Der Schauspieler im spanischen Theater(1600-1681): Untersuchungen zu Berufsbild und Rolle in der Gesellschaft 9783964566829

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Der Schauspieler im spanischen Theater(1600-1681): Untersuchungen zu Berufsbild und Rolle in der Gesellschaft
 9783964566829

Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Der Schauspieler in der Truppe
3. Der Schauspieler im Aufführungsbetrieb
4. Der Schauspieler in der Gesellschaft
5. Ergebnisse
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Anhang: Truppenlisten 1602-1681
Abbildungen: Dokumente zur Geschichte der Cofradía de Nuestra Señora de la Novena

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Titelbild: Der Schauspieler Cosme Pérez („Juan Rana") auf einem anonymen Gemälde , das in der Real Academia Española, Madrid, aufbewahrt wird. Aufgenommen mit freundlicher Genehmigung von Don Alonso Zamora Vicente. Rückseite: Der Corral in Almagro/Mancha.

Editionen der Iberoamericana Reihe III Monographien und Aufsätze, 17

Josef Oehrlein

Der Schauspieler im spanischen Theater des Siglo de Oro (1600-1681) Untersuchungen zu Berufsbild und Rolle in der Gesellschaft

Verlag Klaus Dieter Vervuert 1986

CIP-Kurztitelaufnahme der D e u t s c h e n Bibliothek Oehrlein, Josef: Der Schauspieler im spanischen T h e a t e r des siglo de oro (1600-1681) : Unters, zu Berufsbild u. Rolle in d. Gesellschaft / Josef Oehrlein. - F r a n k f u r t / M . : Vervuert, 1986. (Editionen der Iberoamericana : Reihe 3, Monographien und Aufsätze ; 17) NE: Editionen der Iberoamericana / 03 ISBN 3-921600-46-4 © Verlag Klaus Dieter Vervuert, F r a n k f u r t / M . 1986 Alle Rechte vorbehalten. Printed in G e r m a n y

Pero estos representantes, antes que Dios amanece, escribiendo y estudiando desde las cinco a las nueve, y de las nueve a las doce se están ensayando siempre; comen, vanse a la comedia y salen de allí a las siete. Y cuando han de descansar, los llaman el presidente, los oidores, los alcaldes, los fiscales, los regentes, y a todos van a servir, a cualquier hora que quieren. Agustín de Rojas, El viaje entretenido

Vorbemerkung Die vorliegende Arbeit hätte in dieser Form ohne die Unterstützung und das Entgegenkommen zahlreicher Personen und Institutionen nicht entstehen können. Zu danken habe ich insbesondere Herrn Professor Arnold Rothe, Heidelberg, für die vielfaltigen Anregungen während der Forschungsarbeiten, Herrn Professor Bodo Müller für die ergänzenden Hinweise, Herrn Dieter Schirg für die unschätzbare Hilfe bei der Auswertung der Truppenlisten mit dem Elektronenrechner sowie Frau Ingrid Bartl für die Satzherstellung.

Inhalt

1

Einleitung

1.1 1.1.1

1.2.2

Eingrenzung des Themas, Spielstätten und Spielbetrieb Entstehung eines geregelten Theaterwesens: Die Corrales de comedias Das höfische Theater Die autos sacramentales auf der Corpus-Bühne Die Theateraufführung im Siglo de O r o als Ritual Der rituelle Charakter von a u t o sacramental. Corte-fiesta, Corral-comedia Der Schauspieler als „rituell Sachkundiger"

41 47

2

Der Schauspieler in der T r u p p e

50

2.1 2.2 2.3 2.4 2.4.1 2.4.2

51 53 54 57 62

2.6

Die compañías de título G r ö ß e der Truppen Truppenbildung - Vertragsabschluß Struktur der Truppen Der a u t o r de comedias Bedeutung familiärer Verbindungen für Entstehen und Existenz der Truppen: Antonio de Prado Kontinuität in der Besetzung der Rollenfächer: Escamilla und Vallejo Eingriffe von außen in die personelle Zusammensetzung der Truppen Die T r u p p e als stabilisierendes Element im Theaterwesen

3

Der Schauspieler im Aufführungsbetrieb

87

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.6

Tagesablauf Spielzeit im Jahreskreislauf Probenarbeit Das Repertoire Ablauf der A u f f ü h r u n g Die Textvorlage und ihre szenische Umsetzung Kostüme Bühnenbild und Maschinen Imitación de la naturaleza: Die Kunst des Schauspielers Der Schauspieler und das Publikum

1.1.2 1.1.3 1.2 1.2.1

2.4.3 2.5

9 11 18 28 33 38

68 73 78 83

87 89 94 99 104 107 110 116 123 128

4

Der Schauspieler in der Gesellschaft

133

4.1 4.2

135

4.2.3 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.3.1 4.3.3.2 4.3.3.3 4.3.3.4 4.3.3.5 4.3.4

Die wirtschaftliche Situation der Schauspieler D a s moralische Ansehen des Berufsstandes: Die Rolle des Schauspielers in der Jicitud"-Diskussion Die doppelte Moral: Eheleben der Schauspieler Mujer varonil und santa anacoreta: Die Frau auf der Bühne des Siglo de Oro Die Rolle des Schauspielers im Alltag und auf der Bühne Die Cofradía de Nuestra Señora de la N o v e n a Vorgeschichte der Cofradía Gründung der Cofradía Die Cofradía im Spiegel der Constituciones Introducción Führungspersonen Mitgliedschaft Finanzielle Grundlagen Leitung und Gemeinschaftsleben Entwicklung der Cofradía

4.3.5

Der Einfluß der Cofradía auf den Schauspielerberuf

188

5

Ergebnisse

193

Anmerkungen

198

Literaturverzeichnis

222

Anhang: Truppenlisten 1602-1681

233

Abbildungen: D o k u m e n t e zur Geschichte der Cofradía de Nuestra Señora de la Novena

271

4.2.1 4.2.2

144 151 154 160 167 170 172 174 174 175 178 180 183 186

1 Einleitung Die im Spanien des Siglo de Oro tätigen Schauspieler trugen nicht wenig dazu bei, d a ß das Theaterwesen in jener Epoche eine Blütezeit erlebte. Es ist schon von daher gerechtfertigt, die Entwicklung des Berufsstandes näher zu untersuchen und seinen Beitrag zum Gedeihen des Theaterbetriebs darzustellen. In der Hispanistik ist erst in jüngster Zeit das Interesse an disziplinübergreifenden und soziologisch ausgerichteten Studien zum Theater des Siglo de Oro so groß geworden, daß in einzelnen Arbeiten auch die Funktion des Schauspielers berücksichtigt wurde. Diese bisher veröffentlichten Untersuchungen ermöglichen jedoch nicht eine Beurteilung der Gesamtentwicklung des Berufs. Entweder sie enthalten zahlreiche Fakten, ohne Zusammenhänge zwischen den einzelnen Bereichen der schauspielerischen Tätigkeit herzustellen, oder sie sind von vorneherein auf einen sehr schmalen Ausschnitt eingegrenzt, so daß ein unvollständiges, vielleicht auch verzerrtes Bild von dem Berufsstand entsteht. Rennerts Darstellung 1 , eine der ältesten, enthält zwar eine Fülle von Fakten und meist auch heute noch gültigen Erkenntnissen, beschränkt sich jedoch auf die Zeit von Lope de Vega. Shergolds umfängliche Übersicht über die Entwicklung des Theaterbetriebs in Spanien 2 deckt zwar alle Phasen von den ersten Anfängen im Mittelalter bis zu Calderóns Tod ab, verzichtet aber darauf, die einzelnen Epochen und Sparten zueinander in Beziehung zu setzen, und verharrt in einer Schilderung des Schauspielerberufs von der technisch-handwerklichen Seite her. Diez Borque 3 wiederum bemüht sich, den Schauspieler in das gesellschaftliche Umfeld einzuordnen, berücksichtigt aber wiederum nur die Zeit des Wirkens von Lope de Vega und den Betrieb in den Corrales. Diez Borque hat sich erst jüngst dem religiösen Theater zum Fronleichnamsfest, den autos sacramentales Calderóns und allgemeineren Fragen dieses Sektors zugewandt. 4 Neben solchen grundlegenden Studien, die das Thema der vorliegenden Arbeit berühren, gibt es eine Reihe weiterer Untersuchungen, die noch sehr viel kleinere Ausschnitte und Aspekte des Theaterbetriebs zum Gegenstand haben, auf die im weiteren Verlauf zurückzukommen ist. Entscheidendes Merkmal des Wirkens der Schauspieler im Spanien des 17. Jahrhunderts war, daß sie - im Gegensatz zu ihren Kollegen in anderen Ländern - nicht nur zwei, sondern drei für ihr Berufsleben nahezu gleich wichtige Sparten zu bedienen hatten: neben dem Volkstheater in den Corrales und den Theatervorstellungen am Königshof mußten sie Jahr für Jahr die Aufführungen der autos sacramentales an Fronleichnam (Corpus) und in der Oktav des Festes gestalten. Diese Auftritte an nur wenigen Tagen könnten zu der Annahme verleiten, daß dieser Bereich schauspielerischer Betätigung von untergeordneter Bedeutung war und von den Akteuren gewissermaßen nebenbei erledigt wurde. Dagegen spricht jedoch das Faktum, d a ß gerade den theatralischen Darbietungen zum Corpus-Fest ein überaus hoher Rang vom Königshof, von der Stadt Madrid und auch der Kirche eingeräumt wurde, wie in einem der nächsten Abschnitte dieses einleitenden Kapitels auszuführen ist. Abgesehen davon, d a ß die Mitwirkung an den Fronleich9

nams-Feierlichkeiten für die betreffenden Schauspielertruppen mit bestimmten Vorteilen verbunden war (etwa dem Recht, die Corrales in Madrid in der Zeit zwischen Ostern und Corpus exklusiv zu bespielen), nahmen die Vorbereitungsarbeiten für die awro-Aufführungen die Schauspieler einen erheblichen Teil des Spieljahres in Anspruch. Um allen Aspekten der schauspielerischen Tätigkeit im spanischen Theater des 17. Jahrhunderts gerecht zu werden und Entwicklungstendenzen klarer erkennen zu können, ist es notwendig, einen größeren Zeitraum zugrundezulegen, alle drei Sparten, in denen die Schauspieler wirkten, heranzuziehen, den Stellenwert der Akteure im Gesamtereignis der Vorstellung zu ermitteln und Wechselbeziehungen zwischen den drei Sparten zu berücksichtigen. Weil sich das spanische Theater schon allein durch das Hinzukommen des religiösen Theaters von demjenigen in anderen Ländern während derselben Epoche unterscheidet, ist auf diesen Sektor das besondere Augenmerk zu richten. Damit wird aber auch unweigerlich das Verhältnis der Schauspielerschaft zu Religion, Moral und Kirche berührt, das ebenfalls einer genaueren Untersuchung bedarf. Aus seiner Einbindung in den aktiven Vollzug religiöser Rituale 5 ergibt sich so eine ganz andere Stellung des Schauspielers in der kirchlichen Gemeinschaft und damit auch in der Gesellschaft als in anderen Ländern. Über Molière etwa stellt K. Heitmann fest: „(...) kann Molière, der im übrigen als Komödiant außerhalb der Kirche stand, in wichtigen Hinsichten bereits als Wegbereiter der Kritik des 18. Jahrhunderts am Christentum gelten." 6 Was hier über Molière und seine theaterspielenden Landsleute gesagt wird, trifft auf die comediantes in Spanien nicht zu: Sie stehen nicht außerhalb der Kirche, sondern sie werden, wie bereits an ihrer Mitwirkung bei der Fronleichnams-Feier zu erkennen ist, in die Gestaltung religiöser Zeremonien einbezogen. Wie weit die Integration in das kirchliche Gemeinschaftsleben geht, wird im einzelnen darzustellen sein. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang eine genauere Analyse der Funktion der schon vom Namen her religiös geprägten Vereinigung der Schauspieler, der Cofradía de Nuestra Señora de la Novena. Die Gestalt Molières als Vergleichspunkt für den Theaterbetrieb in einem Spanien benachbarten Land weist auf einen weiteren gravierenden Unterschied zwischen spanischem und französischem Theater hin: Die Figur des Stücke schreibenden Dichters, der in Personalunion als Prinzipal einer Truppe auf der Bühne auftritt, ist im Spanien des 17. Jahrhunderts so gut wie unbekannt. Dort ist, von den frühen Anfängen und insbesondere einem Lope de Rueda abgesehen, eine strenge Funktionstrennung zu beobachten: Die einzige Aufgabe der Dichter besteht darin, Texte für die Aufführungen zu verfassen. Die szenische Umsetzung besorgen die Truppen (compañías), die von einem autor de comedias, dem Prinzipal, geleitet werden. Der Titel für den Truppenleiter ist allerdings mißverständlich. Er bezieht sich lediglich auf die Tatsache, d a ß der autor Texte für die jeweilige Vorstellung einrichtet. 7 Diese Arbeitsteilung, die während der gesamten Epoche durchgehalten wird, verhindert denn auch wechselseitige Beeinflussung beider Funktionen in einer Person, wie sie Heitmann wiederum am Beispiel von Molière

10

beschreibt: ,.(...) m a g auch der gesellschaftlich deklassierte Schauspieler Molière die Wertschätzung, die der Dichter e r f u h r , beeinträchtigt haben*'. 8 So k o n n t e freilich nicht umgekehrt die R e p u t a t i o n des Dichters die auch in Spanien kursierenden Ressentiments den Schauspielern gegenüber ausgleichen. Wenn d o r t der Darsteller eine Verbesserung seines Ansehens e r f u h r , geschah dies auf anderen Wegen. Da es auch nicht, wie etwa in England, üblich war, d a ß die Berufsschauspieler jeweils einem Adligen als Diener zugehörig waren und deshalb gesellschaftlichen Schutz und Privilege genossen 9 , k o n n t e ihr Prestige nur über offizielle staatliche, städtische oder kirchliche Stellen aufgewertet werden. Das Schauspielerwesen im Spanien des 17. J a h r h u n d e r t s weist gegenüber demjenigen in anderen Ländern a u ß e r der Einbeziehung in den religiöskirchlichen A u f f ü h r u n g s b e t r i e b 1 0 noch eine weitere Besonderheit auf: die Tatsache, d a ß F r a u e n bei den T h e a t e r d a r b i e t u n g e n mitwirken d u r f t e n (was sonst nur noch in den italienischen C o m m e d i a dell'arte-Truppen Brauch war). Dieses P h ä n o m e n , das gerade wegen der Beteiligung auch der weiblichen Berufsschauspieler an A u f f ü h r u n g e n mit eindeutig religiös ausgerichteter Thematik p a r a d o x a n m u t e t , ist n u r d a d u r c h zu erklären, d a ß dem Schauspieler in der Gesellschaft der Epoche eine besondere, wenn nicht gar privilegierte Stellung zugestanden wurde. O b das tatsächlich zutraf und worin mögliche Vorrechte bestanden - dies zu untersuchen ist eines der Ziele dieser Arbeit.

1.1 Eingren/.ung des Themas, Spielstätten und Spielbetrieb Theoretischer A u s g a n g s p u n k t ist die A u f f a s s u n g vom Theaterspiel als Ritual, dessen Ablauf im wesentlichen der Schauspieler bestimmt und steuert. Eine solche Betrachtungsweise vermag, wie im einzelnen nachzuweisen sein wird, gerade dem spanischen Barocktheater in besonderem M a ß e gerecht zu werden. F ü r die Analyse der F u n k t i o n des Schauspielers im Spanien des 17. J a h r h u n d e r t s auf dieser G r u n d l a g e k a n n auf eine Reihe von Studien zu Teilaspekten zurückgegriffen werden. Einzelne Themenbereiche (Spielstätten, A u f f ü h r u n g s p r a x i s ) werden deshalb hier eher resümierend dargestellt, soweit sie f ü r das Verständnis der weiteren A u s f ü h r u n g e n v o n n ö t e n sind. Zu anderen weniger erforschten Aspekten (etwa S t r u k t u r und Arbeitsweise der T r u p p e n ) o d e r zu bislang unrichtig dargestellten Einrichtungen des Schauspielerwesens ( C o f r a d i a d e la N o v e n a ) werden ausführliche U n t e r s u c h u n g e n vorgelegt. O b w o h l angestrebt ist, die Epoche als Einheit zu behandeln, innerhalb der sich die Entwicklung des Berufsbildes der Schauspieler vollzog, m u ß das T h e m a dieser Arbeit einer besseren Ü b e r sicht wegen eingegrenzt werden: zeitlich, geographisch und bezogen auf die von den Schauspielern bedienten Sparten.

11

Zeitliche Eingrenzung Die durch die Lebensdaten von Pedro C a l d e r ó n de la Barca (1600-1681) markierte Epoche ist in mehrfacher Hinsicht geeignet, als Untersuchungszeitraum zugrundegelegt zu werden: 1. Literarisch deckt sich Calderóns Zeil mit d e m sogenannten Siglo de Oro. Man läßt es gewöhnlich bereits mit den 80er Jahren des 16. Jahrhunderls beginnen. U n d nur dank dem „ P h ä n o m e n " Calderón bzw. dank dessen langer Lebensspanne erscheint es legitim, die genannte F.poche erst 1681 - sodann freilich abrupt enden zu lassen. Denn schon 1660 gibt es, zumal nach d e m T o d e von Baltasar Gracián (1658). in den letras anders als in der Kunst - niemanden mehr, der neben Calderón bestehen konnte. 2. Politisch, historisch dcckt sich Calderóns Lebensspanne mit der Entstehung und Fortentwicklung des Absolutismus, der in Spanien allerdings nie so recht funktionierte, weder im literarischen Siglo de O r o noch im darauffolgenden (achtzehnten) Jahrhundert. 3. Ideengesehiehilich deckt sich Calderón (sie) Leben und Werk mit der fortwirkenden Gegenreformation, deren Ziele Spanien von A n f a n g an, nämlich seit dem von spanischen T h e o l o g e n maßgeblich milgcslalteten Konzil von Trient (1545-1563) / u seinen eigenen m a c h t e . "

O h n e die Problematik der zeitlichen A b g r e n z u n g des Siglo de O r o aufzugreifen, ist festzustellen, d a ß sich die Entwicklung des Schauspielerwesens in dem genannten Zeitraum vollzieht. Sie folgt dabei jedoch einem eigenen R h y t h m u s . W ä h r e n d die T e x t - P r o d u k t i o n f ü r d a s Theater durch den „Wachwechsel" zwischen Lope de Vega und C a l d e r ó n um 1635, dem T o d e s j a h r Lopes, einen deutlichen Einschnitt e r f ä h r t 1 2 , liegt die entscheidende Z ä s u r im Schauspielerwesen in der Zeit von 1644 bis 1650. In diesen J a h ren ruhte der Vorstellungsbetrieb weitgehend; wegen des Todes der Königin Isabel de Borbón war 1644 (Dekret des C o n s e j o de Castilla vom 7. O k t o b e r ) nach kurzer W i e d e r a u f n a h m e des A u f f ü h r u n g s b e t r i e b s von 1646 an a u f g r u n d des T o d e s von Prinz Baltasar C a r l o s ein generelles Vorstellungsverbot ausgesprochen w o r d e n . 1 ' Dieses traf vor allem den Spielbetrieb in den Corrales. Autos sacramentales sind offensichtlich nur 1646 nicht dargeboten w o r d e n . 1 4 Auch im H o f t h e a t e r lag allem Anschein nach der A u f f ü h r u n g s b e trieb brach. Als es von 1649 an wieder Vorstellungen in den Corrales gab, wurden auch dort zunächst autos sacramentales gespielt. 1 5 Eine längere Verbotsphase markiert bereits den Beginn des Untersuchungszeitraums: Von Ende 1597 bis April 1599 1 0 ruhte der Spielbetrieb mit wenigen U n t e r b r e c h u n g e n , zunächst wegen des T o d e s der Schwester Philipps II. ( D o ñ a Catalina), schließlich nach dem T o d Philipps II. (1598). Diese Verbots-Spanne trennt somit sehr deutlich die A n f ä n g e des Theaterbetriebs, in denen sich die A u f f ü h r u n g s p r a x i s in den Corrales herausbildete und die sich ungefähr über d a s letzte Viertel des 16. J a h r h u n d e r t s erstreckten, vom eigentlichen U n t e r s u c h u n g s z e i t r a u m . Wegen ihrer Bedeutung für die spätere Entwicklung des Theaterwesens soll d e n n o c h diese Vorgeschichte 1 7 vergleichsweise ausführlich dargestellt werden. Zu Beginn des J a h r h u n d e r t s waren bereits alle wesentlichen Charakteristika des spanischen Theaterwesens entwickelt, moralische Einwände standen 12

einer geradezu dynamischen Entfaltung vorerst nicht mehr im Wege, seit der Frau der Zutritt zur Bühne gesichert blieb. 1 8 In der Zeit von 1600 bis 1681 verläuft die Geschichte des Theaterbetriebs in Spanien folgendermaßen: In den frühen Jahren, vom Beginn des J a h r h u n d e r t s bis in das dritte Dezennium, verfestigen sich die noch im 16. Jahrhundert vorgebildeten Strukturen derart, d a ß in den dreißiger Jahren von einem aufs höchste perfektionierten Spielbetrieb in den Corrales gesprochen werden kann. Nach dieser steten Aufwärtsentwicklung zeichnen sich Mitte der dreißiger Jahre erste Veränderungen ab: Das Corral-Theater erleidet wirtschaftliche Einbrüche, so d a ß sich die Stadt Madrid genötigt sieht, 1637/38 die Verwaltung dieser Spielstätten in eigene Regie zu übernehmen, nachdem dies bis dahin die städtischen Krankenhäuser und Pächter besorgt hatten. 1 " Mit dem Bau des Palastes von Buen Retiro A n f a n g der dreißiger Jahre stand zwar zunächst noch kein neues höfisches Theater zur Verfügung, dennoch war jetzt, neben dem nach wie vor für Aufführungen mit bescheidenerem Aufwand genutzten Alcázar, ein repräsentativer Palast im Entstehen, in dem sich Theater in entsprechend prachtvoller Weise zelebrieren ließ. Nachdem bereits verschiedentlich fiestas mit großangelegten theatralischen Darbietungen hauptsächlich im Freien stattgefunden hatten 2 0 , erhielt 1640 das höfische Theater mit der E r ö f f n u n g des Coliseo im RetiroPalast eine räumlich und technisch hervorragend ausgestattete Bühne. Zunächst änderte dies jedoch wenig am Verhältnis zwischen Corral- und Hof-Theater. Ein grundsätzlicher Wandel vollzog sich erst mit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs nach der Verbotszeit von 1644/46. In zunehmendem M a ß e forderte der Hof die Schauspieler, die nun nicht mehr im gewohnten U m f a n g das Corral-Theater bedienen konnten. Diese Verschiebung vom Corral- zum Corte-Theater ist die einzige größere Veränderung, die sich während des Untersuchungszeitraums vollzog. Die übrigen Verbotszeiten, selbst die außer den genannten längste von 1665 bis 1670 nach dem Tod Philipps IV., bewirkten in dieser Hinsicht keine Einschnitte in die Entwicklung des Theaterwesens. Der Spielbetrieb wurde jeweils unverzüglich wieder in den altgewohnten Formen aufgenommen. Der Corpus-Vorstellungsbetrieb verlief, von geringfügigen Modifikationen im Arrangement der Szenerie und in der Aufführungsfolge abgesehen, während des gesamten Untersuchungszeitraums in den gleichen, einmal eingefahrenen Bahnen. 2 1 Für die A u f f ü h r u n g der autos sacramentales in Madrid bedeutete jedoch die Verbotsphase von 1644/46 bis 1649 eine nicht unbeträchtliche Zäsur: Von den fünfziger Jahren an, seit der Wiederaufnahme geregelter Vorstellungen, bleibt Calderón bis zu seinem Tod exklusiver Verfasser der jährlich neu inszenierten autos. Ebenso wie Lopes Einfluß auf die Entstehung und Etablierung der comedia nueva und der entsprechenden Folgen für das Aufführungswesen in den Corrales 2 2 ist der Einfluß Calderóns auf das Genre des Fronleichnams-Theaters angesichts der Monopolstellung des Dichters nicht zu unterschätzen. Lopes vorrangige Produktion für das Corral-Theater koinzidierte in seinen späten Lebensjahren mit der recht umfangreichen Serie von Stücken Calderóns für den gleichen Theatertypus. Dies mag zu einem guten Teil er13

klären, weshalb das Corral-Theater gerade um die dreißiger Jahre seinen Höhepunkt erreicht. Mit einiger Berechtigung läßt sich die Entwicklung weg vom Corral- und hin zum Hoftheater mit Calderóns literarischer Tätigkeit in Verbindung bringen: Dentro de este carácter general de la dramática calderoniana deben distinguirse dos „épocas" o „estilos". En la primera hay todavía un estrecho contacto con el teatro realista, nacional, costumbrista, de Lope y sus discípulos (...). En el segundo. Calderón se distancia de la actitud realista y construye comedias políticas o simbólicas, con predominio de valores líricos o del contenido ideológico (...).- 3

Es fallt nicht schwer, diese zweite Art Calderónscher Stücke mit den mythologischen Festspielen für das Corte-Theater und den autos sacramentales in Verbindung zu bringen. Denn Calderón hat von 1651 an, dem Jahr, in dem er zum Priester geweiht wurde, nur noch für die Corte und das CorpusFest Stücke geschrieben. 2 4 Es soll freilich nicht verschwiegen werden, daß auch andere Verfasser mit ihren Stücken zur gedeihlichen Entwicklung des Theaterwesens im 17. Jahrhundert beigetragen haben. Der große Einfluß, den die Oeuvres von Lope de Vega und Calderón ausgeübt haben, rechtfertigt es jedoch, bei Untersuchungen zum Theaterbetrieb vor allem deren literarisches Schaffen für die Bühne zu berücksichtigen. Über die Entwicklung des Theaterwesens im Untersuchungszeitraum mit ihren drei Phasen der Frühzeit, der Blütezeit von den zwanziger bis zur Mitte der vierziger Jahre bei gleichzeitiger Dominanz des Corral-Theaters und einer späten Epoche, die die fünfziger bis siebziger Jahre umfaßt und in der das Corte- dem Corral-Theater den Rang ablief, konnte hier nur ein skizzenhafter Überblick gegeben werden. Entscheidend ist jedoch die Feststellung, daß die einmal herausgebildeten Formen der Theaterdarbietung in allen drei Sparten, von unerheblichen Modifikationen im organisatorischen Ablauf abgesehen, während des gesamten Untersuchungszeitraums gültig blieben. Geographische Eingrenzung: Madrid, Hauptstadt des Theaters Die professionellen Schauspielertruppen zogen durch das ganze Land und bedienten die Theater in allen größeren Städten. Dennoch ist es wenig sinnvoll, bei den Untersuchungen zu Funktion und Entwicklung des Berufsstandes die Auftritte der Schauspieler in allen diesen Orten berücksichtigen zu wollen. Dies würde zur Unübersichtlichkeit führen, da lokale Besonderheiten Arbeit und Erscheinungsbild der compañías verändern konnten. Um eine bessere Vergleichsgrundlage zu erhalten und eine einheitliche Beurteilung des Wirkens der seinerzeit tätigen und dokumentarisch erfaßten Schauspielertruppen zu erreichen, ist es sehr viel günstiger, einen Ort auszuwählen, an dem sich die Tätigkeit der Schauspieler konzentriert. Dafür bietet sich gewissermaßen von selbst Madrid an. Spätestens seit 1605, als der Hof endgültig nach Madrid übersiedelte, war die Villa y Corte der zentrale Ort, auf den das Schauspielerwesen ausgerichtet 14

war und von dem aus es auf die übrigen Regionen, Städte und Gemeinden ausstrahlte. In Madrid hatten die meisten Schauspieler einen Wohnsitz in einem bestimmten Stadtviertel. Die gesetzlichen Reglements für das Schauspielerwesen gingen von dem an der Corte beheimateten Consejo de Castilla aus. Die Stadt Madrid war zumindest zeitweise für den Spielbetrieb in den Corrales ebenso zuständig wie für die gesamte Ausrichtung der für das Land bedeutendsten Corpus-Feiern. Die autores de comedias stellten grundsätzlich in Madrid ihre Truppen zusammen. In Madrid erhielt die Bruderschaft der Schauspieler, die Cofradía de Nuestra Señora de la Novena, ihren Sitz. Madrid war schließlich die einzige Stadt, in der die Schauspieler ihren Beruf in allen drei Sparten, im Corral-, Corte- und Corpus-Theater, ausüben konnten. Dies alles sind wesentliche Gründe, die Madrid als Hauptstadt des Theaterwesens im 17. Jahrhundert ausweisen und die Villa auch als besonders geeignet erscheinen lassen, die Tätigkeit der Schauspieler auf ihrem Territorium näher zu untersuchen. Es soll jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß unter besonderen Aspekten auf Dokumente aus anderen Städten zurückgegriffen wird. Das Theaterpublikum in Madrid wies freilich gegenüber demjenigen in allen anderen Orten besondere Eigenschaften auf. Die Übersiedlung der Corte 1563 und endgültig 1605 bewirkte geradezu eine Bevölkerungsexplosion von rund zehntausend auf hunderttausend Bewohner; die schließlich erreichte Zahl von 150 000 Einwohnern blieb dann während des gesamten 17. Jahrhunderts konstant. 2 5 Abgesehen von einer mächtigen Bürokratie, die zahlreiche Personen beschäftigte, von Klerikern, Handwerkern und sonstigen Dienstleistenden fand vor allem ein Proletariat aus zahllosen Landflüchtigen in Madrid Unterschlupf. Die Bevölkerungszunahme in der Hauptstadt stand in krassem Gegensatz zur Entvölkerung weiter Landstriche: La razón es que a ella (sc. Madrid) acudían las ..reservas" humanas que no podían mantenerse en provincias. La Corte, a pesar de todo, permitía colocar c o m o criados y sirvientes, c o m o „mozos de trabajo", esportilleros y aguadores a emigrantes de toda Castilla, de Galicia y de Asturias. 2 6

Diese Entwicklung, die eine große Zahl von ociosos in die Villa schwemmte, hatte zur Folge, daß sich dort ein großes Reservoir potentieller Theatergänger ansammelte, die den Besuch der Corrales als willkommenen Zeitvertreib betrachteten. B. Kaufmann, die die gesellschaftlichen Verhältnisse und das Theaterpublikum näher analysiert hat, teilt die Zuschauerschaft denn auch in verschiedene Kategorien ein, je nach der Ursache für den Müßiggang beziehungsweise das Interesse am Theater: Arbeitslosigkeit, Arbeitsunwilligkeit, unregelmäßige Arbeitszeiten, Repräsentanz des Adels und der Oberschichten, das Bestreben der weiblichen Bevölkerung aller Schichten, den „eng umschriebenen Lebensbereich dadurch auszuweiten, daß man Theater zu d e m gesellschaftlichen Ereignis schlechthin deklarierte (...)" 27 . Das Phänomen der mächtigen männlichen Zuschauergruppe der mosqueteros im Stehparterre der Corrales und der nicht minder berüchtigten Zusammenballung der Frauen in der cazuela findet hier eine Erklärung. 2 8 15

Angehörige des Adels, des cabcillero-SVands, der hidalgos und letrados sowie die in gremios organisierten Handwerker stellten im übrigen d a s CorralPublikum, das auf diese Weise nahezu sämtliche Stände und Schichten umschloß. Dies bedeutet allerdings keineswegs, worauf auch B. K a u f m a n n hinweist 2 0 , d a ß das Publikum in seiner Einsichtsfähigkeit und Kennerschaft dem Bühnengeschehen gegenüber in ähnlicher Weise aufgespalten sein mußte - ein Problem, das im Verlauf dieser Arbeit ausführlicher zu untersuchen ist. 3 0 Der Königshof mit seinem Repräsentationsbedürfnis sorgte für eine fast kontinuierliche Beschäftigung der in Madrid anwesenden Truppen. Die compañías mußten sowohl spektakuläre höfische Feste mitgestalten als auch gewöhnliche Aufführungen mit Stücken aus ihrem Repertoire zur Unterhaltung der Herrscher geben. Die Corpus-Feiern in Madrid, mit der Darbietung der autos sacramentales als einem Höhepunkt, waren die prächtigsten im ganzen Land. Außerdem sorgte die Tatsache, d a ß zahlreiche Angehörige des Adels und der Diplomatie in Madrid wohnten, für eine Folge repräsentativer Aufführungen innerhalb der Oktav des Festes. 3 1 Gerade durch die theatralische Gestaltung der Corpus-Feiern in der Villa y Corte wurden die Schauspieler in besonderem M a ß gefordert und zu künstlerischen Höchstleistungen angespornt. Madrid ist weder eine typische noch durchschnittliche spanische Stadt im 17. Jahrhundert gewesen. Die zahlreichen Besonderheiten, die die Hauptstadt kennzeichneten, und ihre Auswirkungen auf das Theater-, damit auch das Schauspielerwesen, lassen jedoch bestimmte Charakteristika des hier zu untersuchenden Berufsstandes äußerst klar hervortreten. G e r a d e aus diesem G r u n d sind am Beispiel Madrid Erkenntnisse zu gewinnen, die bei einer notwendigerweise auch vergröbernden Übersicht über die Entwicklung des Schauspielerberufs im ganzen Land nicht herauszupräparieren wären. Eingrenzung der Sparten: Corral-, Corte-, Corpus-Theater Hinter den drei Genres Corral-, Corte- und Corpus-Theater verbarg sich selbstverständlich ein sehr viel breiteres Spektrum von Aufführungsarten, die die Schauspieler zu bedienen hatten. Es handelt sich dabei jedoch in den meisten Fällen um Mischformen und Abwandlungen. In den Corrales beispielsweise wurden neben den gewöhnlichen comedias auch autos sacramentales aufgeführt; die autos sacramentales wiederum stellten nicht die einzige Form religiösen Theaters dar, denn auch an anderen kirchlichen Festen wurden comedias a lo divino gespielt. Am Königshof gab es aufwendige Festvorstellungen ebenso wie routinemäßige íwweí//a-Darbietungen aus dem gängigen Repertoire der Truppen. Schließlich wurden aus diesem „ V o r r a t " auch die übrigen particulares - Privataufführungen in den Häusern nobler und/oder vermögender Persönlichkeiten - bestritten. Zwischenformen dieser Art sind jedoch für die Zwecke dieser Arbeit ohne Belang, da sie für die Entwicklung des Berufsbildes der Schauspieler keine prägende Wirkung hatten. Das kann nur von dem in jeder Sparte 16

vorherrschenden Typus behauptet werden. Wie sich im Kapitel über die Theatertruppen zeigen wird, beeinflußt die Mitwirkung der Schauspieler an den Feierlichkeiten des Fronleichnamsfestes durch die Aufführung der autos sacramentales in sehr direkter Weise die Ausübung ihres Berufes (Eingriffsmöglichkeiten der Corpus-Kommission in die Zusammensetzung der compañías; Elitebildung). In die Corra]-comedia als wichtigstem Typus des Volkstheaters sind auch die particulares am Königshof wie in den Privathäusern eingeschlossen; die Privataufführungen unterscheiden sich nicht im Ablauf, sondern allenfalls durch eine modifizierte technische Ausführung von den Corral-Vorstellungen. Die «w/o-Darbietungen in den Corrales können schon deshalb vernachlässigt werden, weil sie eher eine Ausnahme darstellen (nach dem Verbot von 1644/46-1649 als Ersatz für comedias). Bei den übrigen religiösen Theateraufführungen ist es unerheblich, ob sie eher dem auto oder der comedia zugehören, da sie in beiden Sparten vorkommen. Im Hoftheater bleiben nach der Ausgliederung der particulares die großen fiestas, obwohl auch hier das eine vom anderen nicht immer eindeutig zu trennen ist und die Abgrenzung zum „Fest" in nichttheatralischer oder auch kirchlicher Hinsicht problematisch ist. Unter Hoftheater sollen im folgenden jene fiestas verstanden werden, bei denen die in den Palästen installierte Theatermaschinerie benutzt wurde, und es sollen überhaupt die Vorstellungen einbezogen sein, die im künstlerischen und technischen Aufwand über alltagliche < o/wí//Y/-Aufführungen hinausgingen. Weder Corral-comedia noch auto sacramental noch höfische fiesta sollen jedoch jeweils isoliert betrachtet werden, obwohl sie das Kernstück jeder Aufführung darstellen. Es wird vielmehr von entscheidender Bedeutung sein, sie in den Zusammenhang zu den mit ihnen gemeinsam dargebotenen géneros menores (Vor- und Zwischenspiele, Tänze, Musik) zu stellen und als Theaterereignis die Gesamtheit aller dieser Elemente anzusehen. 32 Die Verwendung von Musik in den Vorstellungen führte schließlich zur Entstehung eines neuen Genres, der zarzuela, nachdem der Versuch offensichtlich fehlgeschlagen war, die Oper italienischer Provenienz in Spanien heimisch zu machen. Die einzigen nachzuweisenden Experimente dieser Art waren die Aufführungen von Lope de Vegas La selva sin amor (1629) sowie von Calderóns La púrpura de la rosa (1659) und Celos aun del aire matan (1660). 33 Die zarzuela, deren Geschichte offiziell mit Calderóns El golfo de las Sirenas (1657) beginnt 3 4 , unterschied sich von der Oper im wesentlichen dadurch, daß die Musik nicht durchgängig komponiert war, das heißt Rezitative die Gesangsteile miteinander verbanden, sondern daß gesprochener Text und musikalisierte Partien einander abwechselten und sich ungefähr die Waage hielten. Von der ganz gesprochenen oder nur in geringem Maß mit Musik untermalten comedia unterscheidet sich die im königlichen Ruhesitz und Jagdschloß La Zarzuela bei Madrid entstandene Gattung vor allem durch ihre Zweiaktigkeit (die comedia umfaßte grundsätzlich drei jornadas):

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en dos actos dividida, donde al estilo atendiendo de las zarzuelas, se canta y se representa 15

Calderón war einer der eifrigsten Lieferanten von zarzuela-Texten, aber auch andere Dichter haben es in diesem Genre zu einigem Ruhm gebracht: Antonio Solis, Juan Bautista Diamante, Francisco de Avellaneda, Melchor Fernández de León. 36 Die zarzuela im 17. Jahrhundert war, ganz anders als die volkstümlicher Thematik zugewandte Gattung gleichen Namens, die im 19. Jahrhundert Triumphe feierte, ausschließlich ein höfisches Theatervergnügen, was nicht zuletzt an der in aller Regel der antiken Mythologie entnommenen Thematik abzulesen ist. Da sie außer der Vertonung einzelner Textpartien und ihrer zweiaktigen Gestalt gegenüber den herkömmlichen Corte-fiestas keine auffuhrungstechnischen Besonderheiten zeigt und die zarzwe/a-Darbietungen von den gleichen Truppen besorgt wurden, die auch die comedias spielten, wird die zarzuela in dieser Arbeit nicht eigens berücksichtigt. Corral-comedia, auto sacramental und höfische fiesta sind also die drei Sparten, auf die bezogen die Tätigkeit der Schauspieler im 17. Jahrhundert zu untersuchen ist. Zunächst sollen diese drei Genres im Hinblick auf die jeweiligen Spielstätten und die Organisation des Aufführungsbetriebs im Überblick dargestellt werden. Wie bereits angedeutet, wird dabei anhand des Corral-Theaters auch die Entwicklung in jener Phase skizziert, die dem Untersuchungszeitraum voranging und in der die Grundlagen für die weitere Entfaltung gelegt wurden. 1.1.1 Entstehung eines geregelten Theaterwesens: Die Corrales de comedias Die Tätigkeit von Berufsschauspielern bedingt einen mehr oder weniger geregelten Theaterbetrieb mit festem Aufführungsort. In den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts setzt in Spanien eine Entwicklung ein, die in recht kurzer Zeit ein erstaunlich gut organisiertes Vorstellungswesen hervorbringt. Obwohl Madrid nicht die einzige Stadt war, in der feste Spielstätten eingerichtet wurden 3 7 , gingen von dort die wesentlichen Impulse aus. Eng mit der Veranstaltung der ersten Aufführungen in den für diese Zwecke hergerichteten Innenhöfen von Häusern, den Corrales de comedias, ist das Wirken religiöser Bruderschaften verbunden, die den Theaterbetrieb für ihre mildtätigen Zwecke dienstbar machten, ihn dadurch aber auch in ein streng kommerzielles Reglement einspannten, was entscheidend zur Professionalisierung des Schauspielerberufs beitrug. Die Vorgeschichte des Theaterbetriebs in den Madrider Corrales 38 beginnt im Jahr 1565, in dem die Cofradía de la Pasión y Sangre de Jesucristo gegründet wird. Ihr folgt am 2. Mai 1567 die Cofradía de la Soledad de Nuestra Señora. Die zuerst genannte Cofradía hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Armen zu versorgen. Zu diesem Zweck unterhielt sie ein Hospital in der Calle de Toledo. Die erste dokumentierte Theateraufführung, die ihr 18

Einkünfte verschaffte, hat am 5. Mai 1568 im Innenhof des der Cofradía gehörenden Hauses stattgefunden. 3 9 Es spielte damals die Truppe von Alonso Velázquez. Die Bruderschaft ließ weitere Innenhöfe in der Stadt für Theatervorstellungen herrichten, so etwa den zum Hause der Isabel Pacheco gehörenden Corral de la Pacheca in der Calle del Principe, einen anderen in der Calle del Sol. Über die Benutzung eines weiteren Corráis auf dem Grundstück eines gewissen N. Burguillos entbrannte 1574 ein Streit zwischen den beiden Cofradías, der schließlich in eine Übereinkunft mündete: Die Cofradía de la Pasión sollte künftig zwei Drittel der Einkünfte erhalten, aber auch zwei Drittel der Kosten für die Reparaturarbeiten in den Corrales übernehmen. Die Cofradía de la Soledad sollte ein Drittel der Einnahmen kassieren dürfen und sich mit dem gleichen Anteil an den Ausgaben für die Reparaturen beteiligen. 40 Diese Aufteilung deutet auf ein Ungleichgewicht in der Größe und Bedeutung, wohl auch im Engagement für die Organisation der Theateraufführungen hin. Hauptspielstätte für die Cofradía de la Pasión wurde fortan der Corral de la Pacheca. Die Cofradía de la Soledad, die sich vor allem der Fürsorge für ausgesetzte Kinder und Waisen widmete, ließ vorwiegend im Corral de Burguillos spielen. Beide Bruderschaften behielten sich das Recht vor, compañías, die in Madrid auftreten wollten, einen der Corrales zuzuteilen. Zu den bereits existierenden Spielstätten kamen andere hinzu, wie etwa der Corral de Valdivieso und der zum Anwesen des Cristóbal de la Puente in der Calle del Lobo gehörende Corral. 4 1 Die beiden Bruderschaften bestellten einen für beide Cofradías zuständigen mayordomo*2, der die Abrechnung der Einkünfte besorgte. Die Aufführungen in den bis dahin genutzten Corrales müssen noch auf reichlich improvisierte Weise vonstatten gegangen sein. Jedenfalls entschlossen sich die Cofradías Ende der siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts, Corrales nach ihren Vorstellungen und nach den Bedürfnissen von Schauspielern und Publikum einzurichten. Zu diesem Zweck kauften sie am 12. Oktober 1579 das Gelände und Gebäude für den künftigen Corral de la Cruz an der Calle de la Cruz. Die erste Vorstellung fand dort am 29. November 1579 statt. 4 3 Die Herrichtung eines zweiten Corráis folgte nicht viel später: Im Februar 1582 erwarben die Bruderschaften das entsprechende Anwesen, das aus zwei Häusern und zwei Innenhöfen bestand. Deren Umgestaltung zu einer Theaterspielstätte war jedoch keineswegs abgeschlossen, als der neue Corral del Príncipe, an der Calle del Principe, am 21. September 1583 in Betrieb genommen wurde. 4 4 An der Finanzierung beider Projekte hatten sich sogar Schauspieler beteiligt, „inducidos ya del deseo de hacer bien á los pobres enfermos", wie Pellicer vermutet 4 5 , vielleicht aber auch ganz einfach nur, um die Arbeiten beschleunigen zu helfen und möglichst bald zu einer komplett ausgestatteten Spielstätte zu kommen. Die Truppen von Juan Granados und Alonso de Cisneros gaben Benefizvorstellungen und führten das dabei eingenommene Geld für die Herrichtung des Corral de la Cruz ab. 19

Die beiden neuen Corrales erhielten eine Ausstattung, die den noch recht bescheidenen Anforderungen entsprach. In den beiden Theaterhöfen wurden im darauffolgenden Jahrhundert zwar immer wieder Reparaturen erledigt 4 6 , doch ihre Gestalt und Struktur ist nie entscheidend geändert worden. In den zwei Madrider Corrales wurde im Siglo de O r o das spanische Volkstheater zu seiner Blüte geführt. Die Corrales del Príncipe und de la Cruz waren die Uraufführungsstätten zahlloser Stücke der bedeutendsten spanischen Dramatiker der Epoche, Lope de Vegas, Tirso de Molinas, Calderón de la Barcas und zahlloser poetae minores. Es dauerte nur kurze Zeit, bis die zwei Theater alle übrigen öffentlichen Spielstätten in der Stadt abgelöst hatten. 4 7 Als 1605 der Königshof endgültig von Valladolid nach Madrid umzog, verlieh dies der Entwicklung des Theaterbetriebs in den Corrales einen zusätzlichen Schub. Der Corral de la Cruz und der Corral del Príncipe lagen k a u m 200 Meter voneinander entfernt 4 8 im gleichen Stadtviertel (heute: Cortes, das im Norden ungefähr von der Puerta del Sol und der Calle de Alcalá, im Osten vom Paseo del Prado, im Süden von der Calle de Atocha, im Westen von der Calle Carretas begrenzt wird). Bis in unsere Tage hat die Zone den Ruf, Theaterviertel zu sein, behalten. Sie beherbergt gegenwärtig ein gutes Drittel der Madrider Bühnen. 4 " Im Bereich der beiden Corrales (an der Stelle des Corral del Principe steht heute das Teatro Español) war von jeher der Treffpunkt der Schauspieler. 5 0 Dort wurden die Truppen gebildet und Verträge für die Mitwirkung in den compañías abgeschlossen. Die zwei Corrales gehörten seinerzeit zur gleichen Pfarrgemeinde: San Sebastián. Nicht allein dies war ausschlaggebend d a f ü r , d a ß in dieser Kirche in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts die Bruderschaft der Schauspieler, die Cofradía de Nuestra Señora de la Novena, gegründet wurde und dort ihr Zentrum hatte. In dem Viertel wohnten nahezu alle Schauspieler." Da sie auch organisatorisch eine Einheit bildeten, sollen die beiden Corrales, die von ihrem A u f b a u her keine, in Größe, Gestalt und einigen Details nur geringfügige Unterschiede aufwiesen, im folgenden gemeinsam dargestellt werden. Von den Madrider Corrales sind keine zeitgenössischen Darstellungen bekannt, die ein eindeutiges Bild von ihrer Gestalt und ihrem A u f b a u vermitteln könnten. Dennoch läßt sich aus Dokumenten, späteren Plänen 5 2 und anderen Quellen eine brauchbare Vorstellung über ihr Erscheinungsbild gewinnen. 5 3 Auf dem Plan von Teixeira 5 4 , der die Stadt aus der Vogelperspektive mit „realistisch", aber keineswegs naturgetreu gezeichneten Häusern darstellt, ist zu erkennen, d a ß jeder der zwei Corrales in ein kompliziertes Geflecht von aneinanderliegenden, zu manzanas zusammengewachsenen Häusern integriert war. In den zur jeweils den N a m e n gebenden Straße hin gelegenen Häusern befanden sich die Eingänge, Treppen, ein Geschäft (zur Straße hin), ein Vorhof und ein R a u m , der als contaduría und auch als G a r d e r o b e 5 5 genutzt wurde. Vermutlich enthielten die Häuser auch eine W o h n u n g für den Pächter, den arrendador. Als Schutz vor allzu großer Sonneneinstrahlung, aber nicht vor Regen, wurde - da die Aufführungen nachmittags stattfanden - allenfalls ein Segeltuch über den Innenhof 20

gespannt. Der patio selbst blieb vermutlich weitgehend frei von Stühlen, Bänken oder ähnlichem. Es war der Platz f ü r die mosqueteros, die M ä n n e r im Stehparterre. An den beiden Seiten des Innenhofes befanden sich Tribünen, gradas56, mit Sitzgelegenheiten. Die Gänge unter den gradas führten zur Bühne und zu den Umkleideräumen der Schauspieler an der dem Eingang gegenüberliegenden Schmalseite des Hofes. Über den gradas lagen die aposentos, gewissermaßen Logen, zum Teil nichts anderes als R ä u m e in den benachbarten Häusern, deren Fenster zum Corral gingen. Gelegentlich wurden solche Öffnungen auch nachträglich eingebaut. 5 7 Die aposentos konnten mit Gittern oder Jalousien, rejas oder celosías, versehen sein. Auf der am Eingang liegenden, der Bühne entgegengesetzten Schmalseite befanden sich auf ebener Erde außer zwei kleinen aposentos für den Pächter und eine weitere Person keine anderen Einrichtungen. 5 8 Im ersten Stock, eventuell bereits auf der Höhe der gradas, war eine Galerie, zu der alleine Frauen Zutritt hatten, in der Frühzeit corredor oder auch gradas de mujeres genannt. Später erhielt sie die sicher ironisch gemeinte Bezeichnung cazuela, die sich auch durchsetzte. 5 9 Im Laufe der Zeit, vor allem in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als das Interesse am Theater in den Corrales immer größer wurde, mußten ständig bauliche Veränderungen vorgenommen werden, die einer Erweiterung und besseren Ausstattung des Zuschauerraumes zugutekamen. Da sich der Hof nicht beliebig vergrößern ließ, wurden diese Arbeiten vor allem auf die oberen Stockwerke konzentriert. Dort entstanden über den aposentos auf den beiden Längsseiten desvanes, wohl tatsächlich nichts anderes als ausgebaute Speicher. Insgesamt 17 (8 links, 9 rechts) werden sowohl für den Corral de la Cruz als auch für den Corral del Principe 6 0 genannt. Im obersten Stockwerk auf der der Bühne gegenüberliegenden Seite scheint eine zweite cazuela untergebracht worden zu sein. In den Dokumenten, die Arróniz zitiert, ist jedenfalls von cazuela principal und cazuela alta die Rede. 6 2 Über die Verwendung der über der cazuela principal gelegenen Stockwerke ist keine endgültige Klarheit zu gewinnen. Auf den Handzeichnungen aus dem 18. Jahrhundert erscheint jeweils nur eine cazuela-Etage, es mag aber durchaus die Möglichkeit bestanden haben, d a ß sie unterteilt war. Darüber lagen vermutlich die Logen des Consejo de Castilla und der Stadt M a d r i d . 6 3 G a n z oben ist auf den Zeichnungen eine sogenannte tertulia64 zu erkennen, im Principe mit einer angedeuteten Balustrade. Sie scheint wie die cazuela(s), die Logen des Consejo und der Stadt die gesamte Corral-Rückseite eingenommen zu haben. Es ist zwar möglich, d a ß ein Teil dieser tertulia als cazuela benutzt wurde, wie Arróniz annimmt, aber nicht sehr wahrscheinlich, wenn man bedenkt, wie streng die Trennung von Männern und Frauen im Corral gehandhabt wurde. Der Zuschauerraum der Corrales hatte, zusammengefaßt, folgenden A u f b a u 6 5 : Der Innenhof, der patio, blieb freie Fläche für die mosqueteros. An den beiden Längsseiten befanden sich gradas, darüber zwei Stockwerke von aposentos, wovon das obere die bessere Kategorie darstellte 6 6 , vor den aposentos verliefen corredores. G a n z oben, unter dem Dach, waren die desvalí

nes untergebracht. Auf der Schmalseite der Corrales gegenüber der Bühne lagen im Parterre links und rechts je ein kleines aposento, darüber - über die gesamte Breite - die cazuela(s) der Frauen, darüber die aposentos des Consej o de Castilla und der Villa de Madrid, darüber die tertulia, die manchmal auch zu den seitlich anschließenden desvanes gerechnet wird. 6 7 Strenges Prinzip - wenn auch nicht immer beachtet - war im Corral die Trennung der Besucher nach Stand und Geschlecht. Erreicht wurde sie dadurch, d a ß zwischen den einzelnen Bereichen des Zuschauerraumes, insbesondere patio, cazuela und aposentos, keine direkte Verbindung bestand und jeweils ein eigener Zugang benutzt werden mußte. So verwundert es nicht, d a ß beide Corrales über eine ganze Reihe von Eingängen verfügten: Im Cruz waren es (entsprechend der Zeichnung von 1735) sechs, im PrincipeCorral wurden in einem D o k u m e n t von 1606 insgesamt acht Eingänge gezählt, auf der Zeichnung von 1735 sind es sieben. Wie aus den Grundrißplänen ersichtlich wird, führten die Eingänge über schmale Gänge und Treppen jeweils zu unterschiedlichen Sektoren des Zuschauerraumes. (Im Cruz müssen allerdings zwei, im Principe einer der Eingänge abgerechnet werden: Sie gehörten zu den Geschäften und Tavernen). Im Cruz führten wahrscheinlich zwei Eingänge in den patio (einer über den Vorhof), im Principe drei. Die Möglichkeit, d a ß man von den Nachbarhäusern in den Corral „einsteigen" konnte, bestand freilich auch. 6 8 Kennzeichen beider Madrider Corrales war, d a ß sie eine recht einfache Bühne aus Holz aufwiesen, allerdings mit der erstaunlichen Höhe von 9 pies (rund 2,5 Meter) 6 9 . Unterschiede zwischen den zwei Bühnen bestanden vor allem in der Größe: 27 pies (Breite; 7,56 Meter) mal 15 pies (Tiefe; 4,2 Meter) im Cruz und 30 mal 20 pies (8,4 mal 5,6 Meter) im Principe. 7 0 Bei 31,75 Quadratmetern im Cruz und 47,04 Quadratmetern im Principe bedeutet das eine gut um die Hälfte größere Spielfläche im zuletzt genannten Corral. Im übrigen scheint die Bühnenkonstruktion in den beiden Corrales weitgehend gleich gewesen zu sein. Auf allen bekannten Zeichnungen ist der Bühne ein halbkreisförmiges Gebilde vorgelagert, das jedoch nicht zum Bühnenpodium gehörte, wie es nach den Zeichnungen den Anschein haben könnte, sondern zum Zuschauerraum. Es ist die luneta, eine Plattform, auf der vermutlich Sitzgelegenheiten für gentes de distinción standen. Die luneta befand sich zwischen Bühne und mosqueteros, hielt diese also sozusagen den Schauspielern vom Leib. Die luneta, die auch als taburete bezeichnet wurde, war offensichtlich durch ein Geländer zu den mosqueteros hin abgegrenzt. Der Raum unter dem Bühnenpodium blieb keineswegs ungenutzt. Der vordere Teil wurde für eine, wenn auch sicher nicht sehr aufwendige Bühnenmaschinerie gebraucht. D a f ü r spricht auch die große Zahl von Falltüren: sieben im Cruz. 7 1 Der hintere Teil der U n t e r b ü h n e wurde als Umkleideraum verwendet. 7 2 Die genaue Lage der gesamten Umkleideräume für die Schauspieler ist anhand der erhaltenen D o k u m e n t e und Zeichnungen nicht zu bestimmen. Es ist jedoch immer wieder die Rede von vestuario bajo und vestuario alto, wobei sich im unteren die männlichen, im oberen die weiblichen Darsteller umkleideten. Eine Treppe scheint beide vestuarios miteinander verbunden zu h a b e n . 7 3 Die räumlichen Verhältnisse waren

jedoch sehr beengt, wie aus den Zeichnungen hervorgeht. Das Bühnenhaus ist überhaupt in seiner Struktur nur schwer zu rekonstruieren. Lediglich im Corral de la Cruz ist auf der Zeichnung von 1735 eine Treppe angedeutet. Im Plan des Corral del Principe ist auf der linken Seite ein verwinkelter R a u m abgetrennt, den Arróniz 7 4 , allerdings mit Fragezeichen, als „casa del a r r e n d a d o r " deutet. Nach außen scheint das Bühnenhaus zwei Galerien mit Geländer auf der Höhe der beiden zu den aposentos gehörenden corredores aufgewiesen zu haben, die von Säulen gestützt wurden. 7 5 Auch die Galerien wiesen Falltüren auf. Für den Corral del Principe wird f ü r 1661 eine Falltür im vestuario, „en las bobedillas de arriba", erwähnt. 1664 wird in einem den Corral de la Cruz betreffenden D o k u m e n t auch der Zweck dieser Falltüren genannt: „para bajar los pesos de las apariencias" 7 6 . Durch sie führten also die Seile, an denen die Gegengewichte für Bühnenmaschinen hingen; sie bewegten sich im vestuario auf und ab. Nach hinten scheint die Szene durch einen Vorhang abgeschlossen gewesen zu sein 7 7 , der vor allem für die in den zeitgenössischen Stücken oft verlangten apariencias nötig war. Der Vorhang wurde, wenn die apariencia in Position gebracht war, beiseitegezogen. Die Schauspieler traten vom vestuario direkt auf die Bühne. Es ist nicht zweifelsfrei zu klären, o b vom Umkleidehaus Türen zur Szene führten oder o b die Auftritte und Abgänge nicht durch Öffnungen des Vorhangs an den Seiten erfolgten. 7 8 Ungeklärt bleibt auch, ob auf die zur Bühne gehörenden Balkone im Bühnenhaus (lo alto del teatro) Treppen f ü h r t e n . 7 9 Die Bühne scheint, wie der gesamte patio, nicht überdacht gewesen zu sein oder allenfalls ein 5,5 pies (1,54 Meter) tiefes Dächelchen aufgewiesen zu haben, das keinerlei Schutz vor dem Regen bot. 8 0 Auf der Bühne war kein Platz für bastidores, die seitlich aufgereihten Leinwände, die vor allem im Hoftheater dem Szenenbild perspektivische Wirkung verliehen, so d a ß man die Forderung nach solchen Perspektiv-Szenerien als direkten Hinweis darauf werten kann, d a ß das Stück nicht für die A u f f ü h r u n g in den Corrales, sondern für das höfische Theater gedacht war. 8 1 Mit den beiden Corrales de la Cruz und del Principe standen den Schauspielern in Madrid zwei Bühnen zur Verfügung, die zwar alle wichtigen technischen Einrichtungen enthielten, der Bewegungsspielraum war jedoch auf der Szene und in den Umkleideräumen sehr stark eingeengt. Die Möglichkeit, Maschinen zu benutzen, blieb ebenso begrenzt wie die räumliche Voraussetzung für die Gestaltung eines „Bühnenbildes". Dessen Funktion mußte weitgehend der rückwärtig angebrachte Vorhang wahrnehmen. Es fallt bei der Durchsicht der im Z u s a m m e n h a n g mit den Corrales überlieferten D o k u m e n t e auf, d a ß bei den Reparaturen sehr viel mehr Sorgfalt und Interesse auf die Instandsetzung des Zuschauerraumes als auf die Bühne und das vestuario verwandt wurde. Die Arbeitsbedingungen für die Schauspieler wurden während des Untersuchungszeitraumes kaum je in entscheidender Weise verbessert. Bei den Instandsetzungsarbeiten im Bühnenbereich wurden lediglich baufällig gewordene Teile durch neue ersetzt. 8 2 Das mag bedeuten, d a ß den Schauspielern die Verhältnisse, die sie 23

in den Corrales antrafen, genügen mußten. Es bleibt jedoch die Frage, weshalb man sich gerade zu einer Zeit, als das Theater in Blüte stand, nicht für einen komfortableren Neubau entschieden hat. 8 3 Jüngste Versuche 84 , den Corral del Principe zumindest modellhaft zu rekonstruieren, erbrachten keine wesentlich anderen als die soeben dargelegten Ergebnisse, da sie weitgehend auf den gleichen Dokumenten, insbesondere den Plänen von 1735, basieren. Die Bemühungen haben jedoch auch zu dem bemerkenswerten Unterfangen geführt, ein Modell in reduziertem Maßstab zu konstruieren, das zumindest eine ungefähre Vorstellung vom Aussehen eines Corral vermittelt. Die maqueta, die vor allem auf den Nachforschungen Allens und einigen Modifikationsvorschlägen von Enrique Nuere beruht, verleugnet nicht gewisse Ähnlichkeiten mit dem wiederhergerichteten und für den Spielbetrieb genutzten Corral von Almagro 8 5 . Im Gegensatz zu diesem vor rund dreißig Jahren offensichtlich nicht auf Grund sorgfaltiger Untersuchungen, sondern eher oberflächlich restaurierten Corral führt zu der von Jorge Brunet nach Allen und Nuere gebauten Bühne zu beiden Seiten an der Hinterfront je ein Zugang zur Bühne vom vestuario aus (in Almagro fehlt der linke). Darüber befinden sich zwei Galerien mit Geländer, die durch Holzsäulen in sechs Segmente aufgeteilt werden und für apariencias genutzt werden konnten. Bemerkenswert an der Rekonstruktion ist das Bühnendach, das Nuere der von Allen entwickelten Grundkonzeption hinzufügte. Obwohl nicht erwiesen ist, daß dieser Dachaufsatz, in dem die Seilzüge für die Bühnenmaschinen zusammenliefen, auch schon im 17. Jahrhundert existierte (die einzige erhaltene Zeichnung stammt von 1713 86 ), mag es anstatt eines einfachen Dächelchens durchaus auch früher schon eine etwas komplexere Oberbühne gegeben haben. Der Zuschauerraum wird auch von Allen/Nuere/Brunet nicht viel anders dargestellt als in den bisherigen Untersuchungen. Da keine entsprechende Bausubstanz erhalten ist, mußte bei dem Modell letztlich aus der Phantasie das Aussehen der oberen Stockwerke gestaltet werden, was zu einer idealtypischen Regelmäßigkeit führte, wie sie bei den Corrales wohl kaum anzutreffen war, da sie in das Gefüge bereits bestehender Häuser eingepaßt worden waren. Der Spielbetrieb in den beiden Madrider Corrales war strenger staatlicher, später auch städtischer Überwachung unterworfen. Dies ist an den drei Reglamentos abzulesen, die in den Jahren 1608, 1615 und 1641 erlassen wurden. 8 7 Zunächst waren ganz selbstverständlich die Hospitäler, die den Aufführungsbetrieb ohnehin anfanglich in eigener Regie betrieben hatten, in den entsprechenden Gremien vertreten. Der protector, die höchste Kontrollinstanz, der grundsätzlich dem Consejo de Castilla entstammte, war zunächst kein anderer als der protector de los hospitales. Dem protector standen vier comisarios zur Seite, die von den beiden Cofradías gestellt wurden, je zwei von der Cofradía de la Soledad und zwei von der Cofradía de la Pasión. Komplettiert wurde das Gremium durch einen comisario del libro, der vom protector ernannt und von den Hospitälern entsandt wurde. Hauptaufgabe der gesamten Kommission, zu der auch noch ein Kassierer gehörte, war die Verteilung der Einnahmen aus den Theatervorstellungen, wozu sich die 24

Beteiligten täglich versammelten. 88 Die allesentscheidende Person war der protector, der über die wesentlichen Belange des Aufführungsbetriebs zu befinden hatte. Nicht zuletzt bestimmte er, welche Schauspieler als autores de comedias Truppen leiten durften. 8 9 Kontrolle übte auch ein ConsejoMitglied, möglicherweise der für die Corrales zuständige protector, über die von den Schauspielern aufzuführenden Stücke aus. Dieser Zensor mußte sämtliche Stücke, Tänze und die sonstigen Bestandteile der Inszenierung für die Aufführung erst freigeben, wie aus einer Bestimmung in den Reglamentos von 1608 hervorgeht: Que dos dias ames que ayan de representar la comedia, cantar, o entremes, lo licúen al señor del Consejo, para que lo mande ver. y examinar, y hasta que les aya dado licencia, no lo den a los compañeros a estudiar

Die Erlaubnis, ein Stück und die dazugehörenden géneros menores spielen zu dürfen, mußte jedesmal eingeholt werden, wenn die betreffende Aufführung auf den Spielplan kam. Dies geht aus verschiedentlich erhaltenen Anmerkungen der Zensoren zu comedias der Epoche hervor. So heißt es etwa am Ende von Lope de Vegas La buena guarda: Examine esta comedia, cantares y entremeses dclla, el secretario Thomás G r a d a n de Antisco. y dé su censura. En Madrid, a 27 de abril de 1610 años.(Una rúbrica). Esta comedia, intitulada La Encomienda bien guardada, habiéndola visto también representar el señor licenciado Tejada, del Consejo de Su Majestad, etc.. y otros señores, se puede representar. Madrid, a 16 de junio de 1610.- T H O M Á S G R A C I Á N DANTISCO. Podráse representar esta comedia de La Encomienda bien guardada, atento que yo la he visto representar y otros señores. En Madrid, a 16 de junio de 1610. Rúbrica (la de Tejada, probablemente). Vista y examinada esta comedia por el licenciado Melchior Mirante y el licenciado (...) Benito de Gilvcz. fiscal del reverendísimo arzobispado de Sevilla, hallamos no tener cosa contra la Santa Fe Católica; y asi, se puede representar. Hecho en Sevilla, a veinte y nueve de mayo de 1611.- EL LICENCIADO BENITO GÁLVEZ. - EL LICENCIADO MELCHOR DE A L M I R A N T E . Gratis. Por mandado del señor Vicario he visto la comedia intitulada La Buena Guarda, y no tiene cosa contra la Santa Fe ni costumbres; y asi, se le podrá dar licencia para representalla. al autor. En Madrid, a tres días de noviembre de 1614.- EL LICENCIADO LUIS TREVIÑO. El licenciado Alonso de lllescas. teniente de vicario general de Madrid, por la presente doy licencia para que se represente esta comedia, que se intitula La Buena Guarda, atento que nos consta, por el examen que de ella se ha hecho, que no tiene cosa contra la Fe ni buenas costumbres. En Madrid, a tres de noviembre de mil y seiscientos y catorce años. EL LICENCIADO ALONSO DE ILLESCAS." 1

Aus diesen Anmerkungen ist zu ersehen, daß nicht die Texte allein geprüft wurden, sondern daß die Zensoren auch auf Grund der eigenen Anschauung bei Proben oder Aufführungen urteilten. Zu erkennen ist, etwa an der Mitwirkung eines Vertreters des arzobispado von Sevilla, der Einfluß kirchlicher Stellen auf die Lizenzvergabe. Genehmigungspflichtig waren auch die Aufführungen von CovraX-comedias in Privathäusern, die überdies unter 25

Ausschluß der Öffentlichkeit stattzufinden hatten. 9 2 Schon in der Frühzeit gab es in den Corrales Pächter, die zunächst jedoch eine untergeordnete Funktion hatten, da sie lediglich für die Vermietung von Bänken und aposentos zuständig waren. Erst von 1615 an gehen sämtliche Einkünfte durch die Hände des arrendador. In den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts vollzieht sich ein grundsätzlicher Wandel in der Corral-Administration. Nach dem Konkurs des Pächters Francisco Garro de Alegría und seines Gläubigers Diego de Cepeda (1623-1633) dringt die Stadt Madrid, nicht zuletzt um den Krankenhäusern die Einnahmen zu sichern, immer mehr in die Verwaltung der Corrales ein. 1632 bestellt sie zwei regidores (Francisco de Sardaneta und Antonio de Arrauz), die zusammen mit dem protector und dem corregidor eine völlig neue Kommission bilden, in der nun die Hospitäler nicht mehr vertreten sind. Die finanziellen Schwierigkeiten, in welche die Pächter geraten waren, beruhten zum Teil darauf, daß viele Adlige ihre aposentos nicht pünktlich bezahlt hatten." 3 Nun nimmt die Stadt sukzessive die Überwachung der Finanzen in die Hand, die Hospitäler treten völlig aus der CorralAdministration heraus. Etwa von 1638 an erhalten sie Subventionen aus dem Theaterbetrieb nicht mehr direkt, sondern monatlich über den receptor de las sisas de la sexta parte, an den der für die Krankenhäuser bestimmte Anteil aus den Theatereinnahmen abgeführt wird. 9 4 An dem arrendador-System hält die Villa, die sich nun die Organisation des Theaterwesens mit dem von höchster staatlicher Stelle bestimmten protector teilt, weiterhin fest. Einige Probleme, mit denen die Pächter früher konfrontiert waren, löst jetzt die Stadt von sich aus: Sie verpflichtet sich, die Corrales in funktionstüchtigem Zustand den Truppen zu überlassen. (Kleinere Reparaturen hatte zuvor der arrendador auf eigene Kosten ausführen zu lassen.) Außerdem sorgt sie mit der Bereitstellung von alguaciles für Ordnung im Vorstellungsbetrieb. Die alguaciles, nunmehr offensichtlich je zwei pro Corral statt früher nur einem, hatten insbesondere darüber zu wachen, daß die Geschlechtertrennung in den Corrales beachtet wurde, die zwar in den aposentos nicht galt, doch wurden Frauen dort nur eingelassen, wenn sie in Begleitung ihrer Ehemänner oder von Verwandten kamen. Den alguaciles oblag außerdem, darauf zu achten, daß die Vorstellungen bei Beginn der Dämmerung beendet waren. 9 5 Für jeweils zwei Monate wurden die alguaciles einem Corral zugeteilt; diese alguaciles de comedias waren jedoch nicht dafür zuständig, Schauspieler etwa auf Betreiben des protector oder der Villa nach Madrid zu holen. Dies besorgten die alguaciles de Corte.96 Eine der wichtigsten Aufgaben der alguaciles de comedias war zweifellos die Kontrolle darüber, daß die Zuschauer ordnungsgemäß das Eintrittsgeld entrichteten. Das Kassieren dieser Gelder geschah nach einem recht komplizierten System, in der Frühzeit war es nahezu undurchschaubar. 9 7 Der Zuschauer hatte grundsätzlich, wenn er sich nicht mit einem Stehplatz als mosquetero oder als Frau in der cazuela begnügte, dreimal Eintritt zu entrichten: am ersten Eingang für die Truppe, deren Einnahmen nicht dem Verrechnungsverfahren zwischen dem arrendador und den Krankenhäusern beziehungsweise der Villa unterworfen waren, sondern direkt den 26

Schauspielern zugutekamen - danach für den arrendador, schließlich waren Zuschläge für bancos, uposentos und andere Sonderleistungen zu zahlen. Obwohl arrendador und Truppen also auf völlig getrennten Wegen aus dem Corral-Theaterbetrieb Nutzen zogen, waren beide doch aufeinander angewiesen: Der arrendador vergab die Corrales an die Truppen; diese wiederum sicherten ihm durch ihr Spiel seine Einkünfte. So gesehen kam dem arrendador eine nicht zu unterschätzende Funktion als treibende Kraft im Corral-Theater zu: Er mußte d a r a n interessiert sein, d a ß regelmäßig in den Corrales gespielt wurde, um sich ausreichende Einnahmen zu sichern. Dabei schaltete er sich sogar gelegentlich in das ansonsten zwischen den Dichtern und den autores allein abgewickelte Geschäft ein, um durch eine Art Zwischenfinanzierung die Lieferung (und A u f f ü h r u n g ) neuer Stücke zu gewährleisten oder zu beschleunigen. In diesem Sinne ist die folgende Passage einer Eingabe der arrendadores Francisco G a rro de Alegria und Diego de Zepeda (wahrscheinlich aus dem Jahr 1632) zu verstehen: (...) que son socorros de poctas que sc haccn por quenta de los autores en el interin que eslan escribiendo las comcdias que se representan. las quales pagan despues los aulorcs a quien se entregan, y otros socorros que se les hacen quando vienen. pagandoles por quenta suya los viajes que hacen a esta Corte desde donde hienen. que a no azcrscles no pudieran benir y fuera en gran perjuicio nuestro por que laltara quien representara y no tubieramos aprobechamiento

Die arrendadores (beziehungsweise Pächter und Gläubiger) streckten den autores demnach das Geld für den Kauf von Theaterstücken vor, außerdem zahlten sie den Truppen Reisekosten, damit sie nach Madrid kommen konnten. Entscheidendes Merkmal des Corral-Theaterwesens ist, d a ß es während des gesamten Untersuchungszeitraums an einen karitativen Zweck - die U n terhaltung der Krankenhäuser in der Stadt - gekoppelt blieb. D a r a n ändert auch die Tatsache nichts, d a ß in den dreißiger Jahren die Villa die Verwaltung weitgehend übernahm und die Hospitäler in der CorralKommission nicht mehr vertreten waren. Denn die Krankenhäuser wurden auch weiterhin aus den Theatereinnahmen unterstützt, als dies von 1638 an über das Steuerwesen geregelt wurde. Die Verknüpfung des Unterhaltungsbetriebs in den Corrales mit der Finanzierung sozialer Aufgaben war immer wieder ein entscheidendes Argument für die Beibehaltung des Spielbetriebs, wenn ein Aufführungsverbot wegen moralischer Bedenken zur Debatte stand. Es läßt sich sogar behaupten, d a ß ohne diese Symbiose von Theater und Caritas der Theaterbetrieb im Spanien des Siglo de O r o sicher keine so günstige Entwicklung genommen hätte.

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1.1.2 Das höfische Theater Während der Theaterbetrieb in den Corrales, wie er sich im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts entwickelte, zum Motor für die rasche Herausbildung eines Berufsschauspielertums wurde, blieben die Theateraktivitäten an der Corte zunächst von eher sekundärer Bedeutung, ja man kann überhaupt erst von der Regentschaft Philipps III. an (1598-1621) vom Theater als einem wesentlichen Bestandteil höfischer Unterhaltung s p r e c h e n . " Wichtigste Spielstätte in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts waren die Räume des Alcázar, in den Dokumenten aus dieser Zeit meist als „Palacio" bezeichnet. Außer routinemäßigen /w/rí/íM/í/re.v-Aufführungen 100 in den Gemächern von König und Königin fanden in einem großen Saal dort repräsentative Veranstaltungen wie Essen, Turniere, Maskeraden und eben auch theatralische fiestas statt. Der Saal erhielt bei Renovierungsarbeiten eine goldene Decke und von daher den Namen Salón d o r a d o 1 0 1 . Andere Spielstätten außer den Privaträumen und dem Salón dorado waren, offensichtlich jedoch nur in seltenen Fällen, die Pieza de las Audiencias und die Armería por los pajes, beide ebenfalls im Alcázar 1 0 2 . Schon in der Frühzeit ergab sich so für die Schauspieler, die an der Corte auftraten, die Möglichkeit, Aufführungen zweier grundsätzlich verschiedener Arten zu gestalten: Privatvorstellungen mit Stücken, die meist ihrem gängigen, in den Corrales gespielten Repertoire entstammten 1 0 3 , und repräsentative Fest-Aufführungen. In den ersten Jahren, bevor der Hof endgültig von Valladolid nach Madrid übersiedelte (1605), fanden die Vorstellungen selbstverständlich auch an jenen Orten statt, wo sich die Herrscher gerade aufhielten. Für das Jahr 1603 etwa rechnete die Corte mit dem autor Nicolás de los Ríos Aufführungen in Valladolid und Burgos a b 1 0 4 . Die Theatereinrichtung im Salón dorado des Alcázar war keineswegs fest installiert, sondern „portátil" 1 0 5 . Dies läßt die Annahme zu, daß die Bühnentechnik einfach, möglicherweise primitiver als in den Corrales war. Noch rudimentärer m u ß infolgedessen die Ausrüstung der improvisierten Bühne in den königlichen Gemächern gewesen sein. Hoftheater-Aufführungen waren auch nach der Übersiedlung der Corte nach Madrid an jenen Orten üblich, an die sich der Hof aus den verschiedensten Gründen begab: im Escorial, in Aranjuez und in Toledo 1 0 6 , im Pardo und in La Zarzuela 1 0 7 . Die Schauspielertruppen mußten sich auf diesen häufigen Ortswechsel ebenso einstellen wie auf die Besonderheiten der jeweiligen Raumverhältnisse. Die Einrichtung der verschiedenen Bühnen wird sich zunächst nicht sehr stark von denjenigen der Corrales unterschieden haben. Arróniz 1 0 8 verweist darauf, daß außer dem Salón dorado und den Privaträumen ein den Corrales ähnlicher Innenhof in den Casas del Tesoro als höfische Theaterspielstätte verwendet worden sei und daß später eine weitere Bühne ähnlicher Bauart benutzt wurde. Selbst wenn diese Aufführungsorte verschiedentlich weiterhin bespielt wurden, nahm das Hoftheater etwa von 1626 an eine völlig andere Entwicklung als das Corral-Theater. In jenem Jahr traf der florentinische Ingenieur Cosimo Lotti in Madrid ein, der von Philipp IV. verpflichtet worden war, um sich am Hof um Gärten, Brunnen und eben auch die Theatertechnik 28

zu kümmern. 109 Mit Lotti kam die in Italien bereits hoch entwickelte Bühnenkunst nach Spanien. Die italienische Form des Theaters unterschied sich vom spanischen Corral-Theater in wesentlichen Elementen: Die Aufführungen fanden in geschlossenen Räumen statt, was die Verwendung von künstlicher Beleuchtung (Kerzen) 110 unabdingbar notwendig machte, während im nicht überdachten Corral grundsätzlich bei Tageslicht gespielt wurde, was es besonders schwierig machte, Nachtszenen „realistisch" darzustellen. Das italienische Theater wies eine ausgefeilte Bühnentechnik auf, die vor allem mit einer Errungenschaft alle Möglichkeiten des CorralTheaters, illusionistische Effekte zu erzielen, weit in den Schatten stellte: mit der Perspektiv- beziehungsweise Kulissenbühne. Als Lotti in Madrid eintraf, hatte er freilich noch kein Theater, wo er alle Techniken, die er aus Italien mitbrachte, hätte anwenden können. Er begnügte sich zunächst damit, ein tablado portátil zu bauen, das an den verschiedensten Spielorten an der Corte eingesetzt werden konnte. 111 Erst mit dem Coliseo im Buen Retiro wurden die Möglichkeiten für Lotti, seine technischen Künste vorzuführen, mit einem Mal wesentlich besser. Der Bau des Palastes wurde 1629 begonnen 112 , und zunächst gab es dort noch kein Theater; so mußte fürs erste das teatro portátil verwendet werden. 113 Dies hinderte den florentinischen Ingenieur keineswegs daran, spektakuläre Theaterereignisse am Hof zu gestalten. Es ist wohl vor allem seinem Einfallsreichtum zuzuschreiben, daß eine dieser aufwendigen Inszenierungen sogar an einem für theatralische Darbietungen wenig geeigneten Ort stattfand, aber eben deshalb besonders attraktiv war: Auf dem estanque, der zu dem Palastkomplex gehörte, wurde 1635 Calderóns El mayor encanto, amor gegeben. 114 Veranstaltungen dieser Art blieben jedoch die Ausnahme. Hier hatte Lotti freilich Gelegenheit, vor allem seine wasserbautechnischen Fertigkeiten vorzuführen. Erst am 4. Februar 1640 115 , mit der Inbetriebnahme des Coliseo, eines eigens für den Theaterbetrieb vorgesehenen Saals im Palast, der wiederum von Lotti ausgestattet worden war, waren die Voraussetzungen für Aufführungen geschaffen, bei denen die italienische Bühnentechnik angewandt werden konnte. Die Erfindung der Kulissenbühne wird dem Hofbaumeister Giovanni Battista Aleotti aus Ferrara zugeschrieben, die erste Umsetzung dieser Erfindung für die Praxis ist an dem 1618 von Aleotti in Parma gebauten Teatro Farnese nachzuweisen. 116 Bei diesem Theatertyp, der die günstigsten Voraussetzungen für die Aufführung der comedias de tramoyas117 bot, befinden sich auf den Seitenbühnen, für den Zuschauer unsichtbar hintereinander aufgereiht, auf Leinwand gemalte Bilder, die auf Gleitschienen in die Bühne hineingeschoben werden und so einen Szenenwechsel suggerieren konnten. Besonderes Kennzeichen dieser Szenenbilder war die perspektivische Zeichnung, die Raumtiefe auf der Bühne vorspiegelte und gleichzeitig dem Publikum das Gefühl vermitteln konnte, der Zuschauerraum setze sich in die imaginierte Welt der Bühne fort. Italien brachte dem spanischen Hoftheater außer der Perspektivbühne noch eine weitere Errungenschaft: den Vorhang, der - während (noch) nicht gespielt wurde - die Szene zum Zuschauerraum hin abschloß und der im 29

Corral-Theater völlig unbekannt war. Lotti hatte ihn offensichtlich schon bei seinen provisorischen Bühneneinrichtungen am Madrider Hof verwendet" 8 , und es war ganz selbstverständlich, daß auch das Coliseo einen solchen Vorhang erhielt. Im übrigen aber scheint das Coliseo noch bestimmte, aus den Corrales bekannte Vorrichtungen aufgewiesen zu haben, beziehungsweise es wurden die vom Corral her gewohnten Bezeichnungen auf ähnliche Elemente im Coliseo übertragen. So gab es dort einen patio, an den Seiten im Zuschauerraum die aposentos genannten Logen, eine cazuela über der Loge, die im Corral Vertretern der Villa de Madrid, im Hoftheater nun dem König und seinem Gefolge zugedacht war. Daß zunächst offenkundig geplant war, das Ambiente der Corrales soweit wie möglich auch im neuen Coliseo entstehen zu lassen, darauf macht Shergold 1 1 9 aufmerksam. Nicht allein die Tatsache, daß zu der ersten Vorstellung am 4. Februar 1640 (gespielt wurde La gran comedia de los bandos de Verona von Rojas Zorilla) zahlendes Publikum aus der Stadt zugelassen war - was auch späterhin Brauch blieb sondern auch die noch dem Spiel in den Corrales angepaßte Faktur des Stückes geben Anlaß zu dieser Annahme. 1 2 0 In darauffolgenden Vorstellungen fühlte sich die Königin durch die Corral-Atmosphäre anscheinend besonders belustigt; ihr gefiel, wie die Frauen in der cazuela herumtobten und sich die Männer im Stehparterre in der von den Corrales her gewohnten Weise gebärdeten. Aus den Einnahmen der für die Öffentlichkeit zugänglichen Aufführungen wurden wie in den Corrales Gelder an die Krankenhäuser abgeführt. Trotz dieser Ähnlichkeiten in der Anfangszeit des Coliseo waren die Unterschiede gravierend: Die Bühne war nun eine eigene, in sich geschlossene Einheit, wo nicht mehr wie im Corral Zuschauer an den beiden Seiten sitzen konnten. Dafür wurde jetzt eine komplexe, auf den Stand der aktuellen Entwicklung gebrachte Bühnenmaschinerie installiert. Da keinerlei Unterlagen über diese Einrichtungen erhalten sind, muß auf zeitgenössische Traktate zurückgegriffen werden, die einen Eindruck von den technischen Möglichkeiten vermitteln, etwa auf Nicola Sabbattinis Pratica di fahricar scene e machine ne 'tealri.121 Im ersten der zwei Bände des Werks sind vor allem detaillierte Anweisungen über den Aufbau des Bühnenbildes enthalten, nicht nur darüber, wie die Leinwände zu bemalen, sondern auch wie der Aufbau zu bestimmten standardisierten Szenen herzustellen ist. Der zweite Band bringt Konstruktionsanleitungen für Maschinen, wie sie gängigerweise in den Stücken der Epoche für häufig verlangte Effekte einzusetzen waren. So werden etwa Fragen behandelt wie: „Come si possa fare apparire che tutta la scena si demolisca" (Kap. 10), „dimostrare che tutta la scena arda" (11), „fare apparire un'infemo" (22); es werden drei Arten gezeigt, „per dimostrare il mare" (27-29); es wird dargelegt „come si facciano venire le navi" (32), „fare apparire delfini o altri mostri marini, che nuotando mostrino di spruzzare l'acqua" (34). Schließlich wird auch der Himmel mit der Hilfe von Maschinen „belebt": „Come si possa annuvolare parte del cielo incominciando con una picciola nuvola, la quäle divenga sempre maggiore, mutandosi continuamente di colore" (42). 30

Welche dieser Bauten „per le apparizioni di cielo, di terra, di mare e d'inferno, e per le lontananze e fughe" 1 2 2 , die Sabbattini als gängige italienische Bühnentechnik seiner Zeit ansieht 1 2 3 , tatsächlich auch in Madrid eingesetzt wurden, läßt sich im einzelnen nicht rekonstruieren. Anhand der höfischen fiestas Calderóns und der dazu gehörenden Regie-Anweisungen kann man jedoch ungefähr abschätzen, welcher technische Aufwand betrieben werden mußte, um die entsprechenden Effekte zu erzielen. Arróniz 1 2 4 beschreibt am Beispiel der Calderón-//e.vía Hado y Divisa de Leónido y Marfisa zehn Szenenwechsel, die sehr verschiedenartige Bühnenbilder und Verwandlungsmaschinen erforderten. In der ersten jornada werden eine Felsenlandschaft, eine Grotte und ein Fluß (auf dem ein Schiff entlangfahrt) verlangt, im zweiten Akt gibt eine auf den bastidores dargestellte Wald- und Felsenlandschaft den Blick auf eine „gran peña" im Hintergrund frei, die sich schließlich öffnet und ein „gabinete real" erscheinen läßt; in einem zweiten Felsen kommt gar der Saal eines Palastes zum Vorschein. Schließlich wird dem Publikum eine Gebirgsszenerie vorgeführt, mit dem feuerspeienden Ätna als Attraktion. In der dritten jornada verwandelt sich ein Wald in einen Garten, dieser wieder in eine Szenerie aus Bäumen und Bergen, worauf noch einmal der Garten und schließlich ein Platz vor dem königlichen Palast als Bühnenbilder erscheinen. Ganz selbstverständlich gehörten auch Flugmaschinen zur technischen Ausstattung des Palasttheaters. 125 Entsprechend wird von den Dichtern das Herein- oder Entschweben von Figuren verlangt, so zum Beispiel in Calderóns La fiera, el rayo y la piedra, wo am Ende des ersten Aktes Anteros in schnellem Flug herankommt und darauf Anteros und Cupido auf zwei Wolken entschwinden. 126 Wesentliches Merkmal der Bühnenmaschinerie im höfischen Theater war, d a ß Szenen und Szenenwechsel nicht nur wie im Corral-Theater angedeutet wurden oder auf sie nur verbaliter hingewiesen werden konnte, sondern daß das betreffende Bühnenbild mit Hilfe der bemalten bastidores ganz realistisch darzustellen und vor den Augen des Publikums zu verwandeln war. 1 2 7 Es ist sicher richtig, wenn Arróniz feststellt, daß im spanischen Hoftheater nicht so sehr die Tatsache der Anwendung dieser Art des Szenenwechsels überrascht, als viel mehr die Häufigkeit, mit der dieser Kunstgriff angewandt wurde, was dazu führte, daß schließlich das technische Spiel zum Selbstzweck geriet: Queriendo en su principio ser el necesario c o m p l e m e n t o a la acción, dándole el marco conveniente. y deseando por allí contribuir a la verosimilitud escénica, había a c a b a d o por ser justamente lo contrario: un juego mecánico al q u e podían verse las costillas del artificio. Por eso se tildó al teatro d e la segunda mitad del siglo XVII eomo de „ t r a m o y a " , de maquinaria, o de espectáculo. 1 2 *

Das Coliseo konnte zunächst freilich nicht in dem Maße genutzt werden, wie ei der Bedeutung der neuen Einrichtung entsprach. Zwar wurde es bei denn Brand im Retiro-Palast am 20. Februar 1640, also wenige Tage nach der Eröffiung des Theaters, kaum beschädigt 1 2 9 , doch verhinderten die kriegerischen Auseinandersetzungen in Katalonien und Portugal (Juni und Deizenber) sowie der Tod von Cosimo Lotti am 24. Dezember 1640 130 eine komtiiuierliche Nutzung des Theaters. Schließlich bewirkte auch das 31

generelle Aufführungsverbot von 1644/46 bis zum Ende der vierziger Jahre, daß nicht nur das Corral-, sondern auch das Corte-Theater brachlag. Dennoch riß die Verbindung zum italienischen Theater und zu der dort immer raffinierter weiterentwickelten Bühnentechnik nicht ab. Für Lotti kam 1651 Baccio del Bianco als Ingenieur an den Madrider Hof. 1 3 1 Der neue Theatertechniker führte sich mit einer aufwendigen Inszenierung von Calderóns Andromeda y Perseo 1653 1 3 2 ein. Von nun an verlief bis zum Tod Philipps IV. (1665) der Aufführungsbetrieb an der Corte in geregelten Bahnen. 1 3 3 Obwohl auch die anderen höfischen Spielstätten, insbesondere der Salón dorado im Alcázar, immer wieder für Theatervorstellungen genutzt wurden, wie aus der von R. Subirats erarbeiteten Aufstellung hervorgeht 134 , wurde das Coliseo doch zur repräsentativen Corte-Spielstätte par excellence. In dieser Phase, etwa von 1650 bis 1665, vor allem jedoch danach unter der Herrschaft Karls II., drängte der Aufführungsbetrieb an der Corte die Corral-Vorstellungen immer weiter in den Hintergrund. Da die gleichen Schauspielertruppen in den Corrales und am Königshof auftraten, wurden damit die Einkünfte der CoxràX-arrendadores beschnitten, weshalb sie sich immer häufiger darüber beklagten und Entschädigungen forderten. 135 Aus der Sicht der Schauspieler war das Auftreten am Königshof ehrenvoll und lukrativ, forderte ihnen jedoch eine völlig andere Arbeitsweise als in den Corrales ab: Die Auftritte in der von der Bühnentechnik dominierten Szenerie, die Verwendung der gegenüber der Corral-Bühne weitaus komplizierteren Maschinen - all dies verlangte eine sehr viel genauere Probenarbeit 136 und überhaupt eine größere Disziplin und Leistungsbereitschaft. Die Beherrschung dieser Technik, die Einsicht in ihre Wirkungsweise verschafften dem Schauspieler gegenüber dem Zuschauer, der sich von diesen Künsten beeindrucken lassen mußte, eine privilegierte Position. Der Tod Philipps IV. brachte dem Hoftheater eine fünfjährige Zäsur: Erst 1670 wurde mit Calderóns Fieras afemina amor der Theaterbetrieb an der Corte wieder aufgenommen. 137 Nach der Verbotsphase kam die Aufführungsaktivität am Hof sehr rasch in die alten Gleise, ja sie strebte überhaupt erst ihrem Höhepunkt entgegen, wobei es allerdings keine Innovationen mehr gab, sondern allenfalls die einmal entwickelten Formen prächtiger herausgeputzt wurden: The courl theatre after 1670 took on the same characteristics as those which it had developed during the preceding reign. Plays were regularly acted as „particulares", and at intervals there were big festival plays with elaborate scenes and machines, generally to celebrate royal birthdays and name-days, o r other festive occasions; but new plays o f this type were supplemented to an increasing degree by splendid revivals o f old o n e s . 1 3 "

In Gebrauch waren nach wie vor die auch früher genutzten Spielstätten, und während gerade der Salón dorado im Alcázar als AufTührungsort Verwendung fand, wurde das Coliseo schon für die nächste Aufführung hergerichtet. 139 Der Aufwand für die fiestas wurde vor allem von 1673 an sehr viel größer, wie anhand der von Shergold und Varey zusammengestellten Dokumente 140 leicht zu überprüfen ist. Die fiestas von 1679/80 mit Cal32

deröns Siquis y Cüpido, Faetön, La pürpura de la rosa, Hado y divisa de Leönido y Marfisa und anderen Stücken waren, wie aus den Rechnungsaufstellungen hervorgeht, wahre Materialschlachten mit einem geradezu gigantischen Aufgebot an künstlerischem Personal, Handwerkern und Hilfskräften. 1.1.3 Die autos sacramentales auf der Corpus-Bühne Die Entwicklung der a«/o-Aufführungen 141 zu einem festen Bestandteil des kirchlichen Jahreskreises einerseits und des Theaterwesens andererseits vollzog sich ungefähr gleichzeitig mit der Herausbildung des geregelten Spielbetriebs in den Corrales. Es ist anzunehmen, aber nicht direkt nachzuweisen, daß das im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts entstehende Corral-Theater auch zur Professionalisierung der szenischen Darbietungen zum Corpus-Fest entscheidend beigetragen hat. Ist in frühen Dokumenten (1522, 1551) allenfalls von Tänzen und Juegos" die Rede, die zum Fronleichnamstag von den gremios - also von Laiendarstellern - geboten wurden, setzen die ersten Schriftstücke, in denen von auio-Aufführungen durch Berufsschauspieler 142 die Rede ist, erst in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts ein. Jerónimo Velázquez etwa, autor de comedias, verpflichtet sich 1674, drei autos aufzuführen. 143 Schon zli diesem Zeitpunkt vollzieht sich die Darbietung der autos sacramentales in der Form, wie sie späterhin gültig bleibt. Wichtigstes Kennzeichen des Corpus-Theaters ist die ambulante Bühne mit ihren charakteristischen Türmen, die, auf Ochsenkarren montiert, von einem Aufführungsort zum nächsten transportiert werden. Die Türme enthalten die für die jeweiligen autos benötigten Maschinen, das „Erdgeschoß" dient den Schauspielern als Umkleideraum. Von hier aus treten sie, analog zur räumlichen Disposition im Corral-Theater, auf das tablado, das entweder an der betreffenden Stelle fest montiert oder ebenfalls auf einem Karren dorthin gefahren wird. Modifikationen im Untersuchungszeitraum an dieser Praxis betreffen allenfalls die Zahl der jeweils aufzuführenden autos und der Türme sowie die Anordnung der carros, die Art und Größe des Podiums und der Zuschauertribünen. War es zunächst üblich, daß lediglich eine compañía für die Corpus-Feier in Madrid verpflichtet wurde und jeweils drei verschiedene autos aufführte, bildete sich von 1591/92 an der für längere Zeit gültige Brauch heraus, zwei Truppen zu engagieren, die jeweils zwei, insgesamt also vier autos sacramentales aufzuführen hatten. Dazu wurden acht Turmwagen, je zwei pro Spiel, verwendet. 144 In dieser Weise waren die autos Jahr für Jahr zu sehen, bis 1645 das generelle Theaterverbot auch diese Sparte erfaßte. Von 1647 an wurden von nach wie vor zwei Truppen nur noch zwei autos sacramentales, von jeder compañía eines, gespielt. 145 Da weiterhin acht medios carros verwendet wurden, standen nun für jedes Stück vier statt bislang zwei Türme zur Verfügung. Damit war zwar eine inzwischen komplizierter gewordene Bühnenmaschinerie besser einzusetzen. Entscheidender Grund für die Reduktion mag jedoch 33

die Tatsache gewesen sein, daß nun nicht mehr autos aus dem Repertoire der Truppen, also auch bereits in den Jahren zuvor gespielte autos viejos, auf dem Spielplan standen, sondern grundsätzlich nur noch für das betreffende Jahr neu geschriebene autos, wofür - wie bereits erwähnt - Calderón als Verfasser gewissermaßen das Monopol erhielt. Dies war freilich die einzige einschneidende Änderung der Aufführungspraxis in Madrid während des Untersuchungszeitraums. Die Organisation des Corpus-Theaters lag bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt in Händen der Stadt Madrid: Sie ist beispielsweise 1574 Vertragspartner des autor Jerónimo Velázquez. 146 Die Stadt finanziert - auch dies gilt für den gesamten Untersuchungszeitraum - die Festspiele, von ihr werden die Schauspieler entlohnt. Den Ablauf der Corpus-Feiern bestimmte eine Kommission, die ganz ähnlich wie das für die Corrales zuständige Gremium sowohl aus Vertretern höchster staatlicher Institutionen als auch aus städtischen Amtsträgern zusammengesetzt war. An der Spitze der Corpus-Kommission stand der comisario, auch protector wie beim Corral-Theater oder superintendente147 genannt. Ihm als oberste Kontrollinstanz stand der corregidor als juristischer Experte zur Seite. Zu der Kommission gehörte schließlich eine ganze Reihe von regidores, von denen je zwei eine bestimmte Aufgabe zugeteilt bekamen. Diese comisarios mußten jeweils die Herrichtung der Spielstätten überwachen, die Prozession, Tänze und Musik organisieren; zweien war denn auch die Ausrichtung der aw/o-AufTührungen anvertraut. Die Zusammensetzung einer solchen Kommission hinsichtlich der autoDarbietungen läßt sich anhand von zwei erhaltenen Dokumenten für das Jahr 1627148 rekonstruieren. Demnach war der licenciado Pedro de Tapia „del Consejo de Su Magestad" comisario beziehungsweise superintendente. Francisco de Brizuela y Cárdenas war der corregidor, und die regidores Francisco Enríquez de Villacorta sowie Antonio Rodríguez de Monroy fungierten als die beiden für die Aufführung der autos sacramentales direkt zuständigen comisarios. Die Aufgabe der letzteren bestand vor allem darin, dafür zu sorgen, daß die Schauspieler für die Interpretation der autos im betreffenden Jahr verpflichtet wurden. 149 Die Anordnungen der Corpus-Kommission hatten „fuerza de ley" 150 . Es fallt jedoch auf, daß die Kirche selbst an der Organisation der im kirchlichen Leben so bedeutsamen Aufführungen nicht beteiligt war. Da andererseits bereits über die Zensur die Beachtung religiöser Obliegenheiten gesichert war, konnte darauf wohl auch verzichtet werden. In der Vorstellungsfolge - die ebenfalls von der Kommission im vorhinein verbindlich festgelegt wurde - bildete sich schon früh eine feste Ordnung, die von Jahr zu Jahr nur leichte Modifikationen erfuhr, zweimal während des Untersuchungszeitraums jedoch grundsätzlich abgeändert wurde: 1624 und 1635/36. Unumstößliche Regel war aber, daß die erste Aufführung am Fronleichnamstag selbst vor dem König am Palast stattzufinden hatte. Danach folgten Darbietungen für den Consejo de Castilla und das Ayuntamiento auf der Plaza de San Salvador 151 , für die Bevölkerung zugängliche Vorstellungen auf der Plaza Mayor und an der Puerta de Guadalajara sowie schließlich für andere Körperschaften und Persönlichkeiten vor' deren jeweiliger 34

Residenz in einer von der Corpus-Kommission vorher festgelegten Reihenfolge. Ein Beispiel für die Frühzeit, als noch vier autos gespielt wurden, ist etwa die Orden de representaciones von 1617: La primera representazion se ha de hacer a Su Magestad de todos quatro autos, començando León con el auto del Ydalgo y el villano y el segundo de Santa Margarita que representa Pinedo, y el tercero del Tusson que hace Leon, y el vltimo El desengaño del hombre que hace Pinedo. En acauando a Su Magestad, yran todos quatro carros a representar al Consejo a la placuela de San Salvador, delante de los corredores del ayuntamiento por la mesma orden = El primer auto del Ydalgo y villano que hace Leon en acauando al Consejo yra a la puerta de Guadalaxara al pueblo = y el segundo a la plaça al pueblo, el tercero y quarto al Vice Canciller de Aragon. Viernes en la tarde an de representar todos quatro a su Señoría Ilustrisima del Señor arçouispo de Burgos Presidente de Castilla por la misma orden y en acauando a su Señoría Ilustrisima yran los dos primeros al Señor Presidente de Ordenes; y los dos postereros al Señor Presidente de Hacienda. En acauando de representar, el segundo carro de Santa Margarita al Señor Presidente de Ordenes ira al Señor Don Diego Lopez de Ayala y el primero del Hidalgo al Señor Xil Ramírez y el prostero (sic) del Desengaño del ombre en acauando al Señor Presidente de Hacienda yra al Señor Don Diego Lopez de Ayala y el tercero del Tusson al Señor Gil Ramírez = Este mismo dia an de representar dos autos en las Descalças a la ora que los pidieren. El sauado por la mañana representaran todos quatro a su Señoría Ilustrisima del Señor Cardenal arçobispo de Toledo Imquisidor general y en acauando los dos primeros irán al Señor Nuncio y los dos prosteros al Señor Don Pedro de Guzman corregidor = Sauado por la tarde representaran dos carros a cada vno de los Señores don Grauiel de Alarcon y Francisco Enriquez Comisarios de los dichos autos = Este dia se hiçieron el ano pasado todos quatro a su Excelencia del Señor Duque de Lerma en su guerta y dos a su Excelencia del Señor Duque de Vceda; y si sus Excelencias los quisieren se los llevaran donde y a la ora que ordenaren. (...)."*

Unter den zahlreichen hochgestellten Persönlichkeiten waren, wie am vorletzten Absatz zu sehen ist, auch die beiden für die au/o-Darbietungen zuständigen comisarios berücksichtigt, die damit vermutlich für ihre Arbeit „entschädigt" wurden. Aus dem Dokument ist vor allem ersichtlich, daß vor dem König sämtliche vier autos gespielt wurden, und zwar von den beiden Truppen in wechselnder Folge (León - Pinedo - León - Pinedo). Danach haben sich die Truppen getrennt und jeweils ihre beiden autos vor verschiedenem Publikum aufgeführt. Wollte ein Consejo oder eine Persönlichkeit nicht nur zwei, sondern alle vier autos sehen, mußte für diese zusätzliche Leistung bezahlt werden. 153 Die Aufführungen zogen sich bis zum Samstag nach dem Fronleichnamsfest hin. Größtes Problem scheint dabei gewesen zu sein, die vielen Wünsche der verschiedenen Institutionen und Persönlichkeiten für jeweils eigene autoAufführungen zu befriedigen, und so setzen die organisatorischen Änderungen genau an diesem Punkt an: 1624 wird in einem königlichen Erlaß festgelegt, daß nur noch vor dem König, dem Consejo de Castilla, dem Ayuntamiento und der Bevölkerung gespielt werden dürfe, daß also die verschiedenen- Körperschaften und Einzelpersonen, denen sonst eigene 35

Vorstellungen geboten wurden, an diesen Aufführungen teilzunehmen hätten. Doch das scheint nur kurze Zeit funktioniert zu haben, so daß offensichtlich aufgrund der Erfahrungen mit der Corpus-Feier von 1634 für die beiden folgenden Jahre der Consejo de Castilla gebeten wurde, die übrigen Consejos einzuladen, der Darbietung auf der Plaza de San Salvador vor dem Ayuntamiento beizuwohnen. Um dies organisatorisch bewältigen zu können, wurde für diesen Zweck eine größere Besuchertribüne gebaut. 1 5 4 Für die großen, repräsentativen Aufführungen auf der Plaza de San Salvador wurde eigens ein Podium hergerichtet 1 5 5 , an dem die carros befestigt wurden. Die Form dieses tablado fallt gegenüber der Corral-Bühne durch die langgestreckte Gestalt auf, die überdies im Laufe der Jahre immer ausgeprägter wurde: von 22 x 18 pies im Jahr 1622 auf 32 x 18 pies 1623 und auf 48 x 16 pies 1629 und 1634. Das tablado für die erste aw/o-Aufführung vor Consejo und Ayuntamiento auf der Plaza Mayor 1644 maß gar 50 x 18 pies.156 Für die Aufführungen vor den Häusern der verschiedenen Presidentes und Consejos wurden nach Art der Türme auf Wagen montierte transportable Podien verwendet: „carrillos en que se representa por las Calles". 157 Die Absicht, mit möglichst-wenigen aw/o-Aufführungen in Madrid möglichst viele Interessentengruppen gleichzeitig zu befriedigen, war schon 1637 nicht mehr mit der angestrebten Rigorosität zu verwirklichen. Zu groß war offensichtlich das Bedürfnis der verschiedenen Institutionen und Persönlichkeiten, eigene Vorstellungen geboten zu bekommen. Von diesem Jahr an wurde der Aufführungsbetrieb wieder in der althergebrachten Weise organisiert. Einen weiteren Versuch, die verschiedenen Consejos in einer Vorstellung zusammenzuführen, gab es dann erst wieder 1665. 158 Von da an wurden die Aufführungen wieder auf die Plazuela de San Salvador verlegt. Nach der durch den Tod Philipps IV. verursachten Pause, in der bis 1670 keine Darbietungen stattfanden, lief der auto-Vorstellungsbetrieb sogleich wieder in den alten Bahnen. 1671 ergab sich jedoch wiederum eine Änderung dadurch, daß die autos für die Consejos zwar nur noch auf der Plazuela de San Salvador gespielt wurden, dafür aber in für die Consejos getrennten Vorstellungen. 159 Doch wieder brach der alte Streit aus, und 1675 kehrte man zu dem bis 1664 üblichen Verfahren separater Vorstellungen vor den Residenzen der Consejos zurück. In diesem Zusammenhang ist ein Dokument aufschlußreich, in dem zunächst die bis 1664 übliche Praxis und der Wechsel zum neuen Verfahren beschrieben, sodann dafür plädiert wird, die alte Prozedur von neuem einzuführen. 1 6 0 Die Königin entschied schließlich, daß tatsächlich wieder nach dem alten Schema vorgegangen werden sollte. Inzwischen war jedoch die Zahl der aufzuführenden autos von vier auf zwei reduziert worden, eine Truppe hatte also jeweils nur ein auto sacramental zu spielen. Diese Änderung brachte, wie bereits angedeutet, auch eine Modifikation im Arrangement der carros mit sich. Statt je zwei wurden nun pro Spiel vier carros verwendet. 161 Während früher leicht zwei Türme an der Rückseite des tablado, an der rechten und linken Ecke, in Position zu bringen waren, ergaben sich bei vier carros größere Schwierigkeiten. Jedoch scheint es üblich ge36

worden zu sein, je zwei an den Schmalseiten und zwei an der Rückseite des tablado anzubringen, später - etwa 1677 und 1678 - standen die vier carros in einer Reihe. 1 6 2 Die carros wurden von eigens dafür von der Kommission verpflichteten Schreinern hergestellt und in der obreria Madrids aufbewahrt. Dort fanden auch die muestras - die technische Abnahme und Generalprobe - für die autos statt. 1 6 3 Aufschlußreich ist, daß in manchen Jahren, so von 1653 bis 1656, der für die Theatertechnik an der Corte zuständige Baccio del Bianco die Gestaltung der carros übernahm. 1 6 4 Dies läßt annehmen, daß zumindest einige der auf der technisch nach italienischem „Know-how" ausgestatteten Corte-Bühne gewonnenen Erkenntnisse auch an den carros angewandt wurden. Andererseits hatte schon die Tatsache, daß die Türme durch die Straßen der Stadt transportiert werden mußten, zur Folge, daß die Bühnentechnik keineswegs umfangreich und schwergewichtig sein konnte. Sie glich deshalb wohl eher den in den Corrales gebräuchlichen Einrichtungen als der Corte-Maschinerie. Die carros, die im ambulanten Corpus-Theater gewissermaßen das Corral-Bühnenhaus zu ersetzen hatten, wiesen eine ähnliche Gliederung wie dieses auf: Im „Erdgeschoß" befanden sich die Umkleideräume für die Schauspieler sowie Türen für die Auf- und Abgänge. Im „Obergeschoß" - lo alto del teatro - hauptsächlich waren die apariencias untergebracht, die durch Öffnen von Türen, Klappen, Vorhängen und ähnlichem gezeigt werden konnten. 1 6 5 In der vorangegangenen Skizze des äußerst vielgestaltigen Spielbetriebs und der Aufführungsstätten, an denen die Schauspieler im Untersuchungszeitraum wirkten, wurde einerseits die szenische Verschiedenartigkeit der drei Sparten Corral-comedia, Hoftheater-/?esfa und Corpus-aw/o deutlich. Andererseits zeigte sich auch, daß Elemente der einen Theaterform die beiden anderen Genres beeinflußten. Für den Schauspieler bedeutete dies, daß er an keiner Spielstätte ganz fremd war, daß er sich aber auch immer wieder mit jeweils neuen räumlichen und technischen Verhältnissen auseinandersetzen mußte. Auch in organisatorischer Hinsicht war der Aufführungsbetrieb in allen drei Sparten miteinander verknüpft, wenngleich unterschiedliche Gremien jeweils für die Aufsicht zuständig waren. Eine Schlüsselfunktion kommt dabei dem Consejo de Castilla zu, also einer allerhöchsten staatlichen Institution, die sowohl einen protector für das Corral- als auch für das Corpus-Theater stellt und die schon durch die weiteren Bezeichnungen Consejo del Rey oder Consejo de Su Majestad auf die nahe Verbindung zum König hinweist. Selbst wenn der Hof die Theateraufführungen in eigener Regie organisiert, ergeben sich über dieses Gremium Verbindungen zwischen Corte-, Corpusund Corral-Theater. Es läßt sich so mit Fug und Recht behaupten, daß an der Corte die Fäden von sämtlichen Theateraktivitäten der Epoche zusammenlaufen. In dem Verbund der drei Sparten ist angesichts der Tatsache, daß auch in anderen Ländern Hof- und Volkstheater jeweils von denselben Schauspielern gestaltet wurden, das Corpus-Theater, das die 37

Besonderheit des Schauspielerberufs in Spanien ausmacht, von herausragendem Interesse. Dennoch darf das relativ ausgewogene Kräfteverhältnis zwischen den drei Genres nicht übersehen werden. Betrachtet man Corpusund Corte-Theater näher, fallt auf, in welch großem M a ß beide Formen theatralischer Darbietung in den übergeordneten Zusammenhang religiösen oder höfischen Zeremoniells eingebettet sind. Dies bedingt ganz zwangsläufig, daß dem Schauspieler über die rein darstellerische Funktion hinaus die Aufgabe eines Mitgestalters des jeweiligen Zeremoniells zufallen mußte. Diesem Aspekt ist nun bei einer ersten, vorläufigen Bestimmung von Position und Funktion des Schauspielers im Theaterwesen des Siglo de O r o besondere Aufmerksamkeit zu schenken. 1.2 Die TheateraufTührung im Siglo de Oro als Ritual Die Tatsache, daß bei einer TheateraufTührung etwa im Vergleich zum Roman höchst spezifische Rezeptionsbedingungen wirksam werden, ist nicht mehr umstritten, seit die Beziehung zwischen literarischer Produktion und Publikum stärker ins Blickfeld gerückt wurde. Bezeichnend d a f ü r sind Untersuchungen, die den Text des Dichters in das historische Umfeld des Ereignisses zu setzen versuchen, bei dem das betreffende Stück aufgeführt wurde. Wie immer man diese Rezeptionssituation bezeichnen mag, ob man wie Neumeister bei seinen Untersuchungen zu den mythologischen Festspielen Calderons den von Gadamer geprägten Begriff der „Okkasionalität" 1 6 6 verwendet oder ob man wie Steinbeck den „ereignishaften A k t " der Theateraufführung als „Geburt" des Theaterkunstwerks 1 6 7 bezeichnet, an der der Zuschauer aktiv mitwirkt, entscheidend ist die Beobachtung, daß der Text des Dichters und die sonstigen Elemente der theatralischen Darbietung erst im Augenblick der Aufführung endgültig Sinn und Gestalt erhalten. Dieses Geschehen vollzieht sich in der Gemeinschaft der Mitwirkenden (Schauspieler) und der dem Ereignis Beiwohnenden (Zuschauer).' 6 8 Bei den Untersuchungen zum Theater des Siglo de Oro wurde bislang allzu häufig lediglich der Text eines Dichters (comedia oder auto sacramental) zum Anschauungsobjekt erhoben, den Vor- und Zwischenspielen, den Tänzen und der Musik dagegen eine nebensächliche Rolle zugewiesen, oder diese generös menores wurden ganz und gar vernachlässigt. Die Präsentation des Stücks hat sicher im Verlauf der Vorstellung zentrale Bedeutung, aber erst zusammen mit der Darbietung der übrigen Elemente entsteht das Gesamtergebnis der TheateraufTührung. Dem Ablauf der Darbietungen wie der besonderen Kommunikationssituation im Theater der Epoche wird am ehesten ein Begriff gerecht, der sich mit graduellen Unterschieden auf alle drei Sparten übertragen läßt und der für eine Bestimmung von Position und Funktion des Schauspielers im Bühnenbetrieb und in der Gesellschaft des 17. Jahrhunderts nutzbar gemacht werden kann: Ritual. Die Anwendung dieses Begriffs in diesem Zusammenhang bedingt freilich, daß man der TheateraufTührung in jener Epoche den Charakter einer nach festen Regeln ablaufenden kultischen Feier zuerkennt. Abgesehen von 38

zahlreichen Indizien aus der Aufführungspraxis, die diesen Sachverhalt bestätigen und auf die noch ausführlich einzugehen ist, bietet sich zunächst eine theoretische Erklärung für die Verbindung zwischen Theaterspiel und rituellem Ereignis auf der Basis von Huizingas Erkenntnissen an, der im Spiel die Grundlage aller Kultur sieht: Die frühe Gemeinschaft vollzieht ihre heiligen Handlungen, die ihr dazu dienen, d a s Heil der Welt zu verbürgen, ihre Weihen, ihre Opfer und ihre Mysterien in reinem Spielen im wahrsten Sinne des Wortes. 1 6 ®

Das Spiel selbst ist freilich noch nicht unbedingt Ritual. Es wird erst dazu durch die Institutionalisierung und Wiederholung allmählich entwickelter fester Abläufe. Dies geschieht über die beiden Regelfaktoren Ordnung und Spannung 1 7 0 ; Ordnung verstanden als die Konstante, das einmal sanktionierte Formen bewahrende Element, Spannung als die Variable, die nach Veränderungen strebende Kraft. Der Übergang vom Spiel zum Ritual ist selbstverständlich fließend. Wie in den einleitenden Abschnitten zu dieser Arbeit gezeigt wurde 1 7 1 , vollzog er sich in Spanien spätestens zu jenem Zeitpunkt, als die bis dahin nicht organisierten Truppen, die zunächst gewissermaßen aus eigenem Spieltrieb Vorstellungen gaben, in den im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts entstandenen, zunächst noch primitiv eingerichteten Corrales regelmäßig gegen Entgelt auftraten. Entscheidend war in Spanien 1 7 2 , daß sich eine vergleichsweise rasche Institutionalisierung (und damit Ritualisierung) nicht zuletzt auf Druck von außen einstellte: Die Madrider Hospitäler, die den Theaterbetrieb in ihre Regie übernommen hatten, um daraus Kapital für ihre wohltätigen Zwecke zu schlagen, waren selbstverständlich an einem guten Funktionieren interessiert. Aber auch das Schauspielerwesen entwickelte eine eigene Dynamik, die den Prozeß beschleunigen half. Die beiden anderen Sparten, das Corpus-Theater nahezu parallel zum Corral-Theater, das Corte-Theater erst im neuen Jahrhundert, profitierten von den im Corral entstehenden Organisationsformen, liefen jedoch, wie zu zeigen sein wird, im Hinblick auf den rituellen Charakter dem Corral-Theater den Rang ab. Zu alledem kommt die ganz auf einen nach immer gleichen Regeln ablaufenden AufTührungsmodus zugeschnittene Produktion der Dichter hinzu: Die einmal sanktionierte und grundsätzlich nicht mehr angetastete Form der dreiaktigen comedia (beziehungsweise des einaktigen auto sacramental) mit oft geradezu schematisch nach eingefahrenen Mustern abgewickelten Handlungsverläufen entsprach den Erfordernissen optimal. Die Verwendurtg des Begriffs Ritual im Theaterwesen ist gewiß nicht unproblematisch, zumal er nicht ganz eindeutig zu definieren ist. 1 7 3 In einer entsprechend weitgefaßten Definition hat allerdings das Theaterspiel sehr wohl seinen Platz, etwa wenn unter Ritual verstanden werden: sozial geregelte, kollektive Handlungsabläufe, die nicht zur Vergegenständlic h u n g in Produkten oder zur Veränderung der Situation führen, sondern die Situation symbolisch verarbeiten. 1 7 4

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Ein weiteres wesentliches Kennzeichen des Rituals ist, daß es mil großer Regelmäßigkeit in gleicher Situation und mit immer gleichem Ablauf 1 7 5

in Erscheinung tritt. Schließlich tendiert das Ritual zum Auscinanderfallcn von Form und Inhalt im Verlaufseiner Geschichte 176 .

Daß diese drei Elemente - die symbolische Verarbeitung einer Situation, die große Regelmäßigkeit in gleicher Erscheinungsform, das Auseinanderstreben von Form und Inhalt (mit einer Tendenz der Form, den Inhalt zu dominieren) - auf das spanische Theater des Siglo de Oro zutreffen, wird im einzelnen nachzuweisen sein. Der Theateraufführung im Untersuchungszeitraum rituellen Charakter zuzusprechen, heißt jedoch keineswegs, Ritual und Theaterspiel gleichzusetzen. Turner weist auf Unterschiede hin: Ritual, unlike theatre, does not distinguish between audience and performers. Instead, there is a congregation whose leaders may be priests, party officials, or other religious or secular ritual specialists, but all share formally an substantially the same set of beliefs and accept the same system of practices, the same sets of rituals or liturgical actions. A conregation is there to affirm the theological or cosmical order, explicit or implicit, which all hold in common (...). 177

Turner beruft sich dabei auf Schechner: Theater comes into existence when a separation occurs between audience and performers. The paradigmatic theatrical is a group of performers soliciting an audience who may or may not respond by attending. The audience is free to attend or stay away - and if they stay away it is the theater that suffers, not its would-bc audience. In ritual, stay away means rejecting the congregation - or being rejected by it, as in excommunication, ostracism or exile.' 7 8

Bei der Betrachtung der im Spanien des Siglo de Oro gebräuchlichen Theaterformen, insbesondere des auto sacramental und der höfischen fiesta, wird sich zeigen, daß eben der Prozeß der Trennung von Zuschauerschaft und Darstellern hier zwar auch, aber keinesfalls in der von Turner und Schechner beschriebenen Konsequenz stattgefunden hat, da das Gemeinschaftserleben bei der rituellen Veranstaltung der TheateraufTührung im Vordergrund stand, wobei der Unterschied zwischen „audience" und „performers" weitgehend aufgehoben war. Das Wechselspiel zwischen „everyday life" und „acting", das von Turner ebenfalls sehr ausführlich behandelt wird, hatte im spanischen Theater des 17. Jahrhunderts sehr eigene Wirkungen, die für das Verständnis des Berufsstandes von besonderer Bedeutung sind und entsprechend ausführlich in dieser Arbeit gewürdigt werden.

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1.2.1 Der rituelle Charakter von auto sacramental, Corte-fiesta, Corralcomedia Auffassungen wie die Turners, die hauptsächlich am modernen Bühnenbetrieb gewonnen wurden und das Theater früherer Epochen, seine andersartigen Kommunikationsverhältnisse nur unzulänglich berücksichtigen, haben nicht zuletzt auch die soziologisch ausgerichteten Forschungen zum spanischen Theater des Siglo de Oro beeinflußt - soweit es sie überhaupt gab. Erst allmählich wird auch hier der Blick frei auf übergeordnete Zusammenhänge. Das ist sehr deutlich an den Analysen des derzeit wohl eifrigsten Erforschers soziologischer Aspekte des Theaters im Untersuchungszeitraum, José Maria Diez Borque, zu erkennen. Mit seiner ursprünglich vertretenen Meinung 1 7 9 , das Theaterpublikum im Siglo de Oro sei dem heutigen gar nicht so unähnlich gewesen, es sei aus der Trennung „representación público", bei gleichzeitiger Abnahme des Gemeinschafts- sowie Fest- und Ritus-Charakters und zunehmender Professionalisierung der Aufführungen hervorgegangen, scheint er Turners These von dem Auseinanderstreben von ,,'audience" und „performers" zu bestätigen. Mit der Anwendung des Begriffs der fiesta180 auf den gesamten Ablauf der theatralischen Darbietungen zum Fronleichnamstag distanziert sich Diez Borque jedoch bereits von seiner zunächst geäußerten Auffassung, ja er revidiert sie schließlich völlig. Für ihn stellt es nach wie vor jedoch offenkundig ein großes Problem dar, die „relación fiesta y teatro en el Barroco hispano" und die Zusammenhänge zwischen „actuar festivo" un „actuar teatral" 1 8 1 in den Griff zu bekommen. Er meint damit den Unterschied zwischen theatralischen und nichttheatralischen Bestandteilen der Corpus-Feiern. Daß sich beides keineswegs klar voneinander scheiden läßt, sondern sich möglicherweise sogar gegenseitig bedingt und ergänzt, scheint Diez Borque zu erkennen, wenn er meint, daß die Corpus : //i\s/a beide Elemente kaum je in Reinkultur enthalte, sondern verschiedene Mischformen umfasse, von denen er nennt: den „acto público organizado", das „ritual profano y religioso" sowie die „celebraciones folklóricas" 1 8 2 , wobei jedes dieser Elemente wiederum in sich zu differenzieren ist. Diez Borque übernimmt schließlich eine Definition für dit fiesta von Miguel Roiz 1 8 3 und setzt sie in Gegensatz zum „concepto general de teatro", ohne dieses genauer zu beschreiben, weist aber zugleich darauf hin, daß gerade die fiesta eine „serie de prácticas de actuación concreta" 1 8 4 enthalte, die Fest und Theater einander annähere. Obwohl er sich in seiner Edition von Calderón-Texten auf den rein theatralischen Teil der Corpus : //Vi7a konzentriert, wirft er schließlich vollends seine früher geäußerte These von der Trennung spezifisch theatralischer und kultischer Aktionsformen über Bord, wenn er feststellt: „El auto es un elemento del conjunto celebrativo y para mí no se separa del mismo, sino que adquiere su significado precisamente por su integración en ese marco envolvente, sumándose - como una pieza interdependiente - al rito festivo." 185 Wenn Diez Borque schließlich auf die Problematik zu sprechen kommt, daß über das auto sacramental intellektuelle, scholastische und 41

dogmatische Lehren vermittelt würden, die zumindest ein Teil des Publikums nicht verstehe, stellt er folgerichtig fest: (...) para un importante sector del público (público-feligrés) es muy probable que el aspecto celebrativo, festivo, ritual y litúrgico dominara sobre el aspecto conceptual. teológico (...) que hacen pensar en esa pluralidad de niveles, repetidamente señalados para la comedia (...). 1 8 6

Da das „público-feligrés" im Untersuchungszeitraum aber wohl kaum von einem nicht-gläubigen, also einem sich dem Zeremoniell der Corpus-Feiern verweigernden Publikum abzuheben ist, hat Diez Borque den entscheidenden Schritt vollzogen und dem theatralischen Teil der fiesta selbst rituelle Bedeutung zugesprochen, eine Erkenntnis, die auch Grundlage für die Behandlung der Thematik dieser Arbeit sein soll und die im folgenden noch auf die höfische fiesta und die Corral-comedia zu übertragen ist. Eine solche Betrachtungsweise hat zur Folge, daß für die Theaterdarbietungen im spanischen Siglo de Oro von einer Trennung zwischen Zuschauer und Schauspieler zumindest in der von Turner (und ursprünglich auch Diez Borque) behaupteten Stringenz nicht die Rede sein kann, sondern daß das kultische Gemeinschaftserlebnis aller zur Aufführung Versammelten im Mittelpunkt steht. Diez Borque erkennt sehr richtig, was beim auto sacramental letztlich das Ziel der theatralischen Darbietung ist: El reto escenográfico del auto es responder a esa exigida espectacularidad y con clara función de visualizar lo sobrenatural y representar físicamente la complejidad alegórico-simbólica que expone la palabra. 1 8 7

Wardropper geht sogar soweit, daß er der Einaktigkeit des auto sacramental rituelle Bedeutung zuerkennt sowie fast schon auto sacramental und Sakrament gleichsetzt, das ja in sehr stark rituell geregelter Form gespendet wird: (...) el drama sacramental, como los sacramentos mismos, tiene que reducir a un solo punto la historia toda; tiene que resumir, en el espacio breve de un acto ritual. la significación dogmática del pasado y del porvenir del hombre. El acto único del auto sacramental era el foco de la historia dogmática de la humanidad, desde la caída inicial hasta la Redención, prolongada por medio de la Comunión hasta el momento actual. 18 "

Auf jeden Fall aber finden sich Parallelen zur katholischen Meßfeier, wenn man sich etwa manche memorias de apariencias zu Calderón-aw/os genauer ansieht, in denen der Dichter als Szenarium einen Altar - den Ort kultischer Handlungen schlechthin, den Kreuzungspunkt zwischen Diesseits und Jenseits - verlangt, etwa in den Anweisungen zu Sueños hay que verdad son (1670), wo es heißt: Ha de embeberse después el bastidor de la fachada y verse dentro del carro una mesa de altar con un sacrificio de panes y encima de cada uno una hostia. Este sacrificio ha de dar vuelta y verse un cáliz y hostia.1"®

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Damit werden außer dem Altar auch die Kultgeräte und der zentrale Gegenstand des Gottesdienstes, die Hostie - die nach katholischem Glauben während der Meßfeier in Jesu Leib verwandelt wird - auf der Bühne des auto sacramental präsentiert. Wurde das auto in die religiösen Feiern des Fronleichnamstages integriert 190 , gehören die theatralisch gestalteten fiestas an der Corte fest in das höfische Zeremoniell. Wie die Untersuchungen von Neumeister ergeben haben, sind sich beide Sparten auch in der Funktion sehr ähnlich: Wie das aillo sacramental der Verherrlichung der Eucharistie dienl, so dient das mythologische Festspiel der Verherrlichung des herrschenden Königshauses. D a f ü r wird es in A u f t r a g gegeben, geschrieben und als Selbstdarstellung der Dynastie dem In- und Ausland vorgeführt, und so wird es auch vom Publikum, dem geladenen wie dem zahlenden, v e r s t a n d e n . 1 "

Die Parallele zwischen den zeremoniellen Aufführungen am Hofe und denjenigen zum Fronleichnamstag geht noch weiter: Nicht nur in dem Hoftheater steht der König im Mittelpunkt, sondern auch bei der Darbietung des auto sacramental. Bereits in den Anfangen des Corpus-Festes wurde Christus als eucharistischer König gefeiert: Der G e d a n k e an das Königtum Christi d ü r f t e auch das wichtigste Motiv gewesen sein für die rasche Entfaltung des äußeren R a h m e n s des Corpusfestes und vornehmlich seiner Prozession, die wiederum mancherlei Elemente dem Zeremoniell des Hofes entlieh, so d a ß man die Fronleichnamsprozessionen des 14. J a h r h u n d e r t s „Schaustellungen kirchlichen Glanzes ersten Ranges" und eine spätere auch „Hccrschau der katholischen Kirche" genannt h a t . " 2

Bemerkenswert ist - dies unterstreicht ebenso die Wechselwirkung zwischen Corpus-Feier und Corte-Zeremoniell - , daß die autos sacramentales in aller Regel zuerst vor dem (weltlichen) König aufgeführt wurden: Jucucs por la tarde, día del Santísimo Sacramento, se representaran todos q u a tro autos a S.M. delante de su Real Palacio, c o m e n t a n d o a la ora q u e S.M. fuere seruido y señalare. 1 '' 3

Überdies wurden die autos sacramentales neben diesen gewissermaßen exklusiven Aufführungen für die Corte hauptsächlich vor hochgestellten Persönlichkeiten gespielt 194 , das breite Publikum nahm zwar Anteil, war aber nicht der direkte Adressat. Abgesehen von der Verherrlichung der Eucharistie 195 diente die «uto-Darbietung auch der Glorifizierung jener privilegierten Zuschauer, vor deren Palästen und Häusern die tablados aufgebaut wurden. Für das übrige städtische Publikum bestand das Ereignis deshalb nicht nur aus der Aktion der Schauspieler auf der Bühne, sondern eben aus dem gesamten rituellen Ablauf der Vorstellung vor dem Kreis der erlauchten Zuschauer. Das „Volk" mußte sich mit einer Zaungast-Rolle zufriedengeben: „Aun en tiempos de Calderón, la mayor parte de los espectadores se hallaban detrás del tablado." 1 9 6 So ist nun die Verbindung zu den höfischen Theateraufführungen auch in diesem Punkt hergestellt, denn dort blieben die nicht der Corte angehörenden Zuschauer bei 43

öffentlichen Aufführungen in einer vergleichbaren Randposition: „Das breite Publikum war (...) im Prinzip nur geduldet, nicht aber die eigentliche Zielgruppe." 1 9 7 Die höfische fiesta wurde also vorrangig zur höheren Ehre der Auftraggeber organisiert. Diese Corte-Selbstfeiern sind, wie Néumeister folgerichtig ausführt 1 9 8 , ganz auf den König ausgerichtet, was sich schon aus der Anordnung der Zuschauerplätze während der Vorstellungen ergibt: Der König ist genau der Bühne gegenüber an exponierter Stelle plaziert, die übrigen Besucher der Aufführung sind an der Längsseite des Raumes 1 9 9 untergebracht, so daß der Herrscher geradezu Mitspieler wird. Neumeister gesteht der Veranstaltung zwar das Prädikat „profanes Ritual" zu, doch schließt er sich lieber Dagobert Frey an, der in der geschilderten Konstellation ein „polares Spannungsverhältnis zwischen der Lebensrealität des Zuschauers und der ästhetischen Realität des Schauspiels" 200 sieht, statt daß er den ausgeprägten Gemeinschaftscharakter betont, durch den die Polarität Schauspieler - Zuschauer weitgehend neutralisiert ist. Der bei den Aufführungen betriebene „Solipsismus" 201 begünstigte nicht nur die Bildung einer rituellen Gemeinschaft durch Ausgrenzen der nicht zum direkt angesprochenen Publikum Gehörenden, beziehungsweise durch Abdrängen dieses Personenkreises in eine unbedeutende Randposition, sondern brachte noch eine weitere Folgeerscheinung mit sich: Die Sclbsldarstcllung des Herrscherpaares, in der sich ursprünglich das Gemeinwesen als G a n z e s wiedererkennen sollte, ist hier, a m Ende des 17. Jahrhunderts, endgültig zu einer narzistischen (sie) Selbstbespiegelung fast ohne Außenbezug geworden. 2 0 2

Der rituelle Charakter von auto sacramental und höfischer fiesta zeigt sich zum einen am Zweck beider Veranstaltungen: an der Verherrlichung von göttlichem (auto) und weltlichem Herrscher (höfische fiesta). Andererseits erweist er sich ex negativo daran, daß gerade diese beiden Sparten dem anheimfallen, was jedes Ritual in sich birgt: der Gefahr, daß es - zumal nach ausgiebigem Gebrauch - zu einer Form-Hülse wird. Bei den autos sacramentales ist dieser Punkt spätestens kurz nach dem Tod von Calderón erreicht, wenn nun nicht mehr für das Corpus-Fest des betreffenden Jahres geschriebene Stücke gespielt, sondern ältere Calderón-aw/os wiederaufgenommen werden, weil es nach Ansicht der Corpus-Organisatoren offensichtlich an Dichtern fehlt, die die überkommene Form mit neuem Inhalt füllen. Die Definition des Rituals, wie sie im vorangegangenen Abschnitt entwickelt wurde, ist so nicht nur in Bezug auf die symbolhaften, kollektiven Handlungsabläufe und die Regelmäßigkeit mit immer gleichem Verlauf, sondern auch im dritten Punkt, dem Auseinanderdriften von Inhalt und Form, bei zunehmener Dominanz der Form über den Inhalt, anzuwenden. Der Begriff des Rituals läßt sich auch, allerdings nur in eingeschränktem Maß, auf die dritte Sparte, das Corral-Theater, übertragen. Hier traten schon äußerlich andere Faktoren als bei dem jeweils in einen übergeordneten zeremoniellen Zusammenhang integrierten Corte- und Corpus-Theater in Kraft. Die Vorstellungen fanden jedoch auch im Corral mit großer

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Regelmäßigkeit und mit nahezu immer gleichem A b l a u f statt, wobei zu bemerken ist, daß weit mehr als die szenische Rezitation eines Textes geboten wurde. Die drei jornadas der comedia waren, ebenso wie in den beiden anderen Sparten, in eine einmal herausgebildete, später allenfalls geringfügig veränderte Abfolge von Vor- und Zwischenspielen, Musik und Tanz eingegliedert. Diese festgefügte (rituelle) Ordnung übte im Corral-Theater eine so große Anziehungskraft aus, daß der äußere Verlauf des Ereignisses oft mehr galt als der Inhalt der comedia.203 Wie bereits im Abschnitt über die Corrales zu sehen war, vereinte diese Spielstätte wie keine andere Zuschauer unterschiedlicher Herkunft und Bildung. Diez Borque bringt dies auf die Formel: En este sentido, sí puede afirmarse que el corral de comedias, en su estructura, refleja, por aproximación, la estratificación social de la España de los últimos Austrias, mostrando la jerarquización social y la inasequibilidad de los estratos superiores, por más que convivan, por unas horas, en el mismo lugar de representación. 2 0 4

Hinsichtlich der intellektuellen Voraussetzungen macht Diez Borque im Corral-Publikum zwei Extreme ausfindig: den (ungebildeten) „vulgo" auf der einen Seite und den verständigen, intelligenten „noble-discreto" beziehungsweise die „doctos" auf der anderen. Eine solche Polarisierung trifft jedoch nicht exakt die Kommunikationssituation im Corral, obwohl sie selbst in zeitgenössischen Texten anklingt, wie in Quiñones de Benaventes Loa con que empezó en la Corte Roque de Figueroa: Sabios y críticos bancos, gradas bien intencionadas, piadosas barandillas, doctos desvanes del alma, aposentos, que callando sabéis suplir nuestras faltas; infantería española, porque ya es cosa muy rancia el llamaros mosqueteros; damas que en aquesa jaula nos dais con pitos y llaves por la tarde alboreada: á serviros he venido. 2 0 5

Auch den mosqueteros und den Frauen in der cazuela, die beide zweifelsohne den „vulgo" ausmachen, wird Sachkenntnis nicht abgesprochen. Denn warum sollten die Schauspieler sonst mosqueteros und Frauen in der „jaula", vor deren Unmutsbekundungen sie offensichtlich Angst haben, derart um Nachsicht bitten, wenn sie nicht ihre berechtigte Kritik fürchten? Den Zuschauern in den höheren Platzkategorien wird vor allem eine bessere Einsichtsfahigkeit und Duldsamkeit bei Fehlern in der Ausübung des Schauspielerberufs attestiert, eine klügere, zurückhaltendere Reaktion als beim „vulgo", der offensichtlich auf sehr viel emotionalere Weise zu reagieren pflegt. Das Problem intellektueller Verarbeitung der Stücke selbst stellt sich in der Corral-Aufführung keineswegs mit der gleichen Schärfe wie 45

bei den höfischen fiestas mit ihren überaus verwickelten mythologischen Anspielungen und dem auto sacramental mit seinem theologisch-dogmatischen Hintergrund. Diese Tatsache erleichtert die Kommunikation aller im Corral Versammelten, so unterschiedlich auch Herkommen und Bildung sind. Trotz der heterogenen Zusammensetzung des Corral-Publikums entsteht so wiederum eine Gemeinschaft, für die in der erwähnten loa eine Metapher genannt wird. Der Schauspieler Bezón fordert den autor Roque auf: „Pide perdón al senado". 2 0 6 Diese zur Konvention gewordene Anrufung der „concurrencia de personas graves, respetables y circunspetas" 2 0 7 - letztlich nichts anderes als eine captatio benevolentiae - könnte man auch als Hinweis auf das Publikum als eine immer wieder zusammentretende Gemeinschaft ansehen, deren Mitglieder dem Geschehen auf der Bühne mit Kennerschaft und einer gewissen intellektuellen Autorität gegenübertreten. Ähnlich wie im Corte- und Corpus-Theater bleibt im Corral die Alltagsrealität weitgehend ausgegrenzt. Bezeichnenderweise wird immer wieder die Theater-Aufführung mit einem Traum verglichen. So etwa zeigt die soeben zitierte loa den autor Roque de Figueroa schlaftrunken. 2 0 8 Und Zabaleta sagt es gleich im ersten Satz seines Kapitels über die comedia: „Las comedias son muy parecidas á los sueños." 2 0 9 Dieser Traumwelt entsprechen die Vergegenwärtigung des Übernatürlichen im auto sacramental und die spezifische Aufführungssituation im Hoftheater, die den Herrscher und sein Gefolge systematisch in das mythologische oder allegorische Geschehen auf der Bühne einbezieht und in eine der Alltagsrealität enthobene Sphäre überführt. Parallelen zwischen Corral- und Corpus-Theater sind sehr deutlich am Beispiel der Ehrenthematik zu erkennen: Das Duell wird in der comedia nicht als unterhaltsamer Selbstzweck vorgeführt, sondern dient der Verteidigung eines Gutes. So gesehen lassen sich die regelmäßig auf der Corral-Bühne abgehandelte Ehrenideologie und die den autos sacramentales zugrundeliegende Transsubstantiationstheorie einander gleichsetzen: Calderón convirtió en alegoría sacramental el mundo del honor y de los celos al igual que Lope - en La locura por la honra y La adúltera perdonada, y escribió un auto. El pintor de su deshonra, del mismo titulo que el drama; en este último, el Pintor - Dios - perdona a la Naturaleza Humana - su Esposa - con palabras que definen, sin duda posible, el pensamiento de Calderón sobre este tema: que es la diferencia que hay en los duelos de la honra, entre Dios y el hombre, pues si a los dos vengarse toca, se venga uno cuando mata, y el otro cuando perdona.2'0

Die Tatsache, daß sich die Abhandlung der Ehrenthematik auf der Bühne nach strengen Regeln vollzieht, bestätigt überdies den rituellen Charakter des Spiels auch im Corral-Theater. In den Ehrendramen genügt schon der geringste Verdacht, um den unerbittlichen Sühne-Mechanismus in Gang zu setzen. Der nächste männliche Verwandte der Frau hat, wenn sich der Verdacht erhärtet, für die Wiederherstellung der Ehre zu sorgen: insgeheim, wenn der

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Verdacht geheim bleibt, öffentlich, wenn der Ehrverlust bekanntgeworden ist. Gerät die Selbstjustiz mit der öffentlichen Ordnung in Konflikt, m u ß der König als letzte und unangefochtene Instanz alles wieder ins Lot bringen. Vieles deutet d a r a u f h i n , d a ß die Verteidigung des Gutes der Ehre keineswegs in dieser rigorosen Art im Alltag praktiziert wurde. Wie die Darstellung der religiösen Mysterien im auto und der mythologischen Themen in der fiesta spielt sich deshalb die Behandlung der Ehrenideologie auf einer abstrakten Ebene ab. Die Zuschauerschaft befindet sich auch im Corral in einer Erlebnisgemeinschaft mit den Schauspielern jenseits der Alltagsrealität, wobei sowohl bei den Gestaltern des Rituals der A u f f ü h r u n g (Schauspieler) als auch bei den Mitfeiernden (Publikum) das Wissen um die Kunsthaftigkeit des Ereignisses durchaus vorhanden ist, aber von der Ulusionierung überlagert wird. Dies wird an entsprechender Stelle 211 in dieser Arbeit im einzelnen nachzuweisen sein.

1.2.2 Der Schauspieler als „rituell Sachkundiger1* Aus allem zum rituellen Charakter des Theaters im Untersuchungszeitraum Gesagten folgt, daß dem Schauspieler eine sehr viel weitergehende Aufgabe zukam als die eines Rezitators von Texten vor einem Publikum. Seine Funktion ist am besten mit dem Begriff des „rituell Sachkundigen" 2 1 2 zu beschreiben. Er hat die Aufgabe, die zum Ereignis der Aufführung Versammelten aus der Alltagsrealität heraus in die Welt der Theaterillusion zu führen. Denn das spanische Barocktheater geht, wie bereits angedeutet wurde und wie im Verlauf dieser Arbeit noch unter verschiedenen Aspekten zu zeigen sein wird, tatsächlich einen entscheidenden Schritt weiter als Alewyn annimmt, der es in einer Art Zwischenreich zwischen Sein und Schein ansiedelt: (...) und woraures hier abgesehen ist, ist nicht die Täuschung über den Unterschied der Welt des Scheins und der Welt des Seins. Worauf es dem Barock ankam, war. die Grenze zu verwischen und damit den Grenzübertritt zu verschleiern. Man soll niemals ganz genau wissen, o b man sich noch im dreidimensionalen Raum befindet oder schon im zweidimensionalen Schein. Man soll etwa glauben, man sei noch diesseits, während man in Wirklichkeit schon jenseits ist. und man soll nie ganz den Zweifel verlieren, o b man auch wirklich schon drüben und nicht vielleicht doch noch hüben sich befindet. Der barocke Weg in das Jenseits ist ein Gleiten und nicht ein Sprung. 2 1 3

Dem letzten Satz ist zwar zuzustimmen, doch ist das Ziel nicht der Grenzbereich, sondern tatsächlich die imaginierte Welt des Scheins. D a r a n ändert auch die Tatsache nichts, d a ß in zahlreichen comedias recht präzise Ortsangaben aus der vertrauten Umgebung des Publikums zu finden sind, wie etwa Straßen, Plätze oder Gebäude in M a d r i d . 2 1 4 Dieser Kunstgriff dient in aller Regel nur dazu, Authentizität vorzuspiegeln, die Fiktizität des Geschehens wird damit keinesfalls in Frage gestellt. Die Funktion des Schau47

spielers als Führer in die Welt des Scheins wird in keinem Zeugnis der Zeit eindrucksvoller dokumentiert als in dem auto von Calderón El gran teatro del mundo. Schon der Titel ist Programm, nicht nur für das Stück, sondern für das Barocktheater überhaupt. Zwar enthält das Werk manche Hinweise auf die damalige Aufführungspraxis, doch sollte man sich davor hüten, sie allzu wörtlich zu nehmen. Das wird bereits an der Figur des autor - Gott - deutlich. Wie Calderón ihn darstellt, geht die Kompetenz dieses autor weit über die eines Truppenleiters im Siglo de Oro hinaus: Er ist derjenige, der die Bühnenfiguren ins Leben ruft, die Rollen inauguriert und gleichzeitig das Spiel leitet, ist also Dichter und Spielmeister in Personalunion, entgegen der in der Praxis seinerzeit üblichen Trennung beider Funktionen. Die Bühnenfiuren sind von Calderóns autor schon konzipiert, bevor sie existieren: „pues en mi presencia iguales / antes de ser existís" 215 . Auf subtile Weise vertauschen sich im Gran teatro del mundo die Realitätsebenen: „AI teatro pasad de las verdades / que éste es el teatro de las ficciones" 216 sagt El Mundo in jener Phase des auto, in der die Figuren von der Bühne abtreten müssen. Das Theater, respektive das tablado für die aw/o-Aufführung, das die reale Ausgangssituation für die Vorstellung abgibt, wird kurzerhand zur Fiktion erklärt, während das, was der Zuschauer imaginieren soll, die Welt des Jenseits, als Wahrheit vorgeführt wird: Nachdem die Schauspieler in dem auto ihre Rolle gespielt haben, agieren sie in eben jener nicht materiell faßbaren Sphäre. Schließlich wird, wie bei einem auto sacramental nicht anders zu erwarten, die Verbindung zur Feier des Fronleichnamstages hergestellt, also wieder die reale Aufführungssituation einbezogen: Der autor thront an einem Altar mit Kelch und Hostie, und am Ende des auto wird der Sakramentshymnus, das Tantum ergo, angestimmt, das an diesem Festtag auch im Verlauf der gottesdienstlichen Feiern gesungen wird. Damit wird der Schauspieler fast schon in einer priesterähnlichen Funktion gezeigt. Seine rituelle Sachkenntnis besteht auf jeden Fall darin, daß er den Verlauf des Rituals der Aufführung schon vorher als Konzept kennt, ihn während des Ereignisses mit Hilfe verschiedener Regelmechanismen steuert. Dieses Wissen um den wahrscheinlichen Ablauf der Vorstellung, noch bevor sie begonnen hat, aber auch das Wissen um das Funktionsprinzip der einzelnen Elemente, mit denen er den Ablauf lenkt (die Einsicht etwa in die Beschaffenheit der Bühnenmaschinen, die sich für ihn nicht als Wunderwerke, sondern als technische Geräte darstellen) - all dies und selbstverständlich sein „handwerkliches" Rüstzeug (Sprechkunst, Gestik, Mimik, tänzerisches Können, musikalische Fertigkeiten) verleihen ihm in der Aufführungsgemeinschaft eine herausragende Position. Einer solchen privilegierten Stellung scheint in augenfälliger Weise das schlechte moralische Ansehen zu widersprechen, das der Schauspieler damals in bestimmten Kreisen genoß. Einer der großen Wortführer dieser Anschauung war der Padre Juan de Mariana, der vor allem in seinem Traktat De spectaculis (1609) gegen das Theater zu Felde zog. In der von ihm selbst besorgten Übersetzung ins Spanische, Tratado contra los juegos públicos, schreibt er, auf die Schauspieler abzielend: 48

De todo lo cual, se saca lo que muchas veces se ha dicho; que el farsante que trata cosas torpes, como infame y sujeto á pecado, debe ser del todo privado de los sacramentos de la iglesia, si no propusiere de dejar tal profesión; y si muriendo no diere, por lo menos, señales de haber mudado propósito, no le deben dar sepultura eclesiástica, ni hacelle obsequias á la manera que se hace con los demás pecadores manifiestos y públicos (...)• Y desta suerte, juzgo que sean las compañías de representantes que andan ordinariamente por España, vendiendo su arte por dineros; pues es cierto que abiertamente ó de callada, casi en todas las representaciones, proponen á los oyentes, torpeza y deshonestidades, engaños de rufianes, amores de rameras, fuerzas de doncellas, y otras cosas que no hay por qué referirlas, por su deshonestidad; y por tanto, como afeados con muchas torpezas, juzgo que deben ser echados de la iglesia y apartados de la sanctidad de los sacramentos. 217

Es wird im Verlauf dieser Arbeit zu klären sein, ob Vorwürfe dieser Art, die vor allem von Angehörigen der religiösen Orden vorgebracht wurden, die Tätigkeit der Berufsschauspieler beeinflußt oder gar behindert haben. Vor allem aber ist der offenkundige krasse Widerspruch zwischen dieser Ansicht, die dem Schauspieler jedes Recht aberkennt, Mitglied der religiösen Gemeinschaft zu sein, und der bereits angedeuteten, im folgenden noch weiter zu untersuchenden Sonderstellung des Schauspielers aufzulösen. Zunächst sind jedoch einige grundlegende Fragen zur Organisation des Berufsstandes zu behandeln, insbesondere zur Arbeitsweise im Verband der Theatertruppe (compañía).

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2 Der Schauspieler in der Truppe Die Theatertruppe ist das Kollektiv, das den vom Dichter verfaßten Text szenisch umsetzt und in den Gesamtablauf der Aufführung eingliedert. Sie ist die Organisationsform für den einzelnen Schauspieler, deren er bedarf, um seinen Beruf ausüben zu können. Am Beginn des Untersuchungszeitraums schieden sich sehr rasch die umherziehenden nicht- oder semiprofessionellen Truppen von den compañías der Berufsschauspieler. Beschleunigt wurde diese Entwicklung durch die zunehmende Perfektionierung in der Organisation und durch eine ursächlich sicher damit zusammenhängende Reglementierung durch staatliche und städtische Instanzen. 1 Grundsätzlich lassen sich im Spanien des Siglo de Oro zwei Kategorien von Schauspielertruppen unterscheiden: die compañías de título (oder compañías reales) und die compañías de la legua2. Zur ersten Gruppe gehörten all jene Ensembles, die offiziell zugelassen waren und deren Mitglieder das Berufsschauspielertum in der hier zugrundeliegenden Definition repräsentierten. So leicht die Unterscheidung beider Kategorien von der administrativen und juristischen Seite her erscheint, so problematisch bleibt sie in Bezug auf die Tätigkeitsmerkmale. Denn auch die compañías de ta legua dürften in einzelnen Fällen in ihrem Spiel professionelles Niveau erreicht haben. Da jedoch die Abgrenzung sehr schwierig ist und Dokumente über die fegi/a-Truppen so gut wie nicht existieren, müssen sie hier unberücksichtigt bleiben. Ein Problem für sich stellt die Klassifizierung dar, die in Agustin de Rojas* Werk El viaje entretenido3 enthalten ist und die in diesem Zusammenhang immer wieder zitiert wird. In der von Rojas wiedergegebenen Unterhaltung zwischen den beiden autores Ríos und Ramírez sowie dem Schauspieler Solano, die - fiktiv oder nicht - Rojas' loa-Serie auflockert, spricht Solano unvermittelt von „gangarrilla" 4 . Ramírez versteht das Wort nicht, und Solano antwortet ihm: „Bien parece que no habéis vos gozado de la farándula, pues preguntáis por una cosa tan conocida." Aber auch für Ríos ist das etwas Unbekanntes: „Yo tengo más de treinta años de comedia y llega ahora a mi noticia." Daraufhin erklärt Solano: „Pues sabed que hay ocho maneras de compañías y representantes, y todos diferentes." Und er zählt sie alle auf: bululú, ñaque, gangarrilla, cambaleo, garnacha, bojiganga, farándula, compañía. Bululú sei ein einzelner Darsteller, führt er aus, ñaque bestehe aus zwei, die gangarrilla aus drei oder vier, bis schließlich die farándula erreicht ist, die Solano als „víspera de la compañía" charakterisiert. Die compañía selbst beschreibt er folgendermaßen: En las compañías hay todo género de gusarapas y baratijas; entrevan cualquiera costura, saben de mucha cortesía; hay gente muy discreta, hombres muy estimados, personas bien nacidas y aun mujeres honradas (...), traen cincuenta comedias, trescientas arrobas de hato, diez y seis personas que representan, treinta que comen, uno que cobra y Dios sabe el que hurta. Unos piden muías, otros coches, otros literas, otros palafrenes, y ningunos hay que se contenten con carros, porque dicen que tienen malos estómagos. Sobre esto suele haber muchos disgustos. Son sus trabajos excesivos, por ser los estudios tantos, los ensayos tan continuos y los gustos tan diversos, aunque de esto Ríos y Ramírez saben harto, y así es mejor dejarlo en silencio, que a fe pudiera decir mucho.

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Rojas läßt Solano einen Zustand beschreiben - darauf weist bereits die Entstehungszeit des Buches hin 5 in dem die beiden Kategorien compañía de titulo / de legua noch nicht offiziell sanktioniert waren, sich aber beide bereits soweit auseinanderentwickelt hatten, daß die einen von dem Jargon der anderen nichts mehr verstanden. Dies würde zumindest erklären, warum Rios und Ramírez, beide auch durch andere Dokumente als autores de comedias nachgewiesen 6 , so überrascht reagieren, als Solano, der ganz offensichtlich mit kleineren herumziehenden Truppen der legua Kontakt hatte, die Truppenbezeichnungen erwähnt. Die arg strapazierte Stelle im Viaje entretenido ist, so gesehen, einiges mehr als ein Beispiel für „picaresque slang" 7 . Auch das vagabundierende Komödiantentum hat seine eigenen Strukturen aufzuweisen. Die Trennungslinie verläuft bei Rojas zwischen den zuerst genannten sieben verschiedenen Vorstufen zur compañía und der compañía selbst. Daß diese in der ausführlich erläuterten Truppenhierarchie die Spitzenposition einnimmt, beziehungsweise eine ganz eigene Kategorie darstellt, wird bereits aus der Kennzeichnung der farándula als der „víspera de la compañía" deutlich. Rojas läßt Solano - sieht man einmal von der satirischen Übertreibung ab, die das gesamte Buch durchzieht - mit bemerkenswerter Klarheit all jene Merkmale aufzählen, die auch späterhin bei den offiziell zugelassenen, für den Spielbetrieb in Corral, Corte und beim Corpus-Fest herangezogenen Truppen von Bedeutung sind und ihren professionellen Charakter unterstreichen. Dazu zählen ein großes Repertoire 8 , ein ebenfalls großer Fundus an Kostümen und Requisiten, kontinuierliche und intensive Arbeit bei den Proben, eine beachtliche Durchschnittsstärke von sechzehn Personen. Etwas naserümpfend weist Solano darauf hin, daß die Mitglieder der compañías angesehenere Leute, von delikater Gesundheit und deshalb wählerisch in puncto Transportmittel seien. 9 Kurz: Solano hält sie für etwas Besseres. 2.1 Die compañías de título Bei Rojas spiegelt sich die Situation kurz vor der definitiven Institutionalisierung und Kommerzialisierung des Theaterbetriebs wider: Die Strukturen sind bereits vorgeprägt, die weitere Entwicklung verstärkt sie nur und läßt die Organisationsformen der offiziell zugelassenen Truppen immer differenzierter werden. Ein zwangsläufig vor sich gehender Prozeß: Je mehr das Theaterwesen öffentliche Resonanz findet, umso mehr gerät es in die Mühlen der staatlichen und städtischen Bürokratie und wird von ihr reglementiert, umso mechanistischer läuft aber auch der Theaterbetrieb ab und umso weniger wird er aufnahmefähig für Innovationen. Dekrete, die die Schauspielertruppen direkt oder indirekt betreffen, gibt es für die Jahre 1600, 1603, 1608, 1615 und 1641. In fast allen diesen Erlassen geht es um eine Begrenzung der Zahl der offiziell zuzulassenden compañías. 1600 wird die Zulassung von nur vier Truppen empfohlen, 1603 erhalten acht Truppen die Lizenz, 1615 und 1641 jeweils zwölf. Daß die in der Consulta del 51

Consejo ¿i S.M. sobre la permisión o prohibición de las comedias von 160010 verfügte Beschränkung auf vier lizenzierte Truppen nicht eingehalten wurde, versucht Rennert 11 dadurch zu belegen, daß er für die Zeit zwischen Februar 1600 und April 1603 allein 21 autores de comedias in Dokumenten erwähnt findet. Auf jeden Fall scheinen vier Truppen zu wenig gewesen zu sein, denn schon mit dem „Real decreto de reformación de comedias" vom 26. April 160312 wird eine doppelt so hohe Zahl zugelassen. Die acht Truppen, beziehungsweise ihre Leiter, werden auch namentlich genannt: Gaspar de Porras, Nicolás de los Ríos, Baltasar de Pinedo, Melchor de León, Antonio Granados, Diego López de Alcaraz, Antonio de Villegas, Juan de Morales. Die Bestimmungen von 1608 enthalten keine Begrenzung in der Zahl der Truppen, sondern lediglich die Aufforderung: Que antes que el autor entre en esta Corte con su compañía ha de embiar a pedir licencia al señor del Consejo que es. o fuere protector de los dichos hospitales: y el que entrare sin ella no sea admitido. 1 3

In der „Reformación de comedias" von 1615 werden zwölf Truppen zugelassen und auch namentlich erwähnt: Alonso Riquelme, Fernán Sánchez, Tomás Valdés, Diego López de Alcaraz, Pedro Cebriano, Pedro Llórente, Juan de Morales Medrano, Juan Acacio, Antonio Granados, Alonso de Heredia, Andrés de Claramonte. Die Bestimmung, daß es nur zwölf Truppen sein dürfen, lautet wörtlich: „Primeramente que no aya mas que doze Compañías, las quales traigan los Autores que para ellas nombrare el Consejo, y lleuaren testimonio deste nombramiento (...)." 14 Dieser Passus wird in dem Dekret von 1641 nahezu wörtlich wiederholt 15 , ohne daß diesmal allerdings Namen genannt werden. Die Lizenz erhielten, so ist den Dokumenten zu entnehmen, die autores. Sie mußten von ihren Truppen jeweils Listen einreichen, auf denen die Namen aller Mitglieder genannt waren. Die Gültigkeit der Lizenz scheint zwei Jahre betragen zu haben, jedenfalls wird dies 1615 so festgelegt: „los quales y no otros ningunos lo puedan ser por tiempo de dos años (...)." 16 Außer von den beiden Jahren 1603 und 1615 sind keine Namen von autores direkt überliefert, denen die Lizenz zuerkannt wurde. Man muß also weitgehend auf indirekte Art zu erschließen versuchen, welche Truppen in die Kategorie compañía de titulo einzuordnen sind. Rennert 1 7 scheint in dieser Hinsicht nur solche Truppen anzuerkennen, die in Dokumenten den Zusatz „de los nombrados por Su Magestad" tragen. Das ist jedoch mit Sicherheit zu eng gefaßt, da diese Bezeichnung nur sehr sporadisch und in den seltensten Fällen als distinktives Merkmal gegenüber anderen Truppen verwendet wurde, abgesehen davon, daß es unter den von Rennert genannten autores, die seiner Meinung nach nicht zu den „nombrados por S.M." gehörten, dennoch einige gibt, die ausdrücklich diese Formel in Dokumenten benutzten, wie etwa 1620 Alonso de Olmedo y Tofiño oder Cristóbal de Avendaño 1 8 . Eine weitere, wesentlich seltener gebrauchte Bezeichnung für die mit einer Lizenz ausgestatteten autores lautete „autor del número" 1 9 . Um offiziell anerkannt zu sein, genügte es für den Truppenleiter offenkundig, den Titel autor de comedias zu führen. Dennoch scheint das 52

Verfahren der Lizenzvergabe einige Zeit in Anspruch genommen zu haben. Alonso de la Paz beispielsweise versuchte, 1644 eine T r u p p e zu gründen, während er die Zulassung als autor de comedias beantragt, aber noch nicht erhalten hatte. Er mußte sich darüber im klaren sein, d a ß die mit den Schauspielern bereits geschlossenen Verträge null und nichtig seih würden, wenn er die Zulassung nicht erhielte. 2 0 Es darf angenommen werden, d a ß alle Truppen, die am geregelten Theaterbetrieb in den drei Sparten aktiv beteiligt waren und deren N a m e n im offiziellen Schriftverkehr auftauchen, zu den compañías de título gehörten. Es ist kaum denkbar, d a ß eine „illegale" Truppe, eine compañía de la legua, für Aufführungen etwa beim Corpus-Fest oder an der Corte herangezogen worden wäre. 2 1

2.2 Größe der Truppen In allen Truppenlisten, die für die Zwecke dieser Arbeit untersucht wurden 2 2 , findet sich keine einzige compañía, deren Mitgliederzahl über zwanzig hinausgegangenen wäre. Dies scheint das absolute M a x i m u m gewesen zu sein, das aus ökonomischen, organisatorischen oder anderen Gründen grundsätzlich eingehalten wurde. 2 3 Die Truppengröße war jedoch im Laufe der Existenz eines Ensembles starken Schwankungen unterworfen, und es scheint manchmal schwierig gewesen zu sein, überhaupt eine ausreichende Zahl von Schauspielern für die Bildung einer Truppe zusammenzubekommen. So beklagen sich 1635 drei autores, Tomás Fernández, Bartolomé R o m e r o und Antonio de Prado: „(...) que p o r la esterilidad de los tiempos no pueden hacer los gastos y f o r m a r compañía suficiente para los Autos de M a d r i d " 2 4 . Von den Truppen, die noch im 16. Jahrhundert auftraten, existieren so gut wie keine Angaben über ihre jeweilige Stärke. Rennert rechnet, ohne d a ß er dies allerdings zu belegen vermag, für die Zeit vor 1586 mit jeweils dreizehn oder vierzehn Personen, zuzüglich autor2*. Für die erste Blütezeit des spanischen Theaters im Siglo de Oro, von 1610 bis 1640, gibt er sechzehn bis zwanzig Schauspieler an und setzt dies in Relation zu der französischen T r u p p e Molières, die bei ihrer ersten Vorstellung in Paris nur neun Personen umfaßt habe. 2 6 Die spanischen Truppen waren also personell vergleichsweise gut ausgestattet. Rennerts Beobachtungen decken sich im wesentlichen mit dem, was die für diese Arbeit herangezogenen Truppenlisten für die Jahre von 1602 bis 1681 bezeugen. Nach unten ist die Begrenzung allerdings schwieriger festzulegen als die Maximalgröße. In den Jahren von 1659 bis 1681 findet sich praktisch keine Truppenliste, die weniger als fünfzehn N a men aufweist. Von den Jahren davor gibt es allerdings sehr viel häufiger Aufstellungen mit nur zwölf oder gar zehn Truppenangehörigen. 2 7 Hier zeigt sich ein grundsätzliches Problem der Truppenlisten: In manchen Fällen geben sie nur ein sehr unvollständiges Bild wieder, enthalten also nicht unbedingt alle tatsächlich in der T r u p p e engagierten Schauspieler. Meist entstanden die Listen im Februar/März, in der Fastenzeit, die spielfrei war, jedoch für die Rekrutierung der Schauspieler durch die autores genutzt

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wurde.-2* Bei Spielbeginn zu Ostern war dieser Prozeß manchmal längst noch nicht abgeschlossen, und es kamen weitere Schauspieler hinzu, die Listen aber mußten frühzeitig fertiggestellt und im Hinblick auf das mögliche Engagement für das Corpus-Fest eingereicht werden. Einen weiteren Unsicherheitsfaktor stellen die Hilfskräfte dar, wie etwa apuntador, cobrador und »uardarropa. Sie sind manchmal überhaupt nicht in den Listen erwähnt oder sie sind, wenn sie denn genannt werden, nicht immer vom darstellenden Personal zu unterscheiden. 2 9 Eine G r ö ß e von sechzehn Personen pro T r u p p e dürfte für den gesamten Untersuchungszeitraum als Richtwert für ein gut funktionierendes Ensemble anzunehmen sein. 3 0 War eine T r u p p e kleiner als die Besetzungsliste des Stükkes. mußte man sich damit behelfen, d a ß ein Schauspieler mehrere Rollen übernahm. Das galt insbesondere in der Frühzeit, beispielsweise bei Cervantes: In seiner comedia El rußc'in dichoso vermerkt er ausdrücklich, d a ß alle Frauenrollen von zwei Schauspielerinnen dargestellt werden können. 3 1 In einem anderen Stück - Pedro de Urdemalas - weist Cervantes darauf hin, „que las mismas actrices que hacen los papeles de Benita y Clemencia, pueden hacer los de Inés y Belica. Aquella cecea, està n o . " 3 2 2.3 Truppenbildung - Vertragsabschluß In der Zeit zwischen Fastnacht und Ostern knüpften die autores de comedias in den mentideros von Madrid K o n t a k t e zu den Schauspielern, die sie in ihre Truppe aufnehmen wollten. Die entsprechenden Verträge wurden d a n n gewöhnlich auf ein Jahr, bis Fastnacht des darauffolgenden Jahres, geschlossen. 3 3 Dieser Einjahresrhythmus scheint den Erfordernissen des Theaterbetriebs besser entsprochen zu haben als längerfristige Verpflichtungen. Wenn der autor selbst die T r u p p e nicht zusammenstellen konnte, weil er etwa auf Tournee war, beauftragte er einen Bevollmächtigten mit dieser Aufgabe. 3 4 Verträge konnten entweder mit einzelnen Schauspielern abgeschlossen werden, oder es gab einen K o n t r a k t , in dem alle künftigen Truppenmitglieder aufgeführt waren. Ein besonders ausführlicher Vertrag wurde am 19. Juni 1614 zwischen dem autor Andres de Claramonte (ausdrücklich bezeichnet als „de los n o m b r a d o s p o r su magestad") und einer Reihe von Schauspielern geschlossen. 3 5 Da er modellhaft alle in einem solchen Dokument üblicherweise geregelten Punkte enthält, soll hier ausführlich auf ihn eingegangen werden. Der späte Termin, zu dem die Übereinkunft zustandekam, überrascht. Claramonte hatte sich aber bereits am 28. März desselben Jahres um die Bildung einer T r u p p e b e m ü h t 3 6 und einige Schauspieler engagiert. Es sind jedoch zum großen Teil andere N a m e n als im Juni-Vertrag. Und nicht genug damit: Claramonte trifft noch eine dritte Vereinbarung mit Schauspielern, und zwar am 11. Juli 1614. In diesem gegenüber dem K o n t r a k t vom Vormonat weit kürzeren Vertragstext scheint die T r u p p e ihre endgültige Gestalt gefunden zu haben. Sie u m f a ß t nun siebzehn Mitglieder (mit autor), im März und Juni waren es jeweils nur zwölf. 54

Allein diese drei Verträge zeigen deutlich, wie schwierig es für den autor gewesen sein muß. eine Truppe zusammenzubekommen. Fast vier Monate hat Claramonte dazu gebraucht, und die Hälfte der Spielzeit - insbesondere das Corpus-Fest - war längst vorüber. Die Schwierigkeit spiegelt sich auch in der Tatsache wider, daß sich die drei Listen kaum gleichen, daß Claramonte also immer wieder neue Schauspieler engagiert hatte, daß andere, die bereits verpflichtet waren, die compañía wieder verließen. Im Juni-Vertrag stehen nur zwei Namen, die auch im März schon aufgeführt waren: Miguel de Ayuso und Luisa Reinoso, ein Schauspielerehepaar. Im Juli übernimmt Claramonte dann sieben Schauspieler, die bereits im JuniVertrag genannt wurden: Pedro Cerezo de Guevara, Fernando Pérez, Maria de Montesinos (Pérez' Frau), Maria Gabriela und Francisca Maria, deren Tochter, sowie Sebastiana Vázquez und Alonso García. Hinzu kommen Juan Bautista, Fernando und Diego Manuel, alle drei mit dem Nachnamen Alarcón 3 7 ; sie waren bereits im März-Vertrag erwähnt. Um die Gesamtzahl siebzehn zu erreichen, hat Claramonte sechs Schauspieler hinzuengagiert: Cristóbal de Morales, Juan de Jerez, Lucas Sánchez, Juan Cabello, Francisco Hernández Galindo und Isabel de Torres. Der Vertrag vom 19. Juni 1614, der also nun näher zu betrachten ist, beginnt mit der Formel Concierto r obligación, die in der gesamten Epoche immer wieder für diesen Zweck verwendet wird. Die beiden Begriffe können jedoch auch einzeln und unabhängig voneinander auftauchen. Concierto38 wird als Terminus für die Vereinbarung zwischen autor und Truppenmitgliedern am häufigsten herangezogen. Weitere, vor allem später benutzte Ausdrücke sind compromiso30, escritura de formación de una compañía*0, asiento para formar una compañía41 oder einfach nur formación de una compañía*1. Auf die Eingangsformel folgt die Aufzählung der Namen der künftig zur Truppe gehörenden Schauspieler, anschließend wird der Gültigkeitszeitraum für den Vertrag festgelegt: „por tiempo y espacio que queda de este año (...) y se acabará por el dia de Carnestolendas del año próximo venidero." I(m folgenden verpflichten sich die Vertragspartner, a n d a r j u n i o s en f o r m a de c o m p a ñ í a y representar en t o d o s los lugares destos reynos y luera dcllos durante el d i c h o tiempo y cn ellos hacer todas las c o m e d f t s y representaciones que el d i c h o A n d r é s de C l a r a m o n t e tiene, para c u y o efecto el dicho A n d r é s de C l a r a m o n t e desde luego se o b l i g a de d a r para que las represente la dicha c o m p a ñ í a hasta q u a r c n l a comedias y t o d a s las d e m á s que la dicha c o m pañía pidiere entrando en ello entremeses, letras y bailes y lo d e m á s á ello tocante.

Dieser Abschnitt enthält also den Hinweis auf den Gültigkeitsbereich des Vertrags: Die Schauspieler mußten sich in dem Kontrakt fest verpflichten, nicht nur in Madrid, sondern im gesamten Königreich zu spielen (etwa auf Tourneen, die sich oft an die Corpus-Aufführungen anschlössen). Des weiteren geht es um das Repertoire: Vierzig Stücke hat Claramonte in seinem Besitz, die er der Truppe zum Aufführen zur Verfügung stellen müsse. 43 Darüber hinaus wird den Truppenmitgliedern eine Art Mitspracherecht bei der Aufnahme zusätzlicher Stücke in das Repertoire eingeräumt. 55

Der nächste Passus handelt von der Rollenverteilung: „(...) que el repartir los papeles para efecto de representar las comedias se hayan de repartir entre los compañeros de la dicha compañía conforme á lo que á cada uno le conviniere al parescer y voluntad de la dicha compañía". Diese Formulierungen deuten darauf hin, daß nicht unbedingt allein der autor mit seiner Autorität bestimmte, welches Truppenmitglied welche Rollen zu übernehmen hatte. Angestrebt wurde offensichtlich eine alle Truppenmitglieder befriedigende Rollenverteilung. Daß es dabei keineswegs so große Konflikte geben mußte, wie Diez Borque annimmt 4 4 , wird aus der relativ strengen hierarchischen Gliederung der Truppe deutlich. Ein weiterer Punkt in Claramontes Vertrag bezieht sich auf die Verpflichtung der Schauspieler, „con toda puntualidad y cuidado" an den Proben teilzunehmen, die jeden Morgen um 9 Uhr im Haus des autor beginnen. Für Zuwiderhandlungen wird eine Konventionalstrafe angedroht (zwei reales). Für den möglichen Fall, daß ein Schauspieler die Proben verläßt selbst wenn ein anderer für ihn einspringt - , ist ein real fallig. Die Gelder, die auf diese Weise kassiert werden, sollen für mildtätige Zwecke verwandt werden, heißt es in dem Vertrag. Festgelegt wird außerdem, wie das gemeinschaftlich verwaltete Geld eingenommen und verteilt wird: Nach jeder Vorstellung, öffentlich oder privat, müssen jeweils 25 reales in einer „caxa" deponiert werden, die einer Maria Gabriela anvertraut und nur mit drei verschiedenen Schlüsseln zu öffnen ist, die wiederum drei Truppenmitgliedern ausgehändigt werden. Geöffnet werden darf sie erst am Ende der Spielzeit. Das bis dahin auf diese Weise angesammelte Geld wird dann entsprechend dem vorher vereinbarten jeweiligen Anteil an die Truppenmitglieder ausgezahlt. Von allen ÍWMÍ>Í//«-Aufführungen müssen außerdem jeweils zwei reales für „limosnas, misas y obras pías" zusätzlich zu den als Konventionalstrafe eingegangenen Beträgen reserviert werden. Eine der wichtigsten Vereinbarungen betrifft die, wie wir heute sagen würden, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall: Der erkrankte Schauspieler wird an der Verteilung der Einkünfte beteiligt, als habe er regulär mitgespielt, ihm werden außerdem zusätzliche Reisekosten erstattet. 4 5 Claramonte, der autor, erhält sechs reales pro Aufführung, wie es im Vertrag weiter heißt, „por el trabajo de la composición y estudio" der aufzuführenden Stücke, womit weniger das Verfassen als vielmehr die Einrichtung und das Einstudieren gemeint sind. Des weiteren werden parte und ración für jeden einzelnen Schauspieler fixiert. Die Truppe gibt sich damit als Mischform zwischen den compañías de partes und den compañías de ración y representación zu erkennen: Die Schauspieler erhalten zwar die für jeden Tag, den sie in der Truppe verbringen, fällige ración, aber keine Extra-Bezahlung pro Vorstellung (representación) ', dafür den Anteil am Ende des Spieljahres aus der „caxa" (parte). Am Schluß des Vertragstextes findet sich eine Klausel, die einem seinerzeit im Schauspielerwesen offenkundig weit verbreiteten Übel einen Riegel vorzuschieben versucht: dem plötzlichen Verlassen der Truppe. Für diesen Fall wird mit empfindlichen Sanktionen gedroht; derjenige, der während der Vertragsdauer die Truppe verläßt (vielleicht, weil er anderswo zu günstigeren 56

Bedingungen unterkommt), verliert die Anwartschaft auf seinen Teil aus der gemeinsamen Kasse. 4 6 Außerdem m u ß der Betreffende fünfzig ducados ( = 550 reales) als Konventionalstrafe zahlen, die er anscheinend beim Eintritt in die Truppe als Kaution zu hinterlegen hatte. 4 7 Dieser Betrag wird dann unter den übrigen Truppenmitgliedern aufgeteilt, „conforme á lo que cada uno hubiere de haber". Der dritte und allem Anschein nach endgültige Vertrag vom 11. Juli 1614 ist zwar kürzer gefaßt, er enthält aber die wichtigsten der bereits im Juni genannten Bestimmungen; es fehlt allerdings der Hinweis auf das Repertoire. Die Verträge versuchen, die wichtigsten Eventualfälle, die im Verlaufe des Spieljahres auf die Truppe zukommen können, zu erfassen. Es bleibt dennoch manches ungeklärt, und die Kontrakte sind in der Regel keineswegs so „minuciosos" 4 8 , wie Diez Borque annimmt. Zum Beispiel wird über den Aufführungsbetrieb so gut wie nichts ausgesagt. Diez Borque, der auch eine Reihe von Dokumenten aus Zaragoza für seine Untersuchungen heranzieht 4 9 , sieht in den Vereinbarungen allerdings mit Recht den Ausdruck dafür, daß die Schauspieler im 17. Jahrhundert „un importante margen de profesionalidad" 5 0 erreicht hätten. Diese Professionalität manifestiert sich in den Verträgen nicht zuletzt in der Mitwirkung der Truppenangehörigen an einzelnen Entscheidungsprozessen (Repertoire, Rollenverteilung). Dies alles läßt bereits erste Rückschlüsse auf das Verhältnis zwischen autor und Truppe zu. Gewiß war der autor als der Vertragspartner seiner Truppenmitglieder und von staatlicher Seite lizenzierter Chef des Ensembles letztlich für alles verantwortlich, was in der Truppe geschah. Aber es ist zumindest fraglich, ob sich die Schauspieler wirklich mit der „disciplina férrea", die Diez Borque 5 1 voraussetzt, seinen Anordnungen unterwarfen. Es spricht vielmehr einiges dafür, daß viele Entscheidungen, nicht nur bei der Rollenverteilung, einvernehmlich zwischen autor und compañía geregelt wurden, beziehungsweise daß sich aufgrund klarer Kompetenzabgrenzungen eine Reihe von Entscheidungen sozusagen von selbst ergaben. 2.4 Struktur der Truppen Die spanische Theatertruppe im 17. Jahrhundert ist ein in sich verhältnismäßig fest gegliederter Verband. Die darstellerischen Aufgaben sind zumindest gegen Ende des Untersuchungszeitraums klar verteilt. An der Spitze steht der autor de comedias52 als Leiter, ihm folgen die Darsteller der Hauptrollen, dann jene der kleineren Partien und schließlich die Hilfskräfte. Diese Rangfolge, die noch differenzierter darzustellen ist, hat sich im Verlaufe des Siglo de O r o erst allmählich herausgebildet. Der Endpunkt dieser Entwicklung scheint in den fünfziger Jahren erreicht worden zu sein. Diese Annahme jedenfalls bestätigen die - allerdings nur sehr lückenhaft überlieferten - Dokumente. Die für diese Arbeit herangezogenen und mit Hilfe eines Elektronenrechners ausgewerteten Truppenlisten 5 3 enthalten oft außer den Namen Hinweise 57

auf die Funktion des Betreffenden in der Truppe und auf seine Einkünfte. Bei einer genaueren Betrachtung fallt auf, daß die Aufgaben der Schauspieler zunächst nur ganz grob umrissen sind. Es finden sich meist nur die drei Kategorien „representa", „canta", „baila" oder analoge Bezeichnungen. Genauere Hinweise auf das jeweilige Rollenfach fehlen. Eine Ausnahme stellt während der frühen Phase Cristóbal de Avendaños Truppe von 1633 dar. 5 4 Aus der entsprechenden Liste ist vergleichsweise deutlich eine hierarchische Gliederung abzulesen. Vier der insgesamt fünf weiblichen Darsteller haben genau festgelegte Aufgaben: Maria de Candau „representa primeros (sc. papeles) y baila"; Maria de Zavallos „representa segundos y baila y canta"; Beatriz la Niña „representa terceros y baila y canta"; Catalina Carbonera „representa quartos y baila y canta"; bei der fünften Schauspielerin, Antonia de Candau, heißt es lediglich „representa y baila". Auch bei den männlichen Darstellern sind die Funktionen auf die gleiche Art verteilt: Cristóbal de Avendaño, der autor, spielt die primeros, Antonio de Rueda und Alonso de Bota teilen sich die segundos und terceros papeles „y entrambos bailan". Juan de Montemayor fungiert als Darsteller von „cuartos y baila y canta". Bernardo de Medrano ist zuständig für die gracio.vo-Figuren, auch bei ihm folgt der Zusatz „y baila y canta". Juan Vicente Cucarella spielt die barbas. Es folgen schließlich die Namen von drei Sängern: Juan Matias, Pantaleon Borja (mit dem Hinweis „y toca el arpa"), Diego de Guevara. Als letzter wird ohne jede Funktionsbezeichnung Juan Cano genannt. Vermutlich auf die Sänger und auf Juan Cano bezogen heißt es: „todos estos representan". Die hier ausgewerteten Listen enthalten bis zum Jahr 1658 immer wieder die vagen Tätigkeitsbeschreibungen „representa", „canta", „baila", danach treten nur noch die genaueren Bezeichnungen wie primer galán, gracioso und so weiter auf. Avendaños Liste von 1633 zeigt aber, daß es auch lange davor eine Spezialisierung auf bestimmte Rollenfächer und damit auch eine gewisse hierarchische Gliederung innerhalb der Truppen gegeben haben mußte. Was jedoch im Laufe der Zeit zunahm, war der Grad der Spezialisierung. Gerade am Beispiel von Avendaños compañía fällt auf, daß nahezu jeder Darsteller zu singen und/oder zu tanzen hatte. Umgekehrt mußten auch die Sänger beziehungsweise Musiker schauspielerische Leistungen erbringen. Diese Anforderungen an die Truppenmitglieder, als Schauspieler wie auch als Sänger, Musiker und Tänzer aufzutreten, waren bis zu dem genannten Jahr gang und gäbe. Von insgesamt 127 Mitgliedern der verschiedenen Truppen, deren Aufgabenbezeichnungen auf den Listen zwischen 1602 und 1658 die Tätigkeitsmerkmale „canta" und/oder „baila" enthält, sind 101 (rund 80 Prozent) in irgendeiner Weise auch schaupielerisch aktiv. Während Singen und Tanzen also zu den Fertigkeiten eines Schauspielers gehörte, führten die Musiker (Instrumentalisten) offenkundig ein weitgehend eigenständiges Dasein in der Truppe, was die folgenden Zahlen verdeutlichen: Von insgesamt 111 Truppenzugehörigen, die im gesamten Zeitraum, für den Listen vorliegen (1602 bis 1681), als „músico" beziehungsweise „arpista" bezeichnet werden, nahmen nur 22 (rund 20 Prozent) auch 58

schaupielerische Aufgaben wahr. Die Beobachtung, daß die Listen nach 1658 keinerlei Hinweis mehr auf sängerische und tänzerische Aktivitäten enthalten, läßt sich nur damit beantworten, daß singen und tanzen zu können eine so alltägliche Forderung an den Schauspieler geworden war, daß sie in den Listen und Verträgen nicht mehr eigens vermerkt werden mußte. In diesem Zusammenhang muß auch die Entwicklung der zarzuela gesehen werden. Diese Singspiele wurden ganz selbstverständlich auch von den Schauspielertruppen aufgeführt. 5 5 Die zunehmende Spezialisierung ist vor allem auf rein schauspielerischem Gebiet vonstatten gegangen. Dort zeigt sich eine immer präziser werdende Kennzeichnung der Rollenfacher, die schließlich in einer geradezu mechanischen Aufzählung der einzelnen Funktionen gipfelt, wobei auch innerhalb der Fächer eine klare Unterscheidung zwischen den ersten und zweiten Darstellern des betreffenden Bereichs getroffen wird (also beispielsweise primer und segundo gracioso). Die zunehmende Differenzierung läuft auf diese Weise zugleich auf eine Hierarchisierung hinaus. In dieser Entwicklung markiert die längere Pause im AufTührungsbetrieb 1644/46 bis 1649 (das Jahr 1658, in dem die letzten „canta"- beziehungsweise „baila"-Vermerke auftreten, liegt in der Nähe dieses Zeitpunkts) einen Einschnitt. Überwogen bis dahin die nicht weiter differenzierenden Bezeichnungen wie „representa" oder „representante" für die schauspielerische Tätigkeit, erscheinen danach nahezu ausschließlich die konkreten Fachbezeichnungen. Bei der Betrachtung der Listen aus der späten Phase ist zu erkennen, daß nur noch selten, wenn überhaupt, die Schauspielerehepaare gemeinsam aufgeführt werden. Die Darsteller werden vielmehr getrennt nach Geschlechtern aufgezählt, die Frauen sind dabei unter der Überschrift „damas", die Männer unter dem Sammelbegriff „galanes" 5 6 zusammengefaßt. Bei den weiblichen Schauspielern wird außer der Bezeichnung damas nicht weiter differenziert. Allerdings ist oft eine Rangfolge an der „Numerierung" primera, segunda, tercera dama und so weiter (bis maximal quinta dama) abzulesen. Das Wort galán kennzeichnet das Fach eines (jugendlichen) Liebhabers, von denen bis zu drei in einer Truppe sein können. Als nächstes Fach wird in den Listen das der graciosos (maximal zwei) genannt. Sie spielen die komischen Diener-Rollen. Die Schauspieler, die als barbas (wiederum maximal zwei) angeführt werden, übernehmen die Väter-Rollen, daneben gibt es - allerdings nur gelegentlich - die Figur des komischen Alten (vejete). Trotz der auf den Listen fehlenden genaueren Charakterisierung entsprechen dieser Aufteilung bei den Männern die korrespondierenden Rollenlacher bei den Frauen: primera und segunda dama sind die Partner von primer und segundo galán, tercera und cuarta dama bilden mit tercer galán und/oder gracioso!s) jeweils ein Paar. Ein Pendant zu den barbas ist nur selten zu finden, denn die quinta dama ist, wie die Listen ausweisen, oft Musikerin oder Ersatzkraft (sobresaliente). Aber dieser Beobachtung entsprechen auch die Stücke der Dichter: Dort spielen etwa Mutterfiguren nur eine untergeordnete Rolle. 57 59

Fest zur Truppe gehören schließlich Personen, die nicht direkt schauspielerisch tätig, für den reibungslosen Ablauf des AufTührungsbetriebs jedoch unerläßlich sind: die Musiker (meist drei, davon einer oft speziell als arpista), der apuntador (Souffleur, der auch die Rollen aus dem Manuskript des Dichters herausschreibt), guardarropa (für die bei den Vorstellungen benötigten Kostüme zuständig 58 ) und der cobrador (der das für die Truppe bestimmte Eintrittsgeld am Eingang der Corrales oder sonstiger Aufführungsstätten kassiert). Eine idealtypische Truppe aus der letzten Phase des Untersuchungszeitraums sähe den vorangegangenen Ausführungen zufolge etwa so aus: autor de comedias primera dama segunda dama tercera dama cuarta dama quinta dama (música, sobresaliente) primer galán segundo galán tercer galán primer gracioso segundo gracioso primer barba segundo barba vejete primer músico segundo músico arpista apuntador guardarropa cobrador

Dieser Idealbesetzung, die mit autor zwanzig Personen umfaßt, entspricht - bis auf die Tatsache, daß es keinen speziellen Darsteller für veyVte-Rollen gibt und daß sowohl eine quinta dama als auch eine música genannt werden die von Antonio de Escamilla für 1671 erstellte Liste 59 : Maria de Quiñones, primera dama Bernarda Manuela, segunda dama Manuela de Escamilla. tercera dama Manuela Fernández, cuarta dama María de los Reyes, quinta dama „La muger de Navarrete", música Alonso de Olmedo, primer galán Juan Fernández, segundo galán Lorenzo Garcia, tercero (se. galán) Juan Antonio, cuarto (se. galán) Mateo de Godoy. barba Antonio de Escamilla. gracioso Bernardo López, segundo (se. gracioso) Gerónimo de Peñarroja. segundo barba medio 6 "

60

y de

por

G a s p a r Real, músico Navarretc. músico Juan Gallego, arpista Melchor, apuntador Juan Luis, cobrador Gabriel, guardarropa

Die Schauspieler waren in den Truppen sehr stark auf ihr jeweiliges Gebiet festgelegt, Wechsel von einem Fach zum anderen waren sehr selten, mit einer Ausnahme: dem (altersbedingten) Wandel vom galán zum barba. Beispiele sind etwa Francisco de la Calle, der 1655 und 1656 jeweils als tercer galán bei Diego Osorio ist und nach einem Intermezzo als eigener autor (1657 und 1658) segundo barba bei Jerónimo García (1680) und Juan Antonio de Carvajal wird, oder Juan Francisco, der noch 1655 als tercer galán in der Truppe von Miguel Fernández Bravo arbeitet und 1657 zunächst bei Francisco de Narváez primer barba wird, im selben Jahr in derselben Funktion in Toribio de la Vegas compañía eintritt (der Vertrag mit Narváez ist offenkundig aufgelöst worden). Über die nicht eindeutig zu definierende Position des „de por medio" wird er schließlich apuntador, wiederum mit zwei Verträgen für dasselbe Jahr dokumentiert: 1681 bei Manuel Vallejo und Juan Antonio de Carvajal. Jerónimo de Morales schließlich ist zwischen 1652 und 1662 fünfmal als segundo galán nachzuweisen, 1664 ist er dann barba bei Juan de la Calle, 1665 bei Francisco García und 1672 bei Manuel Vallejo. Anhand der Listen ist eine weitere Ausnahme zu erkennen: der vermutlich ebenfalls alters-, aber wohl auch leistungsbedingte - Auf- und Abstieg in der c/ama-Hierarchie. Beispiele dafür sind etwa Manuela de Bustamante, 1661 und 1662 bei Sebastián de Prado und Simón Aguado segunda dama, 1671 primera bei Félix Pascual; Jerónima Coronel, cuarta dama 1655 und 1656 bei Diego Osorio, segunda dama 1657 bei Francisco de la Calle; María de Prado, segunda dama 1652 bei Juan Vivas, sowie 1653, 1655 und 1656 bei Diego Osorio, primera dama 1659 und 1661 bei ihrem Bruder Sebastián de Prado, 1662 in der gleichen Truppe; wieder segunda dama und 1664 noch einmal primera dama bei Juan de la Calle. Nahezu alle Stationen von der cuarta dama zur primera durchläuft Alfonsa de Haro: Sie ist cuarta 1635 bei Pedro de Valdés, tercera und cuarta zugleich 1641 bei Lorenzo de Prado y Peri, tercera 1642 bei Juan de Malaguilla, primera ist sie dann 1657 bei Francisco Narváez, im selben Jahr auch bei Toribio de la Vega und 1658 bei Esteban Núñez. In den übrigen untergeordneten nichtschauspielerischen Positionen ist gelegentlich das Bestreben zu beobachten, in den Schauspielerberuf überzuwechseln. Juan López beispielsweise ist 1642 cobrador bei Juan de Malaguilla, erscheint 1651 in der Liste von Toribio de la Vega als primer barba, ist 1654 bei Esteban de Almendros wieder cobrador und taucht schließlich 1655, wiederum bei Toribio de la Vega, als segundo galán auf. Luis de Mendoza beginnt 1642 bei Juan de Malaguilla als apuntador, ist 1651 tercer galán bei Toribio de la Vega, 1663 gracioso bei Juan de la Calle und Francisco Garcia. In diesem Fall ist auch noch der - ansonsten seltene - Wechsel vom galán- zum granoso-Fach zu beobachten.

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Aus der insgesamt jeweils relativ strengen Abgrenzung der Fächer folgt eine hierarchische Gliederung, die jedem Inhaber des betreffenden Rollentyps einen bestimmten Stellenwert innerhalb der Truppe zuweist. Ganz grob ist das in manchen Listen bereits an der Reihenfolge zu erkennen, in der die Darsteller genannt werden. Als Faustregel gilt dabei zunächst das Schema: dama - galán - gracioso - barba - Musiker - Hilfskräfte (in absteigender Rangfolge). Wie die Untersuchung der Listen mit Angaben über die Einkünfte des Personals erweist, steht die Höhe der Bezahlung in direktem Zusammenhang mit der Bedeutung der von dem betreffenden Schauspieler ausgeübten Position. 61 Die hierarchische Gliederung innerhalb der Truppe, die sich in der dargestellten Weise herausbildete und sich schließlich durchsetzte, sorgte dafür, daß sich die Verteilung der Rollen, vor allem der Hauptpartien, gewissermaßen von selbst regelte. Wer als primer galán engagiert war, hatte eben nur Rollen dieses Fachs zu spielen, ebenso waren die Positionen der primera dama, des gracioso oder barba ohne Schwierigkeiten zu besetzen, wenn dafür geeignete Schauspieler zum Beginn des Spieljahres verpflichtet waren. Diesem Schematismus entspricht auch recht exakt die Produktion der Dichter. Das geht so weit, daß viele Stücke aus der Epoche im reparto sogar direkte Hinweise auf das entsprechende Fach enthalten, dem bestimmte Bühnenfiguren zuzuordnen sind. 62 Nicht ganz so einfach dürfte es bei den kleineren Rollen gewesen zu sein, sie unter den übrigen Schauspielern in der Truppe aufzuteilen. Hier mußte offenbar die Autorität des autor entscheiden. Denn es heißt in einschlägigen Vereinbarungen etwa „lo que se repartiere" oder „lo que se ordenare" 6 3 , während bei den Darstellern der Hauptpartien solche Hinweise fehlen. 2.4.1 Der autor de comedias Die Person des Truppenleiters, des autor de comedias, wurde bisher bei den Untersuchungen zu den compañías de título weitgehend ausgespart. Das Erscheinungsbild des Prinzipals im Theaterwesen des Siglo de Oro ist so komplex, daß es einer eigenen Analyse bedarf. Die Bezeichnung autor de comedias ist, wie bereits in der Einleitung zu dieser Arbeit erwähnt, mißverständlich. Sie sagt so gut wie nichts über sein tatsächliches Betätigungsfeld aus. Trotz der Aufgabentrennung von Stücke-Verfassern und -Interpreten wurden vom autor immer wieder bis zu einem bestimmten Grad Fähigkeiten eines Theater-Schriftstellers verlangt: Er mußte die comedias und die anderen Elemente der Aufführung für die szenische Umsetzung einrichten, und das bedeutete häufig, sie teilweise neu zu schreiben oder die personelle Disposition zu ändern. Nur sehr wenige Truppenleiter (etwa Simón Aguado, Andrés de Claramonte, Juan de Villegas)64 waren autores im ursprünglichen Wortsinn und verfaßten Texte, meist jedoch lediglich piezas menores. Um der Bedeutung der Tätigkeit des autor de comedias gerecht zu werden, ist es notwendig, seine Position zunächst von zwei Blickwinkeln aus zu be62

leuchten: einerseits im Verhältnis zur staatlichen Autorität sowie zu anderen Institutionen und Personen, denen er als „Unternehmer" begegnet, andererseits innerhalb der Truppe als deren Leiter und als Schauspieler-Kollege den übrigen Mitgliedern der compañía gegenüber. Beide Seiten stellen ganz unterschiedliche Anforderungen an ihn, wobei es auch Überlagerungen gibt. Erfolgreiche Arbeit kann er allerdings nur leisten, wenn er in beiderlei Hinsicht akzeptiert wird. Nach außen tritt der autor als alleiniger und allein verantwortlicher Repräsentant der Truppe 6 5 ganz verschiedenen Partnern entgegen: der staatlichen Aufsicht (Consejo de Castilla), von der er seine Zulassung erhält, deren Vorschriften (Zensur, Aufführungsbedingungen) er einhalten muß; den Dichtern, mit denen er Verträge über den Kauf von Stücken abschließt; dem arrendador Pächter der Corrales, mit dem er sich über die Nutzung der Bühnen einigt; der Stadt Madrid, mit der er Vereinbarungen etwa über die Corpus-AufTührungen trifft; den Verwaltungen anderer Städte und Gemeinden sowie den dortigen Theaterpächtern und Bruderschaften, die mit ihm Kontrakte über Gastspiele abschließen; dem Publikum, für das er mit seiner Person die Truppe verkörpert. Das Auftreten des autor in der Öffentlichkeit verlangt von ihm viel Geschick im Umgang mit den sehr verschiedenartigen Gremien und Persönlichkeiten. Die Aufgaben des autor innerhalb der Truppen lassen sich folgendermaßen umreißen: Er ist der Leiter (und in den meisten Fällen auch der Gründer) der compañía. Er engagiert die einzelnen Mitglieder und sorgt dafür, daß die personelle Substanz erhalten bleibt. Er stellt das Repertoire zusammen, studiert die Stücke gemeinsam mit den Schauspielern bei den Proben bei sich zu Hause (oder im Haus eines Schauspielers) ein, entscheidet über die Verwendung von Requisiten und Bühnenmaschinen. Er tritt selbst als Schauspieler, oft in wichtigen Rollenfachern 6 6 auf. Er regelt die Finanzen der Truppe, treibt das Geld ein 67 und entlohnt die Mitglieder der compañía. Beim autor de comedias fließen also Zuständigkeiten sehr unterschiedlicher Art ineinander: Er ist verantwortlich in juristischer, finanzieller, technischer und künstlerischer Hinsicht sowohl nach außen als auch innerhalb der Truppe. Vor allem gehen bei ihm kommerzielle und künstlerische Funktionen noch unbekümmert eine Einheit ein, während sich später, im 18. und 19. Jahrhundert, beide zunehmend voneinander trennen. 6 8 Im autor de comedias sieht Diez Borque auch eine entscheidende Schaltstelle zwischen Dichter und Publikum. Dies gilt aber nur für den Text selbst, den der autor für die Vorstellung adaptiert. Von großer Bedeutung ist dabei jedoch - wie sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit zeigen wird - die spezifische Aufführungssituation. Denn die Vorstellung bestand ja nicht nur aus der Rezitation des Textes, sondern setzte sich aus verschiedenartigen, auch außerliterarischen Elementen zusammen (Musik und Tanz). Das Kommunikationsschema wäre deitnach abzuwandeln: Dichter - autor + Truppe - Publikum. Bei der Umsetzung des literarischen Textes in ein theatralisches Spektakel spielte im Siglo de Oro also das Verhältnis zwischen autor und Truppe eine ganz entscheidende Rolle. Die Frage, weshalb die compañías seinerzeit einer mit so 63

komplexen und nahezu allumfassenden Befugnissen ausgestatteten Persönlichkeit als Leiter bedurften, läßt sich mangels direkter Zeugnisse nur mittelbar beantworten. Der Zugang zur Position eines autor de comedias scheint, zumindest in den Anfangen, offen gewesen zu sein. Auch die gesetzlichen Bestimmungen von 1603, 1608, 1615 und 1641, die die Zahl der compañías und damit der offiziell zugelassenen autores auf acht beziehungsweise zwölf begrenzen, enthalten kaum Hinweise darauf, nach welchen Kriterien diese Auswahl getroffen wurde. 1608 heißt es, wie schon in anderem Zusammenhang zitiert: que antes que el autor entre en esta Corte con su compañía ha de embiar a pedir licencia al señor del Consejo que es. o fuere protector de los dichos hospitales: y el que entrare sin ella no sea admitido. 69

Im Jahr 1615 lautet die entsprechende Bestimmung: Primeramente, que no aya mas que doze Compañías, las quales traigan los Autores que para ellas nombrare el Consejo, y lleuaren testimonio deste nombramiento, firmado de luán Gallo de Andrada (sie). Secretario de camara del Consejo mas antiguo. 70

Auf die Nennung der zugelassenen autores folgt der Hinweis: (...) y traigan en sus compañías gente de buena vida y costumbres, y den memoría cada año de los que traen a la persona que el Consejo señalare (...). 71

Der Leumund von autor und Truppenmitgliedern scheint also mindestens eine ebenso wichtige Rolle für die Zulassung wie für künstlerisch-qualitative Kriterien gespielt zu haben, worauf schon die Formel „gente de buena vida y costumbres" verweist. Dies wohl auch deshalb, um die lizenzierten Truppen von den compañías de la legua abzugrenzen. Mit fortschreitender Perfektionierung des Theaterbetriebs wird der „freie" Zugang von außerhalb des Schauspielergewerbes zunehmend schwieriger. Die autores kommen zuletzt nahezu ausschließlich aus den immer größer werdenden und sich weiter verzweigenden Schauspielerfamilien. 72 Zu den Voraussetzungen, als autor tätig sein zu können, zählte angesichts der vielfältigen finanziellen Transaktionen, die der Truppenleiter auszuführen hatte, eine gewisse Unabhängigkeit in wirtschaftlicher Hinsicht. 73 Ein enger Zusammenhang besteht auf jeden Fall zwischen schauspielerischer Tätigkeit und Ausübung der au/or-Funktion. Bevor er eine Truppe gründet, hat der autor in der Regel Erfahrungen als Schauspieler gesammelt, und er wirkt auch weiterhin meist als solcher in seiner Truppe mit. Anhand der für diese Arbeit ausgewerteten Truppenlisten ist das deutlich zu erkennen. Von den sechzig verschiedenen autores, für deren Truppen Listen vorliegen, tritt mehr als die Hälfte (36) in Verbindung mit einer schauspielerischen Aufgabe in Erscheinung (zwei allerdings sind Musiker: Esteban de Almendros und Juan Antonio de Carvajal). Es ist zwar anzunehmen, daß auch die übrigen in irgendeiner Weise mit schauspielerischer Tätigkeit in Berührung kamen, darüber aber geben die entsprechenden 64

Listen keine Auskunft. Bei den autores, deren Namen in Zusammenhang mit einer darstellerischen Funktion genannt sind, ergeben sich bei aller Lückenhaftigkeit der Daten, auf die noch einmal hingewiesen werden muß, aufschlußreiche Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Schauspielerei und der Position des autor. Das wird deutlich aus dem „ W e r d e g a n g " einzelner autores, wie er jeweils aus den Listen zu ersehen ist: Cristóbal de Avcndaño 1613 Schauspieler (ohne nähere Angabe) bei Baltasar Pinedo 1622 autor 1633 autor: primer galán Mariana Vaca 1632 1650 1652 1656

primera dama bei ihrem Mann Antonio de Prado Schauspielerin wiederum bei Antonio de Prado Zwei Versuche der Truppengründung nach dem T o d ihres Mannes autora

Sebastian de Prado 1632 ..galán j o v e n " bei seinem Vater Antonio de Prado 1651 Schauspieler bei Francisco García, im gleichen J a h r autor. Vertrag mit García am 18. 4.. eigene Truppe 1653 Schauspieler bei Diego Osorio 1655 primer galán bei Diego Osorio 1656 primer galán bei Diego Osorio 1657 Schauspieler bei Diego Osorio (primer galán?) 1659 autor und primer galán (zwei Listen: am 28. 3. zusammen mit Juan de la Calle als zweiter autor: am 12. 12. ohne Angabe über Tätigkeit als Schauspieler) 1661 autor und primer galán 1662 autor zusammen mit Escamilta: primer galán 1670 Schauspieler bei Manuel Vallejo (primer galán?) 1672 primer galán bei Manuel Vallejo 1673 Schauspieler bei Félix Pascual (primer galán?) Gabriel 1637 1639 1640 1641

Cintor tercer galán bei Bartolomé Romero ..partes principales" bei Juan Rodríguez de Antriago autor autor

Juan de la Calle 1639 primer und segundo galán bei F. Vélez de Guevara 1650 Schauspieler bei Antonio de Prado (9.5. und 8.11.) 1651 Schauspieler bei Francisco Garcia (18.4.) Schauspieler bei Sebastián de Prado ( 2 5 . 1 1 . ) ' 1654 segundo galán bei Diego Osorio 1657 Schauspieler bei Francisco Garcia 1659 autor zusammen mit Sebastián de Prado: tercer galán 1661 Schauspieler bei Sebastián de Prado 1662 autor zusammen mit Simón Aguado: cuarto galán 1664 autor zusammen mit Bartolomé Romero; segundo barba 1670 Schauspieler bei Manuel Vallejo Simón 1653 1657 1661 1662 1674

Aguado primer gracioso bei Adrián López gracioso bei Pedro de la Rosa Schauspieler bei Sebastián de Prado (gracioso?) autor zusammen mit Juan de la Calle autor und gracioso

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1675 1676 1677 1678 1679

S c h a u s p i e l e r bei A n t o n i o d e Escamilla S c h a u s p i e l e r bei A n t o n i o d e Escamilla S c h a u s p i e l e r bei M a n u e l A g u s t í n s e g u n d o g r a c i o s o bei A n t o n i o d e Escamilla S c h a u s p i e l e r bei J o s e d e P r a d o

I'rancisco Gutiérrez 1643 S c h a u s p i e l e r bei J u a n a d e E s p i n o s a 1654 a u t o r z u s a m m e n mit G a s p a r d e Segovia 1655 a u t o r z u s a m m e n mit G a s p a r d e Segovia 1658 S c h a u s p i e l e r bei F r a n c i s c o G a r c í a 1672 s e g u n d o b a r b a bei A n t o n i o d e Escamilla I ' r a n c i s c o de la Calle 1655 tercer g a l á n bei D i e g o O s o r i o 1656 tercer g a l á n bei D i e g o O s o r i o 1657 a u t o r u n d s e g u n d o g r a c i o s o (zusätzlich in nicht d a t i e r t e m V e r t r a g S c h a u s p i e l e r bei P e d r o d e la R o s a ) 1658 a u t o r u n d p r i m e r g a l á n 1680 s e g u n d o b a r b a bei J e r ó n i m o G a r c i a 1681 s e g u n d o b a r b a bei J u a n A n t o n i o d e C a r v a j a l Felix Pascual 1661 S c h a u s p i e l e r bei S e b a s t i á n d e P r a d o 1662 m ú s i c o b e i S i m ó n A g u a d o 166.1 S c h a u s p i e l e r ( o d e r músico'.') bei J o s é C a r r i l l o 1671 a u t o r z u s a m m e n mit M a n u e l A g u s t í n ; m ú s i c o 1673 a u t o r

Schon diese Übersicht 7 4 bestätigt, d a ß ein autor, bevor er sein Amt übernimmt, in aller Regel bereits Bühnenerfahrung als Schauspieler gesammelt, sich gewissermaßen „hochgedient" hat. Der direkte Anlaß dafür, eine Truppe zu gründen, ist aus dem insgesamt recht dürftigen Quellenmaterial nicht zu erschließen. Die Bedarfslage wird dabei ebenso eine Rolle gespielt haben wie die Tatsache, d a ß dem einen oder anderen Schauspieler, aus welchen Gründen auch immer, zu einem bestimmten Zeitpunkt die Zulassung erteilt wurde. Es scheint nicht über G e b ü h r schwierig gewesen zu sein, eine Truppe zu gründen, aufzulösen, sie wiederzubegründen und zwischenzeitlich bei einem anderen autor als Schauspieler tätig zu sein. Ein solcher Wechsel zwischen autor- und Darstellertätigkeit ist beispielsweise bei Juan de la Calle zu beobachten. Bei demselben autor geht mit der Ausübung des Truppenleiter-Postens ein Abstieg in der Fach-Hierarchie einher: vom tercer zum cuarto galán und schließlich zum segundo barba (letzteres vermutlich aus Altersgründen). In seiner Schauspielerkarriere war Juan de la Calle sogar zunächst auch als primer und segundo galim aufgetreten. Gewöhnlich scheint die Position des autor jedoch einen Höhepunkt in der Laufbahn eines Schauspielers markiert zu haben: Fünf der neun hier Genannten beginnen als Schauspieler, werden autor und widmen sich nach einiger Zeit dann wieder ihrem angestammten Beruf. Bei den übrigen ist nicht ersichtlich, ob sie nach Beendigung der «w/wr-Tätigkeit weiterhin als Schauspieler auftraten. Das ist anzunehmen in den Fällen, in denen der Versuch, eine T r u p p e zu gründen und auf Dauer am Leben zu erhalten, nicht gelang. Dies im einzelnen nachzuweisen, ist angesichts der teilweise erheblichen Lücken im dokumentarischen Material nicht möglich. Eine

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Truppe zu gründen und die Gunst der Stunde zu nutzen, um mit ihr beim Corpus-Fest. in den M a d r i d e r C o r r a l e s oder in anderen Städten aufzutreten 7 5 , wurde sicherlich i m m e r wieder von Schauspielern praktiziert. Eine ( ^/Í//JÍ//7/'Í/ jedoch über längere Zeit zu führen, mit ihr ein Repertoire aufzubauen. renommierte Schauspieler zu beschäftigen und so öffentliche Anerkennung zu finden, w a r eine sehr viel schwierigere A u f g a b e , die zu lösen nur einem verhältnismäßig kleinen Kreis von Persönlichkeiten gelang. In einigen erhaltenen Selbstzeugnissen wird deutlich, d a ß autores, wenn sie in ihrem Metier reüssiert hatten, erstaunlich lange in dieser Funktion tätig bleiben konnten. Im Prozeß um die Gastspielreise des autor Sebastián de Prado 1660 nach Frankreich sagt Bartolomé R o m e r o , selbst angesehener autor und Schauspieler, als Zeuge, d a ß er schon dreißig J a h r e lang an der Spitze einer Truppe stehe 7 6 , in den gleichen Akten bekennt Pedro de la R o s a , d a ß er 46 J a h r e alt sei und seit 24 J a h r e n als autor w i r k e 7 7 . Luis López Sustaete w a r . als er sein Testament niederschrieb und sein Besitzstand erfaßt wurde, 24 J a h r e lang autor gewesen, wie a u s dem inventario78 hervorgeht. A n t o n i o de Prado begann als autor vermutlich 1624 7 9 und starb, immer noch autor, I651 8 0 . Er war also mindestens 28 J a h r e lang Truppenleiter. A n t o n i o de Escaniilla ist als autor zwischen 1661 und 1678 (mit Unterbrechungen) nachgewiesen 8 1 , füllte diese A u f g a b e also mindestens 17 J a h r e lang aus. Eine Theatertruppe im Siglo de Oro w a r so gut und erfolgreich, wie es ihrem Leiter gelang, im Theaterbetrieb F u ß zu fassen und sich einen N a m e n zu machen. Das weist der Person des autor eine Schlüsselstellung zu: Ohne ihn w a r die Truppe fast nichts. Er besorgte die Stücke, verschaffte dem Ensemble Auftrittsmöglichkeiten, leitete Proben und A u f f ü h r u n g e n , kurz: Er mußte künstlerische Sensibilität mit k a u f m ä n n i s c h e m Geschick vereinen. Dies alles bedeutet freilich nicht, d a ß er unumschränkter, vielleicht g a r despotischer Herrscher in der compañía w a r . W i e die T r u p p e a u f ihn, w a r er auf die Truppe angewiesen. Vieles deutet d a r a u f hin, d a ß die autores bei wichtigen Entscheidungen (Rollenverteilung, Repertoire) sich des R ü c k h a l t s bei der Truppe versicherten. „A gusto de la c o m p a ñ í a " ist dementsprechend eine in den Kontrakten häufig wiederkehrende Formel. Allerdings g a b es sicher graduelle, von der jeweiligen Persönlichkeit des autor a b h ä n g e n d e Unterschiede in der Autorität, mit der der Leiter seinen Schauspielern gegenüber auftrat. Er w a r schon deshalb a u f eine gute Zusammenarbeit mit seinen Leuten angewiesen, weil er bewährte Darsteller bei der S t a n g e halten und trotz vertraglicher Vereinbarungen befürchten mußte, d a ß sie seine Truppe verlassen und sich einer anderen, attraktiveren anschließen, beziehungsweise bei Auslaufen des Vertrags a m Spielzeitende überwechseln könnten. Das Verhältnis zwischen autor und T r u p p e läßt sich, so gesehen, a m besten mit dem Begriff der Symbiose umschreiben, eines Zweckverbandes, in dem beide Seiten in gleicher Weise Pflichten, a b e r auch Nutzen hatten. Wie sich dieser Zweckverband in der Praxis bewährte, wird sich im nächsten Kapitel über den Schauspieler im A u f f ü h r u n g s b e t r i e b zeigen. Zunächst sind jedoch noch zwei Fragen zu behandeln, die die personelle Zusammensetzung der compañías betreffen. Zum einen ist zu klären, welche Bedeutung familiäre Bindungen für den Erhalt von T r u p p e n hatten und wie

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kontinuierlich die einzelnen Positionen in der T r u p p e während eines bestimmten Zeitraums besetzt waren. Zum anderen ist herauszufinden, welche äußeren Faktoren die personelle Struktur der compañías beeinflußten. 2.4.2 Bedeutung familiärer Verbindungen für Entstehen und Existenz der Truppen: Antonio de Prado Am Beispiel des autor de comedias Antonio García de P r a d o y Peri, in den meisten Dokumenten nur kurz Antonio de Prado genannt, als zentraler Figur lassen sich fast über den gesamten Untersuchungszeitraum dieser Arbeit hinweg verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Mitgliedern von P r a d o s T r u p p e und familiäre Bindungen zwischen verschiedenen compañías anschaulich darstellen. 8 2 Nimmt man den gesamten Kreis von Schauspielern, die mit Prado verwandt oder verschwägert waren (soweit sie in d e n erhaltenen Dokumenten nachzuweisen sind), zieht sich gewissermaßen ein immer dichter werdendes Geflecht durch das Schauspielerwesen des Siglo de Oro. Prados Truppe, die von den zwanziger Jahren des 17. J a h r h u n d e r t s an existiert, ist die Kernzelle für eine Reihe von compañías, die von den fünfziger bis zu den achtziger Jahren und darüber hinaus aktiv waren. Prado wurde vermutlich 1594 oder 1595 geboren 8 3 . Zum ersten Mal taucht sein N a m e in einem Schriftstück von 1614 auf, als er in der T r u p p e von Juan Acacio w a r 8 4 . Das Bestehen einer eigenen compañía läßt sich f r ü h e stens f ü r 1624 belegen. 8 5 Obwohl für die nachfolgenden Jahre ein lückenloser Nachweis fehlt, dürfte die Truppe mit wenigen Unterbrechungen bis zu Prados Tod am 14. April 1651 existiert haben. Listen von Prados Truppe gibt es für die Jahre 1624, 1632, 1636, I645 8 6 , 1650, also jeweils im Abstand von einem halben Dezennium, wobei die letzte Lücke durch das allgemeine T h e a terspielverbot 1644-1649 verursacht wurde. Antonio de Prado war dreimal verheiratet. 8 7 Mit den drei Ehefrauen h a t t e er insgesamt acht - dokumentarisch belegte - Kinder. Erste Frau war Isabel Ana de Ribera 8 8 , Tochter eines Arztes aus Toledo und offensichtlich o h n e schauspielerische Ambitionen. Hervorgegangen ist aus dieser Ehe ein K i n d : Lorenzo. Vermutlich in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre starb Isabel Ana 8 ". Prado heiratete sehr bald darauf wieder; die Hochzeit m u ß vor 1624 stattgefunden haben, denn in diesem Jahr wird am 20. J a n u a r Sebastián geboren, „hijo de Antonio de Prado, autor de comedias, y de d o ñ a Francisca de San Miguel, su legítima mujer Seine zweite Frau, Darstellerin von primeras damas, hatte Prado wohl während eines Aufenthaltes in Sevilla kennengelernt und dort geheiratet. Mit ihr zusammen hatte er noch zwei weitere Kinder: Antonia, die am 12. Februar 1625 geboren wurde, und M a r i a (4. Oktober 1627), die am 19. Oktober 1627 von Lope de Vega (!) getauft wurde, was Rang und Wertschätzung Prados im damaligen Theaterwesen unterstreicht. Auch Francisca de San Miguel starb sehr bald, so d a ß Prado ein drittes Mal heiratete, um 1630, wie Cotarelo annimmt. Mariana Vaca, die jetzt Ehefrau Prados wird, entstammt einer bedeutenden Schauspielerdynastie. Sie ist 68

die Tochter des autor de comedias Juan de Morales Medrano und dessen Ehefrau Jusepa Vaca, die wiederum Tochter von Juan Ruiz de Mendi und Mariana Vaca war, beide für 1589 als Schauspieler dokumentiert. 9 1 Mit Mariana Vaca hatte Antonio de Prado vier Kinder: Bárbara Josefa, getauft am 26. Dezember 1632 ebenfalls durch Lope de Vega 92 ; Juan Antonio, getauft in Valladolid am 27. Juli 1634 93 ; José (Antonio), geboren am 20. August 1635; das letzte Kind trug vermutlich den Namen Diego und wurde offenkundig in Valencia am 10. Januar 1641 geboren. 94 Von allen acht Kindern Prados aus den drei Ehen übten vier - Lorenzo, Sebastián, Maria und José - den Schauspielerberuf aus, die männlichen Nachkommen waren darüber hinaus, mit unterschiedlichem Erfolg, als autores de comedias tätig. Die Kinder Prados heirateten ihrerseits wieder Berufskollegen: Lorenzo vermählte sich mit Manuela Mazana, Sebastián mit Bernarda Ramírez, Maria mit dem Musiker Ambrosio Duarte (aus Portugal), José mit Maria de Anaya. 9 5 Außer Prados erster Frau und den Kindern Antonia, Bárbara Josefa, Juan Antonio und Diego 96 waren damit sämtliche Mitglieder seiner im Laufe der Zeit sehr groß gewordenen Familie im Schauspielwesen aktiv. Als Antonio de Prado 1651 stirbt, übernimmt sein Sohn Sebastián zunächst die Truppe, erteilt aber zusammen mit seiner Frau Bernarda Ramírez am 18. April 1651 (vier Tage nach dem Tod des Vaters) „amplios poderes a Francisco García para que los administre y dirija" 9 7 . Diese Vollmacht an den Schauspieler García wird aber bereits am 25. Mai desselben Jahres widerrufen, „aunque dejando al dicho Francisco García en buena fama y opinión" 9 8 . García schließt dennoch für „seine" Truppe, in der noch sechs Schauspieler von der compañía Antonio de Prados bei einer Gesamtzahl von 18 tätig sind, am 1. Juni 1651 einen Gastspielvertrag über zwanzig Aufführungen in Toledo, am 12. August über einen Auftritt in Barajas ab 9 9 . Am 13. August firmiert dann allerdings Sebastián de Prado als verantwortlicher „compañero de la compañía que quedó de Antonio de Prado, autor de comedías" 1 0 0 , als er einen Vertrag über einen Abstecher nach Fuenlabrada unterschreibt. Von 1652 an scheint die Truppe zunächst nicht mehr existiert zu haben, denn in diesem Jahr sind Sebastián de Prado und Bernarda Ramírez in der compañía von Diego Osorio zu finden, ebenso in den Jahren 1655, 1656 und 1657. Nach einer Saison (1652/53) bei der Truppe von Juan Vivas und Gaspar de Valdés kommen auch Maria de Prado und ihr Mann Ambrosio Duarte bei Osorio unter, Maria als segunda dama, Duarte „para cantar, poner la música y hacer los vejetes" 1 0 1 . Schon Antonio de Prado war es gelungen, bedeutende Schauspielerpersönlichkeiten seiner Zeit an sich zu binden, worauf sich nicht zuletzt der Ruf seiner Truppe gründete. 1 0 2 Im Jahr 1633 hatte er María de Quiñones, eine renommierte primera dama, und Alonso de Osuna, einen nicht minder geschätzten primer galán (diesen auch bereits 1624) in seiner compañía. 1624 und 1650 hat Prado den berühmtesten gracioso der Epoche, Cosme Pérez („Juan Rana") engagiert. Juan de la Calle und Antonio de Escamilla, zusammen mit seinen zwei Töchtern Manuela und Maria, ebenfalls für 1650 noch bei Antonio de

69

Prado nachgewiesen, sind gerade in der schwierigen Phase des Übergangs nach Antonio de Prados Tod außer den Familienangehörigen die Stützen des Ensembles, das trotz aller Anstrengungen zunächst nicht vor dem Auseinanderfallen zu bewahren ist. Erst nach einigen Anläufen entsteht wieder das, was man eine Nachfolgetruppe nennen könnte, die unter Sebastián de Prados Leitung zu einer der bedeutendsten compañías der Zeit wird. Es ist aufschlußreich, den Weg dorthin genauer zu verfolgen. Die Truppe existierte offenkundig nicht im größten Teil der ersten Hälfte der fünfziger Jahre des 17. Jahrhunderts. Sebastián de Prado ist 1652 bei Juan Vivas, 1653, 1655 und 1656 bei Diego Osorio unter Vertrag. Francisco García unternimmt, soweit aus den Listen zu ersehen ist, 1655 den ersten Versuch, wieder eine Truppe zusammenzustellen. Dafür verpflichtet er die Escamillas: Antonio und seine Töchter Manuela und Maria sowie den Ehemann der zuletzt Genannten, Diego Carrillo. 1657 tauchen außer den Escamillas auch Maria de Prado und ihr Mann Ambrosio Duarte sowie Juan de la Calle in der Liste von Francisco Garcia auf. Damit hat er als autor einen Grundstock von Schauspielern und Musikern, die bereits bei Antonio de Prado tätig waren und sich deshalb wohl schon gut kannten. Sebastián de Prado, der 1658 einen Vertrag mit Bartolomé Romero unterschreibt 103 , scheint noch im selben Jahr versucht zu haben, von neuem eine eigene Truppe zu gründen, der Garcia als Schauspieler angehört 1 0 4 . Auf jeden Fall aber gibt es wieder für 1659 die komplette Liste einer compañía Sebastián de Prados. Allerdings erscheint sein Name nicht als Allein-aw/or, er hat sich vielmehr mit Juan de la Calle zusammengetan 1 0 5 . In der neuen Truppe finden nun Verwandte und Kollegen von früher zueinander. Außer Prado als primer und Calle als tercer galán wirken Maria de Prado als primera dama und ihr Mann Ambrosio Duarte sowie die Escamillas mit: Antonio als gracioso, Manuela und Maria als tercera und cuarta dama. Sebastián de Prados Frau Bernarda Ramírez ist quinta dama. Bereits 1660, also ein Jahr später, hat Sebastiáns Truppe ihre Spitzenposition erreicht: In jenem Jahr wurde sie ausgewählt, am 13. April nach Paris zu reisen, um bei den Feierlichkeiten aus Anlaß der Hochzeit Louis XIV. mit Maria Teresa, der Tochter Philipps IV., mitzuwirken. Wie aus den bereits zitierten Akten des in Madrid geführten Prozesses um die Abwesenheit Prados und seiner Mannschaft hervorgeht 1 0 6 , hat dies eine große Lücke im Madrider Theaterwesen verursacht. Die Zeugen berichten übereinstimmend. Prados Truppe sei „la mas lucida que hauia porque tenia muchas comedias nuevas y gente la mas escojida que hauia, y con ella esperauan los arrendadores muy grande vtilidad que no tubieron porque la dicha compañía salió desta Corte para la jornada de Francia (...)" 1 0 7 . Leider läßt sich die Zusammensetzung der Truppe, mit der Prado nach Frankreich ging, anhand der überlieferten Dokumente nicht genau darstellen. Erhalten sind nur die Listen von 1659 und 1661. Auf beiden erscheinen außer dem autor die Namen von Juan de la Calle (1661 nicht mehr Mit-autor), Gerónimo de Morales, Gregorio de la Rosa, Bernarda Manuela, María de Prado und Ambrosio Duarte. Es kann angenommen werden, daß diese Personen bei dem 71

Gastspiel in Frankreich mitwirkten. Allerdings hatte Prado seine Truppe vor der Abreise durch mindestens zwei Mitglieder einer anderen compañía ergänzt: Mit Maria de Quiñones erhielt er eine hervorragende primera dama, mit Marcos Garcés („El Capiscol") einen barba und Harfenisten. Der Übertritt der beiden aus der Truppe von Osorio, die in der künstlerischen Qualität Prados Ensemble annähernd gleichgestellt wird 1 0 8 , war ebenfalls Gegenstand des Prozesses. 109 Trotz des Erfolges, für die Gastspielreise nach Frankreich ausgewählt worden zu sein, scheint Prados compañía nur noch bis 1662 bestanden zu haben. Es ist das Jahr, in dem seine Frau Bernarda Ramírez stirbt. 1 1 0 In dieser Spielzeit führt Sebastián de Prado gemeinsam mit Antonio de Escarnida eine Truppe, in der die wichtigsten Fächer aus Mitgliedern beider compañías besetzt werden. Von Escarnida kommen sieben, von Prado fünf Darsteller (die autores jeweils mitgerechnet); für die übrigen fünf Positionen werden vermutlich von beiden die entsprechenden Kräfte engagiert. Escamilla besetzt mit seinen Leuten die folgenden Fächer: die primera (lama mit Maria de Quiñones, die tercera mit seiner Tochter Manuela, die barbas mit Mateo de Godoy und Blas Polope. Er selbst ist gracioso und bringt außerdem die Musiker Gaspar Real und Marcos Garcés mit. Sebastián de Prado sorgt mit seiner Schwester Maria für die Besetzung der segunda dama-Partien, seine Frau Bernarda Ramírez ist cuarta dama, er selbst übernimmt das Fach des primer galán, Jerónimo de Morales wird segundo galán. Von Prado kommt auch der Musiker Ambrosio Duarte, der Mann María de Prados, womit Sebastián nahezu ausschließlich mit Schauspielern aus seinem eigenen Verwandtenkreis der neuen Truppe beitritt. Im darauffolgenden Jahr, 1663, tauchen alle von Prados Truppe stammenden Schauspieler - auch er selbst - nicht mehr in einer nun allein von Escamilla angeführten Liste auf. Maria de Prado und Ambrosio Duarte beispielsweise sind nun bei José Carrillo. Am Ende der Betrachtung der Familie Prado sei erwähnt, daß auch Mariana Vaca, die dritte Frau Antonio de Prados, nach dessen Tod zweimal versucht hatte, eine eigene Truppe zu begründen: 1652 und 1656. Im zuerst genannten Jahr hatte sie außer ihrem Sohn José immerhin so wichtige Schauspieler wie Alonso de Olmedo, Bartolomé Romero sowie dessen Frau Juana de Borja engagiert und wurde für die m/fo-Aufführungen von Fronleichnam 1652 nach Valladolid verpflichtet. Kontinuierliche Tätigkeit als autora kam dennoch nicht zustande, denn 1656 verzeichnet die Liste nur noch sieben Namen (im Gegensatz zu 15 im Jahr 1652) weniger bedeutender Schauspieler. Als weibliche Truppenleiterin war Mariana Vaca zwar nicht unbedingt ein Einzelfall 11 doch sind Frauen als autores im gesamten Untersuchungszeitraum so selten, daß auf dieses Phänomen nicht näher eingegangen werden muß. Sebastián de Prado, in den Listen bis 1673 als Schauspieler dokumentiert (in jenem Jahr bei Félix Pascual), zieht sich 1674 von der Bühne zurück. Am 7. März desselben Jahres, am Aschermittwoch, tritt er ins Kloster der Clérigos menores in Madrid ein. 1 1 2 Er stirbt 1685 in Livorno, auf einer Reise nach Rom. 1 1 3 Mit dem Tod Sebastián de Prados 72

war die „ D y n a s t i e " keineswegs ausgestorben. Ihre Spuren sind bis weit in d a s 18. J a h r h u n d e r t zu verfolgen. Eine A n t o n i a de P r a d o w u r d e die E h e f r a u des bedeutendsten Schauspielers an der W e n d e v o m 18. zum 19. J a h r h u n d e r t : Isidoro M a i q u e z . " 4

2.4.3 Kontinuität in der Besetzung der Rollenfächer: Escantilla und Vallejo Von A n t o n i o de Escamillas T r u p p e gibt es Besetzungslisten f ü r die J a h r e 1661, 1662, 1663 bis 1665, 1670 bis 1672, 1675 bis 1 6 7 8 . " 5 F ü r die Zeit v o n 1666 bis 1669 ist die Existenz seiner T r u p p e schon d e s h a l b nicht nachzuweisen, weil vom 17. September 1665 bis z u m 2. M a i 1667 und auch d a r ü b e r hinaus wegen des T o d e s Philipps IV. kein T h e a t e r gespielt werden d u r f t e 1 1 6 , die compañía sich infolgedessen vermutlich aufgelöst hat und Escamilla erst 1670 wieder eine T r u p p e z u s a m m e n b e k a m . In den beiden J a h ren 1673 und 1674 hatte Escamilla keine eigene T r u p p e ; er selbst w a r im ersten der beiden J a h r e bei Félix Pascual, 1674 bei Simón A g u a d o , jeweils als gracioso (sein S t a n d a r d f a c h ) engagiert. Escamilla verfügte in den mit Personallisten belegten J a h r e n über eine jeweils recht große T r u p p e . Die wenigsten Mitglieder hatte er 1661, 1663 und 1675 mit je 16, die meisten 1671 und 1676 mit je 20. Im gesamten Beobachtungszeitraum von 1661 bis 1678 waren insgesamt 28 F r a u e n u n d 53 M ä n n e r bei ihm beschäftigt. Im D u r c h s c h n i t t b e f a n d e n sich k n a p p h a l b so viele Frauen wie M ä n n e r in der T r u p p e . Die Zahl der von einer Spielzeit zur anderen ü b e r n o m m e n e n Schauspieler schwankte erheblich. Der größte Bruch trat 1672/1675 auf. In der Liste von 1675 sind n u r zwei Schauspieler g e n a n n t , die auch 1672 der compañía a n g e h ö r t hatten (Alonso de O l m e d o u n d Escamilla selbst). D a n a c h stabilisierte sich die T r u p p e wieder: 1676 w u r d e n v o n 20 Engagierten 12 vom V o r j a h r ü b e r n o m m e n . D a s entspricht u n g e f ä h r d e r Durchschnittsquote über den gesamten Zeitraum hinweg. Eine tabellarische Übersicht zeigt die Veränderungen innerhalb von Escamillas T r u p p e im Laufe der Jahre: Jahr

Mitglicdcrzahl

1661 1662

18

1663 1664 1665 1670 1671 1672 1675 1676 1677 1678

17

16 18

19

18

20

17 16

20 19 19

Übernahmen aus dem Vorjahr

Übernahmen in Prozent

5 8

29,5 50 61 79 55,5 45 53 12,5

II

15

10 9 9 2

12 7 13

60 37 68

73

Die höchste Übernahmequote (15 von 19 Truppenmitgliedern = 79 Prozent) ist für das Jahr 1665 zu registrieren. G r o b gesagt stammte im Durchschnitt die Hälfte der Schauspieler jeweils aus dem Vorjahr. Doch das kann nur als Faustregel gelten, die Schwankungen sind, wie die Tabelle erweist, beträchtlich. Es ist aufschlußreich zu beobachten, d a ß die Übernahmequote zunächst von 29,5 Prozent im Jahr 1662 kontinuierlich auf den Höchstwert von 79 Prozent im Jahr 1665 ansteigt. Nach dem darauffolgenden Interim (1665 bis 1669) fällt sie wieder auf 55,5 Prozent und gar auf 45 Prozent in der nächsten Spielzeit von 1671. In der zweiten „Lükke" sinkt sie von 53 Prozent im Jahr 1672 auf den Tiefstand von 12,5 Prozent 1675. Danach schwankt sie sehr stark (60 - 37 - 68 Prozent in den Jahren 1676. 1677 und 1678). Diese Beobachtungen zeigen sehr deutlich, welchen Einschnitt es für die Truppe bedeutete, wenn sie nach mehrjähriger erzwungener Pause ihre Arbeit wieder a u f n a h m und jeweils fast wieder von vorne anfangen mußte. Es erweist sich so auch, in welchem Maße eine Aufwärtsentwicklung oder zumindest Konsolidierung unterbrochen werden konnte. Entscheidend für ein Beurteilen der Kontinuität in der personellen Zusammensetzung der Truppen ist die Verweildauer der einzelnen Mitglieder. Nur ein Schauspieler war die gesamten zwölf Jahre über in der Truppe: Escamilla selbst, der autor. Ihm folgen Alonso de Olmedo mit elf und Manuela de Escamilla, die Tochter des Truppenleiters, mit zehn Jahren. Die Gesamtentwicklung unter diesem Aspekt sei ebenfalls in einer tabellarischen Übersicht dargestellt: Verweildauer (Jahre) 12 11 10 9 X 7 6 5 4

i I

Mitglieder insgesamt 1 1 1

Frauen absolut

Frauen Prozent

-

-

1

2 1 2

-

I

-

6 10 19 37

1

3.5 3.5 -

1

3,5

1 3 4 17

3.5 II 14 61

-

Männer absolut

Männer Prozent

1 1

2 2

-

-

-

-

1 1 1 1 5 7 15 20

2 2 2 2 9 13 18 38

Dem Überblick ist zu entnehmen, d a ß der größte Teil der im Beobachtungszeitraum bei Escamilla beschäftigten Schauspieler, 66 von 81 (81 Prozent) nur drei oder weniger Spielzeiten in der T r u p p e war. 56 von 81 (69 Prozent) blieben nur zwei beziehungsweise eine und 37 von 81 (46 Prozent) nur eine Spielzeit. Die Tabelle, die angesichts des vergleichsweise geringen statistisch auswertbaren Zahlenmaterials nur Tendenzen widerspiegeln kann, zeigt jedoch einen bemerkenswerten Unterschied zwischen der Verweildauer von Männern und Frauen: Sehr viel mehr weibliche als männliche Darsteller (61 Prozent gegenüber 38) hatten nur ein einjähriges Engagement. Wenn ein Schauspieler mehrere Jahre in der T r u p p e war, leiste74

te er diese Zeit in der Regel o h n e U n t e r b r e c h u n g ab. Es g a b jedoch Fälle, in denen ein Schauspieler nach einiger Zeit wieder in die T r u p p e zurückkehrte. Maria de Anaya und M a r i a de los S a n t o s beispielsweise waren 1663 bei Escamilla und d a n n erst wieder 1675. G e r ó n i m o de Morales und Luis de Mendoza waren 1662 engagiert, d a n n von neuem 1670 und 1677. Die G e s a m t z a h l der Schauspieler, die ihr Engagement bei Escamilla mindestens eine Spielzeit unterbrachen, ist verhältnismäßig gering: 18 (von 81 = 2 2 Prozent). Berücksichtigt man die jeweilige F u n k t i o n der Truppenmitglieder, fallt der Blick zuerst wieder auf Escamilla, den autor: Er war, wie bereits e r w ä h n t , der einzige, der im gesamten Zeitraum in der T r u p p e tätig war, was Diez Borques A u f f a s s u n g von der Sonderstellung des autor innerhalb der T r u p p e zu bestätigen scheint: La continuidad de la labor del umor de comedias supone la continuidad de las compañías como asociación orgánica con una estructura fija, aunque varíe el nombre de los actores. 111

Wie sich am Beispiel von Escamillas T r u p p e zeigt, war der autor jedoch nicht unbedingt der einzige, der K o n t i n u i t ä t innerhalb der T r u p p e verkörperte. Maria de Quiñones, primera clama, war insgesamt acht J a h r e , Bernarda Manuela („La G r i f o n a " ) sechs J a h r e - zwei d a v o n allerdings vermutlich nur als Ersatzkraft - als segunda dama, M a n u e l a de Escamilla, tenera dama, gar zehn J a h r e in der T r u p p e (für diese extrem lange Verweildauer ist wohl auch das Verwandtschaftsverhältnis zu ihrem Vater, dem autor Escamilla, verantwortlich). Der primer galán in Escamillas T r u p p e , A l o n s o de O l m e d o , gehörte dem Ensemble elf von zwölf Spielzeiten an, der barba M a t e o de G o d o y sieben. Selbst ein Musiker, G a s p a r Real, zählte zu den über einen längeren Z e i t r a u m bei Escamilla Beschäftigten: Er war insgesamt acht J a h r e in der T r u p p e . Es fällt auf, d a ß diese längerfristig Engagierten a u s n a h m s l o s wichtigere Funktionen a u s ü b t e n , d a ß sie gewissermaßen das R ü c k g r a t der T r u p p e d a r stellten: Mit primera dama, primer guian, gracioso, barba und músico war die Grundbesetzung vorhanden. Die Kontinuität der T r u p p e k o n n t e sich, nach diesen F a k t e n zu urteilen, also nicht nur auf den autor, der der compañía den N a m e n gab, s o n d e r n auch auf Träger erster Rollen ü b e r h a u p t stützen. Diese Erkenntnis k a n n aber nicht d a r ü b e r hinwegtäuschen, d a ß die compañía insgesamt ständigen Veränderungen unterworfen war: Die übrigen Mitwirkenden, die I n h a b e r der niedrigen F u n k t i o n e n wie cuarta und quinta dama, tercer und cuarto galán, Hilfskräfte wie apuntador, cobrador und guardarropa, kamen k a u m j e auf mehr als drei J a h r e in der T r u p p e . Z u r Absicherung und Ergänzung der bei Escamilla gewonnenen D a t e n und Fakten wurde auch die Entwicklung der T r u p p e von M a n u e l Vallejo (el M o z o ) nach den gleichen Kriterien untersucht. Die G r ö ß e seiner compañía ist der Escamillas vergleichbar: Die geringste Zahl an Mitgliedern beträgt 16 (1672, 1673. 1680), die höchste, die im letzten hier berücksichtigten J a h r (1681) erreicht wird, 20. Der größte Einschnitt trat hier 1676/79 ein. Die U b e r n a h m e q u o t e fiel von 68 Prozent (1676) auf 21 Prozent (1679). Auch 75

Vallejo mußte nach dieser Pause fast wieder von vorne anfangen, im darauffolgenden Jahr, 1680, hatte sich die Lage in seiner compañía wieder stabilisiert; es wurden 12 von 16 Schauspielern aus dem Vorjahr wieder engagiert, die höchste Quote im gesamten Beobachtungszeitraum (75 Prozent). Erstaunlich ist, daß in diesem Jahr sämtliche weiblichen Truppenängehörigen übernommen wurden. Wie bei Escamilla stammte im Durchschnitt etwa die Hälfte der Schauspieler jeweils aus dem Vorjahr. Vallejos Truppe ist für die Jahre 1672 bis 1676 und 1679 bis 1681 auf Listen dokumentiert; für die Zeit von 1676 bis 1679 ist nichts über die Existenz von Vallejos Truppe bekannt. Die Verweildauer der Schauspieler in Vallejos compañía in tabellarischer Übersicht: Jahr

Mitgliederzahl

Ü b e r n a h m e n aus dem Vorjahr

Ü b e r n a h m e n in Prozent

16 16 18 18 19 19 16 20

7 8 7 6 13 4 12 10

44 50 39 34 68 21 75 50

1672 1673 1674 1675 1676 1679 1680 1681

Auch die Übersicht über die Verweildauer der Schauspieler in Vallejos Truppe ergibt ein ähnliches Bild wie bei Escamilla: Verweildauer Mitglieder (Jahre) insgesamt

9 8

7 6 5 4 3 2 I

Frauen absolut

Frauen Prozent

I

-

-

1

2

1 I 4 3 19 9 33

I 1 1 8 2 12

4

1

2

4 4

32 8 48

Männer absolut

3 2 II 7 21

Männer Prozent

7 4 24 15 46

Insgesamt 61 von 71 (86 Prozent) im Beobachtungszeitraum bei Vallejo beschäftigte Schauspieler waren nur drei oder weniger Spielzeiten in der Truppe (Escamilla: 80 Prozent), 42 von 71 (60 Prozent) ein und zwei Jahre (Escamilla: 70 Prozent) und 33 von 71 (46 Prozent) nur eine Spielzeit (Escamilla: 42 Prozent). In der Tendenz zeigen beide Truppen also das gleiche Ergebnis. Bei Vallejo gab es nur einen Schauspieler, der in allen neun Jahren in der Truppe war: Manuel de Mosquera, zunächst (1670 und 1672) tercer galán, danach barba (1673, 1675, 1681). In den nicht genannten Jahren ist seine Funktion nicht näher zu bestimmen, es dürfte jedoch ebenfalls die eines barba gewesen sein. Der autor selbst, Vallejo, erscheint nur in sieben der neun Jahre als Schauspieler in den Truppenlisten, und zwar als gracioso. 1680 ist Escamilla sein gracioso (zu diesem Zeitpunkt existierte dessen Truppe offenbar nicht mehr). Für 1675 ist nicht herauszufinden, warum Vallejo nicht 76

auch als Darsteller fungiert. Bei den weiblichen Kräften ist Bernarda Manuela, tercera dama, die einzige, die über einen längeren Zeitraum sechs Spielzeiten bei Vallejo war. Ihr folgt Mariana Romero, primera dama, mit vier Jahren. Manuela de Escamilla war in der gleichen Position drei Jahre bei Vallejo. nachdem die Truppe ihres Vaters sich aufgelöst hatte. Bei Vallejo ist, im Gegensatz zu Escamilla, der Unterschied in der Verweildauer zwischen Männern und Frauen gering: 48 Prozent der Frauen hatten ein einjähriges Engagement gegenüber 46 Prozent der Männer. Bei den zweijährigen Engagements ist es umgekehrt: Frauen 8 Prozent, Männer 15 Prozent. Bei den dreijährigen Arbeitsphasen sind dann wieder die Frauen in der Überzahl: 32 gegenüber 24 Prozent bei den männlichen Darstellern. Als primer galán hatte Vallejo, ebenfalls im Gegensatz zu Escamilla, nicht über den gesamten Zeitraum hinweg einen einzigen Schauspieler zur Verfügung. Dennoch ist auch in der Besetzung dieses Fachs so etwas wie eine klare Linie zu erkennen: In den beiden ersten mit Listen belegten Jahren, 1670 und 1672, war Sebastian de Prado in dieser Funktion tätig (seine eigene Truppe bestand längst nicht mehr). Ihm folgte 1673 und 1674 Alonso de Olmedo, der ansonsten bei Escamilla Jahr für Jahr engagiert war. Nach zwei Spielzeiten bei Escamilla (1675 und 1676) war er dann für drei Jahre wieder bei Vallejo, dessen Truppe er immer dann angehörte, wenn diejenige Escarnidas nicht in Erscheinung trat (1673 und 1674), beziehungsweise nicht mehr existierte (von 1679 an). Olmedo muß ein gefragter primer galán gewesen sein. In den beiden Jahren, in denen er in Escamillas Diensten stand (1665 und 1676), half Agustín Manuel de Castilla aus, der seinerseits in den Jahren 1677 und 1678 eine eigene Truppe leitete (früher, 1671, hatte er schon einmal als autor gewirkt, zusammen mit Félix Pascual), in der 1678 Manuel Vallejo als gracioso tätig war - in einem jener Jahre also, in denen er anscheinend keine eigene compañía besaß. Auch bei Vallejo zeigt sich, allerdings nicht ganz so deutlich wie bei Escamilla, eine gewisse Kontinuität gerade in der Besetzung der wichtigsten Positionen. Die Verflechtungen zwischen den einzelnen Truppen verdichteten sich am Ende des Untersuchungszeitraums dieser Arbeit in sehr starkem Maß. Das wird vor allem am Beispiel von Vallejos Truppe deutlich. Der Austausch von Schauspielern zwischen verschiedenen compañías - vor allem solchen, deren Leiter und Mitglieder durch freundschaftliche oder verwandtschaftliche Bande oder durch frühere Zusammenarbeit in Kontakt standen - ging offensichtlich leicht vonstatten. Wie weit auch die Konkurrenzsituation („Abwerben" von Darstellern) eine Rolle spielte, läßt sich nicht belegen. Zumindest für die ersten Fächer könnte sie von einiger Bedeutung gewesen sein. Andererseits spricht die offenkundig problemlose Rückkehr in die angestammte Truppe (Beispiel: Olmedo) dagegen. Bei den hier untersuchten Truppen handelt es sich um renommierte compañías, worauf schon die Tatsache hindeutet, daß sie über einen längeren Zeitraum existierten. Die Dokumente über weniger bedeutende Truppen sind so lückenhaft und in so geringer Zahl vorhanden, daß eine verläßliche Aussage über die personelle Kontinuität in diesen Ensembles nicht möglich ist. Es ist 77

jedoch anzunehmen, d a ß hier die Fluktuation erheblich stärker war als in den „großen" compañías. Zwei Sparten des Theaterbetriebs im Siglo de O r o haben Entscheidendes dazu beigetragen, d a ß gerade die Spitzengruppe der Truppen gefördert, sie in ihrer Existenz stabilisiert wurde und d a ß diese Elite sich von den übrigen compañías abhob: Corpus- und Corte-Theater. Doch dies ging nicht ohne direkte Einflußnahme durch die Organisatoren des Theaterbetriebs in beiden Genres. Welcher Art diese Eingriffe waren, soll im nächsten Abschnitt untersucht werden. 2.5 Eingriffe von außen in die personelle Zusammensetzung der Truppen Während es grundsätzlich Sache des autor war, die personelle Zusammensetzung seiner Truppe selbst zu bestimmen, hatte die Stadt Madrid ein erhebliches Mitsprache- und Mitwirkungsrecht bei der Bildung der Truppen, die für die Aufführungen der autos sacramentales an Fronleichnam ausgewählt wurden. Dies gilt für den gesamten Untersuchungszeitraum. In jedem Jahr begann das entsprechende Verfahren damit, d a ß die Villa am Ende der Spielzeit, das heißt am Anfang der Fastenzeit 1 1 8 , denjenigen Truppen, die für die «¡//«-Aufführungen in Frage kamen, untersagte, ohne ausdrückliche Genehmigung Madrid zu verlassen. So heißt es am 14. Februar 1611: ... sc notifique a Baltasar de Pinedo y a Sánchez y Thomas Fernandez, autores de comedias, no salgan desta corte sin su lizcncia e mandado: y hasta tanto que se ayan nombrado los autores que han de hazer los autos el dia del Santísimo Sacramento deste año (...). si se ausentaren della. serán castigados."®

Nachdem aus den solchermaßen vorausgewählten Truppen die endgültig für das Corpus-Theater in Frage kommenden compañías bestimmt waren, wurden offensichtlich in engem Zusammenwirken zwischen autores und Stadt beziehungsweise Corpus-Kommission die Schauspieler benannt, die jeweils innerhalb der Truppen mitarbeiten sollten. Der im Jahr 1611 schließlich ausgewählte autor T h o m á s Fernández bemerkt diesbezüglich in einer Eingabe: y por vna de las condiciones esta obligada esta Villa a darme los compañeros que vbicre menester y pidiere y obligarlos a estar en mi compañía, la cual dicha condifion se a guardado siempre y se a hecho con otros autores, trayendoles los compañeros que an pedido aunque an estado fuera desta corte. 1 2 0

Fernández geht es d a r u m , zwei Schauspieler („Saluador Ochoa y Joan Gasque") durch behördlichen Druck seiner T r u p p e einzugliedern, „pues de otra manera no podre cumplir con la a dicha fiesta"121. Die Äußerungen des autor sind in verschiedener Hinsicht aufschlußreich. Sie zeigen, d a ß es eine feste Vereinbarung („una de las condiciones") darüber gab, d a ß die Stadt bestimmte Schauspieler zur Komplettierung einer bereits bestehenden Truppe herbeizitieren mußte, die an Fronleichnam spielen sollte. D a ß dies schon 78

1611 seit einiger Zeit Brauch war, belegt die Bemerkung J a cual dicha condigion se a guardado siempre". Es ist des weiteren aus dem Schriftstück zu ersehen, d a ß im Normalfall nach wie vor der autor selbst für die Zusammensetzung seiner T r u p p e verantwortlich war. Die beiden Schauspieler, die Fernández dringend benötigte, hatte er bereits auf eigenes Betreiben verpflichtet, sie waren nur nicht in seiner compañía erschienen: „el dicho Juan G a s q u e me tenia hecha scriptura y dada palabra (...) y el dicho Saluador Ochoa asimismo me tenia hecha escriptura y yo la di por mi quenta (...)", heißt es in demselben D o k u m e n t . Fernández verlangte nach dem Arm der städtischen Obrigkeit, um seinem Begehren Nachdruck zu verleihen. Aber nur bei einem der beiden gewünschten Darsteller hatte er Erfolg. Während G a s q u e zusagte, gegen entsprechende Bezahlung („pagandole el dicho Thomas Fernandez lo que justamente meresciere") am Corpus-Fest in der Truppe zu spielen, antwortete Ochoa auf das städtische Dekret, er sei bei Baltasar de Pinedo unter Vertrag und bleibe dabei. 1 2 2 Es m u ß über ein solches Zusammenwirken von autor und städtischer Autorität hinaus auch die Möglichkeit bestanden haben, d a ß die Villa den für das Corpus-Theater ausgewählten Truppen das Engagement bestimmter Schauspieler ihrer Wahl vorschrieb. Am 23. Februar 1623 verpflichteten sich etwa die autores Juan de Morales Medrano und Antonio de Prado, „de hacer entre ambos los 4 Autos del Corpus del presente año, metiendo en sus compañías las personas que les ordenaren los comisarios...". 1 2 3 Der Eingriff der Obrigkeit in die personelle Zusammensetzung der Truppen konnte sogar so gravierend sein, d a ß eine f ü r die aw/o-Darbietungen ausgewählte compañía aus dem Konzept gebracht wurde: Baltasar de Pinedo beklagt sich 1614, d a ß zwei weibliche Mitglieder seiner T r u p p e (Maria de los Angeles und Mariana de Herbias) von der Stadt ausgeschlossen worden seien, „las quales tenian ya sus papeles sauidos para las fiestas del Santísimo Sacramento desta uilla ( . . . ) " ' 2 4 . Ein G r u n d f ü r diesen Ausschluß wird nicht genannt. Pinedo akzeptierte d a n n die Entscheidung und suchte zwei neue Kräfte, er erhielt aber auch eine Entschädigung für die wegen des Vorganges ausgefallenen Vorstellungen (in den Corrales). Der Eingriff läßt sich nur dadurch erklären, d a ß entweder während der Vorbereitungsarbeiten für die Corpus-Aufführungen ein Ereignis eingetreten war, das die beiden Darstellerinnen als ungeeignet für die Darbietung der autos sacramentales erscheinen ließ, oder es tauchten Vorbehalte gegen die schauspielerischen Qualitäten der beiden auf. Im übrigen scheinen die comisarios125 ihre Änderungswünsche zur personellen Zusammensetzung der Truppen bereits zum Zeitpunkt des Engagements der compañías für das Corpus-Fest und nicht erst während der Probenphase angemeldet zu haben. So etwa heißt es in dem Beschluß der Kommission vom 30. März 1626, daß in diesem Jahr die autores Andrés de la Vega und Cristóbal de Avendaño die Vorstellungen zu bestreiten hätten. Den beiden wurde gesagt, sie sollten an den Corpus-Feiern mitwirken „con las compañías que al presente tienen, cada uno los dos autos; con que el dicho Andrés de la Vega en lugar del gracioso que tiene, meta otro, y el dicho 79

Cristóbal de Avendaño meta otra muger" 1 2 6 . Auch hier wird kein Grund für die gewünschte personelle Änderung angeführt. Bemerkenswert ist jedoch, daß die autores wiederum selbst nach neuen Leuten Ausschau halten mußten, daß ihnen aber auch kein Ersatz aufgezwungen wurde. Ar» der Praxis einer Mitwirkung der Stadt Madrid an der Bildung beziehungsweise Reorganisation der Truppen hat sich auch in der Spätphase des Untersuchungszeitraums nichts geändert. In diesem Zusammenhang ist die Eingabe des arrendador Juan Ruiz de Somavilla aus dem Jahr 1670 von Interesse: (...) siendo asi que de tiempo ynmemorial sin auer ejemplar en contrario siempre a hauido autos sacramentales, disponiendo y formando Madrid a su costa las compañías que comen^auan a representar-desde Pasqua de Resurrection sin que el arrendador hiciese diligencia ni tubiese gasto ninguno (...).' 2 7

Worauf Somavilla hinauswill, wird in Punkt fünf seiner Eingabe deutlicher: Lo quinto, en el año pasado de 1669, continuándose la misma proyuicion de los autos sacramentales, y no cuydando Madrid de formar las compañías y hauiendo mucha dificultad en disponerlas y siendo cierto que con la paz de Portugal se querían ir algunos comediantes a aquel reyno y hauiendose ofrecido otros embarazos superiores, me fue preciso y inescusable tomar a mí quenta el ajustar, como ajuste, las dos compañías de Escamilla y Ballejo que han estado de asiento en este año, dándoles ración y representación, asegurándoles sus partidos, haciendo teatros, dándoles comedias y saynetes, todo a mi costa

Für den Pächter der Corrales war die Einflußnahme der Stadt Madrid auf die Zusammensetzung der Truppen ein „geldwerter Vorteil", wie es heute heißen würde. Da es 1669 jedoch keine aw/o-Aufführungen gegeben hatte, mußte der arrendador die zwei Truppen, die nach Ostern in den Corrales spielten, auf eigene Kosten unterhalten. Aus diesem Grund verlangte er eine Reduktion seiner Pacht und forderte überdies, daß sich die Stadt künftig wieder um die Truppen kümmern möge. 1 2 9 Was sich für den Pächter als finanzielles Problem darstellte, hatte freilich auch tieferreichende Wirkungen. Zwar kann als sicher gelten, daß die Villa nicht minutiös festlegte, wie welche Truppe personell zusammengesetzt sein müsse (es ging immer nur um die für Corpus ausgewählten compañías), sondern daß dies im Ermessen des jeweiligen autor lag. Durch die Kontrolle der für Corpus ausersehenen Truppen sicherte sich die Stadt aber immerhin ein Eingriffsrecht. Sie konnte bestimmte Schauspieler, die sie auf dem Corpustablado gerne sehen wollte, den Truppen zuführen, sie konnte aber auch gegen bereits in der Truppe tätige Darsteller Vorbehalte anmelden und erreichen, daß sie von den aw/o-Darbietungen ausgeschlossen wurden. Durch ihre Bereitschaft, die Kosten zu übernehmen, wenn einer oder mehrere Schauspieler für die Aufführungen der autos bereits bestehenden Truppen eingegliedert werden sollten und zu diesem Zweck möglicherweise gar von einem anderen Ort herbeizitiert werden mußten 1 3 0 , und durch den obrigkeitlichen Druck, den sie ausübte, um solche Schauspieler nach Madrid zu holen (beziehungsweise ihre Abreise zu verhindern), trug sie gewiß nicht wenig zur Hebung der schauspielerischen Qualität der Truppen bei. Denn es ist nicht anzunehmen, daß sie solche Anstrengungen bei Schauspielern mit 80

mittelmäßigen oder geringen Fähigkeiten unternahm. Dafür spricht auch die Tatsache, daß jeweils die Truppen für das Corpus-Fest ausgewählt wurden, die als die besten galten. Das führte gelegentlich zu Konflikten zwischen den nicht erwählten autores und der Corpus-Kommission. So etwa 1621, als sich Alonso de Olmedo darüber beklagte, daß ihm Pedro de Valdés und Cristóbal de Avendaño vorgezogen worden seien, obwohl er. Olmedo, ursprünglich schon einen Vertrag mit Valladolid abgeschlossen habe, dann aber gezwungen worden sei, bis zur Bestimmung der Madrider Corpus-Truppen in der Villa y Corte zu bleiben. Unterdessen habe Valladolid andere compañías verpflichtet, und er habe überdies, weil er festgehalten worden sei, Engagements bei „muchas otras fiestas" verloren, was ihm insgesamt großen Schaden zugefügt habe. 1 3 1 Aber die „Señores del Consejo" blieben hart und hielten an der Verpflichtung von Valdés und Avendaño fest, „porque les parezio que eran las mexores compañías". Der Elite-Charakter, der den für Fronleichnam in Madrid engagierten Truppen zukam, wird auch aus der Aussetzung der joya deutlich, einer Prämie, die wiederum die beste der zwei ausgewählten compañías erhielt. 132 Die joya konnte allerdings auch bei als gleichwertig angesehenen Leistungen geteilt werden. 1 3 3 In dieser Hinsicht ist ein Überblick darüber, welcher Kreis von Truppen jeweils zum Corpus-Fest nach Madrid verpflichtet wurde, sehr aufschlußreich. Da das dokumentarische Material für die früheren Phasen für verläßliche Aussagen zu unvollständig ist, bietet sich als Beobachtungszeitraum der Abschnitt von 1648 bis 1681, also von der Wiederaufnahme des Corpus-Spielbetriebs nach der längeren Verbotsphase bis zu Calderóns Tod an, für den fast lückenlos zu zeigen ist, welche Truppen jeweils an Fronleichnam in Madrid spielten. 134 In den ersten Jahren von 1648 bis 1651 sind es die compañías von Antonio de Prado und Diego Osorio (1648 ist allerdings nur Prado nachzuweisen, 1651, im Todesjahr Prados, nur Osorio), die jeweils die beiden autos aufführen. 1653 teilt sich Osorio die Aufgabe mit Adrián López, und von 1655 bis 1660 wird Osorios Truppe ununterbrochen für die Aufführung der autos in Madrid engagiert. Die jeweils zweite Truppe wurde in dieser Zeitspanne von verschiedenen autores gestellt: 1655 von Francisca Verdugo, 1656 von Francisco García, 1657 und 1658 von Pedro de la Rosa, 1659 von Sebastián de Prado (die mit Juan de la Calle gemeinsam geführte compañía) und 1660 von Jerónimo Vallejo. Im Jahr 1661 tritt bei den Corpus-Aufführungen in Madrid erstmals Antonio de Escamilla auf den Plan; er wird in der Folge nahezu jährlich bis 1678 für das Corpus-Fest herangezogen; seine Truppe „pausiert" lediglich in den Jahren 1673 und 1674. Neben ihm bringt es auch Manuel Vallejo auf eine beachtliche Serie von Engagements 1 3 5 : von 1670 bis 1681 (Unterbrechungen 1671, 1677 und 1678) waren er und seine Leute an der Gestaltung des Corpus-Theaters beteiligt. Erstaunlich ist die Tatsache, daß in den Jahren, in denen die genannten autores nicht verpflichtet wurden, die entsprechenden Ersatztruppen einen Stamm der Schauspieler aus den betreffenden langfristig engagierten Truppen übernahmen: In der 1671 von Félix Pascual und Manuel Agustín 81

gemeinsam geleiteten Truppe kamen vier Schauspieler aus VaHejos compañía vom Vorjahr. Agustín Manuel de Castilla beschäftigte 1677 aus Vallejos Vorjahres-Truppe fünf Akteure. Im Jahr 1679 werden zwei andere autores als beim vorangegangenen Corpus-Fest unter Vertrag genommen: Manuel Vallejo und José de Prado statt Agustín Manuel de Castilla und Antonio de Escamilla. Erstaunlicherweise blieb auch hier eine gewisse Kontinuität gewahrt: Prado übernahm von Castilla sieben, Vallejo von Escamilla neun Schauspieler. 1681 schließlich sind in Juan Antonio de Carvajals Truppe acht Darsteller von der compañía Jerónimo Garcías aus dem Vorjahr. Die Beobachtung, daß die Stadt Madrid beziehungsweise die CorpusKommission immer wieder auf nahezu die gleichen Truppen zurückgriff, unterstreicht, welch großen Einfluß das alljährlich wiederkehrende Ereignis der Corpus-Feierlichkeiten auf die Entwicklung der Truppen hatte. Gefördert wurde mit dem Verfahren fast immer die gleiche, verhältnismäßig kleine Gruppe von Schauspielern. Es kann freilich nicht ausgeschlossen werden, daß hier auch persönliche Interessen und Einflußnahmen eine Rolle spielten. Zur Spitze vorzudringen, gelang „Außenseitern" nur in seltenen Fällen. Die Absicht der comisarios, bei einem für das religiöse und gesellschaftliche Leben so bedeutsamen Anlaß kein Risiko einzugehen, war für dieses Vorgehen sicher ebenso maßgebend wie die ganz bewußte Förderung einer qualitativen Elite, was sich nicht zuletzt an der Aussetzung der joya zeigt. Daß die Kontinuität über die Jahre hinweg nicht nur über die Namen der betreffenden autores, sondern auch über die Schauspieler selbst gewährleistet wurde (auch dann, wenn die an/or-Namen wechselten, ist immer doch ein Stamm von Corpus-erprobten Schauspielern bei den Nachfolgetruppen übernommen worden), kann sicher nicht zuletzt den Eingriffen der Corpus-Kommission zugeschrieben werden. Das Interventionsrecht der Stadt Madrid - das jedoch nur die jeweils für Corpus verpflichteten Truppen betraf - stellte die massivste Einflußnahme in die schauspielerische Tätigkeit der Truppen dar, abgesehen von der Möglichkeit, während der Proben für die aw/o-Aufführungen die künstlerische Gestaltung der Inszenierungen zu verändern. 1 3 6 Modifikationen in der von den autores grundsätzlich festgelegten personellen Disposition der compañías ergaben sich allerdings auch bei den großen, aufwendigen fiestas am Königshof. Dabei war der Personalbedarf sehr hoch, so daß immer wieder Truppen zusammengelegt wurden 1 3 7 , sei es daß sie die Vorstellungen gemeinsam bestritten oder daß eine Truppe der anderen lediglich bei einzelnen Teilen der fiesta beisprang 1 3 8 . Es konnte auch vorkommen, daß eine compañía der anderen aushalf, wenn abzusehen war, daß diese mit den Proben für Hoftheatervorstellungen nicht rechtzeitig fertig würde, beziehungsweise damit nicht zurandekam. So half etwa an Karneval 1661 Diego Osorio mit seinen Leuten der Truppe von Juana de Cisneros aus. 1 3 9 Am häufigsten wurden jedoch Truppen, die an die Corte engagiert worden waren, durch Schauspieler ergänzt, die keiner bestimmten compañía angehörten. Bei den Kostenauflistungen für Hoftheater-Auffìihrungen stellen die Ausgaben für sobresalientes regelmäßig einen festen Posten dar, bei einigen Schauspieler-Namen mit dem Hinweis „que no tiene compañía" 1 4 0 . 82

Es verwundert kaum, daß an die Corte vor allem jene Elite von Schauspielern beziehungsweise Truppen gerufen wurde, die bei den CorpusFeierlichkeiten bevorzugt wurde. Zu einer Reihe von fiestas im Jahr 1676 etwa waren die Truppen von Escamilla und Vallejo an den Hof engagiert. 141 Noch deutlicher werden diese Zusammenhänge bei der genaueren Betrachtung der fiestas 1679/80, die durch detaillierte Kostenaufstellungen außergewöhnlich gut dokumentiert sind. 1 4 2 Bei den Theater-Spektakeln zwischen Dezember 1679 und Mai 1680 waren beide Corpus-Truppen von 1679 beteiligt: diejenigen von Manuel Vallejo und von José de Prado. Wie aus den entsprechenden Dokumenten hervorgeht, wurden für Calderóns Síquis y Cupido im Dezember 1679 beide Truppen vereint, dazu kamen sieben sobresalientes: zusätzliche Schauspieler, die gerade keiner Truppe angehörten und die deshalb gesondert entlohnt werden mußten. Drei dieser sobresalientes zumindest waren ihren im festen Truppenverband organisierten Kollegen keineswegs fremd; sie hatten den entsprechenden compañías während der Aufführung der autos sacramentales angehört. 1 4 3 Durch die Zusammenlegung der beiden Truppen und die Hinzunahme der sobresalientes entstand ein ganz neues Ensemble von schätzungsweise rund vierzig Darstellern. 144 Dennoch ist festzustellen, daß die beiden compañías nicht ihre Identität aufgaben: Vallejo bestritt allein mit seinen Leuten zwei weitere Aufführungen am Hof: Faetón im Dezember 1679, La púrpura de la rosa im Januar 1680 und Las armas de la hermosura im Mai desselben Jahres. Für Hado r divisa145 im April 1680 tritt noch einmal die Truppe von José de Prado hinzu. Bei allen diesen Aufführungen wirkte auch die Gruppe der sobresalientes mit; sie blieb dabei erstaunlich konstant und bildete gewissermaßen eine eigene Truppe ohne autor: Zu den sieben sobresalientes von Síquis y Cupido traten bei den übrigen Vorstellungen nach Bedarf weitere hinzu (bis zu zwölf bei Hado y divisa). Nur einmal, bei La púrpura de la rosa, war eine Schauspielerin vom „Stamm" der sobresalientes nicht dabei: Francisca Bezón. Trotz der Organisationsform der Schauspieler in Truppen erweist sich, daß die Individualität des einzelnen Darstellers keineswegs bedeutungslos geworden war. Dies zeigte sich ebenso an der Verpflichtung der sobresalientes für höfische fiestas wie an der Einflußnahme der CorpusKommission auf die personelle Zusammensetzung der Truppen für die autoDarbietungen. 1 4 6 2.6 Die Truppe als stabilisierendes Element im Theaterwesen Die Theatertruppe im Siglo de Oro war, wie sich aus den vorangegangenen Untersuchungen ergibt, ein überaus stabiles Gebilde, das wiederum eine stabilisierende Wirkung auf den Theaterbetrieb der Epoche auszuüben vermochte. Dies verdankte sie dem Zusammenwirken einer Reihe von Faktoren, die im einzelnen dargestellt wurden. Im Verlaufe der Entwicklung des Theaters im Untersuchungszeitraum bildete sich die Truppe der Berufsschauspieler sehr rasch als adäquate Organisationsform der Akteure in den Sparten Corral-, Corte- und Corpus-Theater heraus und änderte in der 83

Folge ihre Struktur so gut wie nicht mehr. Zusammengefaßt ergaben sich folgende Elemente, die Erscheinungsbild und Funktion der Truppen prägten: - die offizielle Anerkennung des Berufsschauspielertums durch staatliche Lizenzvergabe, - die „normierte" Größe, - die ausgeprägte Hierarchie in der personellen Zusammensetzung mit fester Aufgabenzuweisung bei einem standardisierten Kanon von Rollenfachern, - klare Kompetenzabgrenzung und „symbiotisches" Verhältnis zwischen autor und Truppe, - die zunehmende Rekrutierung des Nachwuchses aus den eingesessenen Schauspielerfamilien, - Kontinuität nicht nur über die Person des autor, sondern auch über die Träger der Hauptrollen. Im Verlaufe der Untersuchungen zeigte sich, daß selbst gravierende Ereignisse wie ein mehrjähriges AufTührungsverbot die Theatertruppen in ihrer Substanz nicht zerstören konnten. Als sei fast nichts geschehen, nahmen sie ihre Arbeit nach der Verbotszeit oft in der nahezu gleichen Besetzung wie vorher wieder auf. Daß dies überhaupt möglich war, ist auf die robuste, den Arbeitsverhältnissen geradezu optimal angepaßte innere Struktur der Truppen zurückzuführen. Der Aufbau der compañías stand außerdem ganz selbstverständlich im Gleichklang zu dem von den Dichtern in den Stücken geforderten Personal. Das ist besonders anschaulich am Beispiel von Calderóns Oeuvre nachzuweisen. Dort zeigt sich, daß in keinem reparto das Maximum von 20 Schauspielern überschritten wird. Gelegentlich reichen die Forderungen des Dichters allerdings hart bis an diese bei der Analyse der durchschnittlichen Größe der Truppen ermittelte Obergrenze, so etwa in dem religiösen Drama El gran Principe de Fez Don Baltasar de Loyola147 mit 19 verschiedenen Rollen oder in La devoción de la cruzl4S und in der comedia El jardín de Falerina149 mit je 17. Abgesehen davon, daß in Einzelfällen die Besetzung von zwei verschiedenen Rollen mit einem einzigen Schauspieler nach wie vor möglich war, blieben dies aber Ausnahmen. Die durchschnittliche Besetzungsstärke bei den Stücken Calderóns liegt bei 9 bis 14 Darstellern, wie aus der folgenden Übersicht, bei der auch die autos sacramentales berücksichtigt sind, hervorgeht. In den insgesamt 67 Stücken, die in den Obras completas zusammengetragen sind 1 5 0 , werden jeweils verlangt: Bei Bei Bei Bei Bei Bei Bei Bei Bei Bei

84

34 25 20 18 17 14 8 6 6 6

Slückcn Stücken Stücken Stücken Stücken Stücken Stücken Stücken Stücken Stücken

12 11 13 14 9 10 15 16 17 18

Schauspieler Schauspieler Schauspieler Schauspieler Schauspieler Schauspieler Schauspieler Schauspieler Schauspieler Schauspieler

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Bei 5 Stücken 8 Schauspieler Bei 4 Stücken 7 Schauspieler Bei 2 Stücken 19 Schauspieler Bei I Stück 4 Schauspieler

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In dem „Mittelfeld" zwischen 9 und 14 Schauspielern pro Theaterstück liegen also insgesamt 76 Prozent der Werke Calderóns. Extreme Besetzungen wie jene mit nur vier Schauspielern oder mit 19 fallen nicht ins Gewicht. Wie im Abschnitt über die Größe der Truppen vermerkt, können gerade für die Zeit Calderóns 15 bis 20 Personen als Durchschnittswert für die Stärke einer compañía angenommen werden. Die scheinbare Diskrepanz zu den 9 bis 14 soeben anhand der Stücke als Richtwert ermittelten Zahl von Schauspielern, die in den Stücken verlangt werden, ist rasch aufgeklärt: Außer den gewöhnlich mit Namen bezeichneten, die Handlung tragenden Rollen, auf die der Übersichtlichkeit halber die Auszählung beschränkt war, werden in nahezu jedem Stück weitere Darsteller benötigt, deren Anzahl jedoch nicht immer genau fixiert ist.. In Dar tiempo al tiempo151 etwa werden zu den Hauptfiguren noch „4 soldados" und „2 criados" verlangt, insgesamt also 17 Darsteller. Außer solchen Nebenrollen, denen oft auch - und seien es nur sehr kurze - Textpassagen in den Mund gelegt werden, steht im reparto häufig eine kollektive Bezeichnung wie „gente", „acompañamiento", „damas", „criados", „cazadores", „bandoleros", „alguaciles" und so weiter. Die Stärke dieser Komparsengruppen dürfte in das Ermessen des autor gestellt beziehungsweise von der tatsächlichen Größe der Truppe diktiert worden sein, wobei sicher auch Hilfskräfte wie apuntador, guardarropa und cobrador einspringen konnten. Die compañía mit ihrer widerstandsfähigen und bewährten Organisationsstruktur überstand unbeschadet auch Eingriffe von außen in die personelle Zusammensetzung. Es fällt auf, daß solche Einflüsse hauptsächlich in den beiden Sparten ausgeübt wurden, die den Schauspieler während der Aufführung in einen übergeordneten zeremoniellen Zusammenhang stellten: Corte- und Corpus-Theater. Dies ist auch verständlich, weil die Organisatoren der Aufführungen in den beiden Genres bestrebt sein mußten, den Vorstellungsbetrieb nach ihrem Gutdünken dem übergeordneten Ritual anzupassen, während die Schauspieler in den Corrales gewissermaßen auf sich selbst angewiesen waren. Diese Beobachtung unterstreicht die Abhängigkeit des Schauspielers von den betreffenden Gremien. Obwohl dies mit Unannehmlichkeiten verbunden war, entsprachen die autores meist auch dem Begehren der Obrigkeit und änderten die Besetzung, wenn dies von den entsprechenden Institutionen gewünscht wurde. Diese Eingriffsmöglichkeit „von oben" war freilich nicht ohne Vorteil für die autores, da mit dem mächtigen Arm der Autorität leichter Schauspieler der Truppe zuzuführen waren. Dies alles geschah auf besonders intensive Weise im Corpus-Theater, womit wiederum dessen herausragende Bedeutung für die Entwicklung des Berufsstandes erwiesen ist. Die Aufführung der autos sacramentales hatte schließlich auch eine ganz direkte Wirkung auf die künstlerische Qualität der Theatertruppen. Durch die Auswahl der zwei jeweils für die besten gehaltenen compañías für das Corpus-Theater in Madrid 85

und den durch die Aussetzung der joya unter den beiden erwählten Truppen ausgetragenen Wettstreit förderte das Cörpus-Theater unverhohlen die Bildung einer schauspielerischen Elite. Das künstlerische Kräftemessen veranstaltete Madrid nicht zuletzt aus Eigennutz, da die Villa die Schauspieler brauchte: Als Hauptstadt und Sitz der Corte mußte sie mit den prachtvollsten Corpus-Feiern im Land aufwarten. Die Abhängigkeit zwischen Schauspielern und offiziellen Gremien beruhte also auf Gegenseitigkeit. Diese Feststellung wird für die weiteren Untersuchungen von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein. Es ist zwar nicht direkt nachzuweisen, aber doch sehr wahrscheinlich, daß die äußerst festgefügte Organisationsstruktur der Truppen - so vorteilhaft sie für die Entwicklung des Berufsstandes und in der Frühzeit auch für die rasche Entfaltung des Aufführungsbetriebs war - in der Spätphase eine Erneuerung behinderte, wenn nicht gar blockierte. Denn den Dichtern blieb angesichts des eingespielten, innovationsfeindlichen Vorstellungsbetriebs, wie er von den compafiias praktiziert wurde, nichts anderes übrig, als Stücke nach dem immer gleichen Muster zu liefern. Auf Neuerungen etwa in der Personenkonstellation wären die Truppen überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Es ist letztlich dem Genie Caideröns zu verdanken, daß comedia und auto sacramental in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts dem längst erheblich verkrusteten Theaterleben zum Trotz nach wie vor - wenn auch zunehmend schwächer werdende - Impulse erhielten und daß trotz des engen Korsetts personeller und spieltechnischer Möglichkeiten immer noch attraktive Stücke (vorwiegend im Corpus- und Corte-Theater) auf die Bühne kamen. Mit dem Tod Caideröns 1681 setzt dann freilich sehr schnell der Niedergang der Theaterliteratur ein. - Die Funktion des Schauspielers im Aufführungsbetrieb bedarf einer ausführlicheren Darstellung, die im nächsten Kapitel dieser Arbeit folgen soll.

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3 Der Schauspieler im Auffiihrungsbetrieb Die Organisationsform des Schauspielers in der Truppe erhielt erst ihre vollgültige Bestimmung und entfaltete ihre Wirkung durch den Hinsatz der compañías im Aufführungsbetrieb der Epoche. Dabei ist wiederum die Tätigkeit in allen drei Sparten entscheidendes Kriterium. Im folgenden Kapitel wird zunächst in der Übersicht dargestellt, wie die Arbeitsweise des Schauspielers in der Truppe im Tages- und Jahresverlauf von den Anforderungen der drei Genres bestimmt wurde. Eine Würdigung der täglichen Probenarbeit, die in bisherigen Forschungen weitgehend vernachlässigt wurde, und der Faktoren, die die Repertoirebildung in den Truppen beeinflußten, führt schließlich zu einer Analyse der Arbeit des Schauspielers auf der Bühne. Die Umsetzung der von den Dichtern verfaßten Texte in eine szenische Darbietung wird dabei, wie bereits im einleitenden Kapitel zu dieser Arbeit angedeutet, nicht isoliert von den übrigen Elementen der Aufführung (Kostüme, Musik/Tanz, Bühnenbild/Kostüme) betrachtet. Das theatralische Ereignis wird vielmehr als sämtliche Bestandteile umfassende Einheit einer rituellen Versammlung von Akteuren und Publikum verstanden. Die Untersuchungen münden zuletzt in eine erste Bestimmung von Position und Funktion des Schauspielers im Untersuchungszeitraum. Es wird anhand der Analyse seiner Aufgaben und der von ihm angewandten Techniken darzustellen sein, ob und wie er der eingangs theoretisch umrissenen Funktion eines „rituell Sachkundigen" während des Ablaufs der theatralischen Darbietungen gerecht wurde. Dazu ist insbesondere sein Verhältnis zur Zuschauerschaft während der Aufführungen genauer zu untersuchen. 3.1 Tagesablauf Das Arbeitspensum, das ein Schauspieler des Siglo de Oro im Laufe eines Tages zu bewältigen hatte, war in einen festen Zeitplan eingespannt, der sich bereits am Beginn des Untersuchungszeitraums herausgebildet hatte und für die gesamte Epoche - mit geringfügigen Veränderungen - Gültigkeit bewahrte. Eine sehr anschauliche Schilderung des Arbeitstages eines Schauspielers in der Frühzeit findet sich in einer loa von Agustín de Rojas: Pero estos representantes, antes que Dios amanece, escribiendo y estudiando desde las cinco a las nueve, y de las nueve a las doce se están ensayando siempre; comen, vanse a la comedia y salen de allí a las siete. Y cuando han de descansar, los llaman el presidente.

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los oidores, los alcaldes, los fiscales, los regentes, y a todos van a servir, a cualquier hora que quieren. 1

Obwohl Rojas auch in dieser loa zu Übertreibungen neigt 2 , spiegelt seine Schilderung sehr genau den Tagesablauf des Schauspielers wider. Gewöhnlich ist dessen Tätigkeit durch zwei nahezu täglich wiederkehrende Termine in ein festes Korsett gezwängt: durch die üblicherweise morgens um 9 Uhr beginnende Probe im Hause des autor oder eines Schauspielerkollegen und die Vorstellung am Nachmittag im Corral. Der Probenbeginn um 9 Uhr ist nur in relativ frühen Dokumenten nachzuweisen, zu denen auch das Rojas-Zitat gehört. Für das Jahr 1614 gibt es gleich zwei Quellen: den an anderer Stelle bereits ausführlich behandelten Vertrag von Claramonte („cada dia á las nueve oras dél á casa del dicho Andrés de Claramonte donde se han de ensayar de ordinario..." 3 ) und eine Übereinkunft des autor Pedro Bravo mit seinen Schauspielern vom 8. Juli 1614"*. Aus einem Dokument von 1658 läßt sich schließen, daß zu dieser Zeit der Brauch noch gang und gäbe war, am Morgen um 9 Uhr mit den Proben zu beginnen. In dem Schriftstück heißt es, daß der gracioso „en el ensayo a las nuebe de la mañana dio vna herida al galán que llamauan Flores con que no pudo representar" 5 . Der Vorstellungsbeginn am Nachmittag in den Corrales war durch entsprechende Verordnungen festgelegt: Que las puertas de los teatros, no se abran hasta dadas las doze del dia, y las representaciones, se empiecen los seys meses desde primero de Otubre a las dos, y los otros seys a las quatro de la tarde, de suerte que se acaben vna hora antes que anochezca, y los Comissaríos, y Alguaziles, tengan particular cuydado de que esto se cumpla. 6

Ähnliche Bestimmungen wie diese von 1608 finden sich auch in den Reglamentos von 1615 und 1641. In dem zuletzt genannten Jahr wird der Beginn stärker als zuvor nach Jahreszeiten differenziert: Que se comienze la comedia en los quatro meses de invierno a las dos de la tarde, y los quatro de primavera a las tres, y los quatro de verano a las quatro, de modo que se salga dellas siempre de dia claro. 7

Trotz dieser detaillierten Festlegung scheint der Beginn der Vorstellungen keinesweg immer pünktlich gewesen zu sein. 8 Festzuhalten ist jedoch, daß eine Truppe, wenn sie an einen Corral engagiert war, dort ausnahmslos am Nachmittag aufzutreten hatte. Die Aufführungen dauerten zwischen zwei und drei Stunden, wobei drei Stunden offensichtlich als die zumutbare Obergrenze empfunden wurden: „que esto del recitar es tan avieso / que tras sufrir las grimas de tres horas / en un teatro, nos transtorna el seso." 9 (Caramuel gibt mit zwei Stunden Gesamtdauer (comedia und géneros menores) die Untergrenze an: „Durabit itaque sesquihoram recitado: unde, si addas musicam, intermedium, tripudium, etc. Comoedia ad duas horas perveniet." 1 0 88

Die Aufführungen am Königshof fanden in aller Regel am Abend statt. Darauf deutet schon die große Zahl von Wachslichtern hin, die bei solchen Anlässen verbraucht wurden.' 1 War es nicht eine Aufführung an der Corte, so gab es immer wieder Privatvorstellungen bei wichtigen Persönlichkeiten (particulares), die ebenfalls abends anberaumt wurden; solche Veranstaltungen mußten allerdings vom Consejo genehmigt werden. 1 2 Der Tagesablauf des Schauspielers war durch verschiedene Ereignisse immer wieder Veränderungen unterworfen, wobei die Praxis des Königshauses, Truppen mitten aus dem Vorstellungesbetrieb in den Corrales zu Proben und Aufführungen an der Corte abzuberufen, besonders oft und im Laufe der Epoche zunehmend häufiger zu Umdispositionen zwang. 1 3 Für die Truppen, die für die Aufführung der autos sacramentales ausgewählt worden waren, brachte die Zeit um Fronleichnam eine völlige Umstellung des täglichen Arbeitsprogramms mit sich. Die Folge der Aufführungen läßt sich anhand der erhaltenen Dokumente zeitlich nicht genau fixieren, doch ist für die Frühzeit (1618) eine Art Zeitplan überliefert, nach dem am Corpus-Tag selbst von 12 Uhr mittags bis 22 Uhr am Abend Vorstellungen stattfanden; am darauffolgenden Freitag hatten die Schauspieler ganztägig aufzutreten, bis 10 Uhr am Abend, wie es ausdrücklich heißt. 1 4 Am Freitag gab es also auch morgens Aufführungen, so daß an diesem Tag nicht geprobt werden konnte. Ganztägig hatten die Truppen auch zu spielen, wenn sie in der Fronleichnamsoktav in anderen Orten auftraten. Dabei mußten sie vormittags ein Stück aus dem Repertoire aufführen, wie es etwa der Vertrag Diego Osorios mit dem Ort Colmenar Viejo vorsieht. 1 5 Durch die fast pausenlose Aufführungsfolge während mehrerer Tage in der Fronleichnamszeit waren die Schauspieler zwar besonders beansprucht. Das zahlte sich aber auch aus. Ihr Tagesablauf unterschied sich von der übrigen Zeit des Spieljahres dadurch, daß sie statt der morgendlichen Proben ebenfalls Vorstellungen zu absolvieren hatten. Neben dem Proben- und Aufführungsbetrieb blieb den Schauspielern nur wenig Zeit, um Rollen herauszuschreiben, zu lernen oder sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, die nicht in direktem Zusammenhang zum Aufführungsbetrieb standen. Man darf Rojas glauben, wenn er andeutet, daß d a f ü r die morgendlichen Stunden vor der Probe genutzt werden mußten („antes que Dios amanece"). Ein Tagesablauf, der den Schauspieler von 5 Uhr morgens bis spät abends einspannte, dürfte jedoch eher die Ausnahme gewesen sein, denn nicht an jedem Tag hatte jede in Madrid anwesende Truppe sowohl in den Corrales als auch in Privathäusern oder am Königshof zu spielen. 3.2 Spielzeit im Jahreskreislauf Der Einsatz der Schauspieler in den drei Sparten Corral-, Corpus- und Corte-Theater folgte auch im Verlauf des Spieljahres festen Regeln, die sich rasch herausgebildet hatten und dann nur noch geringfügig modifiziert wurden. Von den Anfangen des Corral-Theaters bis zu Calderöns Tod und darüber hinaus begann die Spielzeit üblicherweise zu Ostern 1 6 und endete an 89

Karneval (carnestolendas) des darauffolgenden Jahres. Die Fastenzeit war schon aus religiösen Gründen spielfrei und wurde zum Einstudieren neuer Stücke genutzt. 17 Wie bereits im Zusammenhang mit der Truppenbildung dargestellt, war dies vor allem die Zeit, in der die autores die Verträge mit den von ihnen engagierten Schauspielern abschlössen, also compañías neu gründeten oder bereits bestehende reorganisierten. Das geschah zwar auch in anderen Monaten, außerhalb der Fastenzeit, aber die überwiegende Zahl der Truppen wurde zwischen Fastnacht und Ostern gebildet. 18 Das Spieljahr selbst gliederte sich deutlich in mehrere Phasen, deren wichtigste die Zeit von Ostern bis Fronleichnam war. Übereinstimmend berichten mehrere Zeugen in dem Prozeß um die Reise Sebastián de Prados Truppe 1660 nach Frankreich diesbezüglich: „(...) es notorio que desde Pasqua de Resurrección asta el dia del Corpus es el mejor tiempo del año y en que acude la gente a uer las comedias y en el que los arrendadores tienen su aprobechamiento (...)- 19 Als Grund für die Attraktivität gerade dieser Jahreszeit wird also vor allem das Wetter - für das Freilufttheater in den Corrales von besonderer Bedeutung - angegeben: Es ist die Zeit nach den Frühjahrsregenfallen und vor der großen Sommerhitze. Außerdem ist das Publikum nach der FastenzeitPause begierig darauf, die frisch zusammengestellten Truppen mit ihren neuerworbenen und -einstudierten Stücken zu erleben: „esta la gente con deseo de uer comedias y también por uer la nouedad en la disposizion de las compañías" 2 0 . Die Phase zwischen Ostern und Fronleichnam spielt sich nahezu ausschließlich in den Corrales ab. Die Zeugen in dem Prozeß weisen darauf hin, daß gerade in dieser Zeit in Madrid die besten Truppen tätig seien, da es sich um jene handelt, die für die aufo-Aufführungen zum Corpus-Fest ausgewählt worden seien: „(...) y la Villa tiene las mexores compañías de gente lucida (y) galas, por hauer de representar las fiestas del Corpus a S.M." 2 1 Das Fronleichnamsfest selbst stellte einen bedeutenden Einschnitt dar. Zu diesem Feiertag bestritten die Truppen die awío-Aufführungen auf Straßen und Plätzen (die Corrales blieben an den betreffenden Tagen zu). In der Anfangszeit, etwa bis 1610, fanden diese Vorstellungen lediglich am Festtag selbst und am Tag darauf (Freitag) statt, nach 1612 zusätzlich auch am Samstag 2 2 , schließlich außerdem am Sonntag 2 3 . Das Corpus-Fest bildete für die beteiligten Truppen den Höhepunkt des Spieljahres; sie hatten sogar das Vorrecht, in der Zeit zwischen Ostern und Corpus die Corrales exklusiv zu nutzen. 24 In der Festoktav schlössen sich Aufführungen in den umliegenden Orten an; compañías, die in Madrid nicht zum Zuge kamen, schlössen gleich Verträge mit diesen Gemeinden. 2 5 Nach Fronleichnam setzte die Sommerflaute ein: Die Monate Juli und August waren diejenigen mit der geringsten Zahl von Aufführungen in den Corrales (sieht man vom März ab, der regelmäßig in die Fastenzeit fallt). Höhere AufführungszifTern wurden dann wieder in den - klimatisch günstigeren - Monaten September bis Februar erzielt. In dieser Zeit trat auch eine größere Zahl von Truppen auf, da das Vorrecht der für Corpus ausgewählten compañías nicht mehr galt. 26 Da es keine lückenlosen Angaben für den gesamten Untersuchungszeitraum gibt, kann die Aufführungsfrequenz in den Corrales nur für eng begrenzte Perioden nachgewiesen werden; so ist etwa für die Zeit

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kurz vor dem Verbot von 1644 eine Übersicht über die Einkünfte in den Corrales 27 zu gewinnen. Die Daten und die daraus erarbeiteten gewonnenen Diagramme (siehe Abbildung) ergeben ein anschauliches Bild vom zyklischen Verlauf des Spielbetriebs in den Corrales übers Jahr. 28 1641 Juni Juli August September Oktober November Dezember 1642 Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember 1643 Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember 1644 Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober

Spieltage 1 21 15 27 31 30 29 Spieltage 31 28 4 7 30 15 9 14 19 7 7 29 Spieltage 31 17 0 24 28 5 8 10 27 7 7 29 Spieltage 31 9 4 29 22 3 5 1 26 4

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Am Schluß der Aufstellung findet sich eine Aufrechnung der Einkünfte, jeweils zusammengefaßt nach Sommer- und Wintermonaten, wobei merkwürdigerweise März und April zum Sommer-, der Mai zum Winterhalbjahr gezählt werden, womit wohl beabsichtigt war, jeweils die einkunftsstarken und -schwachen Monate zusammenzufassen. Das „primer año de verano" 1641/ 42, zu dem Juni, Juli, August, September, März, April und wieder Juni gehören, erbrachte 39 713 reales, die zum „ymbierno" gerechneten übrigen Monate Oktober, November, Dezember, Januar, Februar und Mai schlössen mit einem Gesamtresultat von 182 004 reales ab, was einem Verhältnis zwischen „Sommer" und „Winter" von 18 zu 82 Prozent entspricht. Am Königshof waren die Schauspieler das ganze Jahr über beschäftigt. Dafür sorgten schon die jährlich wiederkehrenden Geburts- und Namenstage der Königsfamilie 29 , aber auch Einzelereignisse wie Hochzeitsfeiern oder der Besuch hochgestellter Persönlichkeiten, denen Theateraufführungen geboten wurden. Überdies wurden regelmäßig particulares anberaumt, „en el Quarto de la Reyna nuestra Señora, domingos y juebes y las fiestas yntermedias" 30 . Shergold und Varey zeigen, daß der Brauch im gesamten 17. Jahrhundert beibehalten worden ist. 31 Abgeschlossen wurde das Spieljahr mit den Theatervorstellungen zu Karneval; danach begann die Fastenzeit-Pause. Gefragt waren die Schauspieler an den Fastnachts-Tagen sowohl am Hof als auch in den Corrales. Das Verhältnis zwischen Corral- und Hoftheater kann bis zu den fünfziger Jahren des 17. Jahrhundertes als ausgeglichen gelten; beide Sparten kamen sich nicht sonderlich ins Gehege. Gegen Ende der Herrschaft von Philipp IV., vor allem aber unter Karl II., nahm die Zahl der Aufführungen an der Corte jedoch kräftig zu, was schließlich zu einer existentiellen Gefahr für die Corrales wurde. Die Pächter beschwerten sich immer häufiger über die Tatsache, daß die Truppen plötzlich an den Hof abberufen wurden, um für dort geplante Aufführungen Stücke einzustudieren. Das ging im Extremfall sogar so weit, daß das Publikum, das sich schon im Corral eingefunden hatte, wieder nach Hause geschickt werden mußte, weil die Anordnung von der Corte erst kurz vor Vorstellungsbeginn eintraf. 32 Diese Mißhelligkeiten führten immer wieder zu Eingaben der Pächter um descuentos oder bajas ihrer Pacht als Entschädigung für die im Corral ausgefallenen Vorstellungen. Andererseits bekamen die Corral-Pächter die Möglichkeit, bei öffentlichen Aufführungen im Coliseo des Retiro Eintrittsgeld von den Besuchern zu verlangen. 33 Nicht immer scheint dies jedoch ein einträgliches Geschäft gewesen zu sein, weil die Zuschauer aus der Stadt nicht in der erhofften Zahl kamen. Zusammenfassend kann das Spieljahr, wie es in Madrid im Untersuchungszeitraum ablief, in folgende Abschnitte gegliedert werden: Die Fastenzeit, aus religiösen Gründen spielfrei, dient der Bildung und der personellen Umstrukturierung der Truppen, der Einstudierung neuer Stücke, der Vorbereitung auf das bevorstehende Theaterjahr. In der daran anschließenden Zeit zwischen Ostern und Fronleichnam treten nur die beiden für die Corpus-Aufführungen ausgewählten Truppen in den Corrales auf. Sie proben gleichzeitig die für das betreffende Jahr vorgesehenen autos 92

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J/'a-Repertoires (als comedias viejas konnten sich manche Stücke sicher über mehrere Jahre in der Truppe halten, bis sie als comedias famosas gedruckt und damit gewissermaßen offiziell als „abgespielt" erklärt wurden) stand eine vergleichsweise kurzzeitige Aufnahme von autos sacramentales und Stücken für höfische fiestas gegenüber. Für die Entwicklung des Schauspielerberufs kommt hinsichtlich dieser beiden Sparten jedoch ein entscheidendes Moment hinzu: autos sacramentales und fiestas wurden nicht nur von einem kleinen Kreis von Dichtern geliefert, sie wurden auch von einer ebenso begrenzten Zahl immer wieder engagierter Schauspieler aufgeführt. Dies begünstigte auf längere Sicht die Bildung einer Elite von Darstellern, was auch noch durch andere Faktoren gefördert wurde. 9 5 Erstaunlich ist jedoch, d a ß für den Schauspieler dabei nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Truppe die entscheidende Rolle spielte, sondern d a ß allem Anschein nach die darstellerische Qualität des einzelnen wichtigstes Kriterium war. Das erweist sich zum einen an dem Nachdruck, mit dem das Corpus-Gremium bestimmte Schauspieler den Truppen zuteilte 9 6 , und andererseits am Engagement der sobresalientes für die höfischen fiestas: Diese Zusatzkräfte wurden in so großer Zahl verpflichtet, d a ß d a f ü r auch eine eigene Truppe hätte auftreten können. 3.5 Ablauf der Aufführung Wesentliches Merkmal aller Aufführungen, gleich welcher Sparte, war die Eingliederung des von einem Dichter geschriebenen Stückes (comedia, auto sacramental) in den Gesamtzusammenhang einer traditionell festliegenden Abfolge von Vor- und Zwischenspielen sowie Musik- und Tanzdarbietungen. 9 8 Als Modell für alle Theateraufführungen der Epoche kann die gewöhnliche Corral-Vorstellung gelten, die folgendermaßen ablief: Den Beginn markierte ein Klopfgeräusch 9 9 , auf das unmittelbar eine akustische Einstimmung (instrumental und/oder durch Gesang) folgte. Beides, Klopfgeräusch und Musik, diente dazu, die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Bühne hinzulenken, wo mit dem Vortrag der loa, dem Vorspruch, der auch zu einer kleinen Szene ausgebaut sein konnte 1 0 0 , die eigentliche Aufführung ihren Anfang nahm. Zwischen die erste und zweite jornada des Stückes wurde ein Zwischenspiel, das entremés, eingeschoben, zwischen die zweite und dritte ein Tanz, und nach dem dritten Akt beendeten eine jácara, Lieder, Tänze, ein saínete oder eine mojiganga101 die Aufführung. Die einaktige Gestalt der autos sacramentales bedingte selbstverständlich einen 104

modifizierten Verlauf der Vorstellung, da hier ja keinerlei Zwischenspiele einzuschieben waren. Dennoch war das auto sacramental grundsätzlich in eine ebenso festgelegte Abfolge von géneros menores eingepaßt wie die comedia: Dem auto ging in der Regel eine loa voran, und es folgten ihm entremés, mojiganga oder ähnliche piezas menores102. Vor allem aber wurde das auto sacramental in eine Serie von Tänzen integriert. Für das Jahr 1656 beispielsweise werden nicht weniger als elf Tänze erwähnt: die danzas de turcos, de vndios, de vejetes, de locos, de la cruz, de la Colmena, de cauallos, de quenta, de chanza de gallegos, de jitanas und schließlich eine danza con un tambor103. Hinzu kamen noch die tarasca104 und die Tänze von bestimmten, traditionsgemäß zusätzlich engagierten Ensembles, wie etwa der Schwertertanz, den jedes Jahr eine Gruppe aus Brúñete zu den Madrider Corpus-Feierlichkeiten beisteuerte. Auswahl und Abfolge der Tänze fielen jedoch in jedem Jahr etwas anders aus 1 0 5 , so daß es hierfür keine allgemeingültige Regel gibt. Festzuhalten ist aber, daß das auto sacramental sehr stark in der religiös-kultischen Feier des Fronleichnamsfestes verankert war. Den Ablauf der höfischen fiesta, der im wesentlichen dem im Corral üblichen Schema folgt (loa -jornada I - entremés -jornada II - saínete - jornada III-ßn de fiesta) hat Neumeister am Beispiel der Darbietung von Calderóns Fieras afemina amor beschrieben 106 . Diese fiesta weist zwar die Besonderheit auf, daß sämtliche Teile - also Stücke und piezas menores, nicht jedoch die Tänze und die Musik - aus der Feder eines Verfassers, Calderóns, stammen, was ihr eine große Einheitlichkeit verleiht und inhaltliche Bezüge zwischen comedia und piezas menores herzustellen ermöglicht. Sie ist dennoch - oder vielleicht gerade deshalb - ein überaus anschauliches Beispiel dafür, in welchem Maße die fiesta sowohl in den äußeren Rahmen der höfischen Architektur 1 0 7 als auch in das Zeremoniell der Corte eingepaßt und somit in den Dienst der repraesentatio maiestatis gestellt ist: Mil dem Motto „Omnia vincit amor", das auf dem Vorhang zu sehen war, folgt Calderón nicht bloß einer höfischen Mode. Das Thema der Liebe dient vielmehr bis in feinste Zusammenhänge hinein der Feier einer irdisch und metaphysisch fest gegründeten Ordnung, die im spanischen Königshaus ihre sichtbare Verkörperung hat. Auch die mythologische Handlung erhält von d a h e r ihren Sinn. 108

Diese Einordnung in einen übergreifenden Zusammenhang bringt auch die Frage nach der Strukturierung der Aufführung selbst, nach den Beziehungen zwischen dem Stück und den es umspielenden piezas menores mit sich. Unbefriedigend ist der Erklärungsversuch Aubruns: Asi. la comedia, dividida en tres trozos por los dos entremeses, está como puesta entre paréntesis por la loa y la mojiganga, que a la vez la aislan como ficción y la relacionan artificialmente con la realidad de cada dia. Todo ocurre como si el dramaturgo no solamente rechazase la ilusión cómica, sino que insistiese por cuatro veces en denunciarla.10®

Es ist sicher sehr viel sinnvoller, auf den sich gegenseitig ergänzenden Charakter von Stück und géneros menores hinzuweisen: „cada cual (sc. comedia y 105

entremés) independiente y dependiente a su vez, distintas y, sin embargo, complementarias". 110 Zieht man die beiden das Theaterspiel bestimmenden Faktoren, Ordnung und Spannung, zur Erklärung heran, wird deutlich, daß den géneros menores in Bezug auf das Stück eine ambivalente Funktion zukommt: Einerseits unterstützen sie durch die im wesentlichen immer gleiche Abfolge von loa, jornadas, entremeses, Tänzen und musikalischen Einlagen" 1 die Ordnung, das statische, einmal akzeptierte Formen bewahrende Element. Andererseits sind sie dazu geeignet, die Spannung das dynamische Element - durch bewußt herbeigeführte Brüche in der Handlungskontinuität der comedia zu verstärken, etwa dadurch, daß in den entsprechenden géneros menores Alltagsrealität auf die Bühne gebracht wird, zum Beispiel über die Darstellung von Begebenheiten aus dem Leben der Schauspieler, wie sie in Quiñones de Benaventes Loas para empezar en ¡a CorteXil oder in einigen seiner entremeses"3 zu finden sind. Dies alles bedeutet freilich noch nicht, daß Stück und géneros menores notwendigerweise in strenger Opposition zueinander stehen müßten. Diez Borque scheint eine praktikable Formel zur Hand zu haben, wenn er meint, daß beides - Stück und piezas menores'14 - jeweils auf spezifische Art „Deformationen der Wirklichkeit" darstellten: Comedia y entremés son dos deformaciones antagónicas y polares, que se apoyan. ambas, en la exageración, y tienen como justificación las necesidades del espectáculo, complementándose entre si. A unas relaciones sociales totalmente idealizadas se suman unas relaciones sociales totalmente degradadas..." 9

Idealisierung oder Stilisierung auf Seiten der comedia (auto sacramental), Vulgarisierung auf Seiten der géneros menores führen, auf unterschiedlichen Wegen, letztlich zu demselben Effekt: zur Ulusionierung des Zuschauers; ein problematischer Begriff, dem aber, wie bereits am Anfang dieser Arbeit angedeutet, bei einer Würdigung des Ereignisses der Theateraufführung nicht auszuweichen ist. Steinbeck 116 weist zu Recht daraufhin, mit welch großen Schwierigkeiten es verbunden sei, aus dem Rezeptionsakt der Aufführung „Illusion" und „Reflexion" als zwei sich gegenseitig ausschließende Haltungen des Publikums auszugliedern, wobei Illusion als die „gläubige Hingabe des Zuschauers an den ,Schein' der Bühne" und Reflexion als das „stets bewußt gehaltene Wissen um das ,doch-nur-Gespie!tsein4 theatralischer Darbietungen" definiert sind. Steinbeck macht folgerichtig darauf aufmerksam, daß sich beide eben nicht, wie in der Theatertheorie bislang allzu bereitwillig angenommen, zueinander in Opposition befanden, sondern sich geradezu gegenseitig bedingten: „Prinzipiell ist ,Theaterillusion' ohne Reflexion nicht denkbar." Und: „Freilich ist umgekehrt auch .Reflexion' nicht ohne ,Theaterillusion' zu denken." 117 Sind Illusion und Reflexion also nicht klar voneinander zu trennen - auch dem Corral-Besucher des 17. Jahrhunderts wird bewußt gewesen sein, wenn er den Theaterhof betrat, daß ihm etwas vorgespie(ge)lt wird ist auch verständlich, daß trotz zahlreicher „illusionsstörender" Momente, die bereits in den Texten der Dichter enthalten sind, die „Theaterillusion" während der 106

Vorstellung weitgehend intakt blieb. Abgesehen davon, daß man viele solcher Störfaktoren den Konventionen des Theaterbetriebs zuordnen kann 1 1 8 , vermittelten diese dem Publikum jenes Quentchen Reflexionsanreiz, das in der Theaterillusion enthalten ist, ohne sie grundsätzlich in Frage zu stellen. Obwohl auch den géneros menores in dieser Hinsicht einiges „Störpotential" zukommt, leisten sie doch, wie zu sehen war, einen höchst eigenständigen Beitrag zur Illusionierung des Zuschauers. Unberührt davon bleibt ihre ambivalente Rolle im Ordnung-/Spannung-Gefüge. Die Ordnung als „Konstante" sorgt dafür, daß die Aufführung in den immer gleichen Bahnen verläuft, daß damit der Erwartung der Zuschauer entsprochen wird, daß Zufälligkeiten im äußeren Ablauf weitgehend ausgeschlossen bleiben. Das der Spannung innewohnende dynamische Prinzip wiederum befördert Veränderungen, schon weil die „Reizschwelle" immerzu erhöht werden muß, um das Publikum bei der Stange zu halten. Diese Veränderungen vollzogen sich jedoch nicht durch eine - und sei es nur allmählich wirksam werdende - Umstrukturierung der Aufführungsfolge, durch die Einführung neuer Elemente, sondern durch die Verstärkung der bereits gebräuchlichen Aufführungs-Bestandteile, etwa der den Fortgang der comedia-Handlung brechenden - und damit die Spannung erhöhenden - géneros menores. Indiz dafür ist etwa die zunehmende Beliebtheit der jácara119. Diese Wirksamkeit des Faktors Spannung brachte freilich auch eine Emanzipation und Verselbständigung der géneros menores gegenüber der comedia mit sich, bis zu jenem Punkt, da eine gute entremés-Darbietung den Mißerfolg eines schlechten oder schlecht gespielten Stückes auszugleichen vermochte oder daß das entremés vom Publikum als der wichtigste und attraktivste Teil der Aufführung eingeschätzt wurde. 1 2 0 Die Konsequenz einer solchen Entwicklung: Die Aufführung besteht nur noch aus piezas menores, die comedia wird gleich ganz beiseitegelassen. Tatsächlich ist es in der Theaterpraxis des Siglo de Oro auch so weit gekommen, denkt man etwa an die folla121, die nur aus einer Aneinanderreihung von piezas menores bestand. Damit aber ist ein weiterer Nachweis für die Bedeutung des rituellen Ablaufs der Theateraufführung im Untersuchungszeitraum erbracht: Die Bestandteile des Rituals, die die comedia, das eigentliche Kernstück der Vorstellung, wie eine Hülle umgeben, haben so viel Eigenwert erlangt, daß sie eine Aufführung zu tragen vermögen. 3.5.1 Die Textvorlage und ihre szenische Umsetzung Sprache und Gestik sind die beiden wichtigsten Hilfsmittel, deren sich der Schauspieler bedient, um eine Textvorlage zum Leben zu erwecken. Beides alleine genügt in aller Regel nicht für eine vollgültige Theateraufführung; es bedarf noch eines Szenariums, beziehungsweise eines Bühnenbildes, das und sei es in rudimentärer Form - den Raum bezeichnet, in dem das theatralische Geschehen abläuft. Auf bestimmte Hilfsmittel wie Kostüme, Requisiten und Bühnenmaschinen kann notfalls verzichtet werden, ohne daß 107

der theatralische Charakter der Darbietung in Frage gestellt wird. Die sprachliche und gestische Gestaltung der Theateraufführungen im Untersuchungszeitraum durch die Schauspieler läßt sich nur anhand weniger dokumentarischer Nachweise in sehr fragmentarischer Weise rekonstruieren. Es sind vor allem keine Lehrbücher aus der Epoche erhalten, und es ist, entgegen der Annahme Diez Borques 1 2 2 , sehr fraglich, ob es sie überhaupt gegeben hat: der immer kleiner werdende Kreis, aus dem sich der Schauspielernachwuchs rekrutiert 1 2 3 , spricht eher dafür, daß die darstellerischen Techniken oral tradiert wurden und daß die jüngeren Kräfte während der praktischen Arbeit in das Gewerbe gewissermaßen hineinwuchsen. 124 Kernstück der Theateraufführung war die Wiedergabe des vom Dichter geschaffenen Textes (comedia, auto, fiesta). Es ist bemerkenswert, daß das spanische Theater von Beginn des Untersuchungszeitraumes an diesen schriftlich fixierten Vorlagen allergrößten Stellenwert beimißt und - ganz anders als die italienische Commedia delfarte 1 2 5 - der Improvisation nur wenig oder gar keinen Raum läßt. Die Commedia dell'arte hatte zwar zunächst einen, wenn auch vergleichsweise geringen Einfluß auf das spanische Theater ausgeübt 1 2 6 , dennoch wurde die Darbietung der jeweils minutiös ausgeführten Texte einer comedia oder eines auto sacramental kennzeichnend für die Aufführungspraxis in Spanien. Das Festhalten der spanischen Theatertruppen an der Textvorlage der Dichter darf freilich nicht im modernen Sinn der „Werktreue" mißverstanden werden. Die niedergeschriebenen Texte galten den Schauspielern keineswegs als sakrosankt. Wie bereits an anderer Stelle dargelegt, war es vielmehr Brauch, daß ein Manuskript, das eine Truppe einem Verfasser abgekauft hatte, in der Aufführungspraxis nach dem Gutdünken des autor und seiner Schauspieler verändert werden konnte. In den meisten Fällen bedeutete dies eine Anpassung an die personellen Verhältnisse der Truppe oder an eine spezielle Aufführungssituation. Die Art der Eingriffe konnte sehr vielfaltig sein und von der Änderung einzelner Wörter oder Textpassagen über das Zusammenlegen von Rollen (wenn es in der compañía nicht genügend Darsteller gab) bis zu kleineren oder größeren Strichen reichen. Bedauerlicherweise sind kaum Aufführungsmaterialien erhalten, aus denen genau ersichtlich ist, wie die Texte der Dichter für die Aufführungen eingerichtet wurden. Stellvertretend für gelegentlich anzutreffende Manuskripte, die offenkundig bei der praktischen Arbeit herangezogen wurden und entsprechende Eintragungen aufweisen, soll im folgenden das Autograph zu Calderóns auto La humildad coronada127 näher betrachtet werden. Das Manuskript von La humildad coronada weist einen klare, gut lesbare Handschrift auf, was den Herausgeber des Faksimiles zur Annahme veranlaßt, es könne eine Reinschrift gewesen sein, die der Schauspieler-Truppe übergeben wurde, die das auto aufführte 1 2 8 . In dem Autograph finden sich Eingriffe verschiedener Art: Texteinfügungen, beziehungsweise -raffungen, die unzweideutig von Calderón selbst stammen 1 2 9 ; offenkundig von fremder Hand vorgenommene Textänderungen; unleserlich gemachte Verse oder Versteile; durch „Kästchen" eingegrenzte Textpassagen; durch 108

Schrägstriche annullierte Textstellen; durch Schlangenlinien seitlich begrenzte Passagen; die Wörter „si" oder „no" an den gekennzeichneten Stellen; durchgestrichene Rollenbezeichnungen; der Vermerk „ojo" an manchen Versen. Zweifelsfrei wurde das Manuskript für die Vorbereitung mehrerer Aufführungen des auto herangezogen. Dafür spricht die Tatsache, daß der von Calderón erwähnte Ort „Toletot" 1 3 0 einmal durch „Balladolid" beziehungsweise „Valladolid" sowie durch „esta gran ciudad" ersetzt wurde. Seltsamerweise merkte der Bearbeiter nicht, daß zumindest im Fall von Vers 1501 die nachfolgenden Verse ihren Sinn verloren, da sie den Namen „Toletot" erklären. Es läßt sich nicht rekonstruieren, welche Eingriffe für welche Aufführungen vorgenommen wurden. Aufschlußreich sind jedoch die zahlreichen „si"oder ,.no"-Vermerke, die vermutlich angebracht wurden, um die bei einer vorangegangenen Einstudierung eingezeichneten Striche zumindest teilweise wieder rückgängig zu machen. 1 3 2 Beim ersten Blick auf die gestrichenen Passagen fällt nur auf, daß zum großen Teil Dialogpartien betroffen sind, in denen La Oliba etwas zu sagen hat, beziehungsweise diese Figur erwähnt oder angesprochen wird. Signifikant sind die Verse 1047-1050: Sie sind eingegrenzt und als Ganzes mit „no" bezeichnet; darüber hinaus erhielt der zweite dieser Verse ein zusätzliches „no", außerdem steht neben der Passage der Vermerk „ojo 2 ". Dieser zweite Vers enthält eine klare Anspielung auf La Oliha: „de la Oliba lo amoroso". Die Manipulation kann nur bedeuten, daß in einer der Aufführungen La Oliba nicht auftreten sollte, vermutlich weil von der betreffenden Truppe die Rolle nicht besetzt werden konnte. Diese Beobachtung wird noch dadurch untermauert, daß die wenigen nicht gestrichenen, vom Dichter der Oliba in den Mund gelegten Verse vom Bearbeiter anderen Personen übertragen werden 1 3 3 . Daß in den Regieanweisunger nach Vers 1022 oder 1296 „Oliba" nicht durchgestrichen ist, kann ein Versehen sein; es ist allerdings auch möglich, daß die Rolle bei einer Aufführung mit einem (stummen) Statisten besetzt oder daß die Oliba im Bühnenbild angedeutet wurde. Ebenso eindeutig wie die Streichung der Oliba-Rolla in dem Manuskript ist die Zusammenlegung der Partien der beiden „Anjeles" durch einfaches Durchrtreichen der Bezeichnung „Anjel 2°" (ohne Kürzung des Textes). Daß bei eiier Aufführung des auto tatsächlich nur einer statt zwei Engel aufgetieten sein muß, wird anhand der von Calderón eigenhändig 1 3 4 an den Anfang des Manuskripts gestellten Besetzungsliste deutlich. Calderón hatte „Dos injeles" geschrieben; das „Dos" wurde später durchgestrichen und durch ,Vn" ersetzt; etwas weiter darunter findet sich dann auch das Wort im Singuhr, „ángel". Alle genannten Eingriffe dienten ganz offensichtlich nicht dazu, die Textvorlage zu straffen, sie kürzer zu machen. Dies wird bereits dadurch deutlich, daß in keinem der längeren Monologe 1 3 5 jeweils auch nur ein Vers gestrichen wurde 1 3 6 . Korrekturen an den Texten der Dichter geschahen wohl neist, wie am Beispiel des Calderón-au/o zu sehen war, aus zwei Gründen: 109

- um die Stücke der personellen Situation einer Truppe anzugleichen (in dem untersuchten Fall durch das Streichen beziehungsweise Zusammenlegen von Rollen); - um Anspielungen auf bestimmte Örtlichkeiten der jeweiligen AufTührungssituation anzupassen (Ersetzen des Ortes, an dem die Uraufführung stattfand, durch andere Ortsnamen). Änderungen dieser Art wurden, zumindest unserem heutigen Verständnis entsprechend, dem Anschein nach ziemlich sorglos vorgenommen. In dem zitierten Beispiel wird das vom Verfasser sorgfaltig durchkonstruierte Personengeflecht aufgebrochen (selbst wenn La Oliba zweifelsohne eine kleinere Rolle darstellt). Außerdem wird durch das Austauschen von Ortsnamen eine ganze Textpassage unverständlich: „Por eso abrá en Toletot,/ ciudad que en ebreo es / junta y fundación de muchos" 1 3 7 , heißt es im ursprünglichen Text. Wird nun in dieser Erläuterung des Namens „Toletot" kurzerhand durch „Balladolid" ersetzt, ohne weitere Textänderungen, verlieren die etymologischen Erklärungen Calderóns jeden Sinn, weil sie nun nicht mehr passen. Die Tatsache, daß gelegentlich auch die Dichter selbst in ihre eigenen Texte gravierend eingriffen und den verschiedenen Rezeptionsbedingungen an zwei AufTührungsstätten angepaßte Fassungen herstellten, hat Arnold Rothe anhand von Calderóns El mágico prodigioso in dem bereits erwähnten Aufsatz 1 3 8 nachgewiesen. 3.5.2 Kostüme Nächst der Textwiedergabe und Gestik waren im Untersuchungszeitraum die Kostüme der Schauspieler wichtigstes Hilfsmittel, um das Bühnengeschehen zu illustrieren und szenisch umzusetzen. Die Gestaltung des Bühnenbildes tritt dagegen (Ausnahme: im Hoftheater) weitgehend in den Hintergrund, wie im nächsten Abschnitt zu zeigen sein wird. Die Kostüme der Schauspieler haben während der Aufführung eine Reihe von Funktionen: - Sie geben den Zuschauern Anhaltspunkte zu den Figuren und deren sozialem Stand, Beruf sowie zur historischen Epoche, in der das Stück spielt. - Sie verleihen den Vorstellungen ein festliches, jedenfalls nicht-alltägliches Gepränge. - Sie dienen der Hervorhebung erotischer Reize und erhöhen so die Attraktivität der Aufführung. Wichtigstes Merkmal der im 17. Jahrhundert im spanischen Theater verwendeten Kostüme ist, daß sie keineswegs möglichst genaue Rekonstruktionen bestimmter historischer Kleidungsstücke darstellen, sondern daß sie zuallererst die jeweils aktuelle Mode widerspiegeln und spezifische Hinweise auf die Kleidung anderer historischer Epochen und Kulturkreise nur andeutungsweise wiedergeben:

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El anacronismo es, pues, a la vez una ley del género y una convención establecida entre el autor y el auditorio. Los griegos del tiempo de Homero y los rusos del tiempo de Dimitri el usurpador, los pastores de Arcadia y los turcos de Constantinopla, son sistemáticamente hispanizados. 1 1 9

Diese Feststellungen zu den Figuren der comedia treffen in besonderem Maße auf die Kostüme zu. Nahm man es mit historischer Detailtreue nicht sonderlich genau, war an den Kostümen dafür umso besser die gesellschaftliche Position der betreffenden Rolle abzulesen. Erst in jüngster Zeit ist ein größeres Interesse der Forschung an solchen Gegenständen wie dem vestuario der Schauspieler zu beobachten. Nützlich und anschaulich, in ihrem wissenschaftlichen Wert jedoch wegen ungenauer oder fehlender bibliographischer Angaben eingeschränkt, sind in dieser Hinsicht die Ausführungen von Carmen Bernis und die entsprechenden Zeichnungen von Elisa Ruiz 140 . Aus den von den Verfasserinnen selbst als lückenhaft empfundenen Untersuchungen und Rekonstruktionsversuchen gehen dennoch einige bemerkenswerte Tatsachen hervor. Maßgebend für die jeweilige Mode war der Königshof. Danach richtete sich wiederum der Adel, und dessen Dienerschaft übernahm schließlich - als Imitation mit wesentlich bescheideneren Textilmaterialien - die modischen Präferenzen ihrer Herrschaften. Die an der Spitze der Gesellschaft eingeführte Mode setzte sich also bis in die unteren Schichten durch. Bei den weiblichen Angehörigen des Königshofs und den adeligen Damen waren die Korsette und korsettähnlichen Gestelle (verdugados, cartones de pecho, guardainfante1*1) Grundbestandteil festlicher, repräsentativer Kleidung. Alltäglichere Kleidungsstücke mit mehr Bewegungsfreiheit boten die Möglichkeit, zumindest die Schuhe zu zeigen; den Blick auf die Beine der Frau freizugeben, war absolutes Tabu. Die mujer tapada, die in vielen comedias eine wichtige Rolle spielt, wie etwa in Calderóns La dama duende, erklärt sich laut Carmen Bernis nicht etwa mit muselmanischen Gebräuchen, „sino por una moda que apareció en el siglo XVI y que se extendió por gran parte de Europa. Lo que hicieron las españolas fue conservarla (se. costumbre) por más tiempo". 142 Der größte Unterschied in der Bekleidung bestand zwischen Landbewohnern und Städtern, doch auch hier muß differenziert werden: El menestral o artesano, si era rico, trataba de seguir la moda cortesana. El labrador. si era rico, se diferenciaba en su traje de los villanos y labradores pobres (que eran la gran mayoría), pero no imitaba el vestido de los caballeros. 1 4 3

Dies alles spiegelte sich auf der Bühne wider, die Angehörige aller Gesellschaftsschichten versammelte. Mehr noch: Da die mehr oder weniger aufwendig gestalteten Kleidungsstücke die Bewegungen der Personen beeinflußten, ergaben sich schon aus dem Zusammenspiel von Kleidung und Gestik für den Zuschauer die Beziehungen zwischen den einzelnen Personen, selbst wenn noch kein Wort gesprochen wurde. „AI entrar en contacto dos personas de distinto rango, entraba automáticamente en juego el rito del respeto". 1 4 4 Das galt vor allem, wenn der „König" (in Gestalt eines Schauspielers) auf der Bühne stand:

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Resulta difícil para un actor moderno sentir e! avasallamiento y el profundo respeto mezclado con miedo que podria surgir entre una persona y otra. Parece que Felipe II asustaba con sólo su presencia... 145

Was bisher allgemein über die Verwendung der Kostüme gesagt wurde, läßt sich mit einem Blick auf das Inventar von Truppen und Schauspielern belegen. Eine der ausführlichsten Auflistungen zum Kostümfundus einer compañía ist die memoria del hato des autor de comedias Baltasar Pinedo, der die Kleidungsstücke an seinen Kollegen Juan Granados am 25. April 1605 verkaufte 1 4 6 . Die Liste besteht aus insgesamt 95 Posten, wobei verschiedentlich mehrere Stücke gleicher Art zusammengefaßt sind, etwa „tres pares de calzones" oder „doce sombreros viejos". Der größte Teil des Fundus besteht aus ropas, tunicelas, pellicos, sayas und sayos und ähnlichen nicht näher differenzierten Kleidungsstücken, was auf ihre flexible Verwendungsmöglichkeit schließen läßt: Kostüme, die vermutlich in sehr verschiedenartigen Stücken universell eingesetzt werden konnten. Bei nur sehr wenigen Objekten ist eine spezifische Nutzung für bestimmte Rollen - oder besser: Rollentypen - erkennbar. Dazu zählen die folgenden Posten: -

Un capotillo de lacayo Cinco tunicelas de demonio, traydas Otra tunicela de demonio, nueva Sietes (sie) bonetes de moros, colorados Ocho caperuzas de villanos, de damasco de colores Tres tocados de moros y quatro toquillas Un capirote de loco, de seda Cinco gorras y tres capirotes de locos, todo de friso Diez tocados de anciano, viejos Tres capirotes de loco, viejos

Mit diesem, gemessen am gesamten hato nur sehr kleinen Teil spezieller Kostüme waren als Rollentypen also lediglich lacayos, demonios, moros, villanos, locos und ancianos darzustellen. Dies ist angesichts des vielfältigen Personals, das in den comedias, autos und den géneros menores aufgeboten wird, verwunderlich und eben nur mit der flexiblen Einsetzbarkeit der übrigen Kostüme zu erklären. Der Fundus, den Pinedo an Granados verkauft, ist keineswegs vollständig, obwohl der angegebene Wert beträchtlich ist. 1 4 7 Aufgelistet sind nur jene Kleidungsstücke, die keinem bestimmten Schauspieler gehörten 1 4 8 , die der autor also den Truppenmitgliedern jeweils zur Verfügung gestellt hat. Es ist anzunehmen, daß die genannten Kleidungsstücke hauptsächlich für die weniger bedeutenden Rollen eingesetzt wurden und daß die Gesamtzahl an Kostümen, die bei den Vorstellungen Verwendung fanden, sehr viel größer war. Die Hauptdarsteller, insbesondere primera dama und galán, verfügten über eigene kostbare Kleidungsstücke, die sie bei ihrem Eintritt in die Truppe mitbrachten. Auch diese Tatsache verweist auf die universelle Verwendbarkeit der meisten Theaterkostüme in der Epoche. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Kostümliste von Mariana de Borja 1 4 9 . Die Darstellerin wird zwar in den meisten compañías, in denen sie engagiert war, „nur" als tercera oder cuarta dama geführt 1 5 0 , aber als Sängerin und Musikerin hatte sie eine Sonderstellung. 112

Der Kostümbesitz der Borja, der sich aus 27 Positionen zusammensetzt (fast ausschließlich jeweils ein Kleidungsstück), enthält wiederum nicht näher zu klassifizierende vestidos (insgesamt 17), darüber hinaus sind jedoch einzelne dieser Kostüme differenziert: „para villana" und „para labradora". Zwei weitere Angaben ermöglichen es, Rollen, die die Borja gespielt haben mag, näher zu bestimmen: ein „vestido de estudiante" und ein „manto de tafetán encarnado doble, para ángel". Erstaunlich ist, daß immerhin vier Posten eindeutig als Männerkleidung zu identifizieren sind - ein Hinweis auf die Bedeutung der mujer varonil im Theater des Siglo de Oro 1 5 1 . Der Kostümbesitz eines Schauspielers erster Rollen war mit Sicherheit um einiges größer und wertvoller als jener der Borja, doch fehlt es hier an brauchbaren Nachweisen. Der Aufwand, der mit den Kostümen getrieben wurde, basierte keineswegs, wie man annehmen könnte, lediglich auf der Eitelkeit der Darsteller. Das Streben nach einer attraktiven Kostümausstattung wurde von hochoffziellen Stellen geradezu gefördert. Das geschah vor allem in Bezug auf die Aufführung der autos sacramentales. Der autor Antonio de Prado beispielsweise mußte 1636 folgende Verpflichtungen eingehen: „(...) poniendo todos los bestidos nuebos de brocados, telas, damascos y terciopelo, sin que aya ninguno viejo (...)"' 5 2 . Die Kostüme, die bei den auto-Vorstellungen benutzt wurden, mußten also jeweils neu sein, wohl auch in dem Sinne, daß sie dem neuesten Stand der Mode entsprachen. Der Wettbewerb unter den für die Corpus-Aufführungen ausgewählten Truppen bezog sich ausdrücklich auch auf die Kostüme: Dem autor Baltasar de Pinedo wird 1614 für seine Truppe die joya zugesprochen „por ser mejores los autos que hizo y mejor vestidos" 153 . Die Corpus-Kommission war in ihren Wünschen und Anforderungen an die Kostüme der Schauspieler nicht gerade bescheiden: (...) y harán los vestidos necesarios para los dichos autos y entremeses á su costa que han de ser de brocatel y terciopelo, damascos y rasos guarnecidos de pasamanos de oro. todo nuevo á contento y satisfacción de los señores Comisarios

Die Kommission zögerte auch nicht, Nachbesserungen zu verlangen, wenn sie mit den bei der muestra vorgeführten Kostümen nicht zufrieden war: „Sansón: la biuda. Bernardo, saque mejores cagones y las medias y ligas conforme las mangas" 155 , wird etwa in dem Protokoll der muestra von 1641 gefordert. Wie aus einem der zitierten Verträge (Antonio de Prado) hervorgeht, mußten die Kostüme für das Corpus-Fest von den Schauspielern selbst angeschafft werden, wobei zumindest teilweise das von der Villa gezahlte Honorar verwendet werden konnte. Oft überstiegen die Ansprüche der Kommission aber auch die finanziellen Möglichkeiten der Truppen. In diesem Fall behalfen sich die compañías dadurch, daß sie Kleidungsstücke untereinander ausliehen. So etwa borgt die autora Juana de Espinosa 1641 von ihrem Kollegen Segundo de Morales für einen Preis von 120 reales „varios vestidos de representar" sowohl für die muestra als auch für die Aufführungen in der Corpus-Oktav. Für den Fall, daß die Kostüme auch noch bei Corral-Aufführungen eingesetzt werden, sind zusätzlich täglich 40 reales zu zahlen. 156 113

Es verwundert nicht, daß bei solchen nicht gerade billigen Notlösungen die autores immer wieder als ayuda de costa deklarierte Nachzahlungen zu ihrem Honorar haben wollten. 157 Gelegentlich sind solche Ausgleichszahlungen in den Abrechnungen der Stadt zum Corpus-Fest eigens vermerkt: „A Francisco Garcia, representante, 700 reales de ayuda de costa para hazer vn bestido para dichas fiestas"158, lautet ein Posten in der Kostenaufstellung von 1650. In ähnlicher Weise wie bei den Corpus-Aufführungen waren am Königshof die Anforderungen an die Kostüme der Schauspieler besonders hoch. In den Abrechnungen für die großen Festvorstellungen nehmen die „bestuarios" neben den Ausgaben für die Truppen einen eigenen größeren Posten ein. Damit waren offensichtlich jene Kostüme gemeint, die für die jeweilige Aufführung zusätzlich zu den bereits von den compañías bereitgestellten Kleidungsstücken gebraucht wurden. So etwa erhält Damiana Arias bei der Aufführung von Calderóns Faetòn 1680 insgesamt 1200 reales „por la guardarropa de comedia y entremeses" 159 . Bei der gleichen Gelegenheit werden die Ausgaben für die „bestuarios" für andere Darsteller auf unterschiedliche Art abgerechnet: Einigen werden die Auslagen „en dinero" erstattet, andere erhalten bestimmte Stoffe, um daraus die Kleidungsstücke herstellen (lassen) zu können. 1 6 0 Sowohl bei den autos sacramentales als auch bei den außergewöhnlichen Hoftheater-Vorstellungen fallt auf, welch großer Wert auf die Kostümausstattung gelegt wurde. Dies blieb nicht ohne Auswirkung auf die dritte Sparte, das Corral-Theater, was schon aus der Klausel in dem Vertrag von Juana de Espinosa und Segundo de Morales hervorgeht, wonach für die Benutzung der Corpus-Kostüme in den Corrales ein zusätzlicher Geldbetrag fallig wurde. Es ist anzunehmen, wenn auch nicht direkt nachweisbar, daß der im Corpus- und Corte-Theater betriebene Kostümkult auch in den Corrales zu einem Wettstreit, wenn auch in bescheideneren Dimensionen, um die beste Kleidungsausstattung der Truppen geführt hat. Eine solche Entwicklung mußte zwangsläufig immer wieder zu Übertreibungen, vielleicht gar zu Exzessen, verleiten. So entstand eine merkwürdige Situation: Auf der einen Seite wurde der Kostümkult von offizieller Seite (Corpus-Kommission, Corte) nach Kräften gefördert, auf der anderen mußte er, ebenfalls von offizieller Warte aus, immer wieder in seine Schranken verwiesen werden. Denn außer der offensichtlich allenthalben begünstigten Prachtentfaltung wurde von den Schauspielern eine weitere Funktion der Kostüme in zunehmenden Maß dienstbar gemacht: die Vermittlung erotischer oder gar sexueller Reize. Das in dieser Hinsicht stärkste Stimulans - das folglich am heftigsten bekämpft wurde - war das Auftreten von Frauen in Männerkleidung. Travestismus dieser Art wurde in den gesetzlichen Bestimmungen ausdrücklich untersagt, etwa in den Reglamentos de teatros von 1615, in denen auch andere Verstöße gegen die Normen in der Kleidung aufgezählt werden: Que las mugeres representen en habito decente de mugeres, y no salgan a representar en faldellín solo, sino que por lo menos lleuen sobre el ropa, vaquero, o basquina, suelta, o enfaldada, y no representen en habito de hombres, ni hagan personages de tales, ni los hombres, aunque sean muchachos, de mugeres.' 61

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Die Tatsache, daß diese Bestimmung durchgestrichen wurde, deutet darauf hin, daß sich die Schauspieler vermutlich kaum an diese Normen gehalten haben, daß diese Anordnungen also offensichtlich ihren Sinn verfehlten. Über kurz oder lang müssen sich die Verstöße jedoch in einem solchen Maß gehäuft haben, daß bei der Neufassung der Reglamentos von 1641 der entsprechende Paragraph im gleichen Wortlaut 162 wiederaufgenommen wurde - und gültig blieb. Und nicht nur dies: Das in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre ausgesprochene generelle Verbot von Theateraufführungen wurde nur mit der Maßgabe aufgehoben, daß die sittlichen Normen für die Kleidung der Schauspieler auf der Bühne eingehalten werden, wie einem königlichen Erlaß vom 1. Januar 1653 zu entnehmen ist: Quando permití que volviesen las comedias (que se avían suspendido por los desórdenes y relaxación de trajes y representaciones que se avian experimentado) Tué con orden precisa que eso se executase con atención muy particular á la reformación de los trajes y á la decencia de las representaciones que se havrá de observar, de suerte que no hubiese ni en lo uno ni en lo otro cosa alguna que ofendiese la pública honestidad. Y porque he entendido que en esto se falta gravemente en las partes donde se representa, y que los trajes no son con la moderación y ajustamiento que se debe, os ordeno que enviéis órdenes á la Corona en todo aprieto (de suerte que se observen precisa y indispensablemente), que ninguna mujer pueda salir al teatro en hábito de hombre, y que si huviese de ser preciso para la representación, que hagan estos papeles, sea con traje tan ajustado y modesto, que de ninguna manera se les descubran las piernas ni los pies, sino que esto esté siempre cubierto con los vestidos ó trajes que ordinariamente usan, ó con alguna sotana, de manera que sólo se diferenzie el traje de la cintura arriba: imponiéndoles las penas que os pareciere y disponiendo que inviolablemente se execute en las que contravinieren al cumplimiento de la orden referida. 163

Abgesehen davon, daß das Schriftstück als Begründung für das Verbot nicht etwa die Todesfälle im Königshaus angibt, sondern den Verfall der Sitten in der Kleidung der Schauspieler, ist das Dokument noch in weiterer Hinsicht aufschlußreich: Es verbietet den Frauen nicht rigoros das Spielen von Männerrollen - ein solches Verdikt wäre angesichts der Beliebtheit der mujer varonil auf der Bühne wohl gar nicht durchsetzbar gewesen. Gefordert wird allerdings, solche Partien in einer Kleidung zu spielen, bei der weder Beine noch Füße sichtbar werden. Das Entblößen von Beinen und Füßen muß also einen sehr starken erotischen Reiz auf der Bühne des Siglo de Oro dargestellt haben. Aus allem bisher zum Einsatz der Kostüme Gesagten geht hervor, daß die Kleidung der Schauspieler während der Aufführung nur zum allerkleinsten Teil funktional durch die Handlung der comedia beziehungsweise des auto sacramental bestimmt wurde. Maßgebend war vielmehr in erster Linie der repräsentative Charakter der Kostüme. Die einzelne Figur war vom Kostüm her allenfalls den verschiedenen Gesellschaftsschichten klar zuzuordnen. Ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten historischen Epoche, zu einem fremden Volk oder zu sonstigen ethnischen und religiösen Kulturkreisen, die Erkennbarkeit mythologischer und allegorischer Figuren - all dies wurde einem möglichst prunkvollen Erscheinungsbild der nach den jeweils gültigen 115

Modeströmungen gestalteten Kostüme untergeordnet. Dabei wurden auch drastische Anachronismen nicht gescheut. 164 Diese Feststellungen lassen vermuten, daß im Theater des Siglo de Oro hohe Anforderungen an die Imaginationsfahigkeit des Publikums gestellt wurden. Ihm wurden über Kostüme nur wenige optische Anhaltspunkte geboten, um das Personal der Aufführungen spezifischen Situationen zuordnen zu können. Von sehr viel größerer Bedeutung als Detailtreue waren Aufwand und Prunk in der Kleidung. Durch den Gebrauch der Kostüme, wie er sich während des Untersuchungszeitraums entwickelte, war der Schauspieler in zweierlei Hinsicht privilegiert: Er konnte, zumindest auf der Bühne, gegen die Kleiderordnung verstoßen und sich folglich frei zwischen den einzelnen Schichten bewegen, konnte als Bauer ebenso in Erscheinung treten wie als Adliger oder gar als König. Daß dieses Vorrecht nach Ansicht der Gesetzgeber eine Gefahr für die öffentliche Ordnung in sich barg, zeigt ihr Bemühen, die Schauspieler dazu anzuhalten, Theaterkostüme wirklich nur auf der Bühne zu tragen: „Que no traigan vestidos contra las prematicas del Reyno, fuera de los teatros y lugar donde representaren, que para representar se les permite el andar con ellos", heißt es in den Bestimmungen von 1615. 165 Die geringe Bedeutung der Kostüme für das Verständnis der aufgeführten Stücke unterstreicht auf der anderen Seite ihren Stellenwert in Bezug auf das Gesamtereignis der Theateraufführung: Sie werden für den Schauspieler zur Kultkleidung und kennzeichnen ihn damit schon rein äußerlich als Gestalter des Rituals der theatralischen Veranstaltung.

3.5.3 Bühnenbild und Maschinen Mit dem Pomp der Kostüme konnte das Bühnenbild allenfalls bei den Corte-, nicht aber bei den Corral- und Corpus-Aufführungen mithalten. Auch hier war wiederum die Phantasie der Zuschauer gefragt, um lediglich Angedeutetes zu ergänzen, um sich in historische Situationen oder in fremde Kulturwelten, in denen das betreffende Stück spielt, einzufühlen. Das fing schon damit an, daß im Corral-Theater beispielsweise Nachtszenen überhaupt nicht „realistisch" darzustellen waren, weil die Vorstellungen vor Eintritt der Dämmerung beendet sein mußten. Konventionen haben bei Bühnenbild wie Kostümen mangelnde Detailtreue ausgleichen müssen. Dennoch bot die Bühne optische Abwechslung: durch den im Laufe der Zeit immer ausgiebigeren Gebrauch von Maschinen und anderen Hilfsmitteln, mit denen Gegenstände und Personen coram publico plötzlich „erscheinen" und wieder „verschwinden" konnten. Es kann nicht Aufgabe dieses Abschnittes sein, alle erdenklichen Bühnentricks, die in der Epoche entwickelt wurden, aufzuzählen und ihre Funktion darzustellen. 166 Es soll hier vorrangig um die Untersuchung der Frage nach der Wechselwirkung zwischen dem Einsatz solcher Hilfsmittel und der Funktion des Schauspielers in der Aufführung gehen. 116

In der szenischen Gestaltung der Aufführungen lief die Entwicklung in Corral- und Corpus-Theater in ähnlichen Bahnen, während das Hoftheater, wie bereits angedeutet, völlig eigene Wege ging. Die Verwendung von Bühnenmaschinen war schon wegen der eingeschränkten räumlichen und technischen Bedingungen auf den auto-tablados mit den auf Ochsenkarren montierten Türmen und auf der Corral-Bühne reduziert. Dennoch muß ihr Einsatz in beiden Sparten dermaßen überhand genommen haben, daß sich Dichter wie Lop« de Vega immer wieder gegen den Mißbrauch der Maschinen wandten, zugleich aber nicht auf die mit ihnen zu erzielenden Effekte verzichten mochten. 1 6 7 Das Erscheinen- und Verschwindenlassen von Personen und Gegenständen wurde auf verschiedene Weise bewerkstelligt: durch das Beiseiteschieben von Vorhängen auf der Hinterbühne oder en lo alto (auf den Galerien der Bühne); durch das ö f f n e n von Türen im Umkleidehaus (bei den autos sacramentales: in den Türmen); durch Falltüren im Boden des Podiums; durch langsames Hereinschweben (araceli) oder plötzliches Schnellen (bofetón) von einem Punkt zu einem anderen. Die entsprechenden technischen Vorrichtungen waren sowohl im Corral- als auch im Corpus-Theater verfügbar. Durch das Beiseiteziehen des Vorhangs oder das ö f f n e n der Türen wurden dahinter postierte Personen oder Gegenstände für die Augen der Zuschauer „entdeckt": „Descúbrese" lautet deshalb die Regieanweisung für diese apariencias. Die Erscheinungen dieser Art sind erstaunlicherweise auf der Corpus-Bühne noch häufiger als im Corral anzutreffen. Aber das hat seine Gründe: In den autos sacramentales geht es um das Vorführen von Mysterien, die durch das Vorzeigen allegorischer Figuren oder symbolischer Gegenstände dem Publikum anschaulich gemacht werden können. Außerdem bieten die cariros, die jedes Jahr eigens für die jeweils ausgewählten autos hergerichtet werdein können, größere künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten als die Corral-Bühme, die das Jahr über im raschen Wechsel von vielen Truppen mit höchst unterschiedlichen Aufführungen benutzt wird. Welche kunstvollen Vorriichtungen auf den von einem Spielort zum nächsten transportierten cairros anzubringen waren, wird am Beispiel einer der zahlreichen erhaltenen memorias de apariencias von Calderón deutlich. 1 6 8 Sie sollen deshalb im (folgenden ganz wiedergegeben werden. El primer carro> ha de ser una devanadera con quatro nichos en que a su tiempo han de ir saliemdo quatro personas dando vuelta la devanadera porque han de verse cada una de por si sucediendose la una a la otra. La primera en su pedestral ha de estar' pintado de nubarrones; en el segundo un cordero; en el tercero un pais de rosáis y azucenas; en el quarto un sol con resplandores. La pintura de este carro ha de ser de nubes con flores y estrellas. El segundo c a r r o ha de ser un peñasco que deje delante un espacio en que pueda representar utna persona y de el medio cuerpo abajo ha de tener un despeñadero, pintado dte peñasco con cambrones y espinos, y el medio cuerpo del peñasco se ha de abriir a su tiempo en dos mitades y verse en el una mesa de altar con cáliz y hostia y capacidad para una persona que ha de estar detras de el altar. La pintura h;a de ser de peñasco de flores y abrojos.

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El tercer carro ha de ser una fabrica hermosa y enriquecida de jaspes y bronces; háse de abrir cayendo la fachada toda sobre el tablado por dos canales por donde a su tiempo pueda bajar un trono con una persona que ha de estar sentada en ¿I, con gradas y dosel, y su pintura por de dentro ha de ser de colgaduras y otros ' adornos como de pieza real. El quarto carro en correspondencia de este ha de tener la misma fachada que caiga sobre el tablado con otro trono, dosel y gradas, y su pintura por de dentro y por de fuera ha de ser de nubarrones, rosas, estrellas y serafines.- Don Pedro Calderón de la Barca.

Diese memorias belegen, welchem Zweck letztlich die Maschinen auf dem Corpus-tablado dienten: Durch das plötzliche Erscheinen sakraler Gegenstände (Altar, Kelch, Hostie, auch die beiden Throne kann man dazurechnen) bricht „wunderbarerweise" für das Auge des Zuschauers die „übernatürliche" Welt des Mysteriums der Eucharistie in das Bühnengeschehen ein. Die Corpus-Bühne wird so in zwei voneinander zu scheidende Sphären aufgeteilt: zum einen das Podium, auf dem sich die Handlung des auto sacramental vollzieht, auf der anderen die carros, die in ihren Türmen die „Mysterien" in Gestalt der apariencias beherbergen und während exponierter Momente der Aufführung das Publikum einen Blick ins „Jenseits" werfen lassen. Diese Aufteilung der Corpus-Bühne ist am Beispiel des Calderón-auto El gran teatro del mundo sehr anschaulich nachzuweisen. Die „Schauspieler" kommen aus dem vestuario in den Türmen - also aus dem „Jenseits" - , treten durch eine Tür in einem der Türme auf das Podium, „spielen" dort ihr Leben und gehen, durch eine zweite Tür in einem anderen Turm, wieder in das Jenseits ein. In dem langen Monolog am Anfang des auto sagt El Mundo: Y pues que ya he prevenido cuanto al teatro, presumo que está todo ahora; cuanto al vestuario, no dudo que allí en tu mente tienes, pues allá en tu mente juntos, antes de nacer, los hombres tienen los aplausos suyos. Y para que, desde ti a representar al mundo salgan y vuelvan a entrarse, ya previno mi discurso dos puertas: la una es la cuna y la otra es el sepulcro. 169

Eine solche Disposition des Bühnenraumes, die in den autos sacramentales auch ganz eindeutig von Inhalt und Anliegen des Genres bestimmt wird, läßt sich durchaus, wenn auch nicht ganz problemlos, auf das Corral-Theater übertragen. Auch in comedias ist die Scheidung zwischen der „Alltagswelt" auf dem Podium und dem „Jenseits" im vestuario anzutreffen: „Descúbrese un sepulcro de Don Gonzalo de Ulloa", lautet die Regieanweisung in Tirso de Molinas El burlador de Sevilla y convidado de piedra70 Dies kann nur so verstanden werden, daß das Grabmal im Umkleidehaus stand und daß an der entsprechenden Stelle des Stücks ein Vorhang beiseitegezogen oder eine 118

Tür geöffnet wurde, um den Blick auf das „sepulcro" freizugeben. Don Juan geht, nachdem der gracioso Catalinón bereits dem „auferstandenen" Don Gonzalo begegnet und reichlich erschrocken war, auf die Öffnung im Bühnenhaus zu, wo der Tote gewissermaßen aus dem Jenseits auf die Bühne tritt: „Sale al encuentro Don Gonzalo, en la forma en que estaba en el sepulcro, y Don Juan se retira atrás turbado, empuñando la espada, y en la otra (se. mano) la vela, y Don Gonzalo hacia él, con pasos menudos, y al compás Don Juan, retirándose hasta estar en medio del teatro." 1 7 1 Zu dieser Polarität zwischen Bühne und vestuario kam noch ein ähnliches Spannungsgefälle in vertikaler Richtung: Y una comunicación vertical entre lo más espiritual, en lo alto a nivel de los corredores, lo más terrestre a nivel humano del tablado, y lo mas infernal debajo del tablado, a donde descendían los demonios y los condenados por medio de un escotillón. 112

Diese Abgrenzung der. Sphären der „herencia de cosmología medieval y de las jerarquías feudales" 1 7 3 zuzuschreiben, fallt nicht sehr schwer, sie ist aber im Corpus-Theater und mehr noch im Corral im 17. Jahrhundert längst zu einer Konvention geworden. Der Raum, der im Corral für die apariencias zur Verfügung stand, umfaßte wohl die gesamte zum Podium gelegene Front des Bühnenhauses (analog zu den Corpus-Türmen). Durch die beiden übereinanderliegenden Galerien und die Säulen, die sie stützten, ergaben sich so insgesamt neun huecos, die mit apariencias bestückt werden konnten. Castillejo 174 glaubt, daß in Tirso de Molinas Doña Beatriz de Silva alle neun „Nischen" für solche Erscheinungen verwendet wurden. Auf verschiedene Weise konnte sich der Schauspieler zwischen den einzelnen Bereichen des Theaters bewegen. Am häufigsten mußte er sich von lo alto del teatro, das heißt also von einer der Galerien auf das tablado hinabbegeben, in vielen Fällen derart, daß er einen „Berg" hinabzusteigen schien. Castillejo, der einige Zitate aus Lope-Stücken mit solchen Hinweisen zusammengetragen hat 1 7 5 , nimmt an, daß dazu ein Versatzstück auf Rädern in Gestalt eines Berges benutzt wurde, mit einer für den Zuschauer unsichtbaren Treppe auf der Rückseite; es wurde vor die Galerie geschoben, und so konnte der Darsteller bequem hinabgehen. Mit Hilfe diverser Maschinen 1 7 6 , die meist mit Seilzügen bedient wurden, konnten die Schauspieler von oben nach unten und umgekehrt, von einer Seite des tablado zur anderen, ja sogar von der Bühne aus über den patio bis zur cazuela der weiblichen Zuschauer gelangen. 177 Allen diesen technischen Vorrichtungen ist eines gemeinsam: Sie erlauben meist nur kurzzeitig einsetzbare Effekte an einer entscheidenden Stelle des betreffenden Stücks. Damit sollte beim Zuschauer Verwunderung und Verblüffung hervorgerufen werden. In einer immer noch wundergläubigen Zeit konnten solcherart „Erscheinungen" das Publikum durchaus beeindrucken, selbst wenn man berücksichtigt, daß auch hier viele technische Raffinessen aus bloßer Konvention eingesetzt wurden. Es muß schließlich daran erinnert werden, daß das Corral-Publikum keineswegs in all seinen Gruppen, aus denen es sich zusammensetzte, die gleiche intellektuelle Einsichtsfahigkeit und 119

Imaginationskraft besaß. 1 7 8 Es reagierte sicher in unterschiedlicher Weise auf die apariencias sowie den Einsatz der anderen technischen Hilfsmittel und durchschaute die Tricks mehr oder minder. Weshalb apariencias und tramoyas im Untersuchungszeitraum kaum je etwas von ihrer Attraktivität einbüßten, läßt sich zum einen mit einem Hinweis auf den rituellen, einmal sanktionierte Formen und Strukturen bewahrenden Charakter der TheateraufTührung im Siglo de Oro beantworten. Zum anderen zählten sie zu jenem Repertoire an Kunstfertigkeiten, mit denen der Schauspieler seine Aufgabe als Gestalter des Aufführungsrituals erfüllte. 1 7 9 Die bislang beschriebenen Effekte gehörten selbstverständlich auch zur Bühnentechnik im Hof-Theater, doch erhielten sie hier einen etwas anderen Stellenwert als auf der Corral-Bühne oder bei den Darbietungen der autos sacramentales zum Fronleichnamsfest. Das Transportieren von Personen von einem Punkt der Bühne zu einem anderen, ihr Verschwinden in Falltüren und ihr plötzliches Erscheinen - all dies sind im Corte-Theater nur untergeordnete Elemente, sozusagen kleine Zahnrädchen in einer sehr viel größeren, komplexeren Bühnenmaschinerie, als sie je Corral- oder CorpusTheater bieten konnten. Zwei Ereignisse markierten, wie bereits im ersten Kapitel dieser Arbeit dargestellt, die Entwicklung der am Hof gebräuchlichen Theatertechnik 1 8 0 : die Verpflichtung des italienischen Ingenieurs Cosimo Lotti von 1626 an und der damit verbundene Anschluß der spanischen Bühnenkunst an die hochentwickelte italienische, die seinerzeit in Europa führend war 1 8 1 ; dies bezeichnet Shergold mit Recht als „the beginning of a new period in the history of the court theatre" 1 8 2 . Das zweite Geschehnis war die Eröffnung des Coliseo im Buen-Retiro-Palast am 4. Februar 1640, wo die von Lotti nach Spanien gebrachten Ingenieurskünste in vollem Umfang angewandt werden konnten. Bedeutendste Errungenschaft dieser Theaterform war die Perspektivbühne. Sie erlaubte außer den mehr oder weniger unvermittelten und kurzzeitigen „Erscheinungen" eine ganz andere Erlebnisform der szenischen Darbietungen: Durch die oft minutiös ausgemalten Prospekte 1 8 3 wird der Zuschauer in eine Szenerie geführt, die auf raffinierte Weise imaginiert ist, gleichzeitig aber von solch „realistischer" Detailtreue, daß es dem Publikum ganz leicht gemacht wird, Illusion als Realität zu empfinden, was ja, wie bereits in verschiedenen Zusammenhängen gezeigt wurde und noch zu demonstrieren ist, Ziel der Theateraufführungen war. Anders als bei der rudimentären Ausstattung der Corral-Bühne war hier die Imaginationsfähigkeit in geringerem Maße gefragt. Es bestand durch den Wechsel der Bilder auf den bastidores die Möglichkeit, den Zuschauer gewissermaßen von einer Szene in die nächste „hinübergleiten" zu lassen. Bezeichnenderweise werden für diese Art der szenischen Gestaltung Ausdrücke verwendet, die sich im Corral- und Corpus-Theater nicht entdecken lassen: mutación und transformación,84. Die Palastbühne führt im Vergleich zu den beiden anderen Sparten einen entscheidenden Schritt weiter in Richtung illusionistischer Inszenierungskunst: Der Zuschauer wird nicht nur andeutungsweise durch einzelne Versatzstücke und Requisiten, sondern im wahrsten Sinn des

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Wortes umfassend in das Geschehen eingetaucht, wobei die Verwandlung der Szenerie unabdingbarer Bestandteil des Spektakels ist: Nicht auf die einzelnen Bilder so sehr war es abgesehen als vielmehr auf ihren ständigen Wechsel. (...) Alles gleitet, schwebt, dreht sich und kreist, steigt oder sinkt. Es gibt schlechterdings keine Dekoration und kein Requisit, das die Gewähr leistet, daß es nicht im nächsten Augenblick seinen Ort verläßt oder seine Gestalt verwandelt, und es gab nicht oft eine Szene, die am Ende des Aktes noch s o aussah wie am Anfang. 1 8 5

Markiert der Einsatz der apariencias in Corral- und Corpus-Theater im wesentlichen die Höhepunkte, das Hereinbrechen „übersinnlicher Erscheinungen" (das Auftauchen des convidado de piedra in Tirso de Molinas Stück; die Vorführung des eucharistischen Mysteriums in dem Calderön-aw/o Los alimentos del hombre)iS6, dienen in der höfischen fiesta die technischen Bühneneinrichtungen weniger dazu, die Unterschiede zwischen Schein und Sein hervorzuheben, als vielmehr sie zu verwischen, wie Neumeister anhand seiner Analyse der mythologischen Festspiele Calderöns nachweist. 187 Die Gründe für diese Verschiedenartigkeit von Corral- und Corpus-Theater auf der einen Seite, Corte-Theater auf der anderen, liegen in der anders gearteten Funktion des höfischen Spektakels. Hier geht es nicht in erster Linie darum, abstrakte und stilisierte Konflikte (comedia) oder Mysterien (auto sacramental) darzustellen, mit der ganz auf einen aktuellen Anlaß 1 8 8 zugeschnittenen Theateraufführung sollte herrschaftliche Repräsentation vorgeführt werden: Mit der Repräsentation der Majestät im Feste wird auch die ideale Tugendwelt des Herrschers und seines Hofes demonstriert. Die Demonstration der persönlichen Größe und die Repräsentation der Majestät gehen ineinander über. Persönliches und Allgemeines stellt sich im Feste dar, wie im Herrscherbild Göttliches und Menschliches vereint erscheint. Das Fest ist eine untrennbare Einheit zweier Elemente: Repräsentation der Majestät, und d.h. der Ordnung des Staates, um den Bürger in Ehrfurcht und Gehorsam zu halten, aber auch um den Herrscher und den Adel daran zu erinnern, sich der Würde ihrer Stellung würdig zu erweisen oder ihr würdig zu bleiben; zugleich aber ist es die pathetische Demonstration, daß der Herrscher seines Amtes würdig ist, wie die ihn umgebenden Adeligen ihres hohen Ranges."®

Der König ist bei den höfischen Aufführungen eben nicht nur Zuschauer, er spielt vielmehr aktiv mit, ist sogar die Hauptfigur in dem Gesamtereignis der höfischen fiesta.190 Allein die genannte Zweckbestimmung der Hoftheater-Aufführung erklärt bereits die im Vergleich zu Corral- und Corpus-Theater größere Komplexität in der szenischen Gestaltung und die höheren Ansprüche an die intellektuelle Einsichtsfahigkeit des Publikums, das gerade in den mythologischen Jiestas höchst verwickelte symbolische Anspielungen zu entschlüsseln hatte. Mit Neumeister, der sich vor allem auf Alberto Martino beruft 1 9 1 , läßt sich anführen, daß im Corte-Theater Dichter und Publikum nahezu auf der gleichen intellektuellen Stufe standen, daß die Kommunikationshemmnisse hier sicher sehr viel geringer waren als bei dem heterogenen Corral- und Corpus-Publikum. 1 9 2 Der Demonstration der Majestät mußten sich alle Elemente der höfischen Aufführung unterordnen, 121

und es ist sicher nicht übertrieben, wenn man der fiesta den Rang eines „Gesamtkunstwerks" 1 9 3 zugesteht. Für den Schauspieler, der alle drei Sparten in ständigem Wechsel zu bedienen hatte, brachten die unterschiedlichen technischen Einrichtungen, Spielweisen und Kommunikationssituationen die Notwendigkeit, sich immer wieder umstellen zu müssen. Die Corral-Bühne, die nur auf bescheidene Weise für die speziellen Anforderungen eines bestimmten Stückes hergerichtet werden konnte, verlangte vom Schauspieler in hohem Maß, daß er durch sein Spiel die vergleichsweise spartanische szenische Ausstattung und die einfache Gestaltung der mit apariencias und tramoyas erzielten Effekte kompensierte. Er mußte verbal 1 9 4 oder mit Hilfe der Gestik manches vermitteln, was mit dem bescheidenen technischen Apparat und dem rudimentären Bühnenbild nicht darzustellen war. Bei den Corpus-Aufführungen war der Schauspieler schon sehr viel stärker in einen detailliert festgelegten technischen Ablauf und eine auf die individuelle Aufführung stärker zugeschnittene Bühnenmaschinerie integriert. Betrachtet man etwa Calderóns minutiöse memorias de apariencias, wird andererseits deutlich, wie sehr der Spielraum für improvisatorische Gestaltung und Entfaltung des Schauspielers eingeengt ist. Gegenüber dem Corral-Theater wächst im Fronleichnams-Vorstellungsbetrieb die repräsentative Funktion des Schauspielers. Er wird hier zum Exegeten oder zumindest doch zum Zelebranten von Mysterien. Hinzu kommt, daß die Aufführung der autos in den größeren Kontext der Fronleichnamsfeier eingegliedert ist, als deren aktiver Mitgestalter der Schauspieler folglich angesehen werden muß. Eine noch viel größere Rolle spielt die Repräsentation im höfischen Theater, was sich ja auch in dem gegenüber den beiden anderen Sparten ungleich höheren szenischen Aufwand ausdrückt. Tritt der Schauspieler beim CorpusFest in den Dienst der Verkündung einer eher abstrakten- Heilswahrheit, die er durch sein Spiel anschaulich werden läßt, wird die Repräsentation an der Corte sehr viel konkreter: Der Schauspieler, wiederum in panegyrischer Mission, tritt zusammen mit dem auf, den er durch sein Spiel verherrlichen soll: mit dem König. Abgesehen davon, daß der Darsteller damit in das höfische Zeremoniell eingebunden ist, wird ihm dadurch das Privileg zuteil, fast auf eine Stufe mit dem weltlichen Herrscher und seinem Hofstaat gestellt zu werden. Dieses Vorrecht, das die gesellschaftliche Sonderstellung des Schauspielers unterstreicht, wird durch einige weitere, aufTührungsimmanente Faktoren ergänzt. Der Akteur kann nicht nur auf der Bühne als Angehöriger verschiedener Gesellschaftsschichten auftreten, er kann sich auch frei zwischen den einzelnen Sphären, die der gesamte Bühnenraum abbildet, bewegen. Da er überdies durch den täglichen Umgang mit apariencias und tramoyas deren Funktionsweise, kennt, das Zustandekommen der Effekte durchschaut, befindet er sich auch dem einsichtsfahigsten Zuschauer gegenüber in einer bevorzugten Position.

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3.5.4 Imitación de la naturaleza: Die Kunst des Schauspielers Die Zeugnisse darüber, wie der für die Vorstellung eingerichtete Text von den Schauspielern auf der Bühne wiedergegeben wurde, sind naturgemäß spärlich, da es eine Aufführungskritik in unserem heutigen Sinne nicht gab. Wohl aber sind eine Reihe normativ konzipierter Äußerungen über die szenische Umsetzung der Stück-Texte überliefert, vor allem aus der Frühzeit, die einen relativ guten Einblick in die Bühnenpraxis geben. Einen nahezu vollständigen „Katalog" der Fertigkeiten, die ein Schauspieler nach damaligem Verständnis brauchte, um den Text adäquat wiederzugeben, enthält die comedia Pedro de Urdemalas von Cervantes. In der dritten jornada sagl Pedro: Se todo aquello que cabe en vn general farsante; se todos los requisitos que vn farsante ha de tener para serlo, que han de ser tan raros c o m o infinitos. De gran memoria, primero; segundo, de suelta lengua; y que no padezca mengua de galas es lo tercero. Buen talle no le perdono, si es que ha de hazer los galanes; no afectado en ademanes, ni ha de recitar con tono, con descuydo cuydadoso. graue anciano, jouen presto, enamorado compuesto, con rabia si está zeloso. Ha de rezitar de modo, con tanta industria y cordura, que se buelua en la figura que haze de todo en todo. A los versos ha de dar valor con su lengua experta, y a la fabula que es muerta ha de hazer resucitar. Ha de sacar con espanto las lagrimas de la risa, y hazer que bueluan con (p)risa otra vez al triste llanto. Ha de hazer que aquel semblante que el mostrare, todo oyente le muestre, y ser excelente si haze aquesto el recitante. 1 , 5

Außtr dem nahezu selbstverständlichen Hinweis auf ein gutes Gedächtnis und en angenehmes Erscheinungsbild („gran memoria", „buen talle") enthältdie Passage Regeln für die Textwiedergabe und die Gestik, wie sie für den Schauspieler des Siglo de Oro verbindlich hätten kodifiziert sein können. Für de Rezitation wird verlangt, daß der Akteur mit Verständnis („induitria", „cordura") an die Verse herangeht, ihnen den gehörigen Wert 123

beimißt und sie doch flüssig vorträgt. Schlüsselbegriff ist unter diesem Aspekt zweifellos „con descuydo cuydadoso" (etwa: scheinbare Nachlässigkeit, absichtsvolle Absichtslosigkeit). t^as Publikum sollte von den Mühen des Einstudierens und Deklamierens so wenig wie möglich merken. Vor allem Extreme waren zu vermeiden, wie der Hinweis „ni ha de recitar con tono" gedeutet werden kann. Gleiches galt ebenso für die Gestik: „no afectado en ademanes". Die Verhaltensweisen mußten der betreffenden Rolle oder Situation angemessen sein: „graue anciano, jouen presto, / enamorado compuesto, / con rabia si estä zeloso". Diese Forderungen enthalten eine klare Absage an reines Deklamationstheater, bei dem zwar die Verse „schön" oder „wohlklingend" vorgetragen werden, letztlich aber nicht den Sinngehalt interpretieren und vermitteln. Denn schließlich ist es Aufgabe des Schauspielers, die auf dem Papier niedergelegte Handlung zum Leben zu erwecken: „y a la fabula que es muerta / ha de hazer resucitar". Ziel aller schauspielerischen Bemühungen ist laut Cervantes ein Spiel mit Affekten und Gefühlen, das den Darsteller dazu bringt, in die Gefühlswelt seiner Rolle einzudringen und sie so intensiv darzubieten, daß die gleichen oder korrespondierende Gefühle (Freude, Trauer, Mitleid, Haß) beim Zuschauer erzeugt werden. Dabei muß der Schauspieler eine große Virtuosität im Wechsel der Affekte und in der Fähigkeit erwerben, sie für das Publikum unverhofft hervorzubringen („Ha de sacar con espanto / las lagrimas de la risa, / y hazer que bueluan con prisa / otra vez al triste llanto"). Das gelang mit Sicherheit nicht jedem Darsteller mit der gleichen Intensität. Als wie bedeutsam gerade diese Fertigkeit angesehen wurde, wird am Beispiel der Schauspielerin Maria Riquelme deutlich, bei der in erster Linie diese Kunst in höchsten Tönen gepriesen wird: (...) moza hermosa. dotada de una imaginativa tan vehemente, que quando representaba. mudaba con admiracion de todos el color del rostro; porque si el poeta narraba sucesos prosperos y felices, los oia con semblante todo sonroseado; y si algun caso infausto y desdichado, luego se ponia palida; y en este cambiar de afectos era tan unica. que era inimitable. 1 9 6

Eine solche affektbetonte Spielweise verlangte vom Schauspieler, ganz in der Rolle aufzugehen (Cervantes: „que se buelua en la figura") und mit den Emotionen, die die Bühnenfigur in der Gestalt des Darstellers beherrschen, entsprechende Reaktionen beim Publikum hervorzurufen („que aquel semblante / que el mostrare, todo oyente le muestre"). Mit dieser Spielweise mußte auch das Bemühen verbunden sein, einen Ausgleich zwischen der „Künstlichkeit" der Verse und der oft konstruiert wirkenden Handlung auf der einen Seite und dem Streben nach größtmöglicher Natürlichkeit auf der anderen zu finden. So wundert es nicht, daß genau diese Gabe, Kunst und Natürlichkeit miteinander in Einklang zu bringen, bei einer weiteren Schauspielerin der Epoche hervorgehoben wird: Juana Orozco la qual supo conciliar la naturaleza y el arte en el gesto, en la diccion. en la voz y en la expresion de todas las pasiones, no habia para ella

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caracter extraño, de manera, que mandaba, por decirlo asi, en el corazón de todo expectador sensible en quantos papeles representaba. 197

Die von Cervantes zweifellos aus der Bühnenpraxis entnommenen Regeln für Textvortrag und Gestik finden in einem Traktat, ebenfalls aus der Frühzeit des Untersuchungszeitraums, ihre theoretische Ergänzung und Bestätigung: in Lope de Vegas Arte nuevo de hacer comedias en este tiempo198. Lope richtet sich zwar primär an seine Dichterkollegen und beschreibt, wie die Stücke abgefaßt werden müssen, um bestimmte Wirkungen zu erzielen, doch können diese Forderungen ohne Schwierigkeiten auf die Schauspielerei übertragen werden. Ebenso wie Cervantes fordert Lope eine dem gesellschaftlichen Rang der betreffenden Bühnenfigur und der Situation, in der sie auftritt, angemessene Sprache: Si hablare el Rey, imite cuanto pueda La grauedad real; si el viejo hablare Procure vna modestia sentenciosa; Descriua los amantes con afectos Que mueuan con estremo a quien escucha."®

Könige und ähnliche herausragende Persönlichkeiten auf der Bühne darstellen zu dürfen, war bereits ein Privileg, das weitgehend den in offiziell zugelassenen Truppen tätigen Schauspielern vorbehalten blieb: La censurada presencia de los reyes en la escena tenia que estar justificada con una interpretación de los monarcas que no desdorase la intangible dignidad real. Críticos, moralistas y hasta los propios reyes se habían mostrado contrarios a ver la monarquía interpretada y representada por cómicos de la legua de dudosa conducta y oscuro nacimiento. Pero el vulgo disfrutaba extraordinariamente viendo sobre el tablado reyes, nobles y damas de linaje distinguido, era como una participación en unos modos de vida que les estaban vedados. 2 0 0

Lopes weitere Forderung, Übertreibungen und Unwahrscheinlichkeiten zu vermeiden („Guárdese de impossibles, porque es maxima / Que sólo ha de imitar lo verosímil" 201 ) entspricht Cervantes' Postulat, „con descuydo cuydadoso" zu spielen und bei den Gesten nicht zu übertreiben. Schließlich sind sich Cervantes und Lope auch darin einig, daß sich der Akteur regelrecht in die Figur hineinspielen müsse. Im Arte nuevo heißt es deshalb: „Que se transforme todo el recitante, / con mudarse a sí mude al oyente." 2 0 2 Bei Lope wie bei Cervantes zeigt sich der gleiche Prozeß, dem die Vorlage des Dichters bei der szenischen Umsetzung auf der Bühne unterworfen ist: Vom Text gehen Impulse aus, die durch sprachliche und gestische Gestaltung verstärkt, emotional aufgeladen werden, und zwar in einem solchen Maß, daß sich der Schauspieler die Bühnenrolle anverwandelt, das heißt deren Verhaltensweise und Affekte nicht mehr nur spielt, sondern sie gewissermaßen durchlebt. Das Publikum wiederum nimmt diese Signale auf und benutzt sie zunächst, um aus ihnen Situationen und Charaktere zu erkennen sowie die Figuren einzelnen gesellschaftlichen Schichten und Gruppen zuzuordnen 2 0 3 . Schließlich reagieren die Zuschauer auf die von den Schauspielern übertragenen Affekte dergestalt, daß sie sich selbst in die imaginierte, aber in 125

sich realistisch empfundene Welt des Bühnengeschehens einbeziehen lassen, Handlung und Affekte der Theaterfiguren miterleben und mit den Schauspielern eine Gemeinschaft bilden. 204 Wie weit der Schauspieler gehen sollte, um Gefühlsregungen beim Zuschauer hervorzurufen, zeigt Lope de Vega mustergültig an dem Extremfall des heiligen Ginés, des Patrons der Schauspieler, in Lo fingido verdadero, wobei schon der Titel des Stücks Programm ist. Ginés scheint aus Lopes Arte nuevo das Stichwort „imitar" aufzugreifen, wenn er Diocleciano das Wesen der Schauspielerei erläutert: El imitar es ser representante; pero como el poeta no es posible que escriba con afecto y con blandura sentimientos de amor, si n o le tiene, y entonces se descubren en sus versos, cuando el amor le enseña los que escriben, así el representante, si no siente las pasiones de amor, es imposible que pueda, gran señor, representarlas; una ausencia, unos celos, un agravio, un desdén riguroso y otras cosas que son de amor tiernisimos efectos, harálos, si los siente, tiernamente; mas no los sabrá hacer si no las siente. 2 0 5

Das Ende, dem Ginés als Konsequenz aus seiner äußerst wahrhaften Gefühlsdarstellung entgegengeht, mag zwar der Konvention der Legende entsprechen, es ergibt sich aber auch ganz folgerichtig aus dem Postulat, daß der Schauspieler die Emotionen selbst voll und ganz empfinden müsse, die dem Verhalten der Bühnenfigur entsprechen: Ginés steigert sich so sehr in die Empfindungswelt eines Christen hinein, daß er selbst zum Christen wird und dafür auch den Märtyrertod in Kauf nimmt. Ginés' Wandlung vollzieht sich mit einem entscheidenden Schritt: Er hält eine Stimme, die aus dem Inneren des Bühnenhauses spricht, für die Stimme eines Engels: ( Ginés) Perdona, que divertido en imitar al cristiano fuera me vi de sentido, pensando que el soberano ángel me hablaba al o i d o . 2 0 4

Ginés verliert also gewissermaßen beim imitar die Kontrolle über sich selbst und gibt sich ganz seinen Gefühlen hin. Er wird von seinen Mitspielern immer wieder daran erinnert, daß er „aus der Rolle fallt", plötzlich improvisiert und etwas sagt, was vorher in der Probe nicht abgesprochen war: (Soldado) „Hace y dice de improviso / cosas de que no da aviso." 207 Als der Soldat darum bittet, der Souffleur möge Ginés beispringen („¡apunten!"), antwortet Ginés nur: „Pues no ves / que el cielo me apunta ya (...)" 208 . Er ist bereits in eine andere Sphäre entrückt und gehorcht einem anderen Truppenleiter: „porque es mi autor Jesucristo" 209 . Die Entrückung 126

wird auf der Bühne schließlich sinnfällig dadurch, daß Ginés als apariencia dem Publikum gepfählt vorgeführt wird. 2 1 0 Es besteht kein Zweifel darüber, daß die „imitierte" Situation die Wirklichkeit darstellen soll; das hat Ginés selbst noch zu seinen Lebzeiten gesagt: pero en tanta propiedad no me parece razón que llamen imitación lo que es la misma verdad. 2 1 1

Indirekt in Cervantes' aus der praktischen Arbeit abgeleiteten Darstellung der Tätigkeit des Schauspielers, direkt in Lopes Anleitung für das Verfassen und Wiedergeben von Theaterstücken und in der von ihm selbst ausgeführten Anwendung dieser Vorschriften in seinem Stück über San Ginés tauchen Begriffe auf, die näherer Betrachtung bedürfen: „imitar", „imitar lo verosímil". So sehr Lope bemüht ist, die Fesseln des arte antiguo abzustreifen, wie J.J. Prades in ihrer ausführlichen Interpretation des Arte nuevo nachweist, so sehr stützt er sich gerade in diesem Punkt auf die klassischen Präzeptisten: „La verosimilitud si que era, en verdad, uno de los preceptos clásicos amados por Lope." 2 1 2 Lope bezieht sich ganz eindeutig auf Aristoteles, der den Begriff der Nachahmung von Piaton übernahm, „ihn jedoch hierbei von einer allgemeinen Kategorie handwerklichen Herstellens in eine spezielle Kategorie künstlerischen Herstellens umgewandelt hat." 2 1 3 Auch Aristoteles verwendet darüber hinaus den Begriff der Wahrscheinlichkeit: „Dieser Ausdruck charakterisiert vornehmlich den Kausalnexus der tragischen Handlung: die Phasen der Handlung sollen nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit auseinander hervorgehen." 2 1 4 Wenn Lope de Vega am Ende seines Arte nuevo in einer längeren in Latein geschriebenen Passage sagt, „Humanae cur sit speculum comoediae vitae" 2 1 5 , hat er auch ganz eindeutig die Beziehung zu Cicero und Livius Andronicus hergesteilt: Die Komödie hatte das ganze alltägliche Leben darzustellen, auch mit seinen Gefahren, denn nach Cicero ist sie eine: imitatio vitae, speculum consuetudinis, imago veritatis oder kurz ein .speculum vitae', wie Livius Andronicus sagt. 2 1 6

Die von Lope propagierte comedia nueva - die tragicomedia - widerspricht den klassischen Vorschriften keineswegs, denn: „Die Mischung von Tragischem und Komischem, von Seneka mit Terenz, welche einen Teil des Dramas traurig, den anderen heiter werden läßt, hat in der Natur selbst ihr Vorbild." 2 1 7 M. Newels führt in diesem Zusammenhang einige Reaktionen auf diese Ideen bei Dichtern des Siglo de Oro an 2 1 8 , außer Lope erfaßte jedoch keiner präziser das Wesen der spanischen (tragi-)comedia als Alfonso Sánchez in seiner Expostulatio spongiae von 1618: Si es cierto, como dejó escrito Aristóteles, que el arte imita a la naturaleza, el mayor artífice será el que más se acerque a la naturaleza misma. 2 1 9

Die Kunsthaftigkeit einer Theateraufführung wurde so keineswegs in Abrede gestellt. Die Sentenz ist nichts anderes als die Beschreibung eines Er127

eignisses, das sich nicht in der Alltagssphäre vollzieht, aber doch den Regeln der „naturaleza" folgt. Diesem System, das seine feste (rituelle) äußere Gestalt durch die dreiaktige Form der comedia (einaktig bei den autos) und deren Eingliederung in die gesamte Abfolge der Aufführungsbestandteile erhielt und das inhaltlich durch die „natürliche" Mischung tragischer und komischer Elemente sowie das Miteinander „hoher" und „niedriger" Figuren bestimmt wird, paßte sich das Schauspielergewerbe geradezu optimal an. Da in den Aufführungen fast immer die gleiche Personenkonstellation verlangt wurde, entsprachen die compañías diesen Bedürfnissen durch ein adäquates personelles Aufgebot: für die amantes (primera dama und galán) gab es ebenso spezialisierte Darsteller wie für den rey, den padre (viejo) und die lacayos (gracioso und criado). Die hierarchische Gliederung innerhalb der Truppen, die bereits ausführlich dargestellt wurde, erhält so ihre einleuchtende Erklärung. Mit dieser Grundkonstellation, die Lope ausdrücklich erwähnt 2 2 0 und die analog selbst auf autos sacramentales zu übertragen ist 2 2 1 , waren nahezu alle Aufführungssituationen zu bewältigen. Dies und die Tatsache, daß weder im Vorstellungsbetrieb noch in dem von den Dichtern verlangten Rollenschema während des Untersuchungszeitraums größere Veränderungen eintraten, bewirkten die große innere Stabilität der Truppen. Für die Darstellung der „grauedad real" befanden sich ebenso fachspezifische Schauspieler in den compañías wie Interpreten für die komischen Partien (gracioso). Erst durch das Zusammenwirken aller Kräfte und den Einsatz sämtlicher spieltechnischer Hilfsmittel, von den Maschinen bis zum emotional aufgeladenen Agieren, wurde dem imitatio-ldea\ entsprochen, konnte die „imitación" zu „verdad" werden. 3.6 Der Schauspieler und das Publikum Das Aufführungswesen im Spanien des Siglo de Oro ist, wie sich in den vorangegangenen Abschnitten dieser Arbeit zeigte, kaum dazu angetan, die These Turners zu stützen, Theater unterscheide sich in dem Maße vom Ritual, in dem „audience" und „performers" sich voneinander getrennt hätten. Es haben sich dafür unter den verschiedensten Aspekten zahlreiche Hinweise darauf finden lassen, daß im Untersuchungszeitraum beide viel eher eine Einheit bildeten. Schon durch die Eingliederung der theatralischen Darbietung in einen übergeordneten zeremoniellen Zusammenhang bildete sich im Corte-Theater und bei den Corpus-Feiern jeweils eine kultische Gemeinschaft von Schauspielern und Publikum heraus. Sieht man von der „Zaungast"-Rolle des allgemeinen Publikums bei den öffentlichen Hoftheater-Aufführungen und bei den Darbietungen der autos sacramentales vor dem König und den verschiedenen Gremien ab (die autoAufführungen für das Volk waren eher eine „Zugabe" denn das Zentralereignis der Fronleichnams-Feiern), entstand im Corte- und CorpusTheater gewissermaßen von selbst eine Einheit der das Ritual der Aufführung Gestaltenden (Schauspieler) und der Mitfeiernden (Publikum), bis zu jenem Punkt, da sogar der König zum „Mitspieler" wurde. 128

Ein wenig anders geartet waren die Verhältnisse im Corral-Theater. Zuschauerschaft war hier hinsichtlich Herkommen und Bildung sehr komplexer strukturiert. B. Kaufmann geht denn auch soweit, Gemeinschaftscharakter des Corral-Publikums zu negieren. Sie beruft auf F. W. Jerusalem:

Die viel den sich

Wichtig ist zunächst die Feststellung, daß es sich bei der Erscheinungsform Publikum nicht um ein Sichzusammenfinden vom Charakter einer Gemeinschaft handelt, da diese umrissen wird als „eine Gesamtheit von Menschen, die in einem Gemeingeist zusammengeschlossen sind". Gemeinschaft ist „nicht äußeres Nebeneinander, sondern innere geistige Einheit". 2 2 2

Da entsprechend dieser Auffassung eine Gemeinschaft während der Aufführung nicht entstehen kann, ergibt sich laut B. Kaufmann auch eine Schichtung des Publikums hinsichtlich des Rezeptionsverhaltens: „Genießer mit Erlebnisfähigkeit, habitués (besonders das Abonnenten-Publikum in den aposentos\) und Kunstkenner standen groben Konsumenten, die flüchtigen Genuß suchten, gegenüber." 223 Wie in der Einleitung zu dieser Arbeit angedeutet 224 , bleibt die heterogene Struktur der Zuschauerschaft im Hinblick auf die Kommunikationssituation während der Aufführung von untergeordnetem Interesse. Lope de Vega hatte in seinem Arte nuevo ein für allemal den Maßstab gesetzt: „Que el vulgo con sus leyes establezca / La vil Chimera deste monstruo Cômico" 225 . Seine Ironie ist nur ein Schutzschild gegenüber den Gelehrten der Academia in Madrid, denen er darlegt, wie sehr für ihn der „gusto" 226 des vulgo gegen die klassischen Präzepte die Gestaltung der comedia bestimmt, wie sie sich auch durch sein Wirken herauskristallisiert hat: Nur was vom „vulgo" rezipiert werden kann, macht den Gegenstand seiner (sc. Lopes) Poetik aus. Erst im Lichte dieser Voraussetzung, die in der Diskussion um Lopes Traktat viel zu wenig beachtet wurde, erhalten die beiden Verse, mit denen er die Einleitung seiner Poetik beschließt, ihre ganze programmatische Bedeutung: Que un arte de comedias os escriba. Que al estilo del vulgo se reciba. Dieser konsequent rezeptionsästhetische Ansatz einer Poetik, dieser Versuch, eine populäre Dichtung auch theoretisch gegenüber den gelehrten Autoritäten zu vertreten, blieb für die europäische Literatur der Neuzeit auf lange Sicht ein beispielloses Unterfangen (...) 2 2 1

Aus welchen Gründen auch immer sich Lope am Massenpublikum (insbesondere den mosqueteros und den Frauen in der cazuela) orientierte, ob ihn tatsächlich „Erfolgszwang" dazu führte und „die Rücksichtnahme auf den Geschmack des ,vulgo' auch ökonomisch bedingt" 228 war: Lope meinte es ernst mit den Ansprüchen des vulgo, aber er vernachlässigte in seinem Oeuvre auch nicht die Interessen der nobles, die von den aposentos aus im Corral den Aufführungen beiwohnten:

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Ein Stück im Sinne des „vulgo" ist zwar auch bei Lope nicht die Regel, unter den Produktionsbedingungen des spanischen 17. Jahrhunderts jedoch durchaus möglich, vorausgesetzt - und das ist freilich wichtig - , daß es den Herrschaftsinteressen nicht geradenwegs widerspricht. 22 ®

Eine Grundvoraussetzung, um die comedias eines Lope, später auch eines Calderón, mit Gewinn und Genuß aufzunehmen, war allerdings bei allen Schichten des Corral-Publikums vorhanden: Entre aquel público habia mujeres analfabetas y hombres sin ningún género de estudios, pero todos juntos, con los poetas y los señores que acudían al espectáculo, tenían la agudeza del pueblo español, su sensibilidad e intuición para adelantarse al ingenio del propio dramaturgo. 2 3 0

Aufgabe des Schauspielers war es, zwischen den Intentionen des Dichters und den Interessen des Publikums zu vermitteln. Man kann dem Akteur auf der Bühne des Siglo de Oro ein besonderes Gespür dafür unterstellen, die Bedürfnisse seiner Zuschauer zu erkennen, und ein entsprechendes Geschick, sie nötigenfalls wachzurufen, außerdem die Fähigkeit, sie durch sein Spiel zu befriedigen. Eine Reihe von dramaturgischen Kunstgriffen, die dieses Ziel erreichen halfen, wurde bereits durch die Verfasser in den Stücken angewandt, wie etwa Lopes Maxime „engañar con la verdad" 231 , von Morel-Fatio und Fitzgerald als „suspension de l'intérêt" und „tromper l'attente des spectateurs" definiert 233 , und das „hablar equívoco", das Spiel mit Konzepten und Bedeutungen, das nach Lopes eigenem Zeugnis wiederum besonders beim vulgo auf große Resonanz stieß: „Siempre el hablar equívoco ha tenido, / (...) Gran lugar en el vulgo (...)". 233 Dem Schauspieler oblag es, das Aufführungsgeschehen mit Hilfe eines komplizierten Regelmechanismus im Ordnungs-/Spannungsgefüge zu lenken. Zuallererst sorgte er für eine Bewahrung der einmal eingeübten rituellen Formen der Vorstellung, so daß die Corral-Zuschauer in ihren Erwartungen grundsätzlich bestätigt wurden: Sie wußten, daß ihnen nicht nur eine comedia, sondern darüber hinaus eine ganze Reihe anderer zum festen Bestandteil der Aufführung avancierte dramatische und auch weniger theatralische Bestandteile wie Musik und Tanz geboten würden. Das Publikum konnte so selten völlig enttäuscht nach der Darbietung die Spielstätte verlassen: War es nicht das Stück - möglichst eine comedia nueva - das es fesselte, vermochte es doch wenigstens an dem einen oder anderen Angebot bei den géneros menores Gefallen finden. Es war die Aufgabe der Truppe und ihres autor, für jede Aufführung nicht nur ein Stück auszuwählen, sondern durch geschickte Zusammenstellung der piezas menores nötigenfalls Schwächen der comedia auszugleichen. Schon durch diese Tätigkeit war der Schauspieler gegenüber dem Publikum als „rituell Sachkundiger" ausgewiesen. Hinzu kam, daß er über den Einsatz der tramoyas und apariencias zu bestimmen hatte, die dem Zuschauer oft den Einbruch übernatürlichen Geschehens signalisierten (denkt man etwa an den als apariencia vorgeführten, ins Jenseits entrückten San Ginés in Lopes Lo fingido verdadero). Der Schauspieler hatte direkten Einblick in die Wirkungsweise dieser von ihm benutzten technischen Vorrichtungen, wie es 130

ihm als Gestalter des Aufführungsrituals gebührt. Das Kostüm des Darstellers auf der Bühne diente während des Untersuchungszeitraums zuerst dazu, die repräsentative Seite seiner Tätigkeit zu unterstreichen, erst in zweiter Linie wies es ihn als Träger einer bestimmten Rolle aus. Soweit durch das Kostüm oder auch seine Gestik der Schauspieler auf der Bühne als Zugehöriger zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht oder als Träger öffentlicher Funktionen, bis hin zum Amt des Königs, erkennbar wurde, demonstrierte dies ein Privileg, das geradezu als Kennzeichen für die Funktion eines „rituell Sachkundigen" gelten kann: Zumindest während der Aufführung waren für den Schauspieler die in der Alltagsrealität gültigen Normen aufgehoben. So konnte er auf dem tablado nicht nur als Angehöriger einer anderen als der ihm genuin zukommenden Schicht erscheinen, sondern auch vor dem Publikum Verhaltensweisen praktizieren, die in der Öffentlichkeit tabu waren (Liebesszenen) oder die ihn in Ausnahme-Situationen zeigten (etwa als Heiligen oder weibliche Darsteller als mujer vestida de hombre23*). Von entscheidender Bedeutung ist jedoch - wie in diesem Kapitel zu sehen war - , ein weiterer Aspekt des schauspielerischen Wirkens: Das Spiel mit Affekten im Dienste der imitación de la naturaleza bewirkte durch das Hervorrufen der Emotionen beim Schauspieler und ihre Übertragung auf den Zuschauer eine sehr enge geistige Verbindung zwischen beiden. H.-J. Neuschäfer hat dies sehr deutlich am Beispiel von Lopes Fuenteovejuna und insbesondere der Aufruhr-Szene in der dritten jornada nachgewiesen: Der ganze Aufstand ist eine wirkungsvoll gesteigerte Massenszene mit entsprechender Massen w i r k u n g, in der sich der ganze, in den beiden ersten „jornadas" aufgestaute Affekt der Empörung und des Zorns sowohl bei den Figuren des Dramas als auch bei den Zuschauern entladen kann. Daß der Zuschauer im Drama mit AfTekten zunächst gleichsam aufgeladen und unter Spannung gesetzt wird und daß er an seinem Ende, in der Katharsis, von dieser Spannung wieder befreit und erlöst wird diesen Vorgang psychischer Anspannung und Entspannung und seine quasi therapeutische Wirkung hat ja schon Aristoteles als eine der wichtigsten Funktionen des Theaters erkannt. In Lopes Fuenteovejuna, das ja sonst ein so .unaristotelisches' Stück ist, wird gerade dieser Aspekt der Katharsis mustergültig in Szene gesetzt, wobei die Affekte, die hier kumuliert werden, in einem noch nie dagewesenen MaQ „sozial" bedingt sind: Wer hier unverdient leidet, ist nicht mehr ein hervorgehobener Einzelheld, sondern das unterdrückte „Volk", und mit ihm leiden die Zuschauer mit. 2 3 5

Dieses Spiel mit Affekten, das - wie in einem der vorangegangenen Abschnitte 236 näher untersucht wurde - nicht nur in den comedias angelegt war, sondern vom Schauspieler bewußt eingesetzt werden mußte, blieb freilich nicht Selbstzweck, wie Neuschäfer wieder anhand von Fuenteovejuna darlegt: Er verweist darauf, daß an jener Stelle des Stückes, an der alle Bewohner auf die Frage nach dem Täter die Antwort „Fuenteovejuna" geben, (...) der Zuschauer in die Lage versetzt wird, sich mit dem Volk Fuenteovejuna nicht nur affektisch - wie bisher sondern auch moralisch rational zu identifizieren. Es ist hier nun der Punkt erreicht, wo den Bauern Fuenteovejuna nicht mehr nur Mitgefühl zuteil wird, sondern auch Achtung Bewunderung, und wo die Anteilnahme der Zuschauer aus dem Bereich der fühle in den Bereich der Reflexion übergehen kann. 2 1 7

von und von und Ge-

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Eine solche Rezeptionshaltung der Zuschauer war im Corral sicher nicht alltäglich. Die Unmutsbekundungen über unzulängliche Darbietungen auf der Bühne vor allem von seiten der mosqueteros und der Frauen in der cazuela hatten sogar Eingang in eine (in der Einleitung zu dieser Arbeit zitierte) loa von Quiñones de Benavente gefunden. 238 Das Spiel mit Affekten konnte aber - wie soeben zu sehen war ein geeignetes Stück und eine entsprechende schauspielerische Leistung vorausgesetzt, im Idealfall tatsächlich zwischen den Personen auf der Bühne und im Zuschauerraum - entgegen der Auffassung B. Kaufmanns - eine „geistige Einheit" entstehen lassen, die für die Zwecke dieser Arbeit als „emotionale Gemeinschaft" bezeichnet werden soll. Wie im Corte- und Corpus-Theater, wenn auch nicht in gleicher Intensität, war so die von Turner beobachtete Trennung zwischen Akteuren und Auditorium auch im Corral weitgehend aufgehoben. Diese Einheit blieb freilich nur so lange intakt, wie das Spiel mit den Emotionen ungestört vonstatten ging und die Führungsrolle des Schauspielers als „rituell Sachkundiger" gewährleistet war. Dies mußte bedeuten, daß der Schauspieler tatsächlich ganz in der von ihm verkörperten Bühnenfigur aufging und als solche auf keinen Fall vom Publikum als Privatperson angesehen wurde. Ob dies tatsächlich zutraf und welche Wechselwirkungen zwischen Privatsphäre des Schauspielers, Bühnengeschehen und Zuschauern zustandekamen, wird im nächsten Kapitel ausführlich zu behandeln sein. Zuvor ist jedoch die Position des Schauspielers in der Gesellschaft des Siglo de Oro zu umreißen und ist sein Berufsstand von der moralischen Seite her zu beleuchten.

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4 Der Schauspieler in der Gesellschaft Will man versuchen, die Position des Schauspielers im gesellschaftlichen Gefüge des Siglo de Oro näher zu bestimmen, wird man mit einem grundlegenden Problem konfrontiert: España no tenia un derecho que definiera los estamentos, y. en términos legales, no existía un tercer estado, sino, simplemente, una masa de gentes - unos seis millones de personas - de variable fortuna que sólo se definían por su exclusión de los estamentos aristocrático y eclesiástico.'

Es bedarf keiner großen Spekulation, um den Schauspieler jener „masa de gentes" zuzuordnen. Aufschlußreich ist jedoch, wie sich dieser Berufsstand innerhalb der amorphen „masa" eine eigene Nische eingerichtet hat, in der er sich nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten entwickelte. Dafür gibt es eine plausible Erklärung: Die wachsende Bedeutung des Theaterspiels in allen drei Sparten (Corral-, Corte- und Corpus-Theater) verlangte nach immer mehr Personal. Sowohl durch die Kontrollfunktion von außen über das staatlich geregelte Zulassungsverfahren für die compañías de título und die Kontrolle des Spielbetriebs als auch durch interne Ordnungsprinzipien (hierarchische Gliederung innerhalb der Truppen) bildete sich ein höchst differenziertes und den Anforderungen des Spielbetriebs angepaßtes Erscheinungsbild des Berufsschauspielertums heraus. Die Regelung und Überwachung von außen sowie der stabile innere organisatorische Aufbau, wie er im Kapitel über die Truppen ausführlich beschrieben wurde, verschafften den Schauspielern Privilegien, die freilich kaum mit denen der nobleza zu vergleichen sind. Das größte Vorrecht dieser Art bestand darin, ungestraft gegen gewisse gesellschaftliche Normen zumindest während der Arbeit verstoßen zu dürfen, etwa gegen die Kleiderordnung. Am oberen Ende ragte die soziale Gruppierung der Schauspielerschaft in den Adel hinein, an den unteren Rändern faserte sie gewissermaßen aus und wurde durch die wild wuchernden compañías de la legua2 bedrängt. Ein Zeugnis für einen Abgrenzungsversuch von Seiten der offiziell zugelassenen Truppen gegenüber den fegua-Schauspielern stellt die Eingabe des autor Tomás Fernández dar, der eine damals (1632) mit einer Lizenz ausgestattete compañía leitete: Viéronse en poco tiempo, discurrir con desvergüenza grande por el reino 40 compañías, en que se ocupaban mil ó pocas menos personas de ambos sexos, gente bagabunda, de vida licenciosa y casi toda de costumbres estragadas (...). A esta gente perdida suelen agregarse hombres facinerosos, clérigos, frailes apóstatas y fugitivos, que se acogen como asilo de estas compañías para poder andar libres y desconocidos á la sombra de ellas. 3

Das Dokument, das die Lauterkeit der eigenen Leute gegenüber der Verderbtheit der /egwa-Konkurrenz herausheben will, zeigt, wie sehr das Berufsschauspielertum bemüht war, als eigene, ehrenhafte soziale Gruppe zu erscheinen. Trotz aller Wechselfalle des Schauspielerlebens auch innerhalb der offiziell zugelassenen Truppen wäre es sehr unvorsichtig und voreilig, den 133

Berufsschauspieler des 17. Jahrhunderts mit dem Etikett „Picaro" zu versehen, wie dies etwa Deleito y Piñuela tut. 4 Die zahlreichen Episoden in den Picaro-Romanen, in denen es um die Schauspielerei geht, sind doch wohl sehr viel eher dem legua-Wesen zuzuschreiben, abgesehen davon, daß in dieser Gattung nicht der reine Realismus vorherrscht, sondern daß die PicaroRomane eher zur Satire tendieren. Dies alles schließt freilich nicht aus, daß Schauspieler auch von compañías de la legua zu compañías de titulo überwechseln konnten. Die Berührungspunkte mit der nobleza am anderen Ende der sozialen Skala beschränken sich auf vergleichsweise wenige Einzelfälle. Es sind überdies nahezu ausschließlich autores de comedias und nicht gewöhnliche Schauspieler, die eine hidalguía vorzuweisen haben. Zu den entsprechenden Beispielen zählt etwa der autor Alonso de Olmedo Tofiño y Agüero, ein Abkömmling des mayordomo des Conde de Oropesa. 5 Bereits an diesem Fall zeigt sich, daß die hidalguía des autor keinerlei Vorteile für die Berufsausbildung brachte, im Gegenteil: Durch ein königliches Dekret vom 20. Mai 1647 mußte er wegen seiner Berufstätigkeit im Theaterwesen als hidalgo rehabilitiert werden. Olmedo stellt den eher seltenen Fall eines Schauspielers und autor dar, der von außerhalb des Berufszweiges in das Theaterwesen hineinwächst und dort schließlich eine herausragende Position einnimmt. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich sein Eintritt in das Schauspielerwesen tatsächlich so zugetragen hat, wie es überliefert wird: daß er sich in die in Talavera gastierende Schauspielerin Luisa de Robles verliebt habe 6 und fortan als Darsteller selbst durch die Lande zog. Zusammen mit Luisa de Robles wurde er einer der bedeutendsten offiziell zugelassenen autores. Olmedo heiratete vermutlich um 16187 Jerónima de Ornero, die ebenfalls aus dem Haus eines hidalgo stammte (des mayordomo des Conde de Sástago), mit der zusammen er sechs Kinder hatte, die zum großen Teil wieder Schauspieler wurden. Der Fall Olmedos demonstriert, wie ein zunächst Berufsfremder, der im Theaterwesen offensichtlich seine Berufung gefunden hat, nicht nur selbst reüssiert, sondern darüber hinaus zum Begründer einer Schauspieler-Dynastie wird. Obwohl es ähnliche Beispiele für den eher zufalligen Eintritt in das Berufsschauspielertum auch aus späterer Zeit gibt 8 , ist dies doch vor allem symptomatisch für die frühe Phase des Untersuchungszeitraums. Wie bereits im Kapitel über die Truppen ausführlich dargelegt, regeneriert sich das Schauspielerwesen in zunehmenem Maße und zuletzt fast ausschließlich aus sich selbst heraus. Dies trug zu einem nicht unwesentlichen Teil zur Stabilisierung und Verankerung der Berufsgruppe in der Gesellschaft bei. Einmal in den Kreis fest aufgenommen, spielte die Herkunft keine wesentliche Rolle mehr. Wenn sie jedoch Vorteile bot, wurden diese ganz selbstverständlich in Anspruch genommen. So bewahrte die hidalguía etwa den autor Juan de Morales Medrano in einem Prozeß um Schulden vor dem Gefängnis und vor der Beschlagnahme bestimmter Güter. Völlige Immunität genoß er deswegen jedoch nicht; seine Häuser wurden versteigert.® Stark begünstigt wurde die Rekrutierung des Schauspielernachwuchses aus den eigenen Reihen durch die Gesetzgebung: Die Bestimmung, daß weibliche

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Darsteller nur dann auftreten durften, wenn sie verheiratet waren, sorgte selbst wenn sie nicht immer eingehalten wurde - dafür, daß die Angehörigen des Berufsstandes weitgehend unter sich blieben. Die Tatsache, daß Frauen überhaupt spielen durften, und die vielfaltigen Folgen, die sich daraus ergaben - die Untersuchung dieses Themenkomplexes, die in einem der folgenden Abschnitte unternommen werden soll, kann zum Verständnis des Berufsstandes, insbesondere hinsichtlich des moralischen Ansehens, entscheidende Hinweise bringen. Zunächst ist jedoch darzustellen, wie die Schauspieler im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation ihres Berufes in die Gesellschaft des Siglo de Oro eingeordnet werden können. Die Erörterung des moralischen Ansehens der Schauspielerschaft wird zu der Frage führen, inwieweit sich Alltagsleben und Rollenspiel auf der Bühne gegenseitig beeinflussen. Schließlich wird zu untersuchen sein, ob und wie Staat, Stadt und Kirche, die nach allen bisherigen Ergebnissen dieser Arbeit trotz der Vorurteile gegenüber dem Berufsstand auf die Tätigkeit der Schauspieler angewiesen waren, die Reputation des Schauspielerberufs zu stärken versuchten. Dabei wird der Cofradía de Nuestra Señora de la Novena, der einzigen berufsständischen Vereinigung der Schauspieler, eine Schlüsselfunktion zukommen. 4.1 Die wirtschaftliche Situation der Schauspieler Die streng hierarchische Gliederung innerhalb der Truppen, die bereits in verschiedenen Zusammenhängen dargestellt wurde, spiegelt sich auch in der Entlohnung. Das einem Schauspieler zustehende Entgelt, das damals in aller Regel im Vertrag mit dem autor de comedias von vorneherein festgelegt wurde, richtete sich zuerst nach dem Rollenfach des Darstellers, aber auch in gewissen Grenzen nach der Persönlichkeit des Betreffenden, das heißt nach seinem „Marktwert". Umgekehrt läßt sich an der jeweiligen Bezahlung der Rang des betreffenden Schauspielers in der Truppe ablesen. 10 Diese Zusammenhänge seien im folgenden an zwei Beispielen näher dargestellt. In der Liste von Juan de la Calle aus dem Jahr 1658" wird die Hierarchie innerhalb der compañía anhand der Bezahlung geradezu modellhaft sichtbar. Die am besten bezahlte, damit am höchsten eingestufte Kraft ist die primera dama Francisca de Valencia, die 11 reales als parte12 erhält. Den zweithöchsten Betrag, 10 reales, bekommen der autor, der auch die Rollen des primer galán übernimmt, und der Darsteller der gracioso-Partien, Juan Juza. Segunda dama, segundo galán und primer barba wurden als gleich wichtig eingestuft: Josefa Antonia, Rodrigo de Zayas und José Pérez erhalten je 9 reales. Maria de la O, quinta dama, und Damián de Villegas, segundo barba, werden je 7 reales zugeteilt. Mit je 5 reales mußten der guardarropa Francisco Rodríguez und der cobrador Francisco Tomé als nicht zum darstellerischen Personal gehörende Truppenmitglieder auskommen. Dies ist der kleinste Betrag in der Skala, den auch die tercera dama Bernarda María und der „de por medio"-Schauspieler Rodrigo Alvarez verdienen. Eine solche Abstufung des Entgeltes findet sich in nahezu allen 135

Truppenlisten, die Angaben über Einkünfte enthalten. Eine grundsätzliche Schwierigkeit bei der Bearbeitung dieser Daten besteht jedoch darin, daß Ehepaare oft - vor allem in der Zeit vor 1646 - einen einheitlichen Betrag erhielten, aus dem nicht hervorgeht, wem von beiden wieviel zugestanden hätte, wenn er alleine engagiert worden wäre. 1 3 In welchem Maß die Einstufung der Schauspieler allerdings auch variiert, kann der Vergleich mit einem weiteren Beispiel erläutern. In der Truppe von Antonio de Sierva 14 erhält im Jahr 1642 die primera dama Jacinta de Contreras 9 reales (parte), der primer galán Juan de Bustamante 8, ebensoviel der autor, der gleichzeitig segundo galán ist. Die segunda dama Leonor de Bañuelos verdient mit 7,5 reales ebensoviel wie die tercera dama Clemencia de Leiva. Der Darsteller der ¿arAa-Rollen, Juan de Ortega, hat Anspruch auf 7, der gracioso Juan Camacho auf 6 reales. Erstaunlich ist, daß dem Musiker Gabriel Sedeño mit 8 reales ebensoviel zusteht wie dem autor und dem primer galán. Dies läßt sich nur dadurch erklären, daß Sedeño aufgrund seiner Persönlichkeit, seines Bekanntheitsgrades, einen höheren Betrag aushandeln konnte. Es fallt außerdem auf, daß der gracioso in diesem Fall weniger als der Aarta-Darsteller erhält. Auch dies kann als Hinweis darauf gedeutet werden, daß der für die ¿>ar¿>a-Rollen vorgesehene Schauspieler als die bedeutendere Persönlichkeit galt. Die Spanne zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Gehalt ist im ersten Fall besonders groß, da auch die Hilfspersonen guardarropa und cobrador aufgeführt sind. Sie bekommen weniger als die Hälfte des Entgeltes, das der Spitzenkraft, der primera dama, zugesprochen wird. Bemerkenswert ist beidesmal, daß ein - wenn auch sehr geringfügiger - Unterschied zwischen primera dama und primer galán besteht: 1 real. Das mag auf die noch etwas höhere Attraktivität der weiblichen Hauptdarstellerin zurückzuführen sein. Die Entlohnung der Truppenangehörigen gliedert sich im wesentlichen jeweils in drei Gruppen: die Spitzenpositionen, das heißt die ersten darstellerischen Kräfte; ein verhältnismäßig großes Mittelfeld, in dem die Interpreten zweiter und dritter Rollen vertreten sind - naturgemäß mit einer individuellen Bedürfnissen angepaßten erheblichen Variationsbreite; eine unterste Stufe, der die Hilfskräfte zugeordnet werden. Aus dieser Rangskala fallt der autor völlig heraus. Er ist zwar auch - wie etwa in der Liste von Juan de la Calle zu erkennen - an dem Entlohnungssystem seiner Truppe beteiligt, wenn er selbst spielt, es sind aber bei ihm die zahlreichen zusätzlichen Einnahmemöglichkeiten zu berücksichtigen, die sich aus dem Handel mit Theaterstücken und mit anderen aus seiner Funktion als verantwortlicher Leiter der compañía resultierenden Geschäften ergeben, bei denen jedoch im Einzelfall nicht nachzuweisen ist, in welchem Maß sie ihm persönlich zugutekommen. Auf jeden Fall aber dürfte der autor die wirtschaftlich beste Position in der Truppe eingenommen haben,, da er über einiges Kapital verfügen mußte, um seine Aufgaben überhaupt wahrnehmen zu können. Aufgrund der wechselhaften wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklung in Spanien gerade während des 17. Jahrhunderts 1 5 waren auch die sozialen Verhältnisse, in denen die Schauspieler lebten, erheblichen 136

Schwankungen unterworfen. In der Frage der wirtschaftlichen Grundlage des Berufs blieben jedoch die Relationen gewahrt. Auch am Ende des Untersuchungszeitraums existierte noch das System der Entlohnung des Schauspielers nach seinem Stellenwert innerhalb der Truppe, ja es scheint sich sogar noch stärker differenziert zu haben, betrachtet man etwa die für Corpus 1675 zusammengestellten Truppenlisten von Escamilla und Vallejo 16 . In beiden Listen erhält nahezu jedes Mitglied der beiden compañías einen anderen Betrag auf der Entlohnungsskala, die von 3366 reales (Maria de Santos bei Escamilla) beziehungsweise 3566 reales (Bernarda Manuela bei Vallejo) für die Spitzenkräfte bis hinunter zu 250 reales für Juan Rodríguez, Escamillas apuntadorl7, und 300 reales für Jerónimo de Peñarroja 1 8 in der Vallejo-Truppe reicht. Nähere Bezeichnungen zur jeweiligen Funktion der Darsteller fehlen, so daß sich die fein abgestuften Beträge nicht bestimmten Rollenfachern bei der betreffenden Aufführung zuordnen lassen. Es fallt jedoch auf, daß nicht nur die mit der jeweils höchsten Summe entlohnten weiblichen Schauspieler (mit Sicherheit die primeras damas) geringfügig voneinander abweichende Beträge erhalten, sondern daß das Entlohnungsniveau insgesamt bei der Vallejo-Truppe ein wenig höher ist als bei der compañía Escamillas. Dies könnte darauf schließen lassen, daß Vallejos Truppe von der Corpus-Kommission als künstlerisch besser angesehen wurde. Der Versuch, aus den Angaben über die Entlohnung der Schauspieler Rückschlüsse auf ihre gesellschaftliche Stellung zu ziehen (in rein materieller Hinsicht), kann schon wegen der Lückenhaftigkeit des Zahlenmaterials nicht in befriedigender Weise zum Ziel führen. Ebensowenig ist es möglich, die Entwicklung der Einkünfte im Untersuchungszeitraum nachzuzeichnen. Erschwert wird dies durch die soeben dargelegte Beobachtung, daß die Bezahlung nicht nur schematisch vom Rollenfach 1 9 , sondern im Einzelfall auch von der künstlerischen Qualität der betreffenden Darsteller abhing. Eine detaillierte Untersuchung wird schließlich auch durch die Zusammenfassung der Einkünfte von Ehepaaren behindert. Darüber hinaus stellen sich die Währungsschwankungen einer für den gesamten Untersuchungszeitraum gültigen Einschätzung der wirtschaftlichen Situation der Schauspieler in den Weg: La coexistencia de dos precios, unos expresados en plata, estables e incluso con tendencia a la baja, y otros en vellón, zigzagueando por el juego de las inflaciones y deflaciones monetarias, es una gran complicación para la recta interpretación de este siglo. 20

Es soll dennoch hier versucht werden, den Schauspieler materiell in einen Bezugsrahmen zu setzen, soweit dies aufgrund der wenigen verfügbaren Daten möglich ist. Einen wesentlichen Orientierungspunkt, auf den sich auch Diez Borque bezieht 21 , bietet die Errechnung des durchschnittlichen täglichen Geldbedarfs eines der ärmeren Gesellschaftsschicht Angehörigen also des finanziellen Minimalbedarfs, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Eine solche Kalkulation, wie sie sich bei J. Reglá 2 2 findet, weist 32,5 maravedís, also knapp einen real ( = 3 4 maravedís) für den Beginn des 17. 137

Jahrhunderts als einen solchen Minimalbetrag aus. Es zeigt sich nun, daß die Einkünfte der Schauspieler aller Kategorien, einschließlich der Hilfskräfte, grundsätzlich - zum Teil sogar erheblich - über dieser Marke liegen. Auch wenn durch das monetäre Wechselspiel ein großer Kaufkraftverlust eintrat, blieb noch genügend Spielraum, so daß auch die untersten Chargen und Hilfskräfte nicht in finanzielle Existenznöte geraten mußten. Denn im gesamten Untersuchungszeitraum erhielt kein auf den für diese Arbeit erfaßten Truppenlisten aufgeführter Schauspieler weniger als 2,5 reales als ración. Dazu muß nun noch - wenn nicht parte-Zahlungen vereinbart waren - die Summe für die representación, die zusätzliche Entlohnung pro Aufführung, gerechnet werden, ebenso wie der in aller Regel mindestens dreistellige real-Betrag als einmalige Zahlung für die am Corpus-Fest beteiligten Darsteller. Über das Jahr gesehen ergeben sich Durchschnittswerte, die die Feststellung erhärten, daß die Schauspieler mit ihren Einkünften grundsätzlich über dem Existenzminimum lagen. Für die am 4. März 1637 zusammengestellte Truppe von Pedro de la Rosa 2 3 ergeben sich so, mangels genauerer Daten schematisch errechnet 24 , folgende Werte für ein ungefähres tägliches Einkommen (in reales): Jaime Salvador Francisco de San Miguel Jusepa Román Santiago Valenciano Pedro del Fresno / Ana del Fresno Jerónimo de Velasco Pedro de Contreras* Juan Francisco Bernal Pedro de Contreras / Ana de Oro** (* Vertragsabschluß 3. März; •* 14. März)

7,6 6,6 12,} 10,1 6,3 7.4 7,1 8,2 12,5

Spitzenverdienerin in dieser Truppe ist fraglos Jusepa Román; es verwundert, da bei ihr ausdrücklich vermerkt ist, sie habe die „tercera parte", also terceras damas, darzustellen. Vermutlich ist jedoch die Liste nicht vollständig, und die Schauspieler der ersten Rollen waren bereits verpflichtet; sie müssen also noch einiges mehr verdient haben. Am unteren Ende der Skala rangiert das Ehepaar Pedro und Ana del Fresno, das zusammen nur auf ein tägliches Entgelt von 6,3 reales kommt. Allerdings sind die beiden d é einzigen, die kein Corpus-Geld erhalten. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß der Name Pedro de Contreras zweimal, alleine und zusammen mit seiner Ehefrau Ana de Oro, genannt wird, jeweils aber unter anderem Datum. Pedro de Contreras hatte sich zunächst am 3. März alleine verpflichten lassen, am 14. März wurde er jedoch zusammen mit seiner Frau in die Truppe aufgenommen. Alleine hätte er 6 reales als ración, 7 als representación uid 100 für die Mitwirkung bei den Corpus-Aufführungen kassieren sollen, wes einen Durchschnittswert von 7,1 reales pro Tag ergibt. Die beiden Eheleute bekommen nun gemeinsam 10 ración, 13 representación und 250 redes für Corpus, durchschnittlich also 12,5 reales. Die zunächst vereinbarten 3eträge zeigen Pedro de Contreras als einen Schauspieler mit einem gegenüber seiner 138

Frau - wenn auch nur geringfügig - höheren „Marktwert". Wie sich hier wiederum erweist, ist es höchst problematisch, das gemeinsame Einkommen von Schauspieler-Ehepaaren einfach zu teilen und so die Entlohnung des einzelnen Partners festzustellen. Auch bei Truppen, die nicht nach ración, representación und Corpus entlohnt werden, sondern ihren Mitgliedern partes zuweisen, ergeben sich Werte für die tägliche Bezahlung, die weit über dem Existenzminimum liegen. 25 Ein Beispiel dafür ist die Truppenliste von Antonio Granados vom 7. März 1636 26 , also aus direkter zeitlicher Nachbarschaft zu der soeben herangezogenen Liste und damit auch mit dieser vergleichbar. Danach beträgt die höchste Einzelsumme 7 reales (für den gracioso Juan de Arévalo), die niedrigste 3 (seltsamerweise für den autor). In dieser Liste finden sich drei Ehepaare: Mateo de Cuevas und Catalina de la Cruz, Sebastián de Avellaneda und Catalina de Briviesca sowie Juan de Santa Maria und dessen nicht mit Namen genannte Gattin. Das erste Ehepaar erhält zusammen 13 reales, die beiden anderen bekommen zusammen jeweils 12. Der geringfügige Unterschied erklärt sich vermutlich daraus, daß zwar bei den beiden zuletzt genannten Ehepaaren jeweils ein Partner ein erstes Fach spielt (Catalina de Briviesca primera dama, Juan de Santa Maria primer galán), die beiden anderen Partner jedoch für wesentlich unbedeutendere Rollen verpflichtet wurden (die Frau von Juan de Santa Maria soll, wie es heißt, „cuartos papeles" darstellen). Mateo de Cuevas und Catalina de la Cruz werden dagegen offensichtlich beide für größere Rollen ausersehen (Catalina de la Cruz ausdrücklich für segundas damas). Die Entlohnung der einzelnen übrigen Schauspieler liegt bei 5,5 bis 6 reales. Das insgesamt etwas niedrigere Entlohnungsniveau im Vergleich zu den beim vorangegangenen Beispiel errechneten Werten ergibt sich ganz einfach dadurch, daß die Liste keine Angaben über Einkünfte durch Mitwirkung beim Corpus-Fest enthält. Merkwürdig ist bei der Betrachtung der Granados-Liste der geringe Anteil des autor. Dafür mag als Grund in Frage kommen, daß er wegen anderweitig erzielter Einnahmen finanziell so unabhängig war, daß er auf die parte nahezu verzichten konnte. Die autores müssen im Zusammenhang mit der ökonomischen Seite des Schauspielerberufs ohnehin unter völlig anderen Gesichtspunkten beurteilt werden als die von ihnen beschäftigten Darsteller und Hilfskräfte. Als Leiter der compañía und in gewisser Hinsicht als freier Unternehmer liegt die finanzielle Abwicklung des AufTührungsbetriebs in seiner Hand. Die Schauspieler sind, wie bereits ausführlich dargestellt und wie auch aus den Verträgen ersichtlich ist, direkt von ihm abhängig. 2 7 Aufschlußreich ist diesbezüglich eine Übereinkunft, die der autor Antonio de Rueda am 27. Juli 1639 für einen „Abstecher" nach Sevilla schloß 2 8 . Er verpflichtet sich darin, während eines Zeitraums von ungefähr drei Monaten insgesamt 90 Aufführungen mit seiner Truppe zu geben. Dafür sollte er als ayuda de costa pro Tag, an dem eine Vorstellung stattfindet, 20 reales erhalten, außerdem eine einmalige Zahlung von 260 ducados ( = 2860 reales) als Prämie und Ausgleich dafür, daß er für den Vertragsabschluß Madrid verlassen mußte (er war im Juli nach Sevilla gereist, die Aufführungen sollten von November an stattfinden). Rueda erzielt außerdem Einverständnis darüber, 139

daß er und seine Truppe für die Einrichtung der tramoyas und apariencias nur die Hälfte der Kosten übernehmen müssen. Die Gesamteinnahmen für das Gastspiel in Sevilla belaufen sich inklusive Prämie und Entschädigung auf 25 360 reales. Als Vorschuß erhält Rueda sogleich nach Vertragsabschluß 16 000 reales zuzüglich die Prämie von 2860. Die Zahlung von weiteren 4700 wird vorerst zurückgestellt. Insgesamt erhält er also 23 560 reales für das dreimonatige Gastspiel. Die Differenz zu den errechneten 25 360 ergibt sich möglicherweise dadurch, daß die vom autor zu tragenden Unkosten (Anteil für tramoyas und apariencias) einbehalten wurden. Pro Aufführungstag bedeutet dies eine Einnahme von knapp 262 reales, denen 113 reales gegenüberstehen, die ebenfalls pro Vorstellungstag an die Truppe zu zahlen sind 2 9 . Selbst wenn noch einiges an Auslagen wie etwa Reisekosten für die compañía und Stückekauf abzurechnen sind, konnte bei dieser Kalkulation doch ein nicht geringer Betrag für den autor übrigbleiben. Nicht nur wegen der Dürftigkeit der überlieferten Daten, sondern auch aufgrund der großen Unterschiede zwischen den einzelnen Fällen 30 lassen sich über die wirtschaftliche Seite des Wirkens der autores ebensowenig detaillierte Angaben für den gesamten Untersuchungszeitraum wie über das Einkommen der Schauspieler machen. Es finden sich jedoch ausreichende Hinweise darauf, daß es die autores in Phasen erfolgreicher Arbeit zu erheblichem Wohlstand bringen konnten, ja daß eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit geradezu Voraussetzung für den künstlerischen Erfolg war. Nicht anders läßt sich eine Stelle in Quevedos Buscón deuten: „Estaba viento en popa con estas cosas, rico y próspero, y tal, que casi aspiraba ya a ser autor." 3 1 Wohlgenährtheit, die gewöhnlich ein Indiz für materiellen Wohlstand ist, galt als Kennzeichen der autores, wenn man Quiñones de Benavente Glauben schenkt: Úsase ya en nuestros tiempos ser los autores muy gordos; exempli gratia. Valle jo.12

Auch der Besitz von Dienern und Sklaven, der hin und wieder bei autores bezeugt ist, deutet auf einen gewissen Reichtum hin. So verkauft etwa am 2. März 1619 Alonso de Olmedo Tofiño (oder Tufiño) an seinen autor-Kollegen Fernán Sánchez de Vargas einen vierzehnjährigen Sklaven zum Preis von 1200 reales33. Der autor Luis López Sustaete erteilt dem Kollegen Adrián López und dem Schauspieler Simón Aguado, die sich beide in Barcelona aufhalten, am 25. Juni 1655 eine Vollmacht, seinen Sklaven, „de nación moro, llamado Amete, de buena estatura, moreno amulatado (...) de edad de 30 años que compré el año 1651 del gobernador de Larache estando en el Puerto de Santa María y se me huyó y ausentó desta corte habrá mas de un año" von einer Galeere im Hafen von Barcelona zu holen. 3 4 Gelegentlich finden sich, vor allem in den Testamenten, detailliertere Angaben über den Besitzstand von autores. So bekennt Pedro de la Rosa in seinem Testament vom 4. März 1660 35 , in seine erste Ehe mit Catalina de la Rosa hätten weder er noch seine Frau Güter eingebracht, während er bei seiner zweiten Eheschließung mit Antonia de Santiago über „bienes de valor de

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mil ducados ( = 1 1 000 reales), poco mas o menos" 3 6 verfügt habe, die in der ersten Ehe erwirtschaftet worden seien. Rosa bemerkt außerdem, daß er einen Diener beschäftigt habe. Die testamentarischen Zeugnisse zeigen die autores meist jedoch schon wieder in einem Stadium der Verarmung, da sie gegen ihr Lebensende hin meist nicht mehr ihren Beruf ausübten. Gerade das Testament von Pedro de la Rosa dokumentiert eindrücklich, in welch ein dichtes Netz von Schulden ein zu Zeiten beruflicher Attraktivität gefragter autor37 kurz vor seinem Tod eingesponnen sein konnte, freilich nicht unbedingt aus eigenem Verschulden, wie aus folgendem Passus des Testaments zu erkennen ist: Item declaro que su Magestad, que Dios guarde, me está debiendo de diferentes particulares y representaciones mas de treinta mil reales, á quien suplico muy humildemente que por estar pobre y tener muchas deudas, me mande pagar y socorrerme para poderme enterrar y decir misas por mi alma (...). 38

Die schlechte Zahlungsmoral des Königshofs war angesichts der von den fünfziger Jahren an erheblich steigenden Zahl von Aufführungen an der Corte nicht wenig verantwortlich für die Verarmung einstmals gefragter autores. Dies geht auch aus einer Eingabe des zu seiner Zeit nicht minder bedeutenden autor Antonio de Prado hervor. Darüber hinaus werden in diesem Fall noch weitere Faktoren deutlich, die auch erfolgreiche autores in den wirtschaftlichen Ruin stürzen konnten: Krankheit und die Phasen des Verbots jeglicher Theateraufführungen. Antonio de Prado formuliert seine Eingabe im Jahr 1648, also noch in der Verbotszeit, die 1644/46 begonnen hatte. In dem Dokument, in dem Prado vom Königshof Honorare für 43 Aufführungen aus dem Jahr 1643 (!) einklagt, heißt es: Suplico a V.M. mande se le paguen por estar sin oficio y tullido y tan impedido de la gota que no tiene con que sustentarse a el ni a sus hijos. V.M. se duela de mi necesidad que estoy sin remedio humano. 3 9

Ähnliches wie es soeben für die autores festgestellt wurde, läßt sich auch auf die wirtschaftliche Situation der Spitzengruppe der Schauspieler übertragen. Zu Zeiten, da sie gefragt waren, vermochten sie sicher zu einigem Wohlstand zu gelangen. Wenn man etwa die von Cosme Pérez am 28. Februar 1643 mit Pedro de la Rosa vereinbarte Entlohnung von 12 reales als ración, 20 für representación und 550 reales für Corpus (zuzüglich 1000 reales Darlehen) mit den Einkünften seines weniger bedeutenen gracioso-Kollegen Antonio Marin im gleichen Jahr in der ebenfalls weniger bedeutsamen Truppe von Pedro Ascanio vergleicht (8 ración, 6 representación, 500 Corpus, 400 préstamo), kann man schon von einem „Stargehalt" sprechen, das Cosme Pérez alias Juan Rana gezahlt wurde. 4 0 Cosme Pérez' Vita 41 bietet überhaupt einen anschaulichen Einblick in die Wechselfalle des Schauspielerdaseins in einem längeren Abschnitt des Untersuchungszeitraums. Pérez hatte während seines langen Lebens 42 einen Ruf aufgebaut, der ihn über viele Kollegen weit hinaushob, wohl auch deshalb, weil er über eine größere Zeitspanne 4 3 mit einem autor, Pedro de la 141

Rosa, zusammenarbeitete, mit dem er sich offensichtlich besonders gut verstand. Jedenfalls entwickelte sich in dieser Zeit die legendäre, von Cosme Pérez verkörperte Figur des Juan Rana, um die sich immer wieder Anekdoten und Stücke rankten. Dies verhinderte freilich nicht, daß auch der berühmteste aller graciosos unter der Verbotszeit ebenso zu leiden hatte wie seine weniger renommierten Kollegen: Este golpe, que arruinó á la vez á comicos, á poetas dramáticos (que se ordenaron de sacerdotes ó se fueron á la guerra) y á los hospitales que vivían de los teatros, duró hasta el segundo matrimonio del rey con su sobrina Doña Mariana de Austria, en 1649 (...). No sabemos lo que habrá sido de Juan Rana en tan triste periodo, en que las privaciones y miseria llevaron al sepulcro á muchos actores, algunos famosos, cómo se ve por las listas de limosnas que la Cofradía (que á su vez vivía de las del rey, los grandes señores y el pueblo, que en demandas periódicas hacían los desocupados actores) daba á cómicos que poco antes eran adorno de las tablas. 4 4

Obwohl Cosme Pérez nach der Verbotszeit noch einmal auf die Bühne zurückkehrte (unter anderem in der Truppe von Antonio de Prado 1650 und 1651; 1657 und 1658 wieder bei seinem früheren autor Pedro de la Rosa), bewahrte ihn dies nicht davor, daß er im Alter verarmte, wie aus einer Mitteilung des Duque de Montalto aus dem Jahr 1665 zu ersehen ist: Señor Grefler. S. M. (Dios le guarde) con su Real decreto de 31 de Mayo se ha servido mandar que la ración ordinaria de que hizo merced Cosme Pérez, representante (...) se le continué por todos los días de su vida a Cosme Perez para que pueda sustentarse, por ser viejo y hallarse pobre. 4 5

Es ist wohl nur seinem legendären Ruf zu danken, daß er 1670, zwei Jahre vor seinem Tod, doch noch einmal auf die Bühne trat, bezeichnenderweise im wörtlichen Sinn als Denkmal seiner selbst: im entremés El triunfo de Juan Rana, das zur Aufführung des höfischen Calderón-Festspiels Fieras afemina amor gehörte. Da er nicht mehr gehen konnte (schon 1666, 1667 und 1668 mußte er in einer silla zur Corte gebracht werden, um auf die Übergabe einer entsprechenden Bittschrift die Spenden für den Aufbau der Schauspieler-Kapelle in der Kirche von San Sebastián entgegenzunehmen 46 ), wurde er als „estatua" auf die Bühne getragen. 47 Faßt man alle in diesem Abschnitt gewonnenen Erkenntnisse über die wirtschaftliche Situation des Schauspielerberufs im 17. Jahrhundert zusammen, ist zunächst festzuhalten, daß der Beruf in Zeiten, in denen der Theaterbetrieb ungestört funktionierte, jedem Truppenmitglied, auch den unteren Chargen und Hilfskräften, ein erträgliches Einkommen verschaffte, das um einiges über dem Existenzminimum lag. Eine soziale Gliederung ergab sich zwangsläufig aus der Position des Betreffenden in der stark differenzierten Hierarchie innerhalb der Truppen. Allerersten Fachkräften konnte es dabei gelingen, einigen Wohlstand zu erreichen. An der Spitze der Skala stand jedoch der autor, der zwar einerseits in die Hierarchie innerhalb der Truppe eingebunden blieb, andererseits aber durch seine geschäftliche Tätigkeit als Organisator des Spielbetriebs für die compañía in gewisser Hinsicht freier Unternehmer war und deshalb über Einkünfte verfügen konnte, 142

die den Truppenmitgliedern nicht zuflössen. Die materielle Lage des autor hing insofern zu einem guten Teil von seinem kaufmännischen Geschick ab. Entscheidend ist, daß dies alles jedoch nur galt, solange eine Truppe regelmäßig spielen konnte, die Schauspieler ein Engagement bei einer compañía hatten oder gesundheitlich dazu in der Lage waren, aufzutreten. Wurde der Aufführungsbetrieb gestört oder gar unterbrochen, konnte ein Schauspieler wegen Krankheit oder aufgrund seines Alters nicht mehr mitwirken, war es möglich, daß gewissermaßen über Nacht aus dem gefeierten Star ein Almosenempfanger wurde. Daß die Cofradía de la Novena hier eine gewisse stabilisierende Funktion hatte, wurde bereits angedeutet, wird am Ende dieser Arbeit aber noch näher zu untersuchen sein. Es ist ein bemerkenswertes Phänomen, daß sich trotz so gravierender Einschnitte, wie sie die Verbotszeiten darstellten, das Theaterleben sehr rasch wieder regenerierte, wenn man etwa daran denkt, wie schnell um 1650 die Truppen wieder präsent waren. Hier kam allerdings dem Königshof mit seinem immer größeren Bedürfnis nach TheateraufTührungen eine fordernde Funktion zu. Hinsichtlich der Einkünfte und des Besitzstandes reicht die Spannbreite von Existenzen (Hilfskräfte) mit Gehältern, die nur geringfügig über dem Minimum lagen, das für das Bestreiten des Lebensunterhalts nötig war, bis zu Spitzeneinkünften, die zu einigem Wohlstand verhalfen. Die autores verfügten über die besten Möglichkeiten, eine günstige materielle Position zu erreichen. Kein Angehöriger der Berufsgruppe war jedoch dagegen gefeit, aufgrund außergewöhnlicher, nicht von ihm zu verantwortender Umstände plötzlich zu verarmen. Bei den niedriger eingestuften Kräften war dieser Schritt sicher sehr viel kürzer als bei den höher entlohnten Schauspielern. Aber selbst die angesehensten Darsteller und autores waren vor dem plötzlichen Verlust ihres Wohlstandes nicht sicher. Daß sich zumindest jene Schauspieler, die in ihrem Beruf zu einigem wirtschaftlichen Erfolg kamen, etwa durch Haus- und Grundbesitz gegen die Wechselfalle ihrer Tätigkeit „versicherten", ist anzunehmen, da die Hinweise auf entsprechende Pfründe in den überlieferten Schauspieler-Testamenten unübersehbar sind. Gerónima de Burgos etwa verlangt in ihrem Letzten Willen vom 3. März 1641, man möge die Häuser, die sie in Valladolid besitzt, verkaufen, davon ihre Schulden bezahlen und den Rest des Geldes für „misas, sufragios y obras pias" für sich und ihren Ehemann Pedro de Valdés verwenden.48 Eugenia Luisa de Acuña y Velasco besitzt gar Häuser ("á la pastelería del embajador de Alemania"), die sie vermietet hat; in ihrem Testament bittet sie darum, die Mieteinkünfte zu kassieren. 49 Vergleichsweise häufig enthalten die Testamente sonst nicht näher erläuterte Hinweise auf „casas propias", wie etwa jenes von Matheo de Godoy 5 0 . Wie kompliziert die Besitzverhältnisse sein konnten, zeigt der Letzte Wille von Mariana Vaca de Morales, der zweiten Ehefrau Antonio de Prados: Que se cobren las casas de la calle del Príncipe que están en poder de Andrea Piquenote con motivo de la quiebra de Bartolomé Dávila que las compró á Juan de Morales 91 . // Que se cobren las casas de la calle del Niño que tiene injustamente Da. Eugenia de Miranda hace ya 22 años. 5 1

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Im Testament der Margarita de Quiñones - Mutter der primera dama Maria de Quiñones - wird ausdrücklich festgestellt, daß Geld und Besitz durch schauspielerische Tätigkeit erworben wurden: Item declaro (...) que la casa en que de presente vivo en la calle del Niño pertenece a la dicha Maria de Quiñones Nuñez Vela (...). y toda la hacienda que en ella hoy es de la dicha mi hija, adquirida mediante el uso de la representación en que se ha ejercitado, trabajo é industria suya, por que yo no entré en su poder bienes ni hacienda ninguna (...). 5 3

Im Laufe ihrer Berufstätigkeit hatten die meisten Schauspieler und insbesondere die mit großen Summen hantierenden autores ein überaus kompliziertes Geflecht aus Schulden aufgebaut, denen häufig zwar berechtigte Forderungen aus erbrachten Leistungen - etwa für Aufführungen an der Corte oder für particulares in Privathäusern - entgegenstanden. Diese Rechnungen wurden jedoch, wie bereits erwähnt, in den seltensten Fällen pünktlich beglichen. Manchmal ergaben sich aus diesen Verhältnissen freilich auch gewissermaßen Geschäfte auf Gegenseitigkeit. So nimmt der autor Baltasar Pinedo beim tesorero des Conde de Lerma ein Darlehen von 1700 reales auf und verpflichtet sich, dieses innerhalb von vier Monaten zurückzuzahlen. Sollte sich der Conde jedoch bemüßigt fühlen, während dieser Zeitspanne Pinedo für mit seiner Truppe absolvierte Aufführungen zu entschädigen, kann der tesorero das Honorar gegen das Darlehen aufrechnen. 54 Es darf schließlich nicht vergessen werden, daß in einzelnen Fällen autores auch Darlehen an die Truppenmitglieder offensichtlich als sanftes Druckmittel benutzten, um die Schauspieler in der compañía zu halten. So zahlt etwa Esteban Núñez 1659 an seine Schauspieler Kredite zwischen 300 und 2512 realesss (vermutlich als Vorschuß auf die Einkünfte während des Spieljahres). Mit der Aufnahme von Schulden konnten zwar die Folgen unvorhergesehener Ereignisse wie Krankheit oder Spielverbot gemildert, keineswegs jedoch ausgeglichen werden. 4.2 Das moralische Ansehen des Berufsstandes: Die Rolle des Schauspielers in der „licitudw-Diskussion Das spanische Theater des Siglo de Oro war von seinen Anfangen an von teilweise heftigen Diskussionen um seine moralische Rechtfertigung begleitet. 56 Bei einer Betrachtung des Für und Wider fällt auf, daß der Person des Schauspielers in der gesamten Diskussion eine Schlüsselfunktion zukommt. Es haben sich trotz erbitterter Attacken von Seiten der Gegner letztlich immer wieder die Befürworter durchgesetzt. Die entscheidenden Argumente werden um das Jahr 1600 formuliert, also zu jenem Zeitpunkt, da das Theaterwesen in seine erste Phase der Professionalisierung und Perfektionierung tritt. Während des gesamten Untersuchungszeitraumes kommen zu diesen einmal fest umrissenen Standpunkten keine neuen Aspekte hinzu. Die Diskussion dreht sich immerfort um dieselben 144

Konfliktpunkte, sie wird jedoch im Verlauf der Epoche mit unterschiedlicher Intensität geführt. Bezeichnenderweise wird sie besonders lebhaft zu den Zeiten der Verbote und auch noch kurz danach. Für die Verbote selbst sind die Argumente der Theatergegner nie direkt maßgebend. Es bestand immer ein äußerer Anlaß wie der Tod von Angehörigen des Herrscherhauses oder des Herrschers selbst. Doch haben die Gegner immer wieder erkannt, daß das Theaterwesen während der Verbotsphasen so geschwächt wurde, daß ihm möglicherweise leicht der Todesstoß zu versetzen war, und folglich verstärkten sie gerade dann ihre Angriffe. Dies war bereits 1597/98 so, als die Dokumente entstanden, auf die gleich näher einzugehen ist, und dies wiederholte sich 1644/46 und 1665/66. Die gesamte Skala der Argumente findet sich bereits in der Primera parte de las excelencias de la virtud de la Castidad des Fray José de Jesús María. 57 Fray José hat seinen Traktat als direkte Replik auf die befürwortende Argumentation der Villa de Madrid von 1598 und 1599 angelegt. 58 Folglich greift er die von der Villa vorgebrachten Thesen auf und versucht sie Punkt für Punkt zu widerlegen. Daß zu den bereits von Fray José exponierten Argumenten keine neuen Aspekte während des späteren Verlaufs des Untersuchungszeitraums hinzukommen, zeigt die innerhalb des Consejo de Castilla 1648 aus Anlaß des Theaterverbots geführte Kontroverse. 59 Die lici/wrf-Diskussion dreht sich im wesentlichen um folgende Pro-Argumente: - Die comedia diene der Unterhaltung und Entspannung, als Kontrast zu Arbeit und Anspannung. - Die comedias seien nicht deshalb „ilícitas", weil hin und wieder „excesos" 60 zu beobachten seien. - Comedias habe es schon immer gegeben, und dieser Brauch müsse folglich bewahrt werden. - Aus den comedias ließen sich Nutzanwendungen ziehen, für die Müßigen seien sie nützlicher Zeitvertreib, außerdem regten sie dazu an, die szenisch vorgeführten guten Beispiele im täglichen Leben umzusetzen. In diesem Sinne komme die comedia der Predigt in der Kirche gleich. - Theaterspiel sei für eine gebührende Feier des Fronleichnamsfestes unabdingbar. - Über den Theaterbetrieb würden die städtischen Krankenhäuser, unterhalten. - Auch in den entremeses fanden sich, wie in den comedias, gute Beispiele. Sie seien nicht „desmedidos", sondern lediglich „graciosos". - Gegen den Auftritt von weiblichen Darstellern in Männerkleidung sei nichts einzuwenden, solange dies mit „moderación" geschehe. Bei der Durchsicht der von Fray José jeweils vorgebrachten gegnerischen Argumente fallt auf, in welchem Maße er versucht, die Schuld an Mißständen und überhaupt an üblen Begleiterscheinungen des Theaters den Schauspielern anzulasten. Bemerkenswert ist dabei, daß in den wenigsten Fällen konkrete Vorwürfe gegen die Darsteller erhoben werden. Die Anschuldigungen erschöpfen sich meist in der pauschalen Feststellung, die 145

comediantes seien „gente holgazana y viciosa". Ihre Tätigkeit wird entsprechend charakterisiert: „(...) más parece que se ensayan para enseñar á cometer vicios que se ejercitan en actos de virtudes." 61 Bei der Erörterung der entremeses62, von den Theatergegnern wie Fray José offensichtlich als besonders gefahrliche Quelle des Ärgernisses angesehen, wird denn auch ausgeführt, worin die „vicios" bestehen: Es würden hauptsächlich „latrocinios" und „adulterios" vorgeführt; die Schauspieler umarmten in der Öffentlichkeit fremde Frauen. Ohne bestimmte Beispiele anzuführen, wird ferner behauptet, die „adulterios fingidos" würden von den Schauspielern als „verdaderos" dargeboten. Dies freilich ist ein sehr deutlicher Hinweis darauf, daß die Gegner des Theaters in keiner Weise bereit zu sein schienen, Alltagsrealität und Bühnengeschehen voneinander zu trennen. Sie vermischten vielmehr beides wissentlich, um ihre Argumentation stichhaltiger zu gestalten. Ein weiterer Vorwurf, mit dem vor allem den Schauspielern Schuld an der „ilicitud" des Theaters angelastet werden sollte, besteht in der Feststellung, die comediantes hielten sich nicht an gesellschaftliche Normen. So heißt es in dem Abschnitt, in dem sich der Ordensgeistliche mit der Unterhaltungsfunktion des Theaters auseinandersetzt, die Schauspieler seien „truhanes y chocarreros para gozar de vida libre y ancha" 63 . Die Bezeichnung „truhán" wird außerdem zu einem Vergleich mit den Spaßmachern von Privatpersonen herangezogen: Während diese nur mit einem kleinen Personenkreis in Berührung kämen, böten die Schauspieler als „truhanes públicos" einem sehr viel größeren Publikum ein schlechtes Beispiel.64 Der Verstoß gegen Normen wird den Schauspielern auch in Bezug auf ihre Kleidung vorgeworfen, und zwar sowohl als Mißachtung der „weltlichen", von der Gesellschaft festgelegten Kleiderordnung (die „ley civil" wird ausdrücklich erwähnt 65 ) als auch der gottgewollten, in der Bibel niedergelegten Ordnung. Angeprangert werden dabei ganz allgemein „excesos" in der Kleidung männlicher wie weiblicher Darsteller. Dazu unterbreitet Fray José einen merkwürdigen Vorschlag: Man solle die „excesos" auf der Bühne ausschließlich den rameras und comediantes erlauben, dann würden ehrenwerte Leute Kleidung und Gebräuche dieser „gente tan infame y deshonesta" von sich aus verabscheuen. 66 Mit der Vorhaltung, Schauspieler würden mit ihrer Praxis, die Kleidung des jeweils anderen Geschlechts (insbesondere die Frauen männliche Kleidungsstücke) tragen, zielt der geistliche Theatergegner darauf, die Schauspieler des Verstoßes gegen die gottgewollte Geschlechterordnung zu zeihen. Zu diesem Zweck zitiert er das Deuteronomium: „No se vista la mujer vestido de hombre, ni el hombre vestidura de mujer, porque lo uno y lo otro es abominable cerca de Dios." 67 Das Problem der Frau in Männerkleidern nimmt im gesamten Untersuchungszeitraum eine vorrangige Stellung in der //c/tarf-Diskussion ein. 68 Die Villa wiederum gründet ihre Pro-Argumentation nachdrücklich auf zwei andere Fakten: die finanzielle Unterstützung der Hospitäler durch Einnahmen aus dem Theaterbetrieb und die Bedeutung der Aufführung von autos sacramentales zum Fronleichnamsfest durch Berufsschauspieler146

Truppen. Die Mildtätigkeit zugunsten der Krankenhäuser war, wie bereits ausführlich am Beginn dieser Arbeit dargelegt, einer der entscheidendsten Faktoren dafür, daß sich das Theaterwesen in den städtischen Corrales überhaupt entfalten konnte. Es verwundert deshalb nicht, wenn dies auch jetzt wieder von der Villa ins Feld geführt wird. Aufschlußreich ist jedoch, daß diese Argumentation nicht mit dem Hinweis darauf gestützt wird, die Subventionierung der hospitales über Theatereinnahmen sei für die Besucher ein Akt der Nächstenliebe, mit dem die Auswüchse des Theaterlebens, denen sich das Publikum aussetzt, gewissermaßen „gebüßt" werden können. Die Begründung Madrids ist vielmehr eher abrechnungstechnischer Art: Die Hospitäler hätten viel Geld investiert, um die Theater als ihre Einnahmequelle gebührend auszustatten, und nun müßten sie auch das Recht haben, die entsprechenden Einkünfte zu kassieren: „(sc. los hospitales) han hecho teatros costosos para esto por la gran limosna que sacan (,..)." 69 Fray José setzt dagegen eine ganz auf die moralische Seite gegründete Argumentation. Das Theater sei kein Ort, an dem man die Befreiung von Sünden erlangen könne, es sei vielmehr „lazo y enredo para cometer otros (sc. pecados) de nuevo" 70 . Es handle sich bei den Abgaben auch gar nicht um eine limosna; der Theatergegner erinnert vielmehr daran, daß die für die Krankenhäuser bestimmten Einnahmen ursprünglich als pena für die Schauspieler und ihr lasterhaftes Tun gedacht gewesen seien. Bezeichnenderweise überträgt er denn auch ein Adjektiv, mit dem er immer wieder die Schauspieler kennzeichnet, auf die Abgabe: Er nennt sie „tributo tan infame" 71 . Während die Hospitäler nach dem Grundsatz pecunia non olet vorgingen und das Geld nahmen, wie immer es zu bekommen war, weist der Geistliche ausdrücklich auf die vorgebliche Verderbtheit des Theaters hin. Er spart dabei nicht mit drastischen Vergleichen: „burdel de la vergüenza pública y escuela de la torpeza; (...) sagrario de Venus y consistorio de deshonestidad; (...) cátedra de pestilencia y fuente de todos los malos" 72 . Fray Josés Begründung, weshalb die Hospitäler aus diesem Sündenpfuhl kein Geld nehmen dürften, gipfelt in der Feststellung, daß die Theater im übrigen dazu dienten, daß sich „hombres infames" und „mugercillas perdidas", eben die Schauspieler, daran bereicherten. 73 Konsequenterweise fallt sein Plädoyer folgendermaßen aus: Wenn sich nicht andere Wege zur Finanzierung der Hospitäler finden lassen, „seria menos inconveniente deshacer los hospitales que sustentarlos con dinero de pecados" 74 . Die Villa nahm hier verständlicherweise eine sehr viel pragmatischere Haltung ein, ebenso wie bei dem Streitpunkt über die Theateraufführungen zum Corpus-Fest. Hierbei zielt Fray José geradewegs auf die Funktion des Schauspielers. Um die autos sacramentales würdig aufzuführen, bedürfe es als Darsteller der Engel („ángeles se habrían traer del cielo si esto fuera posible para que se celebrara con decencia" 75 ). Stattdessen aber wirke „la gente más viciosa, más infame y más abominable que hay en toda la república" 76 mit. Weiterhin bezeichnet der Theatergegner die Schauspieler im Hinblick auf die aw/o-Aufführungen als „unos hombres lascivos y unas mugeres deshonestas que son el escándalo del mundo y la escoria de la tierra" 77 . Fray José holt nun zum entscheidenden Schlag aus, indem er die Schauspieler als im bi147

blisch-religiösen Sinn unrein bezeichnet und ihnen folglich die Berechtigung abspricht, das Ritual der Corpus-Feierlichkeiten mitzugestalten: ¿cómo le (sc. Dios) será agradable que en la fiesta mayor de los sacrificios que contiene, no carne y sangre de animales, sino la purísima carne y sangre del mismo Dios, concurran á celebrarla personas tan impuras y manchadas como son de ordinario los comediantes? 78

Fray José nimmt dabei ganz deutlich Bezug auf die Tieropfer des Alten Testaments, bei denen nichts Unreines habe im Spiel sein dürfen. Bezeichnenderweise hebt der Geistliche vor allem aber unterschwellig auf die auch in der Bibel immer wieder anklingende Unreinheit der Frau ab, wenn er nicht nur betont, daß eine Frau, die zur unreinen Kaste der Schauspieler gehöre, sowohl die „torpezas de Venus" als auch die „pureza de la soberana Virgen" darstellen solle. Mit dieser Beobachtung deckt Fray José unverblümt den offenkundigen Widerspruch zwischen dem Lebenswandel der Schauspieler und den von ihnen verkörperten Bühnenfiguren, aber auch aus seiner Sicht bestehende Unterschiede in der Moralität bestimmter Bühnenrollen (Venus - Virgen) auf. Dafür, daß gerade ihm eine solche Diskrepanz so klar auffallt, gibt es eine einleuchtende Erklärung: Fray José argumentiert von einer rein theoretischen Warte aus und hat sich, wenn überhaupt, nur sehr selten dem direkten Erlebnis einer Theateraufführung ausgesetzt. Somit ist ihm auch gar nicht der Prozeß einer Identifizierung mit den auf der Bühne agierenden Personen geläufig. Seine Haltung läßt sich aufgrund mehrerer Indizien in seinem Traktat recht klar umreißen: - Die Vorwürfe gegen die Schauspieler sind pauschal und nicht mit konkreten Vorwürfen belegt, folglich kaum etwas anderes als Vorurteile. - Die Argumente, die Fray José vorbringt, gründen nicht auf eigenen Erlebnissen, sondern auf theoretischen Schriften der Bibel, der Kirchenväter und anderer meist kirchlicher Autoritäten (Papst). - Er gibt selbst in Fällen, in denen menschliche Not vor moralischen Erwägungen den Vorrang haben sollte (was von öffentlichen Stellen wie der Villa praktiziert wird), seinen moralischen Prinzipien absolute Priorität. Fray José ist mit seiner platonischen Beziehung zur Bühne allerdings kein Einzelfall unter den Gegnern. Die Ausfälle des Padre Mariana gegen das Theater, die ungefähr zur gleichen Zeit publik werden, sind sogar laut eigenem Zeugnis ihres Verfassers rein theoretische Diskussionsbeiträge. Denn Padre Mariana bekennt voller Stolz, daß er nie einen solch verrufenen Ort wie ein Theater betreten habe: Nunca me he hallado en semejantes juegos ni farsas, ni tengo por decente que los sacerdotes y frailes, por oir estas fábulas, infamen el orden eclesiástico; pero oído he representarse y cantarse tales cosas que ni yo sin vergüenza las podría escribir ni los otros oir sin enfado y pesadumbre.7*

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Aus diesem Bekenntnis spricht, wie schon bei Fray José, aber noch nachdrücklicher, ein grundsätzliches Vorurteil gegen das Theaterwesen. Entscheidend ist jedoch, daß solcherlei Angriffe weitgehend isoliert bleiben und bei den offiziellen Kommissionen auf taube Ohren stoßen. Consejo de Castilla und Villa lassen sich die Gelegenheit zur Prachtentfaltung und Demonstration des Glaubens, auch mit den attraktiven Mitteln des Theaters, nicht nehmen. Die Attacken der Gegner richten sich deshalb nicht zuletzt auch gegen ebendiese offiziellen Gremien: „(...) se autorizan estos pestilenciales juegos y representaciones en las repúblicas con la pública permisión de los ministros eclesiásticos en la solemnidad de semejantes días." 8 0 Mit diesen Worten schließt Fray José seine Tirade wider die Mitwirkung der Schauspieler bei den Corpus-Feiern. Die pragmatische Haltung der Villa demgegenüber zeigt sich in ihrer moderaten Meinung zu vorgeblichen „Exzessen": De aqui nace, que no deban quitarse las comedias, porque haya habido en ellas algún exceso que con más facilidad puede quitarse; pues como no se debe quitar la vida al cuerpo porque esté enfermo, sino curarle; tampoco parece que si algún exceso hay en las comedias, se repare con quitarlas sino con quitarle (...)."

Dies schreibt die Stadt in einer Eingabe an den König, der damit ersucht wird, das Verbot von 1598 aufzuheben. Des weiteren wird deutlich, in welchem Maße Madrid Wert auf die Prachtentfaltung, nicht zuletzt bei den Kostümen, legte: „V.M. se deberá permitir á estos representantes así porque sus actos son festivos, y así debe ser el hábito (...)." Schließlich setzt die Villa zu einer generellen Rehabilitation der Schauspieler an, die im Gegensatz zu den pauschalen Angriffen der Gegner bemerkenswert differenziert ausfallt: Tampoco es buen fundamento para quitar la comedia el decirse que por ella andan más de cien hombres en estos reinos ociosos, pues porque no hubiera más se pudiera dar mucho, especialmente que estos ocupados andan y no pueden igualmente todos estar ocupados en grandes ministerios, que ni Dios hizo á todos profetas, ni á todos doctores. Y en efecto la gente que se ocupa en esto para reinos tan grandes es tan poca, que a nadie hacen falta, y de verdad que ellos hacen más en ello que la república en ampararlos, y es sin duda haber entre ellos gente de buena razón y entendimiento y costumbres, y que si bien perdieron de derecho alguna reputación, conservan de hecho la de la cortesía, modestia y templanza y otras virtudes; son casados, y los que viven mal, demás de que hacen lo que ven hacer á los que no son repesentantes, es cierto que también lo hicieran sin serlo. 82

Anders als die Gegner negiert die Villa also wechselseitige Einflüsse zwischen Privatleben der Schauspieler und Bühnengeschehen mit Hinweis auf eine Art Prädetermination des Menschen: Wer ohnehin schlecht ist, wird dazu nicht erst durch das Theaterspiel. Eine solche Einstellung kann die Villa guten Gewissens vertreten, weil sie ihrer Auffassung nach den Aufführungsbetrieb unter Kontrolle hat: Die Schauspieler hätten keine Möglichkeit, auf der Bühne irgendwelche Texte nach ihrem eigenen Gutdünken wiederzugeben, sie müßten vielmehr die Textvorlagen ausgewiesener Dichter darbieten, die wiederum strenger Zensur-Überwachung unterliegen: 149

(...) pues el estilo que hay en estos reinos muy guardado es que la comedia sea en verso, y como por este camino se le quita al representante el albedrío de decir lo que quiere, y sólo ha de decir lo que compuso el poeta, no se incurre en el temor que hubiera si pudiera decir lo que quisiera el representante deshonesto y descompuesto; y así en cuanto á la comedia no hay cosa que desechar por esta vía, pues de ordinario la composición de ella nace de buenos ingenios y pasa por enmienda de personas graves antes que se publique, y la experiencia ha mostrado que pocas veces se ha visto en la comedia cosa desmedida, ni deshonesta ni dañosa. 83

Unter diesem Aspekt erweist sich die für das spanische Theater des Siglo de Oro typische strikte Trennung zwischen Verfassern der Stücke und Aufführenden als vorteilhaft. Die Autorität, die die Dichter genossen, wirkte wie ein Schutzschild gegenüber den Angriffen: Wenn die comedias von solchen integren Persönlichkeiten stammen, können sie durch die szenische Darbietung nicht sehr viel schlechter werden. Zumindest jedoch ist für die Schauspieler durch die Textvorgabe der Freiraum stark eingeengt. Andererseits hat die Villa noch eine Autorität über sich, die sie anrufen kann, wenn tatsächlich „Exzesse" auftreten, vor allem bei den géneros menores, die nicht so streng wie die Stücke via Vorzensur zu kontrollieren sind: Lo que más puede notarse y cercenarse en las comedias es los bailes, músicas deshonestas, asi de mugeres como de hombres, que de esto esta villa se confiesa por escandalizada y suplica á V.M. mande que haya orden y riguroso freno para que ni hombre ni muger baile ni dance sino los bailes y danzas antiguos y permitidos y que provocan sólo á gallardía y no a lascivia, y lo mismo en lo de las músicas, que siendo de canciones virtuosas y morales, y aunque sean de conceptos amorosos, discretos y modestos son loables, y de otra manera perniciosos, pues cierto, cercenando esto, queda con perfección toda esta obra. 84

Die gesamte licitud-Debatte konzentriert sich auf das Volkstheater in den Corrales und auf die awío-Aufführungen zum Fronleichnamsfest. Das Theater an der Corte bleibt ausgeklammert; es wird allerdings indirekt mit der Diskussion über comedias berührt. Offensichtlich wird jedoch nie grundsätzlich die Aufführung von Theaterstücken am Hof in Abrede gestellt. Grund dafür mag Respekt gegenüber dem Herrscher gewesen sein, der ja auch als letzte Instanz in Streitfallen der Kontrolle über den Theaterbetrieb angerufen wird, wie an dem soeben zitierten Beispiel zu sehen war. Auf diese Weise trug der Theaterbetrieb am Hof dazu bei, daß die Aufführungen an den übrigen Spielstätten - von den Verbotsphasen abgesehen, die alle Sparten betrafen - ungehindert stattfinden konnten. Was an der Core erlaubt war, konnte nicht so schädlich sein, daß es nicht auch auf den öffentlichen Bühnen geboten werden konnte. Weder der Villa noch dem Königshof und letztlich auch nicht der Kirche konnte daran gelegen sein, auf die Stimmen der Eiferer zu hören, die ein generelles Theaterverbot verlangten. Jede der drei Institutionen zog aiif ihre Weise Nutzen aus dem Theaterbetrieb, wobei die Möglichkeit zur Prachtentfaltung, besonders beim Corpus- und Corte-Theater, eine nicht zu unterschätzende Triebfeder war: Der Unterhalt der städtischen Hospitäler durch Gelder aus Theatereinnahmen; die Verkündigung kirchicher

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Doktrinen mit Hilfe der autos sacramentales und anderer Stücke religiösen Inhalts; die Ergänzung des höfischen Zeremoniells durch Theaterdarbietungen - dies alles ist für die jeweilige Sparte nur ein typischer Aspekt, der es den Verantwortlichen schwer machen mußte, auf das Theater zu verzichten. Dem Schauspieler verschaffte dieses von höchst offizieller Seite genährte Bedürfnis nach Theater den Spielraum, mit dem er seine privilegierte Position als Gestalter des Aufführungsrituals ausbauen und festigen konnte. 4.2.1 Die doppelte Moral: Eheleben der Schauspieler Die Bedingung, daß weibliche Darsteller im Alter von über zwölf Jahren 8 5 verheiratet sein mußten, um im Theater auftreten zu dürfen, war von staatlicher Seite ganz offensichtlich mit der Absicht verknüpft, die Schauspieler im Hinblick auf ihr moralisches Verhalten zu kontrollieren. Ob dies in der angestrebten Rigorosität tatsächlich gelang, kann bezweifelt werden. In gewissem Maß traf sicher zu, was Deleito y Piñuela über diese Schauspielerehen feststellt: „Muchos de aquellos matrimonios de actores habían sido hechos, más que por amor, por conveniencia profesional (...)." 86 Das wird verständlich, wenn man bedenkt, wie oft berufliche und wirtschaftliche Gründe und nicht die persönliche Zuneigung in der Epoche Heiraten bestimmten, vor allem im Adel. Die Frage, ob Promiskuität und Ehebruch unter Schauspielern häufiger waren als in anderen Bevölkerungsgruppen, die Schauspieler von daher ihren Ruf als „gente infame" rechtfertigen mochten, läßt sich pauschal nicht beantworten. Contribuía a la disipación la promiscuidad en que vivian frecuentemente los faranduleros de ambos sexos, ya en sus correrías por ventas y caminos, para llevar de una a otra población su bohemia artística errante, ya en forzosos albergues comunes del teatro mismo en que actuaban (...).*7

Deleito y Piñuelas Feststellung gibt den Hinweis darauf, daß jedenfalls die Schauspieler auch in dieser Hinsicht „privilegiert" waren: Sie hatten zumindest die Gelegenheit, ein sexuell freizügiges Leben zu führen. Das war ansonsten fast ausschließlich dem Adel vorbehalten: El concepto y la responsabilidad para tos actos del libertinaje, variaban en España radicalmente conforme a las categorías de la sociedad, como si la moral del catolicismo, tan externamente exaltado por los españoles, no fuese igual para los altos y los bajos. La licencia sexual era mayor en las clases elevadas (...). El Monarca, los infantes y el favorito podían tener hijos bastardos, y aun reconocerlos, y el desenfreno sexual de Felipe IV no conocía límites (...); pero el buen pueblo español era indulgente con las debilidades de señores y poderosos."

All dies war die Folge einer doppelten - man ist versucht zu sagen: einer dreifachen - Moral. Es wurden sehr strenge moralische Normen aufgestellt, die dem Anschein nach beachtet, in Wirklichkeit aber nach eigenem Gutdünken verletzt wurden: „Malgré la sévérité légale et ecclésiastique des 151

lois conjugales l'amour libre est cultivé plus ou moins ouvertement un peu partout." 89 Dies galt freilich nur für diejenigen, die sich das auch leisten konnten. In diesem Sittenbild einer nach außen intakten, im Inneren von Auflösungserscheinungen gekennzeichneten Gesellschaft kamen den Schauspielern ähnliche „Vorrechte" wie dem Adel und dem Klerus zu: Wenn es selbst nicht ungewöhnlich war, daß ein hochgestellter kirchlicher Würdenträger wie der Cardenal-Infante Don Fernando Liebesbeziehungen zu einer Frau unterhielt 90 , warum sollten dann ausgerechnet die Schauspieler ein heiligmäßiges Leben führen? Notorisch sind die Liebesbeziehungen Lope de Vegas - ebenfalls eines Geistlichen - zu Schauspielerinnen, etwa zu seiner Micaela de Luján, die er in seinen Gedichten als Camila Luzinda feiert 91 , oder Philipps IV. zu Maria Calderón 92 . Daß zumindest ein Teil der Schauspieler sein sittliches Verhalten nach dem Prinzip der doppelten Moral ausgerichtet hat, wurde dem Berufsstand wohl aufgrund seiner Ausnahmestellung nachgesehen. Da aber die Norm zumindest formell dadurch erfüllt wurde, daß in den Truppenlisten die Ehepartner angegeben waren 93 , und da die Einhaltung sittlicher Prinzipien letztlich nicht nachprüfbar war, mußten gerade in diesem Punkt die Vorhaltungen der Theatergegner so allgemein ausfallen, wie dies im vorangegangenen Abschnitt beschrieben wurde. Inwieweit der Anschein intakten Ehelebens der Schauspieler der Realität entsprach, läßt sich nicht nachweisen. Dennoch erlauben einzelne erhaltene Dokumente, die schon wegen ihres offiziellen Charakters nur die formelle Seite zeigen, gelegentlich einen Blick in das Privatleben der comediantes, etwa wenn Eugenia Luisa de Acuña y Velasco, Frau des Schauspielers Maximiliano Eustaquio de Morales, über ihren Gatten feststellt „que está ausente y no hace vida maridable conmigo" 94 . Werden Seitensprünge zugegeben, wird treuherzig versichert, daß alles seine rechte Bewandtnis habe: In seinem Testament vermerkt Antonio López Sustaete, daß sein Sohn Luis Antonio, „que le hubo fuera de matrimonio con muxer soltera, limpia y honrada doncella" 95 in der Kirche von San Sebastián getauft worden sei. Mehrfachheirat vor allem bei Frauen war im Untersuchungszeitraum nichts Ungewöhnliches. Es handelte sich dabei jedoch grundsätzlich um verwitwete Schauspieler und Schauspielerinnen, die nach dem Tod des Gatten wiederum eine eheliche Verbindung eingingen (bei den Frauen schon deshalb, um wieder rechtmäßig spielen zu dürfen). Die Häufigkeit der Mehrfachheiraten 96 hat zweifelsohne ihren Grund in der seinerzeit geringeren Lebenserwartung und der höheren Sterblichkeitsrate. Es überrascht, daß trotz der eindeutigen Bestimmung, wonach Frauen nur dann in einer Truppe als Schauspielerinnen tätig sein durften, wenn sie verheiratet waren, neben den viudas in den Listen in nicht geringer Zahl weibliche Truppenmitglieder geführt werden, die ausdrücklich als selleras gekennzeichnet sind, wie etwa Isabel Maria in der Truppe von Juan Rodríguez Antriago 163997 und bei Antonio de Rueda 98 . Denkbar is:, daß in diesen Fällen schauspielerische Qualitäten über moralische Bedinken 152

gestellt wurden. Ein Hinweis darauf im genannten Fall mag sein, daß es in der Übereinkunft mit Rueda heißt, sie habe primeras und segundas damas „y no menos" zu spielen. Daß Schauspielerehen nicht immer friedfertig verliefen, geht verschiedentlich aus Schriftstücken hervor. Es sind dies jedoch meist legendenhafte Geschichten, deren Wahrheitsgehalt nur schwer überprüfbar ist. So soll etwa Bárbara Coronel ihren Ehemann mit Hilfe ihres Geliebten, eines apuntador, umgebracht haben. Nur die Intervention ihres berühmten Onkels Cosme Pérez (Juan Rana) habe sie vor der Todesstrafe b e w a h r t . " Eine reichlich verworrene Geschichte rankt sich um Eufrasia Maria de Reina. 1 0 0 Luis López Sustaete, der uneheliche Sohn von Antonio López Sustaete, war zwar offensichtlich gewillt, eine ordnungsgemäße Ehe zu führen. Ihm machte aber seine Frau, Jacinta de Herbias, einen Strich durch die Rechnung. In seinem Testament beklagt er sich darüber, daß ihm seine Gattin weggelaufen sei: Item declaro q u e yo fui c a s a d o con D o ñ a Jacinta d e Herbias de segundo matrimonio. y en el discurso de ocho meses q u e estuvo conmigo, p o c o mas ó poco menos tiempo despues dellos, se ausentó d e mi poder y todos sus bienes dótales se los llevó, ausentándose de su autoridad d e j á n d o m e solo; y a u n q u e con t o d o a m o r y voluntad solicité volviese á hacer vida maridable, n o pareció y con sus bienes todos q u a n t o s truxo al m a t r i m o n i o se los llevó y se volvió á Madrid desde G r a n a d a , de d o n d e se habia ido; y de allí á q u a t r o meses p o r ruego y a instancia de algunos amigos nos a j u s t a m o s y volvió al m a t r i m o n i o á la ciudad de Sevilla, d o n d e estuvimos ocho meses, poco m a s ó menos, j u n t o s , y estando alli, se volvió á ir contra mi voluntad y sin mi consentimiento, ni ser sabidor, y se levó sus propios bienes dótales y vestidos, y demás dello q u a r e n t a doblones d e á o c h o de o r o . mios, y m a s arracadas d e o r o y perlas que valían trecientos reales de plata; y mas la envié ducientos d u c a d o s de vellón á Madrid para q u e se desempeñase y fuese á Sevilla, y m a s me sacó de mi aposento una colgadura de rasos listados que valia d o s mil reales; y m a s le envié ochenta reales de á o c h o d e plata, q u e debia á una portuguesa; t o d o esto para q u e se desempeñase y pudiese ir sin deudas á Sevilla. Y despues de t o d o este beneficio se ausentó segunda vez y se escondió haciéndome gastar m u c h o s d u c a d o s en diligencias para buscarla. 1 0 1

Diese Art der Eheführung gehörte wohl kaum zu den normalen Umgangsformen unter Schauspielern, es waren Randerscheinungen. Ehepartnerwechsel war außer nach dem Tod eines Gatten nur durch kirchliche Eheauflösung möglich. Eines der wenigen Beispiele dafür ist das Ehepaar María de Salas und Miguel Bermúdez. 102 Die Ehe hatte für die Schauspieler eine wichtige Schutzfunktion, selbst wenn man annimmt, daß sie tatsächlich oft nur aus formalistischen Gründen vollzogen wurde und in Wirklichkeit relativ freie persönliche Verbindungen zwischen Schauspielern und Schauspielerinnen eingegangen wurden. Abgesehen davon, daß das Heiratsgebot für Frauen erst die goldene Brükke bildete, die ihnen den Zugang zur Bühne sicherte, wäre es kaum denkbar, daß das Schauspielerwesen, das aus einer sozialen Randposition herauswuchs, ohne den gesetzlichen Schutz die vergleichsweise respektierliche gesellschaftliche Anerkennung gefunden hätte, die ihm zuteil wurde, wie dies im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch darzustellen ist. Schließlich muß daran erinnert werden, daß gerade die Heiratsklausel die Familienbildung innerhalb des Berufsstandes sehr stark förderte, daß damit der Nachwuchs in 153

zunehmendem Maß und zuletzt nahezu ausschließlich aus den eigenen Reihen kam, so daß die Entstehung einer in sich weitgehend geschlossenen gesellschaftlichen Gruppierung beschleunigt wurde. Neben diesen Folgen für die Entwicklung des Schauspielerwesens brachte die Zulassung der Frau zum Theaterbetrieb des Siglo de Oro eine nicht unerhebliche Steigerung der Attraktivität der Aufführungen mit sich, nicht zuletzt wegen des erotischen Reizes. Die Tragweite der Entscheidung, weibliche Darsteller zuzulassen, kann aus den genannten Gründen gar nicht überschätzt werden. Es ist deshalb gerechtfertigt, die Rolle der Frau auf der Bühne der Epoche näher zu analysieren. Dies soll im folgenden Abschnitt versucht werden. 4.2.2 Mujer varonil und santa anacoreta: Die Frau auf der Bühne des Siglo de Oro Bereits vor Beginn des dieser Arbeit zugrundeliegenden Untersuchungszeitraums war die Kontroverse, ob Frauen auf der Bühne überhaupt auftreten dürfen, ausgestanden und ein für allemal zugunsten der Frau entschieden. Damit war Spanien außer Italien das einzige Land, in dem zu einem so frühen Zeitpunkt die Mitwirkung weiblicher Schauspieler bei Theateraufführungen erlaubt war: En Francia no aparecieron en escena las mujeres hasta la segunda decena del siglo XVII. Marie Venier, demoiselle Laporte, fue una de las primeras actrices francesas (1616). En Inglaterra no se permitió representar a las mujeres hasta después de la restauración (1660), mientras que en Alemania en 1717 aún no se permitía a las mujeres salir a escena. 1 0 3

In den allerersten Anfangen des spanischen Theaterbetriebs hatten Kinder die Frauenrollen übernommen. Daran erinnert Agustín de Rojas in seinem Viaje entretenido: „Porque entonces no lo eran / sino niños ( . . . ) " ' h e i ß t es in seiner loa, in der er die Frühgeschichte des Theaters beschreibt. Diese Lösung wurde zwar als moralisch vertretbar, dennoch als unbefriedigend empfunden: „aunque esto de representar muchachos, vestidos de muger, de buen parecer, y acicalados, lo tenian algunos por de mayor inconveniente" 1 0 5 . Es bedurfte schließlich eines Anstoßes von außen, um eine endgültige Regelung herbeizuführen. Die italienische Truppe Los Confidentes (IConßdenti), für die es offensichtlich eine Selbstverständlichkeit war, in ihren Aufführungen - verheiratete (!) - Frauen auftreten zu lassen, sahen sich bei ihrem Gastspiel in Madrid 1587 mit einem generellen Auftrittsverbot für Frauen konfrontiert: (...) mandaron se notifique a todas las personas que tienen compañías de representaciones no traigan en ellas para representar ningún personaje muger ninguna, so pena de cinco años de destierro del reyno y de cada cient mil maravedís para la camara de Su Magestad. 1 0 4

Gegen diese Bestimmung, die ihren Auftritt in Madrid in Gefahr brachte, liefen die Conßdenti Sturm: 154

La compañía de los Confidentes italianos representantes, dicen que para que con mayor voluntad puedan servir á v. al.a y que las comedias que traen para representar no se podrán hacer sin que las mugeres que en su compañian (sie) traen las representen, y por que de más de que en tener esta licencia no se recibe daño de nadie ante mucho aumento de limosna para los pobres, suplica á v. al.a se les haga merced de les dar licencia para que representen las mugeres que en ello recibirán gran merced. 107

Die italienische Truppe hatte den Hebel genau an der richtigen Stelle angesetzt: am Benefiz-Charakter der TheateraufTührungen zugunsten der städtischen Hospitäler. Allen moralischen Bedenken dem Auftreten der Frauen gegenüber zum Trotz konnten die offiziellen Stellen den Verlust der Almosen, den ein Auftrittsverbot mit sich gebracht hätte, kaum verantworten. Die Demarche hatte Erfolg, die Bresche, die einmal geschlagen war, eröffnete auch den einheimischen spanischen Truppen die Möglichkeit, Frauen spielen zu lassen: „(...) dixo que este testigo ha oido decir por público y notorio, que los señores del Consejo de su Magestad han dado licencia para que representen mugeres publicamente (...)" 108 , lautet ein - allerdings indirektes - Zeugnis für die Zulassung der Frau zum Aufführungsbetrieb vom 23. November 1587. Diese Erlaubnis wurde jedoch an einige Bedingungen gebunden: Die Frauen mußten verheiratet sein und ihre Ehemänner in der Nähe haben, sie mußten ausschließlich weibliche Kleidung tragen. Dementsprechend hatte sich ein alcalde versichert, daß diese Auflagen von der italienischen Truppe erfüllt wurden: „Dase licencia para que pueda representar Angela Salomona y Angela Martineli, las cuales consta por certificación del señor Alcalde Bravo ser mugeres casadas y traer consigo sus maridos, conque ansí mismo no puedan representar sino en hábito y vestido de muger y no de hombre". Gleichzeitig wurde mit sofortiger Wirkung untersagt, daß Kinder in Frauenkleidern mitspielen: „y con que de aquí adelante tampoco pueda representar ningún muchacho vestido como muger." 109 Knapp zehn Jahre später wurde offensichtlich noch einmal versucht, das Auftreten von Frauen auf der Bühne grundsätzlich zu verbieten. Das geht aus einem Dekret des Consejo de Castilla vom 5. September 1596 hervor: En el Consejo se tiene noticia que en las comedias y representaciones que se recitan en esa ciudad salen mujeres a representar, de que se siguen muchos inconvenientes. Tendréis cuidado de que mujeres no representen en las dichas comedias, poniéndoles las penas que os pareciere, apercibiéndoles que, haciendo lo contrario, se executará en ellos. 110

Dieser Erlaß kann nur so verstanden werden, daß hinsichtlich der Mitwirkung von Frauen im Theaterbetrieb eine gewisse Unsicherheit bestand, daß der Consejo die Genehmigung, die er der italienischen Truppe erteilt hatte, zunächst wohl als Ausnahmeregelung ansah. Unterdessen scheint in der Aufführungspraxis die Beteiligung von Frauen allgemein üblich geworden zu sein, wie etwa aus dem Vertrag hervorgeht, den der autor Gaspar de Porres mit dem Musiker Pedro de Ocaña und dessen Frau Agustina de Vega am 27. März 1593 abschloß." 1 Ein weiteres Beispiel: Am 5. 155

März 1595 verpflichteten die autores Alonso de Cisneros und Melchor de Villalba den Schauspieler Jusepe González und dessen Gattin Luisa Bezón. 112 Die unklare Lage war spätestens mit der Veröffentlichung der Reglamentos de teatros von 1608 beendet, in denen die autores aufgefordert wurden, dem Consejo mitzuteilen, welches Truppenmitglied verheiratet ist; außerdem wurde festgelegt, „que no salga ninguna muger a baylar, ni representar en habito de hombre" 1 1 3 . Bis auf das Tanzverbot für Frauen, das kaum aufrechtzuerhalten war, finden sich ähnliche Bestimmungen bezüglich weiblicher Darsteller auch in den Reglamentos von 1615 und 1641 114 . Sie blieben für den gesamten Untersuchungszeitraum gültig. Trotz des vehementen Impulses, den das Begehren der italienischen Confidenti dem Zugang der Frau zum Schauspielerberuf verlieh, war die engültige Zulassung der weiblichen Darsteller doch ein eher langsam ablaufender Prozeß. Wie so oft, wurde durch die Reglamentos nur ein längst geschaffener Zustand im nachhinein bestätigt. Es ist ein auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinendes Phänomen des spanischen Theaters im 17. Jahrhundert, daß in einem Land, in dem strenge sittliche Normen galten, weibliche Darsteller auf der Bühne nicht nur geduldet wurden - und zwar in allen drei Sparten, im Volkstheater ebenso wie an der Corte und im religiösen Corpus-Theater - , sondern zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Aufführungen wurden: (...) lo cierto es que la actriz fue una constante habitual que caracterizó la escena española, y pienso que en gran medida fue responsable del éxito masivo de la comedia, pues nunca hay que olvidar el factor erótico como elemento de atracción al espectáculo (...).' 15

Dieser Vorzug fand auch durchaus seinen materiellen Niederschlag: Wie im Abschnitt über die wirtschaftliche Seite des Schauspielerberufs zu sehen war, wurden die primeras damas regelmäßig - wenn auch geringfügig - höher entlohnt als die primeros galanes. Schönheit, anmutige körperliche Erscheinung waren infolgedessen die wichtigsten Eigenschaften, die einer Schauspielerin zu Anerkennung und Bewunderung verhalfen. 1 1 6 Auch andere Reize erhöhten die Attraktivität der Frau: Ana de Andrade etwa galt als „embeleso y lisonja del oido por la dulzura de su voz" 1 1 7 . Schauspielerische Mängel konnten wohl nicht nur in Einzelfällen durch körperliche Vorzüge ausgeglichen werden. Gerónima del Rio, die aus Mallorca stammte, „hizo sextas Damas y quintas en la compañía de su marido (se. Esteban Vallespín) y en la de (se. José) Verdugo, pero nunca supo dezir vn verso ni perdió su lenguaje Mallorquín, ablando malisimamente castellano. Ya tubo lindísima cara y fue mui hermosa aunque despues se estrago y afeo mucho" 1 1 8 . Höchste Steigerung erotischer Stimulation für das Publikum war in der Epoche das Auftreten von Frauen, die das Verhalten von Männern nachahmten und deren Kleidung trugen. Geradezu ein Musterbeispiel in dieser Hinsicht scheint Bárbara Coronel gewesen zu sein:

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(...) muger casi hombre, y la amazona de las farsantas de su tiempo, que mal hallada con la debilidad de su sexo, usaba ordinariamente el trage de hombre, andando casi siempre á caballo, á quien sabia hacer mal tan bien como el mas exercitado ginete. Este carácter feroz, por decirlo asi, le ayudaba grandemente para executar con general aplauso ciertos papeles en los Teatros ( . . . ) . ' "

Das Gebaren der Bárbara Coronel verweist auf das sehr eigentümliche und im Untersuchungszeitraum verbreitete Phänomen der mujer varonil oder mujer vestida de hombre. Die als Mann verkleidete Frau als Bestandteil der Handlung zahlreicher Stücke kann als gut erforschtes, wenn auch noch nicht in allen Einzelheiten befriedigend erklärtes Problem gelten. Dazu haben vor allem die Arbeiten von Carmen Bravo-Villasante 120 und Melveena McKendrick 121 beigetragen. Während C. Bravo-Villasante eher eine Bestandsaufnahme des Phänomens besorgt, zahlreiche Werke aufführt, in denen die mujer vestida de hombre in Erscheinung tritt, eine Systematik aufzustellen und die Besonderheit aus der (Vor-)Geschichte des spanischen Theaters zu erklären versucht 122 , geht die Analyse von McKendrick tiefer. Sie möchte das Problem im Zusammenhang mit der Gesellschaft deuten, in der es gedieh: „It would be both foolish and arrogant automatically to ascribe our own sexual awareness to other societies as if such awareness were a universally static factor (...)." 123 Über den erotischen Reiz einer Schauspielerin in Männerkleidung kann es M. McKendrick zufolge keinen Zweifel geben: If she (sc. actora) strutted the stage in masculine dress her appeal was blatantly sexual. Nowhere but in the theatre could a man publicly enjoy the sight of the female leg clearly outlined from the ankle to thigh. This was enough to prompt churchman and moralists to agitate for laws forbidding the use of male clothing • by actresses, and enough to persuade legislators to pass them. 1 2 4

Eine durchaus einleuchtene Begründung gibt M. McKendrick nicht nur dafür, daß die mujer varonil die bei den Vorstellungen meist in der Überzahl anwesenden Männer entzückt, sondern ebenso bei den Frauen in der cazuela Anklang gefunden habe: „For the women theatre-goers the mujer varonil provided the pleasure of vicarious freedom and adventure." 125 Ohne Frage hat die mujer varonil auch eine wichtige dramaturgische Funktion: No hay que menospreciar la importancia del disfraz; en el teatro barroco asume un valor poético además de práctico; es. ni más ni menos, una metáfora viviente, sobre todo en Calderón. (...) al levantarse el telón el espectador sufre un choc al verla vestida de hombre, lo que indudablemente representa una ruptura de la norma (...).' 2 6

Die Frau in Männerkleidung entspricht freilich auch der Vorliebe des Barock für extreme Persönlichkeitsdarstellungen. 127 Der mujer varonil als Exponentin der sexuell vergleichsweise freizügigen Frau auf der einen Seite entspräche auf der anderen eine heiligmäßige Figur. Es ist bezeichnend, daß in den comedias der Epoche beide Extreme vorkommen, ja daß es sogar ein Stück gibt, in dem eine Frau beides verkörpert: La Baltasara von Luis Vélez de Guevara, Antonio Coello und Francisco de Rojas. Baltasara de los Reyes, 157

von Pellicer 128 Francisca Baltasara genannt, eine Schauspielerin von einigem Renomee, ist in dieser comedia zunächst die schöne, in der Darstellung von Hosenrollen geübte Frau. Sie macht schließlich die Wandlung zur „santa anacoreta" 129 durch. Das Stück, das ohne weiteres als eine comedia de santos etwa von der Art wie Lopes Lo fingido verdadero über San Ginés bezeichnet werden kann - beide Stücke weisen verblüffende Ähnlichkeiten auf - , ist durch eine unbekümmerte Durchmischung von verschiedenen Handlungsebenen 130 gekennzeichnet. Es beginnt mit einer „Theater-auf-dem-Theater"-Szene: Das Plakat für das Gastspiel einer compañía wird aufgehängt, in der die Baltasara die Attraktion darstellt. Die Erwartungen richten sich dementsprechend ganz eindeutig auf einen Auftritt der Baltasara als mujer varonil: „yo imagino / que ay lo del cauallo, y reto, / que en esto suele ser rara, / como en todo, Baltasara" 131 , sagt Miguel, der Ehemann der Schauspielerin, gleich am Anfang des Stücks. Die Erwartungen werden zunächst auch nicht enttäuscht. La Baltasara tritt - wie angekündigt „a cauallo" - zwar nicht in einer Männerrolle, aber mit unzweifelhaft männlichem Gebaren als Rosa Solimana, Frau des türkischen Sultans Saladino, vor den Toren Jerusalems auf. Doch schon bei ihrem ersten Erscheinen ist zu spüren, daß etwas mit ihr nicht stimmt: „No he venido a la Comedia / jamas con tan poco gusto, / todo me cansa, y altera" {folio 3v), stellt sie bei ihrem Auftritt fest. Und etwas später: „Perdone / el Señor Sotomayor / estos que executo errores, / que no fue mas en mi mano,/ que ando con vnas passiones / estos dias, que me traen / dándome cruel garrote / a la memoria (...)" (4v). Am Ende der ersten, von Vêlez de Guevara verfaßten jornada wird deutlich, was mit ihr geschehen ist: Sie wurde dazu bekehrt, den Eitelkeiten der Welt zu entsagen. Ein altes kastilisches Lied, das sie aus einer Burg im Orient (!) hört, ist Auslöser dafür, daß sie vollends aus der Rolle fällt: „ Veíale bien, y mira por tí, / que velando en ¿1 me perdí (...)" (6v). Miguel hat die Situation erfaßt: „Apunten a Baltasara, / que va mendigando coplas" (6v). Für den Zuschauer besteht trotz der wirren Handlung kein Zweifel daran, daß es die Schauspielerin Baltasara ist, die die Wandlung durchmacht, denn sie betont, daß sie die Rolle der Rosa Solimana nur spielt: „yo soy Rosa Solimana" (4v). Zudem wird am Ende der ersten jornada die Ausgangssituation im Theater wieder durch verschiedene Kunstgriffe hergestellt: Der vejete tritt auf einer grada auf, eine viuda spricht von der cazuela aus, schließlich beklagen Miguel, der autor der Truppe, und der Saladino-Darsteller, daß die Baltasara die Bühne verlassen habe. Es verwundert nicht, daß in den Fortsetzungen der beiden anderen Verfasser, in der zweiten und dritten jornada, La Baltasara schließlich als das vorgeführt wird, was aus ihr geworden ist: eine heiligmäßige Einsiedlerin. Dies geschieht nach dem gleichen dramaturgischen Verfahren wie in Lope de Vegas Heiligen-come^/a über San Ginés. Nachdem die Baltasara aus der Rolle gefallen ist, lebt sie nur noch in einer anderen Welt, die für sie die wahre Realität geworden ist. Selbst der nach gracioso-Manier scherzhafte Einwurf Miguels „Di, para que te has vestido / este saco de Hermitaña? / Quieres en la Compañía / hazer el papel de barba"? (8v), der auch als Hinweis auf Balta158

saras frühere Auftritte als mujer varonil angesehen werden kann, verstärkt noch die Ernsthaftigkeit, mit der die Schauspielerin ihr neues Leben als Einsiedlerin führt. Kurz darauf nennt sie klar und deutlich den Grund ihres Sinnes* und Verhaltenswandels: „Que Dios me llama" (8v). La Baltasara, die schließlich offenkundig an den durch Selbstkasteiung hervorgerufenen Wunden stirbt (eine andere Erklärung für ihren „Märtyrertod" findet sich nicht in dem Stück) 132 , wird am Ende ebenso wie San Ginés bei Lope als apariencia auf der Bühne gezeigt: „Descúbrese la Baltasara" (16). Daß sie nun in eine andere Sphäre entrückt ist, die für den Zuschauer die wahre Realitätsebene darstellen soll, ist mit der apariencia sinnfällig dargestellt. Darüber hinaus soll das Publikum das „übernatürliche" Geschehen für dás eigene Verhalten zum Beispiel nehmen: „Este es sobrenatural / prodigio que nos enseña / a viuir en este mundo."(16) 133 Die entscheidende Frage nach der Betrachtung dieses Stückes ist, weshalb die Schauspielerin Baltasara, die zunächst ganz bestimmt kein heiligmäßiges Leben geführt, sondern sogar den aus der Sicht der Moralhüter verwerflichsten Rollentyp auf der Bühne - die mujer vestida de hombre - gespielt hat, wie eine Heilige dargestellt wird. Baltasara de los Reyes war nicht der herausragende Einzelfall einer Schauspielerin, die sich an einem bestimmten Punkt ihrer Karriere von der Bühne zurückzog, um in ein Kloster zu gehen. Um nur einige weitere Beispiele zu nennen: Isabel Hernández („La Valera") 134 , Mariana Romero 1 3 5 , Maria de Riquelme 136 , Josefa Lobaco (Lobato) 137 , schließlich auch Maria Calderón 138 , die Geliebte Philipps IV. Die Tatsache, daß der Eintritt ins Kloster häufig wie etwa im Falle von Maria Riquelme und Josefa Lobaco erwiesenermaßen nach dem Tod des Ehemanns geschah, legt die Vermutung nahe, daß nicht immer religiöse Besinnung nach einem sündhaften Schauspielerleben, sondern auch wirtschaftliche Gründe den Eintritt ins Kloster nahelegten. Die Finanz-Abhängigkeit der Ehepartner wurde ja bereits in verschiedenen Zusammenhängen angedeutet. Wenn der Mann eine wichtige Funktion in der Truppe innehatte, konnte die Ehepartnerin nach seinem Tod - der außerdem der Frau die Rechtsgrundlage für weitere Auftritte entzog (selbst wenn viudas in der Truppe offensichtlich geduldet wurden) - sehr rasch in tiefe Armut geraten. Im Falle der Maria Calderón liegt auch die Annahme auf der Hand, daß die Schauspielerin aufgrund ihres Verhältnisses zu Philipp IV. ihren Beruf aufgab und ins Kloster ging, möglicherweise zu diesem Schritt auch mehr oder weniger gezwungen wurde: „Esta fue (...) la Madre del Señor Don Juan de Austria y luego que parió la puso en un combento de vn lugar de la Alcarria el Rey Phelipe 4o en donde murió Abadesa (...)". 139 Schauspielerinnen als heiligmäßige Frauen zu zeigen, dazu bediente man sich nicht nur der Bühne, wie bei La Baltasara zu sehen war, es wurden auch Legenden verbreitet, die Heiligmäßigkeit beweisen sollten. So wird detailliert überliefert, daß der Körper der Schauspielerin Maria Riquelme nach ihrem Tod wunderbarerweise unverwest geblieben sei:

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(...) se puede dezir que desta que despues de 40 años enterrada en la Bóveda de los Señores Representantes que está en la Capilla de la Virgen de la Nouena estava entera, y un Relixioso, que se llama el Padre F. Gerónimo entró en dicha Bóveda y la quitó la Correa para tenerla c o m o reliquia, y el Padre Prior, que entonzes hera que murió en nuestro combento de Madrid llamado Fr. Raphael de San Miguel se la mandó boluer estaua toda entera, y el velo que lleuaua también que causó mucha admirazión a los que lo vieron. (...) A sido Muger que los que ai oi de aquellos tiempos dicen que a sido una Muger mui perseguida por hauer sido mui hermosa y Representar tan diuinamente y que por ninguna manera se supo cosa fea antes bien mui deuota, frecuentando mucho los Sacramentos y que la tenían todos por mui santa (...). 1 4 0

Hin und wieder wird die „Bekehrung" von Schauspielerinnen in direkten Zusammenhang mit ihrem Auftreten auf der Bühne gebracht. So heißt es etwa zum Leben von Clara Camacho: „ (...) hauiendo sido mui exemplar su vida en los últimos términos della, lo que procedió de un Auto Sacramental que representó en que se feruorizó mucho." 1 4 1 Aus einem solchen Zusammenhang zwischen Berufsausübung und „Bekehrung" zu einem moralisch besseren Leben, was gerade bei weiblichen Darstellern zu beobachten ist (ihr Auftreten, nicht das der sicher meist ebensowenig heiligmäßigen Männer wurde despektierlich betrachtet), erwächst ein Problem, das im folgenden näher zu untersuchen ist, um die Frage nach der gesellschaftlichen Position und dem Ansehen der Schauspieler vollgültig beantworten zu können. Dabei geht es um die Wechselwirkung zwischen dem Alltagsleben der Schauspieler und dem Bühnengeschehen. Es ist zu klären, ob das Alltagsverhalten die Berufsausübung derart dominierte und ob der Schauspieler als Privatperson dem Zuschauer im Theater des Siglo de Oro derart gegenwärtig war, daß die Rollengestaltung auf der Szene dadurch beeinflußt wurde, oder ob nicht umgekehrt das Theaterspiel eine sehr viel größere Wirkung auf das Leben und Ansehen der Schauspieler ausübte. 4.2.3 Die Rolle des Schauspielers im Alltag und auf der Bühne D o s galanes al dia mi Pedro hace; uno en la comedia y otro en la calle. 1 4 2

Was die Schauspielerin Antonia Infanta über ihren Ehemann Pedro Ascanio in Quiñones de Benaventes Loa con que empezaron Rueda y Ascanio sagt, deutet - abgesehen von einer denkbaren Anspielung auf Pedros Charakter als Schürzenjäger - sehr klar auf Wechselbeziehungen hin zwischen der Rolle, die der Schauspieler auf der Bühne darstellt und der Rolle, die er im Alltag „spielt". Solcherlei Verbindungen zwischen dem Agieren im Theater und dem Alltagsverhalten hat Günter Langer ausführlich untersucht. 1 4 3 Er geht dabei den umgekehrten Weg wie er in dieser Arbeit beschritten wird. Langer nimmt zum Ausgangspunkt Ralf Dahrendorfs These vom homo sociologicus144, nach der zu jeder Stellung, die ein Mensch in der Gesellschaft einnimmt, Verhaltensweisen gehören, die man vom

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Träger dieser Person erwartet. Dadurch, daß der einzelne soziale Positionen beziehe, zitiert Langer Dahrendorf 4 5 , werde er zur Person des Dramas, „das die Gesellschaft, in der er lebt, geschrieben hat". Mit jeder Position gebe ihm die Gesellschaft eine Rolle in die Hand, die er zu spielen hat. Von hier aus geht Langer zu der von ihm als Gegensatz zum homo sociologicus gesehenen Charakteristik der Bühnenrolle auf der Grundlage von Huizingas homo ludens über; in dieser Arbeit ist umgekehrt Huizingas homo ludern Ausgangspunkt. 146 Auf eine Untersuchung der vielfaltigen Funktionen des Schauspielers innerhalb des Rituals der Aufführung und der Rolle, die er dabei übernimmt, muß nun auch noch eine Analyse der Rolle des Schauspielers in der Gesellschaft und der Wechselwirkung zwischen beiden als notwendige Ergänzung folgen. Die homo sociologicus-These ist zweifellos auch auf den Schauspieler im Siglo de Oro anwendbar, weil hier sehr allgemein die Funktion der Rolle in ihrer Abhängigkeit von bestimmten Institutionen und Organisationen und ihre entsprechende Wandelbarkeit - je nachdem, von welchem Blickpunkt aus man sie betrachtet - dargestellt wird: „Die Institution bleibt bestehen, aber die Rolle ändert sich (...)." 147 Aus dreierlei Perspektiven muß die Alltags-Rolle des Schauspielers im Untersuchungszeitraum in Beziehung zur Bühnenrolle betrachtet werden: vom Standpunkt des Publikums aus, von dem der Theatergegner und von jenem der offiziellen - staatlichen, städtischen und kirchlichen - Stellen aus, die für die Organisation des Theaterbetriebs zuständig sind. Es wird sich zeigen, daß das Verhältnis zwischen Alltags- und Bühnenrolle unter den drei genannten Blickwinkeln eine jeweils unterschiedliche Charakteristik annimmt. Nur wenn alle diese Aspekte berücksichtigt sind, ist die für diese Arbeit entscheidende Frage vollgültig zu beantworten, weshalb der Schauspieler wider die Angriffe, denen er wegen seines vorgeblich liederlichen Lebenswandels ausgegesetzt war, seine privilegierte Position - die bereits in verschiedener Hinsicht beleuchtet wurde - behaupten konnte. Auf zweierlei Art werden in zeitgenössischen Quellen aus dem Untersuchungszeitraum Wechselwirkungen zwischen der privaten Lebensführung der Schauspieler und den von ihnen auf der Bühne während der Aufführung verkörperten Rollen beobachtet. In den Diálogos de las comedias von 1620 eines anonymen Verfassers sagt der Teólogo: Sale una farsanta á representar una Magdalena, ó la que hace y representa una Madre de Dios, y un representante un Salvador etc.; y lo primero, veréis que esta muger lo más del auditorio conoce que es una ramera y el hombre es un rufián; ¿puede haber mayor indecencia en el mundo?

In die gleiche Kerbe schlägt der Regidor in demselben Dialog: (...) acontece que representan un auto sacramental muy bueno y muy devoto en si, pero las cosas que en el vestuario pasan y los caballeretes que allí entran á verlas vestir y desnudar á decir chufetas, llamando á estas mugercicas del mismo nombre de la santa que representaran, es cosa que no puede decirse.' 4a

Demgegenüber schreibt Lope de Vega in seinem Arte nuevo:

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Pues que vemos, si acaso vn recitante Haze vn traydor, es tan odioso a todos Que lo que va a comprar no se lo venden, Y huye el vulgo dèi quando le encuentra, Y si es leal le prestan y combidan Y hasta los principales le honran y aman Le buscan, le regalan y le aclaman. 1 4 9

Im ersten Fall wird die Befürchtung geäußert, ein Schauspieler mit einem wenig heiligmäßigen Lebenswandel könne unmöglich glaubwürdig auf der Bühne eine Heiligenfigur oder gar die Madre de Dios verkörpern. Im zweiten Fall wird umgekehrt eine Übertragung von Eigenschaften und Verhaltensweisen der Bühnenrollen auf das Privatleben der Schauspieler dargestellt. Hinter allen diesen Beobachtungen steht ein kompliziertes Geflecht von Beziehungen zwischen Alltagsrealität und Bühnengeschehen. Beim Publikum hatte die emotionale Gemeinschaft, in der es sich mit den Schauspielern befand, im Idealfall zur Folge, daß es so sehr in das Bühnengeschehen hineingezogen wurde, daß es den Schauspieler als Privatperson kaum mehr wahrnehmen konnte. Bezeichnend ist, wie in diesem Zusammenhang im Corral der Übergang vom Alltagsleben zur Bühnenillusion vollzogen wurde. In Quiñones de Benaventes Loa con que empezó en la Corte Roque de Figueroa150 wird jedes Mitglied der Truppe bei seinem zivilen Namen aufgerufen. Wie bereits in anderem Zusammenhang erwähnt, geschieht dies dergestalt, daß der Schauspieler Juan Bezón die Kollegen seinem schlaftrunkenen Truppenleiter vorstellt, beziehungsweise dem autor in Erinnerung rufen muß, wen der alles verpflichtet hat. Abgesehen davon, daß durch diesen kleinen Kunstgriff die Gefahr einer langweiligen Aufzählung weitgehend gebannt ist, ergibt sich so die Möglichkeit, den traumwandelnden autor - erst nachem alle Truppenmitglieder auf der Bühne sind, ist er laut Regieanweisung' 51 völlig wach - in einem Schwebezustand zwischen Alltags- und Bühnenrealität vorzuführen. Damit wird sehr präzise die Funktion der loa erfüllt: Sie besorgt das Hinübergleiten vom Alltag zum Bühnengeschehen. Roques Träumerei hat noch einen weiteren Hintersinn: „¡Valgame Dios!; ¿donde estoy?" fragt sich der autor und fügt auch gleich die Antwort hinzu: „Mas, ¿que dudo, si en las alas / de mi deseo he venido, / Madrid, á besar tus plantas?" 1 5 2 Eine längere Abwesenheit von der Villa y Corte 1 5 3 , die das Ensemble beim Publikum möglicherweise in Vergessenheit geraten ließ, wird so auf höchst elegante Weise überbrückt. Wie im Traum ist die Truppe plötzlich wieder da. Die reale Präsenz der Schauspieler wird so als Fiktion erklärt, das Spiel, das gleich folgen wird, ist die Realität. Selbst wenn also Schauspieler nicht als Figuren eines Stücks auftraten, sondern unter ihrem privaten Namen sich gewissermaßen selbst spielten was vor allem in den géneros menores geschah-, stellte dies für das Publikum keinen Bruch der theatralischen Illusionierung dar. Daß dies auch auf die höfische fiesta zutrifft, macht Neumeister am Beispiel von Calderóns Fieras afemina amor mit dem entremés El triunfo de Juan Rana deutlich, in dem der 162

Schauspieler Cosme Pérez - wie ebenfalls bereits in anderem Zusammenhang dargestellt - als Denkmal seiner selbst vorgeführt wird: Handelt es sich beim Rollenspiel der mythologischen Handlung ofTensichtlich um poetische Fiktion, so hier beim Auftritt der Schauspieler unter ihrem Namen um sichtbare Identität. Und doch, gerade die Fiktion enthält die Wahrheit, während die Realität unverbindliches Spiel, eben Zwischenspiel bleibt. Beide zusammen aber ergeben das Bild der Welt, wie sie dem barocken Verständnis erscheint." 4

Gleiches gilt schließlich auch für das Corpus-Theater, wie Diez Borque anhand der Rekonstruktion einer Aufführungsfolge mit loa, entremés, auto sacramental und mojiganga - sämtlich Stücke von Calderón - zeigt. Auch hier übernimmt eine pieza menor, die mojiganga, die Aufgabe, die Tätigkeit der Schauspieler auf der Corpus-Bühne zu thematisieren, ihren Alltag in das Bühnengeschehen einzubeziehen. Diez Borque weist mit Recht darauf hin, daß es Calderón wohl kaum darauf ankam, die Mechanismen seiner Theaterkunst bloßzulegen. 15 5 In der mojiganga156 geht es um eine Theatertruppe, die von einem CorpusSpielort zum nächsten zieht; im Berufsleben der Schauspieler etwas völlig Alltägliches. Da es nach der ersten Aufführung spät geworden ist, verzichten die Akteure darauf, sich umzuziehen und fahren in voller Montur - als alma, cuerpo, ángel, demonio verkleidet - zur nächsten Spielstätte. Die Geschichte, die-an eine Episode aus Cervantes' Don Quijote erinnert, möglicherweise auch von ihr inspiriert ist 157 , wird noch dadurch kompliziert, daß der Wagen verunglückt, was zu sehr komischen Situationen und Äußerungen führt, etwa wenn ausgerechnet der demonio ausruft: „¡Jesús mil veces! Milagro / ha sido no haberme muerto." 158 Selbst in einem solchen Augenblick, in dem der Teufel gewissermaßen aus seiner Haut fahrt und mit sehr menschlichen Zügen ausgestattet erscheint, wird der Zuschauer, der zuvor andächtig ein auto sacramental angesehen hat, kaum am Wahrheitsgehalt der mit der gesamten Aufführungsfolge übermittelten Botschaft in Zweifel gestürzt worden sein. Obwohl sich gerade in der zitierten Passage gleich mehrere Realitätsebenen miteinander verzahnen - die (gespielte!) Privat- beziehungsweise Berufssphäre der agierenden Schauspieler (Transfer von einer Arbeitsstelle zur anderen), die abstrakte Ebene des auto sacramental (sowohl des vor der mojiganga aufgeführten als auch des in der Episode angesprochenen, dem die allegorischen Figuren entstammen) - , bietet die mojiganga keinen Anlaß für den Zuschauer, sozusagen im Rückblick auf das Gesamtereignis der Darbietung, der er beigewohnt hat und die mit der pieza menor ausklingt, einen Widerspruch zwischen Alltagsrealität der Schauspieler und Bühnengeschehen zu entdecken. Das Ganze ist mit seiner perfekten Mischung aus ernsten und heiteren, hehren und geradezu banalen Elementen und den verschiedenen Erlebnisebenen nichts anderes als ein höchst kunstyolles Spiel getreu nach den Regeln der imitación de la naturaleza. Nicht die Übertragung von Eigenschaften, die in der (Privat-) Person des Schauspielers zu finden sind, auf die Bühnenfiguren, sondern allenfalls umgekehrt die Projektion des theatralischen Rollenspiels auf das Privatleben, wie sie Lope schildert, bestimmt das 163

Verhältnis des Publikums zu den Schauspielern. Es ist nun freilich bei der Betrachtung dieser Übertragungsvorgänge von Bedeutung, welcher Art die betreffenden Bühnenrollen sind, ob sie negative Charaktere kennzeichnen oder vorbildhafte Figuren darstellen. Das Publikum mag beiderlei Sorten von Rollen auf die Privatperson des Schauspielers projiziert haben, wie es das Lope-Zitat andeutet. Ganz anders verlief der Übertragungsprozeß bei den Theatergegnern. Sie, die das Geschehen auf der Bühne - wie bereits ausführlich dargestellt - nur selten aus dem Gemeinschaftserlebnis der Aufführung heraus, dafür aus der sicheren Distanz des Theoretikers betrachteten, betrieben ein sehr kompliziertes, um nicht zu sagen aufwendiges Spiel des Transfers von Eigenschaften zwischen Bühnenrolle und Alltagsrolle des Schauspielers. Die Gegner vor allem waren es, die Kenntnisse über negative Charaktereigenschaften oder Verhaltensweisen der Schauspieler auf das Bühnengeschehen übertrugen, was zu der am Anfang dieses Abschnitts erwähnten Schlußfolgerung führt, ein Schauspieler mit liederlichem Lebenswandel dürfe keine Heiligengestalt verkörpern. Diese Argumentation war nur deshalb möglich, weil sich die Theatergegner nicht direkt der Erlebnisgemeinschaft der zur Aufführung Versammelten anschlössen. Wie im Abschnitt über die //WW-Problematik gezeigt wurde, beschränken sich die Angriffe der Theatergegner auf pauschale Vorwürfe den Schauspielern gegenüber („gente holgazana", „gente viciosa"), die nicht durch Hinweise auf konkrete Vorkommnisse belegt werden. In den entsprechenden Traktaten werden jedoch neben dem soeben beschriebenen Transfer angeblich zutreffender schlechter Verhaltensweisen der Schauspieler auf die Bühnenrollen heftige Angriffe gegen die schauspielerischen Darbietungen selbst vorgebracht. Anschaulich wird dies wiederum an den Äußerungen des bereits ausführlich zitierten Fray José de Jesús Maria: Las comedias que se usan son indecentísimas y grandemente perjudiciales á todo género de gentes, porque muy pocas dejan de ser de cosas lascivas y amores deshonestos. Y si alguna hay que pueda ser útil, va tan mezclada con otras circunstancias dañosas, que es mayor el daño que puede ser el provecho; porque si los versos de la comedia aciertan alguna vez á ser castos, no lo son los de la música; y si la maraña y traza de la historia es honesta, no lo son los enredos y las marañas de los intermedios, ni los meneos y visajes con que la representan; de manera que en la comedia más espiritual concurren mil indecencias. 159

Aus den Einlassungen ist deutlich abzulesen, daß dem Gegner zweierlei mißfallt: die comedias als Stücke (selbst wenn er sie als „útil" einstuft, werden sie durch die übrigen Aufführungselemente - géneros menores - „dañosas"); die Interpretation der Stücke durch die Schauspieler mit Hilfe von Gestik und Mimik (abschätzig als „meneo" und „visajes" bezeichnet). Der entscheidende Schritt ist jedoch die offensichtliche Annahme des Theatergegners, daß gerade die weniger beispielhaften Rollen und Situationen das private Leben der Schauspieler negativ beeinflussen. Diese Attacke richtet sich in erster Linie gegen die weiblichen Darsteller, denn schon allein die Anwesenheit von Frauen auf der Bühne wird als Gefahr geschildert:

164

(...) porque el teatro de las comedias (...) es la cárcel y la mazmorra donde echan grillos y cadenas á los ánimos con la lascivia y deshonestidad de las mugeres que allí representan y de las cosas sensuales que allí se dicen. 1 6 0

Sehr stark wird sodann betont, daß die Schauspieler das. aus der Sicht der Gegner schlechte Verhalten der Bühnenfiguren während der Vorstellung nicht nur fingierten, sondern wirklich nach vollzögen: „y estos efectos no son imaginados, sino que por momentos se ven y experimentan." 161 Damit aber ist ein argumentativer Kreislauf geschlossen, in dem die Theatergegner gefangen waren, nicht zuletzt weil sie ihre Kritik von einer theoretischen Warte aus vorbrachten: Das Spielen moralisch minderwertiger Rollen und die Darstellung anzüglicher Situationen verderben den persönlichen Charakter des Schauspielers, der eben wegen seines dergestalt schlechten Wesens und Verhaltens auf der Bühne keine vorbildhaften Personen verkörpern darf. Der Zirkelschluß wird theoretisch untermauert durch einen Hinweis auf Aristoteles und den von ihm beschriebenen Effekt der Katharsis: Y si el juego y la recreación ha de ser un destierro de malos pensamientos (como queda dicho de Aristóteles) y un preservativo de las desordenadas representaciones de la imaginación ociosa para que nuestros mismos afectos no sean solicitados por ella á cosas ilícitas, ¿cómo se puede verificar en las comedias de España que sean de los juegos que este sabio da por lícitos para la útil recreación del ánimo, pues están las comedias tan lejos de ser destierro de malos pensamientos. que antes son un retablo y despertador de memorias torpísimas y feas?'"

Fray José, ein carmelita descalzo163, legt Aristoteles sehr eng aus, denn: (...) ist nur ein dem sittlichen Empfinden nicht hohnsprechendes Handlungsmodell geeignet, die kathartischen Effekte zu erzeugen (...). Allerdings läßt sich schwerlich genauer bestimmen, wie er (sc. Aristoteles) sich das Verhältnis von .Entladung' und sittlicher Läuterung vorgestellt hat. 1 6 4

Die offiziellen Stellen, die für Organisation und Reglementierung des Schauspielerwesens zuständig waren, negierten die kathartische Wirkung des Theaters keinesfalls, sie waren jedoch viel offener in ihrer Argumentation als die Gegner, die dem Theater nur zugestanden, daß es Nachahmenswertes, sittlich Einwandfreies zeigen dürfe. Die Stadt Madrid - direkte Ansprechpartnerin im verbalen Schlagabtausch mit Padre José - erklärt in ihrem Memorial von 1598, was sie unter der läuternden Wirkung des Theaters versteht: Die comedia, heißt es darin, sei espejo, aviso, ejemplo, retrato, dechado, doctrina y escarmiento de la vida por donde el hombre dócil y prudente puede corregir sus pasiones huyendo de vicios, levantar sus pensamientos aprendiendo virtudes por medio de la demostración, que de todo hay en la comedia (...). Allí se representa del rey justo el fin dichoso; de la fidelidad, el premio; del secreto, la importancia; del ánimo, la fortaleza; de la traición, el castigo, y de lo bueno y lo malo el último paradero (...). 1 6 5

Es darf auch, ist aus diesen Äußerungen zu schließen, das Schlechte dargestellt werden, um daraus zu lernen und Nutzen für das Praktizieren des Gu165

ten zu ziehen. In dem stark affektbetonten Theaterspiel im Untersuchungszeitraum, wie es im vorangegangenen Kapitel skizziert wurde, ist dies von entscheidender Bedeutung: Kathartische Wirkung beim Publikum trat nicht nur durch das Miterleben nachahmenswerter Verhaltensweisen der Bühnenfiguren, sondern ebenso durch das - von den Schauspielern stellvertretend besorgte - Abreagieren negativer Effekte ein. Dies wurde gerade durch die Atmosphäre des Gemeinschaftserlebnisses während des Aufführungsrituals und die Übertragung von Emotionen vom Schauspieler auf die Zuschauer begünstigt. Die Befürworter des Theaters in den staatlichen, städtischen und kirchlichen Gremien entdeckten nicht nur eine positive Wirkung eines solchermaßen verstandenen Theaterspiels auf den Zuschauer, sondern ebenso vorteilhafte Rückwirkungen auf die Schauspieler selbst: De aquí ha nacido, como es notorio, no sólo el que oyó. mas el que representó la acción santa y ejemplar de San Francisco y de otros santos, partir de allí derechamente á sus religiones con muy loable perseverancia y fruto, haciendo en tales actos la comedia lo que la predicación santa del santo Evangelio de Jesucristo puede hacer (...). 166

Die moralische Schlüsselfrage, ob Frauen auf der Bühne auftreten dürfen, beantwortete sich so für die Offiziellen in Staat, Stadt und Kirche fast von selbst. Denn sie sahen in erster Linie die Möglichkeit, etwa über das religiöse Theater der autos sacramentales die Schauspieler gewissermaßen zu missionieren. Die legendenhaft verbreitete Wandlung der Schauspielerin Clara Camacho und die sogar zum Stoff einer comedia, damit zum Lehrbeispiel avancierte „Bekehrung" der Baltasara sind dafür Belege: Pero no hay que olvidar, a la vez, que, en algunos casos, los autos ejercieron una influencia salutífera en los comediantes. En vez de echarse a perder el efecto religioso de los autos por las inmoralidades de algún actor, sucedía con frecuencia que la participación en los autos les hacia enmendar su vida desordenada. La actriz Clara Camacho, por ejemplo, fué tan conmovida por el papel que desempeñó en un auto sacramental, que determinó renunciar a la vida del mundo. La bella María Riquelme también dejó el teatro por el convento después de trabajar en un auto. La conversión de Francisca Baltasara fué tan teatral - en todos los sentidos de la palabra que los poetas Antonio Coello, Vélez de Guevara y Rojas Zorrilla colaboraron para componer una comedia que 167 conmemorara su experiencia.

In dem im vorangegangenen Abschnitt dieser Arbeit ausführlich dargestellten Fall der Baltasara war eine Schauspielerin, die zudem nach damaliger Auffassung die verruchteste Rolle - jene der mujer varonil - spielte, sogar zu einer Art Heiligen geworden. Diese erstaunliche Entwicklung einer Schauspielerinnen-Persönlichkeit wäre entsprechend der Argumentatipn der Theatergegner ausgeschlossen gewesen, da nach ihrer Meinung Frauen am besten überhaupt nicht auf der Bühne erscheinen sollten. Da die Gegner außerdem den Einfluß der moralisch „verwerflichen" Rollen auf das Privatleben der Schauspieler überbetonten und den positiven Effekt vorbildhäfter Bühnenfiguren offenbar nicht erkannten, hätte die Baltasara

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für sie nie eine heiligmäßige Person werden können. Die offiziell verantwortlichen Befürworter konnten sich jedoch durch das Beispiel der Baltasara in höchstem Maß bestätigt sehen. Auf jeden Fall waren Exempel dieser Art ein Beweis dafür, daß das Auftreten der Frau auf dem Corpus-tablado keineswegs moralisch schädlich war. Die Organisatoren des Theaterbetriebs vermochten sich deshalb der Attraktivität der weiblichen Darsteller auch im religiösen Corpus-Theater ohne Bedenken zu versichern. Mit dieser offiziellen Anerkennung der Frau auf der Bühne des Siglo de Oro waren unausgesprochen auch die möglichen moralischen Schwächen der männlichen Schauspieler, denen ohnehin sehr viel mehr nachgesehen wurde, gewissermaßen sanktioniert. 1 6 8 Es fragt sich nun, ob die schauspielerische Tätigkeit von den Zuständigen in Staat, Stadt und Kirche - zum Teil selbstverständlich aus Eigennutz - nur geduldet wurde oder ob diese Persönlichkeiten und Gremien ihre Einsicht in die Notwendigkeit der Existenz des Berufsstandes nicht auch in systematische Einflußnahme etwa über eine Institution umgesetzt haben, mittels der das sittliche Verhalten der Schauspieler überwacht und (im Sinne der Verantwortlichen) beeinflußt, das Ansehen des Berufsstandes in der Gesellschaft gehoben und die Schauspielerschaft vor Angriffen der Theatergegner geschützt werden konnten. Tatsächlich gab es eine solche Organisation, die in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts binnen kurzer Zeit zu einer mächtigen religiös-gesellschaftlichen Einrichtung heranwuchs und der - bis auf „externe" Amtsinhaber - ausschließlich Schauspieler angehörten: die Cofradía de Nuestra Señora de la Novena. Ob und in welcher Weise ihr tatsächlich die genannten Funktionen zufielen - dies soll im folgenden Abschnitt, in dem die von der Forschung bislang verzerrt dargestellte Vereinigung im Hinblick auf ihre Aufgaben und Wirkung neu zu bewerten ist, geklärt werden. 4.3 Die Cofradía de Nuestra Señora de la Novena Als das Theater des Siglo de Oro seine erste Blüte erlebte, in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts, entstand in Madrid eine Vereinigung von autores und Schauspielern, die von erstaunlich langer Lebensdauer sein sollte: Sie existiert heute noch. Zwar hat sich die Aktivität der Organisation auf ein Minimum reduziert 1 6 9 , dennoch überrascht solche Kontinuität. Die Cofradía de Nuestra Señora de la Novena hatte von Anfang an ihren Sitz in der Kirche von San Sebastián in Madrid. Dort wird auch noch das Archiv aufbewahrt, ein nur notdürftig geordnetes Konvolut von Unterlagen, das die Geschichte der Vereinigung bis in unsere Tage dokumentiert. 1 7 0 Die Untersuchungen in diesem Abschnitt stützen sich nahezu ausschließlich auf Schriftstücke aus den legajos I bis 3, die Urkunden aus der Anfangszeit der Cofradía enthalten. Besonders aufschlußreich sind die in erstaunlicher Vollständigkeit vorhandenen Akten zur Gründung der Bruderschaft. Es handelt sich dabei im wesentlichen um vier Dokumente und sie begleitende Schriftsätze: 167

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handgeschriebene Advertencias111 die gedruckte Fassung dieser Advertencias Manuskript der Constituciones kalligraphisch gestaltetes Exemplar der Constituciones

Die Zusammenhänge zwischen diesen vier Dokumenten seien im folgenden kurz erläutert: Auf einem Schriftstück ohne Anrede und Datum hatte der autor de comedias Andrés de la Vega um eine Lizenz für den Druck der handgeschriebenen Advertencias gebeten, mit der Begründung „conviene dar copias dellas (sc. Advertencias) a muchas personas que han de entrar en la dicha Cofradía (...)"• Die Lizenz wurde auch erteilt, und zwar vom vicario general in Madrid, dem licenciado Juan de Velasco y Acevedo, am 30. November 1630, dem ersten faßbaren Datum in der Historie de Cofradía (abgesehen von der Vorgeschichte um das Marienbild, worauf noch näher einzugehen ist). Die Druckerlaubnis findet sich am Ende der handschriftlichen Fassung der Advertencias. Auf der Rückseite der von Andrés de la Vega unterzeichneten Eingabe ist auch eine Druckerlaubnis des fiscal zu finden 172 , dazu Vermerke anderer, nicht zu identifizierender Personen und der merkwürdige Hinweis „no a lugar lo que esta parte pide en Madrid, 9 de henero de 1631". Auf jeden Fall sind die Advertencias gedruckt und an die einzelnen Truppen verschickt worden, mit der ausdrücklichen Bemerkung am Ende des Textes: „Aduiertese que a cada Autor se remite su copia destas capitulaciones, y por los números que están en la margen, se han de notar las dificultades que a cada vno se ofrecieren, poniendo aprouacion, o diziendo su parecer." 173 Die Unterschiede zwischen Manuskript und gedruckter Fassung sind denkbar gering, was ja auch verständlich ist, da von dem einmal genehmigten Text nicht abgewichen werden konnte. Dennoch gibt es einige Varianten, meist nur verschiedene Formulierungen, die inhaltlich keine Änderung bedeuten. In einem Punkt weicht die gedruckte Fassung jedoch erheblich von der handgeschriebenen ab: Während das Manuskript noch einmal die gesandte Vorgeschichte der Cofradía um das Marienbild der „Virgen de la Novena" wiedergibt, wurde diese sehr lange Passage in der endgültigen Version ausgelassen, vermutlich um Druckkosten zu sparen. Die Geschehnisse um das Marienbild konnten ohnehin als bekannt vorausgesetzt werden. Am Schluß der Advertencias werden die Namen von siebzehn autores genannt („que tienen licencia de los señores protectores de su Real Consejo"). Das ist erstaunlich, denn den Bestimmungen entsprechend hätte es nur zwölf offiziell zugelassene compañías geben dürfen. Im einzelnen sind es folgende autores: Andrés de la Vega, Juan de Morales, Antonio de Prado, Fernán Sánchez, Juan Bautista Valenciano, Manuel Vallejo (d.Ä.) f Pedro de Valdés, Cristóbal de Avendaño, Roque de Figueroa, Alonso de Olmedo, Cristóbal Salazar („Mahoma"), Juan Acacio, Manuel Simón, Juan Martínez, Tomás Fernández, Francisco López, Bartolomé Romero. Die Advertencias stellen die Vorstufe zur späteren Satzung (Constituciones) dar. Sie enthalten in 45 Paragraphen eine jeweils kurze Begründung, weshalb die Cofradía ins Leben gerufen werden, wo sie ihren Sitz haben und

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wie sie geleitet werden soll, ebenso wie Hinweise darauf, wer Mitglied werden darf, wie Einkünfte zugunsten der Bruderschaft zu beschaffen seien (inklusive einer Schätzung des möglichen Besitzstandes), wie die Buchführung gestaltet werden müsse und welche Feste feierlich zu begehen sind. Auch zur Beerdigung der cofrades finden sich vorläufige Bestimmungen, die auf die Bedeutung dieses Themas in den späteren Constituciones vorausweisen. Schon ein erster Blick auf beide Dokumente zeigt, daß die Advertencias vorerst noch recht vage die Ziele der Cofradía umreißen. Erst die Constituciones geben detailliert Auskunft darüber. Sie stellen überhaupt das bedeutendste unter den überlieferten Schriftstücken dar. Mit diesem Vertragswerk wurden das Erscheinungsbild der Cofradía in der Öffentlichkeit sowie die internen Angelegenheiten festgelegt und geregelt. Die Unterschiede zwischen dem Manuskript und der kalligraphisch gestalteten Fassung der Constituciones sind ebenfalls denkbar gering, so daß angenommen werden kann, daß es sich um Vorlage und endgültige Gestalt handelt. Bei dem in Reinschrift ausgeführten Dokument wird der offizielle Charakter auch dadurch unterstrichen, daß jedes Blatt von drei Personen paraphiert wurde. Der Satzung selbst, die an anderer Stelle dieser Arbeit noch ausführlich analysiert wird, sind vier Seiten Text vorgeschaltet, weitere 22 wurden am Ende angefügt. Die ersten vier Seiten enthalten das Protokoll über die Präsentation der Akte am 19. Mai 1633 vor dem „Serenissimo Señor Cardenal Ymfante Don Fernando (...), Administrador Perpetuo del Aríobispado de Toledo", der für die Genehmigung zuständigen kirchlichen Instanz. Dieser Teil des Dokuments enthält Namen von autores und Schauspielern als Zeugen für diesen Vorgang, mit dem die offizielle Anerkennung der Cofradía beantragt wurde. Die Nachschrift ist eine Aneinanderreihung von Schriftstücken zum Genehmigungsverfahren 1 7 4 , darunter Vereinbarungen zwischen der Cofradía und der Pfarrgemeinde von San Sebastián, vermutlich als Kopie für die Cofradía, da sie durchgängig von einem Schreiber zu Papier gebracht wurden. 1 7 5 Ganz am Schluß ist das Dokument datiert auf den 21. Februar 1634, den endgültigen Genehmigungstermin, und von den Beteiligten unterzeichnet. Auf die Rückseite des letzten Blattes wurde ein Kupferstich des Marienbildes geklebt, das auch das Titelblatt der Constituciones ziert. 1 7 6 Die Tatsache, daß die Cofradía ihren Sitz in einer Pfarrgemeinde erhielt und sich Maria zur Namenspatronin erkor, verweist bereits darauf, daß die Bruderschaft vorrangig als religiösen Zielen dienende Gemeinschaft gegründet wurde. Andererseits finden sich in den Akten immer wieder Anspielungen auf soziale Verpflichtungen den cofrades gegenüber. Es wird deshalb im Verlauf der folgenden Untersuchungen herauszufinden sein, ob und wie die religiösen Aktivitäten der Cofradía mit der gesellschaftlichen Position und Funktion des Schauspielerberufs zusammenhängen. Außerdem wird zu bestimmen sein, welchen Anteil die soziale Aufgabenstellung im Gemeinschaftsleben der Cofradía einnimmt. 1 7 7 Erste Hinweise dazu kann bereits die Vorgeschichte der Bruderschaft geben, die etwa fünfzehn Jahre vor der eigentlichen Gründung ihren Anfang nimmt.

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4.3.1 Vorgeschichte der Cofradía Die Ereignisse, die zur Gründung der Cofradía de Nuestra Señora de la Novena geführt haben, bieten eine Erklärung dafür, weshalb Maria zur Patronin erhoben wurde, während es doch von alters her einen Patron der Schauspieler gab: San Ginés (der Märtyrer Sankt Genesius), dessen Gedenken bereits eine Kirche in Madrid geweiht war. Es zeigt sich, daß die Tätigkeit der Cofradia nicht ohne Bedacht mit der Marienverehrung verknüpft wurde. Zunächst scheint es eher Zufall gewesen zu sein, warum die Bruderschaft ein bestimmtes Marienbild zur Verehrung wählte: Es befand sich mitten in dem Stadtviertel, in dem die Corrales lagen und in dem die meisten Schauspieler wohnten. In der für diese Zone zuständigen Pfarrei San Sebastián war der Großteil der Schauspieler registriert. Die Geistlichen dieser Gemeinde tauften viele von ihnen, verheirateten und beerdigten sie. Sehr bald mußten gerade die Kleriker erkannt haben, daß sich das angeblich wundertätige Bild der Señora de la Novena besonders dazu eignete, der Cofradía - deren Gründung gewissermaßen in der Luft lag 1 7 8 - den Namen zu geben. Durch die aktive Beteiligung der Schauspieler am Marienkult waren diese der Verdächtigung enthoben, nicht zur christlichen (katholischen) Gemeinschaft zu gehören. Dies wurde durch die Tatsache bekräftigt, daß das Bild geradezu als Symbol für die katholische Beständigkeit gegenüber den auch in Spanien damals auftretenden Protestanten galt. Es begann damit, daß am 2. Februar 16IS, am Fest Maria Reinigung, der „cauallero Florentin" Carlos Velluti an der Ecke Calle de Santa Maria / Calle de León „vna hermosa Imagen de la Virgen santissima con el niño Jesus dormido y S. Joseph y S. Juan Bautista" 1 7 9 aufstellen ließ, „para honrrar su casa". Dieses Bild war in der Folge verschiedenen Angriffen ausgesetzt, wie vermutet wurde, von seiten der Protestanten: Y como en la Corte enlran naciones tan varias y con algunas de las que habitan el Norte vienen los que manchados de las infelices Sectas que comentó Luthero y proseguieron sus malditos sequaces y todos son iconomastas y crueles perseguidores de las Sagradas Imágenes (...). 180

Mit diesen Worten ist der Personenkreis, der für die Attacken auf das Marienbild in Frage kommt, benannt, ohne daß wirklich der Nachweis dafür erbracht wird. 1 8 1 Überdies wird der erste Angriff („estocadas y pedradas") auf das Bild am 24. März 1623 in Zusammenhang mit dem Besuch des Prinzen von Wales gesehen. Ein zweites Mal wurde das Marienbild durch „cuchilladas en el sagrado rostro" 1 8 2 zerstört und, wie beim ersten Mal, durch ein neues Gemälde ersetzt. Dieser zweite Übergriff geschah am 30. November 1623. Das dritte Bild, angeblich gemalt von Francisco Carducho Lombre 1 8 3 , wurde am 18. Dezember 1623 angebracht 1 8 4 . Etwa ein halbes Jahr später, am 14. Juli 1624, geschah dann das erste Wunder, das letztlich für die Entscheidung ausschlaggebend war, das Gnadenbild als namensgebendes Emblem für die Cofradía zu wählen. 1 8 5

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Zur Zeit der Gründung der Cofradía, sieben Jahre nach dem Wunder, war dieses Ereignis bereits legendär. Wahre Begebenheiten und phantasievolle Ergänzungen ließen sich nurmehr schwer voneinander trennen. 1 8 6 Mit der ersten dem Marienbild zugeschriebenen Heilung wurde offensichtlich versucht, von der Geschichte des Bildes eine Verbindung zum Berufsstand der Schauspieler herzustellen. 187 Dies geschah in den Introducciones zu den Constituciones dann sogar auf sehr direkte Weise: Dort wird Catalina de Flores, die angeblich durch die wundertätige Wirkung des Bildes geheilt wurde, ohne Umschweife als dem „gremio de la Representación" zugehörig bezeichnet. Doch diese Information ist rundweg falsch, wie Subirá und Cotarelo 188 nachweisen. Catalina de Flores, die in Medina del Campo geboren wurde, war einfache criada, heiratete später den Hausierer Lázaro Ramírez und zog mit ihm über Lánd. Dabei holte sie sich eine Lähmung, die sie zwang, auf Krücken zu gehen. Das Dokument, das Cotarelo zitiert 1 8 9 , erweist nicht nur, daß Catalina de Flores bei dem Schauspielerehepaar Bartolomé de Robles und Mariana de Varela zunächst als criada arbeitete, sondern daß sie auch diesen Eheleuten eine ihrer beiden Töchter anvertraute: Bernarda Ramírez, die eine bedeutende Schauspielerin und Gattin des autor Sebastián de Prado wurde. Über diese Tochter gab es also sehr wohl eine Verbindung zum Schauspielerwesen, aber - Bernarda war zur Zeit der Gründung der Cofradía erst fünfzehn oder sechzehn Jahre alt - das genügte offensichtlich nicht, so daß Catalina de Flores gleich selbst zur Schauspielerin deklariert wurde. Vor dem Marienbild, das ursprünglich den Namen „Virgen del Silencio" 190 trug, hatte Catalina de Flores eine Novene, eine neuntägige Andacht, gehalten und konnte am neunten Tag ohne Krücken gehen, war also geheilt. Daraufhin erhielt das Bild seinen neuen und endgültigen Namen: Nuestra Señora de la Novena. Sieben Tage nach dem Wunder, am 21. Juli 1624, wurde das Gnadenbild in einer feierlichen Prozession in die Kirche von San Sebastián gebracht. Damit war auch der Sitz der zu gründenden Cofradía festgelegt: „La deuocion que todo este Gremio adquirió en el propuesto sitio, prosiguió y aumento en la Iglesia Parroquial suya (...)." 191 Da die Kirche von San Sebastián Pfarrkirche für die meisten der in Madrid wohnenden Schauspieler war, wuchs, so läßt sich diese Feststellung deuten, im Laufe der Jahre bei den Gläubigen das Bewußtsein, daß die Wundertätigkeit des Marienbildes gerade den comediantes zugutekomme, diesen Berufsstand also in besonderem Maße begünstige. Dies dürfte den sicher längst vorhandenen Wunsch der Schauspieler, sich zu organisieren, eine berufsspezifische Vereinigung - welcher Art auch immer - zu gründen, verstärkt und schließlich zu den Bemühungen geführt haben, die Cofradía tatsächlich ins Leben zu rufen.

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4.3.2 Gründung der Cofradía In den letzten Monaten des Jahres 1630 und den ersten von 1631 wurden die organisatorischen Vorbereitungen für die G r ü n d u n g der Cofradía getroffen. Einen offiziellen Gründungsakt gab es offenkundig nicht, es war vielmehr ein sich über mehrere Jahre hinziehender Prozeß, der erst mit der endgültigen Anerkennung der Constituciones am 21. Februar 1634 abgeschlossen war. Den ersten öffentlichen Auftritt hatte die Cofradía bereits im Frühjahr 1631. wie aus einem gedruckten Formblatt hervorgeht, auf dem die autores, die gerade in Madrid waren, ihre Kollegen in anderen Städten baten, der Bruderschaft beizutreten. 1 9 2 Nachdem es, wie aus dem Formular abzulesen ist, bereits einige Versammlungen gegeben hatte 1 9 3 , wurde das Marienfest der Verkündigung (25. März 1631) demonstrativ als Fest der neuen Cofradía in der Kirche von San Sebastián begangen. Dieser Tag also markierte den Beginn ihrer Existenz, obwohl bei weitem noch nicht alle administrativen Schritte zur endgültigen Etablierung der Bruderschaft erledigt waren. Anschließend an die kirchliche Feier, die - wie der Text zeigt - in der Öffentlichkeit großen Widerhall fand und auch ein gewisses M a ß an Selbstbewußtsein der Schauspieler dokumentierte, versammelten sich die in Madrid anwesenden autores, der Pfarrer der Gemeinde, der Prediger sowie andere Geistliche und beschlossen Maßnahmen, die bereits über die in den Advertencias niedergelegten Absichten hinausgingen und wesentlich konkreter waren als diese. So gesehen stellt das Dokument das Bindeglied zwischen den Advertencias und den Constituciones dar. Als eines der wichtigsten Anliegen müssen es die Gründungsmitglieder angesehen haben, der Cofradía möglichst schnell zu einer materiellen Grundlage zu verhelfen. N u r so läßt sich erklären, d a ß die Frage der Einkünfte schon in den Advertencias ausführlich behandelt wurde, nun auch in dem Rundschreiben besonders breiten R a u m einnimmt und schließlich in den Constituciones im längsten Kapitel abgehandelt wird. War in den Advertencias noch vorgeschlagen worden, die raciones von den Einnahmen der Samstagsvorstellungen für die Cofradía abzuzweigen, zusätzlich jeweils 50 reales von den beiden wöchentlichen Vorstellungen, den particulares an der Corte, der Bruderschaft zukommen und in der Kirche, auf der Straße sowie in den Theatern Almosen zugunsten der Cofradía sammeln zu lassen, sahen die Vorschläge zu den Einkünften in dem Schreiben an die autores nunmehr anders aus 1 9 4 : Die Abgabe solle aus einem cuarto195 pro zehn reales bestehen, die ein Schauspieler an einem Tag, an dem er Vorstellung hat, abführen müsse. Die autores hätten je einen real pro „entrada" zu zahlen. Außerdem müßten die Strafgelder für das Fehlen bei den Proben und andere Almosen der Cofradía zugutekommen. Schließlich wird darauf hingewiesen, daß in der Oktav von Festen die Vorstellungen abgabepflichtig seien, nicht jedoch die particulares. Vermutlich um die Spendenfreudigkeit der cofrades zu stimulieren, wird in dem Rundschreiben erwähnt, daß der autor Tomás Fernández 1500 reales, einen beachtlichen Betrag, gestiftet habe, eine Summe, die ihm die Königin 172

für fünf Vorstellungen am Königshof schuldete. Damit sollten ein retablo für das Marienbild sowie die arca für die Kasse und die Bücher angeschafft werden. Außerdem wurde in dem Rundbrief festgelegt, wofür das Geld der cofrades noch zu verwenden sei: für den Bau einer eigenen Kapelle in der Kirche von San Sebastián, die auch Platz bieten müsse für eine „viuienda en ella suficiente para doze Cofrades pobres, los seis dellos hombres, y los seis mugeres y estos han de ser los mas viejos que huuiere, a los quales se ha de dar vestido, comida, medico y botica, y lo demás que precisamente huuieren menester". Ob ein solches Asyl für alte und verarmte Schauspieler tatsächlich eingerichtet wurde, geht aus den im Archiv der Cofradía aufbewahrten Dokumenten nicht hervor. Die Kapelle jedenfalls ließ sehr lange auf sich warten, da sich das Genehmigungsverfahren hinzog und sogar ein Prozeß stattfand, dessen Akten im Archiv einzusehen sind. Eingeweiht wurde die Kapelle erst am 22. April 1674, also gut vierzig Jahre nach der Gründung der Cofradía. 1 9 6 Obwohl die offizielle Anerkennung noch ausstand, nahm die Bruderschaft im ersten Jahr ihrer Existenz ihre Tätigkeit bereits in einer Form auf, die vermuten läßt, daß die Constituciones schon zu diesem Zeitpunkt erarbeitet und von den cofrades als bindende Bestimmungen angesehen worden waren. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang das erhaltene Protokoll 1 9 7 einer junta vom 21. September 1631. Bei dieser Sitzung wurden, ganz den in der Satzung niedergelegten Vorschriften entsprechend, der secretario Andrés de Yáñez abgewählt, weil er zu häufig gefehlt hatte, und für ihn der „escriuano real" Juan Baptista de la Barreda eingesetzt sowie als letrado Antonio de León gewählt. Bei der Versammlung wurden die Mitglieder der Truppe von Juan Martínez samt ihren jeweiligen Familienangehörigen in die Cofradía aufgenommen. Ein großer Teil der Diskussionen drehte sich wieder um die Einkünfte, genauer um die Frage, wie das Geld von den Truppen, die gerade nicht in Madrid weilten, an die „Zentrale" zu übermitteln sei. Während es hier zunächst noch den autores überlassen blieb, den Zeitpunkt für die Übersendung der Abgaben zu bestimmen und lediglich die Verpflichtung ausgesprochen wurde, auf jeden Fall am dritten Fastensonntag abzurechnen 1 9 8 , wird gerade dieses Problem in den Constituciones minutiös geregelt. Die Satzung scheint also zwar in groben Zügen bereits vorformuliert zu sein, an einzelnen Details wird jedoch offensichtlich noch gearbeitet, bis dann 1633 die endgültige Fassung zur Genehmigung vorgelegt wird. Was den Bau der Kapelle betrifft, scheinen die im September 1631 versammelten cofrades noch optimistisch gewesen zu sein, denn sie nehmen ein Angebot der Bauern aus der Pfarrgemeinde in das Protokoll auf, mit ihren Wagen Steine für die zu errichtende capilla unentgeltlich zu transportieren. Dieser Passus zeigt auch, in welchem M a ß die Cofradía schon im Leben der Pfarrgemeinde von San Sebastián verankert war. Die verbindlichsten und ergiebigsten Auskünfte über Ziele der Cofradía und wie sie zu verwirklichen seien, enthalten zweifellos die Constituciones. Aus diesem Grund soll das 173

Vertragswerk 19g im folgenden ausführlich untersucht werden, vor allem wiederum im Hinblick auf Funktion und Stellenwert der religiösen und sozialen Aktivitäten. 4.3.3 Die Cofradía im Spiegel der Constituciones Die Constituciones sind klar gegliedert in eine Präambel mit den Glaubensregeln, zu deren Einhaltung die cofrades verpflichtet werden, eine Introducción, die Entstehungsgeschichte und Ziele der Cofradía erklärt, sowie vier jeweils deutlich voneinander getrennte títulos. Das erste dieser vier Kapitel behandelt in 29 Paragraphen die Wahl der Führungspersonen („de los Oficiales y de su elección y obligaciones"), im zweiten geht es in 24 Paragraphen um Eintritt und Mitgliedschaft der cofrades („de los Cofrades y su Entrada"). Der mit 47 Paragraphen bei weitem umfangreichste titulo ist der Verwaltung des Besitzstandes und der Sicherung der Einkünfte gewidmet („de la hazienda y limosna de la Cofradía y su administración"). Im letzten Kapitel werden in 31 Paragraphen die Geschäftsführung und die Verpflichtungen der Cofradía dargestellt („de las obligaciones y gouierno de la Cofradía"). Die Tatsache, daß der Satzung die „Doctrina Christiana" vorangestellt ist, kann als bisher deutlichster Nachweis für die religiöse Zielsetzung der Cofradía gelten. Die Aufzählung der Gebete und Glaubensartikel trägt keine Überschrift, sondern die Anrede „Serenissimo Señor" 2 0 0 . Es folgt die feierliche Verpflichtung de todo el gremio de la Representación de España: cree y confiessa todo lo que cree y tiene la santa madre Iglesia de Roma. Y protesta de viuir y morir en su santa Fee Catholica y enseñar a sus hijos y subditos la Doctrina Christiana (...).

Diese Verpflichtung war wohl unabdingbar, um die Zulassung der Cofradía von kirchlicher Seite zu erlangen. 201 4.3.3.1 Introducción Die Einleitung, auf die bereits im Zusammenhang mit der Entstehung der Cofradía eingegangen wurde, enthält einige Hinweise darauf, weshalb die Bruderschaft ins Leben gerufen wurde. Nach einem Lob der Jungfrau Maria wird hervorgehoben, daß sie, Maria, von „numerosas Religiones, Ordenes, Comunidades, Cofradías, Hermandades y Congregaciones" geehrt werde: Los hombres se aggregan y vnen mejor a los de su que los que la tienen estraña: Desta causa y razón originado en lo diuino de la Iglesia tantas Congregaciones, que solo admiten personas de exercicios (...).

gremio, calidad y ocupacion. natural en lo Político se han Cofradías. Hermandades y ciertas calidades gremios y

Aus dieser Beobachtung, die wiederum sehr deutlich den vorrangig religiös-kirchlichen Charakter der Vereinigungen von der Art der Cofradía

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hervorhebt, wird das Recht, sich organisatorisch zusammenzuschließen, auch für die Schauspieler abgeleitet, dies umso mehr, als ihr Beruf - wie mit Nachdruck festgestellt wird - nicht zuletzt karitativen Zwecken dient: (...) con lo que les dan a ganar los Teatros de la Representación se sustentan la mayor parte de los Hospitales de España, naciendo tan vtil efecto de charidad; de tan licito entretenimiento (...) se promete duración y se assegura calidad. 2 0 2

Aus dieser Passage ist ersichtlich, wie bedeutungsvoll es für die gesellschaftliche und kirchliche Anerkennung des Schauspielerberufes war, daß das Theaterwesen nahezu von Anfang an mit der finanziellen Unterhaltung der Krankenhäuser verknüpft war. Jeder Bannspruch gegen das Theater mußte eine Verurteilung dieses geradezu „symbiotischen" Verhältnisses wie der wohltätigen Wirkung des Schauspielwesens bedeuten. Im weiteren Verlauf der Introducciones wird der „universale" Anspruch der Cofradía unterstrichen: „que fuesse Vniversal y comprehendiesse a todos los que professan y siguen la Representación en estos Reinos de Castilla, Aragon y Portugal (...)." Der Cofradía sollten grundsätzlich alle Schauspieler, aber auch nur diese und keine Berufsfremden, angehören. Das besondere Problem gerade dieses Berufsstandes war die Reisetätigkeit der Truppen und die daraus resultierende Schwierigkeit, einen für alle verbindlichen und akzeptablen Ort als Sitz der Cofradía zu bestimmen. Daß die Wahl auf Madrid („la Corte de los Cathólicos Monarcas de España, tanto por ser la Patria común y centro de sus Reynos" 2 0 3 ) fiel, ist einleuchtend, da hier die meisten Truppen gebildet wurden und fast alle compañías zwangsläufig irgendwann in die Villa y Corte kamen. Die Einleitung zu den Constituciones umreißt bereits wesentliche Ziele der Cofradía: den zerstreut an verschiedenen und immer wechselnden Orten wirkenden Angehörigen dieser Berufsgruppe Zusammenhalt und gewissermaßen ein Zentrum zu bieten, darüber hinaus ihr Ansehen zu mehren. Dies geschah zum einen dadurch, daß bewußt gemacht wurde, wie bereits durch die offizielle Zulassung der Cofradia eine Anerkennung oder Aufwertung des Berufsstandes ausgesprochen wurde, da wohl nur „personas de ciertas calidades" eine solche Gemeinschaft gründen durften. Zum anderen stellte sich die Cofradía durch die aktive Beteiligung am Marienkult und den demonstrativen Verweis auf die karitative Funktion des Schauspielbetriebs eindeutig in den Dienst der katholischen Kirche. Ihre Mitglieder waren also der Verdächtigung weitgehend enthoben, abtrünnig zu sein oder ein liederliches Leben zu führen. 4.3.3.2 Führungspersonen Die Cofradia wird laut Satzung von einer verhältnismäßig großen Zahl von Personen geleitet und verwaltet. Die Aufgaben der einzelnen Amtsinhaber sind im ersten titulo fest umrissen. Beim Vergleich mit den Advertencias fällt auf, daß der Kreis der Funktionsträger von diesen ersten, noch vagen Vorstellungen über die Führung der Cofradía bis zur Festlegung 175

der endgültigen Bestimmungen erheblich erweitert wurde, was wiederum auf die zwischenzeitlich eingegangenen Verbesserungsvorschläge zu den Advertencias zurückgeführt werden kann. In den Advertencias waren als oficiales lediglich vorgesehen: der protector, ein asistente, ein mayordomo (als dessen Stellvertreter der jeweils älteste der in Madrid anwesenden autores), diputados und consultores als Vertreter der Truppen sowie ein tesorero. Zusätzlich sollten ein Schreiber und ein muñidor benannt werden. In den Constituciones wird die schon in den Advertencias anklingende Dreiteilung der Führung beibehalten: Vertreter von Staat, Kirche und Berufsgruppe leiten die Geschicke der Vereinigung. Als protector, der jedoch so gut wie keine aktive Rolle spielt, fungiert ein Vertreter des Consejo de Castilla: „el que fuere y estuuiere nombrado y señalado para la censura ordinaria y aprouacion de la Comedias que en esta Corte se representan y Administrador del Gouierno de sus Teatros" (título I, 1). An zweiter Stelle steht als asistente der Pfarrer von San Sebastián, als Stellvertreter muß einer seiner tenientes einspringen (2). Die Vertretung der Truppen erscheint gegenüber den Advertencias gestärkt, denn nun sind zwei mayordomos, ein erster und ein zweiter, vorgesehen. 204 Als Ersatzkraft müsse, heißt es in Paragraph 6, ein dritter benannt werden, der aber nur jeweils den zweiten ersetzen könne; im Fall der Abwesenheit des ersten müsse der zweite nachrücken. Des weiteren wird festgelegt (7), daß der „Autor mas antiguo de los que assistieren en la Corte sea perpetuamente Mayordomo quarto". Falls gleich zwei mayordomos bei wichtigen Ereignissen nicht anwesend sind, muß dieser wiederum als zweiter einspringen. Außerdem erhält er, wie später noch detailliert festgelegt wird, einen der Schlüssel für die arca, in der die Cofradía Geld und Dokumente aufbewahrt. Das komplizierte, streng hierarchisch geregelte Ersatz- und Nachrückverfahren gerade bei den mayordomos hatte seinen Sinn: Da es sich in der Regel um aktive Schauspieler beziehungsweise Truppenleiter handelte, mußte jederzeit damit gerechnet werden, daß der eine oder andere wegen auswärtiger Gastspiele zeitweise nicht in Madrid war. So wurde auch für den Fall vorgesorgt, daß nur ein mayordomo anwesend war: Dann müsse dieser alleine das Amt versehen; falls alle mayordomos fehlen, müsse abgewartet werden, bis ein autor das Amt ausüben könne. Unterdessen durften keine Entscheidungen gefällt werden.(8) Als weitere „officiales" müssen nach der Satzung bestimmt werden: diputados, je einer aus jeder - wie es ausdrücklich heißt - „compañía de las del numero"; compañías de la legua sind nicht berechtigt, diputados zu stellen (9). Ein letrado solle als juristischer Fachmann berufen werden (10), „si la Cofradia tuuiere algunos pleytos en esta Corte en que pida, ó le pidan se lleuen al dicho letrado para que abogue en ellos (...)". Ein tesorero solle die Geschäfte führen und den Besitz verwalten (11). Da es offenkundig schwierig war, unter den Schauspielern eine dafür geeignete Persönlichkeit zu finden, wird eingeräumt, daß der tesorero nicht notwendigerweise cofrade sein müsse. Das gleiche gilt auch für die folgenden Positionen, deren Inhaber, wenn sie von außerhalb der Cofradía kommen, auch Anrecht auf ein salario haben: für den contador (13), „que tome todas las quentas que á la Cofradía 176

se ofrecieren", den Rechnungsführer also; den secretario (14), der den Schriftverkehr erledigen und nach Möglichkeit escribano real sein soll, „que escriba bien y tenga buena nota", ebenso sein Ersatzmann (15); den agente, der mayordomo und tesorero zur Seite stehen, für die Beitreibung der limosnas sorgen, Anordnungen erteilen und die Einhaltung der in den Constituciones niedergelegten Bestimmungen überwachen, folglich auch als celador fungieren soll (18). Die Theatertruppen standen außer über die diputados noch durch zwei weitere Ämter direkt mit der Cofradía in Verbindung: In jeder compañía mußten laut Constituciones ein Mitglied als cobrador und contador (19), der die Zahlungen der Truppe an die Cofradía kontrollierte und erledigte, sowie ein weiterer Schauspieler als enfermero (20) bestimmt werden. Die Aufgabe des enfermero war es, sich um kranke Mitglieder in der Truppe zu kümmern, sie zu Hause zu besuchen, dafür Sorge zu tragen, daß sie bei schwerer Erkrankung die Sakramente erhalten und ein Testament abschließen (wenn einiges an Besitz zu vermachen sei, dann solle es der Cofradía gestiftet werden); im Falle, daß der Kranke arm war, mußte der enfermero die mayordomos, den agente und den Pfarrer von San Sebastián benachrichtigen, damit diese dem Notleidenden helfen (auf welche Weise, wird nicht ausgeführt). Sollte die Cofradía nichts ausrichten können, möge er in das Hospital General gebracht werden, und wenn es dort keinen Platz gebe, müsse die Cofradía J a caridad y misericordia que es el fin principal desta Cofradía*' praktizieren. Als letztes Amt, das die Cofradía zu vergeben hat, wird schließlich das des muñidor (mullidor) genannt. Er mußte unter anderem bei Festen, Beerdigungen und Messen („missas cantadas") der Cofradía anwesend sein, die Standarte entrollen und nach der Feier wieder zusammenlegen, er mußte außerdem in den Straßen Almosen für die Bruderschaft sammeln, als portero fungieren, die oficiales zu den Versammlungen bestellen. Falls der muñidor kein Mitglied der Cofradía ist, erhält auch er ein Entgelt. Der erste titulo der Constituciones schließt mit der Festlegung des Wahlmodus (22 bis 29) für die jeweiligen Ämter, auf den hier nicht detailliert eingegangen werden kann. Die Wahl findet grundsätzlich jeweils am dritten Fastensonntag während des cabildo general statt. Diputado, cobrador und enfermero werden am Tag darauf in den einzelnen Truppen bestimmt. Praktisch in allen Funktionen können die Amtsinhaber beliebig oft wiedergewählt werden. Lediglich die mayordomos dürfen nur dann ein weiteres Mal ihr Amt antreten, wenn zwischen einer Wiederwahl und der nächsten mindestens ein Jahr verstrichen ist (24). Bemerkenswert ist, daß nur das schauspielerische Personal wählen durfte und gewählt werden konnte (27). Die „mo?os de los Corrales y los Guardarropas y moíos de la comedia" zählten nicht als Vollmitglieder, hatten infolgedessen kein Stimmrecht und durften auch keine Ämter übernehmen. Das in Madrid beheimatate Leitungsgremium der Cofradía umfaßte einen Personenkreis, der groß genug war, um alle erforderlichen Verwaltungsarbeiten und Führungsaufgaben ausführen zu können. Andererseits wird deutlich, daß der Cofradía de la Novena offensichtlich sehr viel daran lag, in den im 177

Land umherreisenden Truppen präsent zu sein. Nur so läßt sich erklären, daß insgesamt drei Personen pro compania Ämter übertragen wurden. 4.3.3.3 Mitgliedschaft Für Schauspieler und autores war die Mitgliedschaft in der Cofradía obligatorisch, wie bereits im ersten Paragraphen des zweiten Kapitels der Constituciones festgelegt wird: „que no pueda auer en toda España Representante ni Autor que no sea Cofrade, ni Cofrade que no sea, o aya sido Autor, o Representante (...)." Damit ist der allumfassende Anspruch der Cofradía unterstrichen, das gesamte gremio unter ihren Fittichen zu vereinen. Schauspieler, die vorübergehend ihren Beruf nicht ausüben, aus welchen Gründen auch immer, können nur mit Zustimmung des cabildo aufgenommen werden, gegen Zahlung einer limosna, wovon sie allerdings ganz oder teilweise befreit werden können, wenn sie sich bemühen, wieder berufstätig zu werden (título II, 2). Ausgenommen von dieser Regelung sind kranke oder verarmte Schauspieler, die aus diesen Gründen nicht arbeiten. Sie können auf jeden Fall ohne Zahlung einer limosna in die Cofradía eintreten (3). Wenn der Betreffende gar öffentlich oder insgeheim betteln müsse, werde die Cofradía ihn von sich aus aufnehmen und ihm Hilfe zukommen lassen (wobei nicht ausgeführt wird, in welcher Weise). Eine gewisse soziale Verantwortung der Cofradía ihren Mitgliedern gegenüber spielt auch bei der Frage eine Rolle, welche Familienmitglieder der Schauspieler mit aufgenommen werden. Die Paragraphen 4 und 5 des zweiten Kapitels der Constituciones bestimmen, daß die Schauspieler jeweils mit ihren Ehefrauen sowie mit ihren unverheirateten Söhnen und Töchtern der Cofradía angehören können. Sind die Kinder verheiratet, tritt folgende Regelung in Kraft: Wenn einer der Eheleute Schauspieler ist, wird auch der andere Partner Mitglied, sind beide nicht Schauspieler, können sie auch nicht der Cofradía angehören, selbst wenn die Eltern Mitglieder sind. Des weiteren gilt generell, daß Geschwister und Eltern eines Schauspielers nicht Mitglieder werden können, wenn sie nicht dem Berufsstand angehören, mit einer Ausnahme: Wenn die Eltern von dem betreffenden Schauspieler unterhalten werden, weil sie verarmt sind, soll ihnen die Cofradia helfen, selbst wenn sie nicht schauspielerisch tätig sind (5). Diese Bestimmungen sind in ihrer Wirkung auf die Entwicklung des Schauspielwesens nicht zu unterschätzen, trugen sie doch, wie schon das Heiratsgebot für Schauspielerinnen, dazu bei, daß sich der DarstellerNachwuchs zunehmend aus den bereits eingesessenen Schauspielerfamilien rekrutierte. Denn es mußte das Bestreben der bereits tätigen Schauspieler sein, ihre Kinder in der Cofradía zu halten, wenn sie heirateten, da die Vereinigung die bereits geschilderten und weitere noch darzulegende Vorteile für das Ansehen, die soziale Sicherung und die Stellung in der religiösen Gemeinschaft bot. Wenn die Kinder nicht den Schauspielerberuf ergriffen, galt es wenigstens, sie mit einem Angehörigen des Berufsstandes zu verheiraten, damit die Mitgliedschaft in der Cofradía gewährleistet blieb. Die 178

„Dynastiebildung", auf die bereits in verschiedenen Zusammenhängen eingegangen wurde, hat in der Cofradía also ebenfalls eine ihrer Ursachen. Der zweite titulo der Constituciones enthält weiterhin Bestimmungen darüber, daß die autores dem secretario der Cofradía ihre Lizenz vorzuzeigen haben, daß sie zur Einhaltung der Constituciones verpflichtet sind (8) und jedesmal, wenn sie von neuem eine Truppe bilden, eine Liste 205 mit den Namen und Unterschriften der Truppenmitglieder übermitteln müssen, was innerhalb von acht Tagen nach der ersten von dem neuen Ensemble absolvierten Aufführung zu geschehen habe, außerhalb Madrids nach einem Monat (10). Die Liste soll am Schluß von den drei oficiales in der Truppe, diputado, cobrador und enfermero, abgezeichnet werden (11); ein Schauspieler, der sich weigert, die Liste zu unterschreiben, darf nicht in die Cofradía eintreten (13). Umgekehrt darf ein Schauspieler auch nicht der compañía eines autor beitreten, der nicht cofrade ist und nicht die Liste eingereicht sowie die sonstigen Verpflichtungen erfüllt hat (14). Die Hilfskräfte, guardarropas und mozos, die fest in einer Truppe sind und ración oder parte als Gehalt von einem autor erhalten, können auf besonderen Antrag in die Cofradía aufgenommen werden. Es wird aber wiederum darauf verwiesen, daß sie kein Stimmrecht hätten, keine Ämter übernehmen und nicht an offiziellen Veranstaltungen (actos) teilnehmen können. Allerdings haben sie Anrecht auf Hilfe, wenn sie in Not geraten sind, jedoch nur solange sie ihren Beruf ausüben. Wenn sie ihn aufgeben, haben sie nur dann Anspruch auf Hilfeleistung, wenn sie krank oder alt sind (15). Als Aufnahmegremium für alle Mitglieder gilt das cabildo, das veranlaßt, daß die Neuaufgenommenen in das Libro del Cabildo (oder de Cabildos) eingetragen werden (17). Abgesehen vom Sonderfall der mozos und guardarropas kennt die Satzung der Cofradía nur Vollmitglieder. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen (16), daß kein cofrade von irgendeiner Bestimmung der Constituciones ausgenommen werden oder sich freikaufen könne, „aunque por ello de limosna excesiua"; gemeint ist vor allem die Befreiung von Amtern. Handle jemand entgegen dieser Bestimmung, wird seine Aufnahme in die Cofradía für null und nichtig erklärt. Die oficiales, die seinen Eintritt befürwortet haben, müssen eine Strafe zahlen. Weitere Bestimmungen dieses Kapitels: Vom siebzigsten Lebensjahr an sind die cofrades nicht mehr verpflichtet, Aufgaben zu übernehmen (19). Jeder, der als aktiver Schauspieler eintritt, braucht keine limosna zu zahlen (20). Aufschlußreich ist die Tatsache daß auch Schauspieler, die nicht einer bestimmten Truppe angehören und als „representantes de la legua" 2 0 6 bezeichnet werden, der Cofradía beitreten können. Das heißt freilich nicht, daß sämtliche vagabundierenden Darsteller, die zur legua gerechnet werden, zwangsläufig Mitglieder werden können. Der in Frage kommende Personenkreis wird stark eingegrenzt: „(...) que aunque no están con Autor ninguno acuden a representar en fiestas y otauas". Gemeint sind damit eindeutig die sobresalientes, Schauspieler, die nach Bedarf für Aufführungen am Königshof und bei kirchlichen Festen (Corpus) zusätzlich engagiert werden, mithin doch einer Truppe, wenn auch nur temporär, angehören (21). Von einer Beitrittsmöglichkeit der wirklichen legua179

Schauspieler kann keine Rede sein; die Cofradía war nur für im offiziell organisierten Theaterbetrieb tätige Berufsschauspieler zugänglich. Auch die Möglichkeit des Austritts aus der Cofradía war streng geregelt. Die Cofradía konnte nur verlassen, wer den Schauspielerberuf aufgab. Als Entscheidungsgremium war auch d a f ü r das cabildo zuständig. Als „ G e b ü h r " hatte der Austrittswillige hundert reales und eine „media arroua de cera blanca" zu entrichten; ein nicht gerade geringer Betrag, der vermutlich eine abschreckende Wirkung haben sollte. Hatte der Betreffende die Cofradía einmal verlassen und den Beruf aufgegeben, war ein Wiedereintritt nicht mehr möglich. N a h m er seine Tätigkeit wieder auf oder begehrte aus anderen Gründen den Wiedereintritt, mußte er sich erneut an das cabildo wenden und die gleiche Abgabe zahlen (18). Die cofrades wurden schließlich dazu verpflichtet, im Libro de Cabildos ihre Anwesenheit bei Versammlungen durch ihre Unterschrift zu bestätigen. Der secretario mußte ein eigenes Libro de Cofrades führen, in dem anhand der von den autores eingereichten Listen der Mitgliederstand zu registrieren war (23). Das Bemerkenswerteste an den Reglements dieses zweiten Kapitels ist, d a ß für einen Schauspieler, der in einer regulären Truppe (compañía de título) arbeitete, die Mitgliedschaft in der Cofradía verpflichtend war und d a ß die Einhaltung dieser Bestimmung offensichtlich streng überwacht werden sollte (über die durch die autores eingereichten Listen). Das mag damit zusammenhängen, daß die Cofradía im Selbsterhaltungsbestreben und im Sinne einer tragfahigen finanziellen Grundlage möglichst viele Mitglieder brauchte. Gerade bei einem „ambulanten" Gewerbe wie dem der Schauspielerei wäre bei freiwilliger Mitgliedschaft die Gefahr zu groß gewesen, daß sich zu wenige zum Beitritt entschlossen hätten. Die Zwangsmitgliedschaft deutet andererseits aber auch darauf hin, in welchem M a ß Kirche und Schauspieler voneinander abhängig waren (wobei die Cofradía als Bindeglied fungierte). Über die Cofradía wollte sich die Kirche offensichtlich der Schauspieler versichern, während diese die obligatorische Zugehörigkeit zu der Cofradía akzeptierten, um in den Genuß der Vorteile zu kommen, die ihnen diese Gemeinschaft bot. 4.3.3.4 Finanzielle Grundlagen Das umfangreichste Kapitel der Constituciones ist dem finanziellen Unterhalt der Organisation schon deshalb gewidmet, weil es sich angesichts der im Land umherziehenden Truppen als besonders schwierig erwies, die Beiträge einzutreiben. Es wurde deshalb ein ausgeklügeltes Verfahren entwickelt, um die Gelder zusammenzutragen. Darauf soll hier nur in einem kurzen Überblick eingegangen werden. Als Grundabgabe mußte jeder Schauspieler von seinem Einkommen, gleich ob von ración, representación oder parte, pro zehn reales einen cuarto oder vier maravedís abführen, das heißt einen real pro 85 von ihm verdiente reales (título III, 1). Die autores mußten von den Einkünften jeder Vorstellung, mit Ausnahme der particulares, je einen real abzweigen (2). Die Abgaben wurden grundsätzlich vom autor kassiert (3), wenn er dieser Pflicht nicht nachkam,

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mußte er die Beiträge für alle Truppenmitglieder aus eigener Tasche bezahlen. Des weiteren mußten die bei bestimmten Verfehlungen (wie etwa unentschuldigtem Fernbleiben von Proben) anfallenden Konventionalstrafen an die Cofradía abgeführt werden (4). Ein großer Teil der Anordnungen dieses Kapitels legt fest, wie das Geld für die Cofradía innerhalb der jeweiligen Truppe verwaltet werden soll. Danach muß jeder autor für die Truppe eine arca anschaffen, mit zwei Schlüsseln, von denen je einen der diputado und der „thesorero" (gemeint ist der cobrador) erhalten (5). Außer dem Geld muß in der arca das Rechnungsbuch aufbewahrt werden (6). In dieses Buch sollen neben den laufenden Einnahmen und Ausgaben die Namen von diputado, cobrador und enfermero eingetragen werden (7), ebenso etwaige Vermächtnisse zugunsten der Cofradía (9). Weitere Einkünfte für die Cofradía, außer den genannten Abgaben, sind die limosnas, die von einem Truppenmitglied am Eingang der Theater gesammelt werden. Auch diese Einnahmen sind in der arca zu deponieren, die Beträge müssen in das Rechnungsbuch eingetragen werden (10). Eine Reihe von Bestimmungen regelt, was mit dem Geld in der arca zu geschehen hat. Es darf generell kein noch so kleiner Betrag für andere als der Cofradía dienliche Zwecke entnommen werden, es sei denn mit Genehmigung des cabildo, die in der arca schriftlich niedergelegt sein muß (11). Als wichtiger Grund für eine solche Ausnahme wird im folgenden (12) der Fall angeführt, daß ein Truppenmitglied unterwegs erkrankt und nicht mit der compañía Weiterreisen kann. Dann dürfen bis zu hundert reales der arca entnommen und dem Schauspieler ausgehändigt werden. Das Verfahren dafür ist streng reglementiert: Der autor darf das Geld nur mit Zustimmung von diputado, cobrador und enfermero sowie zweier weiterer cofrades abzweigen. Es handelt sich bei dieser Zahlung - ein entscheidenes Detail - jedoch in jedem Fall nur um ein Darlehen. Wenn der Betreffende genesen ist, muß er den Betrag wieder zurückzahlen, ob er den Schauspielerberuf weiter ausübt oder nicht. Ebenso bürokratisch wie die Entnahme ist die Rückzahlung des Geldes geregelt (13). Für den Fall unrechtmäßiger Verwendung des Darlehens werden Strafen angedroht. Eine Serie weiterer Paragraphen befaßt sich damit, wie das von den Truppen kassierte Geld an die Cofradía übermittelt werden soll. Löst sich eine Truppe auf, müssen arca. Buch und Geld an den tesorero der Cofradía zurückgegeben werden. Area und Buch können daraufhin an einen anderen autor zur Weiterführung übergeben werden (15). Während des Spieljahrs ist in der Regel alle vier Monate abzurechnen und der bis dahin erwirtschaftete Betrag an den tesorero zu zahlen (16), auf alle Fälle muß in der ersten Fastenwoche Bilanz gezogen und alles bis dahin gesammelte Geld, ob wenig oder viel, an die Cofradía übermittelt werden (17). Wenn ein autor mit seiner Truppe nach Madrid kommt, muß er das in der arca aufbewahrte Geld dem tesorero übergeben, ohne dabei den Ablauf der Viermonats-Frist abzuwarten (21), und wenn er die Stadt wieder verläßt, muß er ebenso den inzwischen eingegangenen Betrag abliefern (22). Ahnliche Vorschriften wie für die Verwaltung der Gelder innerhalb der Truppen gelten auch für die „Zentrale" der Cofradía in Madrid selbst. So 181

muß sie ebenfalls eine große arca bereitstellen, mit drei Schlössern, für die der Pfarrer von San Sebastián, ein mayordomo und der tesorero je einen Schlüssel erhalten (23). Es wird außerdem festgelegt, daß in der arca ein eigenes Abteil für das archivo der Cofradía mit allen wichtigen Dokumenten einzurichten sei (24), daß der tesorero ein Buch über den Besitzstand, die Ausgaben und Einnahmen führen müsse (25), wie dieses Buch im einzelnen anzulegen ist (26 bis 32), daß der secretario die Eintragungen auf Anweisung des tesorero vorzunehmen und zusammen mit diesem bei jedem Vorgang zu unterschreiben hat (33). Ein zweites Buch für die gleichen Zwecke muß der tesorero außerdem bei sich zu Hause aufbewahren, die Bilanz muß jeweils mit Hilfe beider Bücher erstellt werden (34). Aufschlußreich ist, welcher Stellenwert dem tesorero laut Satzung bei der Verwaltung des Besitzstandes der Cofradía zukommt. Er ist sozusagen generalbevollmächtigter Geschäftsführer: „que el dicho tesorero tenga á su cargo el cobrar y reciuir toda la hazienda de la dicha Cofradía (...)" (35); „que todos los bienes muebles que la Cofradía tuuiere (...) esten en poder del Tesorero (...)" (36). Bei Prozessen muß er allerdings den agente und einen abogado (den letrado?) hinzuziehen (35) und bei größeren Ausgaben („para cosas excesiuas") die Genehmigung des cabildo einholen (37). Nach einigen weiteren Bestimmungen, wie das Geld in der arca zu verwalten sei (43 bis 45) wird schließlich darauf hingewiesen, daß jedes Jahr einmal, nach der Wahl der mayordomos und der anderen oficiales bei der Generalversammlung in der Fastenzeit, eine Rechnungsprüfung stattfinden solle (46). Das dritte Kapitel der Constituciones legt zunächst Zeugnis ab von dem Bestreben der Gründer der Cofradía, die Vereinigung auf eine gesunde wirtschaftliche Grundlage zu stellen und durch verschiedene Einnahmequellen (direkte Abgaben von Schauspielern und autores, Almosen, gesammelt auf der Straße und am Theatereingang, Vertragsstrafen, Vermächtnisse) den regelmäßigen Eingang von Geldern ebenso sicherzustellen wie durch eine minutiöse Reglementierung des Verfahrens, wie die Truppen das von ihnen gesammelte Geld an die Cofradía abzuführen haben. Es überrascht jedoch, daß die Cofradía, die ihre sozialen Verpflichtungen den Mitgliedern gegenüber so sehr betont („y porque la dicha Cofradía dessea satisfacer en todo á los principales fines de su Instituto y en particular al de socorrer los Cofrades pobres y enfermos" (12), Hilfeleistungen eher restriktiv und reichlich bürokratisch regelte. Es handelte sich überdies bei den Zuwendungen nicht um echte Unterstützungszahlungen, sondern lediglich um Darlehen, die nach Beendigung der Notlage wieder zurückzuzahlen waren. Das mag zwar mit einer gewissen Furcht vor Mißbrauch der für die Cofradía gesammelten Gelder zu erklären sein, läßt aber auch Rückschlüsse auf die Bedeutung zu, die der sozialen Aufgabenstellung der Organisation tatsächlich zugemessen wurde. Sie war, so hat es nach Betrachtung des dritten Kapitels der Constituciones den Anschein, den Repräsentationsaufgaben und sonstigen religiösen Zwecken untergeordnet. Die Fürsorge für Kranke und alte Schauspieler blieb - das zeigt die Bestellung der enfermeros - doch eher eine interne Angelegenheit der Truppen. 182

4.3.3.5 Leitung und Gemeinschaftsleben Das vierte Kapitel der Constituciones regelt, im Vergleich zu den vorangegangenen Ausführungen über die finanziellen Angelegenheiten verhältnismäßig knapp, die Führung und die Aktivitäten der Cofradía. Das cabildo, bestehend aus mayordomos, dem agente, einem diputado und zwei cofrades sowie dem Pfarrer von San Sebastián beziehungsweise dessen „teniente mas antiguo", muß in der Regel einmal im Monat tagen (den Termin bestimmt jeweils der älteste mayordomo), darüber hinaus können jederzeit cabildos extraordinarios einberufen werden (titulo IV, 1). Für das unentschuldigte Fernbleiben von den Versammlungen werden Strafen festgesetzt (2). Das cabildo ist das mit allen Befugnissen ausgestattete leitende Gremium der Cofradía; es kann für alle Verstöße gegen die Constituciones Strafen verhängen (3). Die Versammlungen werden vom asistente, das heißt dem Pfarrer von San Sebastián, geleitet. Er erteilt den einzelnen Mitgliedern das Rederecht, da er die campanilla betätigt (in seiner Vertretung der teniente beziehungsweise der „mayordomo mas antiguo", 3). Ausdrücklich wird auf die Einhaltung der Disziplin gegenüber dem cabildo nicht nur während der Versammlungen hingewiesen: que los Cofrades y oficiales sean muy obedientes á la orden y mandatos que por el Cabildo de la dicha Cofradía salieren y las guarden y obseruen en todo lo que les tocare y fuera de los Cabildos obedezcan y respeten al Sr. Cura que es o fuere de la Iglesia del Señor San Sebastian; y assimismo respeten á los que fueren Mayordomos como a cabezas en todo lo que tocare y perteneciere al gouierno de la Cofradía y execucion destas Ordenanzas (...). (4).

In der Folge werden zunächst - auch dies ein Hinweis auf den Vorrang der religiösen Verpflichtungen der Cofradía - die Feste, die die Bruderschaft zu begehen hat, und die sonstigen kirchlichen Obliegenheiten aufgezählt. Als Hauptfest wird der 25. März, Mariä Verkündigung, festgelegt. In den Advertencias waren noch Bedenken dagegen erhoben worden, das Fest in diesem Abschnitt des Kirchenjahres zu feiern, weshalb vorgeschlagen wurde, es auf die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten zu verlegen. 207 In den Constituciones wird nun gerade die Fastenzeit als der günstigste Zeitpunkt propagiert, „por concurrir entonces en esta Corte mayor numero de Cofrades que en todo lo restante del año" (5). Sollte das Fest jedoch exakt in die Karwoche fallen, wird als Ersatztermin der vierte Fastensonntag vorgeschlagen (6). Als weitere wichtige Veranstaltung nennt das vierte Kapitel der Satzung das cabildo general, das - aus den gleichen Gründen wie das Patronatsfest in der ersten oder spätestens zweiten Fastenwoche stattfinden müsse (8). Bezeichnenderweise soll dabei einer der wichtigsten Tagesordnungspunkte die gehörige Vorbereitung der „fiesta principal" sein: „en el qual se resuelua todo lo que tocare á la celebración de la fiesta assi en quanto al día como en quanto al adorno, disposición y gasto (...)." Auf jeweils vom cabildo festzulegende Art müssen alle weiteren Marienfeste ebenso begangen werden wie der Heilige Abend und die Feste des heiligen Joseph sowie des heiligen Johannes des Täufers, die auf dem Bild der Maria de la Novena dargestellt sind (9). 183

Aus Anlaß der Feste, heißt es weiter, sollen Ablässe gewährt werden (10), Wunder, die dem Marienbild zugeschrieben werden, sind zu registrieren und dem juez ecclesiastico zur Beurteilung vorzulegen (11). Das Bild solle immer in der für es bestimmten Kapelle oder am Alter angebracht und beleuchtet sein, mit „dos velas de cera y ardiendo todas las lamparas". Das Geld für das Wachs solle von den gewöhnlichen limosnas genommen werden (12), für den Fall, daß die Cofradía verarmt sei, müßten gemäß den Anweisungen des cabildo die autores einen jeweils doppelt so hohen Betrag wie die Schauspieler und diese doppelt so viel wie die mozos aufbringen (13), „voluntario y no forzoso", wie ausdrücklich festgehalten wird. Die mayordomos werden in diesem Zusammenhang ermahnt, darauf zu achten, daß die Almosen der Satzung entsprechend regelmäßig eingehen. Daß die Cofradía nach außen hin bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Erscheinung zu treten und ihre Existenzberechtigung im kirchlichen Leben zu beweisen versucht, geht aus der Anordnung hervor, nach der die Vereinigung an der Gründonnerstag-Prozession teilnimmt, die vom „Hospital de la Passion" ausgeht, wobei mayordomos, autores und cofrades mit ihren Insignien (varas und hachas) sowie in der entsprechend feierlichen Kleidung erscheinen müssen. Die Insignien dürfen jedoch nur von den jeweils dazu Berechtigten getragen werden (16/17). Die Bemerkungen „en la forma que ha salido otros años" und (am Rand des betreffenden Paragraphen, 16) „como siempre lo ha hecho" deuten d a r a u f h i n , daß die Cofradía bereits lange vor ihrer endgültigen Zulassung und Institutionalisierung bei solchen offiziellen kirchlichen Anlässen auftrat. Besonders ausführlich wird, ganz am Ende der Constituciones (IV, 18 bis 29), die Frage behandelt, wie die verstorbenen cofrades zu bestatten seien. Das wird verständlich, wenn man bedenkt, daß ein christliches Begräbnis für Schauspieler nicht in allen Ländern damals eine Selbstverständlichkeit war. 2 0 8 Eine sehr wesentliche Funktion der Cofradía, für das Ansehen des Berufsstandes im damaligen Spanien von erheblicher Bedeutung, ist zweifelsohne die detaillierte Regelung des Bestattungswesens. Die cofrades, die in Madrid sterben, werden grundsätzlich in der Kirche von San Sebastián beerdigt, solange die Cofradía noch nicht über eine eigene Kapelle verfügt, in den „quatro sepulturas que la Iglesia les ha dado (...) en la ñaue que esta el Altar de la Santissima Imagen" (18). Bei der Beerdigung müssen die cofrades den Leichnam zur Kirche begleiten, dabei sind die Insignien der Cofradía („estandarte con veyntiquatro achas") zu benutzen. In der Kirche wird dann in Anwesenheit des Leichnams die Messe gehalten, für deren Kosten die Cofradía aufkommt. Am Tag der Bestattung müssen auch jene Messen gelesen werden, die der Tote in seinem Testament gewünscht hatte und die von seiner Hinterlassenschaft gezahlt werden. Danach folgen weitere, ebenfalls von der Cofradía bestellte Gottesdienste: eine wesentliche Bestimmung, hängt doch nach damaliger und heutiger kirchlicher Auffassung das Seelenheil eines Toten zu einem guten Teil von der Anzahl der Messen ab, die für ihn gehalten werden. Die herausragende Bedeutung dieser Tatsache wird auch in dem entsprechenden Paragraphen (19) unterstrichen: „porque ninguno por pobre ni por rico pierda este sufragio que se le deue por Cofrade".

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Wenn ein Mitglied der Cofradía außerhalb Madrids stirbt, sind der autor, in dessen Truppe er tätig war, beziehungsweise die cofrades, die von seinem Tod erfahren, verpflichtet, dies dem mayordomo oder agente der Bruderschaft zu melden (21), damit der Betreffende, wenn er schon nicht in Madrid bestattet werden kann, die gleichen „honrras" wie jener erhält, der am Sitz der Cofradía verscheidet (22). Bei Beerdigung und honras müssen alle jene cofrades anwesend sein, die dazu gebeten werden; wieviele es jeweils sein müssen, wird nicht im einzelnen festgelegt (23). Die mozos erhalten ebenfalls das Recht zur Bestattung in der Kirche, allerdings in einem anderen Grab. Die Totenmesse für sie wird jedoch in der gleichen Form wie für die übrigen cofrades gehalten: allerdings dürfen außer der Standarte nur zwölf hachas verwendet werden, halb so viele wie bei den anderen Mitgliedern der Cofradía (24). Auf die Bedeutung der Insignien und die Tatsache, daß sie ausschließlich bei Beerdigungen von Mitgliedern der Cofradía präsentiert werden dürfen, wird ausdrücklich hingewiesen (25). Stirbt ein cofrade in einem der Krankenhäuser in Madrid, soll der Leichnam in die Kirche von San Sebastián überführt werden. Kann dies nicht aus seiner Hinterlassenschaft bezahlt werden, will die Cofradía dafür aufkommen. Ganz deutlich wird dabei das Bestreben, wenn irgend möglich die Mitglieder in der Kirche von San Sebastián zu bestatten: „siempre que ningún Cofrade que en esta Corte muriere se entierre fuera de la yglesia de San Sebastian donde la Cofradía está fundada." (26) Die Eltern von Mitgliedern der Cofradía können nur dann im Grab der Vereinigung ihre letzte Ruhe finden, wenn sie bei dem Betreffenden zu Hause gewohnt haben oder von ihm versorgt worden sind (28). In diesem Fall dürfen bei den Beerdigungen, da es sich ja nicht um cofrades im engeren Sinn handelt, keine Standarte und nur zwölf hachas gezeigt werden; die honras sollen jedoch in der gleichen Weise wie bei den Vollmitgliedern selbst gehalten werden. Jedes Jahr muß am Totengedenktag oder zu einem anderen von der Cofradía bestimmten Termin in der entsprechend mit schwarzen Tüchern, einer schwarzen Standarte, einem Katafalk, darauf einem Kissen mit einer Krone und anderem ausgestatteten Kirche eine Messe in einer bestimmten Form, die in Paragraph 29 detailliert beschrieben wird, zelebriert und so der Toten der Cofradía gedacht werden. Das Vertragswerk schließt mit der Feststellung, daß es Ziel der Cofradía sei, „incitar á las obras de charidad y euitar pecados" (30). Die Vereinigung versteht sich demnach offensichtlich nur mittelbar als wohltätige Organisation: Sie möchte ihre Mitglieder zur Wohltätigkeit anhalten, während ihre eigenen Aktivitäten auf diesem Gebiet, wie zu sehen war, eher geringfügig ausfallen. Viel wichtiger erscheint jedoch der zweite Teil dieser Absichtserklärung: „euitar pecados". Die Cofradía fühlt sich vorrangig für das Seelenheil ihrer Mitglieder verantwortlich. Dies ist wohl auch der Grund dafür, daß sie das Gewissen der cofrades nicht über Gebühr belasten will: Die Mißachtung der Bestimmungen soll keine Todsünde sein („declara que su intento y voluntad es que estas Ordenanzas no obliguen á peccado mortal"). Der allerletzte Paragraph der Constituciones (31) weist darauf hin, daß die Genehmigung für die Satzung beim Consejo des „Serenissimo Señor Cardenal Infante de España, Arzobispo de Toledo" einzuholen sei. Und das ist, wie bereits dargestellt, ja auch geschehen. 185

4.3.4 Entwicklung der Cofradía Die in der Satzung verankerten Bestimmungen sind Normen, die in der Realität nicht notwendigerweise auch so eingehalten wurden, wie dies in den einzelnen Paragraphen festgelegt ist. Im Falle der Cofradía erscheint es jedoch auch anhand des vergleichsweise umfangreichen Archivs, das noch erhalten ist, nicht möglich, im einzelnen nachzuprüfen, wie die Constituciones im Leben der Institution angewendet wurden. Es spricht zumindest keines der für diese Arbeit untersuchten Dokumente gegen die Annahme, daß die Cofradía tatsächlich nach den einmal fixierten Bestimmungen ihr Gemeinschaftsleben einrichtete. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang die Rechnungsbücher, die anhand der Einnahmen und Ausgaben Aktivitäten der Bruderschaft widerspiegeln. Solche Rechnungsbücher sind jeweils für unterschiedliche Zeiträume erhalten. 2 0 9 Einer dieser Bände, das Libro de la Cofradía de Nuestra Señora (...), reicht von 1650 bis 1700. Es wurde also erst nach, der durch das generelle Theaterverbot von 1644/46 verursachten Zäsur im Theaterwesen angelegt. Zwischen 1646 und 1650 hörte die Cofradía zwar nicht auf zu existieren, schränkte ihre Tätigkeit aber doch weitgehend ein, da die meisten Schauspieler in dieser Zeit, in der sie nicht auf der Bühne erscheinen konnten, auf andere Weise ihren Lebensunterhalt verdienen mußten. Daß die Cofradía auch in dieser Phase präsent blieb, geht nicht zuletzt aus den Eintragungen im Libro de Thesoreros de Cargo y Datta beispielsweise für das Jahr 1647 hervor, in dem unter anderem Gewänder („túnicas") für die cofrades bezahlt wurden. Im übrigen waren die Verbotszeiten nicht nur für die Schauspieler, sondern auch für die Cofradía jeweils ein schwer zu verkraftender Schlag. Dies wird an einer Eingabe des tesorero Gerónimo de Peñarroja an Karl II. deutlich. Das Schreiben 2 1 0 ist nicht datiert, dürfte sich aber auf die Verbotszeit nach dem Tod Philipps IV. beziehen (17. September 1665 bis 2. Mai 1667) beziehen. Peñarroja schreibt: Que por la suspensión de la Comedia, se ve aquel Santuario (que es uno de los mas (requemados, assi por los muchos Sacrificios, como por lo milagroso de la Santa Imagen) precissado a descaecer el Culto, por mantenerlo solo de las limosnas que davan las Compañías: y oy la piden, los que ayer la dieron, siendo precisso vender las alhajas de su adorno, assi para entierros, como cera y otros gastos forzosos, sin otras seis Capillas, que la piedad ha eregido a dicha Santa Imagen, en las mayores Ciudades de España, y de quien el Padre de V. Mag. el Señor Rey Felipe Quarto (que está en el Cielo) fue muy devoto, assistiendo todos los años con cien ducados de limosna para su conservación, y aumento, como parecera por los Reales libros (...).

Ziel des Briefes war es offensichtlich, nun auch vom neuen Herrscher den jährlichen Zuschuß zu erhalten: „(...) m a n d a n d o V. Mag. se le de la forma, que mas convenga, para el fin que tiene representado, de que recebira limosna de su piadosa y Real m a n o . " 2 1 1 Das Dokument ist in vielerlei Hinsicht aufschlußreich. Zum einen zeigt es die Bedrängnis, in die die Cofradía in Ver186

botszeiten kam, da sie nun auf Einkünfte weitgehend verzichten mußte und überdies vermehrte Ausgaben zu verkraften hatte. Zumindest konnte der Kult um das Marienbild nicht in der gewohnten Weise aufrecht erhalten werden, da sogar der bis dahin gestiftete Schmuck verkauft werden mußte, damit die Cofradía „liquide" blieb. Des weiteren dokumentiert die Eingabe eine erstaunliche Ausbreitung der Verehrung des „Novena"-Marienbildes. Diesbezüglich ist ein weiteres Schriftstück von Interesse, das offensichtlich ebenfalls auf Peñarroja zurückgeht und bei den Nachforschungen im Archiv der Cofradía für diese Arbeit zutage trat. 2 1 2 Es ist ein Brief, gerichtet an einen „Illusmo. Señor", dessen Identität nicht zu ermitteln ist. Das Schreiben gibt auch in anderer Hinsicht Rätsel auf, da es weder datiert ist noch jemals vollendet wurde; der Text bricht mitten in einem Satz ab. So ist auch nicht erkennbar, welchem Zweck er dienen sollte. Das Dokument enthält jedoch eine Aufzählung all jener Kultstätten, die inzwischen außer der capilla in der Kirche von San Sebastián in Madrid der María de la Novena zu Ehren errichtet wurden. Es handelt sich dabei im einzelnen um Verehrungsstätten in Valladolid, Zamora, Sevilla, Granada, Zaragoza, Barcelona, Mallorca (Palma), Valencia sowie in Madrid auch noch in der „hospedería de Santo Domingo, en la plazuela de la ceuada" 2 1 3 . Außer im zuletzt genannten Fall ist es jeweils entweder ein Marienbild, ein Altar oder eine eigene Kapelle, grundsätzlich aber verbunden mit einer eigenen Begräbnisstätte. Dies unterstreicht wiederum die Bedeutung, die einer ehrenvollen Bestattung der Cofradia-Mitglieder beigemessen wurde. Ein Paragraph der Constituciones (IV, 21) ist der Frage gewidmet, was zu geschehen habe, wenn ein cofrade außerhalb Madrids stirbt. Während demnach anfangs die Cofradía in Madrid zu benachrichtigen war, um in der Kirche von San Sebastián die honras zu halten, bot sich nun offensichtlich die Möglichkeit, die Bestattungszeremonien in der dem Ort, an dem der cofrade starb, nächstgelegenen Kapelle oder Gedächtnisstätte der Señora de la Novena zu begehen. Bis auf den Norden sind, der Aufstellung zufolge, in nahezu allen Regionen beziehungsweise damals bedeutenden Orten Kultstätten entstanden. Das zweite Schreiben enthält am Rand eine Anmerkung, die zwar eine grobe Datierung (auf die Zeit kurz nach dem Tod von Karl II., 1700) zuläßt, jedoch von anderer Hand später angebracht wurde. Darin wird wiederum darauf hingewiesen, daß die Cofradía vom jeweiligen Herrscher durch finanzielle Zuwendungen unterstützt worden sei (zugleich ist der Vermerk Nachweis dafür, daß der unter Philipp IV. begonnene Brauch unter Karl II. fortgeführt wurde). Dies bedeutet aber auch nichts anderes als eine Anerkennung der Cofradía durch den Regenten. 2 1 4 Die beiden Schriftstücke zeigen, wie sehr sich die Cofradía als religiöse Gemeinschaft zur Pflege des Marienkultes etabliert und ausgebreitet hatte. Die Bedeutung der Cofradía als religiöse Gemeinschaft wird nicht zuletzt durch die Anerkennung von allerhöchster kirchlicher Seite, durch den Papst, herausgehoben. Im Laufe des 17. Jahrhunderts erhielt die Cofradía zu verschiedenen Anlässen insgesamt sechzehnmal von verschiedenen Päpsten das Ablaß-Privileg. 215 187

Die Rechnungsbücher, Ausgangspunkt für die vorangegangenen Ausführungen, erweisen, wie die Durchsicht ergibt, d a ß die eingegangenen Gelder zuallererst für die Pflege des Marienkultes und anderer kirchlicher Ziele verwendet wurden. So finden sich besonders häufig Eintragungen über Zahlungen an Musiker, die bestimmte Gottesdienst- und andere Feiern umrahmten, für Geistliche, die aus gleichem Anlaß Predigten hielten, für Öl, mit dem die Lampen in der Kapelle betrieben wurden, und für Kerzenwachs. Bei den Ausgaben, die direkt für die cofrades aufgewendet wurden, handelt es sich meist um Kosten, die durch honras bei Beerdigungen entstanden. 2 1 6 Almosen für erkrankte oder verarmte cofrades erscheinen nur äußerst selten in den Büchern. 4.3.5 Der Einfluß der Cofradía auf den Schauspielerberuf Nach den ausführlichen Untersuchungen zu Entstehung und Wirken der Cofradía de Nuestra Señora de la Novena läßt sich nun die Frage nach dem Einfluß dieser Organisation auf die materielle und moralische Seite des Berufsstandes verhältnismäßig eindeutig beantworten. In der geradezu stürmischen Entwicklung des Theaterwesens im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts markierte die G r ü n d u n g der Cofradía den Höhepunkt dieser Phase, der zugleich einen nicht zu unterschätzenden Zuwachs an gesellschaftlicher Reputation mit sich brachte. 2 1 7 Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die Verbindung zwischen der Wundertätigkeit des Marienbildes und der Schauspielerei durch eine kleine Manipulation hergestellt wurde: dadurch, daß Catalina de Flores, deren Heilung dem Bild den Namen gab, kurzerhand als Schauspielerin ausgegeben wurde, obwohl sie das nachweislich nicht war. Wichtigstes Kriterium für die Wahl der Mariendarstellung als Kultbild für die Cofradía war jedoch die Tatsache, daß es sich mitten in dem von Schauspielern bewohnten Stadtviertel befand. Die Verknüpfung der Bruderschaft mit der Marienverehrung war kein Zufall. Als besonders charakteristisch für die katholische Kirche, diente sie als eindeutiges Zeichen für die Loyalität der Cofradía dem katholischen Glauben gegenüber; sie wurde ja auch am Beispiel der Verehrung des Novena-Bildes als Waffe gegen die Einflüsse der Reformation 2 1 8 dargestellt. Zumindest indirekt erscheint so die Schauspielerschaft eingespannt in die Ziele der Gegenreformation. Abgesehen davon, daß bei den Schauspielern der Wunsch nach einem Zusammenschluß ohnehin bestanden haben m a g 2 1 9 , brachte die Realisierung in Form einer marianischen Cofradía entscheidende Vorteile sowohl für die Schauspieler als auch für die Kirche. Das Schauspielwesen wurde, durch die Beteiligung an der Verbreitung des Marienkultes aktiv im Dienst der Kirche, in ähnlicher Weise - vielleicht sogar noch wesentlich stärker - moralisch aufgewertet, wie dies schon durch die althergebrachte Verknüpfung des Theaterbetriebs mit der Finanzierung der Krankenhäuser geschehen war. Es wurde so sehr viel schwieriger, die Schauspielerei als unehrenhaftes Gewerbe hinzustellen. Hinzu kam, für die meist verstreut im Land wirkenden Truppen 188

ein bedeutsamer Vorzug: die Funktion der Cofradía als zentrale, koordinierende Institution. Die Kirche wiederum konnte sich über die Cofradía einer Bevölkerungsgruppe versichern, die sie für die Verkündung ihrer Heilsbotschaften brauchte: für die Aufführung der autos sacramentales an Fronleichnam und die künstlerische Gestaltung sonstiger kirchlicher Feste. Zudem hatte sie eine direkte Kontroll- und Einflußmöglichkeit in einer Berufsgruppe, die in der ständisch gegliederten Gesellschaft keine feste Position hatte. Man könnte schließlich sogar so weit gehen und die Cofradía de Nuestra Señora de la Novena als Instrument zur „Missionierung" der Schauspieler ansehen. 220 Insgesamt ergab sich so ein Geflecht von Beziehungen zwischen Schauspielwesen, Kirche und Sozialeinrichtungen (Krankenhäuser), in dem jeder vom anderen profitierte. Von entscheidender Bedeutung war die Vorschrift, daß die Mitgliedschaft in der Cofradía für Schauspieler grundsätzlich obligatorisch war. Wer als Schauspieler in einer offiziell zugelassenen Truppe arbeiten wollte, mußte sich also durch das Bekenntnis zu den in der Präambel der Constituciones aufgezählten Glaubensartikel als vollwertiges Mitglied der kirchlichen Gemeinschaft ausweisen. Umgekehrt bedeutete dies auch eine Verpflichtung der Kirche den Schauspielern gegenüber. Was den Kreis der zur Cofradía Gehörenden und ihre Rechte betrifft, haben die Nachforschungen für diese Arbeit Ergebnisse gebracht, die bisher weit verbreitete Anschauungen über die Cofradía korrigieren. Shergold etwa behauptet: (...) membership o f the Cofradía was open to .autores*, actors, and their wives and children. and to anyone who had been attached to the companies, in any cap a d t y. however h u m b l e . 2 2 1

Er nennt ausdrücklich guardarropas und mozos als Beispiele für die zuletzt erwähnte Kategorie. Diez Borque 2 2 2 beruft sich wiederum auf Shergold und auch auf Subirá 2 2 3 . Er fügt hinzu, auch die „cómicos de la legua" hätten der Cofradía angehören können, „con igualdad de derechos". Daraus leitet Diez Borque den „carácter democrático" der Vereinigung ab. Wie bei der genaueren Betrachtung der Satzung zu sehen war, kann dies jedoch nur sehr bedingt behauptet werden, zumal das Wort „demokratisch" im zeitgeschichtlichen Kontext nur mit allergrößter Vorsicht zu verwenden ist. Zwar konnten tatsächlich guardarropas und mozos Mitglied der Cofradía werden, wenn sie einer Truppe angehörten (Constituciones II, 15), aber sie hatten weder Stimmrecht noch durften sie Ämter übernehmen noch als Repräsentanten der Cofradía öffentlich auftreten. In den Constituciones fallt zwar das Wort von der legua. Dies heißt jedoch nicht, daß auch alle Schauspieler, die nicht den compañías de título angehörten, der Cofradía beitreten konnten. Die entsprechende Bestimmung (II, 2) besagt, daß nur diejenigen von den nicht fest zu einer anerkannten Truppe zählenden Schauspieler Mitglied der Cofradía werden konnten, die als sobresalientes bei bestimmten Aufführungen am Hof und bei kirchlichen Festen zusätzlich engagiert wurden, mithin doch, wenn auch nur zeitweise, in

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einer der offiziell zugelassenen compañías tätig waren. So gesehen ist de Cofradía „elitärer", als dies Diez Borque wahrhaben will: La cofradía, dando muestra de mayor comprensión de la situación real que los reglamentos que declaraban ilegales a las compañías ambulantes, admiten (sie), también, a los cómicos de la legua, con igualdad de derechos. 224

Die Cofradía fühlte sich nur zuständig für die mit einer Lizenz ausgestatteten Truppen, wie es auch die Vorschrift dokumentiert, daß die autores ihren „Título de su Magestad" dem secretario der Bruderschaft zu präsentieren hätten. (II, 7). Außerdem spricht die Berufung des für das Theaterwesen zuständigen Vertreters des Consejo de Castilla als protector der Cofradía für diese Annahme. Die Reglementierung des Zugangs 2u der Vereinigung, die die Aufnahme von Familienmitgliedern, vor allen der Kinder, zuließ, ist wiederum ein Faktor - neben anderen bere:ts in verschiedenen Zusammenhängen dargestellten Wirkungsmechanismen -, der den Prozeß beschleunigt haben dürfte, daß der Nachwuchs für die Bühne zunehmend und schließlich fast ausnahmslos aus den eingesessenen Schaispielerfamilien kam. Das Gemeinschaftsleben der Cofradía wurde von einem streng hierarchisch gegliederten Führungsgremium bestimmt, das ausschließlich von Männern besetzt war. 2 2 S Es war aber immerhin ein Fortschritt - zu erklären aus der Bedeutung der weiblichen Darsteller für den Theaterbetrieb -, daß Frauen überhaupt Mitglieder werden konnten. Aufgrund der Bestimmung, daß nur verheiratete Frauen spielen durften, traten sie jedoch zwangsläufig als „Anhängsel" des Mannes in die Cofradía ein. Wegen des Heiratsgebots ist der Beitritt alleinstehender Frauen gar nicht vorgesehen. Obwohl im Laufe des Gründungsprozesses der Cofradía die Position der Truppenvertretung in der Leitung der Organisation gestärkt wurde (durch Erhöhung der Zahl der mayordomos und ein ausgeklügeltes Vertretungssystem, das sicherstellte, daß immer ein mayordomo anwesend war, beziehungsweise daß ohne einen mayordomo keine schwerwiegende Entscheidung gefallt werden durfte), fällt die Sonderstellung des Pfarrers von San Sebastián auf. Er erteilt bei den Versammlungen das Wort und er hat bei nahezu allen wichtigen Fragen mitzureden und mitzubestimmen. Dies wird allerdings verständlich, wenn man bedenkt, daß es bei fast allen Angelegenheiten, die im cabildo zu regeln waren, um religiöse beziehungsweise kirchliche Probleme ging, um den Bau der Kapelle etwa oder die Gestaltung von Festen. Wichtigstes Ergebnis der Untersuchungen zur Cofradía der Schauspieler ist die Feststellung, daß es sich bei der Organisation nicht vorrangig um eine Sozialhilfe-Einrichtung, handelt. Auch in dieser Einschätzung sind bisher verbreitete Thesen zu korrigieren. Diez Borque glaubt konstatieren zu können: Las razones por las que se funda esta cofradía son eminentemente de seguridad y previsión social, es decir, para satisfacer las necesidades que los autores de comedias no satisfacían, sobre todo cuando la actividad laboral se interrumpía. 226

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Die Cofradía übernahm keineswegs, wie man von ihr erwarten könnte, die Sozialfürsorge für in Not geratene Schauspieler, ein Problem, dessen Tragweite im Abschnitt über die wirtschaftliche Seite des Berufsstandes ausführlich dargestellt wurde. Die Vereinigung überließ dies vielmehr der jeweiligen Truppe, was vom rein pragmatischen Gesichtspunkt aus vernünftig erscheint, da die compañías häufig unterwegs waren und Hilfe vor Ort geleistet werden mußte. Man kann es aber immerhin der Cofradía als Verdienst anrechnen, daß sie die Unterstützung der in einer Notlage befindlichen Schauspieler zu organisieren half: durch Bestellung je eines enfermero in jeder Truppe und die Möglichkeit, von dem eigentlich ihr zustehenden Geld Darlehens- (nicht Zuschuß-) Zahlungen an die betreffenden Mitglieder zu leisten. In schwierigen Fällen erklärte sie sich allerdings bereit, auch von Madrid aus zu helfen, weshalb die enfermeros angehalten wurden, solche Notfalle zu melden. Zu den Phasen, in denen die „actividad laboral" (Diez Borque) ruhte, gehörten vor allem die Zeiten, in denen das Theaterspiel verboten war. In diesen Perioden war die Cofradía offensichtlich völlig überfordert, da sie - wie der Brief Peñarrojas 2 2 7 zeigt - sogar Schmuck, der zugunsten des Marienbildes gestiftet worden war, versetzen mußte, um die notwendigsten Ausgaben decken zu können (an erster Stelle werden die Begräbniskosten für die cofrades genannt). Faßt man den Begriff der sozialen Hilfeleistung nicht allzu eng, muß allerdings die Sorge der Cofradía für eine christliche Bestattung ihrer Mitglieder dazu gerechnet werden. Und diese Aufgabe hat sie, wie in den vorangegangenen Ausführungen deutlich zu sehen war, mit besonderem Engagement erfüllt. Trotz solchen Wirkens kann man der Cofradía keine vollgültige Ersatzfunktion für die Zielsetzungen eines gremio, einer regelrechten Zunft oder einer sonstigen auf die Berufstätigkeit bezogenen Organisation, zusprechen, wenn sie auch teilweise deren Aufgaben wahrnahm. Sie blieb in erster Linie eine kirchliche Bruderschaft zum Zwecke der Marienverehrung. Die Cofradía mit ihrem umfassenden Anspruch, alle im offiziellen Aufführungsbetrieb tätigen Schauspieler in ihren Reihen zu vereinigen, ist der mächtigste Beweis dafür, daß sich die maßgebenden kirchlichen Autoritäten nicht den Argumenten der Theatergegner anschlössen und die Schauspieler als „gente infame" verdammten. Sie bedienten sich ganz im Gegenteil der Organisation, um nachdrücklich Einfluß auf die Entwicklung des Berufsstandes zu nehmen. Neben dem Staat (über die vom Consejo de Castilla benannten protectores) und der Villa de Madrid (über die Verwaltung des Corral-Theater-Betriebs und die Corpus-Kommission) nutzte damit auch die Kirche ganz unverblümt eine Möglichkeit, in ihrem Sinne auf die Angehörigen des Berufsstands einzuwirken. Die kontrollierenden Stellen sahen eben keine moralische Gefahr darin, wenn „sündige" Schauspieler, und vor allem Schauspielerinnen, als Heilige auf der Bühne erschienen oder in letzter Konsequenz selbst als heiligmäßige Personen vorgeführt wurden, wie etwa La Baltasara. Wie im Verlaufe dieses Kapitels nachgewiesen wurde, vertrauten die weltlichen und kirchlichen Institutionen vielmehr darauf, daß die 191

Darstellung heiligmäßiger Vorbilder auf der Bühne das moralische Verhalten der Schauspielerschaft positiv zu beeinflussen vermochte. Die Eingliederung in das kirchliche Gemeinschaftsleben mittels der Cofradia war, so gesehen, nur eine folgerichtige Fortführung dieser Einsicht, die nicht Erniedrigung und Demütigung, sondern eine Verbesserung des gesellschaftlichen Ansehens im Auge hatte. Aufgrund all dieser Tatsachen ergibt sich ein in vielen Zügen der weit verbreiteten Auffassung vom Schauspielerwesen im 17. Jahrhundert als einer chaotischen, moralisch minderwertigen Berufsgruppe widersprechendes Erscheinungsbild: Es war ein straff organisierter Berufsstand, den Staat, Stadt und Kirche fest im Griff hatten. Unter Würdigung aller in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse wird dies im abschließenden Kapitel im Zusammenhang darzustellen sein.

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5 Ergebnisse Das Berufsschauspielertum im Siglo de Oro war keine am Rande der Gesellschaft angesiedelte soziale Gruppe. In vielfaltiger Weise hat sich im Verlauf dieser Studien die einleitend umrissene Position des Schauspielers als eines sachkundigen Gestalters des Rituals der TheateraufTührung und damit eines in gewisser Hinsicht in der Gesellschaft Privilegierten bestätigt. Einen großen Teil seiner Stabilität und Widerstandskraft, die sich über den gesamten Untersuchungszeitraum erhielten, verdankt der Berufsstand der streng geregelten, hierarchischen Ordnungsprinzipien folgenden Organisationsform der compañía. Die offizielle Anerkennung der Truppe durch staatliche Lizenzvergabe, die normierte Größe, die feste Aufgabenzuteilung innerhalb der Truppe, die klare Kompetenzabgrenzung zwischen Truppenmitgliedern und autor - dies alles gibt Anlaß, von der compañía als dem Rückgrat des Berufsstandes zu sprechen, ohne das das Schauspielerwesen unter manchen Belastungen - wie etwa den mehrjährigen Verbotszeiten - zusammengebrochen wäre. Wegen ihrer robusten Struktur konnten die compañías selbst Eingriffe in die personelle Zusammensetzung von außen (etwa über die Corpus-Kommission) unbeschadet überstehen. In den Anfangen, also in der Phase noch vor Beginn des dieser Arbeit zugrundeliegenden Untersuchungszeitraums, war der Zugang zum Schauspielerberuf weitgehend offen, war die Scheidung der compañías de título von den compañías de la legua nicht endgültig vollzogen. Später jedoch setzten von seiten der offiziell zugelassenen Truppen heftige Abwehrreaktionen gegenüber den legua-compañías ein, wie an der Eingabe des mit einer staatlichen Lizenz ausgestatteten autor Tomás Fernández im Jahr 1632 zu erkennen war. 1 Die Entwicklung des Schauspielerwesens zu einer in sich geschlossenen Berufsgruppe wurde nicht zuletzt dadurch bestimmt, daß der Nachwuchs in zunehmendem Maße und zuletzt fast ausschließlich aus den Reihen d e r . eingesessenen Schauspielerfamilien kam. Dies wiederum wurde vor allem durch die staatliche Zulassungspraxis und Kontrolle sowie von den dreißiger Jahren an durch die Bruderschaft der Schauspieler, die Cofradía de Nuestra Señora de la Novena, begünstigt, der die Berufsschauspieler mitsamt ihren Familienangehörigen beizutreten hatten. Als Besonderheit der darstellerischen Tätigkeit im Spanien des 17. Jahrhunderts wurde in der Einleitung zu dieser Arbeit festgestellt, daß der Schauspieler im Gegensatz zu seinen Kollegen in anderen Ländern, insbesondere Frankreich und England, neben dem Volks- und dem höfischen Theater auch theatralische Darbietungen religiösen Inhalts oder zu kirchlichen Anlässen zu gestalten hatte, insbesondere die autos sacramentales zum Fronleichnamsfest. Schon in den einleitenden Abschnitten war gemutmaßt worden, daß gerade diese Facette das Berufsbild des Schauspielers in Spanien entscheidend prägen könnte. Das hat sich im Verlauf der Untersuchungen voll und ganz bestätigt. Obwohl die Corpus-Feiern nur einen sehr kurzen Ausschnitt im Gesamtablauf des Spieljahrs darstellten, 193

waren sie für den Schauspieler in der Epoche doch der Höhepunkt, nach dem sich seine Arbeit im Jahreskreislauf ausrichtete - vor allem natürlich, wenn er jenen Truppen angehörte, die für die autos sacramentales in Madrid ausgewählt wurden. Die Mitwirkung der Schauspieler bei den Corpus-Feiern in Madrid hatte sogar eine ganz eindeutige Wirkung auf die künstlerische Qualität der Truppen: Durch die Auswahl der compañías, die von der Corpus-Kommission für die jeweils besten gehalten wurden, und durch die Aussetzung der joya, der Prämie für die beste unter den beiden in Madrid verpflichteten Truppen, wurde ein rigoroser Wettbewerb um künstlerische Spitzenleistungen in Gang gesetzt und die Bildung einer Elite unter den Schauspielern gefördert. Schon die Einbettung der Theateraufführung in ein übergeordnetes Zeremoniell wie die Darbietung der autos sacramentales im Rahmen der liturgischen Feiern zum Fronleichnamsfest oder der höfischen fiestas während des festlichen Begehens bestimmter Anlässe an der Corte - Geburtstage, Empfang ausländischer Gäste - legt die Vermutung nahe, daß es sich bei der Bühnenkunst des Siglo de Oro um ein weitgehend rituell geprägtes Theater handelt. Die ebenfalls bereits im einleitenden Kapitel herausgearbeiteten drei Kriterien für das Ritual - symbolische Verarbeitung einer Situation; große Regelmäßigkeit in gleicher Erscheinungsform; Auseinanderstreben von Inhalt und Form bei zunehmender Dominanz der Form über den Inhalt lassen sich tatsächlich auf den Theaterbetrieb des 17. Jahrhunderts anwenden. Bei den hier vorgelegten Untersuchungen zeigte sich jedoch insbesondere, daß die Trennung zwischen Darstellern und Publikum, die von Turner und anderen als entscheidendes Merkmal für die Emanzipation des Theaters vom Ritual angesehen wird, auf das Theaterwesen im Untersuchungszeitraum nicht oder nur in sehr geringem Maße zutrifft. Im Theater des Siglo de Oro hat der Schauspieler selbstverständlich eine führende, privilegierte Rolle, die für die Zwecke dieser Arbeit mit dem Begriff des „rituell Sachkundigen" umschrieben wurde: Er hat alle Fäden in der Hand, über die er den Ablauf des Ereignisses der Aufführung steuert. Er legt zur Vorstellung gewissermaßen kultische Kleidung an - die Kostüme im Theater der Epoche waren ganz eindeutig in erster Linie den aktuellen Modeströmungen im Land entsprechend gestaltet, ihre Funktion als Mittel zur Kennzeichnung von Bühnenfiguren war zweitrangig - ; er durchschaut die Wirkungsmechanismen der Bühnenmaschinen und kann sie für das Erzielen bestimmter Effekte souverän einsetzen; er stellt auf der Bühne Angehörige sehr verschiedener Stände und Schichten bis hinauf zum König dar, ist während der Aufführung also nicht an die im Alltagsleben gültige strenge Standestrennung gebunden. Wesentliches Ziel des Spiels der Akteure im Untersuchungszeitraum ist eine starke emotionale Aufladung des Bühnengeschehens und eine Übertragung der vom Schauspieler an sich selbst erzeugten Affekte auf das Publikum. Gerade dadurch entsteht keine Trennung zwischen Darstellern und Zuschauern, sondern im Idealfali eine, wie es in dieser Arbeit genannt wurde, „emotionale Gemeinschaft" aller zum Ritual der Theateraufführung 194

Versammelten. Die Führungsposition des Schauspielers in diesem Gemeinschaftsereignis war selbstverständlich nicht unangefochten. Die Gegner des Theaters vermochten sie jedoch zu keinem Zeitpunkt entscheidend zu schwächen, da sie von einer theoretischen Warte aus polemisierten und da überdies ihre Argumentation nicht durch konkrete Belege untermauert wurde, sondern in einem Zirkelschluß in sich kreiste und somit weitgehend wirkungslos blieb: Die Schauspieler, argwöhnten die Theatergegner, stellten auf der Bühne schlechte Charaktere dar und spielten sittenwidrige Szenen, weshalb sie auch als Privatpersonen von schlechtem Charakter sein müßten. Eben deswegen dürften sie dann auch keine beispielhaften Rollen wie etwa Heiligengestalten verkörpern. Auf die offiziellen Stellen, insbesondere die für das Theaterwesen zuständigen Mitglieder des Consejo de Castilla und die entsprechenden Vertreter der Stadt Madrid, machten diese Angriffe, die meist von Ordensgeistlichen kamen, keinen Eindruck: Von Staat und Stadt wurde, schon aus ureigenem Interesse, das Schauspielerwesen nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert. Dabei gingen die Verantwortlichen nach ganz pragmatischen Gesichtspunkten vor. Für sie standen nicht das Privatleben der Schauspieler und dessen mögliche (negative) Auswirkungen auf das Bühnengeschehen und entsprechende Rückwirkungen auf das Rezeptionsverhalten der Zuschauer zur Debatte. Sie sahen eher umgekehrt die Gelegenheit, über die Interpretation beispielhafter Stücke - was konnte dazu besser geeignet sein als die autos sacramentales - aus ihrer Sicht günstige Wirkungen auf den privaten Lebenswandel der Akteure ausüben zu können. Kennzeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß die Mitwirkung der Frau bei der Darbietung von Theaterstücken, vor allem der autos, von den Gegnern immer wieder heftig attackiert, von den offiziellen Stellen während des gesamten Untersuchungszeitraums nie ernsthaft in Frage gestellt wurde. Wie groß das Vertrauen in den „Bekehrungs"-Eflekt des Theaterspiels war, ist daran zu erkennen, daß Fälle wie die der Baltasara, die sich von der Darstellerin verruchter Rollen (mujer varonil) zu einer heiligmäßigen Einsiedlerin wandelte, auf fast schon propagandistische Weise sogar in Theaterstücken thematisiert wurden. Legendenhafte Geschichten über die wundersame Wandlung anderer Darstellerinnen verfolgten den gleichen Zweck. Es sind, insgesamt betrachtet, vier Faktoren, die das Schauspielerwesen während des Untersuchungszeitraums immer wieder stimuliert und in seiner Entwicklung gefördert haben: - die Stückeproduktion von Dichtern, die aufgrund ihres literarischen Ranges und ihres gesellschaftlichen Ansehens nahezu unangreifbar waren; - das Unterhaltungsbedürfnis der zahlreichen in Madrid lebenden ociosos; - der Benefizcharakter des Theaterbetriebs, seine Verknüpfung von Anfang an mit dem städtischen Krankenhauswesen; - das Repräsentationsbedürfnis von Corte, Villa und Kirche. 195

Der zuletzt genannte Faktor bedingte, daß die betreffenden gesellschaftlichen Institutionen auf das Berufsschauspielertum geradezu angewiesen waren, wollten sie die von ihnen betriebene Selbstinszenierung (Corte) oder die Feier der religiösen Mysterien (Villa, Kirche) würdig begehen, wenn denn schon theatralische Darbietungen zu den betreffenden Zeremonien gehörten. Wie hoch diesbezüglich die Ansprüche waren, läßt sich wiederum sehr deutlich an dem Wettstreit um die jeweils beste Corpus-Truppe in Madrid ablesen oder an dem Aufwand, mit dem höfische fiestas in Szene gesetzt wurden. Die Haltung der Institutionen dem Berufsschauspielertum gegenüber mußte also zwangsläufig aus allen genannten Gründen weit über eine bloße Duldung hinausgehen. Unter diesem Aspekt kommt der Cofradía de Nuestra Señora de la Novena eine Schlüsselrolle zu (weshalb diesem einzigen berufsbezogenen Zusammenschluß der Schauspieler vergleichsweise breiter Raum in dieser Arbeit gewährt wird). Die Cofradía wurde in der Forschung bisher entweder unterschätzt (etwa von Subirá, der in ihr nicht viel mehr als eine folkloristische Vereinigung der comediantes sieht) oder überbewertet (etwa von Diez Borque und Shergold, die sie gewissermaßen als Ersatz-gremio mit einer angeblich fast schon „demokratischen" Organisationsstruktur betrachten). Die Cofradía, lautet das Ergebnis der vorangegangenen Untersuchungen, war in erster Linie eine Bruderschaft mit religiösen Zielen, wobei überrascht, in welchem Maß die Berufsschauspieler - die ja obligatorisch Mitglieder der Cofradía sein mußten in die Marienverehrung, einen mächtigen Pfeiler der Gegenreformation, einbezogen waren. Laut Satzung hatte die Cofradía auch soziale Aufgaben für die Schauspieler und ihre Familienangehörigen wahrzunehmen. Doch fallen die in den Constituciones vorgesehenen Hilfsmaßnahmen derart kleinlich aus, daß diese Funktion der Cofradía im alltäglichen Leben der Schauspieler kaum von Bedeutung sein konnte. Viel entscheidender war, daß die Cofradía eine erhebliche gesellschaftliche Aufwertung des Berufsstandes bewirkte. Schon die Beteiligung am Marienkult schützte die Schauspieler vor Angriffen, beziehungsweise nahm den Gegnern den Wind aus den Segeln. Wenn der Cofradía schon eine soziale Aufgabe zugemessen werden soll, dann nicht so sehr in der Armen- und Krankenfürsorge als vielmehr in ihrer Rolle als „Bürge", der die Anerkennung des Schauspielers als vollgültiges Mitglied der kirchlichen Gemeinschaft garantiert. Eindeutiger Hinweis darauf ist die minutiöse Regelung des Bestattungswesens. Anders als in Frankreich, wo selbst einem Molière beinahe ein kirchliches Begräbnis verweigert worden wäre 2 , hatte in Spanien jedes Mitglied der Cofradía das Recht auf die honras fúnebres nach dem kirchlichen Ritus. So kann mit Fug und Recht behauptet werden, daß es das Schauspielerwesen zu einem großen Teil der Cofradía verdankte, daß die Diskussion um das moralische Ansehen der comediantes nie wirklich zu einer Existenzfrage wurde. Die Berufsschauspielerschaft trat nicht gegen Gesellschaft und Kirche an, mußte sich nicht gegen Gängelei von staatlicher, städtischer oder kirchlicher (mit Ausnahme der Orden) Seite zur Wehr setzen, sondern gedieh unter der 196

Aufsicht und sogar mit der Förderung durch die betreffenden Gremien. Das Berufsschauspielertum im Siglo de Oro, so lassen sich die hier vorgelegten Untersuchungen resümieren, war tatsächlich keine amorphe Schar verlotterter Komödianten, sondern eine in sich geschlossene Gruppe hochprofessioneller, hervorragend organisierter und von weiten Kreisen der Gesellschaft geachteter Theaterleute, die einen ganz entscheidenden Anteil an der Entwicklung des Theaterwesens in der nach wie vor bedeutendsten Epoche der spanischen Bühnenkunst hatten.

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Anmerkungen zu Kapitel 1 1 Spanish Stage. (Für häufig zitierte Werke, insbesondere Dokumentensammlungen, werden im folgenden Kurztitel verwandt, die den bibliographischen Angaben im Anhang jeveils in Klammer angefügt sind). 2 History. 3 Sociedad y teatro. 4 Fiesta. 5 Die Aufführung der autos sacramentales ist im 17. Jahrhundert in Spanien unverzicitbarer Bestandteil der Fronleichnams-Feiern. 6 K. Heitmann. „Das französische Theater des 16. und 17. Jahrhunderts" in Theater 1er Romanía in Renaissance und Barock. Frankfurt am Main 1973, 87. 7 Um der Gefahr der Verwechslung vorzubeugen, wird in dieser Arbeit der Begriff .Autor" als Synonym für .Dichter' oder .Verfasser* vermieden, autor bedeutet in diesem Zusamnvnhang grundsätzlich Truppenleiter. Die „Autoren" der Texte werden demgegenüber als Dichttr oder Verfasser bezeichnet. 8 Heitmann, op. cit., 81. 9 Ina Schabert (ed.), Shakespeare-Handbuch. Stuttgart 1978, 114. 10 In England waren Stücke mit religiöser Thematik von 1570 an sogar grundätzlich verboten, (ibid., 129). 11 T. Heydenreich, ..Calderón und seine Zeit" in Calderón 1600-1681. Bamberger Vjrträge zum 300. Todesjahr. Bamberger Hochschulschriften, Bamberg 1983, II f. 12 Was gewöhnlich zu einer Gliederung der für das Theater verfaßten Werke in zwei „Zyklen" führt. Nach Ruiz Ramón (Historia del teatro español. Madrid 1979, 147) werden demnath zum „Ciclo Lope de Vega" die folgenden Verfasser gerechnet: Lope selbst, Guillén de Castr«, Mira de Amescua, Vêlez de Guevara, Ruiz de Alarcön und Tirso de Molina. Zum „Ciclo Calderón de la Barca" rechnet Ruiz Ramón außer Calderón selbst Rojas Zorrilla und Agustin Moreb. Eine ähnliche Einteilung nimmt auch Alborg vor (Historia de la literatura española. Bd. II, Epoca barroca. Madrid 1977, passim). 13 Cotarelo, Prado. 67 ff. Chronik und Dokumente zum Verbot: Varey/Shergold, „Daos históricos sobre los primeros teatros de Madrid: Prohibiciones de autos y comedias y sus consecuencias (1644-1651)" in Bulletin Hispanique LXII (1960). 286-325. 14 Für 1647 gibt es ein Zeugnis, daß autos - wenn auch unter Verzicht auf die übliche Prachtentfaltung - aufgeführt wurden (Shergold/Varey, Autos II. 72). Cotarelo {Prado. 69) nirrmt dagegen an, daß es auch 1647 keine m/fo-Vorstellungen gab. 15 Cotarelo (ibid. 71) glaubt zeigen zu können, daß der Vorstellungsbetrieb am Hof zunindest mit sporadischen Aufführungen weitergegangen sei. Dokumente zum auto in Corrales: Shergold/Varey, Autos II. 90 f. 16 Alborg, op. cit., 260 f. 17 Cfr. 1.1.1. 18 Cfr. 4.2.2. 19 Cfr. 1.1.1. 20 Wie etwa 1635 die Aufführung von Calderóns El mavor encanto, amor auf dem estanque. 21 Cfr. 1.1.3. 22 Cfr. 3.5.4. 23 Alborg, op. cit., 668. 24 Valbuena Briones, Vida y obra de Calderón. Introducción zu Pedro Calderón de la Barca. La dama duende. Madrid 1983. 19. 25 V. Vázquez de Prada, Historia económica y social de España. Bd. III: Los sigbs XVI y XVII, Madrid 1978, 123. Amezúa y Mayo nennt gar 300 000 Einwohner (Kaufmann, Interdependenz, 13). 26 Vázquez de Prada, ibid. 27 Kaufmann, Interdependenz. 14. (Gesamtdarstellung von Gesellschaft und Madrider Publikum ibid., 7 IT.). 28 Cfr. 1.1.1. 29 Interdependenz. 15 f. 30 Cfr. 3.6. 31 Cfr. 1.1.3.

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32 Siehe dazu das Kapitel über den Aufführungsbetrieb (3). 33 Subirá. Historia de la música teatral en España, Barcelona 1945, 66 f. Außer in Subirás teilweise ungenauer Darstellung und in einzelnen kritischen Editionen von zarzuelas/Opem der Epoche ist das Thema bislang wenig erforscht. Die grundlegende Schwierigkeit besteht darin, daß kaum Partituren überliefert sind. In R. Alier et. a!.. El libro de la zarzuela, Madrid/Barcelona/México 1982, findet sich ein kurzer Abriß der Geschichte der zarzuela im 17. Jahrhundert (36-39). Was heute unter zarzuela verstanden wird, ist eine durch die Operette und die Opera buffa beeinflußte Form des Singspiels, die sich erst im 19. Jahrhundert herausbildete. 34 Subirá, op. cit.. 74. 35 ibid.. 75; R. Alier et al., op. cit., 38. 36 Subirá, ibid. 37 Diez Borque, Sociedad r teatro, 4. 38 Ausführliche Darstellungen bei Shergold, History, 177 ff., Rennert, Spanish Stage, 25 ff., Diez Borque, Sociedad v teatro, 6 ff. 39 Shergold. Historv. 177. 40 ibid.. 178 f.. Rennert, Spanish Stage, 28. 41 Shergold. Historv. 181. 42 ibid., 179. 43 ibid.. 182. 44 ibid.. 185 f. 45 Tratado /, 60. 46 Siehe die zahlreichen Dokumente in Varey/Shergold, Fuentes Ill-V. 47 Shergold, Historv. 187 IT., nennt 1584 als letztes Jahr, in dem der Corral de la Puente in Betrieb war. In demselben Jahr scheint auch der Aufführungsbetrieb im Corral de la Pacheca eingestellt worden zu sein. 48 Arróniz, Escenario. 73. 49 Ermittelt anhand der Cartelera in der Zeitung Et Pais (Juni-1985). 50 Eine Beschreibung, Geschichten und Anekoten zum mentidero de comediantes in R. Sepülveda. Madrid viejo. Madrid 1887, 335-352. 51 Pérez Pastor, Datos II, 70 f. In der Gründungsakte der Cofradía bemerkt der Pfarrer: „(...) por estar en mi parroquia los dos teatros en que se recita y la vivienda de quantos en ella se ocupan (...)." 52 Zwei Grundrißplänc von dem Architekten Pedro de Ribera aus dem Jahr 1735 sind bei Shergold, Historv (Bildanhang, Nr. 16/17), publiziert, ebenso zwei Handzeichnungen, undatiert, aber vermutlich ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert (Nr. 18/19). 53 Detaillierte Darstellung bei Arróniz, Escenario. 54 IT. Shergold, History. 182 IT.; Diez Borque. Sociedad r teatro, 3 IT.; Rennert, Spanish Stage. 33 ff. 54 Aus dem Jahr 1656, wiedergegeben bei Miguel Molina Campuzano, Pianos de Madrid de los siglos XVII y XVlll. Madrid i960, hojas 13, 14. Die Zeichnungen von Comba in Sepülveda, El Corral de la Pacheca. Madrid 1888, bleiben hier unberücksichtigt, da sie offenkundig auf einer sehr fehlerhaften Interpretation von Dokumenten beruhen (Shergold, History. 400). 55 Arróniz. Escenario. 60 f. 56 Shergold (History, 407) nennt für die gradas eine Höhe von 8 bis 10 pies (2,24 bis 2,8 Meter; Umrechnung: I pie cast. = etwa 28 Zentimeter; ibid.. 401). Die gradas hatten etwa die gleiche Höhe wie die Bühne (Arróniz, Escenario. 67, gibt sie mit 2,5 Meter an). 57 „Es conocida sobradamente la costumbre de perforar la pared de las casas vecinas para que los propietarios de ellas tengan ventana abierta al espectáculo, pero algunas veces, esta abertura se prolonga como una hernia para formar un aposento." (Arróniz. Escenario. 66). 58 Arróniz (ibid.. 88) vermutet auch, daß zwischen den beiden aposentos der Verkäufer für Früchte. Wasser und aloja (ein Getränk) seinen Verkaufsstand hatte. 59 Als frühester, durch Dokumente belegter Zeitpunkt gilt 1636 (ibid.. 86). 60 Arróniz, Escenario. 84. 61 ibid., 87, 90. 62 Cfr. Shergold. History. 399. 63 Shergold (ibid., 398) zitiert einen Beleg von 1642 für die vier Logen. Die Loge der Villa ist in einem Schriftstück von 1652 erwähnt (ibid.). 64 Eine Hypothese über die Entstehung des Begriffs bei Arróniz. Escenario, 83 f. Er nimmt an, daß die tertulia gewissermaßen die Erweiterung eines „desván de los religiosos" (belegt für 1675)

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gewesen sei. Demnach sei der Begriff tertulia entstanden „del mote despectivo que los otros concurrentes al corral enderezaron a los religiosos que (...) pasaban por enemigos feroces del teatro, y basado, precisamente, en las frases que Tertuliano dedicó a los comediantes en ,De Spectaculis"\ - Coraminas' Breve diccionario etimológico Je la lengua castellana, Madrid 1973, 565, führt den Begriff für etwa 1630 als in der Bedeutung „cierta parte de teatro" belegt an. 1739 sei er als gleichbedeutend mit „reunión de gente para discutir o conversar" dokumentiert. Zur Entstehung heißt es bei Corominas: „Es verosímil que se diera el nombre de .tertulianos*, med. s. XVII. a los espectadores más cultos, por las alusiones que se hacian en Tertuliano en los sermones y cenáculos del s. XVII. y que de ahi se extrajera .tertulia' como nombre de la parte del teatro donde se sentaron estos espectadores (...)". 65 Für die verschiedenen Einrichtungen im Zuschauerraum der Corrales werden in den Dokumenten immer wieder verschiedene Bezeichnungen genannt. (Beispiele dafür bei Kaufmann, Interdependenz. 30). Der Übersichtlichkeit halber werden hier nur die eingeführten Begriffe benutzt. 66 Shergold, Historv. 394 f. 67 ibid. 68 Arróniz, Escenario. 85. 69 ibid., 67. 79. 70 Bei Shergold (Historv, 401) etwas abweichende Maße: im Cruz 26 mal 14pies (7,28 mal 3,92 Meter); eine nach Shergold möglicherweise aus der Zeichnung von 1735 zu deutende Tiefe der Bühne von 29 pies (8,12 Meter) ist sehr unwahrscheinlich. Im Principe: 28 mal 23 pies. 71 Im Jahr 1652. Arróniz, Escenario. 68; Shergold. History, 402. Für den Corral del Principe liegen keine Angaben vor, die Existenz von „escotillones" wird jedoch erwähnt (ibid.). und es spricht nichts dagegen, daß es dort nicht ungefähr die gleiche Zahl an Falltüren gab. Arróniz (ibid.) negiert unverständlicherweise die Verwendung von Maschinen im Zusammenhang mit Falltüren und meint, die Schauspieler seien über Treppen auf die Bühne hinauf- oder von ihr hinabgestiegen. Shergold (ibid.) führt dagegen ein Dokument an, in dem von „apariencias que se vnden" und von „escutillones (sie) que pareciere son menester para las tramoyas" im Principe die Rede ist. 72 Shergold, History. 402. 73 Arróniz, Escenario, 71. 74 ibid.. 72. 75 Shergold, History. 401. Die Säulen sind auf dem Principe-Grundriß (1735) deutlich zu erkennen. 76 Shergold, History, 402, zitiert alle diese Dokumente. 1672 wird auch die Zahl von drei Falltüren „en el corredor alto" und „en el baxo" für den Corral de la Cruz genannt. 77 Einen vorderen Vorhang kannte das Corral-Theater nicht. Alle Szenenwechsel vollzogen sich auf offener Bühne. Der hintere Vorhang wurde selbst 1692 noch verwendet (ibid., 401). 78 Cfr. 3.5.3. Dort weitere Ausführungen zu den Bühnenmaschinen. 79 Shergold. Historv. 209 ff. 80 ibid., 408. 81 ibid., 377. Siehe dazu den nächsten Abschnitt dieser Arbeit und 3.5.3. 82 Zahlreiche Dokumente in Varey/Shergold, Fuentes lll-V. passim. 83 Diez Borque, Sociedad y teatro. 8. 84 J.J. Allen, The Reconstruction of a Spanish Golden Age Plavhouse. El Corral del Príncipe. 1583-1744, Gainesville/Florida 1983. Zusammengefaßt bei Castillejo, Corral. 7-26. 85 A. Rodrigo, Almagro y su corral de comedias. Ciudad Real 1971. C. Oliva, Corral de Almagro: Una propuesta sin resolver, Madrid 1977. Castillejo, Corral, 27-29. 86 ibid.. 22. 87 Texte der Reglamentos in Varey/Shergold, Fuentes III. 48 fT., 57 IT., 92 fí. 88 ibid.. 14 f. 89 ibid.. 15. 90 ibid.. 48. Die Formulierung „para que mande ver..." deutet darauf hin, daß dem „señor del Consejo" möglicherweise Experten zur Seite standen, die die Stücke prüften, aber nur er erteilte die Erlaubnis. Die Frist „dos dias" ist wohl als spätester Zeitpunkt für die Einreichung der Texte zu betrachten. Die Probenarbeit dauerte gewöhnlich länger (cfr. 3.3). Ähnliche Bestimmungen für 1615: ibid., 57 (der Paragraph wurde nachträglich durchgestrichen), für 1641: ibid., 92. 91 Lope de Vega, La buena guarda o encomienda bien guardada. Ed. M. Menéndez Pelayo, Bi-

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blioteca de Amores Españoles (Bd. 87). Obras de Lope Je Vega XII (Comedias de vidas de santos), Madrid 1965. IOS. Zur Zensicrung von Calderón-Stücken cfr. E.M. Wilson, „Calderón and thc Stage-Censor in the Seventeenth Century. A provisional Study" in Symposium 15 (1961), 165-184. - Kursiv oder gesperrt gedruckte Wörter werden in diesem und in den folgenden Zitaten jeweils dem Original entsprechend wiedergegeben. 92 Bestimmung für 1615: Varey/Shergold. Fuentes III, 57. 93 ibid.. 21. 26. 94 ibid.. 22. 95 Cfr. 3.1. 96 Varey/Shergold, Fuentes III, 33. 97 ibid. (und IT.). 98 ibid.. 76. 99 Shergold. Historv, 236. Dort weitere Angaben zur Entwicklung des Corte-Theaters (236 (T.). 100 Die generelle Bezeichnung für Privatdarbietungen in Privathäusern vor einer geschlossenen Gesellschaft wurde auch für die Theatervorstellungen im kleinen Kreis an der Corte verwandt. 101 R. Subirats. Repertoire, 414. 102 Shergold/Varey, Fuentes I. 16. 103 ibid.. 14. 104 ibid.. 43 f. 105 ibid.. 37. 106 Subirats, Répertoire. 414. 107 Shergold/Varey, Fuentes I. 37. 108 Escenario. 195 (T. 109 ibid., 208 f. 110 Siehe die hohen Aufwendungen für cera bei den höfischen fieslas. (Shergold/Varey, Fuentes I. 83. 94 f.. 113). 111 Arróniz. Escenario, 207 ff. 112 Shergold. Historv, 278. Zur Baugeschichte siehe Brown/Elliot, Palacio. 113 ibid.. 214. 114 Die Vorstellung fand in der Johannisnacht statt. (Shergold. History. 280). Lottis technische Anweisungen dafür bei Pellicer, Tratado II. 146 ff. 115 Shergold. History. 280. 116 Diese und die folgenden Angaben sind M. Berthold. Weltgeschichte des Theaters. Stuttgart 1968. 304 IT., entnommen. Cir. 3.5.3. 117 Brown/Elliot, Palacio. 214. 118 Etwa für Lope de Vegas La selva sin Amor 1629 (Arróniz, Escenario, 210 f.) 119 History. 298 ff 120 Shergold (ibid.) stellt Inhalt und Inszenierung des Stücks dar. 121 Ravcnna 1638. Faksimile-Ausgabe Rom 1955. Die zitierten Kapitelüberschriften entstammen sämtlich dem zweiten Buch. 122 ibid.. 9. 123 Berthold. op. cit.. 305. 124 Escenario, 218 f. Weitere Erläuterungen zur höfischen Bühnentechnik für Calderôn-/ïesfos ibid., 235 IT. 125 Brown/Elliott, Palacio. 217. 126 A. Valbucna Pral. „La escenografía de una comedia de Calderón" in H. Flasche (ed.). Calderón de la Barca. Darmstadt 1971, 56. In dem Aufsatz (ibid., 41-88) wird die Inszenierung minutiös beschrieben. 127 Zur dramaturgischen Funktion der Bühnentechnik cfr. 3.5.3. 128 Arróniz, Escenario, 244. 129 Shergold, Historv. 300. 130 ibid.. 301. 131 Brown/Elliott. Palacio. 218. 132 ibid. 133 Shergold, Historv. 310. 134 Répertoire. 419 lt. 135 Cfr. 3.2.

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136 CTr. 3.3. 137 Shergold. Histor.v, 331. 138 ibid.. 333. 139 ibid., 343. 140 Fuentes I. 63 ff. 141 Die folgenden Ausführungen beruhen hauptsächlich auf der detaillierten Darstellung in Shergold. History, Kap. IS und 16,415 ff., sowie auf den Dokumentensammlungen in Shergold/ Varey, Autos I und //. Nach Abschluß großer Teile dieser Arbeit erschien J.M. Diez Borques Rekonstruktionsversuch einer „Fiesta sacramental barroca" mit Texten Calderóns. Soweit möglich, wird auf einzelne von Diez Borque vorgebrachte Gesichtspunkte im Verlauf der Arbeit eingegangen. 142 Abgrenzung gegenüber anderen Darstellern im folgenden Kapitel. 143 Shergold, History, 416. 144 Die in den Dokumenten immer wieder anzutreffende Bezeichnung medio carro bedeutet demnach: einer der zwei für jedes auto gedachten Wagen. Beide zusammen ergeben so erst einen carro. (Shergold, History, 422). 145 ibid., 425. 146 ibid., 416. 147 ibid.. 425. 148 Shergold/Varey. Autos I. 258 f. 149 Siehe das nächste Kapitel über die Truppen (2). 150 Shergold/Varey. Autos II. XI. 151 Von 1644 bis 1655 auf der Plaza Mayor. 152 Shergold/Varey. Autos I. 228 f. 153 Shergold. Historv, 426. 154 Shergold/Varey. Autos II. XX. 155 Desgleichen am Königspalast (ibid.). 156 Maßangaben bei Shergold. Historv, 427 f. 157 Shergold, Historv, 431. 158 Shergold/Varey. Autos II. XXII. 159 ibid.. XX. 160 ibid.. 289. 161 Das Wort carro wird schließlich sogar zum Synonym für .auto' beziehungsweise .Stück*, wie etwa in der Orden de representación von 1656: „porque el primer carro comenzara a las cinco y media o a las seis de la tarde (...)" (Shergold/Varey, Autos II. 124). 162 ibid., XXI. 163 Shergold. Historv. 417. 164 Shergold/Varey, Autos II. XIV. 165 Calderón pflegte seinen auto-Texten minutiöse Anweisungen für die erforderlichen apariencias mitzugeben. Ein Beispiel dafür in 3.5.3. 166 Mythos, 17. 167 Steinbeck, Einleitung, 44. 168 Zuvor hat jedoch der „Dialog" zwischen Verfasser und Publikum stattgefunden, als dessen (vorläufiges) Ergebnis der Text angesehen werden kann. Cfr. A. Rothe, „Calderón, .Der wundertätige Zauberer* und das Publikum" in Prismata. Pullach bei München 1974, 205-229. Rothe weist nach, daß eine spezifische Aufführungssituation, für die ein Stück geschrieben wird, den Dichter veranlassen kann, auf sie besonders Rücksicht zu nehmen. 169 Homo ludens. Hamburg 1956, 12. 170 ibid.. 16 ff. 171 Insbesondere in Abschnitt l . l . l . 172 A.S. Trueblood bezeichnet Lope de Vega geradezu als „an unusually clear artistic embodiment of homo ludens" („Róle-Playing and the Sense of Illusion in Lope de Vega" in Hispanic Review XXXII (1964). 306. 173 Cfr. Fuchs et al. (ed.). Lexikon zur Soziologie. Opladen 1973, 571. 174 ibid. 175 Hart fiel/Hillmann, Wörterbuch zur Soziologie, Stuttgart 1972, 650. 176 Bertholet, Wörterbuch der Religionen. Stuttgart 1976, 501. 177 V. Turner, From Ritual to Theatre, New York 1982, 112.

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178 R. Sehechner, „From Ritual to Theater and Back" in Essav on Performance Theory, New York 1977. 79. Zitiert bei Turner, ibid. 179 „Públicos del teatro español del siglo XVII" in H Jornadas de Teatro Clásico Español, Almagro 1980, 61-67. 180 Aus terminologischen Gründen wird der BegrilT in dieser Arbeit nur auf die höfische FestaufTührung bezogen, der «n/o-Darbietung damit aber keineswegs der Fest-Charakter aberkannt. 181 Diez Borque, Fiesta. 28 f. 182 Gemeint sind die Tänze und die tarasca, das Erscheinen einer Drachenfigur. 183 „Una serie de acciones y significados de un grupo, expresados por medio de costumbres, tradiciones, ritos y ceremonias, como parte no cotidiana de la interacción, especialmente a nivel interpersonal y cara a cara, caracterizadas por un alto nivel de participación e interrelaciones sociales. y en las que se transmiten significados de diverso tipo (históricos, políticos, sociales, valores cotidianos, religiosos, etc.) que le dan un carácter único y variado, y en los que la práctica alegre, festiva, de goce, diversión e incluso orgía se entremezclan con la práctica religiosa e incluso mágica, cúmpliendo determinadas finalidades culturales básicas para el grupo (cohesión, solidaridad. etc.). y con carácter extraordinario, realizado dentro de un período temporal, cada año por ejemplo." (Diez Borque. Fiesta. 31. Zitiert aus: M. Roiz, „Fiesta, comunicación y significado" in H. Velasco (ed.). Tiempo de fiesta. Ensayos antropológicos sobre las fiestas en España. Madrid 1982. 102 f.). 184 Diez Borque, Fiesta. 31. 185 ibid.. 73. 186 ibid., 113. 187 ibid.. 74. 188 Wardropper, Teatro religioso, 23 f. Diese Auffassung ist allerdings ausdrücklich als spekulativ gekennzeichnet. 189 Pcrez Pastor. Calderón Docs.. 320. 190 Die Tatsache, daß die Stücke nicht nur am Tag selbst, sondern während der Fest-Oktav von den in Madrid engagierten Truppen auch in den umliegenden Ortschaften gespielt wurden, ändert daran nichts. Denn dies beruhte auf dem Bestreben der Gemeinden, etwas vom Festglanz der Feiern in Madrid abzubekommen, wobei in Kauf genommen wurde, daB der Corpus-Tag sozusagen nachgeholt werden mußte. Auch das Vordringen der autos sacramentales in den Spielbetrieb der Corrales berührt kaum die rituelle Funktion der Aufführungen, da die ersten Vorstellungen in Corrales 1648/49 eine Notlösung waren, weil die comedias zunächst noch verboten blieben. 191 Neumeister. Mythos. 261 f. 192 G . Matern, Zur Vorgeschichte und Geschichte der Fronleichnamsfeier, besonders in Spanien. Münster/Westf. 1962, 278. 193 Orden de representaciones 1639. Shergold/Varey, Autos 11, 18. 194 ibid. 195 Zu Struktur und Funktion des auto sacramental. insbesondere Calderóns, resümiert Diez Borque den Forschungsstand und gibt sehr ausführliche bibliographische Hinweise. (Fiesta). 196 Wardropper, Teatro religioso. 81. 197 Neumeister, Mvthos. 75. 198 ibid.. 268 IT. 199 Dies galt sowohl für den Salón dorado im Alcázar als auch für das Coliseo im Buen Retiro (Neumeister. Mythos, 278). 200 D. Frey, „Zuschauer und Bühne" in ders.. Kunstwissenschaftliche Grundfragen, Wien 1946, 167. Zitiert bei Neumeister. Mythos, 269 f. Den BegrilT „profanes Ritual" zitiert Neumeister (ibid.. 27) nach Rudolf zur Lippe ohne weitere Angabe. 201 Neumeister, Mvthos, 277. 202 ibid., 282. 203 Cfr. 3.5. 204 „Públicos del teatro español del siglo XVII" in 11 Jornadas de Teatro Clásico Español, Almagro 1980. 72. 205 Cotarclo. Colección 11. 533a. 206 ibid.. 532b. 207 Real Academia Española. Diccionario de Autoridades. Madrid 1726-1739. Bd. VI (1739), 77. Ed. facsímil. Madrid 1984.

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Cfr. Kapitel 4. El día de fiesta por la mañana y por ta tarde, Madrid 1885. 109. AI borg, op. cit., 700. Cfr. 3.6. Bertholet. Wörterbuch der Religionen. Stuttgart 1976, 468. Alewyn/Sälzlc, Welttheater, 62. Cfr. Kaufmann, Interdependenz, 252 ff. („Madrid als realitätsnahe Kulisse"). Calderón, Obras III, 207. ibid., 220. Cotarelo, Controversias, 433b f.

Anmerkungen zu Kapitel 2 1 Ausführliche Darstellungen zum Thema dieses Kapitels bei Rennert, Spanish Stage, 145 IT., Shergold, History, 505 IT. und Diez Borque, Sociedad y teatro. 29 ff. 2 Die Bezeichnung rührt daher, daß diese Truppen nur eine legua an die größeren Städte herankommen durften, die Domäne der offiziell zugelassenen Truppen waren (eine legua = 5,5727 Kilometer). 3 Ed. Jean Pierre Ressot, Madrid 1972. 4 Die folgenden Zitate ibid.. 158 IT. 5 Ein Manuskript ist nicht bekannt, die editio princeps entstand 1603, das Buch muß also in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts geschrieben worden sein. 6 ibid.. 74. 7 Shergold. History, 509. 8 Das Repertoire von fünfzig comedias entspricht durchaus einer realistischen Einschätzung. Cfr. 3.4. Die Zahl achtzehn für die farándula sollte nicht unbedingt wörtlich genommen werden, sie zeigt aber den beträchtlichen Unterschied zur compañía. 9 Der Hinweis. Ríos und Ramírez wüßten das alles zur Genüge, unterstreicht, daß Solano das Ganze aus der Perspektive der kleineren, weniger organisierten Truppen darstellt. 10 Cotarelo, Controversias, 163b f. 11 Spanish Stage, 214. 12 Cotarelo, Controversias, 621a. 13 Varey/Shergold, Fuentes III. 47. (Der Text wird auch bei Cotarelo, Controversias. 622b IT., wiedergegeben). 14 Varey/Shergold, ibid., 56. 15 ibid.. 92. 16 ibid.. 56. 17 Spanish Stage. 223. 18 Pérez Pastor, Datos II. 48 f. 19 Dieser Begriff wird etwa auf dem Titelblatt der Advertencias in den Gründungsakten der Cofradía de Nuestra Señora de la Novena verwendet. 20 Diez Borque (Sociedad y teatro. 33) versucht die compañías de título auch dadurch von den compañías de la legua abzugrenzen, daß er annimmt, die nicht zugelassenen Truppen seien in der Regel compañías de partes gewesen, hätten also erst am Ende der Spielzeit die Einnahmen unter ihren Mitgliedern aufgeteilt, während die compañías de titulo gewissermaßen regelmäßig „Gehälter" gezahlt hätten, bestehend aus der täglichen ración und der Vergütung für das Mitwirken bei den Aufführungen (representación) und gegebenenfalls einer Gratifikation für das Auftreten bei den Corpus-Feierlichkejten. Doch dieses Unterscheidungskriterium taugt wenig, da beide Zahlungsverfahren und Mischformen auch von den //Wo-Truppen angewandt wurden. 21 Pérez Pastor, Datos II. 129. 22 Siehe Anhang zu dieser Arbeit. 23 Auch Rennert (Spanish Stage, 145) bestätigt diese Grenzmarke. 24 Pérez Pastor, Datos II. 253. Zu den Schwankungen in der Truppenstärke ein Beispiel: Antonio de Prados compañía umfaßt 1624 vierzehn Personen (Pérez Pastor, Datos l, 206), 1632 sind es dagegen neunzehn (Cotarelo, Tirso. 216).

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25 Spanish Stage, 145 f. 26 ibid. 27 Zum Beispiel: Bartolomé Romero 1637, zwölf (Pérez Pastor, Datos I. 273), Gabriel Cintor 1640, zehn (Pérez Pastor, Datos II, 105). 28 Cfr. 2.3. 29 Wenn sie auf den Listen genannt sind, werden sie hier grundsätzlich mitgerechnet, schon allein deshalb, weil sie gelegentlich kleinere Rollen übernahmen. 30 Diese Zahl nennt ja auch Rojas in seinem Viaje entretenido. 31 Rennert. Spanish Stage. 146. 32 J. Casalduero, Sentido y forma del teatro de Cervantes, Madrid 1966, 171. 33 Anilnglich waren auch Zweijahresverträge möglich. Zum Beispiel verpflichtete sich Gabriel Duarte 1617, für diesen Zeitraum in der Truppe von Hernán Sánchez de Vargas zu arbeiten. (Pérez Pastor. Datos II, 45). 34 Hernán Sánchez de Vargas beauftragt etwa am 14. Dezember 1623 Diego de Villegas, nach Fastnacht 1624 Schauspieler zu verpflichten (Pérez Pastor, Datos I, 204). 35 ibid., 145 ff. Wenn nichts anderes angegeben, sind dort die Zitate entnommen. 36 ibid., 144. 37 Über ein denkbares Verwandtschaftsverhältnis zwischen den dreien ist in den Dokumenten nichts vermerkt. 38 Domingo Baibin am I. September 1623 (Pérez Pastor, Datos /, 199). 39 Francisco Garcia Sevillano am 8. März 1651 (Pérez Pastor, Datos II, 143). 40 Juan Bezón am 9. Oktober 1653 (ibid., 153). 41 Alonso de la Paz am 1. März 1655 (ibid., 158). 42 Alonso de Caballero am 20. März 1656 (ibid.. 165). 43 Dazu zählen auch die géneros menores (entremeses. Tänze usw.). 44 Sociedad y teatro, 64 f. Siehe den nächsten Abschnitt (2.4). 45 „Item que si durante el dicho tiempo algún compañero de la dicha compañía cayere enfermo, se le haya de dar y dé la parte que le tocare conforme á esta escritura como si real y verdaderamente representara y trabaxara, ansi de parte como de ración, y si se quedare enfermo en algún lugar y fuere á la parte y lugar donde estuviere la dicha compañía, se le haya de pagar lo que hubiere gastado en cabalgadura hasta llegar á donde estuviere la dicha compañía." - Diese Aufgaben werden später teilweise von der Cofradía de Nuestra Señora de la Novena wahrgenommen. 46 Daß sie erst am Ende der Spielzeit geöffnet werden soll, war sicher eine Maßnahme, um die Truppenmitglieder übers Jahr bei der Truppe zu halten, ebenso selbstverständlich die Konventionalstrafe. (Cfr. Diez Borque, Sociedad y teatro, 66). 47 „y más pierda cincuenta ducados de que cada uno y qualquiera dellos se da por entregado". 48 ibid. 49 Die Schriftstücke aus dem Archivo Histórico de Protocolo de Zaragoza enthalten jedoch keine wesentlich anderen Bestimmungen als die am Beispiel von Claramontes Text dargelegten. 50 Diez Borque, Sociedad r teatro, 66. 51 ibid., 60. 52 Seiner Funktion ist der nachfolgende Abschnitt gewidmet. 53 Siehe Anhang dieser Arbeit. 54 Pérez Pastor, Datos II. 79. 55 Cfr. 1.1.2. 56 In diesen Fällen ist also an die Stelle der Benennung des jeweiligen Geschlechts (mujeres, hombres) die Fachbezeichnung getreten. Dies zeigt, wie sehr das Denken in Fächerkategorien vorgedrungen war. 57 Cfr. Chr. Faliu-Lacourt. „La madre en la Comedia" in Actas del ir Coloquio del Grupo de Estudios sobre Teatro Español (G.E.S.T.E.), La mujer en el teatro y la novela del siglo XVII, Toulouse 1978, 39-59. Dort auch ausführliche bibliographische Angaben zum Thema. 58 Cfr. 3.5.2. 59 Pérez Pastor, Calderón Docs., 323. 60 Wahrscheinlich Darsteller verschiedener Rollen. „Einspringer". 61 Siehe Abschnitt über die wirtschaftliche Situation der Schauspieler (4.1). 62 Etwa in No hay cosa como callar von Calderón (Calderón, Obras /, 325). 63 Pérez Pastor, Datos 1, 259, 274. Dies konnte sich möglicherweise auch auf die

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EingrifTsmöglichkeiten der Corpus-Kommission beziehen. (Cfr. 2.S). 64 C. Barrera y Leirado, Catálogo bibliográfico y biográfico del teatro antiguo español, desde sus orígenes hasta mediados del siglo XVIII, Madrid 1860, 6, 93, 493. Rennert, Spanisn Stage, 170. 65 Er leiht ihr auch seinen Namen. Truppen mit Kollektiv-Bezeichnungen wie Los Conformes (Pérez Pastor, Datos /, 202) oder Los Españoles (Perez Pastor. Datos II. 30) sind die Ausnahme. 66 Zum Beispiel Sebastian de Prado, primer galán; Antonio de Escarnida, gracioso: Bartolomé Romero, segundo galán; Manuel Vallejo. gracioso. (Siehe Aufstellung im Anhang). 67 Das Eintreiben der Honorare für die particulares an der Corte war ein besonders zeitraubendes und mühseliges Geschäft (Shergold, History. 542). Für das Kassieren der Eintrittsgelder gab es den cobrador. 68 Diez Borque. Sociedad y teatro. 44 fT. 69 Varey/Shergold, Fuentes III. 47. 70 ibid.. 56. 71 ibid. 72 Zum Beispiel Antonio de Prado, dessen Söhne Sebastián und José ebenso als autores wirken wie nach seinem Tod seine Witwe Mariana Vaca. Siehe nachfolgenden Abschnitt. 73 Cfr. 4.1. 74 Die in den nachfolgenden Abschnitten in etwas anderem Zusammenhang behandelten autores Antonio de Prado, Antonio de Escarnida und Manuel Vallejo zeigen eine ähnliche Entwicklung. 75 Beispiele für solche kurzfristigen Versuche, eine Truppe aufzubauen, sind die im folgenden Abschnitt erwähnten compañías von Mariana Vaca, Sebastian und José de Prado. 76 Varey/Shergold. Fuentes IV. 182. 77 ibid., 186. 78 Pérez Pastor, Datos II. 184. 79 Rennert, Actors, 469. 80 Pérez Pastor, Datos /, 331 f. 81 Aufstellung im Anhang. 82 Die wichtigste und umfangreichste Darstellung von Prados Familie findet sich in Cotarelo, Prado, wobei Antonios Sohn Sebastian und dessen Frau Bernarda Ramírez in den Mittelpunkt gestellt werden. 83 Rennert. Actors. 469. 84 Pérez Pastor, Datos 1, 154. 85 ibid., 205. 86 Wegen Abwesenheit Prados von seiner Frau Mariana Vaca geleitet (Cotarelo, Prado, 68). 87 ibid., 43 ff. Rennert (Actors. 470) glaubt, daß Prado nur zweimal verheiratet war. 88 Nach Rennert (ibid.) Nachname Garcés. 89 Angeblich in Sevilla vergiftet (Cotarelo, Prado, 52). 90 Taufurkunde, zitiert ibid., 53. Die weiteren Angaben 53 ff. 91 Rennert, Actors. 494. 92 Lope selbst beschreibt die Zeremonie in einem Brief, den Cotarelo (ibid., 61 f.) wiedergibt. 93 Bergman, Benavente. 528. 94 ibid. 95 Zuordnung der Ehepartner den für diese Arbeit ausgewerteten Truppenlisten entnommen. Zu José: Rennert, Actors. 470. 96 Drei haben wohl das Kindesalter nicht überlebt. Für zwei namentlich nicht genannte existieren Sterbeurkunden vom 28. 12. 1632 und vom 10.9. 1635 (Cotarelo, Prado, 62 f.) Diego starb vermutlich 1667 (ibid., 182). 97 Pérez Pastor, Datos I. 143. 98 ibid., 144. 99 Pérez Pastor. Datos II. 145. 100 ibid., 146. 101 ibid.. 148. 102 Die folgenden Angaben entstammen den Truppenlisten. 103 Pérez Pastor, Datos II, 176. 104 Rennert, Actors. 399. 105 „Prado y Calle, que es toda una compañía" (Varey/Shergold, Fuentes IV. 186).

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106 ibid., 172 ff. 107 ibid., 180. 108 Varey/Shergold, Fuentes IV. 186. 109 „y asimismo haber mudado personas de vna a otra compañía para el viaxe de Francia" (ibid., 178). 110 Cotarelo, Prado, 144. 111 Eine weitere, in den Listen nachgewiesene autora ist Juana de Espinosa (1641 und 1643). Zur Frau auf der Bühne cfr. 4.2.2. 112 Cotarelo, Prado, 168. 113 ibid. 114 ibid.. 182. I IS Ihre Entwicklung läßt sich so kontinuierlich über einen Zeitraum von 17 Jahren verfolgen. Die Daten entstammen wieder den der Aufstellung im Anhang dieser Arbeit zugrundeliegenden Listen. 116 Pérez Pastor, Datos II, 199. 117 Diez Borque, Sociedad y teatro, 47. 118 Zur Einteilung des Spieljahres cfr. 3.2. 119 Shergold/Varey, Autos I, 219. 120 ibid., 219 f. 121 ibid., 220. 122 ibid. 123 Pérez Pastor, Datos II, 54. 124 Shergold/Varey, Autos I. 222 f. 125 Zur Arbeitsweise der Corpus-Kommission cfr. 1.1.3. 126 Pérez Pastor, Datos I. 210. 127 Varey/Shergold, Fuentes V, 71. 128 ibid. 129 ibid., 72. 130 So etwa I6S7, als tausend ducados für das zusätzliche Engagement von fünf Schauspielern in den Truppen von Rosa und Osorio ausgegeben werden: Micaela, Ana und Feliciana de Andrada müssen aus Toledo anreisen; Adrián López, der „primeros papeles" spielen soll, wird von Barcelona herbeigeholt und bekommt Kleidergeld, „por haber dejado los vestidos que tenia en dicha ciudad". (Pérez Pastor, Calderón Docs., 248 f.). 131 Shergold/Varey, Autos I. 232. 132 Ein Brauch, der nahezu im gesamten Untersuchungszeitraum geübt wurde. Eine der frühesten Erwähnungen der joya findet sich in einem Dokument von 1610 (Vertrag über die Aufführung der autos mit dem autor Hernán Sánchez). Darin heißt es: „(...) que el autor de los dos que tomare las dichas fiestas, que se aventaxare en la dicha Fiesta assi en traxe como en autos e personaxes se le hayan de dar y den cien escudos de joya demás de los dichos seiscientos ducados." (Pérez Pastor. Datos I, 118). 133 So beispielsweise 1612: Juan de Morales und Tomás Fernández erhalten jeweils 50 ducados, wovon allerdings Morales vier ducados abgezogen werden, „por no haber reparado Morales ciertas cosidas que se le advirtieron" (Pérez Pastor, Datos l, 130). Die vier ducados, heißt es weiter, seien an die „pobres de la cárcel" abzuführen. 134 Die folgenden Angaben wurden den Dokumenten in Pérez Pastor, Calderón Docs., Shergold/Varey, Autos I und II und den der Aufstellung im Anhang zugrundeliegenden Listen entnommen. 135 Die im vorangegangenen Abschnitt untersuchte Entwicklung der Truppen Escantillas und Vallejos beruhte hauptsächlich auf den für das Corpus-Engagement erstellten Listen. 136 Cfr. 3.3. 137 Shergold, History, 528. 138 Zur Inszenierung von Calderóns Mujer, Hora y vencerás im Februar 1660 heißt es. daß die von Sebastián de Prado und Juan de la Calle geführte Truppe sowie die compañía von Pedro de la Rosa sich zusammenschließen mußten, „a repartir y ajustar las compañías para quatro comedias" (Pérez Pastor, Calderón Docs., 267). Zu der von Escarnidas Truppe besorgten Aufführung von Calderóns Eco )• Narciso im Juli 1661 steuerte die compañía Sebastián de Prados saínetes und die loa bei. (ibid.. 289). 139 Varey/Shergold. Fuentes IV. 237.

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140 Siehe solche Namenslisten für die Jahre 1675 bis 1680 in Shergold/Varey. Fuentes I. 66. 74, 80. 92. 99. 104. 108. 141 Cfr. Subirats. Repertoire. Liste der Hoftheater-AufTührungen. passim. 142 Shergold/Varey. Fuentes 1, 78-138. 143 Andrea de Salazar bei José de Prado. Bernarda Manuela und Luisa Fernández bei Vallejo; siehe Aufstellung im Anhang. 144 Es ist nicht festzustellen, ob alle für das Fronleichnamsfest engagierten Schauspieler noch in der Truppe waren. 145 Alle Stücke von Calderón. 146 Im Corral-Theater blieb die denkbare Einflußnahme auf die personelle Zusammensetzung der Truppen von außen auf gelegentliche Versuche von seilen der arrendadores beschränkt. Fälle wie der des Pächters Antonio de Rueda, der 1653 verspricht, die Schauspielerin Bernarda Manuela in Truppen unterzubringen, „que dicho arrendamiento trajere á la corte", sind unverbindliche Vermittlungsdienste. (Pérez Pastor. Datos II. 151). 147 Calderón. Obras I. 1099 IT. 148 ibid.. 975 ff. 149 Calderón. Obras II. 1889 IT. 150 Mitgezählt die Koproduktionen Calderóns mit anderen Dichtern, nicht mitgerechnet unterschiedliche Versionen des gleichen Stücks. 151 Calderón, Obras II. 1331 ff.

Anmerkungen zu Kapitel 3 1 A. de Rojas Villandrando, El viaje entretenido. Ed. Jean-Pierre Ressot, Madrid 1972, 289 f. 2 So vergleicht Rojas das Leben eines Schauspielers mit dem eines Sklaven: „Porque no hay negro en España. / ni esclavo en Argel se vende. / que no tenga mejor vida / que un farsante, si se advierte." (ibid.) 3 Pérez Pastor, Datos l. 146. 4 Rennert, Spanish Stage, 149. 5 Varey/Shergold. Fuentes IV. 225. 6 Varey/Shergold. Fuentes III. 48. 7 ibid., 93 (Bestimmung von 1615: ibid., 57). 8 Shergold, History. 519 f. 9 Sátira / / / e i n e s Anonymus (um 1646-49); Cotarelo, Controversias. 553a. 10 Primus calamus (1668). zitiert in F. Sánchez Escribano; A. Porqueras Mayo (eds.). Preceptiva dramática española. Madrid 1972, 318. 11 Shergold/Varey. Fuentes I. 59 IT., 65, 68. 73 f., 83, 94. 100, 113. 12 Reglamentos von 1615 (Varey/Shergold, Fuentes III, 57) und von 1641 (ibid., 93). 13 Siehe dazu nähere Ausführungen im folgenden Abschnitt (3.2). 14 Pérez Pastor. Datos I. 166. 15 Darin verpflichtet sich der autor, mit seiner Truppe am Sonntag nach Corpus morgens die „Autos y fiestas de Madrid" und am Nachmittag „una comedia de las que tiene puestas" aufzuführen. (Pérez Pastor, Calderón Docs.. 239). 16 Selbst heute ist davon noch etwas zu spüren: Obwohl mittlerweile die Theatersaison in Madrid generell im Herbst beginnt, setzen die meisten Bühnen zu Ostern neue Inszenierungen mit neuen Ensembles auf den Spielplan. 17 Shergold, History, 541 f. Dort auch weitere Hinweise zum Spielzeitverlauf. 18 Dies geht auch aus den Vertragsabschlußdaten in den für diese Arbeit untersuchten Truppenlisten hervor. Von den 116 auf den Tag genau datierten Listen sind jeweils 20 im Februar, 63 im März und 16 im April zusammengestellt worden. Insgesamt kamen 85 Prozent der Listen in den betreffenden Frühlingsmonaten zustande, in die die Fastenzeit lallt. Unter den übrigen Monaten ragt nur noch der Oktober mit vier Vertragsabschlüssen heraus, im Januar und Juni gab es je drei, im September und November je zwei, im Mai, Juli und Dezember je einen und im August überhaupt keinen. 19 Varey/Shergold. Fuentes IV, 181. Weitere, ähnliche Aussagen: ibid., 178. 183. 187. 20 Varey/Shergold. Fuentes IV. 187. 21 ibid., 183.

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22 Rennert. Spanish Stage', 317 f. 23 Nachzuweisen für 1621: Pérez Pastor, Datos II, 50. 1639: Pérez Pastor, Calderón Docs., 120. 24 Cfr. Shergold/Varey, Autos I, 271 (für 1632). Die autos sacramentales wurden gelegentlich auch in den Corrales gespielt, allerdings erst nach dem Verbot von 1644/46 (Deleito y Piñuela. Pueblo, 289). Mit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs scheinen zunächst sogar ausschließlich autos in den Corrales aufgeführt worden zu sein (Relación des Schreibers Juan Garcia Albertos vom I. November 1648. Pérez Pastor, Calderón Docs., 166 fT.), mit folgender Begründung: „Acordose se suplique a los Señores del Consejo se sirban de conceder licencia para la representación de los autos en los corrales para que el pueblo tenga algún desaogo y regocijo" (Varey/ Shergold, Fuentes III, 174). 25 Wie das Theaterleben in Madrid auf das Umland ausstrahlt, beschreibt N. Salomon in „Sûr les représentations théâtrales dans les .pueblos* des provinces de Madrid et Tolède (1598-1640) in Bulletin Hispanique LXII (1960), 398-414. 26 Es scheint nach 1648 fester Brauch geworden zu sein, daß die Truppen in den Corrales nach Fronleichnam zuerst eine Zeitlang autos aufführten. Jerónimo de Vallejo etwa spielte sie mit seiner Truppe im Jahr 1660 vom 9. bis 18. und am 20. Juni, Simón Aguado am 25. Juni 1662. (Varey/Shergold. Fuentes IV. 247). 27 Varey/Shergold, Fuentes HI, 126 fT. 28 Die Tatsache, daß nicht immer beide Corrales in Betrieb waren und oft über längere Zeit nur einer benutzt wurde, was selbstverständlich Rückwirkungen auf die Einkünfte hatte, ist für den hier behandelten Aspekt ohne Belang und bleibt deshalb unberücksichtigt. 29 Shergold/Varey (Fuentes I, 17) nennen für die Regierungszeit Philipps IV. folgenden Festkalender: 8. April, Geburtstag des Königs; 12. Juli, Geburtstag der Infanta Maria Margarita; 26. Juli, Namenstag der Königin; 20. September, Geburtstag der Infanta Maria Teresa; 22. September, Geburtstag der Königin-Mutter; 4. November, Namenstag und 6. November, Geburtstag des Prinzen Carlos; 22. September, Geburtstag der Königin. 30 ibid., 47. 31 ibid., 15. Gestützt wird diese Feststellung auch durch den Hinweis auf die „particulares que se h'azen a su Magestad, que son dos cada semana" in den Advertencias der Cofradía de Nuestra Señora de la Novena, Archiv der Cofradía in der Pfarrei San Sebastián, Madrid. 32 Entsprechende Dokumente für 1656 bis 1658: Varey/Shergold, Fuentes IV, 76-121; für 1659 bis 1662: ibid., 152-161, außerdem 219 fT.; für 1675 und 1676: Fuentes V, 101-106, 113 f.; für 1679 und 1680: 121 f.; für 1680: 123 f.; 1680 bis 1684: 128 ff. Siehe auch Hinweise auf ausgefallene Corral-Vorstellungen wegen Proben und Aufführungen am Königshof in Pérez Pastor, Calderón Docs.. 243 (T.. 251, 257 ff.. 259 f.. 277 ff., 280 f., 289 IT., 363 f. sowie in Pérez Pastor. Datos II. 173 f.. 186. 189. 194. 195 f.. 196 f.. 200. 202-209. 33 Shergold/Varey. Fuentes 1. 28. 34 Durchschnittliche Verweildauer möglicherweise 30 Tage (Varey/Shergold, Fuentes Hl, 37). 35 Wie etwa der Pächter Rodríguez Ros 1675 bemerkt (Varey/Shergold, Fuentes V, 102). 36 In Claramontes Vertrag mit seinen Schauspielern werden Konventionalstrafen für das Fehlen bei den Proben angedroht (Pérez Pastor, Datos I, 146). 37 ibid; Rennert, Spanish Stage, 149. 38 Marqués de Heliche, Conde de Monterrey, königlicher Theaterdirektor (Shergold, History, 528); zusammen mit dem Condestable de Castilla „encargado de los festejos reales" (Cotarelo. Colección. XXXVII). 39 Pérez Pastor. Calderón Docs., 278. 40 Varey/Shergold, Fuentes IV, 238. 41 Toribio de la Vegas Truppe probte hier am 20. 9. 1663 (ibid., 242). 42 ibid. 43 „y estaban de guarda (...) coches de Su Magestad para conducir los representantes" (Pérez Pastor, Calderón Docs.. 278). Siehe auch den umfangreichen Posten „coches" bei der Abrechnung zur Aufführung von Calderóns Faetón 1679/80 (Shergold/Varey, Fuentes l, 95). 44 Die häufige Erwähnung des Probenhauses (ibid., 71. 78, 90, 103, 106. 136, 138) zeigt, daß es eine feste Einrichtung geworden war. 45 Varey/Shergold. Fuentes III, 57. 46 Shergold (History, 543) sieht in ihrer Anwesenheit bei den Proben einen Hinweis darauf, daß die autores bei der Stückauswahl gemeinsam mit der Truppe und nicht alleine über die Annahme entschieden.

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47 Pérez Pastor. Calderón Docs., 264 f. 48 Mit einer ähnlichen „Berater"-Funktion könnte man auch die Assistenz Calderöns im o b e n erwähnten Fall erklären. 49 Ed. Ciriaco Pérez Bustamantc, Madrid 1944, 197 (beide Zitate). 50 Agustín R o m e r o etwa, apuntador bei Francisco Vélez d e G u e v a r a , verpflichtet sich a m 31. März 1639, „ a p u n t a r y hacer carteles"; Blas de la C r u z (in der T r u p p e von Juan R o m á n ) e r k l ä r t sich am 20. März 1639 bereit, „ a p u n t a r y sacar las comedias" (Pérez Pastor, Dalos I, 30S, 305). 51 Shergold/Varey, Fuentes I. 83. Weitere Beispiele ibid., 94, 100, 112. 52 Cotarelo. Controversias. 267. 53 Diese Zeitspanne nimmt auch Shergold an (History. 528). 54 Ed. Schevill y Bonilla. Madrid 1922, 218. 55 C f r . 3.4. 56 Beide Zitate: Pérez Pastor, Calderón Docs., 110. 57 Beispiele für solche Anweisungen von Calderón: ibid., 262. 270. 283, 293. 299. 303, 310, 319. 325. 330. 334, 338, 343, 347, 358. 361. 370. 58 Siehe die Anspielungen auf den frühen Beginn und das Spektakuläre der muestra ira Entremés de la muestra de los carros von Quiñones de Benavente (Cotarelo, Colección II. 691 fT.). 59 W a r d r o p p e r , Teatro religioso, 57 f. 60 Varey/Shergold, Fuentes IV, 234. 61 ibid.. 235 f. 62 „y algunas personas q u e salieron de a d e n t r o de ber ensayar las d o s compañías me dixeron q u e una comedíanla llamada Luisa R o m e r o auia caido de una t r a m o y a " , berichtet der exribano (ibid.). 63 Varey/Shergold, Fuentes IV, 234. 64 Varey/Shergold, Fuentes V, 178. 65 Pérez Pastor, Calderón Docs., 290. 66 Shergold/Varey. Fuentes I. 79, 91, 98. 107, 136. 67 Eines der wenigen Zeugnisse über das Repertoire einer T r u p p e ist die Liste von Stücken, die Maria de C ó r d o b a im A u f t r a g ihres Mannes, des autor Andrés de la Vega, der Gemeinde Daganzo vorlegt, damit diese zwei comedias für ein Gastspiel auswähle (Pérez Pastor, Datos I, 226): No hay dicha ni desdicha hasta la muerte (Mira de Amescúa? Rojas Zorrilla?), Amar como se ha de amar (Lope), El milagro por los zetos (?), Sufrir más por querer más (Villaizán), El mariscal de Birón (Montalbán), La puente de Mantihle (Calderón), La dicha del forastero (Lope), El examen de maridos (Alarcón). Die Liste stammt vom 23. I I . 1632. ( Z u o r d n u n g der Stücke zu den Dichtern von Pérez Pastor). 68 Vor allem in der zweiten Hälfte des 17. J a h r h u n d e r t s ein h ä u f i g praktiziertes Verfahren (Shergold. Historv, 528). 69 Varey/Shergold. Fuentes ¡V, 227. 70 Pérez Pastor. Datos I, 146. 71 Der Hinweis, d a ß auch entremeses, loas und so weiter inbegriffen seien, deutet darauf hin, d a ß der Begriff comedia hier im Sinne von . A u f f ü h r u n g ' (Stück und géneros menores) zu verstehen ist. 72 Cotarelo, Colección II. 533a. 73 Es handelt sich dabei, wie es ausdrücklich heißt, um die „representantes que quedaron de la compañía de A n t o n i o de Prado"; Sebastián hatte die T r u p p e seines im gleichen J a h r gestorbenen Vaters übernommen. (Pérez Pastor, Calderón Docs.. 189 f.). 74 Pérez Pastor. Datos II. 162. 75 Shergold/Varey. Fuentes 1. 14; Subirats. Répertoire. 415. Nach den Untersuchungen von R. Subirats umfaßten die zwei wöchentlichen Routine-Aufführungen a m Donnerstag und Sonntag 65 Prozent der Vorstellungen mit „comedias ordinaires" (ibid., 412). 76 Pérez Pastor, Calderón Docs.. 278. 77 Subirats. Répertoire. 415. 78 Pérez Pastor, Datos II. 176. 79 ibid.. 119. 80 Shergold, Historv. 528 f. 81 Pérez Pastor. Datos ¡i. 169 f. 82 Ähnliche Beispiele ibid., 171; Varey/Shergold, Fuentes IV. 228. Manchmal arrangieren sich auch autor und arrendador von vorneherein dahingehend, d a ß jeder die Hälfte der Kosten für eine comedia nuera übernimmt (Pedro de la Rosa im J a h r 1659: Pérez Pastor, Datos II, 185).

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83 Obwohl sie sich dieser grundsätzlichen Problematik bewußt ist. hat R. Subirats (Repertoire, 419-479) versucht, bei ihrer Aufstellung der H o f t h e a t e r a u f f ü h r u n g e n j i n t e r Philipp IV. und Karl II. (die, wie bereits dargestellt, weitgehend aus routinemäßigen comedia-Vorstellungen bestanden) auch die Verfasser der jeweils gespielten Stücke herauszufinden. Die Ergebnisse sind wegen der genannten Schwierigkeiten nur mit Vorsicht zu betrachten. 84 Im Vertrag der comisarios mit den autores Baltasar de Pinedo und Fernán Sánchez de Vargas vom 30. April 1618 heißt es: „han de hacerlos (sc. los autos sacramentales) c o m p o n e r á su c o s t a " (Pérez Pastor. Dalos I. 166). 85 Zum ersten Mal ist Calderón als Verfasser der Madrider autos für 1637 nachzuweisen (Pérez Pastor. Calderón Docs.. I I I ) . 86 Im Jahr 1639 stammen zwei der vier a u f g e f ü h r t e n autos von Calderón, zwei von A n t o n i o Cocllo (ibid.. 120). 1645 erscheint Calderón zum ersten Mal als alleiniger auio-Dichter (ibid., 126). 1647 hat offensichtlich auch Rojas Zorrilla autos f ü r Madrid geschrieben (Shergold/Varey. Prohibiciones. 308). doch von 1648 an ist Calderón bis 1681 lückenlos als alleiniger ui/to-Dichter nachzuweisen (Pérez Pastor. Calderón Docs., passim). 87 Cfr. 1.1.3; Shergold. Historv. 452 f. 88 Shergold/Varey. Autos II, 58. 89 Schließung der Corrales vom 7. O k t o b e r 1644 an (Shergold/Varey. Prohibiciones. 287). 90 ibid., 290. 91 Shergold. History. 452. 92 Bezeichnenderweise wurden nach Calderóns T o d von 1681 bis 1686, offensichtlich aus Verlegenheit. keine neuen autos bei anderen Dichtern in A u f t r a g gegeben (Ausnahme: Eco r Narciso von Andrés de Villamayor, 1683), sondern Calderónsche Werke wiederaufgeführt (Pérez Pastor. Calderón Docs.. 434 ff.; Shergold, Historv. 479 ff.). 93 Pérez Pastor. Datos II. 189. 94 Fuentes Hl. 37. 95 Etwa die Aussetzung der ¡ova. C f r . 2.3. 96 ibid. 97 "Für Calderóns Faetón beispielsweise werden zehn sobresalientes engagiert, vier Mitglieder mit dem Vermerk „que no tiene c o m p a ñ í a " , f ü r Hado v divisa gar dreizehn Zusatzkräfte (Shergold/Varey, Fuentes I. 92. 108). 98 Eine eingehendere Untersuchung der einzelnen Elemente der A u f f ü h r u n g würde den R a h m e n dieser Arbeit sprengen. Es wird deshalb hier weitgehend auf die sehr ausführlichen Darstellungen von Diez Borque (Sociedad y teatro. 176 ff.) zurückgegriffen, die den aktuellen Forschungsstand wiedergeben. 99 „Golpes c o m o martillazos" (Deleito y Piñuela. Pueblo. 198). 100 Dies trifft insbesondere auf die von Q u i ñ o n e s de Benavente geschriebenen loas zu (Bergman, Benavente, 27). 101 Unter sainete war eine dem entremés ähnliche dramatische Kleinform zu verstehen, in Dokumenten aus der Spätphase oft als Sammelbegriff f ü r .Zwischenspiel' ü b e r h a u p t gebraucht. Jácara und mojiganga waren ursprünglich volkstümliche Unterhaltungsformen. Die mojiganga geht außerdem auf höfische Maskeraden zurück. 102 Shergold/Varey. Autos II. Introducción, X X I I I . 103 ibid., 122 f. 104 „La tarasca era una figura de mujer m o n t a d a encima de un dragón. Salía cada a ñ o en cabeza de la procesión del Corpus, y la bestia alargaba y retraía el cuello, abriendo y cerrando la boca y q u i t a n d o los sombreros a los mozos (...)" (ibid., XXV). 105 ibid., X X I I I . 106 Mythos. 209 IT. 107 ibid.. 211 IT. 108 ibid.. 239 f. 109 A u b r u n , Comedia, 21. 110 J. Huerta Calvo, „Para una poética de la representación en el Siglo de Oro: función de las piezas menores" in 1616. Anuario de la Sociedad de Literatura general y comparada, Madrid 1980. 74. 111 Einige géneros menores wie die jácara oder ü b e r h a u p t die Tänze zeigen schon d u r c h ihren nichttheatralischen U r s p r u n g (Diez Borque, Sociedad y teatro. 279), d a ß sie vor allem zur Ergänzung und Perfektionierung des rituellen Ablaufs der Vorstellung eingeführt wurden. 112 Beispiele: Cotarelo. Colección /, 300; Colección II. 531, 544, 575.

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113 Etwa Quiñones de Benaventes Entremés de la muestra de los carros, in dem es um d e Generalprobe für eine aw/o-Aufführung gehl (ibid.. 691 (T.) oder das entremés El ensayo von Gil Enriq u e / (Ausschnitte in Cotarelo, Colección I, LXXXVIII f.; der gesamte Text in Ociosidad entretenida. Madrid 1668). 114 Diez Borque gewinnt seine Erkenntnisse am entremés; sie lassen sich jedoch auch auf die anderen piezas menores übertragen. 115 Diez Borque, Sociedad v teatro, 278. 116 Einleitung, 208. 117 ibid., 208 f. 118 C f r . K a u f m a n n . Interdependenz, 268. 119 Diez Borque. Sociedad y teatro, 279 ff. 120 ibid.. 277. 121 Bergman, Benavente, 21. 122 Sociedad y teatro, 206. 123 Siehe Kapitel über die Truppen (2).. 124 Regelrechte Lehrbücher f ü r Schauspieler gibt es erst vom 19. Jahrhundert an in großer Zahl. Bemerkenswert ist. d a ß sie meist den Titel Curso de declamación tragen, d a ß in ihnen also besonderer Wert auf die Textwiedergabe gelegt wird, obwohl der Begriff declamación schon als veraltet und n u r f ü r die Stücke der Antike passend angesehen wurde (Bastús, Curso de declamación, Barcelona 1848, 65 ff.). 125 Sie stand etwa zur gleichen Zeit in Blüte. 126 C f r . W. K r ö m e r , Die italienische Commedia dell'arte, Darmstadt 1976, 14 f. und 82 ff. sowie Shergold, „Ganassa a n d ^ t h e .Commedia dell'arte' in Sixteenth-Century Spain" in Modern Language Review LI (1956), 359-368. Shergold verweist d a r a u f , d a ß die Dialoggestaltung der Commedia trotz ihres improvisierten Charakters, jedoch mit detailliert ausgea-beiteter H a n d l u n g s f ü h r u n g , auf die spanischen Theaterdichter, insbesondere Lope, Einflüsse ausgeübt habe. Auch die dreiaktigc Aufteilung der Handlung, die Lope zunehmend praktiziert und die sich schließlich durchsetzt, führt Shergold auf Einflüsse durch die Commedia dell'arte zurück. 127 Biblioteca Nacional. Madrid, Signatur Res. 72. Als Faksimile veröffentlicht von Manuel Sánchez M a r i a n a , Madrid 1981. 128 M. Sánchez M a r i a n a in der Introducción, XXV. 129 Etwa die Verse 1410-1428 (Zählung nach der Transcripción in der genannten FtksimileAusgabe, 65 ff.). 130 Verse 1501 und 1523: das auto wurde geschrieben f ü r die Corpus-Feier 1644 in Toledo (Titelblatt des Autographs). 131 Siehe A n m e r k u n g zu Vers 1501 in der Transcripción. 132 Beispielsweise Verse 43-44. gekennzeichnet mit „si si si" am linken Rand, Verse 45-46 mit „ n o " beidseitig neben dem Text. 133 Zum Beispiel Vers 84 dem Espino oder Vers 354 dem Moral. 134 Die Tatsache, d a ß der Verfasser selbst die Besetzungsliste geschrieben hat, kann a s Nachweis d a f ü r gelten, d a ß er bei der Niederschrift des Stückes eine bestimmte T r u p p e (in diesem Fall diejenige Antonio Prados, wie aus den den Rollenbezeichnungen zugeordneten N a m e n hervorgeht) vor Augen hatte. 135 Cedro, Verse 180-343. Espiga. Verse 578-624, Vid, Verse 625-673, Espino, Verse 1219-1296. 136 Kürzungen aus Zeitersparnis-Gründen sind schon deshalb undenkbar, weil sich die Dichter in der Länge der Stücke durchweg an die N o r m hielten. 137 Verse 1501-1503. 138 ..Calderón, .Der wundertätige Zauberer' und das Publikum" in Prismata (Dank an Bernhard Hanssler), Pullach bei München 1974. 205-229. 139 A u b r u n . Comedia. 247. 140 C. Bernis. ..Los Trajes" in Castillejo. Corral. 123-189. 141 ibid.. 128. 142 ibid.. 129. 143 ibid. 144 ibid..191. 145 ibid. 146 Pcrez Pastor. Datos II. 33 ff. 147 Rechnet man die bei den einzelnen Posten vermerkten Wertangaben zusammen, ergeben sich 5937.5 reales.

148 Mit einer Ausnahme: Bei zwei „vestidos" heißt es ausdrücklich, d a ß sie einer gewissen Maria gehören. 149 Cotarelo. Prado, 155 f. 150 Siehe Liste im A n h a n g dieser Arbeit. 151 C f r . 4.2.2. 152 Shergold/Varey. Autos I. 296. 153 ibid.. 225. 154 Vertrag mit Antonio de P r a d o vom 18. März 1624 (Pérez Pastor, Daws I. 205 f.). 155 Shergold/Varey, Autos / / . 31. 156 Pérez Pastor, Datos II. 115. 157 Zum Beispiel Cristóbal de A v e n d a ñ o und Andrés de la Vega am 8. Juni 1626. (Shergold/Varey. Autos 1. 257 f.). 158 Shergold/Varey. Autos II. 97. 159 Shergold/Varey. Fuentes I. 94. 160 ibid.. 92 f. In ähnlicher Weise auch bei Calderóns Hado v divisa... 1680 (ibid.. 108 ff.). 161 Varey/Shergold. Fuentes III. 56. C f r . 4.2.2. 162 ibid.. 92. 163 Schreiben des Königs an den vicecanciller von Aragón (Cotarelo, Controversias. 635b). 164 Solche Fauxpas waren auch Lope nicht unbekannt: „Sacar vn T u r c o vn cuello de Christiano, j y calcas atacadas vn R o m a n o (...)." (Arte nuevo. 300, Verse 360-361). 165 Varey/Shergold, Fuentes III. 56. 166 Siehe dazu Shergold, Historv. passim, und Diez Borque, Sociedad >• teatro, 185 ff. 167 Diez Borque. ibid., 186. 168 Los alimentos del hombre von 1676 (Pérez Pastor, Calderón Docs., 347 f.). 169 Calderón, Obras III. 206. 170 Ed. Joaquín Casalduero, Madrid 1982, 113. 171 ibid., 116. 172 Castillejo, Corral, 82. 173 ibid. 174 ibid.. 83. 175 ibid.. 104 ff. 176 Allgemein gebräuchliche Bezeichnung d a f ü r : tramoyas. 177 Erläuterungen und Beschreibung der verschiedenen Maschinen bei Castillejo, Corral, 69 ff. 178 C f r . 1.3.1. 179 Nähere Ausführungen dazu in den folgenden beiden Abschnitten. 180 Die gesamte Thematik ist detailliert dargestellt bei Shergold, Historv. 264 IT. (1622-1644) und 298 ff. (1640-1665). 181 C f r . 1.2.2. 182 Historv. 295. 183 Siehe beispielsweise die erhaltenen Szenenbild-Entwürfe zu Calderóns La fiera, el rayo v la piedra, publiziert und erläutert in A. Valbuena Prat, „La escenografía de una comedia de Calder ó n " in H. Flasche (ed.). Calderón de la Barca. D a r m s t a d t 1971, 64-88. 184 Shergold. Historv. 562. 185 Alewyn/Sälzle, Welttheater. 58. 186 Bezeichnenderweise finden die apariencias besonders häufig Verwendung in Vidas de santos (Castillejo, Corral. 89). 187 Mythos. 213 ff. 188 Cfr. Neumeisters einleitende Bemerkungen zur „Okkasionalität" der fiesta (ibid., II ff.) 189 E. Straub, Repraesentatio Majestatis oder Churbayerische Freudenfeste. München 1969, 7 f. 190 Neumeistcr. Mvthos, 280. 191 ibid., 157. 192 Daran änderte sich auch nichts, wenn die Öffentlichkeit zu den höfischen A u f f ü h r u n g e n zugelassen war; das breite Publikum blieb dabei in einer „Zaungast"-Rolle (ibid., 75). 193 ibid.. 53. 194 Etwa im Sinne der „gesprochenen D e k o r a t i o n " mit Zeit- und Ortsangaben ( K a u f m a n n . Interdependen:. 235 ). 195 Ed. Schcvill y Bonilla. Madrid 1922. 218 f. 196 Pellicer, Tratado II. 109.

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197 ibid.. 72. 198 Im folgenden liegl die Ausgabe von J.J. Prades. Madrid 1971, zugrunde. 199 Ed. eil.. 296. Verse 269-286. 200 Prades. Estudio. 171. 201 Ed. cit.. 296. Verse 284-285. 202 ibid.. Verse 275-276. 203 Ed. M. Menéndez Pelayo, Biblioteca de Autores Españoles (Bd. 177). Obras de Lope de Vega IX (Comedias de vidas de santos), Madrid 1964, 77. 204 Siehe dazu den folgenden Abschnitt (3.6). 205 Ed. cit.. 78. Funktion der Emotionalisierung und Zusammenhänge mit der aristotelischen Katharsis clr. 4.2.3. 206 Ed. cit., 97. 207 ibid.. 100. 208 ibid.. 101. 209 ibid.. 102. 210 „Descúbrase empalado Ginés" (Regieanweisung, ibid., 107). 211 ibid.. 78. 212 Prades. Estudio. 180. 213 Fuhrmann, Aristoteles, 169. 214 ibid. 215 Ed. cit.. 301. Vers 377. 216 Newels, Die dramatischen Gattungen in den Poetiken des Siglo de Oro. Wiesbaden 1959, 32. 217 ibid.. 72. 218 ibid.. 73 IT. 219 Zitiert in F. Sánchez Escribano/A. Porqueras Mayo, Preceptiva dramática española del Renacimiento al Barroco. Madrid 1971, 205. Cfr. J. de Entrambasaguas, „Una guerra literaria del Siglo de Oro" in ders.. Estudios sobre Lope de Vega, Madrid 1967, Bd. I, 569 fT. 220 Arte nuevo, 296, Verse 269-284. Cfr. J J . Prades, Teoría sobre los personajes de la comedia nueva. Madrid 1963. 221 Sogar der Rollentyp des gracioso hat Eingang in den reparto der autos sacramentales gefunden. Diesem Fach ist. um nur ein Beispiel zu nennen, der labrador in Calderóns Gran teatro del mundo zuzurechnen. 222 F.W. Jerusalem. „Der Begriff der Gemeinschaft und seine Stellung im Ganzen der Soziologie" in Studium Generale (1950), 626. Zitiert bei Kaufmann, Interdependen:. 69. 223 ibid.. 71 224 Cfr. 1.2.1. 225 Arte nuevo, cd. cit., 290, Verse 149/150. 226 ibid.. 285, Vers 48. 227 H.-J. Ncuschäfer. „Lope de Vega und der Vulgo" in Baader, H.; Loos, E. (eds.). Spanische Literatur im Goldenen Zeitalter. Fritz Schalk zum 70. Geburtstag, Frankfurt/M. 1973, 343 f. 228 ibid., 345. 229 ibid.. 346. 230 Prades, Estudio. 212 f. 231 Arte Nuevo, ed. cit., 298. Vers 319. 232 Modern Language Notes XIII, Nr. 2 (1898). zitiert in Prades, Estudio, 10. 233 Arte nuevo, ed. cit.. 298. Verse 323 und 325. 234 Cir. 4.2.2. 235 Ncuschäfer, op. cit., 349 f. 236 Cfr. 3.5.4. 237 Neuschäfcr, op..cit., 351. 238 Cotarelo. Colección II. 533a.

Anmerkungen zu Kapitel 4 1 J. Lynch, España bajo los Austrias 2