sogar von einer säkularisierten Beichte, in der der Journalist die Rolle des Beichtvaters übernommen hat, um die Eigenart des Geschehens zu kennzeichnen. In der T a t übt „Frau Brigitte" eine Funktion aus, die einst dem Pfarrer zugefallen war. Wenn sie aber heute von so vielen Menschen konsultiert wird, dann gerade darum, weil „Frau Brigitte" eben nicht Beichtvater im eigentlichen Sinne des Wortes ist. Weil nun seit neuestem in der kirchlichen Presse der Versuch einer öffentlichen Seelsorge gewagt wird nach A r t der Beratung und Lebenshilfe, wie sie die außerkirchliche Presse in Form von Antworten auf Leserbriefe übt, darum ist es erforderlich, die Lebenshilfeaktionen der außerkirchlichen Presse ein wenig genauer anzuschauen. Der Journalist, der als Redakteur der Spalte „Frau Brigitte" die säkulare Seelsorge übt, tut dies mit einer Aura der Erfahrung und der Autorität, der Anteilnahme und der Objektivität. Maßstab für seine Urteile ist nicht ein bestimmtes Ethos, sondern der „gesunde Menschenverstand". Günter Hegele zählt interessanterweise auch die „bürgerlichkirchliche M o r a l " zu diesen Maßstäben 2 1 9 . Interessant ist seine Feststellung, weil sich aus ihr eine gewisse Deckungsgleichheit der Leserschaft dieser Beiträge mit der Leserschaft der kirchlichen Presse erschließen läßt! J e nach dem Maße der Verantwortung für die Mitgestaltung menschlicher Schicksale, dem sich der Journalist verpflichtet weiß, muß das Ergebnis seiner Beratung jedenfalls nicht nur auf der unteren Stufe der Werteskala stehen, es kann auch von ethisch hohem Niveau sein. Da die vorgetragenen Probleme nicht nur für den gelöst werden sollen, der sich mit seiner Frage an die Zeitung gewandt hat, sondern für einen je nach Auflage in die Tausende, Hunderttausende oder sogar in die Millionen gehenden Leserkreis, sind Verallgemeinerungen unvermeidbar. Die meisten Ratschläge lassen sich auf Anpassung als oberstes Gesetz der Gesellschaft zurückführen 2 2 0 . Indem der Weg des geringsten Widerstandes beschritten wird für das, was abgelehnt wird, empfinden Tausende, Hunderttausende oder gar Millionen sich persönlich angesprochen und sich persönlich verstanden. Nicht immer wird der J o u r -

219

G . Helege, Werden wir genormt? Umgang mit Massenmedien,

Gütersloh

1965, S. 54. 220

G. Hegele konstatiert a.a.O., S. 56, den gleichen Tatbestand audi für die Formulierungen der Horoskope.

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nalist, auch wenn er guten Willens ist, gefährlichen oder sogar falschen Verallgemeinerungen entgehen. Er hat ja nicht in erster Linie den Auftrag, Helfer hilfsbedürftiger Menschen zu sein, sondern seine Zeitung für Massen von Menschen attraktiv zu machen. Attraktiv wird die Zeitung, wenn sie bietet, was der Leser wünscht. Die Wünsche des Lesers entsprechen seiner Konsumentenhaltung. Die Zeitung bietet ihm einen so gearteten und gestalteten Kulturkonsum, daß er auf dem geistigen Sektor ohne große eigene Anstrengungen leben kann. Das verlangt er auch für den seelischen Bereich. Sein Bedürfnis nach Komfort fordert die Beschränkung auf ein Minimum an seelischen Unbequemlichkeiten. Das Höchstmaß an Unbequemlichkeiten bei der Meisterung privater Konflikte besteht im Eingeständnis des eigenen Schuldanteils und in dem Vorsatz, wiedergutzumachen und sich zu bessern. „Frau Brigitte" zwingt nicht dazu und durch die von ihr geübten Verallgemeinerungen fühlt der Leser sich nicht betroffen, sondern bestätigt. Und das um so mehr, als man von ihrem Rat nur das zu akzeptieren braucht, was einem paßt. Der seelische Komfort dieses Seelenarztes erlaubt es glatt, sich vor der eigenen Verantwortung zu drücken. Wir mögen die Säkularisierung der Seelsorge schmerzlich bedauern, können aber die Folgerichtigkeit dieser Entwicklung schwerlich bestreiten. Zu „Frau Brigitte" und „Frau Irene" ist eine Fülle von Beratungsstellen und Institutionen anderer Art getreten, deren Aufgabe die Lebenshilfe am hilflosen und ratlosen Menschen der Gegenwart ist. Der große Zuspruch, den alle diese Einrichtungen finden, ist ein Beweis dafür, wie bitter notwendig wirkliche Seelsorge geworden ist. b) Publizistische Seelsorge durch die kirchliche Presse Die Kirche hat sich den Notwendigkeiten nicht verschlossen. Den Erwartungen des heutigen Menschen entspricht sie am besten in ihrer Telephonseelsorge. Darüber wird später zu berichten und zu reflektieren sein. Im Zusammenhang unserer Untersuchung kirchlicher Pressearbeit geht es um die Würdigung der Versuche der kirchlichen Presse, die gleichen Wege für sich gangbar zu machen, die von der säkularen Seelsorge so erfolgreich beschritten werden. Das ist nicht so neu, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Die Beantwortung von privaten Anfragen in Briefkastenspalten öffentlicher Blätter begannen bereits die beiden Blumhardt in ihrer Hauszeitschrift „Blätter aus Bad Boll", bzw. „Briefblätter". Ihre Idee wurde von Samuel

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Keller und von Ernst Modersohn aufgegriffen und weitergeführt, blieb aber auf die von ihnen redigierten Wochen- oder Monatsblätter beschränkt, so daß nur die der Erweckungsbewegung zugefallene Öffentlichkeit auf diesem Wege von ihnen erreicht werden konnte. Die Schranken durchbrach in der Gegenwart Billy Graham. In der Erbfolge publizistischer Seelsorge durch die Erweckungsbewegung publiziert er Antworten auf seelsorgerliche Anfragen in einer mit einer Auflagenhöhe von über 16 Millionen verbreiteten Tageszeitung der USA 221 . In Deutschland ist seit neuestem die kirchliche Presse dazu übergegangen, publizistische Seelsorge zu üben nach Art der Lebensberatung der säkularen Presse und in der gleichen Form als Antworten auf Leserbriefe. Um dem offenkundigen, starken Bedürfnis nach Beratung, Mahnung und Tröstung entgegenzukommen, ermutigt das „Sonntagsblatt" der bayerischen Landeskirche die Leser mit der folgenden in verschiedenen Nummern wiederkehrenden Notiz: „Zur Sprechstunde bei unserem Berater-Team G a n z i m V e r t r a u e n . Wir antworten auf Glaubens- und Lebensfragen der Leser. Wenn Sie mit einem Lebensproblem nicht allein fertig werden oder den Rat eines erfahrenen Fachmannes hören möchten, dann schreiben Sie an das SONNTAGSBLATT, Stichwort „Ganz im Vertrauen", 8 München 2, Birkerstraße 22. Unser Berater-Team, dem u. a. ein Theologe, ein Arzt, ein Psychologe, ein Jurist angehören, wird Ihnen brieflich oder unter dieser Rubrik antworten. Alle Zuschriften werden vertraulich behandelt." Der Aufruf gibt die Strukturgleichheit des Berater-Teams mit den Mitarbeiterkreisen der Telephonseelsorge zu erkennen und bestätigt damit, daß man die Zeichen der Zeit erkannt hat. Das zu leisten, was sich in der Telephonseelsorge bereits bewährt hat, ist nun also auch die Absicht der kirchlichen Presse. Die kritische Lektüre der Leserfragen und der Presse-Antworten ergibt eine weitgehende Ubereinstimmung der Themen, um die das Sonntagsblatt angegangen wird, mit den Themen, denen sich „Frau Brigitte" auch zuwenden muß. Bei den Antworten, die das kirchliche Blatt gibt, fällt ein gewisser pädagogisch klingender Ton auf. Die Gefahr des Gängeins auf Grund fester Normen ist nicht zu übersehen. Hier liegt die eigentliche Schwierigkeit des ganzen Unterfangens, Seelsorge durch das Medium der Presse zu treiben. Die Seelsorgetheorie der Gegenwart hat sich in stärkstem Maße den kommunikationstheoretischen Erkenntnissen angenähert. Entscheidend «" B. Graham, Billy Graham antwortet, 2. Aufl., Wuppertal 1963, S. 4.

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wird die Hilfe, die sich aus der Freiheit zu eigenen Entscheidungen ergibt. Sie kann nur in einem dialogischen Prozeß mit dem Seelsorger erreicht werden. Auf die Möglichkeit der Rückfrage kann in diesem Prozeß nicht verzichtet werden. Das aber ist es, was durch die Presse als Medium nicht erreicht werden kann. Darum werden die Seelsorgespalten der kirchlichen Presse im Prinzip keine anderen Funktionen erfüllen können, als die entsprechenden Spalten der säkularen Presse. Ihre Bedeutung als Lebenshilfe auf der Basis christlicher Existenzbewältigung soll nicht in Abrede gestellt werden; aber „Seelsorge" wird schwerlich auf diesem Wege geübt werden können. Seelsorge fordert gebieterisch die personale Kommunikation. Dennoch ist der eingeschlagene Weg nicht ohne Bedeutung. Sie ergibt sich aus dem Angebot der brieflichen Beantwortung schriftlich erbetener Hilfe. c) Briefseelsorge Die B r i e f s e e l s o r g e hat eine alte Tradition und kann als bewährte Weise kirchlicher Seelsorgepraxis gelten. Briefwechsel ergibt formal intermediäre Kommunikation; denn der Brief ist als Medium zu beurteilen. Der Briefwechsel hat aber an personaler Kommunikation teil; denn man kann brieflich ein Gespräch führen. Briefwechsel hält die Möglichkeit der Rückfrage offen und bestätigt den dialogischen Charakter dieser Kommunikationsbemühungen als Voraussetzung für die Entwicklung eigener Entscheidungsfreiheit. Briefseelsorge kann bereits aus dem Neuen Testament erhoben werden. Der seelsorgerliche Charakter einer Reihe von Briefen oder Briefteilen ist unbestritten. Typische Beispiele für Äußerungen, die Antworten auf tatsächlich gestellte Fragen sein dürften, finden sich — besonders deutlich als seelsorgerliche Aktionen erkennbar — im ersten Korintherbrief des Apostels Paulus. Es gibt allerdings weder auf diesen noch auf irgendeinen der anderen Briefe des Neuen Testamentes einen Antwortbrief. Darum kann der seelsorgerliche Vollzug als dialogisches Geschehen innerhalb des Lebens der neutestamentlichen Gemeinden nicht nachgezeichnet werden. Der Protestantismus hat die Briefseelsorge als ein Erbe der Reformatoren empfangen. In der ausgedehnten Korrespondenz von Luther, Zwingli, Calvin und Bullinger spielten die seelsorgerlichen Briefe eine bedeutende Rolle. Das Ausmaß der Luther zugemuteten Beanspruchung durch diese Korrespondenz hat er selbst einmal so geschildert:

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„Obruor quotidie literis, ut mensa, scamna, scabella, pulpita, fenestrae, arcae, asseres et omnia plena jaceant literis, quaestionibus, causis, querelis, petitionibus etc." 223 . Ungeahnte Ausmaße gewann der Briefverkehr der Pietisten. Spener hat, um ein Beispiel herauszugreifen, allein im Jahre 1688 nicht weniger als 662 Briefe geschrieben; er wurde der „Beichtvater einer über ganz Deutschland zerstreuten Gemeinde" genannt 223 . Tersteegen und JungStilling gehören zu den geradezu klassisch zu nennenden Briefseelsorgern und bieten überdies beide ein interessantes Beispiel dafür, daß Kommunikatoren aus dem Laienstande mit charismatischer Begabung für ihren speziellen Dienst eine ungemein segensreiche Wirksamkeit zu entfalten vermögen. Die Frömmigkeitsgesdiichte des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts bietet weitere Beispiele in Fülle. Wilfried Weber, der dieser Frage eine Monographie gewidmet hat 224 , stellt in der Geschichte der Briefseelsorge immer wieder Zeiten besonderer Blüte fest, in denen auch die Wirksamkeit besonderer Charismatiker erkennbar wird, neben einer gleichmäßig durch alle Zeiten hindurchgehenden Briefseelsorge, an der neben Geistlichen auch Laien beteiligt sind. Die Nachfrage nach Trost und Rat auf schriftlichem Wege hat jeweils ein entsprechendes Angebot ergeben. Daß die Nachfrage in der Gegenwart außerordentlich groß ist, wird durch die von der säkularen Presse bewältigte Lebensberatung eindringlich bezeugt. Darum hat die kirchliche Presse mit ihrem Versuch, sich in diesen Dienst zu stellen, eine besonders wichtige Gegenwartsaufgabe der Kirche angepackt. Die Aufgabe ist als publizistische Seelsorge mit der ihr eigenen intermediären Kommunikation allein nicht lösbar; aber sie kann erfüllt werden, wenn die publizistischen Bemühungen von der Briefseelsorge begleitet werden, so daß dem Partner durch den Briefwechsel Anteil an originärer Kommunikation gewährt wird. Im Unterschied zur Evangelischen Erziehungs-, Ehe- und Familienberatung wahrt 122

223

Luther an Wenzeslaus Link am 20. Juni 1529: WA Br 5, 100. Auf deutsch: „Ich werde täglich mit Briefen derart überschüttet, daß Tisch, Bajik, Schemel, Pult, Fenster, Kästen, Bretter und alles voll liegt von Briefen, Anfragen, Anliegen, Klagen, Bitten usw."

P. Grünberg, Philipp Jakob Spencer, Bd. I, Göttingen 1893, S. 360. 22i ^ Weber, Briefseelsorge bei Samuel Keller, Theol. Diss., Heidelberg 1966; vgl. auch W. Weber, Warum keine Briefseelsorge?, in: Deutsches Pfarrerblatt, 66. Jg. 1966, S. 758 f.

Strukturen des Hörfunks

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die Briefseelsorge ein gewisses Maß an Anonymität des Ratsuchenden und k o m m t dadurch den Wünschen des Menschen der Gegenwart weit entgegen.

II. D e r

Hörfunk

§ 14: Strukturen des Hörfunks gesellschaftlichen

und ihr Bezug zu den Gruppen

Der H ö r f u n k trat seinen Weg in die Geschichte unter der Bezeichnung „Rundfunk" an. Seitdem das Fernsehen dazugekommen ist, hat das W o r t „Rundfunk" die Bedeutung eines Oberbegriffs angenommen, unter den die Begriffe „Hör-Rundfunk" und „Fernseh-Rundfunk" zu subsumieren sind. I m allgemeinen Sprachgebrauch, dem wir uns anschließen, haben sich die Begriffe „ H ö r f u n k " und „Fernsehen" durchgesetzt. Die Terminologie hebt in beiden Begriffen die Empfangsfunktion heraus. Das ist nur eine von mehreren Funktionen innerhalb des publizistischen Prozesses, aber diese eine ist um ihrer Wirkung willen die entscheidende und eigentliche pubilizistische Funktion beider Medien. Der Dienst der Kirche mit dem technischen Mittel des Hörfunks vollzieht sich bei uns innerhalb der Rundfunkanstalten als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Die Evangelische Kirche in Deutschland verfügt nicht über eigene Hörfunkanstalten. Wir betrachten dies als Vorzug. Die Existenz kirchlicher Sendeanstalten würde die allgemeinen R u n d funkanstalten von der Aufgabe kirchlicher Sendungen entbinden, und die H ö r e r kirchlicher Sendeanstalten würden sich vornehmlich nur aus Gliedern der Kirche zusammensetzen, die ohnehin von der direkten kirchlichen Verkündigung in den Gottesdiensten erreicht werden. D e r Dienst der Kirche im H ö r f u n k als einer „weltlichen" Einrichtung kann sich nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit vollziehen, sondern wird unter dieser Voraussetzung seiner öffentlichen Aufgabe am besten gerecht. Die Eingliederung des Dienstes der Kirche in eine weltliche Institution, die für alle da ist und sich an alle wendet, macht aber die Kenntnis der Strukturen des Hörfunks und der Bezogenheit auf die vielfach verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen der Hörer zur Voraussetzung für die Besinnung auf die der Kirche mit diesem Medium gestellten Aufgaben.

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Der Hörfunk

1. Der R u n d f u n k als Bildungsinstitution des Staates Die Geschichte des Rundfunks in Deutschland, deren Uberblick die Strukturprobleme verdeutlicht, beginnt im Jahre 1923. Sie ist analog zur Geschichte der staatlichen Ordnungen in diesem Zeitraum gegliedert. Der jeweils verschiedene Bezug zu den gesellschaftlichen Gruppen gehört zu den für die einzelnen Abschnitte besonders charakteristischen Merkmalen 2 2 5 . Die technische Entwicklung der drahtlosen Telegraphie hatte im 1. Weltkrieg durch die militärischen Bedürfnisse eine starke Beschleunigung erfahren, so daß sie das Entstehen des Rundfunkwesens nach dem Kriege mitbestimmte. Die Rechtsgrundlage ergab das „Gesetz betreffend das Telegraphenwesen des Deutschen Reiches" von 1892 und die sogenannte „Funknovelle" von 1908, die allein dem Reich das Recht zuerkannten, Telegraphenanlagen zu errichten und zu betreiben. Die Weimarer Republik knüpfte daran an und unterstellte den R u n d f u n k dem Reichspostministerium, das für die technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen verantwortlich war. Für die Programmgestaltung wurde neben dem Reichspostministerium auch das Reichsinnenministerium verantwortlich gemacht. Hier liegt die eigentliche Ursache dafür, daß die politisch-gesellschaftliche Öffentlichkeit von der Gestaltung des Rundfunkwesens in der ersten Periode seiner Geschichte ausgeschlossen war 2 2 6 . Politik wurde zu jener Zeit vordergründig als Parteipolitik verstanden; der R u n d f u n k aber sollte sich parteipolitischer Neutralität befleißigen. Die Verstaatlichung des Rundfunks besagte also für die Weimarer Republik, daß der Staat auf strikte politische Neutralität des R u n d funks bedacht zu sein hatte. Die politischen Führungskräfte der Weimarer Republik, die an der Bildungsfreudigkeit der Sozialdemokratie teilhatten, begünstigten die Sinngebung des Rundfunks als Institution zur Belehrung und Unterhaltung und verzichteten sogar auf den Ein225

225

K . Holzamer, Wesen und Geschichte des deutschen Rundfunks, in: E. Dovif a t (Hrsg.), Handbuch der Publizistik Bd. II, l . T e i l : Praktische Publizistik, Berlin 1969, S. 266 ff.; G.Bauer, Kirchliche Rundfunkarbeit 1 9 2 4 — 1 9 3 9 , Frankfurt a. M. 1966; Quellen und Literatur zur Geschichte des Rundfunks in Deutschland bei W. Hagemann S. 228. K . Steinbuch. Die informierte Gesellschaft, S. 1 1 0 — 1 2 1 ; W . B. Lerg, Funk und Presse 1 9 1 9 bis 1924. Aus der Vorgeschichte des deutschen Rundfunks, in: Rundfunk und Fernsehen, 13. Jg. 1965, S. 1 5 2 — 1 6 6 .

Strukturen des Hörfunks

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satz des Rundfunks zur Weckung eines republikanischen Bewußtseins der Bürger des Reiches. Dreimal täglich wurden Nachrichten gesendet; musikalische Unterhaltung und belehrende, aufklärende Vorträge füllten das Programm. Die Gründung des Schulfunks im Jahre 1926 zeitigte eine diesen Tendenzen entsprechende Ergänzung des Programms. „Die kulturelle Zielsetzung dominierte gegenüber einem mehr politischgesellschaftlichen Verständnis der Rolle des Rundfunks in einem demokratischen Staat, wie sie heute erkannt und entwickelt ist" 2 2 7 . Dem Mangel an einer richtigen Einschätzung der publizistischen Möglichkeiten des Rundfunks als Massenmedium entsprach die Rolle, die dem H ö r e r zugedacht war. Gegen Hörerumfragen, wie sie schon vor 1925 von zwei Rundfunkzeitschriften veranstaltet worden waren, wandte die 1925 als Dachverband gegründete Reichsrundfunkgesellschaft ein, der Rundfunk solle sich nicht ein Programm vom Massengeschmack diktieren lassen; denn dies sei mit seinem kulturellen Auftrag unvereinbar. Bis auf zwei, strahlten alle Sender regelmäßig am Sonntag Vormittag religiöse Morgenfeiern aus. Charakteristisch ist, daß in keinem Fall die die Feier gestaltende Konfession genannt wurde. Dies verbot die dem Rundfunk auferlegte peinlich genaue Wahrung der Neutralität. D e r Evangelische Preßverband unternahm zwar schon 1924 die ersten Versuche, eine kirchliche Rundfunkarbeit zu organisieren; aber es gab dennoch grundsätzlich weder evangelische noch katholische Morgenfeiern, sondern nur solche der betreffenden Rundfunkanstalt. Nicht einmal die Kirchen empfanden diese Feierstunden als ihre Sendung, obwohl die A n sprachen zumeist von einem ihrer Geistlichen gehalten wurden. Das W o r t „Predigt" kam überhaupt nur beim Sender Königsberg vor. Aus der Frühzeit kirchlicher Rundfunkarbeit verdient festgehalten zu werden, daß der Einsatz von Laien möglich war: Morgenfeiern des Senders Berlin, die nur aus Bibellesung, Gebet und Segen bestanden, von einem Streichquartett unterbrochen und umrahmt, wurden von einem jungen Schauspieler gestaltet und gesprochen, der sonst keine andere Rolle im Rundfunkprogramm übernahm. E r stellte sich dafür aus Interesse an der Sache und ohne Honorarforderungen zur Verfügung; er wählte selbst die Bibeltexte aus und sprach Gebet und Segen. Zum anderen verdient festgehalten zu werden, daß Rundfunkpredigten öffentlicher Kritik standzuhalten hatten: Die Morgenfeiern wurden in 227

K. Holzamer S. 270.

10

Klaus, Massenmedien

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Der Hörfunk

den Rundfunkkritiken der Zeitungen besprochen. Die kritische Würdigung betraf nicht nur die musikalischen Beiträge, sondern auch die Ansprachen von Geistlichen. Die Kritik erstredete sich sowohl auf den Inhalt als auch auf die Art der Darbietung 228 . 2. Der Rundfunk als Instrument autoritärer Diktatur Während Hitler vor allem auf die Wirkung seiner Rede in Massenversammlungen vertraute, entdeckte Goebbels den Rundfunk für die NSDAP. Bereits 1932 entwarf er ein Programm für die Übernahme des Rundfunks und stellte eine neue Personenliste für die Besetzung der Ämter auf. Damit waren die entscheidenden Vorbereitungen getroffen, um bereits im Frühjahr 1933 die personellen und ideologischen Veränderungen durchzuführen. Die Reidisrundfunkgesellschaft ging an das Reich über, vertreten durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Die Rundfunkgesellschaften erhielten die Bezeichnung „Reichssender". Die Programmgestaltung stand 1933 unter dem Vorzeichen einer totalen Politisierung, um die Herrschaft des NSStaates zu festigen und um die Bevölkerung im Sinne dieses Staates zu beeinflussen. Bald ermittelte man eine ablehnende Hörerreaktion und ging schon 1934 auf den Primat der „Kulturpropaganda" über, mit der die politische Propaganda indirekt und damit weitaus wirkungsvoller durchgeführt werden konnte. Aus dem staatlich betreuten und wohlausgewogenen Kultur-Rundfunk der Weimarer Republik, der in mangelndem Vertrauen auf den demokratischen Dialog die Politik aus dem Programm fast ganz ausgeklammert hatte, war der total politisierte Rundfunk in der Hand der einen Partei geworden, die alle Macht an sich gerissen hatte. Der Bezug zur Gesellschaft bestand ausschließlich in einem Bezugssystem zur Ideologie dieses Staates. Alle gesellschaftlichen Gruppen wurden indirekt der Rundfunk-Propaganda ausgesetzt, aus allen Gruppen kamen die Funktionäre, die ihrerseits die Tätigkeit des Rundfunks kontrollierten. Aus einem funktionalen Gesellschaftssystem war ein perfekt funktionierendes Kontrollsystem geworden; niemand konnte sich der gegenseitigen Überwachung entziehen. Versuche der Kirchenleitungen, kirchliche Sendungen in eigener Verantwortung zu übernehmen, scheiterten. Die Texte der für Morgenfeiern vorgesehenen Ansprachen unterlagen der vorherigen Zensur. 228

G . B a u e r S . l l . 14. 19 f.

Strukturen des Hörfunks

147

Bereits 1936 stellten einige Sender die religiösen Morgenfeiern ein; vom April 1939 an wurden sie vom Programm aller Reichssender gestrichen mit der Begründung, die Hörer lehnten die Morgenfeiern ab, die Kirchen fürchteten die Profanierung ihrer Anliegen, der R u n d f u n k müsse alle ansprechen und säe durch konfessionelle Morgenfeiern Zwietracht 22 ». 3. Der R u n d f u n k als öffentlich-rechtliche Institution Nach dem Zusammenbruch 1945 übernahmen die Besatzungsmächte den Rundfunk, den sie jeweils nach den Vorbildern ihrer Länder umstrukturierten. Engländer und Franzosen gründeten Einheitssender, den N W D R und den SWF. Die Amerikaner schufen Landessender in München, Stuttgart, Frankfurt und Bremen, verzichteten aber auf die in den U S A übliche Kommerzialisierung. Die Dezentralisation und die staatliche Unabhängigkeit des Rundfunks sind aus dieser Zeit resultierende, bleibende Prinzipien geworden. Die in den U S A übliche Struktur des Rundfunks als kommerzielle Institution ist in Deutschland unbekannt geblieben. Als 1948/49 die ersten deutschen Rundfunkgesetze verabschiedet wurden, wählte man als Rechtsform die der öffentlich-rechtlichen Anstalt, um dem Rundfunk Unabhängigkeit vom Staat zu sichern. Hier nun liegt der eigentliche Unterschied vor zwischen der Organisations- und Rechtsform des heutigen Rundfunkwesens zu dem unter der nationalsozialistischen Herrschaft und dem Modell des staatlich betreuten, aber unpolitisch agierenden Rundfunks der Weimarer Republik. Die Rundfunkanstalten sind durch Gesetz juristische Personen des öffentlichen Rechts. Für den gesamten Betrieb einer Rundfunkanstalt ist der Intendant verantwortlich. Ein Verwaltungsrat unterstützt und überwacht die Geschäftsführung. Der Rundfunkrat berät den Intendanten bei der Programmgestaltung und sorgt für die Einhaltung der Programmrichtlinien. Im Rundfunkrat sind die gesellschaftlich relevanten Gruppen und Organisationen vertreten: Parteien, Gewerkschaften, die Kirchen, Industrie, Handel, Verbände usw. repräsentieren durch ihre Vertreter im Rundfunkrat die Allgemeinheit. In der Rolle dieser gesellschaftlichen Gruppen für das Rundfunkwesen liegt der eigentliche Unterschied gegenüber den früheren Strukturformen beschlossen. 2

" G. Bauer S. 100.

10*

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Der Hörfunk

Das Strukturproblem hat im Blick auf die Beeinflussung der Programmgestaltung größte Bedeutung. Die Struktur der öffentlich-rechtlichen Körperschaft macht weder den beherrschenden Einfluß einer kommerziell und in ihrer Kapitalkraft überdimensionierten pressuregroup möglich, noch den beherrschenden Einfluß einer Partei oder einer Parteien-Koalition mit den parteigebundenen Ideologien, auch nicht eine Hypertrophie kirchlicher Ansprüche. Indem aber in den letztverantwortlichen Aufsichtsgremien auch die Kirchen angemessen vertreten sind, ergibt sich schon vom Ansatz her die Möglichkeit, daß Sendungen von kirchlicher Relevanz im Hörfunkprogramm in angemessenem U m fang zum Zuge kommen.

§ 15: Der Kirchenfunk

als Institution

der

Rundfunkanstalten

Die Übersicht über die Strukturen des Rundfunks und ihren Wandel in der Geschichte des Rundfunkwesens in Deutschland ergibt, daß hier zu keiner Zeit ein Vorbild f ü r einen institutionalisierten Kirchenfunk zu finden war. Die Einrichtung des Kirdienfunks nach dem Ende des 2. Weltkrieges erfolgte gemäß den Erfahrungen, die man in Großbritannien und in den USA gesammelt hatte 230 . Die Struktur des Rundfunks nach anglo-amerikanischen Vorbildern schließt die Möglichkeit aus, den Kirchenfunk in die Hände der Kirchen zu legen. Über die Selbständigkeit der Aufgabe und über die Eigenverantwortlichkeit der Abteilung „Kirchenfunk", die sich von der Selbständigkeit anderer Abteilungen einer Rundfunkanstalt nicht unterscheidet, muß Klarheit herrschen, wenn man die Arbeit des Kirchenfunks in rechter Weise in Beziehung setzen will zum Verkündigungsdienst, der der Kirche aufgetragen ist. Der Kirchenfunk gehört nicht zu den Sonderpfarrämtern der Kirche und ist von der Kirche unabhängig. Nicht die Kirchen, sondern die Redakteure des Kirchenfunks tragen die Verantwortung f ü r die von ihnen gestalteten Programme; die persönliche Verantwortung der einzelnen Autoren f ü r ihre jeweiligen Beiträge erfährt dadurch keine Einschränkung. Die Rundfunkanstalten sind in ihrer Programm230 y j Sandfuchs, Mittler zwischen Kirche und Rundfunk. Die Aufgaben der Kirchenfunk-Abteilungen an den westdeutschen Rundfunkanstalten, in: K. Becker und K.-A. Siegel (Hrsg.), Rundfunk und Fernsehen im Blick der Kirche, Frankfurt a. M. 1957, S. 79.

Der Kirchenfunk als Institution der R u n d f u n k a n s t a l t e n

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gestaltung nach gesetzlich festgelegten Grundsätzen autonom; an ihrer Autonomie haben die mit dem Kirchenfunk betrauten Ressorts Anteil. U m die institutionelle Verflochtenheit des Kirchenfunks mit der Rundfunkanstalt deutlicher zu erkennen, sei am Modell des Bayerischen Rundfunks der Organisationsaufbau des Hörfunks kurz skizziert: Der Programmdirektion sind u. a. die folgenden Hauptabteilungen zugeordnet: „Nachrichten", „Politik und Zeitgeschehen", „Kultur und Erziehung", „Hörspiel", „Unterhaltung", „Musik"; dazu das „Studio Nürnberg" und einige andere Hauptabteilungen, in denen es um die organisatorischen und technischen Dinge geht. Der Kirchenfunk existiert also nicht als eine „Hauptabteilung", sondern er ist in die Hauptabteilung „Kultur und Erziehung" eingeordnet, die in folgende Abteilungen gegliedert ist: Kulturkritik, Literatur, Kirchenfunk, Familienfunk, Jugendfunk, Schulfunk, Kinderfunk, Land und Leute, Hörbild und Feature, Naditstudio. Als Arbeitsbereich umfaßt die Abteilung Kirchenfunk die Sachgebiete Theologie, Religion, Kirche. In ihrer Zuständigkeit f ü r diesen Sachbereich ist die Abteilung Kirchenfunk unabhängig von konfessionellen oder weltanschaulichen Einflüssen. Die Konfessionsgrenzen sind f ü r sie gegenstandslos. Sie betreut evangelische, katholische, orthodoxe und ebenso auch jüdische und freireligiöse Beiträge. Das bedeutet freilich nicht, daß den Kirchen jede Einflußnahme auf den Kirchenfunk verwehrt wäre. Es gibt in jeder Rundfunkanstalt eine beratende Mitarbeit seitens der Kirche durch besonders beauftragte Geistliche. Diese den Sendeanstalten zugeordneten Geistlichen stehen im Dienst der Kirche als „Beauftragte für Predigt- und Rundfunkfragen", als „Fernsehbeauftragte" oder in ähnlichen Funktionen und werden von der f ü r sie zuständigen Landeskirche besoldet. Die von der Kirche delegierten Geistlichen bilden mit dem Kirchenvertreter im Rundfunkrat als Aufsichtsgremium ein Direktorium der kirchlichen Rundfunk- und Fernseharbeit, wo die kirchliche Mitarbeit geplant wird und die Auswahl der als Rundfunkprediger einzusetzenden Geistlichen stattfindet. Die Personenwahl der Rundfunkprediger liegt also nidit in der Hand der Rundfunkanstalten und ihrer Kirchenfunk-Redaktionen, sondern in der Hand der Kirche. Die leitenden Redakteure der Kirchenfunk-Abteilungen nehmen als Mittler zwischen den Kirchen und dem R u n d f u n k die Anliegen der Kirche dem R u n d f u n k gegenüber wahr. „Sie erinnern an wichtige Gedenktage bedeutender Persönlichkeiten des christlichen Lebens, sie ver-

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Der Hörfunk

mittein Sendungen über die Tätigkeit der kirchlichen Liebesarbeit oder der religiösen Organisationen. Sie tragen dazu bei, daß sich das Kirchenjahr auch im P r o g r a m m des Funks so spiegelt, wie man es nach der Zusammensetzung der B e v ö l k e r u n g . . . erwarten darf. In den Programmsitzungen regen sie etwa die Ü b e r n a h m e besonderer kirchlicher Feierlichkeiten im Rundfunk an" 2 3 1 . Sendereihen, die Antworten aus christlicher Sicht auf brennende Tagesfragen vermitteln wollen, werden von ihnen in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den R u n d f u n k beauftragten der Kirchen geplant und zusammengestellt. Die Einführung des II. P r o g r a m m s erweiterte auch die Möglichkeiten des Kirchenfunks. Nicht nur informierende Sendungen („Evangelische Botschaft") oder seelsorgerlicher Zuspruch („Besuch am K r a n k e n b e t t " ) werden vermittelt, sondern die K o m m u n i k a t i o n mit den H ö r e r n wird ernstlich gesucht durch „ A n t w o r t auf H ö r e r f r a g e n " und ähnliche Bemühungen. Soll die Mittlerrolle des Kirchenfunks echt sein und wirkungsvoll gehandhabt werden, so darf sie nicht auf die Mittleraufgaben ihrer R e dakteure innerhalb des Hauses und der verschiedenen Abteilungen einer R u n d f u n k a n s t a l t z u m Zweck einer wohl ausgewogenen Programmgestaltung beschränkt bleiben; sie muß sich auf die Aufgaben der Mittlersdiafl zwischen kirchlicher und nichtkirchlicher Öffentlichkeit erstrecken. Walter Schricker sieht in dieser Mittlerrolle die eigentliche Chance, die der Kirche mit dem Kirchenfunk gegeben ist, zu deren Wahrung dem Journalisten als Kirchenfunk-Redakteur aber auch eine gewisse Klarheit seiner Rolle zugestanden werden m u ß : „ D e r Kirchenf u n k verlangt die F r e i h e i t des J o u r n a l i s t e n , wenn er interessant und wirkungsvoll sein soll. U n d er verlangt das V e r t r a u e n d e r K i r c h e , daß hier noch unter schwerstem Beschuß vielleicht etwas sehr Wichtiges f ü r sie in dieser Welt geschieht." Schricker zeichnet das Idealbild des Kirchenfunks als eines völlig säkularen Publikationsorgans, das mit der Welt solidarisch ist, den Erscheinungsformen der Kirche wach und kritisch gegenübersteht, seinen A u f t r a g durch engagierte Journalisten aus dem Laienstande w a h r n i m m t u n d so „vielleicht dem Evangelium auf unauffällige Weise ein Signal öffnen k a n n " 2 3 2 . Die v o n den Redakteuren der Abteilung Kirchenfunk geplanten und produzierten Sendungen werden v o n der R u n d f u n k a n s t a l t finanziert. Die Sendezeiten sind zu etwa gleichen Teilen auf beide Konfessionen 251 2,1

W. Sandfudis S. 82. W. Sdiricker, Kirdilidie Sendungen im Hörfunk, in: Breit/Höhne S. 199.

Medienspezifische Ausdrucksformen der H ö r f u n k - S e n d u n g e n

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aufgeteilt. Etwa ein Fünftel der Sendezeit des dem Kirdienfunk verfügbaren Anteils am Gesamtprogramm nimmt die Übertragung von Gottesdiensten, bzw. die Sendung eigengestalteter Morgenfeiern an Sonntagen und Festtagen ein. Ein anderes Fünftel ist der Behandlung religiöser Themen in Vortragsform gewidmet. Ein weiteres Fünftel kommt auf die „Minute der Besinnung", das sind werktägliche Morgenansprachen vor dem allgemeinen Arbeitsbeginn. Ein Fünftel schließlich ist f ü r Nachrichten und Kommentare vorgesehen. Das letzte Fünftel endlich dient Buchbesprechungen und ähnlichen Informationen. Die kurze Uberschau ergibt, daß der Dienst der Kirche auch im Hörfunk in die Kategorien „direkte Verkündigung" und „indirekte Verkündigung" aufteilbar ist. Der „direkten Verkündigung" dienen die Gottesdienstübertragungen, die eigengestalteten Morgenfeiern, die Andachten und was sonst unmittelbar als Wortverkündigung angesprochen werden kann. Der „indirekten Verkündigung" dienen Nachrichten, Kommentare, religiös unterweisende und pädagogische Beiträge sowie Sendungen, die aktuelle Probleme aus kirchlicher Sicht zur Diskussion stellen oder theologische Informationen übermitteln.

§ 16: Medienspezifische

Ausdrucks formen der

Hörfunk-Sendungen

Kenntnis technischer Grunddaten des Mediums „Hörfunk" und der geschichtlichen Entwicklung dieses Mediums vermittelt allgemeinverständlich Karl Steinbuch mit seinem als Rowohlt-Sachbudi erschienenen Werk: Die informierte Gesellschaft, Geschichte und Zukunft der Nachrichtentechnik, Stuttgart 1966. Steinbuch sieht die wesentliche gesellschaftliche Bedeutung des Hörfunks in der unbegrenzten Informierbarkeit aller Menschen; der H ö r f u n k zeigt nicht nur, daß Informationen die Grundlagen der Gesellschaft sind, „er zeigt auch, daß die Technik es ermöglicht, wirkungsvoll bös oder wirkungsvoll gut zu sein" 283 . Wirkungen werden nicht nur dadurch ermöglicht, daß durch dies Medium Informationen transportiert werden, vielmehr hängt viel davon ab, daß dies in medienspezifischer Weise geschieht. 1. Allgemeine Gestaltungsprinzipien Was über die technischen Brücken des Hörfunks rezipierbar wird, ist der Beschränkung auf akustische Ausdrucksformen unterworfen. Ob253

K . Steinbuch S. 121.

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Der Hörfunk

•wohl auch Musik Emotionen aufrüttelnd auslösen kann, bleibt das gesprochene Wort f ü r den H ö r f u n k entscheidend; es übertrifft die Musik an Intensität der Wirkung. D a f ü r gibt es viele Beispiele, besonders aus dem Bereich des Politischen, aber auch aus dem S p o r t und aus H ö r spielen. Daß in den U S A im Zusammenhang eines Hörspiels v o m Angriff der Marsmenschen auf die Erdbewohner viele Menschen panikartig die Flucht ergriffen, ist in der Wirkungsgeschichte des R u n d f u n k s unvergessen geblieben 2 3 4 . Die Beschränkung auf das Akustische bewirkt eine Herrschaft des Akustischen, die ihrerseits die medienspezifischen Ausdrucksformen v o n H ö r f u n k - S e n d u n g e n bestimmt. Der V o r z u g dieser Beschränkung besteht im Zwang zur Konzentration auf das Wesentliche der Aussage. Der entscheidungsvolle Einsatz des gesprochenen Wortes bietet weiter den Vorzug, beim H ö r e r die Phantasie anzuregen. Nachteile entstehen aus der mit den Mitteln der T o n t e d i n i k und der Tonregie sehr leicht möglichen Manipulierbarkeit der Aussage. Sie ergibt sich bereits dann, wenn Stimmen verzerrt wiedergegeben werden. Es können aber auch ganze Passagen einer R e d e weggeschnitten und weggelassen oder in einen anderen Zusammenhang eingeordnet werden, Beifall kann hinzugefügt, kritische Gegenäußerungen können gelöscht werden. Ein Anspruch auf Wahrheit oder Echtheit der über den H ö r f u n k verbreiteten Aussagen ist jedenfalls nicht ohne Vorbehalte akzeptabel. Die Sprache, die dem Wort als Medium Gestalt verleiht, ist das wichtigste Material, auf dessen medienspezifische A u s f o r m u n g es a n k o m m t . Steigerungsmöglichkeiten ergeben eine sehr überlegte Wortwahl, die den plastischen Ausdruck bevorzugt, sowie eine sorgfältig bedachte Variierung der Lautstärke und des Sprechtempos. Für den Einsatz ihrer Mittel v e r f ü g t die Sprache über einen breiten Bereich der Nuancierungen und Schattierungen „ v o n der sachlichen Mitteilung bis z u m ekstatischen Schrei, v o n der dramatischen Deklamation bis z u m verhaltenen Flüstern der Angst, der Liebe oder des Sterbens, v o m harmlosen Scherz bis zur Feierlichkeit des Gebets, v o m vulgären Fluch bis zur zärtlichen Poesie" 2 3 5 . Die Einblendung verschiedener Geräusche als akustische Kulisse, dazu bei live-Sendungen die die Aussage begleitenden zustimmenden oder ablehnenden Reaktionen beteiligter Partner, können das 234 2S5

G.Eckert, Hörfunk — Begriff und Aussage, in: E. Dovifat, II/l, S. 260 ff. H.Arnold, Hörfunk — Formen der publizistischen Aussage, in: E. Dovifat, II/l, S. 312.

Medienspezifische Ausdrucksformcn der H ö r f u n k - S e n d u n g e n

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akustisch Erlebte anschaulich und den Hörer zum Mit-Erlebenden machen. Das Hörerlebnis bei live-Sendungen, dabei gewesen zu sein, ist das Äußerste des akustisch Erreichbaren. Zu solch höchster kommunikativer Wirkung können die akustischen Ausdrucksformen aber audi durch eine geschickte Tonregie gelangen, die die verschiedenen „Farben auf der akustischen Palette" zu mischen versteht und die Technik der Steigerung sowie die der Abschwächung bis hin zum stillen Verklingen beherrscht. Diesen Möglichkeiten allen, besonders der Vielfalt differenzierter Ausdrucksweisen des sprechenden Menschen selber, entspricht die ebenso vielfältig nuancierte Ansprechbarkeit des Menschen im Sinne einer bewußten oder unbewußten Hineinnahme des Gehörten in den Willen und einer dadurch bewirkten Steuerung seines Verhaltens. Zu den Wirkungselementen des Hörfunks zählt also nicht nur das, was am Mikrophon geschieht und durch das Mikrophon wandlungsfähig wird, sondern auch das, was sich am Lautsprecher des Empfangsgerätes vollzieht. Das Massenmedium H ö r f u n k hat es gewiß mit einem Massenpublikum zu tun; aber diese Masse stellt sich nicht als eine das individuelle Bewußtsein aufhebende Gruppengemeinschaft dar — abgesehen von der Situation bei der Übertragung großer öffentlicher Veranstaltungen —, sondern als eine unbekannte Vielzahl isolierter Individuen, denen vom H ö r f u n k persönliche Erlebnisse und persönliche Erfahrungen ins Haus geliefert werden in persönlicher Anrede von mehr oder weniger suggestiver Wirkkraft. „Das Angemessene ist daher weder die Form der Ansprache an ein größeres Auditorium, noch die Deklamation, noch das Pathos . . ., sondern die kleine Form, der zurückhaltende persönliche Ton, kurz die Dimension, die den Ausmaßen eines Wohnraumes angepaßt ist" 2 3 6 . Beim Vorgang des isolierten individuellen Zuhörens nähert sich der Sprecher dem Hörer auf kürzeste Distanz, er begegnet ihm in der ihm vertrauten Umgebung und kann der monologischen Redeform einen dialogischen Charakter verleihen. „Der Plauderton ist daher die dem Rundfunk eigene publizistisch bewährte Redeform" 2 3 7 . 2. Die Gestaltung der Aussage im Kirchenfunk Hans Arnold, Stellv. Programmdirektor des Deutschen Fernsehens in München, nennt als Forderungen, die an den Publizisten zu stellen sind: 2S