Leonid Breschnew: Staatsmann und Schauspieler im Schatten Stalins. Eine Biographie [1 ed.] 9783412509934, 9783412502096

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Leonid Breschnew: Staatsmann und Schauspieler im Schatten Stalins. Eine Biographie [1 ed.]
 9783412509934, 9783412502096

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Susanne Schattenberg

LEONID BRESCHNEW Staatsmann und Schauspieler im Schatten Stalins Eine Biographie

2017 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN



Gedruckt mit freundlicher Unterstützung aus den Mitteln der Exzellenz­­initiative als Teil der institutionellen Strategie der Universität Bremen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Leonid Breschnew, Selbstportrait mit einer deutschen Rolleiflex. Foto undatiert, Entstehungszeit zwischen 1941 und 1945. © Wladimir Musaeljan

© 2017 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Lindenstraße 14, D-50674 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln Lektorat und Korrektorat: Rainer Landvogt, Hanau Satz und Layout: Bettina Waringer, Wien Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50209-6



Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . 9



Mann ohne Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Archiven und Akten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Breschnews „Memoiren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Breschnews „Tagebüchern“ und seinem Fotografen . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Berufswunsch Schauspieler oder: Ein ganz normaler Sowjetmensch . . . . . .

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Drang nach Bildung und Bürgerlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Welt aus den Fugen: Revolution und Bürgerkrieg 1917–1920 . . . Flurneuordner in unruhigen Zeiten 1927–1930 . . . . . . . . . . . . . Abendstudent und Aktivist 1931–1935 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoßarbeiter-Ingenieur und wieder Direktor 1935/36 . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2 „Wie der Stahl gehärtet wurde“ oder: Karriere in Zeiten von Terror und Krieg . . .



Aufstieg im Großen Terror . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Im „Großen Vaterländischen Krieg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 In den Karpaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

3 Im Schatten Stalins oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs I .



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. 127

Patronage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Saporoschje . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

6





Dnepropetrowsk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 In Moldawien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Als Stalins Statist in Moskau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

4 Unter Chruschtschow oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs II . . . .



Neuland unterm Pflug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 An Chruschtschows Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Präsident der Sowjetunion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Chruschtschows Absetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

5 Der fürsorgliche Generalsekretär oder: Kollektivführung als Theater . . . .



203

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. 295

Vertrauen und Fürsorge als Herrschaftsszenario . . . . . . . . . . . . . 295 Familiarität im Politbüro oder: Ljonja, Kostja und Andrjuscha . . . . . 320 Männerbünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338

6 Leben und leben lassen oder: „Alle sollen in Ruhe leben und arbeiten können“



Gönner und Fürsorger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Kurs auf Konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Breschnew contra Kossygin und Gosplan . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 „Die Kader entscheiden alles“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

7 „Entwickelter Sozialismus“ oder: Relaunch des sowjetischen Projekts? . . . .



347

413

„Entwickelter Sozialismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Restalinisierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 „Wir sind Helden“: Der Weltkriegskult . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 Die BAM – Der letzte Mohikaner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447



7

8 Emotionen und Tabletten im Kalten Krieg oder: Wie man den westlichen Staatsmann spielt . . . 455



Concordia domi … oder Eintracht im Osten … . . . . . . . . . . . . . 458 … foris pax oder Frieden mit dem Westen . . . . . . . . . . . . . . . . 478 Rückkehr des Misstrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 Außenpolitik außer Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548

9 Ruhmsucht und Verfall oder: Die Einsamkeit des Generalsekretärs . . . .



Personenkult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 Sucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Familie und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604

Nachwort . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis .



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611 . 621

Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 Erinnerungen und Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 Internet-Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631

Glossar und Abkürzungsverzeichnis .

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Abbildungsnachweis .

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Zeittafel .

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Register . . . . . . . . . . . . . .

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Daß ich auch heute noch gern an Breschnew denke, mag daran liegen, daß er der erste Kremlherr war, der aus einem unheimlichen Machtfaktor zu einem Menschen geworden war, erlebt und einschätzbar in seinen Stärken und Schwächen. Eine russische Seele hatte der Mann offenbart, großer Emotionen und großzügiger Gesten fähig, sicher auch der Brutalität. Egon Bahr, Zu meiner Zeit

Geschichte setzt sich auch aus persönlichen Schicksalen und verlorenen Gelegenheiten zusammen. Egon Bahr, Zu meiner Zeit

    Einleitung

Seit neun Monaten pflegt der Sozialdemokrat das Prinzip des zurückgenommenen Auftritts, als hätte Berlin darauf gewartet: Bei einem Bürgerforum eingeladen, hörte er sich eine Stunde an, was die Leute bewegt. Dann stellte er sich vor als „Michael Müller aus Tempelhof.“ Er sagte noch: „Meine Freunde sind Handwerker oder bei der Polizei.“ Man applaudierte. (…) Parteifreunde freuen sich, weil er einen engen Draht zur SPD hält, die sich von Wowereit missachtet fühlte. Müller bindet auch die Opposition ein. Als die Stadt sich empörte, weil Hunderte Flüchtlinge schlecht versorgt vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales lagerten, griff Müller, der Kümmerer, zum Telefon, um Hilfe herbeizutelefonieren, und lud dann die Fraktionschefs ein. Bei Wowereit wäre das schwer vorstellbar gewesen.1

Was hat die Amtsübergabe des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Klaus Wowereit im Jahr 2014 an seinen Nachfolger Michael Müller mit der Absetzung Nikita Chruschtschows und der Machtübernahme durch Leonid Breschnew im Oktober 1964 zu tun? Auch die Mitglieder des Zentralkomitees (ZK) der KPdSU hatten „ein Bedürfnis nach einem, der nicht mehr so die Klappe aufreißt“.2 So wie die Berliner Genossen am Ende die „Schnoddrigkeit“, mit der Wowereit auf Kritik reagierte, abstoßend fanden, waren die sowjetischen Genossen einen Parteichef leid, der eine diebische Freude daran entwickelt hatte, sie zu hänseln, zu demütigen und zu degradieren. So wie sich Wowereits „Glamour“ abgenutzt hatte, war die einstige Begeisterung für den charismatischen Chruschtschow und seine Visionen in Resignation umgeschlagen. Mehr noch: Die Mitglieder des Parteipräsidiums fürchteten seinen Jähzorn und wagten schon lange nicht mehr, ihm offen zu widersprechen. Breschnew wirkte dagegen wie Müller 2014: „(…) es kommt ihm im Moment sogar zugute, dass er nicht immer auftritt, als

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Einleitung

ob er keine Fehler machen würde.“3 Wie Müller war Breschnew der bescheidene Zuhörer und Kümmerer, der den Kontakt zur Basis hielt und die Opposition, hier: seine Rivalen, mit einbezog. Um nicht falsch verstanden zu werden: Damit soll keineswegs eine Ähnlichkeit von Chruschtschow und Wowereit oder von Breschnew und Müller suggeriert werden. Es geht darum, die Logik der Situation zu verstehen, dass ohne das exaltierte Auftreten des Vorgängers nicht zu erklären wäre, warum die Gefolgschaft danach eine bescheidene Führung wählte. „Nach dem Brioni-Kanzler [Gerhard Schröder] gab es dann die Sehnsucht nach der unprätentiösen Frau Merkel.“4 Damit soll aber nicht nur eine offenbar allgemein gültige Dialektik des politischen Wechsels beschrieben werden. Damit soll vor allem verdeutlicht werden, dass mit Breschnews Wahl zum Ersten Parteisekretär der KPdSU am 14. Oktober 1964 keineswegs ein politischer Kurswechsel, gar eine Restalinisierung, intendiert war. Den ZK-Mitgliedern ging es einzig darum, einen anmaßenden Führungsstil durch einen „demokratischeren“ Umgangston zu ersetzen. Wie es der US-Politikwissenschaftler Jerry Hough formuliert hat: Breschnew war „Chruschtschowismus ohne Chruschtschow“.5 Das widerspricht freilich den verbreiteten Klischees von Breschnew, der als Hardliner gilt, der erst Stalin rehabilitierte und die Verfolgung der Dissidenten begann, 1968 den Prager Frühling niederschlagen ließ und schließlich 1979 in Afghanistan einmarschierte. Nach ihm benannte der Westen die „BreschnewDoktrin“, nach der die Souveränitätsansprüche eines „Bruderstaates“ dort endeten, wo die Interessen der Warschauer-Pakt-Staaten berührt wurden. Diejenigen, die sich an Breschnews 18-jährige Herrschaft von 1964 bis zu seinem Tod 1982 erinnern, sehen einen grauen, aufgedunsenen Apparatschik in Generalsuniform vor sich, die Brust voller Orden, den ausdruckslosen Blick ins Leere gerichtet. Dabei flackerten solche Bilder von dem gebrechlichen Breschnew, der kaum in der Lage ist, sich auf den Beinen zu halten, erst ab 1975 über die Fernsehbildschirme der ganzen Welt. In seinen jungen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als Breschnew knapp 40 Jahre zählte, oder auch noch zum Amtsantritt 1964, als er Ende 50 war, galt der hochgewachsene, schlanke Mann mit den dichten Augenbrauen nicht nur als attraktiv, sondern auch als Parteihoffnung. Er selbst legte viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres und tadellose Anzüge. Er war nicht nur ein Frauenschwarm; sein gutes Aussehen war auch für seine politische Karriere von Bedeutung. Stalin soll nur aufgrund von dessen stattlicher Figur auf den jungen Breschnew aufmerksam geworden sein.6 Sein Markenzeichen waren die dunklen, buschigen Augenbrauen, die ihm im Volksmund den Spitznamen „Brauen-

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kreuzer“ in Anlehnung an das im Russischen fast identische Wort „Panzerkreuzer“ – browenosetz bzw. bronenosetz – einbrachten. Aber es gibt noch mehr über Breschnew richtigzustellen: Er war nicht nur fotogen, er hatte auch schauspielerisches Talent und wollte in seiner Jugend Schauspieler werden. Er liebte es, auf einem Stuhl stehend, seinen Lieblingsdichter Sergei Jessenin zu zitieren, wie er überhaupt die Geselligkeit großer Runden genoss. Mit seinen Genossen ging er auch noch nach 1964 ins Stadion zu Fußball- und Hockeyspielen, wo er für seinen Lieblings-Fußballklub ZSKA, den „Zentralen Sportclub der Armee“, fieberte, während die meisten Parteipräsidiumsmitglieder Spartak-Fans waren. Breschnew war ein leidenschaftlicher Jäger und liebte schnelle Autos, hatte aber auch eine Passion für die Taubenzucht und spielte mit seinen Angestellten gern Domino. Er las regelmäßig die Satirezeitschrift „Krokodil“, ließ sich von seinem Barbier die neuesten – antisowjetischen – Witze erzählen und konnte stundenlang die Musik Leonid Utjossows hören, der sowohl Jazz als auch sowjetische Romanzen sang.7 In diesem Spannungsfeld zwischen dem Laienschauspieler und dem „Kalten Krieger“, zwischen der Gemeinschaft mit seinen Genossen und der unangefochtenen 18-jährigen Herrschaft, zwischen dem Faible für heikle Witze und der Verfolgung Andersdenkender, zwischen der Virilität der frühen Jahre und dem körperlichen Verfall seit 1975 soll die Lebensgeschichte Breschnews erzählt werden. Diese Vielschichtigkeit zeigt auch die Fotografie auf dem Titelbild: Breschnew nahm sie während des Zweiten Weltkrieges mit Selbstauslöser mit einer vermutlich erbeuteten deutschen Rolleiflex-Kamera auf. Er setzte sich dafür vor einem Spiegel in einer typischen Stalin-Pose in Szene: im Profil, im Gewand einer hochgeschlossenen Felduniform, die Haare nach hinten gekämmt und in der Hand die Pfeife, das Erkennungsmerkmal Stalins. Das Bild irritiert, weil es viel Raum für Interpretationen lässt – sogar für die Spekulation, es sei weniger eine Hommage an Stalin als eine – damals sehr gefährliche – Persiflage Stalins. Eindeutig zeigt die Aufnahme Breschnews ungebrochenen Hang zu Schauspielerei und Selbstdarstellung. Es versteht sich von selbst, dass er dieses Bild unter Verschluss hielt und es nie veröffentlicht wurde. Das Foto bringt seine ganze Ambiguität zum Ausdruck, denn durch den Spiegel sieht man ihn als zwei Personen im Spiel von Licht und Schatten. Es verrät, dass er selbst in harten Zeiten wie dem Krieg ungezwungen vor der Kamera posieren konnte, dass er Freude an Uniformen hatte und dass er sich stark mit Stalin beschäftigte – eine Auseinandersetzung, die ihn ein Leben lang begleiten sollte.

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Einleitung

Das Ziel dieser Biographie ist es, die ganze Bandbreite und auch Widersprüchlichkeit von Verhaltensweisen Breschnews in ihrer Komplexität zu erfassen und das noch stark vom Kalten Krieg geprägte Bild dieses Mannes aufzubrechen. Der Politiker und die Person Breschnew werden historisiert, also im Kontext der Zeit verständlich gemacht. Der große Historiker und Résistance-Kämpfer Marc Bloch (1886–1944) meinte, Geschichtswissenschaft sei die „Wissenschaft vom Menschen in seiner Zeit“.8 Das bedeutet nicht nur, dass der Mensch Mittel- und Fixpunkt aller historischen Forschung ist. Es bedeutet auch, dass der Mensch nur in seiner Zeit bzw. nur als Produkt seiner Zeit zu verstehen ist. Nur im Kontext der Totalität aller Einflüsse lässt sich nachvollziehen, warum ein Mensch das geworden ist, was er geworden ist, und warum er so gehandelt hat, wie er gehandelt hat. Aber auch diese Antwort wird immer nur eine Annäherung und eine von vielen Möglichkeiten sein, wie es gewesen sein könnte. Um dem „historisch-kulturellen Produkt“ Breschnew also näherzukommen, müssen die soziale Prägung durch sein Elternhaus, die politische Umgebung, die wirtschaftliche Lage, religiöse Einflüsse, charakteristische Freizeitvergnügen, besondere Erlebnisse etc. pp. untersucht werden. Wie wuchs er auf, wie erlebte er das Revolutionsjahr 1917 und den folgenden Bürgerkrieg? Welchen Weg nahm er während der Kollektivierung der Landwirtschaft (1928–1933) und der Industrialisierung der 1930er Jahre? Wie erlebte er den Großen Terror 1937/38, wie den „Großen Vaterländischen Krieg“ (1941–1945)? Auch seine Karrierestufen nach dem Krieg als Parteiführer in der Ukraine, in Moldawien und Kasachstan sowie ab 1956 als Gefolgsmann Chruschtschows in Moskau sind eingehend zu betrachten, vor allem unter der Fragestellung: Was lernte Breschnew in dieser Zeit, was formte ihn und machte ihn zu dem Parteichef, der 1964 Chruschtschow aus dem Amt putschen und anschließend unangefochten 18 Jahre lang über Partei und Land herrschen konnte? Breschnew wird also einerseits als „Produkt“ vorgestellt, das von sowjetischen Institutionen und Diskursen geprägt wurde: von den Revolutionsparolen bis hin zum stalinistischen Feinddenken, von der Aufbauromantik bis hin zur Volksverräterhetze. Andererseits wird er auch als „Produzent“ gezeigt: Wie er den Ereignissen Sinn verlieh, welcher Diskurse er sich wie bediente, wie er auf Hasstiraden und Aufbauhektik reagierte, was seine persönliche Erfahrung ihn lehrte und warum er es war, der den ZK-Mitgliedern 1964 als einzig geeignete Alternative zu Chruschtschow erschien. In dieser Form soll Breschnews 18-jährige

Mann ohne Biographie

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Herrschaft analysiert werden: als das Zusammenspiel von bestehenden Strukturen, etablierten Diskursen und sanktionierten Verhaltensweisen mit Breschnews persönlicher Ausgestaltung seiner Führungsrolle. Es ist also weder das Anliegen, eine positivistische „Große-Männer-Geschichte“ zu schreiben, noch das Bestreben, das Individuum ganz in Strukturen und Diskursen aufzulösen. Ziel ist es, ganz wie Marc Bloch es so unübertroffen einfach formuliert hat, Breschnew „in seiner Zeit“ zu zeigen: die gegenseitige Bedingtheit – um nicht zu sagen: symbiotische Verflechtung – von „Mensch“ und „Zeit“.

Mann ohne Biographie Dieses Buch erhebt den Anspruch, die erste wissenschaftliche Biographie Breschnews zu sein, die auf einer breiten Basis von Archivmaterialien aufbaut. Diese Materialien waren mir zum Teil erstmals zugänglich. Es gibt bislang erstaunlich wenig Breschnew-Biographien, was bei näherer Betrachtung gar nicht so sehr verwundert: Stalin hat als Gewaltherrscher und Faszinosum seit jeher die Historiker beschäftigt; Chruschtschow fand viele Biographen, weil er mit seiner Abkehr vom Stalinismus so sympathisch war. Breschnew faszinierte weder durch Gewalt noch durch den Bruch mit ihr. Zudem wurden 1991 mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Archive, in denen die Akten aus seiner Zeit verwahrt werden, nicht freigegeben, und auch sind seit seinem Tod 1982 die 20 bis 30 Jahre kaum erst abgelaufen, die Historikerinnen und Historiker üblicherweise verstreichen lassen, bis sie einen Gegenstand als „abgeschlossen“ und historisch betrachten. Die erste Biographie Breschnews überhaupt veröffentlichte der deutsch-amerikanische Journalist John Dornberg 1973 auf Deutsch und 1974 auf Englisch.9 Dafür, dass der Autor keinerlei Zugang zu Aktenmaterial hatte, ist dies ein erstaunlich kenntnisreiches, gut recherchiertes Buch, das auch heute kaum korrigiert, freilich um vieles ergänzt werden muss, und sei es nur um die nahezu zehn Jahre, die Breschnew damals noch vor sich hatte. Im Westen folgte die zweite Biographie 1981, verfasst von dem US-Historiker Paul Murphy. Er wurde scharf kritisiert, weil er unzählige falsche Angaben macht, angefangen beim Geburtsdatum Breschnews.10 Schwerer als die 123 nachgewiesenen Fehler wiegt, dass Murphy für viele seiner scheinbar sehr kenntnisreichen Schilderungen keine Quellen angibt. Erwähnenswert und vielleicht in der Historiographie einmalig

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Einleitung

ist, dass sowohl Dornberg als auch Murphy den Großteil ihrer Schilderungen von Breschnews Kindheit auf die Zeugenaussagen ein und desselben Emigranten stützen, der behauptet, zusammen mit Breschnew die Schulbank gedrückt zu haben. Dies zeigt, wie schwierig es war, vom Westen aus an Quellen heranzukommen. Solcherlei Schwierigkeiten kannten die dissidenten russischsprachigen Autoren nicht, deren Breschnew-Biographien entweder im Exil oder erst nach dem Ende der Sowjetunion 1991 erschienen sind. Bei ihnen zeigt sich aber ein anderes Problem: Sie hatten offenbar Quellen, deren Namen sie nicht nennen wollten oder durften, und konnten – teils auch unter der Hand – Archive einsehen, deren Bestandsnummern sie hinterher aber nicht zitieren durften. Sowohl der Militärhistoriker und Glasnost-Anhänger Dmitri Wolkogonow als auch der Spezialist für den sowjetischen Machtapparat Rudolf Pichoja hatten z.B. Zugang zu Breschnews Arbeitstagebüchern. Doch sie zitieren sie, ohne die Zitate zu belegen.11 Ein weiteres Problem der dissidenten Breschnew-Biographien besteht darin, dass sie nicht durchgängig mit aufklärerischem Impetus geschrieben sind. Im Vordergrund steht oft nicht die Analyse, sondern die Anklage. Das gilt nicht nur für die in einem kleinen westdeutschen Exil-Verlag erschienene Studie des Emigranten Abdurachman Awtorchanow von 1979,12 sondern auch für die wesentlich bekanntere Biographie des Dissidenten und Historikers Roy Medwedew aus dem Jahr 1991. Er urteilt darin, Breschnew sei ein so durchschnittlicher und mittelmäßiger Politiker gewesen, dass er in der Geschichte keinen bleibenden Eindruck hinterlassen habe.13 Diese Aussage unterscheidet sich nicht wesentlich von den Thesen westlicher Politologen in den 1970er Jahren, die Breschnew in erster Linie als „Broker“ von Interessen beschreiben, als eine Art „Vorstandsvorsitzenden“, der Entscheidungen verkündete und exekutierte, nicht aber selbständig fällte.14 Derartiges würde im heutigen Russland, in dem sich Breschnew und seine Epoche zunehmender Beliebtheit erfreuen, ja fast nostalgisch verklärt werden, niemand mehr schreiben. Das zeigen auch die Biographien, die vor allem rund um Breschnews 100. Geburtstag 2006 veröffentlicht wurden. Sie sind durchweg populärwissenschaftlich und behaupten mitunter, Breschnew sei Nationalist und Anhänger der konspirativen, fremdenfeindlichen „Russischen Partei“ gewesen.15 Angenehm sachlich und detailgenau liest sich dagegen die 2008 erschienene Biographie des Journalisten Leonid Mletschin. Er hat ganz offensichtlich sämtliche Archive in der ganzen ehemaligen Sowjetunion aufgesucht oder bekam

Von Archiven und Akten

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von ihnen Material – nennt jedoch keinen einzigen Beleg. Als bislang Letzter hat der Journalist und Duma-Abgeordnete Alexander Chinschtein eine BreschnewBiographie publiziert, unter dem vielsagenden Titel: „Warum Breschnew nicht Putin werden konnte. Ein Märchen über die verlorene Zeit“. Er behauptet darin, Wladimir Putin sei Breschnew wesentlich ähnlicher als dem KGB-Chef Juri Andropow, mit dem er gewöhnlich verglichen werde. Breschnews Fehler sei nur gewesen, dass er nicht rechtzeitig zurückgetreten und daher nicht in guter Erinnerung geblieben sei.16 Das eigentlich Interessante an diesem Buch sind allerdings die hier in langen Auszügen abgedruckten Notizbücher Breschnews. Über die große Bedeutung Breschnews für die Sowjetunion sind sich heute alle einig. Immerhin regierte und formte er das Land 18 Jahre lang und damit nach Stalin mit seinen fast 30 Jahren (1924–1953) am zweitlängsten, während sich Chruschtschow nur elf Jahre (1953–1964) an der Macht hielt. Breschnews Nachfolger Andropow und Konstantin Tschernenko brachten es auf keine zwei Jahre, bevor sie starben; Michail Gorbatschow führte die Sowjetunion in sechs Jahren in den Untergang. Daher sind sich die Autoren neuerer Studien einig, dass Breschnew der erfolgreichste Vertreter des sowjetischen Führungsstils überhaupt war.17

Von Archiven und Akten Es wurde bereits gesagt: Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Breschnew hat auch deshalb so spät eingesetzt, weil die Aktenlage lange Zeit desolat war; sie ist es teilweise noch bis heute. Abgesehen von einem Dossier, das der Geheimdienst über Breschnew zusammengetragen hatte und das Chruschtschow 1956, als er Breschnew als seine rechte Hand nach Moskau holte, verbrennen ließ,18 liegen Breschnews Papiere im Präsidentenarchiv. Es ist grundsätzlich für Ausländer nicht zugänglich und auch von den Inländern erhalten nur wenige Auserwählte Zugang. Allerdings hat das Präsidentenarchiv in den Jahren 2009 und 2010 Kopien des Breschnew-Bestands an das Russische Staatsarchiv für Zeitgeschichte (RGANI) übergeben. Dort sind die Akten neu geordnet und in zwei Findbüchern verzeichnet worden, deren erstes seit Sommer 2014 eingesehen werden kann. Seitdem können auf diesem Wege Akten bestellt werden, soweit sie nicht gesperrt sind. Das zweite Findbuch ist also noch gar nicht zugänglich und auch vieles im ersten Verzeichnete wird nicht ausgehändigt, so z.B. die „Notizen Bresch-

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Einleitung

news an die Politbüromitglieder“, die „Personalakte des Generalmajors der Reserve Breschnew“ oder seine Krankenakte. Zudem schloss das RGANI im Mai 2016 seine Pforten und wird frühestens Ende 2017 an einem neuen Ort wieder eröffnen. Eine Entschädigung und wahre Fundgrube ist dagegen die Online-Ausstellung zu Breschnew, die viele der im Archiv nicht zugänglichen Dokumente, auch aus dem zweiten Findbuch, meist in voller Länge inklusive zitierfähiger Signatur frei zur Verfügung stellt.19 Auch der Bestand des Politbüros, der ebenfalls im RGANI lagert, ist größtenteils noch gesperrt und nicht zugänglich. Das Politbüro war das Machtzentrum und die Schaltzentrale nicht nur für die Partei, sondern für das ganze Land. Breschnew selbst erklärte Willy Brandt die Arbeit des Politbüros so: Das Politbüro tagt regelmäßig am Donnerstag in jeder Woche (Ausnahmen: besondere Ereignisse, Gäste, etc.) ab 15:00 Uhr. Sitzungsdauer unbegrenzt. In der Praxis meist von 15:00 bis 19:00 Uhr, und zwar grundsätzlich aufgrund schriftlicher Vorlagen. In außenpolitischen Fragen werden entsprechende Vorlagen vom Außenministerium ausgearbeitet, manchmal in Zusammenarbeit mit der entsprechenden ZK-Abteilung; in Wirtschaftsfragen durch das staatliche Planungskomitee oder die entsprechenden Ministerien. Wenn ich bestimme, daß eine bestimmte Frage auf die Tagesordnung gesetzt werden soll, so verschicke ich drei Tage vorher die entsprechenden Unterlagen, so daß das Politbüro die Möglichkeit hat, sich mit dem Material vertraut zu machen und sich eine Meinung darüber zu bilden. Die Festsetzung der Tagesordnung ist das Privileg des Generalsekretärs. In jeder Politbürositzung trage ich mündlich eine Reihe laufender Fragen vor, manche werden besprochen und in die Tagesordnung aufgenommen. Manche Fragen lege ich den Genossen vor, damit sie sich ihre Gedanken darüber machen können. Diese Fragen werden dann später besprochen.20

Als höchste politische Instanz arbeitete das Politbüro, das zwischen 1952 und 1966 Parteipräsidium hieß, aus und legte fest, was das ZK und die Ministerien zu beschließen und umzusetzen hatten. Formal wählte der unter Breschnew regulär alle fünf Jahre tagende Parteikongress, der die politischen Leitlinien und die Fünfjahrpläne beschloss, auch die rund 350 Zentralkomitee-Mitglieder, deren Namen zuvor mit dem Politbüro abgestimmt worden waren. Sie kamen regulär zweimal im Jahr zu einem Plenum zusammen, um die anstehenden politischen Aufgaben zu diskutieren, den jeweiligen Jahresplan zu beschließen und die ZK-

Von Archiven und Akten

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Sekretäre und das Politbüro zu wählen. Tatsächlich aber schlugen der Generalsekretär, der zwischen 1952 und 1966 Erster Sekretär hieß, und das Politbüro die Kandidaten vor, die das ZK in das Sekretariat bzw. das Politbüro entsandte. Auch die Regierungsämter besetzten Generalsekretär und Politbüro auf diese Weise: Sie legten dem ZK-Plenum eine Liste der Kandidaten vor, die sie für die Ministerposten oder das Präsidium des Obersten Sowjets, des formalen Parlaments, empfahlen. So wie das ZK stets alle Vorschläge für die Sekretärs- und Politbüroposten bestätigte, „wählte“ auch der Oberste Sowjet stets die Kandidaten, die ihm die Partei vorschlug. Auch wenn Breschnew den Vorrang der Partei vor der Regierung erst in der Verfassung von 1977 festschreiben ließ, bestand er de facto seit 1917. Allerdings fänden sich, so meint Breschnews Mitarbeiter Karen Brutentz, die eigentlich interessanten und wichtigen Dinge nicht in den Politbüro-Protokollen, sondern in den „Sondermappen“ – die selbstredend heute ebenfalls nicht zugänglich sind.21 Stattdessen wurden für diese Arbeit die unveröffentlichten, ebenfalls im RGANI lagernden Stenogramme der ZK-Plenarsitzungen von 1964 bis 1982 ausgewertet. Die Mitschriften zeigen, wie offen im ZK über Missstände gesprochen wurde, und die vielen als „nicht für den Druck“ markierten Textstellen offenbaren, dass die heiklen Themen nicht einmal im intern zirkulierenden Protokoll festgehalten werden durften. Zwischen 2011 und 2016 habe ich viele Wochen im RGANI verbracht. Ich danke von ganzem Herzen den dortigen Archivdamen, die mich sehr freundlich aufnahmen und bald wie eine alte Bekannte begrüßten. Ihre Herzlichkeit machte ein wenig wett, dass im RGANI nach wie vor kein Notebook benutzt werden darf und alle Aufzeichnungen mit der Hand zu machen sind. Gedenken möchte ich Ljudmila Stepanowitschs, die es liebte, von ihrer Zeit bei Berlin zu erzählen, wo ihr Vater als Militär stationiert war, und die Ende 2015 starb. Nach wie vor schwierig ist auch die Nutzung des russischen StaatssicherheitsArchivs (früher KGB, heute FSB) und des Außenamtsarchivs der Russischen Föderation. Ersteres ist gar nicht zugänglich, Letzteres gewährte mir nach mehreren Anfragen Zutritt, gab aber in den Lesesaal nur Pressedossiers und Akten der Protokollabteilung heraus. Alle politischen Dokumente blieben verschlossen. Kompensiert wurde diese fehlende Einsicht durch die gut zugänglichen Akten der Außenministerien in Berlin, Paris und Washington. Die fehlende Einsicht in KGB-Akten konnte teils durch die Nutzung des Sacharow-Archivs ersetzt werden. Die Witwe Andrei Sacharows, Jelena Bonner, hatte nämlich als Famili-

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enangehörige nach 1991 das Recht, von allen ihren Mann betreffenden Akten eine Kopie anzufertigen. Mein Dank gilt den drei Mitarbeiterinnen dort, die nicht nur ihre Akten, sondern auch ihr Mittagessen mit mir teilten. Neben den Moskauer Archiven habe ich sämtliche Archive an den Orten aufgesucht, an denen Breschnew lebte und arbeitete: In Dniprodserschinsk in der Ukraine, das seit 2016 wieder wie vor der Revolution Kamenskoje heißt, dem Geburtsort Breschnews, wo er auch studierte und 1937 seine politische Laufbahn begann, gewährte mir die Direktorin des dortigen Geschichtsmuseums, Natalja Bulanowa, Zugang zu ihrer Dokumentensammlung, wofür ihr herzlich gedankt sei. Als ich sie im Juni 2014 besuchte, freute und wunderte sie sich sehr, dass sich in „solchen Zeiten“ – kurz nach der Annexion der Krim und angesichts der Gefechte in der Ostukraine – jemand für Breschnew interessierte. Sie erzählte, dass es vor dem Beginn der Wirtschaftskrise viele Anfragen von Chinesen gegeben hätte, die auf den Spuren Breschnews wandeln wollten. Also hätten sie in Dniprodserschinsk begonnen, einen historischen Rundgang durch Breschnews Geburtsstadt auszuarbeiten, aber seit Beginn des Konflikts mit Russland gebe es keine touristische Nachfrage mehr. Sehr hilfreich und zuvorkommend waren auch die Mitarbeiterinnen in den Archiven in Saporischschja, Ukraine, wo Breschnew nach dem Krieg Parteivorsitzender war, und in Dnipropetrowsk, ebenfalls Ukraine, das seit 2016 Dnipro heißt, wo er sowohl vor als auch nach dem Krieg wirkte. Allerdings gibt es hier nirgends einen Bestand zu Breschnews Person: Mit Amtsantritt 1964 hat Breschnew alle persönlichen Unterlagen nach Moskau bringen lassen. Einzig ein Personalbogen aus dem Jahre 1947 kann eingesehen und abgeschrieben, nicht jedoch fotografiert werden. In Moldawien und Kasachstan, die Breschnew als Parteichef von 1950 bis 1952 bzw. 1954 bis 1956 leitete, ergab sich das gleiche Bild: Eine Personalakte Breschnews ist nicht vorhanden, doch Stenogramme von den ZK-Plenartagungen und auch den Parteibürositzungen sind zugänglich. Ein besonderer Dank gilt dem Direktor des Präsidentenarchivs der Republik Kasachstan, Boris Dschaparow, der aus dem Archiv, das einst ein Ort der Geheimhaltung war, an dem die Mitarbeiter die Aufzeichnungen der Forscherinnen und Forscher zensierten, eine Plattform der Aufklärung und der Informationsfreiheit gemacht hat. Er plant, den digitalen Zugang zu allen Akten im Internet zu ermöglichen. Die immer noch schwierige Lage in den russischen Archiven und der Mangel an persönlichen Materialien wird mehr als kompensiert durch eine wahre Flut von Tagebüchern, Memoiren und Interviews, die Breschnews Weggefährten hin-

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terlassen haben: seine Mitarbeiter aus dem ZK-Apparat, regionale Parteichefs, Kameraden aus dem Weltkrieg, politische Verbündete und Rivalen, geschasste Politbüromitglieder und der abgesetzte KGB-Vorsitzende, seine Dolmetscher und sein Fotograf, seine Leibwächter und Ärzte sowie nicht zuletzt die westlichen Staatsoberhäupter und Regierungschefs, mit denen er zu tun hatte. Dies ist eine reiche Quellenbasis, die zwar nicht die „Sondermappen“ ersetzt, auf deren Freigabe die Historikerinnen und Historiker noch immer sehnlich warten, aber womöglich doch eine bessere Einschätzung der „Person“ Breschnew erlaubt, als sie auf der Grundlage von offiziellen Akten möglich wäre.

Von Breschnews „Memoiren“ Zu den „Memoiren“ Breschnews gibt es folgenden vielsagenden zeitgenössischen Witz: Breschnew fragt den ZK-Sekretär für Ideologiefragen, Michail Suslow, ob er seinen Memoirenband „Neuland“ gelesen habe. „Natürlich, Leonid Iljitsch, sogar zweimal, ein wunderbares Buch!“, antwortet dieser und will gehen. „Halt! Wohin willst du denn?“, hält ihn Breschnew zurück. „Es ein drittes Mal lesen!“ Nachdem Suslow gegangen ist, wird Breschnew nachdenklich: „Vielleicht sollte ich es auch mal lesen?“22 Es war schon zu Lebzeiten Breschnews ein offenes Geheimnis, dass er selbst keine Zeile seiner „Memoiren“ verfasst hatte. Sie erschienen zunächst in der Zeitschrift „Nowyj Mir“ („Neue Welt“) in drei Teilen im Februar, Mai und November 1978: Unter dem Titel „Das Kleine Land“ wird über seine Kriegserfahrung berichtet, unter „Wiedergeburt“ über die Aufbauleistungen nach dem Krieg in der Ukraine und unter „Neuland“ über seine Zeit in Kasachstan. Diese Trilogie wurde bald auch in dünnen Büchlein von weniger als 100 Seiten in Millionenauflage publiziert und sofort zur Pflichtlektüre in den Schulen erklärt. Im November 1981 folgte in der „Neuen Welt“ ein weiterer Teil unter der Überschrift „Erinnerungen“, der die Teile vier und fünf, „Leben nach der Werksirene“ und „Heimatliebe“, umfasste und damit Breschnews frühe Jahre vor und nach der Revolution beschrieb. Bereits posthum erschienen im Januar 1983 die Kapitel sechs bis acht, „Moldawischer Frühling“, „Kosmischer Oktober“ und „Ein Wort über Kommunisten“, die zwar einige Begebenheiten aus Breschnews Zeit in Moldawien und als ZK-Sekretär für die Rüstungsindustrie ergänzten, im Ganzen aber weit weniger detailreich waren. „Ein Wort über Kommunisten“ bestand fast

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ausschließlich aus Propagandafloskeln. Damit enden die „Memoiren“ vor 1964, also vor Breschnews Machtantritt. Trotz ihrer acht Teile wird bis heute meist von der „Trilogie“ gesprochen. So weit die „Memoiren“ verbreitet und verspottet wurden, so wenig ist bis heute bekannt, wer sie warum genau initiiert hat.23 Augenscheinlich waren sie ein Teil bzw. Höhepunkt des Personenkults um Breschnew, dessen Lebensweg damit unwiderruflich in die Geschichte der Sowjetunion eingeschrieben werden sollte, mehr noch: dem damit ein entscheidender Anteil an zentralen Entwicklungen des Landes zugeschrieben wurde. Breschnews Mitarbeiter Georgi Arbatow meint, die Schmeichler unter seinen Mitarbeitern hätten Breschnew eingeredet, er müsse unbedingt aufschreiben, was er ihnen so oft und gern an Anekdoten aus seinem früheren Leben erzählt hatte, wenn sie in gemütlicher Runde auf der Regierungsdatscha oder dem Jagdsitz zusammensaßen.24 Der Publizist Wladislaw Wladimirow hingegen behauptet, die Memoiren seien allein Tschernenkos Werk, der sich damit als Breschnews Nachfolger in Position bringen wollte. Auch Alexander Mursin, der einzige Ghostwriter Breschnews, der sich je selbst als solcher zu erkennen gegeben hat, sagt, es seien Tschernenko und der Generaldirektor der sowjetischen Presseagentur TASS, Leonid Samjatin, gewesen, die gemeinsam Breschnew auf einer Zugfahrt zu den Memoiren überredet hätten. Wladimirow berichtet, Tschernenko habe auf die Memoiren Churchills, Giscard d’Estaings, de Gaulles und anderer großer Staatsmänner verwiesen, um Breschnew die Idee schmackhaft zu machen. Der aber habe erwidert, Lenin habe keine Memoiren geschrieben, worauf Tschernenko gekontert habe, dass dies Lenins Frau Nadeschda Krupskaja für ihn getan habe.25 Eine dritte Ansicht vertreten der ehemalige DDR-Botschafter Pjotr Abrassimow und Breschnews Arzt Jewgeni Тschasow: Der Chefideologe Suslow und der KGB hätten Memoiren ins Spiel gebracht, um mit dem dafür nötigen Schreibprozess erklären zu können, warum sich Breschnew für lange Zeit zurückzog und nicht in der Öffentlichkeit auftrat; so sollte verschleiert werden, dass er seine Tablettensucht nicht in den Griff bekam.26 Vermutlich waren letztlich, so wie es Breschnews Leibwächter Wladimir Medwedew berichtet, alle „Parteiideologen“ zusammen daran beteiligt, dass Breschnew seine Zurückhaltung aufgab und damit seine Meinung, seine Geschichte sei doch „nichts Besonderes, das Leben hat sich so ergeben“.27 Er habe erklärt: „Meine Genossen haben mich überzeugt, meine Erinnerungen an meine Erlebnisse, an meine Arbeit, den Krieg und die Partei zu veröffentlichen. Das ist wichtig für unser Volk, unsere Jugend, die am Beispiel der Väter erzogen wird.“28

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Die Bedingung, die Breschnew offenbar stellte, war, dass er die Memoiren nicht selbst schreiben, allenfalls einem Autorenteam zuarbeiten werde. Die Aufsicht über das Projekt bekamen TASS-Chef Samjatin und der Chefredakteur der „Komsomolskaja Prawda“, Witali Ignatenko. Im April 1977 luden sie vier der besten Federn des Landes zu einem konspirativen Treffen ein und unterbreiteten ihnen das Vorhaben. Offenbar ließen sie den Autoren in der Frage, wer welches Kapitel aus Breschnews Leben bearbeiten sollte, relativ freie Wahl.29 Anatoli Agranowski, der beste Schreiber der „Iswestija“, wählte die Jahre in der Ukraine, der Schriftsteller Arkadi Sachnin den Krieg und die beiden „Prawda“Journalisten Wladimir Gubarjow und Mursin die Raumfahrt bzw. die Zeit in Kasachstan.30 Die Partei richtete nicht nur im ZK eine eigene Abteilung ein und ordnete die besten Publizisten des Landes für diese Aufgabe ab. Sie autorisierte die Letzteren auch, ausführlich im ganzen Land zu recherchieren, sämtliche Archive zu durchforsten und Zeitzeugengespräche zu führen.31 Die „Ghostwriter“ reisten also an Breschnews Wirkungsstätten, während Tschernenko sich persönlich darum kümmerte, dass die örtlichen Parteichefs sie würdig unterbrachten und ihnen Zugang zu allen Unterlagen gewährten.32 Das muss bedacht werden, wenn es um den Quellenwert der „Memoiren“ geht. Die Autoren ließen also keineswegs ihrer Phantasie freien Lauf oder arbeiteten an frei erfundenen Heldentaten. Das bestätigen auch viele Weggefährten Breschnews: Vieles von dem, was er ihnen selbst erzählt hatte, lasen sie später in den „Memoiren“. Allerdings sprachen die Autoren nicht selbst mit Breschnew, sondern bekamen Mitschriften der Anekdoten ausgehändigt.33 Das Problem war und ist nicht die Quellenlage, sondern die Verarbeitung des Materials zu einem Heldennarrativ, das unbedeutende Handlungen, z.B. während des Krieges, zu historischen Wendepunkten verklärte, mitunter Taten Dritter Breschnew zuschrieb oder aber die Fakten so frei interpretierte, dass die Wahrheit nicht mehr zu erkennen war. Nachzuweisen ist das vor allem für die Kriegszeit, wenn man das „Kleine Land“ mit den Memoiren von Offizieren abgleicht. Der Volksmund ersann daher den bösen Witz: „Das Motto für Breschnews Memoirenband ‚Das Kleine Land‘: ‚Alles, was ich nicht erlebte, erinnere ich!‘“34 Für die Zeit in Kasachstan konnte zumindest ein Dokument im Archiv gefunden werden, das ganz offensichtlich Vorlage für eine Begebenheit im Band „Neuland“ war und erkennen lässt, wie der Autor Mursin aus einer Tragödie eine sozialistische Heldengeschichte machte: Im Buch „schildert“ Breschnew, dass

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im Frühjahr 1954 der Traktorfahrer Daniil Nesterenko heldenhaft versuchte, seinen Kameraden zu helfen, Traktoren über einen zugefrorenen Fluss zu schaffen, aber er seinen Heldenmut mit dem Tod bezahlte, weil das Eis brach und er ertrank. Ghostwriter Mursin legte Breschnew in den Mund: „Als die Freunde den Toten aus dem Wasser zogen, entdeckten sie in seiner Tasche den Ausweis für den Titel ‚Held der Sowjetunion‘. Zuvor hatte niemand im Sowchos gewußt, daß an seiner Seite ein solcher Mann arbeitete. (…) Deshalb schmerzte mich sein Tod um so mehr.“35 Laut historischem Bericht war es jedoch genau andersherum: Die Kameraden hatten davon abgeraten, den bereits aufgetauten, weit über die Ufer getretenen Fluss zu überqueren, und wollten lieber nach einer Furt suchen, aber Nesterenko herrschte sie an: Sie seien kleinmütig, wo sie im Krieg doch unter stärkstem Bombardement den Dnjepr überquert hätten! Als dann in der Mitte des Flusses der Traktor stecken blieb und überflutet wurde, ertrank nicht nur Nesterenko, sondern noch ein zweiter Traktorfahrer, der Komsomolze Ker.36 Die Verfälschung dieser Quelle durch den Ghostwriter zeigt exemplarisch, mit welcher Vorsicht die „Memoiren“ Breschnews zu verwenden sind. Das „Rohmaterial“ wurde nach Belieben bearbeitet. Breschnews „Kommentare“ und „Gedanken“ zu solchen Begebenheiten können ohnehin als frei erfunden gelten. Anders verhält es sich nur mit Dokumenten, die im Wortlaut zitiert werden. Einige von ihnen konnten anhand der Originale überprüft werden, und es scheint, dass sich die Ghostwriter nicht getraut haben, diese Parteidokumente zu frisieren. Natürlich stellten die Materialien, die die Ghostwriter zusammengetragen haben, heute eine wertvolle Quelle dar. Aber die Autoren mussten zusammen mit ihrer Auftragsarbeit auch sämtliche Unterlagen und Aufzeichnungen abgeben und diese wurden umgehend vernichtet.37 Dass Breschnew seine „Memoiren“ gar nicht kannte, wie es der zitierte Witz suggeriert, scheint hingegen nicht zu stimmen. In seinen Notizbüchern notierte er z.B. am 26. August 1977: „Bin am Strand spazieren gegangen. Habe danach das Material gelesen – das erste Kapitel ‚Leben unter der Werksirene‘.“38 Laut Notizen las er den Text erneut, als er im November 1981 erschienen war.39 Auch den Band über Kasachstan ließ Breschnew offenbar nicht nur vom dortigen Parteichef Dinmuchamed Kunajew gegenlesen, sondern sah ihn auch selbst noch vor dem Erscheinen durch.40 Mletschin gibt an, hin und wieder habe Breschnews Sekretärin ihm die „Memoiren“ im Krankenhaus vorgelesen, was plausibel klingt, da Breschnew sich generell lieber vorlesen ließ, als dass er selbst las. Grundsätz-

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lich sei nichts veröffentlicht worden, was Breschnew nicht gegengelesen habe.41 Allerdings habe Breschnew, so der Journalist Georgi Jakowlew, im gesamten Manuskript nur zwei Wörter geändert.42 Der Quellenwert der „Memoiren“ ist also, abgesehen von einigen wenigen zitierten Dokumenten, in erster Linie darin zu finden, dass sie nachvollziehen lassen, welch eine Idealbiographie hier geschaffen wurde. Dass es sich in erster Linie um Erziehungsliteratur handelte, gab Breschnew freimütig zu, als er im März 1980 für „seine Memoiren“ den Leninpreis für Literatur verliehen bekam: „Am wenigsten möchte ich, dass die Bücher ‚Das Kleine Land‘, ‚Wiedergeburt‘ und ‚Neuland‘ als Memoirenwerk verstanden werden. Als ich an meinen Aufzeichnungen arbeitete, dachte ich nicht an mich und sogar wohl weniger an die Vergangenheit als daran, wie die Erfahrung der Vergangenheit den Menschen von heute nützlich sein kann.“43

Von Breschnews „Tagebüchern“ und seinem Fotografen Einen anderen Quellenwert haben die „Dnewniki“ Breschnews, deren Name missverständlicherweise immer wieder mit „Tagebücher“ übersetzt wird, die jedoch in Breschnews Fall einfach „Notizbücher“ sind. Um sie rankten sich lange Zeit Gerüchte, weil nur wenige, unter ihnen Breschnews Biographen Wolkogonow und Mletschin, sie gesehen hatten und diese behaupteten, sie zeugten von „geistiger Armut“. Wolkogonow spottete – und Mletschin schlug in die gleiche Kerbe –, Breschnew habe sich offenbar nur für Folgendes interessiert: „Die Höhe seines Gewichts, wie lange er schwamm, wen er anrief, was es zu essen gab, welche Auszeichnung oder welchen Titel er erhalten hatte, seine medizinischen Behandlungen, was er bei der Jagd erlegt hatte.“44 Das stimmt und stimmt auch wieder nicht: Erstens waren dies, wie gesagt, keine Tagebücher, in die man geheimste Gedanken und tiefsinnige Überlegungen schreibt, sondern Taschenkalender und Arbeitskladden, teils nur lose Zettel, auf denen Breschnew die Tagesereignisse in Stichwortform festhielt. Zweitens finden sich hier keineswegs nur Banalitäten aus dem Alltags- und Privatleben, sondern über weite Strecken Listen der Politiker, mit denen Breschnew telefonierte oder die er traf. Dies waren eher Logbücher oder Chroniken, die Breschnew für sich führte: „5. Juni 1979, Dienstag, habe mit Tschernenko gesprochen – Andropow wird 65 Jahre alt, Tschasow wird 50 Jahre alt. Gorbatschow – über die Niederschlagsmengen (…).“45

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Nur sehr selten hielt Breschnew längere Gedankengänge fest oder legte sich schriftlich Argumente zurecht, wie offenbar im Oktober 1964, als er seine Anklagerede gegen Chruschtschow vorbereitete: „Warum das alles passiert ist – weil durch direkteste und aktivste Unterstützung Chruschtschows ein ChruschtschowKult entstand. N.[ikita] S.[ergejewitsch Chruschtschow] − ich habe den starken Eindruck – dass das Ihr Bewusstsein getrübt hat und Sie beschlossen, dass Ihnen alles erlaubt ist – das Gift der unbegrenzten Macht hat Sie verdorben.“46 Die Notizbucheinträge erlauben uns also keinen Blick in die innere Gefühlsund Gedankenwelt Breschnews, sondern zeigen wie ein Index zu seinem Leben, mit wem er sprach und welche Themen ihn beschäftigten. Er führte das Notizbuch in den Kriegsmonaten Oktober und November 1944, als er begann, in den Karpaten die Sowjetherrschaft zu installieren. Danach brechen die Einträge ab. Anfang der 1950er Jahre nahm er sie kurz wieder auf, doch beginnen die systematischen Aufzeichnungen erst wieder, nachdem ihn Chruschtschow 1956 nach Moskau geholt hatte. Mit kleineren und größeren Unterbrechungen führte er diese „To-do-Listen“ bis kurz vor seinem Tod. Sie sind noch immer nicht frei im Archiv zugänglich, liegen aber seit November 2016 veröffentlicht vor. Sie bieten eine gute Ergänzung da, wo keine anderen Archivquellen zugänglich sind und wir bislang nur spekulieren konnten. So lässt sich beispielsweise feststellen, womit Breschnew im Dezember 1979 beschäftigt war, als das Politbüro den Einmarsch nach Afghanistan beschloss. Bei dieser mühsamen Rekonstruktionsarbeit helfen auch die im Begleitband zu den Notizbüchern veröffentlichten Aufzeichnungen der Sekretäre seines Vorzimmers im Kreml: Sie geben darüber Auskunft, ob Breschnew in seinem Kabinett oder zu Hause weilte, ob er auf seine Datscha oder den Jagdsitz fuhr und wen er empfing.47 Angesichts der immer noch schwierigen Aktenlage in Russland werden in diesem Buch auch Fotografien als Quellen herangezogen. Außerdem wird jedes Kapitel mit einem Bild Breschnews eröffnet. Auf den Fotografien aus seiner Kindheit und seinen frühen Jahren lässt sich vieles erkennen, zu dem es keine oder nur wenige – zugängliche – schriftliche Quellen gibt. Die Fotografien späterer Jahre zeigen einen vitalen, dynamischen Breschnew, der gern lachte – etwas, das bald, spätestens nach seinem Tod 1982, in Vergessenheit geriet. Die Bilder füllen also Lücken und präsentieren den Breschnew, dem schriftliche Quellen oft nicht gerecht werden, weil sich seine physische Präsenz und seine Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen, in Texten nicht erschließen. Breschnew war, wie mir sein Fotograf Wladimir Musaeljan anvertraute, nicht nur sehr fotogen, er wusste auch um

Anmerkungen

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die Macht der Bilder. Er war der erste sowjetische Parteichef, der sich mit Musaeljan 1969 seinen persönlichen Fotografen an die Seite stellte, der ihn stets begleitete und bei der Auswahl der richtigen Fotografien beriet.48 Ich danke Wladimir Musaeljan für die Erlaubnis, für dieses Buch seine Fotografien zu verwenden. Zum Schluss ein Wort zur Entstehung dieser Biographie. Als ich 2008 als Direktorin an die Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen kam und damit u.a. die Leitung eines weltweit einzigartigen Archivs mit rund 600 Vor- und Nachlässen von sowjetischen Dissidentinnen und Dissidenten sowie Untergrund-Publikationen aus Polen und der ehemaligen ČSSR übernahm, erschien die Erforschung des letzten großen Parteichefs der Sowjetunion ein geeignetes Thema. Ich wollte wissen, wie unter Breschnew die Verfolgung der Dissidenten begann, wie im Politbüro über Sacharow, Solschenizyn und andere gesprochen wurde, wie es zum Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 und zur Verhängung des Kriegsrechts in Polen 1981 kam. Kurz: Ich erwartete, mich mit einem Stalinisten, Hardliner und Architekten der innen- und außenpolitischen Repressionspolitik zu befassen, und musste schnell erstaunt feststellen, dass dies zu einfach gedacht war. Die Andersdenkenden überließ Breschnew den KGBChefs, Dubček war sein Protegé und nicht sein Feind und auch in Bezug auf Polen verstand er sich als Patron und Berater, nicht als Exekutionsmacht. Statt eines Kalten Kriegers offenbarte sich ein Mann, der leidenschaftlich für den Frieden kämpfte und seine Gesundheit dabei ruinierte. Statt als dogmatischer Ideologe entpuppte sich Breschnew als Frauenschwarm, der schnelle Autos liebte und gerne Witze erzählte. Es wird nicht ausbleiben, dass man mir eine gewisse Breschnew-Apologetik vorwerfen wird. Dem sei schon jetzt erwidert, dass es keineswegs die Absicht war, Breschnew für irgendetwas zu exkulpieren. Er sollte lediglich mit all seinen Facetten als „Mensch in seiner Zeit“ gezeigt werden. Für die Finanzierung dieser Forschung im Rahmen der Exzellenzinitiative danke ich der Universität Bremen.

Anmerkungen 1

Jens Schneider: Dicker Max war gestern. Michael Müller will zeigen, dass Berlin mehr ist als Zentrum für Künstler. Mit dem Image des bescheidenen Arbeiters kommt der Regierende Bürgermeister an, in: Süddeutsche Zeitung, 28. August 2015. 2 Ebenda. 3 Ebenda.

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4 Ebenda. 5 Jerry Hough: The Brezhnev Era. The Man and the System, in: Problems of Communism 25 (1976) 2, S. 1–17, hier: S. 8. 6 Leonid Mlečin: Brežnev. Žizn’ zamečatel’nych ljudej, Bd. 1325, Moskau 2008, S. 109; Wladimir S. Semjonow: Von Stalin bis Gorbatschow. Ein halbes Jahrhundert in diplomatischer Mission 1939–1991, Berlin 1995, S. 341. 7 Vladimir Medvedev: Čelovek za spinoj. Vospominanija načal’nika ličnoj ochrany Brežneva i Gorbačeva, Moskau 1994, S. 48, 50; Wjatscheslaw Keworkow: Moskau, der KGB und die Bonner Ostpolitik, Berlin 1995, S. 210. 8 Marc Bloch: Apologie der Geschichtswissenschaft oder Der Beruf des Historikers, nach der von Etienne Bloch edierten französischen Ausgabe hg. v. Peter Schöttler, Stuttgart 2002, S. 32. 9 John Dornberg: Breschnew. Profil des Herrschers im Kreml, München 1973. 10 Paul J. Murphy: Brezhnev. Soviet Politician, Jefferson, N.C., 1981, S. 5; Theodore H. Friedgut: Paul J. Murphy. Brezhnev, Soviet Politician [Rezension], in: Canadian Slavonic Papers 25 (1983) 2, S. 315–317. 11 D.A. Volkogonov: 7 voždej. 4 vožd’: Leonid Brežnev, Bd. 2, Moskau 1995; Rudol’f Germanovič Pichoja: Sovetskij sojuz. Istorija vlasti, 1945–1991, Moskau 1998. 12 Abdurachman Avtorchanov: Sila i bessilie Brežneva. Političeskie ėtjudy, 2., ergänzte Auflage, Frankfurt am Main 1980 [1979]. 13 Roj Medvedev: Ličnost’ i ėpocha. Političeskij portret L.I. Brežneva, Moskau 1991, S. 5. 14 H. Gordon Skilling/Franklyn Griffith (Hg.): Interest Groups in Soviet Politics, Princeton 1971; Thomas H. Rigby: The Soviet Leadership: Towards a Self-Stabilizing Oligarchy?, in: Soviet Studies 22 (1970) 2, S. 176–191; ders.: How Strong is the Leader?, in: Problems of Communism 11 (1962) 5, S. 1–8; ders.: Political Elites in the USSR. Central Leaders and Local Cadres from Lenin to Gorbachev, Aldershot 1990; John P. Willerton: Patronage Networks and Coalition Building in the Brezhnev Era, in: Alexander Dallin (Hg.): The Khrushchev and Brezhnev Years, London 1992, S. 189–218; ders.: Patronage and Politics in the USSR, Cambridge 1992. 15 Sergej Semanov: Brežnev. Pravitel’ zolotogo veka, Moskau 2006; ders.: Dorogoj Leonid Il’ič, Moskau 2007. 16 Aleksandr Chinštejn: Počemu Brežnev ne smog stat’ Putinym. Skazka o poterjannom vremeni, Moskau 2011, S. 8. 17 Ian D. Thatcher: Brezhnev as Leader, in: Edwin Bacon/Mark Sandle (Hg.): Brezhnev Reconsidered, Houndmills, Basingstoke 2002, S. 22–37, hier: S. 32; Edwin Bacon: Reconsidering Brezhnev, in: ders./Sandle, Brezhnev Reconsidered, S. 1–21, hier: S. 13; William Tompson: The Soviet Union under Brezhnev, Harlow 2003, S. 17; Donald J. Raleigh: Russia’s Favorite. Reevaluating the Rule of Leonid Il’ich Brezhnev, 1964–1982. Guest Editor’s Introduction, in: Russian Studies in History 52 (2014) 4, S. 3–11. 18 Mlečin, Brežnev, S. 104. 19 „Breschnew“, eine Online-Ausstellung der Bundesarchivbehörde Russlands und des Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Novejšej Istorii (im Folgenden: RGANI) im Rahmen des AusstellungsZyklus „Führer der Sowjetepoche“; http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/, abgerufen am 24.4.2017. 20 Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1970, Bd. 2, München 2000, Gespräch des Bundeskanzlers Brandt mit dem Generalsekretär des ZK der KPdSU, L.I. Breschnew, in Moskau, S. 1449 f. 21 Karen N. Brutenc: Tridcat’ let na staroj ploščadi, Moskau 1998, S. 496.

Anmerkungen

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22 Mark Dubovskij (Hg.): Istorija SSSR v anekdotach, 1917–1992, Smolensk 1993, S. 199. 23 Siehe auch Nikolaus Katzer: Dans la matrice discursive du socialisme tardif. Les „Mémoires“ de Leonid Il’ič Brežnev, in: Cahiers du Monde Russe 54 (2013) 1–2, S. 73–101. 24 Georgij Arbatov: Iz nedavnego prošlogo, in: Ju.V. Aksjutin (Hg.): L.I. Brežnev. Materialy k biografii, Moskau 1991, S. 61–92, hier: S. 91. 25 Vladislav Vladimirov: Tandem. O L. Brežneve i K. Černenko, in: Kodry, 1990, Nr. 4, S. 150–193, hier: S. 157; Aleksandr Murzin: Kak pisalis’ memuary. Ispoved’ suflera, http://leonidbrezhnev. ucoz.ru/publ/stati_zametki_intervju/kak_pisalis_memuary/2-1-0-25, abgerufen am 28.9.2016. 26 Petr Abrasimov: Vospominaja prošedšie gody. Četvert’ veka posla Sovetskogo Sojuza, Moskau 1992, S. 270; Evgenij Čazov: Zdorovie i vlast’. Vospominanija „kremlevskogo vrača“, Moskau 1992, S. 154 f. 27 Vladimir Medvedev: Čelovek za spinoj, 2. Auflage, Moskau 2010, S. 94. 28 Zit. nach Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 155. 29 Murzin, Kak pisalis’ memuary. 30 Ebenda; Georgij Jakovlev: Kak sozdavalis’ memuary Brežneva, in: Aksjutin, Brežnev. Materialy k biografii, S. 285–293, hier: S. 290; Mlečin, Brežnev, S. 593. 31 Georgij Arbatov: Čelovek sistemy. Nabljudenija i razmyšlenija očevidca ee raspada, Moskau 2002, S. 365. 32 Vladimirov, Tandem, S. 154. 33 Aleksandr Bovin: XX vek kak žizn’. Vospominanija, Moskau 2003, S. 233. 34 Istorija SSSR v anekdotach, S. 153. 35 Leonid Breshnew: Neuland. Erinnerungen, Berlin 1979, S. 98 f. 36 Archiv Prezidenta Respubliki Kasachstana (im Folgenden: APRK), f. 708, op. 27, d. 284: Dokladnye zapiski, spravki, informacii i zapiski sel’chozotdela na imja sekretarej CK KP Kazachstana, 3.1.–13.6.1954g., l. 137 f.: L.I. Brežnevu – Informacija o proisšedšem nesčastnom slučae v zernosovchoze „Dal’nij“ Esil’stkogo rajona, Akmolinskoj oblasti. 37 Jakovlev, Kak sozdavalis’ memuary Brežneva, S. 290. Mursin gab allerdings 1991 in einem Zeitungsinterview an, er habe sein Originalmanuskript inklusive aller Unterlagen behalten und bewahre es bis heute bei sich auf. Siehe Murzin, Kak pisalis’ memuary. 38 Federal’noe archivnoe agenstvo et al. (Hg.): Leonid Brežnev. Rabočie i dnevnikovye zapisi, 3 Bde., Bd. 1: Leonid Brežnev. Rabočie i dnevnikovye zapisi, 1964–1982gg., Moskau 2016, S. 825. 39 Ebenda, S. 1115 f. 40 Ebenda, S. 915, 919. 41 Mlečin, Brežnev, S. 593, 596. 42 Jakovlev, Kak sozdavalis’ memuary Brežneva, S. 288. 43 L.I. Brežnev: „Vo imja dela partii, dela naroda.“ Vručenie Leninskoj premii General’nomu Sekretarju CK KPSS Predsedatelju Prezidiuma Verchovnogo Soveta SSSR L.I. Brežnevu, 31.3.1980g., Moskau 1980, S. 12 f. 44 Volkogonov, 7 voždej, Bd. 2, S. 11; Mlečin, Brežnev, S. 15, 436. 45 Brežnev. Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 955. 46 Ebenda, S. 41. 47 Brežnev. Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 2: Zapisi sekretarej Priemnoj L.I. Brežneva, 1965– 1982gg., Moskau 2016. 48 Interview der Autorin mit Vladimir Gurgenovič Musaėl’jan, 16. März 2016; siehe auch: Vladimir Musaėl’jan: Brežnev, kotorogo ne znali, in: Kollekcija Karavan Istorija, Nr. 7, Juli 2015, S. 134–163, hier: S. 144.

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Abb. 1: Leonid Breschnew mit seinen Geschwistern Vera und Jakob als Mitglieder einer Laienschauspielgruppe in Kursk, 1924.

   

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Berufswunsch Schauspieler oder: Ein ganz normaler Sowjetmensch

Das Foto zeigt Leonid Breschnew und seine Geschwister Vera und Jakob kerzengerade nebeneinanderstehend vor einem Theatervorhang. Breschnew steht mit seinen 18 Jahren als Ältester ganz links und hat sichtbar eingefallene Wangen. Zwei Dinge erstaunen an dieser Fotografie: Erstens ist Breschnew so schmal und abgemagert, wie man ihn sonst nirgends auf Fotografien sehen kann. Zweitens werden die drei Kinder als Mitglieder einer Laienschauspielgruppe abgelichtet und haben nichts Revolutionäres an sich, obwohl das Bild aus dem Jahr 1924 stammt: Weder die Kleidung noch die Pose verweisen auf die Bolschewiki, das Proletariat oder deren Sieg. Im Gegenteil trägt Breschnew ein weißes Hemd mit Krawatte unter einer dunklen Jacke, weder ein Parteihemd noch einen Soldatenmantel. Das Haar ist glatt frisiert und an der Seite gescheitelt. Er steht aufrecht und hat seinen Blick fest auf die Kamera gerichtet. Wie auch seine Geschwister wirkt Breschnew streng und bürgerlich; es erstaunt daher nicht, dass sich diese Fotografie, obwohl es nur wenige vom jungen Breschnew gibt, in keinem offiziellen Werk oder Bildband zum Generalsekretär findet. Sie zeigt einen Breschnew, den es offiziell nicht gab: einen jungen, wohlerzogenen Mann mit feinen Gesichtszügen, gezeichnet von der Hungersnot 1921/22. Und auch, was sie nicht zeigt, wurde später verschwiegen: ein Breschnew, der sich kaum für Politik interessierte, der zum Zeitpunkt der Aufnahme gerade erst dem Komsomol, der Jugendorganisation der Bolschewiki, beigetreten war und der davon träumte, Schauspieler zu werden. Während die offiziellen Biographien aus Breschnews Werdegang einen gerad­ linigen Weg in das Amt des Generalsekretärs konstruierten und auch seine westlichen Biographen in ihm einen begeisterten Stalinisten sahen, der die ihm gestellten Aufgaben mit Bravour und bolschewistischem Enthusiasmus meisterte, scheint

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es so, dass Breschnew keineswegs ein politischer Enthusiast war. Erzählt man seine Lebensgeschichte nicht vom Fluchtpunkt des Generalsekretärspostens aus, sondern betrachtet den jungen Breschnew im Vergleich mit seinen Altersgenossen in den 1910er und 1920er Jahren, dann scheint er keineswegs dafür prädestiniert zu sein, einmal mächtigster Mann in Partei und Staat zu werden. Im Gegenteil erscheint er geradezu apolitisch, als ein junger Mann, der versucht, möglichst lange nicht mit den neuen politischen Organisationen und Veränderungen in Kontakt zu kommen. Versucht man, einen unvoreingenommenen Blick auf Breschnew zu werfen, dann fallen nicht politische Begeisterung, Schwärmerei für die Bolschewiki oder Führungsqualitäten auf, sondern der Kampf ums nackte Überleben. Revolution, Bürgerkrieg und Kollektivierung waren nicht Herausforderungen, die Breschnew suchte, sondern Geschehnisse, die sein bisheriges ruhiges, geordnetes Leben erschütterten und letztlich zerstörten. Breschnews Entwicklung war weniger von revolutionärem Eifer als von schierem Überlebensinstinkt geleitet: Er ergriff die Flucht, wenn die Lage schwierig oder bedrohlich wurde. Das erste Mal floh er zusammen mit seiner Familie 1921 vor dem Hunger und der Arbeitslosigkeit aus der Ukraine nach Kursk; das zweite Mal floh er 1930 auf dem Höhepunkt der Entkulakisierung und Kollektivierung vor den bürgerkriegsartigen Zuständen aus dem Ural in die Stadt; noch im selben Jahr floh er ein drittes Mal vor der Wohnungsnot aus Moskau. Dass Breschnew ein „ganz normaler Sowjetmensch“ war, der sich in erster Linie um sein Leben und Überleben kümmerte und sich nur wenig für die Bolschewiki begeisterte, ist freilich angesichts mangelnder bzw. nicht zugänglicher Quellen ebenfalls schwer zu untermauern. Es gibt nur Indizien, wie das oben beschriebene Foto, die auf den unpolitischen Laienschauspieler Breschnew hinweisen.

Drang nach Bildung und Bürgerlichkeit Ein solches Indiz für Breschnews unpolitische Haltung ist, dass in seinen „Memoiren“ die überschwängliche und konkrete Begeisterung für die Oktoberrevolution und die sich anschließenden Ereignisse fehlt. Es war in der Sowjetunion unter überzeugten Kommunisten üblich, den Sieg der Sowjetmacht in den eigenen Erinnerungen voller Überschwang zu schildern und die eigene Entwicklung ganz mit den Kämpfen und Siegen der Bolschewiki zu verflechten: die persönliche Befreiung von schlagenden Vätern oder ausbeuterischen Fabrikvorstehern; der

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Anschluss an die Roten Garden und der Kampf im Bürgerkrieg; die Arbeit in Partei oder Gewerkschaft in den 1920er Jahren, um den jungen Staat mit aufzubauen; der Eintritt in die Partei als der „schönste Tag im Leben“; die Abordnung zum Studium und dann der Beginn der Karriere in der Wirtschaft und gegebenenfalls in der Politik. Nichts davon findet sich in Breschnews „Memoiren“, und das ist umso erstaunlicher, als wir wissen, dass sie als „Idealbiographie“ verfasst wurden: Offenbar gab es aus Breschnews Leben so wenig Verwendbares, dass es die Ghostwriter bei sehr allgemeinen Phrasen beließen, mit denen Breschnews Begeisterung für die Bolschewiki und seine Identifizierung mit dem Proletariat „belegt“ wurden, um die Erzählung nicht vollkommen unglaubwürdig zu machen. „Ich habe das Glück gehabt, in einer Arbeiterfamilie, in einer großen Arbeitersiedlung geboren, aufgewachsen zu sein und richtig arbeiten gelernt zu haben. Zu den frühesten, stärksten Eindrücken meiner Kindheit gehört die Werksirene. Ich erinnere mich: Der Morgen bricht gerade erst an, doch Vater ist schon in der Arbeitskluft, Mutter begleitet ihn bis an die Tür“, so beginnen Breschnews „Erinnerungen“ „Leben nach der Werksirene“.1 Für die Legitimation als Parteisekretär war es von enormer Wichtigkeit, aus der Arbeiterschaft zu stammen. Aber da das Gemeinderegister von Breschnews Geburtsurkunde gesäubert wurde, gibt es diverse Spekulationen über seine wahre Herkunft.2 Die Theorien reichen von der Behauptung, er sei in Wahrheit ein polnisches Adoptivkind, bis zu der Annahme, er stamme nicht aus einer Arbeiter-, sondern aus einer Mittelklassenfamilie. Die Leiterin des Geschichtsmuseums in Breschnews Heimatstadt Kamenskoje, Natalja Bulanowa, nimmt an, dass das Register gesäubert wurde, damit nicht ans Licht käme, dass Breschnew getauft war, was ein schwerer Makel in seiner reinen proletarischen Biographie gewesen wäre. Das zweite Gerücht entwickelte sich aufgrund der Tatsache, dass Breschnew seit 1915 das örtliche Gymnasium besuchte, das damals eigentlich den Söhnen von Fabrikdirektoren, Ingenieuren und Angestellten vorbehalten war. In Breschnews „Erinnerungen“ wird das wie folgt gerechtfertigt: Von den Arbeiterkindern sei nur jedes fünfzehnte aufgenommen worden und außer ihm hätten es in seinem Jahrgang sechs weitere Arbeitersöhne geschafft. „Wir wurden als ‚Staatsstipendiaten‘ bezeichnet. Dies bedeutete nicht, dass wir ein Stipendium erhielten, sondern lediglich – ausgezeichnete Leistungen vorausgesetzt – Befreiung vom Schulgeld. Letzteres aber war maßlos hoch – 64 Goldrubel. So viel verdiente nicht einmal der qualifizierteste Arbeiter, und Vater hätte diesen Betrag bei bestem Willen nicht aufbringen können.“3

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Es scheint einigermaßen gesichert, dass Breschnews Vater zur Arbeiterintelligenz gehörte.4 Diese Arbeiter ersehnten nicht in erster Linie den Zerfall der herrschenden Ordnung, sondern wollten innerhalb dieser Gesellschaft aufsteigen, um selbst ein bürgerliches Leben zu führen; der Weg dahin hieß nicht Revolution, sondern Bildung. So wird nachvollziehbar, dass Breschnews Eltern vermutlich alles daransetzten, ihrem ältesten Sohn die bestmögliche Schulbildung zu ermöglichen. Für diese Zugehörigkeit zur Arbeiterintelligenz sprechen auch zwei weitere Indizien: Zum einen konnten sowohl Leonids Vater als auch seine Mutter lesen, was für einfache Arbeiter höchst ungewöhnlich war.5 Zum anderen gibt es ein frühes Foto der Familie Breschnew aus dem Jahr 1915, auf dem Leonid als Gymnasiast in Schuluniform abgebildet ist, während seine Schwester Vera ein weißes Kleid und auch der kleine Bruder Jakob ein weißes Hemd trägt; die beiden jüngeren Geschwister lehnen sich an den sitzenden Vater, der einen Anzug samt Weste und hochgeschlossenem weißem Hemd trägt; die Mutter steht in weißer Bluse und dunklem Rock dahinter. Sowohl die Art der Kleidung als auch die Aufnahme eines solchen Familienfotos an sich weisen darauf hin, dass die Breschnews ihre Welt nach bürgerlichen Werten gestalteten. Einfache Arbeiter konnten sich weder einen Sonntagsstaat noch einen Besuch im Fotostudio leisten. Kindheit in Kamenskoje 1906–1917

Breschnews Vater Ilja Jakowlewitsch Breschnew (1880–1937) und die Eltern seiner Mutter Natalja Denissowna Masolowa (1886–1975) waren zur Jahrhundertwende auf der Suche nach Arbeit aus Russland in die Ukraine gekommen. Kamenskoje war eine kleine beschauliche Siedlung am Dnjepr, bis dort 1878 von Warschauer Ingenieuren eine Eisenhütten- und Schienenfabrik gegründet wurde, die 1886 in der Süd-Russland-Gesellschaft aufging, welche von Belgiern, Polen, Deutschen und Franzosen geleitet wurde. 1887 entstanden die ersten zwei Hochöfen, die 1889 in Betrieb gingen.6 Die Siedlung entwickelte sich in der Folge rasant um die Fabrik herum, die ebenfalls weiter wuchs und in erster Linie Eisenbahnschienen herstellte. 1897 lebten rund 26.000 Einwohner in Kamenskoje, 1917 waren es bereits 100.000.7 Es war die Hochzeit der Industrialisierung in Russland und durchaus typisch, dass die Investoren aus dem Ausland kamen. In der Fabrik arbeiteten um 1892 rund 3000 Arbeiter, die zum großen Teil aus den nordwestlichen Gouvernements des Zarenreichs eingewandert waren; ihr

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Abb. 2: Familienfoto der Breschnews: die Mutter stehend, der Vater sitzend mit den Geschwistern Jakob und Vera, Leonid rechts stehend in Gymnasiastenuniform, 1915.

Russisch mischte sich mit dem Ukrainisch der Bauern aus der Gegend und dem Polnisch und Französisch der Ingenieure und der Fabrikleitung.8 Neben zwei orthodoxen, einer katholischen und einer protestantischen Kirche entstanden ein Fabrikkrankenhaus, ein Veranstaltungssaal für das gemeine Volk, in dem es

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Konzerte und Ausstellungen gab, eine Bibliothek, ein Ingenieursclub, ein Yachtclub, in dem auch Arbeiter zugelassen waren, eine Fabrikschule mit zwei Klassen für die Arbeiterkinder – und abends im Park spielte ein Blasorchester.9 Entgegen dem bolschewistischen Narrativ von den Ausbeuterfabriken kümmerte sich die Leitung der Süd-Russland-Gesellschaft in gewissem Maße um das Wohlergehen ihrer Arbeiter, auch wenn dies nur geschah, um Streiks zu vermeiden.10 Nichtsdestoweniger gab es klare soziale Hierarchien und Elend: Die Fabrikleitung, Ingenieure, höhere Angestellte, Ladenbesitzer, Priester und Akademiker residierten in der „Oberen Siedlung“, einem Viertel aus Villen und Herrenhäusern oberhalb der Fabrik, wohin der Rauch der Schlote nicht zog. In der ­„Unteren Siedlung“ wohnten die Verwaltungsangestellten der Fabrik sowie Vorarbeiter in kleineren Stein- und Holzhäusern mit eigenem Garten, die alle mit elektrischem Strom und fließend Wasser versorgt waren,11 während für die Arbeiter Baracken errichtet wurden, in denen 16 bis 20 Menschen ohne ­Kanalisation hausten. Im Winter war es hier so feucht, dass das Wasser von den Wänden lief und die Arbeiter ihre Bleibe „Durchgangsgefängnis“ nannten. Darüber hinaus gab es auch Arbeiter, die mangels Alternative in Lehm- und Erdhütten vor sich hin vegetierten.12 In der Fabrik war es beengt und dreckig, wie ein Inspektor 1892 beanstandete. Arbeitsunfälle waren an der Tagesordnung: Rund 20 Prozent der Arbeiter verletzten sich. Sie hatten einen Zwölfstundentag zu absolvieren; eine Kantine gab es nicht, so dass Angehörige den Männern das Essen in die Fabrik brachten.13 So lernte Breschnews Vater seine Frau kennen. Er war 1894 aus dem Gouvernement Kursk nach Kamenskoje gekommen und arbeitete seit 1900 als Gehilfe an der Eisenwalzstraße, wohin die junge Natalja Denissowna ihrem Vater Denis Masolow das Mittagessen brachte, der aus Belgorod zugezogen war.14 Nach einem Jahr heirateten die beiden. Ihre erste, 1905 geborene Tochter Feoktista starb gleich nach der Geburt;15 1906 kam Leonid zur Welt, 1910 und 1912 folgten Vera und Jakob.16 Die Spekulationen über die soziale Herkunft von Breschnew lassen sich einhegen, wenn man sich die berufliche Entwicklung seines Vaters anschaut. Richtig ist, dass Ilja Breschnew als ungelernter Gehilfe begann, aber 1917, als das Werk den Achtstundentag und ein Drei-Schicht-System einführte, zum Schichtleiter aufstieg und nun als qualifizierter Arbeiter galt.17 Als solcher starb er 1937 relativ jung mit Mitte 50 an Krebs.18 Zu der Wohnsituation heißt es tatsächlich in Breschnews „Erinnerungen“, dass er in der Unteren Siedlung in der Aksjonow-Gasse Nr. 5 geboren wurde.19 Allerdings wohnten seine Eltern zusammen mit den Großeltern hier nur zur Untermiete in einem Zimmer bei einem

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Hochofenmeister.20 Sie gehörten zu diesem Zeitpunkt also keineswegs bereits selbst zu den Privilegierten in der Wohnhierarchie, sondern hatten hier nur eine Bleibe gefunden. Erst 1910 mietete sich die junge Familie eine eigene Wohnung in der Tupoi-Gasse, die später in Piwowarow-Straße umbenannt wurde, wo die Familie bis 1921 blieb. In den 1930er Jahren wohnten die Breschnews in einem neuen, werkseigenen Haus in der Pelin-Straße Nr. 40, wo Breschnews Mutter Natalja Denissowna blieb, bis sie 1966 ihrem Sohn nach Moskau folgte.21 Aber auch diese Zweizimmerwohnung im Erdgeschoss eines zweistöckigen Hauses, an dem heute eine Gedenktafel hängt, war sehr bescheiden, zumal eins der zwei Zimmer an die Familie des Onkels abgetreten wurde.22 Die Wahrheit ist also, wie so oft, in der Mitte zu finden: Weder stammte Breschnew aus einer einfachen Arbeiterfamilie, wie es seine „Erinnerungen“ immer wieder glauben machen wollen, noch war er ein „Kleinbürger“, wie es in Polemiken gern heißt. Seine Großeltern und Eltern waren nach Kamenskoje gekommen, um Geld zu verdienen und sich in der Gesellschaft hochzuarbeiten, was ihnen ganz offensichtlich gelang: Sie hausten nicht in den Baracken, sie konnten lesen und schreiben, sie trugen Sonntagsstaat und gingen ins Fotostudio, sie schickten ihren ältesten Sohn aufs Gymnasium, und die Mutter träumte davon, ihren Ältesten als Ingenieur zu sehen.23 Während in Breschnews „Erinnerungen“ einerseits suggeriert wird, dass die Verhältnisse in der Unteren Siedlung im Vergleich zu denen in der Oberen entsetzlich waren („Das war gleichsam ein anderer Menschenschlag – satt, gepflegt arrogant“24), klingt an anderer Stelle an, dass Breschnew vermutlich eine recht sorglose Kindheit hatte: „Kindheit ist Kindheit. Hier am Dnepr ist uns alles eitel Freude gewesen: Wir rannten den Steilhang hinunter, badeten, schwammen zur Insel hinüber.“25 Der Biograph John Dornberg vermutete, dass Fußball wohl eins der Hauptvergnügen von Leonid gewesen sei, da dies ein für Arbeiter erschwinglicher Sport war. Auch das eine Automobil, das es in der Stadt gab und das dem Notar gehörte, habe vermutlich gehörigen Eindruck auf Leonid gemacht, der später selbst ein Autonarr werden sollte.26 Während Leonids Vater tagsüber im Werk war, kümmerte sich die Mutter ganz um die Familie und den Haushalt. In die Untergrundaktivitäten der Bolschewiki und die 1905er Revolution in Kamenskoje scheint Leonids Vater nicht verwickelt gewesen zu sein. Breschnews „Erinnerungen“ suggerieren zwar, dass Kamenskoje ein Zentrum der Bolschewiki gewesen sei, müssen aber selbst eingestehen, dass Breschnews Vater nichts mit ihnen zu tun hatte: „Mein Vater z.B.

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gehörte weder der Partei der Bolschewiki noch einer anderen an, unterstützte jedoch seit den ersten Tagen der Revolution aktiv die Bolschewiki.“27 Breschnews Eltern standen nicht nur den Revolutionären nicht nahe, sie waren offenbar auch gläubig, ließen ihre Kinder, wie es damals üblich war, taufen, und hängten in der Wohnung mehrere Ikonen auf.28 Wir wissen nicht genau, wie Leonid auf das Gymnasium vorbereitet wurde: ob er die Fabrikschule besuchte, von einem Hauslehrer unterrichtet wurde – was sich die Breschnews mutmaßlich nicht leisten konnten – oder von seiner Mutter angeleitet wurde. Seine Nichte Ljubow Breschnewa schreibt, er habe ab 1913 die Gemeindeschule besucht.29 Um im Gymnasium aufgenommen zu werden, mussten die Jungen lesen, schreiben und rechnen können, ein Diktat bestehen und ein Gedicht aufsagen. Die Anforderungen auf dem Gymnasium waren hoch: Unterrichtet wurden Latein, Deutsch, Französisch, Russische Literatur und Grammatik, Geschichte der Antike, der Neuzeit und Russlands, Biologie, Chemie, Physik, Mathematik, Geographie und Kunst.30 Zum Mythos des Generalsekretärs – wie überhaupt jedes Kommunisten – gehört es, ein sehr guter, wissbegieriger, unersättlicher Schüler gewesen zu sein. In Breschnews „Erinnerungen“ heißt es lapidar: „Ich lernte gut (…).“31 Eine wahre Eloge hat dagegen sein ehemaliger Lehrer Josef Sacharowitsch Schtakalo geschrieben, der Breschnew 1980 nicht nur als besten Schüler lobte, sondern auch behauptete, Breschnew habe bei der Entwicklung des Lehrplans und von Lektürelisten mitgewirkt, für ihn sei das Prädikat „mit Auszeichnung“ wieder eingeführt worden und er habe als Schüler seinem Lehrer vorausgesagt, dass dieser seinen Weg als Wissenschaftler machen werde.32 Eher glaubwürdig erscheinen da die Angaben des jüdischen Emigranten Natan Krugljak, der berichtet, Leonid sei kein guter Schüler gewesen und habe sich mit dem Lernen sehr schwergetan. Einzig Mathematik scheine ihm gelegen zu haben, während er besonders mit den Fremdsprachen gehadert habe. Er sei zudem ein ruhiger Junge gewesen, der seine Gedanken für sich behalten habe.33 An den üblichen Hänseleien und Schikanen gegenüber den jüdischen Mitschülern habe er sich nicht beteiligt, habe sich aber auch nicht für Letztere eingesetzt.34 Von Breschnews Vater berichtete dagegen der Jude Abram Grigorjewitsch Tschernjak, dass dieser ihm und seinen drei Brüdern in den Jahren des Bürgerkriegs mehrfach Unterschlupf gewährte, damit sie sich vor Pogromen retten konnten.35 Dies scheint eine der politischsten Handlungen von Ilja Breschnew gewesen zu sein. Außerdem soll er sich an den Fabrikstreiks für höhere Löhne im Juli 1915 sowie im Januar und März 1916 beteiligt haben:36 Es sieht so aus, als habe er bei-

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de Male eher aus einem Gerechtigkeitsempfinden oder auch christlicher Nächstenliebe heraus gehandelt, als um etwas Revolutionäres zu tun. Nach allem, was wir wissen, wuchs Leonid Breschnew also in einem bescheidenen Arbeiterhaushalt auf, der von der liebevollen Fürsorge der Mutter und der Vorstellung, durch Bildung den sozialen Aufstieg zu schaffen, geprägt war. Seine Eltern erzogen ihn offenbar als braven, gläubigen Untertanen, der es zu einem bürgerlichen Dasein bringen sollte. Breschnew wäre wahrscheinlich ein durchschnittlicher, vollkommen unpolitischer Ingenieur geworden, der es vielleicht zu einer kleinen Villa in der Oberen Siedlung gebracht hätte. Doch das selbstgenügsame Streben nach Bildung und Bürgerlichkeit fand 1917 ein abruptes Ende.

Die Welt aus den Fugen: Revolution und Bürgerkrieg 1917–1920 Das Narrativ eines überzeugten Bolschewiken verlangt, dass die Oktoberrevolution 1917 nicht nur als historische Zäsur dargestellt wird, sondern auch als entscheidende Wende im eigenen Leben: weg von Elend, Ausbeutung und Gewalt, hin zu Kampf, Befreiung und einer lichten Zukunft. Es ist sehr auffällig, dass diese entscheidenden Momente in Breschnews „Erinnerungen“ fehlen und sein literarisches Ich sich nur sehr allgemein zum Sieg der Bolschewiki äußert: „Ich möchte es noch einmal betonen: unsere Stadt war eine Arbeiterstadt; ihre Einwohner waren in der Mehrheit Arbeiter. Daher betrachteten wir die proletarische Revolution als die unsrige, ebenso die Partei der Bolschewiki und die Sowjetmacht!“37 Diese Sätze klingen bereits so, als müssten sie Zweifel zerstreuen; üblicherweise muss nämlich nicht erst abgeleitet bzw. erläutert werden, dass Proletarier natürlich die Bolschewiki begrüßten. Was Leonid Breschnew selbst 1917 machte, wird in seinen Erinnerungen nicht erwähnt. Das kann zwar damit erklärt werden, dass er im Oktober 1917 erst kurz vor seinem elften Geburtstag stand und zu jung für revolutionäre Aktivitäten war; doch gibt es andererseits genügend Berichte von Jugendlichen in diesem Alter, die von zu Hause wegliefen, zu den Bolschewiki gingen und mit diesen im Bürgerkrieg kämpften. Breschnew tat das nicht und erwog offenbar auch zu keinem Zeitpunkt, sich den Bolschewiki anzuschließen, denn sonst hätten uns das seine Biographen unbedingt wissen lassen. Tatsächlich deutet alles darauf hin, dass er nicht nur kein begeisterter Bolschewik war, sondern dass deren

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Sieg seine kleine, relativ heile Welt zerstörte und ihn mit Armut, Gewalt, Hunger und Krankheit konfrontierte. Diese neue Lage machte eher seinen frühen Tod wahrscheinlicher, als dass sie ihm Gelegenheit gegeben hätte, aus ihr als siegreicher, für die neue Ordnung kämpfender Bolschewik hervorzugehen. Die Zeit von 1917 bis zum Beginn seines Studiums am Landwirtschaftlichen Technikum in Kursk 1923 erscheint als eher traumatische Phase, mit einem Tiefpunkt im Jahr 1921, als die gesamte Familie Breschnew offenbar erkannte, dass sie in Kamenskoje kein Auskommen mehr haben würde, und daher die Stadt verließ, um in die Heimat von Vater Ilja Breschnew zurückzukehren. Immerhin wird in Breschnews Erinnerungen angedeutet, dass die Periode des Bürgerkriegs 1918– 1920 und die darauf folgende Hungersnot eine schwere Zeit war. Doch die Not kann nur in dem Maße überhaupt eingeräumt werden, wie Feinde von außen und innen für sie verantwortlich gemacht werden können: „Die Arbeiter des DneprWerkes hatten es damals nicht leicht: Die Macht der Zentralrada wurde von den deutschen Truppen abgelöst, nach ihnen erschien Petljura. Im Januar 1919 vertrieb ihn die Reiterei der Roten Armee aus Kamenskoje, doch ein halbes Jahr später kamen die Weißen und danach die Machno- und Grigorjew-Banden. Allerlei Pack kroch ans Tageslicht.“38 Tatsächlich brachten die Roten Garden der Bolschewiki nicht weniger Schrecken und Gewalt als die oppositionellen „weißen“ Truppen und die Bauernanführer mit ihren Banden. Für die Einwohner von Kamenskoje war kaum zu unterscheiden, wer gerade die Stadt beherrschte, wer plünderte, vergewaltigte, Juden mordete und „Strafaktionen“ durchführte: Zwischen Januar 1918 und Dezember 1920 wechselte die Macht in der Stadt mehr als 20 Mal.39 Entgegen der Darstellung in Breschnews Erinnerungen war die Zeit unter deutscher Besatzung von April bis November 1918 vermutlich sogar die ruhigste. Bereits im Juni 1917 hatte sich die Ukraine unter der Zentralrada, dem aus verschiedenen, hauptsächlich revolutionären Parteien gebildeten Zentralrat, für unabhängig erklärt. Doch Ende 1917 musste dieser den vorrückenden Truppen der Bolschewiki weichen, die ihren Sieg zum Anlass nahmen, ein erstes Mal Kamenskoje zu plündern und ihre politischen Gegner zu exekutieren.40 Nach dem Friedensschluss von Brest-Litowsk am 3. März 1918 mussten die Bolschewiki die Ukraine aufgeben; die deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen setzten die Zentralrada wieder ein und zogen erst nach der Kapitulation im November 1918 ab. Während Dornberg davon spricht, die Okkupanten hätten die Revolutionäre massenhaft hingerichtet, schreibt der Kamenskojer Arbeiter M.A. Morosow, es sei zu keinen Ausschreitungen gekommen.41

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Doch auch dieses erste Jahr nach der Revolution war schwer; Morosow nennt es das „Jahr des Grauens und der Not“: Das Dneprhochwasser überflutete die Straßen, die Lebensmittelpreise stiegen von einst wenigen Kopeken auf mehrere Rubel und im April wurde der letzte Hochofen stillgelegt und alle Arbeiter der Fabrik nach Hause geschickt; Elektrizität und fließend Wasser gab es nirgends mehr.42 Aber die volle Wucht seines Schreckens entfaltete der Bürgerkrieg in Kamenskoje erst zwischen Mai und Dezember 1919. Am 11. Mai floh der Kamenskojer Sowjet in Panik, als der einst für die Bolschewiki kämpfende, nun abtrünnige und als besonders gewalttätig berüchtigte Nikifor Alexandrowitsch Grigorjew mit seinen 16.000 Mann in die Stadt einfiel und sowohl Bolschewiki als auch Juden wahllos ermordete.43 Der Kampf um Kamenskoje, den Grigorjew auch mit einem von ihm erbeuteten Panzerzug führte, endete erst am 19. Mai. Zu diesem Zeitpunkt war das Brot auf anderthalb Pfund für zwei Tage pro Person rationiert worden; auf dem Markt kostete es bis zu zehn Rubel.44 Die Bolschewiki kehrten nach Kamenskoje zurück und verfügten eine erste Mobilmachung unter den Arbeitern, die in den Kampf gegen den General der Weißen Armee, Anton Iwanowitsch Denikin, nach Jekaterinoslaw geschickt wurden, aber sofort flohen bzw. aufgerieben wurden.45 Am 5. Juni rückten weiße Kuban-Kosaken in Kamenskoje ein, plünderten die jüdischen Läden, ermordeten Juden und erschossen mehrere Vertreter der Sowjetmacht, darunter auch den Vorsitzenden des Kamenskojer Sowjets Michail Arssenitschew, nach dem später das Institut benannt werden sollte, an dem Breschnew studierte.46 Kaum hatten die Bolschewiki die Stadt zurückerobert, fiel am 6. Juli Denikin mit seinen Truppen ein, konnte aber am 12. wieder von den prosowjetischen Truppen unter Pawel Jefimowitsch Dybenko und Nestor Machno vertrieben werden. Rote Truppen plünderten die Obere Siedlung, durchsuchten Tag und Nacht Häuser und richteten mehrere Ingenieure der Fabrik hin. Die Bolschewiki verfügten eine Zwangsrekrutierung der Arbeiter; die Fabrik, die eine Notproduktion eingerichtet und auch mehrere Panzerzüge Trotzkis ausgestattet hatte,47 sollte endgültig geschlossen, demontiert und hinter den Ural gebracht werden. Die Zeitungen verkündeten, der „Rote Terror“ werde umgesetzt; jeder, der sich weigere, die Fabrik zu demontieren und zu verladen, werde erschossen. Damit provozierten die Bolschewiki fast einen Aufstand unter den Arbeitern, die weder ihre Fabrik aufgeben noch kämpfen wollten; 20 Arbeiter wurden als „Konterrevolutionäre“ exekutiert.48

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Nur 20 Tage später, am 26. Juli, eroberten Denikins Truppen erneut Kamenskoje und nahmen ihrerseits Arbeiter als „Kollaborateure“ fest, um sie zu foltern.49 Denikin konnte sich diesmal bis Ende Dezember in der Stadt halten, aber es gab immer wieder Überfälle insbesondere der inzwischen abtrünnigen Truppen Machnos, der Grigorjew umgebracht und dessen Männer in seine Armee eingegliedert hatte.50 Sein Hauptquartier war Jekaterinoslaw, von wo aus er häufig in Kamenskoje einfiel, plünderte, mordete und wieder verschwand.51 Im Oktober 1919 kam die Fabrik endgültig zum Stillstand; die Arbeiter bekamen keinen Lohn mehr und mussten ihren Hausstand gegen Lebensmittel eintauschen, wollten sie überleben. Eine Flasche Milch kostete nun 170 Rubel, das Pfund Brot bald 500 Rubel.52 Am 18. Dezember gaben die Weißen Truppen angesichts der Übermacht der Roten Armee Kamenskoje auf und flohen.53 Wir wissen nicht, was genau die Breschnews in dieser Zeit machten, nur dass sie in der Stadt waren und all das miterlebten. Wir wissen nicht, ob Breschnews Vater zu den Zwangsrekrutierten gehörte, wie er sich zur Evakuierung der Fabrik verhielt, ob er in Verdacht geriet, mit Denikins Leuten zu kooperieren, oder von diesen für einen Kollaborateur gehalten wurde. Wir wissen nur, dass er und seine Familie den Bürgerkrieg überlebten, er 1917 Schichtleiter wurde und vermutlich an der Montage zweier Panzerzüge mitarbeitete.54 Das Jungengymnasium wurde unter den Bolschewiki 1919 in Erste Werktätigenschule umbenannt, die Zarenporträts waren bereits vorher verschwunden und 1919 folgten auch die Ikonen.55 Aber die Veränderungen blieben nicht nur äußerlich: Wenn ein Angriff auf die Stadt durch Truppenverbände oder Bauernbanden drohte, läuteten die Glocken zur Warnung und die Schule fiel aus.56 Anders als Breschnew schlossen sich einige Klassenkameraden den Roten oder Weißen Garden an und kehrten zurück, um mit ihren ehemaligen Lehrern abzurechnen: Der orthodoxe Priester Konstantin, der auch im Hause Breschnew ein und aus gegangen war und Leonid am Gymnasium unterrichtet hatte, wurde Anfang 1918 von den Bolschewiki erschossen; seinen Nachfolger exekutierte Ende Dezember 1918 ein Klassenkamerad Breschnews, der sich den Weißen angeschlossen hatte.57 Ein weiterer Mitschüler, der unter Denikin kämpfte, ritt im Juli 1919 mit diesem in Kamenskoje ein, schleifte seinen ehemaligen Russisch­ lehrer zum Fluss und erschoss ihn dort.58 Ähnliche Exzesse, die Leonid wahrscheinlich mitbekam, gab es auch an der Mädchenschule: Die ehemalige Schülerin Sjonka Mischuk hatte sich den Bolschewiki angeschlossen und arbeitete als Henkerin für die Tscheka. In einer Nacht erschoss sie rund 50 Menschen;

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ihren ehemaligen Schulleiter Spiridon Moros und seine Frau Anna exekutierte sie in aller Öffentlichkeit auf dem Marktplatz.59 Wie Biograph Paul Murphy vermutet, lebten die Breschnews wahrscheinlich ständig in Angst vor Überfällen, Exekutionen und Willkür.60 Doch das Schlimmste stand ihnen noch bevor. Nach dem Ende des Bürgerkriegs der Roten Armee gegen die Weißen Truppen Ende 1920 setzten die Bolschewiki den Kampf gegen die aufständischen Bauern fort. Er endete 1921/22 in einer Hungerkatastrophe, die ca. fünf Millionen Tote forderte. Die Lehrer bekamen vom Staat kein Gehalt mehr und forderten als Bezahlung für den Unterricht von den Eltern Essen und Kleidung. Es gab weder Schreibpapier noch Heizmaterial. Im Winter 1920/21 standen die Schüler während des Unterrichts und stampften mit den Füßen auf, um sich ein wenig aufzuwärmen. Unter diesen Bedingungen breitete sich eine Typhusepidemie aus, die neun von zehn Schülern erfasste. Während viele Schüler an der Krankheit starben, überlebte Breschnew und kehrte nach langer Fehlzeit vollkommen abgemagert in die Schule zurück. Im Frühjahr 1921 erlaubte die Schulleitung Lehrern und Schülern, barfuß zu erscheinen, da die wenigsten noch Schuhe besaßen. Nicht nur Breschnew, auch der Schulleiter Schtakalo ging nun barfuß zum Unterricht.61 Im Sommer 1921 erhielt Breschnew nach sechs Jahren Gymnasium bzw. Werktätigenschule sein Abschlusszeugnis. Höhepunkt der Feier soll gewesen sein, dass die Schüler zur Tasse heißen Wassers ein Stück Zucker erhielten.62 Auch in Breschnews „Erinnerungen“ wird geschildert, wie entbehrungsreich diese Zeit war: Gerade in diesen Jahren, also 1921/22, brachen Dürre und Hungersnot auch über die Ukraine herein. Im gesamten Raum Jekaterinoslaw verdorrten die Saaten. Der Arbeiter erhielt pro Tag ein halbes Pfund Brot, jedoch nicht immer. (…) Die Menschen fuhren in die umliegenden Dörfer, tauschten alles, was sie konnten, gegen Lebensmittel ein. (…) Unsere Familie zeichnete sich nicht durch derartigen Unternehmungsgeist aus, überdies hatten wir, wie es sich herausstellte, nichts, was zum Tausch dienen konnte.63

Glaubt man allerdings den Erzählungen von Breschnews Klassenkameradem Krugljak, dann gehörte Breschnews Mutter durchaus zu den meschokniki, denjenigen, die in einen Sack (russ. meschok) etwas von ihrem Hausstand einpackten und sich damit auf eine lange, beschwerliche, nicht ungefährliche Reise mit dem

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Zug bis nach Kiew machten, um dort Lebensmittel für die Familie einzutauschen.64 Bedenkt man, dass die Breschnews vor 1917 in bescheidenem Maße versucht hatten, ein kleinbürgerliches Leben zu führen, dann ist es wahrscheinlich, dass es ein paar Gegenstände – und sei es nur den Sonntagsstaat – gab, welche die Mutter tauschen konnte. Es ist zudem denkbar, dass Breschnews Vater, nachdem die Fabrik endgültig stillgelegt war, Werkzeug und Material mitgehen ließ, um das Überleben seiner Familie zu sichern. Die Plünderung des eigenen Werks geschah aus der nackten Not heraus und war durchaus eine weitverbreitete Praxis, wie es selbst in Breschnews „Erinnerungen“ heißt, auch wenn dort abgestritten wird, dass sich Breschnew senior daran beteiligt hat.65 Rettung kam letztlich aus dem Ausland: Die Hoover Relief Administration, die US-amerikanische Hungerhilfe, erreichte mit ihren Hilfslieferungen schließlich auch Kamenskoje.66 Flucht aus Kamenskoje 1921

Während kein Zweifel daran besteht, dass Leonid im Sommer 1921 die Schule beendete, gibt es gleich drei Versionen darüber, was sich daran anschloss: der Einstieg ins Arbeitsleben als Metallarbeiter in der Fabrik; die Teilnahme an dem improvisierten polytechnischen Unterricht, den ein zurückgekehrter, arbeitsloser Ingenieur im stillliegenden Werk organisierte; oder die Flucht nach Kursk und die Aufnahme einer Aushilfstätigkeit als Packer, um irgendwie ein Auskommen zu finden. Für den „idealen sowjetischen Lebenslauf “ war es entscheidend, nicht nur einen Arbeiter als Vater zu haben, sondern auch selbst schnell ein waschechter Proletarier zu werden. Und so wird in Breschnews „Erinnerungen“ behauptet, gleich nach dem Schulabschluss sei er – so wie sein Vater – Arbeiter in der Fabrik geworden: „Ein denkwürdiger Tag in meinem Leben brach an. Ich wurde mit 15 Jahren Arbeiter. (…) Jetzt galt es zu arbeiten, der Familie zu helfen; ich wurde im Werk als Heizer eingestellt, dann als Schlosser eingesetzt und eignete mir ziemlich rasch die Kenntnisse für beide Berufe an.“67

Das jedoch kann nicht stimmen, denn das große Metallwerk stand seit 1919 mangels Nachschub an Kohle und Eisenerz bis 1925 still.68 Dagegen wird von Schulkamerad Krugljak und anderen bezeugt, dass in dieser tristen Zeit der nach dem Bürgerkrieg zurückgekehrte Ingenieur Petrow im verödeten Werk eine Art

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polytechnische Schule für die arbeitslose Jugend improvisierte. Der Unterricht habe in dem Verwaltungsgebäude der Fabrik stattgefunden; als Material hätten die Zeichnungen und Blaupausen der Fabrik gedient; den praktischen Teil hätte man auf dem Fabrikgelände absolviert, indem Petrow z.B. mit seinen Zöglingen durch die erkalteten Hochöfen gekrochen sei.69 Allerdings stützt sich diese Aussage offenbar allein auf die Erinnerung Krugljaks, der angibt, diesen selbstorganisierten Kurs zusammen mit Breschnew besucht zu haben. In verschiedenen Personalbögen dagegen, die Breschnew 1929 und 1949 eigenhändig ausfüllte, gab er an, von September 1921 bis Juni 1926 als Lastenträger in einer Speiseölfabrik in Kursk gearbeitet und beim Abladen von Holz und Getreide geholfen zu haben.70 Neben diesen tabellarischen Darstellungen gibt noch einen ausformulierten Lebenslauf, in dem Breschnew schreibt: „Mein Arbeitsleben beginnt 1921 mit der Anstellung in der Kursker Speiseölfabrik in der Eigenschaft als Arbeiter und Lastenträger (…).“71 Die Museumsleiterin von Kamenskoje, Natalja Bulanowa, gibt sogar an, Ilja Breschnew habe seine Familie schon 1920 nach Kursk evakuiert, um sie vor dem Hunger zu retten. Danach wäre Leonid bis zum Abschluss der Schule allein in Kamenskoje geblieben und seiner Familie im Sommer 1921 gefolgt.72 Noch eine weitere Version gab Breschnew später selbst im Parteipräsidium zum Besten: Er sei nach Abschluss der Schule nach Moskau geflohen, habe aber die Stadt sofort wieder „aufgegeben“ und sei in eine Fabrik zum Arbeiten gefahren.73 Auch dem indischen Diplomaten T.N. Kaul erzählte er 1962 scherzend, er sei 1921 von zu Hause abgehauen; allerdings nicht nach Moskau, vielmehr habe er nach Indien gewollt. Doch sein Vater habe ihn zurückgeholt und ihn auf der Diplomatenschule unterbringen wollen, er aber habe sich für das Ingenieurswesen entschieden.74 Das klingt einigermaßen abenteuerlich, aber immerhin hat Breschnew verbürgt an zwei Stellen geäußert, er sei mit 15 weggelaufen und sein Vater habe ihn, offenbar nach Kursk, zur Familie geholt. Allem Anschein nach entspricht es also nicht der Wahrheit, wenn Krugljak berichtet, er habe zusammen mit Breschnew die polytechnischen Kurse des Ingenieurs Petrow besucht, und die Behauptung, der spätere Generalsekretär sei im Alter von 15 Jahren Stahlarbeiter geworden, kann mit großer Sicherheit in das Reich der Mythen verwiesen werden. Es ist kaum erstaunlich, dass Breschnews immerhin fast fünfjährige Tätigkeit als Packer in keiner offiziellen Biographie erscheint: Dies war eine Hilfsarbeit, der nichts Heroisches für die Biographie eines echten Bolschewiken abgewonnen werden konnte. Packer durfte man vor der Revolution in einem ausbeuterischen Verhältnis sein,

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von dessen Fesseln man sich 1917 befreite; aber in den 1920er Jahren war „man“ echter Proletarier, Funktionär oder Student. Bei der Tätigkeit als Lastenträger war nicht zu kaschieren, was sie wirklich war: ein aus der Not geborener Job, den Breschnew brauchte, um sich und wahrscheinlich auch seine Familie zu ernähren, und den er auch dann noch beibehielt, als er 1923 sein Studium an der „Fachschule für Flurneuordnung und Melioration“ in Kursk aufnahm. Seine Geschwister wurden in Kursk eingeschult; für den Unterhalt der Familie sorgten vermutlich Leonid und sein Vater, der hier eine Anstellung in der Kabelfabrik fand, bevor er 1925 nach Kamenskoje in das wieder in Betrieb genommene Metallwerk zurückkehrte.75 Breschnews „Memoiren“ verschweigen nicht, dass die Familie wegen der Hungersnot Kamenskoje verlassen hatte, aber der Zeitpunkt wurde von den Ghostwritern um ein Jahr nach hinten verlegt, damit Leonid noch Arbeiter werden konnte: „Krankheiten brachen aus, die Menschen hungerten, jeden Tag starb jemand in der Nachbarschaft. Die Stadt verödete, auch wir mußten fort.“76 Was in Breschnews Memoiren als der Beginn „seiner Achtung vor der Landarbeit“ motiviert wird,77 war aus der schieren Not geboren. Bedenkt man, dass Leonid im Sommer 1921 in Kursk eintraf und erst 1923 sein Studium aufnahm, dann vergingen zwei Jahre, in denen er als Packer arbeitete und entweder nicht wusste, was er sonst machen sollte, oder keine andere Betätigung bzw. keinen Studienplatz fand – wir wissen es nicht. Offenbar stand nach wie vor das nackte Überleben an erster Stelle. Laienschauspieler, Hobbydichter, Student 1923–1927

Die Lage besserte sich im Sommer 1922, die Handelsfreigabe im Zuge der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) zeigte ihre Wirkung, Märkte entfalteten erneut ein buntes Treiben, Läden und Cafés öffneten wieder, und viele Menschen schöpften Hoffnung und glaubten, die Katastrophen seien vorbei und das Leben werde wieder wie vor Weltkrieg, Revolution und Bürgerkrieg seinen Gang nehmen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass auch der junge Breschnew mit seinen 17 Jahren von einem anderen Leben träumte, in dem sein Traum, Schauspieler zu werden, in Erfüllung gegangen wäre.78 Das Foto, das ihn als Laiendarsteller zeigt, stammt aus dem Jahr 1924, aber ab wann er Theater spielte, ist nicht bekannt. Von seiner Begeisterung für Drama und Poesie wissen wir nur durch seine späteren Mitarbeiter, denen er erzählte, dass er in seiner Jugend in der „Blauen Bluse“ spielte, einer AgitationstheaterBewegung, die 1923 in Moskau entstanden war. Seinem Assistenten Anatoli

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Tschernjaew vertraute er später an, er habe sich sein Studium in Kursk u.a. als Statist am örtlichen Theater finanziert.79 Mit seinem Schauspieltalent unterhielt er auch in den 1960er und 1970er Jahren noch seine Mitarbeiter, wenn er auf dem Jagdsitz Sawidowo auf einem Stuhl stehend das Gedicht „Anna Snegina“ seines Lieblingsdichters Sergei Jessenin oder Dmitri Mereschkowskis Ballade „Sakja Muni“ auswendig rezitierte.80 In den 1960er Jahren umgab er sich auch gern mit Schauspielern. Wenige Tage vor dem Sturz Chruschtschows sagte er in solch einer Runde: „Nein, wozu auf mich trinken, wir trinken auf die Künstler. Was sind Politiker schon, heute sind wir da und morgen schon verschwunden. Aber die Kunst ist ewig. Trinken wir auf die Künstler!“81 Breschnew dichtete in seinen jungen Jahren auch selbst. Von einem Journalisten, dem im Jahr 2001 Zugang zu Breschnews Nachlass im Präsidentenarchiv gewährt wurde, wissen wir, dass sich dort eins seiner Gedichte aus dem Jahr 1927 befindet. Interessanterweise wird es in Breschnews „Erinnerungen“ „Heimatliebe“ einer Kommilitonin zugeschrieben.82 Breschnew verfasste es anlässlich der Ermordung des sowjetischen Botschafters Waclaw Worowski, der 1923 in Lausanne von einem Weißgardisten erschossen worden war. Biograph Leonid Mletschin, der uneingeschränkten Zugang zu Breschnews Bestand hatte, zitiert in seinem Buch das Gedicht in voller Länge, mit allen orthographischen Fehlern. Die Verse wirken linkisch und holprig, sind gleichwohl voller Pathos, das den gewaltsamen Tod des sowjetischen Botschafters, der ohne Frack und Blendwerk für die gerechte Sache der jungen Sowjetunion eintrat, zum Heldentod verklärt: (…) In den Saal trat im Lärm der Gespräche Worowski Delegierter der U.S.S.R. Shockling! [gemeint ist wohl: Shocking!] Kulturverfall, kein Lack In der herausgeputzten Gesellschaft Getuschel und Lärm Wie konnten Sie hier ohne Frack erscheinen Ohne Zylinder ist er ein ‚Bauer‘ [muschik] (…) Am Morgen im Hotel der Firma Astria [richtig: „mit dem Namen Astoria“] Ist unser Botschafter ermordet von des Mörders Hand Und im Buch der großen rusländischen [sic!] Geschichte Ist noch ein Opfer hinzugekommen!!!83

Immerhin streitet Breschnews literarisches Ich keineswegs ab, dass er sich für Poesie begeisterte; allerdings wird diese Leidenschaft in politisches Engagement verpackt:

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Die Belange des Landes waren unsere Belange, wir träumten von der hellen Zukunft für die ganze Menschheit, lärmten, diskutierten, verliebten uns, rezitierten Gedichte und dichteten selbst. Wir hielten uns nicht für Kenner der Poesie, sondern uns ging bei den Gedichten die Aktualität, die politische Aussage über alles. Und wir hatten unsere eigenen Dichter, Dichter des Komsomol.84

Vermutlich war Breschnew selbst einer dieser Jugenddichter, aber seine Biographen hielten es nicht für opportun, den Generalsekretär als jugendlichen Schwärmer mit dilettierender Feder darzustellen; weder ungelenke Verse noch Schauspielversuche zeichneten in der Sowjetunion einen ernstzunehmenden Parteiführer aus. Immerhin wissen wir von Breschnews Ghostwritern, dass er in Kursk einer Lesung des gefeierten Revolutionsdichters Wladimir Majakowski beiwohnte und womöglich genauso begeistert war, wie es hier beschrieben wird, wenn auch vielleicht weniger wegen der politischen Botschaften als aus Leidenschaft für diesen Mann und seine Kunst.85 Es ist nicht bekannt, warum sich Breschnew letztlich im Jahr 1923 zu einem landwirtschaftlichen Studium entschloss. Aus dem Jahr 1927, als er das Technikum abschloss, existiert ein Foto, das ihn in der Studentenuniform mit Kittel und Schirmmütze zeigt. Seine Memoiren behaupten, dass die Studienwahl aus Achtung vor der Landarbeit und dem Brot erfolgte. Tatsächlich wurde es später in seiner Karriere für ihn zu einem eindeutigen Pluspunkt, dass er sowohl Experte für die Landwirtschaft als auch Industrie-Ingenieur war und damit beide für die Sowjetunion entscheidenden Sparten abdeckte. Im Jahr 1923 stand hinter der Entscheidung aber vermutlich einfach der Mangel an Alternativen oder auch die Erfahrung des Bürgerkriegs, dass es das Überleben sichern konnte, wenn man sich mit dem Ackerbau auskannte. Gleichzeitig trat Breschnew in den Komsomol, die Jugendorganisation der Bolschewiki, ein.86 Er war bereits 17 Jahre alt und damit eigentlich zu alt. Außerdem widerspricht das relativ hohe Alter seiner angeblichen Begeisterung für die Bolschewiki: Als überzeugter Kommunist hätte er bereits mit 14 Jahren Komsomolze werden müssen.87 Biograph Murphy urteilte daher auch, dass Breschnew aus reinen Karrieregründen der Organisation beitrat.88 Man muss Breschnew nicht Opportunismus unterstellen, aber eine pragmatische Entscheidung war es wohl in jedem Fall, denn ohne Mitgliedschaft im Komsomol oder der Partei bestand nur eine geringe Chance, einen Studienplatz zu bekommen. Rätsel gibt

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auch die Frage auf, warum Breschnew 1924 nicht wie viele andere junge Kommunisten dem „Lenin’schen Aufruf “ folgte, zu Ehren des verstorbenen Parteiführers in die Partei einzutreten.89 Anlass zu Spekulationen bot darüber hinaus, dass Breschnew, als er endlich am 9. Oktober 1929, im Alter von fast 23 Jahren, den Antrag auf Parteimitgliedschaft stellte,90 in seine Kaderakte als sozialen Status „Angestellter“ eintrug. Als solcher musste er nun zwei Jahre lang Kandidat sein und konnte nicht wie ein Arbeiter bereits nach einem halben Jahr Vollmitglied werden.91 Biograph Awtorchanow geht daher so weit zu behaupten, Breschnew und auch sein Vater hätten „als Angestellte“ nie körperliche Arbeit geleistet.92 Das ist aufgrund der oben angeführten Fakten eindeutig falsch. Auch 1949 gab Breschnew in seinem Personalbogen als sozialen Status „Angestellter“ an, als Herkunft seiner Eltern jedoch „Arbeiter“.93 Die Erklärung der Statusangabe ist relativ simpel, denn 1929 arbeitete Breschnew bereits als Landneuordner und war daher „Angestellter“.94 So steht es denn auch im Protokoll der Sitzung des Parteibüros der Stadt Bissert: „Breschnew Leonid Iljitsch (Sowjet-Zelle) aufnehmen mit einem zweijährigen Kandidatenstatus als Angestellten-Spezialisten, der an der Gesellschaftsarbeit aktiv teilnimmt.“95 Es bleibt also festzuhalten, dass Breschnew offenbar ein relativ instrumentelles Verhältnis zu Komsomol und Partei hatte. Anders als politisch engagierte Kommilitonen bemühte er sich während seiner Zeit am Technikum in Kursk offenbar nicht um Ämter in den Hochschulgremien oder fiel sonst irgendwie durch politische Aktivitäten auf. Sein Leben scheint aus Studium, Jobben als Packer und Freizeitvergnügen wie Schauspielern und Dichten bestanden zu haben. In dieser Zeit (1923–1927) lernte er auch seine Frau Viktorija Petrowna Denissowa kennen, die in Kursk als eins von fünf Kindern eines Lokführers zur Welt gekommen und entgegen allen Spekulationen keine Jüdin war.96 Er forderte sie 1925 im Studentenwohnheim zum Tanz auf: Wie hätte er mir nicht gefallen können?! Schlank, mit schwarzen Augenbrauen, die Haare wie Teer so dick. Man konnte ihn an den Augenbrauen aus der Ferne erkennen. Seine Augen waren groß, braun, leuchtend. Damals kamen Tänze in Mode. Aber Leonid Iljitsch konnte nicht tanzen, und ich habe es ihm beigebracht: Walzer, Pas d’Espagne, Polka … Ich tanzte gut. Wir gingen zusammen ins Theater, immer in den letzten Rang und immer mit Freunden. Ins Kino zur letzten Vorstellung, weil da die Karten günstiger waren. Und samstags unbedingt in den Club, zum Tanzen.97

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Abb. 3: Breschnew, 5. v. l., im hellen Hemd, Bildmitte, als Student des Technikums in Kursk in Studentenuniform mit Studentenschirmmütze, 1927.

Sie studierte am medizinischen Technikum in Kursk, das sie als Hebamme abschloss. Im März 1928, als Leonid in den Ural versetzt wurde, hielt er endlich um ihre Hand an, ganz umstandslos, wie es damals in der profanen Sowjetunion üblich war: „Lass uns doch heiraten“.98 Die Behauptung Wladimir Semitschastnys, des später von Breschnew abgesetzten KGB-Chefs, Breschnew habe schon in seinen Studentenjahren „keinen Rock ausgelassen“ und Viktorija Petrowna nur deshalb geheiratet, weil ihre Mutter mit einem Skandal drohte,99 ist schwer zu überprüfen. Vermutlich ist es nur böse Nachrede, vielleicht wohnt ihr auch ein wahrer Kern inne. Immerhin wurde aus der Ehe eine verlässliche Beziehung: Am 26. März 1978 feierten Leonid und Viktorija Goldene Hochzeit.100 Viktorija arbeitete nur anfangs als Hebamme und beschränkte sich bald, um Leonid den Rücken freizuhalten, auf den Haushalt und die zwei Kinder Galina und Juri, die 1929 bzw. 1933 zur Welt kamen. Sie kreierte seine Frisur, stellte ihm seine Kleidung zusammen und kümmerte sich vor allem um die Beschaffung von Lebensmitteln auf den Märkten sowie das Backen und Kochen, das sie erst lernen musste.101 In den schwierigen Zeiten der Kollektivierung war es von Vorteil, dass

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Breschnew leidenschaftlich gern jagte. Er schoss Auerhähne, Birkhühner, Hasen und Enten.102 Er soll gesagt haben: „Es ist gut, Wild zu essen, weil darin viele Mikroelemente enthalten sind.“103 Das junge Paar mietete sich anfangs in der Ortschaft Schemy im Landkreis Michailowsk unweit von Swerdlowsk ein Zimmer in einem Haus, wo auch zwei Freunde unterkamen.104 Ein Jahr später, im März 1929, zogen sie nach Bissert um und ein weiteres Jahr später, im Februar 1930, nach Swerdlowsk.105 In Bissert kauften sie ein Pferd, das Breschnew brauchte, um zur Arbeit zu kommen, das sie aber auch für Schlittenpartien nutzten.106 Ganz offenbar genossen die Breschnews nach dem Elend des Bürgerkriegs und der Hungersnot einen minimalen Wohlstand, die relative Ruhe und Sicherheit, die sich in den Jahren der NÖP einstellte, und ihr privates Glück. Seine Eltern waren 1925 nach Kamenskoje zurückgekehrt, so dass er, erst im Studentenwohnheim und dann im eigenen Zimmer, ein unbefangenes Leben führen konnte. Und so gibt es einige Indizien dafür, dass Breschnew hier erstmals die Züge zeigte, die später für ihn charakteristisch werden sollten: die Freude an der Jagd, den Hang zum guten Leben, die Tendenz zum „Lebemann“ und die Schwäche für Frauen. Eine wie auch immer geartete herausragende politische Karriere war zu diesem Zeitpunkt in keiner Weise abzusehen.

Flurneuordner in unruhigen Zeiten 1927–1930 Laut Personalbogen von 1929 und 1949 arbeitete Leonid Breschnew von Juni bis Oktober 1926 als Praktikant im Bezirkskatasteramt der Stadt Orscha in Weißrussland. Sein Studium schloss er ein Jahr später im Mai 1927 ab und im selben Monat trat er eine Stelle als Landneuordner im Amtsbezirk Graiworon an, der dem Gouvernementskatasteramt von Kursk unterstellt war. Hier arbeitete er ein Jahr, bis er im April 1928 dem Bezirkskatasteramt von Swerdlowsk unterstellt und in den Landkreis Michailowsk in den Ural versetzt wurde. Auch hier blieb er nur ein Jahr, denn schon im März 1929 wurde Breschnew in den Landkreissowjet der Werktätigendeputierten gewählt und zum Vorsitzenden der Katasterabteilung des Gebietsexekutivkomitees der Stadt Bissert im Bezirk Swerdlowsk ernannt. Kein Jahr später, im Februar 1930, bestimmte ihn die Swerdlowsker Stadtregierung zum Vorsitzenden des Katasteramts der Stadt Swerdlowsk.107 Innerhalb von drei Jahren hatte er damit auf vier verschiedenen Posten eine rasante Karriere gemacht. Im September 1930 brach er sie dann plötzlich ab – doch dazu später.

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Zunächst zu der Situation, in der Breschnew seine Laufbahn begann: Das Jahr 1927 markiert den Übergang von der NÖP zur Kollektivierung der Landwirtschaft, der Gründung von kollektiven Großwirtschaften, den Sowchosen und Kolchosen, in denen das Eigentum der Bauern, die oft nur unter Zwang und Gewaltandrohung beitraten, vergemeinschaftet wurde. Es war ein noch verhältnismäßig ruhiges Jahr und Landneuordner war noch ein weitgehend „unschuldiger“, unpolitischer Beruf, wohl weder besonders aufregend noch besonders gefährlich. Das änderte sich schlagartig, nachdem Stalin sich im Dezember 1927 auf dem XV. Parteitag mit der Auffassung durchgesetzt hatte, der Übertritt der Bauern zur Kollektivwirtschaft sei nicht mehr als deren freie Wahl zu betrachten, sondern müsse als notwendige Umgestaltung des Dorfes forciert werden. Im selben Monat noch sandte er Männer aus seinem „Innersten Kreis“ in die Getreideregionen des Landes, damit sie dort persönlich überwachten, dass die staatlich festgesetzten Abgabequoten für Getreide mit Nachdruck durchgesetzt würden. Stalin schickte Wjatscheslaw Molotow in die Ukraine, erklärte ihn Anfang 1928 aber auch für den Ural zuständig.108 Damit entfesselten Stalin und seine Gefolgsleute einen Kampf und bald regulären Krieg gegen die Bauern, die sie als Verkörperung der Rückständigkeit verachteten und pauschal verdächtigten, Spekulanten und „Kulaken“, also wohlhabende, der Sowjetmacht feindlich gesonnene Großbauern, zu sein, die ihr Getreide nicht abliefern wollten. Breschnew fand sich somit Anfang 1928 im Alter von 22 Jahren erneut in einem beginnenden Bürgerkrieg wieder. Diesmal war er nicht Opfer, sondern Täter, zumindest Akteur, denn seine Aufgabe war es, das kollektivierte Land neu zu vermessen und als Eigentum der Kollektivwirtschaften einzutragen. Auch in Kursk hatte die Geheimpolizei OGPU bereits zwischen Dezember 1927 und Februar 1928 drei „Massenoperationen“ zur Beschlagnahmung von Getreide und anderen Handelswaren durchgeführt, bei denen 149 Personen verhaftet wurden.109 Ob Breschnew in den Ural versetzt wurde, weil er sich im Gebiet Kursk bewährt hatte, und seine Abkommandierung eine Folge der Inspektionsreise Molotows in den Ural und seines Berichts über die nachlässige Arbeit der dortigen Organe war, wissen wir nicht.110 Aber dank des Berichts eines Revisors, der im September 1928 das Dorf Schemach im Landkreis Michailowsk überprüfte, ist bekannt, das dieser mit der dort – von Breschnew – geleisteten Arbeit zufrieden war: Das Land war vermessen, mit Pfählen abgesteckt und 39.000 Hektar kartiert. Der Revisor Oserskoi hatte an Verwaltung und Abrechnung nur wenig zu monieren und sprach als einzige Empfehlung aus, das Tempo der Arbeiten

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noch stärker anzuziehen und enger mit den Parteiorganisationen zusammenzuarbeiten.111 Breschnews literarisches Alter Ego schreibt über seine Arbeit: Früher wurden Angehörige meines Berufes häufiger Landmesser genannt. Nun hatte sich die Bezeichnung geändert. Wir wurden Fachleute für Flurneuordnung im wahrsten Sinne des Wortes. Bei der Bildung landwirtschaftlicher Artels [Genossenschaften] brachten die Mitglieder Grund und Boden, Vieh, Wirtschaftsgebäude und Inventar ein. Und für uns Fachleute für Flurneuordnung kam es darauf an, nicht einfach die Feldraine zu beseitigen und auf den Karten die auseinander liegenden einzelbäuerlichen Ackerflächen zu einem großen, dem Kollektiv gehörenden Feld zu vereinigen.112

Mit wie viel Widerstand und Gewalt Breschnews Arbeit 1928 in Michailowsk verbunden war, wissen wir nicht. In einem weiteren Bericht vom März 1929 heißt es über Michailowsk, die Landneuordnung sei nur dort durchgeführt worden, wo das Land ohnehin von der Gemeinschaft bestellt werde. „Die Registrierung verlief unter erheblicher Passivität der unteren Organe des örtlichen Exekutivkomitees und bei vollkommener Gleichgültigkeit der Bevölkerung selbst. Fälle von kategorischem Widerspruch gegen die Registrierung hat es nicht gegeben.“113 Das klingt nach noch weitgehend friedlichen Zeiten. Dies scheint auch ein Vortrag über den Zustand in Michailowsk auf der Bürositzung des Swerdlowsker Kreiskomitees vom April 1929 zu bestätigen: Die Zahl der Bauern sei in den Kollektiven von 200 auf 460 und in den Kooperativen von 235 auf 1085 gestiegen. Jeder Kommunist sei aufgefordert worden, in die Kolchoswirtschaften einzutreten, man habe Versammlungen abgehalten, doch das reiche offenbar nicht aus.114 In der Tat war 1929 das Jahr, in dem sich Ton und Vorgehen bei der Kollektivierung entscheidend veränderten. Breschnew trat im März 1929 seine neue Stelle als Landneuordner der Stadt Bissert an, wo er die Aufgabe erhielt, im Sommer die landwirtschaftliche Nutzfläche vollständig neu zu ordnen, also unter Ignorierung aller bisherigen Nutzungen und ehemaligen Eigentumsverhältnisse das Land in fünf Sektionen zu unterteilen und an die einzurichtenden Kolchosen zu verteilen. Breschnew wurde die volle Verantwortung übertragen und ein Mitarbeiterstab von Landneuordnern, Technikern, Schreibern etc. zugeordnet. Über den Fortschritt der Arbeit hatte er permanent Swerdlowsk zu informieren.115 Gleichzeitig wurden in Bissert im Mai 1929 der Komsomol und im Juli 1929 die Parteiorganisation „gesäubert“.116

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Im Mai 1929 hielt Breschnew auf der Parteiversammlung des Landkreises eine Rede über den Zustand der Landneuordnung. Ihr Text ist nicht überliefert, dafür aber der Inhalt der Resolution, die auf sie folgte: Darin beschlossen die Versammelten die endgültige „Vernichtung der veralteten Formen“ der Landnutzung und die Einführung von Kollektivwirtschaften. Die Landverteilung sollte streng nach „Klassenprinzip“ erfolgen, d.h., das beste Land sollte den Kolchosen zugesprochen werden, das weniger gute den Kooperativen und nur der schlechteste und entlegenste Ackerboden den verbleibenden Einzelbauern. Das Ganze sollte von politischen Versammlungen und einer verstärkten Massenarbeit begleitet werden.117 Einerseits wird deutlich, dass sich Breschnew der verschärften Klassenkampfrhetorik anschloss. Andererseits machte er im Juli 1929 eine Eingabe in Swerdlowsk, in der er darlegt, dass das angeordnete Neuaufmaß des Ackerlands in Bissert nicht durchgeführt werden könne, da die Ländereien bereits vermessen seien und eine Neuregistrierung den Prozess der Landzuteilung erheblich verzögern würde.118 Die Kreisverwaltung antwortete ihm umgehend aus Swerdlowsk, dass ihre Vorgaben bedingungslos durchzusetzen seien.119 Dies mag als Indiz dafür gelten, dass Breschnew offenbar immer noch nach Sinn und Zweckmäßigkeit suchte und nicht blind jeden Befehl befolgte. Dass die Situation in dem Bereich des Landes, für den er verantwortlich zeichnete, chaotisch war, lässt sich aus einer anderen Anweisung ablesen, die er kurz darauf im August 1929 erhielt: Die Arbeit in einer der fünf Sektionen, in der bisher keine Kolchosen gebildet worden waren, solle eingestellt und die dortigen Genossen unverzüglich abberufen werden. Weiter hieß es, da in den anderen Siedlungsgebieten noch eine „starke Verwirrung bei der Landnutzung“ herrsche, dürfe dort nicht nachgelassen werden: „Die Sache muss zu Ende gebracht werden.“120 Wir ahnen nur, welche Gewaltmaßnahmen sich dahinter verbargen. Auf solche Einsätze beziehen sich mutmaßlich die Sätze von Breschnews literarischem Alter Ego: „Gemeinsam mit anderen Komsomolzen hatte ich auf den Feldern Zusammenstöße mit Kulaken und setzte mich mit ihnen auf Dorfversammlungen auseinander. Man drohte uns mit Knüppeln, Forken und mit gehässigen Zuschriften, Steine wurden durch Fenster geworfen.“121

Im Sommer 1929 wurde Breschnew zum stellvertretenden Vorsitzenden der Landkreisverwaltung gewählt.122 Damit war er immer noch nicht der erste Mann in der Regierungsverantwortung im Landkreis, die ohnehin in erster Instanz bei

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der Partei und nicht bei der Administration lag. Wenn Biograph Murphy Breschnew die Initiative für Getreidekonfiskationen und Strafmaßnahmen zuschreibt, ist das also zu kurz gegriffen: In der Regel gingen solche Kampagnen von der örtlichen Parteileitung aus und alle anderen stimmten dann zwangsläufig zu. Die Direktiven, welche Mengen Getreide wann einzutreiben und welche Maßnahmen dabei anzuwenden seien, kamen ohnehin von der OGPU-Zentrale in Moskau.123 Vor diesem Hintergrund erscheint Breschnews Parteieintritt am 9. Oktober 1929 aber in einem neuen Licht: Breschnew trug jetzt politische Verantwortung, und damit war es höchste Zeit, sich der Partei anzuschließen. Das war nicht nur aus Karrieregründen geboten, sondern auch, um nicht in Verdacht zu geraten, auf der falschen Seite zu stehen. Gleichwohl blieb Breschnew Ausführender: Auf der gleichen Parteibürositzung wurde er zusammen mit einem Kollegen in den Landwirtschaftssowjet von Sujew abkommandiert, um sich dort für die Partei zu bewähren. Sein Auftrag lautete, die dortigen Landwirtschaftssowjets einer Rechenschafts-Kontroll­ kampagne zu unterwerfen, um die Steuerabgaben, die Einrichtung eines Reservefonds von Flurstücken, die Durchführung der Neuwahlen und den Partei­ unterricht zu überprüfen.124 Dieser Auftrag stand mutmaßlich in direktem Zusammenhang mit einer Reihe von Beschlüssen des Moskauer Politbüros im August 1929, die „repressiven Methoden der Getreidebeschaffung“ zu verstärken.125 Der Bericht, den Breschnew am 28. Oktober dem Büro des Parteikomitees des Landkreises vortrug, wurde mit Wohlwollen aufgenommen, die Flurneuordnung werde korrekt durchgeführt und komme voran.126 Breschnews Kompetenzen wurden geschätzt und ausgeweitet: Einen Tag später übertrug ihm die Landverwaltung in Swerdlowsk die Aufgabe, auch über die Neuverteilung der Waldflächen zu wachen.127 Anfang November schickte ihn das Parteikomitee erneut auf eine Kontrollmission, diesmal um in den ländlichen Sowjets von Nakorjakowsk und Waskinsk die „Arbeiten bei der Bereitstellung von Heu und Kartoffeln zu verbessern“.128 Flucht vor der „totalen Kollektivierung“ 1930

Nachdem ursprünglich bis 1934 nur 15 Prozent aller Bauernhaushalte hatten kollektiviert werden sollen, entschied das ZK der Bolschewiki auf dem November-Plenum 1929, dass man nun zu einer totalen Kollektivierung übergehen würde. Stalin gab die Devise aus, das Land müsse geplündert werden.129 Am

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4. Dezember 1929 versammelte sich das Parteiaktiv von Bissert, um die Beschlüsse des November-Plenums zu diskutieren. Auch Breschnew begrüßte die neuen Direktiven: „Die Strategie der Rechten ist gescheitert, sie sind vor den Schwierigkeiten eingeknickt. Das erste Jahr des Fünfjahrplans hat die Richtigkeit der Generallinie der Partei bestätigt. Der Kampf gegen die Rechten muss bei unserer Arbeit an erster Stelle stehen.“130 Das Parteiaktiv beschloss, mit voller Entschlossenheit die Kollektivierung von 50 Prozent aller Bauernhöfe voranzutreiben, dort, wo es noch keine Kolchosen gab, diese durchzusetzen, und dort, wo sie bereits existierten, alle verbliebenen armen und Mittelbauern zum Eintritt zu bewegen.131 Zeigte Breschnew einerseits, dass er den Parteijargon beherrschte, kamen von ihm andererseits auch immer wieder mahnende Worte: Auf dem am 5. und 6. Dezember in Bissert tagenden Parteiplenum warnte Breschnew davor, dass man für die anstehenden Arbeiten bei der Landneuordnung und die Frühjahrsaussaat nicht über die erforderlichen landwirtschaftlichen Maschinen verfüge; die Lage sei daher sehr angespannt. Die Übergabe des besten Ackerbodens an die armen und Mittelbauern sei zwar erfolgt, aber nun müsse alles dafür getan werden, dass diese ihr Land auch bestellen könnten. Hierbei ist unbedingt mit Sabotageakten der Kulaken zu rechnen. (…) Ich halte es für einen großen Mangel bei der Kollektivierung, dass es keine Pläne für diese Arbeit gibt, und die Dorfsowjets haben sie nicht planmäßig geleistet. Die Paten, die zu uns kamen [die rekrutierten Studenten und Aktivisten, die auf dem Dorf den Klassenkampf entfachen sollten], haben die Fragen der Kollektivierung im Dorf nicht mit Nachdruck gestellt …132

Breschnew benutzte die Klassenkampfrhetorik, wenn er davon sprach, dass „Widerstand der Kulaken“ zu erwarten sei. Tatsächlich wurden im Landkreis Bissert wiederholt Getreidespeicher der Kolchosen in Brand gesteckt;133 im Nachbargebiet hätten Kulaken einen Traktoristen mit Petroleum übergossen und angezündet.134 Breschnew soll zur Selbstverteidigung bereits 1927 einen Browning gefordert haben und darüber in Konflikt mit der OGPU geraten sein.135 Dennoch hielt er auf dem Plenum keine Hassrede, sondern die eines Organisators, der Ernteerträge sehen wollte. Für ihn bezeichnend und für diese Zeit typisch ist auch seine Klage darüber, dass es kein Regelwerk gebe, an dem sie sich orientieren könnten. Ob er sich wirklich mehr Aktivismus wünschte, muss dahingestellt bleiben. Kurz, wir wissen nicht, was in Breschnew vorging. Seine

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Nichtе Ljubow Breschnewa behauptet, ihr Onkel habe anfangs an die Richtigkeit der Kollektivierung geglaubt, sei aber schnell desillusioniert worden, als er sah, dass Entkulakisierung nichts anderes als gemeiner Raub an einfachen Leuten und den eigenen Nachbarn bedeutete.136 Auch einer seiner späteren Redenschreiber aus dem ZK-Apparat, Wadim Petschenew, berichtet, Breschnew habe seinen Mitarbeitern in Sawidowo Anfang 1981 anvertraut: Ja, an all das glaubten wir damals. Und wie wäre es auch ohne Glauben gegangen … Du kommst in ein Bauernhaus, um die Getreideüberschüsse einzuziehen, und siehst selbst, den Kindern tränen die Augen von den Roten Beten, denn etwas anderes zu essen haben sie nicht mehr … Und dennoch haben wir mitgenommen, was wir an Lebensmitteln fanden. Ja, an alles haben wir sehr fest geglaubt, ohne das war es unmöglich, zu leben und zu arbeiten …137

Am 29. Dezember 1929 trat Breschnew seinen Jahresurlaub für 1928 und 1929 an, vorher hatte er nicht freinehmen dürfen – ein weiteres Indiz dafür, dass diese beiden Jahre sehr angespannt waren. Er blieb zwei volle Monate bis zum 29. Februar 1930 beurlaubt.138 Bereits am 4. Dezember 1929 hatte das Parteibüro von Bissert über Breschnews Arbeit diskutiert und beschieden, man werde nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub über seine weitere Tätigkeit entscheiden.139 Vielleicht hatte Breschnew also einen Antrag auf Versetzung gestellt; darüber ist nichts bekannt. Am 13. Februar 1930 jedoch ernannte ihn das Parteikomitee des Ural-Bezirks in Swerdlowsk zum Vorsitzenden der Abteilung für Landneuordnung, was bedeutet, dass er Leiter des Bezirkskatasteramts von Swerdlowsk wurde.140 Als Breschnew Bissert verließ, waren dort 95 Prozent aller Bauernwirtschaften kollektiviert; damit hatte er als Landneuordner alle anderen Regionen im Swerdlowsker Bezirk übertroffen.141 Nachdem Breschnew also drei Jahre lang in Landkreisen und Dörfern gearbeitet hatte, wo er unmittelbar in die Umverteilung der Ackerböden involviert war, hatte er jetzt als Behördenvorsteher tendenziell eine Schreibtischtätigkeit. Nun war er es, dem die Landneuordner und Kontrolleure aus dem ganzen Bezirk ihre Berichte schickten, und er hatte zu entscheiden, was geschehen sollte.142 Zu entscheiden war dabei auch über zahlreiche Klagen und Beschwerden sowohl von Privatpersonen als auch von Kolchosen, sie hätten nicht das ihnen zustehende Land zugeteilt bekommen.143 Breschnew leitete jetzt die „administrativtechnischen Beratungen“ des Katasteramts, hatte einen Stellvertreter und zwei

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Inspektoren, die ihm zur Seite gestellt waren.144 Sollte Breschnew allerdings als Leiter des Katasteramts auf ein ruhigeres Arbeitsleben mit weniger Stress und Gewalt gehofft haben, so wurde er schnell eines Besseren belehrt. Noch während er im Urlaub gewesen war, hatte im Januar 1930 eine von Molotow geleitete Kommission die Entkulakisierung in drei Kategorien nach Kontingenten beschlossen. Dementsprechend hatte auch das Bezirkskomitee der Partei im Ural festgelegt, dass aus dem Ural 5000 Bauern nach Kategorie 1 als „Konterrevolutionäre“ zu verhaften und an den ordentlichen Gerichten vorbei von der OGPU zu „behandeln“, d.h. bei Widerstand zu erschießen, ansonsten in Konzentrationslager zu verbringen seien, dass 15.000 nach Kategorie 2 als „einflussreiche Kulaken“ in wenig besiedelte Gebiete zu deportieren seien und dass nach Kategorie 3 alle „übrigen Kulaken“ innerhalb der jeweiligen Amtsbezirke auf die schlechtesten und entferntesten Ländereien umzusiedeln seien.145 Diese Operationen veröffentlichte die Partei nicht, aber die Rhetorik verschärfte sich entsprechend. So begann Breschnews Tätigkeit im Katasteramt von Swerdlowsk mit dem V. Plenum des Swerdlowsker Parteikomitees am 15. Februar 1930, auf dem er, obwohl offiziell noch im Urlaub, die neuen Kampfparolen zu hören bekam: Der massenhafte Übergang ganzer Landkreise und Gebiete zur Kollektivwirtschaft stehe bevor, zum Ende des Jahres solle die Kollektivierung zu 95 Prozent abgeschlossen sein, die Kulaken gehörten als Klasse liquidiert.146 Was folgte, war die endgültige Entfesselung des Klassenkampfs im Dorf: Am 1. März 1930 beschloss das Politbüro in Moskau, die ins Dorf entsandten „25.000er“ – junge Aktivisten aus den Städten, die aufs Land geschickt wurden, um dort mit der Waffe in der Hand die Bauern zu zwingen, das versteckte Getreide abzuliefern und ihren Hof der Kollektivwirtschaft zu übergeben – nicht nur bei der Entkulakisierung, sondern auch bei der Aussaat einzusetzen und sie auf die Kolchosen und Regionen zu verteilen.147 Doch nur zwei Tage später, am 3. März, erschien in der „Prawda“ Stalins Artikel „Vor Erfolgen von Schwindel befallen“, in dem er vor Exzessen und Ausschreitungen bei der Kollektivierung warnte, die er selbst Anfang des Jahres ins Werk gesetzt hatte. Es folgte am 10. März eine Anweisung an die Regional- und Gebietskomitees, gegen „Regelverstöße“ bei der Kollektivierung vorzugehen.148 Dementsprechend wies Breschnew seine Mitarbeiter auf einer Versammlung am 11. März darauf hin, dass auch denjenigen, die als Kulaken ihr Wahlrecht, aber nicht das Recht auf Land verloren hätten, weiterhin Flurstücke, wenn auch nur die schlechtesten und entferntesten, zugewiesen werden müss-

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ten.149 Um die regelkonforme Landzuteilung zu überwachen, schickte die Landverwaltungsbehörde Breschnew im März gleich zwei Mal in den Landkreis Baschenowsk und im Mai nach Jegorschino und Reschewsk.150 Er musste also weiterhin in die Verteilungskämpfe vor Ort eingreifen, bekam für solche Dienstreisen aber jetzt immerhin 60 Prozent Gehaltszuschlag.151 Stalins Artikel und die neuen Anweisungen führten zu Chaos in den Dörfern sowie Verwirrung und Unverständnis in den Parteiorganisationen. Auf der Versammlung des Swerdlowsker Parteiaktivs Ende März gestanden sich die Anwesenden zwar ein, die massenhaften Austritte aus den Kolchosen von bis zu 40 Prozent der Bauern hätten sie sich selbst zuzuschreiben, weil sie „dem Volk furchtbare Angst“ eingejagt hätten, so dass ganze Kommunen eingetreten, aber bald auch geschlossen aus der Kolchose wieder ausgetreten seien.152 Doch viele Genossen zeigten sich empört über Stalins Artikel und berichteten, erst sei sechs Tage lang diese „Prawda“-Ausgabe vergriffen gewesen und dann hätten sie den Text für einen schlechten Scherz gehalten.153 In vielen Redebeiträgen wurde der Ruf nach klaren Anweisungen laut. Es gehe nicht an, ständig den Kurs wechseln zu müssen; die Parteiaktivisten seien in Panik.154 „Jetzt schläft niemand mehr im Dorf: weder die, die in der Kolchose geblieben sind, noch die, die aus der Kolchose ausgetreten sind, noch wir.“155 Tatsächlich berichtete Breschnew am 13. Mai von seiner Dienstreise in Jegorschino und Reschewsk, dass es dort grobe Verstöße bei der Landzuteilung gegeben habe: Die Normen für die Kolchosen seien künstlich erhöht worden, während die Einzelbauern, die das Recht auf Landbewirtschaftung hatten, gar kein Land mehr bekommen hätten. Die Flurverwaltung beschloss, die Landverteilung weiterhin genau auf ihre Korrektheit zu prüfen. Gleichzeitig wurde aber auch beschlossen, dass das Land der entkulakisierten und deportierten Bauern pauschal den Kolchosen zugeschlagen werden sollte.156 Während die OGPU und ihre Helfer aus den Städten Bauern verhafteten und zwangsumsiedelten, war es also Breschnews Aufgabe, das beschlagnahmte Land zu vermessen, den Kolchosen zuzuweisen und dafür zu sorgen, dass die „übrigen Kulaken“ nach der Vertreibung einen Flecken Land am Rande der Gemeinde zugewiesen bekamen. Besonders brisant war, dass die Partei von oben zwar vorgab, wie viele Bauern zu verhaften und zu deportieren wären, die Festlegung der „Kategorie 3“ aber den Amtsbezirksverwaltungen überließ.157 Es ist zu vermuten, dass Breschnew als Leiter des Katasteramts mit einbezogen wurde, als es darum ging festzulegen, wie viele und welche Bauern umzusiedeln seien, weil deren Böden für die Kolchosen gebraucht wurden.

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Nach nicht einmal vier sehr aufreibenden Monaten auf seinem neuen Posten wurde Breschnew von der Flurverwaltungsbehörde Urlaub vom 7. Juni bis zum 1. August 1930 gewährt.158 Der Karrieresprung zum Leiter des Katasteramts war enorm, und umso erstaunlicher wirkt es – so auch der Dissident und Historiker Roy Medwedew –, dass Breschnew diesen Posten nach nur einem halben Jahr aufgab, den Ural geradezu fluchtartig verließ und nach Moskau übersiedelte, um hier im September ein Studium am Kalinin-Institut für Landwirtschaftsmaschinenbau aufzunehmen.159 L.S. Klimenko, der Direktor des Abendinstituts war, an dem Breschnew später in Kamenskoje studierte, berichtet, Breschnew habe den Antrag gestellt, für ein Studium freigestellt zu werden.160 Das bestätigt auch seine Frau Viktorija: Zusammen mit seinem Kumpel habe Breschnew entschieden, sich für ein Studium in Moskau zu bewerben.161 Doch warum? Es scheint, als sei er vor der eskalierenden Entkulakisierung, die ab 1930 mit Einführung der Verhaftungs-, Deportations- und Umsiedlungskontingente gerade im Ural zu Exzessen führte, nach Moskau geflohen. Mit der Erntesaison im Spätsommer 1930 setzte die nächste große Gewaltwelle von Getreidekonfiskationen und Bauerndeportationen ein.162 Am 24. Juli 1931 dekretierte das Politbüro, alle nach Swerdlowsk gerufenen Angestellten seien in die Dörfer zu entsenden, um dort die penible Erfüllung der Getreidebeschaffung durchzusetzen.163 Ob Breschnew davon betroffen gewesen wäre, ob er Skrupel hatte, ob er dem Stress der Kampagnen und Hetzreden nicht mehr gewachsen war – wir wissen es nicht. Seine Abreise gibt jedenfalls solche Rätsel auf, dass in Swerdlowsk (heute wieder Jekaterinburg) bis in die Gegenwart Legenden existieren, Breschnew sei hier aus der Partei ausgeschlossen worden und habe sich in seinem ganzen späteren Leben konsequent geweigert, wieder einen Fuß in diese Stadt zu setzen.164 Breschnew wurde mit der Kollektivierung der Landwirtschaft politisiert. Als „Fachmann für Landneuordnung“ war es nicht nur seine Aufgabe, die enteigneten Ländereien zu Kollektivwirtschaften zu arrondieren. Als Deputierter eines Kreissowjets und Leiter einer Landabteilung musste er auch das Vorgehen von Staat und Partei vertreten und in Reden propagieren. Vermutlich trifft im Positiven wie im Negativen zu, was sein literarisches Alter Ego schreibt: „Bei der Arbeit als Fachmann für Flurneuordnung fühlte ich mich zum ersten Mal als bevollmächtigter Vertreter der Sowjetmacht, auf den Hunderte von Menschen blickten.“165

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Flucht aus Moskau: Arbeiter 1930/31

Doch auch in Moskau blieb Breschnew nicht lange. Breschnews Frau Viktorija berichtet: „Wo sollte ich hin? Wo sollten wir leben? Wovon sollten wir leben? [Unsere Tochter] Galja hatte ich bei meiner Mutter in Belgorod gelassen. Trotzdem sahen wir, dass wir in Moskau kein Auskommen fanden.“166 Die Stadt war vollkommen überfüllt mit Landflüchtlingen, die zu Hunderttausenden ihre Dörfer vor deren Kollektivierung und Entkulakisierung in der Hoffnung verließen, in der Anonymität der Metropole untertauchen und auf einer Baustelle oder in einem Betrieb eine neue Identität als Arbeiter aufbauen zu können.167 Nach nur zwei Monaten brach Breschnew im November 1930 sein Studium ab und kehrte zu seinen Eltern nach Kamenskoje zurück.168 Interessant ist, dass in keiner offiziellen Biographie Breschnews diese Moskauer Monate Erwähnung finden. In Breschnews „Erinnerungen“ wurde diese Zeit einfach unterschlagen: Die Ernennung zum Leiter des uralischen Kreiskatasteramts, die Anfang 1930 stattfand, datierten seine Ghostwriter ein Jahr nach hinten auf 1931; vom Ural sei er direkt in seine Heimat zurückgekehrt, um bei der Industrialisierung mitzuhelfen.169 Erneut gab es also einen Bruch in Breschnews Biographie, der nicht zum offiziellen Bild vom geradlinigen Aufstieg des Generalsekretärs passte. Ein Studienabbruch und die Rückkehr aus der Hauptstadt in die Provinz ließen sich offensichtlich in kein Heldennarrativ integrieren. Was eine doppelte Flucht vor der Entkulakisierung und der Wohnungsnot in Moskau war, erklären Breschnews „Erinnerungen“ als pflichtbewussten Übertritt in die Branche, die jetzt mehr Arbeitskräfte brauchte als die Landwirtschaft: „Ich dachte mir: In der Kollektivierung ist die unumkehrbare Wandlung bereits erfolgt (…), die Industrie hingegen sammelt erst ihre Kräfte. Dort, an der Industriefront, verläuft heute die vorderste Linie des Kampfes für den Sozialismus. (…) Als ihr größtes [Metallwerk] galt das Dnepr-Werk, dem der Name F.E. Dzeržinski verliehen worden war – also war dort mein Platz.“170 Mit diesem Zitat wird deutlich, warum Breschnews Wechsel von der Kollektivierung zur Industrialisierung auf 1931 umdatiert wurde:171 Die Behauptung, ein Großteil der Dörfer sei schon umgestaltet, stimmte für 1931, aber nicht 1930. Zudem wird noch eine weitere Station Breschnews verschwiegen: Er fand offenbar nicht sofort eine Anstellung in seinem „Heimatwerk“, sondern arbeitete erst von November 1930 bis Februar 1931 als Schlosser der Maschinenbaufabrik „Kommunarde“ in Saporoschje, 80 Kilometer von

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Kamenskoje entfernt.172 Die Umdatierung erfüllte damit auch noch einen zweiten Zweck: Es musste nicht erklärt werden, warum Breschnew sein Studium erst 1931 aufnahm. So wie in den Jahren 1921–1923 gab es also auch 1930/31 eine Zeit in Breschnews Leben, in der er sich „durchschlug“ und in erster Linie darum bemüht war, seinen Lebensunterhalt – und den für seine Familie – zu sichern, ohne dabei „heroische Taten“ für den Aufbau des Landes zu vollbringen. Dafür begann 1931 eine Phase, in der Breschnews Leben absolut dem Ideal eines engagierten Bolschewiken entsprach: Er wurde als Vollmitglied in die Partei aufgenommen, arbeitete tagsüber in der Fabrik, studierte abends an einem Technikinstitut und engagierte sich als Parteiaktivist. Breschnew zog mit seiner Frau und seiner einjährigen Tochter Galina zunächst zu seinen Eltern in die Pelin-Straße in Kamenskoje, wo sie in zwei Zimmern zu elf Personen sehr beengt wohnten, bis er ein Zimmer im Studentenwohnheim zugewiesen bekam; dort wurde 1933 auch sein Sohn Juri geboren.173 Hier endlich wurde er „Proletarier“, sozusagen mit zehn Jahren Verspätung, nachdem er 1921 zunächst einen anderen Weg eingeschlagen hatte. Ganz wie der typische „Proletarier“ arbeitete er tagsüber – erst als Heizer, dann als Öler für Dampfmaschinen und schließlich als Maschinenschlosser – und studierte abends. Sein Studienplatz war am Arssenitschew-Institut für Metallurgie an der Fakultät für Wärmekraft.174 Das Institut war 1929 als Abendinstitut gegründet worden, in dem die Arbeiter des Hüttenwerks von den Ingenieuren unterrichtet werden sollten. 1931 studierten hier schon 600 angehende Ingenieure.175 Das Metallwerk war nicht irgendeine Fabrik, sondern einer der Brennpunkte des ersten Fünfjahrplans (1928–1932), an dem die forcierte Schwerindustrialisierung vollzogen wurde. Offenbar um Breschnews Bedeutung zu steigern, wird in seinen „Erinnerungen“ behauptet, er habe unter dem berühmten Chefingenieur Iwan Bardin gearbeitet.176 Dieser hatte die Fabrik aber bereits 1929 verlassen und war zur Zeit von Breschnews Studium Leiter von Kusnetzkstroi, dem Bau des gigantischen Hüttenwerks im Kusbass.177 Genauso fraglich ist, ob es wirklich Breschnew war, der den ebenso berühmten Hochofenspezialisten Michail Pawlow zu einem Vortrag an der Arbeiterfakultät überredete.178 Dieses „Namedropping“ hatte wohl nur den Zweck, Breschnew in die Nähe der größten Ingenieure des ersten Fünfjahrplans zu rücken.

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Abendstudent und Aktivist 1931–1935 Tatsächlich war Breschnew ein einfacher Student – der allerdings in diesen Jahren seine Parteikarriere begann. Am 24. Oktober 1931 erhielt er sein Parteibuch: „Ich wurde überdies zum Parteigruppenorganisator der Fakultät, später zum Vorsitzenden des Gewerkschaftskomitees und schließlich zum Sekretär des Parteikomitees der ganzen Hochschule gewählt.“179 Laut seiner Personalakte wurde Breschnew im März 1932 Sekretär der Parteiorganisation seines Instituts und gab gleichzeitig seine Tätigkeit als Schlosser wieder auf.180 Wie Breschnew seine Rolle als Funktionär ausgestaltete, bleibt unklar. 1931 setzte eine neue Welle der Umstrukturierung an den technischen Hochschulen ein, die darauf zielte, technische Standards zu sichern und den Politunterricht zurückzufahren.181 Womöglich war Breschnew an dieser Reorganisation beteiligt, da die propagandistische Begleitung solcher Maßnahmen immer in das Ressort der Parteileitung fiel. Sicher ist, dass er unter den Studierenden eine Baubrigade rekrutierte, die in Wochenendarbeit das Institutsgebäude um zwei Etagen aufstockte. Außerdem wurde er in das Hochwasserschutzkomitee der Stadt gewählt.182 Auch hier soll er bewiesen haben, dass er anpacken konnte: Als das alljährliche Dnjeprhochwasser an einem Sonntagabend so schnell stieg, dass es das E-Werk der Fabrik und etliche weitere Hallen zu überfluten drohte, stürzte Breschnew in den Park, wo die jungen Leute beim Tanzen waren, und sorgte dafür, dass sie alle Sandsäcke schleppten, um die Fabrik zu schützen.183 Viele Jahre später sollte er einer Gruppe afghanischer Studenten in Kabul über seine Studienzeit erzählen: Das sind schöne Jahre im Leben eines jeden Menschen. Allerdings war meine Generation gezwungen, unter sehr harten Bedingungen zu studieren und zu leben. Wir studierten und arbeiteten, bauten selbst das Gebäude unseres Wohnheims und unserer Labore und manchmal mussten wir auch noch auf den Baustellen unserer ersten Fünfjahrpläne Arbeitsdienste leisten.184

Ein Studienkamerad erinnerte sich daran, dass Breschnew ein guter Volleyballspieler war, sich beim Wehrsport als Woroschilow-Schütze auszeichnete (ein Titel, der zu Ehren des Bürgerkriegshelden und Verteidigungsvolkskommissars Kliment Woroschilow exzellenten Schützen verliehen wurde) und das Abzeichen „Bereit zu Arbeit und Verteidigung“ erhielt.185 Selbst die offiziellen englischen Memoiren erwähnen, dass Breschnew gern singen und tanzen ging: „Als leb-

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hafte Persönlichkeit fand Breschnew die Zeit, an Gesang und Tanz teilzunehmen.“186 Ein sorgloses Studentenleben, nach dem er sich wohl im Ural gesehnt hatte, war ihm aber nicht vergönnt, im Gegenteil: Ende 1932 musste er erneut in den Krieg gegen die Bauern ziehen. Als Parteiorganisator oblag es ihm, Gruppen von Studenten zusammenzustellen, die in den umliegenden Dörfern Getreide einzutreiben hatten.187 Obwohl bereits im September 1932 die Abgabenormen reduziert worden waren,188 beschloss das Politbüro am 18. November dieses Jahres, Arbeiter und Kommunisten aus den Städten der Ukraine zu aktivieren und sie in Brigaden von drei bis vier Mann in die Kornregionen zu entsenden, um dort die Abgabequoten durchzusetzen, wo die „Kulakensabotage und die Desorganisiertheit der Parteiarbeit in schärfster Form“ existierten.189 Der Parteivorsitzende der Ukraine Stanislaw Kosior forderte am 6. Dezember 1932 alle Parteifunktionäre auf, sich an der großangelegten Kampagne gegen die „Saboteure der Getreidebeschaffung“ zu beteiligen. In jedes Dorf sollte ein verantwortlicher Genosse geschickt werden, um dort Propagandaarbeit zu leisten, mit dem Ziel, die Kolchosen zu stärken und sie dem Einfluss der „Kulaken und Saboteure“ zu entreißen.190 Es ist davon auszugehen, dass Breschnew bei beiden Kampagnen dabei war. Damit einher gingen erneute Deportationen: Im Januar 1933 ließ die OGPU 4037 Bauern aus dem Gebiet Dnepropetrowsk in den Polarkreis nach Archangelsk deportieren.191 Biograph Murphy glaubt, dass Breschnew als Parteifunktionär privilegiert mit Lebensmitteln versorgt wurde und keine Not litt.192 Aber Breschnew war als Parteisekretär des Instituts ein niederer Rang und die Lage muss apokalyptisch gewesen sein. Auch wenn die OGPU mit allen Mitteln versuchte, die hungernden Bauern auf dem Land festzuhalten, flohen sie in die Städte, wo sie um Nahrung bettelten und oft ausgemergelt auf den Straßen starben.193 Dabei war nicht nur die Ukraine als „Kornkammer“ der Sowjetunion mit am schlimmsten von der Kollektivierung und der folgenden Hungersnot betroffen – innerhalb der Ukraine galt das Dnepropetrowsker Gebiet als Brennpunkt.194 Im März 1933 berichtete die OGPU aus Kiew, im Landkreis Kamenskoje würden in den elf Dörfern in 609 Familien 1192 Erwachsene und 1407 Kinder hungern, 2188 seien erkrankt, ein Fall von Kannibalismus sei bekannt geworden und noch niemand habe Hilfe erhalten.195 Es ist nicht erstaunlich, dass über diesen Einsatz nichts in Breschnews „Memoiren“ steht, denn selbst diejenigen, die ihre Erinnerungen selbst schrieben, klam-

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mern das Thema fast immer aus.196 Im gleichen Maße, wie die Kollektivierung bis zum Ende der Sowjetunion als großer Erfolg gefeiert wurde, blieben die Gewalt, die Deportationen und die Hungersnot, die geschätzte fünf Millionen Opfer forderte, ein Tabu. Direktor und Diplomand 1933–1935

Vermutlich war Breschnew erleichtert, als er im März 1933 eine neue Aufgabe bekam: Er sollte die Arbeiterfakultät von Kamenskoje leiten, also die Ausbildungsstätte, die aus der polytechnischen Schule des Ingenieurs Petrow hervorgegangen war und an der Arbeiter in zwei Jahren auf ein Hochschulstudium vorbereitet wurden.197 Dass er, selbst noch Student, wenn auch mit einiger Verwaltungserfahrung als Landfachmann, zum Direktor einer Bildungseinrichtung ernannt wurde, heißt aber auch, dass er sich bei seinen vorherigen Aufgaben, also auch bei der Kollektivierung und als Parteiorganisator des Instituts, bewährt haben muss. Wenn den Erinnerungen zu glauben ist, die zum 70. Geburtstag Breschnews 1976 gesammelt wurden, dann war er ein besonnener Direktor, der einfach und freundlich im Umgang mit seinen Kollegen war und dabei gleichzeitig viel forderte. Er habe den Lehrplan und das Prüfungswesen neu geordnet.198 Was sehr nach einem allzu positiven Klischee klingt, scheint den Tatsachen zu entsprechen, wenn man Breschnews Anweisungen als Direktor liest: Er forderte regelmäßiges Erscheinen zum Unterricht, mehr Aufmerksamkeit für die Rechtschreibung und obligatorische Prüfungen in allen Teildisziplinen. Er wies an, Maßnahmen zu erarbeiten, wie das Prüfungswesen neu zu strukturieren sei.199 Breschnew baute die Arbeiterfakultät maßgeblich mit auf: 1933 gab es dort nur 13 Absolventen, 1935 waren es schon mehr als 100.200 Aber auch hier musste er weiter die Entkulakisierung exekutieren, ob er wollte oder nicht:201 „19. Mai 1933. Die Studentin aus der 5. Gruppe Chren O.E. als Tochter eines Kulaken, der entkulakisiert und sein Wahlrecht verloren hat, als fremdes Element aus der Studentenschaft ausschließen.“202 Am 27. Januar 1935 bestand Breschnew die mündliche Prüfung zu seiner Diplomarbeit mit dem Thema „Ein Entwurf zur elektrostatischen Reinigung des Hochofengases unter den Bedingungen der Dserschinski-Fabrik“ mit dem Prädikat „ausgezeichnet“. Der Prüfungskommission saß der Direktor des Instituts, German Germanowitsch Pol, vor; neben zwei Dozenten gehörten ihr fünf Ingenieure des Metallwerks an. Dieses trug seit 1925 den Namen von Felix Dser-

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Abb. 4: Breschnew, sitzend, 1. v. l., als frisch diplomierter Ingenieur im Kreise seiner Kommilitonen in Kamenskoje, 1935.

schinski, der den Wiederaufbau der Fabrik organisiert hatte, und wurde von der Belegschaft liebevoll „Dserschinka“ genannt. Sie gaben Breschnew sowohl für seine schriftliche Arbeit als auch in Theorie sowie für seine mündlichen Antworten die Bestnote. Ihm wurde der Titel Wärmekraftingenieur verliehen.203 Wie aussagekräftig diese Note ist, muss dahingestellt bleiben, wurde doch Parteifunktionären oft eine „politische“, also eine an den Leistungen gemessen zu gute Note gegeben. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine Anekdote, die sich 1963 zugetragen haben soll, als Breschnew einmal wieder, wie er es oft und gern zu tun pflegte, seine Alma Mater besuchte und ihn sein Mathematikprofessor fragte, ob er sich noch erinnere, wie oft er die Prüfung abgelegt habe. Breschnew habe geantwortet: „Ja, fünfmal, aber dann haben Sie mir ‚sehr gut‘ gegeben.“204 Das erhärtet natürlich den Verdacht, Breschnew habe seine Bestnote vor allem aus politischen Gründen erhalten. Und dennoch erstaunt zunächst die Ästhetik des überlieferten Abschlussfotos, das ihn und acht seiner Kommilitonen als frisch graduierte Ingenieure zeigt.

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Dem Bild haftet nichts Kämpferisches oder Martialisches an, es entspricht eher einer Intellektuellen-Ästhetik aus vorrevolutionärer Zeit. Breschnew erscheint darauf als Einziger in Parteiuniform mit dunklem Hemd und dunkler Jacke, während alle anderen ein weißes Hemd, Anzug und Krawatte tragen. Es scheint, als sei er der Bildmittelpunkt, während alle anderen um ihn, der selbst sitzt, teils sitzend, teils stehend herumgruppiert sind. Die Blicke sind auf ihn gerichtet. Es ist offensichtlich, dass sich die jungen Männer in der Gruppe kameradschaftlich verbunden fühlen, da sie sich gegenseitig die Hände auf die Schulter gelegt haben und sich anlächeln. Breschnew unterscheidet sich weder in Pose noch Mimik von seinen Kameraden: ein gutaussehender junger Mann, der das Zusammensein mit seinen Freunden genießt. Das Foto passt insofern in die Mitte der 1930er Jahre, als in der kurzen Zeit zwischen dem Ende der Hungersnot 1933 und dem Beginn des Großen Terrors 1937/38 die Partei die Ingenieure weniger auf den Kampf für die Industrialisierung und mit dem Feind trimmte als ihnen für sehr gute Arbeit auch privilegierte Lebensumstände in Aussicht stellte. Anzug, weißes Hemd und Krawatte waren im zweiten Fünfjahrplan (1933–1938) wieder salonfähig. Diese „Mittelstands-Ästhetik“ strahlt auch ein zweites Foto von Breschnew aus dem Jahr 1935 aus, das ihn mit seiner Frau zeigt: Beide schauen frontal in die Kamera, haben ihre Köpfe leicht geneigt und aneinandergelehnt. Breschnew trägt das dunkle Parteihemd, aber sein Blick scheint verträumt. Viktorija hat die Haare entsprechend dem Schick der damaligen Jahre frisch onduliert und trägt dazu eine hochgeschlossene, weiße Bluse. Als diplomierter Ingenieur entsprach Breschnew 1935 dem Ideal des „Neuen Menschen“, der sich nun den Dreck unter den Fingernägeln herauskratzen und ein weißes Hemd anlegen durfte: von proletarischer Herkunft, selbst ein Arbeiter, im Feldzug gegen die Bauern geprüft und gestählt, ein Ingenieur, der nah an der Produktion ausgebildet worden war, ein Parteiorganisator, der nebenher noch eine Arbeiterfakultät leitete. Es ist nicht erstaunlich, dass die fabrikeigene Zeitung unter 86 frisch gebackenen Ingenieuren gerade Breschnew als Vorbild auswählte, um unter der Überschrift „Seine Name lautet – Bolschewik“ am 2. Februar 1935 eine Hymne auf den neuen Sowjetmenschen anzustimmen: Ich kann mir nicht vorstellen, woher dieser Mensch so viel Energie und Arbeitsfähigkeit nimmt. Bis zum letzten Monat arbeitete er als Direktor der Abend-Arbeiterfakultät für Metallurgie. Eine große und schwere Aufgabe. Er studiert nämlich auch an un-

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Abb. 5: Das Ehepaar Viktorija und Leonid Breschnew in Kamenskoje, 1935.

serem Institut. Auch ist er der beste Parteigruppenorganisator. Und er hat mit einer besseren Note als alle anderen seine Diplomarbeit verteidigt! Wenn er jetzt in die Produktion geht, ist zu erwarten, dass der junge Ingenieur Leonid Breschnew viel gibt. Und er wird es geben ... Denn er ist aus hartem Metall geschmiedet.205

Stoßarbeiter-Ingenieur und wieder Direktor 1935/36 Tatsächlich blieb Breschnew, dem die Fabrikspostille in seinem Heimatwerk eine große Zukunft vorausgesagt hatte, dort nur wenige Monate. Er arbeitete dort als Schichtleiter in der Kraftwerksabteilung.206 In seinen „Erinnerungen“ heißt es dazu: „Es war ein Jahr, angefüllt mit angespannter Arbeit, mit der Suche nach optimalen Produktionstechnologien, mit Diskussionen, Aktivistengeschichten, Gegenplänen, nächtlichem Alarm und bisweilen auch Havarien.“207 Tatsächlich war es in dieser Zeit nicht leicht, Ingenieur zu sein: Von den Werken wurden jenseits aller technischer Normen und Sicherheitsvorschriften Höchstleistungen erwartet, insbesondere nachdem Ende August 1935 die nach dem Hauer Alexei

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Stachanow benannte Stoßarbeiter-Kampagne ausgerufen worden war. Sie verpflichtete jeden Arbeiter und Ingenieur, das Maximum an Leistung aus seinen Maschinen herauszupressen, auch wenn dadurch die Maschine ruiniert wurde oder Gefahr für Leib und Leben entstand. Die Stichwörter, die in Breschnews „Memoiren“ fallen, weisen genau darauf hin: „Gegenpläne“, mit denen sich die Belegschaft verpflichtete, den eigentlichen Plan zu übertrumpfen, „nächtlicher Alarm“ und „Havarien“ als Konsequenz daraus. Die Belegschaft der Dserschinski-Metallfabrik stand unter besonderer Anspannung: Im „sozialistischen Wettbewerb“ gewann sie zwischen August 1935 und März 1936 drei Mal unionsweit den ersten Platz als bestes Metallwerk.208 Doch Breschnew blieb kein Jahr Stachanow-Ingenieur: Am 6. Oktober 1935 erhielt er die Einberufung zum Wehrdienst.209 Er absolvierte seine Militärausbildung im Fernen Osten in Tschita in einer Panzerdivision, in der er schnell „Politleiter“ wurde.210 Nach den Angaben eines Studienkollegen, der zusammen mit ihm eingezogen wurde, A.D. Kutzenko, erwies sich Breschnew auch hier als guter Kamerad und Organisator, der stets freundlich und fröhlich war, aber auch viel forderte. Angesichts der Temperaturen von minus 52 Grad C im Winter soll er gescherzt haben, wenn die hiesigen Kamele das Klima ertrügen, dann würden sie, die Soldaten, das ja wohl auch überleben. Er habe eine Gruppe von zwölf Skiläufern organisiert und vorgeschlagen, als Zeichen der Kampffähigkeit einen Langstreckenlauf zu veranstalten.211 Als Breschnew im November 1936 in seine Heimat zurückkehrte, hatte sich einiges verändert: Nicht nur die Stadt war zu Ehren von Felix Dserschinski, dem Begründer der Geheimpolizei Tscheka und dem Organisator des Wiederaufbaus des Metallwerks, in Dneprodserschinsk umbenannt worden.212 In Moskau hatte Stalin im August den ersten Schauprozess inszeniert, dessen Ziel nicht nur die Hinrichtung seiner ehemaligen Mitstreiter Grigori Sinowjew und Lew Kamenev war, sondern der auch das Land stärker als zuvor in einen Ausnahmeund Angstzustand versetzte. Der Boden für den Großen Terror wurde bereitet, indem die Partei und ihre Medien suggerierten, das ganze Land sei bis in den letzten Winkel von Feinden durchsetzt. Gleichzeitig liefen die Vorbereitungen für den zweiten Schauprozess im Januar 1937 an, bei dem in erster Linie Vertreter des Volkskommissariats für Schwerindustrie und Ingenieure auf der Anklagebank sitzen und für vermeintliche Sabotageakte verurteilt werden sollten.213 Mutmaßlich vor diesem Hintergrund setzte am 17. November 1936 das Volkskommissariat für Schwerindustrie den Direktor des Technikums für Metallur-

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gie in Dneprodserschinsk, I.P. Iwanow, ab und Breschnew als neuen Direktor ein.214 Auch aus dieser Zeit ist ein Buch mit Anordnungen des Direktors Breschnew erhalten. Es fällt auf, dass er hier, anders als im Jahr 1933, keine Ausschlüsse wegen politischer Verfehlungen anordnete. Es scheint, als sei das Technikum noch ein unbehelligter Ort gewesen, an dem die Jagd auf „Diversanten“, „Spione“ und „Volksverräter“ noch nicht begonnen hatte. Stattdessen hatte es Breschnew als Direktor mit einer Reihe von Fällen von Rowdytum, mit Schulschwänzern und Sachbeschädigungen zu tun. Dafür erteilte er „einfache“ oder „strenge Rügen“, in seltenen Fällen einen Schulverweis. Für eine Schneeballschlacht im Gebäude, für die Beleidigung einer Putzfrau und für deren unflätiges Fluchen gab es je einen Eintrag.215 Für das Fehlen in über 100 bis zu 260 Unterrichtsstunden wurden allerdings im Dezember zehn Studierende relegiert.216 Wieder war Breschnew als Direktor mit den mangelnden Rechtschreibkenntnissen vieler Studierender konfrontiert, so dass er anordnete, künftig alle Arbeiten auch auf Orthographie und Stil zu korrigieren und regelmäßig Diktate schreiben zu lassen; in der Bibliothek sollte eine Liste mit Lektüreempfehlungen ausgehängt werden.217 Auch sonst hielten sich die Probleme, mit denen sich Breschnew zu beschäftigen hatte, im Rahmen des Üblichen: ein zu schlechter Notendurchschnitt bei 16 Prozent der Studierenden,218 Überforderung der Studierenden, die im Dreischichtsystem in der Fabrik arbeiteten,219 Papiermangel und -diebstahl,220 unhaltbare Zustände in den Wohnheimen, deren Bewohner sich aber wegen des Gestanks der Chemikalien gegen eine regelmäßige Desinfizierung wehrten.221 Das Technikum bot Breschnew die Möglichkeit, sich wieder seiner Theaterleidenschaft zu widmen. Er gründete an der Fachschule sowohl einen Theaterals auch einen Tanzkreis.222 Breschnew und seine Familie wohnten in einem Haus des Instituts. In seiner Freizeit liebte er es nicht nur zu jagen, sondern kümmerte sich auch gern um seinen Taubenschlag. Wenn andere Tauben die seinen entführten, ärgerte er sich furchtbar, wie sich Nachbarn erinnerten; doch er fügte sich dem Ehrenkodex und löste seine Tauben dann aus.223

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Resümee

Breschnew war Anfang 1937 ein ganz normaler Ingenieur neuen Typs, bei dem nichts darauf hindeutete, dass er einmal Generalsekretär werden könnte. Im Gegenteil: Die Revolution hatte er nicht enthusiastisch begrüßt, er war spät in den Komsomol und noch später in die Partei eingetreten, erst als es quasi nicht mehr zu vermeiden war; er hatte sich stets mehr um sein eigenes Überleben als um das Schicksal der Partei gekümmert, war vor Hungersnot, Entkulakisierung und Wohnungsnot geflohen, schwärmte für Poesie und Theater und begeisterte sich mehr für die Dichter Majakowski und Jessenin als für Lenin und Stalin. Es ist wichtig, Breschnew noch mal aus dieser Perspektive zu betrachten: Ohne Revolution und Industrialisierung wäre er womöglich Schauspieler geworden. Vielen jungen Menschen, die sich für Literatur, Kunst oder auch Geschichte interessierten, wurde dieser Weg versperrt, weil mit dem ersten Fünfjahrplan (1928– 1932) nur noch ein technisches Studium opportun war. Vermutlich war Breschnew auch mehr von den Schrecken des Bürgerkriegs und der folgenden Hungersnot und Typhusepidemie geprägt als von der Idee, eine neue Gesellschaft zu schaffen. Ein „gutes“ Leben, das frei von Sorgen um Nahrungsmittel war und Platz für die Jagd oder eine Schlittenfahrt ließ, scheint ihm nicht nur durch die erlittene Not sehr wichtig geworden zu sein. Es war letztlich auch der Wert, den er von seinen Eltern vermittelt bekommen hatte: nach bürgerlichem Wohlstand zu streben. Dieser Antrieb sollte später seine Politik maßgeblich prägen. Und man kann sich vorstellen, auch wenn es Spekulation bleibt, dass die Überzeugung, alle sollten gut leben können, auch seine Handlungen als Flurneuordner, Agent der Kollektivierung und Parteiorganisator beeinflusste, zumindest in dem Maße, wie das möglich war. Ein Indiz dafür sind die Erinnerungen eines Kommilitonen am Institut, der so arm war, dass er in Lumpen und hungrig zum Unterricht erschien. Breschnew habe das sofort bemerkt und dessen Mutter habe ihn fortan mit Kleidung und Essen versorgt.224 Es ist billig, Breschnew vorzuwerfen, er habe mit Begeisterung die Kulaken deportieren lassen. Richtig ist, dass er funktionierte und machte, was von ihm verlangt wurde. Eine Möglichkeit, sich der Kollektivierung zu entziehen, gab es im Grunde nicht, wollte man nicht die eigene Existenz aufs Spiel setzen. Es gibt nur wenige bekannte Fälle von „Aktivisten“, die sich in entfernte Regionen absetzten, um sich bei der Kollektivierung nicht schuldig zu machen, oder die sich selbst erschossen. Der Abbruch seiner Karriere als Flurfachmann und die Abrei-

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se aus dem Ural nach Moskau kann als solch ein „Sich-Absetzen“ gedeutet werden, ohne dass es Gewissheit darüber gibt. Es ist schwer, irgendwelche Aussagen über sein Denken und seine Einstellung zu wagen, da die wenigen O-Töne zu diesen Jahren alle aus der Zeit stammen, als Breschnew schon Generalsekretär war und er als das galt, wofür er hier gelobt wurde: umgänglich, ohne Dünkel, freundlich, aber fordernd. Insofern erscheint die Lobhymne aus der Fabrikzeitung von 1935 noch als die unverdächtigste Quelle, weil sie direkt aus der Zeit stammt: Breschnew taugte als Ideal und Vorbild für den neuen sowjetischen Ingenieur, der kameradschaftlich, gutaussehend und ein Macher war. Ihm wurde eine große Karriere in der Produktion vorausgesagt – aber eben nicht als Politiker.

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Leonid Breshnew: Erinnerungen. Leben nach der Werksirene; Heimatliebe, Berlin 1982, S. 6. Zit. in: Vladislav Ljaščevskij/Ljubov’ Romančuk: Naš Il’ič. 5 neizvestnych faktov iz žizni Leonida Brežneva, in: Dnepr večernij, 19. Dezember 2009, Nr. 190, S. 12; und im persönlichen Gespräch mit der Autorin am 18. Juni 2014. Ebenda, S. 37. Siehe dazu Reginald E. Zelnik: A Radical Worker in Tsarist Russia. The Autobiography of Semën Ivanovich Kanatchikov, Stanford 1986; Mark D. Steinberg: Proletarian Imagination. Self, Modernity, and the Sacred in Russia, 1910–1925, Ithaca 2002. Ebenda, S. 36. Natalija Bulanova: Kam’jans’ki etjudi v stili retro, 2., ergänzte und überarbeitete Auflage, Dnepropetrowsk 2011, S. 103. Ebenda, S. 122. Ebenda, S. 108. Ebenda, S. 112. Vgl. ebenda; Dornberg, Breschnew, S. 39. Dornberg, Breschnew, S. 39. Ebenda, S. 117. Ebenda, S. 118 f. Breshnew, Erinnerungen, S. 8; Bulanova, Kam’jans’ki ėtjudi, S. 124; O sem’e Brežnevych, in: Muzej Istorii mista Kam’jans’kogo (im Folgenden: MIK), KP–18391/D–8114, ohne Blattangabe. Ljaščevskij/Romančuk, Naš Il’ič, S. 12. Breschnews Nichte behauptet allerdings, ihr Vater Jakob sei in Wahrheit erst 1913 geboren, die Mutter habe aber die Geburtsurkunde gefälscht, damit er früher als Lehrling in der Fabrik eingestellt würde: Ljubov’ Brežneva: Plemjannica Genseka, Moskau 1999, S. 371. Bulanova, Kam’jans’ki ėtjudi, S. 124; Breshnew, Erinnerungen, S. 29; O sem’e Brežnevych.

Anmerkungen 18

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Brežnev. Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1164. Die Nichte Breschnews gibt an, ihr Großvater sei infolge eines Arbeitsunfalls bereits 1933 gestorben: Brežneva, Plemjannica, S. 375. 19 Breshnew, Erinnerungen, S. 17; Bulanova, Kam’jans’ki ėtjudi, S. 124. 20 Bulanova, Kam’jans’ki ėtjudi, S. 124; Mlečin, Brežnev, S. 50. 21 O sem’e Brežnevych. 22 Breshnew, Erinnerungen, S. 29; Bulanova, Kam’jans’ki ėtjudi, S. 125. 23 Murphy, Brezhnev, S. 8. 24 Breshnew, Erinnerungen, S. 18. 25 Ebenda, S. 15. 26 Dornberg, Breschnew, S. 41. 27 Ebenda, S. 19, 43. 28 Murphy, Brezhnev, S. 8. 29 Brežneva, Plemjannica, S. 369. 30 Dornberg, Breschnew, S. 42; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 20. 31 Breshnew, Erinnerungen, S. 37. 32 Iosif Zacharovič Štokalo: Škol’nye gody Leonida Iliča Brežneva (vospominanija učitelja), in: MIK, maschinenschriftliches Manuskript, 1980, S. 6, 10, 20. 33 Murphy, Brezhnev, S. 9; Dornberg, Breschnew, S. 45; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 20. 34 Dornberg, Breschnew, S. 8. 35 O sem’e Brežnevych; Bulanova, Kam’jans’ki ėtjudi, S. 125. 36 Murphy, Brezhnev, S. 12. 37 Breshnew, Erinnerungen, S. 43. 38 Ebenda, S. 42. 39 Bulanova, Kam’jans’ki ėtjudi, S. 170. 40 Dornberg, Breschnew, S. 47; Murphy, Brezhnev, S. 15; Felix Schnell: Räume des Schreckens. Gewalträume und Gruppenmilitanz in der Ukraine, 1905–1933, Hamburg 2012, S. 167. 41 Dornberg, Breschnew, S. 47; M.A. Morozov: Ščodennik promadjans’koj vijni, in: Bulanova, Kam’jans’ki ėtjudi, S. 170–190, hier: S. 176. 42 Morozov, Ščodennik, S. 176. 43 Vgl. auch Schnell, Räume des Schreckens, S. 183, 257 f. 44 Morozov, Ščodennik, S. 180; Dornberg, Breschnew, S. 47. 45 Morozov, Ščodennik, S. 180. 46 Ebenda. 47 Dornberg, Breschnew, S. 46; Murphy, Brezhnev, S. 16. 48 Bulanova, Kam’jans’ki ėtjudi, S. 188–190. 49 Ebenda, S. 187; vgl. auch Schnell, Räume des Schreckens, S. 178. 50 Schnell, Räume des Schreckens, S. 309. 51 Morozov, Ščodennik, S. 181; Dornberg, Breschnew, S. 47. Vgl. auch Schnell, Räume des Schreckens, S. 197 ff. 52 Morozov, Ščodennik, S. 182. 53 Vgl. auch Schnell, Räume des Schreckens, S. 200. 54 Das jedenfalls behauptet Murphy, Brezhnev, S. 16. 55 Ebenda, S. 13. 56 Ebenda, S. 16. 57 Ebenda, S. 18. 58 Dornberg, Breschnew, S. 48; Breshnew, Erinnerungen, S. 38.

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Berufswunsch Schauspieler oder: Ein ganz normaler Sowjetmensch Dornberg, Breschnew, S. 48; Bulanova, Kam’jans’ki ėtjudi, S. 194. Murphy, Brezhnev, S. 16. Dornberg, Breschnew, S. 49; Murphy, Brezhnev, S. 18. Dornberg, Breschnew, S. 50; Bulanova, Kam’jans’ki ėtjudi, S. 126. Breshnew, Erinnerungen, S. 49. Murphy, Brezhnev, S. 19. Breshnew, Erinnerungen, S. 49. Dornberg, Breschnew, S. 50; Murphy, Brezhnev, S. 19. Breshnew, Erinnerungen, S. 44. O sem’e Brežnevych; siehe dazu auch die offizielle Werkschronik der Fabrik, die bis heute existiert und die Stadt ernährt: Danach stand die Fabrik 1918–1925 still: http://www.dmkd.dp.ua/ node/481, abgerufen am 23.10.2014; vgl. auch Murphy, Brezhnev, S. 14, 16. Dornberg, Breschnew, S. 50; Murphy, Brezhnev, S. 20; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 21. Dnepropetrovskij Deržavnyj Archiv (im Folgenden: DDA), filial Partijnyj Archiv, f. 19, op. 6, d. 341: Brežnev, Leonid Il’ič, l. 2; Centr Dokumentacii Obščestvennych Organisacii Sverdlov­ skoj Oblasti (im Folgenden: CDOOSO), f. 4, op. 17, d. 256: Učetnaja kartočka Brežneva L.I. (kopija), l. 1ob. DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 4: „Avtobiografija Brežnev L.I.“. Bulanova, Kam’jans’ki ėtjudi, S. 126. A. Fursenko (Hg.): Prezidium CK KPSS 1954–64, 3 Bde., Bd. 1: Černovye protokol’nye zapisi zasedanij, stenogrammy, Moskau 2004, S. 810. T.N. Kaul’: Ot Stalina do Gorbačeva i dalee, Moskau 1991, S. 78 f. Murphy, Brezhnev, S. 21. Breshnew, Erinnerungen, S. 50. Ebenda, S. 51. Georgi Arbatov: Zatjanuvšeesja vyzdorovlenie (1953–1985). Svidetel’stvo sovremennika, Moskau 1991, S. 356. Anatoli Černjaev: Sovmestnyj ischod. Dnevnik dvuch ėpoch, 1972–1991 gody, Moskau 2010, S. 192. Bovin, XX vek kak žizn’, S. 253; Arbatov, Zatjanuvšeesja vyzdorovlenie, S. 356. Galina Višnevskaja: Galina. Istorija žizni, ergänzte Ausgabe, Moskau 2006, S. 304. Denis Babičenko: Neizvestnyj Brežnev, in: Itogi, 30. Oktober 2001, S. 46; Breshnew, Erinnerungen, S. 56. Mlečin, Brežnev, S. 53 [Übersetzung S. Schattenberg]. Breshnew, Erinnerungen, S. 55 f. Ebenda, S. 56 f. DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2. Avtorchanov, Sila i bessilie, S. 68. Murphy, Brezhnev, S. 21. Nikolaj Zachorov: Krestnoj otec razvitogo zastoja, in: Dneprovskaja Pravda, 12. November 1997, S. 2. Mlečin, Brežnev, S. 55. Avtorchanov, Sila i bessilie, S. 68; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 25; Leonid Ilyich Brezhnev: A Short Biography, hg. v. Institut für Marxismus-Leninismus des ZK der KPdSU, Oxford u.a. 1977, S. 6; Mlečin, Brežnev, S. 55. Avtorchanov, Sila i bessilie, S. 68.

Anmerkungen

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93 DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2. 94 Siehe auch Murphy, Brezhnev, S. 29; Mlečin, Brežnev, S. 55. 95 CDOOSO, f. 434: Bisertskij rajonnyj komitet VKP(b), op. 1, d. 20: Protokoly zasedanij partijnogo aktiva plenumov i bjuro rajkoma VKP(b) 5.1.1929–25.12.1929g., l. 149. 96 Zu dieser Art Verschwörungstheorie über die „jüdischen Kreml-Frauen“ siehe Nikolay Mitrokhin: Die „Russische Partei“. Die Bewegung der russischen Nationalisten in der UdSSR 1953– 1985, Stuttgart 2014, S. 60. 97 Vladimir Vasil’evič Karpov: Večernie besedy s Viktoriej Brežnevoj, in: ders.: Rasstrelennye maršaly, Moskau 1999, S. 399–477, hier: S. 407. 98 Ebenda, S. 408; L.N. Vasil’eva: Kremlevskie ženy. Fakty, vospominanija, sluchi, legendy i vzgljad avtora, Moskau 2008, S. 399; siehe auch Mlečin, Brežnev, S. 52. 99 V.E. Semičastnyj: Bespokojnoe serdce, Moskau 2002, S. 397. 100 Breznev. Rabočie i dnevnikoye zapisi, Bd. 1, S. 905. 101 Vasil’eva, Kremlevskie ženy, S. 399 f.; Mlečin, Brežnev, S. 52 f. 102 Karpov, Večernie besedy, S. 410. 103 Zit. nach Mlečin, Brežnev, S. 54. 104 Gosudarstvennyj archiv Sverdlovskoj oblasti (im Folgenden: GASO), f. R-160: Ispolnitel’nyj komitet Sverdlovskogo okružnogo Soveta rabočich, krest’janskich i krasnoarmejskich deputatov, Zemel’noe upravlenie 1924–1930gg., op. 1-l, d. 103: Brežnev L.I., l. 1–5. 105 Karpov, Večernie besedy, S. 408. 106 Ebenda, S. 410. 107 DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2; CDOOSO, f. 4, op. 17, d. 256, l. 1ob. Siehe auch Breshnew, Erinnerungen, S. 59, 66; Mlečin, Brežnev, S. 53. 108 V. Danilov et al. (Hg.): Tragedija sovetskoj derevni. Kollektivizacija i raskulačivanie. Dokumenty i materialy, 1927–1939, 5 Bde., Bd. 1, Moskau 1999, Dokument Nr. 24, S. 114; Dokument Nr. 38, S. 147. 109 Ebenda, Dokument Nr. 62, S. 200; Nr. 64, S. 201 f. 110 Ebenda, Dokument Nr. 58, S. 186 ff. 111 GASO, f. R-160, op. 1, d. 96: Dokumenty o sostojanii zemleustrojstva v rajonach okruga, 1.10.1927–1.1.1929gg., l. 13–13ob. 112 Breshnew, Erinnerungen, S. 60 f. 113 GASO, f. R-160, op. 1, d. 124: Dokumenty (cirkuljary, dokladnye zapiski, svedenija) o čislennosti zaregistrirovannych zemel’nych obščestv v rajonach okruga 15.11.1928–11.3.1929gg., l. 4. 114 CDOOSO, f. 6, op. 1, d. 1724: Protokoly zasedanija plenuma bjuro Michajlovskogo Rajkoma VKP(b), vyslannye v Sverdlovskij orkužkom dlja svedenija, 12.1.1929–7.12.1929g., l. 25. 115 GASO, f. R-160, op. 1, d. 183: Dokumenty i perepiska ob otvode zemel’ (…) Bisertskogo rajona 23.1.–26.10.1929g., l. 24. 116 CDOOSO, f. 434, op. 1, d. 20, l. 69, 110. 117 Ebenda, l. 70, 77ob., 78. 118 GASO, f. R-160, op. 1, d. 183, l. 3. 119 Ebenda, l. 7. 120 GASO, f. R-160, op. 1, d. 183: d. 183, l. 12. 121 Breshnew, Erinnerungen, S. 62. 122 RGANI, f. 80, op. 1, d. 1200: Postanovlenija Plenumov CK KPSS, Politbjuro o naznačenijach L. Brežneva na dolžnosti i osovoboždenii ot nich, 7.2.1939–3.3.1981gg., l. 3; vgl. Mlečin, Brežnev, S. 55; Murphy, Brezhnev, S. 28.

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Danilov, Tragedija sovetskoj derevni, Bd. 1, Dokument Nr. 223, S. 678. CDOOSO, f. 434, op. 1 d. 20, l. 148. Vgl. auch Mlečin, Brežnev, S. 55. Danilov, Tragedija sovetskoj derevni, Bd. 1, Dokumente Nr. 224–227, S. 679–684. Ebenda. CDOOSO, f. 434, op. 1, d. 20, l. 152. GASO, f. R-160, op. 1, d. 164: Protokoly proizvodstvenno-techničeskich soveščanii pri OkrZU i otdele zemleustrojstva OkrZU za nojabr’ 1929–maj 1930g., l. 16. 128 CDOOSO, f. 434, op. 1, d. 20, l. 156. 129 Lynne Viola: The Unknown Gulag. The Lost World of Stalin’s Special Settlements, Oxford 2007, S. 15. 130 CDOOSO, f. 434, op. 1, d. 20, l. 169. 131 Ebenda, l. 172. 132 Übersetzung aus: Breshnew, Erinnerungen, S. 65; Original in: CDOOSO, f. 434, op. 1, d. 20, l. 174; vgl. auch Mlečin, Brežnev, S. 56. 133 CDOOSO, f. 6, op. 1, d. 1879: Stenogramma zasedanija 5go Plenuma Sverdlovskogo Okružkoma VKP(b) s rezoljucijami, 16.–19.2.1930g., ohne Blattangabe, am Ende der Akte eingenähte Broschüre, darin S. 6. 134 Breshnew, Erinnerungen, S. 62, 63. 135 Wyradhe: Livejournal, 5. Februar 2014, http://wyradhe.livejournal.com/340176.html, abgerufen am 16.3.2015. 136 Brežneva, Plemjannica, S. 372. 137 Vadim Pečenev: Vzlet i padenie Gorbačeva glazami očevidca. (Iz teoretiko-memuarnych razmyšlenij: 1975–1991gg.), Moskau 1996, S. 49. 138 GASO, f. R-160, op. 1, d. 165: Prikazy, Nr. 39–90, 1–60 OkrZU po osnovnoj dejatel’nosti ličnomu sostavu za ijul’ 1929–ijul’ 1930gg., l. 66. 139 CDOOSO, f. 434, op. 1, d. 20, l. 167. 140 CDOOSO, f. 6, op. 1, d. 1885: Protokoly zasedanij bjuro Sverdlovskogo okružkoma 5.1.– 24.7.1930g., l. 40ob.; RGANI, f. 80, op. 1, d. 1200, l. 3; vgl. Mlečin, Brežnev, S. 56. 141 CDOOSO, f. 6, op. 1, d. 1879, l. 13. 142 GASO, f. R-160, op. 1, d. 188: Dokumenty i perepiska ob otvode zemel’, vnutrechozjajstvennom zemleustroitel’stve i zemlepol’zovanii Michajlovskogo rajona, 25.10.1929–29.6.1930gg. 143 GASO, f. R-160, op. 1, d. 178: Dokumenty ob otvode zemel’ i po ličnomu sostavu, oktjabr’-ijun’ 1930g. 144 GASO, f. R-160, op. 1, d. 164, l. 15: Protokol proizvodstvennogo soveščanija otdela zemle­ ustrojstva Sverdlovskogo OKRZU, 13.05.1930g. 145 CDOOSO, f. 6, op. 1, d. 1892: Rukovodjaščie ukazanija CK i pis’ma OGPU po Uralu 16.1.– 13.7.1930g., l. 6: Osobaja papka, postanovlenie bjuro uralobkoma VKP(b) o likvidacii kulackich chozjajstv v svjazi s massovoj kollektivizacii; vgl. auch Viola, The Unknown Gulag, S. 22. 146 CDOOSO, f. 6, op. 1, d. 1879, l. 8–13. 147 CDOOSO, f. 6, op. 1, d. 1891: Sekretnye vypiski iz protokolov VKP(b) 1930g., l. 7. 148 Ebenda, l. 18. 149 GASO, f. R-160, op. 1, d. 164, l. 3. 150 GASO, f. R-160, op. 1, d. 165, l. 15, 16, 29, 30. 151 Ebenda, l. 33. 152 CDOOSO, f. 6, op. 1, d. 1882: Stenogramma vystuplenij na soveščanii okružnogo part. aktiva 25.3.1930g., l. 1–3. 153 CDOOSO, f. 6, op. 1, d. 1882, l. 74.

Anmerkungen

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154 Ebenda, l. 37. 155 Ebenda, l. 3. 156 GASO, f. 6, op. 1, d. 164, l. 15. 157 Ebenda. 158 In der entsprechenden Anordnung heißt es, ihm seien für 1929 20 Tage und für 1930 ein Monat gewährt worden; ob er seinen Urlaub Anfang des Jahres, der ja den Jahresurlaub 1929 umfassen sollte, früher abgebrochen hatte, bleibt aber unklar. GASO, f. R-160, op. 1, d. 165, l. 6ob. 159 DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 24 f. Siehe auch Zachorov, Krestnoj otec, S. 2. 160 O sem’e Brežnevych. 161 Karpov, Večernie besedy, S. 411. 162 Vgl. Viola, The Unknown Gulag, S. 22; Schnell, Räume des Schreckens, S. 430. 163 CDOOSO, f. 6, op. 1, d. 1891, l. 45 ff. Danilov, Tragedija sovetskoj derevni, Bd. 2, Dokument Nr. 56, S. 168. 164 Vgl. Wyradhe, Livejournal. 165 Breshnew, Erinnerungen, S. 61. 166 Karpov, Večernie besedy, S. 411. 167 Siehe David L. Hoffmann: Peasant Metropolis. Social Identities in Moscow, 1929–1941, Ithaca 1994, S. 35. 168 DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2; Mlečin, Brežnev, S. 56. 169 Breshnew, Erinnerungen, S. 66. 170 Ebenda, S. 68. 171 Interessanterweise gibt die offizielle englische Biographie Breschnews, herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften, seine Rückkehr nach Kamenskoje korrekt mit dem Jahre 1930 an: Leonid I. Brezhnev. Pages from his Life, with a Foreword by Leonid I. Brezhnev, Written under the Auspices of the Academy of Sciences of the USSR, New York 1978, S. 25. 172 DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2. 173 O sem’e Brežnevch. 174 DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2; Brezhnev. Pages from his Life, S. 27. 175 P.T. Tron’ko et al. (Hg.): Istorija mist i sil Ukrainskoj RSR v 26i tomach, Bd. 7: Dnipropetrovs’ka oblast’, hg. v. A.Ja. Paščenko et al., Kiew 1969, S. 236; Brezhnev. Pages from his Life, S. 26. 176 Breshnew, Erinnerungen, S. 69. 177 Ivan Pavlovič Bardin: Izbrannye trudy v 2ch tomach, Bd. 1, Moskau 1963, S. 83. 178 Breshnew, Erinnerungen, S. 71. 179 Ebenda, S. 69 f.; DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2. 180 DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2. 181 Susanne Schattenberg: Stalins Ingenieure. Lebenswelten zwischen Technik und Terror in den 1930er Jahren, München 2002, S. 154–157. 182 Brezhnev. Pages from his Life, S. 28 f.; Murphy, Brezhnev, S. 37. 183 Brezhnev. Pages from his Life, S. 28; A. Kuznecov: I Brežnev takoj molodoj ..., in: Literaturnaja gazeta, Nr. 50, 13.–19. Dezember 2006, Nr. 50, S. 4. 184 Gosudarstvennyj Archiv Rossijskoj Federacii (im Folgenden: GARF), f. R-7523, op. 83, d. 19: Materialy o prebyvanii predsedatelja prezidiuma Verchovnogo Soveta SSSR tov. Brežneva L.I. v Afganistane (11–17 okt. 1963g.), l. 28.

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Berufswunsch Schauspieler oder: Ein ganz normaler Sowjetmensch

185 A.A. Karcenko: Vospominanija o L.I. Brežneve, in: MIK, KP-18395/D-8118, ohne Blattangabe. Vermutlich auf die gleiche Quelle stützt sich die identische Aussage der Werkszeitung: „K 100-letiju L.I. Brežneva. Odnakašniki – odnopolčane“, in: Znamja Dzeržinki. Gazeta trudovogo kollektiva OAO „Dneprovskij metkombinat“, Nr. 50, 16. Dezember 2006. 186 Brezhnev. Pages from his Life, S. 29. 187 Istorija mist i sil, Bd. 7, S. 235; Murphy, Brezhnev, S. 38 f.; Kuznecov, I Brežnev takoj molodoj, S. 4. 188 Danilov, Tragedija sovetskoj derevni, Bd. 3, Dokument 166, S. 469. 189 Ebenda, Dokument 207, S. 541. 190 Ebenda, Dokument 220, S. 563 f. 191 Ebenda, Dokument 257, S. 634. 192 Murphy, Brezhnev, S. 39. 193 Danilov, Tragedija sovetskoj derevni, Bd. 3, Dokument 118, S. 318. 194 Ebenda, Dokument 273, S. 653. 195 Ebenda, Dokument 269, S. 647. 196 Schattenberg, Stalins Ingenieure, S. 175–178. 197 DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2. 198 S.A. Mol’ner: Vospominanija o L.I. Brežneve, in: MIK, KD-18394/D-8117, ohne Blattangabe. 199 In: Kuznecov, I Brežnev takoj molodoj, S. 4. 200 A. Slonevskij: Rasskazy o Brežneve, in: Znamja Dzeržinki, Nr. 51, 20. Dezember 2012, S. 12. 201 Vgl. auch Kuznecov, I Brežnev takoj molodoj, S. 4. 202 Zit. nach: Aleksandr Kuznecov: Kak Brežnev „gajki zakručival“, in: Tribuna, Nr. 228, 19. Dezember 2001, S. 8. 203 DDA, f. R-5853, op. 1, d. 23 „a“, Protokol Gos. kvalifikacionnoj komissii po zaščite diplomnogo proekta L.I. Brežneva v 1935g., l. 11 f. 204 I. Kondrat’eva: Brežnev dalekij i blizkij, in: Znamja Dzeržinki, Nr. 20, 15. Mai 2014, S. 11. 205 Nachdruck in Pravda, 27. Mai 1976, vgl. auch Brezhnev. Pages from his Life, S. 15. 206 In seinem Personalbogen fehlt diese Angabe erstaunlicherweise, Mlečin bestätigt aber, was auch alle anderen beschreiben: Mlečin, Brežnev, S. 58; siehe auch Brezhnev. Pages from his Life, S. 30 f. 207 Breshnew, Erinnerungen, S. 72. 208 Istorija mist i sil, Bd. 7, S. 235; Murphy, Brezhnev, S. 42. 209 Seine Einberufung war 1928 um vier Jahre bis 1932 zurückgestellt und dann vermutlich aufgrund seines Studiums bis 1935 ausgesetzt worden. Siehe dazu GASO, f. R-160, op. 1-l, d. 103, l. 16; vgl. Mlečin, Brežnev, S. 58. 210 DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2. 211 K 100-letiju L.I. Brežneva. 212 Istorija mist i sil, Bd. 7, S. 233. 213 Schattenberg, Stalins Ingenieure, S. 351. 214 DDA, f. R-5575: Narodnyj Komissariat Tjaželoj Promyšlennosti SSSR, upravlenie kadrov i učebnych zavedenij, Kamenskij večernij metallurgičeskij technikum, 1934–1973, op. 1, d. 3: Prikazy direktora po technikumu [avtograf Brežneva], l. 63. 215 Ebenda, l. 66ob. 216 Ebenda, l. 68ob. 217 Ebenda, l. 74–74ob. 218 Ebenda, l. 8. 219 Ebenda, l. 18.

Anmerkungen

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220 Ebenda, l. 13. 221 Ebenda, l. 21. 222 Stanislav Pšeničnyj: Pervaja vysota Leonida Brežneva, in: Dneprovskaja Pravda, 4. November 2006, Nr. 43, http://dneprovka.dp.ua/t1472/, abgerufen am 24.3.2015. 223 Slonevskij, Rasskazy o Brežneve, S. 12. 224 Vospominanija o L.I. Brežneve, 31.12.1976, in: MIK, KD-18393/D-8116, ohne Blattangabe.

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Abb. 6: Breschnew während des Krieges mit seinem Lieblingspferd Dontschak.

Abb. 7: Breschnew (r.) spricht mit Nikita Chruschtschow (l.), 1. Juni 1942.

   



„Wie der Stahl gehärtet wurde“ oder: Karriere in Zeiten von Terror und Krieg

Während aus den Jahren 1937–1941 nahezu keine Fotos Breschnews überliefert sind, gibt es verhältnismäßig viele Fotografien von ihm zu Kriegszeiten, die ihn als hochgewachsenen, gutaussehenden jungen Offizier zeigen, der auf den Bildern meist strahlt und an dem nichts an das Grauen des Krieges erinnert. Die relativ große Zahl der Bilder ist dem Umstand geschuldet, dass der Krieg von Fotografen der Roten Armee dokumentiert wurde, die die Truppen begleiteten. Die Bilder erwecken den Eindruck, dass er sich seines stattlichen Aussehens in der schneidigen Uniform durchaus bewusst war und vor der Kamera posierte. Eine Fotografie zeigt ihn Seite an Seite mit seinem Lieblingspferd „Dontschak“, dem er liebevoll den Kopf tätschelt, während er in die Kamera lächelt. Eine weitere Fotografie aus dem Jahr 1942 zeigt Breschnew, wie er als Politoffizier mit einer Gruppe Soldaten redet: Letztere stehen und sitzen in vier Reihen und hören mit eher verschlossenen Mienen zu; er hat sich hingesetzt, wie es scheint, um mit ihnen auf Augenhöhe zu sein, und spricht offenbar eindringlich. Es ist unklar, ob dies Bild inszeniert wurde oder ein Schnappschuss ist. Auf jeden Fall zeigt es Breschnew bei der Tätigkeit, die er den ganzen Krieg über ausübte: Versammlungen abhalten und die Soldaten auf die Schlacht vorbereiten. Schließlich existiert ein Foto von Breschnew mit Chruschtschow, aufgenommen am 1. Juni 1942, das nach 1964 in keinem Fotoband mehr gezeigt wurde, weil Breschnew nicht mehr mit seinem von ihm selbst gestürzten Ziehvater in Verbindung gebracht werden wollte. Der Fotograf hat die beiden offenbar ins Gespräch vertieft abgelichtet, beide tragen Felduniform, gewienerte Soldatenstiefel und sind einander zugewandt im Halbprofil zu sehen. Chruschtschow hat seine Hände in den Hosentaschen versenkt, während Breschnew seine Hände

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„Wie der Stahl gehärtet wurde“ oder: Karriere in Zeiten von Terror und Krieg

Abb. 8: Breschnew, im Vordergrund sitzend, hält als Brigadekommissar eine Versammlung mit den Soldaten ab, 1942.

vor dem Bauch hält, in der einen eine Zigarette, und offenbar etwas erklärt, während Chruschtschow zuhört. Der kahlköpfige, beleibte Chruschtschow wird von dem stattlichen Breschnew um einen halben Kopf überragt. Das Bild strahlt Ruhe und Vertrautheit aus. Es zeigt einen Schlüsselmoment in Breschnews Karriere: Für sie war es entscheidend, dass er 1938 in Dnepropetrowsk Chruschtschow kennenlernte, der Krieg sie erneut an der Front zusammenführte und Breschnew infolgedessen von Chruschtschow für wichtige Aufgaben eingesetzt wurde. Seine Nachkriegskarriere verdankte er größtenteils Chruschtschow.

Aufstieg im Großen Terror Breschnew war der relativ ruhige Posten des Technikumdirektors in Dneprodserschinsk nicht lange vergönnt. Stalins Massenterror der Jahre 1937/38 im Allgemeinen und die gezielte Verfolgung, Anklage und Erschießung sowohl der Partei- als auch der technischen und Wirtschaftseliten im Besonderen machte

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auch vor der Ukraine nicht Halt. Im Gegenteil: Der Zweite Moskauer Schauprozess im Januar 1937 rückte auch die Ukraine ins Zentrum der „Schädlingstätigkeit“. Stalin hatte Georgi Pjatakow, dem stellvertretenden Volkskommissar für Schwerindustrie, der wegen „trotzkistischer Verschwörung“ auf der Anklagebank saß, in sein fabriziertes „Geständnis“ geschrieben, dass er in Dnepropetrowsk eine Gruppe von Terroristen organisiert habe, die Koksöfen sabotiert hätten.1 Auf dem darauf folgenden berühmt-berüchtigten Februar-März-Plenum der Partei in Moskau 1937 ließ sich Stalin seinen Kurs auf Terror bestätigen. Der Vorsitzende der Geheimpolizei NKWD, der Nachfolgeorganisation der OGPU und des Vorläufers des KGB, bekam freie Hand. Der Zweite Sekretär der Ukraine, Pawel Postyschew, wurde noch im März abgesetzt, weil er es gewagt hatte, auf dem Plenum den bereits verhafteten einstigen Parteiliebling Nikolai Bucharin, der im Dritten Moskauer Schauprozess 1938 zum Tode verurteilt werden sollte, zu verteidigen. Zudem erschien er Stalin als „zu ukrainisch“.2 Im Sommer 1937 schickte Stalin Molotow, den NKWD-Vorsitzenden Nikolai Jeschow und Chruschtschow in die Ukraine, um dort die politischen „Säuberungen“ voranzutreiben. Die massenhaften Verhaftungen begannen dort Anfang 1938, nachdem Stalin den Parteivorsitzenden der Ukraine Kosior abberufen und Chruschtschow zum neuen Republiksführer bestellt hatte. Von den Mitgliedern des Organisationsbüros und des Sekretariats der KP der Ukraine, also von den zentralen Leitungsorganen, sowie von den 17 Volkskommissaren der Ukraine überlebte niemand das Jahr 1938; von 102 ZK-Mitgliedern und -Kandidaten nur drei. Die Partei wurde in diesen Jahren von 37 Prozent ihrer Mitglieder „gesäubert“.3 1937 lebten 154.000 Menschen in Breschnews Heimatstadt Dneprodserschinsk. Von ihnen wurden in den Jahren 1937/38 1468 verhaftet und davon 1139 erschossen. Besonders stark traf es das Metallwerk: Von den 15.000 Mitarbeitern wurden 785 verhaftet und von diesen 705 erschossen.4 Das Jahr 1937

Stalin erzeugte mit den Massenverhaftungen 1937/38 einen Personalnotstand, der jungen Kräften schnelle Karrieren, aber auch große Risiken brachte. Breschnew gehörte der typischen ersten sowjetischen Generation an, die zum Ingenieur ausgebildet und durch den Terror in eine neue Laufbahn katapultiert wurde. Die beginnende „Säuberungs“- und Verhaftungswelle spülte ihn auf neue Posten: weg aus Fabrik und Hochschule, hinein in Stadt- und Parteiämter.

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„Wie der Stahl gehärtet wurde“ oder: Karriere in Zeiten von Terror und Krieg

Seit Januar 1937 schürte der städtische NKWD-Vorsitzende Weniamin Moisejewitsch Paperman die Hysterie in der Dserschinski-Fabrik und eröffnete zunächst die Jagd auf den Fabrikdirektor Josef Petrowitsch Manajenkow (1896– 1938). Manajenkow war als Werksleiter eine bedeutende Persönlichkeit in der Stadt; der berühmte Metallurge Iwan Bardin hatte den einstigen Arbeiter persönlich als „roten Direktor“ 1927 an die Spitze der Fabrik geholt.5 Nun aber hetzte das Büro des Stadtparteikomitees unter der Leitung von Semjon Lyssow: Die Ingenieure der Fabrik kümmerten sich nicht genügend um die Organisation der Stachanow-Kampagne und ihre „Wachsamkeit“ gegenüber „Schädlingen“ habe nachgelassen. Der Vorsitzende des Parteifabrikkomitees Michail Rafailow (1903–1938) wurde ermahnt, die Ingenieure besser zu führen und jede Betriebsstörung als Beleg für die schlechte technische Leitung zu melden.6 Der nächste Schritt ließ nicht lange auf sich warten: Im Februar 1937 wurde eine „konterrevolutionäre Gruppe“ im Kesselwerk der Fabrik Dserschinka entlarvt.7 Im März warf das Parteibüro Manajenkow vor, durch seine „Unterdrückung der Selbstkritik“ hätten „feindliche Trotzkisten“ ihr Schandwerk treiben können. Auch Rafailow wurde dafür verantwortlich gemacht, dass diese „Missstände“ nicht früher entlarvt worden waren.8 Wahrscheinlich weil im Mai der achte Hochofen der Dserschinka unter unionsweiter Aufmerksamkeit angeblasen und als großer Erfolg gefeiert wurde, konnten sich Manajenkow und Rafailow für eine Weile aus der Schusslinie retten.9 Auch Breschnew geriet Anfang 1937 als Leiter des Technikums ins Visier der Hatz auf „Schädlinge“ und „Saboteure“: Die Erweiterung des Lehrgebäudes um einen dritten Stock, die er 1936/37 veranlasst und in Zusammenarbeit mit der Fabrik durchgeführt hatte, war nicht von der Stadtparteileitung abgesegnet worden. Für diese „Eigenmächtigkeit“ drohte ihm Lyssow jetzt mit dem Parteiausschluss. Dieser war meist nur der erste Schritt zu Verhaftung und Anklage.10 Breschnews Nichte sagte später, der NKWD habe ihn im Visier gehabt.11 Doch Breschnew kam mit dem Schrecken davon und erhielt nicht einmal eine Rüge. In seinem Personalbogen gab er 1949 an: „Parteitadel habe ich nicht. Vor Gericht oder im Zentrum von Ermittlungen stand ich nicht.“12 Es ist möglich, dass diese glimpfliche Wendung damit zusammenhing, dass im April der Stadtparteileiter Lyssow versetzt wurde und der Zweite Sekretär Alexei Viktorow eine Zeit lang die Geschäfte übernahm. Er war Breschnew nicht nur gewogen, sondern überredete ihn sogar im Mai 1937, sich in das städtische Parteikomitee wählen zu lassen. Anfang August übernahm Breschnew das Amt des stellvertretenden

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Vorsitzenden des Stadtrats, war also jetzt so etwas wie ein stellvertretender Bürgermeister mit der Zuständigkeit für Bauwesen und Stadtwerke.13 Das war ein großer Karriereschritt, der Breschnew ins Zentrum der Gefahr rückte. Während Roy Medwedew noch schrieb, es lägen keine Anzeichen dafür vor, dass Breschnew in den Terror verwickelt gewesen sei,14 gab es 1937 kaum ein anderes Thema als „Schädlingstum“, Parteiausschlüsse und Verhaftungen, über die auf den Sitzungen des Stadtrats und des Stadtparteikomitees von Dneprodserschinsk unter dem Tagesordnungspunkt „Konfliktfälle“ diskutiert und abgestimmt wurde. Breschnew zeichnete nicht nur für den Parteiausschluss von Kollegen und Freunden verantwortlich, er war auch selbst in Gefahr, verhaftet zu werden. Es ist schwierig, die Jahre 1937/38 unter den Kategorien von Opfer und Täter oder „schuldig – nicht schuldig“ zu verhandeln, weil diese ein Entwederoder und auch eine Handlungsautonomie implizieren, die für viele Menschen in dieser Zeit nicht gegeben war. Breschnew gehörte weder zu denen, die den Terror ins Werk setzten und aktiv vorantrieben, noch zu denen, die Freiheit und Leben verloren. Eher geriet er in einen Sog, der seine Handlungsoptionen auf ein Minimum reduzierte, wollte er nicht sein Leben riskieren. Der Nachfolger des versetzten Parteisekretärs Lyssow, Fjodor Kinschalow, war nach nur wenigen Tagen im Amt noch im April 1937 verhaftet worden. Ihm folgte Jefim Makejew, unter dessen Leitung Breschnew nun arbeitete. Im Juli 1937 jedoch wurden Lyssow, der Erste Sekretär Makejew und der Zweite Sekretär Viktorow, der ihn rekrutiert hatte, verhaftet und noch im Herbst als Volksfeinde erschossen.15 Im Auge des Terrors

Die Bedrohung wurde noch greifbarer, als das Parteibüro am 21. September 1937 German Germanowitsch Pol, den Direktor des Instituts für Metallurgie und Vorsitzenden von Breschnews Prüfungskommission, einstimmig, darunter auch mit Breschnews Stimme, wegen „Verlusts der bolschewistischen Wachsamkeit“ und „Verbindungen zu Volksfeinden“ aus der Partei ausschloss. Pol war Breschnews Mentor gewesen: Er hatte ihn damals am Institut aufgenommen und ihn zum Parteiorganisator gemacht; er wohnte nicht nur im selben Haus wie Breschnew, sondern ging auch mit ihm zusammen jagen.16 Immerhin revidierte das Parteikomitee Pols Ausschluss im März 1938 und wandelte den „strengen Verweis“ in einen einfachen „Verweis“ mit Eintrag in die Kaderakte um.17 Es folgten

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die nächsten Parteiausschlüsse und Verhaftungen von Breschnews Förderern, denen er zustimmte bzw. zustimmen musste: Auf der Sitzung des Parteibüros am 14. November 1937 wurde Rafailow und auf der am 23. November 1937 Manajenkow als Volksfeind aus der Partei ausgeschlossen.18 Sie wurden nach Folter und einem Schnellurteil am 31. März 1938 als Volksfeinde erschossen.19 Wie Pol war Manajenkow Breschnews Freund und Förderer: Ihm hatte Breschnew es zu verdanken, dass ihm 1933 die Leitung der Arbeiterfakultät und 1936 die des Technikums übertragen worden war.20 Auch mit Rafailow muss er als Arbeiter, Parteiaktivist und Ingenieur eng zusammengearbeitet und von dessen Protektion profitiert haben. Am 25. November 1937 wurde auch der geschäftsführende Sekretär des Stadtparteikomitees Konstantin G. Stebljow, der Makejew seit Juli ersetzte, als Volksfeind verhaftet und im Januar 1938 erschossen.21 Da das Stadtparteikomitee nun führungslos war, traten am 28. November 1937 das Plenum des Parteikomitees und das Parteiaktiv für Neuwahlen zusammen. Nachdem die Anwesenden per Handzeichen einstimmig den Ausschluss der Volksfeinde Manajenkow und Rafailow auch aus dem Plenum und dem Parteibüro beschlossen hatten, wählten sie ein neues Organisationsbüro, darunter auch Breschnew.22 Die Rede, die Breschnew auf dieser Sitzung hielt, war in ihrer Struktur und ihrem Tenor vorgegeben: Die Volksfeinde mussten verdammt und die eigene „mangelnde Wachsamkeit“ selbstkritisch eingeräumt werden. Breschnew musste also einen Diskurs bedienen, wollte er sich nicht selbst in Gefahr bringen. Seine Rede ist nicht nur deshalb aufschlussreich, weil sie einer der ersten O-Töne ist, die von ihm überliefert sind, sondern auch deshalb, weil er aus dem möglichen Spektrum zwischen hysterischem Geschrei einer- und sachlicher Anschuldigung andererseits das Letztere wählte. Mehr noch: Er ging fast über das Sagbare hinaus, indem er beteuerte, er habe all diese Ämter gar nicht haben wollen. Breschnew entschuldigte seine „mangelnde Wachsamkeit“ gegenüber dem Feind mit seiner Unerfahrenheit: Ich, Genossen, das jüngste Büromitglied unseres städtischen Parteikomitees, wurde auf dem letzten Plenum des Stadtkomitees der Partei gewählt. Ich möchte mich in keiner Weise rechtfertigen, aber ich spüre in aller Tiefe zusammen mit der Parteiorganisation die große Verantwortung dafür, dass ich nicht die Feinde entlarven konnte, obwohl man sagen muss, dass es genügend Anzeichen gab, genügend Anlässe dazu gab. Im Büro musste die Rede nur auf den Ausschluss der Trotzkisten kommen, da fing

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Rafailow schon mit seiner Schönfärberei an, (…) und die Frage wurde auf die nächste Sitzung vertagt. Ich habe dem Büro den Fall Fertman [Vorsitzender des Stadtsowjets bzw. Bürgermeister, dessen Stellvertreter Breschnew war] aus dem Stadtratkomitee ein Dutzend Mal vorgetragen, aber Rafailow fragte immerzu: „Was beschuldigst du als Neuling Fertman“, und blieb dabei, dass der ein sehr integrer Mensch sei (…).23

Rafailow, Makejew und Viktorow hätten immer wieder erfolgreich die Aufklärung von Schädlingstum verzögert und verhindert: „Auf jeden Fall gab es ältere Büromitglieder, und wenn sie ihre Erfahrung geteilt hätten, dann hätte man diese Frage systematisch angehen können.“24 Im Weiteren konzentrierte sich Breschnew auf die „Folgen des Schädlingstums“ und zeichnete ein Bild von der schweren Lage der Stadt, das im Grunde deutlich erkennen ließ, dass es hier nicht um Sabotage, sondern um eine schwierige Wirtschaftslage ging: Für das Stadttheater war drei Mal ein Budget angewiesen worden, aber das Theater war immer noch nicht restauriert; das Gleiche galt für die Kanalisation, eine Reihe von Gebäuden und die Straßenbahnlinie, die noch nicht fertiggestellt waren. Breschnew forderte als Konsequenz entschiedenes Anpacken auch von Seiten der Partei, keine weiteren Fehler bei der Entlarvung von Volksfeinden und eine bessere Organisation der Arbeit des Parteibüros: Er habe nie die Protokolle erhalten und die Tagesordnungen seien immer schlecht vorbereitet gewesen, es seien weder Parteiaktiven noch Plenen einberufen worden.25 Es ist auffällig, dass Breschnew die Redeteile zu Stadtplanung und Parteiorganisation wesentlich ausführlicher und detailreicher gestaltete als die Forderungen, angesichts von Volksfeinden wachsamer zu sein, die eher formelhaft klingen. Genau genommen lenkte er die Aufmerksamkeit weg vom „Schädlingstum“ hin zu Stadtentwicklungsfragen. Darüber hinaus verzichtete Breschnew nicht nur darauf, den Tod der Ausgeschlossenen zu fordern, was damals zum „guten Ton“ gehörte, sondern auch darauf, weitere Personen zu „entlarven“. Eine erstaunliche Wendung war schließlich, dass er seine Rede mit der Feststellung beendete, er habe gar nicht Mitglied des Stadtsowjets werden wollen und plädiere auch dafür, dass er nicht in das Parteibüro gewählt werde. Zwar war es ein gängiger Diskurs, lieber Produktionsingenieur als Karrierekader sein zu wollen, aber den Ruf der Partei hatte man mit fliegenden Fahnen anzunehmen: Ich denke, dass auf diesem Plenum jeder Kommunist, auch der einfachste, von sich erzählen sollte. Ich bin ein bodenständiger Mensch, ich bin hier geboren. Mit niemandem,

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weder mit Kinschalow noch mit Lyssow noch mit Makejew, mit niemandem hatte ich irgendwelche Beziehungen. Die Aufforderung, im Stadtrat zu arbeiten, erschien mir verdächtig. Ich lehnte es ab, im Stadtrat zu arbeiten, ich bin Ingenieur und wollte diese Arbeit nicht machen, und ich sperrte mich lange. Daraus machten [die Stadtratmitglieder] Karpow, Schtscherbakow und Schupinas eine Affäre, als ob ich etwas gegen die Partei hätte. Ich sagte, dass ich Parteimitglied sei, aber ein solcher Druck erschien mir verdächtig.26

Breschnew gab den Naiven, der sich zudem geweigert habe, zu den Parteikomiteesitzungen zu erscheinen, den aber auch niemand ausreichend in die Arbeit des Parteibüros eingeführt habe.27 Breschnew fuhr in dieser Art fort, als der Reihe nach die sieben Kandidaten zur Wahl in das Büro verlesen wurden: „Ich war zwar nur vier Mal im Büro, aber ich denke dennoch, dass ich einen großen Fehler gemacht habe, und teile vollkommen die Meinung über die Auflösung des alten Büros. Dies ist eine Frage der politischen Ordnung, daher habe ich darüber nachgedacht und denke, dass mein Name von der Liste gestrichen werden sollte.“28 Mit seinem Plädoyer für eine Streichung der eigenen Kandidatur stellte Breschnew auf dieser Sitzung keineswegs eine Ausnahme dar. Ein Großteil der Anwesenden tat das Gleiche und verknüpfte damit sogar die Selbstbezichtigung, Personen ins Amt gebracht oder empfohlen zu haben, die jetzt als Volksfeinde verhaftet waren, oder selbst Verwandte zu haben, die unter Anklage standen. Ein Teil der Kandidaten wurde auf diese Weise nach offener Abstimmung tatsächlich gestrichen.29 Doch der amtierende Stadtratsvorsitzende Pawel Alfjorow, der ein Jahr vor Breschnew sein Studium am Institut für Metallurgie abgeschlossen hatte, sprach sich für Breschnew aus: Ich habe Breschnew als Kandidaten aufgestellt und halte aus folgenden Gründen daran fest. Breschnew ist der Sohn eines echten Arbeiters der Dserschinski-Fabrik, selbst hat Breschnew einige Jahre im Ural gearbeitet. Ich habe mit ihm zusammen im Institut studiert. Er ist ein sehr guter Genosse, sein einziger Fehler ist, dass er ein Jäger ist und zusammen mit Pol gejagt hat; sie wohnten zusammen in einem Haus. Breschnew ist eine junge, sich noch entwickelnde Kraft.30

Ob Breschnew es wollte oder nicht, nach dieser Rede stimmte man einstimmig für die Aufrechterhaltung seiner Kandidatur und wählte ihn in geheimer Abstimmung in das Organisationsbüro.31 Breschnew profitierte somit zwar vom Terror und machte sich auch bei den Parteiausschlüssen anderer schuldig, doch er hatte das Heft des Handelns nicht

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in der Hand, ja war selbst von Anschuldigungen und Verhaftung bedroht. Weder war er ein Hetzer und Scharfmacher, der die „Entlarvung“ und Verhaftung von Kollegen vorantrieb, noch hatte er die Option, sich den rituellen „Entlarvungen“ von „Volksfeinden“ und „Schädlingen“ zu entziehen. Als Mitglied des Stadtrats und des Stadtparteikomitees musste er sich zu den vom NKWD aufgestellten Beschuldigungen verhalten. Er wählte einen Kurs, der anderen möglichst wenig schadete und mit dem er sich selbst nicht in Gefahr brachte. Es ist bemerkenswert und durchaus originell, dass er dabei nicht davor zurückscheute, sich selbst als „bodenständig“ im pejorativen Sinne von „einfältig“ zu bezeichnen, um seine vermeintliche Schuld, Volksfeinde nicht erkannt zu haben, mit Unwissenheit und Naivität zu erklären. Er ging noch einen Schritt weiter, als er behauptete, man habe ihn quasi gezwungen, diese Posten zu übernehmen. Nach allem, was wir aus den 1920er und frühen 1930er Jahren von ihm wissen, entsprach es wohl der Wahrheit, dass er das Amt als stellvertretender Stadtrat nicht hatte antreten wollen: Weder wollte er sich speziell dem Terror aussetzen noch im Allgemeinen in die Politik wechseln. Einen anderen persönlichen Akzent setzte Breschnew innerhalb des vorgegebenen Narrativs, als er versuchte, den „Schädlings“-Diskurs auf die sachliche Ebene von Infrastrukturprojekten zu hieven. Das sind immerhin starke Indizien dafür, dass Breschnew der Hysterie des Großen Terrors nicht erlag, sondern verstand, dass hier Männer, wie er selbst einer war, ans Messer geliefert wurden, weil die Volkswirtschaft nicht leistete, was die Pläne ihr abverlangten. Die Verhaftungen und Parteiausschlüsse liefen auch nach dem November 1937 weiter. Die Leitung des Stadtrats wechselte mehrfach hintereinander im März, Mai und September 1938.32 Die Ersten und Zweiten Sekretäre wurden nur noch als „geschäftsführend“ eingesetzt, weil sie nur wenige Monate im Amt blieben. Breschnew arbeitete jetzt unter G.I. Schupinas, der bereits Ende Januar darum bat, ihn von den Pflichten des Ersten Sekretärs zu entbinden, und unter dem Zweiten Sekretär A.I. Trofimow, der Schupinas im März folgte, als dieser „wegen schwacher Führung“ abgesetzt wurde.33 Neben den „Konfliktfällen“, also den Parteiausschlüssen, standen viele drängende Aufgaben auf der Tagesordnung der Parteibürositzungen, deren Nichterfüllung schnell zu neuen „Schädlingsvorwürfen“ führen konnte. In den Protokollen ist vermerkt, wer zu welchem Thema sprach, so dass wir wissen, zu welchen Sujets sich Breschnew äußerte, allerdings nicht, was er sagte. Als Leiter des Ressorts Bauwesen und Stadtbetriebe behandelte er die Lage der Kolchosen und der Maschinen-Traktoren-Statio-

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nen, den Zustand der städtischen Lebensmittelhandelsorganisation, die Kampagne für die Frühjahrsaussaat und die Arbeit der Brotfabrik.34 Anfang März verpflichtete ihn das Organisationsbüro, dafür zu sorgen, dass das Gebäude des Schewtschenko-Theaters, wegen dessen schlechtem baulichen Zustand mehrere Parteisekretäre als Volksfeinde angeklagt worden waren, bis zum Beginn der Spielsaison im Herbst fertiggestellt würde.35 Breschnew kümmerte sich um die pendelnden Arbeiter, die noch in weit entfernten Dörfern wohnten, eröffnete die Straßenbahnlinie und wurde Mitglied einer Kommission, die die Übergabe der fabrikeigenen Schiffsflotte an die städtische Reederei regelte.36 Zusammen mit dem neuen Ersten Sekretär des Stadtrats Trofimow oblag es ihm, geeignete Räume für die Wahlkommissionen zur Verfügung zu stellen, und er musste zu der Frage Stellung nehmen, warum die Vorgaben des Zentralkomitees und des Ministerrats aus Moskau für die Versorgung der Dnjepr-Region mit elektrischem Strom nicht erfüllt waren.37 Diese Zeit, in der Parteiausschlüsse und Verhaftungen mit einem ständigen Wechsel an der Spitze des Stadtsowjets und der fieberhaften Erfüllung von Plänen und Aufträgen aus Moskau einhergingen, war wahrscheinlich extrem angespannt und nervenaufreibend. Angesichts der vielen Verhaftungen in seinem direkten Umfeld muss auch Breschnew mit der ständigen Angst, verhaftet zu werden, gelebt haben. Wie er mit dieser Bedrohungslage umging, ob er, wie so viele andere, nachts wach lag und darauf wartete, vom NKWD abgeholt zu werden, ob er die Gefahr verdrängte oder die Angst in Arbeitswut ertränkte, ist uns nicht bekannt. Breschnews „Memoiren“ schildern den Großen Terror als eine „interessante Zeit“, in der die Menschen über die Heldentaten ihrer Zeitgenossen staunten und sich über die wachsende Stadt freuten: Es war ein regelrechtes Fest, als die roten Straßenbahnwagen durch die Stadt zu rollen begannen. Ich erinnere mich, wie (in zweiundsechzig Tagen) das schöne Gebäude errichtet wurde, in dem sich auch heute noch der Pionierpalast befindet, wie die Komsomolzen ein Stadion erbauten, wie bei uns viergeschossige „Hoch“häuser mit Balkonen und breiten Fenstern aufkamen. (...) In den Läden gab es mehr Waren. Die Menschen kleideten sich neu ein. Das Leben wurde besser – auch dadurch prägte sich mir die Zeit der Arbeit in Dneprodserschinsk ein.38

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Vom Terror zusammengeschweißt

Breschnew traf auch noch während des Krieges und in den Nachkriegsjahren Männer, die ihm so wichtig waren, dass er sie fest an sich band und später mit nach Moskau nahm. Dennoch scheinen seine Kommilitonen aus Kamenskoje/ Dneprodserschinsk und seine Parteikollegen aus Dnepropetrowsk eine besondere Bedeutung für ihn gehabt zu haben. Nicht von ungefähr setzte sich später für diese Gefolgschaft der Name „Dnepropetrowsker Mafia“ durch, auch wenn sich einige Gefolgsleute aus Moldawien und Kasachstan hinzugesellten. Es ist nicht überliefert, wie diese Freundschaften entstanden, wovon sie getragen wurden, ob es Schicksals-, Zweck- oder Herzensgemeinschaften waren. Man kann aber sagen, dass es außergewöhnlich feste Beziehungen waren und diese Männer gemeinsam durch dick und dünn gingen, als seien sie Blutsbrüder und auf immer miteinander verbunden. Es lässt sich nur vermuten, dass es die Erfahrung des Terrors der Jahre 1937/38, der unmenschliche Erfolgsdruck, der jederzeit in Sabotagevorwürfe kippen konnte, und die omnipräsente Feindhysterie waren, die die Dnepropetrowsker Clique zusammenschweißten. In dieser Zeit war es entscheidend, Menschen vertrauen zu können, sich darauf verlassen zu können, dass sie einen nicht als „Volksfeind“ beschuldigen, als „Verräter“ entlarven und für den Parteiausschluss stimmen würden. Dafür gab es keine Gewähr, aber vielleicht die Hoffnung, Menschen, die eine ähnliche Biographie hatten, aus derselben Region stammten, die Alma Mater teilten, von denselben Personen protegiert worden waren und die gleiche Verantwortung trugen, würden größere Hemmungen haben, einen Weggefährten zu denunzieren. Wenn weder das Recht noch staatliche Institutionen noch gesellschaftliche Organisationen einen davor bewahren konnten, auch bei tadellosem Verhalten als Volksfeind und Verräter angeklagt zu werden, dann blieb als Notanker nur noch das persönliche Netzwerk. Stalins Terror soll auch darauf abgezielt haben, ebensolche Netzwerke von Personen, die sich gegenseitig schützten und deckten, zu zerschlagen, um die Gesellschaft weiter zu atomisieren. Doch der Terror sorgte auch dafür, dass diejenigen, die ihm, wenn auch nur knapp, entkamen, sich umso enger in Personenverbänden zusammenschlossen, die sich nach innen bedingungslos unterstützten und nach außen bestmöglich abschirmten. Stark waren die Netzwerke dann, wenn sie einen durch seine Stellung in Staat, Partei oder Wirtschaft mächtigen Patron hatten, der sie beschützen und mit Ressourcen versorgen konnte.

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Ein solcher Beschützer und Förderer wurde für Breschnew Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, der am 27. Januar 1938 als neuer Parteiführer in die Ukraine kam. Nach der Inhaftierung des Großteils der Parteileitung und angesichts fortwährender Verhaftungen brauchte Chruschtschow ein eigenes Netz von Gefolgsleuten, auf die er sich blind verlassen konnte. Dazu gehörten Demjan Sergejewitsch Korottschenko (1894–1969) und Semjon Borisowitsch Sadiontschenko (1898–1972), die nacheinander in den Jahren 1937 bis 1941 das Dnepropetrowsker Gebietskomitee leiteten und sich daranmachten, die vom Terror zerstörte Partei und eine eigene Hausmacht aufzubauen. Sie lernten Konstantin Stepanowitsch Gruschewoi (1906–1982) kennen, der ein enger Freund Breschnews aus Studienzeiten war und zusammen mit dem Dneprodserschinsker Stadtratsvorsitzenden Alfjorow 1934 ein Jahr vor Breschnew das Metallurgie-Institut abgeschlossen hatte.39 Auf seinen Vorschlag hin machten sie Breschnew am 16. Mai 1938 zum Leiter der Handelsabteilung des Dnepropetrowsker Parteigebietskomitees.40 Das war für Breschnew ein doppelter Karriereschritt: Nach nur einem Jahr als stellvertretender Bürgermeister einer Kreisstadt zog er mit seiner Familie in das rund 45 Kilometer entfernte Gebietsverwaltungszentrum um, wo er nicht mehr in den Staats-, sondern in den übergeordnete Parteistrukturen arbeitete. Laut Dornberg bekam er eine große Altbauwohnung auf der Hauptstraße, dem Karl-Marx-Prospekt, zugewiesen.41 Die nächsten Karriereschritte ließen nicht lange auf sich warten. Als Anfang 1939 Gruschewoi zum Zweiten Sekretär des Dnepropetrowsker Gebietskomitees aufstieg, sorgte er dafür, dass Breschnew am 7. Februar 1939 zum Sekretär für Propaganda befördert wurde.42 In den Akten der Dnepropetrowsker Parteikonferenzen, Plenar- und Bürositzungen finden sich kaum Reden von Breschnew, so dass es scheint, dass er sich hier zurückgehalten und anderen die Bühne überlassen hat.43 Ihm unterstanden jetzt etliche Zeitungen und Zeitschriften sowie eine „Armee“ von 80 Propagandisten.44 Breschnew war damit zuständig für die Verbreitung und Umsetzung der Parteivorgaben: Ihm oblag es, die letzten ukrainisch-nationalistischen Tendenzen zum Schweigen zu bringen, die Republik zu russifizieren, den Schulunterricht und die Presse auf Russisch umzustellen und die Geschichtsbücher nach Vorgaben Stalins neu schreiben zu lassen. Dazu gehörte es auch, den „Kurzen Lehrgang der Geschichte der VKP(b)45“, die maßgeblich von Stalin ­ver­antwortete Geschichtsklitterung zu den Ereignissen der letzten Jahre, auf zahlreichen Lesungen – 2229 allein 1939 – fast einer halben Million Menschen

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nahezubringen.46 Ebenso war es seine Aufgabe, erst den Hass gegen Hitler zu schüren und nach dem Hitler-Stalin-Pakt im August 1939 das neue Bündnis zu loben und den Einmarsch der Deutschen in Polen zu erklären.47 Laut Mletschin gefiel Breschnew seine Tätigkeit als Ober-Propagandist nicht. Er soll später einem kleinen Kreis anvertraut haben: „Ich hasse diesen Blödsinn, ich mag es nicht, mich mit endlosem Geschwätz zu befassen. Mit Müh und Not bin ich das wieder losgeworden …“48 Tatsächlich folgte nach anderthalb Jahren als Propagandasekretär der nächste Posten: Ende September 1940 stieg Breschnew zum Dritten Sekretär des Gebietskomitees auf und kümmerte sich vermutlich in dieser Eigenschaft ab jetzt um die Rüstungsindustrie.49 Formal wurde er auf Vorschlag Gruschewois erst im März 1941 zum Sekretär für die Rüstungsindustrie bestellt.50 Mit Sicherheit falsch ist, was in der englischsprachigen offiziellen Biographie Breschnews behauptet wird: Er sei ab Herbst 1940 Sekretär für Landwirtschaft gewesen.51 Hier wurde offenbar vor dem Hintergrund des Kalten Krieges versucht, jede Verbindung Breschnews mit der Rüstungsindustrie zu verleugnen. Erneut bleibt nur Spekulation, wenn man wissen will, wie Breschnew zu diesen Aufgaben stand: Während die Tätigkeit als Leiter der Handelsabteilung zumindest Ähnlichkeit mit seinen Pflichten in Dneprodserschinsk hatte und eine klare, konkrete Aufgabe umriss – nämlich die Bevölkerung mit ausreichend Lebensmitteln und Waren zu versorgen –, stellte die Propagandaabteilung ein glattes Parkett dar: Die Parolen konnten sich ständig ändern, die Erfolge waren schwer messbar und das Metier forderte eine Schärfe, die Breschnew so, wie er sich bisher gezeigt hatte, nicht zu eigen war. Es ist daher sehr plausibel, dass er erleichtert war, als er diese Tätigkeit gegen die Organisation der Rüstungsbetriebe eintauschen konnte. Das Gebiet Dnepropetrowsk gehörte zu den wichtigsten Industrieregionen der Sowjetunion und lieferte 20 Prozent der Roheisen- und 16 Prozent der Stahlproduktion des Landes.52 Als Ingenieur und Organisator lag Breschnew diese Aufgabe wesentlich mehr. Betriebe und Werke mussten auf die Produktion von Kriegstechnik umgestellt werden: In Lokomotivbauwerken sollten LKW- und Panzermotoren, in metallverarbeitenden Betrieben Geschütze und Munition und in Kleiderfabriken Uniformen produziert werden.53 In den „Memoiren“ heißt es dazu: „Betriebe, die Erzeugnisse für ausgesprochen friedliche Zwecke ge­fertigt hatten, begannen nun, für die Armee zu arbeiten: Das Artjom-Werk produzierte Einzelteile für Kampfflugzeuge, das ‚Komintern‘-Werk Granatwerfer, das

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Dnepr-Hüttenwerk ‚F.E. Dzierżynski‘ Artilleriegeschosse …“54 Breschnew war als Rüstungssekretär ständig unterwegs: „Ich stand mit einzelnen Volkskommissariaten in Verbindung, flog häufig nach Moskau und war viel im Gebiet unterwegs. Freie Tage kannte ich nicht, die Familie sah mich nur selten.“55 Viele seiner engsten Gefolgsleute, die er nach 1964 nach Moskau holte und die ihn als Generalsekretär stützten, lernte Breschnew in diesen Dnepropetrowsker Jahren zwischen 1938 und 1941 kennen und schätzen: vom Chef seiner Leibwache über seine engsten Mitarbeiter bis hin zu den stellvertretenden Ministerpräsidenten und KGB-Vorsitzenden. Viele waren wie er, Gruschewoi und Alfjorow Absolventen des Metallurgie-Instituts in Kamenskoje/Dneprodserschinsk: der spätere stellvertretende Ministerratspräsident (1962–1983) Ignati Trofimowitsch Nowikow (1907–1993), der wie Breschnew in Kamenskoje als Arbeitersohn aufwuchs und Anfang der 1930er Jahre mit ihm dort studierte; Georgi Emanuilowitsch Tsukanow (1919–2001), der sein Studium am Institut 1941 abschloss und ab 1958 bis zu Breschnews Tod diesem als persönlicher Referent diente; sein späterer Kanzleichef Georgi Sergejewitsch Pawlow (1910–1991), der ein Jahr nach Breschnew in Kamenskoje das Ingenieursdiplom erhielt und von Breschnew 1964 zum Geschäftsführer des ZK gemacht wurde, was er bis 1983 blieb. Wer nicht in Kamenskoje/Dneprodserschinsk studiert hatte, war Absolvent des Metallurgie-Instituts in Dnepropetrowsk, wie Nikolai Alexandrowitsch Tichonow (1905–1997), der im Dnepropetrowsker Röhrenwerk als Werkhallenleiter arbeitete und den Breschnew 1965 erst zum stellvertretenden Ministerpräsidenten und 1980 zum Nachfolger Kossygins machte. Oder auch Georgi Karpowitsch Tsinjow (1907–1996), den Breschnew 1939 kennenlernte, als Tsinjow in Dnepropetrowsk Regionsparteisekretär war.56 Er wurde ein enger Freund und 1970 von Breschnew zum Stellvertreter des KGB-Vorsitzenden Juri Andropow ernannt. Seinen späteren Innenminister (1966–1982) Nikolaj Anissimowitsch Schtschjolokow, Arbeitersohn und Ingenieur wie er selbst, lernte Breschnew als Stadtratsvorsitzenden von Dnepropetrowsk (1939–1941) kennen. Andrei Pawlowitsch Kirilenko, Flugzeugkonstrukteur und seit 1938 wie Breschnew in der Politik, lernte Breschnew kennen, als Kirilenko im nur 80 Kilometer entfernten Nachbargebiet Saporoschje als Zweiter Sekretär (1939–1941) tätig war; Breschnew machte ihn 1966 zum ZK-Sekretär und überantwortete ihm bis zu seinem Tod die gesamte Industrie.57 Auch seinen späteren Personenschützer Alexander Jakowljewitsch Rjabenko, der vier Jahrzehnte lang für ihn arbeiten sollte, traf Breschnew bereits 1938 in

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Dnepropetrowsk. Damals war Rjabenko Chauffeur und erhielt die Anweisung, den neuen Sekretär aus dem Parteikomitee abzuholen. Rjabenko berichtete später über ihr erstes Zusammentreffen: „Heraus kam ein junger Kerl im weißen Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln: Lass uns fahren! – Wohin? Ich warte auf den Sekretär des Gebietskomitees Breschnew. – Ich bin Breschnew. – Na dann …“58 Nach dem Krieg gab Breschnew den Befehl, seinen damaligen Fahrer wiederzufinden, und bestellte ihn bald darauf zum Chef seiner Leibwache.59 Außer den wenigen Zeilen Rjabenkos gibt es leider keine Zeugnisse über die Art der Begegnungen und Beziehungen. Breschnew bestach damals offenbar durch sein jugendliches Aussehen und legere Umgangsformen. Viel interessanter ist aber, dass Breschnew seinen ehemaligen Fahrer suchen ließ. So eng war offenbar die Verbundenheit, so groß das Vertrauen, dass es für ihn nur dieser Mann und kein anderer sein konnte. Der gemeinsam durchgestandene Terror 1937/38 und die spannungsreichen Jahre bis zum Kriegsausbruch 1941 müssen diese Männer so zusammengeschweißt haben, wie sie es vermutlich selbst gar nicht in Worte hätten fassen können. Als Konstantin Gruschewoi 1982 starb, soll Breschnew vor dem Sarg seines Freundes auf die Knie gefallen sein und hemmungslos geweint haben.60

Im „Großen Vaterländischen Krieg“ Der „Große Vaterländische Krieg“ hat sowohl für die Sowjetunion im Ganzen als auch für Breschnew persönlich eine immense Bedeutung. Der Sieg über Hitler legte den Grundstein für die Rolle der UdSSR als Großmacht, ließ die letzten Zweifel an der Überlebensfähigkeit dieses politischen Systems verstummen, brachte die Hegemonie über halb Europa und bildete den Ausgangspunkt für den Kalten Krieg mit den USA sowie die Grundlage für die Rolle als zweite Supermacht. Es war Breschnew, der 1965, 20 Jahre nach Kriegsende, dem Gedenken an die sowjetischen Heldentaten eine neue Dimension verlieh, den 9. Mai zum arbeitsfreien Feiertag erklärte, in den kommenden Jahren eine Reihe von „Heldenstädten“ kürte sowie Museen, Kriegsdioramen (teils gemalte, teils dreidimensionale lebensechte Kriegsszenerien) und gigantische Denkmäler bauen ließ und einweihte. Um sich als Generalsekretär durchsetzen zu können, musste er darauf verweisen können, dass er im Krieg an der Front gedient hatte. Zur idealen Biographie gehörte nicht nur, Arbeitersohn, Landneuordner, Schlosser und

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Ingenieur gewesen zu sein, sondern auch seinen Teil zur Verteidigung des Vaterlandes beigetragen zu haben und damit am Mythos „Großer Vaterländischer Krieg“ zu partizipieren. Um das zu unterstreichen, ließ sich Breschnew 1976, zu seinem 70. Geburtstag, zum Marschall ernennen. Auch die „Memoiren“-Trilogie räumte Breschnews Kriegszeit eine Sonderstellung ein, als sie den Band „Das Kleine Land“ 1978 an den Anfang stellte. Die sowjetische Bevölkerung liebte Militärhelden, und Breschnews Ghostwriter versuchten, ihn als zentrale Figur in das Heldenepos des Großen Vaterländischen Krieges einzuschreiben.61 Allerdings führte der sehr plumpe Versuch, den Generalsekretär als genialen Feldherren darzustellen und seine vollkommen durchschnittlichen Aufgaben zu kriegsentscheidenden Heldentaten zu stilisieren, in weiten Teilen der Bevölkerung zum Gegenteil, nämlich dazu, dass Breschnew lächerlich gemacht wurde. So kursierten Scherzfragen wie: „Wofür hat Breschnew den Titel ‚Marschall‘ erhalten?“ Antwort: „Für die Einnahme des Kremls.“62 Oder es wurden Witze erzählt: Stalin ruft vor einer neuen Offensive Marschall Schukow an: „Alles in Ordnung, Georgi Konstantinowitsch [Schukow], Sie können zum Angriff übergehen! Das heißt, nein! Ich muss erst noch Oberst Breschnew nach seinem Rat fragen!“63 Tatsächlich wurde der Lektor von Schukows Memoiren dazu überredet, einen Absatz einzufügen, in dem steht, Schukow habe sich während des Krieges dringend mit Breschnew beraten wollen – in Wirklichkeit kannte er diesen zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht.64 Doch so konnten die Ghostwriter in Breschnews „Memoiren“ aus Schukows angeblichen Erinnerungen zitieren: „‚Uns quälte die Frage, ob die sowjetischen Soldaten und Matrosen in dem ungleichen Kampf durchhalten würden (…).‘ Weiter schrieb der Marschall, daß er gerade dazu meine Meinung hören wollte.“65 Auch dem General und Korrespondenten der Armeezeitung „Roter Stern“ David Ortenberg legten die Redakteure seiner Memoiren im Jahr 1975 nahe, er möge doch über Breschnew auf dem „Kleinen Land“ berichten oder wenigstens seinen Namen erwähnen. Doch während Schukow nachgegeben hatte, weil er um das Erscheinen seiner Memoiren fürchtete, weigerte sich Ortenberg.66 Im krassen Missverhältnis zur großen Bedeutung des Weltkriegs steht dagegen die Tatsache, dass nur wenig darüber bekannt ist, was Breschnew tatsächlich während des Kriegs tat. Bekannt sind seine Stellungen und Aufenthaltsorte, doch war Breschnew weder kämpfender Soldat noch befehlender Offizier, sondern für die moralische Betreuung der Truppe zuständiger Politkommissar. Auch wenn der Band „Das Kleine Land“ das Gegenteil glauben machen will: Bresch-

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new war an keinen kriegsentscheidenden Schlachten beteiligt. Seine Karriere stagnierte in diesen Jahren. „Während der Zeit des Großen Vaterländischen Krieges war ich als Angehöriger der sowjetischen Truppen im Ausland in Rumänien, der Tschechoslowakei, Ungarn, Polen und Deutschland.“67 Er nahm am 24. Juni 1945 an der Siegesparade auf dem Roten Platz teil,68 wurde aber nicht demobilisiert, sondern diente noch ein Jahr in der Bukowina, um diese annektierte Region zu sowjetisieren. Was von Breschnew aus dieser Zeit überliefert ist, sind die Liebschaften, die er während des Krieges mit Soldatinnen gehabt haben soll. Allein sein späteres Verhalten lässt Rückschlüsse auf seine Kriegserlebnisse zu: Im Gegensatz zu Chruschtschow, der nach 1945 keine Kriegsfilme mehr ertrug, zeigte Breschnew eine Schwäche für dieses Genre, das ihn stets zu Tränen rührte.69 Seine Bestrebungen, mit den USA zu einem Ausgleich zu finden und in Europa die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit einzurichten, wurzelten gerade in seinen Kriegserfahrungen. Seine internationalen Gesprächspartner bezeugten, dass die Bezugnahme auf den Krieg nicht nur eine Pose war, sondern Breschnew sichtlich bewegte. Auch wenn er nicht unmittelbar an Kampfhandlungen beteiligt gewesen war, hatte er offenbar doch so viel Grauen gesehen, dass es ihn ein Leben lang prägte. Juni 1941

Wie die allermeisten Sowjetbürger wurde auch Breschnew vom Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion in den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941, eines sonnigen Sonntags, überrascht. Er hatte zusammen mit den anderen Mitgliedern des Parteigebietskomitees bis spät in die Nacht getagt, um über die Umsetzung der neuesten Moskauer Direktiven für die Organisation und die Produktion in der Rüstungsindustrie zu beraten und einen Bericht an Moskau über die letzten Erfolge fertigzustellen. Als sie am frühen Morgen um zwei Uhr das Gebäude des Gebietskomitees verließen, war Breschnew noch zum Flugplatz gefahren, um nach dem Fortschritt der dortigen Bauarbeiten zu schauen.70 Nur wenige Stunden später rief der Zweite Gebietssekretär Gruschewoi das Gebietskomitee erneut zusammen, um mitzuteilen, dass Deutschland die Sowjetunion überfallen habe und Kiew bereits bombardiert werde. Die Aufgabe, die nun alle zu erfüllen hatten, war, in Windeseile die bestehenden Pläne zur Mobilmachung umzusetzen. Breschnew fiel der Auftrag zu, die Stadt- und Regionskomitees des Gebiets zu informieren.71 Aus Kiew kam die Anweisung, dafür zu sorgen, dass

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die für zwölf Uhr angekündigte Radioansprache von Außenminister Molotow für alle Einwohner überall auf den Straßen, Plätzen, in Parks und Fabriken zu hören war, und danach sofort „Meetings“ durchzuführen.72 Die folgenden Tage waren davon bestimmt, einerseits das gegebene Versprechen zu erfüllen, 20.000 Kommunisten für neue Einheiten zu mobilisieren, andererseits der Verpflichtung gegenüber Moskau Folge zu leisten, die Produktion von Rüstungsgütern nicht leiden zu lassen. Breschnew war an beiden „Fronten“ tätig: Er überwachte die Rüstungsproduktion und fuhr dorthin, wo es ­Probleme mit der Mobilmachung gab; geschlafen wurde auf Feldbetten im Gebietskomitee.73 Aber, so behauptet zumindest Gruschewoi, erst eine Woche nach Kriegsausbruch sei ihnen klar geworden, dass der Krieg auch unmittelbar Dnepropetrowsk bedrohte. Erst nach dem 28. Juni habe das Gebietskomitee auf Anweisung Moskaus begonnen, sich auf die Aufnahme von aus dem Westen evakuierten Menschen vorzubereiten und auch die Evakuierung von Dnepropetrowsk zu planen.74 Eine weitere Woche später, am 5. Juli, kam der Befehl, mit der Demontage der ersten Fabriken zu beginnen. Breschnew war nun damit beschäftigt, die planmäßige Demontage und Verladung u.a. der Motorenfabrik zu überwachen.75 Am 9. Juli begannen die Bombenangriffe auf Dnepropetrowsk.76 Breschnew erhielt am 14. Juli seinen Einberufungsbefehl, wie es in seinen „Memoiren“ heißt: auf eigenen dringlichen Wunsch.77 Doch was bisher wenig bekannt war, ist, dass er erst Mitte September zum ersten stellvertretenden Leiter der Politverwaltung der Südfront ernannt wurde und bis dahin Leiter einer Sondergruppe war, die sich offenbar um Evakuierung, Fortifikation und Quartiere für die Armee kümmern sollte.78 Am 7. August kehrte er in dieser Funktion nach Dnepropetrowsk zurück, da sich die Südfront über Dnepropetrowsk, das Donbass und Rostow am Don in Richtung Kaukasus zurückzog.79 Breschnew hatte die Aufgabe, hier das Hauptquartier einzurichten.80 Die Memoiren Gruschewois, die 1974 erschienen, sind mutmaßlich im Sinne Breschnews redaktionell bearbeitet worden. In Anbetracht der Freundschaft der beiden Männer und unseres bisherigen Wissens über Breschnew ist es kaum überraschend, wenn Gruschewoi das Wiedersehen mit dem Kameraden wie folgt beschreibt: Braungebrannt, etwas dünner, energisch, immer wieder seine dicken schwarzen Haare zurückstreichend, die ihm ständig auf die hohe Stirn fielen, begrüßte Leonid Iljitsch seine alten Kameraden mit einem breiten Lächeln, schüttelte Hände, umarmte

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Freunde, und nur an den dunklen Ringen unter seinen Augen, an der Gespanntheit seines Blicks konnte man erahnen, dass sich hinter der äußeren Ruhe Besorgnis und Aufregung verbargen.81

Gemeinsam mit Gruschewoi als Vertreter des Gebietsvorsitzenden und Schtschjolokow als Bürgermeister besichtigte er die Fortschritte bei der Errichtung von Verteidigungsanlagen und in den Rüstungsbetrieben.82 Moskau hatte am 6. August den Befehl erteilt, den Großteil der Fabriken und Kolchosen und die Zivilbevölkerung zu evakuieren. Tags wurde demontiert, nachts insgesamt 99.000 Güterwaggons beladen. Gleichzeitig wurden in der Stadt zwei Partisanenschulen eingerichtet, Panzerzüge gebaut, Panzer repariert und Molotowcocktails hergestellt. Breschnew soll befohlen haben, sämtliche Flaschen der örtlichen Schnapsbrennerei leeren zu lassen, um sie mit Benzin zu füllen. Am 13. August begann der Artilleriebeschuss von Dnepropetrowsk; am gleichen Tag reiste Breschnews Familie in die Evakuierung nach Alma-Ata, Kasachstan, ab, während Breschnew an die Frontlinie zurückkehrte.83 Am 19. August war er wieder in Dnepropetrowsk, diesmal mit den sich unter heftigen Gefechten zurückziehenden Truppen, und blieb hier während der sechs Tage, die der erbitterte und für die sowjetische Seite extrem verlustreiche Kampf um die Stadt währte.84 Stalin hatte den Befehl gegeben, Dnepropetrowsk um jeden Preis zu halten, und Marschall Semjon Budjonny, Befehlshaber der Südfront, hatte auf Nachfrage bestätigt: „Halten bis zum Tod“.85 Breschnew verließ erst am 25. August in letzter Minute mit der Partei- und Armeeführung die Stadt, nachdem ein Großteil der Verteidiger gefallen und eine Dnjeprbrücke bereits von den Deutschen gesprengt worden war.86 Auf dem weiteren Rückzug der Roten Armee vor den Deutschen traf Gruschewoi seinen Freund Breschnew erneut gegen Ende September im Dorf Pestschanka im Dnepropetrowsker Gebiet wieder: „Auf meine Frage zur Lage der Dinge antwortete Leonid Iljitsch kurz, besorgt und sehr gehetzt: ‚Schwer. Wir halten uns mit Mühe.‘ Schlecht sah er aus: abgemagert, die Augen vom Schlafmangel gerötet, das Gesicht halb von der Sonne verbrannt, halb von Müdigkeit verfinstert.“87 Einen ersten Erfolg im verlustreichen Rückzugskampf erlebte Breschnew Ende November 1941 mit, als Rostow am Don zurückerobert und die Wehrmacht bis zu 80 Kilometer zurückgedrängt werden konnte.88 Als Anfang 1942 auf Stalins Verlangen die Südfront tatsächlich vorrücken konnte, bekam auch Breschnew seine ersten zwei Orden.89 Aber als im Mai die

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ebenfalls von Stalin angeordnete Rückeroberung von Charkow in einem Desaster – dem Verlust von 230.000 sowjetischen Soldaten und dem folgenden ungehinderten Vormarsch der Wehrmacht auf die Krim und bis nach Stalingrad – endete,90 degradierte Stalin nicht nur zahlreiche Offiziere wie den Befehlshaber der Südfront Radion Malinowski und Lew Mechlis,91 sondern eine Überprüfung der Politarbeit in der Armee stellte auch Breschnew ein schlechtes Zeugnis aus: Er sei „nicht fähig, einen angemessenen Stimmungsumschwung und ein besseres Verhalten (im Dienst und im Alltag) bei den Mitarbeitern der Politverwaltung der Front herbeizuführen“.92 Alltag eines Politkommissars

Tatsächlich bestand Breschnews tägliche Arbeit darin, die Politarbeit zu organisieren, also die einfachen Politarbeiter anzuleiten und für ihren richtigen Einsatz zu sorgen: Am 20. Dezember habe ich eine Versammlung mit allen Mitarbeitern der Politabteilung der Armee durchgeführt, auf der die Ergebnisse der Frontversammlung und die Aufgaben zur Stärkung der Führung der parteipolitischen Arbeit in den Einheiten diskutiert wurden. Im Zusammenhang mit den bevorstehenden Kampfhandlungen hat die Politabteilung der Armee eine Direktive vorbereitet, in der die konkreten Aufgaben der politischen Begleitung der Operation festgehalten sind. (…) Mit den einzelnen Leitern der Politabteilungen und mit den stellvertretenden Kommandeuren der Armeeeinheiten habe ich individuelle Gespräche hinsichtlich der Politarbeit geführt, um die Bereitschaft zur Kampfoperation und zur Lösung anderer Fragen der parteipolitischen Arbeit in den Einheiten zu gewährleisten.93

Es sind mehrere Anweisungen von ihm erhalten, in denen er eine bessere Organisation der Politarbeit einforderte, die ständige Anwesenheit der Politarbeiter in den Kampfeinheiten anmahnte, verlangte, dass die Politarbeiter ständig im Gespräch mit den Soldaten seien und diese mit ausreichendem Propagandamaterial versorgten.94 Die Autoren seiner „Memoiren“ romantisierten diese Arbeit des Politkommissars und stilisierten ihn zum Seelsorger der Armee: Ein echter Politarbeiter in der Armee schart die Menschen um sich, kennt deren Stimmungen, Nöte, Hoffnungen und Träume, führt sie zur Selbstaufopferung, zur Helden-

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tat. Und wenn man in Betracht zieht, daß der Kampfgeist der Truppen immer als wichtigster Faktor ihrer Standhaftigkeit bezeichnet wird, dann war in den Jahren des Krieges gerade dem Politarbeiter die wichtigste Waffe anvertraut. Er hat Geist und Herz der Kämpfer gestählt. Ohne dies hätten uns weder Panzer noch Kanonen, noch Flugzeuge den Sieg gebracht.95

Dabei suggerierten sie, dass sich Breschnew selbst in ständigem Kontakt mit den einfachen Soldaten befand, während er eigentlich den Politarbeitern übergeordnet war und hauptsächlich deren Einsatz koordinierte. Einen anderen, aber nicht weniger tendenziösen Einblick in Breschnews Tätigkeiten gibt uns der Offizier und Dissident Pjotr Grigorenko, der 1944/45 mit Breschnew neun Monate lang an der 4. Ukrainischen Front diente: So, wie es für einen Politarbeiter üblich war, habe sich Breschnew selten der Frontlinie mehr als drei Kilometer genähert, er sei in der Entourage des Befehlshabers Mechlis aufgetaucht, bei dem er sich ganz offensichtlich einzuschmeicheln versucht habe, indem er sich dienstbeflissen gezeigt und sein Lächeln wie eine Maske auf- und abgesetzt habe. Grigorenko blieb Breschnew persönlich in Erinnerung, weil sich dieser auf einer Parteiversammlung laut und deutlich dagegen ausgesprochen habe, den „strengen Tadel“ aus Grigorenkos Dienstakte zu tilgen: „Respektlosigkeit gegenüber Stalin? Nein, dafür soll er ihn weitertragen! Weitertragen! Weitertragen!“ Sein Gesicht hat die Maske „strengste Belehrung“ aufgesetzt. Sein Finger zeigt bei jedem „Weitertragen!“ in meine Richtung. Und ich dachte plötzlich: „Was für ein Schauspieler! Er ist extra dafür hierhergekommen. Er ist gekommen, um hier vor allen Parteibeamten zu demonstrieren, wie sehr er sich um die Autorität des ‚großen Stalin‘ sorgt, wie sehr er ihn liebt.“96

Grigorenko, der einen persönlichen Groll gegen Breschnew hegte, weil dieser ihn 1978 hatte ausbürgern lassen, unterschlägt hier, wie wenig Spielraum Breschnew hatte, wollte er nicht selbst als Kritiker Stalins gelten. Es ist dabei nicht ausgeschlossen, dass Breschnew – wie viele Kommunisten und auch spätere Dissidenten n den Kriegsjahren unter dem Eindruck des deutschen Überfalls – Stalin verehrte. So ambivalent wie Grigorenkos Aussage ist, so schwer lässt sich prüfen, ob die oben erwähnte Kritik an Breschnew, er könne die Soldaten nicht motivieren, gerechtfertigt war oder nur der Suche nach Sündenböcken entsprang. Letz-

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teres drängt sich jedenfalls auf, wenn man die Begründungen für die insgesamt vier Orden liest, die Breschnew später in den Jahren 1943 und 1944 erhielt, als sich das Kriegsglück zugunsten der Roten Armee gewendet hatte. Sie lobten Breschnew als sehr fähigen und mutigen Politorganisator, der sich immer wieder an die Frontlinie begab, um dort „praktisch“ und „konkret“ die Politarbeit zu organisieren und den Kampf zu gewinnen.97 Sosehr diese Begründungen auch Standardtexte gewesen sein mögen, die Attribute „praktisch“ und „konkret“ machen doch aufmerksam: Einerseits haben wir bisher einen Breschnew kennengelernt, der gut im Umgang mit Menschen war. Andererseits kann man sich durchaus vorstellen, dass es unter den extremen Bedingungen der Front, unter Artilleriebeschuss und als es, vor allem 1941/42, noch an allem mangelte – warmer Kleidung, Nahrung und Munition –, mehr bedurfte als Anweisungen und Ermahnungen, um den Kampfgeist zu beschwören. Und gerade diese Seite seiner Arbeit, die Organisation von Nachschub gleich welcher Art, scheint Breschnews eigentliche Stärke gewesen zu sein. Biograph Dmitri Wolkogonow zitiert aus Breschnews Personalakte: „(…) für die Drecksarbeit ist er sich zu schade, sein militärisches Wissen ist sehr beschränkt. Viele Fragen entscheidet er wie ein Wirtschaftsmann und nicht wie ein Politarbeiter. Die Männer behandelt er nicht gleich, sondern neigt dazu, seine Günstlinge zu haben.“98 Auch wenn wir nicht wissen, in welcher Situation diese Aufzeichnung entstand, so klingt sie doch eher nach dem Breschnew, den wir bisher kennen: Eindeutig war er kein Militär und auch kein Scharfmacher. Seine Stärke war tatsächlich das „Wirtschaften“: das Organisieren, Kümmern, Machen. Diese Eigenschaft heben auch Breschnews „Memoiren“ hervor. Sie zitieren aus einer Direktive, die Breschnew Ende 1943 während des Kampfes um Kiew herausgab. Auch wenn die Ghostwriter damit suggerieren, Breschnew allein habe die Fürsorge um die Soldaten bei der Schlacht um Kiew oblegen, ist davon auszugehen, dass die Quelle an sich nicht gefälscht ist: Tragen Sie ständig Sorge für die Kräfte und die Gesundheit der Soldaten. Die ununterbrochene Versorgung der Soldaten mit Warmverpflegung und heißen Getränken muß zu einer Regel werden, gegen die nicht verstoßen werden darf. Strikteste Kontrolle darüber ist zu sichern, daß alles, was der Staat den Soldaten und Offizieren zur Verfügung stellt, auch restlos zu ihnen gelangt. In dieser Hinsicht gleichgültige und untätige Personen sind streng zur Verantwortung zu ziehen.99

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Biograph Mletschin, der über den Verdacht erhaben ist, er wolle Breschnew loben, zitiert aus einem Bericht, den Breschnew im Dezember 1943 verfasste: „In den Einheiten steht es schlecht um die Versorgung. Es fehlen Fleisch, Fett, Fisch- und andere Konserven. Immer wieder gibt es kein Brot. Offen zeigt sich der Mangel an Winteruniformen. Viele Kämpfer und Offiziere tragen noch ihre Sommerkleidung und unbrauchbares Schuhwerk. Das verschlimmert unsere Lage noch mehr.“100 Unverdächtig und bezeichnend ist auch der Text, mit dem am 27. März 1942 die allererste Ordensverleihung an Breschnew begründet wurde: „Im schwierigen Moment, als die Trassen vom Schnee verweht waren, schaffte er es, die Truppen ununterbrochen mit allem Notwendigen zu versorgen.“101 Breschnew bekam seinen ersten Orden also weniger für Wagemut oder Politarbeit als für das Schneeräumen und das Organisieren von Nachschub. Kriegslegenden

Breschnew machte nicht nur keine Karriere im Krieg, die weiteren Posten, die er infolge der Reorganisationen der Armeen und Frontabschnitte erhielt, kamen eher Degradierungen gleich. Seit Dezember 1941 stand er im Rang eines Brigadekommissars.102 Als zur gleichen Zeit Politbüromitglied Andrei Andrejew an Chruschtschow eine Liste vielversprechender Kommunisten schickte, die im Staatsdienst nützlicher als in der Armee wären, sollen sich darunter Schtschjolokow und zwei weitere Sekretäre aus Dnepropetrowsk, aber nicht Breschnew befunden haben.103 Im Zuge der Restrukturierung der Südfront wurde im August 1942 Breschnew als Stellvertreter die Politverwaltung der Nordkaukasusfront anvertraut, die im September in die Schwarzmeergruppe im Verbund der Nordkaukasusfront umorganisiert wurde.104 Im April 1943 verlor er auch die Zuständigkeit für eine ganze Gruppe und bekam unter Generalmajor Semjon Kolonin nun als Leiter der Politabteilung nur noch eine einzige Armee, nämlich die 18., überantwortet. Zwar erhielt Breschnew die Orden, die alle anderen auch für die Siege der Armee erhielten, aber er bekam keine individuellen Auszeichnungen.105 Als Ende 1942 die einst abgeschafften militärischen Ränge wieder eingeführt wurden und die Politkommissare entweder den Dienstgrad „Oberst“ oder „Generalmajor“ erhielten, musste sich Breschnew mit dem „Oberst“ zufriedengeben.106 Daher unternahmen die Ghostwriter von Breschnews Memoiren später alles, um aus dem gewöhnlichen Oberst Breschnew einen herausragenden Offizier von großer Weisheit und Güte zu stilisieren. Dabei fällt es schwer, zwischen

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Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden, weil es für Letztere nur wenig Anhaltspunkte gibt. So behaupten Breschnews Schreiber, es sei sein ausdrücklicher Wunsch gewesen, „mich nicht wie andere Parteiarbeiter der Front zu leitender Arbeit ins Hinterland“ zu schicken. „Dankbar bin ich schließlich auch dafür, daß 1944 meine Bitte erfüllt wurde, mich nicht in eine höhere Funktion zu berufen, die mich aus dem unmittelbaren Frontgeschehen herausgelöst hätte (…).“107 Es ist nicht auszuschließen, dass dem so war, auch wenn hier die Absicht der Autoren deutlich zutage tritt, Breschnew zum bescheidenen, den einfachen Menschen zugewandten Parteileiter zu stilisieren. Biograph Mletschin behauptet dagegen, Breschnew habe sich wiederholt beschwert, dass er nicht befördert wurde.108 Um diesen Makel des fehlenden Avancements zu vertuschen, versuchten die Ghostwriter, Breschnews Beförderung zum Leiter der Politverwaltung der 4. Ukrainischen Front, die erst nach Kriegsende 1945 erfolgte, vorzudatieren. So ver­ öffentlichte der Marschall Kirill Moskalenko auf Betreiben Breschnews in seinen Memoiren ein Foto, das Letzteren im Krieg zeigt, als er noch Leiter der Politabteilung der 18. Armee war, aber untertitelt wurde: „Breschnew, Leiter der Politverwaltung der 4. Ukrainischen Front“.109 Schließlich taten Breschnew und sein Mitarbeiterstab alles, um einen Heldenmythos rund um die 18. Armee zu begründen: „Mit der 18. Armee ist mein Frontleben verbunden, und sie wurde für immer meine Heimat. In der 18. Armee kämpfte ich in den Bergen des Kaukasus, als dort das Schicksal der Heimat entschieden wurde, focht ich auf den Feldern der Ukraine, überwand ich die Gebirgskette der Karpaten und nahm an der Befreiung Polens, Rumäniens, Ungarns und der Tschechoslowakei teil.“110 Wie gesagt, Breschnew selbst „focht“ überhaupt nicht, und die Rückeroberung von Noworossijsk durch die 18. Armee 1943 war auch nicht kriegsentscheidend. Aber zur großen Empörung von General Ortenberg, der selbst einen Teil der Operationen leitete, stilisierte der „Memoirenband“ „Das Kleine Land“ diese Kriegshandlungen samt Breschnews Teilnahme zu einer „der bedeutendsten Landungen des Großen Vaterländischen Krieges.“111 Das „Kleine Land“, das damals noch nicht so hieß, sondern laut „Memoiren“ von den Soldaten als „unsere sowjetische Erde, getränkt von unserem Schweiß und Blut“, so getauft wurde,112 war der kleine Teil einer Landzunge am Schwarzen Meer vor Noworossijsk, der am 3. Februar 1943 von der Roten Armee als Brückenkopf erobert werden konnte und 225 Tage gehalten wurde, bis endlich im September die Rückeroberung von Noworossijsk gelang. Ortenberg behaup-

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tet, Breschnew sei erst im April als Leiter der Politabteilung der 18. Armee hierhergekommen und habe, anders als es in „Das Kleine Land“ dargestellt wird, nicht bis zur Entscheidungsschlacht im September im felsigen Niemandsland ausgeharrt, sondern nur zwei Mal übergesetzt, um den Soldaten Parteibücher und Orden auszuhändigen.113 Doch die Wahrheit scheint zwischen den „Memoiren“ einerseits und Ortenbergs Erinnerungen andererseits zu liegen, denn Breschnew wurde im März 1943 ein Orden für seine Verdienste beim Vormarsch auf Noworossijsk im Januar 1943 verliehen, er war also tatsächlich schon weit vor April am Ort des Geschehens.114 Der Wahrheit sehr nahe kommt wohl die Schilderung des Generals Andrei Gretschko, der seit Oktober 1942 die 18. Armee kommandierte: Der Leiter der Politabteilung der 18. Armee Oberst L.I. Breschnew kontrollierte, wenn er sich bei den Landetruppen befand, die Vorbereitung zur nächsten Operation und fragte, was die Truppen bräuchten. L.I. Breschnew plauderte mit den Kämpfern, führte Versammlungen mit den Kommandeuren und Politarbeitern durch, war auf Parteiund Komsomol-Versammlungen anwesend und händigte an die neu in die Reihen der VKP(b) Aufgenommenen Parteibücher aus.115

Die Ghostwriter machten auch nicht davor Halt, die Situation, in der Breschnew seine einzige Kriegsverletzung erhielt, in den Memoiren zu einer Heldentat zu verklären und die Verletzung, mit der er ins Lazarett kam, zu verschweigen. Im Rahmen der Befreiung von Noworossijsk im September 1943 setzte auch Breschnew mit einem Landungsboot auf das „Kleine Land“ über, doch das Boot wurde von einer Mine getroffen und in die Luft geschleudert. Während die „Memoiren“ behaupten, dass Breschnew als guter Schwimmer seinen Kameraden heldenhaft wieder in das Boot geholfen habe, ist verbürgt, dass Breschnew ohnmächtig aus dem Wasser geborgen wurde.116 Das berichtete auch 1967 Gretschko in seinen Memoiren, den Breschnew im gleichen Jahr zum Verteidigungsminister ernannte – ohne sich damals offenbar schon darum zu kümmern, Gretschko beim ­Schreiben seiner Memoiren die Feder führen zu lassen.117 Breschnew hatte eine Prellung am Kiefer erlitten, die immerhin so schwer war, dass ihm im Alter das Sprechen schwerfallen sollte.118 Auch sonst scheint der Autor des „Kleinen Landes“ seiner Phantasie freien Lauf gelassen zu haben: Während er von einem Netz von Verteidigungsgräben auf dem „Kleinen Land“ berichtet, in denen das Soldatenleben zwar hart, ent-

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behrungsreich, aber durch Feiern, Schachturniere und Tanzvorführungen durchaus auch kurzweilig gewesen sei, sagten Frontsoldaten aus, dass man weder in den Felsengrund Gräben habe hineintreiben können noch dort irgendeine Annehmlichkeit gehabt habe.119 Die Ghostwriter ließen Breschnew nicht nur als Berater des Oberbefehlshabers Konstantin Lesselidse auftreten, sondern ihn auch den Generalmajor Kolonin belehren: „Du bist Mitglied des Kriegsrates und ich bin Leiter der Politabteilung. Ich muß zwei Schritte voraus sein.“120 Schließlich schrieben sie Breschnew eine weitere heldenhafte Aktion zu: Am 12. Dezember 1943 ergriff er angeblich auf der Straße zwischen Kiew und Schitomir spontan das Maschinengewehr eines gefallenen Schützen und hielt so lange die Stellung, bis Ersatz zur Stelle war: Nur ein Gedanke beherrschte mein ganzes Wesen: Sie dürfen nicht durchkommen! Ich habe wohl weder den Gefechtslärm noch die Kommandos gehört, die in meiner Nähe gegeben wurden. Ich bemerkte nur irgendwann, daß auch jene Gegner fielen, auf die ich gar nicht gezielt hatte: Sie fielen im Feuer der Soldaten, die uns zu Hilfe geeilt waren. Dann berührte einer von ihnen meine Hand: „Überlassen Sie den Platz einem MG-Schützen, Genosse Oberst.“121

Obwohl Breschnew auch diese Heldentat sehr wahrscheinlich nicht vollbracht hat, wurde 1973 an dieser Stelle der Kiewer Chaussee ein großes Denkmal eingeweiht.122 Ebenfalls 1973 bekam Noworossijsk den Titel „Heldenstadt“ verliehen, um die Bedeutung von Breschnews Kriegserlebnissen zu untermauern. Breschnews Freunde und Genossen wirkten an der Fama von dessen Kriegsruhm mit, indem sie als Parteivorsitzende in ihren Republiken in den 1970er Jahren Museen zu Ehren der 18. Armee eröffneten. 123

In den Karpaten Nach der Rückeroberung von Noworossijsk und der Halbinsel Taman sowie schließlich des Brückenkopfes Kertsch und der Krim wurde die Nordkaukasusfront aufgelöst. Die 18. Armee wurde ins Landesinnere verlegt und der 1. Ukrainischen Front unterstellt, die im November 1943 mit Chruschtschow als Mitglied des Militärrats Kiew einnahm. Da nach 1964 Chruschtschow für Breschnew zur Unperson

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wurde, schweigen sich jedoch alle offiziellen Darstellungen über beider Begegnung und Verhältnis aus. Wie das angeführte Foto zeigt und die folgende Karriere sehr deutlich macht, fand Chruschtschow großes Gefallen an dem jungen, hochgewachsenen, gutaussehenden Landsmann Breschnew, der zwölf Jahre jünger war als er.124 Doch während Chruschtschow nach der Einnahme der Ukraine dort blieb,125 um sich um den Aufbau des Landes zu kümmern, kam Breschnew zusammen mit der 18. Armee nach der Einnahme von Lwow im Juli 1944 am 5. August 1944 zur 4. Ukrainischen Front. Als Offizier, der „Autorität besitzt“, erhielt er endlich den Rang eines Generalmajors.126 Unter Generaloberst Iwan Petrow und dessen Berater Mechlis begann die 4. Ukrainische Front Anfang September die OstkarpatenOperation und kämpfte sich 1945 weiter bis nach Prag durch. In Breschnews „Memoiren“ heißt es: „In erbitterten Kämpfen befreiten wir Städte und Dörfer, zogen durch die Gebiete Kiew, Winniza, Chmelnizki, Chernowitz, Lwow und andere Gebiete der Ukraine und erreichten die Karpaten.“127 Die Bedingungen bei der Überwindung der Bergkette müssen unmenschlich gewesen sein, wie General Gretschko aus einem Bericht zitiert, den Breschnew an den Militärrat der 4. Front schickte: Der Vormarsch in den Karpaten war von großen Schwierigkeiten begleitet. Zusammen mit den Kämpfen musste auf 100 Kilometern Breite eine Bergkette überwunden werden (…) Die Schwierigkeiten der Kämpfe wurden noch dadurch erschwert, dass es hier zahlreiche Gebirgsbäche und -flüsse mit steilen Ufern und sehr unterschiedlichem Wasserstand gibt. Wenn es hier regnet, und das kommt in den Bergen oft vor, kann das Wasser auf drei bis fünf Meter ansteigen und die Flüsse fast unpassierbar machen. Die Versorgung der Armee musste ausschließlich durch Kraftwagen durchgeführt werden, da die Eisenbahnlinie vom Feind zerstört worden war.128

Auch wenn dieser Text vieles nur andeutet, lässt sich doch erahnen, unter welchen Strapazen die Soldaten vorrückten. Breschnew musste sich erneut als Nachschuborganisator beweisen. Zu den üblichen Themen des Politunterrichts wie „Genosse Stalin – Führer und Organisator unserer großartigen Siege“ nahm Breschnew jetzt auch ins Programm: „Über die Besonderheiten von Kriegshandlungen in den Bergen“.129 Am 28. Oktober 1944 erreichte er Uschgorod, die Hauptstadt der KarpatenUkraine, die einen Tag zuvor von der Roten Armee eingenommen worden war.130 Breschnew blieb hier nicht nur, bis Anfang 1945, über zwei Monate, um in die-

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ser Zeit sowjetische Strukturen aufzubauen; er wurde auch im Sommer 1945 erneut hierhergeschickt, um die Angliederung dieser Region an die Ukraine umzusetzen.131 Das Neue an der Situation war, dass die 1. und die 4. Ukrainische Front seit September 1944 außerhalb sowjetischen Territoriums operierten und erst auf polnischem, dann auf tschechoslowakischem Gebiet kämpften. Das bedeutete für Breschnew als Politoffizier, dass er sowohl die eigenen Truppen im Umgang mit der Zivilbevölkerung schulen als auch die lokale Bevölkerung davon überzeugen musste, dass die Rote Armee als Befreierin gekommen war. Die Rote Armee hatte es jetzt nicht mehr nur mit der abrückenden Wehrmacht zu tun, sondern mit bewaffneten Banden ukrainischer Nationalisten, die, oft in Uniformen der sowjetischen Streitkräfte getarnt, Armeeeinheiten überfielen, Waffen erbeuteten, Rotarmisten in Hinterhalte lockten und vor allem jene töteten, die in den Dörfern bei den Bauern Lebensmittel und Getreide eintrieben. Im August 1944 waren in Breschnews Einheit neun Soldaten von den Gefolgsleuten Stepan Banderas, der für die ukrainische Unabhängigkeit kämpfte, erschossen worden.132 In Breschnews „Memoiren“ heißt es: „Die Kämpfe tobten, und keinen Augenblick wurde die parteipolitische Arbeit in den Truppen unterbrochen. Außerdem mußte den einheimischen Genossen, den Kommunisten, die aus der Illegalität gekommen waren, geholfen werden, ein neues Leben aufzubauen. Eine politische Großveranstaltung nach der anderen fand statt: eine Parteikonferenz, ein Gewerkschaftskongreß, eine Jugend- und eine Frauenkonferenz.“133 Die offizielle englischsprachige Biographie akzentuiert Breschnews Tätigkeiten etwas anders: Generalmajor Breschnew war direkt in die Arbeit involviert, eine Schule, Geschäfte und medizinische Einrichtungen zu öffnen sowie Fabriken und Werke wieder in Betrieb zu nehmen. Auf seine Initiative hin wurden 9 Millionen Pfund Getreide aus den Armeereserven an die bedürftige Bevölkerung verteilt. Er sprach auf Versammlungen und Kongressen. (…) Gleichzeitig leitete er weiterhin die Partei- und Politarbeit in der 18. Armee, die weiter an militärischen Operationen beteiligt war.134

Die ersten überlieferten Notizen Breschnews stammen aus diesen zwei Monaten; sie sind kaum nach Daten gegliedert, sondern eher Gedächtnisstützen, die ihm offenbar beim Organisieren halfen. Dabei blieb die Versorgung nicht nur der Bevölkerung, sondern auch der Armee mit Lebensmitteln, Kleidung und

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Schuhen eine der größten Herausforderungen.135 Wegen schlechter Nahrung, fehlenden warmen Mahlzeiten und der ausbleibenden Möglichkeit, sich ab und zu aufzuwärmen, desertierten in dieser Zeit acht Soldaten.136 Breschnew kümmerte sich in diesen zwei Monaten um Geschäfte, Bildergalerien und Theater sowie Schulen und Lehrbücher, aber auch Enteignung von Grundbesitz und die Umverteilung von Land an Bauern.137 Er ließ nicht nur Kriegsbeute wie ein Klavier an Chruschtschow und einen Opel an den Leiter der Politverwaltung der 4. Ukrainischen Front Michail Pronin abtransportieren.138 Er musste sich auch mit Plünderungen und Vergewaltigungen durch die Soldaten seiner Armee auseinandersetzen.139 Während zuvor Breschnews Politarbeit auch darauf ausgerichtet gewesen war, Hass zu schüren, war er jetzt dafür verantwortlich, den Soldaten beizubringen, dass die Zivilbevölkerung nicht der Feind sei.140 Nicht nur deshalb drang er darauf, die Politarbeit unter den Soldaten zu verstärken. Er musste auch die neue Direktive umsetzen, Soldaten nicht mehr pauschal in die Partei aufzunehmen, sondern sie wie vor dem Krieg auf Herz und Nieren zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie wirklich würdige Kommunisten und nicht nur auf Privilegien aus waren.141 Doch die Hauptaufgabe bestand in der politischen Neustrukturierung der Region. Zwar hatte Stalin dem tschechoslowakischen Präsidenten im Exil, Edvard Beneš, sein Wort gegeben, dass er sich in die politische Zukunft dieser Gegend nicht einmischen werde.142 Tatsächlich hatte er aber Mechlis die Anweisung erteilt, das Gegenteil zu tun. Er und der ihm unterstellte Breschnew unternahmen alles, um den Delegierten der tschechoslowakischen Exilregierung in London, František Nemec, daran zu hindern, Verwaltungsstrukturen aufzubauen. Gleichzeitig sorgten sie dafür, dass für die Nationalkomitees, auf deren Einrichtung sich Beneš und Stalin geeinigt hatten, ausschließlich Personen nominiert wurden, die sich für den Anschluss an die Sowjetunion aussprachen.143 Breschnews Aufzeichnungen beginnen mit einer Liste derjenigen Personen, die sie am 28. Oktober 1944 in einen provisorischen Stadtrat wählen ließen. Akribisch notierte er zu jedem der 24 Kandidaten, wie dieser sich verhalten hatte, als 1939 Ungarn diesen Teil der Tschechoslowakei besetzt hatte: Hatte er kollaboriert, war er geflohen oder in den Untergrund gegangen, war er Beneš-Anhänger oder Kommunist?144 Unter Mechlis’ und Breschnews Ägide wurden Herrschaftsorgane nach sowjetischem Vorbild eingerichtet: In Mukatschewo, das am 26. Oktober 1944 eingenommen worden war,145 ließen sie am 13. November eine Parteiversammlung

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einberufen, die ein Volkskomitee wählte, das eine erste Parteikonferenz für den 19. November und einen Kongress für den 26. November vorbereitete. Die Rote Armee unter General Petrow verweigerte dem Abgesandten von Beneš, František Nemec, die Einreise nach Mukatschewo, während sich der moskautreue Kommunist Iwan Iwanowitsch Turjanitza frei im angeblichen „Kampfgebiet“ bewegen konnte.146 Unter der Aufsicht von Mechlis und Breschnew wählten Konferenz und Kongress Turjanitza zum ZK-Sekretär und Vorsitzenden einer Volksregierung, die sich sogleich für die Vereinigung mit der Ukraine aussprach. Mit Hilfe der Roten Armee gründete Turjanitza sodann drei kommunistische Zeitungen und ließ Flugblätter unter der Bevölkerung verbreiten, um die Vereinigung mit der Sowjetunion zu propagieren.147 Der Kongress entsandte außerdem eine Delegation nach Kiew und Moskau, um dort um die Aufnahme in die Sowjetunion zu bitten.148 Es folgten weitere konstituierende Versammlungen der Jugend, der Frauen und der Lehrer.149 Parallel ließ der NKWD alle jene verhaften, vor Gericht stellen und hinrichten, die sich gegen die Sowjetisierung wehrten.150 Der Delegierte der Exilregierung Nemec suchte mehrfach das Gespräch mit Petrow und Mechlis, um Aufklärung über die Vorgänge zu erhalten, doch die Befehlshaber der sowjetischen Armee behaupteten stets, sie würden sich in die politischen Angelegenheiten nicht einmischen.151 Ob Breschnew bei diesen Treffen zugegen war, ist unklar; er wird aber direkt von Mechlis darüber informiert worden sein.152 In Breschnews „Memoiren“ wird der Aufbau dieser politischen Strukturen freilich als selbstbestimmtes Handeln der örtlichen Bevölkerung dargestellt: Die Atmosphäre der Freiheit hatte die ganze Bevölkerung der Ukraine im Karpatenvorland zu politischer Aktivität angeregt. (…) Überall wurden Volkskomitees geschaffen und ihr erster Kongreß vorbereitet. Als ich dann dem Kongreß beiwohnte, sah ich, mit welch großem Enthusiasmus der historische Beschluß über die Wiedervereinigung des Karpatenvorlandes mit dem Sowjetvolk angenommen wurde.153

In der offiziellen Regionalgeschichte der Karpaten aus dem Jahr 1969 heißt es, Breschnew habe einen großen politischen und ideologischen Beitrag geleistet: „Die Karpaten-Bewohner erinnern sich mit Freude seiner Auftritte auf den Versammlungen und Meetings der Werktätigen (…).“154 Tatsächlich findet sich der Text einer solchen „Petition der Uschgoroder Bürger“, in die Sowjetunion aufgenommen zu werden, mit redaktionellen Anmerkungen und Korrekturen in

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Breschnews Aufzeichnungen. Wenn er ihn nicht selbst geschrieben hat, hat er ihn zumindest redigiert.155 Aus Breschnews Aufzeichnungen geht eindeutig hervor, dass die Politische Leitung der Armee die Entscheidungen plante und abstimmte, die dann die „Bevölkerung“ zu beschließen hatte. Dazu gehörte auch die „Begrüßung der Roten Armee“.156 Die Bemühungen, das eingenommene Gebiet als ukrainisch-sowjetisch zu deklarieren, gingen so weit, dass Breschnew verlangte, es müsse unterbunden werden, dass Rotarmisten auf die Gräber ihrer Kameraden „Er fiel für die Befreiung der Tschechoslowakei“ schrieben; stattdessen solle dort stehen: „Er fiel für die Freiheit unserer sozialistischen Heimat“.157 Nach Kriegsende

Im Januar 1945 begann die Westkarpaten-Operation. Breschnew zog mit der 18. Armee weiter über die Hohe Tatra, wo die Politabteilung der 18. Armee unweit der Stadt Zakopane im Dorf Czarny Dunajec ihr Lager aufschlug. Von März bis Kriegsende nahm die 18. Armee an der Mährisch-Ostrau-Operation teil, die schließlich am 8. Mai Prag befreite. Aus dieser Zeit stammt auch Breschnews Bekanntschaft mit Ludvik Svoboda, dem späteren Präsidenten der Tschechoslowakei, der seit 1943 die 1. Tschechoslowakische Brigade befehligte, die zusammen mit 1. Ukrainischen Front Kiew befreit hatte und danach an der KarpatenOperation teilnahm. Vermutlich kamen Svoboda und Breschnew am 21. Januar 1945 gemeinsam nach Košice, das die 18. Armee zusammen mit der Tschechoslowakischen Brigade befreite und das fortan als provisorischer Sitz der Regierung der Nationalen Front diente.158 Auch bei der Einnahme Prags am 8. Mai 1945 und der Gefangennahme der letzten noch kämpfenden deutschen Truppen auf tschechischem Boden am 12. Mai 1945 war Breschnew zugegen.159 Die gemeinsame „Befreiung“ der Tschechoslowakei durch die Tschechoslowakische Brigade unter Svoboda und sowjetische Truppen der 18. Armee sollte 1968 für Breschnew eine entscheidende Rolle bei der Bewertung eines möglichen Abfalls der ČSSR spielen und ließ ihn von der „Undankbarkeit“ seines tschechoslowakischen Partners sprechen. Der Krieg war vorbei und Breschnew erhielt kurz darauf die Beförderung zum Leiter der Politverwaltung der 4. Ukrainischen Front.160 Es folgte der große Tag der Siegesparade auf dem Roten Platz am 24. Juni 1945; das Bild zeigt einen sehr stattlichen, selbstbewusst lächelnden Breschnew in Paradeuniform, die Brust voller Orden.161 Breschnew war es gestattet worden, zu diesem Feiertag seine

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Familie aus Dnepropetrowsk kommen zu lassen, die er seit 1941 nicht mehr gesehen hatte und die nun eine Woche lang in Moskau bei ihm war. Seine Mutter, seine Frau und die Kinder waren im November 1943 nach der Befreiung von Dnepropetrowsk aus Kasachstan zurückgekehrt.162 Da es bei der Parade in Strömen goss, verbrachte Viktorija Petrowna den ganzen Tag damit, die Ausgehuniform ihres Mannes mit einem Bügeleisen bis zum Festbankett am Abend wieder zu trocknen.163 Im Hotel „Moskau“ will Breschnew dann bis spät in die Nacht mit dem Kampfpiloten Alexander Pokryschkin gezecht haben. Als die Kellner die beiden hinauskomplimentieren wollten, fing Pokryschkin an, um sich zu schießen. Stalin, dem das zu Ohren kam, soll gesagt haben: „Ein Kriegsheld darf das.“ Breschnew selbst, der diese Anekdote später auf seinem Jagdsitz zum Besten gab, erzählte, er habe sich in dieser Nacht noch lange im Kreml mit der dort ausgestellten historischen Zarenglocke „unterhalten“.164 Für Breschnew änderte sich die Tätigkeit mit Kriegsende nicht. Am 9. Juli 1945 wurde aus den Truppen der 4. Ukrainischen Front der Wehrkreis Karpaten mit Hauptquartier in Czernowitz gebildet. Breschnew wurde im August 1945 die Leitung der Politverwaltung ebendieses Wehrkreises übertragen.165 Stalin ernannte ihn auf Empfehlung Mechlis’, der Mitglied im Militärrat dieses Wehrkreises wurde, und Chruschtschows.166 Breschnew sollte die Sowjetisierung dieser annektierten Region – von Ruthenien (Ostgalizien und Wolhynien), das vorher zur Tschechoslowakei gehörte, und der Rumänien geraubten nördlichen Bukowina – durchsetzen, eines Gebiets, das laut dem Londoner Abkommen von 1943 der Tschechoslowakei zustand, das Stalin aber der Ukraine einverleibte.167 Breschnew nahm ein Flugzeug nach Dnepropetrowsk, um seine Familie abzuholen.168 Er diente weiter unter Andrei Jerjomenko, der seit März 1945 die 4. Ukrainische Front befehligte und im Juli Kommandeur des Karpaten-Wehrkreises wurde.169 Dieser Wehrkreis, für den Breschnew mit Sitz in Czernowitz die politische Leitung übernahm, war groß und heterogen: Er umfasste sowohl altukrainische Gebiete wie Winniza als auch die von der Slowakei abgetrennte Karpaten-Ukraine und das von Rumänien erbeutete Gebiet Czernowitz. Die Sowjettruppen wurden weiterhin von der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) und der Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN) bekämpft; Breschnew sandte hierüber regelmäßig Berichte nach Moskau.170 Biograph Dornberg ist der Meinung: „Wenn Breschnew – wie andere sowjetische Führer – in seiner politischen Laufbahn etwas zu verschweigen hat, dann sind es mit größter Wahrscheinlichkeit Taten, die er in jenen Tagen beging.“171

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Abb. 9: Generalmajor Breschnew (Mitte) bei der Siegesparade auf dem Roten Platz unter dem Banner der „4. Ukrainischen Front“, links Generaloberst Kirill Moskalenko, rechts Generalleutnant Andrei Bondarjow, 24. Juni 1945.

Bislang weist nichts darauf hin, dass Breschnew hier persönlich Schuld auf sich lud. Es ist aber Dornberg insofern zuzustimmen, als Breschnew hier wahrscheinlich entscheidende Erfahrungen machte, die ihn später zum Generalsekretär befähigen sollten. Über diese Zeit ist kaum etwas bekannt, da es in den meisten offiziellen Biographien Breschnews nur lapidar heißt, dass er nach Kriegsende noch ein Jahr in der Armee verblieb und erst Mitte 1946 demobilisiert wurde. Sowohl die offiziellen Publikationen als auch Breschnews „Memoiren“ schwei-

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gen sich über Breschnews Tätigkeiten in den Jahren 1945/46 aus. Weder hat Biograph Mletschin Dokumente über diese Zeit gefunden noch konnte Murphy rekonstruieren, was in den Karpaten geschah. Während Breschnew im Oktober und November 1944 zahlreiche Notizen über seine Tätigkeit verfasste, sind für die Jahre 1945/46 keine Aufzeichnungen von ihm überliefert. Und auch die Online-Ausstellung über Breschnew des Archivs für Zeitgeschichte gibt für diese Zeit keine Dokumente frei.172 Dornberg umreißt Breschnews Aufgaben mit wenigen Sätzen: Die Eingliederung (…) in die Sowjetunion bedeutete eine vollkommene soziale und wirtschaftliche Umwälzung, Zwangskollektivierung der Landwirtschaft und fortdauernden Kampf gegen schwerbewaffnete antikommunistische Widerstandsgruppen, die sich in der Berglandschaft als Partisaneneinheiten eingenistet hatten. (…) Der Widerstand gegen die Sowjetisierung mußte niedergeschlagen, die Repräsentanten des ‚bürgerlichen Nationalismus‘ deportiert und liquidiert werden.173

Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Berichten von Breschnew an den Leiter der Hauptpolitverwaltung, Generaloberst Josef Schikin, in denen er die bewaffneten Überfälle von ukrainischen Nationalisten meldete. Die „Banden“ hatten es auf diejenigen abgesehen, die mit den neuen Machthabern kooperierten. Vor allem die Vorsitzenden der Dorfräte und Kolchosen, aber auch Müller, Lehrerinnen und Komsomolmitglieder wurden entführt, erhängt oder erschossen, Gebäude angezündet oder mit Granaten zerstört. Die Partisanen schüchterten demobilisierte Soldaten ein, raubten ihre Uniformen und setzten sie unter Druck, sich ihnen anzuschließen.174 Um der Lage Herr zu werden, den „Terror“ einzudämmen und die anstehenden Wahlen zum Obersten Sowjet zu schützen, ließ Breschnew entsprechend seinen Direktiven Anfang Januar 1946 1000 kleine Truppeneinheiten über das ganze Gebiet verteilt stationieren.175 Außerdem verboten Jerjomenko, Mechlis und er Menschenansammlungen. Sie wiesen die Truppen an, weder von der Bevölkerung Alkohol oder Lebensmittel anzunehmen, weil diese vergiftet sein könnten, noch sich mit Frauen einzulassen, die Spione sein könnten.176 Um den Widerstand gegen die Sowjetmacht zu brechen, wurden Polen, Slowaken, Tschechen, Rumänen und Juden ausgesiedelt; allen anderen Minderheiten wurde verboten, ihre nationale und kulturelle Identität zu leben.177 Die Instrumente der Sowjetisierung waren dieselben, die die Bolschewiki bereits in der Sowjetunion selbst bzw. nach 1939 in den annektierten

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Gebieten eingesetzt hatten: Industrialisierung, Kollektivierung der Landwirtschaft, Einrichtung und „Säuberung“ der üblichen Parteistrukturen, Auffüllen bzw. Ersatz der Funktionseliten durch sowjetische (hier: ukrainische) Kader, Ansiedlung von sowjetischen (hier: russisch-ukrainischen) Facharbeitern und technischen Spezialisten, Aufbau der Propagandaeinrichtungen und Kontrolle der Medien, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Ausbau des Schulwesens (hier sogar Gründung einer Universität in Uschgorod), Verfolgung, Verhaftung, Deportation und Erschießung von allen, die sich in irgendeiner Form widersetzten, nationalistisch erschienen oder der katholischen Kirche angehörten.178 Breschnew gehörte zwar keiner zivilen Verwaltungseinrichtung an, ihm oblag aber als Mitglied des Militärkommandos und Leiter der Politverwaltung der Armee die Oberaufsicht über die Propagandaarbeit. Er hatte sicherzustellen, dass Letztere sich in die richtige Richtung entwickelte und die vorgegebenen Vortragsthemen wie „Lenin und Stalin“, „Die Rede des Genossen Stalin vor den Wählern am 9. Februar 1946“ oder „Zum 28. Jubiläum der Roten Armee“ unter die Soldaten gebracht wurden.179 Viele seiner Tätigkeiten knüpften an Aufgaben aus der Vorkriegszeit an: Als oberster Propagandist war er für die Schulung der Kader, die Abhaltung von Versammlungen und die Neuaufnahmen in die Partei zuständig. Mit der Eröffnung der Marxistisch-Leninistischen Abenduniversität in Czernowitz im Oktober 1945 und der Einrichtung zahlreicher Clubs und Bibliotheken hatte Breschnew wieder auf seinem angestammten Terrain der Verwaltung und Organisation zu tun, da er sich um die Beschaffung von Räumen, deren Renovierung und Möblierung, aber auch das richtige Kinoprogramm und Laienkonzerte kümmern musste.180 Biograph Dornberg urteilt: Es muß ein ausgezeichnetes Training für jene Aufgabe gewesen sein, die ihm fünf Jahre später in der Moldau-Republik zugewiesen wurde, einem anderen Stück rumänischen Territoriums, das Teil der UdSSR geworden war. Am wichtigsten war dabei jedoch, daß ihm dieser Auftrag in der Karpaten-Ukraine die ständige Aufmerksamkeit Chruschtschows sicherte. Als Breschnew schließlich im August 1946 die Uniform ablegte, war er zweifellos ein zuverlässiges und auserwähltes Mitglied in Chruschtschows Gefolge.181

Dem ist wenig hinzuzufügen, außer dass Breschnew für ein weit größeres Territorium als nur die Karpaten-Ukraine zuständig war. Als am 3. Mai 1946 der Lwower Wehrkreis dem Karpaten-Wehrkreis angeschlossen wurde, sah es kurz

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so aus, als würde Breschnew einen neuen Posten in Lwow bekommen.182 Stattdessen aber erhielt er seine Entlassung aus der aktiven Armee. Auswirkungen des Krieges

Breschnews wirkliche Aufgaben während des Krieges stehen also in einem Missverhältnis zu den Heldentaten, die ihm später zugeschrieben wurden. Doch auch wenn es über diese Zeit mehr Desinformation als verlässliche Quellen gibt, lassen sich mehrere Beobachtungen machen: Erstens wurde Breschnew immer wieder als „Wirtschafter“ beschrieben, für seine Sorge um die Soldaten geschätzt und von General Gretschko dafür gelobt, dass er sich für Details interessierte.183 Auch wenn sehr deutlich wird, dass seine Ghostwriter mit allen Mitteln versuchten, dieses Bild des fürsorglichen Parteiführers plakativ auszuschmücken, sind doch genügend der angeführten Quellen glaubwürdig und unverdächtig. So erzählte I.F. Urussow nach der Lektüre von „Das Kleine Land“, dass er als Politkommissar mit Breschnew einmal mit dem Landeboot habe übersetzen müssen und Breschnew, als er Urussows Angst bemerkt habe, ihn durch Scherzen und gutes Zureden abgelenkt habe.184 Zweitens lässt sich nicht bestreiten, dass Breschnew auch drei Kilometer hinter der Front sehr viel von dem Grauen sah, das den Krieg ausmachte, und hautnah miterlebte, unter welchen entbehrungsreichen Bedingungen die Soldaten kämpfen mussten. Anders als Chruschtschow verlor er keine nahen Angehörigen im Krieg. Aber allein die Erfahrung, auf eine Mine zu fahren, ins Wasser geschleudert und daraus bewusstlos geborgen zu werden, wird nicht nur physische Spuren bei Breschnew hinterlassen haben. Als er 1950 in Moldawien den aus Noworossijsk stammenden Viktor Golikow traf, den er sofort zu einem seiner engsten Vertrauten und Mitarbeiter machte, vertraute er diesem mit zitternder Stimme an: „Ich habe dort gekämpft. Grausam waren die Kämpfe dort. Viktor … ich wäre in Noworossijsk mehrmals fast umgekommen. Glaub mir, ich habe den ganzen Krieg mitgemacht, aber das wahre Inferno war für mich in deiner Heimatstadt.“185 Drittens begründete Breschnew mit seiner Kriegserfahrung später in den 1970er Jahren seine Bemühungen um den Friedensprozess in Europa und einen Ausgleich mit den USA. Seine westlichen Gesprächspartner glaubten ihm größtenteils, dass seine emotionalen Ausführungen zum Krieg echt und nicht nur Pose waren. Dass ihr „Chef “ bei Kriegsfilmen stets zu Tränen gerührt war, emp-

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fanden manche ZK-Mitarbeiter als peinlich. Aber die Filmbranche profitierte davon: Während 1970 die Zensurbehörden das Epos „Weißrussischer Bahnhof “ über eine unzerbrechliche Kriegsfreundschaft verbieten wollten, weil die Miliz darin in ein schlechtes Licht gerückt wurde, begann Breschnew während der Filmvorführung zu schluchzen, als Bulat Okudschawas Lied über das Fallschirmjägerbataillon erklang.186 Der Film konnte gezeigt werden und das Lied wurde fortan in Breschnews Gegenwart oft gespielt. Viertens traf Breschnew während des Krieges wichtige Personen (wieder), die für seine Karriere bzw. in dieser entscheidend sein sollten. 1942 lernte er in der Schwarzmeergruppe der Nordkaukasusfront Lew Mechlis kennen, der sich offenbar Breschnews als degradierten Leidensgenossen annahm und ihn nach Möglichkeit protegierte. Mechlis war Mitglied des Militärrats an den Fronten, an denen auch Breschnew eingesetzt war, zuletzt in den Karpaten. Auch Kirilenko, den er aus Dnepropetrowsk kannte und später zu einem seiner engsten Vertrauten im Politbüro machte, sah er während des Krieges: Kirilenko war 1941/42 Mitglied des Militärrats der 18. Armee, als diese noch der Südfront und damit Breschnews Politverwaltung unterstellt war.187 Weiter fühlte sich Breschnew Gretschko verbunden, der u.a. als Kommandeur der 18. Armee die Schlachten vom Nordkaukasus über Lwow und die Karpaten bis Prag mit leitete, deren politische Vorbereitung Breschnew als Politoffizier oblag. Gretschko berichtet in seinen Erinnerungen, wie sie gemeinsam im August und Oktober 1944 mit Breschnew, Mechlis und anderen Versammlungen und Beratungen durchführten, um die Einheiten der 18. Armee auf die Karpaten-Operation vorzubereiten.188 Das daraus erwachsene Vertrauen war offenbar so groß, dass Breschnew Gretschko 1967 zu seinem Verteidigungsminister machte und ihn 1973 ins Politbüro holte. Es wird vermutet, dass Breschnew 1943 auch Suslow, den späteren Chefideologen, kennenlernte, der als Regionssekretär von Stawropol einen Stab von Partisaneneinheiten führte.189 Borys Lewytzkyj geht so weit zu sagen, dass sich während des Krieges nahezu die gesamte ukrainische Parteiführung im Zuge der Organisation von Partisaneneinheiten, die in enger Verbindung mit der Parteiführung standen, zu einem „Partisanenclan“ formte, der auch nach dem Krieg zusammenhielt.190 Aber zum einen geht man heute davon aus, dass viele Partisanenverbände unabhängig von der Partei und oft auch gegen diese agierten; zum anderen ist nicht nachgewiesen, dass Breschnew in Verbindung mit Partisaneneinheiten stand. Hätte es hier einen nennenswerten Kontakt gegeben, hätten das seine offiziellen Biographen sicher nicht verschwiegen. Nichts-

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destoweniger ist auffällig, wie sehr sich Breschnew seinen Kriegskameraden nach 1945 verbunden fühlte. Regelmäßig empfing er Veteranen aus der 18. Armee und bereitete ihnen einmal im Jahr einen großen Empfang.191 Entscheidend für Breschnew war schließlich das erneute Zusammentreffen mit Chruschtschow 1943, der sich seiner ganz im Sinne eines Patron-Klient-Verhältnisses annahm und seine weitere Karriere nach dem Krieg bahnen sollte. Fünftens war für Breschnews spätere Tätigkeit vermutlich die Erfahrung, die er bei der Sowjetisierung der Karpaten machte, von großer Bedeutung. Wenn es einen „Ursprung“ des Generalsekretärs gibt, ist er wohl weder in Kamenskoje noch in Dnepropetrowsk noch auf dem „Kleinen Land“, sondern in den Karpaten zu finden. Während Breschnew vorher Packer, Landneuordner und Ingenieur, Direktor eines Technikums, Stadtrat und Gebietssekretär gewesen war und im Krieg den Truppen Beistand geleistet, sich um ihre Versorgung gekümmert und den Soldaten Orden verliehen hatte, erhielt er hier erstmals Verantwortung für eine ganze Region, die befriedet, ernährt, wiederaufgebaut und in die Ukraine eingegliedert werden musste. Der Krieg, vielmehr seine Gebietszugewinne und Verwüstungen schufen die Bedingungen, unter denen sich Breschnew bewähren und vor Chruschtschow und schließlich auch Stalin beweisen konnte: als Sowjetisierer der Karpaten, als Organisator des Aufbaus von Saporoschje und Dnepropetrowsk, als Republikschef der neu errichteten Sowjetrepublik Moldawien. Auch dies zu berücksichtigen ist wichtig: Der Terror schuf Vakanzen, die Männer wie Breschnew in Positionen brachten, die sie ohne Verhaftungen und Mord womöglich nicht erlangt hätten. Die Kriegszerstörungen der Deutschen hinterließen ein Betätigungsfeld, das dieser Generation die Möglichkeit verschaffte, sich in einer umfassenden, existentiellen Art so als Aufbauer, Erneurer, Sowjetisierer und Organisatoren zu beweisen, wie es ohne den Krieg nicht möglich gewesen wäre. Wie man an Breschnew gut erkennen kann, musste diese Generation gar nicht nach einer Karriere streben. Sie hatte kaum eine andere Wahl, als die Posten zu akzeptieren, auf die sie berufen wurde, und musste dort funktionieren, ganz gleich, was um sie herum geschah: ob, wie in den Jahren 1937/38, ringsherum Freunde, Genossen, Kollegen verhaftet und erschossen wurden, oder, wie 1941–1945, die Heimat in Schutt und Asche gelegt wurde und Soldaten hungrig, in Sommeruniform und ohne ausreichende Bewaffnung in die Schlacht ziehen mussten. Wie in dem berühmten Bürgerkriegsepos von Nikolai Ostrowski „Wie der Stahl gehärtet wurde“ machte Breschnews Genera-

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Abb. 10: Breschnew und seine Kriegsliebe Tamara Lewtschenko, 1943.

tion in Terror und Krieg Erfahrungen, die ihr Handeln und Denken ein Leben lang prägen sollten. Gerade für Breschnew lässt sich zeigen, dass er in diese Karriere „geworfen“ wurde, dass er nicht selbst die Stationen bestimmte und nicht selbst nach verantwortungsvollen Aufgaben und exponierten Posten strebte. Die Partei rief – und er hatte zu folgen. Welchen Strapazen, physischen und psychischen Belastungen er dabei ausgesetzt war, lässt sich nur erahnen. Sechstens: Der Krieg stellte Breschnews Familie vor eine harte Belastungsprobe. Eine der wenigen Fluchten aus dem Frontalltag waren für Männer Beziehungen zu weiblichen Angehörigen der Armee. Wie so viele Offiziere der Roten Armee hatte auch Breschnew mindestens eine „Feldfrau“. Über die Rolle der Frauen in der Roten Armee ist lange geschwiegen worden. Einerseits wurde ihnen die verdiente Anerkennung für ihre Kampfleistungen verweigert; andererseits schwiegen die Frauen selbst über die zahlreichen sexuellen Übergriffe, denen sie ausgesetzt waren.192 Die Beziehung zu einem Offizier diente oft als

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Schutz vor Zudringlichkeiten der einfachen Soldaten. Breschnew lernte die Krankenschwester Tamara Nikolajewna Lewtschenko kennen, als diese vom Lazarett in die Politabteilung der Armee versetzt wurde, die er leitete. Er freute sich, dass sie aus Dnepropetrowsk stammte; sie war offenbar angetan von seinen tadellosen Umgangsformen; weder war er vulgär noch zudringlich wie andere Männer. Er sprach mit einem weichen Bariton, sah gut aus, hatte ein strahlendes Lächeln und tanzte gerne. Sie blieb bis zum Ende des Kriegs bei ihm.193 Glaubt man Breschnews Enkelin Viktorija und seinem Fotografen Musaeljan, dann war diese Beziehung für Breschnew mehr als nur eine Liebschaft. Er soll von seiner Frau Viktorija Petrowna die Scheidung verlangt haben, doch als diese forderte, das müsse er den Kindern selbst sagen, dies nicht übers Herz gebracht haben.194 Tamara ging nach dem Krieg nach Kiew und heiratete dort, aber Breschnew soll sie – offenbar schon, als er 1947 in Saporoschje war – um ein Treffen gebeten haben. Als Tamara zu Breschnews Wohnung kam, öffnete Viktorija ihr die Tür – und schickte sie fort. Breschnew soll sie am Bahnhof eingeholt haben, konnte sie aber nicht umstimmen, auch nicht, als er sie, wie es heißt, mit Mechlis in Kiew besuchte.195 Biograph Mletschin hält diese Geschichte angesichts der „puritanischen Moral“ der Partei und des Risikos, dem Breschnew damit seine Karriere ausgesetzt habe, für wenig glaubwürdig. Immerhin gibt es jedoch für den Vorfall zwei voneinander unabhängige Quellen, und wir wissen, dass Breschnew, zumindest damals, nicht sehr viel Wert auf diese Karriere legte. Seiner impulsiven, emotionalen Natur scheint es durchaus entsprochen zu haben, dass er seine Leidenschaft nicht zügelte. Der Krieg bedeutete für Breschnew also nicht nur, all das Grauen zu sehen und täglich unermüdlich als Organisator und Politerzieher funktionieren zu müssen; er entfremdete ihn auch von seiner Familie, die er vier Jahre lang nicht sah. 1945 wäre er am liebsten demobilisiert worden. Das zumindest berichtete er später im Kreis seiner Mitarbeiter auf dem Jagdsitz Sawidowo: Zum Ende des Kriegs hieß es plötzlich, dass unsere Division als Teil der AlliiertenTruppen nach Paris verlegt werden könnte. Ehrlich gesagt, grämte mich das sehr: ich wollte um jeden Preis nach Hause, ich war müde, hatte von allem genug … Ich erinnere mich, dass ich meiner Mutter schrieb: „Ich vermisse meine Heimat sehr, Mama. Sobald ich nach Paris komme, besteige ich den Eiffelturm und spucke von dort auf ganz Europa!“ So sehr wollte ich nach Hause.196

Anmerkungen

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Anmerkungen 1

Process antisovetskogo trockistskogo centra. Dopros podsudimogo Pjatakova, in: Pravda, 24. Januar 1937, S. 4. 2 Katrin Boeckh: Stalinismus in der Ukraine. Die Rekonstruktion des sowjetischen Systems nach dem Zweiten Weltkrieg, Wiesbaden 2007, S. 60. 3 Ebenda, S. 60; Murphy, Brezhnev, S. 46–48; Simon Sebag Montefiore: Stalin. Am Hof des Roten Zaren, Frankfurt am Main 2006, S. 310. 4 A. Slonevskij: Pod znamenem Lenina-Stalina, in: Ėkspedicija XXI, Nr. 2 (128), 2013. 5 Manaenkov Iosif Petrovič (1896–1938). Zvezda i smert’ Iosifa Manaenkova, http://lib.dndz.gov. ua/?pid=421, abgerufen am 16.3.2015. 6 DDA, f. 19, op. 2, d. 681: Stenogramma plenuma, protokoly zasedanij bjuro Dneprodzeržinskogo gorkoma KPU, 9.1.–28.11.1937g., hier: Protokol 11.1.1937g., l. 61. 7 DDA, f. 19, op. 2, d. 681, hier: Protokol 5.2.1937g. 8 Ebenda, Protokol 8.3.1937g., l. 122 f. 9 Ebenda, Protokol 13.5.1937g., l. 196; siehe auch Breshnew, Erinnerungen, S. 84. 10 Pšeničnyj, Pervaja vysota Leonida Brežneva. 11 Brežneva, Plemjannica, S. 190. 12 DDA, f. 19, op. 2, d. 341, l. 5. 13 IV mis’ka partijna konferencija zakinčila svoju rabotu“, in: Dzeržinec’. Organ dniprodzeržins’kogo MK KP(b)U, mis’kradi ta MRPS, 11. Mai 1937, S. 1; „Plenum mis’koi radi“, in Dzeržinec’. Organ dniprodzeržins’kogo MK KP(b)U ta mis’kradi, 5. August 1937, S. 1; Michail Timoščenko: Brežnev iz Brežnevo, http://gazeta.dp.ua/read/brezhnev_iz_brezhnevo, abgerufen am 13.4.2016; DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2. 14 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 27. 15 Šinel’ka: Sekretari Dneprodzeržinskogo gorkoma VKP(b), 2. Dezember 2013, http://forum3. sobitie.com.ua/index.php?/topic/23214-секретари-днепродзержинского-горкомавкпб/ abgerufen am 16.3.2015; Slonevskij, Rasskazy o Brežneve, S. 13. 16 DDA, f. 19, op. 3, d. 116: Protokoly zasedanij bjuro Dneprodzeržinskogo gorkoma KPU, 5.1.– 14.2.1938g., hier: Protokol 9.2.1938g., l. 156; Oleksandr Slonevskij: Jak na zavodi dzeržins’kogo Brežnev z vragami narodu borovsja, in: Ėkspedicija XXI, Nr. 12 (90) 2009, S. 6 f., hier: S. 6. 17 DDA, f. 19, op. 3, d. 116, Protokol 9.2.1938g., l. 157; d. 117: Protokoly zasedanij bjuro Dneprodzeržinsogo gorkoma 21.2.–23.3.1938, hier: Protokol 8.3.1938g., l. 8. 18 DDA, f. 19, op. 2, d. 684: Protokoly zasedanij bjuro Dneprodzeržinskogo gorkoma KPU, 14.11.– 28.12.1937g., hier: Protokol 14.1.1937g., l. 22; Protokol 23.11.1937g., l. 36. 19 Slonevskij, Jak na zavodi dzeržins’kogo Brežnev, S. 7. 20 Brežnev iz Brežnevo, in: Novosti Dneprodzeržinska, 17. Juni 2009, http://gorod.dp.ua/dz/news. php?page=2&id=17839, abgerufen am 16.3.2015; Slonevskij, Jak na zavodi dzeržins’kogo Brežnev, S. 6; A. Slonevskij: Sudebnye processy i prestupnost’ v Kamenskom-Dnepodzeržinske. Očerki i dokumenty, Dnepropetrovsk 2010, S. 87, http://lib.dndz.gov.ua/uploads/Judicial_processes_ and_crime_%28Last%29.pdf, abgerufen am 17.3.2015. 21 DDA, f. 19, op. 2, d. 681, Protokol 28.11.1937g., l. 1. 22 DDA, f. 19, op. 2, d. 68: Stenogramma Plenuma gorodoskogo partijnogo komiteta, 28.11.1937g., l. 2. 23 Ebenda, l. 29. 24 Ebenda, l. 30. 25 Ebenda.

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26 Ebenda, l. 31. 27 Ebenda. 28 Ebenda, l. 40. 29 Ebenda, l. 38 ff. 30 Ebenda, l. 40. 31 Ebenda, l. 48. 32 DDA, f. 19, op. 3, d. 116: Protokoly zasedanij bjuro Dneprodzeržinskogo gorkoma KPU, 5.1.– 14.2.1938g., hier: Protokol 25.1.1938g., l. 75–78; d. 115: Protokoly V gorodskoj partijnoj konferencij, plenumov Dneprodzeržinskgo gorkoma KPU, 3.2.–17.9.1938g., Protokol No. 1 Plenuma Dneprodzeržinskogo Gorkoma 4.3.1938g., l. 19 f.; Protokol No. 2 Plenuma Dneprodzeržinskogo Gorkoma 20.4.1938g., l. 25; Protokol No. 3 Plenuma Dneprodzeržinskogo Gorkoma 14.5.1938g., l. 27; Protokol No. 4 Plenuma Dneprodzeržinskogo Gorkoma 23.5.1938g., l. 28 f.; Protokol No. 5 Plenuma Dneprodzeržinskogo Gorkoma 17.9.1938g., l. 36. 33 DDA, f. 19, op. 3, d. 115 , Protokol No. 1 Plenuma Dneprodzeržinskogo Gorkoma 4.3.1938g., l. 19 f.; d. 116, Protokol 25.1.1938, l. 75. 34 DDA, f. 19, op. 2, d. 684, Protokol 9.12.1937g.; Protokol 28.12.1937g.; op. 3, d. 118: Protokoly zasedanij bjuro Dneprodzeržinskogo gorkoma 28.3.–9.5.1938g., hier: Protokol 1.4.1938g., l. 37; Protokol 17.4.1938g., l. 90 ff. 35 DDA, f. 19, op. 3, d. 117, Protokol 9.3.1938g., l. 107. 36 DDA, f. 19, op. 3, d. 118, Protokol 17.4.1938g., l. 98. 37 Ebenda, l. 127; Protokol 4.5.1938g. 38 Breshnew, Erinnerungen, S. 85 f. 39 Slonevskij, Rasskazy o Brežneve, S. 12. 40 DDA, d. 19, op. 3, d. 119, Protokol 16.5.1938, l. 1 f.; Maksim Kavun: Leonid Brežnev: Kar’era i žizn’ genseka, in: Nedvižimost’ v dviženii, Nr. 14 (120), 19. April 2006, S. 10 f.; vgl. Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 28 f. 41 Dornberg, Breschnew, S. 72. 42 DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2; vgl. Mlečin, Brežnev, S. 60; Kavun, Leonid Brežnev, S. 10 f. 43 DDA, f. 19, op. 3, d. 227, Bjuro dnepropetrovskogo obkoma KPU, protokol, stenogramma V. oblastnoj partijnoj konferencii, 27.2.–2.3.1939g.; delo 239: Stenogramma VII. plenuma obkoma KPU, 7.5.1939g.; delo 240: Stenogramma VIII. plenuma obkoma 9.–10.6.1939g.; delo 255: Protokoly 1–4 zasedanij bjuro obkoma KPU 2.–7.3.1939g.; delo 257: Protokoly No. 5–11 zasedanij bjuro obkoma KPU, 8.–15.3.1939g.; delo 366: Protokol i stenogramma sobranija oblastnogo partijnogo aktiva v itogach Martovskogo Plenuma CK VKP, 16.–17.4.1940g. 44 Plenum dneprovskogo Obkoma KP(b)U, 9 i 10 janvarja, vystupil L.I. Brežnev s dokladom „O postanovlenii partijnoj propagandy v svjazi s vypuskom ‚Kratkogo kursa istorii VKP(b)‘“, in: Dneprovskaja Pravda, 11. Januar 1940. 45 VKP(b) = Name der Kommunistischen Partei bis 1953: Allunions-Kommunistische Partei (Bolschewiki). 46 Plenum dneprovskogo Obkoma KP(b)U, 9 i 10 janvarja, vystupil L.I. Brežnev. 47 Leonid Breshnew: Das Kleine Land. Erinnerungen, Berlin 1978, S. 17; vgl. Murphy, Brezhnev, S. 52–54; Dornberg, Breschnew, S. 74. 48 Zit. nach Mlečin, Brežnev, S. 60. 49 Plenum Dnepropetrovskogo Obkoma KP(b)U 27–28 sentjabrja 1940g., in: Dneprovskaja Pravda, 29. September 1940. Mlečin, Murphy und Dornberg meinen, dass Breschnew den Posten des Rüstungssekretärs schon im September 1940 übernahm; Mlečin, Brežnev, S. 61; Medvedev,

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Ličnost’ i ėpocha, S. 29; Dornberg, Breschnew, S. 70. Auch Breschnews Memoiren und die Regionalhistoriker Andrej und Tat’jana Portnov(a) nennen das Jahr 1940: Breshnew, Erinnerungen, S. 91; Andrej Portnov/Tat’jana Portnova: Stolica zastoja? Brežnevskij mif Dneprope­ trovska, in: Neprikasnovennyj zapas, Nr. 5 (97), 2014, S. 71–87, hier: S. 75. Tatsächlich wurden die neuen Sekretärsposten bei den Gebietskomitees erst auf der 18. Parteikonferenz der KPdSU, die vom 15. bis 20. Februar 1941 in Moskau tagte, eingeführt: S.S. Chižnjakov/O.V. Chlevnjuk: XVIII partkonferencija. Vremja, problemy, rešenija, Moskau 1990. DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2; RGANI, f. 80, op. 1, d. 1200, l. 7; vgl. Kavun, Leonid Brežnev, S. 10 f.; Iona Andronov: Dorogami vojny, in: Novoe vremja, Nr. 9, 1972, S. 18–24, hier: S. 20 f. Interessant ist, dass in der Zeitung „Dneprovskaja Pravda“, in der die neugewählten Sekretäre genannt wurden, Breschnew nicht als neuer Sekretär für Rüstungsfragen erwähnt, während durchaus der neue Dritte Sekretär vorgestellt wurde. Es lässt sich nur vermuten, dass das Rüstungsressort der Geheimhaltung unterlag: Plenum Dneprovskogo Obkoma KP(b)U, in: Dneprovskaja Pravda, 24. April 1941. Brezhnev. Pages from his Life, S. 34. K.S. Gruševoj: Togda, v sorok pervom ..., Moskau 1974, S. 6. Dornberg, Breschnew, S. 77. Breshnew, Erinnerungen, S. 93. Breshnew, Das Kleine Land, S. 18; Vasil’eva, Kremlevskie ženy, S. 400. Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 400. Dornberg, Breschnew, S. 107; Mlečin, Brežnev, S. 387. Zit. nach Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 24. Aleksandr Kolesničenko: Kak popast’ v istoriju i anekdot. Leonid Il’ič byl odnim iz samych „riskovych“ sovetskich voždej. [Rasskaz Aleksandra Rjabenko], in: Argumenty i fakty, 2010, Nr.  21, S. 28 f., hier: S. 28. Slonevskij, Rasskazy o Brežneve, S. 12. Vgl. Dmitrij Tabačnik: Zapjataja v biografii Genseka, in: Aksjutin, Materialy k biografii, S. 38–58, hier: S. 39. Istorija SSSR v anekdotach, S. 152. Ebenda, S. 154. Georgij Konstantinovič Žukov: Vospominanija i razmyšlenija [1969], Bd. 3, Moskau 1984, S. 24. Breshnew, Das Kleine Land, S. 45. D.I. Ortenberg: Sorok tretij. Rasskaz-chronika, Moskau 1991, http://militera.lib.ru/memo/russian/ortenberg_di3/04.html, abgerufen am 17.4.2015. DDA, d. 19, op. 6, d. 341, l. 4. Volkogonov, 7 voždej, Bd. 2, S. 19. Jurij Čurbanov: Moj test’ Leonid Brežnev, Moskau 2007, S. 99. Gruševoj, Togda, v sorok pervom, S. 13. Ebenda, S. 21. Ebenda, S. 22. Ebenda, S. 27–29. Ebenda, S. 34–40. Ebenda, S. 42 f.; Dornberg, Breschnew, S. 77. Gruševoj, Togda, v sorok pervom, S. 54. DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2; Gruševoj, Togda, v sorok pervom, S. 45; Kavun, Leonid Brežnev, S. 10 f.; Murphy, Brezhnev, S. 65; Brezhnev. Pages from his Life, S. 42; Breshnew, Das Kleine Land, S. 19; Andronov, Dorogami vojny, S. 20.

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„Wie der Stahl gehärtet wurde“ oder: Karriere in Zeiten von Terror und Krieg Central’nyj Archiv Minoborony Rossii (im Folgenden: CAMO), f. 228, op. 718, d. 6, l. 57, http:// liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/prikaz-shtabu-yuzhnogo-fronta-po-lichnomu-sostavu003-ot-23-iyulya-1941-goda-o-naznachenii-brez, abgerufen am 8.2.2017. Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 34. Gruševoj, Togda, v sorok pervom, S. 87 ff.; Murphy, Brezhnev, S. 66. Gruševoj, Togda, v sorok pervom, S. 87. Ebenda, S. 92. Murphy, Brezhnev, S. 67; Dornberg, Breschnew, S. 77 f.; Gruševoj, Togda, v sorok pervom, S. 100, 119. Generaloberst Halder: Kriegstagebuch, Bd. III: Der Rußlandfeldzug bis zum Marsch auf Stalingrad (22.6.1941–24.9.1942), bearbeitet von Hans-Adolf Jacobsen, Stuttgart 1964, S. 188–197; Andronov, Dorogami vojny, S. 22. Zit. nach Gruševoj, Togda, v sorok pervom, S. 129; weiter: 112, 119 f., 127; Murphy, Brezhnev, S. 68. Gruševoj, Togda, v sorok pervom, S. 130–132; Halder, Kriegstagebuch, S. 197. Gruševoj, Togda, v sorok pervom, S. 164. Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 34; Gruševoj, Togda, v sorok pervom, S. 194. CAMO, f. 33, op. 682524, d. 12, l. 168 f.; CAMO, Kartoteka učeta nagraždennych, dokument 1/21, http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/uchetnye-kartochki-nagrazhdennogo-na-leonida-ilicha-brezhneva, abgerufen am 8.2.2017; siehe auch Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 35; Gruševoj, Togda, v sorok pervom, S. 200. Richard Overy: Russlands Krieg, 1941–1945, Hamburg 2003, S. 245. Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 35. Zit. nach Mlečin, Brežnev, S. 63. Zit. nach Mlečin, Brežnev, S. 70. CAMO, f. 224, op. 783, d. 64, l. 186 f.; f. 276, op. 832, d. 19, l. 40; d. 64, l. 70. Breshnew, Das Kleine Land, S. 54. P.G. Grigorenko: V podpol’e možno vstretit’ tol’ko krys …, New York 1981, Kap. 23, http:// militera.lib.ru/memo/russian/grigorenko/23.html, abgerufen am 27.4.2015. CAMO, f. 33, op. 686044, d. 1781, l. 182 f.; op. 682525, d. 70, l. 132 f. Zit. nach Volkogonov, 7 voždej, Bd. 2, S. 21. Breshnew, Das Kleine Land, S. 51. Zit. nach Mlečin, Brežnev, S. 69. CAMO, f. 33, op. 682524, d. 12, l. 168ob., http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/nagradnoi-list-na-zamestitelya-nachalnika-politupravleniya-yuzhnogo-fronta-brigadnogo-komissara, abgerufen am 8.2.2017; siehe auch A.A. Grečko: Gody vojny. Teil 1: Surovye ispytanija, Moskau 1976, Kap. 2, http://militera.lib.ru/memo/russian/grechko_aa2/04.html, abgerufen am 27.4.2015. CAMO, f. 33, op. 11484, d. 88, l. 290, 294. Mlečin, Brežnev, S. 61. CAMO, f. 32, op. 11296, d. 221, l. 8; in seinem tabellarischen Lebenslauf von 1949 gab Breschnew allerdings an, die neue Position schon im Juni erhalten zu haben: DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1166; Mlečin, Brežnev, S. 62 f. Kartoteka učeta nagraždennych, dokument 1/21, http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/ uchetnye-kartochki-nagrazhdennogo-na-leonida-ilicha-brezhneva, abgerufen am 8.2.2017. CAMO, f. 33, op. 11484, d. 158, l. 410, 465f.; d. 205, l. 589, http://liders.rusarchives.ru/brez-

Anmerkungen

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hnev/docs/prikaz-narodnogo-komissara-oborony-02297-o-naznachenii-polkovnika-li-brezhneva-nachalnikom-poli, abgerufen am 8.2.2017; siehe auch Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 35–38. Breshnew, Das Kleine Land, S. 20. Mlečin, Brežnev, S. 74. Ortenberg, Sorok tretij, Kap. 4: „Aprel’“, http://militera.lib.ru/memo/russian/ortenberg_di3/04. html, abgerufen am 27.4.2015; K.S. Moskalenko: Na Jugo-Zapadnom napravlenii, Moskau 1969. Breshnew, Das Kleine Land, S. 20. Ortenberg, Sorok tretij: „Aprel’“; Breshnew, Das Kleine Land, S. 86. Breshnew, Das Kleine Land, S. 43. Roj Medvedev: Vo vtorom ėšelone, in: Aksjutin, Brežnev. Materialy k biografii, S. 11–30, hier: S. 16; Ortenberg, Sorok tretij: „Aprel’“. CAMO, f. 33, op. 686044, d. 1781, l. 182. A.A. Grečko: Bitva za Kavkaz, Moskau 1967, Kap. 6: „Proryv goluboj linii“, http://militera.lib. ru/memo/russian/grechko_aa_1/06.html, abgerufen am 29.4.2015. Breshnew, Das Kleine Land, S. 13; Medvedev, Vo vtorom ėšelone, S. 17. Grečko, Bitva za Kavkaz, Kap. 4: „Perelom“, http://militera.lib.ru/memo/russian/grechko_aa_1/04. html, abgerufen am 29.4.2015. RGANI, f. 80, op. 2, d. 278, l. 22; http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/li-brezhnev-vgospitale-posle-raneniya-1943-g.html, abgerufen am 8.2.2017. Breshnew, Das Kleine Land, S. 34 f.; Medvedev, Vo vtorom ėšelone, S. 17. Breshnew, Das Kleine Land, S. 45, 88. Ebenda, S. 98 f. Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 47 f. Ebenda, S. 39. Medvedev, Vo vtorom ėšelone, S. 19. Vgl. Christoph Mick: Kriegserfahrungen in einer multiethnischen Stadt: Lemberg 1914–1947, Wiesbaden 2010, S. 544. RGANI, f. 80, op. 1, d. 1197, l. 21, http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/attestatsionnyilist-li-brezhneva-na-prisvoenie-ocherednogo-voinskogo-zvaniya-6-sentyabrya-1944, abgerufen am 12.2.2017. Breshnew, Das Kleine Land, S. 108. Zit. nach A.A. Grečko, Čerez Karpaty, Moskau 1970, S. 202 [Archiv MO SSSR, f. 371, op. 6386, d. 31, l. 363 f.]. CAMO, f. 42426, op. 136, d. 81, l. 54 f. Vasyl Markus: L’incorporation de l’Ukraine subcarpathique à l’Ukraine soviétique, 1944–1945, Löwen 1956, S. 24. Brezhnev. Pages from his Life, S. 80. CAMO, f. 32, op. 11289, d. 661, l. 5 f. Breshnew, Das Kleine Land, S. 108 f. Brezhnev. Pages from his Life, S. 80. Brežnev, Rabočie i dnvenikovye zapisi, Bd. 3, S. 24, 26, 30. Ebenda, S. 34. Ebenda, S. 14 f., 31. Ebenda, S. 15, 22. Ebenda, S. 21 f.

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„Wie der Stahl gehärtet wurde“ oder: Karriere in Zeiten von Terror und Krieg

140 CAMO, f. 371, op. 6368, d. 16, l. 120, http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/ukazanienachalnika-politotdela-18-i-armii-li-brezhneva-nachalnikam-politotdelov-soedinenii-i-z, abgerufen am 13.3.2017. 141 Brežnev, Rabočie i dnvenikovye zapisi, Bd. 3, S. 16 ff. 142 Boeckh, Stalinismus in der Ukraine, S. 126; Markus, L’incorporation de l’Ukraine subcarpathique, S. 30; Vincent Shandor: Carpatho-Ukraine in the Twentieth Century. A Political and Legal History, Cambridge, Mass., 1997, S. 263; František Nemec/Vladimir Moudry: The Soviet Seizure of Subcarpathian Ruthenia, Toronto 1955, S. 83. 143 Nemec/Moudry, The Soviet Seizure, S. 102–104; Murphy, Brezhnev, S. 84; vgl. auch Boeckh, Stalinismus in der Ukraine, S. 122 f. 144 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, 1944–1964, S. 8–15. 145 Markus, L’incorporation de l’Ukraine subcarpathique, S. 24. 146 Nemec/Moudry, The Soviet Seizure, S. 89, 108. 147 Markus, L’incorporation de l’Ukraine subcarpathique, S. 42; Nemec/Moudry, The Soviet Seizure, S. 108; Istorija mist i sil Ukrains’koj RSR, Bd. 6: Zarkapat’ska oblast’, hg. v. V.I. Belousov et al., Kiew 1969, S. 56 f., 95, 390; Shandor, Carpatho-Ukraine, S. 266; Andrej Puškaš: Civilizacija i varvarstvo. Zarkapat’e 1918–1945, Moskau 2006, S. 424. 148 Markus, L’incorporation de l’Ukraine subcarpathique, S. 46–50. 149 Belousov, Zarkapat’ska oblast’, S. 58 f. 150 David R. Marples: Stalinism in Ukraine in the 1940s, London 1982, S. 62; Boeckh, Stalinismus in der Ukraine, S. 125. 151 Nemec/Moudry, The Soviet Seizure, S. 114, 116, 119, 160. 152 Ebenda, S. 345. 153 Breshnew, Das Kleine Land, S. 109. 154 Belousov, Zarkapat’ska oblast’, S. 59. 155 Brežnev, Rabočie i dnevnikoye zapisi, Bd. 3, S. 26 f. 156 Ebenda. 157 CAMO, f. 371, op. 6386, d. 54, l. 10 f., http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/ukazaniyanachalnika-politotdela-18-i-armii-li-brezhneva-nachalnikam-politotdelov-soedinenii-o-, abgerufen am 13.2.2017. 158 Brezhenev. Pages from his Life, S. 83. 159 Ebenda, S. 87; Breshnew, Das Kleine Land, S. 110. 160 RGANI, f. 80, op. 1, d. 1197, l. 23, http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/attestatsionnyilist-general-maiora-li-brezhneva-s-zaklyucheniem-starshikh-nachalnikov-i-okonch, abgerufen am 13.2.2017. 161 Brezhnev. Pages from his Life. 162 Luba Brezhneva: The World I Left Behind. Pieces of a Past, New York 1995, S. 67; Breshnew, Das Kleine Land, S. 93; Breshnew, Neuland, S. 12. 163 Karpov, Večernie besedy, S. 420. 164 Mlečin, Brežnev, S. 77. 165 DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 2; B.G. Komskij et al. (Hg.): Krasnoznamenskij prikarpatskij. Istorija krasnoznamennogo prikarpatskogo voennogo okruga, 2. Auflage, Moskau 1982, S. 63 f.; Rossijskij Gosudarstevnnyj Archiv Social’no-Političeskoj Istorii (im Folgenden: RGASPI), f. 17, op. 116, d. 229, l. 78, http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/postanovlenie-sekretariatatsk-vkpb-o-naznachenii-li-brezhneva-nachalnikom-politupravleniya-pri, abgerufen am 13.2.2017.

Anmerkungen 166 167 168 169

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Komskij, Krasnoznamenskij prikarpatskij, S. 63; Murphy, Brezhnev, S. 83. Boeckh, Stalinismus in der Ukraine, S. 125. Karpov, Večernie besedy, S. 420 f. V.I. AdsD’kov/K.A. Kalašnikov/V.I. Golikov: Sovetskaja armija v gody „cholodnoj vojny“ (1945– 1991), Tomsk 2004, S. 20. 170 CAMO, f. 32, op. 11289, d. 520, Politdonos načal’nika PU PrikVO L. Brežneva, 12.12.1945g., l. 182 f.; vgl. auch Boeckh, Stalinismus in der Ukraine, S. 127; Borys Lewytzkyj: Die Sowjetukraine 1944–1963, Köln 1964, S. 31. 171 Dornberg, Breschnew, S. 92. 172 Brežnev, http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/perechen-dokumentov-i-eksponatov?page=4, abgerufen am 13.2.2017. 173 Dornberg, Breschnew, S. 92. 174 CAMO, f. 141, op. 244822, d. 13, l. 238 ff.; f. 32, op. 11289, d. 720, l. 131 ff., 182 f. 175 CAMO, f. 141, op. 765372c, d. 1, l. 31 f. 176 Ebenda, l. 33 ff. 177 Ebenda. 178 Boeckh, Stalinismus in der Ukraine, S. 128, 144, 161, 174, 241. Boeckh verliert in ihrem umfangreichen, sehr detailreichen Werk leider kein Wort über die Rolle der Militäradministration sowie sie auch mit keinem Wort Breschnew erwähnt; Markus, L’incorporation de l’Ukraine subcarpathique, S. 56, 60 f. 179 CAMO, f. 141, op. 765372c, d. 1, l. 244; Komskij, Krasnoznamenskij prikarpatskij, S. 65–68. 180 CAMO, f. 141, op. 765372c, d. 1, l. 246 f.; Komskij, Krasnoznamesnskij prikarpatskij, S. 69 f. 181 Dornberg, Breschnew, S. 92 f. 182 Karpov, Večernie besedy, S. 421. 183 A.A. Grečko: Gody vojny, Kap. 2: „Udar na Barvenkovo“, http://militera.lib.ru/memo/russian/ grechko_aa2/04.html, abgerufen am 29.4.2015. 184 RGANI, f. 5, op. 75, d. 207: Informacija otdela ob otklikach radioslušatelej na radioperedaču „Po stranicam vospominanij L.I. Brežneva ‚Malaja zemlja‘“, l. 6. 185 Viktor Golikov: „Ja verju i nadejus’…“ Poslednee interv’ju, aufgeschrieben von Konstantin Podyma, 3. Mai 2012, http://www.novodar.ru/index.php/novohistory-punkt/5683-vgpi05-2012?format=pdf, abgerufen am 15.7.2015. 186 Naš dorogoj Leonid Il’ič, in: Moj Dneprodzeržinsk, Nr. 52, 16. November 2011; Roj Medvedev: Fars s primes’ju tragedii, in: Aksjutin, Brežnev. Materialy k biografii, S. 122–145, hier: S. 140. 187 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 46. 188 Grečko, Čerez karpaty, S. 73, 177. 189 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 46. 190 Lewytzkyj, Die Sowjetukraine, S. 74. 191 Čurbanov, Moj test’, S. 98; Michail Dokučaev: Moskva. Kreml’. Ochrana, Moskau 1995, S. 181. 192 Siehe Svetlana Alexijewitsch: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht, Berlin 2004; Anna Krylova: Soviet Women in Combat. A History of Violence on the Eastern Front, Cambridge 2010. 193 Brezhneva, The World I Left Behind, S. 81. 194 Angaben zu den Aussagen der Enkelin Viktorija in Mlečin, Brežnev, S. 80. 195 Anna Velikžanina: Preemnikom Brežneva dolžen byl stat’ Ščerbickij [Interview mit V.G. Musaėl’jan], in: Komsomol’skaja Pravda v Ukraine, 4. Juli 2014; Mlečin, Brežnev, S. 81. 196 Zit. nach Pečenev, Vzlet i padenie Gorbačeva, S. 61.

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„Wie der Stahl gehärtet wurde“ oder: Karriere in Zeiten von Terror und Krieg

Abb. 11: Breschnew (1. v. r.) beim Festakt zum feierlichen Wiederanblasen des ersten Hochofens von Saporoschstahl in Saporoschje, 30. Juni 1947.

Abb. 12: Breschnew (2. v. r.) mit einer Regierungskommission im Stahlwerk Saporoschstahl, 1947.

   

3

Im Schatten Stalins oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs I

Es gibt nur eine Handvoll Fotografien von Breschnew aus der Nachkriegszeit. Die meisten sind Pressefotos, die bei großen Anlässen aufgenommen wurden: am 30. Juni 1947 beim feierlichen Anblasen des ersten Hochofens von Saporoschstahl; beim Besuch einer Regierungskommission in einer Werkhalle ebenda; bei der Wahl als Parteivorsitzender von Dnepropetrowsk zum Delegierten des Obersten Sowjets im Februar 1948. Sie zeigen einen hochgewachsenen, schlanken jungen Mann mit markanten Augenbrauen, der Blick ernsthaft und konzentriert. Geradezu symbolisch wirkt die Fotografie, die Breschnew am Rande des Rednerpults in Saporoschstahl zeigt, den Blick nach oben Richtung Redner gerichtet, hinter dem ein so großes Bild von Stalin aufgehängt ist, dass von diesem nur Beine und Rumpf zu sehen sind. In seinen offiziellen Biographien wurde dies Foto später verwendet, Stalins Korpus im Hintergrund aber einfach weggeschnitten.1 Weiter gibt es eine Porträtaufnahme von Breschnew aus dem Jahr 1945, die seine Vorliebe für ausgesuchte Kleidung verrät. Sie zeigt ihn im Halbprofil mit modischem Filzhut, in Hemd, Krawatte und einem dunklen Dreiteiler, der mit seinem extrabreiten Kragenaufschlag ganz der damaligen Mode entsprach. Die Fotografien offenbaren Breschnews Erfolg unter Stalin und seine Leidenschaft für gute Garderobe – aber nicht die Kämpfe, Strapazen und Gefahren, die sich dahinter verbargen.

Patronage Es ist viel über die große Bedeutung von Patronagenetzwerken für die Sowjetunion geschrieben worden, aber vermutlich gibt es nur wenige Beispiele, die sich so gut

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Im Schatten Stalins oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs I

Abb. 13: Breschnew, 1945.

Patronage

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wie Breschnew dazu eignen, den entscheidenden Einfluss von Patron-KlientenBeziehungen zu belegen.2 Wie bereits in Kapitel 2 ausgeführt, erscheint es nicht erstaunlich, dass in einer Epoche, in der jeder jederzeit als Feind und Saboteur verhaftet werden konnte, persönliches Vertrauen und Verlässlichkeit eine ganz andere Bedeutung bekamen. Gerade im Parteiapparat war es entscheidend, sich auf Personen stützen zu können, von denen man wusste, dass sie einen weder denunzieren noch zu einem anderen Netzwerk überlaufen würden. Gefolgschaftstreue war daher, wenn es um Ernennungen und Beförderungen ging, eine wesentlich bedeutsamere Eigenschaft als fachliche Kompetenz. Der Patron sorgte für Aufstieg, Schutz und Zugang zu Ressourcen; der Klient revanchierte sich mit absoluter Loyalität. Lenin hatte mit seinen Schriften und scharfen Reden die Partei der Bolschewiki geformt und so seine Führung durchgesetzt; Stalin behauptete diese Position, indem er seine Konkurrenten erst durch Intrigen und dann durch Verhaftung und Ermordung ausschaltete; Chruschtschow verdankte seinen Aufstieg Stalins Launen und einem geschickten Manövrieren nach dessen Tod. Breschnew dagegen verdankte seinen Aufstieg wie keiner seiner Vorgänger der Patronage. Er musste – zumindest anfangs – nicht kämpfen, intrigieren oder sich positionieren: Er erfüllte die ihm anvertrauten Aufgaben und wurde von einem Posten auf den anderen, von einem Patron zum nächsten weitergereicht. Das spricht für die Loyalität, die Breschnew seinen Förderern erwies. Er war verlässlich, angenehm im Umgang und gutaussehend, was durchaus eine Rolle spielte, wie immer wieder kolportiert wird.3 Die stets wieder erneuerte Patronage spricht aber auch dafür, dass er tatsächlich ein guter Organisator, Verwalter, Macher war, der die Ärmel hochkrempelte und anpackte. Breschnew genoss die Protektion von mehreren Parteiführern: Nach Gruschewoi in Dnepropetrowsk und Mechlis im Krieg war es nach 1945 Chruschtschow als Vorsitzender der Ukraine, der Breschnew förderte und auch Stalin empfahl. Wie bereits 1938 brauchte Chruschtschow nach dem Krieg verlässliche Männer, um die Ukraine wieder aufzubauen. Also sorgte er dafür, unterstützt von Mechlis, dass das Politbüro unter Stalin Breschnew aus der Armee entließ und der Verfügungsgewalt des ZK der Ukraine unterstellte.4 Breschnews Karriere geriet so in Abhängigkeit von Stalin: 1946 war er Stadt- und Gebietsleiter der Industriestadt Saporoschje, stieg 1947 in das gleiche Amt in dem bedeutenden Regionalzentrum Dnepropetrowsk auf und 1950 zum Ersten Sekretär der Republik Moldawien, von wo ihn Stalin 1952 als Sekretär ins Parteipräsidium nach Moskau berief. Als Stalin 1953 starb, verlor Breschnew sofort seine Posten.

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Die Netzwerke, die Breschnew vor den Exzessen Stalins schützen sollten, brachten ihn so einerseits in dessen Nähe und Abhängigkeit. Andererseits scheint er, wie bereits im Jahr 1937, einen Weg gefunden zu haben, um sich von Stalins Methoden abzugrenzen. Er widerstand dem Druck und der Rhetorik, überall Feinde zu sehen, Menschen zu verdächtigen, Kollegen zu entlassen und Genossen aus der Partei auszuschließen. Er behauptete sich als pragmatischer Organisator, dem jeder Hang zu Extremen fernlag. In politischen Reden konzentrierte er sich auf Sachfragen, anstatt zu hetzen, in der täglichen Arbeit fuhr er von Baustelle zu Baustelle, anstatt sich hinterm Schreibtisch zu verschanzen. Im Umgang mit den Menschen war er fest, aber freundlich. Breschnew erscheint damit als Prototyp des „starken Führers“, der sich laut den Historikern Oleg Chlewnjuk und Yoram Gorlizki in den 1950er Jahren als Typ herausbildete und durchsetzte: Weder war er ein Despot und „kleiner Stalin“, der hetzte und seine Umgebung tyrannisierte, noch eine Marionette, die von starken Interessengruppen manipuliert wurde.5 Vielmehr war er ein Parteisekretär, der nach klaren Regeln und Prinzipien handelte und damit für seine Umwelt berechenbar war. Es ist wesentlich festzuhalten, dass dieses Verhalten, sich nicht zu exponieren oder zu polarisieren, sondern sich als Verwalter zu verstehen, das später Breschnew als Führungsschwäche angelastet wurde, im spezifischen Kontext des Spätstalinismus entstand und im Grunde eine große Stärke bewies: nämlich im Rahmen der stalinistischen Handlungsvorgaben eine gewisse Unabhängigkeit bewahren zu können. Dabei nahmen die politischen Hetzkampagnen nach 1945 noch zu: Zu den imaginierten Feinden aus der Vorkriegszeit gesellten sich als neue Feindbilder „der Westen“ mit all seinen verderblichen Einflüssen sowie die durch den Krieg neu entfachten Nationalbewegungen, unkontrollierte Partisanenverbände und die Ukrainische Aufstandsarmee UPA, die erst Anfang der 1950er Jahre vollends besiegt wurden. Der Krieg hatte ein Tor nach Westen geöffnet, das Stalin und seine Entourage um jeden Preis wieder schließen wollten. Dafür initiierte der für Ideologie zuständige ZK-Sekretär Andrei Schdanow 1946 eine Kampagne gegen westliche Einflüsse in der Kunst und Literatur, die ihr Pendant in der Ukraine im Kampf gegen „bürgerlich-nationalistische Abweichungen“ fand.6 Gerade weil Breschnew diese Politik mittragen musste, entwickelte er eine Strategie, um einerseits die stalinistische Hetze nicht weiter anzufeuern und sich andererseits ganz auf die Planerfüllung zu konzentrieren, damit er nicht in Verdacht geriet, Planrückstände zu verursachen.

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Die sieben Lehrjahre von 1946 bis 1953 unter Stalin waren eine höchst arbeitsintensive und kräftezehrende Zeit: Wie schon Ende der 1930er Jahre arbeitete Breschnew fast rund um die Uhr und schlief nur wenige Stunden. Hoher Arbeitsdruck, Schlafmangel und Rastlosigkeit waren allgemein eine Folge des Stalinismus: In einer Zeit, in der Moskau nicht nur unerfüllbare Pläne aufstellte, sondern auch ständig deren Übererfüllung erwartete, konnte es sich kein Parteichef leisten, nicht das Äußerste zu versuchen, um den Direktiven aus Moskau so gut wie möglich nachzukommen. Da bis 1953 jeder Planrückstand potentiell als Sabotage geahndet wurde und Probleme bei der Planerfüllung immer auf menschliches Versagen, nie auf widrige Umstände oder mangelnde Ressourcen zurückgeführt wurden, konnte Aktionismus helfen, den eigenen Kopf zu retten. Außerdem musste jeder, der unmittelbar Stalin unterstellt war, auch nachts verfügbar sein, weil „der Führer“ dafür berüchtigt war, bis morgens um drei Uhr zu arbeiten und selbstverständlich in dieser Zeit seine Untergebenen anzurufen. Schließlich ist noch eins zu bedenken, wenn es um die Ausbildung von Breschnews Politikstil geht: Alle wesentlichen Fragen wurden im Politbüro in Moskau entschieden. Das galt für die Wahl der Partei- und Regierungsführer wie für die Inhalte und Fristen der Pläne. Moskau entschied, Kiew bestätigte und Saporoschje, Dnepropetrowsk oder Kischinjow exekutierten. Die Gestaltungsmöglichkeiten in den Republiken, Regionen, Städten und Landkreisen beschränkten sich auf die Art und Weise, wie die Direktiven aus dem Zentrum umgesetzt wurden. Auch die Ressourcen für den Wiederaufbau wurden zentral aus Moskau angewiesen. Breschnew musste in Moskau beim zuständigen ZK-Sekretär und den Ministerien beantragen, wenn er ein neues Gebäude errichten wollte oder für eine Baustelle Glühbirnen brauchte.

Saporoschje Zwei Wochen dauerte die Zugfahrt aus den Karpaten zurück in die heimische Ukraine.7 Breschnew bekam dabei das ganze Ausmaß der Zerstörung der Ukraine vor Augen geführt. Saporoschje, einst das „Pittsburgh der Ukraine“ genannt, gab es im Grunde nicht mehr.8 Alles lag in Schutt und Asche. Der Staudamm, samt Kraftwerk Paradestück des ersten Fünfjahrplans, Stolz der ganzen Sowjetunion und einst größter der Welt, war zerstört: Der ersten Sprengung durch sowjetische Soldaten waren weitere Sprengungen durch die Wehrmacht mittels 70 eingemauerter

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500-Kilogramm-Fliegerbomben gefolgt.9 Von den 47 Ablaufröhren waren nur noch 14 intakt; die Turbinen waren alle von den Deutschen gesprengt worden.10 Marshall MacDuffie, der 1946 eine UN-Mission in die Ukraine leitete, hielt 90 Prozent des Staudamms für zerstört, während sowjetische Ingenieure „optimistisch“ beteuerten, es lägen nur zwei Drittel in Trümmern.11 Deutsche Fachleute schätzten, dass der Aufbau der Region 25 Jahre dauern würde, aber Stalin befahl, dass am Ende des sechsten Fünfjahrplans (1946–1950) der Vorkriegszustand zu erreichen wäre.12 Dabei lag auch das zweite Vorzeigestück Saporoschjes, das Stahlwerk Saporoschstahl, in Schutt und Asche, so dass internationale Spezialisten einen kompletten Neubau empfahlen.13 Da Saporoschstahl in der Sowjetunion das einzige Werk für Stahlbleche war und die USA ein Embargo für den Export dieser Bleche verhängt hatten, die dringend in der Automobil-, Konsumgüter- und Bauindustrie benötigt wurden, stand Breschnew beim Wiederaufbau dieser Fabrik besonders unter Druck und unter Beobachtung aus Moskau.14 Aber das war noch lange nicht alles, wie es in Breschnews zweitem „Memoiren“-Band „Wiedergeburt“ heißt: „Zudem lag die ganze Stadt in Trümmern. (…) In Saporoshje waren mehr als 1000 große Wohnblocks, 24 Krankenhäuser, 74 Schulen, 2 Hochschulen, 5 Lichtspielhäuser, 239 Läden zerstört. Die Stadt war ohne Wasser, ohne Heizung, ohne Strom.“15 Dennoch holte Breschnew auch seine Familie hierher. Das Haus, das sie in Czernowitz bewohnt hatten, tauschten sie gegen eine Wohnung in einem feuchten Neubau, bevor sie die Wohnung von Breschnews Vorgänger übernehmen konnten.16 Wiederaufbau

Auf „Empfehlung“ Stalins und Chruschtschows wählte das XI. Plenum des Gebietskomitees von Saporoschje Breschnew am 30. August 1946 zum neuen Sekretär.17 Dem folgte auch das VIII. Plenum des Stadtkomitees, das Breschnew am 12. September 1946 zu seinem Ersten Sekretär bestimmte.18 Wie stets unter Stalin stand die Amtsübergabe unter dem Vorzeichen des Versagens und Scheiterns: Breschnews Vorgänger Fjodor Matjuschtschin wurden gravierende Mängel und Versäumnisse vorgeworfen. Er habe Kader eingestellt, ohne sie zu überprüfen, so dass in führenden Positionen Personen mit Parteitadel säßen, die inzwischen aus der Partei ausgeschlossen waren. Anderen habe er die nötige Unterstützung verweigert, das habe zu einer ständigen Fluktuation geführt. In acht Monaten sei fast ein Viertel ausgetauscht worden.19 Doch diese Anschuldi-

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gungen zeigen nicht das besondere Fehlverhalten Matjuschtschins, sondern spiegeln den Personalmangel nach dem Krieg wider. Ein Großteil der Vorkriegskader war gefallen oder kehrte aus der Evakuierung, aus der kämpfenden Armee oder aus der Gefangenschaft zurück.20 Die Parteiführer vor Ort hatten keine andere Wahl, wollten sie die ehrgeizigen Pläne Moskaus erfüllen, als alle einzustellen, die sich meldeten. Doch es war das Wesen des Stalinismus, auch angesichts drängender ökonomischer Probleme der Kaderauswahl erste Priorität einzuräumen, um damit alle strukturellen Mängel „Feinden“ und „schwarzen Schafen“ anlasten zu können. Breschnews Aufgabe war es also, als Erstes dafür zu sorgen, dass die Personalauswahl streng nach Parteirichtlinien erfolgte und die Partei sämtliche Kader überprüfte. Innerhalb von zwei Monaten sollte er für das Stadtkomitee und die Kreiskomitees insgesamt 70 Personen finden, überprüfen und mit Führungsaufgaben betrauen.21 Seinen eigenen Stil, sich nicht der Hetze hinzugeben, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, über seinen Vorgänger herzuziehen, zeigte er gleich auf der Plenarsitzung des Stadtkomitees im September 1946. Er lockerte die Atmosphäre auf, indem er witzige Bemerkungen einstreute, die die Teilnehmer zum Lachen brachten.22 Er ging sogar so weit, angegriffene Personen in Schutz zu nehmen, als er sagte, wenn jemand einmal nicht zu sprechen sei, sei das noch kein Zeichen von schlechter Arbeit, sondern vermutlich von Überlastung; wenn er selbst seine Reden vorbereite, ziehe er sich auch schon mal für vier Stunden zurück.23 Schließlich entschuldigte Breschnew seinen Verzicht auf Kritik damit, dass er noch nicht lange genug vor Ort sei: „Da ich mangels ausreichender Zeit in meiner Arbeit [in Saporoschje] nicht die Möglichkeit habe, die Arbeit der einzelnen Kreiskomitees der Partei zu kritisieren, möchte ich mich ganz auf unsere Aufgaben konzentrieren.“24 Dies entsprach ganz seinem Verhalten aus dem Jahr 1937, als er, statt andere anzuklagen, sich lieber auf die Sachfragen konzentriert hatte. Dennoch musste auch er die stalinistischen Parolen wiederholen und vertreten. Ganz gleich, wie unrealistisch Pläne, wie zerstört das Land, wie mangelhaft die Materialversorgung, wie veraltet und verrottet der Maschinenpark waren, immer lag es an den Menschen, die sich nicht genügend anstrengten, um die sich die Partei nicht genügend gekümmert hatte, die nicht genügend bolschewistische Zuversicht und Kampfkraft an den Tag legten: Vor allem müssen wir die Arbeit mit unseren Kadern verbessern, so hat es Stalin gesagt, dafür müssen wir unsere Organisationsarbeit verbessern, müssen unserer Füh-

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rungsrolle gerecht werden. Unsere zweite große Aufgabe ist die Ideologie. Der ideologisch vorbereitete und gestählte Mensch entscheidet die Probleme leichter, kommt niemals vom richtigen Lenin’schen-Stalin’schen Weg ab, kümmert sich nicht um Dinge, die in die Irre leiten. Er wird geradeaus und unbeirrt auf dem bolschewistischem Weg gehen.25

Dass er die Kader richtig erzog, motivierte und mit ihnen Übermenschliches leistete, hatte er sofort am Dnjepr-Wasserkraftwerk, kurz: DneproGES, unter Beweis zu stellen. DneproGES war nicht nur ein Prestigeprojekt, sondern ein Symbol für die erfolgreiche Industrialisierung, die Zerstörung durch die Deutschen und nun den ungebrochenen Siegeswillen der Sowjetmenschen. Breschnews „Memoiren“ unterstrichen das mit einigem Pathos: „Dneproges auf unserem Boden ist so etwas wie Puschkin in der Literatur, wie Tschaikowski in der Musik. Welche Giganten an der Wolga, der Angara, am Jenissej auch immer entstehen mögen, sie werden die Größe des Patriarchen der sowjetischen Energiewirtschaft nicht überstrahlen können.“26 Von dem Dnjepr-Wasserkraftwerk, das im Vollbetrieb 650.000 Kilowatt erzeugte,27 hing die Stromversorgung der Stadt, der Industrie und der ganzen Region ab. So stand Breschnew erneut im Rampenlicht der Union; Stalins und Chruschtschows Aufmerksamkeit waren ihm sicher. Aber er hatte Mitstreiter: Bereits seit 1943 war Kirilenko, den er schon vor dem Krieg in Dnepropetrowsk kennengelernt hatte, Zweiter Sekretär des Gebietskomitees.28 Die beiden Männer freundeten sich an und standen die Herausforderungen und Prüfungen gemeinsam durch. Die Leitung der Mehrzahl der Plenar- und Bürositzungen des Stadtkomitees überließ Breschnew in dieser Zeit seinem Stellvertreter Nikolai Petrowitsch Moisejenko, den er noch aus der Vorkriegszeit kannte;29 auch bei einigen Bürositzungen des Gebietskomitees war er nicht zugegen.30 Die „Troika“ schien in der angespannten Lage gut zu funktionieren: Breschnew kümmerte sich um die Baustellen, auf denen er Tag und Nacht verbrachte und wieder im Feldbett schlief; Moisejenko leitete das Stadtkomitee, Kirilenko das Gebietskomitee. Die „Prawda“ sorgte für erheblichen Druck, indem sie über den Fortschritt der Arbeiten immer wieder kritische Artikel veröffentlichte, die auf Breschnew und Kirilenko zielten.31 Da mehr Geld, Maschinen und Baumaterial durch Moskau bewilligt werden mussten und das nicht zu erwarten stand, blieb Breschnew nichts anderes übrig, als durch Agitation die Arbeiter und Ingenieure an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zu bringen. Er organisierte den sozialistischen

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Wettbewerb, damit Bauabschnitte miteinander um die schnellere Fertigstellung wetteiferten, und präsentierte die ersten Stachanow-Arbeiter.32 Tatsächlich konnte Breschnew am 4. März 1947 triumphierend die Inbetriebnahme der ersten Turbine nach Moskau melden.33 Der Druck und die Anspannung werden selbst in Breschnews „Memoiren“ deutlich: „Wie leicht hätte man in dieser Flut von Fragen, die mich bedrängten und einer schnellen Entscheidung harrten, versinken können.“34 Hungersnot 1946/47

Auf den Tagesordnungen der diversen Sitzungen von Stadt- und Gebietskomitee dominierte aber ein anderes brennendes Thema: die Hungersnot 1946/47, die dritte in diesem Jahrhundert, die erneut die Ukraine besonders hart traf. Anders als in den 1930er Jahren war sie nicht Folge einer verhängnisvollen Politik, sondern Ergebnis der Kriegsverwüstungen und einer anhaltenden Dürre, die in ganz Europa herrschte.35 Nach Schätzungen litten in der Ukraine in diesen Jahren über eine Million Menschen an Dystrophie, 300.000 wurden hospitalisiert, 46.000 starben.36 Chruschtschow erzürnte Stalin, als er es im Dezember 1946 wagte, ihn um Hilfe für die hungernde Ukraine zu bitten.37 Auch Breschnew schrieb damals zahlreiche Hilfsersuchen an das ZK in Kiew, nach Moskau oder an andere Unionsrepubliken, ohne dass darin die volle Dramatik der Lage zutage trat. In einem Brief an den Parteisekretär Lettlands erläuterte Breschnew nur, er bitte um Unterstützung beim Ankauf und Transport von Kartoffeln, „um unsere Arbeiter ernähren zu können.“38 Tatsächlich konnte Breschnew Anfang 1947 Hilfslieferungen an Kolchosen verteilen lassen.39 Doch die Not der Menschen, die sogar erneut zu Kannibalismus führte, wurde bei den zahlreichen Sitzungen und Versammlungen weder auf der Tagesordnung benannt – wo es bürokratisch hieß: „Über die Aufsicht der Regionalkomitees der KPU über die Herbstaussaat in den Kolchosen und die Bestellung der Äcker“40 – noch von den Delegierten offen thematisiert. Diskutiert wurde nicht, wie man die hungernde Bevölkerung mit dem Nötigsten versorgen, sondern wie die staatlich verordneten Erntequoten durchgesetzt werden könnten. Ganz entsprechend Stalins Linie, hier seien „Feinde“ am Werke, gab es keinen Lebensmittelmangel, sondern Schuldige, die für die schlechten Ernteergebnisse zur Verantwortung zu ziehen waren. Und hier zeigt sich erneut Breschnews Eigenheit, dieser Hetzerei nicht nachzugeben, sondern im Gegenteil zu bremsen. Als

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auf dem XII. Plenum des Saporoschjer Gebietskomitees am 15. November 1946 ein Parteigenosse forderte, die Ermittlungsarbeiten müssten endlich abgeschlossen und die Schuldigen vor Gericht gestellt werden, intervenierte Breschnew: „Sie wollen uns dazu zwingen, die Staatsanwälte mit dem Stock anzutreiben. (…) Ich denke, dass jeder verstehen sollte, dass das Dekret des ZK der Partei vor allem darauf gerichtet ist, die Missstände, die in den Kolchosen herrschen, zu beseitigen.“41 Ein weiteres Mal versuchte Breschnew also, die Debatte zu entschärfen, indem er die Aufmerksamkeit auf Sachfragen richtete. Er rief nicht nur zu ehrlicher Selbstkritik auf, sondern mahnte auch, es müsse endlich Schluss damit sein, die Kolchosen nur finanziell ausnehmen zu wollen.42 Ähnlich eigenwillig hatte er bereits im September 1946 auf einer Versammlung der Sekretäre der Stadt- und Regionskomitees die Beschlüsse des ZK zum Umgang mit Kolchosbauern, die Teile der Ernte „stehlen“ würden, kommentiert: Das ZK der Partei fordert die Anwendung harter Strafen gegenüber den Schuldigen, ganz gleich, worin die Schuld besteht. Wir sollten uns die Frage stellen: Wen haben wir denn aus der Führungsriege bestraft? Und warum sollten wir annehmen, dass die Unterstützung bei der Abgabe des Getreides an den Staat nur von den Kolchosen abhängig ist und wir hätten nichts damit zu tun? Das ist falsch! (…) Wenn es um den Landkreis schlecht bestellt ist, dann darf man nicht die Schuld bei den anderen suchen, dann muss man auch prüfend den Blick auf sich selbst richten, was für eine Figur wir dabei machen. Wenn wir nicht in der Lage sind, die Dinge zu organisieren, dann heißt das, dass wir nutzlose Führer sind.43

Aus diesen Worten geht für die Stalinzeit erstaunlich klar hervor, dass Breschnew es für falsch hielt, hungernde Menschen, die von den Feldern Getreide und Mais „stahlen“, dafür zu bestrafen. Wahrscheinlich sah er sich in dieser angespannten Zeit 1946/47 wieder in die Epoche der Kollektivierung versetzt, als er gezwungen gewesen war, den hungernden Bauern ihre letzten Vorräte wegzunehmen. Dass er die Situation der Kolchosbauern nur zu gut verstand und nicht sie, sondern die Partei in der Pflicht sah, machte Breschnew sehr deutlich, als er einem anderen Sekretär auf dieser Versammlung ins Gewissen redete: „Ich habe Sie gewarnt, dass, da wir von den Kolchosen immer nur genommen und ihnen nie gegeben haben, wir in deren Augen jede Glaubwürdigkeit und unser Gewissen verspielt haben, und daher ist es sehr unangenehm, in so einer Minute zu ihnen zu gehen und die letzten Reste Saatgut einzuziehen.“44 Einerseits können

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Breschnews Worte, er werde die Kolchosbauern nicht weiter drangsalieren, fast als Widerspruch zu Stalins Anweisung verstanden werden. Andererseits sprach aus diesen Worten auch der Druck, dem er und die lokale Parteiführung ausgesetzt waren: „Ich möchte nicht mit diesen [Straf-]Maßnahmen arbeiten, aber ich muss. Je schwächer die Disziplin, desto schärfer muss die Strafe sein. An der Front wackelte die Disziplin, also gab Stalin den Befehl 22745. Bei uns ist es nicht ganz so, aber es gibt eine Analogie.“46 Das Thema Hungersnot alias Landwirtschaft prägte Breschnews gesamte Zeit in Saporoschje. Auch auf dem XIV. Plenum des Gebietskomitees im März 1947 war es das Hauptthema, zu dem Breschnew das Eingangsreferat hielt, „Über die Maßnahmen zur Belebung der Landwirtschaft in der Nachkriegszeit“. Die Formulierungen und Forderungen blieben, wie es sich für einen solchen Vortrag zu Stalins Zeiten gehörte, formelhaft: Sie müssten mehr aussäen, sie müssten mehr Vieh züchten und mehr Kolchosversammlungen durchführen, um die Kolchosbauern umzuerziehen: „Wir müssen jetzt agitieren, das Gesetz erläutern, uns nicht vor den Kolchosbauern entschuldigen, sondern von ihnen fordern und mit unserer Agitation beginnen, wir müssen die Kolchosen in der Praxis auf diese Arbeit vorbereiten.“47 Aber allein, dass Breschnew erwähnte, es könne einen Grund geben, sich bei den Bauern zu entschuldigen, war bereits eine Abweichung vom stalinistischen Diskurs und verwies darauf, dass die Partei einige Schuld auf sich geladen hatte. Wie gesagt, die Möglichkeiten, eine solche Rede zu variieren, waren nicht groß; und auch die Handlungsoptionen für einen Parteisekretär waren sehr beschränkt. Aber bei Breschnew fällt immer wieder auf, dass er, sobald die Reden verlesen waren, im Rahmen des Möglichen mit den Delegierten ein offenes Gespräch führte und mit Vorliebe konkrete Nachfragen zu deren Schwierigkeiten stellte. Hier offenbart sich, dass er den Dingen gern auf den Grund ging und versuchte, Abhilfe zu schaffen. Er schrie nicht, er drohte nicht, er versuchte pragmatische Lösungen zu finden, denn auf seine Nachfragen stellte sich oft heraus, dass die Traktoren schlicht wegen Benzinmangels stillstanden, dass LKWs zum Abtransport von Getreide fehlten oder es an Saatgut mangelte. Typisch war dabei auch, dass er sehr umgangssprachlich formulierte und gern durch eine launige Bemerkung das Plenum zum Lachen brachte. Auf dem MärzPlenum 1947 ging es auch darum, dass wegen der Dürre die Wintersaat nicht angegangen und teilweise bis zu 80 Prozent vom Wind verweht worden war. Breschnew: „Das ist eine sehr wichtige Frage. Das betrifft auch den Andrejew-

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Landkreis. (…) Vor kurzem habe ich mit [dem Sekretär] darüber am Telefon gesprochen, und er erklärte, dass bei ihnen 15 Prozent weggeweht worden seien. Das hat mich umgehauen. (…) Von diesen 15 Prozent bekomme ich bis heute Schweißausbrüche.“48 Als der kritisierte Sekretär sagte, sie wollten künftig Sommergetreide anbauen, um eine höhere Ernte zu erzielen, aber in den letzten Jahren hätten sie diese Frage vernachlässigt, stichelte Breschnew: „Die Frage ist kompliziert, deshalb ab in die Ecke mit ihr“, was Lachen hervorrief.49 Wenn die so vorgeführten Genossen zu Protokoll gaben, Breschnew habe sie „mehrfach gescholten“, bestand dieser immer darauf: „Zur Kenntnis der Plenumsmitglieder, ich habe nicht ein Mal den Genossen Gulkin gescholten, nur kritisiert, sonst könnte man noch denken, dass ich als Sekretär stänkere.“50 Und tatsächlich blieb Breschnews Kritik stets sachbezogen und wurde nie ausfallend. Es war dies eine der Eigenschaften, die den „starken“ Führer im Unterschied zum despotischen oder schwachen auszeichneten: Weder hetzte er oder rief nach dem Staatsanwalt noch verschloss er die Augen vor den Problemen. Vielmehr forderte im Rahmen des Machbaren, dass jeder ans Äußerste ginge und alle Möglichkeiten ausschöpfte. Breschnew selbst arbeitete bis an den Rand seiner Kräfte, also verlangte er das auch von allen anderen. In gewisser Weise fielen hier die stalinistischen Lösungswege und die im Alltag zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen zusammen: Da Breschnew weder die Organisationsstrukturen noch die Dekrete und Pläne noch Ressourcen wie Geld, Maschinen, Saatgut etc. beeinflussen konnte, blieb ihm als einzige Stellschraube der Druck auf die Parteisekretäre und Kolchosvorsitzenden, das Unmögliche möglich zu machen. Genau das besagte aber auch die stalinistische Ideologie „Die Kader entscheiden alles“: Allein von der Erziehung der Menschen hing ab, ob sie den Plan nicht erfüllten, erfüllten oder übererfüllten. Im Visier Stalins

Hungersnot und Landwirtschaftskrise befanden sich noch auf ihrem Höhepunkt, da entstand für Breschnew bereits der nächste Krisenherd: Chruschtschow fiel bei Stalin in Ungnade, u.a. auch deshalb, weil er es gewagt hatte, um Lebensmittelhilfe für die Ukraine zu bitten, und damit nicht der „Feind“-Rhetorik gefolgt war, sondern unabhängig agierte. Am 3. März 1947 verlor er seinen Posten als Erster Sekretär der Ukraine.51 An seiner Stelle installierte Stalin seinen engen Gefolgsmann Lasar Kaganowitsch. Chruschtschow blieb Ministerratspräsident

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der Ukraine, trat jedoch auch in dieser Funktion bald nicht mehr in der Öffentlichkeit auf, da er an einer Lungenentzündung schwer erkrankte.52 Für Breschnew als Mann Chruschtschows war dies eine sehr heikle Lage, denn es stand zu erwarten, dass der aus Moskau geschickte Kaganowitsch Chruschtschows Leute durch seine eigenen Männer ersetzen würde. Zwei Tage nachdem Breschnew am 4. März 1947 die erfolgreiche Inbetriebnahme der ersten Turbine des Dnjepr-Kraftwerks hatte verkünden können, musste er auf dem X. Plenum des Saporoschjer Stadtkomitees den Führungswechsel in Kiew preisen: „Ich denke, dass die Genossen verstehen werden, dass eine solche Entscheidung des ZK der Partei die große Fürsorge und Aufmerksamkeit in erster Linie für die ukrainischen Parteiorganisationen und gegenüber dem gesamten ukrainischen Volk ausdrückt.“53 Tatsächlich bedeutete dieser Zug Stalins nichts anderes, als dass er die Ukraine unter seine direkte Kontrolle stellte, die er durch seine Emissäre ausüben ließ. Zudem ließ er Breschnew durch eine Reihe von „Prawda“-Artikeln unter Druck setzen, die ihn diesmal beschuldigten, die Arbeiten bei Saporoschstahl zu vernachlässigen.54 In Breschnews Memoiren heißt es: „Nachts rief mich J.W. Stalin tatsächlich an, und es gab ein ernstes Gespräch.“55 Es ist plausibel, dass es dieses Telefonat wirklich gegeben hat. Aber Breschnew wäre vermutlich auch ohne diesen nächtlichen Anruf bewusst gewesen, dass er unter direkter Beobachtung Stalins stand – und dessen Launen ausgesetzt war. Die neuen Baufristen, die der Ministerrat in Moskau am 16. März 1947 beschloss, waren vollkommen willkürlich gesetzt. Unter Agitation des Bauministers Pawel Judin verpflichteten sich die Stachanow-Arbeiter, den Jahresplan bis zum Tag der Revolution, dem 7. November, zu erfüllen und bereits im Juni den ersten Hochofen fertigzustellen.56 Die Arbeiten, die sich vorher im Rahmen des Plans bewegt hatten, hinkten ihm nun dramatisch hinterher. Wie es in Breschnews „Memoiren“ heißt: „Das von uns Erreichte, das unlängst noch als ein Erfolg galt, hatte sich urplötzlich nahezu in eine Niederlage verkehrt.“57 Entsprechend wurde das Parteikomitee von Saporoschje, also Breschnew und Kirilenko, in einem ZKBeschluss vom 8. April „scharf kritisiert, weil es unter komplizierten Bedingungen die Lage nicht gemeistert hatte.“58 Die „Prawda“ griff die Parteileitung an, sie übe sich in „Gleichmut und Selbstbeschwichtigung“ und müsse sich für die enormen Baurückstände verantworten.59 Was von Breschnews Ghostwritern lapidar als normale Belastungssituation für einen Parteisekretär dargestellt wird, muss eine Zeit extremer Anspannung gewesen sein. Die Hungersnot war noch

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nicht überwunden und die Ernte 1947 noch nicht gesichert, Chruschtschow als Schutzpatron war entmachtet und Stalin persönlich setzte Baufristen für Saporoschstahl fest, die unerfüllbar schienen. Breschnews Tage als Parteileiter von Saporoschje schienen gezählt zu sein.60 Stalin schickte Kaganowitsch nach Saporoschje, um auf Vollzug bei Saporoschstahl zu drängen, „für das sich das ZK und Stalin persönlich besonders interessierten und beunruhigt waren im Zusammenhang mit der Verzögerung beim Wiederaufbau und dem großen Bedarf an seiner Produktion im ganzen Land“,61 wie sich Kaganowitsch erinnerte. Was Breschnew jetzt noch retten konnte, war ein Wunder – eines, für das er selbst sorgen musste: die fristgerechte Inbetriebnahme von Saporoschstahl. Tatsächlich reagierte Breschnew, wie es von ihm als „Bolschewik“ erwartet wurde: Er verlor nicht den Kopf, sondern berief am 28. April 1947 ein Plenum des Stadtparteikomitees ein, das er ganz der Kritik und Selbstkritik widmete. Auch in dieser Situation blieb er seinem Stil treu: Er versuchte nicht, die Schuld allein den Bauleitern zuzuschieben, sondern übte sich in Selbstkritik: „Obwohl ich um die Situation auf der Baustelle wusste, war ich nicht konsequent genug bei der Lösung einiger Probleme, vor denen der Bau stand, und ließ einige Male Gleichmut gegenüber den Entscheidungen des Parteigebietskomitees walten.“62 Breschnew drohte nicht mit drakonischen Strafen, sondern konzentrierte sich auf das einzige Mittel, das ihm offiziell zur Verfügung stand: bolschewistische Arbeitsdisziplin einzufordern. Wir müssen von allen das Verantwortungsbewusstsein eines Parteimitglieds fordern. Es wird kaum jemand wollen, dass auf seiner Parteiakte irgendein Fleck ist. Ich möchte damit niemanden einschüchtern. Ich möchte nicht das Parteikomitee auffordern, jemanden aus der Partei auszuschließen oder einen ganzen Sack voll Ermahnungen auszuschütten. Das ist auch keine Erziehungsmethode, aber wenn wir untätig bleiben – ist das sehr gefährlich.63

Er machte aus der Dramatik der Lage keinen Hehl: „Daher, wenn die Genossen [Bauleiter] Dymschitz und Kusmin nicht bis ins Detail die Lage mit dem Hochofen und dem Wärmekraftwerk klären, dann können wir uns in einer solchen Lage wiederfinden, dass wir in einem Monat nur noch die Tatsache unseres Scheiterns feststellen werden.“64 Damit gab Breschnew ungewöhnlich deutlich zu verstehen, dass ihnen allen das Ende ihrer Karriere und vielleicht Schlimmeres drohte, sollten sie für die Lage keine Lösung finden. Erstaunlich offen wird dies auch in Breschnews Memoiren thematisiert: „Allen wurde klar: Wir dürfen

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beim Planen nicht davon ausgehen, was wir ‚können‘. Entscheidend ist das, was wir ‚müssen‘.“65 Seine Ratlosigkeit deutete Breschnew in seiner Rede an, als er schließlich seine Lösung präsentierte: Das ZK fordert vom Parteikomitee, auf der Baustelle die Atmosphäre eines angespannten Kampfes für die Erfüllung des Arbeitsplans herzustellen. Ich habe über diese Frage nachgedacht und konnte mir nicht vorstellen, wie eine solche Atmosphäre angespannten Kampfes erzeugt werden kann, wenn wir keine Waffe in den Händen haben, mit der wir diese angespannte Atmosphäre herstellen können. Was meine ich damit? Wenn wir keinen Zeitplan haben, wenn wir in der Hand keine Waffe haben, mit der wir kontrollieren, fordern, antreiben und bestrafen können, dann ist an eine angespannte Atmosphäre nicht zu denken.66

Das bedeutete nichts anderes, als dass das Tempo verdoppelt und die Produktivität um 20 Prozent gesteigert werden musste.67 Den Leiter des Trusts Saporoschbau, Benjamin Dymschitz, der wie Breschnew erst im Herbst 1946 nach Saporoschje geschickt worden war, um das Stahlwerk wieder in Betrieb zu nehmen, wies Breschnew an, von 50 anstehenden Aufgaben die 30 wichtigsten zu bestimmen und deren Fortschritt persönlich täglich zu kontrollieren.68 Aber Breschnew wäre nicht Breschnew gewesen, hätte er nicht auch auf die miserable Versorgung der Arbeiter mit Kantinenessen hingewiesen: „Es ist doch eine Schande, wenn unsere Arbeiter in der Schlange stehen, weil es weder Löffel noch Gabeln gibt.“69 Er selbst verließ die Baustelle fast gar nicht mehr: Er richtete sich dort ein Arbeitszimmer ein, in das er wieder sein Feldbett stellte, und überwachte den Bau Tag und Nacht.70 In einer ungeheuren Kraftanstrengung gelang ihm, Kirilenko, Moisejenko, Dymschitz und dem Direktor des Stahlwerks Anatoli Kusmin das scheinbar Unmögliche: den ersten Hochofen fristgerecht am 30. Juni 1947 wieder anzublasen. Dafür griffen sie, wie es im Stalinismus üblich war, auch zu unkonventionellen, riskanten Methoden: Der Hochofen Nr. 3 des Werks, der als Einziger die Sprengungen überstanden hatte, aber schief stand wie der Turm von Pisa, wurde nicht abgetragen und neu errichtet, sondern angehoben und wieder aufgerichtet.71 Im Oktober konnte Saporoschstahl die ersten Bleche an die Automobilfabriken des Landes liefern.72 Stalin und Kaganowitsch waren offenbar beeindruckt; sie schickten Glückwunschtelegramme aus Moskau und Kiew.73 Breschnew hatte diese Krise erfolgreich überwunden; Stalin verlieh ihm für die Erfolge im Dezember 1947 den Leninorden.74 Doch zehn Jahre später

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sollte Breschnew mit Kaganowitsch abrechnen, der ihn 1947 in der Ukraine so malträtiert und schikaniert hatte.75 Beförderung

Die Probleme in Saporoschje waren damit noch lange nicht gelöst: Die Lebensmittelversorgung blieb kritisch und die Lage in der Landwirtschaft war prekär. Obwohl Breschnew auf dem Plenum des Stadtkomitees im Oktober 1947 kämpferische Worte wählte, kam die Dramatik doch deutlich zum Ausdruck: Wir fürchten uns nicht davor zu sagen, dass wir in diesem Jahr die Lebensmittelkarten weder den Kindern noch den Alten weggenommen haben; wir haben die Kolchosbauernschaft auf einer Hunger-Ration gehalten und dennoch haben wir sie mobilisiert, trotzdem haben wir eine große Ernte eingefahren und die Ukraine hat ihren Plan erfüllt. Wir fürchteten uns nicht vor den Arbeitern im Moment der Wahlen, Wahlen, während derer wir das Brot verknappten. Das ist die echte bolschewistische Linie.76

Der Druck, den Wiederaufbau der Industrie voranzutreiben, blieb auch nach den ersten Erfolgen in DneproGES und Saporoschstahl hoch, zumal mit dem Mähdrescherwerk „Kommunarde“, in dem Breschnew nach seiner Flucht aus Moskau im Winter 1930/31 kurze Zeit gearbeitet hatte, eine weitere Schlüsselfabrik von unionsweiter Bedeutung in Saporoschje auf ihre Wiedereröffnung wartete.77 Viel Zeit musste Breschnew auch in den Aufbau der Parteiorganisationen investieren.78 Aus seinen „Memoiren“ geht hervor, dass Sicherheitsfragen eine große Rolle spielten: Die Staatssicherheit verfolgte NS-Kollaborateure, die Polizei versuchte der Kriminalität in der Stadt Herr zu werden und auf dem Land kämpften noch „bewaffnete Banden“, also letzte Einheiten der UPA: Nachts waren Schießereien zu hören. Ich fuhr oftmals übers Land, häufig nachts, allein, saß selbst am Lenkrad. Da wäre es doch für einen, der den ganzen Krieg überstanden hatte, zu ärgerlich gewesen, sich irgendeine dumme Kugel einzuhandeln. Doch blieb mir, ehrlich gesagt, gar nicht die Zeit, an die persönliche Sicherheit zu denken.79

Das Wichtigste aber war, dass Breschnew nicht mehr unter Beschuss stand. Stalin und Kaganowitsch trauten ihm nun zu, ihre Forderungen zu erfüllen: Sie

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entsandten ihn im November 1947 nach Dnepropetrowsk, damit er dort beim Aufbau die gleichen „Wunder“ vollbrachte, die ihm bei der Organisation der Arbeiten in Saporoschje gelungen waren. „Im November 1947 wurde ich vom ZK der VKP und dem ZK der KPU für die Arbeit des Sekretärs des Dnepropetrowsker Gebietskomitees empfohlen“, schrieb Breschnew in seinem Lebenslauf.80 Das Stenogramm der XIX. Plenarsitzung des Gebietskomitees, das Breschnew verabschiedete, zeugt davon, dass er sich bei den Genossen Respekt, Anerkennung und wohl auch Sympathie verdient hatte. Der Sekretär für Landwirtschaft P.S. Resnik prophezeite: Gen. Breshnew wird in Dnepropetrowsk den gleichen Elan wecken müssen, wie er ihn in Saporoshje geweckt hat. Und ich kann versichern, daß ihm das schwerfallen wird. (Heiterkeit im Saal) – Gen. Breshnew: Es sollte bedacht werden, daß es im Gebiet Dnepropetrovsk starke Bolschewiki gibt. – Gen. Resnik: Aber Sie sollten bedenken, daß dort auch die Unordnung stark ist. (Heiterkeit) – Gen. Breschnew: Danke schön, Genossen! Was den Wettbewerb betrifft, das wird ein gesunder, bolschewistischer Wettbewerb …81

Breschnews Ghostwriter ließen ihn sagen: „Ich verließ Saporoshje mit dem Gefühl, meine Pflicht erfüllt zu haben.“82 Das war eine starke Untertreibung: Breschnew hatte in Saporoschje seine Feuertaufe als Erster Parteisekretär überstanden. Die Wiederinbetriebnahme zweier Industriegiganten unter den Bedingungen einer Hungersnot und unter den Augen Stalins war eine beachtenswerte Leistung, die Breschnew Respekt, Luft zum Atmen, aber auch gleich die nächste, nicht weniger schwere Aufgabe in Dnepropetrowsk verschaffte. Während wir nur vermuten können, was Breschnew in den Karpaten tat, ist es eindeutig, dass Saporoschje zu einem zentralen Grundstein für seine Karriere als Generalsekretär wurde. Das Besondere war, dass er auf der einen Seite Stalin zufriedenstellte und auf der anderen den respektvollen Umgang mit seiner Umgebung bewahrte. Es scheint fast so: Je stärker Moskau drohte, desto mehr betonte Breschnew, dass er von den ihm zur Verfügung stehenden Strafmaßnahmen keinen Gebrauch machen wollte. Roy Medwedew bestätigt das ungewollt: „Wie seltsam das sein mag, aber gerade durch seine Weichheit, das Fehlen der für damalige Parteibosse üblichen Härte und auch Grausamkeit, eine Güte, die manchmal auch auf Kosten der Geschäfte ging, zog es viele Menschen zu Breschnew hin.“83

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Breschnew musste sich wieder von Kirilenko verabschieden, mit dem er sich angefreundet hatte. Ein anderer Kontakt, von dem wir nur teilweise wissen, wie er sich gestaltete, blieb bestehen: Schtschjolokow, sein alter Bekannter aus der Dnepropetrowsker Vorkriegszeit, den Breschnew später zum Innenminister machen sollte, war in Breschnews Saporoschjer Jahren stellvertretender Minister für lokale Industrie in der Ukraine und wurde 1947 ZK-Sekretär der KPU mit der Zuständigkeit Leichtindustrie. Als es um den Wiederaufbau der Industrie ging, traf er mit Breschnew zusammen, vermutlich in Saporoschje und ganz sicher in Dnepropetrowsk.84

Dnepropetrowsk Breschnew zog mit seiner Familie wieder nach Dnepropetrowsk. Sie wohnten jetzt ganz am westlichen Stadtrand in der Krutogornaja-Straße Nr. 1, denn die Stadt lag noch in Ruinen und das Stadtzentrum gab es nicht mehr.85 Wieder geschah seine Entsendung auf den Beschluss Moskaus und Kiews hin, der von den Parteigremien im November gefasst wurde.86 Chruschtschow, der sich von seiner Lungenentzündung und der Degradierung durch Stalin erholt hatte, besaß wieder ein Mitspracherecht. Am 26. Dezember 1947 machte Stalin ihn erneut zum Ersten Sekretär der Ukraine, bezog ihn aber schon vorher wieder in die Entscheidungen mit ein.87 Wieder ging es weniger um Breschnews Beförderung als um die Ersetzung eines vermeintlich Schuldigen, der Stalins Forderungen und Fristen nicht hatte erfüllen können: Pawel Andrejewitsch Naidjonow war seit 1944 Erster Sekretär in Dnepropetrowsk gewesen und ein Bekannter Breschnews.88 Anders als Breschnew in Saporoschje war es ihm nicht gelungen, die Direktiven aus Moskau umzusetzen und für den dringend erforderlichen Aufschwung in der Landwirtschaft zu sorgen.89 Zur Plenarsitzung des Dnepropetrowsker Gebietskomitees am 21. November 1947 war Leonid Melnikow, ein enger Vertrauter Chruschtschows, der ZK-Sekretär in Kiew war, persönlich erschienen, um die Beschlüsse Moskaus und Kiews zu erläutern und die Wahl Breschnews durchzusetzen.90 In dem damals üblichen Ton hieß es in dem von Breschnew unterzeichneten Protokoll, das ZK der Kommunistischen Partei sowie Stalin und Kaganowitsch persönlich hätten Dnepropetrowsk alle nötige Hilfe zukommen lassen, aber wegen der „schwachen Organisation der Parteiarbeit“ lägen Industrie und Landwirtschaft immer noch darnieder.91 Es scheint, als sei Breschnew

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durch die Anwesenheit Melnikows befangen gewesen; jedenfalls fehlen in seiner Rede die sonst für ihn üblichen launigen, persönlichen Bemerkungen. Voller Pathos dankte Breschnew „dem ZK der VKP(b) und dem Politbüro des ZK der KPU und persönlich Lasar Moisejewitsch Kaganowitsch“ für das ihm entgegengebrachte Vertrauen und versprach den anwesenden Genossen, er werde mit all seinen Kräften dafür sorgen, dass sie die anstehenden Aufgaben bewältigten.92 Parteiorganisation

Aufschlussreich ist, was der Vorsitzende des Stadtsowjets der Arbeiterdeputierten von Dnepropetrowsk, Nikolai Gawrilenko, ganz zum Schluss der Plenarsitzung, auf der Breschnew gewählt wurde, als alle vorbereiteten Reden schon verlesen waren, über den Arbeitsstil des abgesetzten Naidjonow berichtete. Dieser habe mit den Leuten nicht umgehen können, über Jahre hätten sie von ihm kein freundliches Wort gehört; man habe ständig damit rechnen müssen, dass er seine Kollegen anschrie und ihnen unterstellte, sie wären nicht fähig zu arbeiten, und sagte, er erwarte ihre Kündigung – die er dann aber nie akzeptiert hätte. „Wir haben gelernt, Kritik von Beleidigung zu unterscheiden, aber der Stil des Genossen Naidjonow wurde von ständiger Nervosität, ewigem Geschrei und Beleidigungen beherrscht.“93 Dies waren zwar nicht die offiziellen Gründe, derentwegen Kiew Naidjonow austauschte, doch habe, wie Gawrilenko betonte, diese Atmosphäre sich negativ auf die Arbeitsleistungen ausgewirkt: „Und ich muss ehrlich sagen, wenn ich diese Stadt nicht lieben würde, Ehrenwort, ich hätte mich auf und davon gemacht, denn hier herrschten solche Zustände, dass an arbeiten nicht zu denken war.“94 Breschnew kam also an einen Ort, wo er mit dem freundlichen, verbindlichen Stil, den er bisher gezeigt hatte, offene Türen einrannte. Die freimütigen Worte des Dnepropetrowsker Sowjetvorsitzenden geben einen seltenen Einblick in die psychische Verfasstheit der Partei- und Verwaltungsmitarbeiter im Spätstalinismus: Sie waren das Schreien, Drohen und die Erniedrigungen leid, die letztlich auch nur Ausdruck der Hilflosigkeit und Angst der Vorsitzenden vor den Forderungen Stalins waren. Doch während die einen, wie Naidjonow, hilflos im Kreislauf des Drohens gefangen blieben, schafften es andere Parteisekretäre, wie Breschnew, den Druck aus Moskau und Kiew nicht als Drohung weiterzugeben, sondern durch ihr freundliches, aber bestimmtes Mahnen und Fordern ein WirGefühl zu erzeugen, das die Kader eher motivierte, ihr Bestmögliches zu geben. Anders ausgedrückt war der Verzicht auf stalinistische Methoden die einzige

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Möglichkeit, eine Chance zu haben, die Stalin’schen Planvorgaben und Kennziffern zumindest annähernd zu erreichen. Der Parteisekretär der Stadt Dneprodserschinsk, I.I. Sobolew, erinnert sich: Leonid Iljitsch forderte von uns Ersten Sekretären der Stadt- und Kreiskomitees einen wertschätzenden und aufmerksamen Umgang mit den Kadern, wir sollten weder Grobheit noch Gleichgültigkeit walten lassen. Wir sollten, nach Möglichkeit, überzeugen, kameradschaftlich kritisieren, unsere Beziehung zu unseren Mitarbeitern auf kommunistischem Vertrauen aufbauen, selbst ein Beispiel für unsere Umgebung sein. Er selbst verhielt sich stets so zu den Kadern.95

Die wahre Herausforderung für Breschnew in Dnepropetrowsk scheint daher nicht die verheerende Lage in der noch immer von der Dürre 1946 geplagten Landwirtschaft oder der Aufbau der Industrie gewesen zu sein, sondern die Situation in den örtlichen Parteiorganisationen. Wie es seine Art war, begann er seine neue Tätigkeit mit einer Rundreise durch alle Landkreise des Gebiets Dnepropetrowsk. Er scheint über den Zustand der Partei wahrhaft erschüttert gewesen zu sein, wie er am 1. März 1948 vor dem Parteiplenum in durchaus wieder sehr persönlichen Worten berichtete: Ein sehr ernstzunehmendes Problem ist die vollkommene Auflösung einzelner Bereiche des Apparats. Es ist ein Missstand, wenn der Vorsitzende der Abteilung des Gebietskomitees in den Landkreis kommt (…) und verkündet, dass er gekommen sei, um Leute aus der Partei auszuschließen. Ist das etwa ein angemessener Ton? Es geht hier nicht nur um die Person dieses Genossen. Man muss genauer hinschauen – dies ist ein eigener Stil. Oder solche scherzhaften Gespräche, dass man sich zum Tadel und anderen Dingen gratuliert (…). Ich denke, das sind Anzeichen von Auflösungserscheinungen, und wir müssen uns sehr ernsthaft darum kümmern, den Apparat wieder auf die Beine zu bringen.96

Breschnew musste seinen Parteikollegen regelrecht beibringen, dass er das Stalin’sche Gebot von „Kritik und Selbstkritik“ nicht als Instrument sah, andere abzustrafen und sich selbst zu verschonen, sondern dass er es als Mittel begriff, gemeinsam die geleistete Arbeit zu begutachten und zu verbessern. Es gab offenbar eine große Resignation angesichts der Diskrepanz zwischen Anforderungen und verfügbaren Mitteln auf der einen und Strafandrohungen und Handlungsoptionen auf der anderen Seite.

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Mit einem anscheinend unerschütterlichen Optimismus – vielleicht auch nur Zweckoptimismus – versuchte Breschnew den Funktionären im ganzen Gebiet Dnepropetrowsk nahezubringen, dass Kritik und Selbstkritik keine Farce war, sondern tatsächlich ein Instrument der Mobilisierung sein konnte. Nach Auskunft eines Augenzeugen, der auf dieser Plenarsitzung anwesend war, verkündete Breschnew eine Pause, damit die Parteisekretäre in dieser Zeit ihre Reden neu schrieben und mit ausreichend ernstgemeinter Kritik und Selbstkritik versahen. Dabei paraphrasierte er durchaus Stalins Worte, die er sich zunutze machte: „Wenn Sie einen guten Kollegen verderben wollen, dann hören Sie auf, ihn zu kritisieren.“97 Auf einer Versammlung von Landwirtschaftsexperten forderte er: „Wir brauchen Kritik wie die Luft zum Atmen, ohne Kritik können wir uns nicht fortbewegen und in der Partei ist Kritik die entscheidende treibende Kraft.“98 Breschnew verlangte nicht nur, dass seine Kollegen Kritik und Selbstkritik wiederbelebten. Er forderte die fast 100 frisch gewählten Mitglieder des Gebietskomitees auf, ihre Arbeit neu zu begreifen: Es reiche nicht, bei den Plenarsitzungen anwesend zu sein, sie müssten durch das ganze Gebiet fahren, die Kreis- und Stadtkomitees besuchen, Fragen stellen, sich umsehen, ihre Beobachtungen weitergeben und helfen: „Ich würde darum bitten, dass jedes Plenumsmitglied sich die Frage stelle: Welchen Beitrag habe ich geleistet, welchen Anteil hatte ich am Gelingen dieses Plenums, was kann ich zu dieser Frage sagen, welche Beobachtungen habe ich zu diesem Punkt, habe ich dem Plenum heute geholfen oder nicht?“99 Welche Grabenkämpfe und Rückzugsgefechte sich in der Dnepropetrowsker Parteiorganisation genau abspielten, lässt sich teils nur erahnen und zwischen den Zeilen der Sitzungsprotokolle lesen. So brachten viele Delegierte des Februar-Plenums 1948 ungewöhnlich viel Kritik gegen Breschnews Rechenschaftsbericht vor, den er auf der folgenden Parteikonferenz präsentieren sollte. Fast keinen Paragraphen ließen sie so, wie Breschnew ihn vorgestellt hatte. Breschnew ließ dies geschehen, nahm alle Änderungswünsche auf und ließ über alle Punkte offen abstimmen.100 Auch eine Kritik, die schon sehr früh auf der Parteikonferenz Ende Februar 1948 gegenüber Breschnew geäußert wurde, überschritt den Rahmen des Üblichen. Breschnew reagierte darauf mit den Worten: Vieles von dem, was hier an die Adresse des Büros und des Gebietskomitees und seiner Sekretäre gesagt wurde, betrifft zu einem großen Teil auch mich selbst als Sekretär des Gebietskomitees der Partei. (…) Ich habe die Reden aller Delegierten aufmerk-

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sam angehört und irre mich nicht, wenn ich sage, dass die Kritik vieler oder fast aller Delegierten dem einen oder anderen Kollegen (…) einiges Unbehagen bereitet hat. Ich muss sagen, dass ich in vielen Fällen diese Kritik als an mich persönlich gerichtet begriffen habe und mir ebenfalls sehr zu Herzen genommen habe.101

Die anschließende Diskussion der Kandidaturen für 71 Vollmitglieder und 23 Kandidaten des Gebietskomitees verlief ungewöhnlich lebhaft und in selten offenen und scharfen Worten, was teilweise zu Kampfkandidaturen führte. Die Namen der Kandidaten und Kandidatinnen wurden einzeln von Breschnew verlesen, und die Anwesenden machten ausgiebig davon Gebrauch, Argumente anzuführen, warum der eine oder die andere für eine Kandidatur ungeeignet sei und von der Liste genommen werden sollte. Teilweise fiel die Kritik so vernichtend aus, dass sich Breschnew als Moderator der Diskussion gezwungen sah, einzugreifen und Kandidaten, die er selbst im Amt halten wollte, in Schutz zu nehmen. Als gefordert wurde, der Sekretär für Propaganda Dunajew verstehe die Kritik, die an ihm geübt worden war, nicht und müsse daher von der Liste gestrichen werden, verteidigte Breschnew ihn: „Er ist zweifellos als Sekretär schuldig, er ist hier zu Recht kritisiert worden und seine Arbeit ist korrekt bewertet worden. Aber zu sagen, dass er unser Vertrauen nicht verdient, als jemand, der seit 1925 Parteimitglied ist, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht – so muss man ihn, denke ich, nicht erziehen.“102 Die Delegierten blieben mit ihren Argumenten im Rahmen des vorgegebenen Diskurses und verwiesen auf Missstände, Planrückstände und fehlendes Verständnis von Kritik und Selbstkritik. Ob es ihnen darum ging, eigene Netzwerke zu retten, oder hauptsächlich darum, die „kleinen Stalins“ und Despoten loszuwerden, ist aus den Stenogrammen allerdings nicht ersichtlich. Wie groß die Unzufriedenheit war, lässt sich auch an den Wahlergebnissen ablesen: In einer Zeit, in der Einstimmigkeit erwartet wurde, war es durchaus ungewöhnlich, dass einige Kandidaten von 413 Stimmen nur 392 erhielten.103 Ein Jahr später, im Januar 1949, schien die Parteiorganisation noch immer nicht befriedet zu sein. Der Konflikt bestand nun stärker als im Vorjahr, als Breschnew sich gerade erst wenige Monate im Amt befunden hatte, darin, dass es Kandidaten gab, auf die Breschnew sich stützte, die aber offenbar von der Basis nicht akzeptiert wurden. Das waren nicht viele, aber dass es überhaupt eine heftige Auseinandersetzung um Kandidaten gab, war nicht üblich. Diesmal ging es um den Gebietssekretär Leonid Lukitsch, der für den Wiederaufbau der Indus-

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trie zuständig war. Nach einer lebhaften Diskussion darüber, ob Lukitsch als Kandidat noch tragbar sei, sprach Breschnew ein Machtwort: Tatsächlich gibt es in dem Bereich, den Genosse Lukitsch leitet, die meisten Missstände. Ich habe davon in meinem Vortrag berichtet und andere Genossen auch. Aber das ist ein sehr schwieriger Bereich. Kaum wird man sagen können, dass allein von Lukitsch absolut alles abhängt. Ich denke, dass hier das Büro auch an vielem schuld ist. Einige Fragen hat das Büro offenbar nicht abschließend lösen können. Daher kann man, seht mal, eine solche Anschuldigung, die Industrie sei nicht wieder aufgebaut und daran sei ausgerechnet Lukitsch schuld, meiner Meinung nach, ihm gegenüber nicht erheben.104

Breschnew konnte mit seiner Intervention die Kandidatur Lukitschs retten, wurde aber selbst bei den Wahlen mit drei Gegenstimmen abgestraft.105 Während bei diesen Wahlen zum Gebietskomitee niemand mehr als drei Gegenstimmen erhielt, waren die Auseinandersetzungen im Stadtkomitee von Dnepropetroswk ungleich heftiger.106 Dies lässt sich ebenfalls an den Gegenstimmen ablesen: Hier bekam Breschnew schon im Februar 1948, als er erst drei Monate im Amt war, zwei Neinstimmen, während andere mit bis zu 19 Gegenstimmen leben mussten.107 Trotz der ungewöhnlich scharfen Kritik, die er selbst einstecken musste, lobte er sie als „vollkommen gerechtfertigt“.108 Insofern blieb er seinem Versprechen treu, nicht mit Drohungen, Abmahnungen und Parteiausschlüssen zu arbeiten, sondern Kritik als produktiven Prozess zu betrachten. In seinen Memoiren heißt es allerdings: „Ich habe mich immer schwer getan, Kritik anzunehmen, und anders kann es wohl auch gar nicht sein. Kritik ist keine Schokolade, die man gerne nascht.“109 Landwirtschaft

Breschnew musste also stärker als in Saporoschje um das Vertrauen der Partei kämpfen und dafür werben, auf Kritik und Selbstkritik nicht mit Zynismus zu reagieren, sondern die Ärmel hochzukrempeln. Er forderte dazu auf, ein „Pathos des friedlichen Aufbaus“ zu schaffen, wie es ein Pathos im „Vaterländischen Krieg“ gegeben habe.110 Die Lage in der Landwirtschaft war indes genauso verheerend wie in Saporoschje. Die Folgen der Hungersnot waren noch nicht überwunden, aber aus Moskau kamen neue Direktiven, es solle mehr Mais als Kraftfutter für das Vieh angebaut werden. Anstelle der 140.000 Hektar Mais, die 1947

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gesät worden und nur schwer angegangen waren, mussten nun 170.000 Hektar eingesät werden, was immerhin 40 Prozent der Sommersaat ausmachte. Die Frage, ob das gelinge, hänge ganz von ihnen selbst ab, mahnte Breschnew unter sichtlicher Anspannung: „Momentan meinen die Bäuerlein noch, dass Weizen und Gerste wichtig sind und nicht Mais. Wir müssen 200.000 Kolchosbauern umerziehen und in diesem Sinne anleiten, damit sie das begreifen. (…) Daher empfinde ich eine solch innere Unruhe hinsichtlich des Maises.“111 Um die Agronomen anzuleiten, welche die Kolchosen schulen sollten, hatte Breschnew zur Versammlung der Landwirtschaftsexperten sogar den berühmten und umstrittenen Genetiker Trofim Lysenko eingeladen.112 Doch trotz aller Expertise wurde deutlich, dass das Problem an anderer Stelle lag: im Mangel an Saatgut und Maschinen. Infolge des Krieges fehlten 100.000 Pferde. Nun hoffte man zur Aussaat auf 350 bis 400 neue Traktoren, die Moskau versprochen hatte.113 Wie fast jede Branche hatte auch der Maisanbau seinen sozialistischen Helden hervorgebracht, der sagenhafte Ernteergebnisse erzielte und allen als Vorbild diente: Mark Osernoi. Breschnew ereiferte sich, dass es trotz der Erfolge der Osernoi’schen Vorgehensweise, die durch eine besondere Kreuzung von Mais den Ertrag eines Hektars Land bis auf über 200 Zentner Mais gesteigert hatte, immer noch Gegenden und Kolchosen gebe, in denen man Osernois Methode nicht anwende.114 Dies war der Aktionsradius, den Breschnew besaß: Einerseits musste er verkünden, das ZK in Moskau und „Stalin persönlich“ hätten mit Saatgut, Maschinen, Geräten und Treibstoffen geholfen und es liege nun an ihnen selbst, sich dieser Hilfe würdig zu erweisen und die geforderten Ernten zu liefern. Andererseits sprach er persönlich, leidenschaftlich, voller Engagement und versuchte, seinen Genossen den Sinn ihrer Tätigkeit neu zu vermitteln: Wir müssen den Weg jetzt politisch beleuchten, den wir in diesem Jahr zurücklegen müssen. Wir müssen vor jedem Menschen eine Perspektive eröffnen, in ihm Zuversicht, Tatkraft wecken, damit der Mensch die Perspektive seines Landkreises, seines Gebiets, seiner Kolchose und vor dem Hintergrund der allgemeinen staatlichen Perspektive auch seine persönliche Perspektive sieht.115

Wir wissen nicht, was in Breschnew vorging, welche der Maßnahmen er selbst für sinnvoll erachtete und welche er durchführte, weil er dazu verpflichtet war. Es ist möglich, dass er es für richtig hielt, die Kolchosen dazu zu zwingen, endlich regelmäßig Versammlungen durchzuführen, so wie es das ZK in Kiew entschieden hat-

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te, um den Kolchosbauern die neuen Anbaumethoden, aber auch die Parteiideologie nahezubringen.116 Immerhin hatte er mit der Mobilisierung von Kadern gute Erfahrungen gemacht und glaubte vielleicht, dass auch die Bauern ein Einsehen haben könnten. Dazu gehörte auch, dass Breschnew 1948 und 1949 für die Kolchosen aus dem Dnepropetrowsker Gebiet einen Vertrag unterschrieb, mit dem sie sich zum „sozialistischen Wettbewerb“ in Konkurrenz zum Saporoschjer Gebiet verpflichteten, um die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern: von jedem Hektar 20,5 Zentner Getreide einzubringen, die Rinderzucht um 20 Prozent, die Schweinezucht um 23 und die Pferdezucht um 13 Prozent zu steigern.117 Aber Breschnew oblag es auch, entsprechend dem Dekret des Obersten Sowjets der UdSSR „Über die Maßnahmen zur Verbesserung der Organisation, Erhöhung der Produktivität und Regulierung der Bezahlung der Arbeit in den Kolchosen“, sprich: zur Beseitigung der Folgen der Hungersnot, im Gebiet 457 Kolchosen zu überprüfen und aus 188 Betrieben 347 Bauern aus der Ukraine wegen „bösartiger Verweigerung der ehrlichen Arbeit“ auszusiedeln und weitere 643 abzumahnen.118 Es zeigt sich, dass Breschnew immer wieder versuchte, seinen Handlungshorizont auszudehnen. Allerdings bleiben seine Motive dafür manchmal im Dunkeln. So organisierte er, wohl in dem Eifer, Erfolge demonstrieren zu wollen – vielleicht gegenüber Kiew und Moskau, eventuell aber noch stärker gegenüber der Bevölkerung –, 1948 in Dnepropetrowsk eigenmächtig eine Ausstellung der Errungenschaften der Landwirtschaft. Als aus Moskau eine Kommission anreiste, um die Sache zu überprüfen, stellte sich Chruschtschow vor seinen Zögling und behauptete, Breschnew sei dafür nicht verantwortlich, denn er habe auf seine, Chruschtschows, Anweisung hin gehandelt.119 Das zeigt einmal mehr, wie stark die Verbundenheit zwischen „Patron“ und „Klient“ war: Chruschtschow hätte wohl um keinen Preis einen seiner besten Männer an „Moskau“, wo er seine Feinde Lawrenti Berija und Georgi Malenkow am Werke sah, ausgeliefert, ganz gleich, worin Breschnews Vergehen bestand. Wiederaufbau

In Dnepropetrowsk fanden sich nicht ganz so prominente Industriegiganten wie in Saporoschje, aber die Aufgaben waren nicht weniger drängend. Die Wehrmacht hatte von 16 Hochofenanlagen 13 vollkommen zerstört und drei stark beschädigt; von 36 Martinsöfen standen noch sieben, von 56 Walzwerken 35. Den Schaden bezifferte Breschnew mit 1,6 Milliarden Rubel.120 Neben den Koh-

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legruben, die von den Deutschen geflutet worden waren, mussten in erster Linie das Stahlwerk Asowstahl, die LKW-Fabrik Awtosawod und das Röhrenwerk „Karl Liebknecht“ wieder in Betrieb genommen bzw. in ihrer Produktion erheblich gesteigert werden.121 Als sei dies nicht genug, erhielt er die Direktive, alle Betriebe darauf einzuschwören, den Fünfjahrplan (1946–1950) in nur vier Jahren zu erfüllen.122 Breschnew mahnte in seiner bekannten sachlichen Art, ohne dabei ausfallend oder persönlich zu werden. Er nannte die Missstände und Verantwortlichen beim Namen und forderte größere Anstrengungen: „Wir sind verpflichtet, den Leitern unserer Subunternehmen, die für ‚Südautobau‘ arbeiten, den Genossen Rabinowitsch (…), Pertschenko, Editkin (…), die eine sehr schlechte Arbeit abliefern, eine ernsthafte Rechnung zu präsentieren. Laut Plan, Genosse Editkin, sollen Sie 2000 Kubikmeter Erde machen, aber sie liefern nur 750 Kubikmeter.“123 Darüber hinaus hatte Breschnew aber in Bezug auf die Industrie größere Handlungsspielräume als bei der Landwirtschaft: Anders als für die Bauern konnten die Gebietssekretäre für die Unternehmen und Arbeiter in Moskau ungestraft um Material und Geld bitten. Davon berichtet I.I. Sobolev, der unter Breschnew in Dneprodserschinsk Leiter des Stadtparteikomitees war. Breschnew habe ihnen geraten, mit „großen Taschen“ nach Moskau zu fahren, um dort „Geld einzusammeln“: Sie sollten bei den Ministerien bitten und betteln und mitbringen, was sie kriegen konnten. Das geschah durchaus systematisch und geplant, denn vor jeder Entsendung ihrer „Boten mit großer Tasche“ versammelten sich die Betriebsleiter und Parteisekretäre, um ihre Bedarfslisten zusammenzustellen. Erst wurde die Liste abgeschickt, dann reiste der Bürgermeister oder sein Stellvertreter mit seinen Beratern hinterher.124 Das galt nicht nur für die Finanzlöcher und Materialanforderungen der Industrie, sondern auch für den Aufbau der Stadt und der kommunalen Infrastruktur. Nach wie vor herrschte Not an allem: Wohnungen, Kantinen, Geschäften, Krankenhäusern, Kultureinrichtungen usw. So wie Breschnew darüber sprach, scheint es ihm ein echtes Anliegen gewesen zu sein, für bessere Lebensbedingungen zu sorgen – ein Thema, das er als Generalsekretär zu seinem Hauptprogramm machen sollte. Das Wohnungsbauprogramm war nur zu sieben Prozent erfüllt und selbst diese Neubauten würden in einem jämmerlichen Zustand übergeben,125 schimpfte Breschnew: „Mir hat vor kurzem jemand erzählt, dass der Geschäftsführer eines Bautrusts in eine neue, von ihm selbst gebaute Wohnung zog und von oben alles herunterrieselte und das Wasser von der Decke tropfte. Anderthalb Monate brauchte er, bis alles in Ordnung war, da er Schlosser und

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Monteure zur Hand hatte. Aber wie steht es um all die anderen, die das nicht haben? (Tumult im Saal)“126 Breschnew appellierte: „Genossen! Jetzt, wo das Land seine Wunden schließt, die der Krieg ihm zugefügt hat, und das sowjetische Volk so leben will, dass es seine materiellen und kulturellen Bedürfnisse befriedigen kann, gewinnen der freie sowjetische Warenverkehr und der entwickelte Warenumsatz besondere Bedeutung.“127 Dabei ging es zunächst überhaupt nicht um Konsumförderung, sondern um die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. In Breschnews Dnepropetrowsker Zeit fiel die Währungsreform und Abschaffung der Lebensmittelkarten im Dezember 1947. Gleich auf seinem ersten Stadtkomitee-Parteiplenum am 9. Dezember musste Breschnew die Genossen auf diese bevorstehende Aufgabe einschwören. Die Abschaffung der Lebensmittelkarten müsse als Sieg der Partei dargestellt werden: „Gleichzeitig wird es Schwierigkeiten geben, wenn es in einem Geschäft kein Brot gibt. Damit es nicht heißt, die Karten sind weg und die Läden sind leer, muss man die Leute vorbereiten.“128 Breschnew wusste, wovon er sprach. Tatsächlich berichtete das Stadtkomitee Mitte des Jahres 1948 nach Kiew über „viele fehlgeleitete Gespräche und Stimmungen unter den Werktätigen“ im Zusammenhang mit den „Schwierigkeiten, die Stadtbevölkerung mit Brot zu versorgen“. Die Leute beschwerten sich, dass sie zwei Tage für Brot anständen und dennoch keins erhielten, sie forderten, alle Fabriken stillzulegen, da alle Arbeiter nach Brot anständen; es herrschte die Meinung vor, ohne Lebensmittelkarten erhielte man weniger Brot als vorher mit. Es kursierten Gerüchte, dass das Getreide an England geliefert werde und es bald zum Krieg mit den USA käme, da die Brotfabriken begännen, Zwieback zu rösten.129 Breschnew wusste einerseits durch solche Berichte, die die Sicherheitsorgane zusammentrugen, andererseits von seinen eigenen Reisen durch die Kreise und Dörfer, wie die Stimmung im Gebiet war und wie es den Menschen ging. Gleichzeitig hatte er auch in Dnepropetrowsk noch mit den Spätfolgen des Krieges zu tun, wenn er klären musste, wer mit den Deutschen kollaboriert hatte und wer nicht. Die 11.606 Kommunisten, die „ohne Erlaubnis der Partei im okkupierten Gebiet“ geblieben waren, wurden fast alle aus der Partei ausgeschlossen.130 Netzwerke

Die Situation in Dnepropetrowsk war also äußerst angespannt und forderte all seine Kräfte und damit wohl auch ihren gesundheitlichen Tribut. Jedenfalls ist

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im Protokoll Nr. 21 der Sitzung des Büros des Gebietskomitees vom 21. Januar 1949 vermerkt, dass Breschnew wegen Krankheit fehlte.131 Es ist nicht erstaunlich, dass sich Breschnew auch hier angesichts der schweren Konflikte in der Parteileitung und der unsicheren Parteibasis Verbündete suchte, die er seinerseits schützte: Glaubt man seinen „Memoiren“, nahm er den damaligen Direktor des Röhrenwerks von Nikopol, N.A. Tichonow, seinen späteren stellvertretenden Ministerpräsidenten, in Schutz, als dieser mehr Geld, als ihm zugewiesen war, für Krankenhäuser, Kantinen und Straßen ausgegeben hatte. Gegenüber Moskau argumentierte er, ohne die Straße hätte es keine Nachtschicht in der Fabrik gegeben und dass ein Arbeiterclub immerhin keine Privatdatsche sei.132 Ein weiterer enger Vertrauter Breschnews wurde Georgi Tzukanow, der in Dnepropetrowsk Oberingenieur des Stahlwerks war und ihm nach 1960 als persönlicher Referent dienen sollte. Er machte außerdem die Bekanntschaft von Wladimir Semitschastny, der zu dieser Zeit unter Chruschtschow Leiter des Komsomol in Kiew war und später als KGB-Chef zusammen mit Breschnew den Sturz ihres gemeinsamen Ziehvaters durchführen sollte.133 In Dnepropetrowsk lernte er auch Wladimir Schtscherbitzki kennen und schätzen, den Zweiten Sekretär von Dneprodzerschinsk, der später zum Kreis der engsten Vertrauten und Freunde zählte. Murphy behauptet, Breschnew habe in dem zwölf Jahre Jüngeren so etwas wie einen Sohn gesehen.134 Breschnew hätte ihn später gern zu sich nach Moskau geholt, aber Schtscherbitzki wollte Parteichef der Ukraine bleiben.135 Nach Aussagen von Breschnews Fotografen Musaeljan plante Breschnew sogar, Schtscherbitzki 1982 als seinen Nachfolger auszurufen.136 Vermutlich stand er auch weiterhin in engem Kontakt mit seinem Freund Kirilenko, der im Juni 1950 auf ihn als Parteichef von Dnepropetrowsk folgte. Breschnews Erfolge wurden anerkannt: damals von Chruschtschow und Stalin und später von seinen eher kritischen Biographen: Mletschin und Murphy halten Breschnew zugute, dass der Wiederaufbau von Dnepropetrowsk sein Verdienst war.137 Roy Medwedew gesteht ihm zu, dass er schon damals ein Anhänger der „Kaderstabilität“ war und durch seine weiche, ruhige Art die Parteireihen befriedete.138 Im Januar 1949 wurde Breschnew in das ZK der KPU in Kiew gewählt.139 Breschnew hinterließ offenbar noch auf andere Weise bleibenden Eindruck: Er fiel schon damals damit auf, dass er viel Wert auf gute, zumindest angemessene Kleidung legte. Warwara Schochanowa berichtet, wie Breschnew sie 1947

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nicht nur motivierte, einen Sekretärsposten im Stadtkomitee von Dnepropetrowsk anzunehmen, sondern wie er auch den Kleidungsstandard hob. Bei den Damen habe er Wert darauf gelegt, dass sie Strümpfe trugen, bei den Herren, dass sie im Anzug erschienen. Er, der selbst immer in einen schwarzen Anzug gekleidet war, habe einmal alle Mitglieder der Parteiversammlung wieder nach Hause geschickt, weil sie mitten im Sommer in kurzärmeligen Hemden und ohne Schlips erschienen waren.140 In gewisser Weise war dieser Dresscode auch ein Ausdruck für den gegenseitigen Respekt und den Führungsstil, den er seinen Genossen zu vermitteln suchte. Über sein Privatleben ist wenig bekannt. Breschnew war nach wie vor viel unterwegs, wenn er seine Fahrten durch das Gebiet machte, schien aber nicht mehr in Fabriken oder auf Baustellen zu schlafen. Die Familie zog wieder ins Zentrum in die Rogaleva-Straße; heute ist dort eine Gedenktafel angebracht.

In Moldawien Breschnew wurde im März 1950 als Vertreter für die Region Dnepropetrowsk in den Obersten Sowjet der UdSSR gewählt.141 Er fuhr nach Moskau und wurde dort noch im selben Monat von seinem Amt als Sekretär des Dnepropetrowsker Gebietskomitees abgelöst, um im Juni zum Inspektor des ZK der VKP(b) ernannt zu werden.142 Über diese Monate in Moskau ist nichts bekannt, aber offenbar waren Breschnew höhere politische Ämter zugedacht. Wahrscheinlich war es Chruschtschow, der im Dezember 1949 wie schon vor dem Krieg von Stalin zum Parteichef Moskaus berufen worden war und jetzt seine Gefolgsleute in der Hauptstadt um sich sammeln wollte; doch wir wissen es nicht. Breschnew hatte das neue Amt als Parteiinspektor nur einen Monat lang inne, dann schickte ihn das Politbüro Mitte Juli als Parteivorsitzenden nach Moldawien. Dies geschah wohl auf Empfehlung Chruschtschows, der angesichts der Absetzung des bisherigen Republikschefs von Moldawien, Nikolai Grigorjewitsch Kowal, am 5. Juni 1950 die Chance nutzte, um dorthin seinen Klienten Breschnew zu entsenden und sich damit außer in der Ukraine auch dort eine „Hausmacht“ zu sichern.143 Allerdings musste Chruschtschow auch Stalin davon überzeugen, dass Breschnew der richtige Mann war, ihm eine Republik anzuvertrauen, und darüber gibt es verschiedene Legenden. Auf einer der wenigen Parteiversammlungen 1950 soll Stalin Breschnew erblickt und an dem „tüchtigen, kräftigen Schönling mit dem

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runden, von Gesundheit strotzenden Gesicht und den dichten Augenbrauen“ Gefallen gefunden haben.144 Da er ihn aufgrund seiner Sonnenbräune für einen Moldawier gehalten habe, habe er ihn gefragt: „Nun, wie stehen die Dinge bei Ihnen in Moldawien?“ Breschnew habe widersprochen: „In der Ukraine, Iosif Wissarionowitsch“, aber Stalin habe freundlich insistiert: „Nicht in der Ukraine, sondern in Moldawien.“145 Da sich Stalin nie irrte, so geht die Legende, habe er Breschnew sofort nach Moldawien versetzt. Eine noch merkwürdigere Geschichte erzählt der Lokalhistoriker Maxim Kawun: 1949 habe es zu Ehren von Stalins 70. Geburtstag u.a. die Tanzdarbietung eines moldawischen Ensembles gegeben, das Stalin so gut gefallen habe, dass er dazu Breschnew gratuliert habe: „Wunderbar tanzen eure Moldawier“. Wenige Tage später habe er Breschnew zum Parteichef Moldawiens befördert.146 Vermutlich ist die Geschichte, dass Stalin Breschnew für einen Moldawier hielt, ins Reich der Legenden zu verweisen, denen eine tiefere Volksweisheit zugrunde liegt: Parteichefs wurden nach Äußerlichkeiten berufen und das Credo „Der Führer hat immer recht“ führte zu seltsamen Berufungen. Breschnew zog mit seiner Familie in das von Dnepropetrowsk 600 Kilometer entfernte Kischinjow, in ein für die ehemalige russische Provinzstadt typisches einstöckiges Haus aus dem 19. Jahrhundert in der Gartenstraße.147 Moldawien lag am Rande des Reichs, und die Lage in der jüngsten Republik der Union, die erst 1940 von der Sowjetmacht auf Grundlage des Hitler-Stalin-Pakts besetzt und 1944 erneut erobert worden war, stellte sich als dramatisch dar: Moldawien war das Armenhaus des europäischen Teils der Sowjetunion. Die Dürre der Jahre 1946/47, die darauf folgende Hungersnot und die Kriegszerstörungen nahmen sich noch katastrophaler als in der Ukraine aus. Die „Nicht-Werktätigen“ erhielten nur 250 Gramm Brot am Tag, den Kolchosbauern stand ein halbes Kilogramm Getreide pro Arbeitstag zu. Im fruchtbaren Bessarabien, das sich einst seiner Früchte und Weine gerühmt hatte, hungerten 95 Prozent der Bevölkerung; die Schätzungen über die Hungertoten liegen zwischen 36.000 und 200.000; die Behörden registrierten Dutzende Fälle von Kannibalismus.148 Wie im Fall der Ukraine wollte Stalin auch vom Hunger in Moldawien nichts hören, schickte 1947 aber doch Lebensmittelhilfen und den stellvertretenden Ministerratspräsidenten Aleksei Kossygin nach Moldawien, der die Verteilung überwachte.149 Doch kaum war die schlimmste Not überwunden, ordnete das Politbüro in Moskau die endgültige Kollektivierung und Entkulakisierung der Landwirtschaft an. Unter der Ägide des moldawischen Parteisekretärs Kowal und des Ministerratspräsidenten Gerasim Jakowljewitsch Rud führte der moldawische NKWD

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in der Nacht vom 5. auf den 6. Juli 1949 eine Deportationsoperation unter dem Namen „Süden“ durch, die noch heute in Moldawien als nationales Trauma gilt: Über 11.000 Familien, insgesamt rund 35.000 Menschen, die meisten bereits von zwei Jahren Hungersnot entkräftet und geschwächt, wurden ohne Vorwarnung abgeholt und nach Kasachstan oder Sibirien deportiert. Viele starben noch unterwegs an Erschöpfung, etliche weitere in den „Sondersiedlungen“, wo die Familien in der nackten Steppe ausgesetzt wurden.150 Dabei habe es nicht einmal, so der spätere Parteichef Moldawiens Iwan Iwanowitsch Bodjul, einen nennenswerten Widerstand gegen die Kollektivierung gegeben; dafür seien die Bauern viel zu geschwächt gewesen.151 Tatsächlich erreichten derart viele Revisions­ gesuche der Deportierten Moskau, dass 1952 noch unter Stalin eine Untersuchungskommission eingesetzt wurde, die rund 500 Menschen die Rückkehr aus der Verbannung gestattete.152 Die Beschwerden der Bauern und der ausbleibende Aufschwung der jüngsten Republik bildeten den Hintergrund, vor dem Stalin Parteichef Kowal durch Breschnew ersetzte. Breschnew kam also in ein doppelt traumatisiertes Land, in dem es an allem fehlte: Saatgut, landwirtschaftlichen Maschinen, Infrastruktur, Elektrizität, Wohnraum, Bildungseinrichtungen, Gesundheitsversorgung – und vor allem an Zuversicht und Vertrauen der Bevölkerung in den sowjetischen Aufbau. Dass ein Teil der Felder noch aus dem Krieg vermint war, die Armee noch einen bewaffneten Kampf gegen Partisanengruppen führte, die Überprüfung der Kader auf „Kollaborateure“ mit den deutschen Besatzern andauerte und Breschnew die Landessprache – Rumänisch – nicht verstand, schienen da eher die kleineren Probleme zu sein.153 Dass Breschnew an diesen Aufgaben scheitern und genauso ruhmlos wie Kowal nach wenigen Jahren von Stalin abgesetzt würde, war durchaus wahrscheinlich und vielleicht auch ein Kalkül von Chruschtschows Widersacher Malenkow, so Murphy.154 „Harte Hand“ versus „neuer Stil“

Wie immer wollte Stalin sichergehen, dass seine Wahl von den Genossen in Moldawien akzeptiert würde. Hatte in Dnepropetrowsk Chruschtschows Gefolgsmann Melnikow Breschnew eingeführt und zur Wahl vorgeschlagen, schickte Stalin nach Kischinjow Nikolai Nikolajewitsch Schatalin, Mitglied der Zentralen Revisionskommission. Dieser hatte auf dem V. Plenum der moldawischen KP Anfang Juli 1950 dafür Sorge zu tragen, dass Breschnew auch gewählt wurde.

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Schatalin pries Breschnew als Außenstehenden, der die Lage unvoreingenommen betrachten könne: Genosse Breschnew ist seit über zwei Jahrzehnten Parteimitglied, ein vergleichsweise junger Genosse, voller Kraft, er hat seinerzeit Landwirtschaft gelernt, sich mit Landneuordnung beschäftigt, hat das Institut für Metallurgie absolviert, arbeitet seit fast 15 Jahren auf Parteiposten, darunter einige Jahre als Gebietssekretär. Zuletzt war er im Dnepropetrowsker Gebiet tätig, einem großen Gebiet, mit mehr als 50.000 Kommunisten, einem Gebiet, das dem Staat 50 Millionen Pud [russische Maßeinheit, 1 Pud = 16,381 kg] Getreide liefert. Das Gebiet erinnert in vielem an Moldawien, z.B. beim Anbau von Mais, Baumwolle, womit Sie sich jetzt beschäftigten, Weizen usw. Genosse Breschnew hat sich bei deren Organisation von seiner besten Seite gezeigt. Er ist ein energischer, erfahrener Mann. Außer auf Parteiposten in Friedenszeiten hat er auch Parteiarbeit im letzten Krieg geleistet: (…) Man erzählt sich, dass er eine entsprechende Hand hat usw. Mit einem Wort, das ZK der VKP ist angesichts der gegebenen Lage der Meinung, dass Genosse Breschnew der moldawischen Parteiorganisation entschiedene Hilfe leisten kann. Daher wird empfohlen, bei den Beschlüssen unter Punkt „b“ zu vermerken: „Genossen Breschnew zum Ersten Sekretär des ZK der KP Moldawiens wählen“.155

Als bei der folgenden Abstimmung nicht alle Genossen die Hand hoben, insistierte Schatalin: „Einige haben nicht abgestimmt, wie ist das zu verstehen?“156 Erst als der Sitzungsleiter, der Zweite Sekretär Boris Archipowitsch Gorban, Schatalin erläuterte, dass dies Mitgliedskandidaten und Mitarbeiter des ZKApparats ohne Stimmrecht seien, zeigte sich Stalins Abgesandter befriedigt. Es ist nicht nur bezeichnend für diese Zeit, dass Breschnews „Wahl“ von Stalin angeordnet und per Gefolgsmann durchgesetzt wurde. Es ist genauso charakteristisch, dass Breschnew als „Mann mit entsprechender Hand“ – gemeint ist: „mit harter Hand“ – gepriesen wurde.157 Eine „harte Hand“ oder eine „Hand, die nicht zittert“, war das Kriterium, nach dem Stalin die Tauglichkeit seiner Gefährten beurteilte. Gemeint war die Bereitschaft, die Parteilinie ohne Wenn und Aber durchzusetzen und auch Verhaftungen, Deportationen und Erschießungen ohne Zögern zu exekutieren. Doch dies war eine Charakterisierung, die auf Breschnew gerade nicht zutraf. Dass er in Moldawien nicht scheiterte, sondern seine „Mission“ erfüllte, lag neben dem Regen, der ab 1951 wieder bessere Ernten bescherte, und den Finanzhilfen, die Stalin schließlich doch Anfang 1952 bereitstellte, nicht

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zuletzt daran, dass er auf die Menschen vor Ort zuging, ihnen zuhörte, sie ernst nahm, aber auch von ihnen forderte, ihnen ins Gewissen redete und sie motivierte. Wie schon in der Ukraine war dies angesichts der Abhängigkeit von Moskau in allen Fragen von Ressourcen, Kadern und Verwaltungsstrukturen das einzige Kapital, das Breschnew selbst in der Hand hatte und mit dem er wuchern konnte. Das Parteiplenum, das ihn unter Aufsicht Schatalins wählte, zeigte ihm ein zerstrittenes ZK, dessen Mitglieder, wenn sie dazu, wie in diesem Moment von Schatalin, aufgefordert wurden, bereit waren, sich gegenseitig zu zerfleischen. Auch wenn die Schärfe der hier geäußerten Anschuldigungen der stalinistischen Rhetorik geschuldet war, von der die meisten glaubten, dass sie sie bedienen müssten, offenbarten sich doch in der Art der Anklagen einige Probleme der moldawischen Partei: Von einer Parteiorganisation in den ländlichen Regionen konnte kaum die Rede sein, und die Parteifunktionäre, die es gab, hatten bei den Deportationen 1949 Schuld auf sich geladen, sich teilweise persönlich am Besitz der Deportierten bereichert oder sich durch Trunkenheit, Vetternwirtschaft und angeblich auch Vielweiberei diskreditiert.158 Die Parteileiter in Kischinjow hatten sich offenbar bemüht, sich von den desolaten Zuständen auf dem Land fernzuhalten, und Anweisungen und Dekrete nur per Post geschickt, ohne sich selbst zu kümmern.159 Angesichts der bedrückenden Wohnsituation und der schlechten Versorgung versuchten selbst die Landkreis-Funktionäre, in der Hauptstadt Kischinjow zu wohnen und sich möglichst wenig auf dem Land aufzuhalten.160 Ministerien wurden benutzt, um die eigenen Verwandten und Freunde mit Posten, Lebensmitteln und Wohnraum zu versorgen.161 In dieser Misere wurde Ministerratspräsident Rud zugutegehalten, dass er im Zweiten Weltkrieg eine Partisaneneinheit geführt hatte, mit Problemen in seiner Familie zu kämpfen habe und einfach „ausgelaugt“ sei. Hingegen warfen die ZKMitglieder dem Ersten Sekretär Kowal vor, dass er jähzornig, aufbrausend und nervös sei, stets sehr empfindlich reagiere, den einen Teil der Genossen drangsaliere und den anderen bevorzuge.162 So hatte es Breschnew mit der typischen stalinistischen Mischung aus Fatalismus, Opportunismus und Hetze zu tun. Wie schon in Dnepropetrowsk schien er der Mann zu sein, der für diese Situation gemacht war, aber eben nicht, weil er mit „harter Hand“ durchgriff, sondern weil er in der Lage war, die Genossen auch unter widrigsten Umstände zu motivieren, und ihnen vorführte, dass man der stalinistischen Scharfmacherei mit sachlichen Argumenten ausweichen konnte. Um Vertrauen aufzubauen, war es bereits ein wichtiger Schritt, dass Kowal und Rud nicht mit Schimpf und Schan-

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de abgesetzt oder gar aus der Partei ausgeschlossen wurden, sondern Rud seine Stellung als Ministerratspräsident behielt und lediglich einen „Tadel“ ausgesprochen bekam, während Kowal das Landwirtschaftsministerium Moldawiens übernahm und damit nach wie vor für eine der wichtigsten Branchen verantwortlich zeichnete.163 Breschnew erläuterte zum Verbleib von Rud im Amt: „Wir glauben ihm das, und wenn er tatsächlich sein Versprechen einhält, seine Arbeit korrigiert, keine politischen Fehler macht, dann, denke ich, wird das unser Verdienst sein.“164 Breschnew suggerierte auf diese Weise nicht nur, dass jeder unter ihm eine faire Chance bekomme, seine Redeweise unterschied sich auch fundamental von dem Ton, den vorher Kowal, Rud und Gorban angeschlagen hatten. Breschnew zeichnete ein ausgesprochen höflicher Tonfall aus, wenn er Plenarsitzungen oder Parteiversammlungen eröffnete, feststellte, wer anwesend war, die Tagesordnung vorstellte und fragte, ob es dazu Anmerkungen gebe. Seine Rede war von „ich denke“, „wir haben uns darüber ausgetauscht“ und anderen relativierenden Ausdrücken durchzogen, mit denen er verdeutlichte, dass dies seine persönliche Meinung war, der auch widersprochen werden dürfe.165 Der Zweite Sekretär Gorban dagegen bediente sich eines Kasernenhoftons, wenn er verkündete, dass über das Thema der Versammlung entschieden sei, die Redner festständen, sich alle anderen, die reden wollten, in die Liste eintragen könnten und dass er erwarte, dass alle Zuspätgekommenen sich in der Pause bei ihm entschuldigten.166 Im Gegensatz dazu legte Breschnew gerade bei seiner ersten Versammlung, zu der er die Kreisvorsitzenden und lokalen Bürgermeister Anfang August 1950 einlud, großen Wert darauf zu signalisieren, dass sie sich alle nötige Zeit nehmen würden, um zu besprechen, was den Genossen auf der Seele liege. Auch den Ablauf stellte er zur Debatte: „Wir bitten, morgen auch hier zu sein. Welche Art Versammlung Sie einberufen wollen, werden wir nicht vorschreiben, das müssen Sie selbst festlegen: entweder eine Kreis-Parteiversammlung oder ein Kreis-Parteiaktiv, wenn Sie sich dafür beraten müssen, tun Sie das.“167 Breschnew machte deutlich, dass er abweichende Meinungen nicht für Parteiverbrechen hielt. So sagte er etwa über den offenen Unmut darüber, dass der Ernteplan vorzeitig zum 1. August 1950 hatte erfüllt werden müssen: „Ich denke, dass dies aus dem Mangel geschah, dass die Genossen nicht die politische und wirtschaftliche Bedeutung erkannten.“168 Es war neu, dass nicht geschrien, verdächtigt und gedroht wurde. Noch verblüffter waren die Genossen womöglich, als sich Breschnew für die geleistete Arbeit bedankte: „Daher, wenn man die Umstände berücksichtigt,

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muss man diesen Genossen ein Partei-Danke sagen.“169 Breschnew entschuldigte sich sogar bei seinen Genossen, wenn er meinte, er habe zu lange geredet und ihre Geduld vielleicht überstrapaziert.170 Er stellte seine Rechenschaftsberichte in einer solchen Art zur Diskussion, dass auch heftige Kritik geäußert werden konnte; und wenn sie geäußert wurde, akzeptierte er sie und versprach, er werde sie einarbeiten.171 Gorban gewöhnte sich auch unter Breschnew keinen anderen Ton an, obwohl ihn Breschnew sogar korrigierte. Wenn Gorban vorschlug, den Tagesordnungspunkt „Über das Scheitern der Planerfüllung hinsichtlich der Neubauten“ zu nennen, widersprach Breschnew auf seine ruhige Art: „Ich denke, es wäre richtiger, die Frage ‚Ergebnisse bei der Erfüllung des Plans zur Umsetzung von Investitionen‘ aufzunehmen.“172 Auch der Ministerratsvorsitzende Rud benutzte eine Sprache, die Breschnew vermied: „Man muss Leute aus dem Landwirtschaftsministerium dahin schicken, damit sie überprüfen, ob es dort nicht Schädlinge gibt, die die Arbeit bremsen. Warum haben Sie, Genosse Stukelman, nicht geholfen, als Sie vor Ort waren? In der Erläuterung des Bürgermeisters heißt es, dort säßen nur Gauner, Nichtsnutze, nur zwei bis drei würden etwas taugen.“173 Während Breschnew stets versuchte, aufzuklären, zu verstehen und nach Lösungen zu suchen, gehörte Rud zu denen, die gern drohten oder angesichts der desolaten Lage die Beherrschung verloren. Im August 1950 ereiferte er sich gegenüber einem Bürgermeister: „Sie haben die Kollektivierung in den Sand gesetzt, die Kinderheime, die Gesundheitsversorgung und viele andere Fragen auch. Was glauben Sie eigentlich, wie lange wir Sie noch im Landkreis dulden werden?“174 Anders als Breschnew setzte Rud keine positiven Anreize, sondern verlegte sich ganz aufs Einschüchtern: „Es ist verboten, Saatgut der dritten Güteklasse auszubringen. Wir warnen, nur so zu säen, wie es vorgeschrieben ist. Sie wollen die Kolchosen ohne Getreide lassen, dafür kommen Sie vors Gericht.“175 Oder: „Wer hat Ihnen das Recht gegeben, die Sämaschinen im Rahmen der Entkulakisierung zu konfiszieren? (…) Sie werden sich dafür verantworten, verantworten für die Sämaschine, für den Pflug, für die Arbeit der MTS [Maschinen-Traktoren-Stationen], für den ganzen Landkreis.“176 Wenn Breschnew so etwas hörte, machte er deutlich, dass er die Androhung oder auch den tatsächlichen Parteiausschluss für ungeeignet hielt, um die Genossen zu guter Arbeit zu motivieren: „Wer [soll ausgeschlossen werden]? Dieser Agronom? Wofür wird dieser Mensch denn ausgeschlossen? Es gibt eine neue Aufgabe. Der Mann erklärt sich einverstanden, aber er wird aus der Partei ausgeschlossen.“177

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Breschnew unterband auch Kritik an Genossen, die nicht anwesend waren,178 und er wehrte sich gegen Kritik, die scharf und persönlich ausfiel und offensichtlich nicht den Zweck verfolgte, Abhilfe zu schaffen, sondern die Person bloßzustellen.179 Vielmehr legte Breschnew den Genossen nahe, statt ständig mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, nach eigenen Fehlern zu suchen: „Und der ist schlecht und jener ist schlecht, aber keiner von Ihnen hat eingestanden, hat gesagt, schaut, wir haben’s vermasselt, das sind unsere Fehler. Ich glaube, dass das unser gemeinsames Problem ist. Wir fürchten uns, selbst die Mängel auszugraben, die wir selbst haben, aber das würde bei ihrer Beseitigung helfen.“180 Das bedeutet nicht, dass Breschnew nicht auch das Mittel des Parteiausschlusses und der Absetzung benutzte. So setzte er im März 1951 den Handelsminister Grigori Akimow ab, erläuterte aber dazu: Wenn Sie meine Meinung wissen wollen, so habe ich durchaus geduldig, als ich in den ersten Tagen meiner Arbeit hier Ihre schlechte Beurteilung als Kommunist und als Mitarbeiter zu sehen bekam, geduldig beobachtet, mich bemüht zu helfen und habe im Ministerium geholfen. Ich dachte, dass Genosse Akimow in dieser Zeit nach den entsprechenden Hinweisen und besonders nach dem V. Plenum (…) Konsequenzen zieht. (…) Ich denke, entweder versteht er nicht oder aber vermutlich hat er sich derart gehen lassen, dass er sich kaum wieder aufraffen wird. Woran liegt das? Wie kann ein Kommunist in eine solche Lage kommen? Vor allem deshalb, weil er nicht an sich arbeitet.181

Breschnew verlangte von den Mitgliedern der Parteiführung, statt selbstzufrieden im Büro zu sitzen, Befehle in die Dörfer zu schicken, Rapporte entgegenzunehmen und dann anzuklagen, sollten sie in die Landkreise fahren, sich selbst ein Bild machen und helfen, wie und wo es möglich war. Er erzählte seinen Genossen Anekdoten über Chruschtschow, der als Republiksleiter nach Dnepropetrowsk gekommen sei, um den Maisanbau zu kontrollieren, und dadurch aus erster Hand von entscheidenden Problemen erfahren habe.182 Breschnews Botschaft war: Wenn der Erste Sekretär im Land sich nicht zu schade war, sich persönlich um die Bauern und Traktorfahrer zu kümmern, dann müsse das erst recht für alle anderen Genossen gelten. Im August 1950 rief er den Kreiskomitee-Sekretären zu: „Ich denke, dass ich Sie hier für diese Sache kritisieren muss. Bei Ihnen sind 1400 Wirtschaften nicht in die Kolchose eingetreten, aber Sie sitzen und warten, dass man Ihnen aus Moskau ein Dekret schickt (…).“183 Auf

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seinem erstem Parteiplenum, das er Anfang Oktober 1950 abhielt, rief er den Genossen aus dem Landwirtschaftsministerium zu: Sie müssen aus der Kritik, die es hier auf dem Plenum gab, Konsequenzen ziehen. Jeder Mitarbeiter des Ministeriums muss ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein ausbilden. (…) Sie müssen täglich Arbeitssitzungen durchführen, aber nicht bei mir im Büro. Ich habe nichts dagegen, aber Sie müssen selbst die Verantwortung für die Erfüllung der Beschlüsse des ZK der Partei zum Thema Umpflügen der Äcker tragen, Sie müssen Sitzungen mit Ihren Mitarbeitern abhalten, Sie müssen klären, was die in der Gruppe gemacht haben, was noch gemacht werden muss. Sie müssen, Genossen, in die Landkreise fahren. Warum kämpfen, kämpfen die Sekretäre der Landkreiskomitees um einen Termin bei Ihnen, warum suchen Sie nicht selbst das Gespräch mit den Sekretären der Landkreise, um zu sagen, dass uns, dem Genossen Breschnew oder dem Genossen Wolkow, uns bekannt ist, dass es bei Ihnen diese Schwierigkeiten gibt. (…) Das ist Ihre heilige Pflicht (…).184

Im April 1951 redete Breschnew seinen Genossen auf sehr persönliche Weise ins Gewissen, dass es letztlich von ihrem eigenen Beispiel abhinge, wie sich die Kader auf den unteren Ebene verhielten: Natürlich ist es nett, auf Kosten einer perfekten Arbeit etwas blauzumachen, am Strand zu liegen, vielleicht würde das auch bei niemandem einen Vorwurf hervorrufen, aber da wir offenbar diese Perfektion noch nicht erreicht haben, dass wir uns lange ausruhen könnten und alle Dinge gut weiterliefen, denke ich, dass man in diesem Fall annehmen muss, dass die physische Anspannung der Sache auch helfen muss.185

Wie schon erwähnt, hatte Breschnew begriffen, dass aufgrund der vollkommenen Ressourcenabhängigkeit von Moskau die Kader, ihre Motivation und Leistungsbereitschaft der einzige Faktor für seinen Erfolg waren, den er selbst in der Hand hatte. Entsprechend redete er auch allen anderen ins Gewissen, die Personalfrage ernst zu nehmen: „Das Wichtigste ist die Ehrlichkeit bei der Arbeit, Ehrlichkeit in der Beziehung zu den Kadern in jeder Hinsicht, besonders bei der Frage der Arbeit mit den Kadern, bei ihrem Einsatz.“186 Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass diese neue Art des persönlichen Umgangs durchaus ankam und geschätzt wurde. Die offizielle englischsprachige Biographie zitiert einen damaligen ZK-Mitarbeiter mit den Worten:

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Auf seinem Weg ins Büro trat Leonid Breschnew in fast jeden Raum, sagte Guten Tag, erzählte einen Witz, fragte nach der Gesundheit, der Stimmung und den letzten Neuigkeiten. All das nahm 15 Minuten in Anspruch – für Breschnew war Zeit kostbar, und er brachte uns bei, es ebenso zu tun. Aber in diesen wenigen Minuten brachte er eine Dynamik in all die Mitarbeiter des ZK. Er wusste nicht nur, wie er uns mit frischer Energie versorgte, er wusste auch, wie er selbst von den Menschen um ihn energetisiert wurde.187

Während diese Quelle manipuliert sein könnte, ist der spätere Parteichef Moldawiens, Iwan Bodjul, der damals unter Breschnew arbeitete, in dieser Hinsicht unverdächtig, da er in seinen Memoiren sonst eher enttäuscht und verbittert über Breschnew berichtet: Was die Erfüllung der Pläne angeht, so war Leonid Iljitsch ein durch nichts zu stoppender Organisator. Seine hohen Anforderungen an die Kader stärkten die Disziplin, sorgten für mehr Verantwortungsbewusstsein der Leiter hinsichtlich der Erfüllung der ihnen aufgetragenen Aufgaben und erfüllten sie mit Zuversicht, dass die Schwierigkeiten überwunden und die Planziffern erreicht werden konnten.188

Es scheint, dass Breschnew tatsächlich selbst den Genossen vorlebte, was er von ihnen verlangte: Laut Bodjul verbrachte Breschnew tatsächlich die meiste Zeit auf dem Land bei den Bauern bzw. mit der Lösung der landwirtschaftlichen Probleme.189 Kaum in Moldawien angekommen, reiste er als Erstes aufs Land, um sich selbst ein Bild von den Zuständen dort zu machen, bevor er sein erstes Parteiplenum einberief, 190 auf dem er dann den Genossen ins Gewissen redete: Vor kurzem war ich im Vulkanescht-Landkreis mit den Genossen M… und Grekow, wir schauten uns die Felder nicht weit vom Zentrum und entlang der Hauptstraßen an, wir sahen uns die Brachen an. (…) dort kämpfen sie mit dem Unkraut, aber ich muss Ihnen geradeheraus sagen, dass sich die Genossen Grekow und M… nicht wohlfühlten, als sie bis zu den Knien im Unkraut versanken und sich das anschauten. Denn die Genossen fahren jeden Tag über diese Straße. Wenn Sie, Genossen Grekow und M…, richtig, auf bolschewistische Art für die Sache gekämpft hätten, dafür fiebern würden, dass die Arbeitskultur steigt, dann bin ich sicher, hätten Sie die Möglichkeit gehabt, dass Sie dieses Land nach allen Regeln der Kunst bestellt hätten (…).191

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Was Breschnew sichtlich am meisten aufregte, war die Gleichgültigkeit: „Von was für einer Parteiarbeit kann die Rede sein, wenn das ganze Jahr über niemand aus der Partei dort [in den Kolchosen des Straschenski-Landkreises] war und keiner weiß, wie die Menschen da leben.“192 Fordern und strafen

Breschnew vollführte immer wieder einen Spagat zwischen Lobeshymnen auf das großzügige Moskau „und Stalin persönlich“ einerseits und leidenschaftlichen Appellen an seine Genossen andererseits, sich trotz aller Widrigkeiten mit vollem Einsatz zu engagieren. Er verzichtete auf Hetze, aber ließ auch keinen Zweifel daran bestehen, dass er diejenigen, die sich weiterhin ihrem Fatalismus hingäben, auch absetzen und aus der Partei ausschließen würde. Er war also keineswegs ein „schwacher“ Parteiführer, der jeden gewähren ließ, sondern als „starker“ Parteiführer jemand, der seine Regeln klar verkündete und nach ihnen handelte. Wenn die Betreffenden trotz seiner aufmunternden, ermahnenden Worte und seiner Unterstützung ihr Verhalten seiner Meinung nach nicht änderten, griff er rigoros durch. Als nach den ersten Versammlungen im Juli 1950 und seinen Reisen durch die Landkreise im Juli und August 1950 sich einige Landkreise, Kolchosen und Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) seinen Kampagnen entzogen, lud Breschnew die Verantwortlichen zum Bericht zur ZK-Büro-Sitzung nach Kischinjow, ließ seinem Ärger freien Lauf und setzte sie ab. In der Buscharski-MTS verrotteten die Anhänger auf den Feldern, der Vorsitzende hatte mit den Kolchosen vereinbart, sich nicht um die Staatspläne zu kümmern, sondern weniger als vorgeschrieben einzufahren. Selbst aus dem Stenogramm scheint man den Zorn Breschnews herauslesen zu können: „Können wir uns damit abfinden? Natürlich nicht. Ich schlage vor: wegen gewissenloser Missachtung der Regierungsdekrete zur Erfüllung der Verträge zwischen MTS und Kolchosen, wegen der mangelhaften Pflege der Technik und ihrer [willkürlichen] Enteignung den [MTS-Vorsitzenden] Genossen Krugljak absetzen und aus der Partei ausschließen.“193 Hier wird deutlich, dass Breschnew vor allem zwei Dinge nicht ungeahndet ließ: die eigenmächtige Herabsetzung von Quoten, die sich direkt auf die Planerfüllung der Republik auswirkte, für die er sich vor Stalin zu verantworten hatte, und die widerrechtliche Aneignung von Gerätschaften, die zudem dem Verfall überlassen wurden. Die MTS blieben ein Problem: Nicht nur gab es Kolchosen, die sich anfangs noch weigerten, Traktoren einzusetzen, weil sie die Kosten, die sie den

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MTS erstatten mussten, fürchteten. Auch fehlten sehr oft Treibstoff, ausgebildete Fahrer und die nötige Pflege und Reparatur der Maschinen.194 Immer wieder ereiferte sich Breschnew über solche Missstände, die von den Genossen vor Ort toleriert würden, und redete diesen direkt ins Gewissen, wie im Februar 1951: Warum haben Sie für die [Traktoren-]Schulung nur Kinderchen aufgenommen, die nicht arbeiten können. Ich halte das für Undiszipliniertheit, für eine Nichterfüllung der ZK-Resolution, und Bessarabow deckt diese Undiszipliniertheit. Aber zu Ihnen, Genosse Bessarabow, wird niemand kommen, um für Ordnung zu sorgen. Was für eine barbarische Einstellung zu den Maschinen! Seit dem Herbst stehen sie verdreckt, ungesäubert vom Dreck. Ich weiß nicht, Genossen, wie man das nennen soll.195

Breschnew machte auch hier deutlich, dass er in solchen Fällen streng, aber transparent und nicht willkürlich verfuhr: Solchen liberalen Einstellungen muss man ein Ende bereiten, und ich denke, dass wir beim ersten Mal die Genossen noch nicht von der Arbeit entlassen werden. Wir werden ihnen eine Partei-Rüge aussprechen. Ich unterstütze den Vorschlag, dem Direktor der MTS, Genossen Mirojedow, einen strengen Tadel mit Eintrag in die Akte zu erteilen und ihn zu verwarnen, dass, wenn er die Lage im Landkreis nicht in den Griff bekommt, wir ihn vom Posten des Sekretärs absetzen und ihn aus der Partei ausschließen werden. Unbestraft werden wir solche Sachen nicht durchgehen lassen. Wenn man auf uns nicht hört, werden wir das umsetzen.196

Breschnew griff also durchaus auch zum Mittel des Parteiausschlusses, machte aber ganz klar, dass dies nur die Ultima Ratio war. So verfuhr Breschnew auch mit der Leitung des Ungenski-Landkreises im September 1950. Sekretär und Landrat wurden ins ZK-Büro bestellt, um dort Rede und Antwort zu stehen. Breschnew ereiferte sich: „Es stellt sich die Frage, können wir uns selbst von unseren eigenen Resolutionen verführen lassen und damit zufriedengeben, dass wir ein Papier annehmen und das ganz eventuell die Lage der Dinge im Landkreis verbessert. Ich bitte die Mitglieder des Büros, das abzuwägen.“ Das Büro setzte den Landrat ab, gab aber dem Landkreis-Parteisekretär noch eine letzte Chance: „Ich habe hier die Formulierung vorgeschlagen, die zur Entlassung des Genossen Goloschtschapow führen würde. Lassen Sie uns diese Frage so entscheiden, zumal Genosse Goloschtschapow erklärt, dass er die Dinge in den

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Griff bekommen wird (…).“197 Breschnew verpflichtete den Sekretär, im Oktober 1950 ein Plenum durchzuführen, auf dem die Fehler diskutiert und Maßnahmen zur Abhilfe entwickelt werden sollten. Die in der Kritik stehenden Sekretäre und Landräte waren also keineswegs vorverurteilt, sondern Breschnew ließ sich durchaus davon überzeugen, dass sie noch eine weitere Chance verdient hätten. Die gewährte er auch den Verantwortlichen des Straschenski-Landkreises, obwohl er sich offenbar sehr beherrschen musste: Ich habe folgenden Eindruck. Mit einem Tadel erreicht man hier in diesem Landkreis nichts mehr. Das Bild ist katastrophal. Damit darf man nicht spaßen. Dort herrscht nicht das Kreiskomitee der Partei, sondern irgendjemand anderes, und das Kreiskomitee der Partei existiert dort gar nicht. (…) Dort sind 60 Prozent der Kolchosen zerfallen, d.h., die Kolchose fiel auseinander, das Gemeinschaftseigentum wird gestohlen, die KolchosViehzucht wird von den Kolchosbauern für ihren persönlichen Bedarf genutzt.198

Aber das war noch nicht alles: „Es gibt Amtsmissbräuche – den Kolchosbauern werden massenhaft Strafen aufgebrummt, die Kolchosbauern werden verprügelt, das revolutionäre Recht wird im Landkreis gebrochen.“199 Breschnew wollte also beides: den Erhalt der Kolchosen und die würdige Behandlung der Kolchosbauern. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen seien, wurde von Breschnew und den Büromitgliedern offen diskutiert, und auch der Beschuldigte LandkreisSekretär Kirjak wagte sich, dazu Stellung zu nehmen: Er empfand die Strafe als zu streng, obwohl er mit einem „schweren Tadel mit Verwarnung“ davonkam. Doch Breschnew ließ sich davon nicht beirren: „Ich warne Sie nicht von ungefähr, unsere Entscheidung ernst zu nehmen, denken Sie daran, dass Sie das für Sie Teuerste verlieren könnten – Ihr Parteibuch. Wo haben Sie gelernt, Ihre Organisation auf diese Art zu erziehen, massenhafte Strafen für zwei bis drei Tage zu verhängen. (…) Sie haben den Landkreis abgewirtschaftet, dafür kann man Sie vor Gericht stellen.“200 Es mögen nur Nuancen sein, aber Breschnews Reden erweckten immer den Eindruck, dass es ihm um die Sache und nicht um das Strafen ging und dass er ehrlich empört war, wenn sich seine Kollegen Machtmissbrauch oder Schlendrian erlaubten. Auch fällt auf, dass er seine Entscheidungen jedes Mal sachlich begründete und verlangte, auch den Menschen im betroffenen Landkreis müssten die Beschlüsse des ZK ausreichend erklärt und verständlich gemacht werden.

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Ernteerträge für Moskau

Breschnew hatte kaum eine andere Wahl, als sich um die Kolchosen zu kümmern, denn als er in Moldawien eintraf, war die Ernte in vollem Gange, lag aber erheblich hinter den von Moskau diktierten Quoten zurück, und es war seine Aufgabe, wollte er nicht gleich bei Stalin in Ungnade fallen, Planerfüllung zu melden. Aber auch die Wiederbelebung der Landwirtschaft versuchte er nicht mit „harter Hand“, sondern auf seine eigene Art zu bewerkstelligen. Zwei Tage nach dem Plenum, das ihn am 6. Juli gewählt hatte, berief er eine Versammlung aller Landwirtschaftskader ein, auf der er ihnen ins Gewissen redete: Die Ernte sei erst zu 30 Prozent eingebracht und es sei keine adäquate Aktion, in die Kolchoswirtschaften zu fahren und die Leute zusammenzuschreien: „Wir brauchen Maßnahmen, die die Leute umhegen, ihr Bewusstsein stärken, ihre Zuversicht stützen, damit der Mensch spürt, dass man sich um ihn kümmert, ihn korrigiert, ihn anleitet, aber nicht anschreit.“201 Üblich sei aber bislang eine andere Praxis: „[Unser Abgesandter] sitzt im Landkreis fünf Tage ab, regt sich auf, kommt zurück, hat viele Fakten mitgebracht, weiß nun alles, aber wenn er gefragt wird, was er gemacht hat, womit er geholfen hat, dann sieht es schlecht aus.“202 Am 2. und 3. August berief Breschnew erneut eine Versammlung ein: Der erfolgreiche Abschluss der Getreideernte hatte vorzeitig am 1. August an Stalin gemeldet werden können;203 nach diesem ersten Kraftakt ging es darum, die Weichen für die weitere Arbeit zu stellen und die Kreisleitungen auf seinen neuen Kurs einzuschwören. Bezeichnend ist, dass Breschnew seinen sehr moderaten Ton auch denjenigen gegenüber anschlug, die in ihren Kreisen und Kolchosen den Plan nicht erfüllt hatten: „Wir haben keinen Grund, uns ernsthaft auf unsere hinterherhinkenden Genossen zu stürzen, sie sind ebenfalls sehr nah an der Planerfüllung, und es gibt keinen Zweifel, dass sie in ein bis zwei Tagen die Planerfüllung abschließen.“204 In Breschnews Rede fehlte jeder Hinweis auf „Schädlinge“ oder Feinde; wie schon zuvor, suchte er die Gründe für das Scheitern einiger Kolchosen und Landkreise in objektiven Fakten, nämlich u.a. dem Mangel an Kraftfahrzeugen, einem Dauerproblem in der sowjetischen Landwirtschaft. Einige Kolchosen hatten überhaupt keine LKWs oder Zugmaschinen zur Verfügung gehabt, so dass sie die Ernte schlicht nicht hatten vom Feld abtransportieren können.205 Immerhin konnte Breschnew im September dem ZK-Büro verkünden, dass Moskau den moldawischen MTS 14 Millionen Rubel für die Reparatur der landwirtschaftlichen Maschinen zugeteilt hatte.206 Solche Zuwen-

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dungen aus Moskau stützten aber auch die stalinistische Argumentation, die Breschnew ebenfalls vertreten musste, dass sich das Zentrum fürsorglich zeige, indem es allein 1950 1490 neue Traktoren, 469 Mähdrescher, 500 Dreschmaschinen usw. usf. geliefert habe, und dass es mithin die Schuld der Kolchosen sei, wenn sie trotz dieser „Geschenke“ den Plan nicht erfüllten.207 Dennoch versuchte er, dieser offiziellen Anklage eigene, versöhnliche Worte folgen zu lassen: „Ich denke, dass uns all das als Lehre dient, wir werden daran wachsen und in den nächsten Jahren weniger Fehler machen (…).“208 Entscheidend war auch, dass er das „wir“ unterstrich und nicht zwischen Versagern dort und belehrender Parteileitung hier unterschied. Breschnew war offenbar an diesem Teamgeist sehr gelegen. Er ging noch einen Schritt weiter, als er forderte, nun, da die Ernte eingebracht sei, müssten auch die Bauern bezahlt werden. Dies war ein extrem heikles T ­ hema und der Hauptgrund für das Elend der sowjetischen Landwirtschaft: Die Kolchosen hatten in erster Linie die von Moskau festgelegten Quoten zu erfüllen und erst vom Rest wurden die Bauern in Naturalien nach „Arbeitstagen“ ausgezahlt. Da aber oft nach der Zwangsablieferung kein Getreide mehr übrig war oder die übervorsichtigen Kolchosvorsitzenden die Reste für Nachforderungen zurückhielten, gingen die Bauern meist leer aus und hatten keinerlei Anreiz, überhaupt für den Staat zu arbeiten. Breschnew appellierte, dass mit dieser P ­ raxis Schluss sein müsste: Vor kurzem war ich in der Kolchose „Vjaca Noue“. Das ist eine sehr gute Kolchose, dort gibt es einen guten Vorsitzenden, aber für die Arbeitstage gibt es nach wie vor nichts. Also muss jetzt mit der Ausgabe begonnen werden. Man hat mir erzählt, dass im Nisporenski-Landkreis in der Kolchose „Sowjetischer Grenzer“ die Auszahlung der Arbeitstage sofort nach 20 Stunden begann. Der ganze Landkreis wusste davon, dass in der und der Kolchose die Arbeitstage ausgezahlt wurden, und dann noch zwei Kilogramm pro Tag. Das ist ein Ereignis im Landkreis. (…) Dort hat ein Alterchen 500 Tage erarbeitet. (…) Und er hat zwei Tonnen Getreide für eine Person erhalten. (…) Das Schlimmste ist der Umstand, dass Leute, die gewissenhaft auch in der zweiten Jahreshälfte arbeiten, kein Getreide erhalten. Die Kolchosvorsitzenden geben nur 15 Prozent für die erste Jahreshälfte aus, weil sie Angst haben, dass [noch mehr] eingezogen wird. Man muss es so machen, dass es zu einem revolutionären Umsturz im Bewusstsein der Menschen kommt. Mir hat gestern ein Delegierter aus dem Nisporenski-Landkreis erzählt, dass es in einigen Orten jetzt Zankereien gibt – Eheweib

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und Ehemann, der Mann zur Frau: Ich habe dir doch gesagt, dass wir in die Kolchose eintreten müssen … Ich bin überzeugt, dass es in den Familien solche Streitereien geben wird, und wenn wir in den Dörfern auch noch alles feierlich organisieren, dann denke ich, dass die Genossen sagen werden, dass man in die Kolchose eintreten muss.209

Breschnew wusste, wovon er sprach: Zum einen wiesen die Zahlen auf eine „schlechte Arbeitsdisziplin“ hin. Im ersten Halbjahr 1950 hatten 227.000 Kolchosbauern oder 31,4 Prozent nicht ihr Minimum an Arbeitstagen abgeleistet; 50.000 oder 6,3 Prozent waren gar nicht zur Arbeit erschienen.210 Andererseits war ihm bewusst, dass nach der Erfahrung der Massendeportationen ein Jahr zuvor und mit der Aussicht, ohnehin für die Arbeit nicht entlohnt zu werden, die Kolchosbauernschaft vollkommen demoralisiert war. Breschnew sah ein Problem auch in der mangelnden Qualifikation der Kolchosleiter, von denen nur die Hälfte der Partei angehörte und ebenso viele lediglich die Dorfschule absolviert hatten.211 Breschnew erklärte mit der mangelnden (politischen) Bildung, dass es immer wieder zu Übergriffen von Seiten der Kolchosvorsitzenden kam, die sich am Eigentum der Bauern bereicherten, durch Trunksucht auffielen oder auch Kolchosbauern zusammenschlugen. Er ließ daher Untersuchungen in 18 Landkreisen durchführen; sie stellten bei 186 Personen Amtsmissbrauch fest.212 Auch war ihm schmerzlich bewusst, dass die Kolchosarbeiter nicht nur damit zu rechnen hatten, für ihre Arbeit nicht entlohnt zu werden, sondern auch damit, dass ihr vergemeinschaftetes Vieh den Winter nicht überlebte, da es weder ausreichend Ställe noch Tierfutter gab.213 Breschnews Nachfolger Bodjul berichtet, dass die Kolchosen so viel Futtermittel an den Staat abliefern mussten, dass nur 20 bis 30 Prozent dessen blieb, was sie eigentlich für die Fütterung der eigenen Tiere gebraucht hätten, die daher den Winter, wenn überhaupt, dann nur vollkommen entkräftet überstanden.214 Bodjul wirft Breschnew in seinen Memoiren vor, dass er nicht versucht habe, die absurd hohe Abgabenlast für Moldawien zu reduzieren. Gleichwohl müsste gerade ihm bewusst gewesen sein, dass das unter Stalin ein sinnloses bis gefährliches Unterfangen gewesen wäre. Er wirft Breschnew vor, er sei ein eifriger Planerfüller gewesen, der alles mit Kampagnen realisierte.215 Dabei war es aus heutiger Sicht wohl eher Breschnews Stärke, dass er weder resignierte noch Angst und Schrecken verbreitete, sondern versuchte, aus den wenigen Mitteln das Beste zu machen. Vermutlich waren auch seine leidenschaftlichen Appelle und Kampagnen zu einem Teil von Verzweiflung und Oppor-

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tunismus getragen, wenn er den Genossen zurief: „Und tatsächlich müssen wir die Ärmel hochkrempeln und in den Kampf, in den politischen Kampf ziehen.“216 Breschnew stand in dem Dilemma, die desaströse Lage der Bauern durchaus zu verstehen, zugleich aber an die Weisungen aus Moskau nicht nur gebunden zu sein, sondern sie auch durchsetzen zu müssen. Stalinistische Rhetorik und Parteiräson verlangte daher, dass er in seinen Reden immer wieder die „große Hilfe des Genossen Stalin“217 lobte und die neuesten Dekrete aus Moskau als weise und fürsorgliche Entscheidungen verkaufte: Im August 1950 musste er verkünden, dass Stalin und Malenkow entschieden hatten, Moldawien nicht weiter mit Saatgut auszuhelfen, und er, Breschnew, und Ministerratspräsident Rud persönlich dafür hafteten, jede einzelne Bauernwirtschaft mit ausreichend Saatgut zu versorgen. Das bedeutete, dass der übliche Weg, Bittbriefe nach Moskau zu schreiben, vorerst versperrt war: „Damit ist klar, dass ich meine Hand nicht rühren werde, um mich an das ZK der VKP(b) zu wenden und Saatgut zu erbitten, nach einer solchen Anweisung von Genosse Stalin.“218 Dass Breschnew sich keineswegs sicher war, ob sie an dieser Anforderung nicht scheitern würden, machte er in seinem Kommentar vor der Versammlung der Landkreisdelegierten sehr deutlich: „Ich möchte ganz offen zu Ihnen sein und sage direkt, dass ich denke, dass es zum Nutzen der Sache sein wird, dass derjenige, der seinen Landkreis nicht mit Saatgut wird versorgen können, dass dieser Leiter selbst – und das wird gewissenhafter und ehrlicher sein – zu mir kommen und seinen Rücktritt einreichen kann. Das sage ich hier ganz offen.“219 Genauso redete er den Delegierten des III. Parteikongresses im Frühjahr 1951 nach der ersten, immer noch sehr schlechten Ernte ins Gewissen und zitierte dafür die Fabel von der Grille und der Ameise: Als die Grille im Herbst die Ameise bat, ihr Kost und Logis zu gewähren, weil sie den ganzen Sommer lang musiziert hatte, fragte die Ameise, so Breschnew: „Base, das scheint mir sonderbar, ja hast du denn im Sommer gearbeitet?“220 So wie die Grille, fuhr Breschnew fort, hätten sich viele Landkreisleiter nicht um die Arbeit gekümmert und so die schlechte Maisernte verschuldet. Dabei war auch Breschnew bewusst, dass das Problem hier an anderer Stelle lag: Moskau hatte angeordnet, auch Moldawien solle Mais, Baumwolle und Zitrusfrüchte in großem Stil anbauen. Da es aber weder Erfahrung in der Kultivierung dieser Saaten noch ausreichend klimatische Bedingungen für diese Kulturen gab, fiel die Ernte verheerend aus; die meisten Zitrusbäume überlebten den ersten Frost nicht und die Baumwollpflanzen setzten kaum Blüten an.221 Da es nicht in Breschnews Hand lag, die Saat- und

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Erntepläne zu ändern, und er immer wieder Druck aus Moskau bekam, blieb ihm nichts anderes übrig, als diesen an die Landkreise und Kolchosen weiterzugeben. Kollektivierung und Kulaken

Breschnew hatte nicht nur die Ernteablieferpläne Moskaus zu erfüllen, sondern auch die Kollektivierung Moldawiens zu vollenden. Mit Druck und Gewalt und durch die Deportationen war die Kollektivierung allein im Jahr 1949 auf 80 Prozent getrieben worden.222 Breschnew mahnte auf dem Oktober-Plenum 1950: „Aber in einer Reihe von Dorfräten und Dörfern liegt der Prozentsatz auch darunter. Im … Landkreis sind nur 30 Bauernwirtschaften kollektiviert, in … sind es 46 Prozent, im Subreschsterski-Landkreis – 56 Prozent.“223 Nur sechs Monate später verkündete er auf dem III. Parteikongress der KP Moldawiens Ende März 1951, dass die Kollektivierung erfolgreich abgeschlossen sei.224 Aber noch schwieriger, als alle Bauern in die Kollektive zu zwingen, war, sie darin zu halten und für die Rentabilität der Massenwirtschaften zu sorgen. Bodjul berichtet, wie er von Rud den Auftrag bekam, dafür zu sorgen, dass die flüchtigen Bauern der Kolchose „Stalin“ wieder zurückkämen: Ob ihm klar sei, was es heiße, wenn Stalin davon erführe?!225 Bereits im Mai 1950 hatte das ZK in Moskau verfügt, dass von den insgesamt 2001 Kolchosen Moldawiens die kleinen zu großen zusammengelegt werden sollten, um sie wirtschaftlich zu machen. Breschnew berichtete an Malenkow, dass man zum 25. August 1950 aus 548 kleinen 266 große Kolchosen gebildet habe.226 Ende des Jahres meldete er, sie hätten weitere 657 kleine Kolchosen zu 301 Kollektivwirtschaften zusammengeführt. Die verbliebenen 1645 Kolchosen in der Republik verfügten nun im Durchschnitt über 284 statt vorher 226 Höfe, 465 statt vorher 368 Arbeitskräfte und 1124 statt vorher 902 Hektar Ackerland.227 Im Januar 1952 verkündete Breschnew dem V. Parteiplenum, sie hätten 1951 erneut aus 1125 kleinen Wirtschafsgemeinschaften 491 Großbetriebe gemacht und nun 1367 starke Wirtschaften in der Republik: „Wir haben jetzt Kolchosen, die ‚Millionäre‘ sind.“228 Doch der vermeintliche Erfolg war laut Bodjul reine Augenwischerei: Es seien letztlich nur die unrentablen Kolchosen geschlossen worden, und die großen Kolchosen hätten nicht mehr produziert, sondern nun das addierte Ergebnis zweier Wirtschaften melden können.229 Zudem hätte man die kleineren Siedlungen einfach aufgegeben, da man weder in der Lage war, dort eine Infrastruktur aufzubauen, noch sie mit

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Waren zu beliefern. Doch die Bauern konnten oft nicht davon überzeugt werden, dass es richtig war, ihren Hof aufzugeben, denn die Entschädigungszahlungen fielen miserabel aus.230 Die Frage war, wie Breschnew nach zwei Jahren Hungersnot und einem weiteren Jahr Deportation die verbliebenen rund 20 Prozent Bauernwirtschaften dazu bewegen wollte, in die Kolchosen einzutreten. Seine Hoffnung war offenbar, dies durch Überzeugungsarbeit zu erreichen. Dazu schickte er im Spätsommer 1950 400 Agitatoren aufs Land.231 Weiter stellte er sich vor, dass die Landkreisparteikomitees und Landkreisräte die politische Erziehung der Bauern übernehmen würden.232 Mit diesem Ziel verpflichtete das ZK-Büro Mitte August alle Partei-, Gewerkschafts- und Komsomol-Organisationen, mit den Landkreisräten und Sekretären dreitägige Seminare durchzuführen.233 Breschnew erläuterte: Wir haben hier von den Schwierigkeiten solcher Versammlungen berichtet, wir haben den Sekretären, den Vorsitzenden erzählt, was eine Kolchose ist, was das Dorf ist und dass man dort die Verhältnisse nicht so einfach ändern kann, nicht die Verbindungen und Fäden zerreißen kann, die über Jahre, Jahrhunderte durch Verwandtschaftsbande geschaffen wurden, es ist nicht so einfach, dass ein Familienmitglied, eine aktive Frau, ein Kolchosarbeiter gegen einen Bummelanten, gegen die Müßiggänger, gegen ihre Verwandten oder Mitglieder ihrer Familie auftreten.234

Nichtsdestoweniger musste er Malenkow berichten, dass die Partei in den Dörfern und Kolchosen viel zu wenig Einfluss habe. Er versprach sich eine Besserung davon, in die Ämter der Landkreis- und Stadträte mehr Moldawier und mehr Frauen zu befördern.235 Diese hätten mehr Verständnis für die Anliegen der Bevölkerung und würden eher als Autoritätspersonen von den Bauern akzeptiert. So appellierte er: „Seid mutiger bei der Kaderauswahl, prüft die Menschen. Rund um uns ist eine vielzählige Armee von gewissenhaften Menschen. Wählt unter ihnen aus (…). Es sollen hiesige Kader sein, die mit allem verbunden sind, mit ihrer Familie, mit dem Dorf, mit dem Volk – ein Mensch, der das Volk kennt und ihm vertraut.“236 Breschnew setzte so gut es ging auf Agitation und Propaganda, doch dafür mussten Zeitungen und Radiosender gegründet, Bibliotheken eingerichtet sowie Alphabetisierungs- und Bildungsarbeit etabliert werden.237 Weil die Aufgaben der Volkserziehung so vielschichtig waren, unterteilte er die Propagandaabteilung in vier neue Departements: für Schulen, für Agitation und Propaganda, für

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Kunst sowie für Hochschulen und Kultur. Dafür ließ er sich von Moskau sogar die Ernennung eines sechsten ZK-Sekretärs absegnen.238 Auch ging er so weit zu behaupten: „Ein Museum ist für unsere Republik von größter Bedeutung. Die ideologische Arbeit ist für uns nicht weniger wichtig, sondern sogar wichtiger als die Reparatur eines Traktors oder die Herrichtung einer Egge. All das ist gut für unsere Wirtschaft, aber an erster Stelle müssen wir uns folgender Aufgabe widmen, und das tun wir auch: der ideologischen Erziehung unserer Menschen.“239 Wir wissen nicht, wie weit sich Breschnew dem Glauben hingab, allein durch Erziehungsarbeit könnten die Bauern dazu motiviert werden, den Kolchosen beizutreten, und die Kolchosvorsitzenden, Kreissekretäre und Landräte dazu gebracht werden, ihrerseits die Bauern zu unterrichten und nicht mehr abzustrafen. Jedenfalls erreichten ihn Berichte, die vom Gegenteil zeugten: Im Januar 1951 schrieb ein Abteilungsleiter des ZK über die Lage der zusammengelegten Kolchosen im Lipkanski-Landkreis, dass sich weder die Staats- noch die Parteifunktionäre um die Bauernwirtschaften kümmerten. In der ehemaligen Kolchose „Stalin“ sei wie in einer Reihe anderer Kolchosen seit ihrer Zusammenlegung kein Funktionär mehr gewesen, um dort eine Versammlung durchzuführen; von zwölf Kolchosen hätten nur vier Parteiorganisationen eingerichtet. Stattdessen werde mit Strafmaßnahmen gearbeitet: Zum Beispiel sind in der Kolchose „Lenin“ auf der allgemeinen Versammlung am 2. September 1950 auf einen Schlag 76 Kolchosbauern mit zwei bis fünf [zusätzlich abzuleistenden] Arbeitstagen bestraft worden. Die Disziplin wurde nicht besser. Daraufhin berief der Kolchosvorsitzende Gitz am 14.9.1950 eine Versammlung ein, auf der 62 Kolchosbauern bestraft wurden. Die Arbeitsdisziplin wurde nicht besser. Die dritte Versammlung wurde einberufen am 15.10.1950 (…) und, wie sich der Vorsitzende dieser Kolchose ausdrückte, zum Einschüchtern der Bauern haben wir beschlossen, die Kolchosmitglieder und Brigadiere, die die Arbeitsdisziplin nicht einhalten, mit zwei bis fünf Tagen zu bestrafen (…).240

Einerseits war dieses stumpfe Abstrafen der Bauern ein Vorgehen, für das Breschnew Vorsitzende entließ oder sogar aus der Partei ausschloss. Andererseits ließ er zumindest in seinen Reden keine Zweifel daran, dass es Bummelanten und Arbeitsverweigerer gab und dass diese irgendwann mit Konsequenzen zu rechnen hätten. Ob Breschnew selbst an die Existenz von „Kulaken“ oder „Kulakennationalisten“ glaubte, ist nicht zu klären. Aber er benutzte diese Begriffe in seiner Kor-

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respondenz mit Moskau, wo dies erwartet wurde.241 Eindeutig ist, dass Breschnew im März 1951 an Malenkow berichtete, dass eine Überprüfung ergeben habe, dass in Moldawien noch 800 „Kulakenfamilien“ mit 2620 Angehörigen lebten. Von denen hätten sich 1949 530 Familien versteckt gehalten und seien so der Aussiedlung entkommen. Nach der Aussiedlung hätte die Staatssicherheit weitere 270 „Kulakenfamilien“ festgestellt. Breschnew bat im Namen des ZK Moldawiens, die Deportation dieser Familien aus Moldawien zu beschließen.242 Moskau lehnte ab. Im April 1952 bat Breschnew erneut, über die Aussiedlung von 730 „Kulakenfamilien“ zu befinden, und Moskau lehnte erneut ab, zumal zu diesem Zeitpunkt bereits die Kommission zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Deportationen von 1949 ihre Arbeit aufgenommen hatte.243 Genauso wenig wie die Rhetorik von den „Kulaken“ ist die Anfrage zur Deportation allein Breschnew zuzuschreiben. Breschnew erhielt regelmäßig die Berichte des moldawischen Justiz- und des Staatssicherheitsministeriums über die Verhaftung und Verurteilung von „Kulaken, Verrätern und rumänisch-deutschen Agenten“, „ukrainischen Nationalisten und Banditen“ in der Grenzregion zu Rumänien und der Westukraine, eines von der USA finanzierten „Lwower Zentrums“, anderer konterrevolutionärer Organisationen und der Zeugen Jehovas. In diesen Berichten forderte die Geheimpolizei MGB, Nachfolgerin des NKWD, regelmäßig auch „mehr Repression“.244 Die Deportation der „Kulaken“ vorzuschlagen konnte sowohl eine Absicherung gegenüber dem MGB und Moskau sein als auch dem Wunsch Breschnews entstammen, für „Ruhe“ in Moldawien zu sorgen, indem er alle, die sich der Kollektivierung verweigerten, abschob. Es könnte auch sein, dass Breschnew dem Drängen jener ZK-Mitglieder nachgab, die am stalinistischen Stil der Repression festhalten wollten. Immerhin warf der von der Moskauer Zentrale bevollmächtigte Kontrolleur A. Sytsch Breschnew und Rud vor, die örtlichen Gerichte würden viel zu lax mit Verstößen gegen die Pflichtablieferung umgehen und weder ausreichend streng noch konsequent genug ahnden, wenn Bauern nicht genügend Getreide, Milch, Fleisch oder Wolle ablieferten. Sytsch beanstandete, dass es die Volksrichter oft ablehnten, sich überhaupt mit solchen Fällen zu befassen, und falls sie es doch täten, würden sie minimale Schadensersatzzahlungen, nie aber Strafen verhängen.245 Es gab hier also durchaus unterschiedliche Kräfte, die das Verhalten der Bauern sehr unterschiedlich bewerteten. Und während Breschnew weniger strafen, schreien und drohen wollte, arbeitete das moldawische Justizministerium daran, die Richter durch linientreues Personal zu ersetzen. Jedenfalls meldete

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das Oberste Gericht Moldawiens an Breschnew, die vier letzten Jahrgänge der einzigen Juristischen Hochschule Moldawiens taugten wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ alle nicht für die Arbeit im Justizministerium; sie hätten „Voice of America“ gehört und seien von einem Professor unterrichtet worden, der die Sowjetunion verunglimpft und Israel und die USA gelobt habe.246 Der Konflikt mit dem Obersten Gericht spitzte sich offenbar so zu, dass es zu einer Überprüfung und am 1. Februar 1952 infolge einer Diskussion im ZK-Büro zu einem Personalwechsel an der Spitze des Gerichts kam. Auch wenn nicht viel mehr über diese Auseinandersetzung bekannt ist, scheint es bezeichnend, dass Breschnew sich ereiferte, das Gericht habe unter dem Genossen Kischljan diejenigen zu streng bestraft, die man hätte erziehen können, dafür aber die wahren Staatsverbrecher geschont. Anstatt die Gerichtsmitarbeiter zu einem Kollektiv zusammenzuschweißen, habe er alle, die ihm zu widersprechen wagten, drangsaliert.247 Auch wenn unklar bleibt, wer für Breschnew die „wahren Staatsverbrecher“ waren, wird deutlich, dass er eine drakonische Bestrafung von Kleinstvergehen für kontraproduktiv hielt. Es muss dahingestellt bleiben, ob Breschnew die „Kulakenfamilien“ tatsächlich hatte deportieren wollen oder ob er die entsprechenden Anfragen aus opportunistischen Gründen an Moskau richtete. Aufbau einer Hausmacht

Anders als in Dnepropetrowsk hatte Breschnew in Moldawien keine Hausmacht und musste sich gegen so manchen stalinistischen Kader wie den Richter Kischljan behaupten. Um seine Linie durchzusetzen und die stalinistischen Repressionen einzuhegen, protegierte er gezielt die Männer, die seine Politik stützten. Dafür rekrutierte Breschnew den MGB-Mitarbeiter Semjon Kusmitsch Tzwigun, den er später zum stellvertretenden KGB-Vorsitzenden machen sollte. 1951 ernannte er Tzwigun zum stellvertretenden Minister für Staatssicherheit Moldawiens und ließ ihn 1952 sogar zum ZK-Kandidaten wählen.248 Mit Tzwigun war er zudem verschwägert, nachdem dieser 1950 eine Cousine Breschnews geheiratet hatte. Damit verfügte er im entscheidenden Machtapparat an führender Stelle über einen treuen Gefolgsmann, der ihm als „Schatten“ des moldawischen MGB-Vorsitzenden direkt über alles berichtete und durch die Stellung im ZK eng an die Partei und damit ihn selbst gebunden war. Breschnew überantwortete außerdem 1951 Bodjul, der zunächst Kolchosenbeauftragter der Union in Moldawien gewesen war, die Parteiführung in der Stadt Kischinjow; so hatte

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er auch die regionale Partei unter Kontrolle.249 Die beiden Männer sollen sich angefreundet haben.250 Für die politische Erziehungsarbeit, die Breschnew so am Herzen lag, konnte er auf einen Genossen zurückgreifen, der bereits das entsprechende Amt bekleidete: Sergei Pawlowitsch Trapesnikow leitete seit 1948 die Parteihochschule in Kischinjow. In den teils durchaus stürmischen ideologischen Debatten hielt Trapesnikow Vorträge, die Breschnews Position stützten.251 Breschnew machte ihn später in Moskau zum Leiter der ZK-Abteilung für Wissenschaft. Seine engsten Verbündeten in Moldawien aber waren Schtschjolokow, den Breschnew aus der Ukraine hierherbeordern ließ, und Konstantin Tschernenko, den er hier kennenlernte. Der eine kontrollierte den Staatsapparat, der andere zusammen mit Trapesnikow die Propagandaarbeit. Schtschjolokow wurde am 2. April 1951 vom ZK-Plenum zum Stellvertreter Ruds gewählt, 252 aber er erfüllte diese Funktion offenbar schon seit Anfang 1951, denn seit Januar war er bei den Sitzungen des Büros des Ministerrats zugegen und seit Februar leitete er sie regelmäßig, wenn Rud abwesend war.253 Breschnew etablierte damit eine Praxis, die später für ihn typisch werden sollte: Wenn er mit Amtsinhabern nicht zufrieden war oder ihnen nicht ausreichend vertraute, es jedoch keinen objektiven Grund gab, sie abzusetzen, dann umgab er sie mit Stellvertretern aus seiner eigenen Entourage, die ihm loyal ergeben berichteten oder auch unmerklich die Führung übernahmen. Schtschjolokow jedenfalls leitete in den Jahren 1951/52 die Sitzungen des Büros des Ministerrats genauso oft wie Rud.254 Auffällig ist auch, dass zwar sowohl Rud als auch Schtschjolokow dem Büro des ZK, also der Schaltzentrale der Macht, angehörten, dass aber Breschnew immer nur Schtschjolokow zusammen mit anderen, allen voran Tschernenko, beauftragte, Kommissionen zu bilden oder Resolutionen auszuarbeiten.255 Offenbar hatte Schtschjolokow neben Rud im Ministerrat die Rolle, die Breschnew neben Gorban im ZK übernahm: einen neuen Stil und vor allem Tonfall einzuführen, auf Vertrauen statt auf Einschüchterung zu setzen und frischen Teamgeist zu entwickeln. Schtschjolokow führte sich im Januar 1951 auf der Ministerratsversammlung mit den Worten ein: „Ich möchte meinen Eindruck als Neuling teilen. Vor meiner Abreise hierher war ich noch im Ministerrat der Ukraine bei der Diskussion der Industrieproduktion zugegen und muss sagen, dass ich hier diese Anspannung und das Fiebern, die ich aus der Ukraine kenne, nicht spüre, und das ruft bei den Mitgliedern des Büros des Ministerrats der Moldawischen SSR Besorgnis hervor.“256

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Tschernenko leitete bereits seit 1948 die ZK-Abteilung für Agitation und Propaganda in Kischinjow. Er und Breschnew müssen sofort aneinander Gefallen gefunden bzw. zueinander Vertrauen gefasst haben. Sie verband nicht nur die gemeinsame Arbeit, sondern auch die gemeinsame Liebe für die Dichtung Jessenins.257 Der Journalist Wladislaw Wladimirow hat die beiden als „politische siamesische Zwillinge“ bezeichnet,258 und tatsächlich schien überall dort, wo Breschnew war, auch Tschernenko zu sein. Im Team gaben offenbar Trapesnikow und Tschernenko Breschnew die ideologisch-propagandistische Rückendeckung, die er in der Partei brauchte, während Schtschjolokow die Strippen im Staatsapparat zog und Tzwigun den MGB unter Kontrolle hielt. Tschernenko wurde Breschnews rechte Hand: Als Chruschtschow ihn 1956 nach Moskau rief, installierte Breschnew Tschernenko dort im ZK-Apparat und machte ihn 1960, als er selbst Präsident der Sowjetunion wurde, zu seinem Büroleiter.259 Moskau gibt – Moskau nimmt

Zusammen machten sich diese fünf Männer daran, die Landwirtschaft zu stabilisieren, die Menschen und die Kultur zu sowjetisieren und die Republik zu industrialisieren. In allem waren sie von dem abhängig, was Moskau ihnen an Maßnahmen vorschrieb, was es an Projekten absegnete und an Mitteln zuwies. Doch auch die Verwaltungsstruktur der Republik Moldawien musste noch entwickelt werden. Auf Breschnews Antrag genehmigte das ZK der VKP(b) im Januar 1952, Moldawien in vier Bezirke zu unterteilen.260 Obwohl Breschnew diesen Beschluss Moskaus als „unschätzbare Hilfe und Aufmerksamkeit“ der Regierung und „Stalins persönlich“ beklatschen ließ,261 hatte er ein Jahr auf diese Erlaubnis warten müssen. Zudem hatten sie nicht die genehmigten „Bezirke“ (okrugi), sondern mit mehr Kompetenzen und Parteiposten ausgestatteten „Gebiete“ (oblasti) beantragt. Breschnew erhoffte sich eine größere Handlungsfähigkeit bei der Entwicklung der Republik, wenn zwischen der Zentralverwaltung und den Landkreisen noch eine Verwaltungsebene eingezogen würde, wie er im Dezember 1950 Malenkow erklärte.262 Bodjul kritisierte, für die neuen Verwaltungsstrukturen seien die besten Leute aus dem Zentrum abgezogen worden, die in der Provinz nur noch Papiere abgeschrieben hätten.263 Letztlich hätten die Landkreise mehr Schaden als Nutzen von der neuen Struktur gehabt, da ihnen nun der direkte Draht ins Zentrum gefehlt habe.264 Ganz gleich, wie der Nutzen beurteilt wird, hier zeigt sich einmal mehr, mit welch grundlegenden Problemen Breschnew es zu tun hatte.

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Nicht nur funktionierende Verwaltungsstrukturen und -mitarbeiter fehlten, es gab auch so gut wie keine Industrie in Moldawien. Auch wenn das größere Krisengebiet die Landwirtschaft blieb, hatte Breschnew sich ebenfalls um die Industrie und das Bauwesen zu kümmern und diese nach Vorgaben Moskaus aufzubauen. Fast täglich schickte er Briefe an Malenkow nach Moskau, in denen er darum bat, den Wohnungsbau, die Freigabe von 1,4 Millionen Rubel für den Bau einer Parteischule, Geld für den Bau des Kischinjower Wärmekraftwerks, die Zuteilung von Kraftfahrzeugen und Brennstoff sowie viele weitere Projekte und Ressourcen zu genehmigen.265 Im Widerspruch zur Rhetorik von der „Güte und Fürsorge Moskaus“ stellte das Zentrum oft nicht einmal diejenigen Ressourcen zur Verfügung, die es bereits zugesagt hatte. So waren 1950 die genehmigten 500.000 Tonnen Zement auf 150.000 gekürzt worden und von diesen erreichten schließlich nur ganze 20.000 Moldawien.266 Bodjul sah es als Breschnews Verdienst an, dass trotzdem im November 1951 das Wärmekraftwerk in Betrieb gehen und 1954 der 1950 begonnene Bau des Wasserkraftwerks am Dnjestr abgeschlossen werden konnte. Endlich wurde so der permanente Energiemangel gelindert. Wie Breschnew es aus der Ukraine gewohnt war, besuchte er regelmäßig die Baustellen, fragte, wo es klemmte, und half, so gut er konnte.267 Angesichts der Abhängigkeit von den Moskauer Planvorgaben und Mittelzuteilungen war der Spielraum, den Breschnew als Erster Sekretär hatte, gering und seine Erfolge oder Misserfolge zu einem Großteil von der Gunst Moskaus abhängig. Hatte Stalin 1950 erklärt, es gebe kein weiteres Saatgut mehr für Moldawien, die Republik müsse nun selbst für ihr Auskommen sorgen, revidierte er Anfang 1952 diese Absage und stellte doch erhebliche Mittel für die moldawische Landwirtschaft und Industrie zur Verfügung, mit denen vor allem der Wein- und Tabakanbau und die Lebensmittelindustrie ausgebaut werden sollten.268 Im großen Stil wurden dafür Setzlinge, Kultivierungs- und Kelteranlagen sowie Bewässerungssysteme bereitgestellt. Fast gleichzeitig schickte der Moskauer Ministerrat an Breschnew und Rud die neuen, äußerst ehrgeizigen Planzahlen, die vorschrieben, wie viel an Fleisch, Milch, Konserven, Zucker, Wein und Kleidung Moldawien im Jahr 1952 an die Union abzuliefern hatte.269 In den Augen Stalins, so Bodjul, war Moldawien ein Agrarland, das Moskau mit Wein und Obst zu versorgen hatte und dafür weniger Mittel erhielt, als es in Produkten abliefern musste.270 Tatsächlich erhöhte das Moskauer Politbüro zeitgleich mit der Genehmigung der neuen Mittel und der Vorgabe der Planzahlen den Druck auf Breschnew. Am

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26. Januar 1952 attackierte die „Prawda“ Breschnew: Moldawien sei schlecht auf die Aussaat vorbereitet, erst die Hälfte der Traktoren sei repariert.271 Breschnew gab diese Warnung auf dem Parteiplenum am 26. Januar 1952 an seine Genossen weiter. Es gebe viel zu viel Selbstzufriedenheit bei den verantwortlichen Mitarbeitern, sagte er, die sich lieber über Schwierigkeiten ausschwiegen, als sich angesichts der „Prawda“-Schelte zu beunruhigen.272 Zwar wurde Moldawien nicht als einzige Republik von der Zeitung angeprangert, aber Malenkow hatte Kontrolleure entsandt, die die Umsetzung der Moskauer Direktiven überwachen und ihm berichten sollten, so dass Breschnew mit weiteren Angriffen und einer neuen Intrige rechnen musste.273 Herzinfarkt und Machtranküne

Es ist nicht erstaunlich, dass Breschnew angesichts der willkürlichen Vorgaben, der Kontrollen und Attacken aus Moskau immer wieder von seinen Genossen forderte, sich bis zur Erschöpfung zu verausgaben. Auf seinem ersten Plenum im Oktober 1950 bläute er den Genossen ein: „Unter den Umständen hier in Moldawien mit diesen vielen Schwierigkeiten müssen wir mit einer physischen Anspannung arbeiten, mit der das Führungspersonal in den anderen Republiken wahrscheinlich nicht arbeitet. Das ist unsere Pflicht, denn das ZK der VKP(b) hat uns hierher entsandt und erwartet von uns, dass wir die Dinge in Ordnung bringen.“274 Mehrfach wiederholte er, dass er vollkommene Hingabe an den Dienst bis zur völligen Erschöpfung erwarte, und redete den Landkreis-Verantwortlichen ins Gewissen, dass er auch von ihnen erwarte, dass sie nicht nach Hause gingen und sich schlafen legten, solange nicht alles erledigt sei: „Fünf Tage und einige Stunden lang ging niemand ans Telefon. Was soll das? Dann haben wir irgendwie die Genossen geweckt. (…) Ich verstehe, dass es schwer ist, aber auch wir haben nicht eine Minute geschlafen, haben das ZK nicht verlassen, niemand von uns Büromitgliedern ist nach Hause gefahren, alle haben wir uns hier im ZK der Partei aufgehalten.“275 In Breschnews „Memoiren“ heißt es, dass er auf seinen Fahrten in die Landkreise „irgendwo und irgendwas“ aß und, da es noch keine Hotels gab, meist bei den Landkreissekretären zu Hause übernachtete.276 Die Quittung für diesen körperlichen Raubbau erhielt Breschnew in Form einer angegriffenen Gesundheit. 1951 beantragte er bei Stalin, sich für einen Monat in Behandlung begeben zu dürfen.277 Nur ein Jahr später im Mai 1952 ereilte ihn im Alter von gerade ein-

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mal 45 Jahren ein Herzinfarkt.278 Wieder musste er Stalin um Befreiung bitten, damit er sich nach dem Krankenhausaufenthalt einen Monat lang im Sanatorium kurieren konnte.279 Dadurch verpasste er auch das VI. und VII. Parteiplenum Anfang Juni bzw. Ende Juli.280 Breschnews lange Abwesenheit von Mitte Mai bis Anfang August blieb nicht ohne Folgen. Als Breschnew auf dem VIII. Parteiplenum Ende August den „Zustand und die Maßnahmen zur Verbesserung der ideologischen Arbeit in den Parteiorganisationen Moldawiens“ zum Thema machte, wurde er aus den Reihen der Delegierten ungewöhnlich scharf angegriffen, er habe nicht hart genug gegen die „verbliebenen Kulaken, Sektanten, Zeugen Jehovas und bürgerlichen Nationalisten“ durchgegriffen, obwohl er in seinem Vortrag selbst gefordert hatte, gegen die Reste dieser Gruppen müsse gnadenlos vorgegangen werden.281 Breschnew versuchte mit seiner gewohnten Art, die Kritik zu versachlichen: „Es geht jetzt nicht darum, dass ich und andere Genossen hier dafür kritisiert wurden, dass wir eine Reihe von schwerwiegenden Fehlern begangen haben, dass wir passiv auf eine Reihe von ernsthaften Verfehlungen und Entgleisungen in der Arbeit unseres wichtigsten Gebiets reagiert haben, das eine enorme erzieherische Bedeutung für die Werktätigen unserer Republik hat.“282 Wichtig sei, was Genosse Trapesnikow über die ideologische Arbeit, die vor ihnen stände, gesagt habe. Um sich gegen den Vorwurf zu wehren, zu nachsichtig zu sein, zitierte er den 1934 ermordeten Leningrader Parteichef Sergei Kirow, der gesagt hatte, „dass es in unserer Partei niemanden gibt, der zu weich ist, dass wir in der Lage sind, uns selbst gegen den Strich zu bürsten.“283 Aber selbst nach Breschnews Schlusswort ließen sich die Delegierten nicht davon abbringen, weiter lebhaft über den in die Kritik geratenen ZK-Sekretär Artjom Markowitsch Lasarew zu streiten, der für die Kaderauswahl verantwortlich zeichnete.284 Am 7. September 1952 berichtete die „Prawda“ über dieses Parteiplenum in Moldawien und hob hervor, dass, obwohl sich Breschnew rühme, schon „eine gewisse Arbeit“ auf dem Gebiet der Kultur und Propaganda geleistet zu haben, die ZK-Mitglieder vor allem die Mängel in der ideologischen Arbeit der Parteiführung herausgestrichen hätten.285 Die „Prawda“ griff Lasarew an, der, anstatt die publizistische Tätigkeit von „bourgeoisen Nationalisten“ zu unterbinden, diese gewähren lasse und seine Fehler verschweige. Breschnew wurde weiter nicht namentlich erwähnt, aber es war deutlich, dass mit den „führenden Mitarbeitern“, die beweisen müssten, dass sie die Theorie des Marxismus-Leninismus unbeirrt anwendeten, auch Breschnew gemeint war, der nicht genügend

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hart gegen Nationalisten vorgehe. Auch wenn es hier nicht um die Sache ging, traf die „Prawda“ damit einen Nerv bei Breschnew, der den Kadern lieber eine zweite Chance gab, als sie auf stalinistische Weise gleich zu verurteilen. Laut Murphy geriet Breschnew in den Machtkampf zwischen Malenkow und Chruschtschow: Der eine hoffte den anderen vor Stalin zu diskreditieren, indem er dessen Zögling anschwärzte. Es ist gut möglich, dass auch die Angriffe Ende Januar bereits dieser politischen Intrige entsprungen waren. Die Sache war daher noch lange nicht ausgestanden: Auf der am 13. September folgenden Plenarsitzung, auf der Breschnew seinen Rechenschaftsbericht für den kommenden moldawischen Parteikongress vorstellte, wagte sich der Zweite Sekretär Gorban mit einer Kritik an der Darstellung der ideologischen Arbeit hervor. Aber sein Vorschlag, den Berichtsteil zur Bildung in Marxismus-Leninismus von der „Kulturarbeit“ zur „Parteiarbeit“ zu verlegen, fand im Plenum keine Unterstützung.286 Auf dem fünf Tage später eröffneten IV. Parteikongress musste sich Breschnew erneut gegen harsche Kritik an seiner „weichen“ Kaderpolitik wehren. Die Kritik erreichte ihn u.a. auf Zetteln, die ihm zugesteckt wurden. Breschnew ging in die Offensive: „Die zweite Notiz beginnt damit, dass ‚die Kader zu schonen bedeutet, diese Kader zu verderben‘, so lehrt uns Genosse Stalin. Warum habe ich (Genosse Breschnew) in meinem Referat, als ich die Mitglieder des ZK vorgestellt habe, nicht auf die Fehler in der Arbeit Lasarews hingewiesen. Und weiter: ‚Er ist ein guter Mensch, er muss kritisiert und als Mitarbeiter erhalten bleiben, aber seinen Ehrgeiz zu schonen bedeutet, ihn zu verderben‘.“287 Ganz wie es das Ritual von Kritik und Selbstkritik forderte, nannte Breschnew den Hinweis berechtigt, erklärte sein Fehlverhalten aber auf erstaunliche Weise: „Ich möchte den Delegierten erläutern, dass dieser Abschnitt über die Arbeit der ZKMitglieder und ZK-Büro-Mitglieder nicht ausformuliert war, und da ich das mündlich vortrug und ich äußerst müde war, habe ich das versäumt, obwohl ich es später bedauert habe.“288 Dass der Erste Sekretär die Kritik an einem engen Mitarbeiter aufgrund seiner Müdigkeit vergaß, klang verdächtig. Andererseits war Breschnew erst vor wenigen Wochen von einem Herzinfarkt genesen, so dass aus seinem Munde diese Worte vielleicht sogar plausibel erschienen. Es war in dieser für Breschnew kritischen Situation, dass er, offenbar zu seiner eigenen Absicherung, Tzwigun als Stellvertretenden Vorsitzenden des MGB zum ZKKandidaten wählen ließ, den Minister für Staatssicherheit sogar als Vollmitglied in das ZK-Büro aufnahm und Gorban für seine Unbotmäßigkeit abstrafte: Weder bekam er einen der sieben Delegiertenplätze für den XIX. Parteikongress in

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Moskau noch stellte Breschnew ihn auf dem anschließenden Parteiplenum erneut als Zweiten Sekretär zur Wahl. Diesen Posten erhielt Dmitri Spiridonowitsch Gladki, der im Oktober Breschnew nachfolgen sollte.289 Gleichzeitig hielt Breschnew an Lasarew fest, den er erneut zum ZK-Sekretär wählen ließ, mit dem Kommentar, Lazarew sei ein fähiger Mann und werde die richtigen Konsequenzen aus der Kritik ziehen.290 Breschnew schlug seine Kritiker aber noch auf einer anderen Ebene und mit anderen Mitteln zurück. Im September-Heft der Ideologie-Zeitschrift „Bolschewik“ erschien ein Artikel von ihm mit dem Titel „Kritik und Selbstkritik – eine bewährte Methode zur Kadererziehung“.291 Vermutlich geschah dies nicht ohne die Hilfe Tschernenkos und Trapesnikows, die höchstwahrscheinlich am Text mitarbeiteten, sowie Chruschtschows, der für seine prompte Platzierung an prominenter Stelle gesorgt haben wird. Mit dem neun Seiten langen Artikel empfahl sich Breschnew bei Stalin, indem er das neue Parteistatut und die heilige Pflicht zur Kritik und Selbstkritik lobte. Gleichzeitig nahm er damit seinen Kritikern den Wind aus den Segeln, da er nicht nur parteitheoretisch die Pflicht zur Kritik erläuterte, sondern aus seiner Praxis acht namentliche Beispiele dafür anführte, wie man in Moldawien mit diesem Mittel guten Kadern geholfen hatte, Fehler zu überwinden und sich zu bewähren. Ohne dass er auf die Vorwürfe gegen ihn eingehen musste, führte er seinen Anklägern vor, dass es für die Partei von viel größerem Nutzen war, den Kadern eine zweite Chance zu geben. Wenn diese die Kritik nicht verstanden und sich nicht besserten, konnte man sie immer noch absetzen und streng bestrafen, was in Moldawien auch geschehe. Dies war ein Coup, benutzte doch Breschnew Stalins Worte und die aktuelle Propaganda im Vorfeld des XIX. Parteitags, um seine eigene Praxis als vorbildlich darzustellen. Berufung ins Präsidium

Auf diese Weise gestärkt, fuhr Breschnew am 23. September zum XIX. Parteikongress nach Moskau, der vom 5. bis 15. Oktober tagte.292 Roy Medwedew behauptet, Stalin sei, als Breschnew am vierten Sitzungstag mit seinem Bericht aus Moldawien auftrat, sehr beeindruckt gewesen von dem „großen, gut gekleideten 46-Jährigen“: „Was für ein schöner Moldawier“, soll er gesagt haben.293 Das hieße, dass er ihn beim Kongress zum ersten Mal gesehen hätte und die Legenden um seine Ernennung in Moldawien tatsächlich Mythen wären. Auch Biograph Mletschin behauptet, Stalins erstes Zusammentreffen mit Breschnew, „der

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sich sehr vorteilhaft von den anderen Parteiführern abhob“, habe auf dem Kongress stattgefunden.294 Immerhin hatte Breschnew die Aufgabe übertragen bekommen, die Kandidaten für das Kongress-Sekretariat zu verlesen.295 Zudem wurde er zum Mitglied der Mandatsprüfungskommission bestimmt, eine Ehre, die neben ihm nur 14 weiteren Regionalsekretären zuteilwurde.296 Daraus kann geschlossen werden, dass Stalin Breschnew nicht nur bereits am ersten Sitzungstag wahrgenommen haben muss, sondern im Vorfeld auch seine Zustimmung dazu erteilt haben muss, Breschnew die genannten Funktionen in der Choreographie des Kongresses zu übertragen. Es waren zwar eher Statistenrollen, aber sie hoben Breschnew doch aus der Gruppe der Republiksführer heraus. Seine Rede am zweiten Sitzungstag, dem 6. Oktober 1952, war die erwartbare Eloge auf Stalin, dem Moldawien die Befreiung vom „Joch des Kolonialismus“ im Jahr 1940 sowie alle weiteren Erfolge in Landwirtschaft und Industrie zu verdanken habe.297 Nicht erstaunlich war, dass sich Breschnew als Parteichef Moldawiens auf der Liste derer wiederfand, die in das auf 125 Personen erweiterte ZK gewählt wurden. Für Breschnew überraschend jedoch war, dass er von Stalin als Kandidat auch in das auf 25 Mitglieder und elf Kandidaten erweiterte Parteipräsidium, vormals Politbüro, aufgenommen wurde und neben Stalin einen der zehn ZK-Sekretär-Posten bekam.298 Die Anekdoten, die sich um Breschnews gutes Aussehen und seine Bekanntschaft mit Stalin ranken, bekommen damit einen Sinn: Stalin ging es überhaupt nicht um Breschnew; vielmehr brauchte er für seine Machtspiele Statisten, die die Hierarchien in seiner Entourage durcheinanderbrachten und vermeintliche Favoriten wie Malenkow oder Berija verunsicherten. Dafür hätte Stalin auch jeden anderen Parteichef benutzen können, doch seine Wahl fiel auf Breschnew, weil ihm, der viel Wert auf seine eigene Inszenierung legte, offenbar dessen Äußeres imponierte. Breschnew, der sich gerade erst von seinem Herzinfarkt und den Attacken der „Prawda“ erholt und mit einer solchen Wendung der Dinge nicht gerechnet hatte, kehrte zunächst nach Moldawien zurück, um dort noch selbst am 25. Oktober sein letztes Plenum und die Wahl seines Nachfolgers durchzuführen.299 Bodjul berichtet, Breschnew habe sich später bei ihren Zusammentreffen kaum an etwas Positives in Moldawien erinnern können. Die großen Schwierigkeiten, mit denen er hier hatte kämpfen müssen, hätten immer im Vordergrund gestanden. Seiner eigenen Meinung nach sei es ihm nicht gelungen, der verarmten, von Kollektivierung, Dürre und Deportation geplagten Bevölkerung bessere Lebensbedingungen zu schaffen:300

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Er erinnerte sich gut an die heißen Winde mit den Staubstürmen, an die mit Barbarakraut zugewachsenen Felder und die Kühe, die man, da sie so ausgemergelt waren und sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten, mit Seilen an der Decke festbinden musste, und andere Unglücke. Seine Erinnerungen waren freudlos, nur dann ging ein Lächeln über seine Lippen, wenn er sich an die moldawischen Tänze des Ensembles Schok mit dem virtuosen Mokana und an die Lieder von Tamara Tscheban erinnerte …301

Das ist ein weiterer Hinweis darauf, dass es Breschnew schon in Moldawien nicht nur darum zu tun war, die Pläne zu erfüllen, um sich und die Republik nicht dem Zorn Stalins auszusetzen, sondern dass ihm tatsächlich die Lebenssituation der einfachen Menschen naheging. Auf dem III. Parteikongress Moldawiens hatte er den Genossen zugerufen: „Die Verbesserung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus der Werktätigen ist ein unverbrüchliches Gesetz unserer sowjetischen sozialistischen Gesellschaft.“302 Teils war das offizielle Parteirhetorik, teils klang das bereits nach Breschnews eigenem Anliegen, das er später zu seiner Programmatik machen sollte. Wenn wir Bodjul glauben, dass Breschnew Moldawien frustriert verließ, weil er den Lebensstandard der Menschen kaum hatte anheben können, entsteht ein Widerspruch zu dem, was Murphy und Medwedew sowie die offiziellen Biographien gestützt auf die offiziellen Planzahlen berichten: Die Mechanisierung der Landwirtschaft habe im ersten Nachkriegs-Fünfjahrplan einen Erntezuwachs von 150 Prozent beschert, der Dreijahrplan zur Stärkung der Viehzucht eine Versiebenfachung des Viehbestandes; statt 110 Millionen Rubel im Jahr 1949 seien 1951 567 Millionen Rubel an die Kolchosbauern gezahlt worden; die Industrieproduktion sei 1951 um 41 Prozent gewachsen; das Analphabetentum sei besiegt und Schulen und Hochschulen eröffnet worden, so dass Moldawien im Oktober 1952 17.500 Studierende habe zählen können.303 Interessanterweise kehren auch Breschnews „Memoiren“ kaum Erfolgsmeldungen hervor, sondern stellen seine Sorge um die Lebensverhältnisse der Menschen in den Vordergrund: „Ich ging oft auf den Markt oder in Geschäfte und sah, dass die Menschen es schwer hatten, dann rief ich manchmal die Mitarbeiter aus dem ZK oder dem Ministerrat an, um darauf hinzuweisen, wie hier die Umstände waren.“304 Auch wenn die „Memoiren“ ganz offiziell am Bild des fürsorglichen Generalsekretärs strickten, ist es bezeichnend, dass auf die Darstellung von Erfolgen verzichtet wurde – wohl, weil es keine gab. Glaubwürdig ist auch, dass Breschnew einem Parteilehrer (Instrukteur), der zum

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Bericht bei ihm erschien, erst einmal den Bezugsschein für einen Anzug ausstellte, damit er nicht in Lumpen bei ihm vorsprechen musste.305 Es ist also davon auszugehen, dass Breschnew die große Diskrepanz zwischen den Erfolgsmeldungen, die er nach Moskau sandte, und den wahren Verhältnissen in der Republik schmerzlich bewusst war. Gleichwohl berichtet seine Frau Viktorija, dass sie in Moldawien ein gutes Leben gehabt hätten, auch wenn sie ihren Mann nach wie vor kaum gesehen habe, weil er ständig unterwegs gewesen sei. Sie ging auf die Märkte, kaufte und kochte Obst und Gemüse ein, das es in Moldawien reichlich gegeben habe.306 Außerdem kümmerte sie sich um die Versorgung ihres Sohns Juri, der wegen seines Ingenieurstudiums in Dnepropetrowsk geblieben war. Sie fuhr regelmäßig in die alte Heimat, um für ihn zu putzen und zu kochen.307 Tochter Galina, die in Dnepropetrowsk ein Geschichtsstudium begonnen hatte, war mit nach Kischinjow gezogen, ebenso wie eine Nichte Viktorijas, die mit ihnen im Haushalt lebte.308 Doch nach nur einem Jahr heiratete Galina 1951 im Alter von 22 Jahren den 19 Jahre älteren Zirkusartisten Jewgeni Milajew. Die beiden hatten sich bereits in Dnepropetrowsk kennengelernt, wo Milajews Zirkus gastiert und sich die Familie, da Breschnew den Zirkus liebte, viele Vorstellungen angeschaut hatte. Entgegen den nach dem Ende der Ehe kursierenden Skandalgeschichten versuchte Viktorija Petrowna im Interview der Vorstellung, dies sei eine Mesalliance gewesen, entgegenzutreten: Sie hätten Milajew als verantwortungsvollen Mann sehr geschätzt und auch nach der Scheidung elf Jahre später den Kontakt zu ihm gehalten. Galina brach damals das Studium ab, bekam eine Tochter, die zu Ehren der Großmutter Viktorija genannt und zu großen Teilen von dieser erzogen wurde, weil das junge Paar mit dem Zirkus durch das Land tourte.309 Milajew machte dank Breschnews Einfluss eine schnelle Karriere und wurde bald Direktor des Moskauer Staatszirkus.310 Viktorija Petrowna genoss die Zeit in Moldawien: Sie seien mit dem Ehepaar Rud befreundet gewesen und hätten zusammen die Feiertage begangen.311 Als sie Moldawien verließen, hätten viele Menschen sie zum Bahnhof begleitet, so viele Freunde hätten sie sich dort gemacht.312

Als Stalins Statist in Moskau Breschnew zog im Herbst 1952 mit seiner Frau und seinem Sohn nach Moskau in eine Dreizimmerwohnung auf die Moschaiskoje-Chaussee, die in diesem

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Abschnitt 1957 in Kutusowski-Prospekt umbenannt wurde. Dort sollte er bis zu seinem Lebensende wohnen.313 Moskau war für Breschnew ein unbekanntes Terrain. Mechlis befand sich seit einem Herzinfarkt 1950 im Ruhestand. Seine einziger Bekannter und Förderer war Chruschtschow. Breschnew bezog ein Büro im ZK-Gebäude am Alten Platz. Am 18. Oktober, zwei Tage nach seiner Berufung ins Parteipräsidium, nahm er erstmals an einer Sitzung des höchsten Machtorgans teil. Hier überantwortete ihm Stalin nicht nur die „Aufsicht über die Arbeit der Hauptpolitverwaltung des Flottenministeriums und der Hauptpolitverwaltung des Flotten-Marine-Ministeriums“, er wurde auch Mitglied der Kommission für Äußere Angelegenheiten und einen Monat später der Kommission für Verteidigungsfragen.314 Zwei weitere Tage später, am 20. Oktober, saß er zusammen mit den anderen Sekretären im Büro Stalins, der sich sehr unzufrieden über die Propagandaarbeit äußerte.315 Damit war Breschnew wieder im Ressort Propaganda angekommen, das ihm so gar nicht behagte. Zudem machte der Titel deutlich, dass es sich um eine willkürliche Konstruktion handelte, die Stalins Intention entsprungen war, durch mehr Überwachung und neue Instanzen andere Mitarbeiter in Schach zu halten. Breschnew oblag es, nicht nur die Tätigkeit der Politarbeiter in der Armee zu kontrollieren, sondern auch über deren Einstellung, Versetzung und Entlassung zu entscheiden.316 Er nahm am 7.  November 1952 erstmals auf der Tribüne des Lenin-Mausoleums zusammen mit Stalin und seiner Entourage die Militär­parade auf dem Roten Platz ab. Und er nahm nun auch regelmäßig an den Sitzungen von Stalins Kabinett teil. Hier erlebte er aus nächster Nähe, wie der Diktator Politik machte. Breschnew war auch bei den Präsidiumssitzungen Anfang Dezember 1952 zugegen, als die „Ärzteaffäre“ – die Verhaftung aller jüdischen Kremlärzte – beschlossen wurde. Am 26. Januar 1953 traf er bei einer Arbeitssitzung das letzte Mal mit Stalin zusammen.317 Am 5. März 1953 starb Stalin. Noch bevor der Bewusstlose verschieden war, traten die neun früheren Politbüromitglieder zusammen und beschlossen, das künstlich aufgeblasene Präsidium wieder auf die alte Größe zu verkleinern. Breschnew verlor damit seinen Sitz in der obersten Machtzentrale und seinen Sekretärsposten; er bekam die Position des Leiters der Politverwaltung der Flotte zugewiesen. Und als nur wenige Tage später das Flotten- und das Heeres­ ministerium zusammengelegt wurden, folgte die weitere Degradierung zum Stellvertreter des Leiters der Politverwaltung im Verteidigungsministerium.318 Breschnew hatte als Statist Stalins ausgedient und wurde als solcher von den

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alteingesessenen Präsidiumsmitgliedern aus dem Zentrum der Macht entfernt. Er sah keine andere Möglichkeit, als im Mai demütig an Malenkow zu schreiben, der zuvor eher sein Widersacher gewesen war, jetzt aber als neuer Ministerratspräsident amtierte und sich als erster Mann in der Kollektivführung durchzusetzen schien: Jetzt, wo ich mich dem Alter von 50 Jahren nähere und meine Gesundheit durch zwei ernsthafte Krankheiten (einen Herzinfarkt und eine arterielle Verschlusskrankheit meiner Beine) ruiniert ist, fällt es mir schwer, mich auf eine andere Arbeit einzustellen oder meinen Beruf zu wechseln. Ich bitte Sie, Georgi Maximilianowitsch, mich für eine Arbeit in der Parteiorganisation der Ukraine abzuordnen (…). Wenn ich in meiner Arbeit irgendwelche Fehler oder Mängel zugelassen habe, bitte ich dafür um Vergebung und die Möglichkeit, sie wieder gutzumachen.319

Malenkow leitete den Brief an Chruschtschow weiter, der es jedoch zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht für opportun hielt, sich für Breschnew einzusetzen.320 Tatsächlich wissen wir wenig über die Zeit, die Breschnew von März 1953 bis zu seiner Berufung nach Kasachstan im Januar 1954 in Moskau verbrachte. Auch wenn er aus der innersten Schaltzentrale verbannt war, befand er sich nach wie vor im Zentrum der Macht. Erneut wurde er als Statist gebraucht, als am 26. Juni 1953 die Präsidiumsmitglieder, angeführt von Chruschtschow, Malenkow und Nikolai Bulganin, Stalins Henker Berija verhaften ließen. Sie weihten Marschall Schukow ein, der mit wenigen absolut vertrauenswürdigen Männern die Festnahme notfalls mit Waffengewalt durchsetzen sollte. Zu diesen vier mit Waffen ausgestatteten Militärs gehörte auch Breschnew.321 Breschnew war als regulärer ZK-Kandidat auch auf dem vom 2. bis zum 7. Juli währenden ZK-Plenum anwesend, auf dem Chruschtschow und Malenkow mit Berija abrechneten und ihm die Fälschung von Beweisen, Geständnissen und einzelner Straffälle vorwarfen. Der Große Terror und die Massenrepressionen allerdings wurden weiter beschwiegen. Breschnew selbst meldete sich in diesen sechs Tagen nicht zu Wort.322 Es bleibt nur Spekulation, wie er diese Tage der Festnahme Berijas und der anschließenden kollektiven Verdammung erlebte. Es war dies seine erste Erfahrung mit der Amtsenthebung eines führenden Präsidiumsmitglieds; er sollte weitere machen.

Als Stalins Statist in Moskau

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Dass Breschnew zu dieser äußerst heiklen Mission hinzugezogen wurde, beweist, dass er nach wie vor Chruschtschows volles Vertrauen besaß und keineswegs vergessen war. Auch sonst scheint er keine schlechte Zeit in Moskau gehabt zu haben. Auf seiner Tagesordnung standen u.a. repräsentative Treffen mit Delegationen aus den Bruderländern oder auch die feierliche Eröffnung des „Tages des Panzers“.323 Zusammen mit Viktor Grischin, dem Zweiten Sekretär des Moskauer Parteikomitees, organisierte er die Feierlichkeiten zum „Tag der Marine“ im Gorki-Park.324 In Wartestellung

Bezogen auf seine Dienststellung befand sich Breschnew 1953, nach sechs Jahren harter Aufbauarbeit in der Ukraine und in Moldawien, wieder auf dem Stand von 1945. Er war wieder Armee-Angehöriger und leitete erneut stellvertretend die Propagandaarbeit. Der einzige kleine Trost war, dass er im August 1953 in den Rang eines Generalleutnants erhoben wurde.325 Auch wenn dies ein Rückschlag und ein Tiefpunkt in seiner Karriere war, hatte er entscheidende Dinge gelernt und für seine folgenden Berufungen wichtige Erfahrungen gesammelt: Unter dem Druck der Stalin’schen Planvorgaben hatte er sich ein extrem hohes Arbeitstempo angewöhnt. Um nicht in den Verdacht zu kommen, Pläne zu sabotieren, betrieb er Raubbau an seiner Gesundheit und hatte im Alter von 45 Jahren einen ersten Herzinfarkt erlitten. Er hatte weiter verinnerlicht, dass angesichts der hohen Planzahlen, die Moskau forderte, und der nur geringen Ressourcen, die es bereitstellte, seine einzige „Stellschraube“ die Kader waren. Diese musste er motivieren, anzupacken und nicht in Gleichgültigkeit oder Fatalismus zu verfallen. Er lehnte das stalinistische Schreien und Hetzen ab, weil es unproduktiv war, und versuchte stattdessen, den Menschen zuzuhören und auf ihre Anliegen einzugehen. Dabei verbreitete er den ungetrübten Zweckoptimismus, dass man alles schaffen könne, wenn man es nur wolle – schließlich hatte er dies sich und dem ganzen Land in Saporoschje mit dem Staudamm, dem Stahlwerk und danach immer wieder bewiesen. Dies war eine Breschnew’sche Variante der Stalin’schen Losung „Die Kader entscheiden alles“. Breschnew war somit ein „starker Führer“: Weder tyrannisierte er als „klei-

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ner Stalin“ seine Untergebenen willkürlich noch ließ er als „schwacher Führer“ alle und jeden gewähren. Soweit sich das sagen lässt, zeichnete seinen Arbeitsstil die Betonung der Sachfragen, die Suche nach Lösungen und die Transparenz hinsichtlich etwaiger Strafmaßnahmen aus. Der Spielraum, den Breschnew innerhalb der stalinistischen Direktiven und der zugehörigen Rhetorik hatte, war nicht groß; immer wieder musste er die offiziellen Parolen bedienen. Doch es fällt auf, dass er da, wo er es gefahrlos konnte, einen anderen, sachlichen, versöhnlichen Ton anschlug. Spätestens in Moldawien hatte er erfahren müssen, dass er sich mit dieser konzilianten Haltung angreifbar machte. Aber er war bereit und in der Lage, seinen Stil zu verteidigen. Seine virtuose Gratwanderung zwischen exakter Befolgung der Moskauer Direktiven und eigener Interpretation derselben manifestierte sich nicht zuletzt in seinem Artikel zum Thema „Kritik und Selbstkritik“ im „Bolschewik“. Auf seinen unermüdlichen Fahrten durch die Landkreise der Ukraine und Moldawiens hatte Breschnew oft genug mit eigenen Augen gesehen, in welch großer Armut die Menschen lebten. Zugleich hatte er erfahren müssen, dass er nicht die Mittel hatte, an der trostlosen Lage etwas Entscheidendes zu ändern. Es waren ihm nur Bettelbriefe an Malenkow nach Moskau geblieben. Dass er die Kolchosvorsitzenden aufgefordert hatte, sie müssten die Bauern auszahlen, war bemerkenswert. Glaubt man den wenigen Indizien und Bodjuls Memoiren, dann litt Breschnew daran, den Menschen keine besseren Lebensumstände schaffen zu können. Außerdem hatte Breschnew entscheidende Lektionen in Sachen Netzwerk und politischer Intrige gelernt. In der Ukraine hatte er reüssiert, weil Chruschtschow loyale Männer brauchte, die ihm den Rücken freihielten. In Moldawien hatte er sich als Republikschef ein eigenes Netzwerk von treuen Gefolgsleuten aufgebaut, die sein politisches Überleben sicherten, als er angegriffen wurde. Stalin hatte ihn nicht als Klienten in sein Netzwerk aufgenommen, sondern benutzt, um seine angestammte Entourage aufzubrechen. Diese schloss nach Stalins Tod wieder ihre Reihen und stieß ihn als „fremdes Element“ aus. Alle drei Erfahrungen zeugten davon, dass die Beförderung auf einen Posten, die Abwehr von Attacken und die Sicherung der eigenen Position nur auf der Basis eines gut entwickelten Netzwerkes funktionieren konnten. Man benötigte mächtige Patrone über sich und einflussreiche Klienten unter sich. Auch in diesem

Anmerkungen

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Sinne „entschieden die Kader alles“. Breschnew blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis die neue „Kollektivführung“ unter Malenkow, Chruschtschow u.a. stabilisiert war oder sich einer seiner früheren Förderer seiner erinnerte.

Anmerkungen 1 2 3 4

Brezhnev, A Short Biography, S. 36. Siehe auch Murphy, Brezhnev, S. 214. Vladimirov, Tandem, S. 158; Kavun, Leonid Brežnev, S. 10–12. Rossijskij Gosudarstevnnyj Archiv Social’no-Političeskoj Istorii (im Folgenden: RGASPI), f. 17, op. 163, d. 1484, l. 55, http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/postanovlenie-politbyurotsk-vkpb-o-snyatii-li-brezhneva-s-dolzhnosti-nachalnika-politupravleni, abgerufen am 13.2.2017; DDA, f. 19, op. 6, d. 342, l. 2; siehe auch Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 51; Mlečin, Brežnev, S. 78; Aleksandr Gavriljuk: „Teper’ mužik skažet …“ Iz žizni nomenklatury, in: Aksjutin, Brežnev. Materialy k biografii, S. 261–274, hier: S. 262. 5 Oleg Chlevnjuk: Regional’naja vlast’ v SSSR v 1953 – konce 1950ch godov. Ustojčivost’ i konflikty, in: Otečestvennaja istorija (2007) 3, S. 31–49; Yoram Gorlizki: Too Much Trust. Regional Party Leaders and Local Political Networks under Brezhnev, in: Slavic Review 69 (2010) 3, S. 676–700. 6 Lewytzkyj, Die Sowjetukraine, S. 61. 7 Murphy, Brezhnev, S. 94. 8 Dornberg, Breschnew, S. 102; Marshall MacDuffie: Der rote Teppich. Fünfzehntausend Kilometer durch Sowjetrußland, München 1955, S. 156. 9 Istorija mist i sil Ukrains’koj RSR, Bd. 11: Zaporiz’ka oblast’, hg. v. V.I. Petrikin et al., Kiew 1970, S. 96. 10 Murphy, Brezhnev, S. 96; Leonid Breshnew: Wiedergeburt, Moskau 1978, S. 7. 11 MacDuffie, Der rote Teppich, S. 156. 12 Murphy, Brezhnev, S. 96. 13 Breshnew, Wiedergeburt, S. 10. 14 Brezhnev. Pages from his Life, S. 95; Breshnew, Wiedergeburt, S. 11; Istorija mist i sil, Bd. 11, S. 99. 15 Breshnew, Wiedergeburt, S. 8. 16 Karpov, Večernie besedy, S. 421. 17 Breshnew, Wiedergeburt, S. 10. 18 Deržavnyj archiv Zaporiz’koj oblasti, (im Folgenden: DAZO), f. 157, op. 1, d. 1473: Protokol No. 9, zasedanija plenuma Zaporožskogo gorkoma KPU, 24.12.1946g., l. 2. 19 Ebenda. 20 Breshnew, Wiedergeburt, S. 22. 21 DAZO, f. 157, op. 1, d. 1473, l. 10. 22 DAZO, d. 157, op. 1, d. 1481: Stenogramma VIII plenuma Zaporožskogo gorkoma KPU, 12.09.1946g., l. 38. 23 Ebenda, l. 46. 24 Ebenda, l. 66.

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Ebenda, l. 67. Breshnew, Wiedergeburt, S. 7. MacDuffie, Der rote Teppich, S. 165. Istorija mist i sil, Bd. 11, S. 51. DAZO, f. 157, op. 1, d. 1473: Protokol No. 9 zasedanija plenuma Zaporožskogo gorodskogo komiteta KPU, 24.12.1946g.; d. 1633: Protokol No. 12 zasedanija plenuma Zaporožskogo gorodskogo komiteta KPU, 13.6.1947g.; d. 1636: Stenogramma zasedanija XIII. Plenuma Zaporožskogo gorodskogo komiteta KPU, 14.8.1947g.; Gennadij Mojseenko: Ėpocha pobeditelej. Dokumental’no-istoričeskaja povest, 2., ergänzte Ausgabe, Moskau 2012, S. 224, http://kniga. seluk.u/k-tehnicheskie/1226382-1-1-moiseenko-epoha-pobediteley-dokumentalno-istoricheskaya-povest-vtoroe-izdanie-dopolnennoe-pererabotannoe-kn.php, abgerufen am 24.4.2017. 30 DAZO, f. 102, op. 2, d. 137, Protokol No. 253 zasedanija bjuro Zaporožskogo obkoma KPU 17.9.1946g.; d. 137: Protokol No. 254 zasedanija bjuro Zaporožskogo obkoma KPU 20.– 22.9.1946g. 31 DAZO, f. 157, op. 1, d. 148: Stenogramma VIII. Plenuma Zaporožskogo gorkoma, 12.9.1946g., l. 38; Dornberg, Breschnew, S. 104. 32 DAZO, f. 157, op. 1, d. 148, l. 38; Dornberg, Breschnew, S. 104. 33 Istorija mist i sil, Bd. 11, S. 51; „Dneprogės snova v stroju“, in: Izvestija, 5. März 1947, S. 1. 34 Breshnew, Wiedergeburt, S. 14. 35 Marples, Stalinism in Ukraine, S. 83; Lewytzkyj, Die Sowjetukraine, S. 48. 36 Mlečin, Brežnev, S. 83. 37 Chruschtschow erinnert sich, hg. v. Strobe Talbott, Reinbek 1971, S. 238; William Taubman: Khrushchev. The Man and his Era, New York 2003, S. 201. 38 DAZO, f. 102, op. 2, d. 252: Pis’ma obkoma KPU v CK VKP, CK KPU, Sovminy SSSR i USSR, obkomy partii o voprosam org.-part. raboty s.ch., obespečenie naselenija prodovol’stviem, vosstanovlenija škol, technikumov, ob’’ektov kul’tury i dr., 2.2.1946–27.12.1946g., l. 30. 39 DAZO, f. 102, op. 2, d. 378: Protokol No. 293 zasedanija bjuro Zaporožskogo obkoma KPU, 25.2.1947g. 40 DAZO, f. 102, op. 2, d. 237: Stenogramma soveščanija sekretarej gorkomov i rajkomov KPU po voprosam osenne-polevych rabot, 16.9.1946g., l. 1. 41 DAZO, f. 102, op. 2, d. 13: Stenogramma XII Plenuma Zaporožskogo obkoma KPU, 15.11.1946g., l. 79 f. 42 Ebenda, l. 81. 43 DAZO, f. 102, op. 2, d. 237, l. 73 f. 44 Ebenda, l. 6. 45 Befehl vom 28. Juli 1942 „Über die Stärkung der Truppendisziplin“, im Volksmund bekannt unter „Kein Schritt zurück“, der es allen Truppenteilen unter Strafandrohung verbot, sich zurückzuziehen, solange der Rückzug durch Stalin nicht ausdrücklich genehmigt war. 46 DAZO, f. 102, op. 2, d. 237, l. 75. 47 DAZO, f. 102, op. 2, d. 358: Stenogramma XIV Plenuma zaporožskogo obkoma KPU, 22.– 23.3.1947g., l. 90. 48 Ebenda, l. 53. 49 Ebenda. 50 Ebenda, l. 9. Siehe auch DAZO, f. 102, op. 2, d. 13, l. 79. 51 Taubman, Khrushchev, S. 203.

Anmerkungen

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52 Ebenda; Chruschtschow erinnert sich, S. 247; Lazar’ Kaganovič: Pamjatnye zapiski rabočego, kommunista-bol’ševika, profsojuznogo, partijnogo i sovetsko-gosudarstvennogo rabotnika, Moskau 1996, S. 489. 53 DAZO, f. 157, op. 1, d. 1630: Stenogramma Xgo Plenuma Zarporožskogo gorkoma KPU ot 6.3.1947g., l. 69. 54 Breshnew, Wiedergeburt, S. 36; Murphy, Brezhnev, S. 98. 55 Breshnew, Wiedergeburt, S. 36 f. 56 „Važnoe objazatel’sto vosstanovitelej zavoda ‚Zaporožstal’‘“, in: Pravda, 16. März 1947, S. 1. 57 Breshnew, Wiedergeburt, S. 36 f. 58 Zit. nach Breshnew, Wiedergeburt, S. 37. 59 „Partijno-političeskaja rabota sredi stroitelej“, in: Pravda, 11. April 1947, S. 1. 60 Vgl. Murphy, Brezhnev, S. 101. 61 Kaganovič, Pamjatnye zapiski, S. 490. 62 DAZO, f. 157, op. 1, d. 1631: Originaly Zasedanija Plenuma Zaporožskogo Gorkoma KPU, 28.4.1947g., ohne Blattzählung, Anlage zur Akte, S. 1. 63 Ebenda, S. 3. 64 Ebenda, S. 2. 65 Breshnew, Wiedergeburt, S. 38. 66 DAZO, f. 157, op. 1, d. 1631, S. 6. 67 Breshnew, Wiedergeburt, S. 38. 68 DAZO, f. 157, op. 1, d. 1631, S. 7. 69 Ebenda, S. 5. 70 Breshnew, Wiedergeburt, S. 4. 71 Ebenda, S. 48 f. 72 Istorija mist i sil, Bd. 11, S. 99; „Peredovoj otrjad ‚Zaporožstroja‘“, in: Pravda, 10. Oktober 1947, S. 1. 73 Kaganovič, Pamjatnye zapiski, S. 490; Murphy, Brezhnev, S. 102; Mlečin, Brežnev, S. 79. 74 Istorija mist i sil, Bd. 11, S. 100; Pravda, 3. Dezember 1947, S. 1. 75 RGANI, f. 2, op. 1, d. 230: Ijunskij Plenum CK KPSS, šestoe utrennee zasedanie, 26.6.1957g., l. 16–18. 76 DAZO, f. 157, op. 1, d. 1638: Stenogramma zasedanija XIVgo Plenuma gorkoma KPU, 23.10.1947g. 77 Siehe z.B. DAZO, f. 102, op. 2, d. 366: Stenogramma XVIII Plenuma Zaporožskogo obkoma KPU, 29.–30.10.1947g. 78 DAZO, f. 157, op. 1, d. 1633: Protokol No. 12 zasedanija Plenuma Zaporožskogo gorkoma KPU, 13.6.1947g.; d. 1636: Originaly protokola No. 13 zasedanija Plenuma Zaporožskogo gorkoma KPU, 14.8.1947g. 79 Breshnew, Wiedergeburt, S. 33. 80 DDA, d. 19, op. 6, d. 341, l. 4 f. 81 Zit. nach Breshnew, Wiedergeburt, S. 59. 82 Breshnew, Wiedergeburt, S. 58. 83 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 55. 84 DDA, f. 19, op. 10, d. 5, Stenogramma 1go Plenuma Dnepropetrovskogo obkoma, 13.1.1949g., l. 20. Dies Plenum wurde von Schtschjolokow eröffnet. 85 DDA. f. 19. op. 6, d. 341, l. 3; Mlečin, Brežnev, S. 83.

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86 Breshnew, Wiedergeburt, S. 58; DDA, f. 19, op. 5, d. 203: Protokol i stenogramma XVIII Plenuma Dnepropetrovskogo obkoma, 21.11.1947g., l. 2; f. 18, op. 3, d. 324: Stenogramma XVII Plenuma Dnepropetrovskogo gorkoma 9.12.1947g., l. 195. 87 Chruschtschow erinnert sich, S. 248. 88 Dornberg, Breschnew, S. 106; Murphy, Brezhnev, S. 104. 89 DDA, f. 19, op. 5, d. 203, l. 4. 90 Ebenda, l. 2. 91 Ebenda. 92 Ebenda, l. 108 f. 93 DDA, f. 18, op. 3, d. 324, l. 175 f. 94 Ebenda, l. 176. 95 I.I. Sobolev: Minuvšich dnej dela …, Dneprodserschinsk 1981, S. 15, Manuskript in: MIK. 96 DDA, f. 19, op. 7, d. 5: Protokoly i stenogrammy XIX i I Plenumov Dnepropetrovskogo obkoma KPU, 24.2.–1.3.1948g., l. 51. 97 Sobolev, Minuvšich dnej dela, S. 30 f. 98 DDA, f. 19, op. 5, d. 266: Stenogramma oblastnogo soveščanija agronomov i zavedujuščich rajonotdelami s.ch. ob itogach 1947 s.ch. goda (…), 29.–30.12.1947g., l. 114. 99 DDA, f. 19, op. 7, d. 5, l. 53. 100 Ebenda, l. 36–38. 101 DDA, f. 19, op. 7, d. 2: Stenogramma VII Dnepropetrovskoj oblastnoj partijnoj konferencii, 27.–28.2.1948g., tom 2, l. 126 f. 102 Ebenda, l. 152. 103 Ebenda, l. 182. 104 DDA, f. 19, op. 10, d. 2: Stenogramma VIII Dnepropetrovskoj oblastnoj partijnoj konferencii 12.–13.1.1949g., tom 2, l. 138. 105 Ebenda, l. 183. 106 Vgl. auch Murphy, Brezhnev, S. 104 f. 107 DDA, f. 18, op. 3, d. 535: Stenogramma IX Dnepropetrovskoj partijnoj konferencii, 7.–8.2.1948g., l. 229. 108 DDA, f. 18, op. 3, d. 540: Stenogramma X Dnepropetrovskoj gorodskoj partijnoj konferencii, 28.–29.12.1948g., l. 238. 109 Breshnew, Wiedergeburt, S. 7. 110 DDA, f. 19, op. 5, d. 266, l. 131. 111 Ebenda, l. 68. 112 Ebenda, l. 80 ff. 113 Ebenda, l. 118, 121. 114 Ebenda, S. 67. 115 Ebenda, l. 131. 116 DDA, f. 19, op. 7, d. 103: Dokladnye zapiski, informacionnye soobščenija Dnepropetrovskogo obkoma KPU, oblispolkoma v CK VKP, CK KPU, SovMin USSR (…), 10.2.–30.12.1948g., l. 49 „Sekretno tov. Chruščevu“, 6.7.1948g. 117 DDA, f. 19, op. 10, d. 146: Dogovor na socialističeskoe sorevnovanie meždu Depropetrovskoj i Zaporožskoj oblastjami i svedenija o ego vypolnenii (…) 29.1.1949–4.1.1950gg., l. 1–17. 118 DDA, f. 19, op. 7, d. 103, l. 60: „O chode vypolnenija Ukaza Prezidiuma Verchovnogo Soveta SSR ot 21.03.1948 – dokladnaja zapiska, 15.04.1948g.“ 119 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 56.

Anmerkungen

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120 DDA, f. 19, op. 7, d. 1: Stenogramma VII Dnepropetrovskoj oblastnoj konferencii, tom 1, 27.– 28.2.1948g., l. 62. 121 DDA, f. 19, op. 10, d. 1: Stenogramma VIII Dnepropetrovskoj oblastnoj partijnoj konferencii 11.–12.1.1949g., tom 1, l. 24. 122 DDA, f. 19, op. 5, d. 266, l. 132. 123 DDA, f. 19, op. 10, d. 105: Doklad sekretarja Dnepropetrovskogo obkoma L.I. Brežneva na sobranii Dnepropetrovskogo gorodskogo partijnogo aktiva po vypolneniju rešenija CK KPU i obkoma partii o stroitel’stve avtozavoda v g. Dnepropetrovske, 18.5.1949g., l. 20. 124 Sobolev, Minuvšich dnej dela, S. 65. 125 Breshnew, Wiedergeburt, S. 71. 126 DDA, f. 19, op. 10, d. 1, l. 30. 127 DDA, f. 18, op. 3, d. 535: Stenogramma IX. Dnepropetrovskoj partijnoj konferencii, 7.–8.2.1948g., l. 57. 128 DDA, f. 18, op. 3, d. 324, l. 270 f. 129 DDA, f. 19, op. 7, d. 103, l. 39–44 „Informacionnye soobščenija o političeskich nastroenijach trudjaščichsja Dneprovskoj oblasti“. 130 DDA, f. 19, op. 7, d. 1., l. 23. 131 DDA, f. 19, op. 10, d. 13: Protokol No. 101, 102, 1–3, 5 zasedanij Dnepropetrovskogo bjuro obkoma 4.1.–2.2.1949g., l. 45. 132 Breshnew, Wiedergeburt, S. 76 f. 133 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 371. 134 Murphy, Brezhnev, S. 215. 135 Dornberg, Breschnew, S. 107. 136 Velikžanina, Preemnikom Brežneva. 137 Mlečin, Brežnev, S. 84; Murphy, Brezhnev, S. 106. 138 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 55. 139 DDA, f. 19, op. 6, d. 341, l. 3. 140 „Il’ič ne ljubil ženščin bez čulok“, in: Torgovyj dom [Dnepropetrowsk], 22. April 1999, Nr. 6. 141 Brezhnev. Pages from his Life, S. 103. 142 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1168. 143 Arhiva Organizatiilor Social-Politice a Republicii Moldova (im Folgenden: AOSPRM), f. 51, op. 9, d. 94: Stenogramma i protokol zasedanija V Plenuma CK KP Moldavii, 4.–6.7.1950g.; I.I. Bodjul: Dorogoj žizni. Vremja, sobytija, razdumija, Kischinjow 2002, S. 49; siehe auch Mlečin, Brežnev, S. 84; Gavriljuk, Teper’ mužik skažet, S. 262; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 60. 144 Vladimirov, Tandem, S. 158. 145 Ebenda. 146 Kavun, Leonid Brežnev, S. 10 f. 147 Brezhnev. Pages from his Life, S. 106. 148 Mlečin, Brežnev, S. 86 f.; ders.: Brežnev. Razočarovanie Rossii, Moskau 2012, S. 30; B.G. Bomeško: Golod i zasucha v Moldavii v 1946–1947gg., Kischinjow 1990, S. 36; Predumyšlennyj golodomor 1946–47, http://rys-arhipelag.ucoz.ru/publ/predumyshlennyj_golodomor_1946_1947_ gg/31-1-0-2083, abgerufen am 18.6.2015. 149 Bodjul, Dorogoj žizni, S. 42 f. 150 V.I. Caranov: Problemy istorii Moldavii. Issledovanija po istorii sovetskogo obščestva, Kischinjow 2007, S. 204, 209; Bodjul, Dorogoj žizni, S. 46.

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Im Schatten Stalins oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs I

151 Bodjul, Dorogoj žizni, S. 47. 152 Caranov, Problemy istorii Moldavii, S. 226. 153 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 13: Politdonesenija, dokladnye zapiski i spravki vojnskich organizacii, 4.1.1950–21.12.1950g.; op. 10, d. 149: Perepiska s vojnskimi organizacijami, 5.1.1951– 19.12.1951g.; Arhiva Nationala a Republicii Moldava (im Folgenden: ANRM), f. R-2848, op. 11, d. 4: Akty i dokladnye zapiski po proverkam Ministerstva Goskontrolja Moldavskoj SSR 1951– 1956gg., l. 20; Murphy, Brezhnev, S. 112. 154 Murphy, Brezhnev, S. 111. 155 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 94, l. 235 f. 156 Ebenda, l. 236. 157 L.I. Brežnev: Moldavskaja vesna. Glavy iz knigi „Vospominanija“, in: Novyj mir 59 (1982) 1, S. 3–67, hier: S. 4; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 61; Mlečin, Brežnev, S. 84. 158 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 94, l. 7, 12. 159 Ebenda, l. 8, 190. 160 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 17: Stenogramma VII Plenuma CK KP Moldavii (original – pravlennaja), 26.–28.1.1951g., l. 183 f. 161 ANRM, f. R-2848, op. 11, d. 4, l. 22–41. 162 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 94, l. 23, 199 f., 205, 214, 242. 163 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 101: Stenogramma VI. Plenuma CK KP Moldavii, 5.–6.10.1950g., l. 419, 442. 164 Ebenda, l. 442. 165 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 148: Stenogramma soveščanija sekretarej rajkomov KP Moldavii i predsedatelej ispolkomov rajonnych sovetov deputatov trudjaščichsja MSSR, 2.–3.8.1950g., l. 3 f. 166 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 145: Stenogramma soveščanija sekretarej rajkomov i predsedatelej rajispolkomov v CK KP Moldavii, 7.6.1950g. 167 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 148, l. 452. 168 Ebenda, l. 7. 169 Ebenda, l. 11. 170 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 101, l. 33. 171 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 21: Stenogramma i protokol zasedanija VIII Plenuma CK KP Moldavii, 24.3.1951g., l. 2–15. 172 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 61: Protokoly zasedanija bjuro CK KPM, No. 61 f., 8.–10.1.1952g., l. 289. 173 ANRM, f. R-2848, op. 11, d. 319: Protokoly zasedanij SovMin i zasedanij Bjuro SovMin Moldavii, No. 29–49, 24.5.–16.8.1950g., l. 179. 174 Ebenda, l. 213. 175 ANRM, f. R-2848, op. 11, d. 320: Protokoly zasedanij SovMin i zasedanij Bjuro SovMin Moldavii, No. 50–63, 23.8.–18.10.1950g., l. 36. 176 Ebenda. 177 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 101, l. 135. 178 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 148, l. 37. 179 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 21: Stenogramma i protokol zasedanija VIII. Plenuma CK KP Moldavii, 24.3.1951g., l. 8. 180 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 148, l. 415. 181 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 59: Protokoly zasedanija bjuro CK KP Moldavii No. 131–134, 9.3.– 28.3.1951g., hier: Protokol No. 133 ot 23.3.1951g., l. 26.

Anmerkungen 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220

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AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 101, l. 417. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 148, l. 39. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 101, l. 412. AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 24: Stenogramma i protokol I Plenuma CK KP Moldavii (tret’ego sozyva) 2.4.1951g., l. 8. Ebenda, l. 9. Brezhnev. Pages from his Life, S. 106. Bodjul, Dorogoj žizni, S. 52. Ebenda, S. 52 f. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 144: Stenogramma soveščanij pri CK KPM za 1950 god, originalynepravlennye, 1. Ex., 7.4.–9.11.1950g., l. 59; Brežnew, Moldavskaja vesna, S. 5. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 101, l. 13 f. Ebenda, l. 44. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 130: Protokoly zasedanija bjuro CK KP Moldavii, 18.–29.8.1950g., l. 317 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 40: Stenogramma soveščanij pri CK KP Moldavii v period pervogo polugodija 1951g., l. 16. AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 41: Stenogramma soveščanij pri CK KPM vo vtorom polugodii 1951, 15.7.–25.12.1951, l. 90. Ebenda, l. 91. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 131: Protokoly zasedanija bjuro CK KP Moldavii, No. 96–98, 19.– 26.9.1950g., l. 152–156. Ebenda, l. 239. Ebenda, l. 243. Ebenda, l. 246. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 144, l. 59. Ebenda, l. 60. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 148, l. 5; d. 2, l. 81. Ebenda, l. 12. Ebenda, l. 16. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 131, l. 10. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 101, l. 6. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 148, l. 20. Ebenda, l. 24–28. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 101, l. 37. Ebenda, l. 17. AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 40, l. 312–326. ANRM, f. R-1936, op. 2, d. 4, l. 1–3. Bodjul, Dorogoj žizni, S. 57 f. Ebenda, S. 57. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 101, l. 39. Ebenda, l. 5. AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 148, l. 22. Ebenda, l. 23. AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 1: Stenogramma i protokol III s’’ezda KP Moldavii, 30.3.–1.4.1951g., l. 16.

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Im Schatten Stalins oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs I

221 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 130: Postanovlenija i rasporjaženija SovMin SSSR, 29.7.1950– 31.3.1951g., l. 4, 32, 135; Bodjul, Dorogoj žizni, S. 53. 222 Caranov, Problemy istorii Moldavii, S. 226. 223 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 101, l. 42; siehe auch d. 130, l. 147. 224 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 1, l. 35. 225 Bodjul, Dorogoj žizni, S. 44. 226 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 2: Perepiska s CK VKP(b) i Sovetom Ministrov SSSR, 11.7.–28.12.1950g., l. 42 f. 227 Ebenda, l. 240. 228 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 11: Stenogramma i protokol zasedanija V Plenuma CK KPM, 25.– 26.1.1952g., 2. ėkz, l. 5–7. 229 Bodjul, Dorogoj žizni, S. 54. 230 Bodjul, Dorogoj žizni, S. 55 f. 231 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 2, l. 82. 232 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 101, l. 38. 233 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 130, l. 99. 234 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 101, l. 38. 235 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 2, l. 204–209. 236 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 130, l. 323. 237 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 2, l. 204–209. 238 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 24, l. 1; d. 127: Perepiska s CK VKP(b) i SovMin SSSR, 4.1.–28.4.1951g., l. 30. 239 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 64: Protokoly zasedanija bjuro CK KPM No. 69–73, 12.2.–26.2.1952g., l. 306. 240 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 328: Spravki rabotnikov CK KP Moldavii ob ukreplenii i oraganizacionno-chozjajstvennom sostojanii kolchozov v respublike, 13.1.–23.11.1951g., l. 6–8. 241 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 2, l. 241. 242 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 127, l. 161. 243 Caranov, Problemy istorii Moldavii, S. 225. 244 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 136: Spravki i dokladnye zapiski Ministerstva Justicii i Verchovnogo Suda MSSR, 13.2.–27.11.1951g., l. 56–58. 245 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 136, l. 121, 155–158. 246 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 136, l. 60. 247 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 63: Protokoly zasedanija bjuro CK KPM No. 66–68, 1.–8.2.1952g., originaly, l. 20–30. 248 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 2: Stenogramma i protokol IV s’’ezda KP Moldavii, 18.–21.9.1952g., l. 499. 249 Bodjul, Dorogoj žizni, S. 3. 250 Ebenda, S. 51, 57, 59; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 65. 251 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 16: Stenogramma i protokol VIII Plenuma CK KP Moldavii, 28.– 29.8.1952g., l. 273. 252 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 24, l. 3. 253 ANRM, f. R-2848, op. 11, d. 392: Protokoly zasedanij SovMin i bjuro SovMin MSSR No. 1–24, 3.1.–21.3.1951g. 254 ANRM, f. R-2848, op. 11, d. 393: Protokoly zasedanij SovMin i bjuro SovMin MSSR No. 25–50, 24.3.–30.5.1951g.; ebenso in den Akten d. 394, d. 472, d. 473, d. 474, d. 475.

Anmerkungen 255 256 257 258 259

199

AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 1, l. 266; d. 17, l. 424; d. 40, l. 66; d. 60, l. 168. ANRM, f. R-2848, op. 11, d. 392, hier: Protokol zasedanija SovMin MSSR, 19.1.1951, l. 87. Mlečin, Brežnev, S. 91. Vladimirov, Tandem, S. 161. Nikita Zverev: Černenko poznakomilsja s Brežnevym v Kišinëve, in: Komsomol’skaja Pravda Moldavii, 12. März 2005, S. 11. 260 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 11, l. 3; d. 63, l. 57–60. 261 Ebenda. 262 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 2, l. 245 f. 263 Bodjul, Dorogoj žizni, S. 56. 264 Ebenda. 265 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 127; d. 128: Perepiska s CK VKP(b) i SovMin SSSR, 4.5.–27.8.1951g., usw. 266 ANRM, R-2848, op. 11, d. 319, l. 192. 267 Bodjul, Dorogoj žizni, S. 52. 268 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 131: Postanovlenija i rasporjaženija SovMin SSSR, 30.12.1951– 26.2.1952gg., l. 139. 269 Ebenda, l. 142, 199, 231 f. 270 Bodjul, Dorogoj žizni, S. 57. 271 „Socialističeskoe sorevnovanie v kolchoznoj derevne“, in: Pravda, 26. Januar 1952. 272 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 11, l. 287–290. 273 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 45: Stenogramma soveščanija sekretarej rajkomov i gorkomov KPM i rukovoditelej resp. org., 27.1.1952g., l. 2. 274 AOSPRM, f. 51, op. 9, d. 101, l. 413. 275 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 40, l. 9. 276 Brežnev, Moldavskaja vesna, S. 15. 277 RGANI, f. 80, op. 1, d. 1235: Postanovlenija Politbjuro CK ob otpuskach L. Brežneva i materialy k nim, l. 1-2. Viktor Dönninghaus behauptet, dass Breschnew 1951 einen Infarkt erlitt, siehe Viktor Dönninghaus/Andrej Savin: Ličnaja tragedija Brežneva, auf lenta.ru, 26. April 2015, https://lenta.ru/articles/2015/04/26/brezhnev/ abgerufen am 21.5.2017. 278 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 11. 279 Ebenda, S. 11; RGANI, f. 80, op. 1, d. 1235, l. 4 f. 280 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 12: Stenogramma i protokol zasedanija VI Plenuma CK KPM, 3.–4.6.1952g.; d. 14: Stenogramma i protokol zasedanija VII Plenuma CK KPM, 26.7.1952g.; vgl. Mlečin, Razočarovanie, S. 31. 281 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 16, l. 26, 272. 282 Ebenda, l. 272. 283 Ebenda, l. 273. 284 Ebenda, l. 283 ff. 285 „Plenum CK KP Moldavii“, in: Pravda, 7. September 1952. 286 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 18: Stenogramma i protokol zasedanija IX. Plenuma CK KPM, 13.9.1952g., l. 13 f. 287 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 2: Stenogramma i protokol IV s’’ezda KPM 18.–21.9.1952g., l. 491. 288 Ebenda, l. 491. 289 Ebenda, l. 499, 502; d. 19: Stenogramma i protokol zasedanija I Plenuma CK KPM, 21.9.1952g., l. 3.

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Im Schatten Stalins oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs I

290 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 2, l. 4. 291 L. Brežnev, sekretar’ CK KP(b) Moldavii: Kritika i samokritika – ispytannyj metod vospitanija kadrov, in: Bol’ševik, Nr. 17, September 1952, S. 50–58. 292 Brezhnev. Pages from his Life, S. 114. 293 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 67. 294 Mlečin, Razočarovanie, S. 31. 295 XIX s’’ezd VKP(b) – KPSS (5.–14.10.1952g.). Dokumenty i materialy, S. 83, http://publ.lib.ru/ ARCHIVES/K/KPSS/_KPSS.html#020, abgerufen am 4.8.2015. 296 Ebenda, S. 84. 297 Ebenda, S. 209. 298 Ebenda, S. 600; siehe auch Mlečin, Razočarovanie, S. 32; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 68. 299 AOSPRM, f. 51, op. 11, d. 20: Stenogramma i protokol zasedanija II Plenuma CK KPM, 25.10.1952g., l. 3. 300 Bodjul, Dorogoj žizni, S. 58. 301 Ebenda. 302 AOSPRM, f. 51, op. 10, d. 1, l. 67. 303 Brezhnev. Pages from his Life, S. 111 f.; Murphy, Brezhnev, S. 116; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 66. 304 Brežnev, Moldavskaja vesna, S. 14. 305 Ebenda, S. 14. 306 Karpov, Večernie besedy, S. 428. 307 Ebenda, S. 425. 308 Ebenda, S. 423. 309 Ebenda, S. 432–435. 310 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 396; Valentina Oberemko im Gespräch mit Mila Moskalëva: Krivolapaja sud’ba. Počemu druz’ja otvernulis’ ot Galiny Brežnevoj, in: Argumenty i fakty, Nr. 17, 28. April 2010, http://www.aif.ru/society/people/17712, abgerufen am 6.7.2015. 311 Karpov, Večernie besedy, S. 427. 312 Ebenda, S. 429. 313 Dornberg, Breschnew, S. 128. 314 Oleg Chlevnjuk et al. (Hg.): Politbjuro CK VKP(b) i Sovet Ministrov SSSR, 1945–54, Moskau 2002, S. 88–91; RGASPI, f. 3, op. 8, d. 17, l. 2–4, http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/ protokol-1-zasedaniya-prezidiuma-tsk-kpss-o-raspredelenii-obyazannostei-mezhdu-sekretaryami-tsk, abgerufen am 13.2.2017; siehe auch Mlečin, Brežnev, S. 95. 315 Chlevnjuk, Politbjuro i Sovet Ministrov, S. 93–96. 316 Ebenda, S. 92; Mlečin, Brežnev, S. 96. 317 Mlečin, Brežnev, S. 96. 318 RGANI, f. 3, op. 8, d. 16, l. 22, 27 f., http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/protokol-13-zasedaniya-byuro-prezidiuma-tsk-kpss-o-prezidiume-tsentralnogo-komiteta-kpss-i-sekr; RGANI, f. 5, op. 108, d. 4, l. 109, http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/spravka-otdela-administrativnykh-organov-tsk-kpss-ob-utverzhdenii-general-maiora-li-brezhneva-z, beides abgerufen am 13.2.2017; Mlečin, Brežnev, S. 97. 319 RGANI, f. 80, op. 1, d. 1234: Kopii archivnych dokumentov o rabote L. Brežneva v okružnom zemel’nom upravlenii, l. 44 f. 320 Auf dem Brief ist vermerkt: „Genosse Chruschtschow hat sich persönlich damit befasst“. Ebenda, l. 44.

Anmerkungen

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321 Taubman, Khrushchev, S. 253. 322 V. Naumov/Ju. Sigačev (Hg.): Lavrentij Berija. 1953. Stenogramma ijul’skogo Plenuma CK KPSS i drugie dokumenty, Moskau 1999, S. 83. 323 Krasnaja Zvezda, 22., 23. und 24. August 1953; 9. und 14. September 1953. 324 Viktor Grišin: Genseki SSSR. Političeskie portrety pjati gensekov, Moskau 2013, S. 24. 325 GARF, f. R-5446, op. 1, d. 585, l. 37, http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/postanovleniesoveta-ministrov-sssr-2064-o-prisvoenii-voinskogo-zvaniya-general-leitenanta-t-br, abgerufen am 13.2.2017; Mlečin, Brežnev, S. 98.

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Abb. 14: Breschnew als stellvertretender Parteichef Kasachstans mit einer Bäuerin in der Sowchose „Taman-Division“ im Landkreis Bulajewo, Kasachstan, 1954.

Abb. 15: Ordensverleihung anlässlich des geglückten Weltraumflugs von Juri Gagarin (sitzend); v. r. n. l.: Breschnew, Akademiepräsident Mstislaw Keldysch, Nikita Chruschtschow und der Zweite Parteisekretär Frol Koslow, Moskau, 19. Juni 1961.

   

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Die zehn Jahre, die Breschnew von 1954 bis 1964 an Chruschtschows Seite diente, lassen sich in drei Phasen teilen: die knapp zwei Jahre, die er von 1954 bis 1956 die Republik Kasachstan führte; die Zeit bis 1960, als er von Chruschtschow erneut nach Moskau berufen wurde, diesmal nicht, um als Statist, sondern um als einer der wichtigsten Strippenzieher Chruschtschows zu agieren; und die Jahre 1960 bis 1964, in denen er als Vorsitzender des Obersten Sowjets und damit als formales Staatsoberhaupt die Sowjetunion nach außen repräsentierte und durch die Welt reiste. Die Fotos von Breschnew entsprechen in Anzahl und Ausdruck ganz den jeweiligen Tätigkeiten. Aus der Zeit in Kasachstan scheint es kaum überlieferte Fotografien zu geben: Auf einer der wenigen sieht man Breschnew auf einem Feld zusammen mit einer Kolchosleiterin in der Hocke. Offenbar überprüfen sie den Boden, denn beide haben die Hände auf bzw. in der Erde. Es scheint ein Schnappschuss zu sein, denn von Breschnew ist kaum etwas zu sehen: Er blickt nach unten, so dass sein Hut das Gesicht fast vollkommen verbirgt. Im Hintergrund sieht man gepflügtes Ackerland, so weit das Auge reicht. Das Bild kann stellvertretend für diese zwei Jahre stehen: Breschnew musste sich in Kasachstan, noch mehr als in Moldawien, um die Landwirtschaft kümmern – die erfolgreiche Kultivierung der Steppenböden war seine Aufgabe. Aus seiner Moskauer Zeit an der Seite Chruschtschows existieren sehr viele Fotografien. Nach 1964 wurden sie allerdings in der Sowjetunion nicht mehr veröffentlicht und finden sich daher in keiner offiziellen Publikation nach Chruscht­schows Sturz. Die Fotografien nämlich machen zu deutlich, wie nah sich die beiden waren und wie gut sie sich verstanden. Man sieht Chruschtschow und Breschnew Seite an Seite auf dem Mausoleum, bei Staatsempfängen, bei der

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Jagd. In bester Laune sitzen sie im Oktober 1962 nebeneinander und telefonieren mit den Kosmonauten im All. Sie lachen miteinander, sie scherzen und prosten sich zu. Schließlich gibt es eine Reihe von Aufnahmen, die Breschnew in seiner Funktion als Staatspräsident zeigen. Auf Pressefotografien ist er gut gelaunt in Indien mit Indira Gandhi zu sehen, in Jugoslawien bei der Jagd mit Josip Broz Tito oder bei der Umarmung mit Ghanas Präsidenten Kwame Nkrumah. Daneben halten zahlreiche Fotografien fest, wie Breschnew Orden und Auszeichnungen verlieh. Diese Aufnahmen sind erstaunlicherweise eher wenig von Ernsthaftigkeit und Strenge geprägt und zeigen zu einem großen Teil, welchen Spaß Breschnew ganz offensichtlich bei der Ordensverleihung hatte. Man sieht ihn scherzend, lachend, die Preisträger umarmend, ganz selten nur mit ernsthafter Miene. Mit seinem breiten Grinsen und der Haartolle erinnert er weniger an einen Apparatschik als an einen Bühnenstar. Die Jahre mit Chruschtschow waren für Breschnew Bruch und Kontinuität zugleich. Die Bemühungen Chruschtschows, das Lebensniveau der Menschen anzuheben, die Löhne und Renten steigen zu lassen, den Bauern überhaupt erstmals einen wirklichen Lohn in Aussicht zu stellen und jedem seine eigene Wohnung zu versprechen, müssen Breschnew aus der Seele gesprochen haben. Auch wird es für ihn eine große Erleichterung gewesen sein, nicht mehr den stalinistischen Diskurs von „Feinden“ und „Schädlingen“ bedienen, nicht mehr um die eigene Karriere und Sicherheit und auch nicht die seiner Genossen bangen zu müssen. Gleichwohl waren aber gerade die Jahre in Kasachstan nicht weniger angespannt: Die Menschen waren immer noch bettelarm, es fehlte immer noch an buchstäblich allem, die Ressourcenverteilung erfolgte nach wie vor zentral aus Moskau und die Pläne mussten immer noch erfüllt werden. Die Angst schwand, aber die große Arbeitsbelastung blieb. Stalin war zwar tot und die Politik des Einschüchterns passé, aber die Mechanismen des Machtkampfes, der Durchsetzung von politischen Programmen und Personen, hatten sich kaum verändert. Die Rede von der „kollektiven Führung“ des Parteipräsidiums war eine Fassade, hinter der mit altbewährten Mitteln in erster Linie der Ministerratspräsident Malenkow als erster Mann im Staat und Chruschtschow seit September 1953 erster Mann in der Partei ihre Rivalität austrugen: über die Durchsetzung von Themen und die Besetzung von hohen Posten mit ihrer Klientel.1 Dabei bedienten sie sich einer Machttechnik, die Stalin in den 1920er Jahren etabliert hatte. Indem er damals die Themen „Revolution

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in einem Lande“ (statt Weltrevolution) und „Hinwendung zu den Bauern“ (statt rapider Industrialisierung) gesetzt hatte, war es ihm gelungen, seine Mitbewerber um die Nachfolge Lenins auszuschalten. Das funktionierte nach einem simplen Muster: (1) die These wurde als einzig wahre Meinung und gültige Parteilinie durchgesetzt; (2) Personen, die das Gegenteil vertraten, wurden diskreditiert und von ihren Posten entfernt; (3) war dies Ziel erreicht, konnte durchaus wieder das Gegenteil der nun durchgesetzten Parteilinie als neue „einzig wahre“ Lehre verbreitet werden. Malenkow und Chruschtschow hatten das Feld der Wirtschaftspolitik zu ihrer Kampfarena erkoren. Angesichts der bitteren Armut der gesamten Bevölkerung der Sowjetunion war allen Parteiführern bewusst, dass hier dringend Abhilfe geschaffen werden musste. Die Frage war nur, welches dafür die geeignetsten Mittel waren. Malenkow verlegte sich darauf, dass dies am besten mit der Förderung der bisher in der Sowjetunion stets vernachlässigten Leichtindustrie funktionieren würde. Chruschtschow bestand dagegen darauf, dass die Schwerindustrie weiter gefördert werden müsse und das Lebensniveau der Bevölkerung allein durch die Ausweitung der landwirtschaftlichen Anbaugebiete gehoben werden könne.2 So wurde die Neulandkampagne ins Leben gerufen, die Urbarmachung von 43 Millionen Hektar Land in erster Linie in Nordkasachstan, aber auch in Westsibirien, an der Wolga und im Ural sowie in der Ukraine und im Fernen Osten. Von Anfang an stand sie unter den Vorzeichen des Machtkampfes, eines grundlegendes Richtungsstreits über die Frage des Wirtschaftens. Auf dem September-Plenum 1953 konnte Chruschtschow die Neulandkampagne durchsetzen. Mit ihr wurde die bisherige Politik des extensiven Wirtschaftens fortgesetzt, bei dem man die Ressourcen ausweitete, anstatt sich um einen wirtschaftlicheren, intensiveren Einsatz der vorhandenen Produktionsmittel zu bemühen. Breschnew sollte später in seiner Amtszeit den ökonomischeren, intensiven Mitteleinsatz predigen. Die Kampagne sorgte gleichzeitig für einen neuen Propagandaschub, einen neuen Gründungsmythos und einen neuen Pioniergeist: So wie die Bolschewiki mit dem Staudamm den Dnjepr gebändigt, das Stahlwerk Magnitogorsk aus dem Nichts erschaffen und die Hungerwüste zum Blühen gebracht hatten, so würde man sich die weiten Steppen Kasachstans unterwerfen und sie zur neuen Kornkammer der Sowjetunion machen. Die ­Neulandkampagne entsprach damit ganz dem bewährten Muster der Massenkampagnen aus der Stalinzeit, die in allen Medien beworben und von angeblich allen Arbeitskollektiven unterstützt worden waren. Anfänglich hatten diese Kam-

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pagnen große Erfolge erzielt, wenn auch mehr auf Basis des Enthusiasmus junger Abenteurer als durch wirtschaftlichen Ressourceneinsatz, und diese Erfolge waren wiederum propagandistisch ausgeschlachtet worden. Chruschtschow hatte mit seiner Kampagne gegenüber Malenkow einen propagandistischen Vorteil. Für Breschnew, der die Neulandkampagne für Chruschtschow maßgeblich ins Werk setzte, war sie ein weiterer Meilenstein in der Karriere. Er war nun Veteran des Großen Vaterländischen Krieges, Wiedererbauer von DneproGES und Vater der Neulandkampagne. Dementsprechend widmete sich der dritte seiner „Memoiren“-Bände unter dem gleichnamigen Titel dem „Neuland“. Aufgrund seiner Erfolge und seiner Loyalität berief Chruschtschow Breschnew 1956 nach Moskau, wo er auch nach der Entmachtung Malenkows im Februar 1955 weiterhin die Unterstützung loyaler Männer brauchte. 1957 wagten Chruschtschows Rivalen einen Putsch gegen ihn. Breschnew lernte damals wahrscheinlich seine wichtigsten Lektionen darüber, wie stabile und starke Netzwerke aufgebaut werden und wie leicht die Vernachlässigung der eigenen Klientel zum Sturz führen konnte. Als derjenige, der half, Chruschtschows ersten Sturz zu vereiteln, aber den zweiten selbst anführte, sammelte er für die eigene Amtsführung entscheidende Erfahrungswerte bezüglich der Befindlichkeiten, Toleranzgrenzen und Schwachstellen der ZK-Mitglieder. Die dem eigenen Empfinden nach beste Zeit hatte Breschnew vermutlich als Staatspräsident ab 1960. Wenngleich dies eine reine Vermutung ist, sprechen die Fotos aus dieser Epoche und alles, was wir über seine bisherigen Vorlieben wissen, dafür, dass diese Tätigkeit ihm am meisten behagte: das Repräsentieren, das Händeschütteln, das Durch-die-Welt-Reisen und das Ordenverleihen. Dies war ein Leben frei von Not, Armut, Schmutz, schlechter Kleidung oder Intrigen, und es kam womöglich den Träumen nahe, die seine Mutter einst im Zarenreich für ihn gehegt haben mag: eine sorgenfreie Existenz in bescheidenem Wohlstand.

Neuland unterm Pflug Als deutlich wurde, dass die amtierende Führung Kasachstans nicht bereit war, Chruschtschows ehrgeiziges Neuland-Programm umzusetzen, beschloss das ZKPlenum am 30. Januar 1954, ein Tandem zu entsenden, das aus einem Mann Malenkows und einem Klienten Chruschtschows bestand: aus Panteleimon Kondratjewitsch Ponomarenko als Parteichef und aus Breschnew als seinem Stellvertreter.3

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Das Prozedere der Ernennungen war ein Jahr nach Stalins Tod immer noch dasselbe: Das ZK in Moskau entschied, wen der Parteikongress in Kasachstan als neue Führungsspitze zu wählen hatte, und in einem zweiten Schritt „wählte“ das ZKPlenum die neuen Sekretäre. Auch an der Praxis, dass Moskau einen „Aufpasser“ entsandte, der die Wahl überwachte und sicherstellte, dass die vom Parteipräsidium bestimmten Kandidaten tatsächlich gewählt wurden, hatte sich nichts geändert. Ponomarenko behauptete allerdings in seinen Erinnerungen, Chruschtschow sei besorgt gewesen, ob sie wirklich gewählt würden, da sie, anders als ihre Vorgänger Schumabaj Schajachmetow und Iwan Afonow, nicht aus Kasachstan stammten. Um die ZK-Mitglieder davon zu überzeugen, dass es ein Vorteil sei, dass sie nicht in Kasachstan verwurzelt waren, hätte er ihnen in Aussicht gestellt, mit dem alten Proporz zu brechen, dass Westkasachen nur mit Westkasachen zusammenarbeiteten und Ostkasachen nur Ostkasachen ernannten.4 Die Sorgen ob des Wahlergebnisses waren aber unberechtigt. Angesichts des Emissärs aus Moskau funktionierte die Parteidisziplin nach wie vor gut, so dass Ponomarenko und Breschnew einstimmig von Kongress und Plenum bestätigt wurden.5 Auch das Ritual der Ablösung ihrer Vorgänger war das gleiche geblieben. Ponomarenko und Breschnew nahmen zusammen mit dem Inspektor des ZK der KPdSU, Pjotr Pigaljow, schon am 5. und 6. Februar an dem Parteiplenum in Kasachstan teil. Dort hielt der noch amtierende Leiter Schajachmetow den in dieser Situation üblichen selbstkritischen Vortrag über seine Fehler und Versäumnisse und schlug dabei gleich im Namen des ZK der KPdSU6 Ponomarenko und Breschnew als Nachfolger vor. Breschnew wurde mit seinen aktuellen Funktionen und als „erfahrener Parteifunktionär“ vorgestellt – die „harte Hand“ war dagegen kein Prädikat mehr, dessen ein Parteikader nach Stalin noch gerühmt worden wäre.7 Auf Schajachmetows selbstkritische Rede folgten die Anschuldigungen Pigaljows, der damit das Forum für die Kritik aller anderen Genossen öffnete. Dabei sprachen sowohl Pigaljow als auch kasachische Funktionäre vor allem ein Moment an, das zu einem der Leitthemen Chruschtschows werden sollte: die „lebendige Verbindung“ zu den Massen. Statt aufs Land zu den Menschen zu fahren und nach ihren Nöten und Bedürfnissen zu sehen, habe Schajachmetow in seinem Büro Papiere über Papiere verfasst. Selbst nach der scharfen Kritik des September-Plenums des ZK der KPdSU 1953 sei er nur wenige Tage in den Landkreisen unterwegs gewesen.8 Das folgende Plenum, auf dem der Rechenschaftsbericht für den Kongress besprochen wurde, und den Kongress selbst leiteten dann bereits Ponomarenko

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und Breschnew, obwohl sie noch nicht gewählt waren. Die bittere Stunde von Kritik und Selbstkritik war für Schajachmetow noch nicht vorbei: Ponomarenko hatte verfügt, dass Schajachmetow den Rechenschaftsbericht selbst vortragen sollte, weil so die „Mängel besser aufgedeckt“ werden könnten.9 Also beschuldigte sich Schajachmetow am 18. Februar selbst, die Bestellung des Neulandes nicht ernst genommen, erst auf Druck des ZK aus Moskau gehandelt, nicht die nötige Initiative gezeigt und den Landwirtschaftsorganisationen nicht die erforderliche Unterstützung erwiesen zu haben. Daher sei der Plan zur Getreideernte 1953 nur zu 50 Prozent erfüllt worden.10 Auf dem am 19. Februar folgenden Parteiplenum des neu gewählten ZK wurden dann Ponomarenko und Breschnew auf Vorschlag Pigaljows einstimmig per Handzeichen gewählt.11 Wie schon der scheidende Parteisekretär Moldawiens, Rud, wurde auch Schajachmetow nicht aus der Republik verbannt, sondern lediglich zum Sekretär des Gebiets Südkasachstan degradiert. Allerdings verjagte ihn Ponomarenko nur ein Jahr später auch von diesem Posten, da er dort „nicht gearbeitet“, sich nicht gekümmert habe und statt zu den Parteisitzungen ins Theater gegangen sei. Breschnew bemerkte selbstkritisch, es sei ein Fehler gewesen, Schajachmetow eine Region wie Südkasachstan anzuvertrauen.12 Allerdings hatte das häufige Fehlen Schajachmetows offenbar ernsthafte Gründe: Er litt an starken Kopfschmerzen und starb 1966 nach langem Leiden an einem Gehirntumor.13 Breschnew fand in Alma-Ata zunächst ein Zimmer in einem Erholungsheim am Rande der Stadt in den Ausläufern der Berge, bevor seine Familie nachkam, die hier bereits zur Zeit des Krieges gelebt hatte, und sie in ein Holzhaus in der Dschambula-Straße zogen. In den zwei Jahren wechselten sie vier Mal die Bleibe und wohnten zuletzt in der Furmanow-, Ecke Kurmangassy-Straße.14 Es wird behauptet, hier habe ein Kindergarten seine Räume gehabt, bis Breschnew ihn umsiedeln ließ, um selbst einziehen zu können.15 Kasachstan war für Breschnew eine ähnliche Herausforderung wie vier Jahre zuvor Moldawien: eine Republik an der Peripherie des Reiches ohne nennenswerte Infrastruktur oder Industrie, der ein enormes landwirtschaftliches Programm aufgebürdet worden war – und zwar nicht, weil es in erster Linie um die Entwicklung der Region ging, sondern weil Moskau Getreide, Baumwolle und Tierfutter brauchte. So wie das in Moldawien gesprochene Rumänische kaum Verwandtschaft mit dem Russischen hatte, war das Kasachische keine slawische, sondern eine Turksprache. Hatte Breschnew es in Moldawien mit „religiösen Sektierern“ in Gestalt der Zeugen Jehovas zu tun gehabt, traf er hier auf eine

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muslimische Bevölkerung. Die Muslime fasteten an den Feiertagen des Islams und waren daher dann nicht voll arbeitsfähig und schlachteten zum Fastenbrechen allen Planvorgaben zum Trotz Tiere der Kolchosen.16 War Moldawien infolge der Kriegsverwüstungen, der anschließenden Hungersnot und der Deportationen vollkommen verarmt, so hatten die Kasachen die Zerstörung ihrer traditionellen Lebensweise als Nomaden und Hirten bereits in den 1930er Jahren erlebt. Zwischen 1930 und 1934 war ein Viertel der Bevölkerung ums Leben gekommen; mehr als 1,5 Millionen Menschen waren verhungert oder an Krankheiten gestorben.17 Der Terror der Kollektivierung, den die Moldawier ganz frisch im Gedächtnis hatten, als Breschnew zu ihnen kam, lag in Kasachstan also schon 20 Jahre oder eine Generation zurück. Zumindest aus der Rückschau sahen daher in der Neulandkampagne einige Kasachen etwas Gutes, da Moskau nun nicht nur plünderte, sondern erstmals auch in großem Umfang Ressourcen zur Verfügung stellte. Gleichwohl sorgte die Neulandkampagne für eine weitere Russifizierung Kasachstans: So wie in Moldawien Partei und Regierung allein wegen der Sprachprobleme in erster Linie Moldawier aus Transnistrien einsetzten, sorgten die unionsweiten Anwerbekampagnen in Kasachstan dafür, dass der Großteil der Funktionsstellen mit Russen besetzt wurde, die bald mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmachten.18 Das führte immer wieder zu der Situation, dass sich Landkreis-Sekretäre damit rechtfertigten, dass sie sich die Kritik der Landeszeitung „Socialistik Kazachstan“ nicht hätten zu Herzen nehmen können, da im gesamten Landkreis-Komitee niemand das Kasachische beherrsche.19 Doch während Moldawien ein schmaler Landstreifen von ungefähr der Größe BadenWürttembergs war, umfasste Kasachstan, das in 16 Gebiete unterteilt war, eine Fläche so groß wie Westeuropa.20 Zur Bevölkerung von knapp sieben Millionen Menschen gehörten nicht nur einheimische Kasachen und nach der Kriegsevakuierung gebliebene Russen, sondern auch etliche im Krieg hierher deportierte Völker wie Deutsche und Tschetschenen sowie zahlreiche andere stigmatisierte Volksgruppen und „dekulakisierte“ Bauern, die mit den Amnestien ab 1953 nach und nach freikamen, aber oft nicht in ihre Heimat zurückkehren durften.21 Im Team mit Ponomarenko

Ponomarenko und Breschnew, die das Führungstandem bildeten, waren sehr verschieden. Ponomarenko galt als alter Weltkriegs-Haudegen. Anders als Bresch-

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new war er nicht nur Politkommissar hinter der Frontlinie gewesen, sondern oberster Kommandeur der weißrussischen Partisanenverbände mit direktem Feindkontakt. Außerdem hatte er als Leiter der Partisanenbewegung beim Generalstab des militärischen Oberkommandos gedient. Ponomarenko behauptet, Chruschtschow habe ihm diesen Posten geneidet, weil er darin eine Bevorzugung Weißrusslands gegenüber der Ukraine gesehen habe, und habe ihn seit dieser Zeit gehasst.22 Früher waren Ponomarenko und Chruschtschow Klienten Stalins gewesen und hatten um Gunst und Einfluss gekämpft, doch 1953 war Ponomarenko, wie auch Breschnew, aus dem Parteipräsidium entfernt worden. Nunmehr war Ponomarenko als Klient Malenkows abhängig von dessen Erfolg im Kampf mit Chruschtschow um die Vorherrschaft in der Sowjetunion. Während die Abkommandierung Breschnews für diesen ein Aufstieg war, bedeutete die Versetzung Ponomarenkos das Ende von dessen Karriere in Moskau, die er 1947, ein Jahr früher als Chruschtschow, an Stalins Seite als ZK-Sekretär begonnen hatte.23 Die Entsendung des Duos bedeutete, dass Malenkow einen wichtigen Verbündeten im Zentrum verlor, aber die Kontrolle über Chruschtschows Lieblingsprojekt erhielt. Murphy spekuliert, dass Malenkow vielleicht sogar Ponomarenko instruierte, das Programm zu sabotieren oder zumindest für seinen Misserfolg zu sorgen.24 Für Chruschtschow hieß das, dass er seinen Kandidaten Breschnew in Kasachstan vorerst nicht durchsetzen konnte, gleichzeitig aber Malenkow in Moskau geschwächt hatte.25 Mit Malenkows Rückzug vom Posten des Ministerratsvorsitzenden ein Jahr später, am 8. Februar 1955, war allen Beteiligten klar, dass Ponomarenkos Stunden in Kasachstan gezählt waren.26 Drei Monate danach, am 8. Mai 1955, schob Chruschtschow Ponomarenko als Botschafter nach Warschau ab.27 Es war eine seit Stalins Zeiten praktizierte Tradition, unliebsame oder unbequeme Parteiführer in den diplomatischen Dienst zu versetzen, um so offiziell weder die Person zu beschädigen noch im In- oder Ausland Unmut wegen „Säuberungen“ hervorzurufen. Aber Ponomarenko und Breschnew waren nicht nur Diener zweier verschiedener Herren, sondern sie hatten, obwohl sie nur vier Jahre Altersunterschied trennte, auch einen sehr unterschiedlichen Führungsstil. Während Breschnew im Großen Terror nur ein niederrangiger Funktionär gewesen war, hatte Ponomarenko seit 1937 als ZK-Mitglied in Moskau die Säuberung der weißrussischen Partei organisiert. Er galt auch nach 1953 als Mann der alten Garde, der gern erzählte, wie gut er mit Stalin ausgekommen sei, während er Chruschtschow

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einen „Hastigen“ und einen „alten Trotzkisten“ schimpfte.28 Schon auf dem ersten Parteiplenum in Kasachstan fiel die derbe Ausdrucksweise Ponomarenkos auf. Dem scheidenden Ersten Sekretär der Parteiorganisation von Alma-Ata, der an das Pädagogische Institut für Frauen wechselte, rief er zu: „Man muss arbeiten und sich weniger einbilden. (…) Hier werden keine Worte, sondern Taten gebraucht. (…) Dozent – was ist das denn für eine Arbeit? Das ist eine leichte Arbeit, Sie brauchen eine schwerere.“29 Doch entgegen Murphys Behauptung, Breschnew und Ponomarenko seien Feinde gewesen,30 kamen sie gut miteinander aus, so jedenfalls ließ sich Ponomarenko Jahre später in einem Interview vernehmen.31 Er wies dabei auch auf den Unterschied zwischen ihnen beiden hin: Während er selbst dazu geneigt habe, Kader bei ihrem ersten Fehltritt zu entlassen, habe sich Breschnew oft für eine zweite Chance eingesetzt.32 Diese unterschiedliche Prioritätensetzung führte de facto zu einer pragmatischen Arbeitsteilung: Während Breschnew als Fachmann für Landwirtschaft und ­Chruschtschows Auserwählter für die Neulandkampagne unentwegt die Landkreise bereiste, die Leute beriet und nach Alma-Ata berichtete, blieb Ponomarenko in der Hauptstadt und kümmerte sich dort um all die anderen brennenden Probleme.33 Zunächst mussten sich aber beide um eine Neustrukturierung der Partei- und Regierungsorgane kümmern. Das Ausmaß der neuen Verwaltungsstrukturen und die Anzahl der Posten, die die beiden schufen, zeigt, wie groß der Reformstau war, den Stalin mit seiner Politik verursacht hatte, nur zu fordern, aber nie ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Wie schon für Moldawien hatte das ZK in Moskau auch für Kasachstan beschlossen, statt der vorherigen drei nun fünf Sekretärsposten sowohl im ZK der kasachischen Partei als auch in den betroffenen Gebieten einzurichten, um die große Last der anstehenden Aufgaben auf mehr Schultern zu verteilen: Genosse Fasil Karibschanow sollte für Landwirtschaft, Muchamedgali Suschikow für Partei, Propaganda und Agitation und Ibrahim Taschijew für Industrie, Handel und Finanzen verantwortlich sein.34 Die gesamte Arbeit des ZK-Apparats wurde umstrukturiert: Das ZK-Büro sollte fortan jeden Dienstag um 11:00 Uhr zusammentreten, das Sekretariat jeden Donnerstag zur gleichen Zeit. Breschnew sollte sich um das Sekretariat kümmern, dem in erster Linie die Entscheidung der Kaderfragen oblag. Das Büro sollte der Reihe nach abwechselnd vom Ersten Sekretär, vom Zweiten Sekretär und auch vom Vorsitzenden des Ministerrats, Nurtas Undassynow, geleitet werden.35 Ponomarenko und Breschnew waren sich insofern einig, als sie, entgegen

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den Parteistatuen, eine pragmatische Arbeitsteilung für geboten hielten. Zudem vereinbarten sie einen klaren Planungsablauf: Statt wie zuvor auf den Zuruf der Abteilungen zu reagieren, die oft erst zwei, drei Tage vor den Sitzungen ihre Punkte vortrugen, sollten künftig die Sekretäre und Mitglieder des Büros die Tagesordnungpunkte bestimmen, die dann die ZK-Abteilungen vorzubereiten hatten.36 Im Sinne einer sinnvollen Nutzung der Ressourcen sollten die Abteilungen künftig keine unautorisierten Anfragen mehr an den ZK-Apparat stellen und diesen so für wirklich wichtige Anfragen der Büromitglieder arbeitsfähig halten.37 Die Arbeitsfähigkeit Ponomarenkos und Breschnews wurde zudem von der großen Flut von Bittschriften und Anträgen belastet: Täglich erreichten sie jeweils über 100 Eingaben, die sie schlicht nicht alle lesen konnten. Da es sich zu 55 Prozent um Fragen der Wohnungsnot und zu 30 Prozent um Klagen gegen Entlassungen handelte, sollte fortan eine Kommission über diese Anliegen entscheiden.38 Für die Bewältigung des Schriftverkehrs forderte Breschnew 14 weitere Stellen in Moskau an.39 Um effiziente Arbeitsplanung zu ermöglichen, wurde für das gesamte Jahr im Voraus festgelegt, welches Büromitglied wann zu welchem Thema eine Versammlung abhalten sollte.40 Damit war die Neuorganisation aber noch lange nicht abgeschlossen: Vom ZK der KPdSU war die Erlaubnis erteilt worden, eine Abteilung für Sowchosen mit 14 neuen Planstellen sowie ein Ministerium für ländliches Bauwesen einzurichten.41 Im Juli 1954 wurde die Industrie-Abteilung des ZK in vier neue Abteilungen und die Abteilung für Verwaltung und Finanzen in zwei neue aufgegliedert, um die anstehenden Aufgaben besser bewältigen zu können.42 Die Stenogramme und Protokolle zeigen Ponomarenko und Breschnew als eingespieltes Team, das mit großer Tatkraft Reformen anstieß und Dinge auf den Weg brachte. Beide betonten bei der Neugestaltung der Arbeit ganz im Geist der neuen Zeit die „Kollegialität“ und das „Führungskollektiv“.43 Dennoch wurde in dem Ton, den Ponomarenko anschlug, der Unterschied deutlich: „Wir werden helfen, unterstützen, uns den Kadern gegenüber aufmerksam zeigen, aber der Nichterfüllung der Beschlüsse werden wir mit einem tödlichen Kampf begegnen. Und auch Ihnen rate ich, es entsprechend der Linie der sowjetischen Organe zu halten. Auch Sie müssen hart zu den Personen sein, die die Parteibeschlüsse nicht ausführen, die Parteiaufgaben nicht erfüllen.“44 Dass Ponomarenko noch ein herkömmlicher Parteiführer „mit harter Hand“ war, bezeugte auch Wassili Liwentzow, der Leiter der neu eingerichteten ZK-Abteilung für Sowchosen wurde: „[Ponomarenko] unterschied sich durch seinen Kommandostil, er hatte die

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Partisanenbewegung in Weißrussland während des Krieges geleitet, was ich in den ersten Tagen unter seiner Leitung auf dem Posten des Abteilungsleiters für Sowchosen zu spüren bekam.“45 Liwentzow wurde von Ponomarenko mehrfach angeschrien, weil dieser sich überfordert fühlte und für eine scheinbar ausweglose Situation einen Schuldigen suchte.46 Ganz anders erschien da Breschnew, von dem es hieß: „Er war außerordentlich tatkräftig, einfach und aufmerksam im Gespräch. Im Unterschied zu vielen erlaubte er sich keine ausfallenden Wörtchen und wurde nie laut.“47 Auch Schafik Tschokin, damals Mitglied der kasachischen Akademie der Wissenschaften, erinnerte sich: „Breschnew ähnelte dem weitverbreiteten Typ des Parteiorganisators aus den Kinofilmen der damaligen Jahre. Er schaut hin, er hört zu, er raucht eine Zigarette nach der anderen und am Schluss des Films – baff! stellt er die Gerechtigkeit wieder her.“48 Diesem Urteil schloss sich auch Leonid Georgijewitsch Schukow an, der Minister für Straßenbau und Verkehrsminister Kasachstans: „Sehr nah und zugänglich war L.I. Breschnew für uns Minister (…). Zu ihm gingen wir mit großer Bereitschaft. Er nahm die Leute für sich durch seine Mitteilsamkeit, durch seine unerschöpfliche Energie ein, geduldig hörte er zu, fragte nach, verstand es, dem Gesprächspartner die Aufregung und Befangenheit zu nehmen, sprach Ratschläge und Wünsche aus, und der Leiter verließ ihn inspiriert.“49 Und auch Mletschin zitiert den Sekretär des Uralgebiets50 Michail Schicharew mit den Worten: „Damals war er ein im höchsten Maße kultivierter Mensch. Selbst in inoffiziellen Situationen erlaubte er sich keine Grobheiten oder Unhöflichkeiten. Und er hatte Humor, er liebte es, Witze zu erzählen. Er war immer einwandfrei gekleidet.“51 Es ist auffällig, dass der Führungsstil, den Breschnew schon unter Stalin praktiziert hatte, nun unter Chruschtschow beim Namen genannt wurde. Er entsprach der neuen Zeit, in der Chruschtschow die „kollektive Führung“, „Kollegialität“ und „innerparteiliche Demokratie“ zu Slogans machte. Mit diesen Begriffen verkündete er das Ende Stalins und seiner Epigonen und warb für mehr Mitsprache und Beteiligung. Nicht zuletzt dienten sie ihm auch als Mittel, seine Gegner um Malenkow in Schach zu halten. Breschnews Herrschaftspraxis erhielt also unter Chruschtschow einen Namen, die verdiente Würdigung und flächendeckende Bewerbung: „In allen wichtigen Fragen beriet sich Breschnew gewöhnlich mit den Mitgliedern des ZK-Büros. Überhaupt stützte er sich in seiner Herrschaftspraxis auf die kollektive Meinung und verstand es, in der Vielfalt der Argumente die richtige Entscheidung zu finden“, so ZK-Mitglied Liwentzow.52

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Und auch Dinmuchamed Kunajew, der seit 1955 unter Breschnew Ministerratspräsident Kasachstans war, bestätigt: „Er hatte einen ausgeglichenen, ruhigen Charakter und war wohlwollend gegenüber seinen Genossen. (…) Dabei möchte ich besonders betonen, dass er bei der Kritik an begangenen Fehlern niemals die Würde der Leute verletzte.“53 „Lebendige Verbindung mit den Massen“

Man könnte fast meinen, Breschnew sei in Kasachstan in seinem Element gewesen: Er war ein Landwirtschaftsexperte, er stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit Chruschtschows und vieler Moskauer Minister, er durfte sich wieder um die Belange einer ganzen Republik kümmern und seine Arbeitsweise wurde von Chruschtschow als Allheilmittel gegen die Überbleibsel des Stalinismus propagiert. Roy Medwedew, der Breschnew für dessen „Faulheit“ in seinen letzten Jahren schmähte, schreibt, nirgends habe Breschnew so viel gearbeitet wie in Kasachstan.54 Zumindest war er wie in Moldawien ständig unterwegs. Weil das Land so weit und die Straßen so schlecht waren, legte er viele Strecken mit dem Flugzeug zurück.55 Da es auf dem Land noch kaum Kantinen gab, aß er zusammen mit den Sowchosleitern und Landarbeitern aus den Gulaschkanonen, die die Leute auf dem Feld versorgten.56 War er mit dem PKW unterwegs, diente ihm das Auto oft als „Hotel“.57 Nicht nur zu seinem Piloten Nikolai Moisejew, mit dem er über 100 Flugstunden verbrachte, entwickelte er ein freundschaft­ liches Verhältnis.58 Er kannte bald auch jeden Kreissekretär oder Sowchosleiter persönlich.59 Und das Gleiche forderte er von seinen Genossen im ZK, in den Ministerien und in den Abteilungen: Sie sollten aufs Land gehen und dort den Leuten helfen. 1954/55 sollten immerhin 6,3 Millionen Hektar Neuland bestellt werden; das war mehr, als in den vorangegangenen 40 Jahren seit 1913 unter den Pflug genommen worden war.60 90 neue Getreide-Sowchosen sollten 1954 ihren Betrieb aufnehmen,61 1955 sollten weitere 250 landwirtschaftliche Staatsbetriebe organisiert werden, in denen 170.000 neu mobilisierte Menschen arbeiten sollten.62 Dabei war es keineswegs so, um dies in Erinnerung zu rufen, dass erst die geeigneten Böden ausgewiesen und auf dieser Grundlage die Pläne erstellt wurden, sondern Moskau dekretierte, wie viel Getreide in der Union gebraucht wurde und wie viel Neuland dementsprechend bestellt werden musste, und dann erst begann die Suche nach geeignetem Ackerland. Wie es in Breschnews „Memoiren“ heißt:

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„Die Flurgestalter mußten fast ein Drittel des Territoriums Kasachstans – 100 Millionen Hektar – prüfen. (…) Die ersten im Jahre 1954 gebildeten 90 Sowchosen lagen so oder so günstig in der Nähe von Eisenbahnen und – wo vorhanden – an Flüssen. Jetzt [1955] galt es, in die Tiefe der endlosen Steppe vorzustoßen.“63 Am 16. März 1954, als Ponomarenko und Breschnew die neue Arbeitsweise von Sekretariat und Büro verkündeten, mahnte Breschnew im gleichen Atemzug: Es stellt sich die Frage nach Fahrten in die Gebiete, wo das Land neu bearbeitet wird. Die ZK-Sekretäre und alle Büromitglieder müssen dorthin fahren, um vor Ort zu klären, was vor sich geht, um den Genossen dabei zu helfen und Fragen zu klären, um zu schauen, auf welchem Niveau das alles passiert. Für die Gebietssekretäre ist das auch alles neu, ihnen muss auch geholfen werden.64

Im Juni und erneut im August 1954 legte das Büro fest, welches ZK-Mitglied welches Gebiet bereisen sollte.65 Im September beschloss das ZK, den für Landwirtschaft zuständigen Apparat umzustrukturieren und bis auf zwei Mitarbeiter alle anderen dauerhaft in den Gebieten zu stationieren, damit sie sich dort täglich um die Lage der Landwirtschaft, die aktuellen Probleme, die Lage der Kader und ihre Sorgen kümmerten.66 Aber Breschnew verlangte nicht nur, dass sich die ZK-Mitglieder und Minister ständig selbst in den Landkreisen aufhielten. Er redete auch den LandkreisOrganisationen ins Gewissen, auch sie müssten sich aufs Land und in die Betriebe begeben, um dort vor Ort mit den Kolchos- und Sowchosleitern die Probleme anzugehen. Leidenschaftlich erklärte Breschnew, wie er sich die Arbeit des Parteiorganisators vorstellte: Es geht nicht darum, ob Sie ein Porträt aufhängen oder nicht, aber wenn Sie nicht zu den Leuten gehören, die die lebendige Arbeit organisieren – ist das das Schlimmste. Ein Partorg muss hinfahren, bleiben, zusammen mit den Traktoristen übernachten, eine Banja67 organisieren, dann eine Versammlung durchführen, das zeigt seine Seele, er nimmt die Leute von sich ein, sie werden ihm alles erzählen. Man darf sich das Leben nicht nur als Meldungen und Rechenschaftsberichte vorstellen. Man muss an die lebendigen Menschen denken (…).68

1954, knapp ein Jahr nach Stalins Tod, war das eher die Ausnahme, wie Breschnew feststellen musste: „Es zeigt sich, dass niemand der Mitarbeiter der Gebiets-

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komitees, der Landkreiskomitees und der Exekutivkomitees auf den Versammlungen der Kolchosbauern anwesend war.“69 Allerdings lag das nicht nur an Unwilligkeit oder Fatalismus: Zum einen fehlten schlicht die Transportmittel, so dass Ponomarenko im März 1954 bei Chruschtschow erst einmal 130 Autos für die Landkreise und weitere 14 für das ZK anfordern musste.70 Zum anderen reagierten die Gebiets- und Kreisleitungen auf die vielen Dekrete und Beschlüsse, die sie aus Alma-Ata erhielten, überfordert; oft blieben die Papiere unbearbeitet und wurden unbeachtet in den Safe gelegt.71 Die Überflutung mit Papieren wurde also auf dem Land offenbar genauso als Problem wahrgenommen wie in Alma-Ata. Anders als zu Stalins Zeiten standen Breschnew nun andere Mittel zur Verfügung: Zwar setzte er nach wie vor auf Motivation und gutes Zureden. Aber zusätzlich konnte jetzt ungestraft aus Moskau alles an Ressourcen angefordert werden, was man vor Ort brauchte. Breschnew schärfte den ZK-Sekretären ein, sie sollten ungeniert von Moskau alles Nötige fordern: „Früher gab es eine falsche Einstellung zu Kasachstan und es wurde weniger zugeteilt, aber jetzt muss man sie zwingen, so viel zu geben, wie wir brauchen, damit wir die gemeinsame Aufgabe nicht verderben. Unsere Mitarbeiter sollen all das abwägen und unsere rechtmäßigen Forderungen gegenüber Moskau präsentieren, wenn nötig, hinfahren und Budgets erstreiten (…).“72 Nachdem ihre erste Ernte mit 5,9 Zentnern pro Hektar in den Kolchosen und 6,2 Zentnern in den Sowchosen gegenüber 15 bis 20, manchmal 30 Zentnern in der Ukraine unbefriedigend ausgefallen war,73 entschieden sich Ponomarenko und Breschnew im Oktober 1954, die Lage in den Kolchosen systematisch untersuchen zu lassen. Dies war eine ganz neue Form der „lebendigen Verbindung zu den Massen“: die Vorstellung, von den Menschen vor Ort, ihren Bedürfnissen und Problemen lernen zu können. Also versammelte Breschnew eine Reihe von Genossen, die Daten auf dem Land erheben und zur Veranschaulichung die Kolchosen fotografieren sollten. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage der Arbeitsdisziplin, genauer, wie man die Bauern motivieren könnte, besser zu arbeiten: „So einfach ist das nicht, wie einige denken, dass wir angeblich schlecht kommandieren, schlecht die Muttern anziehen und daher schlecht gearbeitet wird.“74 Die „Volksbefrager“ sollten herausfinden, wie es um den Lohn der Arbeiter bestellt war, ob die Arbeitseinheiten richtig bemessen waren, also so, dass es einen Anreiz für die Bauern gab, sie auch zu erfüllen: „Studiert, was das für Leute sind, die das Minimum nicht erfüllen. Wir brauchen eine analytische Statistik,

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wie viel Frauen und wie viel Männer darunter sind (…).“75 Breschnew trug den Genossen auf, die ethnische Zusammensetzung und ihren Einfluss auf die Arbeitsmoral zu studieren und das politische Niveau festzustellen: „Die Kolchosarbeiter kennen sich sehr gut in der politischen Lage aus und in allem, was um sie vorgeht, aber sie haben nicht immer die Möglichkeit zur Kritik, wie, z.B., die Arbeiter in einer Fabrik.“76 Einerseits wollte sich die Parteiführung ein Bild der ethnisch-sozialen Zusammensetzung der Kolchosen machen; andererseits verdeutlichte Breschnew, dass es darum ging, die Leute zu erziehen, statt sie zu bestrafen. Als er gefragt wurde, ob die Kolchosarbeiter, die ihr Arbeitsminimum nicht erfüllten, vor Gericht gestellt werden sollten, antwortete er: „Das kann man tun, das Gesetz sieht die strafrechtliche Verantwortung der Kolchosmitarbeiter vor, die nicht das Minimum an Arbeitseinheiten erfüllen, aber wir sind daran nicht interessiert, denn das würde das Mittel der Erziehung durch die Mittel der Repression ersetzen.“77 Breschnew ließ aber auch keinen Zweifel daran, dass er im Sinne der „Erziehung“ bereit war, Exempel zu statuieren: Wir werden Versammlungen, Plenen, Aktiven durchführen und dann unsere Leute in die Kolchosen schicken, wir graben uns zu jedem Einzelnen durch, erfahren, womit er sein Leben bestreitet, und dann stellen wir ihn vor die Versammlung. Wenn er zur Vernunft kommt – gut, wenn nicht, schließen wir ihn aus dem Kolchos aus und wenden alle Repressionen an. Und dann werden wir ja sehen, wie stark die Sowjetmacht ist oder auch nicht.78

Alltag in der Steppe

Breschnew machte immer wieder deutlich, dass er die Schuld nicht bei den Kolchosarbeitern sah, sondern bei den Kolchosleitern und Parteiorganisatoren, die sich nicht nur nicht kümmerten, sondern oft auch die Arbeiter schikanierten. Nach wie vor erregte ihn die Gleichgültigkeit derjenigen Parteiführer am meisten, die sich weder um die Pläne noch um die ihnen anvertrauten Leute kümmerten. Aus Südkasachstan erreichte ihn ein Bericht: „Viele Kolchosleiter beleidigen die Leute auf jede erdenkliche Art, zahlen nur unregelmäßig den Lohn, geben keine Mahlzeiten aus usw.“79 Immer wieder wurden Fälle gemeldet, in denen die Kolchosleiter tranken, Sowchoseigentum gegen Wodka tauschten oder mehrere Tausend Rubel unterschlugen.80 Wie im Landkreis Nowotscherkassk

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im Gebiet Akmolinsk sah es in vielen landwirtschaftlichen Betrieben aus: Mangels einer Brücke konnte kein Benzin für Traktoren gebracht und mussten Waren per Boot geliefert werden. Hier gab es in den meisten Sowchosen keine Kantinen: „Das Essen wird in Feldküchen unter dem offenen Himmel zubereitet und besteht oft nur aus einem Gang (der Suppe). Die Speisung der Leute wird ebenfalls auf der Straße unter grobem Verstoß gegen Hygienevorschriften durchgeführt. Es fehlt an Geschirr, vor allen an Messern, Gabeln, Teelöffeln und Tellern. Mit dem Bau der Kantine ist noch in keiner der 20 überprüften Sowchosen begonnen worden.“81 Aber damit nicht genug: Es herrschte auch Wassermangel. Wasserleitungen existierten nicht, und so musste dort, wo es keine natürlichen Wasserläufe gab, Trinkwasser in Tankwagen aus bis zu 40 Kilometern Entfernung angefahren werden. „Weil das Wasser oft zu spät kommt, ist in den Brigaden der Kirow-, der Bauman- und anderer Sowchosen das Frühstück und das Mittag­ essen oft nicht rechtzeitig fertig.“82 Schlimm sah es mit den Unterkünften aus. Für die meisten Neuankömmlinge, die zur Urbarmachung der Steppe nach Kasachstan kamen, war es Normalität, die ersten Monate in selbstgegrabenen Erdhöhlen, Zelten oder Eisenbahnwaggons zu schlafen – „Unterkünfte“, die alle für den Winter ungeeignet waren, wie Breschnew sich ereiferte.83 Die Neuland-Fahrer schliefen in Heuschobern, in Kraftwerken, auf Dachböden oder im Kuhstall.84 Aber selbst wenn es ein Dach über dem Kopf gab, mussten sich oft mehrere Arbeiter ein Bett teilen. Oftmals gab es keine Matratzen. Das Alltagsleben in den Sowchosen ist schlecht organisiert. In den Gemeinschaftszelten, und hier besonders bei den Traktor-Brigaden, ist es dreckig, langweilig und nicht selten schlafen auf einer Pritsche zwei Personen. Es gibt keine Tische, keine Hocker. Es fehlen Kissen, Bettlaken, Handtücher, Bettdecken. Waschräume gibt es gar nicht. Ein Badetag wird selten organisiert und dann nur in natürlichen Wasserlöchern, infolgedessen sind in der Bauman-, der Marinowski-, der Ostrowski- und einigen anderen Sowchosen 20 Fälle von Verlausung entdeckt worden.85

In der Sowchose Usunkul in Nordkasachstan teilten sich 25 Arbeiter zwei Handtücher und ein Waschbecken; weil es keine Matratzen gab, schliefen sie auf den nackten Bettgestellen.86 Damit war die Mängelliste noch lange nicht vollständig: Es fehlte an Kleidung, die Traktoristen arbeiteten bei 39 Grad C Hitze in wattierten Hosen, weil sie keine leichte Baumwollkleidung bekommen konnten; der

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Wohnungsbau hinkte dem Plan weit hinterher, und es gab nicht mal einfaches Werkzeug, um sich selbst zu helfen. Die beiden ZK-Mitarbeiter, die Breschnew Bericht erstatteten, hatten nicht nur angewiesen, 14.000 leichte Unterhosen und 6000 Baumwollhosen in die Sowchosen zu liefern, sondern schlugen Breschnew auch vor, in die Sowchosen 50 neue, erfahrene Leiter zu schicken.87 Im Spätsommer 1954, ungefähr zur gleichen Zeit, als Breschnew seine Emissäre aussandte, um mehr über das Leben in den Sowchosen zu erfahren, machte sich auch der Unions-Vorsitzende des Komsomol, Alexander Nikolajewitsch Schelepin, mit seinem Freund, dem Komsomol-Sekretär Wladimir Jefimowitsch Semitschastny, auf eine Rundreise nach Kasachstan, um sich ebenfalls ein Bild zu machen, wie die 25.551 Komsomolzen, die zum 21. März 1954 aus der ganzen Union nach Kasachstan mobilisiert worden waren, dort lebten und arbeiteten. Beide Männer sollten zehn Jahre später unter der Führung Breschnews an der Verschwörung gegen Chruschtschow beteiligt sein. Ihre Befunde deckten sich mit dem, was Breschnew selbst sah und hörte: Statt einfacher warmer Kleidung gebe es im Winter nur teure Pelzmäntel für 2000 Rubel zu kaufen; da in den Sowchosen kein Brennmaterial vorhanden war, stahlen die Arbeiter Baumaterial, um damit zu heizen; angesichts der schlechten Versorgungslage wünschten sich alle Sowchosbauern Geld, um eigenes Vieh anschaffen zu können, sowie das Recht, Getreidereste zum Füttern verwenden zu dürfen.88 Auf Schelepins und Semitschastnys Vorschlag hin wurde auf Unionsebene ein Maßnahmenkatalog verabschiedet. Er reichte von der Selbsthilfe über die Erlaubnis, Stroh als Baumaterial zu verwenden, Windmühlen zur Stromerzeugung zu bauen und Wasserlöcher zu Fischteichen umzufunktionieren, bis hin zur Zuteilung von Backsteinen und mehr Personal und zur Verlängerung des Urlaubs für NeulandPioniere.89 Neusiedler

Ungeachtet der vielen Missstände und Mängel ließ Chruschtschow die Bestellung des Neulands weiterhin als Kampagne durchführen und Breschnew warb für sie weiter in großem Stil Arbeiter aus der ganzen Union an. Er reiste selbst durch die gesamte Sowjetunion – in die Ukraine, nach Leningrad, Minsk und Moskau –, um den „brain drain“, wie es der Sowchos-Abteilungsleiter Liwentzow formulierte, nach Kasachstan zu organisieren.90 Für jede neue Sowchose wurden sechs leitende Angestellte, vom Direktor über den Agronomen bis zum Buch-

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halter, gebraucht.91 Allein 1954 kamen 8000 Fachkräfte nach Kasachstan.92 Zwar verpflichtete die Sowjetregierung alle Republiken, Experten zu entsenden, aber es gab viel Widerstand dagegen, die besten Leute abgeben zu müssen.93 In Breschnews „Memoiren“ heißt es: „Das Ministerium für Sowchosen der UdSSR bildete einen Sonderstab für die Auswahl von Spezialisten. Die Räume des Stabes erinnerten an Bahnhöfe, so viele Menschen drängten sich dort zusammen. Ich fuhr in diesen Stab und empfing wochenlang von früh bis Mitternacht Bewerber.“94 Neben den Akademikern kamen auch Arbeiter und Massen von demobilisierten Soldaten; allein im Spätherbst 1954 wurden 40.000 ehemalige Soldaten angekündigt.95 Breschnew muss bewusst gewesen sein, dass der für 1955 festgesetzte Plan, 250 neue Kolchosen und die Unterbringung und Beschäftigung von 170.000 Menschen in den Steppengegenden Kasachstans, die bar jeder Infrastruktur waren, zu organisieren, nur mit großen Anfangsschwierigkeiten zu meistern sein würde.96 Er berief daher am 30. November 1954 eine Versammlung der ZKSekretäre ein, um mit ihnen die Aufnahme der Neuankömmlinge zu besprechen: Im vergangenen Jahr gab es erhebliche Probleme. Wenn wir im ausgehenden Jahr einige Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten zu ertragen hatten und gezwungen waren, uns bei der Organisation von 92 Sowchosen gegenseitig viele harte Dinge zu sagen, dann muss man mit mehr Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten rechnen, wenn es um 250 geht, man stellt eine Frage und es sind 250, man kümmert sich um einen unangenehmen Antrag und es sind 250 Anträge.97

Es war und blieb eins der größten Probleme, dass es für die Übersiedler keine Infrastruktur gab: Die Menschen stiegen aus der Bahn und wurden sich selbst überlassen. Niemand nahm sie in Empfang, es gab keine Auskunftsstellen, keine Hinweisschilder, keine Gepäckkammern für ihr Hab und Gut, keine Kantinen, keine Wohnheime.98 Trotz Ermahnungen, Maßnahmen und Moskauer Hilfen spitzte sich 1955 die Lage der ankommenden Massen noch zu. Breschnew musste Ende Mai 1955 eingestehen, dass sie in fünf Monaten nur zehn Prozent des Bauplans erfüllt hatten.99 M. Rossowski, ein Redakteur der Zeitung „Trud“, der einen Monat lang Westkasachstan bereist hatte, schickte einen langen Bericht über die vielen Missstände, die er gesehen hatte, an Chruschtschow. Dieser Bericht, der auch Breschnew erreichte, schloss damit, dass das Einzige, was funktioniere, der Handel mit Wodka sei. Dort, wo es nichts zu kaufen gebe, sei immer Wodka

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in großen Mengen zu erhalten: „Schon jetzt gibt es Fälle von Trunkenheit und in Verbindung damit Randale und Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin.“100 Die Sowchosarbeiter trauten sich nach Stalins Tod aber immerhin, sich offen bei der Parteiführung, bei Breschnew oder Chruschtschow oder der „Prawda“ zu beschweren. Anders als zu Stalins Zeiten ging es nicht mehr um Denunziationen und Schuldzuweisungen. Vielmehr nahmen Ponomarenko und Breschnew solche Briefe ernst, ließen die Klagen überprüfen und ordneten Abhilfe an. Bei einem Großteil der Beschwerden mussten sie feststellen, dass die Berichte stimmten: Für die Neuankömmlinge wurde nicht gesorgt.101 Einigen wurde sogar vermittelt, dass sie nicht willkommen seien und besser wieder gingen. So schrieb S.N. Sergejewa an die „Prawda“: Wir sind zur Erschließung des Neulands nach Alma-Ata gekommen. Auf dem Bahnhof hat uns niemand empfangen. Wir haben keinen Platz für ein Nachtquartier erhalten. (…) Morgens gingen wir in den Sowchosen-Trust. Dort sagte man uns, man habe nicht auf uns gewartet. Man schickte uns ins Sowchosen-Ministerium, aber als der Leiter der Wirtschaftsabteilung dort erfuhr, dass wir eine Abordnung für den Trust haben und nicht zu ihm, weigerte er sich, mit uns zu sprechen. Bis abends liefen wir von einer Organisation zur anderen und baten, dass man uns für die zweite Nacht unterbringe.102

Breschnew war tagein, tagaus damit beschäftigt, solche Berichte entgegenzunehmen, sich selbst ein Bild zu machen oder die verantwortlichen Kreissekretäre und Direktoren zur Rechenschaft ins Büro zu zitieren. Es verging kaum eine ZK-Büro-Sitzung, auf der er nicht einem Partorg oder Trust-Direktor ins Gewissen geredet hätte. So sehr es Breschnew aufgeregt haben wird, dass sie weit davon entfernt waren, die Ankunft der Menschen, ihre Unterbringung und Arbeit ordentlich organisiert zu haben, so groß dürfte seine Genugtuung gewesen sein, dass man sich jetzt ganz auf diese sozioökonomischen Fragen konzentrieren konnte und nicht mehr nach „Feinden“ und „Sabotage“ zu suchen brauchte. Dennoch blieb die Argumentation gegenüber den verantwortlichen Kreisleitern die alte: Stets waren die Parteileiter für die Missstände verantwortlich; die schlechte Infrastruktur und die Massen der Neuankömmlinge waren keine Entschuldigung, da jetzt theoretisch alles gefordert werden durfte und verfügbar war. Breschnew erwartete, dass die Parteifunktionäre die Ressourcen und die Menschen sinnvoll einsetzten, und regte sich auf, wenn das seiner Meinung nach

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nicht geschah. So ereiferte sich Breschnew im Mai 1955 gegenüber dem Kreisleiter und Trust-Direktor des Bulajewski-Kreises, dass sich niemand um die schwierige Aufgabe des Sowchos „Taman-Division“ gekümmert habe. Er hatte die Aufgabe erhalten, 20.000 Hektar einzusäen, obwohl die Leute dort erst vor kurzem eingetroffen und keine Maschinen vorhanden waren. Infolgedessen hatten sie nur 2800 Hektar gesät, die abgeschrieben werden mussten.103 Als Breschnew mit seinem Flugzeug in der Sowchose gelandet sei, habe er nicht die gewohnten Klagen, sondern einen wahren Aufschrei vernommen, so Breschnew: Die Leute schrien mich geradezu an: Wenn Sie nicht Ordnung schaffen, dann fahren wir auf eigene Kosten zum Genossen Chruschtschow, und wenn Sie den da, den „Dickfressigen“, nicht zum Teufel jagen, dann bringen wir ihn um. Die Rede war vom Lageristen. Wir, sagten sie, Genosse Breschnew, haben so was noch nicht gesehen, dass man russische Menschen vom Brot entwöhnt. So haben sie es gesagt. Und was war? Man gab ihnen kein Brot, es wird aus dem Kreiszentrum, 68 Kilometer entfernt, gebracht. Das Wetter ist wechselhaft, es gibt keine Straßen, das Brot kommt unregelmäßig. Zwei Wochen lang hatten sie kein Fleisch, weil das Vieh nicht schlachtreif war.104

Der Unterschied zu Stalins Zeiten war, dass es dem Kreissekretär möglich war, sofort eine komplette Bäckerei, zwölf schlachtreife Tiere und zwei LKW-Ladungen mit Gebrauchsgegenständen anzuliefern. Breschnew urteilte: „Wir müssen daraus den Schluss ziehen, dass man auch gute Leute und eine gute Sache verderben kann.“105 Es blieb dabei, dass alle Schwierigkeiten mit mangelnder Partei- und Propagandaarbeit erklärt wurden. Das galt auch für die ethnischen Konflikte, die sich angesichts der angespannten Wohn-, Versorgungs- und Arbeitslage immer wieder entluden. Wenn Neuankömmlinge ihren Frust über die miserablen Lebensund Arbeitsbedingungen an den von Stalin hierher verbannten Tschetschenen und Inguschen ausließen, dann wurde zwar die ethnische Zugehörigkeit der Personen festgehalten, aber der Gewaltausbruch auf die schlechte Parteiarbeit der zuständigen Kader zurückgeführt. Am 15. Mai 1955 kam es zu einem solchen Vorfall in der Siedlung Jekiwastus im Gebiet Pawlodar: Bei einer Massenschlägerei von mehreren Hundert Personen zwischen Neuankömmlingen – unter ihnen Russen, Ukrainer, Kasachen, Usbeken, Uiguren und andere – auf der einen Seite und Tschetschenen und Inguschen auf der anderen Seite starben drei Kaukasier, fünf von ihnen wurden verletzt.106 Hier waren im März 1500 demobili-

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sierte Soldaten angekommen und sich selbst überlassen worden. Sechs Wochen hatte es gedauert, bis die Neuankömmlinge mit Matratzen und Mahlzeiten versorgt waren. Bei einigen wurde Skorbut festgestellt. Sie sollten für den Trust Irtysch-Kohlebau Fabriken hochziehen, aber weil es an Zement und Wasser fehlte, stand die Arbeit meist still. Die Neuankömmlinge, die in ihrer Heimat mit ihrer Arbeit ihre Familien hatten ernähren können, waren hier auf Zuwendungen ihrer Verwandten angewiesen.107 Breschnew bestellte zur Aufklärung den Direktor des Trusts, Bobtschenko, und seinen Parteiorganisator Ustimenko ins ZK-Büro: „Wie konnte es passieren, dass solch reife Kommunisten – der Leiter des Trusts und Sie – solche Zustände zuließen? Sie wussten ja wohl, dass man Ihnen keine Sklaven schickt (…)“.108 Den Parteiorganisator fragte er entgeistert: „Sind Sie so unerfahren oder ist das Ihr Charakter?“109 Die beiden Leiter entschuldigten sich und bekannten, sie hätten zu spät mit der Parteiarbeit begonnen; sie erhielten einen „Parteitadel“.110 Um der großen Personalnot Herr zu werden bzw. um den Mangel an Maschinen und Traktoren durch menschliche Arbeitskraft auszugleichen, wie man es gerade in den ersten Jahren häufig tat, kommandierten die Ministerien und Gebietsleitungen Tausende von Schülern und Studierenden zum Ernteeinsatz ab.111 Außerdem erging an das kasachische Innenministerium die Anweisung, 16 neue Arbeitsnebenlager einzurichten, in denen rund 10.000 Häftlinge beim Bau von 16 neuen Sowchosen und 102 Getreidespeichern eingesetzt werden sollten.112 Mais für Moskau

Auf den ersten Blick scheinen sich die Berichte über all die kasachischen Probleme und die Stenogramme der entsprechenden Sitzungen nur wenig von den Vorgängen in Moldawien zu unterscheiden. Doch es gab einen gewaltigen Unterschied: Das Moment des „Schädlingstums“, der Zwang, „Feinde zu entlarven“, fehlte. An die Stelle von Drohen und Strafen waren Überzeugung und Ermahnung getreten. Es muss Breschnew mit großer Genugtuung erfüllt haben, dass die neue Politik, die Menschen zu fördern und zu fordern, genau dem Stil entsprach, den er selbst vorher bereits praktiziert hatte. Er schien Chruschtschows Direktiven mit voller Inbrunst zu vertreten. Das bedeutete aber auch, dass er kein Verständnis für diejenigen hatte, die sich der Politik Moskaus nicht fügen wollten. Gerade weil der Landwirtschaft unter Chruschtschow höchste Priorität

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eingeräumt wurde, waren die Anbaumethoden eine politisch-ideologische Frage, die Breschnew ganz im Sinne Chruschtschows vertrat. Per se galt, dass die Neulandkampagne den Fortschritt für das rückständige Kasachstan brachte. Problematisch dabei war aber nicht nur, dass die angeworbenen „Neuländer“ oft keine Ahnung von Ackerbau und Viehzucht hatten, weil sie bisher beim Metrobau oder in einer Fabrik gearbeitet hatten.113 Problematisch war auch, dass die Kasachen meist noch auf traditionelle Art ihr Vieh hüteten und nicht auf industrialisierte Landwirtschaft eingestellt waren. Es gab kaum Erfahrung mit dem Anbau von Zuckerrüben, Tabak oder Baumwolle, und die Bauern wussten nicht, ob die Erde dafür gepflügt werden musste, und wenn ja, wie tief. Mangels Traktoren und Benzin wurde die Saat immer wieder auf ungepflügten Feldern ausgebracht, und Breschnew wurde nicht müde, sich darüber zu ereifern.114 Auch in Kasachstan wurde der Chef-Genetiker Lysenko zu Rate gezogen, der warnte, wenn man bei der dünnen fruchtbaren Schicht zu tief pflüge, mische man nur die fruchtbare Erde mit dem darunterliegenden Sand. Viele sprachen sich daher gegen das Pflügen auf dem Neuland aus.115 In Breschnews Memoiren steht, was sich auch in den damaligen Berichten finden lässt: Die Pflüge waren für das Land nicht geeignet, die Pflugscharen brachen ab, die Geräterahmen verzogen sich, die Traktoren, die sie einsetzten, waren unbrauchbar. Um sich das Problem anzusehen, reisten Ponomarenko, Breschnew und Chruschtschow in das Gebiet Kustanai. Die Lösung war schließlich, statt 22 nur sieben Zentimeter tief zu pflügen.116 Dies „learning by doing“ war typisch für die Kampagnenform. So wie Breschnew erst anfing, systematisch Daten zu sammeln, nachdem die erste Ernte 1954 unbefriedigend ausgefallen war und zum 10. August erst 17 Prozent des Getreides eingebracht waren,117 so wurde die Einrichtung eines Neulandinstituts unter dem Dach der Akademie für Landwirtschaft erst beschlossen, nachdem die ersten Erfahrungen mit der Aussaat bereits gemacht worden waren.118 Das Gleiche galt für die Wahl des Saatguts, denn weder das aus der Ukraine noch das aus Sibirien taugte zur Aussaat im kasachischen Klima.119 Die Ernte 1954 brachte nicht genügend Ertrag, um das Saatgut für die erneute Ausweitung des Neulands 1955 zur Verfügung zu stellen, so dass Ponomarenko im November 1954 5,6 Millionen Zentner Saatgut aus Unionsbeständen anforderte.120 Nicht anders verhielt es sich mit Mais. Ganz gleich, ob die kasachischen Böden für den Maisanbau geeignet waren, Chruschtschows Devise war unumstößlich: Mais sei das beste Tierfutter und sein Einsatz werde für mehr Fleisch für die Menschen sorgen. Auf einer Parteiversammlung erläuterte Breschnew Chruschtschows

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Mais-Politik so: Da Mais ertragreicher sei als normales Getreide, könne man mit ihm die Ernten steigern.121 Breschnew schwor auf die Anbaumethode von Terenti Maltzew, der ein Pflügeverfahren entwickelt hatte, bei dem der Boden nicht gewendet wurde. Breschnew machte die Methode für alle zur Pflicht.122 Er selbst reiste durchs Land und warb für sie, beriet und predigte den Maisanbau.123 Das galt besonders für das Maisjahr 1955: „Es gab nichts Wichtigeres als den Mais. Das ganze Land kümmerte sich nur um Mais (….).“124 Breschnew verteidigte die Linie Chruschtschows und ließ keinen Zweifel daran, dass es bei den Direktiven aus dem Zentrum keinen Interpretationsspielraum gab und sich niemand erlauben könnte, den Sinn des großflächigen Maisanbaus in Kasachstan in Frage zu stellen: In diesem Jahr baut unsere Republik zum ersten Mal in so großem Maßstab diese wertvolle Kultur an – Mais, aber leider haben nicht alle Leiter diesen Beschluss des ZK verstanden. (…) Genossen, wir durchleben den bekannten Prozess des Kampfes gegen das Alte. Das Neue, Progressive kämpft mit dem Alten, Dahinsiechenden, Sterbenden. Aber das Alte wehrt sich und zusammen mit ihm halten auch einige unserer Kader am Alten fest.125

Einige Landkreisleiter hatten zugelassen, dass entgegen den Anweisungen nur 50 Prozent mit der neuen Methode in quadratischen Nestern angesät wurden, während die andere Hälfte weiter in Reihen gesät wurde.126 Im Juni 1955 drohte die gesamte Fläche von 700.000 Hektar Mais verloren zu gehen, weil auch aus den Quadraten angesichts der Dürre keine Maispflanzen sprießen wollten. Die Lage war so dramatisch, dass Breschnew Liwentzow zur Überprüfung in die Maisregionen entsandte, ankündigte, sie würden die kommenden zwei Monate mit den ZK-Sekretären über nichts anderes sprechen, und denjenigen, die fahrlässig Maispflanzen mit Landwirtschaftsmaschinen beschädigten, mit Gerichtsverfahren drohte.127 Viehsterben in der Steppe

Ähnlich verhielt es sich mit der Viehzucht: Anstatt diese langsam aufzubauen und den kasachischen Hirten zu vertrauen, galt auch hier, dass die Moderne der Tradition überlegen sei und die Planerfüllung immer Vorrang habe. Dass dabei der Tod von Zigtausenden von Tieren in Kauf genommen wurde, war für Bresch-

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new kein Problem der Planwirtschaft, sondern eines der ausführenden Personen. Im Mai 1954 schimpfte er, es werde „systematisch kein Futter“ produziert, sprich: Obwohl es alle Voraussetzungen gebe, würden sich die Verantwortlichen nicht darum kümmern. Über den Winter waren im Gebiet Ksyl-Ordinsk 200.000 Tiere verendet. Viele seien verdurstet, obwohl die Viehzuchten direkt am Fluss lägen.128 In einigen Kolchosen hätten die Arbeiter Heu in einer Menge von 23.000 Tonnen einfach nicht vor dem Hochwasser in Sicherheit gebracht. Der Verlust an Tieren lag in manchen Betrieben bei 50 Prozent.129 Für Breschnew war das Gleichgültigkeit der verantwortlichen Führung und die machte ihn rasend. Als sich der Sekretär des Landkreises Kasalinsk im Ksyl-Ordinsk-Gebiet rechtfertigte, er habe sich doch bemüht, explodierte Breschnew regelrecht: „Was für eine Bemühung? (…) Wie leben dort die Menschen? Wie können Sie sich so zu den Menschen verhalten. Wenn 79.000 Stück Vieh umgekommen sind, dann muss man Sie als politischen Leiter dieses Landkreises dafür, dass die Menschen in solchen Umständen leben, aus der Partei ausschließen. Sie haben keine Seele.“130 Unverkennbar kannte Breschnew bei der Parteidisziplin kein Pardon, auch wenn ihm vermutlich bewusst war, dass diese Parteileiter noch gar nicht begriffen hatten, dass man nicht mehr zu Stalins Zeiten lebte. Wahrscheinlich waren die neuen Zuwendungen Moskaus vor Ort auch noch gar nicht angekommen, und im Grunde wurden alle nun für die Lethargie bestraft, die das stalinistische System mit seiner Verachtung und Ausbeutung der Bauern hervorgebracht hatte. Typisch für Breschnew scheint, dass er sich einerseits von dem Schicksal des Kreisleiters angerührt zeigte, andererseits aber hart blieb: „Natürlich ist es nicht leicht, Ihre Tränen zu sehen, aber die Bolschewiki dürfen darauf keine Rücksicht nehmen.“131 Eine ähnliche Lehre erteilte er dem Kreisleiter von Tschilisk im Gebiet Alma-Ata, Dschamgarin, der gestehen musste, dass in den dortigen Kolchosen die Futterpläne nur zu 50 Prozent erfüllt waren und das Vieh auf bis zu 120 Kilometer weit entfernten Weiden unter freiem Himmel stand, weil es nicht genügend Ställe gab.132 Liwentzow, der dort recherchiert hatte, brachte zutage, dass Dschamgarin behauptet hatte, sie seien mit allen nötigen Landmaschinen zur Heumahd ausgestattet, obwohl ihnen die Hälfte gefehlt hatte. Auch das ist ein Indiz dafür, dass hier nach stalinistischer Art Planerfüllung vorgetäuscht wurde, um Sanktionen zu entgehen. Breschnew aber bestand darauf, dass nun neue Zeiten herrschten: „In der Partei ist alles auf gegenseitigem Vertrauen aufgebaut. Das ist vor allem Ehrlichkeit, Hingabe an die Sache, aber wenn der Mensch uns im Büro betrügt, was hat es dann für einen Sinn, einen solchen Sekretär zu

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halten? (…) Dafür, dass Sie nicht ehrlich sprechen, schlage ich vor, Sie von der Arbeit abzusetzen.“133 All diese Missstände lasteten Ponomarenko und Breschnew noch ihren Vorgängern an. Für sie stand fest, dass „der Fisch vom Kopfe her stank“, dass die Kreisleitungen immer nur so gut wie die Republiksführung sein konnten. Dafür, dass in wenigen Jahren drei Millionen Tiere verendet waren, zeichneten also ihre Vorgänger verantwortlich: Aus dem, was im Bericht ausgeführt ist, folgt, dass wegen der schlechten Leitung des ZK-Büros die Lage auch in diesem Jahr schlecht ist. Wir müssen erläutern, woran es liegt, dass die Republik die Viehzucht bis heute nicht wieder auf das Niveau von 1928 bringen konnte, dass dies an der schlechten Organisation der Überwinterung liegt, dass nicht genügend Futter vorbereitet wurde, dass das Treiben der Tiere von den Weiden schlecht organisiert war, dass all das zum Tod der Tiere führte. Diese Geschichte hat sich leider auch im letzten Jahr fortgesetzt, als Folge einer schlechten Führung – von oben nach unten.134

Wohin auch immer Breschnew selbst oder seine Emissäre im Frühjahr 1954 reisten, es bot sich ihnen das gleiche Bild: Viele Kolchosen hatten nur einen Bruchteil des ihnen zugesprochenen Futters erhalten, schon im Dezember 1953 hatte man mit der Notschlachtung begonnen, ein Großteil des Viehs war über den Winter eingegangen und die überlebenden, ausgemergelten Tiere konnten sich kaum noch auf den Beinen halten.135 Das Einzige, was Breschnew erfreuen konnte, war, dass man in entlegenen Regionen begonnen hatte, mit dem Flugzeug Futter auf die Weiden zu fliegen.136 Um für den Winter 1954/55 besser gewappnet zu sein, verpflichteten das ZK Kasachstans und der Ministerrat alle Gebietssekretäre, bis zum 1. November über die Vorbereitung zur Überwinterung des Viehs zu berichten. Aber bis zum 13. November hatten nur zwei von 16 Sekretären gemeldet, so dass Breschnew den ZK-Sekretär für Landwirtschaftsfragen, Fasil Karibschanow, anwies, Erkundigungen einzuholen.137 Die Fotografien, die Breschnew zusammen mit den Berichten erreichten, waren erschütternd und hatten nichts mit moderner Landwirtschaft gemein: Sie zeigten vorm Wetter ungeschützte Heuhaufen, in die Erde gegrabene, mit Heu und Ästen gedeckte „Ställe“, Lehmhütten ohne Fenster und Türen, die als „Besamungsstationen“ für die Tiere ausgewiesen waren.138 Trotz aller Anstrengungen bekamen Ponomarenko und Breschnew die Viehzucht nicht in den Griff. Ende Mai 1955 erhielten sie eine Art „Abmahnung“ aus

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dem ZK in Moskau, die „schwerwiegende Mängel in der Arbeit der Parteiorganisationen in der Kasachischen SSR mit den Kadern in der Tierzucht“ bescheinigte.139 Sie hatten zu verantworten, dass im Winter 1954/55 155.000 Tiere gestorben und der Milchertrag pro Kuh unter den Wert von 1953 gefallen war. Als Hauptgrund diagnostizierte die Moskauer ZK-Abteilung für Parteiorganisationen das Fehlen von 56.000 Tierpflegern. Das, was Ponomarenko und Breschnew ihren Vorgängern vorgeworfen hatten, wurde nun ihnen zur Last gelegt: mangelnde Organisation der Parteiarbeit und mangelnde Sorge um die Fachkräfte, um ihre Aus- und Fortbildung, um ihren Verdienst und ihre Lebensbedingungen.140 Zum einen war die Lage nach wie vor angespannt. Zum anderen flankierte Chruschtschow derart die Absetzung Ponomarenkos, der bereits Anfang Mai den Posten des Ersten Parteisekretärs Kasachtans an Breschnew hatte abgeben müssen. Breschnew wurde nicht mit Konsequenzen gedroht; er wurde lediglich verpflichtet, mehr Kader zur Viehzucht zu entsenden, schwache Parteileitungen durch fähige Leute zu ersetzen, sich um die Ausbildung von Viehzüchtern zu kümmern, mehr für die Massenarbeit zu tun und die Lebensbedingungen zu verbessern.141 Ob dies bei Breschnew die Erkenntnis förderte, eine starke ­Parteiführung, eine gute Organisation der Arbeit und ausreichend Hilfen aus Moskau allein reichten nicht, um die Lage grundsätzlich zu verändern, muss dahingestellt bleiben. Es ist auch nicht auszuschließen, dass ihn die Bestandsaufnahme aus Moskau nicht noch mehr in der Annahme bestätigte, die Parteileiter auf mittlerer und unterer Ebene würden sich einfach nicht genügend bemühen. Jedenfalls berief er am Tag nach dem Erhalt dieses Briefs, am 27. Mai 1955, eine Versammlung ins ZK zum Thema Landwirtschaft ein, auf der er zum „Kassensturz“ aufrief: „Wir müssen alle Mängel, alle Felsen unter Wasser aufdecken, an denen unser Schiff zerschellen könnte, um uns dann hier über eine gemeinsame Verhaltens- und Handlungslinie aller Parteiorganisationen zu verständigen, um die Mängel und Fehler, die in der Wirtschaft gemacht wurden, zu korrigieren.“142 Das „Jahr der Verzweiflung“

Der erneute Appell Breschnews, sämtliche Kräfte zu bündeln, um in allen Gebieten Durchbrüche zu erreichen – von der Bestellung des Neulands über die Heumahd und das Bauwesen bis zur Tierzucht –, war aber nicht nur dem Brief aus Moskau geschuldet, sondern auch der Dürre im Jahr 1955: „Während des ganzen

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Sommers, von Mai angefangen, fiel kein Tropfen Regen.“143 Von „Kleinmütigen“ wurde es das „Jahr der Verzweiflung“ genannt, wie es in Breschnews „Memoiren“ heißt, denn trotz der neuen Zeiten unter Chruschtschow gab es offiziell keine Dürre, sondern nur „schwierige klimatische Bedingungen“. Wir wissen nicht, ob Breschnew sich der Sprachregelung Moskaus nur anpasste oder es selbst so empfand. Es scheint, als sei er ernsthaft empört über jene gewesen, die sich entmutigt zeigten und aufgeben wollten. Anders als zu Stalins Zeiten lässt sich keine Kritik an der offiziellen Politik aus seinen Reden herauslesen. Bei der Beratung Ende Mai 1955 nahm Breschnew all seine Mitstreiter in die Pflicht und machte auch vor seinen eigenen Ministern nicht halt: „Und Sie, Genossen [Landwirtschaftsminister] Melnik und [Sowchosenminister] Wlassenko, haben offenbar auch nicht alles verstanden. Sie haben viele Sünden angehäuft. Warum sind Sie nicht ins ZK gekommen und haben sich helfen lassen?“144 Die Schärfe Breschnews verriet, dass er unter starkem Druck stand. Vielleicht war er sich nicht sicher, ob der Missmut Moskaus in Verbindung mit der aufziehenden Dürre nicht doch sein Karriereende bedeuten könnte. Auch in Zeiten größter Trockenheit galt, dass der Mensch für die Verhältnisse verantwortlich war. Doch auch der Juniregen fiel aus und die Lage verschlimmerte sich weiter.145 Entsprechend nervös warnte Breschnew auf dem August-Plenum mit scharfen Worten vor Panikmache: Wir hatten ein klimatisch schweres Jahr und bekommen nicht die Ernte, die wir erwartet haben. (…) Das verbittert alle, aber zu verzagen und die ganze Zeit über die entstandenen Schwierigkeiten zu jammern, das ist etwas anderes. Bei uns haben sich leider einige solcher Genossen hervorgetan, die, anstatt Maßnahmen zu ergreifen, jammern: „Keine Ernte, kein nichts.“ Sie tun nichts anderes, als zu jammern und zu weinen. Und einige labile Elemente verwechseln die klimatischen Probleme mit der Idee der Neulandbestellung. Ich denke, dass das nicht nur nicht unsere Weggefährten, sondern unsere Feinde sind. Und das Unglück besteht meiner Meinung nach darin, dass viele Genossen das falsch beurteilen und denken: Warum soll man nicht über die Missernte oder die Dürre sprechen? Sie blasen in dasselbe Horn, ohne zu bemerken, welch großen Schaden sie der Sache zufügen.146

Breschnew nahm das Wort „Feind“ in den Mund, das er zu Stalins Zeiten vermieden hatte. Um seine Stellung musste er nicht mehr fürchten – ebendieses Parteiplenum hatte ihn soeben zum Ersten Sekretär Kasachstans gewählt, während

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Ponomarenko als Botschafter nach Warschau verabschiedet worden war.147 Aber offenbar fürchtete er, dass die heißen Winde nicht nur die trockenen Böden, sondern auch die zarten Pflänzchen seiner Parteiarbeit, seines Werbens für Vertrauen und Zuversicht, zerstörten. 16 Sowchosdirektoren hatten angesichts der Missernten um ihre Entlassung gebeten. Breschnew verglich sie mit fahnenflüchtigen Soldaten: „Das sind Selbstverstümmler an der Front, die sehen, dass der Kampf heiß und schwer wird, und er streckt seinen Finger raus, sollen sie doch schießen, dann komme ich zu den Sanitätern, dort ist es friedlich und ich bleibe am Leben.“148 Gleichwohl machte Breschnew deutlich, dass er die Schuld auch bei der Parteiorganisation und damit auch bei sich selbst sah: „Wir kannten diese Leute nicht, wussten nicht, mit wem wir arbeiten, sind nicht in ihre Seelen vorgedrungen, haben nicht in sie hineingeschaut.“149 Einerseits warnte er, dass eine solche Art der Panikmache großes Unheil anrichten könne, da unter diesen 16 Sowchosleitern 15.000 Menschen arbeiteten. Andererseits erläuterte er ganz auf der Linie von Kritik und Selbstkritik, dass sich jeder einmal irren könne: Es komme vor, dass jemand in Panik gerate, sich dann aber eines Besseren besinne und später bedauere und sich selbst kritisiere.150 Wie immer schlug Breschnew als Lösung vor, Versammlungen einzuberufen, auf denen darüber beraten werden sollte. Offenherzig vertraute er den Delegierten an: „Ich glaube nicht, dass ich selbst keine Fehler mache, und wenn ich Fehler mache, dann gehe ich zur Organisation und sage, dass ich einen Fehler begangen habe. Wenn wir keinen Fehler machten, dann wären wir Engel.“151 In diesem Sinne scheint Breschnew ein „Gesinnungstäter“ gewesen zu sein, der glaubte, wenn sich ein Mensch nur ausreichend anstrenge, werde er, ganz gleich unter welchen Bedingungen, Erfolge erzielen. Auf den Büro-Sitzungen kritisierte er weiterhin die Gebietsleiter, die seiner Meinung nach – gerade angesichts der Dürre – nicht genügend unternommen hatten. Dort warf er nur zwei Tage nach dem Plenum, am 8. August 1955, der Gebietsleitung von Aktjubinsk vor: „Ich muss Ihnen (…) sagen, dass, wenn Sie mir und den Mitgliedern des Büros gesagt hätten, dass die Erde sehr trocken ist, dass die Pflugscharen aus der Furche springen, zerbrechen, dann hätten wir verstanden, dass die Leiter ihre Sache verstehen. Aber ein Großteil der Sowchosen pflügt das Neuland gar nicht.“152 Breschnew bestand darauf, dass das Neuland wissenschaftlich ausgewiesen sei und Ertrag bringen müsse: Als wir die Frage nach der Bestellung des Neulands gestellt haben, haben wir Akademie-Mitglieder geschickt, haben Studien durchgeführt, haben wissenschaftliche Streit-

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gespräche geführt. Am Ende sollen wir jetzt auf Grundlage eines Antrags entscheiden, dass der Wind geweht hat, alles mit Sand bedeckt ist und wir 120.000 Hektar abschreiben, das geht nicht. Wir müssen uns darauf einigen, dass der Plan Plan bleibt.153

Aber sosehr Breschnew den Gebiets-, Kreis- und Kolchosleitern ins Gewissen redete, sie in die Pflicht nahm und Hilfen versprach – die Ernte von 1955 war weitgehend verloren, weil die Saat vom Wind verweht wurde oder im trockenen Boden nicht anging.154 Am Ende blieb nur, in anderen Republiken Gemüse und Obst zu kaufen und aus Moskau erneut Saatgut anzufordern.155 Netzwerke

Ponomarenko und Breschnew bildeten ein funktionierendes Team. Dass Ponomarenko am 8. Mai 1955 abgelöst wurde, hatte weder etwas mit seiner Arbeit in Kasachstan noch mit der prekären Lage im Jahr der Dürre zu tun, sondern war offenbar ganz alten Animositäten zwischen ihm und Chruschtschow sowie der Entmachtung Malenkows im Februar 1955 geschuldet.156 Die Netzwerke, die Breschnew in Kasachstan aufbaute oder auch weiter pflegte, waren nicht so ausgeprägt wie in der Ukraine oder in Moldawien. Kaum jemand von den Personen, die er dort um sich geschart hatte, folgte ihm nach Kasachstan. Eine Ausnahme stellte sein enger Gefolgsmann Golikow dar, der in Moldawien für ihn gearbeitet hatte und auch in Alma-Ata als persönlicher Sekretär sein Büro leitete.157 Es war für Breschnew in Kasachstan weniger wichtig, ein mächtiges Netzwerk zur Absicherung seiner eigenen Position aufzubauen, da er durch Chruschtschow Protektion von höchster Stelle erfuhr. Die beiden standen nicht nur in ständigem Kontakt per Post und Telefon; Chruschtschow reiste auch häufig nach Kasachstan – wie es zur Hochzeit der Neulandkampagne viele Minister und Parteifunktionäre taten –, um sich ein Bild vom Neuland zu machen und um Breschnew zu treffen und zu stützen. Gleich im Mai 1954 hatte er mit Breschnew und Ponomarenko eine erste Fahrt durch die Gebiete Kustanaisk, Akmolinsk und Karaganda unternommen.158 Breschnew seinerseits berief sich in seinen Reden vor den Parteiversammlungen immer wieder auf Chruschtschow, berichtete von seinen Zusammentreffen mit ihm und referierte dessen Ratschläge in Sachen Landwirtschaft.159 Im Kreise seiner Minister und Berater soll er gern zum Telefon gegriffen haben, um Chruschtschow im Plauderton über die Lage der Dinge zu informieren und sich demonstrativ mit ihm zu beraten.160

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Während Breschnew also in Moskau Protektion hatte, brauchte er vor Ort Leute, die sich der Neulandkampagne genauso verschrieben wie er. In seinen Memoiren heißt es, dass er eine „operative Arbeitsgruppe“ oder einen inoffiziellen „Neulandstab“ um sich scharte. Dazu gehörten der ZK-Sekretär für Landwirtschaft Fasil Karibschanow, der Leiter der ZK-Abteilung für Landwirtschaft Andrei Morosow, der Leiter der ZK-Abteilung für Sowchosen Wassili Liwentzow, Landwirtschaftsminister Grigori Melnik und Sowchosenminister Michail Wlassenko.161 Allerdings trennte sich Breschnew später von einigen dieser Männer, als er meinte, sie seien ihren Aufgaben nicht gewachsen. Der von ihm im Mai 1955 schwer kritisierte Wlassenko musste einen Monat später gehen. Breschnew setzte gegen den Widerstand seines Beraterstabs als Nachfolger Michail Roginetz durch, der formal für einen Ministerposten nicht qualifiziert war, dafür aber mehrere Jahre erfolgreich das Gebiet Tschernigow in der Ukraine geleitet hatte und damit ein Landsmann Breschnews war.162 Diesem Wechsel war ein Revirement der Regierungsspitze und im ZK-Büro Kasachstans vorausgegangen. Ebenfalls als Männer Malenkows mussten am 4. April 1955 Jelubai Taibekow den Vorsitz des Ministerrats und Nurtas Undassynow das Amt des Vorsitzenden des Obersten Sowjets abgeben.163 Auch diese Personalveränderung war durch Moskau abgesegnet. Kunajew, der damals Präsident der Akademie der Wissenschaften Kasachstans war, berichtet, wie er sich im März 1955 in Moskau auf seine Rede vor dem Obersten Sowjet vorbereitete, als er zu Ponomarenko und Breschnew gerufen wurde. Zu seiner vollkommenen Überraschung eröffneten sie ihm, sie würden ihn jetzt gleich Chruschtschow als neuen Ministerratsvorsitzenden Kasachstans vorstellen.164 Er wurde einer der engsten Mitstreiter und besten Freunde Breschnews,165 mit dem er viel Zeit auf dem Neuland verbrachte. Gemeinsam unternahmen sie „Hunderte von Reisen“ in den Norden Kasachstans, absolvierten „Hunderte von Treffen“ mit den Menschen vor Ort, erlebten „turbulente Beratungen“ in den Gebiets- und Regionalzentren oder direkt auf den Feldern und hatten zig Auftritte in den Kreiskomitees.166 Als Chruschtschow Kunajew 1962 absetzte, verabredeten Breschnew und Kunajew frühzeitig den Sturz Chruschtschows. Nach dessen Vollzug 1964 setzte Breschnew Kunajew erneut als Ersten Sekretär Kasachstans ein.167 1955 wurde Schumabek Taschenew neuer Vorsitzender des Obersten Sowjets Kasachstans; Breschnew hatte ihn als Gebietssekretär von Aktjubinsk kennen und schätzen gelernt.168 Kunajew und Taschenew nahmen nur wenige Tage später auch die Plätze von Taibekow und Undassynov im ZK-Büro ein.169 Wie immer

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wurden diese Führungswechsel zunächst in Moskau besprochen, dann im ZKBüro beschlossen und erst zum Schluss, in diesem Fall am 18. April 1955, vom formal dazu berechtigten Plenum legitimiert.170 Obwohl Ponomarenko bereits am 7. Mai 1955 abberufen worden war, berief Breschnew das nächste Plenum erst am 2. August ein, nachdem im Juli das ZK-Plenum in Moskau getagt und weitere Richtlinien festgelegt hatte. Das kasachische ZK wählte ihn zum Ersten Sekretär Kasachstans und auf Empfehlung Moskaus den Sibirjaken Iwan Dmitrijewitsch Jakowlew zum Zweiten Sekretär.171 Es ist bezeichnend, dass Breschnew sich mit Roginetz und Jakowlew für zwei Männer entschied, die beide wie er viele Jahre Erfahrung in der kleinteiligen Arbeit der Gebietsleitung gesammelt hatten und es gewohnt waren, statt im Büro zu sitzen, mit den Leuten vor Ort zu sprechen. Kasachstan war insofern eine „sichere“ Zeit für Breschnew, als er nicht um Protektion kämpfen, nicht um seinen Patron fürchten und vor Ort keine starken Clanrivalitäten ausbalancieren musste. Er konnte entspannt beobachten, wie Ponomarenko demontiert wurde. Wir wissen nicht, was Breschnew über dessen Abberufung dachte. Sie hatten einen unterschiedlichen Führungsstil, aber der Einzige, der Verstimmungen zwischen den beiden erwähnt, ist Liwentzow, sieht man von Murphy ab, der die beiden zu „Feinden“ erklärte.172 Ganz gleich, ob Breschnew Ponomarenkos Weggang begrüßte, bedauerte oder gleichgültig hinnahm, diese Intrige war für ihn ein weiteres Lehrbeispiel zum Thema PatronKlienten-Beziehungen: Es war vollkommen irrelevant, wie gut man arbeitete, wenn der eigene Patron stürzte, fiel man mit ihm. Das „Jahr der Industrie“ und neue Zeiten

Breschnew war jetzt wieder Republikschef, hatte ein gestärktes Team unter sich, einen siegreichen Patron über sich und die Ernte des Jahres 1955 ohne Rüge aus Moskau abschreiben können. Da Malenkow unter dem Vorwand abgesetzt worden war, er habe die Schwerindustrie vernachlässigen wollen, wurde auf dem Juli-Plenum des ZK in Moskau das Jahr 1955 nachträglich zum „Jahr der Industrie“ ausgerufen. Auch Breschnew verkündete sogleich auf dem August-Plenum in Kasachstan: Eine neue industrielle Revolution stehe bevor.173 Dennoch war die Industrie nicht Kasachstans vordringlichstes Problem. Das blieben nach wie vor die Landwirtschaft, die Unterbringung der vielen Neuankömmlinge, die Organisation der Arbeit auf dem Neuland und der Aufbau von Infrastruktur. An

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Großprojekten gab es nur den 1953 begonnenen Bau eines Wasserkraftwerks am Zusammenfluss von Irtysch und Buchtarma. Obgleich kein Mangel an Ressourcen mehr bestand, da Moskau diese in Hülle und Fülle zur Verfügung stellte, schritt der Bau nur langsam voran, so dass der Industrie ein Blackout drohte.174 Als das ZK-Büro im August 1955 zusammentrat, um über die Forderungen an Moskau für den kommenden Fünfjahrplan (1956–1960) zu beraten, rief Breschnew dazu auf, in großem Stil zu investieren und dafür Mittel einzufordern: Für fünf Jahre den Bau von elf Kinos zu planen sei viel zu wenig; auch der Plan, fünf Kilometer neue Straßenbahntrasse zu verlegen, lasse „die Hühner lachen“.175 Erneut wies Breschnew darauf hin, dass man gegenüber Moskau nur bestimmt genug auftreten müsse, um alles Gewünschte zu erhalten: Was die Unionsministerien angeht, so haben wir hier einen Skandal. Sie haben keinen Plan; was die Minister geben, das wird auch genommen. Wir waren einfach nicht kriegerisch genug. Ich teile die Idee der Genossen, dass eine Gruppe unserer Mitarbeiter nach Moskau reist, die unsere Anträge zum Bau von kommunalen Betrieben, Straßenbahnlinien, Kinotheatern, Erholungsheimen, Schiffsanlegern usw. dort durchsetzt. Zurzeit wissen wir nicht, was uns die Buntmetallurgen, Kohleleute, Bauleute und Eisenbahner [gemeint sind die Ministerien] geben werden.176

Zur Industrialisierung gehörte auch die Schaffung von Wohnraum, eines kulturellen Angebots und überhaupt eines „neuen Kasachstans“. Schon 1954 waren Mittel aus Moskau für den Bau von 70 Wohnhäusern für leitende Funktionäre und weitere 24 für Dozenten der Parteischule angefordert worden.177 Wie in Kischinjow war es auch in Alma-Ata ein Problem, dass diejenigen, die eine Wohnung in der Hauptstadt hatten, diese nicht aufgaben, auch wenn sie in die Provinz versetzt wurden, so dass permanenter Wohnungsmangel herrschte.178 Nicht zuletzt die Kulturarbeit musste neu belebt werden: Breschnew wollte, dass die Menschen ins Kino gehen konnten, und er empörte sich, dass in manchen Gegenden vier Jahre lang kein Film vorgeführt worden sei.179 Als großer Verehrer von Film und Schauspiel stellte er den Leinwandgrößen Ljubow Orlowa, Marina Ladynina und Nikolai Krjutschkow sein Flugzeug zur Verfügung, damit sie in die Steppe fliegen und dort Vorstellungen geben konnten.180 Breschnew beschäftigte sich mit der Qualität der Tagespresse, ließ ein Redaktionsteam komplett austauschen und elf neue Zeitungen gründen. Er kümmerte sich um mehr journalistischen Nachwuchs und ließ ein kasachisches Satiremagazin mit

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dem Namen „Die Raspel“ auflegen.181 Die Kultur sollte, speziell nach der Stalinzeit, neue Impulse erhalten und im Leben der Menschen eine größere Rolle spielen. Das galt auch für die Kultur der nach Kasachstan Deportierten. Die wurden zwar nun rehabilitiert, durften aber trotzdem nicht in ihre Heimat zurückkehren. Er verfügte, dass die Kinder dieser „Sondersiedler“ studieren durften, und ließ die Politarbeit unter den 200.000 Tschetschenen verstärken und eine tschetschenischsprachige Zeitung gründen.182 Zu den neuen Zeiten gehörte auch, dass sich das Land öffnete und Kasachstan erstmals Staatsgäste empfing, die vom Experiment der Neulandkampagne angezogen wurden. Aus Großbritannien reiste eine dreiköpfige landwirtschaftliche Delegation an, die von 60 Fachleuten und Kolchosvorsitzenden empfangen werden sollte. Zunächst hatte man für diesen Empfang auf jegliches Zeremoniell verzichten wollen und Breschnew hatte unwirsch bestimmt: „Keine Flagge hissen, kein Orchester spielen lassen.“183 Dann aber wurde doch beschlossen, den Briten auf dem Flughafen von Pionieren Blumen überreichen zu lassen und sie abends ins Operntheater auszuführen.184 Eine ganz andere Aufmerksamkeit erhielten da Indiens Premier Nehru und Birmas Staatschef U Nu. Mit ihnen wollte sich Breschnew unbedingt zeigen. Doch er hatte Schwierigkeiten, in Kasachstan die für einen Staatsbesuch angemessene Limousine aufzutreiben. Schließlich ließ er aus Kirgisien einen offenen Wagen herbeischaffen, mit dem er, Kunajew und Nehru am 16. Juni 1955 durch die Straßen Alma-Atas fuhren, während das Volk ihnen zujubelte.185 Eine öffentliche Auseinandersetzung mit Stalins Terror begann erst zum Ende des Jahres 1955 und im Vorfeld des XX. Parteikongresses der KPdSU im Februar 1956. Im Oktober 1955 wurde der stellvertretende KGB-Vorsitzende Kasachstans, Baisulda Sakenow, abgelöst, weil er die Beschlüsse des ZK der KPdSU vom März 1954 über die Reform der „Organe“ nicht „verstanden“, seine Behörde nicht umgebaut und zudem noch 1950 Menschen durch gefälschte Belege ins Verderben gestürzt habe. Während der Zweite Sekretär Jakowlew beschwichtigend meinte, dass eventuell noch entlastendes Material gefunden werden könne, bestand Breschnew auf einem schnellen Parteiausschluss: Es wird keine Entlastung geben, alles ist eindeutig und solche Schießeisen, entschuldigen Sie bitte den groben Ausdruck, gab es viele, alle waren sie so. Streng gesprochen muss man ihn aus der Partei ausschließen. Mit einem solchen Dreck am Stecken fühlte er sich unwohl in seiner Haut und deshalb arbeitete er so [schlecht]. Wenn wir alle

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Fälle wieder öffnen, dann geschah nichts ohne ihn, hier unterschrieb er, da sanktionierte er, dort gab er eine Anweisung.186

In Vorbereitung auf den XX. Moskauer Parteikongress hielt Breschnew Ende Januar 1956 in Kasachstan den VIII. Kongress der kasachischen Partei ab. Nur eine Seite in seinem Rechenschaftsbericht widmete er der Frage der „sozialistischen Rechtstaatlichkeit“ und der „Verbrecherbande Berijas“, die durch falsche Anschuldigungen unschuldige Leute Repressionen unterworfen habe, wie die offizielle Sprachregelung für den Umgang mit dem stalinistischen Terror lautete.187 Mehr Raum nahmen die Losungen „lebendige Verbindung mit den Massen“ und „weniger Papierkrieg“ ein. Auf dem Kongress wurde lebhaft diskutiert und von vielen Gebietssekretären angeprangert, dass zwar weniger Papier gepredigt würde, sich aber das ZK und die Ministerien selbst nicht daran hielten. Pawel Delwin, der Erste Sekretär des Gebiets Aktjubinsk, beschwerte sich, sie müssten so viele Berichte nach Alma-Ata senden, dass diese dort offenbar verloren gingen und von dort dann ein zweites Mal angefragt würden. Der Einzige, der regelmäßig auch für mehrere Stunden zu ihnen komme, sei Breschnew. Alle anderen ZK-Sekretäre oder Minister ließen sich nur auf der Durchreise nach Moskau für wenige Minuten auf dem Flugplatz blicken.188 Genosse Seitschan Polimbetov, Sekretär des Gurjew-Gebietskomitees, stimmte zu: „Sehr selten sind die Abteilungsleiter des ZK Kasachstans bei uns in den Gebieten, wie es schon meine Vorredner gesagt haben. Ihre Verbindung zu den Gebietskomitees ist vollkommen unzureichend, obwohl das ZK der KPdSU und Nikita Sergejewitsch Chrusch­ tschow persönlich eine Stärkung der Verbindung der höheren Organe mit den lokalen Organisationen gefordert haben.“189 Breschnew und das ZK reagierten sofort: Am 1. Februar 1956 beschloss das ZK-Büro, den Apparat zu verschlanken. 19 Prozent der Beschäftigten – 193 inklusive der Gebietskomitees, davon 46 im ZK – seien abzubauen, um überflüssigen Schriftverkehr zu vermeiden.190 Doch Breschnew führte den Kampf gegen die „Sitzungsgeschäftigkeit, den Papierkrieg und das Kanzlistentum“ nicht in Kasachstan weiter:191 Als Delegierter Kasachstans reiste er zum XX. Parteikongress nach Moskau, wo er als Kandidat ins Parteipräsidium des ZK der KPdSU und auf dem anschließenden P ­ lenum 192 erneut zum ZK-Sekretär gewählt wurde. Von seinen Genossen verabschiedete er sich in einem Zimmer des Hotels „Moskau“ am Roten Platz.193

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Abschied von Kasachstan

Alexander Gawriljuk behauptet, Breschnew sei die Arbeit in Kasachstan sehr schwergefallen. Er habe deshalb den mit ihm befreundeten Unions-Landwirtschaftsminister Wladimir Matzkewitsch gebeten (als sie zusammen am 19. Dezember 1955 in den Bergen bei Alma-Ata Breschnews Geburtstag feierten), er möge Chruschtschow einflüstern, ihn abzulösen.194 Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage ist schwer zu prüfen. Objektiv betrachtet hatte Breschnew in Kasachstan eine leichtere Zeit als in Moldawien und der Ukraine unter Stalins Herrschaft. Allerdings befand er sich weit weg von seiner Heimat Ukraine und dem Machtzentrum Moskau, dem einzigen Ort einer langfristigen Karriere. Alma-Ata selbst war zwar eine schöne Stadt mit angenehmem Klima, aber die Steppengebiete, in die ihn seine zahlreichen Reisen führten, waren sehr unwirtlich und rau. Auch ohne Stalin war der Druck groß, die Neulandkampagne zum Erfolg zu führen, damit Chruschtschow triumphieren konnte. Zudem entsprach es Breschnews eigenem Anspruch, vor Ort zu sein, selbst nach dem Rechten zu sehen und mit den Menschen zu sprechen. Seine Rastlosigkeit führte dazu, dass er zwei Mal zusammenbrach: In Semipalatinsk hatte er einen Herzanfall, nachdem er drei Nächte lang nicht geschlafen hatte; in Tzelinograd, dem heutigen Astana, verlor er das Bewusstsein und kam erst auf einer Trage wieder zu sich.195 Wenn Breschnew ins Büro kam, dann sehr früh, und stets blieb er bis ein oder zwei Uhr nachts. Dies berichtete Liwentzow, der versuchte, sich diesem Arbeitsstil anzupassen, und sich bald vor Müdigkeit und Schwäche kaum noch auf den Beinen halten konnte. Breschnew habe aber tagsüber immer ein wenig Zeit zum Ausruhen „abgezweigt“.196 Auch Ponomarenko erzählte, Breschnew sei für eine Jagd- oder Angelpartie oder auch einen Ausflug „zu den Weibern“ immer zu haben gewesen.197 Damit wären wir wieder beim Thema „Breschnew und die Frauen“, zu dem diesmal aber immerhin zwei Zeugenaussagen angeführt werden können. Außer Ponomarenko erinnerte sich auch die Sängerin Rosa Taschibajewna Baglanowa an Einschlägiges. So habe Breschnew beim Staatsbesuch von U Nu, für den sie eine Vorstellung gab, die Augen nicht von ihr abwenden können, und auch später in Moskau habe er ihr bei Versammlungen unverhohlen zugezwinkert: „Er hat sich immer zurückgehalten, aber es war zu spüren, dass ihm auf der Seele Worte brannten, die er mir niemals sagen konnte.“198 Bezeichnend in dieser Hinsicht, wenn auch eher von anekdotischem Wert, ist, dass sich Breschnew dafür

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aussprach, bei der Sportparade 1954 die Mädchen statt in Turnhosen in „Röckchen“ antreten zu lassen: „Das sähe schöner aus.“199 Breschnew blieb also seiner Schwärmerei für Frauen treu und fiel auch in Kasachstan dadurch auf, dass er stets tadellos gekleidet war.200 Aus Kasachstan nahm Breschnew wohl zwei Lehren mit, auch wenn dies erneut Spekulation ist: zum einen den Eindruck, dass es nach Stalin alles an Ressourcen gab, was man brauchte, und es mehr denn je an den Menschen und ihrer Organisation durch die Partei lag, wenn Pläne nicht erfüllt, Häuser nicht gebaut und Felder nicht bestellt wurden. Anders ausgedrückt, die eigentlich stalinistische Losung „Die Kader entscheiden alles“ verselbständigte sich und wurde zur unhinterfragten Wahrheit. Es war Teil von Breschnews Weltanschauung, dass nicht Wirtschaftssysteme, Umweltbedingungen oder andere äußere Einflüsse entscheidende Faktoren waren, sondern der Mensch allein für Erfolg und Misserfolg seiner Arbeit verantwortlich zeichnete. Zum anderen gewann Breschnew die Zuversicht, mit Chruschtschow den richtigen Patron gefunden zu haben, während ihn das Beispiel Ponomarenkos warnte, dass einem auch die größten Erfolge nichts nutzten, wenn man seine Protektion verloren hatte.

An Chruschtschows Seite Breschnew hielt auf dem XX. Parteikongress am zweiten Sitzungstag, dem 15. Februar 1956, eine Rede, wie sie von ihm als Republikschef erwartet wurde und wie sie auch alle anderen Regionalsekretäre vortrugen. Er lobte darin die Politik der Partei auf Unionsebene und zählte die Erfolge seiner Partei bei der Entwicklung von Industrie und Landwirtschaft in Kasachstan auf, ohne sich in Einzelheiten zu vertiefen.201 Der Kongress zog sich über zwölf Tage und 20 Sitzungen, auf denen sämtliche Republikschefs und die Sekretäre bedeutender Regionen in festgelegter Reihenfolge ihre vorbereiteten Statements zu den Rechenschaftsberichten des ZK und der Revisionskommission vortrugen. Zwar war die Wiederherstellung der „sozialistischen Rechtsstaatlichkeit“ von Chruschtschow thematisiert worden und jeder Redner sagte pflichtgemäß seine Sätze zu diesem Thema auf, aber es deutete nichts auf eine besondere Entwicklung oder weitere Enthüllungen hin. Doch am 24. Februar, auf der eigentlich letzten Sitzung, wurde kurz vor dem Ende eine weitere, geschlossene Sitzung angekündigt.202 Roy Medwedew behauptet sogar, der Kongress sei offiziell schon geschlossen gewe-

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sen – was dem offiziellen Protokoll widerspricht –, als die Delegierten am Abend des 24. Februar überraschend zu einer weiteren Sitzung zusammengerufen worden seien. Vier Stunden lang, bis spät in die Nacht, habe Chruschtschow seinen Vortrag „Über den Personenkult und seine Folgen“ verlesen: Die erschütterten Delegierten hörten den Vortrag schweigend an; hin und wieder wurde Chruschtschow durch Ausrufe der Verwunderung und der Empörung unterbrochen. Chruschtschow sprach über die ungesetzlichen Massenrepressalien, durch Stalin sanktioniert, über die grausamen Foltern, denen viele der Verhafteten, Politbüro-Mitglieder eingeschlossen, unterworfen wurden, über ihre letzten Briefe und Eingaben. (…) Insbesondere Stalin gab der Redner die Schuld an den schweren Niederlagen der Roten Armee in der ersten Periode des Krieges; er machte Stalin für die Besetzung riesiger Gebiete unseres Landes durch die feindlichen Truppen verantwortlich. Nach dem Zeugnis Chruschtschows war Stalin auch der Initiator der Massenrepressalien der Nachkriegszeit. (…) Chruschtschow machte Stalin für die tiefe Krise in der sowjetischen Landwirtschaft und für viele grobe Fehlkalkulationen in der sowjetischen Außenpolitik haftbar.203

Dieser Bericht Chruschtschows, der seit Herbst 1955 von der Pospelow-Kommission vorbereitet und in seiner vorgetragenen Fassung vom gesamten Parteipräsidium sanktioniert worden war, wurde als „Geheimrede“ berühmt – geheim, weil eine Diskussion und Fragen nicht zugelassen wurden und der Text zwar in der gesamten Union auf Parteiversammlungen verlesen, aber auch hier nicht kommentiert werden durfte.204 Wir wissen nicht, wie Breschnew auf diese Rede reagierte. Wie für die meisten der 1400 Kongressteilnehmer dürfte nichts von dem Vortrag für ihn wirklich neu gewesen sein. Er selbst hatte den Terror von 1937/38 und die schweren Kriegsjahre sowie alle anderen Folgen des hier angeprangerten „Personenkults“ durchlebt. Dennoch zeigten sich viele der Delegierten vom Ausmaß des Schreckens schockiert, und das, obwohl die Verbrechen der Entkulakisierung und der Massenterror der Jahre 1937/38 weiter ein Tabu blieben. Es bleibt erneut Spekulation, ob diese Rede Breschnews Einstellung zu seinem Förderer Chrusch­ tschow beeinflusste, ob sie ihn darin bestätigte, nicht nur pragmatisch, sondern auch ideell auf den richtigen Patron gesetzt zu haben, ob er enttäuscht war, dass die Gräuel der Kollektivierungskampagne weiter verschwiegen wurden, oder ob er gar der Meinung war, die Enthüllungen gingen zu weit. Aufgrund dessen, was

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wir von Breschnew wissen, ist es allerdings unwahrscheinlich, dass er innerlich Chruschtschow widersprach und Stalin rechtfertigte. Vermutlich hätte er gern mehr Worte zum Leiden des einfachen Volkes gehört. Im Juni 1956 beschäftigte sich das Parteipräsidium auf vier Sitzungen mit dem schweren Erbe Stalins. Breschnew notierte in sein Notizbuch all die Vorwürfe, die Chruschtschow hier gegen Stalin vorbrachte, ohne sie zu kommentieren.205 Die „Geheimrede“ stand am Anfang der Moskauer Zusammenarbeit von Chruschtschow und Breschnew. Nach der Verhaftung Berijas, der Neulandkampagne und der Verdrängung Malenkows war diese Rede für Breschnew ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass Chruschtschow für seinen Machterhalt und seine Reformen kämpfen würde und dass das eine nicht vom anderen zu trennen war. Doch so wenig wir über Breschnews Reaktion auf die „Geheimrede“ wissen, so wenig ist über seine Tätigkeit unter Chruschtschow von 1956 bis 1964 bekannt. Das ohnehin bestehende Quellenproblem verschärft sich für diese Epoche aufgrund mehrerer Umstände: Während für die Zeit vor 1956 Regional- oder Republik-Archive offenstehen, liegen die Akten zu dieser Phase im Staatsarchiv für Zeitgeschichte (RGANI), das die Bestände zu der von Breschnew verantworteten ZK-Abteilung für Rüstungs- und Raumfahrtindustrie weiter unter Verschluss hält. Da Breschnew nach 1964 möglichst alles, was ihn mit Chruschtschow verband, auslöschen wollte, gibt es zu den acht vorangegangen Jahren auch keine offiziellen „Memoiren“, sieht man einmal von dem kurzen Fragment zum „Kosmischen Oktober“ ab. Und weil Breschnew in dieser Zeit ein Sekretär von vielen war und nicht die Nummer eins wie in Saporoschje, Dnepropetrowsk, Kischinjow oder Alma-Ata, existiert auch kaum Memoirenliteratur über ihn. Etwas Licht ins Dunkel bringen seine Notizbücher, die aber mehr Stichwörter denn Zusammenhänge liefern. Das Jahr 1956

Einen ungefähren Eindruck von der politischen Atmosphäre, von den Machtkämpfen im Parteipräsidium und von Äußerungen Breschnews erhält man nur aus den veröffentlichten „Schmierzetteln“ des Präsidiums, die ebenfalls eher Stichworte denn Stenogramme darstellen. Sowohl diese „Kladden“ als auch die Stenogramme der ZK-Plenarsitzungen offenbaren, dass Breschnew sich zwischen 1956 und 1964 kaum zu Wort meldete. Ganz offenbar war er kein großer Redner und überließ lieber anderen die Diskussion, während er zuhörte. Im

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Präsidium ergriff er immerhin ab und an das Wort, doch in den Unterlagen der ZK-Plenen ist so gut wie kein Redebeitrag von ihm zu finden. Dieses Verhalten scheint typisch für Breschnews Einstellung zu Reden, denn als er 1964 Generalsekretär wurde und fortan viele Hauptreferate halten musste, war er nicht der alleinige Verfasser, sondern etablierte ein kollektives Redenschreiben. Darüber hinaus wurde das Zuhören-Können als eine seiner Hauptqualitäten geschätzt. Breschnew, das zeigte sich in diesen Jahren, war niemand, der sich in den Vordergrund spielte oder seine Meinung durchsetzen wollte, sondern einer, der zuhörte und abwartete. Breschnew war also der zurückhaltendste der acht ZK-Sekretäre, die die Politik Chruschtschows und die Präsidiumssitzungen vorbereiteten, durchführten und mittrugen.206 Gerade das Jahr 1956 war im Präsidium von starken Spannungen und – oft nur zwischen den Zeilen geführten – Kontroversen über die richtige Politiklinie bestimmt. Weitgehend unstrittig waren der Ausbau von Wirtschaft und Infrastruktur, der Beschluss, den Bau des Palasts der Sowjets endgültig einzustellen und den Leninorden wieder einzuführen.207 Breschnew wirkte an der Reform der Produktionsnormen in der Industrie, am Produktionsund Testplan für neue Flugzeuge des Konstrukteurs Tupolew und an den Kontrollziffern der Investitionen für das Jahr 1957 mit.208 Er beschäftigte sich dabei mit Themen, die er später zu den Hauptanliegen seiner eigenen Politik machen sollte: Steigerung der Produktivität im Sinne eines intensiven Wachstums, das weniger Rohstoffe und Arbeitskräfte verschlang, und materielle Anreize für die Beschäftigten u.a. in Form von höheren Löhnen.209 Zudem wurde er als Mitglied von Überprüfungskommissionen von Chruschtschow in die verschiedenen Republiken und Regionen geschickt, um von dort über die Schwierigkeiten beim Aufbau neuer Industriegiganten oder bei der Konstruktion des Flugzeugs Il-14 zu berichten.210 Obwohl nun in Moskau ansässig, erlebte Breschnew weiterhin, wie es vielerorts im Lande bestellt war. Die einst aus der Steppe gestampften Werke bekamen Probleme mit Rohstoffnachschub und auf neuen Baustellen fehlte es an allem: an Baumaterial, an Wohnraum für die Arbeiter, an Lebensmitteln, Wasser, Strom und medizinischer Versorgung.211 Währenddessen stritt das Parteipräsidium über politische Fragen, deren Beantwortung zur Richtungsentscheidung für die poststalinistische Epoche wurde. Breschnew war daran beteiligt, die Beschlussvorlage zur Reform des Strafrechts vorzubereiten. Während der Vositzende des Präsidiums des Obersten Sowjets, Kliment Woroschilow, das Dokument verteidigte und Außenminister Molotow zurückru-

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derte, die politische Bedeutung dieser Reform sei ihnen nicht klar gewesen, waren sich Chruschtschow, der Ministerratsvorsitzende Nikolai Bulganin und Präsidiumsmitglied Lasar Kaganowitsch einig, dass diese Reform zu einer Zunahme von Repressionen führen würde. Das Dekret wurde als „politisch falsch und schädlich“ abgelehnt.212 Die Strafrechtsreform wurde erst 1960 nach breiter Debatte unter Juristen und in der sowjetischen Öffentlichkeit verabschiedet.213 Welche Rolle Breschnew in diesem Disput spielte, wissen wir nicht. Doch wenn sich Breschnew zu Wort meldete, dann schloss er sich immer Chruschtschow an, lobte dessen Beitrag und sprach sich für eine Lösung in dessen Sinne aus. So schaltete er sich am 28. Mai 1956 in den Streit um die Besetzung des Außenamts ein. Chruschtschow wollte den altgedienten Außenminister Molotow, der zwar zuletzt bei Stalin in Ungnade gefallen war, aber dennoch mit dessen Herrschaft assoziiert wurde, absetzen; als Nachfolger wurden neben Außenhandelsminister Mikojan auch die ZKSekretäre Michail Suslow und Dmitri Schepilow gehandelt. Breschnew argumentierte: Man könne nicht wissen, ob Molotow seine Fehler nicht wiederhole, es sei sinnvoll, jetzt einen neuen Außenminister zu ernennen. Er sprach sich für Mikojan aus – ernannt wurde allerdings Schepilow.214 Allein dass drei Kandidaten diskutiert wurden, zeigt, wie wenig Chruschtschows Position gefestigt und wie offen der Ausgang dieser Personalie war. Zwar ist immer behauptet worden, mit Schepilow habe Chruschtschow seinen Mitstreiter installiert.215 Aber es ist undenkbar, dass Breschnew einen anderen Kandidaten als den Chruschtschows anpries. Mikojan gehörte zwar zur alten Garde, war aber 1964 der Einzige, der bis zuletzt Chruschtschow unterstützte. Von daher scheint es eher plausibel, dass Chruschtschow diesen Kampf um den Posten des Außenministers, trotz Breschnews Unterstützung, verlor. Darauf deutet auch hin, dass er Schepilow schon im Februar 1957 ersetzte, nämlich eine Woche, nachdem er Malenkow hatte entmachten können. Das Präsidium stritt im Jahre 1956 nicht nur über Personalfragen und die Linie nach dem XX. Parteikongress, es musste sich auch bald mit den Folgen der „Geheimrede“ in den „Bruderländern“ auseinandersetzen. Als es in Posen am 28. Juni 1956 zu einem Arbeiterstreik kam, bewilligte das Moskauer Präsidium nur wenige Tage später Wirtschaftshilfen in großem Umfang. Dies war eine neue Strategie, mit der Moskau versuchte, die Bevölkerung in anderen sozialistischen Ländern durch umfassende Rohstoff- und Lebensmittellieferungen zu befrieden: „Wenn sie Gold haben wollen – dann auch Gold geben.“216 Breschnew erlebte also die Auswirkungen der neuen Freiheiten „in erster Reihe“ und war bei den teils hitzigen bis panischen Diskussionen darüber zugegen, wie vermieden wer-

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den könne, dass die Enthüllungen über Stalins Verbrechen das sozialistische System zum Einsturz brächten. So war er auch auf der Präsidiumssitzung am 20. Oktober 1956 anwesend, als Chruschtschow, Mikojan, Molotow, Kaganowitsch, General Konew und Schukow von ihrer eintägigen Reise nach Warschau berichteten, wo sie versucht hatten, die Absetzung des dortigen Parteivorsitzenden Konstantin Rokossowski zu verhindern. Nach dem Versprechen des Nachfolgers Władysław Gomułka, nicht aus dem Warschauer Pakt auszutreten, war die in Polen unerwünschte Moskauer Eingreiftruppe wieder abgereist. Obwohl Chruschtschow zugesagt hatte, die bereits gen Warschau in Marsch gesetzten Truppen zurückzubeordern, lautet das Protokoll zu der Sitzung nur lapidar: „Es gibt nur einen Ausweg – dem, was in Polen passiert, ein Ende bereiten.“217 Doch die Panzer kehrten tatsächlich auf ihre Stützpunkte zurück; die polnische Partei hatte für Chruschtschow hinreichend deutlich erkennen lassen, dass sie den Sozialismus und das Bündnis mit Moskau nicht in Frage stellte. Anders verlief die Auseinandersetzung mit den ungarischen Genossen über ihren Reformweg. Auf der gleichen Sitzung am 20. Oktober hatte das Präsidium noch erwogen, Mikojan als Beobachter zu schicken.218 Nur drei Tage später war der Studentenprotest in Budapest in einen bewaffneten Aufstand umgeschlagen. Das Präsidium sprach sich einstimmig für den Einmarsch von Truppen und die Entsendung Mikojans und Suslows aus; Breschnew meldete sich nicht zu Wort.219 Sowjetische Truppen rückten am 24. Oktober mit rund 30.000 Soldaten und 1100 Panzern in Budapest ein. Dies ließ die Situation vollends eskalieren, da sich die Aufständischen zur Wehr setzten. Breschnew lernte derart die gesamte Palette an Instrumenten kennen, die der Parteiführung zur Verfügung stand: von Wirtschaftshilfen bis zum militärischen Eingreifen. Dazu gehörte auch die Rücksprache mit den Parteiführern der anderen Bruderstaaten, um sich deren Unterstützung zu versichern. Bei der Unterrichtung Walter Ulbrichts für die DDR, Antonín Novotnýs für die ČSSR und Todor Schiwkows für Bulgarien war auch Breschnew zugegen.220 Angesichts der Gefahr, der Konflikt in Ungarn könne sich zu einem Bürgerkrieg ausweiten, beriet das Präsidium am 28. und 30. Oktober intensiv die Handlungsoptionen und trug einer Gruppe, zu der auch Breschnew gehörte, auf, die entsprechenden Dokumente und Erklärungen vorzubereiten.221 Breschnew war auch zugegen, als sich am 1. November das Präsidium zu einer Verhandlungslösung mit dem Reformer Imre Nagy durchrang.222 Gemeinsam mit Suslow sollte er eine Liste der ungarischen Kader zusammenstellen, auf die sich Moskau noch verlassen

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könne, und ausarbeiten, welche Schritte in dieser Hinsicht zu ergreifen seien.223 Auf der Sitzung am 2. November, zu der auch die Ungarn János Kádár, Ferenc Münnich und István Bata nach Moskau gekommen waren, dokumentierte Breschnew große Teile von deren Berichten über die Lage in Ungarn in seinem Notizbuch.224 Am 3. November entschied das Präsidium, Mikojan und Breschnew nach Budapest zu entsenden, um dort weitere Verhandlungen zu führen.225 Doch nachdem Nagy den Austritt aus dem Warschauer Pakt erklärt und die Partei der ungarischen Werktätigen sich aufgelöst hatte und da Chruschtschow glaubte, Nagy spiele Frankreich und Großbritannien in die Hände, die soeben den Suezkanal besetzt hatten, rief das Präsidium noch am 4. November Breschnew und Mikojan zurück. Moskau begann eine Militäroperation, die innerhalb weniger Tage jeden Widerstand niederschlug.226 20.000 Ungarn und 1500 sowjetische Soldaten starben. Breschnew gab am 6. November zu Protokoll, dass er die Erklärung an die neue provisorische ungarische Regierung für angemessen halte. Das Präsidium beauftragte ihn, diese Erklärung sowie Wünsche Moskaus zusammen mit Suslow und Mikojan zu überbringen.227 Laut seinem späteren Mitarbeiter Alexander Bowin war Breschnew Autor der Ansprache, die der neue Ministerpräsident Ungarns, János Kádár, an sein Volk richtete.228 Breschnew durchlebte damit 1956 ein sehr turbulentes Jahr: vom Aufbruch und dem Befreiungsschlag des XX. Parteikongresses bis zur blutigen Niederschlagung der Reformbewegung in Ungarn. Wie für Chruschtschow schien auch für ihn außer Frage zu stehen, dass Reform, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Bruderparteien dort endeten, wo der Warschauer Pakt als Bündnissystem und der strategische Einfluss der Sowjetunion bedroht wurden. Da es kaum Wortmeldungen von ihm gibt, bleibt unklar, in welchen Schritten Breschnew zu dieser Einstellung gelangte, ob sie ihm selbstverständlich erschien oder sich als schwerer, skrupulöser Lernprozess vollzog. Dessen ungeachtet war das, was er 1956 erlebte, dem nicht unähnlich, was er 1968 beim Prager Frühling als Parteivorsitzender durchzustehen hatte. Man könnte vermuten, dass er von und mit Chruschtschow lernte, dass ein Einmarsch zwar nur die Ultima Ratio sein konnte, dass man als Parteichef aber nicht vor dieser zurückschrecken durfte. Entscheidungsschlacht Juni 1957

Nach den Turbulenzen des Jahres 1956 versprach 1957 ein ruhiges Jahr zu werden. Das Präsidium beschäftigte sich u.a. mit Wirtschaftsreformen und dem

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großangelegten Wohnungsbauprogramm. Zusammen mit den ZK-Sekretären Jelena Furtzewa und Awerki Aristow half Breschnew Chruschtschow bei der Abschaffung zentraler Industrieministerien zugunsten von regionalen Volkswirtschaftsräten, einer tiefgreifenden Strukturreform, die er selbst später rückgängig machen sollte.229 1957 jedoch bestach die Idee, die Wirtschaft nicht zentral aus Moskau zu steuern, sondern den Fabrikdirektoren mehr Freiheit bei ihren Entscheidungen zu lassen.230 Es war diese Entmachtung vieler Minister zusammen mit Chruschtschows gesamtem Politikstil und die Aussicht auf weitere Enthüllungen über die Mittäter Stalins, die die altgedienten Präsidiumsmitglieder und ehemaligen Mitstreiter Stalins veranlassten, sich seit dem 20. Mai 1957 insgeheim über eine Absetzung Chruschtschows zu verständigen. Zu den Verschwörern gehörten Stalins enger Weggefährte Kaganowitsch, die von Chruschtschow degradierten Malenkow und Molotow, der Premierminister Bulganin, sein Erster Stellvertreter Michail Perwuchin, der Präsident Woroschilow sowie der gerade vom Außenamt entbundene Schepilow.231 Ihr Plan war es, den Posten des Ersten Sekretärs ganz abzuschaffen und Chruschtschow zum Landwirtschaftsminister zu degradieren.232 Unter dem Vorwand, ihre Redebeiträge zum 250. Jubiläum der Stadt Leningrad abstimmen zu wollen, forderten sie Chruschtschow auf, am 18. Juni 1957 zu einer Präsidiumssitzung zu erscheinen.233 Doch noch vor der Sitzung gelang es Mikojan, die jungen Präsidiumsmitglieder Furtzewa und Breschnew zu warnen, dass Gefahr drohe und unbedingt alle Abwesenden herbeizurufen seien. Während das Präsidium um 15:00 Uhr eine Fragestunde mit ungarischen Journalisten absolvierte und Furtzewa Marschall Schukow von einem Manöver zurückrief, hängte sich, nach den Erinnerungen von Chruschtschows Sohn Sergei, Breschnew sofort ans Telefon, um Generalmajor Alexander Saburow, den sie irrtümlich für einen Chruschtschow-Unterstützer hielten, und Weitere herbeizurufen.234 In Breschnews Notizbüchern finden sich unter diesem Datum die Telefonnummer von Schukow sowie zwei andere Regierungsnummern, so dass es gut sein kann, dass er Schukow herbeitelefonierte.235 Kaganowitsch, der Breschnews Abwesenheit bemerkt hatte und barsch wissen wollte, wo er denn gewesen sei, log er an, er habe die Toilette aufgesucht, weil ihm schlecht geworden sei.236 Als die Sitzung schließlich am fortgeschrittenen Nachmittag begann, setzte Malenkow sofort mit scharfer Kritik an Chruschtschow ein. Anwesend waren außer Chruschtschow jene sieben Vollmitglieder, die eine Absetzung befürworteten, und drei nicht stimmberechtigte Kandidaten: Breschnew, Furtzewa und der inzwischen eingetroffene Schukow.

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Es gab kein offizielles Stenogramm,237 aber Breschnew schrieb die Anschuldigungen der Verschwörer mit. Sie warfen Chruschtschow vor, ein „exzentrischer“ Mensch zu sein und selbst einen wahren Kult um seine Person zu veranstalten.238 Obwohl die Aufrührer mit ihrer Stimmenmehrheit Chruschtschow sofort hätten entmachten können, ließ sich der Sitzungsleiter Bulganin dazu überreden, die Entscheidung auf den nächsten Tag zu verschieben.239 Breschnews Verhalten in dieser Krise ist bezeichnend: Einerseits gehörte er zusammen mit Furtzewa zu denjenigen, die sofort versuchten, die anderen Chruschtschow-treuen Präsidiumsmitglieder herbeizuholen.240 Andererseits hielten offenbar seine Nerven diese Anspannung nicht aus, denn nachdem er Kaganowitsch belogen hatte, soll ihm tatsächlich schlecht geworden und er zur Toilette gestürzt sein.241 Als Malenkow, Kaganowitsch, Molotow, Woroschilow und Bulganin ihre Anklagen und Forderung, Chruschtschow abzusetzen, in teils sehr aggressivem Ton vorgetragen und Schukov, Nikolai Schwernik und Mikojan ihn verteidigt hatten, kam die Reihe an Breschnew. Der versuchte, die Argumente der Verschwörer sachlich zu entkräften, und verwies auf die lange Reihe der Erfolge Chruschtschows in der Innen- und Außenpolitik.242 Dafür erntete er von Seiten der Aufrührer wütendes Geschrei. Allen voran drohte ihm Kaganowitsch: „Zusammen mit ihm diskreditierst du die Partei, wir schicken dich in die Wüste, hast du vergessen, wie du in der Politverwaltung des Militärs saßt? Jetzt geht’s dahin zurück!“243 Daraufhin soll Breschnew zusammengebrochen, bewusstlos aus dem Saal getragen worden und den weiteren Präsidiumssitzungen ferngeblieben sein. 244 Laut dem Präsidiumskandidaten Nuritdin Muchitdinow, der abends im Büro Chruschtschows mit Suslow, Schukow und Furtzewa beriet, wie die Lage zu retten sei, hegte Chruschtschow große Zweifel, ob Breschnews Zusammenbuch echt gewesen war: „Beunruhigend hat sich Breschnew aufgeführt. Ein feiger, prinzipienloser Mann! Kaum richtet Kaganowitsch ein paar scharfe Worte an seine Adresse, schon wendet er sich von uns ab und ist durchaus in der Lage, das Lager zu wechseln. Es wäre gut zu wissen, ob er wirklich krank ist. Ich bin mir sicher, dass er simuliert, außen vor bleiben und seine Haut retten möchte.“245 Doch während der turbulenten Präsidiumssitzung am nächsten Tag, als einfache ZK-Mitglieder die Sitzung stürmten und ein Plenum verlangten, erhielt Chruschtschow eine Nachricht von Breschnew, in der dieser sein tiefes Bedauern ausdrückte, dass er ausgerechnet in diesem Moment krank geworden sei, und versicherte, dass er Chruschtschow vorbehaltlos unterstütze. Dieser müsse

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Erster Sekretär bleiben, während die Verschwörer aus dem Präsidium ausgeschlossen und streng bestraft werden sollten.246 Damit war er zwar in Chruschtschows Augen vollkommen rehabilitiert. Gleichzeitig war bei Breschnew aber eine Nervenschwäche deutlich zutage getreten, die für seine Tätigkeit als Generalsekretär eine Hypothek werden sollte. Die Zusammenbrüche in Moldawien und Kasachstan hatte er erlitten, weil er Raubbau an seiner Gesundheit betrieben hatte; dies hingegen war offenbar ein Ausfall aufgrund von nervlicher Anspannung. Sieben Jahre später behauptete Breschnew, er habe damals einen Herzinfarkt erlitten.247 Doch auf dem vom 22. bis 29. Juni tagenden außerordentlichen ZK-Plenum, das mit 266 eiligst angereisten Mitgliedern schon nicht mehr der Absetzung Chruschtschows, sondern der Abrechnung mit der „Anti-Partei-Gruppe“ diente, war Breschnew wieder zugegen. Überdies hielt er eine flammende Anklagerede gegen die Verschwörer, in der er die ganze Dramatik des Augenblicks Revue passieren ließ: Georgi Konstantinowitsch [Schukow] traf ein; ich erzählte ihm, bevor er den Saal betrat, dass hier offenbar irgendeine heimtückische Frage diskutiert werden sollte. Ich fragte ihn, auf welcher Seite sind Sie, auf deren oder unserer? Davon wird die Entscheidung abhängen. Wir vereinbarten, bis zum Tod auszuharren. Die Sitzung begann. (…) Wir erklärten, dass wir nicht damit einverstanden sind, diese Frage im Präsidium zu diskutieren, dass wir ein Plenum forderten, aber unser Beharren half nichts.248

Breschnew griff Malenkow, Molotow und Kaganowitsch nicht nur als Schergen der Geheimpolizeichefs Jeschow und Berija an; nach den Anfeindungen Kaganowitschs während der vergangenen Tage rechnete er persönlich mit diesem auch wegen dessen Machenschaften in der Ukraine ab, wegen Ermordung der ukrainischen Parteispitze während des Großen Terrors und seiner Handlungen in Dnepropetrowsk während des Hungers der Nachkriegsjahre: Ich muss Ihnen, Genosse Kaganowitsch, geradeheraus ins Gesicht sagen: Was verstehen Sie schon vom Dorf? Erinnern Sie sich, wie Sie mit Sommerweizen in die Ukrai­ ne kamen und damit ein Jahr lang die ukrainische Parteiorganisation malträtierten. (…) Sie zwangen uns, den Winterweizen abzuschaffen, Sie haben uns terrorisiert, Sie haben dafür politische Parolen missbraucht. (…) Wir, die Gebietskomitee-Sekretäre, konnten uns vom 15. bzw. 20. eines jeden Monats an nirgends mehr blicken lassen.

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Wir telefonierten, telegrafierten, bettelten um einen Vorschuss (…), um 100 Gramm Brot für die Arbeiter zu erhalten.249

Einerseits war es billig, in einer Situation große Anklagereden gegen den Terror zu halten, in der längst klar war, dass die Anhänger Chruschtschows gewonnen hatten und es allenfalls um die Form der Strafe ging. Andererseits erweckt Breschnews Rede durchaus den Eindruck, dass sich hier seine Wut und seine Verzweiflung aus den Jahren 1937/38 und 1947–1950 Bahn brachen, als er Kaganowitsch zurief: Sie, Kaganowitsch, waren der unerbittlichste Organisator der Jagd auf Partei- und parteilose Kader. (…) Sie schrieben wörtlich: „innerhalb eines Monats alle Personen von der Arbeit entfernen, die zur Diversion fähig sind.“ (Lärm, Gelächter im Saal) „Fähig“, das heißt alle. Und wie Sie [den 1939 erschossenen stellvertretenden Sekretär der Ukraine] Postyschew verfolgt haben, wie Sie ihn verfolgt haben.250

Der Putschversuch und das Juni-Plenum hatten gravierende Folgen: Die Verschwörer wurden aus dem Präsidium ausgeschlossen und Chruschtschow ging als eindeutiger Sieger hervor.251 Breschnew wurde neben Furtzewa, Schukow und anderen, die Chruschtschow gerettet hatten, Vollmitglied des Präsidiums. Zugleich muss dies eine politische Lektion gewesen sein, die sein Handeln augenscheinlich prägen sollte, als er sieben Jahre später selbst Chruschtschow stürzte: Er hatte gelernt, dass es nicht genügte, die Uneingeweihten von der Präsidiumssitzung fernzuhalten; sie mussten alle überzeugt werden. Und auch das ZK-Plenum musste sicher auf der Seite der Verschwörer stehen. 1957 wird Breschnew allerdings solche Gedanken noch nicht gehabt haben; der Putsch zeigte nur, wie instabil die politische Lage zu diesem Zeitpunkt noch war, wie schnell sich das Blatt wenden konnte. Der Ausschluss der Anderen

Nach seiner leidenschaftlichen Rede auf dem Plenum agierte Breschnew auf den Präsidiumssitzungen weiter wie ein Echo Chruschtschows. Meist leitete er seine Beiträge mit der Versicherung ein, dass er Chruschtschows Rede voll und ganz unterstütze, und lobte Letztere als großartig.252 Auf den ZK-Parteiplenarsitzungen hielt er bis 1964 nur noch eine weitere große Rede, die in puncto Leiden-

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schaft, Struktur und Bedeutung derjenigen gegen Kaganowitsch ähnlich war: Nur wenige Monate nach den Juni-Ereignissen wurde auf dem Oktober-Plenum Marschall Schukow aus dem Parteipräsidium und dem ZK ausgeschlossen und verlor seinen Ministerposten. Das zweitägige Plenum diente allein der Abrechnung mit dem Verteidigungsminister, der noch im Juni Chruschtschow angeboten hatte, die Anti-Partei-Gruppe zu verhaften, um ihn zu retten. Zeitgenossen vermuten, dass der Marschall Chruschtschow gerade deshalb als zu mächtig und zu unabhängig erschien. Unter dem Vorwand, er habe die Armee der Partei entrissen und seine eigene Diktatur etabliert, rechnete erst das Präsidium und dann das Plenum mit Schukow ab.253 Breschnew hielt sowohl auf der Präsidiumssitzung als auch auf dem Plenum eine stürmische Rede gegen Schukows „Personenkult“.254 Er wirkte diesmal souverän, selbstsicher und kategorisch, wie der anwesende Muchitdinov berichtete.255 Es ist allerdings unklar, ob Breschnew Schukow persönlich tatsächlich so verachtete, wie er es erscheinen ließ. Anders als mit Kaganowitsch verband ihn mit Schukow keine gemeinsame Geschichte. Jedoch führte er Beispiele von seinen Truppenbesuchen an, bei denen ihm die Offiziere geklagt hätten, welches Schreckensregime Schukow in der Armee etabliert habe: „Fast alle (…) sagten, mir, dass sie in einer solchen Atmosphäre nicht wüssten, was der morgige Tag brächte, man wisse nicht – werde man arbeiten oder [im Lager] Zwieback rösten.“256 Schukow habe 50 Prozent der Politarbeiter aus der Armee entlassen, die Offiziere beleidigt und ihnen gedroht, er werde sie für Kritik und Selbstkritik vor Gericht stellen; er habe erklärt, der Militärrat und die Politverwaltung gehörten abgeschafft.257 Breschnew empörte sich: „Ich glaubte Ihnen, dass wir zusammen die Beschlüsse des XX. Parteikongresses umsetzen, aber Sie? Jetzt glaube ich Ihnen nicht mehr!“258 Mit anderen Worten, Schukow wurde für einen Führungsstil angegriffen, der der Stalinzeit entsprang und nun von Chruschtschow instrumentalisiert wurde, um einen mächtigen potentiellen Rivalen zu demontieren. Dass Breschnew ein solcher Führungsstil, der auf Anschreien, Angst und Einschüchtern beruhte, zuwider war, ist unbestritten. Inwiefern er durchschaute, dass es hier weniger um die Armee als um einen Machtkampf im Präsidium ging, und er einfach nur mitspielte, muss unbeantwortet bleiben. Breschnew stand loyal an Chruschtschows Seite, wenn sich dieser weiterer (vermeintlicher) Konkurrenten oder Widersacher entledigte. Das war so, als am 25. März 1958 Bulganin aus dem Amt des Ministerratspräsidenten gedrängt wurde, damit Chruschtschow auch die Regierungsführung übernehmen konnte, und

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Breschnew im Präsidium zu Protokoll gab: „Chruschtschows Amtsantritt wird die Autorität des Ministerrats unvergleichlich stärken. In die Außenpolitik wird er seine Genialität einbringen.“259 Und das war auch so, als Chruschtschow 1958 Woroschilow und 1959 Aleksei Kiritschenko für unbedachte Äußerungen bzw. zu viel Unabhängigkeit schelten ließ, bevor sie 1960 aus dem Präsidium verbannt wurden.260 Wir kennen Breschnews Motive nicht. Zu vermuten ist, dass er aus einer Mischung von allgemeiner Parteidisziplin, persönlicher Loyalität gegenüber Chruschtschow und inhaltlicher Überzeugung handelte. Auf jeden Fall diente er sich erfolgreich Chruschtschow als loyalster Gefolgsmann an. Und dieser belohnte ihn entsprechend: Als Anfang 1958 beim ZK der KPdSU ein Büro mit Zuständigkeit für die Russische Sowjetrepublik (RSFSR) gegründet wurde, nahm Chruschtschow zwar formal den Vorsitz ein, machte Breschnew aber zu seinem Stellvertreter und überließ ihm in der Praxis die Leitung.261 Nach dem Jahr des Aufruhrs 1956 und dem Putschjahr 1957 brachten die Jahre 1958 und 1959 eine Stabilisierung der politischen Verhältnisse. Breschnew war im RSFSRBüro für die Kaderauswahl und die Industriepolitik zuständig und nutzte dies, um seine persönlichen Netzwerke auszubauen bzw. nach Moskau zu transferieren: Tschernenko hatte er gleich 1956 von Moldawien nach Moskau in die Propagandaabteilung des ZK versetzen können. 1958 holte er von dort auch Trapesnikow nach, den er als Ausbilder ebenfalls in der Propagandaabteilung des ZK unterbringen konnte. Aus Kasachstan folgte ihm auch sein persönlicher Assistent Golikow nach Moskau, um ihm weiter als „rechte Hand“ zu dienen.262 Sekretär für Rüstung und Raketen

Breschnew war allerdings nur knapp vier Monate lang stellvertretender Vorsitzender des Büros für Russland; am 29. März 1958 erhielt er von Chruschtschow eine andere Schlüsselposition anvertraut: die Zuständigkeit für die Rüstungsindustrie inklusive der Raumfahrt, dazu die Schwerindustrie und das Bauwesen.263 Dieses Ressort war nicht nur wegen der Wirtschaftskraft bedeutend. Breschnew konnte damit weitere, wichtige Netzwerke im „militärisch-industriellen Komplex“ aufbauen und als der Mann glänzen, unter dem die sowjetische Raketentechnik Weltführung erlangte.264 Selbst der von Breschnew abgesetzte KGB-Chef Semitschastny, der sonst sehr kritisch und verbittert über Breschnew schrieb, musste anerkennen, dass die ersten Erfolge in der Raumfahrt, bei der Atomwaffenentwicklung und der Wasserstoffbombe sowie die Modernisierung der Waf-

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fensysteme „irgendwie“ Breschnew zuzuschreiben seien.265 Breschnew wurde gleichzeitig Mitglied des Verteidigungsrats; er leitete fortan die Kommission für Rüstungsindustrie beim ZK-Präsidium und als Stellvertreter Chruschtschows das „Wissenschaftlich-technische Komitee für Atom-, Wasserstoff- und Raketenwaffen“ beim Verteidigungsrat.266 Breschnew entschied jetzt an führender Stelle mit, welche Verteidigungs- und Raketensysteme entwickelt und produziert werden sollten.267 Seine äußerst detailreichen Notizen aus diesen Jahren bestehen zu einem Großteil aus technischen Daten zu Raketenreichweiten und Treibstoff sowie den Namen der Konstrukteure, der Raketen und der zugehörigen Produktionsstätten.268 Er war gewissermaßen schon Kenner der Materie, da das Konstrukteursbüro Michail Jangels und dessen Raketenfertigung in Breschnews Wahlheimat Dnepropetrowsk angesiedelt waren.269 Als Parteichef von Kasachstan war er nicht nur 1954 an der Auswahl von Baikonur als Raketenabschussrampe beteiligt gewesen, sondern hatte auch die Bauarbeiten ab Mitte 1955 begleitet und den Bauplatz immer wieder besucht.270 Jetzt oblag ihm die Aufsicht über die Raketenproduktionsstätten auch in den Städten Kujbyschew, Perm, Omsk und Orenburg.271 Außerdem bescherte ihm die neue Tätigkeit seine erste Reise ins westliche Ausland: zur Weltausstellung nach Brüssel, auf die er auch seine Frau und seinen Sohn mitnahm.272 In seiner neuen Funktion lernte er im Frühjahr 1958 auch Andrei Sacharow, den „Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe“ und späteren Dissidenten, kennen, der einen durchaus positiven Eindruck von Breschnew hatte:273 Breschnew empfing uns in seinem neuen kleinen Büro in jenem Gebäude, wo ich einst auch Berija getroffen hatte. Als wir eintraten, rief Breschnew aus: „Ah, die Bomber sind gekommen!“ Während wir uns setzten und mit der Situation vertraut machten, erzählte uns Breschnew, dass sein Vater, ein Arbeiter reinen Bluts, all jene, die neue Waffen zur Vernichtung von Menschen herstellten, für die Hauptverbrecher hielt und meinte, all diese bösartigen Erfinder müsse man auf einen Berg führen, um sie gut sichtbar für alle zur Abschreckung dort aufzuknüpfen. „Jetzt beschäftige ich mich selbst mit diesem Teufelszeug, genau wie Sie und ebenso zu einem guten Zweck.“274

Sacharow und sein Kollege waren gekommen, um sich gegen die Verabschiedung einer neuen Verordnung, die das Komitee für Rüstungstechnik unter Breschnew vorbereitete, auszusprechen: „Er hörte uns sehr aufmerksam zu, notierte

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etwas und sagte dann: ‚Ich habe Sie durchaus verstanden. Ich werde mich mit meinen Genossen beraten. Sie werden erfahren, wie entschieden wird.‘ Er stand auf und begleitete uns liebenswürdig zur Tür, wo er jedem die Hand drückte. Die Verordnung wurde nicht verabschiedet.“275 So wie Sacharow Breschnew erlebte, wird er in diesen Jahren von vielen beschrieben: als freundlich, zugänglich, verständnisvoll, ohne jeden Dünkel, bemüht zu helfen. Auch der Raketenkonstrukteur Boris Tschertok berichtet, dass er und seine Kollegen zwar zunächst enttäuscht gewesen seien, als sich im Februar 1960 statt Chruschtschow „nur“ Breschnew im Konstruktionsbüro und Fertigungsbetrieb zum Besuch ankündigt habe, dass sie dann aber von seinem Auftreten angetan waren: „Breshnew ging aufmerksam betrachtend und zuhörend, ohne zu unterbrechen und Fragen zu stellen. Manchmal hob er staunend seine ungewöhnlich dichten Augenbrauen.“276 Auch eine Anekdote gab Breschnew zum Besten, um die Atmosphäre zu lockern,277 verdarb aber zum Schluss den guten Eindruck, als er auf seine typisch joviale Art flapsig äußerte: „‚Es wäre dabei nicht schlecht, wenn Sie irgend ein größeres ‚Käferchen‘ starten könnten, um größeren Lärm zu verursachen.‘ (…) Alle waren durch ein solches Verhältnis zur kosmischen Technik beleidigt.“278 Trotz dieser marginalen Misstöne gaben sich die Größen der Luft- und Raumfahrtindustrie bei Breschnew die Klinke in die Hand, da alle Pläne und Konstruktionen durch seine Kommission mussten. Ob es der Chef-Raketenkonstrukteur Sergei Koroljow, der Bauleiter des Kosmodroms Georgi Schubnikow oder der für das Raketenprogramm zuständige stellvertretende Verteidigungsminister Mitrofan Nedelin war: Allen schenkte er ein offenes Ohr und versuchte zu helfen.279 Dementsprechend hob das „Memoiren“-Fragment „Kosmischer Oktober“, das nach seinem Tod erschien, Breschnews Nähe zu all den großen Namen von Raumfahrt und Flugtechnik hervor. Breschnew habe sich mit Koroljow oft auch ohne Anlass getroffen, um mit ihm zu plaudern und zu scherzen. Zuweilen sei er noch spätabends zu ihm in die Fabrik gefahren, wo seit 1958 die „Wostok“, das Raumschiff, das Gagarin in den Weltraum bringen sollte, zusammengesetzt wurde, um mit ihm Tee zu trinken und ihn zu fragen, ob er auch genügend schlafe.280 Dabei zeigen die Notizen Breschnews, dass er von Koroljow zuweilen auch genervt war. Etwa wenn dieser ihm bei einer Besprechung zu verstehen gab, alle anderen Raketenkonstrukteure seien unfähig und nur er selbst wirklich kompetent, und wenn er darauf beharrte, nicht die Rakete „R-16“, sondern die „R-9A“ weiterzuentwickeln.281

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In Breschnews Memoiren heißt es weiter: „Als Sekretär des ZK war ich für Fragen der Weiterentwicklung der Verteidigungskraft unseres Landes und für die zivile Luftfahrt zuständig; ich sprach oft mit Tupolew, Iljuschin, A.I. Mikojan, P.O. Suchoi, A.S. Jakowlew, O.K. Antonow u.a.“282 Breschnew wurde aber nicht nur in die Nähe berühmter Konstrukteure und Kosmonauten gerückt, mit denen er tatsächlich ständig zu tun hatte; seine Ghostwriter versuchten auch zu suggerieren, es sei Breschnew gewesen, der grünes Licht für den Start des Sputnik gegeben habe,283 obwohl der „künstliche Erdtrabant“ bereits 1955 von Chruschtschow in Auftrag gegeben worden war.284 Nichtsdestoweniger fielen große Erfolge der sowjetischen Raumfahrt in Breschnews neue Zuständigkeit: Nach dem allerersten Sputnik am 4. Oktober 1957 waren das 1959 der erste Satellit Luna-1, der die Sonne umkreiste, die Sonde Luna-2, die den Mond erreichte, und Luna-3, die dessen Rückseite fotografierte, sowie schließlich am 12. April 1961 der erfolgreiche Flug des ersten Menschen im All mit Juri Gagarin. Zu diesem Zeitpunkt war Breschnew bereits Präsident der Sowjetunion und ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen, Gagarin für seine Verdienste auszuzeichnen. Aber auch die Krisen und Katastrophen in der Luft- und Raumfahrt fielen in Breschnews Ressort. Am 6. März 1958 beauftragte das Präsidium ihn und andere mit der Ausarbeitung von Maßnahmen zur Verhinderung der Spionageflüge, die die USA mit einem U2-Flugzeug über dem Territorium der Sowjetunion regelmäßig durchführten; die U2 wurde schließlich am 1. Mai 1960 erfolgreich abgeschossen. Während der amerikanische „Spion“ überlebte, starb der Pilot eines sowjetischen Abfangjägers durch „friendly fire“.285 Breschnew leitete auch die Kommission, die die Ursachen der Raketenexplosion auf dem Startplatz in Baikonur am 24. Oktober 1960 untersuchte, bei der 126 Menschen, darunter auch der Befehlshabende Nedelin, ums Leben kamen.286 Chruschtschows Sohn erinnert sich: „Breshnew begab sich unverzüglich auf den [Startplatz]. Er fuhr herum und besichtigte alles. Das Bild der Zerstörung machte sogar einen starken Eindruck auf die kriegserfahrenen Gretschko und Breshnew. (…) Bei seiner Rückkehr nach Moskau berichtete Breshnew dem Vater: Es sei ein unvorhergesehener Unglücksfall durch tragische Verkettung der Umstände gewesen.“287 Im Milieu der Raketenbauer wurde Breschnew hoch angerechnet, dass er Chruschtschow empfahl, für die Katastrophe niemanden zur Verantwortung zu ziehen und unbeirrt mit dem Bau von Raketen fortzufahren.288 Dem Konstrukteur Jangel, der sich selbst für das Unglück die Verantwortung gab und forderte, man möge ihn be­strafen, besorgte Breschnew stattdessen eine bessere Wohnung in Moskau.289

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Die sowjetischen Erfolge in der Raumfahrt, die die Welt staunen, die USA erblassen und deren technische Überlegenheit wanken ließen, wiegten nicht nur Chruschtschow in der trügerischen Sicherheit, mit dem überstandenen Putsch und dem weltpolitischen Renommee seine Macht gefestigt zu haben. Auch Breschnew sonnte sich in diesem Erfolg und konnte aus dieser Position später Kapital schlagen. Die zwei Jahre als Rüstungs- und Raketensekretär hatten aber womöglich noch eine andere Folge, mutmaßt der Journalist Wladimir Kusnetschewski. Für den Sektor Rüstung und Raketen gab es keine Beschränkungen; sämtliche Ressourcen und jede Technologie, die die Raketen- und Waffenbauer anforderten, wurden genehmigt. Breschnew habe daher irrtümlich geglaubt, allen anderen Wirtschaftszweigen würde es genauso gut gehen.290 Das klingt nach einer logischen Schlussfolgerung, lässt aber außer Acht, dass Breschnew die Verfassung anderer Wirtschaftszweige und der Landwirtschaft von seiner Tätigkeit in der Ukraine, in Moldawien und in Kasachstan durchaus kannte. Wahrscheinlicher, wenngleich ebenfalls Spekulation, ist, dass die Jahre als Rüstungssekretär den Ingenieur Breschnew von der Wirtschaftskraft der UdSSR und ihrem Potential zur technologischen Supermacht überzeugten. So wie viele andere Sowjetmenschen wird er Ende der 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre geglaubt haben, dass die Sowjetunion endlich auf dem richtigen Weg sei. Die Versorgungslage verbesserte sich, enorme Wohnungsbauprogramme waren angestoßen worden, das Verhältnis zu den USA entspannte sich und versprach 1959 sogar freundschaftlich zu werden, die Erfolge in der Raumfahrt sicherten ihnen Respekt und Anerkennung in der ganzen Welt. All das schien zu belegen, dass der von Stalin eingeschlagene, von Chruschtschow korrigierte Weg, so schmerzhaft und verlustreich er gewesen sein mochte, der richtige war.

Präsident der Sowjetunion Am 4. Mai 1960 beschloss das Parteipräsidium auf Initiative Chruschtschows, dem Obersten Sowjet Breschnew als neuen Präsidiumsvorsitzenden vorzuschlagen.291 So wurde Breschnew am 7. Mai 1960 zum Präsidenten der UdSSR gewählt. Er gab den ZK-Sekretär-Posten ab und war fortan für die Repräsentation seines Landes nach außen und im Inneren für das Abzeichnen von Gesetzen und Bittgesuchen verantwortlich. Was im Westen lange Zeit als Degradierung Breschnews wahrgenommen wurde,292 war tatsächlich ein Schachzug Chruschtschows.

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Dieser wollte sich des alten, schon etwas tattrigen Präsidenten Woroschilow entledigen, der, wie in solchen Fällen üblich, gebeten wurde, um seine Entlassung aus „gesundheitlichen Gründen“ zu bitten,293 und er beabsichtigte, in diese wichtige Position einen verlässlichen Gefolgsmann zu bringen.294 Breschnew wurde also keineswegs entmachtet oder abgeschoben – im Gegenteil: Er behielt die Vollmitgliedschaft im Parteipräsidium und den Sitz im Verteidigungsrat und kümmerte sich weiterhin um die Entwicklung der Raketentechnik. Als Präsident hatte er nun zusätzlich noch die Aufgabe bekommen, die Sowjetunion im Ausland zu vertreten. Gerade aus der Rückschau wirkt es, als sei dies die beste Position gewesen, die Breschnew je bekleidete, und als habe sie am meisten seinen Fähigkeiten und Vorlieben entsprochen. Ganz offensichtlich liebte er es, Orden zu verleihen und Akkreditierungsurkunden entgegenzunehmen. Es kam ihm entgegen zu repräsentieren, sich dafür gut anzuziehen, Small Talk zu führen, mit seinen Gesprächspartnern zu scherzen, fremde Länder zu besuchen, Menschen die Hand zu schütteln und von der wunderbaren Sowjetunion zu erzählen.295 Das war ein eindeutiger Zuwachs an Prestige und Renommee: Breschnew wurde nun auch jene Ehre zuteil, die nur dem Parteichef und dem Staatschef gebührte: bei Abreise und Ankunft vom gesamten Parteipräsidium und dem Präsidium des Obersten Sowjets am Flughafen verabschiedet bzw. begrüßt zu werden.296 Im Ausland wurde sein Name bekannt, und er erschien fast ebenso oft in der Presse wie Chruschtschow, wobei im Vergleich zu Letzterem Breschnews gute Anzüge auffielen und Erwähnung fanden.297 Breschnew war als Kandidat für den Obersten Sowjet dem Bauman-Wahlkreis in Moskau zugeordnet, einem alten Arbeiterbezirk, dessen Delegierter er bis zu seinem Tod blieb.298 Ins Sekretariat des Präsidiums des Obersten Sowjets nahm er seine engsten Gehilfen Tzukanow und Tschernenko mit, die ihm auch dort treue Dienste leisteten, und führte sich als netter, umgänglicher Chef ein, der gern mit seinen Untergebenen auf dem Treppenabsatz stand und rauchte.299 Breschnew bemühte sich, alle Mitarbeiter und ihre jeweiligen Zuständigkeiten genau kennenzulernen, wie der Angestellte Je.T. Jurtschik berichtete: „Genosse Breschnew hat sich sehr genau interessiert und kam mehrfach in die Sitzungen der Redaktionskommission, als wir den stenographischen Rechenschaftsbericht der Sitzung zusammenstellten; er interessierte sich, wie wir das machen.“300 Im April 1961 rief er zudem die Sekretäre aller Obersten Sowjets der Republiken nach Moskau, damit sich diese über ihre Arbeit bei den Gesetzgebungsverfah-

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ren und der Veröffentlichung der Gesetztestexte in den Republikssprachen austauschen und Fragen der Arbeit mit den Werktätigen, mit ausländischen Delegationen, der Staatsbürgerschaft und der Ehrungen besprechen konnten.301 Wie sehr er andere für sich einzunehmen vermochte und welche Rolle dabei sein gutes Aussehen und sein – relativ – jugendliches Temperament spielten, beschrieb sein späterer Dolmetscher Viktor Suchodrew, der ihm erstmals 1956 bei einem Botschaftsempfang begegnet war: „Überdurchschnittlich groß, kräftig, jugendlich, mit zurückgekämmtem Haar, strahlte er Gesundheit und Stärke aus. Er stieg aus dem Auto aus und nahm die Stufen im Laufschritt.“ Als ihm die Gruppe der verfügbaren Übersetzer vorgestellt wurde, bot er der einzigen Übersetzerin, Tatjana Sirotina, seinen Arm an: „‚Ausgezeichnet, ich brauche unbedingt eine Übersetzerin‘, sagte er mit seinem angenehmen Bass. Tatjana war eine kämpferische Frau, sie hakte sich unter und Breschnew verschwand mit ihr genauso energischen Schritts im Saal. Uns gefiel das ausgesprochen gut.“302 Auch seinen ausländischen Gesprächspartnern gefiel Breschnews einfache, herzliche Art, selbst wenn sie anfangs etwas unkonventionell sein mochte. Der indische Botschafter Triloki Nath Kaul erinnerte sich: „Er machte auf mich den Eindruck eines umgänglichen, weichen, angenehmen und gutmütigen Menschen. Nach unserem kurzen Gespräch reichte er mir drei Schokoladenpralinen: ‚Essen sie eine auf ihr Land, die zweite auf sich selbst und die dritte auf ihre Kinder.‘ Später erfuhr ich, dass das sein Eröffnungszug im Gespräch mit den meisten Auslandsvertretern war.“303 Orden und Urkunden

Als Präsident fiel Breschnew die Aufgabe zu, den neu ernannten Botschaftern ihre Urkunden zu überreichen, und er machte das mit großer Würde. Der Diplomat Boris Kolokolow erinnerte sich, dass Breschnew mit seinem stattlichen Äußeren und der Art seines Auftretens dem bürokratischen Verwaltungsakt eine besondere Feierlichkeit verlieh. Er drückte jedem die Hand, schaute jeden aufmerksam lächelnd an und versprühte ganz die Aura des gastfreundlichen Landesherrn.304 Mit großer Gewissenhaftigkeit, aber auch mit sehr viel Spaß absolvierte Breschnew die Pflicht des Präsidenten, Staatsauszeichnungen zu verleihen. Das erschließt sich vor allem aus den Fotografien, die anlässlich der zahlreichen Ordensverleihungen entstanden und von denen nur ein Teil ernsthaft und staatstragend streng wirkt, während viele andere dokumentieren, wie Breschnew

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Abb. 16: Breschnew verleiht Kulturministerin Jekaterina Furtzewa einen Orden, 17. Dezember 1960.

und der Sekretär des Präsidiums, Michail Georgadse, ausgelassen scherzen, feixen und sich amüsieren. Nicht nur zu Georgadse schien Breschnew ein ausgesprochen freundschaftliches Verhältnis zu haben. Auch mit Woroschilow schien er sich weiterhin gut zu verstehen, obwohl er diesen 1958 im Präsidium angegriffen und 1960 aus dem Amt gedrängt hatte. Sowohl im November 1960 als auch im März 1961 zeichnete Breschnew Woroschilow mit Orden aus und die Fotos zeigen die beiden Männer lachend, gestikulierend und einander küssend.305 Breschnew war es sichtlich ein Vergnügen, Republikschefs wie den Ersten Vorsitzenden Georgiens, Wassili Mschwanadse, Weissrusslands, Kirill Masurow, oder seine Kollegin Kulturministerin Jekaterina Furtzewa auszuzeichnen.306 Er hatte so nicht nur Kontakt zu allen, die Rang und Namen hatten, sondern profitierte offensichtlich davon, sie alle zu einem angenehmen Anlass in lockerer Atmosphäre zu treffen und ihnen in guter Erinnerung zu bleiben. Ein Höhepunkt war sicherlich, als er Gagarin für seinen Flug ins Weltall auszeichnete, dabei auch den zuständigen Militärs als Auszeichnung den „Marschallsstern“

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Abb. 17: Breschnew steckt dem Parteichef Georgiens, Wassili Mschwanadse, einen Orden ans Revers, zwischen ihnen steht Michail Georgadse, 22. September 1962.

ansteckte und sich mit ihnen ablichten ließ.307 Am 16. Juni 1961 wurde er selbst zusammen mit Chruschtschow, dem Vorsitzenden der Akademie der Wissenschaften, Mstislaw Keldysch, und anderen für den erfolgreichen Weltraumflug als „Held der sozialistischen Arbeit“ ausgezeichnet.308 Das zu diesem Anlass entstandene Bild zeigt nicht nur eine entspannt lächelnde Gruppe hochrangiger Politiker und Wissenschaftler; es zeigt auch die große Nähe von Chruschtschow und Breschnew, die, nur getrennt durch Keldysch, gemeinsam in die Kamera grinsen.309 Breschnew vertrat Chruschtschows Politik mit viel Verve und anscheinend auch voller Überzeugung. Im Mai 1964 zeichnete er die Moskauer Hauptbauverwaltung mit dem Leninorden aus und betonte, dass in den Jahren des Personenkults um Stalin die Bauwirtschaft ruiniert worden und es Chruschtschow zu verdanken sei, dass seit 1954 die Hälfte der sowjetischen Bevölkerung in eine neue Wohnung habe umziehen können. Ganz seiner Art entsprechend beendete Breschnew seine Rede im Sportstadion Luschniki mit einem Vers des Avant-

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garde-Dichters Wladimir Majakowski, für den er schon in seiner Jugend geschwärmt hatte: Ich weiß: die Stadt wird werden Und auch der Garten blühn, Wenn auf der Sowjeterde Sich solche Menschen mühn!310

Verfassungsreform

Chruschtschow und Breschnew waren nach wie vor ein enges Team: Gemeinsam sonnten sie sich im Glanz der Kosmonauten, gemeinsam betrieben sie die weitere Entstalinisierung und gemeinsam arbeiteten sie an der Modernisierung von Partei und Staat. Auf die Reform des Parteistatuts 1962 sollte eine Verfassungsreform folgen. Breschnew ist immer wieder vorgeworfen worden, er habe nie persönlich Stalin verdammt.311 Das ist nicht richtig, denn nach dem 22. Parteitag im Oktober 1961, während dessen Chruschtschow Stalin aus dem Mausoleum entfernen ließ, hielt auch Breschnew auf der Parteiversammlung des Obersten Sowjets im Dezember 1961 eine Rede, die an Klarheit kaum zu überbieten war: Der Personenkult hatte schwere Folgen für die gesamte Wirtschaft, das politische und geistige Leben des Landes. Stalin verletzte die Lenin’schen Prinzipien der Partei- und Staatsführung aufs Gröbste, missbrauchte seine Macht. (…) Eine schlimme Folge des Personenkults waren gröbste Verstöße gegen den Rechtsstaat, die zu Massenrepressionen und zur Jagd auf Partei-, Staats- und Militärkader führten. Der Personenkult lähmte die Aktivität und die Initiativen der Massen, erstickte den lebendigen, tatkräftigen Gedanken, gebar Unterwürfigkeit, Duckmäusertum, Misstrauen und gegenseitigen Argwohn.312

Doch, so Breschnew, diese Zeit sei überwunden. Die Anti-Partei-Gruppe sei besiegt, der sozialistische Rechtsstaat wiederhergestellt, die sozialistische Demokratie im Gedeihen und die Partei befinde sich nun in der Phase des entwickelten Aufbaus des Kommunismus. Ebendafür habe die Partei auf dem 22. Parteitag das neue Statut verabschiedet und dementsprechend werde man sich nun im Obersten Sowjet daranmachen, eine neue Verfassung vorzubereiten.313

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Die Arbeit an einer neuen Verfassung, die die Stalin’sche Konstitution von 1936 abgelöst hätte und damit abermals das Ende des Stalinismus besiegeln sollte, war sehr intensiv, zog sich über drei Jahre hin – und wurde schließlich kurz vor der Vollendung 1964 durch die Entmachtung Chruschtschows beendet. Erst 1977 ließ Breschnew seine eigene Verfassung verabschieden, die in weiten Teilen auf den Entwürfen von 1962–1964 aufbaute. Breschnew leitete 1962–1964 persönlich die Unterkommission, die sich mit den „Fragen der Staatsverwaltung, der Tätigkeit der Sowjets und der gesellschaftlichen Organisationen“ befasste. Eine wesentliche Idee war für ihn die Allmacht des Volkes, die sich einerseits in der Partei und den gesellschaftlichen Organisationen manifestiere, der andererseits aber durch basisdemokratische Elemente Rechnung getragen werden solle.314 Er befürwortete daher eine Stellung der Räte, die sie weniger zu Exekutionsorganen der Staatsmacht als zu Selbstverwaltungsgremien der lokalen Bevölkerung machen würde. Die lokale Selbstverwaltung sollte wiederbelebt werden und auf den wieder häufiger einberufenen Bürgerversammlungen aufbauen.315 Anstelle der Exekutivkomitees, also der Bürgermeistereien bzw. Landratsämter, sollten Präsidien der lokalen Sowjets gewählt werden. Diese Präsidien würden zwischen den Sitzungen des Sowjets dessen Funktionen übernehmen, so dass an die Stelle der „Beamten“ Abgeordnete aus der Bevölkerung treten würden.316 Die Reform, die Breschnew im Juli 1964 vorstellte, sah außerdem Volksreferenden, die Diskussion von Gesetzesvorhaben in der Bevölkerung und das Recht auf Gesetzesvorschläge durch die Bevölkerung vor.317 Die Verfassungsreform schrieb auch fest, was unter Chruschtschow bereits praktiziert wurde: die Begrenzung von Amtszeiten. Niemand sollte sich öfter als für drei Perioden in die Sowjets wählen lassen können.318 Gleichzeitig sprach sich Breschnew dafür aus, dass die Partei in der Verfassung als führende und lenkende Kraft der Gesellschaft festgeschrieben werde.319 In seiner Kommission hatte es lange Diskussionen darüber gegeben, ob die Partei ein Organ des Volkes sei, das von unten eingesetzt werde, oder eine gesellschaftliche Kraft, die von oben lenke.320 Letzteres ließ Breschnew schließlich in der Verfassung von 1977 festschreiben. Es ist unklar, warum Breschnew die Verfassungsreform, die ihm offenbar selbst am Herzen lag, nach der Absetzung Chruschtschows nicht weiterverfolgte bzw. umsetzte. Wir können nur vermuten, woran es lag: Einerseits hatte er genug damit zu tun, seine Macht zu festigen, andererseits wollte er wohl keine neue Verfassung verabschieden, die Chruschtschows Namen trug. Die Reform 1977 war dann ein Höhepunkt in Breschnews Laufbahn und Selbst­

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inszenierung: Mit ihr ließ er sich erneut zum Präsidenten wählen und war damit fortan erster Mann in Partei und Staat. Weltreisender

Mit Antritt des Präsidentenamts begannen Breschnews Auslandsreisen. 1961 machte er Andrei Alexandrow-Agentow zu seinem Berater in internationalen Angelegenheiten. Offen erklärte er ihm, dass er sich in der Landwirtschaft, in Industrie und Armee, aber nicht in der Außenpolitik auskenne und jemanden brauche, der ihn einführe. Alexandrow-Agentow blieb bis 1982 einer der Architekten von Breschnews Außenpolitik.321 Breschnew gestaltete das Präsidentenamt anders als seine Vorgänger. Hatte es vorher eher als eine Art „Vorruhestandsregelung“ gedient, so machte Breschnew es – im Auftrag Chruschtschows – zum aktiven Bestandteil der Außenpolitik. Das stellte auch das Außenamt in Bonn fest.322 Allerdings besuchte er kaum westliche, kapitalistische Länder – diejenigen, mit denen er Jahre später verhandeln sollte –, sondern musste dies Chruschtschow überlassen. Seine insgesamt 15 Auslandsreisen führten Breschnew nach Afrika, in Schwellenländer wie Indien, Iran und Afghanistan, aber auch nach Finnland, um im Westen neue Freunde zu finden, und nach Jugoslawien, um alte, unter Stalin zerbrochene Freundschaften wiederzubeleben.323 Er absolvierte dabei nicht nur ein Besuchsprogramm, sondern trat als Botschafter seines Landes auf, der für die Sowjetunion und den sozialistischen Weg warb und mit Geld, Technologie und mitunter auch Waffen lockte. Dabei ging es durchaus nicht nur um geostrategische Erwägungen oder um die Hoffnung, sich in der „Dritten Welt“ Rohstoffquellen zu sichern. Vielmehr war es vor dem Hintergrund des Kalten Krieges für das Parteipräsidium von großer Bedeutung, die Sowjetunion als das tatsächlich bessere Staats- und Wirtschaftssystem anzupreisen. Wenn Sozialismus für ein menschenwürdiges Leben ohne Ausbeutung stand, dann mussten das auch die 17 im Jahre 1960 in die Unabhängigkeit entlassenen afrikanischen Staaten erkennen.324 Die sowjetische Außenpolitik setzte ganz darauf, dass Russland, anders als der Westen, in Afrika nie Kolonien gehabt hatte und jetzt in keinen der blutigen Ablösungskriege verwickelt war. Breschnew empfahl die Sowjetunion dem Präsidenten Ghanas, Kvame Nkrumah, als un­eigennützige Helferin im Kampf um Freiheit:

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Auf der unerschütterlichen Grundlage von vollkommener Gleichheit, der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten des anderen und der strengen Beachtung der Souveränität und des gegenseitigen Vertrauens entwickeln sich die guten Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Republik Mali, Äthiopien, der Somalischen Republik, Marokko, den Vereinigten Arabischen Emiraten, der Republik Sudan und einer Reihe anderer unabhängiger afrikanischer Staaten.325

Einerseits konnte Breschnew darauf verweisen, dass die Sowjetunion nie versucht hatte, den afrikanischen Völkern die europäische Zivilisation mit Gewalt aufzudrängen. Andererseits machten es die aktuellen Erfolge in der Raumfahrt Breschnew leicht und angenehm, die Sowjetunion als das fortschrittlichste Land der Welt zu preisen. So sagte er im November 1963 bei seiner Rede im iranischen Parlament: „Wir sind darauf stolz, dass die Sowjetunion eine starke treibende Kraft des wissenschaftlichen Fortschritts für die ganze Welt ist. Der Reichtum des menschlichen Wissens ist durch die zentralen Entdeckungen unserer Weltraumforscher – der sowjetischen Kosmonauten – enorm bereichert worden.“326 Während Breschnew gegenüber nichtsozialistischen Ländern nur die technischen Fortschritte und wirtschaftlichen Erfolge der Sowjetunion pries, verschwieg er in den sozialistischen „Bruderstaaten“ natürlich nicht, wem all das zu verdanken sei: Es ist kein Zufall, dass die Imperialisten in dieser Errungenschaft des sozialistischen Lagers ihre Niederlage sehen. Sie verstehen, dass die Stimme eines Sowjetmenschen aus dem Kosmos wie der Triumph des Verstandes und der Gerechtigkeit des Kommunismus klingt. In diesem großartigen Sieg des menschlichen Genius liegen der Triumph der Lenin’schen Ideen, der Beweis für die großartigen Erfolge unseres Volkes.327

Die Zurückhaltung gegenüber den afrikanischen Staaten erklärte sich aus einer neuen sowjetischen Doktrin, die im November 1960 auf dem Weltkongress der kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau unter Breschnews Beteiligung erarbeitet wurde und das ideologische Rüstzeug an die besondere Situation der entkolonialisierten Länder anpasste.328 Da dort eine Arbeiterschaft, auf die sich eine revolutionäre Entwicklung hätte stützen können, fehlte, galten fortan ethnische, panafrikanische Bewegungen nicht mehr als Bedrohung für den Klassenkampf, sondern als zulässige Zwischenstufe auf dem Weg zum Sozialismus. So wie die Sowjetunion 1917 die „bourgeoise Revolution“ übersprungen

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hatte, sollte auch in Afrika ein eigener Weg möglich sein. Er würde über eine „nationale Demokratie“ führen, die die Zusammenarbeit von kommunistischen mit nationalistischen Kräften erlaubte.329 Gleich Breschnews erste große Auslandsreise führte ihn Anfang 1961 für zehn Tage nach Afrika, um dort Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, Wirtschaftshilfen, Handelsabkommen und Waffen anzubieten. Die Reise begann mit einem Zwischenfall, der Breschnew letztlich noch mehr Aufmerksamkeit und Sympathie bescherte: Am 9. Februar wurde sein Flugzeug vor Algier von einem französischen Kampfjäger beschossen. Frankreich behauptete, Breschnews Maschine sei von der Flugroute abgewichen und es habe sich nur um Warnschüsse gehandelt; die sowjetische und die marokkanische Seite vermuteten dagegen gezielte Sabotage an der Annäherung der Sowjetunion an die ehemaligen französischen Kolonien.330 Vor diesem Hintergrund feierte die „Prawda“ Breschnews Eintreffen in Marokko als „Symbol der Freiheit“. Breschnew berichtete dem marokkanischen Thronfolger Hassan so überzeugend von den sowjetischen Erfolgen – von der Wirtschaftsplanung über den Wohnungsbau bis hin zum Gesundheitssystem –, dass das neutrale Marokko sowjetische Hilfsleistungen und Waffen akzeptierte.331 Breschnews Erfolg in Marokko alarmierte den Westen, denn König Mohammed V. versprach, auf die Auflösung des US-Luftwaffenstützpunktes zu drängen, und war damit einverstanden, Waffenlieferungen an die algerischen Aufständischen passieren zu lassen.332 Von Marokko flog Breschnew weiter nach Guinea, wo er vom diktatorischen Präsidenten Sékou Touré und begeisterten Menschenmengen ebenfalls mit offenen Armen begrüßt wurde. Sékou Touré lobte Breschnew als Verteidiger der Menschenrechte und Verbündeten der unterdrückten Völker und verlieh ihm den Orden „Kämpfer für die Unabhängigkeit“.333 Breschnew sprach zunächst in der Hauptstadt Conakry vor 20.000 Menschen und reiste anschließend fünf Tage lang durch das Land, wobei er in den Städten Labé und Kankan vor der Bevölkerung den gemeinsamen Kampf Afrikas und der Sowjetunion für Frieden und Freiheit pries.334 Breschnew versicherte: „Wir unterscheiden die Menschen nicht nach der Hautfarbe. Es gibt Unterdrücker und Unterdrückte, Kolonialisatoren und Ausgebeutete. Wir sind gegen Kolonialisatoren und Ausbeuter. Wir stehen vollkommen auf der Seite der Unterdrückten und Ausgebeuteten.“335 Er wurde mit Reden seiner Gastgeber belohnt, die die Bedeutung der Oktoberrevolution für Afrika hervorhoben: „Die Große Oktoberrevolution, die durch ihre Werktätigen vollbracht wurde, war ein entscheidender Wendepunkt in der Weltge-

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schichte, den die afrikanischen Völker sehr zu schätzen wissen.“336 Dazu gesellte sich ein Handelsabkommen, das für fünf Jahre geschlossen wurde.337 Breschnew und Sékou Touré veröffentlichten ein gemeinsames Kommuniqué, in dem sie den gerade erst bekannt gewordenen Mord an dem kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba als heimtückischen Akt der Kolonialmächte verurteilten, zum Abzug der belgischen Truppen aufriefen und ein Ende des Algerienkriegs forderten: Lumumba sei tot, aber der Freiheitskampf werde siegen.338 Der amerikanische Botschafter in Guinea, William Attwood, musste zugeben, dass Breschnews Besuch ein Triumph war und die Aussichten der USA auf mehr Einflussnahme schwanden.339 Von Guinea flog Breschnew weiter nach Ghana, wo er abermals einen Triumph feiern konnte, denn auch Ghanas Präsident Kwame Nkrumah zeigte sich gegenüber den sowjetischen Avancen sehr aufgeschlossen und nahm postwendend eine Gegeneinladung in die Sowjetunion für den Sommer 1961 an.340 Breschnew sang auch in Ghana Lobeshymnen darauf, wie erfolgreich die Sowjetunion seit der Oktoberrevolution ihre Rückständigkeit überwunden und sich in eine mächtige Industrienation verwandelt habe.341 Kwame Nkrumah ließ sich das nicht zweimal sagen: Breschnew sicherte ihm 80 Millionen Dollar Anleihen sowie technische und militärische Hilfen zu.342 Mit diesen Erfolgen, aber auch Verpflichtungen verließ Breschnew nach einem letzten Abschieds-Stopp bei König Mohammed V. in Marokko Afrika.343 Mit Charme und Schlips

Nach diesem Debüt in Afrika besuchte Breschnew im September 1961 für acht Tage Finnland. Chruschtschow hatte 1955 ein Abkommen über wissenschaftlichtechnischen Austausch unterschrieben, und Finnland war nun daran interessiert, sich von der Sowjetunion ein Atomkraftwerk bauen zu lassen.344 Breschnew bestach vom ersten Tag an durch seinen Charme, seinen Humor und seine Umgänglichkeit. Die finnischen Medien waren begeistert von diesem jungen, lockeren Sowjetführer, der zur Begrüßung alle küsste: „Breschnew steigt aus dem Zug, lächelt und begrüßt die Wartenden: ‚Seht, was für schönes Wetter ich euch mitgebracht habe. Sogar das Wetter freut sich über unser Treffen, vollkommen zu Recht!‘“345 Über das erste Zusammentreffen mit dem finnischen Präsidenten Urho Kekkonen urteilten die Zeitungen: „Das Staatsoberhaupt unseres Nachbarlandes hat mit seiner Ungezwungenheit die kurze Empfangszeremonie

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in eine unverkrampfte Veranstaltung verwandelt.“346 Immer wieder hoben die finnischen Medien das Ungezwungene und Lockere an Breschnew hervor: „Abends im Palast zeigte sich Präsident Breschnew in bester Stimmung, es schien, als würde er sich vergnügen. Er betrat den Saal, am Arm die Gattin des Präsidenten, Silvi Kekkonen. Dann nahm er vom Tisch zwei feuerrote Rosen und reichte sie Frau Kekkonen.“347 Ganz gleich, ob er mit dem Parlamentspräsidenten sprach, mit den Arbeitern in einer Fabrik, mit einer Familie in ihrem Heim oder mit Kindern in einer Schule: Überall erschien er gut gelaunt, zu Scherzen aufgelegt und nahm seine Gesprächspartner für sich ein. Am 29. September 1961, dem siebten Tag seiner Reise, bemerkte die Zeitung „Maakansa“: „Die Popularität des Präsidenten steigt mit jedem neuen Ort oder Objekt, den bzw. das er besucht.“348 Zum Schluss der Reise unternahm Breschnew zusammen mit dem finnischen Präsidenten einen Spaziergang durch die Stadt Kajani, wo sie auch einen Krawattenladen besuchten. Hier zog Breschnew noch einmal sämtliche Register seines Charmes, erklärte, die Krawatte sei das wichtigste Accessoire zu einem Anzug, und fragte scherzhaft auf Kekkonens Angebot, ihm eine Krawatte zu schenken: „Nur eine?“ und ob es jetzt in jedem Laden Geschenke geben werde.349 Die finnischen Gazetten urteilten nach Breschnews Abreise, der große Erfolg des Besuchs sei in erster Linie der Verdienst Breschnews selbst: „Seine direkte, herzliche, vor Witzen sprühende Art hat wirklich unsere Sympathie erobert.“350 Werbung durch Wirtschaftshilfen

Damit war die Reisetätigkeit Breschnews für 1961 aber noch lange nicht beendet. Im November folgte ein Besuch im Sudan, der unter weniger günstigen Vorzeichen als die Januarreise nach Afrika stand. Der Sudan zeigte unverhohlen eine Taktik, die die meisten afrikanischen Länder anwandten, um den Wettstreit zwischen den Supermächten für sich zu nutzen: Unmittelbar vor Breschnews Eintreffen berichteten sudanesische Medien über den erfolgreichen Abschluss eines US-Hilfspakets, das die Lieferung von Getreide und Mehl im Wert von 4,6 Millionen US-Dollar und für das Jahr 1962 den Bau von Funkstationen im Umfang von 567.000 US-Dollar vorsah.351 Auf diese Weise trieben die Entwicklungsländer die Sowjetunion in einen Wettkampf mit den USA darin, wer sich großzügiger zeigte und mehr liefern konnte. Die Hilfen, über die Breschnews Delegation verhandeln sollte, umfassten den Bau einer Fabrik zur Konservierung von

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Fisch, Früchten und Gemüse.352 Für die Wirtschaftsabkommen mit der Sowjetunion sprach, so argumentierten die Zeitungen, dass die sowjetischen Hilfen „bedingungslos und unbefleckt“ seien und dass sich die Sowjetunion seit 1945 für die Selbstbestimmung des Sudans eingesetzt habe.353 Derweil eröffnete Westdeutschland eine Warenmesse in Karthum, und es war klar, dass der Sudan die Wirtschaftshilfen von allen akzeptieren würde.354 Breschnew beschloss das Jahr zusammen mit seiner Frau mit einer 14-tägigen Reise nach Indien, wo wie im Sudan die sowjetischen Wirtschaftshilfen – hier im Umfang von 720 Millionen Rubel – dafür gelobt wurden, dass sie „weder an Mitsprache in den Unternehmensleitungen oder Gewinnbeteiligung noch an irgendwelche Beschränkungen oder Bedingungen“ geknüpft waren.355 Breschnew pries auch hier den „Kampf der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas gegen die koloniale und halbkoloniale Knute, für die Stärkung ihrer nationalen Freiheit und Unabhängigkeit.“356 Von Bombay reiste er über Kalkutta nach Madras, schüttelte Hände, nahm Blumen entgegen, hielt Reden und besuchte von der Sowjetunion finanzierte Baustellen.357 Das Buhlen um Verbündete in Asien hatte für Breschnew im Sommer 1961 mit dem Empfang des indonesischen Präsidenten Sukarno begonnen, zu dessen Ehren er nicht nur diverse Empfänge ausrichtete und Reden hielt, sondern dem Chruschtschow in Jakarta ein ganzes Sportstadion bauen ließ, damit er nicht zu den USA überliefe.358 1963 folgten Reisen nach Afghanistan und in den Iran. Mit der afghanischen Monarchie verband die Sowjetunion seit ihrer Gründung eine enge und stabile Freundschaft, die sich in zahlreichen Kooperationen ausdrückte.359 Entsprechend herzlich und ungezwungen verliefen die fünf Tage im Oktober 1963.360 Auf dem Programm stand nicht nur eine gemeinsame Jagd mit dem König, sondern auch eine Rede vor Studenten an der Universität Kabul, in der Breschnew von seinen harten, aber glücklichen Studienjahren erzählte. Er pries die Sowjetunion als „Bastion für den Frieden“ und die Kosmonautin Walentina Tereschtschkowa als Beispiel auch für afghanische Frauen.361 Das Verhältnis zum Iran war schwieriger: Zwar hatte der Iran als eins der ersten Länder die junge Sowjetunion anerkannt, aber während des Zweiten Weltkriegs hatte die Sowjetunion den Iran besetzt und danach hatte sich das Reich des Schahs von den USA abhängig gemacht. Doch 1963 startete Schah Reza Pahlavi ein Reformprogramm, von dem auch die Sowjetunion profitierte. Neben einem Grenzabkommen wurden wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit sowie der Bau eines Wasserkraftwerks am Grenzfluss Atrak vereinbart.362

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Angesichts der im Iran bestehenden besonderen Konkurrenzsituation mit den USA erklärte Breschnew bei einer Rede vor dem iranischen Parlament, dass die Sowjetunion mehr Zement, Werkbänke, Elektromotoren usw. als die USA herstellte und in den kommenden sieben Jahren doppelt so viel wie Amerika produzieren würde.363 Breschnew lobte die großen Projekte der Sowjetunion zur Umgestaltung der Natur. Von ihnen würde auch der Iran als Anrainerstaat des Kaspischen Meeres profitieren, wenn man die sibirischen Flüsse wie geplant in den Süden umleiten würde: „Der Sowjetmensch verändert das Antlitz der Natur für ein besseres Leben, für das Glück der Menschen.“364 Die Zeitungen berichteten durchaus ambivalent über Breschnews Besuch: Der Iran sei kein reifer Apfel, der dem Kommunismus bald in die Hand fallen werde; man sei ein Freund des Westens, aber dürfe im Namen eines besseren Lebens für die Bevölkerung auch die Hilfe der Sowjetunion nicht ablehnen.365 Breschnew, der mit seiner Frau die alten Königsstädte Isfahan und Schiras besichtigte, zeigte sich voller Anerkennung und Ehrfurcht für die persische Kultur: „Wir haben in unserem Museum ‚Eremitage‘ in Leningrad viele historische Kulturdenkmäler aus dem Iran, aber hier habe ich solche Dinge gesehen, dass ich zugeben muss, dass das, was wir in der Eremitage haben, in keiner Weise mit der Großartigkeit und Pracht dieses Teils zu vergleichen ist.“366 Wesentlich einfacher, aber auch weniger glamourös, waren Breschnews Reisen in die Bruderstaaten Jugoslawien und Tschechoslowakei. Im September 1962 besuchte er den jugoslawischen Staatschef Tito, mit dem er sich auch später, als er selbst Generalsekretär war, sehr gut verstehen sollte. Gemeinsam standen sie im offenen Wagen und nahmen die Ovationen der Einwohner von Belgrad ­entgegen, gemeinsam gingen sie jagen.367 Auch mit dem tschechoslowakischen Präsidenten Antonín Novotný ging Breschnew auf die Jagd. Er verbrachte im Dezember 1963 fünf Tage in der Tschechoslowakei, um 20 Jahre sowjetischtschechoslowakisches Freundschaftsabkommen zu feiern. Dazu gehörte ein feierlicher Empfang auf der Prager Burg, die Niederlegung von Kränzen, die Teilnahme an der Festsitzung des ZK, die Besichtigung mehrerer Fabriken und auch ein Besuch in Bratislava.368 Hier erinnerte Breschnew an die gemeinsamen Kriegserfahrungen und seine eigenen Kriegsjahre: 1943 sei ein Vertrag geschlossen worden, mit dem sich die Tschechoslowaken verpflichteten, um Kiew so zu kämpfen, als sei es Prag oder Bratislava. „Und als die Befreiung der tschechoslowakischen Erde begann, da haben unsere Soldaten und Offiziere um Prag und Bratislava so gekämpft wie um Kiew, um sowjetische Städte und Dörfer!“369

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Es scheint, als habe Breschnew das Reisen und Repräsentieren gefallen. Die wirklichen Verhandlungen über Wirtschaftsabkommen, technische Hilfen, Kredite und Waffen musste er nicht führen; dafür hatte er stets eine große Delegation und die Fachminister dabei. Ihm war es vergönnt, weitgehend unbelastet von solchen Unterhandlungen die Erfolge der Sowjetunion zu bewerben und sich die Sehenswürdigkeiten der fremden Länder zeigen zu lassen.370 Mit der Aufgabe, die Sowjetunion als Modell und Verkaufsschlager vorzuführen, und dem eigenen Beitrag dazu, durch Charme und Witz die Attraktivität des Sozialismus zu unterstreichen, war er ein wichtiger Bestandteil der Chruschtschow’schen Außenpolitik. Als Mitglied des Parteipräsidiums war Breschnew weiterhin auch in alle anderen wichtigen außenpolitischen Fragen eingebunden. So war er zugegen, als die Parteiführung 1962 im Mai erst die Stationierung von Raketen auf Kuba und im Oktober angesichts der drohenden Eskalation des Konflikts mit den USA in großer Anspannung deren Abzug beschloss.371 Abgesehen von solchen Krisen verlebte Breschnew, so darf man zumindest vermuten, drei seiner besten Jahre im Amt des Präsidenten. Auch seine Frau versicherte später in einem Interview, sie hätten ein interessantes Leben geführt.372 Zu den Chruschtschows hätten sie kein sehr enges, aber ein gutes Verhältnis gehabt, so Viktorija Petrowna. Nina Petrowna habe sie immer zum Frauentag am 8. März eingeladen, und Nikita Sergejewitsch habe regelmäßig an den Feiertagen auf dem Jagdanwesen Sawidowo große Feste organisiert, zu denen er außer den Präsidiumsmitgliedern auch Schauspieler und Schriftsteller eingeladen habe. Die Männer hätten gemeinsam geangelt und gejagt – ihr Mann allerdings ausschließlich gejagt.373 Jedoch brachten diese interessanten Jahre private Sorgen: Nach elf Jahren Ehe trennte sich Tochter Galina 1962 von ihrem Mann Milajew und zog zurück zu ihren Eltern an den Kutusowski-Prospekt. Breschnew organisierte ihr die Nachbarwohnung, ließ einen Durchbruch zu ihrer Wohnung machen und die Wohnungseingangstür von Galina zumauern. Er wollte, so seine Frau Viktorija, von nun an wissen, wer ein und aus gehe und mit wem seine Tochter verkehre. „Genug herumgestromert!“, habe er gesagt.374 Acht Jahre lebte Galina hier mit ihnen unter einem Dach.375 Viktorija Petrowna verschweigt allerdings, dass der Grund für die Trennung von Milajew die neue, noch „skandalösere“ Beziehung der 32-jährigen Galina zu dem 18-jährigen Zauberkünstler Igor Kio war.376 Breschnew sorgte im Herbst 1962 höchstpersönlich dafür, dass Galinas Ehe mit Kio, deren Schließung sie ihren Eltern verheimlicht hatte, nach nur neun Tagen wie-

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der annulliert wurde.377 Dennoch dauerte die Beziehung von Galina und Kio vier Jahre. Die zugemauerte Wohnungstür diente wohl vor allem dem Zweck, Kio draußen zu halten.

Chruschtschows Absetzung Das Ende der „guten Zeiten“ kam für Breschnew durch zwei Entwicklungen. Frol Koslow (1908–1965), Chruschtschows engster Vertrauter, sein Stellvertreter sowohl im Ministerpräsidentenamt als auch als Parteivorsitzender sowie auch sein potentieller Nachfolger, erlitt im April 1963 einen Infarkt, von dem er nicht wieder genesen sollte. Chruschtschow sah sich daher im Juni 1963 gezwungen, die Macht im Parteipräsidium neu zu verteilen. Er berief Nikolai Podgorny vom Posten des Ersten Sekretärs der Ukraine ab und machte ihn zusammen mit Breschnew zum ZK-Sekretär.378 Als erneuter ZK-Sekretär sollte Breschnew sein Amt als Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets abgeben, wurde aber erst ein Jahr später im Juli 1964 abberufen.379 Mit diesem Revirement ging eine zweite Entwicklung einher: Die führenden Parteikader empfanden zunehmend Unmut angesichts der Praxis Chruschtschows, sie nach eigenem Gutdünken – und ohne sie zu fragen – abzuberufen bzw. zu ernennen. Weder hatte Podgorny die Ukraine verlassen wollen,380 noch wollte Breschnew sein Amt als Präsident aufgeben. Der Erste Sekretär Georgiens, Wassili Mschwanadse, den Chruschtschow eigentlich auch zum ZK-Sekretär berufen wollte, hatte sich als Einziger erfolgreich gegen die Versetzung nach Moskau wehren können.381 Die Veränderungen im Präsidium fanden unter der Überschrift „Stärkung der Wirtschaftskader“ statt, da sowohl Podgorny als auch Breschnew studierte Ingenieure waren und einige Erfahrung in der Wirtschaftsführung vorweisen konnten. Breschnew erhielt erneut die Zuständigkeit für die Rüstungsindustrie und die Raumfahrt.382 Zerstörte Karrieren

Diese Zwangsversetzungen waren nur die Zuspitzung einer Entwicklung, die der Entourage Chruschtschows zunehmend das Gefühl vermittelte, dieser springe mit ihnen um, wie es ihm gerade einfiele.383 Er hatte bereits zahlreiche der von Breschnew protegierten Kader in den Republiken abgesetzt:384 Schtschjolokow

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verlor 1962 sein Amt als stellvertretender Ministerratspräsident von Moldawien, Kunajew musste im Dezember 1962 den Posten des Ersten Parteisekretärs Kasachstans und Schtscherbitzki 1963 das Amt des Premiers der Ukraine räumen und verlor den Kandidatenstatus für das Parteipräsidium.385 Doch es traf nicht nur Breschnews Gefolgsleute: Quer durch die politischen Seilschaften ging der Unmut über zerstörte Karrieren bzw. die Angst davor. Chruschtschow hatte „Entstalinisierung“ in „sozialistische Demokratie“ übersetzt, was für ihn die Durchlässigkeit von Ämtern, Rotation auf Wahlposten und Dezentralisierung bedeutete. Er schien dabei das gewachsene System aus Patron und Klienten-Verbünden zu ignorieren. 1957 hatte er eine Reihe von Ministerien zerschlagen, deren Kompetenzen an die neuen, regionalen Volkswirtschaftsräte übertragen und damit zahlreiche ehemalige Mitstreiter ihrer Hausmacht beraubt.386 1961 hatte er das Rotationsprinzip eingeführt, nach dem bei jeder Wahl ein Drittel aller Kader ausgewechselt wurde. Ganz gleich für welches Parteigremium, jeder durfte nur noch für zwei Amtszeiten kandidieren.387 1962 hatte er begonnen, auch die Parteikomitees zu zerschlagen: in solche für Landwirtschaft und solche für Industrie.388 Ferner hatte Chruschtschow die „Couverts“ abgeschafft, in denen verdiente Kader jeden Monat eine Extrazahlung erhalten hatten, und hatte weitere Privilegien wie Dienstautos mit Chauffeur gestrichen.389 Seine Umstrukturierungswut traf aber nicht nur Partei und Regierungsapparat, sondern auch die Armee, die er verkleinerte, sowie den KGB und das Außenamt, die er ebenfalls reformieren und umgestalten wollte.390 Er stoppte nicht nur anstehende Beförderungen im KGB, sondern hänselte auch den KGB-Vorsitzenden Semitschastny öffentlich mit der Unterstellung, dieser wünsche sich so sehnlich eine Generalsuniform.391 Die würdelose Entlassung der Volkshelden Woroschilow und Schukow hatte weiteren Unmut erzeugt. Seine Gefolgsleute störten sich nicht nur an willkürlichen Versetzungen und zerstörten Netzwerken, sondern auch daran, dass Chruschtschow nicht einmal mehr die Form wahrte und mit seinen despektierlichen Äußerungen deutlich zum Ausdruck brachte, dass er auch für die Parteiinstitutionen nur noch wenig Respekt empfand. So ulkte er zuweilen zu Beginn eines ZK-Plenums: Erlauben Sie mir, die verantwortungsvolle Funktion zu übernehmen, die Personen [für die Wahl] vorzuschlagen, denn aus dieser Menge jemanden auszuwählen ist nicht einfach – wen immer man vorschlägt, nicht alle werden zufrieden sein (Lachen, Belebung im Saal). Und das ist ganz natürlich. Jeder Soldat möchte Marschall sein. Aber

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wenn alle Marschall wären, dann gäbe es keine Soldaten mehr, dann gäbe es keine Armee mehr.392

Nur in seinen ersten Jahren im Amt hatte Chruschtschow im Namen des Kollektivs gesprochen und auf den Meinungsaustausch mit den anderen als Legitimationsquelle seiner Reden verwiesen.393 Ab 1960 sprach er zunehmend nur noch von sich selbst („Ich denke …“, „Ich schlage vor …“, „Ich ernenne …“).394 Auch sein Missfallen an der Einsetzung von Redaktionskommissionen, die auf den ZK-Plenarsitzungen die Resolutionen ausarbeiteten, drückte er immer unverhohlener aus: „Also lassen Sie uns Seite für Seite [durch den Text] gehen, um das zu beschleunigen. Das ist, offenbar, eine bewährte Methode. Gibt es zur ersten Seite Anmerkungen? Nein. Gibt es zur zweiten Seite Anmerkungen? Nein.“395 Dazu entwickelte Chruschtschow Allüren, wie sie auch Stalin gezeigt hatte: Er beteuerte im Parteipräsidium, alt und überarbeitet zu sein, und wenn dem jemand zustimmte, wie es der unerfahrene Parteisekretär Leningrads, Iwan ­Spiridonow, 1962 tat, dann bedeutete das das Ende für dessen Karriere.396 Zerrüttete Beziehung

Schließlich empfanden Breschnew und seine Genossen Chruschtschows unbezwingbare Lust daran, andere zu hänseln, aufzuziehen und bloßzustellen, als Zumutung. Um all seine sachfremden Spöttereien nicht dokumentieren zu lassen, musste Chruschtschow die Stenogramme der ZK-Plenarsitzungen in immer größerem Umfang umschreiben lassen. Der Schlagabtausch mit seinen Genossen wurde ihm in eigens dafür angelegten Akten vorgelegt, die er dann „säuberte“.397 Allein für das ZK-Plenum im Februar 1964 wurden Chruschtschow 86 Blatt mit seinen verbalen „Entgleisungen“ zur Selbstzensur vorgelegt. Darunter fanden sich despektierliche Worte über Wissenschaftler, von denen Chruschtschow meinte, sie sollten für ihre praktische Arbeit und nicht für Ruf und Ehre ausgezeichnet werden: „Sie müssen hier selbst Initiative zeigen und aufräumen, sonst heißt es wieder, der Ministerrat beleidigt die Gelehrten. (Bewegung im Saal).“398 Er beschuldigte Regionalsekretäre, den Bau fünfstöckiger Häuser zu versprechen, aber nur drei Stockwerke zu errichten, oder hohe Ernten zuzusagen, aber dann doch unter den Planvorgaben zu bleiben: „Ich sage das hier, um herauszufinden, ob uns die Krasnodarer nicht angeschwindelt haben? Sie haben sich verpflichtet, 30 Zentner pro Hektar zu liefern. Ich denke, sie haben geschwin-

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delt. (Bewegung im Saal).“399 Oder er fuhr einem Gebietsleiter über den Mund: „Wir haben solche Beteuerungen schon viele gehört. Wir brauchen aber die Ernte. Geben Sie uns die Ernte – das ist die beste Beteuerung.“400 Chruschtschow schreckte auch nicht davor zurück, Hilfsersuchen als rhetorische Manöver bloßzustellen: Nein, nein. Lassen Sie uns das klarstellen. Das ist ein raffinierter rhetorischer Versuch (Belebung im Saal) – zu sagen, ich nehme die und die Verpflichtungen auf mich, aber helft mir, und wenn ich das nicht eingehalten habe, zu sagen: Man hat mir nicht geholfen. Damit kommen Sie nicht durch! (…) Sie haben alle Produktionsmittel. Das ist die entscheidende Hilfe, und alles andere hängt von diesem Körperteil ab (zeigt auf seinen Kopf). (Bewegung im Saal, Lachen)401

Die letzte Plenarsitzung des Zentralkomitees, die Chruschtschow am 11. Juli 1964 zusammenrief, damit es dem Präsidium des Obersten Sowjets endlich die Ersetzung Breschnews durch Anastas Mikojan vorschlage, war wohl der Höhepunkt bzw. Tiefpunkt seiner verbalen Entgleisungen. Während das offizielle Protokoll einen durch nichts auffälligen Sitzungsverlauf dokumentiert,402 zeigt das ursprüngliche Stenogramm die verbalen Ausfälle, die sich Chruschtschow gegenüber Breschnew, aber auch der Akademie der Wissenschaften erlaubte. Die gesamte Sitzung leitete er in einem vertraulichen, distanzlos-spottenden Ton: Anstelle von Genosse Breschnew wird als Kandidat Genosse Mikojan vorgeschlagen. Ich denke doch, dass Sie bereits von ihm gehört haben. (Lachen) Wer will ihm dafür eine Abreibung verpassen, wie der [Schriftsteller] Genosse Scholochow gesagt hat, d.h. nicht Scholochow, sondern [seine Romanfigur] Schtschukar. Wann hat der jemandem eine Abreibung verpasst, Anastas Iwanowitsch [Mikojan]? Das ist ein Test. Er weiß es nicht. Vielleicht sollten wir dir dafür eine Abreibung verpassen? (…) Ich sehe, das Plenum ist zu Scherzen aufgelegt. Das ist offensichtlich ein gutes Zeichen, und vermutlich gibt es keinen Widerspruch?403

Nachdem Chruschtschow derart erst Mikojan aufgezogen hatte, machte er sich über Breschnew lustig. Da seine Frage, ob sich niemand gegen den Wechsel ausspreche, mit Applaus beantwortet wurde, wandte er sich an Breschnew mit den Worten: „Warum applaudieren die? Sie freuen sich, dass Sie entlassen werden.“404 Breschnews schwachen Widerspruch, der Applaus sei als Dank für seine geleis-

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tete Arbeit zu verstehen, quittierte Chruschtschow mit den Worten: „Ich denke, niemand fordert eine Abstimmung, denn wir gehen einfach davon aus, dass die einen applaudieren und damit den Antrag unterstützen und die anderen, um Ihnen damit zu danken.“405 Danach folgte eine furiose Rede über den Zustand von Wirtschaft und Landwirtschaft, die in eine Tirade über den Atomphysiker Andrei Sacharov und in eine Drohung an die Akademie der Wissenschaften mündete: „Genossen, für die politische Führung, denke ich, haben wir unsere Partei und das ZK, und wenn sich die Akademie der Wissenschaften einmischen wird, werden wir sie zur Großmutter des Teufels jagen, denn die Akademie der Wissenschaften, wenn man so will, brauchen wir nicht, wir brauchen die Wissenschaft in den Produktionszweigen (…).“406 Chruschtschow brachte mit diesem Auftritt nicht nur die gelehrte Welt endgültig gegen sich auf. Er dokumentierte auch einen Tiefpunkt in seinem Verhältnis zu Breschnew, den er zusätzlich demütigte, als er sagte, Breschnew müsse ausgewechselt werden, weil die neue Verfassung dem Präsidium des Obersten Sowjets mehr Bedeutung zuschreibe. Anders gesagt: Breschnew werde der neuen Bedeutung nicht gerecht. Die Absetzung Breschnews an sich pries er als Akt der Demokratie: „(…) damit alles demokratischer wird, muss man Widerstände überwinden, den einen absetzen und den anderen ernennen.“407 Obwohl sie noch zusammen auftraten, hatten sie sich offenbar entzweit. Die Loyalität, die Chruschtschow anfangs für Breschnew eingenommen hatte und die er durch sein Verhalten auch einforderte, schien ihn zunehmend anzuekeln. Er verbreitete über Breschnew, er sei ein „Phrasendrescher“, „Draufgänger“ und „großer Schmeichler“.408 Auch im Präsidium stichelte er gegen Breschnew, ständig würden ihm Rechnungen für Staatsessen präsentiert, die er gar nicht gegeben habe: „Dort steht ein Dinner mit der indischen Parlamentarierdelegation für soundso viel, aber ich habe nicht mit ihr gegessen, sie nicht empfangen. Ich denke, dass Breschnew ihnen das ausgegeben hat.“409 Entsprechend fürchtete Breschnew Chruschtschows Wutausbrüche. Nachdem sich Chruschtschow erneut Anfang Juli 1964 in seiner Gegenwart über die Unfähigkeit des ukrainischen Parteichefs Petro Schelest ausgelassen hatte,410 vertraute er diesem an: „Chruschtschow respektiert uns nicht, er ist grob, gibt uns Spitznamen und hängt uns alle möglichen Etiketten an; alle Entscheidungen trifft er allein. Er hat vor kurzem erklärt, dass unsere Führung veraltet sei und erneuert werden müsste. Er sammelt ‚Schlüssel‘, um uns alle auseinanderzujagen.“411

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In der Tat erklärte Chruschtschow am 11. Juli auf dem ZK-Plenum, dass es im Land viele junge, talentierte, gut ausgebildete Leute gebe – nur nicht im ZK: „Aber wir lassen sie nicht gewähren, weil sie keinen Bart haben.“412 Er kündigte an, im November 1964 ein Plenum einzuberufen, auf dem die Kader entsprechend verjüngt werden sollten.413 Chruschtschow bekräftigte dies, als er auf der ZK-Präsidiumssitzung am 17. September vor seiner Abreise in den Urlaub verkündete, nach seiner Rückkehr werde er auch das Parteipräsidium zerschlagen.414 Damit verbreitete er Angst und Schrecken unter den gestandenen Parteikadern, die um ihre Posten und Netzwerke bangten. Dem Parteichef der Ukraine, Schelest, vertraute er an: „‚Unser Präsidium ist eine Haufen alter Männer (…), ihm gehören viele Leute an, die das Reden lieben, aber nicht arbeiten wollen.‘ Dann äußerte er sich erneut äußerst abfällig über Breschnew und nannte ihn einen Hohlkopf.“415 Er fuhr fort: „Wir werden ein Plenum einberufen, allen den Kopf waschen und jedem zeigen, wie und wo er zu arbeiten hat.“416 Allem Anschein nach wollte er neben Breschnew auch Kossygin, Suslow und Podgorny aus dem Präsidium entfernen.417 Für Chruschtschows Entourage bestand kein Zweifel mehr: Ihr einstiger Förderer entwickelte sich zusehends vom Reformer und Entstalinisierer zum Tyrannen. Sie empfanden, dass Chruschtschow nach dem überstandenen Putsch 1957, der Erneuerung des Parteipräsidiums und dank des Sputniks seinen Erfolg als so selbstverständlich ansah, dass er keinerlei Rücksicht mehr auf ihre Befindlichkeiten nahm. Allerdings wäre es zu einfach, diese Entwicklung allein auf Chruschtschows Charakter zu schieben und mit seiner Persönlichkeit zu erklären. Da die Genossen in der Parteileitung nach dem Ausschluss der Anti-ParteiGruppe 1957 Chruschtschow nicht mehr ernsthaft widersprachen und zumindest am Ende jeder Diskussion seine Meinung als die einzig wahre galt, entstand ein Personenkult, der in der absoluten Gefolgschaft dem unter Stalin nicht unähnlich war. Erstaunlich ist aber, dass die ZK-Mitglieder diesen Personenkult mit ihrer Unterwürfigkeit selbst ins Werk setzten, obwohl sie wussten, dass ihnen weder Haft noch Folter drohten. Offenbar spielten hier mehrere Faktoren zusammen: die immer noch empfundene Angst, auch wenn sie kognitiv überwunden war; die seit Lenins Zeiten eingeübte Parteidisziplin, dass einem Parteiführer und seiner Generallinie nicht zu widersprechen sei; die Vorstellung, nach dem gemeinsamen Sieg über die alten Gefolgsleute Stalins im Juni 1957 eine verschworene Gemeinschaft zu sein, die sich keine Kontroversen leisten könne; und schließlich die „Strafmaßnahmen“ Chruschtschows, der widerspenstige Genos-

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sen oder potentielle Rivalen absetzte und entmachtete. Erstaunlich ist daher auch, dass Chruschtschow, der es hätte besser wissen müssen, seine Klientel, die ihm 1957 sein politisches Überleben ermöglicht hatte, derart vor den Kopf stieß. Er muss der Meinung gewesen sein, dass es ausreiche, wenn er potentiell konkurrierende Patrone wie Schukow entmachtete. Dass er 1964 die Verschwörer verdattert fragte, wenn sie mit ihm unzufrieden gewesen seien, warum sie denn dann nicht vorher etwas gesagt hätten,418 zeugt von einer Verkennung sowohl seines eigenen Charakters als auch der Parteikultur. Verschwörung

Auch wenn wir nicht wissen, wann genau und wie es geschah, müssen sich Podgorny und Breschnew, die sich trotz der Konkurrenzsituation als ZK-Sekretäre gut verstanden,419 bald darüber verständigt haben, dass Chruschtschow nicht länger tragbar sei. Es gibt dazu keine Dokumente, denn die Verschwörer waren überaus vorsichtig und konspirierten ausschließlich mündlich.420 Das hatte sie die jahrelange Erfahrung unter Stalin gelehrt, und selbst unter Chruschtschow fürchteten sie die sofortige Verhaftung,421 obwohl er die Anti-Partei-Gruppe 1957 mit sehr glimpflichen Strafen hatte davonkommen lassen. Daher ist oder war lange umstritten, wer den Putsch angeführt und ausgeklügelt habe. Fjodor Burlatsky, Mitstreiter Chruschtschows, ist der Meinung, dass Breschnew eine absolut untergeordnete Rolle gespielt habe.422 Viele hätten Suslow als Parteiideologen und strategischen Denker für die treibende Kraft gehalten; auch über Suslow hatte sich Chruschtschow „vernichtend“ geäußert.423 Aber, so Burlatsky, die eigentlichen Strippenzieher seien Alexander Schelepin, Wladimir Semitschastny und Petro Schelest gewesen.424 Es sei ein Aufstand der „Jungtürken“ gegen die ältere Generation gewesen, denn Schelepin und Semitschastny hatten ihre Karriere in der Führung des Komsomol begonnen. 1961 hatte Semitschastny die Leitung des KGB von Schelepin übernommen, der ZKSekretär wurde. Verabredet und verschworen hätten sie sich in Sportstadien während Fußballspielen.425 Doch während Burlatsky dem Sohn Chruschtschows, Sergei, vorwirft, er habe sich darin geirrt, dass Breschnew die Verschwörung gegen seinen Vater anleitete,426 wird genau das von allen Beteiligten bestätigt.427 Sowohl der Erste Sekretär der Ukraine, Schelest, als auch Semitschastny haben ausführliche Aufzeichnungen hinterlassen, in denen sie glaubhaft machen, dass Breschnew sie anstiftete.428

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Während Burlatsky ätzt, die Macht sei zu Breschnew wie ein „Geschenk Gottes“ gekommen,429 erläutert Semitschastny, dass es formal zu Breschnew auch gar keine Alternative gegeben habe: Weder Schelepin noch Schelest oder Semitschastny waren Präsidiumsmitglieder.430 Zudem hat Sergei Chruschtschow recht damit, dass Schelepin, der stellvertretende Ministerratspräsident Dmitri Poljanski und andere an sich keinen Grund für den Putsch gehabt hätten, weil eine „Verjüngung“ des Präsidiums genau ihre Karriere beschleunigt hätte und Chruschtschow sie als Ersatz für Breschnew, Suslow und andere vorgesehen hatte.431 Diejenigen aber, die um ihre Posten fürchten mussten, teilten die Spitzenpositionen unter sich auf: Breschnew selbst würde Parteivorsitzender, Kossygin Premierminister und Podgorny Präsident werden. Und so nahm die Verschwörung ihren Lauf. Schelest schreibt in seinen Tagebüchern, dass er seit Anfang 1964 den Eindruck bekam, dass an der Spitze der Partei etwas vorgehe, dass dort Unruhe herrsche und sich ein Machtkampf vorbereite. Er schloss das daraus, dass sich Breschnew und Podgorny seit Jahresbeginn laufend danach erkundigten, wie Chruschtschows Stimmung sei und ob er etwas über sie gesagt habe. Ganz gleich ob Chruschtschow mit Fidel Castro und Podgorny im Januar 1964 zur Jagd in die Ukraine kam oder im März auf dem Weg in den Urlaub dort vorbeischaute, ob Schelest seinen Geburtstag feierte oder zum ZK-Plenum nach Moskau anreiste, stets meinte Schelest eine „Nervosität“ zu verspüren, hörte er Anspielungen, wie unhaltbar die Lage in der Parteispitze sei, und löcherte Breschnew ihn mit Fragen, wie Chruschtschow sich über ihn geäußert habe.432 „Ich begann zu bemerken, dass sich Breschnew angesichts meiner Treffen mit Chruschtschow irgendwie zutiefst beunruhigt zeigte; dass er Chruschtschow panisch, mit Todesangst fürchtete, schien schon ein bewiesenes Faktum zu sein.“433 Am 17. April 1964 feierte Chruschtschow seinen 70. Geburtstag, und die Parteispitze kam zu ihm in die Leninberge, um dort mit ihm anzustoßen. Aber auch an diesem Tag, glaubt man Schelest, gab es eine nervöse Grundstimmung. Breschnew habe unter dem Vorwand, man wolle Chruschtschow nicht ermüden, die Genossen sehr bald zum Aufbruch gedrängt, obwohl Chruschtschow offensichtlich gern noch länger gefeiert hätte.434 Aber erst im Juli 1964 zogen Breschnew und Podgorny Schelest ins Vertrauen und beauftragten ihn, mit allen ukrainischen ZK-Sekretären zu sprechen.435 So versicherten Breschnew und Podgorny sich nach und nach der Unterstützung aller. Lange Zeit war jedoch unklar, wie die Absetzung vonstattengehen sollte. Der damalige KGB-Vorsitzende Semitschastny behauptet, Breschnew habe ihn damals

Chruschtschows Absetzung

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gefragt, ob der KGB nicht Chruschtschow auf dem Rückweg von seiner Schwedenreise im Juni 1964 verhaften und „physisch vernichten“ könnte.436 Der Journalist Tomas Sniegon, der Semitschastny beim Verfassen seiner Memoiren half, hält diese Aussage für absolut glaubwürdig. Semitschastny beteuert, dass Breschnew ganz offenbar nach einem Weg gesucht habe, Chruschtschow bei dessen Absetzung nicht in die Augen schauen zu müssen.437 Er, Semitschastny, habe das Ansinnen sofort abgelehnt, denn auch im KGB sei keiner zu einem Mord bereit gewesen und eine solche gesetzeswidrige Tat hätte in der ganzen Welt für Aufsehen gesorgt.438 Schelest bestätigt zumindest, dass die Frage einer Verhaftung diskutiert wurde.439 Doch die Eingeweihten setzten auf eine regelkonforme Absetzung, nämlich die Einberufung eines ZK-Plenums, das formal legitimiert war, den Parteichef auszuwechseln. Die Organisatoren der Absetzung hätten sich Anfang September auf Podgornys Datscha getroffen und das Vorgehen besprochen. Es habe große Ratlosigkeit geherrscht. Er selbst, Schelest, habe „im Eifer“ sogar vorgeschlagen, die Absetzung in der Ukraine zu beginnen: Chruschtschow zu einem Plenum der ukrainischen Partei zu laden, ihn hier mit den Vorwürfen zu konfrontieren und dementsprechend auf ein Plenum in Moskau zu drängen, auf dem sein Führungsstil Thema sein sollte. Aber Breschnew habe sich gegen diese Kiew-Variante ausgesprochen und darauf bestanden, dass Moskau Ort des Geschehens sein müsse.440 Doch die reguläre Arbeitssitzung des Präsidiums am 25./26. September 1964 verstrich, ohne dass die Verschwörer zur Tat schritten.441 Laut Schelest wussten die meisten bereits von den Plänen, aber alle lobten und priesen noch Chruschtschow, wie er es von ihnen erwartete und gewohnt war.442 Das ZK setzte eine Gruppe unter der Leitung Schelepins und Poljanskis ein, die das kommende ZKPlenum zum Thema Landwirtschaft vorbereiten sollte, das Chruschtschow für den November angesetzt hatte; er ahnte nicht, dass Schelepin und Poljanski diese Gruppe nutzen würden, um seine Absetzung vorzubereiten.443 Schelest und Semitschastny schreiben beide, dass sie im September Breschnew drängten, endlich zur Tat zu schreiten: Es wüssten bereits zu viele von dem Vorhaben, es werde langsam gefährlich.444 Semitschastny warnte Breschnew sogar, wenn Chruschtschow davon erfahre, dann werde er, Semitschastny, als KGB-Vorsitzender den Befehl erhalten, Breschnew zu verhaften, und er werde es tun. 445 Chruschtschow wurde in der Tat gewarnt, dass ein Komplott gegen ihn vorbereitet werde. Der stellvertretende Ministerpräsident Nikolai Ignatow wollte sich offenbar alle Optionen offenhalten und unterrichtete über seinen Perso-

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nenschützer, einen Angehörigen des KGB, Chruschtschows Sohn Sergei. Der trug das am 27. September seinem Vater vor, nahm die Warnung aber offenbar selbst nicht allzu ernst.446 Auch Chruschtschow wollte es nicht glauben; vor allem, dass Schelepin und Semitschastny daran beteiligt seien, hielt er offenbar für unmöglich.447 Mikojan, der bei ihm im Urlaub auf der Krim in Pitsunda weilte und als einer der engsten Vertrauten Chruschtschows ebenfalls noch nicht eingeweiht war, bestärkte Chruschtschow in dem Glauben, dass diese Information nicht ernst zu nehmen sei.448 Derweil fürchtete Breschnew, glaubt man Semitschastny, das Gespräch mit dem Verteidigungsminister Radion Malinowski, das er bis zuletzt hinauszögerte. Er reiste nach Ostberlin zur Feier des 15. Jahrestages der Staatsgründung der DDR und kehrte erst am 11. Oktober nach Moskau zurück, nachdem Malinowski der Absetzung Chruschtschows zugestimmt hatte.449 Am 12. Oktober 1964 trafen sich die Verschwörer in Breschnews Wohnung: Chruschtschow sollte unter dem Vorwand, dass die schwierige Lage der Landwirtschaft keinen Aufschub dulde und sofort ein Plenum einberufen werden müsse, nach Moskau gelockt werden.450 „Den zitternden Breschnew mussten wir buchstäblich zum Telefon schleppen, solch eine Angst ergriff ihn, als ihm bewusst wurde, dass es ihm oblag, die ganze Aktion zu beginnen“, erinnert sich Semitschastny.451 Chruschtschow reagierte unwirsch und polterte, das könne warten; nur auf Breschnews Insistieren hin versprach er, es mit Mikojan zu besprechen. Erst um Mitternacht, so Semitschastny, hätten sie erfahren, dass Chruschtschow tatsächlich für den folgenden Tag ein Flugzeug bestellt hatte.452 Mikojan berichtet, dass Chruschtschow in diesem Moment verstanden habe, worum es ging: „Die Landwirtschaft ist nur ein Vorwand. Sie wollen über mich entscheiden. Nun, wenn sie alle gegen mich sind, werde ich mich nicht wehren.“453 Am 13. Oktober traf Chruschtschow mit Mikojan in Moskau auf dem Flughafen ein, wo er nicht, wie üblich, vom ganzen Präsidium empfangen, sondern einzig von Breschnew abgeholt wurde. Sie fuhren sofort in den Kreml, wo alle anderen zur Präsidiumssitzung bereits versammelt waren und seit 15:00 Uhr auf Chruschtschow warteten.454 Chruschtschow nahm seinen Platz als Vorsitzender ein und fragte: „Nun, was ist passiert? (…) Wer kann mir sagen, was hier Sache ist?“455

Anmerkungen

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Taubman, Khrushchev, S. 261; Martin McCauley: Khrushchev and the Development of Soviet Agriculture. The Virgin Land Programme 1953–1964, London 1976, S. 47–50; Michaela Pohl: From White Grave to Tselinograd to Astana. The Virgin Lands Opening, Khrushchev’s Forgotten First Reform, in: Denis Kozlov/Eleanor Gilburd (Hg.): The Thaw. Soviet Society and Culture During the 1950s and 1960s, Toronto 2013, S. 269–307. McCauley, Khrushchev and the Development of Soviet Agriculture, S. 74; Murphy, Brezhnev, S. 137. Breshnew, Neuland, S. 10. P.K. Ponomarenko, in: Danijar Ašimbaev/Vitalij Chljupin: Kazachstan. Istorija vlasti, opyt rekonstrukcii, Alma-Ata 2008, S. 472. APRK, f. 708, op. 27: CK KP Kazachstana, d. 2: Stenogramma zasedanij VII s’’ezda KP Kaz 18.2.1954g., l. 411; d. 35: Protokol i stenogramma zasedanija I. Plenuma CK KP Kaz 19.2.1954g., l. 4. Die Partei war auf dem September-Plenum 1953 in Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) umbenannt worden. APRK, f. 708, op. 27, d. 29: Stenogramma zasedanij IX Plenuma KP Kaz 5.–6.2.1954g., l. 32. Ebenda, l. 44. Ebenda, l. 236. APRK, f. 708, op. 27, d. 2: Stenogramma zasedanija VII s’’ezda KP Kaz 18.2.1954, l. 18 ff. APRK, f. 708, op. 27, d. 35: Protokol i stenogramma zasedanija I plenuma CK KP Kaz 19.2.1954g., l. 4. APRK, f. 708, op. 28, d. 49: Materialy k protokolu No. 39 zasedanija bjuro CK KP Kaz 12.4.1955g.; d. 79: Materialy k protokolu No. 49 zasedanija bjuro CK KP Kaz 18.7.1955, l. 26; d. 284: Dokladnye zapiski, spravki, informacii i predloženija otdela partijnych organov CK KP Kaz na imja členov bjuro i sekretarej CK, 5.1.–30.8.1955g., l. 76. Der Gehirntumor war vermutlich Folge des ersten erfolgreichen Atombombentests 1949 in Kasachstan, in dessen unittelbarer Nähe sich Schajachmetow aufgehalten hatte. Die Behauptung, er sei gar nicht krank, sondern würde das Theater besuchen, war offenbar eine Intrige seines Stellvertreters Tarasenko. V.A. Livencov in: Kazachstan. Istorija vlasti, S. 479. Breshnew, Neuland, S. 13, 15; R.K. Šepel’ [ehemaliger Direktor des APRK]: Brežnev. Dva goda v Kazachstane, http://www.nomad.su/?a=15-201301180012, abgerufen am 29.10.2014. Vladimirov, Tandem, S. 156. APRK, f. 708, op. 27, d. 122: Materialy k protokolu No. 20 zasedanija bjuro CK KP Kaz, 21.8.1954g. „O krupnych nedostatkach v naučno-ateističeskoj propagande i merach ee ulučenija“, l. 6. Robert Kindler: Stalins Nomaden. Herrschaft und Hunger in Kasachstan, Hamburg 2014, S. 232. Ebenda, S. 342. APRK, f. 708, op. 27, d. 155: Protokoly zasedanij bjuro CK KP Kaz, hier: No. 24, 6.10.1954g., l. 55. Spanien, Portugal, Frankreich, Benelux, Italien, Österreich, Schweiz, Deutschland, Schweden, Dänemark und Großbritannien. APRK, f. 708, op. 27, d. 68: Materialy k protokolu No. 2 bjuro CK KP Kaz, 23.3.1954g., l. 24. E.P. Zimovina: Dinamika čislennosti i sostava naselenija Kazachstana vo vtoroj polovine XX

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Unter Chruschtschow oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs II veka, in: Demoskop weekly, Nr. 103–104, 3.–16. März 2003, http://www.demoscope.ru/weekly/2003/0103/analit03.php, abgerufen am 17.7.2015. P.K. Ponomarenko [Erinnerungen], in: G.A. Kumanev (Hg.): Rjadom so Stalinym, Smolensk 2001, S. 108–170, hier: S. 114. Dornberg, Breschnew, S. 142; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 74 f.; Murphy, Brezhnev, S. 138; Mlečin, Razočarovanie, S. 35. Murphy, Brezhnev, S. 138. Siehe auch Dornberg, Breschnew, S. 143. Ponomarenko in: Kumanev, Rjadom so Stalinym, S. 117 f.; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 81; Dornberg, Breschnew, S. 143. Dinmuchamed Kunaev in: Kazachstan. Istorija vlasti, S. 479; ders.: Ot Stalina do Gorbačeva (V aspekte istorii Kazachstana), Alma-Ata 1994, S. 99; Ponomarenko in: Kumanev, Rjadom so Stalinym, S. 113, 117 f. Kunaev, Ot Stalina do Gorbačeva, S. 97; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 73. APRK, f. 708, op. 27, d. 29, l. 237. Murphy, Brezhnev, S. 139. Ponomarenko in: Kumanev, Rjadom so Stalinym, S. 116. Ebenda, S. 117. Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 78. APRK, f. 708, op. 27, d. 29, l. 236; d. 35, l. 5 f. APRK, f. 708, op. 27, d. 65: Materialy k protokolu No. 1 zasedanija bjuro CK KP Kaz ot 16.3.1954g., l. 20–22. Ebenda, l. 26–30. Ebenda, l. 32. Ebenda, l. 34. APRK, f. 708, op. 27, d. 266: Spravki zapiski i perepiska s CK KPSS i ego otdelami, 2.3.–31.5.1954g., l. 51. APRK, f. 708, op. 27, d. 156: Protokoly No. 26–29, November–Dezember 1954, hier: No. 26, 11.11.1954g., l. 5. APRK, f. 708, op. 27, d. 266, l. 23, l. 61. APRK, f. 708, op. 27, d. 122: Materialy k protokolu No. 20 zasedanija CK KP Kaz 21.8.1954g., l. 37; d. 153: Protokoly No. 11–17, Juni–Juli 1954, hier: Protokol No. 13 zasedanija bjuro KP Kaz 19.7.1954g., l. 86. APRK, f. 708, op. 27, d. 65, l. 26–30. Ebenda, l. 32. V. Litvinov: Istinnyj kazachstanec. O pervocelinnike, geroe socialističeskogo truda, veterane V.A. Livencove, in: Megapolis [Kasachstan], 22. Juli 2004, S. 11. Livencova Celina. Vospominanija pervocelinnika V.A. Livencova o celinoj ėpopee (Zapisal Vladimir Litvinov), in: Novoe pokolenie, 4. April 2003, S. 7. Litvinov, Istinnyj kazachstanec, S. 11. Š. Čokin in: Kazachstan. Istorija vlasti, S. 479. L.G. Žukov in: Kazachstan. Istorija vlasti, S. 480; ders.: Nezabyvaemoe, Pawlodar 2002, S. 124. Heute Westkasachstan. Zit. nach Mlečin, Brežnev, S. 104. Iz vospominanija V.A. Livencova: Moe vremja, Aktobe 1999, zit. nach: Kazachstan. Istorija vlasti, S. 482.

Anmerkungen

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53 Kunaev, Ot Stalina do Gorbačeva, S. 99 f. 54 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 80. 55 APRK, f. 708, op. 28, d. 8: Stenogramma V Plenuma CK KP Kaz, 2.–6.8.1955g., 2 kniga, l. 351; d. 365: Stenogramma soveščanija v CK KP Kaz po sel’skomu chozjajstvu, 27.–28.5.1955g., l. 252; Breshnew, Neuland, S. 166. 56 Žukov, Nezabyvaemoe, S. 127. 57 Breshnew, Neuland, S. 166. 58 Ebenda, S. 168, 171. 59 Brezhnev. Pages from his Life, S. 116; Brezhnev, A Short Biography, S. 52. 60 APRK, f. 708, op. 27, d. 2, l. 21; Šepel’ spricht von 6,4 Millionen Hektar: Brežnev. Dva goda v Kazachstane. 61 Šepel’, Brežnev. Dva goda v Kazachstane. 62 APRK, f. 708, op. 27, d. 393: Stenogramma soveščanija u sekretarja CK KP Kaz. Brežneva po voprosu o sozdanii nadležaščich uslovij vnov’ organizvannym sovchozam, 30.11.1954g., l. 2. 63 Breshnew, Neuland, S. 31, 38. 64 APRK, f. 708, op. 27, d. 65, l. 82. 65 APRK, f. 708, op. 27, d. 122, l. 40; d. 153, l. 48. 66 APRK, f. 708, op. 27, d. 285: Spravki i zapiski s.ch. otdela na imja sekretarej CK KP Kaz, 5.8.– 30.12.1954g., l. 118. 67 Banja – russische Sauna. 68 APRK, f. 708, op. 28, d. 73: Materialy k protokolu No. 47 zasedanija bjuro CK KP Kaz, 14.6.1955g., l. 38. 69 APRK, f. 708, op. 27, d. 392: Stenogramma besedy sekretarja CK KP Kazachstana t. Brežneva L.I. s tovariščami, poselaemymi v kolchozy dlja provedenija obsledovanij, 5.10.1954g., l. 7. 70 APRK, f. 708, op. 27, d. 266, l. 47. 71 APRK, f. 708, op. 27, d. 285, l. 1; d. 98: Materialy k protokolu No. 13 zasedanija bjuro CK KP Kaz, 16.7.1954, l. 7; op. 28, d. 85: Materialy k protokolu No. 51 zasedanija bjuro CK KP Kaz, 8.8.1955g., l. 1. 72 APRK, f. 708, op. 27, d. 393, l. 6. 73 APRK, f. 708, op. 27, d. 28: Stenogramma II Plenuma CK KP Kaz, 3.–12.6.1954g., 2 kniga, l. 345; op. 28, d. 17: Stenogramma respublikanskogo partijnogo aktiva, 11.–13.3.1955g., l. 131. 74 APRK, f. 708, op. 27, d. 392, l. 1. 75 Ebenda, l. 4. 76 Ebenda, l. 5. 77 Ebenda, l. 9. 78 Ebenda, l. 7. 79 APRK, f. 708, op. 27, d. 285, l. 186. 80 APRK, f. 708, op. 28, d. 269: Spravki, dokladnye zapiski i perepiska s CK KPSS i ego otdelami, 4.1.–31.3.1955g., l. 122.; f. 811: Institut istorii partii, op. 24, d. 290: Kopii dokumental’nych materialov k monografii „Kompartija Kazachstana v bor’be za osvoenie celinnych i zaležnych zemel’“, 1954–1958gg., l. 67. 81 APRK, f. 708, op. 27, d. 285, l. 68 f. 82 Ebenda, l. 69. 83 APRK, f. 708, op. 27, d. 393, l. 9. 84 APRK, f. 811, op. 24, d. 290, l. 142. 85 APRK, f. 708, op. 27, d. 285, l. 69.

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86 APRK, f. 811, op. 24, d. 290, l. 142. 87 APRK, f. 708, op. 27, d. 285, l. 71–73. 88 APRK, f. 811, op. 24, d. 290, l. 73–75. 89 Ebenda, l. 78–84. 90 Livencova Celina, S. 7; APRK, f. 708, op. 27, d. 393, l. 2; Litvinov, Istinnyj kazachstanec, S. 11. 91 APRK, f. 708, op. 27, d. 393, l. 1. 92 Ebenda; Litvinov, Istinnyj kazachstanec, S. 11; Livencova Celina, S. 7. 93 APRK, f. 708, op. 27, d. 284, l. 176. 94 Breshnew, Neuland, S. 26. 95 APRK, f. 708, op. 27, d. 393, l. 9. 96 Ebenda, l. 2. 97 Ebenda. 98 APRK, f. 708, op. 27, d. 155, l. 73 f. 99 APRK, f. 708, op. 28, d. 365: Stenogramma soveščanija v CK KP Kaz po s. ch., 27.–28.5.1955g., l. 5. 100 APRK, f. 708, op. 28, d. 270: Spravki, dokladnye zapiski i perepiska s CK KPSS i ego otdelami, 2.4.–29.6.1955g., l. 153. 101 APRK, f. 708, op. 28, d. 269, l. 120–131; op. 27, d. 284, l. 134. 102 APRK, f. 708, op. 28, d. 270, l. 34. 103 APRK, f. 708, op. 28, d. 365, l. 252. 104 Ebenda, l. 253. 105 Ebenda. 106 APRK, f. 708, op. 28, d. 95: Materialy k protokolu No. 54 zasedanija bjuro CK KP Kaz, 30.8.1955g., l. 2. 107 Ebenda. 108 APRK, f. 708, op. 28, d. 85: Materialy k protokolu No. 51 zasedanija bjuro CK KP Kaz, 8.5.1955g., l. 44. 109 Ebenda, l. 48. 110 Ebenda, l. 56 f. 111 APRK, f. 708, op. 27, d. 285, l. 108; op. 28, d. 386: Stenogramma soveščanija u sekretarja CK KP Kaz t. Brežneva L.I. po voprosu: „O sostojanii uchoda za posevami kukuruzy“, 11.6.1955g., l. 6. 112 APRK, f. 708, op. 28, d. 270, l. 188. 113 Livencova Celina, S. 7. 114 APRK, f. 708, op. 27, d. 28, l. 349, 355. 115 APRK, f. 708, op. 27, d. 116: Materialy k protokolu No. 18 zasedanija bjuro CK KP Kas, 12.8.1954g., l. 1. 116 Ebenda, l. 3; Breshnew, Neuland, S. 43–48. 117 APRK, f. 708, op. 27, d. 154: Protokoly No. 18–22, August–September 1954, l. 7. 118 APRK, f. 708, op. 27, d. 284, l. 67. 119 Livencova Celina, S. 7. 120 APRK, f. 708, op. 27, d. 285, l. 188. 121 APRK, f. 708, op. 28, d. 116, l. 122 APRK, f. 708, op. 28, d. 17: Stenogramma respublikanskogo partijnogo aktiva, 11.–12.3.1955g., l. 130. 123 Ebenda, l. 131 ff.

Anmerkungen 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159

160 161 162 163 164

283

APRK, f. 708, op. 28, d. 73, l. 37. APRK, f. 708, op. 28, d. 365, l. 255, 258. Ebenda, l. 258. APRK, f. 708, op. 28, d. 386, l. 1–2. APRK, f. 708, op. 27, d. 92: Materialy k protokolu No. 10 zasedanija bjuro CK KP Kaz, 29.5.1954g., l. 2. Ebenda, l. 54. Ebenda, l. 65. Ebenda, l. 65. Ebenda, l. 68 f. Ebenda, l. 78. APRK, f. 708, op. 27, d. 95: Materialy k protokolu No. 10 zasedanija bjuro CK KP Kaz, 29.5.1954g., l. 9. APRK, f. 708, op. 27, d. 284, l. 79, 82, 94, 99. APRK, f. 708, op. 27, d. 284, l. 79. APRK, f. 708, op. 27, d. 285, l. 189. Ebenda, l. 213–233. APRK, f. 708, op. 28, d. 269, l. 178. Ebenda, l. 179–187. Ebenda, l. 188. APRK, f. 708, op. 28, d. 365, l. 6. Breshnew, Neuland, S. 142. APRK, f. 708, op. 28, d. 365, l. 259. Breshnew, Neuland, S. 142. APRK, f. 708, op. 28, d. 8, l. 317. Ebenda, l. 4. Ebenda, l. 318. Ebenda, l. 319. Ebenda, l. 323. Ebenda, l. 345. APRK, f. 708, op. 28, d. 85, l. 6. Ebenda, l. 20. APRK, f. 708, op. 28, d. 73, l. 29; Kunaev, Ot Stalina do Gorbačeva, S. 101. APRK, f. 708, op. 28, d. 73, l. 9; d. 116, l. 1; Kunaev, Ot Stalina do Gorbačeva, S. 101. Ponomarenko in: Kumanev, Rjadom so Stalinym, S. 118; Kazachstan. Istorija vlasti, S. 479. Mlečin, Brežnev, S. 103; Golikov, Ja verju i nadejus’; Kazachstan. Istorija vlasti, S. 125. Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 77; Breshnew, Neuland, S. 44; Mlečin, Brežnev, S. 102. APRK, f. 708, op. 27, d. 28, l. 349; op. 28, d. 17, l. 130; d. 79, l. 1; d. 331: Spravki i perepiska s Ministerstvom Sel’skogo Chozjajstva Kaz. SSR, l. 1. Siehe auch Šepel’, Brežnev. Dva goda v Kazachstane. Žukov, Nezabyvaemoe, S. 124. Breshnew, Neuland, S. 29 f. Kazachstan. Istorija vlasti, S. 479; Breshnew, Neuland, S. 47. APRK, f. 708, op. 28, d. 130: Protokoly No. 38–42 zasedanija bjuro CK KP Kaz, April 1955, l. 12. Kunaev, Ot Stalina do Gorbačeva, S. 92 f.

284

Unter Chruschtschow oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs II

165 Breshnew, Neuland, S. 34. 166 Kunaev, Ot Stalina do Gorbačeva, S. 100; Žukov, Nezabyvaemoe, S. 127. 167 U.K. Imanbaeva: Ach, Samara, Alma-Ata 2010, S. 131 ff.; Konstantin Kozlov: Otdychaj, strana!, in: Liter. 17. April 2008, S. 10. 168 APRK, f. 708, op. 28, d. 130, l. 13. 169 Ebenda, l. 67. 170 APRK, f. 708, op. 28, d. 2: Protokol zasedanija IV Plenuma CK KP Kaz, 18.4.1955g., l. 2. 171 APRK, f. 708, op. 28, d. 8, 1 kniga, l. 4, 8 f. 172 Litvinov, Istinnyj kazachstanec, S. 11; Murphy, Brezhnev, S. 139. 173 APRK, f. 708, op. 28, d. 8, 1 kniga, l. 12, 18. 174 APRK, f. 708, op. 28, d. 269, l. 138, 140. 175 APRK, f. 708. op. 28, d. 88: Materialy k protokolu No. 52 zasedanija bjuro CK KP Kaz, 15.8.1955g., l. 1. 176 Ebenda, l. 2. 177 APRK, f. 708, op. 27, d. 266, l. 44. 178 APRK, f. 708, op. 27, d. 284, l. 139. 179 APRK, f. 708, op. 28, d. 269, l. 186. 180 Breshnew, Neuland, S. 166. 181 APRK, f. 708, op. 28, d. 125, l. 4; d. 13, l. 150; d. 271, l. 124; op. 29, d. 31: Otčetnyj doklad o rabote CK KP Kaz na VIII s’’ezde KP Kazachstana – dokladčik – Brežnev L.I., zasedanie vtoroe, 24.1.1956g., l. 108. 182 APRK, f. 708, op. 27, d. 168: Materialy k protokolu No. 1 zasedanija Sekretariata CK KP Kaz, 18.3.1954g., l. 8; op. 28, d. 269, l. 68; op. 29, d. 31, l. 108. 183 APRK, f. 708, op. 28, d. 110: Materialy k protokolu No. 59 zasedanija bjuro CK KP Kaz, 28.9.1955g., l. 27. 184 APRK, f. 708, op. 28, d. 331, l. 206–208. 185 APRK, f. 708, op. 28, d. 119: Materialy k protokolu No. 62 zasedanija bjuro CK KP Kaz, 19.10.1955g., l. 38; Kunaev, Ot Stalina do Gorbacheva, S. 103. 186 APRK, f. 708, op. 28, d. 119, l. 2–9. 187 APRK, f. 708, op. 29, d. 1: Stenogramma VI Plenuma CK KP Kaz, 22.–29.1.1956g., S. 3. 188 APRK, f. 708, op. 29, d. 290: Spravki otdelov CK KPK i Gosplana KazSSR o realizacii kritičeskich zamečanij i predloženij delegatov VIII s’’ezda KP Kaz, 10.2.–30.6.1956g., l. 66 f. 189 APRK, f. 708, op. 29, d. 290, l. 74. 190 APRK, f. 708, op. 29, d. 66: Materilay k protokolu No. 1 zasedanija bjuro CK KP Kaz 1.2.1956g., l. 26. 191 APRK, f. 708, op. 29, d. 290, l. 74. 192 XX s’’ezd Kommunističeskoj Partii Sovetskogo Sojuza, 14.–25.2.1956g., stenografičeskij otčet, Bd. 2, Moskau 1956, S. 403, 498; RGANI, f. 2, op. 1, d. 185: Protokol No. 1, Fevral’skij Plenum 27.2.1956g., l. 5 f. 193 Kunaev, Ot Stalina do Gorbačeva, S. 104. 194 Gavriljuk, Teper’ mužik skažet, S. 262. 195 Breshnew, Neuland, S. 171; Mlečin, Brežnev, S. 104; Bigel’dy Gabdullin: Velikoe kočev’e. Istoričeskoe ėsse o tech, kto stroil gosudarstvo Kazachstan, in: Central Asia Monitor, Nr. 6, 10.–16. Februar 2012, S. 7. 196 Litvinov, Istinnyj kazachstanec, S. 11. 197 Ponomarenko in: Kumanev, Rjadom so Stalinym, S. 116.

Anmerkungen 198 199 200 201 202 203

204

205 206

207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227 228 229

230

285

Imanbaeva, Ach, Samara, S. 129 f. APRK, f. 708, op. 27, d. 65, l. 93. Gabdullin, Velikoe kočev’e, S. 7; Mlečin, Brežnev, S. 104. XX s’’ezd Kommunističeskoj Partii Sovetskogo Sojuza, Bd. 1, S. 213–220. Ebenda, Bd. 2, S. 401. Roy Medwedew: Vom XX. zum XXII. Parteitag der KPdSU. Ein kurzer historischer Überblick, in: Reinhard Crusius/Manfred Wilke (Hg.): Entstalinisierung. Der XX. Parteitag der KPdSU und seine Folgen, Frankfurt am Main 1977, S. 23–49, hier: S. 26 f. V.P. Naumov: Zur Geschichte der Geheimrede N.S. Chruschtschows auf dem 20. Parteitag der KPdSU, in: Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte (1997) 1, S. 137–177; Susanne Schattenberg: ‚Democracy‘ or ‚Despotism‘? How the Secret Speech was Translated into Everyday Life, in: Polly Jones (Hg.): Dilemmas of Destalinization. Negotiating Cultural and Social Change in the Khrushchev Era, London 2006, S. 64–79. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, S. 68. Laut Dornberg bekam er die Zuständigkeit für ausländische kommunistische Parteien und Bruderparteien übertragen, das ließ sich aber nirgends bestätigen, Dornberg, Breschnew, S. 150–160. Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 2, Postanovlenija 1954–1958, Moskau 2006, S. 212, 215, 358, 337. Ebenda, S. 225, 282, 420. RGANI, f. 5, op. 30, d. 139: Zapiska Brežneva L.I., l. 28 ff. RGANI, f. 5, op. 30, d. 214: Proekty postanovlenij Sovmina SSSR i CK KPSS, zapiski i pis’ma sekretarja CK KPSS L.I. Brežneva, l. 7. Ebenda, l. 118 ff. Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 120. Ebenda, S. 934. Ebenda, S. 138. Taubman, Khrushchev, S. 289. Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 148. Ebenda, S. 173. Ebenda, S. 174. Ebenda, S. 176 f. Ebenda, S. 178. Ebenda, S. 183; Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 2, S. 475. Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 193. Ebenda, S. 195. Siehe auch die Namensliste in Breschnews Notizen: Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, S. 77. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, S. 79–89. Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 201. Ebenda, S. 191, 201. Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 205 f. Bovin, XX vek kak žizn‘, S. 157. Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 222, 238, 261.; RGANI, f. 5, op. 30, d. 210: Zapiski sekretarej CK KPSS L.I. Brežneva (…), l. 3. Vgl. auch Mlečin, Brežnev, S. 107; Murphy, Brezhnev, S. 154. RGANI, f. 5, op. 30, d. 207: Zapiski i predloženija ministerstv, vedomstv i naučnych učreždenij

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Unter Chruschtschow oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs II

o perestrojke urpavlenija promyšlennost’ju i stroitel’stvom otdelov CK KPSS, l. 20. 231 Pichoja, Sovetskij sojuz, S. 172. 232 N.A. Muchitdinov: Reka vremeni. Ot Stalina do Gorbačeva. Vospominanija, Moskau 1995, S. 270; Pichoja, Sovetskij sojuz, S. 173. 233 Sergej Chruščev: Nikita Chruščev – Reformator. Trilogija ob otce, Moskau 2010, S. 438. 234 Chruščev, Nikita Chruščev, S. 441. 235 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, S. 97. 236 RGANI, f. 2, op. 1, d. 230: Ijunskij Plenum, šestoe utrennee zasedanie, 26.6.1957g., l. 15; l. 32; Chruščev, Nikita Chruščev, S. 442. 237 In den herausgegebenen „Kladden“ und Stenogrammen folgt auf die Sitzung am 15. Juni als Nächstes die Sitzung vom 8. Juli 1958, Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 258 f.; siehe auch Muchitdinov, Reka vremeni, S. 265. 238 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, S. 98. 239 Pichoja, Sovetskij sojuz, S. 173. 240 RGANI, f. 2, op. 1, d. 230, l. 12 f. 241 Chruščev, Nikita Chruščev, S. 442. 242 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, S. 99 ff. 243 Zit. nach Chruščev, Nikita Chruščev, S. 452. Der bei der Sitzung anwesende Muchitdinov gibt Breschnews Rede und Kaganowitschs Zurechtweisung mit ungefähr den gleichen Worten wieder, Muchitdinov, Reka vremeni, S. 266. 244 Ebenda; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 86; Mlečin, Brežnev, S. 108; Pichoja, Sovetskij sojuz, S. 174; RGANI, f. 2, op. 1, d. 230, l. 15; l. 32. 245 Zit. nach Muchitdinov, Reka vremeni, S. 271. 246 RGANI, f. 80, op. 1, d. 42, l. 14, http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/proekt-pisma-lbrezhneva-v-prezidium-tsk-kpss-o-serdechnom-zabolevanii-i-o-svoem-otnoshenii-k-g, abgerufen am 14.2.2017; Muchitdinov, Reka vremeni, S. 274. 247 Vystuplenie L.I. Brežneva na zasedanii prezidiuma CK KPSS [ne pozdnee 14 oktjabrja 1964g.], in: Nikita Chruščev 1964. Stenogrammy Plenuma CK KPSS i drugie dokumenty, hg. v. A.N. Artizov et al., Moskau 2007, S. 228; Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 11. 248 RGANI, f. 2, op. 1, d. 230, l. 13–15. 249 Ebenda, l. 16–18. 250 Ebenda, l. 26 f. 251 Muchitdinov, Reka vremeni, S. 275 f. 252 Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, z.B. S. 393, 427. 253 Ebenda, S. 277, FN 14: S. 1020 f. Siehe auch die Mitschrift von Chruschtschows Rede in Breschnews Notizbüchern: Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, S. 103–107; siehe auch Taubman, Krhushchev, S. 362 f. 254 RGANI, f. 80, op. 1, d. 43, l. 18–24, http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/docs/tezisy-vystupleniya-li-brezhneva-na-plenume-tsk-kpss-s-kritikoi-deyatelnosti-byvshego-ministra-, abgerufen am 14.2.2017. 255 Muchitdinov, Reka vremeni, S. 287. 256 RGANI, f. 2, op. 1, d. 266: Stenogramma pervogo zasedanija plenuma, 28–29.10.1957g., l. 86. 257 Ebenda, l. 83, 89. 258 Ebenda, l. 90. 259 Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 300. 260 Ebenda, S. 311, 390 ff.

Anmerkungen

287

261 Ebenda, S. 291; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 83. 262 Vgl. Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 88. 263 RGANI, f. 80, op. 1, d. 1200, l. 46; f. 3, op. 12, d. 356, l. 15; http://liders.rusarchives.ru/brezhnev/ docs/postanovlenie-prezidiuma-tsk-kpss-o-brezhneve-li-29-marta-1958-g, abgerufen am 14.2.2017. 264 Siehe auch Susanne Schattenberg: Frieden im Weltall: Mir + Shuttle = ISS, in: Katharina Kucher/ Gregor Thum/Sören Urbansky (Hg.): Stille Revolutionen. Die Neuformierung der Welt seit 1989, Frankfurt am Main 2013, S. 33–43. 265 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 374. 266 RGANI, f. 80, op. 1, d. 1200, l. 47 f.; Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 305; siehe auch Mlečin, Brežnev, S. 110; Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 373. 267 Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 285, 304. 268 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, S. 113 ff. 269 Sergei I. Zhuk: Rock and Roll in the Rocket City. The West, Identity, and Ideology in Soviet Dniepropetrovsk, 1960–1985, Baltimore 2010, S. 18 f.; Murphy, Brezhnev, S. 160–162. 270 L.I. Brežnev: Kosmičeskij Oktjabr’, in: Novyj mir 59 (1983) 1, S. 26–45, hier: S. 27–30. 271 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, S. 189. 272 Ebenda, S. 136, 167. 273 Siehe auch Susanne Schattenberg: Les frontières du dicible. Du dialogue au silence. Les relations d’Andrej Saharov avec Hruščev et Brežnev, in: Cahiers du Monde Russe 54 (2013) 3–4, S. 441–466. 274 Andrej Sacharov: Vospominanija. Polnoe izdanie v odnom tome, Moskau 2011, S. 217 f. 275 Sacharov, Vospominanija, S. 218. 276 B.E. Tschertok: Raketen und Menschen. Der Sieg Koroljows, Klitzschen 2000, S. 318. 277 Ebenda. 278 Ebenda, S. 322. 279 Medvedev, Ličnost’ i ėpcha, S. 86. 280 Brežnev, Kosmičeskij Oktjabr’, S. 35–37. 281 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, S. 233. 282 Brežnev, Kosmičeskij Oktjabr’, S. 45. 283 Ebenda, S. 32. 284 Postanovlenie Prezidiuma CK KPSS „O sozdanii iskustvennogo sputnika Zemli“, 8.8.1955g, in: Sovetskij Kosmos. Vestnik Archiva Prezidenta Rossijskoj Federacii, special’noe izdanie k 50-letiju poleta Jurija Gagarina, Moskau 2011, S. 25; siehe auch Sergej Chruschtschow: Die Geburt einer Supermacht. Ein Buch über meinen Vater, Klitzschen 2003, S. 94. 285 Siehe dazu auch Susanne Schattenberg: Die Angst vor Erniedrigung. Die U-2-Krise und das Ende der Entspannung, in: Bernd Greiner/Christian Th. Müller/Dierk Walter (Hg.): Angst im Kalten Krieg, Hamburg 2009, S. 220–251. 286 Tschertok, Raketen und Menschen, S. 380. 287 Chruschtschow, Geburt einer Supermacht, S. 364 f. 288 Tschertok, Raketen und Menschen, S. 382. 289 Ebenda; Mlečin, Brežnev, S. 126. 290 Vladimir Kuznečevskij: Svjaščennaja korova Voenno-promyšlennogo kompleksa, in: Aksjutin, Brežnev. Materialy k biografii, S. 252–261, hier: S. 253 f. 291 RGANI, f. 80, op. 1, d. 1200, l. 49. 292 Dornberg, Breschnew, S. 169; Murphy, Brezhnev, S. 164.

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Unter Chruschtschow oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs II

293 Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 441; Bd. 3: Postanovlenija 1959–1964, Moskau 2008, S. 127. 294 Mlečin, Brežnev, S. 120. 295 Vgl. auch Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 97. 296 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 76: Materialy o poezdke t. Brežneva v Gvineju, Ganu i Marokko (obzor pečati), l. 34: Izvestija, 9. Februar 1961: „Sčastlivogo puti“. 297 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 92. 298 GARF, f. R-7523, op. 79, d. 89: Ličnoe delo deputata Brežneva L.I. 1962–1966. 299 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 92; Mlečin, Brežnev, S. 127. 300 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 136: Stenogramma soveščanija sekretarej prezidentov Verchovnych Sovetov sojuznych respublik, l. 169. 301 Ebenda, l. 15 f. 302 Viktor Michajlovič Suchodrev: Jazyk moj – drug moj. Ot Chruščeva do Gorbačeva, 2. Auflage, Moskau 2008, S. 273. 303 Kaul’, Ot Stalina do Gorbačeva, S. 74. 304 B.L. Kolokolov: ProAdsDsija – diplomat. Memuary, Moskau 2006, S. 81. 305 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 37b: Al’bom s fotografijami vručenija pravitel’stvennych nagrad tov. Brežnevym 28.5.1960–9.3.1962gg., l. 30, 54–57. 306 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 37v: Al’bom s fotografijami vručenija pravitel’stvennych nagrad tov. Brežnevym 1962–1964gg., l. 8, l. 28; d. 37b, l. 43–45. 307 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 37b, l. 65. 308 Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 3, S. 509. 309 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 37b, l. 66. 310 RGANI, f. 80, op. 1, d. 55: Reč’ Brežneva pri vručenii ordena Lenina Glavmosstroju vo Dvorce sporta v Lužnikach, 11.5.1964g., l. 2–4, 10; Übersetzung aus Vladimir Majakowski: Werke, Bd. 1, Gedichte, hg. v. Leonhard Kossuth, deutsche Nachdichtung von Hugo Huppert, Frankfurt am Main 1973, S. 369. 311 Murphy, Brezhnev, S. 157. 312 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 107: Doklad L.I. Brežneva na partijnom sobranii v apparate Prezidiuma Verch. Soveta SSSR, 11.12.1961g., l. 14. 313 Ebenda, l. 23, 27. 314 RGANI, f. 80, op. 1, d. 55: (…) Vystuplenie Brežneva L.I. na zasedanii konstitucionnoj komissii, 16.07.1964g., l. 21; f. 5, op. 30, d. 443: Predloženija podkomissij po podgotovke materialov novoj konstitucii SSSR, l. 2 ff. 315 GARF, f. R-7523, op. 131, d. 52: Predloženija k glave „Mestnye Sovety narodnych deputatov“ proekta Konstitucii SSSR, 3.7.1962–2.2.1963gg., l. 64. 316 Ebenda, l. 89–94. 317 RGANI, f. 80, op. 1, d. 55, l. 23. 318 Ebenda, l. 24. 319 Ebenda, l. 21. 320 GARF, f. R-7523, op. 131, d. 55: Otdel po voprosam raboty Sovetov: Predloženija i zamečanija k glave „Gosudarstvennoe upravlenie, dejatel’nost’ sovetov i obščestvennye organizacii“, l. 1. 321 A.M. Aleksandrov-Agentov: Ot Kollontaj do Gorbačeva. Vospominanija diplomata, sovetnika A.A. Gromyko, pomoščnika L.I. Brežneva, Ju.V. Andropova, K.U. Černenko i M.S. Gorbačeva, Moskau 1994, S. 119; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 92; Suchodrev, Jazyk moj, S. 274 f.; Mlečin, Brežnev, S. 391.

Anmerkungen

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322 Politisches Archiv des Außenamts Berlin (im Folgenden: Politisches Archiv AA), Bestand B 41 – Zwischenarchiv Sowjetunion 1973–1984 (im Folgenden: Zwischenarchiv), Best.-Nr. 112693: (…) Besuch Breschnew I, 1973–1974, BRESHNEW, Leonid Iljitsch, S. 3. 323 Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 119. 324 David C. Engermann: The Second World’s Third World, in: Kritika 12 (2011) 1, S. 183–211, hier: S. 194; siehe auch: Rossen Djagalov/Christine Evans: Moskau, 1960: Wie man sich eine sowjetische Freundschaft mit der Dritten Welt vorstellte, in: Andreas Hilger (Hg.): Die Sowjetunion und die Dritte Welt. UdSSR, Staatssozialismus und Antikolonialsimus im Kalten Krieg, 1945–1991, München 2009, S. 83–106. 325 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 102: Reči Brežneva L.I. v svjazi s prebyvaniem v SSSR prezidenta respubliki Gana Kvame Nkruma (10.–27.7.1961g.) (…), l. 3. 326 GARF, f. R-7523, op. 83, d. 20: Materialy o prebyvanii predstavitelja prezidiuma Verchovnogo Soveta tov. Brežneva L.I. v Irane (16.–23.11.1963g.), l. 20. 327 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 101: Reči i vystuplenija L.I. Brežneva v period prebyvanija v Čechoslovakii delegacii KPSS na prazdnovanii sorokoletija kompartii Čechoslovakii, v mae 1961g., l. 11. 328 RGANI, f. 10: Meždunarodnoe soveščanija, vstreči, konferencii predstavitelej kommunističeskich i rabočich partii socialističeskich, kapitalističeskich, razvivajuščichsja stran, op. 1, d. 112: Stenogramma pervogo zasedanija soveščanija. 329 Ragna Boden: Die Grenzen der Weltmacht. Sowjetische Indonesienpolitik von Stalin bis Brežnev, Stuttgart 2006, S. 106; siehe auch Murphy, Brezhnev, S. 166 f. 330 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 76: Materialy o poezdke t. Brežneva v Gvineju, Ganu i Marokko (obzor sovetskoj pečati), l. 3, 5, 10. 331 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 76, l. 9, l. 12; Murphy, Brezhnev, S. 168. 332 Murphy, Brezhnev, S. 168. 333 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 76, l. 15. 334 Ebenda, l. 17 f.; d. 77: Materialy o poezdke L.I. Brežneva v Gvineju, Ganu i Marokko (obzor gvinejskoj, ganskoj i marokkonskoj pečati), l. 3, 10 f., 14 f. 335 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 76, l. 21. 336 Ebenda, l. 15. 337 Ebenda, l. 20. 338 Ebenda. 339 William Attwood: The Reds and the Blacks. A Personal Adventure, London 1967, S. 14. 340 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 102, l. 1. 341 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 76, l. 30. 342 Murphy, Brezhnev, S. 170. 343 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 76, l. 32. 344 Sari Autio-Sarasmo: Khrushchev and the Challenge of Technological Progress, in: Jeremy Smith/ Melanie Ilic (Hg.): Khrushchev in the Kremlin. Policy and Government in the Soviet Union 1953–1964, London 2011, S. 133–149, hier: S. 141 f. 345 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 80: Materialy o poezdke tov. Brežneva L.I. v Finlandiju (obzory finskoj pečati), l. 33. 346 Ebenda, l. 34. 347 Ebenda, l. 40. 348 Ebenda, l. 111. 349 Ebenda, l. 114 f.

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Unter Chruschtschow oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs II

350 Ebenda, l. 142. 351 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 88: Materialy o poezdke tov. Brežneva v Sudan (obzory sudanskoj pečati), l. 16. 352 Ebenda, l. 16. 353 Ebenda, l. 30, 66. 354 Ebenda, l. 70. 355 GARF, F. R-7523, op. 78, d. 91: Materialy o poezdke t. Brežneva v Indiju (obzor sovetskoj pečati), l. 3. 356 Ebenda, l. 6. 357 GARF, F. R-7523, op. 78, d. 92: Materialy o poezdke L.I. Brežneva v Indiju (obzor indijskoj pečati), l. 14, 17. 358 GARF, F. R-7523, op. 78, d. 101, l. 46 ff.; Boden, Die Grenzen der Weltmacht, S. 186 f. 359 GARF, F. R-7523, op. 83, d. 17: Materialy o poezdke predsedatelja Prezidiuma Verchovnogo Soveta SSSR L.I. Brežneva v Afganistan (otkliki afganskoj pečati), Oktober 1963, l. 24. 360 Ebenda, l. 34. 361 GARF, F. R-7523, op. 83, d. 19, l. 3, 28–32. 362 GARF, f. R-7523, op. 83, d. 20: Materialy o prebyvanii predsedatelja prezidiuma Verchovnogo Soveta tov. Brežneva L.I. v Irane (16.–23.11.1963g.), l. 11 f. 363 Ebenda, l. 21. 364 Ebenda, l. 21 f. 365 Ebenda, l. 38 f., 52 f. 366 GARF, f. R-7523, op. 83, d. 20, l. 55. 367 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 127: Materialy o prebyvanii tov. Brežneva v Jugoslavii, l. 12 f. 368 GARF, f. R-7523, op. 83, d. 21: Materialy o prebyvanii v Čechoslovakii tov. L.I. Brežneva (10.– 15.12.1963g.), l. 1–3. 369 Ebenda, l. 18. 370 Vgl. Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 97. 371 Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 556, 571, 619–623. 372 Karpov, Večernie besedy, S. 474. 373 Ebenda, S. 445 f. 374 Ebenda, S. 435. 375 Ebenda. 376 Oberemko, Krivolapaja sud’ba. 377 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, S. 355, 370. 378 Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 719. 379 RGANI, f. 80, op. 1, d. 1200, l. 57. 380 P.E. Šelest: … da ne sudimy budete. Dnevnikovye zapisi, vospominanija člena Politbjuro CK KPSS, Moskau 1995, S. 168. 381 Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 719. 382 Ebenda, S. 820, 860. 383 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 338. 384 Dornberg, Breschnew, S. 176 f. 385 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, S. 397, 413. 386 William J. Tompson: Industrial Management and Economic Reform under Khrushchev, in:

Anmerkungen

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William Taubman/Sergei Khrushchev/Abbott Gleason (Hg.): Nikita Khrushchev, New Haven, London 2000, S. 138–159, hier: S. 142. 387 Rigby, Political Elites, S. 223. 388 Hans-Henning Schröder: „Lebendige Verbindung mit den Massen“. Sowjetische Gesellschaftspolitik in der Ära Chruščev, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 34 (1986) 4, S. 523–560, hier: S. 558. 389 Donald Filtzer: Die Chruschtschow-Ära. Entstalinisierung und die Grenzen der Reform in der UdSSR, 1953–1964, Mainz 1995, S. 42. 390 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 341 f.; Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 122–126. 391 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 343 f. 392 RGANI, f. 2, op. 1, d. 551: Oktjabr’skij Plenum 1961, Stenogramma pervogo zasedanija, l. 1. 393 RGANI, f. 2, op. 1, d. 185: Fevral’skij Plenum 1956, Protokol No. 1, l. 4. 394 RGANI, f. 2, op. 1, d. 549: Oktjabr’skij Plenum 1961, Protokol No. 1, l. 8 f. 395 RGANI, d. 2, op. 1, d. 557: Martovskij Plenum 1962, Materialy k protokolu, l. 97. 396 Ponomarenko in: Kumanev, Rjadom so Stalinym, S. 120 f. 397 Siehe alle Akten mit dem Titel „repliki“, RGANI, f. 2, op. 1, d. 44 (Juli 1953), d. 60 (Sept. 1953), d. 88 (März 1954) und so weiter, die letzte d. 742 (Juli 1964). 398 RGANI, f. 2, op. 1, d. 742: Repliki po vystuplenijam, vypisannye iz stenografii zasedanij Plenuma 10.–15.2.1964g, l. 4. 399 Ebenda, l. 7, l. 13. 400 Ebenda, l. 72. 401 Ebenda, l. 73. 402 RGANI, f. 2, op. 1, d. 744: Ijul’skij Plenum, 11.07.1964g., Protokol No. 8, l. 4–7. 403 RGANI, f. 2, op. 1, d. 747: Ijul’skij Plenum 1964, Stenogramma pervogo zasedanija, l. 1. 404 Ebenda, l. 2. 405 Ebenda. 406 Ebenda, l. 21. 407 Ebenda, l. 3. 408 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 204. 409 Fursenko, Prezidium CK KPSS, Bd. 1, S. 672. 410 Bežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 3, S. 431. 411 Zit. nach Šelest, Da ne sudimy budete, S. 201. 412 RGANI, f. 2, op. 1, d. 747, l. 13, 16. 413 Ebenda, l. 16. 414 Chruščev, Nikita Chruščev, S. 1035. 415 Zit. nach RGASPI, f. 666: Petr Efimovič Šelest, op. 1, d. 26: Avtobiografičeskie zametki 1964– 1966, l. 14. 416 Zit. nach ebenda, l. 14. 417 Kaul’, Ot Stalina do Gorbačeva, S. 74; Chruščev, Nikita Chruščev, S. 1035. 418 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 226. 419 V.V. Grišin: Katastrofa. Ot Chruščeva do Gorbačeva, Moskau 1996, S. 36. 420 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 354; Mlečin behauptet allerdings, Breschnew habe eine Liste geführt, auf der er abzeichnete, mit wem er bereits geredet hatte, Mlečin, Brežnev, S. 29.

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Unter Chruschtschow oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs II

421 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 356. 422 Fedor Burlatsky: Khrushchev and the First Russian Spring. The Era of Khrushchev through the Eyes of his Adviser, New York 1988, S. 207; Fedor Burlackij: Brežnev i krušenie ottepeli, in: Aksjutin, Brežnev. Materialy k biografii, S. 102–122, hier: S. 105. 423 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 193. 424 Burlatsky, Khrushchev and the First Russian Spring, S. 207; Burlackij, Brežnev i krušenie ottepeli, S. 105. 425 Burlatsky, Khrushchev and the First Russian Spring, S. 207. 426 Ebenda. 427 Siehe auch Mlečin, Brežnev, S. 154. 428 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 201; Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 351. 429 Burlatsky, Khrushchev and the First Russian Spring, S. 210. 430 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 375. 431 Chruščev, Nikita Chruščev, S. 1035. 432 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 185–191. 433 Ebenda, S. 191. 434 Ebenda, S. 194. 435 Ebenda, S. 198–203. 436 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 351 f. 437 Ebenda, S. 352. 438 Ebenda. 439 RGASPI, f. 666, op. 1, d. 9: Rabočie zapisi P.E. Šelesta, l. 21. 440 Ebenda. 441 Rabočaja protokol’naja zapis’ zasedanija prezidiuma CK KPSS, 25.–26.9.1964g, in: Nikita Chruščev 1964, S. 140–149. 442 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 214. 443 RGASPI, f. 666, op. 1, d. 9, l. 18; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 215. 444 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 211. 445 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 356 446 Chruščev, Nikita Chruščev, S. 1033; Zapis’ besedy A.I. Mikojana s V.I. Galjukovym, sdelannaja S.N. Chruščevym, in: Nikita Chruščev 1964, S. 154–160; Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 354 f. 447 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 355; Anastas Mikojan: Tak bylo. Razmyšlenija o minuvšem, Moskau 1999, S. 614 f. 448 Mikojan, Tak bylo, S. 615. 449 Iz reči L.I. Brežneva na toržestvennom zasedanii v Berline, posvjaščennom 15-letiju so dnja obrazovanija GDR, 6.10.1964g., in: Nikita Chruščev 1964, S. 177 f.; Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 357. 450 Um auch dieses Treffen formal zu legitimieren, verabschiedeten die Anwesenden als Präsidiumsmitglieder eine Resolution des Inhalts, dass Breschnew, Kossygin, Suslow und Podgorny sich umgehend per Telefon mit Chruschtschow in Verbindung setzen sollten, um diesen zur Klärung der nicht aufschiebbaren Fragen nach Moskau zu rufen. Der Text wurde aber vermutlich erst nach dem 12. Oktober aufgesetzt: Postanovlenie Prezidiuma CK KPSS „O voznikšich

Anmerkungen

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voprosach po povodu predstojaščego plenuma CK KPSS i razrabotok perspektivnogo narodnochozjajstvennogo plana na novoj period“, 12.10.1964g., in: Nikita Chrušcev 1964, S. 181 f. 451 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 360. 452 Ebenda. 453 Zit. nach Mikojan, Tak bylo, S. 615. 454 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 362; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 225. 455 Zit. nach Šelest, Da ne sudimy budete, S. 225.

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Unter Chruschtschow oder: Lehrjahre eines Generalsekretärs II

Abb. 18: Breschnew, 2. v. l., im Kreis seiner Mitarbeiter auf dem Jagdsitz Sawidowo, 1970.

   

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Der fürsorgliche Generalsekretär oder: Kollektivführung als Theater

Vertrauen und Fürsorge als Herrschaftsszenario Das Bild zeigt Breschnew mit seinen Beratern auf dem Jagdsitz Sawidowo im März 1970. Am Tisch um ihn herum sitzen Аlexander Bowin, Boris Ponomarjow, Pjotr Demitschew, Viktor Afanasjew, Alexander Jakowlew, Pjotr Fedosejew, Andrei Alexander-Agentow, Konstantin Russakow, Georgi Arbatow und Anatoli Tschernjajew. Sie alle arbeiteten in verschiedenen ZK-Abteilungen und stellten den Mitarbeiterstab, den Breschnew regelmäßig mit auf seine Datscha nahm, um mit ihm gemeinsam die anstehenden Rechenschaftsberichte und Reden für die ZK-Plenarsitzungen, Parteikongresse und andere Anlässe auszuarbeiten. Es ist ein typisches Bild für Breschnews Arbeitsform und Führungsstil, die sich fundamental von den Gewohnheiten Chruschtschows unterschieden: Breschnew versuchte stets eine möglichst große Zahl von Personen, sowohl aus dem ZK-Apparat als auch aus dem Parteipräsidium bzw. seit 1966 wieder Politbüro, in die Arbeit mit einzubeziehen, um mit Fug und Recht behaupten zu können, dass er im Unterschied zu seinen Vorgängern die kollektive Führung wirklich praktiziere. Die Absetzung Chruschtschows

Westliche Historiker haben lange gemutmaßt, Chruschtschow sei abgesetzt worden, weil er in der Kubakrise 1962 das Land außenpolitisch blamiert habe oder weil ihm die hausgemachte Lebensmittelkrise samt dem Aufstand in Nowotscherkassk 1962 angelastet wurde.1 Zwar waren dies auch Punkte, die die Präsidiumsmitglieder gegen Chruschtschow vorbrachten.2 An vorderster Stelle erzürn-

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Der fürsorgliche Generalsekretär oder: Kollektivführung als Theater

te sie aber, dass Chruschtschow alles im Alleingang entschied und die kollektive Führung mit Füßen trat.3 Um es deutlich zu sagen: Die Verschwörer waren in ihrer Mehrheit keine Altstalinisten, die das Rad zurückdrehen wollten. Es ging ihnen weniger um konkrete politische Inhalte als um einen Politikstil, den sie nicht nur als unwürdig, sondern auch als bedrohlich für ihren eigenen Einfluss empfanden. Chruschtschow sei dabei, eine „persönliche Diktatur“ zu errichten und mit den Mitteln des Personenkults zu regieren.4 Die Abrechnung mit Chruschtschow zog sich über zwei Tage hin, da jedes Präsidiumsmitglied seine Vorwürfe ihm gegenüber äußern sollte, um schon damit das kollektive Handeln zu unterstreichen.5 Am 13. Oktober tagte das Präsidium hinter verschlossenen Türen bis spät in den Abend. Als Erster trug Breschnew die Vorwürfe gegen Chruschtschow vor; alle anderen 22 folgten ihm:6 Er hält sich nicht einmal mehr an die grundlegenden Regeln eines höflichen Umgangs und flucht so unflätig, dass man, wie es heißt, nicht nur die Ohren davor verschließen möchte, sondern auch die stumpfsten Grobiane erröten. „Idiot, Nichtsnutz, Faulpelz, Stinkstiefel, Dreckskerl, Waschlappen, Scheißkerl, Mistkerl, Arsch“ – sind nur die „druckbaren“ der von ihm benutzten Schimpfwörter.7

Für die Nacht entließen sie Chruschtschow nach Hause. Der KGB-Vorsitzende Semitschastny hatte sicherheitshalber Chruschtschows persönliche Leibwache ausgetauscht und seine Telefone kappen lassen.8 Das Präsidium setzte seine Sitzung am 14. Oktober fort. Nachdem Breschnew am Vortag im Namen der Versammelten vorgetragen hatte, wie Chruschtschow die Parteiorgane ignoriert und missachtet und welchen Schaden er in der Landwirtschaft und der Volkswirtschaft insgesamt angerichtet habe,9 zeigte er in einem zweiten persönlichen Statement, wie schwer er sich damit tat, seinen Ziehvater, den er seit 1938 kannte und schätzte und den er 1957 verteidigt hatte, nun selbst abzusetzen. Er erklärte, er habe lange und ernsthaft darüber nachgedacht und das Problem sei offenbar Chruschtschows Machtgier, Selbstblendung und sein Glaube an die eigene Unfehlbarkeit: „Wenn Sie auch nur über ein Körnchen Bescheidenheit verfügten, dann hätten Sie die Schaffung eines Kults um Ihre Person nicht zugelassen – aber Sie taten im Gegenteil alles, um diesen Kult auszubauen.“10 Zum Schluss sprach Chruschtschow, der müde und eingefallen wirkte, wie sich Schelest erinnert. Er gab sich geschlagen, räumte die meisten gegen ihn erhobenen Vorwürfe ein und entschuldigte sich für vieles – auf seine eigene, derbe Art: „Ich bitte nicht um

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Gnade – die Sache ist entschieden. Ich habe Genosse Mikojan gesagt, dass ich nicht kämpfen werde. (…) Und ich freue mich – endlich ist die Partei gereift und in der Lage, ganz gleich welchen Menschen zu kontrollieren. Ihr habt euch versammelt und schmiert mich mit Scheiße ein und ich kann nicht widersprechen.“11 Es ist unklar, ob er tatsächlich darum bat, auf dem folgenden ZK-­Plenum nicht sprechen zu müssen, weil er Angst habe, in Tränen auszubrechen;12 Tatsache ist, dass er auf der Plenarsitzung nichts sagte. Chruschtschow willigte ein, das Plenum schriftlich „wegen fortgeschrittenen Alters“ und seines „Gesundheitszustands“ um seine Entlassung zu ersuchen.13 So eröffnete Breschnew am 14. Oktober 1964 um 18:00 Uhr das Plenum im Swerdlow-Saal des Kremls und übergab das Wort an Suslow, der noch einmal, nun vor 329 Plenumsmitgliedern, die Vorwürfe gegen Chruschtschow vortrug: „Genosse Chruschtschow litt buchstäblich an dem Juckreiz, immer etwas reorganisieren und umstrukturieren zu müssen, und glaubte blind an irgendeine magische, geheime Kraft.“14 Das sei keine Führung, sondern ein „Karussell“ gewesen.15 Bemerkenswerterweise folgte das Plenum Breschnews Vorschlag, die Diskussion nicht zu eröffnen.16 Erstens waren die meisten hier Anwesenden vorher eingeweiht worden, zweitens hatte Suslow bereits den Beschluss des Präsidiums verlesen, Chruschtschows Wunsch nach Entlassung zu entsprechen, und drittens war es nicht üblich, solche Fragen offen und kontrovers zu diskutieren. Hier griff also erneut die Parteidisziplin. Semitschastny behauptet, Schelepin habe ihm berichtet, dass einige Opportunisten „Aus der Partei ausschließen!“ und „Vor Gericht stellen!“ gerufen hätten, aber das wurde zumindest nicht stenographiert.17 Chruschtschow wurde Rentner; das ZK bat ihn, sich nicht mehr in Moskau blicken zu lassen und auf seiner Datscha zu leben. Er starb dort 1971. Das Präsidium legte sein „Gnadenbrot“ fest: eine Datscha, eine Rente von 500 Rubeln, Bezug von Nahrungsmitteln über die Kremlkantine, medizinische Versorgung durch die Polyklink für die Kremlführung sowie einen „Wolga“ mit Chauffeur.18 Chruschtschow zog sich, wie geheißen, auf seine Datscha zurück, wo ihm ein Zeiss-Fernglas, das ihm einst Adenauer geschenkt hatte, half, „ein wenig meinen Horizont zu erweitern, da ich damit die Möglichkeit habe, die weiten Felder, Wälder und anderen Reize der Moskauer Vorort-Landschaft zu betrachten.“19

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Postenverteilung

Die Absetzung Chruschtschows war nur der erste, wenn auch schwierigste Teil des Machtwechsels. Gleichzeitig stimmten die ZK-Mitglieder für einen weiteren Vorschlag des Präsidiums, nämlich nie wieder die beiden Ämter des Ersten Sekretärs des ZK der KPdSU und des Ministerratspräsidenten in einer Person zu vereinen.20 Damit wollte die Partei verhindern, dass sich nach Stalin und Chruschtschow ein dritter Führer die beiden wichtigsten Posten in Partei und Staat aneignete und unkontrolliert herrschte. Folglich mussten nun zwei Personen zu Nachfolgern Chruschtschows gewählt werden. Es ist bezeichnend, dass das Protokoll der Plenarsitzung offenbar geschönt wurde: Es gibt vor, der Vorschlag für Breschnew als Ersten Sekretär und Kossygin als Ministerratspräsidenten sei aus den Reihen des Plenums gekommen. Tatsächlich war es wohl so, wie es im unbearbeiteten Stenogramm steht. Danach schlug Podgorny Breschnew vor und Breschnew seinerseits Kossygin.21 Breschnew war so nervös, dass er sich versprach und bei der Abstimmung über Kossygin, dessen Einsetzung dem Obersten Sowjet oblag,22 statt von „Empfehlung“ von „Wahl“ sprach; er wurde prompt korrigiert, was er mit den Worten quittierte: „Ich bin so aufgeregt. Vielleicht lernen wir ja noch, in Zukunft ohne Spickzettel zu sprechen, das wäre auch nicht schlecht.“23 Breschnew war offensichtlich sehr darum bemüht, das Plenum nach genau dem Skript ablaufen zu lassen, das die Verschwörer zuvor festgelegt hatten. Als sich nach der Abstimmung der Delegierte Michail Lesetschko meldete und einwarf, sie hätten bisher doch zusammen mit dem Ersten Sekretär auch den Zweiten gewählt, schnitt Breschnew ihm unwirsch das Wort ab: Das sei keine Wahl, sondern eine Laune Chruschtschows gewesen, der das willkürlich so festgelegt habe, und jetzt werde diese Frage nicht erörtert werden.24 Dieser ruppige Ausfall lässt erahnen, dass Lesetschko einen wunden Punkt getroffen hatte: Wahrscheinlich hatten die Verschwörer vorher über die Frage eines Zweiten Sekretärs beraten, gegen den sich wahrscheinlich Breschnew vehement gewehrt hatte. Das einen Monat später folgende November-Plenum diente ganz dem Zweck, die Teilung der Gebiets- und Regionalkomitees rückgängig zu machen und die Mitverschwörer mit Beförderungen zu belohnen. Breschnew schlug seine Komplizen, den Ersten Sekretär der Ukraine, Schelest, und den Vorsitzenden der Kontrollkommission, Schelepin, als Vollmitglieder für das Parteipräsidium vor; den ZK-Sekretär Demitschew wählte das Plenum auf Breschnews Vorschlag hin

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zum Präsidiumskandidaten. Der KGB-Vorsitzende Semitschastny wurde als Kandidat in das Zentralkomitee aufgenommen.25 Obwohl es mutmaßlich eine Übereinkunft zwischen Podgorny und Breschnew gab, dass Podgorny das Amt des Staatspräsidenten bekäme, warteten die Verschwörer mit der Absetzung Mikojans noch ein Jahr.26 Gleichzeitig beteuert Mikojan in seinen Memoiren, dass er es unter der „Mannschaft Breschnews“ nicht mehr ertragen und nach seinem 70. Geburtstag im November 1965 selbst um seine Entlassung „aus gesundheitlichen Gründen“ gebeten habe.27 Die Wahrheit liegt vermutlich dazwischen: Es ist anzunehmen, dass Mikojan die Schmach, von Breschnew abgesetzt worden zu sein, nicht öffentlich eingestehen wollte. Er hatte das Amt damit kaum länger als ein Jahr inne. Für Breschnew soll es umgekehrt eine Revanche dafür gewesen sein, dass er 1964 das Präsidentenamt an Mikojan hatte abgeben müssen. Dass er es zu diesem Zeitpunkt selbst wieder angetreten hätte, war ausgeschlossen. Podgorny bekam zwar das von Breschnew geliebte Amt; dafür musste er jedoch den ZK-Sekretär-Posten räumen, den Breschnew mit Iwan Kapitonow besetzte, um ihn mit den Pateiangelegenheiten zu betrauen.28 Während Podgorny so an Macht über den Parteiapparat verlor, baute Breschnew die seine aus. Kurz zuvor hatte er sich auf dem September-Plenum 1965 die Einsetzung zwei neuer ZK-Sekretäre absegnen lassen. Damit bekamen Dmitri Ustinow und Fjodor Kulakow Sekretärsposten für Rüstung bzw. Landwirtschaft und sicherten Breschnews Einfluss auf diese wichtigen Ressorts.29 1966 folgten Andrei Kirilenko und Michail Solomentzew, die als ZK-Sekretäre die Zuständigkeiten für Industrie bzw. Schwerindustrie erhielten.30 Als Breschnew 1967 Andropow aus dem Sekretariat entließ, weil dies mit dem Vorsitz über den KGB unvereinbar sei, und im April 1968 Konstantin Katuschew zum ZK-Sekretär bestellte,31 der sich fortan um die Beziehungen mit dem sozialistischen Ausland kümmern sollte, hatte er sich ein uneingeschränkt loyales Sekretariat geschaffen, das sämtliche Ressorts kontrollierte. Neuauflage der kollektiven Herrschaft

Doch Breschnew hatte versprochen, die „kollektive Herrschaft“ wiederherzustellen. Er musste nun beweisen, dass er Wort hielt. Das war umso wichtiger, wenn er nicht wie Chruschtschow 1957 oder 1964 einen Putsch erleben wollte.32 Breschnew kannte durch seine lange Verwaltungserfahrung unter Stalin und

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seine Arbeit an Chruschtschows Seite die Machtmechanismen und die Befindlichkeiten im Präsidium nur zu gut. Als Organisator des Putschs war ihm mehr als allen anderen bewusst, dass Chruschtschow nicht aufgrund politischer Differenzen, sondern wegen seines Führungsstils abgesetzt worden war. Aber Breschnew verstand sich als Alternative nicht nur zu Chruschtschow, sondern auch zu Stalin. Beide hatten fähige Männer ins Verderben gestürzt: der eine durch Verhaftung und Ermordung, der andere durch Erniedrigungen und Entlassungen. Breschnew verkündete: „Unter Stalin hatten alle Angst vor Repressionen, unter Chruschtschow vor ständigen Veränderungen und Versetzungen. Die Menschen wussten nicht, was ihnen der morgige Tag bringen würde. Deshalb sollen die Sowjetmenschen nun ein ruhiges Leben führen können, damit sie erfolgreich arbeiten können.“33 Breschnew entwickelte daher „Vertrauen und Fürsorge“ als sein „Herrschaftsszenario“. Diesen Begriff hat der US-Historiker Richard S. Wortman eingeführt, um damit die Macht der russischen Zaren zu erklären. Diese beruhte weniger auf physischer Gewalt als auf dem Mythos, die Zaren seien von Gott gesandte Fremde, die Russland retten und bewahren würden. Dieser Mythos wurde durch Zeremonien, Rituale und Paraden, Malerei, Münzen und Märchen nicht nur aufrechterhalten, sondern in eine unhinterfragte Wahrheit verwandelt.34 Während der Mythos des göttlichen Retters gleich blieb, wählte sich jeder Zar bzw. jede Zarin ihr eigenes Herrschaftsszenario, mit dem er oder sie den Mythos auf die eigene Person zuschnitt: Katharina die Große erkor „Liebe und Wissenschaft“ zum Leitmotiv ihrer Herrschaft, Nikolaus I. stilisierte sich als „liebender Familienvater“ usw.35 Es wurde ein „Theater der Macht“ aufgeführt, das in seinen „Akten“, Texten und Rollenbesetzungen, kanonisiert war und nicht hinterfragt wurde. Entscheidend war, dass die aristokratische Elite an der Inszenierung beteiligt war und selbst zum Teil des Szenarios wurde: Der Hochadel wohnte den Zeremonien, Paraden und Ritualen bei und stützte damit nicht nur die Zarenherrschaft, sondern fühlte sich dadurch selbst erhaben und auserwählt. So gewalttätig die Herrschaft in der Sowjetunion unter Stalin war, sie beruhte dennoch ebenfalls auf einem Mythos, der von den Parteiführern verkörpert und von der Parteielite getragen wurde. Die Partei und an ihrer Spitze das Politbüro galt als kämpfende Avantgarde für Fortschritt, Aufklärung und eine blühende Zukunft.36 Die Partei beanspruchte dabei, dass ihre Kämpfe und Siege auf historischen Notwendigkeiten und wissenschaftlichen Gesetzen beruhten.37 Angesichts der ständigen Bedrohung durch die „imperialistischen“ Mächte, der von

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den Zaren geerbten Rückständigkeit des Landes und der Unreife der eigenen Bevölkerung war die Partei laut Mythos verpflichtet, als starke, geschlossene Einheit zu handeln.38 Lenin hatte 1921 daher jede Fraktionsbildung verboten und Stalin ab 1922 die Position des Generalsekretärs zur einzig wahren Stimme des Führungskollektivs ausgebaut.39 Karen Brutentz, Mitarbeiter unter Breschnew, erläutert: „Die absolute Macht des Generalsekretärs speiste sich nicht nur aus dem Kräfteverhältnis, sondern wurde von der Parteitradition des absoluten Gehorsams unterstützt. Sie saß tief in der Parteipraxis, in der Psychologie der Kader und lähmte dort die Selbständigkeit und eigenverantwortliches Handeln.“40 Mit anderen Worten: Der Mythos von der bedrohten, kämpfenden Avantgarde sorgte dafür, dass einerseits die Partei verpflichtet war, ihrem Führer blind zu folgen, dass aber andererseits der Generalsekretär glaubhaft machen musste, dass er den kollektiven Willen vertrat. „Kollektive Führung“ hatte also nichts mit westlichen Vorstellungen von Demokratie zu tun, sondern beruhte auf dem Mythos der nach außen geschlossen auftretenden Parteiavantgarde. Mit welchen Mitteln sie die Parteiführung geschlossen hinter sich versammelten, das entschieden die Generalsekretäre sehr unterschiedlich. Um es mit Wortman zu sagen: Jeder Parteiführer wählte ein anderes Herrschaftsszenario, um sich als legitimen Erben Lenins darzustellen und sich von seinen Vorgängern abzuheben. Stalin präsentierte sich als rastloser Verfolger der omnipräsenten Feinde und machte mit Angst und Schrecken die Partei gefügig. Chrusch­ tschow umgab sich mit der Aura des Reformers und überzeugte lange Zeit die Parteigremien damit, dass er für einen Neuanfang stand. Breschnew dagegen wählte „Vertrauen und Fürsorge“ als sein Herrschaftsszenario: Die Partei sollte ihm in dem Glauben folgen, dass er weder wie Stalin ihr Leben noch wie Chruschtschow ihre Karriere bedrohte.41 Er verkündete dieses Versprechen öffentlich auf dem 23. Parteikongress im März 1966, als er „Vertrauen in die Kader“ und „Kaderstabilität“ als neue Leitlinien seiner Politik ausrief.42 Unter viel Applaus versprach Breschnew, dass es künftig keine Ämterrotation oder Begrenzung von Amtszeiten mehr geben würde; auch sollte kein Parteikader mehr Angst vor willkürlichen Reformen und Versetzungen haben.43 Breschnew motivierte diese Änderungen mit einer Weiterentwicklung der „sozialistischen Demokratie“ und legitimierte auch die Rückbenennung des Parteipräsidiums in „Politbüro“ und des Ersten Sekretärs in „Generalsekretär“ mit der Rückbesinnung auf die Lenin’schen Traditionen.44 Er präsentierte sich auf dem Parteitag als „wahrer Chruschtschow“, als derjenige, der den Ruf nach „Demokratie“ und „sozialisti-

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schem Rechtsstaat“ ernst nehmen und jedem Kader zu seinem Recht verhelfen werde: „Vollkommene Demokratie und Meinungsfreiheit bei der Diskussion einer jeden beliebigen Frage und eiserne Disziplin, sobald ein Mehrheitsbeschluss gefällt wurde – das ist das unumstößliche Gesetz unserer Partei.“45 Doch was bringt es uns, von einem „Herrschaftsszenario“ zu sprechen? Erstens zeigt es, dass Breschnew, wie auch seine Vorgänger, unter einem starken Legitimationsdruck stand. Zweitens lenkt es unsere Aufmerksamkeit auf die vielen kleinen Rituale und Praktiken, auf die sich Breschnews Herrschaft stützte. Auch er führte ein „Theater der Macht“ auf, das in seinen „Akten“, Texten und Rollenbesetzungen kanonisiert war und nicht hinterfragt wurde. Darin waren den Politbüro- und ZK-Mitgliedern feste Rollen zugewiesen, durch die sie zu Akteuren der Inszenierung wurden, selbst Macht erlangten und gleichzeitig Breschnews Herrschaft stützten. Drittens legt das „Herrschaftsszenario“ eine Struktur frei, die bislang meist übersehen wurde: Breschnew war kein schwacher Führer, wie so oft beanstandet wurde,46 und er war auch mehr als nur ein „Mediator“ zwischen konkurrierenden Gruppen, wie lange Zeit Politikwissenschaftler behaupteten.47 Er war der Regisseur in dieser Inszenierung, und es war sein Verdienst, wenn ihm die Mitglieder des Politbüros in seinem „Herrschaftsszenario“ folgten und die ihnen darin zugewiesenen Rollen spielten. Vertrauensbildende Rituale

Die polnische Soziologin Barbara Misztal hat die These formuliert, dass Vertrauen zum großen Teil auf Gewohnheit beruhe.48 Sie erläutert, dass Vertrauen und Gewohnheiten in ihrer Struktur fast identisch seien, da beide die Welt einfach erscheinen lassen, Stabilität in den Alltag bringen und Grenzen zwischen „bekannt“ und „unbekannt“, „wir“ und „sie“ ziehen.49 Vertrauen muss also nicht auf einer Risikoabwägung beruhen, sondern kann durch pure Wiederholung gerade auch ritueller Handlungen erzeugt werden. Vertrauen hat daher eine starke performative Dimension, weil es sich in ständig perpetuierten Akten vollzieht. Es scheint, als sei sich auch Breschnew dessen bewusst gewesen, als er seine Herrschaftsrituale etablierte. Seit Stalins Zeiten folgte der Verlauf der ZK-Plenarsitzungen demselben Ritual, das Rede- und Meinungsfreiheit suggerierte, aber doch letztlich allen Teilnehmern eine Rolle vorschrieb oder einen Handlungsrahmen ließ, in dem offener Widerspruch oder Nein-Stimmen ein Tabu waren. Breschnew begann mit

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einer Charmeoffensive: Die eingefahrenen Sitzungsrituale, die unter Stalin die Parteimitglieder hatten zittern lassen und die angesichts der Spotttiraden unter Chruschtschow unerträglich geworden waren, füllte er mit viel Freundlichkeit, Fröhlichkeit und ehrlichem Respekt gegenüber seinen Genossen. Dem immer gleichen Prozedere gab er eine Ernsthaftigkeit und eine Würde zurück, wie sie die ZK-Mitglieder unter Chruschtschow vermisst hatten. Er verlas zu Beginn eines jeden Plenums die Zahl derer, die anwesend waren, sowie jener, die wegen Krankheit oder Dienstreise fehlten, und fragte sodann, ob das Plenum dennoch eröffnet werden sollte. Das wurde durch Akklamation bejaht. Dann verlas er das Sitzungsreglement, wie viel Zeit für die Hauptrede und wie viel für die Redebeiträge vorgesehen war, wann und wie lang man Pause machen würde. Auch das mussten die ZK-Mitglieder durch Zuruf bestätigen.50 Der Ablauf folgte dem immer gleichen Skript: Die Reden wurden eine nach der anderen verlesen, wobei jedoch neu war, dass Breschnew zwar oft präsidierte, das erste Wort aber nur selten für sich beanspruchte. Stattdessen behielt er sich das Schlusswort vor und fragte danach stets, ob es noch Fragen oder Kommentare gebe. Das wurde stets mit „nein“ quittiert. Das galt auch, wenn über „organisatorische Fragen“, also Absetzungen und Neuberufungen, entschieden wurde. Formal hatte jeder die Möglichkeit, einen anderen Vorschlag zu machen oder mit „nein“ zu stimmen. Tatsächlich verlangte die Parteiräson, dass niemand eine Aussprache wünschte, andere Kandidaten nannte oder dagegen stimmte, und so machte es auch niemand.51 Allerdings soll laut Schelepin Breschnew mitunter sehr deutlich eingefordert haben, dass die Politbüromitglieder keine Koreferate hielten, da ihre Meinung schließlich in den im Politbüro abgestimmten Hauptvortrag eingeflossen sei.52 Für den 23. Parteikongress 1966 einigte man sich darauf, dass außer der Führungstroika aus dem Parteipräsidium niemand sprechen sollte, um Geschlossenheit zu zeigen und etwaige Meinungsverschiedenheiten nicht offen auszutragen. Diese Praxis habe dann auch für die folgenden Parteikongresse gegolten.53 Mit Wortman kann man sagen, dass alle beim „Theater der Macht“ mitspielten, weil sie sich dem Mythos der starken Partei, die mit einer Stimme sprach, verpflichtet fühlten bzw. dem Druck Breschnews, diesen Mythos aufrechtzuerhalten, nachgaben. Bei Chruschtschow hatten sie sich gefügt, weil sie fürchteten, selbst Opfer seiner ätzenden Kritik zu werden; Breschnew schien durch seine Freundlichkeit und Verbindlichkeit zu überzeugen. Er machte vom ersten Tag an deutlich, dass er sich seinen Genossen gegenüber ausschließlich respektvoll verhalten würde.

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Auf seinem ersten Plenum im November 1964 gab er eine Kostprobe davon, dass er mit den Entlassenen ebenso höflich wie mit den Neuberufenen umgehen würde. Den ehemaligen Zweiten Parteisekretär Frol Koslow, der nach seinem Schlaganfall immer noch Präsidiumsmitglied war, entließ Breschnew aus dem höchsten Parteiorgan nicht mit ein paar Kraftausdrücken, wie es unter Chruschtschow zu erwarten gewesen wäre, sondern mit besten Wünschen für die Genesung und den Worten, dies sei nur „menschlich“.54 Schelest, den er als Vollmitglied des Präsidiums vorschlug, stellte er in einer Weise vor, wie sie sein Markenzeichen werden sollte: Er sei ein verdienter, großartiger Parteiführer und da ihn alle kennten, müsse nicht mehr über ihn gesagt werden.55 Dies erste Parteiplenum unter Breschnew war für alle ZK-Mitglieder eine große Beruhigung: Selbst heikle Fragen, wie die Absetzung altgedienter Kader, löste er würdevoll. Nach den Plenarsitzungen, die Breschnew leitete, mussten nicht wie vorher unter Chruschtschow die Stenogramme gesäubert werden. Da sich Breschnew in seiner ganzen Laufbahn nicht im Ton vergriff, wichen die Protokolle nur minimal vom Originalstenogramm ab. Und es gab weitere feine, aber bedeutende Unterschiede, die sich oft nur in der Wortwahl ausdrückten: Während Chruschtschow zuletzt nur noch im eigenen Namen gesprochen hatte,56 sprach Breschnew wieder im Namen des ganzen Präsidiums bzw. Politbüros. Dies behielt er bis zu seinem Tod 1982 bei. Auch den Bezug auf den „Meinungsaustausch“ unter den Genossen, der als Garant oder zumindest Achtung vor der Kollektivherrschaft galt und auf den Chruschtschow bald verzichtete hatte,57 machte Breschnew zum Fixpunkt all seiner Reden.58 Gemeinsames Redigieren

Noch eindrücklicher muss der Unterschied zwischen Chruschtschow und Breschnew für die ZK-Mitglieder in den Redaktionskommissionen gewesen sein, die üblicherweise auf den Plenarsitzungen eingesetzt wurden, um den Text der Resolutionen zu edieren. Dies waren keine kleinen Arbeitsgruppen von subalternen Mitarbeitern, sondern große Kommissionen von bis zu 70 Mitgliedern, darunter immer das gesamte Parteipräsidium bzw. Politbüro und die mächtigsten ZKMitglieder. Nachdem Stalin die letzte derartige Kommission 1947 toleriert hatte, nahm Chruschtschow diese Praxis wieder auf, machte aber seit Anfang der 1960er Jahre immer deutlicher, wie sehr er diese Einrichtung als Zeitverschwendung betrachtete und ihn dieser mühevolle Prozess, bei dem man gemeinsam

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einen Text besprach, nervte. Breschnew machte im Unterschied dazu aus der Sitzung der ersten Redaktionskommission, die er auf dem März-Plenum 1965 leitete, eine regelrechte Diskussionsveranstaltung und schlug dabei einen ganz anderen Ton an. Dabei beschränkte er sich auf die Rolle des reinen Moderators, der seine eigene Meinung ganz zurückhielt und dafür die anderen umso mehr zur Diskussion ermunterte. Als der erste Diskutant vorschlug, die gesamte zweite Seite der Resolution zu streichen, fragte Breschnew nur fröhlich, welche Meinungen es dazu gebe.59 Es entwickelte sich ein sehr reger und lebendiger Schlagabtausch über die Struktur der Resolution und darüber, wie viel Kritik an den Zuständen in der Landwirtschaft sie enthalten sollte. In solchen Diskussionen wurde nicht selten über einzelne Wörter gestritten, wie etwa auf der Kommissionssitzung des September-Plenums 1965. Der Chefideologe Michail Suslow plädierte dafür, „das Plenum beauftragt“ durch „das Plenum schlägt vor“ zu ersetzen, woraufhin der Ministerpräsident Kossygin beteuerte, er finde „beauftragen“ treffender. Breschnew unterstützte zunächst Suslow, aber nachdem sich Podgorny für „beauftragen“ ausgesprochen hatte, entschied Breschnew: „Dann lasst uns ‚beauftragen‘ schreiben, wenn das die Mehrheit so will.“60 Es war immer wieder auffallend, dass Breschnew der Kommission weder seine Meinung aufzwang, geschweige denn diese auch nur kundtat, noch die Versammelten zur Eile drängte. Das änderte sich auch 1968 nicht, als die Kommission auf dem April-Plenum eine Resolution zur Lage in der ČSSR diskutierte und minutenlang darüber sinnierte, wie die Rolle der KPdSU im Verhältnis zu den anderen Bruderparteien am besten formuliert werden sollte. Nachdem ZKSekretär Ponomarjow den Textentwurf vorgelesen hatte, der „die Bedeutung des Vorgehens unserer Partei“ unterstrich, schlug Breschnew vor: „Vielleicht sollten wir sagen: ‚zusammen mit den kommunistischen Bruderparteien der sozialistischen Länder‘?“ Auch Premier Kossygin meinte: „Wir sollten uns nicht die Funktion des Führers anmaßen.“ Breschnew stimmte zu: „Wir müssen ausdrücken, dass wir gemeinsam mit ihnen handeln.“ Den neuen Vorschlag Ponomarjows, von der „Bedeutung des Vorgehens der Bruderländer und der Parteien Europas“ zu sprechen, quittierte Außenminister Gromyko mit der Frage: „Wieso ‚Europas‘?“ Breschnew sprang ihm bei und sagte zu Ponomarjow: „Verstehst du, Boris Nikolajewitsch, um die KPdSU nicht herauszuheben, sondern zu betonen, dass alle Bruderparteien zusammen vorgehen.“ Nach weiteren Vorschlägen und Kommentaren einigte man sich schließlich auf: „die Bedeutung des gemeinsamen Vorgehens aller Bruderparteien der sozialistischen Länder im Kampf gegen den

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deutschen Imperialismus“. Der KGB-Vorsitzende Andropow kommentierte: „Das ist ein guter Vorschlag.“61 Den westlichen Leser mag es irritieren, dass der lebendigste Austausch dort stattfand, wo es lediglich um Formulierungen ging. 70 Parteiführer stritten über einzelne Wörter und Kommas. Es scheint, als sei die Einheit der Partei und der kollektiven Führung dadurch unterstrichen worden, dass man sich nur über Formulierungen, nicht aber über Inhalte stritt. Gleichzeitig wurden hier die Lehrsätze festgelegt, von denen danach niemand mehr abweichen durfte: Jeder hatte ja dafür gestimmt. Breschnew fand in den Redaktionskommissionen eine Arena, in der er besser als in den formalisierten und stark durchritualisierten Plenarsitzungen zeigen konnte, dass er niemandem seine Meinung aufzwang, jeden anhörte und alle ausreden ließ. Offenbar benötigte er diese Demonstrationen besonders in seinen ersten Jahren, denn nach 1970 wurde keine weitere Redaktionskommission eingesetzt, ohne dass es irgendwelche Hinweise gäbe, warum das so war. Gleichwohl änderte Breschnew nichts an der Praxis, alle Entscheidungen dem Kollektiv vorzulegen. Sogar seinen Urlaub ließ er sich vom Politbüro genehmigen und unterwarf sich damit gleichsam in einer symbolischen Geste dem Willen seiner Genossen. So erklärte Breschnew beispielsweise am 22. Juni 1979 vor dem Politbüro, dass er vom 25. Juni an auf der Krim Urlaub machen wolle und, wenn die Genossen nichts dagegen hätten, bereits am folgenden Tag abreisen würde. Diese antworteten einstimmig: „Richtig, Leonid Iljitsch, Sie müssen sich erholen, die Zeit ist dafür reif, dass Sie Urlaub machen.“62 Hier ging es weniger um eine tatsächliche Abstimmung oder Diskussion über Sinn oder Unsinn von Sommerfrische; entscheidend war das Ritual, mit dem sich Breschnew dem Willen des Kollektivs unterordnete. Wie Wortman es beschreibt, wurden die ZK-Mitglieder auf diese Weise Teil der Herrschaft, die sie aus den Massen emporhob. Breschnew wurde nicht müde zu betonen, dass sie zusammen ein Team bildeten und er jeden Einzelnen wertschätzte. So schloss er das Februar-Plenum 1981, indem er sich für die Leistungen der letzten fünf Jahre bedankte: „Mir scheint, dass wir nicht schlecht gearbeitet haben, freundschaftlich, kollektiv, an der Sache orientiert. Erlauben Sie mir, allen Mitgliedern und allen Kandidaten des ZK und der Revisionskommission meinen herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit auszusprechen, für den Beitrag, den jeder von Ihnen, Genossen, in diesen Jahren zu unserer gemeinsamen Parteisache beigetragen hat.“63

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Kollektives Redenschreiben

Neben dem „Relaunch“ der Redaktionskommissionen etablierte Breschnew eine neue Praxis des kollektiven Redenschreibens, die er bis zu seinem Lebensende beibehielt. Während Stalin seine Reden selbst schrieb und Chruschtschow professionelle Redenschreiber unterhielt, dabei aber selbst die Themen vorgab, seine Scherze einflocht und letztlich meist doch improvisierte,64 machte Breschnew das Redenschreiben zu einem kollektiven Ritual. Jede Rede, die er hielt, war vorher sowohl von den Mitarbeitern im ZK-Apparat diskutiert als auch von den Politbüromitgliedern und mächtigen ZK-Mitgliedern kritisiert worden.65 Chruschtschows Weggefährte Fjodor Burlatsky schimpfte: „Unter [Breschnew] erblühte die Praxis der arbeitsintensiven Abstimmungen in voller Pracht, die Dutzende von Unterschriften auf den Vorlagen erforderte, was am Ende den ganzen Sinn des gefassten Beschlusses verdrehte oder verzerrte.“66 Auch Breschnews Mitarbeiter Akexandrow-Agentow beschrieb diesen Prozess des kollektiven Schreibens als quälende Erfahrung: Einmal musste ich auf einer Sitzung dabei sein, wo kollektiv insgesamt ca. 15 Mann (Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, ZK-Sekretäre, ein bis zwei Abteilungsleiter aus dem ZK) den Text eines Briefes entwarfen, dessen Aufgabe es sein sollte, die Leitung der KP der Tschechoslowakei zur Vernunft zu bringen. Das war ein schreckliches Schauspiel! Mehrere Stunden hintereinander arbeiteten sie am Text, wobei jeder versuchte, seine Meinung einfließen zu lassen, die nicht selten den anderen widersprach.67

Doch was Burlatsky und andere als Breschnews Mangel an Ideen und Initiativlosigkeit brandmarkten,68 war letztlich ein wohlüberlegter Zug in seinem Herrschaftsszenario, um möglichst viele Personen bei der Ausformulierung von politischen Themen einzubeziehen und damit implizit zu vermitteln: Seht, ich zwinge niemandem meine Themen oder Richtlinien auf, wir machen alles gemeinsam. Alexander Bowin, der Mitarbeiter in der Internationalen Abteilung des ZK war, berichtet, dass Breschnew im Vorfeld des 23. Parteikongresses, der sein erster war, noch nicht recht gewusst habe, wie er ihn am besten vorbereitete. Also lud er im Herbst 1965 alle ZK-Abteilungsleiter auf Stalins ehemalige Datscha, Wolynskoje I, ohne ihnen aber klare Instruktionen zu geben, was sie tun sollten. „Um es deutlich zu sagen, Breschnew hätte ein Team zusammenstellen müssen

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und ihnen klare Vorgaben, die die Richtung des Textes bestimmen, machen müssen. Aber das tat er nicht. Vielleicht weil ihm selbst noch nicht klar war, wie seine Rede aussehen sollte, nicht einfach irgendeine Rede, sondern eine BreschnewRede. Mit Stalin und Chruschtschow im Rücken war das nicht einfach.“69 Doch Bowin verstand, dass Breschnew all diese Abteilungsleiter und ihre Stellvertreter nicht aus Hilflosigkeit, sondern aus Taktik eingeladen hatte. Hier saßen Stalinanhänger mit Befürwortern des Reformprozesses zusammen und wurden nicht eher nach Hause entlassen, bis sie eine gemeinsame, mittlere Linie gefunden hatten.70 Auch Brutentz, Kollege Bowins in der Internationalen Abteilung, war der Meinung, dass die 20 Personen, die Breschnew nach Wolynskoje holte, viel zu viel waren und der Prozess vollkommen unorganisiert erschien. Doch trug diese Gruppe einen der heftigsten politischen Kämpfe aus, die es unter Breschnew geben sollte. Gerade die beiden Breschnew-Vertrauten und langjährigen Mitarbeiter Trapesnikow und Golikow hätten sich als wirkliche Altstalinisten zu erkennen gegeben, die den reformorientierten Mitarbeitern der Internationalen Abteilung unumwunden sagten: „Dich wird man erschießen müssen“ bzw. „Dich muss man verhaften“.71 Entscheidend sei Suslows Eingreifen gewesen, der auch unter Breschnew die letzte Instanz in Ideologiefragen bleiben sollte. Was andere an den Rand ihrer Geduld brachte, war Breschnews Triumph, nämlich nach einem heftigen Schlagabtausch gemeinsam zu einer Linie zu finden, die dann für alle bindend war. Erst nachdem die grobe Richtung feststand, mischte sich Breschnew ein und fügte die Feinheiten ein, die ihm wichtig waren.72 ZK-Mitarbeiter Bowin lobte dieses Vorgehen daher als „maximal demokratisch“: „Während der Diskussion konnte man streiten, seinen Standpunkt und seine Position verteidigen. Andere mochten lärmen und mit den Armen fuchteln. Breschnew hörte aufmerksam zu und behielt seine unerschütterliche Miene. Manchmal scherzte er auch.“73 Nach dieser Erfahrung etablierte Breschnew eine Praxis, an der er bis zu seinem Tod festhielt: Zur Vorbereitung der Rechenschaftsberichte an das ZK-Plenum oder der Reden auf den Parteitagen zog er sich mit einer Gruppe von ZKMitarbeitern auf eine der Datschen, meist den Jagdsitz Sawidowo, zurück, um hier den Text zu entwickeln. Bowin: Zunächst sandte er einen ersten Entwurf an einen engen Kreis von Leuten, an deren Meinung ihm lag. Zusammen mit ihm gingen wir dann durch die [erhaltenen] An-

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merkungen, arbeiteten einiges ein, aber einiges auch nicht. Erst dann folgte die offizielle Versendung an alle Mitglieder und Kandidaten des Politbüros sowie an die ZKSekretäre. Mit der Annahme (oder Ablehnung) ihrer Bemerkungen endete die Arbeit an den Dokumenten. Daher galt alles, was der Generalsekretär sagte, nicht nur als seine Meinung, sondern als Position des ZK.74

Da dieser Abstimmungsprozess neu war, war es für Breschnew wichtig, das neue Ritual publik zu machen. Am 16. September 1965 sandte er den Entwurf für seine Rede auf dem bevorstehenden Plenum an alle ZK-Mitglieder und erklärte dazu: „Ich sende Ihnen meinen Redeentwurf. Ich bitte Sie um Kommentare. Ich arbeite weiter daran. L. Breschnew.“75 So wie er ständig Bezug auf den „Meinungsaustausch” im Politbüro nahm, unterstrich er gerade zu Beginn seiner Amtszeit die kollektive Arbeit an den Reden. Auf dem März-Plenum 1966 stellte er den Rechenschaftsbericht für den bevorstehenden Parteikongress mit folgenden Worten zur Diskussion: „Genossen, der Bericht an den 23. Parteikongress, der hier dem Plenum zur Prüfung vorgelegt wird, ist das Ergebnis der kollektiven Arbeit aller Mitglieder und Kandidaten sowie Sekretäre des Zentralkomitees, die direkt an seiner Zusammenstellung beteiligt waren. Der Entwurf wurde vom Präsidium des ZK im Ganzen geprüft und einhellig befürwortet.“76 Im Juni 1967 forderte er das versammelte Parteiplenum auf, mehr Kommentare und Ideen für die Rede zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution zu schicken: „Wir würden uns freuen, noch mehr Anmerkungen zu erhalten, weil das unseren Text nur verbessern, nur perfektionieren würde.“77 Breschnew hielt an dieser Praxis des kollektiven Redenschreibens fest. Auch als 1973 ein neuer Kult um seine Person entstand und er 1977 Präsident wurde, holte er weiter die Meinung der anderen ein, die dann in den Redetext eingearbeitet wurde.78 So fragte er auch noch im November 1978 alle Anwesenden auf dem ZK-Plenum: „Der Resolutionsentwurf (…) wurde vorher verteilt. Alle eingegangenen Anmerkungen wurden in den Entwurfstext eingearbeitet. Gibt es noch weitere Anmerkungen zum Resolutionsentwurf?“ Erst als aus dem Saal „nein“ und „beschließen“ ertönte, ließ Breschnew über die Resolution abstimmen.79 Das Kollektiv verkörpern

Selbst nach außen fiel die neue Praxis als ungewöhnlich auf. Der außenpolitische Berater des ägyptischen Staatspräsidenten Nasser, Mohammed Heikal, wur-

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de im Juni 1970 bei einem Staatsbesuch in Moskau Zeuge eines solchen Akts kollektiver Herrschaft. Mitten in den Beratungen öffnete sich die Tür und ein Beamter aus dem Außenamt betrat den Raum und überreichte dem stellvertretenden Außenminister Wladimir Winogradow ein Schriftstück, woraufhin ein bizarres Schauspiel begann: Winogradow gab das Papier an Gromyko, der es las, aufstand und es zu Kossygin brachte; der las es und reichte es Breschnew. Breschnew las es und gab es zurück an Kossygin, der es Podgorny reichte. Podgorny las es und reichte es zurück an Kossygin, der es wieder Breschnew gab. Breschnew unterschrieb es und reichte es an Kossygin, der es ebenfalls unterschrieb. Dann unterschrieb Podgorny. Podgorny reichte es Gromyko, der es Winogradow gab, der es dem Beamten gab, der es zurück ins Außenamt trug. Die ganze Prozedur dauerte an die fünf Minuten.80

Breschnew erklärte den konsternierten Ägyptern, sie hätten gerade ein Telegramm unterschrieben, das den somalischen General Siad vor einem Attentat warnen sollte. Als sie den Raum verließen, sagte Nasser zu Heikal: „Hast du gesehen, was da vorgegangen ist? (…) Wenn ein Telegramm an General Siad die Unterschrift von allen dreien braucht, dann haben wir ein Problem!“81 Auch das deutsche Auswärtige Amt stellte 1973 diesen Zug, stets das Kollektiv in den Vordergrund zu stellen, fest: „Breschnew bemüht sich in seinem Auftreten immer wieder, im Gegensatz zu der Einmann-Herrschaft seiner Vorgänger Stalin und Chruschtschow, die kollektive Führung zu betonen, und wirkt unaufdringlich und zurückhaltend, wenn auch bestimmt.“82 Doch Breschnew unterstrich nicht nur mit dem kollektiven Redenverfassen und Unterschreiben, dass ihm die Meinung aller wichtig war. Er inszenierte sich darüber hinaus gleichsam als Verkörperung der kollektiven Herrschaft, wenn er die Reden mit viel Pathos und Witz vortrug. Wahrscheinlich kam hier seine Erfahrung als Laienschauspieler zum Ausdruck, jedenfalls legte er viel Wert auf den Klang des gesprochenen Wortes. Nicht umsonst ließ er sich von seinen Mitarbeitern die Redetexte vorlesen. Was seine Kritiker als Zeichen von Faulheit und intellektueller Beschränktheit deuteten,83 war laut seinen Assistenten eine Frage der Performance.84 Breschnew erklärte zunächst, wie er sprechen wollte;85 er wollte den Klang der Rede hören, um entscheiden zu können, wo noch etwas geändert werden müsste oder die Dramaturgie nicht stimmte. Er wehrte sich gegen alle schwer verdaulichen „Akademismen“ und forderte einen „redneri-

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schen Zugang“ zum Text.86 Sein Mitarbeiter Georgi Schachnasarow nannte diese Probevorträge Breschnews „Hyde Park“.87 Brutentz bestätigt: „Wie sich herausstellte, hatte er ein wesentlich besseres Gefühl für die mündliche Rede und deren Besonderheiten als viele andere und reagierte sehr präzise auf alles, was nicht zum Stil passte. Als erfahrener Propagandist und Politarbeiter wusste Breschnew, wie er mit den Menschen, mit den Massen, reden musste, und er fühlte, was er sagen musste.“88 Und Bowin ergänzte: „Nicht weniger Aufmerksamkeit als dem Inhalt schenkte Breschnew der Form des Auftritts. Sein Doping war Applaus. Daher forderte er unermüdlich, um das Publikum zu erheitern, mehr Höhepunkte und mehr Pathos in den Text einzufügen.“89 Man könnte sagen, dass sich Breschnew als Entertainer verstand und ihm diese Selbstinszenierung in seinen frühen Jahren bis Mitte der 1970er Jahre gelang. Dazu gehörte auch, dass er, zumindest anfangs, seine Mitarbeiter anwies, möglichst wenig Leninzitate in seine Reden zu schreiben. Einerseits eigneten sich diese nicht für seine Performance. Andererseits beteuerte er, es würde ihm ohnehin niemand glauben, dass er Lenins Werke gelesen habe.90 Dies war eine weitere Demutsgeste gegenüber den anderen Parteiführern, mit der er demonstrierte, er werde sich nicht anmaßen, als oberster Parteitheoretiker oder unfehlbarer Leninexeget aufzutreten. Breschnew präsentierte sich also sehr erfolgreich als „Sprecher“ der Partei, als Verkörperung des kollektiven Willens und Entertainer des Parteivolks. Dadurch, dass er an den Ritualen, der Betonung des Kollektivs und dem respektvollen Umgang festhielt, nährte er das Vertrauen, dass er sich nicht in einen Tyrannen wie Stalin oder Chruschtschow verwandeln werde. „Fürsorgliche Versetzungen“

Es war eine Sache, die Partei durch Demutsgesten, Wiederbelebung von Ritualen der kollektiven Herrschaft und gemeinsames Schreiben von Reden zu überzeugen, er sei ein vertrauenswürdiger Parteiführer, der sich nicht über sie erheben werde. Aber es war eine andere Sache, sich auch als fürsorglicher Patron zu präsentieren, der die Genossen nicht ins Verderben stürzen werde. Breschnew hatte gleich auf seinem ersten Plenum im November 1964 beteuert, die bedeutsamste Frage für die Partei sei die Frage der Kader: deren sorgfältige Auswahl und Ernennung. Er hatte versprochen, auch die Personalpolitik kollektiv zu regeln.91

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Gleichwohl war das wichtigste Werkzeug eines jeden Parteiführers die Macht, Personen zu ernennen und zu entlassen und damit potentielle Rivalen zu entfernen und die eigenen Gefolgsleute in Position zu bringen.92 Breschnew hatte es mit fünf konkurrierenden Netzwerken und derselben Anzahl von Mitverschwörern zu tun, die er kontrollieren musste und am besten natürlich entmachtet hätte.93 Die Dominanz der Patron-Klienten-Verbünde hatte neben vielen anderen historisch-kulturellen Wurzeln ihren Ursprung in der sowjetischen Herrschaft und im stalinistischen Terror: Die Bolschewiki waren im Zarenreich im Untergrund und Exil groß geworden und hatten nur dank konspirativer Strukturen überlebt. Als Lenin mit den Familien der anderen Parteiführer in den Kreml einzog, lebten sie dort wie ein großer Clan: Die persönliche Bekanntschaft und über Jahre gewachsenes Vertrauen zählten immer noch mehr als Fachkompetenz und formale Ämter. Diese Kultur verstärkte sich, wie wir in Kapitel 2 und 3 gesehen haben, in den Jahren des Terrors. Selbst wenn ein mächtiger Parteisekretär oder Wirtschaftsführer als Patron kein Garant mehr war, nicht verhaftet zu werden, war die Chance, nicht denunziert zu werden, innerhalb eines Netzwerkes von Vertrauten am größten. Auch überzogene Planvorgaben machten eine Zusammenarbeit in Netzwerken notwendig. Gegenseitig half man sich mit Material und Maschinen aus, die über offizielle Wege nicht zu bekommen waren, und gegenseitig deckten sich die Wirtschafts- und Parteiführer bei geschönten Produktionsziffern. Die Patron-Klienten-Verbünde wirkten also im „Negativen“ wie im „Positiven“. Im ersteren Fall waren sie ein Schutz vor Willkür und Verhaftung, im letzteren bedeuteten sie Zugang zu defizitären Produktionsmitteln, aber auch individuell zu Posten, Wohnungen und Dienstwagen. Breschnew hatte es also mit einem doppelten Erbe aus der Stalinzeit zu tun: Misstrauen, Angst und Argwohn auf der emotionalen Seite und ein dominantes Geflecht von Personennetzen, das sich die Genossen und auch er selbst zum eigenen Schutz aufgebaut hatten. Eine Erwägung, auch diese „Trutzburgen“ zu schleifen, um ein freies Spiel der Personalkräfte zu ermöglichen und Kader nach Qualifikation und nicht nach Clanzugehörigkeit zu befördern, schien nicht in Frage zu kommen. Im Gegenteil: War das nicht das, was Chruschtschow mit seinem Rotationsprinzip, den begrenzten Amtszeiten und der Dezentralisierung versucht hatte? Und hatte nicht gerade das zu seinem Sturz geführt? Es scheint also, dass für Breschnew die Herrschaft durch Personennetze eine Realie war, an der er nicht rütteln wollte, sondern auf deren Grundlage er sich selbst einrichtete. Er würde seine Gefolgschaft aus Dnepropetrowsk und Moldawien an

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den Schaltstellen der Macht installieren und seine potentiellen Rivalen Suslow, Schelepin, Semitschastny, Schelest, Podgorny und Kossygin, wenn nicht marginalisieren, so doch kontrollieren. Breschnew musste also den Spagat vollbringen, einerseits seine Macht durch die Installation seiner Klientel auszubauen, andererseits auf keinen Fall den Eindruck zu erwecken, er tue das gegen den Willen des Kollektivs und ruiniere damit Karrieren.94 Im Gegenteil musste er sich als „Fürsorger“ präsentieren, der sich um die Kader kümmerte und nur zu deren Bestem entschied.95 Gegenüber Fjodor Burlatsky soll Breschnew beteuert haben: „Meine Stärken sind Organisation und Psychologie.“96 Alexander Jakowljew, einer der intellektuellen Väter der Perestroika, bestätigt, wenn auch abfällig, Breschnew habe kein Talent außer dem einen besessen, immer genau zu erkennen, wer sein Freund und wer sein Feind war.97 Und auch Michail Gorbatschow beschreibt in seinen Erinnerungen, wie geschickt Breschnew sein Netzwerk ausbaute, potentielle Konkurrenten zunächst unter Aufsicht stellte und sie dann entmachtete.98 Nicht grundlos entstand zu Breschnews Zeiten die Anekdote, die russische Geschichte teile sich in drei Phasen: die vorpetrinische, die petrinische (unter Peter I.) und die dnepro-petrinische − als Breschnew alle Posten mit seinen Gefolgsleuten aus Dnepropetrowsk besetzte.99 Er ging dabei sehr behutsam vor: Er überstürzte nichts und ließ sich so viel Zeit, bis er sicher sein konnte, dass seine Personalentscheidungen nicht nur auf keinen Widerstand treffen, sondern einen Konsens finden würden.100 Personen, die er nicht gleich entmachten konnte, umstellte er mit seinen Gefolgsleuten aus Dnepropetrowsk. Allein dem Ministerpräsidenten Kossygin stellte er fünf Stellvertreter aus seiner Heimat zur Seite.101 Der tatsächliche Machtverlust kam oft im Gewand einer formalen Beförderung: Breschnew machte aus geschassten Politbüromitgliedern stellvertretende Minister, aus ehemaligen Ministern Parteisekretäre einflussreicher Regionalkomitees und abgesetzte ZK-Mitglieder schickte er als Botschafter nach Dänemark, Belgien oder Norwegen.102 Georgi Arbatow kommentiert: „Einer seiner Vorzüge war, dass er nicht bösartig und nicht grausam war. Wenn er Personen als Botschafter abschob oder in Pension schickte – war das weder Gefängnis oder Folter oder Exekution noch war es der Parteiausschluss und die grausame öffentliche Bloßstellung, mit der Chruschtschow seine Gegner gepeinigt hatte.“103 Breschnew blieb stets höflich und verbindlich und sorgte sich darum, dass es den Geschassten hinterher an nichts fehlte. Als er 1967 den Moskauer Parteichef Nikolai Jegorytschew, einen Gefolgsmann Schelepins,104 absetzte, rief

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er ihn an: „Du musst bitte entschuldigen, es musste sein … Aber hast du nicht irgendwelche Sorgen, familiärer oder anderer Art?”105 Tatsächlich hatte Jegorytschews Tochter gerade geheiratet – prompt bekam sie von Breschnew eine Wohnung zugewiesen. Jegorytschew selbst wurde erst stellvertretender Minister und später Botschafter in Dänemark. Auf diese Art und Weise vermied Breschnew peinlichst, dass sich ernsthafte Aggressionen gegen ihn aufbauten.106 Doch es gab gerade in den ersten Jahren noch Parteimitglieder, die auf einen anderen Parteiführer hofften und Schelepin gern in dieser Position gesehen hätten oder diesen für den wahren Ersten Sekretär hielten.107 Tatsächlich übertrug ihm das Parteipräsidium im Sommer 1965 die Aufgabe, in Breschnews Abwesenheit das Präsidium zu leiten.108 Damit avancierte er zu einer Art Zweitem Sekretär, gegen dessen Besetzung sich Breschnew so sehr gewehrt hatte. Es zirkulierten Gerüchte, Schelepin werde Breschnew ablösen und Letzterer auf seinen alten Posten als Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets zurückkehren.109 Schelepin war auch deshalb gefährlich, weil er drei wichtige Ämter innehatte: Er war ZK-Sekretär, Präsidiumsmitglied und saß dem Komitee für Staats- und Parteikontrolle vor.110 Es dauerte zehn Jahre, bis Breschnew ihn aller Ämter beraubt hatte. Dafür machte er das mit einem Anstand, dass sich niemand beklagen konnte. Den ersten Schlag führte er auf dem Dezember-Plenum 1965: Er setzte kurzerhand den Tagesordnungspunkt „Reorganisation der Staats- und Parteikontrolle“ an und erklärte, die Sowjetunion brauche keine Staatskontrolle mehr; eine fortgeschrittene Gesellschaft brauche eine Volkskontrolle. Da aber der Vorsitzende der Volkskontrolle nicht gleichzeitig ZK-Sekretär sein könne, schlage das Präsidium vor, Schelepin vom Posten des KontrollkommissionsVorsitzenden zu entbinden: „Wenn die Plenumsmitglieder nicht anderer Meinung sind, müssen wir nicht einmal einen Beschluss fassen, da Schelepin ZKSekretär ist.“111 Aus dem Publikum tönte es: „Richtig!“ Wichtig war, dass Breschnew im Namen des Präsidiums und von „wir“ sprach, dass es scheinbar zwingende Sachgründe für Schelepins Entbindung gab, gegen die niemand etwas einwenden konnte, und dass tatsächlich die Plenumsmitglieder mitspielten und „richtig“ riefen und damit sogar auf eine Abstimmung verzichteten. Wir wissen nicht, was sich vorher im Parteipräsidium abgespielt hatte und ob die Frage in Schelepins Gegenwart erörtert worden war; vermutlich überrumpelte Breschnew ihn auf dem Plenum einfach. Breschnew verfügte über ein großes Talent, behutsam, aber beharrlich seine Meinung als Konsens durchzusetzen, selbst wenn er anfänglich in der Minder-

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heit war. Was Stalin und Chruschtschow mit Terror und Erniedrigung erreicht hatten, setzte er durch seine Jovialität und Geselligkeit durch. 1966 gewann er ein erstes Kräftemessen mit Schelepin und dessen Freund KGB-Chef Semitschastny um den Posten des Innenministers. Breschnew tat so, als sei er mit deren Kandidat einverstanden, lud dann aber die Politbüromitglieder zur Jagd auf seine Datscha und trank und redete so lange mit ihnen, bis alle seinem Kandidaten, Nikolai Schtschjolokow, mit dem er bereits vor dem Krieg in Dnepropetrowsk und später in Moldawien zusammengearbeitet hatte, zustimmten.112 Für ihn war es wesentlich, mit dem Innenminister ein Gegengewicht zum KGB zu haben. 1967 gelang es Breschnew dann, Semitschastny und Schelepin ganz aus ihren Ämtern zu drängen. Die Flucht der Tochter Stalins, Swetlana Allilujewa, in die US-Botschaft in Indien war ein willkommener Anlass, den KGBChef Semitschastny durch Andropow zu ersetzen und in die Ukraine abzuschieben. Dennoch achtete Breschnew peinlich darauf, dass Semitschastny nicht gerügt oder gar beschimpft wurde, sondern ihm ein würdiger Wechsel auf den anderen Posten bereitet wurde. Die Sicherstellung einer Mehrheit verlangte ihm auch diesmal viel Taktieren ab. Glaubt man Semitschastny, überzeugte Breschnew zunächst Podgorny, dass Semitschastny nicht mehr als KGB-Chef zu halten sei, da es Anzeichen dafür gebe, dass er zusammen mit Schelepin ein Schattenkabinett organisiere.113 Suslow habe sich den beiden sofort angeschlossen, da er Semitschastny persönlich nicht gemocht habe. Am Tag der fraglichen Politbürositzung lag Semitschastnys engster Getreuer Schelepin im Krankenhaus. Breschnew hatte Politbüromitglied Gennadi Woronow, der im Zweifelsfall Semitschastny verteidigt hätte, wohlweislich auf eine Dienstreise geschickt, während er Arwid Pelsche, dessen Loyalität er sich sicher war, von einer solchen zurückgerufen hatte.114 Andere Politbüromitglieder, deren Meinung er nicht einschätzen konnte, rief er unmittelbar vor der Sitzung am 18. Mai 1967 in sein Büro, um sie freundlich zu überreden.115 So bereitete er einen „Konsens“ vor und versuchte, einem Streit mit ungewissem Ausgang im Politbüro vorzubeugen. Dem völlig unvorbereiteten Semitschastny, der dachte, er sei nur zum Rapport ins Polit­büro bestellt, eröffnete Breschnew: „Wir, d.h. Podgorny, Kossygin und Suslow, schlagen vor, Genossen Semitschastny vom Posten des KGB-Vorsitzenden zu entbinden. Er arbeitet schon lange in dieser Position, Beanstandungen ihm gegenüber gibt es nicht, aber um den KGB enger an das ZK zu binden, schlagen wir für diesen Posten Andropow vor.“116 Es gehörte zu Breschnews Stil, dass er auf Semitschastnys Toben und seine Forderung, einen Untersuchungsausschuss einzu-

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richten, nicht einging und ruhig darauf bestand, dass es nicht um eine Abstrafung ginge. Was Semitschastny als Verbannung in die Ukraine empfand, inszenierte Breschnew erfolgreich als harmlosen Arbeitsplatzwechsel, dem das Politbüro kollektiv zustimmte. Schelepin wurde von Breschnew 1967 einfach weggelobt. Anders als Semitschastny wehrte er sich nicht, sondern spielte die ihm von Breschnew zugewiesene Rolle. Breschnew gewann dank einer Mischung aus Überrumpelungstaktik, unerschütterlicher Freundlichkeit und Parteigehorsam. Schelepin berichtet, dass Breschnew ihn vor einer Politbürositzung in sein Büro rief, wo bereits Suslow saß, in dessen Anwesenheit er ihm erklärte: „Weißt du, wir müssen die Gewerkschaften stärken. Es gibt den Vorschlag, dich von den Pflichten eines ZK-Sekretärs zu entbinden und zum Vorsitzenden des Zentralrats der Gewerkschaften zu machen. Was denkst du?“117 Schelepin antwortete, wie es sich für einen Parteisoldaten gehörte, dass er sich nie eine Arbeit ausgesucht und nie eine abgelehnt habe.118 Auf dem Parteiplenum am 26. September 1967 erklärte Breschnew die Entbindung Schelepins von den Pflichten des ZK-Sekretärs damit, dass diese mit der neuen Tätigkeit nicht vereinbar seien.119 1975 verlor Schelepin auch den Vorsitz über die Gewerkschaften und seinen Platz im Politbüro. Er berichtet, dass Breschnew auch seine Tätigkeit als Gewerkschaftsführer immer noch eifersüchtig überwacht habe, während ihm selbst zunehmend die Arbeit unter solchen Bedingungen schwergefallen sei. Die westliche Presse habe ihn immer noch als Breschnews potentiellen Nachfolger gehandelt, was diesem sehr missfallen habe.120 Erneut gab es ein Gespräch zwischen den beiden, das nach dem bekannten Muster ablief. Breschnew bat den Gewerkschaftsführer, vor dem Beginn des April-Plenums bei ihm vorbeizuschauen, und erklärte dann, er, Schelepin, arbeite schon lange, habe viel erreicht, sei nun erschöpft und brauche einen Wechsel: „Es gibt den Vorschlag, dich von der Mitgliedschaft im Politbüro zu befreien. Sei unbesorgt, alles wird würdig vonstattengehen.“121 Schelepin antwortete, wie schon acht Jahre zuvor: „Ich bin ein Parteisoldat. Sie müssen entscheiden.“122 Auf Breschnews Bitte hin schrieb er ein Entlassungsgesuch, das Breschnew auf dem ZK-Plenum zur Abstimmung stellte und das selbstverständlich einstimmig akzeptiert wurde.123 Dies war eine meisterliche Inszenierung, bei der der Degradierte vorbildlich mitspielte und Breschnew im ZK-Plenum zum wiederholten Mal den Eindruck erweckte, er hätte dem geplagten Parteikader einen Gefallen getan, indem er ihn von der schweren Aufgabe erlöste.

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Nach einem ganz ähnlichen Szenario und ebenfalls unter Mitwirkung des Betroffenen lief im Jahr 1972 die Absetzung Schelests vom Posten des Ersten Sekretärs der Ukraine ab. Schelest berichtet, auf dem ZK-Plenum am 19. Mai 1972 seien in der Mittagspause alle um das Büro von Breschnew herum­geschlichen, nur er selbst sei nicht dorthin eingeladen gewesen. Schließlich habe Breschnew auch ihn hereingerufen und gesagt, er sei doch schon zehn Jahre in der Ukraine, da sei es einmal Zeit für einen Tapetenwechsel; wenn man lange an einem Ort arbeite, dann verliere man das Gespür, man beginne den Leuten auf die Nerven zu gehen, und die Leute würden einen selbst nerven, kurz: Er solle eine Arbeit in Moskau bekommen, er werde als stellvertretender Ministerpräsident gebraucht.124 Schelests Wunsch, lieber in Rente zu gehen, lehnte Breschnew ab. „Mit großen Schmerzen im Herzen sagte ich: ‚Nun denn, wenn ich keine Wahl habe, machen Sie, was Sie wollen.‘ Er stand auf, küsste mich und sagte ‚Danke!‘“125 Die Entmachtung von Ministerpräsident und Präsident

Das Szenario, das Breschnew wählte, um die beiden Männer abzusetzen, mit denen er sich die Macht teilte bzw. die die staatliche Macht repräsentierten, verlangte eine andere Dramaturgie, zumal Breschnew nicht damit rechnen konnte, dass Ministerpräsident Kossygin und Staatspräsident Podgorny aus Parteidisziplin mitspielen würden. Kossygin war im Grunde als Ministerratspräsident sakrosankt, da die Partei 1964 beschlossen hatte, nie wieder den Posten des Generalsekretärs mit dem des Premiers zu verschmelzen. Laut Schelest wollte Breschnew dennoch Kossygin im Amt beerben, habe sich jedoch von Podgorny überzeugen lassen, dass das ausgeschlossen sei.126 Er griff also zunächst zu seiner bewährten Taktik und ernannte für Kossygin gleich fünf Stellvertreter, alle aus Dnepropetrowsk.127 Dann spielte Breschnew das Schicksal in die Hände: Am 31. Juli 1976 hatte Kossygin einen Sportunfall. Sein Arzt berichtet, dass er an diesem windstillen Sonntag auf der Moskwa im Skiff, einem Rennruderboot für eine Person, eine Hirnblutung erlitt, bewusstlos umkippte und kurz darauf von seiner in einem Boot folgenden Leibwache aus dem Wasser geborgen wude.128 Erst nach mehreren Tagen kam er wieder zu Bewusstsein und musste anschließend 70 Tage im Krankenhaus verbringen.129 Sein Gesundheitszustand blieb danach kritisch; er erlitt im Herbst 1979 und im Oktober 1980 zwei Herzinfarkte.130 Breschnew, der sich über den Zustand Kossygins im Urlaub auf der Krim laufend informieren ließ,131 nutzte die Gunst der

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Stunde: Im September 1976 ließ er an Kossygins Stelle seinen Freund aus Dnepropetrowsker Zeiten, Nikolai Tichonow, zum Ersten Stellvertreter des Premiers aufrücken.132 Das Auswärtige Amt in Bonn meldete, dass die Ernennung Tichonows sehr überraschend komme und dafür spreche, dass die Ablösung Kossygins vorbereitet werde: „Tichonov ist ein Weggenosse Breschnews und gilt als Mitglied des sogenannten Clans von Dnepropetrowsk, einer Gruppe von einflußreichen Freunden um Breschnew. Breschnew hat wieder einmal einen seiner Vertrauensleute in eine Schlüsselposition bringen können.“133 Kossygins Erster Stellvertreter war bis dato Kirill Masurow gewesen.134 Seiner wollte sich Breschnew schnellstmöglich entledigen. 1978 komplimentierte er ihn auf die bekannte Art aus dem Politbüro hinaus: Nach einem Gespräch mit Breschnew bat Masurow wegen seines „schlechten Gesundheitszustands“ um die Entbindung von seinen Pflichten.135 Breschnew erläuterte das in seiner typischen jovialen Art vor den ZK-Mitgliedern: „Wir haben darüber mit dem Genossen Kossygin eine halbe Stunde lang geplaudert. Genosse Masurow hat selbst einen Antrag geschrieben, er sieht ein, dass er krank ist. Wissen Sie, 50 bis 60 Tage fehlt er auf der Arbeit, manchmal arbeitet er nur eine Stunde, aber seine Branche, die Gruppe ‚B‘,136 ist ein komplexer Bereich, daher hat er nach dem Gespräch seinen Antrag [auf Entlassung] geschrieben.“137 Das November-Plenum der Partei wählte, jeweils einstimmig, Masurow aus dem Politbüro heraus und Tichonow als Kandidaten hinein.138 Breschnew dankte Masurow für die geleistete Arbeit und wünschte ihm gute Besserung.139 Doch erst zwei weitere Jahre später, zum ZK-Plenum am 21. Oktober 1980, erhielt Breschnew von Kossygin den so lang erwarteten Brief mit der Bitte um Entlassung aus „gesundheitlichen Gründen“.140 Erstaunlicherweise fehlt im Originalstenogramm dieser Sitzung die Stelle, an der Breschnew dem Plenum den Brief vorgetragen und um Zustimmung gebeten haben muss.141 Bezeugt ist der Ausschluss „wegen seines Gesundheitszustands und auf eigenen Wunsch hin“ nur im Protokoll und in den Beschlüssen des ZK-Plenums, die vermutlich entsprechend frisiert wurden.142 Zwei Tage später trug Breschnew auch dem Obersten Sowjet die „Bitte“ Kossygins vor, vom Posten des Ministerpräsidenten entlassen zu werden. An seiner Stelle wurde Tichonow gewählt.143 Kossygin starb zwei Monate später am 18. Dezember 1980, ohne das Krankenhaus wieder verlassen zu haben. Da Breschnew am 19. Dezember seinen 74. Geburtstag groß feiern wollte, ließ er die Nachricht vom Tod seines einstigen Premiers und Mitstreiters erst am 21. Dezember verkünden.144

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Während Breschnew in Kossygins Fall der schicksalhafte Unfall in die Hände spielte, konnte er beim Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets Podgorny nicht auf eine Fügung des Schicksals hoffen. Ironischerweise hatte Podgorny ihm selbst den Weg zu seiner eigenen Entmachtung gezeigt: Breschnew war es als Generalsekretär der Partei verboten, den Staat als Ministerpräsident zu regieren – doch der Weg ins Amt des Präsidenten, der zudem über der Regierung stand und diese einsetzte, stand ihm offen. Breschnew bereitete diesen Coup meisterlich und von langer Hand vor. 1964 war mit dem Sturz Chruschtschows die Verfassungsreform wieder von der Tagesordnung verschwunden. 1977 griff Breschnew die Reform mit nahezu denselben Inhalten wieder auf und machte sie zu „seiner“ Verfassungsänderung. Die Reform wertete die Rolle des Präsidiumsvorsitzenden auf und enthielt erstmals ein Kapitel über die Ziele der Außenpolitik. Auf dem ZK-Plenum am 24. Mai 1977 verkündete Breschnew stolz die Vorzüge der neuen, fortschrittlichen, sozialistisch-demokratischen Verfassung. Was dann folgte, zeugte von einer perfekten Regieführung. Nacheinander standen fünf Partei-Gebietssekretäre auf und forderten, die Ämter des Staatspräsidenten und des Parteiführers müssten künftig von einer Person – der Breschnews – verkörpert werden. Als Erster sprach Boris Katschura, der Gebiets­ vorsitzende von Donetzk: Genossen! Wir alle wissen zu gut, dass alle grundlegenden innen- wie auch außenpolitischen Fragen durch das ZK, das Politbüro und mit größtem Engagement vom Generalsekretär Genossen Breschnew entschieden werden (Applaus). (…) Dementsprechend mache ich den praktischen Vorschlag, für den die Zeit reif ist und der sicher die volle Unterstützung aller ZK-Mitglieder finden wird: Der Generalsekretär L.I. Breschnew soll gleichzeitig Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets werden (tosender Beifall).145

Dem Plädoyer des Parteivolks aus Donetzk folgten vergleichbare Elogen von den Parteiführern aus Pensa, Koktschetaw (Kasachstan), Kuibyschew und Taschkent. Den Reigen vollendeten die mächtigen Parteiverbände aus Moskau, Leningrad und der Ukraine. Nachdem derart acht Parteiführer Lobeshymnen auf Breschnew gesungen und gefordert hatten, er müsse endlich auch Präsident werden, schritt Suslow zur Abstimmung. Einstimmig beschloss das ZK-Plenum, dem Obersten Sowjet die Entlassung Podgornys und die Bestellung Breschnews vorzuschlagen. Als wäre das noch nicht schlimm genug, verlor Podgorny bei der

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gleichen Abstimmung auch seinen Sitz im Politbüro.146 Breschnew saß seelenruhig neben dem geschockten Podgorny und stellte sich ahnungslos: „Ich verstehe das auch nicht, aber offenbar will es das Volk so.“147 Mutmaßlich auf Bitten Breschnews, vielleicht aber auch, um die Schmach zu mindern, reichte Podgorny nachträglich seine Bitte um Entlassung aus „Gesundheitsgründen“ ein, was entsprechend im Protokoll korrigiert wurde.148 Am 16. Juni 1977 schrieb Breschnew in seinen Taschenkalender: „10:00 Uhr morgens – Sitzung des Obersten Sowjets. Wahl des Genossen Breschnew zum Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets (viele Gratulationen).“149 Es ist schwer zu sagen, ob Breschnew bereits 1964 vor Augen hatte, dass er seine Mitstreiter einen nach dem anderen entmachten würde. Gleichzeitig war das Denken in Clanstrukturen so selbstverständlich, dass es für Breschnew wahrscheinlich gar keine Frage war, ob die konkurrierenden Patrone wie Schelepin, Semitschastny und Schelest ihm gefährlich werden könnten. Die Frage war demnach weniger, ob, sondern wie er sich ihrer entledigen würde. Mit den abschreckenden Beispielen Stalins und Chruschtschows vor Augen wählte er mit dem Szenario von „Vertrauen und Fürsorge“ einen „humanen“ und für sich risikoarmen Weg. Obwohl alle früher oder später sein Spiel durchschauten, nahmen sie die ihnen zugewiesenen Rollen an. Zu tief waren sie von der Parteidisziplin und der Idee, dass der Generalsekretär die Parteilinie verkörperte, geprägt. In ihren oft anklagenden, verbitterten Memoiren beschreiben sie, wie übel ihnen Breschnew mitspielte, bezeugen ihm aber gleichzeitig Respekt für die Art und Weise, wie ihm das gelang. Breschnew blieb nicht nur bis zum Schluss seinem Herrschaftsszenario „Vertrauen und Fürsorge“ treu, er ließ jede Personalie von den Mitgliedern des Parteiplenums absegnen, von denen also niemand sagen konnte, es sei etwas gegen seinen Willen geschehen. Selbst wenn Breschnew das Plenum nur noch als Bühne bzw. dessen Mitglieder als Statisten für seine Inszenierungen nutzte, widersetzte sich niemand der zugeschriebenen Rolle; alle spielten ihren Part als Teil der kollektiven Führung und lasen ihr Skript nach Regieanweisung vor. Schließlich garantierte ihnen das, solange sie mitmachten, eine Teilhabe an der Macht.

Familiarität im Politbüro oder: Ljonja, Kostja und Andrjuscha Aber Breschnews Herrschaft beruhte nicht nur auf Vertrauen und Fürsorge, sondern stützte sich auch auf Familiarität im Politbüro. Während Vertrauen als

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Abb. 19: Breschnew telefonierend während des Urlaubs auf der Krim, 1982.

handlungsbasierte Gewohnheit immer noch eine Reflexion auf der kognitiven Ebene über Sicherheit und Risiko impliziert, ist Familiarität ein rein unbewusster, emotionaler Zustand, der keine Entscheidung erfordert, weil er durch Vertrautheit Sicherheit suggeriert.150 Laut dem Philosophen Niklas Luhmann sorgt Familiarität dafür, dass sich die extreme Komplexität der Welt unserem Bewusstsein entzieht und die Welt dadurch als einfach, bekannt und sicher erscheint.151 Nach vier Jahrzehnten Unsicherheit unter Stalin und Chruschtschow scheint es nur allzu logisch, dass die Wiederherstellung von Vertrauen nicht nur ein mentaler, sondern auch ein emotionaler Prozess war.152 Die Gefühlswelt zu berücksichtigen war umso wichtiger, als – glaubt man dem Philosophen Martin Hartmann – bei Terror- und Gewaltopfern oft die Fähigkeit, Vertrauen aufzubauen, gestört ist. Haben sie einmal das „Weltvertrauen“ verloren, gewinnen Risiken eine ungemein erhöhte Bedeutung.153 Auch wenn die Politbüro- und ZK-Mitglieder nahezu alle in der einen oder anderen Form im Großen Terror zu Tätern

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geworden waren, fühlten sie sich doch auch als Opfer von Stalins Schreckensregime. 1964 war dieser schließlich erst seit elf Jahren tot. Demnach war es zentral, dass Breschnew alle vermeintlichen und tatsächlichen Risiken vergessen machte und sich selbst als Schutz anbot. Dies hat der polnische Soziologe Piotr Sztompka beobachtet: Eine durch Vertrauensmissbrauch traumatisierte Gruppe schotte sich zuweilen nach außen vollkommen ab, „gettoisiere“ sich quasi selbst und sorge im Inneren für Vertrautheit, indem sie alles Fremde und Bedrohliche ausschließe.154 „Sie werden zu einer Quasi-Familie mit einem starken Ersatzvater, der sich um alle Mitglieder kümmert.“155 Es lohnt sich, auf den innersten Kreis der Macht als traumatisierte Gruppe zu blicken, der sich Breschnew als Vaterfigur anbot, indem er durch Vertraulichkeit für „gefühlte Sicherheit“ sorgte. Das eröffnet eine neue Perspektive auf die Praktiken, die Breschnew rund um das Politbüro etablierte. Die Familiarität im Politbüro und Zentralkomitee drückte sich zunächst durch ständigen Kontakt und persönliche Treffen im ungezwungenen Rahmen aus.156 Das begann damit, dass Breschnew täglich, auch wenn er sich im Urlaub befand, mehrere Stunden mit seiner Entourage und den Parteisekretären im ganzen Land telefonierte.157 Nach den Beobachtungen seines Mitarbeiters Schachnasarow folgten die Telefonate einem präzisen Ablauf. Zum Auftakt erkundigte sich Breschnew nach dem Wohlbefinden des Gebiets- oder Republiksekretärs, seiner Familie und bot nötigenfalls Hilfe an. Danach fragte er nach den Produktionsplänen in Industrie und Landwirtschaft; schließlich wurde über Parteipolitik, Personalia und das nächste Parteiplenum gesprochen.158 Davon zeugen auch Breschnews Notizbücher, in die er notierte, mit wem er sprach und telefonierte: „10. Januar 1967: sprach mit Genossen Kossygin (…), Gespräch mit Genossen Rudenko (…), 27. Januar: Genossen Semitschastny B. Jef. empfangen, regulärer Bericht über die laufenden Dinge, außerordentlicher Bericht über die Angelegenheiten der jungen Schriftsteller, ein offenes Gespräch über Vertrauen. (…) 15.2.: A.N. Kossygin hat angerufen, nannte seinen Besuch in England historisch.“159 Breschnew demonstrierte mit den regelmäßigen Gesprächen Anteilnahme und Solidarität und versicherte sich gleichzeitig der Loyalität. Schachnasarow urteilte darüber: „Das ist die neue Fassung des Gesellschaftsvertrags zwischen dem Führer und der Nomenklatur – ich kümmere mich um euch – ihr euch um mich.“160 Dieses Kümmern ging aber über ausführliche Telefonate hinaus. Breschnew sorgte auch dafür, dass er die Genossen regelmäßig in lockerem Rahmen sah. Diese ständigen persönlichen Zusammentreffen erhöhten die Verbindlichkeit

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zusätzlich. Jeden Donnerstag versammelte er alle ZK-Sekretäre zu einer Sitzung; sie reisten dafür aus der ganzen Union an.161 An den Vorabenden der Plenarsitzungen des Obersten Sowjets trafen sich immer 15 bis 20 Gebiets- und Kreissekretäre bei Breschnew zu Hause und führten dort einen offenen Austausch.162 Breschnew lebte nicht nur mit Innenminister Schtschjolokow und KGB-Chef Andropow im selben Haus auf dem Kutusowski-Prospekt; er lud auch regelmäßig seine Vertrauten ein, so den KGB-General Georgi Tzinjow oder den stellvertretenden Ministerpräsidenten Tichonow.163 Breschnew sorgte für zusätzliche Nähe, indem er für die meisten PolitbüroGenossen liebevolle Kosenamen benutzte und sich selbst „Ljonja“ (Koseform von „Leonid“) nennen ließ.164 Während das zu Stalins Zeiten undenkbar ­gewesen wäre und Chruschtschow zum Ende für jeden einen Schimpfnamen hatte,165 sagte Breschnew zu Andropow „Jura“, zu Tschernenko „Kostja“, zu Gromyko „Andrjuscha“ usw. Nur Suslow und Kossygin sprach er mit Vor- und Vaters­namen an, weil er, wie es heißt, sich deren Intellekt unterlegen fühlte.166 Auch dies war eine Geste, die zeigte, dass er sich nicht als der erste und einzige Kopf im Politbüro sah. Breschnew setzte diesen engen Kontakt auch an den Feiertagen und in den Ferien fort. Er fuhr mit den Politbüromitgliedern und ihren Familien auf die Datscha oder in den Urlaub auf die Krim, wo die Familien Ferienhäuser in unmittelbarer Nachbarschaft hatten. Außerdem besuchten sie gemeinsam Fußball- und Hockeyspiele, da Breschnew weiter für den Moskauer Fußballclub CSKA schwärmte.167 Ustinow, Gromyko, Kirilenko, Andropow, Tschernenko und Kulakow oder besser gesagt: Dima, die zwei Andrjuschas, Jura, Kostja und Fedja kamen feiertags auf die Datscha, um den Tag mit Ljonja zu verbringen.168 Breschnew gab sich gern als Privatier, der die Gäste persönlich an der Tür empfing, ihnen die Mäntel abnahm und Hausmannskost servierte.169 Hier entstand eine mentale Vertrauenskultur, die auf emotionaler Vertrautheit beruhte. Indem die persönlichen, quasi familiären Beziehungen in den Vordergrund rückten, schienen alle Risiken auf dienstlicher Ebene – wie Absetzung oder Repression – gebannt. Durch die ständigen Treffen und Telefonate und die gemeinsamen Freizeitaktivitäten wurden Vertrauen und Vertrautheit immer wieder neu performativ hergestellt.

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Nivellierte Hierarchien

Nicht nur die Politbüromitglieder und ZK-Sekretäre kamen in den Genuss, mit Breschnew einen ungezwungenen, familiären Austausch zu pflegen. Auch die Mitarbeiter des ZK-Apparats berichten von der vertrauten, lockeren Atmosphäre, die auf der Regierungsdatscha Saretschje vor den Toren Moskaus oder auf dem Jagdsitz Sawidowo herrschte, wenn sie dort zu Arbeitstreffen zusammenkamen. Breschnew duzte sie, verzichtete selbst auf Schlips und Kragen, wie er auch von ihnen bequeme Kleidung erwartete. Er plauderte mit ihnen darüber, wie er geschlafen hatte, was er geträumt hatte und wie er gelaunt war.170 Während sich sein Mitarbeiter Brutentz an der „Vulgarität seines Verhaltens und der Familiarität im Umgang mit den Stenographistinnen“ stieß,171 gefiel seinem Redenschreiber Bowin der kumpelhafte Umgang: „Die Tischgesellschaft war eine Form der Vergemeinschaftung, der Entspannung, wie man heute sagt. Es war keine Anspannung zu spüren – hier der Generalsekretär, dort die Sekretärin. Beim Anstoßen und Genuss der Vorspeisen waren alle gleich. Es wurden Gedichte vorgetragen. Breschnew konnte wundervoll Jessenin aufsagen und rezitierte, auf einem Stuhl stehend, fast die ganze ‚Anna Snegina‘. Es wurde auch gesungen.“172 Meist erschien Breschnew um 11:00 Uhr zum Frühstück, führte dann seine Telefonate, arbeitete danach an Redetexten und nutzte den Nachmittag zur Jagd. Abends saß man bei Hausmannskost und Wodka zusammen. Breschnew liebte die fröhliche Gesellschaft, unterhielt seine Mitarbeiter glänzend mit Erzählungen aus seinem Leben und achtete darauf, dass niemand zu viel trank.173 Er gewährte nicht nur Einblick in seinen Tagesablauf, sondern auch in seine Beschwerden, Gebrechen und Schwächen. Er praktizierte damit die Aufhebung zwischen privat und dienstlich und machte die Mitarbeiter des ZK-Apparats gleichsam zu „Familienmitgliedern“. Brutentz urteilt: „Aber der Blick aus nur wenigen Schritten Entfernung zerstört die Illusionen, und die ‚Wirklichkeit‘ erweist sich oft als primitiv, sogar als banale Sache, die an familiäre, clanartige und kommunenhafte Beziehungen erinnert.“174 Was Brutentz anstößig fand, war womöglich genau Breschnews Ziel bzw. die Basis seiner Herrschaft. Durch die Nivellierung aller Hierarchien und die Verwischung von sozialen Grenzen machte er sich mit seiner Entourage gemein. Sie sollten ihn als einen von ihnen begreifen und nicht als Fremdkörper, der eine Gefahr darstellen könnte. Dieses Gleichmachen und Einssein praktizierte Breschnew nicht nur auf der Ebene des Politbüros und des ZK-Apparats, sondern auch mit einem dritten

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Personenkreis: dem seiner Leibwächter und Bediensteten. Breschnew kannte die Namen all seiner Bodyguards, Köche und Angestellten und erkundigte sich ständig danach, wie es ihnen ging, ob ihre Familie wohlauf sei, ob sie etwas brauchen könnten.175 Er sorgte für sie alle, indem er ihnen Wohnungen besorgte und Zuwendungen an sie verteilte. In einem Notizbuch hatte er die Geburtstage all dieser Personen vermerkt, um sie entsprechend mit Geschenken zu bedenken.176 So wie er selbst Geschenke und Orden liebte, so liebte er es, anderen Geschenke zu machen.177 Ein besonders enges Verhältnis hatte er zu seinem Leibwächter Wladimir Medwedew, der ihm seit 1968 nicht mehr von der Seite wich und sich selbst als Familienmitglied verstand: „Ich kam in diese Familie als einer von ihnen. Das ging so weit, dass ich Leonid Iljitsch den Koffer packte, wenn wir auf Dienstreisen fuhren. Und Viktorija Petrowna war beruhigt, wenn sie wusste, dass ich bei ihrem Mann war.“178 Medwedew hatte zwar eine Ausbildung in Nahkampf, Evakuierung aus der Schusslinie, Rettungsschwimmen und Skifahren erhalten,179 aber gebraucht wurde er als enger Freund der Familie, als Kumpel bei der Jagd und als Babysitter in den Ferien. Auf der Krim musste er auf Breschnews Enkel Andrei aufpassen, der den Leibwächter ins Herz geschlossen hatte und den ganzen Tag auf Trab hielt.180 Breschnew liebte es außerdem, mit seinen Leibwächtern und Bediensteten Domino zu spielen.181 Medwedew erinnerte sich: „Sowohl Prahlerei als auch Herablassung waren ihm fremd. Sein einfacher Umgang war mehr als natürlich.“182 Sinnbildlich dafür steht eine Begebenheit, an die sich Schelest erinnerte: Als Breschnew Schelest im Sommer 1964 auf dessen Datscha besuchte, wurde er auch dessen Enkel Petja vorgestellt, der kurzerhand erklärte: „Ah, du bist Onkel Ljonja von der Kinokasse.“ Breschnew habe erst gestutzt, dann gelacht und fortan immer, wenn er Schelest sah, diesem Grüße an Petja von „Onkel Ljonja aus der Kinokasse“ aufgetragen.183 Besondere Freude bereitete es Breschnew auch, seine Jagdbeute an Minister, Politbüromitglieder, Freunde und Bedienstete gleichermaßen zu verteilen, worüber seine Leibwächter genau Buch führten.184 Er machte nicht nur genaue Angaben, wer wie viele Enten oder welches Stück vom Wildschwein bekommen sollte, er rief auch kurz darauf an, ob das Fleisch angekommen sei.185 Sein Schneider bekam regelmäßig Wildbret, zuweilen 15 Wildenten auf einen Schlag.186 Selbst an seine Zahnärzte im Rheinland, die sich in den 1970er Jahren um sein Gebiss kümmerten, ließ er Jagdtrophäen schicken.187 Dieser Gabentausch hatte offenbar die ganz entscheidende Funktion, sich immer wieder des Rückhalts im Polit-

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büro und in der weiteren Entourage zu versichern. Hier vereinigen sich zwei verschiedene Praktiken: die Verpflichtung und die Bindung, die durch Gaben geschaffen werden, und gleichzeitig die Nivellierung der Hierarchie und die Gemeinmachung, die etwa zum Ausdruck kam, wenn Breschnew nach der Übermittlung eines Geschenks persönlich anrief, als wäre er selbst der Lieferservice. Wie der Familienvater, der sonntags selbst den Braten aufschneidet und verteilt, war er der Fürsorger, der sich um das – auch leibliche – Wohl seiner Vertrauten kümmerte. So wie Breschnew also mit Ritualen, Gesten und Kosenamen Nähe herstellte, so versicherte er sich durch Gaben der Loyalität seiner Entourage und inszenierte sich als deren sorgender Patriarch. Genau dieses „Für-alle-Sorgen“ und „Geschenkeverteilen“ wurde immer wieder als Korruption angeprangert.188 Doch als Praxis, mit der er sich ständig der Loyalität seiner Umwelt versicherte und sein Szenario des fürsorglichen Generalsekretärs untermauerte, stellte sie die Norm und nicht die Abweichung dar. So sorgte er dafür, dass nicht einmal einer seiner Angestellten auf die Idee kam, Breschnew würde sie ungerecht behandeln. Er behandelte sie alle wie eine große Familie.

Männerbünde Breschnews Herrschaftsszenario scheint sich außer auf Vertrauen, Fürsorge und Familiarität noch auf ein weiteres Element gestützt zu haben: männerbündisches Verhalten. Auch dies war eine Vergemeinschaftungsform, die den Zusammenhalt und die Verschworenheit der Gruppe unterstrich, ein starkes Wir-Gefühl erzeugte und die Welt sicher erscheinen ließ. Mehr als die anderen Elemente schloss es an Herrschaftspraktiken unter Stalin und Chruschtschow an. Als konspirative, im Untergrund agierende verschworene Gemeinschaft geboren, die sich als kämpfende Avantgarde verstand, war der innerste Kreis der Parteiführung seit Lenins Zeiten rein männlich gewesen. Nur eine einzige Frau schaffte es je ins Parteipräsidium alias Politbüro, nämlich Jekaterina Furtzewa unter Chruschtschow in den Jahren 1957 bis 1961, bevor sie sich auf das Amt der Kulturministerin beschränken musste. Politik war und blieb Männersache, und das galt umso mehr, wenn man sich im inoffiziellen Rahmen traf und gemeinsam ins Stadion oder zum Jagen ging. Für Breschnew schien festzustehen, dass Männer die Welt veränderten, wäh-

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rend Frauen sie verschönerten: durch ihre Arbeit im Haus und ihre Anwesenheit als Zierde einer Gesellschaft. Das männerbündische Zusammentreffen mit seinen Genossen im inoffiziellen Rahmen erfüllte dagegen offenbar zwei Zwecke: zum einen die unverbrüchliche Gemeinschaft auch auf der Gender-Ebene zu zelebrieren und zum anderen sich selbst zum Alphatier zu stilisieren. Es scheint, dass sich Breschnew in Bezug auf seine Rolle als Mann erlaubte, was er sich als Parteiführer nicht traute: die offene Selbstdarstellung als Ranghöchster und Bester. Was politisch zu gefährlich war, machte die Geschlechterrolle möglich: sich als Nummer eins aufzuspielen und den Führungsanspruch zu reklamieren – Breschnew schoss am besten, fuhr die schnellsten Autos, hatte die schönsten Frauen und sah am besten aus. Jagdleidenschaft

Wie wir wissen, war die Jagd Breschnews große Leidenschaft seit den 1920er Jahren, als noch die Ernährung der Familie und weniger der Sport im Vordergrund stand. Stalin jagte, soviel bekannt ist, nicht; wahrscheinlich hatte er viel zu viel Angst, „zufällig“ von einer Kugel getroffen zu werden. 1951 ließ er zudem mehrere Hundert Jagdreviere wegen angeblicher Missstände schließen.189 Diese Einstellung zur Jagd änderte sich unter Chruschtschow grundsätzlich: Dass die Jagd auch ein gesellschaftliches Ereignis sein konnte, bei dem sich die Sowjetunion als generöser Gastgeber präsentierte und gleichzeitig ein lockeres, entspanntes Zusammensein ermöglichte, lernte Chruschtschow 1955 bei seinem Versöhnungsbesuch bei Tito in Jugoslawien. Tito lud ihn in das alte königliche Jagdgebiet auf der Insel Brioni ein, wo es ein luxuriöses Jagdschloss, geschulte Jäger, abgerichtete Hunde und jede Menge Wild gab.190 So wie er sich bei Tito die Anregung dafür holte, den sowjetischen Tourismus auszubauen, so nahm er aus Jugoslawien auch die Idee mit, in der Sowjetunion ein paar repräsentative Jagdparadiese einzurichten. Vermutlich war diese Art der protokollarischen Geselligkeit in der freien Natur, mit derben Stiefeln und einem Gewehr in der Hand, Chruschtschow, der das feine Zeremoniell und alles Steife verabscheute, sehr willkommen. Vier Jagdreviere ließ er einrichten, die auch für Diplomaten aus Ost und West geeignet waren: Sawidowo, das rund 150 Kilometer entfernt von Moskau in nordwestlicher Richtung auf halbem Wege nach Twer lag und 1917 noch vor der Revolution als privater Jagdclub gegründet, 1929 aber verstaatlicht worden war; je ein Revier auf der Krim, am Schwarzen Meer unweit

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Abb. 20: Breschnew mit einem erlegten Hirsch auf dem Jagdsitz Sawidowo, 1977.

der Stadt Cherson und in den Urwäldern der Beloweschskaja Puschtscha an der Grenze zwischen Weißrussland und Polen. Als Tito 1962 zum inoffiziellen Gegenbesuch kam, konnte er schon zu einer Jagd nach allen Regeln empfangen werden.191 Breschnew jagte regelmäßig mit Chruschtschow und seinen Staatsgästen. Als Präsident war er 1962 in Jugoslawien zur Jagd zu Gast bei Tito und 1963 in Afghanistan beim König.192 Ihm war also die Jagd als repräsentative Praxis vertraut, durch die man einerseits einem Staatsgast eine Ehre erwies und andererseits mit ihm eine männerbündische Gemeinschaft herstellte. Als Breschnew 1964 Chruschtschow ablöste, übernahm er daher auch den Ausbau des Jagdreviers Sawidowo. Da das Wildvorkommen hier nicht sehr üppig war, hatte die staatliche Jagdaufsicht schon in den 1930er Jahren vor allem Wildschweine und Hasen aus allen Ecken des Reichs herbringen lassen.193 Für Breschnew wurde Sawidowo der liebste Ort. Einerseits nutzte er ihn, um seiner privaten Jagdleidenschaft zu frönen,194 andererseits, um mit Politbüromitgliedern, Parteisekretären der Bruderstaaten und westlichen Staatsgästen eine hierarchielose Gemein-

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Abb. 21: Stehend, v. l. n. r.: Breschnew, der Erste Sekretär der KP der Ukraine, Wladimir Schtscherbitzki, Gromyko, rechts sitzend: Tito; Jagdsitz Salesje bei Kiew, 1976.

schaft zu bilden. Er jagte in Sawidowo mit Erich Honecker, mit dem finnischen Präsidenten Urhu Kekkonen, mit Tito, mit den kubanischen Revolutionsführern Fidel und Raúl Castro sowie mit Fidel Castros Frau, die besser als viele Männer schoss.195 Aber hier galt: Ausnahmen bestätigten die Regel. Dabei hatte die Jagd nichts Aristokratisches oder Herrschaftliches. Die Männer glichen sich in der grünen Jagdmontur an, schlüpften in die gleiche Rolle als Jäger, verfolgten gemeinsam ein Tier und begossen schließlich den Jagderfolg mit Wodka. Selbst die Gebäude und Räumlichkeiten schienen die hierarchielose Gesellschaft zu unterstreichen: In Sawidowo war alles klein und praktisch eingerichtet; nur Breschnew hatte eine Dreizimmerwohnung zur Verfügung. Der französische Botschafter Roger Seydoux, den Breschnew hier 1972 empfing, rümpfte über die Einrichtung die Nase: Die Datscha ist fürchterlich eingerichtet nach einem eher derben Geschmack. Das Zimmer des Generalsekretärs sah aus wie ein Intourist-Hotel gehobener Klasse. Er hat mich dann in einen Wintergarten geführt mit wunderschönen Pflanzen und einem seltsam langen Tisch, an dem sicher das ganze Politbüro Platz findet. Der Garten ist sehr schlecht gepflegt, wie die meisten russischen Gärten, aber die Vegetation ist sehr schön und der Blick wunderbar.196

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Den langen Tisch und die Familiarität nutzte Breschnew auch innenpolitisch für seine Zwecke. In Sawidowo handelte er aus, dass Schtschjolokow Innenminister werden würde,197 hier beriet er mit dem Chef der staatlichen Planungsbehörde Gosplan, Nikolai Baibakow, und Ministerpräsident Kossygin über die Wirtschaftspolitik und dergleichen mehr.198 Sein Mitarbeiter Bowin, der im Dezember 1966 das erste Mal mit Breschnew nach Sawidowo kam, erinnert sich, die Parole sei gewesen: „Taktisch arbeiten, strategisch entspannen.“199 Mit anderen Worten: Neben der Arbeit musste genug Zeit für Vergnügen bleiben. Als er und Wadim Sagladin, ein weiterer Mitarbeiter aus der Internationalen Abteilung des ZK, bei einer Troikafahrt in den Schnee zu viel tranken, so dass Andropow sie zur Ordnung rufen musste, wehrte Breschnew ihre anschließende Entschuldigung ab: Er freue sich, wenn sich die Leute amüsierten. Auch seinen Geburtstag am 19. Dezember verbrachte er meistens und am liebsten in Sawidowo im Kreis seiner Politbürogenossen.200 Dabei hatte das fröhliche Zusammensein in lockerer Runde für Breschnew einen wichtigen Nebeneffekt: Im Tischgespräch über die Jagd konnte er sich problemlos als bester Schütze profilieren.201 Gern erzählte er, wie er ein Wildschwein erlegt hatte. Offenbar gefiel es ihm, nicht nur die Gesellschaft zu unterhalten, sondern mit seinen Schießkünsten zu untermauern, dass er das Alphatier in der Runde war, ein echter Mann, der eine Waffe zu bedienen wusste – im Kontrast zu Suslow, der sich der Jagd komplett verweigerte – wohl weil er Angst hatte, wie Breschnew spottete –, und Kossygin, der das weniger aufregende Angeln vorzog.202 In seine Taschenkalender notierte Breschnew oft, wie viele Wildschweine, Enten oder Gänse er erlegt hatte. Am 22. Oktober 1976 vermerkte er: „Tschernenko schoss 3, Tzukanow – 3, ich – 8.“203 Es finden sich weitere solche Einträge: „Tschernenko – 1, Gromyko – 3, ich – 11.“204 Breschnew war ein hervorragender Schütze, berichtet sein Leibwächter; er habe im Feld auf große Distanz auch ohne Zielfernrohr getroffen.205 Das muss insofern relativiert werden, als Breschnew gegen Ende seines Lebens zunehmend vom Hochsitz aus jagte, wo die Wildschweine angefüttert wurden, damit sie sich direkt vor Breschnews Büchse zeigten.206 Dafür, dass seine Jäger ihm die Bären zum Abschuss an Bäumen festbanden, wie oft gespottet wurde, gibt es keine Belege – wohl aber einen Notizbucheintrag von Breschnew vom 11. September 1976, der auf das Gegenteil hinweist: „Habe abends Jagd auf Bären gemacht, kam um 2:30 Uhr morgens zurück, habe keinen Bären gesehen.“207 Sawidowo blieb Breschnews Lieblingsort, wo er sich jenseits der Parteihierarchien mit der Waffe in der Hand als „ganzer Kerl“ präsentierte. Ganz gleich

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ob intendiert oder nicht, war es ein kluger Schachzug, den Anspruch auf die Führungsrolle zu entpolitisieren und auf diesen Männerbund zu übertragen. Auch als ihm seine Ärzte das Jagen verbieten wollten, weil er sich immer wieder durch den Rückschlag des Gewehrs die Augenbraue verletzte oder das Schlüsselbein brach, ließ er sich nicht davon abhalten. Dann ließ er sich mit viel Schminke für Staatsbesuche herrichten, damit sein blaues Auge nicht auffiel.208 Im Inund Ausland war bekannt, dass Breschnew gern jagte und gute Waffen schätzte, so dass er im Laufe der Jahre an die 90 Gewehre geschenkt bekam, die er alle in Waffenschränken aufbewahrte und von seiner Leibwache putzen ließ.209 Schnelle Autos

„Seine Hobbys sind Jagd, Fußball und Autos. Präsident Nixon schenkte ihm daher bei seinem Besuch in Moskau einen ‚Cadillac‘, Pompidou in Paris einen ‚Citroen-Maserati‘.“210 So charakterisierte das Außenamt Breschnew vor dessen Reise nach Bonn im Jahr 1973. Dies ist keine typische Beschreibung für einen Generalsekretär, und es scheint, als habe sich Breschnew absichtlich ein anderes Image zugelegt. Damit soll nicht behauptet werden, dass Breschnew sich doch wie die Zaren als „nicht von dieser Welt“ inszenierte. Aber es fällt auf, dass er sich mit besonderen Freizeitaktivitäten hervortat: Solchen Hobbys waren weder seine Vorgänger nachgegangen noch standen sie für sozialistische Werte. Es ist nicht bekannt, dass Lenin, Stalin und Chruschtschow irgendeine Art von Zeitvertreib gepflegt hätten. Im Gegenteil: Das Bild des Parteiführers verlangte, dass er ganz für die revolutionäre Sache lebte; Freizeit war nicht vorgesehen. Das Sowjetvolk durfte sich erholen, aber dies musste „kulturell sinnvoll“ geschehen und sollte in erster Linie der Erhaltung der Arbeitskraft, der sportlichen Ertüchtigung und der intellektuellen Fortbildung dienen. Weder das Jagen noch das Fahren schneller Autos gehörte zum Kanon akzeptierten Freizeitverhaltens. Doch während das Jagen als Mittel der Diplomatie legitimiert war oder als Reverenz an den revolutionären Kampf durchgehen konnte, war die Leidenschaft für schnelle Autos eindeutig ein westliches Hobby. Zwar galt seit den 1930er Jahren der PKW als Symbol des Fortschritts und als Zeichen für Leistungsbereitschaft, da nur besonders verdiente Stachanow-Arbeiter und -Ingenieure ein Auto erhielten. Aber Chruschtschow hatte noch 1959 erklärt, der PKW sei nichts für den Sowjetmenschen, der reise besser mit Bus und Bahn. Breschnew dagegen meinte schwärmerisch, jede junge Frau solle als Mitgift ein Auto erhalten.211 Zwei-

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felsohne gab es also unter ihm einen Wertewandel hin zu individueller Mobilität und damit auch zu Konsum. Aber das war weit von dem entfernt, was der Generalsekretär selbst praktizierte. Natürlich lässt sich seine Vernarrtheit in Autos einfach als persönliche Marotte abtun: Er hatte sich als kleiner Junge in das Auto des Notars verliebt und konnte jetzt seiner Schwäche nachgeben. Aber Breschnew war als Generalsekretär kein „privater Mensch“, der so etwas unbeobachtet tun konnte. Sein Tun und Lassen stand unter Beobachtung seiner Bediensteten, seiner Mitarbeiter aus dem ZK-Apparat, des Politbüros und etlicher ZK-Mitglieder. Ein Leben in Luxus und Verschwendung war allein schon deshalb ausgeschlossen, weil seit Lenins Zeiten Askese als oberstes Gebot für den Parteiführer galt: Er hatte keinen Privatbesitz und umgab sich nicht mit überflüssigem Tand. Breschnew musste also sicher sein, dass seine Autoleidenschaft im Politbüro nicht als Tabubruch gedeutet wurde und Ressentiments weckte. Das Bild, das er damit von sich vermittelte, war sicher nicht das eines Neureichen oder Dandys, der Autos als Statussymbole für Macht und Reichtum sammelte. Insofern verkennen die Anschuldigungen Roy Medwedews den wahren Kern der Autoleidenschaft.212 Zwar war es ein Luxus, dass in seinem privaten Fuhrpark ein Rolls-Royce, zwei Mercedes-Limousinen, ein japanischer „Präsident“, ein Cadillac, ein Lincoln und vieles mehr standen.213 Aber die Botschaft, die Breschnew sendete, lautete wie beim Jagen: Seht her, was ich für ein Teufelskerl bin. Ich bewältige die 148 Kilometer vom Kreml bis nach Sawidowo in nur 50 Minuten. Das entsprach einer Geschwindigkeit von 180 Stundenkilometern. In seine Notizbücher notierte er mitunter: „Auf die Krim – in den Urlaub. Selbst am Steuer – im Roy-Rolls [sic!]“.214 Seine Leibwächter zitterten davor, wenn sich Breschnew, was er oft und gern tat, selbst ans Steuer setzte und das Gaspedal durchtrat. Sie stiegen am Ende dieser Fahrten schweißgebadet aus.215 Da er die Staatskarossen nicht selbst chauffierte, versuchten sie, ihn zu überlisten, indem sie vorschlugen, doch lieber den SIL (ein russisches Autofabrikat) zu nehmen, aber Breschnew lehnte meist ab und fragte: „Was hatten wir als Letztes, den Lincoln? Also nehmen wir den Mercedes!“216 Wie mit dem Gewehr in der Hand demonstrierte er am Steuer, dass er ein „echter Mann“ war und sich damit von seinen Genossen im Politbüro unterschied. Kossygin etwa behielt die ihm geschenkten westlichen Automobile nicht, sondern übergab sie dem allgemeinen Fuhrpark; auch setzte er sich nicht selbst hinter das Steuer.217 Breschnew demonstrierte dagegen am Lenkrad auf der Ebene von Männlichkeit eine Führungsrolle, die er auf der politischen Ebene zu verwischen suchte.

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Schöne Frauen

Breschnew hatte neben der Jagd und schnellen Autos noch eine weitere Leidenschaft: schöne Frauen. Diese Seite des Generalsekretärs adäquat zu analysieren ist besonders schwierig, weil es unzählige Gerüchte und wohl auch üble Nachreden gibt, was seine zahlreichen Affären und deren Vertuschung anbelangt – aber wenig verlässliche Quellen. Dennoch ist unbestritten, dass Breschnew aus seiner Schwärmerei für das „schöne Geschlecht“ keinen Hehl machte. Und dies ist erstaunlich und gehört nicht nur in die Klatschspalten, denn für einen sowjetischen Parteiführer galt seit Lenins Zeiten eine sehr prüde Moral, an die sich, soweit bekannt, alle seine Vorgänger gehalten hatten. Breschnew aber setzte sich über den Verhaltenskodex hinweg und sprengte damit, wie schon mit der Motorsportbegeisterung, den Rahmen, der ihm als Generalsekretär und Parteivorbild gesetzt war. Um Missverständnisse zu vermeiden: Er tat dies nicht wie einst der NKWDChef Berija, der für seine Vergewaltigungsorgien berüchtigt war.218 Breschnew hatte ein altmodisches Frauenbild, aber keines, das die Frau als Objekt sah, sondern wohl eher als anbetungswürdiges Geschöpf. Wie es sein Fotograf ausdrückte, „verehrte“ Breschnew die Frauen.219 Jedenfalls ist nicht bekannt, dass Breschnew seine Macht missbrauchte, um sich Frauen zu nähern. Unter den vielen verbitterten, grollenden einstigen Weggefährten hätten manche solche Vorwürfe, wenn es sie gegeben hätte, sicher zutage gefördert und ausgewalzt. Breschnew nutzte die Gelegenheiten, die sich ihm als Staatspräsidenten und dann als Generalsekretär boten, die Gesellschaft schöner und berühmter Frauen zu suchen und zu genießen: Die Primaballerina des Bolschoi-Theaters, Maja Plisetskaja, fuhr er nach einer „Schwanensee“-Aufführung nach Hause, zitierte dabei seinen Lieblingsdichter Jessenin, sang ihr ein Lied vom „Schönen Dnjepr“ vor und tätschelte ihr das Knie.220 Auch der Opernsängerin Galina Wischnewskaja machte er den Hof, rezitierte auch ihr Jessenin und sang ihr lustige Spottverse vor. Angesichts von Breschnews charmanter Art nahmen die Damen es offenbar, wie es gemeint war: als Kompliment. Und noch mehr: Wischnewskaja fand Breschnews Gesellschaft nicht nur angenehm und kultiviert, sondern bescheinigte ihm sogar künstlerisches Talent.221 Es ist keineswegs gesichert, zu welchen Damen Breschnew überhaupt eine intime Beziehung begann. Er scheint sich oft mit Schwärmerei und Galanterie begnügt zu haben. Die Sängerin Anna Schalfejewa, die das populäre Soldatenlied

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„Das kleine Licht“ sang, berichtet, dass sie Breschnew im Krieg bei einem Konzert kennenlernte, das sie für Soldaten gab; er habe sie danach oft bei ihren Frontauftritten begleitet. Auch nach dem Krieg habe er sie öfter getroffen, wenn er ohne seine Familie in Sotschi Urlaub machte. Als ihre Affäre endete, habe er dafür gesorgt, dass sie aus einem Kommunal-Wohnungszimmer mit Alkoholikern als Nachbarn in eine eigene kleine Wohnung umziehen konnte. Ihr Urteil: „Leonid kümmerte sich immer um seine Frauen und sorgte dafür, dass es ihnen gut ging. Aber mehr als Sängerinnen liebte er Krankenschwestern.“222 In gewisser Weise bestätigt das auch der KGB-Chef Semitschastny, der grollte, der KGB habe mehr damit zu tun gehabt, Breschnews Frauengeschichten aufzuräumen, als sich um die Staatssicherheit zu kümmern. Breschnew habe mehrere seiner Frontfrauen mit nach Dnepropetrowsk und dann nach Moskau genommen, wo er ihnen Wohnungen beschafft und sie mit einflussreichen Männern verheiratet habe.223 In Moldawien soll er sich in die Kantinenfrau Alla Mochowa verguckt haben, die er zu seiner Sekretärin machte und mit der er bis spät in die Nacht seine Lieblingsfilme „Wolga, Wolga“ und „Traktoristen“ schaute.224 Semitschastny geht so weit zu behaupten, Breschnew habe seine Genossen nach der Schönheit ihrer Frauen ausgesucht bzw. habe nur die befördert, an deren Gattinnen er interessiert gewesen sei. Nur deshalb sei Schtschjolokow Innenminister, T ­ zwigun stellvertretender Leiter des KGB und Bodjul Erster Sekretär Moldawiens geworden.225 Ganz gleich, was man von diesen Geschichten des verbitterten Ex-KGB-Chefs hält, es ist bemerkenswert, dass die „Frauengeschichten“ Breschnew nicht schadeten, sondern er ganz offensichtlich seinen Erfolg bei schönen Frauen nutzte, um sich gegenüber seinen Politbürogenossen als „echter Mann“ zu profilieren. Laut Schelest erschien Breschnew bei den Jagdausflügen nach Sawidowo immer in Begleitung „irgendeines Mädchens“ und diese „Mädchen“ hätten dort auch die Nächte mit ihm verbracht.226 Offenbar spielte Breschnew mit ebenso großem Geschick wie Vergnügen die Karte, dass er ein „echter Mann“ war, der sich keinen Genuss versagte, während er die anderen Politbürogenossen für vertrocknete, lustfeindliche Langweiler hielt. Gerade Suslow und Kossygin soll er für ihre absolute Treue zu ihren Ehefrauen gehänselt haben.227 Suslow begegnete er mit Ironie und Spott. „Wie ein Bonvivant zu einem Büro-Zwieback“,228 so sein Berater Bowin. Im Politbüro hänselte er Suslow, indem er eine Geldsammlung vorschlug, damit sich dieser mal einen neuen Mantel kaufen könne.229 Als Kossygin auf einer Dienstreise Breschnew erklärte, er werde den Abend mit einem Buch verbringen, sorgte das bei Breschnew für Heiterkeit.230 Offenbar wollten die so Gehänselten Bresch-

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new nicht widersprechen oder wagten es nicht. Dieser vermochte dadurch in der Männergemeinschaft als Alphamännchen zu triumphieren. Dieser Breschnew’sche Umgang mit Frauen bedeutete nicht, dass er nicht auch seine Ehefrau liebte und verehrte. Nach Auskunft seines Leibwächters und seines Fotografen ging er sehr respektvoll und zärtlich mit Viktorija Petrowna um. Sie hätten eine „altmodische“ Beziehung gepflegt.231 Viktorija Petrowna erzählte, ihr Mann habe ihr, als er noch als Flurbereiniger arbeitete, jeden Tag Blumen vom Feld mitgebracht und ihr auch später noch regelmäßig welche geschenkt.232 Für Breschnew war sie für die Kinder, den Haushalt und seinen Rückhalt zuständig, während er Abenteuer und Romantik bei jungen Schönheiten suchte und sich dadurch von seinen Politbürogenossen abhob. Gutes Aussehen

Schließlich hatte Breschnew ein weiteres Faible, das ihn aus der grauen Menge seiner Genossen im Politbüro heraushob, ohne auf der politischen Ebene eine Führungsrolle zu markieren: sein von vielen verschiedenen Weggefährten bezeugtes gutes Aussehen, sein Hang, sich gut zu kleiden, und seine Eitelkeit. Breschnew etablierte also ein neues Feld, auf dem er sich mit den anderen Parteiführern maß und ihnen, wie bei der Jagd, den schnellen Autos und den schönen Frauen, demonstrierte, dass sie keine Chance hatten, gegen ihn zu bestehen. Auch dies war ein männerbündisches Schaulaufen, das von der politischen Arena ablenkte, weil sich das Kräftemessen auf der Geschlechterebene abspielte. Breschnew muss bewusst gewesen sein, dass sein Aussehen als Distinktionsmerkmal Teil seines Kapitals war. Auch wenn die zahlreichen Legenden darüber, dass Stalin auf Breschnew wegen dessen Aussehen aufmerksam wurde, erfunden sein sollten, zeigen sie zumindest, dass die Zeitgenossen das aufgrund von Breschnews attraktivem Äußeren für möglich hielten. Von Leonid Iljitschs gutem Aussehen und der Sorgfalt, mit der er sich kleidete, berichtete auch seine Frau: „Seine Anzüge wechselte er ständig. Er kleidete sich nicht auffällig, aber war immer gut angezogen, trug ein weißes Hemd, bunte oder gestreifte Hemden mochte er nicht, für seine Krawatten wählte er allerdings leuchtende Töne, aber immer einfarbig. Und sie mussten bereits einen fertigen Knoten haben. Er mochte es nicht, sie selbst zu binden – der Knoten gelang ihm nicht immer.“233 In Moskau hatte Breschnew dann seinen „Hofschneider“, bei dem er nur noch maßgeschneiderte Ware bestellte – und bei dem sich

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später auch die für ihre Eleganz bekannte Raissa Gorbatschowa einkleiden ließ. Seit 1970 nähte Alexander Igmand für ihn, der sich selbst nicht als Schneider, sondern als Künstler bezeichnete und sich dafür lobte, wie gut seine Anzüge Breschnew kleideten: „Er war vollkommen verwandelt. Als ob er größer und schlanker geworden sei, dabei trug er Größe 56.“234 Breschnew notierte mehrfach in seinen Taschenkalendern, wenn er einen neuen Anzug in Auftrag gegeben hatte, bei ihm Maß genommen worden oder er zur Anprobe im Schneideratelier gewesen war.235 Der Kreml-Couturier nähte auch für Breschnews Sippschaft: für den Innenminister und Freund Schtschjolokow sowie für den Schwiegersohn Tschurbanow, aber sonst vor allem für Schriftsteller und Filmstars – nicht für andere Politbüromitglieder.236 Breschnew fiel aber nicht nur dadurch auf, dass er teurere Stoffe und besser sitzende Schnitte als seine Politbürogenossen trug. Er war auch immer gepflegt und ließ zweimal täglich den Friseur bzw. Barbier Tolja kommen: Morgens und nachmittags nach dem Mittagsschlaf ließ er sich frisieren und rasieren.237 Das vermerkte er auch oft in seinem Notizbuch: „11. April – Montag – frisiert – rasiert – Kopf gewaschen – Tolja.“238 Mit seiner Gesamterscheinung war Breschnew sehr fotogen, wie sein persönlicher Fotograf Wladimir Musaeljan befand, der Breschnew Ende der 1960er Jahre traf und bald in dessen Entourage aufgenommen wurde.239 Weder Stalin noch Chruschtschow hatten ihren eigenen Fotografen, der ihnen auf Schritt und Tritt folgte. Aber Breschnew posierte gern vor der Kamera; er hatte dies schon im Krieg getan, als er sich selbst mit der deutschen Rolleiflex porträtiert hatte. War die Fotografie bis 1964 für ihn mehr Spielerei und Eitelkeit, benutzte er sie, spätestens seit er Musaeljan an seine Seite geholt hatte, als Teil seiner Politik. Für diese setzte er sie sehr geschickt ein, wie der Fotograf meinte.240 Beispielsweise ging er, um gute Fotografien zu bekommen, mit Musaeljan auch ins Fotostudio.241 Als Breschnew 1976 den Marschalltitel verliehen bekam, ließ er sich sogleich in der neuen Uniform ablichten und verschenkte mit Vorliebe dieses Porträt an seine Entourage und die Führer der Bruderländer.242 Fidel Castro brachte er bei seinem Besuch 1973 die Fotografie mit, die ihn auf der Siegesparade am 24. Juni 1945 in Paradeuniform zeigte.243 Doch sein gutes Aussehen und dessen Einsatz in der Politik waren für Breschnew kein reines Vergnügen, sondern sorgten immer mehr für Frust, je älter, schwächer – und dicker er wurde. Zeit seines Lebens achtete er streng auf seine Linie und ertrug es nur schwer zuzunehmen. Seine Obsession, das Gewicht zu

Männerbünde

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halten bzw. zu drücken, lässt sich in solchen Einträgen wie denen aus dem August 1977 erahnen: „Gewicht vor dem Frühstück 85,5. Gewicht nach dem Frühstück 85,5. Nach dem Schwimmen 2 Stunden im Becken 85,15“ oder: „85,8. Nackt 85,7“.244 Hatte er es gehalten oder sogar abgenommen, war er den ganzen Tag über bester Laune. Hatte er hingegen zugenommen, war für ihn der Tag verdorben und seine Laune nachhaltig getrübt, so sein Bodyguard Medwedew.245 Tatsächlich ist auf den Fotografien aus seinen letzten Lebensjahren, als er grau, aufgedunsen und eingefallen war, nichts mehr von dem jungen, hochgewachsenen Schönling zu sehen, der er einst war. Breschnew muss das schmerzlich bewusst gewesen sein. Da er sein Aussehen zu einem Distinktionsmerkmal gemacht hatte, mit dem er sich von seinen Genossen abhob und der westlichen Welt anglich, wird ihn das besonders gegrämt haben: Im Alter sah er wieder aus wie jeder x-beliebige graue Apparatschik aus seiner Entourage. Er fiel in ihre triste Mitte zurück. Resümee

Breschnew nutzte drei Bühnen, auf denen er sich inszenierte: Auf der politischen sorgte er durch seine Verbindlichkeit, Freundlichkeit und Konstanz für ein neues Vertrauen. Mit viel Fingerspitzengefühl etablierte er sich als wirkliche Alternative zu Stalin und Chruschtschow, als jemanden, den niemand zu fürchten brauchte. Er stellte die Würde und Unantastbarkeit der alten Parteirituale wieder her, er zeigte sich respektvoll gegenüber allen Genossen und er sorgte für alle, selbst wenn er sie absetzte. Breschnew hatte verstanden, dass es nicht um politische Inhalte, sondern um die Form der Politik, die Frage des Umgangs miteinander und um einfache Dinge wie den Anstand ging. Sein Trumpf und letztlich auch Triumph bestand sozusagen in den „Soft Skills“, die er wie kein anderer beherrschte. Zweitens überzeugte er seine Genossen nicht nur auf einer bewussten-kognitiven Ebene, sondern auch auf einer unbewussten-emotionalen Ebene davon, dass er ein vertrauter Kumpel war, den man nicht fürchten musste. Es war nicht nur so, dass sich die Politbüromitglieder einfach so gut verstanden, dass sie sich ständig auch in ihrer Freizeit trafen. Vielmehr waren der private Umgang wie auch die informelle Anrede mit Kosenamen ein wesentliches Mittel, um nach dem Terror Stalins und den Demütigungen Chruschtschows das zerstörte existentielle Vertrauen wieder aufzubauen und die Welt wieder als sicher und verlässlich erscheinen zu lassen.

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Das Interessante ist, dass Breschnew, der auf der politischen Ebene performativ Vertrauen herstellte und auf der privaten Ebene Familiarität schuf, auf der dritten Ebene der Männerbünde eine ganz andere Botschaft aussandte. Während er in den ersten beiden Arenen alles dafür tat, selbst als einer unter vielen wahrgenommen zu werden, allenfalls als Sprachrohr des Kollektivs oder als Fürsorger, dessen Augenmerk ganz auf das Wohl der Gruppe gerichtet war, inszenierte er sich auf der Geschlechterebene unumwunden als Alphatier, das den Genossen in allen entscheidenden Dingen – Schießen, Autofahren, Erfolg bei Frauen, gutes Aussehen – überlegen war. Dies war offenbar ein Ersatzforum für seine Führungsansprüche: Hier konnte er gefahrlos seine Dominanz auskosten, weil diese „Hobbys“ und Leidenschaften entpolitisiert erschienen und dadurch niemanden alarmierten; sie lagen unterhalb der politischen Wahrnehmungsschwelle der Genossen. Dennoch scheinen diese Extravaganzen eine unterschwellige Warnung an die Genossen enthalten zu haben: Vergesst nicht, wer der Stärkste im Ring ist. Zumindest konnte Breschnew auf dieser Ebene Hierarchien auskosten, die er sonst tunlichst zu nivellieren suchte. Breschnew wählte also ein doppeltes Herrschaftsszenario: „Vertrauen und Fürsorge“ als offizielles Motto und „schnelle Autos und schöne Frauen“ in männerbündischen Situationen.

Anmerkungen 1

Taubman, Khrushchev, S. 648; Edward Crankshaw: Khrushchev. A Career, New York 1966, S. 279, 286. 2 Doklad prezidiuma CK KPSS na oktjabr’skom Plenume CK KPSS (Variant) [ne pozdnee 13.10.1964g.], in: Nikita Chruščev 1964, S. 185 ff., 196 ff. 3 Ebenda, S. 182 f. 4 Ebenda, S. 183. 5 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 231. 6 Rabočaja protokol’naja zapis’ zasedanija prezidiuma CK KPSS 13.–14.10.1964g., in: Nikita Chruščev 1964, S. 217. 7 Doklad prezidiuma CK KPSS, in: Nikita Chruščev 1964, S. 183. 8 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 363. 9 Proekt vystuplenija L.I. Brežneva na zasedanii prezidiuma CK KPSS [13.10.1964g], in: Nikita Chruščev 1964, S. 227. 10 Vystuplenie L.I. Brežneva na zasedanii prezidiuma CK KPSS [ne pozdnee 14.10.1964g.], in: Nikita Chruščev 1964, S. 228 f. 11 Rabočaja protokol’naja zapis’ zasedanija prezidiuma, in: Nikita Chruščev 1964, S. 226. 12 Zit. nach Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 369.

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Zajavlenie N.S. Chruščeva v CK KPSS ob osvoboždenii ot zanimaemych dolžnostej, 14.10.1964g., in: Nikita Chruščev 1964, S. 230. Kak snimali Chruščeva. Materialy Plenuma CK KPSS, Oktjabr’ 1964g., in: Istoričeskij archiv (1993) 1, S. 3–19, hier: S. 12. Ebenda, S. 11. Nepravlennaja stenogramma oktjabr’skogo (1964g.) plenuma CK KPSS, 14.10.1964g., in: Nikita Chruščev 1964, S. 236. In dem Protokoll wurde die Situation bezeichnenderweise leicht verfälscht. Danach fragte Breschnew, wie weiter verfahren werden sollte, und aus dem Plenum meldete sich eine Stimme mit dem Vorschlag, keine Aussprache zu eröffnen. Protokol No. 9 zasedanija plenuma CK KPSS ot 14.10.1964g., in: Nikita Chruščev 1964, S. 250. Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 369; Nepravlennaja stenogramma oktjabr’skogo plenuma, in: Nikita Chruščev 1964, S. 232–239. Postanovlenie prezidiuma CK KPSS „O material’nom obespečenii t. Chruščeva N.S.“, 22.10.1964g. und 15.12.1964, in: Nikita Chruščev 1964, S. 303 f., 437; vgl. auch Mlečin, Brežnev, S. 38. Memuary Nikity Sergeeviča Chruščeva: Vstreča s Adenauėrom, in: Voprosy istorii (1993) 9, S. 73–103, S. 73–78, hier: S. 78. Nepravlennaja stenogramma oktjabr’skogo plenuma, in: Nikita Chruščev 1964, S. 235; RGANI, f. 3, op. 22, d. 12: Prezidium CK KPSS – rabota postanovlenija Plenumov i Prezidiuma CK KPSS i materialy po voprosam organizacii raboty prezidiuma, 13.10.1952–16.9.1965gg., l. 93. Allerdings ist im Stenogramm „Poljanskij“ eingetragen, durchgestrichen und „Podgorny“ darüber geschrieben worden. Nepravlennaja stenogramma oktjabr’skogo plenuma, in: Nikita Chruščev 1964, S. 237 f. Die offizielle Absetzung Chruschtschows als Ministerpräsident und die Einsetzung Kossygins durch den Obersten Sowjet erfolgte erst am 9. Dezember 1964. Stenogramma pervogo sovmestnogo zasedanija Soveta sojuza i Soveta nacional’nostej pjatoj sessii Verchovnogo Soveta SSSSR šestogo sozyva, 9.12.1964g., in: Nikita Chruščev 1964, S. 436. Nepravlennaja stenogramma oktjabr’skogo plenuma, in: Nikita Chruščev 1964, S. 238. Ebenda, S. 239. Nepravlennaja stenogramma zasedanija Plenuma CK KPSS, in: Nikita Chruščev 1964, S. 363– 368. RGASPI, f. 84, op. 3, d. 55: Stenogramma zasedanija Prezidiuma CK KPSS – obsuždenie vo­prosa ob osvoboždenii Mikojana ot objazannostej predsedatelja prezidiuma Verchognogo soveta, l. 1; RGANI, f. 2, op. 1, d. 806: Protokol No. 13 Plenuma CK KPSS, 6.12.1965g., l. 14; d. 807: Materialy k protokolu, l. 20. Mikojan, Tak bylo, S. 627. RGANI, f. 2, op. 1, d. 806, l. 19, 65. RGANI, f. 2, op. 1, d. 785: Stenogramma pjatovo zasedanija Plenuma CK KPSS, 26.03.1965g., l. 110; d. 787: Protokol No. 12 zasedanija Plenuma CK KPSS, 27.–29.9.1965g., l. 17. RGANI, f. 2, op. 3, d. 3: Stenogramma aprel’skogo Plenuma, 8.4.1966g., l. 11; d. 44: Tret’e zasedanie dekabr’skogo Plenuma 1966g., l. 102. RGANI, f. 2, op. 3, d. 94: Stenogramma četvertogo zasedanija aprel’skogo Plenuma 1968, l. 71 f. Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 79. Dokučaev, Moskva. Kreml’. Ochrana, S. 172. Richard S. Wortman: Scenarios of Power. Myth and Ceremony in Russian Monarchy. Bd. 1: From Peter the Great to the Death of Nicholas I, Princeton, NJ, 1995, S. 4. Wortman, Scenarios of Power, Bd. 1, S. 5–66, 113, 204, 254.

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36 Benno Ennker: Die Anfänge des Leninkults in der Sowjetunion, Köln 1997, S. 89; Robert Service: Lenin. Eine Biographie, München 2000, S. 32; Frederick C. Corney: Telling October. Memory and the Making of the Bolshevik Revolution, Ithaca 2004, S. 21. 37 Ethan Pollock: Stalin and the Soviet Science Wars, Princeton 2006, S. 219. RGANI, f. 2, op. 3, d. 570: Stenogramma pervogo zasedanija Nojabr’skogo Plenuma, 16.11.1981g., l. 67. 38 Jörg Baberowski: Der Feind ist überall. Stalinismus im Kaukasus, München 2003; I.V. Stalin: Werke, Bd. 13, Berlin 1955, S. 35. 39 V.I. Lenin: Krizis partii [19. Januar 1921], in: ders.: Izbrannye proizvedenija v 2ch tomach, Bd. 2, Moskau 1935, S. 450–457; vgl. Manfred Hildermeier: Die Russische Revolution 1905–1921, Frankfurt am Main 1989, S. 293. 40 Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 495. 41 Vgl. auch G.Ch. Šachnazarov: S voždjami i bez nich, Moskau 2001, S. 231. 42 RGANI, f. 1, op. 5, d. 1: XXIII s’’ezd KPSS 1966 stenogramma pervogo zasedanija, otčetnyj doklad L.I. Brežneva, 29.3.1966g., l. 228; siehe auch Tompson, The Soviet Union under Brezhnev, S. 22. 43 RGANI, f. 1, op. 5, d. 1, l. 231. 44 Ebenda, l. 233, 249. 45 Ebenda, l. 229. 46 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 5. 47 Skilling/Griffith, Interest Groups in Soviet Politics; Rigby, The Soviet Leadership; ders.: How Strong is the Leader?; Willerton, Patronage Networks and Coalition Building; ders., Patronage and Politics in the USSR. 48 Barbara A. Misztal: Trust in Modern Societies. The Search for the Bases of Social Order, Cambridge 1996, S. 104. 49 Ebenda, S. 106. 50 Nepravlennaja stenogramma zasedanija plenuma CK KPSS, 16.11.1964g., in: Nikita Chruščev 1964, S. 362 f., und ab hier alle folgenden Plenarsitzungen bis 1982. 51 Ebenda, S. 367, und ab hier alle folgenden Plenarsitzungen bis 1982. 52 Aleksandr Šelepin: Istorija – učitel’ surovyj, in: Aksjutin, Brežnev. Material k biografii, S. 230– 247, hier: S. 236. 53 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 109. 54 Ebenda, S. 365. 55 Ebenda, S. 366. 56 RGANI, f. 2, op. 1, d. 549: Oktjabr’skij Plenum 1961g., Protokol No. 1, l. 8–9. 57 RGANI, f. 2, op. 1, d. 185: Fevral’skij Plenum 1956g., Protokol No. 1, l. 4. 58 RGANI, f. 2, op. 1, d. 787: Sentjabr’skij Plenum 1965g., Protokol No. 12, l. 19; f. 2, op. 1, d. 809: Stenogramma vtorogo zasedanija Dekabr’skogo Plenuma 1965g., l. 66; f. 2, op. 1, d. 820: Stenogramma zasedanija Martovskogo Plenuma 1966g., l. 2; f. 2, op. 3, d. 21: Stenografičeskij otčet Majskogo Plenuma 1966g., l. 308. 59 RGANI, f. 2, op. 1, d. 773: Materialy k protokolu No. 11. Stenogramma zasedanija komissii po vyrabotke proekta postanovlenija Plenuma CK „O neotložnych merach dal’nejšego razvitija sel’skogo chozjajstva SSSR“, 25.3.1965g., l. 23. 60 RGANI, f. 2, op. 1, d. 791: Materialy k protokolu No. 12, l. 113. 61 RGANI, f. 2, op. 3, d. 105: Stenogramma zasedanija komissii po podgotovke proekta postanovlenija Plenuma CK po dokladu tov. Brežneva „Ob aktual’nych problemach meždunarodnogo položenija i o bor’be KPSS za spločennost’ mirovogo kommunističeskogo dviženija“, l. 58.

Anmerkungen 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78

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RGANI, f. 89, perečen’ 25, d. 4: Ob otpuske L.I. Brežneva, Politbjuro 22.6.1979g., l. 1. RGANI, f. 2, op. 3, d. 550: Stenogramma zasedanija Fevral’skogo Plenuma 20.2.1981g., l. 34. Avtorchanov, Sila i bessilie, S. 99. Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 249. Burlackij, Brežnev i krušenie ottepeli, S. 113. Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 148. Burlatsky, Khrushchev and the First Russian Spring, S. 222. Bovin, XX vek kak žizn’, S. 144. Ebenda, S. 147. Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 241, 247. Ebenda, S. 249. Bovin, XX vek kak žizn’, S. 258. Ebenda, S. 163. RGANI, f. 2, op. 1, d. 790: Materialy k protokolu No. 12, l. 1. RGANI, f. 2, op. 1, d. 820: Stenogramma zasedanija, 26.3.1966g., l. 2. RGANI, f. 2, op. 3, d. 70: Stenografičeskij otčet ijunskogo Plenuma, 20.–21.6.1967g., l. 200. Vgl. z.B. RGANI, f. 80, op. 1, d. 330 : Zapiski K. Černenko, B. Ponomareva, K. Katuševa, A. Aleksandrova, K. Bogoljubova po voprosam organizacii tekuščej raboty L. Brežneva, 13.8.1971– 6.7.1979gg., l. 32; d. 312: Zamečanija tov. Andropova k vystupleniju na politbjuro, l. 149. 79 RGANI, f. 2, op. 3, d. 488: Stenogramma vtorogo zasedanija, 27.11.1978g., l. 76 f. 80 Mohammed Heikal: The Road to Ramadan, New York 1975, S. 94. 81 Ebenda. 82 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112693, BRESHNEW, S. 5. 83 Fedor Burlackij: Jurij Andropov i aristokray ducha, Moskau 2009, S. 188. 84 Bovin, XX vek kak žizn’, S. 258. 85 Ebenda, S. 203. 86 Ebenda, S. 201. 87 Šachnazarov, S voždjami i bez nich, S. 221. 88 Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 266. 89 Bovin, XX vek kak žizn’, S. 258. 90 Anatolij Černjaev: Moja žizn’ i moe vremja, Moskau 1995, S. 258. 91 RGANI, f. 2, op. 1, d. 754: Nojabr’skij Plenum 1964g., Protokol No. 10 zasedanija 16.11.1964g., l. 17. 92 Vgl. Archie Brown: The Power of the General Secretary of the CPSU, in: ders. (Hg.): Political Leadership in the Soviet Union, Oxford 1989, S. 135–157, hier: S. 149; Avtorchanov, Sila i bessilie, S. 11; Burlackij, Brežnev i krušenie ottepeli, S. 102–122, 113; Alexander Jakowlew: Die Abgründe meines Jahrhunderts. Eine Autobiographie, Leipzig 2003, S. 386. 93 Willerton, Patronage Networks and Coalition Building, S. 183; Michel Tatu: Power in the Kremlin. From Khrushchev’s Decline to Collective Leadership, London 1969, S. 455; AleksandrovAgentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 253, 256. 94 Vgl. auch Hough, The Brezhnev Era, S. 6; Brutenc, Tridcat’ let na staroi ploščadi, S. 490. 95 Vgl. Brown, The Power of the General Secretary, S. 149. 96 Burlatsky, Khrushchev and the First Russian Spring, S. 216. 97 Jakowlew, Die Abgründe meines Jahrhunderts, S. 386. 98 M.S. Gorbačev: Žizn’ i reformy, 2 Bde., Bd. 1, Moskau 1995, S. 181. 99 Mlečin, Brežnev, S. 387.

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100 101 102 103 104 105 106

Der fürsorgliche Generalsekretär oder: Kollektivführung als Theater

Ebenda, S. 164, 192. Ebenda, S. 169. Medvedev, Fars s primes’ju tragedii, S. 139. Arbatov, Iz nedavnego prošlogo, S. 85. Mitrokhin, Russische Partei, S. 97 Zit. nach Burlackii, Brežnev i krušenie ottepeli, S. 115. Nikolai Egoryčev: „U nas byli raznye vzgljady.“ Iz interv’iu korrespondentu ‚Ogonka‘ L. Plešakovu, in: Aksjutin, Brežnev. Materialy k biografii, S. 190–204, hier: S. 204. 107 Burlatsky, Khrushchev and the First Russian Spring, S. 216; Arbatov, Zatjanuvšeesja vyzdorovlenie, S. 182; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 108. 108 RGANI, f. 3, op. 2, d. 12, l. 95: Vypiska iz protokola No. 206 zasedanija Prezidiuma ot 15.7.1965g. 109 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 122; siehe auch Mitrokhin, Russische Partei, S. 94. 110 Šelepin, Istorija – učitel’ surovyj, S. 238. 111 RGANI, f. 2, op. 1, d. 806: Dekabr’skij Plenum 1965g., Protokol No. 13, l. 13. 112 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 393 f. 113 Ebenda, S. 392; Šelepin, Istorija – učitel’ surovyj, S. 234; Arbatov, Zatjanuvšeesja vyzdorovlenie, S. 172. 114 Šemičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 394. 115 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 279. 116 Zit. nach Šemičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 408. 117 Šelepin, Istorija – učitel’ surovyj, S. 239. 118 Ebenda. 119 RGANI, f. 2, op. 3, d. 79: Sentjabr’skij Plenum, stenogramma utrennego zasedanija, 26.9.1967g., l. 144. 120 Šelepin, Istorija – učitel’ surovyj, S. 241. 121 Zit. nach Šelest, Da ne sudimy budete, S. 398. 122 Ebenda. 123 RGANI, f. 2, op. 3, d. 353: Aprel’skij Plenum, stenogramma utrennego zasedanija, 16.4.1975g., l. 86. 124 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 518. 125 Ebenda, S. 519. 126 Petr Šelest: On umel vesti apparatnye igry a stranu zabrosil, in: Aksjutin, Brežnev. Materialy k biografii, S. 216–230, hier: S. 222. 127 Mlečin, Brežnev, S. 170. 128 Anatolij Prochorov: Ne tol’ko pacient, in: N. Bajbakov et al. (Hg.): Kosygin. Vyzov prem’era, Moskau 2012, S. 229–238, hier: S. 236. Andere Versionen hinsichtlich Unfallursache und Rettung finden sich bei: Abrasimov, Vospominaja prošedšie gody, S. 268; Mlečin, Brežnev, S. 518; N.K. Bajbakov: Sobranie sočinenij v 10 tomach, Bd. 4: Sorok let v pravitel’stve, Moskau 2011, S. 254. 129 Šelest, On umel vesti apparatnye igry, S. 224. 130 Prochorov, Ne tol’ko pacient, S. 237; Abrasimov, Vospominaja prošedšie gody, S. 268. 131 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 653 f., 664, 675, Einträge vom 31. Juli, 1., 15., 29., 30. August 1976. 132 Mlečin, Brežnev, S. 518; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 684 f., Einträge vom 13. und 14. September 1976. 133 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112753: 1975–1976, Stellung Breschnews, Bonn, den 3. September 1976, Stellung Kossygins, ohne Blattangabe. 134 RGANI, f. 2, op. 3, d. 331: Stenogramma zasedanija ijul’skogo Plenuma, 24.07.1974g., l. 25. 135 RGANI, f. 2, op. 3, d. 489: Stenogramma pervogo zasedanija Nojabr’skogo Plenuma, 27.11.1978g., l. 4.

Anmerkungen

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136 Gruppe B = Leicht- und Gebrauchsgüterindustrie. 137 RGANI, f. 2, op. 3, d. 489: Stenogramma pervogo zasedanija Nojabr’skogo Plenuma, 27.11.1978g., l. 4. 138 Ebenda, 489, l. 3. 139 RGANI, f. 2, op. 3, d. 488: Stenogramma vtorogo zasedanija Nojabr’skogo Plenuma, 27.11.1978g., l. 77. 140 Mlečin, Brežnev, S. 524. 141 RGANI, f. 2, op. 3, d. 537: Stenogramma zasedanija Oktjabr’skogo Plenuma, 21.10.1980g., l. 157–159. 142 RGANI, f. 2, op. 3, d. 534: Protokol No. 11 Oktjabr’skogo Plenuma 1980g., l. 6; d. 535: Postanovlenija, l. 10. 143 Mlečin, Brežnev, S. 524 f. 144 Šelest, On umel vesti apparatnye igry, S. 225. 145 RGANI, f. 2, op. 3, d. 429: Majskij Plenum, stenogramma zasedanija, 24.5.1977g., l. 40–42 146 Ebenda, l. 115. 147 Zit. nach Čurbanov, Moj test’, S. 91; siehe auch Mlečin, Brežnev, S. 222. 148 RGANI, f. 2, op. 3, d. 415: Protokol No. 15 Majskogo Plenuma, 24.5.1977g., l. 1, 7, 10. 149 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 791, Eintrag vom 16. Juni 1977. 150 Niklas Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, 4. Auflage, Stuttgart 2009, S. 23, 27. 151 Ebenda, S. 22. 152 Siehe dazu auch Martin Hartmann: Die Praxis des Vertrauens, Berlin 2011, S. 115 f. 153 Ebenda. 154 Piotr Sztompka: Trust. A Sociological Theory, Cambridge 1999, S. 117. 155 Ebenda, S. 118. 156 Siehe auch Rigby, Political Elites, S. 229. 157 Burlatsky, Khrushchev and the First Russian Spring, S. 217; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 279; Gorbačev, Žizn’ i reformy, Bd. 1, S. 180; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 179, 191. 158 Šachnazarov, S voždjami i bez nich, S. 232. 159 RGANI, f. 80, op. 1, d. 980: Dnevnikovye i rabočie zapisi L. Brežneva 1967g., l. 7ob., 16, 21. 160 Šachnazarov, S voždjami i bez nich, S. 232. 161 Mlečin, Brežnev, S. 194. 162 Čurbanov, Moj test’, S. 84. 163 Medvedev, Vo vtorom ešelone, S. 26; ders., Fars s primes’ju tragedii, S. 128. 164 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 199. 165 Zapis’ vystuplenia člena prezidiuma i sekretarja CK KPSS tov. M.A. Suslova na plenume central’nogo komiteta KPSS, in: Nikita Chruščev 1964, S. 256. 166 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 120. 167 Ebenda, S. 48; Dornberg, Breschnew, S. 16; Dokučaev, Moskva. Kreml’. Ochrana, S. 181. 168 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 129. 169 Čurbanov, Moj test’, S. 113; Burlatsky, Khrushchev and the First Russian Spring, S. 221. 170 Černjaev, Moja žizn’ i moe vremja, S. 261. 171 Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 266. 172 Bovin, XX vek kak žizn’, S. 253. 173 Ebenda, S. 157 f., 233; Šachnazarov, S voždjami i bez nich, S. 228; Černjaev, Moja žizn’ i moe vremja, S. 262. 174 Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 266.

344

175 176 177 178 179 180 181

Der fürsorgliche Generalsekretär oder: Kollektivführung als Theater

Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 86. Čurbanov, Moj test’, S. 107. Ebenda, S. 132 f.; Thatcher, Brezhnev as Leader, S. 29. Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 26. Ebenda, S. 28 f. Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 24 f. Aleksandr Bovin: Kurs na stabil’nost’ porodil zastoj, in: Aksjutin, Brežnev. Materialy k biografii, S. 92–102, hier: S. 92; Jurii Čurbanov: Vse kak bylo, in: ebenda, S. 353–370, hier: S. 369. 182 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 82. 183 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 199. 184 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 750 f., Eintrag vom 10. Januar 1977; Ale­ksandr Danilovič Igmand: Ja odeval Brežneva, hg. v. Anastasija Juškova, Moskau 2008, S. 70; Me­dvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 75. 185 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 755, Eintrag vom 21. Januar 1977; Čurbanov, Moj test’, S. 87. 186 Igmand, Ja odeval, S. 70. 187 Volkogonov, 7 voždej, Bd. 2, S. 82. 188 Čurbanov, Moj test’, S. 132 f.; Thatcher, Brezhnev as Leader, S. 29. 189 Igor’ Semenov: Carskie ochoty voždej, in: Vse ob ochote v Kazachstane, Nr. 2, Februar 2011, S. 26 f., hier: S. 27. 190 Ebenda, S. 26. 191 Ebenda. 192 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 127, l. 12; f. R-7523, op. 83, d. 19, l. 3. 193 Semenov, Carskie ochoty voždej, S. 27. 194 Šelepin, Istorija – učitel’ surovoj, S. 239. 195 Semenov, Carskie ochoty voždej, S. 27; Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 77. 196 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1017, Ambassadeur Seydoux, Moscou, 20 Mai 1972, pour le ministre et le sécretaire générale seulement. 197 Genadij Voronov: „Ošibki s Brežnevym my sebe ne proščaem“. Iz besedy s Ju. Aksjutinym, in: Aksjutin, Brežnev. Materialy k biografii, S. 181–190, hier: S. 188. 198 Nikolaj Bajbakov: Bez glubokogo analiza i vzvešennogo podchoda, in: Aksjutin, Brežnev. Materialy k biografii, S. 247–252, hier: S. 248. 199 Bovin, XX vek kak žizn’, S. 157 f. 200 Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 268. 201 Anatolij Kovalev: Midovcy i genseki [memuary], in: Novoe vremja, 1993, Nr. 37, S. 42–46, hier: S. 46; Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 192; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 661 f., Einträge vom 10. und 12. August 1976. 202 Čurbanov, Vse kak bylo, S. 359; Bajbakov, Bez glubokogo analiza, S. 248; Prochorov, Ne tol’ko pacient, S. 235. 203 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 708, Eintrag vom 22. Oktober 1976. 204 Ebenda, S. 717, Eintrag vom 13. November 1976; siehe auch S. 719, Eintrag vom 12. Dezember 1976. 205 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 69. 206 Čurbanov, Moj test’, S. 88; Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 70, 77; Suchodrev, Jazyk moj, S. 308. 207 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 684, Eintrag vom 11. September 1976. 208 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 79.

Anmerkungen 209 210 211 212 213 214

345

Ebenda, S. 69. Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112693, BRESHNEW, S. 5. RGANI, f. 2, op. 1, d. 809, l. 50. Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 303–306. Dokučaev, Moskva. Kreml’. Ochrana, S. 175. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 800, Eintrag vom 12. Juli 1977; siehe auch S. 789, Eintrag vom 12. Juni 1977. 215 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 88 f. 216 Ebenda, S. 90. 217 Evgenij Karasaev i dr.: Vospominanija sotrudnikov ochrany, hier: Gennadij Pavljuk, voditel’ A.N. Kosygina s 1970 po 1980 gody, in: Bajbakov, Kosygin, S. 224–229, hier: S. 227 f. 218 Višnevskaja, Galina, S. 162. 219 Velikžanina, Preemnikom Brežneva. 220 Mlečin, Brežnev, S. 128 f., 131 f. 221 Višnevskaja, Galina, S. 304. 222 Larisa Kaftan: Tajnaja ljubovnica Brežneva, in: Komsomol’skaja Pravda, 1. März 2002, Nr. 38, S. 27. 223 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 397. 224 Mlečin, Brežnev, S. 92. 225 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 397; siehe auch Mlečin, Brežnev, S. 91. 226 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 483. 227 Siehe auch Džermen Gvišani: Čelovek, kotoryj byl mne dorog, in: Bajbakov, Kosygin, S. 174– 210, hier: S. 206; Karasaev, Vospominanija, hier: Aleksej Sal’nikov, sotrudnik ochrany A.N. Kosygina, S. 228. 228 Bovin, XX vek kak žizn’, S. 258. 229 Čurbanov, Vse kak bylo, S. 359. 230 Mlečin, Brežnev, S. 497. 231 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 53; Musaėl’jan, Brežnev, kotorogo ne znali, S. 159. 232 Karpov, Večernie besedy, S. 474 f. 233 Ebenda, S. 428. 234 Igmand, Ja odeval, S. 60. 235 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 63, 639, 702, 780, Einträge vom 2. und 26. Juni, 9. Oktober 1976 und 3. Mai 1977. 236 Igmand, Ja odeval, S. 15. 237 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 84; Musaėl’jan, Brežnev, kotorogo ne znali, S. 145. 238 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 771, Eintrag vom 11. April 1977. 239 Velikžanina, Preemnikom Brežneva. 240 Ebenda. 241 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 689, Eintrag vom 18. September 1976. 242 Ebenda, S. 664, 673, Einträge vom 15. und 26. August 1976. 243 Musaėl’jan, Brežnev, kotorogo ne znali, S. 156. 244 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 810, 826, Einträge vom 28. August 1977 und vom 3. August 1977. 245 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 42 f.

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Abb. 22: Breschnew beim Besuch der Pepsi-Cola-Fabrik in Noworossijsk, 1974.

   

6

Leben und leben lassen oder: „Alle sollen in Ruhe leben und arbeiten können“

Das Foto zeigt einen gutgelaunten Breschnew in der Pepsi-Cola-Fabrik in Noworossijk im Jahr 1974. Er lehnt sich über das Fließband voller Pepsi-Flaschen, um mit einer jungen Fabrikarbeiterin zu schäkern. Das Bild verweist damit auf viele Entwicklungen, für die Breschnew stand oder zumindest stehen wollte: An erster Stelle rangierte die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungs- und Verbrauchsgütern. Aber Breschnews Vorstellung war offenbar nicht nur, dass die sowjetische Bevölkerung satt würde – sie sollte dabei auch genießen dürfen und den Geschmack des Westens erleben. Im Rahmen der 1972 in Moskau unterschriebenen Wirtschaftsabkommen vereinbarten Breschnew und US-Präsident Richard Nixon, dass künftig in den USA der Wodka Marke „Stolitschnaja“ und in der Sowjetunion „Pepsi-Cola“ produziert würden. So kam es zum Bau der Fabrik in Noworossijsk. Pepsi symbolisierte damit nicht nur Wohlstand und ein westliches Flair, sondern auch Ausgleich mit den USA und Offenheit gegenüber der amerikanischen Kultur. Breschnew wollte der Parteiführer sein, der für die Sowjetmenschen diese Wohltaten erzielte und dabei nahbar blieb, immer zu einem Scherz oder Flirt aufgelegt. Dennoch ist viel darüber gestritten und gerätselt worden, ob Breschnew eine politische Agenda verfolgte oder auch nur eine Idee hatte, was er als Generalsekretär erreichen wollte. Vorherrschend ist immer noch die Meinung, die zuletzt Leonid Mletschin vertreten hat, Breschnew habe kein Programm gehabt.1 Breschnews Entourage dagegen versichert, er habe durchaus Ziele gehabt, die allerdings sehr simpel gewesen seien: Alle Sowjetmenschen sollten besser leben und keine Angst mehr vorm Krieg haben.2 Gleich nach der Machtübernahme soll er zu Kossygin gesagt haben, die Hauptaufgabe sei es jetzt, allen ein sorgenfreies Leben

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zu garantieren: „Unter Stalin fürchteten die Menschen Repressionen, unter Chruschtschow die Reorganisationen und Versetzungen. Das Volk wusste nicht, was morgen sein würde. Deshalb soll das Sowjetvolk in Zukunft in Ruhe leben, um fruchtbar arbeiten zu können.“3 Breschnew hatte also keine epochalen, ambitionierten Pläne wie Stalin mit der Kulturrevolution und der forcierten Industrialisierung in den 1930er Jahren oder Chruschtschow mit der Öffnung der Gesellschaft und der Hinwendung zu den Alltagsbedürfnissen der Bevölkerung. Im Gegenteil, er wollte Chruschtschows Politik fortsetzen, noch mehr Wohnungen bauen, Renten und Löhne noch weiter erhöhen und für noch mehr materielle Sicherheit sorgen. Sein Motto hätte wohl lauten können: „Wir werden nicht alles anders, aber vieles besser machen.“ Analysiert man Breschnews Innenpolitik als Teil seines Herrschaftsszenarios, so war er darauf aus, als derjenige zu erscheinen, der dem ZK Sicherheit und der Bevölkerung Wohlstand brachte. Seine Wohlfahrtspolitik war eine weitere Werbung um Vertrauen, als wollte er sagen: Ihr habt nichts zu befürchten, unter mir wird es euch noch besser als unter Chruschtschow gehen. Letztlich versprach Breschnew nichts weniger als das Recht auf ein sorgenfreies Leben und das private Glück. Roy Medwedew zog daher die Parallele zwischen Breschnew und dem Protagonisten aus Daniel Granins Tauwetter-Erzählung „Die eigene Meinung“, der sich vornahm, wenn er in eine Leitungsposition aufrücke, alles besser zu machen, sich nicht korrumpieren zu lassen, sich nicht mit bequemen Lügen und Halbwahrheiten zufriedenzugeben – und der es, als er diese Positionen erklommen hatte, doch genau wie alle anderen hielt.4 Den Drang, den Breschnew verspürte, es besser als Chruschtschow zu machen, hat Medwedew vermutlich richtig beobachtet. Aber es ist fraglich, ob es Breschnew tatsächlich darum zu tun war, für eine neue Kultur der Wahrheit und der schonungslosen Aufdeckung von Missständen einzutreten. Viel mehr schien es ihm um die konkreten Lebensbedingungen der Bevölkerung und darum zu gehen, dass er sich als generöser Wohltäter inszenieren konnte. Wenn seine Erfahrungen – angefangen bei der Hungersnot der 1920er Jahre und den Schrecken der Kollektivierung zu Beginn der 1930er Jahre über das Grauen des Großen Terrors und des Zweiten Weltkriegs bis hin zu seiner Zeit als Parteisekretär in Saporoschje, Dnepropetrowsk, Moldawien und Kasachstan – wenn diese Erfahrungen in ihm einen dringenden Wunsch hatten erwachsen lassen, dann war es sicher der, die Bevölkerung aus ihrem Elend zu erlösen. Kolchosarbeiter und Rentner mussten ein Auskommen haben, Arbeiter und Ingenieure sollten sich

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von ihrem Lohn etwas kaufen können, Familien sollten eine kleine Wohnung und ein Auto besitzen. So gesehen war es ein kleinbürgerlicher Traum, den Breschnew für die Sowjetbevölkerung träumte, aber einer, nach dem sich das geschundene, gebeutelte Land nur 20 Jahre nach dem Krieg dringend sehnte.

Gönner und Fürsorger Es wird bis heute viel darüber gestritten, ob die späte Sowjetunion ein Wohlfahrtsstaat war und die Sozialprogramme und Leistungen, die real bei der Bevölkerung ankamen, tatsächlich den Standards eines modernen Wohlfahrtsstaats entsprachen.5 Doch ganz gleich, welche Kriterien man hier anlegen will oder wie sinnvoll es ist, die Sowjetunion mit westlichen Maßstäben zu messen, es war Breschnews erklärter Wille, der Bevölkerung einen besseren Lebensstandard zu sichern. „Volkswohlstand“ oder „Volkswohlfahrt“ war nicht nur ein Begriff, den Breschnew immer wieder beschwor, sondern ein Konzept, das er zur politischen Leitlinie für die gesamte Partei, das Wirtschaftswachstum und die unter ihm entwickelten Fünfjahrpläne erkor. Im Herbst 1964 formulierte er in seiner Arbeitskladde die Agenda, die er den versammelten ZK-Sekretären der Republiken und Regionen erläutern und in den kommenden 18 Jahren verfolgen wollte: „Unser ZK wird unermüdlich seine Linie und seine Arbeit an der Erfüllung unserer Pläne zur Schaffung der materiellen und technischen Grundlagen des Kommunismus und der Anhebung des Lebensstandards unseres Volkes ausrichten.“6 In der Liste der Sprichwörter, die er in seinem Büro aufbewahrte, hatte er ein Zitat von Albert Camus unterstrichen: „Das Wohl aller entsteht durch das Glück jedes Einzelnen.“7 Die Anhebung des Lebensstandards blieb sein Leitmotiv, das er nur wenig variierte. Breschnew stellte diese Linie auf dem 23. Parteikongress im März 1966 als wichtigstes Ziel des achten Fünfjahrplans (1966–1970) vor. Alle Entwicklungen, Maßnahmen und Mittel sollten für einen „wesentlichen Anstieg des Lebensniveaus des Volkes“ eingesetzt werden.8 „In dem Maße, in dem der gesellschaftliche Reichtum wächst, vermehrt sich auch der Wohlstand eines jeden Werktätigen.“9 Mit viel Pathos proklamierte er: „Alles, was in unserem Land für die Erhöhung des Lebensstandards und die Kultur der Sowjetmenschen, für das Erblühen der Wissenschaft und Bildung, die Literatur und Kunst getan wurde, bestätigt die einfache Wahrheit, dass das Hauptziel des Sozialismus das Wohl des Menschen,

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seine allseitige Entfaltung ist.“10 Dieser unbedingte Kurs auf die Volkswohlfahrt wird in der Forschung auch der „kleine Deal“ genannt, den Breschnew mit der Bevölkerung einging: Er tauschte Wohlstand gegen Loyalität.11 Während Breschnew anfangs den Volkswohlstand damit begründete, dass er einen Anreiz für die Werktätigen darstelle, mehr und besser zu arbeiten, ging er 1970 dazu über, die Kausalität umzudrehen und einen angemessenen Lebensstandard zur Voraussetzung für eine bessere Produktivität zu erklären. Breschnew erläuterte, dass dies eine Gesetzmäßigkeit der marxistisch-leninistischen Theorie sei, „dass im Maße der Entwicklung der Produktionskräfte das permanente Wachstum des Lebensstandards eine objektive wirtschaftliche Notwendigkeit ist.“12 Breschnew beschwor auf dem Dezember-Plenum 1970: „Es ist nicht nur so, dass wir es wollen, sondern wir müssen das ständige Wachstum des Volkswohlstands gewährleisten, weil das die wichtigste Voraussetzung für ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum des Landes ist.“13 Breschnew beugte damit Kritikern vor, die nicht einsahen, warum immer mehr Mittel in die Leichtindustrie und die Landwirtschaft investiert wurden und folglich der Schwer- und Rüstungsindustrie nicht zur Verfügung standen. Breschnew erinnerte und warnte: Welche Folgen niedrige Löhne bei den Werktätigen in Stadt und Land hätten, habe man lange genug beobachten können. „Es ist bekannt, zu was für einer Stimmung das bei vielen Menschen geführt hat.“14 Er spielte damit wohl nicht nur auf die Unruhen im eigenen Land – 1962 in Nowotscherkassk – an, sondern auch auf den Prager Frühling 1968 und die Arbeiterstreiks in Polen 1970. Daher sei und bleibe die wichtigste Aufgabe die Anhebung des Lebensstandards.15 Das war die Leitlinie, an der auch ein Jahr später auf dem 24. Parteikongress der neunte Führjahrplan (1971–1975) ausgerichtet wurde. Angesichts der Tatsache, dass er damit bereits den zweiten Fünfjahrplan in den Dienst des Volkswohlstands stellte, erläuterte Breschnew, dessen Anhebung verlange viel Zeit, ernsthafte Anstrengungen und enorme Mittel und Ressourcen: „Die Kraft unserer Pläne und das Unterpfand für ihre Realisierbarkeit besteht darin, dass sie den wachsenden Lebensstandard mit dem Wachstum der volkswirtschaftlichen Produktion und der Produktivitätssteigerung unzertrennlich verbinden.“16 Auf dem Dezember-Plenum 1972 legte er nach und gab zu, man habe einen sehr ehrgeizigen Fünfjahrplan verabschiedet, „ehrgeizig deshalb, weil wir unter Beibehaltung der hohen Wirtschaftswachstumsraten entschieden haben, mehr Mittel denn jemals zuvor für die Anhebung des Wohlstands und die Entwicklung der Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen (…).“17 Erneut trug seine Rede Züge

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einer Rechtfertigung gegenüber antizipierten Gegnern: „Wir hielten es für uns nicht für möglich und hatten nicht das Recht, die Realisierung des Programms zur Verbesserung der Lebensumstände des Volks und die Versorgung mit Sozialleistungen auf die Zukunft zu verschieben.“18 Im Dezember 1973 berichtete Breschnew, die Anstrengungen hätten sich gelohnt, es sei ihnen gelungen, dem wichtigsten Ziel, dem Wohlstandswachstum der Werktätigen, ein Stück näher zu kommen: „Die Sowjetmenschen haben begonnen, besser zu essen und sich besser zu kleiden; mehr als elf Millionen Menschen erhielten bessere Wohnverhältnisse.“19 1975, zum Ende des neunten Fünfjahrplans verkündete Breschnew, die Erfolge in der Industrie und Landwirtschaft hätten eine stabile Basis für den Anstieg des Lebensstandards der Bevölkerung geschaffen,20 nur um anschließend auch den zehnten Fünfjahrplan (1976–1980) ganz unter das Vorzeichen des Volkswohlstands zu stellen. Die Sowjetunion werde in den Jahren 1976–1980 mehr als doppelt so viele Mittel wie in den fünf Jahren zuvor besitzen, die in erster Linie für die „Wohlfahrt der Sowjetmenschen, die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen, für einen wesentlichen Fortschritt der Gesundheitsvorsorge, der Bildung und Kultur“ eingesetzt würden: „Das heißt, wir reden von all dem, was die Formung des neuen Menschen begünstigt, der vielseitigen Entwicklung seiner Persönlichkeit, der Vervollkommnung der sozialistischen Lebensweise.“21 Damit brachte Breschnew erstmals den Neuen Menschen ins Spiel: Wohlstand war nicht nur ein Indiz für den „entwickelten Sozialismus“, sondern schuf auch die Basis für höhere Seinsformen. Nur wer materiell abgesichert war, konnte neue Bewusstseinsstufen erreichen. Damit koppelte er seine Politik „Wohlstand für alle“ wieder an die marxistische Ideologie, als wolle er deutlich machen, Wohlstand sei kein Selbstzweck, sondern erfülle eine politische Mission. Und genau so formulierte er es auch: Er mahnte, noch immer hätte nicht jeder begriffen, dass die Produktion von Konsumgütern eine Frage ersten Ranges sei: „Es haben noch nicht alle verstanden, dass wir hier von einer Sache von höchster politischer und ökonomischer Bedeutung, von den programmatischen Direktiven unserer Partei sprechen.“22 Im Juli 1978, als er bereits Präsident war, sprach er erstmals aus, was längst offensichtlich war: Die Anhebung des Volkswohlstands war die „Generallinie der Partei“.23 Breschnew verzichtete auf die Rechtfertigung, Wohlstand sei eine marxistisch-leninistische Gesetzmäßigkeit, welche die Produktivität oder die Formung des Neuen Menschen begünstige. Unter Applaus erklärte Breschnew,

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dass der eingeschlagene Kurs weiter beibehalten werde.24 Zum Ende des zehnten Fünfjahrplans 1980 verkündete er, innerhalb von fünf Jahren seien für das Ziel, die Wohlfahrt zu steigern, 329 Milliarden Rubel mehr als im neunten Fünfjahrplan ausgegeben worden. Mit seinem Kurs berief er sich nun auch auf die von ihm initiierte, 1977 reformierte Verfassung: Die Milliardenzahlungen „vergrößerten die wirtschaftliche Grundlage für die Einlösung der verfassungsmäßig garantierten Rechte der Sowjetmenschen auf kostenlose Ausbildung, medizinische Versorgung, Erholungsurlaub und materielle Absicherung im Alter.“25 Schließlich stellte Breschnew auch den elften – seinen letzten – Fünfjahrplan (1981–1985) ganz unter das Zeichen des Wohlstands: „Das Gespräch über die Frage der Entwicklung [der Wirtschaft] würde ich nicht mit Metall, nicht mit Verkehr und selbst nicht mit Brennstoff und Energie beginnen – bei all ihrer großen Bedeutung, sondern mit denjenigen Fragen, von deren Lösung am unmittelbarsten die Lebensbedingungen der Sowjetmenschen abhängen.“26 Breschnew deklarierte sein Programm zum einzig wahren Parteistandpunkt: „Ich denke, dass dieser Ansatz unserer Partei am meisten entspricht, wenn als Grundstein die Sorge um das Volkswohl gelegt wird.“27 Bis zu seinem Lebensende blieb Breschnew bei dieser Linie: Wohlstand und Parteiprogramm benutzte er synonym. „Die konkrete Sorge um den konkreten Menschen, seine Wünsche und Bedürfnisse ist der Anfangs- und Endpunkt unserer Wirtschaftspolitik. Und das bedeutet, dass auch die Produktion von Waren für die Bevölkerung und die Entwicklung von Dienstleistungen eine Parteiaufgabe von höchster Priorität ist.“28 Es scheint nicht so, als sei die Beschwörung des Wohlfahrtsstaates für Breschnew nur ein Lippenbekenntnis gewesen. Dagegen spricht, wie bereits gesagt, seine eigene Erfahrung aus den Jahren unter Stalin. Außerdem lag zu viel Leidenschaft in seinen Reden. Und schließlich erkundigte er sich bei seinen täg­ lichen Telefonaten mit den Regionalsekretären auch nach der Stimmung der Bevölkerung, die er dann in seine Notizbücher notierte: „Die Stimmung in der Bevölkerung ist hervorragend“, meldete ihm Boris Schtscherbin aus Tjumen im Herbst 1967.29 „Die Volksstimmung ist gut“, meldete im Mai 1972 Wladiwostok.30 Es ist fraglich, wie sehr die Gebietssekretäre Breschnew nicht das berichteten, was er hören wollte. Doch er hatte auch andere Informationsquellen. Neben den Stimmungsberichten, die ihm der KGB vorlegte, bekam er auch Zuschriften aus Zeitungsredaktionen oder von Fernsehstationen, welche die an sie gerichteten Briefe und Klagen weiterleiteten. Der Fernsehjournalist Andrei Schukow berichtete im November 1972 an Breschnew, er erhalte monatlich 3000 Zuschrif-

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ten mit je zehn bis 15 kritischen Fragen zu den Themen Preissteigerungen, mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln und Hilfsleistungen für Entwicklungsländer. Die Leute monierten, warum Lebensmittel exportiert würden, wenn sie in den heimischen Läden fehlten.31 Schließlich unternahm Breschnew selbst immer wieder Reisen in die Republiken und Regionen, so wie er es sich als Regionalund Republiksekretär angewöhnt hatte und es im eingangs gezeigten Foto in der Pepsi-Fabrik zu sehen ist. Es gehörte nicht nur zu seinem Herrschaftsszenario, sich als nahbarer und umgänglicher Parteichef zu präsentieren, der sich persönlich vor Ort ein Bild von der Lebenswirklichkeit der Menschen machte. Seine Mitarbeiter bestätigen auch, er sei tatsächlich von den Menschen offen und freundlich begrüßt worden;32 eine Reserviertheit, wie sie die Lokalführer gegenüber Chruschtschow zunehmend zeigten, habe es im Umgang mit Breschnew nicht gegeben. So berichtete Breschnew auf dem November-Plenum 1978 dem ZK, er habe im laufenden Jahr Sibirien, den Fernen Osten, Weißrussland und Aserbaidschan besucht: „Ich habe sehr unterschiedliche Eindrücke gesammelt und über verschiedene Probleme gesprochen. Aber überall sah und spürte ich die große Zuversicht der Menschen in ihre Kräfte und in den richtigen politischen Kurs unserer Partei.“33 Es lässt sich nicht prüfen, ob er das aussprach, was er wahrgenommen hatte. Aber es lässt sich sagen, dass die Stimmung in der Bevölkerung für Breschnew ein wichtiger Fixpunkt seiner Politik war, wenn auch vielleicht nicht ganz so existentiell wie die Stimmung in Politbüro und ZK. Zum einen wollte er die Meriten einstreichen, wenn es den Menschen besserging. Zum anderen wird ihm nur zu gut bewusst gewesen sein, dass Unmut oder gar Unruhe in der Bevölkerung seine Herrschaft sehr schnell hätte gefährden können. Mehr Geld für alle

Breschnew löste Chruschtschow ab, als dieser gerade die zweite große Rentenreform hatte beschließen lassen. Unter Stalin hatte weniger als ein Prozent der Bevölkerung eine Rente erhalten, deren Minimum bei fünf Rubel lag. Die erste Reform aus dem Jahr 1956 garantierte allen Arbeitern eine Mindestrente von 30 Rubeln, aber die Bauern gingen leer aus.34 Erst am 15. Juli 1964, drei Monate vor Absetzung Chruschtschows, gewährten Partei und Staat auch den Kolchosarbeitern eine Rente, deren Minimum allerdings mit 12 Rubeln wesentlich niedriger lag. Bauern durften erst im Alter von 65 Jahren, Bäuerinnen im Alter von 60

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Jahren in Rente gehen, während die Industriearbeiter/innen mit 60 bzw. 55 Rentenansprüche erhielten.35 Breschnew hatte selbst 1956 unter Chruschtschow an der Reform des Lohnsystems mitgewirkt und dazu einige Vorschläge ausgearbeitet.36 Auf dieser Grundlage führte Chruschtschow für Arbeiter einen Mindestlohn von 40 Rubeln ein.37 Breschnew war mit der Materie also vertraut und setzte da an, wo er Chruschtschow unterbrochen hatte. Doch obwohl Breschnews Mann und Sekretär für die Landwirtschaft Kulakow schon im Dezember 1965 vorschlug, das Rentenalter der Kolchosbauern an das der Arbeiter anzupassen, konnte Breschnew sich mit dieser Linie nicht durchsetzen. Das Präsidium beschloss, die Wohltaten für die Bauern in einen ganzen Maßnahmenkatalog zur Erhöhung des Lebensstandards für die Jahre 1966–1970 einzubetten.38 Vor dem 23. Parteikongress 1966, auf dem er dem Parteivolk die Angleichung der Lebensverhältnisse von Stadt und Land verkündete, notierte Breschnew in seine Kladde: „Noch einmal erörtern, welche Kluft zwischen dem Durchschnittslohn in der Stadt und auf dem Land liegt.“39 Entsprechend verkündete er auf dem 23. Parteikongress die Wohltaten, die für den achten Fünfjahrplan vorgesehen waren: Der Mindestlohn für Arbeiter sollte auf 60 Rubel im Monat angehoben, der garantierte Lohn der Kolchosarbeiter schrittweise an den der Sowchosarbeiter herangeführt und die Lebensverhältnisse auf dem Land an die in der Stadt angeglichen werden. Preise und Steuern sollten sinken und die Fünftagewoche sollte bei 41 Stunden Arbeit für eine höhere Produktivität sorgen.40 Wie Breschnew ein halbes Jahr später auf dem Dezember-Plenum 1966 einräumen musste, waren das Versprechen, die nicht in ein bis zwei Jahren einzulösen waren, aber auch nicht gebrochen werden durften. Angesichts erheblicher Planrückstände gab es offenbar Widerstand gegen die Erhöhung der Sozialleistungen: „Ich werde keine Anspielungen machen, worüber und mit wem wir gestritten haben. Wir verurteilen das nicht. Streit ist ein natürlicher Prozess.“41 Aber da die Partei nun entschieden habe, müssten die Minister sich fügen.42 1967 sei als Jubiläumsjahr der Oktoberrevolution und angesichts der in der Bevölkerung herrschenden Meinungen und Zweifel der richtige Zeitpunkt, mehr Geld an die Bevölkerung zu zahlen.43 Tatsächlich stellte Breschnew die großzügigen Sozialreformen auf dem September-Plenum 1967 vor, das deren Umsetzung zum 1. Januar 1968 beschloss. Er verkündete die Anhebung des Mindestlohns auf 60 Rubel und großzügige Zuschläge für die Arbeiter in Fernost und im hohen Norden. Der minimale Urlaubsanspruch wuchs von zwölf auf 15 Tage, die Steuern für Niedriglöhne bis zu 80 Rubel wurden um 25 Prozent gesenkt. Das Renten-

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eintrittsalter legte der Staat für Arbeiter und Bauern einheitlich auf 60 Jahre (für Männer) bzw. 55 (für Frauen) fest, die Mindestrenten für Kolchosarbeiter wurden auf 30 Rubel angehoben, die Renten für berufsunfähige Bauern erhöht bzw. erstmals eingeführt und vieles mehr.44 Zum Schluss verkündete Breschnew den Übergang zur Fünftagewoche. Er scherzte: „Das kann ich mir nur schwer vorstellen, (Lachen) aber vermutlich muss ich mich fügen (Lachen). Zwischen mir und Alexei Nikolajewitsch [Kossygin] ist ein Streit ausgebrochen. Ich sage, das ZK soll als Erstes die zwei freien Tage einführen, aber er sagt nein, der Ministerrat fängt an.“45 Die Scherze übertünchten, dass es im Politbüro nach wie vor Zweifel gab, ob die Wirtschaft den Übergang auf die Fünftagewoche verkraften würde. Der Parteichef der Ukraine, Schelest, berichtet, er habe Breschnew klar davon abgeraten.46 Auch Breschnew schien diese Reform zu beunruhigen. In sein Notizbuch schrieb er noch im Dezember 1967: „Wie sollen wir es halten, was empfehlen in Bezug auf die Fünftagewoche, was tun mit der 41-Stunden-Woche, [es gibt] verschiedene Ansätze.“47 Dass er an der Reform und am Fahrplan festhielt, zeugt einmal mehr davon, dass Breschnew das bescheidene Wohl der Bevölkerung über einen möglichen Schaden für die Volkswirtschaft stellte. Vermutlich war es sein innerster Wunsch, auf jeden Fall entsprach es dem Image des Gönners und Fürsorgers, das er für sich beanspruchte: „Unsere Partei hat das Volk immer mit großer Achtung und großer Liebe behandelt. So wird es auch künftig sein. Und unser Volk hat diese Liebe immer mit grenzenlosem Vertrauen in die Politik unserer Partei erwidert.“48 Vier Jahre später erklärte Kossygin auf dem MärzPlenum 1971, sie hätten den Plan weit übertroffen: Der Durchschnittslohn der Arbeiter und Angestellten, der um 20 Prozent hätte wachsen sollen, sei tatsächlich um 26 Prozent gestiegen. Der Lohnzuwachs bei den Kolchosbauern liege, statt bei den anvisierten 35 bis 40 Prozent, bei 42 Prozent.49 Gleichzeitig kündigte Breschnew für den bevorstehenden neunten Fünfjahrplan weitere Lohnsteigerungen und Sozialleistungen an: Der Mindestlohn sollte um weitere zehn auf 70 Rubel steigen, die Arbeiter für den Fernen Osten und den hohen Norden sollten mit weiteren Lohnzuschlägen gelockt und die Nachtzuschläge erhöht werden. Als Ziel gab Breschnew aus, den Durchschnittslohn auf 148 Rubel bei Arbeitern und 100 Rubel bei Kolchosbauern anzuheben. Gleichzeitig versprach er großzügige Leistungen für kinderreiche Familien, Mutterschutz bei voller Lohnfortzahlung, eine weitere Rentenerhöhung für Arbeiter und Bauern sowie höhere Stipendien für Studierende.50

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Nachdem Breschnew auch dem neunten Fünfjahrplan und damit sich und der Partei hervorragende Ergebnisse bei der Anhebung des Reallohns der gesamten Bevölkerung um fast 25 Prozent bescheinigt hatte,51 kündigte er im Oktober 1976 für den zehnten Fünfjahrplan eine „neue Etappe bei der Erhöhung des Mindestlohns“ an: „Im Durchschnitt wird der Lohn der Arbeiter und Angestellten auf 170 Rubel im Monat anwachsen und der Lohn für die Kolchosarbeiter auf 116 Rubel.“52 Zusammen mit einer weiteren Rentenerhöhung versprach er die Einführung eines bezahlten einjährigen Mutterschaftsurlaubs.53 Breschnew verkündete 1971 noch eine weitere Wohltat, die einer Wiedergutmachung für die erpresserische Politik unter Stalin gleichkam: In der Zeit der Hochindustrialisierung der 1930er Jahre sowie nach dem Krieg war die Bevölkerung gezwungen worden, einen Teil ihres Lohns dem Staat als Aufbaukredit abzutreten. 1958 hatte Chruschtschow damit begonnen, einen ersten Teil zurückzuzahlen. Breschnew versicherte, die verbliebenen 25,8 Milliarden Rubel Schulden, die ursprünglich bis 1996 zurückgezahlt werden sollten, werde der Staat bis 1990 abtragen.54 Im Februar 1981 erklärte Breschnew in Hinblick auf den neuen, elften Fünfjahrplan: „Ziel unserer Sozialpolitik ist es, die Einheit unseres Volks zu stärken, die Demokratie erblühen zu lassen und die Sowjetmenschen glücklich zu machen.“55 Dieser Satz lässt aufhorchen, wenn man ihn nicht gleich als billige Propaganda abtun möchte. Man kann nur Spekulationen darüber anstellen, wie sich Breschnew die ideale sowjetische Gesellschaft vorstellte. Dass er es mit der materiellen Versorgung und dem kleinbürgerlichen Glück ernst meinte, scheint nach all seinen Reden sehr plausibel zu sein. Aber wie war das „Erblühen der Demokratie“ zu verstehen? Gemeint war keine bedingungslose Demokratie als politisches System, wie sie im Westen verstanden wurde. Demokratie meinte im sowjetischen Sprachgebrauch Mitspracherecht, Einbeziehung der Bevölkerung in administrative Prozesse und Berücksichtigung von Meinungen an der Parteibasis. Aufhorchen lässt in diesem Zusammenhang auch, was Anatoli Kowaljow, stellvertretender Außenminister zu Breschnews Zeiten, von einem Gespräch mit dem KGB-Vorsitzenden berichtete. Andropow habe Ende der 1970er Jahre geäußert, in 15 bis 20 Jahren könne sich die Parteiführung erlauben, was der Westen jetzt schon tue – mit der Meinungsfreiheit zu experimentieren, mehr Informationen und größere Vielfalt in der Gesellschaft und der Kunst zuzulassen. „Aber das wird erst in rund 15 bis 20 Jahren sein, wenn es gelungen sein wird, das Lebensniveau der Bevölkerung anzuheben.“56 Kurz: Erst wenn das Gros der

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Bevölkerung saturiert sei, könne riskiert werden, mehr Meinungsfreiheit und Partizipation zuzulassen. „Aber momentan – du stellst dir gar nicht vor, war für eine Stimmung bei uns im Lande herrscht, sagte er mir. Es kann alles den Bach runtergehen – der Lebensstandard des Volks ist extrem niedrig, das kulturelle Niveau ebenfalls, das Schulsystem ist widerlich, die Literatur … was ist das für eine Literatur?“57 Wir wissen nicht, ob Breschnew diese Meinung teilte, ob er genauso zynisch urteilte. Seine Nichte behauptet allerdings, Breschnew habe keine Illusionen mehr gehabt, was die Errichtung des Kommunismus anging,58 und habe ihr die Ausreise zu ihrem ostdeutschen Freund mit den Worten verweigert: „Erst lassen wir dich raus, dann weitere, und kaum haben wir uns versehen, bleib ich mit Kossygin allein, und auch der haut bei der ersten Gelegenheit ab.“59 Selbst wenn Breschnew nicht (mehr) an die Mission der Partei glaubte, sorgte er doch dafür, dass mit der Macht der Verzweiflung immer mehr Milliarden Rubel in die Sozialleistungen investiert wurden. Es war zumindest ein Versuch, die Bevölkerung zu bestechen, zu befrieden und mit dem politischen System zu versöhnen. Urteilt man aufgrund heutiger Erinnerungen, gelang es Breschnew, mit dem freien Samstag, dem erstmals auskömmlichen Gehalt von 120 Rubeln und dem bezahlten Mutterschaftsurlaub ein „soziales Paradies“ zu schaffen: „Erstmals in der gesamten Geschichte sagte die Sowjetmacht zu den Menschen: ‚Erhole dich‘ und forderte keinen Enthusiasmus von ihnen. Es reichte einfache Loyalität. Erstmals wurde die Sowjetmacht, die auf einem System der Unterdrückung aufgebaut war, milde“, urteilte 2008 ein Journalist.60 Auch wenn die 1970er keineswegs die satten Jahre waren, als die sie heute nostalgisch verklärt werden – beispielsweise lebten 1972 über die Hälfte aller Frauen und ein Viertel aller Männer im Rentenalter unter der Armutsgrenze –,61 waren sie eine Zeit der materiellen Konsolidierung, wenn auch auf niedrigem Niveau. Bauern zu Bürgern

Chruschtschows Lagebeurteilung von 1953 glich der Breschnews von 1964. Dieser wusste nur zu gut, wo es im Land am meisten brannte: in der Landwirtschaft. Die Agrarproduktivität erreichte nur 20 Prozent des Niveaus der USA.62 Wie sein Vorgänger nahm Breschnew als Erstes eine große Agrarreform in Angriff – noch bevor Kossygin mit der wesentlich berühmteren Wirtschaftsreform beginnen durfte. Wieder ist es nur Spekulation, aber naheliegend, dass Breschnew in

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dieser Sache stark von seiner eigenen Tätigkeit auf dem Land geprägt war, angefangen von seiner Arbeit als Landvermesser bei der Kollektivierung im Ersten Fünfjahrplan über die Zeit in den vom Krieg verwüsteten Republiken Ukraine und Moldawien bis hin zur Leitung der Neulandkampagne in Kasachstan. Er wusste aus eigener Anschauung, wie miserabel und menschenunwürdig die Kolchosbauern lebten und dass sie sich fast ausschließlich von den Erzeugnissen ihres Gartens bzw. von deren Verkauf ernährten, weil sie keinen regulären Lohn erhielten. Ihm war geläufig, dass es in den Dörfern so gut wie keine Infrastruktur und nichts zu kaufen gab.63 Wie er es selbst formulierte: Der Sozialismus war noch nicht bei der ländlichen Bevölkerung – die immerhin 40 Prozent der Sowjetmenschen ausmachte64 – angekommen.65 Für Breschnew ging es dabei nicht nur um Ausgleich und Gerechtigkeit, sondern auch um die Gesellschaftsform. Am 21. November 1969 schrieb er in sein Notizbuch: „Aber die Frage nach Demokratisierung ist abhängig von der Frage des Lebens und der Tätigkeit der Kolchosen (…). Die Fragen zum Aufschwung der Landwirtschaft hängt weniger von solchen Faktoren ab, wie – Mitglied der Gewerkschaft oder nicht – sondern, hat er einen Pass oder nicht.“66 Damit grübelte Breschnew über ein Problem, das er erst 1974 per Gesetz löste: Seit 1935 bis zum 1. Januar 1975 hatten Kolchosbauern keinen Anspruch auf Ausweisdokumente. Sie waren dadurch „Leibeigene“, die ihr Dorf nicht verlassen durften.67 „Demokratisierung“ war für Breschnew also nicht nur ein Wort, das er in Plenarreden verwendete, sondern ein Konzept, das ihn auch in seinen Gedanken umtrieb. „Demokratisierung“ meinte in diesem Zusammenhang die Ausweitung aller Rechte auf die Landbevölkerung, damit diese als vollwertige Sowjetbürger endlich auch am allgemeinen Leben teilnehmen konnte. Das März-Plenum 1965 stellte Breschnew daher ganz in das Zeichen der Landwirtschaft. Wenn in den späteren Jahren vom „MärzPlenum“ die Rede war, meinte man stets das von 1965, auf dem die Landwirtschaft reformiert worden war. Breschnew sprach sehr offen und kritisch. Obwohl der Name nicht fiel, war allen klar, dass er Chruschtschows Politik anprangerte. Es war billig, dass Breschnew die Politik der letzten Jahre als falsch angriff, denn er wusste wie alle anderen auch, dass das Hauptproblem unter Stalin geschaffen worden war. Aber seit der Absetzung Chruschtschows war noch kein Jahr vergangen, so dass er die „großen Mängel und Fehler bei der Leitung der Landwirtschaft“ anprangern musste,68 um den Wechsel zu rechtfertigen und sich selbst als Neuerer zu präsentieren. Die Preise, welche die Bauern für ihre Produkte vom Staat erhielten, deckten die Pro-

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duktionskosten nicht, so dass sich die Kolchosen und Sowchosen immer mehr verschuldeten. Die Landwirtschaftsbetriebe erhielten hohe Planzahlen vom Zentrum, aber nicht die zur Erfüllung notwendigen Maschinen bzw. genügend Benzin für die Traktoren.69 Breschnews Programm war so simpel wie revolutionär: Die Kolchosen und Sowchosen sollten erstmals so viel Geld erhalten, dass die Produktionskosten gedeckt waren und die Landarbeiter tatsächlich Löhne erhielten, von denen sie leben und noch Konsumgüter kaufen konnten. Das, was Kossygin ein halbes Jahr später für die Industrie verkünden durfte, postulierte Breschnew im März 1965 für die landwirtschaftliche Produktion: das Prinzip der Kostendeckung. Künftig sollte bei der Entscheidung von Landwirtschaftsfragen nur noch das Kriterium der objektiven Rentabilität eine Rolle spielen. Jede Form von „Subjektivismus“ – wie ideologische Entgleisungen und persönliche Fehltritte verklausuliert genannt wurden – sollte ein Ende haben.70 Stattdessen sollten künftig „materielle und moralische Stimuli“ dafür sorgen, dass die Bauern ihre Produktion steigerten.71 Die Betriebe sollten über mehr Traktoren und Reparaturwerkstätten verfügen, damit die Ernte nicht wie bisher zwei Monate dauerte und große Verluste bescherte, sondern in 20 Tagen eingebracht werden konnte. Breschnew besiegelte auf dem März-Plenum auch das Ende der Ära Trofim Lysenkos, des äußerst umstrittenen Genetikers. Dieser hatte nicht nur, unter Stalin, die Biologie ideologisiert und viele Kollegen denunziert, sondern auch, unter Chruschtschow, dafür gesorgt, dass u.a. die sowjetische Agrarforschung von der westlichen Wissenschaft abgeschnitten blieb. Breschnew selbst hatte Lysenko in Moldawien und Kasachstan konsultiert.72 Er erklärte, die Zeit der Scharlatane, Kampagnen und Zwangsmaßnahmen sei vorbei: „Wir können nicht davor die Augen verschließen, dass in vielen Fällen die demokratische Grundlage der Kolchosordnung verletzt wird.“73 Auch wenn diese Rede weit davon entfernt war, eine Generalabrechnung mit der stalinistischen Landwirtschaft zu sein, ließ Breschnew doch keinen Zweifel daran, dass er fest entschlossen war, eine neue Ära einzuleiten, in der das Dorf die gleichen Rechte wie die Stadt hatte und die Landbewohner nicht mehr als Menschen zweiter Klasse behandelt werden sollten. Gebrauchsgüter müssten auf dem Land zum gleichen, nicht überteuerten Preis wie in der Stadt angeboten werden; die Parteiorganisationen hätten die Pflicht, sich um Kultur und Alltagsbedürfnisse der Bauern zu kümmern und dafür zu sorgen, dass auf dem Land Clubs, Bibliotheken, Schulen und Geschäfte entstünden.74 Aufschlussreich ist, dass Breschnew am Ende des März-Plenums davor warnte, in der „Aufklärungsarbeit“ könne es zu Missverständnissen und Abwehr­

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reaktionen kommen, wenn man nur sage, das Lebensniveau der Bauern solle an das der Arbeiter angeglichen werden. Natürlich sollten auch die Arbeiter mehr verdienen, aber man könne nicht alles auf einmal machen.75 Anders ausgedrückt, war die Vorrangstellung der Arbeiter seit Stalins Tagen Grundlage der Politik gewesen, so dass die Abkehr von diesem Axiom behutsam vermittelt werden musste. 13 Jahre später pries Breschnew in seinem Redetext für das Juli-Plenum 1978 die historische Leistung, „erstmals in der jahrhundertelangen Geschichte tatsächlich die Bauernschaft von Ausbeutung und Armut befreit und sie in den Sozialismus integriert“ zu haben.76 Damit gab Breschnew unausgesprochen zu, dass die Bauern unter Stalin nicht als Teil der sozialistischen Gesellschaft, sondern als deren Sklaven behandelt worden waren. Breschnew hielt an dieser „dem Dorf zugewandten Politik“ bis zu seinem Tod fest. Nicht nur erhielten die Investitionen in die Landwirtschaft Priorität und wurden für den achten Fünfjahrplan (1965–1970) um ein Drittel gegenüber dem vorhergehenden Plan aufgestockt.77 Breschnew machte zeit seines Lebens den Zustand der ländlichen Regionen zur „Chefsache“.78 Nur ein Jahr nach dem MärzPlenum war das Mai-Plenum 1966 erneut der Landwirtschaft, namentlich der Bewässerung und Wasserwirtschaft, gewidmet. Auch wenn Breschnew die Hauptrede dem entsprechenden Minister überließ und sein Vorschlag, auf Flughäfen Gras für die Viehwirtschaft anzubauen, eher unqualifiziert war, sprach er sehr deutlich aus, dass das Politbüro und der Ministerrat genau über die Verbesserung der Lage wachten, da die Erhöhung der Ernteerträge wesentlich für die „Schaffung der materiell-technischen Grundlage des Kommunismus“ sei.79 Unmissverständlich kritisierte er die Minister, in deren Zuständigkeit Bodenqualität und -bestellung fielen und die sich nicht zu Wort gemeldet hatten. Wie es sein Stil war, blieb er dabei sachlich und wurde nicht ausfallend, nannte aber die Betroffenen, wie den von ihm favorisierten, gerade erst ernannten Landwirtschaftsminister und alten Gefährten aus der Ukraine, durchaus beim Namen: „Offenbar müssen Genosse Matzkewitsch und die anderen, die das betrifft, darüber mal nachdenken, nicht wahr, Wladimir Wladimirowitsch?“80 Landwirtschaft im Kalten Krieg

Breschnew rang einerseits um eine bessere Versorgung der Bevölkerung. Andererseits erhielt die Landwirtschaft zunehmend außenpolitischen Charakter, wie er zwei Jahre später, auf dem Oktober-Plenum 1968, das sich erneut mit dem

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Agrarsektor befasste, anmahnte: 1966 und 1967 hatten die Entwicklungsländer die Sowjetunion um insgesamt 500 Millionen Pud81 Getreide gebeten. „Wir konnten diese Bestellungen nur zu einem Drittel erfüllen. Sie verstehen sehr gut, Genossen, wie sich das auf den politischen Einfluss unseres Landes auswirkt und wie das die reaktionären Elemente in den Entwicklungsländern für ihre Zwecke gegen ihre progressiven Regierungen und gegen die Freundschaft und Kooperation mit der Sowjetunion ausnutzen.“82 Während die kapitalistischen Länder 95 Prozent des weltweiten Getreideexports bestritten und damit 104 Millionen Tonnen Getreide lieferten, seien die sozialistischen Staaten mit nur sieben Prozent Marktanteil dabei, sich den Einfluss der entkolonialisierten Länder zu sichern.83 Alarmierend waren die Zahlen, die Breschnew präsentierte: Während die USA in den vergangenen 15 Jahren die Ernteerträge von zwölf auf 20,8 Zentner pro Hektar hätten steigern können und inzwischen auf 1000 Hektar 63 Traktoren einsetzten, läge die Sowjetunion mit der Produktivität weit zurück: Statt der geplanten 167 Millionen Tonnen Getreide im Jahr hätten sie 1966–1968 je nur 160 Millionen eingefahren und konnten im Durchschnitt nur 15,6 Traktoren auf 1000 Hektar einsetzen.84 Während Bulgarien 20, Frankreich 13 und die USA zehn Prozent der Felder bewässerten, seien es in der Sowjetunion nur 4,5 Prozent.85 Breschnew verschloss die Augen also nicht vor der Wirklichkeit und sprach die Misere auf den Plenarsitzungen offen an, verfügte aber gleichzeitig, dass solche Passagen nicht in der Druckfassung des Protokolls erscheinen sollten, das an die ZK-Sekretäre in den Republiken und Regionen verschickt wurde.86 Anfang Februar 1968 fand er inmitten der Überlegungen zu den Entwicklungen in der Tschechoslowakei immer noch Zeit, sich ausführliche Notizen über die Düngemittelindustrie zu machen: „Wir brauchen eine Generallinie oder einen Generalplan zur Chemisierung oder für Düngemittel, was zu bauen ist und wie die Sache zu machen ist. Jetzt sieht es so aus, dass heute das eine gefragt wird und morgen gesagt wird, das nehmen wir nicht, das taugt nichts.“87 Breschnews Leidenschaft für die Landwirtschaft wurde keineswegs von allen Politbüromitgliedern geteilt, auch wenn Kritik nur selten wahrnehmbar geäußert wurde. Breschnew glaubte, die staatliche Planungsbehörde Gosplan versuche seine Zuwendungen an das Dorf zu hintertreiben, und vermutete Kossygin dahinter.88 Er beschwerte sich, dass es immer wieder vorkomme und offenbar als gerechtfertigt gelte, dass Regionen Investitionsmittel, die für das Dorf vorgesehen waren, umwidmeten. In Aserbaidschan seien 3,1 Millionen Rubel zweckentfremdet worden, um Wohnhäuser in Baku zu bauen, in Moldawien habe man

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Gelder in den Straßenbau umgeleitet und argumentiert, die Strecke führe ja durchs Dorf.89 Im Oktober 1968 wagte sich der Parteichef der Ukraine, Schelest, den Breschnew 1973 schassen sollte, mit Kritik an den enormen Summen, die in die Landwirtschaft investiert wurden, hervor, die er allerdings gut als Meinung Dritter verpackte: Unterdessen melden sich bereits hier und da Stimmen, ob es nicht an der Zeit sei, die finanziellen und materiellen Zuwendungen an die Kolchosen und Sowchosen wieder zu verringern, weil angeblich jetzt der Zeitpunkt sei, die außerplanmäßigen Zuwendungen für das Vieh einzustellen, die festen Pläne zu ändern, die Stimuli für überplanmäßige Getreideankäufe zu verringern usw.90

Doch Breschnew ließ sich davon nicht beirren und erklärte, erst müssten drei Ziele erreicht sein: die Entwicklung der Düngemittelindustrie, der Fortschritt der Landwirtschaftstechnik und die Bewässerung der Böden. Relativ deutlich warnte er seine Zweifler: „Ich denke, dass niemand unsere Geduld und Achtung herausfordern sollte. Besser akzeptieren die Genossen das, ziehen die richtigen Schlüsse und leisten dem Dorf die notwendige Unterstützung. Ich gehe davon aus, dass diese Bemerkung auf alle hier im Saal Anwesenden zutrifft.“91 Wie sehr Breschnew das Thema Landwirtschaft umtrieb, merkt man auch an seinem leidenschaftlichen Statement ein Jahr später, im Juni 1969, als er auf dem ZK-Plenum zu einer Beratung mit allen Beteiligten aus den Regionen und Kreisen einlud, um sich über die Lage der Landwirtschaft auszutauschen.92 Er machte keinen Hehl daraus, dass sich die Landwirtschaft in einer sehr schwierigen Lage befand: 1967 hatte es eine schlechte Ernte gegeben und 1968 waren der ČSSR zur Befriedung der Bevölkerung großzügige Lebensmittellieferungen versprochen worden. Außerdem hatte zugleich die Umstellung auf den garantierten Mindestlohn zur Folge, dass die Kolchosarbeiter nicht stärker zur Arbeit motiviert wurden, sondern ihr im Gegenteil nun gleichgültiger gegenüberstanden.93 Breschnew deutete das nur an: „Offenbar haben wir hier etwas übersehen.“94 Wesentlich unverhohlener äußerte sich ein Kolchosvorsitzender Anfang der 1970er Jahre: Hätten die Bauern früher nicht gearbeitet, weil sie dafür ohnehin kein Geld hätten erwarten können, so arbeiteten sie heute nicht, weil der Lohn garantiert sei.95 Dennoch warnte Breschnew vor Schwarzmalerei und Schadenfreude: „Ich möchte mich gleich korrigieren. Einige Genossen entwickeln die Meinung, dass (…) sich 1970 die Lage der Tierzucht noch verschlechtern wird.

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Ich wage zu sagen, dass das Unkenrufe sind.“96 Erstaunlich klar drückte Breschnew aus, dass ihr politisches Schicksal an der Frage hängen könnte, ob die Menschen satt würden: Wir durchleben eine sehr kritische Zeit. Wenn wir eine normale Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln nicht gewährleisten, könnten Zweifel an unserer Politik aufkommen. Die Menschen könnten unsere Politik mit praktischen Fehlern verwechseln, und ich denke, dass unsere Politik auf dem Land richtig ist, obwohl es leider praktische Fehler gibt.97

Lohn versus Leistung

Auf dem Landwirtschaftskongress, der im November 1969 stattfand und ein neues Statut für die Kolchosen beschließen sollte,98 machte Breschnew zahlreiche Einträge in sein Notizbuch. Ihn trieben drei Hauptfragen um: Zunächst ging es erneut um die wirtschaftliche Frage der Ausstattung mit Maschinen, der Bewässerung und Düngung sowie wirtschaftliche Produktionsanreize. Dann plagte ihn das politische Problem der Ausweise und damit der Freizügigkeit der Bauern, das gelöst werden musste – „aber nicht auf dem Kongress“, wie er notierte.99 Schließlich, und das war wohl die schwierigste Aufgabe, ging es um die „Erziehung der Kolchosarbeiter im Geist des Fleißes und der Sparsamkeit“.100 Breschnew drückte es nicht so aus, aber was er sich vorstellte, war eine Kulturrevolution, gelenkt durch den paternalistischen Staat: Die Bauern bekamen einen garantierten Monatslohn und Reisefreiheit, sollten das aber nicht als Impuls zur Landflucht oder zum Müßiggang verstehen, sondern als Appell an ihr Verantwortungsgefühl, nun freiwillig Planübererfüllung zu leisten. Das zu bewerkstelligen überließ Breschnew den Kreiskomitees und -verwaltungen, denn sie, so Breschnew, hätten darin Erfahrung; von „oben“ ließe sich das nicht durchsetzen.101 Damit delegierte er ein grundlegendes gesellschaftliches Problem an subalterne Kader, die daran scheitern mussten. Die Probleme blieben die gleichen und die Versorgungslage weiter angespannt. Weniger als ein Jahr später widmete Breschnew das Juli-Plenum 1970 wieder ganz der Landwirtschaft. Um keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln immer noch höchste Priorität genoss, gab er seiner Rede den Titel „Anstehende Aufgaben der Partei im Bereich der Landwirtschaft“. In ihr gestand Breschnew offen ein, dass – auch

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wenn die Lage in der Sowjetunion nichts mit den Lügengeschichten des Auslands zu tun habe – allgemein bekannt sei, dass man bei der Ernährung der Bevölkerung hinter anderen Ländern weit zurückliege, so dass die Stärkung der Landwirtschaft auch in der nahen Zukunft eines der wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Ziele bleiben werde.102 Breschnew verwahrte sich ausdrücklich gegen eine Redewendung, die sich in Parteikreisen eingeschlichen habe: „Wir haben der Landwirtschaft Hilfe geleistet.“ Dieser Ausdruck sei nur bei Hilfsleistungen für das Ausland gerechtfertigt. „Und das Problem sind nicht die Worte, sondern dass tatsächlich die Lösung dringender Fragen der Landwirtschaft als Gefälligkeit betrachtet wird.“103 Gleichwohl prangerte Breschnew selbst an, dass es in den Kolchosen die Tendenz gebe, 80 bis 90 Prozent der Bruttoeinnahmen für Lohn- und Prämienzahlungen an die Kolchosarbeiter auszugeben, um deren Einkünfte „künstlich zu erhöhen“, offenbar, um ihre Abwanderung zu verhindern; investiert werde in den Kolchosen hingegen nur wenig oder gar nichts.104 Diese Praxis bestätigte ihm der Vorsitzende Moldawiens, Iwan Bodjul, bemerkenswert offen, während normalerweise die Republikschefs ihre Planrückstände vertuschten.105 Bodjul aber erläuterte Ende 1973, dass es angesichts der größeren Planungsfreiheit gängige Praxis geworden sei, dass die Kolchosvorsitzenden und Sowchosdirektoren für ihre Organisationen niedrigere Pläne erstellten, diese dann übererfüllten und anschließend dafür Prämien kassierten, obwohl es realiter keinerlei Zuwachs gebe.106Angesichts solcher Berichte verlangte Breschnew, dass das Landwirtschaftsministerium durchsetzen müsse, dass sich die Kolchosen und Sowchosen an die Kostendeckung hielten, vorschriftsmäßig wirtschafteten und ausreichend mit Saatgut, Zuchttieren und Veterinären versorgt seien.107 Breschnew ließ auch auf dem folgenden Dezember-Plenum 1970 nicht locker und verteidigte seinen Kurs: Im Übrigen, möchte ich sagen, kann es sein, dass der Eindruck entstanden ist, dass wir in den letzten Jahren diesem Bereich [der Landwirtschaft] besonders viel Aufmerksamkeit gewidmet haben. Das ist ein richtiger Eindruck. Das ZK der Partei hat wirklich der Entwicklung der Landwirtschaft viel Aufmerksamkeit geschenkt, und ich denke dass mir die ZK-Mitglieder recht geben, dass das eine richtige und gerechtfertigte Entscheidung war.108

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Es war einmal …

Doch trotz Investitionen und Subventionen ließ sich die Lage in der Landwirtschaft nicht konsolidieren. 1971 hatte die Sowjetunion erneut mit Regenausfällen zu kämpfen;109 1972 wurde sie von einer Jahrhundertdürre heimgesucht, die so verheerend war, dass Breschnew einen Krankenhausaufenthalt verschob, um nach Sibirien und Kasachstan zu reisen und dort zu helfen.110 Er begann nicht nur, sich mit Wetterkarten, Wetterlangzeitprognosen und Klimazonen zu beschäftigen, er ließ sich auch vorlegen, wie Lenin 1921/22 auf die Dürre reagiert und welche Maßnahmen die Partei in den Jahren 1931–1933 zum Kampf mit der Trockenheit ergriffen hatte.111 Die Zahlen, die er sich von Tschernenko aus seiner Heimat Dnepropetrowsk geben ließ, waren vernichtend: Das Gebiet lieferte normalerweise über eine Million Tonnen Getreide; 1972 waren es keine 200.000 Tonnen.112 Die Sowjetunion, die seit 1962 im Durchschnitt jährlich 3,8 Millionen Tonnen Getreide einführte, kaufte 1972 25,4 Millionen, um den Ernteausfall aufzufangen.113 Dafür brachte das Jahr 1973 eine Rekordernte, die die Landwirtschaft vor neue Herausforderungen stellte, weil es nicht genügend Fahrzeuge gab, um die Ernte abzutransportieren. Das Militär sollte 45.000 LKWs zur Verfügung stellen, aber Breschnew konnte seinen Verteidigungsminister Gretschko nur zur Herausgabe von 20.000 bewegen.114 Wieder fuhr er nach Kiew, um sich dort selbst ein Bild von der Lage zu machen.115 Erneut ließ er sich Zahlen zusammenstellen, mit welchen bescheidenen Mitteln er zu seiner Zeit 1948/49 die Ernte eingebracht hatte und was für ein enormer Fuhrpark dagegen seinem Nachfolger zur Verfügung stand, der trotzdem der Lage nicht Herr werden konnte. Er notierte: „Mit W.W. Schtscherbitzki Rücksprache halten, ihn an die Vergangenheit erinnern.“116 1975 beklagte Breschnew, im ganzen Fünfjahrplan habe es nur ein Jahr, 1973, gegeben, das klimatisch nicht schwierig gewesen sei. Sie hätten Ernteausfälle in Höhe von „zig Milliarden Rubeln“ zu verzeichnen.117 Dennoch bzw. gerade angesichts der ausbleibenden Erfolge hielt sich der Unmut darüber, dass Milliarden in die Landwirtschaft flossen. Im September 1975 erhielt Breschnew eine Notiz von seinem getreuen Mitarbeiter Golikow, der resümierte, es gebe Leute wie den Leiter von Gosplan Baibakow und Boris Gostew, den stellvertretenden Leiter der Planungsabteilung des ZK, die das in der Landwirtschaft Erreichte in Frage stellten und die Ansicht verträten, die Landwirtschaft bringe keine Erträge und verschlinge nur Subventionen. In seiner gewohnt negativen Art äußerte Golikow

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gegenüber Breschnew, diese Ansichten, die im Apparat der Planungsbehörde verbreitet seien, stellten jede antisowjetische bürgerliche Zeitung in den Schatten. Es herrsche ein „Geist des Kompromittierens“, denn dort sei man der Meinung, dass es all die Probleme in den anderen Wirtschaftszweigen nicht geben würde, wenn nicht alle Ressourcen in die Landwirtschaft flössen.118 Wie Breschnew darauf reagierte, wissen wir nicht, aber auch er schien langsam zu resignieren. Laut Mletschin zog sich Breschnew Mitte der 1970er Jahre aus der Landwirtschaft zurück: Zum einen war es frustrierend, so wenig Erfolge, dafür aber Ernteausfälle, Lieferengpässe und Rückstände zu melden und ständig den Unmut der Genossen aushalten zu müssen, zum anderen lähmte ihn seine beginnende Tablettensucht mehr und mehr.119 Die Verantwortung schob er an seinen ZKSekretär Kulakow ab, der nun für die Misserfolge geradestehen musste und zunehmend Breschnews Wohlwollen verlor. Immerhin brachte das Jahr 1976 mit Rekordernten einen Lichtblick. Die Begeisterung, mit der Breschnew die Berichte über die Ernteerfolge entgegennahm, scheint echt gewesen zu sein und zeigte einmal mehr, wie wichtig ihm diese Branche war: „Das ist großartig!“, konnte er nicht mehr an sich halten, als Kunajew die Zahlen aus Kasachstan auf dem Oktober-Plenum vortrug.120 Schon 1972 hatte er, als ihm die Erntezahlen für das Jahr der Jahrhundertdürre gemeldet wurden, auf dem Schriftstück notiert: „Für dieses Jahr ist das klasse. Aufheben.“121 Mit Gorbatschow an der Seite

Erst 1978 widmete Breschnew wieder ein Plenum der Landwirtschaft. Laut Mletschin bezog er den schwer alkoholkranken Kulakow nicht mehr in die Vorbereitungen ein; Kulakow verstarb wenige Tage nach diesem Juli-Plenum.122 Breschnew postulierte den Beginn einer neuen Entwicklungsstufe in der Landwirtschaft. Nachdem Partei und Regierung auf dem Dorf neue Grundlagen für die Produktion und das Wohl der Bauern geschaffen hätten, müssten nun die investierten Mittel effizienter genutzt werden. Effektivität und Qualität seien jetzt das Gebot der Stunde. Breschnew forderte einen Durchschnittsernteertrag von 20 Zentner pro Hektar.123 Das aber war der Wert, den die USA laut seinen eigenen Angaben bereits zehn Jahre zuvor, 1968, erreicht gehabt hatten. Zwar erklärte Breschnew, die Landwirtschaft müsse weiter „materiell und technisch“ gestärkt werden, aber er schien erstmals seinen Kritikern ein Zugeständnis zu machen, als er sagte,

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auch wenn sie über die Landwirtschaft berieten, sei ihnen immer die „führende Rolle unserer Industrie“ bewusst.124 Doch Breschnew blieb bei seiner dorffreundlichen Linie. Wenige Monate später erklärte er auf dem November-Plenum 1978: „Wir müssen ein bestimmtes gesellschaftliches Klima schaffen, in dem die Angestellten der Kolchosen und Sowchosen spüren, dass sie mit der Vieh- und Geflügelzucht eine nutzbringende Staatsaufgabe erfüllen.“125 Zu seinem neuen Berater und Verbündeten in Sachen Landwirtschaft machte er Michail Gorbatschow, den er im Sommer 1978 kennengelernt hatte. Auf dem November-Plenum bestellte Breschnew ihn zu Kulakows Nachfolger als ZK-Sekretär für Landwirtschaftsfragen.126 Entsprechend schnell machte er ihn nur ein Jahr später zum Kandidaten und im Oktober 1980 zum Vollmitglied des Politbüros.127 Breschnew lobte Gorbatschow: „Er arbeitet gut, durchdringt das Spektrum an Fragen, die in seiner Zuständigkeit liegen.“128 Die Begeisterung beruhte jedoch nicht auf Gegenseitigkeit; das behauptete jedenfalls später Gorbatschow: Bei ihrem ersten Gespräch habe Breschnew ihm gar nicht zugehört und abwesend gewirkt.129 Dennoch scheint er für Breschnew als Stütze wichtig gewesen zu sein, die dieser brauchte, um sich in seinem landwirtschaftlichen Kurs nicht beirren zu lassen. Breschnew investierte wieder neue Energie in die Agrarpolitik und setzte, ebenfalls im Oktober 1980, die Einrichtung einer neuen landwirtschaftlichen Abteilung durch, die sich um den Ausbau des „agroindustriellen Komplexes“ kümmern sollte.130 Nach wie vor fehlten die nötigen Traktoren und Mähdrescher, um die Ernte einzubringen. 1980 hatte die Untersuchung von 1249 fabrikneuen Landwirtschaftsmaschinen ergeben, dass nur acht von ihnen den technischen Anforderungen entsprachen: „Ich wiederhole, Genossen, nur acht“, ereiferte sich Breschnew.131 Für den elften Fünfjahrplan ließ er daher ein umfangreiches Programm auflegen, das vor allem die Verteilung der Lebensmittel und ihre Auslieferung an den Endabnehmer optimieren sollte. Zu oft würde Getreide abgefahren, um es kurz darauf zur Verarbeitung zurückzubringen; Vieh und Milch würden über Hunderte von Kilometern transportiert, anstatt vor Ort verarbeitet zu werden, schimpfte Breschnew im November 1981. Um dem großen Verlust von Kartoffeln und Gemüse entgegenzuwirken, verkündete er den Bau neuer Speicher und Lagerhäuser.132 Noch im Mai 1982, ein halbes Jahr vor seinem Tod, präsentierte er einen Maßnahmenkatalog zur „Verbesserung der Leitung der Landwirtschaft und diverser Zweige des agroindustriellen Komplexes“, den unter Gorbatschows Leitung eine Arbeitsgruppe des Politbüros erstellt hatte. Verabschiedet wurden ein Papier zur Stärkung der Wirtschaftskraft

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der Sowchosen und Kolchosen, Maßnahmen zur „Erhöhung der materiellen Interessiertheit“ der in der Landwirtschaft Tätigen, einmal mehr Vorhaben zur Verbesserung der Wohnbedingungen und Versorgung der Landbevölkerung sowie der Einsatz von mehr Fachkräften in den Leitungen der landwirtschaftlichen Betriebe und Viehzuchtanstalten.133 Gleichzeitig zog Breschnew Bilanz: Seit dem März-Plenum 1965 habe man das Leben und Arbeiten auf dem Land grundlegend umgestaltet: „In vielen Regionen hat sich das Antlitz des Dorfes geändert. Anders ausgedrückt: Das Leben der Landarbeiter ist wesentlich inhaltsreicher und interessanter geworden.“134 Fleisch fürs Volk

Trotz seiner offiziell positiven Bilanz sah Breschnew durchaus, dass sie die zentralen Probleme nicht in den Griff bekamen, nämlich die erzielten Erträge ohne nennenswerte Verluste zum Endverbraucher zu bringen und die klimatischen Verhältnisse beherrschbar zu machen, die der Sowjetunion erneut 1979–1981 eine Dürre bescherten. Von einem Abbau der Subventionen oder gar von Rentabilität der Landwirtschaft ganz zu schweigen.135 1981 erklärte er: „Solange wir nicht lernen, das Wetter zu machen, müssen wir die Arbeit der Landwirtschaft besser an die klimatischen Launen anpassen.“136 Es muss dahingestellt bleiben, ob Breschnew als Ingenieur die Beherrschung des Wetters als reales Ziel einschätzte oder dies sarkastisch meinte. So oder so waren die klimatischen Verhältnisse ein Dauerproblem mit weitreichenden Folgen. Während Golikow an Breschnew schrieb, Sozialismus sei der „stündliche, tägliche und absolut überall geführte Kampf für die Senkung der Produktionskosten und Preise“,137 waren Preissteigerungen infolge von Ernteausfällen, mangelhafter Viehwirtschaft und unrentabler Produktion ein ständiges, das Politbüro beunruhigendes Thema.138 Besonders die Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch, aber auch mit Milchprodukten blieb Breschnews Sorgenkind. Immer wieder notierte er in seine Arbeitskladde, in welcher Republik es schlecht mit der Fleischversorgung stand.139 Wohin steigende Preise und Unzufriedenheit führen konnten, hatte man an den Aufständen gesehen: 1962 in Nowotscherkassk, 1968 in Prag und 1970 in Danzig – wo es 1980/81 erneut Streiks gab. Im Dezember 1968, nur wenige Monate nach dem militärischen Eingreifen in Prag, warnte Breschnew, in der Fleischproduktion laufe etwas gehörig schief; obwohl sie diesen Zweig mit sechs Milliarden Rubel subventionierten, sei kaum noch Fleisch in den Läden zu bekom-

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men.140 „Das ist keine einfache Frage. Das Land ist groß – 230 Millionen Einwohner. Wenn wir solche Fragen vernachlässigen und nicht rechtzeitig reagieren, dann werden wir mit schärferen Maßnahmen die Sache korrigieren müssen.“141 Vermutlich fühlte sich Breschnew an seine eigene Zeit als Sekretär in Kasachstan erinnert, als ihm nun auf dem Parteiplenum berichtet wurde, dass über den Winter 1968/69 zwölf Millionen Tiere verendet seien.142 Breschnew erregte sich: Früher hätte man den Verlust der Tiere auf fehlendes Futter schieben können, aber darauf könnten sich die Betriebe heute nicht mehr berufen. Obwohl der Staat gegenüber den Kolchosen und Sowchosen sehr „großzügig“ sei, habe es 1967/68 1,4 Millionen weniger Rinder als im Vorjahreszeitraum gegeben und auch der Schweinebestand sei um 15 Prozent zurückgegangen.143 „Aber ohne Fleisch kann man auch auf dem Land nicht leben, nicht nur in der Stadt nicht“, polterte Breschnew.144 Dabei war das Problem nicht die Zahl der Tiere, sondern der Fleischertrag. Breschnews Assistent Golikow notierte, in der Sowjetunion gebe es mehr Vieh pro Kopf als in anderen Ländern, nämlich 0,43 Tiere pro Einwohner gegenüber 0,36 in Ost- und 0,25 in Westdeutschland. Aber während in der Sowjetunion pro Stück Schlachtvieh 117 Kilogramm Fleisch erzielt würden, wären es in der DDR 198 und in den USA 214 Kilogramm.145 Auch im Dezember 1975 warnte Breschnew noch davor, die Überwinterung der Tiere nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, das Futter wirtschaftlich einzusetzen und eine Dezimierung des Bestands nicht hinzunehmen.146 Die ausreichende Produktion von Tierfutter blieb ein Thema, das Breschnew immer wieder auf den Plenarsitzungen beschwor.147 Regelmäßig hörte er von lokalen Parteisekretären, wenn er sie anrief, widersprüchliche Angaben: „In der Viehwirtschaft werden wir den Plan mit den zusätzlichen Aufgaben (…) erfüllen, Fleisch gibt es in den Läden wenig.“148 Breschnew ließ nicht locker und mahnte: „Es ist vollkommen selbstredend, dass das Wachstum der Volkswohlfahrt in der letzten Zeit zu einem starken Anstieg der Nachfrage nach Fleischwaren geführt hat.“149 Aber die Viehzucht hinke hinter dieser wachsenden Nachfrage her. Der Fleischkonsum sei von 16 Kilogramm pro Kopf im Jahre 1965 auf 57 Kilogramm im Jahre 1977 gestiegen.150 Bis 1990 sollte er auf 70 Kilogramm steigen.151 Doch angesichts der Tatsache, dass 1977 22 Prozent der Betriebe ihren Plan zur Fleisch- und Geflügelproduktion nicht erfüllt hatten,152 resümierte Breschnew: Wenn sie in den ersten drei Jahren des Fünfjahrplans weiter so wenig Fleisch produzierten, wären in den letzten zwei „furchtbare Tempi“ nötig, um die Planvorgaben noch zu

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erreichen.153 Dabei subventionierte der Staat 1975 die Fleisch- und Milchproduktion mit 19 Milliarden Rubel, während deren Umsatz bei insgesamt 28,7 Milliarden Rubel lag. Für den gesamten Fünfjahrplan 1976–1980 waren 100 Milliarden Rubel Subventionen vorgesehen.154 Breschnew kommentierte: „Die Hauptsache ist es, ein spürbares Wachstum der Produktion von Fleisch, Milch und anderen tierischen Erzeugnissen zu erreichen.“155 Angeblich sagte Breschnew zu Gorbatschow, als er diesen ins Politbüro wählen ließ: „Kümmere dich ums Fleisch. Das ist deine Hauptaufgabe. Dafür hat man dich gewählt.“156 Lebensmittelimport

Trotz aller Versuche, die landwirtschaftlichen Erträge zu steigern und die Logistik besser zu organisieren,157 blieb Breschnew, wie schon Chruschtschow, als Ultima Ratio nur der Einkauf von Lebensmitteln im Ausland. 1968 stimmte er dem Vorschlag des Landwirtschaftsministers zu, im Ausland die Ausstattung für zehn Schweinezuchtstationen zu je 1,2 Millionen Goldrubel zu kaufen, die je bis zu 12.000 Tonnen Schweinefleisch im Jahr produzieren sollten. Darüber hinaus orderte die Sowjetregierung zehn Kraftfutterfabriken und drei Zuchtstationen für Kalbfleisch.158 Im August 1971 stimmte das Politbüro kollektiv dafür, in Kanada vier Millionen Tonnen Weizen einzukaufen.159 Anfang 1972 riet Kulakow Breschnew, er solle dem Handelsministerium und Gosplan auftragen, mit den USA ein langfristiges Abkommen über den Ankauf von Soja abzuschließen, da sie Soja dringend für die Tierzucht bräuchten und die bisherigen Einkäufe im Ausland nicht ausreichten.160 Nach dem Abschluss der Moskauer Verträge mit Nixon staunte die Weltpresse im Juli 1972, dass die Sowjetunion für 750 Millionen Dollar Futtermittel in den USA einkaufte, während Breschnew verfügte, so lange er lebe, werde das nicht offiziell bekannt gegeben.161 Am 16. Mai 1979 notierte Breschnew: „Habe ein Dokument Kossygins unterschrieben über den Ankauf von Fleisch – Speiseöl im Ausland“.162 1980 meldete Handelsminister Nikolai Patolitschew an Breschnew, sie hätten gerade ein Abkommen mit Argentinien geschlossen, das bis 1985 die jährliche Lieferung von vier Millionen Tonnen Mais und anderem Getreide sowie 0,5 Millionen Tonnen Sojabohnen vorsehe. Zudem bezog die Sowjetunion in diesem Jahr 2,2 Millionen Tonnen Getreide aus den USA, 1,5 Millionen aus Argentinien, 1 Million aus Australien und weitere Lieferungen aus Kanada, Ungarn, Rumänien163 sowie 100.000 Tonnen Zucker zum Preis von 30 Millionen Dollar.164 Im Mai 1982, auf dem Höhe-

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punkt der neuen außenpolitischen Eiszeit, mahnte Breschnew an, die Importe aus dem kapitalistischen Ausland auf Ankäufe aus den Bruderstaaten umzustellen, da „die Führungen einiger Staaten versuchen, gewöhnliche kommerzielle Operationen, wie z.B. den Verkauf von Getreide, als Druckmittel auf unser Land, als politische Waffe einzusetzen.“165 Breschnew nahm es also nicht nur in Kauf, dass das Land Milliardenbeträge in Subventionen für die Landwirtschaft investierte, sondern auch, dass es sich zusätzlich von Importen abhängig machte und dafür seine Devisen opferte. Da er weder Hunger oder Unmutsrevolten riskieren noch zu stalinistischen Methoden des Drohens, Verhaftens und Erschießens greifen wollte und die Probleme der Landwirtschaft nicht als strukturelles Problem begriff, trieb er diesen Sektor in ein immer größeres Dilemma. Gorbatschow sollte es von ihm erben – und daran scheitern.

Kurs auf Konsum Breschnews Mutter hatte für ihren Sohn den Traum vom kleinbürgerlichen Glück geträumt. Der Wunsch nach einem gewissen Komfort, bestehend aus den eigenen vier Wänden, ein paar Möbeln und Haushaltsgegenständen, bei großem Glück noch einem Auto und einer Datsche, war das, was Breschnew offenbar seinen Landsleuten erfüllen wollte. Breschnews oft belächelte oder auch als zynisch dargestellte Losung „Wir müssen uns aufmerksam und fürsorglich um den Menschen kümmern“166 meinte er offensichtlich ernst. Die industrielle Produktion sollte sich nach den Bedürfnissen der Menschen richten und dafür sorgen, dass sein Versprechen, dass alle in Ruhe und Frieden leben und arbeiten konnten, in Erfüllung ging. Das hieß zum einen, die bereits unter Chruschtschow vollzogene Kurskorrektur weg vom Primat der Schwerindustrie, hin zum Ausbau der Leichtindustrie fortzusetzen und zu intensivieren. Zum anderen sollte die Industrie endlich kostendeckend produzieren. Die Lage der Wirtschaft stellte sich 1964 zwar nicht ganz so dramatisch wie die der Landwirtschaft dar, war aber gravierend genug. Das Problem, dass der Staat wesentlich mehr investierte, als an Warenwert erzeugt wurde, war infolge von Breschnews Subventionspolitik in der Landwirtschaft erst im Entstehen, zeigte sich jedoch in der Industrie bereits in voller Blüte. Daher hieß das Zauberwort der Stunde, das Breschnew zusammen mit Premier Kossygin als neues Produktionsprinzip einführte, „Chos-

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rastschjot“ – Kostendeckung. Dafür sollten die Betriebe eine gewisse Planungsfreiheit sowie die Möglichkeit bekommen, einen Teil des Erlöses selbst zu reinvestieren und mit Lohnprämien Anreize für die Arbeiter zu schaffen. Kossygins Wirtschaftsreform

Es ist also nicht richtig, wie zu Zeiten geschlossener Archive lange Zeit spekuliert wurde, dass Kossygin die Wirtschaftsreform mit Gewalt gegen Breschnew durchsetzen musste oder dass dieser versucht hätte, sie zu stoppen.167 Das bedeutet nicht, dass es keinen Widerstand gegen die bereits im September 1962 veröffentlichten Ideen des Charkower Wirtschaftsprofessors Jewssei Liberman gegeben hätte, die Planwirtschaft zu liberalisieren.168 Aber zu den Skeptikern gehörten Podgorny oder auch die Ministerialbürokratien, die um ihren Einfluss fürchteten, während Breschnew und Kossygin an einem Strang zogen.169 Breschnew selbst war als ZK-Sekretär 1957 daran beteiligt gewesen, Empfehlungen dazu auszuarbeiten, wie man den Direktoren von Betrieben und Unternehmen mehr Freiheiten beim Wirtschaften und bei der Rechenschaftspflicht lassen könne. Schon damals war erwogen worden, was später, 1965, mit der Reform eingeführt wurde: Die Direktoren sollten nur wenige Vorgaben bekommen, die das finanzielle Volumen der Produktion, die Produktmenge und den Stückpreis sowie die Höhe der Rückstellungen und die Höhe der Lohnzahlungen festlegten. Im Rahmen dieser Kennziffern sollte jeder Direktor frei von allen anderen Auflagen planen und entscheiden können.170 Auf dem September-Plenum 1965 musste Breschnew Kossygin den Hauptvortrag überlassen. Das ZK beschloss, die zentrale Planungsbehörde Gosplan von allen Detailplanungen zu entlasten und die Organisation der Produktion auf Grundlage der bereitgestellten Mittel den Wirtschaftsleitern zu überantworten. Diese durften Löhne und Prämien so verteilen, dass die Belegschaft Anreize bekam, Pläne nicht nur zu erfüllen, sondern auch hochwertige Produkte abzuliefern. Wie Breschnew im Fall der Landwirtschaftsreformen nannte Kossygin als Motiv für die Neugliederung der Wirtschaft die Anhebung des Lebensstandards.171 Und ganz ähnlich wie Breschnew im März für die Landwirtschaft präsentierte er auf dem September-Plenum 1965 für die sowjetische Wirtschaft eine schonungslose Analyse, die in ihren kritischsten Passagen allerdings nicht zum Druck freigegeben war: Das Bruttosozialprodukt sank, ebenso die Industrieproduktion. Während 1958 mit einem investierten Rubel in der Industrie noch 95

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Kopeken Wertschöpfung hatten erzielt werden können, wurden 1964 nur noch 83 Kopeken je Rubel erwirtschaftet.172 Je geringer aber das Bruttosozialprodukt sei, desto weniger stehe für die Erhöhung des Lebensstandards zur Verfügung, kritisierte Kossygin. Das Wachstum jedoch sank: von 6,5 Prozent in den Jahren 1956–1960 auf nur noch 4,6 Prozent in den Jahren 1961–1965.173 Während man in den kapitalistischen Staaten überall Wachstum beobachte, bleibe die Sowjetunion hinter ihren eigenen Planvorgaben zurück. Das Hauptproblem sei, wetterte Kossygin, dass Ressourcen nicht effizient genutzt würden, so dass ein überproportional hoher Anteil des Bruttoinlandsprodukts für Neuinvestitionen verbraucht würde, nämlich an die 40 Prozent, während die USA dafür nur 20 Prozent aufbrächten. Die Produktivität der UdSSR liege zwei- bis zweieinhalbmal niedriger als die der USA. Das durchschnittliche Volkseinkommen der Sowjetunion betrage nur 53 Prozent desjenigen der USA und 74 Prozent des westdeutschen.174 Das Bild der sowjetischen Wirtschaft, das Kossygin in seiner Rede zeichnete, war ungeschönt und ernüchternd. Es gebe ein Missverhältnis zwischen der Schwerindustrie, in der Sowjetunion „Gruppe A“ genannt, und der Leichtindustrie, „Gruppe B“. Dennoch bleibe auch die Schwerindustrie zurück, habe die Bauwirtschaft große Probleme und die Außenhandelsbilanz sei negativ: Zu viel Ausrüstung werde im Ausland eingekauft, zu wenig fertige Produkte würden ausgeführt. Der Export bestehe nach wie vor zu einem Großteil aus Rohstoffen, weil die heimischen Maschinen mit kapitalistischen Produkten nicht konkurrenzfähig seien: „Das liegt sowohl an Fehlern in den Konstruktionsplänen als auch an der Qualität der Fertigung.“175 In der folgenden, sehr lebhaften Debatte, die sich drei Tage hinzog und auch die Kommission zur Erarbeitung des Resolutionsentwurfs beschäftigte, stellte niemand den kritischen Zustand der Wirtschaft in Frage. Die Diskussion konzentrierte sich ganz darauf, welche Branchenministerien auf welcher Ebene neu zu schaffen wären. Wie Breschnew und Kossygin am Ende verkündeten, werde nun eine kombinierte „Zentralisierung und Demokratisierung“ vorgenommen:176 Die unter Chruschtschow eingeführten lokalen Volkswirtschaftsräte wurden zugunsten der Zentralministerien in Moskau wieder aufgelöst. Gleichzeitig richtete man Branchenministerien nun auch auf Republiksebene ein.177 Breschnew und Kossygin waren sich darin einig, dass mit der richtigen Organisationsform und dem richtigen Anreizsystem die Probleme zu bewältigen wären. Und doch sprach aus Breschnews Rede ein ganz anderer Geist. Während sich in Kossygins Rede der Wirtschaftsanalytiker offenbarte, der ein dichtes Zahlengerüst präsen-

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tierte, blieb Breschnew der Parteipolitiker, der in groben Zügen ein wesentlich tröstlicheres Bild entstehen ließ: Es ginge nicht darum, dass die Wirtschaft grundsätzlich schlecht arbeite, immerhin sei man die Nummer zwei in der Welt, in manchen Branchen quantitativ sogar die Nummer eins. Für Breschnew war es nur eine Frage der richtigen Planung, die Vorzüge der sozialistischen Wirtschaftsweise voll zum Tragen zu bringen. Man müsse nur Parallelinstitutionen abschaffen, gutes Führungspersonal einsetzen und für die Arbeiter wirksame Anreize bieten, und schon wären die momentanen Mängel beseitigt.178 Breschnew und Kossygin stimmten darin überein, dass der staatlichen Planungsbehörde Gosplan eine neue Rolle zufiel: Sie sollte als unangreifbare Instanz über alle Pläne wachen, dabei aber keineswegs Planzahlen diktieren, sondern sich durchaus mit den Regionen beraten. Weder solle es starre, unrealistische Vorgaben von oben noch von lokalen Interessen geleitete Minimalpläne von unten geben. Die künftigen Planzahlen sollten nicht willkürlich festgelegt, sondern an wissenschaftlichen Prognosen orientiert werden und das Ergebnis „schöpferischer“ Arbeit bei Gosplan sein.179 Im September 1965, noch kein ganzes Jahr nach der Absetzung Chruschtschows, war sich das Parteipräsidium unter Breschnew keineswegs sicher, wie die Bevölkerung die erneuten Umstrukturierungen aufnehmen würde. Daher startete das ZK eine unionsweite Werbe- und Aufklärungskampagne in sämtlichen Medien und mit Emissären, die in den Betrieben die Beschlüsse des September-Plenums erläuterten.180 Außerdem ließ sich das ZK vom KGB berichten, wie die Werktätigen in den Republiken und Regionen auf die Abschaffung der Volkswirtschaftsräte, die Neueinrichtung von Ministerien und die Kompetenzerweiterung der Direktoren reagierten. Der Bericht förderte zutage, dass es besorgte Stimmen gab, ob die Reformen nicht zu Missbrauch einlüden, etwa bei der Festlegung des Gehalts für Arbeiter und Ingenieure und bei der Abnahme von mangelhaften Waren. Man frage sich, ob dies nicht nur eine weitere sinnlose Reorganisation sei, von der man in einigen Jahren wiederum verkünden werde, sie sei gescheitert. Große Skepsis werde im Hinblick auf das Versprechen geäußert, dass sich das Leben der Bevölkerung bessern werde.181 Wohnungen und Waschmaschinen

Breschnew und Kossygin standen also unter Druck, der Bevölkerung zu beweisen, dass die Reformen ihr greifbare Vorteile, z.B. in Form von Konsumgütern,

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brachte.182 Der 23. Parteikongress beschloss, dass die Konsumgüterindustrie „Gruppe B“ im folgenden Fünfjahrplan 43 bis 46 Prozent gegenüber zuvor 36 Prozent des Wirtschaftsvolumens erreichen sollte.183 Gosplan bekam den Auftrag, für den gesamten achten Fünfjahrplan die Produktion von Konsumgütern im großen Stil zu erhöhen, die Dienstleistungen für die Bevölkerung auszubauen und den Wohnungsbau weiter zu intensivieren.184 Besonders der Dienstleistungssektor galt als vollkommen unterentwickelt. 1965 wurden in der Sowjetunion pro Einwohner ein Drittel Paar Schuhe repariert, ein Fünftel Kleidungsstück chemisch gereinigt und zwei Kilogramm Wäsche pro Städter gewaschen, während in der DDR pro Kopf 2,5 Paar Schuhe repariert, 6,8 Kilogramm Wäsche gewaschen und 1,3 Kleidungsstücke gereinigt wurden, ganz zu schweigen von England, wo pro Person 33 Kilogramm Wäsche gewaschen wurden.185 Eine ­Produktion von Waschmaschinen, Kühlschränken und ähnlichen Gebrauchsgegenständen gab es zur Zeit von Breschnews Amtsantritt praktisch nicht.186 Also studierten Fachleute die Qualitäts- und Leistungsunterschiede von Waschmaschinen der Firmen Westinghouse, Bosch, Miele u.a., um auf dieser Grundlage Lizenzen für deren Nachbau zu erwerben.187 Um bis 1968 im ganzen Land 1000 Wäschereibetriebe einzurichten, verpflichtete Gosplan sogar das Luftfahrtministerium, 700 solcher Anlagen in Flugzeugfabriken zu fertigen und deren Montage zu überwachen; die Prototypen sollten in Westdeutschland und Großbritannien eingekauft werden.188 Als genauso bedeutsam erachtete Breschnew die Versorgung der Bevölkerung mit menschenwürdigem Wohnraum. 1960 lebten nur 40 Prozent aller Sowjetbürger in einer eigenen Wohnung; die meisten wohnten äußerst beengt mit der ganzen Familie in einem einzigen Zimmer in einer Kommunalwohnung, also zusammen mit mehreren anderen Familien, die sich Küche und Bad teilten, so wie auch Breschnew in den 1930er Jahren gelebt hatte.189 Die Anstrengungen beim Wohnungsbau zogen sich wie die Investitionen in die Landwirtschaft ohne Unterbrechung durch Breschnews gesamte Herrschaftszeit. Auch im neunten Fünfjahrplan (1971–1975) sollten an die 575 Millionen Quadratmeter neuer Wohnraum entstehen.190 1980 verkündete Breschnew, schon 80 Prozent der Stadtbevölkerung wohnten in einer eigenen Wohnung; das war gegenüber 1960 ein Zuwachs von 40 Prozent bzw. eine Verdoppelung. Der Bau von Wohnungen genieße weiterhin erste Priorität. Aber in Breschnews Erfolgsmeldung wurden auch die Probleme sichtbar: Obwohl für den Wohnungsbau 1,5 Milliarden Rubel mehr ausgegeben worden waren als veranschlagt, hinkte die Fertigstellung mit

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530 Millionen Quadratmetern für den zehnten Fünfjahrplan (1976–1980) hinter den Zahlen für die erste Hälfte der 1970er Jahre um fast acht Prozent hinterher.191 Leere Läden

So wie Breschnew immer wieder beschwor, es sei die höchste Pflicht aller lokalen Parteikader, sich persönlich um den Wohnungsbau zu kümmern,192 so wurde er auch nicht müde zu betonen, dass die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern erstrangige Bedeutung habe: „Offenbar ist es uns immer noch nicht gelungen, die Ansicht vollständig auszurotten, dass die Produktion von Gebrauchsgütern zweitrangig sei. Es haben immer noch nicht alle verstanden, dass hier die Rede von einer Sache von größter politischer und ökonomischer Bedeutung ist, im Rang einer Richtungsentscheidung unserer Partei.“193 Breschnew hatte zum einen damit zu kämpfen, dass lokale Parteivorsitzende eigenmächtig versuchten, die Planzahlen im Wohnungsbau und bei der Konsumgüterindustrie zu senken, weil sie die von Gosplan vorgegebenen Normen für unrealistisch hielten.194 Zum anderen legten auch Gosplan und Kossygin ihm zuweilen Zahlen vor, die ihn erzürnten, weil sie sich offenbar eher am Realisierbaren als an seinen Wunschvorstellungen orientierten. Auch Breschnew kannte allerdings die aktuellen Wirtschaftsdaten, die offenbarten, dass das Wirtschaftswachstum nicht nur insgesamt hinter dem Plan zurückblieb, sondern insbesondere die Konsumgüterproduktion stockte. Während im neunten Fünfjahrplan (1971–1975) die Schwerindustrie um 46,3 Prozent hatte wachsen sollen und nach offiziellen Zahlen immerhin um 44,7 Prozent expandiert war, blieb die Leichtindustrie mit 37,6 Prozent statt angestrebter 48,6 Prozent deutlich hinter dem Ziel zurück.195 Das führte zu dem Problem, dass die Menschen in Stadt und Land zwar immer mehr Geld zum Ausgeben hatten, aber immer weniger Waren in den Läden vorfanden. Für Breschnew war das aber noch lange kein Grund, die Pläne zu korrigieren. Im Gegenteil, er forderte mehr Einsatz und stärkere Disziplin. Als Gosplan 1977 vorschlug, zur Schließung dieser Lücke zwischen Angebot und Kaufkraft, die mit 12 Milliarden Rubel beziffert wurde, auf weitere Lohnsteigerungen zu verzichten, Prämien zu streichen und Preise für Wein, Tabak und Taxifahrten zu erhöhen, reagierten Breschnew und seine Mitarbeiter ungehalten: Im Jahr 1977, in dem sie 60 Jahre Oktoberrevolution feierten, seien Einschnitte

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bei der Versorgung der Bevölkerung undenkbar. Statt zu kürzen und zu streichen, sollten die Pläne erfüllt, von jedem Ministerium zusätzliche Kühlschränke, Waschmaschinen, Radiogeräte und Fernseher produziert sowie weitere Waren im Ausland eingekauft werden.196 Zugunsten eines ausgeglichenen Haushalts und realistischer Pläne Abstriche beim Volkswohl zu machen war für Breschnew keine Option. Weder war das mit seinem Image zu vereinbaren noch das Risiko von Unzufriedenheit und Aufruhr tolerierbar. Diese Linie musste er aber immer wieder von Neuem verteidigen. Im November 1978 wetterte Breschnew im Politbüro: In drei Jahren sei insgesamt eine Milliarde Rubel weniger als bereitgestellt in die Konsum­ güterindustrie investiert worden und der Plan für das folgende Jahr sei eigenmächtig um 200 Millionen abgesenkt worden. Offenbar glaubten einige Wirtschaftsplaner, mit den Mitteln für die „Gruppe B“ nach Belieben Finanzlöcher in anderen Branchen stopfen zu können, so Breschnew.197 Ein Jahr später prangerte er auf dem November-Plenum an, dass sich die Klagen aus der Bevölkerung mehrten, weil es zu Engpässen bei einigen Waren komme, „die aus irgendeinem Grund als ‚Kleinigkeiten‘ bezeichnet werden: einfache Medikamente, Seife, Waschpulver, Zahnbürsten und -pasta, Nadeln, Garn, Kinderwindeln und andere Gebrauchsgüter.“198 Verärgert rief Breschnew aus: „Das, Genossen, ist unverzeihlich.“ 199 Angesichts mangelnder Qualität wie fehlender Quantität stimmten sowohl Breschnew als auch Kossygin immer wieder dafür, Waren aus dem sozialistischen und kapitalistischen Ausland einzuführen. Besonders zu den Feiertagen im Mai und im November wollte die Parteiführung die Menschen mit zusätzlichen Importwaren beglücken, um damit etwa den Jahrestag der Revolution mit einem positiven Konsumerlebnis zu verknüpfen.200 Allein im 50. Jubiläumsjahr der Oktoberrevolution, 1967, orderte Handelsminister Alexander Strujew Kleidung und Schuhe im Wert von rund 1,5 Milliarden Rubel in den sozialistischen Bruderstaaten.201 Da deren Produktionskapazitäten damit aber erschöpft waren, während sich in der Sowjetunion die Läden schnell leerten, stellte das ZK weitere 112 Millionen Rubel zur Verfügung, um Bekleidung und Zitrusfrüchte im kapitalistischen Ausland, u.a. in England, Frankreich, Italien und Westdeutschland, zu bestellen.202 Doch auch das reichte nicht, und Handelsminister Strujew bat um die Freigabe weiterer Millionen, um im Ausland weiter einkaufen zu können.203 Für die Konsumbedürfnisse der Bevölkerung wurden sogar die Goldreserven angetastet. So erkundigte sich Kossygin 1972 bei Breschnew, ob er 100

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Tonnen Gold verkaufen dürfe, um Geld für den Import von Gebrauchswaren zu haben.204 Ein Auto als Mitgift

Schließlich widmete sich Breschnew einem Thema, das aufs Engste mit einer seiner persönlichen Leidenschaften verbunden war. Allerdings empfand auch Kossygin, es sei höchste Zeit, sich von Chruschtschows Diktum, der Sowjetmensch solle Bus und Bahn fahren, abzuwenden und die individuelle Automobilität zu fördern.205 Kossygin ereiferte sich im März 1965 auf einer Sitzung von Gosplan: „Sie wissen, mit welcher Hartnäckigkeit die Idee vertreten wurde, es gebe in unserem Land keinen Bedarf, die PKW-Industrie zu entwickeln. Alle Menschen sollten offenbar nur Bus fahren. Es wurde alles getan, um den Leitern selbst der großen Betriebe und Wirtschaftsorganisationen das Recht auf die Nutzung eines Wagens zu nehmen. Ist das etwa korrekt? Das führte schließlich dazu, dass viele Leiter gezwungen waren, illegal Lastfahrzeuge für ihre Dienstfahrten zu verwenden.“206 Die gleiche Passion spiegelten auch Breschnews Äußerungen wider: „Ich muss sagen, (ganz gleich ob wir es schaffen oder nicht) wir orientieren uns an Produktionszahlen, die die Nachfrage der Bevölkerung befriedigen sollen (das Auto hält auch die Jugend davon ab, Blödsinn zu machen).“207 Weder die früher akzeptierte Jahresproduktion von 210.000 PKWs noch die jetzt vorgeschlagene Produktionsmenge von 700.000 sei zufriedenstellend: „Wir stellen die Aufgabe von einer Million PKWs.“208 Breschnew schwärmte, es werde eine große Nachfrage geben, und wenn nur ein oder zwei PKWs in einem Dorf landeten, sei das schon ein großer Erfolg, da es dort zurzeit überhaupt keine Autos gebe. „Ganz zu schweigen davon, dass sich ein Vorarbeiter ein Auto kauft. Oder, sagen wir, ein junges Mädchen heiratet, und die Eltern entscheiden sich, ihr nicht eine Truhe als Mitgift zu geben, sondern ihr ein Auto zu schenken – das ist die moderne Mitgift.“209 Da die heimische Produktion nicht nur minimal, sondern auch minderwertig war,210 schloss die Sowjetregierung unter Kossygin im August 1966 ein Abkommen mit der Firma Fiat über den Bau eines Autowerks in der Stadt Togliatti an der Wolga, das am Tag 2000 und im Jahr 600.000 Autos produzieren sollte, wie Breschnew im Dezember 1966 stolz auf dem ZK-Plenum verkündete.211 Wie sehr ihm an diesem Werk lag, verrät ein Eintrag in sein Notizbuch vom Juni 1967: „Sachverständigengutachten zur Fabrik in Togliatti – wie ist die Frist, werden wir

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es schaffen?“212 Im Januar 1970 riet Breschnews Assistent Jewgeni Samoteikin, angesichts der großen Nachfrage nach den PKWs, die immer noch ein Luxusgut der Eliten seien, und der 30.000 Personen, die sich in Moskau derzeit auf der Warteliste befänden, künftig zehn bis 15 Prozent der hergestellten Fahrzeuge für Bestarbeiter zu reservieren, die auf Empfehlung der Betriebsleitung ein Sonderkaufrecht samt staatlichem Kredit erhalten sollten. Das, so Samoteikin, hätte zwei positive Effekte: Die Werktätigen hätten einen Anreiz, um produktiver zu arbeiten, und sie würden weniger Geld für Wodka ausgeben, weil sie auf das Auto sparten.213 Nachdem das Werk in Togliatti 1970 in Betrieb gegangen war, produzierte die Sowjetunion 1972 erstmals mehr PKWs als LKWs.214 1977 gab es insgesamt fünf Millionen PKWs für rund 250.000 Millionen Menschen, also einen Wagen auf 50 Personen, während in den USA und Westdeutschland 500 Autos und in der DDR immerhin noch 206 Autos auf 1000 Einwohner kamen.215 Das Auto blieb ein heiß begehrtes, rares Luxusgut mit langen Wartezeiten.

Breschnew contra Kossygin und Gosplan Die Entwicklung der Wirtschaft war aber nicht nur für das Wohl der Menschen und das Image Breschnews entscheidend. Sie war auch der „Kampfplatz“, auf dem er seine Rivalität mit Kossygin austrug. In der Landwirtschaftspolitik fühlte sich Breschnew immer wieder zu Rechtfertigungen und Ermahnungen genötigt; dort war er ein Getriebener, der die Lage nie ganz in den Griff bekam. Was aber die Wirtschaft betraf, war Breschnew in einer anderen Rolle: Er trieb Kossygin, der als Premier für die Wirtschaft verantwortlich zeichnete, mit den ausbleibenden Erfolgen vor sich her und ließ keine Gelegenheit aus, um dessen Minister zu schelten und ihnen Versäumnisse vorzuwerfen. Es gibt weder von Breschnew noch von Kossygin bekannte Aufzeichnungen oder Äußerungen, aus denen sich schließen ließe, woher ihre Rivalität rührte. Viele Weggefährten beteuern, die beiden seien diametral entgegengesetzte Persönlichkeiten gewesen: hier der kontrollierte, asketische, intellektuelle, stets beherrschte, kleine und verknittert wirkende Kossygin mit der Ausstrahlung eines „Zwiebacks“216 – dort der lebhafte, keinem Genuss abgeneigte, bodenständige, joviale, großgewachsene und imposante Breschnew. Breschnew, so heißt es, habe Kossygins Intellekt geschätzt, aber auch gefürchtet und sich über Kos-

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sygin geärgert.217 Er sei eifersüchtig auf dessen Erfolg und natürliche Autorität gewesen.218 Kossygin stand für den Typ des kontrollierten Parteikaders, der auch Suslow war, ohne dass sich Ersterer aber wie Letzterer freiwillig und eindeutig Breschnew untergeordnet hätte. Als Breschnew im April 1973 den Lenin-Friedenspreis verliehen bekam und sämtliche Redner auf dem Parteiplenum Breschnew gratulierten, ihn für seinen persönlichen Beitrag zur Friedenspolitik lobten und ihm schmeichelten, war Kossygin der Einzige, der kein Wort über diese Preisverleihung verlor und nicht gratulierte.219 Allerdings lernte Kossygin im Lauf der Zeit offenbar seine Lektion und passte sich an. Seine folgenden Reden auf den Plenarsitzungen schmückte er mit den seit 1973 üblichen Schmeicheleien und verbalen Verbeugungen vor Breschnew.220 Einerseits gab es also persönliche Antipathien, andererseits befanden sich die beiden durch ihre Ämter in einer strukturellen Konkurrenz um die Macht im Staat, die nicht entschieden war, bis Breschnew 1977 eindeutig in die Verfassung schreiben ließ, die Partei lenke die Regierung, und sich damit gleich doppelt über Kossygin stellte: als Generalsekretär mit Weisungsbefugnis und als neu gewählter Staatspräsident, der die Regierung formal einsetzte. Doch ungeachtet der gegenseitigen Abneigung und des Machtkampfs vertraten sie politisch die gleichen Reformideen. 1965 reichte der gemeinsame Wille, der Wirtschaft neues Wachstum, den Direktoren mehr Autonomie und den Werktätigen mehr Konsum zu verschaffen, sogar noch für gemeinsame Personalentscheidungen. Breschnew und Kossygin waren sich einig, dass die Reform nur mit einem neuen Leiter von Gosplan durchzusetzen sei: Kossygin, weil er seinen von Chruschtschow geschassten Gefolgsmann Nikolai Baibakow an dieser Schlüsselstelle brauchte, Breschnew, weil ihm jede Revision von Chruschtschows Personalien recht war. Im Herbst 1965 baten sie gemeinsam Baibakow, auf seine alte Arbeitsstelle zurückzukehren.221 Breschnew sah Baibakow als Mann Kossygins, den er duldete, kritisierte, aber offenbar, ähnlich wie Kossygin, wegen seines Fachwissens respektierte.222 Erst Gorbatschow schickte Baibakow in Rente. In der für ihn typischen Konstanz ließ Breschnew jedes Jahr auf dem Dezember-Plenum zunächst Gosplan-Chef Baibakow und Finanzminister Wassili Garbusow die Planzahlen bzw. Finanzdaten für das kommende Jahr vortragen, bevor er selbst seinen Teil des Rituals erfüllte und Planrückstände und Missstände in den Ministerien anprangerte. Was oft als Streit oder Konflikt zwischen Regierung und Partei dargestellt wurde, resultierte tatsächlich aus der persönlichen Rivalität zwischen Kossygin und Breschnew, die ihre Entourage in den jeweili-

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gen Apparaten untergebracht hatten. Dies war kein institutioneller Konflikt, sondern die Konkurrenz zweier Patrone, die sich in Persönlichkeit und Problemlösungsstrategien stark unterschieden. So sehr sich Breschnew einerseits wünschte, erster Mann auch der Regierung zu sein, so große Genugtuung, scheint es, hat es ihm andererseits bereitet, formal nicht für die Wirtschaft verantwortlich zu sein und alle Jahre wieder auf dem Dezember-Plenum Kossygin und die entsprechenden Minister für die Fehlschläge tadeln und bloßstellen zu können.223 So gesehen war das eine für Breschnew sehr bequeme Aufgabenteilung: Er predigte Effizienz, Disziplin und Verantwortungsgefühl, während Kossygin Ressourcenverschwendung, Rückstände und nicht erfüllte Pläne vermelden musste. Baibakow berichtet, dass Breschnew auch auf den Politbürositzungen, auf denen er die Jahrespläne für Gosplan vorstellte, mit den Jahren zunehmend ungehalten reagiert habe, wenn er und Kossygin von Problemen, Rückständen und unerfüllbaren Plänen berichteten.224 Höhepunkt dieser Entwicklung sei die Sitzung am 2. April 1975 gewesen, als sich Breschnew am Ende des sehr schwierigen, da von drei Dürrejahren geprägten neunten Fünfjahrplans beschwerte, dass Gosplan ein viel zu düsteres Bild von der Lage zeichne, und erklärte: „Dies ist doch unser bester Fünfjahrplan.“225 Doch während er, wenn dies stimmt, auf den Politbürositzungen abwiegelte, nutzte er auf den Plenarsitzungen die ihm vorliegenden Daten und Fakten, um die Regierung mit Kossygin in die Pflicht zu nehmen. Schon im Dezember 1965 mahnte Breschnew, dass die Regierung ihrer Schuldigkeit nicht nachkomme: Die Sache ist die, dass, ungeachtet all der Anstrengungen, die in diesem Jahr die Werktätigen, die Parteiorganisationen im Ganzen recht erfolgreich investiert haben, wir dennoch ehrlich sein und dem Plenum darlegen müssen, dass wir sehr große staatliche Kosten, Verluste dulden und damit unserer Volkswirtschaft schaden, da wir offenbar nicht richtig planen und sie nicht rechtzeitig mit technischen Daten versorgen; die Versorgung mit Material und Technik hinkt hinterher.226

Breschnew räumte ein, dass es teils noch Folge der Chruschtschow’schen Volkswirtschaftsräte sein könnte, dass sie viel Geld investierten, aber trotzdem nur 50 bis 60 Prozent der projektierten Kapazitäten erreichten.227 „Und das meine ich nicht nur allgemein, sondern das ist eine ganze Modeerscheinung.“228

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Breschnews geheime Rede 1969

Während im Dezember 1966 der glückliche Abschluss mit Fiat im Zentrum stand, im Dezember 1967 ausnahmsweise einmal kein Plenum stattfand und 1968 vor dem Hintergrund der überwundenen „Prager Krise“ die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln das Plenum bestimmte, gilt die Rede, die Breschnew 1969 auf dem Dezember-Plenum hielt, als erste große Abrechnung mit und Generalkritik an Kossygin. In ihrer Schärfe überraschten Breschnews Ausführungen ZK wie Politbüro.229 Entgegen Breschnews Gewohnheit und Herrschaftsszenario war die Rede nicht mit dem Politbüro abgesprochen, sondern von seinem Sekretariat unter Leitung seines Mitarbeiters Bowin vorbereitet worden.230 Sie war mit „geheim“ überschrieben und unterschied sich darin grundlegend von allen vorherigen, dass sie nicht wie üblich erst die Errungenschaften lobte, dann ein paar Missstände thematisierte, um mit einem Lob der Partei zu enden. Breschnew wählte die Form der Rede eines westlichen Politikers, indem er sich hauptsächlich und ungeschönt mit allen Problemen der sowjetischen Wirtschaft befasste.231 Zwar schickte er vorweg, es sei falsch, sich nur mit den Mängeln und Schwierigkeiten zu beschäftigen, machte dann aber genau das. Nach alter Manier unterteilte er allerdings die Gründe für nachlassendes Wirtschaftswachstum, stockende Bautätigkeiten und geringen Volkswohlstand in „objektive“ Gründe und andere, „subjektive“. Zu den Ersteren zählte er die internationale Lage und die zwei Jahre schwieriger klimatischer Verhältnisse; beides habe die sowjetische Volkswirtschaft belastet und sei nicht von heute auf morgen zu beheben gewesen. Die anderen Gründe aber bestünden in einer Reihe hausgemachter Probleme, die damit zusammenhingen, dass man endlich das Wirtschaften „nach alter Art“ überwinden müsse. Sie hätten den richtigen Weg eingeschlagen, als sie sich 1965 dafür entschieden hätten, radikal die Effektivität zu steigern und von einem extensiven Wirtschaften, das immer neue Mittel und Arbeitskräfte verschlinge, auf eine intensive Nutzung der bereits investierten Mittel umzustellen. In der Sowjetunion arbeiteten neun von zehn Menschen im arbeitsfähigen Alter und dennoch litten sie an akutem Arbeitskräftemangel. Auf diesem Gebiet finde der wahre Systemwettstreit mit dem Kapitalismus statt.232 Um die Wirtschaft besser zu organisieren, hätten sie die Ministerien wieder eingerichtet, und diese müssten nun endlich zusammen mit Gosplan beweisen, dass sie dieser Aufgabe gewachsen seien. „Große Verantwortung liegt bei Gosplan. An seine Adresse richtet sich ernsthafte Kritik.“233

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Der Plan, den Gosplan für 1970, das letzte und entscheidende Jahr des Fünfjahrplans, vorgelegt habe, sei schlecht durchdacht, in den Proportionen nicht ausgewogen und seine Perspektiven entsprächen nicht den bestehenden Verhältnissen. „In den heutigen Zeiten können selbst erfahrene und talentierte Organisatoren nicht mehr auf alte Art leiten und sich nur auf ihr Gefühl und den gesunden Menschenverstand verlassen.“234 Dies war ein persönlicher Angriff auf Baibakow und Kossygin, die beide als ausgezeichnete Wirtschaftsfachleute galten – sich allerdings keineswegs nur auf ihr „Gefühl“ verließen, sondern sich im Zahlenwerk der Planwirtschaft sehr gut auskannten. Dennoch hielt Breschnew ihnen vor: „Die Leitung wandelt sich zur Wissenschaft und diese Wissenschaft muss man so schnell wie möglich und so umfassend wie möglich beherrschen; die muss auch von denen gründlich studiert werden, die in der Leitung ganz an der Kommandospitze stehen.“235 Breschnew vollendete diesen Angriff mit einem Leninzitat: Schon Lenin habe gesagt, dass man eine richtige Entscheidung nur auf der Grundlage richtiger Informationen treffen könne. Deshalb müsse dringend und beschleunigt die Informationstechnologie ausgebaut werden.236 Nachdem Breschnew derart Kossygin und Baibakow hatte wissen lassen, was er von ihrer Arbeit hielt, holte er zu einem Rundumschlag gegen sämtliche ihnen unterstellte Ministerien aus. Bei diesen „nichtobjektiven“ Gründen gehe es nicht um einzelnen Amtsmissbrauch oder Gesetzesverstöße: „Noch gefährlicher als solche Erscheinungen sind fehlende Gewissenhaftigkeit und Disziplinlosigkeit, die gleichsam zur Gesetzmäßigkeit werden und sich zu einer weitverbreiteten Praktik ausbreiten.“237 Dann begann Breschnew Zahlen vorzutragen, in welchen Branchen unter Verantwortung welcher Ministerien regelmäßig die Pläne nur zu 15, 20, 55 oder 60 Prozent erfüllt würden.238 Breschnew sagte, wenn eine Region einmal hinter den Planzahlen zurückbleibe, dann könne es dafür objektiv Gründe geben. „Wenn aber in der einen oder anderen Branche der Volkswirtschaft der Lohn schneller als die Produktivität steigt, Rentabilität und Effektivität nur langsam wachsen, wenn neue Technologien nur langsam eingeführt werden und der Minister das nicht bemerkt und schweigt – dann hat er sich mit dem Erreichten abgefunden, dann ist sein Verantwortungsgefühl abgestumpft.“239 Dafür führte er einzelne drastische Beispiele an: Vier in der DDR georderte Hafenkräne waren erst in den Fernen Osten transportiert worden, statt sie direkt an ihren Bestimmungsort ans Schwarze Meer zu liefern – dieser „Spaziergang“ von 20.000 Kilometern habe das Land 50.000 Rubel gekostet; noch unausgepackt in Lagern befänden

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sich Maschinen im Wert von 5,5 Milliarden Rubel, davon zu 1,5 Milliarden Rubel Importe; jedes Jahr verliere man durch Schlampigkeit zehn Millionen Tonnen Zement, elf Milliarden Kubikmeter Gas und 15 Millionen Tonnen Kohle.240 Die Ministerien würden systematisch ihre Planzahlen nach unten, Investitionsmittel aber nach oben korrigieren; die Kommunen bauten nicht die vorgesehenen Wohnungen, sondern nach Gutdünken Verwaltungsgebäude, Kulturpaläste und Sportanlagen.241 Breschnew machte sogar vor dem Thema Alkoholismus nicht halt. Der Alkoholmissbrauch verursache einen großen volkswirtschaftlichen Schaden; 90 Prozent aller Fälle unerlaubten Fernbleibens von der Arbeit seien auf Trunksucht zurückzuführen. Kommunisten, die tränken, müssten zur Verantwortung gezogen und notfalls aus der Partei ausgeschlossen werden.242 Die Rede war in mehrerlei Hinsicht ein Tabubruch: Breschnew hatte sie nicht abgestimmt, er hielt sich nicht an das übliche positive Narrativ, er rechnete schonungslos ab – wenn auch mit dem sehr durchsichtigen Ziel, Kossygin und Baibakow bloßzustellen und für das Zurückbleiben der Wirtschaft verantwortlich zu machen. Im Plenum erfolgten keine außergewöhnlichen Reaktionen auf Breschnews „Regelverstoß“, und es gibt keine bekannten oder zugänglichen Quellen, die auf Protest hinweisen. Roy Medwedew jedoch berichtet – obgleich ohne Nennung von Quellen –, dass Suslow, Schelepin und Kiril Masurow, Kossygins erster Stellvertreter, ein Schriftstück verfassten, in dem sie Breschnews Rede kritisierten und das sie auf dem März-Plenum 1970 diskutieren lassen wollten. Doch Breschnew habe das März-Plenum kurzerhand abgesagt und sei zu Manövern zu Verteidigungsminister Gretschko nach Weißrussland gefahren.243 Dies war eine doppelte symbolische Geste, mit der Breschnew zum einen ausdrückte, dass er es sei, der festlege, wann über was gesprochen werde, und zum anderen deutlich machte: Wenn das Politbüro ihm nicht folge, gebe es immer noch die Armee. Als Breschnew nach Moskau zurückkehrte, habe als Erster Suslow den Kotau bei ihm vollzogen.244 Diese Schilderung Medwedews ist schwer zu beurteilen, da sonst niemand davon berichtet. Es existieren allenfalls Indizien: Tatsächlich gab es 1970 nicht wie üblich ein Frühjahrsplenum, sondern erst ein Plenum im Juli. Ein weiterer Hinweis besteht darin, dass im April 1970 der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Moskau installierte „geheime Kanal“ nach Bonn berichtete, es sei in naher Zukunft mit dem Ausscheiden Suslovs, Podgornys, Schelepins und Kossygins aus dem Politbüro zu rechnen.245 Auch in Paris wurden Gerüchte über eine Krise in der Führungstroika kolportiert.246 Ganz gleich, ob es diese Macht-

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probe gegeben hat oder nicht, Breschnew muss sie gewonnen haben, auch wenn er Podgorny, Schelepin und Masurov erst wesentlich später aus dem Politbüro ausschließen ließ und Suslow, vielleicht aufgrund seiner unterwürfigen Entschuldigung, gar nicht entmachtete. Medwedew berichtet, auf der Maiparade 1970 seien erstmals ausschließlich Porträts von Breschnew, keine der anderen Politbüromitglieder gezeigt worden.247 Den 24. Parteikongress, der für den November 1970 geplant war, ließ Breschnew auf das Frühjahr 1971 verschieben. Auf diesem Kongress ließ er das Politbüro von elf auf 15 Mitglieder erweitern und damit vier weitere seiner Klienten aufnehmen.248 Alle Jahre wieder

Breschnew saß also fest im Amt, und mit ihm auch der Konflikt mit Kossygin. So banal, vielleicht sogar kindisch dieses „Schwarze-Peter-Spiel“ heute erscheinen mag, es war mit für das Scheitern der sowjetischen Wirtschaft verantwortlich. Die persönliche und machtpolitische Rivalität zwischen Premier und Generalsekretär verhinderte, dass sich beide auf weitere Reformen einigten. Breschnews (äußerlicher) Glaube an die Überlegenheit des sowjetischen Wirtschaftssystems ließ ihn die Gründe für alle Probleme außerhalb der Sowjetunion in der internationalen Lage oder im Faktor Mensch suchen, nicht aber in der Struktur selbst. Verkürzt hieß die Lösung für ihn: Mit der richtigen Einstellung, dem rechten Ethos und Verantwortungsbewusstsein werden sich die Probleme der sowjetischen Wirtschaft schon lösen lassen. „Heute baut die Partei ihre Beziehung zu den Kadern auf Vertrauen auf, verlässt sich in erster Linie auf das hohe Parteibewusstsein und das Verantwortungsgefühl des Kommunisten im Allgemeinen.“249 Wir wissen nicht, ob diese Parole mehr dem Wunsch entsprang, die Schuld für alle Probleme auf Kossygin und seine Minister zu schieben, oder ob sie von einer Denkblockade herrührte, die Breschnew ein Scheitern der Planwirtschaft für unmöglich halten ließ. Es sollte Breschnews „ceterum censeo“ werden: Alle Jahre wieder betonte er, dass das sowjetische Wirtschaftssystem das überlegene sei, nur die verantwortlichen Personen sich unverantwortlich verhielten. Nachdem sich Breschnew auf dem Dezember-Plenum 1971 ganz auf seine Politik der Annäherung an Westdeutschland und die USA konzentriert hatte, nahm er im Dezember 1972 seine Generalkritik an Gosplan wieder auf. „Zwei Jahre sind vergangen, und an die Aufstellung eines solchen Programms [zur bes-

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seren Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Waren] haben sich weder Gosplan noch die Ministerien noch die entsprechenden Abteilungen und noch gar das ZK gemacht. So, Genossen, kann es nicht weitergehen.“250 Die Zeitangabe „zwei Jahre“ bezog sich nicht auf das Dezember-Plenum von 1969, sondern auf den 24. Parteitag vom April 1971, aber die „Genossen“ werden sich wohl eher an die Schelte Breschnews vom Dezember 1969 erinnert gefühlt haben. Breschnew kritisierte Gosplan nicht weniger scharf als zwei Jahre zuvor: „Gosplan ist bei weitem noch nicht das Wirtschaftszentrum geworden, das in der Lage wäre, effektiv den Partikularinteressen der Behörden und Regionen zu widerstehen.“251 Er bezichtigte Gosplan des Liberalismus: „Ich nenne das, wie es jetzt heißt, liebevoll Liberalismus [Gosplans] und manchmal auch der über ihm stehenden Organe. Das ist der Druck der Branchen- und Regionalinteressen, das ist auch die Interessiertheit der Abnehmer, die alles darauf anlegen, an neue Objekte zu kommen, umso mehr, als es dann Geld für den Bau nicht aus den eigenen Einnahmen, sondern aus der allgemeinen Staatskasse gibt.“252 Breschnew griff auch direkt die von Kossygin ausgearbeiteten Reformen an und betonte, dass man sie inzwischen „Wirtschaftsreformen“ nenne, obwohl sie als „Kossygin’sche Reformen“ bekannt waren (was ihn sehr geärgert haben muss).253 „Die in einigen Dingen unternommenen Maßnahmen, das muss offen gesagt werden, haben sich nicht bewährt. Sie helfen nicht bei der Entscheidung solcher Fragen wie der Annahme ehrgeiziger Pläne, der Produktivitätssteigerung der Arbeitskraft, der Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und der Verbesserung der Qualität unserer Produktion.“254 Breschnew beeilte sich zwar hinterherzuschieben, dass er selbst Anhänger dieser Reformen gewesen sei und immer noch sei. Dennoch war dies eine Breitseite gegen Kossygin, zumal er das Scheitern der Reformen dem Planungszentrum, also Baibakow und Kossygin, anlastete, die nicht verhindert hätten, dass mit den neuen Kennziffern Missbrauch betrieben werde: Gewinnzuwachs verzeichneten die Unternehmen, indem sie die Preise hochsetzten, und die Produktion erhöhten sie durch Ausstoß von Waren, die der Markt nicht brauche und die niemand abnehmen wolle.255 Ministerschelte

Doch so schwer Breschnews Kritik war, so milde waren letztlich seine Maßnahmen. Genau genommen beließ er es bei Appellen an die Moral und das Verantwortungsbewusstsein der Parteimitglieder. Alles, was er forderte, war, höhere

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Ansprüche zu stellen: „(…) wenn wir heute den Plan für 1973 beschließen, können wir nicht mit dem Gefühl auseinandergehen, dass vor uns ein Jahr r­ uhigen Lebens und gemächlicher Arbeit liege (…).“256 Damit blieb Breschnew letztlich seinem Herrschaftsszenario treu: Zwar kritisierte er scharf und schonungslos, aber es gab keine Konsequenzen. Die gescholtenen Minister, Fabrikdirektoren und Parteigebietsleiter konnten den Kopf einziehen, die Schimpftirade über sich ergehen lassen und sich dabei sicher sein, dass letztlich weder ihnen persönlich noch ihrer Karriere Schaden drohte. Breschnew blieb sich auch darin treu, dass er die Minister und Unternehmensleiter, die er namentlich nannte, weder beschimpfte noch verhöhnte, sondern in einem zwar zornigen, aber doch väterlich-wohlwollenden Ton zu ihnen sprach. Ein Beispiel: Kürzlich sei er in Barnaul in der neu gebauten Reifenfabrik gewesen, die für die Autofabrik in Togliatti die Reifen fertigen sollte und noch immer nicht die geplanten neun Millionen Reifenmäntel produziere; Minister Viktor Fjodorow habe ihnen dafür 30 Monate Zeit eingeräumt. Breschnew berichtete, er habe den Arbeitern gesagt: „‚Ich kenne den Genossen Fjodorow, er ist ein sehr guter Minister, ein guter Mensch, aber gutmütig auf Kosten des Staates.‘ Ich habe ihnen gesagt, dankt Gott, dass ich nicht euer Minister bin, ich würde euch ordentlich Druck machen. Was sind das für 30 Monate, die ihr zur Erfüllung braucht.“257 Vor kurzem, berichtete Breschnew weiter, habe ihn Fjodorow angerufen und mitgeteilt, dass sie nach diesem Zusammentreffen Maßnahmen ergriffen hätten und mittlerweile die Fabrik den Plan erfülle. Breschnew ereiferte sich: „Warum konnte Genosse Fjodorow das vorher nicht selbst schaffen.“258 Aus solchen Anekdoten sprach nicht die Freude am Sticheln, wie sie Chruschtschow gezeigt hatte, sondern die scheinbar ehrliche, höchstpersönlich empfundene Sorge um die Wirtschaftslage und mögliche Folgen: „Man muss vermutlich hinzufügen, Genossen, dass die Schwierigkeiten, die es bei der Umsetzung höherer Löhne für die Bevölkerung gibt, die materiellen Anreize zur Arbeit mindern, die Spekulation begünstigen und eine schlechte Stimmung unter den Leuten hervorrufen.“259 Breschnew zeigte sich also auch hier als besorgter Landesvater; gleichzeitig trat er hin und wieder auch als Ingenieur auf, der die Zustände einfach unhaltbar fand. Auf dem gleichen Dezember-Plenum kritisierte er die Minister für Eisenhüttenindustrie, Iwan Kasanetz, und für Schwerindustriebauwesen, Nikolai Goldin, die es nicht geschafft hätten, den einzigen für 1972 projektierten Hochofen in der Hütte Nowolipetzk anzublasen. „Es kann ja wohl nicht sein, dass sich in einem Land, das in der Lage ist, im laufenden Fünfjahrplan 500 Mil-

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liarden Rubel Investitionsmittel bereitzustellen, kein Zement, kein Eisen, keine Maschinen finden ließen, um fristgerecht einen einzigen Hochofen fertigzustellen? Ich als Ingenieur, als Metallurg, als Parteimensch werde das niemals glauben.“260 Breschnew präsentierte sich hier als entrüsteter Fachmann, der gleichzeitig die Gesamtlage im Auge hatte: „Wenn wir stolz darauf sind, dass wir an Gusseisen, Stahl und Feinblechen die USA überholt haben, so wissen wir doch gleichzeitig, dass wir bezüglich der Endproduktion in den Branchen, die die Hauptabnehmer des Metalls sind, rund 30 Prozent oder auch mehr hinter den USA zurückbleiben. Das, Genosse Kasanetz, ist ein nicht unwichtiges Moment.“261 Breschnew selbst sagte zu dieser von ihm gezogenen zweiten großen Bilanz: „Ich möchte hier keine starken Worte gebrauchen, aber wenn wir auf dem Plenum auftreten, sind wir alle verpflichtet, die Parteisprache zu benutzen.“262 Damit klang Breschnew versöhnlicher als 1969; womöglich hatte auch er seine Lehre aus der Protestnote Suslows gezogen. Das Dezember-Plenum 1973 begann er noch friedfertiger: Er nahm direkt auf das Dezember-Plenum des Vorjahres Bezug und erklärte, sie alle hätten die „Prüfung bestanden“, die Rückstände aufgeholt, die unterentwickelte Energiebranche endlich vorangetrieben und die Direktiven des 24. Parteitags erfüllt.263 Das ändere aber nichts an der Tatsache, dass es „vor allem nötig sei, das Verantwortungsgefühl, die Plandisziplin und das Niveau der Wirtschaftsführung anzuheben“.264 Damit begann Breschnew erneut, Einzelfälle vorzuführen, um die allgemein bestehenden Missstände zu illustrieren. Wegen fehlerhaft konstruierter Walzwerke habe die Autoindustrie 300.000 Stahlbleche weniger erhalten als geplant: „Ich weiß nicht, ob die Genossen Kasanetz und [Wladimir] Schigalin das dem Plenum überzeugend erklären können.“265 1955 habe man den Bau einer Fabrik für Spiegelglas in Salawat (Baschkirien) begonnen, 20 Millionen Rubel investiert, aber wegen Produktionsproblemen, die weitere neun Millionen Rubel Investition verschluckt hätten, den Abriss empfohlen, obwohl man seit 1967 eine englische Lizenz besitze, mit der andernorts erfolgreich produziert werde. „Man fragt sich, wer ist an dieser himmelschreienden Schlamperei schuld? Nach den Erklärungen, die das ZK bekam, scheint es niemand zu sein …“266 Erneut prangerte Breschnew an, dass die Sowjetunion fast ausschließlich Rohstoffe exportiere, obwohl Fertigprodukte auf dem Weltmarkt viel höhere Preise erzielten; und selbst beim Rohstoffexport gebe es viel zu große Verluste, wenn sie immer noch im Jahr 18 Milliarden Kubikmeter Erdölgas in die Luft abließen, die Pipelines nach Westdeutschland für die Gaslieferung nicht rechtzeitig fertigstellten und statt Gewinn einzufahren demnächst Vertragsstrafen zahlen müssten.267

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Damit holte Breschnew erneut zu einem Schlag gegen Kossygin aus. Angesichts all dieser Missstände sei es jetzt geboten, über eine wirkliche Konsolidierung von Leitung und Planung nachzudenken: „Ist die Zeit nicht dafür reif, ­viele von ihnen [den 100 Ministerien und Behörden] in Gruppen zusammenzufassen, die von den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats geleitet werden?“268 Breschnew schlug vor, die Minister gleichzeitig in ihren Rechten zu stärken, aber auch mehr Verantwortungsübernahme von ihnen zu verlangen. Er beeilte sich zu sagen, dass er keinesfalls zu dem alten „Reorganisationsjuckreiz“ zurückkehren wolle. Aber Gosplan sei eindeutig mit zu vielen Pflichten überladen. Neben der Optimierung der Führungsstruktur schlug Breschnew daher eine Verbesserung der Führungsmethoden vor. Da Gosplan quantitativ überfordert sei, seien auch die Planzahlen qualitativ unzureichend. Schließlich schlug Breschnew vor, auch das Anreizsystem weiter auszubauen und dafür zu sorgen, dass alles, was für die Volkswirtschaft und den Staat gut sei, sich auch positiv auf die Werktätigen auswirke.269 Dieser Reformvorschlag war letztlich eine doppelte Gemeinheit gegenüber Kossygin: Zum einen sagte Breschnew damit implizit, dass Kossygin und seine Leute die Situation nicht im Griff hätten; zum anderen okkupierte er damit die Ideen, für die seit 1965 Kossygin stand, nämlich durch mehr Eigenverantwortung und Anreize für das Inividuum Kostendeckung zu erreichen. Es scheint dies eine weitere Machtprobe mit Kossygin gewesen zu sein, von der allerdings wieder nur wenig bekannt ist. Kossygin fand den versuchten Übergriff in sein Ressort offenbar so unerträglich, dass er seinen Rücktritt eingereicht haben soll, den Breschnew aber nicht akzeptiert habe.270 Die sonst hinter den Kulissen ausgetragenen Konflikte wurden auf dem Juli-Plenum 1974 offenbar, als Breschnew erklärte: „Genosse Kossygin verzichtet auf den Posten des Vorsitzenden des Ministerrats. Nicht ganz. – Stimmen: Er hat es sich anders überlegt.“271 Auf dem Dezember-Plenum 1974 war keine Rede mehr von Umstrukturierungen. Breschnew beließ es bei seinen Forderungen nach mehr Effizienz in der Produktion und bei mahnenden Hinweisen: Obwohl der Plan für 1975 äußerst knapp kalkuliert sei und die Produktion von Gebrauchsgütern bei weitem nicht durch entsprechende Finanzmittel und Ressourcen abgedeckt, müsse er trotzdem als Minimalziel angesehen und unbedingt übererfüllt werden.272 Im Oktober 1975 berichtete er erneut von der Spiegelfabrik in Salawat, aus der er einen Brief erhalten habe, dass sie nun endlich die neue Produktionsstraße in Betrieb genommen hätten. Breschnew freute sich, dass die Genossen „auf Partei-Art“

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auf die Kritik reagiert hätten: „Aber ich kann mir eine Bemerkung nicht ersparen, die sich nicht nur an deren Adresse richtet. Ist es denn wirklich nötig, von Mängeln von der Tribüne des ZK-Plenums aus zu berichten, damit diese schnell und effektiv beseitigt werden?“273 Er nutzte das für einen weiteren Seitenhieb gegen Kossygins Minister: „Und hat denn das ZK der Partei nicht das Recht, von unseren verehrten Genossen Ministern und anderen Wirtschaftsführern zu verlangen, dass sie unter ständiger Kontrolle haben, was sich in den ihnen unterstehenden Unternehmen tut, und die Lage rechtzeitig dort korrigieren, wo es nötig ist?“274 In der Liste der Sprichwörter, die Breschnew bei sich aufbewahrte, hatte er das Wort von Joseph Pelet de la Lozère unterstrichen: „Es ist schlecht, wenn die Minister oft wechseln; aber es ist noch schlechter, wenn schlechte Minister auf ihren Posten bleiben.“275 Streiter für Effektivität und Qualität

Breschnews Markenzeichen blieb es, dass er auf den Plenarsitzungen ungewöhnlich offen von all den Missständen, Rückständen und Planproblemen sprach. Das entsprach dem Sprichwort von Prentice Mulford, das ihm gefiel: „Wir stehen für Geduld, aber die Ungeduld zu dulden ist außerordentlich schwer und das Unduldbare zu dulden einfach unmöglich.“276 Wenn Baibakow ihm vorwirft, auf den Politbürositzungen abgewiegelt zu haben, und ihm daran die Schuld gibt, dass seine Entourage die Lage beschönigte und dadurch wirksame Maßnahmen verhindert wurden,277 ist das nur die halbe Wahrheit. Ganz im Gegenteil zeigte sich Breschnew jedes Jahr wieder bei den Haushalts- und Planberatungen auf den ZK-Plenarsitzungen alarmiert und drängte auf Veränderung. Wenn von seiner Herrschaftszeit als Epoche der Stagnation gesprochen wird, muss also berücksichtigt werden, dass Breschnew diese Situation zum einen jedes Jahr selbst anprangerte und so gesehen den Historikern in gewissem Grade zugestimmt hätte. Zum anderen ging von ihm keineswegs die Passivität aus, die damit unterstellt wird. Vielmehr präsentierte er sich kämpferisch, aktiv und fordernd. Das soll nicht bedeuten, dass seine Forderungen und Maßnahmen adäquat und effektiv waren; aber das Bild, dass er auf den ZK-Plenarsitzungen vermittelte, war das eines leidenschaftlich für die Blüte seines Landes streitenden Mannes, eines Politikers, der sich der Trias „Effektivität, Qualitätssteigerung, Leitungsoptimierung“ verschrieben hatte.278 „Effektivität und Qualität – diese

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zwei Worte sind jetzt zur Devise für die gesamte Wirtschaftstätigkeit geworden,“279 erklärte Breschnew im Oktober 1976. Breschnew war schmerzlich bewusst, dass es der sowjetischen Wirtschaft nicht gelang, die zweite industrielle Revolution zu vollziehen und sich von der extensiven Schwerindustrie weg, hinein in ein intensiv wirtschaftendes elektronisches Zeitalter zu entwickeln. Er appellierte eindringlich, wenn auch erfolglos, die sowjetische Industrie müsse endlich umgestellt werden: „Ich hoffe, dass die Genossen aus dem Ministerium für Stahlindustrie endlich verstehen, dass man so nicht wirtschaften kann. Sie müssen auf neue Weise arbeiten!“280 Weiter mahnte er: „Es entsteht der Eindruck, das bemerke ich hier in Klammern, dass Gosplan und das Staatskomitee für Wissenschaft und Technik sich nicht ausreichend mit den Perspektiven beschäftigen. Aber das ist eine sehr wichtige Sache, und es ist bedauerlich, dass man sie daran erinnern muss.“281 Dabei zweifelte er nicht an der Planwirtschaft, sondern glaubte vielmehr, dass sie alle Instrumente für ein rationales Wirtschaften bereitstelle. Wenn jedes Jahr 20 bis 25 Millionen Tonnen Getreide abgeschrieben werden müssten, weil es an Erntemaschinen und Transportmitteln mangele, oder Millionen Tonnen von Düngemitteln nicht auf das Feld gelangten, weil es an Verpackungsmaterial fehle, seien das Missstände, die in ihrer Wirtschaftsform nicht vorkommen dürften: „Ist es nicht erstaunlich, dass solche Art Fragen überhaupt in unserer Planwirtschaft auftauchen? Und wenn sie schon auftreten, warum ist es dann nicht möglich, sie vor Ort zu lösen, ohne sie dem Politbüro vorzulegen?“282 Die mangelnde Effizienz bei der Nutzung der bereits produzierten Produkte trieb Breschnew immer wieder um: „Wir fördern mehr Öl und Kohle, produzieren mehr Stahl und Zement, Mineraldünger und viele andere Dinge als alle anderen in der Welt. Und dennoch verzeichnen wir in allem ein Defizit, sogar dort, wo die Pläne erfüllt werden.“283 Breschnew war auch bewusst, dass die Sowjetunion in absehbarer Zeit ein Problem mit Arbeitskräften bekommen würde, gelänge nicht die Umstellung auf mehr Effizienz: „Genossen, ich halte es für unabdingbar, euch Zahlen mitzuteilen, über die wir ernsthaft nachdenken müssen. In den 1980er Jahren wird das Wachstum der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter vier Mal geringer sein als in den 1970er Jahren: 5,9 Millionen statt 24 Millionen. Jeder muss verstehen, was das bedeutet.“284 Anstatt aber für mehr Mechanisierung zu sorgen und Maschinen statt Menschen einzusetzen, nehme die Handarbeit weiter zu.285

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Besser leiten

Zur Effizienzsteigerung gehörte für Breschnew auch eine straffere Wirtschaftsführung. Daher ließ er im Februar 1974 an alle Partei- und Sowjetorgane eine Anleitung schicken, wie die Verwaltung schlanker zu halten, die Erfüllung aller Anweisungen zu kontrollieren und der Schriftverkehr zu reduzieren sei.286 Im Oktober 1976 forderte er erneut: „Der Ministerrat der UdSSR muss endlich Maßnahmen ausarbeiten, um 1977 die Umstellung auf neue Methoden der Planung und Finanzierung des Bauwesens zu schaffen.“287 Und auch 1979 diagnostizierte Breschnew: „Das Problem beruht auf dem Mangel der Organisationsstruktur. Der Ministerrat muss entsprechende Vorschläge erarbeiten. Es geht um solche Kardinalprobleme wie die Weiterentwicklung der Konsolidierung und Koordinierung der Tätigkeit der horizontalen und vertikalen Branchenministerien.“288 Hörbar milder war Breschnew auf dem Oktober-Plenum 1980 gestimmt, als Kossygin schwer erkrankt fehlte und er sich sicher sein konnte, seinen letzten großen Widersacher entmachtet zu haben. Zwei Monate später starb Kossygin. In Breschnews Rede fehlte die Schärfe der vorangegangenen Jahre und auch die üblichen Enthüllungen und die Benennung der Schuldigen. Er kündigte eine Strukturreform an, wie er sie zuvor von Gosplan und Kossygin eingefordert hatte: Im ZK habe man eine neue Abteilung für Landwirtschaftsmaschinenbau eingerichtet, um endlich das Problem der fehlenden bzw. mangelhaften Erntetechnik in den Griff zu bekommen. Außerdem müsse das Gleichgewicht zwischen Zentralismus und „demokratischer Grundlage“ neu ausbalanciert werden. „Der Ministerrat bereitet einen Vorschlag zur Verbesserung der Organisation der Lenkungsstrukturen vor.“289 Der solle 1981 dem 26. Parteikongress vorgelegt werden, um im neuen Fünfjahrplan nicht die veralteten Strukturen „mitzuschleppen“.290 Breschnew zeigte sich zuversichtlich: „In den 1980er Jahren muss die Umstellung der Wirtschaft auf die Gleise des intensiven Wachstums vollendet werden, müssen die Produktivität und die Qualität der Arbeit wesentlich steigen.“291 Dieser neue Optimismus war aber schon ein Jahr später, im November 1981, wieder verflogen. Möglicherweise musste Breschnew einsehen, dass allein die Ersetzung Kossygins durch seinen Gefolgsmann Nikolai Tichonow die Wirtschaft nicht auf „neue Gleise“ setzte. Doch jetzt konnte er die Misserfolge nicht mehr auf Kossygin schieben. Was ihm als Erklärung blieb, war zunächst die angespannte internationale Lage:

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Die Verschlechterung der Konjunktur auf den Weltmärkten hat unsere Exportchancen [für Getreide] vermindert. Zusätzliche Ausgaben erforderte die Krisensituation in Polen. Wir sind mit verstärktem Druck der amerikanischen Imperialisten und der Pekinger Hegemonisten in Afghanistan und Kambodscha konfrontiert. Die ReaganRegierung versucht in Angola und Äthiopien Revanche zu nehmen. Sie heizt die angespannte Lage rund um Kuba an. Die USA und eine Reihe ihrer Verbündeten haben den Versuch unternommen, auch wenn dieser gescheitert ist, eine Wirtschaftsblockade gegen unser Land zu verhängen. Die Komplikation der internationalen Lage mussten wir natürlich bei der Ausarbeitung unserer Pläne berücksichtigen.292

Darüber hinaus konnte er Fehlentwicklungen weiterhin auf Gosplan, dessen Leiter Baibakow und etliche Minister schieben: „Leider werden der Stil der Wirtschaftstätigkeit und des ökonomischen Denkens, die Planungsmethoden und das Verwaltungssystem nicht ausreichend energisch umgestellt.“293 Schließlich listete er anstelle Kossygins so viele Minister als Verantwortliche auf wie nie zuvor: „Die Genossen Jeschewski A.A., Beljak K.N., Chitrun L.I. müssen sich zusammen mit Gosplan gründlich damit befassen und hier [bei Transport und Lagerung von landwirtschaftlichen Produkten] Ordnung schaffen.“294 „In den Ministerien, die die Genossen Maltzew N.A., Brattschenko B.F., Neporoschny P.S., Schtscherbina B.E., Dinkow W.A. leiten, muss die Verantwortung vor allem darin bestehen, das Land lückenlos mit Öl, Kohle, Gas und Elektrizität zu versorgen, damit wir im nötigen Umfang Brennstoff in die Bruderstaaten und auf den Weltmarkt liefern können.“295 Breschnew hatte noch große Pläne: Er kündigte an, demnächst ein ganzes Plenum dem System der Wirtschaftssteuerung zu widmen.296 Dazu kam es zwar nicht mehr, aber das letzte ZK-Plenum, das Breschnew leitete, war im Mai 1982 mit dem Lebensmittelprogramm bis zum Jahr 1990 ganz der Zukunft gewidmet. Breschnew wollte damit den Neuanfang in der Lebensmittelindustrie markieren, der darin bestände, dass künftig die Landwirtschaft eng verzahnt mit den korrespondierenden Wirtschaftszweigen, dem Transportwesen und dem Handel zusammenarbeiten werde.297 Der neu eingerichtete „agroindustrielle Komplex“ sollte eigenständig planen und steuern können.298 Neu aufleben ließ er die Parole von den „demokratischen Prinzipen der Produktionssteuerung“: die Chruschtschow’sche Idee, dass, wenn alle Arbeiter mitreden dürften, sie auch ein größeres Interesse am Erfolg ihrer Arbeit hätten.299

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Damit vermittelte Breschnew bis zum Schluss den Eindruck, dass er ein entschlossener Planer sei, der weit voraus in die Zukunft denke und immer wieder neue Maßnahmen ergreife. Tatsächlich hatte er sich die Devise von Francis Herbert Bradley angestrichen: „Wer nicht vorausschaut, bleibt zurück.“300 Das soll in keiner Weise bedeuten, dass diese Maßnahmen umgesetzt wurden, geschweige denn, dass die ZK-Mitglieder an solche Anstrengungen glaubten. Offenbar aber konnte Breschnew bis zu seinem Tod das Szenario des aktiven Wirtschaftsführers aufrechterhalten, und die ZK-Mitglieder erfüllten ihren Teil, indem sie so taten, als hielten sie Breschnew für den besten Wirtschaftsfachmann des Landes.

„Die Kader entscheiden alles“ Was an Breschnews ZK-Plenarreden zuerst auffällt, ist die sehr kritische Analyse der Wirtschaftslage, mit der er den Stil eines westlichen Politikers imitierte, der seinen politischen Gegner angreift und dessen Verfehlungen aufdeckt. Was Breschnew dann aber an Lösungsvorschlägen für die Probleme anbietet, steht, zumindest für den westlichen Leser, in einem krassen Missverhältnis zu dieser Analyse. Zwar forderte Breschnew alle Jahre wieder eine Reform der Leitungskultur und des Systems der Wirtschaftssteuerung. Aber seine wirklichen Appelle, die Lage zu ändern, die Mängel zu beheben und die Pläne einzuhalten, r­ ichteten sich an einzelne Personen. Einer systematischen Analyse und grundlegenden Kritik folgten also personalisierte Lösungsvorschläge und individuelle Ermahnungen. Es kann nur vermutet werden, warum dies so war. Erstens verbot ihm die Parteidisziplin, die Planwirtschaft an sich laut in Frage zu stellen. Ob er das im Stillen für sich selbst tat, wie seine Nichte behauptet,301 wissen wir nicht. Zweitens bot ihm diese Form der Problemzuschreibung die Möglichkeit, seinen Rivalen Kossygin anzugreifen und sich dabei selbst als kompetenten Problemlöser darzustellen. Schließlich entsprach diese Herangehensweise der Erfahrung, die Breschnew selbst als Parteisekretär unter Stalin und Chruschtschow gemacht hatte: Wenn man nur richtig wollte und bereit war, auch seine Gesundheit zu ruinieren, dann ließen sich auch unter den widrigsten Umständen Pläne erfüllen und Fristen einhalten. Die Stalin’sche Devise „Die Kader entscheiden alles“ aus dem Jahr 1935, mit der er propagiert hatte, die Menschen seien ihm wichtig und müssten

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umsorgt werden, da von ihnen der Fortschritt der Industrialisierung abhänge, hatte noch eine zweite Bedeutung, die sich unter Stalin in den Köpfen festgesetzt hatte: Wenn ein Mensch nur wollte, dann konnte er alles erreichen. Das bedeutete im Umkehrschluss, wer auf seinem Posten versagte, hatte sich nicht genügend bemüht und war im Zweifelsfall ein Saboteur und Volksfeind. Auch wenn nach 1953 diese Kriminalisierung aufhörte, wurzelte in der sowjetischen Ideologie die Vorstellung, der Wille des Menschen sei allmächtig: Wenn der Mensch nur wolle, könne er die Natur beherrschen, Flüsse umleiten, die Atomspaltung kontrollieren und selbstverständlich auch Pläne erfüllen. Die Trennung, die Breschnew stets zwischen „objektiven“ und „subjektiven“, also menschengemachten, Gründen vornahm, war typisch für dieses Denken: Da der Sozialismus und die Planwirtschaft als unfehlbare Wissenschaften galten, musste der Kader schuld sein, wenn es zu Problemen kam. In seiner Sprichwortliste hatte Breschnew von Theodor Gottlieb von Hippel dem Älteren angestrichen: „Ein einzig faules Ei verdirbt die ganze Pastete.“302 Das passte zu der Vorstellung, dass der Neue Mensch erst geformt werden musste, er also im Falle von Fehlern noch nicht die richtige Seinsstufe erreicht oder aufgehört hatte, an sich zu arbeiten. Es scheint, dass Breschnew, der, teils unter Lebensgefahr, für Stalin Dnepropetrowsk das letzte Getreide abgepresst, das Stahlwerk in Saporoschje in Betrieb genommen, Moldawien sowjetisiert und für Chruschtschow in Kasachstan die Neulandkampagne durchgesetzt hatte, die gleiche Opferbereitschaft von den ihm nachfolgenden Kadern erwartete, die nicht einmal mehr wie er mit Verhaftung und Erschießung rechnen mussten. Wenn er sich während der Dürreperiode Anfang der 1970er Jahre seine eigenen landwirtschaftlichen Erfolge aus Stalins Zeiten vorlegen ließ, schien das eine Verwunderung in ihm auszudrücken, warum die nachfolgenden Führungskräfte unter objektiv besseren Umständen und bei weniger Gefahr für Leib und Leben schlechtere Resultate erzielten als er damals, als er jederzeit mit Verhaftung hatte rechnen müssen. In seinen Reden auf den ZK-Plenarsitzungen schien ein Unterton mitzuschwingen, der sagte: Ihr wisst gar nicht, wie gut es euch geht und wie gut ihr es unter mir habt. Entsprechend mahnte und appellierte er, wenn die Kader nur wollten, dann könnten sie alles erreichen: „Wenn wir die Lage verbessern wollen, dann werden wir sie mit keinen Resolutionen und keinen Programmen so erfolgreich ändern, wie man das durch die Kader erreichen kann. Ich wünschte mir, dass unsere ganze Partei, alle unsere Parteiorganisationen in den Republiken, Gebieten und

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Kreisen inklusive unserer führenden Parteiorganisationen ihre Aufmerksamkeit auf die Auswahl und den Einsatz der Kader richten“,303 sagte Breschnew im April 1968. Zehn Jahre später war er noch immer der Meinung: „Das Schlüsselproblem der Parteiführung in der Landwirtschaft war und bleibt die Arbeit mit den Kadern. (…) Nicht nur die Produktion, sondern auch die zwischenmenschlichen Beziehungen, ihre Lebenssituation, ihre Bildung, ihre Psychologie, ihr Bewusstsein sind Gegenstände der ständigen Aufmerksamkeit der Partei.“304 Die Partei hatte die Pflicht, die Kader richtig auszusuchen; die Kader hatten die Pflicht, sich verantwortungsbewusst zu verhalten: „Wenn in den Industriebetrieben eines Gebiets die Rentabilität nicht wächst, wenn in der Landwirtschaft die Ernte nicht steigt, wenn der Viehbestand schrumpft, wenn die Produktivität abnimmt und die Leiter des Gebiets schweigend zuschauen, dann haben wir allen Grund für die Annahme, dass das Verantwortungsgefühl verloren gegangen ist.“305 Immer wieder unterstrich Breschnew, dass sich die Parteiführung auf das „Bewusstsein und das Verantwortungsgefühl der Kommunisten“ verlasse: „Ich denke, dass wir keinerlei Veranlassung haben, von dem in der Partei etablierten Arbeitsstil und den Arbeitsmethoden abzuweichen. Aber so ein Arbeitsstil verlangt unbedingt von jedem Kader das richtige Partei-Bewusstsein und -Verhältnis zu den staatlichen Interessen sowie ein hohes Verantwortungsgefühl.“306 Auf die tiefgreifenden Strukturprobleme der sowjetischen Wirtschaft antwortete Breschnew mit moralischen Appellen und setzte auf die altbewährte „Kritik und Selbstkritik“.307 Das war ein Verfahren, mit dem der Sowjetmensch angehalten war, die eigene Entwicklung zu neuen Bewusstseinsstufen in einem kritischen Prozess mit Hilfe seiner Parteigenossen zu reflektieren und zu optimieren. Auch hier war also die Arbeit am Individuum die Antwort auf globale Fragen. Geradezu therapeutisch klangen manche Ratschläge, die Breschnew gab: „Ohne ins Detail zu gehen, möchte ich den Leitern dieser Ministerien und Behörden sagen: Sie müssen in sich die Kraft und die Fähigkeit finden, sich über die reinen Ressortinteressen zu erheben und sich wirklich der Landwirtschaft wieder zuzuwenden.“308 Breschnew versuchte den Wirtschaftsführern ins Gewissen zu reden, indem er sie aufforderte, die Lage mit den Augen der Bevölkerung zu betrachten: „Die Sowjetmenschen können Schwierigkeiten verstehen, die von den Wetterverhältnissen und durch die zugespitzte internationale Lage hervorgerufen werden. Aber sie können und wollen als Erklärung für die bestehenden Schwierigkeiten nicht akzeptieren, dass es Verschwendung, Verantwortungslosigkeit und Gleichgültigkeit gibt.“309 Wieder war es ein moralischer Appell, der

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darauf folgte: „Für das Volkswohl muss die Seele jedes Kommunisten, jedes Wirtschafts- und Parteiangestellten brennen.“310 Entsprechend hatte Breschnew in seiner Zitatenliste von Stefan Zweig angekreuzt: „Verantwortung macht den Menschen fast immer erhaben.“311 Jeder einzelne Kader sollte sich persönlich verantwortlich fühlen: „Die aufmerksame und fürsorgliche Haltung gegenüber dem Menschen muss den Arbeitsstil der Partei-, Sowjet- und Wirtschaftsorgane und natürlich der Gewerkschaften durchdringen. (…) Bürokratismus, Kaltherzigkeit und Dünkel dürfen in unserer sowjetischen Lebensweise keinen Platz haben.“312 Breschnew blieb den alten Parolen treu, auch als ab Mitte der 1970er Jahre die Prognosen immer schlechter ausfielen. Als er im Oktober 1976 betonte, dass die Pläne für den beginnenden Fünfjahrplan „ehrgeizig“ – sprich: unrealistisch – seien, da sie von Wachstumsraten ausgingen, die bereits zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr erreicht wurden, forderte er zur Planübererfüllung und zu „Gegenplänen“ auf, also zur Erstellung von noch ehrgeizigeren Zielen durch die Arbeitskollektive, wie sie für die Industrialisierung der 1930er Jahre prägend gewesen war.313 Im Dezember 1977 reagierte er auf die angespannte Lage mit einem weiteren Griff in die Propagandakiste der 1930er Jahre: „Wir müssen die Partei, die Kader, das ganze Volk mobilisieren, um den Arbeitsenthusiasmus der Massen und die Initiative vor Ort zu entfachen. Wir müssen mit voller Kraft den sozialistischen Wettbewerb entfalten, damit die Arbeitskollektive die Aufgaben des Fünfjahrplans erfüllen. So sind wir schon oft verfahren und hatten damit Erfolg.“314 Breschnew setzte auf die Wirkung von Propaganda auf das Individuum, als er forderte, die Ölerschließung in Westsibirien müsse stärker vom Komsomol, von Presse und Literatur in den Mittelpunkt gerückt und vielleicht auch eine entsprechende Medaille für die dort hart arbeitenden Menschen geschaffen werden.315 Wie sein Mitarbeiter Bowin befand, war Breschnew als Produkt des Systems nicht in der Lage, Probleme im System zu erkennen.316 Er blieb bis zu seinem Tod der sowjetischen Idee treu, dass das große Ganze von jedem einzelnen Kader abhänge: „Jeder Kommunist – und wir sind fast 18 Millionen –, der auf seinem Platz alle seine Kräfte, seine Erfahrung und sein Wissen für das Aufbringen von Reserven und für die Effizienzsteigerung der Arbeit gibt, muss ein würdiges Beispiel für die Aufopferungsbereitschaft am Arbeitsplatz sein.“317

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Korruption als Kavaliersdelikt

Dieses Denkmuster, dass der Schlüssel zu allen Problemen im einzelnen Menschen und seiner richtigen Erziehung stecke, verhinderte auch, dass sich Breschnew systematisch mit der wachsenden Korruption im Lande auseinandersetzte. Das heißt nicht, dass er die Augen vor den Zuständen verschloss. Ganz im Gegenteil: Im Juli 1973 ließ er Innenminister Schtschjolokow eine Notiz zukommen, in der er anprangert, die illegale Geschäftemacherei sei im Lande leider weit verbreitet; er selbst könne jeden Tag auf der Fahrt zur Arbeit von seinem Auto aus beobachten, wie die Menschen in Moskau auf der Gorki-Straße in der Nähe des Ladens „Geschenke“, aber auch vor dem Geschäft „Sanitärtechnik“ und rund um das Hotel „Ukraine“ mit Defizitwaren handelten. Er wisse auch, dass der Bauman-Stadtteil, der sein Wahlkreis war, dafür bekannt sei, dass man hier auf dem Schwarzmarkt alles erwerben könne; auf der Sadowo-Kudrinskaja-Straße würden offen Radio-, Telefon- und Fotoapparate angeboten. Weder die Miliz noch die Presse unternähmen etwas dagegen: „Das erzürnt die Bevölkerung“.318 Breschnews Anweisung war bezeichnend: Die „gesellschaftlichen Organisationen“, also die Partei, die Gewerkschaften und der Komsomol, sollten eingeschaltet werden, um diese Missstände zu beseitigen.319 Damit behandelte er Unterschlagung, Spekulation und Bereicherung als moralisches Versagen einzelner Kader bzw. der Erziehungsarbeit durch die Partei. Zudem erlaubte sein etabliertes System der Kaderstabilität ihm nicht, rigoros gegen solche lokalen Parteiführer vorzugehen, die seine Klienten und Statthalter waren. Als 1974 Klagen und Gerüchte bis nach Moskau drangen, dass der Leiter der georgischen Handelszentrale, A.P. Klimow, mehr als eine Million Rubel unterschlagen, Unsummen für den Bau von Luxusrestaurants ausgegeben, eine mafiöse Struktur von Handelskooperativen aufgebaut und zudem mit PKWs auf dem Schwarzmarkt spekulierte hätte, bestellte das ZK Klimow zum Gespräch nach Moskau und befand, dass es für alle Vorgänge eine plausible Erklärung gebe.320 Genauso verhielt es sich mit dem Alijew-Clan in Aserbaidschan, vor dessen Selbstbereicherung Breschnew die Augen verschloss, solange seine Vertreter treu zu ihm hielten.321 Im Februar 1975 beschloss das ZK allerdings doch, verstärkt gegen „Diebstahl und Verschleuderung von sozialistischem Eigentum“ vorzugehen.322 In diesem Zuge wurden mehrere Parteiführer in Aserbajdschan, Kirgisien, der Ukraine, Usbekistan, Armenien und Tadschikistan entlassen. Die Miliz und die Staatsan-

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waltschaft intensivierten ihre Arbeit; die „Abteilung zum Kampf gegen den Diebstahl von sozialistischem Eigentum“ konnte 1975 25 Millionen Rubel sicherstellen. Dazu kamen 476 Kilogramm Gold, elf Kilogramm Platin, 2527 Karat Edelsteine und 75.000 Dollar.323 Dem stand ein Verlust durch Unterschlagung in Höhe von mehr als 102 Millionen Rubel gegenüber.324 Erst sehr spät war Breschnew bereit, sich systematisch mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen, und er tat es wieder auf der Ebene der Kader. Als Maßnahme verschickte das ZK im Oktober 1981 an alle Parteimitglieder einen vertraulichen Brief, in dem die Parteiführung zum „kompromisslosen Kampf mit solchen verwerflichen Erscheinungen wie Diebstahl, Bestechung und Spekulation“ aufrief.325 Hier kam erneut die Grundhaltung zum Ausdruck: Wenn die Kommunisten mit gutem Beispiel vorangingen, würden alle anderen folgen und es gäbe keine Korruption mehr. Die örtlichen Parteiorganisationen diskutierten diesen Brief mit ihren Mitgliedern und berichteten nach Moskau, wie groß die Beteiligung an diesen Diskussionen war und dass die Kommunisten den Brief einhellig als „sehr wichtiges Dokument, das die Marschrichtung richtig wiedergibt“, gewürdigt hätten.326 Doch Breschnew weigerte sich noch Anfang 1982, den Ersten Sekretär von Krasnodar, Sergei Medunow, für Machtmissbrauch und Veruntreuung vor Gericht zu stellen, obwohl Andropow darauf drang, ein Strafverfahren einzuleiten.327 Krasnodar hatte sich unter Medunow seit 1973 zum Drehkreuz für den Schmuggel von Kaviar in den Westen entwickelt.328 Doch Breschnew fühlte sich Medunow besonders verbunden, weil das „Kleine Land“, Schauplatz seiner Kriegserinnerungen, zum Krasnodarer Gebiet gehörte und Medunow alles getan hatte, um Breschnew als Kriegshelden zu ehren; Breschnew war dort mehrfach sein Gast gewesen, hatte ihn umarmt und sich mit ihm fotografieren lassen.329 Als Andropow ihm nun nahelegte, eine Strafverfolgung einzuleiten, schwieg Breschnew lange und sagte schließlich: „Jura, das ist unmöglich. Er ist der Leiter einer so großen Parteiorganisation und die Menschen glaubten an ihn, sie folgten ihm, und nun stellen wir ihn vor Gericht? (…) Versetze ihn, und dann sehen wir weiter.“330 Andropow musste mit seiner großangelegten Antikorruptionskampagne bis nach Breschnews Tod warten. Zu Breschnews Herrschaftsszenario des Fürsorgers und guten Patrons passte es nicht, treue Gefolgsleute vor Gericht zu stellen. Spekulation und Bereicherung behandelte er als Kaderproblem oder Kavaliersdelikt, aber nicht als strafrechtlich relevant. Breschnew wusste, dass er sich durch eine derartige

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Großzügigkeit Unterstützung und Loyalität sicherte; er schien selbst bei der Korruptionsbekämpfung peinlich darauf bedacht zu sein, nicht in die Nähe von Chruschtschow zu geraten, der Karrieren zerstört hatte. Er setzte nicht mal seinen Friseur und Barbier ab, obwohl dieser regelmäßig nicht zur Arbeit erschien oder aber in vollkommen betrunkenem Zustand mit dem Rasiermesser hantierte.331 Seinen Chauffeur, den die Kremladministration wegen Trunkenheit suspendiert hatte, „rehabilitierte“ er persönlich.332 Alle sollten in Ruhe leben und arbeiten können. Resümee

Breschnews Prägungen und Erlebnisse unter Stalin waren für seine Wirtschaftspolitik im Guten wie im Schlechten verantwortlich. Die Entbehrungen und Verwüstungen, die er selbst überall in der Union gesehen hatte, sorgten dafür, dass er Chruschtschows Sozialprogramme nicht nur fortsetzte, sondern sie zu seiner Hauptagenda und schließlich sogar zur „Generallinie“ der Partei erklärte. Er drehte dafür sogar die Kausalkette um: Die Menschen sollten sich nicht durch den Aufbau des Sozialismus erst den Wohlstand verdienen müssen, sondern ein menschenwürdiges Lebensniveau war die Voraussetzung dafür, den Sozialismus mit voller Kraft errichten zu können. Breschnew ging noch in einem zweiten Punkt über Chruschtschow hinaus: Ihn interessierte nicht nur das Wohl der Massen, sondern das private Glück des Einzelnen. Jeder sollte nicht nur die Wohnungstür zu seinen eigenen vier Wänden schließen, sondern auch ein Auto für die individuelle Mobilität sein Eigen nennen können. Schließlich sticht an Breschnew hervor, dass er gezielt den Lebensstandard auch der Bauern förderte und bereit war, dies auch gegen den Widerstand in der eigenen Partei durchzusetzen. Hier wurde die Nähe zu den Bauern offensichtlich, die seiner Zeit als Flurneuordner und Neulandbesteller entstammte. Negativ wirkte sich aus, dass er Stalins Parole und Politik „Die Kader entscheiden alles“ vollauf verinnerlicht und nicht nur zu seiner Handlungsmaxime, sondern auch zu seinem einzigen Lösungsansatz gemacht hatte. Breschnew war ein Produkt dieses politischen Systems und konnte – und wollte vermutlich auch – nicht annehmen, dass es viel grundlegenderer Reformen bedurfte und es allein mit moralischen Appellen an die Parteidisziplin und das Verant­ wortungsbewusstsein der Wirtschaftsführer nicht getan war. Seine Ministerschelten waren zwar ungewöhnlich schonungslos, offen und kritisch – aber

Anmerkungen

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gleichzeitig ungefährlich, weil er weder das Stalin’sche Verhaften noch das Chruschtschow’sche Entlassen praktizierte. Seine heftige Kritik blieb letztlich wirkungslos, weil sich Breschnew tiefergreifenden Reformen verweigerte. In Paris waren Pompidous Berater der Meinung, Moskau sei zwischen zwei Polen gefangen: der Notwendigkeit, die Wirtschaft zu rationalisieren, und der Führungsrolle der Partei.333 Dass die Kossygin’schen Reformen bald lautlos verebbten und keine neue Reformanstrengung unternommen wurde, lag aber auch zu einem Großteil an der Patron-Klienten-Struktur des sowjetischen politischen Systems und der daraus resultierenden persönlichen Rivalität zwischen Breschnew und Kossygin. Die gesamte Wirtschaftsanalyse wurde von ihrem Konkurrenzkampf überlagert, der ein gemeinsames Handeln ausschloss. Es ist fraglich, ob sie tatsächlich gemeinsam gegen den Widerstand vieler Wirtschaftsführer und Ministerialapparate eine tiefgreifende Strukturreform hätten durchsetzen können. Aber sicher hätten sie gemeinsam eine ganz andere, neue Dynamik entfalten können. So fuhren sie sich fest in den alljährlichen Ritualen von Sticheleien und Forderungen nach Veränderungen. Und Breschnew blieb nichts anderes übrig, als sich zu wundern, wie er unter Stalin so viel mehr hatte erreichen können als seine jüngeren Nachfolger in „objektiv“ viel besseren Zeiten.

Anmerkungen 1 2 3 4

Mlečin, Brežnev, S. 436. Alexander Bovin, zit. nach Mlečin, Brežnev, S. 436. Dokučaev, Moskva. Kreml’. Ochrana, S. 181. Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 274; D. Granin: Sobstvennoe mnenie, rasskaz, in: Novyj mir, Nr. 8, August 1956, S. 129–137. 5 George Breslauer: On the Adaptability of Soviet Welfare-State Authoritarianism, Amherst 1978; Stefan Plaggenborg/Galina Ivanova (Hg.): Entstalinisierung als Wohlfahrt. Sozialpolitik in der Sowjetunion 1953–1970, Frankfurt am Main 2015; Stefan Plaggenborg: Experiment Moderne. Der sowjetische Weg, Frankfurt am Main 2006, S. 223 ff.; Lukas Mücke: Die allgemeine Altersrentenversorgung in der UdSSR, 1956–1972, Stuttgart 2013. 6 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 43, Eintrag vom 15. Oktober 1964. 7 RGANI, f. 80, op. 1, d. 330, l. 42. 8 RGANI, f. 1, op. 5, d. 1, l. 144. 9 Ebenda, l. 181. 10 Ebenda, l. 214.

402

11

Leben und leben lassen oder: „Alle sollen in Ruhe leben und arbeiten können“

James R. Millar: The Little Deal: Brezhnev’s Contribution to Acquisitive Socialism, in: Terry L. Tompson/Richard Sheldon (Hg.): Soviet Society and Culture. Essays in Honor of Vera S. Dunham, Boulder 1988, S. 3–19; Linda Cook: The Soviet „Social Contract“ and Gorbachev’s Reforms, in: Soviet Studies 44 (1992) 1, S. 37–56; Vladimir Shlapentokh: Standard of Living and Popular Discontent, in: Michael Ellman/Vladimir Kontorovich (Hg.): The Destruction of the Soviet Economic System: An Insider’s History, Armonk 1998; Wolfgang Teckenberg: Wirtschaftsreformen in der UdSSR aus soziologischer Sicht, in: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung (1985) 2, S. 188–195; Stephen White: Economic Performance and Communist Legitimacy, in: World Politics 38 (1986) 3, S. 462–482. 12 RGANI, f. 2, op. 3, d. 215: Protokol No. 15 Dekabr’skogo Plenuma, 7.12.1970g., l. 41. 13 Ebenda, l. 41. 14 Ebenda, l. 42. 15 Ebenda. 16 RGANI, f. 2, op. 3, d. 227: Stenogramma Martovskogo Plenuma, 22.3.1971g., l. 16. 17 RGANI, f. 2, op. 3, d. 282: Stenogramma zasedanija Dekabr’skogo Plenuma, 18.12.1972g., l. 85. 18 Ebenda. 19 RGANI, f. 2, op. 3, d. 317: Stenogramma pervogo zasedanija Dekabr’skogo Plenuma, 10.12.1973g., l. 44. 20 RGANI, f. 2, op. 3, d. 366: Stenogramma zasedanija Dekabr’skogo Plenuma, 1.12.1975g., l. 46. 21 RGANI, f. 2, op. 3, d. 380: Stenogramma Fevral’skogo Plenuma, 20.2.1976g., l. 14. 22 RGANI, f. 2, op. 3, d. 366, l. 55. 23 RGANI, f. 2, op. 3, d. 467: Stenogramma pervogo zasedanija Ijul’skogo Plenuma, 3.7.1978g., l. 5 f. 24 Ebenda, l. 6. 25 RGANI, f. 2, op. 3, d. 537, l. 46. 26 Ebenda, l. 51. 27 Ebenda, l. 51 f. 28 RGANI, f. 2, op. 3, d. 550: Stenogramma zasedanija Fevral’skogo Plenuma, 20.2.1981g., l. 21. Siehe auch RGANI, f. 2, op. 3, d. 587: Stenogramm utrennego zasedanija Majskogo Plenuma, 24.5.1982g., l. 5. 29 RGANI, f. 80, op. 1, d. 980, l. 55, Eintrag vom 14. September 1967. 30 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 504, Eintrag vom 12. Mai 1972. 31 RGANI, f. 80, op. 1, d. 331: Zapiski pomoščnikov A. Aleksandrova, A. Blatova, E. Samotejkina i G. Cukanova 1963–1979gg., l. 67, 76 f. 32 Interview mit Vladimir Musaėl’jan, 16. März 2016. 33 RGANI, f. 2, op. 3, d. 489, l. 42. 34 Mücke, Altersrentenversorgung, S. 81, 112. 35 RGANI, f. 3, op. 28, d. 9: Porjadok ustanovlenija pensij, 9.1.1964–4.3.1966g., l. 69, l. 90. 36 RGANI, f. 5, op. 30, d. 139: Zapiska Brežneva o predstavlenii proekta obraščenija CK KPSS, SM SSSR i VCSPS, l. 28 ff. 37 Stefan Plaggenborg: Lebensverhältnisse und Alltagsprobleme, in: ders. (Hg.): Handbuch der Geschichte Russlands, Bd. 5: 1945–1991. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion, 2. Halbbd., Stuttgart 2003, S. 786–848, hier: S. 790. 38 RGANI, f. 3, op. 28, d. 9, l. 204, 207.

Anmerkungen

403

39 RGANI, f. 80, op. 1, d. 979, l. 82–85. 40 RGANI, f. 1, op. 5, d. 1, l. 193–197. 41 RGANI, f. 2, op. 3, d. 44, l. 101. 42 Ebenda, l. 100. 43 Ebenda. 44 RGANI, f. 2, op. 3, d. 78: Protokol No. 6, zasedanie Sentjabr’skogo Plenuma, 26.9.1967g., l. 10–14. 45 Ebenda, l. 14. 46 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 277. 47 RGANI, f. 80, op. 1, d. 980, l. 160, Eintrag vom 11.–12. Dezember 1967. 48 RGANI, f. 2, op. 3, d. 78, l. 15. 49 RGANI, f. 2, op. 3, d. 230: Martovskij Plenum, stenogramma zasedanija, 22.3.1971g., l. 46. 50 Ebenda, l. 17–20. 51 RGANI, f. 2, op. 3, d. 366, l. 47. 52 RGANI, f. 2, op. 3, d. 402: Oktjabr’skij Plenum 25.–26.10.1976g., stenogramma pervogo zasedanija, utrennego, l. 55. 53 Ebenda, l. 56. 54 RGANI, f. 2, op. 3, d. 230, l. 18. 55 RGANI, f. 2. op. 3, d. 550: Fevral’skij Plenum, stenogramma zasedanija, 20.2.1981g., l. 27. 56 Anatolij Kovalev: Midovcy i genseki. Diplomatičeskie novelly, in: Novoe vremja, 1993, Nr. 38, S. 42–44, hier: S. 43. 57 Kovalev, Midovcy i genseki. Diplomatičeskie novelly, S. 43. 58 Brežneva, Plemjannica, S. 389. 59 Ebenda, S. 166. 60 Kozlov, Otdychaj, strana, S. 10. 61 Mücke, Altersrentenversorgung, S. 277. 62 RGANI, f. 2, op. 1, d. 789: Materialy k protokolu No. 12 Sentjabr’skogo Plenuma 1965g., l. 81. 63 Vgl. auch Plaggenborg, Lebensverhältnisse, S. 792 f. 64 RGANI, f. 2, op. 3, d. 366, l. 47. 65 RGANI, f. 2, op. 3, d. 467, l. 19. 66 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 431, 451. 67 Sergej Novikov: Bol’šaja istoričeskaja ėnciklopedia, Moskau 2003, S. 476. 68 RGANI, f. 2, op. 1, d. 780: Martovskij Plenum, stenogramma pervogo i vtorogo zasedanija, 24.3.1965g., l. 6. 69 Ebenda, l. 9 f. 70 Ebenda, l. 47, 54. 71 Ebenda, l. 14. 72 Ebenda, l. 47; vgl. Žores Medvedev: Vzlet i padenie Lysenko. Istorija biologičeskoi diskussii v SSSR (1929–1966), Moskau 1993; Sacharov, Vospominanija, S. 202; Valerij Sojfer: Vlast’ i nauka. Razgrom kommunistami genetiki v SSSR, 4. Auflage, Moskau 2002, S. 804. 73 RGANI, f. 2, op. 1, d. 780, l. 52, 54. 74 Ebenda, l. 58, 64. 75 RGANI, f. 2, op. 1, d. 782: Martovskij Plenum, stenogramma pjatogo zasedanija, l. 75 f. 76 RGANI, f. 2, op. 3, d. 467, l. 19.

404

77

Leben und leben lassen oder: „Alle sollen in Ruhe leben und arbeiten können“

RGANI, f. 2, op. 3, d. 44: Dekabr’skij Plenum, stenogramma tret’ego zasedanija, 12.–13.12.1966g., l. 99. 78 Vgl. Mlečin, Brežnev, S. 501. 79 RGANI, f. 2, op. 3, d. 21: Stenografičeskij otčet Majskogo Plenuma, 25.–27.5.1966g., l. 298. 80 RGANI, f. 2, op. 3, d. 21, l. 295. Vgl. zum Verhältnis Breschnews zu Matzkewitsch: Gavriljuk, Teper’ mužik skažet, S. 262 f. 81 1 Pud, russische Maßeinheit = 16,36 kg. 82 RGANI, f. 2, op. 3, d. 121: Protokol No. 9 Oktjabr’skogo Plenuma, 30.–31.10.1968g., l. 26. 83 RGANI, f. 2, op. 3, d. 121, l. 25. 84 Ebenda, l. 17, 26 f. 85 Ebenda, l. 32. 86 Siehe dazu die Regularien in RGANI, f. 2, op. 3, d. 313: Postanovlenie Dekabr’skogo Plenuma, 10.–11.12.1973g., l. 1. 87 RGANI, f. 80, op. 1, d. 981: Rabočie zapisi v bloknote, l. 1–36, Eintrag vor dem 12. Februar 1968. 88 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 277. 89 RGANI, f. 2, op. 3, d. 121, l. 23. 90 RGANI, f. 2, op. 3, d. 123: Oktjabr’skij Plenum, stenogramma pervogo zasedanija, 30.10.1968g., l. 14. 91 RGANI, f. 2, op. 3, d. 125: Oktjabr’skij Plenum, stenogramma tret’ego zasedanija, 31.10.1968g., l. 127. 92 RGANI, f. 2, op. 3, d. 159, l. 143. 93 RGANI, f. 80, op. 1, d. 296: Aprel’skij Plenum, stenogramma tret’ego zasedanija, 27.4.1973g., l. 1 f., 9 f. 94 RGANI, f. 2, op. 3, d. 159, l. 143 f. 95 Zit. nach Elena Zubkova: Russia after the War. Hopes, Illusions, and Disappointments, 1945– 57, Armonk, New York, 1998, S. 176. 96 RGANI, f. 2, op. 3, d. 159, l. 143. 97 Ebenda, l. 144. 98 RGANI, f. 80, op. 1, d. 296, l. 1 f., 9 f. 99 RGANI, f. 80, op. 1, d. 276, l. 127–132, Eintrag vom 21. November 1969. 100 Ebenda. 101 Ebenda. 102 RGANI, f. 2, op. 3, d. 186: Stenogramma pervogo zasedanija Ijul’skogo Plenuma, 2.7.1970g., l. 11. 103 Ebenda, l. 14. 104 Ebenda, l. 17. 105 RGANI, f. 2, op. 3, d. 318: Dekabr’skij Plenum, stenogramma vtorogo zasedanija, 10.12.1973g., l. 46. 106 Ebenda, l. 33. 107 RGANI, f. 2, op. 3, d. 186, l. 18. 108 RGANI, f. 2, op. 3, d. 215: Protokol Dekabr’skogo Plenuma, 7.12.1970g., l. 40. 109 RGANI, f. 2, op. 3, d. 251: L.I. Brežnev, doklad: „O meždunarodnoj dejatel’nosti CK KPSS posle 24 s’’ezda“, l. 1, 4; d. 282, l. 84. 110 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 533, Eintrag vom 13. Oktober 1972.

Anmerkungen

405

111 RGANI, f. 80, op. 1, d. 324: Zapiski, informacii, spravki sekretarej CK KPSS, sel’sko-chozjajstvennogo otdela CK KPSS, ministerstv i vedomstv po voprosam sel’skogo chozjajstva s rezoljucijami i avtografami L. Brežneva, l. 103, 111, 133, 137, 144 f. 112 RGANI, f. 80, op. 1, d. 324, l. 211. 113 Ebenda, l. 189. 114 Ebenda, l. 206–208. 115 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 570, Eintrag vom 24. Juli 1973; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 513. 116 RGANI, f. 80, op. 1, d. 324, l. 211. 117 RGANI, f. 2, op. 3, d. 366, l. 49 118 RGANI, f. 80, op. 1, d. 333: Zapiski pomoščnika General’nogo sekretar’ja V. Golikova na imja L. Brežneva, 1974–1982gg., l. 52. 119 Mlečin, Brežnev, S. 501. 120 RGANI, f. 2, op. 3, d. 403, l. 16. 121 RGANI, f. 80, op. 1, d. 332: Zapiski pomoščnika Genseka CK KPSS V. Golikova na imja L. Brežneva s rezoljucijami i avtografami L. Brežneva, 1965–1973gg., l. 140. 122 Mlečin, Brežnev, S. 502. 123 RGANI, f. 2, op. 3, d. 467, l. 3, 7, 12. 124 Ebenda, l. 7 f. 125 RGANI, f. 2, op. 3, d. 489, l. 49. 126 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 915f., Eintrag vom 20. Juni 1978; siehe auch S. 964, 970, Einträge vom 20. August 1979 und 18. September 1979. 127 RGANI, f. 2, op. 3, d. 513: Nojabr’skij Plenum, stenogramma zasedanija, 27.11.1979g., l. 2; d. 534, l. 157. 128 RGANI, f. 2, op. 3, d. 534, l. 157. 129 Gorbačev, Žizn’ i reformy, Bd. 1, S. 27; vgl. RGANI, f. 80, op. 1, d. 987, l. 1–27ob., Eintrag vom 28. November 1978. 130 RGANI, f 80, op. 1, d. 320: Zapiski, informacii otdelov CK KPSS (…): o partijnom stroitel’stve, l. 219. 131 RGANI, f. 2, op. 3, d. 519: Vystuplenie Brežneva na Oktjabr’skom Plenume, 21.10.1980, l. 10. 132 RGANI, f. 2, op. 3, d. 570, l. 59 f. 133 RGANI, f. 2, op. 3, d. 587: Majskij Plenum, stenogramma utrennego zasedanija, 24.5.1982g., l. 5 f. 134 Ebenda, l. 8. 135 RGANI, f. 2, op. 3, d. 404, l. 125; d. 570, l. 56. 136 RGANI, f. 2, op. 3, d. 570, l. 57. 137 RGANI, f. 80, op. 1, d. 333, l. 41. 138 RGANI, f. 2, op. 3, d. 168: Protokol No. 12 Dekabr’skogo Plenuma, 15.12.1969g., l. 30; f. 80, op. 1, d. 332, l. 138; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 513. 139 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 753, Eintrag vom 12. Januar 1977. 140 RGANI, f. 2, op. 3, d. 146: Stenogramma zasedanja Dekabr’skogo Plenuma, 9.12.1968g., l. 63. 141 Ebenda, l. 63. 142 RGANI, f. 2, op. 3, d. 168, l. 10. 143 Ebenda, l. 49–51. 144 Ebenda, l. 51.

406

145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161

162 163 164 165 166 167

168

169 170 171 172 173 174 175 176 177

Leben und leben lassen oder: „Alle sollen in Ruhe leben und arbeiten können“ RGANI, f. 80, op. 332, l. 57. RGANI, f. 2, op. 3, d. 366, l. 50. RGANI, f. 2, op. 3, d. 452: Stenogramma zasedanija Dekabr’skogo Plenuma, 13.12.1977g., l. 70. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 838, Eintrag vom 6. Oktober 1977. RGANI, f. 2, op. 3, d. 467, l. 9. Ebenda, l. 28. RGANI, f. 2, op. 3, d. 587: Majskij Plenum, stenogramma utrennego zasedanija, 24.5.1982g., l. 12. RGANI, f. 2, op. 3, d. 467, l. 72. RGANI, f. 80, op. 1, d. 312: Doklad, vystuplenija i soobščenija L. Brežneva na zasedanijach PB CK KPSS (…), l. 109. Plaggenborg, Experiment Moderne, S. 241. RGANI, f. 2, op. 3, d. 489, l. 48; siehe auch d. 513, l. 64; d. 537, l. 52. Zit. nach Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 345. RGANI, f. 80, op. 1, d. 332, l. 162 ff. RGANI, f. 80, op. 1, d. 324, l. 13, 15. RGANI, f. 80, op. 1, d. 330, l. 5; siehe auch f. 2, op. 3, d. 570, l. 62. RGANI, f. 80, op. 1, d. 324, l. 84, 87. Intelligence Memorandum, Washington, September 13, 1972, The View from the Kremlin Three Months after the Summit, https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1969-76v15/ d45, abgerufen am 2.6.2017; Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 21, S. 185. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 953, Eintrag vom 16. Mai 1979. RGANI, f. 80, op. 1, d. 329, l. 74, 76. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1015, Eintrag vom 1. August 1980. RGANI, f. 2, op. 3, d. 587, l. 16. RGANI, f. 2, op. 3, d. 537, l. 57. Tatu, Power in the Kremlin, S. 455 f.; David Lane: Soviet Economy and Society, Oxford 1985; Vladimir Kontorovich: Lessons of the 1965 Soviet Economic Reform, in: Soviet Studies 40 (1988) 2, S. 308–316. D.V. Schwartz (Hg.): Resolutions and Discussions of the Communist Party of the Soviet Union, Toronto 1982: On Improving Industrial Management, S. 49–56; Teckenberg, Wirtschaftsreformen in der UdSSR; Gertrude E. Schroeder: The Soviet Economy on a Treadmill of „Reforms“, in: Soviet Economy in a Time of Change: A Compendium of Papers Submitted to the Joint Economic Committee, Congress of the United States, Washington, D.C. 1979, S. 312–366. Bajbakov, Sorok let v pravitel’stve, S. 112; siehe auch Mlečin, Brežnev, S. 494. RGANI, f. 5, op. 30, d. 207, l. 20. RGANI, f. 2, op. 1, d. 789, l. 72. Ebenda, l. 78. Ebenda, l. 79. Ebenda, l. 81. Ebenda, l. 83, 91, 92. RGANI, f. 2, op. 1, d. 790: Materialy k protokolu No. 12: Stenogramma zasedanija komissii, l. 11. Ebenda, l. 108 ff.

Anmerkungen

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178 RGANI, f. 2, op. 1, d. 804: Sentjabr’skij Plenum, stenogramma četverogogo zasedanija, 29.9.1965g., l. 36 ff. 179 Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Ėkonomiki (im Folgenden: RGAĖ), f. 4372, op. 66: Gosudarstvennyj planovoj komitet pri Sovmine 1965–1966gg., d. 3: Materialy k protokolu pervogo zasedanija Gosplana, 19.3.1965g., l. 170–173. 180 RGANI, f. 2, op. 1, d. 796: Materialy k protokolu No. 12, l. 33. 181 Ebenda, l. 19 f., 41. 182 Siehe auch Natalya Chernyshova: Soviet Consumer Culture in the Brezhnev Era, London, New York 2013. 183 RGANI, f. 1, op. 5, d. 11: Aprel’skij Plenum, stenogramma odinnadcatogo zasedanija, 5.4.1966g., l. 38. 184 RGAĖ, f. 4372, op. 66, d. 18: Prikazy po Gosplanu, l. 2. 185 RGAĖ, f. 4372, op. 66, d. 431: Dokladnye zapiski rukovodstvu o bytovym obsluživanii, l. 3 f. 186 Siehe Plaggenborg, Lebensverhältnisse, S. 817. 187 RGAĖ, f. 4372, op. 66, d. 430: Poručenie CK KPSS, Sovmin, VSNCh i rukovodstva Gosplana o razvitii obsluživanija naselenija i materialy po vypolneniju poručenij 1965g., l. 3–5. 188 Ebenda, l. 39. 189 Plaggenborg, Experiment Moderne, S. 241. 190 RGANI, f. 2, op. 3, d. 230, l. 20. 191 RGANI, f. 2, op. 3, d. 537, l. 47; siehe auch Plaggenborg, Experiment Moderne, S. 241. 192 RGANI, f. 2, op. 3, d. 537, l. 57. 193 RGANI, f. 2, op. 3, d. 366, l. 55. 194 RGANI, f. 80, op. 1, d. 321: Zapiski, informacii sekretarej CK KPSS, Sovmina, Gosplana, Minfina, G. Cukanova, l. 33 f. 195 Ebenda, l. 159, 188. 196 Ebenda, l. 199–205. 197 RGANI, f. 80, op. 1, d. 312, l. 144. 198 RGANI, f. 2, op. 3, d. 513, l. 68. 199 Ebenda. 200 RGANI, f. 5, op. 67, d. 368: Zapiski i spravki (…) po zapisku GenSeka v časti ulučenija stilja i metodov raboty (…), l. 10. 201 RGANI, f. 5, op. 59, d. 221: Zapiski, pis’ma, informacionnye soobščenija Otdela torgovli, l. 67. 202 Ebenda, l. 55. 203 Ebenda, l. 70. 204 RGANI, f. 80, op. 1, d. 330. l. 5. 205 Sergej Žuravlev et al.: Avtovaz meždu prošlym i buduščim. Istorija Volžskogo avtomobil’nogo zavoda, 1966–2005, Moskau 2006, S. 33; Luminita Gatejel: Appealing for a Car: Consumption Policies and Entitlement in the USSR, the GDR, and Romania, 1950s–1980s, in: Slavic Review 75 (2016) 1, S. 122–145. 206 RGAĖ, f. 4372, op. 66, d. 3: Materialy k protokolu, (…) doklad Kosygina, l. 176. 207 RGANI, f. 2, op. 1, d. 809, l. 50. 208 Ebenda. 209 Ebenda. 210 RGANI, f. 2, op. 1, d. 789, l. 92.

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Leben und leben lassen oder: „Alle sollen in Ruhe leben und arbeiten können“

211 RGANI, f. 2, op. 1, d. 45: Dekabr’skij Plenum, stenogramma pervogo zasedanija, 12.12.1966g., l. 40. Siehe auch Žuravlev, Avtovaz meždu prošlym i buduščim, S. 46. 212 RGANI, f. 80, op. 1, d. 980, l. 31, Eintrag Mai–Juni 1967. 213 RGANI, f. 80, op. 1, d. 331, l. 112. 214 Žuravlev, Avtovaz meždu prošlym i buduščim, S. 671; Lewis H. Siegelbaum: Cars for Com­rades. The Life of the Soviet Automobile, Ithaca, NY, London 2008, S. 238. 215 Plaggenborg, Lebensverhältnisse, S. 819. 216 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 118. 217 Ebenda, S. 119; Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 387, 401; Bajbakov, Sorok let v pravitel’stve, S. 251; Ljudmila Gvišani-Kosygina: Ob otce, in: Bajbakov, Kosygin, S. 164–174, hier: S. 169. 218 Bovin, XX vek kak žizn’, S. 140; Mlečin, Brežnev, S. 497. 219 RGANI, f. 2, op. 3, d. 295: Stenogramma vtorogo zasedanija Aprel’skogo Plenuma, 26.–27.4.1973g., l. 17, 56–79. 220 Siehe z.B. RGANI, f. 2, op. 3, d. 380: Stenogramma zasedanija Fevral’skogo Plenuma, 20.2.1976g., l. 30, 32. 221 Bajbakov, Sorok let v pravitel’stve, S. 98; RGANI, f. 2, op. 1, d. 797: Sentjabr’skij Plenum, stenogramma pervogo zasedanija, 27.9.1965g., l. 16 ff.; siehe auch Mlečin, Brežnev, S. 493. 222 Bajbakov, Sorok let v pravitel’stve, S. 121, 252. 223 Abrasimov, Vospominaja prošedšie gody, S. 266. 224 Bajbakov, Sorok let v pravitel’stve, S. 123. 225 Ebenda, S. 126. 226 RGANI, f. 2, op. 1, d. 809, l. 38. 227 Ebenda, l. 40. 228 Ebenda, l. 42. 229 Abrasimov, Vospominaja prošedšie gody, S. 266; Petr Radionov: Kak načinalsja zastoj. Iz zametok istorika partii. Izvorotlivaja, chitraja i lovkaja posredstvennost’, in: Aksjutin, Brežnev. Materialy k biografii, S. 145–167, hier: S. 155; siehe dazu auch Mlečin, Brežnev, S. 503. 230 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 146. 231 RGANI, f. 2, op. 3, d. 168, l. 36. 232 Ebenda, l. 40–42. 233 Ebenda, l. 43. 234 Ebenda, l. 44. 235 Ebenda. 236 Ebenda, l. 45 f. 237 Ebenda, l. 47. 238 Ebenda, l. 47 f. 239 Ebenda, l. 48. 240 Ebenda, l. 53 f. 241 Ebenda, l. 49, 54. 242 Ebenda, l. 58. 243 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 146 f. 244 Ebenda, S. 147. 245 Archiv der sozialen Demokratie (im Folgenden: AdsD), Depositum Egon Bahr, Ordner 434: V.L. [Valerij Lednev], Der Staatssekretär, Bonn, den 27. April 1970, Dem Bundeskanzler und Bundesminister, streng vertraulich, persönlich, ohne Blattangabe.

Anmerkungen

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246 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Note pour M. le Président de la République, Paris, 17.9.1970, S. 5: Situation actuelle de l’Union Soviétique. 247 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 147. 248 RGANI, f. 2, op. 3, d. 240: Aprel’skij Plenum, stenogramma zasedanija, 9.4.1971g., l. 2–5. 249 RGANI, f. 2, op. 3, d. 168, l. 59. 250 RGANI, f. 2, op. 3, d. 282, l. 104. 251 Ebenda, l. 110. 252 Ebenda, l. 88. 253 Ebenda, l. 110. 254 Ebenda, l. 110. 255 Ebenda, l. 112. 256 Ebenda, l. 115 f. 257 Ebenda, l. 100. 258 Ebenda. 259 Ebenda, l. 101. 260 Ebenda, l. 95. 261 Ebenda, l. 97. 262 Ebenda, l. 86. 263 RGANI, f. 2, op. 3, d. 317, l. 41 f. 264 Ebenda, l. 52. 265 Ebenda, l. 53. 266 Ebenda. 267 Ebenda, l. 56 f., 61. 268 Ebenda, l. 65. 269 Ebenda, l. 66 f. 270 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 113. 271 RGANI, f. 2, op. 3, d. 331: Stenogramma zasedanija Ijul’skogo Plenuma, 24.7.1974g., l. 25. 272 RGANI, f. 2, op. 3, d. 342: Stenogramma zasedanija Dekabr’skogo Plenuma, 16.12.1974g., l. 191–195. 273 RGANI, f. 2, op. 3, d. 366, l. 61. 274 Ebenda. 275 RGANI, f. 80, op. 1, d. 330, l. 48. 276 Ebenda, l. 56. 277 Bajbakov, Sorok let v pravitel’stve, S. 124, 127. 278 RGANI, f. 2, op. 3, d. 366, l. 56. 279 RGANI, f. 2, op. 3, d. 402, l. 61. 280 Ebenda, l. 67. 281 Ebenda, l. 62. 282 Ebenda, l. 70. 283 RGANI, f. 2, op. 3, d. 452, l. 62. 284 RGANI, f. 2, op. 3, d. 402, l. 76. 285 Ebenda. 286 RGANI, f. 5, op. 67, d. 67: Informacii, spravki, (…) o meroprijatijach po vypolneniju postanovlenija Sekretariata ot 19.02.1974g. (…) o soveršenstvovanii stilja i metodov raboty part. i sov. organov, l. 25–27. 287 RGANI, f. 2, op. 3, d. 402, l. 65.

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Leben und leben lassen oder: „Alle sollen in Ruhe leben und arbeiten können“

288 RGANI, f. 2, op. 3, d. 513, l. 70. 289 RGANI, f. 2, op. 3, d. 537, l. 65. 290 Ebenda. 291 Ebenda. 292 RGANI, f. 2, op. 3, d. 570, l. 56. 293 Ebenda. 294 Ebenda, l. 61. 295 Ebenda, l. 63. 296 Ebenda, l. 70. 297 RGANI, f. 2, op. 3, d. 587, l. 10. 298 Ebenda, l. 19. 299 Ebenda, l. 23. 300 RGANI, f. 80, op. 1, d. 330, l. 45. 301 Brežneva, Plemjannica, S. 389. 302 RGANI, f. 80, op. 1, d. 330, l. 52. 303 RGANI, f. 2, op. 3, d. 94, l. 68 f. 304 RGANI, f. 2, op. 3, d. 467, l. 73. 305 RGANI, f. 2, op. 3, d. 168, l. 47. 306 Ebenda, l. 59; siehe auch d. 366, l. 58. 307 RGANI, f. 2, op. 3, d. 168, l. 59. 308 RGANI, f. 2, op. 3, d. 186, l. 19. 309 RGANI, f. 2, op. 3, d. 489, l. 50. 310 Ebenda. 311 RGANI, f. 80, op. 1, d. 330, l. 50. 312 RGANI, f. 2, op. 3, d. 537, l. 57; siehe auch d. 452, l. 75. 313 RGANI, f. 2, op. 3, d. 402, l. 79. 314 RGANI, f. 2, op. 3, d. 452, l. 61. 315 Ebenda, l. 71. 316 Bovin, XX vek kak žizn’, S. 256. 317 RGANI, f. 2, op. 3, d. 570, l. 74. 318 RGANI, f. 80, op. 1, d. 332, l. 176–178. 319 Ebenda, l. 179. 320 RGANI, f. 5, op. 67, d. 371, l. 7–9, 37. 321 Willerton, Patronage and Politics in the USSR, S. 132–187. 322 RGANI, f. 5, op. 69, d. 312: Zapiski i spravki otdelov CK KPSS o chode vypolnenija postano­ vlenija CK KPSS ot 20.2.1975g. „O merach po usileniju bor’by s chiščenijami i razbazirovaniem socialističeskoj sobstvennosti“, l. 1. 323 Ebenda, l. 2. 324 Ebenda, l. 3. 325 RGANI, f. 2, op. 3, d. 570, l. 74. 326 RGANI, f. 5, op. 88, d. 72: Informacija CK sojuznych respublik i spravka otdela ob itogach obsuždenija (…) zakrytogo pis’ma CK KPSS „Ob usilenii bor’by s chiščenijami socialističeskoj sobstvennosti, vzjatočničestvom, skepuljaciej“, 1981–1982gg., l. 125. 327 Mlečin, Brežnev, S. 466.

Anmerkungen

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328 Luc Duhamel: The KGB Campaign against Corruption in Moscow, 1982–1987, Pittsburgh 2010, S. 73. 329 Mlečin, Brežnev, S. 463. 330 Zit. nach Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 124; siehe auch RGANI, f. 89, perečen’ 11, dokument 134, l. 1. 331 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 84. 332 Ebenda, S. 83. 333 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1019, Note pour M. le Président, Paris, 27.12.1972, S. 2.

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Leben und leben lassen oder: „Alle sollen in Ruhe leben und arbeiten können“

Abb. 23: Breschnew beim Besuch der BAM-Baustelle in Skoworodino. Auf dem Banner steht: „BAM – Stolz des Lenin’schen Komsomol“, 1978.

   

7

„Entwickelter Sozialismus“ oder: Relaunch des sowjetischen Projekts?

Das Foto zeigt Breschnew 1978 beim Besuch der Baustelle der BAM – der Baikal-Amur-Magistrale –, umringt von jungen Bauarbeitern. Die BAM steht sinnbildlich für die Breschnew-Zeit: die letzte große Propaganda-Kampagne rund um eine Großbaustelle, mit der erneut bewiesen werden sollte, dass die sowjetische Gesellschaft in der Lage war, unwirtliche Regionen zu durchdringen, sich die Natur zu unterwerfen und sich das Riesenreich mit seinen Ressourcen zu Diensten zu machen. Die BAM stand aber nicht nur für die glorreichen Zeiten der Großprojekte, sondern auch für die zunehmende Realitätsferne der Parteileitung, die nicht sah, dass die Slogans von Arbeitsenthusiasmus und Völkerfreundschaft auf der Baustelle von vielen jungen Menschen zunehmend als hohl empfunden und verspottet wurden. Sie arbeiteten nicht an der BAM, um dort am großartigen Aufbau des Sozialismus teilzunehmen, sondern um schnelles Geld zu machen, um sich bei ihrer Rückkehr in die Heimat eine Wohnung einrichten oder ein Auto kaufen zu können. Die BAM, die in der Presse, im Film, im Fernsehen und in Romanen besungen und beworben wurde, schien merkwürdig aus der Zeit gefallen zu sein. Sie war ein Projekt der Breschnew-Generation, für das deren Kinder gerade noch, deren Enkel aber überhaupt kein Verständnis mehr zeigten – sieht man von Äußerungen von Parteienthusiasten und von Lippenbekenntnissen einmal ab.

„Entwickelter Sozialismus“ Die BAM steht auch für Breschnews Zugang zum Sozialismus: Er war kein Theoretiker und Denker, sondern ein Pragmatiker und Ingenieur, der den Sozialis-

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„Entwickelter Sozialismus“ oder: Relaunch des sowjetischen Projekts?

mus am besten in Großprojekten verwirklicht sah. Entsprechend wies er zu Beginn seiner Amtszeit als Generalsekretär seine Mitarbeiter an, ihm keine Leninzitate in die Redemanuskripte zu schreiben, weil ihm ohnehin niemand glauben würde, dass er Lenins Werke gelesen habe. In den 1970er Jahren finden sich dann aber bei ihm doch die üblichen Bezugnahmen auf Lenins Schriften. Wie alle Parteiführer benutzte er Lenin zur Legitimierung der eigenen Position, um neue Thesen und Maßnahmen abzusichern und um sich immer wieder als sein Nachfolger zu positionieren. Dies waren aber ritualisierte Floskeln, die von den Redenschreibern verwendet wurden, die ihm die richtigen Leninzitate heraussuchten und in die Texte hineinredigierten. Es gibt niemanden aus seiner Entourage, der berichtet, Breschnew hätte sich mit den klassischen Schriften des Sozialismus auseinandergesetzt, und auch seine Notizbücher geben keinen Hinweis darauf. Breschnews Verhältnis zur Ideologie lässt sich also als pragmatisch oder auch instrumentell beschreiben. Erst kam die Volkswohlfahrt, dann musste das richtige Leninzitat gefunden werden, um das abzusichern; notfalls hielt er seine Berater an, die Theoretiker frei zu interpretieren und bei Bedarf ein neues Stadium des Sozialismus zu erfinden. Es war offenbar seine Überzeugung, dass der Sozialismus dem Volk dienen sollte, nicht umgekehrt. Und so geht eine ideologische Neuerung auf ihn zurück, die seine Mitarbeiter für ihn ausarbeiteten: der „entwickelte Sozialismus“. Er formulierte das neue Leitbild erstmals zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution 1967, unterstrich es dann zu Lenins 100. Geburtstag am 22. April 1970 und etablierte es endgültig auf dem 24. Parteikongress 1971.1 Die neue Richtlinie war Pragmatismus und Ambition zugleich.2 Zum einen nahm Breschnew mit ihr das von Chruschtschow leichtfertig gegebene Versprechen von 1962 zurück, die Sowjetmenschen würden im Jahr 1980 im Kommunismus leben.3 Zum anderen beanspruchte er mit ihr, bereits jetzt eine neue gesellschaftliche Entwicklungsstufe erreicht zu haben, die von Konsumansprüchen der Menschen und intensivem Wachstum der Wirtschaft gekennzeichnet war. „Entwickelter Sozialismus“ war eine Neuerfindung zur Rechtfertigung und Absicherung der von Breschnew betriebenen Politik, die das Volkswohl in den Mittelpunkt stellte und zur Voraussetzung für die zweite industrielle Revolution erklärte. Breschnew brachte es so auf den Punkt: „Der Hauptkampfplatz des sowjetischen Volkes für den Sieg des Kommunismus ist die Wirtschaft, die Schaffung der materiellen und technischen Basis für den Kommunismus.“4 Hatte einst Lenin

„Entwickelter Sozialismus“

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formuliert: „Kommunismus = Sowjetmacht + Elektrifizierung des ganzen Landes“, variierte Breschnew gleichsam die Formel zu: „Entwickelter Sozialismus = Konsum + intensives Wachstum.“ Unter seinen Beratern war zunächst durchaus umstritten, ob das neue Konzept sinnvoll und vertretbar war. Nach der Rede zu Lenins Geburtstag äußerte der ideologisch konservative Golikow gegenüber Breschnew, dass die Feststellung, der entwickelte Sozialismus sei erreicht worden, nicht mit der marxistischen Lehre übereinstimme: „Das ist eine ausgedachte und unwissenschaftliche Formel.“5 Das nahm ein anderer Berater zum Anlass, Breschnew eine nicht namentlich gekennzeichnete Notiz zum Thema zukommen zu lassen. Keiner der Gründungsväter des Marxismus, hieß es da, habe auf so etwas wie den „entwickelten Sozialismus“ oder „entwickelten Kommunismus“ hingewiesen. Der Kommunismus habe zwei Stufen: den Sozialismus und den Kommunismus, etwas anderes gebe es nicht. In der Sowjetunion sei mit dem Sozialismus die erste Phase erreicht, die keinerlei Zusätze wie „entwickelt“ bedürfe.6 Aber, so Breschnews Berater weiter, in Lenins Schriften fänden sich auch einige Hinweise auf die „entwickelte Gesellschaft“ als eigene Stufe auf dem Weg zum Kommunismus. Da die Sowjetunion das Land mit dem fortschrittlichsten Sozialismus sei, gebe es genügend Grund zu der Annahme, „dass die von Ihnen gewählte und vom Politbüro bestätigte Formel, dass in unserem Land die entwickelte sozialistische Gesellschaft erreicht sei, auf dem 24. Parteikongress bestätigt wird.“7 Eine solche Bestätigung käme einem „praktischen und politischen Signal“ gleich:8 Erstens würden jene belehrt, die glaubten, der Sozialismus sei ein eigenständiges Stadium in Konkurrenz zum Kommunismus, zweitens könne man so den chinesischen Genossen beweisen, dass sie auf dem falschen Weg seien, drittens beanspruche die Sowjetunion damit, das sozialistische Pendant zu den entwickelten kapitalistischen Staaten wie den USA, Japan und dem Westen allgemein zu sein, viertens bestimme die Sowjetunion damit ihren Platz gegenüber den sozialistischen Entwicklungsländern in Asien und Afrika.9 Auf den Feierlichkeiten zum fünfzigsten Jahrestag der sowjetischen Verfassung am 21. Dezember 1972 benannte Breschnew konkret, was für ihn „entwickelter Sozialismus“ bedeutete: eine solide Technologie in Stadt und Land anstelle von nur rudimentären Voraussetzungen für die sozialistische Wirtschaft; eine homogene Gesellschaft, in der die Klassen immer mehr miteinander verschmelzen; ein erheblich gesteigertes Bildungsniveau; außerdem eine „entwickelte sozialistische Demokratie“ mit einer gefestigten Rechtsordnung, einem regulären Gesetzgebungsverfahren und einer gewichtigeren Rolle der Räte.10

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Die Formel vom „entwickelten Sozialismus“ spiegelte also einerseits die innenpolitischen Leitlinien, brach aber andererseits auch wie in einem Prisma sämtliche Facetten der Breschnew’schen Außenpolitik. Sie strafte die westlichen sozialistischen Parteien ebenso Lügen wie China und setzte die Sowjetunion als ebenbürtig neben die USA und damit über alle „entkolonialisierten Länder“. Breschnew erklärte, dass das jetzt erreichte Stadium mit seiner Produktivität, dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt und den Sozialleistungen den Sozialismus für andere Länder in der Welt besonders attraktiv mache.11 Er ließ sich seinen ideologischen Mantel also maßschneidern und setzte seine Wunschparole vom „entwickelten Sozialismus“ mit einer erstaunlichen Leichtigkeit durch. Und er kündigte bereits 1972 zum 50. Jahrestag der Gründung der Sowjetunion an, dass die neue Gesellschaft auch einer neuen Verfassung bedürfe.12 Breschnews Verfassung

Fünf Jahre später setzte Breschnew diese Idee um und ließ den „entwickelten Sozialismus“ in „seiner“ Verfassung festschreiben. Die Verfassungsreform 1977 sicherte ihm nicht nur die Macht im Staat, indem sie die Weisungsbefugnis der Partei gegenüber der Regierung festschrieb und die Kompetenzen des Präsidiums des Obersten Sowjets erweiterte, zu dessen Vorsitzenden er sich sodann wählen ließ. Sie war auch mehr als der vorläufige Höhepunkt des Kults um Breschnews Person. Mit ihr schrieb sich Breschnew in die Verfassungsgeschichte der Sowjetunion ein: Auf das Gründungsdokument Lenins von 1924 und die Epoche der stalinistischen Fassung von 1936 folgte nun Breschnews „entwickelter Sozialismus“. Breschnew triumphierte so einmal mehr über Chruschtschow, dessen Reform er 1964 vereitelt hatte und sich nun zu eigen machte. Ungeachtet der Macht-, Klientel- und Geschichtspolitik, die Breschnew damit verfolgte, legitimierte er die neue Verfassung in erster Linie mit der Errichtung der „entwickelten, reifen sozialistischen Gesellschaft“.13 Breschnew beanspruchte damit für sich, dass unter ihm die Bevölkerung zu „einer neuen historischen Gemeinschaft“ zusammengewachsen sei: dem „sowjetischen Volk“, in dem sich kaum noch Arbeiter, Bauern und Intellektuelle unterscheiden ließen und alle Nationalitäten gleichberechtigt seien.14 Er setzte damit zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution eine Zäsur: „Per Verfassung ist der neue historische Meilenstein auf unserem Weg zum Kommunismus festgeschrieben: die Errichtung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft.“15

„Entwickelter Sozialismus“

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Die grundlegende Idee, einerseits die Allmacht des Volkes und andererseits die besondere Rolle der Partei als lenkende und leitende Kraft festzuschreiben, stammte von Chruschtschow und war von Breschnew unter dessen Anleitung bereits 1964 ausgearbeitet worden.16 Hinzugefügt hatte Breschnew das Konzept des „entwickelten Sozialismus“, das die sowjetische Öffentlichkeit zwischen der Ankündigung der neuen Verfassung auf dem ZK-Plenum im Mai 1977 und der Verabschiedung durch den Obersten Sowjet am 7. Oktober 1977 intensiv in den Massenmedien, auf Partei- und Betriebsversammlungen sowie in zahlreichen Eingaben diskutierte. Breschnew erklärte die viermonatige öffentliche Diskussion, an der sich mit 140 Millionen Menschen mehr als vier Fünftel der Gesamtbevölkerung beteiligt hätten,17 zum Beweis dafür, wie sehr sich die Bevölkerung für diese Verfassung interessiere. Bewiesen war damit auch, dass die „sozialistische Demokratie“ ernst gemeint war: „Wir können mit Gewissheit sagen, dass tatsächlich das gesamte sowjetische Volk zum Urheber des Grundgesetzes seines Staates geworden ist.“18 Allerdings stellte Breschnews Mitarbeiter Schachnasarow fest, dass der „entwickelte Sozialismus“ zu „deklarativ“ verbreitet und zu wenig an konkreten, lebensnahen Beispielen erläutert wurde. Es räche sich nun, dass sich bis dato nur Fachleute mit dem „entwickelten Sozialismus“ beschäftigt hätten und zu wenig darüber nachgedacht worden sei, wie man ihn den Menschen nahebringe.19 Kritische Stimmen aus der Bevölkerung stellten die Frage, wie lange der Aufbau des Kommunismus denn noch dauern solle, wenn man für den entwickelten Sozialismus schon 60 Jahre gebraucht habe. Sie merkten immer wieder an, dass die Sowjetunion theoretisch ja die höchstentwickelte Gesellschaft sein möge, es aber doch praktisch wohl keine Gesellschaft gebe, in der so viel getrunken werde.20 Nur ein geringerer Teil der Diskutanten aus der Bevölkerung ­forderte mehr demokratische Rechte, 40 bis 70 Prozent der Wortmeldungen verlangten dagegen, es müsse endlich etwas gegen Alkoholismus und „Sozialschmarotzer“ unternommen werden. Dies muss Breschnew in dem Glauben bestärkt haben, dass er und die Bevölkerung am gleichen Strang zogen.21 Parteipropaganda

Breschnew meinte offenbar, dass sich die Menschen tatsächlich für die Partei, ihre Programme und Plenarsitzungen interessierten. Auf den Politbürositzungen legte er Wert darauf zu hören, wie die letzte Plenarsitzung in der Bevölke-

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rung angekommen war, und erwartete positive Reaktionen.22 Er schien auch weiterhin an die Wirkung von Propaganda zu glauben, die für ihn Überzeugungs-, Erziehungs- und Aufklärungsarbeit war. In seiner Zeit als Gebiets- oder Republiksekretär war sie oft das einzige Mittel gewesen, das ihm zur Verfügung stand, um die Menschen zu motivieren. Auch in dieser Hinsicht war er Pragmatiker: Theorie und Ideologie interessierten ihn nicht als reine Lehre, sondern als Rahmen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und als Mittel zur Aktivierung und Mobilisierung der Bevölkerung. Allerdings erteilte Breschnew dem einstigen „Kampagnentum“ Chruschtschows eine klare Absage, bei dem „enthusiastische“ Kommunisten schlechte Planung und mangelnde Ressourcen durch Stoßarbeit hatten wettmachen sollen. Verantwortungsgefühl und Bewusstsein eines Kommunisten wurden für ihn zum Allheilmittel und zur Voraussetzung der erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung. In diesem Zusammenhang muss der Austausch der Parteibücher gesehen werden, den Breschnew auf dem 24. Parteikongress im Frühjahr 1971 beschließen ließ. Er erklärte dazu ein Jahr später, die für 1973/74 geplante Aktion sei keineswegs als „Säuberung“ gedacht, sondern solle die „passiven und gleichgültigen“ Mitglieder reaktivieren. Mit den passiven Genossen sollten Gespräche geführt werden, um die Gründe für ihre Teilnahmslosigkeit zu ermitteln und entsprechend nachhaltig zu beseitigen.23 Während der Politbürositzung am 31. Mai 1972 notierte Breschnew: „Dem Sekretariat auftragen, ein Programm für die Propagandaarbeit auszuarbeiten“.24 Es war ihm durchaus bewusst, dass die Sowjetmenschen kritischer wurden und nicht mehr mit Standardparolen überzeugt werden konnten. 1978 bemängelte er, die Überzeugungskraft der über die Massenmedien verbreiteten Informationen reiche oft nicht mehr aus. Der Sowjetmensch sei politisch so gebildet wie nie zuvor und stelle hohe Ansprüche an die Medien, doch Formalismus, schablonenhafte Losungen und die „Kampagnenform“ in der Berichterstattung seien noch immer gang und gäbe. Er regte an, eine Kommission unter Leitung Suslows solle Maßnahmen zur Verbesserung der ideologischen Massenarbeit entwerfen.25 Auf dem Februar-Plenum 1981 verkündete er sogar unter Applaus, wenn die Delegierten des bevorstehenden 26. Parteikongresses es wollten, dann müsse die Partei ihr veraltetes Programm überarbeiten.26 Dazu kam es nicht mehr, aber offenbar schwebte Breschnew vor, dass er der Welt nicht nur seine eigene Verfassung, sondern auch ein Breschnew’sches Parteiprogramm hinterlassen und damit das 1961 unter Chruschtschow verabschiedete annullieren könne.

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Breschnews Programm sollte den „entwickelten Sozialismus“ als moderne Gesellschaftsform für den hochindustrialisierten Staat festschreiben. Sein Mitarbeiter Schachnasarow hatte bereits erste Leitlinien formuliert. Das Programm sollte „lakonischer“ sein, also mit weniger Klassenkampfrhetorik auskommen. Im Mittelpunkt stand der „vielseitig gebildete Mensch“ und der Entwurf einer „materiell wie geistig anziehenden kommunistischen Gesellschaft“ – die allerdings frei von „kleinbürgerlichen Konsumentenvorstellungen“ sein und keinesfalls als reine Konsumgesellschaft erscheinen sollte.27 Breschnew wollte Fehlinterpretationen im In- und Ausland vorbeugen. Was ihm offenbar vorschwebte, war eine moderne Ideologie, die die Menschen nicht mit veralteten Parolen belastete. Vielmehr sollte sie dem konsumierenden Sowjetbürger als Lebensphilosophie und Grundeinstellung dienen, so wie das „Streben nach Glück“ dem US-Amerikaner.

Restalinisierung? Breschnew galt und gilt teilweise bis heute als der Parteiführer, der Stalin rehabilitierte, die Öffnung der Gesellschaft zurückdrehte und erneut mit Verhaftungen, Lagerhaft und Zwangseinweisungen in die Psychiatrie kritische Stimmen zum Schweigen brachte. Dieses Bild ist falsch. Erstens sprach Breschnew sich immer wieder deutlich gegen Stalin und seine Repressionsmaßnahmen aus. Zweitens entsprangen die restriktiven Kurskorrekturen, die er vornahm, nicht seinen eigenen Überzeugungen, sondern waren Zugeständnisse an die „Hardliner“, zu denen er sich im Zuge seines Herrschaftsstils, immer einen Konsens finden zu müssen, genötigt sah. Drittens überließ er den Umgang mit den Andersdenkenden dem KGB-Vorsitzenden Semitschastny und ab 1967 Juri Andropow. Viertens wurden unter Breschnew weit weniger Menschen verhaftet und verurteilt als unter Chruschtschow: Während zwischen 1958 und 1966 3448 Personen wegen „antisowjetischer Agitation“ nach Paragraph 190/1 eine Freiheitsstrafe verbüßen mussten, waren es zwischen 1967 und 1975 mit 1583 weniger als die Hälfte davon.28 Das ist in keiner Weise eine Entschuldigung für das, was unter Breschnews Ägide geschah, aber es erstaunt, wie wenig Interesse er an den Abtrünnigen zeigte, mit welchem Widerwillen er sich offenbar mit Derartigem überhaupt beschäftigte und dass er die „Schmutzarbeit“ ganz dem KGB überließ. Er war also zumin-

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dest nicht der Hardliner, als der er oft gesehen wurde, sondern er nickte in den meisten Fällen ab, was ihm Andropow vorschlug bzw. was das Politbüro besprach.29 Das bedeutet auch, dass er sich – trotz seiner Abneigung – mit jedem einzelnen der Fälle befasste und so der Exilieriung des Schriftstellers Alexander Solschenizyn, der Physiker Waleri Tschalidse und Pawel Litwinow, des Publizisten Wladimir Maximow, des Ökonomen Viktor Krassin, des Mathematikers Alexander Jesenin-Wolpin und vieler anderer prominenter Menschenrechtsaktivisten und Andersdenkender persönlich sein Plazet gab.30 Er trug die Verantwortung, aber er war nicht die treibende Kraft hinter den Verhaftungen. Angesichts seiner eigenen Erfahrungen unter Stalin wäre es verwunderlich gewesen, hätte Breschnew sich für eine Rehabilitierung Stalins eingesetzt. Jedoch muss bedacht werden, dass selbst Chruschtschow Stalin nicht eindeutig als Verbrecher gebrandmarkt, sondern zwischen dem „guten Führer“ bis 1935 und dem „schlechten“ danach differenziert hatte. Als Stalins 90. Geburtstag (21. Dezember 1969) näher rückte, entbrannte erneut die Diskussion darüber, wie der erste Generalsekretär zu bewerten sei. Das Politbüro trug dem Sekretariat des ZK auf, einen entsprechenden Artikel vorzubereiten.31 Gleichzeitig warnte Breschnew am 15. Dezember 1969 in einer geheimen Rede, in der er mit der schlechten Wirtschaftsentwicklung abrechnete und den Alkoholismus als Geißel des Landes anprangerte, davor, stalinistische Methoden als Lösung zu betrachten: Einige Genossen (...) erinnern sich vergangener Zeiten und berufen sich darauf, dass es früher „Ordnung“ gegeben habe, schlagen somit vor, zu den alten Methoden des grausamen Administrierens zurückzukehren. Ich denke, dass dies untaugliche Rezepte sind. (...) Die Vergangenheit muss man nüchtern betrachten, sie nicht zu düster zeichnen, aber auch nicht idealisieren, was gewesen ist. Wir erinnern uns noch sehr gut, wohin die Angst geführt hat, die die Methoden des Administrierens hervorriefen.32

Breschnew erteilte damit den Anhängern Stalins, die sich härtere Maßnahmen gegen jede Art von Verstößen und Disziplinlosigkeit wünschten, eine klare Absage. Gleichzeitig machte er seine Position deutlich, als er sagte, man dürfe die Vergangenheit weder beschönigen noch verteufeln. Seinen Redenschreibern hatte er erklärt, warum er keine offene Abrechnung mit Stalin wünsche: Ich glaube auch nicht, dass Trotzki oder Bucharin Spione oder Volksfeinde waren. Und mich stört nicht die Heftigkeit ihrer Bemerkungen. Mich stört etwas anderes: Ich glau-

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be, dass sehr viele Kommunisten noch nicht für einen solchen Übergang bereit sind. (…) Die Partei wird mich nicht verstehen. Absolut nicht. Daher bitte ich darum, über dieses Thema nicht mehr zu streiten und alle Schärfen und abrupten Wendungen zu streichen.33

Am 17. Dezember 1969 gab es eine Diskussion, die offenbarte, dass die Meinungen der Politbüromitglieder sehr weit auseinandergingen: Die einen wollten Stalin totschweigen, weil ihnen das Thema zu heikel war, die anderen wollten ihn eindeutig hochleben lassen. Doch waren auch zahlreiche Stimmen zu hören, die sich ein ausgewogenes Bild wünschten, und solche, die dafür plädierten, Stalin rundheraus als Massenmörder zu präsentieren. Breschnew hörte sich in gewohnter Manier alle Argumente für und wider in Ruhe an und schaltete sich erst zum Schluss ein: Ich sage euch offen, dass ich anfangs die Position vertrat, keinen Artikel zu veröffentlichen. Wozu erneut diese Frage aufwirbeln? Aber nachdem ich mit vielen Gebietssekretären gesprochen und eure Beiträge gehört habe, denke ich, dass es tatsächlich doch mehr Nutzen bringen wird, wenn wir einen Artikel veröffentlichen. Schließlich bestreitet niemand seine revolutionären Verdienste. Und niemand bezweifelt seine schwerwiegenden Fehler.34

Genaugenommen blieb Breschnew damit der von Chruschtschow eingeschlagenen Linie treu, Stalins Verdienste beim Aufbau des Landes zu loben, aber ihn für den Großen Terror und die Fehlentscheidungen im Zweiten Weltkrieg verantwortlich zu machen. Das änderte sich auch nicht, als er 1977 in der Rede zur Ankündigung seiner Verfassungsreform über das bis dato gültige Stalin’sche Grundgesetz sagte: Wir wissen, Genossen, dass einzelne Jahre nach der Annahme der heute gültigen Verfassung durch gesetzeswidrige Repressionen sowie Verstöße gegen die Prinzipien der sozialistischen Demokratie, der Lenin’schen Normen des Partei- und Staatslebens verfinstert wurden. Das geschah gegen die Grundsätze der Verfassung. Die Partei hat diese Praxis entschieden verurteilt und sie soll sich niemals wiederholen.35

Zum 100. Geburtstag Stalins 1979 erklärte Breschnew im Politbüro erneut, sie hätten sich bereits früher darüber verständigt, „objektiv sowohl die positiven

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wie auch die negativen Seiten von Stalins Wirken zu bewerten“.36 Entsprechend bekam die „Prawda“ den Auftrag, einen Artikel über Stalin zu veröffentlichen, während der „Kommunist“ einen Artikel über die Rolle der Volksmassen in der Geschichte bringen sollte. Eine Mischung aus beiden sollte über die Nachrichtenagentur TASS und andere Kanäle verbreitet werden. Wegen der neuen Linie der „objektiven Ausgewogenheit“ wurde es unter Breschnew problematisch, sich eindeutig gegen Stalin auszusprechen. Das hatte mehrere Gründe. Zunächst war es für Breschnew und seinen Machterhalt wichtig, den Ausgleich zwischen Stalinanhängern und liberalen Kräften zu suchen; dafür durfte weder das eine noch das andere Extrem bedient werden. Dazu kam ein Breschnew’sches Verständnis von dem, was sich politisch „schickte“ und was unmöglich war. Schrille Töne, laute Worte und reißerische Reden galten als Markenzeichen und Menetekel Chruschtschows. Zu der neuen politischen Kultur des Ausgleichs und konsensualen Miteinanders passten keine extremen Posen. Es war also auch eine Stilfrage, nicht das Negative in der Geschichte herauszukehren, sondern auf das Erreichte stolz zu sein. Das erklärte Breschnew dem Schriftsteller Konstantin Simonow, der sein Kriegstagebuch über das Grauen und Versagen des Jahres 1941 veröffentlichen wollte. Das sei alles wahr, räumte Breschnew ein, aber dennoch müsse es nicht publiziert werden: „Ganz gleich, was wir gesehen haben, die Hauptwahrheit ist, dass wir gesiegt haben. Alle anderen Wahrheiten verschwinden davor. (…) Wir sollten auf die Menschen Rücksicht nehmen, die Sieger, ihre Kinder und Enkel, und nicht alles auf einmal ausbreiten.“37 Allerdings gelang es Simonow, Breschnew, der den Schriftsteller sehr verehrte, in einem langen Gespräch umzustimmen. Das spricht wiederum dafür, dass Breschnew kein Hardliner war, auch wenn er sich von solchen beraten ließ. Zu ihnen gehörte seine rechte Hand Wiktor Golikow. Im September 1966 beklagte dieser, dass es überall an den wissenschaftlichen Instituten äußerst kritische Diskussionen über Stalins Realitätsverlust im Zweiten Weltkrieg und die Enthauptung der Roten Armee gebe: Das ist keine wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern eine Schmutzkampagne gegen die Partei, ihre gesamte Politik und eine Revision ihrer Leistungen. Und was für ein Ton! Es fehlt nur noch, dass gefordert wird: Los, ZK, leg vor uns „Gelehrten“ Rechenschaft ab, warum du die piratengleiche Annexion gemäß dem Vertrag mit Hitler Wiedervereinigung mit der Westlichen Ukraine, mit dem Baltikum usw. nennst.38

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Golikow war einer von zweien seiner moldawischen Freunde, die Breschnew zu seinen Beratern gemacht hatte – ungeachtet (oder vielleicht auch aufgrund) ihrer stalinaffinen Einstellung. Golikow beriet ihn in der Innenpolitik und in Ideologiefragen und schrieb Reden für ihn, Trapesnikow hatte er die ZK-Abteilung für Wissenschaft und Hochschulen übertragen. Breschnew holte sich die Reaktion also selbst ins Haus. Dadurch bekam sie zwar Einfluss, aber dadurch konnte er sie auch kontrollieren. Beide beschwerten sich bei Breschnew, dass sie sich mit ihrem Wunsch nach mehr Klassenkampfrhetorik und Schmähparolen gegen „den Imperialismus“ nicht durchsetzen konnten.39 Es ist nur eine Vermutung, aber es ist gut möglich, dass Breschnew die „orthodoxen“ Kommunisten aus seiner Gefolgschaft in Ressorts installierte, die ihm weniger wichtig erschienen, während er die Politikfelder, auf denen er neue Akzente setzen wollte, von liberalen Getreuen bestellen ließ, so etwa die Außenpolitik von Ponomarjowv, dem ZK-Sekretär für internationale Beziehungen. Andropow und die Andersdenkenden

Es gibt leider kaum Anhaltspunkte dafür, was Breschnew über diejenigen dachte, die in satirischer Prosa oder kritischen Äußerungen die Einhaltung der konstitutionell verbürgten Rechte forderten; die in Briefen – z.B. an die Delegierten des 23. Parteikongresses, meist aber direkt an Breschnew als Generalsekretär – vor der Restalinisierung der Gesellschaft warnten; die Einlass zu Gerichtsverhandlungen verlangten; die sich am 5. Dezember 1965, dem Tag der Verfassung, auf dem Puschkin-Platz versammelten, um dort schweigend die Einhaltung des Grundgesetzes anzumahnen; die Petitionen an ihn schrieben, in denen sie die Freilassung ihrer Freunde forderten; die sich im August 1968 nach dem Einmarsch in Prag auf den Roten Platz stellten und dort Transparente mit der Aufschrift „Für eure und unsere Freiheit“ entrollten.40 In Breschnews Notizbüchern taucht Derartiges nicht auf, und auch seine Weggefährten – Anhänger wie vergrämte Rivalen – äußern sich so gut wie nicht dazu, als hätte es dieses Thema gar nicht gegeben. Sein Leibwächter Medwedew berichtet, Breschnew hätten die Dissidenten nicht weiter gekümmert.41 Dem entspricht die Aussage seines Schwiegersohns Juri Tschurbanow, Breschnew habe Gromyko erklärt, wenn es den Ausreisewilligen in der Sowjetunion nicht gefalle, dann sollten sie doch gehen.42 Das Problem war, dass sich Dissidenten dann nach Verlassen des Landes bei Radio Free Europe oder Voice of America betätigten und gegen die Sowjetunion

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agitierten, was auch Breschnew maßlos ärgerte. Am meisten beschäftigten ihn die Dissidenten daher unter dem Aspekt, dass sie seine Beziehungen zum Westen stören konnten. Als Willy Brandt immer wieder das Schicksal Alexander Solschenizyns und anderer ansprach, drang Breschnew bei Andropow auf eine Lösung in dieser Frage, um seine Beziehungen zum deutschen Bundeskanzler nicht zu belasten.43 Hier lässt sich ex negativo eine Schlussfolgerung ziehen: Wäre Breschnew ein Hetzer und Hardliner gewesen, hätten das die von ihm verstoßenen Parteiführer früher oder später ausgeschlachtet und ihn dessen lauthals beschuldigt. Aber selbst der Ex-KGB-Vorsitzende Semitschastny, der in seinen Memoiren alles tut, um Breschnew in ein schlechtes Licht zu rücken, hält sich in Bezug auf dessen Verhalten gegenüber den Andersdenkenden erstaunlich zurück.44 Offenbar blieb Breschnew seiner 1937 gewählten Haltung treu und verfiel angesichts von Delinquenten nicht in hysterisches Schreien oder Rufe nach drastischen Maßnahmen, sondern sah die Lösung in der Erziehungs- und Propagandaarbeit. Auch in dieser Hinsicht war er ein konservativer Patriarch, der glaubte, bei der richtigen Führung und mit geduldigem Zureden würden die Abtrünnigen letztlich begreifen, dass die Sowjetunion das bessere System sei. Sein Mitarbeiter Bowin vertrat die Auffassung, Breschnew habe das Thema Demokratie und Menschenrechte schlichtweg nicht verstanden.45 Auch Anatoli Tschernjajew beobachtete, das Politbüro habe sich anfangs über die Andersdenkenden, die sich selbst „Petenten“ oder „Unterzeichner“ nannten, nur gewundert: „Wie kann das sein? In unserer Gesellschaft kann und darf es so etwas nicht geben!“46 Auf die entsprechenden Berichte der KGB-Vorsitzenden reagierte Breschnew mit Gleichmut und Unverständnis gleichermaßen: Unverständnis im Sinne von Unvermögen zu begreifen, was diese Menschen antrieb, warum sie nicht mit dem zufrieden waren, was die Partei für sie geschaffen hatte; aber auch Unverständnis im Sinne von Ärger und Missmut über ein Verhalten, das er weniger für ideologisch gefährlich hielt als für eine Verletzung der Normen guten sowjetbürgerlichen Verhaltens. Es widersprach seinem Menschenbild, dass gerade die gebildete Elite, ganz gleich ob Physiker oder Literat, die privilegiert war und für den Fortschritt in der Sowjetunion besondere Verantwortung trug, dies Vertrauen enttäuschte und statt Loyalität und Dankbarkeit Kritik und Widerspenstigkeit zeigte. Es scheint, als habe Breschnew versucht, der Auseinandersetzung mit diesen Menschen und ihren Motiven möglichst aus dem Weg zu gehen, und diese unerfreuliche Aufgabe bis 1967 Semitschastny und anschließend Andropow über-

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lassen.47 Das soll nicht heißen, dass er nicht genau informiert gewesen wäre, was sich im Land tat, und nicht jede Aktion des KGB autorisiert hätte; der KGB-Chef legte dem Politbüro neben den allgemeinen Lageberichten jeden Fall einzeln vor, von Solschenizyn über Sacharow bis zu Bukowski und Kopelew, und üblicherweise stimmten Breschnew und das Politbüro zu: „Also dann kümmere dich darum. Wenn das Komitee [für Staatssicherheit] das für richtig hält …“48 Das bedeutete nicht, dass Breschnew Andropow freie Hand ließ oder gar von diesem gegängelt wurde. Ganz im Gegenteil praktizierte Breschnew auch mit Andropow sein bewährtes „divide et impera“. Andropow hatte seinen klaren Zuständigkeitsbereich, in den sich Breschnew nicht einmischte, solange Ersterer verlässlich berichtete, ihm jeden Tag dicke Dossiers über die Vorgänge im Land vorlegte und seine Kompetenzen nicht überschritt.49 Es gibt verschiedene Spekulationen darüber, warum Breschnew 1967 ausgerechnet Andropow, den in seiner bisherigen Diplomatenlaufbahn nichts für die Staatssicherheit qualifizierte, zum KGB-Vorsitzenden ernannte. Semitschastny ist der Meinung, dass Breschnew zu dieser Zeit noch nicht in einer so unangefochtenen Stellung war, dass er einen seiner Dnepropetrowsker Gefolgsleute hätte ernennen können. Breschnews Nichte behauptet, Breschnew und Andropow hätten eine Abmachung gehabt, dass im Falle der erfolgreichen Absetzung Chruschtschows Andropow den Posten des KGB-Chefs bekäme.50 Plausibler erscheint allerdings, was Breschnews Berater Alexandrow-Agentow und sein Leibarzt Jewgeni Tschasow berichten: Die Ernennung zum KGB-Vorsitzenden sei für Andropow vollkommen überraschend gekommen. Diese Personalie sei ein vermeintliches Zugeständnis an Breschnews Rivalen Schelepin gewesen, da Andropow dadurch seinen wichtigen ZK-Sekretär-Posten aufgeben musste.51 Doch Andropow nutzte das neue Amt, um seine Macht mit Hilfe Breschnews auszubauen: Noch im Juni 1967 rückte er zum Kandidaten und dann im April 1973 zum Vollmitglied des Politbüros auf.52 In dieser Hinsicht stimmt vielleicht, was Breschnews Nichte äußerte: Ihr Onkel habe Andropow „klug“, „gerissen“ und „grausam“ genannt; die beiden hätten verstanden, dass sie einander brauchten.53 Tatsächlich schien aus dieser Zweckgemeinschaft bald auch Freundschaft zu erwachsen. Sein Leibwächter Medwedew berichtet, keiner der Parteiführer habe Breschnew so nahegestanden wie Andropow.54 Das lag sicher auch daran, dass dieser nicht besserwisserisch war wie Podgorny, nicht dogmatisch wie Suslow und nicht pedantisch wie Kossygin. Dennoch handelte Breschnew nach seinem alten Prinzip „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, als er 1967 als

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Andropows Stellvertreter seinen alten Freund aus Dnepropetrowsker Zeiten, Georgi Tzinjow, und seinen Bekannten aus moldawischen Zeiten, Semjon Tzwigun, installierte.55 Andropow stand loyal zu Breschnew, teils wohl aus alter Kaderdisziplin, teils weil sie ähnliche Ansichten vertraten. Im Vergleich mit Podgorny, Kossygin, Suslow und anderen waren sie die zwei Liberalsten in der Führungsriege.56 Bezeichnend ist in diesem Kontext, was Andropow einem seiner Zöglinge gesagt haben soll: In etwa 15 bis 20 Jahren können wir uns erlauben, was sich momentan der Westen erlaubt – größere Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, eine plurale Gesellschaft, verschiedene Kunstrichtungen. Aber das geht erst in rund 15 bis 20 Jahren, falls es uns gelingt, das Lebensniveau der Bevölkerung anzuheben. Aber momentan machst du dir keine Vorstellung davon, was für eine Stimmung in unserem Land herrscht.57

Auch ein anderer Mitarbeiter behauptet, Andropows langfristiges Ziel sei die schrittweise Demokratisierung der Sowjetunion gewesen. Diese sollte aber von oben gesteuert und kontrolliert umgesetzt werden, damit das Land nicht im Chaos versinke.58 Es war und blieb Aufgabe des KGB, so sahen es wohl Andropow und Breschnew, die Sowjetmenschen zu erziehen und die „Seeleningenieure“ der Gesellschaft, wie die Schriftsteller seit Stalins Zeit hießen, zurechtzuweisen. Der Fall Sinjawski und Daniel

Als im September 1965 KGB-Chef Semitschastny dem ZK über die beiden Schriftsteller Andrei Sinjawski und Juli Daniel berichtete, die im Westen Parodien auf die Sowjetunion veröffentlicht hatten,59 sprach sich das Parteipräsidium für einen öffentlichen Prozess aus, um für In- und Ausland ein Exempel zu statuieren.60 Doch der Effekt war ein gegenteiliger: Der Prozess im Februar 1966 und die Verurteilung der beiden zu sieben bzw. fünf Jahren Lagerhaft alarmierten all jene sowjetischen Intellektuellen, die darin die Rückkehr zu stalinistischen Methoden erkannten. 25 von ihnen unterschrieben einen Appell an den 23. Parteikongress gegen die drohende Restalinisierung und protestierten in den folgenden Jahren immer wieder gegen Menschenrechtsverstöße, u.a. auch mit der Herausgabe eines „Weißbuchs“ zu dem Prozess.61 Die Menschenrechtsbewegung war geboren. Das Ausland reagierte empört und protestierte.62

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Obwohl Breschnew nicht die treibende Kraft hinter diesem Prozess war, erhielt er damit das Image des Restalinisierers. Er selbst wies dieses Image weit von sich und wurde es doch nie wieder los. Ob er diesem Schauprozess zustimmte, weil er glaubte, den Hardlinern im ZK entgegenkommen zu müssen, oder weil er der Meinung war, die Bevölkerungsmehrheit werde hinter der Anklage stehen, und die Reaktionen im Ausland vollkommen unterschätzte, wissen wir nicht. Im Dezember 1962 war Breschnew mit Chruschtschow in den Ausstellungssälen der Moskauer Manege gewesen, wo dieser angesichts abstrakter Kunst einen seiner berühmten Tobsuchtsanfälle bekommen und die anwesenden Maler unflätig beschimpft hatte.63 Vielleicht glaubte Breschnew, er könne sich auch hier positiv von Chruschtschow abheben, indem er die Kunstschaffenden nicht beschimpfte, sondern den Schriftstellerverband sachlich die Vorwürfe vortragen ließ. Wahrscheinlicher ist, dass er zu diesem Zeitpunkt weder die Macht hatte, Semitschastny und die Hardliner zu stoppen, noch die Erfahrung, um die in- und ausländischen Folgen eines solchen Prozesses abzuschätzen. In seiner Rede auf dem 23. Parteikongress 1966, der nur einen Monat nach dem Prozess gegen Sinjawski und Daniel tagte, sagte er:64 „Leider gibt es auch solche Handwerker in der Kunst, die, anstatt dem Volk zu helfen, ihre Profession dazu nutzen, unsere Gesellschaft anzuschwärzen und unser heldenhaftes Volk zu verleumden. Natürlich sind das nur vereinzelte Menschen.“65 Breschnew änderte jedoch die grundlegende Vorgehensweise des KGB, die Chruschtschow etabliert hatte, nicht. Anders als unter Stalin diente die Staatssicherheit nicht der Ausmerzung von Volksfeinden, sondern der Prophylaxe, der Erziehung und erst als Ultima Ratio der Festsetzung der Abtrünnigen. Der KGB versuchte nach Stalins Tod sowohl unter Chruschtschow als auch unter Breschnew, sein Image als Menschenschlächter durch das des fürsorglichen Erziehers zu ersetzen.66 In einem dreistufigen Verfahren warb der KGB zunächst Vertrauenspersonen des jeweiligen „Strauchelnden“ an, damit sie auf diesen einwirkten. Half das gute Zureden nicht, gab es erste Vorladungen bei der Staatsanwaltschaft oder auch gezielte Schmutzkampagnen in der Presse. Erst wenn dies nicht die gewünschte Wirkung zeigte, behandelte der KGB die Personen wie Kriminelle: verhaftete sie und stellte sie vor Gericht, ließ sie zwangsweise in die Psychiatrie einweisen, zwang sie zur Ausreise oder schickte sie innerhalb der Sowjetunion in die Verbannung.67 Anfang 1966 informierte der KGB das ZK, dass sich 1965 die Zahl der anonymen antisowjetischen Schriften mehr als halbiert habe. Insgesamt habe der

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KGB 1965 fast 10.000 solcher Schriften registriert. Die Absetzung Chruschtschows habe dazu geführt, dass es weniger Schmähschriften gegen einzelne Politiker, dafür mehr Kritik am Parteiprogramm und an den ZK-Beschlüssen gebe, mit dem Tenor: Die Partei fürchte das offene Wort, ihre Diktatur gründe sich auf Zensur und Gefängnis.68 Doch, so Semitschastny, die „prophylaktischen Maßnahmen“ in Form von Arbeiterversammlungen, Zeitungsartikeln und Informationssendungen im Fernsehen hätten die Zahl anonymer Briefe sinken lassen.69 Die Ausführungen des KGB zeugen davon, dass die Erziehungsarbeit durchaus nicht zynisch gemeint war: „Die Analyse der Gründe für die Anfertigung und Verbreitung von anonymen Dokumenten zeigt, dass in der überwiegenden Mehrheit die Autoren aufgrund ihrer politischen Unreife und ihres Unverständnisses für die Vorgänge auf die kriminelle Bahn geriet.“70 Doch nach dem Desaster des Sinjawski-Daniel-Prozesses und den in der Folge entstandenen neuen Protestformen passte Andropow die Arbeit des KGB an die Methoden der Petenten an. Im Juli 1967 erklärte er vor Absolventen der KGB-Hochschule, diese Personen hätten es sich zur Regel gemacht, formal im Rahmen des Gesetzes zu handeln, dabei aber antisowjetische Ziele zu verfolgen.71 Um gegen diese neuen Methoden der Unterzeichner gewappnet zu sein, gründete er im Juli 1967 mit Breschnews Segen die Fünfte Verwaltung des KGB mit sechs Abteilungen zum Kampf gegen kulturelle, nationalistische und religiöse Abweichungen sowie gegen studentische Unruhestifter und die anonymen Produzenten von antisowjetischen Flugschriften in der breiten Bevölkerung.72 Derart schuf Andropow unter Breschnew einen sehr feingliedrigen Diagnoseapparat mit einer Vielzahl von Agenten, die über nahezu alle andersdenkenden Personen und alle Formen von Kritik im Land informiert waren und das Politbüro darüber auf dem Laufenden hielten. Das Jahr der Menschenrechte

Trotz des neuen Apparats und des Wunsches, ein Debakel wie den Sinjawski-Daniel-Prozess künftig zu vermeiden, kam das Politbüro offenbar erneut zu einer Fehleinschätzung, als es auf Vorschlag Gromykos 1968 das von der UNO ausgerufene „Jahr der Menschenrechte“ propagierte. Die Initiative dazu war von einer Reihe afrikanischer und asiatischer Staaten ausgegangen und wurde von den sozialistischen Ländern, allen voran der Sowjetunion, unterstützt, weil sie damit die Kolonialpolitik und den Rassismus der kapitalistischen Welt geißeln wollten.73 Sozialis-

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tische Menschenrechte waren durchaus keine Camouflage, sondern im Verständnis Breschnews ein echtes Anliegen seiner eigenen Politik, wie er sie bereits auf dem 23. Parteikongress 1966 verkündet hatte. Gemeint war mit diesen Menschenrechten die Demokratie innerhalb der Partei, die öffentliche Diskussion von Gesetzen, das Recht auf Arbeit, Wohnraum und einen gewissen Wohlstand.74 Breschnew schrieb die Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit auch später in der Verfassung von 1977 fest, erklärte jedoch, dass diese Freiheiten dort endeten, wo sie sich gegen die Gesellschaftsordnung und die Interessen des sowjetischen Volkes richteten.75 Doch als das ZK am 8. Januar 1968 dem Vorschlag Gromykos entsprach, das Menschenrechts-Jahr mit einer Reihe von Konferenzen, öffentlichen Versammlungen, Vortragsreihen und Zeitungsartikeln zu begehen,76 hatte offenbar niemand damit gerechnet, dass sich die sowjetischen Bürgerrechtler Pawel Litwinow, Natalja Gorbanewskaja, Pjotr Jakir und andere dieses Motto für das Jahr zu eigen machen würden. Die Bürgerrechtler würdigten das „Jahr der Menschrechte in der Sowjetunion“ mit einer eigenen Zeitschrift, der „Chronik der laufenden Ereignisse“, deren Thema die Zustände in den Gerichten, Gefängnissen und Lagern waren.77 Allem Anschein nach hatte das Politbüro auch die Gefahr unterschätzt, die darin lag, dass Andersdenkende im Inland und ausländische Medien gemeinsam die „Menschenrechte“ als Druckmittel gegen die Sowjetunion einsetzen konnten. Im Januar 1968 verurteilte ein Moskauer Gericht im „Prozess der vier“ diejenigen wegen antisowjetischer Agitation, die das „Weißbuch“ zum Prozess gegen Sinjawski und Daniel zusammengestellt hatten. Es wurden Strafen von einem bis zu sieben Jahren Lagerhaft verhängt. Andropow berichtete am 26. Januar dem ZK, dass die westliche Pressekampagne einer Gruppe von 30 bis 40 Personen wieder Auftrieb gegeben habe, die unter der Leitung von Pawel Litwinow und Larissa Bogoras dazu aufgerufen hatte, gegen das Urteil gegen die vier zu kämpfen. Um die antisowjetische Kampagne im Westen und die „schädliche Tätigkeit der asozialen Elemente“ im Inland zu unterbinden, schlug Andropow vor, weitere einschlägige Veröffentlichungen einzustellen. Stattdessen sollten einige Artikel zum Thema Bürgerpflichten und Patriotismus lanciert und den „Delinquenten“ Jakir, Litwinov und Bogoras erneut Verwarnungen erteilt werden. Sollte das keine Wirkung zeigen, bat Andropow um Autorisierung, diese Personen aus Moskau ausweisen zu dürfen.78 Doch die Idee, die Unterstützer möglichst ohne Aufsehen mundtot zu machen, ging nicht auf. Der KGB konnte Personen im Inland zum Schweigen bringen,

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nicht aber Radio Liberty. Den Anfang 1968 ergehenden Aufruf von Pjotr Jakir, Ilja Gabai und Juli Kim, sich gegen die Verfolgung der Andersdenkenden zur Wehr zu setzen, nahm der Sender zum Anlass, von einer Erhebung der „ganzen sowjetischen Intelligenz“ zu sprechen.79 Die Lage spitzte sich zu, als am 25. August elf Personen auf dem Roten Platz für eine freie Tschechoslowakei protestierten und verhaftet wurden.80 Das von der Sowjetunion unterstützte „Jahr der Menschenrechte“ drohte zu einem Bumerang zu werden. Der KGB befand, dass die Zeit der Prophylaxe und der Verwarnungen für sechs der Verhafteten vorbei sei. Gleichzeitig war Andropow darauf bedacht, aus dem Verfahren keinen Schauprozess wie 1966 gegen Sinjawski und Daniel zu machen. Er schlug dem Politbüro vor, die Produktion von illegalen Schriften (Samisdat), deren Schmuggel ins Ausland und dortige Veröffentlichung (Tamisdat) nicht publik zu machen, um dem Prozess „keinen politischen Anstrich“ zu geben.81 Auch empfahl er, Larissa Bogoras und Pawel Litwinow nur in eine entfernte Region verbannen und nicht zu Lagerhaft verurteilen zu lassen.82 Kein Lärm um nichts

Andropows und Breschnews oberste Prämisse war es offenbar, dem Prestige der Sowjetunion nicht zu schaden, und so waren sie bemüht, möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen, wenn sie unbequeme Stimmen zum Schweigen brachten, ja nach Möglichkeit so früh einzugreifen, dass diese Stimmen sich gar nicht erst Gehör verschaffen konnten. Andropow versuchte daher zu verhindern, dass Roy Medwedews stalinkritisches Buch „Vor dem Gericht der Geschichte“ überhaupt erschien. Er schlug 1969 vor, Medwedew zu einem Gespräch in die Propagandaabteilung des ZK zu bestellen und ihm in Aussicht zu stellen, er könne unter der Kontrolle der Partei ein Buch über die Epoche des Stalinismus schreiben.83 Auch Breschnews Assistent Golikow riet seinem Chef 1970, die beste Art, mit Unruhestiftern umzugehen, sei es, sie totzuschweigen: „Solschenizyn ist für uns tot – er existiert nicht als öffentliche Frage.“84 In ihrem Kampf habe die Partei schon mehrfach auf das Prinzip „Schweigen ist Gold“ gesetzt und dabei nur gewonnen.85 Solschenizyn, so Golikow weiter an Breschnew, müsse nur aus Moskau entfernt werden und bald werde die Welt ihn vergessen.86 1972 empfahl sein außenpolitischer Berater Andrei Alexandrow-Agentow Breschnew: Der Trubel um den Nobelpreis für Solschenizyn sei abgeklungen und daher der Moment günstig, um den Schriftsteller sang- und klanglos abzu-

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schieben.87 Glaubt man dem KGB-Mann Wjatscheslaw Keworkow, dann gab es im Politbüro im Januar 1974 einen verdeckten Machtkampf, der sich an der Frage des Umgangs mit dem prominenten Dissidenten entzündete. Andropow habe ihm berichtet, dass Podgorny auf öffentliche Hinrichtungen in China verwiesen und Kossygin den Gedanken geäußert habe, Solschenizyn in den kältesten Teil des Polargebiets zu verbannen. Doch Breschnew und Andropow setzten sich mit der moderaten Linie, den Querulanten auszubürgern und abzuschieben, durch, auch wenn sie weniger das Wohlergehen des Dissidenten als ihr Prestige im Ausland umtrieb. So fädelte Andropow über seine Mittelsmänner mit Egon Bahr 1974 die Ausreise Solschenizyns in die Bundesrepublik Deutschland ein.88 Breschnew und Andropow waren sich einig: Die wirksamste und den wenigsten Lärm verursachende Methode war der Entzug der Staatsbürgerschaft. Schon am 15. April 1968 hatten sie sich dafür ausgesprochen, den Bürgerrechtlern Ilja Gabai und Anatoli Martschenko die Staatsbürgerschaft zu entziehen.89 Aber offenbar hatte sich kein Anlass gefunden, die beiden abzuschieben, oder kein Land, das sie hätte aufnehmen können – und so beschäftigten sie Andropow weiter. Entweder musste also in geheimen Verhandlungen mit anderen Staaten deren Bereitschaft zur Aufnahme der Abweichler geklärt werden, was heikel und aufwendig war. Oder das Politbüro nutzte den Moment, wenn die Personae non gratae sich bereits im Ausland befanden, wie 1975 bei Wladimir Maximow und 1981 bei Lew Kopelew.90 Die Eingriffe sollten nicht nur lautlos, sondern auch gezielt und präzise sein. Nach Angaben des Biographen Mletschin sorgte Breschnew persönlich dafür, dass der 1970 zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesene Schores Medwedew wieder freikam. Sein Mitarbeiter Bowin wies ihn auf den „Fehler“ hin. Breschnew erkundigte sich bei Andropow, ob er die Einweisung veranlasst habe; dieser bestritt das und behauptete, die Behörden vor Ort seien „übereifrig“ gewesen.91 Auch dass im Moskauer Stadtteil Tscherjomuschki eine nicht genehmigte Ausstellung abstrakter Kunst im Freien durch Bulldozer niedergewalzt wurde, wertete Alexandrow-Agentow in einer Notiz an Breschnew als „Dummheit und Dilettantismus“. Die Aktion habe viel unnötigen Lärm erzeugt und den „Abstraktionisten“ erst die internationale Aufmerksamkeit beschert, die sie sich gewünscht hätten. Hätte man den Künstlern einen Ausstellungsraum zugewiesen, die Schau mit ein paar Artikeln über „sinnlose“ Kunstwerke begleitet und der Öffentlichkeit die Möglichkeit gegeben, sich selbst ein Bild zu machen, so hätte sich alles von allein erledigt. Durch den Einsatz von Milizionären, Bulldo-

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zern und Feuerlöschzügen habe die Moskauer Parteileitung nicht nur die „bourgeoise“ Presse, sondern auch westliche kommunistische Parteien gegen die UdSSR aufgebracht.92 Auch wenn dies nur zwei Einzelfälle sind, illustrieren sie sehr gut, dass die oberste Direktive war, jeden Lärm und Aufsehen jeder Art tunlichst zu vermeiden, um das Ansehen der Sowjetunion im Ausland nicht zu beschädigen. Die außenpolitische Dimension des Kampfes gegen die Andersdenkenden scheint für Andropow und Breschnew noch gravierender als die innenpolitische Bedrohung durch die Dissidenten gewesen zu sein. Aus außenpolitischer Perspektive erschienen Menschenrechte und Pressefreiheit nur als Werkzeuge und Teil einer Strategie, um die Sowjetunion in Misskredit zu bringen. Gerade weil der KGB auf sein neues Image pochte, mehr auf Prophylaxe denn auf Repression setzte und ein seiner Meinung nach individuell angepasstes Instrumentarium benutzte, waren Staatssicherheit und Partei davon überzeugt, dass die Proteste im Westen im Grunde überzogen waren und einzig dem Zweck antisowjetischer Propaganda dienten. Als Andrei Sacharow 1972 beim Gesundheitsminister gegen die Zwangsunterbringung der Bürgerrechtler Wladimir Borisow und Viktor Fainberg protestierte, leitete der KGB-Vorsitzende tatsächlich eine Untersuchung ein, kam aber zu dem Schluss, dass beide angemessen behandelt würden.93 Die Kampagne im Westen erklärte der KGB zu einer Aktion rein antisowjetischen Charakters.94 Fast schon voller Bewunderung analysierte der KGB das Vorgehen von Radio Liberty und Voice of America: Um die Hörer von der Objektivität der Sender zu überzeugen, verbreiteten diese auch negative Nachrichten über den Westen und präsentierten zahlreiche Statistiken, damit der Eindruck entstünde, es werde nichts verschwiegen.95 Auf der Basis solcher Berichte erklärte Andropow dem ZK-Plenum, Radio Liberty würde von sich behaupten, es könne die Menschen so erziehen, dass sie in der Lage sein würden, den Kreml zu erobern. Breschnew kommentierte, wenn auch nicht ohne Ironie, das sei „beste Parteischule“.96 Nicht anders denn als „Instrument des Westens“ betrachtete der KGB die Entstehung der verschiedenen Menschenrechtsorganisationen: Die „Bewegung für die Demokratisierung“ 1969, das „Komitee zur Verteidigung der Menschenrechte“ 1970 und die Gründung einer russischen Sektion von „Amnesty International“ 1973 hatten in Andropows Augen einzig das Ziel, das Ansehen der UdSSR in der Welt zu beschädigen. Die Verunglimpfung der Sowjetunion im Ausland beantwortete er mit der Diskreditierung der Teilnehmer/innen im Inland.97

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Der Fall Sacharow

Um sich der nur schwer zu ermittelnden Haltung Breschnews zu den Andersdenkenden zu nähern, soll hier der Fall Sacharow näher beleuchtet werden. Breschnews Schwiegersohn Tschurbanow berichtet, Breschnew habe sich über das Verhalten des renitenten Atomphysikers, das ihm unverständlich war, sehr geärgert. Gleichwohl habe er ihn für einen großen Gelehrten und echten Akademiker gehalten und lange Suslows Drängen nicht nachgegeben, Sacharow aus der Akademie der Wissenschaften auszuschließen.98 Auch Sacharow selbst berichtet, dass sich Breschnew ihm offenbar in einer sehr eigenen Weise verbunden gefühlt habe. 1965 habe Breschnew den Sekretär des Gebietskomitees zu ihm geschickt, mit der Botschaft, dass es für ihn doch langsam Zeit sei, in die Partei einzutreten. Später habe er erfahren, dass Breschnew dem Gebietssekretär erklärt hatte: „Sacharow quälen Zweifel und innere Unruhe. Wir müssen das verstehen und ihm nach Möglichkeit helfen.“99 Dennoch: Während Chruschtschow mit Sacharow nur gestritten hatte, begann unter Breschnew der KGB 1966 über Sacharow eine Akte zu führen, nachdem dieser im Vorfeld des 23. Parteikongresses den Brief mit unterzeichnet hatte, in dem 25 Intellektuelle und Wissenschaftler das Parteipräsidium aufforderten, von der Rehabilitierung Stalins abzulassen.100 Was vorher als persönliches Ärgernis Chruschtschows behandelt worden war, machte der KGB unter Breschnew zu einem Politikum, und zwischen 1970 und 1973 musste das Politbüro nahezu jeden Monat über den Fall Sacharow beraten.101 Nachdem sich Sacharow schon unter Chruschtschow unerschrocken gegen die Verbreitung von Atomwaffen, für ein Atomtest-Moratorium und zugunsten einzelner Personen eingesetzt hatte, setzte er jetzt seine Unterschrift unter das Protestschreiben gegen die Einführung des Paragraphen 190-1 des Strafgesetzbuchs, der „antisowjetische Propaganda“ stärker als bisher unter Strafe stellte, und nahm am 5. Dezember 1966 am Puschkindenkmal an der Schweigedemonstration zur Mahnung an die Einhaltung der Verfassung teil.102 Entsprechend ihrem Menschenbild galt Sacharow in Breschnews und Andropows Augen damit noch nicht als Verräter, sondern als Strauchelnder, der an die Hand genommen und auf den richtigen Weg zurückgeführt werden musste.103 Eine Charakteristik, die Andropow im Januar 1971 zusammenstellen ließ, beschrieb Sacharow als

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Prinzipienmensch, mutig in seinen Handlungen zur Verteidigung seiner Prinzipien, lebt in seinen Gedanken und Theorien und kann über Probleme nachdenken, auch wenn er sich an den dafür am wenigsten passenden Orten befindet. (…) Ist nicht mit allem in unserer Gesellschaft zufrieden, kategorisch lehnt er jede Erscheinung von Kult ab. Reagiert empfindlich auf jede Nachricht über die „Verletzung von Menschenrechten“ in der UdSSR. (…) Sacharow erkennt im Ganzen die Vorteile des sozialistischen Systems gegenüber dem kapitalistischen an, aber versteht viele Aspekte des realen Lebens der sowjetischen Gesellschaft falsch.104

Auch Podgorny befand: „Was Sacharow angeht, so bin ich der Meinung, dass wir um diesen Menschen kämpfen müssen. Er ist eine andere Art von Mensch. Das ist kein Solschenizyn. (…) Er ist der Schöpfer der Wasserstoffbombe.“105 Da der KGB zu dem Schluss gekommen war, Sacharow sei im Grunde ein Anhänger des sowjetischen Systems, dem nur die momentanen Erscheinungen verständlich gemacht werden müssten, und da Andropow ihn als „goldenen Kopf “ beschrieb, den man nicht einfach dem Westen überlassen dürfe,106 unternahmen Partei und KGB diverse Versuche, Sacharow zur Umkehr zu bewegen. Ausschlaggebend dafür, dass sich die Partei weiter um Sacharow bemühte, waren sowohl die Einschätzungen Andropows – obgleich es von diesem meist heißt, er sei Sacharows eigentlicher Widersacher gewesen107 – als auch Breschnews offensichtliche Sympathie für das Genie des Physikers. Es war Andropow, der zwischen 1968 und 1973 mit zunehmender Vehemenz darauf drängte, ein Führungsmitglied der Partei, am besten Breschnew persönlich, solle sich mit Sacharow treffen, um diesen zur Umkehr zu bewegen. Tatsächlich richtete Sacharow die Mehrzahl seiner Schreiben direkt an Breschnew, den er aus der Zeit, als dieser Rüstungssekretär gewesen war, gut kannte. Wiederholt bat er ihn um ein Treffen.108 Als Breschnew jedoch nicht reagierte, leitete er seine Briefe, wenn auch oft erst nach mehreren Monaten, an die westliche Presse weiter.109 Sacharow schrieb in der Hoffnung, dass es auch in den höchsten Führungskreisen zu einem „realen Wandlungsprozess der Meinungen und der Handlungspraxis“ kommen könne.110 Breschnew jedoch blieb stumm und Andropow wählte, mit Segen Breschnews, eine Mischung aus Mahnen und Strafen. Als Sacharow 1967 ein Verteidigungsschreiben für die Angeklagten des „Prozesses der vier“ an den „lieben Leonid Iljitsch“ richtete,111 verlor er seinen Abteilungsleiterposten in dem geheimen Atomforschungszentrum in Obninsk.112 Da er keine Antwort bekam, rief Sacharow über die behördeninterne Telefonverbindung Andropow an, um

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ihn um die Freilassung des in Mordowien einsitzenden Juli Daniel zu bitten. Andropow versprach, der Sache nachzugehen.113 Kurz darauf gelang Sacharow auch ein Anruf bei Breschnew, den er auf die drohende Umweltkatastrophe im Baikalsee hinwies: „Breschnew war sehr liebenswürdig und wohlwollend, klagte über seine extreme Überlastung und sagte, dass sich Kossygin um das Problem Baikal kümmere, ich solle mich an ihn wenden.“114 Sacharow hatte also den Eindruck, das Politbüro verschließe sich seinen Anliegen nicht vollkommen. Im Januar 1968 begann er einen Artikel über die Rolle der Intelligenz in der modernen Welt zu verfassen, den er schließlich „Gedanken über den Fortschritt, die friedliche Koexistenz und die geistige Freiheit“ nannte. Er richtete den Artikel an Breschnew und schickte ihn zunächst nur an diesen.115 Obwohl immer wieder betont worden ist, dass Sacharow mit diesem „Manifest“ endgültig zum Dissidenten wurde und die Partei ihn aufgab,116 war das nicht der Fall. Breschnew und Andropow versuchten im Gegenteil nun verstärkt, durch Mittelsmänner erzieherisch auf Sacharow einzuwirken.117 Als das keine Wirkung zeigte, forderte Andropow vom Politbüro, Sacharow zu empfangen, um zu verhindern, „dass möglicherweise der Name des Akademiemitglieds Sacharow von antisowjetischen und gesellschaftsfeindlichen Elementen für ihre Ziele missbraucht wird“.118 Doch zunächst schickte die Partei einen weiteren Mittelsmann, den Leiter der Atomindustrie, Jefim Slawski, der Sacharow nahelegte, sich von seiner Urheberschaft des Manifests, das mittlerweile in der westlichen Presse veröffentlicht worden war, zu distanzieren. Doch Sacharow lehnte ab. Er verlor daraufhin seine Stelle in der Atomstadt Obninsk, behielt aber die am Institut für Physik der Akademie der Wissenschaften.119 Auch jetzt gaben Partei und KGB ihn nicht auf: 1970 schickte Breschnew seinen Vertrauten Trapesnikow, den Vorsitzenden der ZK-Abteilung für Wissenschaft, und kurz darauf den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, Mstislaw Keldysch, zu Sacharow, um ihn zu überreden, die Politik der Partei zu überlassen.120 Im Auftrag der Partei stimmten sie Sacharow zu, dass eine Demokratisierung des Landes richtig und wichtig sei, aber appellierten an seine Einsicht, dass es dafür noch zu früh sei, da zuerst der Lebensstandard angehoben werden müsse, bevor die Bevölkerung für die neue Freiheit reif sei.121 Doch Sacharow ließ sich von diesen Zugeständnissen der Partei nicht beirren. Da er nun selbst über keine behördeninterne Telefonleitung mehr verfügte, verschaffte er sich andernorts dazu Zugang. Als er aber Breschnew anrufen wollte, erreichte er nur noch dessen Sekretärin.122 Schließlich gründete er ein Menschen-

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rechtskomitee, was Andropow vollends alarmierte und dazu brachte, im November und Dezember 1970 vehement auf ein Gespräch auf „oberster Ebene“ zu drängen:123 Sacharow ist der Meinung, dass die Initiative, ihn zu einer für den Staat nutzbringenden Tätigkeit heranzuziehen, „von oben“ kommen muss. Gleichzeitig drückt er Zweifel aus und erklärt, dass „man sich schon lange von ihm abgewandt habe“; dabei verweist er darauf, dass er von den Regierungsstellen, an die er sich mit verschiedenen Briefen gewandt hat, angeblich keine Antwort erhält.124

Andropow fühlte sich in seiner Absicht, ein Treffen mit Sacharow zu arrangieren, von Informanten bestärkt, die dem KGB zutrugen, Sacharow sei gekränkt bis verärgert, dass er auf seine Einlassungen von den angeschriebenen Parteiführern, namentlich von Breschnew, keine Antwort erhalte.125 Nachdem Sacharow unter seinen Freunden verbreitet hatte, er werde bald von Breschnew empfangen, wandte sich Andropow im Januar 1971 an Breschnew persönlich: „Im Zusammenhang damit bitte ich Sie, Leonid Iljitsch, die Frage zu prüfen, ob sich ein Gespräch mit ihm im ZK der KPdSU in allernächster Zeit organisieren lässt.“126 Als Freunde Sacharows wissen ließen, es sei jetzt noch möglich, den Dissidenten zur Umkehr zu bewegen, und die Gefahr im Raum stand, dass die „Denkschrift“ im Vorfeld des 24. Parteikongresses im Ausland publiziert würde, wiederholte Andropow im Februar 1971 seine dringende Bitte an Breschnew.127 Dessen Mitarbeiter hofften, ein solches Treffen könne Spannungen abbauen und dabei helfen, einen Modus vivendi zu finden. Anatoli Kowaljow, ein Diplomat in Breschnews Stab, berichtet, auf der Datscha in Sawidowo habe Breschnew im Kreis seiner Mitarbeiter mehrfach über Sacharow gesprochen: „Es war sichtbar, dass ihn die Beschäftigung mit diesem Thema quälte. Solch ein Kopf wie Sacharow, und tritt gegen die herrschende Gesellschaftsordnung in unserem Lande auf? Warum?“128 Breschnew habe wiederholt geäußert, dass er mit Sacharow sprechen wolle, habe das Treffen aber immer wieder verschoben: „Wir hatten den Eindruck, dass sich Breschnew schlicht vor dem direkten Gespräch mit Sacharow fürchtete.“129 Bowin behauptet, Breschnew sei nicht abgeneigt gewesen, aber Suslow hätte ihm das Vorhaben ausgeredet, sich mit dem Renegaten zu treffen.130 Schließlich beschloss das Politbüro am 26. Februar 1971, Suslow und der ZK-Sekretär Pjotr Demitschew sollten Sacharow empfangen.131 Aber auch dieses Gespräch kam nicht zustande, da Suslow ein solches Gespräch ablehnte.132 Im Oktober 1971 meldete der KGB Suslow, dass Sacharow noch immer auf

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ein Gespräch mit einem der ZK-Sekretäre hoffe.133 Zu Andropows Frustration entzog sich Breschnew, und das Politbüro beließ es letztlich dabei, über Dritte auf Sacharow einzuwirken.134 Filipp Bobkow, der als Leiter der Fünften Abteilung mehrere Dossiers zu Sacharow erstellte, urteilt in seinen Memoiren (vermutlich nicht ganz ohne den Hintergedanken, sich selbst reinzuwaschen): Die Menschen, die an der Macht waren, stießen diesen größten Wissenschaftler zurück und wollten ihn nicht anhören, wollten nicht auf einer Ebene mit ihm streiten und einen Kompromiss finden. Aber das Wichtigste ist, dass sich niemand mit dem Wesen seiner Ansichten und Überzeugungen auseinandersetzen wollte. Die einen winkten ab: „Er ist nicht unserer Mann“, die anderen bekamen es mit der Angst zu tun, und wieder anderen erlaubte man nicht, mit ihm in einen Dialog zu treten.135

Verwarnen, verunglimpfen, verbannen

Andropow und Breschnew sahen den entscheidenden Wendepunkt in ihrer Einschätzung Sacharows erst gekommen, als dieser im Sommer 1973, zunächst mit einem Interview, begann, sich dezidiert an das Ausland zu wenden und sich als „Gegner des sozialistischen Systems“ zu bezeichnen.136 Nun war Sacharow für sie kein strauchelndes Genie mehr, sondern ein Nestbeschmutzer, der sich langsam in das Lager des „Feindes“ bewegte. Doch auch in dieser Situation finden sich in Breschnews Notizbüchern zwei nahezu gleichlautende Einträge, vom 8. und 12. September: „Gespräch mit A.N. Kossygin über Sacharow – ihn empfangen oder nicht“.137 Erneut konnte sich Breschnew nicht dazu durchringen, sich mit Sacharow zu treffen. Letztlich stimmten er und das Politbüro Andropows Vorschlag zu, „Stufe 2“ einzuleiten. Erst bestellte die Staatsanwaltschaft Sacharow zu einem „prophylaktischen Gespräch“; dann initiierte das Politbüro eine gesteuerte Schmutzkampagne in der Presse.138 Doch der Schaden war größer als der erhoffte Nutzen: Als der Präsident der US-amerikanischen National Academy of Sciences, Philipp Handler, intervenierte und indirekt mit einem Abbruch des wissenschaftlichen Austauschs mit der Sowjetunion drohte, stoppte die Partei die Pressekampagne sofort.139 Die Frage des weiteren Umgangs mit Sacharow entwickelte sich im Kontext des Kalten Krieges zur Wahl des kleineren Übels: Sacharow gewähren lassen und den Imageschaden, den er verursachte, hinnehmen – oder ihm das Handwerk legen und damit selbst das Ansehen der Sowjetunion in der Weltgemeinschaft demon-

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tieren?140 Diese Abwägung und das Debakel der Schmutzkampagne führten dazu, dass Breschnew 1975 erstmals nicht Andropow zustimmte. Dieser hatte zusammen mit ZK-Sekretär Dmitri Ustinow und Generalstaatsanwalt Roman Rudenko dem Politbüro den Vorschlag unterbreitet, Sacharow in die für Ausländer gesperrte Stadt Swerdlowsk im Ural (heute wieder Jekaterinburg) zu verbannen, um dessen Kontakt zu Diplomaten und ausländischen Journalisten zu unterbinden. Breschnew und das Politbüro lehnten ab.141 Eine Verbannung hätte zu großen Flurschaden angerichtet, denn soeben hatte Sacharow den Friedensnobelpreis erhalten, gerade hatte Breschnew die Helsinki-Schlussakte unterzeichnet, die zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtete, und zudem liefen die SALT-II-Verhandlungen.142 Das Politbüro begnügte sich mit einer weiteren Schmutzkampagne. Der Vorschlag, Sacharow in die geschlossene Stadt Gorki zu verbannen, fand erst fünf Jahre später eine Mehrheit im Politbüro. Inzwischen nämlich stufte das Politbüro das Verhalten Sacharows einhellig als eindeutig „kriminell“ und „unwürdig“ ein.143 Außerdem hatte der Kalte Krieg mit dem NATO-Doppelbeschluss, dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und der aufgeschobenen Ratifizierung des SALT-II-Abkommens einen neuen Höhepunkt erreicht. Das Politbüro sorgte sich nicht mehr um sein Prestige in der westlichen Welt.144 Entscheidend für die Verbannung Sacharows war, dass er sich gegen den Krieg in Afghanistan und für den Boykott der 1980 in Moskau stattfindenden Olympiade aussprach und sich damit anmaßte, in die Außenpolitik der Sowjetunion einzugreifen.145 Sein Zusammentreffen mit dem Heer der zur Olympiade anreisenden Journalisten wäre für die Sowjetunion ein PR-GAU gewesen.146 Breschnew und das Politbüro waren sich sicher: Das Akademie-Mitglied Sacharow, das ein überzeugter Gegner der sozialistischen Ordnung ist, betreibt seit mehr als zehn Jahren subversive Arbeit gegen den sowjetischen Staat. Als überzeugter und offener Feind des Sozialismus ermutigt er die aggressiven Kreise der kapitalistischen Länder, sich in die inneren Angelegenheiten der sozialistischen Länder einzumischen, ruft zur militärischen Konfrontation mit der Sowjetunion auf und inspiriert ständig zu Ausfällen gegen die Politik des sowjetischen Staates, die auf die Entspannung der internationalen Lage und auf die friedliche Koexistenz gerichtet ist.147

Dennoch fiel Breschnew die Zustimmung zur Verbannung Sacharows offenbar nicht leicht. Obwohl der KGB Sacharow bereits am Morgen des 22. Januar 1980

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verhaftet und noch am selben Abend mit seiner Frau nach Gorki ausgeflogen hatte, konnte sich Breschnew offenbar noch immer nicht dazu durchringen, den Befehl über dessen Ausweisung zu unterschreiben.148 Noch am 23. Januar schien er zu hadern, schrieb er doch in sein Notizbuch: Habe am Telefon mit Tschernenko gesprochen – über Sacharow. Habe mit Suslow M.A. gesprochen, auch über Sacharow, was tun. Habe Sagladin und Schukow [seinen Mitarbeitern] aufgetragen, sich mit Jacques Chaban-Delmas [dem Berater Pompidous] zu treffen und herauszufinden, was Sacharow angestellt hat. Habe mit Andropow über Sacharow gesprochen.149

Dass Breschnew mit dieser Entscheidung nicht glücklich war, deutet auch der Parteichef Kasachstans, Kunajew, in seinen Memoiren an. Er behauptet, auf einem Empfang seine ganze Empörung über diese „unglaubliche Dummheit“ Kossygin direkt ins Gesicht gesagt zu haben; dieser habe ihn an den Generalsekretär verwiesen. Der angesprochene Breschnew habe lange geschwiegen und dann, Kunajews Blick ausweichend, erwidert: „Aber was sollen wir denn tun? Andropow sagt, dass sie das Wasser aufwühlen. Dass sie schaden. Das Volk aufwiegeln.“150 Diese Worte sind nicht verbürgt, und dennoch scheinen sie relativ gut Breschnews unentschlossene, wohl auch zwiespältige Haltung zu den Andersdenkenden wiederzugeben. Da ihm das Thema nicht behagte, überließ er es Andropow. Da es eher sein Stil war, den Genossen gut zuzureden und ihnen väterliche Ratschläge zu erteilen, bereiteten ihm die Zwangsmaßnahmen offenbar Bauchschmerzen. Gewalt passte nicht in seine Selbstinszenierung als Fürsorger. Gleichzeitig schätzte er Andropow als klugen Kopf, dessen Loyalität er nicht durch deutliche Widerworte und Einmischung in sein Ressort riskieren wollte. Schließlich war für ihn die Außendarstellung der UdSSR entscheidend. Dass ein mehrfacher Held der Arbeit dem „imperialistischen Feind“ half, die Sowjetunion zu verunglimpfen, war für Breschnew wohl unerträglich. Wie sehr er mit sich rang, ist daran zu erkennen, dass er noch Gespräche über den Fall führte, als sich Sacharow längst in Gorki befand. Die Angst vor einem Imageschaden im Ausland wurde allerdings durch moderate Äußerungen westlicher Politiker relativiert. Ob diese tatsächlich eine solche Relativierung intendierten oder sich nur diplomatischer Höflichkeit befleißigten, bleibt dahingestellt. Jedenfalls teilte der Vorsitzende der französischen Nationalversammlung, Chaban-Delmas, dem von Breschnew entsandten Sagladin

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am 23. Januar mit, er müsse leider nach Sacharows Verbannung aus Moskau abreisen, weil die westlichen Medien alles andere nicht verstehen würden. Aber er habe ohnehin schon alle Arbeitstreffen absolviert, so dass nur der touristische Teil entfallen würde. Auf seine Erläuterungen der Gründe für die Verbannung Sacharows aus Moskau habe sich Chaban-Delmas, so Sagladin, verständnisvoll gezeigt: Das klinge vernünftig und human.151 Ganz ähnlich hatte ein Jahr zuvor der demokratische US-Senator Joe Biden Sagladin anvertraut, dass es den Demokraten weniger um einzelne Schicksale von Dissidenten ginge als darum, ihren Wählern zu demonstrieren, dass sie sich für die Menschenrechte einsetzten. Sagladin interpretierte: „Mit anderen Worten, meine Gesprächspartner gaben zu, dass es nur um eine Art Schmierentheater geht, dass das Schicksal des Großteils der sogenannten Dissidenten sie in keiner Weise interessiert.“152 Mit solchen Äußerungen bestätigten westliche Politiker Breschnew in seiner Annahme, dass es sich bei den „Menschenrechten“ nicht um ein moralisches Anliegen, sondern eine Schmutzkampagne gegen die Sowjetunion handelte. Breschnew als Restalinisierer zu bezeichnen wird ihm nicht gerecht. Er sah sich und die sowjetische Bevölkerung vermutlich als Opfer Stalins und sagte mehrfach unmissverständlich, dass niemand eine Rückkehr in diese Zeiten wünschen könne. Dass dennoch stalinkritische Stimmen zum Schweigen gebracht wurden und wieder Artikel anlässlich von Stalins Geburtstag erschienen, war Breschnews Willen zum Ausgleich geschuldet. Er war bestrebt, einen Mittelweg zu gehen, der möglichst alle befriedete und ruhigstellte, und musste es deswegen auch den Hardlinern – von denen er abhängig war – recht machen. Die Auseinandersetzung mit den Andersdenkenden scheute er, weil er sich dem Intellekt eines Sacharow offenbar nicht gewachsen fühlte. Sein bewährtes Instrumentarium des Gut-Zuredens und väterlichen Tadelns versagte hier. Die ihm von Andropow gestellte Aufgabe, sich mit Sacharow zu treffen, überforderte ihn offensichtlich, weil es keine gemeinsame Basis gab, auf der er dieses Gespräch hätte aufbauen können. Er war daher froh, als Andropow ihm dieses Problem abnahm.

„Wir sind Helden“: Der Weltkriegskult So sehr sich die Andersdenkenden, die Breschnews Politik erst hervorbrachte, zum Menetekel seiner Herrschaftszeit und schließlich zum Sargnagel der Sowjetunion entwickelten, so erfolgreich etablierte Breschnew den Kult um den

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„Großen Vaterländischen Krieg“ (den Deutsch-Sowjetischen Krieg im Rahmen des Zweiten Weltkriegs, 1941–1944) und stellte die UdSSR damit auf ein neues Fundament. Zudem bewies er auf diese Weise implizit, dass es ihm nicht um eine Restalinisierung ging, denn es wäre ein Leichtes gewesen, mit dem Weltkriegskult auch den Stalinkult wiederzubeleben. Genau das tat Breschnew aber nicht: Wie bereits sein Vorgänger Chruschtschow trennte er Stalin vom Zweiten Weltkrieg und stellte die einfache Bevölkerung, deren Opfer und Heldentaten in den Mittelpunkt. Chruschtschow hatte Stalin auch damit vom Sockel gestoßen, dass er einen Großteil seiner „Geheimrede“ von 1956 den Fehlentscheidungen Stalins widmete, der als „Generalissimus“ Hunderttausende Soldaten in den sicheren Tod schickte, weil er nicht auf die Ratschläge seiner Generäle hören wollte. Chruschtschow hatte 1961 erstmals von 20 Millionen Kriegstoten gesprochen, während Stalin nur sieben Millionen eingeräumt hatte.153 Unter Breschnew wurden diese 20 Millionen – heute wissen wir, dass es 25 bis 30 Millionen waren – zu einer Chiffre und einem Symbol, die stellvertretend für das sowjetische Narrativ vom Überfall bis zum Sieg standen.154 Breschnew kehrte den Chruschtschow’schen „Anti-Stalinkult“ im Grunde um: Anstatt das Fehlverhalten des „Führers“ anzuklagen, rückte er die Leistungen der einfachen Soldaten ins Zentrum. Damit wendete er die Meistererzählung vom Negativen ins Positive. Es ging nicht mehr um eine selbstkritische Ergründung, wie es zur Katastrophe des deutschen Überfalls im Juni 1941 hatte kommen können, sondern um das Gemeinschaft stiftende Huldigen und Ehren.155 Die Wiederbelebung des Weltkriegskults, der genau genommen neu geschaffen wurde, da er nicht an die Stalinverehrung anknüpfte, war ein Coup. Das neue Identifizierungsangebot nahm die Bevölkerung dankbar an; es verselbständigte sich und lebt bis heute in vielen postsowjetischen Gesellschaften, allen voran der russischen, fort. Der Weltkriegskult löste in gewissem Maße den Oktoberkult um die Russische Revolution im Jahr 1917 ab. Nicht nur lag dessen Anlass schon so weit zurück, dass sich nur noch wenige daran erinnerten, er konnte auch keine breite Masse an Akteuren vorweisen, die sich mit ihm identifizierten.156 Das feierliche Gedenken an die Helden und Opfer war ein Triumph Breschnews und seiner Berater. Man bediente damit mehrere Klientelgruppen: zunächst all die einfachen Soldaten und Veteranengruppen, die in den 1960er Jahren noch immer um Anerkennung und um Sozialleistungen kämpften.157 Noch im Dezember 1964 dekretierte der Oberste Sowjet die Anhebung der Rente für Kriegsinvaliden und

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Kriegswitwen; weitere Zuwendungen ließ das Parteipräsidium im Frühjahr 1965 folgen.158 Wie in einem Dossier über die Stimmung unter den Invaliden festgestellt wurde, zeigten sich diese einhellig dankbar.159 Breschnew gewann damit die Sympathie der Armeeführung und des militärisch-industriellen Komplexes. Zudem machte er sich mit dem Weltkriegsgedenken selbst ein Geschenk und erfüllte sich womöglich einen persönlichen Wunsch. Anders als der vom Krieg traumatisierte Chruschtschow, der keine Kriegsfilme ertrug, sah Breschnew gern entsprechende Spielfilme, die ihm regelmäßig Tränen in die Augen trieben.160 Wie alle seine Weggefährten berichten, war er sentimental, und wie wir wissen, war der Krieg mit seinem Grauen auch für ihn eine einschneidende Erfahrung gewesen. Breschnew schuf mit dem Kult um den Großen Vaterländischen Krieg auch die Grundlage für den 1973 einsetzenden Kult um sich selbst und für die Verherrlichung seiner bescheidenen Kriegstaten. Ob dies von ihm und seiner Dnepropetrowsker Entourage bereits 1965 so geplant war, muss dahingestellt bleiben.161 Vermutlich sah er sich selbst aber zu diesem Zeitpunkt noch als einen von Millionen Soldaten, die gelitten und durchgehalten hatten. So setzte er seiner ganzen Generation ein Denkmal und gab ihr die Möglichkeit, die eigene Geschichte in den Heldenmythos des Großen Vaterländischen Krieges einzuschreiben.162 1965, zum 20. Jahrestag des Sieges, erklärte die neue Regierung den 9. Mai zum arbeitsfreien Feiertag.163 Das Zentralmuseum der Streitkräfte, das nun den Großteil der Ausstellung dem Zweiten Weltkrieg widmete, war einen Tag zuvor an seinem neuen Standort feierlich eröffnet worden.164 Am 8. Mai 1967 weihte Breschnew zusammen mit dem Noch-Parteichef von Moskau, Nikolai Jegorytschew, in Moskau das Grab des unbekannten Soldaten sowie die um das Grab herum gestaltete Gedenkstätte für die Heldenstädte ein. Letztere wurden jeweils durch einen roten Marmorblock an der Kremlmauer im Alexander-Garten repräsentiert. Nach einer äußerst pathetischen Rede Jegorytschews ergriff Breschnew die ihm gereichte Fackel und entzündete das ewige Feuer auf dem Grabmal.165 Es war mutmaßlich auch Breschnews Neid auf Jegorytschew und dessen Selbstdarstellung als erster „Hohepriester“ des Weltkriegskults, die mit dazu führten, dass er den Moskauer Parteichef zwei Monate später von seinem Posten vertrieb. Die Gestaltung des neuen Gedenkens hatte Breschnew niemand anderem als seinem guten Freund und Kriegskameraden aus Dnepropetrowsk, Gruschewoi, anvertraut, dem er 1965 einen Sitz im Militärrat und die Leitung der Politverwaltung des Moskauer Wehrkreises verschafft hatte, die dieser bis zu seinem Tod 1982 behielt. Gruschewoi sicherte Breschnew nicht nur den Einfluss auf die

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Gestaltung des Erinnerungskults in Moskau, sondern auch die Kontrolle über den wichtigsten Wehrbezirk im ganzen Land.166 Die monumentale Gedenkstätte im Alexander-Garten war ein großer Erfolg: Bis heute lassen sich Brautpaare dort fotografieren und legen Blumen nieder, und die Wachablösung ist ein ähnliches touristisches Spektakel wie im Ausland vor Königsschlössern. Im Oktober 1967 weihte Breschnew in Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad, die 85 Meter hohe Statue „Mutter Heimat“ ein, die 1959 von Chruschtschow in Auftrag gegeben worden war. Mit ausgestreckten Armen und einem emporgereckten Schwert ruft die Frauenfigur das Volk zur Verteidigung seiner Heimat auf und erinnert damit an die Schlacht um Stalingrad. In seiner Rede in Wolgograd verknüpfte Breschnew den Ruhm der Helden mit der Bringschuld der nachfolgenden Generationen, den Sieg über den Faschismus mit der klugen Führung durch die Partei und den einstigen Kampf mit dem gegenwärtigen Leben in Frieden und Wohlstand. Damit machte er den blutigen Krieg zur notwendigen Voraussetzung für seine Wohlfahrtspolitik: Wenn es nicht diese Opfer und nicht diesen Sieg gegeben hätte, dann hätte es nicht unsere Zukunft gegeben, in die unser Volk schritt, nachdem es den Faschismus besiegt hatte. (...) Die Heldentaten der Gefallenen erlegen uns eine enorme Verantwortung auf. Es ist unsere heilige Pflicht, die Sache zu vollenden, für die sie ihr Leben gaben.167

Das von Breschnew 1966 genehmigte Diorama „Stalingrader Schlacht“ und das Museum über die Verteidigung der Stadt öffneten erst im Juni 1982 bzw. 1985.168 Dioramen wie dieses wurden zu einem Sinnbild seiner Herrschaft. Sie entstanden seit 1965 in allen Kriegsmuseen des Landes als aufwendig gestaltete szenische Bilder, die möglichst realitätsnah Schlachten mit Licht- und Geräuscheffekten nachbildeten. Während der Hintergrund gemalt war, befanden sich im Vorder- und Mittelgrund Figuren und Requisiten, die die Szenerie lebensecht erscheinen ließen.169 Am 8. Mai 1965 verlieh der Oberste Sowjet sieben Städten den Titel „Heldenstadt“ bzw. bestätigte ihren bereits existierenden Titel: Leningrad, Kiew, Wolgograd (das ehemalige Stalingrad), Sewastopol, Odessa, Moskau und Brest. Indem er diese Städte zu besonderen, geradezu heiligen Orten erklärte, gab Breschnew der Landkarte ein neues Aussehen. Er machte ihnen in diesem Zusammenhang gern selbst die Aufwartung und ließ sich dort bei einem Bad in der Menge feiern. Der Status der Heldenstadt gab den Einwohnern nicht nur das Recht, sich als etwas

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Besonderes zu fühlen. Er verpflichtete sie auch zu patriotischem Stolz und zu einem würdigen Verhalten, das sich z.B. mit Plan(über)erfüllungen beweisen ließ.170 Diesen sieben Städten ließ Breschnew 1973 Kertsch und Noworossijsk folgen, wo er selbst im Einsatz gewesen war. Noworossijsk bekam den Titel am 14. September anlässlich des 30. Jubiläums der Entsetzung der Stadt verliehen. Breschnew jedoch ließ auf sich warten. Im Mai 1974 bedrängte ihn sein Assistent Golikow, es sei jetzt die beste Zeit zu reisen, denn die Noworossijsker befänden sich seit einigen Monaten in angespannter Erwartung seines Besuchs. Wenn er am 17. Mai führe, könne er am 18. Mai die Versammlung abhalten, dem Empfang beiwohnen und am 19. die Urkunde und das Band des Ehrenbürgers der Stadt entgegennehmen; Abschluss sei die Festversammlung am 20. Mai.171 1974 folgte Minsk und 1976 das kleine Tula, das Breschnew ebenfalls mit einem Besuch beehrte.172 Doch je kränker und älter Breschnew wurde, desto schwerer fielen ihm solche Reisen. Am Tag des Sieges 1981 eröffnete Breschnew mit der „Mutter Heimat“ in Kiew zum letzten Mal ein Weltkriegsmonument.173 Von dem fast schon ins Groteske gesteigerten Denkmal für das „Kleine Land“, das im September 1982, zwei Monate vor seinem Tod, eingeweiht wurde, ließ er sich nur noch Fotos schicken. Sie zeigten einen gigantischen, schräg in den Himmel ragenden Betonkeil, der den Bug eines Kriegsschiffes symbolisiert und im Inneren ein Museum beherbergt.174 Doch der Erfolg des Weltkriegskults war gleichzeitig seine Crux: Er funktionierte auch ohne die Kommunistische Partei. Breschnew betonte zwar, die Menschen hätten dank der guten Führung der Partei gesiegt, aber das blieb für viele eine hohle Phrase bzw. wurde zunehmend in Frage gestellt. Außerdem führten in der späten Sowjetunion in Zeiten von knappen Ressourcen und langen Schlangen die Privilegien für die Veteranen zu Sozialneid und Missgunst der jüngeren Generationen. Der Respekt vor der kämpfenden Generation, den die Partei einforderte, kippte um in Widerwillen und Hohn der Jungen. Scham und Schuld gegenüber der Opferbereitschaft der Vorfahren war der Enkelgeneration immer schwerer zu vermitteln und zudem keine geeignete Basis, um darauf eine Zukunft aufzubauen.175 Das war das dritte Problem des Kults: Er war rückwärtsgewandt und bot keine Vision für das Morgen.

Die BAM – Der letzte Mohikaner Für eine neue Vision sollte der Bau der Baikal-Amur-Magistrale, kurz: BAM, sorgen.176 Ihr Baubeginn 1974, exakt 20 Jahre nach Beginn der Neulandkampa-

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gne, sollte nicht nur an diese letzte große Allunionskampagne anknüpfen, mit der Breschnew selbstredend mehr an seine eigene große Zeit in Kasachstan als an den Initiator Chruschtschow hatte erinnern wollen. Die BAM sollte auch den Enthusiasmus der Großbaustellen der 1930er Jahre neu entfachen und die sozialistische Utopie beschwören, die hier wahr werde. Sie zielte darauf ab, den Erbauer des Sozialismus wieder aufleben zu lassen, der sich die Natur unterwarf und in unwirtliche Gegenden vordrang, und sie wollte den sozialistischen Fortschritt und den Pioniergeist der Jugend beweisen. Eigentlich jedoch ist es erstaunlich, dass Breschnew zu dieser Maßnahme griff, denn zum einen hatte er mehrfach erklärt, die Sowjetunion sei aus der Zeit der Kampagnen herausgewachsen, wobei er unmissverständlich hatte durchklingen lassen, dass er damit Chruschtschows Planungschaos meinte. Zum anderen hatte er ausdrücklich das Zeitalter der PKWs eingeläutet – da passte eine Bahnstrecke, zumal für den Güterverkehr, nicht ins Bild. Gleichwohl standen Bahntrassen für die großen Utopien, die die Bolschewiki hatten Wirklichkeit werden lassen: die Turkestan-Sibirien-Magistrale, kurz Turksib, als Zug durch die Steppe, und die Metro, als Zug im Untergrund, beides Großprojekte des ersten Fünfjahrplans (1928–1932).177 Schließlich machte sich mit der Erschließung der Rohstoffe und Energieressourcen Sibiriens in den 1970er Jahren die fehlende Infrastruktur schmerzlich bemerkbar. Das beteuerte auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion noch der Gosplan-Chef Baibakow: Der Bau der BAM sei dringend nötig gewesen, auch wenn der Bau der Unternehmen, deren Produkte die BAM hätte transportieren sollen, hinterherhinkte.178 Die Baustelle diente also der Wiederbelebung der kollektiven Aufbaubegeisterung genauso wie ökonomischen Zwecken.179 Bis dato existierte nur die eine Trasse der Transsibirischen Eisenbahn, die in ihrem östlichsten Teilstück zudem gefährlich nahe an der Grenze zum Gegner China verlief. Planungen für die BAM-Strecke von Taischet über das nördliche Baikalufer nach Komsomolsk am Amur hatte es bereits 1888 gegeben. Seit 1932 hatten Zwangsarbeiter an den ersten Streckenabschnitten gearbeitet, die 1945 bzw. 1958 in Betrieb genommen worden waren. Danach hatte die Arbeit geruht. 1967 ordnete die Regierung an, die Planungsarbeiten wieder aufzunehmen; im April 1974 erklärte die Partei die Baustelle zur „Allunions-Stoßarbeiter-Komsomol-Baustelle“. Breschnew appellierte auf dem 17. Komsomol-Kongress am 23. April 1974 an die sowjetischen Jugendlichen: „Das Staffelholz [der Baustellen von] Komsomolsk-am-Amur, der Magnitka und der Turksib, von DneproGES

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und der Neulandkampagne, des Bratsker [Staudamms] und von KamAS180 werden sie zu neuen, noch nicht erschlossenen Weiten Sibiriens tragen.“181 Die Partei verpflichtete alle Medien, Schriftsteller/innen und Kunstschaffenden, von der BAM zu berichten, sie mit Propaganda, Poemen und Popmusik zu begleiten. Jedes Arbeitskollektiv – bis hin zum Fischkutter im Atlantik – hatte das Seine für die BAM zu leisten.182 Die Propaganda beschwor: Die BAM ist gewaltig und erhaben in der Blutsverwandtschaft der Verbindungen aller Generationen von Sowjetmenschen, die den ruhmreichen Weg vom Sturm des Winterpalasts bis zum Sturm kosmischer Höhen gegangen sind. Wenn du daran denkst, stellst du dir unwillkürlich die Frage: Wird hier nicht der Charakter des neuen Menschen, unseres Zeitgenossen geschmiedet? Und tritt hier nicht in der größten Vollständigkeit das zutage, was wir die historische Gemeinschaft der Menschen nennen?183

Doch wie Karl Marx schon sagte: Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn als Farce. Die BAM-Kampagne wirkte wie ein billiger Abklatsch des Gewesenen. Sie verkündete eine Abenteuerromantik, an die kaum jemand mehr glaubte, obwohl zwischen 1974 und 1984 über eine halbe Millionen Menschen, davon zwei Drittel Komsomol-Mitglieder, auf die BAM kamen.184 Schnell kursierten Witze über die BAM: Sie galt als Abkürzung für „Breschnew betrügt die Jugend“ – im Russischen ergaben die Anfangsbuchstaben genau „BAM“. Es verbreitete sich die Scherzfrage: „Wie klingt es, wenn man Breschnew eins über den Schädel zieht? – BAM!“185 Zudem war die Eisenbahn eine Technik, die am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr begeisterte. Genau genommen war sie ein Rückschritt, nachdem Chruschtschow die Menschen mit dem Sputnik und dem Flug Gagarins im Kosmos begeistert hatte. Die Utopie war der Weltraum, nicht die sibirische Taiga. Obwohl das Kürzel BAM ähnlich wie die Chiffre „20 Millionen“ die zweite Hälfte der 1970er Jahre prägte, blieb der „Ruck“, der durch die Gesellschaft gehen sollte, aus.186 Auch die Idee, die BAM könnte als Schmelztiegel der verschiedenen Ethnien und als Vorzeigeprojekt für das gleichberechtigte, friedliche Zusammenleben aller Sowjetvölker dienen, schlug fehl.187 Anstatt das sozialistische Kollektiv zu stabilisieren, war die um die BAM entstehende Gesellschaft eher von Gewalt geprägt und gegenüber Frauen und nichtrussischen Ethnien feindlich eingestellt. Die BAM war eine Brutstätte des „Hooliganismus“, in der Alkoholismus, Diebstahl, Korruption und Gewalttätigkeit – vor allem gegen Frauen – blühten.188 Anstatt den alten Mythos der sozialistischen Baustelle, auf der der

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Sowjetmensch geschmiedet wird, wiederzubeleben, entwickelte sich die BAM zum staatsfernen Raum mit eigenen Gesetzen. Zudem formierten sich anlässlich des Baubeginns 1974 die ersten Umweltschutzgruppen, die als Vorboten einer Zivilgesellschaft in Erscheinung traten und gegen die rücksichtslose Ausbeutung und Verschmutzung der Natur aufbegehrten.189 Junge Leute fuhren nicht aus Enthusiasmus an die BAM – sondern weil sie dort Zuschläge für die Arbeit in Fernost erhielten und schneller die Summe für ein Auto ansparen konnten.190 Ganz nüchtern lautete die Rechnung der Arbeiter/innen: Wir bauen euch – der Partei – die BAM, ihr gebt uns dafür ein Auto. Was Breschnew über die BAM dachte, ob er realisierte, dass sein Relaunch des Aufbau-Enthusiasmus missglückt war, ja, ob die BAM überhaupt seine Idee war – wir wissen es nicht. Im Dezember 1978 besuchte er die Baustelle, posierte mit den Komsomolzen und schien sich gut zu amüsieren. In seinen Notizbüchern findet sich nur ein einziger Eintrag zur BAM. Unter dem 2. November 1981 schrieb er: „Bannikow Nikolai Wasiljewitsch [Erster Parteigebietssekretär von Irkutsk berichtet] über die Fertigstellung der BAM auf dem südlichen Streckenabschnitt des Gebiets“.191

Anmerkungen 1

L.I. Brežnev: Pjat’desjat let velikich pobed socializma, in: ders.: Voprosy upravlenija ėkonomikoj razvitogo socialističeskogo obščestva. Reči, doklady, vystuplenija, Moskau 1976, S. 147; ders.: Dela Lenina živet i pobeždaet, in: ebenda, S. 220; ders.: Iz otčetnogo doklada CK KPSS XXIV s’’ezdu KPSS, in: ebenda, S. 277–279. 2 Vgl. auch Joachim Zweynert: „Developed Socialism“ and Soviet Economic Thought in the 1970s and Early 1980s, in: Russian History 41 (2014), S. 354–372. 3 Siehe auch Mark Sandle: Brezhnev and Developed Socialism. The Ideology of Zastoj?, in: ders./ Bacon, Brezhnev reconsidered, S. 165–188. 4 Brežnev, Pjat’desjat let velikich pobed socializma, S. 147. 5 RGANI, f. 80, op. 1, d. 320: Spravka o razvitom socialističeskom obščestve, napravlennaja na imja L.I. Brežneva, ne ranee 4.1970g, l. 59. 6 Ebenda, l. 60. 7 Ebenda, l. 61–63. 8 Ebenda, l. 63. 9 Ebenda, l. 63 f. 10 L.I. Brežnev: O 50-letii SSSR, in: ders., Voprosy upravlenija, S. 380. 11 L.I. Brežnev: Rešenija XXIV s’’ezda KPSS – boevaja programma dejatel’nosti sovetskich profsojuzov, in: ders., Voprosy upravlenija, S. 346. 12 Brežnev, O 50-letii SSSR, S. 380.

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RGANI, f. 2, op. 3, d. 429, l. 3. Ebenda, l. 4. L.I. Brežnev: Zaključitel’noe slovo na vneočerednoj sed’moj sessii verchovnogo soveta, 7.10.1977g., in: ders., Leninskim Kursom. Reči i stat’i, Bd. 6, Moskau 1978, S. 543. 16 RGANI, f. 80, op. 1, d. 55, l. 21. 17 L.I. Brežnev: O proekte konstitucii (osnovnogo zakona) SSSR i itogach ego vsenarodnogo obsuždenija, in: ders.: Leninskim Kursom, Bd. 6, S. 518. 18 RGANI, f. 2, op. 3, d. 441: Oktjabr’skij Plenum, stenogramma zasedanija, 3.10.1977g., l. 8. 19 Fond Gorbačeva, f. 5: Šachnazarov, op. 1, kartočka 14555: Informacionnaja zapiska „O nekotorych voprosach propagandy v svete itogov obsuždenija proekta konstitucii SSSR“, l. 1. 20 Ebenda, l. 2. 21 Ebenda, l. 6; RGANI, f. 2, op. 3, d. 441, l. 16. 22 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 449. 23 RGANI, f. 2, op. 3, d. 265: Protokol No. 399, Majskij Plenum, 19.5.1972g., l. 89–91. 24 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 506, Eintrag vom 31. Mai 1972. 25 RGANI, f. 80, op. 1, d. 312, l. 134–137. 26 RGANI, f. 2, op. 3, d. 550, l. 32. 27 Fonds Gorbačeva, f. 5: Šachnazarov, op. 1, kartočka 14570, l. 1 f. 28 Volkogonov, 7 voždej, Bd. 2, S. 88. 29 Ebenda. 30 Ebenda. 31 Alle Angaben hier und im Folgenden von Leonid Mlečin, der ganz offenbar die Protokolle einsehen konnte. Mlečin, Brežnev, S. 303. 32 RGANI, f. 2, op. 3, d. 168, l. 58. 33 Bovin, XX vek kak žizn’, S. 166. 34 Zit. nach Mlečin, Brežnev, S. 307; Šelest schreibt allerdings, es sei der 19. Dezember gewesen: Da ne sudimy budete, S. 444. 35 RGANI, f. 2, op. 3, d. 429, l. 20. 36 RGANI, f. 89, perečen’ 25, dokument 5: „O stoletii so dnja roždenija Stalina“, l. 1. 37 Zit. nach Bovin, XX vek kak žizn’, S. 139. 38 RGANI, f. 80, op. 1, d. 332, l. 10. 39 Mlečin, Brežnev, S. 264. 40 RGANI, f. 5, op. 60, d. 61: O nastroenijach nekotorych pisatelej, o žurnale „Novyj mir“, I. 4. 41 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 122. 42 Čurbanov, Moj test’, S. 113 f. 43 Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 125 f. 44 Zit. nach Šelest, Da ne sudimy budete, S. 511. 45 Bovin, XX vek kak žizn’, S. 257. 46 Černajev, Sovmestnyj ischod, S. 265. 47 RGANI, f. 2, op. 3, d. 296: Aprel’skij Plenum, stenogramma tret’ego zasedanija, 27.4.1973g., l. 103. 48 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 122. 49 Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 265. 50 Brežneva, Plemjannica, S. 387. 51 Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 264 f.; Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 80. 52 RGANI, f. 2, op. 3, d. 57: Protokol No. 5 zasedanija Ijunskogo Plenuma za podpis’ju sekretarja CK L.I. Brežneva, 20.–21.6.1967g., l. 5; d. 70, l. 4; d. 296, l. 165.

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Brežneva, Plemjannica, S. 387. Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 120. Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 400, 411, 413. Inwieweit es eine Rolle spielte, dass Breschnew im Besitz von kompromittierendem Material war, das dokumentierte, wie Andropow 1949/50 als Parteisekretär Kareliens dort die Partei­elite hatte verhaften lassen, sei hier dahingestellt. Siehe Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 415 f.; E. Žirnov: Neotrazimyj krasavec, geroj anekdotov, ljubitel’ podarkov i podchalimov. Byvšij urpavljajuščij delami Sovmina SSSR Michail Smirtjukov raskryvaet kremlevskie tajny vremen pravlenija Brežneva, in: Ėcho Litvy, 28. Juni 1995, Nr. 126, S. 5. Zit. nach Kovalev, Midovcy i genseki. Diplomatičeskie novelly, S. 43. Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 24. Ludmilla Alekseyeva: Soviet Dissent. Contemporary Movements for National, Religious, and Human Rights, Middletown, Conn. 1985, S. VII–X; Marshall Shatz: Soviet Dissidents in Historical Perspective, Cambridge 1980, H. Gordon Skilling: Samizdat and an Independent Society in Central and Eastern Europe, Basingstoke, Hampshire 1989; Aleksandr Daniel’: Wie freie Menschen. Ursprung und Wurzeln des Dissens in der Sowjetunion, in: Forschungsstelle Osteuropa (Hg.): Samizdat. Alternative Kultur in Zentral- und Osteuropa. Die 60er bis 80er Jahre, Bremen 2000, S. 38–51. Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 252 f. Siehe auch N.G. Tomilina et al. (Hg.): Kul’tura i vlast’ ot Stalina do Gorbačeva. Apparat CK KPSS i kul’tura 1965–1972g., dokumenty, Moskau 2009, S. 35, 126. RGANI, f. 5, op. 30: Zapiski otdelov CK KPSS o diskussijach direktiv XXIII s’’ezda, o reagirovanii tvorčeskoj intelligencii na rabotu XXIII s’’ezda, pis’ma na imja XXIII s’’ezda, d. 486, l. 40–43. Alexander Ginsburg (Hg.): Weissbuch in Sachen Sinjawskij/Daniel, Frankfurt am Main 1967. Tomilina, Kul’tura i vlast’, S. 125, 185, 204, 323, 475; Ginsburg, Weissbuch, S. 28 ff. Jurj Gerčuk: Krovoizlijanie v MOSCh ili Chruščev v Maneže, Moskau 2008. Siehe Ginsburg, Weissbuch; Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 252–254. RGANI, f. 1, op. 5, d. 1, l. 212. Julie Elkner: The Changing Face of Repression under Khrushchev, in: Melanie Ilic/Smith, Jeremy (Hg.): Soviet State and Society under Nikita Khrushchev, London, New York 2009, S. 142– 161, hier: S. 153. Zhores Medwedjew: Andropow. Der Aufstieg zur Macht, Hamburg 1983, S. 97, 109; Peter Reddaway: Policy toward Dissent since Khrushchev, in: Thomas H. Rigby/Archie Brown/Peter Reddaway (Hg.): Authority, Power and Policy in the USSR. Essays Dedicated to Leonard Schapiro, London 1983, S. 158–192, hier: S. 160; Jonathan Steele/Eric Abraham: Andropov in Power: From Komsomol to Kremlin, Oxford 1983, S. 91, Amy W. Knight: The KGB. Police and Politics in the Soviet Union, Boston 1990, S. 200. RGANI, f. 89, perečen’ 6, dokument 30, l. 2–4. Ebenda, l. 7. Ebenda, l. 5. Nikita Petrov: Podrazdelenija KGB SSSR po bor’be s inakomysliem 1967–1991 goda, in: Jan Behrends et al. (Hg.): Povsednevnaja žizn’ pri socializme. Nemeckie i rossijskie podchody, Moskau 2015, S. 158–184, hier: S. 158. Petrov, Podrazdelenija, S. 160. RGANI, f. 89, perečen’ 19, dokument 43, l. 1–3. RGANI, f. 1, op. 5, d. 1, l. 97, 227, 229, 235. RGANI, f. 2, op. 3, d. 429, l. 18.

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„Entwickelter Sozialismus“ oder: Relaunch des sowjetischen Projekts? RGANI, f. 89, perečen’ 19, dokument 43, l. 2 f.; dokument 45, l. 1. RGANI, f. 89, perečen’ 28, dokument 21, l. 1. RGANI, f. 89, perečen’ 17, dokument 48, l. 1–4. RGANI, f. 5, op. 60, d. 29, l. 1. RGANI, f. 89, perečen’ 25, dokument 32, l. 1. RGANI, f. 89, perečen’ 25, dokument 33, l. 5. Ebenda, l. 2. RGANI, f. 89, perečen’ 17, dokument 49, l. 6. RGANI, f. 80, op. 1, d. 332, l. 27. Ebenda, l. 28. Ebenda, l. 29. RGANI, f. 80, op. 1, d. 331, l. 54. Egon Bahr: Zu meiner Zeit, 3. Auflage, München 1996, S. 454 f.; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 165 ff. RGANI, f. 89, perečen’ 18, dokument 47, l. 1 f. RGANI, f. 89, perečen’ 25, dokument 40, l. 1–4, perečen’ 18, dokument 60, l. 1. Mlečin, Brežnev, S. 437. RGANI, f. 80, op. 1, d. 331, l. 104 f. RGANI, f. 89, perečen’ 37, dokument 46, l. 2 f. RGANI, f. 89, perečen’ 37, dokument 50, l. 1–3. RGANI, f. 5, op. 60, d. 29: (…) Ob amerikanskich instrukcijach radiostancii „Svoboda“, l. 92–95. RGANI, f. 2, op. 3, d. 296, l. 102. RGANI, f. 89, perečen’ 37, dokument 4, l. 1–3. Čurbanov, Moj test’, S. 113 f. Sacharov, Vospominanija, S. 235 Vgl. dazu die Akten im Archiv Sacharova Moskva, insbesondere die Mappe „Sacharov i vlast’“ 1966–1986. Siehe auch Joshua Rubenstein/Alexander Gribanov (Hg.): The KGB File of Andrei Sakharov, New Haven 2005. Roj Medvedev: Andrej Sacharov i Aleksandr Solženicyn, in: Voprosy istorii (2001) 11–12, S. 3–17, hier: S. 9; Vladimir Bukovskij: Moskovskij process, Paris 1996, S. 89; Joshua Rubenstein: Introduction. Andrei Sakharov, the KGB, and the Legacy of Soviet Dissent, in: ders./Gribanov, The KGB File of Andrei Sakharov, S. 1–84, hier: S. 3, 25. Sacharov, Vospominanija, S. 269–274. Harvey Fireside: Dissident Visions of the USSR: Medvedev, Sakharov and Solzhenitsyn, in: Polity 22 (1989) 2, S. 213–229, hier: S. 215; Medvedev, Sacharov i Solženicyn, S. 4; Jay Bergman: Meeting the Demands of Reason. The Life and Thought of Andrei Sakharov, Ithaca 2009, S. XII. Archiv Sacharova Moskva, perechen’ PA dokumentov Archiva Prezidenta o A.D. Sacharove (im Folgenden : PA Sacharov), dokument 15: Zapiska Andropova: O rezkoj aktivizacii dejatel’nosti Sacharova i dr. sozdatelej „komiteta prav čeloveka“ // Prezidentskij Archiv (im Folgenden: PA), f. 3, op. 80, d. 638, l. 5–10, 18.1.1971g. A.V. Korotkov (Hg.): Kremlevskii samosud. Sekretenye dokumenty Politbjuro o pisatele A. Solženicyne, Moskau 1994, S. 215. Roj Medvedev: Neizvestnyj Andropov. Političeskaja biografija Jurija Andropova, Moskau 1999, S. 192. Rubenstein, Introduction, S. 26. Archiv Sacharova Moskva, PA-1, dokument 3: Pis’mo Sacharova Brežnevu 4.3.1971g. s pros’boj o vstreče dlja besedy po širokomu krugu problem vnutrennego i meždunarodnogo položenija strany // PA, f. 3, op. 80, d. 638, l. 20–77.

Anmerkungen

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109 Sacharov, Vospominanija, S. 328–331. 110 Ebenda, S. 273. 111 Archiv Sacharova Moskva, PA-1, dokument 1: Pis’mo A. Sacharova L. Brežnevu ot 11.2.1967 // PA, f. 3, op. 80, d. 631, l. 60 f. 112 Sacharov, Vospominanija, S. 276 f. 113 Ebenda, S. 278. 114 Ebenda, S. 281. 115 Ebenda, S. 286–288. 116 Alexei Kojevnikov: Stalin’s Great Science. The Times and Adventures of Soviet Physicists, London 2004, S. 299; Rubenstein, Introduction, S. 21 f. 117 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 2: Zapiski KGB – O stat’e Sacharova „Razmyšlenija o progresse, mirnom sosuščestvovanii i intellektual’noj svobode“ // PA, f. 3, op. 80, d. 637, l. 20–24, 22.5.1968g. Siehe auch Rubenstein/Gribanov, The KGB File of Andrei Sacharov, S. 86; Medvedev, Neizvestnyj Andropov, S. 188 f. 118 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 3: Zapiska KGB SSSR – Charakteristika Sacharova i ego okruženiia // PA, f. 3, op. 80, d. 637, l. 68–71, 13.6.1968g. 119 Sacharov, Vospominanija, S. 288, 300. 120 Medvedev, Neizvestnyj Andropov, S. 192; Sacharov, Vospominanija, S. 308, 121 Medvedev, Neizvestnyj Andropov, S. 192; Kovalev, Midovcy i genseki. Diplomatičeskie novelly, S. 43. 122 Sacharov, Vospominanija, S. 328. 123 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 8: Zapiska KGB – Ob aktivizacii političeski vrednoj dejatel’nosti A. Sacharova // PA, f. 3, op. 80, d. 637, l. 152–153, 18.11.1970g.; dokument 12: Zapiska KGB O merach po presečeniju političeski vrednoj dejatel’nosti „Komiteta prav čeloveka“ // PA, f. 3, op. 80, d. 637, l. 161 f., 30.12.1970g. 124 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 8, l. 152 f. 125 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 2, l. 23; dokument 3, l. 70. 126 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 15, l. 7. 127 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 16: Zapiska KGB O prinjatii neotložnych mer v svjazi s aktivizaciej političeski vrednoj dejatel’nosti Sacharova // PA, f. 3, op. 80, d. 638, l. 11–15, 12.2.1971g. 128 Kovalev, Midovcy i genseki [memuary], S. 45. 129 Ebenda, S. 45. 130 Bovin, XX vek kak žizn’, S. 252. 131 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 18: Postanovlenie Politbjuro CK KPSS – O A. Sacharove // PA, f. 3, op. 80, d. 638, l. 19. 132 Arbatov, Čelovek sistemy, S. 208. 133 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 28: Zapiska KGB – O povedenii Sacharova i dr. učastnikov „komiteta“ // PA, f. 3, op. 80, d. 638, l. 113–116, 2.10.1971g. 134 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 21: Zapiska KGB O dejatelnosti „Komiteta“ // PA, f. 3, op. 80, d. 638, l. 80–85, 17.4.1971g.; dokument 35: Zapiska KGB Ob aktivizacii antiobščestvennoj dejatel’nosti Sacharova i ego okruženiia // PA, f. 3, op. 80, d. 638, l. 142 f., 10.7.1972g. 135 F.D. Bobkov: KGB i vlast’, Moskau 1995, S. 282. 136 Sacharov, Vospominanija, S. 395; RGANI, f. 89, perečen’ 16, dokument 14: Zapiska Andropova i Rudenko v CK KPSS, 2.8.1973g., l. 1. 137 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 581, 583, Einträge vom 8. und 12. September 1973.

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„Entwickelter Sozialismus“ oder: Relaunch des sowjetischen Projekts?

138 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 40: Zapiska Otdela nauki i učebnych zavedenij CK – O pis’me gruppy veduščich akademikov AN, protestujuščich protiv klevetničeskich vypadov Sacharova // PA, f. 3, op. 80, d. 639, l. 23–27, 27.8.1973g.; dokument 58: Zapiska KGB – Dannye o političeski vrednoj dejatel’nosti Sacharova // PA, f. 3, op. 80, d. 640, l. 42 f., 5.10.1973g. 139 Charles Rhéaume: Sakharov. Science, morale et politique, Saint-Nicolas (Québec) 2004, S. 133– 138. 140 Oleg Troyanovsky: The Making of Soviet Foreign Policy, in: Taubman/Khrushchev/Gleason, Nikita Khrushchev, S. 209–241; George F. Kennan: Im Schatten der Atombombe. Eine Analyse der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen von 1947 bis heute, Köln 1982; Bernd Stöver: Der Kalte Krieg, 1947–1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters, Bonn 2007; Vladislav M. Zubok: Inside the Kremlin’s Cold War. From Stalin to Khrushchev, Cambridge 1996; John L. Gaddis: The Cold War. A New History, New York 2005. 141 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 81: Zapiska Andropova, Ustinova, Rudenko – ob administrativnom pereselenii iz Moskvy Sacharova i Bonnėr // PA, f. 3, op. 80, d. 641, l. 68–76, 16.11.1975g. 142 Mike Bowker: Brezhnev and Superpower Relations, in: Bacon/Sandle, Brezhnev reconsidered, S. 90–109; Melvyn P. Leffler: For the Soul of Mankind. The United States, the Soviet Union, and the Cold War, New York 2007, S. 234–337; John J. Maresca: To Helsinki. The Conference on Security and Cooperation in Europe, 1973–1975, Durham, N.C., 1985, S. 31–69; MariePierre Rey: The USSR and the Helsinki Process, 1969–75. Optimism, Doubt, or Defiance, in: Andreas Wenger (Hg.): Origins of the European Security System. The Helsinki Process Revisited, 1965–75, Abingdon 2008, S. 65–81. 143 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 96, postanovlenie Politbjuro – Zapiska KGB ot 26.5.1978g. (O zlostnych chuliganskich vychodkach Sacharova) // PA, f. 3, op. 80, d. 642, l.  34–37, 8.6.1978g.; dokument 99: Postanovlenie Politbjuro – O merach po presečeniju vraždebnoj dejatel’nosti Sacharova // PA, f. 3, op. 80, d. 642, l. 68–73, 3.1.1980g. 144 Rhéaume, Sakharov, S. 262; Rubenstein, Introduction, S. 36. 145 Sacharov, Vospominanija, S. 553. 146 Rubenstein, Introduction, S. 36. 147 Archiv Sacharova Moskva, PA Sacharov, dokument 99, l. 62. 148 Sacharov, Vospominanija, S. 556, 560. 149 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 996, Eintrag vom 23. Januar 1980. 150 Kunaev, Ot Stalina do Gorbačeva, S. 215. 151 Fond Gorbačeva, f. 3: Materialy V.V. Zagladina, op. 1, Kartočka 23.1.1980g., l. 1. 152 Fond Gorbačeva, f. 3, op. 1, kartočka 14843, l. 2. 153 Nina Tumarkin: The Living and the Dead. The Rise and Fall of the Cult of World War II in Russia, New York 1994, S. 135. 154 Tumarkin, The Living and the Dead, S. 135. 155 Mlečin, Brežnev, S. 265. 156 Tumarkin, The Living and the Dead, S. 132. 157 Marc Edele: Soviet Veterans of the Second World War. A Popular Movement in an Authoritarian Society 1941–91, Oxford 2008, S. 86. 158 RGANI, f. 3, op. 28, d. 9, l. 145, 150, 171. 159 Ebenda, l. 180. 160 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 48. 161 Mitrokhin, Russische Partei, S. 98.

Anmerkungen 162 163 164 165

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Tumarkin, The Living and the Dead, S. 134. Ebenda, S. 135. Ebenda, S. 137. „Sijaj v vekach, ogon’ slavy!“ Otkrytie pamjatnika „Mogila neizvestnogo soldata“, in: Pravda, 9. Mai 1967, S. 1 f.; siehe auch Tumarkin, The Living and the Dead, S. 128 f. 166 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 29. 167 Rede des Generalsekretärs des ZK KPdSU L.I. Breschnew bei der Eröffnung der Gedenkstätte „Den Helden der Stalingrader Schlacht“ (Mamaev Kurgan) in Wolgograd, 15. Oktober 1967, in: http://www.russianparis.com/nostalgia/brezhnev_speech_mamaev.shtml, abgerufen am 1.7.2016. 168 RGANI, f. 5, op. 60, d. 65: (…) Pamjatniki Velikoj Otečestvennoj Vojne, l. 24. 169 Tumarkin, The Living and the Dead, S. 138. 170 Ebenda. 171 RGANI, f. 80, op. 1, d. 333, l. 15 f. 172 Ivo Mijnssen: Heldenkult und Bringschuld. Hyperstabilität in der Heldenstadt Tula unter Breschnew, in: Boris Belge/Martin Deuerlein (Hg.): Goldenes Zeitalter der Stagnation? Perspektiven auf die sowjetische Ordnung der Brežnev-Ära, Tübingen 2014, S. 37–53, hier: S. 48. 173 Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 31. 174 RGANI, f. 80, op. 1, d. 333, l. 153. 175 Tumarkin, The Living and the Dead, S. 133. 176 Christopher J. Ward: Brezhnev’s Folly. The Building of BAM and Late Soviet Socialism, Pittsburgh 2009, S. 2 ff. 177 Ebenda, S. 4. 178 Bajbakov, Sorok let v pravitel’stve, S. 235, 278 f. 179 Ward, Brezhnev’s Folly, S. 2. 180 Alles sowjetische Großprojekte: die von der Jugendorganisation Komsomol gebaute Stadt „Komsomolsk am Amur“, das Stahlwerk in Magnitogorsk „Magnitka“, die Eisenbahnstrecke Turkestan-Sibirien-Magistale „Turksib“, der Staudamm und das seinerzeit größte Wasserkraftwerk der Welt am Dnjepr „DneproGES“, ein weiteres entsprechendes gigantisches Wasserkraftwerk in Bratsk an der Angara „Bratsk“, die LKW-Fabrik am Fluss Kama „KamAS“. Siehe dazu auch Esther Meier: Brežnevs Ingenieure. Die Stadt Naberežnye Čelny und das Lastwagenwerk KamAZ, in: Belge/Deuerlein, Goldenes Zeitalter der Stagnation, S. 155–177. 181 L.I. Brežnev: Reč’ na XVII s’’ezde VLKSM, 23.4.1974g., http://pedagogic.ru/books/item/f00/ s00/z0000008/st041.shtml, abgerufen am 1.7.2016. 182 Johannes Grützmacher: Vielerlei Öffentlichkeiten: Die Bajkal-Amur-Magistrale als Mobilisierungsprojekt der Brežnev-Ära, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 50 (2002) 2, S. 205– 223, hier: S. 216. 183 Zit. nach Grützmacher, Vielerlei Öffentlichkeiten, S. 215. 184 Ward, Brezhnev’s Folly, S. 8. 185 Ebenda, S. 44; Grützmacher, Vielerlei Öffentlichkeiten, S. 216. 186 Grützmacher, Vielerlei Öffentlichkeiten, S. 216. 187 Ward, Brezhnev’s Folly, S. 11. 188 Ebenda, S. 58, 97. 189 Ebenda, S. 14. 190 Grützmacher, Vielerlei Öffentlichkeiten, S. 221. 191 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1113, Eintrag vom 2. November 1981.

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„Entwickelter Sozialismus“ oder: Relaunch des sowjetischen Projekts?

Abb. 24: Breschnew und Brandt bei einer Bootspartie vor der Krim, 1971.

   

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Emotionen und Tabletten im Kalten Krieg oder: Wie man den westlichen Staatsmann spielt

Das Foto zeigt Breschnew mit Willy Brandt am 17. September 1971 auf einer Motoryacht vor der Krim, wo die Politiker ein Wochenende ohne Protokoll verbrachten. Die beiden Männer tragen Sonnenbrillen, sind sonnengebräunt und offenbar sehr entspannt. Sie sehen aus, als hätten sie die Welt um sich herum vergessen und seien ganz ins Gespräch versunken. Breschnew sitzt hinter Brandt, hat einen Arm vertrauensvoll auf Brandts Rückenlehne gelegt und stützt mit dem anderen den Kopf, so dass er schräg zu Brandt schaut, als würde er noch einem Gedanken nachsinnen. Brandt lächelt verschmitzt und genießt offenbar die Landschaft. Das Treffen mit Willy Brandt in der Regierungsvilla Oreanda nahe Jalta im Herbst 1971 war einer der Höhepunkte von Breschnews Außenpolitik. Nicht nur hatte er erreicht, dass er als Generalsekretär ohne den Außenminister und ohne den Regierungschef einen ausländischen Staatsgast empfing. Er traf ihn auch im inoffiziellen Rahmen als persönlichen Freund. Es war der Anfang einer Männerfreundschaft, die über den Rücktritt Brandts 1974 hinaus bis zu Breschnews Tod halten sollte. Das Foto verrät zugleich viel über Breschnews Art, Außenpolitik zu gestalten: Wie sein Vorgänger Chruschtschow suchte er den persönlichen Kontakt zu den Spitzenpolitikern. Er glaubte an eine Verständigung nur auf der menschlichen Ebene, von Mann zu Mann, die durch Bürokratien, Diplomaten und Bedenkenträger nur erschwert oder gar vereitelt würde. Wenn er in dieser Hinsicht an Chruschtschow anknüpfte, so wählte er in puncto Selbstdarstellung das genaue Gegenteil. Er wollte sich deutlich von seinem Vorgänger abheben, dessen Verhalten ihm peinlich war: „Chruschtschow drohte – mit dem Schuh, mit Schimpftiraden oder Raketen. Wir haben den englischen Botschafter ins Bolschoi-The-

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Emotionen und Tabletten im Kalten Krieg

ater eingeladen und er hat uns erzählt, wie Chruschtschow gesagt hat, dass es ihn nichts kostet, fünf Raketen aufs Weiße Haus abzuschießen.“1 Breschnew wollte mit der langen Tradition seiner Vorgänger brechen, die sich durch ihre Kleidung und ihr Verhalten von den westlichen Gesprächspartnern abgesetzt und das westliche „comme il faut“ ignoriert und sabotiert hatten. Als die Bolschewiki 1917 an die Macht gekommen waren, hatten sie das vorher allgemein in Europa akzeptierte diplomatische Protokoll mit den dazugehörigen Dresscodes, Höflichkeitsfloskeln, verbindlichen Gesprächsformen, Empfängen und dem gemeinsamen Dinieren als westlich-bourgeois geächtet und verbannt. Sie hatten dabei übersehen, dass dieses Protokoll nicht lediglich Ausdruck einer aristokratischen Hofkultur war, sondern auch für Verlässlichkeit und einheitliche Regeln stand. Diplomatie bedeutete schließlich nichts anderes, als dass Vertreter zweier unterschiedlicher Staaten die Verständigung suchten. Dabei trafen ihre unterschiedlichen Kulturen, also Zeichensysteme und Interpretationsmuster, aufeinander, ohne dass unbedingt die eine Seite wusste, welche Bedeutung sie dem Verhalten der anderen Seite beimessen sollte. Das Protokoll funktionierte daher als eine Art Wörterbuch oder Grammatik, indem es jedem ausgesandten Zeichen eine verbindliche Bedeutung zuschrieb und so im Idealfall für Erwartungssicherheit sorgte und damit Missverständnissen bzw. Unverständnis vorbeugte. Die Bolschewiki schütteten sozusagen das Kind mit dem Bade aus, als sie das diplomatische „comme il faut“ verwarfen, zumal sie es nicht schafften, einen eigenen Verhandlungscode zu entwickeln, und sich fortan an der westlichen Norm abarbeiteten. Der erste Volkskommissar für Äußere Angelegenheiten, Leo Trotzki, hatte es mit militärischem Auftreten und Propagandareden versucht, Stalins langjähriger Außenminister Molotow rühmte sich, mehr Parteisoldat denn Diplomat zu sein. Stalin selbst versuchte sich ganz als „elder statesman“ zu geben, während Chruschtschow großen Spaß daran zu haben schien, das westliche Protokoll zu sabotieren, zu unterlaufen und zu verhöhnen. Breschnew beschloss, den Experimenten ein Ende zu setzen und zur Linie des westlichen Protokolls zurückzukehren: sich gut zu kleiden, sich angemessen auszudrücken und ein verlässlicher Gesprächspartner zu sein. Das hatte er bereits als Präsident in der Zeit von 1960 bis 1964 unter Beweis gestellt. Es ging ihm dabei keineswegs nur um Äußerlichkeiten, guten Geschmack oder Anstand. Vielmehr muss ihm – wenn es nicht Intuition war – bewusst gewesen sein, dass er nur auf diesem Wege das Vertrauen seiner westlichen Gesprächspartner gewin-

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nen würde. Er musste Zeichen aussenden, die nicht als „fremd“, „aggressiv“, „kommunistisch“ gelesen wurden und ihn in den Augen des Westens von vornherein als Gefahr brandmarkten. Mit seinen Gesten, seinen Leidenschaften und seiner Vorliebe, sich gut zu kleiden, drückte er aus: Seht, ich bin wie ihr; wie ihr liebe ich gute Anzüge, derbe Witze, schnelle Autos, das Bad in der Menge und schöne Frauen.2 Die Eigenschaften, mit denen er sich einerseits von seinen Genossen im Politbüro absetzte, dienten also andererseits auch als „Werbebotschaften“ an seine westlichen Gesprächspartner. Breschnew verfolgte mit seinem neuen Stil bzw. der Rückkehr zum alten „comme il faut“ zwei ebenso ambitionierte wie simple Ziele: (a) mit den mächtigen Männern der westlichen Welt Freundschaften aufzubauen und (b) darüber den Frieden in der Welt zu sichern. Nachdem Chruschtschow in den Jahren 1955–1959 eine erste Phase der Annäherung an den Westen und Entspannung im Kalten Krieg erreicht hatte, gelang es Breschnew in den Jahren 1970–1974 für eine zweite Periode der Kooperation und Verständigung zu sorgen, bevor 1979 die internationalen Beziehungen mit dem NATO-Doppelbeschluss und dem Einmarsch in Afghanistan einen neuen Tiefpunkt erlebten. Allen in Zeiten des Kalten Krieges im Westen ventilierten Analysen, Spekulationen und Polemiken zum Trotz verstand sich Breschnew als Mann des Friedens. Es darf nicht vergessen werden, dass die in der Sowjetunion allgemein empfundene, von der Propaganda zudem kultivierte Gefühlslage besagte, im Zweiten Weltkrieg sei man von Deutschland verraten und von der westlichen Welt im Stich gelassen worden. Auch wenn in keiner Weise ein Opfermythos existierte, war doch die allgemeine Wahrnehmung, der „faschistische“ bzw. „imperialistische“ Westen habe den Sowjetmenschen so viel Leid zugefügt, dass es keinen Zweifel daran gebe, wer die Täter und wer die heldenhaften Verteidiger waren, die unvorstellbare Opfer gebracht hatten. Die Macht dieses Gefühlskomplexes darf nicht unterschätzt werden.3 Außenpolitik war für Breschnew eine hochemotionale Angelegenheit: Es war Angst vor einem dritten Weltkrieg, die sein Handeln trieb, Stress und Versagensängste, die seine Verhandlungen begleiteten, ihm schlaflose Nächte bereiteten und ihn in die Tablettenabhängigkeit trieben, Vertrauen, das er aufbauen musste, und Misstrauen, das seine Bemühungen scheitern ließ. So sehr der moderne Mensch geneigt ist, Außenpolitik als Sache des Verstands, der Interessenabwägung und kühlen Berechnung zu sehen, so anders war es im Kalten Krieg. Hier spielten gerade Emotionen eine außerordentliche Rolle. Es war Sache des Intel-

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lekts, die entgegengesetzten Ideologien und das Arsenal an Vernichtungswaffen zu begreifen, aber auf der affektiven Ebene entschied sich, ob man dem anderen glaubte, dass er seine Waffen nicht einsetzen würde und tatsächlich an einer Abrüstung interessiert sei. Breschnew hatte in seiner Sprichwortliste die Mahnung von David E. Lilienthal angekreuzt, dass man den gesunden Menschenverstand nicht aufgeben solle: „Wir sind eine Nation, die an den Verstand glaubt, aber sollten wir diesen Glauben verlieren und durch den Glauben an die Kraft unserer Waffen ersetzen, werden wir untergehen, ungeachtet all unserer Atomwaffen.“4 Für Breschnew war es nicht nur eine Frage, ob seine Genossen und die NATOLänder der Einsicht folgen würden, Sicherheit nicht auf Waffen zu gründen. Für ihn war es auch eine Frage, ob seine Nerven durchhalten würden. Als er 1961 Alexandrow-Agentow als außenpolitischen Berater anheuerte, vertraute er diesem an: „Lass dich nicht täuschen, Andrei, dass ich so weich erscheine. Wenn es nötig ist, kann ich so austeilen, dass ich nicht weiß, was mit dem wird, dem ich’s zeige, aber ich selbst bin danach drei Tage lang krank.“5 Letzteres sollte sich als nur zu wahr erweisen.

Concordia domi … oder Eintracht im Osten … Breschnews Start in die Außenpolitik war aus verschiedenen Gründen schwierig. Zunächst forderte die prekäre Versorgungslage der Bevölkerung seine ganze Aufmerksamkeit. Dann musste er seine Macht im Politbüro erst konsolidieren. Schließlich hatte er als Generalsekretär keinerlei offizielle Befugnis, in der Außenpolitik aktiv zu werden. Das war Privileg des Außenministers Andrei Gromyko, der diesen Posten schon unter Chruschtschow angetreten hatte und ihn bis zu Gorbatschow behalten sollte. Neben Gromyko waren der Ministerratsvorsitzende Kossygin und der Staatspräsident Podgorny formal berechtigt, die Sowjetunion nach außen zu vertreten. Da war es von Vorteil, dass die Beziehung zu den Bruderstaaten nicht ausschließlich als zwischenstaatlich, sondern auch als Gemeinschaft der sozialistischen Parteien und Parteiführer behandelt wurde. Zwar gab es nur ein Außenministerium, aber im ZK mehrere Abteilungen, die für Außenpolitik zuständig waren, darunter die Internationale, die für die Beziehungen mit den USA zuständig war, die Erste Europäische, die Frankreich betreute, die Dritte Europäische, die sich um Westdeutschland kümmerte, und eine für

Concordia domi … oder Eintracht im Osten …

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die Arbeit mit den sozialistischen Bruderparteien.6 Als Generalsekretär der KPdSU war Breschnew der erste Ansprechpartner für die Parteiführer in den Staaten des Warschauer Pakts. Das Verhältnis zu diesen war von zwei Charakteristika bestimmt: Erstens glich die Beziehung Breschnews zu den Genossen Generalsekretären der eines Patrons zu seinen Klienten. Er behandelte sie wie die ZKSekretäre der Unionsrepubliken, mitunter auch wie Gebiets- oder Provinzsekretäre.7 Sein Herrschaftsszenario kam auch bei den sozialistischen „Brüdern“ im Ausland zur Anwendung: Er zeigte die gleiche väterliche Art, wie er sie gegenüber den sowjetischen Parteiführern zur Schau stellte, interessierte sich für die Sorgen des anderen, hörte geduldig zu und versuchte zu helfen, so gut es ging. Er telefonierte regelmäßig mit den ausländischen Funktionären, um sich ins Bild setzen zu lassen; außerdem besuchten sie sich gegenseitig zu den Revolutionsfeiertagen und Jubiläen und gingen zusammen jagen.8 Breschnew versuchte so, Vertrauen aufzubauen und erwartete im Gegenzug Loyalität. Das ging zweitens damit einher, dass Breschnew auch die Gruppe der Parteiführer und Staatschefs des Warschauer Pakts als „Kollektivherrschaft“ wahrnahm und große Umsicht walten ließ, um seine Bruder-Genossen nicht zu brüskieren, sondern sich immer wieder ihrer Gefolgschaft zu versichern. Die Bündnispartner nutzten das zuweilen aus: Sie waren von vielerlei Rohstofflieferungen vom großen Bruder abhängig, besonders von dessen Öl und Gas.9 Immer wieder drohten sie relativ unverhohlen, wenn die UdSSR den Forderungen nicht nachkomme, könnten sie in ihren Gesellschaften nicht für Ruhe und Ordnung garantieren.10 Gerade nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 und der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen 1981 fühlte sich die sowjetische Führung verpflichtet, in großem Maße – und auch ohne Gegenleistung – Lebensmittel, Energie und Geldmittel zur Verfügung zu stellen, um die jeweiligen Bevölkerungen zu befrieden. Der polnische Parteiführer Wojciech Jaruzelski warnte die Moskauer Genossen, ohne wirtschaftliche Hilfe werde Polen in Flammen aufgehen.11 Nach eigenem Bekunden kürzte die sowjetische Führung sogar den Sowjetsoldaten die Brotrationen, um mehr nach Polen liefern zu können.12 Wie im Politbüro versuchte Breschnew auch im Kreis der Parteichefs der Warschauer-Pakt-Staaten den Eindruck zu vermeiden, er würde für sich eine Sonderrolle beanspruchen. Die Vorstellung, dass der sowjetische Generalsekretär die anderen Parteiführer kontrollierte oder gar unterdrückte, ist schon lange widerlegt.13 Die zwischenparteilichen Verhältnisse waren viel komplexer: Es existierte ein sensibles, gegenseitiges Abhängigkeitsgeflecht. Gerade die Parteiführer

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der DDR und Polens, Walter Ulbricht und Władysław Gomułka, riefen wesentlich schneller zu drastischen Maßnahmen auf, etwa im Falle Prags 1968, als Breschnew bereit war, diese anzuwenden. Gleichwohl hatte der sowjetische Parteichef eine Art Vetorecht: Solange er einem Einmarsch nicht zustimmte, handelten die Warschauer-Pakt-Staaten auch nicht. Aber er konnte keineswegs über sie verfügen, sondern musste sich immer um ihre Loyalität sorgen. Nach der Absetzung Chruschtschows setzten daher Breschnew und seine Mitverschwörer alles daran, bei den Bruderstaaten etwaigen Irritationen vorzubeugen.14 Im Anschluss an erste Telefonate reiste noch im Oktober 1964 Suslow nach Bulgarien, Podgorny in die DDR und nach Ungarn, während Breschnew und Kossygin den Genossen in Polen, in der ČSSR und in Rumänien Besuche abstatteten.15 1965 fuhren auch Breschnew und Podgorny nach Ungarn, um die Beziehungen mit János Kádár wieder einzurenken, der verstörenderweise immer noch Wein und Obst an Chruschtschow schickte.16 1966 reiste Breschnew erneut nach Ungarn sowie nach Jugoslawien und Bulgarien.17 Um Vertrauen zu wecken, betonten die Moskauer Genossen wiederholt, ihr Ziel sei es, die Beziehungen „freundschaftlicher“ als bisher zu gestalten und das sozialistische Lager nach Möglichkeit zu einen.18 Breschnew erklärte auf dem ZK-Plenum im September 1966: „Wir messen den regelmäßigen Treffen und Gesprächen, der geduldigen Arbeit mit den Vertretern der Bruderstaaten große Bedeutung zu.“19 Damit knüpften sie an die Politik Chruschtschows an, der eine Versöhnung mit Tito hatte erreichen wollen, welcher nie dem Warschauer Pakt beigetreten war, suchten darüber hinaus aber auch den Ausgleich mit jenen Parteiführern, denen Chruschtschows Reformkurs zu weit gegangen war. Große Hoffnungen machte man sich sowohl in Moskau als auch in den Bruderstaaten, das Zusammentreffen aller Delegationen zur Feier von 47 Jahren Oktoberrevolution am 7. November 1964 in Moskau könne zu einem Neuanfang und einer Versöhnung mit den abtrünnigen Chinesen führen.20 Aber während in Peking die Hoffnung herrschte, dass Moskau zu einem orthodoxeren Kurs zurückkehren würde, erklärte der sowjetische Verteidigungsminister Radion Malinowski dem chinesischen Premier Zhou Enlai am Tag der Feierlichkeiten: Nun da sie Chruschtschow abserviert hätten, könnten die Chinesen doch auch Mao rauswerfen. Die letzte Hoffnung der Chinesen begrub Mikojan, als er ­verkündete, man werde keinen Deut von bisherigen Positionen abweichen.21 So verwunderte es nicht, dass Mao auf die Einladung zum 23. Parteikongress 1966 nur mit groben Schimpftiraden reagierte.22 Eine Versöhnung mit China kam

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nicht zustande: Einerseits war Peking nicht bereit, die Vorherrschaft Moskaus anzuerkennen; andererseits war Breschnew persönlich von der 1966 beginnenden gewalttätigen Kulturrevolution angewidert, die ihn an die schlimmsten Zeiten unter Stalin erinnerte. Zwischen 1966 und 1969 kam es immer wieder zu blutigen Zwischenfällen und Zusammenstößen an der Grenze.23 Breschnew notierte in sein Notizbuch: „Wir werden unsere Außenpolitik unter dem Vorzeichen langfristiger Differenzen mit China gestalten müssen.“24 Rumänien setzte unter dem 1965 an die Macht gekommenen Nicolae Ceaușescu alles auf die Karte China, verweigerte 1968 beim Vorgehen gegen Prag dem Warschauer Pakt die Gefolgschaft und verließ diesen folgerichtig im gleichen Jahr.25 Mit Tito verstand sich Breschnew zwar gut, aber Jugoslawien blieb außerhalb des Warschauer Pakts. So blieb es bei der Kerngruppe von fünf Parteichefs, um die sich Breschnew bemühte und mit denen er die Politik des Warschauer Pakts als „Kollektivherrschaft“ gestaltete: der ihm wenig sympathische Deutsche Walter Ulbricht bzw. ab 1971 Erich Honecker, Antonín Novotný bzw. ab 1969 Gustáv Husák für die ČSSR, der polnische Hardliner Władysław Gomułka, den 1970 der von Breschnew protegierte Edward Gierek ablöste,26 sowie János Kádár für Ungarn und Todor Schiwkow für Bulgarien, die beide länger als Breschnew im Amt waren und mit denen er gut auskam. Er lud sie seit 1968 einzeln, ab 1971 zusammen alljährlich im Sommer auf die Krim. Dort machten einige dieser Parteichefs auch oft Urlaub, so dass sie sich auf seiner Datscha die Klinke in die Hand gaben.27 Orthodoxe Führer wie Ulbricht, Honecker und Gomułka oder sogar Ceaușescu, für die Breschnew keine besonderen Sympathien hegte, kamen nur für wenige Stunden oder einen Tag;28 Breschnews Fotograf Musaeljan berichtet, dass Breschnew Ceaușescu zur Begrüßung zwar auch umarmte, hinter seinem Rücken aber Zeichen gab, die Bilder sofort zu vernichten.29 Jene aber, die er mochte, wie den Ungar Kádár, verbrachten mitunter mehrere Tage auf der Krim, um sich dort mit Breschnew im inoffiziellen Rahmen auszutauschen und zu erholen.30 Die 1971 etablierten inoffiziellen „Krim-Treffen“ waren regulärer Teil der vom ZK genehmigten Außenpolitik und boten Breschnew die Möglichkeit, sich allein, ohne Gromyko, Kossygin oder Podgorny, mit den anderen fünf Parteichefs zu beraten und durchaus auch politische Weichen zu stellen.31 Hierher kamen nicht nur die Parteiführer, die ohnehin auf der Krim Urlaub machten, sondern es reisten auch jene an, die, wie Honecker, ihre Sommerfrische lieber an der Ostsee oder andernorts verbrachten.32 Außenminister Gromyko musste dem nicht nur widerspruchslos zusehen; die Parteidisziplin verlangte,

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dass er diese Treffen des Generalsekretärs mit den Vertretern der Bruderstaaten als von „entscheidender Bedeutung“ für die Außenpolitik der Sowjetunion lobte.33 Kaderfragen und kollektive Außenpolitik

Als sich 1967 ein Führungswechsel in der ČSSR anbahnte, war das für Breschnew eine reine Kaderfrage. Er war entnervt, dass die tschechoslowakischen Genossen versuchten, ihn in diese Affäre zu verwickeln und ihn zur Stellungnahme zu nötigen: für den alten Parteichef und Präsidenten Antonín Novotný, der unbeliebt war und als starrsinnig galt, oder für die junge Parteihoffnung Alexander Dubček, der umgänglich und dynamisch schien. Wie er dem französischen Kommunistenchef Waldeck Rochet anvertraute, „sprach niemand von Demokratisierung oder Liberalisierung.“34 Für Breschnew waren Kaderfragen keine Angelegenheit, die man mit Bruderparteien diskutierte, in die Parteiöffentlichkeit zerrte und zum Gegenstand allgemeiner Debatten machte. Kaderfragen mussten im Stillen gut vorbereitet und dann von den zuständigen Parteiorganen konsequent entschieden werden.35 „Das ist eure Sache“, erklärte er daher im Dezember 1967 unwirsch, als er auf Bitten des in der Kritik stehenden Novotny nur widerstrebend eine als „Jagdurlaub“ getarnte Reise in die ČSSR unternahm.36 Er brach seinen ČSSR-„Urlaub“ ab und flüchtete aus Prag – allerdings nicht ohne lange auch mit Dubček gesprochen zu haben: Ich glaube, mit niemand anderem als mit Genossen Dubček habe ich so lange geredet. Von abends bis 6 Uhr morgens haben wir gesprochen. Ich habe gesagt: Alexander Stepanowitsch, wir haben zwölf Stunden lang nichts gegessen, nichts getrunken. Gehen wir zusammen zum Frühstück, trinken wir eine Tasse Tee zusammen. (…) Ich muß sagen, so offen habe ich mit niemandem gesprochen. Die ganze Thematik hat mich überrumpelt.37

Zurück auf seinem Anwesen in Sawidowo bei Moskau machte Breschnew seinem Frust Luft: Ich dachte, nun, da haben sie einen schönen Brei angerührt, und jeder versucht, mich auf seine Seite zu ziehen und mich zu seinem Verbündeten zu machen. Was soll das? Ich sagte meinen Leuten, macht das Flugzeug bereit, morgen fliegen wir ab. Das hät-

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Abb. 25: Breschnew und Dubček auf der Konferenz von Bratislava, 3. August 1968.

te gerade noch gefehlt, dass sie mich in ihren Schlamassel hineinziehen. Das sollen sie selbst regeln. Sollen sie doch zum T… gehen!38

Am 5. Januar 1968 wählte die KPČ Dubček zum Nachfolger von Novotny als Parteichef und Breschnew machte aus seiner Sympathie für Dubček keinen Hehl. Es ist Spekulation, aber offenbar sah er in Dubček sein tschechoslowakisches Pendant: einen jungen, sympathischen Mann, der einen unbeliebten, als schwierig geltenden Parteichef ablöste.39 Der Moskauer Historiker Rudolf Pichoja urteilt: „Von dieser Zeit an standen Breschnew und Dubček in ständigem Kontakt. Es ist anzunehmen, dass Breschnew die persönliche Verantwortung für die Wahl Dubčeks anerkannte, was ihrer Beziehung in gewissem Maße einen persönlichen Charakter gab und sich bekanntermaßen auf die Entwicklung der Ereignisse des

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gesamten Jahres 1968 auswirkte.“40 Ganz offensichtlich akzeptierte Breschnew Dubček als seinen Protegé. Er telefonierte oft mit ihm41 und sagte zu ihrem Verhältnis: „Uns verbinden freundschaftliche Beziehungen.“42 Von Kádár ließ er sich über dessen Treffen mit Dubček am 29./30. Januar berichten: „Dubček ist mager und blass; er muss sich mal ausruhen; und sich allgemein beruhigen; [es besteht der] Eindruck, dass er ein außerordentlich ehrlicher Mensch ist und die richtige Linie vertreten wird.“43 Kádár war fortan enger Berater Breschnews, der mit ihm regelmäßig über die Situation in der ČSSR telefonierte.44 Während Ulbricht, Gomułka und Schiwkow bald eine härtere Gangart gegenüber Prag forderten, schätzte Breschnew den Ungarn Kádár, den er 1956 mit ins Amt eingeführt hatte, als besonnenen Gesprächspartner. Kádár verfügte über einschlägige Erfahrungen, seit 1956 die Sowjetarmee in sein Heimatland einmarschiert war. Sowohl er als auch Breschnew waren Dubček wohlgesonnen und wollten ihm auf ihre Art helfen. Breschnew sah Dubček als Parteigenossen, der von ihm die Verantwortung für einen Landesverband anvertraut bekommen hatte und in diese Aufgabe noch hineinwachsen musste.45 Daher war Breschnew immer wieder zu Zugeständnissen bereit und verstand den Austausch als Beistand und Entgegenkommen. Als anlässlich der drohenden Absetzung Novotnýs von seinem Posten als Staatspräsident am 22. März das Politbüro der KPdSU beschloss, einen Warnbrief an das ZK der KPČ zu schicken, hielt Breschnew diesen Brief auf Bitten Dubčeks zurück.46 Gleichwohl unternahm Breschnew nichts, was er nicht vorher mit dem Politbüro abgestimmt hätte. Auch das Treffen der Warschauer-Pakt-Staaten in Dresden am 23. März 1968 war ein Zugeständnis an den „kollektiven Willen“ der Bruder-Parteiführer, die angesichts der tschechoslowakischen Entwicklungen beunruhigt waren. Gleichwohl betonte Breschnew, um Dubček zu beruhigen, dies sei ein „offener Meinungsaustausch“.47 Breschnew musste sowohl die anderen Parteiführer zufriedenstellen als auch um Dubček werben: Wir bitten Genossen Dubček und die ganze Delegation, uns richtig zu verstehen. Wir meinen es als ehrliche Freunde, als ehrliche Brüder, die mit Ihnen in politischer und ökonomischer Hinsicht auf einer sehr festen Basis freundschaftlich verbunden sind. (…) Wir möchten Ihnen hier unsere brüderliche, kameradschaftliche Hilfe erweisen, und wir bitten Sie, von diesem Standpunkt aus alle unsere Äußerungen, die Meinungen unseres Politbüros zu betrachten.48

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Breschnew vermied es tunlichst, Dubček der Konterrevolution zu bezichtigen, sondern warf ihm lediglich vor, er ließe die „Konterrevolutionäre gewähren.“49 Er sah in Dubček immer noch den Hoffnungsträger: „Wir haben die Vollmachten unseres Politbüros, Ihnen, die Sie hier anwesend sind, die Hoffnung zum Ausdruck zu bringen, dass Sie mit Dubček an der Spitze in der Lage sein werden, die Ereignisse zu ändern und die sehr gefährliche Entwicklung zu verhindern.“50 Breschnew musste mit der Fünfergruppe einerseits und Dubček andererseits möglichst geschickt umgehen. Dabei fühlte er sich aber auch verpflichtet, seine Vorgehensweise immer wieder als Kollektivwillen der KPdSU bestätigen zu lassen. Während des Prager Frühlings tagte das ZK der KPdSU zweimal, um den eingeschlagenen Kurs als Parteilinie abzusegnen. Auch die Briefe, die er an Dubček sandte, verfasste Breschnew stets mit den anderen Politbüromitgliedern zusammen.51 Der sowjetische Botschafter in Prag, Stepan Tscherwonenko, berichtet: Wir setzten uns in einer Reihe an den Tisch, Breschnew uns gegenüber. Um dem Brief mehr Vertrauenswürdigkeit zu geben, beschlossen wir, den Brief nicht mit der Maschine zu schreiben. Breschnew setzte sich und schrieb mit der Hand. Wir diskutierten jeden Satz gemeinsam, soll er „Alexander“ schreiben oder „Sascha“ oder „lieber Alexander Stepanowitsch“ – so malte Breschnew die Wörter unter dem Diktat der Politbüromitglieder.52

Berühmt wurde der sogenannte „Nachtbrief “ vom 11. April 1968: Lieber Alexander Stepanowitsch! Es ist schon spät in der Nacht, aber ich schlafe noch nicht. Vermutlich werde ich noch lange nicht einschlafen können. (…) Ich würde jetzt gern mit Ihnen sprechen und nach Ihrem Rat fragen, aber es ist zu spät für einen Telefonanruf. Ich möchte meine Gedanken zu Papier bringen, ohne zu viel über die richtige Ausdrucksweise nachzudenken.53

Ausdrücklich appellierte Breschnew an das Vertrauen, das er in Dubček gesetzt habe: Unser gegenseitiges Vertrauen war immer unerschütterlich. Es ist immer noch stark, und ich glaube, dass am Ende niemand fähig sein wird, es zu zerstören oder unwiederbringlich der Freundschaft unserer Nationen Schaden zuzufügen. (...) Das Schick-

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sal Ihrer Partei und Ihres Staats sind nun direkt von Ihren Handlungen und Ihrer persönlichen Verantwortung abhängig.54

Breschnew beließ es in seinen Bemühungen um eine Lösung nicht bei Briefen. Da es den tschechoslowakischen Genossen übel aufgestoßen war, nach Dresden zitiert worden zu sein, versuchte Breschnew es als Nächstes mit einem bilateralen Treffen in Moskau am 4./5. Mai. Wieder beschwor er, dass er sich nicht einmischen wolle, dass es um gutgemeinte Ratschläge ginge, aber sie in Moskau sehr alarmiert seien, dass die tschechoslowakische Parteiführung die „Parteifeinde“ gewähren lasse.55 Allerdings ließ Breschnew erstmals anklingen, dass die innenpolitischen Angelegenheiten nicht nur die Tschechoslowakei allein beträfen: „Genossen, ihr wisst, dass die KPdSU das Prinzip der vollkommenen Unabhängigkeit aller Bruderparteien und -staaten vertritt. Aber nicht jede Frage ist rein innenpolitisch zu betrachten.“56 Ein Protegé auf Abwegen

Das Politbüro folgte Breschnew in der Beurteilung, dass es sich bei der Lage in Prag um eine „Kaderfrage“ handelte. Der Theorie nach musste man nur erkennen, wer die „gesunden“ und wer die „konterrevolutionären Kräfte“ in der KPČ waren, die Letzteren entfernen und den Ersteren zu ihrem Recht verhelfen. So hatten sie es 1956 in Ungarn gemacht, so würden sie nun wieder handeln. Nur war für Breschnew und seine Genossen lange Zeit unklar, wer zum „zweiten Zentrum“, also zur Konterrevolution, gehörte.57 Auf der Politbürositzung am 6. Mai 1968 deutete Breschnew erstmals an, dass sein Vertrauen in Dubček erschüttert sei: „Wenn man alle Stationen unserer Beziehungen seit dem ersten Gespräch mit Genossen Dubček Revue passieren lässt, besonders mein erstes Gespräch mit ihm in Prag und die dann folgenden, dann entsteht der Eindruck, dass er absichtlich das eine sagt, aber das genaue Gegenteil davon tut, wobei er sich windet und unkonkret spricht.“58 Nachdem er sich am 8. Mai in Moskau erneut mit der Fünfergruppe beraten hatte, sanktionierte Breschnew nicht nur Manöver in der ČSSR, die er in seinem Notizbuch als „Operation ‚Geschwür‘“ eintrug,59 sondern begann auch zusammen mit den anderen Politbüromitgliedern, nach Personen Ausschau zu halten, die Dubček ersetzen konnten. Das Politbüro schickte zunächst Kossygin nach Prag, um herauszufinden, ob man sich auf Dubček noch verlassen könne.60 Breschnew notierte: „Sprach

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mit Gen. Kossygin, am 21. und 22., [er] empfahl Wasser zu trinken, das heißt abwarten.“61 Dem Politbüro berichtete Kossygin am 27. Mai, dass die Lage ganz anders sei als von ihnen eingeschätzt: Die Überlegungen zu einem „gesunden Kern“ seien hinfällig, denn die Reformer Dubček, Oldřich Černík und Josef Smrkovskij seien tatsächlich kaum von dem „gesunden Kern“ Drahomír Kolder, Vasiľ Biľak und Lubomír Štrougal zu unterscheiden. Da aber zurzeit im Lande niemand eine größere Autorität genieße als Dubček, Černík und Svoboda, müssten sie weiter auf diese Kader setzen.62 Um Kontakt zu dem „gesunden Kern“ zu halten und den rechten Zeitpunkt für den Personalwechsel nicht zu verpassen, beauftragte das Politbüro den ukrainischen Parteichef Petro Schelest, via Telefon und konspirativen Treffen in der Ukraine Kontakt zu Biľak zu halten.63 Das wachsende Misstrauen führte dazu, dass auch Breschnew Dubček und das Präsidium der KPČ zunehmend als außenstehende Dritte, Vertreter eines anderen Staates und potentielle Kontrahenten statt als Freunde und Kampfgenossen anredete. Der familiäre innerparteiliche Ton Breschnews wandelte sich zu einem kühlen außenpolitischen Tonfall. Deutlich trat dies im „Warschauer Brief “ zutage, den die Fünfergruppe am 14./15. Juli während eines weiteren Treffens in Warschau verfasste, dem die Tschechoslowaken ferngeblieben waren.64 Unter dem Eindruck des „Manifests der 2000 Worte“ vom 27. Juni,65 das die Fünfergruppe als „offenen Aufruf zum Kampf gegen die kommunistische Partei, gegen die Verfassung und Aufruf zu Anarchie und Aufruhr“ qualifizierte,66 fehlte im „Warschauer Brief “ jede kameradschaftliche Freundlichkeit:67 „Auf uns Kommunisten ruht die Verantwortung vor den Völkern und der Geschichte dafür, dass die revolutionären Errungenschaften nicht zerstört werden.“68 Adressat war nicht der Genosse, mit dem man Seite an Seite kämpfte, sondern das Land, das am Kreuzweg stand: „Heute stellt sich die Frage für die sozialistische Tschechoslowakei: sein oder nicht sein?“69 Statt freundschaftliche Ratschläge zu geben, stellte die Fünfergruppe klare Forderungen: alle politischen Parteien und Clubs schließen, die Massenmedien wieder unter Kontrolle bringen, die Parteireihen säubern.70 Breschnew sah sich veranlasst, auch diese härtere Gangart und den neuen Ton vom ZK absegnen zu lassen. Er berief derart spontan ein Plenum für den 17. Juli ein, dass 50 Personen fehlten.71 Das ZK billigte den Kurs und Breschnew erklärte: „Und bevor wir die äußersten Maßnahmen ergreifen, nutzen wir gemeinsam mit den Bruderparteien alle politischen Mittel aus, um der kommunistischen Bruderpartei der Tschechoslowakei und dem tschechoslowa-

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kischen Volk zu helfen, die sozialistischen Errungenschaften in der Tschechoslowakei zu bewahren und zu schützen.“72 Verhandlungen und schwache Nerven

Diese Entwicklung, die tschechoslowakischen Genossen nicht mehr als „Teil der Familie“ anzusprechen, sondern als Kontrahenten zu behandeln, fand ihren Höhepunkt beim Treffen in Čierna an der Theiss Ende Juli 1968. Hier schien nahezu das ganze Prozedere dem außenpolitischen Lehrbuch entnommen zu sein, kaum etwas erinnerte an ein erweitertes Parteitagstreffen. Es war ein außergewöhnlicher Gipfel, denn weder in der Partei- noch in der Diplomatiegeschichte waren je zuvor zwei komplette Politbüros bzw. Präsidien zusammengetroffen.73 Das Treffen fand auf ausdrücklichen Wunsch Breschnews, unterstützt von Kossygin, statt. Um jeden Preis wollte Breschnew „extreme Maßnahmen“ vermeiden und seinem Protegé Dubček eine letzte Chance geben.74 Andropow und andere Politbüromitglieder qualifizierten weitere Verhandlungen als Zeitverschwendung, machten das aber explizit nur Kossygin zum Vorwurf, da es sich nicht geziemt hätte, den Generalsekretär direkt zu kritisieren.75 Breschnew aber insistierte am 19. Juli: „Es gibt nur eine Frage: Haben wir auch das ganze Arsenal politischer Mittel ausgeschöpft, haben wir alles getan, bevor wir äußerste Maßnahmen ergreifen?“76 Er hatte Anfang Juli in seine Kladde notiert: „Mit Dubček werden wir keine durchführbare Lösung finden.“77 Gleichzeitig war ihm nach wie vor unklar, wer diesen ersetzen könnte. Zwar folgte das Politbüro Breschnew nach Čierna, aber das Szenario für den Einmarsch war schon entworfen:78 Am 27. Juli, zwei Tage vor dem Treffen verabschiedete das Politbüro Aufrufe an das sowjetische Volk und an die tschechoslowakische Armee, die im Fall eines Einmarschs publiziert werden sollten.79 Da das Moskauer Politbüro annahm, dass das Treffen in Čierna scheitern würde, und keine Zeit verlieren wollte,80 lud es die Delegationen der Fünfergruppe bereits für den 30./31. Juli nach Moskau ein, um dann mit ihnen das weitere Vorgehen besprechen zu können.81 Wie so oft bei internationalen Treffen von Staatsvertretern, die sich gegenseitig nicht trauen, wurde lange über den Ort gefeilscht. So selbstverständlich es zuvor gewesen war, sich gegenseitig in Moskau oder Prag zu besuchen, so wenig waren nun die beiden Seiten bereit, sich auf „feindliches“ Terrain zu begeben. Während das Politbüro nach Moskau, Kiew oder Lwow einlud,82 schlug Dubček

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das slowakische Košice als „angenehme Stadt in der Ostslowakei“ mit einem großen Flughafen vor.83 Dubček und seine Leute wollten vermeiden, dass erneut wie in Dresden ein Tribunal über sie gehalten wurde.84 Breschnew und das Politbüro ihrerseits wollten nicht mit Massendemonstrationen und anderen unerwünschten Folgen der Presse- und Versammlungsfreiheit konfrontiert werden. Man einigte sich schließlich auf den slowakischen Grenzort Čierna an der Theiss, der die Möglichkeit bot, dass auf slowakischem Gebiet getagt wurde, sich aber die sowjetische Delegation mittags und abends hinter die ukrainische Grenze zurückziehen und Kontakt mit der Fünfergruppe halten konnte.85 „Als ich den Vorschlag hörte, sagte ich Breschnew, ich sei nicht sicher, ob man an einem so kleinen Ort angemessene Räumlichkeiten finden könne. Er meinte, das sei unwichtig, sie kämen ja mit dem eigenen Zug. Mein Gott, dachte ich bei mir, sie wollen im Zug übernachten“86, erinnerte sich Dubček später. Während die Delegationen tatsächlich in ihren jeweiligen Zügen übernachteten, diente der Eisenbahner-Club als Tagungsraum.87 Die sonst auf dem diplomatischen Parkett eherne Regel, es den Verhandlungspartnern so angenehm wie möglich zu machen und sie beim Essen einander näherzubringen, wurde ignoriert: Auch die Mahlzeiten sollten getrennt voneinander in den Eisenbahnwaggons eingenommen werden.88 Die sowjetische Seite hatte darauf bestanden, dass die Presse konsequent ausgesperrt bleibe und nur am Ende ein gemeinsames Kommuniqué veröffentlicht würde.89 Es blieb aber nicht aus, dass, sobald der Ort des Treffens ruchbar wurde, in Čierna westliche Korrespondenten auftauchten – wogegen die sowjetische Seite ihren Botschafter in aller Form protestieren ließ.90 Die tschechoslowakische Seite plagten ganz andere Sorgen: Sie fürchtete, ihr Waggon könnte nachts über die Grenze in die Sowjetunion entführt werden, und war erleichtert, als sie hörte, dass die Züge unterschiedliche Spurbreiten benutzten.91 Obwohl das Prager Präsidium eigentlich einen „Heimvorteil“ hatte, war die Moskauer Seite besser vorbereitet und hatte den Ort ausgiebig erkundet, wie Dubček später bekannte.92 Im Verhandlungsraum im Kulturhaus der Eisenbahner kontrollierte der KGB die Türen, die Übersetzerkabine und die Telefone. Während Breschnew in seinem Zug ein Telefon und einen Sender hatte, über den er mit der Außenwelt Kontakt hielt, verfügte Dubček über keine abhörsichere Leitung nach Prag und war vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten, so dass das ZK-Sekretariat in Prag überlegte, ob es eine „Luftbrücke“ nach Čierna einrichten sollte, um die abgeschotteten Genossen mit Informationen zu versorgen.93

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So begann das Treffen am 29. Juli unter keineswegs optimalen Umständen. Die angespannte Lage war schon auf dem Bahnsteig mit Händen zu greifen. Dort hatten sich trotz des Verbots Einheimische versammelt, die teils die sowjetische Delegation begrüßten, teils aufgebracht riefen: „Verschont Dubček“. „Als ob wir ihn entführen wollten“, vermerkte Schelest.94 Breschnew küsste zur Begrüßung nur seinen alten Kampfgefährten Svoboda, allen anderen gab er distanziert die Hand.95 Am zweiten Tag verstärkte sich diese Anspannung noch, als Breschnews Worte an die Menge, die immer noch „Verschont Dubček“ rief, zwar mit höflichem Beifall aufgenommen, Dubček aber mit Ovationen und Blumen gefeiert wurde. Schelest kommentierte, es hätten nur noch Passkontrollen gefehlt, so feindselig sei die Stimmung gewesen.96 Auch Breschnews Berater AlexandrowAgentow berichtete von Schwierigkeiten: Man kann nicht gerade sagen, dass die äußeren Bedingungen für diese sich in die Länge ziehenden fünf Tage besonders angenehm gewesen wären. Ein kleiner, stickiger Saal, in dem sich nur mit Müh und Not alle Verhandlungsteilnehmer an den langen Tisch quetschen konnten, stickige, heiße Zugabteile, Holzverschläge für die „Bedürfnisse“, die entlang der Züge aufgestellt waren. Auch die Verhandlungsatmosphäre im Inneren war kaum besser.97

Die Spannung von der Straße übertrug sich auch in den engen Versammlungsraum, wo Breschnews Auftaktrede von den einen als ruhig und kühl, von den anderen als aggressiv und polemisch empfunden wurde.98 Zwar aßen die Delegationen entgegen den Planungen mittags gemeinsam, aber das änderte nichts daran, dass der ganze Verhandlungstag ein Schlagabtausch war, der weder eine Annäherung brachte noch eine Spaltung im tschechoslowakischen Präsidium erkennen ließ. Das Politbüro hatte aber offenbar darauf gesetzt, im Präsidium der KPČ würde sich zwischen den „gesunden Kräften“ und dem „zweiten Zentrum“ ein Spalt auftun.99 Deshalb hatte es das gesamte Präsidium eingeladen, um ein vollständiges Bild zu bekommen. Im Fall einer Spaltung hätte Breschnew die quälende Kaderfrage, wer Dubček folgen könne, lösen können. Nach dem Mittagessen versuchte er es mit einer Provokation: Was bedeutet das – „Konservative“ und „Fortschrittliche“? Was sind das für rechte Kräfte, warum sagt ihr nicht, womit wir euch helfen können? Warum meint ihr plötzlich, ihr wärt auf dem Dresdener Treffen „Marionetten“ gewesen? Warum erkennt ihr

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es nicht an? Wofür habt ihr [dem Journalisten Jiří] Pelikán einen Orden verliehen? Warum ruft ihr [den Wirtschaftswissenschaftler Ota] Šik nicht zur Ordnung? Von ihm habe ich schon Kopfschmerzen. Mitglieder eurer Regierung beziehen gegen euch Position. Wie reagiert ihr darauf?100

Doch der Spaltungsversuch lief ins Leere; Dubček antwortete nur mit einer Gegenfrage: „Genosse Breschnew, haben Sie nicht den Eindruck, dass Ihre Fragen auch eine Einmischung in unsere Angelegenheiten sind?“101 Einen Verzweiflungsversuch, die Gegenseite zu entzweien, unternahm am zweiten Verhandlungstag Schelest, der die Geduld und die Beherrschung verlor: „Was habt ihr in der Führung für rechte Kräfte? Sagen Sie die Namen, wer sind die Rechten, wer sind die Linken? Genosse Kossygin fragt danach. Zeigen Sie mir einen Linken in der Führung! Wahrscheinlich Kolder.“102 Da sich mithin die Theorie der „zwei Zentren“ in der Praxis nicht bestätigen ließ, musste das Politbüro die Strategie wechseln. Der Plan, die Verhandlungen zu verlassen, war geplatzt, weil das Politbüro die Schuld für ein Scheitern nicht der Gegenseite zuschieben konnte.103 Daran war am zweiten Tag noch weniger als am ersten Tag zu denken, zumal Breschnew erfuhr, dass Tito, Ceaușescu und 18 westeuropäische kommunistische Parteien ihre Unterstützung für Dubček bekundet hatten.104 Also machte eine Abordnung des Politbüros abends Visite in Dubčeks Waggon, um sich dort für das ausfällige Verhalten Schelests bei einem Glas Bier zu entschuldigen.105 Breschnew stand nun unter enormem Druck: Abbruch und Flucht nach Moskau war keine Option, wollte er sich nicht im kapitalistischen wie im sozialistischen Lager blamieren; er musste eine Verhandlungslösung präsentieren.106 Es war ein Druck, dem Breschnew psychisch und physisch kaum gewachsen war: Er erkrankte prompt, so wie er es 1961 Alexandrow-Agentow prophezeit hatte.107 Dubček warf ihm später vor, eine „diplomatische Grippe“ vorgespielt zu haben: „Als die Sowjets realisierten, dass ich von der Mehrheit unterstützt wurde (…), beschlossen sie, die Taktik zu ändern. Dieser Richtungswechsel fiel mit dem Moment zusammen, als Breschnew erklärte, er sei krank. Er lief in seinem Schlafanzug herum, aber ich sah, dass er nicht krank war.“108 Doch sowjetische Delegationsmitglieder berichten, dass es Breschnew tatsächlich schlecht gegangen sei. Schelest notierte in sein Tagebuch: „Breschnew ist extrem nervös, er ist vollkommen aufgelöst, wird von Fieber geschüttelt. Er klagt über schwere Kopfschmerzen und Stechen im Bauch.“109 Breschnew versuchte in den folgenden

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Vieraugengesprächen, denen er mit seinem Pyjama einen familiären, inoffiziellen Anstrich gab, Dubček das Versprechen abzunehmen, die „Konterrevolutionäre“ zu schassen.110 Für Breschnew war klar, dass man mit der richtigen Kaderpolitik alle Probleme in den Griff bekommen könnte: „In all dieser Zeit, angefangen im Jänner d.J., unter welcher Leitung befanden sich da die Organe der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens? (…) Konnte man bei Ihnen in der Tschechoslowakei denn keine ehrlichen tschechischen oder slowakischen Kommunisten finden, um sie zu betrauen, diese Sache zu übernehmen?“111 Dubčeks beharrliches Schweigen in Čierna zu diesen Forderungen interpretierte Breschnew fatalerweise als Zustimmung. Doch während Breschnew schließlich angesichts von Dubčeks Schweigen annahm, er habe diesen überzeugen können, die Kaderfrage zu lösen,112 glaubte Dubček, mit der Vertagung des Treffens in den größeren Rahmen der Fünfergruppe nach Bratislava seien die inoffiziellen, nicht stenographierten Gespräche von Čierna bedeutungslos geworden.113 Zudem hatte Dubček Breschnew in Čierna das Versprechen abringen können, dass in Bratislava nicht die innere Lage der ČSSR verhandelt werden würde, sondern die Warschauer-Pakt-Staaten ein allgemeines Papier zur internationalen Solidarität der Bruderstaaten untereinander und gegenüber Drittstaaten verabschieden würden.114 Die Konferenz von Bratislava war ebenfalls eine diplomatische Neuheit,115 denn sie erschöpfte sich nahezu vollkommen in der Arbeit der Redaktionskommission. Breschnew hatte dieses Mittel der kollektiven Textarbeit bereits beim Warschauer Treffen eingeführt und schlug es der Fünfergruppe nun wieder vor. Biľak schreibt: „Das war die einzige Beratung in meinem Leben – und ich habe an vielen internationalen Beratungen teilgenommen −, wo das Abschlussdokument tatsächlich von A bis Z von den Generalsekretären bzw. Ersten Sekretären und Regierungschefs verfasst wurde.“116 Es war eine Marathonsitzung, die statt um 16:00 erst um 19:00 Uhr ein Ende fand.117 Lange rangen die Parteiführer um Formulierungen, die Entscheidendes ausdrückten oder auch verschwiegen. Dubček erinnert sich: (…) ich verlangte nun, daß in dem Dokument klar ausgedrückt werde, daß spezifische innere Entwicklungen der verschiedenen Länder Sache der jeweiligen Signatarmacht seien. Darüber entstand eine hitzige Diskussion. Ulbricht und Gomułka bestanden darauf, daß eine solche Klausel überflüssig sei. (…) Ich stellte klar, daß wir das Dokument andernfalls nicht unterzeichnen würden.118

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Der große Vorteil der diplomatischen Neuheit einer Redaktionskommission bestand darin, dass der Text im Konsens erstellt wurde und ihn daher alle unterschrieben. Die Deklaration, die am Abend des 3. August feierlich unterzeichnet wurde, erwähnte tatsächlich die ČSSR kein einziges Mal und erweckte stattdessen den Eindruck, als richteten sich alle Sorgen der Warschauer-Pakt-Staaten auf die Lage in Vietnam und im Nahen Osten und auf das Wiedererstarken der Neonazis in Westdeutschland.119 Das Dokument kam fast einer Quadratur des Kreises gleich, vereinigte es doch die Pflicht der Bruderstaaten, gemeinsam die Errungenschaften des Sozialismus zu verteidigen, mit der Souveränität eines jeden Landes, den Weg zum Sozialismus selbst zu wählen.120 Deshalb galt Bratislava zunächst als Durchbruch; die internationale Presse und nicht zuletzt Dubček glaubte, die Gefahr einer „Einmischung“ sei damit abgewandt.121 Doch während sich Dubček auf die Deklaration von Bratislava verließ, war Breschnew der Ansicht, Dubček müsse der „Vereinbarung“ von Čierna nun Taten folgen lassen. Doch die blieben aus.122 Das letzte Telefonat

Breschnew fuhr auf die Krim, wo er mit dem Politbüro und Kádár vom 13. bis zum 15. August über die Lage in der ČSSR beriet und ein letztes langes Telefonat mit Dubček führte.123 80 Minuten lang telefonierte Breschnew am Abend des 13. August mit Dubček und zog das gesamte Register des verständnisvollen Genossen, der durch mahnendes, warnendes gutes Zureden ein letztes Mal versuchte, seinen gestrauchelten Protegé auf die rechte Bahn zurückzuführen.: „Der ganze Sinn unseres Gesprächs besteht darin, dir zu helfen, diese Verpflichtungen [von Čierna] zu erfüllen.“124 Er ließ keinen Zweifel daran, dass es sich nicht um die Unterredung zweier Staatsmänner handelte, sondern um ein persönliches Gespräch. Kategorien wie Souveränität, Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit von Grenzen waren irrelevant; es zählten allein Vertrauen in das Gegenüber, der Kampf für die gemeinsame Sache und die Einhaltung von Ehrenworten. Entsprechend redete er Dubček konsequent mit dem informellen „Du“ und fast ausschließlich mit dem Kosenamen „Sascha“, dem russischen Diminuitiv von „Alexander“, an,125 während Dubček beim formalen „Sie“, bei „Genosse Breschnew“ und dem höflichen „Leonid Iljitsch“ blieb. Mit seiner gesamten Gesprächsführung versuchte Breschnew den Eindruck zu erwecken, dass es sich bei ihm und Dubček um eine verschworene Gemein-

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schaft handelte. Während er, Breschnew, stets zu ihm gehalten habe und jetzt der Letzte im Politbüro sei, der noch an ihn glaube, müsse er, Dubček, jetzt beweisen, dass sie ihm vertrauen könnten: Und alles, was ihr uns versprochen habt, haben wir für bare Münze genommen und haben euch als Freunde alles geglaubt. Ich persönlich, Sascha, kann irgendwie nicht verstehen, warum und aus welchem Grund du die Lösung dieser Fragen bis zum neuen außerordentlichen Plenum hinausschiebst. Wir glauben, dass die Kaderfragen heute in diesem Präsidium gelöst werden könnten, und, glaube mir, man kann sie ohne große Verluste lösen. (…) Es ist die letzte Chance, die Sache ohne einen großen Schaden zu retten.126

Während Dubček sich wand und immer wieder auf die formale Ebene verwies, nur ein Plenum könnte entscheiden, modulierte Beschnew seine Rede zwischen Verstehen und Drohen: „Sascha, ich verstehe, dass du nervös bist, ich verstehe, dass es für dich eine sehr komplizierte Situation ist. Aber versteh du, dass ich mit dir wie mit einem Freund rede, ich will für dich nur Gutes.“127 So wie Breschnew in diesem Gespräch zwischen sich und dem Politbüro unterschied, um seine Konzilianz und Großmut zu unterstreichen, verlangte er auch von Dubček, sich nicht länger hinter dem Plenum zu verstecken, sondern sich persönlich zu erklären: „Brežnev: Nun gut, Sascha, dann erlaube mir, dir ganz direkt eine Frage zu stellen: Stehst du persönlich zu der Erfüllung der Verpflichtungen, die in Čierna nad Tisou eingegangen wurden, oder nicht?“128 Schließlich spitzte Breschnew die Verhandlungen in Čierna und ihr Telefonat auf die Vertrauensfrage zu: (…) ich bitte dich, zu verstehen, dass, wenn ihr nicht alles erfüllt, was wir vereinbart haben (…), dann wird unser Vertrauen zu Ende sein. Der ganze Sinn unseres Treffen in Čierna an der Theiss besteht ja im ungeheuren gegenseitigen Vertrauen. Alle unsere Entscheidungen sind auf der Basis des riesigen Vertrauens getroffen worden, und ebendas verpflichtet uns, möglichst gewissenhaft alles zu erfüllen, was wir vereinbart haben.129

Das Gespräch lief ins Leere: Die vertrauliche Ebene von Genosse zu Genosse war für Dubček inakzeptabel. Er bestand auf der Behandlung als Vertreter eines souveränen Staates, und – für Breschnew noch viel gravierender – er erklärte, er sei nicht mehr zuständig: „(…) Ich habe Ihnen nicht zufällig gesagt, dass das

Concordia domi … oder Eintracht im Osten …

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neue Plenum einen neuen Sekretär wählen wird. Ich überlege mir, den Posten aufzugeben.“130 Für Breschnew war das unerhört: Das Präsidium wollte nicht mehr das ZK-Plenum kontrollieren und die Partei insgesamt stellte ihre eigene Rolle zur Disposition. Dubček erklärte ungerührt: (…) die Lage hat sich verändert. Nun aber muss diese Frage anders betrachtet werden. Und ihre Lösung hängt nicht mehr von uns ab. Breschnew: Sascha, dann erlaube mir, dich zu fragen, was hängt dann überhaupt von eurem Präsidium des ZK ab? (…) Ich stelle nur fest, dass euer Präsidium des ZK keine Macht hat und dass wir es sehr bedauern, dass wir das auf der Konferenz in Čierna an der Theiss nicht gewusst haben. (…) Das heißt also, dass unser Gespräch unseriös war.131

Lösung à la Breschnew

Es gab schließlich eine Reihe von Faktoren, die der Fünfergruppe einen Einmarsch als geboten erschienen ließen: die Angst vor dem Überspringen des Reform-Funkens auf die Ukraine, das Baltikum und die sowjetische Intelligenz allgemein;132 die Furcht vor einer Kettenreaktion, die auch weitere KPs der Bruderstaaten in den Selbstmord hätte treiben können;133 die so oft beschworene historische Pflicht zu verteidigen, was im Zweiten Weltkrieg mit so vielen menschlichen Opfern erkauft worden war;134 und die strategische Bedeutung der ČSSR im Rahmen des Kalten Krieges,135 vor dessen Hintergrund das Politbüro die tschechoslowakische Westgrenze als eigene Außengrenze betrachtete.136 Begünstigend wirkte die Haltung der USA, die deutlich signalisiert hatten, dass sie den Prager Frühling als „blockinterne“ Angelegenheit betrachteten und sich nicht einmischen würden.137 All diese Argumente standen aber in Abhängigkeit von bzw. im Hintergrund der zentralen Gefahr, dass die KPČ erst das Präsidium und dann sich selbst abschaffen würde. Für Breschnew waren Dubčeks Erklärungen vom 13. August in dieser Hinsicht ein Offenbarungseid. Er fühlte sich nicht nur für seinen Protegé verantwortlich; ihm war klar, dass seine Tage als Generalsekretär gezählt sein würden, sollte seine Politik in Hinsicht auf die ČSSR versagen. Seinem außenpolitischen Berater Alexandrow-Agentow vertraute er an: „Wenn wir die Tschechoslowakei verlieren, werde ich vom Posten des Generalsekretärs zurücktreten.“138 So beschlossen das Politbüro am 17. August und die Fünfergruppe am 18. den Einmarsch.139 Sie glaubten, einen Nachfolger für Dubček gefunden zu haben: Am

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3. August hatte Biľak Schelest in Bratislava den später so genannten „Einladungsbrief “ überreicht, in dem elf Parteiführer hinter Dubčeks Rücken die Moskauer Genossen aufforderten, zur Rettung des Sozialismus der ČSSR zur Hilfe zu eilen.140 Doch als am 21. August die Panzer der Warschauer-Pakt-Staaten in Prag einrollten, weigerten sich die Unterzeichner des Briefes, das Präsidium zu übernehmen und eine „revolutionäre Regierung“ zu bilden.141 Biľak, der neuer Ministerratsvorsitzender hätte werden sollen, schrie: „Also so lyncht mich doch!“142 Und Svoboda, der alte Waffenbruder Breschnews, der als Präsident eine „revolutionäre Regierung“ hätte leiten sollen, weigerte sich und erklärte, wenn das Politbüro nicht mit Dubček verhandle, werde er sich erschießen.143 Die Lage war äußerst heikel. Eine politische Alternative stand nicht zur Verfügung, und die Situation der Soldaten in Prag war prekär, denn die Bevölkerung begegnete ihnen mit offener Feindseligkeit und weigerte sich, ihnen auch nur Wasser zur Verfügung zu stellen.144 Breschnew sah sich gezwungen, zu seiner alten Strategie zurückzukehren, nämlich Kader erst dann zu entfernen, wenn dies widerstandslos möglich war. Und so begann er, mit Alexander Dubček und fünf weiteren führenden Reformkommunisten, die er in die Ukraine hatte entführen lassen, in Moskau zu verhandeln.145 Für Breschnew war es ein Wechselbad der Gefühle: Das Politbüro, die Fünfergruppe und die ganze Welt schauten auf ihn. Er musste beweisen, dass er als Staatsmann und Außenpolitiker fähig war, in dieser verfahrenen Situation einen Ausweg zu finden, während er sich gleichzeitig persönlich von Dubček verraten fühlte. Zdeněk Mlynář berichtet: Breschnew war persönlich aufrichtig entrüstet darüber, daß Dubček sein Vertrauen enttäuscht hatte und nicht jeden seiner Schritte vom Kreml billigen ließ. „Ich habe dir geglaubt und habe dich gegenüber den anderen verteidigt“, hielt er Dubček vor. „Ich sagte, unser Sascha ist doch ein guter Genosse. Und du hast uns alle so furchtbar enttäuscht!“ Bei solchen Passagen klang Wehmut aus seiner brechenden Stimme, er stockte und unterdrückte ein Schluchzen. Er wirkte wie ein tief gebrochener Patriarch, der es tatsächlich für nur selbstverständlich und einzig richtig hält, daß seine Stellung als Familienoberhaupt bedingungslose Unterwerfung und Gehorsam aller anderen Familienmitglieder mit einschließt, da doch seine Meinung und sein Willen von Natur aus die höchste Autorität verkörpern und er es ja nur gut meint mit allen Familienmitgliedern.146

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Die Gegenseite war nicht weniger empört über ihre Entführung und das militärische Eingreifen. Auch Dubček ließ keine Möglichkeit aus, seine Missachtung auszudrücken: Alle Blicke richteten sich auf Dubček, den Breshnew, ohne ihn namentlich anzureden, angesprochen hatte. Jeder wartete, was dieser nun sagen würde. Der räusperte sich und sagte auf Slowakisch: „Genosse Biľak, frag’ sie, was sie eigentlich wollen.“ Dubček beherrschte die russische mindestens so gut wie seine Muttersprache. Ich zögerte einen Augenblick und wiederholte dann auf Russisch, was er geantwortet hatte. Breshnev atmete tief durch, aber wiederholte mit ruhiger Stimme Wort für Wort. Ich schaute Dubček an: „Hast Du das verstanden oder soll ich dir das ins Slowakische übersetzen?“147

Die äußerst angespannten Verhandlungen zogen sich vom 23. bis zum 26. August hin und fuhren sich schließlich fest, da jede Seite den Textentwurf des Gegenübers als inakzeptables „Ultimatum“ ablehnte.148 Während Ponomarjow den Tschechen drohte: „Wenn ihr nicht jetzt unterschreibt, werdet ihr in einer Woche unterschreiben. Wenn nicht in einer Woche, dann in zwei Wochen, und wenn nicht in zwei Wochen, dann in einem Monat“149, war Breschnew bewusst, dass sie die Lösung schnell brauchten. So griff er erneut zum bewährten Instrument der Redaktionskommission. Wenn sie sich auf keinen Textentwurf einigen konnten, dann würden sie eben einen Text gemeinsam schreiben. Also setzten sich beide Seiten zusammen und gingen Punkt für Punkt den Text nach bewährter Manier durch.150 Breschnew setzte sich mit diesem Verfahren sowohl gegenüber den anderen Politbüromitgliedern als auch gegenüber der ebenfalls in Moskau weilenden Fünfergruppe durch. Diese trat während der Verhandlungen nicht in Erscheinung, forderte aber größtenteils die gewaltsame Einsetzung einer Revolutionsregierung oder zumindest die sofortige Absetzung Dubčeks.151 Breschnew hatte richtig kalkuliert, dass die tschechoslowakische Vertretung den Konsens mittragen und das Protokoll unterschreiben würde, denn am Ende verwarfen alle bis auf František Kriegel den Gedanken, sich der Unterschrift zu verweigern, wie Mlynář erläutert: „Sie sahen ein, dass dies nur eine private Lösung sein würde und keine Lösung für die Probleme der politischen Situation, für deren Entstehen sie Mitverantwortung trugen, eine Verantwortung, der sie sich nicht entziehen konnten.“152

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Dubček blieb im Amt und kehrte triumphierend nach Prag zurück, aber das Präsidium der KPČ blieb am Gängelband des Moskauer Politbüros. Dies sorgte dafür, dass Dubček am 17. April 1969 schließlich zurücktrat und 1970 aus der Partei ausgeschlossen wurde.153 Damit hatte sich Breschnews Herrschaftsmittel der Konsensbildung mittels Redaktionskommission letztlich auch außenpolitisch bewährt. Doch es kostete Breschnew ein weiteres Jahr der intensiven Telefonate und Treffen und des politischen Drucks, um die „Prager Krise“, wie sie in Moskau hieß, zu überwinden. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Er hatte sich jedes Telefonat, jeden Brief, jeden Schritt vom Politbüro und nachträglich auch vom ZK-Plenum billigen lassen, um auf keinen Fall isoliert dazustehen.154 Und doch war es sein sehr spezifisches Debüt auf dem internationalen Parkett. Breschnews Mitarbeiter Alexandrow-Agentow kommentierte: „Breschnew löste dieses Problem damals auf seine Breschnew’sche Weise – nicht mit der Organisation eines ‚Putsches‘ oder der Niederschlagung der Volksbewegung, sondern mit einem vorsichtigen, geschickten Manövrieren über die Dauer eines Jahres hinweg, also bis zu dem Zeitpunkt, als die neue KPČ-Führung mit Gustav Husak ihre Position ausgebaut hatte.“155 Breschnew selbst war offenbar davon überzeugt, dass er das Richtige tat, als er Dubček von Husak ersetzen ließ: „Dubček erkennt nicht, dass er eine Marionette ist, die von den rechten Kräften für ihre Ziele benutzt wird. (…) Mehr als ein Jahr lang hat niemand erklärt, was ‚Sozialismus mit menschlichem Antlitz‘ sein soll (sie verkünden, das sei ein Geheimnis).“156

… foris pax oder Frieden mit dem Westen Die Intervention in Prag markiert eine wichtige Zäsur in Breschnews außenpolitischem Handeln. Breschnew hatte sich als ruhiger, besonnener, umsichtig agierender Führer der Fünfergruppe durchgesetzt. Er hatte gezeigt, wie mit minimaler Gewalt, aber maximalem politischem Druck ein Bruderstaat auf Linie gehalten werden konnte. Er machte von dieser Autorität Gebrauch, als er 1970 sowohl Walter Ulbricht zum Amtsverzicht überredete als auch den genauso ungeliebten Gomułka angesichts der Unruhen in Polen zum Rücktritt bewegte.157 Aber Breschnew konsolidierte nicht nur die Fünfergruppe mit seinem Stil des „guten Zuredens“. Als der Mann, der den Prager Frühling beendet hatte, trat er nun der westlichen Welt entgegen, die ihn damit endgültig als ernstzuneh-

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menden außenpolitischen Akteur und starken Gegner erkannte. Das verschaffte ihm den enormen Vorteil, dass er nicht wie sein Vorgänger Chruschtschow lange um Anerkennung im Ausland buhlen und Geringschätzung fürchten musste.158 Was im September 1968 die „Prawda“ und auf dem Oktober-Plenum Breschnew verkündete,159 galt fortan im Westen als „Breschnew-Doktrin“: Jetzt hat wohl jeder verstanden, dass die Worte der KPdSU und der Sowjetunion über die feste Entschlossenheit, das Herausfallen eines Gliedes aus der sozialistischen Gemeinschaft niemals zuzulassen, nicht nur eine rein propagandistische Deklaration sind. Dies ist der Ausdruck unserer realen politische Linie und unserer Bereitschaft, in einem kritischen Moment die ganze Macht des Sowjetstaates zur Verteidigung der Interessen des Sozialismus und des Fortschritts aufzuwenden.160

Breschnew selbst diktierte seinem Mitarbeiter Tschernjajew als Grundgedanken für seine Rede auf dem April-Plenum 1973: „Hätte es die Tschechoslowakei nicht gegeben – hätte es weder Brandt in Deutschland noch Nixon in Moskau noch die Entspannung gegeben.“161 Er schuf sich nach innen und außen den Respekt, der ihm ein einigermaßen unabhängiges Agieren erlaubte.162 So begann die Zeit von Breschnews höchster außenpolitischer Aktivität – und gleichzeitig auch seine Tablettensucht. Diese sollte ab Mitte der 1970er Jahre seine Gesundheit ruinieren und seine Außenpolitik zum Erliegen bringen. Er hatte während der aufreibenden langen Auseinandersetzung mit Dubček damit angefangen, verstärkt Tabletten zu nehmen, um nachts Ruhe zu finden. Schon seit Stalins Zeiten hatte ihn die Schlaflosigkeit geplagt, nun, im August 1968, erhöhte er die Schlafmitteldosis – was in eine richtiggehende Tablettensucht führte.163 Sowohl sein Leibwächter Rjabenko als auch Schelest berichten, dass Breschnew während der Verhandlungen in Čierna einmal das Bewusstsein verlor. Die Ärzte stellten eine Überdosis Sedativa fest; eine Diagnose, die sich später noch oft wiederholen sollte.164 Angst

Breschnew selbst hat keine Gelegenheit ausgelassen zu betonen, dass seine Bemühungen um Frieden, Entspannung und Abrüstung ganz aus seiner Erfahrung im Zweiten Weltkrieg erwuchsen.165 Wie bei Chruschtschow hatte das Grauen des Zweiten Weltkriegs bei ihm solch tiefe Spuren hinterlassen, dass er einen weite-

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ren Krieg um jeden Preis verhindern wollte. Neben seinem ersten großen Ziel, der Bevölkerung einen besseren Lebensstandard zu sichern, war sein zweites großes Ziel, ihr die Angst vor einem neuen Krieg zu nehmen.166 In seinem Notizbuch hielt Breschnew 1965 fest: „Internationale Politik – ihre Grundlage ist die Politik der friedlichen Koexistenz, der Kampf für den Frieden.“167 Er wurde nicht müde, dies immer wieder öffentlich zu erklären. „Die Partei hat alles darangesetzt, dem sowjetischen Volk ein Arbeiten in Frieden zu ermöglichen, sie hat sich aktiv für den Erhalt des Friedens in der ganzen Welt eingesetzt,“168 verkündete er auf seinem ersten Parteitag 1966. 1971 erklärte er auf dem März-Plenum: „Unser Volk lebt bereits mehr als 25 Jahre unter Friedensbedingungen. Darin sehen wir die größte Errungenschaft der Außenpolitik unserer Partei. Schon ein Vierteljahrhundert ist die Menschheit vom Weltkrieg verschont geblieben.“169 In seiner Sprichwortliste hatte Breschnew von Guy de Maupassant angekreuzt: „Jeder, der an der Spitze eines Staates steht, ist genauso verpflichtet, einen Krieg zu vermeiden, wie ein Kapitän den Schiffsuntergang vermeidet.“170 Dass Breschnew sich ständig auf den Krieg bezog und damit den Frieden beschwor, bestätigen alle Staatsmänner, die mit ihm zu tun hatten. Er selbst sagte: „Ich bemühe mich, meine Emotionen im Hintergrund zu lassen, auch wenn es mir – ehrlich gesagt – nicht leicht fällt.“171 Willy Brandt fand allerdings die zur Schau gestellte Emotionalität befremdlich: Was ich Breschnew nicht abgenommen habe, waren seine Reminiszenzen an den Tag des Überfalls im Juni 1941, die er auftischte: (…) Als Sekretär des Gebietskomitees von Dnepropetrowsk sei ihm am ersten Kriegstag die Aufgabe zugefallen, die Transporte zu stoppen, die nach Deutschland rollen sollten. (…) Daran schlossen sich Fronterinnerungen an, mit melodramatischen Appellen an die „Kameraden von gegenüber“. Mich hat diese Art, Rührseligkeit zu mobilisieren, weniger beeindruckt als erschreckt.172

Doch musste Brandt einräumen, dass Breschnew Tränen in den Augen standen, als er, Brandt, in seiner Tischrede 1973 in Bonn aus einem Brief vorlas, den ein nicht zurückgekehrter deutscher Soldat nach dem Einfall in die Sowjetunion an seine Eltern geschrieben hatte.173 Breschnews Friedenswillen stellte Brandt allerdings zu keinem Zeitpunkt in Frage.174 „Er zittert, wo es um den Weltfrieden geht.“175 Mit Helmut Schmidt, der selbst am Russlandfeldzug teilgenommen hatte, fand Breschnew schnell eine Verständigung auf dieser Ebene: Breschnew hat-

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te Tränen in den Augen, als er bei seinem ersten Bonnbesuch 1973 Schmidt traf und beide feststellten, sie hätten im Krieg aufeinander schießen können.176 1974 erklärte er Schmidt, die „emotionelle Seite“ seiner Ausführungen habe einen natürlichen Grund: „Ein großer Teil des Territoriums der UdSSR sei im Kriege zerstört worden. Millionen Menschen hätten ihr Leben verloren, Millionen standen unter fast unmenschlichen Bedingungen im Hinterland. (…) Er, Breschnew, habe zu viel im Krieg gesehen. Deshalb berühre ihn dieses Problem emotional.“177 Schmidt urteilte später: „Wahrscheinlich hat jener Austausch bitterer Kriegserinnerungen wesentlich zu dem gegenseitigen Respekt beigetragen, der unser Verhältnis (…) gekennzeichnet hat.“178 Er hielt fest: „Ich zweifelte nicht an Breschnews Sorge über die Möglichkeit eines Krieges; seine Friedensliebe war unverkennbar.“179 Dies war auch der Eindruck, der sich US-Präsident Gerald Ford einprägte, als er 1974 im Auto mit Breschnew durch Wladiwostok fuhr: „Und dann geschah etwas sehr Seltsames. Breschnew ergriff meine linke Hand mit seiner rechten. Er begann mir zu erzählen, wie sehr sein Volk im Zweiten Weltkrieg gelitten hatte. ‚Ich möchte das meinem Volk nicht noch einmal antun‘, sagte er.“180 Ford war überzeugt: „Breschnew wollte in die Geschichte als Friedensstifter eingehen.“181 Er stimmte darin mit dem französischen Präsidenten Georges Pompidou überein, der äußerte: „Ich glaube aufrichtig, dass die Sowjetunion den F ­ rieden will und dass sie ihn braucht.“182 Westkurs

Breschnew brauchte für seinen Westkurs Verbündete. Da er Außenminister Gromyko keine neue Politik diktieren konnte und dieser sein Außenamt hermetisch gegen alle, die nicht aus seiner Kaderschmiede stammten, abschirmte, musste ein Weg gefunden werden, das Außenamt und den Ministerratspräsidenten Kossygin zu umgehen. Hier fand Breschnew unerwartet einen Verbündeten in Andropow. Dieser hatte sich gleich nach Chruschtschows Absetzung für eine erneute Annäherung an die USA ausgesprochen, war damit jedoch bei Schelepin und Kossygin auf Ablehnung gestoßen.183 Andropow entschied sich deshalb dafür, auf Breschnew zu setzen, und da er absolut loyal war und Breschnew Verbündete brauchte, begannen sie gemeinsam, am Außenamt vorbei eine neue, nach Westen ausgerichtete Außenpolitik zu entwerfen.184 Sie waren sich darin einig, dass das Außenamt „nicht die nötige Meinungsbreite, Weitsicht und das nötige

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Verantwortungsbewusstsein“ zeigte.185 So wurde aus den beiden ein Tandem. Sie rekrutierten aus den ZK-Abteilungen für Internationales, geleitet von Boris Ponomarjow, und für die Zusammenarbeit mit den Bruderstaaten, bis 1967 geleitet von Andropow selbst, einen Beraterstab und brachten ihn gegen das Außenamt und Gromyko in Stellung.186 Die Berater verkörperten eine liberale und westlich orientierte Haltung und verstanden sich teils als echte „Sechziger“, die auf keinen Fall zu Stalins Zeiten zurückkehren wollten.187 In ihrer Interessengemeinschaft mit ihm begriffen sie schnell, dass es Breschnew einzig und allein um den Frieden ging: „Die grundlegende Idee von Breschnews Leben war die Idee des Friedens. Damit möchte er der Menschheit in Erinnerung bleiben. In der praktischen Politik gibt er den realen Dingen in diesem Gebiet jeden Vorzug vor irgendeiner Ideologie.“188 Breschnew machte sich die Kompetenz von Andropows Klientel zunutze. Sie unterbreiteten ihm Strategien, legten ihm Analysen vor und schrieben für ihn Reden.189 Zu diesem „Think-Tank“ gehörten aus dem ZK-Apparat Alexander Bowin, Anatoli Blatow, Nikolai Schischlin und Wadim Sagladin. Breschnew zog aber auch den Leiter des Instituts für USA- und Kanada-Studien, Georgi Arbatow, sowie den Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen, Nikolai Inosemtzew, hinzu, über dessen liberale Mitarbeiter er seine schützende Hand hielt.190 Aus seiner Unsicherheit und Unerfahrenheit im Umgang mit westlichen Staatsoberhäuptern machte er gegenüber den Spezialisten keinen Hehl und er fragte sie ungeniert um Rat.191 Sein Beraterstab schätzte an Breschnew, dass er, auch wenn er anderer Meinung war, zuhörte und sich Dinge sagen ließ, dass er fragte und offen für Neues war. Immer wieder forderte Breschnew seinen Think-Tank auf: „Stellt euch vor, ihr seid die Mitglieder des Politbüros, streitet euch – und ich höre zu.“192 Als Bowin es im August 1968 wagte, Breschnew zu erklären, warum ein Einmarsch in die ČSSR für die Sowjetunion nicht ratsam sei, hörte der ihn an und sagte dann ruhig, das Politbüro habe schon entschieden, Bowin aber habe das Recht zu denken, was er wolle: „Entweder geh, tritt aus der Partei aus oder erfülle den getroffenen Beschluss. So sieht es das Statut vor. Entscheide dich. Entschuldige jetzt, ich habe zu tun.“193 Die jungen, dem Westen zugewandten Männer waren enttäuscht bis entsetzt über Breschnews Entschluss, in Prag zu intervenieren.194 Sie hatten große Hoffnungen in ihn gesetzt, als er verkündet hatte, ihm sei der „Ton“ seiner Außenpolitik sehr wichtig: „Nur im eigenen Namen sprechen, nicht für das gesamte sozialistische System Rechenschaft ablegen. Sich nicht in die inneren Angele-

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genheiten der Bruderstaaten einmischen. Nichts in ihrer Entwicklung kritisieren. Sich über China sehr zurückhaltend äußern, Geduld zeigen.“195 Ohne Prag, so waren sie sich einig, wäre Breschnew zu viel weitreichenderen Schritten bereit gewesen. Er hätte mehr Experimentierfreude gezeigt und weniger Angst vor dem Unmut der Hardliner gehabt, glaubten sie.196 So trieb ihn nicht nur die Angst vor einem neuen Krieg, sondern auch die Furcht, zu viel Öffnung könnte die Bevölkerung zu neuen Rufen nach mehr Rechten verführen und die Orthodoxen im Politbüro dazu verleiten, ihm die Gefolgschaft zu verweigern. Und doch verschaffte die Intervention Breschnew das Standing, das er brauchte, um den von ihm angestrebten Friedensprozess und die von seinem ThinkTank ausgearbeitete Westannäherung durchzuführen. Zwei Prozesse stießen Breschnew und sein Team an: 1969 konnten sie Verhandlungen über eine Begrenzung von strategischen Atomwaffen, die sogenannten Strategic Arms Limitation Talks, kurz SALT I und SALT II genannt, beginnen; 1972 konnte Breschnew in Moskau mit Richard Nixon und 1979 in Wien mit Jimmy Carter die entsprechenden Verträge unterschreiben. Außerdem kam es – parallel zu den Moskauer SALT-I-Verträgen – mit dem Westen zu weitreichenden Wirtschaftsabkommen sowie Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in Wissenschaft, Technik und auch Weltraum. Breschnew verkaufte die Annäherung an den Westen und die Begrenzung der Rüstung dem ZK als großen Gewinn für die Sowjetunion. Zum einen handele man von einer Position der Stärke aus, da die Sowjetunion den USA in allen Waffengattungen überlegen sei;197 zum anderen profitiere die Bevölkerung davon, weil durch Einsparungen bei der Rüstung mehr Mittel für die Konsumgüterproduktion bereitständen.198 An der Art, wie Breschnew am 19. Mai 1972, drei Tage vor dem Beginn des Gipfels mit Nixon, das ZK-Plenum beschwor, eine Verschlechterung der Beziehungen mit den USA würde nur der Sowjetunion schaden und eine Rüstungsbeschränkung sei kein Zeichen der Schwäche, sondern eines der Stärke, wird deutlich, unter welchem Rechtfertigungsdruck sein Westkurs stand.199 Mit deftigen Worten suchte Breschnew zu beweisen, dass er keineswegs zu konziliant gegenüber den Amerikanern war: „Wenn man sich mit dem Teufel zum Essen setzt, braucht man einen langen Löffel. (…) Stärke – das ist genau die Sprache, die die amerikanischen Imperialisten am besten ver­ stehen.“200 Gleichzeitig erklärte Breschnew, dass er die NATO schwächen wollte: Frankreich und andere Länder, die in der NATO unabhängig agierten, sollten in diesem Kurs unterstützt werden.201

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Dies war womöglich nicht nur eine Floskel, um die orthodoxen Kommunisten zu beruhigen, sondern entsprach Breschnews eigenem Denken, dass die NATO als Struktur aggressiv und gefährlich sei. Um ihren Einfluss auf Europa zu mindern und einen echten Friedensprozess anzustrengen, griff er eine Idee des Außenministers Wjatscheslaw Molotow aus dem Jahr 1954 auf, mit allen europäischen Staaten einen Nichtangriffspakt zu vereinbaren. Dies war der zweite Prozess, den Breschnew anstieß. Der Gedanke einer „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)“ stammte also aus der Sowjetunion. Allerdings wurde er lange Zeit vom Westen – auch angesichts der Berlin- und der Kubakrise – als Propaganda abgetan. Seit 1965 trieb Breschnew ihn mit Nachdruck voran.202 Während Kossygin 1966 erste bilaterale Verständigungen mit dem britischen Premier Harold Wilson und dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle unterschrieb, sorgte Breschnews Think-Tank dafür, dass überall in Europa Komitees für Sicherheit und Zusammenarbeit gegründet wurden, die Foren und Kongresse organisierten, auf denen die gesamteuropäische Friedensidee propagiert wurde.203 Nachdem sich 1968 auch die NATO für einen solchen europäischen Dialog ausgesprochen hatte, begannen 1969 die Vorbereitungen zu den Beratungen, die im November 1972 endlich starteten und am 1. August 1975 in Helsinki zur Unterschrift der Helsinki-Schlussakte führten, in der die Unantastbarkeit der Grenzen in Europa, eine umfassende Kooperation und die Einhaltung der Menschenrechte festgeschrieben wurden. Breschnew verfolgte mit diesem Projekt nicht weniger, als den Zweiten Weltkrieg symbolisch mit einem internationalen Friedensvertrag zu beenden und eine neue Form der Zusammenarbeit in Europa zu etablieren. Es war ganz offenbar sein ehrlicher – wenn auch nicht uneitler – Wunsch, in die Geschichte als Europas großer Friedensstifter und Brückenbauer einzugehen: „Wir denken uns [dieses Zusammentreffen] nicht als einmaligen Akt, sondern als bedeutenden Anfang einer Serie von weiteren Schritten, die darauf zielen, dass in Europa wirklich Frieden herrsche, dass gewährleistet wird, dass jedes Volk das Recht auf seine freie und unabhängige Entwicklung hat. Das Erreichen dieser Ziele, so scheint uns, wird von historischer Bedeutung sein.“204 Den französischen Präsidenten Georges Pompidou erreichte im August 1970 ein Schreiben aus Moskau: 25 Jahre nach der Konferenz von Potsdam 1945, auf der die europäische Nachkriegsordnung festgelegt worden war, sei es Zeit, der Sicherheit in Europa ein neues Fundament zu geben.205 Pompidou verkniff sich, in seiner Antwort darauf hinzuweisen, dass die Franzosen im August 1945 in Potsdam gar nicht dabei gewesen waren, und

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antwortete: „Ich teile Ihre Überzeugung, dass eine breite internationale Zusammenarbeit und eine gegenseitige Verständigung zwischen den Staaten nur den Interessen des Friedens in der Welt dienen kann.“206 Vertrauen

Doch es war ein langer Weg, bis Breschnew dem ZK im November 1971 verkünden konnte, Willy Brandt und Georges Pompidou hätten dem Friedensprozess zugestimmt.207 Das Vertrauen, dass seine Friedensbemühungen ernst gemeint waren und nicht bloß der Propaganda dienten, dass er wirklich an einer Rüstungsbegrenzung interessiert war und dafür über die eigenen Waffenarsenale ehrlich Auskunft gab, musste erst mühsam aufgebaut und erkämpft werden. Die Voraussetzungen waren dafür denkbar ungünstig, denn im Kalten Krieg waren die politischen Systeme, ihre Ideologien, die jeweils in den Medien verbreiteten Diskurse sowie die dazugehörigen Verteidigungsbündnisse systematisch darauf ausgerichtet, stets die bösartige Absicht des Gegners zu finden und bloßzustellen. Misstrauen war Basis und Fluchtpunkt aller Interaktionen; wer vertraute, galt als dumm und naiv. Breschnew war durchaus bewusst, dass es lange dauern würde, bis niemand mehr von der „angeblichen Aggressivität der Sowjetunion“ und der „kommunistischen Gefahr aus dem Osten“ sprechen würde.208 Er selbst musste für diesen Zeichenwechsel sorgen und sich als neue, positive Projektionsfläche anbieten. Er musste erreichen, dass der Russische Bär nicht mehr als der aggressive „Problembär“ aus dem Osten, sondern allenfalls als gutmütiger, gezähmter, zu freundschaftlichen Umarmungen neigender Bär wahrgenommen wurde. Wenn es stimmt, dass Staatsmänner normalerweise als pars pro toto ihr Land repräsentieren, dann bestand hier die Kunst darin, sich gerade nicht als Repräsentant eines gegnerischen Systems zu zeigen, sondern mit der eigenen Person von den politischen Gegensätzen abzulenken. Breschnew arbeitete aktiv darauf hin, dass er nicht als oberster Kommunist, sondern möglichst als Staatsmann nach westlichem Modell, mindestens aber als „einfacher Mann“ aus Fleisch und Blut wahrgenommen wurde. Insofern gab es eine dreifache Disposition Breschnews dafür, einen persönlichen Zugang zu den Staatsmännern im Westen zu suchen. Erstens war das seit Stalin Tradition und Molotow hatte es Breschnew geraten;209 zweitens musste er die Regierung, vor allem Kossygin und Gromyko, umgehen;210 und schließlich konnte er nur persönlich die vielen Schichten des

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Misstrauens durchdringen und sich als Gesprächspartner „westlichen Typs“ anbieten. Das war eine sehr diffizile Aufgabe, die viel Fingerspitzengefühl, Taktieren und gute Berater erforderte. Breschnew vertraute später Helmut Schmidt an, „unter schwierigen Bedingungen wachse die Rolle der Staatsmänner“.211 Was Breschnew 1969 begann, war daher durchaus eine Seltenheit in der Außenpolitik: Er richtete sowohl mit Nixon als auch mit Brandt einen „geheimen Kanal“ ein, der die Staatsmänner beider Seiten, jeweils unter Ausschluss von Regierung und Außenamt, nur über wenige Vertraute miteinander verband. Auch dem französischen Präsidenten Pompidou schlug er einen solchen Kanal des privaten Austausches über wenige, ausgewählte Vertrauensleute vor. Aber die Beziehungen zwischen Frankreich und der Sowjetunion waren seit dem Besuch Charles de Gaulles im Jahr 1966, als dieser u.a. ein Abkommen zwischen den Autoherstellern Renault und Moskwitsch unterschrieben hatte,212 bereits so eng und freundschaftlich, dass Pompidou meinte, sie bräuchten keine feste Vereinbarung. Sie würden immer persönliche Vertraute finden, über die sie sich direkt verständigen könnten, ohne Indiskretionen zu riskieren.213 Eben zu diesem Zwecke tauschte Breschnew 1971 den wenig zugänglichen Botschafter in Paris, Walerian Sorin, gegen Pjotr Abrassimow aus, den Pompidou sogleich sympathisch fand, wie er Breschnew anvertraute.214 Nicht nur ging Abrassimow bald im ÉlyséePalast bei Pompidou ein und aus, um ihn über Breschnews außenpolitische Aktivitäten zu unterrichten.215 Auch Breschnew empfing seinerseits Pompidous Berater, den Chef des Präsidialamts, Michel Jobert – sogar privat auf der Krim –, um sich ungestört über die Weltpolitik austauschen zu können.216 Schwieriger war es mit dem Vertrauensaufbau in Westdeutschland und den USA. Bezeichnend ist, dass beide Seiten fast zeitgleich den Versuch unternahmen, direkten Kontakt zueinander herzustellen, um die „Mauer des Misstrauens“ zu durchbrechen, wie Andropow sagte.217 Während Andropow seinem Mitarbeiter Wjatschelaw Keworkow den Auftrag erteilte, einen direkten Kanal zwischen den Führern der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland zu etablieren, schrieb Willy Brandt am 19. November 1969, nur einen Monat, nachdem er Kanzler geworden war, an Kossygin, er sei zu einem Austausch von Erwägungen bereit, der aber „vertraulich“ sein müsse: Dabei gefällt mir das Bild, das Ihr Außenminister gegenüber meinem Freund Helmut Schmidt bei dessen Moskau-Besuch im Sommer benutzt hat: Man muß den Berg von beiden Seiten anbohren, wenn man einen Tunnel graben will, und man muß sicher

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sein, daß sich die beiden Stollen dann auch treffen. Die Politik meiner Regierung wird den ernsten Versuch unternehmen, die Berge des Mißtrauens abzubauen und den Frieden sicherer zu machen.218

Mit einer Kopie dieses Briefes als Erkennungszeichen wurde der „Journalist“ Waleri Lednjow an Heiligabend 1969 bei Egon Bahr vorstellig, der den lästigen Gast am liebsten wieder rausgeworfen hätte, bis er den Brief sah. Lednjow sprach immer nur von seinen „Freunden“. Bei diesen handelte es sich, wie Bahr erst später verstand, um Breschnew und nicht um Kossygin; noch viel später verstand Bahr dann, dass Lednjow vom KGB geführt wurde.219 Der Emissär teilte mit: „Die sowjetische Seite sei bereit zu einem vertraulichen Meinungsaustausch, von dem man verbindlich zusagen könne, daß weder seine Tatsache noch sein Inhalt jemals, gleich unter welchen Umständen, veröffentlicht würde.“220 Der so etablierte „Kanal“ funktionierte einerseits per Post: Keworkow gab dem in Moskau tätigen Journalisten Heinz Lathe kryptische Briefe, die dieser an den Chefredakteur der „Frankfurter Neuen Presse“, Robert Schmelzer, schickte, der sie Bahr weiterreichte. Ab 1971 liefen die Botschaften auch über den neuen Botschafter in Bonn, Walentin Falin, der direkt an Alexandrow-Agentow berichtete.221 Andererseits traf man sich sehr oft auch in der Dienstvilla des Bundeskanzlers in Westberlin-Dahlem. Hier empfing Bahr Lednjow, der für Westberlin kein Visum brauchte. Der Kanal entwickelte eine unglaubliche Dynamik und ermöglichte auf der Basis von „Vorschussvertrauen“ Dinge, die auf regulärem Wege kaum möglich gewesen wären. Innerhalb eines halben Jahres verhandelte Bahr ohne Wissen der Öffentlichkeit und unter Ausschluss der Regierungsbürokratien über den Moskauer Vertrag über Gewaltverzicht und Anerkennung der deutschen Grenzen, inklusive der DDR und der Oder-Neiße-Linie. Wie wichtig die Vertraulichkeit war, wurde deutlich, als Mitte Juni 1970 die Zeitschrift „Quick“ Inhalte des Vertrags veröffentlichte und damit den Aufschrei verursachte, hier würden deutsche Interessen verraten.222 Der Kanal zeigte nicht nur, dass zu viele Instanzen das Vertrauen wieder zerstören konnten; er gab auch beiden Seiten die Möglichkeit, offen darüber zu sprechen, wer oder was den Austausch störte. Als im Juli 1970 zu den letzten Vertragsvorbereitungen endlich offiziell Bundesaußenminister Walter Scheel in Moskau eintraf, fand dieser keinen Draht zu Gromyko. Bahr meldete an Brandt:

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Unser Minister hat leider keinen Kontakt zu seinem Partner gefunden. Dies bedeutet, daß er auf Argumente Gromykos nicht antwortet, woraus dieser, wie es international üblich ist, auf Zustimmung schließt. Das brachte am Dienstag die erste Schwierigkeit, wo es erst darum ging, festzustellen: Wer lügt? Scheel war ehrlich, Gromyko auch. Aber Scheel hat nicht gemerkt, was los war. (…) [Staatssekretär] Frank und ich schwankten zuweilen zwischen Entsetzen und Verzweiflung bis zur Überlegung, ob er nicht, wie auch immer, aus den Verhandlungen zu ziehen sei.223

Über den „Draht“ konnte diese Missstimmung beigelegt werden.224 Mittels Kanal verständigten sich Brandt und Breschnew auch über ihre Botschafter, so wie Breschnew mit Pompidou. Auf Hinweis des Kanals, dass der deutsche Botschafter in Moskau, Helmuth Allardt, weder Russisch spreche noch für die Verhandlungen geeignet sei, entsandte Bonn an seiner statt Botschafter Ulrich Sahm, über den Lednjow aber bald aus Moskau berichtete, dieser stehe der CDU/CSU zu nah.225 Lednjow teilte seinerseits im November 1970 mit, dass Moskau mit Walentin Falin einen Deutschlandexperten nach Bonn schicken werde, während man für Ostberlin einen Parteisekretär aus Tula vorgesehen habe, der von der Deutschlandpolitik keine Ahnung habe und daher nicht stören werde.226 Nicht nur damit gab Breschnew Brandt unmissverständlich zu verstehen, dass die Bundesrepublik Deutschland ab sofort Vorrang vor der DDR habe, die sich an die neue Prioritätensetzung gewöhnen müsse.227 Über den Kanal unterrichtete Breschnew Brandt, was Ulbricht und später Honecker in Ostberlin trieben und wie dies einzuschätzen sei. Ende März 1970 ließ Breschnew über Lednjow Brandt Folgendes ausrichten: Ulbricht tue alles, um einen Ausgleich zwischen Moskau und Bonn zu verhindern. Dass es beim Besuch Brandts in Erfurt zu Ovationen gekommen sei, könne durchaus die Tat von Stasi-Provokateuren gewesen sein; jedenfalls nutze Ulbricht es jetzt als Argument gegen Bonn. Um die Lage zu beruhigen, schlug Breschnew vor: Wenn DDR-Ministerratspräsident Willi Stoph nach Kassel komme, wäre es gut, wenn „gewisse Elemente“ dort Gelegenheit zur Gegendemonstration hätten.228 Schließlich gewährte Breschnew über den Kanal sogar Einblicke in die internen Strukturen des Politbüros, die damals dem Westen noch ein „Buch mit sieben Siegeln“ waren. Über Lednjow erfuhr Bahr, dass Podgorny ein Gegner sei und es Spannungen zwischen Breschnew und Kossygin gebe.229 Ende April 1970 meldete Moskau:

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Die politischen Vorentscheidungen sind gefallen, die zu einer Verstärkung der Position Breschnews geführt haben. Neben den bekannten Umbesetzungen kann mit einer Reihe weiterer Personalveränderungen an der Spitze gerechnet wenden. Dies soll sich in mindestens zwei Etappen im Frühsommer und im Spätherbst im Zusammenhang mit dem Parteitag im November in zivilen Formen unter dem Gesichtspunkt der Verjüngung abspielen. Es wäre damit zu rechnen, daß davon u.a. Podgorny, Kossygin, Suslow und (insofern herausfallend) Schelepin betroffen werden.230

Das war nach dem Machtkampf zwischen Breschnew und Suslow, den Breschnew gewonnen hatte, indem er das Frühjahrsplenum auf den Juli verschoben hatte und zu Manövern gereist war. Allerdings relativierte im November 1970 Lednjow: Breschnew scheint jedoch im Sommer auf einem starken weiteren Sprung in die Vorrangstellung gestoppt worden zu sein. Dennoch gilt seine Stellung mit Blick auf den Kongreß als stark. Man rechnet nicht mit Veränderungen innerhalb der Troika. Ein Ausscheiden Suslows und Pelsches aus Alters- und Gesundheitsgründen, aber in aller Ehre, gilt als wahrscheinlich.231

Wie bekannt ist, kam es nicht zu deren Ausschluss aus dem Politbüro, sondern lediglich zu einer Erweiterung des Politbüros um immerhin vier BreschnewKlienten. Die Weitergabe solcher Interna war daher hochbrisant und ein besonderer Vertrauensbeweis. Entsprechend urteilte Bahr über den Kanal: Im Laufe der Jahre stellte ich fest, daß ich Einschätzungen und Informationen bekam, die sich bestätigten, daß Veränderungen bei Personen und Positionen „einsehbar“ und verständlich wurden, meine Fragen beantwortet wurden, soweit meine Partner das konnten oder durften oder wollten, aber jedenfalls niemals eine Täuschung versucht wurde. So wuchs aus einem zarten und empfindsamen Pflänzchen langsam Vertrauen in menschliche Verläßlichkeit und freundschaftliche Bindungen.232

Tête-à-Tête

Der „Kanal“ war allerdings nur der erste Schritt Breschnews, um Brandts Vertrauen zu gewinnen und sich als offenen Gesprächspartner anzubieten. Im Sommer 1970 hatte er die Machtprobe im Politbüro zwar gewonnen, aber noch kein

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Mandat, Außenpolitik zu betreiben. Den Moskauer Vertrag zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland sollten am 12.  August 1970 ursprünglich nur die Außenminister unterzeichnen. Doch konnte Breschnew in letzter Minute durchsetzen, dass, nur fünf Tage vor Unterschrift, auch Brandt eine Einladung nach Moskau erhielt.233 Breschnew stand es als Parteichef zwar weder zu, Brandt vom Flughafen abzuholen, noch seine Unterschrift auf den Vertrag zu setzen. Aber er wohnte der Zeremonie gleichsam als Schirmherr bei, stand auf dem Foto hinter den unterschreibenden Brandt und Kossygin und hatte endlich die Möglichkeit, den Bundeskanzler persönlich kennenzulernen. Bei einem vierstündigen Gespräch erläuterte Breschnew diesem nicht nur, wie das Politbüro arbeitete, sondern warb auch für einen offenen, „undiplomatischen“ Austausch. Indem er Brandt ausführlich über Sitzungsdauer, Sitzungsvorbereitung und Sitzungsablauf des Politbüros berichtete, demonstrierte er Transparenz und machte klar, dass die Vorgänge im Kreml keineswegs „Hexerei“ waren, sondern sich von westlichen Kabinettssitzungen im Grunde nicht unterschieden. Damit inszenierte er sich als „normalen“ Politiker, der nicht von Ideologie und Revolutionswillen getrieben war, sondern sachorientierte Entscheidungen traf. Breschnew sprach es zwar nicht aus, aber er warb damit darum, nicht als Kommunist, sondern als Realpolitiker wahrgenommen zu werden, der genauso unter Sachzwängen stand wie Brandt auch. Offen sprach er aus, dass er wünschte, nicht auf der formalen Ebene der Diplomatie mit Brandt zu konferieren: Was die Art, wie wir unser Gespräch führen wollen, angeht, schlage ich vor, daß wir hierbei nicht – wie man sagt – diplomatisch vorgehen. Hier würde ich ja nur den Kürzeren ziehen. Aber wenn wir als Vertreter unserer Parteien und unserer Staaten sprechen, wenn wir im vollen Bewußtsein unserer Aufgabe sprechen, so glaube ich, wird unser Gespräch offen, interessant und nützlich sein.234

Auch in späteren Jahren betonte Breschnew: „Die Sprache der westlichen Diplomatie werde auf seiner Seite nicht gesprochen. Im Westen sei es immer schwierig, den Äußerungen zu entnehmen, was eigentlich gemeint sei.“235 Im Gegensatz zu Chruschtschow wollte er mit derartigen Äußerungen nicht provozieren oder sein Gegenüber brüskieren, sondern verstand sie als Werbungen für einen unverstellten Austausch. Breschnew unterstrich, dass die persönliche Begegnung durch nichts zu ersetzen sei und nur auf dieser Basis die gemeinsamen Probleme gelöst werden könnten. Einen Vorgeschmack davon gab er, als er erklärte:

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„Da ich annehme, daß ein Teil unserer Unterhaltung veröffentlicht wird, muß ich offiziell den alten Standpunkt in der Berlin-Frage beibehalten. Inoffiziell möchte ich jedoch betonen, daß eine annehmbare Lösung möglich ist.“236 Wie ihre Mitarbeiter und Vertrauten bemerkten, waren sich die beiden sofort sympathisch, auch wenn Brandt der zweistündige, in weiten Teilen abgelesene Vortrag Breschnews ermüdete und er das lange Referieren über das Funktionieren der Führung auf dessen Unsicherheit im Umgang mit einem westlichen Gesprächspartner schob.237 Aber er war von Breschnews undogmatischer Haltung angenehm überrascht.238 Brandt schreibt: „Solange ihn seine angeschlagene Gesundheit nicht sichtbar quälte, wirkte der untersetzte Breschnew, wenn er nicht gerade ablas, lebhaft bis quirlig. Witze zu hören und zu erzählen machte ihm ungeheuren Spaß.“239 Bahr war Breschnews Zuneigung zu Brandt ein Rätsel,240 aber für Brandt sprach, dass er im Krieg im Exil gelebt hatte.241 Außerdem waren beide sichtbar „Lebemänner“: Beide rauchten permanent, liebten die Gesellschaft und hatten eine Schwäche für Frauen. Nach ihrem ersten Zusammentreffen befanden ihre Berater, es sei „psychologisch günstig (…), wenn beide Herren das Gefühl behalten, sich noch etwas zu sagen zu haben“.242 Alexandrow-Agentow, Lednjow und Keworkow frohlockten gegenüber Bahr: „Wenn eine Vertrauensbasis zwischen den beiden Männern entwickelt worden sei, werde vieles in Europa möglich werden.“243 Breschnew und Brandt vereinbarten, den „geheimen Kanal“ weiter für den direkten vertrauensvollen Austausch zu nutzen und sich künftig einmal im Jahr zu treffen.244 Andropow resümierte später: „Fünf bis sieben solcher Kanäle zu den Chefs der führenden Staaten und wir hätten die brennendsten Probleme der Welt in einem Jahr gelöst.“245 Die neuen „Großen Vier“

Breschnew war fest entschlossen, Europa eine neue Friedensordnung zu geben, und glaubte, das zusammen mit Brandt und Pompidou für Europa und Nixon für die USA auf der Basis persönlichen Vertrauens erreichen zu können.246 Wie einst Stalin, Churchill, de Gaulle und Roosevelt als „Große Vier“ die Nachkriegsordnung Europas besiegelt und den Kalten Krieg begonnen hatten, würden sie als neue „Große Vier“ ein neues Kapitel in Europas Geschichte aufschlagen und den Kalten Krieg beenden.247 Kaum war Brandt im August abgereist, kam zwei Monate später, am 6. Oktober 1970, Georges Pompidou für eine ganze Woche in die Sowjetunion, um dort,

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wie einst de Gaulle, Sibirien, Kasachstan und sogar die Raketenabschussbasis Baikonur zu besuchen. Anders als bei Brandt, den offiziell Kossygin eingeladen hatte, war es Breschnew bei Pompidou geglückt, selbst die Einladung auszusprechen und ihn tatsächlich unter Umgehung von Kossygin, Gromyko und Podgorny offiziell im Kreml zu begrüßen.248 Während Breschnew wiederholt mehr Gesprächszeit verlangte und unumwunden erklärte: „Wir haben keine Geheimnisse vor Ihnen“,249 bremsten ihn seine Rivalen: „Wir haben nicht viel zu sagen.“250 Erst am Ende von Pompidous Besuch, am 13. Oktober, gelang es Breschnew, ein Tête-à-Tête mit dem Gast zu arrangieren, um endlich frei reden zu können. Pompidou muss Breschnew aus der Seele gesprochen haben, als er sagte: Wir haben ein Protokoll über unsere Konsultationen unterschrieben. Ich nehme das sehr ernst. Das bedeutet, dass wir über alle Bereiche der französischen Politik regelmäßig und sehr frei Informationen austauschen werden. Sie werden bemerkt haben, dass ich kein Berufsdiplomat bin und dass ich es bevorzuge, offen zu reden. Ich hoffe, dass Sie einverstanden sind.251

Breschnew wird nicht nur einverstanden gewesen sein. Er muss innerlich frohlockt haben, als ihm Pompidou erklärte, sie seien sich einig, dass die wichtigste politische Frage Deutschland sei: „Es gibt immer noch genügend Menschen in Frankreich, die Frankreich an die USA binden wollen und Deutschland gleich mit. Ich will nicht, dass Westeuropa ein militärischer Block wird.“252 Sogar für Breschnews prekäre Situation, nie selbst die Staatsverträge unterzeichnen zu dürfen, zeigte Pompidou Verständnis. Doch Breschnew gab sich bescheiden: Er habe seinen Part erfüllt, Pompidou empfangen, mit ihm verhandelt und ihn bei einem Teil seiner Reise begleitet. „Das kompensiert die Abwesenheit meiner Unterschrift. Ich verhehle jedoch nicht, dass es mir angenehm gewesen wäre, ein solches Dokument zu signieren. Im Übrigen werde ich während der Zeremonie hinter Ihnen stehen, die Fotografen werden mich sehen, und die ganze Welt wird verstehen, dass ich einverstanden bin.“253 Es war der Beginn nicht nur eines sehr engen Austausches, sondern auch einer großen persönlichen Nähe.254 Wie Pompidou es ausdrückte: „Ich gratuliere mir nicht nur dazu, dass wir viele Ideen ausgetauscht haben, sondern noch mehr, dass ich Sie jetzt besser kenne.“255 Symbolisch brachte Breschnew zusammen mit Kossygin und anderen sowjetischen Führern im November 1970 mit einem diplomatisch höchst ungewöhnlichen Akt seine Hochachtung für den verstorbenen

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Abb. 26: Breschnew und Brandt bei einer Bootspartie vor der Krim, 1971.

General Charles de Gaulle und damit für Frankreich zum Ausdruck: Sie fuhren unangemeldet vor der französischen Botschaft in Moskau vor, hielten dort eine Schweigeminute ab und trugen sich dann ins Kondolenzbuch ein.256 Nicht weniger ungewöhnlich war der Schritt, den Breschnew 1971 unternahm, um seine Freundschaft mit Brandt auszubauen: Er lud ihn für ein Wochenende auf die Krim ein.257 Für beide Männer war es ein Novum und ein Risiko: Brandt stand wegen seiner Ostpolitik unter scharfem Beschuss der CDU/CSU, die ihn des Ausverkaufs deutscher Interessen bezichtigte; Breschnew wagte mit dieser Einladung seinen ersten außenpolitischen Alleingang. Weder der Außenminister noch der Ministerratspräsident waren zugegen. Zwar hatte Breschnew sich auf dem 24. Parteitag Anfang April 1971 seinen Westkurs absegnen und ein Mandat für sein „Friedensprogramm“ geben lassen. Zudem saß nun Andropow als Kandidat im Politbüro.258 Dennoch war es ein Affront gegenüber Gromyko,

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Abb. 27: Breschnew mit Brandt beim Schwimmen auf der Krim, 1971.

Kossygin und Podgorny, dass er am 16. September allein einen Staatsgast am Flughafen in Simferopol empfing, ihn dort mehrere Stunden bewirtete – um ihn, so Brandts feste Überzeugung, „unter den Tisch zu trinken“259 –, ihn locker mit zahlreichen, auch antisowjetischen Witzen unterhielt und dann mit ihm ein ganzes Wochenende auf seiner Regierungs-Datscha Oreanda verbrachte.260 Was es

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Breschnew ermöglichte, die Regierungsmitglieder auszuschließen, war für die westdeutsche Presse erst recht Stein des Anstoßes: Es war ein „inoffizieller Besuch“ ohne Protokoll, ein Arbeitstreffen. Brandt und Breschnew tauschten sich zwar in insgesamt 16 Stunden über alle anstehenden Probleme der Weltpolitik aus, doch außer einem gemeinsamen Kommuniqué veröffentlichten sie über die Gesprächsinhalte nichts.261 Besonders anstößig fanden Kritiker der neuen Ostpolitik, dass Brandt sich in legerer Freizeitkleidung zeigte, eine Bootspartie mit Breschnew unternahm und schließlich mit diesem gemeinsam sowohl im Schwarzen Meer badete als auch in dessen Meerwasser-Schwimmbad stieg. Brandt vollführte also gleichsam vor Breschnew einen „politischen Striptease“, wie es polemisch hieß.262 Die Presse erfuhr zum Glück nicht, was Breschnews Fotograf Musaeljan berichtete: Breschnew lieh Brandt eine Badehose aus.263 Da die Öffentlichkeit ausgeschlossen blieb, sprachen nur die Fotos, die zwei Männer zeigten, die sich angeregt unterhielten, zusammen rauchten, zusammen mit einer Reporterin posierten, zusammen Boot fuhren, zusammen badeten und sich offenbar bestens verstanden.264 Diplomatisch mag das Badewochenende auf der Krim eher eine Kuriosität gewesen sein, doch hatte Breschnew wohl recht, als er meinte, dies sei eine „historisch wichtige Begegnung“, die in die „europäische Geschichte“ eingehen werde.265 Er verfolgte mit dem Ausflug eine ebenso simple wie erfolgreiche Strategie von „Glasnost“: War im Jahr 1971 das Ablegen von Sakko und Schlips schon einigermaßen ungewöhnlich, so brachte das Auftreten in Badehose vollends zum Ausdruck, dass hier zwei Männer voreinander standen, die buchstäblich nichts zu verbergen hatten. Mehrfach wies Breschnew Brandt an diesem Wochenende darauf hin, wie wichtig es ihm sei, dass beide Seiten ein „Gefühl des Vertrauens“ entwickelten.266 Die beiden Politiker legten hier den Grundstein ihres persönlichen Vertrauens und damit ihrer gemeinsamen Außenpolitik. Sie ­sprachen intensiv über die Moskauer Verträge, deren Ratifizierung durch den Bundestag ein Jahr nach der Unterschrift immer noch fraglich war, über das Viermächteabkommen über Berlin, das die Siegermächte 14 Tage zuvor unterzeichnet hatten, und über die Haltung der DDR und Chinas. Aber die beiden führten auch viele persönliche Gespräche: über ihre Familien und über ihre unterschiedlichen Erfahrungen als Angehörige einer Generation.267 „Es wurde dabei ziemlich viel gelacht“, erinnerte sich Brandt.268 Mit seinen antisowjetischen Witzen unterstrich Breschnew einmal mehr, dass er kein verbohrter Apparatschik war, sondern den gleichen Humor wie Brandt besaß.

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Für Breschnew schuf das Treffen eine persönliche Vertrauensgrundlage, auf der er sich bis zu seinem Tod immer wieder mit Brandt beriet, auch als dieser längst zurückgetreten war. Brandt seinerseits besuchte auch 1975 noch Breschnew in Moskau und traf ihn, wenn dieser in Deutschland weilte. Zeichen setzen

Breschnew hatte mit dem Moskauer Vertrag 1970 und dem Treffen mit Brandt 1971 den ersten Eckpfeiler seiner neuen Westpolitik eingerammt. Nur sechs Wochen nach Brandts Besuch auf der Krim reiste Breschnew zu seiner ersten Staatsvisite in den Westen zu Pompidou.269 Dies war sein Debüt im westlichen Ausland und eine Mission für den zweiten Eckpfeiler seiner Außenpolitik: die KSZE auf den Weg zu bringen. Es war entscheidend, sich in der westlichen Öffentlichkeit von Anfang an richtig einzuführen und ein Zeichen zu setzen: dafür, dass er kein grauer Apparatschik war. Ähnlich wie seine Idee mit dem Badewochenende mit Brandt war Breschnews Verfahren deshalb ungewöhnlich: Nachdem er sich lange mit seinem Fotografen Musaeljan beraten hatte, welches Foto von ihm zur Vorbereitung des Besuchs in Frankreich an die dortige Presse gesandt werden sollte, entschied er sich schließlich für ein erstaunliches Bild. Auf ihm ist Breschnew mit Sonnenbrille im blauen Trainingsanzug zu sehen, unter dem er ein weißes T-Shirt trägt, lässig an der Bordwand seiner Yacht vor der Krim lehnend. Er selbst befand: „Hier sehe ich aus wie Alain Delon.“270 Deutlicher konnte er nicht machen, dass er als westlich, locker, attraktiv und „cool“ wahrgenommen werden wollte. Nachdem er so den Boden bereitet hatte, warb er in seinen Tischreden, im Interview mit „Le Monde“ und in seiner Fernsehansprache an das französische Volk für ein neues Europa, in dem der Frieden nicht nur eine Pause zwischen den Kriegen, sondern dauerhaft sein sollte.271 Mit Pompidou aber machte er das, was ihm in Moskau seine Genossen noch verwehrt hatten, von denen er nur Grüße ausrichtete, denn Kossygin sei leider gerade in Kanada.272 Neben wenigen offiziellen Terminen, die er gern auch noch abgesagt hätte, und einem Tagesausflug nach Marseille, traf Breschnew sich zu vier ausgedehnten Tête-à-Têtes mit Pompidou, um mit ihm über den Erfolg seines Sohns Juri als Handelsminister und den frühen Tod seines Vaters ebenso zu sprechen wie über den Rückzug Frankreichs aus den militärischen Strukturen der NATO 1966. Breschnew: „Für uns ist es wichtig, dass Sie aus dem Block der NATO ausgeschieden sind.“ Pompidou: „Wir werden nicht wieder eintreten.“273

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Abb. 28: Breschnew bei einer Bootstour auf dem Schwarzen Meer: „Hier sehe ich aus wie Alain Delon“, 1971.

Vor allem aber präsentierte sich Breschnew gegenüber Pompidou, wie vorher schon gegenüber Brandt, als einfacher, offener Mann, der bat, ihn doch bitte nicht mit Titeln, sondern einfach mit „Genosse“ oder „Herr Breschnew“ anzusprechen, da er sich im „Kampf mit dem Protokoll“ befinde. So wie Pompidou ein Jahr zuvor unterstrich damit auch er, dass sie sich nicht als Diplomaten, sondern als einfache Männer mit großer Verantwortung für ganz Europa begegnen sollten.274 Ganz im Sinne von „Glasnost“ oder eines ungeschminkten Austausches vereinbarten sie, offen über die jeweilige innenpolitische Lage ihrer Länder zu sprechen.275 Breschnew hielt Wort und berichtete Pompidou freimütig,

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Abb. 29: Breschnew und Pompidou beim Tête-à-Tête im Schloss Rambouillet, 1971.

dass sie in der Sowjetunion ihren eigenen Anspruch, den Lebensstandard zu erhöhen, nicht einlösen könnten und daher gezwungen seien, im Ausland Konsumgüter zu kaufen, um die Grundbedürfnisse der eigenen Bevölkerung zu befriedigen. 1972 wolle die Sowjetunion für 300 bis 500 Millionen Francs aus Frankreich Waren importieren: „Denn wir feiern 50 Jahre Sowjetunion und ich möchte zu diesem Anlass die Handelsdefizite ausgleichen (…). Das ist momentan noch ein Geheimnis. Ich hoffe, dass Sie einverstanden sind.“276 Die Gespräche waren so intensiv und ausführlich, dass Breschnew gegenüber Pompidou scherzte, seinen Genossen in Moskau müsse er nach der Rückkehr erklären, dass er von Paris nichts gesehen habe.277 Die beiden waren derart vertraut, dass sie beide im Schloss Trianon in Versailles nächtigten und täglich zu den Verhandlungen nach Paris gemeinsam das Auto nahmen.278 Nicht nur, dass Breschnew Pompidou ganz für sich hatte, er konnte diesmal auch persönlich eine Kooperationsvereinbarung unterschreiben sowie eine Absichtsbekundung, in der beide ihren Wunsch bekräftigten, der Kontinent möge zusammenwachsen, und mahnten, dieser Prozess müsse schnellstmöglich beginnen.279 Während Breschnew derart seine zweite außenpolitische Vision verfolgte, beunruhigte ihn das Schicksal seines ersten Akts: die Ratifizierung der Moskauer Ver-

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träge durch den deutschen Bundestag.280 Und auch hier war er zu einem durchaus neuartigen Schritt bereit, wenngleich dieser geheim bleiben musste. Ihm war schmerzlich bewusst, dass Brandts Position gefährdet war, und 1970 erklärte er dem ZK-Plenum, obwohl die Sowjetunion eine vielseitige Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland anstrebe, „hängen wir das nicht an die große Glocke, da wir um die besondere Lage der Regierung Brandt wissen“.281 Sie müssten aber alles unternehmen, um Brandt zu helfen.282 Vermutlich fürchtete er um Brandt genauso sehr wie um sich selbst. Immer wieder ließ er auch in späteren Jahren gegenüber seinen westlichen Gesprächspartnern durchblicken, dass der nach Westen gewandte Kurs ganz von seiner, Breschnews, Person abhänge und im Falle eines Scheiterns auch seine Stellung gefährdet sei.283 Um Brandt Schützenhilfe zu geben, schlug er über den Kanal schließlich verschiedene Maßnahmen vor.284 Als Erstes bot er an, ein vertrauliches Gespräch aus dem Jahr 1962 zu veröffentlichen, in dem Adenauer dem damaligen sowjetischen Botschafter Andrei Smirnow einen zehnjährigen Burgfrieden vorgeschlagen hatte.285 Doch gemeinsam befanden Bahr und Keworkow, dass ein solcher Schritt als Vertrauensbruch gewertet werden und damit noch mehr Schaden anrichten könnte.286 Öffentlich versuchte Breschnew Stimmung zu machen, indem er den Vertrag „eine Entscheidung über Krieg und Frieden“ nannte und einer Gruppe Russlanddeutscher die Ausreise gestattete. Selbst Nixons Sicherheitsberater Henry Kissinger bedrängte er 1972 bei seinem Moskaubesuch, die USA müssten etwas tun, um Brandt zu unterstützen.287 Schließlich, als Brandt am 27. April 1972 ein Misstrauensvotum drohte, griff Breschnew zum Äußersten und ließ Bahr einen Koffer voller Dollar überreichen, damit dieser einen CDU-Abgeordneten kaufe, aber Bahr lehnte ab.288 Von der Bundestagsabstimmung über Brandts Zukunft, am 19. Mai 1972, ließ sich Andropow von seinem Mann Keworkow live am Telefon berichten.289 Wie angespannt Breschnew war, merkt man daran, dass er am Tag der Abstimmung im Bundestag auf dem ZK-Plenum seinem Frust freien Lauf ließ: Weil sie sich den Kalten Krieg zurückwünschten, seien die deutschen Oppositionsführer Rainer Barzel, Franz Josef Strauß und Co. vor keinem Mittel zurückgeschreckt: „Sie haben Lügen, Desinformation, Erpressung und andere Methoden angewandt, mit denen sich der deutsche Imperialismus schon zu Zeiten Kaiser Wilhelms und Hitlers gut auskannte.“290 Die CDU habe zwei Sozialdemokraten gekauft, während sie in Moskau alles getan hätten, um die Regierung Brandt zu stützen.291 Brandt gewann die Abstimmung – fast zwei Jahre nach der Unterzeichnung waren die Moskauer Verträge endlich unter Dach und Fach.292

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Präliminarien

Breschnew hatte Pompidou und Brandt gewonnen und machte sich nun daran, den US-amerikanischen Präsidenten Nixon von seinen Friedensplänen zu überzeugen. Ein Kooperationsvertrag mit den USA samt Rüstungsbeschränkung, die schriftliche Anerkennung als gleichberechtigte Supermacht bei gleichzeitiger Fixierung der friedlichen Koexistenz sollte die dritte Säule und der Höhepunkt seiner Außenpolitik sein. Breschnew brauchte Brandt und Pompidou einerseits persönlich als Verbündete und Vertraute, die ihm Auskunft darüber geben konnten, ob Nixon es mit dem Frieden ernst meinte.293 Andererseits dienten die Moskauer Verträge gegenüber Washington als Vorleistung für weitere Kooperationsabkommen. Mit dem Viermächteabkommen über Berlin hatte Breschnew ja bewiesen, dass er zu Zugeständnissen bereit war. Alexandrow-Agentow hatte für ihn notiert: „Indem wir eine Gesprächsgrundlage mit Brandt geschaffen haben, können wir zur aktiven ‚Bearbeitung‘ Washingtons übergehen.“294 Das Gleiche galt für Pompidou: Mit der Gewinnung des in der NATO unabhängig agierenden Franzosen hoffte das Politbüro, die USA konzilianter zu stimmen.295 US-Präsident Johnson hatte seine Besuchspläne für das Jahr 1968 nach dem Einmarsch in Prag fallen gelassen.296 Dass der geplante Gipfel mit den USA auf unbestimmte Zeit verschoben worden war, dürfte Breschnew insofern nicht unglücklich gemacht haben, als 1968 Johnsons Gesprächspartner noch Kossygin gewesen wäre und nicht er.297 Die Beziehungen zu den Amerikanern waren durch den Krieg, den die USA in Vietnam gegen die dortigen Kommunisten führten, durch die Avancen, die Nixon Mao machte, und durch den Stellvertreterkrieg im Nahen Osten wesentlich komplizierter als die zu Westdeutschland. Im letzteren Kontext musste sich Breschnew lediglich mit den beleidigten SED-Führern plagen.298 Nixon verhielt sich ähnlich wie Brandt und unterbreitete, nur einen Monat nachdem er im Januar 1969 ins Amt gekommen war, dem sowjetischen Botschafter in den USA, Anatoli Dobrynin, den Wunsch, eine direkte Verbindung zwischen dem Weißen Haus und den Sowjetführern zu etablieren. Als die sowjetische Seite zögerte, übte Nixon mit seinem heimlichen Besuch in Peking und der entsprechenden diplomatischen Aufwertung Chinas im Sommer 1971 auf Moskau Druck aus – und dort gab man nach.299 Wie mit Bonn funktionierte der Kanal auf zwei Ebenen: Solange Nixon und Breschnew nicht direkt miteinander kommunizierten, übernahmen Dobrynin und Nixons Sicherheitsberater Henry

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Kissinger den Austausch. Die beiden Letzteren verband bald eine enge Freundschaft. Ebenfalls wie der nach Bonn trat der Kanal immer dann in Aktion, wenn die regulären Verhandlungen – etwa zum Berlinabkommen oder zu SALT – in eine Sackgasse gerieten.300 Aber Nixon wollte mehr: Er strebte ein Zusammentreffen mit Breschnew an, weil er hoffte, mit Moskaus Hilfe den Vietnamkrieg beenden zu können, der im eigenen Land auf immer weniger Akzeptanz stieß.301 Doch während Nixon die Sowjetführung offen mit der Aussicht umwarb, ein Meeting auf höchster Ebene könne „in seiner Bedeutung das Treffen des Jahrhunderts“ werden,302 musste Breschnew seiner Partei den Gipfel noch schmackhaft machen.303 Im Politbüro gab es Befürchtungen, ein Treffen mit dem „Klassenfeind“ könne nicht nur Nordvietnam, sondern auch die Verbündeten „in der arabischen Welt“ vor den Kopf stoßen.304 Tatsächlich kündigte später Ägypten nach Nixons Besuch die Kooperation mit der Sowjetunion auf.305 Außerdem musste Breschnew sicherstellen, dass er und nicht Kossygin der Gesprächspartner des Präsidenten sein und er und nicht Gromyko als Erster dessen Botschaften erhalten würde.306 Erst nachdem im Frühjahr 1971 der 24. Parteitag den neuen außenpolitischen Westkurs abgesegnet hatte, traute sich Breschnew, seine Gesprächspartner im Ausland zu informieren, dass alle Briefe künftig an ihn und nicht an Kossygin zu adressieren seien.307 Nixon verstand erst jetzt, wer der mächtigste Mann in Moskau war. Schließlich verkaufte Breschnew dem ZK-Plenum im November 1971 den Gipfel als Zeichen der sowjetischen Stärke: Nixon käme ja nur, weil das sozialistische Lage so stark und ihr Friedenskurs so überzeugend sei.308 Nach diesem ZKBeschluss stand Breschnews Zusammentreffen mit Nixon nichts mehr im Wege. Doch bevor Nixon im Mai 1972 in Moskau eintraf, schickte er, so wie zwei Jahre zuvor Willy Brandt Egon Bahr entsandt hatte, seinen Sicherheitsberater Henry Kissinger. Und so wie Breschnew Bahr als Alter Ego Willy Brandts ins Herz geschlossen hatte, so stürmisch begrüßte er Henry Kissinger, der am 20. April 1972 zu einem vorbereitenden Geheimbesuch in Moskau landete, um über Vietnam und die noch offenen Fragen im SALT-Vertrag zu verhandeln.309 Selbst wenn es nicht Breschnews Strategie gewesen sein sollte, mit persönlicher Herzlichkeit alle ideologischen Vorbehalte fortzuwischen, hätte für Kissinger der Unterschied zu Mao kaum größer sein können: Breschnews „Temperament ging immer wieder mit ihm durch, und wenn er mir im Überschwang der Gefühle kräftig auf die Schulter geschlagen hatte, trat er einen Schritt zurück und sah mich mit ernster Miene an“.310 Was Kissinger als typisch russisch wahrnahm:

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„grob und warm, brutal und anziehend, verschlagen und entwaffnend“,311 war für Breschnew das Werben, als Mensch und nicht als Kommunist wahrgenommen zu werden. Stolz zeigte Breschnew Kissinger die Zarengemächer, in denen Nixon untergebracht sein würde; es war eine Ehre, dass der amerikanische Präsident im Kreml nächtigen sollte.312 Was Kissinger als Zeichen von Unsicherheit und Buhlen um Anerkennung deutete, war für Breschnew eine weitere Demonstration, wie unbefangen und undogmatisch er mit der zaristischen Vergangenheit umging.313 Die persönliche Nähe verstärkte sich in den folgenden zwei Jahren, die Breschnew und Kissinger immer wieder zu Vorverhandlungen zusammenführten. Im Mai 1973 lud Breschnew den Amerikaner sogar auf seinen Jagdsitz Sawidowo ein, was eine besondere Ehre war, die ein Jahr zuvor bereits dem französischen Botschafter, aber sonst kaum einem westlichen Gast zuteilgeworden war.314 Breschnew führte Kissinger nicht nur zu mörderisch schnellen Auto- und Bootsfahrten aus, bei denen er selbst am Steuer saß und bei denen sie gleichsam ganz auf ihre Körperlichkeit zurückgeworfen wurden. Kissinger kam auch in den zweifelhaften Genuss, mit Breschnew zu jagen.315 Eines Nachmittags fand er in seinen Räumen einen Jagdanzug vor, ein Geschenk Breschnews. Obwohl er die Jagd nicht mochte, blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzukommen. Seinen Einwand, er habe noch nie ein Tier getötet, parierte Breschnew mit den Worten, er könne ja einfach zugucken. Sie richteten sich zusammen mit dem Übersetzer Viktor Suchodrew auf einem Hochsitz ein, und nachdem Breschnew zwei Wildschweine erlegt hatte, packte er den mitgebrachten Rucksack aus: Sakuski – russische Vorspeisen – und eine Flasche Wodka, die Kissinger allerdings in seinen Memoiren als „Bier“ vertuschte.316 Der Dolmetscher Suchodrew glaubte zu beobachten: „In diesem Moment saßen auf dem Hochsitz schon nicht mehr Staatsmänner mit ihrem Übersetzer, sondern einfache Kerle, eben Jäger bei der Rast.“317 Auch wenn der Jagdausflug für Kissinger eine zwiespältige Erfahrung war,318 schien es, als wolle Breschnew mit seiner persönlichen Nähe eventuelle Zweifel Kissingers im Keim ersticken, Breschnew stehe für etwas anderes als sich selbst. Er setzte seinen Körper ein, um zu unterstreichen, dass er nicht Platzhalter für eine feindliche Weltanschauung war, sondern so, wie er aus Fleisch und Blut vor Kissinger stand, ein Mensch wie dieser, der mit jeder Faser den Frieden wollte. Der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky bezeichnete Breschnew auch als „umarmenden Bären“, der mit jedem Besucher physischen Kontakt haben wollte.319 Und auch Kissinger warnte Nixon vor dessen Anreise vor Breschnews

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ungestümen Umarmungen: „Er wird freundlich, manchmal auch sehr warmherzig sein, physischer Kontakt eingeschlossen.“320 Körperpolitik

Tatsächlich praktizierte Breschnew seine „Körperpolitik“ auch gegenüber Nixon, als dieser am 22. Mai 1972 in Moskau eintraf, drei Tage nachdem Breschnew auf dem Mai-Plenum seiner Partei ein weiteres Mal erklärt hatte, dass eine Normalisierung der Beziehungen mit den USA für den „friedlichen Aufbau“ der Sowjetunion nur Vorteile bringe.321 Breschnew überließ den protokollarischen Teil, der ihm nicht zustand, Podgorny und Kossygin, und diese begrüßten Nixon am Flughafen. Aber kaum war der amerikanische Gast im Kreml eingetroffen, entführte ihn Breschnew in sein Büro zu einem Vieraugengespräch, an dem nur sein eigener Dolmetscher teilnahm.322 Für Breschnew war es zentral, sofort den persönlichen Kontakt herzustellen, sich als nahbar und umgänglich zu präsentieren und keinen Zweifel an seinen wirklichen Friedensabsichten aufkommen zu lassen. Bevor sie sich im Rahmen des offiziellen Zeremoniells begegneten, wollte er, dass Nixon ihn als Mensch kennenlernte. Nixon begrüßte die Einladung, mit Breschnew von Angesicht zu Angesicht und nicht über die Apparate zu sprechen: „Wenn wir alle Entscheidungen den Bürokraten überlassen, werden wir niemals vorankommen.“ Breschnew stimmte zu: „Wir würden einfach untergehen.“ Worauf Nixon erwiderte: „Sie würden uns einfach in Papier begraben.“323 Die stillschweigende Übereinkunft war eine doppelte: Meinen bürokratischen Apparat unterscheidet nichts von deinem, aber beide sind gleich hinderlich; Probleme werden wir nur von Mensch zu Mensch lösen. Nixon sprach dann von der Kooperation zwischen Stalin und Roosevelt im Zweiten Weltkrieg und Breschnew war glücklich: Sie verabredeten, ebensolche direkten, persönlichen Beziehungen zu führen und sich von ihren Bürokratien nicht beirren zu lassen.324 Schließlich vertrauten sie sich gegenseitig ihre Probleme an: Breschnew, dass er nicht ohne Podgorny und Kossygin würde verhandeln können; Nixon, dass er State Secretary William P. Rogers noch nicht eingeweiht hatte, dass er in Moskau Grundprinzipien zur Vermeidung eines dritten Weltkriegs unterzeichnen würde.325 Damit drehten sie die Zeichen um: Der ideologische Gegner war jetzt der Partner und die Gefährten waren die Widersacher. Vor diesem Hintergrund hatten die fünf Tage der Moskauer Verhandlungen in erster Linie eine symbolische Bedeutung: nicht nur die ausgeschlossene Welt-

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Abb. 30: Nixon und Breschnew zwischen Offizieren der Schwarzmeer-Flotte, 1974.

öffentlichkeit, sondern auch die eigenen Regierungsapparate mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass der eigentliche Gegner nun der Partner war.326 Aber auch zwischen Nixon und Breschnew war das ein Lernprozess, der von vielen kleinen Gesten getragen wurde. Wie bereits Bahr, Brandt und Kissinger unterhielt Breschnew auch Nixon mit Anekdoten und zeigte auf diese Weise, wie wenig dogmatisch er war. Beim Dinner im Kreml saßen sie gegenüber einem Gemälde des Abendmahls: Breschnew kommentierte, da sei allem Anschein nach das Politbüro der damaligen Zeit zu sehen, und Nixon erwiderte, dass Breschnew dann wohl viel mit dem Papst gemein hätte. „Breschnew lachte und reichte mir gutgelaunt die Hand.“327 Was Breschnew von sich nonverbal vermittelte, sagte Nixon über sich zu Beginn der Verhandlungen expressis verbis: „Ich weiß, daß ich den Ruf eines sehr harten und auf den kalten Krieg eingeschworenen Antikommunisten genieße. Es stimmt, daß ich fest an unser System glaube, aber ich respektiere zugleich diejenigen, die ebenso fest an ihr eigenes System glauben. In dieser Welt muß doch für zwei große Nationen mit ihren unterschiedlichen Systemen Platz sein,

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um zusammen leben und arbeiten zu können.“328 Sie vereinbarten also nicht nur, alles miteinander persönlich zu klären, sondern auch, alle etwaigen ideologischen Unterschiede hintanzustellen. Das hieß nicht, dass es in den fünf Tagen, in denen Breschnew und Nixon angespannt über die letzten Fragen des SALTund des ABM-Vertrages (Anti-Ballistic Missile Treaty) verhandelten, nicht auch zu harten Schlagabtauschen über Raketenreichweiten, Raketensilogrößen und U-Boot-Abschussbasen gekommen wäre.329 Aber auf der persönlichen Ebene konnte der Konflikt immer wieder beigelegt werden. Wie nah er Nixon stand und wie zuversichtlich er war, dass sie als Tandem die Probleme schon lösen würden, demonstrierte Breschnew, als er seinen Gast am dritten Besuchstag zum Schrecken von dessen Bodyguards regelrecht entführte. Auf dem Programm stand eine Landpartie, doch statt auf die offizielle Abfahrt im Konvoi zu warten, schlug Breschnew Nixon vor, sofort aufzubrechen, und bugsierte ihn in seinen Wagen, der mit 100 Stundenkilometern davonraste.330 Während der Secret Service noch damit beschäftigt war, die Adresse der Regierungsdatscha herauszufinden, lud Breschnew Nixon schon zu einem Ausflug mit einem Schnellboot ein, das er, so Nixon, im halsbrecherischen Tempo von 90 Stundenkilometern den Fluss hinuntersteuerte.331 Breschnew wollte ganz offenbar für eine körperliche Erfahrung sorgen und damit von den grauen Apparatschiks Podgorny und Kossygin ablenken. Dem Dolmetscher Suchodrew vertraute er an, die miesepetrigen Mienen der beiden seien nicht zu ertragen; das sei nicht die Art von Gastfreundschaft, die er sich vorstelle.332 So erlebte Nixon ein merkwürdiges Wechselspiel von Breschnews mitreißender Fröhlichkeit einerseits und aggressiv-dogmatischen Vorhaltungen zu Vietnam im Beisein von Podgorny und Kossygin andererseits.333 Nixon konnte nicht wissen, dass die dem Bootsausflug folgenden drei Stunden feindseliger VietnamRhetorik ein Zugeständnis an das Politbüro und an Hanoi waren. Die nordvietnamesische Hauptstadt wurde informiert, die sowjetische Führung sei mit Nixon hart ins Gericht gegangen.334 Kissinger jedoch ahnte, dass dies eine „Scharade“ war: „Sie redeten für das Protokoll, und wenn sie genug gesagt hatten, um das Sitzungsprotokoll nach Hanoi schicken zu können, würden sie die Redeschlacht beenden.“335 Nixon erinnerte sich: „Ich dachte einen Augenblick an R.L. Stevensons Romanfiguren Dr. Jekyll und Mr. Hyde, als Breschnew, der eben noch gelacht und mir auf den Rücken geklapst hatte, plötzlich ärgerlich über uns zu schimpfen anfing.“336 Tatsächlich war Breschnew nach seiner Vorstellung als orthodoxer Parteipolitiker beim Dinner wieder wie ausgewechselt und zeigte sich erneut

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als gutgelaunter Witzeerzähler. Breschnew machte es sich dabei bei Nixon und Pompidou zur Gewohnheit, auf Kosten ihrer jeweiligen Minister und Berater Witze zu reißen und Nähe herzustellen, indem sie gemeinsam ihre angeblich unfähigen Mitarbeiter in deren Gegenwart hänselten.337 Die Scherze, das Lachen, das Tätscheln und die Spontaneität waren Charakteristika, die Breschnew sichtbar von Podgorny, Kossygin und auch Gromyko unterschieden, welche aus dem Verhaltensmuster des engstirnigen Parteipolitikers nicht ausbrachen. Nixon kommentierte: „Kossygin ist ganz geschäftsmäßig und sehr kühl. Nach kommunistischem Maßstab ist er ein Aristokrat, während Podgorny eher wie ein Senator aus dem Mittleren Westen und Breschnew wie ein mächtiger, irischer Gewerkschaftsboß wirken.“338 Auch wenn Nixon Breschnews Zeichen also nicht unbedingt als „westlich-staatsmännisch“ las, empfand er ihn doch als „warmherzig und freundlich“.339 Den westlichen Staatsmann mimen

Breschnew war auf dem Zenit seiner Macht angekommen. Im November 1972 nahm die zweite Säule seiner Außenpolitik Gestalt an, als in Helsinki die Verhandlungen zur Einrichtung einer dauerhaften Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa begannen. Diese Unterhandlungen waren das Resultat seiner ständigen und beharrlichen Gespräche mit seinen Freunden Brandt, Pompidou und Nixon. Doch während Brandt für seine neue Ostpolitik 1971 den Friedensnobelpreis erhielt und Kissinger für seine Vermittlung eines Waffenstillstands mit Nordvietnam 1973, ging Breschnew leer aus. Er soll darunter gelitten haben, dass er nicht zusammen mit Brandt ausgezeichnet wurde.340 Stattdessen wurde ihm im April 1973 von seiner Partei das sowjetische Pendant, der Leninpreis für Frieden, verliehen. Damit erkannte das ZK an, dass Breschnew einen „persönlichen Beitrag“ zur Festigung des Friedens geleistet hatte.341 Nicht weniger wichtig war, dass die ZK-Mitglieder auf ebendiesem AprilPlenum 1973 Andropow, Gromyko und Verteidigungsminister Gretschko ins Politbüro wählten und Schelest und Gennadi Woronow, die erklärten Gegner von Breschnews Westpolitik, in Rente schickten.342 Damit baute Breschnew seine Macht gegenüber seinen Rivalen Kossygin und Podgorny weiter aus. Die Aufnahme Andropows, die gemeinhin als Machtzuwachs des KGB interpretiert wurde, bedeutete für Breschnew vor allem eine Absicherung seiner außenpolitischen Linie, die Andropow maßgeblich mitentwickelt hatte.343 Er hatte zudem

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Gromyko und Andropow gezwungen, ihre Feindseligkeiten beizulegen und ihn gemeinsam in seiner Außenpolitik zu unterstützen; Gromyko hatte sich seinerseits im Machtkampf zwischen Kossygin und Breschnew auf die Seite des Generalsekretärs geschlagen.344 Dieser Coup, seine persönlichen Leistungen herauszustellen, Gromyko in sein Lager zu holen und Kossygin und Podgorny zurückzudrängen, gab Breschnew neue Spielräume und eine gewisse Autonomie in der weiteren Gestaltung seiner Außenpolitik. Brandt gab er zu verstehen, dass er sich im April – also auf dem ZK-Plenum – „freigeschwommen“ habe.345 Es stand ihm nun frei, sich ganz als westlicher Staatsmann zu präsentieren und endlich außer Pompidou auch seinen westdeutschen und seinen amerikanischen Freund im kapitalistischen Ausland zu besuchen. Dementsprechend war 1973 ein außenpolitisch außerordentlich aktives Jahr für Breschnew, in dem er sich kaum um etwas anderes kümmerte.346 Nachdem er sich im Januar mit Pompidou in Weißrussland getroffen hatte, um ohne Protokoll über die Schlussphase des KSZE-Prozesses zu beraten,347 besuchte er im Mai Brandt in Bonn zu Gesprächen, die er sich „wie in Oreanda“ wünschte: ohne viel Programm mit viel Zeit für den persönlichen Austausch. Diesmal aßen sie in gelöster Stimmung und bester Laune in Brandts Garten.348 Breschnew kam in einer solchen Hochstimmung aus Bonn zurück, dass er Brandt zu dessen 60. Geburtstag im Dezember 1973 zwei Kilogramm schwarzen Kaviar schicken ließ.349 Im Juni übernachtete Breschnew bei Nixon in Camp David und war Gast auf dessen privater Ranch in San Clemente, Kalifornien; er bestand darauf, im Haus der Nixons zu übernachten, und baute bei einem privaten Abendessen und Gesprächen über Kinder und Enkel die Nähe zu seinem Gastgeber weiter aus.350 Auf dem Rückweg stattete Breschnew Pompidou in Paris eine Visite ab, um den Freund über alle Neuigkeiten aus den USA zu informieren. In Bonn war man sich einig, dass der sowjetische Generalsekretär seine Reise an den Rhein einerseits als Demonstration nach innen nutzte, um zu zeigen, dass er mit seiner Friedenspolitik das aggressive Westdeutschland gezähmt und dessen Wirtschaftskraft zum Nutzen der Sowjetunion erschlossen hatte. Tatsächlich hoffte Breschnew, mehr Kredite, mehr Importe und mehr technologische Hilfe für die Erschließung der Energievorräte Westsibiriens zu vereinbaren; von den USA wünschte er, die Meistbegünstigungsklausel zu bekommen.351 Andererseits glaubte das deutsche Außenamt, dass Breschnews wesentliches Ziel gewesen sei, sein Image im Westen zu verbessern.352 Es wurde also von berufener Seite erkannt, dass Breschnew versuchte, sich ein westliches Antlitz zu verleihen. Und tatsächlich

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legte er größten Wert auf Kontakte zur Presse und nutzte sein Interview im ZDF, um mit dem Moderator Knut Terjung zu scherzen, über ihn zu frotzeln und sich ganz als lockerer, aufgeschlossener Typ zu zeigen.353 Angesichts dieser Begeisterung, sich der Presse zu präsentieren, Interviews zu geben und Fernsehansprachen zu halten, urteilte auch Nixon: „Er benahm sich wie ein geschulter Schauspieler, der die Bühne für sich beanspruchte.“354 Damit hatte er ins Schwarze getroffen: Breschnew spielte eine Rolle, die er sichtlich genoss. Das fand auch sein Mitarbeiter Arbatow: „Manchmal bemerkte ich, wie er bei Treffen mit Ausländern Rollen ‚spielte‘ (und das gar nicht schlecht).“355 Und auch sein Leibarzt Tschasow urteilte über die Art, wie Breschnew sprach, scherzte und gefallen wollte: „Man kann also sagen, dass Breschnew damals ein typischer amerikanischer ‚politician‘ war.“356 So wie er 1971 sein erstes Zeichen mit dem „Alain-Delon-Foto“ gesetzt hatte, nutzte er immer wieder sein Äußeres, um sich als „westlich“ zu kennzeichnen. Als er 1973 in Camp David eine Windjacke mit dem Schriftzug „Camp David“ geschenkt bekam, trug er sie dort die ganze Zeit.357 Sowohl das Posieren im legeren Trainingsanzug oder das demonstrative Tragen der Camp-David-Jacke als auch die sonst zur Schau gestellten geschmackvollen Anzüge und sein gepflegtes Äußeres waren Zeichen für seine „Westlichkeit“. Tatsächlich wurde das von Nixon und Brandt wahrgenommen, denen auffiel, wie sehr Breschnews Outfit sich von den schlechten Straßenanzügen Chruschtschows und anderer sowjetischer Kader abhob.358 Nixon befand sogar: „Breschnew war auf seine Weise sogar eine Art Aushängeschild für die Mode.“359 Breschnew beließ es aber keineswegs bei solchen Äußerlichkeiten. Um auf keinen Fall mit einem dogmatischen Sozialismus in Verbindung gebracht zu werden, wies er die Führer der kommunistischen Parteien der Länder, die er besuchte, relativ offen zurück. In Bonn unterhielt er sich länger als mit der DKP mit dem Antikommunisten Franz Josef Strauß, den er sogar bis zu seinem Wagen begleitete.360 In Frankreich gab er Pompidou den Vorzug vor dem französischen Kommunistenführer Georges Marchais, den er für einen realitätsfernen Fantasten hielt.361 Breschnew war überzeugt: Pompidou hat seinerseits (wie auch Nixon und auch Brandt) sehr gut verstanden, dass bei uns Ideologie nur im Inneren zur Anwendung kommt, also dort, wo man sie mit staatlichen Mitteln in die Praxis umsetzen kann. Wir sind nicht solche Dummköpfe, dass wir uns auf ideologische Fingerübungen in Handels- und Staatsbeziehungen mit denen einlassen würden, die uns jeder Zeit zum … schicken können.362

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Der rasende Staatsmann

Im Bestreben, nicht als Betonkopf zu wirken, übersah Breschnew aber mitunter, dass es für westliche Staatsmänner ein „comme il faut“ für würdiges Auftreten gab, das er mit seinen ungestümen Gesten immer wieder konterkarierte – wodurch er mitunter Kopfschütteln verursachte. Breschnew „überspielte“ gewissermaßen seine Rolle, indem er sich Freiheiten nahm, die nicht nur für einen sowjetischen Parteiführer untypisch waren, sondern auch jenseits des guten Benehmens eines Staatsmannes lagen. Die westlichen Staatsführer ihrerseits interpretierten diese „Übertreibungen“ wiederum als „typisch russisch“ oder als Ausdruck von Unsicherheit, ja Nervosität.363 Nixon befand: „Sein Benehmen und sein Humor waren fast koboldartig bei vielen der Auftritte. Wenn immer es möglich war, ging ich darauf ein, aber manchmal war es schwer für mich, Höflichkeit und Würde im Gleichgewicht zu halten.“364 Nixon sprach damit aus, was wohl zahlreiche seiner westlichen Gesprächspartner empfanden: dass Breschnew bei seinen Versuchen, zu gefallen und zu imponieren, oft die Grenze des guten Geschmacks oder des staatsmännischen Verhaltens überschritt. Es scheint, als ob Breschnew glaubte, dass die Eigenschaften, die ihn von seinen Genossen im Politbüro abhoben, ihn zugleich „westlich“ erscheinen ließen: seine Leidenschaft für schnelle Autos, seine Schwäche für Frauen und sein Talent, mit Leuten zu scherzen und zu schäkern.365 Wahrscheinlich sind manche der legendären Breschnew-Geschichten nur so zu erklären. Beispielweise, dass er sich 1973 sowohl bei seinem Besuch in Westdeutschland als auch bei der USA-Visite sofort – und für die Umstehenden völlig unerwartet – selbst hinters Lenkrad der ihm gerade übergebenen Limousinen setzte und mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf und davon brauste. Man könnte sagen, sein Temperament ging mit ihm durch; aber es war wohl auch die nicht ganz unbewusst gesendete Botschaft darin enthalten: Ich bin kein steifer Apparatschik, sondern ich teile eure Werte. Ob Breschnew wirklich nicht verstand, dass er mit seinem Verhalten gegen die Etikette verstieß und dies ungestüme Auftreten nicht unbedingt dem eines westlichen Staatsmanns entsprach, sei dahingestellt. Das Bonner Auswärtige Amt stellte in Vorbereitung auf Breschnews Bonnbesuch 1973 fest: „Seine Hobbys sind Jagd, Fußball und Autos. Präsident Nixon schenkte ihm daher bei seinem Besuch in Moskau einen ‚Cadillac‘, Pompidou in Paris einen ‚Citroen-Maserati‘.“366 Tatsächlich hatte Pompidou Breschnew im

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Abb. 31: Breschnew steigt auf dem Petersberg bei Bonn in den soeben überreichten Mercedes, 1973.

Oktober 1971 einen Herzenswunsch erfüllt, indem Letzterer das Renault-Werk in Boulogne-Billancourt hatte besuchen dürfen – was 1960 Chruschtschow noch verwehrt worden war. Darüber hinaus hatte Breschnew nicht nur dort einen Wagen in Empfang nehmen dürfen,367 sondern Pompidou hatte ihn zusätzlich mit einem Maserati überrascht. Breschnew hatte sich überwältigt gezeigt: „Ich

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Abb. 32: Breschnew am Steuer des Lincoln-Continental, Nixon auf dem Beifahrersitz, Camp David, 1973.

bin sprachlos. Ich bin ein großer Autoliebhaber. Ich habe schon fast alle Marken gefahren, Dienst- und Privatautos. Vor allem liebe ich (…) die Citroëns: Sie sind geschmeidig, komfortabel, ohne groß zu sein, man kann sich darin sehr gut entspannen.“368 Dementsprechend wollte sich auch die deutsche Bundesregierung nicht lumpen lassen und verehrte Breschnew, der auf dem Petersberg bei Bonn einquartiert worden war, einen Mercedes 450 SLC Coupé. Der damalige Botschafter Falin erinnerte sich: „Ohne ein Wort zu sagen, setzte sich der Generalsekretär hinters Steuer, ließ den Motor an und fuhr vor den Augen der verdatterten Leibwache die Serpentinenstraße hinunter und, unten wendend, wieder hinauf, stellte den Motor ab, schlug die Tür zu legte die Hand auf die Motorhaube und sagte: ‚Gute Maschine.‘“369 Allerdings verschwieg Falin diskret, dass Breschnew beim Verlassen des Vorplatzes des Hotels über einen Begrenzungsstein fuhr und dabei die Ölwanne des Wagens aufriss. Es gibt verschiedene Legenden darüber, dass er auch in den engen Serpentinen einen weiteren Bordstein überfuhr und hier

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das Auto beschädigte.370 Es handelte sich ohnehin nur um einen Vorführwagen. Anschließend allerdings brachte Breschnew die Protokollabteilung und das Mercedes-Benz-Werk in Sindelfingen fast zur Verzweiflung, weil er sich lange nicht zwischen den verschiedenen Modellen entscheiden konnte und über den Kanal immer wieder ein anderes Auto orderte, bis es schließlich ein Viertürer 450 SE in Metallic-Blau wurde.371 Während Brandt das Glück hatte, nicht neben dem rasenden Breschnew zu sitzen, erging es Nixon schlechter. Nachdem er 1972 einen schwarzen Cadillac nach Moskau mitgebracht hatte, in dem Kissinger bereits seine Spritztour hatte machen müssen, hatte Washington angedeutet, dass es für einen weiteren Wagen kein Budget gebe. Moskau jedoch hatte darauf bestanden und schließlich spendete Ford einen dunkelblauen Lincoln-Continental mit schwarzen Samtsitzen und einem ins Armaturenbrett eingravierten Gruß.372 Als Nixon Breschnew in Camp David die Schlüssel überreichte, konnte dieser sein „Entzücken nicht verbergen“, wie Nixon sich erinnerte. Er bestand darauf, den neuen Wagen sofort auszuprobieren. Er setzte sich ans Steuer und winkte mir begeistert, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Mein Geheimdienstchef wurde blaß, als ich einstieg und wir einige der engen Wege durch Camp David fuhren. (…) ich durfte gar nicht daran denken, was geschehen konnte, wenn jetzt ein Jeep des Secret Service oder der Marines an irgendeiner Ecke dieser Einbahnstraße aufgekreuzt wäre. An einem Punkt gab es einen steilen Hang mit der Beschilderung „Langsam fahren – gefährliche Kurve“, aber Breschnew fuhr seelenruhig mit mehr als 50 Stundenmeilen weiter, nahm die gefährliche Kurve mit quietschenden Reifen und überhörte tunlichst meine Mahnungen. Beim Aussteigen sagte er nur begeistert: „Wunderbarer Wagen – liegt einfach phantastisch in der Kurve!“ – „Sie sind ein außerordentlich guter Fahrer“, sagte ich. „Ich hätte es nie geschafft, diese Kurve mit dieser Geschwindigkeit zu nehmen.“373

Es waren solche Begebenheiten, die es für Nixon schwierig machten, die Ba­lance zwischen Höflichkeit und Würde zu halten, während Breschnew seiner west­ lichen, aber wenig staatsmännischen Leidenschaft nachgab und gar nicht zu merken schien, dass er damit andere verstörte.

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Der volksnahe Staatsmann

Auch mit seinem Drang, sich als volksnaher Politiker zu zeigen, der das Bad in der Menge genießt, sorgte Breschnew mitunter für mehr Trubel, als es einem westlichen Staatsmann geziemte. Sowohl in Bonn als auch in Washington behinderte er mit entsprechenden Eskapaden wiederholt den protokollarisch festgelegten Programmablauf. In Bonn wollte er auf dem Weg zum Kanzleramt aus dem Auto aussteigen, um die Menschen am Straßenrand zu begrüßen. Weil die ganze Kolonne schlechterdings nicht angehalten werden konnte, öffnete er das Autodach und winkte von dort den Menschen zu. Seinem Botschafter Falin erklärte er, dass es durchaus seine Absicht sei, durch solche Aktionen aufzufallen: „Jedenfalls wird man sich an etwas Nichtgeplantes erinnern. Sonst hüpfe ich von einer Veranstaltung zur anderen wie aufgezogen.“374 Breschnew wollte also bewusst aus der Rolle ausbrechen, weil er offenbar fürchtete, dass man ihn in ein Korsett zwänge, in dem seine Spontaneität und seine Volksnähe nicht zur Geltung kämen. Auch Nixon musste das ertragen, als er Breschnew im Weißen Haus empfing: Als wir am Ende der ersten Reihe [der Ehrengarde] ankamen und gerade im Begriff waren, die nächste abzuschreiten, konnte Breschnew seine Lebhaftigkeit und Leutseligkeit nicht länger zurückhalten. Er winkte den Zuschauern begeistert zu, die applaudierten und sowjetische und amerikanische Fähnchen schwenkten, dann ging er zu ihnen – ganz wie ein amerikanischer Politiker, der sich durch eine Menge auf einem Jahrmarkt drängt. Er schüttelte mehreren die Hand und grinste breit, als sie die Hände nach ihm ausstreckten. Ich mußte ihn daran erinnern, daß wir das Protokollarische doch noch vollenden mußten. Als wir zur Südhalle zurückgingen, legte er den Arm um meine Schulter und sagte: „Sehen Sie? Wir machen schon Fortschritte!“375

Während Breschnew über seine eigenen Fortschritte in Sachen westlicher Publicity begeistert war, stöhnten nicht nur seine Gesprächspartner, sondern auch die Protokollabteilungen darüber, dass der sowjetische Gast das Programm immer wieder umwarf. Ganz unstaatsmännisch erschien er ohne Entschuldigung zu vereinbarten Treffen nicht – oder kam ohne Vorankündigung zu unerwarteter Zeit.376 Obwohl sich Breschnew zu Beginn seiner USA-Reise extra ein Wochenende lang allein auf Camp David akklimatisiert hatte, machte ihm die Zeitumstellung sichtbar zu schaffen.377 Auf Nixons Ranch bat er daher darum, das Dinner vorzuziehen, damit er

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früh zu Bett gehen könne – um dann um 22:00 Uhr, als sich der Präsident bereits zur Nachtruhe gelegt hatte, Verhandlungen über den Nahen Osten zu verlangen.378 Es zeugt von dem Vertrauen, das Nixon und Kissinger bereits zu Breschnew gefasst hatten, dass sie diesen eklatanten Protokollverstoß nicht als bösartige Absicht werteten, sondern auf den Jetlag ihres Gastes schoben.379 Insofern hatten sie begriffen, dass er nicht „den Feind“ repräsentierte, sondern bei der Beachtung staatsmännischer Umgangsformen einfach noch Nachhilfe brauchte. Sie sahen ja, mit welcher Freude er die zu seinen Ehren eingeladenen Hollywoodstars begrüßte, wie sehr er sich über die ihm vom Westernhelden Chuck Connors überreichten Colts freute und mit welcher Aufrichtigkeit er eigene private Geschenke, darunter ein handgesticktes Halstuch für die First Lady, übergab:380 „‚Es ist ein bescheidenes Geschenk‘, sagte er, ‚aber jeder Stich in diesem Gewebe stellt Liebe und Freundschaft des sowjetischen Volkes für das Volk Amerikas dar – und die, die ich und meine Frau für Sie und Frau Nixon haben.‘ Tränen traten ihm in die Augen, als er sprach.“381 Der virile Staatsmann

Allerdings hatte Breschnew seine Frau weder nach Bonn noch in die USA mitgenommen und dies mit ihren angeblichen gesundheitlichen Problemen erklärt.382 Einzig nach Paris hatte ihn Viktorija Petrowna 1971 begleitet, danach nicht mehr.383 Es ist Spekulation, aber es scheint, dass Breschnew fürchtete, seine Frau könne, ähnlich wie einst Chruschtschows Frau Nina Petrowna, als tumbe Bäuerin wirken und damit seiner Charmeoffensive als „westlicher Politiker“ schaden. Keworkow charakterisierte die sowjetische „First Lady“ jedenfalls so: „Eine von zahlreichen Komplexen geplagte, unbewegliche Dame, die viel lieber zu Hause saß“.384 Glaubt man Breschnews Übersetzer, ging es ihm aber nicht nur um sein westliches, smartes Image. Breschnew soll gesagt haben, mit seiner eigenen Frau zu reisen, sei wie Eulen nach Athen zu tragen. In Camp David habe er in seinem Cottage mit einer sowjetischen Stewardess zusammengelebt, die er auch ganz offen Nixon vorgestellt habe.385 Auch wenn Nixon diese Szene verschweigt, würde es zu Breschnew passen, seine Virilität zur Schau zu stellen, um auch damit den Schatten des lustfeindlichen Apparatschiks abzuschütteln. Kissinger berichtet, dass, nachdem er in Moskau zu einer Verhandlung seine Sekretärin mitgebracht hatte, sich Breschnew das nächste Mal von zwei junge Frauen begleiten ließ, als sei dies ein Wettkampf, wer die meisten attraktiven

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Frauen vorweisen könne.386 Auch Helmut Schmidt bestätigt, dass Breschnew einerseits eine sehr patriarchalische Haltung zeigte, nach der Frauen nicht in die Politik gehören und nicht einmal bei Unterschriftszeremonien anwesend sein sollten – was Schmidts Frau Loki einmal zu ihrem großen Frust erfahren musste. Andererseits habe Breschnew es genossen, den Casanova zu spielen, und dafür gelegentlich schon einmal die Tischdekoration geplündert, um jeder Dame bei Tisch eine Rose überreichen zu können.387 Breschnew hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berge, dass sich ein Politiker seiner Manneskraft nicht schämen, sondern darauf stolz sein sollte. Als Kissinger 1972 scherzte, wenn er zu lange bei den Vorverhandlungen in Moskau bleibe, werde man denken, dass er eine Freundin habe, erwiderte Breschnew: „Wir verleihen dafür Preise, besonders für Männer in meinem Alter. Wenn mir das geschehen würde, bekäme ich eine Medaille. Ab 65 bekommt man das ‚Ehrenabzeichen‘ für seine Potenz.“388 Was hier ein Scherz war, wurde für Breschnew beim Rücktritt Brandts zu bitterem Ernst. Breschnew schäumte, wegen angeblicher Fotos mit Freundinnen darauf trete man nicht zurück, falls es diese überhaupt gebe. „Und wenn es die gäbe, würde ich dafür noch Geld hinlegen, besonders wenn ich darauf wie ein richtiger Mann aussehe. Auf keinen Fall aber würde ich zurücktreten.“389 Auch wenn das Gebaren eines Frauenhelden zumindest offiziell jenseits des Verhaltenskodex des „westlichen Staatsmanns“ lag, gehörte es für Breschnew offenbar zum Repertoire des potenten westlichen Politikers. Es ist Spekulation, ob die Botschaft Breschnews, ein „normaler Mann“ mit „natürlichen Bedürfnissen“ zu sein – eher der bürgerlichen Doppelmoral denn der sozialistischen Prüderie folgend –, bei den westlichen Staatsoberhäuptern ankam. Immerhin ist nicht überliefert, dass sie sich davon irritiert fühlten. Vermutlich war jedes Zeichen, das sie wirklich zu verstehen glaubten, willkommen und dabei hilfreich, eine Vertrauensbasis herzustellen. Zumindest Willy Brandt und Georges Pompidou werden Verständnis für Breschnews Schwärmerei für das „schöne Geschlecht“ gehabt haben. Nixon soll zu der Stewardess in Breschnews Cottage gesagt haben: „Passen Sie gut auf ihn auf!“390 Schließlich hatte Breschnew ihm und Kissinger expressis verbis gesagt, dass es ihm viel leichter falle, mit ihnen eine gemeinsame Sprache zu finden als mit seinen Genossen Podgorny und Kossygin.391 Seine Mitarbeiter fragten sich, wie er nach dieser ideologischen Wende zu einer adäquaten Sprache mit den Führern der Bruderstaaten zurückfinden wollte.392

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Das Ende der „Großen Vier“

Die erste USA-Reise war für Breschnew ein großer Triumph. Neben der Zusage über weitere Getreidelieferungen im großen Stil unterschrieb er zusammen mit Nixon das Abkommen zur Verhinderung eines Atomkriegs.393 Er hatte politische Erfolge vorzuweisen und seine Freundschaft zu Nixon ausgebaut.394 Dieser Auftakt war rundum vielversprechend. Mit Pompidou, bei dem er auf dem Rückweg aus den USA für zwei Tage vorbeschaute, konnte er sich inzwischen ganz ungewzungen wie mit einem alten Freund unterhalten. Im Schloss Rambouillet, wo er untergebracht war und sich zu drei ausführlichen Gesprächen mit dem französischen Präsidenten traf, fühlte er sich wie zu Hause. Breschnew unterstrich, dass er keine Fragen vorbereitet habe, um ganz frei sprechen zu können, und entschuldigte sich schelmisch, er habe ganz vergessen, die Grüße von Podgorny und Kossygin auszurichten. Aufrichtig erklärte er Pompidou vor seiner Weiterreise nach Moskau: „Wir waren extrem offen zueinander und, wie man im Russischen sagt, ohne Vertrauen gibt es keine Liebe.“ Pompidou antwortete: „Und ohne Liebe gibt es kein Vertrauen.“395 Das nächste Treffen war bereits verabredet: Pompidou sollte, wie drei Jahre zuvor Brandt, auf die Krim kommen, um sich zu erholen, wie Breschnew anbot: „Ich habe da eine Villa, die ich Ihnen ganz zur Verfügung stelle. (…) Das wäre auch eine politische Geste: Der Präsident der Republik Frankreich macht bei uns Urlaub.“396 Doch während das Jahr 1973 ganz nach Breschnews Vorstellungen verlief, war 1974 ein Desaster. Am Jahresende waren Brandt wie Nixon zurückgetreten, Pompidou tot und Breschnew selbst schwer von seiner Tablettensucht gezeichnet. Dabei begann das Jahr sehr positiv: mit einem Besuch Pompidous am 12. und 13. März in Pitsunda auf der Krim, wo Breschnew ihn persönlich vom Flughafen abholte, beide befriedigt feststellten, dass sie sich schon zum sechsten Mal trafen, und Breschnew erneut erst verspätet Grüße von Podgorny und Kossygin ausrichtete, die er tunlichst in Moskau gelassen hatte.397 Die Gespräche verliefen in gelöster Atmosphäre. Beide waren sich einig, der Motor für ein friedliches Europa zu sein. Wie Pompidou es ausdrückte: „Ihr Land liegt ganz im Osten und wir liegen ganz im Westen. Ganz gleich, was dazwischen ist, es wird keine wirkliche Stabilität ohne ein Einverständnis zwischen unseren Ländern geben.“398 Keine drei Wochen später, am 2. April 1974, verstarb der französische Präsident vollkommen überraschend an einer Blutvergiftung infolge seiner verheimlichten Erkrankung an Morbus Waldenström. Bei ihrem Treffen in Paris 1971 hatte Pompidou Breschnew bereits angekün-

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digt: „Sie werden mich begraben.“399 Der hatte das als Scherz verstanden, den er provoziert hatte, als er erzählte, dass in seiner Familie alle sehr alt geworden seien. Nur 22 Tage nach dem 2. April 1974 erreichte Breschnew aus Bonn die nächste Hiobsbotschaft. Dort war der Kanzler-Vertraute Günter Guillaume als DDRSpion verhaftet worden. Breschnew hatte sich schon vor 1974 Sorgen über Brandts politische Zukunft gemacht. Zum einen fürchtete er die Macht der CDU/CSU, zum anderen war es kein Geheimnis, wie verärgert Erich Honecker über Moskaus Kurs der Annäherung an Bonn war. Andropow wusste, dass seine ostdeutschen Genossen Informanten in der sowjetischen Botschaft installiert hatten, um über alle Vorgänge zwischen Bonn und Moskau genau informiert zu sein.400 Dass die ostdeutsche Staatssicherheit einen Spion jedoch direkt an des Kanzlers Seite platziert hatte, ahnte in Moskau offenbar niemand. Und dass die Verhaftung dieses Spions am 24. April 1974 zum Rücktritt Willy Brandts nur zehn Tage später führen sollte, hätte weder Andropow noch Breschnew für möglich gehalten. Breschnew begriff es als persönliche Beleidigung, dass Honecker seinen Spion nach der Kontaktaufnahme zwischen Kreml und Kanzler nicht abgezogen hatte, und sollte das Honecker nie verzeihen.401 Er war außer sich, als Andropow ihn in Kenntnis setzte: Nun sage mir bitte, Jura, was dort vorgeht. Der Generalsekretär des ZK der KPdSU tut jahrelang alles, um gemeinsam mit dem Bundeskanzler neue Beziehungen zwischen unseren Ländern aufzubauen, die die Lage in der ganzen Welt verändern können, und plötzlich hebt da so ein kleinliches Gewese um Weiber und Fotos an … Und wer hat sich das ausgedacht? Ausgerechnet unsere deutschen Freunde!402

Am Tag nach dem Rücktritt meldete sich der Kanal und teilte über Breschnews Reaktion mit: Der Rücktritt sei ein schwerer Schlag für die Politik des Friedens. (…) Es täte ihm sehr leid. Der Rücktritt werde die europäische Politik, aber auch die Weltpolitik schwerer machen. Es sei ein großer Schlag. Es sei auch für ihn ein schwerer Schlag. Es sei ganz unerwartet. Er habe frei gesprochen, sehr emotional, und habe dann schrecklich auf Honecker geschimpft. Dies würde nicht ohne Folgen bleiben.403

Breschnew war aber auch wütend auf Brandt, dass dieser die Krise nicht durchgestanden hatte: „Man sieht sofort, daß Brandt nie im Krieg war. Wenn er durch

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dieses blutige Gemetzel gegangen wäre, hätte er die Intrigen seiner Kamarilla wie eine lästige Fliege im Herbst mit bloßer Hand niedergeschlagen.“404 Breschnew begriff Brandts Drama als sein eigenes. „Er hatte das Gefühl, man habe mit dem Fotoapparat nicht in Brandts Bett, sondern in sein eigenes geschaut.“405 Nach dem Verlust von Pompidou und Brandt stand für Breschnew außer Frage, dass er alles für Nixons politisches Überleben tun würde. Schon sein Besuch in den USA 1973 hatte unter dem Vorzeichen der Watergate-Affäre gestanden, die Breschnew irritierte und schließlich ignorierte.406 1974 hielt er nicht trotz, sondern wegen des Nixon drohenden Impeachment-Verfahrens an dessen Einladung nach Moskau und auf die Krim zum Tête-à-Tête fest. Nixon war bewegt von den Solidaritätsbekundungen, die Breschnew ihm zukommen ließ, und nutzte seinerseits das Treffen und die Bilder mit Breschnew, um zu zeigen, dass er, Nixon, für den Friedenskurs mit der Sowjetunion unverzichtbar war.407 Als Nixon am 27. Juni in Moskau landete, holte Breschnew ihn demonstrativ vom Flughafen ab, obwohl das protokollarisch nach wie vor nicht seine Rolle war, und entführte ihn sogleich wieder zu einem Vieraugengespräch.408 Auf der Krim führten sie in der Grotte der Sommerresidenz intensive und vertraute Gespräche, bei denen nur der Dolmetscher anwesend war.409 Wie einst mit Willy Brandt unternahm Breschnew auch mit Richard Nixon eine Bootsfahrt, legte einen Arm um ihn und beschwor den amerikanischen Präsidenten: „Wir müssen etwas von großer historischer Bedeutung tun. Wir wollen doch, daß Russen und Amerikaner Freunde werden und miteinander sprechen, wie Sie und ich hier, auf diesem Schiff.“410 Auch wenn sie keine neuen Abkommen unterzeichneten, empfanden beide diesen Gipfel als Erfolg.411 Am 3. Juli verabschiedete Breschnew seinen Freund Nixon am Flughafen; am 8. August gab dieser seinen Rücktritt bekannt, um einem Amtsenthebungsverfahren zuvorzukommen. Wie sehr Breschnew der Verlust der drei Partner traf, ist kaum zu überschätzen. Er stand vor einem außenpolitischen Scherbenhaufen. Geradezu hilflos klangen seine Mahnungen über den Kanal nach Bonn und nach Washington: „Es hätte die neuen großen Vier gegeben für die Politik der Entspannung: Pompidou ist tot, Brandt zurückgetreten, Nixons Schicksal ungewiß, Breschnew sei allein.“412 „Nixon, Brandt und Pompidou waren die drei, zu denen er die engste Beziehung hatte. Nun sind alle drei gegangen.”413 Doch bei aller Verzweiflung stand für Breschnew jetzt eines im Vordergrund: Wie waren die drei Nachfolger einzuschätzen? Würde es eine Kontinuität geben? „Wie, so lautet die wiederholt vorgebrachte Frage, steht dieser Mann [Bundes-

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kanzler Helmut Schmidt] zur Sowjetunion, zur Ostpolitik, in welchem Sinn wird er sie beeinflussen, welches seine Richtlinien sein?“414 Breschnew war fest entschlossen, keine Pause in den Beziehungen eintreten zu lassen; auf keinen Fall durften die Strukturen des Misstrauens wieder die persönlichen Freundschaften überlagern. Mit der Kraft des Verzweifelten lud er Helmut Schmidt noch im Oktober nach Moskau ein, empfing im November den neuen US-Präsidenten Gerald Ford in Wladiwostok und reiste im Dezember zum französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing nach Paris. Stress

Breschnew stand unter sehr großem Stress. Er hatte alles auf die Karte „friedliche Koexistenz“ gesetzt und wusste, dass Podgorny, Suslow und Kossygin nur auf sein Scheitern warteten, ja sich über den Sturz Nixons freuten.415 Im November 1973 hatte es im Politbüro eine Auseinandersetzung gegeben, die die Fronten erneut offenbart hatte.416 Breschnew sollte später an Brandt schreiben: „Das Leben erlegt uns Politikern ungewöhnliche Belastungen auf, erfordert volle Kraft und verlangt, daß wir uns voll ausgeben (…).“417 Für ihn waren Stress und Schlaflosigkeit seit Stalins Zeiten und den Verhandlungen mit Dubček ein ständiger Begleiter. Auch seine westlichen Gesprächspartner bemerkten Breschnews große Unruhe. Einerseits erklärten sie sein Auftreten mit seinem „südländischen“ oder „sanguinischen“ Temperament bzw. seiner großen Emotionalität, die Breschnew durchaus auch selbst einräumte: „Ich bin ein sehr leicht beeindruckbarer Mann und ich war sehr bewegt (…).“418 Andererseits sahen sie durchaus den politischen Erfolgsdruck, unter dem er stand.419 Kissinger briefte Nixon: Breschnew ist nervös, teils wegen seiner persönlichen Unsicherheit, teils aus physiologischen Gründen (…) und dem Druck seines Amts. Sie werden seine Hände ständig in Bewegung sehen, sie spielen mit der Goldkette seiner Uhr, schnippen Asche von der immer präsenten Zigarette oder er schlägt die Zigarettenspitze gegen den Aschenbecher. Hin und wieder steht er auf und stellt sich hinter seinen Stuhl oder geht durch den Raum.420

Breschnews Hände brauchten offenbar immer etwas, mit dem sie in Bewegung bleiben konnten. Einmal brachte er zu einer Verhandlung mit Kissinger sogar eine Spielzeugkanone mit, an der er die ganze Zeit hantierte.421 Wenn er nicht

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an etwas herumspielte, rauchte er. Zur Selbstdisziplinierung hatte er ein Zigarettenetui, das durch einen Mechanismus gesteuert war, der nur jede Stunde den Inhalt freigab.422 Doch führte er immer eine Reservepackung mit sich.423 Nachdem ihm die Ärzte das Rauchen verboten hatten, bat er seine Mitarbeiter, mitunter auch Helmut Schmidt, in seiner Gegenwart zu rauchen und ihm den Rauch ins Gesicht zu blasen.424 Griff Breschnew tagsüber zur Zigarette, so nahm er, um mittags und nachts Ruhe zu finden, Schlaftabletten. Das hatte er sogar freimütig Pompidou erzählt: „Die Analysen zeigen dass die Zusammensetzung meines Bluts konstant ist. Mein Blutdruck liegt bei 80–120, außer in Momenten großer Ermüdung. Mein Arzt ist daher unbesorgt und gibt mir nie etwas außer Beruhigungsmitteln.“425 Es ist schwer zu sagen, wann genau er die Kontrolle über die Einnahme seiner Beruhigungsmittel verlor. Seine unentschuldigten Verspätungen 1973 in Sawidowo bei Kissinger, in Bonn bei Brandt und in Camp David sollen bereits das Resulat übermäßgen Tablettenkonsums gewesen sein. Die jeweiligen Protokollabteilungen hatten sich nur gewundert und diese Vorkommnisse auf russische Ungehobeltheit, Breschnews Launen oder sowjetische Allüren geschoben.426 Den Besuch Helmut Schmidts im Oktober 1974 in Moskau brachte er ohne Aussetzer hinter sich.427 Nachdem er Schmidt „aufgekratzt“ begegnet war, reiste er in äußerster Anspannung nach Wladiwostok, um dort den neuen US-Präsidenten kennenzulernen. Seine Leibwächter und Ärzte sahen, dass Breschnew am Limit war, und fürchteten einen Zusammenbruch.428 Anders als bei den Gesprächen mit Schmidt ging es beim Treffen mit Gerald Ford nicht nur darum, sich der guten Freundschaft zu versichern. Vielmehr standen Breschnew hier entscheidende Verhandlungen über ballistische Raketen, Mehrfachsprengkörper, U-Boote und Bomber bevor – die Fragen, die im Rahmen von SALT I nicht hatten geregelt werden können und die nun zu bewältigen waren, um SALT II abschließen zu können.429 Zudem mischten sich neue Töne in die Beziehungen zwischen Washington und Moskau. Breschnew beunruhigte, dass die USA wieder verstärkt beanspruchten, die stärkste Macht in der Welt zu sein. Außerdem hatten die Demokraten Henry M. Jackson und Charles Vanik 1974 ein Gesetz durchgesetzt, das Handelsbeschränkungen für jene Länder vorsah, die ihre jüdische Bevölkerung und andere Emigranten nicht ausreisen ließen. Beides irritierte und verärgerte Breschnew zutiefst.430 Der Start mit Ford am 23. November war dennoch vielversprechend. Trotz der sehr spartanischen, notdürftig hergerichteten Unterkunft in einem Sanato-

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rium für Militärangehörige (das Ford an ein verlassenes Jugendcamp erinnerte) fanden die beiden sofort einen Draht zueinander, als sie sich gegenseitig als Fußballfans identifizierten, Breschnew mit Ford seine Frotzeleien über Kissinger wieder aufnehmen konnte – „Warum mussten Sie den denn mitbringen?“431 – und Breschnew entdeckte, dass sie den Amerikanern im Schneeräumen überlegen waren: „‚Das ist unser erstes Abkommen‘, sagte er. ‚Wir senden ihnen sowjetische Schneepflüge.‘“432 Nichtsdestoweniger war Breschnew in den folgenden Verhandlungen sehr angespannt und rauchte Kette.433 Er gestand Ford zu, dass bei der Beschränkung auf 2400 Raketen und 1320 Mehrfachsprengkörper die USA ihre europäischen Raketen nicht mitzählen müssten. Als Gegenleistung verlangte er, dass die USA die Produktion der Trident-U-Boote und der B-1-Bomber einstellten, doch Ford weigerte sich.434 Zwar machten sie immer wieder Verhandlungspausen, verzichteten aber auf das Dinner und gingen erst um Mitternacht zu Bett, um am folgenden Morgen weiterzuverhandeln.435 Nach einer Stadtrundfahrt mit Ford legte sich Breschnew hin und kam nicht wieder zu sich, offenbar aufgrund von Tabletteneinnahme. Als Breschnews Ärzte ihn endlich wieder zu Bewusstsein gebracht hatten, empfahlen sie dringend, weitere Verhandlungsrunden abzusagen, aber ihr Patient weigerte sich und verlangte, dass der Vorfall geheim gehalten werde.436 Er konnte Ford noch gebührend verabschieden, bevor er in dem Zug, der ihn zu einem nächsten Besuch in die Mongolei bringen sollte, erneut zusammenbrach.437 Die amerikanische Presse jubelte zwar, Ford habe in drei Monaten erreicht, was Nixon in fünf Jahren nicht geschafft habe, aber der Präsident traute sich nicht, SALT II vor den Wahlen, die Ende 1976 stattfinden sollten, zu unterschreiben. Zudem begann er, das Wort „Entspannung“ zu vermeiden, und schaffte die amerikanisch-russische Wirtschaftskommission ab.438 So wie zuvor die zwei Jahre dauernde Ungewissheit, ob die Moskauer Verträge ratifiziert würden, an Breschnews Gesundheit genagt hatte,439 so setzte ihm jetzt das quälende Warten zu. Würde sich sein Engagement auszahlen und er SALT II eines Tages unterschreiben können? Breschnew hoffte auf eine Wiederwahl Fords – und wünschte sich Nixon zurück.440

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Rückkehr des Misstrauens Als Breschnew am 4. Dezember 1974 zu seinem Antrittsbesuch in Paris eintraf, hatte er den Tablettenkonsum nicht mehr im Griff. In Wladiwostok war Ford sein Zusammenbruch offenbar entgangen, aber in Paris war der Zustand Breschnews vor dem neuen französischen Präsidenten nicht mehr zu verheimlichen. Mit den neuen Amtsträgern Schmidt und Ford war ihm die Fortführung seiner Politik der Beziehung von Mensch zu Mensch gelungen, aber bei Valéry Giscard d’Estaing im Dezember 1974 drohte Breschnew zu versagen. Dabei gab sich der Stab des Präsidenten große Mühe, Raum für persönliche Begegnungen zu schaffen, und schlug Breschnew sogar vor, zusammen mit Giscard jagen zu gehen. Aber Breschnews Berater lehnten das – wohl angesichts des Nervenzustands ihres Chefs – ab, wie sie überhaupt wissen ließen, das Programm sei „überladen“, es solle nur ein „Maximum“ an Gesprächen geben.441 Doch selbst zu diesem „Maximum an Gesprächen“ war Breschnew nicht mehr in der Lage. Er riskierte es, das Kapital der persönlichen Beziehung zu verspielen, als er den französischen Präsidenten im Schloss Rambouillet stundenlang warten ließ. In der symbolischen Welt der Diplomatie, in der jede Minute, die man die Gegenseite warten lässt, als bewusster Affront gilt, war es verheerend, dass Breschnew nicht mehr Herr über Wachen und Schlafen war. Nixon, Brandt und Kissinger hatten ihm kleinere Verspätungen nachgesehen, weil sie ihn kannten und mochten. Aber als Breschnew Giscard am 5. Dezember mehrmals bat, ihr erstes Gespräch zu verlegen – zunächst von 17:00 Uhr auf 17:30 Uhr, dann auf 18:00 Uhr und wenig später auf 18:30 Uhr –, irritierte das Giscard so sehr, dass er auf 18:00 Uhr bestand. Er fürchtete einen Skandal, wenn diese Terminverschiebungen an die Presse durchsickerten; es würde dann heißen, Breschnew führe ihn vor.442 Als Breschnew dann endlich erschien, hatte er Mühe, zu gehen und zu sprechen: „Sein Gang ist unsicher, ganz und gar nicht hoheitsvoll, als müsse er bei jedem Schritt erneut die Richtung suchen.“443 Wie Giscard richtig vermutete, bestand ein Großteil der sowjetischen Entourage aus Ärzten. Giscard ahnte allerdings nicht, dass Breschnew aufgrund der Einnahme von Tabletten nicht hatte geweckt werden können und seine Ärzte befürchteten, er könne jederzeit – wie in Wladiwostok – wieder zusammensacken.444 Das passierte zwar nicht, aber während der vier Besuchstage stand Breschnew mehrfach unvermittelt auf und verließ schwankend den Raum, entschuldigend murmelnd, er müsse sich jetzt ausruhen.445 Nicht nur die Gesundheit unterschied

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die beiden Männer grundsätzlich: Hier war der feinsinnige Giscard, der die üblichen diplomatischen Formulierungen erwartete, dort der geradlinige Breschnew, der jede klassische Diplomatie ablehnte. Giscard sprach frei, während sich Breschnew an seine vorbereiteten Papiere hielt.446 Die kumpelhafte Vertrautheit zweier Kerle, die er mit Pompidou gepflegt hatte, konnte auf dieser Basis nicht wiederhergestellt werden. Zwar erreichte Breschnew seine Ziele: Der Präsident schloss sich seinem Wunsch an, die Vereinbarung der KSZE auf einem Gipfeltreffen zu unterschreiben, und unterzeichnete auch mehrere Wirtschaftsabkommen.447 Aber der französische Geheimdienst soll über den Zustand Breschnews so alarmiert gewesen sein, dass er angeblich dessen Toilette anzapfte und diagnostizierte, Breschnew sei todkrank, ohne etwas über die wirkliche Ursache herauszufinden.448 Es war ein Teufelskreis, in dem sich Breschnew bewegte: Der große Stress, in der Außenpolitik zu versagen, hatte ihn in die Tablettensucht getrieben, und diese zerstörte nun die Basis seiner auf persönliche Männerbeziehungen gegründeten Annäherung an den Westen. Da der wahre Gesundheitszustand Breschnews vor seinen Gesprächspartnern so gut wie möglich verheimlicht wurde, deuteten diese seine Ausfälle und Abwesenheiten abwechselnd als Affront, Provokation oder Richtungswechsel im Politbüro. Ein Jahr später, als Giscard im Oktober 1975 seinen Gegenbesuch in Moskau abstattete, war es bereits ein ganzer Tag, den der Generalsekretär den Präsidenten warten ließ.449 Wieder stand ein Eklat kurz bevor, denn Giscards Mitarbeiter schäumten: „Das können Sie nicht dulden! Die Journalisten sind bereits informiert. Sie telefonieren nach Paris, um durchzugeben, daß Breschnew Sie brüskiert.“450 Was in solchen Situationen auf dem Spiel stand, brachte Giscard so auf den Punkt: „Ich wäge das Für – Breschnews Gesundheit – und das Wider – meine Machtposition – ab.“451 Giscard sah einen Breschnew, der einerseits an seine Körperpolitik anknüpfte, wenn er Hand in Hand mit seinem französischen Gast den Saal verließ, und der andererseits körperlich stark beeinträchtigt war, weil man ihm, wie der Gast vermutete, starke Spritzen gegeben hatte.452 Giscard entschied, sich das Warten gefallen zu lassen, doch die Presse trat den Vorfall breit.453 Breschnews Siechtum sorgte dafür, dass sich die beiden Männer nicht, wie einst mit Pompidou verabredet, jedes Jahr, sondern nur noch alle zwei Jahre trafen. 1977 war Breschnew an der Reihe, nach Paris zu kommen, aber es gab ein langes, aus Pariser Sicht unwürdiges Gerangel darum, ob nicht Giscard doch nach Moskau kommen könnte, was sein Beraterstab als „vollkommen inakzeptabel“

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ablehnte, und schließlich, wann und ob der Besuch überhaupt stattfinden würde. Schließlich kam Breschnew für zwei Tage im Juni 1977 nach Rambouillet – nur da wünschte er zu nächtigen –, wo er Zettel verlas, die niemand verstand.454 Der Präsident informierte den Ministerrat: „Es scheint, dass nichts mehr geht: Man ändert ständig die Zeit, das Programm und die Themen.“455 1979 waren es bereits zwei Monate, um die Moskau Paris vertröstete, weil Breschnew angeblich eine Erkältung auskurierte.456 Breschnew, dem schmerzlich bewusst war, wie desaströs solche Verschiebungen und die Spekulationen über die Gründe waren, holte Giscard persönlich vom Flughafen ab und erklärte ihm unumwunden noch im Auto: „‚Ich möchte Ihnen sagen, daß ich sehr krank bin.‘ Ich halte den Atem an. Unwillkürlich stelle ich mir vor, was dieser Satz, über die Medien ausgestrahlt, alles auslösen könnte. Weiß er, daß die westliche Presse tagtäglich Vermutungen über seinen Gesundheitszustand anstellt, über die Zeit, die ihm wohl noch bleibt?“457 Breschnew erklärte Giscard freilich nicht, dass er tablettensüchtig sei, sondern sprach über seine Kieferverletzung und die dadurch verursachten Artikulationsschwierigkeiten; er werde bestrahlt und die Ärzte seien zuversichtlich. Wie für ihn typisch, legte Breschnew eine Hand auf Giscards Knie und vertraute ihm an: „Aber ich werde schon wieder auf die Beine kommen. Ich habe eine Pferdenatur.“458 Ärzte statt Diplomaten

Breschnews Tablettensucht war daran schuld, dass die Unterzeichnung der Helsinki-Schlussakte zur Einrichtung der KSZE am 1. August 1975 nicht zu seinem Triumph und zum Auftakt weiterer Entspannung geriet, sondern den Beginn neuen Misstrauens markierte.459 Er hatte unermüdlich dafür gekämpft und geworben, dass dies Dokument von den Staatsführern und nicht auf der Ministerebene unterschrieben wurde, und jetzt war seine eigene Teilnahme gefährdet. Nachdem Breschnew im Dezember 1974 mit Müh und Not den Besuch bei Giscard absolviert hatte und im November und Dezember 1974 fast täglich öffentlich aufgetreten war, zog er sich im Januar/Februar 1975 für sieben Wochen und im Mai/Juni für weitere vier zurück. „Heutzutage wird als Tatsache angesehen, daß die beiden ersten Pausen durch komplizierte Kieferoperationen und möglicherweise weitere Krankheitsgründe bedingt waren. Offensichtlich haben diese Eingriffe Breschnews Gesundheit nicht wieder herstellen können“, meldete die westdeutsche Botschaft nach Bonn.460 Tatsächlich aber hielt sich Breschnew entweder

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zum Entzug in der Klinik Barwicha vor den Toren Moskaus auf – aus der er floh, sobald er sich wiederhergestellt sah – oder er weilte auf seinem Jagdsitz Sawidowo, wo er sich der Tablettensucht ergab.461 Für seine behandelnden Ärzte war es eine Herausforderung, ihn für die Reise nach Helsinki fit zu bekommen. Um seinen Zustand nicht zu vielen zu offenbaren, wurde die Zahl der Mitreisenden klein gehalten. Das sowjetische Außenamt empörte sich, dass im Konferenzsaal nur Breschnews Leibwächter und Ärzte, aber keine Diplomaten vorgesehen waren. Verheerender aber war, dass den Staatschefs Ford, Schmidt und Giscard die gewohnten und von Breschnew einst favorisierten Vieraugengespräche verwehrt wurden. Um peinlichen Ausfällen oder Zusammenbrüchen vorzubeugen, sollten bei den Treffen mit ausländischen Politikern immer die mitreisenden Gromyko und Tschernenko anwesend sein, damit sie rechtzeitig einschreiten konnten.462 Genau diese Vorsichtsmaßnahme unterminierte Breschnews Politik der persönlichen Kontakte und erweckte Argwohn. Die physische Schwäche wurde als politische Distanz interpretiert. Schmidt hatte keine Chance, ein enges Verhältnis zu Breschnew aufzubauen, als er den sowjetischen Parteichef in Helsinki traf.463 Die ständige Anwesenheit des „Mr. Njet“ Gromyko verhinderte, dass eine freundliche Vertrautheit wie mit Brandt entstand.464 Auch Ford erlebte im Beisein Gromykos einen dünneren, blasseren Breschnew als in Wladiwostok – und einen, der zu keinen Zugeständnissen in den letzten offenen SALT-Fragen bereit war. Da sie sich nicht darüber verständigen konnten, wer wie viele Waffen besaß, gab es keinen Fortschritt und neue Distanz.465 Entsprechend verlief der Festakt in gedrückter Stimmung. Breschnew musste von seinen Beratern überredet werden, überhaupt zum Staatsbankett zu bleiben.466 Er hatte den „Korb 3“ über die Unantastbarkeit der Menschenrechte akzeptiert, um seinen Sieg hinsichtlich der Festschreibung der Grenzen in Europa und der friedlichen Zusammenarbeit über die Blockgrenzen hinweg nicht zu gefährden.467 Während die Dissidentinnen und Dissidenten in ganz Osteuropa sich fortan mit ihren Forderungen nach Meinungs- und Informationsfreiheit auf den „Korb 3“ beriefen und dadurch einen ungeahnten Aufschwung erlebten,468 war Helsinki, das sich Breschnew einst als triumphalen Höhepunkt seiner Außenpolitik vorgestellt hatte, für ihn das Ende seiner persönlichen Vertrauensmission und seiner Darbietung als westlicher Politiker.

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Reideologisierung

Das Misstrauen wuchs nicht nur im Westen, sondern auch in der Sowjetunion, als 1976 der Demokrat und neue US-Präsident Jimmy Carter Außenminister Kissinger entließ und zu Breschnews Entsetzen auch den „Channel“ einstellte.469 Trotz Carters Bekundungen, an einem direkten Austausch interessiert zu sein, erodierte die Grundlage der bisherigen vertrauensvollen Zusammenarbeit.470 Die amerikanische Außenpolitik wurde nicht nur entpersonalisiert und „restrukturiert“, sondern auch reideologisiert, da Carter begann, Helsinki gegen Breschnew zu benutzen und von der Sowjetunion die Einhaltung der Menschenrechte zu fordern.471 Carter verzichtete bewusst auf eine außenpolitische Realpolitik und bekannte sich offen zu einer prinzipiengeleiteten Handlungsweise. Trotzig erklärte er, die Menschen erwarteten von den USA, dass sie eine Politik der Menschenrechte betrieben: „Denjenigen, die an der Weisheit unseres Bekenntnisses zu den Menschenrechten zweifeln, sage ich: Ganz gleich ob es Kambodscha oder Chile ist, Uganda oder Südafrika, Nicaragua oder Äthiopien oder die Sowjetunion: Die Regierungen wissen, dass wir in den Vereinigten Staaten nicht gleichgültig sind.“472 Für Breschnew war das reiner Populismus. In Wien sollte er Carter 1979 erklären, dass sie ihre Beziehungen zu den USA auch nicht von den dortigen Arbeitslosenzahlen, der Rassendiskriminierung oder der Benachteiligung von Frauen abhängig machten.473 Er war empört, weil es a) gegen die Vereinbarung verstieß, die Außenpolitik ideologiefrei zu halten, b) Helsinki „sein Kind“ war und c) aus seiner Sicht die USA mit der Unterdrückung der Schwarzen und Benachteiligung von Frauen genügend eigene Menschenrechtsprobleme hatten.474 Entsetzt war Breschnew schließlich, dass Carter den mit Ford in Wladiwostok vereinbarten Rahmen von SALT II in Frage stellte.475 Carter selbst reflektierte später in seinen Memoiren, dass sein Vorstoß den sowjetischen Führern wie eine Aufkündigung aller erreichten Übereinkünfte vorgekommen sein musste.476 Tatsächlich waren die Person Carter und ihre Ziele für Breschnew ein Rätsel. Er bedrängte Brandt, Schmidt und Giscard mit Fragen, wie er diesen Mann zu verstehen habe.477 Bei Giscard beschwerte er sich: Er schreibt mir also diese ganzen Briefe. Und am Ende der Woche höre ich, daß er in irgendein Nest im Mittelwesten oder an eine Universität fährt. Und dort beschimpft er mich. Er beleidigt mich derart, daß ich das einfach nicht hinnehmen kann. Wahr-

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scheinlich denkt er, ich sei nicht informiert. Aber ich bekomme alle seine Reden. Er glaubt wohl, mit mir könne man so umspringen. Was ist das bloß für ein Mensch? Für wen hält er sich?478

In sein Notizbuch schrieb Breschnew, dass Carter laut Schmidt keine klare Linie habe, dass er aber ein neues Ministerium geschaffen habe, das mit einem Jahresbudget von zehn Milliarden Dollar eine neue Elektronenbombe entwickle.479 Breschnew war enttäuscht, dass Carter die antisowjetische Karte spielte und den „Kalten Krieg“ wiederbelebte, um innenpolitisch Stimmung zu machen und die Wahlen zu gewinnen.480 Während Breschnew im Politbüro dafür plädierte, Carter in einem anonymen „Prawda“-Leitartikel vor einem neuen Rüstungswettlauf zu warnen, drang dieser, unterstützt von Schmidt, darauf, endlich Breschnew persönlich zu treffen.481 Das aber stellte Breschnew und seine Entourage vor ein Problem, denn Breschnew war physisch nicht mehr in der Lage, in die USA zu reisen, wäre aber, nachdem zuletzt Ford die UdSSR besucht hatte, an der Reihe gewesen. So litt die Verständigung maßgeblich daran, dass Carter und Breschnew sich 1977 und 1978 nur Briefe schrieben, während die Verhandlungen angesichts von Breschnews Tablettensucht von „Mr. Njet“ Gromyko geführt wurden.482 „Ich war erstaunt, wie wenig kooperativ Gromyko war“, erinnerte sich Carter.483 Diplomatie nach Spickzetteln

Derweil reiste Breschnew im Mai 1978 nach Bonn, um sich dort bei Helmut Schmidt über die Verzögerungstaktik Carters bei den Verhandlungen zu SALT II zu beklagen.484 Schmidt hatte zur großen Erleichterung Breschnews den „Kanal“ aufrechterhalten, aber die Herzlichkeit zwischen den beiden Männern war nicht die gleiche wie mit Brandt.485 Breschnews Gebrechlichkeit war auch hier dafür verantwortlich, dass sich die beiden drei Jahre lang nicht getroffen hatten.486 Sein Verfall war deutlich zu sehen, als er am 4. Mai 1978 aus dem Flugzeug stieg; Schmidt glaubte, es sei Breschnews letzter Besuch.487 Auch ihre Beziehung war durch die Reideologisierung der Außenpolitik infolge von Forderungen der Menschenrechtsaktivisten und entsprechenden Sendungen von Deutscher Welle, Radio Liberty und Radio Free Europe überschattet.488 Breschnew war sich zunehmend unsicher, ob das „Schwanken und der Zickzackkurs“ der Regierung Schmidt nur dem Druck durch die „rechte Opposition“ geschuldet war oder ob

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Schmidt tatsächlich wankelmütig geworden war.489 Die Frage der Raketen trat immer stärker zwischen sie. Helmut Schmidt glaubte tatsächlich, mit den neuen SS 20 werde die Sowjetunion der NATO überlegen sein, während Breschnew darauf bestand, dass sie mit dem Austausch ihrer alten SS 4 und SS 5 nur mit dem Westen gleichzögen. Darüber hatten sie ein angespanntes Gespräch auf Schloss Gymnich.490 Ein gesunder Breschnew hätte vermutlich die alte Nähe und Vertrautheit und damit auch eine Verständigung herstellen können. Aber der Generalsekretär hatte Schwierigkeiten, dem Gespräch überhaupt zu folgen. Während Gromyko soufflierte, waren Breschnews Berater damit beschäftigt, ihn mit den richtigen „Sprechzetteln“ zu versorgen. Das forderte eine intensive Vorbereitung und große Geistesgegenwart. Sie mussten die Gesprächsthemen und Gesprächssituationen sowie mögliche Fragen antizipieren und im Voraus entsprechende Antworten vorbereiten. Diese schrieben sie in extragroßer Schrift für Breschnew auf Zettel, um sie ihm dann je nach Bedarf zu reichen.491 Pannen waren dabei unvermeidlich. Nicht nur hatte Alexandrow-Agentow Breschnew einen Zettel gegeben, den dieser dann vor Mitgliedern der DKP verlas, obwohl der Inhalt für Willy Brandt bestimmt war. Auch hatten sie nicht vorhergesehen, dass Schmidt eine „offene Aussprache“ wünschen würde. In Ermangelung anderer Texte las Breschnew stoisch denjenigen seiner Zettel ab, der für die anschließende Pressekonferenz vorgesehen war, und stand bei dieser dann vor den Journalisten ohne Manuskript da. Wieder konnten Millionen Menschen am Bildschirm auch in der Sowjetunion erleben, wie der sowjetische Generalsekretär hilflos Gedächtnisstützen vorlas, auf denen kein Satz vollständig war.492 Schmidt gab sich Mühe zu übersehen, dass Breschnew allein kaum aufstehen konnte oder dass er nicht wusste, warum man ihm seine Memoiren zusteckte, weil er vergessen hatte, dass er das Buch als Geschenk dem Kanzler überreichen sollte.493 Doch immerhin gab es noch Elemente der alten Vertrauenspolitik: Schmidt hatte Breschnew zum Abschluss zu einem privaten Besuch in sein Reihenhaus nach Hamburg-Langenhorn eingeladen, offenbar in der Hoffnung, in intimer Atmosphäre dem aufkommenden Misstrauen entgegenwirken und an die alte Vertrautheit der Vieraugengespräche anknüpfen zu können. Breschnew hatte die Einladung gegen den Rat seiner Berater, die fürchteten, dass Breschnew in Schmidts Wohnzimmer kollabieren könnte, angenommen.494 Doch Schmidt gelang diese „Entführung Breschnews“, der sich im winzigen Arbeitszimmer des Bundeskanzlers sehr beeindruckt zeigte, wie einfach und kleinbürgerlich der

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mächtigste Mann Deutschlands wohnte. Das war genau die Geste und Politik der persönlichen Nähe, an die er selbst gern anknüpfen wollte.495 Küsse in Wien

Während Schmidt Breschnew wenigstens noch in sein Reihenhaus locken konnte, war Jimmy Carter eine solche Nähe nicht mehr vergönnt. Dennoch gelang es ihm schließlich, im April 1979 eine Einigung zu erzielen und das erste Gipfeltreffen für Juni zu terminieren.496 Da Breschnew Langstreckenflüge nicht mehr zuzumuten waren, musste Carter im Juni 1979 nach Wien fliegen, um drei Jahre nach seinem Amtsantritt erstmals Breschnew zu treffen. Der war inzwischen ein Wrack. Es ist bezeichnend, dass Carter von seinem Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski gewarnt wurde, es gebe derzeit keine Basis für „persönliches Vertrauen“: „Zu erwarten, westliche Führer würden gegen ihre Klassen- oder Landesinteressen handeln, würde die Sowjetführer im Politbüro als Witzfiguren – wenn nicht Schlimmeres – dastehen lassen.“497 Dieser Satz entsprang wahrscheinlich Brzezinskis eigenem Denken: Dass die Sowjetführer gegen ihre Interessen Zugeständnisse machen könnten, glaubten nur noch Idealisten oder Wirrköpfe. Brzezinski diagnostizierte damit treffend, dass sich beide Seiten wieder in ihre Ideologien zurückgezogen und in ihrem Feinddenken fest eingemauert hatten. An eine persönliche Diplomatie war bei der Unterzeichnung von SALT II nicht mehr zu denken. Carter war von Schmidt und Giscard informiert worden, dass Breschnew oft abwesend wirkte und auf seine Zettel angewiesen war. Gleich bei ihrer Begrüßung bekam er eine Kostprobe davon. Breschnew ging zwar kräftigen Schrittes auf ihn zu, ließ dann aber eine lange Pause eintreten, bis Carter ihn freundlich erinnerte, dass ihm die erste Rede zufalle, worauf Breschnew erwiderte, er habe nur eine Antwort auf die Rede des österreichischen Bundespräsidenten vorbereitet. Erst als dieser gesprochen hatte, las Breschnew seine Rede vor.498 Gleich darauf demonstrierte Breschnew, zu welcher Art Überraschungen es kommen konnte, wenn er ohne Zettel sprach. Er legte Carter die Hand auf die Schulter und sagte: „Wenn wir versagen, wird Gott uns nicht vergeben.“499 Es war dies die alte Leidenschaft für den Frieden, die hier kurz in Breschnew wieder aufflammte und Oberhand gewann. Hatte die sowjetische Seite zuvor lediglich Vieraugengespräche abgelehnt, bestand sie nun auch auf der Kürzung von gemeinsamen Konzertbesuchen oder Banketten; die Kellner waren gehalten, die Speisen im Laufschritt auf- und abzu-

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tragen.500 Breschnews Berater hatten nicht nur Angst, er könne zusammenklappen, sondern auch, er könne unter Tabletteneinfluss seinen Launen freien Lauf lassen. Wenn er die Lust an einer Veranstaltung verlor, konnte es passieren, dass er sich abrupt erhob und ging, ohne sich darum zu kümmern, ob er damit seine Gäste oder Gastgeber düpierte.501 Im November 1975 hatte er auf dem 7. Parteikongress der polnischen KP unter Tabletteneinfluss die Internationale mitdirigiert, wie sich Gierek später erinnerte, der wie alle anderen Anwesenden peinlich berührt war: „Er blies die Wangen auf und klatschte in die Hände. Von weitem sah er betrunken aus, aber tatsächlich war er mit Medikamenten vollgestopft.“502 So waren Breschnews Berater froh, als dieser Carter am Begrüßungsabend erklärte, er sei zu müde, um mit in die Oper zu kommen. Doch Carter überredete ihn, sich zumindest den ersten Akt nicht entgehen zu lassen, und musste dann mit ansehen, wie Breschnew mehrfach einschlief.503 Für Verhandlungen oder Treffen waren in den folgenden drei Tagen jeweils nur die Zeiten von 11:00 bis 13:00 sowie 17:30 bis 19:00 Uhr vorgesehen. Dazwischen musste sich Breschnew ausruhen.504 Er las die vorbereiteten Zettel ab, die ihm seine Assistenten reichten, war aber hin und wieder doch zu spontanen Kommentaren in der Lage, wie Carter erfreut feststellte.505 Um der Welt zu demonstrieren, dass der Generalsekretär sehr wohl noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war und selbständig handeln konnte, war eigens ein Treffen nur der Staatsoberhäupter mit ihren Übersetzern anberaumt worden.506 Damit fiel Breschnews Dolmetscher Suchodrew die Rolle zu, aus den zahlreichen Antworten, die Alexandrow-Agentow vorbereitet hatte, in Windeseile die richtige herauszufischen und sie Breschnew zu reichen. Als er aber die untere Hälfte eines solchen „Spickzettels“ wegstrich, weil sie keinen Bezug zur gestellten Frage hatte, las Breschnew bis zur Mitte des Textes und fragte dann laut, so dass es alle hören konnten: „Was denn, muss ich die zweite Hälfte nicht vorlesen?“507 Auch ohne dies konnte der US-Präsident deutlich sehen, in welch schlechter Verfassung Breschnew sich befand.508 Er versuchte darauf Rücksicht zu nehmen, indem er beim Bankett in der US-Botschaft vorschlug, beim Ausbringen der Toasts sitzen zu bleiben.509 Schließlich versuchte Breschnew auf seine Art, seine Unzulänglichkeiten wettzumachen und mit seiner „Körperpolitik“ Nähe zum US-Präsidenten auszudrücken. Als sie am 18. Juni 1979 in der Wiener Hofburg den SALT-II-Vertrag unterschrieben, nutzte er den Augenblick des Händedrucks, um den amerikanischen Präsidenten wie einen Parteigenossen zu umarmen und zu küssen.510 Zu mehr war Breschnew nicht mehr in der Lage: Als der US-Präsident im Anschluss ein

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Vieraugengespräch vorschlug, lehnte Breschnew ab, weil er zu müde sei.511 Carter blieb nichts anderes übrig, als sich zu verabschieden und Breschnew abermals in die USA einzuladen, mutmaßlich wohl wissend, dass Breschnew dazu nicht mehr imstande sein würde – obwohl dieser ihm das Gegenteil versicherte.512 Der „Iswestija“-Korrespondent Melor Sturua erinnert sich: „Noch eine letzte Belastungsprobe war die offizielle Abreisezeremonie L.I. Breschnews aus Wien nach Moskau. Breschnew musste allein – ohne die Hilfe seiner Jungs – über den roten Teppich bis zum Flugzeug schreiten und die Gangway erklimmen. ‚Fällt er oder nicht‘, das fragten sich alle Anwesenden (…).“513 Die ganze Welt schaute am Fernseher zu, wie Breschnew über den roten Teppich wankte. Breschnews körperlicher Zustand war damit endgültig zu einem Politikum geworden. Hatte er einst auf sich und seinen Körper verwiesen, um vom ideologischen System abzulenken und sich als „einfachen“ Menschen aus Fleisch und Blut zu präsentieren, wurde ihm das in dem Moment zum Verhängnis, als sein Körper versagte und außer Kontrolle geriet. Sein Siechtum wurde bestenfalls mit dem Niedergang der Sowjetunion assoziiert, seinen körperlich bedingten Rückzug aus der außenpolitischen Arena interpretierten die Analysten im Westen aber meist als politische Abkehr vom einstigen West- und Vertrauenskurs. In desaströsem Zustand erlebte ihn im November 1981 Helmut Schmidt, als Breschnew ein letztes Mal, ein Jahr vor seinem Tod, für zwei Tage nach Bonn kam. Es war eine verzweifelte Reise Breschnews, um doch noch die Ratifizierung von SALT II durch den US-Kongress zu erreichen, Anhaltspunkte zur Einschätzung des neuen US-Präsidenten Ronald Reagan zu bekommen und mit einem neuen Rüstungsmoratorium an den einstigen Glanz und Erfolg seiner Entspannungspolitik der frühen 1970er Jahre anzuknüpfen. Doch wie zuvor las er alles von Zetteln ab, die ihm seine Mitarbeiter zusteckten, und war kaum mehr in der Lage, dem Gesprächsverlauf zu folgen; das Antworten überließ er Gromyko.514 Angesichts des nicht nur körperlich hilflosen, sondern auch geistig kaum noch anwesenden Breschnew fragten sich Schmidt und Bahr zunehmend, wessen Antworten ihnen der „Kanal“ eigentlich noch übermittelte.515

Außenpolitik außer Kontrolle Durch Breschnews Tablettensucht gewannen die Strukturen wieder die Oberhand über die persönlichen Kontakte; der allgegenwärtige Diskurs des allgemei-

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nen Misstrauens setzte sich erneut gegen das zwischenmenschliche Vertrauen durch. Sowohl Breschnews Vorstellung als westlicher Staatsmann als auch seine Selbstvermarktung als Mensch wie jeder andere hatten ihr Ende gefunden. Die westlichen Politiker interpretierten ihn wieder zunehmend in den Parametern des Feindes, des Anderen, Fremden und Bedrohlichen. Dafür waren nicht nur das körperliche Siechtum Breschnews oder der Regierungswechsel in Paris, Bonn und Washington verantwortlich. Hinzu kam, dass die Sowjetunion ab Mitte der 1970er Jahre wieder begann, die Revolution nach Afrika zu exportieren. Dadurch standen sich die USA und die UdSSR nicht nur in zahlreichen Stellvertreterkriegen gegenüber; die Interventionen dienten dem Westen auch als Beleg für die Reideologisierung und die Aggressivität der Außenpolitik der UdSSR.516 Verwiesen die US-Präsidenten auf den Bürgerkrieg in Angola, stieß sich Breschnew an der US-amerikanischen Menschenrechtspropaganda.517 Ungelöst war nach wie vor die Frage, wie Langstreckenbomber, Mehrfachsprengköpfe, U-Boot-gestützte Raketenabschussbasen und die Mittelstreckenraketen gegeneinander zu verrechnen seien. Die Angst obsiegte, der andere sei militärisch stärker und wolle diese Position ausbauen. Egon Bahr drückte das später so aus: „Auch ich war von dem politischen Raketengift infiziert.“518 Schließlich beunruhigte und beleidigte Breschnew sehr, dass die Amerikaner das Gleichheitspostulat aufgekündigt hatten und sowohl Carter als auch Reagan propagierten, die USA müssten weltweit die stärkste Macht sein.519 All diese Widersprüche und Konflikte hätten auf der Basis von persönlichem Vertrauen eingehegt und ausgeräumt werden können. Aber mit einem kranken Breschnew und skeptischen Staatschefs im Westen verstärkten sie weiter die Logik des Misstrauens und marginalisierten das noch vorhandene Vertrauen. Im Endeffekt warfen sich beide Seiten gegenseitig vor, die Entspannungspolitik aufgegeben zu haben. Es ist bezeichnend, dass die große außenpolitische Abrechnungsrede mit den USA im Juni 1980 nicht von Breschnew gehalten wurde, der offenbar dazu nicht mehr in der Lage war, sondern von Gromyko. Dieser schimpfte, die USA behaupteten, die UdSSR hätte ihre Politik geändert und würde mit ihren Handlungen den Westen und seine Interessen bedrohen: „Es vergeht kein einziger Tag, ohne dass Washington versuchen würde, den Geist des ‚Kalten Krieges‘ wiederzubeleben und die militaristischen Leidenschaften anzuheizen.“520 Im gleichen Maße, wie Breschnew aufgrund seiner Unpässlichkeit das Feld zunehmend Gromyko überlassen musste, war er kaum noch in der Lage, den militärisch-industriellen Komplex zu kontrollieren und den Militärs Paroli zu

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bieten. Die Generäle hielten SALT I und SALT II für einen Fehler. Verteidigungsminister Gretschko hatte Breschnew im Politbüro angegriffen, er gefährde mit der Rüstungsbeschränkung die Sicherheit des Landes.521 In Wladiwostok hatte Breschnew mit Gretschko eine Stunde lang am Telefon über die Zugeständnisse gestritten, die er Ford gemacht hatte.522 Das wiederholte sich 1976 anlässlich der Wiener Verhandlungen zur beidseitigen Truppenreduzierung in Europa, in deren Rahmen die Sowjetunion zugesagt hatte, 1000 Panzer aus Europa abzuziehen, was Gretschko nicht akzeptieren wollte.523 Breschnew hatte als Generalsekretär und als Weltkriegsveteran die Autorität, sich mit dem Verteidigungsminister anzulegen, aber mit zunehmender Krankheit fehlte ihm die Kraft, den Militarismus im eigenen Land zu zügeln und den Generälen weiter zu widersprechen.524 Im Dezember 1975 erklärte er im Politbüro: „Ich bin gegen den Rüstungswettlauf, das ist nur natürlich und ehrlich. Aber wenn die Amerikaner eine Aufstockung erklären und das Verteidigungsministerium mir sagt, dass sie dann nicht mehr für die Sicherheit garantieren können. Als Vorsitzender des Verteidigungsrats. Was tun? Ihnen 140 Milliarden oder 156 geben?“525 Angesichts von Breschnews Schwäche bzw. seiner häufigen Abwesenheiten und Ausfälle etablierte sich in der Außenpolitik eine Troika, bestehend aus Außenminister Gromyko, KGB-Chef Andropow und Verteidigungsminister Dmitri Ustinow, der dem am 26. April 1976 im Amt verstorbenen Gretschko folgte.526 Diese drei übernahmen für Breschnew die Außenpolitik. Afghanistan 1979: Der Einmarsch wider besseres Wissen

Lange Zeit galt als erwiesen, dass weder Breschnew noch die Mehrheit des Politbüros an dem auf den 12. Dezember 1979 datierten Beschluss, in Afghanistan einzumarschieren, beteiligt gewesen seien.527 Der genaue Ablauf ist schwer zu rekonstruieren, aber es sieht so aus, als sei das nicht zutreffend, denn die zwei entscheidenden Sitzungen fanden offenbar zwei Tage vorher bzw. einen Tag danach statt. Am 10. Dezember empfing Breschnew Gromyko, Ustinow und Andropow im Kreml, um mit ihnen über Afghanistan zu sprechen.528 Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie bereits zu diesem Zeitpunkt den Beschluss zur Truppenentsendung vorbereiteten und eventuell vom Ausgang der NATO-Abstimmung über die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Europa abhängig machten, denn sie hatten gleich zwei Treffen im Kreml: eins mittags zu viert und ein zweites abends mit insgesamt zwölf Politbüromitgliedern und -kandidaten.529

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Am 12. Dezember, auf den der Beschluss datiert ist, mit dem das Politbüro die von Andropow, Ustinow und Gromyko vorgeschlagenen „Maßnahmen“ guthieß und die Troika mit der weiteren Umsetzung betraute, tagte das Politbüro aber offenbar gar nicht.530 Vielmehr arbeitete Breschnew an diesem Tag im Kreml „an den Unterlagen für die Politbüro-Sitzung“, die er am nächsten Tag, dem 13. Dezember, höchstpersönlich leitete.531 Es sieht also so aus, dass es am 10. Dezember eine anderthalbstündige Beratung gab, auf deren Grundlage Tschernenko handschriftlich die „Ermächtigung“ der Troika verfasste, die am 12. Dezember Breschnew vorlag und die das Politbüro am 13. Dezember beschloss. An dieser Sitzung nahmen nur acht Mitglieder teil; drei unterschrieben den Beschluss erst post factum am 25. bzw. 26. Dezember und Kossygins Unterschrift wurde nie eingeholt.532 Es ist richtig, dass nur drei Politbüromitglieder den Einmarsch vorschlugen und mit dessen Durchführung betraut wurden. Aber es ist nicht richtig, dass dieser Beschluss nicht ausreichend im Politbüro oder nur in Abwesenheit Breschnews diskutiert worden wäre. Am 26. Dezember, einen Tag nach dem Überschreiten der Grenzen, besuchten Ustinow, Gromyko, Andropow und Tschernenko Breschnew auf seiner Datscha, um ihn über die Ereignisse zu informieren und das weitere Vorgehen von ihm absegnen zu lassen.533 Dass Breschnew allerdings zu dieser Zeit realisierte, was er unterschrieb, bezweifelten seine Mitarbeiter: „Genau genommen musste man Breschnew schon gar nicht mehr überzeugen, denn er bekam damals ohnehin nur noch wenig mit.“534 Entscheidend war also nicht seine punktuelle Abwesenheit, sondern sein Gesamtzustand als Tablettensüchtiger, der dazu führte, dass er die Außenpolitik nicht mehr leitete, sondern sich von der Troika führen ließ. Der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan am 25. Dezember 1979 galt und gilt als ultimativer Sündenfall der sowjetischen Außenpolitik und als „sowjetisches Vietnam“. Die Sowjetunion schickte nicht nur erstmals seit 1945 eigene Truppen in einen blutigen Krieg, der maßgeblich zur Delegitimierung der sowjetischen Führung und damit auch zum Zusammenbruch der UdSSR beitragen sollte.535 Der Westen nahm die militärische Intervention als Beweis für die Aggressivität der Sowjetunion. Unmittelbare Folge war der Boykott der Olympischen Spiele in Moskau im Sommer 1980. Doch dies war nur symbolischer Ausdruck des außenpolitischen Schadens. Mit dem Einmarsch in Afghanistan verspielte Breschnew, dem dieser Beschluss zugeschrieben wurde, die letzten Reste an Vertrauen und Verständnis bei westlichen Politikern. Er war die Bankrotterklärung seiner Entspannungspolitik exakt zehn Jahre nach deren

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Beginn. Breschnews progressive Berater waren entsetzt und rätselten, wem die Schuld an der Invasion zu geben sei: Arbatow glaubte, dass Gromyko sie forciert habe, während die meisten Andropow im Verdacht hatten.536 Ustinow schien ihnen zu beschränkt, um die politischen Folgen abschätzen zu können. „Wie Gromyko und besonders Andropow einen solchen politischen Fehler begehen konnten, das kann ich nicht verstehen“,537 so Arbatow. Gegen die Revolution

Afghanistan markiert aber nicht nur deshalb einen Tief- und Wendepunkt in der außenpolitischen Geschichte der Sowjetunion, weil damit die Hoffnung auf eine neue Friedensordnung in Europa bis zum Amtsantritt Gorbatschows begraben wurde. Die Tragik liegt auch darin, dass der Westen der Sowjetunion ein interessengeleitetes, aggressives Verhalten unterstellte, während das Politbüro in Wahrheit eher in diesen Konflikt hineinschlitterte und den Waffengang bis zuletzt unbedingt vermeiden wollte. Anders als in Afrika oder in Südostasien hatte die KPdSU in Afghanistan nicht die Revolution unterstützt, sondern seit Lenins Zeiten sehr gute nachbarschaftliche Verhältnisse zum König gepflegt. Die Sowjetunion half bei vielen Infrastrukturprojekten, förderte afghanisches Gas, baute das Bildungssystem auf und sorgte für einen regen Tourismus. Das Politbüro war daher weder informiert noch erfreut, als im April 1978 die Demokratische Volkspartei Afghanistans (DVPA) König Daud stürzte und Nur Mohammed Taraki ein Schreckensregime à la Stalin etablierte.538 Breschnew war von dem Terror angewidert; für ihn war das ein Rückfall in längst vergangene Zeiten, die sie in der Sowjetunion erfolgreich überwunden hatten. Als das blutige Vorgehen gegen große Teile der Bevölkerung im März 1979 zu einem bewaffneten Aufstand führte, forderte Taraki von der Sowjetunion militärische Hilfe an. Doch weder im März 1979 noch bei allen folgenden Anfragen willigte das Politbüro in eine Entsendung von Truppen ein, wenngleich die Besorgnis groß war und Gromyko formulierte: „Unter keinen Umständen dürfen wir Afghanistan verlieren.“539 Das Politbüro beließ es bei Getreide- und Waffenlieferungen,540 weil ihm der außenpolitische Schaden, den eine Intervention anrichten würde, sehr wohl bewusst war: All das, was wir so mühevoll aufgebaut haben, vor allem die Entspannung, würde dadurch zurückgeworfen werden, die Verhandlungen über SALT II würden scheitern, das

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Abkommen – und das stellt ja zur Zeit unsere wichtigste politische Aktion dar – würde nicht unterzeichnet werden, ein Treffen von Leonid Iljitsch mit Carter wäre zweifelhaft, der Besuch von Giscard d’Estaing bei uns wäre gefährdet, und die Beziehungen zu den westlichen Ländern, im Besonderen zur Bundesrepublik Deutschland, wären getrübt.541

Als Taraki am 20. März 1979 nach Moskau kam, erklärten ihm die Politbüromitglieder, sie könnten nicht den US-Einmarsch in Vietnam anprangern und das Gleiche dann selbst tun.542 Breschnew, zu dem Taraki für eine halbe Stunde vorgelassen wurde, erklärte ihm: „Wir haben diese Frage von allen Seiten geprüft, sorgfältig abgewogen und ich sage Ihnen direkt: Das dürfen wir nicht tun. Das würde nur den Feinden in die Hand spielen – sowohl Ihren als auch unseren.“543 Sehr deutlich belehrte Breschnew Taraki auch darüber, dass erst alle politischen und ökonomischen Mittel ausgeschöpft werden müssten, um die Unterstützung der afghanischen Bevölkerung zu gewinnen.544 Insgesamt 21 Mal wurde die afghanische Regierung zwischen März und Dezember 1979 in Moskau vorstellig, um um Truppen zu bitten; jedes Mal lehnte das Politbüro ab.545 Der Meinungsumschwung kam sehr plötzlich, als der Stellvertreter Tarakis, Hafisullah Amin, Ende September 1979 Taraki stürzte und ihn kurz darauf ermorden ließ.546 Breschnew soll erschüttert gewesen sein. Er mochte Taraki, der ihn kurz zuvor noch in Moskau besucht hatte.547 Dennoch war weiterhin keine Rede von einer Truppenentsendung. Das Politbüro machte gute Miene zum bösen Spiel, schickte Glückwunschtelegramme und weiter Waffen und Lebensmittel.548 Ein Indiz dafür ist auch, dass sich das ZK-Plenum Ende November 1979 nicht mit der Frage Afghanistan befasste.549 Das Politbüro vollzog erst die Wende, als es davon Kenntnis erhielt, dass Amin Kontakte zu den USA anbahnte und in Verbindung mit dem CIA stände. Die Troika sah den sowjetischen Einfluss in der geopolitisch wichtigen Region gefährdet und beschloss am 12. Dezember den Einmarsch.550 Am 25. Dezember überquerten sowjetische Truppen die Grenze und ermordeten am 27. Dezember beim Sturm des Präsidentenpalasts Amin, an dessen Stelle Babrak Karmal trat, der den gemäßigten Flügel der DVAP repräsentierte.551 Im Angesicht des NATO-Doppelbeschlusses

Trotz der offensichtlichen Angst des Politbüros, das globale Kräftegleichgewicht könne sich verschieben und ein unmittelbarer Nachbar in den Einflussbereich

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der USA wechseln, bleibt es erstaunlich, dass es all das in Kauf nahm, was es vorher selbst vorausgesehen hatte: den endgültigen Bruch mit dem Westen, die Absage hoher Staatsbesuche, antisowjetische Propaganda, einen irreparablen Imageschaden und die Weigerung des US-Senats, vor diesem Hintergrund noch SALT II zu ratifizieren. Zwei Möglichkeiten gibt es, dies zu erklären: Das Politbüro war der Meinung, dass sich die Beziehungen mit dem Westen ohnehin an einem Tiefpunkt befanden und es schlimmer nicht kommen könne. Tatsächlich lag der Wiener Gipfel erst ein halbes Jahr zurück, aber die Ratifizierung von SALT II schien in den USA vom ersten Tag an keine Chance zu haben.552 Breschnew war aus Wien mit der Meinung zurückgekehrt, Carter sei politisch zu schwach, um die Ratifizierung gegen die „Falken“ durchzusetzen, und erklärte später Helmut Schmidt, die Verzögerung der Ratifizierung habe in den USA gleich nach der Unterschrift begonnen.553 Brandt glaubte, dass Breschnew „ehrlich erschüttert“ war, als er realisierte, dass die Unterschrift eines Präsidenten nichts zählte.554 Zu dieser Frustration kam ein zweiter Tiefschlag, der dem Politbüro deutlich vor Augen führte, dass die Beziehungen zum Westen irreparabel zerrüttet waren: der NATO-Doppelbeschluss und damit die Stationierung von Pershing-Mittelstreckenraketen in Europa, welche die Sowjetunion erreichen konnten. Es war typisch, dass die beiden Lager die Aufstellung von fast 600 Raketen vollkommen unterschiedlich bewerteten: Während die NATO beanspruchte, damit mit der Sowjetunion und ihren SS 20 gleichzuziehen, war dies für Breschnew und die Troika der definitive Beweis, dass die USA eine Position der überlegenen Stärke für sich beanspruchten.555 Endgültig schien das Vertrauen in Schmidt und Giscard zu schwinden, die sich beide für die Aufstellung der Pershings in Westeuropa aussprachen.556 Sehr eindringlich warnte Breschnew in einer Rede zum 30. Jahrestag der DDR am 6. Oktober 1979 in Ostberlin vor diesem Schritt und verkündete gleichzeitig einen einseitigen Truppenabzug aus der DDR.557 Am 11. Oktober schrieb er an Giscard und beschwor ihn zu glauben, dass es nicht stimme, dass die Sowjetunion Europa militärisch dominiere.558 Einen Monat später nahm er auch den Briefverkehr mit Willy Brandt wieder auf und stellte die rhetorische Frage: Wenn im Angesicht der Tatsache, dass die Sowjetunion jetzt 20.000 Soldaten und 1000 Panzer aus der DDR abziehe und sich bereit erkläre, Mittelstreckenraketen zu reduzieren, der Westen aufrüste und anschließend darüber zu sprechen wünsche – worin bestände dann eigentlich die Politik des Westens?559 Brandt aber wiederholte nur, der Westen werde mit den neuen Raketen lediglich gleichziehen,

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und wiegelte ab, bis diese stationiert seien, würden noch Jahre vergehen.560 Hier zeigte sich, dass das persönliche Vertrauensverhältnis zwar noch vorhanden war, es aber Breschnew nicht mehr gelang, politische Fragen auf dieser Ebene zu lösen. Das Private und das Politische traten wieder auseinander; die politischen Zweifel standen jetzt im Widerspruch zur zwischenmenschlichen Zuneigung. Das persönliche Bekenntnis Schmidts und Breschnews, dass sie einander nie getäuscht hätten, hatte keinen Einfluss mehr auf ihr politisches Handeln.561 Breschnews Mitarbeiter Alexandrow und Blatow analysierten, dass der Westen sich der trügerischen Meinung hingebe, die Sowjetunion werde sich über die Pershings ein wenig aufregen, aufplustern und dann zu den SALT-III-Verhandlungen übergehen.562 Es war eine ähnliche Fehleinschätzung wie die auf der sowjetischen Seite, die NATO werde angesichts sowjetischer Truppen in Afghanistan ein wenig schreien und schäumen und dann wieder zur Tagesordnung zurückkehren. Alexandrow und Blatow waren ratlos, was sich Ende November 1979 noch gegen den am 12. Dezember erwarteten NATO-Doppelbeschluss machen ließe. Außer dem einseitigen Truppenabzug, verstärkter Propaganda durch den Warschauer Pakt und der Warnung Honeckers an Schmidt, es werde in naher Zukunft kein Treffen geben, fiel ihnen nichts ein.563 Gromyko flog am 3. Dezember extra noch einmal nach Bonn, um die Bundesregierung sehr eindringlich vor den Folgen eines NATO-Doppelbeschlusses zu warnen.564 Lednjow ließ sich von Bahr zur gleichen Zeit auf den SPD-Parteitag schmuggeln, um sich persönlich davon zu überzeugen, dass die Mehrheit der Regierungspartei den Beschluss befürwortete.565 Es ist wohl kein Zufall, dass die Politbüro-Mitglieder den Beschluss über Afghanistan auf den 12. Dezember 1979 datierten, den Tag, an dem in Brüssel die NATO-Staaten beschlossen, in Westeuropa nahezu 600 neue Raketen zu stationieren.566 In ihren Augen war es die NATO, die das Band zerschnitt. Gleichzeitig versuchte das Politbüro den Schaden einzudämmen. Wieder erschien Lednjow in den Weihnachtstagen bei Bahr, diesmal aber, um ihm zu sagen, dass sie in Afghanistan einmarschiert seien und sich wunderten, dass die USA noch nicht reagiert hätten.567 Am 28. Dezember rief Breschnew Carter an, um ihm zu versichern, der Einmarsch sei nur eine vorübergehende Maßnahme; am 29. ließ er einen Brief folgen, in dem er erklärte, Amin habe ihn um Hilfe gebeten, und sobald die Lage stabilisiert sei, werde die Sowjetregierung die Truppen wieder abziehen.568 Es ist gut möglich, dass Breschnew, die Troika und das Politbüro tatsächlich glaubten, die Intervention in Kabul werde so schnell und unblutig zu Ende gehen

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wie die in Prag elf Jahre zuvor. Das mag der zweite Grund sein, warum sie sich zu einem Einmarsch durchrangen: Sie übertrugen ihre Prag-Erfahrung auf Afghanistan und übersahen, dass sich dieses Land bereits seit einem Dreivierteljahr in einem blutigen, unübersichtlichen Bürgerkrieg befand.569 Erst ein halbes Jahr nach dem Einmarsch erklärten im Juni 1980 Breschnew und Gromyko dem ZKPlenum: „Der sowjetischen Hilfsaktion für Afghanistan liegt keinerlei Eigennutz zugrunde. Wir hatten keine andere Wahl, als Truppen zu entsenden.“570 Neun Jahre dauerte der aussichtslose Kampf gegen kaum fassbare Guerilla-Krieger. 15.000 sowjetische Soldaten und mehr als 1,2 Millionen Afghanen verloren ihr Leben.571 Als wäre Breschnew tatsächlich erst wieder Ende Dezember 1979 zu sich gekommen und hätte erst jetzt realisiert, was er bzw. seine Troika angerichtet hatte, entwickelte er in den letzten zwei Jahren seines Lebens noch einmal eine relativ rege, wenn auch verzweifelte Aktivität, um den außenpolitischen Schaden einzudämmen. Gromyko, Andropow, Ustinov und Ponomarjow glaubten, über vorsichtigen Druck auf Frankreich und Deutschland die USA und die NATO zu erreichen.572 Aber der in dieser Mission von Sagladin besuchte französische Botschafter in Moskau war über die Avancen wenig erfreut, verlangte einen sofortigen Truppenabzug und erklärte gar nicht diplomatisch: „Der heutige Präsident [Afghanistans] ist von Ihnen in einem Wagen herbeigekarrt worden, der sich im Schlepptau Ihrer Panzer befand.“573 Immerhin erreichte Breschnew, dass Giscard sich mit ihm im Mai auf „neutralem“ Terrain in Warschau traf und Schmidt ihn im Juni besuchte.574 Intensiv korrespondierte er auch wieder mit Willy Brandt, der ebenfalls ein letztes Mal im Juni 1981 zu ihm reiste.575 Doch weder konnte Breschnew verhindern, dass die Olympischen Spiele in Moskau boykottiert wurden, noch trafen seine neuen Vorschläge für eine Weltfriedenskonferenz und eine Nulllösung, also eine vollkommene Abrüstung, auf mehr als höfliches Interesse.576 Solange sowjetische Truppen in Afghanistan kämpften, waren alle diplomatischen Versuche umsonst. Breschnews Außenpolitik, sein Werben um persönliches Vertrauen und seine Inszenierung als westlicher Staatsmann waren gescheitert. Die Lage war angespannter als 1969, als er begonnen hatte. Polen 1981: Der Einmarsch, der nicht stattfand

In Polen agierte Breschnew vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit Dubček einerseits und der Intervention in Afghanistan andererseits. War die eine in sei-

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nen Augen eine gelungene Operation gewesen, stand die andere für das Gegenteil: Eskalation und Ruin seines außenpolitischen Vermächtnisses. Nur so ist zu verstehen, dass sich das Moskauer Politbüro und die Mitglieder des Warschauer Paktes gegenüber den polnischen Genossen wesentlich geduldiger verhielten als 1968 gegenüber den Tschechoslowaken. Hatten sie dort nach einem halben Jahr interveniert, schauten sie in Polen anderthalb Jahre zu. Und diesmal blieben sie ihrem Beschluss treu, militärisch nicht einzugreifen. In Polen hatte der AugustStreik der Danziger Werftarbeiter unter Lech Wałęsa dazu geführt, dass die polnische Regierung nachgab und am 31. August 1980 die Gründung unabhängiger Gewerkschaften erlaubte. Auf dieser Grundlage entstand im September die Solidarność, die sich rasch zu einer immer breiteren Bewegung für mehr Demokratie entwickelte.577 Während sich Erich Honecker und der Tschechoslowake Vasiľ Biľak schnell für einen Einmarsch aussprachen, weil sie Angst vor einem Überspringen des Unmuts auf ihre eigene Bevölkerung hatten, und Kadar sowie Ceaușescu vehement dagegen argumentierten,578 vertrat Moskau durchgängig eine gemäßigte Position. Angesichts des erreichten Tiefpunkts in den internationalen Beziehungen wollte das Politbüro auf keinen Fall für einen weiteren Waffengang verantwortlich zeichnen. Da die sowjetische Armee in Afghanistan gebunden war, sollten sich die Polen diesmal selbst „befrieden“.579 Im Vergleich zum Einmarsch in Afghanistan war Breschnew während der Krise in Polen 1980/81 relativ aktiv.580 So wie er sich bemühte, den durch Afghanistan entstandenen außenpolitischen Schaden wieder wettzumachen, unternahm er die ihm noch möglichen Anstrengungen, um einen weiteren internationalen Prestigeverlust zu verhindern.581 Anders als im Falle Afghanistans berichtete er frühzeitig dem ZK-Plenum: „Die Kommunisten und alle Werktätigen Polens können sich auf ihre Freunde und Verbündeten verlassen. Das brüderliche Polen lassen wir nicht im Stich!“582 Soweit er dazu in der Lage war, telefonierte er mit den polnischen Parteiführern, redete väterlich auf sie ein und zog das Register, das er einst bei Dubček erprobt hatte: vom freundlichen Zureden über verbalen Druck bis hin zu schlecht kaschierten Drohungen. Neu war, dass das Moskauer Politbüro gewillt war, selbst Staatsreserven anzutasten, um den polnischen Genossen aus der Wirtschaftskrise zu helfen.583 Um Breschnew zu entlasten, richtete das Politbüro wie für Afghanistan noch im August 1980 eine „Polen-Kommission“ ein, die Suslow leitete und der neben der Troika aus Andropow, Gromyko und Ustinow auch Tschernenko und vier weitere ZK-Mitglieder angehörten.584

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Wie in Prag 1968 war für Breschnew und das Politbüro die Kaderfrage entscheidend. Als der polnische Parteichef Gierek gegenüber den streikenden Werftarbeitern einknickte, verlor er die Gunst Breschnews und der Suslow-Kommission. Letztere hielten nach einem geeigneten Kandidaten Ausschau und waren zunächst froh, als Stanisław Kania Anfang September 1980 Gierek aus dem Amt vertrieb.585 Gemäß seinen Gepflogenheiten war es für Breschnew nun wichtig, zum einen zu ergründen, was Kania für ein Mensch sei, und zum anderen ihn auf den „richtigen“ Weg zu bringen. Am 31. Oktober traf er ihn in Moskau und war mit seinem Eindruck zufrieden; Kania sei ein ernsthafter, reflektierter Mann.586 Kania hatte vermutlich von Breschnew einen ganz anderen Eindruck. Dieser legte ihm nämlich nahe, den Ausnahmezustand zu erklären. Kania lehnte das ab und erklärte, man werde die Lage auch so in den Griff bekommen.587 Das Politbüro gab sich mit dieser Erklärung zufrieden, obwohl es die Lage in Polen als „explosiv“ beurteilte. Alles, was Moskau zu diesem Zeitpunkt veranlasste, war, 150 Millionen Dollar zur Verfügung zu stellen, damit Polen seine immensen Schulden in Höhe von 500 Millionen Dollar im Westen begleichen konnte.588 Mit Wirtschaftshilfen gegen Aufruhr

Dem ersten, wohlwollenden Treffen folgte am 5. Dezember 1980 in Moskau eine stärkere Drohgebärde. Auf ihrer Zusammenkunft verzichteten die Vertreter der Warschauer-Pakt-Staaten auf die sonst üblichen Brüderküsse und das Begrüßungsgeplauder.589 Es war ein Treffen wie das 1968 in Dresden und sollte den polnischen Genossen vor Augen führen, dass sie dabei waren, sich selbst aus der Gemeinschaft der Bruderstaaten auszuschließen. Breschnew sprach zwar in seiner üblichen Manier verbindlich von den „polnischen Freunden“, mit denen sie zum „Meinungsaustausch“ zusammengekommen seien. Aber wie einst Dubček warf er Kania vor, dass sie die Lage verharmlost und falsch eingeschätzt hätten. Auch machte er ihm scharfe Vorhaltungen wegen der desolaten Wirtschaftslage: „Es ist leicht, die Losung aufzustellen: Gebt jedem Arbeiter einen PKW! Aber diese vielversprechenden Parolen bleiben Luftschlösser und das führt unweigerlich zu Unmut.“590 Breschnew beließ es jedoch bei eindringlichen Warnungen: „Wir sind nicht dafür, ohne äußerste Not zu äußersten Maßnahmen zu greifen (…).“591 Der polnische General Wojciech Jaruzelski verstand jedoch: „ (…) wenn sich die Lage verschlechtert, werden wir es doch tun!“592

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Doch das Moskauer Politbüro unternahm nichts dergleichen, sondern erhöhte nur den politischen Druck in persönlichen Gesprächen und Telefonaten. Angesichts der Zugeständnisse, die Kania und Jaruzelski der Solidarność am 31. März 1981 machten, um den in Bydgoszcz (Bromberg) angekündigten Generalstreik abzuwenden, wuchsen die Befürchtungen in Moskau, die polnischen Genossen würden aus Angst vor einem harten Durchgreifen eine Position nach der anderen aufgeben. Breschnew warnte Kania am Telefon: „Der ‚friedliche Weg‘, den ihr gewählt habt, könnte euch Blut kosten.“593 Wie einst mit Dubček in Čierna trafen sich Andropow und Ustinow in einem Eisenbahnwaggon an der sowjetisch-polnischen Grenze mit Kania, allerdings ohne den siechen Breschnew, um dem polnischen Genossen die Bedeutung des Kriegsrechts zu erklären. Das Treffen war geheim, der Ort konspirativ und die Zeit nächtlich, damit sich weder in Polen noch im Westen Geschrei erhöbe, Warschau stände unter der Knute Moskaus.594 Wieder hatten Andropow und Ustinow den Auftrag zu klären, auf welche Kader das Politbüro noch setzen konnte. Selbst der als verlässlich geltende Jaruzelski, inzwischen Verteidigungs- und Premierminister, war vor der Solidarność eingeknickt und Kania griff immer öfter zur Flasche.595 Sie fanden Kania und Jaruzelski äußerst angespannt, nervös und abgekämpft vor. Als die Moskauer Emissäre fertig ausgearbeitete Pläne für die Verhängung des Kriegsrechts vorlegten und eine Unterschrift von den beiden Unterhändlern verlangten, mit der diese bestätigen sollten, dass sie mit den Maßnahmen vertraut seien, erklärten die Polen, dass die Ereignisse in Bydgoszcz gezeigt hätten, dass die Konterrevolution stärker als sie sei, dass aber weder ein Einmarsch noch das Kriegsrecht zu einer Lösung beitragen könnten.596 Wie einst Dubček auf das ZK-Plenum verwiesen sie auf den Sejm – das polnische Parlament –, der über das Kriegsrecht abstimmen müsse.597 Moskau hatte keine andere Wahl, als abzuwarten und mit Suslow, Gromyko und Marschall Viktor Kulikow weitere Emissäre zu schicken.598 Breschnew forderte „kontinuierlichen Druck“ auf die Polen und griff immer wieder selbst zum Hörer,599 stellte aber Ende April 1981 ernüchtert fest: „Es gibt wenig Vertrauen in sie, denn obwohl sie uns anhören, tun sie nicht, was wir ihnen raten.“600 Das Politbüro kam zu diesem Zeitpunkt zu der Einschätzung, dass die Opposition bereits innerhalb der Partei die Mehrheit stellte und in der Lage sei, jeden Moment die Macht an sich zu reißen. Sie schrecke nur deshalb davor zurück, weil sie den Einmarsch sowjetischer Truppen befürchtete.601 Das Politbüro war hilflos: Solange es den Waffengang um jeden Preis vermeiden wollte und keine Kader zu sehen

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waren, die Kania und Jaruzelski hätten ersetzen können, blieb ihm nichts anderes übrig, als weiter großzügig Wirtschaftshilfen zu schicken. 602 Verbaler Druck

Parallel erhöhte Moskau den verbalen Druck. Anfang Juni 1981 schickte das Politbüro, wie schon 1968 nach Prag, seinen Brief nicht wie üblich an den Generalsekretär, sondern an das gesamte Zentralkomitee, was eine Demonstration des Misstrauens und eine Warnung für Kania war.603 Dieser war nicht nur von dieser Geste, sondern auch davon alarmiert, dass sich Breschnew mehrere Tage lang am Telefon verleugnen ließ. Ob Breschnew mal wieder unpässlich war oder er Kania bewusst demütigen wollte, bleibt offen: „Bekanntlich wollte ich lange nicht mit Kania reden, aber er hat ein Gespräch mit Gewalt durchgesetzt: Von Freitag bis Montag hat er täglich angerufen.“604 Kania beeilte sich zu versichern, dass sie jetzt härter gegen die „Konterrevolution“ vorgehen würden. Doch Breschnew glaubte ihm nicht: „Genosse Kania, wie oft habe ich dir das bereits am Anfang dieser ganzen Geschichte gesagt.“605 Diesem Telefonat folgten noch weitere in der Art, wie Breschnew sie einst mit Dubček geführt hatte: Sein Tonfall war vorwurfsvoll-väterlich; während er Kania duzte, siezte dieser ihn. Breschnew verlangte, sie müssten der Solidarność jetzt zeigen, „daß die Zeiten sich geändert haben. Kapitulation gibt es nicht mehr. Bist du damit einverstanden? – Kania: Vollkommen einverstanden. – Brežnev: Unter diesen Bedingungen kannst du, Stanislaw, fest mit unserer Unterstützung und Solidarität rechnen. – Kania: Ich weiß, was Sie von uns erwarten. (…) Wir werden die Konterrevolution an der Gurgel packen.“606 Schließlich empfing Breschnew die polnischen Genossen am 14. August 1981 noch einmal auf der Krim.607 Dort hatte er sich zuvor mit den Warschauer-PaktMitgliedern beraten und Ceaușescu, der dringend Taten forderte, noch einmal Paroli geboten: „Was verlangst du ständig ‚Taten, Taten‘. Polen verursacht uns ununterbrochen Kopfschmerzen. Aber du sagst nur, wir sollen handeln. Dann handle doch, schlag etwas vor!“608 Stritt sich Breschnew mit Ceaușescu, so war er zu Kania nicht freundlicher. Drei Tage lang hatte er auf der Krim Materialien zu Polen durchgearbeitet.609 Er zweifelte, ob er Kania trauen konnte.610 Diesmal stand der Zauber der sommerlichen Krim nicht für ein inoffizielles, brüderliches, vertrauliches Treffen. Der schwer angeschlagene Breschnew verlas seine vorbereiteten Reden, die in scharfen Worten vom „Terror der Weißen“ sprachen,

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der durch den „Terror der Roten“ beantwortet werden müsse.611 Jaruzelski vermutete, dass dies nicht Breschnews Rhetorik gewesen sei.612 Zudem warf Breschnew ihnen vor, dass die Sowjetunion Polen bereits mit Lieferungen im Wert von vier Milliarden US-Dollar subventioniert hätte und sie ihre Probleme dennoch nicht in den Griff bekämen.613 Doch obwohl die Polen-Kommission im Sommer 1981 wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage jederzeit mit einem offenen Aufstand rechnete, empfahl sie als Maßnahmen weiterhin lediglich Manöver, wirtschaftliche Unterstützung und Propaganda.614 Breschnews Mitarbeiter Schachnasarow, der inzwischen die Kommunikation mit den Bruderstaaten verantwortete und ebenfalls Mitglied der Polen-Kommission war, hielt in einem Lagebericht lakonisch fest, es habe in der Geschichte der sozialistischen Bewegungen immer wieder Krisen gegeben, die auch wieder vorübergegangen seien.615 Breschnew verging endgültig die Lust, sich weiter mit Kania auseinanderzusetzen, als er Anfang September den „Aufruf an die Völker Osteuropas“ der Solidarność las – in seinen Augen ein Aufruf zu Aufruhr und Chaos. Er erklärte im Politbüro abermals, dass er es leid sei, mit Kania zu telefonieren. Doch das Politbüro blieb letztlich ohnmächtig und beschloss als Gegenmaßnahme nur Gegenpropaganda.616 Kaderwechsel

Es war Honecker, der Mitte September Breschnew drängte, in die verfahrene Kaderfrage Bewegung zu bringen: Die Warschauer-Pakt-Staaten sollten Kania endlich auffordern zurückzutreten.617 Tatsächlich trat Kania am 18. Oktober zurück, aber dem ihm nachfolgenden Jaruzelski traute Breschnew zu diesem Zeitpunkt keine Wende mehr zu: „Ich glaube nicht, dass Genosse Jaruzelski etwas Konstruktives machen wird. Mir scheint, dass er nicht mutig genug ist.“618 Jaruzelski glaubte wieder etwas von der Sympathie, die Breschnew einmal für ihn gezeigt hatte, zu verspüren, als er im Oktober die Parteiführung übernahm. Breschnew schickte ihm nicht nur ein Grußtelegramm, sondern rief ihn auch an.619 Er duzte Jaruzelski, wie er schon Kania geduzt hatte, während Jaruzelski Breschnew siezte und dienstfertig versicherte, ohne dessen Unterstützung hätte er diese Verantwortung niemals übernommen. Sie würden jetzt die richtigen Kaderentscheidungen treffen und Moskau über alles informieren.620 Obwohl Breschnew nur sehr allgemein formulierte, dass man jetzt endlich entschiedene Maßnahmen gegen die „Konterrevolution“ erwarte, und dafür gleich zwei Mal „gute

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Gesundheit und Erfolg“ wünschte,621 glaubte Jaruzelski eine eindeutige Warnung zu hören: „Wir werden Polen in der Not nicht im Stich lassen.“622 Als sich Jaruzelski kurz darauf mit der Solidarność traf und dies Treffen in Polen als „historisch“ gefeiert wurde, schickte Breschnew eine eindringliche Ermahnung: Wie Jaruzelski denn auf diese Weise die Macht der Partei retten wolle? Er forderte zum „entschiedenen Kampf mit dem Klassenfeind“ auf, vermied aber erneut jede Drohung.623 Einen letzten Anruf von Breschnew erhielt Jaruzelski am 7. Dezember 1981; Breschnew warnte: „Die Konterrevolution sitzt euch im Nacken. Wenn ihr nicht entschlossene Maßnahmen ergreift, wird es zu spät sein.“624 Jaruzelski schloss in diesem Moment einen Pakt mit Breschnew: Er versprach, es nicht zur „Konterrevolution“ kommen zu lassen, wenn sie sich weiter der wirtschaftlichen Unterstützung durch die Sowjetunion sicher sein könnten. Mit anderen Worten: Er ließ er sich die Verhängung des Kriegsrechts in Polen mit Öl und Fleisch bezahlen. Entsprechend forderte Jaruzelski von Breschnew, den Gosplan-Leiter Baibakow zu entsenden.625 Der traf schon am nächsten Tag in Polen ein, um, so Jaruzelskis Empfinden, dafür zu sorgen, dass Jaruzelski es sich nicht noch einmal anders überlegte.626 Baibakow schilderte, dass er Jaruzelski als vollkommen verunsichert und schwankend erlebt habe.627 Aber alle Mitglieder des Politbüros, die am 10. Dezember in Moskau unter Breschnews Leitung erneut über die Lage in Polen berieten, waren sich einig, dass sie Polen das Kriegsrecht auf keinen Fall aufzwingen wollten.628 Sie empfanden es zwar als unverschämt, dass Jaruzelski die Wirtschaftshilfen mit der politischen Situation verband und sie damit geradezu erpresste. Sollten sie nicht liefern, dann könne der Pole immer sagen, die Sowjetunion sei an allem schuld, so Andropow.629 Aber sie waren sich einig, dass ihnen nichts anderes übrig blieb. Ob und wann sich die polnischen Genossen für „Operation X“ entschieden, sei allein ihre Sache. Andropow erklärte: „Wir werden nicht darauf bestehen und wir werden es ihnen nicht ausreden.“630 Konstantin Russakow, seit 1977 Leiter der ZK-Abteilung für die Zusammenarbeit mit den Bruderstaaten, rätselte, es sei vollkommen unklar, ob die „Operation X“ vom 11. auf den 12. Dezember, vom 12. auf den 13. Dezember oder am 20. Dezember stattfinden werde.631 Suslow kommentierte: „Die Polen sagen direkt, dass sie gegen den Truppeneinmarsch sind. Wenn Truppen einmarschieren, wird das eine Katastrophe bedeuten. Ich denke, wir sind hier alle einer Meinung, dass von einer Truppenentsendung überhaupt keine Rede sein kann.“632 Sie dürften jetzt auf keinen Fall riskieren,

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dass sich der Westen weiter gegen sie verschwöre und politische und wirtschaftliche Sanktionen verhänge.633 Wieder waren die Erhaltung des Prestiges der Sowjetunion und die Abwendung außenpolitischen Schadens ausschlaggebend: „Die internationale öffentliche Meinung wird uns nicht verstehen.“634 Der Erfolg des Besuchs von Breschnew bei Schmidt nur zwei Wochen zuvor und ihre letzten Missionen zur Friedenssicherung würden durch eine Truppenentsendung zunichtegemacht, so Suslow.635 Tatsächlich hatte Jimmy Carter Breschnew am 3. Dezember in einem Brief eindringlich vor einem Einmarsch in Polen gewarnt und mit Konsequenzen gedroht.636 Jaruzelski ließ schließlich in der Nacht zum 13. Dezember das Kriegsrecht ausrufen und die Solidarność verbieten – eine Entscheidung, die er ganz allein getroffen und zu verantworten habe, so Jaruzelski.637 Was für die Solidarność und ihre vielen Anhänger eine Katastrophe war und der Westen als Sieg des langen Arms Moskaus bewertete, war letztlich ein kleiner Sieg Breschnews und der Polen-Kommission. Der alte Dreiklang, väterlich zureden, deutlich verwarnen und alles auf die Kaderfrage setzen, hatte sich noch einmal bewährt. Sie hatten es ohne Gewaltanwendung geschafft, die polnischen Genossen wieder auf Linie zu bringen, und sie dazu gebracht, das „Aufräumen“ selbst zu übernehmen. Breschnew hatte keinen Frieden gestiftet oder Brücken gebaut, aber in dieser Situation Ende 1981 war es schon viel wert, den Status quo ohne Blutvergießen aufrechtzuerhalten. „Fehlen eines Führers“

Die letzte Staatschefin, die Breschnew sah, war Indira Gandhi, die von Breschnew sehr geschätzt wurde und ihn im September 1982, zwei Monate vor seinem Tod, ein letztes Mal in Moskau besuchte. Sie stellte „das totale Fehlen einer Führung in Moskau“ fest: Es habe eine Atmosphäre des Dahintreibens und der Unsicherheit (…) geherrscht. Breschnew habe deutliche Ausfallerscheinungen gezeigt, insbesondere Mangel an Konzentrationsvermögen. Offenbar sei er auf Dauereinnahme von Medikamenten angewiesen. Der physische Verfall sei ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Im Gegensatz zu früheren Begegnungen habe Breschnew langsam reagiert. Er habe nie frei gesprochen, stets abgelesen. Selbst dabei habe er Schwierigkeiten gehabt, die ihn veranlaß-

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ten, sich bei Außenminister Gromyko zu vergewissern, wobei er letzteren nicht sonderlich freundlich, sondern deutlich wie einen Untergebenen behandelt habe.638

Seine Medikamentensucht war nun also auch von Außenstehenden zu sehen, sein Siechtum nicht mehr aufzuhalten und von seinem einstigen Witz, seinem Esprit und auch seinen Erfolgen in der Entspannungspolitik nichts mehr übrig. Das Außenamt in Bonn hatte schon 1976 gewarnt, wenn Breschnews „Schwächezustände“ anhielten, „könnte ein Vakuum entstehen“.639 Die Außenpolitik sei und bleibe von der Person Breschnews abhängig und werde mit dessen Kräften florieren oder brachliegen: „Sein Alter (70 Jahre) sowie das hohe Durchschnittsalter des gesamten Politbüros (66 Jahre) bringt jedoch in zunehmendem Maße ein biologisch bedingtes Moment der politischen Labilität mit sich.“640 Diese Prognose war sehr präzise und bewahrheitete sich vollkommen, sieht man davon ab, dass es bei Breschnew weniger das Alter an sich war, das ihn in Lethargie versinken ließ, als die Tablettensucht. Breschnew hatte sich, seine Persönlichkeit, seine Menschlichkeit, seine Kunst, den westlichen Staatsmann zu mimen, und seine Vertrauenswürdigkeit zum zentralen Faktor der sowjetischen Außenpolitik gemacht und damit erst alles gewonnen und dann, ab 1975, alles wieder verloren. Er hatte sich quasi selbst als Unterpfand einer vertrauensvollen Zusammenarbeit angeboten und sich dann wieder entzogen und so ein Vakuum geschaffen, das mit Misstrauen gefüllt wurde. Seine „Körperpolitik“ der persönlichen Nähe und Emotionalität wurde in dem Moment zum Verhängnis, als sein Körper verfiel und er zum Ausdruck von Emotionen kaum mehr in der Lage war. Bahr und Brandt bedauerten später die verpassten Gelegenheiten; sie glaubten, dass mit dem Menschen Breschnew in der ersten Hälfte der 1970er Jahre noch wesentlich mehr hätte erreicht werden können, bevor dieser wieder zum Apparatschik erstarrte und sich ihnen entzog.641 „Ich habe Nixon ebenso wie Pompidou gesagt, dass ich eine solche Chance sähe. Es ist wenig daraus geworden. Doch was brächte es, anderen im Nachhinein vorzuhalten, sie seien ihrem Auftrag nicht hinreichend gerecht geworden!“, so Willy Brandt anlässlich Breschnews Tod 1982.642 Dies war zweifellos ein Seitenhieb gegen seinen Nachfolger Helmut Schmidt, der sich nie zu der gleichen vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Breschnew durchringen konnte, allerdings nach 1974 auch nicht mehr die gleiche Möglichkeit dazu hatte. Dementsprechend „las“ und beurteilte er den sowjetischen Parteichef ganz im Rahmen der etablierten Klischees: „Leonid

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Breschnew war ein Russe, mit all jenen Eigenschaften, die wir gemeinhin den Russen zuschreiben: Kraft, Trinkfestigkeit, Gastfreundschaft, Sentimentalität, Herzlichkeit, Großzügigkeit und zugleich Mißtrauen gegen undurchschaubare Fremde, taktische Umsicht und berechnende Schläue, Machtbewußtsein, wenn nötig sogar Brutalität.“643 Nixon dagegen hielt sich wie Brandt zugute, alles in seiner Macht Stehende und in seiner Regierungszeit Mögliche unternommen zu haben. Anders als Schmidt hatte er noch Chruschtschow erlebt und wusste den Unterschied zwischen den Parteiführern zu schätzen: „Sie müssen nicht mehr damit prahlen, alles in Rußland sei besser als in der restlichen Welt, aber sie bemühten sich noch immer, als Ebenbürtige respektiert zu werden – und diesbezüglich glaube ich, das Meinige richtig getan zu haben.“644 Nixon rechnete Breschnew hoch an, dass er auch während der Watergate-Affäre zu ihm gehalten und ihn moralisch unterstützt hatte. Er vertraute dem sowjetischen Botschafter Dobrynin an, dass die Historiker einmal von einer „Breschnew-Nixon-Doktrin“ sprechen würden, die darin bestände, dass die Führer der beiden Staaten alles für einen dauerhaften Frieden getan hätten.645 Es ist tragisch, dass die Historiker nie eine solche Doktrin formuliert haben, weil mit dem Tod, dem Abtreten bzw. dem schleichenden Siechtum der vier Protagonisten auch ihre Politik in Vergessenheit geriet bzw. ins Gegenteil verkehrt wurde. Egon Bahr brachte die Tragik Breschnews, der alles auf die Karte des persönlichen Vertrauens setzte und sie am Ende selbst verspielte, so auf den Punkt: „Geschichte setzt sich auch aus persönlichen Schicksalen und verlorenen Gelegenheiten zusammen.“646

Anmerkungen 1 2 3

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Zit. nach Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 270. Vgl. auch Vladislav M. Zubok: A Failed Empire. The Soviet Union in the Cold War from Stalin to Gorbachev, Chapel Hill 2009, S. 226. Siehe Luc Ciompi/Elke Endert: Gefühle machen Geschichte. Die Wirkung kollektiver Emotionen – von Hitler bis Obama, Göttingen 2011; Luc Ciompi: Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik, Göttingen 1997; Susan J. Matt/Peter N. Stearns (Hg.): Doing Emotions History, Urbana 2014; Martha C. Nussbaum: Upheavals of Thought. The Intelligence of Emotions, Cambridge 2001; Jan Plamper/Benjamin Lazier (Hg.): Fear. Across the Disciplines, Pittsburgh, Pa., 2012; Joanna Bourke: Fear. A Cultural History, London 2005. RGANI, f. 80, op. 1, d. 330, l. 45. Andrej Aleksandrov-Agentov: 20 let rjadom s Brežnevym, in: Voskresen’e, 1993, Nr. 2, S. 18–21, hier: S. 18.

Anmerkungen 6 7 8 9

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RGANI, f. 5, op. 30, d. 489: Proekt postanovlenija CK, zapiski i spravki MID (…), l. 147. Šelest, Da ne sudimy budete, S. 460. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 352, Eintrag vom 7. Februar 1969; RGANI, f. 80, op. 1, d. 330, l. 34. RGAĖ, f. 4372, op. 66, d. 87: Zapisi besed predsedatelja Gosplana SSSR i ego zamestitelej s predstaviteljami zarubežnych stran, Feb.–Nov. 1965, l. 5 f.; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1097, 1101, Eintrag vom 17. August und 1. September 1981; Wojciech Jaruzelski: Hinter den Türen der Macht. Der Anfang vom Ende einer Herrschaft, aus dem Polnischen von Ekkehard Grube, Leipzig 1996, S. 48, 275. RGANI, f. 5, op. 30, d. 489, l. 13–15; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 436; Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 426. Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 430. Ebenda, S. 265 f. Laurien Crump: The Warsaw Pact Reconsidered. International Relations in Eastern Europe, 1955–69, London 2015, S. 203. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 45 ff.: „Voprosy k rešeniju 20go oktjabrja“. RGANI, f. 80, op. 1, d. 329: Zapiski i spravki otdelov CK KPSS, ministerstv i vedomstv po meždunarodnym voprosam (…), l. 16; „Rukopisnye zametki L. Brežneva vo vremja razgovorov s rukovoditeljami bratskich partij“, 29.10.1964g. Mlečin, Brežnev, S. 440. RGANI, f. 2, op. 3, d. 45, l. 54. Ebenda, l. 53. Ebenda, l. 55. RGANI, f. 80, op. 1, d. 329, l. 1–16. Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 169; Arbatov, Čelovek sistemy, S. 179. Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 184. Lorenz M. Lüthi: The Sino-Soviet Split. Cold War in the Communist World, Princeton, NJ, 2008, S. 288–291; Austin Jersild: The Sino-Soviet Alliance. An International History, Chapel Hill 2014, S. 173 f.; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 184 f.; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 463 ff.; Crump, The Warsaw Pact Reconsidered, S. 117 f. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 86 f., Eintrag vom 18. Juni 1965. Crump, The Warsaw Pact Reconsidered, S. 202–204. Bovin, XX vek kak žizn’, S. 217. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 513, 648, 655, 660–662, Einträge vom 15. Juli 1972, 24. Juli, 3., 9.–11. August 1976; Hans-Hermann Hertle/Konrad Jarausch (Hg.): Risse im Bruderbund. Die Gespräche Honecker–Breshnew 1974 bis 1982, Berlin 2006; Klaus Wiegrefe: Honecker und Brežnev auf der Krim. Eine Aufzeichnung über das Treffen vom 19. August 1976, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 41 (1993) 4, S. 589–620. Edvard Gerek o Leonide Brežneve, in: Literaturnaja Gazeta, 26. September 1990, S. 14. Svetlana Suchova: Dorogoj Leonid Il’ič [Interview mit Vladimir Musaėl’jan], in: Itogi, 12. November 2012, S. 42–47, hier: S. 46. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 424, Eintrag vom 19. August 1969, siehe auch FN 236 auf S. 446; RGANI, f. 80, op. 1, d. 330, l. 41. RGANI, f. 2, op. 3, d. 402, l. 83; f. 80, op. 1, d. 312, l. 84; Pravda vom 21. August 1977, http:// istmat.info/node/23070, abgerufen am 12.8.2016.

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32 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 565, Eintrag vom 4. Juli 1973; RGANI, f. 80, op. 1, d. 330, l. 41. 33 RGANI, f. 2, op. 3, d. 524: Ijun’skij Plenum, stenogramma utrennego zasedanija, 23.6.1980g., l. 13. 34 Kremlin–PCF. Conversations secrètes, Paris 1984 [Breschnew im Gespräch mit dem frz. kommunistischen Parteiführer Waldeck Rochet am 16. Juli 1968 in Moskau], S. 63. 35 Burlatsky, Khrushchev and the First Russian Spring, S. 216; Remarks by Leonid Brezhnev at a Meeting of Top CPCz Officials in Prague, December 9, 1967, in: Jaromir Navratil (Hg.): The Prague Spring 1968, Budapest 2006, S. 18–20, hier: S. 18. 36 Postanovlenie Politbjuro CK KPSS „O poezdke t. Brežneva L.I. v Čechoslovakiju“, 7.12.1967g., in: N.G. Tomilina et al. (Hg.): Čechoslovackij krizis 1967–1969gg. v dokumentach CK KPSS, Moskau 2010, S. 47; Kremlin–PCF, S. 62; Medvedev, Neizvestnyj Andropov, S. 124. 37 Dokument 75: Stenografische Niederschrift der Beratung der fünf „Bruderparteien“ mit der KPČ in Dresden, 23. März 1968, in: Stefan Karner et al. (Hg.): Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968, Bd. 2: Dokumente, Köln 2008, S. 411–509, hier: S. 429. Siehe auch Kremlin–PCF, S. 63; Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 146 f. 38 Černjaev, Moja žizn’ i moe vremja, S. 264. 39 Kremlin–PCF, S. 63. 40 Rudol’f Pichoja: Moskva, kreml’, vlast’: Sorok let posle vojny, 1945-1985, Moskau 2007, S. 44. 41 RGANI, f. 80, op. 1, d. 981, l. 25 f. 42 Michail Prozumenščikov: Die Entscheidung im Politbüro der KPdSU, in: Stefan Karner et al. (Hg.): Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968, Bd. 1: Beiträge, Köln 2008, S. 205– 242, hier: S. 208; Zubok, A Failed Empire, S. 207; Kremlin–PCF, S. 63. 43 RGANI, f. 80, op. 1, d. 981, l. 5. 44 Ebenda, l. 4, 26ob., 34ob., 64ob., 77. 45 Bovin, XX vek kak žizn’, S. 173; Jan Pauer: Prag 1968. Der Einmarsch des Warschauer Paktes. Hintergründe – Planung – Durchführung, Bremen 1995, S. 46. 46 Postanovlenie Politbjuro CK KPSS „O pis’me Politbjuro CK KPSS v adres Prezidiuma CK KPČ“, 21. März 1968, in: Tomilina, Čechoslovackij krizis, S. 57; Pauer, Prag 1968, S. 36. 47 Bovin, XX vek kak žizn’, S. 173; Vasil Bilak: Wir riefen Moskau zu Hilfe. Der „Prager Frühling“ aus der Sicht eines Beteiligten, Berlin 2006, S. 23. 48 Dokument 75, Stenografische Niederschrift, S. 429. 49 Ebenda, S. 439. 50 Ebenda, S. 443. 51 Dokument 114: Stenogramm der Gespräche der Delegation des Politbüros des ZK der KPdSU, des Präsidiums des ZK der KPČ und des Präsidenten der ČSSR, L. Svoboda, in: Karner, Prager Frühling, Bd. 2, S. 935–975, hier: S. 949. 52 Zit. nach Medvedev, Neizvestnyj Andropov, S. 133. 53 Letter from Leonid Brezhnev to Alexander Dubček expressing concern about events in Czechoslovakia, 11. April 1968, in: Navratil, The Prague Spring 1968, S. 98–101, hier: S. 98. 54 Ebenda, S. 99. 55 Stenographic account of the Soviet-Czechoslovak summit meeting in Moscow, 4.–5. Mai 1968, in: Navratil, The Prague Spring 1968, S. 114–126, hier: S. 123. 56 Ebenda, S. 118. 57 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 322; Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 60, 64. 58 Zit. nach Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 65 [APRF f. 3, op. 91, d. 100, l. 11].

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RGANI, f. 80, op. 1, d. 981, Operacija „Opuchol’“, l. 24. Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 56. RGANI, f. 80, op. 1, d. 981, l. 26. Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 60. Šelest, Da ne sudimy budete, S. 307, 310, 328, 345. Postanovlenie Politbjuro CK KPSS „O provedenii soveščanija predstavitelej bratskich partij“, 3.7.1968g., in: Tomilina, Čechoslovackij krizis, S. 117; Postanovlenie Politbjuro CK KPSS „O pis’me CK KPSS v adres t. A. Dubčeka“, 6.7.1968g., in: ebenda, S. 117 f.; Top-Secret from Ambassador Stepan Chervonenko to Moscow regarding the CPCz CC prezidium’s decision not to attend the Warsaw meeting, 9.7.1968, in: Navratil, The Prague Spring 1968, S. 207–210, hier: S. 209; siehe auch Zdenek Hejzlar: Reformkommunismus. Zur Geschichte der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, Köln 1976, S. 235; Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 329– 331. Archiv der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen (im Folgenden: Archiv FSO), Bestand 01-166: Ėrnst Orlovskij, darin: Ludvik Vaculik: „Dve tysjači slov“ (vollständige literarische Übersetzung), 8 Blätter; Bestand 01-079: Georgij Davydov, dasselbe (kürzere Übersetzung im sowjetischen Jargon), 5 Blätter. Central’nomu Komitetu Kommunističeskoj partii Čechoslovakii, in: Tomilina, Čechoslovackij krizis, S. 130. Josef Smrkovskij: Das unvollendete Gespräch, in: Jan Skála (Hg.): Die ČSSR. Vom Prager Frühling zur Charta 77, Berlin 1978, S. 129–168, hier: S. 145. Central’nomu Komitetu Kommunističeskoj partii Čechoslovakii, in: Tomilina, Čechoslovackij krizis, S. 131. Ebenda, S. 130. Ebenda, S. 131. Dokument 38: Über die Bilanz des Treffens der Delegationen der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Staaten in Warschau. Sitzung des Plenums des ZK der KPdSU. Rede des Generalsekretärs des ZK der KPdSU, L.I. Brežnev, 17.7.1968, in: Karner, Prager Frühling, Bd. 2, S. 219–245, hier: S. 239–241. Dokument 44: Brežnev: „Nutzen wir alle politischen Mittel.“ Schlusswort des Generalsekretärs des ZK der KPdSU, L.I. Brežnev. Sitzung des Plenums des ZK der KPdSU, 17.7.1968, in: Karner, Prager Frühling, Bd. 2, S. 271–273. Postanovlenie Politbjuro KPSS „Voprosy Čechoslovakii“, 19.7.1968, in: Tomilina, Čechoslovackij krizis, S. 137; Aleksandrov-Agentov, Ot Kollonraj do Gorbačeva, S. 151; Medvedev, Neizvestnyj Andropov, S. 151. Zubok, A Failed Empire, S. 208; Bovin, XX vek kak žizn’, S. 175. Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 70; Medvedev, Neizvestnyj Andropov, S. 130 f. Zit. nach Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 70 [APRF rabočaja zapis’ zasedanija Politbjuro, 1968, l. 425]. RGANI, f. 80, op. 1, d. 981, l. 48. Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 72. Dokument 49: Konkrete Vorbereitungen zum Einmarsch. Politbüro-Beschluss des ZK der KPdSU, in: Karner, Prager Frühling, Bd. 2, S. 301. Prozumenščikov, Die Entscheidung im Politbüro, S. 228; Kieran Williams: New Sources on Soviet Decision Making during the 1968 Czechoslovak Crisis, in: Europe-Asia Studies 48 (1996) 3, S. 457–470, hier: S. 458; Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 74; Zubok, A Failed Empire, S. 208.

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Emotionen und Tabletten im Kalten Krieg

81 Postanovlenie Politbjuro CK KPSS „O vstreče rukovoditelej bratskich partij socialističeskich stran“, 27. Juli 1968, in: Tomilina, Čechoslovackij krizis, S. 157. 82 Postanovlenie Politbjuro KPSS „Voprosy Čechoslovakii“, 19.7.1968, in: Tomilina, Čechoslovackij krizis, S. 138. 83 Alexander Dubček: Leben für die Freiheit, München 1993, S. 246. 84 Alexander Dubček’s Recollections of the Crisis: Events Surrounding the Čierna nad Tisou Negotiations, in: Navratil, The Prague Spring 1968, S. 300–307, hier: S. 301. 85 Smrkovskij, Das unvollendete Gespräch, S. 147. 86 Dubček, Leben für die Freiheit, S. 246. 87 Postanovlenie Politbjuro CK KPSS „Ob ukazanijach sovposlu v ČSSR“, 24.7.1968, in: Tomilina, Čechoslovackij krizis, S. 147. 88 Postanovlenie Politbjuro CK KPSS „O telegramme Poslu SSSR v ČSSR“, 26.7.1968, in: Tomilina, Čechoslovackij krizis, S. 155. 89 Ebenda. 90 Dokument 48: Ausschluss der Presse in Čierna nad Tisou, 26.7.1968, in: Karner, Prager Frühling, Bd. 2, S. 299. 91 Smrkovskij, Das unvollendete Gespräch, S. 148; Pauer, Prag 1968, S. 135. 92 Alexander Dubček’s Recollections, S. 302. 93 Pauer, Prag 1968, S. 135. 94 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 358. 95 Archiv FSO, 02-082/5-30: Tamara Rejmanova: O soveščanii v Čierne nad Tissoj i o vstuplenii sovetskich vojsk v Pragu 21 avgusta 1968 goda, S. 1. 96 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 367. 97 Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 151. 98 Bilak, Wir riefen Moskau, S. 119; Smrkovskij, Das unvollendete Gespräch, S. 150; Medvdev, Neizvestnyj Andropov, S. 132; Pauer, Prag 1968, S. 139. Pavel Tigrid spricht von einer vierstündigen Rede, die ein einziger Angriff gewesen sei: Pavel Tigrid: Why Dubcek fell, London 1971, S. 83; siehe auch Rejmanova, O soveščanii v Čierne, S. 2; Hejzlar, Reformkommunismus, S. 240. 99 Alexander Dubček’s Recollections, S. 302; Williams, New Sources, S. 458. 100 Zit. nach Šelest, Da ne sudimy budete, S. 365. 101 Ebenda. 102 Zit. nach Pauer, Prag 1968, S. 152. 103 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 366; Postanovlenie Politbjuro CK KPSS „O vstreče rukovoditelej bratskich partij socialističeskich stran“, 30.7.1968g., in: Tomilina, Čechoslovackij krizis, Bd. 2, S. 159 f. 104 Karen Dawisha: The Kremlin and the Prague Spring, Berkeley 1984, S. 259; Tigrid, Why Dubcek fell, S. 87. 105 Smrkovskij, Das unvollendete Gespräch, S. 148; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 380; Bilak, Wir riefen Moskau, S. 122; Medvedev, Neizvestnyj Andropov, S. 132. 106 Zit. nach Šelest, Da ne sudimy budete, S. 368. 107 Pauer, Prag 1968, S. 165; Dawisha, The Kremlin and the Prague Spring, S. 259. 108 Alexander Dubček’s Recollections, S. 302. 109 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 367 f., 382. 110 Alexander Dubček’s Recollections, S. 303. 111 Dokument 114, Stenogramm der Gespräche, S. 953.

Anmerkungen

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112 Alexander Dubček’s Recollections, S. 303; Pauer, Prag 1968, S. 166; Prozumenščikov, Die Entscheidung im Politbüro, S. 228. 113 Speeches by Leonid Brezhnev, Alexander Dubček, and Aleksej Kosygin at the Čierna nad Tisou Negotiations, 29. Juli 1968 [extractions], in: Navratil, The Prague Spring 1968, S. 284–297, hier: S. 284. Tamara Rejmanova berichtet, wie alle Aufzeichnungen und Papiere von der sowjetischen Seite eingesammelt wurden: Rejmanova, O soveščanii v Čierne, S. 6. Alexander Bowin berichtet, er habe Auszüge des Stenogramms in seinem Privatarchiv aufbewahrt: Bovin, XX vek kak žizn’, S. 175; Pauer, Prag 1968, S. 169. 114 Alexander Dubček’s Recollections, S. 303. 115 Pauer, Prag 1968, S. 173. 116 Bilak, Wir riefen Moskau, S. 134. 117 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 384. 118 Dubček, Leben für die Freiheit, S. 249 f. 119 Bratislava-Declaration, 3.8.1968, in: Navratil, The Prague Spring 1968, S. 326–329, hier: S. 328. 120 Ebenda, S. 327 f.; Pauer, Prag 1968, S. 174. 121 Dubček, Leben für die Freiheit, S. 251. 122 Alexander Dubček’s Recollections, S. 303. 123 Šelest, Da ne sudimy budete, S. 390; Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 79. 124 Dokument 57: Telefongespräch L.I. Brežnevs mit A.S. Dubček vom 13.8.1968, in: Karner, Prager Frühling, Bd. 2, S. 329–343, hier: S. 343. 125 Valerij Musatov: Brežnev vstretil utro vvoda vojsk na komandnom punkte, in: Novoe vremja, 1992, Nr. 16, S. 39. 126 Dokument 57, Telefongespräch, S. 333. 127 Ebenda, S. 335. 128 Ebenda. 129 Ebenda, S. 341. 130 Ebenda, S. 343. 131 Ebenda, S. 341. 132 Jiri Valenta: Soviet Intervention in Czechoslovakia 1969: Anatomy of a Decision, Baltimore 1979, S. 15 f.; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 299, 309; Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 52 f., 69. 133 I. William Zartman: The Norms of Intervention, in: ders. (Hg.): Czechoslovakia. Intervention and Impact, New York 1970, S. 105–119, hier: S. 108; Zubok, A Failed Empire, S. 208. 134 Dokument 75, Stenografische Niederschrift, S. 437; Dokument 114, Stenogramm der Gespräche, S. 961. 135 Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 155; Medvedev, Neizvestnyj Andropov, S. 131. 136 Speeches by Leonid Brezhnev, Alexander Dubček, and Aleksej Kosygin, in: Navratil, The Prague Spring 1968, S. 296. 137 Minutes of the U.S. National Security Council Meeting on the Soviet Invasion of Czechoslovakia, 20.8.1968, in: Navratil, The Prague Spring 1968, S. 445–448, hier: S. 448; Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 71; Valenta, Soviet Intervention, S. 128–134. 138 Zit. nach Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 149. Siehe auch Arbatov, Čelovek sistemy, S. 216. 139 Dokument 62: Nach dem Hilferuf der moskautreuen tschechoslowakischen Kommunisten: Einberufung der entscheidenden Konferenz in Moskau. Die ZK-Beschlüsse und die Anwei-

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Emotionen und Tabletten im Kalten Krieg sungen zur Durchführung. Politbüro-Beschluss des ZK der KPdSU, 17.8.1968, in: Karner, Prager Frühling, Bd. 2, S. 355–363. Abdruck des Originals in Pauer, Prag 1968, S. 196 f.; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 385. Zdenek Mlynarž: Cholodom veet ot Kremlja, 2. Auflage, New York 1988, S. 264. Ebenda, S. 169. Medvedev, Neizvestnyj Andropov, S. 140; Mlynarž, Cholodom veet ot Kremlja, S. 247. Medvedev, Neizvestnyj Andropov, S. 139; Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 85; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 397. Mlynarž, Cholodom veet ot Kremlja, S. 247; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 398; Volkogonov, 7 voždej, Bd. 2, S. 47. Zdeněk Mlynář: Nachtfrost. Das Ende des Prager Frühlings, Frankfurt am Main 1988, S. 299. Bilak, Wir riefen Moskau, S. 180. Dubček, Leben für die Freiheit, S. 299; Mlynář, Nachtfrost, S. 267 f. Smrkovskij, Das unvollendete Gespräch, S. 161. Dokument 114, Stenogramm der Gespräche, S. 971. Medvedev, Neizvestnyj Andropov, S. 141; Pichoja, Moskva, kreml’, vlast’, S. 86 f. Mlynář, Nachtfrost, S. 293. Dubček, Leben für die Freiheit, S. 344, 365. RGANI, f. 2, op. 3, d. 130: Stenogramma četvertogo zasedanija Oktjabr’skogo Plenuma, 30.– 31.10.1968g., L.I. Brežnev: O vnešnepolitičeskoj dejatel’nosti, l. 2–25. Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 155. RGANI, f. 80, op. 1, d. 981, l. 97ob. Šelest, Da ne sudimy budete, S. 460–462; RGANI, f. 80, op. 1, d. 331, l. 37 f. Zubok, A Failed Empire, S. 208. S. Kovalev: Suverenitet i internatcional’nye objazannosti soc. stran, in: Pravda, 26. September 1968. RGANI, f. 2, op. 3, d. 130, l. 24 f. Černajev, Moja žizn’ i moe vremja, S. 292; RGANI, f. 2, op. 3, d. 265, l. 266 ff. Černjaev, Moja žizn’ i moe vremja, S. 268, 272. Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 74; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 382. Šelest, Da ne sudimy budete, S. 460; Kolesničenko, Kak popast’ v istoriju, S. 28. Siehe dazu auch Donald J. Raleigh: „Soviet“ Man of Peace. Leonid Il’ich Brezhnev and his Diaries, in: Kritika 17 (2016) 4, S. 837–868. Bovin, XX vek kak žizn’, S. 255. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 85, Eintrag vom 24./25. Mai 1965. RGANI, f. 1, op. 1, d. 1, l. 46. RGANI, f. 2, op. 3, d. 230, l. 11. RGANI, f. 80, op. 1, d. 330, l. 45. Gespräch Schmidt mit Breschnew, 23.11.1981, 18:00 bis 19:35 Uhr, im Eichensaal des Schlosses Gymnich, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1981, Bd. 3, S. 1816. Willy Brandt: Erinnerungen. Mit den „Notizen zum Fall G“, München 2003, S. 201. Ebenda, S. 202. Ebenda, S. 197. Willy Brandt: Berliner Ausgabe, hg. v. Helga Grebing, Gregor Schöllgen u. Heinrich August Winkler, 10 Bde., Bonn 2000–2009, hier: Bd. 9, S. 333: Interview für Der Spiegel, 6. Juli 1981,

Anmerkungen

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http://www.willy-brandt.de/fileadmin/stiftung/Downloads/Berliner_Ausgabe/BA_09_gesamt. pdf, abgerufen am 15.10.2014. Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 132. Gespräch Schmidt mit Breschnew 28.10.1974, Treffen von ganzer Delegation im Katharinensaal 17–19 Uhr, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1974, Bd. 2, S. 1343. Helmut Schmidt, Menschen und Mächte, Berlin 1987, S. 18. Ebenda, S. 49. Gerald R. Ford: A Time to Heal. The Autobiography of Gerald R. Ford, London 1979, S. 218. Ebenda, S. 223. Archives nationales Paris, 5 AG 2/101, Deuxième tête-à-tête, 11.1.1974, Zaslavl/Minsk, S. 2. Arbatov, Čelovek sistemy, S. 178 ff. Ebenda, S. 197; Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 264 f.; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 24. RGANI, f. 80, op. 1, d. 331, l. 42. Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 166. Černjaev, Moja žizn’ i moe vremja, S. 259. Černajev, Sovmestnyj ischod, S. 133. RGANI, f. 80, op. 1, d. 331, l. 42. A. Černjaev: … i lično tovarišč Brežnev L.I. K stoletiju so dnja roždenija, in: Novaja gazeta, Nr. 97, 21.–24. Dezember 2006, priloženie: Le Monde diplomatique, Dezember 2006, S. 20 f.; Arbatov, Iz nedavnego prošlogo, S. 83 f.; Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 167; Mitrokhin, Russische Partei, S. 117. RGANI, f. 5, op. 30, d. 486, l. 147–153; Arbatov, Čelovek sistemy, S. 265. Arbatov, Čelovek sistemy, S. 285. Bovin, XX vek kak žizn’, S. 184. Ebenda, S. 217; Arbatov, Čelovek sistemy, S. 210; Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 239 f.; Černjaev, Moja žizn’ i moe vremja, S. 266. Bovin, XX vek kak žizn’, S. 148. Arbatov, Čelovek sistemy, S. 216. RAGNI, f. 2, op. 3, d. 70, l. 193. RGANI, f. 2, op. 3, d. 265, l. 43 Ebenda, l. 50 f. Ebenda, l. 44. RGANI, f. 5. op. 30, d. 486, l. 36; f. 2, op. 1, d. 790, l. 41. Ford, A Time to Heal, S. 298; Iz vystuplenija GenSeka Brežneva na obede, dannom v ego čest’ Prezidentom Francii Ž. Pompidu v Versale 25 oktjabrja 1971g., in: Sbornik osnovnych dokumentov po voprosu o razoruženii, hg. Ministerstvo Innostrannych Del, Bd. 13, Moskau 1974, S. 394. Rey, The USSR and the Helsinki Process, S. 67. RGANI, f. 2, op. 3, d. 251, l. 70. Archives nationales Paris, 5 AG 2/1017, Traduction non-officielle, Moskau, 1. August 1970. Archives nationales Paris, 5 AG 2/1017, Projet de réponse, 6. August 1970. RGANI, f. 2, op. 3, d. 251, l. 70. RGANI, f. 2, op. 3, d. 251, l. 78; Willy Brandt: Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960– 1975, Hamburg 1976, S. 448.

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Emotionen und Tabletten im Kalten Krieg

209 Foreign Relations of the United States, 1969–1976, Volume XV, Soviet Union, June 1972–August 1974, document 123: Conversation Between President Nixon and Soviet General Secretary Brezhnev, Washington, June 18, 1973, https://history.state.gov/historicaldocuments/frus196976v15/d123, abgerufen am 24.11.2014. 210 Valentin Falin: Politische Erinnerungen, München 1993, S. 87. 211 Schmidt mit Breschnew am 4.5.1978, 16:35 Uhr, im Bundeskanzleramt, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1978, Bd. 1, S. 644. 212 Bericht Seydoux an Schumann, 15.11.1970, in: Ministère des affaires étrangères (Hg.): Documents diplomatiques français, 1970, Bd. 2, Frankfurt am Main 2013, S. 647 f. 213 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Second tête-à-tête entre le Président de la république et M. Brejnev 26.10.1971, Elysée, 16:15–20:15, S. 24. 214 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Premier tête-à-tête entre le Président de la république et M. Brejnev, 25.10.1971, 15:35–17:10, S. 10 f. 215 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Abrasimov: Audiences chez Pompidou, 30.6.1972; 1.8.1972; 21.9.1972; 26.10.1972. 216 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1019, Oreanda, 27. Juli 1973, Brejnev–Jobert. 217 Zit. nach Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 30. 218 Brandt an Kossygin, Brief vom 19.11.1969, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1969, Bd. 2, München 2000, S. 1313. 219 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 293. 220 Aufzeichnung des Staatssekretärs Bahr, Bundeskanzleramt, 24.12.1969, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1969, Bd. 2, S. 1465. 221 Ebenda; Falin, Politische Erinnerungen, S. 87; RGANI, f. 80, op. 1, d. 331, l. 47; Gespräch des Bundeskanzlers Brandt mit dem Generalsekretär des ZK der KPdSU, Breschnew, in Moskau, Dolmetscher-Protokoll, 15:30–19:30 Uhr, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1970, Bd. 2, S. 1457. 222 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 324. 223 Bahr an Brandt, 1.8.1970, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1970, Bd. 2, S. 1335. 224 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 326. 225 Aufzeichnung des Staatssekretärs Bahr, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1969, Bd. 2, S. 1465; Willy-Brandt-Archiv (im Folgenden: WBA) in AdsD, Bestand A 8, Mappe 190, Bl. 7. 226 AdsD, Depositum Bahr, Ordner 434: V.L., MDg Dr. Sanne, Bonn 14.11.1970, Vermerk über ein Gespräch von StS Bahr in Berlin am 12.11.1970, ohne Blattangabe. 227 Falin, Politische Erinnerungen, S. 186. 228 AdsD, Depositum Bahr, Ordner 434: V.L., ohne Blattzählung, ohne Briefkopf: „Nach dem Besuch bei Breschnew ist der Freund direkt am 24.3. um 0:30 zu Lathe gekommen …“ 229 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 293 f. 230 AdsD, Depositum Bahr, Ordner 434: V.L., „Der Staatssekretär, Bonn den 27. April 1970, Dem Bundeskanzler und Bundesminister streng vertraulich, persönlich“, ohne Blattangabe. 231 AdsD, Depositum Bahr, Ordner 434: V.L., Brief von Valera Lednew, 12. November 1970. 232 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 294. 233 4-Augen-Gespräch Scheel mit Gromyko, Moskau, 7.8.1970, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1970, Bd. 2, S. 1421. 234 Gespräch des Bundeskanzlers Brandt mit dem Generalsekretär des ZK der KPdSU, Breschnew,

Anmerkungen

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in Moskau, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1970, Bd. 2, S. 1450. 235 Gespräch Scheel–Breschnew, 19.5.1973, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1973, Bd. 2, S. 735. 236 Gespräch des Bundeskanzlers Brandt mit dem Generalsekretär des ZK der KPdSU, Breschnew, in Moskau, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1970, Bd. 2, S. 1461. 237 Aufzeichnung des Bundeskanzlers Brandt, 19. August 1970: Bewertung Gespräche mit Breschnew und Kossygin, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1970, Bd. 2, S. 1504. 238 Brandt, Begegnungen und Einsichten, S. 453. 239 Brandt, Erinnerungen, S. 196. 240 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 332. 241 Gespräch des Bundeskanzlers Brandt mit dem Generalsekretär des ZK der KPdSU, Breschnew, in Moskau, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1970, Bd. 2, S. 1458. 242 AdsD, Depositum Bahr, Ordner 434: V.L., Bonn, den 13. August 1970, Der Staatssekretär, Vermerk, vertraulich, ohne Blattangabe. 243 Ebenda. 244 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 331; Gespräch des Bundeskanzlers Brandt mit dem Generalsekretär des ZK der KPdSU, Breschnew, in Moskau, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1970, Bd. 2, S. 1457. 245 Zit. nach Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 156. 246 Aufzeichnung des Bundeskanzlers Brandt, Oreanda, 17. September 1971, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1971, Bd. 2, S. 1383; RGANI, f. 2, op. 3, d. 351: Protokol No. 9 zasedanija Aprel’skogo Plenuma, 16.4.1975g., l. 14 f. 247 RGANI, f. 2, op. 3, d. 251, l. 78; Bahr, Zu meiner Zeit, S. 460. 248 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Audience de M. Valerian Zorine, Ambassadeur de l’URSS, 21. Juli 1969; 18.9.1969; Entretien du Président de la République avec les dirigeants soviétiques au Kremlin, 6.10.1970, 16:30–18:40 Uhr. 249 Entretien Pompidou avec Brejnev (…), Moskau, 7.10.1970, in: Documents diplomatiques français, 1970, Bd. 1, Frankfurt am Main 2013, S. 417, S. 442. 250 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Entretien du Président de la République avec les dirigeants soviétiques au Kremlin, 6.10.1970, 16:30–18:40 Uhr, S. 9. 251 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Entretien entre le Président de la république et M. Brejnev, Kremlin 13.10.1970, 10:30–11:40 Uhr, S. 1. 252 Ebenda, S. 1 f. 253 Ebenda, S. 8. 254 Entretien Pompidou avec Brejnev (…), Moskau, 7.10.1970, in: Documents diplomatiques français, Bd. 1, S. 417 f., 430. 255 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Entretien entre le Président de la république et M. Bre­ jnev, Kremlin, 13.10.1970, 10:30–11:40 Uhr, S. 9. 256 Brejnev, Kosyguine, Podgorny et Pompidou pendant le dîner, 12.10.1970, in: Documents di­plomatiques français, 1970, Bd. 1, S. 455. 257 Aufzeichnung Staatssekretär Bahr, 1.9.1971, über Gespräch Brandt mit Falin, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1971, Bd. 2, S. 1311; Šelest, Da ne sudimy budete, S. 485.

558

258 259 260 261

Emotionen und Tabletten im Kalten Krieg

RGANI, d. 2, op. 3, d. 240, l. 5. Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 9, S. 385. Brandt, Erinnerungen, S. 206; ders., Begegnungen und Einsichten, S. 460. AdsD, Depositum Bahr, Ordner 430: Krim 16.–18. September 1971, 7. September 1971, Der Staatssekretär, Taktischer Ablauf, ohne Blattangabe; Politisches Archiv AA, Bestand B 41: Sowjetunion 1957–1972, Best.-Nr. 116: Vorbereitung Ratifizierung 1971–1971, Krimbesuch Brandts, S. 241. 262 Brandt, Erinnerungen, S. 207; ders., Begegnungen und Einsichten, S. 462; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 102; Velikžanina, Preemnikom Brežneva; „Schlips ab zum Gespräch. Was Willy Brandt auf der Krim aushandelte, wie er mit dem sowjetischen Parteichef Breschnew baden ging und warum sich der Kanzler so salopp gekleidet an den Verhandlungstisch setzte“, in: Der Stern, Heft 40, 23. September 1971, S. 26–31. 263 Velikžanina, Preemnikom Brežneva; zum Programm siehe AdsD, Depositum Bahr, Mappe 430: Krim, 2 Varianten von Besuchsprogramm, ohne Blattangabe. 264 AdsD WBA, A 23, Mappe 100: Krim; A 23.1 – Fotoalben, Mappe 34: Breschnew und Brandt in Oreanda. Angaben auch aus einem Interview mit Fritz Pleitgen am 7. Juli 2016, der auf der Krim anwesend war. 265 AdsD, Depositum Bahr, Ordner 430: Krim, Oreanda, 17. September 1971, Vermerk: Über Gespräch mit Breschnew während der Fahrt von Simferopol nach Oreanda am Abend des 16. September 1971, ohne Blattangabe. 266 Aufzeichnung des Bundeskanzlers Brandt, Oreanda, 17. September 1971, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1971, Bd. 2, S. 1384. 267 Interview mit dem damals Protokoll führenden Dolmetscher Eggert Hartmann am 16. Dezember 2015; Aufzeichnung des Bundeskanzlers Brandt, 18.9.1971, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1971, Bd. 2, S. 1419; Brandt, Erinnerungen, S. 209; ders., Begegnungen und Erinnerungen, S. 460, 462. 268 Willy Brandt: Vertrauensvolle Gegnerschaft, ursprünglich: Der Spiegel, 15. November 1982, hier: Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 9, Dokument 79, S. 385. 269 Archiv Vnešnej Politiki Rossijskoj Federacii (im Folgenden: AVP RF), f. 136, op. 55, papka 120, d. 142, l. 1–4. 270 Musaėl’jan, Brežnev, kotorogo ne znali, S. 149. 271 Iz vystuplenija GenSeka Brežneva na obede, dannom v ego čest‘ Prezidentom Francii Ž. Pompidu v Versale 25.10.1971g., in: Sbornik osnovnych dokumentov, S. 393; AVP RF, f. 136, op. 55, d. 9, papka 120, l. 12–14. 272 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Premier tête-à-tête entre Brejnev et Pompidou, 25.10.1971, 15:35–17:10, S. 1. 273 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Quatrième tête-à-tête entre Brejnev et Pompidou, 29.10.1971, 11:20–14:00, S. 11 f. 274 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Premier tête-à-tête entre Brejnev et Pompidou, 25.10.1971, 15:35–17:10, S. 5, 12. 275 Ebenda, S. 7. 276 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Second tête-à-tête entre Brejnev et Pompidou, 26.10.1971, 16:50–20:15, S. 8 f. 277 Ebenda, S. 1 278 Musaėl’jan, Dorogoj Leonid Il’ič, S. 45; Archives nationales Paris, 5 AG 2/754, URSS, Brejnev, Voyage officiel en France du 25.–30.10.1971, Hébergement.

Anmerkungen

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279 Iz sovetsko-francuzskoj deklaracii 30 oktjabrja 1971, in: Sbornik osnovnych dokumentov, S. 549; Ju.V. Dubinin: Diplomatičeskaja byl’. Zapiski posla vo Francii, Moskau 1997, S. 171 ff. 280 RGANI, f. 80, op. 1, d. 331, l. 27. 281 RGANI, f. 2, op. 3, d. 251, l. 63. 282 RGANI, f. 2, op. 3, d. 215, l. 48. 283 AdsD, Depositum Bahr, Ordner 430: Krim, Bonn, den 18. September 1971, Bundeskanzler, ergänzender Vermerk, ohne Blattangabe; Botschafter Sahm, Moskau, an Staatssekretär Frank, 28. April 1973: Gespräch mit Breschnew am 26. April 1973, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1973, Bd. 2, S. 601–603. 284 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 392. 285 Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 103. 286 Ebenda, S. 107. 287 Henry A. Kissinger: Memoiren, Bd. 1: 1968–1973, München 1979, S. 1218. 288 Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 109, 112. 289 Ebenda, S. 120. 290 RGANI, f. 2, op. 3, d. 265, l. 30. 291 Ebenda, l. 32 f. 292 Brandt, Begegnungen und Einsichten, S. 473; AdsD WBA, Bestand A 8, Mappe 74, Bl. 27: Bonn, 19. Mai 1972, Brandt an Breschnew. 293 Brandt, Begegnungen und Einsichten, S. 453; Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Quatrième tête-à-tête, 29.10.1971, S. 9 f. 294 RGANI, f. 80, op. 1, d. 331, l. 28. 295 RGANI, f. 80, op. 1, d. 331, l. 48; f. 2, op. 1, d. 790, l. 41. 296 Arbatov, Čelovek sistemy, S. 250; A.F. Dobrynin: Sugubo doveritel’no. Posol v Vašingtone pri 6i prezidentach SŠA (1962–1986), Moskau 1997, S. 175. 297 RGANI, f. 2, op. 3, d. 70, l. 198 f. 298 AdsD WBA, Depositum Brandt, Ordner 434: V.L., Bonn, 30. Juni 1972, Der Staatssekretär: Nur für den BK, streng vertraulich, persönlich, ohne Blattangabe; Falin, Politische Erinnerungen, S. 186 f. 299 Henry A. Kissinger: Foreword, in: Soviet-American Relations. The Détente Years 1969–1972, hg. v. Edward C. Keefer et al., Washington, D.C. 2007, S. XIII–XIV; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 474, Eintrag vom 21. Juli 1971; siehe auch Arvid Schors: Doppelter Boden. Die SALT-Verhandlungen, 1963–1979, Göttingen 2016, S. 193. 300 Kissinger, Foreword, S. XVI. 301 Ebenda, S. XIII–XIV. 302 RGANI, f. 80, op. 1, d. 329, l. 21. 303 Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 215. 304 RGANI, f. 2, op. 3, d. 70, l. 199. 305 V.M. Vinogradov: Diplomatija: Ljudi i sobytija. Iz zapisok posla, Moskau 1998, S. 231 ff. 306 Falin, Politische Erinnerungen, S. 87; Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 223; Schmidt, Menschen und Mächte, S. 83. 307 Suchodrev, Jazyk moj, S. 276; Kissinger, Foreword, S. XV, XIII; Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 223. 308 RGANI, f. 2, op. 3, d. 251, l. 75 f., 78; Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 242. 309 Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1204, vgl. auch Schors, Doppelter Boden, S. 270. 310 Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1204.

560

311 312 313 314

Emotionen und Tabletten im Kalten Krieg

Ebenda, S. 1208. Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 248. Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1205. Henry A. Kissinger: Memoiren, Bd. 2: 1973–1974, München 1982, S. 271; Archives nationales Paris, 5 AG 2/1017, Ambassadeur Seydoux, Moskau, 20. Mai 1972, pour le ministre et le sécretaire générale seulement. 315 Kissinger, Memoiren, Bd. 2, S. 275 f. 316 Suchodrev, Jazyk moj, S. 307–311, 315; Kissinger, Memoiren, Bd. 2, S. 276. 317 Suchodrev, Jazyk moj, S. 311. 318 Kissinger, Memoiren, Bd. 2, S. 276. 319 Zit. nach Richard Nixon: Memoiren, Köln 1978, S. 414. 320 Memorandum From the President’s Assistant for National Security Affairs (Kissinger) to President Nixon: The Soviet Leaders, Washington, undated, https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1969-76v14/d232, abgerufen am 14.11.2014. 321 RGANI, f. 2, op. 3, d. 265, l. 43, l. 72. 322 Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1280; Nixon, Memoiren, S. 407; Suchodrev, Jazyk moj, S. 280 ff. 323 Zit. nach Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1281; Keefer, Soviet-American Relations, S. 834. 324 Nixon, Memoiren, S. 407. 325 Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1281. 326 Schors, Doppelter Boden, S. 295 f. 327 Nixon, Memoiren, S. 407. 328 Ebenda, S. 408. 329 Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1290 ff.; Schors, Doppelter Boden, S. 272, 287. 330 Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1296. 331 Nixon, Memoiren, S. 409. 332 Suchodrev, Jazyk moj, S. 291 f. 333 Ebenda, S. 292 f.; Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1299 ff. 334 Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 247 f. 335 Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1300. 336 Nixon, Memoiren, S. 409. 337 Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1302; Nixon, Memoiren, S. 410 f.; Suchodrev, Jazyk moj, S. 293; Archives nationales Paris, 5 AG 2/1019, Voyage en URSS du président, Pitsounda, 12./13. März 1974, S. 2. 338 Nixon, Memoiren, S. 414. 339 Ebenda. 340 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 87. 341 RGANI, f. 2, op. 3, d. 295, l. 17. 342 RGANI, f. 2, op. 3, d. 296, l. 164–166; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 82; Archives nationales Paris, 5 AG 2/1019, Paris, 6. März 1974, NOTE pour M. le Président de la République, A/S rencontre avec M. Brejnev, 12. und 13. März 1974, S. 2. 343 Sahm an das AA, 28. April 1973, über ZK-Plenum 26./27. April 1973, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1973, Bd. 1, S. 608. 344 Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 67–71; Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 223. 345 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112694: Besuch Breschnew II, Besuche und Reisen in die Bundesrepublik Deutschland 1973–1974, Bonn, 23. Mai 1973, Entwurf, An den Generalsekretär für Auswärtige Angelegenheiten Herrn Botschafter Dr. Walter Wodak, Außen-

Anmerkungen

346 347 348 349 350 351 352 353

354 355 356 357 358 359 360 361 362 363 364 365 366 367 368 369 370 371

372 373 374 375 376 377 378 379

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amt Wien, S. 2; AdsD WBA, Bestand A 8, Mappe 142, Bl. 10, Bonn, den 2. Mai 1973, Vermerk: Besuch des Generalsekretärs, hier: Gespräch Staatssekretär–Falin. Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 36. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 544, Eintrag vom 11. Januar 1973; Archives nationales Paris, 5 AG 2/1019, Entretien à Minsk, 11.–12. Januar 1973. Interview mit Eggert Hartmann am 16. Dezember 2015. Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 151. Nixon, Memoiren, S. 586; Suchodrev, Jazyk moj, S. 331. Nixon, Memoiren, S. 584. Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112694, 28. Mai 1973, Dr. Meyer-Landrut zur Information, S. 3, 6, Bewertung des Breschnew-Besuches aus der Sicht des AA, S. 1. Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112694, Ergebnisse des Breschnew-Besuchs in Bonn, Juni 1973; AdsD WBA, Bestand A 8, Mappe 187, Bl. 3, Interview des Generalsekretärs mit dem ZDF-Journalisten Terjung am 19. Mai 1973. Nixon, Memoiren, S. 584. Arbatov, Čelovek sistemy, S. 356. Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 11. Nixon, Memoiren, S. 584; Suchodrev, Jazyk moj, S. 320. Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 9, S. 386; Nixon, Memoiren, S. 414. Nixon, Memoiren, S. 414. Gespräch Scheel mit Breschnew, 19. Mai 1973, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1973, Bd. 2, S. 747; Černajev, Sovmestnyj ischod, S. 321. Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 25, 136. Zit. nach Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 25. Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 9, S. 385. Nixon, Memoiren, S. 589. Suchodrev, Jazyk moj, S. 324. Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112693, BRESHNEW, S. 4. Archives nationales Paris, 5 AG 2/678, Paris, 12. Oktober 1971, Le Chef du Protocole, NOTE pour le secretariat Général de la Présidence, S. 2. Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Quatrième tête-à-tête, 29.10.1971, S. 2. Falin, Politische Erinnerungen, S. 245. Ebenda, S. 246; Interview mit Eggert Hartmann am 16. Dezember 2015; Musaėl’jan, Brežnev, kotorogo ne znali, S. 157; Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 113. AdsD, Depositum Bahr, Ordner 434: V.L., Herrn Bundesminister, ohne Datum, ohne Blattangabe; Ordner 435, Mappe 1: Anruf Podewils, 24. Mai 1973; MD Dr. C.W. Sanne, 28. Mai 1973, An den Chef des Protokolls, 25. Mai 1973. Suchodrev, Jazyk moj, S. 324; Nixon, Memoiren, S. 584. Nixon, Memoiren, S. 584 f. Zit. nach Falin, Politische Erinnerungen, S. 246 f. Nixon, Memoiren, S. 583; Kissinger, Memoiren, Bd. 2, S. 347. Kissinger, Memoiren, Bd. 2, S. 350; Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112694, Bonn, 23. Mai 1973, S. 2. Kissinger, Memoiren, Bd. 2, S. 346. Ebenda, 2, S. 354; Nixon, Memoiren, S. 587 f.; Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 269. Nixon, Memoiren, S. 587.

562

Emotionen und Tabletten im Kalten Krieg

380 Suchodrev, Jazyk moj, S. 332; Kissinger, Memoiren, Bd. 2, S. 351. 381 Nixon, Memoiren, S. 587. 382 AdsD WBA, Bestand A 8, Mappe 58: Brief Breschnew an Brandt, Übersetzung 20. März 1973, Bl. 226; Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112693, BRESHNEW, S. 5; AVP RF, f. 136, op. 55, d. 9, papka 120, god 1971, l. 4. 383 Archives nationales Paris, 5 AG 2/754, URSS Brejnev, Le chef du protocole, NOTE, 27. September 1971, S. 2. 384 Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 187. 385 Suchodrev, Jazyk moj, S. 323 f. 386 Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1191; Bd. 2, S. 275. 387 Schmidt, Menschen und Mächte, S. 69–71. 388 Keefer, Soviet-American Relations, S. 697. 389 Zit. nach Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 175. 390 Suchodrev, Jazyk moj, S. 324. 391 Ebenda, S. 331. 392 Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 59. 393 Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 263; Kissinger, Memoiren, Bd. 2, S. 346; Nixon, Memoiren, S. 581; Agreement Between The United States of America and The Union of Soviet Socialist Republics on the Prevention of Nuclear War, http://fas.org/nuke/control/prevent/text/prevent1. htm, abgerufen am 19.9.2016. 394 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 109 f.; Conversation Between President Nixon and Soviet General Secretary Brezhnev, Washington, June 18, 1973. 395 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1019, Troisième entretien, 27.6.1973, 10:35–11:30 Uhr, S. 7. 396 Ebenda, S. 1. 397 Archives nationales Paris, 5 AG 2/672, Pitsounda (URSS), Voyages à l’étranger 1974, Programme; 1019, Voyage en URSS du Président, Pitsounda, 12./13.3.1974, S. 1 f. 398 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1019, Voyage en URSS du Président, Pitsounda, 12./13.3.1974, Entretien de M. le Président avec M. Brejnev à Pitsounda le 12 Mars 1974, de 18:30 à 21:30, S. 3; AVP RF, f. 136, op. 58, d. 11, papka 131, god 1974, l. 2, l. 46 f. 399 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Premier tête-à-tête entre le Président et M. Brejnev, 25.10.1971, 15:35–17:10, S. 4. 400 Falin, Politische Erinnerungen, S. 186; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 148. 401 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 459; Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats I. Klasse MeyerLandrut, 13. Mai 1974, über die Moskauer Reaktionen auf den Rücktritt Willy Brandts, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1974, Bd. 1, S. 624; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 179. 402 Zit. nach Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 176. 403 Zit. nach Bahr, Zu meiner Zeit, S. 459; AdsD, Depositum Bahr, Ordner 434: V.L., E.B., Bonn, 7. Mai 1974, Vermerk, ohne Blattanangabe. 404 Zit. nach Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 176. 405 Ebenda, S. 179. 406 Kissinger, Memoiren, Bd. 2, S. 343. 407 Suchodrev, Jazyk moj, S. 341; Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 300–302. 408 Kissinger, Memoiren, Bd. 2, S. 1355; Nixon, Memoiren, S. 681. 409 Kissinger, Memoiren, Bd. 2, S. 1358; Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 305. 410 Nixon, Memoiren, S. 685.

Anmerkungen

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411 Kissinger, Memoiren, Bd. 2, S. 1374. 412 AdsD, Depositum Bahr, Ordner 434: V.L., E.B., Bonn, 7. Mai 1974, Vermerk, ohne Blattangabe. 413 Telegram From the Embassy in the Soviet Union to the Department of State, Moscow, August 10, 1974, 1747Z, https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1969-76v16/d6, abgerufen am 14.11.2014. 414 Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats I. Klasse Meyer-Landrut, 13. Mai 1974, über die Moskauer Reaktionen auf den Rücktritt Willy Brandts, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1974, Bd. 1, S. 624. 415 AdsD, Depositum Bahr, Ordner 435, 10. Mai 1973, Moskau, Heinz Lathe an Chefredakteur Robert Schmelzer. 416 AdsD, Depositum Bahr, Ordner 434: V.L., Mappe 190: Minister an Herrn Bundeskanzler, persönlich und verschlossen, Bl. 6. 417 AdsD WBA, Bestand A 9, Mappe 7, 31. März 1975, Hochverehrter Herr Brandt, ohne Blattangabe. 418 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Second tête-à-tête entre le Président et M. Brejnev, 26.10.1971, S. 2. 419 Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 9, S. 385; Schmidt, Menschen und Mächte, S. 65. 420 Memorandum From the President’s Assistant for National Security Affairs (Kissinger) to President Nixon: The Soviet Leaders. 421 Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1207. 422 Conversation Between President Nixon and Soviet General Secretary Brezhnev, Washington, June 18, 1973, 11:31 a.m.–12:30 p.m., https://history.state.gov/historicaldocuments/frus196976v15/d123, abgerufen am 14.11.2014; Suchodrev, Jazyk moj, S. 17; Bahr, Zu meiner Zeit, S. 418. 423 Kissinger, Memoiren, Bd. 2, S. 346; Nixon, Memoiren, S. 589. 424 Schmidt, Menschen und Mächte, S. 95; Suchodrev, Jazyk moj, S. 359. 425 Archives nationales Paris, 5 AG 2/1018, Second tête-à-tête entre le Président et M. Brejnev, 26.10.1971, S. 4. 426 Kissinger, Memoiren, Bd. 1, S. 1283, Bd. 2, S. 273; Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.Nr. 112694, Bonn, 23. Mai 1973, Entwurf an Wodka, S. 2; Suchodrev, Jazyk moj, S. 305. 427 Schmidt, Menschen und Mächte, S. 51 f., 61 f.; RGANI, f. 2, op. 3, d. 342, l. 200. 428 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 127 f. 429 Schors, Doppelter Boden, S. 347. 430 Memorandum From the President’s Deputy Assistant for National Security Affairs (Scowcroft) to President Ford, Washington, October 24, 1974, https://history.state.gov/historicaldocuments/ frus1969-76v16/d65; Memorandum From the President’s Deputy Assistant for National Security Affairs (Scowcroft) to President Ford, Washington, October 25, 1974, https://history.state. gov/historicaldocuments/frus1969-76v16/d68, beide abgerufen am 14.11.2014. 431 Ford, A Time to Heal, S. 213. 432 Ebenda, S. 214; Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 110. 433 Ford, A Time to Heal, S. 216; Suchodrev, Jazyk moj, S. 349. 434 Ford, A Time to Heal, S. 216. 435 Ebenda, S. 217. 436 Suchodrev, Jazyk moj, S. 352; Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 325; Arbatov, Čelovek sistemy, S. 281. 437 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 128; Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 111. 438 AVP RF, f. 129, op. 60, d. 28, papka 270, god 1973/74, O reakcii v SŠA na dostignutuju vo Vla-

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divostoke dogovorennost’, l. 34; Arbatov, Čelovek sistemy, S. 282; Foreign Relations of the United States, 1969–1976, Volume XVI, Soviet Union, August 1974–December 1976, S. 1032: 277. Memorandum of Conversation, Washington, April 8, 1976, 4:54–5:55 p.m., https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1969-76v16/d277, abgerufen am 24.11.2014. 439 Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 100. 440 Deutsch-sowjetisches Regierungsgespräch in Helsinki, 31.7.1975, mit: K, Genscher, Sanne, Breschnew, Gromyko, Blatow, Bondarenko, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1975, Bd. 1, S. 1099; Gespräch Schmidt mit Breschnew, 23.11.1981, Akten zur Auswärtigen Politik, S. 1820. 441 Archives nationales Paris, 5 AG 3/3356, Voyage de M. Brejnev, 4.–7.12.1974, Le Chef du protocole, Note pour M. Robin, Paris, 30. November 1974: Visite de M. Brejnev, S. 1; Le Chef du protocole, Paris, 25.11.1974, Quai d’Orsay, Note pour M. Sauzay: Séjour à Paris de M. Brejnev, S. 1. 442 Valéry Giscard d’Estaing: Macht und Leben. Erinnerungen, Frankfurt am Main, Berlin 1988, S. 30; Archives nationales Paris, 5 AG 3/3356, Voyage de M. Brejnev, Cérémonial, S. 2. 443 Giscard d’Estaing, Macht und Leben, S. 31. 444 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 128. 445 Giscard d’Estaing, Macht und Leben, S. 32. 446 Dubinin, Diplomatičeskaja byl’, S. 185 f. 447 Ebenda, S. 187; AVP RF, f. 136, op. 58, d. 11, papka 131, god 1974, l. 17 ff. 448 Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 205. 449 Archives nationales Paris, 5 AG 3/3342 Voyage officiel en URSS, 14.–18. Oktober 1975, Programme. 450 Giscard d’Estaing, Macht und Leben, S. 40. 451 Ebenda, S. 41. 452 Ebenda, S. 37. 453 Černajev, Sovmestnyj ischod, S. 176. 454 Archives nationales Paris, 5 AG 3/1092, Visite officielle de M. Brejnev, 20.–22. Juni 1977, Paris, 18. Mai 1977, Le Chef de Cabinet – Note à l’attention de M. le Président, S. 1; Paris, 17. Februar 1977, Note pour M. le Président; 30. März 1977, lettre du Président à Brejnev; lettre de Brejnev, 3. Februar 1977; 22. September 1976, Note pour le Président, Audience de Tchervnonenko, S. 2. 455 Archives nationales Paris, 5 AG 3/1092, Extrait du relevé de décisions du Conseil des ministres du 23 juin 1977. 456 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133148: Stellung Breschnews, 1979, Bonn, 29. März 1979, Herrn Staatssekretär zur Unterrichtung, Betr.: Gesundheitszustand Breschnews, S. 1. 457 Giscard d’Estaing, Macht und Leben, S. 45. 458 Ebenda, S. 45 f. 459 Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 9, Interview für Der Spiegel, 18. Mai 1981, S. 311. 460 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112753, Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, 18. September 1975, Betr.: Stellung Breschnews, S. 1. 461 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 128. 462 Ebenda, S. 131. Siehe auch V.G. Gruško: Sud’ba razvedčika. Kniga vospominanij, Moskau 1997, S. 127. 463 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 500.

Anmerkungen 464 465 466 467 468 469 470 471

472 473 474 475 476 477 478 479 480 481 482 483 484 485 486 487 488 489 490

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Schmidt, Menschen und Mächte, S. 81. Ford, A Time to Heal, S. 303. Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 131. Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 344; Dubinin, Diplomatičeskaja byl’, S. 208; RGANI, f. 2, op. 3, d. 380, S. 9. RGANI, f. 89, perečen’ 37, document 4: Zapiska KGB „O vraždebnoj dejatel’nosti tak nazyvaemoj ,gruppy sodejstvija vypolnenija Chel’sinskich soglašenij‘“, 15.11.1976, l. 1 ff. Vgl. auch Schors, Doppelter Boden, S. 463. Arbatov, Čelovek sistemy, S. 283; Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 453; Jimmy Carter: Keeping Faith. Memoirs of a President, London 1982, S. 217. AVP RF, f. 129, op. 65, papka 342, d. 28, O nekotorych ėlementach političeskoj filosofii i stilja prezidenta Kartera (spravka), 23.4.1979g., l. 76; d. 30: Podborki vyskazanij prezidenta Kartera i predstavitelej administracii po sovetskim-amerikanskim otnošenijam (…), l. 30; Carter, Keeping Faith, S. 146, 149. AVP RF, f. 129, op. 65, papka 343, d. 30 (god 1979), l. 30. Carter, Keeping Faith, S. 259. AVP RF, f. 129, op. 65, papka 342, d. 28, Ob amerikanskoj „Kampanii v zaščitu prav čeloveka“ na sovremennom ėtape, 26.12.1979, l. 154 f. Carter, Keeping Faith, S. 146; Schmidt, Menschen und Mächte, S. 84. Carter, Keeping Faith, S. 217. Brandt, Erinnerungen, S. 196; Giscard d’Estaing, Macht und Leben, S. 45; Schmidt, Menschen und Mächte, S. 84. Zit. nach Giscard d’Estaing, Macht und Leben, S. 46. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. S. 815, Eintrag vom 6. August 1977. RGANI, f. 80, op. 1, d. 312, l. 127 f. Ebenda, l. 128; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 801, Eintrag vom 14. Juli 1977; Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 305. Carter, Keeping Faith, S. 219–221. Ebenda, S. 221. Gespräch BK mit Breschnew auf Schloß Gymnich, 5.5.1978, 10:00–12:15 Uhr, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1978, Bd. 1, S. 652. Interview mit Eggert Hartmann, 16. Dezember 2016; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 184 f. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 815, Eintrag vom 6. August 1977; Schmidt, Menschen und Mächte, S. 89. Schmidt, Menschen und Mächte, S. 90. Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1978, Bd. 1, S. 648, 652. RGANI, f. 2, op. 3, d. 402, l. 97. Schmidt, Menschen und Mächte, S. 90 ff.; Gespräch BK mit Breschnew auf Schloß Gymnich, 5.5.1978, Akten zur Auswärtigen Politik, S. 652, 661; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 191, 196. Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 9, S. 385. Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 321, 323 f. Ebenda, S. 322 f. Schmidt, Menschen und Mächte, S. 96, 97. Interview Eggert Hartmann am 16. Dezember 2016; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi,

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Bd. 1, S. 909, Eintrag vom 4. Mai 1978; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 209; Gespräch BK mit Breschnew auf Schloß Gymnich, 5.5.1978, Akten zur Auswärtigen Politik, S. 661, 692; Schmidt, Menschen und Mächte, S. 98. 496 Carter, Keeping Faith, S. 239. 497 Foreign Relations of the United States, 1977–1980, Bd. VI, Soviet Union, 197. Memorandum From the President’s Assistant for National Security Affairs (Brzezinski) to President Carter, Washington, May 29, 1979, S. 570. 498 Carter, Keeping Faith, S. 243 f. 499 Ebenda, S. 245. 500 Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 403. 501 Suchodrev, Jazyk moj, S. 356 ff. 502 Edvard Gerek o Leonide Brežneve, S. 14. 503 Carter, Keeping Faith, S. 244 f.; Suchodrev, Jazyk moj, S. 360; AVP RF, f. 156, god 1979, op. 46, papka 69, d. 7, l. 62; Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 453. 504 AVP RF, f. 156, god 1979, op. 46, papka 69, d. 7, l. 62 f. 505 Ebenda; Carter, Keeping Faith, S. 249. 506 AVP RF, f. 156, god 1979, op. 46, papka 69, d. 7, l. 63; Carter, Keeping Faith, S. 258. 507 Zit. nach Suchodrev, Jazyk moj, S. 361; Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 454. 508 Mėlor Sturua: Dve fotografii k odnomu portretu, in: Aksjutin, Brežnev. Materialy k biografii, S. 167– 178, hier: S. 173. 509 Suchodrev, Jazyk moj, S. 368. 510 Carter, Keeping Faith, S. 261; Suchodrev, Jazyk moj, S. 371; Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 454; Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 365. 511 Suchodrev, Jazyk moj, S. 371. 512 Ebenda, S. 372; Carter, Keeping Faith, S. 259. 513 Sturua, Dve fotografii k odnomu portretu, S. 175. 514 Schmidt, Menschen und Mächte, S. 125; Gespräch BK Schmidt mit Breschnew, 23. November 1981, 11–14 Uhr, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1981, Bd. 3, S. 1793, 1851. 515 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 333. 516 Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 306; Arbatov, Čelovek sistemy, S. 283 f.; Carter, Keeping Faith, S. 222. 517 Vgl. Schors, Doppelter Boden, S. 381. 518 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 508. 519 RGANI, f. 2, op. 3, d. 524, l. 40. 520 Ebenda, l. 9, 14. 521 Arbatov, Iz nedavnego prošlogo, S. 78; Arkadij Nikolajewitsch Schewtschenko: Mein Bruch mit Moskau, 5. Auflage, Bergisch Gladbach 1986, S. 244; vgl. auch Schors, Doppelter Boden, S. 164. 522 Arbatov, Čelovek sistemy, S. 294. 523 Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 200. 524 Ebenda, S. 9; Arbatov, Čelovek sistemy, S. 294. 525 Zit. nach Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 271. 526 Ebenda, S. 502. 527 Manfred Sapper: Die Auswirkungen des Afghanistan-Krieges auf die Sowjetgesellschaft. Eine Studie zum Legitimitätsverlust des Militärischen in der Perestrojka, Münster 1994, S. 75; Sarah E. Mendelson: Changing Course. Ideas, Politics, and the Soviet Withdrawal from Afghanistan,

Anmerkungen

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Princeton 1998, S. 53; William Maley: The Afghanistan Wars, London 2002, S. 33; Gregory Feifer: The Great Gamble. The Soviet War in Afghanistan, New York 2009, S. 11; Diego Cordovez/Selig S. Harrison: Out of Afghanistan. The Inside Story of the Soviet Withdrawal, Oxford 1995, S. 48; Sekretnye dokumenty iz osobych papok: Afganistan, in: Voprosy istorii (1993) 3, S. 3–33; Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 386 f.; Brutenc, Tidcat’ let na staroj ploščadi, S. 485; Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 151. 528 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 981, Eintrag vom 10. Dezember 1979, siehe auch FN 183 auf S. 993; Bd. 2, S. 960. 529 Ebenda. 530 RGANI, f. 89, perečen’ 14, dokument 21: „K položenii v ‚A‘“, 12.12.1979g., l. 1. 531 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 2, S. 961. 532 RGANI, f. 89, perečen’ 14, dokument 21, l. 1; siehe auch Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 483, 485. 533 RGANI, f. 89, perečen’ 14, dokument 32: O chode vypolnenija postanovlenija CK KPSS No. II 176/125 ot 12/12 1979g., l. 1. 534 Medvedev, Čelovek za spinoj, S. 123; Arbatov, Iz nedavnego prošlogo, S. 77; Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 88. 535 Afganistan. God spustja, in: Meždunarodnaja žizn’, Nr. 2, Februar 1990, S. 92–96. 536 Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 405. 537 Arbatov, Iz nedavnego prošlogo, S. 77. 538 Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 451 f. 539 Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees der KPdSU, 17. März 1979, in: Sapper, Die Auswirkungen des Afghanistan-Krieges, S. 375. 540 RGANI, f. 89, perečen’ 14, dokument 25: Zapis’ besedy Brežneva s N.M. Taraki, 20.3.1979g., l. 4. 541 Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees der KPdSU, 19.3.1979, in: Sapper, Die Auswirkungen des Afghanistan-Krieges, S. 395. 542 RGANI, f. 89, perečen’ 14, dokument 26: Zapis’ besedy Kosygina, Gromyko, Ustinova, Ponomareva s Taraki, 20.3.1979g., l. 2. 543 RGANI, f. 89, perečen’ 14, dokument 25, l. 4. 544 Ebenda. 545 Bernhard Chiari: Kabul, 1979: Militärische Intervention und das Scheitern der sowjetischen Dritte-Welt-Politik in Afghanistan, in: Hilger, Die Sowjetunion und die Dritte Welt, S. 259–280, hier: S. 277. 546 Sapper, Die Auswirkungen des Afghanistan-Krieges, S. 71; Chiari, Kabul, 1979, S. 274; Mendelson, Changing Course, S. 49. 547 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 123; Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 151; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 969, Eintrag vom 11. September 1979. 548 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 979, Eintrag vom 22. November 1979. 549 RGANI, f. 2, op. 3, d. 513: Nojabr’skij Plenum, stenogramma zasedanija, 27.11.1979g.. 550 AdsD WBA, Bestand A 9, Mappe 7: Inoffizielle Übersetzung, An Brandt, ohne Datum [nach Afghanistan-Einmarsch], ohne Blattangabe; Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 467. 551 RGANI, f. 89, perečen’ 14, dokument 35: Zapiska Andropova, Gromyko, Ustinova, Ponomareva „K sobytijam v Afganistane 27.–28.12.1979g.“, CK KPSS, 31.12.1979, l. 2–4. 552 AVP RF, f. 129, op. 65, papka 342, d. 28, god 1979, Obzory pressy, l. 110 f., 120, 124 f., 146; d. 29: Dnevnik po voenno-političeskim voprosam i problemam razoruženija, l. 4, 12; papka 346, d. 53, l. 22 ff., l. 50 ff., 103, 137.

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Emotionen und Tabletten im Kalten Krieg

553 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 91; Deutsch-sowjetisches Regierungsgespräch in Moskau, 1.7.1980, 11–12:30 Uhr im Katharinensaal des Kreml, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1980, Bd. 2, S. 1035. 554 Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 9, S. 387. 555 AdsD WBA, Bestand A 11.15, Mappe 06, Bl. 11 f. 556 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 508; AVP RF, f. 129, op. 65, papka 342, d. 28, (god 1979), l. 88; Archives nationales Paris, 5 AG 3/1095, 7. Dezember 1979, lettre de M. le Président à M. Brejnev. 557 AVP RF, f. 129, op. 65, papka 342, d. 28 (god 1979), l. 146; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 237. 558 Archives nationales Paris, 5 AG 3/1095, Message de M. Brejnev au M. le Président, 11. Oktober 1979. 559 AdsD WBA, Bestand A 9, Mappe 7: An Brandt, 7. November 1979, ohne Blattangabe. 560 Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 9, S. 246 f. 561 Gespräch Schmidt mit Breschnew, 23.11.1981, Akten zur Auswärtigen Politik, S. 1823. 562 RGANI, f. 80, op. 1, d. 331, l. 5 ff. 563 Ebenda, l. 8. 564 AVP RF, f. 129, op. 65, papka 342, d. 28 (god 1979), l. 146; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 237. 565 Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 240. 566 AVP RF, f. 129, op. 65, d. 29, papka 342 (god 1979), l. 55. 567 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 506; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 247. 568 Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 471; RGANI, f. 89, perečen’ 14, dokument 34: Ob otvete na obrašcenie prezidenta Kartera, l. 2–4; Carter, Keeping Faith, S. 472. 569 Sapper, Die Auswirkungen des Afghanistan-Krieges, S. 83, 91. 570 RGANI, f. 2, op. 3, d. 524, l. 10. 571 Chiari, Kabul, 1979, S. 260. 572 RGANI, f. 89, perečen’ 34, dokument 3, l. 2: Soveršenno sekretno. Osobaja papka, 27.1.1980g. 573 Fond Gorbačeva, f. 3, op. 1, kartočka 14965, April 1980, l. 2. 574 Archives nationales Paris, 5 AG 3/1095, URSS entretien de Varsovie avec M. Brejnev et M. Guerek, 19. Mai 1980, 10:15–13:15 Uhr, S. 3–5. 575 AdsD WBA, Bestand A 9, Mappe 7: Breschnew an Brandt vom 11. März 1980; 30. Juni 1981, Werter Vorsitzender Willy Brandt, Dr. Thomas Mirow, 6. Juli 1981, Gespräch Willy Brandt mit Gensek, Brief von Breschnew am 1. März 1982; Brandt an Breschnew am 17. März 1982, ohne Blattangabe. 576 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Bestand 133135: Reise Schmidt in die Sowjetunion, 1980, Unter Verschluß, Gespräche des Bundesministers mit dem BK, ohne Blattangabe; Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1980, Bd. 1, S. 1017; AVP RF, f. 129, op. 68, d. 27, papka 391, god 1982, l. 7; Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 9, S. 277; AdsD WBA, Bestand A 11.4, Mappe 108: Biermann an Peter Glotz, WB zur Kenntnis, betr.: Breschnew-Rede auf dem Komsomol-Kongress am 18. Mai 1982, Bl. 150. 577 Andrzej Skrzypek: Polen im Sowjetimperium. Die polnisch-russischen Beziehungen von 1944 bis 1989, Klagenfurt 2016, S. 279 ff. 578 Michael Kubina/Manfred Wilke: Einleitung, in: dies. (Hg.): „Hart und kompromißlos durchgreifen“. Die SED contra Polen 1980/81. Geheimakten der SED-Führung über die Unterdrückung der polnischen Demokratiebewegung, Berlin 1995, S. 19–22; Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 60.

Anmerkungen

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579 Arbatov, Iz nedavnego prošlogo, S. 75. 580 Siehe dazu auch seine zahlreichen Einträge in sein Notizbuch, in dem er Gespräche mit den polnischen Führern oder über sie notierte. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1022 ff., Einträge vom 26. August, 11. September, 30. September, 30. Oktober, 13. November, 14. November, 27. November, 5. Dezember 1980; S. 1061 ff. – 29. Januar, 21. Februar, 30. März, 2. April, 15. April, 21. April, 30. April, 16. Juni, 20. Juli, 21. Juli, 11.–15. August, 29. September, 19. Oktober, 4. Dezember, 7. Dezember, 15. Dezember, 19. Dezember 1981. 581 Aufzeichnung des Legationsrats I. Klasse Libal, Moskau, 19. Mai 1981: Perspektiven der Entwicklung um Polen, der Faktor Sowjetunion, in: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1981, Bd. 2, S. 801. 582 RGANI, f. 2, op. 3, d. 550: Fevral’skij Plenum, stenogramma zasedanija, 20.2.1981g., l. 4. 583 Dokumenty „komissii Suslova“. Sobytija v Pol’še v 1981g, in: Novaja i novejšaja istorija, Nr. 1, 1994, S. 84–105, hier: S. 99; RGANI, f. 2, op. 3, d. 570, l. 56; f. 89, perečen’ 42, dokument 49: Zasedanie Politbjuro 14.1.1982g. Ob itogach peregovorov s členom PB PORP, MID Pol’skoj Narodnoj Respubliki Ju. Čirekom, l. 3. 584 RGANI, f. 89, perečen’ 66, dokument 1: Vypiska iz protokola No. 210 zasedanija Politbjuro 25.8.1980g. K voprosu o položenii v PNR, l. 1. Niederschrift über das Treffen zwischen Genossen Leonid Breschnew und Genossen Erich Honecker am 3. August 1981 auf der Krim, in: Kubina/Wilke, Hart und kompromißlos, S. 333; Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 143; Skrzypek, Polen im Sowjetimperium, S. 280. 585 Skrzypek, Polen im Sowjetimperium, S. 282. 586 RGANI, f. 89, perečen’ 42, dokument 35: K itogam vizita v SSSR pervogo sekretarja PORP t. C. Kanja i predsedatelja SovMin PNR t. Ju. Pin’kovskogo 31.10.1980, l. 3. 587 Ebenda, l. 2 f. 588 Ebenda, l. 3. 589 Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 51; siehe auch Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1043, Eintrag vom 5. Dezember 1980. 590 Stenografische Niederschrift des Treffens führender Repräsentanten der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages am 5. Dezember 1980 in Moskau, in: Kubina/Wilke, Hart und kompromißlos, S. 188. 591 Ebenda, S. 190. 592 Zit. nach Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 58. 593 RGANI, f. 89, perečen’ 42, dokument 39: K voprosu o položenii v Pol’še, 2.4.1981g., zasedanie Politbjuro 2.4.1981g., l. 3; Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 114. 594 RGANI, f. 89, perečen’ 42, dokument 40: Ob itogach vstreči Andropova i Ustinova s pol’skimi druz’jami, Zasedanie Politbjuro, 9.4.1981g., l. 2. 595 RGANI, f. 89, perečen’ 42, dokument 39, l. 6 f.; Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 117; Vermerk über das Treffen der Genossen Leonid Breschnew, Erich Honecker und Gustav Husak am 16. Mai 1981 im Kreml in Moskau, in: Kubina/Wilke, Hart und kompromißlos, S. 271. 596 RGANI, f. 89, perečen’ 42, dokument 40, l. 2 f. 597 Ebenda, l. 3. 598 Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 143, 197, 255; RGANI, f. 89, perečen’ 42, dokument 39, l. 3. 599 RGANI, f. 89, perečen’ 42, dokument 41: O besede L.I. Brežneva s pervym sekretarem Pol’ši Kanei, 16.04.1981g., l. 2; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1068, Eintrag vom 15. [!] April 1981.

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Emotionen und Tabletten im Kalten Krieg

600 RGANI, f. 89, perečen’ 42, dokument 42: Ob itogach peregovorov delegacii KPSS s rukovodstvom PORP, zasedanie Politbjuro 30.4.1981g., l. 4. 601 RGANI, f. 89, perečen’ 66, dokument 3: Vypiska iz protokola No. 7 zasedanija Politbjuro ot 23.4.1981g. O razvitii obstanovki v Pol’še i nekotorych šagach s našej storony, l. 2 602 Ebenda, l. 5 f.; Vermerk über das Treffen der Genossen Leonid Breschnew, Erich Honecker und Gustav Husak am 16. Mai 1981 im Kreml in Moskau, in: Kubina/Wilke, Hart und kompromißlos, S. 284. 603 Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 175. 604 RGANI, f. 89, perečen’ 42, dokument 44: Ob informacii o besede Brežneva s Kanej, l. 2; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1079, Eintrag vom 16. Juni 1980. 605 RGANI, f. 89, perečen’ 42, dokument 44, l. 3. 606 Telefonat Breschnews mit Kania am 21. Juli 1981, Fußnote 6, in: Kubina/Wilke, Hart und kompromißlos, S. 332; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1087, Eintrag vom 21. Juli 1981. 607 Fonds Gorbačeva, f. 5, op. 1, kartočka 20662: 3 avgusta 1981 g.: Informacija o zasedanii Komissii Politbjuro po pol’skomu voprosu i spravka „Pol’ša posle IX s’’ezda“, l. 3; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1095 f., Einträge vom 14. und 15. August 1981. 608 Zit. nach Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 458. 609 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1095, Einträge vom 11.–13. August 1980. 610 Niederschrift über das Treffen zwischen Genossen Leonid Breschnew und Genossen Erich Honecker am 3. August 1981 auf der Krim, in: Kubina/Wilke, Hart und kompromißlos, S. 335. 611 Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 264. 612 Ebenda, S. 268. 613 Ebenda, S. 265. 614 Fonds Gorbačeva, f. 5, op. 1, kartočka 20662, l. 2, 4. 615 Fonds Gorbačeva, f. 5, op. 1, kartočka 17686, 13 avgusta 1981g.: O političeskom krizise v Pol’še, G.Ch. Šachnazarov, l. 3. 616 RGANI, f. 89, perečen’ 42, dokument 46: Obmen mnenijami po pol’skomu voprosu, 10.9.1981g., l. 2 f. 617 RGANI, f. 89, perečen’ 42, dokument 47: Telegamma sovposla iz Berlina, 15.9.1981g., zasedanie Politbjuro 17.9.1981g., l. 2. 618 RGANI, f. 89, perecen’ 42, dokument 48: Zasedanie Politbjuro, 29.10.1981g., Ob itogach po­ezdki t. Rusakova v GDR, ČSSR, VNR i NRB, l. 4, 6. 619 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1110, Eintrag vom 19. Oktober 1981. 620 RGANI, f. 89, perečen’ 66, dokument 4: Zapis’ telefonnogo razgovora Brežneva s Jaruzel’skim, 19.10.1981g., l. 3. 621 Ebenda, l. 2, 5. 622 Dokumenty „komissii Suslova“, S. 101; Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 270. 623 RGANI, f. 89, perečen’ 66, dokument 5: O prieme v SSSR partijno-gosudarstvennye delegacii PNR i ustnom poslanii t. Brežneva Jaruzel’skomu, l. 4 f. 624 Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 426; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1118, Eintrag vom 7. Dezember 1981. 625 Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 426. 626 Ebenda, S. 430. 627 Dokumenty „komissii Suslova“, S. 99. 628 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1118, Eintrag vom 7. Dezember 1981.

Anmerkungen

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629 Dokumenty „komissii Suslova“, S. 100. 630 Ebenda. 631 Ebenda, S. 99. 632 RGANI, f. 89, perecen’ 66, dokument 6: O Pol’še, zasedanie Politbjuro, 10.12.1981g., l. 10. 633 Ebenda. 634 Dokumenty „komissii Suslova“, S. 102. 635 Ebenda. 636 Carter, Keeping Faith, S. 584; Kubina/Wilke, Hart und kompromißlos, S. 25 (Einleitung). 637 Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 443. 638 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133169: Sowjetische Führung, Stellung Breschnews, 1980–1982, Fernschreiben, 30. September 1982, Betr.: Moskau. Besuch der indischen Ministerpräsidentin, hier: Eindruck von sowjetischer Führung, ohne Blattangabe. 639 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112753, Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, 18. September 1975, Betr.: Stellung Breschnews, S. 3. 640 Ebenda, Bonn, den 3. November 1976, Die zentralen Institutionen des sowjetischen Herrschaftsapparats, S. 4. 641 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 500. 642 Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 9, S. 384. 643 Schmidt, Menschen und Mächte, S. 71. 644 Nixon, Memoiren, S. 414. 645 Dobrynin, Sugubo doveritel’no, S. 301. 646 Bahr, Zu meiner Zeit, S. 500.

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Emotionen und Tabletten im Kalten Krieg oder: Wie man den westlichen Staatsmann spielt

Abb. 33: Breschnew schreitet in Wladiwostok die Ehrenformation der Flotte am Stillen Ozean ab, 1978. Abb. 34: Breschnew in Marschalluniform in seinem Büro im Kreml, 1978.

   

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Ruhmsucht und Verfall oder: Die Einsamkeit des Generalsekretärs

Es gibt eine ganze Reihe von Fotos, die zeigen, wie sehr Breschnew zu seinem Lebensende hin körperlich abbaute. Das Medium des Fernsehens brachte es mit sich, dass der physische Verfall weder vor der eigenen Bevölkerung noch vor der Weltöffentlichkeit geheim gehalten werden konnte, wenn Breschnew über den roten Teppich schwankte oder kaum mehr in der Lage war, selbständig die Gangway zu erklimmen. Es erstaunt aber, dass selbst in den offiziellen Fotoband zu seinem 75. Geburtstag 1981 Fotos Eingang fanden, die eindeutig die Gebrechlichkeit des Generalsekretärs zeigen: so etwa einen aufgedunsenen, hilflos schauenden Breschnew, der 1978 am Stillen Ozean die Formation der Matrosen abschreitet und dabei so verloren wirkt, dass der ebenfalls salutierende Offizier besorgt zu ihm schaut.1 Nicht weniger hilflos, ja fast leblos erscheint Breschnew auf einem anderen Foto in diesem Band, das ihn am 20. Februar 1978 zeigt, als ihm die höchste militärische Auszeichnung, der „Siegesorden“, verliehen wurde, um dessen posthume Aberkennung sich später Michail Gorbatschow persönlich kümmern sollte.2 Breschnew steht hinter seinem Schreibtisch, an dem er sich festzuhalten scheint. Sein Blick zeigt keinerlei Anzeichen von Freude oder Stolz, sondern wirkt müde und abwesend. Die graue Uniformjacke mit den goldenen Epauletten und all den Orden an der Brust wirkt wie zu groß geraten, zumal die Ärmel die Handrücken komplett verdecken. Dies Foto zeigt nicht den kühnen General und Helden des Großen Vaterländischen Krieges, der hier offenbar präsentiert werden sollte, sondern eher einen Ritter von der traurigen Gestalt. Tschernjajew kommentierte bitter, Breschnew sehe aus wie eine „lebende Mumie“.3 Diese Aufnahme war ein PR-GAU, da sie statt Vitalität und Entschlossenheit Resignation und Siechtum vermittelte. Nahezu unverstellt offenbarte dieses Foto, dass Breschnew nicht mehr in der Lage war, sein Amt auszufüllen.

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Ruhmsucht und Verfall oder: Die Einsamkeit des Generalsekretärs

Abb. 35: Breschnew mit seinem KGB-Adjutanten Oleg Storonow auf der Krim, 1982.

Unveröffentlicht blieb dagegen ein Bild von Breschnew, das ihn zwei Monate vor seinem Tod in einem Liegestuhl schlafend auf der Krim zeigt. Im Hintergrund sieht man die beeindruckende Küstenlandschaft der Krim; hinter dem Kopfteil der Liege steht Breschnews persönlicher KGB-Adjutant Oleg Storonow, der leicht nach vorne gebeugt über den Generalsekretär und seinen Schlaf zu wachen scheint.4 Das Foto strahlt Ruhe und Frieden aus. Anders als auf den pub-

Anmerkungen

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lizierten Bildern musste er hier auf seiner Datscha keine Rolle ausfüllen, der er nicht mehr gewachsen war. Sein ausgestreckter Körper scheint sich geradezu in die Landschaft einzupassen und mit dieser zu einem harmonischen Ganzen zu verschmelzen. Viele seiner Weggefährten äußerten später die Meinung, wenn Breschnew „rechtzeitig“ zurückgetreten wäre – spätestens 1976 zu seinem 70. Geburtstag, besser aber 1975 nach Helsinki oder noch besser zusammen mit Brandt und Nixon –, dann hätte ihn die Nachwelt als vitalen und erfolgreichen Streiter für Frieden und Wohlstand in Erinnerung behalten.5 So aber brachen Mitte der 1970er Jahre sieben Jahre des Niedergangs an: seines persönlichen, der sowjetischen Wirtschaft und der außenpolitischen Entspannung. Es waren diese Jahre, die Breschnews Regierungszeit später das Label „Stagnation“ einbrachten. Sein erstes Regierungsjahrzehnt des sanften Aufschwungs und die fünf Jahre der neuen Westpolitik wurden von Breschnews Ruhmsucht und seinem körperlichen Verfall vollkommen überlagert. So schwierig es stets ist, Stimmung und Wahrnehmung der Bevölkerung zu messen, so einfach ist es in diesem Fall, sie aus den Witzen herauszulesen, die in der Breschnew-Zeit entstanden. Es gab wohl kein Gebrechen, über das die Bevölkerung nicht ulkte. Vor allem seine Ruhmsucht und seine Unfähigkeit, ohne Spickzettel zu sprechen, wurden Gegenstand von „Anekdoten“: „Breschnew eröffnet die Olympischen Spiele in Moskau: – 1980! O! O! O! – Sein Referent zu ihm: Leonid Iljitsch! Das sind doch die olympischen Ringe. Der Text beginnt darunter!“6 Tiefsinn bewies die Scherzfrage, die ausdrückte, dass die Sowjetunion zwischen Stalinismus und Stagnation gefangen sei: „Wie viele Führer hat die KPdSU? – Zwei. Einen ewig lebendigen und einen ewig kranken.“7 Das fortwährende, nicht enden wollende Siechtum verspotteten die Menschen auch auf andere Weise: „Haben Sie gehört, dass Breschnew gestorben ist? – Ehrlich? Persönlich?“8 Breschnews Ambitionen, als großer Führer wie Lenin, mit dem er den Vatersnamen „Iljitsch“ teilte, in die Geschichte einzugehen, wurde so aufs Korn genommen: „Nachdem Breschnew an die Macht gekommen ist, fragen ihn Korrespondenten, wie er jetzt anzusprechen sei: als Führer, als Genius aller Zeiten und Völker oder als leiblicher Vater? – Nennen Sie mich einfach: Iljitsch.“9 Auch dichtete ihm die Bevölkerung den Wunsch an, nach seinem Tod ins Mausoleum einziehen zu wollen, und ließ im Scherz den Teufel aus dem Schriftzug „Lenin“ „Ljonin“ machen, was so viel hieß wie „Ljonja seins“.10 Breschnews Versessenheit auf militärische Auszeichnungen animierte die Menschen

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Ruhmsucht und Verfall oder: Die Einsamkeit des Generalsekretärs

dazu zu scherzen, in der Sowjetunion würden Brustvergrößerungen vorgenommen, um Platz für mehr Orden zu schaffen, oder sie erzählten sich folgenden Witz: „Sagt Breschnew nach der Verleihung eines weiteren Abzeichens: – Genossen! Es heißt, dass ich zu viele Auszeichnungen sammelte und mir dieses Laster nicht verkneifen könne. Das stimmt nicht. Vor kurzem habe ich die höchste Auszeichnung des Staates Mauretanien abgelehnt – einen goldenen Nasenring!“11 Sein Leibarzt Tschasow erinnerte sich später: „Was für ein Leben, was für ein Schicksal! Wie hätte ich damals ahnen können, dass sich vor meinen Augen eine solche Metamorphose dieses Menschen vollziehen und es unmöglich sein würde, in diesem senilen, verfallenden Alten den vorherigen stattlichen, gutaussehenden Mann zu erkennen.“12 Die Bevölkerung bewies schwarzen Humor, als sie scherzhaft Breschnews Tagesablauf erzählte: „9:00 Reanimation. 10:00 Intravenöses Frühstück. 11:00 Maske für das Festessen. 12:00 Festessen. 13:00 Ordensverleihung. 14:00 Ordensentgegennahme. 15:00–17:00 Uhr Wiederaufladen der Batterien. 18:00 Festdinner. 20:00 Klinischer Tod. Morgens um 9:00 – Reanimation …“13

Personenkult Nach Stalins Tod hatten die Mitglieder des Parteipräsidiums den Stalinkult verdammt und sich gegenseitig geschworen, nie wieder etwas Derartiges zuzulassen. Das Gleiche beteuerten sie nach der Absetzung Chruschtschows im Oktober 1964: Nie wieder würden sie einen solchen Personenkult tolerieren, obwohl sich der Kult um Chruschtschow wesentlich von dem Stalins unterschieden hatte. Weder hatte ihn die Propaganda als Übermenschen gefeiert noch waren Städte, Fabriken und Straßen nach ihm benannt worden noch wurde man für despektierliche Äußerungen über Chruschtschow verhaftet oder erschossen. Aber die Präsidiumsmitglieder warfen ihm vor, er habe sich für alle Erfolge persönlich feiern lassen, habe ständig seine Reden und Fotos in den Zeitungen sehen wollen und sich zunehmend geweigert, sich mit dem Parteipräsidium abzusprechen.14 Nichtsdestoweniger begannen die Politbüromitglieder und der ZK-­ Apparat keine zehn Jahre später, erneut einen Verehrungsreigen zu veranstalten, diesmal rund um Breschnew. Zwischen 1973, der Verleihung des Lenin-Friedenspreises an Breschnew, und seinem Tod 1982 entstand ein Kult, der zwar nicht die negativen Exzesse der Huldigungen an Stalin entwickelte, dafür aber

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angesichts der Diskrepanz zwischen dem körperlichen Verfall der realen Person und dem vitalen Heldentum der fiktiven Figur noch bizarrer wirkte. Wie konnte das passieren? Ganz offenbar ist der Personenkult ein Strukturmerkmal, das nicht nur dem Sowjetkommunismus inhärent war, sondern den meisten Diktaturen zu eigen ist. Er ist in erster Linie ein Instrument der Machtsicherung und ein Surrogat für demokratische oder auch dynastische Legitimierung.15 Die Person wird erhöht, aus der Masse herausgehoben und bekommt den Nimbus der Einzigartigkeit und Unersetzlichkeit. Zweifel und Kritik werden im Keim erstickt; es wird ein diskursiver und symbolischer Schutzwall um den Herrscher errichtet, der eine Ablösung als unmöglich und den Versuch dazu als Putsch erscheinen lässt. Letztlich ist der Personenkult eine andere Form des Herrschaftsszenarios. Auch er schreibt dem Herrscher bestimmte Attribute zu, die mit allen Mitteln und Medien gepriesen werden. Es gibt allerdings zwei Unterschiede: Erstens weist das Herrschaftsszenario dem Herrscher Eigenschaften zu, die diesen zwar deutlich markieren, die aber nicht ins Groteske übersteigert werden. Die Würdigung der einzelnen Person entfaltet sich im Rahmen des Gesamtkonzepts, sei es das der gottgesandten Zaren, sei es das der Leninerben. Das gewählte Leitmotiv ist eine Variation dieser Herrschaftslegitimation, nicht aber ihre Übersteigerung, wie es beim Personenkult der Fall ist. Zweitens unterscheiden sich Herrschaftsszenario und Personenkult in der Form der Interaktion zwischen Herrscher und Entourage bzw. Bevölkerung. Das Herrschaftsszenario weist dem engeren Kreis um den Herrscher aktive Rollen zu, so dass sich die Angehörigen dieses Kreises ebenfalls „erhaben“ fühlen. Dagegen „enthebt“ der Personenkult den Herrscher sowohl dem engsten Kreis als auch der gemeinen Bevölkerung und verlangt von beiden weitgehend nur passive Akklamation. Genau hier liegt das Paradox des Breschnew’schen Personenkults: Er wurde als einzigartig darin gezeigt, dass er ein gewöhnlicher Mann war. Das Politbüro huldigte ihm dafür, dass er als Einzelperson die Kollektivherrschaft verkörperte; die Massenmedien priesen ihn dafür, dass er der exemplarische „Homo sovieticus“ war. Zwar verliehen seine Kameraden ihm den Marschalltitel und die höchsten Militärorden, aber gepriesen wurde er für seine Kameradschaftlichkeit, dafür, dass er Soldaten aus dem Wasser gezogen und ein Maschinengewehr gehalten hatte. Zwar erhielt er den Leninpreis für Literatur, aber für schlichte Prosa, die ihn als Jedermann charakterisierte. Zwar erhielt er den Lenin-Friedenspreis, aber gefeiert wurde er dafür, dass er sich nach dem Krieg um den Wiederaufbau des Landes und die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln gekümmert

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hatte. Das Idealbild, das seit 1973 vom Generalsekretär gezeichnet wurde, entsprach eher dem amerikanischen Modell, nach dem jedes Kind Präsident werden kann. Es ist leider nicht überliefert, was der „Urknall“ des Personenkults um Breschnew war, wer also die Idee hatte, Breschnew den Lenin-Friedenspreis zu verleihen und damit erstmals auf dem Parteiplenum im April 1973 Breschnews „persönlichen Beitrag“ zur Friedenssicherung in der Welt zu betonen. Es wäre interessant zu wissen, ob Breschnew in dieser Richtung Andeutungen gemacht oder unverhohlene Wünsche geäußert hatte oder ob es seine Entourage gewesen war, die auf die Idee kam, ihren Chef entsprechend zu feiern. Doch letztlich ist die Urheberschaft nicht von großer Relevanz, da der Personenkult innerhalb des Zentralkomitees ein „Pas de deux“ war: eine abgestimmte Interaktion, bei der mal die eine, mal die andere Seite dominant war. Vermutlich gab es auch keinen „Masterplan“ für die Entfaltung dieses Kults; vielmehr war eine systemimmanente Eigendynamik am Werk, die, einmal in Gang gesetzt, nicht mehr zu stoppen war. Am Anfang stand zweifellos die Absicht, Breschnews Friedenskurs gegen letzte Kritiker abzusichern. Der Friedenspreis war daher sowohl ein „Stoppschild“ für all jene, die die Westannäherung eventuell noch zurückdrehen wollten, als auch eine Art Freibrief für Breschnew, im Zweifelsfall auch im Alleingang seinen Westkurs fortsetzen zu dürfen. Es handelte sich also um eine gegenseitige Rückversicherung: Die Initiatoren der Preisverleihung zwangen alle ZK-Mitglieder, sich nolens volens vor Breschnew zu verneigen und ihm ihre Gefolgschaft zu versichern. Breschnew bekam dadurch neues symbolisches Kapital verliehen, das seine Führungsposition stärkte. Der Personenkult war in dieser Form sowohl ein Akt der Selbstunterwerfung des Gefeierten als auch ein Akt seiner Ermächtigung, diese Unterwerfung von Politbüro und ZK zu verlangen. Der Personenkult brachte also zusätzliche Stabilität in die Führungsspitze – man könnte aber auch sagen: Er zementierte das Herrschaftsszenario des Gönners und Fürsorgers und ließ es endgültig erstarren. Während Breschnew damit für sein Handeln im Politbüro einen doppelten Boden einzog, machte er sich in der Bevölkerung angreifbar und steuerte in eine „Scherenkrise“ ganz neuer Art: Je älter und handlungsunfähiger der Generalsekretär erschien, desto mehr Orden, Auszeichnungen und Ruhm sprach ihm die Partei zu – und desto leerer und lächerlicher wirkte diese Inszenierung.

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„… und Leonid Breschnew persönlich“

Als erstmals auf diesem April-Plenum 1973 sämtliche Redner außer Kossygin die Verdienste nicht nur der großen Partei Lenins, sondern auch „Leonid Iljitsch Breschnews persönlich“ lobten, war dies nicht mehr einzuholen und fortan Standard für alle Reden. Dies hatte die schwerwiegende Folge, dass es für die Reden auf den Plenarsitzungen jetzt einen noch festeren Rahmen gab als ohnehin schon. Breschnew konnte nun nicht einmal mehr indirekt kritisiert werden, weil jede Rede eine kleine Breschnew-Eloge sein musste. Moldawiens Parteivorsitzender Bodjul gab im Dezember 1973 eine erste Kostprobe davon: Leonid Iljitsch, der die Weisheit der Partei verkörpert, sorgt für die richtige Orientierung angesichts der komplexen Ereignisse unseres Jahrhunderts, er beweist die Weitsichtigkeit des herausragenden Theoretikers und Politikers und mit seinem Organisationstalent wirkt er zielstrebig auf die rechtzeitige Lösung und Umsetzung der anstehenden Probleme der Innen- und Außenpolitik hin.16

Die schon zuvor stark ritualisierte Redekultur erstarrte in verbalen Unterwerfungsritualen: „Genossen! Mit dem Gefühl größter Befriedigung und höchsten Stolzes haben wir den wissenschaftlich fundierten Vortrag der Generalsekretärs des ZK der KPdSU, des Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets, des Genossen Leonid Iljitsch Breschnew aufgenommen. (…) Der Vortrag (…) ist ein neuer, großartiger Beitrag zur Lenin’schen Lehre zur Agrarfrage“, äußerte der Parteivorsitzende Aserbaidschans, Haydar Alijew, im Juli 1978, und alle anderen pflichteten ihm bei oder versuchten ihn in der Huldigung Breschnews noch zu übertreffen.17 Der neue Ministerratsvorsitzende Tichonow verstieg sich im Februar 1981 zu der Aussage, bei der Ausarbeitung und Realisierung des Lenin’schen Kurses der Partei spiele Breschnew eine herausragende Rolle; Partei und Volk sähen daher in ihm einen „weisen und erfahrenen Führer“, der die großartige Heimat vorwärts in den Kommunismus führe.18 Breschnew selbst blieb allerdings seinem Herrschaftsszenario, „primus inter pares“ zu sein, insofern treu, als er selbst diese Redensarten nicht übernahm. Bei der Verleihung des Friedenspreises an ihn fiel er sogar Podgorny ins Wort und stellte richtig, dies sei eine Auszeichnung für die gesamte Partei,19 und auch künftig sprach er stets von „wir“ im Sinne des gesamten Politbüros. Er war nicht an diesen Diskurs gebunden und nahm sich die Freiheit, weiter seine Kritik

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scherzhaft zu formulieren: „Das heißt also, als ich in Moldawien gearbeitet habe, war der Mais nicht kontrollierbar, und jetzt ist er kontrollierbar [Heiterkeit im Saal].“20 Breschnew konnte sich also – solange er dazu noch physisch imstande war – von seinen Genossen durch Witz und Scharfsinn abheben. Als im Oktober 1976 der Parteichef Kasachstans, Dinmuchamed Kunajew, ausführte, wie sehr der Besuch Breschnews seine Landsleute inspiriert und beglückt habe und dass sie sich sorgten, wann sich der Generalsekretär jemals erhole, erwiderte Breschnew locker: „Zusammenkünfte sind auch Erholung“ und lachte dazu.21 Den Reden von Breschnew als „wahrem und würdigem Erben Lenins“ ließ die Partei Taten folgen: Anlässlich der Parteibuchreform 1973 überreichte Breschnew Lenin symbolisch das Mitgliedsbuch mit der Nummer eins und erhielt selbst die Mitgliedsnummer zwei.22 Auch diese Geste, die viele Parteigenossen als geschmacklos empfanden, sollte Breschnews unumstößlichen Anspruch auf die Nachfolge Lenins zementieren. Entsprechend entstand bald eine Reihe von „Kultgegenständen“, die Arbeitskollektive aus der gesamten Sowjetunion anfertigten, um damit den Generalsekretär zu ehren: Gemälde von ihm, Vasen, Wandteppiche und sogar eine Geige mit seinem Konterfei, Schmuckbände seiner Trilogie usw. usf. – all dies wurde ihm bei den entsprechenden feierlichen Anlässen überreicht.23 Er schien daran Gefallen zu finden, denn das eine oder andere Stück davon hängte er bei sich zu Hause auf. Während sich Breschnew einerseits als unersetzlicher Erbe Lenins in Szene setzen ließ, arbeitete seine Entourage andererseits an seiner Profilierung als Militär und bedeutender Weltkriegsoffizier. Von seinen über 40 militärischen Auszeichnungen erhielt er den Großteil nach 1976. Aus dem veröffentlichten Protokoll der Politbürositzung, auf der über den Marschalltitel entschieden wurde, lässt sich ersehen, dass auch im Politbüro der neue „Breschnew-Sprech“ Einzug gehalten hatte. Verteidigungsminister Ustinow machte den Aufschlag, indem er Breschnews „gigantische Arbeit zur Stärkung des Landes“ lobte und vorschlug, ihm den Rang eines Marschalls zu verleihen. Daraufhin stimmten alle in die Lobesreden ein und sprachen sich einhellig für den Vorschlag aus.24 Die Verleihung des Marschallrangs bildete zusammen mit der Aufstellung einer Breschnewbüste in seiner Geburtsstadt Dneprodserschinsk den Auftakt zu den Jubelfeiern anlässlich seines 70. Geburtstags im Dezember 1976, die sich fast über ein ganzes Jahr hinzogen. Ein erster Bildband über ihn sowie eine erste Biographie erschienen. Das Fernsehen zeigte einen 50-minütigen Dokumentarfilm mit dem Titel „Erzählung über einen Kommunisten“, der Breschnews

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Leben eng mit den Erfolgen und Errungenschaften der Sowjetunion verknüpfte und in seinem Pathos kaum zu übertreffen war.25 Ein Theaterstück folgte, die Tretjakow-Galerie präsentierte ein lebensgroßes Porträt von Breschnew in Offiziersuniform und der Künstler Ilja Glasunow gestaltete ein Breschnew-Plakat.26 Zu seinem eigentlichen Geburtstag reisten alle Ostblockführer an, Podgorny überreichte ihm zwei weitere Orden und Suslow hielt die Laudatio. „ (…) alle Territorialfürsten kamen zu Wort und die übrigen Repräsentanten der 27-köpfigen Kremlführung bildeten Dekor und Staffage“, wie die deutsche Botschaft berichtete.27 Ein halbes Jahr darauf, im Juni 1977, folgte die Ernennung zum Präsidenten mit einer weiteren Woche aus Jubelfeiern und ununterbrochenen Fernsehübertragungen.28 Nach der Verleihung des Siegesordens ein gutes halbes Jahr später, am 20. Februar 1978, war Breschnew schließlich in Politik wie Militär mit allen Rängen und Würden dekoriert worden, die es gab. So gesehen scheint es nicht erstaunlich, dass die Strategen nun auf das Gebiet der Kunst auswichen und ihm für seine 1978 erschienenen Memoirenbände am 31. März 1980 den Leninpreis für Literatur 1980 verliehen. Dies lief letztlich auf eine doppelte Absurdität hinaus, da der Preis für Memoiren verliehen wurde, die weder die Erinnerung des Generalsekretärs darstellten noch von diesem überhaupt geschrieben worden waren. Doch auch wenn viele Sowjetmenschen diese drei Bände verlachten oder als Zumutung empfanden, waren sie doch ein Meisterwerk der Propaganda. Mit ihnen schrieben die Ghostwriter Breschnew in die Weltkriegsgeschichte ein und erklärten ihn so zum Teil des zweiten Gründungsmythos der Sowjetunion. Mit Band zwei und drei setzten sie ihm ein Denkmal für den Wiederaufbau der Industrie nach dem Zweiten Weltkrieg und als Reformer der Landwirtschaft. Die Grundlagen des erreichten Wohlstands und wirtschaftlichen Erfolgs wurden damit Breschnew zugeschrieben. Mit dem 1981 erschienenen vierten Teil präsentierten die Autoren Breschnew als den exemplarischen Neuen Menschen: jemanden, der aus einer Arbeiterfamilie stammte und sich von ganz unten hochgearbeitet hatte, vom Arbeiter zum Ingenieur und dann bis zum Parteiführer. Einerseits mutet es heute grotesk an, dass es damals Ratgeberliteratur für Bibliotheken gab, die erläuterte, dass zur Propagierung der Memoiren Ausstellungen, Literaturabende, mündliche Vorträge, Gesprächsrunden, Leserkonferenzen u.a. durchgeführt werden sollten.29 Andererseits finden sich zahlreiche Leserbriefe und Zuschriften an das ZK, in denen Sowjetmenschen berichteten, wie sehr sie von den Memoiren inspiriert gewesen seien, wie diese sie berührt und zu Tränen

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gerührt hätten. Das galt besonders für die Rundfunk- und Fernsehsendungen, in denen staatlich ausgezeichnete Schauspieler wie Juri Kajurow, der in zahlreichen Filmen Lenin verkörpert hatte, die „Erinnerungen“ Breschnews vortrugen.30 Auch wenn einige dieser Briefe organisierte Zuschriften gewesen sein mögen, gab es doch gerade in der Generation Breschnews zahlreiche Menschen, die tatsächlich ihr eigenes Schicksal im Krieg oder der unmittelbaren Nachkriegszeit wiederentdeckten und dankbar für diese Art von Sinnstiftung waren: „Ich bin für die Erinnerungen an das Kleine Land Leonid Iljitsch Breschnew dankbar, für die genaue und klare Erzählung, denn das ist nicht einfach nur erzählt, das wurde erlebt, durchlitten von allen, die sich 1943 auf dem Kleinen Land befanden.“31 Höhepunkt des Personenkults waren die Feiern zu Breschnews 75. Geburtstag im Dezember 1981, knapp ein Jahr vor seinem Tod. Die deutsche Botschaft berichtete: Der 75. Geburtstag von Leonid Iljitsch Breschnew war Anlaß für einen Personenkult, der an Umfang und Intensität nur schwer zu überbieten ist. Neben dem „Hauptprogramm“ mit Ordensverleihung und Reden war in Presse und Fernsehen auch das „Rahmenprogramm“ ersichtlich mit Foto- und Buchausstellungen, Veröffentlichung von Breschnews Schriften und zahlreichen Betriebs-, Sowchos- und anderen Versammlungen.32

Tschernjajew ereiferte sich in seinem Tagebuch, ob denn im Politbüro niemand verstanden habe, dass Aktionen wie die Verleihung des Marschallranges bei „95 Prozent“ der Bevölkerung das genaue Gegenteil der intendierten Wirkung erzeugten.33 Angesichts der nicht enden wollenden Feierlichkeiten zu Breschnews 70. Geburtstag habe es wohl niemanden in der Sowjetunion gegeben, der nicht irgendwann angefangen habe, sich darüber lustig zu machen, vermutete er.34 Als 1978 60 Jahre Rote Armee gefeiert und die Verleihung des Siegesordens an Breschnew tagelang im Fernsehen gezeigt wurde, hätten nicht nur die Taxifahrer, sondern auch die ZK-Chauffeure darüber gelacht.35 Tschernjajew war frustriert über so viel Ignoranz und Unbekümmertheit in den obersten Sphären der Macht, die sich nicht um die Wirkung auf die Bevölkerung zu kümmern schienen: „Kann denn nicht der KGB wenigstens berichten, dass durch das Land ein homerisches Gelächter dröhnt und sich eine vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber allen diesen theatralischen Schauspielen durchsetzt, die die reale Lenkung ersetzen und die vollkommene Ohnmacht der Hauptperson offenbaren.“36

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Die teils desaströse Wirkung dieses Kults zum 75. Geburtstag in Verbindung mit dem Erscheinen des vierten Teils der „Memoiren“ lässt sich auch daran ablesen, dass selbst die Leningrader Literaturzeitschrift „Aurora“, herausgegeben vom sowjetischen Schriftstellerverband, eine nur schlecht kaschierte Schmährede auf Breschnew von Viktor Goljawkin veröffentlichte, diese als „Jubiläumsrede“ auf einen fiktiven Schriftsteller tarnte und Breschnew damit für den Literaturpreis verhöhnte: Man kann sich nur schwer vorstellen, daß dieser wunderbare Schriftsteller lebt. Es ist nicht zu glauben, daß er genauso wie wir die Straßen entlang marschiert. Es scheint, als sei er gestorben. Hat er doch schon so viele Bücher verfaßt. Jeder andere Mensch, der so viele Bücher geschrieben hätte, läge längst schon im Grab. Aber dieser hier – wahrscheinlich ein Übermensch! Er lebt und denkt gar nicht daran, zu sterben, zur allgemeinen Verwunderung. Aber die Mehrzahl glaubt, er ist schon lange tot. So sehr bewundert man dieses Talent. Sind doch Balzac, Dostojewski, Tolstoi längst in jener Welt, wie andere berühmte Schriftsteller auch. Sein Platz ist dort – neben ihnen. Er hat diese Ehre wohl verdient! Ich sehe ihn vor mir – mit roten Wangen und dick, man kann ihm schwerlich glauben, daß er mal sterben wird. Und er selbst glaubt das wahrscheinlich auch nicht. Aber er wird ohne Zweifel sterben.37

Die Veröffentlichung führte zur umgehenden Auswechslung der gesamten Redaktion. Dass die negativen Folgen der Delegitimierung und Verspottung des Generalsekretärs von seiner Entourage konsequent ignoriert wurden, mag auch daran gelegen haben, dass Breschnew persönlich ganz offensichtlich Gefallen an dem Kult fand. Er entwickelte eine Schwäche für Geschenke, Orden und Auszeichnungen, wenn nicht gar eine Sucht danach. Schon 1966 soll er so lange auf Podgorny eingeredet haben, bis dieser ihm zum 60. Geburtstag den so sehr gewünschten – den ersten von insgesamt vier – Orden „Held der Sowjetunion“ verlieh, während er eigentlich nur für einen Stern „Held der Sozialistischen Arbeit“ vorgesehen gewesen war.38 Schelest glaubte, dass sich bereits 1971 ein neuer „Führerismus“ abzeichnete, und unterstellte, dass Breschnew zu seinem 65. Geburtstag wie einst Stalin gern „Führer“ genannt worden wäre.39 Tatsächlich versuchte Breschnews treuer Gefährte Kirilenko im Oktober 1976 die Anrede „Woschdj“ (Führer) für Breschnew einzuführen, konnte sich aber nicht durchsetzen.40 Es ist allerdings möglich, dass Breschnew persönlich Kirilenko angesichts

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der Aversionen, die er selbst gegenüber Stalin empfand, zurückpfiff. Aber abgesehen vom „Führer“-Titel liebte Breschnew Orden und Geschenke, und laut seiner Entourage verlor er mit seiner zunehmenden Tablettensucht die Fähigkeit zur Selbstkritik bzw. zu reflektieren, wie Außenstehende über all die Ehrungen und Orden dachten.41 Es scheint plausibel, dass die Tablettensucht ihn in seinem Urteilsvermögen einschränkte oder dass auch seine physische Schwäche dazu beitrug, dass er sich gegen Schmeicheleien nicht mehr zur Wehr setzte. Sein Arzt Tschasow berichtet, dass Breschnew, wenn er im Krankenhaus lag, seinen Besuchern stolz die Zeitungsausschnitte mit den Lobeshymnen auf seine Person zeigte.42 Dass er selbst von seinen Verdiensten überzeugt war, zeigte sich auch daran, dass er ausländischen Staatschefs und anderen gern Porträts von sich in Marschalluniform oder auch seine Memoirenbände schenkte.43 Diese hohe Meinung von den eigenen Leistungen war sicher nicht nur Resultat der Tablettensucht; Breschnew fand sich mit dem fortschreitenden Personenkult in einem Diskurs von Fremd- und Selbstzuschreibungen eingeschlossen, der sich zunehmend verselbständigte und abweichende Stimmen nicht mehr durchdringen ließ. So riet sein Botschafter Falin ihm, zum Besuch bei Bundeskanzler Schmidt in Hamburg 1978 seine Orden nicht anzulegen, da das in der Hansestadt nicht üblich sei. Doch sofort intervenierte Gromyko und beruhigte Breschnew, er müsse sich doch nicht genieren, seine ehrlich erworbenen Auszeichnungen zu zeigen.44 Doch nicht nur das Politbüro, auch Breschnews Familie sorgte dafür, dass Breschnew in seiner Wohlfühlzone nicht gestört wurde. Als sein Schwiegersohn Tschurbanow, der die Sucht Breschnews nach immer neuen Auszeichnungen als krankhaft empfand, ihn nach der Ernennung zum Marschall vorsichtig auf diese Exzesse hinwies, entgegnete Breschnew beleidigt, dass nicht er die Partei um diese Auszeichnungen gebeten habe, und seine Frau, Breschnews Tochter Galina, schalt ihn, er solle ihren Vater nicht ohne Grund erzürnen.45 Wenn es tatsächlich so war, dass viele in Breschnews Umgebung durchaus sahen, welchen Spott die „Ikonenwand“ von Orden an Breschnews Brust erzeugte, aber niemand ernsthaft einschritt, allen die Reaktion in der Bevölkerung also offenbar egal war – handelte es sich dann um einen Personenkult, der in erster Linie dazu diente, den Generalsekretär bei Laune zu halten? „Dmitrij Ustinow und Konstantin Tschernenko als Anstifter, Gromyko, Andropow und Suslow als Mitspieler schoben ihm ständig neues Klimperzeug zu“, beobachtete Botschafter Falin.46 Breschnews Fotograf Musaeljan bestätigt, dass sich Breschnew abends

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seine Ordensschatullen mit allein an die 40 sowjetischen Auszeichnungen bringen ließ und diese mit viel Liebe betrachtete.47 Es scheint, dass er den Siegesorden nicht nur begehrte, weil ihm damit bescheinigt wurde, eine zentrale militärische Operation befehligt zu haben, sondern auch, weil die Ecken des roten Sterns aus roten Rubinen gefertigt waren, deren strahlender Kranz aus Brillanten bestand und das Grundmetall Platin, verziert mit Gold und Silber, war. In sein Tagebuch notierte Breschnew schon fünf Tage vor der feierlichen Verleihung, dass er sich den Orden angeschaut habe.48 Die Sowjetunion brachte so unter Breschnew eine neue Art des eindimensionalen Personenkultes hervor. Es funktionierte nur noch die Rückversicherung zwischen Herrscher und Entourage, während ein Großteil der Bevölkerung zu lachen begann. Der Kult wurde zur Farce.

Sucht Breschnew scheint lange Zeit seine Tablettensuch erfolgreich verdrängt zu haben. Laut seinen Ärzten nahm er neben dem Schlafmittel Radedorm die Beruhigungsmittel Ativan und Seduxen sowie den stark abhängig machenden Tranquilizer Eunoctin.49 Es entwickelte sich ein Teufelskreis: Je mehr Tabletten er nahm, desto schwerer fiel es ihm, tags wach und aktiv zu sein, desto mehr Schlafmittel brauchte er abends, um überhaupt noch einzuschlafen. Es ist Spekulation, dass daneben ein zweiter, psychischer Teufelskreis entstand und Breschnew, der so eitel war und so viel Wert auf sein gutes Aussehen legte, das Schamgefühl, dass er seinen Körper so gehen und verfallen ließ, mit weiteren Tabletten bekämpfte, die ihn in sanftes Vergessen wiegten. Tagsüber fühlte er sich müde und zerschlagen, nachts konnte er nicht einschlafen. Breschnews Betteln um mehr Schlaftabletten und Beruhigungspillen wurde für seine Frau Viktorija, seine Leibwächter, seine Ärzte und auch die Politbüromitglieder zum ständigen Begleiter.50 Sein behandelnder Arzt Nikolai Radionow hatte immer ein Köfferchen mit Schlafmitteln, genannt „Blackbox“, bei sich und bediente daraus Breschnew, wenn dieser danach verlangte.51 Da Tschasow unvorsichtigerweise Breschnew gegenüber behauptet hatte, dass die Medikamente mit Wodka besser wirkten, verlangte Breschnew danach, die Tabletten mit seinem Lieblingswodka „Zubrówka“ (in dessen Flaschen sich zur Aromatisierung ein Halm Bisongras befindet) hinunterzuspülen; für dessen Bereitstellung hatte sei-

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ne Leibwache zu sorgen. Diese versuchte nicht nur, die Tablettenlager, die Breschnew überall anlegte, durch Placebos zu ersetzen, sondern auch den Wodka mit Wasser zu verdünnen.52 Seine Mitarbeiter äußerten die These, dass Breschnew auch deshalb die schnellen Boots- und Autofahrten liebte, zu denen er mitunter Kissinger oder Nixon entführte, weil er den Adrenalinkick brauchte, um nach der Tabletteneinnahme wieder ganz zu Bewusstsein zu kommen.53 Die Versorgung mit den Sedativa übernahm alsbald die Krankenschwester Nina Alexandrowna Korowjakowa, die 1973 zu Breschnew kam. Die attraktive junge Frau soll ihn an seine Kriegsliebe Tamara Lewtschenko erinnert haben. Sie erwies ihm angeblich nicht nur medizinische Dienste.54 Sie war ständig um ihn, begleitete ihn auch auf die Datscha und auf Reisen, da sie seine Zähne reinigte, ihm Massagen verabreichte und als Physiotherapeutin mit ihm arbeitete.55 Breschnews Arzt Michail Kossarew, der Radionow 1975 ablöste, zeigte sich entsetzt darüber, dass eine einzelne Krankenschwester solche Macht und freien Zutritt zu den Beruhigungsmitteln hatte. Doch ganz offenbar geschah das auf Breschnews Wunsch hin, der seine schützende Hand über Korowjakowa hielt und außerdem ihrem Mann zu einer steilen Karriere im KGB verhalf. Nachdem Breschnew auf seiner USA-Reise 1973 einen ersten Ausfall infolge von Tablettenmissbrauch gehabt hatte, wandte sich Tschasow das erste Mal an Andropow, um über den Ernst der Lage zu berichten.56 Doch er konnte nicht durchsetzen, dass Korowjakowa aus Breschnews Umgebung entfernt wurde. So sehr Breschnew auch seine Hand über sie hielt und so wenig er auch auf die Ratschläge seiner Ärzte hören wollte – das gesamte Jahr 1975 stellte für ihn offenbar einen solchen Tiefpunkt dar, dass am Ende auch ihm schmerzlich bewusst wurde, dass er dabei war, sich selbst zugrunde zu richten. Nach den Zusammenbrüchen in Wladiwostok und in Paris Ende 1974 ließ er sich Anfang 1975 zum Entzug in die Klinik Barwicha bei Moskau einweisen. Er brach die Therapie aber ab, als er sich besser fühlte.57 Das Politbüro, das bereits Ende Januar für ihn zwei Wochen Sonderurlaub angeordnet hatte,58 reagierte auf Breschnews Zustand mit einem Beschluss, seine Arbeitszeiten zu „normalisieren“, um seiner „systematischen Arbeitsüberlastung“ entgegenzuwirken und seine „Gesundheit im Interesse der Partei und des Landes“ zu erhalten. Er wurde von allem entbunden, was irgend möglich war.59 Das Debakel des Helsinki-Gipfels muss ein Umdenken nicht nur bei Breschnew, sondern auch in seinem Umfeld eingeleitet haben. Als er nach dem anschließenden Krimurlaub Anfang Oktober direkt ins Krankenhaus eingeliefert werden musste,60 das Treffen mit Giscard d’Estaing in Moskau kurz darauf erneut fast

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in einem Skandal endete und er sich im November beim „Dirigieren“ der Internationale in Polen blamierte,61 gab Andropow Tschasows Drängen nach, das Politbüro über Breschnews Zustand zu informieren. Sie scheiterten aber an Suslow, der den Kreis der Eingeweihten klein halten wollte. Warum er das wollte, zeigte sich umgehend: Podgorny tauchte in der Klinik auf und begehrte, zu Breschnew vorgelassen zu werden. Für Andropow und Suslow war damit klar, dass sie Breschnew so schnell wie möglich wieder in Aktion zeigen mussten, um einem Machtvakuum und einem Machtkampf vorzubeugen.62 Gleichzeitig wurde 1975 Michail Kossarew neuer behandelnder Arzt Breschnews und schaffte als Erstes den Tablettenkoffer ab.63 Kossarew drängte Tschasow, die Breschnew behandelnden Personen auf ein Minimum zu beschränken, und setzte durch, dass nur noch er selbst berechtigt war, Breschnew Medikamente zu verabreichen.64 Gemeinsam gelang es Kossarew und Tschasow, Breschnew mit seiner Krankheit zu konfrontieren und zu verdeutlichen, dass er, wenn er so weitermachte, den 25. Parteikongress Ende Februar 1976 nicht würde bewältigen können. Breschnew begriff offenbar endlich, vielleicht auch angesichts des aufdringlichen Podgorny, die Brisanz seines Zustands und willigte ein, an sich zu arbeiten. In diesem Zuge gelang es seinen Ärzten, Nina Korowjakowa aus Breschnews Umkreis zu entfernen.65 Ihr Ziel war nicht nur, Breschnew von der unkontrollierten Tablettenzufuhr abzuschneiden, sondern auch, ihren Chef durch Sport wieder fit zu bekommen. Er hörte auf, die Schlaftabletten mit Wodka herunterzuspülen.66 Für Breschnew selbst war von da an das eigene Körpergewicht nicht nur Objekt seiner Eitelkeit, sondern auch Ausdruck seiner Gesundheit.67 Dem Politbüro hatte er verkündet, dass er sich ab dem 1. Januar 1976 auf seiner Datscha auf den Parteitag vorbereite und nicht mehr zu sprechen sei.68 Tatsächlich begann er, zweimal täglich zu schwimmen, nahm wieder das Jagen und Spazierengehen auf und erholte sich sichtlich. Er bestand darauf, zur Eröffnung des Parteitags nicht nur ein kurzes Grußwort zu sprechen, sondern die gesamte vierstündige Eröffnungsrede zu halten, wie er es immer getan hatte. Er hielt durch, war aber nach zwei Stunden in der Pause vor Anstrengung klitschnass geschwitzt.69 Seine Präsenz machte Eindruck: Die deutsche Botschaft meldete aus Moskau, Breschnew habe ein „erstaunliches physisches Durchhaltevermögen an den Tag“ gelegt und werde daher sicher noch einige Zeit im Amt bleiben.70 War das Jahr 1975 ein Tiefpunkt und trug Breschnew in den zwölf Monaten kaum etwas in sein Notizbuch ein, findet sich bezeichnenderweise auch für die

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ersten zwei Monate von 1976 bis zum Ende des Parteitags Anfang März kein einziger Federstrich in Breschnews Notizblock. Es ist, als ob die Rekonvaleszenz all seine Kraft verschlungen oder er in dieser Zeit so zurückgezogen gelebt hätte, dass er kaum jemanden sprach, dessen Namen er hätte notieren können. Aber auch der erste Eintrag für 1976, vom 10. März, fünf Tage nach Abschluss des Parteitags, ist vielsagend: „Sind in Barwicha angekommen.“71 Ganz offenbar unterzog sich Breschnew einer erneuten Entziehungskur und kehrte erst am 21. April in den politischen Alltag zurück, nur sechs Tage bevor ihm der Marschallsrang verliehen wurde. Wahrscheinlich hatten seine Ärzte ihm verdeutlichen können, dass er fit und zurechnungsfähig sein musste, wollte er mit Würde das Jubiläumsjahr rund um seinen 70.  Geburtstag absolvieren. Seine anhaltende Schlaflosigkeit mag eine weitere Motivation gewesen sein, es mit mehr Sport und Körperkontrolle zu probieren, denn am 9. September 1976 notierte Breschnew auf der Krim: „Die Nacht war schlecht (Schlaflosigkeit)“.72 So begann Breschnew im Urlaub 1976 erstmals damit, sein Gewicht zu dokumentieren: 28. September 1976 – 85,5 Kilogramm.73 Im Laufe seiner Chronik sollte sein Gewicht bei seiner Größe von 1,78 Meter nicht unerheblich schwanken: zwischen 82 und 90 Kilogramm. Jetzt war wieder sein Ehrgeiz und seine Eitelkeit zu spüren: Er wog sich morgens nach dem Schwimmen in der Hoffnung, dann weniger zu wiegen.74 Dabei erfasste er sein Gewicht bis auf 50 Gramm genau und notierte auch schon mal dazu, wenn er 50 Gramm zugenommen hatte: „nicht geschwommen“.75 Nach den ersten Einträgen im Herbst 1976 nahm er die regelmäßige Gewichtskontrolle erst wieder im April 1977 auf.76 Offenbar bereitete er sich so auf die Verkündung der neuen Verfassung, die lang ersehnte Entmachtung Podgornys und seine eigene Wahl zum Präsidenten im Mai sowie seinen Besuch in Frankreich im Juni vor. In dem anschließenden Urlaub auf der Krim baute er das Wiegen weiter aus und begann damit, sein Gewicht jeweils vor – 86 – und nach dem Schwimmen – 85,75 – zu notieren.77 Im August, immer noch auf der Krim, hielt er sogar regelmäßig drei Gewichtsangaben fest: vor dem Frühstück – 85,3 –, nach dem Frühstück – 85,35 – und nach dem Schwimmen – 85,1.78 Der Herbst 1977 brachte einen Rückschlag bzw. Rückfall: Wieder nach Moskau zurückgekehrt, stellte Breschnew die Gewichts- und vermutlich auch Tablettenkontrolle wieder ein. Es ist Spekulation, aber womöglich fühlte er sich nach der Entmachtung Kossygins 1976 und Podgornys 1977 sowie den schier endlosen Jubelfeiern zu seinen Ehren sowohl müde als auch in seiner Stellung sicher

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und unangreifbar. Er verbrachte die zweite Dezemberhälfte im Krankenhaus und fehlte so erstmals auf dem Dezember-Plenum.79 Nachdem Breschnew im Januar 1978 erneut 14 Tage in Barwicha gewesen war,80 unterwarf er sich im Februar 1978 wieder Selbstdisziplin und Gewichtskontrolle, um die feierliche Verleihung des Siegesordens durchzustehen – nur um sich danach offenbar von Neuem dem Kontrollverlust und der Sucht zu ergeben. Den eigentlich für Februar geplanten Bonnbesuch verschoben seine Berater auf Mai und gaben vor, Breschnew leide an einer Erkältungskrankheit.81 Am 26. Februar notierte Breschnew in sein Notizbuch: „Um 14:10 (…) legte ich mich zur Ruhe, konnte bis sieben Uhr abends nicht einschlafen (…) sprach mit Tschasow“ und am 27. Februar sowie erneut am 13. März: „Habe mit Tschasow Je.I. (…) über Schlafmittel gesprochen“.82 Der Besuch in Bonn im Mai war für Breschnew eine „außerordentliche Anstrengung“, die er nur mit Müh und Not bewältigte.83 War 1978 eher ein schlechtes Jahr, in dem Breschnew Gewichtschronik und Suchtkontrolle immer wieder für mehrere Wochen unterbrach, so findet sich seit Anfang 1979 kaum mehr ein Notizbucheintrag ohne Wiegeergebnis.84 Dennoch war auch 1979 kein gutes Jahr für Breschnew. Sofort zu Beginn verschwand er für fünf Wochen von der Bildfläche. Er verbrachte nahezu den ganzen Februar in Sotschi und verschob gleich zwei internationale Treffen: Gierek vertröstete er auf März, Giscard d’Estaing auf April.85 Es ist wahrscheinlich, dass sich Breschnew in Sotschi in einer Entzugsklinik aufhielt. Anfang April, noch vor dem Besuch Giscards, meldete die deutsche Botschaft, die Kremlärzte hätten eine Reihe von internationalen Spezialisten für Arteriosklerose sowie medizinische Geräte aus dem Westen einfliegen lassen.86 Immerhin musste sich Breschnew im Juni 1979 der Welt und dem US-Präsidenten in Wien präsentieren. Tschasow glaubt, der Machtzugewinn durch die Aufnahme Tschernenkos und Tichonows ins Politbüro 1978 bzw. 1979 hätte bei Breschnew dazu geführt, dass er sich sicher fühlte und keinen Anlass mehr sah, sich weiter zu disziplinieren. Die Gewichtskontrolle habe er zwar durchgehalten und er sei auch morgens regelmäßig geschwommen, aber er habe keine Notwendigkeit gesehen, sich bei den Beruhigungsmitteln zu beschränken.87 Breschnews Enkel Andrei sieht dagegen die Schuld bei den Ärzten, die dabei versagt hätten, Breschnew von den Schlafmitteln abzubringen, die ihm ohnehin nicht mehr geholfen hätten.88 Kossarew bestätigt das insofern, als er sagt, Breschnew hätte ohne die Tabletten nicht mehr leben können; ihnen sei es nur gelungen, die Dosis wesentlich zu reduzieren.89

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Krankheit und Verdrängung

Das Problem war, dass sich, zumindest nach der Entmachtung Podgornys und Kossygins, niemand im Politbüro für Breschnews Sucht interessierte, obwohl Tschasow allen Mitgliedern in den letzten Jahren sechs bis sieben Informationen über Breschnews Gesundheitszustand zukommen ließ.90 So wie die Genossen im Politbüro ignorierten, dass das Volk über die vielen Orden lachte, so wollten sie auch nicht sehen, dass ihr Chef ernsthafte gesundheitliche Probleme hatte. Das lag an mehreren Faktoren: Erstens sah das Herrschaftsszenario nicht vor, dass sie den Generalsekretär in irgendeiner Art maßregelten, und sei es nur, indem sie ihm die Tabletten entzogen. Das „Skript“ wies Breschnew die Rolle des Fürsorgers und allen anderen die Rollen der Umsorgten zu; jede Abweichung hätte das Machtgefüge verrückt. Als Breschnew von ihnen wissen wollte, was sie selbst gegen Schlaflosigkeit unternähmen, und um Tabletten bat, um die Aufsicht seiner Ärzte zu umgehen, gaben sie ihm, worum er bat.91 Mitten in der Krise in Afghanistan notierte Breschnew in sein Notizbuch am 29. November 1979: „habe von Tschernenko erhalten“, und am Todestag Suslows, dem 25. Januar 1982, schrieb er auf: „habe von Ju[ri] W[ladimirowitsch Andropow] erhalten – gelbliche“.92 Es ist nicht einmal gesagt, dass die Politbüromitglieder realisierten, dass sie einem Drogensüchtigen bei der „Beschaffung“ halfen, da die Gespräche über Schlaflosigkeit harmlos erschienen und mitunter die Brisanz dieses Leidens gar nicht verstanden wurde. Als Breschnew sich einmal bei Tschernenko beklagte, er könne nicht schlafen, antwortete dieser nur mit: „Gut, gut“, bis Breschnew der Kragen platzte und er polterte, was daran denn gut sei – woraufhin Tschernenko unfreiwillig komisch erwiderte: „Nicht gut, nicht gut“.93 Tschernenko und Tichonow belieferten Breschnew regelmäßig mit Nachschub, obwohl Andropow sie davor gewarnt hatte, der selbst Breschnew nur Placebos zusteckte.94 Gerade dass Andropow Placebos gab, anstatt Breschnew klar zurückzuweisen, zeigt, wie sehr alle darauf bedacht waren, den Anschein zu wahren. Keiner wollte der Erste sein, der den Vertrag der kollektiven Herrschaft aufkündigte. Es muss auch dahingestellt bleiben, bis zu welchem Grad selbst Breschnews Ärzte offen mit ihm sprachen, wenn man liest, was er am 14. Januar 1978 in sein Notizbuch eintrug: „War im Institut, Kontrolle der Hirngefäße, sie sagten, alles sei gut, man kann Sie beneiden und gratulieren, Sie sind stark und gesund.“95 Zudem war gerade im Politbüro ein Thema wie Tablettensucht, zumal wenn es den Generalsekretär betraf, ein Tabu, etwas, das es nicht geben durfte, ergo

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auch nicht geben konnte. Sicherlich werden viele versucht haben, das Thema zu bagatellisieren oder zu verdrängen – süchtig waren Menschen am untersten Rand der Gesellschaft, aber nicht der mächtigste Mann im Staat. Schließlich stammten außer Gorbatschow alle Politbüromitglieder aus Breschnews Generation, und es gab nahezu niemanden unter ihnen, der nicht krank, gebrechlich oder senil war. Da Breschnew neben der Tablettensucht einige andere körperliche Gebrechen hatte und immer wieder an fiebrigen Erkältungen litt, ließ sich leicht so tun, als leide er an ganz „normalen“ Krankheiten oder begebe sich zu Operationen ins Krankenhaus, wie es das Außenamt und auch er selbst immer wieder gegenüber dem Ausland darstellten.96 Seine offizielle Diagnose lautete, so berichtet Keworkow, ohne seine Quellen offenzulegen: „Arteriosklerose der Aorta mit Aneurysma im Bauchbereich, stenosierende Arteriosklerose der Herzkranzgefäße, Ischämie (Blutleere) des Herzens sowie Herzrhythmusstörungen“.97 Dazu kam im März 1982 noch ein verheerender Unfall, der vor der Öffentlichkeit geheim gehalten wurde:98 Bei seiner letzten Reise durch Zentralasien brach in einem Flugzeugwerk in Taschkent eine Metallbalustrade unter schaulustigen Fabrikarbeitern zusammen und begrub Breschnew unter sich. Obwohl sich noch ein Leibwächter schützend auf ihn werfen konnte, erlitt Breschnew eine Gehirnerschütterung und einen Bruch des rechten Schlüsselbeins, das in der Folge nicht wieder zusammenwachsen wollte.99 Seine Rückkehr nach Moskau wurde daher nicht wie üblich im Fernsehen übertragen, sondern nur in den Zeitungen vermeldet.100 Obwohl Breschnew den rechten Arm kaum mehr heben konnte und bei der Mai- und der Novemberparade Schmerzen hatte, sahen die Ärzte wegen seines schwachen Herzens von einer Operation ab.101 Dass Breschnew nach der Rede auf dem Mai-Plenum anschließend gleich wieder ins Krankenhaus zurückkehrte, lag diesmal tatsächlich mehr an den Folgen des Unfalls in Taschkent als an der Tablettensucht. Sein Leibwächter Medwedew berichtet, es sei eine Qual gewesen, ihm zuzuhören, denn er habe die Hälfte der Worte verschluckt und sei kaum zu verstehen gewesen.102 So sahen die Sowjetbürger und Diplomaten einen siechen, greisen Mann, der immer noch krampfhaft die Fäden der Macht in seiner Hand zusammenhielt, und niemand dachte an einen Tablettenabhängigen. Außerhalb des Politbüros war Breschnews Gesundheitszustand ohnehin laut Arbatow das bestgehütete Staatsgeheimnis, und selbst er, der zum engen Mitarbeiterkreis Breschnews gehörte, habe sich nicht getraut, die Ärzte zu fragen.103

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Altersgebrechen

Im Gegensatz dazu war Breschnew gegenüber seinen Gesprächspartnern, wenn er deren Vertrauen gewinnen wollte, erstaunlich offen, was seine Gesundheit anging. Es scheint, als ob er ausloten wollte, inwieweit sich auch über solch ein Thema im Westen locker sprechen und sich so Gemeinsamkeiten herstellen ließen. Gleich bei seinem ersten Zusammentreffen mit Willy Brandt im August 1970 hatte er diesem offenbart, dass er gerade einen Krankenhausaufenthalt hinter sich habe, über den er aber offiziell nicht sprechen dürfe.104 Damals entschuldigte er damit, dass er nach dem Unterschreiben der Moskauer Verträge nicht mit zum Empfang kommen werde. Im April 1979 entschuldigte er mit seiner Krankheit, dass er Giscards Besuch um zwei Monate verschoben hatte, und lieferte so noch nachträglich eine Erklärung für sein seltsames Verhalten im Dezember 1974 in Rambouillet; damals habe er nur Probleme mit seinem Kiefer gehabt: Jetzt ist es sehr viel schlimmer. Ich werde bestrahlt. Sie wissen, was ich damit sagen will. Manchmal wird es zu anstrengend für mich, dann bin ich gezwungen, die Behandlung zu unterbrechen. Die Ärzte sind ganz zuversichtlich. Sehen Sie, hier, im Rücken, sitzt das Übel! Sie meinen, sie könnten mich noch heilen oder zumindest die Krankheit aufhalten. Aber in meinem Alter ist das auch ziemlich egal.105

Es ist unklar, was für Rückenprobleme das gewesen sein sollen. Wir wissen nur, dass Breschnew tatsächlich erhebliche Probleme mit seinem Kiefer hatte.106 Seine dumpfe Stimme, die für Jaruzelski „wie aus dem Grab“ klang, war teils durch den Tablettenmissbrauch bedingt, der seine Muskeln erschlaffen ließ, was ein präzises Artikulieren verhinderte.107 Aber teils war sein Nuscheln tatsächlich durch die Kriegsverletzung verursacht, die er sich zugezogen hatte, als ihn die Mine aus dem Landungsboot schleuderte.108 Das deutsche Auswärtige Amt ging davon aus, dass sich Breschnew Mitte der 1970er Jahre zwei Kieferoperationen unterzog.109 Er trug eine Zahnprothese und gab nur deshalb Mitte der 1970er Jahre das Rauchen auf, weil seine Ärzte ihm sagten, dass sonst die künstlichen Zähne irgendwann gar nicht mehr halten würden.110 So wie er 1976 mit der Gewichtskontrolle und -aufzeichnung begann, notierte er seit Mai dieses Jahres die regelmäßigen Behandlungen durch zwei Ärztinnen, die die Zahnprothese anpassten und korrigierten, die er sich von Kieferorthopäden aus Westdeutschland hatte machen lassen.111 Doch die besten Importprothesen konnten

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nicht verhindern, dass im Zusammenspiel mit seinem Tablettenmissbrauch seine Aussprache immer schlechter wurde und schließlich, wie auf dem Mai-Plenum 1982, kaum noch verständlich war. Das Auswärtige Amt meldete im März 1982 zum Gesundheitszustand Breschnews: „Der Kräfteverfall schreitet langsam, jedoch dem Alter entsprechend normal fort“.112 Es gab sich im Ganzen gut informiert: Breschnew leide an einer Herzschwäche, die aber durch Herzschrittmacher, Arzneimittel und die ständige Betreuung durch einen Herzspezialisten, nämlich Tschasow, unter Kontrolle sei. Doch zeige er daher bei Stress oder gegen Grippe wenig Widerstand und müsse bei jeder leichten Erkältung ins Krankenhaus gebracht werden. Die Lunge habe nur noch eine reduzierte Funktionsfähigkeit, wegen Schwerhörigkeit trage er meist ein Hörgerät, er leide an Muskelschwäche, Arthritis im Rücken und in den Beinen sowie leichter Parkinson’scher Krankheit. Insgesamt handle es sich um einen Organismus ohne Reserven. Eine Herzschwäche dürfte die wahrscheinlichste Todesursache werden, aber auch ein Gehirnschlag sei möglich. Die Spekulation über Breschnews Gesundheitszustand, die Frage, wie lange er noch durchhalten würde, ob er vielleicht doch noch gestürzt würde und, wenn nicht, woran er sterben würde, wurde seit 1975 zur Gewohnheit und in den letzten zwei Jahren von Breschnews Leben nahezu zur Hauptbeschäftigung westlicher Diplomaten und „Kremlologen“. Es ist bezeichnend, dass offenbar niemandem der Gedanke kam, Breschnews Verfall sei nicht nur seinem mit 70 bzw. 75 Jahren gar nicht so beträchtlichen Alter geschuldet, sondern durch Sucht bedingt. Schon im April 1979 verkündeten diplomatische Kreise, die Kremlärzte hätten gesagt, dass „das Leben Breschnews nicht mehr lange verlängert werden“ könne.113 Im August 1982 meldete das deutsche Generalkonsulat aus Leningrad, der Aufenthalt in Taschkent habe Breschnew derart strapaziert, dass die begleitenden Ärzte mit seinem „unmittelbaren Ableben“ gerechnet hätten. Das sowjetische Fernsehen sei deshalb gebeten worden, unverzüglich die notwendigen Gedenkprogramme vorzubereiten. Diese ständen seitdem zum Einsatz bereit.114 Kollektivführung ohne Anführer

Seit 1975 rechneten westliche Diplomaten mit Breschnews Rücktritt.115 Tatsächlich soll er diesen zwei Mal angeboten haben.116 Laut seinem Fotografen Musaeljan schlug er das erste Mal vor zurückzutreten, als er sich an seinem 70. Geburts-

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tag 1976 mitten in der Runde der Gratulanten befand und Suslow, der ihm gerade einen weiteren goldenen Orden verliehen hatte, seine Rede beendet hatte: Plötzlich sagte er, dass er müde sei und ob es nicht an der Zeit wäre, den Posten des Generalsekretärs aufzugeben. Ich glaubte meinen Ohren nicht. Als Antwort – Grabesstille. Dann ein vielstimmiger Chor: „Sie sind unser Aushängeschild. Wie sollen wir ohne Sie weitermachen. Sie werden sich mehr erholen und wir werden mit doppelter Energie weiterarbeiten.“117

Breschnew soll darauf geantwortet haben: Dann macht mich zum Ehrenvorsitzenden der Partei wie in den USA.118 Er blieb im Amt. Seinen zweiten Vorstoß unternahm Breschnew im April 1979 im privaten Kreis. Nach einer langen Zeit des Rückzugs und unmittelbar vor dem Besuch Giscards und der anstehenden Reise nach Wien vertraute er dem Chef seiner Leibgarde, Rjabenko, an, dass er in den Ruhestand wolle.119 Darauf versammelte Tschernenko das Politbüro, das erneut auf ihn einredete: Sie bräuchten ihn, er könne jetzt nicht gehen.120 Es scheint, dass sowohl damals die Mitglieder des Politbüros als auch bis heute Historiker unsicher waren bzw. sind, ob Breschnew seine Entourage nur testen wollte, wie es einst Stalin gemacht hatte: Wer steht loyal zu mir und wer wartet nur auf meinen Abgang? Gleichwohl würde das allem widersprechen, was wir von Breschnew und seinem Herrschaftsstil wissen.121 Zumindest war es kein Test, um gegebenenfalls blutige Rache zu nehmen, sondern höchstens das Heischen um Komplimente. Wie entschlossen er war, wirklich alle Ämter niederzulegen, bleibt unklar. Womöglich schreckte ihn auch die Ungewissheit, was danach kommen würde. Schließlich gab es kein Prozedere für die ordentliche Verabschiedung eines Parteiführers in den Ruhestand: Lenin und Stalin waren im Amt gestorben; Chruschtschow hatte man entmachtet. Zudem war die Macht für Breschnew vertraut und „süß“, wie sein Fotograf beobachtete.122 Vermutlich war die Entschlossenheit zum Rückzug oder die Einsicht, der Verantwortung nicht mehr gewachsen zu sein, nach einem schlimmen Frühjahr und vor den anstehenden Gipfeltreffen 1979 größer als an seinem 70. Geburtstag 1976, als er gerade zu einiger Form zurückgefunden hatte. Gromyko und Andropow soll er ein weiteres Mal, als diese ihn besuchten, gefragt haben, ob es nicht besser sei zurückzutreten.123 Es ist Spekulation, aber gut möglich, dass Breschnews Rücktrittsangebot 1976 mehr ein theoretisches Gedankenspiel und eine Vorstellung

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war, an die er sich selbst noch gewöhnen musste, während die Wiederholung 1979 nach einer verzweifelten Einsicht klingt, dass die letzten Jahre schlimm gewesen waren und es nicht besser werden würde. Später sollten sich seine Leibwächter, seine Ärzte und selbst seine politischen Feinde einig sein, dass Breschnew richtig daran getan hätte, 1976 zurückzutreten: Dann hätte die Welt ihn als großen Mann, Friedensstifter und Visionär einer neuen europäischen Sicherheitsordnung in Erinnerung behalten.124 Aber stattdessen schlugen die Politbüromitglieder Breschnew einen Deal vor: Er brauche nur noch wenige Stunden am Tag zu arbeiten, solle schon donnerstags ins Wochenende fahren und könne fünf Monate im Jahr Urlaub machen, wenn er nur im Amt bleibe.125 Sie würden sich derweil um alles kümmern und dafür sorgen, dass sich im Machtgefüge nichts ändere. Es war dies der Punkt, an dem Stabilität in Stagnation umschlug. Die Angst vor den unvorhersehbaren persönlichen, strukturellen und unionsweiten Folgen eines Führungswechsels war stärker als die Einsicht, dass Breschnew nur noch ein Schatten seiner selbst war und das System dringend frischen Wind benötigte.126 Die deutsche Botschaft analysierte richtig, dass Breschnew eine „wichtige Integrationsfigur“ sei, die nicht so leicht zu ersetzen sein würde.127 Anders ausgedrückt hatten sich Breschnew und seine Genossen in eine symbiotische Beziehung hineinmanövriert, in der sie glaubten, voneinander abhängig zu sein. Um ihre eigene Ruhe und ihre persönliche Macht zu sichern, redeten die Genossen Breschnew ein, er müsse unbedingt weitermachen – und der fühlte sich geschmeichelt und begriff das als Appell an seine Parteidisziplin: „Wenn ihr alle dieser Meinung seid, dann arbeite ich noch etwas länger.“128 Karen Brutentz urteilt, als Produkt und Nutznießer des Systems sei Breschnew dessen Opfer geworden: Nicht nur waren da die persönlichen Ambitionen Leonid Iljitschs, der sich bequem an der Spitze der Macht eingerichtet hatte, sondern seine Entourage (besser gesagt: seine Kamarilla) nutzte schamlos im eigenen Interesse seinen umnachteten Zustand aus und zwang den alten Mann, sich weiter auf dem hohen Posten zu quälen, anstatt ihn in Ruhe seinen Lebensabend als gutgestellter Pensionär fristen zu lassen.129

Tatsächlich hatte Breschnew mit seinem Herrschaftsszenario, dem gemeinsamen Redenschreiben, den Ritualen der Wertschätzung und Rückversicherung eine Struktur geschaffen, die nicht nur keiner erschüttern wollte, sondern die auch

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ohne seine aktive Teilnahme funktionierte. Jeder kannte seine Rolle, jeder wusste, was zu tun war, und die gemeinsame Konsensproduktion sorgte dafür, dass niemand versuchte, die anderen zu übervorteilen, solange Breschnew als Garant dieser Ordnung im Hintergrund blieb. Das Politbüro leitete er nur noch selten und dann möglichst nicht länger als 20 Minuten; Suslow, Tschernenko oder Kirilenko ersetzten ihn abwechselnd bei der Leitung des Sekretariats.130 Wenn Breschnew erschien, war dies vielfach für die anderen Politbüromitglieder überraschend und schwierig, weil er oft nicht verstand, worum es ging. Er las seine vorbereiteten Redezettel ab und konnte auf die Beiträge der anderen nicht reagieren.131 Den Empfang von Delegationen überließ er Gromyko und anderen und gab sich allenfalls für 30 Minuten die Ehre. Auf den ZKPlenarsitzungen richteten die Genossen es nach 1976 so ein, dass der Text von Breschnews Rede ausgeteilt und in der Pause gelesen, anstatt von ihm vorgetragen wurde, oder dass gleich ein anderes Politbüromitglied die Rede hielt. Wie gut das System funktionierte, zeigte sich auf dem Dezember-Plenum 1977, bei dem Breschnew auf „strikte Anweisung seiner Ärzte“ hin fehlte und Suslows Vorschlag angenommen wurde, so zu tun, als sei er da gewesen: Breschnews Rede wurde verteilt, in Stillarbeit gelesen, dann in gewohnter Manier diskutiert und am nächsten Tag in den Zeitungen gerühmt.132 Seit April 1979 eröffnete Breschnew die Plenarsitzungen nur noch und übergab dann die Leitung an Suslow; die Sitzungen selbst begannen nun erst um elf statt um zehn Uhr vormittags und wurden nachmittags für drei Stunden bis 17:30 unterbrochen.133 Selbst die ehemals vierstündigen Paraden zum 1. Mai und 7. November wurden um anderthalb Stunden beschnitten, um Breschnew, der die Treppe zur Mausoleumstribüne nicht mehr selbst erklimmen konnte, die Strapazen zu verkürzen.134 Während Breschnew in seiner guten Zeit auch bis neun oder zehn Uhr abends unterwegs gewesen war, arbeitete er nach der gewährten Reduzierung 1976 nicht mehr als sechs Stunden: Um 8:30 Uhr setzte er sich in seiner Datscha in den Wagen, erreichte um 10:00 Uhr den Kreml, aß dort zu Mittag, hielt dann anderthalb Stunden Mittagsschlaf, ließ sich frisieren und verließ sein Büro wieder gegen 18:00 Uhr.135 Die deutsche Botschaft berichtete im März 1982, Breschnew arbeite täglich nur noch zwei bis drei Stunden am Vormittag, alles andere übersteige seine Kräfte;136 sein Arzt Tschasow geht sogar so weit zu behaupten, dass Breschnew die letzten sechs Jahre überhaupt nicht mehr gearbeitet habe.137 Immerhin standen ihm offiziell seit seinem 65. Lebensjahr nicht nur zwei oder mehr Monate Sommerurlaub, sondern auch noch ein mehrwöchiger Winterurlaub zu.138

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Was dem Politbüro als annehmbare Lösung erschien, führte im Ausland zu Hohn und Spott. Der ägyptische Präsident Sadat schimpfte, mit den sowjetischen Führern sei keine Politik mehr zu machen, da sie erst drei Monate auf der Krim urlaubten und sich anschließend zwei Monate davon erholten; Honecker nannte den Generalsekretär nur noch verächtlich die „Generalruine“.139 Jaruzelski kolportierte den im Ostblock kursierenden Witz: Bei der Parade auf dem Roten Platz habe es wieder einmal eine Demonstration der Stärke gegeben: Die Staatsund Parteiführung habe aus eigener Kraft die Tribüne erklommen.140 Gerontokratie und Nachfolge

Immer wenn gefragt wird, warum die anderen 15 Politbüromitglieder nicht handelten, das Rücktrittsgesuch Breschnews nicht akzeptierten und ihn nicht in Rente schickten, muss bedacht werden, dass Breschnew kein Einzelfall war, sondern die Mehrzahl seiner Genossen genauso alt und krank wie er. Tichonow fiel bei einem Besuch in Polen die Treppe hinunter, Gromyko kippte bei Feierlichkeiten um, ein dritter Parteiführer schlief beim Allunionskongress auf der Toilette ein, so dass die Leibwache die Tür aufbrechen musste, und Kirilenko, der lange Zeit als Breschnews Nachfolger gehandelt wurde, erkrankte an akuter Demenz. Es kam vor, dass er Breschnew aufsuchte, um mit ihm etwas zu besprechen, und vergessen hatte, was er sagen wollte.141 Dementsprechend finden sich in Breschnews Notizbüchern zahlreiche Einträge darüber, dass er seine Genossen im Krankenhaus besuchte oder mit Tschasow über deren Gesundheit sprach.142 Aus Breschnews Perspektive mag es daher sogar so ausgesehen haben, dass er selbst zwar an Schlaflosigkeit und Tablettensucht litt, aber die anderen wirklich krank waren. Bei einer Politbürositzung im Januar 1977 stellte er mit Beunruhigung fest, dass nur die Hälfte der Mitglieder anwesend war: Gromyko hatte einen Infarkt erlitten, Andropow hütete bereits seit zwei Monaten das Bett, Masurow war gerade genesen, aber nicht belastbar, Podgorny war erneut erkrankt, Tschernenko litt infolge einer Grippe an einer Lungenentzündung, Kapitonow war frisch ins Krankenhaus eingeliefert worden und Solomentzew war schon lange krankgeschrieben.143 Und so notierte Tschernjajew Anfang 1980 verzweifelt in sein Tagebuch, dass kein geeigneter Nachfolger für Breschnew in Sicht sei: Kossygin hatte einen Infarkt hinter sich (und starb Ende des Jahres); seinen Stellvertreter und Nachfolger Tichonow hielt Tschernjajew für moralisch und mental unfähig; in Tschernenko sah er eine Marionette Breschnews, die mit diesem

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Abb. 36: V. l. n. r.: Suslow (mit dem Rücken zum Betrachter), Breschnew, Andropow, Ustinow und Tschernenko im Pausenraum des Politbüros am Tag der Armee, 23. Februar 1975.

verschwinden würde; der Parteichef Leningrads, Grigori Romanow, sei nicht mehrheitsfähig; Suslow sei zu alt und Andropow schwer krank und, da er KGBMann war, nicht verwendbar.144 Andropow litt an Diabetes, so dass Breschnew Tschasow im April 1977 erlaubte, in die USA zu reisen, um sich dort mit SpeziWährend Andropow ein strategischer Verbündeter für Breschnew war, hatte er in Tschernenko einen Freund aus moldawischen Tagen. Den einen förderte er aus Vernunft, den anderen aus alter Verbundenheit. Angeblich sagte er über Tschernenko: „Von all meinen Hunden ist der gehorsamste und anhänglichste Kostja Tschernenko.“146 Als sein Büroleiter organisierte Tschernenko für Breschnew seit 1950 dessen Arbeitsleben.147 Seit 1964 protokollierte er die Sitzungen des Politbüros, weshalb Breschnew ihn auch seinen „Schreiber“ oder „Schriftsteller“ nannte.148 Tschernenko hielt Breschnew auch den Rücken frei, als ihn seine Tablettensucht zum Rückzug zwang. Als sich Breschnew Ende 1975 auf seiner Datsche verschanzte und die Konferenz der kommunistischen Parteien verschieben ließ, schirmte Tschernenko ihn von der Außenwelt ab und hielt gleichzeitig den Kontakt für ihn.149 Er diente als sein Vorleser und Übersetzer,

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wie folgende Notiz vom 14. März 1977 über den Besuch des Ersten Parteisekretärs von Kalmykien belegt: „Seine Anliegen bat ich ihn Tschernenko K.U. zu erzählen, was er braucht, denn er hat mich mit einem Haufen von Anliegen überschüttet, es fiel mir schwer, sie zu verstehen“.150 Je mehr sich Breschnew aus dem politischen Leben zurückzog, desto mehr Verantwortung übertrug er Tschernenko, den er in rasantem Tempo im März 1976 erst zum ZK-Sekretär kürte, dann im Oktober 1977 zum Kandidaten und bereits im November 1978 zum Vollmitglied des Politbüros machte.151 Gleichwohl war Tschernenko mit fortschreitendem Alter auch nur noch eine mäßige Hilfe. Breschnews Leibwächter Medwedew berichtet, dass in den letzten Jahren nach Tschernenkos Besuch Breschnews Sekretärin Galina Doroschina gerufen werden musste, um festzustellen, ob die „zwei alten Männer“ nicht wieder alles durcheinandergebracht hätten.152 Seit Mai 1976 vermerkte Breschnew regelmäßig in seinem Notizbuch, wenn er mit der allseits als gleichermaßen integer und kompetent geschätzten Doroschina mitunter sechs Stunden lang gearbeitet hatte: Sie las ihm Unterlagen vor und erläuterte sie, sie berichtete aus dem Politbüro und erklärte dessen Beschlüsse oder bereitete ihn anhand der entsprechenden Materialien auf Staatsempfänge vor.153 Zusammen mit seinem persönlichen Referenten Anatoli Blatow unterstützte sie Breschnew in seiner täglichen Arbeit, wo immer sie konnte. Während Blatow seit 1972 Breschnews engster Mitarbeiter war, wurde Doroschina offenbar 1976 geholt, um zu kompensieren, was Breschnew an intellektueller und organisatorischer Arbeit nicht mehr zu leisten imstande war.154 Michail Suslow, der vier Jahre älter als Breschnew war und immer als der kühle Kopf und berechnende Theoretiker galt, an dem sich Breschnew orientierte, war seit 1975 ebenfalls gebrechlich und wenig belastbar.155 Als er Anfang Januar 1977 schwer erkrankte, soll Breschnew außer sich gewesen sein und Tschasow beschworen haben, Suslow müsse wiederhergestellt werden, andernfalls wisse er, Breschnew, nicht, wie er weitermachen solle, und werde zurücktreten.156 Suslow lebte zwar noch fünf weitere Jahre, starb aber ein gutes halbes Jahr vor Breschnew, am 25. Januar 1982. Was Breschnew bei seinem Tod empfand, ist nicht bekannt; in sein Notizbuch schrieb er nur: „stand am Sarg Michail Andrejewitschs“.157 Suslows Tod war der entscheidende Moment für die Frage, wer Breschnew nachfolgen könnte; alle waren gespannt, wen Breschnew auf den frei gewordenen Platz hieven würde. Vielleicht sah Breschnew, dass Tschernenko nachließ und zunehmend von Doroschina korrigiert werden musste, vielleicht hatte er

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die Vorstellung, der Architekt seiner Außenpolitik könne sein Erbe noch retten: Jedenfalls ließ er auf dem Mai-Plenum 1982 – seinem letzten, zu dem er sich eigens aus dem Krankenhaus quälte – Juri Andropow zu seiner Nummer zwei wählen.158 Dieser war bereits schwer von Diabetes gezeichnet; die eitrigen Stellen über seinen Augenbrauen mussten durch eine Brille mit dickem Rand verdeckt werden.159 Während Andropow damit zur grauen Eminenz aufrückte und, wie Keworkow es ausdrückte, „auf die Zielgerade einbog“,160 wich der nicht weniger sieche Tschernenko seit Suslows Tod Breschnew nicht mehr von der Seite und blieb dessen Verbindung zur Außenwelt.161 Laut Arbatow und Tschernjajew hielt sich Breschnew immer zwei Stellvertreter, die miteinander konkurrierten: Waren es vorher Suslow und der nun demente Kirilenko gewesen,162 favorisierte er jetzt den 71-jährigen Tschernenko und den 68-jährigen Andropow. Doch Breschnews Ziel wird es weniger gewesen sein, Stalins Beispiel zu folgen und die Satrapen einander bekriegen zu lassen. Eher wollte er wohl dem Gebot der gleichmäßigen Machtverteilung im Kollektiv gehorchen und seiner Einsicht folgen, auf viele Unterstützer angewiesen zu sein. Er tarierte das Machtgefüge gekonnt aus, indem er zu Andropows Nachfolger als Vorsitzender des KGB mit Witali Fedortschuk einen Mann Tschernenkos ernannte und so das Gleichgewicht wiederherstellte.163 Tschasow empfand es als Tragödie, dass die beiden schwer kranken Männer begannen, sich in den letzten Lebensmonaten Breschnews einen Machtkampf zu liefern, der offenbar vor allem darin bestand, über den jeweils anderen Gerüchte zu streuen, wie krank er doch sei.164 Giscard d’Estaing erinnerte sich, dass Gierek ihm 1980 in Warschau anvertraute, der neue Kronprinz sei Tschernenko.165 Auch Helmut Schmidt sah sich, wie alle westlichen Staatsführer, 1980 bei seinem Besuch in Moskau nach möglichen Nachfolgern Breschnews um und traf statt junger Kader Andropow und Tschernenko.166 Walentin Falin berichtet, er sei 1981 dabei gewesen, als Breschnew zu Tschernenko sagte: „Kostja, bereite Dich darauf vor, meine Sache zu übernehmen.“167 Gleichwohl schließt Falin nicht aus, dass Breschnew das Gleiche auch zu Andropow gesagt haben könnte, den er schließlich mit der Ernennung zum Zweiten Sekretär in die bessere Ausgangsposition hatte aufrücken lassen. Einzig Breschnews Fotograf Musaeljan berichtet, Breschnew habe zum Schluss aufgrund der Krankheit Andropows und Tschernenkos geplant, den 64-jährigen ukrainischen Parteichef Schtscherbitzki zu seinem Nachfolger zu küren. Die Bekanntgabe habe er für das ZK-Plenum am 15. November 1982 vorgesehen gehabt.168

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Familie und Tod Viele aus Breschnews Entourage haben ausgesagt, dass er in den letzten Lebensjahren mit seiner Familie nicht glücklich war, sie mied, wann immer möglich auf den Jagdsitz Sawidowo floh und selbst seine Geburtstage lieber im Kreis der Politbürogenossen im Kreml verbrachte als mit seinen „missratenen“ Kindern.169 Die Familie scheint mit daran Anteil gehabt zu haben, dass er seinen Rücktritt nicht durchsetzte. Auch wenn seine Frau beim Anschauen der Abendnachrichten „Wremja“ im Fernsehen, die Breschnew erbarmungslos in seiner ganzen Hinfälligkeit zeigten, sagte: „Ljonja, so kann es nicht weitergehen“,170 auch wenn er im Kreis der Familie mehrfach äußerte, dass er es satthabe, nirgends Ruhe zu finden, und endlich in Rente gehen wolle – seine Kinder müssen ihn bedrängt haben, im Amt zu bleiben. Womöglich wollten sie dem Patriarchen nicht nur schmeicheln, sondern dachten vor allem an die Gefahr, die ihren eigenen Privilegien und Posten drohte, sollte Breschnew zurücktreten.171 Vielleicht erinnerte sich auch Breschnew, wie kleinlich er selbst auf Chruschtschows Wünsche bezüglich seiner Altersversorgung reagiert hatte, und realisierte, dass er es nicht mehr in der Hand haben würde, wo er und seine Frau wohnen würden und mit wie viel Geld sie würden auskommen müssen. Ihre Wohnung in Moskau und die Datscha in Saretschje, der Jagdsitz Sawidowo, ihre Möbel und letztlich auch alle Staatsgeschenke waren Staatseigentum. Breschnew bezog, wie jeder ZK-Sekretär, ein keineswegs üppiges Gehalt von 800 Rubel sowie seit 1974 einen Zuschlag von 500 Rubel und seit 1978 einen weiteren Zuschlag von 200 Rubel.172 Außerdem erhielt er Zuwendungen für seine militärischen Titel.173 Es ist Spekulation, aber gut möglich, dass er gerade den zweiten Zuschlag 1978 in Hinsicht auf seine Rentensicherung erwirkte. In der vierteiligen „Breschnew“-Serie des russischen Fernsehens von 2006 ließ der Regisseur Breschnew zu seiner Frau sagen, er wisse nicht, wo sie leben sollten, wenn er in Rente ginge, er habe schließlich nicht wie die US-Präsidenten ein Privathaus, in das sie sich zurückziehen könnten. Im März 1977 ließ sich Breschnew von seinem Vertrauten, dem Geschäftsführer des ZK Georgi Pawlow informieren, dass der Bau einer Datscha 28.880 Rubel kosten würde.174 Seit 1978 führte er in seinem Taschenkalender Buch über die Einzahlungen auf sein Sparkassenbuch.175 Wirklich erhebliche fünfstellige Summen kamen dabei seit 1979 durch die Honorare für seine Memoirenbände – für die er insgesamt fast 180.000 Rubel bekommen haben soll – und für die mit

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seinen Reden und Memoiren eingespielten Schallplatten zusammen.176 Aber so sehr Breschnew in seinen alten Tagen auch sparte, es blieb ihm ein Lebensabend als Pensionär in den eigenen vier Wänden verwehrt. Die Frage ist, ob er ein Privatleben im Kreis seiner Familie wirklich wünschte. Während er einerseits kräftig mithalf, seine Kinder, deren Gatten und die Enkelkinder zu befördern und mit lukrativen Posten auszustatten, beklagte er sich andererseits, dass sie ihn nur noch besuchten, wenn sie etwas von ihm wollten.177 Seinen Schwiegersohn Juri Tschurbanow machte er nach dessen Heirat mit seiner Tochter Galina innerhalb kürzester Zeit zum General, stellvertretenden Innenminister und 1976 sogar zum ZK-Kandidaten. Auch seinen Sohn Juri ließ er zum stellvertretenden Minister für Außenhandel und 1981 zum ZK-Kandidaten küren.178 Alle drei tranken über die Maßen. Ständiger Kummer ihres Vaters blieb jedoch vor allem Galina mit ihren Ausschweifungen, ihrer Sucht nach Brillanten und ihren zwielichtigen Bekannten, von denen nicht wenige schließlich wegen Schmuggel, Unterschlagung und Spekulation verhaftet wurden.179 1977 bat Breschnew Tschasow, Galina für ein halbes Jahr in einer Entzugsklinik behandeln zu lassen; seit 1978 beriet er sich regelmäßig mit seinem Arzt Kossarew über die Sucht seines Sohns Juri.180 Er liebte seine Enkel, solange diese noch klein waren: Viktorija, genannt Vitusja, die Tochter Galinas, die quasi bei ihm und seiner Frau aufgewachsen war, sowie Leonid und Andrei, die Söhne Juris. Doch 1977, mit 25 Jahren, geriet auch Vitusja in Schwierigkeiten, so dass Breschnew sich genötigt fühlte einzugreifen, um die „falschen“ Männer aus ihrer Umgebung zu entfernen.181 Seine Frau Viktorija, mit der er am 26. März 1978 goldene Hochzeit feierte, litt an Altersdiabetes und hielt sich oft zur Kur in Karlsbad in der ČSSR auf.182 Daher lud Breschnew, um Gesellschaft zu haben, zu seinen Geburts- und zu anderen Feiertagen seine engsten Genossen Ustinow, Gromyko, Andropow, Tschernenko, Tichonow, Kulakow und Kirilenko auf die Datscha ein und feierte mit diesen.183 Mit ihnen besuchte er auch nach wie vor gern Hockey- und Fußballspiele, eine Gewohnheit, die er bis zu seinem Tod beibehielt.184 In den Zirkus ging er ebenfalls noch einmal im Jahr.185 Gern verbrachte er Zeit in der Gesellschaft seiner Leibwächter und Jäger, seines Piloten Bugajew und anderer Hausangestellter. Ihm gefiel offenbar der einfache, zwanglose Umgang, dass er mit ihnen ganz „Mensch“ sein konnte und nicht ständig den Generalsekretär und sorgenden Patriarchen geben musste. Er genoss es, mit ihnen auf der Krim

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Domino zu spielen, wo er die eine oder andere Partie im Team mit Tschernenko gegen Rjabenko und Kossarew gewann.186 Gerade seine Leibwächter Rjabenko, Medwedew, Wladimir Sobatschenkow und Gennadi Fedotow organisierten in den letzten Jahren sein alltägliches Leben, legten ihm morgens die Kleidung zurecht, fuhren mit ihm zur Arbeit, aßen mit ihm im Kreml zu Mittag, brachten ihn wieder nach Hause, nahmen ihm den Mantel ab, verstauten seine Aktentasche, setzten sich an den Abendbrottisch zum Ehepaar Breschnew und schauten mit ihm die Nachrichten.187 Gemeinsam sahen sie im privaten Kinosaal Spionagethriller oder die von Breschnew geliebten Kriegsfilme.188 Es scheint, als wären sie zu seiner Ersatzfamilie und einem Quell der Ruhe geworden. Mit ihnen frönte Breschnew auch bis zuletzt der Jagd. Am liebsten nahm er Medwedew und einen Jäger mit und verbrachte den ganzen Tag in Savidowo.189 So auch noch 24 Stunden vor seinem Tod. Seine Ärzte und Leibwächter rechneten seit September 1982 damit, dass es jederzeit mit Breschnew vorbei sein könnte, so sehr waren sein Herz und sein Organismus vom Tablettenmissbrauch geschwächt.190 Ende September unternahm er seine letzte Reise nach Baku, um dort der Sowjetrepublik einen Orden zu überreichen, und merkte nicht einmal, dass er seinen Redetext falsch ablas und statt „Aserbaidschan“ „Afghanistan“ sagte.191 Am 7. November, einem Sonntag, nahm Breschnew wie immer die Parade auf dem Roten Platz ab, fuhr dann für den Feiertag am Montag, dem 8. November, zur Jagd nach Sawidowo und verbrachte Dienstag, den 9. November, ohne besondere Vorkommnisse in seinem Büro im Kreml.192 Der einzige bemerkenswerte Vorfall war, dass, als Breschnew aus seinem Mittagsschlaf am frühen Abend erwachte, Medwedew den Barbier Tolja endgültig weggejagt hatte, weil dieser wieder einmal in volltrunkenem Zustand erschienen war.193 Also machte der Leibwächter persönlich Breschnew die Frisur, verließ um 19:30 Uhr mit dem Generalsekretär den Kreml und zündete sich auf der Rückfahrt eine Zigarette an, damit Breschnew Tabakrauch inhalieren konnte – es sollte das letzte Mal in seinem Leben sein.194 Breschnew klagte einzig darüber, dass er nicht viel essen könne, und legte sich noch vor den Nachrichten schlafen. Als ihn am Morgen des 10. November 1982, eines Mittwochs, seine Leibwächter Medwedew und Sabotschenkow um 9:00 Uhr wecken wollten, fanden sie ihn reglos im Bett liegen. Der herbeigerufene Tschasow konnte nur noch feststellen, dass die durchgeführte Reanimation zwecklos war, denn Breschnew war bereits mehrere Stunden tot.195

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Ruhmsucht und Verfall oder: Die Einsamkeit des Generalsekretärs

Da die Texte für den Nachruf und die Ansprache an die Bevölkerung sorgfältig formuliert und vom Politbüro abgesegnet werden mussten, wurde die Bevölkerung erst am 11. November um 11:00 Uhr offiziell in Kenntnis gesetzt, die Zeitungen berichteten erst am 12. November.196 Doch als die Radio- und Fernsehprogramme nur noch Trauermusik spielten, verstanden die meisten ohnedies, dass Breschnew gestorben war.197 Auch zum Tod Breschnews ersann die Bevölkerung noch makabre Scherzfragen: „Was waren die letzten Worte Breschnews? – Jura [Andropow], rühr die Herzmaschine nicht an!“198 Breschnew wurde am 15. November an der Kremlmauer beigesetzt, dem Tag, an dem er angeblich Schtscherbitzki als seinen Nachfolger hatte ausrufen wollen.

Anmerkungen 1

Leonid Il’ič Brežnev. Stranicy iz žizni i dejatel’nosti (fotodokumenty), Moskau 1981, ohne Seitenangabe. 2 Ebenda. 3 Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 489. 4 Gensek i fotograf. General Scretary and photographer. 100-letnemu jubileju L.I. Brežneva posvjaščaetsja, fotografii ličnogo fotografa L.I. Brežneva Vladimira Musaėl’jana, Moskau 2006, S. 133. 5 Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 457; Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 141; Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 104. 6 Istorija SSSR v anekdotach, S. 154. 7 Ebenda, S. 135. 8 Ebenda, S. 154. 9 Ebenda, S. 146. 10 Ebenda, S. 148. 11 Ebenda, S. 199. 12 Čazov, Zdorovie i vlast‘, S. 11. 13 Istorija SSSR v anekdotach, S. 158. 14 Nikita Chruščev 1964, S. 242–244. 15 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5., revidierte Auflage, Tübingen 1976, S. 147; E.A. Rees: Leader Cults: Varieties, Preconditions and Function, in: Balázs Apor et al. (Hg.): The Leader Cult in Communist Dictatorships. Stalin and the Eastern Bloc, Houndmills 2004, S. 3–28, hier: S. 4; Jan Plamper: The Stalin Cult. A Study in the Alchemy of Power, New Haven, London 2012. 16 RGANI, f. 2, op. 3, d. 318, l. 27. 17 RGANI, f. 2, op. 3, d. 468, l. 38. 18 RGANI, f. 2, op. 3, d. 550, l. 37.

Anmerkungen 19 20 21 22 23

24 25

26 27

28 29 30 31 32 33 34 35 36 37

38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48

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RGANI, f. 2, op. 3, d. 295. l. 17. RGANI, f. 2, op. 3, d. 318, l. 33. RGANI, f. 2, op. 3, d. 403, l. 56. Radionov, Kak načinalsja zastoj, S. 160. Die gesammelten Gegenstände bewahrt heute das Historische Museum in Kamenskoje auf, das 2006 daraus eine Ausstellung kreierte und einen Katalog herausgab: Muzej Istorii Dneprodzeržinska (Hg.): I lično Leonidu Il’iču, Dneprodzeržinsk 2006. RGANI, f. 89, perečen’ 42, document 67: Zasedanie Politbjuro, 27.4.1976g., l. 3. Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 256; Leonid Il’ič Brežnev: Stranicy žizni – stranicy ėpochi. Foto­dokumenty, Moskau 1976; Slavnyj syn kommunističeskoj partii i Sovetskogo naroda. K 70-letiju General’nogo sekretarja CK KPSS tovarišča Leonida Il’iča Brežneva, Moskau 1977; „Erzählung von einem Kommunisten“, Regie: Igor’ Bessarabov, Aleksandr Kočetkov, Filmstudio: Centrnaučfil’m 1976. http://heroesoforderandchaos.ru/img.php?url=http://cs320730.vk.me/v320730876/25ea/hgkkEkrKuPU.jpg, abgerufen am 16.6.2017. Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112753, Bonn, den 22. Dezember 1976, Über Herrn Staatssekretär Herrn Bundesminister zur Information vorgelegt, Betr.: Der 70. Geburtstag Breschnews, S. 2. Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 285. Syn partii, syn naroda: Metodičeskie rekomendacii massovym bibliotekam po propogande knigi tov. Brežneva „Vospominanija“, Moskau 1981. RGANI, f. 5, op. 75, d. 206: Otkliki radioslušatelej na radioperedaču „Po stranicam vospominanij L.I. Brežneva ‚Malaja zemlja‘“, l. 6. Ebenda, l. 8. Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133169, 22. Dezember 1981, Fernschreiben, Betr.: Feierlichkeiten aus Anlaß des 75. Geburtstags Breschnews, ohne Blattangabe. Černajev, Sovmestnyj ischod, S. 228. Ebenda, S. 256. Ebenda, S. 311. Ebenda, S. 285. Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133169, Leningrad, nachrichtlich: Moskau, Betr.: Stellung Breschnews, ohne Blattangabe; Leningrad, 16. August 1982, ohne Blattangabe; Viktor Goljavkin: Jubilejnaja reč’, in: Avrora, Dezember 1981, S. 75. Šelest, Da ne sudimy budete, S. 268 f. Ebenda, S. 493. Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112753, Der 70. Geburtstag Breschnews, S. 4. Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 128. Ebenda, S. 85 f. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 664, 673, 682; AVP RF, f. 156, god 1979, op. 46, papka 69, d. 7, l. 70 ff. Falin, Politische Erinnerungen, S. 258. Čurbanov, Moj test’, S. 132 f. Falin, Politische Erinnerungen, S. 258. Musaėl’jan, Dorogoj Leonid Il’ič, S. 47. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 894.

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Ruhmsucht und Verfall oder: Die Einsamkeit des Generalsekretärs

49 K 75 godam Leonid Il’ič sovsem rasslabilsja. Beseda našego korrespondenta Pavla Korobova s vračem Michailom Kosarevym, in: Vlast’, Nr. 44, 11.–17.11.2002, S. 72; Mlečin, Brežnev, S. 554. 50 Medvedev, Čelovek za spinoj, 2010, S. 85. 51 Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 129; Medvedev, Čelovek za spinoj, 2010, S. 88. 52 Medvedev, Čelovek za spinoj, 2010, S. 88. 53 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 68. 54 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 138 f.; Mlečin, Brežnev, S. 584 f. 55 K 75 godam Leonid Il’ič sovsem rasslabilsja, S. 72. 56 Ebenda; Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 119; Mlečin, Brežnev, S. 554. 57 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 128. 58 RGANI, f. 80, op. 1, d. 1235, l. 37. 59 RGANI, f. 80, op. 1, d. 1235, l. 42. 60 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 132. 61 Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 176 f. 62 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 132. 63 Mlečin, Brežnev, S. 564. 64 K 75 godam Leonid Il’ič sovsem rasslabilsja, S. 72. 65 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 138 f.; Mlečin, Brežnev, S. 584 f. 66 Medvedev, Čelovek za spinoj, 2010, S. 90. 67 Volkogonov, 7 voždej, Bd. 2, S. 106. 68 Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 185. 69 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 140; Černjaev, Sovmestnj ischod, S. 195. 70 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112753, Moskau, 10. März 1976, Botschaft Bundesrepublik Deutschland, Moskau, Betr.: Parteitag der KPdSU, hier: personelle Entscheidungen, S. 3. 71 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 617, 724. 72 Ebenda, S. 683. 73 Ebenda, S. 694. 74 Ebenda, S. 703. 75 Ebenda, S. 788. 76 Ebenda, S. 772 f. 77 Ebenda, S. 806 f. 78 Ebenda, S. 823. 79 Ebenda, S. 886. 80 Ebenda, S. 889. 81 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133148, Bonn, 29. März 1979, Gesundheitszustand Breschnews, S. 1. 82 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 895 ff. 83 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133148, Bonn, 29. März 1979, Gesundheitszustand Breschnews, S. 2. 84 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 948 ff. 85 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133148, 29. März 1979, Gesundheitszustand Breschnews, S. 1; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 947, 949. 86 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133148, „Sowjetunion“, London, 2. April 1979 (ddp), ohne Blattangabe. 87 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 148.

Anmerkungen

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88 Andrej Brežnev: Čto ljubil Brežnev: [s vnukom L.I.B. A. Brežnevym besedoval V. Cepljaev], in: Argumenty i fakty, 2002, Nr. 45 (November), S. 23. 89 K 75 godam Leonid Il’ič sovsem rasslabilsja, S. 72. 90 Čazov, Zdorvie i vlast’, S. 148. 91 Ebenda; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1000. 92 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 980, 1136. 93 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 130. 94 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 157. 95 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 887. 96 Ebenda, S. 533, 809, 833, 841 f., 850 f., 857, 911, 927, 1110. 97 Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 205. 98 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133169, 1. April 1982, Fernschreiben: Betr. Sowjetische Führung, hier: Beobachtungen und Gerüchte, ohne Blattangabe. 99 Ebenda, Leningrad, 4. August 1982, Betr.: Gesundheitszustand Breschnews, S. 1; Kolesničenko, Kak popast’ v istoriju, S. 29; Medvedev, Čelovek za spinoj, 2010, S. 96 f. 100 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133169, 1. April 1982, ohne Blattangabe. 101 Ebenda, Leningrad, 4. August 1982, Betr.: Gesundheitszustand Breschnews, S. 1; Kolesničenko, Kak popast’ v istoriju, S. 29; Medvedev, Čelovek za spinoj, 2010, S. 96 f. 102 Medvedev, Čelovek za spinoj, 2010, S. 98. 103 Arbatov, Čelovek sistemy, S. 281. 104 Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 6, S. 321, http://www.willy-brandt.de/fileadmin/stiftung/Downloads/Berliner_Ausgabe/BA_06_gesamt.pdf, abgerufen am 15.10.2014; Bd. 9, S. 384. 105 Giscard d’Estaing, Macht und Leben, S. 45. 106 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133169, 12. März 1982, Betr.: Gesundheitszustand Breschnews, ohne Blattangabe. 107 Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 271. 108 Musaėl’jan, Brežnev, kotorogo ne znali, S. 155. 109 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112753, Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, 18. September 1975, Betr.: Stellung Breschnews, S. 2. 110 Suchodrev, Jazyk moj, S. 359; Schmidt, Menschen und Mächte, S. 95; Brežnev, Čto ljubil Brežnev, S. 23. 111 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 626, 629, 633, 637, 639, 648, 655, 658, 661; Grišin, Katastrofa, S. 38; Mlečin, Brežnev, S. 554. 112 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133169, 12. März 1982, Betr.: Gesundheitszustand Breschnews, ohne Blattangabe; Radionov, Kak načinalsja zastoj, S. 152. 113 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133148, „Sowjetunion“, London, 2. April 1979 (ddp), ohne Blattangabe. 114 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133169, Leningrad, 4. August 1982, Betr.: Gesundheitszustand Breschnews. 115 Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112753, Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, 18. September 1975, S. 2; Bonn, den 3. September 1976, S. 3. 116 Kuznecov, I Brežnev takoj molodoj, S. 4; Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 273. 117 Zit. nach Musaėl’jan, Dorogoj Leonid Il‘ič, S. 43. 118 Ebenda. 119 Kolesničenko, Kak popast’ v istoriju, S. 29.

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120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162

Ruhmsucht und Verfall oder: Die Einsamkeit des Generalsekretärs Ebenda, S. 29; Mlečin, Brežnev, S. 575. Musaėl’jan, Dorogoj Leonid Il’ič, S. 43. Musaėl’jan, Gensek i fotograf, S. 6. Mlečin, Brežnev, S. 575. Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 457; Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 141; Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 104. RGANI, f. 80, op. 1, d. 1235, l. 50–57. Gorbačev, Žizn’ i reformy, Bd. 1, S. 18. Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112753, Bonn, den 3. November 1976, Die zentralen Institutionen des sowjetischen Herrschaftsapparates, S. 7. Zit. nach Mlečin, Brežnev, S. 575. Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 495. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 966. Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 347, 417, 452. RGANI, f. 2, op. 3, d. 452, l. 1, 163; Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 303. RGANI, f. 2, op. 3, d. 467, l. 1; d. 501, l. 9; d. 570, l. 1. Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 66; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 205 f. Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 40–42. Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 133169, 12. März 1982, ohne Blattangabe. Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 15. Mlečin, Brežnev, S. 550, Volkogonov, 7 voždej, Bd. 2, S. 76. Černajev, Sovmestnyj ischod, S. 167; Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 179. Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht, S. 63. Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 131 ff. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 887 f. Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 262. Ebenda, S. 394. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 776. Brežneva, Plemjannica, S. 398. RGANI, f. 80, op. 1, d. 330, l. 1–16. Mlečin, Brežnev, S. 195; Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 128. Černajev, Sovmestnyj ischod, S. 180, 185. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 761. RGANI, f. 2, op. 3, d. 391, l. 8; d. 441, l. 3, d. 493, l. 6. Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 131. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 632, 660, 671, 673, 684, 763. Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 495; Mlečin, Brežnev, S. 565. Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 188. Ebenda, S. 257; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 749, 859. Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 1136. RGANI, f. 2, op. 3, d. 587, l. 1 f.; d. 577, l. 105. Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 250. Ebenda, S. 251. Gorbačev, Žizn’ i reformy, Bd. 1, S. 202. Brutenc behauptet, Kirilenko sei in Ungnade gefallen, weil er den Gesundheitszustand Breschnews zum Thema gemacht habe, siehe Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 502.

Anmerkungen

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163 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 166; RGANI, f. 2, op. 3, d. 587, l. 1 f.; d. 577, l. 105; Gruško, Sud’ba razvedčika, S. 130. 164 Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 164, 167; siehe auch Arbatov, Čelovek sistemy, S. 353; Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 513. 165 Giscard d’Estaing, Macht und Leben, S. 148. 166 Schmidt, Menschen und Mächte, S. 112. 167 Falin, Politische Erinnerungen, S. 403. 168 Velikžanina, Preemnikom Brežneva, S. 6 f. 169 Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 268. 170 Kolesničenko, Kak popast’ v istoriju, S. 29. 171 Keworkow, Moskau, KGB, Ostpolitik, S. 197. 172 Mlečin, Brežnev, S. 422. 173 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 888, 931. 174 Ebenda, S. 762, 863. 175 Ebenda, S. 889. 176 Ebenda, S. 952 f.; Jakovlev, Kak sozdavalis’ memuary Brežneva, S. 289. 177 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 52. 178 Mlečin, Brežnev, S. 539 f.; Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 269; Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 30. 179 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 52; Karpov, Večernie besedy, S. 455 f.; Duhamel, The KGB Campaign against Corruption, S. 104. 180 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 795, 890, 897, 975, 999. 181 Ebenda, S. 794, 871. 182 Karpov, Večernie besedy, S. 473; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 905. 183 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 129; Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 201; Medvedev, Ličnost’ i ėpocha, S. 296. 184 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 716, 778, 804, 844, 891, 899, 900, 908, 949, 972, 975. 185 Ebenda, S. 763, 922, 967. 186 Ebenda, S. 645, 674, 805, 811 f., 814, 822. 187 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 46, 62; Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 118. 188 Medvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 48; Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 1, S. 662 f. 189 Меdvedev, Čelovek za spinoj, 1994, S. 82. 190 Меdvedev, Čelovek za spinoj, 2010, S. 100; Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 166. 191 Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 505 f. 192 Brežnev, Rabočie i dnevnikovye zapisi, Bd. 2, S. 1119. 193 Меdvedev, Čelovek za spinoj, 2010, S. 101. 194 Ebenda. 195 Меdvedev, Čelovek za spinoj, 2010, S. 102; Karpov, Večernie besedy, S. 464; Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 168. 196 Mlečin, Brežnev, S. 612; Vadim Borejko: O bednom Genseke zamolvite slovo: O politike SSSR L.I. Bržneva, in: Ėkspress, 22. Dezember 2006, S. 21. 197 Mlečin, Brežnev, S. 612; Мedvedev, Čelovek za spinoj, 2010, S. 104. 198 Istorija SSSR v anekdotach, S. 155.

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Breschnews Familie hatte recht, als sie die Folgen eines Rücktritts des Patriarchen fürchtete. Allerdings behielt Viktorija Petrowna alle Privilegien, solange Andropow (1982–1984) und Tschernenko (1984–1985) herrschten. Erst Gorbatschow sorgte dafür, dass sie aus der Datscha in Saretschje ausziehen musste und ihr die Rente von 700 auf 300 Rubel gekürzt wurde. Mehrfach kamen Mitarbeiter aus dem ZK-Apparat und kontrollierten, ob sie auch wirklich alle 200 Orden und Wertgegenstände ihres Mannes abgegeben hatte. Die Sparbücher mit seinen Honoraren wurden beschlagnahmt, später aber restituiert. Viktorija Petrowna bekam zwar keinen Wagen mit Chauffeur mehr, war aber froh, dass ihre Diabetes, in deren Folge sie Ende der 1980er Jahre erblindete, weiter vom Kremlkrankenhaus behandelt wurde. Sie starb 1995 in Moskau. Ihrem Interviewer Wladimir Karpow sagte sie 1991, wenn sie die Wahl hätte, würde sie dieses Leben wieder wählen.1 Breschnews Tochter Galina soll nach dem Tod ihres Vaters vollkommen den Halt verloren und sich dem Alkohol ergeben haben. Von ihrem Mann, der 1987 wegen Korruption zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde,2 hatte sie sich schon lange abgewandt und 1975 eine neue Liebschaft mit dem 17 Jahre jüngeren Sänger Boris Burjatze begonnen, der 1982 wegen Juwelendiebstahls zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Auch Galina wurde unter Gorbatschow der Prozess gemacht, aber die Anklage, sie habe sich widerrechtlich bereichert, konnte nicht bewiesen werden, so dass auch ihr die einst von ihrem Vater gemachten Geschenke zurückgegeben wurden. Nachdem sie alles vertrunken hatte, ließ ihre Tochter Viktorija sie entmündigen und in eine psychiatrische Anstalt einweisen, wo sie 1998 im Alter von 69 Jahren vollkommen vereinsamt starb.3 Galinas Ex-Mann Tschurbanow fasste wieder Fuß, nachdem er 1993 frühzeitig aus der Haft entlassen worden war. Er wurde Vizepräsident einer Zementfirma sowie des Hockeyclubs Spartak und engagierte sich für Gefangene. Er starb nach langer Krankheit 2013. Breschnews Sohn Juri verlor gleich nach dem Tod seines Vaters seinen Posten als stellvertretender Handelsminister, konnte aber 1986 ins Außenministerium zurückkehren. Er starb wie sein Schwager 2013. Zu analysieren, warum Breschnews Kinder vor allem durch Suff und Skandal auffielen, würde ein Buch für sich füllen. Offenbar war es die fatale Mischung

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aus einem abwesenden Vater, einer zu gütigen Mutter und der Allmacht, die den Kindern durch den bedeutenden Vater zuwuchs: Niemand wagte, sich ihnen in den Weg zu stellen oder ihnen einen Wunsch abzuschlagen. Dazu gesellten sich viele „falsche Freunde“, die die Nähe der Kinder suchten, weil es über sie leicht war, an Posten und Wohnungen zu kommen. Auch Breschnews Andenken erging es wechselhaft: Unter Andropow und Tschernenko wurde es gepflegt, während der Perestroika-Jahre demontiert und seit Putins Machtantritt langsam restauriert, aber auch instrumentalisiert. Die noch am 13. November 1982 beschlossenen Benennungen von Städten bzw. Stadtteilen und Straßen, Fabriken, Schulen und Eisbrechern nach Leonid Iljitsch Breschnew wurden in der Glasnost-Zeit wieder rückgängig gemacht.4 Die Gedenktafel am Moskauer Wohnhaus Breschnews, dem Kutusowskij-Prospekt 26, wurde abmontiert und gelangte ins Berliner Mauermuseum, das sie nur gegen eine horrende Summe zurückgeben wollte. Also organisierten Breschnews Fotograf Musaeljan, sein Adjutant Oleg Storonow und andere die Fertigung eines Duplikats, das sie zum 107. Geburtstag Breschnews 2013 aufhängen ließen.5 Die Büste in Breschnews Geburtstadt Dneprodserschinsk fiel 2015 dem ukrainischen Erlass zum Opfer, jegliche Art kommunistischer Symbolik aus dem öffentlichen Raum zu entfernen.6 Die Nachfolgefrage entschied sich wie immer in der Sowjetunion über die Frage, wer das Beerdigungskomitee leitete. Tschasow gab, sobald er von Breschnews Leibwächtern informiert worden war, Andropow Bescheid, so dass beide nahezu gleichzeitig bei Breschnew eintrafen.7 Damit hatte Andropow einen entscheidenden Vorteil gegenüber Tschernenko, der die Nachricht erst später bekam. Da Kampfkandidaturen nicht zur politischen Kultur gehörten, war Andropow nun die „selbstverständliche“ Nummer eins in allen Dingen, die es zu regeln galt. In gewisser Hinsicht war auch dies ein Erfolg von Breschnews Konsenspolitik: Der von allen so gefürchtete offene Machtkampf brach nicht aus, sondern im Gegenteil hielten sich alle weiterhin an die ungeschriebenen Regeln und die ihnen zugewiesenen Rollen. Das ZK-Plenum wählte Andropow am 12. November zum neuen Generalsekretär. Andropow entließ sofort den ihm verhassten Innenminister Schtschjolokow und wechselte den KGB-Chef aus; er startete eine Anti-Korruptions-Kampagne, gegen die Breschnew sich immer gewehrt hatte, weil sie zu viele seiner Klienten getroffen hätte. Aber viel Zeit blieb dem 68-Jährigen nicht: Sein chronisches Nierenleiden zwang ihn bereits nach 100 Tagen im Amt zur regelmäßigen Dialyse. Mit Hilfe modernster Technik hätte er noch eini-

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ge Jahre leben können, aber in der Sowjetunion gab es nicht genügend Erfahrung mit der Blutwäsche. Ende September 1983 konnte er das Krankenhaus nicht mehr verlassen; er starb am 9. Februar 1984 im Alter von 69 Jahren. Andropow hatte seinen Nachfolger aufgebaut: Michail Gorbatschow. Diesem erging es jedoch wie 15 Monate zuvor Tschernenko, und wo Letzterer seinerzeit selbst ausgebootet worden war, manövrierte er jetzt Andropows Protegé aus. In seiner Antrittsrede am 13. Februar 1984 warnte Tschernenko vor zu viel Reformeifer, Leistungsdruck und Disziplinierungsmaßnahmen und versprach ein „Zurück“ zur „Stabilität in den Kadern“ wie unter Breschnew. Wenige Monate später war er nicht mehr imstande, bei öffentlichen Auftritten den für ihn vorgeschriebenen Redetext fließend abzulesen. Um der Welt zu demonstrieren, dass Konstantin Tschernenko gesund und munter sei, ließ man neben seinem Krankenzimmer ein täuschend echtes Wahllokal aufbauen, holte den Todkranken am 24. Februar 1985 aus dem Bett und kleidete ihn an, damit er sich selbst zum Deputierten des Obersten Sowjets der RSFSR wählen konnte. 14 Tage später war er tot. Im Westen sprach man vom „Marxismus-Senilismus“; die sowjetische Bevölkerung ulkte über den „Fünfjahrplan der Staatsbegräbnisse“. Als Gorbatschow am 11. März 1985 zum neuen Generalsekretär gewählt wurde, war er der Erste in diesem Amt, der nicht aus Breschnews Generation stammte, der kein Ingenieur war, der den Terror der 1930er Jahre nicht bewusst durchlebt hatte und der kein Kriegsteilnehmer war. Und er war vor allem der erste Generalsekretär, der die Konsenspolitik der Kollektivherrschaft – nach Stalins Terror und Chruschtschows Umstrukturierungen – nicht als Segen empfand, sondern als Fluch und unerträglichen Zustand. Statt Konsens wollte er Meinungsvielfalt, statt Abnicken einen Wettbewerb der Ideen und statt Klientelwirtschaft Beförderung der Besten. Nachdem Andropow und Tschernenko Breschnews Herrschaftsszenario von Vertrauen und Fürsorge mit nur minimalen Variationen übernommen hatten, war es erst Gorbatschow, der mit „Umbau und Transparenz“ ein neues Leitmotiv für seine Herrschaft wählte und damit Lenins Erbe grundlegend neu interpretierte. Breschnews Erfolg und Tragödie bestand darin, dass er mit seinem Motto „Jeder soll in Ruhe leben und arbeiten“ einen Weg fand, die traumatisierte Gesellschaft zu befrieden und dabei das politische System – nicht die Gesellschaft – in die Erstarrung führte. Anders ausgedrückt war die Angst aus 30 Jahren Terrorherrschaft so übermächtig, dass der politische Umgang mit ihr in die Paralyse des

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Zentralkomitees und des Politbüros führte. Es gelang Breschnew nicht, eine politische Kultur zu etablieren, in der ein Führungswechsel eine gesunde Routine und keine existentielle Bedrohung dargestellt hätte. Dazu war nicht nur das Trauma infolge von Stalin’schem Terror und Chruschtschow’schen Demütigungen zu groß. Auch das grundsätzliche Funktionieren der sowjetischen Herrschaft in PatronKlienten-Beziehungen verhinderte, dass Reformen und Neuerungen „objektiv“ nach ihrem Nutzen und nicht nach Clanzugehörigkeit beurteilt wurden. Diese Personennetzwerke schienen aber in einer Zeit von Denunziation und Demontage der einzige Garant für wenigstens etwas Sicherheit zu sein, waren also auch Folge des Säuberungs- und Versetzungsfurors. Die „Dnepropetrowsker Mafia“ war mithin auch eine direkte Nachwirkung des Stalin’schen Terrors und als „Überlebensnetzwerk“ entstanden. Die Personenverbände bestimmten das Denken, die Wahrnehmung des Gegenübers und die Einschätzung von politischen Konzepten. Deutlich zeigte sich das bei den „Kossygin’schen Reformen“, die Breschnew im Grunde wollte, letztlich aber torpedierte und diskreditierte, weil sie seinen Rivalen stärkten und diesem Ruhm verhießen. Die wirtschaftliche Stagnation folgte daher direkt aus der Politik: der Kaderstabilität einerseits und dem Primat der Ideologie andererseits. Tragisch war, dass Breschnew, wenn vielleicht auch nicht so scharf wie Kossygin, das Erlahmen der Wirtschaft und die unbedingte Notwendigkeit der zweiten industriellen Revolution sah. Doch so sehr er sich in der Rolle des Mahners und Anklägers gegenüber den Wirtschaftsministern gefiel, so wenig war er in der Lage, sich aus dem Korsett von Klientelpolitik und zentraler Wirtschaftsplanung zu befreien und seine Moralappelle durch tiefgreifende Strukturreformen zu ersetzen. Hatte Chruschtschow 1962 als Notmaßnahme zu den Goldreserven gegriffen, um Lebensmittel im Ausland einzukaufen, machte Breschnew dies zu einer Konstante seiner Wirtschaftspolitik. Das extensive Einkaufen von Fleisch, Getreide, Kleidung und anderen Gebrauchsgütern war im Grunde das stille Eingeständnis, dass sein großes Vorhaben, die Leichtindustrie zu stärken, um endlich die Menschen satt und zufrieden zu machen, nicht voran kam. Gleichzeitig spricht es für Breschnew, dass er von dieser Linie nicht abwich und weiter die Devisen für das Wohl der Bevölkerung ausgab. Leisten konnte sich die Sowjetunion dies nur durch eigene Rohstoffexporte und hier v.a. durch Gas- und Öllieferungen in den Westen. So lieferte die Sowjetunion die Energie für die kapitalistischen Marktwirtschaften und diese ernährten und kleideten die Sowjetmenschen, damit diese, wie Breschnew es wünschte, „in Ruhe und Frieden leben und arbeiten“ konnten.

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Breschnews großes Verdienst war, dass er in der Tat weite Teile der Bevölkerung mit der Sowjetunion aussöhnte, einen geringen Wohlstand brachte, Sozialleistungen garantierte und den Traum von der eigenen Plattenbauwohnung, einer Datscha und einem Auto zu einem legitimen Ziel erklärte. Den kleinbürgerlichen Wunsch nach einem saturierten Leben, den einst seine Mutter für ihn gehegt hatte, übertrug er auf die ganze Gesellschaft. So gesehen machte er die Sowjetunion menschlicher und stellte das Individuum mit seinen Grundbedürfnissen in den Mittelpunkt der Politik. Er setzte nicht nur die Sozialprogramme Chruschtschows fort, er erklärte die Anhebung des Lebensstandards sogar zur Generallinie der Partei. Natürlich ist es Spekulation, da wir nicht in Breschnew „hineinsehen“ können: Aber nach all dem, was er während der Kollektivierung, während des Krieges und in der Nachkriegszeit in der Ukraine, in Moldawien und in Kasachstan gesehen hatte, schien es ihm ein wirkliches inneres Bedürfnis zu sein, die Not zu lindern und den Sowjetbürgern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Breschnew schaltete vom Revolutionsmodus in den Sozialmodus. Es war die unbestrittene Folge dieser Neuausrichtung, dass die Sowjetunion für viele Menschen zur unhinterfragten Realität wurde, zu einer Konstante, von der niemand glaubte, sie könne jemals wegbrechen.8 Die Tragödie bestand darin, dass die Sowjetmenschen seit 1975 im Fernsehen sahen, wie siech und senil ihr Partei- und Staatschef war. Letztlich war aber auch dies ein Erfolg Breschnews: Die Person Breschnew mochte krank sein, aber das politische System erschien dadurch nicht schwach oder instabil. Wie Tschernjajew meint, merkten die meisten Menschen kaum, wie wenig das Politbüro in den zehn Jahren vor Gorbatschow in der Lage war, das Land zu lenken. Die Sowjetmenschen lachten über Breschnew, aber Breschnew sagte: Solange sie lachen, mögen sie mich. Breschnews größte Tragödie war sicherlich, dass er dem Druck und dem Stress, denen er gerade außenpolitisch ausgesetzt war, nicht gewachsen war. Die Schlafund Rastlosigkeit stammte aus Stalins Zeiten, als Ausruhen und Untätigkeit als Staatsverbrechen geahndet wurden. Diese Bürde gesellte sich zu der Last, die wohl jeder Staatsmann und jede Staatsfrau zu tragen hat, wenn es um Fragen geht wie: Beziehungen ausbauen oder abbrechen? Verhandeln oder einmarschieren? Krieg oder Frieden? Schlimm muss die Erfahrung mit Dubček gewesen sein, den Breschnew als seinen Protegé mochte und schätzte und den er dann doch mit Gewalt aus dem Amt entfernte. Groß muss auch die Belastungsprobe im Politbüro gewesen sein, als er seinen Westkurs gegen alle Bedenkenträger durch-

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setzte. Welche Strapazen es kostete, die Militärs in Schach zu halten, lässt sich nur erahnen und wird vielleicht deutlich werden, wenn die entsprechenden Archive geöffnet werden. Selbst im Jahr seiner größten Erfolge, 1973, fand Breschnew keine Ruhe und keinen Schlaf mehr und griff zu Tranquilizern und Schlafmitteln. Es muss ihn gebrochen haben, als 1974 seine drei Mitstreiter Pompidou, Brandt und Nixon starben bzw. zurücktraten. Die Vertrauensarbeit von fünf Jahren schien umsonst. Er hatte sich als westlicher Staatsmann präsentiert, den Charmeur und Anti-Ideologen gegeben – und stand am Ende alleine da. Dies war schon nicht mehr nur Breschnews persönliche Tragödie, sondern eine für die ganze Welt: Niemand ahnte, dass der mächtigste Mann der Sowjetunion tablettensüchtig war. Sein Rückzug aufgrund der körperlichen Gebrechen wurde als politischer Kurswechsel und intendierte Abkehr gewertet. Mochte innenpolitisch Breschnews Zustand zum Stillstand führen, außenpolitisch bewirkte er einen rasanten Niedergang der Entspannung und einen neuen Tiefpunkt im Kalten Krieg. Gleichwohl hoben alle westlichen Politiker, die kondolierten und wie der US-Vizepräsident George W. Bush zur Beerdigung nach Moskau reisten, Breschnews Einsatz für den Frieden hervor; sie betonten, dass ihn seine Weltkriegserfahrung zum unbeirrbaren Kämpfer für eine friedliche Koexistenz hatte werden lassen.9 Insofern ist richtig, was seine Mitstreiter sagten: Wäre Breschnew 1976 wirklich zurückgetreten, wäre er wohl als Friedensstifter und großer Europäer in die Annalen eingegangen. So aber blieb er der Welt als der Mann in Erinnerung, der in Prag und Afghanistan einmarschierte. Breschnew soll zu seinem Berater Alexandrow-Agentow gesagt haben, dass sein bester Job der des Gebietssekretärs gewesen sei.10 Mletschin verwendete das gegen Breschnew: Er hätte ein kleiner Provinzsekretär bleiben sollen; der Generalsekretärsposten sei eine Nummer zu groß für ihn gewesen.11 Der Ausspruch zeugt aber eher davon, dass sich Breschnew als Macher sah und sich wohlfühlte, wenn er direkt mit den Menschen zu tun hatte. Als Gebietssekretär, so Breschnew, könne man mehr erreichen und die Ergebnisse sehen, in die Fabriken und auf die Felder gehen, mit den Menschen sprechen und ihre Stimmung spüren; im Kreml erfahre man alles immer nur durch die Papiere.12 Zum einen verweist das noch einmal darauf, dass Breschnew eine politische Karriere nicht angestrebt hatte. Er begann als Laienschauspieler und Ingenieur, und viel mehr brauchte er nicht, um zufrieden zu sein. Die Jagd und ein schnelles Auto dazu – und sein Glück war perfekt. Zum anderen zeugt das Zitat davon, dass Breschnew ein Mann ohne Dünkel war, der sich nicht nur gern um die Bedürfnisse der Menschen kümmerte,

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sondern auch gern mit ihnen sprach, sie zum Lachen brachte und, wenn zu seinem Empfang Musik gespielt wurde, die Frauen zum Tanz aufforderte. Es war dies „Normale“, Gewöhnliche, Nichtintellektuelle, was viele seiner Rivalen dazu verführte, ihn zu unterschätzen. Seine Stärken und „Waffen“ waren das Zuhören, die Geduld, der lange Atem und sicher auch das Schauspieltalent. Letzteres nutzte er, wenn er seine Entourage mit Gedichten von Jessenin unterhielt, wenn er mit viel Pathos und Leidenschaft Reden hielt oder wenn er in die Rolle des westlichen Politikers schlüpfte. Ein von ihm Geschasster sagte genauso verbittert wie anerkennend, Breschnew sei ein „großer Schauspieler“ gewesen, der es verstand, hinter der Theatermaske sein Gesicht zu verbergen.13 Doch nicht nur die Schauspiellust hob ihn unter den Politbüromitgliedern heraus. Er war ein Lebemann, der sich um die prüde Sexualmoral der Partei nicht scherte. So sehr er sich auf politischem Terrain als „Gleicher unter Gleichen“ gab, so intensiv nutzte er im informellen Rahmen seine Schwäche für Frauen und schnelle Autos sowie seine Schießkunst, um sich als „echter Kerl“ von den Genossen abzuheben und sich als ihnen überlegen darzustellen. Insofern scheint es nicht erstaunlich, dass er sich in der Gesellschaft Brandts, Pompidous und Nixons wohler und mehr wie unter Gleichgesinnten fühlte. Die „großen Vier“ waren lebenslustige Männer, die „anderen“ – so wollte es jedenfalls scheinen – waren vertrocknete Ideologen. Somit stellt sich auch die Frage, wer Breschnew denn 1976 oder 1979 hätte nachfolgen können? 1976 wird er gefürchtet haben, es könnte der gerade genesene Premier Kossygin oder der noch nicht abgesetzte Präsident Podgorny sein. 1979 hatte er diese ausmanövriert, aber als Einziger, der nicht so alt und so krank wie er war, erschien Gorbatschow, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal Vollmitglied des Politbüros war. Ob er Schtscherbitzki, den zwölf Jahre jüngeren Parteichef der Ukraine, hätte durchsetzen können, muss dahingestellt bleiben. Angesichts der Alternativkandidaten bleibt die Frage offen, ob ein früherer Führungswechsel tatsächlich einen Neuanfang hätte herbeiführen oder auch nur die Entspannung mit dem Westen hätte retten können. Spätestens seit Breschnews hundertstem Geburtstag 2006 hat eine Neuevaluierung seiner 18-jährigen Herrschaft eingesetzt: vom Schwarz der GorbatschowZeit zum Weiß der Putin-Ära. Viele Russinnen und Russen erinnern sich heute an die Breschnew-Jahre als an ein „goldenes Zeitalter“, in dem man satt und sorglos war. Doch das ist eindeutig eine Projektion. Das deutsche Auswärtige Amt prognostizierte schon 1973: Wenn Breschnew die von ihm geweckten Erwar-

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tungen an einen höheren Lebensstandard nicht einhalten könne, drohe ihm „konkrete Gefahr“.14 Und tatsächlich schreibt der ehemalige Parteichef Moldawiens, den Breschnew noch 1980 als stellvertretenden Ministerpräsidenten der Sowjetunion nach Moskau geholt hatte, dass er Breschnew häufig Bericht darüber erstattet habe, wie gefährlich und angespannt die Lage im Land sei, weil die Menschen nicht genügend Fleisch, Milchprodukte, Zucker und Speiseöl kaufen konnten. Immer wieder kam es zu Ausschreitungen, wenn frustrierte Käuferinnen angesichts der leeren Regale das Inventar kurz und klein schlugen oder Arbeiter in den Sitzstreik traten.15 Auch Tschernjajew schildert, dass 1978, nachdem das Fleisch an die Krippen, Kindergärten und Restaurants verteilt war, in Rostow am Don noch 1,5 Kilogramm pro Einwohner im Jahr in den Laden kam. Es habe besser versorgte Regionen gegeben, aber nirgends seien es mehr als sieben Kilogramm Fleisch pro Kopf gewesen.16 Dass das Mai-Plenum 1982 eine Norm für Kalorien festlegte, die jedem Sowjetbürger zustanden, habe nichts anderes bedeutet, als dass es nichts mehr zu kaufen gab, nicht einmal mehr Graupen.17 Auch unzählige Witze zeugen von den Versorgungsengpässen der Breschnew-Zeit: Der Chef eines Restaurants für Ausländer sagt, bei ihm könne man alles bekommen, wenn man nur rechtzeitig bestelle. Also bestellt ein Tourist Giraffe mit Kartoffeln. Am nächsten Tag sehen die Touristen draußen eine Giraffe angebunden. Der Restaurantchef erklärt: Sehen Sie, die Giraffe haben wir schon, nun müssen wir nur noch Kartoffeln auftreiben …!18 Die zweite Tatsache, die heute in Russland zum Mythos verklärt wird, ist der Fakt, dass Breschnew die Sowjetunion zur unhinterfragten Supermacht ausbaute. Breschnew gebührt daher in den Augen der Großmachtnostalgiker ein Ehrenplatz neben Lenin und Stalin auf der Seite der „Gewinner“, während Chruschtschow und Gorbatschow auf der Seite der „Verlierer“ stehen, die die Sowjetunion schwächten bzw. in den Untergang führten. Diese Verklärung wird Breschnew nicht gerecht, der sein Leben lang für Koexistenz, Annäherung an den Westen und Abrüstung kämpfte und sich heute angesichts der amerikafeindlichen Isolationsrhetorik Putins vermutlich im Grab umdrehen würde. Das Einmarschieren in einen dritten Staat war für ihn kein Grund für Stolz und Größe, sondern Ultima Ratio und eine schwere Last auf seinem Gewissen. Im Gegenteil sah Breschnew seine Größe darin, dass er den Sowjetmenschen ein besseres, friedliches Leben bringen wollte und dafür in nie dagewesenem Stil im Ausland Lebensmittel, aber auch Kleidung und Elektrowaren für Devisen einkaufen ließ. Er war nicht stolz auf die „Breschnew-Doktrin“, sondern auf die Einführung der

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Fünftagewoche, die Festlegung des Rentenalters für alle Frauen auf 55 und für alle Männer auf 60 Jahre sowie die Anhebung der Löhne.19 Auf die Gretchenfrage, ob Breschnew mehr zur Stabilität oder mehr zum Zusammenbruch der Sowjetunion beigetragen hat, lässt sich je nach Perspektive sehr unterschiedlich und letztlich doch immer nur sehr hypothetisch antworten. Relativ unumstritten ist, dass alles, was er bis 1975 innen- und außenpolitisch schuf, zur Stabilisierung, Konsolidierung und Normalität der Sowjetunion beitrug. Im Grunde genommen entstand erst unter ihm der Staat, der später untergehen sollte. Wie stark in seinen letzten Jahren die Paralyse zu spüren war, wird jedoch sehr unterschiedlich bewertet. Breschnews Mitarbeiter Brutentz meint: „Es schien Anfang der 1980er Jahre, als erstarre das ganze Land, als gebe es keine Ereignisse mehr, nur noch Jubiläen und Endpunkte. Faktisch erinnerte das an eine Imitation des realen gesellschaftlichen und politischen Lebens, an seinen Ersatz.“20 Gleichwohl funktionierte alles weiter, und wenn Gorbatschow nicht all dem ein Ende bereitet hätte, wäre dieser Zustand vielleicht noch lange perpetuiert worden. Die einzige Tat, die unbestritten zur Delegitimation der Parteiherrschaft führte und damit zum Untergang der Sowjetunion beitrug, war der Einmarsch in Afghanistan. Breschnew brach damit sein wichtigstes Versprechen, den Menschen ein Leben in Frieden zu sichern, und schickte die Sowjetbürger stattdessen in einen blutigen Krieg, den keiner wollte und den sie nicht gewinnen konnten. Auch das sei denjenigen gesagt, die Breschnew gern als Krieger der Supermacht zeigen: Sein größter Fehler mit den fatalsten Folgen war der Afghanistankrieg, auch wenn dahingestellt bleiben muss, wie sehr dies seine Entscheidung und nicht die der Troika war. Breschnew liebte zwar das Militär, doch eher aus nostalgischen Gründen. Er war ein Mann des Friedens und Verhandelns, nicht des Krieges und der Abschreckung. Egon Bahr urteilte daher: „Die Vorstellung, mit Breschnew in die Sauna zu gehen, wäre absurd gewesen. Kein Kanzler hätte das überlebt. Aber ohne das, was 1970 begann, wären weder Gorbatschow noch Jelzin Herren im Kreml geworden.“21 Und selbst der äußerst kritische Tschernjajew meinte: Ohne die „Tschechoslowakei 68“, worauf er sich mit zitterndem Herzen einließ (wie wir heute wissen), vermutlich nur deshalb, weil er sich noch nicht vollkommen sicher in der absoluten Führung war, und ohne „Afghanistan 79“, wozu ihn die Troika aus dem Politbüro drängte, die seine physische und psychische Hilflosigkeit ausnutzte (er

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bekam fast nichts mehr von seiner Umwelt mit), hätte er, so denke ich heute, vollkommen den Friedensnobelpreis verdient gehabt.22

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O material’nom obespečenii sem’i L.I. Brežneva. Postanovlenie CK KPSS i Soveta Ministrov SSSR ot 13 nojabrja 1982g., in: Kommersant’’ VLAST’, 11.–17. November 2002, S. 76; Karpov, Večernie besedy, S. 466 ff.; Mlečin, Brežnev, S. 613. Čurbanov, Moj test’, S. 5, 255. Oberemko, Krivolapaja sud’ba; dies.: „Garem“ dlja Brežnevoj. Doč’ genseka ljubila šampanskoe, brillianty i mužčin, in: Argumenty i fakty, Nr. 39, 24. September 2008; http://www.aif.ru/society/people/garem_dlya_brezhnevoy_doch_genseka_lyubila_shampanskoe_brillianty_i_muzhchin, abgerufen am 5.1.2017. Ob uvekovečenii pamjati Leonida Il’iča Brežneva, in: Kommersant’’ VLAST’, 11.–17. November 2002, S. 76. Musaėl’jan, Brežnev, kotorogo ne znali, S. 162. V Dneprodzeržinske snesut pamjatnik Brežnevu, 5. Juli 2015, https://lenta.ru/news/2015/07/05/ breznevsnoss/, abgerufen am 16.5.2017. Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 168 f.; Medvedev, Čelovek za spinoj, 2010, S. 103. Siehe Alexei Yurchak: Everything was Forever, until it was no More. The Last Soviet Generation, Princeton, Oxford 2006. AVP RF, f. 129, op. 68, papka 393, d. 37 (god 1982): Pochoorny Brežneva Leonida Il’iča. Soboleznovanija, priezd delegacii SŠA na pochorony, l. 8, 37a, 96, 102; Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 9, S. 384, 386. Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 248. Mlečin, Brežnev, S. 440. Aleksandrov-Agentov, Ot Kollontaj do Gorbačeva, S. 248. Semičastnyj, Bespokojnoe serdce, S. 417. Politisches Archiv AA, Zwischenarchiv, Best.-Nr. 112694, 28. Mai 1974, Dr. Meyer-Landrut zur Information, S. 6. Bodjul, Dorogoj žizni, S. 142 f. Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 341. Ebenda, S. 488. Istorija SSSR v ankedotach, S. 171. Čazov, Zdorovie i vlast’, S. 15. Brutenc, Tridcat’ let na staroj ploščadi, S. 499. Bahr, Zu meiner Zeit, S. 296 f. Černjaev, Sovmestnyj ischod, S. 254.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Archive Abkürzungen bei Archivzitationen f.

fond

Bestand

op.

opis’

Findbuch

d.

delo

Akte

l.

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Blatt

ob.

oborot

Rückseite

Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) Willy-Brandt-Archiv (WBA) Bestand A 8: Bundeskanzler und Bundesregierung 1969–1974 Bestand A 9: Geheim Bestand A 11.4: Erich-Ollenhauer-Haus, zentrale Arbeitsgemeinschaften und Verbände Depositum Egon Bahr Ordner 434: V.L. [Valerij Lednev] Ordner 435: Besuch Leonid Breschnew 1973 Archiv der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen (Archiv FSO) Bestand 01-166: Ėrnst Orlovskij Bestand 01-079: Georgij Davydov Bestand 02-082: György Dalos Archiv Prezidenta Respubliki Kasachstana (APRK) f. 708: ZK KP Kaz, 1937–1991 f. 811, op. 24: Institut istorii partii Archiv Sacharova Mappe „Sacharov i vlast’“ 1966–1986 Bestand: Prezidentskij Archiv (PA) Archiv Vnešnej Politiki Rossijskoj Federacii (AVP RF) f. 129 f. 136

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Erinnerungen und Dokumente

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Muzej Istorii mista Kam’jans’kogo (Dniprodzeržinska) (MIK) Handschriftensammlung zu L.I. Breschnew Politisches Archiv des Außenamts Berlin (Politisches Archiv AA) Bestand B 2: Büro Staatssekretäre 1949–1984 Bestand B 41: Sowjetunion, 1957–1972 Bestand B 41 – Zwischenarchiv: Sowjetunion, 1973–1984 Bestand Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau Rossijskij Gosudarstevnnyj Archiv Social’no-Političeskoj Istorii (RGASPI) f. 84: Anastas Ivanovič Mikojan f. 666: Petr Efimovič Šelest Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Ėkonomiki (RGAĖ) f. 4372, op. 66: Gosudarstvennyj planovoj komitet pri Sovmine 1965–1966gg Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Novejšej Istorii (RGANI) f. 1: S’’ezdy KPSS f. 2: Plenumy CK KPSS f. 3: Politbjuro CK KPSS f. 5: Otdely CK KPSS f. 10: Meždunarodnoe soveščanija, vstreči, konferencii predstavitelej kommunističeskich i rabočich partii socialističeskich, kapitalističeskich, razvivajuščichsja stran f. 80: Leonid Il’ič Brežnev

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis

Bolschewiki: Mitglieder der Kommunistischen Partei, deren Vorläuferin, die Russische Sozialdemokratische Arbeiterpartei, sich 1903 in die „Bolschewiki“ (Mehrheit), die Lenin folgte, und die „Menschewiki“ (Minderheit) spaltete DneproGES: Wasserkraftwerk und Prestigebaustelle des Staudamms am Dnjepr in der Stadt Saporoschje, 1928–1932 erbaut, nach dem Krieg 1944–1950 wiedererrichtet, Symbol der Elektrifizierung des Landes Entkulakisierung: Offiziell die Enteignung und Abschaffung der „Ausbeuterklasse“ der reichen Bauern ( Kulaken) in den Jahren 1928–1933, tatsächlich die Vertreibung, Verhaftung und Deportation Zigtausender Bauern, die sich der Sowjetmacht widersetzten FSB: Föderativer Sicherheitsdienst; russische Nachfolgeorganisation des sowjetischen  KGB Glasnost: Wörtlich „Transparenz, Öffentlichkeit“; Forderung der Dissidenten seit den 1960er Jahren, Michail Gorbatschows Programm seit 1987, mehr Meinungs- und Pressefreiheit zuzulassen Gosplan: Staatliche zentrale Planungsbehörde zur Erstellung und Kontrolle der Jahresund Fünfjahrpläne der sowjetischen Wirtschaft Kader: Sowjetischer Ausdruck für Personal im Sinne von Fachkraft, aber auch politisch für Parteifunktionäre und allgemein für den Menschen schlechthin gebraucht Kandidat (z.B. im Politbüro): Nicht stimmberechtigtes Mitglied einer Parteiorganisation; Status, der durchlaufen werden musste, um stimmberechtigtes Vollmitglied zu werden KGB: Komitee für Staatssicherheit: Geheim- bzw. Staatspolizei zur Überwachung und Verfolgung jeder Form von abweichendem Verhalten oder Denken; seit 1954 unter diesem Namen, Nachfolgeorganisation des  MGB Kolchose: Bäuerliche Kollektivwirtschaft: Land, Vieh und Maschinen gehören dem Betrieb, in dem die Bauern arbeiten und feste Produktionsquoten erfüllen müssen; der Staat zahlt für die Produkte Fixpreise; die Bauern erhalten als Lohn nur das, was nach Abzug der Produktionskosten übrig bleibt Kollektivierung: Zusammenlegung aller Bauernwirtschaften zu Kollektivbetrieben ( Kolchosen) unter Verstaatlichung von Land, Vieh und Maschinen; in der Sowjetunion 1928–1933 durchgeführt, anfangs auf freiwilliger Basis, dann mit Zwang und Enteignungen; in den besetzten Ländern Ostmitteleuropas, dem Baltikum und Moldawien nach 1945 durchgeführt

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis

Komsomol: Jugendorganisation der Kommunistischen Partei Komsomolze: Mitglied der Jugendorganisation  Komsomol Kooperative: Bäuerliche Wirtschaftsgemeinschaft: Die Bauern bestellen freiwillig zusammen die Felder, bewirtschaften ihr Vieh und verkaufen ihre Produkte gemeinsam; Land, Vieh und Maschinen bleiben aber Eigentum der jeweiligen Bauern KP: Kommunistische Partei KPČ: Kommunistische Partei der Tschechoslowakei KPdSU: Kommunistische Partei der Sowjetunion, 1952–1991 KPU: Kommunistische Partei der Ukraine KSZE: Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, erstmals 1973 in Helsinki zusammengetreten, berühmt durch die in Helsinki 1975 unterzeichnete Schlussakte; ursprünglich Initiative der Sowjetunion zur friedlichen Koexistenz mit dem und Annäherung an den Westen, 1995 in OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) umbenannt Kuban-Kosaken: Kosaken (Reiterverbände, berühmt für ihren Korpsgeist, berüchtigt für ihre Pogrome), die am Fluss Kuban siedelten Kulak: In Russland ursprünglich besonders erfolgreiche, angesehene Bauern; unter den  Bolschewiki Schimpfwort für Landwirte, die Arbeiter „ausbeuteten“ und Großbetriebe leiteten, aber auch pauschale Hetze gegen all jene, die sich der Kooperation mit der Sowjetmacht widersetzten Mittelbauer: In der sowjetischen Typologie zwischen dem armen Bauern (Bednjak) und dem  Kulaken stehend, weder ein Ausbeuter noch das vorrangige Klientel der  Bolschewiki; ein Bauer, der sich selbst gut ernähren kann, ohne dabei Reichtümer anzuhäufen oder Tagelöhner zu beschäftigen Magnitka: Abkürzung für das Metallkombinat in Magnitogorsk, wie  DneproGES Symbol und Stolz für die Industrialisierung des Landes; erster Bauabschnitt 1929–1932 Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS): MTS sollten an Kolchosen, die selbst keine landwirtschaftlichen Geräte besaßen, Traktoren, Mähdrescher etc. verleihen MGB: Ministerium für Staatssicherheit, geheime Staatspolizei; Nachfolgeorganisation des  NKWD, Vorläufer des  KGB NATO-Doppelbeschluss: Beschluss der NATO-Staaten vom 12. Dezember 1979, in Westeuropa neue Raketen (Pershing II) aufzustellen und gleichzeitig von der Sowjetunion Verhandlungen über die Begrenzung von Mittelstreckenraketen zu fordern Neue Ökonomische Politik (NÖP): 1921–1927: Abschaffung des Kriegskommunismus des Bürgerkriegs (1918–1920) mit seinen Zwangsrequirierungen von Lebensmitteln und Lebensmittelrationen, die den Menschen nach „gesellschaftlichem Wert“ zugeteilt wurden; Freigabe des Handels, Wiedereinführung von Geldwirtschaft, Vergabe von Lizenzen an private Unternehmer, sogar an Ausländer, Normalisierung des Wirtschaftslebens und des Nahrungsmittelkonsums der Bevölkerung

Sekundärliteratur

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Neuer Mensch: Idealbild der  Bolschewiki vom neu zu formenden Menschen, der aus Unterdrückung und Unwissenheit zum umfassend gebildeten Menschen mit dem richtigen – bolschewistischen – Bewusstsein aufsteigt NKWD: Volkskommissariat für Inneres, tatsächlich: Geheim- und Staatspolizei, 1934– 1941; Nachfolgeorganisation der  OGPU, Vorläufer des  MGB Oberster Sowjet: 1938–1991 vom Volk gewähltes Parlament und formal ranghöchste Instanz, verabschiedete die Gesetze und setzte die Regierung ein – de facto alles auf Vorschlag des  Politbüros der  KP OGPU: Vereinte Staatliche Politverwaltung, tatsächlich: Geheim- und Staatspolizei, Nachfolgerin der  Tscheka, Vorgängerin des  NKWD Parteiaktiv: Die aktiven und überzeugten Bolschewiki, aus deren Reihen die zahlreichen Parteiämter und Funktionen in allen Bereichen von Staat, Partei, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur besetzt wurden Parteipräsidium: Name für das  Politbüro 1952–1966, das von Stalin umbenannt und von Breschnew zurückbenannt wurde Perestroika: Wörtlich: „Umbau“; zusammen mit  Glasnost Michail Gorbatschows Programm 1985–1991, die Sowjetunion durch umfassende Reformen gesellschaftlich zu öffnen, wirtschaftlich effizienter und politisch attraktiver zu machen Politarbeit, Politarbeiter: Die Agitation bzw. der Agitator, der die Bevölkerung durch entsprechende Propaganda im Sinne der  Bolschewiki erzieht, aufklärt und auf deren Ziele einschwört Politbüro: De facto höchstes Machtorgan, Ausschuss des  Zentralkomitees der Partei, der, wenn das ZK nicht tagte, das operative Geschäft leiten sollte; bestand in der Regel aus rund zehn Mitgliedern, 1919–1952 und 1966–1991; hieß in der Zwischenzeit  Parteipräsidium Politkommissar:  Politarbeiter in der Armee, der die Truppen betreut und im Sinne der  Bolschewiki für die Kampfmoral und die seelisch-ideologische Vorbereitung auf die nächste Schlacht zuständig ist Rote Garden: Freiwilligenarmee 1917–1919, die sich vor der Gründung der Roten Armee 1918 zusammenschloss, um den Sieg der  Bolschewiki mit Waffengewalt zu verteidigen RSFSR: Russ. für Russische Sowjetische Föderative Sozialistische Republik, kurz die Russische Republik im Verbund der UdSSR SALT: Strategic Arms Limitation Talks – Gespräche zur Begrenzung strategischer Rüstung, geführt zwischen den USA und der UdSSR 1969–1972 und 1972–1979; mündeten jeweils in einen Vertrag zur nuklearen Rüstungsbegrenzung: SALT I, 1972 von Breschnew und Nixon in Moskau unterschrieben, SALT II, 1979 von Breschnew und Carter in Wien unterschrieben

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Glossar und Abkürzungsverzeichnis

Sowchose: Bäuerlicher Staatsbetrieb, im Unterschied zur  Kolchose sind die Bauern beim Staat angestellt und haben Anspruch auf ein festes Gehalt Sowjet: Russ. für Rat; im Unterschied zu den Parteiorganisationen die staatlichen Verwaltungsorgane auf allen Ebenen vom Landkreis bis zur Unionsebene SSR: Sozialistische Sowjetrepublik Tscheka: Steht für die Buchstaben im Russischen „ЧК“, die zusammen ausgesprochen „Tscheka“ ergeben; Abkürzung für „Sonderkommission zum Kampf gegen die Konterrevolution“; Vorgängerorganisation der  OGPU VKP(b): Allunions-Kommunistische Partei der  Bolschewiki, Name der  KP von 1925 bis 1952, bevor sie in  KPdSU umbenannt wurde Weiße Armee, Weiße Garden: Sammelbegriff für alle Truppen, die während des Bürgerkriegs (1918–1920) gegen die  Bolschewiki (die „Roten“) kämpften: von den Demokraten bis zu den Monarchisten; Weiße Garden sind entsprechende Freiwilligenverbände, die sich dem Kampf gegen die  Bolschewiki anschlossen Zentralkomitee (ZK): Repräsentiert zwischen den Parteitagen die Partei, setzt die von den Parteitagen beschlossenen Richtlinien um, wird vom Parteitag gewählt und setzt seinerseits das  Politbüro ein; tagte unter Breschnew in der Regel zweimal im Jahr im Plenum und bestand aus rund 400 Mitgliedern und Kandidaten Zentralrada: „Rada“ = ukrainisch für  Sowjet oder Rat, bezeichnet die Regierung der Ukraine (1917–1920) nach der Herauslösung aus dem Zarenreich, die von der deutschen Besatzungsmacht unterstützt und nach deren Abzug von den Bolschewiki vertrieben wurde

Abbildungsnachweis

Karte auf Vorsatz: Geoportost, Karte Nr. BV042516579, http://geoportost.ios-regensburg.de/map/BV042516579 Karte auf Nachsatz: © mr-kartographie Vladimir Musaėl’jan: 1, 2, 3, 5, 6, 8–13, 15, 19–23, 27–36. Muzej Istorii mista Kam’jans’kogo : 4 Ria Novosti/Rossiya Segodnya: 7 Central’nyj Gosudarstvennyj Archiv Kinofotodokumentov i Zvukozapisej, Foto Nr. 2-71805: 14 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 37b, l. 45: 16 GARF, f. R-7523, op. 78, d. 37v, l. 8: 17 Fond Gorbačeva, Foto Nr. Bo013: 18 © dpa-Bildarchiv, Fotograf: Alfred Hennig: 24 Archiv FSO 2-095-12-2: 25 picture alliance/akg-images: 26

Zeittafel

1906, 19. Dez. geboren in Kamenskoje (1936–2016 Dneprodserschinsk) 1915–1921 Besuch des Gymnasiums, ab 1919 der Ersten Werktätigenschule

1917 Februar- und Oktoberrevolution 1918–1920 Bürgerkrieg 1921/22 Hungersnot

1921–1926 1923–1927 1923 1927–1930

Packer in einer Speiseölfabrik in Kursk Student am Landwirtschaftlichen Technikum in Kursk Eintritt in den Komsomol Landneuordner im Ort Schemy (Landkreis Michailowsk, Gebiet Kursk) und in der Stadt Bissert (Bezirk Swerdlowsk im Ural) sowie in der Stadt Swerdlowsk Heirat mit Viktorija Petrowna Denissowa Geburt der Tochter Galina

1928 1929

1928–1932 erster Fünfjahrplan, Beginn der forcierten Schwerindustrialisierung bei gleichzeitiger Kollektivierung und Entkulakisierung der Landwirtschaft 1932/33 Hungersnot 1930, Sept.–Nov. 1930/31, Nov.–Feb. 1931 1931–1935 1931/32 1933 1933–1935

Student in Moskau am Kalinin-Institut für Landwirtschaftsmaschinenbau Schlosser in der Maschinenbaufabrik „Kommunarde“ in Saporoschje Aufnahme in die Partei Abendstudent am Arssenitschew-Institut für Metallurgie, Fakultät für Wärmekraft Arbeiter im Dserschinski-Metallwerk in Kamenskoje Geburt des Sohnes Juri Direktor der Arbeiterfakultät in Kamenskoje

Zeittafel

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1935, Jan. 1935 1936 1936/37

Abschluss des Studiums als Diplom-Ingenieur für Wärmekraft Ingenieur im Dserschinski-Metallwerk in Kamenskoje Wehrdienst in Tschita, Ferner Osten, in einer Panzerdivision Direktor des Metallurgischen Technikums in Dneprodserschinsk



1937/38 Großer Terror

1937, Mai 1937, Aug. 1937, Nov. 1938, Mai 1939, Feb. 1940, Sept. 1941, März

gewählt in das städtische Parteikomitee von Dneprodserschinsk stellvertretender Vorsitzender des Stadtrats (stellvertretender Bürgermeister) von Dneprodserschinsk gewählt ins Organisationsbüro des Parteikomitees von Dneprodserschinsk Leiter der Handelsabteilung im Gebietskomitee von Dnepropetrowsk Sekretär für Propaganda im Gebietskomitee von Dnepropetrowsk Dritter Sekretär im Gebietskomitee von Dnepropetrowsk Sekretär für Rüstungsfragen im Gebietskomitee von Dnepropetrowsk



1941, 22. Juni Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion

1941, Juni 1941, Sept. 1942, Aug.

Leiter eine Sondergruppe beim Militärrat der Südfront stellvertretender Leiter der Politverwaltung der Südfront stellvertretender Leiter der Politverwaltung der Nordkaukasusfront, ab September reorganisiert in Schwarzmeergruppe Leiter der Politabteilung der 18. Armee Leiter der Politverwaltung der 4. Ukrainischen Front Leiter der Politverwaltung des Karpaten-Wehrkreises Erster Sekretär des Gebiets- und Stadtkomitees von Saporoschje Erster Sekretär des Gebiets- und Stadtkomitees von Dnepropetrowsk Inspektor des ZK VKP(b) in Moskau Erster Sekretär der Sowjetrepublik Moldawien auf dem 19. Parteitag der VKP(b) als Kandidat ins Parteipräsidium und zum ZK-Sekretär gewählt, Zuständigkeit: Überwachung der Politverwaltung von Armee und Marine

1943, April 1945, Mai 1945, Aug. 1946, Sept. 1947, Nov. 1950, April 1950, Juli 1952, Okt.



1953, 5. März Tod Stalins

1953, März

vom Sekretärsposten entbunden und aus dem Parteipräsidium ausgeschlossen; stellvertretender Leiter der Politverwaltung im Verteidigungsministerium

648

Zeittafel



1953, Sept. Chruschtschow wird Erster Sekretär der KPdSU 1954 Beginn der Neulandkampagne in Kasachstan

1954, Feb. 1955, Aug. 1956, Feb.

Zweiter Sekretär der Sowjetrepublik Kasachstan Erster Sekretär der Sowjetrepublik Kasachstan auf dem 20. Parteitag der KPdSU als Kandidat ins Parteipräsidium und zum ZK-Sekretär gewählt 1957, Juni Vereitelung des Putschs gegen Chruschtschow; Wahl zum Mitglied des Parteipräsidiums (ab 1966 wieder Politbüro) 1958, März ZK-Sekretär mit Zuständigkeit Rüstungs-, Schwer- und Bauindustrie 1960, Mai Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets (Präsident der UdSSR) 1963, Juni erneut ZK-Sekretär 1964, Juli abgesetzt vom Posten des Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets (Präsident der UdSSR) 1964, 14. Okt. Absetzung Chruschtschows; Wahl zum Ersten Sekretär (ab 1966 wieder Generalsekretär) der KPdSU 1965, März Verabschiedung einer tiefgreifenden Landwirtschaftsreform auf dem März-Plenum 1965, Sept. Verabschiedung einer tiefgreifenden Wirtschaftsreform, der sogenannten Kossygin’schen Reform, auf dem September-Plenum

1966, Мärz 23. Parteitag 1966–1970 achter Fünfjahrplan

1968, Aug.

sanktioniert die Niederschlagung des Prager Frühlings



1970, 12. Aug. Unterschrift der Moskauer Verträge 1971, März–April 24. Parteitag 1971–1975 neunter Fünfjahrplan

1971, Sept. 1971, Okt. 1972, Mai 1973 1974

empfängt Brandt auf der Krim reist nach Paris unterschreibt SALT I in Moskau mit Nixon empfängt Pompidou bei Minsk, reist nach Bonn, Washington und Paris empfängt Pompidou und Nixon auf der Krim, Schmidt in Moskau, Ford in Wladiwostok und reist zu Giscard d’Estaing nach Paris 1975, 1. Aug. unterschreibt die Helsinki-Schlussakte 1975, Okt. empfängt Giscard d’Estaing in Moskau

Zeittafel

649



1976, Feb.–März 25. Parteitag 1976–1980 zehnter Fünfjahrplan

1976, April

1977, Juni 1978, Mai 1979, April 1979, Juni

Verleihung des Marschallrangs, Auftakt zu Feierlichkeiten zu seinem 70. Geburtstag am 19. Dezember 1976 Verabschiedung der neuen Verfassung; Wahl zum Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets (Präsidenten der UdSSR) unter Beibehaltung des Generalsekretärspostens reist nach Paris reist nach Bonn und Hamburg empfängt Giscard d’Estaing in Moskau unterschreibt SALT II in Wien mit Carter



1979, 12. Dez. NATO-Doppelbeschluss 1979, 25. Dez. Einmarsch in Afghanistan

1980, Mai 1980, Juni

trifft Giscard d’Estaing in Warschau empfängt Schmidt in Moskau



1981, Feb.–März 26. Parteitag 1981–1985 elfter Fünfjahrplan

1977, Mai

1981, Nov. reist nach Bonn 1982, 10. Nov. stirbt bei Moskau, beigesetzt an der Kremlmauer

Register Ortsregister Afghanistan 10, 24, 261, 266, 328, 393, 438, 457, 533, 534, 535, 536, 538, 539, 540, 590, 603, 616 Akmolinsk (Gebiet) 218, 231 Aktjubinsk (Gebiet) 230, 232, 236 Algier 263 Almaty (1921–1993 Alma-Ata) 97, 208, 211, 216, 221, 226, 231, 234, 235, 236, 237 Aserbaidschan 353, 361, 398, 579, 603 Astana siehe Tzelinograd (heute Astana) Äthiopien 262, 393, 526 Atrak (Fluss) 266 Baikalsee 435 Baku 361, 603 Barnaul 387 Belgorod 34, 59 Beloweschskaja Puschtscha 328 Berlin 9, 17 Bissert (Bezirk Swerdlowsk) 47, 49, 51, 52, 54, 55 Bombay 266 Bonn 261, 318, 331, 384, 480, 487, 488, 500, 501, 507, 508, 509, 511, 513, 514, 517, 518, 520, 524, 527, 531, 532, 538, 547, 589 Boulogne-Billancourt 510 Bratislava 267, 472, 473, 476 Brest-Litowsk 38 Brioni (Insel) 10 Buchtarma (Fluss) 234 Budapest 243, 244 Bukowina 95, 110 Bydgoszcz (deutsch Bromberg) 542

Camp David 507, 508, 512, 513, 514, 520 Charkow 98 Chernowitz (deutsch auch Tschernowitz, ukrainisch Tscherniwzi) 105 Chmelnizki 105 Čierna an der Theiss/Čierna nad Tissoj 468, 469, 472, 473, 474, 475, 479, 542 Conakry 263 ČSSR/Tschechoslowakei 25, 95, 102, 107, 109, 110, 243, 267, 305, 307, 361, 362, 430, 460, 461, 462, 464, 466, 467, 468, 472, 473 Czarny Dunajec 109 Dneprodserschinsk siehe Kamenskoje (ukrainisch Kamjanske, 1936–2016 Dneprodserschinsk, ukrainisch ­Dnipro­dserschinsk) Dnepropetrowsk siehe Jekaterinoslaw (1926–2016 Dnepropetrowsk, ukrainisch Dnipropetrowsk, seit 2016 Dnipro) Dnipro siehe Jekaterinoslaw (1926–2016 Dnepropetrowsk, ukrainisch Dnipropetrowsk, seit 2016 Dnipro) Dniprodserschinsk siehe Kamenskoje (ukrainisch Kamjanske, 1936–2016 Dneprodserschinsk, ukrainisch Dniprodserschinsk) Dnipropetrowsk siehe Jekaterinoslaw (1926–2016 Dnepropetrowsk, ukrainisch Dnipropetrowsk, seit 2016 Dnipro) Dnjepr (Fluss) 32, 22, 61, 88, 97 Dnjestr (Fluss) 179 Finnland 261, 264

Ortsregister

Ghana 204, 261, 264 Gorki siehe Nischni Nowgorod (1932– 1990 Gorki) Guinea 263, 264 Hamburg 584 Hohe Tatra (Gebirge) 109 Indien 43, 204, 235, 261, 266 Iran 261, 266, 267 Irtysch (Fluss) 223, 234 Isfahan 267 Jakarta 266 Jekaterinburg siehe Swerdlowsk/Jekaterinburg Jekaterinoslaw (1926–2016 Dnepropetrowsk, ukrainisch Dnipropetrowsk, seit 2016 Dnipro) 127, 129, 131, 134, 39, 40, 41, 143, 144, 145, 146, 147, 151, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 62, 80, 81, 90, 91, 92, 93, 96, 97, 101, 110, 115, 116, 118 Kajani 265 Kalkutta 266 Kamenskoje (ukrainisch Kamjanske, 1936–2016 Dneprodserschinsk, ukrainisch Dniprodserschinsk) 31, 32, 34, 35, 38, 18, 39, 40, 42, 43, 44, 49, 58, 59, 60, 62, 63, 67, 80, 81, 83, 88, 89, 90, 91, 92, 116 Kankan 263 Karaganda 231 Karlsbad 602 Karpaten (Gebirge) 24, 102, 105, 108, 109, 110, 112, 113, 115, 116 Karpaten-Ukraine 105, 110, 113 Karthum 266 Kassel 488 Kertsch 104 Kiew 131, 135, 139, 42, 141, 144, 145,

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150, 62, 95, 100, 104, 105, 108, 109, 118 Kischinjow (rumänisch Kischinau) 131, 156, 157, 159, 165, 176, 178, 179, 186, 234, 240 Kleines Land (Landzunge vor Noworossijsk) 94, 103, 116 Koktschetaw 319 Komsomolsk am Amur 445 Košice 109 Krim 18, 98, 104, 278, 306, 317, 323, 325, 327, 332, 455, 461, 473, 486, 493, 495, 496, 516, 518, 543, 574, 586, 588 Kujbyschew siehe Samara (1935–1990 Kujbyschew) Kursk 30, 34, 38, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50 Kustanaisk (Gebiet) 231 Labé 263 Leningrad siehe St. Petersburg (1924– 1991 Leningrad) Lwow (deutsch auch Lemberg, polnisch Lwów, ukrainisch Lwiw) 105, 114, 115 Madras 266 Mali 262 Marokko 262, 263 Marseille 496 Minsk 219, 444 Moldawien 129, 12, 18, 19, 155, 156, 157, 158, 160, 164, 168, 170, 171, 172, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 183, 184, 185, 186, 89, 189, 190, 203, 208, 209, 211, 114, 116, 214, 223, 231, 237, 247, 250, 254, 270, 312, 315, 334, 348, 358, 359, 361 Moskau 30, 129, 12, 15, 18, 43, 44, 24, 142, 152, 56, 154, 155, 58, 59, 67, 70, 177, 178, 81, 179, 183, 186, 89, 187, 188, 189, 92, 203, 108, 206, 207, 110, 210, 219, 232, 234, 236, 237, 240, 241,

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Register

244, 250, 253, 255, 258, 262, 269, 276, 277, 278, 297, 310, 313, 317, 319, 323, 324, 327, 331, 334, 335, 347, 370, 379, 384, 398, 427, 429, 430, 431, 432, 440, 442, 443, 460, 462, 466, 468, 471, 476, 477, 479, 483, 486, 487, 488, 490, 493, 496, 498, 499, 501, 503, 509, 512, 514, 515, 516, 518, 519, 520, 523, 525 Moskwa (Fluss) 317 Mukatschewo 107, 108 Nischni Nowgorod (1932–1990 Gorki) 438, 439 Nowolipetzk 387 Noworossijsk 102, 103, 104, 114 Nowotscherkassk 217, 295, 350, 368 Obninsk 434, 435 Odessa 443 Omsk 251 Orenburg 251 Orscha 49 Paris 17, 118, 331, 384, 401, 486, 498, 507, 509, 514, 516, 519, 522, 523, 524 Peking 393, 460, 500 Pensa 319 Perm 251 Pitsunda 278, 516 Posen (polnisch Poznań) 242 Prag 267, 368, 423, 460, 461, 462, 464, 465, 466, 468, 469, 476, 478, 482, 500, 539, 541, 543, 616

San Clemente 507 Saporoschje (ukrainisch Saporischja) 129, 131, 132, 133, 136, 137, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 149, 151, 59, 92, 116, 118 Saretschje (Regierungsdatscha) 324, 601, 611 Sawidowo (Jagdsitz) 45, 55, 268, 295, 308, 324, 327, 328, 329, 330, 332, 334, 436, 462, 502, 520, 525, 601 Schemy (Landkreis Michailowsk, Gebiet Kursk) 49 Schiras 267 Schitomir 104 Semipalatinsk 237 Sewastopol 443 Simferopol 494 Somalia 262 Stalingrad siehe Wolgograd (bis 1925 Zarizyn, 1925–1961 Stalingrad) Stawropol 115 St. Petersburg (1924–1991 Leningrad) 181, 219, 245, 267, 271, 319, 443, 583, 593, 598 Sudan 262, 265, 266 Sujew (Landkreis Bissert, Bezirk Swerd­ lowsk) 53 Swerdlowsk/Jekaterinburg 49, 51, 52, 53, 55, 56, 57, 58

Rambouillet 516, 522, 524, 592 Reschewsk (Bezirk Swerdlowsk) 57 Rostow am Don , 96, 97 Rumänien 175, 95, 102, 110 Ruthenien (Ostgalizien und Wolhynien) 110

Taischet 445 Taman (Halbinsel) 104 Taschkent 319, 591, 593 Togliatti 378, 379, 387 Tschechoslowakei 109 siehe ČSSR/ Tschechoslowakei Tschernigow (Gebiet) 232 Tschita 67 Twer 327 Tzelinograd (heute Astana) 237

Salawat (Baschkirien) 388, 389 Samara (1935–1990 Kujbyschew) 251

Ural siehe 30, 39, 48, 49, 50, 55, 56, 58, 59, 62, 70, 86

Personenregister

Uschgorod 105, 108, 113 Vereinigte Arabische Emirate 262 Versailles 498 Warschau 32, 210, 230, 243, 467, 472, 539, 542 Washington 17, 500, 512, 513, 518, 520, 532 Waskinsk (Landkreis Bissert, Bezirk Swerdlowsk) 53

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Winniza 105, 110 Wladiwostok 352, 481, 519, 520, 522, 525, 526, 533, 586 Wolgograd (bis 1925 Zarizyn, 1925–1961 Stalingrad) 98, 443 Wolynskoje (Regierungsdatscha) 308 Zakopane 109

Personenregister Abrassimow, Pjotr Andrejewitsch 486 Afanasjew, Viktor Grigorjewitsch 295 Afonow, Iwan Iljitsch 207 Agranowski, Anatoli Abramowitsch 21 Akimow, Grigori 162 Alexandrow-Agentow, Andrei Michailowitsch 261, 458, 471, 475, 478, 487, 491, 528, 530, 616 Alfjorow, Pawel Nikitowitsch 86, 90, 92 Alijew-Clan 398 Alijew, Haydar Alijewitsch 579 Allardt, Helmuth 488 Allilujewa, Swetlana Josefowna 315 Amin, Hafisullah 536, 538 Andrejew, Andrei Andrejewitsch 101 Andropow, Juri Wladimirowitsch , 15, 23, 92, 299, 306, 315, 323, 330, 356, 399, 419, 420, 424, 425, 426, 428, 429, 430, 431, 432, 433, 434, 435, 436, 437, 438, 439, 440, 468, 481, 482, 486, 491, 493, 499, 506, 517, 533, 534, 535, 539, 542, 545, 584, 586, 587, 590, 594, 597, 598, 600, 602, 604, 611, 612 Antonow, Oleg Konstantinowitsch 253 Arbatow, Georgi Arkadjewitsch 20, 295, 313, 482, 508, 535, 591 Aristow, Awerki Borisowitsch 245

Arssenitschew, Michail Iwanowitsch 39, 60 Attwood, William 264 Awtorchanow, Abdurachman Genasowitsch 14, 47 Baglanowa, Rosa Taschibajewna 237 Bahr, Egon 8, 431, 487, 488, 489, 491, 499, 501, 504, 531, 532, 538, 547, 548 Baibakow, Nikolai Konstantinowitsch 330, 380, 381, 383, 384, 386, 390, 393, 545 Bandera, Stepan 106 Bannikow, Nikolai Wassiljewitsch 447 Bardin, Iwan 60, 82 Barzel, Rainer 499 Bata, István 244 Beljak, Konstantin Nikolajewitsch 393 Beneš, Edvard 107, 108 Berija, Lawrenti Pawlowitsch 151, 184, 188, 236, 240, 247, 251, 333 Biden, Joe 440 Biľak, Vasiľ 467, 472, 476, 477, 540 Bloch, Marc 13 Bodjul, Iwan Iwanowitsch 157, 164, 170, 172, 176, 178, 179, 184, 185, 190, 334, 364, 579 Bogoras, Larissa Josefowna 429, 430 Bonner, Jelena Georgijewna 17

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Register

Borisow, Wladimir Jewgenjewitsch 432 Brandt, Willy 455, 479, 480, 485, 486, 487, 488, 489, 490, 491, 492, 493, 494, 495, 496, 497, 499, 500, 501, 504, 506, 507, 508, 512, 515, 516, 517, 518, 519, 520, 522, 525, 526, 527, 528, 537, 539, 547, 548, 575, 592, 616, 617 Brattschenko, Boris Fjodorowitsch 393 Breschnewa, Feoktista Iljewna (Schwester) 34 Breschnewa, Galina Leonidowna, Kosename Galja (Tochter) 48, 60, 186, 268, 584, 602 Breschnewa, Ljubow Jakowljewna (Nichte) 36, 55, 70, 82 Breschnewa, Natalja Denissowna, geb. Masolowa (Mutter) 31, 32, 34, 35, 110, 118 Breschnew, Andrei Jurjewitsch (Enkel) 325, 589, 602 Breschnewa, Vera Iljewna (Schwester) 29, 32, 34 Breschnewa, Viktorija Petrowna, geb. Denissowa (Ehefrau) 47, 48, 58, 59, 65, 186, 110, 118, 268, 325 Breschnew, Ilja Jakowljewitsch (Vater) 31, 32, 34, 35, 36, 38, 40, 42, 43, 44, 47 Breschnew, Jakob Iljitsch (Bruder) 29, 32, 34 Breschnew, Juri Leonidowitsch (Sohn) 15, 48, 60, 186, 496, 602 Brutentz, Karen Nerssessowitsch 301, 308, 311, 324, 595, 619 Brzezinski, Zbigniew 529 Bucharin, Nikolai Iwanowitsch 81 Budjonny, Semjon Michailowitsch 97 Bulanowa, Natalja Mikolajewna 18, 31 Bulganin, Nikolai Alexandrowitsch 188, 242, 245, 246, 249 Burjatze, Boris Iwanowitsch 611 Burlatsky, Fjodor 275, 276, 307, 313

Carter, Jimmy 483, 526, 527, 529, 530, 531, 532, 536, 537, 538, 546 Castro, Fidel 276, 329, 336 Castro, Raul 329 Ceaușescu, Nicolae 461, 471, 540, 543 Černík, Oldřich 467 Chaban-Delmas, Jacques 439, 440 Chinschtein, Alexander Jewsejewitsch 15 Chitrun, Lеоnid Iwanowitsch 393 Chlewnjuk, Oleg Witaljewitsch 130 Chruschtschowa, Nina Petrowna 268, 514 Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch 9, 10, 129, 12, 13, 132, 15, 134, 135, 138, 139, 140, 24, 45, 144, 151, 154, 155, 157, 162, 79, 80, 178, 81, 182, 183, 187, 90, 188, 189, 190, 191, 95, 101, 104, 105, 203, 204, 107, 205, 206, 207, 110, 210, 113, 211, 114, 213, 116, 214, 216, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 228, 229, 231, 232, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 252, 253, 254, 255, 258, 259, 260, 261, 264, 268, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 295, 296, 297, 298, 299, 300, 301, 303, 304, 307, 308, 310, 311, 312, 313, 315, 319, 320, 321, 323, 326, 327, 328, 331, 336, 337, 348, 353, 354, 356, 357, 358, 359, 370, 371, 373, 374, 378, 380, 387, 394, 395, 400, 414, 416, 417, 418, 420, 421, 422, 425, 427, 428, 433, 441, 442, 445, 446, 455 Chruschtschow, Sergei Nikititsch 275, 276, 278 Churchill, Winston 20 Connors, Chuck 514 Daniel, Juli Markowitsch 427, 428, 429, 430 Daud, König 535

Personenregister

de Gaulles, Charles 20, 484, 486, 491, 492 Delwin, Pawel Illarionowitsch 236 Demitschew, Pjotr Nilowitsch 295, 298 Denikin, Anton Iwanowitsch 39, 40 Dinkow, Wassili Alexandrowitsch 393 Dobrynin, Anatoli Fjodorowitsch 500, 548 Dornberg, John 13, 14, 35, 38, 90, 110, 112, 113 Doroschina, Galina 599 Dschaparow, Boris Alikjenowitsch 18 Dserschinski, Felix Edmundowitsch 64, 67 Dubček, Alexander 25, 462, 463, 464, 465, 466, 467, 468, 469, 470, 471, 472, 473, 474, 475, 476, 477, 478, 479, 519, 539, 540, 541, 542, 543 Dybenko, Pawel Jefimowitsch 39 Dymschitz, Benjamin Emmanuilowitsch 140, 141 Enlai, Zhou 460 Fainberg, Viktor Isaakowitsch 432 Falin, Walentin Michailowitsch 487, 488, 511, 513, 584, 600 Fedortschuk, Witali Wassiljewitsch 600 Fedosejew, Pjotr Nikolajewitsch 295 Fedotow, Gennadi 603 Fjodorow, Viktor Stepanowitsch 387 Ford, Gerald 481, 512, 519, 520, 521, 522, 525, 526, 527, 533 Furtzewa, Jekaterina Aleksejewna 245, 246, 248, 257, 326 Gabai, Ilja Jankelewitsch 431 Gagarin, Juri Aleksejewitsch 252, 253, 257, 446 Gandhi, Indira 204, 546 Garbusow, Wassili Fjodorowitsch 380 Gawrilenko, Nikolai Jestafjewitsch 145 Gawriljuk, Alexander 237 Georgadse, Michail Porfirjewitsch 257 Gierek, Edward 461, 530, 541, 589, 600

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Giscard d’Estaing, Valéry 20, 519, 522, 523, 524, 525, 526, 529, 536, 537, 539, 586, 589, 592, 594 Gladki, Dmitri Spiridonowitsch 183 Glasunow, Ilja Sergejewitsch 581 Goldin, Nikolai Wassiljewitsch 387 Golikow, Viktor Andrejewitsch 114, 231, 250, 308, 365, 368, 369 Goljawkin, Viktor Waldimirowitsch 583 Gomułka, Władysław 243, 460, 461, 464, 472, 478 Gorban, Boris Archipowitsch 158, 160, 161, 177, 182 Gorbanewskaja, Natalja Jewgenjewna 429 Gorbatschow, Michail Sergejewitsch 15, 23, 313, 367, 370, 371, 458, 535, 573, 591, 611, 613, 615, 617, 618 Gorlizki, Yoram 130 Gostew, Boris Iwanowitsch 365 Gretschko, Andrei Antonowitsch 103, 103, 105, 114, 115 Grigorenko, Pjotr Grigorjewitsch 99 Grigorjew, Nikifor Alexandrowitsch 39, 40 Grischin, Viktor Wassiljewitsch 189 Gruschewoi, Konstantin Stepanowitsch 90, 91, 92, 93, 95, 96, 97, 97 Gubarjow, Wladimir Stepanowitsch 21 Guillaume, Günter 517 Handler, Philipp 437 Hassan II., König von Marokko 263 Heikal, Mohammed 309, 310 Honecker, Erich 329, 461, 488, 517, 538, 540, 544, 597 Hough, Jerry 10 Husak, Gustav 478 Igmand, Alexander Danilowitsch 336 Ignatenko, Witali Nikititsch 21 Ignatow, Nikolai Grigorjewitsch 277

656

Register

Iljuschin, Sergei Wladimirowitsch 253 Inosemtzew, Nikolai Nikolajewitsch 482 Jackson, Henry M. 520 Jakir, Pjotr Jonowitsch 429, 430 Jakowlew, Alexander Nikolajewitsch 295 Jakowlew, Alexander Sergejewitsch 253 Jakowlew, Georgi Nikolajewitsch 23 Jakowlew, Iwan 235 Jakowlew, Iwan Dmitrijewitsch 233 Jangel, Michail Kusmitsch 251, 253 Jaruzelski, Wojciech 459, 541, 542, 543, 544, 545, 546, 592, 597 Jegorytschew, Nikolai Jegorjewitsch 313, 314, 442 Jerjomenko, Andrei Iwanowitsch 110, 112 Jeschewski, Alexander Alexandrowitsch 393 Jeschow, Nikolai Iwanowitsch 81 Jesenin-Wolpin, Аlexander Sergejewitsch 420 Jessenin, Sergei Alexandrowitsch 11 Johnson, Lyndon B. 500 Judin, Pawel Alexandrowitsch 139 Kádár, János 244, 460, 461, 464, 473 Kaganowitsch, Lasar Mojsejewitsch 138, 139, 140, 141, 142, 144, 145, 242, 243, 245, 246, 247, 248, 249 Kajurow, Juri Iwanowitsch 582 Kania, Stanisław 541, 542, 543, 544 Kapitonow, Iwan Wassiljewitsch 299, 597 Karibschanow, Fasil Karimowitsch 211, 227, 232 Karmal, Babrak 536 Karpow, Wladimir Wassiljewitsch 86 Kasanetz, Iwan Pawlowitsch 387, 388 Katharina II. (die Große) 300 Katschura, Boris Wassiljewitsch 319 Katuschew, Konstantin Fjodorowitsch 299

Kaul, Triloki Nath 43 Kekkonen, Silvi 265 Kekkonen, Urho 264, 329 Keldysch, Mstislaw Wsewolodowitsch 258, 435 Keworkow, Wjatscheslaw Jerwandowitsch 431, 486, 487, 491, 499, 514, 600 Kim, Juli Tscherssanowitsch 430 Kinschalow, Fjodor Nikolajewitsch 83, 86 Kio, Igor Emiljewitsch 268, 269 Kirilenko, Andrei Pawlowitsch 134, 141, 144, 154, 92, 115, 299, 323, 583 Kiritschenko, Aleksei Illarionowitsch 250 Kirow, Sergei Mironowitsch 181 Kissinger, Henry 499, 501, 502, 504, 505, 506, 512, 514, 515, 519, 520, 521, 522, 526, 586 Kolder, Drahomír 467, 471 Kolokolow, Boris Leonidowitsch 256 Kolonin, Semjon Jefimowitsch 101, 104 Konew, Iwan Stepanowitsch 243 Koroljow, Sergei Pawlowitsch 252 Korottschenko, Demjan Sergejewitsch 90 Korowjakowa, Nina Alexandrowna 586, 587 Kosior, Stanislaw Wikjentjewitsch 62, 81 Koslow, Frol Romanowitsch 269, 304 Kossarew, Michail 586 Kowaljow, Anatoli Gawrilowitsch 356 Kowal, Nikolai Grigorjewitsch 155, 156, 157, 159, 160 Krassin, Viktor Alexandrowitsch 420 Kreisky, Bruno 502 Kriegel, František 477 Krjutschkow, Nikolai Afanasjetwisch 234 Krugljak, Natan 36, 41, 42, 43, 43 Krupskaja, Nadeschda Konstantinowna 20

Personenregister

Kulakow, Fjodor Davydowitsch 299, 323, 354, 366, 367, 370, 602 Kulikow, Viktor Georgijewitsch 542 Kunajew, Dinmuchamed Achmedowitsch 214, 232, 235, 270, 366, 439, 580 Kusmin, Anatoli Nikolajewitsch 140, 141 Kusnetschewski, Wladimir Dmitrijewitsch 254 Ladynina, Marina Alexejewna 234 Lasarew, Artjom Markowitsch 181, 182, 183 Lathe, Heinz 487 Lednjow, Waleri Wadimowitsch 487, 488, 489, 491, 538 Lenin, Wladimir Iljitsch, bürgerlich Uljanow , 129, 20, 69, 205, 113, 274, 301, 311, 312, 326, 331, 332, 333, 365, 383, 414, 415, 416, 535, 575, 579, 580, 582 Lesetschko, Michail Awksentjewitsch 298 Lesselidse, Konstantin Nikolajewitsch 104 Lewtschenko, Tamara Nikolajewna 18 Lewytzkyj, Borys 115 Liberman, Jewssei Grigorjewitsch 372 Litwinow, Pawel Michailowitsch 420, 429, 430 Liwentzow, Wassili Andrejewitsch 212, 213, 219, 225, 226, 232, 233, 237 Lukitsch, Leonid Jefimowitsch 148, 149 Lumumba, Patrice 264 Lysenko, Trofim Denissowitsch 150, 224, 359 Lyssow, Semjon Semjonowitsch 82, 83, 86 MacDuffie, Marshall 132 Machno, Nestor 38, 39, 40 Majakowski, Wladimir Wladimirowitsch 46, 69 Makejew, Jefim Grigorjewitsch 83, 84, 85, 86

657

Malenkow, Georgi Maximilianowitsch 151, 157, 171, 172, 173, 175, 178, 179, 180, 182, 184, 188, 190, 191, 204, 205, 206, 210, 232, 233, 240, 242, 245, 247 Malinowski, Radion Jakowljewitsch 98, 278 Maltzew, Nikolai Aleksejewitsch 393 Maltzew, Terenti Semjonowitsch 225 Manajenkow, Josef Petrowitsch 82, 84 Mao Zedong 460, 500, 501 Marchais, Georges 508 Martschenko, Anatoli Tichonowitsch 431 Masolow, Denis 34 Masurow, Kirill Trofimowitsch 257, 318, 384, 597 Matjuschtschin, Fjodor Semjonowitsch 132, 133 Matzkewitsch, Wladimir Wladimirowitsch 237, 360 Maximow, Wladimir Jemeljanowitsch 420, 431 Mechlis, Lew Sacharowitsch 98, 99, 105, 107, 108, 110, 112, 115, 115, 118 Medunow, Sergei Fjodorowitsch 399 Medwedew, Roy 385 Medwedew, Roy Alexandrowitsch 14, 143, 154, 58, 83, 183, 214, 238, 332, 348 Medwedew, Schores Alexandrowitsch 431 Medwedew, Wladimir Timofejewitsch 20, 325, 337, 423, 425, 591, 599, 603 Melnik, Grigori Andrejewitsch 229, 232 Melnikow, Leonid Georgijewitsch 144, 145, 157 Mereschkowski, Dmitri Sergejewitsch 45 Merkel, Angela 10 Mikojan, Artjom Iwanotisch 242, 243, 244, 245, 246, 253, 272, 278, 297, 299, 460 Milajewa, Viktorija Jewgenjewna (Enkelin) 186, 602, 611

658

Register

Milajew, Jewgeni Timofejewitsch 186, 268 Mletschin, Leonid Michailowitsch 14, 22, 23, 45, 91, 101, 102, 118 Mochowa, Alla Wassiljewna 334 Mohammed V., König von Marokko 263, 264 Moisejenko, Nikolai Petrowitsch 134, 141 Moisejew, Nikolai 214 Molotow, Wjatscheslaw Michailowitsch 50, 56, 81, 96, 241, 242, 243 Morosow, Andrej Konstantinowitsch 38 Moskalenko, Kirill Semjonowitsch 102 Mschwanadse, Wassili Pawlowitsch 257, 269 Muchitdinow, Nuritdin Akramowitsch 246 Müller, Michael 9, 10, 112 Münnich, Ferenc 244 Murphy, Paul 13, 14, 41, 46, 53, 154, 62, 112 Mursin, Alexander Pawlowitsch 20, 21, 22 Musaeljan, Wladimir Gurgenowitsch 24, 25, 154, 118, 336, 461, 495, 496 Nagy, Imre 243, 244 Naidjonow, Pawel Andrejewitsch 144, 145 Nasser, Gamal Abdel 309, 310 Nedelin, Mitrofan Iwanowitsch 252, 253 Nehru, Jawaharlal 235 Nemec, František 107, 108 Neporoschny, Pjotr Stepanowitsch 393 Nesterenko, Daniil Potapowitsch 22 Nikolaus I. 300 Nixon, Richard 331, 347, 370, 479, 483, 486, 491, 499, 500, 501, 502, 503, 504, 505, 506, 507, 508, 509, 512, 513, 514, 515, 516, 518, 519, 521, 522, 547, 548, 575, 586, 616, 617, 643

Nkrumah, Kwame 204, 261, 264 Novotný, Antonín 243, 267, 461, 462, 464 Nowikow, Ignati Trofimowitsch 92 Okudschawa, Bulat Schalwowitsch 115 Orlowa, Ljubow Petrowna 234 Osernoi, Mark Jewstafjewitsch 150 Palavi, Rehza, Schah des Iran 266 Paperman, Wenjamin Moisejewitsch 82 Patolitschew, Nikolai Semjonowitsch 370 Pawlow, Georgi Sergejewitsch 92 Pawlow, Michail Alexandrowitsch 60 Pelikán, Jiří 471 Pelsche, Arwid Janowitsch 315, 489 Perwuchin, Michail Georgijewitsch 245 Peter I. (der Große) 313 Petljura, Semjon Wassiljewitsch 38 Petrow, Iwan Jefimowitsch 42, 43, 63, 105, 108 Petschenew, Wadim Alexejewitsch 55 Pichoja, Rudolf Germanotwisch 14 Pigaljow, Pjotr Filippowitsch 207, 208 Pjatakow, Georgi Leonidowitsch 81 Plisetskaja, Maja Мichailowna 333 Podgorny, Nikolai Viktorowitsch 269, 274, 275, 276, 277, 298, 299, 305, 310, 313, 315, 317, 319, 320, 372, 384, 385, 426, 434, 458, 460, 461, 488, 489, 492, 494, 503, 505, 506, 507, 515, 516, 519, 579, 581, 583, 587, 588, 590, 597, 617 Pokryschkin, Alexander Iwanowitsch 110 Pol, German Germanowitsch 63, 83 Polimbetov, Seitschan 236 Poljanski, Dmitri Stepanowitsch 276, 277 Pompidou, Georges 331, 401, 439, 481, 484, 485, 486, 488, 491, 492, 496, 497, 498, 500, 506, 507, 508, 509, 510, 515, 516, 518, 520, 523, 547, 616, 617

Personenregister

Ponomarenko, Panteleimon Kondratjewitsch 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 215, 216, 221, 224, 227, 228, 230, 231, 232, 233, 237, 238 Ponomarjow, Boris Nikolajewitsch 295, 305, 477, 482, 539 Postyschew, Pawel Petrowitsch 81 Pronin, Michail Andrejewitsch 107 Putin, Wladimir Wladimirowitsch 15 Radionow, Nikolai Nikolajewitsch 585, 586 Rafailow, Michail Markowitsch 82, 84, 85 Reagan, Ronald 531, 532 Rjabenko, Alexander Jakowljewitsch 92, 93, 479, 594 Rochet, Waldeck 462 Rogers, William P. 503 Roginetz, Michail Georgijewitsch 232, 233 Rokossowski, Konstantin Konstantinowitsch 243 Romanow, Grigori Wassiljewitsch 598 Rudenko, Roman Andrejewitsch 322, 438 Rud, Gerasim Jakowljewitsch 156, 159, 160, 161, 171, 172, 175, 177, 179, 186, 208 Russakow, Konstantin Viktorowitsch 295, 545 Saburow, Alexander Nikolajewitsch 245 Sacharow, Andrei Dmitrijewitsch 17, 25, 251, 252, 425, 432, 433, 434, 435, 436, 437, 438, 439, 440 Sachnin, Arkadi Jakowljewitsch 21 Sadiontschenko, Semjon Borisowitsch 90 Sagladin, Wadim Valentinowitsch 330, 439, 440, 482, 539 Sahm, Ulrich 488 Sakenow, Baisulda Sakenowitsch 235

659

Samjatin, Leonid Mitrofanowitsch 20, 21 Samoteikin, Jewgeni Matwejewitsch 379 Schachnasarow, Georgi Chosrojewitsch 311, 419, 544 Schajachmetow, Schumabaj Schajachmetowitsch 207, 208 Schalfejewa, Anna Wassiljewna 333 Schatalin, Nikolai Nikolajewitsch 157 Schdanow, Andrei Alexandrowitsch 130 Scheel, Walter 487, 488 Schelepin, Alexander Nikolajewitsch 219, 275, 276, 277, 278, 297, 298, 303, 313, 314, 315, 316, 320, 384, 425, 481, 489 Schelest, Petro Jefimowitsch 273, 274, 275, 276, 277, 296, 298, 304, 313, 317, 320, 325, 334, 355, 362, 467, 470, 471, 476, 479, 506, 583 Schepilow, Dmitri Trofimowitsch 242, 245 Schigalin, Wladimir Fjodorowitsch 388 Schikin, Josef Wassiljewitsch 112 Schischlin, Nikolai Wladimirowitsch 482 Schiwkow, Todor 243, 461, 464 Schmelzer, Robert 487 Schmidt, Helmut 480, 481, 486, 515, 519, 520, 522, 525, 526, 527, 528, 529, 531, 537, 538, 539, 546, 547, 548, 584, 600 Schmidt, Loki 515 Schochanowa, Warwara 154 Scholochow, Nikolai Alexandrowitsch 272 Schröder, Gerhard 10 Schtakalo, Josef Sacharowitsch 36, 41 Schtscherbin, Boris Jewdokimowitsch 352 Schtscherbitzki, Wladimir Wassiljewitsch 154, 270, 365, 600, 604, 617 Schtschjolokow, Nikolai Anissimowitsch 144, 177, 178, 269, 315, 323, 330, 334, 336, 398, 612

660

Register

Schubnikow, Georgi Maximowitsch 252 Schukow, Leonid Georgijewitsch 188, 94, 213, 243, 245, 246, 247, 248, 249 Schwernik, Nikolai Michailowitsch 246 Semitschastny, Wladimir Jefimowitsch 48, 154, 219, 250, 270, 275, 276, 277, 278, 296, 297, 299, 313, 315, 316, 320, 322, 334, 419, 424, 425, 426 Seydoux, Roger 329 Siad Barre, Mohamed 310 Šik, Ota 471 Simonow, Konstantin Michailowitsch 422 Sinjawski, Andrei Donatowitsch 427 Sinowjew, Grigori Jewsejewitsch 67 Sirotina, Tatjana 256 Slawski, Jefim Pawlowitsch 435 Smirnow, Andrei Andrejewitsch 499 Smrkovskij, Josef 467 Sniegon, Tomas 277 Sobatschenkow, Wladimir 603 Solomentzew, Michail Sergejewitsch 299, 597 Solschenizyn, Alexander Issajewitsch 25, 420, 424, 425, 430, 431 Sorin, Walerian Alexandrowitsch 486 Spiridonow, Iwan Wassiljewitsch 271 Stachanow, Alexei Grigorjewitsch 67 Stalin, Josef Wissarionowitsch, bürgerlich Dschugaschwili 127, 10, 11, 129, 130, 13, 131, 132, 15, 133, 134, 135, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 147, 50, 148, 150, 53, 56, 154, 57, 155, 156, 157, 158, 67, 165, 69, 168, 170, 171, 172, 174, 80, 178, 81, 179, 180, 182, 183, 184, 185, 89, 187, 90, 188, 190, 94, 97, 98, 99, 105, 204, 107, 207, 110, 210, 113, 211, 213, 116, 215, 216, 221, 222, 226, 229, 235, 237, 238, 239, 240, 242, 243, 245, 254, 258, 259, 261, 271, 274, 275, 298, 299, 300, 301, 302, 304, 307, 310, 311, 315, 320, 321,

323, 326, 327, 331, 335, 336, 337, 348, 352, 353, 356, 358, 359, 360, 394, 395, 400, 401, 419, 420, 421 Stebljow, Konstantin Grigorjewitsch 84 Stepanowitsch, Ljudmila 17 Stoph, Willi 488 Storonow, Oleg 574, 612 Strauß, Franz Josef 499, 508 Štrougal, Lubomír 467 Sturua, Melor Georgijewitsch 531 Suchodrew, Viktor Michailowitsch 256, 502, 505, 530 Suchoi, Pawel Ossipowitsch 253 Sukarno, Präsident Indonesiens 266 Suschikow, Muchamedgali Alenowitsch 211 Suslow, Michail Andrejewitsch 19, 20, 115, 242, 243, 244, 246, 274, 275, 276, 297, 305, 308, 313, 315, 316, 319, 323, 330, 334, 380, 384, 385, 388, 418, 425, 433, 436, 439, 489, 519, 540, 541, 542, 545, 546, 581, 584, 587, 590, 594, 596, 598, 599 Svoboda, Ludvik 109, 109 Taibekow, Jelubai Basilowitsch 232 Taraki, Nur Mohammed 535, 536 Taschenew, Schumabek Achmetowitsch 232 Taschijew, Ibrahim Taschijewitsch 211 Tereschtschkowa, Walentina Wladimirowna 266 Terjung, Knut 508 Tichonow, Nikolai Alexandrowitsch 154, 318, 323, 392, 579, 589, 590, 597, 602 Tito, Josip Broz 204, 267, 327, 328, 329, 460, 461, 471 Touré, Sékou 263, 264 Trapesnikow, Sergei Pawlowitsch 177, 178, 181, 183, 250, 308, 423, 435 Trotzki, Leo Dawydowitsch 39, 420 Tschalidse, Waleri Nikolajewitsch 420

Personenregister

Tschasow, Jewgeni Iwanowitcsh 23, 425, 508, 576, 584, 585, 586, 587, 589, 590, 593, 596, 597, 598, 599, 600, 602, 603 Tschernenko, Konstantin Ustinowitsch 15, 20, 21, 23, 177, 178, 183, 250, 255, 323, 330, 439, 525, 534, 584, 589, 590, 594, 596, 597, 598, 599, 600, 602, 603, 611 Tschernjajew, Anatoli Sergejewitsch 479, 573, 582, 597, 600, 615, 618 Tschernjak, Abram Grigorjewitsch 36 Tschertok, Boris Jewsejewitsch 252 Tscherwonenko, Stepan Wassiljewitsch 465 Tschokin, Schafik Tschokinowitsch 213 Tschurbanow, Juri Michailowitsch 336, 433, 584, 602, 611 Tsinjow, Georgi Karpowitsch 92 Tsukanow, Georgi Emanuilowitsch 92 Tupolew, Andrei Nikolajewitsch 253 Turjanitza, Iwan Iwanowitsch 108 Tzukanow, Georgi Emmanuilowitsch 154, 255 Tzwigun, Semjon Kusmitsch 176, 178, 182, 334 Ulbricht, Walter 243, 460, 461, 464, 472, 478, 488 Undassynow, Nurtas Dandibajewitsch 211, 232 Ustinow, Dmitri Fjodorowitsch 299, 323, 438, 533, 534, 535, 540, 542, 580, 584, 602 Utjossow, Leonid Ossipowitsch 11 Vanik, Charles 520 Viktorow, Alexei Iwanowitsch 82, 83, 85 Wałęsa, Lech 540 Wilson, Harold 484 Winogradow, Wladimir Michailowitsch 310 Wischnewskaja, Galina Pawlowna 333

661

Wladimirow, Wladislaw 20, 20 Wlassenko, Michail Dmitrijewitsch 229, 232 Wolkogonow, Dmitri Antonowitsch 14, 23, 100 Woronow, Gennadi Iwanowitsch 315, 506 Woroschilow, Kliment Jefremowitsch 61, 241, 245, 250, 255, 257 Wortman, Richard S. 300, 301, 303, 306 Wowereit, Klaus 9, 10

IGNAZ LOZO

DER PUTSCH GEGEN GORBATSCHOW UND DAS ENDE DER SOWJETUNION

August 1991: Panzer auf Moskaus Straßen, Ausnahmezustand, der sowjetische Staatspräsident unter Hausarrest. Der Putsch am 19. August markiert das Ende der Ära Gorbatschow und den von da an nicht mehr aufzuhaltenden Untergang der Weltmacht Sowjetunion. Diese Zäsur in der russischen Nachkriegsgeschichte konnte mangels solider Quellen bisher nicht verlässlich und umfassend untersucht werden. Das Buch von Ignaz Lozo schließt diese Lücke. Der Russlandexperte und ehemalige Moskau-Berichterstatter hat zahlreiche Dokumente ausgewertet, die in Russland offi ziell als Staatsgeheimnisse deklariert sind, und mehr als 30 Zeitzeugen befragt, darunter ehemalige Putschisten und Michail Gorbatschow selbst. War der sowjetische Präsident, wie oft behauptet, selbst einer der Verschwörer oder zumindest stiller Mitwisser? Lozos spannend geschriebenes Buch, untersucht die Hintergründe und analysiert die Ursachen für sein Scheitern. Ein historisch-politisches „Auf klärungsbuch“ im besten Sinne! Dieser Titel liegt auch für eReader, Tablet und Kindle vor. 2014. 501 S. 34 S/W-ABB. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-22230-7

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

WOLFGANG GEIERHOS

DER GROSSE UMBAU RUSSLANDS SCHWIERIGER WEG ZUR DEMOKRATIE IN DER ÄRA GORBATSCHOW (DRESDNER HISTORISCHE STUDIEN, BAND 12)

Die russische Revolution der Jahre 1985 bis 1991 ist vom Politbüro ausgegangen. Ihr Ziel war die Abschaffung der KPdSU und der Auf bau demokratischer Strukturen. Vorausgegangen war ein langer Kampf gegen den Stalinismus und die Erkenntnis, dass die Herrschaft der Kommunistischen Partei das Land in die ökologische Katastrophe, in die Überrüstung und die internationale Isolation geführt hatte. Da das System sich als reformunfähig erwiesen hatte, konnte nur ein kompletter Umbau des Staates Russland retten. Wolfgang Geierhos beschreibt diesen Weg. Die Entwicklungen in den anderen sozialistischen Staaten blieben dabei nicht ohne Einfluss auf die Sowjetunion selbst. Am Ende aber war nicht nur Russland von der bolschewistischen Herrschaft, sondern auch Europa vom »Eisernen Vorhang« befreit und Deutschland vereint. 2016. 425 S. GB. 150 X 230 MM | ISBN 978-3-412-50385-7

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HANNS JÜRGEN KÜSTERS (HG.)

DER ZERFALL DES SOWJETIMPERIUMS UND DEUTSCHLANDS WIEDERVEREINIGUNG THE DECLINE OF THE SOVIET EMPIRE AND GERMANY’S REUNIFICATION

Die Ereignisse des Mauerfalls und der Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in den ostmitteleuropäischen Staaten 1989/90 markierten das Ende der 45-jährigen Nachkriegszeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Entwicklungen der Jahre 1989 bis 1991 führten nicht nur zur Friedlichen Revolution in der DDR, dem Fall der Mauer und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Zugleich fanden friedliche Umwälzungen in allen ostmitteleuropäischen Staaten statt. Mit dem allmählichen Zerfall der DDR kündigte sich zugleich die Auflösung des Warschauer Paktes an, die einherging mit dem Niedergang der Sowjetunion und Ende 1991 zu ihrem Ende führte. Die Autoren dieses Sammelbandes analysieren in ihren Beiträgen, wie diese Entwicklungen zustande kamen und welche Auswirkungen der Niedergang des Sowjetimperiums auf die Entwicklung in Deutschland hatte. 2016. 262 S. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-50400-7

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