Lucans Pharsalia: Dichtungsstruktur und Zeitbezug 9783666251412, 3525251416, 9783525251416

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Lucans Pharsalia: Dichtungsstruktur und Zeitbezug
 9783666251412, 3525251416, 9783525251416

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HYPOMNEMATA HEFT 44

HYPOMNEMATA UNTERSUCHUNGEN UND

ZU I H R E M

ZUR

ANTIKE

NACHLEBEN

Herausgegeben von Albrecht Dihle / Hartmut Erbse Christian Habicht / Günther Patzig / Bruno Snell

H E F T 44

VANDENHOECK

& R U P R E C H T IN

GÖTTINGEN

WOLFGANG D I E T E R LEBEK

LUCANS PHARSALIA Dichtungsstruktur und Zeitbezug

VANDENHOECK

& R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen

Bibliothek

Lebek, Wolfgang Dieter Lucans Pharsalia: Dichtungsstruktur u. Zeitbezug. (Hypomnemata; H. 44) ISBN 3-525-25141-6

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft © Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1976. - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

MEINER FRAU

Eine frühere Fassung dieses Buches lag im Wintersemester 1970/71 der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Habilitationsschrift vor. Ich war damals Assistent von Albrecht Dihle und denke mit Dankbarkeit daran zurück, wie großzügig mir Zeit und Freiheit für meine wissenschaftlichen Pläne gewährt wurde. Die Überarbeitung des ,Lucan' konnte ich besonders 1972/73 als Junior Fellow am Center for Hellenic Studies in Washington, D. C. vorwärtstreiben. Kurz vor der Drucklegung meiner Untersuchungen hat Hellfried Dahlmann es sich nicht nehmen lassen, das Manuskript einer genauen Lektüre zu unterziehen. Mein Dank gilt nicht zuletzt meiner Frau, die an jedem Stadium der Buchgenese intensiven Anteil genommen, zahlreiche Versionen auf der Schreibmaschine geschrieben und zum Schluß noch die Register angefertigt hat. Köln, im Dezember 1975

Wolfgang Dieter Lebek

Inhaltsverzeichnis

Prolog

13 Erster Teil: Das Proömium Lucan. 1,1—182

1. Der Pharsaliabeginn unter Ausschließung des Nerolobs: Lucan. 1 , 1 - 3 2 und 1 , 6 7 - 1 8 2

18

1.1.

Einleitung

18

1.2.

Das Proömium Aen. 1,1—33 und seine Nachwirkung

18

1.3.

1.2.1. Das Aeneisproömium 1.2.1.1. Gesamtdisposition und homerische Elemente 1.2.1.2. Das Aeneisproömium in seiner Eigenart 1.2.2. Die Nachwirkung des Aeneisproömiums außerhalb der Pharsalia. . Das Pharsaliaproömium

18 18 22 27 30

1.3.1. Einige Grundtatsachen von Lucans Strukturimitation 1.3.2. Die Themenangabe und ihre vergilischen Strukturelemente: Lucan. 1 , 1 - 7 1.3.3. Die Klage über den Bürgerkrieg: Lucan. 1,8-32 1.3.3.1. Aufbau und vergilische Strukturelemente 1.3.3.2. Materielle Quellen und Gegenwartsbezug in Lucan. 1,1-32 1.3.4. Die Ursachen des Bürgerkriegs: Lucan. 1,67-182 1.3.4.1. Der Aufbau der Gesamtpartie und Imitationsphänomene im Anfangsabschnitt 1,67-82 und im Endabschnitt 1,158-182 1.3.4.2. Der mittlere Ursachenabschnitt: Lucan. 1,82-157 . . 1.3.4.2.1. Probleme der Gesamtgliederung 1.3.4.2.2. Epische Gestaltung und Geschichtsdeutung in Lucan. 1,82-128 1.3.4.2.3. Das Verhältnis von Lucan. 1,82-128 zu den historiographischen Vorlagen 1.3.4.2.4. Die Synkrisis von Pompeius und Caesar: Lucan. 1,129-157 1.3.5. Zusammenfassung

30

2. Das Nerolob: Lucan. 1 , 3 3 - 6 6

32 36 36 41 45

45 54 54 56 62 65 71 74

2.1.

Methodische Vorbemerkungen und die Gliederung

74

2.2.

Lucan. 1 , 3 3 - 4 5

78

2.2.1. Struktur und Inhalt

78

2.2.2. Unterschwellige Kritik an Nero?

81

2.3.

Lucan. 1 , 4 5 - 5 2

83

2.4.

Lucan. 1 , 5 3 - 5 9

89

2.5.

Lucan. 1 , 6 0 - 6 2

95

Inhaltsverzeichnis

10 2.6.

Lucan. 1 , 6 3 - 6 6

2.7.

Z u s a m m e n f a s s u n g : Das N e r o e n k o m i o n als Kaiserlob

99

Neronischer Zeit

102 Zweiter Teil:

Interpretationen zur epischen Handlung der ersten drei Bücher 1. Einleitung

108

2. Der Beginn des Bürgerkriegs u n d die Gestalt Caesars

108

2.1.

Vorüberlegungen

2.2.

Caesars erstes A u f t r e t e n : L u c a n . 1 , 1 8 3 - 3 9 1

110

2.2.1. Der Aufbau von Lucan. 1,183-468 2.2.2. Caesar am Rubico: Lucan. 1,183-230 2.2.2.1. Die Gesamtdisposition der Szene 2.2.2.2. Szenenbeginn und Patriaerscheinung: Lucan. 1,183-203 2.2.2.3. Die kriegsbegründende Überschreitung des Rubico: Lucan. 1,204-230 2.2.3. Caesar in Ariminum: Lucan. 1,231-295 2.2.3.1. Caesars Einmarsch und die klagenden Ariminenser: Lucan. 1,231-261 2.2.3.2. Die formale Rechtfertigung Caesars und seine Aufhetzung durch Curio: Lucan. 1,261-295 2.2.4. Caesar und seine Soldaten: Lucan. 1,296-391 2.2.4.1. Die Rede Caesars: Lucan. 1,296-356 2.2.4.2. Die Rede des Primipilen Laelius: Lucan. 1,356-391 . . Caesars zweites A u f t r e t e n : L u c a n . 2,439—525 2.3.1. Einige Grundprobleme und Lucan. 2,439-461 2.3.2. Der pompeianische Rückzug: Lucan. 2,462-477 2.3.3. Domitius und Caesar: Lucan. 2,478-525 im Lichte werkimmanenter Interpretation 2.3.4. Lucan. 2,481-525 im Lichte von Geschichtsschreibung und Epik und die Gesamttektonik von Lucan. 2,439-525 2.3.5. Lucan. 2,511-525 als Höhepunkt der Konfrontation 2.3.6. Die Frage aktueller Bedeutung von Domitiusgestalt und Clementiakonzeption Lucans Z u s a m m e n f a s s u n g u n d Ergänzung

110 115 115

2.3.

2.4.

3. Die Begriffe liber u n d libertas

108

in den ersten drei Büchern

116 120 124 124 128 132 132 135 139 139 143 145 152 158 161 164 167

3.1.

Einleitung

167

3.2.

Die P r o p h e z e i u n g des Nigidius Figulus: L u c a n . 1 , 4 6 9 - 2 , 2 3 3 . . 3.2.1. Die Prophezeiung Lucan. 1,666-672 im Lichte der bisherigen Ergebnisse und außerlucanischer Zeugnisse 3.2.2. Der Kontext: Lucan. 1,469-2,233 Die Begegnung zwischen B r u t u s u n d C a t o :

168

Lucan. 2 , 2 3 4 - 3 2 5 3.3.1. Einleitung 3.3.2. Die Rede des Brutus: Lucan. 2,234-284 3.3.3. Die Antwort Catos: Lucan. 2,284-325 3.3.4. Brutus und Cato

178 178 179 181 188

3.3.

168 171

Inhaltsverzeichnis 3.4.

3.5.

3.6.

11

Pompeius und die Freiheit: Lucan. 2 , 5 2 6 - 6 0 0

189

3.4.1. Zum Aufbau der Pompeiusrede und ihrem allgemeinen Wahrheitsgehalt 3.4.2. populus liber - Realität oder Propaganda?

189 193

Caesar in R o m und die Beraubung des Aerariums: Lucan. 3 , 9 7 - 1 6 8

195

3.5.1. Die Grunddisposition der Szene 3.5.2. Caesar, der Senat und Metellus: Lucan. 3,97-153 3.5.3. Die Beraubung des Saturntempels: Lucan. 3,154-168

195 196 202

Zusammenfassung und Ergänzung

206

Dritter Teil: Das siebente Buch der Pharsalia 1. Einleitung

210

2. Eingangskorrespondenzen von Lucan. 7 und Lucan. 1 als Aeneisimitation

210

2.1.

Aen. 7 und Aen. 1

210

2.2.

Die Nachahmung Vergilischer Korrespondenzen durch Statius

213

2.3.

Aeneisstrukturen in Lucan. 7,1—213

216

2.3.1. Einiges Grundsätzliche 2.3.2. Der Traum des Pompeius: Lucan. 7,1-44 2.3.3. Die Entscheidung des Pompeius: Lucan. 7, 4 5 - 2 1 3 2.3.4. Zusammenfassung 3. P o m p e i u s vor u n d n a c h der Schlacht u n d die Freiheit 3.1.

3.2.

216 218 222 226 227

Die Haltung des Pompeius im Lichte der Feldherrnreden: Lucan. 7 , 2 1 4 - 3 8 4

227

3.1.1. Einige Gliederungsmerkmale des Gesamtabschnitts 3.1.2. Prinzipielles zu Disposition und Wechselbeziehungen der Anfeuerungsreden 3.1.3. Der Sinn von Pharsalos in Caesars Darstellung: Lucan. 7,253-269 und 7,295-310 3.1.4. Wahrhaftigkeit und Freiheitsgedanke in der Pompeiusrede: Lucan. 7,349-382

227

234

Der fliehende P o m p e i u s u n d die F r e i h e i t : L u c a n . 7 , 6 8 0 - 7 1 1 . . 3.2.1. Strukturbetrachtungen 3.2.2. Libertas et Caesar: Lucan. 7,689-697

238 238 240

231 232

4. Der Freiheitsgedanke in d e r Schlacht bei Pharsalos 4.1.

4.2.

Der A u f b a u der Schlachtdarstellung L u c a n . 7 , 3 8 5 - 6 4 6

244 ....

244

4.1.1. Lucan und Vergil

244

4.1.2. Silius Italicus als Interpretationshilfe

248

Der Gedanke der Freiheit und die Gestaltung des entscheidenden Schlachtstadiums 4.2.1. Der Aufbau der Partie Lucan. 7,545-616 als „kleiner Pharsalia" . 4.2.2. Der Einfluß von Aen. 12,324-382 4.2.3. libertas ultima mundi

251 251 254 258

12

Inhaltsverzeichnis

4.3.

Domitius, Caesar und die Freiheit: Lucan. 7, 5 9 9 - 6 1 6

....

260

4.3.2. salva libertóte périt Freiheit und Knechtschaft in der Geschichtsreflexion vor und nach Pharsalos: Lucan. 7 , 3 8 5 - 4 5 9 und 7 , 6 1 7 - 6 4 6 ....

261 266

4.4.1. Einleitung 4.4.2. Lucan. 7 , 3 8 5 - 4 5 9 4.4.2.1. Gliederungs- und Beziehungsphänomene

266 267 267

4.3.1. Domitius' Tod in der Geschichtsschreibung und in Lucans Epos

4.4.

4.4.2.2.

reditura numquam Libertas: Lucan. 7,432-459

4.4.3. Lucan. 7 , 6 1 7 - 6 4 6

260

....

268 274

5. Zusammenfassung und Ergänzung

279

Epilog: Lucanisches und Metalucanisches

285

Literatur und Abkürzungen

289

Register (Auswahl)

293

1. Sachen, Wörter, Namen 2. Parallelismen 3. Einzelstellen

293 297 303

Prolog Die Pharsalia 1 hat in den letzten drei Dezennien beträchtliche philologische Energien absorbiert. In einem Großteil der deutschen wie auch in gewissen ausländischen Publikationen zeichnet sich dabei ein Konsens über den wesentlichen Gehalt des Epos ab: die Pharsalia gilt als eine Dichtung, die bereits in den Einleitungsversen von der Gegnerschaft gegen Nero und den Prinzipat beherrscht ist; Lucan ist, wie man formuliert hat, der „Dichter des geistigen Widerstandes"2. Mir scheint, um das von vornherein zu sagen, die referierte Auffassung nicht richtig. Wenn dieses Urteil zutrifft, gilt es den Gründen nachzugehen, die die Mißdeutung Lucans ermöglicht oder bewirkt haben. Außerphilologische Motive sollen dabei vernachlässigt werden, obschon sie in Wahrheit vermutlich eine bedeutende Rolle spielen. Denn die deutsche Lucanphilologie der Nachkriegsjahre ist offenbar durch das tatsächliche oder erwünschte Erlebnis des Widerstandes gegen das nationalsozialistische Regime dazu gedrängt worden, sich um die Aufdeckung analoger Tendenzen im antiken Epos zu bemühen. Und immerhin nahe liegt der Verdacht, daß dieselbe Interpretationsneigung in der internationalen Beschäftigung mit Lucan durch die prinzipiell oppositionelle Rolle begünstigt wird, die man heutzutage gern dem Intellektuellen und Schriftsteller als Aufgabe zuweist. Man verstehe diese Bemerkungen nicht so, als ob die Einbringung des Gegenwartserlebens in die Beschäftigung mit der Antike abgelehnt würde. Aber natürlich ist die Gefahr nicht gering, daß sich lediglich des Interpreten eigener Geist im Geist der Zeiten spiegelt; nur um solcher Reflexe willen lohnt sich jedoch die Beschäftigung mit einem antiken Autor schwerlich. Die Gefahr der Selbstbespiegelung wäre leicht zu bannen, wenn nicht gerade auch innerhalb der Lucanphilologie eine Interpretationsmethode vorherrschen würde, die anstatt des vom Dichter intendierten und im Epos vorliegenden Sinnkontextes die Fragestellung, die gerade den modernen Ausleger interessiert, zur Auslegungsgrundlage wählt. Zwar ist es legitim, und vielfach auch unumgänglich, aus dem Dichtungsgebäude gewissermaßen einzelne Steine herauszulösen. Aber 1 Manche neuere Autoren legen großen Wert darauf, daß Lucans Epos „Bellum civile" oder „De bello civili" zu überschreiben sei. Die Diskussion über den ursprünglichen Titel, in der sich zuletzt F. M. Ahl, Pharsalus für „Pharsalia" eingesetzt hat, soll hier nicht noch einmal aufgenommen werden. Für mich ist entscheidend, daß „Pharsalia" der Name der europäischen Kulturtradition ist - so heißt die Dichtung bei Dante, Voltaire, Lessing und noch bei dem Archegeten der modernen Lyrik, Baudelaire. Man sollte solche Traditionsfáden nicht zerreißen. Es kommt hinzu, daß ,JPharsalia" gegenüber „Bellum civile" den Vorzug hat, unmißverständlich Lucans Werk zu bezeichnen. 2 So G. Pfligersdorffer im Titel eines vielzitierten Aufsatzes. Weitere Literatur in den folgenden Untersuchungen.

14

Prolog

das Verfahren führt zu Fehldeutungen, wenn nicht zuvor Klarheit über die Funktion, die den Elementen innerhalb des Bauwerks zukommt, gewonnen ist. Um solches Strukturverständnis pflegen sich die Interpreten, denen der „Politiker" Lucan am Herzen liegt, kaum zu kümmern. Das rächt sich. Denn Lucan hat — dieses Ergebnis sei bereits hier vorweggenommen — die Schilderungen und Reflexionen seines Epos jedenfalls an vielen wichtigen Stellen in weitgespannte und zugleich subtile Strukturen gegossen, welche die Ponderierung und Relevanz des Gehalts entscheidend bestimmen. Ohne ein Eindringen in Lucans Bauformen kann es somit keine begründete Einsicht in die Bedeutung bestimmter Pharsaliapartien wie überhaupt des gesamten Epos geben. Freilich ist die Kunstgestalt einer Lucanpassage selten im ersten Zugriff ganz zu erfassen. Denn die Strukturen, die den Text unmittelbar gliedern, können in einer Weise aufeinander bezogen und voneinander abhängig sein, daß eine neue Strukturschicht entsteht und die so gebildeten Superstrukturen können gelegentlich ihrerseits in einem neuen Strukturverband geordnet sein. Es kommt hinzu, daß der Sinn gewisser Gestaltungsweisen in werkimmanenter Interpretation nicht oder nur unzulänglich zu eruieren ist. Sie sind nämlich, um von den weniger wichtigen außerliterarischen Gegebenheiten abzusehen, häufig bestimmt durch die Bezugnahme auf Formungen anderer Werke, insbesondere der Aeneis; sogar die Unterdrückung literarischer Requisiten kann interpretatorisch bedeutungsvoll sein. Die Methode, die über die Erschließung der so verstandenen Tektonik den Dichtungsgehalt zu ermitteln sucht, nenne ich integral-strukturale Interpretation: „struktural", weil sie auf die Bauformen jedweder Größenordnung den Blick richtet, „integral", weil sie es auf das unversehrte Ganze abgesehen hat, indem sie sowohl die Strukturen und ihre verschiedenen hierarchischen Relationen innerhalb des Werkes als auch ihre Determiniertheit durch werkexterne Momente betrachtet 3 . Teils praktische Gründe der Arbeitsökonomie, teils der fragmentarische Erhaltungszustand der antiken Literatur zwingen allerdings bei der Durchführung des Programms zu Abstrichen. Doch leistet die Methode auch in ihrer notge3 Es gibt mehrere Abhandlungen über die Bauformen der Pharsalia. Die neueste umfassende Arbeit stammt von Bryce Jeanne Mahoney Mitchell: A Structural Analysis of the Bellum Civile by Marcus Annaeus Lucanus, The Florida State University, Ph. D. 1971. Ich habe die Dissertation eingesehen, aber Kongruenzen oder Divergenzen mit ihr nicht mehr in meinem Manuskript notiert. Diese wie auch andere Aufbauuntersuchungen - allen voran die Dissertation von W. Rutz - enthalten so manche treffliche Beobachtung. Für ein integral-strukturales Verständnis des Epos leisten sie jedoch wenig. Denn sie beschränken sich unter weitgehender Vernachlässigung der Mikrostrukturen auf die Grobtektonik und lassen eine prinzipiell integrale Sehweise vermissen. Umgekehrt bleibt in der vorliegenden Arbeit manche Fragestellung außer Betracht, die in anderen Studien von Lucans Bautechnik beträchtliche Bedeutung hat. Das gilt insbesondere von der Frage nach dem geplanten Endpunkt der Pharsalia. Zu diesem Punkt letzthin B. M. Marti, La structure, mit gutem Überblick über die bislang vorgetragenen Auffassungen.

Prolog

15

drungen unvollkommenen Applikation, wie ich hoffe, einiges zur Erhellung der Pharsalia. Die vorliegende Arbeit verfolgt also zwei eng miteinander verbundene Erkenntnisziele. Auf der einen Seite geht es darum, die Bauformen, die Strukturen von Lucans Epos in ihren mannigfaltigen Verästelungen nachzuzeichnen. Auf der anderen Seite sollen im Lichte dieser Erkenntnisse der Aktualitätsbezug der Dichtung auf ihre Zeit, der politische Charakter des Epos oder aber auch die Absenz solcher Züge Kontur gewinnen. Der Erkenntnisweg, der durchschritten wird, umfaßt drei Strecken, die auch drei Abschnitten der Pharsalia entsprechen. Im ersten Teil der Untersuchungen wird das Proömium behandelt. Hier wird in Lucans Strukturtechniken, insbesondere in seine Aeneisimitation eingeführt und die programmatische Bedeutung der Einleitung herausgearbeitet. Am Leitfaden der dabei gewonnenen Einsichten werden dann im zweiten Teil darstellende Partien der Bücher 1—3 interpretiert. Das Ergebnis ist in starker Vereinfachung die wesenhafte gehaltliche Übereinstimmung des Proömiums mit den Handlungsszenen der ersten drei Bücher. Der dritte Teil baut wiederum auf den beiden vorangegangenen Hauptteilen auf. Er gilt dem 7. Buch, dessen Eigentümlichkeit herausmodelliert wird. Die Interpretation der einzelnen Pharsaliapartien geht normalerweise von der Dispositionsanalyse möglichst umfassender Abschnitte aus. Falls die Sachlage es erfordert, wird die Analyse schrittweise verfeinert und verengt, bis die jeweils zu interpretierende Kleinstpassage in ihrer Mikrostruktur und in ihren Strukturrelationen herauspräpariert ist. Mit der umfassenden Durchleuchtung der Disposition soll eine möglichst adäquate Einschätzung der tektonischen Ponderierungen und Beziehungen gewährleistet sein. Die stimmige Einfügung der Mikrostrukturen in die Makrostrukturen darf im Verein mit der inhaltlichgedanklichen Kohärenz der Großabschnitte als Indiz für die Richtigkeit der Ausgliederung der jeweils größten betrachteten Einheit angesehen werden. An sehr vielen Stellen ist darauf aufmerksam zu machen, daß die strukturelle Gestaltung mitgetragen wird von der Wiederholung desselben Wortes oder Wortstammes; solche strukturierenden Wiederholungen werden, wo eine besondere Hervorhebung des Phänomens zweckdienlich erscheint, durch Sperrung und Unterstreichung markiert. Dagegen bedeutet das Unterpunkten von unterschiedlichen Wörtern, daß zwischen ihnen als gleichartigen oder entgegengesetzten Vorstellungen deutliche gedankliche Beziehungen bestehen. Auf differenziertere Formen des Signalements ist aus Gründen der Praktikabilität verzichtet worden. Daß gerade sinnstiftende Wortwiederholungen dem antiken Empfinden entgegenkommen, kann eine Erklärung des Servius veranschaulichen. Aeneas' Erzählung wird Verg. Aen. 2,lf. so eingeleitet: conticuere omnes intentique ora tenebant inde toro pater Aeneas sic orsus ab alto.

16

Prolog

Dem entspricht dann die Abschlußformel Aen. 3,716ff. : sic pater Aeneas intentis omnibus urns facta renarrabat divum eursusque docebat; eontieuit tandem factoque hic fine quievit. Servius kommentiert zu Aen. 3,717: in secundi principio duo poetae sunt versus sicut hic tres et similis est finis initio ,eontieuit' et,intentis'. Der antike Interpret weist also in Verbindung mit der Ausdrucksidentität auf die annähernde Gleichheit der Verszahl und die homologe Extremposition der beiden Passagen hin. Ebenso wird in den folgenden Darlegungen nicht etwa auf die Verbaliterationen schlechthin geachtet, welche von einer bestimmten Textlänge an einfach unvermeidlich sind 4 ; vielmehr wird es eben um solche wörtlichen oder paronomastischen Wiederholungen — daneben auch die inhaltlich identischen oder konträren Ausdrücke - gehen, die an strukturell korrespondierenden Stellen erscheinen. Das Aeneisbeispiel lehrt ebenfalls, daß bei starker tektonischer Markierung sprachliche Konnexe über weite Distanzen hin empfindungswirksam bleiben können. Wenn endlich Servius eontieuit und intentis hervorhebt 5 , so fallen ihm gerade seltene Vokabeln Vergils auf; denn zwischen den zwei notierten Passagen kommt eontieeseere nur noch 2,253 und intentus überhaupt nicht vor. In der Tat würde ihre strukturstützende Funktion geschwächt, wenn es sich um häufige und damit unauffällige Ausdrücke handelte. Auf Frequenz und Verteilung der als strukturierend vermuteten Vokabeln wird also auch bei Lucan zu achten sein. Daß die Seltenheit eines Wortes allein keineswegs eine hinreichende Bedingung für seine Strukturbedeutung ist, sei dabei ausdrücklich festgestellt. Die Serviuspassage ist wohl ebenfalls geeignet, bis zu einem gewissen Grade den Einwand zu entkräften, Lucan habe mit solcher Kunst nicht auf Verständnis rechnen können und deshalb eine derartige Kunstgestaltung in Wahrheit überhaupt nicht intendiert 6 . Dennoch sind einige weitere Bemerkungen zu dem Problem am Platze. 4 Das gilt von einem Dichtwerk, bei dem der Wortschatz ja schon wegen des Metrums eingeschränkt ist, in besonderem Maße. Einige derartige Wiederholungsphänomene bei Lucan hat Anders Ollfors behandelt: Studien zum Aufbau des Hexameters Lucans (Acta Regiae societatis scientiarum et litterarum Gothoburgensis. Humaniora 1), Göteborg 1967. Auf die Frage, ob Wiederholungen nicht unter bestimmten Bedingungen als Träger besonderer Sinnbeziehungen fungieren, geht Ollfors nicht ein - mit einem gewissen Recht; denn diese Bedingungen sind bei den meisten seiner Belege nicht erfüllt. 5 Allerdings fehlt eontieuit et intentis in σ, dem einen der zwei Überlieferungszweige des Servius. 6 Die Voraussetzung des Einwandes, nämlich daß der Autor die Verständnismöglichkeiten des Publikums berücksichtigt, ist nicht denknotwendig, trifft aber gewiß für Lucan zu, der in dem Vorlesungswesen seiner Zeit so tätig mitwirkte. Für Lucan war die Publikumswirksamkeit seiner Dichtung jedenfalls ein wichtiger Gesichtspunkt, wennschon nicht unbedingt der einzige.

Prolog

17

Lucan wandte sich natürlich, wie das auch bei Statius silv. 2,7,46f. ausdrücklich bezeugt wird, mit seiner Dichtung in erster Linie an die stadtrömische Oberschicht, an ein Publikum also, das über beträchtliche Muße und über beträchtliche literarische Bildung verfügte, scribimus indocti doctique poemata passim — das hätte gleichfalls unter Neros Herrschaft gesagt werden können; der vornehmste der Dilettanten war der Kaiser selbst. Von einem solchen Publikum war Aufgeschlossenheit für sehr subtile Dichtungstechniken zu erwarten. Das gilt um so mehr, als Lucan immer wieder in dieser oder jener Form an überkommene Gestaltungsweisen anknüpft. Die exquisite Kennerschaft von Lucans Zeitgenossen zeigt sich auch darin, daß die verschlüsselte und voraussetzungsreiche Dichtersprache des Persius das Publikum im Sturm eroberte; und es wirft ein Licht auf Lucans Dichtungsverständnis, wenn ihn die Dichtung des Satirikers tief beeindruckte: quae illius essent, vera esse poemata, se ludos facere (Prob, vita Pers.). Obschon Lucan sich vermutlich vielfach über die angewendeten Kunstgriffe klare Rechenschaft abgelegt hat, muß er das keineswegs in jedem Einzelfalle getan haben. Die folgende Deutung beabsichtigt daher nicht die Auslegung zu sein, die der Dichter selbst gegeben hätte, sondern eine Auslegung, der er als Gutachter seine Zustimmung nicht versagt hätte. Aber auch das impliziert, daß die Pharsalia nach aller Möglichkeit aus dem Sprach- und Ideenhorizont ihrer Zeit verstanden werden muß 7 . Insbesondere ist von konkurrierenden Interpretationsmöglichkeiten diejenige vorzuziehen, die sich in den geistigen Bestand von Lucans Epoche am besten einfügt. Dazu gehört nicht zuletzt, daß immer wieder die darstellerischen Details sehr genau in den Blick zu nehmen sind. Denn es ist eine Eigentümlichkeit der großen kaiserzeitlichen Dichtung, daß auf die Ausgestaltung der Einzelheiten unendlich viel Sorgfalt verwendet worden ist. Eine Interpretation, die sich auf die „wesentlichen" Linien beschränken wollte, würde das wahrhaft Wesentliche, weil Besondere, dieser Dichtung gerade verfehlen. 7 Zum Problem der historischen Interpretation vgl. etwa René Wellek and Austin Warren, Theory of Literature, Harmondsworth (Peregrine Books) 1968, 40ff., die freilich eine etwas enge Vorstellung von der Methode haben. Anregend ist H. R. Jauss, Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft (Konstanzer Universitätsreden 3), Konstanz 1967.

2 Lebek (Hyp. 44)

Erster Teil: Das Proömium Lucan. 1,1 — 182 1. Der Pharsaliabeginn unter Ausschließung des Nerolobs: Lucan. 1 , 1 - 3 2 und 1 , 6 7 - 1 8 2 1.1. Einleitung Eine angemessene Würdigung des Pharsaliaproömiums ist unmöglich ohne Berücksichtigung der literarischen Tradition, die auf Lucan wirkt. Dabei ist vor allem an den römischen Klassiker des Epos zu denken, an Vergil, der von Lucan als der Dichter empfunden wurde, mit dem es sich zu messen galt (Suet. Vita Lucani p. 382,5f.). Es scheint daher angebracht, vor der Behandlung des Lucanischen Proömiums einige Grundlinien nachzuzeichnen, die für die Anfangspartien der Aeneis bestimmend sind. Die zusätzliche Berücksichtigung einiger Phänomene hauptsächlich der frühkaiseizeitlichen Vergilnachahmung wird Aufschluß geben über Möglichkeiten der Vergilanalyse in Lucans Zeit. Auf die Gesamtskizze soll dann rekurriert werden, wenn Lucans Verhältnis zu seinem großen Vorgänger und die Besonderheiten seiner Gestaltung betrachtet werden. Natürlich werden die folgenden Darlegungen über Vergil im großen und ganzen Erkenntnisse bieten, die in dieser oder jener Form bereits ausgesprochen worden sind 1 ; doch ist zu hoffen, daß sie in manchen Punkten das Verständnis der Aeneis und ihrer Rezeption über das Bekannte hinaus fördern.

1.2.

Das Proömium Aen. 1,1—33 und seine Nachwirkung

1.2.1.

Das Aeneisproömium

1.2.1.1. Gesamtdisposition und homerische Elemente Das Aeneisproömium ist so übersichtlich disponiert, daß gravierende Meinungsverschiedenheiten über die tektonischen Fugen kaum möglich scheinen2: I

1,1—7

Themenangabe (Propositio): Die von Iuno veranlaß ten Leiden des Aeneas

1 Aus der umfangreichen Literatur seien hervorgehoben H. Fuchs, MH 4, 1947, 102 Anm. 14; W. Jäkel 5 - 1 2 ; V. Buchheit 13ff.; K. Quinn, Virgil's Aeneid, London 1968, 40ff.; R. G. Austins Kommentar zum Aeneisproömium. Einiges andere bei G. Binder, Gnomon 46, 1974, 36. 2 Die Verse Verg. Aen. l , l a - l d betrachte ich mit der Communis opinio als unveigilisch; s. dazu R. G. Austin im Kommentar zu Verg. Aen. 1,1-7.

Erster Teil 1.2.1.1.

II A Β a α β b III IV

19

1,8-28 1,8—11 1,12—28 1,12-22 1,12—18

Die Ursachen von Iunos Feindschaft gegenüber Aeneas An die Muse gerichtete Frage nach den Ursachen Darstellung der Ursachen Die Bevorzugung Karthagos durch Iuno Iunos gegenwärtige Förderung der Stadt und ihre Zukunftspläne 1,19—22 Iunos Furcht vor dem zukünftigen Unheil, das Rom über Karthago bringen wird 1,23—28 Der Groll Iunos über ihr früheres Verhältnis zu Troia 1,29-32 Überleitung zum Beginn der epischen Handlung: Die aus Iunos Feindschaft herrührenden Irrfahrten der Troianer 1,33 Abschließendes Epiphonem

Wiederum gilt es, den literarischen Hintergrund nicht aus den Augen zu verlieren, vornehmlich also Homer. Zunächst drängen sich die Ubereinstimmungen des Aeneisbeginns mit dem Proömium der Ilias auf. In einem einzigen Satz, der eine Versheptade umfaßt 3 , umreißt Vergil - entsprechend Ilias 1,1—7 - den Inhalt seines Epos, 1,1 ff.: 1

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arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris Italiam fato profugus Laviniaque venit litora, multum ille et terris iactatus et alto vi superum saevae memorem Iunonis ob iram multa quoque et bello passus, dum conderet urbem inferretque déos Latio, genus unde Latinum Albanique patres atque altae moenia Romae.

Nicht wenige Kongruenzen des ausgeschriebenen Vergilpassus mit dem Proömium der Ilias sind zugleich Kongruenzen mit dem der Odyssee. Der Gegenstand des Epos wird wie in den Homerischen Epen zu Beginn des ersten Hexameters mit substantivischem Akkusativ bezeichnet, es folgt das regierende Verb des Singens4. Wie bei Homer schließt sich ein Relativsatz an, der das Themensubstantiv des Epos näher bestimmt. 3

Daß Vergil mit der Siebenzahl der Verse hier die Ilias imitiert, hat man schon seit langem angenommen. Die sonstigen engen Beziehungen zwischen Homerischer und Vergilischer Epik, die ja für die gesamte Aeneis von G. N. Knauer dargelegt sind, lassen in der Tat keinen Zweifel daran, daß Aen. 1 , 1 - 7 sich an Ilias 1,1—7 orientiert. Isoliert betrachtet, wäre die numerische Kongruenz der Heptaden ein etwas zweifelhaftes Indiz für einen Imitationszusammenhang. Dazu unten 1.2.2. G. N. Knauer, besonders 337 Anm. 1, bietet überhaupt aufschlußreiche Beobachtungen über Vergils Nachahmung Homerischer Strukturen, die sich gelegentlich sehr genau an die Homerischen Verszahlen hält. Über analoge Phänomene bei Statius B. Kytzler, Hermes 97, 1969, 211 Anm. 1. 4 Gerade die zeitgenössische Theorie hat auf die Sequenz Substantiv - Verb in Ilias 1,1 und Odyssee 1,1 aufmerksam gemacht, wie Dion. Hal. comp. verb. 5,33f. (II p. 2 3 , 1 3 24,4 Us.-Rad.) lehrt. Schon Liv. Andr. carm. frg. 1 ist die Besonderheit dieser Wortfolge beachtet: virum ... insece. Ebenso später Homerus 1: iram pande.

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Erster Teil 1.2.1.1.

Hierbei stoßen wir jedoch bereits auf zwei Momente, die die Aeneis sowohl von Dias als auch von Odyssee unterscheiden. Zunächst stehen dem jeweils einen Themenobjekt der Homerischen Epen zwei akkusativische Substantive bei Vergil gegenüber, die nach Sache und Person gliedern5. Ferner tritt Aen. 1,1 zum Themensubstantiv kein adjektivisches Attribut, das dem ούλομένην und πολύτροποι von Ilias und Odyssee entspräche. Die beiden Homerischen Attribute, die durch die epexegetischen Relativsätze expliziert werden 6 , sind, logisch gesehen, überflüssig. Vergil hat hier die Homerische Abundanz beseitigt 7 . Homerisch ist es dann aber wieder, wenn Vergil die Leidensfülle durch multum, multa verdeutlicht; denn das entspricht den „vielen", „unzähligen" Leiden, welche in den Proömien von Ilias und Odyssee angekündigt werden. Mit der Einleitung der Odyssee, noch stärker aber mit der der Ilias stimmt Aen. 1,1—7 auch in der bedeutungsvollen Rahmenkomposition überein. Der Name des Achilleus steht ja jeweils an letzter Stelle von Ilias 1,1 und 1,7 8 , und ähnlich umgeben der Ausgangspunkt und das letzte Ziel des Aeneishandlung den Abschnitt 1,1—7. Schließlich ist sowohl im Proömium der Ilias als auch in dem der Odyssee von einem Gott die Rede, der auf das Geschehen einwirkt, von Zeus und Helios; das erinnert an die Erwähnung Iunos Aen. 1,4. Diese letzte Übereinstimmung weist freilich bei der zentralen Bedeutung Iunos für die ganze Aeneishandlung9 gleichermaßen auf die Divergenz zwischen Homerischem und Vergilischem Epos hin.

5 Hinter der Auseinanderlegung des Themenobjekts in arma und vir steht ein Denkschema, das nach res und homines gliedert. Vgl. ζ. B. Rhet. Her. 1,15,25. Weitere Belege für die Gegenüberstellung von res und homo Thes. VI 3,2877,24ff. In juristischem Schrifttum spielt die Gliederung nach res und personae eine gewisse Rolle. Vgl. etwa Ulp. dig. 44,7,25 pr. Noch näher steht Vergils arma virumque die Gegenüberstellung von ars und artifex, die die Prälokutionen der Technographie bestimmt. Dazu H. Dahlmann, Varros Schrift ,de poematis' und die hellenistisch-römische Poetik, Abh. Ak. Mainz 1953, 3, besonders S. (19)ff. Ed. Norden, Kommentar 368 Anm. 2 vermutet in den Anfangsworten der Aeneis ein leicht umgewandeltes Enniuszitat, was mit dem Vorgetragenen nicht unvereinbar wäre; weitere Erwägungen bei A. Bloch, Arma virumque als heroisches Leitmotiv, MH 27, 1970, 206-211. Ein anderer Aspekt bei V. Pöschl 41. 6 Darüber R. Pfeiffer, Geschichte der klassischen Philologie, Hamburg (rde) 1970, 19; Ilias l , l f . ist nachgeahmt und variiert von Apollonios Rhodios l,802f. 7 Ähnlich ist Hör. ars 141f. das πολύτροπου der Odyssee weggefallen. Das ausgeschriebene Zitat unten in 1.2.2. 8 Eine Ringkomposition schließt auch das Odysseeproömium zu einer Einheit zusammen. 1,1 (ίίνδρα) μοι ëvvene, Μούσα ~ 1,10 0eá, diryarep Διός, eiwè και ημΐρ. Die Wortsequenz des Anfangsverses wird in 1,10 chiastisch wiederaufgenommen. Das ist doch wohl ein deutliches Indiz, daß das Odysseeproömium mit 1,10 beendet ist. Es gibt aber auch andere Auffassungen. Vgl. K. Rüter 40 Anm. 31. Im übrigen wird auf Rahmenfunktion gerade auch von Eigennamen noch öfter hinzuweisen sein. Aus der Moderne vgl. ζ. B. T. S. Eliot, The Waste Land, IV Death by Water: 312 Phlebas the Phoenician ~ 321 Consider Phlebas. ' Im einzelnen dazu V. Buchheit l l f f .

Erster Teil 1.2.1.1.

21

Verweilen wir indessen noch ein wenig bei den Ähnlichkeiten, und zwar zunächst denen zwischen den ausgeschriebenen Vergilversen und dem Eingang der Odyssee. In der Aeneispartie I wie im Odysseeproömium 1 , 1 - 1 0 wird ein anonymer Heros, der wesentlich durch Troia bestimmt ist, als Zentralgestalt des Epos genannt. Ein deutlicherer Bezug zwischen Odysseebeginn und Aeneasproömium wird sichtbar, wenn wir letzteres in seiner Gesamtheit betrachten. Es ist ab 1,8 wesentlich durch die Frage der Theodizee bestimmt: Musa mihi causas memora, quo numine laeso quidve dolens regina deum tot volvere casus 10 insignem pietate virum, tot adire labores impulerit. tantaene animis caelestibus irae? Das Problem spielt ebenfalls in den Anfangspartien der Odyssee eine besondere Rolle 10 . Wenn der fromme Odysseus von der Heimat ferngehalten wird - wie ist diese göttliche Schickung zu rechtfertigen? Das ist die Frage, die Athena l,60ff. Zeus vorlegt. An die Stelle von Athenas Mitleid tritt in der Aeneis das fragende Mitleid des Dichters selbst. Der Beziehung auf die Odysseeproblematik entsprechend, läßt Vergil 1,8 den Anfangshexameter der Odyssee anklingen. Musa steht mit gutem Grund anders als im Homerischen Pendant bei Vergil am Versbeginn. Der Dichter bedarf in besonderem Maße göttlicher Unterweisung, um die Beweggründe der Götterkönigin zu erfassen 11 . Zugleich ist Verg. Aen. 1,8-11 auch eine Umbildung der Ilias 1,8 aufgeworfenen Frage. In dem Aeneispassus II A geht es um die Ursachen von Iunos Haß, die ihrerseits die Leiden des Aeneas verursacht. Eine ähnlich indirekte Ursachenfrage wird in der Ilias gestellt: Welcher Gott hat die Feindschaft zwischen Achilleus und Agamemnon erweckt, die die Ursache für die Leiden der Griechen war 12 ?

10 Eine umfangreiche Untersuchung des Odysseebeginns hat K. Rüter 28ff. vorgelegt, der auch auf das Theodizeeproblem eingeht. Speziell dazu noch A. Dihle, Homer-Probleme (Wiss. Abh. der Arbeitsgem. f. Forschung des Landes Noidrhein-Westfalen Bd. 41), Opladen 1970, 176ff. 11 Val. Fl. 3,15f., wo offensichtlich Verg. Aen. 1,8-11 variiert wird, heißt es ausdrücklich zur Muse Clio: tibi enim superum data, virgo, facultas/nosse ánimos. Der einzige Musenanruf in Vergils Geórgica findet sich bezeichnenderweise vor der Darstellung des „göttlichen" Ursprungs der Bienenzeugung, 4,315. Der andersartige Zusammenhang, in dem Vergils Musenanruf Aen. 1,8 steht, könnte vielleicht daran zweifeln lassen, daß wirklich Odyssee 1,1 vorschwebt. Doch vgl. G. N. Knauer 227 Anm. 1, dessen Beobachtungen noch ergänzt werden können. Nur Aen. 1,8 wird nämlich in den gesamten Vergiliana die Muse singularisch als Musa apostrophiert. Femer ist die Stelle der einzige Vergilische Musenanruf, in dem der Dativ mil·', erscheint. Das μοι von Odyssee 1,1 ist auch in den Übersetzungen Liv. Andr. carm. frg. 1 und Hör. ars 141 bewahrt, eben wohl als charakteristisches Element des Odysseeverses. 12 Vgl. auch F. Klingner 385f. In der Aeneispartie II A (1,8-11) sind also Elemente aus Ilias und Odyssee miteinander verschmolzen.

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Erster Teil 1.2.1.2.

1.2.1.2. Das Aeneisproömium

in seiner Eigenart

Bei allen Verbindungen, die sich zwischen der Vergilischen Einleitung und den Eingängen der Homerischen Epen aufspüren lassen, erweist sich das Aeneisproömium gegenüber diesen Vorbildern auch als durchaus eigenständig, und das wohl eben im Wesentlichen: in der geschichtsmetaphysisch-teleologischen Interpretation des epischen Geschehens und in der beziehungsreichen Tektonik. Beide Aspekte werden schon in den ersten 7 Versen deutlich, die mit wohlabgestufter Gedankenführung die Verbindung von Aeneas' schicksalsgelenkter Flucht mit dem großen Plan der Weltgeschichte entwerfen. Nach der Themenangabe im engsten Sinne arma virumque cano13 wird Aeneas' Fluchtweg umrissen, der von Troias Ufer zum lavinischen Gestade führt. Das Attribut Lavinia verweist den Leser auf die Gewinnung Lavinias und auf die Gründung Laviniums und damit auf die sozusagen lebensimmanente Erfüllung der Bemühungen des Helden 14 . Gewiß mag man schon hierbei empfinden, daß es um mehr geht, als um eine neue Heimat, aber ausgesprochen wird das erst in den letzten eineinhalb Zeilen der Eingangsheptade. In diesem abschließenden Relativsatz wird der welthistorische Schicksalsplan aufgedeckt, der auf die Weltherrscherin Rom abzielt: die alta Roma, die Aeneas' Leben transzendierende eigentliche Sinngebung für seine Mühen. Iuno ist die Kraft, die sich dem Weltplan entgegenstellt. Nicht zufällig wird vi superum, .. . Iunonis ob iram im Mittelpunkt der gesamten Einleitungsheptade stehen, symmetrisch umschlossen von zwei Kola, die je die Vielzahl der Odyssee- und der Iliasleiden der Aeneishandlung hervorheben. Denn daß wichtige Begriffe oder Namen in das Zentrum einer längeren oder kürzeren Dichtung gerückt werden, ist eine zu Vergils Zeit öfter verwendete Technik 15 . Darüber hinaus gibt es ein episches Proömium, das hierbei vielleicht ganz speziell für Vergil anregende Bedeutung gehabt hat, Apollonios Rhodios 3,1—5. Apollonios 3,6-298 hat wohl Aen. 1,657-722 beeinflußt 16 , Aen. 7,37 ist eine offenkundige Imitation von Apollonios 3,1. Die Annahme, auf Aen. 1,1—7 13 Wenn hier cano anstelle eines Musenanrufes steht, so wohl primär mit Rücksicht auf 1,8, wo das Musa memora ja seine besondere Funktion hat. Die Steigerung von rein menschlichem Sprechen zum Sprechen aus göttlicher Legitimation ist in diesen Versen so sinnvoll wie zwei Musenanrufe auf geringem Raum als sinnentleerte epische Floskeln erscheinen müßten. Die dem cano entsprechenden Formulierungen nichthomerischer Dichtung werden Vergil seine Entscheidung erleichtert haben. Dazu V. Buchheit 13 Anm. 8; F. Klingner 384f. 14 Von der bedeutsamen Art, mit der Vergil im Proömium die Eigennamen wählt, wird noch öfter zu sprechen sein. Vgl. besonders unten Anm. 24. 15 Zur neoterischen Kleinkunst unter diesem Aspekt H. Tränkle, MH 24, 1967,89ff. Zu Vergil A. Wlosok, Die Göttin Venus in Vergils Aeneis, Heidelberg 1967, 32 Anm. 27 mit weiterer Literatur. Eine bemerkenswerte aber wohl nur zufällige Übereinstimmung mit der zentralen Stellung von Iunonis ob iram Aen. 1,4 findet sich in der siebenzeiligen (!) Einleitung des 12. Buches der Posthomerica des Quintus Smyrnaeus, wo es am Ende von 12,4 heißt: im' ivveoifts Έκάτοιο. 16 Darüber R. Heinze, Virgils epische Technik 306; G. N. Knauer 157.

Erster Teil 1.2.1.2.

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habe das Proömium des 3. Argonautikabuches eingewirkt, hat bei dieser Sachlage nichts Unwahrscheinliches. Das Apolloniosproömium ist von einer starken Rahmung umschlossen: 3,1 ei baye νύν'Ερατώ ~3,5 τώ καίτοι, επήρατον ουνομ' άνήπται. Der mittlere Vers 3,3 beginnt mit Μηδ«ι?ς ύπ' έρωτι. Hier fällt also der Begriff „Liebe", auf den im Anfangs- und Endvers des Proömiums paronomastisch angespielt wird; und zugleich fällt - überhaupt erstmals in den Argonautika — der Name Medeas. Ist Iunos Zorn für Aeneas' Geschick als Ursache seiner Leiden bestimmend, so ist Medeas Liebe gleichermaßen für Iasons Schicksal entscheidend, aber als Ursache seines Erfolgs. Die Ähnlichkeit zwischen Aeneis und Argonautika ist groß. Auf jeden Fall bietet der Apolloniospassus einen besonders markanten Beleg dafür, daß Vergil sich im Umkreis bereits bekannter Strukturierungsmöglichkeiten bewegt, wenn er dem Zorn Iunos einen zentralen Ort zuweist. Schon die Homernachfolge Vergils veranlaßt dazu, nach den ersten 7 Versen eine deutliche Zäsur anzunehmen. Außerdem ist dieser Abschnitt eine in sich abgeschlossene Einheit. Fehlte der Rest des Proömiums, so würde man ihn kaum vermissen. Wenn dagegen die Muse aufgefordert wird, die causae von Iunos Verhalten zu erzählen, so ist damit die folgende Darstellung der causae notwendig verknüpft. Es besteht also zwischen 1,7 und 1,8 eine viel tiefere Zäsur als zwischen 1,11 und 1,12". Das heißt selbstverständlich nicht, daß die Aufforderung an die Muse verbindungslos auf die vorangegangenen Verse folgte 18 , sie knüpft deutlich an 1,4 an. Nun wird so recht spürbar, wie schwer begreiflich Iunos Gegnerschaft gegenüber Aeneas ist: sie — die Götterkönigin, er — ein durch pietas ausgezeichneter Mann. Das Spannungsverhältnis wird durch den Reimanklang des vor der Hephthemimeres stehenden deum und virum akustisch intensiviert. Sinnfällig umgeben die infinitivischen Wendungen tot volvere casus und tot adire labores den Akkusativ insignem . .. virum. Vergil hat seine Worte im Musenanruf mit großem Bedacht gesetzt. So wird man es von vornherein nicht für abundante Ausdrucksweise halten, wenn auch die causae doppelt expliziert werden: „durch Verletzung welchen göttlichen Willens oder worüber Schmerz empfindend" 19 . In der Tat korrespondiert mit der zweifachen Frage eine zweifache Antwort; 17

Merkwürdigerweise ist das nicht immer erkannt worden, wie man aus dem Referat Th. Halters, WS 77, 1964, 79 ersehen kann. 18 Überhaupt ist die Tektonik und die Beziehungsvielfalt des Proömiums nicht mittels einer einzigen Gliederung erschöpfend dargestellt. Eher würde das Fehlen tektonischer Überlagerungen in einem so ausgezeichneten Stück augusteischer Dichtung überraschen. Allerdings scheint mir die vorgelegte Gliederung die Grundstruktur zu sein. 19 Das ist im Prinzip eine alte Deutung, die sich bereits Serv. auct. Aen. 1,8 referiert findet und auch von W. Jäkel 10 aufgegriffen wird. Bei den neueren Auslegern erfreut sie sich anscheinend keiner Beliebtheit. Vgl. J. Henry, Aeneidea I, London/Edinburgh/Dublin 1873, 164ff.; V. Buchheit 20 Anm. 30; R. G. Austin zu Verg. Aen. 1,8; vgl. aber auch die ausführlichere Diskussion des Problems bei Th. Birt, BPhW 1918, 221ff. Der Sinn „Wille" scheint durch Verg. Aen. 2,123; 7,584; 9,661 hinlänglich gesichert.

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Erster Teil 1.2.1.2.

nicht aber ohne daß zuvor Vergil in einer Frage sein Verwundern über die Größe göttlichen Zorns geäußert hätte. Zwei causae sind es also, von denen die Verse 1,12—28 berichten: die zukünftige Bedrohung des von Iuno geförderten Karthago durch die Römer und die Feindschaft gegen Troia, die in der Vergangenheit wirksam war, oder metus und memoria, um es in Anlehnung an die Formulierung zu sagen, die Vergil Aen. 1,23 gebraucht. Zukunft und Vergangenheit bestimmen Iunos Haltung in den Partien II Β a und II Bb. Die erste der Ursachen wird unter zwei Aspekten gesehen. In II Baa (1,1218) werden Karthagos gegenwärtige Bedeutung und die Pläne, die Iuno mit der Stadt hat, betrachtet, in II Baß ( 1 , 1 9 - 2 2 ) der durch Rom drohende Untergang. Wenden wir uns der ersten der zwei Passagen zu, l,12ff.: urbs antiqua fuit (Tyrii temere coloni) Karthago, Italiam contra Tiberinaque longe ostia, dives opum studiisque asperrima belli; 15 quam Iuno fertur terris magis omnibus unam posthabita coluisse Samo: hic illius arma, hic currus fuit; hoc regnum dea gentibus esse, si qua fata sinant, iam tum tenditque fovetque. Die bereits bestehende alte urbs Karthago: das ist ein deutliches Gegenbild zu der erst in Zukunft zu errichtenden Roma des Verses 1,7. Überhaupt sind die 7 von Karthago handelnden Verse den 7 Eingangsversen nicht nur durch die Gleichheit der Zahl zugeordnet 20 . Die Bezeichnung von Karthagos Ursprung Tyrii - coloni ist das Pendant zu der im gleichen Versteil stehenden Bezeichnung von Roms Ursprung Troiae - ab oris 1,1. Italiam - ostia ist eine unverkennbar an l,2f. Italiam - litora gemahnende Formulierung 21 , unverkennbar auch deshalb, weil sich Italiam, beidemal als Akkusativ, im Proömium nur in diesen Versen findet. Wie ferner der Name Iuno als der der Widersacherin des Aeneas im Zentrum der Themenangabe erscheint, so steht er auch als der von Karthagos Schirmherrin in der Mitte des Karthagoabschnittes; nur an diesen zwei Stellen fällt der Name Iuno innerhalb des Gesamtproömiums. Endlich ist auch die gedankliche Bewegung der zwei verglichenen Heptaden in mancher Hinsicht ähnlich: beidemal erstreckt sie sich von der Gegenwart der epischen Handlung in die Zukunft, beidemal ist die Zukunft durch Weltherrschaft bestimmt; allerdings wird in Rom das in der Zukunft erreicht, was im Hinblick auf Karthago Intention bleibt. Denn Karthago muß durch Rom untergehen, Aen. 1,19-22, II Ba0: 20

Die Beziehungen zwischen den beiden Heptaden hat in allem Wesentlichen bereits W. Jäkel 10 gesehen. 21 Zugleich liegt auch eine Art symbolischer Antithetik vor: Karthago ist die Gegnerin des von dem troianischen Flüchtling erreichten und damit erst zu geschichtlichem Wirken berufenen Italien. Das contra wird seit langem symbolisch gedeutet, so von V. Pöschl 25; V. Buchheit 20 Anm. 31.

Erster Teil 1.2.1.2.

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progeniem sed enim Troiano a sanguine duci 20 audierat Tyrias olim quae verteret arces; hinc populum late regem belloque superbum venturum excidio Libyae: sic volvere Parcas. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß die Verse als Ausdruck der zukünftigen Vereitelung von Iunos Streben zunächst aufs engste mit der voraufgehenden Versheptade verknüpft sind. Doch sind sie auch nicht ohne Bezug zur Eingangsheptade, die sie in gewisser Weise mit der Ankündigung der weiten Herrschaft und kriegerischen Macht der progenies sanguinis Troiani fortführen. Die Anklänge Tyrias 1,20 ~ Tyrii 1,12 und Troiano 1,19 ~ Troiae 1,1, die zwei letzteren Wörter jeweils an gleicher Versstelle, machen die doppelte Beziehung auf die unmittelbar vorausgehende Siebenergruppe und die 7 Einleitungsverse sinnfällig. Der erste Eigenname wird nur hier im Proömium verwendet; Troianus, Troia und Verwandtes begegnen jedenfalls in keinem weiteren Vers vor Vers 1,19. Besonders in dem zuletzt besprochenen Abschnitt hatte sich der Blick Iunos, und damit der des Dichters und seines Lesers, in eine weit nach dem epischen Geschehen liegende Zukunft gerichtet; nun heftet er sich mit den Versen 1,23— 28 (II Bb) auf die vorausliegende Vergangenheit22: id metuens veterisque memor Saturnia belli, prima quod ad Troiam pro caris gesserai Argis 25 necdum etiam causae irarum saevique dolores exciderant animo; manet alta mente repostum iudicium Paridis spretaeque iniuria formae et genus invisum et rapti Ganymedis honores. Der Gedanke gleitet von der näheren zur ferneren Vergangenheit, vom Troianischen Krieg und dem Parisurteil zu Raub und Ehrung des Ganymedes 23 . Bedeutungsvoll wie Iuno zuvor regina deum genannt wurde, tritt sie dem Leser hier als die Saturnia entgegen, als die durch ihre Herkunft und Vergangenheit bezeichnete Göttin 24 . " So schon Servius z. St.: de futuro timor est, odium de praeteritis. Natürlich hat sich auch die moderne Vergilinterpretation die zeitliche Zweigliederung der Ursachen nicht entgehen lassen. S. etwa K. Büchner, RE 2. R. 16. Hbb. (1958) 1339,46ff. 23 Die Bewegung des Gedankens in die Vergangenheit wird bereits von Servius beobachtet, der zu Aen. 1,25 causae irarum bemerkt: nunc de praeteritis loquitur. Wenn man mit Serv. Aen. 1,28 und R. G. Austin zu Verg. Aen. 1,28 genus invisum als Anspielung auf die Abstammung des troischen Fürstengeschlechts von Iunos Nebenbuhlerin Electra (Verg. Aen. 8,134f.) versteht, dann ist in Aen. 1,28 die Reihenfolge Jüngeres-Älteres nicht mehr eingehalten. Das wäre wohl keine entscheidende Störung der Gedankenrichtung „Gegenwart-Vergangenheit". Aber vielleicht sollte man auf jede spezifizierende Erklärung verzichten; Iuno ist eben allgemein (aus verschiedenen Gründen) von Haß gegen das Troergeschlecht erfüllt. 24 Serv. auct. Aen. 1,23 findet sich eine andere Deutung: ,Saturnia' autem nomen quasi ad crudelitatem aptum posuit. Das ist interessant, weil die Verwendung des Namens als interpretationsbedürftig empfunden wird. Aber die Auslegung als solche befriedigt nicht. Denn die unmittelbar folgenden Verse Aen. 1 , 2 3 - 2 8 haben es mit der Erinnerung Iunos

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Erster Teil 1.2.1.2.

Die Darstellung der causae von Iunos feindseliger Haltung ist mit Vers 1,28 abgeschlossen. Die nächsten 4 Verse bilden wieder eine gedankliche Einheit, III: his accensa super iactatos aequore toto 30 Troas, reliquias Danaum atque immitis Achilli, arcebat longe Latió, multosque per annos errabant acti fatis maris omnia circum. Die Verstetrade führt zurück in die epische Gegenwart, zu den Leiden die Iuno in ihrem Zorn über die Troianer verhängt, genauer: zu den odysseehaften Irrfahrten über die Meere. Diese Spezifizierung der Leiden stimmt den Leser auf die Situation ein, mit der in Vers 1,34 die eigentliche Erzählung beginnt. Zugleich aber knüpft die Perikope durch unüberhörbare Anklänge an die 7 Eingangsverse an und erweist sich so als dem Proömium zugehörig25. 29 iactatos aequore ~ 3 iactatus et alto 31 arcebat longe Latió ~ 6 inferretque déos Latio 32 acti fatis ~ 2 fato profugus. Man beachte dabei, daß iactatus und Latium - das letztere jeweils an derselben Versstelle - nur an den zitierten Stellen im Proömium begegnen. Ist einmal der Gedanke auf die Eingangsverse zurückgewandt, so wird man auch den Bezug von Vers 1,33 nicht verkennen. Hier werden wie überhaupt das Proömium so besonders die ersten 7 Verse in wenige Wörter konzentriert, die noch einmal von den Mühen und ihrem geschichtlichen Ziel künden: tantae molis erat Romanam condere gentem. Unter den gegebenen Umständen darf es wohl auch als bedeutungsvoller Anklang gewertet werden, wenn die vorletzten zwei Wörter an die drei Verse erinnern, die Aeneas' Aufgabe und ihren historischen Sinn bezeichnen: Vers 1,5 conderet, Vers 1,7 Romae. condere und Roma/Romanus finden sich im Proömium nur an den angeführten Stellen26. Die besondere Form des Hexameters zu tun, nicht mit ihrer Grausamkeit. Außerdem ist crudelitas kaum die Assoziation, die sich in Vergils Zeit mit dem Namen Saturnia verbindet. Lehrreich Ov. fast 6,29ff. All dem gegenüber ist die Bezeichnung dea Aen. 1,17 anscheinend primär dazu bestimmt, nach dem Subjektwechsel das Iuno 1,15 wiederaufzunehmen. Zusätzlich aber soll dea, das im 6. Vers der Karthagoheptade steht, vielleicht kontrastierend an das im 6. Vers der Eingangsheptade erscheinende deos erinnern: hier Erreichtes, dort Erstrebtes. Wie dem auch immer sein mag, sicher ist jedenfalls, dali die Wahl bestimmter Eigennamen in dem Proömium weithin sinnerhellende Funktion hat. So heißen Aen. 1,24 die der Iuno teuren Griechen, für die sie bei Troia Krieg gefuhrt hat, Argi, weil Hera in der Ilias die Άργείτ) ist. In dem sogleich zu zitierenden Vers 1,30 werden die Griechen Danai genannt, die Troianer Troes. Das sind die Aavaoi und Τρώες der Ilias - die Erinnerung an die Kämpfe vor Troia wird in dem Vers wachgerufen. " Die Anklänge hat bereits W. Jäkel 11 beobachtet. gentem könnte auf genus 1,6 zurückdeuten. Daß die etymologische Verbindung empfunden werden konnte, lehrt Prise, gramm. III 478,5: videtur etiam genus a gente derivari. Allerdings bietet die Stelle anscheinend das älteste Zeugnis dafür, daß der Konnex zwischen den beiden Substantiven beachtet wurde. Weiteres Thes. VI 2, 1885,28ff. 26

27

Erster Teil 1.2.2.

bestärkt den Eindruck dieser Verknüpfung; denn 1,33 hat dieselbe rhythmische Gestalt wie 1,7 : υ U- I

u u - -27.

So ist der Schlußhexameter des Proömiums ein Vers mit starkem Eigengewicht. Quintilian 8,5,11 führt den Vers als Beispiel für das Epiphonem an, die rei narratae vel probatae summa adclamatio 28. Die eindeutige Rückbeziehung von III und IV auf I macht das Aeneisproömium zu einem durch Rahmung umschlossenen Ganzen. Vielleicht ist auch diese Ringkomposition Nachahmung der Rahmengestaltung von Ilias 1,1-7 und Odyssee 1,1-10. Konzentrierende und durchstrukturierende Verarbeitung der Anfänge von Ilias und Odyssee, mehr in tektonischer Hinsicht des Beginns der Ilias, mehr in gedanklicher Hinsicht dessen der Odyssee; geschichtsteleologische, Zukunft und Vergangenheit umspannende Deutung der epischen Handlung; ein Geflecht von Beziehungsfäden, die bedeutsam Abschnitte und Verse miteinander verbinden: das waren die bestimmenden Merkmale des Aeneisproömiums. 1.2.2. Die Nachwirkung des Aeneisproömiums

außerhalb der Pharsalia

Die Proömiengestaltung der nachvergilischen römischen Epik steht in mancherlei Hinsicht unter dem Einfluß des Aeneisproömiums 29 , ohne sich aber auffallend eng an dieses anzuschließen. Merkwürdig ist ein metrisches Phänomen. Verhältnismäßig oft beginnt die frühkaiserzeitliche Epik mit einem Hexameter, der im Prinzip die Rhythmisierung von Aen. 1,1 aufweist: - υ υ - υ υ - I

u u

.

Als Epenanfang ist Hor. ars 141 zu werten: die mihi Musa virum captae post tempora Troiae qui mores hominum multorum vidit et urbis. Vielleicht darf man in diesem Zusammenhang auch den Beginn der episch gestalteten Fabiererzählung Ov. fast. 2,195ff. anführen 30 : haec fuit illa dies in qua Veientibus armis ter centum Fabii ter cecidere duo. una domus vires et onus susceperat urbis. " Für sich genommen, könnte diese Übereinstimmung auch Zufall sein. Dieselbe Versgestalt im Proömium noch 1,18 und 1,19. 28 Vgl. noch R. G. Austin zu Verg. Aen. 1,33, der bereits auch die Quintilianstelle anführt. Wenn Wielands unvollendetes Epos Cyrus (entstanden 1756/7) mit einem Proömium von 33 Versen beginnt, so ist das zweifellos Vergilnachahmung; der Anschluß an Vergil ist, neben der Nachahmung von Klopstocks Messiasproömium, auch sonst im Cyrusproömium unverkennbar. 29 Zu Silius Italicus vgl. M. v. Albrecht, Silius 20ff.; zu Valerius Flaccus E. Lefèvre 12ff. 30 Hier ist an R. Heinze, Ovids elegische Erzählung 339f. zu erinnern.

28

Erster Teil 1.2.2.

An der Ovidstelle ist nicht nur wie bei Horaz der Einleitungshexameter metrisch mit Aen. 1,1 identisch; vielmehr entspricht weiter der nächste Hexameter fast. 2,197 im Rhythmus dem Aeneisvers 1,2. Nun handelt es sich bei den zwei genannten Beispielen nicht um Epenanfánge im strengsten Sinne; doch auch diese bieten Zeugnisse für die epische Einleitung in vergilischer Metrik. Das gilt von Ov. met. 1,1; Sil. 1,1; Stat. Ach. 1,131. Bei der Bedeutung Vergils liegt die Annahme sehr nahe, daß diese Bevorzugung der metrischen Gestalt von Aen. 1,1 für den epischen Eingangsvers Vergilnachahmung ist; die Auffassung ist überdies durch ähnlich gelagerte Fälle zu stützen32. Auf ein schwieriges Terrain kommt man, wenn man die zahlenmäßige Einwirkung von Aen. 1 , 1 - 7 auf die Versheptaden abschätzen will, die öfter die Eingänge der lateinischen Hexameterdichtung darstellen 33 . Um von der Möglichkeit reinen Zufalls bei der Aneinanderreihung von gerade 7 Hexametern abzusehen: die Siebenzahl ist eine bedeutungsvolle Zahl, an die sich seit Urzeiten mancherlei Spekulationen knüpfen 34 und die auch ohne literarische Vorbilder zum organisierenden Prinzip dichterischer Gestaltung gemacht werden kann. Außerdem ist unter Umständen etwa mit der direkten Einwirkung des ebenfalls siebenzeiligen Diasproömiums zu rechnen. Doch wäre die Vorsicht wohl übertrieben, wollte man nicht wenigstens indirekten oder akzessorischen Einfluß der Aeneis dort annehmen, w o ein ausgesprochenes Epos im Lateinischen mit einem Proömium von 7 Versen beginnt, wie die Iohannis des Coripp. Dasselbe gilt für einleitende Versheptaden in den 31

Die metrische Identität dieser 3 Anfangsverse sowie von Lucan 1,1 mit Verg. Aen. 1,1 hat E. Malcovati, Prolog 302 beobachtet. Aus späterer Zeit ist noch Drac. Orest. 1 hinzuzufügen. 32 Μ. v. Albrecht, Silius 181 weist mit Recht darauf hin, daß der Eingang des 3. Buches der Punica nach dem Eingang des 3. Aeneisbuches modelliert ist; man darf hinzufügen, daß Silius auch das Vergilische Metrum bewahrt: Aen. 3,1 postquam res Asiae Priamique evertere gentem eqs. ~ Sil. 3,1 postquam rupta fides Tyriis et moenia castae eqs. Gewiß nicht zufallig hat Ov. fast. 2,119 das Metrum von Ilias 1,1: nunc mihi mille sonos, quoque est memoratus Achilles eqs. Ein wenig übet rhythmische Nachahmungen in hexametrischer Dichtung bei Ed. Norden 420; etwas auch bei L. P. Wilkinson, The Georgics of Virgil, Cambridge 1969, 215ff. Die metrische Gestaltung markanter Verse oder auch Prosapartien wird dem Römer dieser Zeit im Ohr gelegen haben wie uns geläufige Melodien. Als Prosaparallele kann die bekannte rhythmische Nachahmung des Einganges der Kranzrede durch Fann. or. frg. 32,2 Male, genannt werden. Über die weitverbreitete Empfindlichkeit für den Sprachrhythmus Cic. orat 168. 33 Angeführt seien das Moretum; Stat. silv 3,1; 3,3; Paulin. carm. 18; Claudian. carm. 18. Die Belege beschränken sich auf die einleitenden Versheptaden, die aus einem einzigen Satz bestehen. Einiges wenige zu dem Thema bei L. P. Wilkinson, Artistry 191f. 34 Dazu und überhaupt zur Zahlenmystik: W. Burkert, Weisheit und Wissenschaft (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft Bd. X) Nürnberg 1962, 4 4 1 ff.; einige ältere Literatur auch etwa bei F. Börner zu Ov. fast. 2,576. Der antike Locus classicus ist Philo, Legum allegoriae l,4,8ff. Als literarisches Kompositionselement spielt die Siebenzahl in der ägyptischen Hymnik seit der 19. Dynastie eine Rolle, s. A. Hermann, Altägyptische Liebesdichtung, Wiesbaden 1959, 149f.

Erster Teil 1.2.2.

29

neueren nationalsprachlichen Versepen: Miltons Paradise Regained und Klopstocks Messias. Über solche recht unbestimmten Feststellungen darf man beim Proömium der Statianischen Achilleis hinausgehen 35 . Der Text lautet Stat. Ach. 1,1 ff.: 1 magnanimum Aeaciden formidatamque Tonanti progeniem et patrio vetitam succedere cáelo, diva, refer, quamquam acta viri multum inclita cantu Maeonio, sed plura vacant: nos ire per omnem 5 (sic amor est) heroa velis Scyroque latentem Dulichia proferre tuba, nec in Hectore tracto sistere, sed tota iuvenem deducere Troia. tu modo, si veterem digno deplevimus haustu, da fontis mihi, Phoebe, novos ac fronde secunda 10 nec te comas: ñeque enim Aonium nemus advena pulso nec mea nunc primis augescunt tempora vittis eqs. Es gibt im Achilleisbeginn folgende Kongruenzen mit dem Aeneisanfang: Ach. 1,1 ist metrisch Aen. 1,1 äquivalent 36 , dasselbe gilt für Ach. 1,4 und Aen. 1,4. Die Themenangabe umfaßt je 7 Verse. Dem Verb des Erzählens geht in der Achilleis wie in der Aeneis die akkusativische Themenbestimmung voraus. Die Anrufung Apollos Ach. l,8ff. erinnert an die Musenepiklese Aen. l,8ff. Die metrischen Kongruenzen ausgenommen, deckt sich die Achilleis in den hervorgehobenen Punkten ebenfalls so ziemlich mit der Ilias. Ausgesprochen gegen die Aeneis geht die Achilleis mit der Ilias in 1,3 zusammen: diva refer. Das ist eben nicht Aen. 1,1 cano, sondern Ilias 1,1: äeifie âeà. Schließlich lenkt Ach. 1,3f. die Gedanken des Lesers ganz unverhohlen zur Ilias, dem cantus Maeonius. Ist somit anstatt des Aeneisanfangs der Diasbeginn als Vorbild für die ausgeschriebenen Achilleishexameter anzusehen? Eher wird man sagen können, daß Statius sowohl auf das Aeneisproömium rekurriert als auch ganz besonders auf dessen Hauptvorbild, das Proömium der Ilias; der Stoffkreis der Achilleis berührt sich eben mit dem der Aeneis und überschneidet sich stark mit dem der Ilias. Aber das Achilleisproömium weist keineswegs nur homerisch-vergilische Elemente auf. Von den Vorbildern weicht es bereits ab durch das Fehlen eines Relativsatzes, der die akkusativischen Themensubstantive näher bestimmte. Das ist eine Diskrepanz, die an das Thebaisproömium erinnert. Aus der Einleitung dieses ersten Statianischen Epos sind auch andere Züge im Achilleisproömium 35

H. Juhnke bespricht das Proömium kurz 163f. Die reine Zufallschance für ein Vorkommen des Verstyps Stat. Ach. 1,1 (= Verg. Aen. 1,1) liegt in der Achilleis bei 7%. Die Angabe basiert auf einer Untersuchung von Stat. Ach. 1,101-400; auch in silv. 3,3 haben knapp 7% aller Verse die metrische Form von Verg. Aen. 1,1. Die Zufallsmöglichkeit, daß diese Hexameterform gerade eine siebenzeilige Themenangabe einleitet, liegt natürlich erheblich unter 7%. 36

30

Erster Teil 1.3.1.

bewahrt. Besonders augenfällig ist der Umfang der dem Verb des Berichtens vorausgeschickten akkusativischen Themenangabe, die jeweils mit einem Enjambement in den zweiten Hexameter übergreift. Die Proömienform von Ilias und Aeneis ist also in der Einleitung der Achilleis vermischt mit der Gestaltung, die Statius dem Eingang der Thebais gegeben hatte. Der Einfluß spezifisch der Aeneis erweist sich als nur ein Element einer komplizierteren Verbindung.

1.3.

Das Pharsaliaproömium

1.3.1. Einige Grundtatsachen von Lucans

Strukturimitation

Das Proömium der Pharsalia erstreckt sich über die Verse 1,1—182. Die Abgrenzung bedarf keiner Diskussion, und ebensowenig muß die Grobdisposition der Perikope in längeren Erörterungen eruiert werden: I

1,1-32 A 1,1-7

Charakteristik des epischen Gegenstandes Themenangabe im engeren Sinn (Propositio): Der in Pharsalos gipfelnde Bürgerkrieg Β 1,8-32 Klage über den Bürgerkrieg II 1,33-66 Nerolob III 1,67—182 Die Ursachen des Bürgerkriegs Schon die Gliederungsskizze läßt eine wesentliche Übereinstimmung zwischen Aeneisbeginn und Pharsaliabeginn in den Blick treten: die einleitende Themenangabe wird in beiden Epen durch eine Versheptade konstituiert 37 . Auch andere Gleichheiten sind zu erkennen. Die erste Zeile hebt in der Pharsalia mit einem akkusativischen Substantiv an, durch welches der epische Gegenstand bezeichnet wird: bella-, ebenso verhält es sich in der Aeneis. Lucan. 1,1 hat dieselbe rhythmische Gestalt wie Aen. 1,1: - u u - u u - I

uu —

Mit Lucan. 1,8 folgt auf die Exposition des epischen Inhalts ein Ausruf, den man zugleich als eine Art Frage nach den Gründen des Bürgerkriegs verstehen kann, und damit als Gegenstück zur Vergilpartie Aen. 1,8ff. 37

An der Authentizität von Lucan. 1 , 1 - 7 ist nicht zu zweifeln. Die folgenden Darlegungen sind implizit auch ein Echtheitsbeweis - falls man einen solchen für nötig hält. Neuere Sekundärliteratur zu dem Thema in WdF 2 8 3 - 3 5 3 ; für die Echtheit letzthin I. Lana 13 Iff. 34 Von den 300 Versen Lucan. 1,200-505 haben, bei Zugrundelegung von Housmans Text, 37 diese Form; dabei sind die wohl 4 Fälle mitgerechnet, in denen Trithemimeres und Hephthemimeres als Hauptzäsuren anzusetzen sind (1,256; 341; 385; 464). Die reine Zufallschance, daß Lucan 1,1 die metrische Gestalt von Verg. Aen. 1,1 hat, ist also rund 12%. Wesentlich geringer ist natürlich die Zufallsmöglichkeit, daß sich dieser Einleitungsvers gerade mit einem 7 Zeilen umfassenden, aus einem einzigen Satz bestehenden Epenanfang verbindet.

Erster Teil 1.3.1.

31

Bis auf die metrische Übereinstimmung von Lucan. 1,1 und Verg. Aen. 1,1 lassen sich die herausgearbeiteten Identitätsphänomene auch im Iliasbeginn wiederfinden. So würde denn Lucan ähnlich wie später Statius in der Achilleis die Proömienstruktur von Ilias und Aeneis wiederaufnehmen, wobei die Gestaltung von Lucan. 1,1 eine nicht ganz seltene Art metrischer Vergilimitation aufs neue belegte. All diese Nachahmungserscheinungen innerhalb des Pharsaliaproömiums sind bereits erkannt, und zwar in den wichtigsten Punkten seit sehr langer Zeit 39 . Sie sind jedoch nur ein Teil eines umfassenden Imitationskomplexes, für den eindeutig die Aeneis das Modell abgibt. Die bisher durchmusterten Phänomene erweisen sich durch den Nachahmungskontext als eindeutig Vergilischer Provenienz. Sehen wir weiter zu. Lucan wendet sich mit Vers 1,33 dem Sinn zu, den die Schrecken des Bürgerkriegs gehabt haben können: quod si non aliam venturo fata Neroni invenere viam magnoque aeterna parantur regna deis eqs. Eben der Vers 1,33 faßt nun im Aeneisproömium den Sinn, den die vorher beschriebenen Leiden des Aeneas und der Troianer haben, mit markanter Formulierung zusammen. Und dieser Vergilische Hexameter hat im wesentlichen dieselbe rhythmische Form wie der gedanklich parallele Lucanvers und die auf ihn folgende Zeile 40 : υ U- I

υ υ

.

Offenkundig greift Lucan 1,33 bewußt ein Moment der Vergilischen Proömientektonik auf und will durch die Gestaltung dieses und des folgenden Hexameters nachdrücklich an das seinerseits ja schon beziehungsreich rhythmisierte Muster erinnern. Bedeutungsvoll schließt denn auch das Nerolob Lucans nach den ersten 39 Das Wesentliche schon bei H. Diels, Seneca und Lucan, Abh. Ak. Berlin 1885, 3 S. 3 Anm. 1; spätere Hinweise etwa bei Ed. Frankel, Lucan 29; A. Thierfelder 57; Ε. M alcova ti, Prolog 302; 305; Malcovati hat als erste von den genannten Autoren die rhythmische Übereinstimmung Aen. 1,1 ~ Lucan. 1,1 hervorgehoben; L. P. Wilkinson Artistry 191f.; G.-B. Conte, Prooemium 311 ff. ; M. v. Albrecht, Lucan 285 geht in der Parallelisierung von Aeneisund Pharsaliaproömium weiter. Nach Albrecht entspräche der Vergilischen Sequenz ,,a) Angabe des Themas (Aen. 1,1-7), b) Anrufung der Muse (Aen. 1,8-11), c) Exposition der causae (Aen. 1,12-33)" bei Lucan die Abfolge ,,a) Angabe des Themas ( 1 - 7 mit erweiternder Betrachtung 8 - 3 2 ) , b) Nero als inspirierende Gottheit: Ersatz der Musenanrufung (33-66), c) Exposition der causae (67-182)". Diese Parallelisierung bedarf aber wohl beträchtlicher Modifikationen. F. Caspari behandelt S. 56f. Lucans Proömium unter stetigem Hinblick auf Vergil, beschränkt sich aber im wesentlichen auf kolometrische Untersuchungen. Die Überlegungen, die R. Castresana besonders 115ff. dem Pharsaliaproömium widmet, sind unergiebig. Dasselbe gilt leider auch weitgehend von I. Lanas Besprechung von Lucan. 1,1-32 (S. 13lff.)· 40 Unter den Versen Lucan. 1,200-505 ist dieser Typ mit 9% vertreten. Isoliert betrachtet, könnte das Zusammentreffen immerhin noch als Zufall gelten.

32

Erster Teil 1.3.2.

66 Proömienversen, also nach der doppelten Verszahl des Aeneisproömiums 41 . Bedeutungsvoll steht am Ende des gesamten Pharsaliaproömiums ein Vers, der die soeben gekennzeichnete rhythmische Form der letzten Zeile des Vergilischen Pendants aufweist, eine Form, die Lucan eben schon vorher anspielend verwendet hatte, 1,182: et concussa fides et multis utile bellum. Bereits jetzt dürfte feststehen: Lucan hat in sehr subtiler Weise tektonische Elemente des Aeneisproömiums in das Pharsaliaproömium eingefügt. Offenbar hat er mit Lesern gerechnet, die das Vergilische Pendant bei der Lektüre seines Epenbeginns in sich mitklingen zu lassen vermochten. Wir werden ebenfalls versuchen müssen, bei der Interpretation von Lucans Proömium die analoge Vergilische Perikope mit ihrem reich strukturierten Aufbau miteinzubeziehen. 1.3.2. Die Themenangabe und ihre vergilischen Lucan. 1,1-7

Strukturelemente:

Das Epos beginnt mit folgender Versheptade: 1 bella per Emathios plus quam civilia campos iusque datum sceleri canimus, populumque potentem in sua victrici conversum viscera dextra cognatasque acies, et rupto foedere regni 5 certatum totis concussi viribus orbis in commune nefas, infestisque obvia signis signa, pares aquilas et pila minantia pilis. Die erste Zeile bietet den einzigen Eigennamen des zitierten Abschnittes und damit die genaueste Angabe darüber, was der Gegenstand des folgenden Epos sein wird 42 . Aber die folgenden Verse sind nicht überflüssig. Das Thema wird bis zur Penthemimeres von Vers 1,4 entsprechend dem Vergilischen arma virumque - entsprechend aber auch einem antiken Denkschema — in doppelter Weise entfaltet, einmal im Hinblick auf die res, zum anderen im Hinblick auf die homines*3. Der Passus, der den Gegenstand unter 41 Die bekannteste Entsprechung zu dieser multiplikativen Verwertung einer Strukturzahl des Musters ist die dividierende Imitation der je 24 Bücher Ilias und Odyssee durch die 12 Bücher der Aeneis. Ein noch genaueres Analogen zu Lucans Verfahren bieten die 48 Bücher der Dionysiaka des Nonnos in ihrem Verhältnis zur Buchzahl der Homerischen Epen. - Senecas Troades beginnen mit einer Rhesis von 66 Versen. Das braucht nur zufallig die Verdoppelung des Aeneisproömiums zu sein, obschon es nicht sinnlos erschiene, wenn der Anfang des einzigen Senecanischen Troerdramas solchermaßen mit der Aeneis verknüpft wäre. 42 Wenn dabei nur von den bella per Emathios ... campos gesprochen wird, so steht die entscheidende Schlacht für den gesamten Bürgerkrieg; aus derselben Sichtweise rührt es her, wenn das Epos Lucan. 9,985 Pharsalia genannt wird. 43 Zur Gliederung nach „res - homines" oben 1.2.1.1 Anm. 5.

Erster Teil 1.3.2.

33

dem Geschehensaspekt, und der, der ihn unter personalem Aspekt bezeichnet, ist seinerseits jeweils zweigeteilt. Auf ein langes Kolon, bella - campos beziehungsweise populum - dextra, folgt beidemal ein kurzes Komma, das gerade ein Hemiepes ausfüllt: iusque datum sceleri·, cognatasque actes. Die Kommata bringen in prägnant raffender Form noch einmal den Gedanken zum Ausdruck, daß das Geschehen, das der Dichter besingen will, widersinnig, unnatürlich ist; dieser Gedanke beherrscht nicht nur die einleitende Versheptade sondern überhaupt den bis Vers 1,32 reichenden Abschnitt. Also: „dem Verbrechen ist freier Lauf gegeben worden" 4 4 und „Verwandte treffen aufeinander in der Schlacht". Dabei wird die Vorstellung des Widersinns durch (verbal)adjektivische Wendungen evoziert, während das substantivische Objekt des Singens sinnvoll-herkömmliche epische Thematik oder einen positiven Wert bedeutet. Ähnlich antithetisch sind auch die längeren Kola strukturiert: Kriege — ja, plus quam civiliaK\ ein machtvolles Volk - aber es wendet sich gegen sich selbst 46 . 44 0 . Schönbeiger, Nachtrag 487 wertet Lucan. 1,2 iusque datum sceleri als Beweis dafür, daß die Pharsalia „von der ersten Zeile an gegen Nero" gerichtet sei. „Wenn Lucan sagt, er singe, wie ein Verbrecher an die Macht gekommen sei (1,2), konnte man wissen, was er von dem Erben jener Macht hielt." Ähnlich A. Thierfelder 57; O. S. Due 116f.; G.-B. Conte, Prooemium 347, die beiden letzteren Autoren aber ohne den Rückschluß auf Lucans Verhältnis zu Nero. Schon Fronto p. 153,lOf. v. d. H. (= p. 160 N.) hat offenbar in diesem Sinne interpretiert. Fronto ist freilich für das Lucanverständnis keine Autorität, und er hat auch diese Lucanformulierung nicht richtig verstanden. Denn scelus kann in dem Vers nur das Verbrechen des Bürgerkriegs bedeuten, ein Verbrechen, an dem beide Parteien Anteil haben. Das aus drei Gründen. Erstens: Den Bürgerkrieg bezeichnet scelus (scelera) Lucan. 2,61; 2,249; 4,26 usw. Speziell von Caesars scelera wird erstmals 2,531 und 3,129 gesprochen; aber die Formulierungen sind an beiden Stellen Gegnern Caesars in den Mund gelegt, können also in dieser Einseitigkeit nicht ohne weiteres als Ausdruck von Lucans Meinung gelten. Frühestens 4,184 werden die scelera eindeutig auf Caesars Seite gerückt. Doch haben für die Deutung von 1,2 die näherstehenden Stellen größeres Gewicht. Zweitens sagt Lucan l,5f. ausdrücklich, daß das Unrecht gerade nicht einseitig bei Caesar liegt: certatum ... in commune (!) nefas. Drittens würde die Metonymie scelus statt homo seelestus eine Störung des Schemas „res - homines" bedeuten, die man selbst ceteris paribus nicht einführen sollte. Soweit die drei Gründe für scelus - das Verbrechen des Bürgerkrieges. Zu ius dare ali. ist seit langem auf Belege verwiesen wie Sen. epist. 18,1 december est mensis: cum maxime civitas sudat. ius luxuriae publice datum est. 116,2; Stat. Theb. 3,444. Vgl. C. Hosius 17; F. Caspari 58f. Die Wendung bedeutet also „Berechtigung zugestehen", „freien Lauf lassen". Das gibt an der Stelle einen ausgezeichneten Sinn. Die richtige Deutung von scelus Lucan. 1,2 entzieht auch den Erwägungen von W. Rutz, Diss. Ausz. 215f. und Lustrum 9, 268 den Boden. Bedenklich überdies die Voraussetzung von W. Rutzens Argumentation, Lucan. 1,1-7 müsse etwas über das Telos der Pharsalia aussagen. 45

Das Attribut plus quam civilia deutet man im allgemeinen darauf, daß die Führer der feindlichen Parteien Schwiegervater und Schwiegersohn sind. Auf die Verschwägerung der beiden gegnerischen Protagonisten weist Lucanja auch 1,1 l l f . und sonst hin. Der Hinweis fehlt ebenfalls nicht bei anderen antiken Autoren; s. P. Jal 395f.; F. Börner zu met. 1,145. O. S. Due plädiert S. 107-117 in weit ausholender Darlegung für eine andere Interpretation. In einem Bürgerkrieg stünden üblicherweise Verwandte gegen Verwandte. Das sei also nichts Besonderes. Besonders aber seien die Konsequenzen des Kriegs zwischen Caesar und Pompeius, wie sie sich aus dem weiteren Verlauf der epischen Darstellung 3 Lebek (Hyp. 44)

34

Erster Teil 1.3.2.

Pointenartig folgen die Adjektive in den ersten drei Gliedern den substantivischen Objekten. Gerade vor dem Hintergrund des variierten Vergilischen arma virumque erscheint Lucans Themenankündigung bella — populum als b e w u ß t e Aussage über die Person des ,.Helden": Es gibt keinen in der Pharsalia. Die viel diskutierte Frage, welche Person der Held des Epos s e i 4 6 a , wird durch Lucans Selbstauslegung als Scheinproblem enthüllt. An Vergils erste Proömienheptade erinnert nicht nur die diptychische Themenbenennung, sondern, ist die Beziehung auf die Aeneis erst deutlich, auch das canimus·, doch das in einer eher kontrastierenden Weise. Vergils cano steht an syntaktisch und gedanklich bedeutsamer Stelle zwischen der explikationslosen Themenbenennung im engsten Sinne und dem explizierenden Relativsatz. An gleichgültiger Stelle findet sich auch Lucans canimus nicht, wenn es mitten zwischen Geschehensthematik und Personalthematik steht; aber es scheint doch inmitten dieser Objekte gegenüber d e m Vergilischen cano stärker zurückzutreten. V o n ferne gemahnt die Stellung des canimus ebenfalls an H o m e r s Ein-

eigeben würden. Da der Sieg eines jeden der beiden die Tyrannei nach sich ziehen müsse, sei der Zusammenbruch des alten republikanischen Rom die notwendige Folge dieser bella. Daher seien sie plus quam civilia. Soweit Due; seine Auffassung wird von A. W. Lintott 493 ganz akzeptiert; in der Tendenz ähnlich vorher schon A. Thierfelder 55. Aber Dues Argumentation wird offenkundig nicht dem ungewöhnlichen Faktum gerecht, daß es gerade die Parteihäupter sind, zwischen denen eine Familienbindung besteht. Die herkömmliche Interpretation hat auch den Vorzug besonderer Prägnanz. Das Attribut civile besagt ja bei bellum nichts über die Größe oder die Folgen des Krieges, sondern über die gegnerischen Parteien, die eben durch eine gemeinsame civitas verbunden sind. Mit plus quam civilia wird der in civile liegende Sinngehalt übersteigert: die Gegner gehören durch noch engere Bande als die der civitas zueinander. So wurde die Junktur auch in der Antike verstanden. Aug. civ. 3,14 p. 113,14ff. D. et hoc plus quam civile bellum fuit, quando filia civitas cum civitate matre pugnavit; Aug. doctr. christ. 4,24,53; Oros. hist. 2,18,1; Isid. orig. 18,1,4. Offenbar Isidor, vermutlich aber auch die übrigen Interpretamente gehen in letzter Instanz auf eine Kommentaräußerung zu Lucan. 1,1 zurück. In dieser Tradition steht noch Petrarca epist. 5,14: bellum domesticum et plusquam civile dixeris; ita inter coniunctissima disiuncta sunt omnia. Flor. epit. 4,2,4 hat demgegenüber wohl nichts mit Lucan zu tun; vgl. Flor. epit. 3,18,1; 3,20,2; 3,22,1. Die meisten angeführten Stellen finden sich schon bei C. Hosius 17. Zum Steigerungstyp plus quam civile im übrigen R. Kühner-C. Stegmann, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache II 2, Darmstadt 1966,462 Anm. 4; F. Börner zu Ov. met. 1,573. 46 O. S. Due möchte S. 117 in der Junktur victrici... dextra das Attribut victrici proleptisch verstehen: „the civil war is the suicide of Rome - and a successful one". Indessen läßt populum potentem eher daran denken, daß die victrix dextra die Rechte ist, die viele Siege errungen hat, die Rechte des victor Romanus (Petron. 119,1). Zudem ist mit dieser Interpretation die Parallelität der zwei themenbezeichnenden Kola besser gewahrt; denn in Lucan. 1,1 bella -campos scheint sich ja keine Andeutung über das Ergebnis des Bürgerkrieges zu finden. Schließlich ist auch die Vorstellung, daß die Rechte die Eingeweide „besiegt" wie einen widerstrebenden Feind, nicht passend. Zu potens und victrix als Termini der Romideologie vgl. noch F. Christ 84ff. 4 εΙρήνη μεγάλη κατά yaïav απαοαν / και βασιλεύς βασιλήι φίλος μέχρι τέρματος '¿σται / αίώνος. Sehr auffällige Parallele. Aber auch Verg. Aen. 1, 2 9 1 - 2 9 4 steht dem Lucanpassus nahe. 59 Entsprechend der Logik Plin. paneg. 6,2: si tarnen haec sola erat ratio, quae te publicae salutis gubernaculis admoveret, prope est ut exclamem tanti fuisse (~ Lucan. 1,33-45). corrupta est disciplina castrorum, ut tu corrector emendatorque contingeres eqs. 60 Dazu etwa F. Sauter 17ff.; F. Christ 105ff.;E. Doblhofer 76ff. 57

Erster Teil 2.5.

97

Nun konnte man in den ersten vier Jahren von Neros Herrschaft leicht den gegenwärtigen Frieden preisen, ohne unglaubwürdig zu werden. Denn in dieser Periode war Rom in keine wirklichen Kriege verwickelt. Wenn Calpumius Siculus bald nach Neros Regierungsantritt den Friedenszustand des goldenen Neronischen Zeitalters verherrlichte, stellte er sich also nicht zu den Tatsachen in Widerspruch. Das Jahr 58 n. Chr. brachte jedoch den erneuten heftigen Ausbruch des Partherkrieges, der nach wechselhaftem Verlauf erst 63 n. Chr. durch Corbulos Diplomatie beendet wurde; zusätzlich sah das Jahr 61 n.Chr. einen schweren Aufstand in Britannien. Als Lucan den Vers 1,62 schrieb, war es gemäß der eigenen Aussage des Dichters unmöglich, den Ianus geminus zum Zeichen völligen Friedens zu schließen, ja, die Schließung des Tempels war offenbar nicht einmal in Aussicht 61 . Die Abfassung des Nerolobs gehört somit wohl in Jahre harter kriegerischer Auseinandersetzungen. Ein Lob des Friedens nach Art des Calpurnius Siculus hätte in Lucans Enkomion als schmeichlerische Lüge oder pure Ironie wirken müssen. Mit dieser Erkenntnis fällt ein neues Licht auf den einleitenden Abschnitt II A (1,33—45). Nicht nur die vorhergehende eindringliche Schilderung der furchtbaren Folgen des Bürgerkriegs war mit der Behauptung unvereinbar, unter Neros Regiment lebe man in einem Aureum saeculum: auch die historische Situation verbot die Anwendung eines enkomiastischen Topos, der normalerweise auch in der Schilderung des uneingeschränkten Friedens bestand. Zurück jedoch zu den Versen 1,60—62. Lucan befand sich in einer schwierigen Lage. Einerseits war es geraten, Nero als Friedensbringer zu rühmen, andrerseits war es ausgeschlossen, von der Gegenwart als einer Friedenszeit zu sprechen. Wiederum versteht es der Dichter, aus der Not eine Tugend zu machen, indem er das zukünftige Walten des Gottes Nero als Ermöglichung allgemeinen liebeerfüllten Weltfriedens darstellt. Was die in der Gegenwart noch herrschenden Götter nicht können oder nicht wollen, das wird der neue Gott bewirken. Nachdem Neros Gottesgröße sich im Weichen und Nachgeben aller alten Götter, in seiner kosmischen Herrschaft und seinem überdimensionalen Gewicht offenbart hat, zeigt sie sich nunmehr in seinem gütigen Wirken für die Menschheit. Damit findet zugleich die Bitte um die Nähe des neuen Gottes (Lucan. 1,53-59) ihre Sinngebung. Lucan ist in der Kaiserpanegyrik nicht isoliert, wenn er den Herrscher und seine Güte in dieser Weise über die gegenwärtige kosmische Ordnung und ihr unzulängliches Wirken erhöht. Ein entsprechendes Lob Domitians legt Statius silv. 4,3,134ff. der Cumäischen Sibylle in den Mund: 61

Die Ianusschließung ist mithilfe zweier Sesterze zu datieren, auf deren Vorderseite für Nero TR POT XI angegeben ist, also wohl 10. Dezember 63 bis 10. Dezember 64. H. Mattingly-E. A. Sydenham, The Roman Imperial Coinage I, London 1923, 156, Nr. 168 und 170. Zur problematischen Zählung von Neros Tribunicia potestas vgl. E. Hohl, RE Suppl. 3 (1918), 391f. Zur Datierung der Eklogen des Calpurnius etwa R. Verdière, T. Calpurni Siculi De laude Pisonis et Bucolica etc. (Collection Latomus XIX), Berchem/Bruxelles 1954, 33ff.

7 Lebek (Hyp. 4 4 )

98

Erster Teil 2.5.

hic paci bonus, hic timendus armis, 135 natura melior potentiorque. hic si flammigeros teneret axis, largis, India, nubibus moderes, undaret Libye, teperet Haemus. salve, dux hominum et parens deorum 140 provisum mihi conditumque numen62. Im gleichen Sinne redet Statius silv. 5,l,166ff. den Kaiser an: quantae poterant mortalibus annis accessisse morae, si tu, pater, omne teneres arbitrium? caeco gemerei mors elusa barathro longius et vacuae posuissent stamina Parcae. Wenn Nero als Gottgestirn über der Erde steht, dann (tum) möge das Menschengeschlecht auf sein Heil bedacht sein und mögen die Völker einander lieben; dann soll der Ianustempel geschlossen werden. Lucan formuliert, wie man sieht, die Vorstellung des Friedens nicht in einer futurischen Behauptung, sondern mit Hilfe optativischer Konjunktive. Vielleicht ist die Ausdrucksweise partiell auch durch die l,58f. unmittelbar vorausgehenden gleichartigen Konjunktive veranlaßt. Aber primär indiziert die Beschränkung sogar des reinen Wünschens (consulat usw.) auf die Zukunft (tum) die Unmöglichkeit, den Weltfrieden in der Gegenwart zu erreichen; wenn nämlich der Friede als sicheres, gewisses Zukunftsereignis hingestellt würde, wäre dadurch für die Gegenwart die Möglichkeit des Friedens noch nicht beseitigt. Der zukünftige Allgott Nero wird auf diese Weise besonders scharf als der gütig Gewährende von dem kosmischen Gegenwartsregiment abgehoben, das sogar jegliche Möglichkeit so glücklicher irdischer Zustände benimmt 63 . Nicht minder wird mittels der Konjunktive verdeutlicht, daß den Kaiser für die reale Absenz der goldenen Friedensepoche kein Vorwurf treffen kann: schon der Möglichkeit des Friedens stehen eben gewissermaßen metaphysische Gründe entgegen. Erneut trägt nun II Bb/3 zum besseren Verständnis von II A (1,33—45) bei. Lucan hatte es in diesem Anfangspassus des Nerolobs unterlassen, den Herrscher eindeutig als Gott zu kennzeichnen — mit Bedacht, wie sich zeigt. Denn wie hätte Nero noch überzeugend mit einer Friedenszeit in Zusammenhang gebracht werden können, wenn er auch als Gott den Römern Krieg beschert hätte? 62 Silv. 4,3,135 natura .., potentior widerspricht dem im Irrealis liegenden Eingeständnis von der Unterlegenheit des Kaisers gegenüber der Natur. Es war eben nicht einfach, die überirdische Güte und die überirdische Macht des Kaisers widerspruchsfrei miteinander zu vereinbaren. Um so eindrucksvoller ist die alle Anstöße vermeidende Subtilitat Lucans. Vergleichbar ist auch Mart. 9,65. Zu Statius noch F. Sauter 23f. 63 Wer also an die von Lucan geschilderte Zukunft glaubte, mußte an den zukünftigen Gott Nero glauben. Damit war für diesen Leser oder Hörer jeder Gedanke an Nerokritik ausgeschaltet.

Erster Teil 2.6.

99

Die Verse 1,60-62 fügen sich also nicht nur als passender sondern auch als notwendiger Baustein in das gesamte Enkomion und insbesondere in die preisende Darstellung von Neros Gottestum ein. Möglicherweise spielte für die Entscheidung Lucans, das Schwergewicht des Nerolobs auf das Apotheosenthema zu legen, gerade die Überlegung eine besondere Rolle, daß der Herrscher den Fakten der Abfassungszeit zum Trotz in solchem Zusammenhang auch als Friedensbringer gefeiert werden konnte. Die Evokation der Friedensepoche hat freilich nicht nur panegyrische Funktion. Mit der Erwähnung der arma, des belliger Ianus fuhrt der kleine Passus unvermerkt wieder zum Thema des Krieges und so ebenfalls zum Epos zurück. Damit ist sowohl die folgende Inspirationspartie II C (1,63-66) als auch die Darstellung der causae (l,67ff.) vorbereitet.

2.6. LAI c a n . 1,63—66

65

sed mihi iam numen; nec si te pectore vates accipio, Cirrhaea velim secreta moventem sollicitare deum Bacchumque avertere Nysa: tu satis ad vires Romana in carmina dandas.

In den Versen 1 , 6 0 - 6 2 war die Imitation des Augustuslobs der Georgicaeinleitung unterbrochen worden; das ist verständlich, da, wie dargelegt, diese Zeilen aus den Erfordernissen der Pharsaliathematik und der Gegenwartslage erwachsen sind. Mit II C kehrt Lucan wieder zur Nachahmung des Vergilischen Enkomions zurück; denn der Abschluß des Nerolobs entspricht dem Abschluß des Augustuslobs georg. 1,40—42: da facilem cursum atque audacibus annue coeptis ignarosque viae mecum miseratus agrestes ingredere, et votis iam nunc assuesce vocari. Daß Lucan besonders diese Georgicazeilen vorschweben, ist kaum zu bezweifeln 64 . Das bedeutet jedoch nicht, daß nicht auch manche anderen literarischen Einflüsse vorhanden sein können. Denn nach Vergil haben andere Dichter den regierenden Kaiser noch deutlicher als inspirierenden Gott angerufen. Germanicus apostrophiert 15f. Tiberius in folgender Weise: haec ego dum Latiis conor praedicere Musis, pax tua tuque adsis nato numenque secundes.

M Abgesehen von dem bereits Ausgeführten sei noch darauf hingewiesen, daß Lucan 1,63 und 66, also Anfangs- und Schlußvers von II C, dieselbe metrische Gestalt haben wie der Schlußvers georg. 1,42.

100

Erster Teil 2.6.

Wohl denselben Herrscher spricht Manilius l,7ff. an: hunc mihi tu, Caesar, patriae princepsque paterque, qui regis augustis parentem legibus orbem concessumque patri mundum deus ipse mereris, 10 das animum viresque facis ad tanta canenda. Lucan knüpft also an eine bereits bestehende Tradition an, wenn er sich an den Kaiser als Spender dichterischer Kraft wendet 65 . Zugleich aber geht er über diese Tradition hinaus, jedenfalls soweit sie sich in den vorgelegten Stellen niedergeschlagen hat. Die poetische Inspiration durch Nero wird anschaulich als göttliche Besessenheit gezeichnet 66 , und vor allem wird in einer Gegenüberstellung der enthusiasmierende Herrscher über die sozusagen klassischen Dichtungsgötter erhöht. Mit dieser Erhöhung Neros wird der Tenor der vorausgehenden Partie II Β (1,45-62), die die exzeptionelle Bedeutung des neuen Gottes Nero gegenüber der alten Götterwelt eindringlich darstellte, fortgesetzt und in einem persönlichen Bekenntnis intensiviert. Für den Dichter ist die Zukunftsverheißung bereits in gewisser Weise Gegenwart. So endet das Nerolob mit einer Wendung, die in letzter Steigerung der individuellen, unüberbietbaren Verehrung des Dichters für den Kaiser Ausdruck verleiht, und zugleich durch die betonte Subjektivität der Feststellung von Neros Göttlichkeit (mihi ) einen Widerspruch zu derl,60-62 angedeuteten Exkulpation des Princeps klug vermeidet67. Wiederum zeigt sich auch, mit wie genauer Überlegung Lucan es im Abschnitt II A (1,33— 45) unterlassen hat, den Kaiser geradezu Gott zu nennen; das steigernde Eingeständnis mihi iam numen wäre so funktionslos geworden. 65

Vergleichbar auch Ov. fast. l,5f.; 1,17 an Germanicus: da mihi te placidum, dederis in carmina vires; Calp. ecl. 4,82-91, wo Verg. ecl. 3,60-63 variiert wird. Es muß nicht einmal immer der Kaiser oder ein Mitglied des Kaiserhauses sein, das anstelle der Inspirationsgottheiten angerufen wird. So kann Tibull 2,1,35 zu Messalla sagen: hue ades aspiraque mihi Zu dem Themenkreis auch E. R. Curtius 235ff. „Die Musen". Schon diese Parallelen sind hinreichend, um E. Grisets Meinung, Lucan spreche mit grotesk-ironischem Unterton (Eloge 324), abzuweisen. Vgl. auch noch unten Anm. 71. U. Piacentini 21f., bei dem noch einige ältere Literatur zur Lucanstelle zu finden ist, möchte die Anrufung Neros von der übrigen Pharsalia ganz isolieren. 66 Es genügt ein Hinweis auf Lucans eigene Schilderungen mantischen Wahnsinns: 1,677; 5,165ff.: tandemque potitus / pectore Cirrhaeo ... Paean eqs. Der Gott bemächtigt sich der Brust auch Verg. Aen. 6,78f.; ein wenig dazu bei Ed. Norden im Kommentar 144. Verg. Aen. 9,276f. (W.-LB. z.St.) ist eine Scheinparallele. " Verg. ecl. 1,7 mag hereinspielen: namque erit ille mihi semper deus. An sich war es in Dichtung nicht unerhört, daß Nero als Gott gespriesen wurde; so z.B. Calp. ecl. 1,46; 4,84; Laus Pis. 71. Bei Lucan gibt aber die Eigentümlichkeit des Gedankenganges der Bezeichnung Neros als numen besonderes Gewicht. Wer sich diesen Gedankengang mit all seinen Implikationen klarmacht, wird nicht wie I. Lana 141 in dem mihi ironische Kritik an der panegyrischen Gleichung Kaiser - Gott sehen können. Zur göttlichen Verehrung Neros vgl. im übrigen G. Schumann 2 Iff.

Erster Teil 2.6.

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Mit alldem ist indessen nur ein bestimmter Faden eines kunstvollen Beziehungsgewebes herausgehoben. Einen anderen Faden kann man am besten im Vers 1,66 ergreifen. Von den vires, den dichterischen Fähigkeiten, wird besonders dann in der Dichtung gesprochen, wenn der Dichter sich schwierigen Aufgaben gegenüber sieht68. Eine solche schwierige Aufgabe stellen die Romana carmina dar. Statius, der silv. 2,7,48ff. Lucans dichterischen Werdegang schildert, bezeichnet, Lucans Ausdruck offenbar variierend, die Pharsalia als carmen togatum (2,7,53). Das spezifisch Römische an Lucans Epos ist, wie sich aus dem Zusammenhang der Statiuspassage ergibt, für Statius der Inhalt. Von dem Hauptwerk Lucans hebt Statius 2,7,54-59 dementsprechend die frühen Jugenddichtungen ab, die in traditioneller Weise griechische Thematik zugrundelegen69; er sieht also in der Pharsalia mit ihrem römischen Stoff eine Neuerung Lucans gegenüber den hellenisierenden Frühwerken. Man wird sich der Führung des zeitgenössischen Lucankenners bei der Interpretation von Lucan. 1,66 anvertrauen können: Lucan bedarf der vires, weil er mit den Romana carmina, dem Epos römischen Inhalts, einen in seiner eigenen Dichterlaufbahn neuartigen dichterischen Versuch wagt 70 . Für diesen römischen Stoff ist der Kaiser, dessen enge Verbindung mit „seinem" Rom in den Abschnitten 1,33—45 und 1,53-59 verdeutlicht worden war, der rechte Inspirator. Die Dichtungsgötter Apollo und Bacchus, die im griechischen Delphi mit seinen Cirrhaea secreta und im fernen Ν y sa beheimatet sind, braucht der Dichter nicht zu seiner Eingebung, wenn die römische Gottheit die Kraft zu der römischen Dichtung verleiht. So wird in der Form der Ablehnung 68 So außer Ov. fast. 1,17 und Manil. 1,10 besonders noch Hör. serm. 2,1,12; epist. 2,1,259; ars 38f.; Prop. 4,10,3; Ον. fast. 2,123; Stat. Theb. 8,373. 69 Das Lobgedicht auf Nero (silv. 2,7,58) paßt nicht dazu, ist aber auf der anderen Seite als Glied in der Kette der neronischen Enkomiastik kein Experiment. Statius dürfte das an den Neronia preisgekrönte Gedicht erwähnt haben, weil es einen äußeren Höhepunkt in Lucans Dichterlaufbahn bedeutete und zugleich das spätere Verhalten des ingratos Nero als besondere Ungerechtigkeit erscheinen ließ. A. Thierfelder deutet 51f. Romana carmina als „zeitgeschichtliches Epos", hat aber dabei die Statiusstelle vergessen. 70 Die Wendung Romana carmina ist wohl nicht zufällig eine ungewöhnliche, vielleicht überhaupt von Lucan geprägte Junktur. Nach Thes. III 473,8 erscheint die Verbindung nur noch Paneg. 11 (3),16,3. Da der Panegyriker unmittelbar nach diesem Passus unverkennbar aus Lucan schöpft (16,4f. ~ Lucan. 3,256f.; 271; 277-279), wird er den Ausdruck Romanum carmen aus derselben Quelle haben. Daß er etwas anderes darunter versteht als Lucan, besagt nichts gegen die Abhängigkeit. Spekulationen, daß Lucan mit den Romana carmina „ursprünglich" nicht die Pharsalia gemeint habe (G. Pfligersdorffer 371 Anm. 1) sind haltlos. Lucans Intentionen werden ebenfalls von M. A. Levi 295 (danach J. Brisset 200; D. Gagliardi 79; E. Cizék 339) verfälscht, wenn er in den Schlußversen des Enkomions ein kulturelles Programm findet, das auf eine völlig eigenständige römische Dichtung abziele. Dann hätte Lucan sogar den Hexameter abschaffen müssen! Romana carmina bedeutet den römischen Inhalt, und auch das nicht als Programm der römischen Kulturentwicklung, sondern als Charakteristik des vorliegenden Epos. Zu Levis „nationalrömischer" Auslegung von 1,53-55 vgl. 2.4.

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der herkömmlichen Inspirationsepiklese71 eine dem Epos angemessenere Anrufung um göttlichen Beistand gestaltet, und das in sinnträchtiger Beziehung auf die unmittelbar folgende Darstellung der Bürgerkriegsursachen. Nicht nur, daß sich bereits in den Versen 1,60-62 mit der Kriegsthematik das Einschwenken auf den epischen Stoff angekündigt hatte und dann die Nennung der Romana carmina ausdrücklich das Augenmerk wieder auf den Gegenstand der Pharsalia lenkt: die Anrufung Neros um dichterische Kraft schlägt auch den Bogen zu der 1,67—69 zugrundeliegenden Imitation von Verg. Aen. 1,8-11 72 ; denn die Vergilpassage ist ja eine Musenepiklese. In dem Schlußstück von Lucans Enkomion verschlingen sich so mehrere Fäden zu einem sinnreichen Gewebe: Überbietende Nachahmung von Verg. georg. 1,40—42, persönlich-bekenntnismäßige Aufgipfelung des Nerolobs, Hinweis auf die Neuartigkeit des vorliegenden „römischen" Epos, Bitte um Inspiration, Vorausdeutung auf die Fortführung des Epos in seiner strukturalen Bestimmtheit durch die Aeneis, all das durchaus unter Verwendung traditionellen Sprach- und Gedankengutes, als Ganzes aber einmalig und in den Zusammenhang eingebunden.

2.7. Zusammenfassung: Das Neroenkomion als Kaiserlob Neronischer Zeit Die Pharsaliapartie 1,33—66 konnte von einem zeitgenössischen Leser nur als ernstes Enkomion aufgefaßt werden. Die Bemühungen moderner Philologen, Kritik an Nero oder dem Prinzipat, Verspottung des Kaisers oder ähnliche negative Untertöne herauszuhören, sind gescheitert. Diese Interpretationen sind durchweg methodisch unzulänglich und schon deshalb nicht überzeugend. Zwei Hauptfehler sind für sie charakteristisch. Der erste ist die Voreingenommenheit, mit der vermeintliche oder echte Auslegungsschwierigkeiten ohne jegliche Erwägung von Alternativen von vornherein als Indiz für kritisch-ironischen Hinter71

Es sei ergänzend hinzugefugt, daß die Zurückweisung der traditionellen Dichtungsgötter außerhalb der Epik mit Sicherheit schon vorlucanisch ist. Prop. 2,l,3f.; Ov. ars l,25ff. Später Stat. silv. l,4,19ff. I. Lana 141 glaubt in Lucan. l,64f. nur raffinierte Kritik an Nero sehen zu können. Durch die Abhebung Neros von Apollo werde die offizielle Gleichsetzung Neros mit Apollo unterminiert In demselben kritischen Sinne versteht I. Lana auch 1,5 lf. Die Idee der freien Wahl setzte voraus, daß die Identifikation Nero - Apollo aufgegeben sei. Aber in dieser Gleichung wird man angesichts der Vielzahl von Neros göttlichen Erscheinungsformen (die Detailbelege bei G. Schumann 2 3 - 2 5 ) nicht sozusagen eine theologisch fixierte Doktrin erkennen dürfen. Vor allem bedeuten die beiden Lucanstellen eben eine Erhöhung Neros über Apollo und Bacchus oder - nach der Apotheose - überhaupt über alle Götter, deren Funktionen er in einer adäquateren Weise erfüllt. Um das überscharf zu akzentuieren: Nero ist in viel stärkerer Weise Gott und Apollo als der Delphier selbst. Vgl. noch oben 2.3 Anm. 29. 72 Darüber der Anfang von 1.3.4.1.

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sinn gewertet werden, während doch zunächst zu versuchen wäre, den Abschnitt als das zu verstehen, als was er sich dem äußeren Anschein nach gibt: als Lob des Kaisers. Der zweite Fehler, der mit dem ersten zusammenhängt, liegt in der Loslösung der jeweiligen Verse aus ihren kontextuellen Bezügen. Damit ist nicht nur die werkimmanente Gedankenbewegung gemeint, gemeint sind ebenfalls die kulturell-historischen Gegebenheiten, die mit dieser zusammen den Verstehensraum von Lucans Adressaten konstituieren. Auch wenn die „kritische" Deutung eines Passus den Kontext berücksichtigt, handelt es sich durchweg nur um ein Kontextfragment, womit die Isolierung nur scheinbar durchbrochen ist. Bei einer Auslegung, die die aufgewiesenen Interpretationsfehler vermeidet, zeigt sich, daß es nicht nur möglich ist, das Nerolob ernst zu nehmen, sondern notwendig. Eine einheitliche und sorgfältig durchgehaltene Grundidee beherrscht das Enkomion, die Vorstellung von Neros gewaltiger Größe und Bedeutung. Daher ist er zur Herrschaft über Rom wie, nach seiner Auffahrt in den Himmel, über den Kosmos bestimmt; daher erkennt der Dichter in ihm schon den gegenwärtigen Gott. Alles was der panegyrischen Tendenz störend im Wege stehen könnte 7 3 , wird sorgfältig beiseite geräumt; so wird etwa 1,49 die ominöse Assoziation von Phaethons Scheitern abgewiesen und 1,53—59 dem Mißverständnis gewehrt, Neros Apotheose solle die Trennung des Kaisers von Rom bedeuten. Die Vermutung ist wohl nicht zu kühn, daß all das Allgemeingut der Philologie wäre, wenn von der gesamten Pharsalia etwa nur das Proömium erhalten wäre 74 . Der entscheidende Grund für die Versuche, dem Nerolob kaiserfeindliche Intentionen abzulauschen, dürfte nämlich die Tatsache sein, daß es in späteren Teilen der Pharsalia an unbestreitbar zeitkritischen Äußerungen nicht fehlt. Mit ihnen müßte, so wird geglaubt, das Enkomion irgendwie in Einklang stehen. Neben der Uminterpretation von Lucan. 1,33—66 sind nun auch noch andere Harmonisierungsversuche unternommen worden. Einer recht beliebten Annahme zufolge hätte Lucan mit dem Preis des Kaisers seine wahren Ansichten tarnen wollen 75 . Aber dabei werden literarsoziologische Bedingungen vorausgesetzt, mit 73

Störend, selbstverständlich, für das Empfinden der Zeitgenossen. Freilich gibt es auoh, wenn das Neroenkomion nicht für Oppositionsliteratur gehalten wird, Möglichkeiten des Mißverständnisses. So meint M. Pavan 420, Nero werde als rex iustus, als guter Princeps gepriesen, und damit als der Repräsentant der einzigen das Imperium bewahrenden und erhaltenden Regierungsform. Ganz ähnlich R. Castresana Udaeta 150; 195. Davon steht aber eben im Lucantext kein Wort. Vielmehr ist für das Nerolob charakteristisch, daß nichts von irgendeinem politischen oder sonstigen konkreten Nutzen gesagt wird, den Neros irdische Herrschaft für Rom und das Imperium mit sich gebracht hätte. Es handelt sich nicht um ein Enkomion von der Art des Plinianischen Panegyricus. 75 So W. Menz, Diss. 237; G. Pfligersdorffer 371 Anm. 1 und insbesondere H. Flume 8 und 82, dessen Erwägungen W. Rutz, Lustrum 9,298 „bestechend" findet. Flume beruft sich auf Lucan. 5,385f.; hier sage der Dichter selbst das Nötige über „das Tarnungsvokabular, dessen sich der geistige Widerstand einem dominus gegenüber bedienen m u ß " (82): namque omnis voces, per quas iam tempore tanto / mentimur dominis, haec primum repperit aetas. Aber an der Stelle steht gerade nichts von „müssen" und „geistigem Widerstand", verständlicherweise; denn es geht im Zusammenhang um die Servilität des römi74

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denen Lucan nicht rechnen konnte. Der Dichter konnte nicht annehmen, daß Delatoren oder der Kaiser selbst nicht über das Enkomion hinaus lesen würden oder weniger fáhig seien als die „eigentlichen" Adressaten, die oppositionellen Bemerkungen zu verstehen 76 . Eine andere Theorie behauptet eine „Entwertung" des Enkomions durch spätere Bemerkungen Lucans. Diese Bemerkungen hätten den Leser nachträglich erkennen lassen, daß das zunächst ernst genommene Enkomion nicht die wahre Meinung des Dichters wiedergegeben habe 77 . Es liegt auf der Hand, daß die letztere Theorie wenig sinnvoll ist, falls sie von der Tarnungshypothese getrennt wird, mit der sie auch häufig kombiniert erscheint. Denn welche Funktion sollte sonst das postulierte Versteckspiel Lucans haben? Warum sollte Lucan bei den literarsoziologischen Gegebenheiten seiner Zeit nicht das, was er ohnehin sagt, von vornherein sagen können? Nun ist jedoch die Tarnungshypothese unhaltbar; von der Entwertungshypothese gilt dann dasselbe. Es geht auch nicht an, das Enkomion sozusagen als unverbindliche und herkömmliche Floskel vom Epos zu trennen. Gewiß ist die Passage reich an topischem Gedanken- und Sprachgut, aber es ist nicht selten umgeformt und mit Unkonventionellem vereint. Daß Lucan nicht einfach ein gewöhnliches Klischee reproduziert, zeigt sich auch in der Genauigkeit, mit dei er den Implikationen seiner Verse nachdenkt, und in der wohlüberlegten Verklammerung der Lobpartie mit dem vorangehenden (I) und dem folgenden Abschnitt (III). Vor allem ist die Verherrlichung Neros bedeutungsvolles Pendant zu Vergils Epiphonem Aen. 1,33 und damit fest in das Imitationsgefüge des Gesamtproömiums Lucan. 1,1—182 eingelassen 16 . sehen Volkes, das unter keinem äußeren Druck steht (5,381f.) und dennoch willenlos seinem Gebieter Caesar folgt, indem es eine üble politische Komödie mitspielt. Das ist alles andere als die Tamungslehre eines Oppositionellen. O. S. Due 100 möchte Lucan. 2,40ff. als Enttarnungshilfe benutzen. Dazu im Zweiten Teil 3.2.2 Anm. 18. 76 Dazu die „Methodischen Vorbemerkungen" 2.1. 77 H. Flume 82ff., auf den mit voller Zustimmung W. Rutz, Lustrum 9,290 verweist; ferner B. M. Marti, Sinn 130ff.; Invocation 13ff.; O. S. Due 98ff.; O. Schönbeiger, Untersuchungen 63; 102ff.; O. Schrempp, Die .laudes Neronis' passim. Als nächststehende Entwertungsstelle gilt l,666ff., besonders 1,670 cum domino pax ista venit. Hören wir dazu H. Flume 84, der ja einen gewissen Eindruck gemacht hat: „Wenn . . . im Nero-Enkomion I 61f. von dem Frieden gesprochen wird, den Nero verbürgen soll, so wird der eigentliche Sinn dieser dem Wortlaut nach lobenden Bemerkung erst offenbar, wenn man hinzuliest I 670 . . . Wie Lucan aber zum dominus steht, darüber läßt er nirgends im Werk einen Zweifel." Aber die beiden Stellen haben nur bei oberflächlichster Betrachtung etwas miteinander zu tun. Zunächst einmal handelt es sich um zwei verschiedene Arten von Frieden, im Nerolob um einen allgemeinen Weltfrieden, der jedoch keineswegs speziell einen Bürgerkrieg beendet, dagegen Lucan. 1,670 gerade ausschließlich um das Ende des römischen Bürgerkrieges. Ferner kann im Nerolob der gemeinte Friede auffälligerweise erst eintreten, nachdem der Kaiser zu den Göttern entrückt ist, also pax ista non cum domino venit; demgegenüber kommt nach Lucan. 1,670 der Friede gerade mit der Machtübernahme durch einen natürlich als irdisch gedachten Herrn. Weiteres zu Lucan. 1,670 bietet im Zweiten Teil 3.2. 78 Darüber 1.1. E. Griset, Eloge 321 glaubt, Lucan oder die Herausgeber der Pharsalia hätten das Nerolob zweifellos unterdrückt, wenn es wirklich ein Enkomion - und damit

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Der größte Teil des Enkomions (1,45-66) ist in Aufbau und Gedankenfuhrung an dem Augustuspreis Verg. georg. 1,24—42 orientiert. Hatte Vergil im Aeneisproömium die Anfänge der zwei Homerischen Epen miteinander verschmolzen, so vereinigt Lucan im Pharsaliaproömium die Einleitungen der beiden großen Vergilischen Gedichte miteinander. Im Hinblick auf Nero bedeutet das, daß er zugleich Vergils Rom (Aen. 1,33) und Vergils Augustus (georg. 1,2442) vertritt. Dieser hyperbolische Bezug auf die Dichtung und Ideologie Augusteischer Zeit wird verständlicher, wenn man die herrschende Doktrin der Neronischen Epoche berücksichtigt. Bekanntlich hat Nero zu Beginn seiner Regierung ausdrücklich auf die Augusteischen Herrschaftsformen zurückgegriffen (Suet. Nero 10,1). Die Orientierung an Handlungen des ersten Princeps zeigt sich auch in späterer Zeit. Mit der Schließung des Ianus geminus ist offensichtlich Augustus nachgeahmt worden, und bei der Heimkehr aus Griechenland im Jahre 67 n. Chr. ist Nero auf dem Wagen in Rom eingefahren, den einst Augustus als Triumphwagen benutzt hatte (Suet. Nero 25, 1). Die Verherrlichung Neros trägt diesen „augusteischen" Zügen seines Prinzipats Rechnung. So stellt Seneca in De dementia dem jungen Princeps das exemplum domesticum (clem. 1,9,1) des Augustus vor Augen - welches Nero hinter sich gelassen hat, 1,11,1: comparare nemo mansuetudini tuae audebit divum Augustum ...: fuerit moderatus et Clemens, nempe post mare Actiacum Romano cruore infectum eqs. Der junge Kaiser selbst hat in seiner ebenfalls von Seneca verfaßten Antrittsrede vor dem Senat betont, daß er sich nicht in seiner Jugend durch einen Bürgerkrieg schuldig gemacht habe (Tac. ann. 13,4,1); auch hier ist eine gewollt überbietende Beziehung auf Augustus herauszuhören 79'. Man kann in der Betonung der Tatsache, daß Nero nicht in Bürgerkriege verwickelt war, ein schmachvolles Dokument von Lucans Servilität — gewesen wäre. Ebenso O. S. Due 93f. und D. Gagliardi 76f. J. Brisset wendet sich zwar 198f. gegen Griset, weiß jedoch dieses Argument nicht zu entkräften. Aber die Eliminierung des Nerolobs hätte den ganzen kunstvollen Bau des Pharsaliaproömiums zerstört. Außerdem wären gewisse Beziehungsfäden zum 7. Buch zerrissen worden. Dazu im Dritten Teil 4.4.2.2 und 4.4.3, jeweils am Ende. Als moralische Persönlichkeit hätte Lucan dagegen durch den Eingriff nichts gewonnen. Denn nicht nur hatte er das Proömium wahrscheinlich durch Vorlesungen und sicher durch schriftliche Publikation (Vita Lucani [Vacca] p. 335f.) bereits verbreitet: insbesondere muß das wohl nicht weniger „servile" Neroenkomion, mit dem er den Sieg an den Neronia errungen hatte, bekannt gewesen sein. Überhaupt werden die Zeitgenossen ein solches Kaiserlob nicht unbedingt als schmachvoll empfunden haben. Jedenfalls scheut Statius silv. 2,7,58 sich nicht, Lucans Gattin an das Enkomion der Neronia zu erinnern. Und wenn Statius in diesem Zusammenhang von Neros Undankbarkeit spricht, so könnte auch der spätere Leser des Pharsaliapassus 1,33-66 ähnliche Empfindungen gehabt haben. Die feste Verankerung dieses Abschnitts im Proömium des Epos zeigt auch die Unmöglichkeit von Pfligersdorffers ohnehin unbegründeter Hypothese, das Nerolob der Pharsalia sei mit dem Nerolob der Neronia identisch (369f.). 79 Das Suet. Nero 10,1 überlieferte Versprechen, ex Augusti praescripto imperaturum se, dürfte aus der Antrittsrede stammen.

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geradezu von einem auf Augustus hindeutenden Übertrumpfungstopos sprechen. Auch Calp. ecl. l,50f. reproduziert den Gedanken, wenn es von Neros Prinzipat heißt: millos iam Roma Philippos deflebit, nullos ducet captiva triumphos. Die Anspielung auf Augustus wird — abgesehen von Philippos - noch dadurch gesichert, daß unmittelbar vorher die Schilderung der gefesselten Bellona inpia Calp. ecl. l,46f. auf die Darstellung des gefesselten Furor impius Verg. Aen. 1,294—297 zurückverweist, die der preisenden Vorhersage des Augusteischen Zeitalters angehört 80 . Ein besonders markantes Beispiel für die Steigerung augusteischer Panegyrik findet sich Calp. ecl. 4,142ff.: tu quoque mutata seu Iuppiter ipse figura Caesar, ades seu quis superum sub imagine falsa mortalique lates (es enim deus): hunc precor orbem hos precor aeternus populos rege! sit tibi caeli vilis amor coeptamque, pater, ne desere pacem. Das basiert auf Hör. carm. l,2,41ff.: sive mutata iuvenem figura ales in terris imitaris almae filius Maiae patiens vocari Caesaris ultor. 45 serus in caelum redeas diuque laetus intersis populo Quirini. .. 49 hic magnos potius triumphos, hic ames dici pater atque princeps neu sinas Medos equitare inultos te duce Caesar. Nero ist ein größerer Augustus: Die Identifikation mit Merkur ist durch die Möglichkeit einer Gleichsetzung mit Iuppiter ersetzt, das Weilen unter den Römern ist zum Lenken des Erdkreises geworden, die Bitte um langes Wirken auf der Erde ist zur Bitte um ewiges Bleiben umgebildet, an der Stelle des Krieges steht der Frieden. Doch greift die Neropanegyrik nicht nur in solchen Details auf die Literatur der Augusteischen Epoche zurück, sondern auch in der Bevorzugung der Bukolik als Mittel des Kaiserlobs. Vergils ille mihi semper deus (ecl. 1,7) wird vielfältig in einer Literatur wiederholt und variiert, von der die Eclogen des Calpurnius 80 Dieselbe Abhebung Neros von Augustus kurz danach Calp. ecl. 1,77-88. Über die betonte Riickwendung zur Augusteischen Zeit unter Nero vgl. etwa noch O. Weinieich 39ff.; H. Dahlmann 298ff.

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Siculus und die Einsiedler Gedichte 81 vielleicht nur ein geringfügiger Restbestand sind. Es traf sich glücklich, daß gerade diese Dichtungsgattung zum Ausmalen einer goldenen Friedenszeit besonders geeignet war. Indem Lucan in seinem Neroenkomion steigernd an das Augustuslob des Georgicaproömiums anknüpft, führt er Tendenzen weiter, die in seiner Zeit eine große Bedeutung haben. Man sieht, wie vielschichtig das Pharsaliaproömium ist, in dem der Wettstreit mit Vergil, der Wille etwas Neuartiges zu schaffen, die Auseinandersetzung mit Livius, das Nachdenken über die Geschichte und die Möglichkeiten des Geschichtsepos, die Berücksichtigung der neronischen Panegyrik und manches andere zu einer großen Einleitung verschmolzen werden, die doch von einer einheitlichen und subtilen Tektonik zusammengehalten ist. Das Enkomion hat in diesem Gebilde seinen sinnvollen Platz. Wenn die Zeitgenossen es ernst genommen haben, dann nicht unbedingt in dem Sinne, daß sie jede Detailangabe für handgreiflich real gehalten hätten, wohl aber so, daß sie in dem Ganzen einen grandiosen Ausdruck für Neros auch Augustus übertreffende Größe erkannten. Die Frage, ob Lucans innere Empfindung mit dem Enkomion übereinstimmte, ist dabei ganz ausgeklammert. Wer sie zuläßt, sollte zögern, eine negative Antwort zu geben. Es ist einfach, aus dem Abstand von fast zwei Jahrtausenden Nero als ein theatralisches Scheusal abzutun, dem man nur mit Haß und Hohn begegnen konnte. Lucan, der im unmittelbaren Umkreis des Weltherrschers lebte, mochte etwas ganz anderes empfinden: das Tremendum und Venerandum der Macht. 81

Daß die zwei letzteren Bruchstücke oppositionellen Charakter hätten (D. Korzeniewski, Hirtengedichte aus Neronischer Zeit, Darmstadt 1971, 11 Of.; 116), ist wenig wahrscheinlich.

Zweiter Teil: Interpretationen zur epischen Handlung der ersten drei Bücher 1. Einleitung Inwieweit sind die Gestaltungsweisen und die Geschichtsauffassung des Proömiums typisch für die Pharsalia? Die Betrachtung großer Teile des ersten und zweiten Buches und einer kleinen Partie des dritten Buches wird als Grundlage für eine Antwort dienen können. Die Erörterung der Geschichtsauffassung zielt dabei besonders auf die Prüfung der These ab, bereits am Epenbeginn offenbare sich Lucans Aversion gegen den Prinzipat oder speziell gegen Nero 1 . Der Pharsaliatext gestattet es, das Problem in zwei Teilprobleme zu zerlegen, nämlich in die Frage nach der aktuellen Bedeutung von Darstellung und Charakteristik Caesars und die Frage nach dem Gegenwartsbezug von Lucans Freiheitskonzeption; die erste Frage hat im Abschnitt 2 des Zweiten Teils, die zweite im Abschnitt 3 den Vorrang. Die Anwendung der integral-strukturalen Interpretationsmethode wird, so ist zu hoffen, verhindern helfen, daß dem Text Antworten abgezwungen werden, die Lucans Intentionen nicht adäquat sind.

2. Der Beginn des Bürgerkriegs und die Gestalt Caesars 2.1. Vorüberlegungen Es ist eine vielfach vertretene Ansicht, daß bereits aus Lucans negativer Caesarkonzeption die feindliche Einstellung des Dichters gegenüber Nero und der 1

Zu nennen sind etwa W. Rutz, Lustrum 9, besonders S. 296ff. W. Rutz hält es S. 300 für erwiesen, „daß schon in den ersten Büchern der Sieg Caesars mit der despotischen Haltung der Caesaren in Verbindung gebracht wird"; ähnliche Äußerungen fallen auch an anderen Stellen des Lucanberichts. Im gleichen Sinne noch E. Burck, Menschenbild 151; M. Fuhrmann, in: Kleiner Pauly III (Stuttgart 1969) 747,25ff. Manche Autoren versuchen die Annahme durchgängiger Prinzipatsfeindlichkeit der Pharsalia abzuschwächen. J. Brisset ist zwar S. 191 gleichfalls der Meinung, daß die Dichtung „dans son esprit général, une oeuvre d'opposition" sei, möchte aber andrerseits nerofreundliche Bemerkungen über das ganze Werk verstreut finden. Wieder etwas anderes D. Gagliardi 94f.; nach ihm wäre Lucan bereits in den ersten drei Büchern „fondalmente ostile a Nerone ed al principato", bezöge jedoch vom 4. Buch an „una posizione antimonarchica più scoperta e più decisa". Ganz ähnlich H.-A. Schotes 172ff. O. A. W. Dilke, Lucan's Political Views 78 meint, die Attakken gegen Prinzipat und Caesarenhaus seien in den ersten beiden Büchern mild (oder etwas milder) im Vergleich mit dem Rest der Pharsalia. Andere in diesem Zusammenhang zu erwähnende Namen in der nächsten Anm.

Zweiter Teil 2.1.

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durch ihn vertretenen Herrschaftsform zu ersehen sei1. In welchem Maße Caesar mit düsteren Farben gemalt wird und ob das etwaige unfreundliche Caesarbild Zeitkritik bedeutet, soll anhand der beiden ersten Pharsaliaabschnitte ermittelt werden, in denen Caesar als handelnde Person in Erscheinung tritt: 1,183-391 und 2,439-525. Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist durch das Proömium noch nicht entschieden. Immerhin wird man nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß der Hörer oder Leser durch die Einleitung 1,1—182 keineswegs darauf eingestimmt worden ist, negative Charakteristika Caesars als Kritik an dem regierenden Kaiser oder der Institution des Kaisertums schlechthin aufzufassen. Dabei ist vor allem natürlich an das Neroenkomion 1,33-66 zu denken, aber auch an die Partie 1,82-157, in der Lucan von der Rivalität der domini handelt. Hier hat der Dichter ja durchaus nicht spezifisch Caesar mit der Begründung des Prinzipats in Verbindung gebracht, er hat sich vielmehr an den Folgen von Caesars Sieg ganz desinteressiert gezeigt. Ein konsequentes Desinteresse, muß man sagen; denn der Sieg des dominus Pompeius hätte, nach dem mittleren Ursachenabschnitt 1,82-157 zu urteilen, die Geschichte kaum in andere Bahnen gelenkt. Die Gegenüberstellung der zwei Gegner 1,129—157 läßt zudem die Annahme einer polemischen Präfiguration gerade Neros durch Caesar als sehr wenig ratsam erscheinen. Denn der kaiserliche Kitharöde und Schauspieler ähnelte doch noch eher Pompeius, der sich über den Beifall seines Theaters freut, als dem rastlosen Tatmenschen Caesar 2 . Das heißt selbstverständlich nicht, daß durch die Lucanische Zeichnung des alten Pompeius das Bild des jugendlichen Nero hindurchscheint. Vielmehr indiziert der Sachverhalt, daß dem Dichter jeder Gedanke an den Kaiser fernlag, als er die Charakteristiken der beiden Protagonisten niederschrieb. Den Erwägungen, die das Pharsaliaproömium an die Hand gibt, gesellen sich Rückschlüsse aus Äußerungen Senecas hinzu. Denn nur unter der Voraussetzung, daß eine negative Einschätzung Caesars nicht leicht als Kritik an der Institution oder dem Inhaber des Prinzipats verstanden werden konnte, sind Senecas gelegentliche verurteilende Bemerkungen über den Diktator zwanglos verständlich. So erscheint Caesar Sen. benef. 5,16,4 im Verein mit Coriolan, Catilina, Marius, Sulla, Pompeius, Antonius als ein Mann, der sich im Undank gegen das Vaterland gewandt hat; Caesars Milde wird in Senecas Augen durch seine Gewaltherrschaft entwertet: gladium cito condidit, numquam posait. Und Sen. nat. 5,18,4 wird die recht kritische Einstellung, die Livius über Caesar fixiert hatte, gar als gängige Anschauung notiert: quod de Caesare maiori vulgo dictatum est et a 1 So etwa B. M. Marti, Invocation 12; O. Schönberger, Nachtrag 489f.; derselbe, Dichter 536; G. Pfligersdorffer 345f.; 368; H. Nehrkorn 84ff. Vgl. auch in 1. Anm. 1. 2 Die Charakteristik Neros Suet. Nero 53 steht auch in der Formulierung Lucan. 1,132 sehr nahe. Über die zeitgenössische Einschätzung von Neros militärischer Tatkraft aufschlußreich das Epigramm Suet. Nero 39,2: dum tendit citharam noster, dum comua Parthus, / noster erit Paean, ille Hecatebeletes.

110

Zweiter Teil 2.2.1.

Tito Livio positum in incerto esse, utrum illum magis nasci an non nasci rei publicae profuerit, dici etiam de ventis potest3. Nach all dem wird man die These einer polemisch-aktuellen Bedeutung von Lucans Caesargestalt nicht leichthin annehmen können. Wenigstens das erste Zeugnis für die Gleichsetzung von Caesars negativer Einschätzung mit einer Kritik an den Gegenwartsverhältnissen sollte so beschaffen sein, daß der Passus nur unter dieser Prämisse einen Sinn ergibt.

2.2.

Caesars erstes Auftreten: Lucan. 1 , 1 8 3 - 3 9 1

2.2.1. Der Aufbau von Lucan. 1,183-468 Die Darstellung der epischen Handlung ist im 1. Buch offenkundig zweigeteilt: Lucan. 1,183—468 schildert die Vorgänge auf Caesars Seite, Lucan. 1,469695 das Geschehen in Rom 4 . Die jeweilige Strukturierung der zwei großen Partien ihrerseits ist weniger leicht zu durchschauen. Für die erste Partie dürfte folgende Gliederung angemessen sein: I A a a

1,183-391 1,183-230 1,183-185 1,185—203

Der endgültige Kriegsentschluß auf Caesars Seite Caesar am Rubico Einleitung Caesar und die hemmende Erscheinung der Patria

3 Es ist für die vorgetragene Argumentation gleichgültig, daß Seneca sich in früheren Schriften günstiger über Caesar äußert als in späteren. Einzelheiten dazu bei Franz Josef Kühnen, Seneca und die römische Geschichte, Diss, (masch.) Köln 1962,64ff. Das Urteil der frühen Kaiserzeit über Caesar ist auch sonst nicht einhellig. So steht in Tiberianischer Zeit neben den respektvollen Bemerkungen des Valerius Maximus (1,6,13; 8,9,3; 9,8,2; 9,15,1) die aus kritischer Distanz betrachtete Caesaigestalt Veil. 2,49,Iff. Soviel steht jedoch fest, daß eine negative Einschätzung Caesars keineswegs mit der Ablehnung des Prinzipats identisch ist. Vgl. darüber auch R. Syme, The Roman Revolution, Oxford 19522, 317f.; Tacitus I, Oxford 1958, 432f. Für Neros Verhältnis zu Caesar ist die alte Beobachtung G. Boissiers 279 Anm. 1 aufschlußreich, daß die Liste von Neros Vorfahren in den offiziellen Inschriften nie über Augustus hinaufreicht. Überhaupt hat G. Boissier 279f. die Beziehungen Neros zu Caesar richtig eingeschätzt. Nach der Aufdeckung der Pisonischen Verschwörung hat Nero freilich auf die Verehrung,, die C. Cassius seinem Vorfahren als dem dux partium zollte, scharf reagiert: Tac. ann. 16,7,2; Suet. Nero 37,1; aber das war eine besondere Situation. 4 Zu Lucan. 1 gibt es mehrere Gliederungsversuche. Um von dem Satzspiegel der Ausgaben abzusehen: W. Rutz, Diss. Ausz. 161ff., am eingehendsten; W. Menz, Diss. 46f.; Schönbeiger, Komposition 278; W.-LB. S. 6. Natürlich haben die genannten Autoren mancherlei richtige Einschnitte vorgenommen. Doch sind ihre Darlegungen leider nicht intensiv genug, um als Ausgangspunkt für die folgenden integral-strukturalen Untersuchungen dienen zu können. - V. D'Agostino, Personaggi ed eventi nel primo libro della Farsaglia di Lucano', RSC 7, 1959, 266-276 beschränkt sich weitgehend auf ein Referat des 1. Buches.

Zweiter Teil 2.2.1.

b

1,204-230

a b

1,231—295 1,231-261 1,261—295

a b

1,296-391 1,296—356 1,356-391

Β

C

II

1,392—468

Ill

Die kriegsbegründende Überschreitung des Rubico (1,205-212: Caesar wird mit einem Löwen verglichen) Caesar in Ariminum Der Einmarsch und die klagenden Ariminenser Die formale Rechtfertigung Caesars und seine Aufhetzung durch Curio (1,293—295: Caesar wird mit einem Pferd verglichen) Caesar und seine Soldaten Vergebliche Anfeuerungsrede Caesars Erfolgreiche Aufforderung des Primipilen Laelius, in den Bürgerkrieg einzutreten (1,388—391: Die Zustimmung der Truppen wird mit dem Sturmgetöse in einem Wald verglichen) Die Sammlung von Caesars Truppen

Der große Abschnitt I ist schon dadurch als Einheit gekennzeichnet, daß in jedem seiner drei wachsenden Teile A (48 Verse), Β (65 Verse), C (96 Verse) ein neuer Entschluß gefaßt wird, den Bürgerkrieg zu eröffnen. Einheitsstiftend aber wirkt in noch viel auffalligerer Weise, daß Lucan die in Α, Β und C geschilderten Vorgänge ausdrücklich in ein tageszeitliches Kontinuum einschließt: 1,187 per obscuram . . . noctem\ 1,218 tertia . . . Cynthia·, 1,228 noctis tenebrisi 1,23 Iff. verzögerter Tagesanbruch; 1,261 noctis gélidas lux solverai umbras; 1,296 extemplo. Wenn es jeweils gerade der Beginn der Perikopen A B C ist, wo ein derartiger zeitlicher Hinweis steht, so unterstreicht das ihre Zusammengehörigkeit. Der Abschnitt II folgt, nachdem alle Entscheidungen für den Krieg endgültig gefallen sind. Er steht außerhalb des tageszeitlichen Kontinuums und fügt sich mit seinem Umfang von 77 Versen nicht in die vorausgehende Triade wachsender Teile. Bereits diese Beobachtungen würden genügen, ihn nicht einfach als vierten Passus neben A Β C zu setzen, sondern ihm eine Sonderstellung gegenüber I zuzubilligen. Auf dem Hintergrund der epischen Tradition erweist sich II vollends als eine Partie von besonderer Eigenständigkeit. Denn der Heereskatalog ist ja eines der typischen Requisite der antiken Epik. Aus der vorgelegten Gliederungsskizze ergeben sich für A Β C weitere Feststellungen, die partiell auch noch die Zusammenfassung der drei Passagen in der gemeinsamen Perikope I rechtfertigen. A B C sind deutlich jeweils in zwei Hauptpartien a und b geteilt, die ein gewisses antithetisches Verhältnis zueinander aufweisen. Während a moralische oder psychologische Schwierigkeiten offenbart, die Caesars kriegerischem Beginnen entgegenstehen, bietet b die entschlossene Zuwendung Caesars oder seiner Leute zum Bürgerkrieg. Die Entscheidung wird jedesmal durch einen epischen Vergleich veranschaulicht und untermalt.

112

Zweiter Teil 2.2.1.

Dabei ist die Zustimmung von Caesars Soldaten der wichtigste Schritt: sie erst veranlaßt Caesar zur umfassenden Aufbietung seiner Kräfte. C überbietet A und Β also nicht nur im Umfang. Eine gewisse Sonderstellung kommt dem Abschnitt C auch insofern zu, als es in ihm um den Kriegsentschluß von Caesars Heer geht, wohingegen die Partien A und Β in dem Kriegsentschluß des führenden Individuums selbst gipfeln. Indem der Passus C um Caesars Soldaten zentriert ist, bildet er eine Art Brücke zum Abschnitt II, der, bei aller Eigenständigkeit, also nicht abrupt auf den Abschnitt I folgt. Von einem anderen Gesichtspunkt aus gesehen, gehören wiederum Β und C gegenüber A eng zusammen. In A faßt Caesar allein, von keinem Menschen beeinflußt, seinen Entschluß, den Rubico zu überschreiten und so den Bürgerkrieg zu beginnen. In Β und C wird Caesar in seinem Entschluß von seinen Parteigängern bestärkt und unterstützt. Die Schilderung, die Lucan von den Vorgängen auf Caesars Seite bietet, ist mit den vorgetragenen Beobachtungen noch nicht hinreichend erläutert, aber doch schon so weit, daß ein Vergleich mit der historischen Tradition lohnt, wie sie dem Dichter vorgelegen haben muß. Die Dreiergliederung von I hat sich für den Dichter nicht ungezwungen aus der Überlieferung ergeben. In der traditionellen Darstellung stacheln Curio und die aus Rom geflohenen Tribunen nicht etwa Caesar auf; sie figurieren vielmehr als ein Element des Schauspiels, mit dem Caesar sich die Hilfe seiner Soldaten sichert. Suet. Iul. 33,1 ist aufschlußreich: atque ita traiecto exercitu adhibitis tribunis plebis, qui pulso supervenerant, pro contione fidem militum flens ac veste a pectore discissa invocavit. Curio hätte danach in die Szene C gehört, die Gewinnung von Caesars Soldaten s . Die Überredungs- und Entschlußszene Β hätte es bei einem Festhalten an der Tradition nicht gegeben. In der Überlieferung ist ebenfalls nicht die jeweilige Zweiteilung von Β und C fundiert. Lassen wir die Curioproblematik beiseite: auch von den Klagen der erschreckten Ariminenser, von der Ablehnung der Anfeuerungsrede Caesars und dem erfolgreichen Eingreifen des Laelius ist nichts bekannt. Lucan wird

5

Die Zeugnisse für den Vorgang hat K. Ziegler zu Plutarch, Caesar 31,3 (Leipzig, Teubner 1968) zusammengestellt. In guter Übereinstimmung mit Sueton befinden sich außer der Plutarchstelle Caes. civ. 1,7; Cassius Dio 41,4,1; Appian b. c. 2,33,133. Eine wirklich widersprechende Notiz gibt es nicht. Angeregt mag die aufreizende Rede, die Lucan seinem Curio in den Mund legt, durch eine andere Überlieferung sein: Curio hatte sich unmittelbar nach dem Ablauf seines Tribunats im Dezember des Jahres SO zu Caesar nach Ravenna begeben und diesen dazu aufgefordert, sofort alle Truppen zusammenzuziehen und gegen Rom zu marschieren; Caesar beharrte demgegenüber auf Verhandlungen: Appian b. c. 2,32,125; vgl. auch Cassius Dio 40,66,5. Ed. Meyer 279. Aber dieses Ereignis des Dezembers 50 v.Chr. ist natürlich verschieden von der Flucht Curios und der amtierenden Tribunen im Januar 49 v.Chr. Appian trennt dementsprechend die beiden Vorgänge. Das Problem, ob Caesar seine Rede in Ravenna oder erst in Ariminum (Lucan) gehalten hat, kann hier außer Betracht bleiben.

Zweiter Teil 2.2.1.

113

seiner Phantasie beträchtlichen Spielraum gelassen haben, um die ausgewogenen Strukturen des Abschnitts I zu schaffen 6 . Wir verstehen diese Strukturen besser, wenn wir uns an die bedeutendste Darstellung eines Kriegsanfanges erinnern, die in der römischen Epik zu finden ist, die Eröffnung der Feindseligkeiten im 7. Buch der Aeneis. Vergil schildert das Wirken der Furie Allecto und seine Konsequenzen in folgender Disposition7: I a' a b

7,341—539 7,341-405 7,341—345 7,346-372 7,373-405

a' a b

7,406—474 7,406-414 7,415—444 7,445—474

A

Β

C

II

7,475—539 a' a

7,475-478 7,479—510

b

7,511—539

7,641—817

Die Entfesselung des Krieges durch Allecto Die Einwirkung Allectos auf Amata Einleitung Vergebliche Fürsprache Amatas für Turnus Bacchische Raserei Amatas, Entführung Lavinias und Aufstachelung der latinischen Frauen (7,378-383: Amata wird mit einem Kreisel verglichen) Die Einwirkung Allectos auf Turnus Einleitung Vergebliche Aufreizung des Turnus Kriegsraserei des Turnus und Kriegsvorbereitungen der Rutuler (7,462-464: Die Erregung des Turnus wird mit kochendem Wasser verglichen) Die Einwirkung Allectos auf das Bauernvolk der Latiner und die Mannschaft der Troianer Einleitung Die Erlegung des zahmen Hirsches durch Ascanius und die Zusammenrottung der latinischen Bauern Nach erneutem Eingreifen Allectos: Kampf zwischen latinischen Bauernsoldaten und Troianern und erste Tötung eines Latiners (7,528-530: Die kämpfenden Parteien werden mit stürmischem Meer verglichen) Der Katalog der italischen Truppen

Der Beginn des Bürgerkriegs in der Pharsalia und der Beginn des italischen Krieges sind, wie man sieht, weitgehend in gleicher Weise dargestellt. Die Tektonik ist triadisch mit jeweiliger Zweiteilung der Haupthandlung in den drei Abschnitten Α, Β und C. Auch das Verhältnis von a und b ist bei Vergil der Lucanischen Antithetik von a und b nicht unähnlich. In a ist Allectos Wirken vergeblich oder entfaltet jedenfalls nicht seine ganze Kraft, in b zeigt sich die ganze unheilstiftende Macht der Furie. Der Wirkenskern in b wird, wiederum entsprechend der Technik Lucans, mittels eines epischen Vergleichs in helles Licht gerückt. 6 Die Zweiteilung von A knüpft demgegenüber zumindest prinzipiell an den historischen Bericht an. Dazu unten 2.2.2.2 am Beginn mit Anm. 13. 7 Den Aufbau der Aeneispassage hat bereits Ed. Fraenkel, Aspects 3ff. klargelegt; zur Begegnung des Turnus mit Allecto auch V. Pöschl 168 Anm. 2.

8 Lebek (Hyp. 44)

114

Zweiter Teil 2.2.1.

Ganz wie bei Lucan ist C in der Aeneis der Passus, in dem der Krieg zum unabwendbaren Faktum wird. Iuno selbst betont Aen. 7,553f. die entscheidende Wichtigkeit der ersten kriegerischen Auseinandersetzung und der ersten Bluttat: stant belli causae, pugnatur comminus armis, quae fors prima dedit sanguis noms imbuii arma. Während in A und Β die Einzelpersonen Amata und Turnus im Mittelpunkt stehen und sich daher die Vergleiche auf sie beziehen, sind es in C Personengruppen, auf die Allectos Aktion abzielt; dementsprechend gilt auch der Vergleich den beiden kämpfenden Parteien. Die Analogie zur Pharsalia liegt auf der Hand. Eine Analogie zu Lucans Bauweise wird man auch darin sehen dürfen, daß die Handlung von Β und C gegenüber A eine feste Verbindung zur realpolitisch-militärischen Umwelt Latiums hat. Wie bei Lucan folgt - wennschon nicht unmittelbar - auch bei Vergjl auf den Abschnitt I ein Katalog der Truppen der Seite, die den Krieg initiiert. Die Szenenfolge I und II ist in Aeneis und Pharsalia weitgehend homolog. Lucan hatte bereits sein Proömium in das Strukturnetz des Aeneisproömiums eingespannt. Die Vermutung ist kaum abweisbar, daß er auch die Architektur der Kriegseröffnung in der Pharsalia nach der entsprechenden Partie der Aeneis geformt hat 8 . Mit dieser Art der Vergilimitation steht Lucan nicht allein. Denn wenige Dezennien nach ihm gestaltet Statius 9 ebenfalls in Anlehnung an den Vergilischen Abschnitt I, und zwar an dessen Teil C (Aen. 7,475—539), den letzten und entscheidenden Anlaß und Beginn des Thebanischen Krieges Theb. 7,562-627. Dabei ist nicht zu verkennen, daß Lucan gegenüber Statius Vergils Tektonik ungleich sorgfältiger und umfassender verwertet, eine Beobachtung, die wir bereits bei unserem kurzen Vergleich Lucanischer und Statianischer Exordialtechnik machen konnten. Nun erklärt sich auch, weshalb Lucan die geschichtlichen Vorgänge, wohl unter partieller Verwendung eigener Erfindungen, in einer Weise gliedert, die der historiographischen Tradition ungemäß ist. Mit der Umsetzung der Allectohandlung aber in einen rein historischen Vorgang hebt sich Lucan wie so oft schon im Proömium von seinem großen Vorgänger ab. 8

Eine gewisse tektonische Diskrepanz ergibt sich dadurch, daß nicht in allen Lucanpartien I Α Β C exakte Entsprechungen zu den drei Einleitungen der Vergilpartien I Α Β C vorhanden sind. Immerhin findet sich in I A durchaus ein deutliches Einleitungsstück I Aa' (1,183-185). Und die zwei Lucanpassagen I Ba aa (1,231-235) und I Ca α (1,296-298) gehören zwar in starkem Maße oder primär jeweils zu dem ersten Teil a von I Β und I C, fungieren aber daneben auch als Einleitungen zu den gesamten Stücken I Β und I C. Allein aus der übereinstimmenden Dreierstruktur und dem steigernden Aufbau von Vergils und Lucans Partie I würde übrigens noch nicht Aeneisimitation folgen, da eine solche triadische Tektonik in der Pharsalia recht häufig zu beobachten ist. Aber die Kongruenzen reichen eben weiter. 9 Dazu unten im Dritten Teil 2.2.

Zweiter Teil 2.2.2.1.

115

Bei allem tektonischen Anschluß an Vergil ahmt Lucan sein Muster doch auch im Kompositorischen nicht ängstlich nach. Die folgenden Interpretationen werden das noch zur Genüge zeigen. Indessen sei bereits jetzt auf Divergenzen des Gleichnisgebrauchs aufmerksam gemacht. Lucan stimmt zwar mit Vergil darin überein, daß er jeweils im b-Teil ein Gleichnis erscheinen läßt. Aber während Vergil sich Aen. 7,341—539 auf diese drei Gleichnisse beschränkt, fügt Lucan in den drei entsprechenden Abschnitten I Α Β C noch je ein Gleichnis hinzu: l,229f., am Ende von Ab; l,259ff., am Ende von Ba; l,327ff., in der Mitte von Ca. Lucan hat also die Anzahl der Gleichnisse gegenüber der strukturell vorbildlichen Aeneispartie verdoppelt. Lucans Planung zeigt sich aber nicht nur in der ausgewogenen Verteilung dieser bildhaften Partien, sondern auch darin, daß jeweils in Α, Β und C ein Tiergleichnis und ein Sachgleichnis vertreten ist. Das Streben nach einer Verbindung von Abwechslungsreichtum und Ausgewogenheit ist unverkennbar. Es ist eine naheliegende Erklärung, daß Lucan mit der tektonischen Imitation Vergils auch seine Rivalität mit dem Klassiker unterstreicht; so richtig das sein mag, man wird sich mit dieser Erwägung nicht begnügen dürfen. In dem ersten großen Teil der mittleren Ursachenpartie 1,87-128 stellt Lucan den Zwist zwischen den domini vor den Hintergrund markanter frührömischer Gründungsereignisse, deren verschlimmernde Wiederholung in der Gegenwartskonstellation erkannt wird. Ganz ähnlich scheint dann in der Partie 1,183—468 der Krieg hindurch, der in der Vorzeit zu führen war, damit später einmal Rom entstehen konnte. Wiederum wiederholt sich gewissermaßen die Gründungsgeschichte in den Begebenheiten des Epos, aber eben unter anderen Vorzeichen. Dem Krieg, der in der Aeneis den mühevollen Anfang einer großen Zukunft bedeutete, steht ein Krieg gegenüber, der das Ende einer großen Vergangenheit ist. Die Behandlung des 7. Buches wird noch einen weiteren Funktionsaspekt der tektonischen Imitation von Verg. Aen. 7,341—817 freilegen.

2.2.2.

Caesar am Rubico: Lucan.

1,183-230

2.2.2.1. Die Gesamtdisposition der Szene IAa'

1,183-185

a α ß b α

1,185--203 1,185--192 1,192--203 1,204--230 1,204--212

Einleitung: Caesar hat, zum Kriege entschlossen, die Alpen überschritten (zugleich Grundsituation für die ganze Szenenfolge I und II) Caesar und die hemmende Erscheinung der Patria Die nächtliche Erscheinung der Patria am Rubico und ihre Rede Die Reaktion Caesars und seine Erwiderung Die kriegsbegründende Überschreitung des Rubico Der entschlossene Aufbruch über den Fluß in der Veranschaulichung durch einen Löwenvergleich

116

Zweiter Teil 2.2.2.2.

β

1,213—222

γ

1,223—230

Der geschwollene Fluß und die Details seiner Überwindung Caesars Worte in Italien und sein entschlossener nächtlicher Vormarsch

Die Unterteile von b korrespondieren in manchem mit denen von a. Nur wenige bemerkenswerte Entsprechungen seien hervorgehoben. Die Partie aα beginnt mit 1,185, dem Nebensatz: ut ventum est parvi Rubiconis ad undas. Am Anfang von bß heißt es l,213f.: parvis . .. inpellitur/undis puniceus Rubicon. Die drei wiederholten Wörter kommen zumindest zwischen den beiden Stellen nicht mehr vor. Dasselbe gilt von ripa 1,194 und 1,223, also am Beginn von aß und b7. Das Substantiv ist gewissermaßen ein Schlüsselwort; denn der Unterschied zwischen jenseitigem und diesseitigem Ufer ist gleichzeitig der Unterschied zwischen Frieden und Krieg. Wie in aß folgen in b ? Worte Caesars; auch die Teile a und b der Vergilischen Pendantszenen enden jeweils mit einer wörtlichen Rede der Hauptperson Amata (Aen. 7,359ff.; 400ff.)10. 2.2.2.2. Szenenbeginn

und Patriaerscheinung: Lucan.

1,183-203

„Schon(iam) hatte Caesar in Eile die eisigen Alpen überwunden." Mit diesem Satz eröffnet Lucan 1,183 die Darstellung und erweckt entgegen der historischen Überlieferung den Eindruck, als sei Caesar im Eilmarsch von Gallien bis an den Rubico vorgerückt 11 . Die Einleitung paßt zu Lucans Konzeption von Caesars blitzartigem Handeln. Sie entspricht aber auch einer beliebten epischen Technik, das epische Geschehen mit der Schilderung eines Zustandes einsetzen zu lassen und diesen mit einem Zeitadverb wie iam am Beginn des ersten Verses zu betonen 12. Caesar hatte den Plan zum Kriege bereits gefaßt. Aber am Rubico stockte der Vormarsch, aα, l,185ff.: 185

ut ventum est parvi Rubiconis ad undas ingens visa duci Patriae trepidantis imago clara per obscuram voltu maestissima noctem turrigero canos effundens vertice crines

10 Der ganze Abschnitt ist bereits ausführlich von W. Menz, Diss. 7ff. behandelt worden, der den mit der Grenzüberschreitung begangenen Rechtsbruch besonders betont; ähnlich dann F. König, Diss. 4ff. und D. Gagliardi 87ff. Die Interpretation von R. J. Getty 73ff. ist demgegenüber um die Romaerscheinung bemüht. Die letzte ausführliche Erörterung der Szene stammt von P. Grimal, Le poète 56ff. Unter integral-strukturalem Aspekt sind die genannten Untersuchungen nicht so sehr ergiebig. 11 Vgl. Ed. Meyer 279; Ed. Norden zu Verg. Aen. 6,826ff. 12 Vgl. Odyssee 1,11 'ένθα; Verg. Aen. 1,34 vix. iam ist besonders beliebt; am Versanfang steht das Wort: Ov. met. 3,1; 7,1; 8,1; 14,1; Petron 89,1; an zweiter Stelle Petron. 119,1 orbem iam; Stat. Theb. 1,46 impia iam.

Zweiter Teil 2.2.2.2.

117

caesarie lacera nudisque adstare lacertis 190 et gemitu permixta loqui: ,quo tenditis ultra? quo fertis mea signa, viri? si iure venitis, si cives, hue usque licet. ' Von einer solchen Erscheinung der ängstlichen und traurigen Patria weiß die sonstige Überlieferung nichts. Sueton berichtet lui. 32 sogar von einem positiven Ostentum. Der Verdacht liegt nahe, daß die Begegnung Caesars mit der Patria Lucans eigene Erfindung ist, die das wohlbezeugte Zögern Caesars vor der Überschreitung des Rubico in ein dichterisch-rhetorisches Bild umformt 1 3 . Denn um eine Aneignung rhetorischer Gestaltungsweise handelt es sich allerdings. Die unepische Erscheinung der Patria ist ja nichts anderes als eine Prosopopoiie, die aber, im Gegensatz zur Redefigur, als real ausgegeben wird. Aufschlußreich für die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die die Lucanische Gestaltung gegenüber der rhetorischen Sinnfigur aufweist, ist Demetrios eloc. 265, wo die Prosopopoiie exemplifiziert wird: δοξατε ύμϊν τους προγόνους ovetßiξ€ΐν και Xéyeiv τάδε τινά ή την Ε λ λ ά δ α τ) την πατρίδα λαβούσαν γυναικός σχήμα. Die drei letzten Wörter lassen eine Ausschmückung der Patria in Lucans Art auch für eine Prosopopoiie innerhalb einer Rede als möglich erscheinen; üblich ist aber eine solche nähere Beschreibung der gedachten Person oder Personifikation keineswegs14. Das Patriageschehen in dem handlungseröffnenden Abschnitt ist für den zeitgenössischen Leser Lucans also in mancherlei Hinsicht bemerkenswert gewesen. Um so stärker verdient hervorgehoben zu werden, daß der Dichter die Worte der Patria nicht zu einer umfangreichen Invektive gegen Caesar ausgestaltet hat, die bei der Anknüpfung an die Sinnfigur der Prosopopoiie naheliegen mußte. Die kummervollen Sätze der Patriae imago beschränken sich darauf, die Rubicoüberschreitung als Unrecht zu deklarieren. 13 Zum Zögern Caesars s. Plutarch Caesar 32,5ff. und die Belege, die K. Ziegler in seiner Ausgabe (Leipzig, Teubner 1968) zum Kapitel 32 gesammelt hat. Lucan läßt 8 , 4 3 1 436 den Lentulus eine ganz ähnliche Erscheinung dem Pompeius androhen, wenn dieser auf der Flucht zu den Parthern den Araxes überschreiten sollte. 14 Prosopopoiie des Vaterlandes und Verwandtes: Piaton, Kriton 50ff.;Rhet. Her. 4,53, 66; Cic. Plane. 12;92; Catil. l,17f.; l,27ff.; Sali. (?) rep. 2,13,1; Lucan. 7,373 (in der Adhortatio des Pompeius). Von fern vergleichbar sind auch Stellen wie Pindar, Pyth. 12,Iff.; Aischylos, Perser 18 Iff. In der griechisch-römischen Epik scheint es wenigstens bis einschließlich zur Flavischen Zeit an keiner weiteren Stelle eine Prosopopoiie oder eine Epiphanie des Vaterlands, der Roma o. ä. zu geben. Übrigens neigt die Epik anscheinend auch bei sonstigen göttlichen Epiphanien nicht zu detaillierten Ausmalungen des göttlichen Aussehens; Gegenbeispiel Apollonios Rhodios 2,676ff.; vgl. auch etwa Ov. fast. 1,95f.; 2,503f. Nach R. J. Getty 78f. hätte der Vergleich der Roma mit der turmgekrönten Cybele Verg. Aen. 6,784ff. die Lucanische Darstellung der turmgekrönten patriae ... imago beeinflußt; vielleicht möglich, obschon vertice turrigero nicht bei Vergil, sondern Prop. 3,17,35 steht. Der rhetorische Prosopopoiiencharakter der Patriaerscheinung ist zutreffend beurteilt schon etwa von W.-LB. z.St.; M. P. O. Morford 78; D. Gagliardi 88 Anm. 42.

118

Zweiter Teil 2.2.2.2.

Caesar wird, so heißt es dann weiter in aß (l,192ff.) von Furcht erschüttert, seine Haare sträuben sich, er bleibt stehen. Dies alles ist die topische Reaktion auf das Tremendum einer überirdischen Erscheinung 15 . Doch Caesar verharrt nicht schweigend, l,195ff.: 195 mox ait: ,o magnae qui moenia prospicis urbis Tarpeia de rupe Tonans Phrygiique penates gentis Iuleae et rapti secreta Quirini et residens celsa Latiaris Iuppiter Alba Vestalesque foci summique o numinis instar 200 Roma, fave coeptis. non te furialibus armis persequor: en, adsum victor terraque marique Caesar, ubique tuus (liceat modo, nunc quoque} miles, ille erit, ille nocens, qui me tibi fecerit hostem. ' Caesar antwortet zunächst mit einer Apostrophe römischer Gottheiten und Sakralinstitutionen. Eine besonders enge Parallele dazu steht in der feierlichen Schlußpassage von Ovids Metamorphosen, 15, 861-867. Hier wie dort werden Iuppiter Capitolinus, die Penaten, Quirinus, Vesta angerufen. Hier wie dort wird auf die enge Beziehung zwischen bestimmten der angesprochenen Götter und dem Iulier, um dessentwillen sie angerufen werden, hingewiesen. Es gibt auch gewisse Unterschiede. Entscheidend aber ist, daß Caesars Invokation ebenso wie das nahestehende Ovidische Gebet nur als Passus von solennem Ernst aufgefaßt werden kann 1 6 . Caesar setzt sich also nicht in frivoler oder brüsker Weise über die Worte der Patria hinweg; er wird nicht als impius gezeichnet. Er bittet sogar die Göttin Rom, natürlich aber gleichfalls die anderen angerufenen Gottheiten, um Beistand bei seinem Beginnen. Und weiter beteuert Caesar, nicht als Roms Feind zu kommen. Er sieht sich als den überall siegreichen Soldaten Roms, der er auch jetzt noch sein möchte. Wenn femer die paraphrasierten Verse l,201f. wie die Anrede der „phrygischen Penaten des Iulischen Geschlechts" l,196f. Ausdruck der engen Verbundenheit Caesars mit Rom sind, so ist damit der Versuch einer Rechtfertigung für den Einmarsch nach Italien angedeutet. Ein Hinweis auf die undankbare Feindschaft, mit der Caesar begegnet wird, und da15

Zur Topik: Ilias 24,170; Sophokles, Oidipus Kol. 1624f.; Verg. Aen. 2,774; 4,279f.; Liv. 1,16,6; Ov. fast. 3,331 mit F. Börner z.St.; Quintus Smyrnaeus 3,597ff. 16 An der Ernsthaftigkeit der Ovidpassage ist nicht zu zweifeln; wichtig zur Beurteilung Ov. trist. 2,65f.; 2,561f. Anders als Ovid beginnt Lucans Caesar mit der Anrufung des Iuppiter Capitolinus (danach wohl Petron. 122,156) und endet vor der Patriaapostrophe mit der Anrufung der Vesta. Gerade das ist eine auch sonst zu belegende Gebetsform: Cic. dorn. 144; Veli. 2,131,1; Beginn mit der Anrufung Iuppiters Sil. 10,432fT. Der Beschluß eines Gebets mit der Anrufung Vestas ist nach Cic. nat. 2,67 das Übliche. S. auch A. S. Pease im Kommentar (Cambridge 1958) z.St.; F. Börner zu Ov. fast. 6,304. Ähnlich wie Ov. met. 15,861ff. beginnt Caesars Gebet Lucan. 9,990ff. - Roma fave (Lucan. 1,200; 8,322) steht bereits Prop. 4,1,67.

Zweiter Teil 2.2.2.2.

119

mit wiederum die Andeutung eines Rechtfertigungsversuchs liegt in der Parenthese 1,202. Ein anderer Ton erklingt dann freilich in der Schlußzeile 1,203: „Der, der wird schuldig sein, der mich dir z u m Feind m a c h t . " Wer der ille ist, der in der Zukunft Caesar mit Rom verfeinden kann, bleibt ungesagt. Pompeius kann es sein, muß es aber nicht sein; die Frage ist ohne Gewicht. Wichtig ist jedoch, daß die zuvor auf verschiedene Weise hervorgehobene enge Verbindung Caesars mit Rom nicht unzerreißbar ist, sondern vom Wohlverhalten der Gegner abhängt. Caesar ist nicht bereit, das Wohl des Vaterlandes prinzipiell über seine eigenen Interessen zu stellen I 7 . Der behandelte Passus dürfte mit einem Blick auf die Worte des Polyneikes in den Euripideischen Phoenissen 6 2 6 - 6 3 2 abgefaßt sein; in dem Tetrameter 629 hat Caesars Schlußsentenz 1,203 eine recht genaue Parallele. Der wichtigste Gedanke des Polyneikes, daß er gezwungen, unfreiwillig gegen seine Vaterstadt zieht, fehlt jedoch bei Lucan 1 8 . Mit voller Absicht läßt er seinen Caesar sich weniger geschickt verteidigen, als es möglich wäre. Offenbar soll Caesar durch seine Replik nicht ins Recht gesetzt werden. Der Vers 1,203 erscheint in weit stärkerem Maße als das Euripideische Pendant als Ausdruck staatsfremder Autozentrik. Daß Caesar ein Unrecht begeht, wenn er dem hue usque licet der Patria keine Folge leistet, kann dem Leser nicht zweifelhaft sein. Aber das ist nur der eine Aspekt des Bildes, das Lucan in der Erscheinungsszene von Caesar zeichnet. Die Worte der Patria sind bemerkenswerterweise nicht zu einer ausführlichen und eindringlichen Anklage gegen Caesar erweitert, der auch nur zusammen mit seinen Soldaten angeredet wird. Und Caesars Antwort läßt in dem Feldherrn immerhin einen Römer erkennen, dem eine ehrfürchtige Bindung an Rom nicht abgeht; keineswegs hat Caesar es auf Roms Zerstörung abgesehen. Es fehlt auch nicht jegliche Erwähnung feindlicher Nötigung, mag dieser Gedanke auch sehr in den Hintergrund treten. Diese Züge in Caesars Replik sind nicht als Heuchelei abzutun 1 9 . Kurzum: Lucan setzt Caesar zwar ins Unrecht, 17

Vgl. zur Deutung von 1,203 auch P. Grimal, Le poète 60, der es ebenfalls ablehnt, den ille mit einer bestimmten Person zu identifizieren. " Aber charakteristischerweise nicht in der Rede von Petrons Caesar 122,156-160, der anscheinend dieselbe Euripidesstelle verwertet. Daß der Krieg zwischen Caesar und Pompeius an die Phoenissen denken ließ, ergibt sich aus Cic. Att. 7,11,1; off. 3,82, wonach Suet. Iul. 30,5. 19 Heuchelei oder Ironie finden in den Worten Caesars O. Schönberger, Nachtrag 495; M. P. O. Morford 78; E. Burck, Manierismus 53. Ein Beweis fehlt (Lucan. l,200f. ist von Morford nicht exakt genug erfaßt). Wenn Caesar heuchelt, dann macht Lucan das gern unmißverständlich klar. I. Opelt 447 Anm. 2. Die Art und Weise, in der P. Grimal, Le poète 56ff. das Gebet Caesars ernst nimmt, überzeugt allerdings ebenfalls nicht. Gewiß verkehrt ist Grimais Annahme, die Apostrophe „Tonans" Lucan. 1,196 gelte dem Iuppiter Tonans, dem Augustus einen Tempel gebaut hat. Denn Tonans ist bei Lucan (1,35; 2,34 usw.) wie bei anderen Dichtern eine übliche Antonomasie für Iuppiter, Und kann nach der Anlage des Gebets nur den Iuppiter Capitolinus bezeichnen. Vgl. oben Anm. 16. Richtig schon W.-LB. z. St.

120

Zweiter Teü 2.2.2.3.

vermeidet aber doch, ihn als Alleinschuldigen und rein negative Persönlichkeit hinzustellen. 2.2.2.3. Die kriegsbegründende Überschreitung des Rubico: Lucan.

1,204-230

Die Szene a, die Begegnung Caesars mit der Patria, ist in einer Weise gestaltet, die nicht rein traditionell-episches Gepräge hat. Die Partie b setzt demgegenüber mit der Verwendung eines typisch epischen Stilmittels ein, eines breit ausgeführten Löwengleichnisses, l,204ff.: inde moras solvit belli tumidumque per amnem 205 signa tulit propere: sicut squalentibus arvis aestiferae Libyes viso leo comminus hoste subsedit dubius, totam dum colligit iram; mox, ubi se saevae stimulavit verbere caudae erexitque iubam et vasto grave murmur hiatu 210 infremuit, tum torta levis si lancea Mauri haereat aut latum subeant venabula pectus, per ferrum tanti securus volneris exit. Der Vergleich mit einem Löwen ist seit Homer das bedeutsamste und bevorzugt das einleitende Gleichnis in der heroischen Aristie 20 . Von den zahlreichen Löwengleichnissen der griechisch-römischen Epik steht der Lucanpassage keines so nahe wie das Iliasstück 20,164ff. und dessen Imitation Verg. Aen. 12, 4ff. In der Ilias wird Achilleus, der an dieser Stelle erstmals handelnd in die Schlacht eingreift und auf Aineias trifft, geschildert. Hier findet sich wie bei Lucan die geduckte Haltung des Raubtiers, das Peitschen mit dem Schweif zur Selbstaufreizung, die Verwundung durch einen Wurfspeer, das letztere freilich in einem anderen Stadium des Vergleichsvorganges. Wenn die Nachahmung gerade dieses Homerischen Bildes das 12. Buch der Aeneis eröffnet, so hat das seinen guten Sinn. Turnus, der italische Achilles (Aen. 6,89; 9,742), entschließt sich in dem Passus zum Zweikampf mit Aeneas. Aber die Monomachie des alter Achilles mit Aeneas endet mit der Niederlage des Turnus. Die Uiashandlung wird wiederholt und korrigiert. Bei Vergil fehlen nun freilich das subsidere des Raubtiers und die verbera caudae. Statt dessen gibt es jedoch 20 Aus der Fülle der Materialien seien einige bezeichnende Stellen herausgegriffen. In der Ilias wird Diomedes zu Beginn seiner Aristie zweimal kurz hintereinander mit einem Löwen verglichen: 5,136ff.; 5,161ff.; das erste Gleichnis in der Dolonie ist ein Löwenvergleich, 10,297f., ebenso das erste Gleichnis in der Aristie des Agamemnon ll,113ff. und in der des Sarpedon 12, 293 ; 299ff. Aufschlußreicher als vieles andere, was sich noch aus späterer Epik anführen ließe, ist der Löwenveigleich Ov. fast. 2,209f., der einzige in dieser überhaupt an Vergleichen armen Dichtung. Er steht in der Erzählung vom Untergang der Fabier, die sich durch ihre epische Formung aus der elegischen Fastendichtung heraushebt. Dazu R. Heinze, Ovids elegische Erzählung 339f.

Zweiter Teil 2.2.2.3.

121

manche anderen unhomerischen Berührungspunkte mit dem Vergleich Lucans: der Vorgang ist nach Afrika verlegt, der Löwe schüttelt seine Mähne und brüllt, Aen. 12,4ff.: Poenorum qualis in arvis 5 saucius ille gravi venantum vulnere pectus tum demum movet arma leo gaudetque comantis excutiens cervice toros fpcumque latronis impavidus frangit telum et frem it ore cruento. Man darf vermuten, daß der Vergilkenner Lucan das Vergilische Gleichnis mit dem Homerischen Vorbild vereint hat 21 . In dem ersten Vergleich des Pharsaliageschehens erscheint Caesar somit als ein „achilleischer" Heros; das harmoniert sehr gut mit der Charakteristik, die Lucan l,143ff. gibt. Sollte darüber hinaus Lucans Löwengleichnis durch die Evokation der Homerisch-Vergilischen Widersacher des Aeneas ebenfalls Caesar als eine Art „Gegen-Aeneas" zeichnen? In einer Szene, in der Caesar sich über das Gebot der Patria hinwegsetzt, wäre das sehr passend. Aber vielleicht ist die literarische Beziehung des Lucanabschnitts zu seinen Vorbildern mit dieser Ausdeutung überfordert. Der Pharsaliakontext, in welchem die Vergleichspassage steht, ist für ihr adäquates Verständnis nicht minder wichtig als die literarische Tradition. Offenbar entsprechen nämlich die zwei Hauptstadien der Vergleichshandlung recht genau dem Verhalten Caesars. Wenn der Löwe sich an den Boden preßt und dabei seine eigene Wut anstachelt, so ist das dem Stehenbleiben und der Selbstrechtfertigung Caesars analog; das Pendant zum schnellen Vorrücken Caesars bildet das wilde Ausbrechen des Löwen, der Gipfelpunkt des Vergleichs22. Das Gleichnis gehört also zwar primär zu dem moras solvere von I Ab, illustriert aber auch Caesars Verhaltensweise in I Aa. Mit dieser Ambivalenz deutet der Abschnitt zugleich auf die gesamte Antithetik voraus, welche in verschiedenen Modifikationen jeden der drei folgenden Abschnitte I Α Β C bestimmt. 21

Bereits W. Rutz, Diss. 137f.¡ F. König, Diss. 7f.; M. v. Albrecht 286f. haben Lucan. l,205ff. als Reminiszenz von Veig. Aen. 12,4ff. interpretiert. Coripp hat die Vergil- und die Lucanstelle zusammen assoziiert. Denn er entlehnt in dem Löwengleichnis loh. S,232ff. von Lucan vornehmlich loh. 5,233f. stimulis et verbere caudae I... suscitât iras /, von Vergil dagegen venantum (loh. 5,232) und ore fremens frangitque ... viros (loh. 5,235). Die Ähnlichkeit des Lucanischen Gleichnisses mit dem angeführten Homerischen ist besonders von A. Klien 133f. betont worden. In mancher Hinsicht berührt sich mit der Lucanpassage auch Sen. Oed. 919ff. 22 Ähnlich F. König, Diss. 7; 133f. Es ist verführerisch, das v/so hoste (1,206) als Gleichnisausdruck für die Patriaerscheinung aufzufassen, und vielleicht ist diese Deutung sogar bis zu einem gewissen Grade richtig. Nur wird man auf Caesars Verhältnis zui Patria daraus keine Schlüsse ziehen dürfen. Denn der hostis des Vergleichs ist offenbar mit dem Mauren 1,210 identisch, der als Jäger den Löwen bedroht, ganz entsprechend der Gleichnissituation bei Homer und Vergil; diese aggressive Haltung des hostis ist schlecht mit'dem trepidare der Patria zu vereinbaren. Der „Feind" gehört somit in das traditionsbestimmte Eigenleben des Gleichnisses.

122

Zweiter Teil 2.2.2.3.

Nach dem Löwengleichnis wird die hochepische Darstellungsweise aufgegeben. Lucan versagt es sich, den Übergang über den Rubico als ein Ringen zwischen Heros und Fluß darzustellen, wie es die Auseinandersetzung zwischen Achilleus und Skamander nahelegen konnte, die in der Ilias wenige hundert Verse nach dem besprochenen Löwenvergleich geschildert wird 23 . Caesar ist bei der eigentlichen Flußüberschreitung in der Pharsaliahandlung überhaupt nicht präsent. Statius scheint empfunden zu haben, wie unepisch diese Gestaltungsart ist. Er schließt sich nämlich Theb. 7 , 4 2 4 - 4 4 0 , wo er den Übergang des argivischen Heeres über den Asopus beschreibt, offenkundig an Lucan. 1,213—222 an. Aber die Mannschaft überschreitet bei dem Lucannachahmer nicht anonym den Asopus. Vielmehr stürzt sich zunächst der wilde Hippomedon mit seinem Roß in das Wasser und fordert die übrigen mit pathetischem Ausruf zum Folgen auf 2 4 , dann erst kommt das Heer. Lucan lenkt den Blick auf die Gestalt Caesars erst wieder, nachdem der Fluß überwunden ist, by, l,223ff.: Caesar, ut adversam superato gurgite ripam attigit, Hesperiae vetitis et constitit arvis, 225 ,hic' ait ,hic pacem temerataque iura relinquo; te, Fortuna, sequor, procul hinc iam foedera sunto; credidimus satis his; utendum est iudice bello. ' Die Entscheidung zum widerrechtlichen Krieg ist gefallen. Was mit der an 1,194 erinnernden Formulierung adversa ripa und mit vetita arva angedeutet wird, spricht Caesar selbst klar aus. Zum ersten Mal in der Pharsalia wird jetzt auch der Begriff der Fortuna verwendet, die Caesar programmatisch als seinen Leitstern apostrophiert. Das Bündnis, die foedera regni (1,4; 86) zwischen Pompeius und Caesar, wird als überholt beiseitegeschoben 25 . Nunmehr muß der 23

Daß der Rubico geschwollen war, ist sonst nicht bezeugt. W.-LB. Ob der geschwollene Skamander Ilias 21,233ff. hinter Lucans Flußbeschreibung steht? Dann wäre die unheroische Art des Flußübergangs noch auffalliger. Die Verwendung der Reiterei zur Brechung der Strömung bei Flußdurchquerungen ist römische Kriegstechnik. Caes. Gall. 7,56,3f.; Veg. mil. 3,7. 24 Hippomedon wird Theb. 9,225 ff. gegen den Ismenus kämpfen. Ähnlich die Bedrängnis Scipios durch die Trebia Sil. 4,649ff. und die Bedrängnis des Dionysosheeres bei der Durchquerung des Hydaspes Nonnos, Dionysiaka 23,162ff. Alles natürlich nach Achilleus - Skamander. Auch dies lehrreiche Folien zu Lucans Vermeidung der Homerimitation. " Die Textgestalt von Lucan. 1,227 nach A. E. Housman. Überliefert ist am Anfang des Verses: credidimus fatis. Housmans Konjektur wird allgemein abgelehnt: Ed. Fraenkel, Rez. 510; W.-H. Friedrich 414f.; W. Rutz, Diss. 168f.; W.-LB. z.St.; M. P. O. Morford 79 Anm. 2; E. Burck, Manierismus 83 Anm. 89. Aber das tradierte fatis fügt sich bei genauer Betrachtung sehr schlecht in den Zusammenhang. Lucans Caesar betont die Gegenwärtigkeit seiner Entscheidung: hic ... hic ... hinc. Hier und jetzt fällt auch der Entschluß, Fortuna zu folgen. Die Aussage „wir haben (schon früher) dem Geschick vertraut" steht dazu in offenkundigem Widerspruch; denn in dem fatis credere ist ein Fortunam sequi involviert. Der gewichtigste Versuch, dem Überlieferten einen Sinn abzugewinnen, stammt von W.-H. Friedrich: Die fata seien die Zeichen, die Caesar „irgendwann in der Vergangenheit, also vor oder soeben bei der Überschreitung des Rubico zuteilgeworden" seien. Die Inter-

Zweiter Teil 2.2.2.3.

123

Krieg das Urteil über die beiderseitigen Ansprüche fállen. Weist Caesar auch auf einen Rechtsbruch der Gegenpartei als Entschuldigung für sein militärisches Vorgehen hin? Die temerata iura werden in diesem Sinne interpretiert. Aber die Formulierung ist nicht ganz eindeutig. Es könnte auch gemeint sein, daß das Recht durch die Rubicoüberschreitung verletzt ist und Caesar sich deshalb nicht mehr darauf berufen kann 26 . Wie in der Antwort Caesars an die Patria 1,195-203, so fehlt also gleichfalls in Caesars Worten 1,225-227 eine entschiedene Rechtfertigung des Angreifers. Caesar erscheint mit seiner Ablehnung von pax, iura und foedera, mit seiner Wahl von Fortuna und bellum wiederum als rechtsbrecherischer Aggressor. Andrerseits liegt in dem doppelsinnigen Ausdruck temerata iura, in der bloßen Erwähnung der foedera, die an die notwendige Rivalität der beiden Kontrahenten gemahnt, schließlich in der Bemerkung über Caesars hinreichend langes Vertrauen auf die foedera wiederum auch eine gewisse Anspielung auf die Mitschuld des Pompeius. Es geht kaum an, diese entlastenden Momente als heuchlerische Selbstverteidigung des Sprechenden zu deuten. Denn Caesar äußert sich in einem Selbstgespräch, ohne ein mithörendes Gegenüber, das zur Unaufrichtigkeit veranlassen könnte. Daß Lucan seinem Caesar auch noch nach der Durchquerung des Rubico eine wörtliche Rede in den Mund legt, beruht auf vergilischer Inspiration 27 . Das vergilische Element ist aber keine bloße Imitation, sondern dient sehr sinnvoll dazu, Fäden des diffizilen Geflechts von Kriegsentschlossenheit und Rechtsbruch Caesars und partiell entschuldigenden Momenten herauszuheben. Die imitatorischen und inhaltlichen Beweggründe sind stark genug gewesen, den Dichter zum Abweichen von der historischen Tradition zu veranlassen. Denn sie kennt zwar Aussprüche und Erwägungen Caesars vor der Flußüberschreitung, aber nicht danach. An die Überlieferung knüpft Lucan dagegen wieder an, wenn er in einem Vergleich die Schnelligkeit von Caesars weiterem Vorrücken veranschaulicht; nach Plutarch Caesar 32,8 und Appian b.c. 2,35,141 ist Caesar im Eilmarsch, δρόμφ, gegen Ariminum gezogen. Das Bild, das Lucan gebraucht, hat an sich traditionellen Charakter, l,228ff.: sie fatus, noctis tenebris rapit agmina ductor impiger, et torto Balearis verbere fundae odor et missa Parthi post terga sagitta. Die zweite Hälfte des Hexameters Lucan. 1,229 ist Verg. georg. 1,309 entlehnt 28 . Eine Verdoppelung der Vergleichsgegenstände ist für die Geschwinpretation ist schwerlich richtig. Erstens leuchtet wenig ein, daß Lucan auf positive Ostenta anspielen sollte, die er nicht erwähnt, von denen er vielmehr das Suet. Iul. 32 Berichtete geradezu ins Gegenteil verkehrt Zweitens gibt es in der Pharsalia trotz Thes. VI l,356,74ff. keinen einwandfreien Beleg für bloßes fata in der Bedeutung „Vorzeichen" o. ä. 26 So P. Grimal, Le poète 64. Die andere Deutung bei W.-LB. z. St. 27 Dazu oben 2.2.2.1. " W.-LB. z. St. Allerdings scheint bei Lucan die Bedeutung von verbere fundae gegenüber Verg. georg. 1,309 stuppea ... Balearis verbera fundae verschoben.

124

Zweiter Teü 2.2.3.1.

digkeitsgjeichnisse Vergüs charakteristisch, mit denen die Lucanpassage sich auch sonst in der Pfeilthematik und im Ausdruck berührt 29 . Bei Lucan wirkt allerdings das ganze Gleichnis sehr stark, da mit ihm sonst weit größere Geschwindigkeiten verdeutlicht werden als die eines vorwärtsmarschierenden Heeres. So endet die gesamte Rubicoszene mit einer hyperbolischen Vergegenwärtigung von Caesars Schnelligkeit wie sie mit einer ahistorischen Darstellung seiner Schnelligkeit begonnen hatte. 2.2.3.

Caesar in Ariminum: Lucan.

1,231-295

2.2.3.1. Caesars Einmarsch und die klagenden Lucan. 1,231-261

Ariminenser:

Während die Gestalt Caesars die nächtliche Szene I A allein beherrscht, werden in I Β (1,231-295) Personen in den Vordergrund gerückt, die auf Caesars Handeln reagieren oder ihn zu beeinflussen suchen, beidemal mit einer (Art) Rede. Caesar bleibt anders als in I A stumm. Die Szene I Β ist, wie schon bemerkt wurde und auch leicht erkennbar ist, zweigliedrig. Die erste Partie I Ba, in der die Ariminenser die Hauptrolle spielen 30 , hat eine wohlponderierte Gliederung: IBaa

1,231—243 a ß' y'

β a ß' 7'

Unerkannter Einmarsch Caesars in Ariminum und Störung der Friedensruhe Caesar marschiert bei zögerndem Sonnenaufgang ein (zugleich Einleitung der ganzen Partie I B) Die Militärsignale ertönen auf dem Forum

1,231—235 (5 Verse) 1,236-238 (3 Verse) 1,239—243 ' Die Ariminenser greifen aufgeschreckt zu ihren (5 Verse) verrotteten Waffen 1,244—261 Stumme Klage der Ariminenser 1,244—247 Die Ariminenser klagen stumm nach Erblicken des (4 Verse) römischen Heeres 1,248-257 Der Inhalt der Klage in wörtlicher Rede (9 1/2 Verse) 1,257—261 Das Schweigen der Klagenden im Vergleich mit der (ca. 4 Verse) Winterstille

29 Zwei Vergleichsgegenstände im Geschwindigkeitsgleichnis: Verg. Aen. 5,242 Noto citius volucrique sagitta; 5,319; 10,248 odor et iaculo et... sagitta; 11,616; Lucan. 5,405; Coripp. loh. 6,593f. Nachleben der Technik bei Ariosto, Orlando furioso 6,18,7f. Nachvergilische Autoren brauchen auch mehr Vergleichsgegenstände: Ov. met. 7,776ff.; Sen. Phoen. 428ff. sagitta qualis Parthica eqs.; Sil. 15,569ff. Ein einziger Vergleichsgegenstand ist in dieser Gleichnisart anscheinend weniger beliebt: Verg. Aen. 8,223; 12, 856f. non secus ac ... sagitta I ... Parthus quam (torsit); Ov. met. 10,588 sagitta. 30 Die Lucanszene „Caesarin Ariminum" hat in neuerer Zeit W. Menz, Diss. 26ff. ausführlich behandelt; auf den Aufbau der Szene und ihr Verhältnis zur epischen Tradition geht Menz nicht näher ein.

Zweiter Teil 2.2.3.1.

125

Die sonstige Überlieferung bezeugt fast nur das reine Faktum von Caesars Einzug in Ariminum. Vermutlich sind die meisten Elemente der Lucanischen Darstellung in I Ba vom Dichter erfundene Colores. Hier, wo Lucan wahrscheinlich frei gestaltet, ist die Gelegenheit besonders günstig, seine Deutung des Bürgerkriegsgeschehens richtig zu erfassen. Es handelt sich nämlich um einen überaus wichtigen Vorgang: den ersten Erfolg Caesars und die erste Besetzung einer italischen Stadt. Der Dichter selbst weist in αα' auf die Bedeutung des Geschehens hin. Der Abschnitt beginnt, wie auch sonst gelegentlich bei Lucan, nicht mit einem geschlossenen Satz 31 , wenn es von Caesar heißt, 1,23Iff.: vicinumque minax invadit Ariminum, et ignes solis lucifero fugiebant astra relicto, iamque dies primos belli visura tumultus exoritur; sed sponte deum, seu turbidus Auster 235 inpulerat, maestam tenuerunt nubila lucem. primi belli tumultus nennt Lucan also, was er im Folgenden beschreiben will. Daß die Morgensonne die Wolken im Gegensatz zu dem üblichen ungehindertstrahlenden Sonnenaufgang des Epos nicht durchbrechen kann, ist natürlich eme Art kosmischer Sympathie mit dem schlimmen Schicksalstag32. Als dann die non pia ... classica (1,238) ertönen, versucht das Volk von Ariminum sich zur Wehr zu setzen, γ', l,239ff.: rupta guies populi stratisque excita iuventus 240 deripuit sacris ad fixa penatibus arma quae pax longa dabat: nuda iam crate fluentis invadunt clipeos curvataque cuspide pila et scabros nigrae morsu robiginis enses. 31 S. den Sachindex. Vielleicht ist die Abgrenzung der Rubico- gegenüber der Ariminumszene nicht ohne weiteres einleuchtend; denn es gibt ja auch den Versuch, den Hexameter 1,227 (W.-LB. 6) oder 1,232 (W. Rutz, Diss. Ausz. 162) als Abschlußvers anzusetzen. Eine kurze Zusammenfassung der Gründe, die für den vorgeschlagenen Einschnitt sprechen, mag daher angebracht sein. Er wird der Trennung von Nacht und Tag gerecht, wozu auch unten 3.3.1 Anm. 21. Er markiert den Unterschied zwischen Caesars und seiner Leute einsamem Handeln und ihrer Berührung mit der italischen Bevölkerung. Er entspricht den von Lucan offenbar intendierten Strukturbeziehungen. Denn der Gesamtaufbau von I (1,183-391) läßt eine Vergil modifizierende Verteilung je zweier Gleichnisse auf Α Β C als beabsichtigt erscheinen (dazu oben 2.2.1, besonders das Ende); und der Rekurs des Beginns von Lucan. 7 auf die Ariminumszene (vgl. dazu den Dritten Teil 2.3.2) indiziert, daß für Lucan der Sonnenaufgang den Einsatzpunkt des Ariminumabschnitts darstellt. 32 Ungehinderter Sonnenaufgang bei Lucan selbst vor allem 2,719ff. (723 puri ... caeli); 3,5 21f. Vgl. im allgemeinen zu der Thematik die Zusammenstellung von M. Brauneiser Iff. passim, die S. 179 mit Recht die meteorologische Erklärung l,234f. als charakteristisch hervorhebt. Nützliche Materialsammlung auch bei H. Bardon, L'aurore et le crépuscule, REL 24, 1946, 82-115. Lucan. l,223ff. wird von Petron 122,181f. ins Gegenteil verkehrt: ipse nitor Phoebi vulgato laetior orbe / crev it eqs. In denselben Vorstellungskreis wie die Lucanstelle gehört Hör. sat. l,9,72f.: huncine solem / tarn nigrum surrexe mihi.

126

Zweiter Teil 2.2.3.1.

Der von Kriegstrompeten ungestörte Schlaf und die verkommenen Waffen sind alte topische Elemente der Beschreibung tiefsten Friedens. Der Lucanpassus erinnert besonders an die Beschreibung des Friedenszustandes bei Bacchylides frg. 4,3Iff· 3 3 · Die Lucanpassage α endet also damit, daß ein idyllischer Frieden als gestört dargestellt wird. Die jähe Beseitigung der R u h e in ay' ist ein erklärendes Pendant zu der traurigen Düsterkeit des Morgenhimmels in a a und bedeutet einen ersten Abschluß innerhalb von a: jetzt ist auch für Italien der Krieg ausgebrochen. Zugleich aber verdeutlichen die Verse 1,239—243 die Hilflosigkeit der Ariminenser und bereiten damit ihre folgende Klage vor. Daß es Römer unter Caesars Führung sind, die in Ariminum stehen, enthüllt sich den Bewohnern der Stadt am Beginn von ßa. Sie reagieren mit erschrecktem Schweigen. Die Stille beschreibt Lucan in den beiden Partien ßa und ßy', die das Selbstgespräch umrahmen, auf sehr nachdrückliche Weise. Die letzten zwei Zeilen von ßa lauten, 1,246f.: deriguere metu, gélidos pavor occupât artus et tacito mutos volvunt in pectore questus. Dem entspricht dann ßy', l,257ff., wo das Schweigen eine ungewöhnliche Veranschaulichung erfährt: gemitìi sic quisque latenti non ausus timuisse palam: vox nulla dolori eredita, sed quantum, volucres cum bruma coercet, 260 rura silent, mediusque tacet sine murmure pontus, tanta quies. Furchtsames Verschweigen der eigenen Gedanken und Empfindungen ist Art einer Untertanengruppe im Verhältnis zu ihren Herren 34 . Die Ariminenser haben sich also Caesar, kaum daß sie ihn gesehen haben, unterworfen. Leisten sie wenigstens in ihrem Innern sozusagen geistigen Widerstand? Das Selbstgespräch ßß' erfordert eine kurze Analyse 35 . Es ist triadisch gebaut. 33 Tibull. 1,1,4; l,10,49f., mit dem Kommentar von K. F. Smith zu beiden Stellen; zum Vorstellungskreis „verkommene Waffen" ferner Odyssee 22,184ff.; Ov. fast. 4,925ff. mit F. Börner z. S t ; Nonnos, Dionysiaka 38,14. 34 Vgl. etwa Octavia 51 If.; Stat. Theb. 2,480f.; Quintus Smyrnaeus 2,63ff.; 14,385ff. 35 Das fast 10 Verse umfassende Selbstgespräch ist unvergilisch und paßt auch nicht recht zu Homers Technik, aber es ist doch nicht ganz ohne Entsprechung in der vorlucanischen Epik. Dazu einige kurze Bemerkungen: Die Reden anonymer Mengen oder Personen gehen bei Homer nie über 6 Hexameter hinaus; Details bei C. Hentze, Die Chorreden in den homerischen Epen, Philologus 64, 1905, 254 - 2 6 8 . Apollonios Rhodios hält sich aber nicht streng an den homerischen Umfang solcher Reden: l,242ff. (5 Verse); 2,145ff. (9 Verse); 4,1251ff. (8 Verse); 4,1458ff. (3 Verse). In Vergils Aeneis gibt es keine ganz einwandfreien Beispiele für anonymes Sprechen, nach H. Juhnke 115 Anm. 272. Ovid benutzt dann einigemal in den Metamorphosen anonyme Sprecher, um Erzählungen in einen Rahmenbericht

Zweiter Teil 2.2.3.1.

1,248—251

1,251—253 1,254-257

127

Klage über das gegenwärtige Unglück, das sich aus Ariminums Lage ergibt (Schlußsatz l,250f. nos... prima . . . castra sumus) Irrealer Wunsch, lieber im Osten oder im hohen Norden zu wohnen oder nomadisierend zu leben Klage über das vergangene Unglück, das sich aus Ariminums Lage ergeben hatte (Anfangssatz 1,254 nos primi eqs.)

Die beiden äußeren Partien bilden inhaltlich und formal unter chiastischen Wortbeziehungen einen Rahmen. Der erste Abschnitt 1,248-251 knüpft außerdem an 1,239-243 an und betont so noch einmal die Vorstellung der bisherigen Friedensidylle, l,249f.: pax alta per omnes et tranquilla guies

populos.

Nichts als der Wunsch nach Frieden und Ruhe ist es dementsprechend, der die Vorstellungen des ariminensischen Volkes bestimmt. Lucan bringt das dem Leser in sehr eindringlicher Gestaltungsweise zum Bewußtsein, nicht zuletzt auch dadurch, daß er gerade in das Zentrum der ebenmäßig gebauten Partie Baß die Sehnsucht der Ariminenser nach einem weit entfernten Wohnsitz stellt36. Begeisterung für Pompeius oder die Furcht, Caesar könnte die republikanische Freiheit beseitigen, liegt den Einwohnern der Stadt ganz fern. Sie müßten sich unter den Segnungen des Prinzipats wohlfühlen, unter dem tardo . . . puer domifactus aratro miratur patriis pendentem sedibus ensem (Ecl. Eins. 2,30f.). In dieser sehr wahrscheinlich frei erfundenen Darstellung eines bedeutungsvollen Geschehens zeichnet Lucan somit eine italische Bevölkerung, die sich in die Neronische Zeit ganz einfügen würde. Caesar erscheint gewissermaßen in indirekter Beleuchtung als der furchterregende Friedensstörer.

einzuschalten, so 6,317ff.; 11,75Iff. (längere Ausführungen namenloser Personen in den Fasten: 2,395ff.; etwas anders 6,401ff.). Unhomerisch lange anonyme Reden bei Statius: Theb. l,173ff.; 4,826ff. Aus späterer griechischer Epik vgl. z.B. Quintus Smyrnaeus l,353ff.; 4,19ff.; Nonnos, Dionysiaka l,93ff. Im Prinzip richtig zum Lucanpassus schon R. Faust 24. Hermann Schnepf, Untersuchungen zur Darstellungskunst im 8. Buch der Pharsalia, Diss, (masch.) Heidelberg 1953, 106-109 führt besonders Parallelen aus der Geschichtsschreibung an. Literaturtheoretisches zu dem Punkt bei G.-B. Conte, La guerra, besonders 241ff. 36 Man wird an Hör. epod. 16,15ff. erinnert, wo ebenfalls der Wunsch ausgedrückt wird, fern von dem Bürgerkriegsgeschehen sein zu können. Der Vergleich mit Horaz verdeutlicht zugleich aber auch die besondere Intensität der von Lucan formulierten Sehnsucht nach Ruhe: der Wunsch der Ariminenser geht nicht auf arva beata, ihnen wäre schon ein hartes Nomadenleben lieber als der gegenwärtige Zustand.

128

Zweiter Teil 2.2.3.2.

2.2.3.2. Die formale Rechtfertigung Curio: Lucan.

Caesars und seine Aufhetzung

durch

1,261-295

Mit der gleichnishaften Veranschaulichung tiefster Ruhe schließt I Ba. Der Abschnitt I Bb bringt Bewegung. Der Gegensatz paßt zu dem, wie schon angedeutet, antithetischen Verhältnis von Ba zu Bb, das im Folgenden noch differenzierter darzustellen sein wird. Zuvor aber kurz zum Aufbau der Passage: IBba

1,261—265

Situationsschilderung nach Sonnendurchbruch und deutende allgemeine Themenangabe (Propositio): Aufreizung und nachträgliche Rechtfertigung Caesars

β

1,266—271

Ankunft der vertriebenen Tribunen und des näher charakterisierten — Curio

1,272-291

Curio und Caesar

a

1,272-273

Einleitung der Rede: Caesar in Sorge

ß'

1,273—291

Die anstachelnde Rede Curios

γ'

1,291—295

y

Erfolg der Rede: Caesar im Zorn, mit einem Pferd verglichen

Ein trauriger wolkenverhängter Morgen war in I Baa (1,231-235) beschrieben worden. In dem entsprechenden Passus I Bba sind die Schatten geschwunden, 1,26 Iff.: noctis gélidas lux solverai umbras: ecce faces belli dubiaeque in proelia menti urgentes addunt stimules cunctasque pudoris rumpunt fata moras, 265

iustos Fortuna laborat

esse ducis motus et causas invenit armis.

Lucan schickt der eigentlichen Darstellung die Deutung des Geschehens voraus und hebt dabei zwei Aspekte hervor. Der erste ist die Überwindung von Caesars Schwanken, die Beseitigung der morae. Der Terminus mora erscheint vorher in der epischen Erzählung nur noch am Anfang von I Ab, und zwar ebenfalls zur Verdeutlichung des energischen Kriegsentschlusses 1,204: inde moras

solvit belli (Caesar).

Das ist ein unübersehbares Zeichen für die homologe Funktion von I Ab (1,204230) und I Bb, lehrreich aber zugleich für die Unterschiede, die zwischen den beiden Passagen bestehen. In I Ab fällt Caesar aus sich heraus die Entscheidung zur Kriegseröffnung. In dem Gegenstück I Bb sind es äußere Gegebenheiten, die den Feldherrn vorwärtsdrängen, die fata. Der zweite Aspekt, auf den es Lucan ankommt, ist die Rechtfertigung von Caesars Vorgehen, die als verspätet und in Wahrheit kriegsirrelevant hingestellt wird; die motus sind ja bereits eingeleitet. So ist die „Rechtfertigung" nichts anderes als eine Manifestation von Caesars Glück.

Zweiter Teil 2.2.3.2.

129

Nach der allgemein gehaltenen Geschichtsinterpretation von I Bba werden in β die historischen Details dargeboten. Der Senat hat die caesarfreundlichen Tribunen aus Rom vertrieben. Das charakterisiert Lucan 1,267 mit vieto iure ausdrücklich als Rechtsbruch. Auf der anderen Seite hebt er 1,278 nicht minder hervor, daß Caesar seine kriegerischen Operationen bereits vorher eröffnet hat: iam mota ducis ... signa. Der Dichter hält sich also engstens an die in α entwickelte Konzeption. Mit den Tribunen kommt Curio, l,269ff.: audax venali. .. Curio lingua, vox quondam populi libertatemque tueri ausus et armatos plebi miscere potentes. Die Gestalt Curios fügt sich mit ihrer Lucanischen Charakterisierung37 gut in die Kategorien ein, unter denen Lucan im Proömium die Kriegsursachen darstellt. Die Bestechlichkeit des Redners paßt zu den Korruptionserscheinungen, die Lucan 1,158—182 unter den publica belli semina erwähnt; hier fällt 1,180 das Wort vom venalis campus. Auch die audacia Curios läßt sich in diese dritte Ursachengruppe einordnen: quod suasisset egestas, /vile nefas (l,173f.). Und wenn erstmals wieder nach 1,172 hier der Begriff libertas erscheint, so wird dem Leser erneut, wennschon unter etwas anderen Vorzeichen als in der dritten Ursachenpassage des Proömiums, die Fundamentlosigkeit der Freiheit in der ausgehenden Republik zum Bewußtsein gebracht, besonders nach der Lektüre der unmittelbar folgenden Rede: Curio, der ehemalige Schutz der Freiheit, ist ja nicht nur bestechlich, sondern der entschiedene Befürworter von Caesars Alleinherrschaft! Derselbe paradoxe Gegensatz zwischen Einst und Jetzt liegt in dem Hinweis beschlossen, daß Curio sich vormals für das Volk eingesetzt habe und daß er die Macht der armati potentes beseitigen wollte, also das regnum der domini, auf dem in dem mittleren Ursachenabschnitt des Proömiums besonderer Nachdruck liegt 38 . In der Charakteristik Curios sind somit noch einmal wichtige Momente gebündelt, in denen der Verfall der Republik seinen Schwerpunkt hat und die die Unausweichlichkeit des Bürgerkriegs erkennen lassen39. 37

Sie ist bis zu einem gewissen Grade konventionell wie Veli. 2,48,3f. lehrt Aber gerade die Frage, ob Curio sich habe von Caesar bestechen lassen, läßt Vellerns bewußt offen. Zur Rolle Curios am Bürgerkriegsbeginn im übrigen 2.2.1 Anm. S. 38 Dazu im Ersten Teil 1.3.4.2.2. Bei l,270f. ist am ehesten an Curios Tribunatsjahr 50 v.Chr. zu denken, in dem er forderte, daß beide Kontrahenten ihre Heere und Provinzen aufgeben sollten. In diesem Sinne interpretiert A. W. Lintott 491 Anm. 2. Mitschwingen mag aber auch der Gedanke an die entschiedene Gegnerschaft Curios gegenüber den Triumvirn, die unter Caesars erstem Konsulat zutagetrat. Dazu Ed. Meyer 80f.; hier 262 auch die Fakten von Curios Tribunat. Etwas anders zur Lucanstelle W.-LB. 39 In diesem Sinne zu Curio und dann zum Tribunen Laelius schon W. Menz, Diss. 38; 42; gut auch über Curio F. M. Ahl, Latomus 31, 1972, 1002. Der zum Krieg hetzende Curio, wie er von Lucan gezeichnet wird, hat auf Dante Eindruck gemacht: Inferno 28, 9 4 - 1 0 2 , wo Lucan. 1,281 zitiert wird.

9 Lebek (Hyp. 44)

130

Zweiter Teil 2.2.3.2.

Man kann in dem völligen Desinteresse, das die Ariminenser gegenüber der Bedrohung der Freiheit verraten, und der Abtrünnigkeit Curios von der Sache der Freiheit, zwei Seiten derselben Medaille sehen: der Wurzellosigkeit der Freiheitsidee. Im übrigen steht Curio aber in genauem Gegensatz zu den Bewohnern von Ariminum. Er ist eine namentlich bezeichnete und individualisierte kühne Einzelperson, er spricht zu Caesar, und sein Wunsch ist der Krieg. Die Rede, mit der Curio den sorgenerfüllten Feldherrn anstachelt, besteht aus zwei Hauptteilen, einem kürzeren und einem längeren, die durch jeweils ähnliche Anfänge markiert sind. Der erste Teil ß'a" 1,273—279 hat primär Curios vergangene Leistungen, seine gegenwärtige Lage und seine Zukunftsaussichten zum Thema, der zweite Teil ß'ß" 1,280-291 gilt dann Caesars eigenem Vorteil: a"

,dum voce tuae potuere iuvari Caesar,' ait,partes, quamvis nolente senatu 275 traximus imperium, tum cum mihi rostra tenere ius erat et dubios in te transferre Quirites. at postquam leges bello siluere coactae pellimur e patriis laribus patimurque volentes exilium: tua nos faciei victoria cives.

β" 280 dum trepidant nullo firmatae robore partes tolle moras: semper nocuit differre parotis. \par labor atque metus pretio maiore petuntur. ] bellantem geminis tenuit te Gallia lustris, pars quota terrarumf facili si proelia pauca 285 gesseris eventu, tibi Roma subegerit orbem. nunc ñeque te longi remeantem pompa triumphi excipit aut sacras poscunt Capitolia laurus: livor edax tibi cuncta negat, gentesque subactas vix inpune feres, socerum depellere regno 290 decretum genero est: partiri non potes orbem, solus habere potes. Die Zweiteilung der gesamten Rede ist unverkennbar. Aber auch die Partie ß" ihrerseits ist dyadisch gebaut. Geht es in den Versen 1,280—285 um die leichte Möglichkeit, sich durch Rom des orbis zu bemächtigen, so ist es im Abschnitt 1,286-291 die politische Notwendigkeit dazu, die im Vordergrund steht. Der Weltherrschaftsgedanke, der neben der Ausrichtung auf Caesars Nutzen die einigende Vorstellung von ß" ist, markiert den Schluß der zwei Argu-

40

Von den signalisierten Wörtern kommen dum und partes „(Gegen-) Partei" innerhalb von I Β (1,231-295), orbis innerhalb von I Bb (1,261-295) nur an den angegebenen Stellen vor.

Zweiter Teil 2.2.3.2.

131

mentationsabläufe dieser Partie40. So appelliert die gesamte Curiorede an immer vitalere Interessen Caesars, an Dankbarkeit (1,273-279), Ehrgeiz (1,280-285) und politischen Selbsterhaltungstrieb (1,286-291). Der Hinweis auf den bevorstehenden Erfolg krönt das Ende jedes der drei Appelle. Die Rede Curios ist eine überaus durchdachte Passage, die man nicht leicht zu intensiv interpretieren kann. Wenden wir uns nach diesem Überblick noch einmal dem Teil 1,273-279 der Ansprache zu. In 1,273 nimmt voce kontrastierend vox populi 1,270 wieder auf und verdeutlicht die charakterlose Wankelmütigkeit Curios, der jetzt Caesars Stimme ist. Sogleich der Anfang der Rede evoziert also weiterhin die publica belli semina (1,158—182). Für die völlige Verwirrung von Gesetz und Recht, die 1,175 -177 in allgemeiner Weise beschrieben wird, bietet Curios Wirken und Schicksal geradezu einen beispielhaften Beweis. Er hat ja die legalen Möglichkeiten gegen den Senat ausgenutzt, um den zukünftigen Autokraten zu unterstützen. Und um Curio zum Schweigen zu bringen, mußten erst die leges außer Kraft gesetzt werden. Mit der letzteren Feststellung wird deutlich auf den zweiten Aspekt der Propositio I Bba zurückverwiesen, auf die juristische „Rechtfertigung" von Caesars Angriff (l,264f.). Allein die Tatsache, daß dieser Gesichtspunkt auf die unterste Stufe der triadischen Motivierungsklimax beschränkt ist, würde genügen, ihn als unerheblich zu erkennen. Der Beginn des Caesarabschnitts ß" macht 1,281 mit tolle moras auf die Beziehung zum ersten Aspekt der Themenangabe I Bba aufmerksam, zum Durchbrechen jeglicher morae (1,263f.). Die hervorgehobene Einseitigkeit der Kriegsbereitschaft läßt über den Angreifer keinen Zweifel. Caesars Belange - und nicht etwa auch die seiner Soldaten — sind es im ersten wie im zweiten Teil von ß", die allein wichtig sind. Ausschließlich um Caesar geht es, wenn 1,286-289 der Undank geschildert wird, mit dem die Eroberung Galliens aufgenommen wird, ein Undank, den der Satz 1,289f. als Machenschaft des Pompeius erscheinen läßt. Die Feststellung, daß Pompeius die bisherige Teilung des regnum nicht mehr zulassen wolle, erinnert stärker noch als die Wendung armati potentes (1,271) an die Darlegungen des mittleren Ursachenabschnitts des Proömiums, etwa an 1,109: dividitur ferro regnum eqs. Die historische Konzeption, die in I Bb herrscht, deckt sich, wie sich gezeigt hat, mit der einleitenden Darstellung der causae. Caesar drängt zur Macht. Er steht jedoch nicht in einsamem Gegensatz zu den in seiner Zeit wirkenden Kräften. Wenn er schuldig ist, so hat er Mitschuldige in Männern wie Curio, aber auch - auf andere Weise - in seinem Gegenspieler Pompeius. Die Szene I Bb endet mit einem Vergleich, der die Wirkensart der Curionischen Rede und Caesars verstärkte Kriegslust veranschaulicht, ira steht 1,292 wie 1,207 im homologen Vergleich von I Aba. Mit Caesar verhält es sich wie mit einem Rennpferd, das schon von selbst ungebärdig in die Rennbahn strebt und nun zusätzlich noch durch Anfeuerungsgeschrei unterstützt wird. Das Bild knüpft im Prinzip an geläufige epische Vergleichskonzeptionen an. Ein exaktes

132

Zweiter Teil 2.2.4.1.

Vorbild aber fehlt 41 , und darüber hinaus gewinnt das Gleichnis einen individuellen Charakter durch den kontrastierenden Bezug auf das Bild, das die Pendantszene I Ba beschließt. Gegenüber dem Eindruck der Stille und Reglosigkeit, den die Verse 1,257-261 dem Leser vermitteln, wird 1,291-295 die Vorstellung unruhigen Dranges und lauten Geschreis erweckt. Die Antithetik von I Ba und I Bb die sich bereits zu Beginn der beiden Szenen in der verschiedenartigen Darstellung des Tageslichts ankündigt, ist so bis zum Ende beibehalten. 2.2.4.

Caesar und seine Soldaten: Lucan.

2.2.4.1. Die Rede Caesars: Lucan.

1,296-391

1,296-356

Der Abschnitt bedeutet innerhalb von I (1,183-391) den Höhepunkt; denn hier fallt die endgültige Entscheidung für den Bürgerkrieg. Die Anfeuerungsrede 1,299-351 ist bereits als Teil der letzten Entscheidungsszene gewichtig, darüber hinaus auch dadurch, daß sie überhaupt die erste große Rede Caesars ist 42 . Eine Gliederungsskizze läßt die Ponderierung des Dichters deutlicher sichtbar werden. Die Adhortatio ist von zwei kurzen schildernden Partien umgeben: ICaa

1,296-298 Zusammenrufung der Soldaten und Vorbereitung der Rede (zugleich Einleitung der gesamten Partie I C) 1,352—356 Der mangelnde Erfolg der Rede

ICa7

Die Rede selbst hat folgenden Aufbau: IC aß α' ß' γ' δ'

1,299-307

Der Undank, der Caesars Leuten und dem Feldherrn selbst widerfährt 1,307—313 Die Macht Caesars, der vom Kriegsglück begünstigt ist, und die Schwäche des Pompeius 1,314-335 Das regnum des Pompeius 1,336—340 Pompeius, der keine echten Kriegsleistungen aufzuweisen hat, als Gegner des siegreichen Caesar

41 Am ehesten scheint in der Epik vergleichbar Apollonios Rhodios 3,1259ff. (kampflustiges Pferd, das auf den Boden schlägt); später Quintus Smyrnaeus 7,317ff. (ein Pferd, das in die Laufbahn drängt, wird zurückgehalten, beißt in den Zügel usw.). Einiges Fernerstehende bei F. Börner zu Ov. met. 3,704ff. Dazu etwa noch Enn. ann. 514ff. mit M. v. Albrecht, Hermes 97, 1969, 333ff.; Val. Fl. 2,385ff.; Sü. 15,210ff. Daß das einzige Pferdegleichnis in der Aeneis auf Turnus gemünzt ist (ll,492ff., nach Ilias 6,506ff.; 15,263ff.), dürfte bei der Diskrepanz des Vergilischen und des Lucanischen Gleichnisses für die Interpretation der Pharsaliapassage ohne Bedeutung sein. Zum Gedanken von Lucan. l,291f. vgl. Ilias 22,186. 42 P. Grimal, Le poète 70ff. widmet dieser Adhortatio ausführliche Überlegungen; er versucht zu zeigen, daß die Rede der historischen Ansprache Caesars weitgehend ähnelt, kommt aber über Hypothesen kaum hinaus. Die letzten umfangreicheren Bemühungen um diese wie auch andere Reden der Pharsalia finden sich bei Wolfgang Tasler: Die Reden in Lucans Pharsalia (Habelts Dissertationsdrucke, Reihe Klassische Philologie 14), Bonn 1972.

Zweiter Teil 2.2.4.1.

e' ξ'

133

1,340-346 Wunsch nach Belohnung wenigstens für die Soldaten 1,347-351 Aufforderung zur Waffengewalt und Hinweis auf die Gottgefälligkeit der eigenen Sache

Der Abschnitt y ' stellt mit 22 Versen den weitaus größten gedanklich geschlossenen Passus innerhalb der Worte Caesars dar und bildet das Zentrum der gesamten Rede; vor ihm stehen 15, nach ihm 16 Hexameter. Die übrigen dem Zentrum jeweils vorangehenden und folgenden Partien schließen sich zu gedanklich homologen Paaren zusammen, so daß eine Omphalosstruktur entsteht 43 . Nur der Passus der gegenüber den begründenden Behauptungen und Klagen der vorangegangenen Partien die Aufforderung zur Aktion bringt, fügt sich in die Zentraltektonik nicht ein. Schematisch dargestellt sieht das Ganze so aus:

Bereits aus den kurzen Inhaltsangaben der Gliederung ergibt sich, daß die Ansprache in manchem an den zweiten Teil ß" (1,280—291) der vorausgehenden Curiorede anknüpft. Die Verbindung ist natürlich; wird Caesar doch erst durch die aufhetzenden Bemerkungen Curios dazu veranlaßt, vor die Soldatenversammlung zu treten. Die in den Partien a und e' der Caesarrede vorgetragenen Gedanken entsprechen den Versen 1,286—289, in denen der Undank betont wird, der Caesar für seine großen Taten erwartet, ß' und 5' erinnern in Caesars Adhortatio an die Behauptung von Caesars augenblicklichem militärischen Übergewicht, die 1,280—285 geäußert wird. Das mittlere Hauptstück γ ' der Anfeuerungsrede nimmt schließlich den Gesichtspunkt regnum (1,289-291) wieder auf; es verdient in diesem Zusammenhang angemerkt zu werden, daß dieses bedeutungsvolle Substantiv innerhalb der Verse 1,183—335 nur 1,289 im Munde Curios und in der zweiten und zweitletzten Zeile von I Caßy' (1,315; 334) erscheint, und zwar immer am Versende und in der ablativischen Form

regno. Deutlich wird die Beziehung der Caesarrede auf die Ausführungen Curios schon in dem Anfangssatz der ersteren, l,299f.:

,bellorum o sodi, qui mille pericula Martis mecum' ait ,experti decimo iam vincitis anno' eqs. Curio hatte l,283f. zu Caesar gesagt:

bellantem geminis tenuit te Gallia lustris pars quota terrarum. 43

Zum Ausdruck und seiner Provenienz vgl. V. Buchheit, Gnomon 36, 1964 , 47.

134

Zweiter Teil 2.2.4.1.

Gerade diese Zeilen lassen aber bereits einen wesentlichen Unterschied zwischen der Curiorede und der Adhortatio Caesars erkennen. Geht es in der ersteren überwiegend um Caesar und seinen Nutzen, so läßt Caesar selbst in der Begründung des Bürgerkriegs seine eigene Person stark zurücktreten und spricht allenfalls in gewissermaßen versehentlichen Andeutungen von den Vorteilen, die ihm selbst der Sieg im Bürgerkrieg bringen kann; statt dessen betont er seine Sorge um die Soldaten. Die zurückhaltende Art von Lucans Caesar steht in einigem Gegensatz auch zu der Selbstverständlichkeit, mit der der wirkliche Caesar in der entsprechenden Rede civ. 1,7 neben der Verteidigung der Tribunenrechte abschließend die Verteidigung seiner eigenen dignitas als Kriegsziel proklamiert (1,7,7). Worauf dann die anwesenden Soldaten antworten, civ. 1,7,8: sese paratos esse imperatoris sui tribunorumque plebis iniurias defendere. Es ist schwer vorstellbar, daß die historische Tradition, aus der Lucan schöpft, in der Caesarrede nicht auch nachdrücklich von der Verteidigung von Caesars Rang und Stellung gehandelt haben sollte. Der Dichter dürfte also, wenn er die Interessen Caesars in der Adhortatio so sehr hintanstellt, von der ihm vorliegenden Überlieferung bewußt abweichen 44 . Der Grund für die Abweichung ist klar: Caesar soll vor der Folie der Curiorede als Heuchler erscheinen. Die wichtigste Diskrepanz der zwei Pharsaliareden besteht dementsprechend darin, daß Caesar von Curio durch den Hinweis auf die Möglichkeit der Alleinherrschaft zum Krieg bestimmt wird (l,289ff.), aber selbst dann das Streben nach einem regnum bestreitet l,350f.: nam ñeque praeda meis neque regnum quaeritur armis: detrahimus dominos urbi servire paratae. Es fehlt auch in der Anfeuerungsrede selbst wohl nicht völlig an Indizien für Caesars Streben nach der Alleinherrschaft. Die Partie ß' bietet 1,310 mit der Wendung superi... (me) ad summa vocantes eine Andeutung. Vielleicht darf man hierher das Ende von δ' stellen l,339f.: quod non victrices aquilas deponere iussus/paruerim. Als Ausdruck der Herrschbegierde können die Stellen aber nur deshalb gewertet werden, weil bereits vorher Caesars Ziel eindeutig charakterisiert worden war. Das gilt ebenfalls für den Hauptabschnitt γ' - wofern man in der Aufforderung, Pompeius solle sein regnum aufgeben, zugleich auch Caesars eigene Aspirationen verraten finden möchte. Primär jedoch dient die zentrale Partie y1 (1,314—335), dazu, Pompeius' Herrschaftssucht zu brandmarken. Der Abschnitt ist als eine Art tetradischer Ringkomposition geformt. Die unerträgliche und unwürdige Dauer von Pompeius' Alleinherrschaft ist das Anfangsthema (1,314-317), die Aufforderung, nach 44 Der Punkt dignitas auch im Referat Suet. Iul. 33. Anders sieht P. Grimal, Le poète 74 die Sache. Natürlich kann die Rede von Lucans Caesar in vielen Hinsichten durchaus der geschichtlichen Überlieferung entsprechen. Auf Übereinstimmungen zwischen der Caesarrede civ. 1,7 und Lucan. 1,299-351 hat schon R. Faust 27ff. hingewiesen. Zur Formulierung von Lucan. 1,300 vgl. auch Hannibals Worte an seine Soldaten Liv. 21,30,2: per tot annos vincentes eqs.

135

Zweiter Teil 2.2.4.2.

Sullas Beispiel die Macht abzulegen, bildet den Schluß (1,333-335). Die beiden Rahmenpartien umgeben den Hinweis auf Pompeius' vergangene Unrechtstaten (1,318-323) und die Darstellung vom gegenwärtigen (nunc 1,324) Blutdurst des alten Sullaners, die durch ein Tigergleichnis besonderen Nachdruck gewinnt (1,324-332). Pompeius, der dedidicit iam pace ducem (1,131), ist sicherlich in den Augen Lucans keineswegs blutdürstig. Aber daß Pompeius sich an das regnum klammert, entspricht der Meinung des Dichters. Die Vollmachten des Getreidegesetzes und die Hinzuziehung des Militärs beim Miloprozeß ( 1 , 3 1 8 323) sind ebenfalls gewichtige Indizien der quasidiktatorischen Stellung 45 . Tatsächlich verdankt Pompeius seinen schnellen politischen Aufstieg dem Anschluß an Sulla (1,324-335). Caesar stellt also, obwohl er seine eigenen Ziele heuchlerisch zu verschleiern sucht, die Rolle des Pompeius und ihre Ursprünge in vieler Hinsicht zutreffend dar. Seine Ansprache ist nicht einfach eine Trugrede. Caesars Sache - diesen Eindruck hinterläßt die Adhortatio - ist schlecht 46 , aber auch die des Pompeius ist nicht gut.

2.2.4.2. Die Rede des Primipilen Laelius: Lucan.

1,356-391

Caesar hat mit seiner Ansprache keinen rechten Erfolg; pietas patriique penates, wie Lucan 1,352 alliterierend formuliert, brechen die Kriegslust seiner Soldaten. Sie müssen dieselben moralischen Widerstände überwinden wie ihr Führer selbst sie l,185ff. in der Auseinandersetzung mit der Patriaerscheinung überwunden hat. Da greift der Primipilus Laelius ein und bewirkt den Umschwung zu Caesars Gunsten: ICba β a

45

1,356—358 1,359-386 1,359-366

Der Primipilus Laelius Die Rede des Laelius Aufforderung an Caesar, dem Heer zu vertrauen und die Herrschaft des Zivils abzuschütteln

Velleius hält 2,33,2 den gegen Pompeius erhobenen Vorwurf der interminata cupiditas imperii für gerechtfertigt. Nach Sen. epist. 94,64 ging es Pompeius um causae ad continuandam potentiam. Weiteres 3.2.1 Anm. 6. Daß der Getreidemangel künstlich zur Festigung von Pompeius' Macht hervorgerufen war, war nach Plutarch, Pompeius 49,7 ein zeitgenössischer Vorwurf. Hirt. Gall. 8,52,4 wird man entnehmen dürfen, daß die caesarianische Propaganda den Miloprozeß als Anzeichen für Pompeius' Militärregime zu verwerten suchte; hier wird aus Curios Argumentation referiert: quoniam Pompei dominatio atque arma non minorem (sc. quam fortasse Caesar) terrorem foro inferrent. S. ferner auch Ed. Meyer 577 A. 2; P. Grimal, Le poète 76ff. 46 Der Caes. civ. l,7,2ff. und Suet. lui. 33 wichtige Hinweis auf die „Beseitigung" der Tribunicia potestas durch Pompeius fehlt in der Ansprache von Lucans Caesar völlig. Lucan unterdrückt wieder einmal eine Möglichkeit, Caesars Sache als die gerechtere darzustellen. Vgl. dazu oben 2.2.2.2. Für besonders entlarvend könnte man die Vergleichung mit Hannibal halten, die Caesar selbst vorträgt und natürlich anders meint, l , 3 0 3 f f . Lucan knüpft hier an republikanische Gedankengänge an, wie Cic. Att. 7,11,1 zeigt; vielleicht auffälliger als die Tatsache, daß Lucan das Motiv verwendet, ist, wie wenig er daraus macht.

136

Zweiter Teil 2.2.4.2.

β'

1,367-386

γ

1,386-391

Exemplifizierende Betonung absoluter Gefolgschaftstreue der Soldaten Begeisterte Zustimmung der Mannschaft

Der Mißerfolg der Caesarrede und die folgende Laeliusepisode sind an keiner anderen Stelle bezeugt und können gut eine Erfindung des Dichters sein. Doch auch als Auswahl aus dem Überlieferungsbestand wäre Lucans Darstellung aufschlußreich genug. Schon die Person des Primipilen Laelius ist wichtig: ein ausgedienter Veteran, der, wie der gesamte letzte Hexameter von α (1,358) hervorhebt, trägt: servati civis referentem praemia quercum. Inhaber der corona civica ist Laelius also, quam civis civi, a quo in proelio servatus est, testem vitae salutisque perceptae dat (Gell. 5,6,11). Die Worte dieses römischen Bürgersoldaten par excellence gipfeln zunächst in den auffordernden Fragen der Schlußverse von ßa', l,365f.: degenerem patiere togam regnumque senatus? usque adeo miserum est civili vincere bello? Die Schlußzeile von ßa' kann im Hinblick auf die Schlußzeile von α nur als Zeichen für die schreckliche Perversion der Wertvorstellungen gedeutet werden, der Caesars Soldat unterliegt. Die Feindschaft des Laelius gilt auch nicht mehr Pompeius, sondern dem unkriegerischen Senat. Das ist nicht ohne jeden Anknüpfungspunkt in der Adhortatio Caesars, wo es 1,31 Iff. heißt: veniat longa dux pace solutus milite cum subito partesque in bella togatae Marcellusque loquax et nomina vana Catonis. Aber in der Caesarrede, in der der Begriff senatus nicht fällt, spielt die sonstige Gegenpartei im Vergleich mit Pompeius eine ganz untergeordnete Rolle. Bei Laelius hat sich gegenüber Caesars Worten das Schwergewicht des Antagonismus eindeutig verlagert. Die Zielsetzung, die Caesars Soldat vorschwebt, ist ausschließlich bestimmt durch seinen zügellosen Militarismus und seine Verachtung für die republikanischen Einrichtungen. In ßß' wird der Ausdruck unbedingten Gehorsams in echt lucanischer Weise spezifiziert und zugleich gesteigert: ßß'a" ß"

γ"

1,367-372 Absolute Gefolgschaftstreue in alle Bereiche der Erde 1,373—378 Absolute Gefolgschaftstreue gegen Mitbürger, Bereitschaft zum Mord an Bruder, Vater, schwangerer Ehefrau 1,379—386 Bereitschaft zu jeder Übertretung göttlichen und staatlichen Rechts

Zweiter Teil 2.2.4.2.

137

1,379—380 Zerstörung der Tempel und Einschmelzung der Götterbilder 1,381-382 Errichtung eines Lagers am Tiber 1,383—386 Zerstörung jeder Stadt, sogar Roms Die Aufbauskizze bedarf eines kurzen Kommentars, a " bietet noch kein Indiz verbrecherisch-hemmungsloser Gesinnung, ganz anders dagegen die miteinander enger verbundenen Partien ß" und 7". Es ist gewiß nicht zufallig, wenn ß" mit der Beteuerung beginnt, l,373f.: ,nec civis meus est, in quem tua classica, Caesar, audiero. ' So spricht also der Träger der corona civica - welch entsetzlicher Verfall der Gesittung. Der Leser weiß jetzt, daß ihn Äußerungen der Gewissenlosigkeit erwarten. Sie beziehen sich in ß" dann auf den persönlich-individuellen, in 7" auf den öffentlichen Bereich. Der Abschnitt 7 " beginnt mit zwei parallel gebauten Sätzen, die je zwei Hexameter umfassen. Dieser ebenmäßige Anfang von 7" deutet scheinbar auf eine Vershexade hin, wie sie vorher a" und ß" darstellten. Aber dann folgt l,383ff. ein spannungssteigernder überlanger Satz, der in den letzten zwei Wörtern, einem Anfangsdaktylus, mit epigrammatischer Pointierung endet: ,tu quoscumque voles in planum effundere muros, his aries actus disperget saxa lacertis, 385 illa licet, penitus tolli quam iusseris urbem, Roma sit. ' In den zwei Schlußwörtern enthüllt sich die enthemmte Hingabe an Caesar, die aus Laelius spricht, in letzter Aufgipfelung 47 . Die ungeheuerliche Bereitschaft zur Zerstörung der Stadt Rom — das ist ein anderer Ton als ihn Caesar 47

Die Stadt steht am Ende einer ähnlichen Steigerungsreihe Lucan. 1,504-520, wozu im Prinzip richtig W. Rutz, Diss. Ausz. 163 Anm. 5. Zur Wertfolge parentes, patria vor allem Lucil. 1337f. (virtus est) commoda praeterea patriai prima putare, / deinde parentum, tertia iam postremaque nostra. Weiteres bei F. Marx im Kommentar, Leipzig 1904 z. St. Die Erwähnung des Namens „Rom" wird im Vers 1,385 hinausgezögert, um dann in markanter Hervorhebung am Beginn von 1,386 zu erscheinen. Das ist eine auch sonst bei Lucan zu beobachtende Pointierungstechnik. So z. B. 5,293ff. licet omne deorum / obsequium speres, irato milite, Caesar, / pax erit. Einiges sichtungsbedürftige Material bei Helmut Nowak, Lucanstudien Diss, (masch.) Wien 1955, 115f. Im übrigen ist als Folie zu 1,379-386 Cic. Lael. 36f. lehrreich, wo Cicero-Laelius darlegt, daß Freundestreue nicht bis zur Feindschaft gegen den Staat gehen dürfe: numne, si Coriolanus habuit amicos, ferre contra patriam arma Uli cum Coriolano debuerunt? (36) Kurz nach dem Zitat wird 37 von dem begeisterten Gracchusanhänger C. Blossius berichtet, der bereit war, auf Geheiß des Gracchus selbst das Capitol in Flammen aufgehen zu lassen: et hercule ita fecit vel plus etiam quam dixit; non enim paruit ille Ti. Gracchi temeritati, sed praefuit, nec se comitem illius furoris, sed ducem praebuit. Das erinnert einigermaßen an die fanatische Gefolgschaftstreue des Primipilen Laelius. Sollte womöglich dessen Name durch Ciceros „Laelius" angeregt sein?

138

Zweiter Teil 2.2.4.2.

mit seiner immerhin ehrerbietigen Apostrophierung der Patria 1, 195ff. angeschlagen hatte, als er in sich wie jetzt Laelius in den Soldaten die Gedanken an pietas patriique penates überwinden mußte. Von Caesars Intentionen, die in durchsichtigem Eigennutz gegen das regnum des Pompeius gerichtet sind, ist wenig zu spüren, wenn Laelius sich gegen das regnum . . . senatus wendet. Was bedeuten diese Unterschiede? Verrät Laelius gewissermaßen die geheimsten Gedanken seines Feldherrn? So möchte man vielleicht meinen. Indessen hat ja, um zunächst auf die zweite Diskrepanz einzugehen, nicht nur Caesar seiner Gegnerschaft zum Senat so gut wie keine Bedeutung beigemessen: auch Curio kommt es auf diesen Antagonismus nicht an (1,289—291) und ebensowenig Lucan selbst im Proömium. Um aber auf den ersten Unterschied einzugehen, so hätte Lucan durchaus Caesar in der einsamen Begegnung mit der Patria unverhüllt brutale Drohungen in den Mund legen können; er hat es eben nicht getan. In Laelius erscheint also ein skrupelloses Soldatentum, das außer der Bindung an seinen Führer keine Bindung kennt und in seiner verbrecherischen Potenz und der Eindeutigkeit seiner verachtungsvollen Ablehnung des Senats eine gefährliche Dynamik entfaltet, die über Caesars Ziele hinausgeht. Lucan stellt im Proömium unter den publica belli semina (l,158ff.) verschiedene Erscheinungen des sittlichen Verfalls dar, zu denen auch die Hochschätzung der bloßen Gewalt gehört. Die Perversion soldatischen Denkens, die sich in paradox-entsetzlicher Weise an einem Träger der corona civica zeigt, ist als Symptom der zum Bürgerkrieg führenden Dekadenz aufzufassen. In dieser Hinsicht gleicht Laelius dem Redner Curio. Es ist charakteristisch, daß die Soldaten nicht durch die zwar weitgehend unaufrichtige, aber, für sich genommen, maßvolle Rede Caesars gewonnen werden, sondern durch die Worte des Laelius. Das paßt zu ihren caed e ferae mentes animique tumentes (1,354). Die gesamte Partie I (1,183—391) endet so mit einer Darstellung der unheilvollen Begeisterung von Caesars Heer, das seinem Führer bedingungslose Gefolgschaft zusagt und damit den Bürgerkrieg endgültig zum Ausbruch bringt, l,386ff.: his cunctae simul adsensere cohortes elatasque alte, quaecumque ad bella vocaret, promisere manus. it tantus ad aethera clamor, quantus, piniferae Boreas cum Thracius Ossae 390 rupibus incubuit, curvato robore pressae fit sonus aut rursus redeuntis in aethera silvae. Das Bild ist, wie bereits ausgeführt, eine Art Gegenstück zu dem Vergleich Verg. Aen. 7,528ff. Wie Vergil bewegt Lucan sich im Bildbereich des Sturmes. Doch sind damit, von einer möglichen geringfügigen Sprachimitation 48 abge48 Verg. Aen. 7,530 ad aethera an gleicher Versstelle wie Lucan. 1,388. Zur Strukturhomologie der zwei Gleichnisse oben 2.2.1.

Zweiter Teil 2.3.1.

139

sehen, die Ähnlichkeiten zwischen den zwei Passagen bereits erschöpft. Das Pharsaliagleichnis hat auch nicht nur die Funktion, ein Pendant zu dem Aeneisgleichnis darzustellen. Es ist nämlich nicht zu übersehen, daß Lucan zugleich einer epischen Tradition folgt, wenn er die Reaktion auf eine Rede bildnishaft veranschaulicht. Der klassische Beleg dafür ist Ilias 2,394ff. 4 9 , wo der laute Zustimmungsjubel der Achaier mit Wogengeklatsche verglichen wird. Unmittelbar voraus geht die Diapeira, die der Lucanperikope 1,296-391 im Grundgeschehen entspricht. Es ist gut möglich, daß Lucan nicht nur von Vergil sondern auch von Homer Anregungen zur Gestaltung von IC erhalten hat 50 . Indem diese Lucanszene mit einem herkömmlichen epischen Requisit endet, wird folienartig die Unkonventionalität des folgenden Truppenkatalogs betont, der anders als der entsprechende Vergilische (Aen. 7,641ff.) oder Homerische (Ilias 2,484f.) nicht mit einer Inspirationsepiklese beginnt.

2.3.

Caesars zweites Auftreten: Lucan. 2,439-525

2.3.1. Einige Grundprobleme und Lucan.

2,439-461

Die Caesarhandlung, die im 1. Buch der Pharsalia mit dem Truppenkatalog 1,392—468 ausklingt, wird im 2. Buch erst wieder von Vers 2,439 an fortgeführt. Sie hat alsbald einen ersten Höhepunkt in der Auseinandersetzung Caesars mit Domitius. Die Domitiusszenè verdient Interesse gerade auch unter dem Aspekt möglicher Gegenwartsbezogenheit der Pharsalia, denn es scheint ja nahezuliegen, in der Darstellung von Domitius' heldenmütigem Verhalten eine Beziehung auf Nero, den Nachfahren dieses Republikaners zu vermuten: sei es, daß es sich um eine Huldigung an den Kaiser handeln könnte, sei es, daß es ein versteckter Angriff gegen seine Tyrannei sein mag, indignum esse suis maioribus (Cic. de orat. 2,286) 5 1 . Vor allem aber reizt der Handlungsvorgang nach 49 Sonstige entsprechende Gleichnisse: Verg. Aen. ll,296ff.; Ov. met. 15,603ff.; Stat. Theb. 3,669ff. Auch Ilias 2,209f. kann man hier erwähnen. Reaktionszeichnende Gleichnisse nach Reden kommen sonst ebenfalls bei Lucan vor: 4,235ff.; 9,283ff. An diesen zwei Stellen sind wie 1,386 „alle" von der Rede überzeugt. 50 Laelius wäre dann ein umgekehrter Thersites, der sozusagen Odysseus und Nestor in sich vereint. Bei Homer folgt auf die Diapeira der Schiffskatalog; ebenso schließt bei Lucan der Truppenkatalog an die Szene „Caesar und seine Truppen" an. Die Anregung, Elemente des Iliasbeginns zu verwerten, kann der Gedanke gegeben haben, daß Caesar und seine Leute bereits im zehnten Jahr Krieg fuhren (Lucan. 1,283; 1,300); denn um das zehnte als das entscheidende Kriegsjahr kreist gerade die Rede des Odysseus Ilias 2,284ff. Andere Berührungspunkte zwischen Ilias und Pharsalia: M. v. Albrecht, Lucan 275f. 51 Die erstere Annahme in neuerer Zeit bei Alessandro Puntoni (La composizione del poema Lucaneo), RAL Ser. 8 II, 1947, 107; G. Κ. Gresseth 27 Anm. 12; J. Brisset 134f.; 188f. Die zweite Deutung sprechen in vorsichtiger Vermutung aus O. Schönberger, Nachtrag 488 Anm. 4 und H. Nehrkorn 246 Anm. 5, die auch auf dichterisch-kompositorische Erwägungen Lucans verweist; entschieden D. Gagliardi 92.

140

Zweiter Teil 2.3.1.

2,439 deshalb zu einer näheren Betrachtung, weil nunmehr Caesar zum erstenmal in der Pharsalia auf Widerstand stößt, mit einem seiner Gegner in persönliche Berührung kommt und dabei in überraschender Weise seine dementia bewährt. Einige tektonische Einsichten ergeben sich ohne weiteres 52 . Lucan. 2,439— 525 bildet einen großen Abschnitt, in dem Caesar präsent ist. Der Abschnitt ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil (I) 2,439—461 handelt allgemein von Caesar und den von ihm ausgehenden Wirkungen, ohne konkrete Ereignisse zu erwähnen. Der zweite Teil (II) 2,462—525 stellt Caesars erfolgreiche Aktionen in detaillierter Weise dar, unter Anfuhrung mehrerer Personen- und Ortsnamen und mancher anderer historischer Tatsachen. Wie an anderen Stellen so geht die Pharsaliaerzählung auch hier vom Generellen zum Speziellen über. I bedarf vielleicht nicht gerade einer ausführlichen Interpretation. Aber einige Bemerkungen zu der Partie sind für das Verständnis des gesamten Abschnitts 2,439—525 unumgänglich. I

2,439-461 A

2,439—446 (8 Verse) 2,447-461 2,447—452

Β a b α β 7

2,453—461 (9 Verse) 2,453—454 2,454-460 2,460—461

Caesars Vordringen und die Wirkung seines Vormarsches in allgemeiner Charakteristik Die Zerstörungswut und Blutrünstigkeit von Caesars Vordringen Die Reaktion in Latium Die Städte, in ihrer Neigung schwankend, setzen die Verteidigungsanlagen instand Im Volk kämpfen Treue zu Pompeius und Furcht vor Caesar miteinander Direkte Aussage Windgleichnis Direkte Aussage

In I A und I Bb sind entscheidende Begriffe jeweils am Ende und Beginn des Abschnitts hervorgehoben. Zu Beginn der gesamten Caesarperikope und zugleich eben von I A heißt es, 2,439f.: Caesar in arma furens nullas nisi sanguine fuso gaudet habere vias. " W. Rutz, Diss. Ausz. 169f. hat schon einige Abschnitte der als Einheit anerkannten Perikope 2,439-525 zutreffend abgegrenzt: I A, I Β, II A, II Β, II Ba; anderes ist weniger gelungen. Die ausführlichste Besprechung von 2,439-525 steht bei W. Menz, Diss. Ausz. 360ff., der Lucans Darstellung hauptsächlich durch einen Vergleich mit der sonstigen Überlieferung zu erhellen sucht. Seine Interpretation leistet nicht so sehr viel für ein genaueres Verständnis von Lucans Kunst, ist aber im Rahmen ihrer Reichweite recht zutreffend. Der Deutungsversuch von H. Nehrkorn 142ff. bedeutet demgegenüber keinen Fortschritt. Die folgende Interpretation von 2,439-525 habe ich 1972/1973 in Phüadelphia, Pa. und Berkeley, Calif, einem Kreis amerikanischer Kollegen und Studenten vorgetragen.

141

Zweiter Teil 2.3.1.

Die Schlußzeile von I A lautet, 2,446: concessa pudet ire via civemque videri. Daß Caesar sich auf unaufhaltsamem Vormarsch befindet, ist ein Zentralgedanke des ganzen Abschnitts 2,439-525. Die rahmende Betonung von via zu Beginn der einleitenden Partie I A scheint unter diesem Aspekt sehr sinnvoll. Das Substantiv begegnet an keiner weiteren Stelle der Caesarszene 2,439—525. Der nächste Beleg davor steht 1,150 in der Charakteristik des Feldherrn Caesar. Es handelt sich um den Vers, der von der direkten Zeichnung zum Gleichnis überleitet: gaudensque

viam fecisse ruina.

Man wird vielleicht nicht behaupten dürfen, daß Lucan mittels der markierten Wörter das Augenmerk des Lesers auf die ausgeschriebene Zeile lenken wollte. Aber jedenfalls lassen die Kongruenzen sinnfällig erkennen, in welchem Maße die Caesarkonzeption von I A mit der des charakterisierenden Passus 1, 143— 157 übereinstimmt. Doch auch die Divergenzen sind nicht zu übersehen. Denn in I A wird Caesar ausschließlich und mit großem Nachdruck wilde Zerstörungswut zugesprochen 53 . Es fehlt ganz der Aspekt positiver kriegerischer Energie, des successus urgere suos (1,148). Statt dessen ist ein Gedanke hinzugetreten, der 1,143—157 zumindest keine ausdrückliche Formulierung erfahren hatte: Caesar will sich nicht als civis zeigen. So erscheint Caesar in dem Stück 2,439461 gegenüber dem Abschnitt 1,143-157 der Ursachendarstellung in dunkleren Farben. Das ringkompositionelle Element von I Bb ist noch augenfälliger als die entsprechende Strukturierung von I A. Der Anfangspassus I Bba hat folgenden Wortlaut, 2,453f.: pronior in Magnum populas pugnatque cum terrore fides.

minaci

Damit korrespondiert die Formulierung von I Bb7, 2,460f.: facilis sed vertere mentes terror erat dubiamque fidem fortuna ferebat. Im Bereich der Perikope 2,439-525 ist das Substantiv fides auf die zwei zitierten Stellen beschränkt und terror nur noch 2,448 nachzuweisen, zu Beginn des Passus I Ba, in dem das „Schreckensmotiv" erstmals angeschlagen wird. Die Wiederholung von terror und fides innerhalb von I Bb hebt den Antagonismus hervor, der diesen Abschnitt beherrscht. 53 In flagrantem Widerspruch zur historischen Überlieferung - selbst, wenn man in I A ein gewisses formelhaftes Element als Ausdruck tatkräftigen militärischen Handelns anerkennt; dazu im Ersten Teil 1.3.4.2.4 Anm. 106. Die Ähnlichkeit von 2 , 4 3 9 - 4 4 6 mit 1 , 1 4 4 - 1 5 0 ist schon W. Menz, Diss. Ausz. 366 aufgefallen.

142

Zweiter Teil 2.3.1.

Die Substantive, welche I A und I Bb einrahmen, veranschaulichen zugleich auch, wie stark die zwei Passagen in ihrer Thematik divergieren. Das Wort via verweist auf den Bereich militärisch-faktischen Erfolges, die Begriffe terror und fides gehören in einen spirituellen Bezirk, den man als psychologisch oder moralisch kennzeichnen könnte. Die Partie I Ba, in der bereits die Seelenlage, aber auch die praktischen Kriegsvorbereitungen der latinischen Städte skizziert werden, bildet unter diesem Aspekt eine Überleitung von I A zu I Bb. Die zwei letzteren Abschnitte, die approximativ gleiche Länge haben und vor allem eine ähnliche Ringstruktur aufweisen, kann man als Rahmung des gesamten Stücks I ansehen. Andere Phänomene gliedern sich aber nicht in diese Tektonik ein. Denn die inhaltliche Zweiteilung von I in A und Β bleibt bestehen 54 . Außerdem zeigt I Bb auffällige Eigentümlichkeiten. Die markant triadische Gliederung des Abschnitts ist innerhalb der Partie I ohne Parallele. Und noch auffälliger ist die Tatsache, daß I Bb von einem breit ausgeführten und zentralen Gleichnis beherrscht wird. Die Veranschaulichung von terror und fides mittels des Bildes von Auster-Notus und Eurus hat in dieser Form vielleicht keine direkte Vorlage. Aber die Partie hat doch mancherlei Berührungen mit älteren epischen Gleichnissen, von denen Ilias 16,765ff. der Lucanischen Gestaltung besonders nahesteht 55 . Denn in dem Homerischen Passus ringen dieselben Winde wie bei Lucan miteinander: Euros und Notos. So wird der Schluß des Abschnitts I von einem Passus beherrscht, der betont traditionell-episches Gepräge hat, auch dies singulär innerhalb von I. Eine graphische Darstellung mag die beschriebenen Verhältnisse noch einmal verdeutlichen:

I

/

\

A [materiell]

β

via

a

via

\

\ α terror fides

54

traditionell triadisch spirituell ß

y terror fides

Sie ist eine Art Echo auf die ähnliche Sequenz von Caesars Aktion und Reaktion in Rom, die das 1. Buch beherrscht. Nur, daß im ersten Buch die Furchtreaktion der Römer (1,469-522) zur Darstellung der Vorzeichen und Prophezeiungen überleitet (1,522-695), die von Caesars Vordringen unabhängig sind. Demgegenüber ist 2,439-461 nicht darauf angelegt, das Augenmerk von Caesar abzuziehen. 55 Zur Interpretation des Iliasgleichnisses H. Fränkel 37. Ähnlich Verg. Aen. 4,441ff., wo, wie bei Lucan, die Winde in einem Gleichnis verwendet werden, das eine Seelenhaltung veranschaulicht. Übrigens ist Lucans Gleichnis nicht recht glücklich - wie schon das Iliasgleichnis nicht.

Zweiter Teil 2.3.2.

2.3.2. Der pompeianische Rückzug: Lucan.

143

2,462-477

Wir verlassen nun den Abschnitt I, um uns der Partie II zuzuwenden. II

2,462—525 Caesars Vordringen und die Reaktion seiner Gegner in detaillierter Darstellung A 2,462—477 Die widerstandslose Flucht von sechs namentlich genannten Pompeianern a 2,462—465 Unbedeutende Pompeianer b 2,466-477 Pompeianische Parteihäupter Β 2,478—525 Der Widerstand des Domitius und seine Auseinandersetzung mit Caesar

Die Darstellung der Unzuverlässigkeit in II A ist eine verstärkende Bestätigung des Urteils, das in I Β (2,447-461) über die Wirkung des terror gefällt wird. Sind die zwei Partien durch den Wechsel von allgemein-abstrakter und speziell-konkreter Aussage voneinander gesondert, so sind sie wiederum geeint dadurch, daß sie die Wirkung des Schreckens verdeutlichen. Ein Bruch zwischen I und II ist vermieden; der Übergang hat bei aller Deutlichkeit doch etwas Gleitendes. Im Aufbau sind I Β und II A freilich sehr verschieden. Denn in der letzteren Partie dominiert die triadische GestaltungsweiseS6. Es lohnt sich, die Details zu betrachten, 2,462ff.: a

gens Etrusco fuga trepidi nudata Libonis, iusque sui pulso iam perdidit Umbria Thermo, nec gerit auspiciis civilia bella paternis 465 Caesaris audito conversus nomine Sulla.

b

Varus, ut admotae pulsarunt Auximon alae, per diversa ruens neclecto moenia tergo, qua silvae, qua saxa, fugit. depellitur arce Lentulus Asculea; victor cedentibus instai 470 devertitque acies, solusque ex agmine tanto dux fugit et nullas ducentia signa cohortes, tu quoque nudatam commissae deseris arcem, Scipio, Nuceriae, quamquam firmissima pubes his sedeat castris, iam pridem Caesaris armis 475 Parthorum seducía metu, qua Gallica damna supplevit Magnus, dumque ipse ad bella vocaret donavit socero Romani sanguinis usum. 56

Die Echtheit der in Ζ und M fehlenden Verse 2,463f. ist allgemein anerkannt und wird durch die folgende Aufbauanalyse bestätigt. Florus hat anscheinend gerade den Vers 2,463 in seinem Lucantext gelesen. S. unten Anm. 58. Das ergänzend zu G. Luck, RhM 112, 1969, 265.

144

Zweiter Teil 2.3.2.

Zunächst einige Bemerkungen zur inhaltlichen Gliederung des Abschnitts. In a werden A. Scribonius Libo, Q. Minucius Thermus, Faustus Cornelius Sulla, der Sohn des Diktators, aufgeführt. Von ihnen sind die beiden letzteren nie zum Konsulat gelangt, Libo cos. suff. 34 v. Chr. erst in hohem Alter und eben lange nach dem Bürgerkrieg. Es sind also Pompeianer minderen Ranges. Lucan erwähnt diese Männer auch überhaupt nur in dem ausgeschriebenen Passus. In b erscheinen P. Attius Varus, P. Cornelius Lentulus Spinther, Q. Caecilius Metellus Pius Scipio. Die zwei zuletzt genannten Männer, Lentulus cos. 57 v.Chr. und Scipio cos. 52 v. Chr., sind bereits bei Ausbruch des Bürgerkriegs Konsulare. Varus ist zwar zu diesem Zeitpunkt nur Praetorier, und er ist über diesen Rang nicht hinausgekommen. Aber er ist gleichwohl eine hervorragende Persönlichkeit im pompeianischen Heer. Lucan trägt dieser Tatsache Rechnung, indem er 4,666ff. seiner Auseinandersetzung mit Curio gedenkt; Varus wird danach noch 8,287 genannt. Spinther ist sehr wahrscheinlich mit dem Lentulus identisch, der 7,217f. in der Schlacht bei Pharsalos als Führer des linken pompeianischen Heeresflügels figuriert57. Im gleichen Kontext erscheint Scipio als General der pompeianischen Heeresmitte (7,221 f.); der Name des Metellus Scipio fällt auch an anderen Stellen des Epos (6,311; 8,410; 9,277). Es kann also keinen Zweifel geben, daß Lucan die Partien a und b nach wichtigen und unwichtigen Pompeianern gliedert. Die Personennamen von b folgen nun noch in einer wohlüberlegten Steigerung aufeinander. Der Praetorier Varus steht als der unbedeutendste an erster Stelle. Nach ihm erscheinen, so den gesamten Teil II A abschließend, zwei Konsulare, die eben zugleich auch neben Domitius die pompeianischen Oberfeldherrn in der Entscheidungsschlacht sind. Gegenüber Lentulus ist aber Scipio der Inhaber des bei weitem klangvolleren Feldherrnnamens. Es scheint sinnvoll, wenn gerade in ihm die Reihe ihr krönendes Ende findet58. Der — echt lucanischen — Sorgfalt in der Verteilung der pompeianischen Namen auf a und b entspricht auch die übrige Gestaltung. In a gilt jedem der drei Feldherrn ein kurzer Hauptsatz. Die Namen der Pompeianer erscheinen 57 Die letztere Lucanstelle läßt, kombiniert mit Appian b. c. 2,76,316 und Caes. civ. 3,83,1 (= Plutarch, Pompeius 67,5), darauf schließen, daß Livius den Lentulus Spinther als einen der drei pompeianischen Befehlshaber erwähnt hat. Vgl. im übrigen zu den Führern des Pompeius die RE-Artikel von F. Münzer s. w . und Klebs (P, Attius Varus). 58 Soweit Caesar civ. 1,12-23 die Namen der Pompeianer bietet, die nach Lucans Darstellung in Oberitalien von Caesar verdrängt wurden, hat er dieselbe Reihenfolge wie der Dichter: Thermus, Attius Varus, Lentulus, Domitius. Es ist also sehr gut denkbar, daß Lucan in die ihm vorliegende Überlieferung nicht stark einzugreifen brauchte, um seine Gliederung zu erzielen. Daß gleichwohl in dem Stück 2,462-477 ein starker Wille zur Ponderierung wirksam ist, dürfte sich bereits jetzt gezeigt haben und wird noch deutlicher werden. Sehr nahe steht dem Lucanpassus auch Flor. epit. 4,2,19: prima Arimino signa cecinerunt. tum pulsus Etruria Libo, Umbria Thermus, Domitius Corftnio. Florus dürfte aber Lucan. 2,462f. vorgeschwebt haben. Aufschlußreich außer der Wortwahl (dazu als Folie Caes. civ. 1,12,1) auch die Endstellung der Personennamen. Dazu das Folgende.

Zweiter Teil 2.3.3.

145

am Ende des betreffenden Hauptsatzes und damit stets am Hexameterende. In b ist jeder der drei Feldherrn mit einem Satzgefüge oder einer Mehrzahl von Sätzen bedacht. Die Namen dieser pompeianischen Führer stehen je am Hexameteranfang. Diesen Divergenzen zwischen a und b stehen Entsprechungen gegenüber. Nicht nur, daß je drei Gegner Caesars in einem Abschnitt vorkommen. Die Kurzstücke, die dem einzelnen Feldherrn gewidmet sind, wachsen in b kontinuierlich an, und analog ist der letzte Hauptsatz in a der längste. Es fehlt auch nicht an inhaltlicher Parallelität der zwei Partien. Libo flieht aus Angst, trepidus (2,462); eine ganz ähnliche Flucht tritt Varus an, dessen furchtsame Kopflosigkeit ganz besonders betont wird (2,466ff.). Thermus wird demgegenüber vertrieben (2,463); auch Lentulus wird vertrieben, wobei Caesars machtvolles Wirken sich im Überlaufen von Lentulus' Soldaten äußert (2,468ff.). Nicht minder als Sulla, der Sohn des großen Generals (2,464f.) versagt der Erbe eines ebenso ruhmreichen Namens, Scipio, obwohl unter seinem Kommando die firmissima pubes steht (2,472ff.). Das Erstaunliche des pompeianischen Rückzugs wird also in b jeweils eindringlicher herausgearbeitet. Dazu gehört auch, daß Varus, Lentulus, Scipio sich in namentlich genannten Städten befinden, deren Befestigung hervorgehoben wird: moenia 2,467; arce 2,468; arcem 2,472; nichts dergleichen wird im Hinblick auf Libo, Thermus, Sulla gesagt. Soweit die sonstige Überlieferung eine Kontrolle zuläßt, scheint Lucan die historischen Fakten in II A ziemlich korrekt wiederzugeben. Bemerkenswerter als mögliche Retuschen der Tradition ist die Vielzahl der namentlich genannten Feldherrn der pompeianischen Partei; mit dieser umfassenden Aufzählung steht Lucan, von Caesars eigenem Bericht abgesehen, isoliert da. Der Dichter schafft eine kunstvoll abgestufte Folie vielfältigen Versagens im terror, vor der sich die standhafte Bewährung des Einen leuchtend abhebt. Vielleicht wird der vorbereitende Hintergrundcharakter von II A und die Zugehörigkeit des Abschnitts zur Detailperikope II auch durch die Relationen der Passuslängen verstärkt. Jedenfalls wird es kaum zufällig sein, wenn sich folgende Umfangverhältnisse ergeben: II Aa: II Ab = II A: II Β = 1 : 3.

2.3.3. Domitius und Caesar: Lucan. 2,478-525 im Lichte werkimmanenter Interpretation IIB

2,478-525

a b

Der Widerstand des Domitius und seine Auseinandersetzung mit Caesar 2,478—480 Umstandsschildernde Exposition und Überleitung: Domitius in Corfinium 2,481-525 Erzählung

In II Ba wird sofort die Vorstellung des Widerstandes - und somit des Gegensatzes zu II A - evoziert, 2,478ff.: 10 Lebek (Hyp. 44)

146

Zweiter Teil 2.3.3.

at te Corfini validis circumdata muris tecta tenent, pugnax Domiti; tua classica servai oppositus quondam polluto tiro Miloni. Die zu erwartende Antithetik gegenüber II A (2,462—477) wird durch das at angekündigt; tenent im Sinne von retinent hat dementsprechend die Bedeutung eines prägnanten Gegensatzes zum mannigfachen fugere und pelli des Abschnitts II A. Wichtig ist auch das Attribut pugnax des Domitius. Dieser Mann will, so darf man erwarten, kämpfen. Die Gegensätzlichkeit von II A und II Β wird durch gewisse identische Momente besonders unterstrichen. Sie sind in II Ab konzentriert und zwar vornehmlich am Ende der Passage. In diesem Abschnitt werden schon jeweils die Namen der drei strittigen Städte angeführt, wie dann auch in II Ba Corfinium genannt wird. Die Reihe der drei Oberfeldherrn bei Pharsalos, die mit den zwei letzten Pompeianern von II A eröffnet wird, ist mit Domitius abgeschlossen; die unmittelbare Aufeinanderfolge Lentulus - Scipio in II Ab hat also im Hinblick auf II Ba nicht nur steigernde, sondern auch antithetisch vorbereitende Funktion. Schließlich wird Domitius wie unmittelbar vorher Scipio mittels einer Du-Apostrophe eingeführt; beidemal läßt der Eigenname des Apostrophierten lange auf sich warten. Die Auseinandersetzung zwischen Domitius und Caesar ist sehr subtil vorbereitet. Von vornherein darf man in der Schilderung der Konfrontation selbst eine höchst intensive Gestaltung erwarten, zumal ja das Geschehen recht abwechslungsreich ist. Domitius erblickt Caesars herannahende Truppen und versucht die Brücke über den Corfinium vorgelagerten Aternus zu zerstören, um dem Angreifer das Vorrücken zu erschweren. Caesar kommt ihm aber mit der Besetzung der Érücke zuvor. Während dann die Belagerung von Corfinium beginnt, wird Domitius von seinen eigenen Leuten Caesar ausgeliefert. Caesar schenkt seinem Gefangenen ohne jede Bedingung die Freiheit. Ein Dispositionsschema wird das Verständnis des Abschnitts erleichtern: IIBb

2,481—525 α a ß' β a

2,481—502 (22 Verse) 2,481—491 (11 Verse) 2,492-502 (11 Verse) 2,503—510 (8 Verse) 2,503-506 (4 Verse)

Der Widerstand des Domitius und seine Auseinandersetzung mit Caesar Die Verteidigungsmaßnahmen des Domitius und die Gegenmaßnahmen Caesars Aktion und Rede des Domitius Reaktion und Rede Caesars Der Erfolg Caesars und die Gefangennahme des Domitius Das erfolgreich-energische Handeln Caesars

Zweiter Teil 2.3.3.

β' 7 a

ß'

y'

2,507-510 (4 Verse) 2,511-525 (15 Verse) 2,511-517 (reichlich 6 Verse) 2,517-521 (fast genau 4 Verse) 2,521-525 (knapp 5 Verse)

147

Das Mißgeschick des Domitius und seine standhafte Haltung Das Verzeihen Caesars und die Reaktion des Domitius Aktion und Rede Caesars

Reflexion des Dichters

Reaktion und Selbstgespräch des Domitius

Die Skizze gibt nur einen unvollkommenen Eindruck von Lucans Formwillen. Beginnen wir mit der Analyse von II Bba (2,481-502). Die zwei Unterabschnitte der Partie a ( 2 , 4 8 1 - 4 9 1 ) und ß' ( 2 , 4 9 2 - 5 0 2 ) haben identischen Umfang. Sie sind darüber hinaus in erstaunlichem Maße symmetrisch komponiert. Beide Abschnitte entwickeln die Handlung nach dem Dreierschema: Wahrnehmen der gegnerischen Aktionen; Aufforderung des Feldherrn an die Soldaten, die Absichten des Gegners zu vereiteln; (Versuch einer) Ausführung des Befehls. Wörtliche Wiederholungen unterstreichen die Symmetrie. Wenn der Feind wahrgenommen wird, heißt es zu Beginn von II Bbaa' über Domitius, 2,48 Iff.:

ut... campo consurgere nubem conspexit eqs. Ganz ähnlich wird zu Beginn von II Bbaß' über Caesar gesagt, 2,492:

e camp is ut conspicit

eqs.

Es ist gelegentlich bei Lucan zu beobachten, daß einander inhaltlich korrespondierende Reden einander auch im Aufbau sehr ähnlich sind. Das gilt ebenfalls hier. Die Worte Caesars in ß' greifen die entscheidenden Äußerungen in a wieder auf, und zwar im wesentlichen chiastisch. Eine knappe Skizze dürfte zum Erweis genügen. In a lauten die ersten Worte des Domitius 2,483f.:

socii decurrite ... fluminis ad ripas undaeque immergite

pontem.

Also Aufforderung zur Eile und Befehl, die Brücke abzubrechen. Und zum Schluß der Domitiusrede heißt es dann, 2,489f.:

victoria nobis hic primum starts Caesar erit.

148

Zweiter Teil 2.3.3.

Darauf wird in ß' repliziert, 2,496f.: non . .. stabit

iam flumine Caesar in ullo.

Und dann Caesars letzte Worte 2,498f.: equitum properate catervae, ite simul pedites, ruiturum ascendite pontem. Also Aufforderung zur Eile und Befehl, die Brücke zu betreten. Der Chiasmus in der Replik Caesars ermangelt insofern der Exaktheit, als auf den Schluß von Domitius' Ansprache erst in der Mitte von Caesars Rede Bezug genommen wird. Demgegenüber entspricht die mit der Wiederholung von pons gegebene Beziehung durchaus sehr strengen Anforderungen an die Symmetrie. Das Substantiv erscheint am Ende des ersten Domitiussatzes und am Ende des letzten Caesarsatzes, und zwar jeweils als Schlußwort des Hexameters im Akkusativ, der je von demselben Imperativtypus abhängt; der Verbinhalt drückt die antithetischen Intentionen der beiden Gegner aus. Darüber hinaus ist Vers 2,484 die vierte Zeile und Vers 2,499 die viertletzte Zeile von II Bba pons hat also in vielfacher Hinsicht eine markante Stellung. Der Sinn der Strukturierung kann nicht zweifelhaft sein. Die Brücke ist ja der entscheidende strategische Punkt, von dem Caesars weiteres Vordringen abhängt und áuf den sich daher die militärischen Bemühungen der beiden Kontrahenten konzentrieren. Es paßt zu diesen Erwägungen, daß Lucan das Vorkommen des Substantivs pons wie auch das der Verben conspicere und stare innerhalb des gesamten Abschnitts 2,439— 525 auf die hervorgehobenen Stellen beschränkt hat. Das Wort pons bildet auch einen exakten Rahmen für den gesamten Abschnitt II Bba (2,481—502), und läßt den Leser so empfinden, daß am Ende des Abschnitts mit den Wörtern campus, telum, ripa Sprach- und Darstellungselemente des Anfangs wieder auftauchen, 2,500ff.: totas accepit habenas in campum sonipes crebroque simillima nimbo trans rip am validi torserunt tela lacerti. Das Wort telum erscheint wenigstens innerhalb von II Β nur 2,483 und 2,502. Die zwei anderen Substantive aber werden in diesem Zusammenhang von Lucan nicht mit auffallendem Bedacht verwendet. Immerhin mögen sie im Verein mit telum und vor allem pons zur Evokation des Anfangs von II Bba geeignet sein. Der Abschnitt II Bbß (2,503—510) weist nicht die strenge Geschlossenheit von II Bba auf; aber er hebt sich doch hinlänglich als Passus eigenen Gepräges von den zwei ihn umgebenden Teilen ab. Der Mittelabschnitt ist, wie man sieht, ebenfalls in zwei Teile von gleicher Länge gegliedert. Mit Vers 2,507, der ersten Zeile von II Bb|3j3', hat sich die Situation der Szene grundlegend gewandelt:

Zweiter Teil 2.3.3.

149

Domitius, der bisher Caesars Antagonist war, ist nun sein Gefangener. Damit ist eine entscheidende Wende in den äußeren Machtverhältnissen eingetreten 59 . Es ist wohl kein Zufall, daß die Trennungslinie zwischen Freiheit und Gefangenschaft des pompeianischen Feldherrn in der Mitte des Mittelabschnitts β liegt. Domitius reagiert nicht auf Caesars Aktion, wenn er von seinen Leuten dem Gegner gefangen ausgeliefert wird; es ist also durchaus sinnvoll, wenn Lucan in II Bbß nicht durch Wortwiederholungen Beziehungen veranschaulicht. Ganz fehlt es freilich auch hier nicht an einer engeren Verknüpfung von a und ß'. Sie besteht in der Betonung der antithetischen Verhältnisse. II B b ß a , 2,503f.: ingreditur. .. Caesar eqs. Der Eigenname eröffnet die zweite Zeile von a . Caesar ist der aktiv Handelnde. II BbfijJ', 2,508: captivum traxere ducem. Dies ist die zweite Zeile von ß'. An Domitius wird gehandelt. Die Worte, die Lucan 2,508ff. anschließt, kündigen die Problematik an, die im Teil γ zum Austrag kommen wird: civisque superbi constitit ante pedes, voltu tarnen alta minaci 510 nobilitas recta ferrum cervice poposcit. Es ist ein Mitbürger, in dessen Gewalt Domitius geraten ist 6 0 ; und als Mann des hohen Adels wünscht sich Domitius den Tod. Die Veränderung der militärischen Machtverhältnisse bedeutet also die Verlagerung der Auseinandersetzung in einen geistigen Bereich. Der Teil II Bb/3 ist eine Art trennender Übergang zwischen zwei Ebenen des Antagonismus. Das moralische Ringen vollzieht sich in II Βόγ. Die Partie wird uns längere Zeit beschäftigen und sei daher im vollen Wortlaut vorgelegt, 2,51 Iff.: a

seit Caesar poenamque petit veniamque timen. ,vive, licet nolis, et nostro muñere' dixit. ,cerne diem, victis iam spes bona partibus esto exemplumque mei. vel, si libet, arma retempta, 515 et nihil hac venia, si viceris, ipse paciscor.' fatur et astrictis laxari vincula palmis imperai. 59

Auch W. Rutz, Diss. Ausz. 170 hebt hervor, daß sich in 2,507 die äußere Situation gewandelt hat. 60 W. Menz, Diss. Ausz. 370 möchte eine rechtlich fundierte Antithese zwischen den Begriffen dux und civis erkennen. Aber das sind keineswegs einander irgendwie entgegengesetzte Termini; unten 2,519 wird der dux als civis bezeichnet. Der Ausdruck dux 2,508 hat seine besondere Funktion im Paradox des dux captivus.

150

Zweiter Teü 2.3.3.

ß;

heu, quanto melius vel caede perada parcere Romano potuit fortuna pudori! poenarum extremum civi, quod castra secutus 520 sit patriae Magnumque ducem totumque senatum, ignosci.

y'

premit ille gravis interritus iras, et secum Jiomamne petes pacisque recessus degener? in medios belli non ire furores iam dudum moriture paras? rue certus et omnis 525 lucis rumpe moras et Caesaris effuge munus.'

Der Abschnitt y hat eine tektonische Sonderstellung gegenüber α und ß. Denn anders als diese beiden Teile hat y einen trichotomischen Bau, dessen Fugen zudem innerhalb der Verse liegen. Die annähernde Ebenmäßigkeit der drei Unterteile aß'y' erinnert freilich wieder an das exakte Gleichmaß von a und ß' in α und ß. Und andere Beobachtungen lassen noch deutlicher bereits in II Bb erkannte Formantien in Erscheinung treten. Es ist ohne weiteres klar, daß in II Bby lediglich a und y' berichtenden Charakter haben. In seiner erzählenden Schicht ist also ebenfalls der Abschnitt y dichotomisch. Als Aktion und Reaktion sind ya und yy einander ähnlich zugeordnet wie aa' und aß'. Und wie die Reden in α so sind auch die Reden in y mit Anfang und Ende rahmend aufeinander bezogen. Caesars erster Satz in ya ist Imperativisch, was sogleich zu Beginn durch vive (2,512) betont wird; er bedeutet die Entscheidung für das Leben des Feindes. Auch der letzte Satz des Domitius ist Imperativisch, das wird ebenfalls mit dem ersten Wort zum Ausdruck gebracht: rue (2,524); dieser aber bedeutet antithetisch die Entscheidung für den Tod. Die Selbstaufforderung omnis lucis rumpe moras (2,524f.) ist die Negation von Caesars Geheiß, die demselben optischen Bildbereich entstammt: cerne diem (2,513). Vor allem aber: die letzten Worte des Endverses 2,525 von Domitius' Selbstgespräch sind die sinnfällige Zurückweisung der letzten Worte des Anfangsverses 2,512 von Caesars Worten. nostro 2,512 nimmt auf das Caesar von 2,511 Bezug; die deutliche Verbindung des possessiven Genetivs Caesaris 2,525 mit dem Possessivpronomen des ersten Verses der Caesarrede wird so zusätzlich verstärkt. Vollends unübersehbar ist die Wiederholung von Caesars muñere 2,512 durch Domitius' munus 2,525, zumal das Substantiv im gesamten 2. Buch nur an diesen Stellen erscheint. Dieses Wort hat in y eine ganz ähnliche Strukturfunktion wie pons in α. Von beiden Substantiven gilt, daß sie jeweils in der zweiten Hälfte des ersten Satzes der ersten Rede erscheinen und danach genau am Ende der zweiten Rede. Wenn α und y eine ähnliche Ringkomposition aufweisen, so bilden die zwei Partien dadurch gewissermaßen einen Rahmen für den gesamten Teil II Bb (2,481— 525).

151

Zweiter Teil 2.3.3.

Eine auffälligere Ähnlichkeit zwischen α und y besteht darin, daß in jedem der beiden Abschnitte ein Paar korrespondierender Reden steht; denn das unhörbare Selbstgespräch des Domitius kann wohl ebenfalls als eine Art Rede gelten. Die Sprecherfolge bestätigt das ringkompositionelle Schema von II Bb: α a β'

Domitius Caesar

a y'

Caesar Domitius

ß y

Aber es gibt in II Bb auch andersartige Elemente. In dem Gebrauch der rahmenden Substantive pons und munus besteht, wie schon angedeutet, eine enge Verwandtschaft zwischen der Domitiusrede in aa' und der Caesarrede in ya' einerseits und andrerseits zwischen der Caesarrede in aß' und dem Selbstgespräch des Domitius in yy'. Diese Verwandtschaft ist auch sonst spürbar. Domitius in aa' wie auch Caesar in ya' verwenden von Anfang an eine Serie von Imperativen, und beide Feldherrn sprechen in diesen Partien vom Siegen. Demgegenüber beginnen sowohl die Caesarrede in aß' als auch Domitius' Selbstgespräch in yy' mit zwei längeren Fragesätzen und schließen mit drei kurzen Befehlssätzen. Auch an inhaltlicher Parallelität fehlt es hier nicht. Denn in aß' und yy' steht am Anfang eine kritische Bemerkung über den (möglichen) Versuch der ignavi (2,496), des degener (2,523), sich der Kriegsgefahr zu entziehen; der letzte Satz fordert dann implizit oder explizit zur Vereitelung dieses Versuchs auf. Es hat sich gezeigt, daß die ganze Partie b von einem Netz von Beziehungen übersponnen ist. Die verschiedenen Fäden der Ringkomposition sind besonders stark. Sie können in folgendem Bild veranschaulicht werden: b

α

[materiell]

a pons \

ß' pons \

\

\

β

y

[spirituell]

α'

β'

munus

y

munus

152

Zweiter Teil 2.3.4.

2.3.4. Lucan. 2,481-525 im Lichte von Geschichtsschreibung und Epik und die Gesamttektonik von Lucan. 2,439-525 Bislang war die vorgetragene Interpretation von II Β (2,478-525) im wesentlichen werkimmanent. Welchen Eindruck aber gewinnen wir, wenn wir Lucans historische Quellen und die übliche epische Technik in die Betrachtung einbeziehen? Beginnen wir mit der historischen Überlieferung. Lucan berichtet als einziger weiterer antiker Autor von dem Kampf um die corfiniensische Brücke, den Caesar civ. l,16,2f. darstellt. Der Dichter scheint danach über die Vorgänge in und um Corfinium durch Notizen informiert gewesen zu sein, deren Ausführlichkeit Caesars Erzählung nahekam 61 . Lucan begnügt sich fast ausschließlich damit, den Anfang und das Ende der Corfiniumepisode zu schildern; das entspricht Caes, civ. 1,16,2-4 und 1,23,1-4. Der Dichter reduziert ferner die Vielzahl der in Corfinium versammelten bedeutenden Anhänger des Pompeius, von denen Livius nach perioch. 109 mindestens noch P. Lentulus genannt hat. Konzentrierung auf die markanten Momente der historischen Überlieferung ist also das Charakteristikum von Lucans Darstellung. Lucan verstärkt die Konzentrierung durch eigene Erfindungen. Denn in den Partien II Bba und II Bb7, die Anfang und Beschluß der Corfiniumepisode bieten, können die Redeagone mit ihrem kunstvollen Beziehungsgeflecht in der vorliegenden Form dem Dichter auch nicht annähernd vorgegeben gewesen sein. Eine Auswahl aus der vorgegebenen Traditionsmasse war für Lucan bei der Darstellung des Geschehens um Corfinium unumgänglich. Er hat die Auswahl nicht zuletzt nach Maßgabe der Handlungsrelevanz getroffen und somit nach künstlerischen Gesichtspunkten. Die Straffung der Handlung bot zugleich die Gelegenheit, Überlieferungsdetails wegfallen zu lassen, die mit der Rolle unvereinbar waren, die Lucan dem Domitius zugedacht hatte; insbesondere Domitius' wohlbezeugte Besorgtheit um sein eigenes Leben 6 2 paßte nicht zur inneren Todesbereitschaft, die ihm in Lucans Darstellung zugeschrieben wird. Die Berücksichtigung historiographischer Tradition hat uns einen kleinen Einblick in Lucans dichterische Werkstatt gewährt. Wie steht es mit Lucans Verwertung überkommener epischer Gestaltungsweisen? 61 Einen ganz ähnlichen Eindruck vermittelt ja auch Lucan. 2 , 4 6 2 - 4 7 7 . Dazu oben besonders Anm. 58. 62 Es braucht nur an die Freude des Domitius über seinen mißglückten Selbstmord erinnert zu werden. Die Anekdote wird auch von Seneca benef. 3,24 erzählt und dürfte Lucan bekannt gewesen sein. Weiteres dazu bei F. Münzer, RE V (1905) 1340,62ff. s. v. Domitius. Es ist im übrigen natürlich nicht sicher, daß die von Lucan primär herangezogene Überlieferung, also wohl Livius, von Domitius ganz dasselbe düstere Büd gezeichnet hat wie Caesar civ. l,19f.; die freundlichere Darstellung des Cassius Dio 41,11,Iff. kann das illustrieren. W. Menz, Diss. Ausz. 360ff. und J. Brisset 134f. folgen zu ausschließlich den negativen Berichten. Unglücklich freilich auch die Argumentation von G. Pfligersdorffer 355f.

Zweiter TeU 2.3.4.

153

Wenig signifikant ist es, daß wie sonst im Epos die Staubwolken und der Waffenglanz Domitius das Herannahen von Caesars Heer anzeigen 63 . Gegenüber diesem allgemeinen epischen Einschlag verwendet Lucan wahrscheinlich ein spezielles Vorbild, wenn er Domitius 2,485ff. die Aufforderung an den Fluß in den Mund legt, mit aller Macht aus den Bergquellen (!) hervorzudringen und sämtliche (!) Wassermassen mit sich zu führen, um so das Holz (!) der zertrümmerten Brücke wegzureißen. Das erinnert an eine Passage des Homerischen Flußkampfes: der Flußgott Skamander bittet Ilias 21,31 Iff. seinen Bruder Simoeis, ihm gegen Achilleus zu helfen, den Fluß mit Wasser aus den Quellen (!) zu füllen, sämtliche (!) reißenden Wasser hervorsprudeln zu lassen und gewaltiges Getöse von Klötzen (!) und Steinen hervorzurufen. Schon die Paraphrase läßt die enge Verwandtschaft von Lucanischer und Homerischer Wortwahl und Vorstellungsfolge erkennen. Auch die Intentionen werden jeweils ähnlich formuliert: Ilias 21,314 ira παύσομεν äypuov ανδρα ~ Lucan. 2,489 praecipitem cohíbete ducem. Endlich bleiben in der Homerischen wie in der Lucanischen Szene die Worte, die an den Fluß gerichtet werden, ohne jegliche Wirkung. Es paßt zu den „achilleischen" Zügen, die Lucan zu Beginn der Gestalt Caesars verliehen hatte, wenn die Domitiusrede in II Bba die Worte des Skamander anklingen läßt, der gegen Achilleus kämpft 6 4 . Die hervorgehobenen Momente sind zu sehr auf kurze Passagen eingegrenzt, um Lucans Darstellung in II Bb als typisch episch erscheinen zu lassen. Nun gibt es aber einen ganzen Abschnitt innerhalb dieser Partie, der den antiken Leser an eine häufige epische Situation erinnern mußte. In II Bby (2,511-525) redet der Sieger Caesar den unterlegenen Domitius an. In der Epik findet sich vielfach die Konstellation, daß zwei Gegner einen Wortwechsel miteinander haben oder einer den anderen apostrophiert, was offenbar die Situation von II Bby ist. Um Lucans Verhältnis zur epischen Topik wirklich zu verstehen, müssen wir uns allerdings auf etwas ausführlichere Überlegungen einlassen. Wenn in der epischen Schlacht zwei Heroen miteinander handgemein werden und einer zum anderen redet, dann gilt die Regel, daß der (zukünftige) Sie63 2,48 Iff. Zum Staub Verg. Aen. l l , 9 0 8 f . ac simul Aeneas fiimantis pulvere campos / prospexit; später Stat. Theb. 4,664. Ein wenig noch bei U. Keudel 98. Zum Glanz etwa Ilias 2,455ff.; 13,340ff.; Lucr. 2,323ff. - und viele andere Stellen. In dieser topischen Darstellung Lucans liegt schwerlich irgendeine Symbolik, entgegen F. König, Diss. Ausz. 467 Anm. 25. Die Reserve von I. Gpelt 449 scheint berechtigt. 64 Vgl. meine Bemerkungen zum Löwengleichnis in 2.2.2.3. - F. Münzer, RE V (1905) 1339,9ff. folgert aus Lucan. 2,485ff., daß Domitius die Schleusen des Aternus habe öffnen lassen. Das ist nach meinen Darlegungen nicht mehr zwingend, aber vielleicht noch möglich. Ausgesprochen unglücklich ist es aber, wie O. Schönberger in seinem Aufsatz „Leitmotivisch wiederholte Büder bei Lucan", WdF 4 9 8 - 5 0 8 (= RhM 103, 1960, 8 1 - 9 0 ) die Verse ausdeutet. Die Aufforderung, die Domitius an den Fluß richtet, wird als Indiz für die Theorie gewertet, daß ein Antagonismus Wasser - Caesar bestehe (499). Aber der Fluß, der in homerischer Weise nicht auf die Bitte reagiert, weiß offenbar nichts von seiner Gegnerschaft zu Caesar. Es ist auffällig, wie wenig sich fast durchweg die symbolistische Lucandeutung bewährt, sobald sie anhand des Textes geprüft wird.

154

Zweiter Teil 2.3.4.

ger entweder das einzige oder das letzte Wort hat. Anders ausgedrückt: wer unterlegen ist oder unterliegen wird, spricht in einer solchen Szene nicht zuletzt. In der erhaltenen griechisch-römischen Epik, soweit sie mit Sicherheit älter als Lucan ist, wird diese Regel an über 3 0 Stellen befolgt; sie gehören zum größten Teil den zwei Homerischen Epen und der Aeneis an. In derselben Literatur wird die Regel vielleicht nur ein einziges Mal durchbrochen, in der Schilderung von Mezentius' Tod Verg. Aen. 10, 8 9 6 f f . - eine Tatsache, die bei der Interpretation der Vergilstelle einige Beachtung verdient. Auch die griechische Epik der Spätzeit, Quintus Smyrnaeus und Nonnos in den Dionysiaka, hält fast ausnahmslos daran fest, daß der (zukünftige) Sieger zuletzt spricht 6 5 . Die unmittelbar nachlucanische Epik zeigt demgegenüber etwas größere Ungebundenheit. Aber auch bei Valerius Flaccus, Silius Italicus und Statius ist die Bewahrung der traditionellen Gestaltungsweise weitaus das Normale 6 6 . Die Regel, daß der Unterlegene nicht das letzte Wort behalten kann, ist also in allen Perioden der Epik, soweit sie hier herangezogen wurde, befolgt worden, wennschon nicht immer mit derselben Strenge. 65 Den Nonn al typ vertreten vor Lucan: Ilias 21,150-199; 21,394-414; 21,420-434; 22,337-366; Aspis 350-422; 446-466; Veig. Aen. 2,533-558; 9,560-566; 9,590-637; 9,735-755; 10,439-495; 10,732-746; 10,808-820; 11,684 - 6 8 9 ; 11,702-720; 12,293296; 12,357-361; Ov. met. 12,226-240; 12,265-270; 12,283-289; 12,366-377; 12,380389. 12,290-295 ist vielleicht keine echte Ausnahme, da Euagrus nicht als Krieger spricht. In der späteren griechischen Epik sind regelmäßig: Quintus Smyrnaeus 1,643-653; 3,243267; 3,343-348; 6,372-389; 6,390-434; 8,210-216; 10,223-241; 13,191-205; 13,225243; 13,358-374; Nonnos, Dionysiaka 2,559-630; 17,287-307; 32,199-220. Das einzige deutliche Abweichen vom Üblichen scheint bei den zwei spätgriechischen Epikern Nonnos, Dionysiaka 28,81-95 zu bieten: Klytios fordert Korymbasos unter prahlerischen Drohungen zum Kampf heraus und wird von seinem Gegner ohne Antwort erschlagen. Nur scheinbar eine Ausnahme stellt Quintus Smyrnaeus 3,164-185 dar: Der sterbende Archilleus droht den Troern, ohne daß ihm jemand zu antworten wagte. Er hat aber eben unmittelbar vor seiner Drohrede noch mehrere Troer getötet (3,149-163), spricht also als Sieger. Der regelmäßige Typ erscheint auch außerhalb der beiden klassischen Literaturen - in welcher Verbreitung, kann ich nicht beurteilen: Beispiele: AT 1. Sam. 17,41-51 (David und Goliath); Chrestien de Troyes, Yvain 4184-4247 S. noch unten Arnn. 67. Natürlich wird auch im realen Leben der Sieger vielfach das letzte Wort gehabt haben (z. B. immer, wenn der getötete Feind verhöhnt wurde), aber die Festigkeit der Szenentypik des griechisch-lateinischen Epos geht über das lebensmäßig Gebotene hinaus. 66 Der Normaltyp in der flavianischen Epik: Val. Fl. 3,167-172; 4,311-314; 6,303-316; 6,317-342; 6,535-541; Sü. 1,377-402 passim; 1,475-517; 2,208-263; 4 , 2 7 0 - 2 9 4 ; 4,534-541; 5,240-257; 5,551-564; 5,565-579; 9,90-177; 9,561-569; 10,113-121; 10,254 - 2 5 9 ; 13,369-380; 16,72-77; 17,456-471; Stat. Theb. 7,676-687; 8,466-473; 8,570-586; 9,546-565; 11,547-573 (Polynices spricht als der eigentliche Sieger); 12, 761-781. Coripp. loh. 5,134-146. Irregulär ist Val. Fl. 6,644-655: Im kurzen Zweikampf Iason - Colaxes spricht nur der von Iason bald getötete Colaxes. (Val. Fl. 6,265-278 paßt trotz des Kampfausgangs im Grunde recht gut zur Regel: Anausis, selbst tödlich getroffen, spricht zuletzt, im Glauben, seinen Gegner Styrus unheilbar verwundet zu haben). Weitere irreguläre Szenen Sil. 1,440-451; 5,306-332; 11,233-258; Stat. Theb. 9,339-350. S. ferner die folgenden Darlegungen des Texts und Anm. 65.

Zweiter Teil 2.3.4.

155

Die Regel gilt natürlich nicht minder in den Fällen, in welchen dem Unterlegenen Pardon gewährt oder verweigert wird, und zwar gilt sie in allen 11 Szenen, in denen die erhaltene sicher vorlucanische Epik eine derartige Konstellation aufweist. Auch in der sonstigen epischen Dichtung, von der Pharsalia einmal abgesehen, spricht üblicherweise derjenige zuletzt, in dessen Hand die Begnadigung liegt 67 . Die 11 vorlucanischen Begnadigungsszenen haben ausnahmslos ein weiteres Charakteristikum gemeinsam: Der Unterlegene bittet ausdrücklich um sein Leben. Dieses Merkmal wie auch das Verstummen des Besiegten dürfte dem kaiserzeitlichen Römer aus einer der markantesten Passagen der gesamten lateinischen Literatur vertraut gewesen sein, dem Schlußteil der Aeneis, in dem Turnus den siegreichen Aeneas um Schonung bittet, aber als Antwort sein Todesurteil erhält. Die Szene ist ebenfalls geeignet, einen dritten typischen Zug zu veranschaulichen, der sich, ausgenommen Odyssee 22,330-380, in allen Begnadigungssituationen der vorlucanischen Epik findet: Dem Bittenden wird das Leben versagt. Kehren wir nun zur Lucanpartie II Bby (2,511—525) zurück. Die einhellige historische Überlieferung verbot es Lucan, Domitius in Corfinium von Caesars Hand oder auf sein Geheiß sterben zu lassen und so der überkommenen epischen Technik zu folgen. Der Dichter war jedoch durchaus frei, in traditioneller Weise dem Sieger das letzte Wort zu geben und dem Besiegten eine Bitte um sein Leben in den Mund zu legen. Lucan hat sich gegen die herkömmliche epische Darstellungsart entschieden. Erstens vermittelt die Selbstanrede des Domitius den Eindruck, daß der Besiegte das letzte Wort hat. Denn dieser schweigende Monolog erscheint als eine Art Antwort auf Caesars Ansprache, und zwar um so mehr, als er offenbar ein Pendant sowohl zu Domitius' als auch zu Caesars erster Rede in II Bba ist. Zweitens bittet Domitius keineswegs um Gnade; vielmehr wird ihm das Leben ganz gegen seinen Willen gewährt, ja, geradezu aufgezwungen. Die letztere Konstellation begegnet, wie schon ausgeführt, nirgends in der erhaltenen vorlucanischen Epik, aber sie hat einige Parallelen in späterer epischer Dichtung. Anscheinend nicht in den Posthomerica des Quintus Smyrnaeus und in den Dionysiaka des Nonnos 68 . Aber es gibt drei Beispiele bei Silius und 67

So Ilias 6 , 4 5 - 6 5 ; 10,378-453; 11,130-147; 2 1 , 6 8 - 1 3 5 ; Odyssee 2 2 , 3 1 0 - 3 2 9 ; 22,330-380; Veig. Aen. 10,523-536; 10,550-560; 10,575-601; 12,930-952; Ov. met. 5,214-235; SU. 14,159-177 (Asilus begnadigt den besiegten Beiyas); Stat. Theb. 2,644660; Homer. 7 1 5 - 7 2 8 (nur der bittende Dolon spricht, anders die Dolonie); 9 7 9 - 9 9 7 (nach Ilias 22,337ff.); Coripp. loh. 8,572 - 5 8 5 (nur der begnadigte Labbas spricht); Quintus Smyrnaeus 13,191-205. Abgesehen von Homer. 7 1 5 - 7 2 8 und Coripp spricht durchweg derjenige, in dessen Hand die Begnadigung liegt, zuletzt. (So ist es auch etwa bei Chrestien de Troyes, Yvain 5672-5693). Überhaupt ist es wohl in der griechisch-römischen Epik üblich, daß die Person, die in einer Handlung die Entscheidungsgewalt hat, an letzter Stelle zu Worte kommt. Vgl. z.B. Ilias 1,16-32; 9,644-655; Quintus Smyrnaeus 7,182225; 10,284-328; 13,505-531; 14,155-169. 68 Quintus Smyrnaeus 13,271-290 ist wohl etwas anders: Andromache wünscht sich den Tod, aber die Danaer lassen sie leben und schleppen sie in die Knechtschaft. Der Gedanke, daß jemandem das Leben geradezu aufgedrängt wird, tritt hier nicht klar hervor.

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Zweiter Teil 2.3.4.

Statius, also in lateinischen Epen, die in mancherlei Hinsicht von der Pharsalia beeinflußt sind. Der Verdacht liegt nahe, daß diese drei Passagen nach dem Beispiel von Lucans Domitiusszene geformt worden sind. Das wäre ein Indiz dafür, daß gerade dieser Pharsaliateil den Zeitgenossen des Dichters als ungewöhnlich aufgefallen ist. Man könnte darüber hinaus auch versuchen, die imitierenden Stellen mit ihren Besonderheiten als Kommentar zum Lucanpassus auszuwerten. Entscheidend sind selbstverständlich die Details. Silius, um mit ihm zu beginnen, beschreibt 7,27—73 eine Auseinandersetzung zwischen dem siegreichen Hannibal und Cilnius, einem etruskischen Gefangenen. Cilnius wird von Hannibal über den Cunctator befragt und rühmt den römischen Feldherrn in längerer, herausfordernder Rede, ardens. .. abrumpere vitam (Sil. 7,33). Hannibal durchschaut jedoch den Todeswunsch des Gefangenen und zwingt ihn zu einem Leben in Ketten, Sil. 7,72: vivendum

est. arta serventur colla catena.

Der Beginn des Zitats erinnert an den Beginn von Caesars erstem Hexameter Lucan. 2,512: vive, licet nolis. Natürlich ist das kein starker Beweis für Lucanimitation. Falls die Domitiusszene vorgeschwebt hat 6 9 , dann ist aufschlußreich, daß der siegreiche Herr über Leben und Tod das letzte Wort hat. In dieser Hinsicht hätte Silius hier die traditionelle epische Technik bevorzugt. In der Thebais des Statius haben wir festeren Grund unter den Füßen. Theb. 2,695—703 erhält der thebanische Seher Maeon vom siegreichen Tydeus das Leben geschenkt: vita miserandus inerti damnatur; trepido Tydeus immitia mandat: ,quisquís es Aonidum, quem crastina muñere nostro manibus exemptum mediis Aurora videbit: haec iubeo perferre duci' eqs. Daß Maeon von tiefer Todessehnsucht erfüllt ist, ergibt sich mit voller Deutlichkeit aus seinem späteren Selbstmord Theb. 3,81ff.; er ist nach Theb. 3,41 iratus fatis et tristis morte negata. So ist er wahrhaft zum Leben verdammt wie Domitius. Die erste Zeile von Tydeus' Begnadigungsworten wiederholt eine markante Formulierung der ersten Zeile von Caesars Begnadigungsrede Lucan. 2,512: nostro muñere. Die Lucanimitation ist hier sehr wahrscheinlich; sie wird durch die ganz ähnliche Nachahmungstechnik der zweiten Statianischen Darstellung einer Zwangsbegnadigung zur Evidenz erhoben. Es handelt sich um Theb. 9,293—301. Hippomedon verschont den Thebaner Panemus nach der Tötung von dessen Zwillingsbruder: eadem poscenti fata Panemo: ,vive superstes' ait ,diraeque ad moenia Thebes solus abi' eqs. " Hannibals Befehl, Cilnius in Ketten zu halten, könnte immerhin eine steigernde Umkehrung von Caesars Befehl sein, Domitius seiner Fesseln zu entledigen.

Zweiter Teil 2.3.4.

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Das erinnert an Lucan. 2,510 ferrum ... poposcit, vor allem aber an Lucan. 2,512: das erste Wort Hippomedons ist identisch mit dem ersten Wort Caesars. Auch hier ist also die erste Zeile der Caesarrede imitiert 70 . Die zwei Statiuspartien sind unzweifelhaft durch die Lucanpassage II Bb7 (2,511-525) angeregt. Aber Statius hat mit der neuen Konstellation aufgedrängten Lebens die konventionelle Redesequenz verbunden; denn in beiden Fällen spricht allein der Sieger. Unter der immerhin naheliegenden Voraussetzung, daß auch Sil. 7,27ff. von Lucan angeregt ist, haben Silius und Statius den Domitiusabschnitt in prinzipiell derselben Weise verwertet. Mit der doppelten Abwendung von der epischen Tradition hat Lucan somit in II Bb7 (2,511—525) eine sehr bemerkenswerte Szene geschaffen, die auf seine Zeitgenossen ihren Eindruck nicht verfehlt hat, und deren starkes Abweichen von der epischen Konvention als unnachahmbar empfunden wurde. Als Passage, in der ein moralisch-geistiger Konflikt ausgetragen wird, die ferner durch eine Dreierstruktur und ein betont antithetisches Verhältnis zur epischen Tradition gekennzeichnet ist, erinnert II Bb? sehr an I Bb (2,453— 461), nur daß im letzteren Abschnitt gerade die Konventionalität der Gestaltung auffällt. Einmal auf Beziehungen zwischen I (2,439-461) und II Bb (2,481— 525) aufmerksamgemacht, erkennt man leicht, daß die zwei Abschnitte in mannigfacher Weise miteinander verbunden sind. Wir können die zwei graphischen Darstellungen der beiden Partien in folgender Weise miteinander vereinen; einige Linien in II Bb, die für die Verbindung mit I unwesentlich erscheinen, sind der Übersichtlichkeit halber weggelassen worden:

70 Die zwei Thebaispartien 2 , 6 9 5 - 7 0 3 und 9 , 2 9 3 - 3 0 1 sind einander recht ähnlich. Nicht nur, daß sie jeweils an homologer Stelle auf Lucan. 2,512 rekurrieren: der Begnadigte soll auch jeweils nach Theben zurückkehren. Dieses letztere Motiv hat in der Maeon-

158

Zweiter Teil 2.3.5.

Die Skizze dürfte für sich sprechen. Man sieht deutlich, wie der allgemeine Teil I in seiner Strukturierung und Akzentuierung die Schilderung der Konfrontation Domitius - Caesar II Bb vorbereitet. Caesars Vordringen, durch via generell gekennzeichnet, wird im pons konkretisiert und verengt. Das Problem geistiger Unbeugsamkeit, das allgemein durch die Gegenkräfte terror — fides bewußt gemacht worden war, erfahrt in etwas modifizierter Form seine Zuspitzung in dem spirituellen Ringen um Caesars munus.

2.3.5. Lucati. 2,511-525 als Höhepunkt der Konfrontation Die unkonventionelle Gestaltung der Begegnung zwischen Caesar und Domitius in II Bb? wirkt vor der Folie des betonten Traditionalismus von I Bb besonders scharf profiliert. Welche Bedeutung der Dichter den in II Bb? berichteten Vorgängen beimißt, erhellt auch daraus, daß er im Zentrum ß' (2,517-521) seine persönliche Anteilnahme mit einem exklamatorischen Nachdruck äußert, der in dem gesamten Abschnitt 2,439-525 ohne Parallele ist 71 . Die moralischpsychologische Auseinandersetzung zwischen Caesar und Domitius stellt den sorgfältig herausmodellierten Gipfel dieser Partie dar. Über den Angelpunkt des geistigen Ringens läßt Lucan keinen Zweifel. Gewissermaßen programmatisch erscheint in der Anfangszeile 2,511 von II Bb? der Begriff venia, und er wird 2,515 gegen Ende des Stückes a wiederholt; der Terminus findet sich an keiner anderen Stelle des zweiten Buches. In dem einleitenden Vers 2,511 wird mit paradoxer Formulierung bereits die Fragwürdigkeit von Caesars venia angedeutet. Die zwei Ausrufe Lucans, die das Mittelstück ß' konstituieren, bringen dann besonders klar zum Ausdruck, daß es dem Dichter um die wertverkehrende Verwerflichkeit der dementia Corfiniensis zu tun ist. Mag also die 2,513f. angedeutete propagandistische Intention auch zur Entwertung von Caesars Milde beitragen: der entscheidende Grund, Caesars venia abzulehnen, ist für Lucan die ihr inhärierende Wertperversion. Denn mit dem ignoscere, das ein sceleris poenam praetermittere (Cic. epist. Brut. 1,15,10) bedeutet, wird die Gefolgschaft gegenüber dem Vaterland und seinen legalen Organen zum Verbrechen gestempelt. Wenn die republikanische Rechtsposition eines römischen Bürgers derart total mißachtet wird, so muß dieser das als Schande (Lucan. 2,517f.) und als schlimmste Form der Rache empfinden: poenarum extremum civi. . . /ignosci (Lucan. 2,519ff.) 7 2 . In dem civi mag szene seinen vollen Sinn; denn Maeon überbringt Theb. 3 , 4 0 - 9 8 die Nachricht von der Erschlagung seiner Mitstreiter. In der Panemusszene ist das Motiv handlungsirrelevant, diese Szene also wohl eine Statianische Selbstimitation nach Theb. 2,695-703; damit erklärt sich auch das Aufgreifen desselben Lucanverses in Theb. 2,697 und 9,294. Die Selbstimitation ihrerseits ist aber nicht funktionslos. Sie dient zur variierenden Umgestaltung der nachgeahmten Iliaspassage 21,33-135; Uber die Homerimitation H. Juhnke 31f. 71 Dazu noch im Dritten Teil 3.2.1 Anm. 11. 72 Pointierte Hervorhebung des ignosci. Zur Technik oben 2.2.4.2. Anm. 47. Gedanke und Formulierung von 2,517f. haben 9,1059ff. eine enge Parallele.

Zweiter Teü 2.3.5.

159

noch ein weiterer Grund für die Verwerfung der dementia Corfiniensis mitschwingen. Caesar überhebt sich, indem er einem gleichberechtigten Mitbürger das Leben schenkt: vita enim etiam superiori eripitur, numquam nisi inferiori datur (Sen. clem. 1,5,6; vgl. 1,21,If.; 2,3,1). Caesar erweist sich so als civis superbus (Lucan. 2,508); indessen liegt auf der Hand, daß für Lucan Caesars Überheblichkeit hier kein bestimmender Gesichtspunkt sein kann. Das „Geschenk" Caesars, die von Domitius „gefürchtete Verzeihung" (2,511) ist auf dem Hintergrund von I Bb (2,453-461) als Manifestation des von Caesar ausgehenden Terrors zu verstehen. In I Bb freilich hatte man die Schrecken mit der wilden Zerstörungswut zu verbinden, die nach I A (2,439—446) sich in Caesars Vormarsch äußerte. Caesars Vergebung, so darf man die strukturellen Hinweise Lucans wohl verdeutlichen, ist nicht minder furchtbar oder sogar schrecklicher als die physische Vernichtung, die das Signum von Caesars sonstigem zerstörerischen Vormarsch war. Denn diese Vergebung greift an die Wurzeln der sittlichen Existenz eines römischen Bürgers73. Der wertpervertierenden Milde Caesars steht die radikale Ablehnung des munus durch Domitius gegenüber: er weiht sich dem Tode. Allein darum geht es in dem Selbstgespräch des Domitius. Ganz fehlt dagegen in seinen Gedanken der Wunsch, Caesar weiteren Widerstand zu leisten. Das ist ein sehr auffälliger Mangel angesichts der Tatsache, daß Domitius 2,479 als pugnax vorgestellt worden war. Aber ein solcher Wunsch hätte die antithetische Klarheit in der Zurückweisung von Caesars „Geschenk", in dem das Zugeständnis des arma retemptare einbegriffen war, getrübt. Daher ist es nur konsequent, wenn Domitius' Kampf gegen Caesar in der Pharsalia keine weitere Beachtung findet, sondern diese Figur die Bühne der epischen Handlung erst wieder im Augenblick ihres Todes betritt: Lucan. 7,599ff. Indem Domitius die venia Caesars zurückweist, ist er in der entscheidenden moralischen Auseinandersetzung der Überlegene74. Die rahmende Wiederholung 73

W. Menz, Diss. Ausz. 372ff. legt Wert darauf, daß Lucan nicht etwa den Terminus dementia, sondern venia verwendet. Wenn Lucan im Hinblick auf Caesars Müde von venia spreche, deute er so unter Beziehung auf Senecas Definition clem. 2,7 an, daß Caesar gerade nicht tugendhaft handle. Die Kombination lenkt die Interpretation der Lucanstelle auf ein falsches Gleis. Die venia ist nach Sen. clem. 2,7,1 poenae meritae remissio (vgl. Cic. epist. Brut. 1,15,10). Falls Caesar eine venia, die gemäß Seneca tadelnswert wäre, ausüben sollte, müßte Domitius eine Strafe wirklich verdient haben. Gerade das ist nicht der Fall. Folglich schwebt Lucan eben nicht der Gesichtspunkt vor, unter welchem Seneca clem. 2,7 die venia verwerflich erscheint, dementia verwendet Lucan nur 8,366: dementia caeli. In Wahrheit ist venia einfach Lucans übliches Wort für „Vergebung" und Senecas „de verbo ... controversia" (clem. 2,7,4) fernzuhalten. Zu dementia grundlegend H. Dahlmann, dementia Caesaris, NJW 10, 1934, 17-26; weiteres bei U. Keudel 63ff.; eine Sammlung der römischen Definitionen Thes. III 1334,37ff. Speziell zur Neronischen Zeit vgl. Traute Adam, dementia Principis (Kieler Historische Studien 11), Stuttgart 1970; für das Verständnis der Lucanstelle bietet diese Arbeit freilich keine Hilfe. 74

Die Intention, Domitius zum geistigen Sieger zu machen, dürfte es für Lucan auch verboten haben, Domitius eine regelrechte Antwort auf Caesars Gnadenerweis in den Mund

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Zweiter Teil 2.3.5.

des Kernworts munus

( 2 , 5 1 2 ; 2 , 5 2 5 ) veranschaulicht nun nicht nur die Anti-

these von Begnadigung und Todesentschluß, sondern markiert als Pendant zum Kontrastterminus pons in II Bba ( 2 , 4 8 1 — 5 0 2 ) und zur prinzipiell h o m o l o g e n Doppelung fides

- terror in I Bb ( 2 , 4 5 3 — 4 6 1 ) den Gegensatz von militärisch-

materieller u n d geistig-moralischer Konfrontation. Die mannigfaltigen Verbindungen, die zwischen II Bba und II B b ? bestehen, lenken darüber hinaus auch den Blick auf den Wechsel der Überlegenheitskonstellation: während sich in II Bba der militärische Erfolg Caesars anbahnt, bedeutet II B b ? den geistigen Sieg des äußerlich unterlegenen Domitius. Besonders sinnfälliges Zeichen dieses Wechsels ist die chiastische Verschränkung der R e d e s e q u e n z e n v o n α u n d 7 . Die Verkehrung der üblichen Sprechfolge v o n Sieger u n d Besiegtem ist in y Ausdruck der Tatsache, daß der materiell Erfolgreiche in diesem Passus nicht der wahre Sieger ist 7 5 . Unter dem Gesichtspunkt geistigen Kampfes wäre also die traditionelle epische Gestaltungsweise wieder gewahrt — aber, genau besehen, ändert sich auch bei diesem Aspekt nichts Wesentliches an Lucans Durchbrechung epischer Usancen. Denn es ist zumindest in der erhaltenen vorlucanischen Epik, aber w o h l auch später beispiellos, daß der Gipfel einer kriegerischen K o n f r o n t a t i o n eine spirituelle Auseinandersetzung ist.

zu legen. Diese Antwort hätte notwendigerweise Bemerkungen enthalten müssen, die sich in irgendeiner Weise gegen Caesar richteten. Wenn Domitius gleichwohl danach freigelassen worden wäre, hätte Caesars Großzügigkeit ein zu starkes Gewicht erhalten. 75 Eine ähnliche Funktion hat die Abweichung vom epischen Normaltyp ebenfalls in der Lucanischen Begnadigungsszene 4,337ff. Wenn allein der bittende Afranius spricht, so ist das auch ein gewisser Ausdruck seiner ungebrochenen maiestas (4,340f.), die ihn als den eigentlich Gewährenden erscheinen läßt (4,346f.). Die Domitiuspassage 2,478ff. und den Afraniusabschnitt 4,337ff. hat im übrigen H. Nehrkorn 148ff. mit Gewinn verglichen, allerdings ohne die Abweichung von der epischen Typik zu bemerken. 7,599ff.; s. unten den Dritten Teil 4.3.2. Diese Partien unterscheiden sich freilich ebenso wie 2,511-525 in einem wichtigen Punkt von den üblichen verglichenen heroischen Gesprächspassagen der antiken Epik. Sie haben es nicht mit der unmittelbar-körperlichen Bezwingung eines Kriegers durch einen anderen zu tun. Vielmehr hat der Feldherr den Sieg über seinen Gegner immer durch das Medium seiner Soldaten oder sonstige vermittelnde Umstände errungen. Das ist eine Konsequenz der Tatsache, daß Lucan die Generale und höheren Offiziere des Bürgerkrieges nie als heroisch kämpfende Krieger agieren läßt (keine selbstverständliche Entscheidung, wie Silius' Punica oder Coripps Iohannis lehren). Nun wird aber Lucan durch diese Tatsache nicht gehindert, manche herkömmlichen epischen Gestaltungsweisen auf seine „Helden" zu applizieren, so etwa, wenn Caesar l,205ff. mit einem Löwen verglichen wird. Die Verbindung zwischen Lucans Hauptgestalten und dem herkömmlichen epischen Heros ist also bei aller Verschiedenheit nicht abgerissen. Das berechtigt doch wohl auch dazu, bei den Gesprächen zwischen Sieger und Besiegtem in der Pharsalia die Hintergrundpräsenz der epischen Topik in Betracht zu ziehen. Dementsprechend hat später Statius aus Lucan. 2,51 Iff. Anregungen für die Gestaltung von Begnadigungsszenen erhalten, die aus Kämpfen altepischer Art herauswachsen.

Zweiter Teil 2.3.6.

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2.3.6. Die Frage aktueller Bedeutung von Domitiusgestalt und Clementiakonzeption Lucans Domitius ist der Vorfahr Neros. Der Rolle, die Lucan den Pompeianer spielen läßt, wird gern eine Beziehung auf den Princeps zugeschrieben; die einen denken an höfische Schmeichelei, die anderen an versteckte Kritik. Nun ist die Einführung des Domitius bei dem Verlauf des Bürgerkriegs selbstverständlich. Lucan formt auch keine Stelle des gesamten Abschnitts 2,439—525 so, daß zu ihrer Interpretation die Kenntnis der Verwandtschaft zwischen Domitius und Nero notwendig oder wünschenswert wäre. Ja, es fehlt sogar jeder Hinweis darauf, daß Domitius Nachkommen hat 76 . Der Abschnitt 2,439-525 widerrät also eher die Annahme, es sei auf Nero angespielt, jedenfalls gibt er keine Handhabe für sie. Eine andere Überlegung entfernt den Gedanken an Nero noch entschiedener aus dem Bereich von Lucans Intentionen 77 . Ein kritischer Hinweis auf Nero, er sei seines großen republikanischen Vorfahren unwürdig, ist als Zweck der Domitiuspartie unwahrscheinlich. Denn bei dem Fehlen sämtlicher verdeutlichender Indizien innerhalb der Szene wäre eine solche Anspielung nur verständlich, wenn die Perikope in eine entschiedene Polemik gegen den Kaiser eingebettet wäre. An ihr fehlt es in diesem Zusammenhang durchaus. Wenn also überhaupt eine Beziehung auf Nero vorliegen sollte, dann könnte die Darstellung von Domitius' aufrechter Haltung nur als Schmeichelei für den Nachfahren verstanden werden. Nun besiegelt aber Domitius in dem Lucanabschnitt 7,599—616 seine Standhaftigkeit mit seinem trotzigen Tod. Da das 7. Buch sich durch entschiedene Gegnerschaft zum Prinzipat auszeichnet, ist der Gedanke fernzuhalten, die Schilderung von Domitius' heldenhaftem Sterben enthalte eine adulatorische Anspielung auf Nero 78 . Offenkundig hat Lucan ein solches Mißverständnis auch nicht befürchtet, was um so bemerkenswerter ist, als er 7,604 ausdrücklich an die Domitiusszene des 2. Buches erinnert. Die einzige Erklärung für diese Verhältnisse liegt in der Annahme, daß die Domitiusgestalt für Lucans Empfinden weder im Guten noch im Bösen etwas mit Nero zu schaffen hatte. Doch mußte nicht der Römer Neronischer Zeit, der den Namen Domitius las, notwendig dabei auch die Person des Princeps assoziieren? Der naheliegende Einwand wird scheinbar zusätzlich durch eine Nachricht gestützt, die Sueton Nero 9 und ähnlich Tacitus ann. 13,10,1 überliefert; danach hat Nero nach seinem Regierungsantritt seinem toten Vater hohe Ehrungen zuteilwerden lassen79. 76 Das ist bereits früher gegen eine Verbindung von Lucans Domitius mit Nero eingewandt worden: G. Pfligersdorffer 356; F. M. Ahl, Pharsalus 143f. Davor bereits gegen diese Verbindung W. Menz, Diss. A u s . 374ff. 77 Die folgende Argumentation steht im wesentlichen schon bei W. Menz, Diss. Ausz. 375f. 78 Anders J. Brisset 189; die Autorin macht aber keinen Versuch, die Funktion einer Nero schmeichelnden Passage im 7. Buch zu erklären. 79 I. Brisset 188 Anm. 6 beruft sich auf den Suetonpassus als Beweis dafür, daß Nero seiner Zugehörigkeit zur Gens Domitia große Bedeutung beigemessen habe.

11

Lebek (Hyp. 44)

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Zweiter Teil 2.3.6.

Aber dieser Akt, der im ersten Regierungsjahr stattfand, diente lediglich der pietatis ostentatio, wie Sueton formuliert. In der gleichen Zeit verlangte Nero für seinen ehemaligen Vormund Asconius Labeo vom Senat die Konsularinsignien, lobte in einer Laudatio funebris seinen Adoptivvater Claudius und konsekrierte ihn. Der besondere propagandistische Vorgang von Cn. Domitius' Ehrung im Jahre 54 n. Chr. kann gegenüber dem Tatbestand nicht ins Gewicht fallen, daß L. Domitius Ahenobarbus dadurch, daß er von Claudius adoptiert worden war, die Gens Domitia verlassen hatte. Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus war kein Domitier mehr und reagierte sehr empfindlich auf die Mißachtung dieser Rechtstatsache. Seinem Stiefbruder Britannicus verübelte er stark, daß er von ihm auch nach der Adoption noch ,.Domitius" oder „Ahenobarbus" genannt wurde (Tac. ann. 12,41,3; Suet. Nero 7,1). Viel später verletzte ihn in den Edikten des aufständischen Vindex vor allem die Anrede „Ahenobarbus" statt „Nero" (Suet. Nero 41,l) 8 0 . Eine schmeichlerische Erinnerung Neros an seinen Vorfahren Domitius hätte eine sehr zweideutige Form der Adulatio sein müssen. Der zeitgenössische Leser wird bei einer Erwähnung des Domitius ohne besondere Hinweise des Autors nicht leicht an den regierenden Vertreter der Caesareae domus series (Lucan. 4,823) gedacht haben. Für Seneca ist es in De dementia eine Selbstverständlichkeit, daß Nero nicht zu den Domitiern gehört. Wenn er clem. 1,23,1 zu Nero von Claudius spricht, so sagt er: pater tuus. Noch beweiskräftiger ist Sen. clem. 1,10,1: ignovit abavus tuus victis; nam si non ignovisset, quibus imperasset? Sallustium et Cocceios et Deillios et totam cohortem primae admissionis ex adversariorum castris conscripsit; iam Domitios, Messabs, Asinios, Cicerones, quidquid floris erat in civitate, clementiae suae debebat. Hier sind die Domitii eine unter anderen Gentes, die nichts mit Nero zu tun haben, nicht einmal eine besonders hervorgehobene81. Die Gestalt von Lucans Domitius steht also mit Nero in keinerlei Verbindung. Doch wie verhält es sich mit Caesars Milde, die in der gewichtigsten Partie II 80 Nero insitivus, Domitio genitus patre - so wird Nero in der Octavia 249 von der Titelheldin beschimpft. 91 J. Brisset 134 möchte freilich ein Indiz, das in entgegengesetzte Richtung deutet, aus Sen. benef. 3,24 gewinnen. Seneca erzählt hier, wie Domitius, als er in Corflnium Selbstmord begehen wollte, von seinem Arzt statt eines tödlichen Giftes einen Schlaftrunk erhielt: vixit Domitius et servatos a Caesare est; prior tarnen illum servus servaverat. Seneca erwähnt im Gegensatz zu Plutarch, Caesar 34,8 nicht die Freude des Domitius über das Mißlingen des Selbstmordes und sagt auch nichts über die Haltung des Pompeianers nach seiner Begnadigung. Das Schweigen Senecas erkläre sich, meint J. Brisset, sehr gut „étant donné la parenté de Domitius avec Néron." Bei dieser Erwägung ist jedoch der Zusammenhang, in welchem Seneca Domitius erwähnt, außer Acht gelassen. Der Bericht gehört in eine Anekdotenreihe, die beweisen soll, daß auch Sklaven ihren Herren Wohltaten erweisen können: benef. 3,23,Iff. Seneca legt in der Beispielsammlung den Nachdruck auf die Umsicht und Großmut der Sklaven, nicht etwa auf die Haltung ihrer Herren. In Wahrheit ist es gerade charakteristisch für die Trennung Neros von der Gens Domitia, daß Seneca eine solche Erzählung verwenden kann, in der sich Domitius nicht eben als Held bewährt.

Zweiter Teil 2.3.6.

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Bb7 (2,511-525) Lucans thematisches Anliegen ist? Sollte man nicht denken können, daß die Verwerfung der dementia Caesaris zugleich auch eine Verwerfung der dementia Caesarum und damit eine Ablehnung des Prinzipats bedeutet? Der einzige oder jedenfalls der bei weitem wichtigste Grund fiir Lucans Feindschaft gegenüber Caesars Milde ist, wie dargelegt, die mit der Verzeihung implizierte Wertperversion. Gesetzestreues Handeln wird zum Verbrechen umgemünzt. Das ist ein Ansatzpunkt für die Kritik, der sich ganz aus der Situation ergibt, innerhalb deren Caesar Verzeihung gewährt; es ist schwer zu sehen, wie derselbe Aspekt die von Nero verlangte oder ausgeübte Milde hätte als verwerflich erscheinen lassen können. Die von Caesar gewährte venia wird somit in keinerlei Beziehung zur Herrschertugend der dementia gebracht. Dem Vorgehen Lucans entspricht Senecas Praxis in De dementia. Caesar wird in dieser Senecanischen Schrift, soweit sie erhalten ist, überhaupt nicht erwähnt; das - natürlich Nero noch unterlegene - Vorbild in der Handhabung der dementia ist Augustus (1,9,Iff.). Die völlige Ausschaltung Caesars erklärt sich, von mehr allgemeinen Gründen abgesehen 82 , hauptsächlich damit, daß Caesars Milde zu seinem eigenen Untergang geführt hatte. Caesar war nur zu geeignet auf gewisse für den Machthaber gefährliche Seiten dieser Tugend hinzuweisen. Der von Seneca unablässig wiederholte Gedanke, daß die dementia die Herrschaft sichere, hätte bei einem Hinweis auf Caesars dementia stark an Überzeugungskraft eingebüßt. Den Befürwortern kaiserlicher Milde mußte folglich ebensosehr daran liegen, Caesar aus dem Blickfeld zu rücken, wie dem Kaiser selbst, der als gnädiger Herrscher kaum an Caesars ominöse dementia erinnert zu werden wünschte. Es ist nur zu verständlich, daß unter solchen Umständen an Caesars Milde dort, wo sie Erwähnung fand, gern negative Aspekte aufgedeckt wurden. Seneca etwa berichtet benef. 2,20,1: disputan de M. Bruto solet, an debuerit accipere ab divo Iulio vitam, cum ocddendum eum iudicaret. Er kommt benef. 2,20,3

zu dem Ergebnis: vitam acdpere debuit, ob hoc tarnen (non) habere ilium parentis loco, quia in ius dandi benefica iniuria venerat eqs. Caesars Milde wird hier in einer an Lucan erinnernden Weise als widerrechtlich gebrandmarkt 83 . Und ganz ähnlich wie in der Domitiusszene ist auch in Senecas Argumentation der 82

Gemeint ist der „augusteische" Charakter von Neros Herrschaft. Dazu und zu den folgenden Ausführungen im Ersten Teil 2.7. Die Verbindung mit Caesar hat Nero auch sonst gemieden. Darüber oben in 2.1 Anm. 3. 83 Senecas Argumentation berührt sich hier und noch stärker clem. 1,5,6 mit der von Plutarch, Cato minor 66,2 wiedergegebenen Erwägung Catos, aufgrund deren er Caesars Milde verschmähte: Caesar handle widerrechtlich, wenn er Männer wie ein Herr rette, über die zu herrschen ihm nicht zukomme. Negative Einschätzung von Caesars dementia auch Sen. benef. 5,16,5. Freilich unterliegt Senecas Einstellung Schwankungen. Dial. 4,23,4 bemerkt er anerkennend über Caesar: victoria civili clementissime usus est. Zu den negativen Folgen von Caesars Milde vgl. im übrigen noch die Nero in den Mund gelegten Worte Ootavia 498f.: Brutus in caedem ducis, / a quo salutem tulerat, armavit manus eqs.

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Zweiter Teil 2.4.

Gedanke fernzuhalten, die von Nero geforderte dementia solle „entlarvt" werden. Nero war nach der offiziellen Doktrin legitim und friedlich zur Herrschaft gekommen, nicht „durch Unrecht". Die Art und Weise, in der Lucan die Gestalt des Domitius und die von Caesar gewährte Vergebung behandelt, hat also tatsächlich etwas mit der Gegenwart des Dichters zu tun. Das freilich nicht in dem Sinne, daß sie in irgendeiner Weise die Gedanken des Lesers auf die zeitgenössischen Verhältnisse hinlenken sollte. Vielmehr ist es gerade die sorgfältige Vermeidung jeglichen Gegenwartsbezugs, die Lucans Darstellung in das Denken und Empfinden der Neronischen Epoche einbettet.

2.4. Zusammenfassung und Ergänzung Der Abschnitt 2 war den beiden ersten Caesarpartien der Pharsalia gewidmet: Lucan. 1,183-391 und 2,439-525. Das charakteristische Merkmal der behandelten Partien ist ihr sehr überlegter Aufbau, der der Ponderierung des Gehalts dient. Das Netz der Beziehungen welches die Abschnitte überspannt, hat gewissermaßen Knotenpunkte in wiederholten Kernwörtern und -Wendungen. Bezeichnend ist weiter die intensive Auseinandersetzung Lucans mit herkömmlicher epischer Gestaltungsweise. Das Wechselspiel von Ablehnung und Aneignung der epischen Topik, bei dem der Dichter ein Zuviel an Konventionalität zu vermeiden trachtet, ist ein beherrschendes Element von Lucans Gestaltungsweise und gibt der Strukturierung des Ganzen schärfere Konturen. Die erste große Caesarperikope 1,183468 ist im wesentlichen nach Verg. Aen. 7,341-817 gestaltet, mit beträchtlichen Variationen zwar, aber doch so, daß das Vorbild unverkennbar ist. Hinter dem tektonischen Anschluß an die Aeneis stehen bestimmte poetologische oder geschichtsphilosophische Intentionen. Keinesfalls ist es das Unvermögen, ohne Muster die Abschnitte aufbauen zu können. Das zeigt die Partie 2,439—525, für deren kunstvolle Struktur schwerlich bei Vergil oder einem anderen Dichter ein Vorbild nachzuweisen sein dürfte. Das subtile Beziehungsgeflecht des ersten Abschnitts läßt ein recht differenziertes Bild Caesars vor uns erstehen. Gewiß, Lucan achtet sorgfältig darauf, den Unrechtscharakter von Caesars Kriegsbeginn herauszuarbeiten. Die Begegnung mit der Patriaerscheinung enthüllt Caesars Selbstbezogenheit, die ihn vor einem Rechtsbruch gegenüber dem Vaterland nicht zurückschrecken läßt. Als Rechtsbrecher zeigt sich Caesar auch in den Worten, die er unmittelbar nach der Überschreitung des Rubico äußert, als furchterregender Friedensstörer wirkt er auf die Ariminenser. Man kann diese Feststellung mit der Beobachtung zusätzlich stützen, daß Lucan mehrfach in auffälliger Weise unterläßt, Momente zu betonen, die Caesar exkulpieren könnten. Caesars Erwiderung auf die Patriarede und seine Worte auf dem jenseitigen Rubicoufer sind in dieser Hinsicht aufschlußreich; am bemerkenswertesten aber ist, daß die Vertreibung der Tribunen

Zweiter Teil 2.4.

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aus Rom die ausdrücklich als unrechtmäßig bezeichnet wird, nicht als auch nur partielle Rechtfertigung von Caesars Vormarsch anerkannt wird. Aber all das ist doch nur eine einzige Seite eines mehrdimensionalen Sachverhalts. Denn in der Bitte, die Caesar an Roms Götter und die Roma selbst richtet, äußert sich eine gewisse verehrungsvolle Bindung an Rom; und hier wie auch unmittelbar nach der Rubicoiiberquening fehlt es nicht an jeglicher Andeutung des Zwangs, unter dem Caesar steht. Daß Caesar in Pompeius einen Gegner hat, der seinerseits die Alleinherrschaft liebt, wird von Curio ausgesprochen und von Caesar an markanter Stelle seiner Ansprache eindringlich ausgeführt. Caesar wird dadurch nicht entschuldigt, aber aus seiner Isolierung als Alleinschuldiger gelöst. Ihm steht eben ein anderer Herrschaftsprätendent gegenüber. Mit der Gestalt des Curio werden weitere Gesichtspunkte eingeführt, welche Caesars „Schuld" in neuem Licht sehen lassen. In einem Augenblick, in dem Caesar sich seines Kriegsentschlusses nicht ganz sicher ist, drängt Curio zielstrebig zum Beginn der Feindseligkeiten. Und Curio ist nicht ein rein auf sich gestelltes Individuum, sondern Exponent der Korruption der späten Republik. In der abschließenden und wichtigsten der drei großen Anfangspartien ist es schließlich der Soldat Laelius, der die Zustimmung zum Bürgerkrieg in Caesars Heer bewirkt. Auch er, aber in noch stärkerem Maße als Curio, Exponent der Wertperversion, die am Ende der Republik um sich gegriffen hat. Aus Laelius spricht reine Verachtung der republikanischen Institutionen, und gerade seine radikale Sprache gewinnt die Soldaten für Caesar. Caesar ist also nicht als einziger am Bürgerkrieg schuld. Neben und hinter ihm arbeiten andere Individuen auf die Katastrophe hin und zugleich die anonymen Kräfte, die der Niedergang der Republik entbindet. Pompeius wird, soweit sein Name fällt, durchaus als eigennütziger Machthaber dargestellt, dem nur an der Verstärkung seiner Position liegt. Dazu stimmt, daß Lucan im 1. Buch auch gewichtige für Pompeius sprechende Fakten unterdrückt. Der Dichter teilt nicht mit, daß unmittelbar vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs der Konsul C. Claudius Marcellus das Heereskommando an Pompeius übergeben hatte 84 . Das Senatus consultum ultimum, in dessen Gefolge Pompeius weitere Vollmachten erhielt, wird von Lucan 1,488ff. nur als Indiz für die Angst der Senatoren erwähnt, ohne daß überhaupt der Name des Pompeius genannt würde. Es dürfte nach all dem klar sein, daß im ersten Caesarabschnitt die Zeichnung Caesars und seine Einbettung in die Zeit der ausgehenden Republik sich weitgehend mit dem Bild deckt, welches in dem zweiten und dritten Ursachenabschnitt entworfen wird. Das zeigt sich auch etwa darin, daß die „achilleische" Charakteristik Caesars in dem Löwengleichnis fortgeführt wird.

84 Es mag sein, daß die Haltung des Konsuls in Lucans Quelle als illegal bezeichnet wurde. Über diese Frage Ed. Meyer 273ff. Aber das hätte Lucan zweifellos nicht gehindert, den Vorgang als Beweis für die Gesetzmäßigkeit von Pompeius' Kriegsführung geltend zu machen, wenn es ihm auf diesen Punkt angekommen wäre.

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Zweiter Teil 2.4.

Ein gewisses Fortwirken dieser „achilleischen" Züge darf man gleichfalls in der Homerimitation Lucan. 2,485—489 erkennen. Aber auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, daß in der zweiten Caesarszene das Negative und Zerstörerische in Caesar stark akzentuiert wird, ohne durch den Hinweis auf die Zeitverhältnisse gemildert zu sein. Pompeius erscheint hier als der Führer der Partei, die das Vaterland und den Senat vertritt (2,519f.). Das Pendel des Rechts schlägt also im zweiten Caesarabschnitt viel entschiedener als im ersten zuungunsten Caesars und zugunsten seiner Gegner aus. Das hängt zweifellos damit zusammen, daß die dementia Corfiniensis entwertet werden soll — in Übereinstimmung mit gewissen Tendenzen der Kaiserideologie. Aber es spielt wohl ebenfalls eine Rolle, daß Wenige hundert Verse zuvor der Übertritt Catos in das Lager des Pompeius geschildert worden war; für Catos Entschluß war die zum erstenmal hervorgehobene Tatsache entscheidend gewesen, daß auf der Seite dieses Feldherrn zugleich die legale Staatsgewalt steht (2,319f.). Catos bloße Entscheidung wie auch ihre Begründung geben Pompeius ein rechtlich-moralisches Übergewicht, welches sich zumindest in der bald folgenden Caesarszene bemerkbar macht. Die Bewertung Caesars und seiner Schuld unterliegt also Schwankungen. Ist es nun angebracht, irgendwelche Verbindungen zwischen Caesar und Nero oder dem Prinzipat im allgemeinen anzunehmen? An einem expliziten Hinweis, der in diese Richtung deutete, fehlt es in den zwei besprochenen Perikopen durchaus. Auch impliziert ist eine solche Vorstellung nirgends. Im Gegenteil. In dem großen Caesarabschnitt des Beginns ist der Aggressor, wie dargelegt, so in das Gewebe der spezifisch spätrepublikanischen Bedingungen eingesponnen, daß von ihm kein Weg zu Herrscherpersönlichkeiten einer späteren Zeit führt. Darüber hinaus wäre allein die Differenziertheit, mit der Caesars Schuld abgeschwächt wird, eine denkbar ungeeignete Art der Anspielung auf Gegenwartsverhältnisse. Später hat die Gestalt des Domitius nichts mit Nero zu tun. Die Kritik an dem Verzeihen Caesars ist in die Besonderheiten der Situation eingebettet und läßt nicht an die Tugend der Kaisermilde denken. Lucan intendiert somit in den zwei besprochenen Abschnitten offenbar keinerlei Anspielung auf die Neronische Epoche und womöglich noch weniger eine Verbindung zwischen Caesar und dem Kaiser85. Seine Leser waren auch weit entfernt davon, eine solche Beziehung zu erwarten. 85 Die Gleichsetzung von Caesar und Nero hat schon A. Thierfelder 65 abgelehnt. Im gleichen Sinne kürzlich auch O. A. W. Dilke in seinem Essay „Lucan's Political Views". Daß Caesar nicht schlechthin mit negativen Eigenschaften ausgestattet ist, haben im Prinzip auch gesehen O. S. Due 102; I. Opelt 450.

Zweiter Teil 3.1.

167

3. Die Begriffe liber und libertas in den ersten drei Büchern 3.1. Einleitung Die bisherigen Darlegungen des Zweiten Teils haben gesichert, daß in den ersten beiden großen Caesarpartien der Pharsalia die Gestalt des Angreifers keine Verbindung mit der Institution oder Person des Princeps aufweist. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß es andersartige Verknüpfungen zwischen Lucans Darstellung und der Gegenwart des Dichters geben mag, die als Kritik an der politischen Staatsgestaltung seiner Zeit aufzufassen wären. Am ehesten darf man wohl solche politischen Implikationen an den Stellen erwarten, an denen der Dichter im Zusammenhang mit römischen Verhältnissen von der „Freiheit" spricht. Es scheint daher angebracht, alle die Passagen der ersten drei Bücher, in denen Lucan die Ausdrücke Uber und libertas auf Gegebenheiten des römischen Staats appliziert, genauer zu analysieren1. Bei der offenkundigen Bedeutung, die die strukturelle Ponderierung für das Verständnis der einzelnen Pharsaliapassagen hat, wäre es verfehlt, den interpretierten Text auf die nähere Umgebung des Freiheitsbegriffes einzuschränken. Doch wird, um die Ausführungen nicht übermäßig anschwellen zu lassen, die Strukturanalyse manchmal etwas verkürzt werden; auch in dieser Form wird sie noch ausführlich genug sein. Zwei Partien, in denen die Wörter liber und libertas begegnen, sind bereits betrachtet worden. Es handelt sich um libertas 1,172 in dem dritten Abschnitt der einleitenden Darstellung der Kriegsursachen und um libertas 1,270 in der Charakteristik Curios. Der Zusammenhang, in dem das Substantiv erscheint, vermittelt beidemal denselben Eindruck. Zunächst fehlt es an jeglicher faßbaren Berücksichtigung der nachrepublikanischen Entwicklung. Ferner wird gezeigt, daß die Freiheit, ganz unabhängig von Caesars Machtstreben, kein sicherer Besitz des römischen Volkes mehr ist. Sie ist in die allgemeine Dekadenz mit einbezogen und in der ausgehenden Republik nicht mehr mit dem Frieden vereinbar. Daß ein Mann wie Curio einst der Hort der Freiheit gewesen war, ist ein Indiz, wie wurzellos die libertas geworden ist, die so wan1 D. Gagliardi bezeichnet Lucan bereits in der Überschrift seines Buches als „poeta della libertà" und behandelt dann S. 151ff. „il tema della libertà" - aber leider wenig ergiebig. Schuld an dieser Unfruchtbarkeit ist die Textferne seiner Ausführungen. Statt die vorliegende Dichtung auf die Freiheitsidee hin zu untersuchen, spekuliert Gagliardi über die Entwicklung des Dichters, seine Beeinflussung durch Cornutus u. dgl. Die allgemeine Literatur zum Thema „libertas" bietet, soweit sie mir bekannt ist, für die Lucaninterpretation keine entscheidenden Hilfen. Literaturhinweise gibt Stefan Weinstock, Diviis Iulius, Oxford 1971, 134 Anm. 1. Nützlich ist Chaim Wirszubski, Libertas as a Political Idea at Rome during the Late Republic and Early Principate, Cambridge I960 2 ; für die Kaiserzeit generell wichtig L. Wickert, RE 1. R. 44. Hbbd. (1954) 2080-2096 s. v. Princeps

168

Zweiter Teil 3.2.1.

kelmütige und zwielichtige Verteidiger hat. In beiden Partien werden endlich die Wörter liber, libertas mehr beiläufig eingeführt und sind keineswegs zentrale Begriffe. Ob sich die restlichen Freiheitspassagen der ersten drei Bücher in dieses Bild einfügen, sollen die folgenden Darlegungen klären.

3.2.

Die Prophezeiung des Nigidius Figulus: Lucan. 1,469-2,233

3.2.1. Die Prophezeiung Lucan. 1,666-672 im Lichte der bisherigen Ergebnisse und außerlucanischer Zeugnisse Nigidius Figulus, der 1,639ff. als hochbedeutender Astrologe vorgestellt wird, beschreibt l,642ff. in ausführlicher Rede die unheilverheißende Konstellation der Gestirne 2 . Er schließt mit den Versen l,660ff.: 660 ,quid tantum, Gradive, paras? nam mitis in alto Iuppiter occasu premitur, Venerisque salubre sidus hebet, motuque celer Cyllenius haeret, et caelum Mars solus habet, cur signa meatus deseruere suos mundoque obscura feruntur, 665 ensiferi nimium fulget latus Orionis? inminet armorum rabies, ferrique potestas confundet ius omne manu, scelerique nefando nomen erit virtus, multosque exibit in annos hic furor, et superos quid prodest poscere finem? 670 cum domino pax ista venit. due, Roma, malorum continuam Seriem clademque in tempora multa extrahe civili tantum iam libera bello. ' Mit dem dominus 1,670 müsse, so glaubt man, Augustus gemeint sein, der Schöpfer der auch für Lucans Zeit gültigen Ordnung 3 . Für die Identifikation werden zwei Gründe geltend gemacht. Erstens passe 1,668 multos . . . annos besser für die gesamten Auseinandersetzungen von 49 bis 29 a.Chr. als für die vier Jahre des von Caesar geführten Bürgerkriegs. Zweitens sei die Prophezeiung eine Reminiszenz an die Augustusanekdote, die von Sueton Aug. 94,5 und 2

Zu den astrologischen Details R. J. Getty, TAPhA 91, 1960, 310-316, der jedoch, wie mir scheint, die Dinge unnötig kompliziert daxstellt; bei Getty auch die ältere Literatur. 3 G. Pfligersdorffer 347 Anm. 2; B. F. Dick 39; J. Brisset 186; D. Gagliardi 93f.; O. A. W. Dilke, Lucan's Political Views 69f. Diese Autoren entscheiden die Frage, wer der dominus sei, im Sinne R. T. Bruères 246, ohne eigene Argumente zu Bruères Darlegung hinzuzufügen. Die im Ersten Teil 2.7. Anm. 77 genannten Vertreter der ,.Entwertungshypothese" äußern sich nicht zu dem Problem: ihre Meinung ist daher erst von der Argumentation betroffen, die auf die kritische Betrachtung der Argumente folgt, die fur die Gleichsetzung des dominus mit Augustus vorgebracht worden sind.

Zweiter Teil 3.2.1.

169

Cassius Dio 45,l,3ff. berichtet wird. In Suetons Formulierung heißt es: quo natus est die, cum ... Octavius ob uxoris puerperium serius (in curia) affuisset, nota ac vulgata res est P. Nigidium, comperta morae causa, ut horam quoque partus acceperit, affirmasse dominum terrarum orbi natum. Bei Dio lautet die Nigidianische Bemerkung gegenüber Octavius: δεσπότη ν ήμϊν έ-γέννησας (45,1,5). Auf das erste Argument wird anscheinend im allgemeinen weniger Wert gelegt, mit Recht. Denn welche Menge der Begriff „viel" meint, hängt klärlich ebenso von der Art der Tatbestände ab, auf die sich die Quantitätsangabe bezieht, wie von der Situation und Intention des Sprechenden; feste Grenzen gibt es nicht. So sagt Lucan 5,472 multos per annos, wo er, streng genommen, nur gut fünf Jahre der Verschwägerung zwischen Caesar und Pompeius meinen kann. Und 2,568f. bezeichnet Pompeius in seiner Polemik gegen Caesar sogar die zwei Lustren von Caesars gallischem Feldzug als multa lustra4. Es wäre also mit Hilfe der multi anni nicht auszuschließen, daß Lucans Nigidius nur der Caesarische Bürgerkrieg vorschwebt; für das Wirken des furor wären vier Jahre schon „viel". Aber man muß bezweifeln, daß die Frage, an welchen Bürgerkrieg bei den multi anni zu denken sei, überhaupt sinnvoll ist. Nigidius sieht aufgrund seiner astrologischen Kenntnisse einen furchtbaren verbrecherischen Krieg voraus, der sich lange hinziehen wird. Genaueres sagt er nicht. Die relative Unbestimmtheit gehört wesentlich zu der astrologischen Voraussage. Der Leser sollte die Prophezeiung nicht exakter machen als sie ist. Und das zweite Argument? Nun, bei näherem Hinsehen erweist sich die Verknüpfung des Lucanpassus mit der Augustusanekdote als sehr zweifelhaft. In der Darstellung Dios und Suetons ist Nigidius als Astrologe tätig, der aufgrund der Nativität dem neugeborenen Sohn des Octavius die Herrschaft prophezeit. Bei Lucan scheint demgegenüber die astrologische Basis mit 1,669 verlassen. Wenn nämlich von den Planeten allein Mars den Himmel beherrscht, unter den Sternzeichen allein der schwerttragende Orion übermäßig glänzt, dann deutet das offenbar auf einen schrecklichen und vielleicht auch einen langdauernden Krieg hin, läßt aber keinerlei Prophezeiung über den zukünftigen Frieden und die zukünftige Staatsgestaltung zu. Die Voraussage über den dominus bei Lucan ist somit anders als das Horoskop, welches Augustus gestellt wurde, durch die geschilderte Konstellation nicht astrologisch fundiert. Aber paßt das nicht gerade sehr gut zu der Identifikation von Lucans dominus mit Augustus? Figulus, dem der gegenwärtige Gestirnstand keine Möglichkeit zur Erkenntnis des zukünftigen dominus bietet, würde sich eben seiner früheren astrologischen Fixierung des dominus gewissermaßen erinnern. Wer 4

R. Bentley hat aus den multa lustra machen wollen: bina oder gemina; auch andere Korrekturen sind vorgeschlagen worden. Aber der überlieferte Text ist einwandfrei. Pompeius spricht in affektischer Übertreibung, wie er eben im selben Zusammenhang behauptet, Caesar habe sein ganzes Leben auf die anstrengenden Kämpfe mit den Galliern verwendet; denn nur das kann gemeint sein mit 2,569 aetas ... impensa labori. Dazu F. Leo 149ff.

170

Zweiter Teil 3.2.1.

so argumentierte, übersähe einen wesentlichen Punkt des Nigidiuspassus: der dominus ist untrennbar mit der pax verbunden. Der Gedanke an die Beendigung eines Krieges spielt aber in dem Augustushoroskop keine Rolle; Figulus hätte also das Horoskop in einer wichtigen Hinsicht verdreht - und damit recht unkenntlich gemacht. Daß in den Äußerungen des Figulus keine Anspielung auf die Augustusanekdote intendiert ist, dürften die vorgetragenen Erwägungen einigermaßen wahrscheinlich gemacht haben. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, daß der bisherige Inhalt der Pharsalia keineswegs auf Augustus als den künftigen dominus verweist. Vielmehr steht im Zentrum der causae l,67ff. bekanntlich der Gegensatz zwischen Caesar und Pompeius, den beiden zur Alleinherrschaft drängenden Überlebenden der drei domini (1,85). Die Schlußworte Curios l,289ff. und in indirekter Weise Caesars Ansprache 1,299ff. lassen ebenfalls keinen Zweifel daran, daß sich zwischen Caesar und Pompeius ein Kampf um die alleinige Macht abspielt. Der Leser, der seine Rolle bis 1,670 durchgelesen hatte, konnte in dem dominus nur einen der beiden Bürgerkriegskontrahenten vermuten. Das heißt nicht, daß man jetzt für Caesar zu optieren hätte 5 . Lucans Nigidius spricht allgemein vom dominus, weil der Dichter ihn noch nicht die Kenntnis über den, zukünftigen Sieger haben läßt; es ist eben ganz ungewiß und auch aus den Sternen nicht abzulesen, wer die Herrschaft erringen wird. Um es mit Lucan. 9,19f. zu sagen: pendebant casus dubiumque manebat quem dominum mundi facerent civilia bella. Daß der friedenbringende Sieg die Gewaltherrschaft eines der beiden Kontrahenten begründen werde, das ist eine Anschauung, die auch Cicero oft in verschiedener Form äußert, so Att. 7,5,4: ex victoria cum multa mala tum certe tyrannus existet6. Nigidius trägt also die Befürchtungen vor, die republikanisch gesinnte Kreise bei Kriegsbeginn hegen. Die ciceronische Auffassung paßt zu einem Mann, der Cicero politisch nahestand. Im letzten Vers der Voraussage 1,672 wird geleugnet, daß Rom nach Beendigung des Bürgerkriegs noch frei sein könne. Wenn Lucan selbst spräche, dann bedeutete das unzweifelhaft, daß Rom auch unter Neros Herrschaft un5

So W.-LB. z.St., unter Berufung auf Lucan. 7,646; aber die Parallele hat ersichtlich keine Beweiskraft. Vgl. auch die nächste Anm. 6 R. J. Getty (referiert von V. L. Holliday 38) wertet den Briefpassus als Stütze für die Gleichsetzung des dominus Lucan. 1,670 mit Caesar, völlig zu Unrecht. Der Satz Ciceros wird beleuchtet etwa von Cic. Att. 8,11,2: dominatio quaesita ab utroque est;... uterque regnare vult. 10,7,1 regnandi contentio est eqs. Dies und anderes bei Ed. Meyer 314 Anm. 3; vgl. ferner M. Geizer 219 Anm. 214. Hinzuzufügen ist die Notiz bei Plutarch, Brutus 29,4, man habe geglaubt, Pompeius werde im Falle eines Sieges eine legal verbrämte Alleinherrschaft ausüben. Grundsätzliches Cic. har. resp. 54: neque enim ullus alius discordiarum solet esse exitus inter claros et potentis viros nisi aut universus interims aut victoris dominatus ac regnum. Es folgen historische Exempla für den victoris dominatus.

Zweiter TeU 3.2.2.

171

frei sei. Gilt die Implikation auch unter der Voraussetzung, daß Nigidius der Sprecher ist? Es scheint nicht so. Der Verlust der Freiheit wird durch die Herrschaft des dominus (1,670) hervorgerufen. Die Zeit der fehlenden libertas muß folglich die erwartete Herrschaftszeit des Siegers unter den beiden gegnerischen Feldherrn sein. Auf die Geschichtsentwicklung nach diesem Dominât wird nicht reflektiert. Nigidius sagt nicht etwa für die gesamte römische Geschichte nach dem Bürgerkrieg den Verlust der Freiheit voraus, sondern eben für die nähere Zukunft, welche die für Nigidius relevante Zeit ist. Das ist auch die einzig adäquate Form, in der ein Römer sich zu Kriegsbeginn über das Kriegsergebnis äußern kann, wenn ihm darüber keine übernatürliche Information zur Verfügung steht. Die Freiheit, die Lucans Nigidius für allein noch möglich hält, ist charakterisiert durch Kriegswahnsinn, Rechtlosigkeit, Billigung des Verbrechens. Das ist ein Zustand, der in diametralem Gegensatz zu dem Idealbild steht, das Seneca clem. 1,1,8 von der Neronischen Zeit entwirft: securitas alta, adfluens, ius supra omnem iniuriam positum; obversatur oculis laetissima forma rei publicae, cui ad summam libertatem nihil deest nisi pereundi licentia1. Auf den zeitgenössischen Leser Lucans muß die Freiheit unter den von Nigidius dargelegten Bedingungen als ein zumindest sehr fragwürdiges Gut gewirkt haben und eine Einstellung, die eine mit so schweren Mängeln behaftete libertas gleichwohl erstreben konnte, als höchst bedenklich. Selbst der flüchtige Leser Neronischer Zeit, der in den Worten des Nigidius eine Beziehung auf die Gegenwart indiziert glaubte, wird schwerlich die Präsenz dieser Art spätrepublikanischer Freiheit für wünschbar gehalten haben. 3.2.2. Der Kontext: Lucan.

1,469-2,233

Bisher haben wir kaum auf den Zusammenhang geachtet, in dem die Nigidiusrede erscheint. Es gilt diesen Interpretationsfehler zu berichtigen. Der letzte Teil des ersten Buches stellt nach der vorausgehenden Caesarperikope die Reaktionen und Begebenheiten in Rom dar: 1,469—695 8. Unter inhaltlichem Aspekt liegt es nahe, die folgende Disposition anzunehmen: 1,469—522 Furcht und Flucht der Römer; 1,522—695 Vorzeichen und Prophezeiungen. Achtet man dagegen auf die Darstellungsformen, scheint die Perikope zusammengesetzt aus den zwei fast gleichlangen Partien 1,469—583 und 1,584—695. Der erste Teil 7

Ganz ähnlich preist Seneca clem. 1,19,8 den Princeps, sub quo iustitia, pax, pudicitia, securitas, dignitas fioretti, sub quo opulenta civitas copia bonorum omnium abundat. Calp. ecl. 1,42 ist ebenfalls bezeichnend für die Hochschätzung von Sicherheit und Frieden: aurea secura cum pace renascitur aetas eqs. 8 Mit dem Aufbau von Lucan. 1,466-695 haben sich bereits ausführlicher befaßt. W. Rutz, Diss. Ausz. 162ff.; W. Menz, Diss. 46ff.; B. F. Dick 38ff. Ich verzichte darauf, Abweichungen und Übereinstimmungen zu markieren.

172

Zweiter Teil 3.2.2.

schildert in rein berichtender Form, ohne das Auftreten handlungstragender sprechender Einzelpersonen. Der zweite Teil ist in individualisierter Gestaltungsweise um drei Einzelpersonen zentriert, deren jeder eine direkte Rede zugewiesen ist. Es ist nicht so, daß nur eine der beiden Gliederungen richtig wäre. Vielmehr ist hier eine Gliederungsüberlagerung anzuerkennen, durch die die Einheit der Perikope 1,469-695 verstärkt wird. Die letzte, an der Gestaltungsweise orientierte Disposition ist, wie sich noch zeigen wird, besonders stark akzentuiert und sei allein zugrundegelegt. Die zweite Partie, die bei dieser Gliederung zu erkennen ist, 1,584—695, hat folgenden Aufbau: I

1,584-638 (55 Verse)

II

1,639-672 (34 Verse)

III

1,673—695 ( 2 3 Verse)

Der greise etruskische Haruspex Arruns: Prodigienexpiation und dunkle Andeutungen über kommendes Unheil aufgrund eines Extispicium (Rede: 1,631-637) Figulus: Prognose der Tatsache des Krieges mit Hilfe der Astrologie und weitere Voraussage der Alleinherrschaft (Rede: 1 , 6 4 2 - 6 7 2 ) Eine römische Matrone: Weissagung von Einzelheiten des Kriegsverlaufs aufgrund Apollinischer Besessenheit (Rede: 1 , 6 7 8 - 6 9 5 )

Es ist ohne weiteres klar, daß die Weissagungen von I bis III in der beliebten Lucanischen Form triadischer Steigerung zunehmend deutlicher und genauer werden. Natürlich war das auch für die zeitgenössischen Leser durchschaubar, wie man aus Stat. Theb. 4,369—645 ersehen kann, wo Lucans Dreiergruppe immer exakterer Prophezeiungen in sehr interessanter Weise imitiert und variiert wird 9 . Die Eingeweideschau des Arruns wird l,626ff. mit der Leber beschlossen, welche zwei capita aufweist, l,628f.:

pars aegra et marcida pendei, pars micat et celeri venas movet inproba pulsu. Was die zwei capita prinzipiell bedeuten, lehrt Seneca Oed. 359, in einer bekannten Parallelstelle; es handelt sich um ein semper omen unico imperio grave. Offenbar liegt die Vorstellung zugrunde, daß jeder „Kopf" einen der beiden Ri9 Die spezialisierende Steigerung ist auch von modernen Philologen hervorgehoben worden, so schon von R. Faust 33. Vergleichbar, ohne jedoch als Vorbild gelten zu können, ist Verg. Aen. 7,59-101, wo das für Lavinia bestimmte Geschick in drei immer genaueren Prodigien- und Prophezeiungsstadien (7,59-70; 7 1 - 8 0 ; 8 1 - 1 0 1 ) offenbar wird, die freilich einander auch ergänzen. Es ist aber überhaupt eine alte Sonderform triadischer Gestaltung, daft von drei Aussagen die letzte die Wahrheit trifft oder ihr nahekommt. Eine Spielart davon findet sich schon auf der 12. Tafel des Gilgameschepos: „Zu Ekur, Enlils Tempel ging er alleine hin . . . Vater Enlil erwiderte ihm kein Wort. Zu Sins Tempel ging er alleine hin . . . Vater Sin erwiderte ihm kein Wort. Zum Tempel Eas ging er alleine hin . . . Kaum daß Vater Ea dieses vernommen, da sprach er zu Nergal, dem mannhaften Helden" (Übersetzung von Albert Schott).

Zweiter Teil 3.2.2.

173

valen um die Alleinherrschaft versinnbildlicht10. Der schlaffe Teil bedeutet dann zweifellos Pompeius, der lebhafte bedeutet Caesar. Lucan überläßt diese Auslegung dem Leser. Der Haruspex weigert sich, die magnorum fata malorum (1,630) den Römern bekannt zu machen. Er unterdrückt die unheilvollen Einzelheiten und beschränkt sich auf dunkle Andeutungen. Dem Astrologen Figulus gewähren die Gestirne nur bis zu einem gewissen Grade den Blick in die Zukunft, und so vermischt er seine astrologischen Erkenntnisse mit seinen politischen Vorahnungen und Befürchtungen. Sagt Arruns weniger als ihn seine Kunst erkennen läßt, so sagt Figulus mehr, beide in tiefem Schrecken über das, was sie wissen. Das Ende der Voraussagen ist mit der Prophezeiung der römischen Matrone erreicht 11 . Sie ist von Apollo besessen und verkündet ohne bewußte Zurückhaltung und ohne Einmengung eigener Befürchtungen, was ihr die Gottheit aufträgt. Die Passage bedeutet den Höhepunkt der bisherigen Voraussagen, und das will wohl auch Lucan zum Ausdruck bringen, wenn er sie einleitend von dem Vorangegangenen abhebt, l,673f.: terruerant satis haec pavidam praesagia plebem, sed maiora premuní. Die Worte der Matrone stellen den folgenden Kriegsverlauf recht detailliert dar — klar für den Leser, aber dunkel für die pavida plebs, l,678ff.: a

quo feror, o Paean? qua me super aethera raptam constituís terra? video Pangaea nivosis 680 cana iugis latosque Haemi sub rupe Philippos.

b

quis furor hic, o Phoebe, doce quo tela manusque Romanae miscent acies bellumque sine hoste est. quo diversa feror? primos me ducis in ortus, qua mare Lagei mutatur gurgite Nili: 685 hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet, agnosco. dubiam super aequora Syrtim

c

arentemque feror Libyen, quo tristis Enyo transtulit Emathias acies. nunc desuper Alpis nubiferae colles atque aeriam Pyrenen 690 abripimur. patriae sedes remeamus in urbis, inpiaque in medio peraguntur bella senatu.

10

Vgl. schon vorher das Feuer, das das Ende der Feriae Latinae anzeigt, l,551f.: scinditur in partes gemirtoque (!) cacumine surgit /Thebanos imitata rogos. 11 Die Matrone wird 1,674f. mit einer Bacchantin verglichen, ein herkömmliches Bild für eine rasende Frau: Verg. Aen. 4,300ff.; Ov. epist. 4,47; 10,48; Sen. Med. 382ff.

174

d

Zweiter Teil 3.2.2.

consurgunt partes iterum, totumque per orbem rursus eo. nova da mihi cernere litora ponti telluremque novam: vidi icon, Phoebe, Philippos.

Der Inhalt der Vision läßt sich schematisch so darstellen: a 1,678—680 (3 Verse) b 1,681-686 (5 1/2 Verse) c 1,686-691 (5 1/2 Verse) d 1,692-694 (3 Verse)

Die Matrone wird nach Philippi (= Pharsalos) 12 hinweggerissen Die Schlacht bei Pharsalos und der ermordete Pompeius am NU Thapsus, Munda und die Ermordung Caesars in Rom Der Bürgerkrieg entbrennt erneut, und die Matrone sieht wiederum Philippi 13

Die Hauptbegebenheiten des Bürgerkriegs erscheinen in chronologischer Reihenfolge. Die Weiträumigkeit des Geschehens wird durch die Herausarbeitung geographischer Kontraste veranschaulicht. Der Abschnitt a ist, soweit explizit, rein geographisch orientiert; auf diese geographische Ausrichtung bezieht sich die Matrone im Passus d. In b 1 4 wird mit der andeutenden Beschreibung der Schlacht bei Pharsalos erstmals ausgedrückt, daß es ein Bürgerkrieg ist, der in der Vision erlebt wird. Wortwiederholungen markieren die Fortführung dieses Themas in der Partie c. Am Schluß von b steht die Vision von Pompeius' jammervollem Ende; der letzte Hexameter von c evoziert Caesars Ermordung, in zwar unpersönlicher, aber doch unmißverständlicher Weise. Die Entsprechungen zwischen b und c sind unverkennbar. Die gesamte Prophezeiung ist also in der Form einer tetradischen Ringkomposition gestaltet 15 ; da a und b durch Pharsalos besonders eng verbunden sind, ergibt sich folgendes Bild: 12

Die bekannte dichterische Identifikation der beiden Kampfstätten. W.-LB. z. S t ; Lucan. 6,582; Petron. 121,111, wo die Fortunavision die Vision der Matrone variiert. 13 In vieler Hinsicht anders gliedert und erläutert die Matronenvision W. Rutz, Diss. Ausz. 165. Im wesentlichen richtig dagegen W.-LB. z. St.; allerdings spielt l,688f. kaum auf die Belagerung Massalias an: sie wäre fehl am Platze unter Voraussagen, die die Bürgerschaft Roms auf die zukünftigen impia betta, den innerrömischen Krieg hinweisen. Die Matrone wird im Geist einmal nach Osten zum Meer getragen, dann in die Hitze des Südens, schließlich hoch in die Luft, über Alpen und Pyrenäen. Der Dichter läßt die Weissagende über zwei hohe Gebirge auf einem Umweg nach Spanien gelangen, um zu verdeutlichen, daß sie diversa fertur (1,683). Im übrigen erinnert an l,690f. Flor. epit. 4,2,6f.: sed non et odia partium finita cum bello, non enim prius quieverunt, quam in ipsa urbe medio senatu eorum qui vieti erant odia victoris se caede satiarent. 14 Wahrscheinlich ist 1,681 quis furor trotz der Verbreitung der Wendung als Verweis auf 1,8 aufzufassen; denn 1,682 erinnert seinerseits an die Thematik von 1,9-12, an die bella ... nullos habitura triumphos. Die Weissagung der Matrone schlägt also auch den Bogen zum Anfang des 1. Buches zurück. 15 Die Form begegnet noch an anderen Stellen von Lucans Epos und früher schon besonders auffallig an der wohl exponiertesten Stelle der römischen Geschichtsschreibung,

Zweiter Teil 3.2.2.

175

Die tetradische Ringkomposition hat hier ihre besondere Bedeutung. Die Schlacht bei Pharsalos wird durch die zweimalige exponierte Nennung des Kriegsschauplatzes dem Leser als das entscheidende Ereignis des von Caesar und Pompeáis geführten Kriegs zum Bewußtsein gebracht, und zugleich als sinnlos: am Ende des Ringens steht ein neues Pharsalos16. Sinnlos muß der Krieg auch deshalb scheinen, weil in seinem Verlauf die beiden Herrschaftsprätendenten zugrunde gehen. Es ist dabei bemerkenswert, daß nur das Geschick der beiden großen gegnerischen Feldherrn zur Sprache kommt; vom Selbstmord Catos sagt die Matrone nichts. Mit der letzteren Feststellung ist bereits eine halbe Antwort auf die Frage gegeben, was die zur Arruns- und Matronenperikope vorgetragenen Überlegungen zur Interpretation der Nigidianischen Prophezeiung beitragen. Die Tatsache nämlich, daß nicht nur bei dem Extispicium des Arruns 1,628f. sondern auch in der Prophezeiung der Matrone der Gegensatz Caesar - Pompeius als der grundlegende Antagonismus hervorgehoben wird, indiziert, daß schwerlich in den Worten des Nigidius an Augustus als künftigen dominus gedacht werden kann. Aber weiter. Eindeutig wird der Voraussage der Matrone im Rahmen der Gesamtperikope 1,469-695 die größte Bedeutung beigemessen. Die Prognose, innerhalb deren Figulus sich über den bevorstehenden Verlust der Freiheit äußert, hat lediglich sekundären Rang. Das impliziert, daß ebenfalls dem Freiheitsproblem in der Gesamtperikope nicht das größte Gewicht zukommt. Denn in der Prophezeiung der Matrone wird die bevorstehende Unterdrückung der Freiheit durch einen Alleinherrscher vollständig ignoriert; Caesars Ermordung ist nicht als Versuch konzipiert, die Tyrannis zu beseitigen, sondern als der (vorläufige) Schlußakt der inpia bella, und so gleichfalls als „gottlos". Und wenn durch die Vision der rasenden Matrone dem Leser der Bürgerkrieg in seiner Weiträumigkeit und Sinnlosigkeit vor Augen geführt wird, so ist das kaum geeignet, die Freiheit, die nach Nigidius' Worten nur noch während eines bellum civile bestehen kann, für Lucans Zeitgenossen erstrebenswert zu machen. Der zeitliche Horizont der visionären Prophezeiung endlich liegt offenbar nicht jenseits der Erlebbarkeitsgrenze, die den Römern des beginnenden BürSall. Catil. lf. Hier rahmen allgemein-anthropologische Darlegungen, die auch durch identische oder verwandte Ausdrücke miteinander verbunden sind, zwei empirische Argumentationen ein, eine positive und eine negative. Weiteres im Dritten Teil 3.2.1 Anm. 13. 16 Nach R. J. Getty (zustimmend referiert von R. T. Bruère 247 Anm. 81) und der gleichlautenden Kommentierung von W.-LB. wäre mit nova litora ponti 1,693 auf den Krieg gegen Sex. Pompeius und die Schlacht bei Actium angespielt, mit tellus nova 1,694 auf die Kämpfe in der Gallia Cisalpina 43 v.Chr. Andere Beziehungen diskutiert O. Schrempp, Prophezeiung 21. In Wahrheit bezeichnen die nova litora und die tellus nova überhaupt kein Ereignis des Bürgerkrieges. Die Matrone wird von neuem nach Philippi geführt und möchte nun etwas anderes sehen als die grauenvolle Wiederholung des Bürgerkrieges.

176

Zweiter Teü 3.2.2.

gerkriegs gesetzt ist. Das rät davon ab, in der niederrangigen Voraussage des Figulus einen Bezug auf die Gegenwart des Dichters anzunehmen. Die Interpretation, die sich bei der isolierten Erörterung der Figulusworte 1,660—672 der Partie II ergeben hatte, wird also zusätzlich gestützt, wenn man die Partien I und III berücksichtigt. Doch ist der Kreis der Betrachtungen noch etwas weiter zu ziehen. Auf die Perikope 1,469-695 folgt nämlich im 2. Buch ein in mancher Hinsicht korrespondierender Abschnitt. Lucan stellt nach einer reflektierenden Überleitungspartie 2 , 1 - 1 5 die Reaktion der Römer auf die Omina dar: 2,16-233. Zunächst beschreibt er 2,16-28 allgemein unter Verwendung eines Gleichnisses die Erstarrung der Stadt, dann wendet er sich einzelnen Personenkreisen zu, die ihren Befürchtungen auf verschiedene Weise Ausdruck verleihen: I

2,28—42

II

2,43—64

III

2,64-233

Erschrecken und Klage der Matronen (Rede: 2 , 3 8 - 4 2 ) Klage der ins Feld ziehenden Männer (Rede: 2 , 4 5 - 6 3 ) Erinnerungen und Befürchtungen der Greise (Rede: 2 , 6 8 - 2 3 2 )

Drei Passagen also, in deren jeder je eine wörtliche Rede steht. Das erinnert an die drei Passagen 1,584—695. Auf sie weist die Dreiergruppe des zweiten Buches auch durch spiegelbildliche Entsprechung hin. Gespiegelt wird die Entwicklung der Längenverhältnisse: dort Abnahme, hier Zuwachs. Gespiegelt wird wohl ebenfalls die Abfolge der redenden Personen. Im ersten Buch sind es der hochbetagte Arruns, (Tuscorum) maximus aevo (1,585); Figulus, der sich auf pompeianischer Seite am Bürgerkrieg beteiligt hat (was Lucan freilich nicht erwähnt); die Matrone. Im zweiten Buch sind es dann Matronen; Männer, die in den Krieg ziehen; Greise 17 . Die Verknüpfung der zwei Matronenpassagen wird dadurch intensiviert, daß in ihnen 1,676 und 2,28 das Stichwort matrona fällt; das sind die zwei ersten Pharsaliabelege für das Substantiv. Es sei darauf verzichtet, die Abschnitte I—III des zweiten Buches ausführlich zu behandeln. Einiges muß aber zu den drei Reden bemerkt werden. In ihnen ist eine Klimax des historisch-politischen Konkretheitsgehalts faßbar: erst allgemeine Befürchtungen (I), dann eine Klage über den Bürgerkrieg, die geschichtlichreale oder mögliche kriegerische Auseinandersetzungen heranzieht (II), schließlich eine Ausmalung der Marianisch-Sullanischen Schreckenszeit, deren Überbietung für die Zukunft befürchtet wird (III). Hier ist also statt der Spiegelung eine gewisse Parallelität zu den Pendantpartien des ersten Buchs zu erkennen. Die drei Reden enden jweils mit einem Blick auf die beiden feindlichen Führer. So heißt es in I, 2,40ff.: 17

Um Lucan. 2 , 6 7 - 2 3 3 hat sich in letzter Zeit G.-B. Conte, La guerra 224ff. interpretatorisch bemüht; ergebnisarme Betrachtung von Lucan. 2 , 3 6 - 2 3 3 bei R. Faust 33ff.

177

Zweiter Teil 3.2.2. ,nunc fiere dum pendei

fortuna

gaudendum

est'1*.

ducum:

cum vicerit

potestas alter

Dann in II, 2,59ff.: , sa eve parens, utrasque 60

dum nondum proventu

simul partesque

meruere, feri

scelerum quaerunt

vix tanti fuerat civilia bella

tantone

ducesque, novorum

uter imperet

urbi?

movere

ut neuter. ' Endlich in III, 2,227ff.:

230

,exulibus Mariis bellorum maxima merces Roma recepta fuit, nec plus victoria Sullae praestitit invisas penitus quam tollere partes: hos alio, Fortuna, vocas, olimque potentes concurrunt. neuter civilia bella moverei contentus quo Sulla fuit'19.

Der Gegensatz von Caesar und Pompeius wird mit den an jeweils entsprechender Stelle wiederholten, exponierten Äußerungen über die beiden Gegner als die entscheidende Kriegstatsache hingestellt. Beide Widersacher werden auf dieselbe 18

Nach O. S. Due 100 wären diese Zeilen ein besonders eindeutiges Indiz dafür, daß das Nerolob des ersten Buches nicht emst zu nehmen sei. „A flattering address to Nero could not be evaded, but Lucan has here told his interpreters that obligatory joy need not express genuine feelings". Ähnlich J. Brisset 186f. Lassen wir einmal die im Ersten Teil 2.7 dargestellten Schwierigkeiten auf sich beruhen. Die Matrone spricht über Pompeius, Caesar und die Stunde des Sieges. Einem von den beiden wird man dann zujubeln müssen. Es gibt keinen Grund, sich bei diesem Bürgerkriegssieger an Nero erinnert zu fühlen, zumal auch der nähere Zusammenhang wie überhaupt der gesamte Abschnitt 2,16-233 eindeutig nur Gedanken zum Inhalt hat, die den beiden Kriegsgegnern oder älteren historischen Analoga gelten. Nero ist ja ohne jeden Bürgerkrieg legal an die Macht gekommen. Das ist gerade der von der offiziellen Neropropaganda hervorgehobene Vorzug dieses Kaisers. Daher wird auch Calp. ecl. 1,51 rühmend betont, daß Roma unter Neros Herrschaft nullos ducet captiva triumphos. Im selben Sinn äußert sich die Dramenfigur Seneca Octavia 477ff. Weiteres im Ersten Teil 2.7. In cum vicerit alter steckt also keinerlei Anspielung auf Lucans Gegenwart. Im übrigen fehlt es auch in unzweifelhaft kaiserfreundlichem Kontext nicht an Hinweisen auf die Möglichkeit heuchlerischer adulatio; z.B. Sen. clem. 1,14,2: quem (principem) adpellavimus Patrem Patriae non adulatione vana adducti. Offenbar brauchte der Autor nicht anzunehmen, daß die Leser auf eine solche Bemerkung hin das vorgetragene Lob des Kaisers als unaufrichtig empfanden. " O. S. Due findet S. 97 in den Zeilen einen Widerspruch gegenüber den Versen l,37f. des Neroenkomions, der Lucans wahre Meinung erkennen lasse. Aber die Worte der viri gelten eben Caesar und Pompeius. Ihre Herrschaft ist abzulehnen; das bedeutet nicht, daß die Herrschaft des gepriesenen Nero abzulehnen wäre. Man denke nur an Stat. silv. l,l,25ff., wo Domitian von Caesar abgehoben und über ihn erhoben wird. Vgl. femer die vorige Anm.

12 Lebck (Hyp. 44)

178

Zweiter Teil 3.3.1.

moralische Stufe versetzt; denn jeder von den beiden hat dieselben Alleinherrschaftsziele und gibt zu denselben Befürchtungen Anlaß. Auf die beiden Kontrahenten sind die Befürchtungen und Ängste der sprechenden Römer beschränkt, Gedanken an die fernere Staatsgestaltung nach Caesar oder nach Pompeius sind ganz ausgeschaltet. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, wie vorzüglich das alles mit den Pendantpartien des ersten Buches harmoniert, insbesondere mit der Nigidiusperikope. Die für sie vorgetragene Deutung ist so auch durch die Fortführung, die die Dreierreihe des ersten Buches im zweiten erfahrt, bestätigt worden. Die Prognose des Figulus l,670ff. ist die erste in einer Reihe von Befürchtungen, in denen die Römer, die den Anfang des Bürgerkriegs erleben, ihre Angst über das Regiment des zukünftigen Siegers Caesar oder Pompeius zum Ausdruck bringen. Die Reihe wird erst mit den folgenden Worten Catos beendet.

3.3.

Die Begegnung zwischen Brutus und Cato: Lucan. 2,234-325

3.3.1. Einleitung Die Anfangsperikope des zweiten Buches hat nicht allein die Funktion, den Prophezeiungsabschnitt des ersten Buches zu spiegeln und fortzuführen. Indem sie die furchtsame Erregung der Allgemeinheit schildert, gibt sie auch eine Folie ab, von der sich die überlegene Sicherheit der großen Einzelpersonen Brutus und Cato abhebt. Das ist eine Art antithetischer Gestaltung, deren sich Lucan auch an andereji Stellen bedient 20 . Es ist ohne weiteres klar, daß 2,234—391 eine in sich geschlossene Szene darstellt, in deren Mittelpunkt Cato steht; ferner, daß diese Szene in zwei Handlungsvorgänge geteilt ist, die Brutus-Cato-Handlung 2,234-325 und die MarciaCato-Handlung 2,326—391, wobei der Einsatz des jeweiligen Handlungsteils durch die Zeitangaben nocte sopora (2,236) und Phoebo gélidas pellente tenebras (2,326) markiert ist 21 . Die folgende Interpretation gilt dem ersten Handlungsabschnitt, der seinerseits ein Sinnganzes ist und sich ebenfalls in zwei Partien gliedert; die Fuge zwischen den beiden Teilen I und II liegt, wie häufig bei Lucan, innerhalb des Verses: I II

2,234-284 2,284-325

Brutus' Ankunft bei Cato und seine Rede Die Antwort Catos

20 Einiges dazu bei R. Rieks 176ff. Das Gespräch zwischen Brutus und Cato hat also einen ähnlichen Vorspann wie die Domitiusszene im 1. Buch. Die jüngste ausführlichere Behandlung der gesamten Szene stammt von P. Grimal, Le poète 92ff., der die geschichtliche Treue von Lucans Darstellung zu zeigen sucht. Jl Ganz ähnlich die Inszenierung 1,231-235 und 1,261, wozu oben 2.2.1.

Zweiter Teil 3.3.2.

179

3.3.2. Die Rede des Brutus: Lucan. 2,234-284 Beginnen wir mit I: IA

2,234-241

Β a b

c α

a ß' γ'

β a

β' a" ß" d

Brutus'Ankunft bei Cato und Charakteristik der beiden Männer 2,242-284 Die Rede des Brutus 2,242-247 Anrede an Cato und Bitte um seinen Rat für den bevorstehenden Krieg 2,247-250 Das Problem: Bleibt Cato der verbrecherischen Auseinandersetzung fern oder nimmt er an ihr teil? 2,251-281 Die Gründe, die Cato unbeteiligte Neutralität anraten 2,251-266 Die bisherige Integrität Catos würde seine (15 1/2 Verse) Kriegsteilnahme besonders verbrecherisch machen 2,251—256 Cato wird als einziger den Krieg um des Krieges willen wählen 2,256-259 Cato wird als einziger erstmals schuldig werden (2,259 facient te bella nocentem) 2,260—266 Cato wird am meisten Blut vergießen, da alle nur durch Catos Waffe werden sterben wollen (zugleich Übergang zu β : Größe) 2,266-281 Die autoritative Größe Catos verlangt Fern(15 Verse) bleiben vom Kriege 2,266-273 Cato wird besser in Ruhe (in altstoischer Apathie) verharren wie die Sterne und der Olymp (2,267 o tía solus ages) 2,273—281 Catos Kriegsteilnahme unter Pompeius wird im Grunde nur Caesar nützen 2,273-277 Caesar wird sich als Initiator des Bürgerkriegs von Cato gebilligt fühlen 2,277—281 Caesar wird dann der einzige Freie sein (zugleich Übergang zu d: Freiheit) 2,281—284 Brutus möchte zur wahren Verteidigung der republikanischen Freiheit den zukünftigen Sieger bekämpfen

Von einer Unterredung zwischen Brutus und Cato, wie sie Lucan 2,234— 325 darbietet, ist anderwärts nichts überliefert. Wenn nicht überhaupt der ganze Vorgang eine Erfindung des Dichters ist, so sind es doch mit großer Wahrscheinlichkeit die Einzelheiten der Reden. Spezifisch die Ausführungen des Brutus berühren ja keinen einzigen Punkt, der für den geschichtlichen Brutus hätte bedeutsam sein müssen. Sem Vater war auf Veranlassung des Pompeius getötet worden.

180

Zweiter Teil 3.3.2.

Man erwartete daher bei Ausbruch des Bürgerkrieges, daß Brutus sich auf Caesars Seite schlagen würde. Er schloß sich jedoch Pompeius an, weil er, wie Plutarch, Brutus 4,2 schreibt, die politische Sache (νπόάεσις) des Pompeius im Hinblick auf den Krieg für besser hielt als die Caesars. Zu der letzteren Notiz steht die Meinung, die Lucans Brutus über Pompeius hegt, in bemerkenswertem Widerspruch. Aber die Meinung stimmt nicht nur zu der Konzeption des Proömiums, sondern auch etwa zu dem Tenor des Abschnitts 2,28—233. Die prinzipiell gleiche Verwerflichkeit der zwei Gegner erst begründet das Problem, um das die Ansprache des Brutus nicht minder als die Antwort Catos kreist: Wie sollen die zwei edlen Römer sich verhalten in einem Bürgerkrieg, in dem die beiden gegnerischen Feldherrn duces scelerum (2,249) sind — genauer: wie soll Cato sich verhalten? Brutus wünscht der Fiktion von I Ba zufolge, sich ganz von Cato leiten zu lassen als mente labans und dubius (2,244f.). Aber in I Bb ist die Fragestellung ausschließlich auf die Person Catos ausgerichtet, und in I Bc entwickelt Brutus, in keiner Weise schwankend, die Gründe gegen Catos Kriegsteilnahme. Erst mit I Bd kommen wieder Brutus' eigene Absichten zur Sprache, die aber recht entschieden sind, 2,28Iff.: quod sì pro legibus arma ferre iuvat patriis libertatemque tueri nunc neque Pompei Brutum neque Caesaris hostem post bellum victoris habes. Die Brutusrede ist also im wesentlichen eine Suasorie, die sozusagen das in I Bb gestellte Thema délibérât Cato an bellum civile ineat im Sinne des contra dicere erörtert. Brutus' „Zweifel" haben die Funktion, die langen symbuleutischen Ausführungen überhaupt einigermaßen zwanglos zu ermöglichen; denn Lucans Cato braucht keinen Rat. Die Divisio der Suasorie I Bc orientiert sich an zwei Hauptpunkten, der sittlichen Lebensführung Catos und seiner Größe 2 2 und ist, wie das Gliederungsschema zeigt, auch in den weiteren Details wohldurchdacht; es sei noch darauf hingewiesen, daß innerhalb von α und β zunächst Cato isoliert betrachtet wird (aa'-ß' und ßa'), dann die Wirkung seines Handelns auf die Umwelt (αγ' und ßß'). In merkwürdigem Mißverhältnis zu dieser überlegten Disposition steht die phantastische Wirklichkeitsferne mancher Argumente. Das mag partiell in dem deklamatorischen Charakter der Brutusrede begründet sein. Entscheidend ist aber wohl die Tatsache, daß die Gründe, die Brutus vorträgt, nicht zu gewichtig sein dürfen, wenn Catos Antwort überzeugend sein soll. Lucan wird das Thema der Suasorie nicht selbst erfunden haben, wie die Ausführungen Senecas epist. 14,13 indizieren: potest aliquid disputare, an ilio " Es sind dieselben zwei Gesichtspunkte, die die Charakteristik Catos in der Synkrisis Sali. Catil. 54 bestimmen; nur daß hier Integrität und Größe Catos kausal verknüpft sind: (magnus habebatur) integritate vitae Cato (Catil. 54,1).

Zweiter Teil 3.3.3.

181

tempore capessenda fuerit sapienti res publica, quid tibi vis, Maree Cato? iam non agitur de liberiate: olim pessumdata est. quaeritur, utrum Caesar an Pompeius possideat rem publicam: quid tibi cum ista contentione? nullae partes tuae sunt eqs. 23 . Auch hier wird Cato geraten, dem Machtkampf fernzubleiben. Aber im Gegensatz zur Senecapassage sagt Lucans Brutus nichts von der libertas olim pessumdata. Er hält die kriegerische Verteidigung von libertas und leges gegen den zukünftigen Sieger, möge er Caesar oder Pompeius heißen, für eine sinnvolle Möglichkeit des Neutralen. Das liegt natürlich nicht zuletzt an der persona suadentis (Quint, inst. 3, 8, 48). Denn die spätere Ermordung Caesars, auf die 2,283f. hingedeutet wird, setzt den Glauben an die Lebensfähigkeit der republikanischen Freiheit voraus. Um mit Seneca benef. 2,20,2 zu sprechen: (erravit M. Brutus qui) ibi speravit libertatem futuram, ubi tarn magnum praemium erat et imperandi et serviendi aut existimavit. .. staturas suo loco leges, ubi viderai tot milia hominum pugnantia, non an servirent, sed utri. Mit der Notwendigkeit, Brutus hinsichtlich der Rettung der Freiheit nur eine begrenzte Einsicht zu gestatten, ist zugleich aber die Möglichkeit eröffnet, erst Cato sich illusionslos über die Freiheit äußern zu lassen. Daß freilich auch die Sache des Pompeius nicht gut ist, daß er nicht gegen Caesar für die Freiheit kämpft, das ist, wie schon gesagt, nicht minder die Ansicht von Lucans Brutus als die des Dichters selbst im Proömium. Besonders klar kommt die Auffassung in den beiden letzten Abschnitten der Suasorie zum Ausdruck, in I Bd und zuvor in I Bcßß'ß", 2,277ff.: pars magna senatus et duce privato gesturus proelia consul sollicitant proceresque alii; quibus adde Catonem sub iuga Pompei, to to iam liber in orbe solus Caesar erit. Auf den Freiheitsgedanken, der gerade am Ende von I erscheint, legt dann die Antwort Catos ein starkes Gewicht. 3.3.3.

Die Antwort

Catos: Lucan.

2,284-325

Beginnen wir mit einer Gliederung der Catorede 24 . IIA Β

2,284-285 2,286-323

Einleitung Die Rede Catos

" Die Stelle zieht - nach R. Pichón - in neuerer Zeit auch J.-M. Adatte 235 zur Interpretation der Brutusrede heran. Über Suasorienthemen bei Lucan instruktiv S. F. Bonner, AJPh 87, 1966, 285f. 24 Über die Catorede meditieren M. Pavan 409f. von einem mehr politischen und J.-M. Adatte besonders 236ff. von einem mehr philosophischen Gesichtspunkt aus, ohne sich allerdings zu intensiv auf eine Analyse von Lucans Gedankenführung und Formulierungsweise einzulassen. Im übrigen hatte schon R. Faust 37f. für Brutus- und Catorede weitgehend dieselben Gliederungseinschnitte angenommen wie ich sie ursprünglich ohne Kennt-

182

Zweiter Teil 3.3.3.

a α β 7

b α β 7 C

2,286-303 (18 Verse) 2,286-288

Catos generelle Entscheidung, am Krieg teilzunehmen und ihre Begründung Die virtus folgt den fata, obwohl der Bürgerkrieg verbrecherisch ist 2,289—297 Cato kann beim Fall Roms ebensowenig unbeteiligt sein wie beim Herabstürzen von Sternen und Aether 2,297—303 Cato bleibt mit Rom und der Freiheit fest verbunden wie ein Vater mit den aufgebahrten Leichen seiner Söhne 2,304—323 Catos Todeswünsche und seine spezielle Partei(191/2 Verse) nähme im Krieg 2,304-313 Cato möchte sich als Sühneopfer für Roms Sittenverfall darbringen 2,314—319 Als einziger Verteidiger der Freiheit wünscht Cato bitter den Tod 2,319—323 Cato beschließt, Pompeius zu folgen 2,323-325 Brutus wird durch Catos Worte zum Krieg gereizt

Die Antwort Catos II weist mit ihrer symmetrischen Zweiteilung und der triadischen Gliederung der Unterteile a und b eine ähnliche Struktur auf wie die Brutussuasorie I Bc. Die Beziehung zwischen den zwei Darlegungen ist jedoch nicht auf dieses tektonische Moment beschränkt. Cato spricht, wie es 2,285 heißt, „heilige Worte". Damit ist der Leser von vornherein darauf eingestimmt, bedeutungsvolle und wahre Gedanken zu hören. Der Beginn II Baa stellt eine Antwort vornehmlich auf I Bcaß' (2,256-259) dar, 2,286ff.: summum, Brute, nefas civilia bella fatemur, sed quo fata trahunt virtus secura sequetur. crimen erit superis et me fecisse nocentem. Mit der Ansprache des Brutus ist der Abschnitt durch mancherlei Wortwiederholungen verbunden 25 , von denen nur eine bemerkenswerte, auf I Bcaß' zurückweisende gekennzeichnet worden ist. Noch entschiedener als Brutus brandmarkt Cato den verbrecherischen Charakter des Bürgerkriegs; er konzediert auch, durch die Teilnahme an diesem Geschehen schuldig zu werden. Die Begründung für den Eintritt in den Krieg liefert dem stoischen Weisen die Maxime des fata sequi, deren Lucanische Formulierung sich an Verg. Aen. 5,709 orientiert. nis von Fausts Dissertation angesetzt habe: ein Indiz dafür, daß die Strukturen objektiv vorhanden sind. Die maschinenschriftlichen Darlegungen von Walter Wünsch, Das Bild des Cato von Utica in der Literatur der neronischen Zeit, Diss.- Marburg 1949, kenne ich nur aus W. Rutz, Lustrum 9. Unerreichbar war auch R. J. Ormsby, The Literary Portrait of Cato Uticensis in Lucan's Bellum civile, Diss. University of Washington, Seattle 1970. 2S Darauf hat bereits H. Nehrkorn 224ff. gut hingewiesen; die Bemerkungen von O. Schönberger, Untersuchungen 93f. sind weniger förderlich.

Zweiter Teil 3.3.3.

183

Auf die Brutusrede rekurriert ebenfalls II Baß, und zwar hauptsächlich auf I Bcßa' (2,266-273). Auch diese Verbindung wird durch wörtliche Wiederholungen sinnfällig gemacht, in noch bedeutsamerer Weise aber durch die Reprise der von Brutus verwendeten Bildersprache, 2,289ff.: sidera quis mundumque velit spectare cadentem expers ipse metus? quis, cum ruat arduus aether, terra labet mixto coeuntis pondere mundi, complossas ternisse manus? gentesne furorem Hesperium ignotae Romanaque bella sequentur diductique fretis alio sub sidere reges, 295 otia solus agam? procul hunc arcete furorem, o superi, motura Dahas ut clade Getasque securo me Roma cadat. 290

Die Passage ist zweigegliedert mit parallelem Bau der beiden Unterteile: II Β a β a

2,289-292

ß'

2,292—297

Begründender Vergleich mit zwei allgemein gehaltenen Sätzen (quis .. . quis) Verstärkte Folgerung auf die Realität mit zwei speziell Cato betreffenden Sätzen, deren Zusammengehörigkeit durch Wortwiederholungen unterstrichen wird

In II Baßa' wird das in I Bcßa' gebrauchte Bild wiederaufgenommen und umgewandelt. Brutus vergleicht die bei Cato erwartete Apathie und Ataraxie mit dem unerschütterlichen Lauf der sidera (2,267f.), dann mit der Ungestörtheit des Olymp, der Winde, Blitze und Wolken überragt. In derselben Reihenfolge begegen die sidera (2,289) und der arduus aether (2,290) in der Replik Catos, aber jetzt in der Zeichnung chaotischen Weltzusammenbruchs, der den Menschen zur Anteilnahme zwingt. Die Elemente von Brutus' Vergleich sind zu einem neuen Bild zusammengefügt worden, das die in altstoischem Sinne aufgestellte Forderung der Apathie widerlegt 26 . Zugleich wird die Vorstellung des Weltuntergangs beschworen, die bereits im Proömium zu Beginn der Ursachenschilderung (1,72-80) die Zwangsläufigkeit und die gigantischen Weltausmaße des Bürgerkriegs verdeutlicht. Zu dem nächsten Teil ß' gelangt der Leser so auf vertrauter lucanischer Gedankenbahn. Auch formal schließt der letztere Teil mit der einleitenden Satzfrage gleitend an die zwei vorausgehenden Wortfragen an. Und es fehlt in II Baß/3' ebenfalls nicht an einer deutlicheren Verbindung mit I Bcßa': Markant ist die Wiederholung der auffordernden Behauptung otia solus ages 2,267 durch otia solus agam,

" Wenn man die Haltung von Lucans Cato philosophiegeschichtlich festlegen wollte, könnte man sie mit der des Panaitios identifizieren; vgl. Gell. 12,5,10.

184

Zweiter Teil 3.3.3.

die entrüstete Frage 2,295 2 7 . Trotz all dem ist diese Partie aber von großem Eigengewicht gegenüber I Bcßa' und auch II Baßa. War es in den zwei zuletzt genannten Passagen generell um die ideale Haltung bei welterschütternden Ereignissen gegangen, so wird in II Baj3j3' in den Vordergrund gerückt, daß es Rom ist, worum es geht. So erhält das mit dem Vergleich von II Baßa' verbundene Argument eine neue Zuspitzung. Als Römer kann Cato bei Roms weltbewegendem Bürgerkrieg und Roms drohendem Zusammenbruch nicht unbeteiligt bleiben; das wäre Wahnsinn wie der Krieg Wahnsinn ist. Damit ist eine vorbereitende Überleitung zum Passus II Ba7 geschaffen, der in letzter Vertiefung Catos Teilnahme am Krieg begründet: Cato ist nicht nur Römer, er ist vielmehr der eigentliche parens des Vaterlandes und der Republik. In diesem Sinne war er bereits 2,239-241 gezeichnet worden und wird es noch deutlicher am Ende des gesamten Abschnitts 2,234-391: urbi pater est urbique maritus (2,388). Cato, wenn einer, muß Roms Schicksal mittragen, 2,297ff.: ceu morte parentem natorum orbatum longum producere funus ad tumulos iubet ipse dolor, iuvat igrtibus atris 300 inseruisse manus constructoque aggere busti ipsum atras ternisse faces, non ante revellar exanimem quam te complectar, Roma; tuumque nomen, Libertas, et inanem persequar umbram. Der Untergang Roms hat für Cato eine bedrohliche Nähe; das wird in der letzten Zeile von II Baß (2,297) gesagt und in dem vorletzten Hexameter von II Ba? (2,302) erneut zum Ausdruck gebracht. Der letzte Vers des bedeutsamsten Abschnitts von II Ba jedoch gilt spezifisch der Freiheit. Selbst deren bloßem Schattenbild, dem είδωλον, folgt Cato beharrlich, nachdem, so ist zu verstehen, die Libertas gestorben ist. Es ist an dieser Stelle nicht recht klar, ob das Absterben der Freiheit sich nach der Konzeption des Sprechenden schon vollzogen hat oder für die Zukunft befürchtet wird. Wie dem aber auch sein mag, unüberhörbar ist der Ton der Hoffnungslosigkeit, der der Kampf für die Freiheit von vornherein als verloren erscheint. Überblicken wir noch einmal dio ganze Partie II Ba (2,286—303). Das allgemein stoische fata sequi (II Baa), dann die Notwendigkeit allgemein-menschlicher Anteilnahme an einer Weltkatastrophe (II Baßa') und speziell der Anteilnahme eines Römers an Roms Fall (II Baj3j3'), schließlich die individuelle unauflösliche Verbindung, die Cato an Rom knüpft (II Ba?): das sind die Schritte, in denen sich Catos Argumentation bewegt. In seiner Auseinandersetzung mit Brutus' Suasorie greift er besonders markant zwei Partien von stärkerem argumentatorischen Gewicht heraus, I Bcaß' und I Bcßa . 21

2,292 complossas tenuisse manus erinnert an 2,261 has etiam movisse (c ay' der Brutusrede). Freilich ist der Zusammenhang etwas anders.

manus

185

Zweiter Teil 3.3.3.

Wenn am Ende von II Ba die unwandelbare, aber auch hoffnungslose Treue Catos gegenüber Rom und der Freiheit hervorgehoben wird, so ist das Hauptthema angegeben, das dem zweiten Teil von Catos Antwort zugrundeliegt. Das Bild des Leichenbegängnisses stimmt zugleich auf den Todesgedanken der zunächst folgenden Partien ein. Denn besonders in II Bba und β schimmert durch den Cato des beginnenden Bürgerkrieges die Gestalt des heroischen Selbstmörders in Utica hindurch mit seiner προς τον θάνατον . . . φορά (Plutarch, Cato 64,4) 28 . Todesdrang und publica cura (2,239) vereinen sich in dem Sühnegedanken, der den Abschnitt II Bba beherrscht mit einem dritten Moment, der Vorstellung von Roms Schuld, die durch den Krieg zu entsühnen ist, 2,304f.: sit eat: inmites Romana piacula divi plena feront, nullo fraudemus sanguine

bellum.

In den nächsten Zeilen spricht Cato mit einer Reihe emphatischer Wendungen den Wunsch aus, stellvertretend für alle Römer den Tod zu erleiden. Welchen Vergehens die Römer sich schuldig gemacht haben, wird erst in dem letzten Hexameter von II Bba enthüllt, der mit dem vorangehenden Vers auf den Beginn des Abschnittes zurückweist, 2,312f.: hie redimat sanguis populos, hac caede luatur quidquid Romani meruerunt pendere mores. Der Sittenverfall ist es also, durch den Rom Schuld auf sich geladen hat 29 . Das Stück II Baj3a' ist bereits eine Reminiszenz an den ersten Ursachenabschnitt des Proömiums (1,72-80) gewesen: jetzt wird auf die dritte Ursache, die publica belli semina (1,158-182) angespielt. Das Bewußtsein, daß die römische Staatsgesinnung verlorengegangen ist, prägt auch nachhaltig den Passus II Bbj3, 2,314ff.: ad iuga cur faciles populi, cur saeva volentes 315 regna pati pereunt? me solum invadite ferro, hic dabit hic pacem iugulus finemque malorum gentibus Hesperiis: post me regnare volenti non opus est bello. 28

Schon die einleitende Charakteristik Catos 2,240f. (I A) gemahnt an Catos Verhalten vor seinem Tode. Vgl. Plutarch, Cato 64,4: δεινούς πόνους ènóvei καΙφροντίΑας και ώδϊνας είχβν ύπβρ ά'λλωι*. 29 Ein alter Gedanke: Cic. Marceli. 18; Hör. epod. 7,17ff., wozu Ed. Fraenkel, Horaz 67; Hör. cairn 3,6,1, wozu Ed. Fraenkel, Horaz 339; vgl. auch P. Jal in seiner Untersuchung über „Les dieux et les guerres civiles dans la Rome de la fin de la République" REL 4 0 , 1962, 1 7 0 - 1 7 6 .

186

Zweiter Teil 3.3.3.

Die Römer sind bereit, sich einer Alleinherrschaft zu beugen, und kämpfen daher einen sinnlosen Kampf, in dem es keinen wichtigen Streitpunkt gibt 30 . Cato ist der einzige, der Recht und Gesetz — freilich vergeblich — zu schützen versucht; er ist der einzige, der daher wirklich bekämpft zu werden verdient. Bis zu diesem Punkt sind Catos Darlegungen von II Bb/3 mit der Konzeption des Bürgerkriegs als der Auseinandersetzung zweier Alleinherrschaftsprätendenten durchaus vereinbar. In dem Vers 2,317 aber ist die Konzeption eindeutig verlassen. Hier ist die republikanische Freiheit nicht mehr der Streitpunkt, an dem sich die kämpfenden Parteien orientieren sollten. Sie ist vielmehr der Streitpunkt, an dem sie sich tatsächlich orientieren. Denn nur unter dieser letzteren Voraussetzung bedeutet die Tötung Catos, der allein die leges verteidigt, den.Frieden. Die beiden verschiedenen Konzeptionen sind nicht abrupt nebeneinandergesetzt. Anders als die Frage 2,314f. gibt der Imperativische Satz 2,315f. nicht nur einen guten Sinn unter der Voraussetzung, daß es im Bürgerkrieg eigentlich um die republikanische Freiheit gehen sollte, sondern auch unter der Voraussetzung, daß es den streitenden Parteien tatsächlich darum geht. Mit seiner Ambivalenz bildet der Aufforderungssatz die Brücke zwischen den einander widersprechenden Teilen von II Bbß. Das ist nicht der einzige Widerspruch. Spätestens im zweiten Teil von II Bb/3 ist auch ganz vergessen, daß Brutus ein erklärter Verteidiger der Freiheit ist. Lucan läßt seinen Cato also in II Bbj3 auf eine Art reden, die weder zu dem Vorausgehenden recht paßt noch in sich gedanklich kohärent ist. Steht diesem Verlust an Logik ein Gewinn gegenüber? Der Gewinn liegt in der ganz scharfen Zeichnung einerseits der überdimensionalen historischen Größe, die Cato in der Verteidigung der Freiheit beweist, und andrerseits der geschichtlichen Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens. Cato leistet allein unter den Römern Widerstand, die die Freiheit nicht nur nicht schützen, sondern geradezu bekämpfen. Liegt in dem Todes- und Sühnegedanken von II Bba noch so etwas wie Hoffnung, die Konsequenzen des Sittenverfalls könnten beseitigt werden, so äußert sich in dem Todeswunsch von II Bbß das hoffnungslose Bewußtsein des Einsamen, daß die Sache der republikanischen Freiheit und damit seine ureigene Sache verloren ist. Dem relativen Optimismus, mit dem die Brutusrede schließt, steht somit Catos Illusionslosigkeit gegenüber. Die Einsicht in die Wuizellosigkeit und Hinfälligkeit der Freiheitsidee verleiht Lucans Cato noch einen besonderen Zug gegenüber dem sonst sehr ähnlichen Bild, das Seneca dial. 2,2,2 von dem Uticensis entwirft: adversus vitia civitatis degenerantis et pessum sua mole sidentis stetit solus et cadentem rem publicam . .. tenuit, doñee vel abreptus vel abstractos comitem se diu sustentatae ruinae dedit simulque exstincta sunt, quae 30 Es ist wohlbezeugt und sicher auch Lucan bekannt, daß Cato während des Bürgerkrieges gegen jedes unnütze Blutvergießen war. Darüber Ed. Meyer 315. Der Dichter benutzt diese Tradition dazu, die Einsamkeit Catos im Freiheitskampf darzustellen.

Zweiter Teil 3.3.3.

187

nefas erat dividi, ñeque enim Cato post libertatem vixit nec libertas post Catonem. Der letzte Satz der Senecapassage könnte leicht den Eindruck erwecken, als wolle der Autor auch auf das Fehlen der libertas in seiner eigenen Zeit den Finger legen. Indessen bewegen sich die Gedanken Senecas hier so eindeutig in dem historischen Bezirk der ausgehenden Republik, daß auch die Äußerungen über die libertas nur für diesen Bereich relevant sein dürften und nicht für die Verhältnisse, die ein Jahrhundert später in Rom herrschen. Mit noch größerer Bestimmtheit wird man derartiges für die Catonischen Darlegungen von II Bbj3 behaupten dürfen. Nicht nur, daß die populi pereuntes, deren Unterwürfigkeit Cato den Glauben an die Verteidigung der Freiheit raubt, eindeutig nur die Römer seiner Zeit sind. Vor allem: wenn Cato seine Ermordung als den Zeitpunkt bezeichnet, von dem an die Alleinherrschaft kampflos gewonnen werden könne, so schwebt eine Autokratie vor, welche in seine mögliche Lebenszeit fällt. Der bittere Wunsch Catos, getötet zu werden und damit die Alleinherrschaft mit ihrem Frieden zu ermöglichen, wäre fehl am Platze, wenn der Leser an die Neronische Epoche denken sollte; denn zu diesem Zeitpunkt wäre Cato ja längst eines natürlichen Todes gestorben. In der Beschränkung auf die Gegenwart und die erlebbare Zukunft begegnen sich Catos Ausführungen mit denen des Brutus, der ja nur an den victor (2,284) denkt. Es ist also nicht angebracht, bei der Interpretation von Catos Worten den Horizont der möglichen Lebenszeit des Sprechenden zu transzendieren. Im Umkreis dieser seiner Sichtweite verzweifelt Cato an der Rettung der Freiheit. Pompeius ist für ihn ebensowenig wie für Brutus ein Garant der Freiheit. Die prinzipielle Gleichwertigkeit der beiden Gegner wird bereits 2,309 angedeutet: me gemmae figant acies eqs. Die tiefe Skepsis, die Cato gegen Pompeius hegt, wird in der Partie II Bb? unverhohlen ausgesprochen, 2,319ff.: quin publica signa ducemque 320 Pompeium sequimur? nec, si fortuna favebit, hunc quoque totius sibi ius promittere mundi non bene compertum est: ideo me milite vincat ne sibi se vicisse putet. Cato kann sich, wie er in II Ba eindringlich begründet hat, der Teilnahme am Bürgerkrieg nicht entziehen. Die Entscheidung für eine bestimmte Partei fällt erst zum Schluß, ohne Begeisterung. Was für Pompeius statt für Caesar spricht, sind nicht etwa seine besseren Absichten, da auch er die Alleinherrschaft über die ganze Oikumene erstrebt; für den Entschluß Catos gibt vielmehr den Ausschlag, daß sich die offiziellen Staatsorgane auf der Seite des Pompeius befinden 31 . Von einer etwaigen stärkeren Bedrohung durch Caesar fällt kein 31

Die Formulierung von 2,319 nimmt mit veränderten Gewichten den Vers 2,278 der Brutusrede wieder auf: duce privato gesturus proelia consul. Das an sich geläufige Substantiv dux kommt zwischen den zwei Versen nicht mehr vor.

188

Zweiter Teil 3.3.4.

Wort. Die dem Dichter gewiß bekannte historische Überlieferung ist mit all dem zumindest sehr einseitig verwertet. Denn gerade in Cato hatte Pompeius zu Beginn des Bürgerkrieges einen entschiedenen Parteigänger, der nach dem Fall von Ariminum für Pompeius den alleinigen Oberfehl beantragte. Cato war auch unmittelbar vor Kriegsausbruch eine der treibenden Kräfte gegen Caesar32. Lucan stellt Cato bewußt als einen Mann dar, der über dem Parteienhader steht. Der Dichter verzichtet auf die sich geradezu aufdrängende Möglichkeit, das Gewicht von Catos Persönlichkeit für die Sache des Pompeius und gegen die Caesars in die Waagschale zu werfen, wie er ja gleichfalls die geschichtliche Entscheidung des Brutus für Pompeius nicht erwähnt: das in einer Perikope, die erstmals im Epos (zukünftige) Vertreter der pompeianischen Partei zu Wort kommen läßt. Diese Beobachtungen erinnern wieder daran, daß es in dem Abschnitt 2,234325 neben anderem darum geht, an exponierter Stelle die moralische Schwäche wie von Caesars so auch von Pompeius' Position zu verdeutlichen. So endet denn Catos Rede mit dem Hinweis auf die Gefahr, daß Pompeius seinen Sieg eigennützig mißbraucht, ähnlich wie Brutus am Schluß seiner Ansprache auf die Bedrohung hindeutet, die der Sieger Caesar oder Pompeius für Gesetze und Freiheit darstellen wird. 3.3.4. Brutus und Cato Im Gegensatz zu dem jammernden Volk handeln die zwei großen Individuen in ihren abschließenden Bemerkungen von der Abwendung der Konsequenzen eines Sieges. Cato ist dabei sehr viel bescheidener in Ziel und Weg als Brutus. Als Soldat des Pompeius will er dem siegreichen Feldherrn zum Bewußtsein bringen, daß dieser den Sieg nicht für sich selbst errungen hat 3 3 . Also nicht Zwang mit Waffen, sondern nur mehr moralisches Einwirken - zu welchem positiven Ziel? Das bleibt in dem ne sibi se vicisse putet unausgesprochen, und der Leser soll es wohl auch gar nicht supplieren. Der tiefe Pessimismus, von dem die Rede Catos zeugt, läßt eben ein Ziel wie die Rettung oder Wiedererrichtung der Freiheit nicht als erreichbar erscheinen. Cato stachelt mit seiner Antwort Brutus zu heftigem Kampfeszorn an. Der Abschnitt C endet 2,324f. mit dem Satz: iuvenisque calorem excitât in nimios belli civilis amores. " Dazu Ed. Meyer 255; 295f., unter Hinweis auf Suet. Caes. 30,3; Plutarch, Cato 52 (= Pompeius 60f.); F. Miltner, RE 43. Hbbd. (1953) 192f. s. v. M. Porcius Cato Uticensis. 33 Der Gedanke ist durch die Überlieferung angeregt. Nach Plutarch, Cato 54,6 hat Pompeius Cato bei Dyrrhachium deshalb nicht zum Befehlshaber der Flotte ernannt, weil er den Eindruck gewonnen hatte, Catos ganze Politik sei auf die Befreiung des Vaterlands konzentriert und im Besitz einer solchen Macht werde er am Tage von Caesars Niederwerfung auch von Pompeius Niederlegung der Waffen und Einhaltung der Verfassung verlangen. Ganz ähnlich Plutarch, Pompeius 67,3.

Zweiter Teil 3.4.1.

189

Bei den nimii belli civilis amores ist an die Iden des März und an die folgende Erneuerung des Bürgerkriegs zu denken. Wenige hundert Verse zuvor wird ja in den Worten der rasenden Matrone 1,691 f. die Ermordung Caesars als (vorläufiges) Endstadium der inpia ... bella betrachtet, nach welchem dann consurgunt partes iterum. In dem nimii liegt eine leise, aber unüberhörbare Kritik an Brutus 34 , das heißt doch wohl an seinem realitätsfernen Radikalismus, wie er sich mit etwas anderer Stoßrichtung bereits im Schlußpassus der Brutusrede äußert. Bei aller Hochschätzung für den magnanimus Brutus (2,234) verkennt Lucan ähnlich wie etwa Seneca benef. 2,20,2 an dem zukünftigen Caesarmörder nicht den negativen Zug der Wirklichkeitsfremdheit.

3.4.

Pompeius und die Freiheit: Lucan. 2,526-600

3.4.1. Zum Aufbau der Pompeiusrede und ihrem allgemeinen Wahrheitsgehalt Der erste Auftritt des Pompeius läßt erstaunlich lange auf sich warten. Von pompeianischer Seite sind schon Brutus, Cato und Domitius in Erscheinung getreten, bevor der militärische Gegenspieler Caesars selbst dem Leser begegnet, 2,526ff., und zwar in einer Contio 35 . Die Feldherrnrede selbst ist von zwei kurzen Passagen, die Anlaß und Wirkung beschreiben, umgeben: I

2,526-530

III

2,596-600

Kampfwille des Pompeius (2,528 secuturo iussurus classica Phoebo) und Einleitung der Ansprache Kampfesunlust der Soldaten (2,597 nec matura petunt promissae classica pugnae)

Es ist ohne weiteres klar, daß I und III einander rahmend zugeordnet sind. Die Beziehung ist wiederum durch verschiedene Wortwiederholungen verdeutlicht, von denen das zweimalige classica besonders wichtig erscheint, weil mit Hilfe dieses Wortes die unterschiedliche Einstellung des Feldherrn und seines Heeres besonders hervorgehoben wird; das Substantiv wird zwischen den zwei markierten Stellen nicht verwendet. 34

An dem pejorativen Sinn des „zu viel" läßt Lucans sonstiger Sprachgebrauch keinen Zweifel. Das verdeutlichen besonders gut die drei vorangehenden Belege; jedesmal hat das nimium schlimme Folgen: 1,71 nimio ... graves sub pondere lapsus; 1,87 nimia ... cupidine caed; 1,160 opes nimias. 35 Die Erwähnung von Pompeius' Abzug nach Capua 2,392f. leitet die Beschreibung von Italiens Geographie ein und ist kein Äquivalent zu den Caesarszenen; die kurze Nennung des Pompeius 1,522 bedeutet nach Funktion und Umfang noch viel weniger ein Auftreten des Feldherrn. Manches, was im Folgenden zur Pompeiusrede ausgeführt wird, hat schon R. Faust 40ff. gesehen; auf die Freiheitsauffassung der Rede geht er freilich nicht ein. Die neueren Darlegungen von H. Nehrkorn 183ff. sind nicht sehr ergebnisreich.

190

Zweiter Teil 3.4.1.

Von der Situation, daß Pompeius kämpfen will, von seinen Soldaten aber im Stich gelassen wird, ist nichts überliefert. Lucan läßt das Ereignis vor allem geographisch im Unbestimmten. Das Ganze dürfte eine Erfindung des Dichters sein, durch die ein Pendant zur Adhortado Caesars 1,299—351 geschaffen wird und zugleich wohl ebenfalls eine Entschuldigung für das kampflose Zurückweichen des Pompeius. Ihm steht eben keine bedingungslos ergebene kriegslüsterne Soldateska zur Seite, wie sie unter den Caesarianern durch Laelius vertreten wird36. Daß Lucan Caesars Gegenspieler exkulpiert und aufwertet, braucht an sich nicht mehr zu sein als der Versuch, die spannungstötende Einseitigkeit der Kiäftekonstellation zu korrigieren. Eher von Sympathie für Pompeius zeugt es, wenn 2,530 von dessen veneranda vox gesprochen wird; das ist ein Ausdruck für die Achtung und Ehrerbietung, die der Feldherr genießt 37 . Man wird sich gleichwohl hüten müssen, Pompeius hier von vornherein für das Sprachrohr des Dichters zu halten. Wie Caesar, mag er auch von Anfang an als überwiegend negative Erscheinung konzipiert sein, in seiner ersten Rede nicht schlechthin Unrecht hat, so braucht sein Gegenspieler nicht in jeder Hinsicht Recht zu haben. Entschieden kann das Problem nur dadurch werden, daß die Ansprache selbst betrachtet wird. Sie hat folgenden Inhalt und Aufbau: IIA Β

C

36

2,531-533 (3 Verse) 2,534—554 (21 Verse)

Ermunterung der auf Seiten der rechtmäßigen Staatsgewalt stehenden Soldaten zum Kampf Caesar als verbrecherischer Kriegsurheber und seine Unrechtsposition als Garantie des pompeianischen Sieges 2,555—575 Synkrisis von Pompeius' und Caesars Stellung (21 Verse) und Machtmitteln

Das folgende Stiergleichnis 2,601ff. hat ähnliche Funktion. Es wirkt zunächst dem Eindruck der Schwäche entgegen, den man vom bisherigen Verhalten des Pompeius haben mußte. Ferner aber hebt es als Gegenstück zu dem Löwengleichnis, mit dem Caesar in der Erzählung l,205ff. vorgestellt wurde, auch Pompeius in heroische Höhe. Der Leser wird natürlich sofort an Verg. Aen. 12,103ff. erinnert, nach dem Bild des Löwen das zweite Gleichnis, das Veigil im 12. Buch auf Turnus anwendet. Dazu 2.2.2.3. Etwas ferner steht Verg. Aen. 12,715ff.; Lucannachahmung Stat. Theb. 2,323ff.; Sil. 16,4ff. 31 Das Adjektiv venerandus ist bei Lucan nicht gleichrangig mit sacer oder sanctus. Cato, seine Brust, seine Worte werden mehrfach mit dem Attribut sacer (2,285; 9,255; 9,409) oder sanctus (2,372; 6,311; 9,555) bedacht, nie gebraucht Lucan im Zusammenhang mit Cato jedoch die Ausdrücke venerabäis oder venerandus. Umgekehrt wird Pompeius, sein Name usw. gern venerabilis (7,17; 8,317; 8,664; 8,855; 9,202) oder venerandus (2,530) genannt; erst in und nach der Stunde seines Todes ist er sacer (8,664; 8,669; 8,677 usw.). Für die Bedeutung von venerabilis und venerandus sind besonders aufschlußreich noch 5,397, über den Senat: quondam (!) veneranda potestas; 8,317 semper (!) venerabilis illa (!) / Orbis parte fui; 9,202, in dem kritischen Lob, das Cato Pompeius spendet: clarum (!) et venerabile nomen / gentibus (!). Während also sacer / sanctus, auf Personen angewendet, die von menschlicher Anerkennung unabhängige, sozusagen numinose Vollkommenheit bezeichnen, beziehen sich venerabilis / venerandus durchaus auf die soziale Wertschätzung, die nach Zeit und wertender Gruppe schwanken kann.

Zweiter Teil 3.4.1.

a b α

β c D

191

2,555-561 Die ungebrochene Kraft des Pompeius und die überlegene Frische seiner Soldaten 2,562-568 Pompeius als Vertreter der Legalität 2,562-565 Pompeius hat die im freien Staat höchstmögliche Stellung erreicht, die nur durch ein regnum überboten werden kann 2,565-568 Auf Pompeius' Seite stehen Konsuln und Nobilität, von Caesar nicht besiegbar 2,568-575 Die Nichtigkeit der bisherigen militärischen Leistungen Caesars 2,576-595 Tatenkatalog des Pompeius (20 Verse)

In der Rede sind vornehmlich zwei Themenkreise miteinander verschränkt. Einmal geht es um die Legalität und Rechtmäßigkeit der eigenen und komplementär die Unrechtmäßigkeit der gegnerischen Sache: A, B, Cb; zum anderen um die Leistungen und die Leistungsfähigkeit des Pompeius und die Absenz dieser Vorzüge bei Caesar: Ca, Ce, D. Das berührt sich in vieler Hinsicht mit den Ausführungen von Caesars Ansprache, wo aber natürlich die Vorzeichen umgekehrt sind. In den Partien C und D ist denn auch so manches offenkundig als Replik auf Caesars Rede konzipiert 38 . Diese Beziehung wird in der ersten Partie von C, in Ca, geradezu ausgesprochen, wo Caesar angeredet wird, 2,555ff.: 555 te quoque si superi titulis accedere nostris iusserunt, valet, en, torquendo dextera pilo, fervidus haec iterum circa praecordia sanguis incaluit; disces non esse ad bella fugaces qui pac e m potuere pati, licet ilk solutum 560 defectumque vocet, ne vos mea terreat aetas: dux sit in his castris senior, dum miles in illis. Das vocet meint die Worte Caesars 1,31 If.: milite

veniat longa dux pace cum subito.

solutus

In wessen Rede ist die Situation, wie Lucan sie sieht, besser erfaßt? Jedenfalls die abwertende Bezeichnung miles subitus findet gerade in dem Versagen der pompeianischen Soldaten, das die vorliegende Szene schildert, seine Rechtfertigung. Pompeius erweckt also mit seinen Worten übertriebene Vorstellungen von der Leistungsfähigkeit seiner Soldaten. Die Leistungen Caesars werden in Cc betrachtet, 2,568ff.: multisne rebellis Gallia iam lustris aetasque inpensa labori 38

Einige Andeutungen darüber bei W. Menz, Diss. 72f.

192

Zweiter Teil 3.4.1.

570 dant ánimos? Rheni gelidis quod fugit ab undis Oceanumque vocans incerti stagna profundi territa quaesitis ostendit terga Britannis? Auch diese Verse sind mit deutlicher Beziehung auf die eposeröffnende Entschlußszene gesagt39. Denn Curio spricht 1,283 davon, daß den Feldherrn Caesar festgehalten habe bellantem geminis ... Gallia lustris, und Caesar selbst nimmt diese Feststellung in den Anfangsworten seiner Rede wieder auf (l,299f.). Daß viele Lustren, ja ein Lebensalter lang in Gallien gekämpft worden ist, stellt eine polemische Übertreibung des Pompeius dar. Ebensowenig wird mit dem Hinweis auf das schon lange aufrührerische Gallien und die Flucht vom Rhein die endgültige Befriedung des eroberten Gebietes gewürdigt, auf die Caesar selbst 1,307309 anspielt. Es ist kaum zweifelhaft, daß auch nach Lucans Meinung in Pompeius' Worten 2,568ff. anders als in den angeführten Äußerungen caesarianischer Seite die Leistung Caesars verzerrt wird, und zwar eben im Sinne einer Verkleinerung. Überdies ergibt sich aus dem Abschnitt, in dem die Sammlung von Caesars Truppen dargestellt wird (1,396-465), daß Caesar ganz Gallien sicher in seiner Hand hat 4 0 . Noch entschiedener erkennt Lucan 3,73—78 Caesars große Erfolge an, und gebraucht dabei gerade das von Pompeius kritisierte Wort Oceartus. Wir haben uns bisher im Bereich des Aspekts „Leistung und Leistungsfähigkeit" bewegt. Pompeius antwortet in dem Bezirk an jedenfalls zwei Stellen auf die Ansprache Caesars (1,299-351) oder mit ihr zusammenhängende Bemerkungen von caesarianischer Seite. Er modifiziert oder verdreht dabei die Wahrheit zu seinen Gunsten und zu Ungunsten des Gegners. Gehen wir nun zu dem Aspekt „Legalität und Rechtmäßigkeit" über. o scelerum ultores melioraque signa secu ti, o vere Romana manus, quibus arma senatus non privata dedit, votis deposcite pugnam. So beginnt Pompeius 2,53Iff. seine Anfeuerungsrede und betont also von vornherein, daß die Parteinahme des Senats die apostrophierten Soldaten legitimiert. Die Verbindung zwischen Pompeius und den publica signa stellt, wie schon angemerkt, erstmals Cato 2,319f. her. Wenig vor der Ansprache des Pompeius sagt Lucan an bedeutsamer Stelle von Domitius, er habe sich gehalten an castra . . . patriae Magnumque ducem totumque senatum (2,519f.). Die über-

39

Das vocans 2,571 hat keinen Bezugspunkt in Caesars Ansprache, wohl aber in der unmittelbar folgenden des Tribunen Laelius 1,370, der hier also gewissermaßen Caesars Propaganda vorträgt. Die Sperrungen 2,570ff. sind wegen 3,73-78 eingeführt. Dazu unten. 40 Dazu auch L. Eckardt 27f. Pompeius selbst würdigt Caesars militärische Größe 2,544ff.: cum fata Camillis / te, Caesar, magnisque velini miscere Meteliis, / ad Cinnas Mariosque venis.

Zweiter Teil 3.4.2.

193

ragende Stellung, die der Senat als Garant der Verfassungsmäßigkeit hat, entspricht durchaus kaiserzeitlichem Denken 41 . In einer Ansprache an seine Soldaten sagt Otho Tac. hist. 1,84,3: nationes aliquas occupavit Vitellius, imaginent quondam exercitus habet, senatus nobiscum est: sic fit ut hinc res publica, inde hostes rei publicae constiterint. Es stimmt also zweifellos mit den Tatsachen, wie Lucan sie sieht, überein, daß auf der Seite des Pompeius die legale Staatsmacht steht. Doch zeigt die Tacitusstelle, daß die so verstandene und begründete Legalität von Pompeius' Waffen für den kaiserzeitlichen Leser keineswegs identisch ist mit einer der Prinzipatsidee gegenübergestellten republikanischen Verfassungstreue. Als spezifisch republikanische Antithese zur Prinzipatsordnung ist es ebenfalls nicht aufzufassen, wenn in II Cb(3 (2,565ff.) nicht nur auf den Senat, sondern auch auf die beiden Konsuln als Mitstreiter hingewiesen wird. Denn die Hochschätzung dieser alten Institutionen ist in der Theorie und partiell auch in der Praxis der Kaiserherrschaft zu beobachten. Es genügt, an Neros Regierungsprogramm Tac. ann. 13,4,2 zu erinnern: teneret antiqua munia senatus, consulum tribunalibus Italia et publicae provinciae assistèrent. 3.4.2. populus liber - Realität oder Propaganda? Von Freiheit ist in den besprochenen Partien nicht die Rede. Dagegen wird das Thema, wie es scheint, recht unvermittelt in II Cba aufgegriffen, 2,562ff.: quo potuit civem populus perducere liber ascendi, supraque nihil nisi regna reliqui. non privata cupis Romana quisquís in urbe 565 Pompeium transiré paras. Vor dem Passus stehen in der Ansprache 31 Verse, ihm folgen 30 1/2 Verse. Er befindet sich somit sehr genau in der Mitte der Adhortatio des Pompeius. Die unmittelbar vorausgehende Partie Ca stellt, wie dargelegt, eine Replik auf die Polemik des Abschnitts 1,307-313 der Caesarrede dar. Offenbar ist Cba die Antwort des Pompeius auf 1,314-335, den nächsten und gerade den mittleren Passus von Caesars Ansprache. Der dort in bedeutungsvoller Weise verwendete Terminus regnum begegnet innerhalb der Pompeiusrede das erste und einzige Mal eben in 2,563. Der Umstand, Ü < I B Ü W ^edankenduktus und Aufbau von Caesars Ansprache die Einführung und Lokalisierung von II Cba veranlaßt haben, erklärt wohl auch den gedanklichen Sprung zwischen diesem Passus und II Ca. 41 Dagegen entspricht es nicht echtem republikanischen Denken, wenn der Senat die Waffen zu „nicht privaten" macht; denn nur die C'omitienwahl zu einem ordentlichen Magistrat macht „nicht privat". Vgl. etwa Ernst Meyer, Römischer Staat und Staatsgedanke, Darmstadt 1961 2 , 109; republikanisch ist Lucan. 2,278: duce privato (sc. Pompeio) gesturus proelia consul. A. Cattin 217 meint, unter Anführung gerade der Verse 2 , 5 3 1 - 5 3 3 , Pompeius sei als echter Verteidiger der republikanischen Freiheit gezeichnet.

13 Lebek (Hyp. 44)

194

Zweiter Teil 3.4.2.

Gegenüber den Angriffen Caesars behauptet Pompeius, die Freiheit sei durch ihn nicht beeinträchtigt worden, er habe eben noch kein regnum inne. Hat Pompeius damit recht? Gerade in der Polemik gegen Pompeius' regnum schien Caesar weithin die Wahrheit zu sprechen. Wenn es zutrifft, daß die Behauptung des Pompeius vor dem Hintergrund des Mittelstücks der Caesarrede zu betrachten ist, dann kann diese Behauptung nicht korrekt im Sinne Lucans sein. Ähnlich wie in den benachbarten Partien Ca und Cc entstellt also Pompeius auch in Cba bei seiner Auseinandersetzung mit Caesar die Wirklichkeit. Freilich handelt es sich nicht um eine totale Verfälschung. Denn absoluter Autokrat ist Pompeius als Teilhaber des regnum nicht. Pompeius äußert sich nicht ausdrücklich darüber, welche Stellung er erstrebt. Aber seine Worte 2,562f. sind doch geeignet, die Vorstellung zu insinuieren, daß er bei einem Sieg sich nicht als Alleinherrscher gerieren werde. Sie sind eine verschleierte Variante von Caesars meis neque regnum quaeritur armis (1,350). Cato hatte 240 Verse vorher ganz anders über Pompeius' Intentionen geurteilt (2,32lf.) und damit offenbar Lucans Meinung ausgesprochen. Ein Zug von Heuchelei liegt also in den Worten des Feldherrn auch im Hinblick auf seine Alleinherrschaftswünsche, die er nach des Dichters Ansicht hegt. Die Verse 2,562f., die, isoliert gesehen, Pompeius als Republikaner erscheinen lassen, enthüllen sich, in den rechten Zusammenhang gestellt, als propagandistische Äußerungen, die über die wirkliche Stellung und die wahren Absichten des Redners hinwegtäuschen sollen. Enthüllend wirkt, genauer betrachtet, ebenfalls der Rest von Cba. Es ist nämlich bemerkenswert, daß in den Zeilen 2,564f. nicht einfach Caesar beschuldigt wird, sich zum alleinigen Herren von Rom und seinem Imperium machen zu wollen. Caesars Name fällt überhaupt nicht, vielmehr der des Pompeius, um die höchste Grenze zulässiger Macht zu bezeichnen. Die pompeiozentrische und zugleich allgemeine Formulierung muß nach den wenig aufrichtigen Zeilen 2,562f. auf die gebildeten Zeitgenossen Lucans als variierender Ausdruck der bekannten Haltung des Pompeius gewirkt haben, der nicht wollte quemquam alium esse in re publica magnum (Sen. dial. 6,14,3)42. Halten wir hier inne. Es geht Lucan gewiß nicht darum, Pompeius geradezu als Heuchler zu charakterisieren. Der Feldherr vertritt eben seine Sache in einer Weise, die die Soldaten mit Kampflust erfüllen soll. Diese Sache ist durch Staatsorgane legitimiert, aber sie hat ihre Schwächen, die partiell in der Person des Pompeius selbst begründet sind. Insbesondere verteidigt Pompeius nicht wie Cato uneigennützig die Freiheit, sondern seine eigene Macht im Staat und verfolgt seine Aspirationen auf die völlige Alleinherrschaft. Nur durch die Abwehr von Caesars Vorwürfen kommt der Gedanke der Freiheit in die Adhortatio hinein, und damit erklärt sich auch hinreichend seine zentrale Lokalisierung. Der Freiheitsgedanke hat durchaus nicht den Rang eines bedeutenden Motivs, das 42

Weiteres dazu im Ersten Teil 1.3.4.2.3 mit Anm. 92.

Zweiter Teil 3.5.1.

195

zum Kampf gegen Caesar anregen sollte. Der Redner ist auch weit davon entfernt, etwaige geschichtliche Konsequenzen von Caesars freiheitsbedrohendem Angriff zu entwickeln. Die pompeiozentrische Darstellungsweise von II Cba deutet unmißverständlich auf die Gegenwart des epischen Geschehens als den Horizont von Pompeius' Gedanken hin.

3.5.

Caesar in Rom und die Beraubung des Aerariums: Lucan. 3,97-168

3.5.1. Die Grunddisposition der Szene Die erste große Caesarpartie im 3. Pharsaliabuch umfaßt die Verse 3,46— 168. Die Darstellung von Caesars Wirken und Wirkung in Rom nimmt hier den bedeutendsten Raum ein: 3,97-168. Der Aufbau dieser Darstellung sei zunächst in einer kurzen Skizze festgehalten43. I

3,97-112 (15 Verse) 3,112-153

II A

3,112-114

Β a b α β c III

3,114-153 3,114—121 3,121-143 3,121-133 3,133-143 3,143—153 3,154-168 (15 Verse)

Furcht und Willfährigkeit in Rom Der Widerstand des Metellus gegen die Öffnung des Saturntempels Deutende Themenangabe (Propositio): Freiheit und Recht im Widerstand gegen die Gewalt Erzählung Das Eingreifen des Metellus Die Auseinandersetzung Metellus - Caesar Die Rede des Metellus Rede und Reaktion Caesars Die Beschwichtigung des Metellus durch Cotta Die Beraubung des Saturntempels

Der Abschnitt beginnt inmitten eines Verses, und die meisten seiner Gliederungseinschnitte liegen ebenfalls innerhalb der Verse. Diese Lucanische Eigentümlichkeit der Fugenlegung braucht der Klarheit der Tektonik nicht unbedingt Abbruch zu tun. In der Tat läßt schon ein Blick auf die Massenverteilung der einzelnen Unterpassagen einen wohldurchdachten Aufbau erkennen. Die gleichlangen Partien I und III legen sich um ein umfänglicheres Kernstück II; fast genau in dessen Mitte liegt der große Sinnblock Bb, der mehr als die Hälfte von II umfaßt. Anscheinend handelt es sich um einen Aufbau nach dem Omphalosprinzip. 43 Neuere Überlegungen zum Abschnitt finden sich bei W. Rutz, Diss. 145ff.; W. Menz, Diss. 89ff.; P. Syndikus 61ff. Diese Interpreten werten den Abschnitt in erster Linie für die Charakteristik Caesars aus, ein Gesichtspunkt, der für die folgende Interpretation nicht zentral ist.

196

Zweiter Teil 3.5.2.

Nach der Begegnung mit Domitius wird Caesar hier zum zweitenmal unmittelbar persönlich mit einem Gegner konfrontiert; die Metellusszene ist also ein Pendant zu der so kunstreich geformten Domitiusepisode Lucan. 2,462-525 Bei diesem Szenenparallelismus scheint es angebracht, Lucans Darstellung der Begebenheiten in und um Corfmium weiter bei den folgenden Interpretationen als Folie zu berücksichtigen. 3.5.2. Caesar, der Senat und Metellus: Lucan.

3,97-153

Die Flucht der pompeianischen Feldherrn Lucan. 2,462—477 war Ausdruck des unmittelbar zuvor mehrfach genannten terror. Dasselbe Substantiv charakterisiert in dem Abschnitt I der Rom-Metellus-Perikope die Lage in Rom, 3,97f.: (Caesar) sie fatur et urbem attonìtam terrore subit. In allgemeiner Beschreibung werden anfangs die Befürchtungen und das ängstliche Verhalten der Römer gekennzeichnet (3,98-103), dann wendet sich der Dichter spezifisch dem Senat zu, der wider Gesetz und Herkommen einberufen wird (3,103-109) und willfährige Unterwürfigkeit an den Tag legt, 3,109112: sedere patres censere parati, 110 si regnum, si templa sibi iugulumque senatus exiliumque petat. melius, quod plura iubere erubuit quam Roma pati. Nach dem überleitenden und überschriftartigen Satz 3,97f. wird somit die Lage in Rom mittels einer triadischen Spezialisierung entwickelt, die darin gipfelt, die Haltung der führenden Körperschaft darzustellen. Die Haltung der Gemeinschaft der Senatoren: das erinnert wieder an die Vielzahl der fliehenden Pompeianer im Passus 2,462—477 der Domitiusszene. Während die Pompeianer dort sich dem Zugriff Caesars durch Flucht entziehen, kennen die patres hier nur Unterwerfung. Dieser Differenz entspricht gleichfalls die Entwicklung des Folgenden. Wie im Domitiusabschnitt mit 2,478ff. eine Gegenbewegung durch eine einzige Persönlichkeit einsetzt, so ist das auch in der Partie II mit 3,112ff. der Fall. In der Domitiusszene ging es aber — zumindest zunächst — nur darum, Caesar militärisch standzuhalten; in der Metellusszene wird, in Abhebung von der alle Rechte aufgebenden Servilität des Senatorenstandes, der weitergehende Versuch gemacht, Recht und Freiheit zu behaupten. Lucan mißt dem Versuch eine 44

Die zwei Abschnitte stellt auch W. Rutz, Diss. 117f. nebeneinander; er sieht nämlich in ihnen gleichermaßen den „Typ der ira-Szene" vertreten. Doch ist der Aspekt „ira" für die Domitiuspassage von durchaus untergeordneter Bedeutung. Wichtiger ist er in der Metellusszene, ohne aber zu ihrem Verständnis zu genügen. Überhaupt ist der Begriff des Affektischen allenfalls partiell dazu imstande, Lucans Darstellungsweise zu erschließen.

Zweiter Teil 3.5.2.

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prinzipielle Bedeutung bei, wie er in der Propositio II A unmißverständlich dartut. Es ist die Libertas selbst, die handelt; der auftretende Römer bleibt vorerst anonym und ist nur ihr Werkzeug, 3,112-114: tarnen exit in iram viribus an possint obsistere iura, per unum Libertas experta virum 4S. Die Grundsätzlichkeit der Formulierung wird vor der Folie der so persönlich orientierten Pendantexposition Lucan. 2,478—480 besonders deutlich. Über den Gesichtspunkt, von dem aus die folgende Erzählung zu interpretieren ist, kann danach kein Zweifel bestehen. Der Beginn der Metelluserzählung II Β zeigt zunächst enge Verwandtschaft mit dem Gegenstück II der Domitiusepisode. Lucan fährt 3,114ff. fort: pugnaxque Metellus 115 ut videi ingenti Saturnia templa revelli mole rapit gressus eqs. Von Domitius hatte es an homologer Stelle 2,48Iff. geheißen: ut procul immensam campo consurgere nubem conspexit. . . , dixit eqs. Kurz zuvor war Domitius 2,479 mit seinem ständigen Attribut pugnax bezeichnet worden. Wie Domitius ergreift dann Metellus die Initiative. Auch weiter könnte man Domitius- und Metelluserzählung nicht ohne Nutzen miteinander vergleichen; doch würde dabei die Eigengesetzlichkeit des Metellusabschnitts zu sehr in den Hintergrund treten. Auf sie aber wollen wir uns jetzt konzentrieren. Bevor Lucan den Zusammenstoß zwischen Metellus und Caesar schildert, beschließt er II Ba mit einer eigenartigen Reflexion, 3,118—121: usque adeo solus ferrum mortemque timere auri nescit amor, pereunt discrimine nullo 120 amissae leges; set, pars vilissima rerum, certamen movistis, opes. Was bedeutet das im Lichte der Propositio II A? Der einzige Mann, durch den die Freiheit die Möglichkeit des Rechtes zu erproben unternimmt, wird nicht durch die Begeisterung für das Recht, sondern durch das Hängen am Geld 45 „Dennoch hat einen Zornesausbruch zum Ergebnis die Freiheit, die mit Hilfe eines einzigen Mannes versucht hat, ob das Recht der Macht widerstehen kann." Die von Housman gebotene Interpunktion ist richtig. Auch die Alternative ist vertreten worden: tarnen exit in iram (sc. Caesar). / viribus eqs. So letzthin W. Rutz, Diss. 145. Aber exire in aid. heißt in dem vorauszusetzenden übertragenen Gebrauch: „sich in etwas verwandeln", „zu etwas werden". Thes. V 1364,55ff., wo auch Lucan. 5,410: rapiendi tempora belli / in segnes exisse moras. Caesar ist damit als Subjekt zu exit ausgeschlossen. 3,112 tarnen entspricht in der Domitiusszene 2,478 at.

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Zweiter Teil 3.5.2.

zur Opposition bestimmt. Selbst für den einen Vertreter der Freiheit haben die leges keine motivierende Kraft. Metellus ist eben auch ein Kind der Verfallszeit, die Lucan unter dem Begriff publica belli semina l,158ff. beschreibt, und er ist von Lucans Curio (l,269ff.) weniger weit entfernt, als es zunächst den Anschein hat 46 . Die Sache der Freiheit ist damit von vornherein verlorengegeben. Das experimentum der Freiheit muß schon wegen der mangelnden Gesinnungsstärke ihres Advokaten negativ enden. Der weitere Gang der Handlung stimmt in allen Einzelheiten mit dieser Prognose überein. Metellus wird eingangs von II Bba bedeutungsvoll als Volkstribun vorgestellt (3,122). Der erste Teil seiner Rede (3,123-129) wirft denn auch in herausfordernder Weise die tribunizische Unverletzlichkeit in die Waagschale: non nisi per nostrum vobis percussa patebunt templa latus, nullasque feres nisi sanguine sacro sparsas, raptor, opes. In den zitierten Versen und noch einige Zeilen weiter dient der Hinweis auf den Tribunat dazu, Metellus bei seiner Verteidigung des Aerariumsschatzes, der opes, zu sichern. Der Gedanke an die Rettung des Schatzes scheint aufgegeben, wenn Metellus Caesar höhnisch-provokant auffordert, ihn zu töten, 3,128f.: detege iam ferrum; neque enim tibi turba verenda est spectatrix scelerum: deserta stamus in urbe. Aber unmittelbar nach diesen zwei Versen konzentriert sich Metellus wieder auf die opes. Denn im zweiten Teil seiner Rede (3,130—134) wird der Raub der Staatsschätze als Maßnahme zurückgewiesen, zu der keine Notwendigkeit zwinge. Der Dichter hat dem Metellus Worte in den Mund gelegt, die die pessimistische Deutung, die er selbst im Abschnitt II Ba vorgetragen hat, bestätigen. In der Tat nimmt ja die Argumentation für die Bewahrung der pars vilissima rerum bei Metellus den weitaus größten Raum ein; der stärker aufs Prinzipielle zielende Hinweis auf die Würde des Tribunats ist diesem Zweck untergeordnet. Allein die offene Todesbereitschaft verleiht Metellus, ohne dem auri amor zu widersprechen, einen gewissen Zug von Größe. In der Gegenszene II Bb/3 werden die gedanklichen Linien von II Bba ( 3 , H I OS) in höchst aufschlußreicher Weise fortgeführt, 3,133ff.: his magnam victor in iram vocibus accensus ,vanam spem mortis honestae 135 concipis: haud' inquit,iugulo se polluet isto nostra, Metelle, manus; dignum te Caesaris ira nullus honor faciei.

46 Zu Curio vgl. oben 2.2.3.2. Der Topos der verabscheuenswürdigen Geldgier auch Lucan. 4,96 pro lucri pallida tabes; vgl. ferner Κ. F. Smith zu Tib. l,10,7f.; F. Börner zu Ov. met. 1,131.

Zweiter Teil 3.5.2.

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te vindice tuta relicta est libertas? non usque adeo permiscuit imis longus summa dies ut non, si voce M et ell i 140 servantur leges, malint a Caesare tolli. ' Die Rede Caesars besteht aus zwei Abschnitten annähernd gleichen Umfanges. Zunächst wird der Todeswunsch des Metellus zurückgewiesen: 3,134—137. Darauf wird Metellus als ungeeigneter Verteidiger der Freiheit hingestellt: 3,137140. In beiden Teilen wird die Persönlichkeit des Metellus gegenüber der Caesars abgewertet; die Gegenüberstellung erfährt jeweils am Ende in der namentlichen Kontrastierung 3,136 und 3,139f. ihre feinste Zuspitzung. Auf die Worte des Metellus geht, wie angedeutet, nur der erste Teil von Caesars Replik ein, und zwar ausschließlich auf den Mittelteil 3,128f. Caesar greift also seinen Widersacher allein an dessen moralisch stärkster Stelle an. Im zweiten Abschnitt seiner Antwort kommt Caesar dann auf die Problematik zu sprechen, von der Metellus charakteristischerweise nichts sagt, nämlich die Möglichkeit, leges und libertas zu erhalten. Im Gegensatz zu Metellus, der bei allem persönlichen Mut der Sphäre des auri amor verhaftet bleibt, steht somit Caesar geistig auf der Höhe der Fragestellung II A (3,112-114). Metellus ist, wie sich zeigt, als Persönlichkeit seinem Gegenspieler unterlegen. Caesar spricht daher mit der Abwertung des Metellus nur die Wahrheit aus. Wahr ist ebenfalls, daß Metellus kein vindex libertatis sein kann - nicht wegen seiner faktischen Ohnmacht, sondern weil es ihm nur akzidentell um Recht und Freiheit geht. Aus dem letzteren Grunde ist es endlich auch partiell gerechtfertigt, wenn Caesar entgegen der Verve, mit der Metellus sich als Tribun geriert, von der Amtsstellung seines Widerparts absieht und ihn nur als Persönlichkeit mit sich selbst vergleicht. Die bisher vorgelegte Interpretation hat in dem Abschnitt II Bbß (3,1 S S H S ) vornehmlich Momente hervorgehoben, die das Verständnis des Metellus zu vertiefen geeignet waren. Damit ist sie Lucans Intentionen nicht ganz gerecht geworden. Denn offensichtlich ist in dem Abschnitt das Stadium erreicht, in dem der Versuch der Freiheit den Zorn Caesars zum Ergebnis hat: exit in iram (3,112). Der Zorn Caesars straft die großzügige Zurückhaltung, die ihm am Schluß des Abschnitts I nachgesagt wurde, Lügen. Die Worte Caesars, soviel an Wahrheit sie auch enthalten, sind gleichermaßen Ausdruck seiner hochmütigen Menschenverachtung, die die Quelle seiner Großmut ist. Vollends entlarvend ist die Steigerung von Caesars Zorn, 3,14Iff.: dixerat, et nondum foribus cedente tribuno acrior ira subit: saevos circumspicit enses oblitus simulare togam. Hier kommt das ex ire in iram zu seinem Höhepunkt und zugleich abrupt zu seinem Schluß. An dieser Stelle ist wohl auch am besten das Ende der Streit-

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szene II Bb anzusetzen47. Das tribuno 3,141 mag mit dem ebenfalls das Versende konstituierenden tribunas 3,122 eine Wortklammer bilden; das Substantiv erscheint in der Rom-Metellus-Perikope nur an diesen Stellen. Der vorliegenden Dialogpassage fehlt nicht jede Berührung mit dem Redepaar 2,481-502 der Domitiusepisode. Aufschlußreicher ist es jedoch, sie mit dem Begnadigungspassus 2,511—525 zu vergleichen. Dort war der äußerlich unterlegene Domitius mit dem Verschmähen von Caesars Milde der moralische Sieger gewesen. Wenn Metellus Caesar keine militärische Macht entgegenzusetzen hat, so wird das nicht mehr durch eine eindeutige moralische Überlegenheit kompensiert. Dazu stimmt, daß Lucan anders als bei Domitius hier die übliche epische Sprechfolge beibehält, in der der Sieger, der Begnadigung gewähren oder versagen kann, das letzte Wort hat 48 . Mit II Bc findet der Widerstand des Metellus durch das Eingreifen und die beschwichtigenden Worte Cottas ein Ende, 3,143—153: cum Cotta Meteilum conpulit audaci nimium desistere coepto. 145 ,libertas' inquit,populi quem regna coercent liberiate périt; cuius servaveris umbram, si quidquid iubeare velis. tot rebus iniquis paruimus vieti; venia est haec sola pudoris degenerisque metus, nullam potuisse negari. 150 ocius avertat diri mala semina belli. damna movent populos siquos sua iura tuentur: non sibi sed domino gravis est quae servit egestas. ' protinus abducto patuerunt templa Metello. Die Ausführungen Cottas bewegen sich in drei Gedankenbereichen, die in drei annähernd gleichgroßen Teilen bei leichter Überlänge des letzten vorgetragen und immer spezieller auf das Anliegen des Metellus eingeengt werden. Die Verse 3,145—147 gelten der Möglichkeit, unter einer Gewaltherrschaft die Freiheit zu bewahren. Cotta greift die grundsätzliche Problematik auf, die Metellus nichts bedeutet hatte. In einem regnum, als welches offenbar der gegenwärtige Zustand erkannt wird, ist nur der Schein der Freiheit zu bewahren — durch völlige Unterwerfung 49 . Das heißt: iura und libertas sind verloren. Aus Cotta spricht so dieselbe knechtische Gesinnung wie sie im Senat wirksam ist. Der Abschnitt 3,147-149 verstärkt entschuldigend den Gedanken, Fügsamkeit sei unabwendbar, mit dem Hinweis auf die bisherige unumgängliche Servilität 47 Man könnte mit einigem Recht auch in 3,141 einen neuen Abschnittsbeginn erkennen. Für die Gesamtauffassung der Metellusszene ist diese Gliederungsfrage belanglos. 48 Darüber oben 2.3.4. 49 Perversion eines stoischen Gedankens. Sen. epist. 61,3 qui imperia libens excipit, partem acerbissimam servitutis effugit, facere quod nolit. 54,7. dial. 7,15,7 in regno nati sumus. deo parere libertas est.

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der Römer 50 . Die als endgültig hingenommene Unterwerfung Roms ist schließlich 3 , 1 5 0 - 1 5 2 auch der Hauptgrund, der in Cottas Augen die Verteidigung der Aerariumsschätze sinnlos macht. In den Schluß versen der Cottarede wird dabei der Gedanke aufgegriffen, der Lucans Reflexion 3 , 1 1 8 - 1 2 1 zugrundegelegen hatte, aber charakteristischerweise unter verkehrten Vorzeichen. Beidemal werden leges und iura den opes übergeordnet. Dem Dichter schwebt die Konsequenz vor, statt des Geldes müsse das Recht verteidigt werden; die epische Gestalt Cotta sieht das Recht verloren und gibt daher auch das Geld auf. So bedeutet die Cottarede in II Bc (3,143-153) zugleich eine Antwort auf II A ( 3 , 1 1 2 - 1 1 4 ) und II Ba ( 3 , 1 1 4 - 1 2 1 ) . Die formal das Kernstück II Bb (3,121—143) umgebenden Partien stellen den geistigen Rahmen von Problem und Problemlösung dar, in dem der historische Konflikt ruht. Wenn der Vertreter hoffnungsloser Unterwerfung das letzte Wort hat, so bedeutet das, daß der Versuch der Libertas mißglückt ist. Die Idee der republikanischen Freiheit hat in Rom keine Wurzeln mehr, auch nicht, wie sich gezeigt hat, in dem Tribunen Metellus. Es ist nur konsequent, wenn Metellus seinen Widerstand nicht aus Furcht vor Caesars Drohungen aufgibt, sondern unter dem Eindruck von Worten, wie Cotta sie äußert. Der Schlußvers der Szene erinnert an die Worte, mit denen Metellus Caesar emphatisch angeredet hatte (3,123) und verdeutlicht damit nachhaltig das Scheitern des Tribunen. Ebenfalls aufschlußreich für Lucans Intentionen ist die Zeile 3,153 vor dem Hintergrund der historischen Tradition. Sie berichtet einhellig, daß Caesar das Aerarium aufbrechen ließ s i . Lucan, dem diese Uberlieferung zweifellos bekannt war, verzichtet darauf, den Akt der Gewalttätigkeit eigens darzustellen. Ihm liegt eben weniger daran, Caesar als rücksichtslosen Willkürherrscher zu zeichnen, als an der Darstellung von Roms Unterwürfigkeit und innerer Haltlosigkeit 52 . 50 Zu 3,148 erklärt A. E. Housman: „ideo quia vieti eramus, a Mario Sulla aliisque quibus oboeditum est." Aber es scheint doch besser, an den gegenwärtigen victor (3,133) zu denken. 51 Florus epit. 4,2,21 (Caesar aerarium) iussit effringi; Plutarch, Caesar 35,9 έκκόπτειν inéXevev; Appian b. c. 2,41,164; Dio 41,17,2. Allerdings läßt Lucan. 3,115 revelli ebenfalls an eine gewaltsame Öffnung des Tempels denken. Aber in Lucans Schilderung von 3,153-155 ist von einem Aufbrechen der Türen nichts mehr gesagt; reclusos 3,154 deutet im Gegenteil auf ein reguläres Aufschließen hin, wie es offenbar auch 5,531 gemeint ist mit poste recluso. Vermutlich ist auch 3,115 mit revelli lediglich die Anstrengung indiziert, die die Öffnung der schweren Türen erfordert. Die Pharsaliapassage ist für Η. P. Syndikus lOf. eines der Hauptindizien für die Benutzung Pollios durch Lucan. Aber die Argumentation von Syndikus ist nicht stichhaltig. Er meint zwei Überlieferungen erkennen zu können. Bei Appian und Plutarch wohne Caesar wie bei Lucan persönlich der Öffnung des Tempels bei; das sei Pollios Bericht. Bei Florus und Dio sei Caesar abwesend; das sei Livius' Darstellung. In Wahrheit ist Dio der einzige der vier Autoren, der Caesar nicht zugegen sein läßt. Es wäre Willkür, diese Eigentümlichkeit Dios auf Livius zurückzuführen und die übliche Tradition für Pollio zu reklamieren. 52 Man könnte meinen, daß diese Charakteristik Roms nur für die in Rom Verbliebenen Gültigkeit hätte. Doch scheint es Lucan in dem ganzen Abschnitt 3,97-168 auf eine

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Zur Gegenwart Neronischer Zeit hat Lucan von der Metellusepisode keinen sichtbaren Faden gesponnen. Auch die Worte Cottas, für die man bei isolierter Betrachtung am ehesten aktuelle Bedeutung annehmen möchte, sind in einer Weise mit der Metellusszene und ihrer Problematik verflochten, daß sie nur als Stimmungsausdruck der Bürgerkriegsepoche gewertet werden können: den Glauben an die Möglichkeit republikanischer Freiheit hat diese Generation, die sich Caesar so willig beugt, verloren. 3.5.3. Die Beraubung des Saturntempels: Lucan.

3,154-168

Wie steht es mit der Darstellung der Aerariumsberaubung? In ihrem letzten Vers könnte ein kritischer Hinweis auf die Gegenwart zu liegen scheinen. Jedenfalls ist das eine Ansicht, die sich auf eine bedeutende Autorität berufen kann53. Indessen empfiehlt sich, das Problem ruhen zu lassen, bis ein Gesamteindruck der letzten Passage III gewonnen ist. Sie gleicht, wie bereits vermerkt wurde, in der Zahl ihrer Verse der Anfangspassage I (3,97-112). Im Gehalt besteht ebenfalls eine Affinität zwischen den beiden Abschnitten. Sind es in I Roms Senatoren, die der Verfügung des Siegers Caesar unterliegen, so sind es in III Roms Geldmittel. Anders als die Domitiusszene des 2. Buches, die mit einem Akt moralischer Selbstbehauptung von Caesars Gegner endet, wird Caesars Aufenthalt in Rom von zwei Abschnitten umschlossen, die Caesars unumschränkte Macht veranschaulichen. Der Abschnitt II A der Domitiuserzählung (2,462—477) erscheint hier gewissermaßen zweimal, und gerade die Darstellung der Aerariumsberaubung ähnelt ihm besonders in der Art ihrer strukturellen Durchformung. Zum besseren Verständnis der folgenden Darlegungen sei der Text ausgeschrieben, 3,154-167: tunc rupes Tarpeia sonat magnoque reclusas 155 testatur stridore fores; tum conditus imo eruitur templo multis non tactus ab annis Romani census populi, quem Punica bella, quem dederat Perses, quem vieti praeda Philippi, quod tibi, Roma, fuga Gallus trepidante reliquit, 160 quo te Fabricáis regi non vendidit auro, solche Eingrenzung nicht anzukommen. Im Gegenteil erweckt die Darstellung 3,103-112 ganz den Eindruck, als ob der Senat - von den Magistraten abgesehen - ziemlich vollständig versammelt worden wäre. Die historischen Tatsachen sind, zumindest was die Konsulare angeht, bekanntlich anders. Hinzuzufügen ist, daß auch die im Senat erschienenen Senatoren gegenüber Caesar keineswegs willfährig waren. Lucan hat also - wohl bewußt eine Gelegenheit zur Darstellung senatorischen Widerstandes ausgelassen. Andrerseits wird mit 3,104 nullo cogendi iure senatus auch Caesars Position verzeichnet, da der Senat ordnungsgemäß von Volkstribunen einberufen worden war. Die Einzelheiten bei Ed. Meyer 350. Richtig zum Gehalt der Metellusszene H. P. Syndikus 62f. 53 A. E. Housman z.St.; letzthin O. A. W. Dilke, Lucan's Political Views 70.

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quidquid parcorum mores servastis worum, quod dites Asiae populi misere tributum victorique dedit Minoia Creta Metello, quod Cato longinqua vexit super aequora Cypro. 165 tunc Orientis opes captorumque ultima regum quae Pompeianis praelata est gaza triumphis egeritur; tristi spoliantur templa rapina, pauperiorque futí tum primum Caesare Roma. Die Partie ist ebenmäßig aufgebaut: III A Β a b C

3,154-168 3,154-155 3,155—167 3,155—161 3,162-167 3,167-168

Die Beraubung des Saturntempels Einleitung: Das Dröhnen bei der Öffnung der Tore Detaildarstellung der geraubten Schätze Die Erwerbungen älterer Zeit (3,156 multis .. . ab annis\ 3,161 avorum) Die Erwerbungen neuerer Zeit Die Zusammenfassung und abschließende Deutung

III Ba besteht seinerseits aus zwei Schatztriaden, die sich syntaktisch und inhaltlich voneinander unterscheiden. Die erste Dreierreihe ist 3,157-158: Punica bella, Perses, praeda Philippi. Sie hat als gemeinsames Prädikat dederat und drei gleichlautende Objekte: quem (censum). Hier wird die Beute der bedeutendsten Kriege bezeichnet, die die römische Republik in ihrer Blüte gegen auswärtige Feinde gefuhrt hat. Die zweite Dreierreihung 3,159-161 wird als Einheit konstituiert durch drei Apostrophen, die je einen Vers mit je einem Prädikat beherrschen. In diesem Abschnitt geht es um Reichtümer, die die Republik bereits in ihrer Frühzeit erworben und bewahrt hat. Die letzte Zeile bedeutet insofern eine gewisse Anomalie, als in ihr allgemein gesprochen wird und keine Namen fallen; doch wird dadurch das triadische Gefiige nicht zerbrochen. Weithin ist die Partie III Ba noch dadurch charakterisiert, daß sie den Herkunftsort des Aerariumsvermögens durch Personen- oder Völkernamen verdeutlicht. Wie bemerkt, sind die zwei Dreierreihen der ersten Gruppe in der Folge Neueres — Älteres angeordnet. Dadurch wird das Einsetzen der zweiten Gruppe 3,162—167, die sozusagen nach einem zeitlichen Hiat beginnt, nachhaltig markiert. Hier sind es auch, anders als vorher, Länder und Gebiete, aus denen Roms Reichtümer herrühren. Die Partie III Bb hebt 3,162-164 wiederum mit einer dreifachen Nennung der im Aerarium vertretenen Schätze an, die sich wie die unmittelbar vorausgehende Triade über genau drei Verse erstreckt. Die Dreierreihe 3,162—164 wird durch ein gemeinsames Objekt zusammengehalten: quod (tributum). Auch hier ist in der Aufeinanderfolge der einzelnen Namen ein chronologischer Aspekt wirksam. Die Provinz Asien wurde im Jahr 129 v. Chr. eingerichtet; Q. Caecilius Metellus Creticus feierte 62 v. Chr. seinen Triumph, nachdem er in den Jahren 68—66 Creta unterworfen hatte; Cato zog Zypern 58 v. Chr. für Rom

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ein. Schritt für Schritt nähern sich die Elemente des Trikolons der Handlungsgegenwart des Epos — doch nicht nur ihr im allgemeinen. Metellus ist eng mit der Person Caesars verknüpft; ein Vertreter dieser Familie hatte sich Caesar ja soeben entgegengestellt. Dabei kann offengelassen werden, ob Lucan hier das enge Verwandtschaftsverhältnis vorschwebt, das zwischen Metellus Creticus und dem Volkstribunen L. Metellus bestanden haben mag; in dem Tribunen wird nämlich der Neffe des Creticus vermutet 54 . Cato ist als der Römer, in dem sich die Idee der Republik rein verkörpert, der eigentliche geistige Antagonist Caesars. Die zeitliche Einengung auf die Gegenwart ist also verbunden mit einer Konzentrierung auf Caesars Wirkensbereich. Dieser letztere Gesichtspunkt ist offenkundig entscheidend, wenn am Ende der gesamten Aufzählung der von Caesar geraubten Staatsschätze die opes stehen, die dem Staat durch Pompeius zugekommen sind, den militärischen Gegenspieler Caesars: 3,165-167. Den Erwerbungen der Pompeiani triumphi wird mit dem akzentuierenden Neubeginn tunc besondere Bedeutung zugewiesen. Sie werden dementsprechend mit einem eigenen Hauptprädikat - egeritur (3,167) bedacht, wohingegen die gesamte vorangehende Aufreihung dem Hauptprädikat eruitur (3,156) untergeordnet war. Schließlich sind die Pompeiusschätze als einzige herausgelöst aus jeder triadischen Anordnung. Mit der nachhaltigen Herausarbeitung von Pompeius' Leistungen ist die Gedankenführung so nahe an dessen großen Feind herangerückt, daß es nur ein folgerichtiger Abschluß ist, wenn im nächsten Vers Caesars Name fällt. Das ist echt lucanische Dispositionstechnik 55 . Der Sinn der kunstvollen Strukturierung ist klar. Die Aerariumsschätze sind die konkretisierte Manifestation der geschichtlichen römischen Leistungen, nicht zuletzt der Leistungen von Caesars Widerpart Pompeius 5 6 . Wenn Caesar diese Reichtümer an sich bringt, so bemächtigt er sich gewissermaßen ganz Roms und bezwingt seine Gegner, insbesondere Pompeius, indem er das Ergebnis ihres Wirkens Rom entzieht. In dem abschließenden Vers 3,168 ist daher über den reinen Wortsinn hinaus, mehr als die bloß pekuniäre Unterlegenheit Roms gegenüber Caesar zum Ausdruck gebracht. Die Zeile hat einen Hintersinn, der der prägnanten Formulierung in dem Pendantabschnitt I entspricht, 3,108: omnia Caesar erat. Die Rom-MetellusSzene wird also mit einer Sentenz beschlossen, die die Hauptthematik des Ganzen noch einmal ausspricht. In der wohl herrschenden Deutung wird der Lucanvers 3,168 freüich anders verstanden: „Und damals war Rom zum erstenmal ärmer als ein Caesar (d.h. Kaiser)." Die Deutung leuchtet ein — solange man die Zeile von dem Kontext isoliert. Doch bedeutet eine derartige Isolierung eben ein Verkennen von Lucans strukturierender Kunst; sie zielt unmißverständlich auf den Träger des Eigen54

F. Münzer, RE 1. R. 5. Hbbd. (1897) 1229f. Ganz ähnlich 1,87-128, wozu im Ersten Teil 1.3.4.2.1. Gut vergleichbar auch 3, 4 6 2 - 4 7 7 , wozu 2.3.2. 56 Die Vorstellung von der pars vilissima rerum (3,120) ist dabei aufgegeben. ss

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namens, auf die Hauptfigur der epischen Handlung ab, nicht auf das Appellativum. Aber ist nicht mit tum primum auf das Fortbestehen dieses Zustandes in der Gegenwart Lucans hingewiesen? Das wäre nur der Fall, wenn der Zusammenhang eine solche Deutung nahelegte. Die Wendung an und für sich betont lediglich mit Nachdruck die Neuheit eines Faktums; über dessen weitere Dauer oder wiederholtes Vorkommen besagt sie nichts. So heißt es z.B. Verg. Aen. 8,222f., wo Euander von der Tötung des Cacus erzählt:

tum primum nostri Cacum videre timentem turbatumque oculis. Daraus ergibt sich eben nicht, daß in der Zeit, zu der Euander erzählt, Cacus in Furcht gesehen wird oder überhaupt dieser Zustand noch einmal nach dem Kampf mit Hercules eingetreten ist 57 . Eine gute Parallele zu Lucan. 3,168 findet sich kurz danach in der Lucanperikope 3,399—452, in der die Fällung des heiligen Hains bei Massalia geschildert wird. Die Perikope hat unverkennbar strukturelle Ähnlichkeit mit der Darstellung der Aerariumsberaubung, und das gerade in der Antithetik einer langen Vergangenheit und des neu von Caesar geschaffenen Tatbestandes. Die Episode bei Massalia beginnt 3,399 so:

lucus erat longo numquam violatus ab aevo. Das entspricht der Formulierung 3,156f. Darauf wird der ehrwürdige horror des Waldes dargestellt; das ist ein Anlogon zu der Ehrwürdigkeit und Bedeutung von Roms Staatsschatz. Und dann, nach Caesars Eingreifen, 3,440ff.:

procumbunt orni, nodosa inpellitur ilex silvaque Dodones et (alrms) ... tum primum posuere comas eqs. Hier ist wie 3,167f. mit einer präsentischen Ausdrucksweise durch -que eine folgende perfektische Formulierung verbunden, zu der die adverbiale Bestimmung tum primum hinzutritt. In welchem Zustand sich der Hain in Neronischer Zeit befindet, ist offensichtlich ganz irrelevant. Auch an dieser Stelle dient also tum primum nicht dazu, das Auge des Lesers auf die Verhältnisse von Lucans Gegenwart hinzulenken 58 . S7 Entsprechend Ov. m e t 10,45 tunc primum lacrimis victarum carmine fama est / Eumenidum maduisse genas. Zu primus in der vorausgesetzten Verwendungsweise vgl. noch Val. Flacc. 4,276f. Natürlich gibt es auch Belege für tum primum als Bezeichnung für die erstmalige Erscheinung eines später wiederholten Phänomens. So etwa Ov. fast. 3,202 (ausgeschrieben im Ersten Teil 1.3.4.2.2. Anm. 84); Tac. ann. 1,15,1; vgl. auch Lucan. 5,385f. " J. Brisset 187 möchte im Anschluß an P. Grenade, REA 50, 1948, 273 in der Darstellung der Aerariumsplünderung eine Anspielung auf die Plünderungen sehen, die Nero 64 p.Chr. nach dem Brand Roms in den Tempeln der Stadt durchführen ließ. Suet. Nero 32,4; Tac. ann. 15,45,1 mit vielleicht durch Lucan. 3 , 1 5 6 - 1 6 7 angeregter Formulierung. Aber Lucan gibt eben ein wohlbezeugtes historisches Ereignis aus dem Bürgerkrieg wieder,

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Bei einem Überblick über die gesamte Lucanpartie 3,97—168 wird man sich dem Eindruck wohldurchdachter Gestaltung nicht verschließen. Aber ein Vergleich mit der ähnlichen Domitiusszene 2,462—525 läßt doch erkennen, daß Lucan bei der sinnreichen Strukturierung der Metelluserzählung nicht sein Äußerstes gegeben hat. Das kann mehrere Gründe haben; immerhin verdient es Beachtung, daß die Freiheitsproblematik den Dichter jedenfalls an dieser Stelle nicht zur vollen Ausschöpfung seines tektonischen Könnens gebracht hat.

3.6. Zusammenfassung und Ergänzung Die Untersuchungen des Abschnitts 3 des Dritten Teils galten den Wörtern Uber und libertas, soweit diese in den ersten drei Büchern der Pharsalia auf römische Verhältnisse angewandt werden s9 . Unlöslich mit dieser Fragestellung verbunden war die Untersuchung von Lucans Tektonik. Die Tatsache, daß für die erörterten Partien nach Abschluß des Katalogs von Caesars Truppen (1,468) kaum noch auf Lucans Verhältnis zu Vergil eingegangen wurde, spiegelt eine Modifikation von Lucans Gestaltungsweise wieder. Im Proömium und in der Darstellung der Kriegseröffnung war Vergil insbesondere mit der Aeneis ein bestimmendes Muster gewesen, mit dessen Aufbau und Geschichtskonzeption sich Lucan zustimmend oder ablehnend auseinandersetzte. In den späteren Passagen, die hier behandelt wurden, scheinen an die Stelle der Beziehungen zu Vergil die Beziehungen zu den vorangegangenen Pharsaliaabschnitten zu treten. wozu er in keiner Weise durch Ereignisse seiner Gegenwart angeregt zu sein braucht. Die Ähnlichkeit von Caesars und Neros Verhalten ist freilich groß, doch das ist nichts anderes als die zufallige Ähnlichkeit der realen geschichtlichen Vorgänge, nicht eine vom Dichter ersonnene Anspielung. Man darf sich vielmehr fragen, ob J. Brissets Argumentation nicht umzukehren ist. Nach Neros Tempelraub hätte Lucan kaum gewagt eine Darstellung von Caesars Aerariumspliinderung zu veröffentlichen; denn veröffentlicht hat der Dichter das 3. Buch ja sehr wahrscheinlich. Dann wäre das 3. Buch vor dem Brand Roms bekannt gemacht worden, was wohl eine etwas plausiblere Datierung ist als die Annahme späterer Publikation. Übrigens wird auch bei Petron. 124,291f. Caesar auffordernd gefragt: non mûris oppida solvis / thesaurosque rapis? 59 Auszulassen war unter anderem auch die Rede, die die Massalioten an Caesar richten, 3,349ff.: nec pavet hic populus pro liberiate subire / obsessum Poeno gessit quae Marte Saguntum eqs. Mit tibertas ist hier offenbar vor allem die staatliche Autonomie gemeint. Man könnte freilich zu der Annahme versucht sein, daß Massalias Festhalten an seiner Freiheit einen betonten Gegensatz zu der Leichtigkeit bilden soll, mit der die Römer (zu Caesars oder zu Neros Zeit?) ihre Freiheit aufgeben. Doch gegen eine solche Annahme spricht die Einleitung des Massaliaabschnittes, in der das Verhalten der Massalioten nicht spezifisch von dem der Römer, sondern allgemein von dem der anderen Völker abgehoben wird, 3,300: cumque alii famae populi terrore paverent eqs. G. Pfligersdorffer zitiert S. 347 ein paar andere Zeilen aus dem Massaliaabschnitt als Indiz fur Lucans Feindschaft gegenüber Caesar und dem Prinzipat, 3,392ff.: quantum est, quod fata tenentur, / quodque virum toti properans inponere mundo / hos perdit Fortuna dies. Aber nichts bedeutet in diesen Versen eine Verwerfung Caesars oder gar allgemein des Prinzipats.

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Wenn man die Strukturen, in die der Freiheitsbegriff jeweils eingebettet ist, und ihre Relationen zu anderen Strukturen in die Untersuchung von Lucans Freiheitskonzeption einbezieht, ergibt sich ein bemerkenswert einheitlicher Eindruck. Seine Hauptkomponenten können in folgenden Thesen zusammengefaßt werden: Erstens: Lucan schwebt nicht eine innere, rein seelische Freiheit des Individuums vor, sondern die politische Freiheit. Als Freiheit des Volkes begegnet der Begriff libertas bei seinem ersten Erscheinen 1,172, so oder als Freiheit Roms ist er auch an anderen Stellen gemeint (dazu 2.2.3.2; 3.2.1; 3.3.3; 3.4.2). In der Metellusszene ist die Freiheit besonders mit der Institution des Volkstribunats verbunden. Die iura, die leges sind hier und auch an anderer Stelle fast ein Synonym von libertas (3.3.2; 3.5.2). Zweitens: Wo der Begriff liber oder libertas auftaucht, bezieht er sich durchweg auf den zeitlichen Erlebnisbereich der epischen Personen (3.1; 3.2.1; 3.2.2; 3.3.3; 3.4.2; 3.5.2). An keiner Stelle gibt Lucan dem Leser zu verstehen, daß die Aussagen über die Freiheit auch für die Epoche Neros Geltung h ä t t e n 6 0 . Im Gegenteil ist durch Kontext und Funktion der betreffenden Stellen jeweils verdeutlicht, daß der Dichter keinen Hinweis auf die Gegenwart seiner Zeit intendiert. Sehr aufschlußreich ist, daß die Wörter liber und libertas in der Mehrzahl der Fälle Epenpersonen in den Mund gelegt sind (1,672; 2,280; 2,282; 2,303; 2,562; 3,138; 3,145f. 2mal) und erheblich seltener unvermittelt vom Dichter selbst verwendet werden (1,172; 1,270; 3,114). Der Beschränkung der Freiheitskonzeption auf den chronologischen Raum des epischen Geschehens entspricht dieselbe Beschränkung von Caesars Bedeutung (2.4; 3.5.3). Auch Caesar ist nirgends in den bislang besprochenen Passagen eine Verkörperung des Princeps oder speziell Neros; er ist der Caesar des Bürgerkriegs. Drittens: Die Freiheit, wie sie der Dichter selbst zeichnet oder durch Äußerungen von Epengestalten charakterisiert sein läßt, ist in der Zeit der ausgehenden Republik nicht mehr politisch praktikabel (3.1; 3.2.1; 3.3.3; 3.5.2; vgl. 2.2.3.2; 2.2.4.2). Sie ist in den Strudel der allgemeinen Sittenverderbnis hineingezogen worden und nimmt im allgemeinen in der Skala der Werte einen untergeordneten Platz ein. Es ist charakteristisch, daß die Freiheit von einem dubiosen Charakter wie Curio oder einer im letzten ideallosen Persönlichkeit wie Metellus vertreten werden kann. Cato ist mit der Reinheit seines Strebens isoliert und steht auf verlorenem Posten. Nur mit Hilfe und während des Krieges ist die Freiheit noch zu bewahren; auch das wirft einen tiefen Schatten auf die libertas am Ende der Republik. Zweifellos ist Caesar ein Gegner der Freiheit. Aber es ist nicht

60 Es steht also im Prinzip nicht anders mit diesen Äußerungen als mit verwandten Stellen bei Statius oder Silius, z. B. Theb. 2,488 quid regnis non vile? 3,101f. vadere contemptum reges, quoque ampia veniret / libertas, sancire viam; 11,661 saevis ... moribus aulae; Sil. 16,533f. quid iam non regibus ausum? / auf quod iam regnis restât scelus? So etwas war weder aktuell gemeint noch wurde es so verstanden.

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so, daß er als einziger gegen eine an sich lebenskräftige Idee stünde. In diesem wie auch in anderen Zusammenhängen (2.4) ist Caesars negative Wirkung eingebettet in andere negative Momente. Viertens: Ein besonderer Aspekt der unter dem dritten Punkt herausgestellten Verhältnisse besteht darin, daß auch Pompeius nicht der Verteidiger der Freiheit ist (2.4; 3.2.1; 3.2.2; 3.3.2; 3.3.3; 3.4). Der Dichter läßt an keiner der behandelten Stellen einen Zweifel darüber, daß Pompeius Caesars Rivale ist und als solcher prinzipiell ebensowenig ein Freund der libertas sein kann wie sein Gegner. Fünftens: Die Begriffe liber und libertas sind in der Mehrzahl der behandelten Passagen von durchaus untergeordneter Bedeutung (3.1; 3.2.2; 3.4); wenn man die Sätze, in denen sie erscheinen, unterdrückte, würde an dem Inhalt des Abschnitts kaum etwas modifiziert. Einen entscheidenden Bestandteil, dessen Fehlen den Sinn der Szene stark verändern würde, stellen die Freiheitsbegriffe dagegen einmal in dem Gespräch zwischen Brutus und Cato, zum anderen in der Auseinandersetzung zwischen Metellus und Caesar dar (3.3; 3.5.2). Es kann nicht zufällig sein, daß beide Abschnitte besonders nachhaltig die Schwäche und Wuizellosigkeit der Freiheit in der ausgehenden Republik verdeutlichen. Soweit die fünf Hauptcharakteristika der Behandlung, die Lucan dem Komplex „Freiheit" in den erzählenden Partien der ersten drei Pharsaliabücher widmet. Diese Darstellungsweise harmoniert mit den Gedanken des Proömiums, sie findet aber auch weitgehende Entsprechungen bei Seneca. Mit benef. 2,20,2 und epist. 14,13 sind bereits die zwei aufschlußreichsten Stellen angeführt worden. Nehmen wir noch Sen. epist. 104, 29ff. hinzu: et hunc (Catonem) licet dicas non minus quam Socraten + inseruisse dixisse + nisi forte Cn. Pompeium et Caesarem et Crassum putas libertatis socios fuisse ... denique in illa rei publicae trepidatione . . . , cum alii ad Caesarem inclinarent, alii ad Pompeium, solus Cato fecit aliquas et rei publicae partes, si animo conplecti volueris illius imaginem temporis, videbis illinc plebem et omnem erectum ad res novas vulgum, hinc optumates et equestrem ordinem, quidquid erat in civitate sancti et electi, duos in medio relictos, rem publicam et Catonem. Auch nach Seneca war die republikanische Freiheit zur Zeit des Bürgerkriegs nur noch ein Phantom. Den meisten Römern ging es im Bürgerkrieg nicht mehr darum, die libertas und die leges wiederherzustellen; sie kämpften vielmehr für Caesars oder Pompeius' Herrschaft. Cato — oder gegebenenfalls auch noch Brutus — stand mit seinem Festhalten an der res publica allein und damit auf verlorenem Posten. Nicht einmal jeder ausdrückliche Hinweis auf die Minderung oder Abwesenheit der alten libertas unter dem Prinzipat dürfte als Kritik an der Gegenwartsordnung aufgefaßt werden 61 . Das ist deutlich aus Sen. clem. 1,4,2 zu ersehen. 61 Manche Philologen lieben es, in der Pharsalia nach „Anspielungen" auf die Zeit Neros und vor allem auf den Kaiser selbst zu fahnden. Die Bemühungen sind mehr oder weniger vollständig zusammengefaßt von O. Schönberger, Untersuchungen 98ff. (zustimmend), der auch eigene Funde vorweist; J. Brisset 186ff.; 204ff. (zustimmend); K. F . C. Rose

Zweiter Teil 3.6.

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Der Philosoph schreibt hier über die Möglichkeit, der Princeps könne fehlen: hic casus Romanae pacis exitium erit, hic tanti fortunam populi in ruinas aget; tarn diu ab isto periculo aberit hic popuhis, quam diu seiet ferre frenos . . . idemque huic urbi finis dominandi erit, qui parendi fuerit. Weshalb das Fehlen der vollen Freiheit in der Senecapassage keinen Grund zur Polemik gegen die kaiseizeitliche Staatsform bietet, ist klar: das Ende des parere würde Kräfte entbinden, die Rom zerstören würden; die altrepublikanische libertas ist bei dieser Konzeption nicht das höchste Gut des Staates, sondern eine mit Mängeln behaftete, gefährliche Institution 62 . Diese Auffassung der Freiheit deckt sich weitgehend mit den Aspekten, die in den ersten drei Büchern der Pharsalia an der republikanischen Freiheit bloßgelegt wurden. Sie ist nur in einem Krieg aufrechtzuerhalten und überdies ohne Fundament im Empfinden der ausgehenden Republik. Wenn man zu Neros Zeit entgegen den von Lucan gegebenen Hinweisen in der Pharsalia nach aktuellen Bezügen suchte, so dürfte man den Eindruck gewonnen haben, daß der Prinzipat eine historische Notwendigkeit war. Das war der Eindruck, den auch sozusagen die offizielle Doktrin vermittelte 63 . Nicht anders hatten sich sowohl die Darstellung Caesars als auch vor allem das Nerolob durchaus im Rahmen des anerkannten Geschichtsbildes bewegt. Die ersten drei Pharsaliabücher sind also nicht antineronisch. Aber sie sind auch nicht proneronisch in dem Sinne, in dem sich das Enkomion 1,33—66 unmißverständlich und emphatisch zu dem Herrscher bekennt. Vielmehr vollzieht sich das epische Geschehen in einer eigenen Welt; der Dichter fordert den Zeitgenossen nicht auf, von dieser Welt eine Brücke zur Gegenwart zu schlagen. Der zeitgenössische Leser, der diesen Brückenschlag dennoch vollzog, mußte — um das soeben Gesagte zu wiederholen — den Prinzipat als die beste Lösung der Vergangenheitsprobleme empfinden. 395f. (kritisch). Die Diskussion sämtlicher bisher vermuteter Anspielungen würde eine kleine Monographie füllen; aber die Auseinandersetzung mit den Versuchen braucht wohl nicht weiter getrieben zu werden als in den bisherigen Überlegungen. Denn es ist leicht zu sehen, daß die „Anspielungen" fast durchweg bestenfalls schwache Möglichkeiten sind, die nur unter der Voraussetzung aktueller Intentionen Lucans und meist auch unter besonderen chronologischen Prämissen diskutabel sind; ein Beispiel oben Anm. 58. Gewiß in den ersten drei Büchern der Pharsalia gibt es, vom Nerolob abgesehen, keine faßbare Berücksichtigung der Gegenwart. " Auf dieser Vorstellung basiert auch Sen. clem. 1,1,8: obversatur oculis Vietissima forma rei publicae cui ad summam libertatem nihil deest nisi pereundi licentia. Ähnliche Antithese: licentia - libertas später Tac. dial. 40,2; vgl. auch Agr. 2,3. Die Absenz republikanischer Freiheitsausübung bedeutet also nicht jegliches Fehlen von Freiheit. Interessant über Freiheit und Prinzipat später Marc. Ant. 1,14,2. 63 Der stoische Einschlag der Pharsalia hätte dieser Schlußfolgerung des Zeitgenossen bestimmt nicht im Wege gestanden. Denn Seneca hebt benef. 2,20,2 gerade im Hinblick auf römische Verhältnisse hervor, daß nach stoischer Lehre das regnum die beste Staatsform sei.

14 Lebek (Hyp. 44)

Dritter Teil: Das siebente Buch der Pharsalia 1. Einleitung Die Schlacht bei Pharsalos ist der Angelpunkt von Lucans Epos l . Auf Pharsalos steuert der Bericht der ersten 6 Bücher hin, und die Erzählung der letzten 3 Bücher ist von Caesars Sieg überschattet. Von einer Interpretation des 7. Buches darf man sich daher einige Aufschlüsse über die künstlerische Gestaltungsweise und die Geisteswelt des Dichters erhoffen. Besprochen werden sollen insbesondere diejenigen Passagen, in denen die Wörter liber und libertas erscheinen. Vor der Folie der Ergebnisse, die die Betrachtung der drei Anfangsbücher geliefert hat, wird dann die Frage nach Konstanz oder Veränderung in Lucans Geschichtsauffassung und politischer Haltung beantwortet werden können. Die beiden Protagonisten Caesar und Pompeius geraten gleichfalls in den Lichtkegel dieser Überlegungen. Die integral-strukturale Methode wie auch das durchaus eigengewichtige Interesse an der Tektonik der Pharsalia gebieten, den Kreis der untersuchten Partien nicht zu eng zu ziehen.

2. Eingangskorrespondenzen von Lucan. 7 und Lucan. 1 als Aeneisimitation 2.1. A e n . 7 u n d A e n . 1

Auf einen wichtigen Beziehungsaspekt deutet die funktionale Ähnlichkeit des 7. Buches der Pharsalia mit dem 7. Buch der Aeneis hin. Beide Bücher enthalten herausragende militärische Wendepunkte des Epos, bei Lucan eben die Entscheidungsschlacht, bei Vergil den Beginn des Krieges zwischen Troianem 1 Das 7. Buch ist in neuerer Zeit mehrfach behandelt worden. Erwähnt seien: M. Wuensch Iff. (Aufbau und Quellen); Anton Bachmayer, Die Motivierung in Lukans Pharsalia, Diss. Freiburg (Schweiz) 1949, 25ff.; W. Rutz, Diss. Ausz. 189ff. (= Diss. 32ff.); Diss. 65ff. (Aufbau und anderes); A. Guillemin, L'inspiration Virgilienne dans la „Pharsale", REL 29, 1951, 214-227; W. Menz, Diss. 168ff.; M. Rambaud, L'apologie de Pompée au livre VII de la Pharsale, REL 33, 1955, 258-296; H. Nehrkorn 186ff. (Pompeius am Beginn des 7. Buches). Im allgemeinen lassen sich die genannten Untersuchungen jedoch, so förderlich sie partiell sind, für die folgenden Darlegungen kaum verwerten; gut sind manche Beobachtungen von W. Rutz.

Dritter Teil 2.1.

211

und Italern. Die Funktionsverwandtschaft der beiden Bücher wird auch dadurch unterstrichen, daß Lucan. 7 unmittelbar auf einen Abschnitt folgt, der deutlich ein Pendant zur Katabasis des Aeneas darstellt: die Ericthoszene Lucan. 6,507830 l . Diese bekannten Tatsachen 2 reichen indessen als Verständigungsgrundlage für Lucans vergilische Komponenten noch nicht aus. Sie ist erst geschaffen mit der Aufdeckung der Beziehungsfaden, die das 7. Aeneisbuch mit dem Aeneisbeginn verknüpfen. Es ist ja seit langem aufgefallen, daß Aen. 7 in starker Weise auf Aen. 1 rekurriert 3 . Freilich ist die Erscheinung wohl noch nicht in ihrem ganzen Umfange gewürdigt. Übersehen scheint vor allem ein bemerkenswertes metrisches Phänomen, daß nämlich Aen. 7,1 dieselbe Rhythmisierung aufweist wie Aen. 1,1: - υ υ- υ U- I

υυ

.

Unter den Anfangsversen der einzelnen Aeneisbücher hat noch 11,1 diese Form. Die gleiche Abfolge von Längen und Kürzen bietet auch Aen. 5,1, aber die Zäsuren sind hier Trithemimeres und Hephthemimeres. Die ersten und die vorletzten Bücher der zwei Aeneishälften beginnen also mit annähernd deckungsgleicher metrischer Gestaltung. Das sieht nach planvoller metrischer Symmetrie aus. Zumindest die Kongruenz von Aen. 1,1 und Aen. 7,1 wird man deshalb nicht gern für zufällig halten, weil eben auch sonst das 7. Aeneisbuch in mannigfaltiger Hinsicht Szenen und Gestaltungsweisen des Anfangsbuches wiederholt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier wichtige Beziehungen notiert. Aen. 1 1 A 1—11

1 Β 34—80

1

Themenangabe und Musenanruf (Iff. virum . .. cano, ... qui primus .. . profugusLminia .. . venitIiitora . .. /multa ... bello passus, dum conderet urbem/inferretque déos Latió. 8 Musa ... memora) Iuno ruft nach einem grimmigen Monolog Aeolus gegen die glücklichen Troianer zur Hilfe (34 e conspectu Siculae telluris\ 35 laeti\ 39ff. Pallasne exurere classem .. . potuit eqs.; 46ff. ast ego, quae divum incedo regina Iovisque/et soror et coniunx eqs.)

Ausführlichere Erwägungen speziell zu diesem Punkt finden sich bei L. Paoletti, Lucano magico e Virgilio, A & R Ν. S. 8, 1963, 1 1 - 2 6 ; O. A. W. Dilke, Virgil 4; 7f. Ein Teil Katabasisimitation steckt natürlich auch in der Phemonoeszene. 2 Vgl. etwa W.-H. Friedrich 4 1 9 ; O. Schönberger, Komposition 280. 3 Vgl. etwa R. Heinze, Virgils epische Technik 182; Ed. Fraenkel, Aspects 4; G. Ν. Knauer 227ff.; V. Buchheit 173ff.; F. Klingner 507ff. Es gibt überdies - auch abgesehen von den noch darzulegenden Imitationsphänomenen - manche antiken Hinweise auf die enge Verbindung von Aen. 1 mit Aen. 7: Iuvenal 7 , 6 7 - 7 1 stellt Aen. l,155f. neben Aen. 7 , 4 4 6 - 5 1 8 ; Macrobius rückt Sat. 4,5,5f. Aen. l,39f. mit Aen. 7,304f. zusammen.

212 1 C 195-222

1 D 520-560

1 E 561—578

Aen. 7 7 A 37—44

7 Β 107—147

7 C 192-211

7 D 212-248

7 E 249-273

7 F 286—340

Dritter Teil 2.1.

Die gelandeten Troianer essen; Aeneas weist sie aufmunternd auf Latium als das verheißene Ziel hin (199 dabit deus his quoque fin em) Ilioneus (521 ; 559) bittet Dido um Schutz und Hilfe für die Troianer, am besten bei ihrer Fahrt nach Latium (527ff. non nos ... populare .../ venimus aut raptas ad litora vertere praedas, sondern als Schiffbrüchige) Dido schenkt den Bitten des Ilioneus Gehör; sie fordert darüber hinaus zu ständigem Bleiben auf und wünscht Aeneas' Gegenwart (565 quis genus Aeneadum, quis Troiae nesciat urbem; 575f. utinam rex ipse ... / adforet Aeneas) Musenanruf und Themenangabe (37ff. nunc age, qui reges, Erato, .. . /quis Latió antiquo fuerit status, advena classem /cum primum Ausoniis exercitus adpulit orisjexpediam ... dicam honda bella) Die gelandeten Troianer essen; Aeneas erkennt den Ankunftsort als das verheißene Ziel (116f. laborum ... finem) Latinus empfängt die Troianer und fordert sie auf, seine Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen (195f. neque enim nescimus et urbem/et genus) Ilioneus (212; 249) bittet Latinus um einen festen Wohnsitz für die Troianer in Latium (213ff. nec fluctibus actos [trieb der Sturm hierher]... nec sidus fefellit: / Consilio ... / adferimur; 236ff. multi nos populi... petiere sibi)4 Latinus gewährt die Bitte des Ilioneus; er wünscht Aeneas' Gegenwart und bietet ihm die Hand Lavinias an (263ff. ipse modo Aeneas ... /adveniat) Iuno ruft nach einem grimmigen Monolog Allecto gegen die glücklichen Troianer zur Hilfe (288 laetum Aenean; 289 Siculo prospexit ab usque Pachyno; 304ff. Mars perdere gentem ... valuit eqs.; 308ff. ast ego magna Iovis coniunx eqs.)

Die Entsprechungen sind klar: 1 A ~ 7 A , 1 B ~ 7 F , 1 C ~ 7 B , 1 D ~ 7 D , 1 E ~ 7 C und 7 E. Ähnlich wie diese Korrespondenzen binden auch gemeinsame Imitationsbezüge die Aeneisbücher 1 und 7 zusammen. Nicht sicher und 4 Die letzte Zeile ist doch wohl ein deutlicher Hinweis auf Dido. Bemerkenswert, daß Ilioneus nur noch ein einziges weiteres Mal in der Aeneis eine handlungstragende Rolle hat, eben in der Dido-Szene 1,520-560 (1D). Daraufhat schon V. Buchheit 188 hingewiesen.

Dritter Teil 2.2.

213

gewiß nicht auffällig ist, daß das Proömium von Apollonius Rhodios' Buch 3, welches Aen. 7,37 zitierend nachgeahmt wird, eines der Strukturvorbilder für Aen. 1,1—7 darstellt 5 . Aber mit Recht ist als bemerkenswerte Tatsache konstatiert worden, daß die beiden Schilderungen von Iunos Zorn Aen. 1,34—80 und 7,286—340 sich als Nachahmungen von Poseidons Zorn Odyssee 5 , 2 8 2 296 zu erkennen geben, und zwar in Aen. 1 durch den gesamten szenischen Aufbau, in Aen. 7 besonders durch zitierende Nachbildung von Odyssee 5,282285 am Beginn des Iunoabschnitts 6 . Was bedeutet die enge Verknüpfung von Aen. 7 mit Aen. 1? In Aen. 1 sind die Troianer als Schiffbrüchige an eine fremde Küste verschlagen worden, wo sie eine Scheinheimat finden. Der Aufenthalt bei Dido wird Aeneas in die Versuchung bringen, sein Ziel zu vergessen; die Rettung bedeutet in Wahrheit eine Gefährdung. In Aen. 7 sind die Troianer ihrem Plan entsprechend an das verheißene Ziel ihrer Fahrten gelangt, welches zugleich ihre ursprüngliche Heimat ist. Die zwei Aeneisbücher erhellen gegenseitig die Antithetik von drohender Verfehlung des Schicksalsauftrages auf der einen Seite und Erfüllung des Fatums auf der anderen. Und doch ist die Erfüllung des Fatums auch im 7. Aeneisbuch erst partiell; denn die Troianer haben lediglich geographisch das Ziel ihres Irrens endgültig erreicht. Es bleibt die Aufgabe, sich des erreichten Latiums auch politisch zu bemächtigen. Der Duplizität des Auftrags entspricht nun auch das doppelte Eingreifen Iunos, die einmal Naturgewalten, das andere Mal menschlichen Widerstand gegen Aeneas mobilisiert. Die Iunoszene von Aen. 7 verdeutlicht gerade durch ihre Parallelität zu der des Anfangsbuches, daß den Troianern mit der Landung in Latium eine neuartige Aufgabe erwächst, deren Erfüllung nicht minder als die Ankunft im verheißenen Land Voraussetzung für die Anfänge Roms ist: die Niederringung politisch-militärischen Widerstandes.

2.2. Die Nachahmung Vergilischer Korrespondenzen durch Statius In welcher Weise Vergils Gestaltung nachgeahmt werden konnte, läßt sich besonders aus der Thebais des Statius ersehen. Statius hat ja die Gesamtkomposition seines großen Epos am Muster der Aeneis orientiert. Die Thebais umfaßt wie die Aeneis 12 Bücher und schildert analog der Aeneistektonik den Beginn der Schlacht um Theben im 7. Buch. Unter diesen Umständen ist zu erwarten, daß auch die Korrespondenzen der zwei kurz besprochenen Vergilbücher in der Thebais reflektiert werden. Das ist in der Tat der Fall. Zur Veranschaulichung zunächst eine Auswahl der auffälligeren motivischen und sprachlichen Beziehungen, die zwischen Stat. Theb. 1 und 7 einerseits und 5

Dazu im Ersten Teil 1.2.1.2, am Anfang. Darüber vor allem G. N. Knauer 150ff.; beachtenswert ist auch, daß die Szene Aen. 7,286 in annähernd demselben Vers beginnt wie das Homerische Pendant. 6

214

Dritter Teil 2.2.

der Aeneis andrerseits bestehen; andere Einflüsse in der Thebais bleiben außer Betracht 7 . Theb. 1,46—122 Oedipus bittet die Furie Tisiphone, Zwist zwischen seinen beiden Söhnen zu säen. Tisiphone folgt den Bitten (118 audiit et medius caeli Parnassos; 12If. ipsa suum.genetrix ... gremioque Palaemona pressit). Aen. 7,323—345 Iuno fordert die Furie Allecto auf, Troianer und Latiner in Krieg zu verwickeln. Aen. 7,511—518 Die Furie vollendet die Ausführung von Iunos Auftrag (516 audiit et Triviae longe lacus; 518 matres pressere ad pectora natos). Theb. 1,246f. ñeque enim arcano de pectore fallax Tantalus et saevae periit iniuria mensae. Aen. 1,26f. manet alta mente repostum iudicium Paridis spretaeque iniuria formae. Theb. 1,248—311 Iuno setzt sich bei Iuppiter für ihre Argiver ein. Iuppiter bekräftigt seinen Kriegsentschluß und sendet Merkur in die Unterwelt zu Laius (249f. fiammato versans ... corde dolorem/... Iuno). Aen. 1,34—50 Iuno grollt über das Glück ihrer troianischen Feinde (50 talia fiammato secum dea corde volutans). Aen. 1,227—304 Venus setzt sich bei Iuppiter für ihren Aeneas ein; Iuppiter tröstet sie mit der schicksalhaften zukünftigen Größe Roms und sendet Merkur zu Dido 8 . Theb. 1,390-400 Der argivische König Adrastus hat als Nachkommen nur zwei Töchter, für die ihm Apollo zwei rätselhafte Schwiegersöhne verheißen hat (390ff. rex ibi tranquille .../ in senium vergens populos Adrastus habebat / dives avis utroque Iovem de sanguine ducens). Aen. 7,45-106 Der latinische König Latinus hat als Nachkommen nur eine einzige Tochter, für die ihm durch mancherlei Zeichen ein auswärtiger Schwiegersohn verheißen ist (45ff. rex arva . . . senior longa . .. in pace regebat; / .. . tu [Saturne] sanguinis ultimus auctor eqs.). 7 Zur Einwirkung Homers auf Theb. 1 und 7 jetzt H. Juhnke 50ff. und 114ff., der auch den Vergilischen Einfluß mit zu berücksichtigen sucht. Doch ist das Imitationssystem als Ganzes anscheinend bisher noch nicht durchschaut worden. Eine kritische Diskussion der inhaltlichen Entsprechungen zwischen Theb. 1 und 7 findet man bei P. Venini, Athenaeum 48, 1968, 132f., die Beziehung der Thebais zur Aeneis ist dabei außer Acht gelassen. 8 In Theb. 1,248-311 ist auch die Entsendung Merkurs Verg. Aen. 4 , 2 3 8 - 2 4 4 verwertet; Aen. 4,238 paths magni parere parabat imperio eqs. ~ Theb. 1,303 paret Atiantiades dictis genitoris eqs. Die folgende Merkurrede Verg. Aen. 4,265-276 hat später noch auf die Laiusrede Stat. Theb. 2,102-119 eingewirkt; Aen. 4,268 ipse deum eqs. ~ Theb. 2,115 ipse deum eqs. Natürlich steht hinter der letzteren Statiuspassage auch Ilias 2,23-34.

Dritter Teil 2.2.

215

Theb. 1,490-510 Adrastus erkennt in Polynices und Tydeus die prophezeiten Schwiegersöhne (491 defixus senior; 493 obtutu gelida ora premit; 496 portendi generös). Aen. 7,249—273 Latinus erkennt in Aeneas den prophezeiten Schwiegersohn (249f. defixa Latinus/ obtutu tenet ora \ 256 portendi generum). Theb. 1,539—553 Nach dem Mahl läßt sich Adrastus eine ehrwürdige Trinkschale geben und ruft Apollo an (540ff. signis perfectam auroque nitentem/ Iasides pateram ... poposcit, / qua Danaus libare deis seniorque Phoroneus/ adsueti)9. Aen. 1,723-737 Nach dem Mahl läßt sich Dido eine ehrwürdige Trinkschale geben und ruft Iuppiter an (727ff. gravem gemmis auroque poposcit/implevit· que mero pateram, quam Belus et omnes/a Belo soliti ). Theb. 7,145-221 1 0 Bacchus setzt sich bei Iuppiter für sein Theben ein. Iuppiter bekräftigt die Unabänderlichkeit des Geschicks, tröstet aber seinen Sohn mit dem vorläufigen Sieg Thebens (151 lacrimis... inhonorus; 156 saeva adeo coniunx [Metrum!]; 158 iaculatus nubibus ignem\ 164f. e cunctis ego neglectissima natis / progenies; 182ff. potuit Latonia frater / saxa . .. defigere eqs.; 188 quid .. . nostris offenderis aris\ 193f. risit pater et iam poplite flexum / ... ad oscula tollit; 197f. inmoto deducimur orbe¡fatorum \ 215 ast ego\ 218f. super urbe moveri / parce tua; 220 veniet... aetas). Aen. 1,34—49 Iuno grollt über das Glück ihrer troianischen Feinde (39f. Pallasne . . . potuit submergere ponto; 42 iaculata e nubibus ignem ; 46f. ast ego ... I et soror et coniunx [Metrum!]). Aen. 1,227-304 Venus setzt sich bei Iuppiter für ihren Aeneas ein. Iuppiter tröstet seine Tochter mit der schicksalhaften zukünftigen Größe Roms (228 lacrimis oculos suffusa; 242 Antenor potuit eqs.; 250ff. nos tua progenies ... / prodimur, 254ff. olii subridens ... / oscula libavit natae; 257f. parce metu Cytherea, manent immota tuorum / fata tibi: cernes urbem \ 283 veniet ... aetas). Theb. 7 , 2 5 4 - 3 5 8 Der alte Phorbas erklärt die Hilfstruppen der Thebaner. Aen. 7 , 6 4 7 - 8 1 7 Katalog der italischen Truppen. Theb. 7,562-607 Die von der Erinye veranlaßte Tötung der zwei zahmen Bacchus-Tiger als die primae . .. seminapugnae (563; ferner 658ff. illas turba dei... ! palmite ... ornare . . . / curat·, 594f. per ilia telo / transigit; 597 gemituque imitante querellas eqs.). ' Die folgende Erzählung über den Ursprung des gerade begangenen Apollofestes, die Theb. 1 , 5 5 7 - 6 6 8 dem Adrastus in den Mund gelegt wird, imitiert dann den homologen Bericht Euanders Verg. Aen. 8,184-275. Vgl. zu all dem auch Willy Schetter, Untersuchungen zur epischen Kunst des Statius, Wiesbaden 1960, 82ff. 10 Vorher ist Stat. Theb. 7 , 1 - 3 9 wohl auch durch Verg. Aen. 4 , 2 1 9 - 2 5 8 angeregt. Dazu auch Anm. 8.

216

Dritter Teil 2.3.1.

Aen. 7,481-510 Die von Allecto veranlaßte Tötung des zahmen Hirschs als die prima malorum causa (481 f.; ferner 488f. soror omni. .. cura / mollibus intexens ornabat cornua sertis; 499 perque ilia venit harundo\ 501f. gemens ... questuque cruentus / atque imploranti similis). Hieb. 7,608-627 Der ungeordnete Beginn der Feldschlacht (625-627 Gleichnis von 3 Versen: ventus uti primas eqs.). Aen. 7,519-530 Der Beginn einer regelrechten Feldschlacht ( 5 2 8 - 5 3 0 Gleichnis von 3 Versen: fluctus uti primo coepit cum albescere vento eqs.). Sowohl in Theb. 1 als auch in Theb. 7 erscheinen Motive der beiden entsprechenden Aeneisbücher in starkem Umfange und in einigermaßen bunter Abfolge11. Statius hat offenbar Aen. 1 und Aen. 7 als eng miteinander verbundene Werkteile angesehen. Die Verbindung der zwei Thebaisbücher ist, soweit sie bisher skizziert wurde, überhaupt erst bei Heranziehung des Vorbildes zu erkennen. Daneben aber gibt es Korrespondenzen zwischen den beiden Statiuspartien, die auch unmittelbar ins Auge fallen. Theb. 1,214-311 hat folgenden Inhalt: Iuppiter begründet seinen Entschluß, Argos und Theben zu strafen. Iuno bittet um Schonung für Argos, doch der Göttervater weist ihr Begehren zurück und sendet Merkur zur Anstiftung des Krieges aus. Das 7. Thebaisbuch bietet ganz ähnliche Vorgänge. Theb. 7,1—33 schickt Iuppiter Merkur aus, damit der Krieg wieder in Gang kommt. Theb. 7,145-221 bittet dann Bacchus um Schonung für Theben. Doch Iuppiter weist den Wunsch seines Sohnes - freilich mit einem vorläufigen Trost — zurück und begründet die Notwendigkeit der Strafe. Ähnlich wie Vergil schafft Statius sowohl durch Motivwiederholungen als auch durch die Benutzung desselben Vorbildkomplexes Beziehungen zwischen dem 1. und dem 7. Buch seines großen Epos, wobei er jedoch anders als sein Vorgänger der zweiten Verbindungsart gegenüber der ersten den Vorrang einräumt. Die Intentionen, die hinter der Praxis des Statius stehen, brauchen hier nicht in extenso erörtert zu werden. Soviel ist jedoch festzuhalten, daß diese Verknüpfungen auch der Unterstreichung der Handlungslogik dienen: das Geschick, das am Epenbeginn seinen Anfang genommen hat, wird im 7. Buch erst eigentlich Realität.

2.3.

Aeneisstrukturen in Lucan. 7,1—213

2.3.1. Einiges Grundsätzliche Eine gewisse Affinität des 7. Buches der Pharsalia und des entsprechenden Aeneisbuches hat man seit langem bemerkt. Über die bisherigen Feststellungen 11 Interessant, wie Latinus und Dido - und allerdings zusätzlich Euander (oben Anm. 9) - in der Gestalt des Adrastus miteinander verschmolzen sind.

Dritter Teil 2.3.1.

hinaus führt die 7,1 eine genaue rhythmisch wie - υ υ

217

Beobachtung, daß die metrische Übereinstimmung Aen. 1,1 ~ Replik in der Pharsalia hat. Lucan. 1,1 und 7,1 sind nämlich der erste Aeneisvers gestaltet: - υ υ - I υ υ

Daß Lucan diese Versformen hier in bewußtem Anschluß an die Aeneis verwendet hat, ist um so sicherer, als in der Pharsalia allein das 1. und das 7. Buch mit einem derartigen Hexameter beginnen 12 . Der Nachahmer hat die Verbindung 1,1 — 7,1 reiner herausgearbeitet als sein Vorgänger; denn bei Vergil erscheint ja der Verstyp am Buchbeginn noch Aen. 11,1 und etwas variiert auch Aen. 5,1. Lucan hat die Übereinstimmung Aen. 1,1 ~ Aen. 7,1, wie es scheint, als bedeutsame Verknüpfung aufgefaßt und daher eben sich zu eigen gemacht. Man kann bei dem wachen Interesse des Dichters für kompositorische Beziehungen von vornherein sicher sein, daß er auch die sonstigen Korrespondenzen, die zwischen Aen. 1 und Aen. 7 bestehen, nicht minder durchschaut hat, als Statius es getan hat; und der Verdacht liegt nahe, daß er ähnlich wie später Statius die Vergilischen Entsprechungen nachgebildet hat. In der Tat nimmt Lucan. 7 an mehreren Stellen Themen und Gestaltungsweisen der ersten beiden Pharsaliabücher wieder auf. In besonders starkem Maße aber gilt das von dem ersten großen Abschnitt von Lucan. 7. Man kann nämlich das ganze Pharsaliabuch gut in drei große Handlungsteile gliedern: 7,1—213 Geschehen (vornehmlich auf pompeianischer Seite) vor der Eröffnung der Schlacht; 7 , 2 1 4 - 6 4 6 Aufmarsch der Heere und Schlacht; 7,647-872 Pompeius' Flucht und die Lage nach der Schlacht 13 . Zur besseren Orientierung sei hier eine grobe Disposition der Partie 7,1-213 geboten, der unser Interesse gilt: I

7,1-150 1-44 1—6

A a b

7—44 45—150

a

45-61

Β

b α

62—127 62—85

Situation und Vorgänge im Lager des Pompeius Vor Sonnenaufgang: Pompeius' Traum Naturwidrig später Aufgang der wolkenverdeckten Sonne Pompeius' Traum und Unglück Nach Sonnenaufgang: die Entscheidung der Pompeianer zur Schlacht Die Kampflust von Pompeius' Mannschaft (45f. mixto murmure turba / castrorum fremuti) Die erzwungene Entscheidung des Feldherrn Die anstachelnde Rede Ciceros

11 Es kommt hinzu, daß die metrische Imitation gerade des ersten Aeneisverses eine ziemlich weit verbreitete Praxis ist. Darüber im Ersten Teil 1.2.2. 13 Diese längenmäßig ausgewogene Gliederung schlägt schon W. Menz, Diss. 178 Anm. 1 vor; ebenso O. Schönberger, Komposition 279. Man könnte statt der drei Hauptpartien eine größere Anzahl kleinerer Passagen ansetzen, aber auch dabei blieben die angegebenen Einschnitte bestehen. W. Rutz, Diss. Ausz. legt demgegenüber S. 190ff. großen Wert darauf, daß die erste Perikope erst mit 7,234 abgeschlossen sei. Dabei ist jedoch die Verzahnung von 7,214-234 mit den anschließenden Stücken ganz übersehen. Vgl. unten 3.1.1.

218

Dritter Teil 2.3.2.

β c II

85-127 127—150 151—213

Die Einwilligung des Pompeius Die Kampfvorbereitungen von Pompeius' Mannschaft (127f. trepido confusa tumultui castra fremunt) Die Vorzeichen

2.3.2. Der Traum des Pompeius: Lucan.

7,1-44

Schon die 6 Anfangsverse (I Aa) liefern, unabhängig von dem aufgewiesenen metrischen Phänomen, ein Beispiel für die Beziehung des 7. Buches zum Pharsaliabeginn. Die trauerbringende Sonne, der luctificus Titan, steigt mit einer dem Naturgesetz widersprechenden Langsamkeit hervor, Lucan. 7,5f. et attraxit nubes, non pabula flammis sed ne Thessalico purus lucerei in orbe. Insbesondere mit den zwei ausgeschriebenen Zeilen erinnert der düstere Sonnenaufgang an das umwölkte Erscheinen des Tagesgestirns bei Caesars Einmarsch in Ariminum, als maestam tenuerunt nubila lucem (1,235). Ein solcher Sonnenaufgang ist den zwei verhängnisvollsten Tagen des Bürgerkriegs gemäß 1 4 . Später wird dann in Lucan. 1 das Durchbrechen der Sonne ausdrücklich vermerkt: noctis gélidas lux solverai umbras (1,261); ganz ähnlich formuliert Lucan 7,45: vicerat astra iubar. Die Erzählung von Pompeius' Traum hat Lucan der historischen Überlieferung entnommen 15 . Wenn er dabei gewisse Beziehungsfäden zum Pharsaliabeginn gesponnen hat, so gewiß auf etwas andere Weise als in völlig frei gestalteten Partien. Eine Strukturskizze wird die Erkenntnis von Lucans Verfahren erleichtern — und zugleich erneut die dispositionelle Kunst des Dichters sichtbar machen. IAb α

7,7 - 4 4 7 —8

Pompeius'Traum und Unglück Themenangabe (Propositio): Pompeius wird in seinen letzten glücklichen Lebensstunden von

14

Dazu im Zweiten Teil 2.2.3.1. Anm. 32. Wahrscheinlich hat Sen. Oed. 1 - 5 auf Lucan. 7 , 1 - 6 eingewirkt, wozu M. Wuensch 1; das ist mit dem angenommenen Rückbezug auf das 1. Buch nicht unvereinbar. Zur Deutung der Lucanverse auch M. Brauneiser 173f. Anderen Sinn hat die Erwähnung behinderten Sonnenaufgangs 5,455f. und gleichfalls wohl 6,828ff., wenn man diesen Passus nicht zu eng mit 7,Iff. verbindet. 15 Die ausführlichste Quelle ist Plutarch, Pompeius 68,2. Die antiken Zeugnisse hat bereits etwa M. Wuensch 6 gesammelt und besprochen und in jüngster Zeit wieder W. Rutz, in: WdF 510f. (= Hermes 91, 1963, 334f.). Der Traum des Pompeius ist in dem Sammelband WdF mit·noch zwei weiteren Beiträgen bedacht: H. J. Rose 4 7 7 - 4 8 5 (= AC 1, 1958, 8 0 - 84); Hub. Cancik 5 4 6 - 5 5 2 (Originalbeitrag 1968). Etwas ausführlicher ist die Passage auch von Μ. P. O. Morford 81f. behandelt, der mit inhaltlichen Kontrastbezügen zum Anfang von Lucan. 1 rechnet. Für die folgende integral-strukturale Interpretation bieten die genannten Beiträge, mögen sie auch unter gewissen Aspekten sehr förderlihh sein, praktisch nichts Verwertbares. Das güt auch von A. Grillone, Il sogno nelT epica latina. Tecnica e poesia, Palermo (Andò Ed.) 1967, 96ff.

Dritter Teil 2.3.2.

β

9 —44 9 -24

a

(ca. 16 Verse) a"

ß"

ß'

y'

a"

β"

9 —19 (ca. 11 Verse) 19—24 (ca. 5 Verse) 24-28

219

einem trügerischen Traum umgaukelt (7 [Anfang] nox ; 8 [Ende] somnos) Ausführung des Themas Der innerhalb der Erzählzeit geträumte Traum: Pompeius erlebt das ihm froh zujubelnde Rom (9f. [Anfang] nam Pompeiani visus sibi sede theatrij innumeram effìgiem Romanae cernere plebis·, 24 [Ende] sic Romam Fortuna dédit) Die inhaltlichen Einzelheiten des Traums (10 [Anfang] effigiem Romanae cernere plebis)

Drei mögliche Erklärungen für den Traum (23f. [Ende] vetito patrias ultra tibi cernere sedes / sic Romam Fortuna dedit) Wunsch des Dichters, der glückliche Schlaf des Pompeius möge nicht gestört werden (24 [Anfang] somnos-, 28 [Ende] somnos . .. noctem) 29-44 Vom Dichter vorgestellte außerhalb der Erzählzeit (16 Verse) liegende Situation: Rom betrauert Pompeius (29 [Anfang] si te . . . Roma videref, 44 [Ende] te non pleno pariter planxere theatro) 29-39 Irreale Wunschvorstellung, Rom möchte den tod(11 Verse) geweihten Pompeius noch einmal erleben und beklagen können (29 [Anfang]^ felix, si te vel sic tua Roma vid er et) 40-44 Futurische Vorstellung: Die Römer werden auch (5 Verse) den Tod des unterlegenen Pompeius beweinen (43 [Ende]_o miseri eqs.)

Eine Herausarbeitung sämtlicher Feinheiten der Traumerzählung würde ziemlich viel Platz beanspruchen. Wesentliches ergibt sich schon, wenn man auf die Wortwiederholungen am Beginn und am Ende der verschiedenen Abschnitte achtet; die betreffenden Wörter, die durch Unterstreichung markiert sind, begegnen in I Ab nur an den signalisierten Stellen. Durch die Wiederholung werden folgende auf Homologie oder Antithese beruhenden Zusammenhänge verdeutlicht:

Die Traumpartie ist im wesentlichen durch die gleich langen und gleich strukturierten Abschnitte βa ( 7 , 9 - 2 4 ) und ßy ( 7 , 2 9 - 4 4 ) konstituiert. Sie sind

220

Dritter Teil 2.3.2.

durch den Abschnitt ßß' (7,24-28) voneinander getrennt, der noch einmal auf α (7,7f.) zurückgreifend, die Situation nächtlichen Schlafs heraufbeschwört und zugleich, mit dem emotionalen Hervortreten des Dichters, die Passage ßy' vorbereitet, ein von der Anteilnahme des Dichters durchdrungenes Stück. Die zwei Teile ßa und ßy' sind in vieler Hinsicht ein Antithesenpaar; Verharren in der Zeit der erzählten Vorgänge in ßa und Ausbrechen aus der Erzählzeit in ßy, Freude und Trauer, Pompeius gegenüber Rom als Subjekt und als Objekt des Erlebens, Höhepunkt und Endpunkt im Leben des Feldherrn. Der Identität der Längenverhältnisse a'a" : aß" = y'a" : y'ß" entspricht die Gleichheit der gedanklichen Relationen. In α " wird jeweils ein schöner Schein, ein Wunschbild dargestellt, in ß" kommt die desillusionierende Realität zu Worte. Gibt es nun irgendwelche Momente, die die Traumperikope mit dem Pharsaliabeginn verknüpfen? Eines der am stärksten exponierten Wörter der gesamten Partie ist theatrum 7,9 und 7,44. Das Substantiv, das am Ende des ersten und des letzten Hexameters von I Ab β erscheint, umrahmt diesen ganzen Abschnitt und bindet damit ebenfalls die beiden Unterteile α' und y aneinander. Die Ecksätze, in denen das Wort verwendet wird, verdeutlichen besonders markant den Gegensatz von Scheinglück, welches dem träumenden Pompeius vorgegaukelt wird, und realem Unglück, welches den Feldherrn und zugleich Rom erwartet. Das Theatrum Pompeianum mit seinen Pompeius zujubelnden Menschenmengen ist zu Beginn der Ort der Freude, und die Tatsache, daß die Römer Pompeius nicht in einem gefüllten Theater betrauern konnten, wie es 7,10 geschildert wird, figuriert als letzter Ausdruck von Roms Elend. Das Wort theatrum verwendet Lucan nur noch ein einziges weiteres Mal, in der Charakteristik des Pompeius 1,133, und zwar gerade für das Pompeianische Theater. In diesem Vers findet sich auch das Substantiv plausus, das in der Pharsalia sonst allein 7,12 vorkommt und hier wie dort das Beifallsgeklatsche der Ränge für Pompeius bezeichnet 16 . Die Traumperikope erinnert an die Wesensbeschreibung, die am Anfang des Epos von Pompeius gegeben wird, und soll wohl auch daran erinnern. Im 7. Buch vollzieht sich ja die vernichtende Niederlage des Pompeius, die sich in der Charakterisierung von Lucan. 1,121 ff. schon ankündigt. Die kurz dargestellte Anspielung auf Pompeius' Charakteristik ist ein etwas überraschender Brückenschlag zum Epenbeginn. Denn die Besonderheiten in der Darstellung des Sonnenaufgangs ließen Kongruenzen eher mit der Ariminumszene 1,231—295 erwarten. Vermutlich finden sich auch zwei solche Bezüge

16

Die Wörter theatrum und plausus werden bereits in der Traumerzählung des Livius vorgekommen sein. Darauf führt die Kongruenz Obseq. 65 a ipse Pompeius pridie pugnae diem visis in theatro suo ingentiplausu excipi ~ Plutarch, Pompeius 68,2 ek τό θίατρον eleuWoç αυτού Kporelv τά> 6ημον. Doch hat Lucan das übernommene Vokabular bewußt zur Bildung von Aussageschwerpunkten benutzt.

Dritter Teil 2.3.2.

221

in dem Teil der Traumpassage, in dem Lucan es aufgibt, den historischen Tatbestand nachzuerzählen, und zu freier Gestaltung übergeht. In ßß' (7,24-28) fordert Lucan die Lagerwächter auf, den Schlaf des Feldherrn nicht zu stören: 24

ne rumpite somnos castrorum vigiles, nullas tuba verberet aures . . . 28 unde pares somnos populis noctemque beatam? Das steht dem Abschnitt 1,236-243 der Ariminumpartie nahe, wo ebenfalls von der Störung friedlicher Schlafruhe durch Kriegssignale die Rede ist: constitit ut capto iussus deponere miles signa foro, stridor lituum clangorque tubarum non pia concinuit cum rauco classica cornu. rispia quies populi eqs. Es hat seinen guten Sinn, die zwei Partien miteinander in Verbindung zu bringen. Die Unterbrechung des Friedensschlafes, welche den Beginn des schrecklichen Kriegsgeschehens anzeigt, ist - so kann man verstehen - in die bevorstehende Unterbrechung von Pompeius' glücklichem Schlaf umgesetzt, die den Anfang von Pompeius' Untergang bedeutet. Das Unheil, das in Ariminum mit der dies primos visura tumultus (1,233) seinen Anfang genommen hat, beginnt sich bei Pharsalos zu vollenden. Mehr als eine Möglichkeit stellt diese verknüpfende Interpretation jedoch nicht dar, solange nicht andere bestätigende Indizien hinzutreten. Denn die Vorstellung des von Kriegstrompeten gestörten Schlafes hat topische Züge und findet sich — in allerdings viel kürzerer Fassung - auch im 4. Pharsaliabuch 17 . Der Abschnitt a des Ariminumberichtes zeichnet in seinem zweiten und letzten Teil, 1,244-261 ein detailliertes und eindringliches Bild von der Angst der Ariminenser, die ihren schmerzlichen Kummer aus Furcht vor Caesar nicht einmal laut zu äußern wagen. Das Unvermögen, seinem dolor (1,258) freien Lauf zu lassen, welches seine Wurzel in der Furcht vor dem Sieger Caesar hat: das ist nun gerade der Gedanke, in dem der letzte Teil ßy'ß" (7,40-44) der Traumperikope gipfelt. Die Römer, so heißt es hier, werden, auch wenn Caesar selbst den Tod des Pompeius in Rom verkünden sollte, weinen — aber indem sie Iuppiter Weihrauch und Lorbeerkränze (wegen Caesars Sieg) darbringen. „ 0 die Armen, die ihren ganzen Schmerz (dolorem 7,43) in ihre Seufzer legen mußten 18 , die dich (pompeius') nicht in vollem Theater miteinander beklagen konnten!" 17

Lucan. 4,395 certos non rumpunt classica somnos. Weiteres im Zweiten Teil 2.2.3.1 Anm. 33. Ich lese 7,43: quorum gemitus edere dolorem. Die Belege Thes. V 2,l,69ff. dürften die vorausgesetzte Bedeutung von edere „verzehren" hinreichend stützen. Anders A. E. Housman z. St.; A. E. Hudson-Williams, CQ N. S. 4, 1954, 187. Vgl. im übrigen zur Unterdrückung des dolor vorher noch 2,20f. und 2,39-42; an diesen Stellen ist freilich nicht speziell Caesar das Hemmnis.

222

Dritter Teil 2.3.3.

Die Stelle entspricht dem Passus 1,244—261 insofern nicht ganz exakt, als 7,40ff. gewisse Äußerungen der Trauer, das fiere, die gemitus eben doch vorhanden sind. Das ist durch die Intention von ßy' (7,29—44) veranlaßt, Roms liebevolle Anhänglichkeit an Pompeius darzustellen. Gerade vor dem Hintergrund dieser Intention fällt aber auf, daß die angstbedingte Unterdrückung der propompeianischen Empfindungen so stark in den Vordergrund gerückt wird. Das zukünftige Geschick des Pompeius beschwört eben nach Caesars endgültigem Sieg wieder ein furchtsames Verhehlen der schmerzvollen römischen Gefühle, des dolor, herauf wie es bei Caesars erstem militärischen Bürgerkriegserfolg erstmals wirksam wurde. Falls die bisher angenommenen Beziehungen richtig sind, rekurrieren von der Anfangspartie I A des 7. Buches die Stücke, a, bßß' und bßy'ß" in dieser Reihenfolge auf Hauptmotive der Abschnitte acta', aaß'—y' und aß des Ariminumberichts 1,231-295. Damit würden die betreffenden verstreuten Passagen von I A in gewandelter Weise fast den gesamten ersten Teil a (2,231-261) der Szene in Ariminum reproduzieren. Der Sinn der Reprise wäre klar: Was sich in Ariminum erstmals ereignet hat, wird bei Pharsalos besiegelt. Das Zurückgreifen von 7 , 2 4 - 2 8 und 7,40—44, das bei isolierter Betrachtung der Passagen zweifelhaft sein muß, gewinnt doch wohl einige Wahrscheinlichkeit, sobald sich die Partien als Elemente eines solchen Beziehungssystems erweisen. Dieser systematische Zusammenhang reicht nun noch weiter als bisher dargestellt. 2.3.3. Die Entscheidung des Pompeius: Lucan.

7,45-213

Wie bereits angemerkt, wird der endliche Sonnendurchbruch 7,45 ganz ähnlich wie 1,261 plusquamperfektisch notiert. In beiden Fällen leitet die knappe Konstatierung des Sonnenaufgangs einen neuen Handlungsabschnitt ein, in Lucan. 1 die Partie 1 , 2 6 1 - 2 9 5 , in Lucan. 7 das Stück I Β ( 7 , 4 5 - 1 5 0 ) . Es bedarf keiner ausführlichen Analysen zum Beweis dafür, daß die zwei Partien einander parallel sind. Sie folgen jeweils auf Abschnitte, deren Signum Stille und Handlungsarmut ist, und haben ihrerseits ein bewegtes Geschehen zum Inhalt, das um den endgültigen Kriegsentschluß des Feldherrn zentriert ist. Daß alles zur Schlacht drängt, wird sogleich zu Beginn der Pompeianerpassage in I Ba stark herausgearbeitet, 7,45ff.: vicerat astra iubar, cum mixto murmure turba castrorum fremuit fatisque trahentibus orbem signa petit pugnae. miseri pars maxima volgi, non totum visura diem tentoria circum ipsa ducis queritur. I Ba schließt 7,58ff. mit einer Klage des Dichters über die Götter, die die Pompeianer ihre eigene Niederlage wünschen lassen. Das alles ist in mancher Hinsicht ein deutliches Gegenstück zu den Versen 1,261—265 der Ariminumerzählung, in denen ebenfalls vom Kriegsdrängen der fata die Rede ist; aber

Dritter Teil 2.3.3.

223

anders als bei den Pompeianern bedeutet bei Caesar das Wirken des Geschicks eine entschiedene Begünstigung seiner Sache. Noch deutlicher ist die Korrespondenz der jeweils folgenden Abschnitte. Wie die Partie 1,266-295 des Ariminumberichts sich durch personale Individualisierung von 1,261—265 abhebt, so rückt die Szenerie von 7,62—127 (IBb) die Individuen in den Vordergrund. Zu Beginn der Pharsalia drängt der bedeutende Redner Curio, dessen oratorische Vergangenheit einleitend charakterisiert wird (l,269f.), nicht zuletzt aus Eigennutz Caesar zu rascher Kriegsführung (1,272291). Analog überredet im Passus 7,62-85 Cicero, der größte römische Redner, dessen oratorisches Wirken im Frieden einleitend herausgearbeitet wird, aus Egoismus Pompeius dazu, alsbald die Schlacht zu beginnen19. Die Redner haben jeweils Erfolg, was in beiden Fällen mit einem abschließenden Gleichnis veranschaulicht wird (1,291-295 und 7,123-127). Die Anfangsszene I des 7. Pharsaliabuches wiederholt also in der Tat wohl den gesamten Ariminumbericht 1,231-295. Dabei nimmt I A den Abschnitt 1,231-261 auf, und I Ba—b ist eine motivische Dublette von 1,261—295. Wenn aber Pompeius in I Bbß ausführlich auf Ciceros Rede antwortet, so bedeutet das eine auffällige Abweichung von der Pendantszene, in der Caesar ja überhaupt nicht zu Wort kommt. Der Inhalt von Pompeius' Antwort zeigt vollends die Divergenz gegenüber Caesar. In der Erkenntnis, daß die fata gegen ihn stehen, fügt er sich unfreiwillig dem allgemeinen Kampfesverlangen. Die Beseitigung der morae, die in Ariminum wie vor Pharsalos Caesars Wunsch entspricht und ihn zum Erfolg zu führen bestimmt ist, widerspricht dem Willen und der Einsicht des Pompeius und wird ihm zum Unheil ausschlagen. Als Gegengestalt zu Caesar wird Pompeius auch in dem Gleichnis gezeichnet, welches die Darstellung seiner Reaktion beendet, 7,123ff.: sie fatur et arma permittit populis frenosque furentibus ira 125 laxat et ut victus violentos navita Coro dat regimen ventis ignavumque arte relicta puppis onus trahitur. Das Hauptbild 7,125ff. ist einem anderen Bereich entnommen als der Pferdevergleich 1,291—295 20 . Doch weist die Wendung, die 7,124f. zum Steuer" Bemerkenswert 7,74 gentibus ... subactis ~ 1,288 gentes ... subactas; die Junktur in der Pharsalia — außer 8,8 l l f . - nur hier. Die Rahmenkomposition der Ciceronischen Ausführungen (7,68 tè Magne precatur ~ 7,84 te Magne sequatur) hat in der längeren Curiorede keine Entsprechung. M. Pavan 41 lf. möchte Cicero zum Sprachrohr von Lucans eigener Meinung machen. Aber Lucan sagt 7,67 ausdrücklich, daß Cicero die invalida causa vertritt. Das Mißverständnis der Cicerorede hat dann bei M. Pavan 4 l l f . die falsche Beurteilung des Pompeius zur Folge. 20 Vielleicht konnte Lucan die Anregung zu diesem Vergleich in der Geschichtsschreibung finden. Plutarch, Pompeius 67,7 erzählt, wie Pompeius sich zur Schlacht verleiten ließ und die kühle Überlegung preisgab, ünep oiSè πλοίου κυβερνήτη ... παθ€Ϊν ην προσήκον.

224

Dritter Teil 2.3.3.

mannsvergleich hinführt 21 , in ihrem Gehalt eine besonders enge, aber eben antithetische Affinität zum Gleichnis des Ariminumberichts auf. Denn dort taucht ebenfalls der Begriff ira auf, indessen auf Caesar angewendet, nicht auf seine Leute. Auch das Verb laxare findet sich in beiden Passagen. Während es jedoch bei Pompeius die Nachgiebigkeit gegenüber der Kampflust seiner Partei ausdrückt, dient es bei Caesar zur Veranschaulichung von dessen eigener kriegerischer Entschlossenheit. Dadurch, daß Pompeius gewissermaßen an Caesars Stelle die Vorgänge des zweiten Teils der Ariminumszene nacherlebt, werden seine Andersartigkeit wie auch die gleichbleibende Beharrlichkeit der Caesar begünstigenden Fata in grelles Licht getaucht. Die Annahme, daß Lucan. 7 , 1 - 1 5 0 in wesentlichen Zügen nach dem Abschnitt 1,231—295 modelliert ist, darf wohl als wahrscheinlich gelten. Die These bewährt sich auch darin, daß sie die Diskrepanz erklären kann, die zwischen der historischen Überlieferung und Lucans Darstellung der Fakten besteht. Denn von dem merkwürdigen Sonnenaufgang vor Pharsalos ist nirgendwo sonst die Rede. Auch war Cicero überhaupt nicht bei Pharsalos anwesend und kann die Anfeuerungsrede natürlich nicht gehalten haben; schwerlich hat der Epiker etwas anderes aus einer historischen Quelle entnehmen können 2 2 . Aber als Pendantgestalt zu dem bedeutenden Redner und Politiker Curio konnte vor der eigentlichen Entscheidung nur der größte Redner Roms fungieren 2 3 . Anders als Ciceros Auftritt entstammt der Inhalt des Vorzeichenabschnitts II (7,151—213) im Prinzip der historischen Tradition. Vielleicht konnte sogar die Anordnung der Passage unmittelbar vor der beiderseitigen Heeresaufstellung an die Lucan bekannte Historiographie anknüpfen. Dennoch erscheint es nach dem Rekurs von I auf den Pharsaliabeginn zumindest möglich, daß es der Intention des Dichters entspricht, wenn der Leser durch II an den großen Vorzeichenpassus 1,522—695 erinnert wird 24 . Derartige Korrespondenzen sind eine sehr abstrakte Strukturimitation der Aeneis. Es gibt aber in dem Stück 7 , 1 - 2 1 3 wohl gleichfalls konkretere inhalt21 Der Ausdruck frenos laxare kann auf ein Pferd und metaphorisch auf ein Schiff angewendet werden. Aufschlußreich Ov. trist. l , 4 , l l f f . , eine Stelle, die sich überhaupt mit dem Lucanpassus berührt; ferner Ov. met. 2,186 mit F. Börners Erläuterungen. Zum ganzen Bildbereich K. H. Kaiser, Das Bild des Steuermanns in der antiken Literatur, Diss. Erlangen (masch.) 1954. 21 Gewiß nicht aus Livius, wie die Commenta Bernensia zu Lucan. 7,62 bezeugen: T. Livius eum (Ciceronem) in Sicilia aegrum fuisse tradii eo tempore, quo Pharsaliae pugnatum est eqs. 23 Ein weiterer bemerkenswerter Widerspruch gegenüber der Tradition liegt darin, daß Lucan den Entschluß des Pompeius zur Schlacht auf den Schlachttag selbst, statt auf den Vortag verlegt. Dazu etwa Caes. civ. 3,86,5; Plutarch, Pompeius 68,1. Das entscheidende Geschehen wird in einen Tag zusammengerafft. 24 Die Annahme wird gestützt durch den korrespondierenden Aufbau der beiden Vorzeichenabschnitte; dazu B. F. Dick 43. Historikerparallelen zu den Vorzeichen des 7. Buches zitiert M. Wuensch 6f. Die Prodigien stehen kurz vor der Aufstellung der Heere bei Plutarch, Caesar 43,5f.; Pompeius 68,2ff.; ähnlich auch Appian b. c. 2,68,283f.

Dritter Teil 2.3.3.

225

liehe Nachahmungen von Vergils Epos. Die Situation, in der Pompeius sich befindet, und seine Verhaltensweise berühren sich ja stark mit dem Geschehen Aen. 7,573-600, in dessen Mittelpunkt Latinus steht. Die latinischen Hirten kommen zu dem König und bringen die von den Troern Erschlagenen, es kommt Turnus, voller Grimm über die Bevorzugung der Fremden durch Latinus, und schließlich erscheinen die latinischen Mütter, die sich durch Amata haben in bacchische Raserei versetzen lassen. Sie alle drängen auf Krieg gegen die Troianer, Aen. 7,583ff.: bellum contra fata deum perverso numine poscunt. 585 certatim regis circumstant tecta Latini. Latinus leistet Widerstand wie ein unbeweglicher Fels, an dem sich die Wogen brechen. Aber da der blinde Wunsch nach Krieg nicht bezwungen werden kann, gibt der König nach, Aen. 7,594ff.: Jrangimur heu fatis' inquit Jerimurque procella, ipsi has sacrilego pendetis sanguine poenas' eqs. 599 nec plura locutus saepsit se tectis rerumque reliquit habenas. Wie man sieht, stehen sich Aen. 7,583-585 und der Lucanabschnitt 7,45-61 recht nahe. Noch auffalliger ist die Ähnlichkeit der kurzen Latinusrede mit der ausführlichen Replik des Pompeius. Beide Männer unterwerfen sich in ihrem ersten Satz den fata - und ahnen doch, welches Unheil daraus erwachsen wird. Durch die Gestalt des Pompeius, so dürfte der gebildete Zeitgenosse Lucans empfunden haben, scheint die Gestalt des Latinus hindurch, der ohnmächtig dem Kriegsbegehren nachgeben muß. Besonders deutlich ist die Vergilkomponente weiter in der zweiten Hälfte von I Bc, die kurz nach der Entscheidungsszene I Bb folgt. Die Pompeianer setzen ihre Waffen instand, 7 , 1 3 9 - 1 5 0 (12 Verse): nec gladiis habuere fidem, nisi cotibus asper 140 exarsit muero; tunc omnis lancea saxo erigitur, tendunt nervis melioribus arcus, cura fuit lectis pharetras inplere sagittis, äuget eques stimulos frenorumque artat habenas. Diese Vorgänge werden dann — um die Restpartie kurz referierend zusammenzufassen — mit der Neurüstung der Götter vor dem Gigantenkampf verglichen. Die Herrichtung der Waffen wird anscheinend in keiner sonstigen Quelle bezeugt. Eine Parallele bietet aber kurz nach der Latinuspassage die Aeneis 7,626636 (11 Verse). Vergil schildert hier, wie die Latiner ihre Schilde und Pfeile glätten, die Beile schleifen und sonstige Waffen für den Krieg fertig machen. Aen. 7,627 begegnet auch das Substantiv cos, das bei Lucan nur 7,139 zu be15 Lebek (Hyp. 44)

226

Dritter Teil 2.3.4.

legen ist 25 . In demselben Aeneiszusammenhang steht recoquere 7,636; das Verb ist in der Pharsalia auf 7,148 beschränkt. Zur Beschreibung der Götterrüstung dürfte dann Aen. 8,426-438 die Anregung geliefert haben; die Cyclopen, die Vergil im Zusammenhang mit diesem Passus mehrfach nennt, werden von Lucan nur 7,150 erwähnt 26 . Daß Lucan sich in seinem 7. Buch an Partien des funktionsverwandten 7. Aeneisbuches anschließt, kann nicht verwundern. Die Aeneisverse 7,573—640 boten sich wegen ihrer Thematik natürlich besonders an. Aber die Nachahmung dieser Passage ist zugleich auch Teil eines umfassenderen imitatorischen Planes. In Lucan. 1 waren die Aeneisabschnitte 7,341-539 und 7,641-817 als tektonische und motivische Muster zugrundegelegt. Gerade die dazwischenstehende Partie wird in dem behandelten Stück des 7. Pharsaliabuches inhaltlich verwertet; ausgelassen sind dabei vornehmlich die „ministeria deorum" Aen. 7,540—573 und Aen. 7,601-622, was wieder einmal Lucans Selbständigkeit gegenüber der überkommenen epischen Gestaltung bezeugt. Vielleicht erwecken die Ausführungen über die imitatorische Aufspaltung von Aen. 7,341-817 besondere Bedenken. Ist Lucan wirklich ein so kompliziertes Verfahren zuzutrauen - zumal doch vermutlich kein Leser eine derartige Praxis nachvollziehend genießen konnte? Nun, Statius verfährt nicht viel anders, und er dürfte auch Lucans Nachahmungskunst zu würdigen gewußt haben. Der Aeneispassus 7,481—530 wird nämlich in der Thebais so verwertet, daß das mittlere Stück 7,511-518 mit der Partie Theb. 1,114-122 imitiert wird, die restlichen Eckteile dagegen zusammengerückt und dem Abschnitt Theb. 7 , 5 6 2 - 6 2 7 zugrundegelegt werden 2 7 . 2.3.4.

Zusammenfassung

Insgesamt ergibt sich ein vielschichtiges Bild von Lucans Vergilnachahmung. Lucan wiederholt und modifiziert 7 , 1 - 1 5 0 im Gefolge der Vergilischen Korrespondenz von Aen. 1 und Aen. 7 Szenen des Anfangsbuches der Pharsalia (1,231 —295), die ihrerseits schon vergilisch strukturiert sind. Zugleich greift er den Inhalt von Aen. 7,573—640 auf und weist so wiederum auf den Pharsaliabeginn zurück, der auf den beiden angrenzenden Aeneispassagen basiert. Zumindest 25

Denn hier gehört doch wohl cotibus (statt cautibus) in den Text, was Α. E. Housman z.St. als „vera scribendi ratio" anerkennt 26 Das Substantiv incus verwendet Lucan nur 7,146, angeregt wohl durch Verg. Aen. 7,629 oder Aen. 8,419. Die Daxstellung der Kriegsvorbereitungen Aen. 7 , 6 2 3 - 6 3 6 hat gleichfalls auf andere kaiserzeitliche Epiker beträchtlichen Eindruck gemacht. Die Stelle wird von Silius 4 , 9 - 2 5 verwertet, und sie dürfte auch hinter Stat. Theb. 3,580-591 stehen. Im übrigen findet sich ein Hinweis auf die Ähnlichkeit von Lucan. 7,139-150 und Aen. 7,626-636 schon bei W. E. Heitland in der kommentierten Pharsaliaausgabe von C. E. Haskins, London 1887, CXX1. Die Beziehung Latinus - Pompeius hat M. v. Albrecht, Lucan 283 kurz gewürdigt. 27 Einzelheiten dazu oben in 2.2.

Dritter Teil 3.1.1.

227

prinzipiell dieselbe vergilische Verklammerungstechnik ist auch in der Thebais des Statius zu beobachten. Auf dem Geflecht von Beziehungen und Imitationen, von dem der Teil 7 , 1 150 übersponnen ist, zeichnet sich das Bild eines Pompeius ab, der an der zukünftigen Niederlage keine persönliche Schuld trägt. Die Bevorzugung, die der Dichter dem Gegenspieler Caesars hier zuteilwerden läßt, äußert sich auch in der eindringlichen Veranschaulichung der Liebe, die Rom seinem geliebten Magnus (7,36) entgegenbringt.

3. Pompeius vor und nach der Schlacht und die Freiheit

3.1.

Die Haltung des Pompeius im Lichte der Feldherrnreden: Lucan. 7,214-384

3.1.1. Einige Gliederungsmerkmale des

Gesamtabschnitts

Die Lucanverse 7,214-384 haben die Aufstellung der beiden Heere und die beiden Feldhennreden zum Gegenstand, sind also deutlich als thematische Einheit innerhalb des großen Abschnitts 7,214—646 konzipiert. I II A Β C III A Β C

7,214—234 Die Aufstellung des pompeianischen Heeres 7,235—336 Caesar und sein Einwirken auf die Caesarianer 7,235—249 Caesars Reaktion auf das Herauskommen der Pompeianer 7,250—329 Caesars Anfeuerungsrede 7,329—336 Die Reaktion und das Hervorbrechen des caesarianischen Heeres 7,337—384 Pompeius und sein Einwirken auf die Pompeianer 7,337—342 Die Reaktion des Pompeius auf das Herauskommen der Caesarianer 7,342-382 Die Anfeuerungsrede des Pompeius 7,382-384 Die Reaktion des pompeianischen Heeres

I und II einerseits, II C und III andrerseits stehen in dem Verhältnis von Ursache und Wirkung zueinander; die Übergänge von Pompeianern zu Caesarianern, von diesen wieder zu den Pompeianern sind also wohlmotiviert und keineswegs abrupt. Ferner besteht eine unverkennbare Entsprechung zwischen den Handlungsvorgängen auf Caesars und denen auf Pompeius' Seite. In schematischer Darstellung ergibt sich folgende Gesamtform der angedeuteten Bezüge und Ver-

228

Dritter Teil 3.1.1.

klammerungen; die Oberstruktur bezeichnet den Kausalnexus I—II, II C—III, die Unterstruktur die Korrespondenzen der analogen Handlungseinheiten:

Lucan weist auf die skizzierten Verstrebungen vielfach durch Wortwiederholung hin. Sie werden von ihm dazu benutzt, Charakteristika der beiden gegnerischen Parteien sinnfällig in Erscheinung treten zu lassen. Zunächst kurz zu Lucans Stilisierung der Kausalverknüpfungen. Der Abschnitt I beginnt 7,214ff. so: miles ut adverso Phoebi radiatus ab ictu descendons totos perfudit lumine colles, non temere immissus campis. Der Abschnitt II hat folgenden Anfang, 7,235ff.: ilio forte die Caesar statione relicta ad segetum raptus moturus signa repente conspicit in planos hostem descendere campos. Der entscheidende Akt, mit dem die Pompeianer die Schlacht anbieten, wird durch die Iterationen hervorgehoben; das ist eben auch der Akt, der Caesar zum Handeln bringt. Von den unterstrichenen Wörtern erscheint descendere in dem Abschnitt 7,214-384 nur an den hier hervorgehobenen Stellen; Entsprechendes gilt, wenn nicht Besonderes angemerkt wird, auch bei den sonstigen Unterstreichungen in dem vorliegenden Kapitel 3.1.1. Lucan markiert das Verursachungsverhältnis, das zwischen I und II besteht, mit sprachlichen Mitteln. Das ist zweckmäßig, weil in I nach dem descendere ausführlich die Anordnung der pompeianischen Truppen (7,216—234) geschildert wird und hierbei zum Schluß besonders eingehend 7,224-234 die der ausländischen Hilfskräfte. Der kausal entscheidende Vorgang droht damit dem Gedächtnis des Lesers zu entschwinden. Eine ähnliche Gedächtnisstütze war bei der ursächlichen Verknüpfung von II C mit III überflüssig. Denn II C ist ein ganz kurzer Abschnitt, dessen letzte Zeile (7,336) überdies noch einmal betont, in wie eiligem Lauf die Caesarianer in den Kampf stürzen. Es kann daher nicht verwundern, wenn es bei diesem Übergang von Caesars Seite auf die des Pompeius keine stützende Wortwiederholung gibt.

229

Dritter Teil 3.1.1.

Das bedeutet nicht, daß es in III A an beziehungsstiftender Verwendung von Sprachmaterial fehlt. Doch hat dieser Sprachgebrauch es nicht mit den Kausalbeziehungen, sondern mit der Unterstruktur des Schemas zu tun. Sie sei jetzt betrachtet, beginnend mit dem Verhältnis I (7,214-234) zu II C (7,329336). Die soeben ausgeschriebenen Anfangsverse von I erklären, der pompeianische Soldat sei non temere immissus camp is ·, das wird 7,216f. in unmittelbarem Anschluß an dieses Zitat expliziert: stetit

ordine

certo

infelix acies eqs. Man vergleiche damit die parallelen Verse von II C, 7,33Iff., die von den Caesarianern handeln: capiunt praesagia belli calcatisque ruunt castris; stani ordine nullo arte ducis nulla permittuntque omnia fatis. Das Verb stare ist in dem Gesamtabschnitt 7,214—384 nicht auf die beiden Stellen beschränkt, aber an der antithetischen Beziehung der je an gleicher Versstelle stehenden Junkturen kann kein Zweifel sein. Gegenüber der römischen und zivilisierten Ordnung der Pompeianer ist das Hervorstürmen der Caesarianer durch barbarische Unordnung gekennzeichnet, eine bewußte Verfälschung der Tradition 1 . Geht es in dem Verhältnis von I zu II C auch um die Charakteristik der beiden Heere, so kommt in der Relation von II A (7,235-249) zu III A (7,337342) etwas vom Wesen der beiden Führer zum Ausdruck. In II A heißt es von Caesar, 7,237ff.: conspicit in planos hostem descendere campos oblatumque videt votis sibi mille petitum tempus, in extremos quo mitteret omnia casus. 240 aeger quippe morae flagransque cupidine regni coeperat exiguo tractu civilia bella ut lentum damnare nefas, discrimina postquam adventare ducum supremaque proelia vidit casuram (et) fatis sensit nutare ruinam, 245 illa quoque in ferrum rabies promptissima paulum languit, et casus audax spondere secundos mens stetit in dubio, quam nec sua fata timer e nec Magni sperare sinunt. formidine mersa prosilit hortando melior fiducia volgo. 1 Vgl. etwa Plutarch, Pompeius 68,7; Lucan selbst berichtet 7,521ff. von Caesars strategischen Maßnahmen.

230

Dritter Teil 3.1.1.

Nun der Wortlaut von III A (7,337-342): vidit ut hostiles in rectum exire catervas Pompeius nullasque moras permitiere bello sed superis placuisse diem, stat corde gelato 340 attonitus; tantoque duci sic arma timer e omen erat, premit inde metus, totumque per agmen sublimi praevectus equo2 ... inquit eqs. Es sind nur die wichtigsten Korrespondenzen notiert. Von den unterstrichenen Vokabeln kommt im Bereich von 7,214—384 mora sonst überhaupt nicht vor, timere nur noch 7,384 als letztes Wort. Die Kontrastierung ist unverkennbar. Hier Caesar, der keinen Aufschub der Entscheidungsschlacht ertragen kann, weil er von der Gier nach der Alleinherrschaft besessen ist; dort Pompeius, der mit Schrecken erkennt, daß es keinen Aufschub mehr gibt. Beide Feldherrn angesichts der Schicksalstunde von Bangen erfüllt: Caesar freilich, zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, zweifelt lediglich; Pompeius erstarrt dagegen in Furcht. Zwischen den Zeilen ist nun auch zu lesen, daß Pompeius von dem verbrecherischen Wahnsinn Caesars ganz frei ist, frei gleichfalls von der cupido regni. Zwischen II C und III C ist nur noch ein schwaches sprachliches Band geknüpft. II C beginnt 7,329ff.: vix cuncta locuto Caesare quemque suum munus trahit eqs. Entsprechend heißt es in III C 7,382ff.: tarn maesta locuti voce ducis flagrant animi, Romanaque virtus erigitur placuitque mori si vera timeret. Vielleicht darf man annehmen, daß die Romana virtus, die sich in den Pompeianern aufrichtet, in einem gewissen Gegensatz zu dem Barbarentum der Caesarianer steht, das sich in der mangelnden Kriegsordnung bekundet, wie sie in II C gezeichnet wird. Mehr als eine Hypothese ist das nicht. Als sicher aber kann gelten, daß Lucan die verschiedenen pompeianischen und caesarianischen Partien des Gesamtabschnitts 7,214-384 in einer Weise einander zugeordnet hat, daß sie sich gegenseitig schärferes Profil verleihen. Die Zuordnungen werden noch betont durch die Wiederholung geeigneter Wörter und Wendungen. Daß die Pompeiushandlung auf die Abschnitte I ( 7 , 2 1 4 - 2 3 4 ) und III ( 7 , 3 3 7 - 3 8 4 ) verteilt ist, erklärt sich aus der Intention Lucans, Caesar als den eigentlichen Angreifer zu zeichnen. Pompeius wird erst durch das Hervorbrechen der Caesarianer, die die 2

Ein Indiz für gute Detailinformation Lucans. Auch Plutarch, Pompeius 69,6 berichtet, daß Pompeius seine Truppen auf einem Pferde sitzend gemustert hat.

Dritter Teil 3.1.2.

231

morae beseitigen, zu seiner Anfeuerungsrede veranlaßt 3 . So erweist sich bereits die Makrostruktur des Lucanabschnitts 7,214—384 als Mittel, Caesars wahnsinnige Kriegslust profiliert von Pompeius' untadeliger Haltung abzuheben.

3.1.2. Prinzipielles zu Disposition und der Anfeuerungsreden

Wechselbeziehungen

Bisher sind die zwei Adhortationsabschnitte II Β (7,250—329) und III Β (7,342—382) praktisch unberücksichtigt geblieben. Man wird nach den sonstigen Erfahrungen mit dem Abschnitt 7,214—384 von vornherein zur Annahme neigen, daß auch in diesem Falle Caesarpartie und Pompeiuspartie aufeinander abgestimmt sind. Eine Übersicht über die Caesarrede ist ein geeigneter Ausgangspunkt für die Diskussion: II Β a 7,250—252 b 7,253-269 c 7,269-294 d 7,295-310 e 7,311-319 f 7,320-329

Hinweis auf die präsente Möglichkeit zum Entscheidungskampf (251 adest) Lohn und Sinn der Schlacht Siegesgewißheit aufgrund des militärischen Kräfteverhältnisses Risiko, Lohn und Sinn der Schlacht Bestärkung der Siegeshoffnung durch den Hinweis auf Caesars Milde und Pompeius' Grausamkeit Aufforderung zu rücksichtslosem Kampfeinsatz

Es sind, wie man sieht, im wesentlichen zwei im Wechsel sich vordrängende Themenkreise, die den Bestand dieser Ansprache ausmachen, einerseits b und d, andrerseits c und e. Wie steht es nun mit der Pompeiusrede? III B a

7,342-348

b c

7,349-368 7,369—382

Hinweis auf die präsente Möglichkeit zum Entscheidungskampf (344 adest) Die Hoffnung auf Sieg und ihre Begründung Sinn und Bedeutung des Kampfes

In III Bb-c erkennt man leicht die zwei Hauptthemen von II Β wieder. Außerdem ist III Ba eindeutig ein Pendant von II Ba. Eine genauere Prüfung zeigt, daß die Ansprache des Pompeius durch auffallende Gemeinsamkeiten der Ausdrucksweise, die ja in besonderem Maße Lucans Bezugsintentionen verdeutlichen, nur mit dem ersten Teil der Caesarrede, also mit ihren Partien a, b und c verbunden ist. Bevor jedoch dieser Konnex und überhaupt die Adhortatio des Pompeius erörtert wird, gilt es die vorausgehende Korrespondenzpassage näher kennenzulernen. 3

Lucan hat diese Sequenz schwerlich in seinen geschichtlichen Quellen vorgefunden. Appian b. c. 2,72-74 läßt die Rede Caesars auf die des Pompeius folgen.

232

Dritter Teil 3.1.3.

3.1.3. Der Sinn von Pharsalos in Caesars Darstellung: Lucan. 7,253-269 7,295-310

und

Die zusammengehörigen Abschnitte II Bb und II Bd gewähren einen zwar nicht vollständigen, aber doch schon recht aufschlußreichen Einblick in die Caesarkonzeption des 7. Buches. Die folgende Interpretation von Caesars Ansprache beschränkt sich auf die beiden Partien. Mit b sei begonnen, 7,253ff. 4 : in manibus vestris, quantus sit Caesar, habetis. haec est ilia dies mihi quam Rubiconis ad undas 255 promissam memini, cuius spe movimus arma, in quam distulimus vetitos remeare triumphos, [haec eadem est hodie quae pignora quaeque penates reddat et emerito faciat vos Marte colonos] haec fato quae teste probet, quis iustius arma 260 sumpserit; haec acies victum factura nocentem est. si pro me patriam ferro flammisque petistis, nunc pugnate truces gladioque exsolvite culpam: nulla manus, belli mutato iudice, pura est. non mihi res agitur, sed vos ut libera sitis 265 turba, precor, gentes ut ius habeatis in omnes. ipse ego privatae cupidus me reddere vitae plebeiaque toga modicum conponere civem omnia dum vobis liceant, nihil esse recuso, invidia regnate mea. Durch 7,259f. wird eine Proömiumstelle wiederaufgenommen, nämlich die einprägsame Sentenz l,126ff.: quis iustius induit arma eqs. Schon vorher weist 7,254 die Nennung des Rubico auf den Beginn des Bürgerkrieges zurück. Erneut wird Pharsalos als der von Anfang an erstrebte Höhepunkt der Auseinandersetzungen gewertet. Aber im Gegensatz zu den ausgeklügelten und sorgfältigen Verbindungen, die die Pompeiusszene 7,1—150 mit dem Ariminumbericht 1,231-295 verknüpfen, hat der Dichter nicht eine exaktere Spiegelung der ersten Caesarrede (1,299—351) durch die zweite intendiert. Es ist wohl bezeichnend, daß die Erinnerung an das Rubiconis ad undas gegebene Versprechen nur in sehr ungenauer Weise auf das Gefolgschaftsversprechen von Ariminum anspielt s . Die Interpretation von II Bb kann also von der Rücksicht auf Caesars erste Ansprache zunächst frei sein. 4

Ich athetiere mit A. E. Housman 7,257f. Ed. Fraenkel, Rez. 510 deutet die dies promissa 7,254f. auf Schicksalssprüche, die Caesar erhalten habe. Vorsichtig gegen diese Interpretation W.-H. Friedrich 416 Anm. 2, aber man darf sie entschiedener ablehnen. Caesar betont 7,253, daß er von seinen Soldaten abhängt. Der Hinweis auf Schicksalssprüche - also doch wohl: auf erfolgversprechende Vor5

Dritter Teil 3.1.3.

233

Es sind drei Aspekte, unter denen die Bedeutung des Kampfes dargelegt wird. Die ersten beiden rücken in starkem Maße Caesars eigene Interessen in den Vordergrund, seine Größe und Bedeutung und seine Rechtfertigung. Bereits 7,256 beziehen aber die vetiti triumphi zugleich die Soldaten andeutungsweise als Nutznießer eines Sieges ein, ganz deutlich ausgesprochen wird der Gedanke dann unter dem Gesichtspunkt „Rechtfertigung" 7,262f. Im letzten Teil von b sind es schließlich allein die Soldaten, um derentwillen die Schlacht geschlagen wird (7,264-269). Lucan legt Caesar, der ja in Wahrheit von der Gier nach Alleinherrschaft besessen ist, (7,240), in dieser Abschlußpartie bewußt eine Lüge in den Mund. Kein Leser kann glauben, daß dem Gegenspieler des Pompeius ein bescheidenes Bürgerdasein genügen würde! Die Unwahrhaftigkeit von Caesars Ausführungen wird zusätzlich durch den programmatischen Vers 7,253 akzentuiert, der das Streben nach Macht verrät. Die Funktion der „Lüge" ist es wohl weniger, Caesar als Heuchler zu zeichnen, als vielmehr, gerade durch die Verhüllung das Augenmerk auf Caesars Herrschaftsstreben zu lenken. Eine verwandte Intention steht hinter der Verdrehung des Freiheitsbegriffes, die den letzten Absatz 7,264-269 durchzieht. Denn was hier als Freiheit figuriert, ist ja in Wirklichkeit nichts als Zügellosigkeit der Soldaten, ist unumschränkte licentia, welche, wie Maternus Tac. dial. 40,2 sagt, stulti libertatem vocant. Begriffsperversion als Indiz der Entsittlichung ist seit den berühmten Darlègungen des Thukydides 3,82,4f. eine dem antiken Denken vertraute Vorstellung. Die nicht minder bekannte Thukydidesimitation in der Rede des Sallustischen Cato Catil. 52,11 kann das für den Bereich der lateinischen Literatur illustrieren 6 . Lucan selbst läßt l,667f. Nigidius auf dieses Zeichen moralischpolitischen Zusammenbruchs aufmerksam machen: sceleri. .. nefando/nomen erit virtus. Die Verdrehung des Freiheitsbegriffes ist, so muß der gebildete antike zeichen - würde gerade implizieren, daß Caesar von seinen Soldaten unabhängig wäre. Eine solche gedankliche Unstimmigkeit auf engstem Raum sollte man ohne Not nicht annehmen. Demgegenüber fügt sich die Erinnerung an ein Versprechen der Soldaten ausgezeichnet in den Kontext. Freilich stimmt 7,254 Rubiconis ad undas nicht exakt zur Lokalisierung des Treuebekenntnisses l,387f. in Ariminum kurz nach der Rubicoüberschreitung, und 1,387 quaecumque ... bella deckt zwar die Schlacht bei Pharsalos, bezeichnet sie aber nicht spezifisch. Doch sind diese Divergenzen kaum schwerwiegend genug, um die angenommene Beziehung auszuschließen. Appian b. c. 2,73,304 legt Caesar in der Anfeuerungsrede vor Pharsalos den Hinweis auf ein Versprechen in den Mund, das bei Dyrrhachion gegeben worden sei. Ob Lucan diesen Gedanken auch in seiner Quelle gefunden hat? Dann würde der Rückbezug auf den Epenbeginn noch stärker profiliert sein. Die Anregung, in der Caesarrede das Versprechen der Soldaten an den Kriegsanfang zu rücken, mag idem Dichter Ilias 2,286f. gegeben haben. Athene erwähnt hier das Versprechen der Achaier, welches sie noch auf der Fahrt von Argos abgegeben hätten, nämlich erst nach liions Zerstörung heimzukehren. Der Homerische Einfluß in Lucan. 7,254f. würde dazu passen, daß gerade hinter dem angenommenen Bezugspunkt l,387f. derselbe Homerzusammenhang zu stehen scheint. Dazu im Zweiten Teil die Schlußausführung von 2.2.4.2 mit Anm. 50. 6 Vgl. ferner Caes. Gall. 7,77,3; Sali. Catü. 38,3; Or. Macri 13; Tac. hist. 1,37,4; 4,17,2. Auch die rhetorische Theorie hat sich mit solchen Wertverfälschungen befaßt: Aristoteles rhet. 1405 a 16ff.; Rhet. Her. 3,3,6. Wichtig noch Piaton, Politela 560 d - e .

234

Dritter Teil 3.1.4.

Leser empfinden, Ausdruck der Tatsache, daß die Freiheit für Caesar ihren Wert verloren hat, daß er sie verachtet. Die Entlarvung von Caesars Herrschaftsgelüsten wird in II Bd (7,295-310), dem Pendant von II Bb, fortgeführt und gesteigert. Der Abschnitt beginnt mit einer Reihe von Versen, die von der Bedeutung des Schicksals, welches Caesar beschieden ist, handeln und veranschaulichen, mit welcher Ungeduld er ihm entgegenfiebert. Was konkret mit den fata (7,295), der ψ es, den tarn magna (7,297), den vota (7,299) gemeint ist, bleibt ungesagt, bis 7,299f. die Spannung mit einem offenen Bekenntnis gelöst wird: ego sum cui Marte peracto quae populi regesque tenent donare licebit. Das erinnert im Gedanken wie auch in der Formulierung an den „Lügenabschnitt" von II Bb (7,264—269), und zwar um so deutlicher, als das entscheidende Verb licere innerhalb der gesamten Caesarrede eben nur 7,268 und 7,300 begegnet. Zwar ist 7,300 donare vielleicht eine propagandistische Hindeutung auf den Lohn, der die Mannschaft erwartet. Aber das Schwergewicht des ausgeschriebenen Satzes liegt zweifellos darauf, daß Caesar es ist, dem die unumschränkte Verfügungsgewalt zustehen wird. Das betonte ego 7,299 steht in unübersehbarem Gegensatz zu dem ebenso betonten vos 7,264. Das sorgfältig herausmodellierte Geständnis Caesars wirft ein erhellendes Licht auf die Unwahrhaftigkeit des Endpassus von II Bb und umgekehrt hebt sich vor dessen Folie die Egozentrik von Caesars Machtstreben mit scharfen Konturen ab. All diese Eindrücke ergeben sich ohne Berücksichtigung von Caesars erster Adhortatio (1,299-351). Aber deshalb ist ein Vergleich nicht nutzlos. Die frühere Caesarrede läßt, für sich genommen, Herrschsucht und Heuchelei viel weniger stark in Erscheinung treten. Andrerseits fehlt in der umfangreicheren Ansprache des 7. Buches jegliche Parallele zu der Invektive gegen Pompeius' regnum, die den Zentralgedanken des Gegenstücks darstellt (1,314-335). Der Gedanke, daß auch Pompeius von cupido regni (7,240) erfüllt sein könnte, wird von dem Leser ferngehalten. 3.1.4. Wahrhaftigkeit und Freiheitsgedanke in der Pompeiusrede: Lucan. 7,349-382 Es wurde bereits ausgesprochen, daß die Adhortatio des Pompeius wesentliche Korrespondenzen mit der vorausgehenden Rede Caesars, insbesondere mit ihrem ersten Teil (7,250-294) aufweist. Ein besonders deutliches Beispiel findet sich am Ende des Abschnitts III Bb, in dem Pompeius seine Siegeshoffnung begründet, 7,366ff.: paucas victoria dextras exigit, at plures tantum clamore catervae bella gerent: Caesar nostris non sufficit armis.

Dritter Teil 3.1.4.

235

Caesar hatte zu Beginn des entsprechenden Passus seiner Rede 7,272ff. dargelegt, der Gegner werde sein: mixtae dissona turbae barbaries, non illa tubas, non agmine moto clamorem latura suum. civilia ρ auca e bella manus facient1. Wenn Pompeius so die zahlenmäßige Überlegenheit seines Heeres betont, spricht er durchaus die Wahrheit. Er hat in der Tat alles zusammengebracht, was den Sieg schaffen kann (7,355f.), die Truppen gewissermaßen des ganzen Erdkreises (7,362). Ja, der Kampfverlauf gibt seiner Diagnose, daß der Sieg nur wenige fechtende Hände braucht, durchaus recht; nur fehlen eben diese Hände auf seiner Seite. So sehr also Pompeius die ermutigenden Vorteile seines Heeres unterstreicht: die eigentlichen Fakten verdreht er weder hier noch an anderer Stelle. Der Leser ist daher nicht zur Skepsis gegenüber Pompeius' Aussagen gestimmt, wenn er III Bc liest, 7,369ff.: a crédité pendentes e summis moenibus urbis 370 crinibus effusis hortari in proelia matres; crédité grandaevum vetitumque aetate senatum arma sequi sacros pedibus prosternere canos atque ipsam domini metuentem occurrere Romam; crédité qui nunc est populus populumque futurum 375 permixtas adferre preces: haec libera nasci, haec vult turba mori, β siquis post pignora tanta Pompeio locus est, cum prole et coniuge supplex, imperii salva si maiestate liceret, volverer ante pedes. Magnus nisi vincitis, exul, 380 ludibrium soceri, vester pudor, ultima fata deprecor ac turpes extremi cardinis annos, ne discam servire senex. Der Abschnitt c besteht, wie man sieht, aus zwei annähernd gleichlangen Teilen. Im ersten von ihnen, in a, geht es um die Bewahrung der Freiheit für Rom, im zweiten, in ß, um die Abwehr des Verderbens und der Knechtschaft von Pompeius. Konzentrieren wir uns zunächst auf a. Die kurze Pompeiusrede, die Appian b.c. 2,72 der Schlacht bei Pharsalos vorausschickt, ist zum überwiegenden Teil von Äußerungen ausgefüllt, die die Siegeshoffnung begründen sollen, entspricht also III Bb (7,349-368). In diesem 7 Ähnlich korrespondieren bei Appian b. c. 2,72,300 und 2,74,308f. Caesarrede und Pompeiusrede miteinander. Schon Lucans Quelle mag derartiges geboten haben. Zu den ausgeschriebenen Lucanversen 7,366ff. darf auch an den anfeuernden Satz Iutumas Verg. Aen. 12,233 erinnert werden: rix hostem, alterni si congrediamur, habemus.

236

Dritter Teil 3.1.4.

Appianpassus fallt auch der Begriff „Freiheit": υπέρ yàp èXevdepiaç και πατρίδος ά-γωνιξόμεϋα

. . . πρόςανδρα

èva Χχιατβύοντα

την üyeßoviav

( 3 0 1 ) . Ob das ein

Reflex von Lucans Vorlage ist, kann offenbleiben. Auch ohne einen solchen genetischen Konnex veranschaulicht die Appianparallele recht eindringlich, ein wie starkes Gewicht der Dichter dem Komplex „Freiheit - Knechtschaft" gibt, indem er ihm eine eigene Perikope widmet, und das am Ende von Pompeius' Ansprache. Daß auf ca besondere Emphase liegt, ergibt sich freilich schon allein aus dem Text. Denn der Abschnitt stellt eine Aufeinanderfolge von Prosopopoiien d a r ; u n d es ist j a die personarum

ficta

inductio

vel gravissimum

lumen

augendi (Cic. de orat. 3,205). Technisch gesprochen haben wir es mit einer Amplificatio innerhalb der Peroratio zu tun (Cic. part. 52). Die Partie entwickelt ihren Gedanken in einer triadischen Steigerung, wobei der Einsatz der drei Kola jeweils durch vers- und satzeinleitendes crédité markiert ist 8 . Der Blick gilt mit den matres zunächst dem Bereich persönlicher Bindungen (7,369f.) und richtet sich dann auf die Verpflichtungen gegenüber dem öffentlichen Bereich der republikanischen Institutionen (7,371—373). Schließlich wird der chronologische Blickwinkel erweitert: es geht um das römische Volk der Gegenwart und das noch ungeborene der Zukunft (7,374— 376). Hier endlich, wo der Schlacht bei Pharsalos die umfassendste Bedeutung zuerkannt wird, am End- und Gipfelpunkt der Amplificatio, erscheint der Begriff liber. Die Furcht vor der Knechtschaft wird es auch sein, die den Anfeuerungen der Mütter ihren Sinn gibt. Wenn die Wortfolge libera . . . turba 7,375f. an derartig exponierter Stelle begegnet, so ist damit zugleich das Augenmerk des Lesers auf ein bedeutsames Beziehungsphänomen gelenkt. Die Junktur libera ... turba ist nämlich, und das gerade in dieser Reihenfolge, nur noch ein einziges weiteres Mal in der Pharsalia belegt: in den Versen 7,264f. der Partie b der Caesarrede. Unmittelbar vor dem Abschnitt ca der Pompeiusrede greift Lucan-Pompeius, wie aufgewiesen, 7,366368 auf den Anfang des Caesarabschnitts c 7,272—275 zurück, und das heißt, auf den Passus, der unmittelbar auf II Bb (7,253-269) folgt. Das dient, wie sich jetzt zeigt, auch dazu, auf die kontradiktorische Anknüpfung von 7,375f. an 7,264f. vorzubereiten. Welchen Sinn hat aber diese Anknüpfung? Caesar hatte den Freiheitsbegriff in pervertierter Weise verwendet und damit seine unsittliche Verachtung der Freiheit verraten. Pompeius rückt den Begriff wieder zurecht. Freiheit bedeutet, so ergibt sich indirekt aus 7,371f., die Macht des Senats, der die republikanischen Einrichtungen verkörpert, bedeutet vor 8 Dies wohl eine überkommene Form der Prosopopoiieneinleitung. Vgl. Demetrios eloc. 265 δόξατε; Curt. 4,14,23 (Adhortatio des Dareus): crédité nunc omnes hos tendere ad vos manus. Allerdings ist Lucannachahmung dabei nicht ausgeschlossen. Wahrscheinlich ist sie Sil. 4,408f. (Adhortatio Scipios): ipsam turrigero portantem vertice muros / crédité summissas Romam nunc tendere palmas. Hier ist das Ende der Pompeiusrede vermutlich verschmolzen mit Lucan. 1,188. Vgl. noch Caes. Gall. 7,62,2 (Anfeuerungsrede des Labienus): ipsum Caesarem ... praesentem adesse existimarent.

Dritter Teil 3.1.4.

237

allem die Absenz eines dominus. Indem Pompeius von der Freiheit im echten Wortsinn spricht, erweist er sich gerade vor dem Hintergrund der Caesargestalt auch als der echte Verteidiger der Freiheit. Wenn er mit Nachdruck die Rettung der Freiheit des gegenwärtigen und zukünftigen römischen Volkes als den Sinn der Schlacht bezeichnet, dann indiziert nichts die Verbergung eigener Machtgelüste, was wiederum durch den Vergleich mit Caesars „Lügenpartie" 7,264— 269 deutlich und bedeutsam wird. Pompeius zeigt sich als wahren Schützer der Freiheit auch darin, daß er die Konsequenzen, die Pharsalos für die zukünftige Freiheit Roms hat, erkennt und ausspricht. Der so profilierte Zukunftsaspekt geht charakteristischerweise dem Hinweis auf die Freiheit ab, der in Appians Pompeiusrede steht. Für Lucan ist es nun im 7. Buch, wie sich bei der Interpretation seiner Reflexionen noch herausstellen wird, gerade das weitaus wichtigste Ergebnis von Pharsalos, daß durch diese Schlacht für alle Zukunft und damit auch für die Zeit des Dichters unwiderruflich Roms Knechtschaft besiegelt wird. Pompeius weist erstmals in der Pharsalia klar auf die Unfreiheit als Zukunftsfolge hin 9 , und zwar sehr eindringlich. Er ist also hier das Sprachrohr des Dichters. Die Deutung, die Pompeius dem Geschehen von Pharsalos gibt, ist die Deutung Lucans. Der Abschnitt III Bcß (7,376-382) läßt die triadische Gliederung der vorangehenden Partie anklingen, indem er zunächst mit proles und coniunx auf den privaten, dann mit imperii maiestas auf den öffentlichen Bereich anspielt. Und wie am Schluß von a libera die zu bewahrende Freiheit bezeichnet, so endet β mit dem Begriff der abzuwehrenden Knechtschaft. Wenn Pompeius in dieser letzten Zeile den Wunsch ausspricht, der Versklavung zu entgehen, bewährt er sich wiederum als ein Mann, dessen Trachten auf die Erhaltung der Freiheit gerichtet ist. Freilich erhält mit der Vorstellung des discere servire die Peroratio des Pompeius eine düstere Färbung, die auf die dunkle Zukunft verweist. Schon die erste Ansprache des Pompeius (2,531-595) ist partiell als Replik auf eine Rede Caesars, nämlich auf die in Ariminum gehaltene, angelegt. Auch das Thema „Freiheit" wird hier gewissermaßen in Beantwortung von Caesars Ausführungen áufgenommen, zur Abwehr des Vorwurfs, Pompeius sei ein Alleinherrscher. Solche Apologetik ist der Pompeiusrede des 7. Buches fremd und kann es sein, weil der Gegner in seiner vorangehenden Adhortatio keinen entsprechenden Vorwurf erhebt. In Pompeius' Ansprache vor Pharsalos fehlen auch die propagandistischen Entstellungen der Realität, die sich in seiner ersten Rede finden. Anders als in Pompeius' erster Rede ist die Freiheit in der Ansprache vor Pharsalos das emphatisch hervorgehobene entscheidende Kampfmotiv, entscheidend auch gerade für die noch ungeborenen Römer und damit für die Gegenwart des Dichters selbst. Dem Gegensatz zwischen Caesar und Pompeius, ' In allgemeinerer Form hat Lucan selbst schon vorher die Bedeutung charakterisiert, die Pharsalos für die Zukunft hat, 7,131ff.: divenisse diem qui fatum rebus in aevum / conderet humanis, et quaeri, Roma quid esset, / ilio Marte palam est.

238

Dritter Teil 3.2.1.

der in den Anfeuerungsreden des 7. Buches nicht mehr der Antagonismus zweier Herrschaftsrivalen, sondern die Opposition von Tyrannei und Freiheit ist, entspricht die Motivierung, mit der die beiden Heere in den Kampf vorrücken, 7,385f.: ergo utrimque pari procurrunt agmina motu irarum; metus hos regni, spes excitât illos.

3.2.

Der fliehende Pompeius und die Freiheit: Lucan. 7,680-711

3.2.1.

Strukturbetrachtungen

Die Adhortatio ist für viele Verse die letzte Handlung, die Lucan dem Gegner Caesars zuweist. Pompeius erscheint erst wieder nach der Schlacht auf der Bühne des Geschehens, als Fliehender 7,647-727. Einen großen Teil der Fluchtdarstellung nimmt nun inmitten der Erzählung eine Ansprache des Dichters an Pompeius ein, deren Inhalt Lob, Trost und Mahnung ist. Die gesamte Partie 7,647—727 ist somit folgendermaßen aufgebaut 10 . I II III

7,647—679 7,680—711 7,712—727

Die Wendung des Pompeius zur Flucht (Handlung) Ansprache an Pompeius (Lob und Paränese) Pompeius in Larissa (Handlung)

Der Abschnitt II, in dem Lucan in sehr ausführlicher Apostrophe zu Pompeius spricht, verdient unser besonderes Interesse. Hier durchbricht der Dichter in ganz entschiedener Weise die anonyme Objektivität des Epikers und drängt sich als mitfühlendes Subjekt in den Vordergrund. Völlig fremd ist derartiges auch der älteren Epik nicht; aber mit der hohen Zahl und dem großen Umfang solcher subjektiver Partien nimmt Lucan gegenüber seinen epischen Vorgängern und auch Nachfolgern eine entschiedene Sonderstellung ein 11 . Das Ganze ist also, ein für Lucan höchst charakteristischer Abschnitt, charakteristisch auch in der überlegten Art seiner Disposition: A

7,680—689

10

Der von Pompeius in der Niederlage bewahrte Gleichmut (zugleich Überleitung von I)

Die folgende Dreiergliederung hat schon W. Rutz, Diss. Ausz. 194 erkannt. Daß Lucan von der Flucht des Pompeius in einseitig apologetischer Weise handelt, bedarf im übrigen wohl keiner weiteren Darlegungen. Das Angebot konkurrierender Entschuldigungen 7,669-677 zeugt dabei von einer gewissen Verlegenheit des Dichters. 11 Zu der Praxis Lucans etwa W. Rutz, Diss. 85f.; M. v. Albrecht, Lucan 289ff.; allgemein zu der Möglichkeit des epischen Dichters, die objektive Darstellung aufzugeben R. Heinze, Virgils epische Technik 370ff.; W. Kroll 27. Relativ stark berührt sich mit Lucans subjektiver Art Ovid in den Metamorphosen; dazu H. Frankel, Ovid. Ein Dichter zwischen zwei Welten, Darmstadt 1970, Anm. 239.

Dritter Teil 3.2.1.

Β

7,689-697

C D

7,698-706 7,706-711

239

Die Rettung der Freiheit als durch Pompeius' Flucht offengelegtes Ziel des Kampfes mit Caesar Glück des Besiegten und Unglück des Siegers Aufforderung an Pompeius, im Hinblick auf Mitleid und Beistand anderer in jeder Hinsicht Gleichmut zu bewahren (zugleich Überleitung zu III)

Der Einschnitt zwischen Β und C fallt mit dem Versende zusammen, die beiden anderen Einschnitte liegen innerhalb der Verse. Dennoch gehören A und D auf der einen Seite, Β und C auf der anderen eng zusammen. Für A ergibt sich eine gewisse Absonderung gegenüber Β - freilich gleichfalls gegenüber den folgenden Abschnitten — schon durch den Moduswechsel. Denn während A die Anrede in indikativischer Form bietet, setzt mit Β die bis zum Schluß immer wieder verwendete Imperativische Anrede ein. Entscheidend aber sind für die konstatierte Zusammengehörigkeit inhaltliche Gründe. In A und D wird die standhafte Haltung gekennzeichnet, die Pompeius behält (A) oder behalten soll (D). In beiden Partien kreisen die Gedanken um die Person des Feldherrn selbst, dessen Geschick beidemal als Unglück aufgefaßt wird. In Β und C geht es demgegenüber nicht oder jedenfalls nicht unmittelbar um die Haltung des geschlagenen Feldherrn, vor allem aber werden seine Flucht und Niederlage als eine Art Glück begriffen. Nunmehr rückt auch Rom und seine republikanische Verfassung in den Blickpunkt des Interesses, indem die echte Bewährung des Senats (B) betont wird und das Unheil, das die blutige Schlacht für Rom bedeutet, gleichgültig, wer der Sieger ist (C); ein Unheil, welches Pompeius zu seinem Glück nicht in Rom selbst voll erleben m u ß 1 2 . In Β und C liegt also auch ein Trost für den Unterlegenen. Insofern kann man die zwei Passagen als Ermunterung zu der in D geforderten Einstellung auffassen und in ihnen nun doch einen Bezug auf Pompeius' Festigkeit entdecken, aber eben einen indirekten. Lucan macht, wie es seine Art ist, die Funktionsverwandtschaft von A und D mithilfe sprachlicher Mittel sinnfällig und faßt so durch eine starke Rahmung die gesamte Partie II zu einem Komplex zusammen. Einmal aufgewiesen, ist die sprachliche Verknüpfung von A und D evident. II A 7,680 7,682f. 7,685ff.

non gemitus, non fletus non

erat. }!}Ρ.Ψ.? voltu

aspicis Emathiam. quamque fuit laeto per tres infida triumphos tarn misero Fortuna minor, iam pondere fati deposito securus abis.

12 Lucan bedient sich dabei anscheinend geprägter Gedanken und Formulierungen. Man vergleiche 7,706 vincere peius erat (ähnlich 7,122f.) mit Sen. epist. 14,13 über Caesar und Pompeius: potest melior vincere, non potest non peior esse qui vicerit. Ferner Sen. Phoen. 491f. Weiteres bei A. W. Lintott 495.

240

Dritter Teil 3.2.2.

II D 7,706ff.

prohibe lamenta sonare fiere veta populos, lacrimas luctusque remitte. tam mala Pompei quam prospera mundus adoret. aspice securus voltu non supplice reges 710 aspice possessas urbes donataque regna, Aegypten Libyamque, et terras elige morti.

In Β und C erscheinen an Wörtern, die die paronomastischen oder wörtlichen Wiederholungen des Vokabulars von A und D verdunkeln könnten, nur flebilis (7,691) und non (7,694); doch ist die bedeutsamere Wiederholung des letzteren Wortes wegen der Ähnlichkeit der Junkturen von 7,682 und 7,709 unzweifelhaft. Es handelt sich also um eine tetradische Ringkomposition: Α

Β

C

D

Der Typ begegnet auch an anderen Stellen bei Lucan, so wenig vorher 7 , 4 3 2 459 13 . Während der Konnex zwischen A und D durch sprachliche Verbindungen besonders eng gestaltet ist, fehlt ein derartiges Band zwischen Β und C. Auch die inhaltliche Verknüpfung der beiden Mittelabschnitte ist deutlich erkennbar nur vor dem Hintergrund der zwei Eckpartien. Über das Ausgeführte hinaus sind Β und C daher nicht notwendig in einen interpretatorischen Zusammenhang zu rücken. Beschränken wir uns der Kürze halber auf die Betrachtung von B. 3.2.2. Libertas et Caesar: Lucan.

7,689-697

fuge proelia dira 690 ac testare deos nullum, qui perstet in armis, iam tibi, Magne, mori, ceu flebilis Africa damnis et ceu Munda nocens Pharioque a gurgite clades, sie et Thessalicae post te pars maxima pugnae non iam Pompei nomen populare per orbem 695 nec Studium belli, sed par quod semper habemus, Libertas et Caesar, erit; teque inde fugato ostendit moriens sibi se pugnasse senatus. Man sieht, daß, wiederum durch Wortwiederholungen markiert, der Schlußgedanke des Abschnitts den Anfangsgedanken wiederaufgreift. Der Sinn der Ringkomposition enthüllt sich erst bei genauerer Interpretation. 15

Darüber unten 4.4.2.2. Ähnlich auch die Gliederung von 1,314-335 und 1,678-694, wozu im Zweiten Teil 2.2.4.1 und 3.2.2 mit Anm. 15.

Dritter Teü 3.2.2.

241

Im Zentrum von I steht 7 , 6 5 9 - 6 6 9 ein Passus, der Pompeius' Wunsch und Bemühung schildert, seine Leute nicht weiterhin in den sicheren Tod stürzen zu lassen. Der Feldherr wendet sich flehentlich an die Götter, sie möchten dem Gemetzel ein Ende bereiten, und hält die Soldaten sogar selbst zurück, 7,667ff.: adflictas omni iam parte catervas circumit et revocai matura in fata mentis seque negat tanti. Der Anfangssatz 7 , 6 8 9 - 6 9 1 von II Β führt scheinbar lediglich die im Mittelabschnitt von I stehende Darstellung weiter; das wiederholte Motiv des Götteranrufs ist geeignet, diese Deutung zu bekräftigen. Der Beginn von II Β legt, so scheint es, alles Gewicht auf Pompeius' Unschuld an dem weiteren Morden. Die Pompeianer sind es selbst schuld, wenn sie gegen den erklärten Willen ihres fliehenden Feldherrn weiterhin im Kampfe fallen, ein sinnloses Sterben, das dem Pompeius nicht mehr dienen kann. Zu dieser Auslegung also ist man versucht, und auch die folgenden Hexameter 7,692—694 raten in keiner Weise von ihr ab. Erst mit dem Vers 7,695 wird der Leser unsicher. Was soll denn die Pompeianer ohne ihr Parteihaupt zum Kampf veranlassen, wenn nicht das Studium belli? Der zunächst unklare Rest des Hexameters spannt die Erwartung, ohne eine Aufklärung zu bringen. Erst der vorletzte Vers löst das Rätsel: Die Pompeianer tragen den ewigen Kampf zwischen der Freiheit und der Alleinherrschaft der Caesaren aus 14 . Jetzt rücken auch die Verse 7 , 6 8 9 - 6 9 1 in ein neues Licht. Wenn Pompeius die Götter zu Zeugen anrufen soll, daß nach seiner Flucht niemand mehr seinetwillen stirbt, so soll er damit bezeugen, daß von nun an, was vorher hätte bezweifelt werden können, alle Sterbenden den Tod eindeutig nur für die Freiheit erleiden. Der Gedanke, Pompeius solle von der Schuld an der fortgeführten Vernichtung seiner Soldaten freigesprochen werden, erweist sich jetzt als inkorrekt. Die Möglichkeit einer solchen Schuld ist ja dadurch ausgeschlossen, daß Caesars Gegner keinen sinnlosen Tod erleiden; fallen sie doch eben für die Freiheit. Die Schlußsentenz 7,696f. harmoniert mit den soeben vorgetragenen Gedanken aufs beste. Der Senat, der die republikanische libertas verkörpert, zeigt, indem er nach Pompeius' Flucht weiterstirbt, daß er schon vor der Flucht des Feldherrn sich nicht für diesen aufgeopfert hat, sondern für sich selbst und damit für die Freiheit. Damit ist zugleich gesagt, daß das Heer des Pompeius in seiner entscheidenden Gruppe das Heer der Freiheit ist. Der Kampf der Gegner Caesars ein Kampf für die Freiheit: das ist die grundlegende Vorstellung die Anfang und Ende von II Β miteinander gemeinsam haben. Auf diese Gemeinsamkeit wird der Leser durch die sprachlichen Beziehungen hingewiesen. 14 Die Konstraktion 7,691-696 hat Α. E. Housman z.St. erklärt: „ut Thapsi Mundae Alexandreae sic post Pompei fugam in proelio Pharsalico non favor in eum popularis aut bellandi Studium quod utrumque iam sublatum est, in causa erit cur usque pugnetur, sed immortale libertatis cum Caesare certamen."

16 Lcbck (Hyp. 44)

242

Dritter Teil 3.2.2.

Wenn man die Pompeiuskonzeption des Abschnitts II Β mit dem Pompeiusbild vergleicht, das Lucan in der Rede 7 , 3 4 2 - 3 8 2 erstehen läßt, dann konstatiert man eine gewisse Diskrepanz. In der Rede wird Pompeius mit großer Eindringlichkeit als Verteidiger der Freiheit gezeichnet, dem Machtgelüste fremd sind. Der Passus II Β stellt Pompeius zwar nicht negativ dar, aber er unterläßt es doch, den Feldherrn als Verteidiger der Freiheit zu kennzeichnen. Genaugenommen m u ß sich die Freiheit bei Pompeius in zumindest zweifelhafter Obhut befunden haben, wenn erst nach seinem Weichen unmißverständlich erkannt werden kann, daß der Senat nur für sich selbst gekämpft hat. Ist damit die vorgetragene Interpretation der Pompeiusrede widerlegt? Der Antagonismus Libertas et Caesar, den Lucan 7,696 formuliert, weist uns auf den richtigen Weg. Caesar enthüllt sich in seiner Rede 7 , 2 5 0 - 3 2 9 als verbrecherischen Feind der Freiheit. Ihre Beseitigung und die Aufrichtung seiner Alleinherrschaft ist sein erklärtes Ziel. Der Gegensatz Caesar — Freiheit würde seine Klarheit und Schärfe verlieren, wenn Pompeius als der Führer der Gegenpartei sich nicht eindeutig für die Freiheit schlüge; denn dann würde der Kontrahent des Pompeius seinerseits auch bis zu einem gewissen Grade als Widersacher des regnum und damit der Unfreiheit erscheinen können. In dieser letzteren Weise treten Caesar und Pompeius einander in ihren ersten Reden 1,299— 351 und 2,531—595 gegenüber, weil eben der Dichter in den Anfangspartien den von Caesar geführten Krieg noch nicht wesenhaft als Bekämpfung der libertas konzipiert. Das ist im 7. Buch ganz anders. Die Prämisse, daß es in Pharsalos um nichts anderes als Erhaltung oder Verlust der Freiheit geht, nötigt somit im 7. Buch dazu, Pompeius unmißverständlich als Vertreter der Freiheit zu charakterisieren — aber das nur, solange er der Gegenspieler Caesars ist. In dem Augenblick, in dem Pompeius als Widersacher Caesars von der Bühne abtritt, im Augenblick seiner Flucht also, fällt der Zwang weg, der in der Prämisse liegt. Die Verteidigung der Freiheit ist nun in andere Hände gelegt. Jetzt kann das ursprüngliche Pompeiusbild Lucans wieder zum Vorschein kommen. Dieses Bild zeigt Pompeius als einen Mann, der zwar in vieler Hinsicht Caesar vorzuziehen, aber doch Inhaber einer überragenden Stellung ist, die die republikanische libertas gefährdet oder beeinträchtigt, und der von weitergehendem Ehrgeiz keineswegs frei ist. Die Schwankungen, denen das Verhältnis des Pompeius zur Freiheit unterworfen sind, können also nicht etwa als Ausdruck von Pompeius' Charakterentwicklung aufgefaßt werden. Sie sind vielmehr die notwendige Folge der unterschiedlichen Bedeutung, die der Dichter in verschiedenen Teilen des Epos der Freiheit beimißt. Lucan ist die Uneinheitlichkeit seiner Pompeiuskonzeption nicht entgangen. Das ist gerade an dem Ausgleich zu erkennen, den der Dichter in der Oratio funebris auf Pompeius versucht, die er 9 , 1 9 0 - 2 1 4 Cato in den Mund legt. Daß Cato die Meinung des Dichters ausspricht, ist von vornherein klar und wird durch die Bemerkungen bestätigt, mit denen die Catorede eingeleitet wird, 9,188f.:

Dritter Teil 3.2.2.

243

pauca Catonis verba sed a pleno venientia pectore veri. Der Hauptteil der Rede 9,190-207 ist durch gleichartige Gedanken gerahmt, deren Hauptbegriffe durch Wiederholung an jeweils gleicher Versstelle betont werden. Diese markanten Abschnitte der Laudatio funebris verdienen unser besonderes Interesse. Zunächst der Anfang der Rede und des Hauptteils, 9,190ff.: ,civis obit ' inquit ,multum maioribus inpar nosse modum iuris, sed in hoc tarnen utilis aevo, cui non ulla fuit iusti reverentia; salva liberiate potens et solus plebe parata privatus servire sibi rectorque senatus 195 sed regnantis erat. ' Das Ende des Hauptteils lautet folgendermaßen, 9,204ff.: ,olim vera fides Sulla Marioque receptis 205 libertatis obit: Pompeio rebus adempto nunc et ficta périt, non iam regnare pudebit, nec color imperii nec frons erit ulla senatus. ' Eine intensive Interpretation auch nur der ausgeschriebenen Verse würde zu weit führen. Für unsere Zwecke genügt es, wenn wir uns auf einen Begriff konzentrieren, den Lucan besonders hervorhebt. 9,192f. salva liberiate: das klingt so, als sei die republikanische Freiheit unter dem Prinzipat des Pompeius völlig unangetastet. Aber 9,204ff. enthüllt sich, daß die echte Freiheit bereits seit Marius und Sulla nicht mehr vorhanden ist. Indem Lucan unter Pompeius eine ficta libertas existieren läßt, erweckt er wiederum den Anschein, als sei die Freiheit selbst in dieser Periode noch einigermaßen befriedigend garantiert gewesen, und verschleiert so den Widerspruch zwischen der Ansicht, die vera fides libertatis sei schon vor Pompeius geschwunden, und der Behauptung, Pompeius sei salva libertóte potens. Aufgehoben ist der Widerspruch damit natürlich nicht; denn eine vorgetäuschte Freiheit ist eben keine heile und unverletzte Freiheit. Lucan sucht in der Laudatio funebris also die zwei kontradiktorischen Vorstellungen zu vereinen. Gelingen konnte der Versuch nicht. Mit all dem ist die Diskrepanz, die die Pompeiuskonzeption des Abschnitts II Β (7,689-697) gegenüber derjenigen der Rede 7,342-382 aufweist, bis zu einem gewissen Grade, aber doch noch nicht hinlänglich erklärt. Hätte es für den Dichter nicht nahegelegen, wenigstens im 7. Buch die dort zu Beginn zugrundegelegte Vorstellung beizubehalten? Wenden wir den Blick noch einmal zu dem Anfangssatz von II Β (7,689— 691) zurück. Er schien in unserer ersten Interpretation lediglich Pompeius von aller Schuld an dem weiteren Untergang seiner Partei freisprechen zu sollen. Der Vers 7,696 nötigte schließlich, nachdem schon eine Zeile vorher Unsicher-

244

Dritter Teil 4.1.1.

heit aufgekommen war, zum Umdenken. Aber die erste Interpretation drängt sich anfanglich so stark auf, daß sie von Lucan intendiert sein muß. Offenbar lenkt der Dichter die Gedanken des Lesers mit voller Absicht in die verkehrte Richtung, damit die Idee der Freiheit und ihres Gegensatzes zu Caesar und den Caesaren dem Leser überraschend und damit besonders eindringlich zum Bewußtsein kommt. Um zu Pompeius zurückzukehren: es wäre unmöglich gewesen, den Begriff libertas in einer derart unerwarteten Umwendung des Gedankens zu präsentieren, wenn Pompeius bereits unmittelbar vorher dem Leser als Verteidiger der Freiheit vorschwebte. Das Streben nach dem Überraschungseffekt nötigt also dazu, diese Pompeiuskonzeption aufzugeben. Auf den Inhalt der ersten Hexameterhälfte von 7,696 kommt es Lucan, wie die wohlvorbereitete Pointierung indiziert, besonders an. Wieder wird also an markanter Stelle die Freiheit genannt, wieder wird Caesar in diametralen Gegensatz zu der Freiheit gestellt, wieder wird mit der gesamten Folgezeit nach Pharsalos auch Lucans eigene Gegenwart ins Auge gefaßt: Die Periode nach Pharsalos ist auf immer durch den unversöhnlichen Gegensatz von Prinzipat und republikanischer Freiheit gekennzeichnet 15 . Und wenn Caesar in einem Wort den Caesar der Pharsalia und den Kaiser in sich umgreift, so wird dem Princeps dieselbe Haltung wahnsinniger Bosheit unterstellt, die dem Freiheitsgegner Caesar eignet. Lucan hebt die Bedeutung, die der Gegensatz „Princeps libertas" für seine eigene Epoche hat, und den Umstand, daß er auch persönlich von diesen Verhältnissen betroffen ist, durch die 1. Person Plural habemus (7,695) hervor. Es ist das einzige Mal in dem ganzen Pompeiusabschnitt 7,647727, daß er selbst in der 1. Person spricht. Ganz ähnliche Ausdrücke der Anteilnahme des Dichters finden sich auch in anderen Zusammenhängen des 7. Buches, in denen er von der Freiheit handelt.

4. Der Freiheitsgedanke in der Schlacht bei Pharsalos 4.1.

Der Aufbau der Schlachtdarstellung Lucan. 7,385—646

4.1.1. Lucan und Vergil Die Schilderung der eigentlichen Katastrophe von Pharsalos umfaßt die Verse 7,385—646. Die Partie konstituiert zusammen mit der Schilderung des beider15 G. Pfligersdorffer 364 (ebenso R. Rieks 180) möchte in etwas undurchsichtiger Darlegung Libertas 7,696 als „die letzte innere Freiheit" ausdeuten. Schwerlich richtig. Gemäß 7,696f. zeigt sich durch und nach Pompeius' Flucht, daß der Senat für sich gekämpft hat, also für den Erhalt der überragenden politischen Bedeutung des Senats. Dieser Kampf des Senats ist identisch mit der pars maxima pugnae 7,693, die in dem „Gladiatorenpaar" Libertas et Caesar ewige Dauer erhält. Die Libertas kann dann nur die veritable politische Freiheit sein, die sich für Lucan in den Rechten des Senats konkretisiert.

Dritter Teil 4.1.1.

245

seitigen Truppenaufmarsches und der Feldherrnreden 7 , 2 1 4 - 3 8 4 den großen Mittelabschnitt des 7. Buches. Die Schlachtdarstellung selbst weist folgende Tektonik auf: I II

7,385--459 7,460--505

III

7,506--544

IV

7,545--616

V

7,617--646

Reflexion über die Folgen von Pharsalos Kampfbeginn und Überlegenheit der heranstürmenden Caesarianer über die stehengebliebenen Pompeianer Angriff und Niederlage von Reiterei und Hilfstruppen des Pompeius Vordringen Caesars in den pompeianischen Heereskern und dessen Niederlage Allgemeine Charakteristik der Schlacht und Reflexion über die Folgen

Lucan kommt es in dieser Grobstruktur auf ausgewogene Verszahlen nicht an. Unter inhaltlichem Aspekt aber ist ein gewisses Streben nach Symmetrie nicht zu verkennen. Die beiden äußeren Partien I und V bieten keine Schlachtdetails, sondern sind generell beschreibender oder räsonnierender Art. Die drei dazwischenstehenden Abschnitte enthalten die eigentliche Kampfdarstellung; II und IV zeigen die Caesarianer und Caesar als angreifende Partei, der Mittelteil III beschreibt einen — freilich schnell gescheiterten — Angriff der pompeianischen Seite. Die Partien II und III stimmen soweit ihr Inhalt skizziert wurde, im wesentlichen mit der Tradition überein und lassen in Lucan einen guten Kenner der historischen Vorgänge vermuten. Um so bemerkenswerter ist die Divergenz, die zwischen der Darstellung des Dichters und der der Historiker im Abschnitt IV besteht. Es ist nämlich schwer zu sehen, auf welches besondere geschichtliche Stadium der Schlacht sich Caesars Eindringen in das robur Magni (7,545) und sein Wüten in diesem Teil des gegnerischen Heeres beziehen sollte Vergleichbare Abweichungen von der historischen Überlieferung waren bereits in der Schilderung zu konstatieren, die Lucan der Eröffnung des Bürgerkriegs widmet. Dort ist die tektonische Nachahmung der Kriegseröffnung, die Vergil im 7. Buch der Aeneis gestaltet, Grund für die Deformation des Traditionsbestandes gewesen. Eine ähnliche Einwirkung Vergils ist gleichfalls in der Darstellung der Schlacht bei Pharsalos im Spiele. Die feindlichen Heere, so erzählt Lucan im Beginn von II, zögern mit dem Angriff. In erregter Apostrophe wird 7,470ff. der Mann genannt, der den Kampf eröffnet, der Caesarianer Crastinus, 7,472f.: 1

Mit Lucans Schlachtschilderung halte man zusammen z.B. Caes. civ. 3,92; 93,3-94,2; Plutarch, Caesar 44,7; 45; Pompeius 7If.; Appian b. c. 2,78,327-81,344. Beachtlich die Darstellung Lucans 7,489-491, daß die Soldaten schnell zum Nahkampf mit den Schwertern übergingen. Dieses Detail ist anscheinend sonst nur·noch Caes. civ. 3,93,If. Uberliefert. Vielleicht möchte man meinen, daß Lucan. 7,545-616 sich auf den Schlachtverlauf nach dem Eingreifen von Caesars dritter Schlachtreihe (Caes. civ. 3,94,If.) bezieht. Aber der Dichter sagt eben nichts vom entscheidenden Eingreifen der tertia acies.

246

Dritter Teil 4.1.1.

cuius torta manu commisti lancea bellum primaque Thessaliam Romano sanguine tinxit. Erst nach dem Lanzenwurf ertönen Kriegssignale und Feldgeschrei, 7,475ff.: tum stridulus aer elisus lituis conceptaque classica cornu eqs. 480 excepit resonis clamorem vallibus Haemon eqs. Mit dieser Reihenfolge steht Lucan allein gegenüber den sonstigen Berichterstattern, die, soweit sie im Detail berichten, das Vorwärtsstürzen des Crastinus nach den offiziellen Kampfbeginn setzen. Das erste und entscheidende Kampfzeichen bedeutet nun der Lanzenwurf des Tolumnius Verg. Aen. 12,266ff. Tolumnius stört den feierlichen Vertragsabschluß, der den Zweikampf zwischen Turnus und Aeneas besiegeln und seine Folgen rechtlich festlegen soll, und beschwört damit neue Kampfhandlungen herauf: dixit et adversos telum con tor sit in hostis procurrens; sonitum dat stridula cornus et auras certa secat. simul hoc, simul ingens clamor et omnes turbati cunei calefactaque corda tumultu. Man hat gewiß mit Recht angenommen, daß die Kampferöffnung durch Crastinus der Tolumniushandlung nachgebildet ist 2 , zu der sie auch gewisse sprachliche Beziehungen hat, allerdings nicht sehr signifikante. Die Beobachtung dieses Vergilischen Einflusses gewinnt aber erst ihren eigentlichen Wert, wenn sie in den rechten Zusammenhang gerückt wird. Im Abschnitt IV findet sich ein auffallendes Stilphänomen: ein Gleichnis. Auffallend ist das epische Ingrediens deshalb, weil es der einzige explizite Vergleich in der gesamten Schlachtdarstellung 7,385—646 ist. Es geht um das Wirken Caesars, 7,567ff.: quacumque vägatur, sanguineum veluti quatiens Bellona flagellum Bistonas aut Mavors agitans si verbere saevo 570 Palladia stimulet turbato s aegide cur rus, nox ingens scelerum est. Das ist die einzige Stelle, in der Lucan das Gleichnis des Kriegsgottes verwendet. Das Gleichnis ist auch traditionsgeschichtlich bemerkenswert. Es gibt nämlich vor Lucan manche Aresgleichnisse in der griechischen, aber anscheinend nur eines in der erhaltenen lateinischen Epik, und zwar bei Vergil. Und dieses 2 W. Rutz, Diss. 67; schon M. Wuensch 12 hat dargelegt, daß die Crastinusepisode in der Pharsalia an anderem Ort eingeordnet ist als in der sonstigen Tradition. K. Seitz, Hermes 93, 1965, 216ff. interpretiert den Lucanpassus zusammen mit Vergils Tolumnius- und Homers Pandarosszene unter dem Aspekt des Pathos.

Dritter Teil 4.1.1.

247

Vergilische Gleichnis ist zugleich wohl das einzige in der griechisch-lateinischen Epik vor Lucan, in dem der Kriegsgott als Wagenlenker dargestellt wird 3 . Die Aeneispassage gehört in einen Handlungszusammenhang mit dem Lanzenwurf des Tolumnius. Nachdem der Kampf zwischen Troianern und Latinern neu begonnen hat und Aeneas, durch einen Pfeil verwundet, sich hat zurückziehen müssen, greift Turnus auf seinem Kampfwagen ein. Er richtet unter den Troianern ein entsetzliches Blutbad an, 12,329ff.: aut agmina curru 330 proterit aut raptas fugientibus ingerii hastas. qualis apud gelidi cum flumina concitus Hebri sanguineus Mavors clipeo increpat atque furentis bella movens immittit equos, illi aequore aperto ante Notos Zephyrumque volant, gemit ultima pulsu 335 Thraça pedum circumque atrae Formidinis ora Iraeque Insidiaeque, dei comitatus, aguntur: talis equos alacer media inter proelia Turnus fumant is sudore quatit. .. 341 iamque neci Sthenelumque dedit Thamyrumque Pholumque, hunc congressus et hunc, illum eminus; eminus ambo Imbrasidas, Glaucum atque Laden eqs. Der Marsvergleich Lucans stammt aus der ausgeschriebenen Aeneissteile 4 . Durch sie ist Lucan veranlaßt worden, den currus in das Gleichnis einzubeziehen. Die Verwendung des bei Lucan fast singulären Mavors5 erklärt sich wohl ebenfalls durch Vergils Vorbild. Aber wie kommt Lucan dann zu dem Bellonavergleich? Dieser Textteil macht weiter Vergil als Basis der Lucanpassage wahrscheinlich. Es handelt sich hierbei um Aen. 8,698ff.: omnigenumque deum monstra et latrator Anubis contra Neptunum et Venerem contraque Minervam 700 tela tenent. saevit medio in certamine Mavors caelatus ferro, tristesque ex aethere Dirae, et scissa gaudens vadit Discordia palla, quam cum sanguineo sequitur Bellona flagello. Die sprachlichen Kongruenzen dürften an dem Imitationsverhältnis kaum Zweifel lassen6. Vielleicht ist Lucan durch die Erwähnung Minervas Aen. 8,699 3 Später wird Scipio Sil. 17,487ff. mit Mars verglichen. Speziell der wagenlenkende Kriegsgott findet sich bei Quintus Smyrnaeus 9,218ff. 4 Die zwei Gleichnisse hat schon W. Rutz, Diss. 80f. nebeneinandergestellt; M. v. Albrecht, Lucan 283 hat dann ausdrücklich das Imitationsverhältnis konstatiert. 5 Nur noch 10,206, und zwar als Name des Gestirns. 6 Die Übereinstimmung von 7,568 mit Aen. 8,703 ist auch von Ed. Fraenkel, Lucan. 25f. bemerkt worden. Fraenkel macht weiter darauf aufmerksam, daß das freie Vergilzitat Senecas dial. 4,35,6 Lucans Formulierung noch näher steht: sanguineum quatiens dextra

248

Dritter Teü 4.1.2.

dazu angeregt worden, sich das Gespann des Mars als Palladia aegide bekämpft vorzustellen. Wie dem auch sein mag: als wesentliches Ergebnis gilt festzuhalten, daß Lucan in die Partien II (7,460-505) und IV (7,545-616), also in das Anfangs- und Endstadium des Kampfes, Vergilische Elemente insbesondere aus dem 12. Buch der Aeneis eingebracht hat. Das ist kein bloßes imitatorisches Spiel. Der Larizenwurf des Tolumnius bedeutet den Bruch von foedus und leges (Aen. 12,314f.) und einen rechtswidrigen Kriegsbeginn. Daß Turnus die Troianer niedermetzelt, ist die Konsequenz und der Erfolg des Unrechts. Die vergilische Komponente kennzeichnet somit jeweils das verbrecherische Wesen auf der Seite Caesars und seiner Leute. Dementsprechend werden in II und IV mehrfach die Ausdrücke Raserei und Verbrechen auf Caesar und die Caesarianer angewendet 7 . In der mittleren Partie III fehlt derartiges durchaus. An diesem Punkt der Überlegungen lohnt es sich, die von Lucan aufgegriffenen Vergilstiicke einmal in dem Zusammenhang zu betrachten, in dem sie in der Aeneis stehen: I

Aen. 12,257—310

II

Aen. 12,311—323

III

Aen. 12,324—382

Der Lanzenwurf des Tolumnius und der erneute Ausbruch des Kampfes Beschwichtigungsversuch und Verwundung des Aeneas Morden des Turnus unter den Troianern

Man sieht sofort, daß der mittlere Vergilteil II dem mittleren Lucanteil III (7,506-544) homolog ist. Hier wie dort handelt es sich um einen Versuch, dem Unrecht Widerstand zu leisten; hier wie dort scheitert der Versuch. Lucan hat somit die Grundstruktur von Aen. 12,257-382 dem Bau der eigentlichen Darstellung des Kampfes 7,460—616 zugrundegelegt. Es ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, daß Lucan bereits in dem ersten Gleichnis der epischen Erzählung 1,205-212 auf das 12. Aeneisbuch, genauer auf das Gleichnis 12,4-8 zurückgegriffen hatte. 4.1.2. Silius Italicus als

Interpretationshilfe

Es ist natürlich nicht beweisbar, daß der zeitgenössische Leser die aufgewiesenen Imitationsbezüge leicht durchschaut hat. Aber daß die Gestaltungsweise Lucans hier prinzipiell durchaus nachzuvollziehen war, lehrt Silius Italicus. Er hat nämlich seinerseits den Anfang der Belagerung Sagunts im Anschluß an die Bellona flagelium. Lucan habe die intensivierte Vergilfassung Senecas übernommen. Das ist wahrscheinlich, aber dennoch wird dem vorzüglichen Vergilkenner Lucan zugleich die von Seneca umgebildete Aeneisstelle selbst vorschweben, und er damit rechnen, daß die Imitation bei dem gebildeten Leser den Gedanken an Vergil wachruft. 7 Nur von der Reiterei des Pompeius wird 7,509 gesagt, daß sie saevas ... manus inmittit in hostem. Meine Bemerkungen setzen die von A. E. Housman und anderen vorgeschlagene Umstellung von 7,514-520 nach 7,488 voraus, die freilich nicht unbestritten ist. Vgl. etwa M. Wuensch 28ff.

249

Dritter Teil 4.1.2.

angeführte Vergilstelle Aen. 12,257-382 gestaltet, und das partiell aus denselben Gründen wie Lucan. Mit der Belagerung bricht ja Hannibal rumpere foedera certus (Sil. 1,268) den Vertrag mit den Römern, wie Silius nochmals 1,296 bei Beginn der eigentlichen Belagerungsschilderung programmatisch zu verstehen gibt; er führt ein iniustum bellum (Sil. 1,539). Freilich kommt bei Silius noch hinzu, daß die saguntinische Bevölkerung rutulisches Blut in sich hat. Der Dichter verdeutlicht das Liv. 21,7,2 entnommene Faktum mit einer pointierten Anspielung auf die Aeneis. Denn den Schluß des Geschichtsabrisses bildet Sil. 1,293 der Hinweis, daß einen Teil der Bevölkerung geschickt habe magnanimis regnata viris clarum Ardea

nomen.

Das ist die Variation der Vergilworte Aen. 7,41 lf., die dem ersten Auftreten des Turnus vorausgehen: locus Ardea quondam dictus avis, et nunc magnum manet Ardea

nomen.

Wir verstehen: das Turnusgeschehen wiederholt sich — aber unter verkehrten Vorzeichen. Der Anfang von Sagunts Belagerung wird in einer Schilderung etwa folgender Makrostruktur vorgeführt: I II III

Sil. 1,296—375 Sil. 1,376-420 Sil. 1,426—517

Kampfbeginn und Zusammenbruch eines Mauerteils Aristie des Saguntiners Murrus Aristie Hannibals und Bezwingung des Murrus

Die inhaltliche Gesamtbewegung des geschilderten Teils ist der von Aen. 12,257-382 recht ähnlich. Die Siliuspartien I und III stellen im wesentlichen den Erfolg des Unrechts dar: II schildert den bisher stärksten Widerstand der saguntinischen Seite, der - hierin nun nicht mehr in Analogie zur Vergilpartie II - allerdings erst in III gebrochen wird 8 . Mögliche Zweifel an der vergilischen Tektonik der Siliusperikope dürften verstummen, wenn einige Details berücksichtigt werden. Der erste kriegerische Akt vor Sagunt ist ein tödlicher Lanzenwurf Hannibals. Ihm erst folgt unter Geschrei der punische Angriff, Sil. l,304ff.: (Hannibal) verba ocius acer intorto sancii iaculo figitque per arma stantem pro muro et minitantem vana Caicum. concidit exacti medius per viscera teli, effusisque simul praerupto ex aggere membris victori moriens tepefactam rettulit hastam. 310 at multo ducis exemplum clamore secuti involvunt atra telorum moenia nube. 305

8

Die vorgelegte Dispositionsskizze basiert auf dem Text der Teubnerausgabe von L. Bauer. Livius bietet für den Lanzenwurf Hannibals und die Murruserzählung keine Basis.

250

Dritter Teil 4.1.2.

Wenn es auch an auffalligeren sprachlichen Berührungen der Siliusverse mit Vergils Tolumniusepisode fehlt, so ist doch nach dem Fingerzeig, den Silius 1,293 gegeben hat, die Nachahmung der Vergilpassage gewiß. Am Beginn von I verwendet also Silius wie Lucan am Beginn von II zu Anfang der Kampfhandlungen den kriegseröffnenden Lanzenwurf der Vergilszene I 9 . Der Siliusabschnitt III beginnt mit der Erzählung von Hannibals kriegerischem Wüten, das l,433ff. so veranschaulicht wird: quantus Bistoniis late Gradivus in oris belligero rapitur curru telumque coruscans, 435 Titanum quo pulsa cohors, flagrantia bella cornipedum afflatu domat et stridoribus axis, iamque Hostum Rutulumque Pholum ingentemque iam Lygdum Duriumque simul flavumque Galaesum et geminos, Chromin atque Gyan, demiserat umbris.

Metiscum

Das ist, wie man sieht, eine Imitation des Marsvergleichs Verg. Aen. 12,33Iff.; Sil. l,437ff. schließt sich engstens an Aen. 12,341 ff. an, wobei der Tod des Rutulers (!) Pholus wieder die Umkehrung der Parteien gegenüber dem Aeneispendant in Erinnerung ruft. Dieselbe Funktion hat der Name Metiscus\ denn so heißt ja Turnus' Wagenlenker, dessen Gestalt Iuturna Aen. 12,468ff. annimmt. Interessant ist, daß Silius mit einem bei Vergil fehlenden Adjektiv von den Bistoniae orae spricht und den currus in den Vergleich einbezieht, was Vergil nur indirekt tut. Silius steht mit diesen Eigentümlichkeiten Lucan. 7,569f. nahe. Sollte er auch die Lucanstelle verwertet haben? Das mag dahingestellt bleiben. Sicher ist jedenfalls, daß der Punicaabschnitt III mit der Variation des Vergleichs eröffnet wird, der den Aeneisabschnitt III einleitet. Silius bedient sich somit auch hierbei einer ähnlichen Imitationstechnik gegenüber Vergil wie Lucan in der Partie IV. Mit der Anfangsstellung des Marsvergleichs stehen die Punica der Aeneis noch näher als der Pharsalia. Dieselbe enge Verwandtschaft der Silianischen und der Vergilischen Szene III zeigt markant die Verwendung des Windvergleichs Aen. 12,365-367 durch Silius 1,468-472 1 0 . Die vergilnahe Konventionalität der Silianischen Darstellung wird eben auf dem Hintergrund von Lucans Schilderung deutlich, wie umgekehrt diese in ihrer kühnen Eigenart, mit der sie sich doch wohl intendiert von Vergils Strukturvorbild abhebt, vor der Folie der Punica besonderes Profil gewinnt. Man denke nur an das Fehlen der epischen Kampfdetails in der Pharsalia, die anonyme Massenhaftigkeit der Schlacht, vor ' Silius verwendet das Motiv noch einmal 4 , 1 3 I f f . , wo der Seher Bogus dem Seher Tolumnius entspricht. 10 Die Vergilischen Vorlagen für Sil. l,437ff. und l,468ff. sowie auch manche anderen Verbindungen zwischen Sil. 1 und Aen. 12 (z.B. Sil l , 3 0 1 f . ~ Aen. 12,52) sind seit langem bekannt. Das zeigt die Ausgabe von Ernesti, Leipzig 1791 passim. Das Imitationsgefüge als Ganzes scheint jedoch noch nicht durchschaut zu sein.

251

Dritter Teil 4.2.1.

allem an das moralische Pathos, das in erregten Ausrufen und Apostrophen, ebenso aber auch in pointierten Concetti, dem Leser das Verbrecherische und Widersinnige des Kampfes zum Bewußtsein bringt 11 . Auf der anderen Seite ist Lucan vergilischer als Silius, wenn er in den Zentren der Vergilimitation von II und IV die epischen Personen wechselt. Der untergeordneten Gestalt des Tolumnius ist Crastinus analog; der führenden Gestalt des Turnus, die Anlaß und Vollender des Rechtsbruchs ist, entspricht Caesar, der Urheber und Nutznießer des verbrecherischen Kampfes. Hier tritt bei Silius jeweils Hannibal ein. Daß in der Lucanszene III, die ungefähr die Funktion der Vergilszene II hat, ein personales Pendant zu Aeneas fehlt, erweist sich nun als sehr charakteristisches Moment. Es gibt eben bei Pharsalos keine Persönlichkeit, die sich in der überlegenen Weise des Aeneas für das Recht einsetzte. Vergilischer als Silius ist Lucan ebenfalls in der klaren triadischen Gliederung seiner Schlachtbeschreibung12.

4.2.

Der Gedanke der Freiheit und die Gestaltung des entscheidenden Schlachtstadiums

4.2.1. Der Aufbau der Partie Lucan. 7,545-616

als „kleiner Pharsalia"

Mit der Schaffung der Szene IV hat sich Lucan, wie ausgeführt, an Vergil angeschlossen. Zugleich paßt natürlich die triadische Gliederung, die sich damit für die Schlacht bei Pharsalos ergibt, zu der sonstigen Vorliebe Lucans für Dreierstrukturen. Zu einer mehrfach zu beobachtenden Ponderierung dieser Lucanischen Tektonik stimmt es auch, wenn auf der letzten Perikope IV das Hauptgewicht liegt - wie gleichzeitig dieser Umstand mit Lucans Vergilnachahmung harmoniert. Aus Lucans Bestreben, dem Teil IV besondere Bedeutung zu geben, erklärt es sich, daß der Dichter gegen die Überlieferung in III den Eindruck erweckt, als handle es sich bei den angreifenden Pompeianem ausschließlich um barbaricae catervae (7,527) 13 . Der Beginn von IV läßt die Folienfunktion von III besonders deutlich werden, 7,545-551 (IV Aa): " Um die Herausarbeitung dieser Gesichtspunkte in der Pharsaliaszene bemüht sich vor allem W. Rutz, Diss. 65ff. unter der Rubrik „Kampfscenen". 12 Wenn die Dreiergliederung des Silius verwischt ist, so hängt das mit der Veränderung von Vergils Personenszenarium zusammen. Nicht nur, daß in Hannibal Vergils Tolumnius und Turnus zusammengeflossen sind, Murrus vereint in sich in gewisser Weise Aeneas und Eumedes. 13 Die bekannte Aufforderung Caesars, nach dem Gesicht der pompeianischen Reiter zu zielen (z.B. Plutarch, Caesar 45,2f.), läßt erkennen, daß zu diesem Truppenteil die römische Jeunesse dorée gehörte. Lucan selbst hat das Strategem zu dem Befehl verdreht, die parentes (7,322) bzw. die Kerntruppe (7,575) ins Gesicht zu schlagen.

252

Dritter Teil 4.2.1.

545 ventum erat ad robur Magni mediasque catervas, quod totos errore vago perfuderat agros constitit hic bellum, fortunaque Caesaris haesit. non illic regum auxiliis collecta inventus bella gerit ferrumque manus movere rogatae: 550 ille locus fratres habuit, locus ille parentis. hic furor, hic rabies, hic sunt tua crimina, Caesar. Bevor der Abschnitt IV im Detail interpretiert wird, sei skizzenhaft der Inhalt des Ganzen referiert: 7,545-- 5 5 6 7,545--551 7,552-- 5 5 6

a b

7,557--581 7,557--567 7,568-- 5 7 0 7,571--581 7,581--616 7,581--598

a b c a α

b

ß Ύ

7,581--585 7,586-- 5 9 6 7,597--598 7,599--616

Einleitung Themenangabe (Propositio) Versprechen des Dichters, die Kampfgreuel zu verschweigen Caesar - sein Handeln und Wirken Darstellung Vergleich Darstellung Senat und Nobilität — ihr Leiden und Sterben Untergang der Senatoren ohne direkte Konfrontation mit Caesar Allgemein Brutus Allgemein Der sterbende Domitius und Caesar

Man sieht ohne weiteres, daß es sich um eine sehr durchdachte Tektonik handelt, bei der auch Korrespondenzen der Verszahlen eine gewisse Rolle spielen. Wenden wir nun den Blick noch einmal zur Einleitung zurück. Die Propositio Aa (7,545—551) nennt die beiden Personenbereiche, die für die folgende Darstellung konstitutiv sein werden. Auf pompeianischer Seite

handelt es sich um eine ganze Gruppe, das robur Magni, die mediae

catervae

(7,545). Damit ist auf C hingedeutet. Auf caesarianischer Seite ist es eine Einzelperson, Caesar selbst ( 7 , 5 5 1 ) . Das weist auf Β hin. Der Anfangsvers von Β ( 7 , 5 5 7 - 5 8 1 ) macht die Rückbeziehung auf die in Aa gegebene Erwähnung und Charakteristik der Einzelperson Caesar besonders sinnfällig, indem er den Wortlaut von 7,551, dem Schlußvers von Aa, anklingen läßt, 7,557:

hic Caesar, rabies populis stimulusque fur o rum eqs. Die beiden Antagonisten werden im ersten und letzten Vers von Aa genannt oder in den Vordergrund gerückt. Auf der Anfangs- und Endzeile dieses Abschnitts, die zusammengenommen bereits eine befriedigende Themenangabe wären, liegt ein merklicher Nachdruck, der Begrenzung und Umfang von Aa besonders akzentuiert. Es ist keine beliebige Versmenge. Die Propositio umfaßt

Dritter Teil 4.2.1.

253

nämlich gerade 7 Verse und hat damit den klassischen Umfang der epischen Themenangabe, an den sich Lucan auch im Pharsaliaproömium hält. Die Bedeutung der Beobachtung wird erst deutlich, wenn wir Ab in die Betrachtung einbeziehen, 7,552ff.: harte fuge mens partem belli tenebrisque relinque. nullaque tantorum discat me vate malorum, quam multum bellis liceat civilibus, aetas. 555 a potius pereant lacrimae pereantque querellae: quidquid in hac acie gessisti, Roma, tacebo. Es ist, wie Quintilian inst. 4 pr. 4 sagt, eine häufige Praxis der Dichter gewesen, ut non solum initiis operum suorum Musas invocarent, sed provecti quoque longius, cum ad aliquem graviorem venissent locum, repeterent vota et velut nova precatione uterentur. Zu den loci graviores, die mit Musenanrufen eingeleitet werden können, gehören auch besonders hervorragende oder entscheidende Schlachtmomente14. Der Passus Ab ist zweifellos so etwas wie ein Musenanruf, jedoch ein in bemerkenswerter Weise umgewandelter. Wenig erstaunen kann nach der Gestaltung des Lucanproömiums, daß der Dichter statt der Muse seine mens apostrophiert 15 . Viel höhere Aufmerksamkeit verdient ein anderer Aspekt der Passage. Die angerufene Muse soll sonst entweder selbst von dem Geschehenen künden oder dem Dichter bei der Erzählung helfen. Lucan fordert dagegen jeglichem Herkommen zuwider seine mens auf, von dem Folgenden zu schweigen. Das Übliche ist nun gewiß nicht lediglich der geistvollen Paradoxie zuliebe in sein Gegenteil verkehrt. Vielmehr liegt in der Umwendung der traditionellen epischen Formel vor allem eine den zeitgenössischen Leser gewiß frappierende und faszinierende Vorbereitung auf die Schrecklichkeit der folgenden Kriegsszene, welche die Anfangs- und die Endzeile 552 und 556 in das Blickfeld rücken; der mittlere Vers 7,554 charakterisiert die bevorstehenden Ereignisse als die furchtbarsten der bella civilia. Zu den 7 Versen Themenangabe (7,545-551) sind also noch 5 Verse (7,552556) hinzugekommen, die die Umwandlung eines Musenanrufs darstellen. Damit sind die 12 Zeilen der Einleitung A eine strukturelle Dublette zu den 12 Anfangsversen Lucan. 1,1-12, die den Aeneisbeginn 1,1—11 imitieren und 14 Z.B. Ilias ll,218ff.; 16,112f.; Hör. sat. l,5,51ff. (Parodie); Verg. Aen. 9,525ff.; 12,500ff. (nur angedeutete Epiklese); Sil. 9,340ff. (vor der Schlacht bei Cannae); Stat. Theb. 7,628ff.; 8,373f.; Nonnos, Dionysiaka 25,253ff. Witzig leitet Cicero Att. 1,16,5 die Darstellung der „Peripetie" im Bona-dea-Prozeß des Clodius mit dem Zitat von Ilias 16,112f. ein. 15 Die Anrede der mens ist für W. Rutz, Diss. 75 das wesentliche Charakteristikum der Stelle; Rutz hat anscheinend als erster bemerkt, daß Lucan. 7,552-556 eine Musenepiklese vertritt. Daß das Verschweigen von römischem Unglück als solches keine Erfindung des Dichters Lucan ist, kann Cic. Manil. 25 illustrieren: sinite hoc loco, Quirites, sicut poetae soient qui res Romanas scribunt, praeterire me nostram calamitatem.

254

Dritter Teil 4.2.2.

variieren. Das Konzentrat des Schreckens, das nach dem Proömium A zu erwarten ist, bedeutet eine Pharsalia in nuce.

4.2.2. Der Einfluß von Aen.

12,324-382

Ebensowenig wie den Aufbau des Gesamtepos versteht man die Tektonik der ,.kleinen Pharsalia", wofern man sie nur isoliert betrachtet. Wenn fast genau in der Mitte der Perikope Β (7,557—581) der vergilische Vergleich steht, so ist das ein Indiz dafür, welche Bedeutung Lucan hier der Beziehung zur Aeneis beimißt, und regt dazu an, die Vergilische Pendantszene III (Aen. 12,324-382) als Interpretationshilfe heranzuziehen 16 . Der Aeneisabschnitt weist folgende Disposition auf: A

Aen. 12,324--330

Β C D

Aen. 12,331--336 Aen. 12,337--340 Aen. 12,341--345

E

Aen. 12,346--361

F

Aen. 12,362--364

G H I

Aen. 12,365--367 Aen. 12,368--370 Aen. 12,371--382

Eingreifen des Turnus und sein Gemetzel unter namenlosen Gegnern Vergleich des Turnus mit Mars Allgemeines Wüten des Turnus Sieg des Turnus über namentlich genannte Einzelgegner Sieg des Turnus über den flüchtenden Eumedes und höhnische Worte gegenüber dem Unterlegenen Sieg des Turnus über namentlich genannte Einzelgegner Vergleich des Turnus mit Boreas Allgemeines Wüten des Turnus Turnus' Sieg über den angreifenden Phegeus

Die vorgelegte Struktur ist nur scheinbar einfach. Versucht man sie als Gesamtkomposition zu begreifen, so drängt sich zuerst der Eindruck eines Omphalosbaues auf 1 7 . In der Mitte steht die Einzelszene E, der eine Gruppe von 22 Versen vorausgeht, und eine Gruppe von 21 Versen folgt. Es liegt dann weiter auf der Hand, daß vor allem D und F, Β und G einander entsprechen und sich sozusagen schalenförmig um das Zentrum legen. Eine schematische Darstellung mag den Sachverhalt verdeutlichen:

A

B

C

D

E

F

G

H

I

Dabei bleibt jedoch ein Rest. Der Teil I, in dem Widerstand und Niederlage des Phegeus geschildert werden, fügt sich in die Omphaloskomposition nicht 16 Die Vergil- und Lucanpartie hat auch W. Rutz, Diss. 76ff. miteinander verglichen, leider unter unzureichender Berücksichtigung von Strukturfragen. 17 Im Prinzip so R. Heinze, Virgils epische Technik 232f.

Dritter Teil 4.2.2.

255

gut ein. Es liegt vielmehr nahe, die Phegeusszene als Gegenstück zur Eumedesszene aufzufassen. In der Tat verbirgt sich bereits in Name oder Herkunft der zwei troianischen Krieger ein Fingerzeig Vergils, die beiden Partien miteinander zu verbinden. Eumedes wird zu Beginn des Teils E Aen. 12,347f. als antiqui proles . . ·. Dolonis vorgestellt; an die Erwähnung des Namens Dolon knüpft Vergil 12,349— 352 eine geraffte Wiedergabe der Dolonie, die mit der Tötung des Dolon durch Diomedés endet:

ilium Tydides alio pro talibus ausis adfecit pretio nec equis aspirai Achilli. An diese Verse schließt sich die Begegnung Turnus — Eumedes und die Niederlage des Troianers an, den der Sieger am Szenenschluß höhnend apostrophiert, Aen. 12,360f.:

haec proemia, qui me ferro ausi temptare, ferunt, sic moenia condunt. Daß die zuletzt ausgeschriebenen Zeilen die Vorstellungen von Aen. 12,35 lf. wiederaufgreifen, ist evident. Erst durch diesen Beziehungsstrang bekommt Vergils kurze Nacherzählung der Dolonie funktionale Bedeutung. An Eumedes vollzieht sich durch die Hand des Turnus das gleiche Geschick, wie Diomedes es Dolon, dem Vater des Eumedes bereitet hatte. Turnus ist hier ein neuer Diomedes. Die Kille des Diomedes spielt Turnus ebenfalls, wenn er den Phegeus erschlägt. Phegeus ist nämlich der Name des ersten (!) Troianers, den Diomedes in seiner Aristie Ilias 5,15ff. tötet. Wie Vergils Phegeus so ist auch Homers Phegeus der Angreifer. Aus der gleichen Iliaspassage dürfte Vergil den Namen des Dares haben, den Turnus 12,363 bezwingt. Denn Dares ist nach Ilias 5,9 der Name von Phegeus' Vater. In E und I wiederholt Turnus somit als ein zweiter Diomedes markante Heldentaten des Homerischen Heros. Es hat seinen guten vorbereitenden Sinn, daß Vergil hier durch Turnus die Gestalt des Diomedes hindurchscheinen läßt. Denn wenn das 12. Buch der Aeneis in dem Zweikampf Aeneas — Turnus gipfelt, so hat das ein gewisses Pendant im 5. Buch der Ilias in der Monomachie des Diomedes mit Aineias (5,297ff.). Dementsprechend sind auch weiterhin auf Turnus Züge des Homerischen Diomedes aus dem 5. Buch der Ilias übertragen. Es sei nur daran erinnert, daß die Göttin Iuturna als Wagenlenkerin des Turnus (Aen. 12,468ff.) bald nach dem Passus I ihrem Bruder ähnlich hilft wie Athena dem Diomedes Ilias 5,835ff. Die Passagen E und I sind einander jedoch nicht nur durch ihren Bezug auf Diomedes zugeordnet, sondern ebenfalls durch ihre komplementäre Gestaltung. In E siegt Turnus als Fußkämpfer über den zurückweichenden Gegner; in I wird der angreifende Feind wesentlich durch den Kampfwagen bezwungen. Es ist so-

256

Dritter Teil 4.2.2.

mit angebracht, E—I als vorwärtsweisenden „diomedeischen" Abschnitt, der durch stärkeren Widerstand von troianischer Seite gekennzeichnet ist, mittels der beiden Außenszenen zu einer Einheit zusammengefaßt sein zu lassen. Bei dieser Gliederung steht der Vergleich G approximativ im Zentrum des Abschnitts E—I; ähnlich bildet vorher Β den ungefähren Mittelpunkt A—D. An umrahmenden Elementen fehlt es ebenfalls nicht. Es ergibt sich somit folgendes Schema: A

B

C

D

E

F

G

Η

I

Auch diese Aufschlüsselung der Struktur hat ihre Mängel. Offenbar ist sowohl die erste als auch die zweite Analyse richtig; es liegt ein Fall von Strukturüberlagerung vor:

A

B

C

D

E

F

G

H

Lucan hält sich nach allem Anschein in der „kleinen Pharsalia" 7,557—616 (IV B—C) primär an die Unterstruktur von Verg. Aen. 12,324—382, ohne sie freilich ungetrübt zu bewahren. Die zwei Lucanabschnitte IV Β und IV C haben zusammen mit 60 Versen fast dieselbe Länge wie das Vergilpendant mit 59 Versen. Das Verhältnis von Lucan IV Β (24 1/2 Verse) zu Lucan IV C (351/2 Verse) ist ähnlich dem von Vergil III A - D (22 Verse) zu Vergil III E - I (37 Verse). Die zentrale Position des Vergleichs b in Lucans IV Β erweist sich nun als eine strengere Nachahmung der ungefähren Mittelstellung, die der entsprechende Vergilvergleich Β in der Aeneis zwischen A (7 Verse) und CD (9 Verse) einnimmt 1 8 . Durch die strukturelle Imitation wird die Vergilische Provenienz des Marsvergleichs unterstrichen. Das Bild von Caesar, das Lucan in IV Β (7,557-581) entwirft, hat auf der Vergilischen Leinwand besonders scharfe Konturen. Caesar kämpft nicht, er gerät überhaupt mit dem Feind kaum in direkte Berührung. Sein Wirken besteht darin, daß er seine Leute immer wieder zum verbrecherischen Kampf antreibt. So wird er schon im Anfangsvers von Β (7,557) dargestellt; die Aufhetzung und Anstachelung zum Kampf ist es gleichermaßen, die in dem Lucanischen BellonaMars-Vergleich das Tertium comparationis abgibt; das Handeln des Mavors, der verbere saevo anstachelt, findet 7,577 sein genaues Pendant in Caesars konkretem Tun, der seine Leute antreibt verbere . .. hastaeI9. All das steht in deut18

Als Analogon darf angeführt werden, daß Lucan anders als sein Vorbild ausschließlich das 1. und das 7. Buch mit dem Verstyp von Aen. 1,1 hat beginnen lassen. Dazu oben 2.1 am Anfang; 2.3.1. " Einen gewissen historischen Anhaltspunkt für diese Beschreibung von Caesars Verhalten mag Lucan in Überlieferungen von der Art von Val. Max. 3,2,19 (~ Suet. Iul. 62) gefunden haben. Hinter der boshaften Verdrehung solcher Nachrichten von Caesars Heldenmut steht wohl die Vorstellung vom orientalischen Despotismus. Vgl. Herodot 7,103,4.

I

Dritter Teil 4.2.2.

257

lichem Gegensatz zum Vergilischen Vorbild, das eben einen persönlich kämpfenden Helden darstellt. Aber nicht nur an Turnus, sondern auch an die Haltung des Aeneas wird man denken dürfen, der in der Vergilszene II (Aen. 12,311323) noch eindeutiger der Antipode Caesars als der des Turnus ist, wenn er seine Leute zu Frieden und rechtlichem Verhalten zu bewegen sucht: o cohíbete iras (Aen. 12,314). Als die reine Personifikation des alle verblendenden Dranges zum verbrecherischen Bürgerkrieg ist Caesar in viel stärkerem Maße eine dunkle Gestalt als Turnus, der von den Umständen mitgerissen, in heroisches Kampfesrasen verfällt. Es bedarf kaum einer Erwähnung, daß all das mit der Gestalt Caesars, wie sie in der sonstigen Überlieferung gezeichnet wird, wenig zu tun hat. In der Aeneis bringt III E - I (12,346-382) gegenüber III A - D (12,324-345) eine Verlagerung des Geschehensaspekts, insofern der troianische Widerstand stärker akzentuiert wird; aber gleichwohl bleibt Turnus als beherrschende Figur im Vordergrund der Handlung. Zwischen den Lucanischen Pendantpassagen IV Β und IV C besteht, so scheint es beim ersten Hinblicken, ein ganz anderes Verhältnis; wie vorhin Caesar so spielt jetzt das robur Pompei den äußerlich beherrschenden Personenpart. Das im Vergleich mit Turnus zunächst auffällige Zurücktreten Caesars in JV Ca (7,581-598) hängt mit der indirekten Art von Caesars Tätigkeit zusammen. Als dämonische Antriebskraft seiner Soldaten braucht er mit den Pompeianem nicht in unmittelbare Kampfberührung zu kommen, ist aber andrerseits in den Leiden seiner Gegner indirekt wieder präsent; Caesar ist also mit der ihm eigentümlichen Wirkensweise in IV C (7,581-616) bis zu einem gewissen Grade ähnlich die überragende Gestalt wie Turnus mit seiner homerischen Kampfart in III E - I . Dennoch ist natürlich nicht zu übersehen, daß in der Lucanpartie die Gegenseite ein viel stärkeres Eigengewicht hat als in dem Vergilabschnitt - das aber wiederum in vergilischer Ponderierung. Eumedes und Phegeus entsprechend sind es ebenfalls bei Lucan zwei einzelne Gegner Caesars, die hervorgehoben werden: Brutus und Domitius. Brutus, den Lucan in einer Apostrophe davor warnt, allzu unbedacht mitten durch die Feinde gegen Caesar vorwärtszustürzen (7,590), ist der Potenz nach eher Phegeus analog, der sich als Fußkämpfer dem Wagen des Turnus entgegenwirft (Aen. 12,372). Bei Domitius, der sterbend von Caesar angeredet wird, denkt man an Eumedes, der im Tode den Hohn des Turnus über sich ergehen lassen muß (Aen. 12,359ff.). Die Reihenfolge Vergils ist also von Lucan umgekehrt worden, nicht ohne Grund, wie am Ende des nächsten Kapitels dargelegt werden soll. Wie das Gesamtepos so erweist sich auch die „kleine Pharsalia" Lucan. 7 , 5 5 7 616 in mancher Hinsicht als Ergebnis struktureller Vergilimitation. Wohlgemerkt: in mancher Hinsicht. Schon die Thematik der Lucanischen Dichtung ließ sich nur partiell in vergilische Technik einfügen. Und ohnehin liegt wohl der eigentliche Reiz eines derartigen imitatorischen Verfahrens darin, daß es sich mit dichterischer Freiheit verbindet. Lucan weicht auch in der „kleinen Pharsalia" zur Verwirklichung seiner besonderen Intentionen von den gebahnten Pfaden ab. 17

Lebek ( H y p . 4 4 )

258

Dritter Teil 4.2.3.

4.2.3. libertas ultima mundi Die letzten Verse des Lucanabschnitts IV Β (7,557-581) bringen einen neuen Gesichtspunkt, 7,578ff.: (Caesar) in plebem vetat ire manus monstratque senatum: seit cruor imperii qui sit, quae viscera rerum, 580 unde petat Romam, libertas ultima mundi quo steterit ferienda loco. Zwar geht es auch in diesen Zeilen um Caesars Wirken, der als handlungstragendes Subjekt im Vordergrund steht. Aber zugleich wird erstmals und nachhaltig der Blick auf eine bestimmte Personengruppe gelenkt, die geradezu als das einzige Ziel von Caesars Feindschaft charakterisiert wird: den Senat. Das Ende von IV Β leitet so zu der Partie IV C (7,581-616) über, in welcher Senat, Nobilität, Patriziat im Vordergrund stehen. Der Dichter veranschaulicht in IV Caa diesen Personenkreis mit großen Namen, in denen gewissermaßen die Geschichte Roms lebendig ist, 7,583ff. : caedunt Lepidos caeduntque Metellos Corvinosque simul Torquataque nomina, rerum saepe duces summosque hominum te, Magne, remoto. Was die geschichtlichen Quellen über Pharsalos an Information boten, hat Lucan bei all dem offenbar wenig gekümmert. Nicht nur, daß von einem Befehl Caesars, die Senatoren anzugreifen, anderwärts nichts überliefert ist und nach Appian b.c. 2,82,346 sogar überhaupt nur 10 pompeianische Senatoren in der Schlacht gefallen sind. Die angeführten Eigennamen entstammen ebenfalls schwerlich der Überlieferung. Denn von einem Lepidus, Corvinus, Torquatus wird nirgends die Teilnahme an der Schlacht oder gar der Tod bei Pharsalos berichtet. Wie der Plural indiziert, will Lucan nur auf den Typ der historisch bedeutenden Senatoren hinaus, die, so stellt es der Dichter dar, bei Pharsalos vernichtet werden. Als Vertreter des Senats erscheint auch Brutus in der Apostrophe von IV Ca/3, 7,588ff.: o decus imperii, spes o suprema senatus, extremum tanti generis per saecula nomen, 590 ne rue per medios nimium temerarius hostis, nec tibi fatales admoveris ante Philippos, Thessalia periture tua. Die Anrede an Brutus beginnt bereits 7,586f. und wird 7,592-596 fortgeführt mit Gedanken, die auf die Ermordung Caesars Bezug nehmen. Die in der ausgeschriebenen Partie festgehaltene Möglichkeit, Brutus könne bereits bei Pharsalos fallen, wird am Beginn und Ende der Brutusapostrophe nicht mehr erwähnt. Der Imperativische Satz 7,588-592 füllt genau die Mitte des Abschnitts IV Ca (7,581598) aus. Es ist wohl erlaubt, das als Hinweis dafür zu werten, daß dem Satz inner-

Dritter Teil 4.2.3.

259

halb des Abschnitts eine besondere Bedeutung zukommt. In der Tat geht es wieder um den Untergang des Senats, wenn Brutus, die spes suprema senatus, davor gewarnt wird, vor der Schlacht bei Philippi in den Tod zu gehen. Mit diesem Tenor harmonieren dann die zwei Schlußverse von IV Ca, die die hervorragende Bedeutung des Senats mit einer echt lucanischen Paronomasie unterstreichen, 7,597f.: hic patriae perit omne decus: iacet aggere magno pat ricium campis non mixta plebe cadaver. Die von Caesar bewirkte und beabsichtigte Vernichtung des Senats, das ist also das Grundthema der Passage IV Ca (7,581-598). Ihm fügt sich auch die Anrede an Brutus ein, in der die Vorstellung eines möglichen Caesarmordes mit dem Gedanken der tödlichen Gefährdung des Brutus - der „letzten Hoffnung des Senats" — eng verknüpft ist. Auf das Grundthema war ja eben auch in den überleitenden Schlußversen 7,578-581 der Partie IV Β hingewiesen worden. Die Verse verdienen eine etwas genauere Erörterung. Nach drei kurzen Kola 7,579f., die den Senat als das Herzstück Roms veranschaulichen, folgt ein viertes Kolon, das bereits durch seine Länge hervorgehoben ist und dem Senat eine neue Bedeutung zuerkennt; in ihm verkörpert sich die letzte Freiheit der Oikumene 20 . Zum ersten Mal wird in der Kampfschilderung II—IV (7,460-616) an dieser Stelle von Freiheit gesprochen. Der Ort, an dem das geschieht, ist in zweifacher Hinsicht beachtenswert. Zunächst einmal bildet das Kolon 7,580f. den Abschluß von IV B. Vor allem aber steht es genau im Zentrum des gesamten Abschnitts IV (7,545-616), der den auf mannigfache Weise betonten Höhepunkt der Kampfdarstellung und ein klassisch eingeleitetes Kleinstepos darstellt. Wer sich mit Lucans tektonischer Kunst vertraut gemacht hat, wird die zentrale Stellung des Freiheitsgedankens nicht für zufällig halten. Hier, so dürfen wir im Sinne Lucans interpretieren, enthüllt sich die eigentliche Bedeutung der Schlacht bei Pharsalos. In ihr fällt die Entscheidung für oder gegen die Freiheit, die im Senat ihren letzten Hort hat. Der Untergang des Senats ist somit auch der Untergang der Freiheit. Das adjektivische Attribut ultima kennzeichnet in Verbindung mit dem Genitivattribut mundi die Unwiderruflichkeit der Entscheidung 21 . Der klar-bewußte Gegner des Senats und damit der Freiheit ist Caesar. Der Gegensatz von Caesar auf der einen Seite und dem Senat und der in ihm verkörperten Freiheit auf der anderen Seite ist somit für Lucan im 7. Buch der entscheidende Antagonismus des Bürgerkriegs. Weil dieser 20 Den Aufbau von Lucan. 7,578-581 hat schon W. Rutz, Diss. 77 Anm. 2 zutreffend beschrieben. 21 Mit mundus kann natürlich nicht mehr gemeint sein als das Imperium Roman um. Parallelen bei F. Christ 18ff., der 19f. die besondere Vorliebe Lucans für mundus diskutiert. Im Vers 7,580 wird die Intention mitspielen, die Konsequenzen des Geschehens durch den Ubertreibenden Ausdruck als möglichst gewaltig hinzustellen.

260

Dritter Teil 4.3.1.

Antagonismus in IV in Erscheinung tritt, hat Lucan in dem Abschnitt eine Pharsalia im Kleinen ausgeführt und in vergilischer Weise geformt. Und weil dem Dichter so sehr daran gelegen war, den Gegensatz Caesar — Freiheit unmißverständlich zu gestalten, hat er, Aen. 12,257-382 sich zum Muster wählend, den unhistorischen Zusammenstoß Caesars mit dem robur Magni erfunden und innerhalb dieses Zusammenstoßes den wahnwitzigen Kampf Caesars gegen den Senat.

4.3.

Domitius, Caesar und die Freiheit: Lucan. 7,599—616

4.3.1. Domitius' Tod in der Geschichtsschreibung und in Lucans Epos Bisher ist der Abschnitt IV Cb (7,599-616) kaum berücksichtigt worden, mit dem Lucan fast genau die zweite Hälfte von IV C ausfüllt und die gesamte Szenenfolge II—IV (7,460—616) beschließt. Allein in Anbetracht der exponierten Stellung, die Lucan dem Stück IV Cb zugewiesen hat, scheint eine intensive Auseinandersetzung mit der Passage wünschenswert22. Caesar beendet seinen Bericht über die pompeianische Niederlage bei Pharsalos civ. 3,99 mit der Angabe der beiderseitigen Verluste; sein Schlußsatz civ. 3,99,5 lautet: L. Domitius ex castris in montem refugiens, cum vires eum lassitudine defecissent, ab equitibus est interfectus. Der Tod des Domitius wird auch von Appian b.c. 2,82,346 bei der Aufzählung der Gefallenen erwähnt. Domitius ist der einzige Pompeianer, der innerhalb einer Schilderung der gesamten Entscheidungsschlacht unter den Toten mit Namen genannt wird, eben an den angegebenen Stellen. Daraus darf man einige Folgerungen auf Lucans historiographische Vorlagen - konkret also: vornehmlich oder ausschließlich Livius - und zugleich auf die Quellenverwertung des Dichters ziehen. Zunächst ist anzunehmen, daß auch Lucan in der Geschichtsschreibung lediglich Domitius unter den gefallenen Caesargegnern mit Namen erwähnt gefunden hat. Damit wäre wenigstens bis zu einem gewissen Grade erklärt, weshalb Domitius die einzige Einzelpersönlichkeit ist, von deren Schlachtentod bei Pharsalos der Dichter berichtet, und weshalb er überhaupt auf Domitius zu sprechen kommt. Es ist weiter wahrscheinlich, daß auch in Lucans Vorlage der Passus, in dem der Name des Domitius notiert wurde, der Gefallenenkatalog war. Lucan, der den Gefallenenkatalog im wesentlichen 7,786—846 in die ihm eigene dichterische Darstellungsart umsetzt, weicht also erheblich von der ihm vorliegenden Tradition ab, wenn er die Sterbeszene des Domitius in die letzte Kampfszene rückt. Die mit Wahrscheinlichkeit erschlossene Tatsache, daß der Tod des Domitius aus dem üblicherweise nüchternen Gefallenenregister der Historiographie stammt, 22 Knapp zu der Stelle M. Wuensch 16. Eine eingehendere, aber nicht recht befriedigende Interpretation bietet H. Nehrkorn 145ff.

Dritter Teil 4.3.2.

261

indiziert auch, daß der nur in der Pharsalia erzählte Wortwechsel des sterbenden Pompeianers mit Caesar eine Erfindung Lucans ist 23 . Bei der Unbefangenheit, die der Dichter gegenüber der historischen Überlieferung an den Tag legt, ist selbst das bloße Faktum von Domitius' Nennung durch den Hinweis auf die Geschichtsschreibung noch nicht befriedigend erklärt. Lucan hätte die Notiz, die in seiner historiographischen Vorlage wohl keine bedeutendere Rolle spielte als bei Caesar und Appian, ohne weiteres unterdrücken können. Offenkundig muß es in die Pharsalia besonders gut passen, daß gerade Domitius unter den gefallenen Pompeianern mit Namen genannt wird. So verhält es sich auch wirklich. Domitius ist ja der erste Pompeianer, der in der bedeutsamen Szene 2,478—525 Caesar Widerstand leistet. Er ist auch einer der drei pompeianischen Oberfeldherrn (7,219f.). Domitius ist damit ein hochbedeutender Vertreter kämpferischen Einsatzes gegen Caesar. Bereits vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß der Tod des Domitius für den Dichter „in dem Gemetzel berühmter Männer herausragt" (7,599). Es ist ein Höhepunkt pompeianischen Leidens, der bei Pharsalos nur noch durch ein einziges Ereignis überboten werden kann: die Flucht des Pompeius selbst. Und in der Tat ist das der nächste historische Vorgang, der bald darauf 7,647ff. dargestellt wird.

4.3.2. salva libertóte

périt

Weist die Domitiusepisode derart bereits vorbereitend auf den Fortgang des geschichtlichen Geschehens hin, so wird man doch für sie eine feste Einfügung in die Partie IV (7,545—616) erwarten dürfen. Das gilt vor allem hinsichtlich des Freiheitsgedankens. Als Gliederung drängt sich für den Domitiusabschnitt IV Cb zunächst eine handlungsorientierte Disposition nach „Themenangabe und Exposition" ( 7 , 5 9 9 604) und ,3egegnung Caesar — Domitius" (7,605—616) auf. Aber das ist nicht die einzige Möglichkeit, den Passus sinnvoll einzuteilen. Vielmehr ist eine Gliederungsüberlagerung anzunehmen. Denn die Antwort des Domitius, die das Selbstverständnis des Pompeianers offenbart, ist in sich so geschlossen und hat ein so starkes geistiges Eigengewicht, daß man sie als besondere Partie von dem vorausgehenden Stück abheben kann. Damit ergibt sich ein zweites Dispositionsschema: 23 Das ergäbe sich ohne weiteres, wenn die Lucan vorliegende Tradition genau den Inhalt von Caes. civ. 3,99,5 reproduziert hätte. Aber darauf ist nicht zu bauen. Daher wird man auch die gegenüber der Flucht von Caesars Domitius so viel standhaftere Haltung des Lucanischen Domitius nicht mit Sicherheit als ausgesprochene Verdrehung der geschichtlichen Überlieferung betrachten dürfen. Wenn der Dichter die ungebrochene Widerstandskraft des sterbenden Pompeianers betont, so stand dem die nicht-caesarische Überlieferung möglicherweise nicht so schroff entgegen wie der Bericht, den Caesar über den Tod seines Feindes gibt.

262

Dritter Teil 4.3.2.

I V C b a 7,599—608 β 7,608-616

Domitius ist im Sterben begriffen und wird von Caesar angesprochen Domitius antwortet und stirbt

Diese Gliederung, welche den Domitiusabschnitt in zwei praktisch gleichlange Passagen aufteilt, soll im folgenden allein zugrundegelegt werden. Sie ist nämlich, wie sich zeigen wird, die Tektonik, in welche Lucans Geschichtsdeutung eingebettet ist: a

mors tarnen eminuit clarorum in strage virorum 600 pugnacis Domiti, quem clades fata per omnis ducebant: nusquam Magni fortuna sine ilio succubuit. victus totiens a Caesare salva libertóte périt: tunc mille in volnera laetus labitur ac venia gaudet caruisse secunda. 605 viderai in crasso versantem sanguine membra Caesar, et increpitans ,iam Magni deseris arma, successor Domiti; sine te iam bella geruntur' dixerat. ast itti suffecit pec tora pulsans spiritus in vocem morientiaque ora resolvit. 610 ,ηοη te funesta scelerum mercede potitum sed dubium fati, Caesar, generoque minorem aspiciens Stygias Magno duce liber ad umbras et securus eo: te, saevo Marte subactum, Pompeioque gravis poenas nobisque daturum 615 cum moriar, sperare licet. ' non plura locutum vita fugit, densaeque oculos vertere tenebrae.

β

Der Teil α wird mit einem Hauptsatz eröffnet, der exponierend den Tod des Domitius dem Untergang des übrigen patriae decus (7,597) gegenüberstellt24. In der Weiterführung des Gedankens wird dann die vom Unglück verfolgte kriegerische Beharrlichkeit des Domitius in der Vergangenheit und damit zugleich die enge Verbindung dieses Feldherrn mit Pompeius charakterisiert: 7,599-602. Die Worte Caesars, die zusammen mit ihrer Einführung die Verse 7,605—608 umfassen, nehmen auf diese Beharrlichkeit und die Anhänglichkeit an Pompeius höhnisch negativen Bezug: nunmehr sind jene Eigenschaften in dem Angeredeten nicht mehr wirksam. Beginn und Ende von α sind somit rahmend miteinander verknüpft; die Beziehung wird, unter Betonung der Verbindung „Domitius — 24

Ammianus Marcellinus greift die Ausdrucksweise Lucans 7,599 an vers'chiedenen Stellen seines Werkes auf: 14,1,3; 19,11,16; 31,13,18. Die letzte Passage steht in der Schilderung der Schlacht bei Hadrianopolis4em düsteren Ausklang von Ammians Werk: in hac multiplici virorum illusMum clade Troiani mors eminuit et Sebastiani. Vor allem das ausgeschriebene Zitat darf man wohl als Zeugnis für die einprägsame Kraft von Lucans Formulierung werten.

Dritter Teil 4.3.2.

263

Magnus", durch die chiastische Wiederholung der beiden Namen noch verdeutlicht. Die scheltende Bemerkung Caesars ist, sieht man von der Apostrophe „successor Domiti" ab25, lediglich eine Reaktion darauf, daß Domitius bisher so beständig an den Waffen des Pompeius festgehalten hat. In der Mittelpartie (7,602-604) von α werden zwei andere Aspekte an Domitius ins Blickfeld des Lesers gerückt: Domitius ist, obwohl häufig besiegt26, ganz frei, und er stirbt freudig. Weder die eine noch die andere Feststellung Lucans ist selbstverständlich. Die folgende Replik des Domitius ist denn auch wenigstens in gleichem Maße eine Auflösung der den zwei Feststellungen inhärierenden Problematik wie eine Antwort auf Caesars Worte. Daß die Worte des sterbenden Domitius die Gedanken des mittleren Abschnitts von α erläuternd fortführen, zeigt sich sinnfällig bereits darin, daß im Vers 7,612 mit dem Adjektiv liber das Substantiv libertas des Verses 7,603 wiederaufgenommen wird. Wenn die Bezeichnung der Freiheit gerade jeweils im zentralen 5. Vers von α und β erscheint, so wird dadurch die Freiheit als der zentrale Begriff der Sterbeszene markiert, wie sich schon für die gesamte Perikope 7,545—616 der Gedanke der Freiheit im wörtlichen und übertragenen Sinne als zentral herausgestellt hatte. Worin gründet nun nach der Aussage des Domitius die Bewahrung seiner Freiheit? Darin, daß Pompeius Caesar noch überlegen ist oder zumindest überlegen sein kann. Die Vorstellung wird vor und nach dem Zentralvers, der das Wort liber enthält, in zwei Hinsichten entfaltet, einmal mehr im Hinblick auf das Ziel Caesars, der noch nicht den Lohn seiner Verbrechen empfangen hat (7,610—612 aspiciens)·, das andere Mal mehr im Hinblick auf die Intentionen des Pompeius und seiner Parteigänger, die noch auf die Bestrafung Caesars hoffen können (7,613—615). Innerhalb des Mittelverses von β aber wird die Vorstellung prägnant durch Magno duce zum Ausdruck gebracht, einen absoluten Ablativ mit kausaler Bedeutung. Die Junktur deutet, wie das unmittelbar folgende liber, zurück auf den Abschnitt α, in welchem ja Magni in bedeutungsvoller Wiederholung auf die enge Verbindung „Domitius - Pompeius" hingewiesen hatte 27 . Magno duce liber: damit ist also nicht nur erklärt, weshalb Domitius salva liberiate périt (7,602f.); die Formulierung erhellt auch, weshalb Domitius durchweg (7,601 f.) an Pompeius festgehalten hat, und sie 25

Lucan wird durch seine Quelle dazu angeregt worden sein, den Hinweis, daß Domitius Caesars Nachfolger in Gallien werden sollte, hier unterzubringen. Denn derselbe Hinweis findet sich bei Appian b. c. 2,82,346, wo Domitius' Name in dem Bericht über die pompeianischen Verluste genannt wird. 26 Die Verse 7,601f. deuten daraufhin, daß Lucan nicht nur Domitius' Gefangennahme vor Corfinium, sondern auch seine Niederlage in Massalia bekannt war. Dennoch bleibt nusquam Magni fortuna sine ilio / succubuit eine rhetorische Übertreibung. 27 Man beachte, daß Pompeius 7,611 und 614 nicht als Magnus bezeichnet wird. Über bedeutungsvolle Verwendung von Eigennamen an anderen Lucanstellen vgl. etwa im Zweiten Teil 3.5.3 zusammen mit Anm. 55.

264

Dritter Teil 4.3.2.

macht, Caesars Hohn (7,606f.) beantwortend, weiter klar, daß und weshalb Domitius auch im Tode an Pompeius festhält 28 . Der noch mögliche Glaube an die Überlegenheit des Pompeius ist es ebenfalls, der Domitius froh sterben läßt (7,603f.), eine Aussage des Abschnitts α, die im Abschnitt β mit securus wiederaufgenommen wird. Es kann wohl als erwiesen gelten, daß die Domitiusrede nicht allein eine Reaktion auf Caesars Äußerungen darstellt, sondern auch die Darlegungen des erzählenden Dichters selbst direkt erläutert. Das trifft insbesondere für die moralische Einschätzung des Pompeius als Garanten der Freiheit zu. Insoweit die Domitiusrede solche erläuternde Funktion hat, vertritt sie die Meinung des Dichters. Ein wichtiges Moment der Passage α wird aber von Domitius nicht erwähnt: nur Niederlagen hat er mit Pompeius geteilt (7,600—602). Damit steht auch der schlechte Ausgang der gegenwärtigen Schlacht fest, über den der Leser ja ohnehin Bescheid weiß. Die hoffnungsvollen Gedanken über die noch mögliche Überlegenheit des Pompeius, die von Domitius vorgetragen werden, bringen die Realität dem Leser nachdrücklich zum Bewußtsein gerade dadurch, daß sie sie verkennen. So bereitet die Szene in doppelter Weise die Flucht des Pompeius vor (7,647ff.): der Tod des Domitius konkretisiert die Niederlage der Pompeianer in ihrer äußersten Steigerung, und die Worte des Domitius weisen auf den Fall des Pompeius voraus, gerade indem sie ihn leugnen. Lucan selbst erinnert 7,604 an die Begnadigung des Domitius bei Corfinium29. Und es ist ohne weiteres klar — paßt übrigens auch zur sonstigen Verknüpfung des 7. Buches mit dem Epenbeginn —, daß die zweite Begegnung zwischen Caesar und Domitius Pendant und abschließende Ergänzung der ersten Begegnung ist. Die Vermutung liegt wohl sogar nahe, daß in Lucans Streben zur Pendantgestaltung ein Hauptgrund für die Erfindung des zweiten Dialogs zu suchen ist. Von einem Vergleich wird man sich daher manche Erkenntnis erhoffen dürfen. Zunächst fällt auf, daß in der Todesszene ganz wie bei der Begnadigung des Domitius (2,511—525) die typische epische Gesprächsfolge, gemäß welcher der Sieger nach dem Besiegten das letzte Wort hat, umgekehrt worden ist. Innerhalb dieser epischen Dialoge gehört nun das vorliegende Gespräch noch speziell einer besonderen, freilich nicht sehr oft vertretenen Gattung an. Sie ist dadurch charakterisiert, daß der Besiegte von der zukünftigen Bestrafung seines siegreichen Feindes redet. Das klassische Beispiel ist Ilias 22,355—366, der Schluß des Zwiegesprächs zwischen Achilleus und dem sterbenden Hektor, der seinem Gegner den Tod vor dem Westtor Troias voraussagt. Achilleus behält als Sieger, wie normal, das letzte Wort. Doch nicht das soll uns jetzt interessieren, sondern vielmehr 28 Die Bedeutung, die Pompeius in Domitius' Antwort hat, erscheint besonders bemerkenswert, wenn man die - Lucan sehr wahrscheinlich bekannte - historische Realität berücksichtigt. Denn Domitius war gerade unmittelbar vor Pharsalos der Wortführer der Senatsopposition gegen Pompeius: Plutarch, Pompeius 67,5. 29 Darüber ausfühdich im Zweiten Teil 2.3.4; zum Folgenden dort besonders Anm. 65, 66 und in 2.3.5 Anm. 75.

Dritter Teil 4.3.2.

265

die Tatsache, daß Hektors Prophezeiung eintrifft, wie der Kenner des Mythos weiß. Mit einer gewissen Ausnahme in der nachlucanischen Epik gehen die drohenden Prophezeiungen des besiegten und sterbenden Kriegers auch sonst in Erfüllung30. Die Erwartungen des Domitius sind dagegen, wie dem Leser bereits bei ihrer Lektüre klar ist, illusionär. Nicht nur die Redesequenz Sieger — Besiegter, sondern auch die unrichtige Einschätzung der Zukunft in Domitius' Worten widerspricht also epischem Herkommen. Der zweite Widerspruch ist freilich insofern gemildert, als die übliche epische Prophezeiung bei Lucan zur Hoffnung des Unterlegenen geworden ist 31 . Die Änderung der normalen Aufeinanderfolge der Dialogpartien hat in der zweiten und letzten Auseinandersetzung zwischen Domitius und Caesar denselben Sinngehalt wie in der ersten Begegnung: der äußerlich Unterlegene behauptet sich geistig-moralisch gegenüber dem Sieger. Hinsichtlich der militärischpolitischen Möglichkeiten des Pompeius befindet Domitius sich jedoch in einem tragischen Irrtum, der, wenn man an die sonstigen wahren Prophezeiungen unterliegender Krieger denkt, besonders profiliert hervortritt. Mit dem letzteren Gesichtspunkt ist bereits eine wichtige Differenz zwischen den zwei Konfrontationsschilderungen aufgewiesen. Viel stärker und unmittelbarer aber drängt sich ein anderer Unterschied in den Vordergrund. In der Todesszene des Domitius ist „Freiheit" der zentrale Begriff. In der Corfiniumepisode dagegen fehlt dieser Begriff vollständig. Und selbst wenn man einräumen wollte, daß der Gedanke im Hintergrund der von Lucan 2,517-521 angestellten Reflexion steht, so bliebe er eben im Hintergrund. Dem Dichter kommt es im 2. Buch weder darauf an, Domitius als einen Verteidiger der Freiheit zu zeichnen noch überhaupt der Freiheit eine irgendwie herausragende Bedeutung für die Corfiniumszene zu geben. î0

Die Belege für die Regel: Ilias 16,829-861 (Patroklos weissagt Hektor den Tod); Verg. Aen. 10,732-746 (Orodes weissagt seinem Bezwinger Mezentius den Tod); Quintus Smyrnaeus 6,390-434 (Machaon weissagt seinem Besieger Euiypylos den Tod). Hinter den epischen Passagen steht natürlich die verbreitete Vorstellung, daß die Worte eines Sterbenden die Wahrheit offenbaren. Der Zusammenhang ist schon Cic. div. 1,65 erkannt; Weiteres bei A. S. Pease im Kommentar zu Cic. div. 1,63 (Nachdruck Darmstadt 1963). Übrigens haben auch bereits W. Rutz, Diss. 82f. und H. Nehrkorn 246 Anm. 8 die Sterbeszene Hektors mit der Sterbeszene des Domitius verglichen, aber ohne die entscheidenden Unterschiede zu beachten. 31 Der Gestaltungsweise Lucans steht Sil. 15,796-806 nahe, wo die Besiegung Hasdrubals durch C. Claudius Nero geschfldert wird. Nero bietet dem Zusammengebrochenen höhnisch an, Hannibal seine letzten Aufträge zu übermitteln, woraufhin Hasdrubal wünscht: Capitolio victor / exurat cinerique lovis permisceat ossa / et ciñeres nostros. Auch hier die Umkehrung der typischen Sprecherfolge (wenn nicht 814ff. als Antwort Neros zu deuten ist), auch hier verkehrte Beurteilung der Zukunftsmöglichkeiten, wiederum aber nicht in reinem Widerspruch zur Praxis der vorlucanischen Epik; denn die Voraussage ist durch einen Wunsch ersetzt. Es ist möglich, daß Silius sich zu der Passage von Lucan. 7,599-616 hat anregen lassen, beweisbar ist es allerdings nicht. (Sicher hat er an die Endszene der Aeneis gedacht; Sil. 15,801 utere Marte tuo ~ Aen. 12,932).

266

Dritter Teü 4.4.1.

In der Pharsaliapassage 7,599-616 wird somit wiederum faßbar, wie Lucan sich im 7. Buch bewußt von der Konzeption des Epenbeginns distanziert, um die libertas als den Angelpunkt der entscheidenden Bürgerkriegsschlacht zu akzentuieren. Daß Domitius auch im Sterben frei ist und an der Freiheit hängt und festhält, ist nunmehr für den Dichter entscheidend und wird von ihm kunstvoll herausgearbeitet. Die Domitiusszene ist damit ein sinnvoller und krönender Abschluß für den Abschnitt IV (7,545-616), in dessen Zentrum ja der mit der Senatsidee identifizierte Gedanke der Freiheit steht (7,580); sie ist nicht minder sinnvoll als Abschluß für die gesamte Faktendarstellung der Schlacht bei Pharsalos (II—IV, d.h. 7,460-616). Es ist nun auch verständlich, daß Lucan sein Pendant zum Eumedesabschnitt Verg. Aen. 12,346-361, in Abweichung vom Strukturvorbild Verg. Aen. 12,324-382 32, an das Ende von IV gerückt hat. Die Freiheit: sie ist bei Domitius nicht auf einen rein geistigen Bereich beschränkt, sondern der durch die Überlegenheit des Pompeius gesicherte politische Zustand. Der Glaube an die reale Existenz und den Wert dieses Zustandes gibt Domitius noch im Tode Festigkeit und Unbeugsamkeit gegenüber Caesar. Der Gegensatz zwischen Caesar und Pompeius ist für Domitius wie für Lucan der Gegensatz zwischen Unfreiheit und Freiheit.

4.4.

Freiheit und Knechtschaft in der Geschichtsreflexion vor und nach Pharsalos: Lucan. 7,385-459 und 7,617-646

4.4.1. Einleitung Die eigentliche Darstellung des Kampfes bei Pharsalos ist, wie ausgeführt, von zwei Partien mehr allgemeinen Charakters eingerahmt, I und V, in denen Lucan seine Meinung über das Geschehen direkt ausspricht. Wenn der Dichter unmittelbar vor der Schlacht über die Folgen dieses Ereignisses reflektiert, so ahmt er Livius nach, der ja an derselben Stelle seines Geschichtswerkes eine ähnliche Partie eingeschaltet hatte 33 . Zugleich aber paßt ein solcher kommentierender Lucanabschnitt vor und ebenso nach der entscheidenden Auseinandersetzung zu der sonstigen Neigung dieses Epikers, aus der Erzählerrolle herauszutreten und seine Meinung über die epischen Vorgänge in direkter Weise auszusprechen. Als Eigenkommentar des Autors haben die Perikopen I und V für den Interpreten der Kampfszene große Bedeutung.

32 33

Darüber oben 4.2.2. Dazu und zu 4.4.2.1 im Ersten Teil 1.3.3.2.

Dritter Teil 4.4.2.1.

4.4.2.

Lucan.

7,385-459

4.4.2.1. Gliederungs- und IA Β

7,385-386 7,387—418

C

7,418-431

D

7,432-459

267

Beziehungsphänomene

Das Vorrücken der gegnerischen Heere Die zukünftige Entvölkerung durch die gewaltigen Menschenopfer der Schlacht Roms ehemalige Größe und das durch die Schlacht bewirkte Ende der Reichserweiterung Der Verlust der Freiheit infolge Pharsalos und die Absenz göttlichen Waltens

Die kurze Situationsangabe A könnte man recht gut auch als Abschluß der vorausgegangenen beiden Feldherrnreden auffassen. Die Reflexion über die Schlachtfolgen vollzieht sich erst in den Abschnitten B C D , deren Längenverhältnisse eine gewisse Rahmenwirkung haben. Die Übergänge der drei Abschnitte zueinander liegen jeweils im Satzinnern, der Übergang von Β zu C zusätzlich noch innerhalb des Hexameters. Die Fugen zwischen den einzelnen Passagen sind also leicht verdeckt, eine ja auch sonst bei Lucan zu beobachtende Technik. Der Dichter hatte sich bereits 1,8-32 von den Livianischen Erwägungen, die der Historiker der Entscheidungsschlacht vorausgeschickt hatte, zu Überlegungen über die Konsequenzen des Bürgerkriegs anregen lassen. Β (7,387-418) und C (7,418—431) nehmen offenkundig die von Lucan. 1,8-32 angeschlagene Thematik in umgekehrter Reihenfolge wieder auf 34 . Die Ponderierung ist freilich anders; denn im 7. Buch ist der Gedanke an die verspielte Möglichkeit der Welteroberung ( ~ 1,13-23) entschieden zurückgetreten gegenüber der breit ausgeführten Schilderung der Bevölkerungsverluste ( ~ 1,24-32), die die Schlacht bei Pharsalos verschuldet hat. Der Hinweis auf die Möglichkeit und Aufgabe der Welteroberung stammt nun gerade am sichersten aus Livius. Es sieht also ganz danach aus, daß Lucan in B - C einen hervorragenden Livianischen Gesichtspunkt zugunsten eines Aspekts vernachlässigt, der bei dem Geschichtsschreiber keine oder wenigstens eine mehr untergeordnete Rolle gespielt hat. Gewiß völlig haben bei Livius Überlegungen gefehlt, die dem Passus D (7,432459) auch nur einigermaßen analog gewesen wären 35 . Zu D findet sich ebenfalls in Lucan. 1,8-32 kein Pendant. Der Abschnitt D dürfte demnach vor dem Hintergrund sowohl des Pharsaliabeginns als auch besonders der historiographischen 34

Daß Lucan. 1,8-32 und 7,387-459 einander ähnlich sind, hat schon O. Schönberger, Untersuchungen 103ff. beobachtet. 35 Appian kommentiert freilich die Verblendung des Pompeius und der Pompeianer vor Pharsalos b. c. 2,71,299 mit dem Hinweis, das habe Gott damals so geschehen lassen als Anfang der jetzt alles lenkenden Herrschaftsform. Aber ein ähnlicher Gedanke kommt auch im Proömium des Gesamtwerks 6,22f. vor, wo von Caesar als dem Begründer der in der Gegenwart noch gültigen Alleinherrschaft gesprochen wird. Diese Äußerungen über den Anfang des Kaisertums, in denen übrigens keinerlei bittere Anklage vernehmbar ist, gehören also doch wohl Appian, nicht etwa schon seiner Quelle.

268

Dritter Teil 4.4.2.2.

Quelle die Aufmerksamkeit des zeitgenössischen Lesers auf sich gezogen haben. Eine genauere Betrachtung von D kann noch weitere Erkenntnisse erbringen. 4.4.2.2. reditura numquam Libertas: Lucan.

7,432-459

Der Abschnitt I D ist in vier Sinneinheiten strukturiert, von denen die zwei äußeren fast gleich langen kürzer, die beiden inneren ebenfalls annähernd gleich langen umfangreicher sind. Die Einschnitte zwischen den Sinneinheiten liegen wieder innerhalb der Verse, in der Trithemimeres oder der Penthemimeres: IDa b c d

7,432—436 7,436-445 7,445—455 7,455—459

Der endgültige Verlust von Roms Freiheit Der Wunsch, Rom möge nie die Freiheit gekannt haben Zweifel am Regiment Iuppiters und der Götter überhaupt Die „Bestrafung" der Götter durch die Kaiserapotheose

In gewisser Hinsicht gehören die ersten beiden Teile a und b, in denen es eindeutig um die Freiheit geht, gedanklich enger zueinander, dasselbe gilt von den beiden letzten Teilen c und d, die von den Göttern handeln. Der Dichter stellt sich in a - b auch auf einen anderen zeitlichen Standpunkt als in c - d . In a—b betrachtet er die Ereignisse und ihre Folgen von der Gegenwart der Neronischen Zeit aus, in c—d mit dem historischen Futur stark von dem Zeitpunkt aus, der unmittelbar vor dem Einsetzen der Schlacht liegt. Mit dem Wechsel des chronologischen Aspekts ist ein Übergang zur Schlachthandlung geschaffen, deren Darstellung mit 7,460 neu einsetzt. Wenden wir uns nun dem Passus a zu, 7,432ff.: (hac luce cruenta effectum) 432 quod fugiens civile nefas redituraque numquam Libertas ultra Tigrim Rhenumque recessit ac, totiens nobis iugulo quaesita, vagatur 435 Germaruim Scythicumque bonum, nec respicit ultra Ausoniam Von 7,428 an hatte wenigstens jede zweite Zeile ein neues Subjekt für einen neuen von effectum (7,428) abhängigen Nebensatz gebracht. Nun beherrscht ein einziges Subjekt einen Nebensatz von über vier Hexametern: Libertas. Die Schlacht bei Pharsalos erscheint als Ursache dafür, daß Rom für alle Zeiten seine Freiheit verliert. Die Unwiderruflichkeit des Verlusts wird zu Beginn und am Ende der Passage nachdrücklich hervorgehoben: reditura ... numquam; nec respicit ultra/ Ausoniam. Bemerkenswert ist, daß die Freiheit fugit civile nefas. Die Vorstellung fuhrt uns zu einem genaueren Verständnis der in den Lucanzeilen mitschwingenden Assoziationen. Denn offenbar hat der Dichter hier Iustitia, Astraea umgeformt, die gemäß der üblichen Zeitalterlehre vor den Greueltaten der Menschen flieht36. 36

Locus classicus der lateinischen Literatur ist bekanntlich Ov. met. 1,128-150, dessen Schluß verse 142ff. manches enthalten, was den Begriff civile nefas verdeutlichen kann: pro-

Dritter Teil 4.4.2.2.

269

Die Freiheit, durch die die entschwindende Gerechtigkeit hindurchschimmert, wird dadurch in ihrem Wert noch erhöht und mit besonderer Emphase als endgültig verloren gekennzeichnet. Zugleich wird in der Art literarischer Anspielung insinuiert, daß mit der Schlacht bei Pharsalos ein Eisernes Zeitalter des Verbrechens gekommen sei. Hier wird also - anders als im Nerolob - in der Tat die Vorstellung der neronischen Panegyrik zurückgewiesen, Themis (Calp. ecl. l,43f.), die virgo Astraea (carm. Eins. 2,23) und mit ihnen das Goldene Zeitalter seien durch Nero wiedergebracht worden. In der Interpretation treten die literarischen Assoziationen, um die es sich handelt, notwendig überdeutlich und vergröbert hervor. Daß die Charakteristik der Neronischen Epoche als eines Eisernen Zeitalters und damit die Umkehrung der Panegyrik aber in der Tat dem Denken der Nerogegner nicht fern gelegen hat, indizieren Verse der Praetexta Octavia. In ihnen beschreibt die Dramenfigur Seneca, unter Anschluß an Ov. met. l,135ff., die deterior aetas, in der dann auch (423ff.) neglecta terras fugit et mores feros hominum et cruenta caede pollutas manus Astraea virgo, siderum magnum decus. Kurz darauf wird die Gegenwart Neronischer Zeit als Höhepunkt der Verfallsund Schreckenszeit geschildert, 430ff.: collecta vitia per tot aetates diu in nos redundant; saeculo premimur gravi, quo scelera regnant, saevit impietas furens eqs. Wenn die Freiheit Lucan. 7,433—435 bei den Germanen und Skythen beheimatet ist, so hat das freilich mit der Gerechtigkeit, die im letzten Zeitalter die Erde gänzlich verläßt, keinen Zusammenhang. Lucan knüpft hier an zeitgenössische Vorstellungen und Diskussionen über die beiden Völkerschaften an. Sen. dial. 4,15,1 mag das verdeutlichen: ut scias, inquit, tram habere in se generosi aliquid, liberas videbis gentes, quae iracundissimae sunt, ut Germanos et Scythas. Seneca schränkt kurz darauf die Vorzüge dieser Freiheit ein, 4,15,4: istae feritate liberae gentes leonum luporumque ritu ut servire non possunt ita nec imperare. Das positive Urteil über die Unterwerfung, das den Wert der Freiheit stark vermindert, erinnert an Senecas Rechtfertigung des Prinzipats clem. 1,4,2: idem ... huic urbi finis dominandi erit, qui parendi fuerit. Lucan ist in dem Abschnitt I Da weit entfernt davon, an dem Germanum Scythicumque bonum (!) auch nur den geringsten Makel zu entdecken. Die Freiheit hat in dit bellum ... sanguineaque manu crepitantia concutit arma. I... non hospes ab hospite tutus, / non socer a genero; fratrum quoque gratia rara est... / 149 vieta iacet pietas, et virgo caede madentes / ultima caelestum terras Astraea refiguit. In der Formulierung dei Fluchtvorstellung steht dem Lucanpassus Ον. fast. 1,249 näher: Iustitiam facinus mortale fugarat. Weiteres über den Vorstellungskomplex bei F. Börner zum Metamorphosenabschnitt.

270

Dritter Teil 4.4.2.2.

seinen Versen den absoluten Wert der Gerechtigkeit; ihre Zerstörung ist ein furchtbarer Verlust, der durch nichts aufgewogen wird. Die kompromißlose Hochschätzung der Libertas an unserer Pharsaliastelle gewinnt besonderes Relief neben der zeitgenössischen Erörterung Senecas. Lucans Erwähnung der Germanen und Skythen dient nicht einer Verkleinerung des Wertes der Freiheit, sondern macht ihren Verlust besonders fühlbar: Barbaren besitzen dieses Gut, Rom nicht, das sich doch so aufopfernd — totiens ... iugulo — darum bemüht hat. Der Abschnitt b bestätigt die Interpretation des Teils a, bringt diesem gegenüber jedoch auch neue Nuancen, 7,436ff.: (Libertas) - vellem populis incognita nostris. volturis ut primum laevo fundata volatu Romulus infami conplevit moenia luco, usque ad Thessalicas servisses, Roma, ruinas. 440 de Brutis, Fortuna, queror. quid tempora legum egimus aut annos a consule nomen habentis? felices Arabes Medique Eoaque tellus, quam sub perpetuis tenuerunt fata tyrannis. ex populis qui regna ferunt sors ultima nostra est, 445 quos servire pudet. Bereits 7,434 wurde in einer kurzen Partizipialwendung auf die schließliche Vergeblichkeit des römischen Freiheitsstrebens hingewiesen; Lucan bezog sich dabei in die Geschichte des Scheiterns ein: (Libertas) totiens nobis (!) iugulo quaesita. Beide Aspekte, der geschichtliche römische Freiheitsdrang und die Mitbeteiligung des Dichters, erreichen nun in b den Rang gedanklicher und empfindungsmäßiger Grundgegebenheiten. Das erste Moment, um mit ihm zu beginnen, wird gegenüber 7,434 in ein neues Licht gerückt. Gerade dadurch, daß dem römischen Freiheitskampf in der Geschichte partieller Erfolg beschieden war, ist die Herrschaft, die über Rom ausgeübt wird, schlimmer als alle anderen regna. Lucan formuliert den Gedanken in einer paradoxen Klage über Roms Freiheit und Befreier und einem ebenso paradoxen Lob der östlichen Knechtsvölker. Die Geschichte der Republik erweist sich als sinnlos. Mit emphatischer Bitterkeit wird solchermaßen Roms Unfreiheit als Schande gebrandmarkt; die abschließende Sentenz 7,444f. bringt die Vorstellung dann mit unzweideutiger Direktheit zum Ausdruck. Die rahmenden Wortwiederholungen betonen die Tatsache der Knechtschaft nicht minder als den Umstand, daß die Römer es sind, die dieser Knechtschaft unterliegen. Auf den Gedanken der Freiheit fällt kein Schatten. Zugleich ist sie, die mit dem Wirken der republikanischen Institutionen, der leges und cónsules, gleichgesetzt wird, offenbar mit dem Prinzipat unvereinbar. Die rahmenden Elemente, auf die soeben hingewiesen wurde, unterstreichen auch, ebenso wie das egimus, daß Lucan sich selbst als Römer versteht, der von all dem betroffen ist. Damit ist das zweite Moment, das an Lucan. 7,434

Dritter Teil 4.4.2.2.

271

auffiel, ganz nachhaltig in den Gesichtskreis des Lesers gerückt. Auf solchen Ausdrücken, die Lucans Teilhabe an Roms Geschichte und Unglück bekunden, liegt jedoch nicht nur in b (7,436—445) starker Nachdruck; sie erscheinen in D (7,432—459) auch an anderen Stellen und sind in der Reflexionsperikope I (7,385-459) außerhalb D noch 7,400f. und 7,406 zu belegen. Ohne Parallele innerhalb I sind dagegen die Formulierungen in der 1. Person Singular 7,436 vellem, 7,440 queror. Lucan tritt in dem Abschnitt D somit sehr markant mit seiner persönlichen Ansicht in den Vordergrund, was den dort geäußerten Gedanken natürlich besonderes Gewicht verleiht. Der Verlust der Freiheit bedeutet nicht nur objektiv ein Übel, sondern, so gibt die Darstellungsweise von D zu verstehen, ein subjektiv vom Dichter empfundenes schweres Leid. Mit seiner persönlichen Anteilnahme betont Lucan in emphatischem Gefühl, was er in a mit größerer Sachlichkeit festgestellt hatte: daß die Freiheit durch die Schlacht bei Pharsalos beseitigt worden ist, für immer und damit auch für die Gegenwart. Die zwei Mittelverse 7,440f. des Passus b werden zum größten Teil von einer rhetorischen Frage ausgefüllt. Das ist ein Element, das b mit dem folgenden Abschnitt c gemeinsam hat, für den die argumentierenden Fragen besonders charakteristisch sind, 7,445ff.: 445

sunt nobis nulla profecto numina: cum caeco rapiantur saecula casu, mentimur regnare Iovem. spectabit ab alto aethere Thessalicas, teneat cum fulmina, caedes? scilicet ipse petet Pholoen, petet ignibus Oeten 450 immeritaeque nemus Rhodopes pinusque Mimantis, Cassius hoc potius feriet caput? astra Thyestae intulit et subitis damnavit noctibus Argos: tot similis fratrum gladios patrumque gerenti Thessaliae dabit ille diem? mortalia nulli 455 sunt curata deo.

Die formalen Entsprechungen von b und c gehen über die Gemeinsamkeit in der Verwendung von Fragen hinaus. Beide Passagen sind in der Form einer Ringkomposition gebaut, die vornehmlich durch je drei wiederholte Wörter konstituiert wird. In c wird diese Art des Aufbaus noch verstärkt durch die chiastische Beziehung von Aussage und Frage einerseits zu Frage und Aussage andrerseits. Anfang und Ende von c markieren so den Grundgedanken des Abschnitts: Die straflose Schlacht bei dem thessalischen Pharsalos zeigt, daß es für die Menschen keine waltenden Götter gibt37. Indem der Dichter hier seine Überzeugung von der gottlosen Sinnlosigkeit jeglichen Geschehens ausspricht, 37 7,448 teneat prägnant = retineat, wie wenig nachher 7,587 quod ferrum, Brute, tenebas. Zum Zweifel an der Existenz oder dem Wirken der Götter Verg. Aen. 4,208fF. aspicis haec?an te, genitor cum fulmina torques / necquiquam horremus eqs.; Lucr. 2,1101ff.; 6,390ff.; Ov. met. 9,203f.; am. 3,5,35f.; Octavia 247; Stat. Theb. 12,561f.

272

Dritter Teil 4.4.2.2.

knüpft er verallgemeinernd an eine bereits im Passus b geäußerte Anschauung an. Denn dort wird ja eben die Geschichte Roms in ihrer republikanischen Periode bitter als sinnlos charakterisiert. Der Gedanke erfährt seine klare Ausprägung nun gerade 7,440f., in der im Zentrum von b stehenden Frage, die auf die im Passus c herrschenden Fragen vorbereitet. Formale und gedankliche Verbindung sind hier vereint. Die Verbindungen, die sehr kunstvoll die Abschnitte b und c miteinander verknüpfen, darf man wohl als Indiz dafür werten, daß die Schlacht an dem Regiment der Götter auch wegen der Beseitigung der Freiheit verzweifeln läßt. Ausgesprochen wird der Gedanke aber nicht, höchstens angedeutet 7,451: Ein gerecht waltender Iuppiter hätte Caesar, der die Knechtschaft bringt, mit seinem Blitz töten müssen. Ausdrücklich wird dagegen darauf hingewiesen, daß der gegenseitige Kampf nächster Verwandter eine Bezeugung göttlichen Abscheus hätte hervorrufen müssen wie die Mahlzeit des Thyestes. In diesen anschließenden Zeilen ist der Verlust der Freiheit offenkundig aus dem Blickfeld geschwunden. Wie steht es damit in dem letzten Abschnitt d? 7,455ff.: cladis tarnen huius habemus vindictam, quantam terris dare numina fas est: bella pares superis facient civilia divos, julminibus manes radiisque ornabit et astris inque deum templis iurabit Roma per umbras. Der erste Satz des Abschnitts d knüpft in der Formulierung an den Beginn von c an. Beidemal spricht der Dichter in der Wir-Form, in beiden Fällen erscheint der Terminus numina. Die Verhältnisse haben sich nun freilich, was durch die formale Anknüpfung besonders sinnfällig wird, in dem Einleitungssatz von d gegenüber c verkehrt. War in c von der nicht verwirklichten Erwartung die Rede, die Götter würden den Frevel der Menschen bestrafen, so sind es in d gerade die Menschen, die Rache an den Göttern nehmen. Verkehrte Welt — das ist der Gesichtspunkt, unter dem auch die in a dargelegten Tatsachen in b gesehen werden 38 . Somit ist das gedankliche Verhältnis von b zu a ähnlich wie das von d zu c, eine Beobachtung, die mit der bereits hervorgehobenen Zusammengehörigkeit der Passagen a—b einerseits und c - d andrerseits harmoniert. Wie sich bei der Erörterung von c gezeigt hat, weist dieser Abschnitt eine starke inhaltliche und formale Verwandtschaft mit dem ähnlich langen Stück b auf. Der Befund läßt die Möglichkeit erwägen, daß der Passus d sich auf a, einen Abschnitt von fast identischem Umfang, zurückbeziehen könnte. Dann 38 Dabei hat es Lucan mit der Logik nicht ganz genau genommen. Denn wenn sich die Götter um die menschlichen Belange nicht kümmern (7,4S4f.), muß ihnen auch die Herrscherapotheose gleichgültig sein.

Dritter Teil 4.4.2.2.

273

würde das gesamte Stück I D in zwei einander überlagernde Beziehungssysteme gegliedert sein, die es zu einer unauflöslichen Einheit machten: a

b

c

d

Die vermutete Verbindung zwischen d und a gibt es nun in der Tat. Der Terminus civile nefas 7,432 wird 7,457 durch civilia . . . bella wiederaufgenommen, dies sind die einzigen Junkturen mit dem Adjektiv civile im Bereich der Perikope I D 3 9 . Das würde vielleicht nicht viel besagen, wenn nicht die Verbindungen in gedanklich homologen Kontexten erschienen. In a wird überwiegend objektiv eine negative Folge des Bürgerkriegs dargelegt: der Verlust der Freiheit. In d wird primär objektiv eine positive Konsequenz des Bürgerkriegs aufgezeigt: die Herrscherapotheose. In a und d werden die zwei Seiten derselben Medaille vorgewiesen; die Absenz der Freiheit und die in der Konsekration gipfelnde Alleinherrschaft des Princeps sind im Grunde identisch. Die Unterstruktur ist also eine tetradische Ringkomposition 40 . Lucan verneint 7,459 die Auffassung, die konsekrierten Kaiser seien wirklich Götter. Sie sind wie alle Gestorbenen umbrae; gerade deshalb bedeutet ihre göttliche Verehrung Mißachtung und Verachtung der wahren Götter, eben Rache an ihnen. Man erinnert sich dabei eines Abschnitts, in welchem der Dichter die Vergöttlichung des verstorbenen Princeps sehr ernst genommen hatte: der Verse 1,45-62 des Nerolobs. Die Reflexionsabschnitte I B-C (7,387431) sind nun, wie dargelegt, eine Variation der davorstehenden Lucanpassage 1,8—32; daß es sich um eine bewußte Variation handelt, wird man bei Berücksichtigung der sonstigen Rückwendung des 7. Buches zum Pharsaliabeginn kaum bezweifeln können. Unter diesen Umständen muß der Schlußvers von I auch als Widerruf dçr Hauptpartie des Neroenkomions aufgefaßt werden 403 . Damit hat die Endzeile einen nachdrücklichen Gegenwartsbezug. Doch ist es überhaupt das Signum von I D, daß das Ergebnis von Pharsalos als Faktum verstanden wird, das wie die ganze Folgezeit so gleichfalls die Gegenwart des Dichters beherrscht. Das Ergebnis ist nichts anderes als der Verlust der Freiheit, die durch die Wirksamkeit der republikanischen Einrichtungen gekennzeichnet ist. Die Freiheit ist ein unzweifelhaftes bonum, ihr Fehlen ein schändlich-verbrecherischer Zustand. Lucan beleuchtet diesen Zustand in höchst kunstreicher Gedankenformung und -fìihrung auf verschiedenartige Weise; mit emphatischer und paradoxer Kompromißlosigkeit drückt er dabei seine ganz persönliche leidvolle Betroffenheit durch die Knechtschaft der Gegenwart aus. 39

Vgl. die bedeutsame Verwendung von civis und civüis im Abschnitt 1,1-32, wozu im Ersten Teil 1.3.3.1. 40 Ganz ähnlich etwas später 7,680-711, wozu 3.2.1 mit Anm. 13. 40 a So auch schon B. M. Marti, Invocation 15, die freilich in dieser Beziehung gerade eine Bestätigung für die Ironie des Nerolobs sehen möchte. 18 Lebek (Hyp. 44)

274

Dritter Teil 4.4.3.

4.4.3. Lucati.

7,617-646

Im Abschnitt V, mit dem die Behandlung der Schlacht bei Pharsalos endet, werden noch einmal bezeichnende Merkmale dieses Ereignisses in allgemeinerer Form dargestellt und seine Auswirkungen bedacht. Die Partie ist ja das Gegenstück zu I (7,385-459) und bietet daher auch eine willkommene Gelegenheit, die Richtigkeit der zu I vorgetragenen Interpretationen und zugleich auch die Richtigkeit der Deutungen zu überprüfen, die für die Schlachtschilderung II-IV (7,460—616) gegeben wurden. Treffen die bisherigen Überlegungen zu, dann sollte ebenfalls in den Reflexionen von V dem Gedanken, Pharsalos bedeute den Untergang der Freiheit, hervorragende Bedeutung zuerkannt sein. Aufbau und Inhalt des Abschnitts lassen sich in folgender Skizze vergegenwärtigen: VA

7,617--637 7,617--631

a

α 7,617--618 ß 7,618- -630

b

y 7,630--631 7,632--637

a

7,638--646 7,638--641

b

7,642--646

B

Pharsalos als funus mundi Die Weigerung, einzelne Todesschicksale zu schildern (anonym) Ablehnung der Klage Aufzählung der verschiedenen Möglichkeiten des Schlachtentodes Ablehnung der Klage Der Untergang ganzer Völker für und mit Rom (mit Namensnennung) Pharsalos als Anfang ewiger Knechtschaft Roms dauernde Unterjochung als Hauptfolge der Schlacht Klage über die Erstreckung der Hauptfolge auf die Gegenwart

Das Thema von A wird in der ersten Zeile des Abschnitts mit funere mundi stichwortartig bezeichnet. In der Form einer Praeteritio werden dann mit immer neuen indirekten Fragesätzen die einzelnen grausig-mirakulösen Todesarten aufgeführt, von denen der Dichter hätte berichten können 4 1 . Erst 7,630 ist das große mit 7,617 beginnende Satzgefüge beendet. Der neue Hauptsatz (7,630f.) faßt den ganzen Inhalt von Aa noch einmal resümierend zusammen und verweist zugleich rahmend auf die Einleitung α (7,617f.) der Partie zurück. Der Wortlaut der Verse spricht für sich: 7,617f.

inpendisse pudet lacrimas in funere mortibus innumeris

mundi

41 An was für eine Dichtungsweise Lucan gedacht hat, können die varii miracula fati (3,634) der Seeschlacht bei Massalia 3,583-751 verdeutlichen (vgl. 3,602 ~ 7,624; 3,639 ~ 7,625); auch die spectacula (9,805) der durch Schlangenbisse herbeigeführten Todesarten 9,737-838 sind ein hüfreiches Analogon. Einiges zum Thema epischer Verwundungen bei W. Kroll 304ff.

275

Dritter Teil 4.4.3.

7,630f.

mors nulla querella digna sua est, nullosque hominum lugere vacamus.

Der Abschnitt Aa ist somit ein sehr deutlich in sich geschlossenes Gebilde 42 . Aber er bereitet doch auch auf Ab (7,632—637) vor, und das nicht nur als das anonym-spezialisierende Gegenstück zu der namentlichen Charakteristik allgemeiner Völkervernichtung. Vielmehr bilden die nachdrücklichen Hinweise auf die spezifisch römischen Todesarten Brudermad (7,626—628) und Vatermord (7,628-630), in denen die Aufzählung der mortes gipfelt, ein einstimmendes Pendant zu dem Gedanken, mit dem Ab beschlossen wird, 7,635ff.: sanguis ibi fluxit Ponticus, Assyrius; cunctos haerere crúores Romanus campisque vetat consistere torrens.

Achaeus,

Mit dem Bild von dem Sturzbach römischen Blutes findet die gesamte zusammenfassende Charakteristik von Pharsalos als funus mundi ein eindrucksvolles Ende. Schon das erste Wort von Ba aber zeigt, daß damit der Gipfel des Schreckens noch nicht erreicht ist, 7,638ff.: maius ab hac acie quam quod sua saecula ferrent volnus habent populi; plus est quam vita salusque 640 quod perit: in totum mundi prosternimur aevum. vincitur his gladiis omnis quae serviet aetas. Durch maius volnus und plus spannt Lucan die Erwartung des Lesers, um dann in 7,640 doch nur eine zeitlich quantifizierende Auflösung zu geben: die desaströsen Konsequenzen von Pharsalos werden für alle Zeit wirksam bleiben. Erst der Endvers von Ba klärt pointiert, was diese alles Unheil hinter sich lassende Wunde ist, die Rom 4 3 bei Pharsalos erhalten hat: Es ist die ewige Knechtschaft. Nun, nachdem das Schreckenswort ausgesprochen ist, bricht der Dichter in Klagen über die Sinnlosigkeit eines Geschicks aus, das Unschuldige trifft (Bb), 7,642ff.:

645

próxima quid suboles aut quid meruere nepotes in regnum nasci? pavide num gessimus arma teximus aut iugulos? alieni poena timoris in nostra cervice sedet. post proelia natis si dominum, Fortuna, dabas et bella dedisses.

"2 Diesen Passus hat W. Rutz, Diss. 85 ganz zutreffend gegliedert und interpretiert, der auch 7,617-646 als zusammengehörige Partie erkannt hat. Das Ablehnungsmotiv 7,617f. und 7,630f. erinnert an einen verbreiteten Hilflosigkeitstopos. So z.B. Sil. 12,387ff. non equidem innúmeras caedes totque hórrida facta / sperarim tanto digne pro nomine rerum / pondere eqs. Val. Fl. 2,216f.; 6,36f.; Stat. Theb. 5,206f.; Quintus Smyrnaeus 6,620f. 43 7,639 populi bezeichnet die Römer wie auch sonst; A. E. Housman zu 1,511. Lucan mag freilich 2,639 den Ausdruck mit der besonderen Intention gewählt haben, die Folgen von Pharsalos allumfassend erscheinen zu lassen. Vgl. oben in 4.2.3 Anm. 22.

276

Dritter Teil 4.4.3.

Die Frage und vor allem die Wir-Formen verdeutlichen die persönliche Betroffenheit Lucans durch Roms Knechtschaft. Es ist aufschlußreich, daß er sich innerhalb von V erstmals in Ba (7,640), also im Themenbezirk „servitus", selbst als leidendes Glied des römischen „Wir" in das Geschehen miteinbezieht 44 . Der Aspekt der persönlichen Anteilnahme darf freilich nicht über die Rationalität der Gestaltung in Bb hinwegtäuschen. Die zwei Fragen entfalten die Absurdität der Gegenwartskonsequenzen mit Hilfe der zwei Themenbereiche „Personen" und „Handlung dieser Personen" 4 5 . Jeweils durch aut werden diese beiden Bereiche ihrerseits zweigeteilt: die Personen nach der Generation der Söhne und der Generation der Enkel der Pharsaloskämpfer; die Handlungen nach Angriff und Verteidigung. Damit ist gewissermaßen der Möglichkeitsraum für eine Schuld der Nachwelt vollständig abgeschritten. Die konstatierende Schlußfolgerung 7,644f. zieht das Fazit: andere waren es (alieni ~ Personenbereich), die feige waren (timoris ~ Handlungsbereich); die Bestrafung der Gegenwart ist eine unsinnige Ungerechtigkeit. Daraus ergibt sich als logische Konsequenz der Wunsch, die Chancen der geschichtlichen Entscheidung noch einmal den post proelia nati in die Hände zu legen. Dieser Wunsch muß nun auch vor dem Hintergrund der Partie A gesehen werden, die in den Endversen von Aaß und Ab markant den widernatürlichen Wahnwitz und die gewaltigen Menschenopfer des römischen Bürgerkriegs hervorhebt. All die Schrecken des Bürgerkrieges, so furchtbar sie sein mögen, verblassen vor dem schrecklichsten der Schrecken: der Alleinherrschaft. Der Versuch, sie abzuwehren, lohnt einen Bürgerkrieg. Nichts könnte stärker den Rang der Freiheit und die Furchtbarkeit des Freiheitsverlusts kennzeichnen als der irreale Wunsch des zweiten Halbverses 7,646, mit dem Lucan den Reflexionsabschnitt V und zugleich die gesamte Schlachtschildeiung 7 , 3 8 5 - 6 4 6 beschließt. Ähnliche Gedanken hatte der Dichter bereits in der Partie I (7,385-459) vorgetragen. Der erste Hauptteil dieses Gegenstücks zu V, nämlich I Β (7,387-418), ähnelt offensichtlich dem ersten Teil von V, dem Passus A (7,617—637). Hier wie dort wird eindringlich von den gewaltigen Menschenopfern gesprochen, die gerade die Römer selbst bei Pharsalos bringen. Der zweite und letzte Teil von V, die Partie Β (7,638-646), hat dann ein Pendant in I D (7,432-459). Beidemal geht es um den endgültigen Verlust der Freiheit. In V Β kehren auch die sprachlichen Formen der beiden subjektiven Passagen I D b - c (7,436-455) wieder: die Fragen und das Reden in der 1. Person Plural als Zeichen für Lucans betroffenes Mitleiden.

44 7,631 vacamus ist anders zu beurteilen; es handelt sich um einen normalen Pluralis auctoris. 45 Man darf das wohl als eine Spielart des Schemas „res - homines" ansehen, das die Anfangszeilen 1,1-4 beherrscht Dazu im Ersten Teil 1.3.2 mit Anm. 43. Zur Unterscheidung von Angriffs- und Verteidigungswaffen, auf die im Folgenden Bezug genommen wird, vgl. Cic. Caecin. 60: arma esse suis nominibus alia ad tegendum, alia ad nocendum.

Dritter Teil 4.4.3.

277

Was in der Partie V gänzlich fehlt, ist eine Parallele zu I C (7,418-431). Dieses mittlere Hauptstück von I fuhrt Gedanken fort, die Livius vor Pharsalos der verspielten Möglichkeit der Welteroberung gewidmet hatte. War die Livianische Idee in I bereits auffällig zurückgetreten, so ist sie, wie man sieht, in V gänzlich unterdrückt worden. Daß Lucan sich in V am weitesten von Livius' Deutung von Pharsalos entfernt, zeigt sich auch unter einem anderen Gesichtspunkt. Livius hat Pharsalos gewiß nicht als die Ursache von Roms ewiger Versklavung charakterisiert. Auf eben diese Vorstellung aber wird in V ein noch stärkeres Gewicht gelegt als in I. Während nämlich der Gegenwartsbezug von Pharsalos in allen drei Haupteilen B, C, D von I in Erscheinung tritt, behält der Abschnitt V Gegenwartsbedeutung ausschließlich dem Thema „Tyrannei und Knechtschaft" (V B) vor. Es ist klar, daß Lucan in V nicht etwa seine Auffassung von Pharsalos gegenüber I gewandelt hat. Schon in der ersten Reflexionspassage war ja der endgültige Verlust der Freiheit in einer Weise behandelt worden, die keinen Zweifel daran ließ, daß der Dichter in diesem Verlust die entscheidende Folge der Schlacht sieht. Im Abschnitt V bietet Lucan also die Essenz der Gegenwartskonsequenzen, die im Schlußvers 7,646 dann zu ihrem stärksten Konzentrat verdichtet wird. Dieser Endvers ist nicht nur entschieden unlivianisch, sondern auch der denkbar stärkste Ausdruck für die Opposition gegen die offizielle Geschichtsdoktrin. Seneca begründet bekanntlich die Notwendigkeit des Prinzipats mit der Behauptung, daß dies die einzige Friedensgarantie sei (clem. 1,4,2). Die perpetua pax ist es, die der zeitgenössischen Panegyrik zufolge von dem jungen Nero gebracht wird (Calp. ecl. 1,42; 4,85; Carm. Eins. 2,27f.). Solche Partien bekunden also den wirklichen oder geforderten Glauben an die unauflösliche Verbindung von Frieden und Kaiserherrschaft, der die Prinzipatsepoche durchzieht und eine frühe monumentale Versinnbildlichung in der Ara pacis Augustae gefunden hat 4 6 . Lucan stellt diese Auffassung auf den Kopf. Nicht weiter rechtfertigt der Friede die Herrschaft eines dominus, sondern die Herrschaft eines dominus läßt nach einem Bürgerkrieg verlangen. Zu den bislang betrachteten drei Bezugsebenen, den Überlegungen des Abschnitts I, den Erwägungen, die Livius vor der Schlachtschilderung angestellt hatte, und schließlich der offiziellen Geschichtsdeutung, gesellt sich noch eine vierte: das Proömium der Pharsalia. Es ist ja durchaus angebracht, zum Verständnis des 7. Buches den Blick auf den Epenbeginn zurückzulenken. Zunächst bietet sich Lucan. 1,24—32 besonders zum Vergleich an, die Darstellung der Verwüstung Italiens als gegenwärtiger Kriegsfolge. Diese Konsequenz hat für Lucan in V keine Bedeutung mehr, umgekehrt fehlt jedoch im ganzen Proömium jede Andeutung über die Versklavung Roms, also über die schreck46 Das alles sind bekannte Dinge, so daß sich eine ausführliche Bibliographie erübrigt. Vgl. immerhin F. Christ 103ff.; C. Koch, RE l.R. XVIII 2.3 (1949), 2430ff. s.v.Pax.

278

Dritter Teil 4.4.3.

liehe Gegenwartsauswirkung von Pharsalos, auf der in V der ganze Nachdruck liegt. Die Überlegungen, die Lucan an das Ende der Katastrophe von Pharsalos stellt, stehen zu dem Pharsaliaproömium in noch schrofferem Gegensatz als die Erwägungen, die in I die Schlachtdarstellung einleiten. Vielleicht ist eine andere Konträrbeziehung zum Proömium aber noch wichtiger. Wenn Nero, so heißt es ja zu Beginn des Nerolobs, nur durch den Bürgerkrieg zur Regierung kommen konnte, dann sind alle Kriegsgreuel mehr als gerechtfertigt, l,37f.:

hue mercede

scelera ipsa nefasque placent.

Der exponierte und profilierte Schlußsatz (7,645f.) besagt das diametrale Gegenteil: Alle Kriegsgreuel wären wünschenswert, wenn man sich gegen den dominus - und damit eben auch gegen Nero - so zur Wehr setzen könnte. Der naheliegende Gedanke, daß die Sentenz ein intendierter Widerruf der profilierten Einleitung des Neroenkomions ( 1 , 3 3 - 4 5 ) ist, gewinnt hohe Wahrscheinlichkeit, wenn man sich an die drei letzten Hexameter des Pendantabschnitts I ( 7 , 4 5 7 459) erinnert. Diese Zeilen nahmen ja offenbar die Hauptpartie des Nerolobs (1,45—62) zurück. Jeweils am Ende der beiden Perikopen I und V, in denen Lucan vor und nach der Schlacht die Katastrophe zusammenfaßt und historisch wertet, negiert also der Dichter das Nerolob und zwar so, daß sich die beiden Schlußteile zu einem Widerruf der beiden umfangreichsten Teile des Enkomions ergänzen 47 . Sowohl die Eigenponderierung des Abschnitts V ( 7 , 6 1 7 - 6 4 6 ) als auch seine Beziehungen zu anderen Pharsaliapassagen und werkexternen Gegebenheiten zeigen, wie sehr Lucan daran liegt, die unheilvolle Gegenwärtigkeit der Knechtschaft, die in Pharsalos ihren Ursprung hat, herauszuarbeiten. Die gesamte Schlachtschilderung ( 7 , 3 8 5 - 6 4 6 ) endet gewissermaßen mit dem Fortissimo des Themas, das wie in einem Rondo immer wieder an markanten Stellen des 7. Buches aufgeklungen war.

41 Man könnte versucht sein, 7,645f. in enge Nachbarschaft zu 1,670-672 zu rücken. Aber die Differenzen zwischen den zwei Stellen sind schwerwiegend. In der ersten Passage, die Nigidius Figulus in den Mund gelegt ist, fehlt eben jeder Hinweis auf Lucans Gegenwart. Und die letzte Steigerung, die malora 1,674, hat im Gegensatz zum maius vulnus 7,638f. nichts mehr mit dem Verlust der Freiheit zu tun, sondern nur mit dem verlängerten Krieg; hinter den beiden zunächst so ähnlich scheinenden Passagen steht also eine ganz verschiedene Wertskala. Dazu auch die Zusammenfassung 5.

Dritter Teil 5.

279

5. Zusammenfassung und Ergänzung

Die Darstellung der Katastrophe von Pharsalos beginnt mit einem „vergilischen" Abschnitt (2.3). Schon der bloße Rekurs von Lucan. 7 , 1 - 1 5 0 auf den Ariminumbericht 1,231-295 entspricht Vergils Praxis (2.1). Die Anregung durch Vergil zeigt sich überdies in dem motivischen Anschluß an die Aeneispartie 7,573-640, die an Aen. 7,341-539, das Strukturvorbild von Lucan. 1,183-391, angrenzt. Am Tag von Pharsalos, gibt Lucan auf diese Weise zu verstehen, erfüllt sich das Geschick, das sich mit der dies primos belli visura tumultus (1,233) angekündigt hat. Auch in den weiteren Partien des 7. Buches finden sich immer wieder thematisch-strukturelle Kongruenzen mit den ersten beiden Büchern, obschon nicht in der umfassend-systematischen Art von Lucan. 7,1—150. Der Schlachtschilderung Lucan. 7,460-616 liegt dann eine neue Aeneispassage als Motivquelle und tektonisches Organisationsmuster zugrunde: Aen. 12,257— 382. Es ist die Partie, in welcher das ganze Werk des Aeneas und damit Roms zukünftige Existenz durch den Vertragsbruch der Rutuler, das siegreiche Vordringen des Turnus und Aeneas' Verwundung noch einmal in Frage gestellt werden. Im 7. Pharsaliabuch sind also der Anfang des troisch-latinischen Krieges und sein gefährlicher Höhepunkt gebündelt - eine symbolkräftige struktur-imitatorische Gestaltung der entscheidenden Schlacht des Bürgerkrieges. So wichtig die vergilische Komponente ist, man muß sich doch hüten, das 7. Buch vorwiegend oder gar ausschließlich unter diesem Nachahmungsaspekt zu sehen. Nicht als ob Lucan sich zu sehr an die geschichtliche Tradition gebunden hätte. Im Gegenteil ist ja gerade erstaunlich, wie großzügig der Dichter trotz detaillierter historischer Kenntnisse mit den überlieferten Gegebenheiten umgeht. Die subtilen Strukturen der erzählenden und reflektierenden Abschnitte sind eben von Vorbildern weitgehend unabhängig. In beträchtlichem Ausmaße dienen sie dazu, Lucans Vorstellungen von Wesen und Bedeutung der libertas Relief zu geben. Erstens: Lucan meint, wenn er von „ F r e i h e i t " spricht, keine innere Einstellung des Individuums, sondern eine politische Gegebenheit. Es handelt sich um die Freiheit von Roms Volk (3.1.4; 4.4.2.2; 4.4.3), die sich nach 7,440f. in den Gesetzen und im Institut des Konsulats konkretisiert. Ganz besonders aber verkörpert sich die Freiheit für Lucan im Senat (3.2.2; 4.2.3); dazu Weiteres unter dem vierten Punkt. Zweitens: Charakteristisch ist für die Mehrzahl der Stellen, daß die Erhaltung oder der Verlust der Freiheit nicht nur für den Erlebnisbereich der epischen Personen Bedeutung haben; das zeigt sich bis zu einem gewissen Grade schon daran, daß die Belege für liber u n d libertas z u m überwiegenden Teil nicht im Munde von Epengestalten (7,264; 375; 612), sondern in der reinen Darstellung oder der Reflexion des Dichters zu finden sind (7,433; 580; 603;

280

Dritter Teil 5.

696). Das Geschick der Freiheit ist das zentrale Problem für die gesamte römische Geschichte nach Pharsalos, vor allem aber für Lucans eigene Zeit. Der Horizont des epischen Geschehens wird also transzendiert. Die Niederlage der Freiheit bei Pharsalos ist für den Dichter von höchster und schmerzlichster Gegenwartsaktualität, an der er selbst nach eigener klarer Aussage zutiefst mitleidet (3.1.4; 3.2.2; 4.2.3; 4.4.2.2; 4.4.3). Drittens: Die Freiheit, die bei Pharsalos verloren wird, ist nicht schon vorher fundamentlos und fragwürdig. Vielmehr ist sie das höchste Gut und ein lohnender Einsatz für alles grauenvolle Blutvergießen der Schlacht. Der Freiheitsgedanke ist fest in Pompeius, Domitius und dem Senat verwurzelt. Nicht innere Ausgehöhltheit, sondern allein die Niederlage bei Pharsalos bringt der Freiheit den Untergang (3.1.4; 3.2.2; 4.2.3; 4.3.2; 4.4.2.2; 4.4.3). Viertens: Pompeius wird, solange er an der Schlacht und an den Vorbereitungen zu ihr beteiligt ist, als der Verteidiger und Garant der Freiheit gezeichnet (3.1.4; 4.3.2; vgl. 3.2.2), Caesar ist — im Gegensatz zu ihm — ihr entschiedener Feind (3.1.1; 3.1.3 mit 3.1.4; 4.2.3). Zwar steht an Caesars Seite seine verbrecherisch-barbarische Soldateska, aber in dem entscheidenden Schlachtstadium ist er allein es, der mit dämonischer Bewußtheit die libertas ultima mundi (7,580) zu vernichten sucht. Pompeius und Caesar vertreten also nicht zwei nur personell unterschiedene Ansprüche auf Alleinherrschaft, sondern Freiheit und Knechtschaft. Als Repräsentant der Knechtschaft ist Caesar die Präfiguration der Caesares (3.2.2). Es liegt unter diesen Umständen nahe, den ahistorischen Versuch Caesars, den Senat und damit die libertas auszurotten (4.2.3), als Projektion einer gegenwärtigen Gefährdung des Senats in die Vergangenheit zu deuten. Denn bekanntlich hat Nero gedroht, den Senatorenstand ganz zu beseitigen (Suet. Nero 37,3). Fünftens: Die Ausdrücke liber und libertas erscheinen, wie schon angedeutet, fast durchweg an tektonisch besonders markierten Stellen (3.1.4; 3.2.2; 4.2.3; 4.3.2; 4.4.2.2; vgl. 4.4.3). Vor allem die Schlachtdarstellung 7,385-646 würde ihrer zielstrebigen Bauweise verlustig gehen, wenn man diese Termini eliminierte. Wie stark der Freiheitsgedanke betont ist, zeigt auch ein Vergleich mit entsprechenden Partien der ersten drei Bücher; das gilt von der Ansprache des Pompeius (3.1.4), den Reflexionen vor und nach Pharsalos (4.4.2.2; 4.4.3) und Domitius' Begegnung mit Caesar (4.3.2). Die herausgearbeiteten fünf Merkmale zeigen in ihrem Zusammenspiel, daß die apolitische oder prinzipatskonforme Darstellung der drei Anfangsbücher1 im 7. Buch einer Haltung gewichen ist, die sich leidenschaftlich gegen den Prinzipat und die Absenz der republikanischen Freiheit stellt. Hier ist die Bedingung vorhanden, deren Erfüllung ein Abweichen von der Interpretationsrichtung gestattet, in die das Pharsaliaproömium und insbesondere das Nerolob deutlich weisen: Lucans Äußerungen sind verständlich nur als Gegenwartskritik. Hier findet sich 1

Dazu im Ersten Teil 1.3.5; im Zweiten Teil 2.4; 3.6.

Dritter Teil 5.

281

anscheinend tatsächlich auch ein Widerruf des Neroenkomions, und zwar eben nicht an beliebiger, sondern an strukturell exponierter Stelle (4.4.2.2; 4.4.3). Auf den Leser, der ohne jegliche Kenntnis von Lucans Biographie die Pharsalia sukzessive bis zum 7. Buch durchliest, wirkt der Wandel, den das Epos in der Einschätzung der Freiheit aufweist, als Wandel in der politischen Einstellung des Dichters selbst. Einem so bewußt gestaltenden Autor wie Lucan kann das nicht entgangen sein 2 , zumal die Beziehungen gewisser Partien des 7. Buchs auf Pendantpassagen des Pharsaliabeginns den Gegensatz noch akzentuieren. Der sich aufdrängende Eindruck ist also der intendierte. Die Zurücknahme des Nerolobs hat der Interpret unter diesem Aspekt nach Lucans Absicht als autobiographisches Element aufzufassen — eine kühne, aber typisch lucanische Durchbrechung des epischen Herkommens. Wie steht es aber mit dem Leser, der mit Lucans Biographie vertraut ist 3 ? Erinnern wir uns kurz an die überlieferten Tatsachen. Der jugendliche Lucan wurde von einem Studienaufenthalt in Athen durch kaiserlichen Befehl zurückgerufen, der Cohors amicorum eingereiht und bald durch Quaestur und Augurât geehrt (Suet. Vita Lucani p. 332,9 Hosius; Vacca p. 335,11-17 Hosius). In diese Zeit der Förderung durch Nero fällt auch der Sieg, den Lucan bei den Neronia des Jahres 60 n. Chr. mit einem Enkomion des Kaisers errungen hat (Suet. Vita Lucani p. 3 3 2 , 1 - 3 Hosius; Vacca p. 3 3 5 , 2 1 - 2 3 Hosius). Dann kam es jedoch zum Bruch mit Nero, und zwar weil der Princeps auf die dichterischen Erfolge seines ursprünglichen Protégés neidisch war; Lucan wurde mit einem Verbot belegt, mündlich oder schriftlich Gedichte zu publizieren (Tac. ann. 15,49,2; Cassius Dio 62,29,4; Vacca p. 3 3 5 , 1 9 - 3 3 6 , 2 Hosius). 2 O. S. Due llOff. legt sich die Sache freilich anders zurecht. Zunächst verteidige die Partei des Pompeius nur den Schatten der Freiheit. „But through their sufferings Caesar's adversaries are gradually freed from this guilt; they purify their cause with their blood. But their cause can be that of true Liberty only after the decisive catastrophe" ( 113). Es gibt jedoch keinen Anhalt im Text dafür, daß Lucan eine schrittweise Entsühnung von Caesars Gegnern darstellen wollte. Die Schlacht bei Pharsalos, bis zu der die Leiden keineswegs einseitig auf der Seite der Pompeianer liegen (Dyrrhachium!), ist ja bereits ein Kampf zwischen Tyrannei und Freiheit. Wenn dies dann nach Pharsalos und insbesondere nach Pompeius' Tod klar als der alleinige Sinn des Bürgerkriegs zutagetritt, dann nicht wegen einer „Reinigung" der Pompeianer, sondern wegen der Änderung der Machtverhältnisse: jetzt ist zweifellos, daß nur Caesar als dominus mundi in Frage kommt (9,19-30). 3 Vom Leben oder von bestimmten Lebensabschnitten Lucans haben moderne Philologen in mancherlei Hinsicht divergierende Darstellungen gegeben. Es seien nur einige Namen aus neuerer Zeit erwähnt: G. K. Gresseth; J. Brisset; O. Schönberger, Dichter; K. F. C. Rose; D. Gagliardi; F. M. Ahl, Lucan's De incendio urbis. Eine Kontroversbehandlung einzelner Punkte würde viel Platz beanspruchen, ist aber glücklicherweise nicht nötig. Noch niemand hat gewagt, die durch Tacitus, Sueton, Statius, Cassius Dio und Vacca vertretene biographische Überlieferung in toto zu verwerfen; dazu ist der Eindruck, daß die Tradition auf realer Faktenkenntnis beruht, viel zu stark. Bei dieser Sachlage sind sämtliche überlieferten biographischen Detaüs, die nicht als unmöglich erwiesen werden können, als Realität zu akzeptieren. Danach ist im Folgenden verfahren.

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Das tragische Ende des Dichters braucht hier nicht geschildert zu werden. Wichtig für unsere Fragestellung ist jedoch die Notiz Vaccas, daß Lucan drei Pharsaliabücher, womit die ersten drei gemeint sein müssen4, im überlieferten Zustand selbst veröffentlicht (p. 335,24f. Hosius), die restlichen sieben hinterlassen hat, ohne die letzte Hand anlegen zu können (p. 336,12—17 Hosius). Die Abfassung der drei Anfangsbücher muß also in die Periode guter Beziehungen zu Nero gehören (vgl. auch Vacca p. 335,25f. Hosius). Die anderen epischen Partien können ganz oder partiell, nachdem das Publikationsverbot ergangen war, entstanden sein. In der Tat bezeugt Statius, daß Lucan an den Pharsaliateilen arbeitete, die es mit Pompeius' Tod und der „Tröstung" dafür zu tun haben, als ihn der Befehl zum Selbstmord ereilte (silv. 2,7,71f.; 101 ff.); damit ist das 8. oder 9. Buch gemeint, oder vielleicht noch genauer das Pharsaliaende, nämlich 10,513—529, wo von der Bestrafung der Männer gehandelt wird, die an Pompeius' Tod schuldig sind. Aufgrund von Lucans Biographie würde man kaiserfeindliche Bemerkungen in den ersten drei Büchern für höchst unwahrscheinlich halten. Doch müßte es als sehr gut möglich erscheinen, daß der in Ungnade gefallene Dichter in den späteren Partien seiner Verbitterung mit Angriffen auf das Gegenwartsregime Luft gemacht hat 5 . Insofern die Pharsalia einen Umschwung von Gegenwartskonformität zur Ablehnung der Prinzipatsordnung durchmacht, spiegelt sie also offenbar einen Wandel des Menschen Lucan wieder. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Motive für diesen Wandel Lucans dem Epos zu entnehmen wären. Tacitus, der sich noch unter den Zeitgenossen des Dichters bewegen konnte und schon deshalb ein sehr gewichtiger Zeuge ist, spricht in dem Bericht über die Pisonische Verschwörung ann. 15,49,3 von den Gründen, die Lucan zum Anschluß an den Verschwörerlqeis bewogen haben: et Lucanus Annaeus Plautiusque Lateranus vivida odia intulere. Lucanum propriae causae accendebant, quod famam carmimim eius premebat Nero prohibueratque ostentare, vanus adsimulatione: Lateranum consulem designatum nulla iniuria, sed amor rei publicae sociavit. Nicht Vaterlandsliebe, sondern verletzter Dichterehrgeiz — diesen entscheidenden Anlaß für die Feindschaft, die der Mensch Lucan gegen Nero empfand, vermöchte kein Interpret aus den Angriffen des Dichters gegen die Prinzipatsordnung zu eruieren 6 . Weshalb in 4

Das ist die Communis opinio; richtig letzthin F. M. Ahl, Lucan's De incendio urbis

14f. 5 O. Schrempp, Prophezeiung 84ff. sammelt die Pharsaliastellen, in denen auf das Kaisertum Bezug genommen wird. Er erkennt zutreffend S. 87 in Lucan. 4,821ff. die früheste dieser Passagen, ohne aber daraus Konsequenzen für die Interpretation des Werkes zu ziehen; ganz ähnlich F. M. Ahl, Lucan's De incendio urbis 14f. 6 Die Möglichkeit ist zuzugeben, daß Tacitus den Gegensatz Lucan - Lateranus besonders zugespitzt, aber nicht, daß er ihn erfunden hat. Das um so weniger, als auch Vacca, der Lucan glorifiziert, nur persönliche Rachsucht für die Behinderung der literarischen Betätigung als Motiv Lucans kennt (p. 336,2-5 Hosius). Von ursprünglich politischen Motiven Lucans ist nirgendwo etwas überliefert. Überhaupt scheint nach der biographischen Tradi-

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der Pharsalia von den persönlichen Motiven geschwiegen wird, dafür kann man sich mancherlei Erklärungen zurechtlegen. Wichtiger ist die Lehre, daß es sinnlos ist, den im literarischen Werk ausgedrückten Gehalt mit der Frage nach Motivationen, die sich nicht aus dem Gehalt ergeben, zu überschreiten, solange nicht dafür verläßliche und werkunabhängige biographische Quellen eröffnet werden können. Ja, man muß sich auch hüten, in der Prinzipatsfeindlichkeit des 7. Pharsaliabuches „die" politische Einstellung Lucans nach dem Bruch mit Nero zu erkennen. Die Pisonische Verschwörung zielte bekanntlich keineswegs auf die Wiederherstellung der Republik ab, sondern auf die Einsetzung eines besseren Princeps. Als Teilnehmer an der Verschwörung hat Lucan die Verkörperung des Prinzipats durch Nero bekämpft, nicht aber diese Regierungsform als solche. Die Realitäten der Gegenwart ließen die Schaffung eines republikanischen Regimes, wie es dem Dichter im 7. Buch als echte Realisierung der Freiheit vorschwebte, in den Augen des handelnden Verschwörers Lucan anscheinend nicht zu. Das aktuell bedeutsame Geschichtsverständnis des 7. Buches ist von der gegenwartsfernen Geschichtsdarstellung des Pharsaliabeginns ganz eindeutig verschieden. Unter diesem Aspekt mangelt es dem Bürgerkriegsepos durchaus an Einheitlichkeit. Aber Lucan, der die beiden unterschiedlichen Konzeptionen ja eben in ein und demselben Werk aufeinanderfolgen läßt, hat die Diskrepanz offenkundig nicht als zu störend empfunden. Mit Recht, m u ß man sagen. Das Thema der bella plus quam civilia ist das gleiche geblieben. Jedenfalls prinzipiell gleich geblieben ist auch die schmerzvoll ablehnende Einstellung gegenüber dem dargestellten Geschehen. Von den drei großen Gestalten des Epos brauchte sich Cato überhaupt nicht zu ändern. An dem anfanglichen Bild Caesars mußten nur gewisse Retuschen vorgenommen werden. Sie waren dadurch erleichtert, daß Caesar bereits in der Domitiusszene 2,439—525 mit dunkleren Farben gemalt war als im Proömium. Wenn er dann als grundsätzlicher Feind der Freiheit und damit als Begründer des Caesarismus gezeichnet wurde, war das zwar eine neue Nuance, aber keine Störung des einheitlichen Gesamteindrucks. Die Hauptschwierigkeit lag in der Figur des „dominus" Pompeius, der auf die Seite der Freiheit zu rücken h a t t e 7 , sollte die Bedeutung dieses Angelpunktes der Ereignisse dem Leser klar vor Augen treten; das Verhältnis von Pompeius und libertas ist denn auch von Widersprüchen nicht frei.

tion Lucan nicht gerade ein charakterfester Idealist gewesen zu sein. Man muß sich eben damit abfinden, daß hervorragende dichterische und intellektuelle Begabung sich mit einem etwas dubiosen Charakter vereinen kann. 7 Es wäre verkehrt, das im Sinne der bekannten stimulierenden These B. M. Martis (Sinn 122) als „Entwicklung" des Pompeius zu deuten. Die autoritative Oratio funebris Catos (9,190-214) kennt keine Veränderung des Pompeius vom Machthaber zum Freiheitshelden. Dazu oben 3.2.2. Nur noch verweisen kann ich auf die jüngsten Bemerkungen zu Lucans Pompeius, den Essay von F. M. Ahl, The Pivot of the Pharsalia, Hermes 102, 1974, 305-320.

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Aber im großen ganzen bleibt doch genug an Einheitlichkeit. Es läßt sich vermutlich auch erkennen, daß der Dichter seinen anfänglichen Dichtungsplan partiell beibehalten hat. Der komplizierte vergilische Rekurs der Pompeiuspartie 7,1—150 auf die Ariminumszene 1,231-295 dürfte sich dem Dichter nicht erst bei der Niederschrift des 7. Buches ergeben haben. Domitius' Tod zu gestalten (7,599-616) wird Lucan bereits beabsichtigt haben, als er die dementia Corfiniensis (2,478-525) im Todeswunsch des Domitius gipfeln ließ. Der Tenor auch dieser beiden Partien hat sich gegenüber dem ursprünglichen Plan aber gewiß gewandelt, stärker wohl in der Domitiusszene, weniger in der detailliert zurückweisenden Passage 7,1—150, in welcher die Begriffe „Freiheit" oder „Knechtschaft" bezeichnenderweise nicht fallen.

Epilog: Lucanisches und Metalucanisches Die vorliegenden Untersuchungen galten vornehmlich Pharsaliapassagen, die auf die politische Gegenwart des Dichters ausgerichtet waren oder doch manchen Interpreten zu sein schienen. Um die Dinge in den richtigen Proportionen zu sehen, wird man sich vergegenwärtigen müssen, daß auch in den Pharsaliabiichern 4 - 1 0 die „politischen" Partien einen ziemlich geringen Raum einnehmen und das 7. Buch mit der beherrschenden Rolle der Freiheitsproblematik keineswegs symptomatisch ist. Als Lucan mit der Niederschrift des Epos begann, hatte er offenbar — wenn man von der kaum auffälligen prinzipatskonformen Einstellung absieht — nicht den Plan, sich auf seine eigene Zeit zu beziehen. Künstlerische Erwägungen ließen ihn zu dem unabgenutzten Stoff der Romana carmina greifen1. Die weltuntergangshafte kriegerische Erschütterung der ganzen Oikumene mußte als epischer Gegenstand erscheinen, vor dem die herkömmliche Thematik zu zwergenhafter Bedeutungslosigkeit schrumpfte. Das Bemühen, den gigantischen Stoff künstlerisch zu bändigen, bleibt im ganzen Epos Lucans vordringliches Anliegen. Ganz besondere Mühe hat sich der Dichter mit der Tektonik und mit der sie unterstützenden Wortwahl gemacht. Das Pathos, die Paradoxien, um nur die zwei sich zunächst dem Leser aufdrängenden Gestaltungseigentümlichkeiten der Pharsalia zu erwähnen, sind an vielen wichtigen Stellen in zugleich weite und bis in winzige Kleinigkeiten ausgeklügelte Strukturnetze eingespannt. Der rationale Kalkül des Baus ist ein immer wieder zu beobachtendes Merkmal der Pharsalia. Gelegentlich ist das Raffinement der Gestaltung so groß, daß erst nach detaillierter Analyse die Impression sozusagen flächenhaft-grober Pinselfiihrung durch die Erkenntnis der filigranhaften Zeichnung ersetzt werden kann. Über weite Strecken wird man Lucan schwerlich einen gegenüber Vergil pastoseren Farbauftrag nachsagen dürfen. Das bedeutet gewiß nicht, daß alles gleichermaßen ausgeformt wäre und jede Passage die subtilsten Strukturen aufweisen müßte. Indessen bedürfte es weit ausführlicherer Untersuchungen als der vorgelegten, wollte man das Verhältnis von Gestaltetem und weniger Gestaltetem in fundierter Weise darstellen. Dabei wäre zu berücksichtigen, daß Lucans Dichtung unvollständig ist, ihre niedergeschriebenen Teile partiell wohl noch zu überarbeiten waren und ihre jüngsten Partien unter beträchtlichen psychischen Belastungen des Verschwörers entstanden sein dürften. Es fehlen nicht nur tragende Pfeiler des Gesamtbaus, sondern auch manche Einzelheiten der vom Dichter nicht veröffentlichten Abschnitte ermangeln wahrscheinlich der letzten Ausfeilung. 1

Das hat besonders schon Ed. Fraenkel, Lucan 22f. ganz klar gesehen.

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Epilog

In den untersuchten Passagen der Pharsalia hat sich jedenfalls die intellektuelle Kraft, mit der der Stoff auf seine Sinnbezüge hin geordnet wird, als hervorstechendes Charakteristikum erwiesen. Nicht minder genau prüft Lucan die herkömmlichen literarischen Stilmittel auf ihre Verwendbarkeit. An die Stelle der Bewahrung der Tradition ist kritische Sichtung getreten. Aber gerade in der Durchbrechung des Herkömmlichen, die als neuartig gewürdigt werden soll, setzt der Dichter bei dem Leser die Kenntnis der geprägten literarischen Formen voraus. Insofern unterscheidet sich die Pharsalia nicht prinzipiell etwa von der Aeneis oder der Thebais. Der Funktion dieser Imitation sei noch etwas nachgegangen. Die antike Interpretation, die das Phänomen didaktisch als Formung des dichterischen Vermögens und agonistisch als Wettbewerb mit dem großen Muster versteht, verliert nichts an Wert, wenn etwas andere Aspekte ins Spiel gebracht werden. Jedes derartige „nachahmende" Dichtwerk stellt zugleich eine explorierende Vergegenwärtigung des literarischen Kulturraumes dar, innerhalb dessen es sich seinen Platz anweist. Der in diesem Raum beheimatete — das heißt in Lucans Zeit: der normale — Leser erkennt im Neuen das Bekannte und durch das Bekannte das Neue. Den „unverstandenen" Künstler kann es im Bereich eines solchen Kommunikationskontinuums, das durch wiederholte Exploration überdies eine lang dauernde Konstanz hat, nicht geben. Abgesehen von der Sicherung ästhetischer Verstehbarkeit leistet die imitatorische Gestaltungsweise gerade, wenn sie wie bei Lucan zugleich auch Auseinandersetzung mit dem Herkömmlichen ist, ein zweites: Die Darstellung wird gewissermaßen mehrstimmig, dialogisch. Eben die in der Ablehnung evozierten Möglichkeiten befreien den Leser von der zwanghaften Bindung an das positiv Dargebotene. Und um noch auf einen dritten Gesichtspunkt hinzuweisen: durch die stets präsente Folie der Tradition wird die Sensibilität für das Artifizielle der Literatur geschärft. Das Geschriebene gibt nicht vor, objektive Wirklichkeit zu reproduzieren, sondern enthält in sich den kommentierenden Hinweis auf das ihm eigene literarische Wesen. Es liegt auf der Hand, daß dies eine aufrichtigere Form der Gestaltung ist als eine „realistische" Darstellung, die dem Leser eine ja nie vorhandene Identität von Realität und vorliegendem Werk zu suggerieren sucht. Die letzte Bemerkung hat uns sozusagen an die Schwelle der Moderne geführt. Übertreten wir die Schwelle — und wenden wir uns noch einmal dem Phänomen der Imitation zu. Der Literatur des 20. Jahrhunderts ist ja der Versuch, multiperspektivische Transparenz durch Wiederholung im weitesten Sinne „klassischer" Konfigurationen zu gewinnen, nicht fremd. Der „Ulysses" von James Joyce mag für so manches Werk insbesondere des englisch-amerikanischen und französischen Sprachbereichs stehen 2 . Aber in wie vielen Lesern wird bei 2 Als Beispiel aus der deutschen Gegenwartsliteratur sei - si parva licet componere magnis - erwähnt: Ulrich Plenzdorf, Die neuen Leiden des jungen W., Frankfurt 1973. Bezeichnend, daß Plenzdorf den Helden seines Buches, den jungen Edgar Wibeau, den

Epilog

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der Begegnung zwischen Leopold Bloom und Gerty MacDowell eine Erinnerung an Odysseus und Nausikaa auftauchen? Die Joyce-Deutung im Gerichtsurteil des Hon. John M. Woolsey3 stimmt skeptisch: „He takes persons of the lower middle class living in Dublin in 1904 and seeks not only to describe what they did on a certain day early in June of that year . . . but also to tell what many of them thought about the while." Publikum und Autor gehören nur noch partiell demselben Kommunikationsraum an. Die Evokation des Geprägten ist in der Moderne mehr und mehr eine übersehene oder tolerierte alexandrinische Verdunkelung. Damit ist auf die weitgehende Absenz subtilerer Vorstellungs- und Erlebnisgemeinsamkeiten hingedeutet, die die Übertragung differenzierterer Gedanken und Ausdrucksformen überhaupt erst ermöglichen 4 . Die durch die Massenmedien vermittelten Kollektiverlebnisse können hierfür keinen Ersatz bieten, da von ihnen nur ein grob strukturiertes und immer wieder schnell zusammenbrechendes Kommunikationsfeld ausgeht. Ein Autor, der sich um die Vermittlung einer feineren Gehalts- und Formtextur bemüht, ist genötigt, ein eigenes Verständigungssystem zu erfinden. Vor allem die moderne Lyrik bietet dafür genügend Beispiele. Für die adäquate Rezeption eines solchen privaten Mitteilungssystems durch das Publikum gibt es aber keine Gewähr. Durch die Störung des Mitteilungssytems wird Literatur, insoweit sie den Bereich simpler Faktizität übersteigt, zu einem verformbaren Material, das sich dem geistigen Raum des Rezipienten einfach anschmiegt — statt diesen Raum zu erweitern. Indem sich eine „unmoderne" Dichtung wie die Pharsalia, richtig gelesen, dieser Beliebigkeit der Interpretation gerade entzieht, läßt sie mit besonderer Schärfe das Eigentümliche der skizzierten Gegenwartssituation erkennen. Und indem das Epos dazu nötigt, einen zunächst unvertrauten, reich differenzierten

Werther nur zufällig finden läßt, und vielleicht noch bezeichnender, wo: im Abort eines alten Gartens, der planiert werden soll. 3 Es handelt sich um das Urteil, welches 1933 das in den Vereinigten Staaten bestehende Verbot des Ulysses aufhob. Der Text ist abgedruckt in der Paperbackausgabe des Ulysses in den Vintage Books (A Division of Random House), New York 1961 3 , [VII]—[XII]; das folgende Zitat steht auf S. [IX]. Natürlich ist bei dem Gerichtsurteil zu berücksichtigen, daß es auf die Beantwortung der Frage, ob Joyces Roman obszön sei, abzielt; aber das Bemühen, den Ulysses auch generell als Kunstwerk zu würdigen, spielt in diesem Zusammenhang doch eine bedeutende Rolle. Ein wichtiger Gesichtspunkt wäre, daß sich allein durch die Größe des englisch-amerikanischen Sprachbereichs besondere Diskontinuitätsphänomene ergeben müssen. Ich lasse diesen Aspekt außer Betracht, wie ich überhaupt in den folgenden kurzen Bemerkungen selbstverständlich stark vereinfache. 4 Auf etwa derselben gedanklichen Linie bewegt sich Herman Meyer in der Einleitung seines Buches „The Quotation in the European Novel" S. 20 (ich zitiere nach der amerikanischen Übersetzung Princeton 1968). Noch stärker berührt sich das Dargelegte mit den Ausführungen, die Bernhard Blume zum Stichwort „Moderne" macht, in: Das Fischer Lexikon, Literatur 2/2 (FL 35/2), Frankfurt 1965, 389f.

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Epilog

Verstehensraum zu rekonstruieren, führt es zur befreienden Gewinnung verschütteter oder verdrängter Denkbereiche, von denen vielleicht der wichtigste die geistige Offenheit für das beengende, aber auch frische Kräfte entbindende Weiterwirken des Alten im Neuen ist. Schließlich lehrt die Pharsalia, bei der angespanntes Hinhören auf die Intentionen des Autors durch die Erkenntnis strenger und sinnträchtiger Gestaltung belohnt wird, sich auf den Dichter als Gesprächspartner ganz einzulassen und ihm nicht die eigenen Ansichten — oder die der eigenen Zeit — aufzuzwingen; die Beschäftigung mit solcher Dichtung bedeutet eine Einübung tolerierenden Verständnisses.

Literatur und Abkürzungen Die lateinischen Autoren werden im wesentlichen nach dem System des Thesaurus linguae Latinae abgekürzt. Die Siglen für Zeitschriften und Sammelbände sind die in der Année Philologique üblichen. Ferner bedeutet Entretiens: Entretiens sur l'antiquité classique XV, Lucain, Vandoeuvres-Genève 1970. GV: Griechische Vers-Inschriften, herausgegeben von Werner Peek, Bd. 1 Grabepigramme, Berlin 1955. Thes.: Thesàurus linguae Latinae, Leipzig 1900ff. WdF: Lucan, herausgegeben von Werner Rutz, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Wege der Forschung Bd. CCXXXV, Darmstadt 1970. W.-LB.: Lucain, Bellum Civile, Liber Primus (La Pharsale, Livre Premier). Edition, introduction et commentaire de Piene Wuilleumier et Henri Le Bonniec (Collection „Erasme"), Paris 1962. Nur mit Autorennamen (und abgekürztem Werktitel) wird folgende moderne Literatur angeführt: Adatte, J.-M.: Caton ou l'engagement du sage dans la guerre civile, EL 8, 1965, 232-240. Ahl, F. M.: Pharsalus and the Pharsalia, C&M 29, 1968 (1972), 124-161. - : Lucan's De incendio urbis, Epistulae ex Campania and Nero's Ban, TAPhA 102, 1971, 1-27. Albrecht, Michael v.: Silius Italicus, Amsterdam 1964. - : Der Dichter Lucan und die epische Tradition, Entretiens 266-301. Alföldi, Andreas: Die Ausgestaltung des monarchischen Zeremoniells am römischen Kaiserhofe, MDAI(R) 49, 1934, 1 - 1 1 8 . - : Insignien und Tracht der römischen Kaiser, MDAI(R) 50, 1935, 1 - 1 7 1 . Austin, R. G.: P. Vergili Maronis Aeneidos liber primus, with a commentary by - , Oxford * 1971. Aymard, Jacques: Quelques séries de comparaisons chez Lucain (Collection de la Faculté des Lettres de l'Université de Montpellier II), Montpellier 1951. Beldon, George: Lucanus anceps, RCCM 14, 1972, 132-154. Boissier, Gaston: L'opposition sous les Césars, Paris 1905 5 . Börner, Franz: P. Ovidius Naso. Die Fasten. Bd. il, Kommentar, Heidelberg 1958. - : P. Ovidius Naso. Metamorphosen Buch I - I I I , Heidelberg 1969. Brauneiser, Martha: Tagzeiten und Landschaft im Epos der Griechen und Römer, Würzburg 1944. Brisset, Jacqueline: Les idées politiques de Lucain, Paris 1964. Bruère, R. T.: Der geplante Endpunkt des historischen Epos Lucans, WdF 217-256 (= CPh 45, 1950, 217-235). Buchheit, Vinzenz: Vergil über die Sendung Roms (Gymnasium Beiheft 3), Heidelberg 1963. Burck, Erich: Vom Menschenbild in Lucans Pharsalia, WdF 1 4 9 - 1 5 9 . - : Vom römischen Manierismus („Libelli" Bd. CCCXXVII), Darmstadt 1971. Cancik, Hubert: Untersuchungen zur lyrischen Kunst des P. Papinius Statius (Spudasmata XIII), Hildesheim 1965. Caspari, Fridericus: De ratione, quae inter Vergilium et Lucanum intercedat, quaestiones selectae, Diss. Leipzig 1908. 19 Lebek (Hyp. 44)

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Literatur und Abkürzungen

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Register (Auswahl) zusammengestellt von Elisabeth Lebek

1. Sachen, Wörter, Namen Abschnittbeginn s. Sinneinschnitt acer 70 m. A.106 m. Inf. 66 A.97 Achilles u. Caesai 70 m. A.106; 120f.; 153 m. A.64; 165f. Aerariumsschätze 198; 201-205 Aetna u. Gigant 79 A.12 Alleinherrschaft passim; s. etwa dominus; Freiheit; regnum Anspielungen (?) 205 A.58; 208 A.61; 209; s. auch Gegenwartsbezug Antithetik passim, z.B. 111-113; 128— 132; 144-146; 149; 178; 220 Apostrophe 44 A.63; 61; 82; 84; 146; 221; 238 Apotheose 83-99 passim; 273 Arruns 172-175 astra petere 84 Aufrichtigkeit des Dichters 74f.; 107 Augustus 8Of.; 83-85; 88; 90; 99; 105-107; 163 axis 91 m. A.44 Begnadigung, aufgezwungene 155-157; s. auch dementia; venia Begriffe s. Perversion bellum 47f. m. A.71 Brutus 178-189; 258f.; u. Freiheit 180f.; u. Phegeus 257 Bürgerkrieg passim; s. auch Folgen; Kausalität Caesar passim; Zusammenfassungen 164166; 207f.; 280; s. auch Achilles; Freiheit; Pompeius cano (canimus) 22 m. A.13; 34-36 Cato Uticensis 55; 62; 166; 178-189; 207f.; u. Freiheit 184-188; 207f.; Sprachrohr Lucans 182; 194; 242f. certare in aid. 43 A.60

Chiasmus passim, z.B. 127; 147f.; 262f.; s. auch Spiegelung dementia 140; 162-164; 166; u. Prinzipat 163f.; s. auch venia cos 225f. m. A.25 Cotta 200f. Crassus 55;59f.;63 Crastinus 245f. cumque 37 A.49 Curio 112 m. A.5; 129-131; 165; 167; 207; Curiorede u. Caesarrede 134 Dante 13 A.l; 129 A.39 debere 83 Dédoublement 47; 7If.; 211 A.l Dispositionsskizzen passim; Methodisches 15 dominus passim, z.B. 58; 109; 168-171; 175-178 Domitian 77 A.10; 87f.; 97f.; 177 A.19 Domitius, Cn. (Vater Neros) 161f. Domitius, L. 139; 145-164; 260-266; u. Eumedes 257; 266; u. Freiheit 261-266; 280; 284; u. Metellus 196-202; u. Nero 139; 161f. Dreiergliederung s. Triade Eigenkommentar Lucans 158; 266-278 Eigennamen, Verwendung von E. 22 m. A.14; 24f. m. A.24; 32; 35; 55 m. A.81; 56; 62; 143-146; 198f.; 203-205; 262f. Einzelkampf, heroischer 160 A.75 Epos, Technik des E. s. Apostrophe; cano; Einzelkampf; Flußüberquerung; Gesprächsfolge; Glanz; Gleichnisse; Götter; Held; iam; Infinitiv; Katalog; Lanzenwurf; Metrum; Musenanruf; Selbstgespräch; Sonnenaufgang; Staub; Strukturen; Unepisches; Weissagung exire in aid. „zu etwas werden" 197 A.45

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Register

fata 122 A.25; 182; 184; 222; 225 feri animus m. Inf. 48 Figulus, Nigidius 168-171; 173; 175f. Florus epit. abhängig von Lucan 63 A.89 u. 90; 143 A.56; 144 A.58 Flußüberquerung 122 m. A.23 u. 24 foedus (foedera) regni 35f.; 41; 47; 122f. Folgen des Bürgerkriegs 4 0 - 4 4 ; 73; 79; 109; 195; 237; 244; 267-278; 280 Fortuna 122 Freiheit passim; Zusammenfassung 167f.; 206-209; 279-281; u. Caesar 56; 61f.; 207f.; 233f.; 236; 242; 244; 25 9f.; 266; 280; Verlust der F. 186; 235-237; 244; 268-273; 2 7 5 - 2 7 8 ; 280; s. ferner Brutus; Cato; Domitius frenos laxare 224 A.21 Freude 85 Friede 9 6 - 9 8 ; 104 A.77; 126; 277 fulmen 68 m. A.103

Gegenwartsbezug (?) passim, z.B. 43f.; 175f.; 177 A.18 u. 19; 178; 187; 202; 244; 268f.; 273; 276-278; 280; 283; s. auch Anspielungen; dementia Geldgier 1 9 7 - 1 9 9 gens 26 A.26; 38 A.52 Gesprächsfolge Besiegter - Sieger im Epos 153-155; 160; 200; 264f. Gewicht, göttliches 9 3 - 9 5 Gilgameschepos 172 A.9 Glanz der Waffen 153 Gleichnisse 73; 111; 113; 115; 139; historische G. 59 synkritische G. 67; 69; mehrere Vergleichsgegenstände 123f. Baum 67 m. A.101 Blitz 6 7 - 6 9 ; 73 Eiche 6 7 - 6 9 Gigantenkampf 80; 225 Isthmus 58f.; 68 Iuppiter 80 Löwe 120f.; 190 A.36 Mars 2 4 6 - 2 4 8 ; 250; 256 Pfeil 123f. Pferd 131f. Sabinerinnen 59 Stier 190 A.36 verbera fundae 123 Weltuntergang 4 8 - 5 0 ; 73; 183 Wind 142; 250 Winterstille 126 Gliederungsüberlagerung 56; 171f.; 2 5 4 256; 261f.; 272f. Götter 35f.; 54; 62; 73; 226; wirken nicht auf die Menschenwelt 271f.; s. auch Apotheose

Held des Epos 34 Heuchelei (?) 119 A.19; 134f.; 194; 233f.

iam am Beginn der epischen Erzählung 116 m. A.12 Imitationstechnik passim; Grundsätzliches 286f.; s. Register 2 indomitus m. Inf. 66 A.97 Infinitiv, historischer 66 m. A.98 ira 131; 196f. m. A.44 u. 45; 199 Ironie in Kaiserenkomien (?) 77 Iulia 55; 59f.; 62f. Iuno 2 0 - 2 6 ; 35 ius dare ali. 33 A.44 Joyce, James 286f. Katalog der Truppen 111; 113; 139; 215; 224 Kausalität 35f.; 4 5 - 5 6 ; 5 8 - 6 1 ; 129; 131; 138; 227f. Klopstock 27 A.28; 28f. Kosmologie 9 0 - 9 2 Künstler, (un)verstandener 16; 286f. Laelius (Primipilus) 135-138; 165 Lanzenwurf 245f.; 2 4 8 - 2 5 0 Lentulus Spinther 144; 146 Libertas innere Freiheit? 244 A.15; flieht 268-270; s. auch Freiheit Libo 144 licentia 233 Lucan, Biographisches 17; 101; 104 A.78; 281-283 Metellus (tr. pl.) 1 9 6 - 2 0 2 ; 204; 207 Metrum, Imitation oder Strukturierung durch das M. 2 6 - 2 9 ; 3 0 - 3 2 ; 46; 99 A.64; 217 Milton 28f. multi, zahlenmäßige Bedeutung 168fmundus als Römisches Reich 259 A.21 Musenanruf und Verwandtes 2 1 - 2 3 ; 29; 37f.; 9 9 - 1 0 2 ; 253; M. fehlt 139 Naturwissenschaftliches 48; 68; 73; 93; 125 m. A.32 Nero 13; 17; 108-110; 139; 161-164; 166; 280-283; s. auch Nerolob Nerolob 31 f. ; 44 ; 74 - 1 0 7 ; imitiert von Statius 87f.; Prinzipielles zur Interpretation 7 4 - 7 7 ; 102f.; Stellung innerhalb des Proömiums 31f.; 44; 80; 104; Widerrufung (?) 104; 177 A.18 u. 19; 273; 278; 281

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Register nimius 189 m. A.34 numen 23 m. A.19; 100 m. A.67 Omphalosstruktur 133; 195; 254; s. auch Ringkomposition Parataxe 36 Pathos 246 A.2; 251; 285 Perversion von Begriffen oder Werten 136; 158f.; 163; 165; 233f.; 236 Petrarca 34 A.45 Phaethon 86 m. A.31; 93 A.52 Pharsalia, Werktitel 13 A. 1 piacere Catoni 62 m. A.87 plus quam civile 33 A.45 Pointierung 137 A.47; 158 m. A.72; 244 polus 85 m. A.24 Pompeius passim; Hauptstellen 6If.; 69f.; 109; 134f.; 165f.; 189-195; 208; 227; 234-238; 240-244; 280; u. Caesar passim, Zusammenfassungen 208; 280 Prinzipat u. Freiheit 209 m. A.62; 244; u. Frieden 277; s. ferner Nero Prosopopoiie 117; 236 Publikum 16f.; 74-77; 103f.; 107; 109; 209; 248; 286-288 quae tanta licentia u. verwandte Junkturen 37 A.49 Quellen, historische Caes. civ. (?) 42 A.58; Cic. epist. (?) 42 A.58; Livius (?) 42f.; 53; 62-65; 71f.; 220 A.16; 260f.; 266-268; 277; Pollio (?) 201 A.51; gute Kenntnisse Lucans 144 A.58; 145; 152; 230 A.2; 245; s. auch Unhistorisches quis furor 38; 41 m. A.56; 174 A.14 Rahmenkomposition passim; ζ. Β. 20 m. A.8; 23; 27; 39; 45; 48; 61; 126f.; 135; 140-142; 148; 150f.; 159f.; 200; 239f.; 271 regia caeli 85 m. A.23; 90 A.41 regnum passim, z.B. 58; 133-135; 138; 193f.; 200; 209 A.63; 234; 242; 270 res - homines, Gliederung nach 20 m. A.5; 32-35; 276 m. A.45 rex 82 Ringkomposition, tetradische 134f.; 174f. ; 239f.; 273; s. ferner Omphalosstruktur; Rahmenkomposition Romana carmina lOlf. m. A.70 sacer 190 A.37 sanctus 190 A.37 Saturnia 25 A.24 scelus 33 A.44

Schuldfrage 61f.; 118-120; 122f.; 131; 165f.; s. auch Kausalität Scipio, Metellus Pius 144; 146 Selbstgespräch 126f.; 150f.; 159 A.74 Senat 69; 131; 136; 165; 192f.; 196; 200; 241; 258-260; 280 serus 84 m. A.22; 92; 96 Servilität Lucans (?) 104 A.78 servire 82; s. auch Freiheit Siebenzahl Prinzipielles 28 m. A.34; s. ferner Versheptade Sinneinschnitt u. ä. im Satz 125; 197; 203f.; 268; 270 im Vers passim, z.B. 45 m. A.66; 150; 178; 195; 239 Soldaten 132-139; 165; 189f.; 241; 280 solere u. ä. für einmalige Vorgänge 89 A.37 Sonnenaufgang 125 m. A.32; 218; 220; 222

Spiegelung 176; s. auch Chiasmus, Rahmenkomposition, Ringkomposition statio des Kaisers 84 Staub eines Heeres 153 Strukturen passim; integral-strukturale Interpretation 14f.; s. ferner Antithetik; Chiasmus; Dédoublement; Eigennamen ; Gliederungsüberlagerung; Metrum; Omphalosstruktur; Rahmenkomposition; Ringkomposition; Siebenzahl; Sinneinschnitt; Spiegelung; Triade; Trikolon; Versheptade; Wörter; Zentralstellung; vgl. im übrigen Register 2 Subjektivität 238; 244; 271; 273; 276 Sulla, Faustus 144 Symbolik (?) 48f.; 125; 153 A.64 u. 65; 204 ; 218 Tarnungshypothese 103f. Thermus 144 Tonans 119 A.19 Triade passim, ζ. Β. 45; 47; 110-114; 126f.; 142f.; 150; 157; 172; 176f.; 182; 200; 203f.; 236; 251 Trikolon, geographisches 44 m. A.62 tum primum 205 Turnus 113f.; 254-257 Übertreibung 75-77; 82 Unepisches 35; 54; 68; 117; 122; 125; 139; 155-157; 160; 164; 218 m. A.14; 226; 238; 253; 264f.; 281; 286 Unhistorisches 56; 112f.; 116f.; 123; 125; 127; 134; 136; 152; 179f.; 188; 202 A.52; 224; 245f.; 257f.; 260f.; 264 A.28; 279

296

Register

Varus 144 venerabilis 190 A.37 venerandus 190 A.37 venia 158f. m. A.73; 163 Versheptade 19; 24f.; 2 8 - 3 0 ; 252f. Verszahlen, bedeutungsvolle 32 m. A.41; 47 victrix, 34 A.46 vires, literartheoretisch lOlf. Waffen, verkommene 126 m. A.33 Wahl der göttlichen Existenz nach dem Tode 85f. m. A.27 Weissagung eines Sterbenden 264f. Weltachse, horizontale 91 f. Weltherrschaft 40; 51; 53; 130f. Weltuntergang 4 8 - 5 0 ; 183f.

Wertbegriffe s. Perversion Widerstand, geistiger (?) 13; 103 A.75; 159f. Wieland 27 A.28 Wörter, Strukturierung durch W. passim, ζ. Β. 25f.; 4 6 - 4 8 ; 52; 5 7 - 6 0 ; 66; 73; 78f.; 116; 126f.; 130f.; 141-151; 159f.; 173f.; 182f.; 189; 211f.; 219f.; 2 2 8 230; 239f.; 243; 252f.; 270f.; Methodisches 15f.

Zeitalter Eisernes 269; Goldenes 79f.; 95-98 Zentral Stellung eines Hauptgedankens 2 2 - 2 4 ; 35; 47; 127; 133; 149; 195; 258f.; 263 Zonen 9 0 - 9 2

2. Parallelismen (Das Register ist so angelegt, daß primär Lucans imitatoriscne und strukturierende Praxis, sekundär die anderer kaiserzeitlicher Hexameterdichter verdeutlicht wird. Aus praktischen Gründen ist davon abgesehen worden, ein einziges Ordnungsprinzip rein durchzuführen.) Calpurnius Siculus ~ Früheres eel. l,46f. ~ Verg. Aen. 1 , 2 9 4 - 2 9 7 : 106 eel. 4,142ff. ~ Hör. carm. 1,2,4Iff.: 106 Lucan ~ Caesar 2,481-525 ~ civ. 1,16,2-1,23,4:

152

Lucan ~ Euripides 1,195-203 ~ Phoenissen 6 2 6 - 6 3 2 :

119

Lucan ~ Ilias 1,204-212 ~ 20,164ff.: 120f. 1.386-391 ~ 2,394ff.: 139 l,392ff. ~ 2,484f.: 139 2,454-460 ~ 16,765ff.: 142 m. A.55 2,485ff. ~ 21,31 I f f . : 153 7,599-616 ~ 2 2 , 3 5 5 - 3 6 6 : 264f. Lucan ~ Livius 1,1-32 ~ 111: 42f.; 71f.; 267 1,67-182 ~ 109: 53; 6 2 - 6 4 ; 71f. 1,125f. ~ 109: 64f. 7.387-459 ~ 111: 43; 2 6 6 - 2 6 8 7,617-646 ~ 111: 271 Lucan ~ Lucan 1,1 ~ l,38f.: 79 7,1: 217 1,1-12 ~ 7,545-556:

253f.

Lucan ~ Lucan 1,1-32 ~ 1,44: 79 1,2 ~ 1,37: 79 1,83: 47 1,109: 47 1,4 ~ 1 , 8 2 - 1 5 7 : 47 1,6 ~ 1,37: 79 1,8 ~ 1,681: 174 A.14 1,8-32 ~ 7 , 3 8 7 - 4 3 1 : 267 1,24-32 ~ 7,646: 277f. 1,31 ~ l,38f.: 79 1,33-45 ~ 1 , 5 3 - 5 9 : 93 1 , 6 0 - 6 2 : 98f. 7,646: 277f. 1,37 ~ 1,2: 79 1,6: 79 l,37f. ~ 7,646: 277f. l,38f. ~ 1,1: 79 1,31: 79 1,44 ~ 1 , 1 - 3 2 : 79 1,45-62 ~ 7 , 4 5 7 - 4 5 9 : 278 7,459: 273 1,53-59 ~ 1 , 3 3 - 4 5 : 93 1,60-62 ~ 1 , 3 3 - 4 5 : 98f. 1,70-86 ~ 1 , 8 9 - 9 7 : 57f. 1,72-80 ~ 2 , 2 8 9 - 2 9 2 : 183 1,82-86 ~ 1 , 9 3 - 9 7 : 57f.

298 Lucan ~ Lucan 1,82-157 ~ 1,4: 47 1,83 ~ 1,2: 47 1,87-128 ~ 1 , 1 8 3 - 4 6 8 : 115 1,89-97 ~ 1 , 7 0 - 8 6 : 57f. 1,93-97 ~ 1 , 8 2 - 8 6 : 57f. 1,98-100 ~ 1 , 1 0 9 - 1 1 2 : 59f. 1,109 ~ 1,2: 47 1,109-112 ~ 1 , 9 8 - 1 0 0 : 59f. l,126ff. ~ 7,259f.: 232 1,129-136 ~ 1,143-151: 6 5 - 6 7 1,143-151 ~ 1,129-136: 6 5 - 6 7 1,183-468 ~ 1 , 8 7 - 1 2 8 : 115 1,185 ~ l , 2 1 3 f . : 116 1,194 ~ 1,223: 116 1,204-230 ~ 1 , 2 6 1 - 2 9 5 : 128 l,213f. ~ 1,185: 116 1,223 ~ 1,194: 116 1,231-235 ~ 1 , 2 6 1 - 2 6 5 : 128 1,231-295 ~ ' 7 , 1 - 1 5 0 : 224; 226f.; 279; 284 1,235 ~ 7,5f.: 218 1,236-243 ~ 7 , 2 4 - 2 8 : 221 1,244-261 ~ 7 , 4 0 - 4 4 : 221f. l,246f. ~ 1 , 2 5 7 - 2 6 1 : 126 1,257-261 ~ l,246f.: 126 1 , 2 9 1 - 2 9 5 : 131f. 1,261 ~ 7,45: 218; 222 1,261-265 ~ 1 , 2 3 1 - 2 3 5 : 128 1,261-295 ~ 1 , 2 0 4 - 2 3 0 : 128 l,263f. ~ 1,281: 131

Register Lucan ~ Lucan 1,266-295 ~ 7 , 6 2 - 1 2 7 : 223f. 1,280-285 ~ 1 , 3 0 7 - 3 1 3 : 133 1 , 3 3 6 - 3 4 0 : 133 1,281 ~ l,263f.: 131 1,283 ~ 2 , 5 6 8 - 5 7 2 : 191f. l,283f. ~ l , 2 9 9 f . : 133f. 1,286-289 ~ 1 , 2 9 9 - 3 0 7 : 133 1 , 3 4 0 - 3 4 6 : 133 1,288 ~ 7,74: 223 A.19 1,289-291 ~ 1 , 3 1 4 - 3 3 5 : 133 l,350f.: 134 1,291-295 ~ 1 , 2 5 7 - 2 6 1 : 131f. 7 , 1 2 3 - 1 2 7 : 223f. l,299f. ~ l,283f.: 133f. 1,299-307 ~ 1 , 2 8 6 - 2 8 9 : 133 1 , 3 4 0 - 3 4 6 : 133 1,307-313 ~ 1 , 2 8 0 - 2 8 5 : 133 1 , 3 3 6 - 3 4 0 : 133 1,31 I f . ~ 2 , 5 5 5 - 5 6 1 : 191f. 1,314-335 ~ 1 , 2 8 9 - 2 9 1 : 133 2,562-565: 193-195 1,336-340 ~ 1 , 2 8 0 - 2 8 5 : 133 1 , 3 0 7 - 3 1 3 : 133 1,340-346 ~ 1 , 2 8 6 - 2 8 9 : 133 1 , 2 9 9 - 3 0 7 : 133 l,350f. ~ 1 , 2 8 9 - 2 9 1 : 134 1,469-695 ~ 2,28-233: 176-178 1,522-695 ~ 7 , 1 5 1 - 2 1 3 : 224 1,681 ~ 1,8: 174 A.14 2,28-233 ~ 1,469-695: 176-178 2,256-259 ~ 2 , 2 8 6 - 2 8 8 : 182 2,286-288 ~ 2 , 2 5 6 - 2 5 9 : 182 2,289-292 ~ 1 , 7 2 - 8 0 : 183

Register Lucan ~ Lucan 2,411-415 ~ frg. 7 Morel: 86 A.31 2,439f. ~ 2,446: 14Of. 2,439-461 ~ 2 , 4 8 1 - 5 2 5 : 157f. 2,446 ~ 2,439f.: 140f. 2,45 3f. ~ 2,460f.: 14 I f . 2,460f. ~ 2,453f.: 141f. 2,462 ~ 2,466ff.: 145 2,462-477 ~ 2 , 4 7 8 - 4 8 0 : 146 2,462-525 ~ 3 , 9 7 - 1 5 3 : 196f.; 200 2,463 ~ 2,468ff.: 145 2,464f. ~ 2,472ff.: 145 2,466ff. ~ 2,462: 145 2,468ff. ~ 2,463: 145 2,472ff. ~ 2,464f.: 145 2,478-480 ~ 2 , 4 6 2 - 4 7 7 : 146 2,478-525 ~ 7 , 5 9 9 - 6 1 6 : 284 2,481-491 ~ 2 , 4 9 2 - 5 0 2 : 147f. 2,481-525 ~ 2 , 4 3 9 - 4 6 1 : 157f. 2,492-502 ~ 2 , 4 8 1 - 4 9 1 : 147f. 2,503 ~ 2,508: 149 2,508 ~ 2,503: 149 2,511-517 ~ 2,522-525: 149-151 2,511-525 ~ 7 , 5 9 9 - 6 1 6 : 264f. 2,522-525 ~ 2,511-517: 149-151 2,555-561 ~ 1,31 I f . : 191f. 2,562-565 ~ 1,314-335: 193-195 2,568-572 ~ 1,283: 191f. 3,97-112 ~ 3 , 1 5 4 - 1 6 7 : 202; 204

299

Lucan ~ Lucan 3,97-153 ~ ' 2 , 4 6 2 - 5 2 5 : 196f.; 200 3,154-167 ~ 3 , 9 7 - 1 1 2 : 202; 204 7,1 ~ 1,1: 217 7,1-150 ~ 1 , 2 3 1 - 2 9 5 : 224; 226f.; 279; 284 7,5f. ~ 1,235: 218 7,24-28 ~ 1 , 2 3 6 - 2 4 3 : 221 7,40-44 ~ 1 , 2 4 4 - 2 6 1 : 221f. 7,45 ~ 1,261: 218; 222 7,62-127 ~ 1 , 2 6 6 - 2 9 5 : 223f. 7,74 ~ 1,288: 223 A. 19 7,123-127 ~ 1 , 2 9 1 - 2 9 5 : 223f. 7,151-213 ~ 1 , 5 2 2 - 6 9 5 : 224 7,214-234 ~ 7 , 2 3 5 - 3 3 6 : 227f. 7 , 3 2 9 - 3 3 6 : 227f.; 229 7 , 3 3 7 - 3 8 4 : 227f.; 230f. 7,235-336 ~ 7 , 2 1 4 - 2 3 4 : 227f. 7,235-249 ~ 7 , 3 3 7 - 3 4 2 : 227f.; 229f. 7,250-294 ~ 7 , 3 4 9 - 3 8 2 : 227f.; 231; 2 3 4 - 2 3 8 7,250-329 ~ 7 , 3 4 2 - 3 8 2 : 227f.; 231 7,259f. ~ l , 1 2 6 f f . : 232 7,264f. ~ 7,375f.: 236 7,264-269 ~ 7,371f.: 236f. 7,272-275 ~ 7,366-368: 234-236 7,329-336 ~ 7 , 2 1 4 - 2 3 4 : 227f.; 229 7 , 3 3 7 - 3 8 4 : 227f. 7 , 3 8 2 - 3 8 4 : 227f.; 230 7,337-342 ~ 7 , 2 3 5 - 2 4 9 : 227f.; 229f. 7,337-384 ~ 7 , 2 1 4 - 2 3 4 : 227f.; 230f. 7 , 3 2 9 - 3 3 6 : 227f. 7,342-382 ~ 7 , 2 5 0 - 3 2 9 : 227f.; 231 7,349-382 ~ 7 , 2 5 0 - 2 9 4 : 227f.; 231; 2 3 4 - 2 3 8

300 Lucan ~ Lucan 7,366-368 ~ 7,272-275: 234-236 7,371f. ~ 7 , 2 6 4 - 2 6 9 : 236f. 7,375f. ~ 7,264f.: 236 7,382-384 ~ 7 , 3 2 9 - 3 3 6 : 227f.; 230 7,385-459 ~ 7 , 6 1 7 - 6 4 6 ; 276f. 7,387-431 ~ 1 , 8 - 3 2 : 267 7,457-459 ~ 1 , 4 5 - 6 2 : 278 7,459 ~ 1 , 4 5 - 6 2 : 273 7,545-556 ~ 1 , 1 - 1 2 : 253f. 7,599-616 ~ 2 , 4 7 8 - 5 2 5 : 284 2 , 5 1 1 - 5 2 5 : 264f. 7,617-646 ~ 7 , 3 8 5 - 4 5 9 : 276f. 7,646 ~ 1 , 2 4 - 3 2 : 277f. 7,646 ~ 1 , 3 3 - 4 5 : 277f. l,37f.: 27 7f. 7,680-689 ~ 7 , 7 0 6 - 7 1 1 : 239f. 7,706-711 ~ . 7 , 6 8 0 - 6 8 9 : 239f. frg. 7 Morel ~ 2 , 4 1 1 - 4 1 5 : 86 A.31 Lucan ~ Ovid 1,67 ~ met. 1,1: 48 1,74 ~ met. 2,299: 48 1,195-203 ~ met. 15,861-867: 118 3,399-452 ~ met. 8 , 7 4 3 - 7 7 6 : 67 A.101 Lucan ~ Petron 1,160-167 ~ 1 1 9 , 1 - 3 8 : 52f. 120,87-93: 52f. 1,178-181 ~ 1 1 9 , 3 9 - 5 0 : 52f. l,182f. ~ 119,51-60: 52f. Lucan ~ Seneca 7,1-6 ~ Oed. 1 - 5 : 218 A.14

Register Lucan ~ Seneca 7,568 ~ dial. 4,35,6: 247 A.6 Lucan ~ Silius 2,511-525 ~ 7 , 2 7 - 7 3 : 156 7,460-505 ~ 1 , 3 0 4 - 3 1 1 : 249f. 7,460-616 ~ 1,296-517: 249-251 7,569f. ~ l,437ff.: 250 7,599-616 ~ 1 5 , 7 9 6 - 8 0 6 : 265 A.31 Lucan ~ Statius 1,47-51 ~ Theb. 1 , 2 4 -30: 87f. l,50f. ~ Theb. l,29f. : 87 ,A. 34 l,92f. ~ Theb. 1,127 - 1 3 0 : 87 A.32 1,124 ~ Theb. 1,127 - 1 3 0 : "87 A.32 l,144f. ~ Theb. 1,127 - 1 3 0 : 87 A.32 1,213-222 ~ Theb. 7,424-- 4 4 0 : 122 1,584-695 ~ Theb. 4,369-- 6 4 5 : 172 2,510-525 ~ Theb. 9,293 - 3 0 1 : 156f. 2,511-525 ~ Theb. 2,695 - 7 0 3 : 156f. Lucan ~ Vergil 1,1-7 ~ Aen. 1 , 1 - 7 : 3 2 - 3 6 1,1-182 ~ Aen. 1 , 1 - 3 3 : 3 0 - 3 2 ; 72 1,4 ~ Aen. 1,4: 35f.; 47; 58; 72 1,8 ~

Aen. 1,8: 37 1,8-12 ~ Aen. 1 , 8 - 1 1 : 37f.; 46f.; 72 1,13-32 ~ Aen. 1 , 1 2 - 3 2 : 39f.; 72 1,23 ~ Aen. 1,22: 38 1,33-66 ~ Aen. 1,33: 31f.; 44; 72; 74; 79f.; 104 1,45-66 ~ georg. 1,24 - 4 2 : 8 3 - 1 0 2 passim; 105 1,46 ~ georg. 1,24f.: 92

Register Lucan ~ Vergil 1,53 ~ georg. 1,36: 90 1,53-59 ~ georg. 1,36-39: 84 1.63-66 ~ georg. 1,40-42: 99 1.64-66 ~ georg. 1,40-42: 84 1,67-69 ~ Aen. 1,8-11: 46f.; 72; 102 1,70-77 ~ Aen. l,148ff.: 4 8 - 5 0 1,183-468 ~ Aen. 7,341-817: 110-115; 164; 226 1,192-203 ~ Aen. 7,359ff.: 116 1,204-212 ~ Aen. 12,4-8: 120f.; 248 1,223-230 ~ Aen. 7,400ff.: 116 1,229 ~ ' georg. 1,309: 123f. 1,386-391 ~ Aen. 7,528ff.: 138f. l,392ff. ~ Aen. 7,64Iff.: 139 2,233 ~ Aen. 1,23: 39 2,287 ~ Aen. 5,709: 182 2,601 ff. ~ Aen. 12,103ff.: 190 A.36 7,1-150 ~ Aen. 1 u. 7: 226f. Aen. 7,573-640: 226 7,45-61 ~ Aen. 7,583-585: 225 7,85ff. ~ Aen. 7,594ff.: 225 7,139-150 ~ Aen. 7,626-636: 225f. 7,460-616 ~ Aen. 12,257-382: 245-248; 250f.; 279 7,470ff. ~ Aen. 12,266ff.: 245f. 7,506-544 ~ Aen. 12,311-323: 248; 251 7,545-616 ~ Aen. 12,324-382: 254-260 7,557-581 ~ Aen. 12,311-323: 256f. 7,567-571 ~ Aen. 8,698-703: 2 4 6 - 2 4 8 Aen. 12,329-342: 2 4 6 - 2 4 8

301

Lucan ~ Vergil 7,568 ~ Aen. 8,703: 247f. m. A.6 7,581-616 ~ Aen. 12,346-382: 257 7,599-616 ~ Aen. 12,346-361: 266 Ovid ~ Vergil (s. auch Lucan ~ Ovid) met. 4,642 u. 646 ~ Aen. 1,23: 40 A.53 Petròn ~ Euripides (s. auch Lucan ~ Petron) 122,156-160 ~ Phoenissen 6 2 6 - 6 3 2 : 119 Silius ~ Vergil (s. auch Lucan ~ Silius) 1,293 ~ Aen. 7,411f.: 249 1,296-517 ~ Aen. 12,257-382: 248-251 1,304-311 ~ Aen. 12,257-310: 249f. 1,433-439 ~ Aen. 12,331ff.: 250 l,437ff. ~ Aen. 12,341ff.: 250 1,468-472 ~ Aen. 12,365-367: 250 4,9-25 ~ Aen. 7,623-636: 226 A. 26 15,801 ~ Aen. 12,932: 285 A.31 Statius ~ Früheres (s. auch Lucan ~ Statius) Ach. 1,1-11 ~ Ilias 1,1-8: 29f. Verg. Aen. 1,1-11: 29f. Theb. 1,19f. ~ Verg. georg. 2,497: 87 A.33 Theb. 1,24 - 2 7 ~ Verg. georg. 1,32-35: 87 Theb. 1,27 ~ Ov. met. 2,392: 87 A.34 Theb. 1,29f. ~ Verg. georg. l,34f.: 87 A.34 Theb. 1,46-122 ~ Verg. Aen. 7,323-345: 214 Verg. Aen. 7,511-518: 214 Theb. 1,114-122 ~ Verg. Aen. 7,511-518: 226 Theb. l,246f. ~ Verg. Aen. l,26f.: 214

302

Register

Statius ~ Früheres (s. auch Lucan ~ Statius) Theb. 1 , 2 4 8 - 3 1 1 ~ Verg. Aen. 1 , 3 4 - 5 0 : 214 Verg. Aen. 1 , 2 2 7 - 3 0 4 : 214 Verg. Aen. 4 , 2 3 8 - 2 4 4 : 214 Theb. 1 , 4 9 0 - 5 1 0 ~ Verg. Aen. 7 , 2 4 9 - 2 7 3 : 215 Theb. 1 , 5 3 9 - 5 5 3 ~ Verg. Aen. 1 , 7 2 3 - 7 3 7 : 215 Theb. 1 , 5 5 7 - 6 6 8 ~ Verg. Aen. 8 , 1 8 4 - 2 7 5 : 215 A.9 Theb. 2 , 1 0 2 - 1 1 9 ~ Verg. Aen. 4 , 2 6 5 - 2 7 6 : 214 A.8 Ilias 2 , 2 3 - 3 4 : 214 A.8 Theb. 2,115 ~ Verg. Aen. 4,268: 214 A.8 Theb. 3 , 5 8 0 - 5 9 1 Verg. Aen. 7 , 6 2 3 - 6 3 6 : 226 A.26 Theb. 7 , 1 - 3 9 ~ Verg. Aen. 4 , 2 1 9 - 2 5 8 : 215 A.10 Theb. 7 , 1 4 5 - 2 2 1 ~ Verg. Aen. 1 , 3 4 - 4 9 : 215 Verg. Aen. 1 , 2 1 4 - 3 1 1 : 216 Verg. Aen. 1 , 2 2 7 - 3 0 4 : 215 Theb. 7 , 2 5 4 - 3 5 8 ~ Verg. Aen. 7 , 6 4 7 - 8 1 7 : 215 Theb. 7 , 5 6 2 - 6 0 7 ~ Verg. Aen. 7 , 4 8 1 - 5 1 0 : 215f. Theb. 7 , 5 6 2 - 6 2 7 ~ Verg. Aen. 7 , 4 7 5 - 5 3 9 : 114 Verg. Aen. 7 , 4 8 1 - 5 1 0 : 226 Verg. Aen. 7 , 5 1 9 - 5 3 0 : 226 Theb. 7 , 6 0 8 - 6 2 7 ~ Verg. Aen. 7 , 5 1 9 - 5 3 0 : 216 Statius ~ Statius Theb. 1 ~ Theb. 7: 2 1 3 - 2 1 6 Theb. 1 , 2 1 4 - 3 1 1 ~ Theb. 7 , 1 - 3 3 : 216 Theb. 7 , 1 4 5 - 2 2 1 : 216 Theb. 7 ~ Theb. 1: 2 1 3 - 2 1 6 Theb. 7 , 1 - 3 3 ~ Theb. 1 , 2 1 4 - 3 1 1 : 216 Theb. 7 , 1 4 5 - 2 2 1 ~ Theb. 1 , 2 1 4 - 3 1 1 : 216

Vergil ~ Früheres (s. auch Calpurnius Siculus ~ Vergil, Lucan ~ Vergil, Ovid ~ Vergil, Silius ~ Vergil, Statius ~ Vergil) Aen. 1 , 1 - 7 ~ Ilias 1 , 1 - 7 : 19f.; 27 Apollonios Rhodios 3 , 1 - 5 : 22f.; 213 Aen. 1 , 1 - 1 1 ~ ι Ilias 1 , 1 - 8 : 29f. Aen. 1 , 8 - 1 1 ~ Odyssee 1 , 1 - 1 0 : 21 Odyssee l,60ff.: 21 Aen. 1 , 3 4 - 8 0 ~ Odyssee 5 , 2 8 2 - 2 9 6 : 213 Aen. 1 , 1 4 8 - 1 5 4 ~ Ilias 2,144ff.: 49f. Aen. 1 , 6 5 7 - 7 2 2 ~ Apollonios Rhodios 3 , 6 - 2 9 8 : 22 Aen. 7,37 ~ Apollonios Rhodios 3,1: 22 Aen. 7 , 2 8 6 - 3 4 0 ~ Odyssee 5 , 2 8 2 - 2 8 5 : 213 Aen. 12,363 ~ Ilias 5,9: 255 Aen. 1 2 , 3 7 1 - 3 8 2 ~ Ilias 5,15ff.: 255 Aen. 12,468ff. ~ Ilias 5,835ff.: 255

Vergil ~ Vergil Aen. 1 ~ Aen. 7: 2 1 1 - 2 1 3 Aen. 1,1 ~ Aen. 7,1: 217 Aen. 7 ~ Aen. 1: 2 1 1 - 2 1 3 Aen. 7,1 ~ Aen. 1,1: 217 Aen. 1 2 , 3 4 6 - 3 6 1 ~ Aen. 1 2 , 3 7 1 - 3 8 2 : 2 5 5 - 2 5 7 Aen. 1 2 , 3 4 9 - 3 5 2 ~ Aen. 12,360f.: 255 Aen. 12,360f. ~ Aen. 1 2 , 3 4 9 - 3 5 2 : 255 Aen. 1 2 , 3 7 1 - 3 8 2 ~ Aen. 1 2 , 3 4 6 - 3 6 1 : 2 5 5 - 2 5 7

3. Einzelstellen (s. auch Register 2) Ammianus Marcellinus 14,1,3: 262 A.24 19,11,16: 262 A.24 31,13,18: 262 A.24 Appian b.c. 2,32,125: 112 A.5 2,71,299: 267 A.35 2,72: 235f. 2,73,304: 233 A.5 2,76,316: 144 A.57 2,77,323: 42 2,82,346: 260 Apuleius met. 11,25: 82 A.17 Arator act. 1,49: 82 A.17 Aristoteles rhet. 1405 a 16ff. : 233 A. 6 Augustinus conf. 6,6,9: 75 A.l

Bacchylides frg. 4,3Iff.: 126

Caesar civ. 1,7: 134 1,12-23: 144 A.58 3,83,1: 144 A.57 3,93,1: 245 A.l 3,99: 260 Gall. 7,62,2: 236 A.8 Calpurnius Siculus ecl. l,43f.: 269 1,5 Of.: 106 1,77-88: 106 A.80 4,82-91: 100 A.65 Carmina Einsidlensia 2,23: 269 Carmina latina epigraphica 1109,31ff.: 85 A.27 1233,21f.: 85 A.27 Cassius Dio 41,54,1: 64 41,55ff.: 42 41,58,1: 42 45,l,3ff.: 168f.

Cicero Att. 1,16,5: 253 A.14 7,5,4: 170 m. A.6 har. resp. 54: 170 A.6 Lael. 36f.: 137 A.47 Manil. 25: 253 A.l5 nat. deor. 2,67: 118 A.16 Claudianus carm. 18: 28 A.33 Commenta Bernensia Lucan. 1,53: 94f. Corippus loh. 1,1-7: 28 5,232ff.: 121 A.21 8,572-585: 155 A.67 Curtius Rufus 4,14,23: 236 A.8

Demetrios (?) eloc. 265: 117; 236 A.8 Dracontius Orest. 1: 28 A.31

Ennius ann. 570: 43 A.60 Eutropius 6,21,1: 42

Fannius or. frg. 32,2 Male.: 28 A.32 Florus epit. 4,2,13: 63 A.90 4,2,19: 144 A.58 Fronto p. 153,10f.v.d.H. (=p. 160 N.): 33 A.44

Germanicus 15f.: 99 Hirtius Gall. 8,52,4: 135 A.45 Homer s. Ilias u. Odyssee

304 Homerus latinus 1: 1 9 A . 4 7 1 5 - 7 2 8 : 155 A.67 9 7 9 - 9 9 7 : 155 A.67 Horatius ars 120ff. : 70 141: 27f. carm. 1,2,23f.: 4 1 l,35,34f.: 41 3,4,42ff.: 80 epod. 7: 41 16: 50 16,15ff.: 127 A.36 sat. l , 5 , 5 1 f f . : 253 A.14 l , 9 , 7 2 f . : 125 A.32

Ilias 2,286f.: 233 A.5 1 6 , 8 2 9 - 8 6 1 : 265 A.30

Livius praef. 4 : 5 0 frg. 5 8 Weissenborn (= Sen. nat. 5,18,4): 109f. Livius Andronicus carm. frg. 1: 19 A.4 Lucanus 1,1-32: 4 1 - 4 4 1 , 1 - 1 8 3 : 74 1,2: 33 A.44 1,4: 4 7 ; 58 1 , 8 - 3 2 : 3 6 - 4 0 ; 73 l , 1 9 f . : 43f. 1 , 2 4 - 3 2 : 44 1 , 3 3 - 6 6 : 71; 7 4 - 1 0 7 1,35: 82 1,41: 82f. 1,44: 83 l , 4 5 f . : 85 1,45-52: 83-89 1,46: 96 1,47: 88 A.36 1,49: 87 l , 5 1 f . : 88 A.36 1,53-59: 89-95 1,58: 91 m . A.45 1,60-62: 95-99 1,63-66: 99-102 1,66: 101 l , 6 7 f f . : 170 1,67-82: 4 5 - 5 0 1,67-182: 4 5 - 7 4 1 , 7 0 - 8 2 : 4 8 ; 53 1,72: 5 0 1,82-86: 56-58 1,82-128: 55-65

Register Lucanus 1,82-157: 5 4 - 7 1 1,97: 5 8 1,98-108: 5 8 - 6 0 1,109-120: 58 1,110: 6 0 ; 6 3 A.89 1 , 1 2 0 - 1 2 8 : 60f. l , 1 2 1 f f . : 220 1,125f.: 64f. 1,128: 6 2 1,129: 6 9 m. A.105 1,129-157: 6 5 - 7 1 1,132: 109 A.2 1,133: 220 1,145: 70 A.106 1,150: 141 1 , 1 5 8 - 1 8 2 : 5 0 - 5 4 ; 129; 131 1,172: 54; 167f. 1,183-230: 115-124 1 , 1 8 3 - 3 9 1 : 109; 1 1 0 - 1 3 9 ; 1 6 4 - 1 6 6 l , 1 9 6 f . : 118 1,200: 118 A.16 l , 2 0 1 f . : 118f. 1,203: 119 1,204-230: 120-124 1 , 2 2 3 - 2 2 7 : 122f. 1 , 2 3 1 - 2 3 5 : 124f. 1,231-261: 124-127 1 , 2 3 9 - 2 4 3 : 125f. 1 , 2 4 8 - 2 5 7 : 126f. 1,261-295: 128-132 l , 2 6 4 f . : 131 1,267: 129 1,270: 167f. 1 , 2 7 3 - 2 7 9 : 130f. 1,278: 129 1 , 2 8 0 - 2 9 1 : 130f. 1,296-356: 132-135 1 , 2 9 9 - 3 5 1 : 1 3 2 - 1 3 5 ; 234; 2 4 2 1,310: 134 1,31 I f f . : 136 1 , 3 1 4 - 3 3 5 : 134f. l,339f.: 134 1,358: 136 l , 3 6 5 f . : 136 l , 3 7 3 f . : 137 1 , 3 8 3 - 3 8 6 : 137 1,469-695: 171-178 1,469-2,233: 168-178 1 , 5 0 4 - 5 2 0 : 137 A.47 1,584-695: 172-178 1,660-672: 168-171 l , 6 6 7 f . : 23 3f. 1,670: 104 A.77 1 , 6 7 0 - 6 7 2 : 278 A.47 1,678-694: 173-176 2,233: 39 2,234-284: 179-181

Register Lucanus 2,234-325: 1 7 8 - 1 8 9 2,276f.: 6 2 A . 8 7 2,284-325: 1 8 1 - 1 8 9 2,289-297: 183 2,297-303: 184 2,3 24f.: 188f. 2,439-461: 139-142 2,439-525: 109; 139-166 2,463f.: 143 A.56 2,511-525: 149-164 2,526-600: 189-195 2,531-533: 192f. 2,531-595: 190-195; 237f.; 242 2,568f.: 169 2,601ff.: 190 A.36 3,97-153: 196-202 3,97-168: 195-206 3,112-114: 197 3,118-121: 197f. 3,133-140: 198f. 3,141-143: 199f. 3,143-153: 200f. 3,154-168: 202-205 3,168: 204f. 3,349ff.: 206 A.59 3,392ff.: 206 A.59 4,96: 198 A.46 4,337ff.: 160A.75 4,821ff.: 282 A.5 5,385f.: 103 A.75 5,455f.: 218A.14 6,828ff.: 218 A.14 7,1-44: 2 1 8 - 2 2 2 7,1-213: 216-227 7,36: 227 7,43: 221 A.18 7,45-213: 222-227 7,13Iff.: 237 A.9 7,214-384: 2 2 7 - 2 3 8 7,250-329: 242 7,253-269: 232-234 7,254f.: 232 7,299f.: 234 7,342-382: 227f.; 231-238; 2 4 2 - 2 4 4 7,369-376: 236f. 7,369-382: 2 3 5 - 2 3 8 7,376-382: 237 7,385f.: 238 7,385-459: 245-274 7,385-646: 2 4 4 - 2 5 1 7,432-436: 2 6 8 - 2 7 3 7,432-459: 240; 2 6 7 - 2 7 3 7,436-445: 2 7 0 - 2 7 3 7,445-455: 2 7 1 - 2 7 3 7,448: 271 A.37 7,455-459: 272f. 7,489-491: 245 A.l

Lucanus 7,545-551: 2 5 1 - 2 5 3 7,545-616: 2 5 1 - 2 6 6 7,552-556: 253 7,578-581: 258 7,580f.: 259f. 7,581-598: 259 7,583-585: 258 7,588-592: 258f. 7,597f.: 259 7,599-616: 161; 260-266 7,601f.: 263 A.26 7,604: 161 7,617-646: 245; 266; 2 7 4 - 2 7 8 7,631: 276 A.44 7,645f.: 278 A.47 7,647-727: 238 7,659-669: 241 7,680-711: 2 3 8 - 2 4 0 7,689-697 : 2 4 0 - 244 7,695: 244 7,706: 239 A.12 8,322: 118 A.16 9,19f.: 170 9,19-30: 281 A.2 9,188-214: 242f. 9,190-214: 283 A.7 9,990ff.: 118A.16

Manilius l,7ff. : 100 l,799f.: 85 A.26 1,91 Off.: 81 4,552: 85 A.26 Moretum 1 - 7 : 28 A.33

Nonnos Dionysiaka 23,162ff.: 122 A.24 28,81-95: 154 A. 65

Obsequens 65 a: 220 A.16 Octavia praetexta 249: 162 A.80 423ff.: 269 498f.: 163 A.83 Odyssee 1,1-10: 1 9 - 2 1 m. A.8; 27 5,282-285: 213 22,330-380: 155 Orosius hist. 6,15,25: 42

306 Ovidius fast. 1,249: 269 A.36 2,119: 28 A.32 2,195ff.: 27f. 2,209f.: 120 A. 20 3,330: 93 met. 1,1: 28 1,128-150: 268 A.36 2,186 : 224 A.21 4,449f.: 93 8,743ff.: 67 A.101 12,290-295: 154 A.65 15,693f.: 93 15,822ff.: 81 trist. 1,4,llff.: 224 A.21 2,67ff.: 80 Panegyrici ll(3),16,3ff.: 101 A.70 12(9),14f.: 70 Paulinus Nolanus carm. 18: 28 A.33 Petronius 121,111: 174 A.12 122,156: 118 A.16 124,264f.: 93 Platon Politela 560 d - e : 233 A.6 Plinius minor paneg. 6,2: 96 A.59 Plutarch Brutus 29,4: 170 A.6 Cato minor 54,6: 188 A.33 66,2: 163 A.83 Pompeius 53,5ff.: 62f. 67,3: 188 A.33 67,7: 223 A.20 68,2: 220 A.16 70,1-5: 42 Propertius 2,l,27ff.: 81 Quintilianus inst. 4 pr.4: 253 Quintus Smyrnaeus 3,164-185: 154 A.65 6,390-434: 265 A.30 13,271-290: 155 A.68 Rhetorica ad Herennium 3,3,6: 233 A.6 Sallustius Catil. If.: 174 A.15 1 0 - 1 3 : 53 52,11: 233

Register Seneca pater conto. 2,4,12f.: 76f. Seneca philosophus apocol. 11,2: 77 A.10 benef. 2,20,1-3: 163 2,20,2: 181; 209 A. 63 3,24: 162 A.81 4,31f.: 81 A.15 5,16,4: 109 clem. 1,1,8: 209 A.62 1,3,5: 82 1,4,2: 208f.; 269f. 1,5,6: 159; 163 A. 83 1,9,1: 105 _ 1,10,1: 162 1,11,1: 81; 105 1,19,8: 171 A.7 1,23,1: 162 2,7: 159A.73 dial. 2,2,2: 186f. 4,15,1: 269f. 4,15,4: 269f. 4,23,4: 163 A.83 epist. 14,13: 180f.; 239 A.12 94,65: 64 A.92 104,29ff.: 208 Here. 0. 1572f.: 90 A.40 nat. 5,18,4: 109f. Oed. 359: 172 Phoen. 298: 43 A.60 Thy. 139: 43 A.60 444: 63 A.89 Servius Aen. 3,717: 16 Servius auctus Aen. 1,23: 25 A. 24 Silius Italicus 1,1: 28 I , 4 4 0 - 4 5 1 : 154 A.66 3,1: 28 A.32 3,627f.: 8 8 A . 3 4 4,408f.: 236 A.8 4,649ff.: 122 A.24 5,306-332: 154 A.66 I I , 2 3 3 - 2 5 8 : 154 A.66 12,387ff.: 275 A.42 14,159-177: 155 A.67 16,4ff.: 190 A.36 16,5 33f.: 207 A.60 Statius silv. l,l,17ff.: 95 l,l,56ff.: 95 2,7,46f.: 17 2,7,48ff.: 101 2,7,58: 105 A.78 2,7,71f.: 282 2,7,101ff.: 282 3,1: 28 A.33

Register Statius silv. 3,3: 28 A.33 4,2: 77 A. 10 4,3,134ff.: 97f. 5,l,166ff.: 98 Theb. l,28f.: 87 A.34 2,323ff.: 190A.36 2,488: 207 A.60 3,101f.: 207 A.60 9,225ff.: 122A.24 9,339-350: 154 A.66 11,547-573: 154 A.66 11,661: 207 A.60 Suetonius Aug. 94,5: 168f. Cal. 11: 86 Dom. 18,1: 77 A.IO; 95 lui. 32: 117 33,1: 112 62: 256 A.19 Nero 9: 161f. 10,1: 105 m.A.79 25,1: 105 33,1: 89 m. A.37 39,2: 109 A.2 51: 94 53: 109 A.2 Tib. 59,1: 96 vita Lucani p. 333,5f. Hosius: 77 A.8 p. 335,22f. Hosius: 76 Tacitus ann. 13,4,1: 105 13,10,1: 161f. 14,27,2: 44 15,45,1: 205 A.58 15,49,3: 282f. dial. 40,2: 209 A.62; 233 hist. 1,84,3: 193

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Thukydides 3,82,4f.: 233 Vaccae vita Lucani p. 335,24f. Hosius: 282 p. 336,12-17 Hosius: 282 Valerius Flaccus 3,15f.: 21 6,265-278: 154 A.66 6,644-655: 154 A.66 Valerius Maximus 3,2,19: 256 A.19 4,6,4: 63 A.88 Varrò Reatinus De vita populi Romani frg. 115 Riposati: 41 A.57 Vellerns 2,49,Iff.: 64f. 2,49,2: 69 Vergilius Aen. 1,1-33: 1 8 - 2 7 ; 73 1,8-28: 71 1,12-28: 2 4 - 2 6 1,29-32: 26 1,33: 26 2,If.: 15f. 3,716-718: 16 7,553f.: 114 10,732-746: 265 A.30 10,896ff.: 154 12,233: 235 A.7 12,324-382: 254-257 eel. 1,7: 106f. georg. l,489ff.: 41 Griechische Vers-Inschriften I ed. Peek 805,7f.: 85 A.27 1282,5f.: 92 A.49 Vitruvius 6,1: 91

Wolfgang Dieter Lebek · Verba Prisca Die Anfänge des Archaisierens in der lateinischen Beredsamkeit und Geschichtsschreibung. 1970. 380 Seiten, broschiert. (Hypomnemata 25) Übersicht: Die Theorie in republikanischer Zeit / Die Redekunst und die Schätzung älterer lateinischer Prosa in republikanischer Zeit / Die Geschichtsschreibung in republikanischer Zeit / Archaisieren bei Sallust und in augusteischer Zeit. „Les historiens de la littérature latine trouveront, dans ce livre, ample matière à réflexion et à discussion. De bons index permettront aux linguistes aussi de profiter autrement, de ce livre riche de mots et de textes cités." Revue Belge de Philologie et d'Histoire Ulrich Knoche · Die römische Satire 3., veränderte Auflage 1971. 142 Seiten, kartoniert. (Studienhefte zur Altertumswissenschaft 5) Im Nachlaß von Ulrich Knoche fanden sich die ersten drei Kapitel in der in dieser Auflage gebrachten Neufassung; der Text der übrigen Kapitel wurde aus der zweiten Auflage übernommen. W. Wolfgang Ehlers hat am Schluß des Bandes bibliographische Nachträge zusammengestellt. Gregor Maurach · Untersuchungen zum Aufbau plautinischer Lieder 1964. 89 Seiten, brosch. (Hypomnemata 10) „Le grand mérite du présent ouvrage, où frappent l'érudition, le bon sens et la clarté de l'exposé, est d'avoir prouvé ce qui, avant n,avait été que plus ou moins vaguement indiqué." L'Antiquité Classique Ludwig Braun · Die Cantica des Plautus 1970. 210 Seiten, kartoniert. Die Arbeit - in Form eines Handbuches angelegt - stellt nach einer Pause von vierzig Jahren die erste Gesamtbehandlung der Plautinischen Cantica dar — in einer bisher nicht erreichten Ausführlichkeit. Carl Becker · Das Spätwerk des Horaz 1963. 257 Seiten, Leinen. 'This book represents a substantial contribution to Horatian studies. Although the author confines himself to a later period, he shows a knowledge of the whole and is a discerning literary critic, with a feeling for language as well as for context and arrangement . . . " Gnomon

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Klaus Bringmann · Untersuchungen zum späten Cicero 1971. 287 Seiten, broschiert. (Hypomnemata 29) „This erudite study concerns itself with the most fruitful creative period of the later Cicero (46—44) and was motivated by the desire to provide a corrective to the eighteenth-century philosophers . . . What seems to emerge is a public figure whose concern with philosophy is colored by his political experience. Even when he is philosophical he is still political and Bringmann vividly demonstrates the integration of his life and works." The Classical World M. L. Clarke · Die Rhetorik bei den Römern Ein historischer Abriß. Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Dockhorn. 1967. 244 Seiten, engl, broschiert. „ . . . Clarkes Buch beginnt bei den griechischen Grundlagen und den frührömischen Versuchen und fuhrt über die Höhen Ciceros und Quintilians hin bis zur Übernahme in die christliche Verkündigung der Spätantike . . . Das Gesamtbild ist klar und konzis gezeichnet, ein guter Zugang eröffnet zu dem Phänomen, ohne dessen Verständnis kein Bild der Antike vollständig sein kann." Frankfurter Allgemeine Zeitung Klaus Thraede · Studien zu Sprache und Stil des Prudentius 1965. 143 Seiten, broschiert. (Hypomnemata 13) „Der erste Teil bringt unter dem Titel ,Das Selbstverständnis des christlichen Dichters' eine bis ins einzelne gehende Interpretation des prudentianischen Epilogs, wobei den Topoi das besondere Augenmerk des Verfassers gilt. Der zweite Teil bringt eine umfassende Behandlung eines einzigen Topos: Der Verfasser knüpft an den Ausdruck sulci calami (Apoth. 596) eine eingehende Betrachtung der Schreibmetaphorik in Peristephanon." H. J. Schweizer / Museum Helveticum Ursula Keudel · Poetische Vorläufer in Claudians de Consulatu Stilichonis Imitationskommentar 1970. 183 Seiten, kartoniert. (Hypomnemata 26) „Dr. Keudel has examined and most thouroughly and intelligently annotated the three panegyrics on Stilicho's consulship, which, discounting an elegiac preface, total 1230 hexameters. Into a relatively short book she has compressed a wealth of learning and produced a valuable contribution to the study of poetic imitation." The Classical World

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