Lehrer - Schriftsteller - Staatsreformer: Die Karriere des Joseph von Sonnenfels (1733-1817) 9783205791362, 9783205787044

142 36 4MB

German Pages [520] Year 2011

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Lehrer - Schriftsteller - Staatsreformer: Die Karriere des Joseph von Sonnenfels (1733-1817)
 9783205791362, 9783205787044

Citation preview

veröffentlichungen der kommission für neuere geschichte österreichs Band 106 Kommission für neuere geschichte österreichs Vorsitzende  : Univ.-Prof. Dr. Brigitte Mazohl Stellvertretender Vorsitzender  : em. Univ.-Prof. Dr. Helmut Rumpler Mitglieder  : Dr. Franz Adlgasser Univ.-Prof. i. R. Dr. Ernst Bruckmüller Univ.-Prof. i. R. Dr. Karl Brunner em. Univ.-Prof. Dr. Fritz Fellner Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Garms-Cornides Univ.-Prof. Dr. Margarete Grandner Univ.-Prof. Dr. Hanns Haas Univ.-Prof. i. R. Dr. Wolfgang Häusler Univ.-Prof. i. R. Dr. Ernst Hanisch Univ.-Prof. Dr. Gabriele Haug-Moritz Dr. Michael Hochedlinger Univ.-Prof. Dr. Lothar Höbelt Mag. Thomas Just Univ.-Prof. i. R. Dr. Grete Klingenstein Univ.-Prof. Dr. Alfred Kohler Univ.-Prof. Dr. Christopher Laferl Dr. Stefan Malfèr Gen. Dir. Hon. Prof. Dr. Lorenz Mikoletzky Dr. Gernot Obersteiner Dr. Hans Petschar Univ.-Prof. Dr. Reinhard Stauber em. Univ.-Prof. Dr. Gerald Stourzh Univ.-Prof. Dr. Arno Strohmeyer Univ.-Prof. i. R. Dr. Arnold Suppan em. Univ.-Prof. Dr. Ernst Wangermann Univ.-Prof. Dr. Thomas Winkelbauer Sekretärin: Mag. Doris A. Corradini

Simon Karstens

Lehrer – Schriftsteller – ­Staatsreformer Die Karriere des Joseph von Sonnenfels (1733–1817)

böhlau verlag wien · köln · weimar

Die in den Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs gemachten Aussagen sind die der jeweiligen Verfasser, nicht die der Kommission.

Univ.-Diss. im Fachbereich III der Universität Trier Erste Gutachterin: Univ.-Prof. Dr. Helga Schnabel-Schüle Zweiter Gutachter: PD Dr. habil. Johannes Dillinger Datum der mündlichen Prüfung: 29. September 2008

Gedruckt mit der Unterstützung durch: Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78704-4 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, ­insbesondere die der Über­setzung, des Nachdruckes, der Entnahme von ­Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ­ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Daten­ver­arbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2011 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. & Co. KG, Wien · Köln · Weimar http  ://www.boehlau-verlag.com Umschlaggestaltung: Michael Haderer Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Druck  : Balto print, Vilnius

abkürzungsverzeichnis

AABK ABGB

Archiv der Akademie der Bildenden Künste Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch der Habsburgermonarchie von 1803 AUW Archiv der Universität Wien AVA Allgemeines Verwaltungsarchiv b.ö. Hofkanzlei böhmisch-österreichische Hofkanzlei CCT Constitutio Criminalis Theresiana, Strafgerichtsordnung von 1768 Ebd. Ebenda fl. Gulden (Währungseinheit) Fol./Unf. Folio/Unfoliert HHStA Haus-, Hof- und Staatsarchiv HSS Handschriftensammlung Inv. Inventarnummer Kap. Kapitel in der vorliegenden Arbeit Kart. Karton Konv. Konvolut MoV Der Mann ohne Vorurtheil (Wochenschrift) NDB Neue Deutsche Biographie Ndr. Nachdruck n.ö. (Regierungsrat) niederösterreichischer (Regierungsrat) NÖLA Niederösterreichisches Landesarchiv o.D. ohne Datum ÖNB Österreichische Nationalbibliothek Prot. Protokoll Staatsratsprot. Staatsratsprotokoll (Bestand im HHStA) StudHK Studienhofkommission StudRevHK Studienrevisionshofkommission vgl. vergleiche WIBI Wienbibliothek im Rathaus (ehemals Stadt- und Landesbibliothek Wien)

dankesworte

Das vorliegende Buch basiert auf vierjähriger Forschungsarbeit, die in den Jahren 2005 bis 2008 an der Universität Trier und in verschiedenen Archiven und Bibliotheken Österreichs durchgeführt wurde. Es ist selbstverständlich, dass solch ein Weg nicht allein gegangen werden kann. Daher möchte ich an dieser Stelle einigen Personen meinen Dank aussprechen, die mir durch persönliche Unterstützung, Ratschläge und lange Gespräche Denkanstöße gaben und mich dazu antrieben, mehrere Jahre meines Lebens der Erforschung des österreichischen Gelehrten Joseph von Sonnenfels zu widmen. Allein aus Platzgründen kann ich hier nur wenige Personen nennen, die ihrerseits stellvertretend für andere stehen, mit denen ich an der Universität Trier, in den Wiener Archiven oder bei Forschungskolloquien und Tagungen in Kontakt treten durfte. An erster Stelle möchte ich Frau Prof. Dr. Schnabel-Schüle und Herrn Dr. habil. Johannes Dillinger danken, die mein Forschungsvorhaben als Dissertationsprojekt annahmen und über die Jahre hinweg betreuten. Besonders Frau Professor Schnabel-Schüle als Betreuerin im engeren Sinne beeinflusste mich nicht nur durch ihren fachlichen Rat, sondern auch durch ihre inspirierende Begeisterung für die Geschichte der Frühen Neuzeit. Neben zahlreichen Anregungen und konstruktiver Kritik hatte sie stets ein offenes Ohr und ermöglichte mir auch erste Kontakte zu österreichischen Kollegen, die ich auf meinen insgesamt fünfmonatigen Archivreisen persönlich treffen konnte. Diese Kollegen erwiesen sich als überaus hilfsbereit und erleichterten den Abschluss des Forschungsprojektes erheblich. Zu ganz besonderem Dank bin ich dabei Frau Prof. Dr. WalterKlingenstein verpflichtet, die durch Gespräche und Hinweise dazu beitrug, dass meine Begeisterung für das Thema über die Jahre hinweg ungebrochen blieb. Sie bereicherte auch das Manuskript durch ihre Anmerkungen. Weiterhin gab mir Herr Prof. Gerhard Ammerer freundlicherweise Rat in Fragen der Strafrechtsreform, die zu dieser Zeit Gegenstand seiner eigenen Forschung war. Auch den überaus hilfsbereiten Mitarbeitern der Wiener Archive möchte ich an dieser Stelle für ihre Anregungen, Hinweise und ihre Geduld gegenüber meinem Hunger nach immer mehr Akten danken. Nicht unerwähnt bleiben sollen die Mitglieder des Trierer Promotionskolloquiums, die mir durch ihre kritischen Fragen und Anmerkungen im Arbeitsprozess zur Seite standen. Die Finanzierung des Projektes wurde durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes ermöglicht, die auch einen Raum zum Austausch mit Promovierenden

viii

Dankesworte

aus anderen Fächern bot, deren für mich neue und unerwartete Perspektiven die Arbeit bereicherten. Für besondere Ermutigung in der manchmal ermüdenden Phase zwischen Fertigstellung und Publikation der Arbeit bin ich gleich drei Organisationen dankbar verbunden: dem Freundeskreis der Trierer Universität, der mir im September 2009 einen Förderpreis für den wissenschaftlichen Nachwuchs verlieh; der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts, die diesem Projekt ihre Anerkennung aussprach und mir eine Gelegenheit zur Publikation erster Ergebnisse bot; und schließlich dem Institut für Personengeschichte, dessen Mitglieder diese Studie mit ihrem im Jahr 2010 erstmals verliehenen Forschungspreis auszeichneten. Im Zusammenhang der Drucklegung möchte ich außerdem den Mitgliedern der Kommission für neuere Geschichte Österreichs danken, welche meine Arbeit in ihre Publikationsreihe aufgenommen und mich zu letzten Korrekturen und Umarbeitungen angeregt haben. Es ist naheliegend, dass an dieser Stelle nicht all jene erwähnt werden können, die zum Gelingen dieses Projektes beitrugen, doch es sei versichert, dass mir all die Gespräche, Lesetipps, Korrekturvorschläge und Scherze in Trier, Graz und Wien unvergessen bleiben. Dieses Buch ist meiner Frau Friederike gewidmet.

inhaltsverzeichnis

1. Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   1 1.1 Spurensuche: Die archivarische Überlieferung . . . . . . . . . . .   7 1.2 Sonnenfels im Blick der historischen Forschung . . . . . . . . . .  12 2. Familiäre Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Herkunft, Jugend und Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Karriere und Beziehungen des Vaters . . . . . . . . . . . . . 2.3 Franz und Joseph von Sonnenfels – getrennte Wege zweier Brüder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . .  25 . . .  25 . . .  29 . . .  34

3. Erste eigene Schritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Dienstzeit im Regiment Hoch- und Deutschmeister.. . . . 3.2 Studium der Rechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Assistent seines Vaters und Praktikant bei der Obersten Justizstelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Rechnungsführer der Leibgarde und neue Kontakte . . . . 3.5 Die Deutsche Gesellschaft zu Wien . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Familiengründung mit Theresie von Hay . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .  39 . . . .  39 . . . .  42 . . . .

4. Die Wirkungsstätten Universität und Akademie . . . . . . . . . . 4.1 Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität . . . . . . . . . 4.1.1 Die Berufung in das Lehramt für Polizey- und Kameralwissenschaft 1763 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Schritt für Schritt zu einer eigenen Machtposition. . . . 4.1.3 Umstrittene Thesen – erste Kontroversen. . . . . . . . . 4.1.4 Akademische Fehden in populären Kurzschriften . . . . 4.1.5 Rücktritt vom Lehramt 1791 . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.6 Ein Konflikt weitet sich aus: Sonnenfels gegen Leopold Alois Hoffmann und Heinrich Joseph Watteroth . . . . . 4.1.7 Rückkehr als Rektor und Senior 1794, 1796 und 1803. . 4.2 Sonnenfels’ Netzwerk an der Universität und den Wiener Adelsakademien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Vom Sekretär zum Präses: Sonnenfels in der Akademie der bildenden Künste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

 44  46  50  60

. .  69 . .  69 . . . . .

. . . . .

 69  79  96 110 120

. . 123 . . 145 . . 151 . . 161

5. Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor . . . . . . . . . . 177 5.1 Von der moralischen Wochenschrift zur Realzeitung . . . . . . . . 177

x

Inhaltsverzeichnis

5.1.1 Der Vertraute: Sonnenfels’ erster Versuch einer Wochenschrift. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Der Mann ohne Vorurtheil: Eine neue Wochenschrift in Auseinandersetzung mit Zensur und Konkurrenz . . . . . . 5.1.3 Die Frauen und das Theater: Weitere Zeitschriftenprojekte und der Weg vom Autor zum Redakteur. . . . . . . . . . . . 5.1.4 Sonnenfels und die Broschürenflut. . . . . . . . . . . . . . . 5.1.5 Pränumerantenlisten – Ein Hinweis auf Sonnenfels’ Leserschaft?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der Streit der Schriftsteller Christian Adolf Klotz und Gotthold Ephraim Lessing – Ein Beispiel für die Beziehung zu anderen Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Die Netzwerke der Wiener Verleger – Konflikt und Kooperation . 5.4 Vom Autor zum Zensor – Sonnenfels als Mitglied zweier Zensurbehörden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Sonnenfels als Sprachkritiker und „Staatsstilist“. . . . . . . . . . 6. Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften . . . . . . . . . . . . 6.1 Ausflüge, Abendgesellschaften und Salons.. . . . . . . . . . . . . 6.2 Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Die Entwicklung der Loge zu einer freimaurerischen gelehrten Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Der Geheimbund der Illuminaten in der wahren Eintracht . 6.2.3 Sonnenfels’ Patriotischer Traum einer freien Akademie der Wissenschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Das Ende der wahren Eintracht . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Der Staatsreformer Sonnenfels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Erste Reformansätze durch die Deutsche Gesellschaft zu Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Sonnenfels im „Hans-Wurst-Streit“ . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Vom freien Kritiker zum staatlichen Zensor . . . . . . . . 7.2 Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775-1787 . . . . . . 7.2.1 Folter und Todesstrafe in der Constitutio Criminalis Theresiana (1768).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Sonnenfels’ Kritik an der Rechtsordnung – und ihre Konsequenzen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

177 182 188 194 197 199 207 216 227 233 233 241 241 257 265 270

. 281 . 281 . . . .

281 286 301 310

. 311 . 317

xi

Inhaltsverzeichnis

7.2.3 Erste Erfolge der Foltergegner – Sonnenfels wendet sich ans Publikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Die Abschaffung der Folter und das Aussetzen der Todesstrafe: Der Weg zum neuen Strafgesetz von 1787 . . . 7.2.5 Sonnenfels’ Beitrag zur Entstehung des josephinischen Kriminalstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Sonnenfels als Polizeireferent der niederösterreichischen Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Die praktische Umsetzung: Eine Stadtbeleuchtung für Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Der Übergang zur josephinischen Geheimpolizei: Das System Pergen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.4 Die Rückkehr zur Wohlfahrtspolizei unter Leopold II.: Sonnenfels’ neue Polizeiverfassung für Wien . . . . . . . . . 7.3.5 Die Wiedererrichtung der pergenschen Geheimpolizei unter Franz II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1 Sonnenfels’ frühe Äußerungen zum Erziehungswesen. . . . 7.4.2 Mitarbeit in der josephinischen Studienhofkommission. . . 7.4.3 Neue Kommissionen, neue Konzepte: Das Bildungswesen unter Leopold II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.4 Die Reform der Reform der Reform: Sonnenfels in der Studienrevisionshofkommission Franz’ II. . . . . . . . . . . 7.5 Sonnenfels und die Judengesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Die Kodifikation des Rechts – Reform durch Gesetzessammlung . 7.6.1 Sonnenfels’ Mitgliedschaft in den zuständigen Hofkommissionen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.2 Der Weg der universitären Polizeilehre in die Strafgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.3 Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 . . . . . . 7.6.4 Der politische Kodex: Sonnenfels’ unvollendetes Lebenswerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

324 332 339 345 345 350 354 359 364 369 369 379 391 398 408 419 419 425 438 446

8. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 9. Quellen- und Literaturverzeichnis.. 9.1 Ungedruckte Quellen . . . . . . . 9.2 Gedruckte Quellen . . . . . . . . 9.3 Darstellungen . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

471 471 472 480

xii

Inhaltsverzeichnis

Anhang Tabellarischer Lebenslauf mit Kapitelverweisen . . . . . . . . . . . . . 501 Namensregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

1. V orwort Als Joseph von Sonnenfels im Jahr 1817 starb, lag eine mehr als fünfzigjährige Karriere im Staatsdienst hinter ihm, die mit seiner Berufung zum Professor für Polizey- und Kameralwissenschaft an der Universität Wien im Jahr 1763 ihren Anfang genommen hatte. Es war ihm gelungen, in einer Zeit weitreichender politischer Umbrüche unter vier verschiedenen Monarchen immer wieder aufs Neue Einfluss zu gewinnen und über seine Professur hinaus zum niederösterreichischen Regierungsrat, kaiserlichen Hofrat, Zensor, Stilrevisor neuer Gesetze und Mitglied diverser Hofkommissionen aufzusteigen. Außerdem hatte er sich durch fünf Wochenschriften und Dutzende Monographien auch außerhalb des universitären Umfeldes Ansehen als Schriftsteller und Gelehrter erworben. Seine Bekanntheit und sein beständiges Eintreten für politische Reformen führten dazu, dass er von Zeitgenossen und frühen Historikern zu einer Ikone der als Aufklärung bezeichneten Reformbewegung des 18. Jahrhunderts erhoben wurde.1 So werden ihm unter anderem die Abschaffung der Folter, die Entstehung einer neuen nationalen Theaterkultur, die Einführung neuer Verwaltungsformen und Polizeigesetze sowie eine zentrale Rolle bei der Entstehung eines modernen Straf- und Zivilrechts zugeschrieben. Bis in die Gegenwart bleibt Joseph von Sonnenfels eine feste Größe in Monographien, Aufsätzen, Lexikonartikeln und Überblicksdarstellungen zur Geschichte des späten 18. Jahrhunderts. Trotz seiner häufigen Erwähnung in der Literatur und seiner großen Präsenz in den Quellen liegt jedoch – obwohl bereits viele Einzelaspekte näher beleuchtet wurden – noch keine quellenbasierte biographische Studie vor.2 Daher kann dieses Buch sich zwar auf verdienstvolle Vorarbeiten stützen, ist aber zugleich das Ergebnis eines mehrjährigen Forschungsprojekts in den Wiener Archiven, das neue Wege zur Erforschung von Sonnenfels’ Leben und Wirken beschreiten soll. Im Zuge der Recherche wurde schon früh deutlich, dass ein Missverhältnis zwischen Sonnenfels’ mutmaßlicher Wirkung auf die Reformen in der Habsburgermonarchie und seiner tatsächlichen Position im Staatsdienst besteht. Obwohl ihm schon zu Lebzeiten eine immense Bedeutung zugeschrie1 Vgl. zur Übersicht Kapitel 1.2 und exemplarisch: Wurzbach, Konstantin von: B ­ iographisches Lexikon des Kaisertums Österreich. 60 Bde., Wien 1856–1891, Artikel Sonnenfels, Bd. 35, 1877, S. 317–343. 2 Vgl. zu dieser Einschätzung die biographischen Ausführungen des Herausgebers der neuesten Edition von Sonnenfels’ Lehrbuch der Polizeywissenschaft: Ogris, Werner (Hg.): Joseph von Sonnenfels: Grundsätze der Polizey (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens Bd. 12), München 2003, hier S. 263–297.

2

Vorwort

ben wurde, verfügte er über kein Amt mit alleiniger Entscheidungsgewalt und stieg auch nie in das höchste beratende Gremium der theresianischjosephinischen Zeit – den Staatsrat – oder das persönliche Umfeld eines Monarchen auf. Seine Wirkungsmöglichkeiten, gewissermaßen als Reformer aus der zweiten Reihe, waren daher weit geringer als die anderer bekannter Persönlichkeiten, wie beispielsweise des Staatskanzlers Wenzel Anton von Kaunitz (1711–1794). Das Spannungsverhältnis zwischen Sonnenfels’ offizieller Position und der Tatsache, dass es ihm – wie Quellen belegen – immer wieder gelang, sich selbst in den Vordergrund zu drängen und seine Ansichten auch gegen Widersacher durchzusetzen, deutet auf inoffizielle Wege und Einflussmöglichkeiten hin, die anderen Personen verschlossen waren.3 Aus dieser Feststellung ergab sich die zentrale Fragestellung dieses Buches, nämlich auf welche Weise Sonnenfels seine Ziele erreichte, wie er seine Karriere voranbrachte und wie er seine Ansichten durchsetzte, wenn er auf Widerstand traf. Zur Beantwortung dieser Fragen kann zunächst eine Theorie des französischen Soziologen Pierre Bourdieu herangezogen werden. Bourdieu legte dar, dass drei Faktoren die Handlungsmöglichkeiten eines Menschen bestimmen.4 An erster Stelle stehen finanzielle Ressourcen, die ihm Türen öffnen können und ihm auch ohne offizielle Stellung Einfluss in der Gesellschaft erlauben.5 Neben dem materiellen Besitz rangieren laut Bourdieu das Ansehen und auch die Kenntnisse und Fähigkeiten, die jemand aufgrund seiner Erziehung, seines Berufes und seines Standes besitzt.6 Hinzu kommen, als 3 Dieses Spannungsverhältnis beobachtete auch Max Weber in seiner Herrschaftssoziologie, als er zwischen Herrschaft, als Anspruch auf Gehorsam, und Macht, als Fähigkeit seinen Willen durchzusetzen, unterschied. Er betonte, dass insbesondere Macht stark veränderlich sei und immer neu ausgehandelt werden müsse. Vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der Verstehenden Soziologie, 5. rev. Aufl., Tübingen 1972, S. 28, § 16. Ohne Bezug auf die Soziologie Webers beschreibt auch Werner Ogris dieses Phänomen bei Betrachtung anderer Staatsreformer des 18. Jahrhunderts: Ogris, Werner: Aufklärung, Naturrecht und Rechtsreform in der Habsburgermonarchie, in: Aufklärung, 3/1 1988, S. 29–51, hier S. 37–39. 4 Vgl. Bourdieu, Pierre: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Kreckel, Reinhard (Hg.): Soziale Welt. Sonderband 2, Göttingen 1983, S. 183–198, hier S. 183– 185; zur Verbindung zu Weber kurz: Degenne, Alain u. Forsè, Michel: Introducing social Networks, London 1999, Übers. der 1. Aufl., Paris 1994, S. 115–117. Zur Einbindung der Kapitalbegriffe in die weiterführenden Untersuchungen Bourdieus zur Konstituierung von Macht in Gesellschaften vgl. Bourdieu, Pierre: Das Feld der Macht und die technokratische Herrschaft, in: Dölling, Irene (Hg.): Die Intellektuellen und die Macht, Hamburg 1991, S. 67–100, spez. S. 68–70 u. generell: Bourdieu, Pierre: Das politische Feld. Zur Kritik der politischen Vernunft, Konstanz 2001. 5 Bourdieu: Kapital, S. 184–185. 6 Bourdieu: Kapital, S. 185–190.

Vorwort

3

letzter Faktor, schließlich die sozialen Beziehungen, die eine Person nutzen kann, um ihre Interessen durchzusetzen.7 Wendet man diese Kategorien auf Sonnenfels an, ergibt sich Folgendes: Seine Karriere lässt sich nicht durch finanzielle Ressourcen erklären und sein Ansehen und seine Kenntnisse musste er sich zu einer Zeit, als ein Zugang zu Bildungsressourcen für ein Kind in der mährischen Provinz keineswegs selbstverständlich war, erst einmal erarbeiten. Es liegt daher nahe, dass es soziale Beziehungen waren, zunächst die seiner Familie und später seine eigenen, die ihm den Zugang zu Bildung, Ämtern und Ansehen und damit auch seine langjährige Karriere ermöglichten. Auch Sonnenfels selbst verweist darauf, wie viel er der Fürsprache und dem Schutz einflussreicher Förderer zu verdanken habe.8 Seine Hinweise deuten auf klassische Patronagebeziehungen hin, wie sie zwischen Beamten und Angehörigen des Hofadels in der Frühen Neuzeit alltäglich waren.9 Doch greift diese in der Geschichtswissenschaft wohl bekannte Kategorie zu kurz, um seinen gesamten Lebenslauf zu verstehen, der Umgang mit zahlreichen verschiedenen Personen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen mit immer anderen sozialen Konstellationen umfasst. Um die Karriere dieses Mannes nachzuzeichnen, ist es daher notwendig, ein möglichst breites Feld seiner sozialen Beziehungen zu untersuchen und alle anhand von Quellen nachweisbaren Kommunikationen, Bewertungen, Handlungen und Gelegenheiten zur Interaktion in den Blick zu nehmen, die eine Verbindung zwischen ihm und seinen Zeitgenossen herstellen.10 Eine Beschränkung auf eine bestimmte Quellengattung wie Briefwechsel oder eine be  7 Vgl. ebd., S. 190–194 u. Bourdieu, Pierre: Le Capital Social. Notes Provisoires, in: Actes de la Recherche en sciences sociales, Bd. 31 1980, S. 2–3.    8 Vgl. Sonnenfels’ Einleitung in seine gesammelten Schriften: Sonnenfels, Joseph von: Gesammelte Schriften in 10 Bänden, Wien 1783–1787, hier Ders.: An mein Herz, in: Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 1, S. 1–21.   9 Vgl. Droste, Heiko: Patronage in der Frühen Neuzeit, Institution und Kulturform, in: Zeitschrift für historische Forschung Bd. 30 2003, S. 555–590 u. kontrastiert dazu Emich, Birgit, Reinhardt, Nicole, Thiessen, Hillard von u. Wieland, Christian: Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für historische Forschung Bd. 32 2005, S. 233–265; zur Bedeutung von Patronagebeziehungen für Sonnenfels siehe auch Kap. 2. 10 Diese Schlussfolgerung ist angelehnt an Pappi, Franz Urban: Die Netzwerkanalyse aus soziologischer Perspektive, in: Ders. (Hg.): Methoden der Netzwerkanalyse, München 1987, S. 11–36, hier S. 17 u. Bourdieu: Kapital, S.  190; in der Soziologie ist die Untersuchung sozialer Netzwerke ein gängiges Verfahren zur Bestimmung der Handlungsmöglichkeiten einer Person. Vgl. exemplarisch Melbeck, Christian: Netzwerkanalyse zur empirischen Messung von Macht in politischen Systemen, in: Henning, Christian u. Ders. (Hg.): Interdisziplinäre Sozialforschung. Theorie und empirische Anwendungen. Festschrift für Franz Urban Pappi, Frankfurt a.M. u.a. 2004, S. 97–114, spez. S. 99.

4

Vorwort

stimmte Form der Interaktion, wie sie in der historischen Forschung bisher üblich ist, würde dem biographischen Zweck der Arbeit entgegenstehen.11 Es wird an dieser Stelle deutlich, dass hier keine Erzählung von Sonnenfels’ Leben von der Wiege bis zur Bahre angestrebt wird. Stattdessen steht vielmehr die Untersuchung der sozialen Beziehungen, die er im Laufe seines Lebens knüpfte, im Mittelpunkt. Darin liegt eine Chance, gewissen Problemlagen des Genres Biographie zu begegnen, die den französischen Historiker Jacques le Goff zu der Aussage brachten, dies sei eine der schwersten Arten Geschichte zu schreiben.12 Einen guten Einblick in die Problematik ermöglicht die Kritik des deutschen Soziologen Siegfried Kracauer am wissenschaftlichen Anspruch des Genres.13 Er merkte an, dass selbst eine quellenbasierte Biographie stets nur ein bestimmtes Bild der behandelten Person konstruieren würde, das einem vorher bestimmten Ziel untergeordnet sei.14 Die bloße Beschreibung eines 11 Die Untersuchung von Netzwerken und sozialen Beziehungen erfolgte in der historischen Forschung bisher meist mit Beschränkung auf eine bestimmte Quellengattung oder eine bestimmte Form der sozialen Interaktion. Vgl. die umfangreiche Forschung Holger Zaunstöcks zu Gesellschaften als Netzwerken: Ders. u. Meumann, Marcus: Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung Bd. 21), Tübingen 2003 und für die Auswertung einer bestimmten Quellengattung, hier Briefwechsel, zur Erforschung der Beziehungen eines historischen Akteurs vgl. Leuschner, Ulrike u.a. (Hg.): Netzwerk der Aufklärung. Neue Studien zu Johann Heinrich Merck, Berlin 2003. Bisher wurden in der historischen Forschung kaum Versuche unternommen, vollständige Lebensläufe anhand einer Analyse von Netzwerken und sozialen Beziehungen zu untersuchen. Einen ersten Ansatz dazu bilden Beiträge in dem Sammelband: Karsten, Arne u. Thiessen, Hillard von (Hg.): Nützliche Netzwerke und korrupte Seilschaften, Göttingen 2006. Die dortigen Ausführungen haben allerdings nur exemplarischen Charakter. 12 Le Goff, Jacques: Saint Louis, Paris 1996, S. 14: la biographie historique est une des plus difficiles façons de faire de l’histoire; vgl. Raulff, Ulrich: Das Leben – buchstäblich. Über neuere Biographik und Geschichtswissenschaft, in: Klein, Christian (Hg.): Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart 2002, S. 55–69, hier S. 57. Eine ausführliche Übersicht über die Entwicklung der Textgattung Biographie, gerade auch über die Perspektive des Historikers hinaus, ist an dieser Stelle nicht möglich. Einen Einstieg bieten: Klein, Christian (Hg.): Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart u. Weimar 2002; Fuchs-Heinritz, Werner: Biographische Forschung. Eine Einführung in Praxis und Methoden, Wiesbaden 2005 u. Bödeker, Hans Erich: Biographie. Annäherung an den gegenwärtigen Forschungs- und Diskussionsstand, in: Ders. (Hg.): Biographie schreiben (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft Bd. 18), Göttingen 2003, S. 9–64. 13 Kracauer, Siegfried: Die Biographie als neubürgerliche Kunstform, in: Ders.: Das Ornament der Masse, Frankfurt a.M. 1963, Ndr. der Ausgabe 1930, S. 75 –95. 14 Vgl. zu Kracauers Kritik und ihrer Wirkung: Klein, Christian: Lebensbeschreibung als Lebenserschreibung? Vom Nutzen biographischer Ansätze aus der Soziologie für die Literaturwissenschaften, in: Klein: Grundlagen, S. 69–80, hier S. 78. Zum Problem der Biogra-

Vorwort

5

Lebenslaufes ist daher, seiner Ansicht nach, wissenschaftlich von geringem Wert. Andere Autoren griffen diese Kritik auf und forderten, dass die Erforschung von Individuen an das Verständnis sie umgebender Strukturen und Prozesse gebunden sein müsse.15 Dieser Aspekt spiegelt sich auch innerhalb der Geschichtswissenschaft wider, nachdem zunehmend sozial- und strukturgeschichtliche Fragestellungen an Bedeutung gewannen.16 Die Biographie eines Individuums wird seitdem als schwer zu fassende Konstruktion aus Zeitumständen, Interaktionen und Darstellung verstanden. In neueren Arbeiten wird daher üblicherweise das Verständnis des Individuums an das Verständnis der Verbindungen zu seiner sozialen Umwelt und deren Rahmenbedingungen gebunden.17 Eine Studie mit biographischem Anspruch muss diesen Erkenntnissen Rechnung tragen und sich der Herausforderung stellen, einerseits einen Lebenslauf als Ergebnis der Einbindung des Individuums in seine Umwelt zu erfassen und andererseits zu vermeiden, eine bestimmte Lebensgeschichte zu konstruieren.18 Daraus folgt für die hier angestrebte Untersuchung der Karriere des Joseph von Sonnenfels, dass sein Lebenslauf nicht einfach erzählt, sondern vielmehr als Ergebnis sozialer Interaktionen beschrieben wird. Es wird unphie als Konstruktion einer historischen Persönlichkeit vgl. Alt, Peter-André: Mode ohne Methode? Überlegungen zu einer Theorie der literaturwissenschaftlichen Biographik, in: Klein: Grundlagen, S. 23–40, spez. S. 28f. 15 Vgl. Klein: Lebensbeschreibung, S. 74–78 u. Bourdieu, Pierre: Die biographische Illusion, in: Bios. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, Heft 1 1990, S. 75–81. 16 Vgl. Moote, Lloyd: New Bottles and New Wine. The Current State of Early Modernist Biographical Writing, in: French Historical Studies, Bd. 19/4 1999, S.  911–926, hier S.  919; Gestrich, Andreas: Biographie – sozialgeschichtlich, in: Ders., Knoch, Peter u. Merkel, Helga (Hg.): Biographie – sozialgeschichtlich (Kleine Vandenhoeck Reihe Bd. 1583), Göttingen 1988, S. 5–28; Gradmann, Christoph: Geschichte, Fiktion und Erfahrung – kritische Anmerkungen zur neuerlichen Aktualität der historischen Biographie, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Bd. 17/2 1992, S. 1–16 u. Berlepsch, Hans-Jörg von: Die Wiederentdeckung des „wirklichen Menschen“ in der Geschichte. Neue biographische Literatur, in: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 29 1989, S. 488–510. 17 Reinhard, Wolfgang: Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie, München 2004, S. 41. Außerdem wurde eine inhaltliche Ausweitung des Genres auf kollektive Biographien und auf die Geschichte der Konstruktion historischer Persönlichkeiten vorgenommen; vgl. zur Übersicht: Holroyd, Michael: Works on Paper. The Craft of Biography and Autobiography, Washington D.C. 2002 u. Kendall, Paul Murray: The Art of Biography, New York 1985. Zu diesem Trend vgl. Raulff: Leben, S. 64f. 18 Vgl. Alt: Methode, S. 28–31; Bödeker: Biographie, S. 19–35f.; Klein: Biographik, S. 10–13 u. Winkelbauer, Thomas: Plutarch, Sueton und die Folgen. Konturen und Konjunkturen der historischen Biographie, in: Ders. (Hg.): Vom Lebenslauf zur Biographie: Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik, Krems 2000, S. 9–46, hier S. 42f.

6

Vorwort

tersucht, welche unterschiedlichen Akteure und Interessen in bestimmten Situationen aufeinandertrafen, welche Rahmenbedingungen dabei galten und wie daraus Konsequenzen für seine Karriere entstanden. Um die Nacherzählung zeitgenössischer Interpretationen zu vermeiden, finden außerdem die abweichenden Schilderungen der Ereignisse durch die verschiedenen Beteiligten besondere Beachtung. Neben Sonnenfels kommen gleichberechtigt auch seine Kritiker und Konkurrenten zu Wort, die zum Teil völlig verschiedene Bilder von den Geschehnissen zeichnen. Die verschiedenen Sichtweisen werden dann vor dem Hintergrund anderer Quellen einander gegenübergestellt. Auf diese Weise werden kausale Entwicklungen im Lebenslauf aufgezeigt, ohne eine Konstruktion im Sinne einer sich vollendenden Heldengeschichte zu schreiben. Stattdessen kann gezeigt werden, wie das zeitgenössische Bild von Sonnenfels als Mittelpunkt der theresianisch-josephinischen Reformbewegung überhaupt entstanden ist und wie es sich gegen andere Interpretationen seines Lebenslaufes durchsetzte. Insgesamt bestehen daher erhebliche Unterschiede zwischen dieser Untersuchung und einer narrativen Biographie, so dass hier der Begriff der biographischen Studie verwendet wird. Dies gilt besonders, da aufgrund der leitenden Frage die Gedanken- und Gefühlswelt des zentralen Akteurs nur dann Erwähnung findet, wenn sie in Quellen nachweisbare Auswirkungen auf seine sozialen Beziehungen hatte.19 Der Aufbau dieser Studie ist dem Ziel untergeordnet, Sonnenfels’ Lebenslauf als Summe seiner sozialen Interaktionen zu erfassen. Die einzelnen Kapitel beschreiben verschiedene voneinander abgegrenzte Bündel sozialer Beziehungen, die als Netzwerke oder auch Wirkungsbereiche bezeichnet werden können.20 Deren Unterteilung resultiert aus der zeitgenössischen Wahrnehmung, den strukturellen Bedingungen, wie beispielsweise Zugangsregeln oder Umgangsformen, sowie räumlichen, zeitlichen und per-

19 Die sogenannte innere Biographie ist zwar ein integraler Bestandteil vieler Arbeiten, aber zugleich meist der Anlass für weitreichende Interpretationen und Spekulationen. Vgl. Klein, Christian: Biographik zwischen Theorie und Praxis. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: Klein: Grundlagen, S. 1–22, hier S. 7–14. u. Nowak, Kurt: Schleiermacher, in: Bödeker, Hans Erich (Hg.): Biographie schreiben (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft Bd. 18), Göttingen 2003, S. 173–210, hier S. 207f. 20 Im Rahmen dieser Arbeit wird mit dem Wort Netzwerk eine spezifische Menge von Beziehungen sozialer Akteure bezeichnet. Vgl. Hollstein, Bettina: Grenzen sozialer Integration. Zur Konzeption informeller Beziehungen und Netzwerke (Forschung Soziologie Bd. 140), Opladen 2001, S. 45; Pappi: Netzwerkanalyse, S. 13; Burt, Ronald: Introduction, in: Ders. u. Minor, Michael (Hg.): Applied Network Analysis. A methodological Introduction, London 1983, S. 9–17, hier S. 9f. u. problematisierend: Jansen, Dorothea: Einführung in die Netzwerkanalyse, 2. erw. Aufl., Opladen 2003, S. 11–15.

Spurensuche: Die archivarische Überlieferung

7

sonellen Kriterien, die in den jeweiligen Kapiteln deutlich werden.21 Die Kapitel folgen der Chronologie von Sonnenfels’ Lebenslauf, so dass seine soziale Einbindung von der Kindheit bis zum hohen Alter nachvollziehbar wird. Im Zuge dessen wird jeder der untersuchten Themenbereiche in sich abgeschlossen betrachtet. Dies erlaubt, die verschiedenen Wirkungsbereiche und Netzwerke selbst zu betrachten und zu untersuchen, welche Personen dort mit oder gegen Sonnenfels aktiv waren, über welche Möglichkeiten sie verfügten, welche Rahmenbedingungen ihr Handeln beeinflussten und inwiefern dies auf Sonnenfels’ eigene Position wirkte.22 Durch die Ausweitung der Perspektive auf seine Unterstützer und Widersacher und die jeweils in sich abgeschlossene Betrachtung der verschiedenen Wirkungsbereiche besteht schließlich die Möglichkeit, neue Erkenntnisse über die Kreise in denen er sich bewegte und über Formen sozialer Interaktion im Wien seiner Zeit zu gewinnen. Sonnenfels fungiert hier gewissermaßen als Brennglas, das unter anderem Einblicke in die Intrigen an der Wiener Universität, in die Entstehung einer literarischen Szene in der Kaiserstadt und in die Debatten ermöglicht, die im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert um die Modernisierung und Reform der Habsburgermonarchie geführt wurden.

1.1 Spurensuche: Die archivarische Überlieferung Bereits eine kurze Recherche in den Wiener Archiven offenbart, dass nur wenige Quellen erhalten sind, die über Sonnenfels’ Lebenslauf und Karriere berichten. Grund dafür ist ein Großbrand im Wiener Justizpalast im Jahr 1927. Damals wurde der gesammelte Nachlass, der sowohl Schriftverkehr mit Behörden, Entwürfe und Notizen, als auch Briefe umfasste, vollständig vernichtet.23 Infolgedessen führt eine Recherche in den Findbüchern (Archiv21 Zur Notwendigkeit und Methodik der Einteilung der sozialen Beziehungen eines Akteurs in voneinander abgegrenzte Netzwerke vgl. Laumann, Edward, Marsden, Peter u. Prensky, David: The boundary specification Problem in Network Analysis, in: Burt, Ronald u. Minor, Michael (Hg.): Applied Network Analysis. A methodological Introduction, London 1983, S. 18–34, spez. S. 18–20; Burt: Introduction, S. 10f.; Hollstein: Grenzen, S. 46; Baumgarten, Britta u. Lahusen, Christian: Politiknetzwerke – Vorteile und Grundzüge einer qualitativen Analysestrategie, in: Hollstein, Bettina u. Strauss, Florian (Hg.): Qualitative Netzwerkanalyse. Konzepte, Methoden, Anwendungen, Wiesbaden 2006, S. 177–198, hier S. 183f. 22 Vgl. Melbeck: Macht, S. 97–100; hierbei handelt es sich um eine gängige Methodik zur Erforschung politischer Machtstrukturen in der Gegenwart. Vgl. Jansen: Einführung, S. 30f. u. S. 107; Burt, Ronald: Structural Holes. The social structure of competition, Cambridge Mass. 1992; Baumgarten/Lahusen: Politiknetzwerke, S. 177. 23 Vgl. Tschurtschenthaler, Ursula von: Die Publizistik im josephinischen Wien und ihr Beitrag zur Aufklärung, Diss. Wien 1957, S. 7f.

8

Vorwort

behelfen) der österreichischen Archive unter dem Suchbegriff Sonnenfels nur zu fragmentarischen Ergebnissen. Diese Ausgangslage war sicherlich eine Ursache dafür, dass die quellenorientierte Darstellung seines Lebenslaufes ein Desiderat blieb. Der in dieser Studie gewählte Weg der Betrachtung von Sonnenfels’ sozialen Beziehungen machte allerdings eine Erweiterung der Suchkriterien erforderlich, welche diese Schwierigkeit ausglich. Ausgangspunkt der Recherche war eine Liste von Sonnenfels’ Kontaktpersonen und der Behörden, Institutionen und informellen Gemeinschaften, welchen er angehörte. Diese Liste von Suchbegriffen, die zunächst auf der Forschungsliteratur basierte, wurde dann aufgrund neuer Funde kontinuierlich erweitert.24 Die in der Literatur angegebenen, vielschichtigen parallelen Engagements und Beziehungen Sonnenfels’ machten es auf diese Weise möglich, einen umfangreichen und stark diversifizierten Quellenbestand zu nutzen, der sich auf neun, vornehmlich in Wien und Niederösterreich beheimatete, Archive und Handschriftensammlungen verteilt. Die Bestände des Haus- Hof- und Staatsarchivs (HHStA) bilden aufgrund ihres Umfangs und ihrer Relevanz für verschiedene Aspekte der Fragestellung die Grundlage der Untersuchung. Hier erlauben zunächst die mehr als fünfzig erhaltenen Jahrgänge der Staatsratsprotokolle und Indizes von 1762 bis 1817 einen umfassenden Zugriff auf alle Aktivitäten Sonnenfels’, die in den ranghöheren Dienststellen erörtert wurden. Sie spiegeln über diesen themenübergreifenden Aspekt hinaus einen großen Teil seiner reformpolitischen Initiativen wider und enthalten Hinweise auf Gründe für deren Erfolg oder Scheitern. Neben den Protokollen und Indizes des Staatsrates stehen in diesem Archiv auch die sogenannten Vertraulichen Akten (Bestand VA) zur Verfügung, die ausführlich über Sonnenfels’ Aktivitäten als Freimaurer und auch seine Auseinandersetzungen mit geheimen Informanten Leopolds II. berichten. Dieser Bestand musste mangels detaillierter Indizes ebenso vollständig gesichtet werden wie die erhaltenen Protokolle und Gutachten der Studienrevisionshofkommission, in letzterem Fall um Sonnenfels’ bildungspolitische Aktivität zu untersuchen (Bestand Studienrevisionshofkommission). Nicht nur ohne Indizes, sondern weitgehend ungeordnet präsentieren sich hingegen die Nachlässe von Personen aus Sonnenfels’ Umfeld 24 Erste Grundlagen bildeten die Werke Osterloh, Karl-Heinz: Joseph von Sonnenfels und die österreichische Reformbewegung im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus. Eine Studie zum Zusammenhang von Kameralwissenschaft und Verwaltungspraxis, Lübeck u. Hamburg 1970; Kopetzky, Franz: Joseph und Franz von Sonnenfels. Das Leben und Wirken eines edlen Brüderpaares nach den besten Quellen dargestellt, Wien 1882 u. der Sammelband Reinalter, Helmut (Hg.): Joseph von Sonnenfels (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs Bd. 13), Wien 1988.

Spurensuche: Die archivarische Überlieferung

9

(Nachlässe Keeß u. Kressel). Hinweise der Archivmitarbeiter ermöglichten außerdem, besser erschlossene Bestände selektiv zu konsultieren (Bestand Familienkorrespondenz A und Kaiser Franz Akten).25 Zweite Adresse für Recherchen war das Allgemeine Verwaltungsarchiv (AVA) in Wien, wo zunächst die Akten der Studienhofkommission herangezogen wurden (Bestand Studienhofkommission), die in zahlreiche thematisch geordnete Konvolute unterteilt sind. Sie enthalten in doppelter Hinsicht Informationen zur Karriere Sonnenfels’, da seine Person zunächst Gegenstand von Beratungen dieser Behörde war und er später selbst dorthin berufen wurde. Auch die im AVA verwahrten Bestände der Hofkanzlei, zu denen die Akten mehrerer mit Rechtsreformen befasster Hofkommissionen zählen, denen Sonnenfels angehörte oder deren Entscheidungen seinen Lebenslauf maßgeblich beeinflussten, konnten für die vorliegende Arbeit verwendet werden (Bestand Hofkanzlei III A 3; Hofkanzlei IV F.N.Ö.; Hofkanzlei IV M I N.Ö; Hofkanzlei IV M8). Diese Akten wurden allerdings ebenfalls durch den Justizpalastbrand von 1927 beschädigt und befinden sich noch immer in einem Zustand, der ihre Benutzung stark erschwert und die Bearbeitungszeit erheblich verlängert. Einige der nur anhand der Kartonbeschriftung sortierten sogenannten „Brandakten“ stehen kurz vor dem Zerfall und können nur eingeschränkt gesichtet werden. Gleiches gilt für die Akten verschiedener Hofkommissionen, die im Archiv der Obersten Justizstelle überliefert sind, das dem AVA organisatorisch und räumlich verbunden ist (Bestand Oberste Justiz: Hofkommissionen). Neben den Brandschäden erschweren hier vereinzelt unternommene ältere Restaurierungsarbeiten die Recherche, da sie vertauschte oder verschwundene Kartoninhalte zur Folge hatten.26 Abgesehen von den Brandakten konnten in diesem Archiv auch einige besser erhaltene Akten der frühen Polizeiorganisation (Bestand Oberste Justiz: Pergen Akten) und der Obersten Justizstelle konsultiert werden, in deren Beratungen verschiedene Reformprojekte diskutiert wurden, auf die Sonnenfels Einfluss zu nehmen versuchte (Bestand Oberste Justiz: Ratsprotokolle). Die relevanten Bestände des Hofkammerarchivs sind hingegen in einem sehr guten Erhaltungszustand, aber nur teilweise geordnet. Trotz einer großen erhaltenen und gesichteten Materialmenge ergaben sich hier nur wenige Funde, die sich auf Sonnenfels’ finanzpolitische Projekte und die Bewer25 Siehe Anhang: Quellen- und Literaturverzeichnis. 26 Ein Vergleich mit der Dissertation Wagner, Stefan: Der politische Kodex. Die Kodifikationsarbeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in Österreich 1780–1818, Berlin 2003, zeigt, dass nach Restaurationsarbeiten beispielsweise der Inhalt des Kart. Hofkanzlei III A 3 Kart. 314 von 1998 bis 2005 nicht auffindbar war.

10

Vorwort

tung seiner Tätigkeiten durch die Finanzbehörden beziehen (Bestand Camerale und Bestand Kommerz Ober- und Niederösterreich). Von vergleichsweise größerer Bedeutung waren die Ergebnisse der Recherche im Archiv der Wiener Universität (AWU). Hier stehen zwar nur wenige Akten zu Sonnenfels, seinen nächsten Angehörigen und Kontaktpersonen zur Verfügung, diese sind jedoch detailliert erfasst und somit rasch zugänglich (Bestand Konsistorialakten). Zur Ergänzung dieser Quellen, speziell in Hinblick auf Sonnenfels’ Einfluss auf die Entwicklung der Universität und der von ihm vertretenen Fächer, wurden ergänzend die seriellen Protokolle der verschiedenen universitären Verwaltungsgremien und Räte zwischen 1762 und 1817 gesichtet, die nur teilweise in Indizes erfasst sind (Bestand Consistorial Sitzungsprotokoll; Consistorial Exhibitenprotokoll; Protokollum Consessuale; Studienconsess). Die Quellen im Archiv der Akademie der Bildenden Künste, die Informationen über Sonnenfels’ Stellung als ständiger Sekretär der Akademie und seine daraus resultierenden Verbindungen enthalten, bestehen aus zwei Segmenten. Zunächst wurde der Bestand VA ausgewertet, der sich aus Briefen, Berichten, Antragsschreiben und Stellungnahmen verschiedener ranghoher Mitglieder zusammensetzt. Da diese Akten nur jahrgangsweise geordnet sind, mussten sie für denselben Zeitraum wie die Protokolle der Universität und des Staatsrates, also für über vierzig Jahrgänge, vollständig gesichtet werden. Neben diesem Sammelbestand liegen außerdem noch die – ebenfalls nur chronologisch geordneten – Protokolle des Rates der Akademie vor. Die Recherche in den Beständen des Niederösterreichischen Landesarchivs in St. Pölten schließlich erbrachte trotz Sonnenfels’ langjähriger Tätigkeit als niederösterreichischer Regierungsrat nur einzelne Ergebnisse zu spezifischen Themen, vornehmlich der Polizeygesetzgebung (Bestand Präsidialakten). Dies liegt daran, dass in den Akten die Rolle einzelner Regierungsmitglieder nicht nachvollziehbar ist, sofern jene nicht durch umfangreiche Sondergutachten in die Entscheidungsfindung eingriffen. Außerdem ist anzumerken, dass die Überlieferung für den relevanten Zeitraum nur einen geringen Teil des Bestandes umfasst. Neben den genannten Archiven wurden auch zwei Handschriftensammlungen ausgewertet, die der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) und der Wienbibliothek im Rathaus (WIBI) angehören.27 In beiden Sammlungen konnten einzelne Briefe von und an Sonnenfels eingesehen werden.28 Diese 27 Die WIBI führte bis 2005 den Titel Wiener Stadt- und Landesbibliothek, so dass auf ihre Bestände in älteren Darstellungen unter diesem Namen verwiesen wird. 28 Siehe Anhang: Quellen- und Literaturverzeichnis.

Spurensuche: Die archivarische Überlieferung

11

bestehen im Falle der WIBI allerdings oft nur aus Fragmenten. In der ÖNB hingegen war es darüber hinaus möglich, Teile der Korrespondenz von Personen aus dem Umfeld Sonnenfels’ auszuwerten, in welcher er selbst und mit ihm verbundene Ereignisse und Prozesse thematisiert werden. Das bisher beschriebene Material wurde durch die Verwendung edierter und bereits zitierter Quellenbestände ergänzt. Dies war notwendig, um mit Hilfe älterer Werke die durch den Brand von 1927 erlittenen Verluste wenigstens teilweise zu kompensieren. Dabei wurde zwischen älteren Editionen archivarischer Quellen und Quellenzitaten in älterer Forschungsliteratur unterschieden.29 Da die wenigen älteren Darstellungen, wie im Folgenden ausgeführt wird, oftmals Sonnenfels und seinen Zeitgenossen sehr parteiisch gegenüberstanden, wurden Quellenangaben aus diesen Darstellungen nur übernommen, wenn sie vor 1927 mehrfach belegt sind, in der neueren Forschungsliteratur weiterhin verwendet werden und in Beziehung zu dem überlieferten Aktenmaterial stehen. Ältere Editionen von Quellenbestände hingegen ermöglichen nicht nur den Ausgleich von Verlusten, sondern außerdem eine erhebliche Erweiterung der Perspektive. Besonders Briefe und Tagebücher verschiedener Verfasser aus deutschsprachigen Gebieten und die in Gesetzen und Verordnungen gefassten Reformen werden in dieser Form für den Betrachter greifbar.30 Neben Quellensammlungen, die Teile der Wiener Bestände enthalten, ist hierfür auch auf die Anhänge neuerer Forschungsarbeiten zu verweisen, die teilweise bisher ungedruckte Quellen zur Verfügung stellen.31 Insgesamt ergeben die edierten und die unpublizierten Quellen ein sehr heterogenes und bisher noch nie zusammengestelltes Korpus, welches die 29 Vgl. exemplarisch die Quelleneditionen Ofner, Julius: Der Ur-Entwurf und die BeratungsProtokolle des Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Glashütte 1976, Ndr. der Ausgabe Wien 1889 u. Alfred Francis Pribram (Hg.): Urkunden und Akten zur Geschichte der Juden in Wien, 2 Bde. Wien u. Leipzig, 1918. 30 Beispiele: Friedrich Nicolai, Georg Forster, Gotthold Ephraim Lessing. Zur vollständigen Auswahl der Verfasser siehe Anhang: Quellen- und Literaturverzeichnis. 31 Vgl. Wagner: Kodex; Brosche, Günter: Joseph von Sonnenfels und das Wiener Theater, Diss. Wien 1962; Egglmaier, Herbert H. (Hg.): Die Studienrevisionshofkommission und die Leitlinien der österreichischen Nationalbildung. Die Grundsatzdiskussion des Jahres 1797 im Spiegel der Gutachten (Retrospektiven in Sachen Bildung Reihe 10 Bd. 3), Klagenfurt 1995; Grossegger, Elisabeth: Theater, Feste und Feiern zur Zeit Maria Theresias 1742– 1776. Nach den Tagebucheintragungen des Fürsten Johann Joseph Khevenhüller-Metsch, Obersthofmeister der Kaiserin, Wien 1987; Irmen, Hans-Josef (Hg.): Die Protokolle der Wiener Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“ (1781–1785), Frankfurt a.M., Berlin, Bern, New York u.a. 1994 u. Reinalter, Helmut (Hg): Joseph II. und die Freimaurer im Lichte zeitgenössischer Broschüren (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs Bd. 77), Wien, Köln, Graz 1987.

12

Vorwort

Vielschichtigkeit von Sonnenfels’ Verbindungen und Engagements widerspiegelt. Dazu gehören im Besonderen Protokolle von Universitätsgremien, diversen Hofkommissionen und Freimaurerlogen, Schriftverkehr zwischen Behörden, Gutachten von Beamten, kaiserliche Dekrete, Urkunden und Gesetzestexte, Eingaben von Untertanen und Dienststellen an den Monarchen, Berichte von Informanten, sowie Briefe und Tagebücher. Diese Quellen werden durch einen Fundus von mehr als zweihundert zeitgenössischen Publikationen ergänzt, die aufgrund ihres Verfassers und ihres Inhalts mit Sonnenfels, seinen Reformkonzepten oder seinen Kontaktpersonen verbunden sind. Die Mehrzahl dieser Druckschriften gehört zu den Beständen der Wienbibliothek im Rathaus. Die in der vorliegenden Arbeit verwendete Auswahl umfasst unter anderem moralische Wochenschriften, Lehrbücher, akademische Reden und Streitschriften, Theaterstücke, Autobiographien, Laudationes, populäre Kurzschriften für ein breites Publikum sowie wissenschaftliche Zeitschriften und Nachrichtenblätter verschiedener Herausgeber.

1.2. Sonnenfels im Blick der historischen Forschung Neben den zeitgenössischen Quellen, dem wichtigsten Mittel zur Erforschung einer historischen Persönlichkeit, steht dem heutigen Betrachter im Falle Sonnenfels’ eine ganze Tradition der Erforschung und der Erzählung seiner Biographie zur Verfügung. Eine neue Untersuchung muss daher zunächst die Erkenntnisse ihrer Vorgänger in den Blickpunkt nehmen und zugleich kritisch hinterfragen, inwiefern Sonnenfels bisher zum Gegenstand der historischen Forschung wurde.32 Am Anfang der Erforschung von Sonnenfels’ Leben und Wirken steht ein wirkungsmächtiger, bereits zu seinen Lebzeiten erschienener, biographischer Artikel. Ignaz de Luca, ehemaliger Schüler und Stellvertreter Sonnenfels’, widmete seinem Lehrer und damaligen Förderer 1776 einen Beitrag in seiner biographischen Sammlung Gelehrtes Österreich.33 Dieser umfasst größtenteils den Abdruck eines Briefes von Sonnenfels, in dem er seine eigenen Verdienste verherrlicht und darin von de Luca bestätigt wurde. Der Beitrag übertrifft die übrigen dieser Sammlung um ein Vielfaches an Länge 32 Die Forschungsliteratur wurde bis zum Ende der Recherchearbeit im Herbst 2007 berücksichtigt. Leider konnten während der Korrekturphase neuere Titel nur in Ausnahmefällen ergänzt werden. 33 Luca, Ignaz de: Das gelehrte Österreich. Ein Versuch, Wien 1776, S. 143–181. Vgl. auch in abgeschwächter Form: Rautenstrauch, Johann: Österreichische Biedermannschronik, Erster Theil, Wien 1784, S. 186–190.

Sonnenfels im Blick der historischen Forschung

13

und ist auch in der Häufigkeit von Lobesworten einmalig.34 Die hier von Sonnenfels selbst geprägte Sichtweise auf sein Werk entfaltete ihre Wirkung besonders in der frühen Literatur über sein Leben und Wirken aus dem 19. Jahrhundert. Dies zeigt sich darin, dass just die beiden thematischen Schwerpunkte des Briefes, die Theaterreform und die Aufhebung der Folter, von späteren Autoren immer wieder in ähnlicher Form aufgegriffen wurden. Den Anfang machte die biographische Sammlung Jüdischer Plutarch oder biographisches Lexikon der markantesten Männer und Frauen jüdischer Abkunft von Franz Gräffer und Simon Deutsch. Darin wird für den ersten ausführlichen biographischen Beitrag nach Sonnenfels’ Tod dessen publizierter autobiographischer Brief als alleinige Quelle herangezogen.35 Daraus resultierte eine glorifizierende Sicht auf seine Person, welche auch für weitere Arbeiten des 19. Jahrhunderts typisch ist. Diese Tendenz wird im Werk von Gräffer/Deutsch, wie auch in folgenden Arbeiten, durch die Konstruktion einer Auseinandersetzung zwischen einer durch Sonnenfels repräsentierten Reformbewegung und ihren Gegnern dargestellt, die angeblich in Beharrung überkommener Ordnungsmuster dem Staatswohl entgegen handeln wollten. Diese Schilderung der Ereignisse war insofern durch den Hintergrund der politischen Auseinandersetzungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt, als Sonnenfels zu einem Vorkämpfer und Leitbild der liberalen Kräfte in der Monarchie stilisiert wurde.36 Auch das erste auf archivarischen Quellen basierende Werk Sonnenfels und Maria Theresia von Joseph Feil, in welchem der Autor das Verhältnis zwischen der Monarchin und dem Professor für Kameralistik in den Mittelpunkt stellt, kann sich wertenden Schlussfolgerungen nicht entziehen.37 Er schildert Sonnenfels als helleuchtenden Stern aus den Tagen des Übergangs von der Dämmerung zum Lichte.38 Eine Reaktion auf diese tendenziöse Forschung stellt die Arbeit Sebastian Brunners, Die Mysterien der Aufklärung, dar.39 Der Autor, der dem politisch reaktionären Lager des 19. Jahrhunderts zuzuordnen ist, erschließt hier 34 Zum Verhältnis des Herausgebers zu Sonnenfels vgl. Kap. 4.2 der vorliegenden Arbeit. 35 Gräffer, Franz u. Deutsch, Simon: Jüdischer Plutarch oder biographisches Lexikon der markantesten Männer und Frauen jüdischer Abkunft, Hildesheim 1975, unver. Ndr. der Ausgabe Wien 1848, S. 209–226 u. S. 232–240. 36 Vgl. zu dieser Einschätzung: Kann, Robert A.: Kanzel und Katheder. Studien zur österreichischen Geistesgeschichte vom Spätbarock bis zur Frühromantik, Wien 1962, S. 244–257. 37 Feil, Joseph: Sonnenfels und Maria Theresia. Sylvester Spende für Freunde zum Neujahr 1859, Wien 1858. 38 Ebd. S. 3. 39 Brunner, Sebastian: Die Mysterien der Aufklärung in Österreich 1770–1800, Mainz 1869.

14

Vorwort

zwar neues Quellenmaterial und erweitert damit den Kenntnisstand über Sonnenfels, nutzt es aber für eine Demontage der bisherigen Publikationen. Dabei stützt er sich auch auf antisemitische Argumente, um mit dem Reformer abzurechnen, dessen Loblied zugleich die Liberalen sangen. Im Gegensatz zu den intensiven Wertungen in den bisherigen Werken bemühte sich der Leiter des Haus-, Hof und Staatsarchivs Alfred von Arneth in seinem quellenbasierten Werk über die letzten Regierungsjahre Maria Theresias um eine Kontextualisierung Sonnenfels’, welche anhand neuer archivarischer Funde auch gelang.40 Sonnenfels wurde von ihm lediglich als prominenter Teil eines ganzen Reformkontextes dargestellt. Darin verortet Arneth besonders die Stellung der zentralen Akteure Monarchin, Staatskanzler und ranghoher Staatsräte, wobei er sich auf den Kontext der Aufhebung der Folter konzentriert. Entgegen dieser Entwicklung zeigten sich in den beiden konkurrierenden Sonnenfelsbiographien, die kurz nacheinander in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts erschienen, erneut die bereits seit Gräffer und Deutsch vorherrschenden Interpretationsmuster. Die Studie Willibald Müllers arbeitet Sonnenfels’ Reformtätigkeit – entgegen ihrer angeblich gesamtbiographischen Zielsetzung – nur auf wenigen ausgewählten Gebieten heraus.41 Zudem ist festzustellen, dass der Autor vornehmlich anhand einer sehr dünnen Quellenbasis der thematischen Auswahl im Gelehrten Österreich folgt und die Quellen vorwiegend nutzt, um seine Thesen über Sonnenfels als heroischen Aufklärer zu stützen. Vermutlich deswegen wurde diese Monographie in späteren Publikationen nur selten zitiert. Demgegenüber ist das Werk Joseph und Franz von Sonnenfels. Das Leben und Wirken eines edlen Brüderpaares nach den besten Quellen dargestellt von Franz Kopetzky in mehrfacher Hinsicht für die anschließende Forschung bedeutender.42 Zwar folgt dieser Autor in seinen offensichtlichen Intentionen ebenfalls der Tradition einer Verherrlichung von Sonnenfels, legt zu diesem Zweck jedoch die bis zur Erstellung der vorliegenden Arbeit umfangreichste Darstellung dessen Lebens vor, in der zahlreiche bis dahin unbeachtete Tätigkeiten und Lebensabschnitte thematisiert werden. Kopetzky arbeitet quellennah, um seine positiven Wertungen zu stützen, wobei er sich auf die Vorarbeit von Feil und Arneth stützt. Seine Methode, die Quellen vollständig zu zitieren und erst im Anschluss einer Wertung zuzuführen, macht diese 40 Arneth, Alfred v.: Maria Theresias letzte Regierungszeit 1763–1780, Bd. 3 (zugleich Geschichte Maria Theresias Bd. 9) Wien 1879. 41 Müller, Willibald: Joseph von Sonnenfels. Biographische Studie aus dem Zeitalter der Aufklärung in Österreich, Wien 1882, S. 1–48 enthält einen Lebenslauf, der eng der Selbstdarstellung Sonnenfels’ folgt. 42 Kopetzky: Sonnenfels.

Sonnenfels im Blick der historischen Forschung

15

Darstellung angesichts der Übereinstimmung seiner Zitate mit der noch erhaltenen Überlieferung zur wichtigsten Forschungsarbeit des 19. Jahrhunderts. Als nachteilig ist allerdings seine Mischung von archivarischen Quellen und mündlich überlieferten Anekdoten anzusehen, die er nutzt, um die Ereignisse zugunsten des Protagonisten zu werten. Entgegen den Vorzügen von Kopetzkys Arbeit wurde aber bis weit in das 20. Jahrhundert hinein eine andere Beschreibung von Sonnenfels’ Lebenslauf grundlegend für die weitere Forschung, die sich im Vergleich durch Kürze, Verfügbarkeit und einen lexikalischen Kontext hervortut. Im 35. Band seines Biographischen Lexikons des Kaiserthums Österreich widmet Constantin Wurzbach einen der umfangreichsten Artikel seines Gesamtwerkes dem Wiener Gelehrten.43 Der häufig zitierte Artikel ist, wie seine Vorgänger, von tendenziösen Interpretationen und Urteilen zugunsten Sonnenfels’ geprägt und gipfelt in dessen Stilisierung zum Herkules Österreichs.44 Im letzten Jahrzehnt des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts trat dann eine Neuerung in den Forschungsarbeiten auf. In kritischem Umgang mit der vorliegenden Literatur rückten nun die Entstehung bestimmter Staatsreformen oder die Entwicklung bestimmter sozialer Umfelder in den Mittelpunkt, während das Interesse an den Einzelpersonen abnahm.45 Die Fragestellung dieser Studien bedingte dabei, dass nun Kollegen und Konkurrenten Sonnenfels’ in den Vordergrund traten und sein eigenes Handeln als bekannt vorausgesetzt wurde. Darstellungen wie Adlers Werk: Die Unterrichtsverfassung Kaiser Leopolds II. und die finanzielle Fundierung der österreichischen Universitäten nach den Anträgen Martinis stützen sich außerdem auf eine breite Basis bisher unverwendeter Quellen. Durch deren ausführliche Zitation – teilweise in Quellenanhängen – ermöglichen sie es, das durch den Brand von 1927 verlorene Material unter Vorbehalt zu ergänzen. Mehrere dieser Arbeiten bilden, wie Abafis Geschichte der Freimaurer in Österreich-Ungarn, bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine Grundlage der Forschung.46

43 Wurzbach: Sonnenfels, S. 317–343. 44 Ebd., S. 327. 45 Vgl. exemplarisch zu den Strafrechtsreformen: Hoegel, Hugo: Geschichte des Österreichischen Strafrechts in Verbindung mit einer Erläuterung seiner grundsätzlichen Bestimmungen, 2 Bde. Wien 1904. 46 Vgl. Adler, Siegmund: Die Unterrichtsverfassung Kaiser Leopold II. und die finanzielle Fundierung der österreichischen Universitäten nach den Anträgen Martinis, Wien 1917 u. Abafi, Ludwig (Pseud. für Aigner, Ludwig): Geschichte der Freimaurer in ÖsterreichUngarn, 5 Bde. Budapest 1893, hier Bd. 4.

16

Vorwort

Eine Ausnahme stellt ein Anfang der dreißiger Jahre unternommener Versuch einer neuen Sonnenfelsbiographie dar. Diese Arbeit wurde allerdings aufgrund des Todes des Privatgelehrten und Sammlers Max von Portheim, der daran als Experte für die josephinische Regierungszeit beteiligt war, nicht fertig gestellt. Es blieb bei einer publizierten Literaturauswahl, die hauptsächlich zeitgenössische Druckschriften Sonnenfels’ sowie kleinere Artikel aus den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts umfasst.47 Leider sind viele der hier genannten Titel inzwischen als Kriegsverlust zu betrachten. Das unterbrochene Projekt wurde nicht wieder aufgenommen und die Materialliste in den folgenden zwanzig Jahren nicht für ihren ursprünglichen Zweck verwendet. Vom Anfang der dreißiger bis zur Mitte der fünfziger Jahre wurde keine neue Arbeit publiziert, die sich auf Sonnenfels’ Lebenslauf oder Werk konzentrierte.48 Obwohl auf die mit seiner jüdischen Herkunft begründete Entfernung seiner Statuen und Straßennamen sowie die Aussortierung seiner Schriften aus Bibliotheken hinzuweisen ist, kann nicht ermittelt werden, inwieweit bis um 1945 ideologische Aspekte auf die Themenwahl der Forscher wirkten oder nachwirkten. Entgegen dieser Tendenz blieb Sonnenfels dennoch häufiger Gegenstand der Forschung in Biographien über seine Zeitgenossen.49 Obgleich solche Arbeiten, oftmals Dissertationen, nicht Sonnenfels selbst in den Fokus nehmen, so ermöglicht ihre Quellenbasis dennoch, sein Verhältnis zu dem jeweiligen Protagonisten näher zu beleuchten. Gleiches gilt auch für die Forschungsarbeit zu Reformen des 18. Jahrhunderts, vornehmlich betreffend der Polizey, die Sonnenfels’ Beitrag anhand neu ausgewerteter Quellen ermittelten und nicht mehr blind den Wertungen des 19. Jahrhunderts folgten.50 Beruhend auf diesem erweiterten Erkenntnisstand folgte im Jahr 1962 eine neue umfangreiche biographische Studie. Der amerikanische Forscher Robert A. Kann legte eine aus dem Vergleich zweier Biographien bestehende Arbeit 47 Holzmann, Michael u. Portheim, Max von: Materialien zu einer Sonnenfels-Biographie, in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in der Tschechoslowakei, 2. Jg. 1931 Heft 1, S. 59– 66 u. S. 197–200. 48 Eine ungedruckte Dissertation wurde allerdings vorgelegt: Schleien, Marjem: Die moralischen Wochenschriften des Freiherrn von Sonnenfels, Diss. Wien 1936. 49 So bspw. in: Eckert, Elfriede: Heinrich Joseph Watterroth. Eine Monographie, Diss. Wien 1950; Cloeter, Hermine: Johann Thomas Trattner. Ein Großunternehmer im Theresianischen Wien, Graz u. Köln 1952 u. Grünberger, Adolf: Ignaz de Luca. Sein Leben und Werk, Diss. Wien 1954. 50 Vgl. Walter, Friedrich: Die österreichische Zentralverwaltung. Die Zeit Josephs II. und Leopolds II. 1780–1792 (Veröffentlichung der Kommission für neuere Geschichte Österreichs Bd. 35), Wien 1950 u. Benna, Anna Hedwig: Die Polizeihofstelle. Ein Beitrag zur Geschichte der Österreichischen Zentralverwaltung, Diss. Wien 1942.

Sonnenfels im Blick der historischen Forschung

17

über die Entwicklung der österreichischen Geistesgeschichte im 18. Jahrhundert vor.51 In seinem Werk bemüht er sich um eine sorgfältige Einordnung Sonnenfels’ in den geistesgeschichtlichen Kontext. Daher betont Kann Aspekte wie Theater, Literatur und Sonnenfels’ Verhältnis zu bekannten Schriftstellern und Dichtern, während die Staatsreformen und dessen Lehrtätigkeit für ihn sekundär sind. Obwohl die Arbeit ausführlich den bisherigen Forschungsstand erfasst und schlüssig kombiniert, bleiben doch in weitgehender Ermangelung eigener Quellenrecherche viele Fragen unbeantwortet und einige Schlussfolgerungen oberflächlich. Ein Beispiel hierfür ist Kanns Annahme, Sonnenfels habe in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens weitgehend zurückgezogen gelebt und sei unter Franz II. kaum noch in Erscheinung getreten.52 Dennoch leitet Kann mit seiner Darstellung bedacht zu einer Phase der bewusst kritischen Auseinandersetzung mit der älteren Forschungsliteratur und deren Fortführung zeitgenössischer Sonnenfelsbilder über. Diese Tendenz wurde um 1968 vom Rechtshistoriker Herrmann Conrad fortgeführt, der in einer Kurzbiographie und in einem Aufsatz über die Strafrechtsreformen Josephs II. exemplarisch den Beitrag, den Sonnenfels tatsächlich zu den Staatsreformen des 18. Jahrhunderts leistete, mit älteren Zuschreibungen kontrastierte.53 Conrads Schlussfolgerungen basieren allerdings weniger auf eigener Quellenarbeit zu Sonnenfels, als vielmehr auf seiner Erforschung des Wirkens anderer Rechtsgelehrter und der Auseinandersetzung mit offensichtlichen Schwächen älterer Literatur. Die Tendenz einer kritischen Würdigung mittels einer soliden Quellenbasis setzte sich in den siebziger Jahren fort. Hier wurden nun vornehmlich diejenigen Aspekte in den Blick genommen, welche Kann in seiner Biographie ausgelassen oder vernachlässigt hatte. Den Anfang machte Hans Jäger-Sunstenau mit der vielfach zitierten genealogischen Studie Joseph von Sonnenfels, ein Vorkämpfer der Aufklärung in Österreich und seine Verwandtschaft.54 Erstmals wurde nun unabhängig von Sonnenfels’ eigenen 51 Kann: Kanzel. Neben Sonnenfels wird hier auch Leben und Werk von Abraham a Sancta Clara dargestellt. 52 Vgl. Kann: Kanzel, S. 157. Gegen diese Annahme vgl. Kap. 7.4 und 7.6 der vorliegenden Arbeit. 53 Conrad, Hermann: Joseph von Sonnenfels, in: Juristen-Jahrbuch Bd. 8, Köln, Marienburg 1967/68, S. 2–16 u. Conrad, Hermann: Zu den geistigen Grundlagen der Strafrechtsreform Josephs II. (1780–1788), in: Welzel, Hans (Hg.): Festschrift für Helmut von Weber zum 4. Juni 1963, Bonn 1963, S. 56–75. 54 Jäger-Sunstenau, Hans: Joseph von Sonnenfels, ein Vorkämpfer der Aufklärung in Österreich und seine Verwandtschaft, in: Genealogisches Jahrbuch Bd. 10, Berlin 1970, S. 5–21. Diese Arbeit ist besonders interessant, da der Verfasser auch die angeheiratete, also in Wien etablierte Verwandtschaft Sonnenfels’ auf Besitzstand und Einflussmöglichkeiten hin untersucht und Vergleiche mit anderen Familien sozialer Aufsteiger anstellt.

18

Vorwort

Schriften der Lebenslauf seines Vaters und damit das Umfeld, in dem er aufwuchs, dargestellt. Neben dieser Ergänzung ist vor allem die grundlegende Monographie Joseph von Sonnenfels und die österreichische Reformbewegung im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus. Eine Studie zum Zusammenhang von Kameralwissenschaft und Verwaltungspraxis von Karl-Heinz Osterloh zu erwähnen.55 Osterloh schließt hier anhand bisher unverwendeter Quellen die Lücken in der Arbeit Kanns und konzentriert seine Ausführungen auf die kameralistische und polizeywissenschaftliche Lehre Sonnenfels’ bis hin zu den spannungsreichen Versuchen ihrer Umsetzung. Dabei gelingt es ihm, wesentliche Erkenntnisse über dessen universitäre Karriere, die Entwicklung seines Faches und auch die Beziehung zu Fürsprechern und Gegnern seines Reformprogramms zu gewinnen. Osterloh ist aufgrund einer breiteren Literatur- und vor allem Quellenbasis im Stande, wesentlich fundiertere Aussagen zu treffen als Kann. Allerdings bleibt seine Arbeit auf die mit Sonnenfels’ universitärer Lehre verknüpften Reformen, wie Polizeireformen und Kodifikationsprojekte, beschränkt. Osterloh bietet daher in engerer biographischer Hinsicht nur wenig neue Erkenntnisse und verzichtet weitgehend auf psychologische Interpretationen oder Schlussfolgerungen, wie Kann sie anstellte. Einen wesentlich stärker interpretativen Charakter haben hingegen die Arbeiten von Josef Karniel.56 Dieser Autor begann in den siebziger Jahren, Sonnenfels’ Wirken vor dem Hintergrund dessen jüdischer Herkunft zu untersuchen. Entgegen der bisherigen Forschung schlussfolgerte er aus den Druckschriften Sonnenfels’ einen erheblichen Einfluss einer jüdischen Erziehung und Geisteswelt auf den Wiener Gelehrten. Dies geschah vermutlich in Abgrenzung zu Kann, der Sonnenfels aufgrund der ihm bekannten Quellen als von der christlichen Gesellschaft assimiliert schilderte.57 Dazu ist anzumerken, dass die Argumentation Karniels eine Mutmaßung bleibt, da er über Intentionen Sonnenfels’ spekuliert, die keinen Niederschlag in Quellen gefunden haben. Außerdem ignorierte er seiner These widersprechende Fakten und scheint wiederum andere nicht zu kennen, die seine Theorie bekräftigen könnten.58 Karniel ist aber nicht nur als einzelner Autor, sondern auch als Exponent einer Tendenz zu beachten, Sonnenfels in Sammelbänden über 55 Vgl. Osterloh: Reformbewegung. 56 Karniel, Joseph: Joseph von Sonnenfels: Das Welt- und Gesellschaftsbild eines Kämpfers um ein glückliches Österreich, in: Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte Tel Aviv, Bd. 7 1978, S. 111–158. 57 Kann: Kanzel, S. 185–164 u. S. 255. 58 Vgl. Kap. 7.5.

Sonnenfels im Blick der historischen Forschung

19

jüdische Autoren oder jüdisches Leben in Wien zu verorten.59 Derartige Einschätzungen beinhalten allerdings aufgrund ihrer prägnanten lexikalischen Kürze nur eine bedingte Anbindung an Quellen. Das wiederholte Auftreten von solchen Lexikonartikeln wurde von der historischen Forschung bisher kaum beachtet. Karniel selbst differenziert später sein Bild von Sonnenfels aufgrund einer ausführlichen Fallstudie zur Toleranzgesetzgebung in seiner Monographie: Die Toleranzpolitik Kaiser Josephs II.60 Doch noch immer blieben viele seiner Ausführungen über Sonnenfels spekulativ. Einen methodischen Gegensatz zu Karniels Spekulationen bieten hingegen die gegen Ende der siebziger Jahre erschienenen Aufsätze von Grete Klingenstein.61 In zwei Fällen unterzog sie anhand einer ausgewählten Quelle – über die Zahl der Studenten und über die Vaterlandsliebe – einen bisher vernachlässigten Aspekt von Sonnenfels’ Lehre und Reformbestrebungen einer fundierten und gründlichen Analyse. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse bilden speziell im Falle sozialer Aspekte des Bildungswesens einen guten Ausgangspunkt für weiterführende Fragestellungen. Dieser Kenntnisstand blieb für das kommende Jahrzehnt die Basis der weiteren Beschäftigung mit Sonnenfels. Auf ihm beruht auch die 1983 erschienene populärwissenschaftliche Biographie Sonnenfels’ von Dolf Lindner.62 In seinem Buch Der Mann ohne Vorurtheil ist Lindner bemüht, die Verbindungen seines Protagonisten zu prominenten Zeitgenossen herauszuarbeiten und diese durch zahlreiche anschauliche Zitate zu belegen. Dabei fasst er den Forschungsstand übersichtlich zusammen, wenn er auch seiner Zielgruppe entsprechend populäre Schwerpunkte wählt und bis dato unerschlossene Teile des Lebenslaufs nicht thematisiert. Die historische Forschung wiederum widmete sich Sonnenfels in den achtziger Jahren vornehmlich durch Verweise in Darstellungen über die Staatsreformen, seine Zeitgenossen oder die Wiener Aufklärungsbewegung, wodurch er als Gegenstand der Forschung zwar präsent blieb, aber nur spo59 Vgl. Andics, Hellmut: Die Juden in Wien. Mit 132 Abbildungen nach Dokumenten, historischen Darstellungen und Photographien, Wien 1988. 60 Karniel, Joseph: Die Toleranzpolitik Kaiser Josephs II., Gerlingen 1986. 61 Vgl. Klingenstein, Grete: Sonnenfels als Patriot, in: Schulz, Günter (Hg.): Judentum im Zeitalter der Aufklärung, Bremen u. Wolfenbüttel 1977, S. 211–229 u. Klingenstein, Grete: Akademikerüberschuß als soziales Problem im aufgeklärten Absolutismus. Bemerkungen über eine Rede von Sonnenfels aus dem Jahre 1771, in: Klingenstein, Grete u. Lutz, Heinrich (Hg.): Bildung, Politik und Gesellschaft. Studien zur Geschichte des europäischen Bildungswesens vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, München 1978, S. 165–204. Neuere Beiträge dieser Autorin erscheinen unter dem Namen Walter-Klingenstein. In der vorliegenden Arbeit wird der jeweils bei Erscheinungsdatum gebräuchliche Name verwendet. 62 Lindner, Dolf: Joseph von Sonnenfels, Wien 1983.

20

Vorwort

radisch im Mittelpunkt stand.63 Einige der beteiligten Autoren führten im Jahre 1988 ihre Ergebnisse in einem Sammelband unter dem Titel Joseph von Sonnenfels zusammen.64 Dieser Band versteht sich allerdings nicht als Ersatz einer Biographie, sondern als Sammlung der aktuellen Einzelforschungen. Die Gelegenheit für eine Synthese der Ergebnisse wurde aufgrund der verschiedenen Forschungskontexte der Beiträge nicht genutzt. Es erscheint angebracht, an dieser Stelle auf die Aufsätze einiger der mitwirkenden Forscher einzugehen, und auch auf ihre vorherigen und nachfolgenden Untersuchungen zu verweisen, sofern diese den aktuellen Forschungsstand wesentlich beeinflussten. Der Herausgeber Helmut Reinalter tritt in diesem Band sowohl mit einer einleitenden Kurzbiographie, als auch einem auf Sonnenfels’ Publikationen basierenden Beitrag über dessen Gesellschaftstheorie hervor.65 Reinalters Forschung zu den Wiener Freimaurern und Illuminaten und somit zum Umfeld und zu Kontaktpersonen Sonnenfels’ findet hier noch keinen Raum. Gerade seine späteren Arbeiten über die Loge zur wahren Eintracht und deren Oberhaupt Ignaz von Born können jedoch auch als wesentliche Beiträge zur Erforschung von Sonnenfels’ Lebenslauf gesehen werden.66 Der zweite Aufsatz dieses Sammelbandes unter dem Titel Joseph von Sonnenfels als Rechtsreformer stammt von Werner Ogris.67 Dieser Beitrag erschien mehrmals in überarbeiteter Form und kommt unter Verwendung von Forschungsliteratur und gedruckten Quellen zu einer ausgewogenen Einordnung der Verdienste Sonnenfels’, die einen Gegensatz zur Abwertung durch Conrad darstellt. Ogris’ Beitrag ist aufgrund seiner Kürze von einer selektiven Themen- und Quellenauswahl geprägt. Dies vermag er allerdings in 63 Als Ausnahme ist auf zwei in frz. Sprache erschienene Arbeiten zu verweisen: Krebs, Roland: Une revue de l’Aufklärung viennoise: „L’Homme sans préjugés“ de Joseph von Sonnenfels 1765–1767, in: Grappin, Pierre (Hg.): L’Allemagne des lumières: Périodiques, correspondances, témoignages, Paris 1982, S. 215–233 u. Valentin, Jean-Marie: J. von Sonnenfels et le peuple: vision politique et esthétique théâtrale, in: Volk, Volksstück, Volkstheater im deutschen Sprachraum des 18.–20. Jahrhunderts, Bern 1986, S. 41–61. 64 Reinalter: Sonnenfels. 65 Reinalter, Helmut: Joseph von Sonnenfels – Leben und Werk in Grundzügen, in: Reinalter: Sonnenfels, S. 1–10 u. Ders.: Joseph von Sonnenfels als Gesellschaftstheoretiker, in: Reinalter: Sonnenfels, S. 139–156. 66 Vgl. Reinalter, Helmut: Ignaz von Born (1742–1791). Aufklärer, Publizist, Forscher und Freimaurer, in: Ders. (Hg.): Gesellschaft und Kultur Mittel-, Ost- und Südosteuropas im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Festschrift für Erich Donnert zum 65. Geburtstag, Frankfurt a.M. u. Wien 1994 , S. 117–135 u. Ders.: Die Rolle der Freimaurerei und Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert, Innsbruck 1995. 67 Ogris, Werner: Joseph von Sonnenfels als Rechtsreformer, in: Reinalter: Sonnenfels, S. 11– 97.

Sonnenfels im Blick der historischen Forschung

21

seinem thematisch engeren Beitrag Joseph von Sonnenfels und die Entwicklung des Österreichischen Strafrechts auszugleichen, wenn auch hier weitgehend auf archivarische Überlieferung verzichtet wird.68 Ogris’ Erkenntnisse zu den theresianisch-josephinischen Rechtsreformen sind besonders für die in der vorliegenden Arbeit unternommenen Einordnungen grundlegend. Seine Beschäftigung mit Sonnenfels führte schließlich im Jahr 2003 zur Publikation einer neuen Auflage von Sonnenfels’ Lehrbuch Grundsätze der Polizeywissenschaft, für die er einen biographischen Epilog verfasste. In diesem Text fasst Ogris pointiert, wenn auch ohne Anmerkungsapparat, den Forschungsstand zu Sonnenfels in Bezug auf seine eigenen Ergebnisse zusammen. An dritter Stelle soll die Arbeit Ernst Wangermanns genannt werden.69 Obgleich er hier eine für die vorliegende Untersuchung weniger relevante Betrachtung und Verortung der Theorien Sonnenfels’ zur Vaterlandsliebe vornimmt, trägt er doch an anderer Stelle zur Erweiterung der Kenntnisse über dessen Karriere und Einflussmöglichkeiten bei. Zum einen befasste er sich vor Erscheinen des Sammelbandes mit den josephinischen Bildungsreformen, zum anderen stellte er in seinen neueren Arbeiten die Publizistik zur Regierungszeit Josephs II. in den Mittelpunkt.70 Beide Ansätze tragen, wenn Sonnenfels auch nur in kürzeren Passagen direkt thematisiert wird, anhand des Quellenmaterials zur Beurteilung seiner Einflussmöglichkeiten und der Rahmenbedingungen seines Wirkens bei. Einen primär geistesgeschichtlichen Ansatz verfolgt Hildegard Kremers, die sich sowohl in ihrer Dissertation, in ihrem Beitrag zu Reinalters Sammelband als auch an anderen Stellen mit Sonnenfels’ kameralwissenschaftlicher Lehre beschäftigt.71 Ihr Schwerpunkt, der geistesgeschichtliche Kon68 Vgl. Ogris, Werner: Joseph von Sonnenfels und die Entwicklung des österreichischen Strafrechts, in: Illuminismo e dottrine penali (La Leopoldina. Criminalità e giustizia criminale nelle riforme del 700 europeo Bd. 10), Milano 1990, S. 459–482 u. die Neuauflage: Ogris, Werner: Joseph von Sonnenfels und die Entwicklung des Österreichischen Strafrechts, in: Olechowski, Thomas (Hg.): Elemente europäischer Rechtskultur, Wien 2003, S. 657–676. 69 Wangermann, Ernst: Joseph von Sonnenfels und die Vaterlandsliebe der Aufklärung, in: Reinalter: Sonnenfels, S. 157–170. 70 Wangermann, Ernst: Das Bildungsideal Gottfried van Swietens, in: Lesky, Erna u. Wandruszka, Adam (Hg.): Gerard van Swieten und seine Zeit. Internationales Symposium veranstaltet von der Universität Wien im Institut für Geschichte der Medizin 8.–10. Mai 1972, Wien, Köln, Graz 1973, S. 175–181 u. Ders.: Publizistik als Parlamentsersatz bei Staatstheoretikern der Josephinischen Ära, in: Benedikt, Michael, Baum, Wilhelm u. Knoll, Reinhold (Hg.): Verdrängter Humanismus – verzögerte Aufklärung. Österreichische Philosophie zur Zeit der Reformation und Restauration (1750–1820), Wien 1992, S. 709–718. 71 Vgl. Kremers, Hildegard: Quellenkritische Analyse des ökonomischen Denkens von Joseph von Sonnenfels, Diss. Graz 1983; Dies.: Das kameralistische Werk von Joseph von Sonnen-

22

Vorwort

text seiner Werke, ist allerdings für die vorliegende Arbeit weniger relevant. Sie tritt ebenso wie Ogris als Verfasserin einer Kurzbiographie hervor, die als Einleitung einer Quellenedition mit Auszügen aus Sonnenfels’ kameralistischen Schriften erschien.72 Ihre Ausführungen entsprechen demselben Forschungsstand wie diejenigen von Ogris und Reinalter. Schließlich steuerte Hilde Haider-Pregler den Aufsatz: Die Schaubühne als Sittenschule der Nation. Joseph von Sonnenfels und das Theater für den Sammelband bei. Sie konnte dabei auf den Erkenntnissen einer früheren Monographie aufbauen.73 Haider-Pregler gelingt es, Sonnenfels’ Leistungen als Theaterreformer nicht nur ergebnisorientiert, sondern auch in Hinblick auf ihre Entstehung ausführlich darzustellen. In diesem Zusammenhang arbeitet sie anhand von Quellen Gegenbewegungen zu Sonnenfels und auch sein Scheitern auf diesem Gebiet heraus. Damit verweist sie in einigen Passagen bereits auf den Untersuchungsweg, der auch in dieser vorliegenden Darstellung angewendet wurde. Dies zeigt sich besonders in ihren Betrachtungen über Sonnenfels’ Beziehungen zu Künstlern und Autoren und bei ihren Verweisen auf die Deutsche Gesellschaft in Wien. Die Erweiterung dieses Forschungsstandes wurde vornehmlich von rechtshistorischer Seite unternommen, als die Kodifikationsbewegungen des 18. Jahrhunderts neuerlich Gegenstand der Forschung wurden. Im Besonderen ist hier die Dissertation Stefan Wagners Der politische Kodex. Die Kodifikationsarbeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in Österreich 1780–1818 zu erwähnen.74 Diese auf umfangreiche Quellenrecherche gestützte Arbeit konnte ein weites Feld von Sonnenfels’ Tätigkeit neu erschließen, ohne dass die Ergebnisse bisher für eine Biographie herangezogen wurden. Entgegen dem rechtshistorischen Trend, der sich auch in den genannten späteren Arbeiten von Ogris zeigt, erschien 2004 ein neuer Aufsatz von Grete Klingenstein: Professor Sonnenfels darf nicht reisen. Beobachtungen zu den Anfängen der Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaften.75 In fels. Einige neuere Aspekte der Quellenforschung, in: Reinalter: Sonnenfels, S. 171–190 u. Kremers, Hildegard: L’œuvre de Joseph von Sonnenfels et ses sources européennes: Problèmes de réception au XVIIIe siècle, in: Francia, 14 1986, S. 331–367. 72 Kremers, Hildegard (Hg.): Joseph von Sonnenfels. Aufklärung als Sozialpolitik. Ausgewählte Schriften aus den Jahren 1764–1798 (Klassische Studien zur sozialwissenschaftlichen Theorie, Weltanschauungslehre und Wissenschaftsforschung Bd. 10), Wien, Köln u. Weimar 1994. 73 Haider-Pregler, Hilde: Die Schaubühne als „Sittenschule“ der Nation. Joseph von Sonnenfels und das Theater, in: Reinalter: Sonnenfels, S. 191–244 u. Dies.: Des sittlichen Bürgers Abendschule: Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheaters im 18. Jahrhundert, Wien 1980. 74 Wagner: Kodex. 75 Walter-Klingenstein, Grete: Professor Sonnenfels darf nicht reisen: Beobachtungen zu den

Sonnenfels im Blick der historischen Forschung

23

dieser Abhandlung setzt sie die Tradition ihrer früheren Beiträge fort und bietet eine detaillierte Analyse thematisch eng ausgewählter Quellen unter sorgfältiger Einbindung in den Kontext. Dabei gelingt es ihr, Gründe für ein Scheitern bildungspolitischer Ambitionen Sonnenfels’ aufzuzeigen und gerade dadurch den Kenntnisstand zu seinem Leben und Wirken zu erweitern. Insgesamt weist die Sonnenfelsforschung folgende Besonderheiten auf: Erstens liegt keine grundlegende quellenbasierte Darstellung seines Lebenslaufes vor, die heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Zweitens wurde bisher noch nicht begonnen, eine Synthese der seit den sechziger Jahren in weitgehend diversifizierter Forschungsarbeit gewonnenen Ergebnisse durchzuführen. Drittens ist als Resultat der bisherigen Arbeiten auf einen weitgehend heterogenen Kenntnisstand bezüglich Sonnenfels’ Lebenslauf hinzuweisen. So wurde beispielsweise seine Beteiligung an den Theater- und Strafrechtsreformen relativ häufig in den Mittelpunkt gestellt, seine praktische Tätigkeit als Universitätsdozent und als Sekretär der Akademie der Bildenden Künste hingegen kaum. Der Schwerpunkt liegt dabei zumeist auf Aspekten, die anhand von gedrucktem Quellenmaterial – wie Sonnenfels’ Lehrbüchern – untersucht werden können.76 Neben dieser zum Teil quellenbedingten Differenz ist auch ein zeitliches Ungleichgewicht zu beobachten. Die Mehrzahl der Darstellungen, auch solche mit biographischem Anspruch, thematisieren vornehmlich die erste Hälfte von Sonnenfels’ Karriere, nämlich die Regierungszeit Maria Theresias und Josephs II. Sie folgen damit der Vorarbeit der Autoren des 19. Jahrhunderts, die ihn als liberalen Reformer und nicht als Mitarbeiter des weithin als reaktionär beurteilten Herrschaftssystems Franz’ II./I. darstellen. Die spärliche Erwähnung späteren Quellenmaterials in älteren Darstellungen führte offenbar zu entsprechenden Lücken in der auf ihnen aufbauenden Forschung. Erst vor kurzem wurden mit umfangreicher Recherche in stark beschädigtem Material, wie Wagner sie für ein spezielles Thema unternahm, die Karriereschritte Sonnenfels’ unter Franz II./I. ausführlich untersucht. Diese Forschungslücke unterstreicht, dass eine auf seine gesamte Lebenszeit zielende quellenorientierte biographische Studie, welche seine Mitarbeit an verschiedenen Reformprojekten über die Regierungszeiten der vier Monarchen hinweg untersucht, trotz einer über einhundertfünfzigjährigen Forschungsgeschichte ein Desiderat darstellt. Anfängen der Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaften, in: Kopetz, Hedwig (Hg.): Soziokultureller Wandel im Verfassungsstaat: Phänomene politischer Transformation. Festschrift für Wolfgang Mantl zum 65. Geburtstag Bd. 2/2, Wien 2004, S. 829–842. 76 Dies illustriert bspw. der Sammelband Reinalter: Sonnenfels, in dem alle Beiträge sich primär auf zeitgenössische Druckschriften stützen.

2. F amiliäre B eziehungen 2.1 Herkunft, Jugend und Ausbildung Ich bin im Jahre 1733 zu Nikolsburg, einem mährischen Gränzstädtchen, der Residenz des Fürsten von Dietrichstein, geboren.77 Mit diesen Worten begann Joseph von Sonnenfels am 17. Dezember 1775 in einem Brief, Teile seiner Lebensgeschichte zu berichten. Seine Familie, die in diesem Brief nicht erwähnt wird, war jüdischen Glaubens und stammte seit zwei Generationen aus dem Brandenburgischen. Sein Vater, der zu jenem Zeitpunkt noch Perlin Lipmann hieß, war Sohn einer Berliner Rabbinerfamilie, deren Oberhaupt Michael Chossid mehr als zehn Jahre lang Oberrabiner von Brandenburg gewesen war.78 Die genauen Gründe, die Sonnenfels’ Vater nach Abschluss einer Ausbildung zum hebräischen Sprachgelehrten dazu brachten, Berlin zu verlassen, sind nicht mehr eindeutig zu ermitteln.79 Neuer Wohnsitz wurde die Stadt Nikolsburg, wo die herrschende Familie Dietrichstein eine jüdische Gemeinde tolerierte.80 Hier trat Perlin Lipmann mit dem in Erziehung und Bildung engagierten Orden der Piaristen in Kontakt, denen er durch seine vielseitigen Sprachkenntnisse behilflich 77 Luca: Österreich, S.  143. Das hier zitierte autobiographische Fragment wurde von Ignaz de Luca, einem Schüler und langjährigen Kollegen, herausgegeben. Bezüglich des Geburtsdatums führt die Tatsache, dass erst ab 1735 in Nikolsburg jüdische Geburtsbücher geführt wurden, zu abweichenden Angaben, vgl. Gräffer/Deutsch: Plutarch, S. 192. Widersprüchliche Geburtsjahre, 1733 oder 1734, finden sich bei Kann: Kanzel S. 151 u. Muncker, Franz: Joseph von Sonnenfels, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 34, S. 628–635, hier S. 628f. In dieser Studie wird das stets von Sonnenfels selbst angegebene Geburtsjahr 1733 verwendet, welches auch Grundlage des behördlichen Schriftverkehrs war, vgl. AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 310, Fol. 113r.–120r. Eingabe Sonnenfels vom 4. Junius 1800, Ndr. und Folierung bei Wagner: Kodex, S. 303–309. 78 Neben Michael Chossid, für dessen Amtszeit zwischen 1713 und 1725 unterschiedliche Angaben gemacht werden, vgl. Kann: Kanzel, S. 150 u. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer S. 5, gehörten noch weitere Oberlandesrabbiner und eventuell auch Finanziers der preußischen Könige zur Ahnenreihe Perlins, vgl. Ogris: Polizey, S. 264. 79 Kopetzky: Sonnenfels, S. 1 geht von mangelnden Karriereoptionen aus; Karniel: Toleranzpolitik, S.  409 verweist hingegen auf Konflikte aufgrund der angeblichen Zugehörigkeit Perlins zu den Sabbatianern, einer zu dieser Zeit zur Konversion neigenden Teilgruppe des Judentums. Beide können keine Belege ihrer Annahmen anführen. 80 Vgl. Karniel: Weltbild, S. 120–125 und Klingenstein, Grete: Modes of Religious Tolerance and Intolerance in Eighteenth-Century Habsburg Politics, in: Austrian History Yearbook, Bd. 24, 1993, S. 1–16, hier S. 11. Der heutige Name des Ortes ist Mikulov (Tschechische Republik).

26

Familiäre Beziehungen

sein konnte.81 Sein Engagement lenkte die Aufmerksamkeit der fürstlichen Familie auf ihn, die ihm daraufhin neue Karrierechancen eröffnete, sofern er bereit war, zum Christentum überzutreten. Lipmann nahm das Angebot an und empfing am 18. September 1735 gemeinsam mit seinen Kindern die Taufe in Wien: Den 18. Septemb. Anno 1735 ist getaufft worden ein Jud und (hat) in der heil. Tauff. Den Nahmen Aloysius Aemillianus Joann(es) Nepo(mucenus) Wienner (empfangen); Pat(rinus) erat der hoch- und wohlgeborn reichs Graf und Herr Aloysius Thomas […] von Harrach […]; Item dessen drey Söhne, als Carl Joseph Nep. und Joseph Carl Johann Nep. und Franz Carl Joh. Nep. Von dem hochgebohrn Grafen und Herrn Carl des heil. Röm. Reichs Grafen von Dietrichstein.82 Die Täuflinge wurden durch diesen Akt formell Teil des Patronagenetzwerkes zweier Adelsfamilien, die bereits seit dem 15. Jahrhundert im Umfeld des Wiener Hofes ihre jeweils eigene Machtposition behaupteten. Die Dietrichsteins und auch die Harrachs stellten schon lange Generäle, Bischöfe, Diplomaten und Verwaltungsbeamte für die Monarchie und sorgten durch ihre Patronagesysteme für das berufliche Fortkommen fähiger und treuer Untergebener.83 Sie waren außerdem durch Eheschließungen mit anderen führenden Familien im Dienst des Hauses Österreich verbunden. Der Taufpate des älteren Sonnenfels war Aloys Thomas von Harrach (1669– 1742). Er hatte sich zuvor in diplomatischen Diensten bewährt und fungierte nun als Konferenzminister im Departement der Finanzen und als Oberhaupt der Niederösterreichischen Stände. Dieser sechsundsechzigjährige Mann war einer der einflussreichsten Beamten Karls VI. Für die zukünftige Karriere der Kinder war hingegen die Patenschaft durch Carl Maximilian von Dietrichstein (1702–1784) von größerer Bedeutung, da die Söhne somit an dieses ursprünglich aus Kärnten stammende Adelshaus gebunden wurden, das seit dem sechzehnten Jahrhundert die Herrschaft Nikolsburg in Mähren inne hatte. Nach zeitgenössischem Verständnis bedeutete die Pa81 So laut Kann: Kanzel, S. 150. 82 Taufbucheintrag der Pfarrei: „Unsere liebe Frau bei den Schotten.“ Taufbuch 31, Fol. 225v. Zit. nach: Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 7, Fotographie publiziert bei Lindner: Sonnenfels, S. 11. 83 Vgl. Kellenbenz, Herrmann: Harrach, Grafen von, in: Neue Deutsche Biographie Bd. 7 (1966), S. 697. Zur Bedeutung solcher Patronagesysteme für frühneuzeitliche Gesellschaften vgl. die pointierte Zusammenfassungen von Reinhardt, Nicole: „Verflechtung“ – ein Blick zurück nach vorn, in: Burschel, Wolfgang (Hg.): Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhardt zum 65. Geburtstag, Berlin 2002, S. 235–262 u. Droste: Patronage, S. 555–590. Zur Tradition der Patronage am österreichischen Kaiserhof vgl. auch: MacHardy, Karin J.: War, Religion and Court Patronage in Habsburg Austria. The social and cultural dimensions of political interaction 1521–1622, Houndmills u. New York 2003, zur Familie Dietrichstein S. 160f.

Herkunft, Jugend und Ausbildung

27

tenschaft eine Absichtserklärung dafür, dass Treue und Fleiß der Klienten mit beruflichem Aufstieg im Dienste ihres Patrons belohnt werden würden. Die Frau des getauften Alois Wienner wird im Taufbuch nicht genannt und im Gegensatz zu ihm auch in den späteren Briefen und Schriften ihres Sohnes Joseph nicht erwähnt. Da der Vater niemals als Witwer bezeichnet wird, scheint sie noch gelebt, im Gegensatz zur restlichen Familie den Religionswechsel aber nicht vollzogen zu haben.84 Die Tatsache, dass der Graf von Dietrichstein als Taufpate für die Söhne fungierte, veranlasste Joseph von Sonnenfels im Laufe seines Lebens mehrmals zu Aussagen wie: Das Fürstliche Haus war von der Wiege an mein Wohltäter.85 Diese Familie nahm zunächst Anfang der 40er Jahre den Vater Alois Wienner in ihre Dienste, der daraufhin mit seinem ältesten Sohn Karl nach Wien ging.86 Die beiden jüngeren Söhne Joseph und Franz traten hingegen in das Internat der Piaristen ein. Die Kosten für die Ausbildung übernahm wie auch bei anderen Kindern ihrer Angestellten die Patenfamilie: Ich war einer von den vielen Zöglingen, die durch liebreiche Vatersorge dieses erhabenen Hauses dem Staate heranwachsen.87 Dies entsprach den damaligen Gepflogenheiten und ermöglichte es den Patronen, sich langfristig die Gefolgschaft ihrer Klienten zu sichern. Den Akten des Kollegs zufolge währte die Internatszeit des mittleren Sohnes Joseph von 1741 bis 1745.88 Osterloh verweist auf die Vorzüge ­dieser Ausbildung im Vergleich zu den meist jesuitisch geprägten Alternativen, da hier moderne Sprachen, Naturwissenschaften, Geschichte und das ­Studium antiker Quellen im Vordergrund gestanden hätten.89 Trotz dieser Vorteile äußerte sich Joseph selbst später kaum positiv über seine Schulzeit: Ich ward in die Schule zu den dortigen Piaristen geschicket, lernte aber wenig mehr, als was mich ein glückliches Gedächtnis im Vorbeygehen behalten ließ.90 Er beklagte als Professor rückblickend mehrmals die mangelnde Qualifikation 84 Es wird in der Forschung ohne Beleg von einer Trennung der Eltern ausgegangen, vgl. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 7. 85 Luca: Österreich, S. 145 u. Sonnenfels: Herz, S. 2; zur Bedeutung von Taufpatenschaften als typisches Element der sozialen Unterstützung im 18. Jahrhundert vgl. Reinhard: Lebensformen, S. 211. 86 Vgl. Lindner: Sonnenfels, S. 7. 87 Sonnenfels: Herz, S. 3. 88 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 3 u. Ogris: Polizey, S. 265. 89 Osterloh: Reformbewegung, S. 29. Vgl. Hammerstein, Notker u. Müller, Rainer: Das katholische Gymnasialwesen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Hammerstein, Notker u. Herrmann, Ulrich (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte Bd. II. Das 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800, München 2005, S. 324–354. 90 Luca: Österreich, S. 145.

28

Familiäre Beziehungen

seiner damaligen Lehrer und die Einfachheit der vermittelten Inhalte.91 1745 verließ er das Kolleg und seinen jüngeren Bruder, um zum Vater nach Wien zu ziehen. Dieser hatte sich beruflich etablieren können und verfügte nach einer zweiten Heirat über die Mittel, um Joseph zu versorgen.92 In Wien begann Sonnenfels trotz seiner Jugend ein philosophisches Studium. Dies stellte damals den ersten Schritt der universitären Ausbildung dar und war nötig, um später an der medizinischen, juristischen oder theologischen Fakultät zu studieren.93 Die Dauer dieses Studiums ist in den Quellen der Universität nicht eindeutig nachzuvollziehen, so dass in der Forschung verschiedene Angaben gemacht werden, obwohl der Student in seiner Autobiographie behauptet: Die Philosophie, wie man das Schlussdrechseln damals nannte hörte ich in Wien; […] ich war nur 13 Jahre alt, als ich die Schulphilosophie vollendete, Niemand übertraf mich im ergotieren [Beweisen des eigenen Standpunktes] […] und da ich, ungeachtet meiner Jugend, eine ergiebige Lunge hatte, so hieß ich einer der besten Studenten.94 Auf diese philosophische Ausbildung folgte jedoch kein weiterführendes Studium, sondern statt dessen eine mehrjährige Zeit ohne Beschäftigung: war hier bis in das 16te Jahr ein Stillstand in meinen Studien, der zwar nicht von meiner Schuld kam, aber seine nachtheiligen Folgen auf mein ganzes ­Leben hätte verbreiten können. Ohne Zucht, ohne Leitung, eben in dem Alter, wo ich derselben am meisten bedurfte auf einem Dorfe, welches mein Vater zu seinem Wohnort gewählet hat, mir selbst übergeben, […] bald vergaß ich alles das Nichts, so ich ohnehin nur durch das Gedächtnis innen gehabt hatte.95 Der Grund für diesen Zustand dürfte in der Verschlechterung der finanziellen Lage des ohne Festanstellung tätigen Vaters liegen: Aber nur nach wenigen Jahren fand er sich […], um alles vermögen gebracht und ich mich ohne Stütze, in dem Alter gerade, wo Mangel an Unterstützung das größte Unglück ist, weil es auf das ganze Leben einfließt.96 Auch die aus nicht genau bekannten Gründen erfolgte Standeserhöhung seines Vaters und die Annahme des Adelstitels von Sonnenfels hatte keine Verbesserung zur Folge.97 Das Fehlen anderer Perspektiven brachte ihn kurzzeitig dazu, den Eintritt 91 Ebd. 92 Sonnenfels: Herz, S. 4. 93 Vgl. Engelbrecht, Hellmut: Von der frühen Aufklärung bis zum Vormärz (Geschichte des österreichischen Bildungswesens Bd. 3), Wien 1984 und: Hammerstein, Notker: Universitäten, in: Hammerstein/Herrmann: Bildungsgeschichte, S. 369–400. 94 Luca: Österreich, S. 146. Vgl. gegenläufig: Kann: Kanzel, S. 152, der ohne Belege eine Studiendauer von 1745–1749 angibt. 95 Luca: Österreich, S. 146f. 96 Sonnenfels: Herz, S. 4f. 97 Vgl. Kap. 2.2.

Karriere und Beziehungen des Vaters

29

in ein Kloster in Erwägung zu ziehen, was er später einen epedemischen Anfall nannte.98 Er entschied sich schließlich dafür, als einfacher Soldat in das kaiserliche Militär einzutreten, wobei zwei Gründe für ihn relevant gewesen seien: Zum einen häusliche Umstände, womit er auf die schlechte finanzielle Lage anspielt, zum anderen eine angebliche Empfindung, dass es ihm an Führung und Erziehung gemangelt habe.99 Besonders die tatsächliche Bedeutung des zweiten, rückwirkend auch als Teil einer Selbstdarstellung formulierten und rein inneren Motivs, kann nicht in Quellen nachvollzogen werden.100 Joseph verließ 1749 vorerst seine Familie. Wenn er in späteren Briefen und Schriften auf diese Zeit und seine ersten Ausbildungsjahre verwies, so erwähnte er immer wieder das Haus Dietrichstein als seinen Förderer. Über andere Kontakte oder Verbindungen des jungen Joseph zu Personen außerhalb seiner Familie ist aufgrund der fehlenden Überlieferung und der Vernachlässigung dieser Lebensphase in seinen Schriften keine Aussage möglich. Da er jedoch in Wien bei seinem Vater wohnhaft war, ist davon auszugehen, dass dessen soziale Beziehungen zumindest teilweise auch die seinen waren.

2.2 Karriere und Beziehungen des Vaters Nach seiner Taufe wird Alois Wienner erstmals wieder am 10. Januar 1741 in einer Quelle erwähnt. Es handelt sich dabei um den Vermerk des Todes seines ältesten Sohnes Karl, den er, im Gegensatz zu seinen jüngeren Söhnen, nicht bei den Piaristen ausbilden ließ: Aloysio Wienner, herrschaftlicher Kuchlschreiber sein Kind Carl ist beim grünen Thor auf der Laimgruben an Lungldefect beschaut, als 9 Jahr.101 Seine Tätigkeit als Küchenbuchhalter übte er im Stadtpalais der Familie Dietrichstein aus.102 Hier stieg Wienner binnen kurzer Zeit zum Hausinspektor auf und wird in einer vom 12. August 1742 datierten Heiratsurkunde bereits als wohledler Herr vermerkt.103 Seine  98 Luca: Österreich, S. 146.  99 Luca: Österreich, S. 147. 100 Die Biographen des 19. und 20. Jahrhunderts gewichten diese beiden Gründe unterschiedlich. So folgt exemplarisch Kopetzky: Sonnenfels, S. 7f. eher der These von der Selbsterkenntnis des Gelehrten, die er wiederum als Beweis dessen überragender Geistesgaben wertet; Kann: Kanzel, S. 152 hingegen betont die nüchterne finanzielle Notwendigkeit und betrachtete die angebliche Selbsterkenntnis als eine Fiktion. 101 Zitiert bei Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 8. 102 Ebd. Es handelt sich bei dem damaligen Palais Dietrichstein um das heutige Palais Lobkowitz. 103 Ebd. und Lindner: Sonnenfels, S. 13; Als Wienners Familienstand wurde zunächst Witwer eingetragen, dann aber gestrichen, was darauf hinweist, dass seine erste Frau, mit der er

30

Familiäre Beziehungen

zweite Frau, die erste nach christlichem Ritus, wurde Maria Anna Rutenstock, deren Mutter einen Gasthof in der Leopoldstadt besaß und betrieb.104 Er selbst arbeitete neben seiner Tätigkeit für die Dietrichsteins als privater Sprachlehrer für Geistliche und als freier Dolmetscher für die niederösterreichische Landesregierung und die österreichische Hofkanzlei.105 Im Jahr 1745, als Alois seinen nun ältesten Sohn Joseph nach Wien holte, wurde er in Anerkennung seiner Tätigkeit von der dortigen Universität in den Rang eines Magisters für orientalische Sprachen erhoben und in die akademische Gemeinschaft aufgenommen.106 Dieser Akt bedeutete allerdings keineswegs die Verleihung eines regulär besoldeten Amtes oder einer Professur, sondern lediglich das Recht, an der Universität als freier Dozent, von Fall zu Fall bezahlt, Unterricht zu erteilen. Außerdem brachte die Erhöhung in den akademischen Stand ein gestiegenes Ansehen, eröffnete ihm neue Möglichkeiten zum Umgang mit anderen Lehrenden, die meist Jesuiten waren, und stellte ihn und seine Familie unter die Rechtsprechung der Universität. Zur selben Zeit beantragte er die Erhebung in den erblichen Adelsstand unter Berufung auf seine bisherige Lehrtätigkeit und mit einer Empfehlung des zweiten obersten Hofkanzlers Graf Johann Friedrich Seilern (1675– 1751) für seine Übersetzerdienste.107 Am 20. September 1746 wurde diesem Antrag entsprochen und: Dem Alois Wiener der hiesigen Universität immatriculirten Magistro linguarum orientalium auf sein gehorsamstes Bitten die sonderbare Gnad gethan und in ansehen dessen angerühmet: gutten Sitten, Tugenden, Vernunft und Geschicklichkeit auch in der syrisch, chaldäisch und hebräischen Sprache besitzend stattlichen Erfahrenheit, womit er nicht allein zum Behuf der Literatur vieles beigetragen sindern auch dem hiesigen Publico mit Uebersetzung verschiedener Manuscripte und Briefschaften nützliche Dienste geleistet, ihn […] in den Stand und Grad des Adels mit dem Prädicat von Sonnenfels […] allergnädigst erhoben.108 Obwohl in diesem Dokument Gründe für die Verleihung angeführt werden, existieren in der Literatur Spekulationen über weitere, nicht genannte nach jüdischem Ritus verheiratet war, noch lebte, aber nicht der christlichen Glaubensgemeinschaft angehörte. 104 Ebd. 105 Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 8. 106 Er erhielt am 6. Juli den Titel eines Magisters und einen Lehrauftrag für Hebräisch, Samaritanisch, Chaldäisch und Syrisch. Vgl. Kann: Kanzel S. 151. In der Literatur werden über seinen Rang widersprüchliche Angaben gemacht. Er wird sowohl als Magister als auch entgegen den Quellen als Professor bezeichnet. Vgl. Ogris: Polizey, S. 265 u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 3. Gegen die These Kanns, Alois Wiener habe einen eigenen Lehrstuhl erhalten, spricht Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 8. 107 Vgl. Kopetzky, Sonnenfels, S. 4 u. Lindner: Sonnenfels, S. 15. 108 Zit nach Kopetzky: Sonnenfels, S. 4.

Karriere und Beziehungen des Vaters

31

Motive – beispielsweise alchemistische Kenntnisse des älteren Sonnenfels oder gegen Preußen erbrachte Spionagedienste.109 Alois’ finanzielle Situation entwickelte sich in den folgenden Jahren günstig, so dass er im Juli 1747 das Haus Zum weißen Stern am Kienmarkt erwerben konnte.110 Außerdem verfolgte er zeitweise das Projekt einer eigenen hebräischen Druckerei, das er jedoch vorerst nicht verwirklichte. Im selben Jahr publizierte er seine erste Schrift: Splendor Lucis oder der Glanz des Lichtes.111 Das Werk war eine Einführung in die Mysterien der Kabbala, die sich durch die Verwendung der deutschen Sprache an ein breites Publikum richtete. Um das Jahr 1750 schienen zwei Faktoren Vermögen und Status der Familie Sonnenfels gefährdet zu haben. Zum einen hatte der Vater seinen Dienst im Hause Dietrichstein beendet und war nun für die niederösterreichische Landesregierung als Übersetzer und Dolmetscher für Erbrechtsfälle tätig. Hierfür bekam er allerdings kein regelmäßiges Gehalt.112 Er musste vielmehr, wie damals üblich, eine Entschädigung für seinen Aufwand aus der jeweiligen Erbmasse beantragen und dabei lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Zum anderen schrieb der jüngere Sonnenfels von einem Betrüger, dem sein Vater um 1750 aufgesessen sei, und der die Familie um ihre Ersparnisse gebracht hätte.113 Alois von Sonnenfels war schließlich nicht mehr in der Lage, seinen Sohn zu unterstützen, der daraufhin, wie erwähnt, Zuflucht im Militärdienst suchte. 109 Vgl. Jäger-Sunstenau, Hans: Die geadelten Judenfamilien im vormärzlichen Wien, Diss. Wien 1950, S. 35 oder Kann: Kanzel S. 151. Zu alternativen Begründungen vgl. Karniel: Toleranzpolitik, S. 409 u. Spiel, Hilde: Fanny Arnstein oder die Emanzipation, Frankfurt a.M. 1962, S. 81f. 110 Vgl. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 9. Der Kienmarkt war ein alter Marktplatz nahe der Ruprechtskirche im heutigen 1. Bezirk Wiens. 111 Sonnenfels, Alois: Splendor Lucis oder Glanz des Lichts, enthaltend eine kurze physico-cabalistische Auslegung des größten Natur-Geheimnuß; insgemein Lapis Philosophorum genannt, Wien 1747. Das Werk bietet eine Einführung in die Lehre der Kabbala in deutscher Sprache. Sonnenfels senior verweist hier auf hebräische Wörter mit Zahlbedeutungen, mit denen angeblich Botschaften in bestimmten Bibelabschnitten oder in einzelnen Worten verborgen sind, und legt in diesem Sinne beispielsweise das Hohelied Salomons aus. Den Abschluss bildet eine Interpretation alchemistischer Begriffe, die mit der Entstehung des Steins der Weisen zusammenhängen. Es folgt ein allgemein gehaltenes Rezept für den Stein der Weisen, das eher auf prinzipielle Verbindungen der Elemente, als auf praktische Umsetzbarkeit ausgelegt ist. 112 Vgl. Taglicht, Isidor (Hg.): Nachlässe der Wiener Juden im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Finanz-, Wirtschafts- und Familiengeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, Wien 1917, S. 119f. u. S. 137f. Der Autor geht sogar von einer kurzen Schuldhaft des älteren Sonnenfels im Jahr 1751 aus, die er aber nicht belegen kann. 113 Sonnenfels: Herz, S. 4; nähere Angaben zur Person oder zum Tathergang fehlen hier.

32

Familiäre Beziehungen

Während dessen Abwesenheit widmete sich der Vater vermehrt der Wissenschaft. So schrieb er 1753 eine Verteidigung des Abendmahls als Sakrament.114 Dieser christlichen Schrift folgte ein Buch zur Verteidigung der jüdischen Gemeinden gegen den Vorwurf der Hostienschändung und des Ritualmordes.115 Die hier sichtbare religiöse Offenheit von Sonnenfels’ Vater spiegelt dessen Status zwischen der christlichen und jüdischen Gemeinschaft wider, in denen er sich als Dolmetscher und Gelehrter bewegte. Seine andauernde Verbindung zu Angehörigen der jüdischen Glaubensgemeinschaft wird auch in einer Meldung der niederösterreichischen Regierung wegen Einkehrung deren fremden Juden bei dem Wiener von Sonnenfels als einem getauften Juden deutlich.116 Sein Umgang und die Tatsache, dass Universität und Landesregierung einen Dolmetscher und Sprachlehrer beschäftigten, kann ebenso wie sein Projekt einer hebräischen Druckerei als Hinweis darauf gesehen werden, dass die Zahl der Juden in Wien zunahm.117 In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre besserte sich die wirtschaftliche Lage aufgrund des Absatzes seiner Schriften und seiner fortgesetzten Dolmetscherdienste, woraufhin Alois 1754 seinen Sohn Joseph informierte, dass jener die Armee verlassen und in Wien studieren könne. Der Vater selbst wurde am 28. März 1757 offiziell zum Dolmetsch bei der niederösterreichischen Regierung ernannt. Das entsprechende Dekret informiert ihn, dass die niederösterreichische Repräsentation und Kammer die Notwendigkeit einer Verdolmetschung aller Dokumente nachgewiesen habe und ihre Majestät daher allergnädigst zu bewilligen geruhet, dass gedachter von Sonnenfels als Hebräischer – Dolmetsch an – auch diesfalls gehörigermassen in Eydt, und Pflicht – genommen werden möge.118 Auch bei dieser Anstellung war keine feste Besoldung vorgesehen. Immer noch musste der ältere Sonnenfels, wenn nun auch mit offiziellem Titel, seinen Verdienst aus den verhandelten Erbmassen einklagen.119 Seine zweite Frau Maria Anna erscheint in den folgenden Jahren zwischen 1757 und 1760 mehrmals in den Konsistorialakten der Universität.120 114 Sonnenfels, Alois: Beweis der Wahrheit des christ-katholischen Schau-Brods, der leiblichen Gegenwart Christi im Abendmahl wider die Irrthum- und Mängels- volle Bekanntnuß des entwichenen Georgii Rothfischers, Wien 1753. 115 Sonnenfels, Alois: Des Gebrauch des unschuldigen Christenblutes angeklagte und für unschuldig befundene Judentum, Wien 1753. 116 Karniel: Toleranzpolitik, S. 410. 117 Klingenstein: Tolerance, S. 9f. 118 AUW Konsistorialakten Faszikel III Lit. S, Nr. 352 u. Nr. 352a. 119 Taglicht: Nachlässe, S. 137, S. 144 u. S. 297. 120 AWU Konsistorialakten Faszikel III Lit. S, Nr. 352 u. Nr. 352a, bspw. verklagte sie am 24. Juli 1758 eine gewisse Antonia Ellenreitherin um die Rückgabe eines Brillantringes, der in einem Pfandverfahren mehrfach den Besitzer gewechselt hatte.

Karriere und Beziehungen des Vaters

33

Sie ist sowohl als Klägerin, als auch als Angeklagte an mehreren Verfahren über säumige Zahlungen und Juwelendiebstahl beteiligt. Folgenschwer war im Gegensatz zu mehreren kleineren Delikten ein Verfahren, das sich von 1759 bis 1760 hinzog. Gegenstand war eine Rechnung für Schmuck, die Frau von Sonnenfels angeblich trotz Mahnungen nicht bezahlt hatte. Am 25. Mai 1759 wurde deswegen befohlen, sie in Haft zu nehmen: Es habe die Eva Dackesie verwittibte Gold arbeitherin wider die Maria Annam Wiennerin von Sonnenfelß in puncto […] Restituierung zweyer Brilliantenen Ringle in natura, oder Bezahlung des […] Werthes fünf und vierzig Gulden cum sua causa unter heutigem Dato den Personal – Arrest verwilligter erhalten. Solchernach wirdet ihme Pedello hiermit anbefohlen, dass selber solch verwilligten Personal Arrest allenfalls mit beyziehung der erforderlichen Wacht an der beklagten von Sonnenfelß vollziehen, […] soll.121 Noch bevor das Verfahren abgeschlossen war, trat Alois von Sonnenfels aus dem akademischen Gelöbnis zurück und verzichtete für sich und seine Familie auf seinen Status als akademischer Bürger.122 Ob das Gerichtsverfahren gegen seine Frau der Grund für diesen Schritt war, kann nur angenommen werden. Im Jahr 1760 griff er schließlich sein bereits zehn Jahre zuvor erstmals erwähntes Projekt einer hebräischen Buchdruckerei wieder auf. Er beantragte bei der Universität die Erlaubnis zum Erwerb und Betrieb einer Druckerei, die bereits hebräische Titel veröffentlichte. Ein Gremium der universitären Buchdrucker erstellte darüber am 19. April ein Gutachten.123 Das Gremium stimmte dem Verkauf zwar prinzipiell zu, wenn er nur der Buchdruckerey gemäß […] die gewöhnliche Lehr- Jahre abwarthen würde. Diese Lehrjahre solle er allerdings nicht in seinem eigenen Betrieb sondern unter eines ordentlichen Buchdruckers obsorge ableisten. Nur auf diese Weise würde er von anderen Druckern anerkannt und bei ihm beschäftigte Gesellen müssten keinen Nachteil gegenüber ihren Kollegen erleiden. Der Vierundfünfzigjährige hatte aber vermutlich kein Interesse, als einfacher Lehrling zu arbeiten und unternahm keine weiteren Versuche, sich auf diese Weise selbstständig zu machen. Er blieb Privatgelehrter und Dolmetscher, bis er am 29. September 1768 verstarb.124 Über weitere Kontakte zwischen 121 AUW Konsistorialakten Faszikel III Lit. S, Nr. 352 u. Nr. 352a. Der Ausgang des Verfahrens ist nicht überliefert. 122 Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 10. 123 AUW Konsistorialakten Faszikel III Lit. S, Nr. 352 u. Nr. 352a. 124 Vgl. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 10. Kann: Kanzel, S. 151, behauptet, Sonnenfels senior habe die Druckerei tatsächlich erworben, wofür er allerdings keinen Beleg nennen kann. Da er mit 54 Jahren aber noch eine reguläre Lehre hätte durchlaufen müssen, ist diese Vermutung unwahrscheinlich. Zu seinem Sterbedatum: vgl. Jäger-Sunstenau: Vor-

34

Familiäre Beziehungen

seiner zweiten Frau, die im Kreise ihrer eigenen Familie 1777 starb, und seinen Söhnen ist nichts bekannt.125 Insgesamt fällt auf, dass der ältere Sonnenfels sich sowohl im jüdischen, als auch dem akademischen Milieu Wiens bewegte. In beiden war er beruflich tätig und stellte oftmals sogar eine Verbindung zwischen ihnen her. Seine Stelle bei der Hofkanzlei machte ihn darüber hinaus zum Ansprechpartner der wohlhabenden jüdischen Familien in Erbrechtsfragen. Es ist davon auszugehen, dass solch eine intermediäre Stellung für einen Konvertiten keineswegs konfliktfrei war. Zwar gibt es keine Quellen, die den Einfluss dieser Umgebung und damit verbundene Vor- oder Nachteile auf den jungen Joseph von Sonnenfels belegen; aber er lebte bis zum Anfang der sechziger Jahre lange Zeit bei seinem Vater und teilte dessen Umgang. Wenn auch nicht nachgewiesen werden kann, dass der junge Sonnenfels enge Beziehungen zu bestimmten Personen hatte, so ist doch festzuhalten, dass die Kenntnisse seines Vaters als hebräischer Gelehrter und dessen Umgang in akademischen Kreisen für den Sohn einen besonderen Bildungshintergrund schufen und damit einen Vorteil darstellten, über den seine Altersgenossen nicht verfügten.126 Dies galt auch für die Bindung an das Haus Dietrichstein, die besonders für den weiteren Lebenslauf des jüngsten Sonnenfels bedeutsam wurde.

2.3 Franz und Joseph von Sonnenfels – getrennte Wege zweier Brüder Das Leben des Franz von Sonnenfels’ ist im Gegensatz zu dem seines Bruders Joseph bisher kaum von der Forschung berücksichtigt worden.127 Nur wenige Quellen, meist kurze Registerauszüge, und ein Testament sind bisher bekannt und auch Joseph erwähnte seinen Bruder in den überlieferten Briefen und Publikationen nur selten. Der erste Hinweis auf seine Person ist ein Eintrag in den jüdischen Geburtsbüchern von Nikolsburg, wo am 11. Juli 1735 die Geburt des dritten

kämpfer, S. 10. Kann: Kanzel S. 151 gibt hingegen ohne Nachweis einen Todestag Ende der siebziger Jahre an. 125 Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 10. 126 Karniel: Toleranzpolitik, S. 410. 127 Es gibt keine Publikation über Franz von Sonnenfels, und Arbeiten über seinen Bruder berücksichtigen ihn nur in einem Fall mit mehr als einem Absatz. Die Ausnahme ist Kopetzky: Sonnenfels, bei dem trotz der im Titel angedeuteten gleichen Gewichtung der Brüder Franz nur etwa drei Prozent des Textes gewidmet sind.

Franz und Joseph von Sonnenfels – getrennte Wege zweier Brüder

35

Sohnes des damaligen Perlin Lipmann vermerkt ist.128 Gemeinsam mit seinen Brüdern empfing das Kind im selben Jahr die Taufe und erhielt den Namen Franz Wienner. Während der Vater in Wien tätig war, besuchte sein jüngster Sohn wie auch sein Bruder Joseph mit finanzieller Unterstützung der Familie Dietrichstein das Piaristenkolleg in Nikolsburg. Franz blieb allein in der Stadt, als sein Bruder Joseph zum Vater nach Wien zog und nach Beendigung seiner Schulzeit trat er dort, wie schon sein Vater zuvor, in den Dienst der Familie Dietrichstein.129 Er ging allerdings nicht nach Wien sondern blieb vor Ort und arbeitete in der fürstlichen Residenz. In Nikolsburg heiratete er Maria Rosalia Geyer, die Tochter eines vermögenden Apothekers, deren Aussteuer und späteres Erbe die Grundlage seines Vermögens bildeten.130 Keinerlei Quellen belegen eine Verbindung zwischen Franz und seiner Familie in Wien bis in die sechziger Jahre. Allerdings bleibt die Familie Dietrichstein, als gemeinsamer Bezugspunkt sowohl für den Wiener, als auch den Nikolsburger Zweig der Sonnenfels’ bedeutend. Der jüngste Sohn stieg im Laufe der Jahre zum Hofrat am Dietrichsteinschen Fürstenhof auf und nutzte sein Vermögen für die Ausrichtung von Dorffesten für die Landbevölkerung um Nikolsburg.131 Nach dem Tode ihres Vaters 1768 zahlte Franz seinen Bruder Joseph aus und übernahm das Haus zum weißen Stern in Wien.132 Sein Vermögen erlaubte ihm, das Gebäude sogleich abzureißen und durch einen gleichnamigen Neubau zu ersetzen. Dieses Haus nutzte er, um sich für einige jüdische Einwohner Wiens einzusetzen, als jenen anlässlich der Überarbeitung der theresianischen Judenordnung 1769 die gemeinsame Nutzung von Wohnhäusern mit Christen verboten wurde.133 Der Magistrat sah sich in den folgenden Jahren mit der Aufgabe konfrontiert, Wohnungen für die jüdischen Familien zu finden: Wir würden aber wegen weiterer Ausfindigmachung eines abseitig- und sonst zur Einquartierung der Juden schicklichen Hauses allem Ansehen nach in die größte Verlegenheit versetzt worden sein, wenn nicht Herr Franz von Sonnenfels, fürstlich Dietrichsteinscher Rat, seine Erklärung […] übergeben hätte, 128 Vgl. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 12. 129 Kopetzky: Sonnenfels, S. 379. Hier wird besonders auf eine enge Verbindung zwischen Franz von Sonnenfels und Karl von Dietrichstein hingewiesen, der für seine Familie die Residenz in Nikolsburg verwaltete. Vgl. Artikel: Franz von Sonnenfels, in: Wurzbach: Lexikon, Bd. 35, S. 315–317. 130 Ebd. 131 Vgl. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 12, Kopetzky: Sonnenfels, S. 382 über die Dorffeste. 132 Vgl. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 12. 133 Karniel: Toleranzpolitik, S. 255. Eine Bestätigung des Wohnzwanges erfolgte separat am 15. April 1769. Die genannte Judenordnung selbst stammt aus dem Jahr 1764. Vgl. auch Andics: Juden, S. 164–167, wo allerdings ohne Beleg angenommen wird, dass Joseph von Sonnenfels das Haus zur Verfügung stellte.

36

Familiäre Beziehungen

vermöge welcher derselbe verspricht, alle derzeit im gräflich Wallisischen Hause wohnenden Juden in sein eigenes […] „Zum weißen Stern“ genanntes Haus […] aufzunehmen.134 Als er dem Magistrat seine Bereitschaft mitteilte, die Juden aufzunehmen, gestand Franz von Sonnenfels außerdem, bereits seit mehreren Jahren Juden illegal in seinem Haus wohnen gelassen zu haben. Dies Geständnis hatte aber keine Folgen für den erfolgreichen Hofrat. Das genannte Haus verkaufte er 1780 an den Hofkonzipisten Sobeck, einen Schwager seines Bruders Joseph, der den Kauf möglicherweise vermittelte.135 Über seine weiteren Tätigkeiten geben die Protokolle und zugehörigen Indizes des Staatsrats von 1783 bis 1797 Auskunft. Zweimal ist er in den 1780er Jahren Gegenstand einer Beschwerde oder Klage in Nikolsburg. Der erste Fall von 1783 betrifft eine Beschwerde gegen v. Sonnenfels, Fürst Dietrichsteinischer Hofrath, wegen einiger bey der Stadt Nikolsburg zur ungebühr veranlassten Bau Unkosten.136 Diese Nachricht wird weitergeleitet, führt aber zu keinen Konsequenzen. Ähnlich erging es der Meldung: von Sonnenfels und Schubert werden von dem Nikolsburger Juden Bayar Isaac wegen Wucher denuncirt.137 In einer Bittschrift zusätzlich zu seiner Anzeige bat Bayar Isaac die böhmische Hofkanzlei darum, Kontakt zum Landesrabbiner aufzunehmen, damit jüdische Zeugen ihre Aussagen unter Eid abgeben könnten.138 Es folgte noch ein kurzer Schriftwechsel mit der Obersten Justizstelle, bevor sich die Spuren dieser Anzeige verlieren. Von einer weiterführenden Untersuchung ist nicht die Rede.139 In beiden Fällen verliefen die Beschwerden im Sande, was unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen vermutlich auch auf die enge Beziehung Sonnenfels’ zur in Nikolsburg herrschenden Familie Dietrichstein zurückgeführt werden kann. Franz von Sonnenfels wechselte im Laufe der 1780er Jahre vom Dietrichsteinschen Familien- in den Staatsdienst und wirkte an der Liquidierung von Klostergütern mit.140 Er erscheint in den Protokollen des Jahres 1789 bereits als Referent der entsprechen Kommission.141 Unbestätigten Vermu­ 134 Bericht des Wiener Magistrats vom 11. April 1771, zit. nach Karniel: Toleranzpolitik, S. 258. 135 Vgl. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 12. 136 HHStA Staatsratsprot. 3164 ex 1783. 137 HHStA Staatsratsprot. 4324, 4521 u. 5188 ex 1785. 138 HHStA Staatsratsprot. 4324 ex 1785, Nachricht der böhmischen Hofkanzlei vom 15. Oktober. 139 Vgl. ebd. u. HHStA Staatsratsprot. 1785, Nr. 4324 vom 15. Okt. 1785 u. folgend 4521 u. 5188. 140 Vgl. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 12. Hier wird allerdings angegeben, dass der Übertritt in den Staatsdienst nach dem Tode Joseph II. erfolgte. 141 HHStA Staatsratsindex 1789, hier in Betreff des Verkaufes der Sachwerte des Stifts Lilienfeld.

Franz und Joseph von Sonnenfels – getrennte Wege zweier Brüder

37

tungen zufolge soll er seine dortige Stellung beim Verkauf des umfangreichen Land- und Sachbesitzes der Klöster genutzt haben, um sich selbst zu bereichern.142 Seine umfangreichen Aktivitäten werden auch im Kontext der Errichtung der Wiener Straßenbeleuchtung deutlich, für welche er durch seinen Bruder Joseph unter einem falschen Namen die Konzession für die Öllieferungen erhielt.143 Eine diesbezügliche Anzeige hatte eine weitere kurzlebige und ergebnislose Untersuchung zur Folge. Trotz der verschiedenen Vorwürfe wurde Franz 1791, als Sonnenfels Junior bezeichnet, zum Hofrat bei der Hofkammer in Wien ernannt.144 Gleichzeitig folgte die Berufung in die geistliche und milde Stiftungskommission, wo er als Liaison zwischen der Kommission und der Hofkammer fungierte.145 Darüber hinaus erhielt er in den folgenden Jahren den Auftrag zu einer Sammlung der Gesetze und Verordnungen, die in dem durch die Teilungen PolenLitauens an Österreich gefallenen Galizien erlassen worden waren. Dabei arbeitete er anhand der Vorgaben seines inzwischen zum Verwaltungsexperten gewordenen Bruder Joseph.146 Für diese und andere Leistungen sowie seine zahlreichen wohltätigen Stiftungen wurde er am 28. Januar 1797 zum Reichsfreiherren ernannt.147 In seiner Funktion als Hofrat bei der Hofkammer setzte sich Franz 1804 für den Erhalt des Archivs dieser Behörde ein.148 Der Oberste Kanzler Graf Lazansky (1771–1823) wollte weite Teile des 90.000 Faszikel umfassenden Bestandes vernichten lassen, aber gemeinsam mit dem Hofkammerpräsident Graf Karl Zichy (1753–1826) setzte sich der jüngere Sonnenfels durch Beschwerden und Eingaben erfolgreich für den Erhalt des Archivs ein.149 Ein Jahr später musste er mit eben diesem von ihm unversehrt gehaltenen und äußerst umfangreichen Archiv vor den napoleonischen Truppen nach Troppau fliehen, wo er am 12. Januar 1806 einem Herzanfall erlag.150 Bemerkenswert ist das überlieferte Testament des Hofrats, der sein gesamtes Vermögen verschiedenen wohltätigen Stiftungen vermachte.151 Er 142 Vgl. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 12. 143 Siehe Kap. 7.3.2. 144 HHStA Staatsratsindex 3917 ex 1791. Er wird als wirklicher Hofrat im Staatsschematismus von 1797, S. 331 geführt, hier allerdings nicht explizit als Mitglied der Hofkammer. 145 Vgl. HHStA Staatsratsprot. 713 ex 1791 mit Zitat eines kaiserlichen Billets an den Hofkanzler Johann Carl Graf Chotek vom 2. März. 146 HHStA Staatsratsprot. 1794, Nr. 1327. Vgl. Kap. 7.6.3. 147 HHStA Staatsratsindex 1797; vgl. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 12. 148 Kopetzky: Sonnenfels, S. 383f. 149 Zur Geschichte des Hofkammerarchivs: http://www.archivinformationssystem.at/detail. aspx?ID=11 (Zugriff am 10.11.2009). Dort wird auch eine Literaturauswahl geboten. 150 Ebd. u. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 12. 151 Zitiert bei Kopetzky, Sonnenfels, S. 384–406. Einzelne Aspekte der Vergabe von Stipendi-

38

Familiäre Beziehungen

sorgte unter anderem für Stipendien zur Förderung der Nikolsburger Jugend, stiftete eine jährliche Belohnung für besonders fleißige und tugendhafte Landmädchen, schuf einen Rentenfond für Witwen und arbeitsunfähiges Dienstpersonal sowie Pfründe für die Kinder rangniedriger Beamter. Grundstock dieser umfangreichen Stiftungen war sein Vermögen von über 180.000fl.152 Die Herkunft dieser Geldsumme, die circa dem 90fachen Jahresgehalt eines Universitätsprofessors entsprach, ist nur bedingt erklärlich.153 Die in der Literatur als Grundstock genannte Apotheke, die seine Frau erbte, dürfte keineswegs solch einen verfügbaren Wert gehabt haben. Daher ist es wahrscheinlich, dass sich der Hofrat während seiner verschiedenen Tätigkeiten tatsächlich zusätzliche Einnahmequellen geschaffen hat, worauf auch die wiederholt auftretenden, aber nie verfolgten Anschuldigungen hindeuten. Bezüglich des Verhältnisses der beiden Brüder Sonnenfels zueinander zeigen die Lebensläufe, dass sie sich viele Jahre lang in verschiedenen Städten aufhielten und unterschiedliche Karrieren verfolgten. Joseph erwähnt seinen Bruder im Gegensatz zu seinen Schwägern weder in seiner Autobiographie, noch in anderen Schriften oder Briefen. Nach Franz’ Berufung in den Staatsdienst waren beide zwar zeitweise mit ähnlichen Aufgaben betraut, aber nicht in denselben Behörden oder Kommissionen tätig. Auch ist kein Umgang Franz’ mit Vertrauten seines Bruders nachweisbar. Er blieb vielmehr trotz zeitweiligem Aufenthalt in Wien der Stadt Nikolsburg und dort ansässigen Menschen verbunden. Daher scheint eine gewisse Distanz zwischen Beiden bestanden zu haben, wenn auch ihre Beziehung zur Familie Dietrichstein über den Tod ihres Vaters hinaus ein verbindendes Element darstellte. Allerdings band sich Franz wesentlich enger als sein Bruder in das Patronagenetzwerk dieser Familie ein. Während er dem fürstlichen Hause treu blieb und dafür mit beruflicher Sicherheit und Unterstützung belohnt wurde, ging Joseph einen eher unsicheren Weg.

enplätzen oder Sonderzahlungen werden auch in den Protokollen des Staatsrates besprochen, bspw. Prot. 2592 ex 1812 oder Prot. 1397 ex 1814. 152 Seiner Frau verblieb außerdem noch genug Vermögen, um nach ihrem eigenen Tod 1819 weitere Stiftungen einzurichten, vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 407–409. 153 In Bezug auf einen Durchschnitt der Gehälter der in dieser Dissertation behandelten Professoren.

3. E rste

eigene

S chritte

3.1 Dienstzeit im Regiment Hoch- und Deutschmeister Am 15. August 1749 marschierte Joseph von Sonnenfels als einfacher Soldat im Regiment Hoch- und Deutschmeister von Wien nach Marburg an der Drau (heute Maribor, Slowenien).154 Er war kurze Zeit vorher in dem Wiener Werbbüro des Regiments in den kaiserlichen Militärdienst eingetreten. Seine Entscheidung begründete er einerseits mit der finanziellen Lage seines Vaters: Häusliche Umstände […] warfen mich in den Soldatenstand.155 Andererseits stellte das Militär nicht nur eine materielle Versorgung dar, sondern bot ihm nach drei unangenehmen Jahren ohne Beschäftigung eine neue Tätigkeit. Er schrieb darüber: Der Kriegsdienst ward meine Zuflucht.156 Da das noch junge Adelspatent seiner Familie ihm keinerlei Vorteile bei seiner Verwendung brachte, verzichtete er auf die Nutzung seines Titels und verwendete in den ersten Jahren seinen alten bürgerlichen Namen Joseph Wienner.157 Dennoch unterschied sich der studierte Gelehrtensohn von den übrigen Rekruten. Die Sozialstruktur seiner Kameraden zeigt, dass diese aus einfachen Handwerkerberufen stammten oder Hilfsarbeiter gewesen waren und keiner von ihnen eine höhere Schulbildung besaß.158 Wahrscheinlich fiel Sonnenfels aus diesem Grund seinen Vorgesetzten im täglichen Dienst auf und wurde von ihnen, wie er angab, bevorzugt behandelt: Die Wohltaten, welche mir der verstorbene Freyherr von Laßwitz, als Oberster, und Freyherr von Elvenich, damaliger Hauptmann dieses Regiments […] erwiesen, werde ich nie vergessen;159 Ich hatte diese Beschützer gefunden, gegen 154 Treuenfest, Amon Ritter von: Dienstzeit des k.k. Hofrathes und Präsidenten der Akademie der bildenden Künste in Wien Joseph Freiherrn von Sonnenfels als Gemeiner und Corporal im Infanterie Regiment Hoch- und Deutschmeister Nr. 4, in: Streffleurs (Österreichische) Militärische Zeitschrift, Bd. 3/4 1879, S. 201–205. 155 Luca: Österreich, S. 147. 156 Sonnenfels: Herz, S. 5. Die Betonung der Tatsache, dass Sonnenfels selbst bewusst gewesen sei, dass er kostbare Lern- und Lebenszeit vergeude, ist allerdings nur seinen Selbstdarstellungen zu entnehmen und daher unter Vorbehalt zu sehen. 157 Kann: Kanzel, S. 152. Kann weist darauf hin, dass in der Truppengattung der Infanterie mit einem derartig neuen Adelspatent keinerlei besondere Behandlung zu erwarten gewesen wäre. 158 Duffy, Christopher: The military world of Joseph von Sonnenfels, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich, Bd. 6. 1990/91, S. 138–143, hier S. 140. Schuster- und Zimmermannsgesellen können als die am besten ausgebildeten Kameraden betrachtet werden. 159 Luca: Österreich, S. 147.

40

Erste eigene Schritte

die meine Verehrung immer sich erneuert.160 Diese Männer ermutigten ihn, wieder seinen adeligen Namen zu verwenden und ermöglichten auch seine Beförderung in den Rang eines Korporals am 25. Mai 1752.161 Die Beförderung wurde mit Sonnenfels’ herausragender Fähigkeit begründet, Rekruten auszubilden. Seine Dienstzeit führte ihn in Folge durch verschiedene Teile des habsburgischen Herrschaftsbereiches. Zunächst war das Regiment im damals steirischen Marburg an der Drau stationiert, in dessen Nähe es 1750 auch Winterquartiere bezog. Sonnenfels schrieb darüber: Der Soldat ist, wenn die Exerzierzeit naht, das geplagteste, zur Winterzeit aber, besonders in kleinen Garnisonen, das unbeschäftigste Wesen von der Welt.162 Er versuchte, die Langeweile durch Lektüre zu bekämpfen. Ich las, was ich nur zu Händen kriegen konnte, und bildete mir nach dem, so ich las, einen Stil.163 Problematisch war ihm zufolge allerdings die eingeschränkte Auswahl an Literatur, die nur Handbücher oder alchemistische Werke umfasste. Aus dem Winterquartier ging es 1751 nach Klagenfurt in Kärnten, wo vom 25. Mai bis 7. Juli Manöver abgehalten wurden.164 Diese dienten unter anderem dazu, neue Soldaten aus Frankreich und Italien in die Einheit zu integrieren. Die neuen Kameraden boten Sonnenfels eine Möglichkeit Fremdsprachen zu lernen, welche er zur Freizeitgestaltung intensiv nutzte. Darüber hinaus führte der Kontakt speziell zur weiblichen Bevölkerung der verschiedenen späteren Garnisonsorte zum weiteren Erwerb von Sprachkenntnissen: ich lernte von französischen Deserteuren, die als Rekrouten ankamen, französisch; von Deserteuren, die aus Italien beym Regimente anlangten, wälsch; von den Mädchen zu Sobotka und Jungblunzau böhmisch.165 Angeblich besaß er gegen Ende seiner Dienstzeit Kenntnisse in neun Sprachen, welche teilweise auch auf seine Schulbildung und Privatunterricht durch seinen Vater zurückzuführen waren.166 Im Jahr 1752 wurde das Regiment nach Böhmen verlegt, wo es zwei Jahre stationiert war und ab dem 26. Juli an einem großen Manöver unter Beteiligung Kaiser Franz’ I. Stephan teilnahm.167 Sonnenfels blieb bis in das Jahr 1754 Soldat, worüber er später ausführte: Ich hatte den 160 Vgl. Sonnenfels: Herz, S. 5. 161 Vgl. Duffy: World, S. 138; zur Begründung der Beförderung: Kopetzky: Sonnenfels, S. 9. 162 Luca: Österreich: S. 147f. 163 Ebd., S. 148. 164 Treuenfest: Dienstzeit, S. 202. 165 Luca: Österreich, S. 148. 166 Vgl. Kann: Kanzel, S. 153 u. Ogris: Polizey, S. 266. Sonnenfels selbst führte diese Sprachkenntnisse später als Argument für seine Einstellung als Rechnungsführer bei der kaiserlichen Leibgarde an, vgl. Kap. 3.4. 167 Ebd., S. 203.

Dienstzeit im Regiment Hoch- und Deutschmeister

41

Dienst nicht als meine Endbestimmung ergriffen, sondern als einen Zwischenstand, wo ich ohne Erniedrigung, die Herstellung der verfallenen Umstände meines Vaters abwarten konnte.168 Die erwartete Verbesserung ergab sich im Jahr 1754: Die Angelegenheiten meines seeligen Vaters hatten während meiner Entfernung eine günstigere Wendung genommen. Er konnte mich nun wenigstens mit Kost und Wohnung unterstützen, also bewarb ich mich um meine Entlassung.169 Trotz der guten Beziehungen zu seinen Vorgesetzten war es dem Korporal aber keineswegs möglich, einfach sein Regiment zu verlassen. Er brauchte dazu die Unterstützung und Fürsprache einflussreicher Persönlichkeiten. Diese Aufgabe übernahmen sein Taufpate Fürst von Dietrichstein und die Oberhofmeisterin Maria Theresias, die Fürstin Marie Caroline von Trautson (1701–1793), derem Mann Sonnenfels während seiner Dienstzeit vorgestellt worden war.170 Er schrieb: Endlich war ich meiner Wache, meiner zehn Kreuzer Löhnung, und der Ehre ein vortrefflicher Exerzirer zu heißen, satt, und kam aus Hungarn, wohin das Regiment inzwischen verlegte worden, nach Wien.171 Obwohl er sich dort einer dem Militär fernen Karriere widmete, schrieb er immer wieder über diese fünf Jahre und betonte seine Dankbarkeit nicht nur gegenüber der Person seiner Vorgesetzten, sondern auch den Möglichkeiten, die der Dienst geboten habe: Weit entfernt, gegen den Soldatenstand irgend eine Ursache des Missvergnügens zu haben, […] habe ich vielmehr so manchen Grund, denselben ewig hoch zu achten […] in diesem Stande habe ich den Grund zu denjenigen Kenntnissen gelegt, denen ich meine Beförderung verdanke […]. Ich würde also wider eine wesentliche Pflicht handeln glauben, wenn ich einen Stand nicht schätze, dem ich viele Verbindlichkeiten habe.172 Im Gegensatz zu diesen Kenntnissen waren aber die Kontakte, welche er zu den Angehörigen des Regiments geknüpft hatte, für seinen weiteren Lebensweg von untergeordneter Bedeutung. Soldat gewesen zu sein erhöhte zwar unter Umständen sein Ansehen bei einigen, ebenfalls dem Militär verbunden Persönlichkeiten, hatte jedoch nur geringe Auswirkungen auf seinen Lebensweg, der ihn zunächst wieder an die Universität führte.

168 Sonnenfels: Herz, S. 6f. 169 Luca: Österreich, S. 149. 170 Vgl. Duffy: World, S. 138 u. Kann: Kanzel, S. 153. Sonnenfels selbst erwähnt die Fürsprache der Fürstin von Trautson lediglich in seinem früheren autobiographischen Brief, nicht aber in seiner später erschienen Schrift An mein Herz. Zur Stellung der Familie Trautson vgl: MacHardy: War, S. 162f.; Zur Fürstin selbst vgl. Haider-Pregler: Abendschule, S. 278. 171 Luca: Österreich, S. 149. 172 Sonnenfels, Joseph von: Der Mann ohne Vorurtheil, Bd. III, Wien 1765, Ndr. in: Sonnenfels: Gesammelte Schriften, Bd. 2, Wien 1783, S. 86.

42

Erste eigene Schritte

3.2 Studium der Rechte Zurück in Wien setzte Sonnenfels seine Studien fort, die er nach Abschluss der philosophischen Fakultät hatte unterbrechen müssen. Ich fieng an, mich mit Ernste auf die Iura zu verwenden, gerade in dem Jahre, wo die Studien im neuen Universitätshause eingeführet wurden.173 Mit dem Wechsel in das neue Universitätsgebäude, das ab 1755 für die juristischen Studien verwendet wurde, fand eine schon zuvor begonnene Reform des Studiums Ausdruck.174 Im Mittelpunkt der Veränderungen stand die juristische Fakultät, an der kurz zuvor neue Theorien und Lehrfächer wie das Naturrecht institutionalisiert worden waren. Dies äußerte sich in der Berufung zweier neuer Professoren, die, wie Sonnenfels schrieb, auch für ihn persönlich von Bedeutung waren: Sind Aufklärung und geläuterte Grundsätze das größte Geschenk des Lebens, so werde ich Riegern und Martini stets als diejenigen betrachten, die vorzüglich zu meiner Wohlfahrt beigetragen haben. Diese in den Jahrbüchern der Nationalerleuchtung merkwürdigen Männer lehrten mich zuerst denken. Auf ihren liebreichen Unterricht habe ich den Bau der Kenntnisse, wenn immer ich Kenntnisse besitze, als auf seine erste Beste gegründet.175 Der erstgenannte Paul Joseph Riegger (1705–1775) hatte in Freiburg und Leiden studiert und war im Jahr 1753 zum Professor für Staats- und Kirchenrecht an der Universität Wien berufen worden, wo er bis zu seinem Tode tätig war.176 Er verband naturrechtliche Denkmodelle mit dem Kirchenrecht und wurde so zu einem theoretischen Wegbereiter späterer kirchenpolitischer Reformen.177 Sonnenfels knüpfte Kontakte zu Rieggers Sohn Joseph Anton 173 Luca: Österreich, S. 150. Nur in einem Fall wird, allerdings ohne Beleg, darauf ­hingewiesen, dass Sonnenfels lediglich ein praxisnahes Kurzstudium, aber keine vollständige juristische Ausbildung absolviert habe. Vgl. Lentze, Hans: Joseph von Sonnenfels, in: Österreich in Geschichte und Literatur, Bd. 6 1972, S. 297–306, hier S. 299. 174 Vgl. Klingenstein, Grete: Despotismus und Wissenschaft. Zur Kritik norddeutscher Aufklärer an der österreichischen Universität 1750–1790, in: Engel-Jánosi, Friedrich (Hg.): Formen der europäischen Aufklärung (Wiener Beiträge der Neuzeit Bd. 3), Wien 1976, S. 126–157, hier S. 130–139 u. 153; Dickerhof, Harald: Die katholischen Universitäten im Heiligen römischen Reich deutscher Nation des 18. Jahrhunderts, in: Hammerstein, Notker (Hg.): Universitäten und Aufklärung (Das 18. Jahrhundert Supplementa Bd. 3), Göttingen 1995, S. 21–45, hier S. 26; Ders.: Aufklärung und katholisches Reich, Berlin 1977, S. 186–188 u. Seifert, Eckhart: Paul Joseph Riegger (1705–1775) (Schriften zur Rechtsgeschichte Bd. 5), Berlin 1973, S. 142–160. 175 Sonnenfels: Herz, S. 9. Das Lob, besonders für Martini, ist zu diesem Zeitpunkt (1783) sicherlich auch der Position dieses Mannes als Mitglied des Staatsrates geschuldet. 176 Vgl. Kalb, Herbert: Riegger, Paul Joseph, in: NDB, Bd. 21, S. 581–582; Palme, Rudolph: Rieg­ger, Paul Joseph, in: Brauneder, Wilhelm (Hg): Juristen in Österreich 1200–1800, Wien 1987, S. 67–70; Grundlegend: Seifert: Riegger, S. 31–226. 177 Vgl. Seifert: Riegger, S. 333–344.

Studium der Rechte

43

(1742/43–1795/97) mit dem er sich ab 1760 gemeinsam in der Deutschen Gesellschaft zu Wien engagierte.178 Der an zweiter Stelle genannte Jurist Karl Anton von Martini (1726–1800) hatte in Trient, Innsbruck und Wien studiert und war danach für die kaiserliche Botschaft in Madrid tätig. 179 Seine Berufung nach Wien erfolgte im Jahr 1754 auf Betreiben des älteren Riegger. Mit ihm hatte Sonnenfels einen reformorientierten Naturrechtler zum Lehrer, der außerdem umfangreiche Kenntnisse in der Praxis besaß. Während und nach Sonnenfels’ Studienzeit machte Martini auch außerhalb der Universität Karriere. Er trat in die Bücherzensur- und die Studienhofkommission ein und wurde 1761 von Maria Theresia zum Naturrechtslehrer des späteren Kaisers Leopolds II. ernannt. Wie auch Sonnenfels und Rieggers Sohn beteiligte er sich an den Sitzungen der Deutschen Gesellschaft. Kaiser Joseph II. berief ihn 1782 in den Staatsrat und versetzte ihn ab 1788 zur Obersten Justizstelle, deren Präsident er schließlich wurde. Der Ruf von Sonnenfels’ Lehrer ragte dabei über die Grenzen Österreichs hinaus. So schrieb 1781 der Berliner Schriftsteller Friedrich Nicolai (1733–1811) in seiner Reisebeschreibung: Martini, ein philosophischer Kopf, hat unbeschreibliche und nicht genug erkannte Verdienste um Oestreich sich dadurch erworben, dass er die Denkungsart seiner Schüler erregte, indem er philosophische Begriffe entwickelte, und dass er, indem er zuerst in Oestreich das Recht der Natur lehrte, die philosophischen Wahrheiten auf die Menschheit zurückführte.180 Die Vorlesungen beider Professoren beeinflussten die Berufsvorstellungen ihres Schülers Sonnenfels: Bey meiner ämsigen Verwendung auf die Rechte, hatte ich eine Kanzel aus diesem Fache zum Augenmerke.181 Um sich in dieser Hinsicht zu profilieren, veröffentlichte er 1757 in Kooperation mit seinem Kommilitonen Matthias Wilhelm von Haan, dem späteren Hofrat und obersten Landrichter Niederösterreichs (1737–1816) sein erstes und letztes rechtswissenschaftliches Buch mit dem Titel: Specimen Juris germanici de remediis juris, juri romano incognitis.182 178 Siehe Kap. 3.5. Zur weiteren Karriere des Joseph Anton Riegger siehe ebd., S. 113. 179 Vgl. Luca: Österreich, S. 309–313; zu Martini vgl. Neschwara, Christian: Martini, Karl Anton, in: Stolleis, Michael (Hg): Juristen. Ein biographisches Lexikon von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 2001, S. 409–411 u. Hebeis, Michael: Karl Anton von Martini (1726–1800). Leben und Werk, Frankfurt a.M. 1995. 180 Nicolai, Friedrich: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781, Berlin u. Stettin 1784, Ndr. in: Fabian, Bernhard u. Spieckermann, Marie Louise (Hg.): Friedrich Nicolai, Werke in 19 Bänden, Hildesheim 1994, Bd. 15–19, hier Bd. 16 (Bd. 3 u. 4 der Originalausgabe), S. 893. 181 Luca: Österreich, S. 151. 182 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 11. Zu Haan vgl. Kocher, Gernot: Mathias Wilhelm Vigilies von Haan 1737–1816, in: Brauneder: Juristen, S. 91–93.

44

Erste eigene Schritte

Über die weitere Verbindung Sonnenfels’ zu seinen Lehrern ist nicht viel bekannt. Selbst als Professor hatte er wenig mit beiden zu tun, da sie zunächst einer anderen Fakultät angehörten und später die Universität – im Falle Rieggers altersbedingt, im Falle Martinis zugunsten anderer Aufgaben – verließen. Auch wenn er mit mehreren Behörden, in denen letzterer tätig war, später in Beziehung stand, lassen sich jedoch kaum spezifische Verweise auf eine Beziehung zu seinem ehemaligen Lehrer ermitteln. Eine Verbindung bestand meist nur indirekt auf schriftlichem Wege, da Sonnenfels zwar nicht oft auf Martini selbst, wohl aber immer wieder auf dessen Werk in Form von Gutachten oder Reformkonzepten traf, mit denen er sich meist kritisch auseinandersetze.183 Neben seinem Studium an der Universität besuchte er die privaten Vorlesungen seines Vaters über hebräische Sprache, welche dieser für Geistliche gab.184 Sonnenfels scheint insgesamt bestrebt gewesen zu sein, während seiner Studienzeit alle sich bietenden Möglichkeiten zur Erweiterung seiner Kenntnisse zu nutzen. Dies lag sicher nicht zuletzt daran, dass die Beherrschung zusätzlicher Sprachen und eine juristische Publikation einen Vorteil bei der auf die Studienzeit folgenden unvermeidlichen Stellensuche bedeuteten.

3.3 Assistent seines Vaters und Praktikant bei der Obersten Justizstelle Nach Abschluss seiner juristischen Studien waren die außerhalb des Curriculums erworbenen Hebräischkenntnisse für den jungen Sonnenfels zunächst bedeutender als sein Examen. Er arbeitete als Assistent seines Vaters, begleitete ihn bei seinen Prozessgängen und half bei Übersetzungen von Testamenten und Verordnungen für die in Wien lebenden Juden.185 Darüber hinaus widmete er sich unentgeltlich der hebräischen Wissenschaft, erteilte Unterricht und wirkte an Publikationen seines Vaters mit:186 Ich liess mich willig finden, die weit aussehendste Wissenschaft, von welcher ich dazu kein Salarium zu hoffen hatte, auf mich zu nehmen und ich brachte es durch rastlose Anwendung dahin, dass ich meinem Vater wirklich als Interpres adjungiret, die kleine Aufmunterung eines Regierungs-Secretairs [der 183 Siehe Kap. 7.4 u. 7.6. 184 Luca: Österreich, S. 151. 185 Vgl. Ogris: Polizey, S. 267. 186 Er schrieb eine Abhandlung über die biblische Begebenheit der Ehebrecherin, welche 1758 in der Schrift seines Vaters: Controversia cum Judaeis prodromi erschien, vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 12.

Assistent seines Vaters und Praktikant bei der Obersten Justizstelle

45

n.ö. Regierung] […] aber mir dennoch versagt ward.187 Da seine Arbeit unbezahlt war und er außerdem noch den Hinweis erhielt, dass die Stelle seines Vaters nach dessen Tode nicht neu besetzt werden sollte, suchte er gleichzeitig nach zusätzlichen Qualifikationsmöglichkeiten.188 Um den Rechtspraxin nicht zu verabsäumen, arbeitete ich zwey Jahre bey dem geheimen Rath und Hofrath der obersten Justizstelle, Grafen von Hartig.189 Sonnenfels war, wie viele Absolventen der juristischen Fakultät, zunächst als unbezahlter Praktikant tätig, hoffte aber auf eine spätere Festanstellung.190 Hofrat Adam Franz von Hartig (1724–1783) war jedoch nicht im Stande oder nicht willens, seinem Praktikanten eine bezahlte Stellung zu verschaffen, und auch später lassen sich keine Hinweise auf eine Unterstützung des jungen Juristen finden. Eine mögliche Ursache dafür ist, dass Hartig oft längere Zeit als Gesandter außerhalb Wiens tätig war.191 Nach Ende des Praktikums blieb eine erneute Stellensuche vorerst ergebnislos. Sonnenfels führte dies später in seiner Autobiographie nicht ohne Selbstverherrlichung auf die Festigkeit seines Karakters zurück, die ihn gehindert habe Schleichwege zu einem Amt zu nehmen.192 Inwiefern ihm solche Schleichwege, also die Möglichkeit, durch Patronage zur erhofften Stellung zu gelangen, allerdings tatsächlich zur Wahl standen, ist nicht zu ermitteln, war er doch im Gegensatz zu seinem Bruder weniger eng an das Haus Dietrichstein gebunden. Es ist durchaus möglich, dass Sonnenfels in seiner späteren Autobiographie seine entschiedene Ablehnung besonders hervorhob, um dem Zeitgeist der Aufklärungsbewegung entsprechend zu betonen, dass nur Verdienst und Leistung der Weg zu einer Anstellung sein sollten. Diese Vermutung wird dadurch gestützt, dass er an anderer Stelle offen einen Mangel an Beziehungen zu einflussreichen Persönlichkeiten als Grund für seine Arbeitslosigkeit benennt.193 Auch sein späteres Verhalten legt nahe, dass er beleibe kein Problem darin sah, protegiert zu werden. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch seine vielschichtige Ausbildung und seine Beziehungen nicht ausreichend, um ihm zum Erfolg zu verhelfen. So 187 AVA StudHK, Kart. 16, Konv. Polizei u. Ca[mer]alwissenschaften 19 ex 1763, Fol. 24r.– 30v. Brief von Sonnenfels an Maria Theresia über seine bisherige Verwendung vom Juni 1763. 188 Ebd. 189 Luca: Österreich, S. 151. 190 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 12; zur Obersten Justizstelle vgl. Kocher, Gernot: Höchstgerichtsbarkeit und Privatrechtskodifikation. Die oberste Justizstelle und das allgemeine Privatrecht in Österreich von 1749–1811, Wien, Köln u. Graz 1979, S. 19–31. 191 Vgl. Blaas, Richard: Familienartikel Hartig, in: NDB, Bd. 7, S. 713. 192 Vgl. Sonnenfels: Herz, S. 9. Zu Sonnenfels’ Stellensuche vgl. die humorvollen autobiographischen Anekdoten bei Luca: Österreich, S. 154–156. 193 Sonnenfels: Herz, S. 9.

46

Erste eigene Schritte

schrieb er rückblickend: in meinem 28ten Jahre, da ich auswärts als Verfasser einiger nicht ohne Beyfall gelesenen Auffsätze schon sehr bekannt war, konnte ich mit meinen Sprachen und Kenntnissen bey keiner Stelle als Accessist [niedriger Assistentenrang, oft nur Interimsbeamter], bey keinem Rathe als Praktikant ankommen.194

3.4 Rechnungsführer der Leibgarde und neue Kontakte Nachdem er zwei Jahre lang ohne Einkommen gelebt hatte, sah Sonnenfels sich genötigt, seine Ansprüche zu senken: Bey den sehr gemäßigten Einkünften meines Vaters konnte ich es nicht verkennen, dass ihm der Unterhalt eines 28 jährigen Sohnes sehr zur Last fiel: ich entschloss mich daher zu allem, was sich anbieten würde, nur ihn dieser Last zu entledigen.195 Ein Angebot ließ zum Glück nicht mehr lange auf sich warten. Der Kommandant der kaiserlichen Leibgarde zu Wien, der altgediente Feldmarschall Ferdinand Karl Graf von Aspremont-Lynden (1690–1772), hatte Maria Theresia über die gestiegenen Anforderungen an die Schriftführung seiner Einheit informiert: Daher ist es nothwendig die Compagnie mit einem eigenen Fourier, der die Schrift zu besorgen und die Rechnung zu führen hat, zu versehen.196 Die Kaiserin entsprach dieser Bitte und forderte den Feldmarschall auf, geeignete Kandidaten zu nennen, die in Unserem Kriegsdienste als Ober- und Unteroffiziers sich verdient gemacht.197 Lynden sandte daraufhin nur einen einzigen Bewerber zum Vorstellungsgespräch beim Obersthofmeister Anton Graf von Ulfeld (1699–1760). Dieser Bewerber war Sonnenfels, der durch Bekannte im Militärdienst früher als mögliche Konkurrenten über die offene Stelle informiert worden war.198 Der Obersthofmeister Graf Ulfeld, schrieb kurz vor seinem Tode über das Ergebnis dieses Gesprächs an die Kaiserin, er habe mithin zur Fourierstelle einen feinen jungen Menschen namens Josef von Sonnenfels wegen seiner guten Eigenschaften vorzüglich tüchtig befunden […] Des Vater wird in dem Griechischen, Hebräischen und Chaldaischen als Translatir, wie Eur. Kais. Königl. Apostol. Maj. allergnädist bekannt sein dürfte, ohne ein fixiertes Salario gebrauchet. Der 194 Luca: Österreich, S. 159. 195 Ebd. 196 Kopetzky: Sonnenfels S. 19; bei Kann: Kanzel, S. 155 wird darauf hingewiesen, dass dieser Offizier früher Sonnenfels’ Vorgesetzter gewesen sei. Ein Beleg dafür wird aber nicht gegeben. Bei der Leibgarde handelte es sich um die Hartschierengarde, die angesichts mangelhafter Organisation 1763 als kaiserliche Arcierengarde neu strukturiert wurde. 197 Kopetzky: Sonnenfels, S. 20. 198 Sonnenfels: Herz, S. 9.

Rechnungsführer der Leibgarde und neue Kontakte

47

Supplicant aber ist einer mündlichen Versicherung nach nicht nur sothaner ersterwähnter 3 nebst der deutschen, lateinischen, französischen, böhmischen und etwas auch der italienischen kundig, sondern wendet sich nunmehr auch auf die Erlernung des Englischen an und hat über dieses die rühmlichsten, schriftlichen Zeugnisse von seinen vollzogenen Studiis Juridicis darzuweisen.199 Als Gehalt seien für diese Stelle 356 Gulden und ein Hofquartier inklusive Heizungsgeld vorgesehen. Obwohl dieser Betrag keineswegs eine ausreichende Versorgung ermöglichte, trat Sonnenfels die Stelle mit kaiserlicher Bewilligung vom 1. Mai 1761 an.200 In seinen autobiographischen Schriften betonte er wiederholt, dass er diese Stellung als Ende seiner Karriere angesehen habe und fürchtete, trotz seiner vielfältigen Kenntnisse niemals eine höhere Position zu erhalten.201 Wenn seine Ausführungen in diesen Schriften auch als stilistisches Mittel dienen, um die darauf folgende positive Wendung noch stärker hervortreten zu lassen, so ist angesichts seiner Überqualifikation und der schlechten Bezahlung sicher von einem wahren Kern auszugehen. Es war jedoch gerade diese aus Notwendigkeit angetretene Arbeit, die Sonnenfels seine bemerkenswerte Karriere ermöglichte. Sie war die Grundlage eines Netzwerks, das ihm zahlreiche neue Optionen eröffnete und schließlich ermöglichte, seine Talente und Kenntnisse in eine Anstellung umzuwandeln. Durch seine Tätigkeit als Fourier, so schrieb er, gewann ich den Zutritt in dem Hause des Generalen Freyherren von Petrasch, welcher bey der Garde erster Leutenant war.202 Zwischen dem Rechnungsführer und dem kulturell interessierten General Johann Gottlieb von Petrasch (1708– 1792) entwickelte sich rasch eine freundschaftliche Beziehung, welche der Ranghöhere auch auf den privaten Bereich ausdehnte.203 Die würdigste Gattin, die liebreiche Familie ahmten sein Betragen gegen mich nach.204 Ich war in dem Schooße dieser liebenswürdigen Familie gleichsam einer der Ihrigen, ein Freund der Aeltern, ein Bruder der Kinder.205 Dabei bot sich ihm Gelegenheit, sich in der nötigen Etikette für den Umgang mit Angehörigen des Hochadels zu üben, die im Hause seines Freundes verkehrten. Ernst Gottlieb von Petrasch entstammte nicht nur einer angesehenen Offiziersfamilie 199 Kopetzky: Sonnenfels, S. 21. Ulfeld starb am 31. Dezember 1760. Der Bericht erreichte Maria Theresia erst im folgenden Jahr. 200 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 22. 201 Vgl. Sonnenfels: Herz, S. 10 u. Luca: Österreich, S. 160. 202 Luca: Österreich, S. 161. 203 Vgl. Haider-Pregler: Abendschule, S. 317–322 u. Dies.: Schaubühne, S. 194. 204 Sonnenfels: Herz, S. 10. 205 Luca: Österreich, S.  161; vgl. zu seiner Person auch Wurzbach: Lexikon, Artikel Joseph Petrasch, Bd. 22, S. 106–109.

48

Erste eigene Schritte

– sein Vater Ernst Anton und sein Onkel Maximilian waren Generäle, letzterer sogar persönlicher Adjutant des Prinzen Eugen – sondern war dem Erzhaus auch auf andere Weise verbunden.206 Er hatte Elisabeth von Fritz, eine der bevorzugten Kammerfrauen Maria Theresias, geheiratet, und so seine 1760 erfolgte Beförderung zur Leibgarde erhalten.207 Diese Beziehung zur kaiserlichen Familie brachte ihm auch den Auftrag, bei Feierlichkeiten Feuerwerke ausrichten zu lassen. Petrasch veranstaltete speziell für die zweite Hochzeit des Thronfolgers Joseph eines der spektakulärsten Feuerwerke seiner Zeit. Die aus der Bekanntheit und Tätigkeit seiner Frau stammenden Beziehungen nutzte der Freiherr nun zugunsten seines jungen Freundes: Seine warme tätige Freundschaft bewarb sich überall für mich, suchte mir überall Gönner, leitete mich in allen Vorfällen durch seinen Rath, bemühte sich beständig die Gelegenheit zu vervielfältigen, wodurch ich bekannt werden möchte.208 Petrasch engagierte sich wie auch Sonnenfels und dessen ehemalige Professoren in der Deutschen Gesellschaft zu Wien.209 Er motivierte den jungen Rechnungsführer, sich in Fragen des Theaters kundig zu machen und sich als Schriftsteller zu versuchen. Diese Bemühungen unterstützte er, indem er Sonnenfels, der als Bühnenautor völlig unbekannt war, den Auftrag verschaffte, ein kleines Theaterstück für die kaiserliche Familie zu verfassen.210 Das Werk, ein Schäferspiel mit dem Titel das Opfer, sollte von den Prinzen und Prinzessinnen am Geburtstag der Kaiserin am 13. Mai 1761 aufgeführt werden. Sonnenfels bemerkte dazu: Die Zahl der Personen wurde vorgeschrieben (4). Die Vorstellung durfte eine Viertelstunde nicht überschreiten. Die Handlung musste dem zarten Alter der spielenden Personen […] angemessen sein. […] Gleichwohl gab man dem Verfasser kaum zwei Tage zur Ausführung.211 Er fertigte das Stück fristgerecht an und machte auf diese Weise seinen Namen der kaiserlichen Familie erstmals bekannt. Darüber hinaus schrieb Sonnenfels auf Empfehlung Petraschs einen Brief an den Freyherren Egid Valentin von Borié, einem Mitglied des ranghöchsten Beratergremiums der Erblande, des Staatsrates.212 In diesem Schreiben berief er sich auf Boriés Ruf, junge Talente zu fördern und sowohl zu ihrem 206 Vgl. Wurzbach: Petrasch. 207 Vgl. Vehse, Eduard: Geschichte des österreichischen Hofes, 11 Bde. Hamburg 1859, Bd. 8, S. 30f. 208 Luca: Österreich, S. 162. 209 Zu Petraschs Engagement für das deutsche Theater siehe Haider-Pregler: Schaubühne, S. 194. 210 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 24. 211 Sonnenfels, Joseph von: Das Opfer, ein Schäferspiel, in: Gesammelte Schriften Bd. 9, Wien 1786. 212 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 26f. u. Luca: Österreich, S. 162.

Rechnungsführer der Leibgarde und neue Kontakte

49

eigenen, als auch zum Wohle des Staates zu unterstützen. Er legte Proben seiner inzwischen erstellten Versuche als Schriftsteller bei. Nachträglich führt er aus, dass diese sicherlich keinen so guten Eindruck hinterlassen hätten, wenn sie dass Zeugnis, das Freiherr von Petrasch meiner Aufführung und Denkungsart gab, nicht unterstützt hätte.213 Der Freiherr von Borié, 1719 in Vorderösterreich geboren, war 1754 zunächst als Reichshofrat von Würzburg nach Wien berufen worden und über eine Stellung als Reichsreferendar mit Unterstützung des Grafen Kaunitz in den Staatsrat aufgestiegen.214 Hier setzte er sich als eines der aktivsten Mitglieder besonders für eine Politik der größtmöglichen Bevölkerungsvermehrung ein und vertrat diesbezüglich Theorien, welche unter dem Stichwort des Populationismus gefasst wurden.215 Sonnenfels machte sich rasch den zentralen Lehrsatz, dass ein Mehr an Bevölkerung in jeder Hinsicht ein Vorteil für den Staat sei, zu eigen und vertrat diese Theorie bis zum Ende seines Lebens.216 Ihn und Borié verband darüber hinaus die methodische Vorliebe, theoretische Modelle in einfache Lehrsätze mit verständlicher Sprache zu kleiden. Es kam zu Gesprächen, in denen der Staatsrat ihn näher kennenlernte: Er gab sich die Mühe […] die Anlage eines jungen Menschen auszuforschen, und wozu er tauglich seyn dürfte zu beurtheilen.217 Borié, der bereits von der Notwendigkeit einer Lehrkanzel für Aspekte der Polizey- und Kameralwissenschaften überzeugt war, fand in Sonnenfels einen begeisterungsfähigen Kandidaten. Bereits 1762 ermutigte er ihn, sich mit den grundlegenden Theorien und den bekanntesten Autoren dieser Wissenschaften zu beschäftigen und sich als Autor von kleineren Beiträgen und Denkschriften zu versuchen. Eine dieser Denkschriften, welche die Notwendigkeit eines Lehrstuhls für Polizey- und Kameralwissenschaften behandelte, übergab der Staatsrat dann der Kaiserin.218 Dass der junge Rechnungsführer dabei den Ansichten seines Gönners treu folgte, ist anzunehmen. Dieser besaß schließlich die Möglichkeit, ihn für eine lebenslange Festanstellung zu empfehlen. Hinweise auf eine Freundschaft zwischen ihnen, wie zwischen Sonnenfels und Petrasch, sind trotz ähnlicher Neigungen nicht 213 Sonnenfels: Herz, S. 12. 214 Muzik, Peter: Egid Valentin Felix Freiherr von Borié (1719–1793). Leben und Werk eines österreichischen Staatsmannes, Diss. Wien 1973, S. 68; Wurzbach: Lexikon, Artikel Borié, Bd. 2 1857, S. 66f. u. Klingenstein, Grete: Between Mercantilism and Physiocracy. Stages, Modes and Functions of economic Theory in the Habsburg Monarchy 1748–1763, in: Ingrao, Charles: State and Society in Early modern Austria, West Lafayette 1994, S. 181–213, hier S. 183. 215 Vgl. Muzik: Borié, S. 71 u. 76f. 216 Osterloh: Reformbewegung, S. 31. 217 Luca: Österreich, S. 164. 218 Muzik: Borié, S. 89.

50

Erste eigene Schritte

vorhanden. Dies unterstreicht, wie außergewöhnlich die Freundschaft zwischen Sonnenfels und seinem Kommandanten war, für die er ihm im Laufe seines Lebens immer wieder seine Dankbarkeit aussprach.219

3.5 Die Deutsche Gesellschaft zu Wien Am 2. Januar 1761 hielt Sonnenfels bei der feierlichen ersten Versammlung der Deutschen Gesellschaft zu Wien im Haus seines ehemaligen Professors Paul Joseph Riegger eine Rede zur Eröffnung dieser neuen Sozietät.220 In den folgenden Jahren engagierte sich der junge Rechnungsführer in diesem Zirkel ehrenamtlich als Redner, Schriftsteller und Sprachkritiker, wobei er in Kooperation und Kontakt mit zahlreichen Gleichgesinnten trat. Dadurch wurde ihm ein erstes Forum geboten, um sich unter Intellektuellen der theresianischen Zeit zu positionieren und Kontakte zu pflegen. Aufgrund einer überaus schlechten Überlieferung wurde diese Vereinigung von der bisherigen Forschung überwiegend im Rahmen von Exkursen und Anmerkungen behandelt, obwohl ihre Bedeutung für die kulturelle Entwicklung der Erblande nicht in Zweifel gezogen wird.221 Im Rahmen einer Darstellung der Netzwerke und Beziehungen Sonnenfels’ kann dementsprechend auf eine Schilderung ihrer Organisation und Mitgliederschaft nicht verzichtet werden. Literarischen Niederschlag fand sie vornehmlich durch die Reden Sonnenfels’ von denen die erste, da sie Ziel und Ideale der Sozietät beschreibt, hier kurz besprochen wird. Sie beginnt mit einem Verweis auf das Motiv der neuen Vereinigung: Da alle Landschaften Deutschlands sich mit einer ruhmwürdigen Nacheiferung bestreben, das Gebiet des guten Geschmacks in unsrer Muttersprache zu erweitern: so dörfen wir es nicht verhöhlen, dass wir dessen Verbreitung auch in unseren Gegenden wünschen.222 Sonnenfels verweist zunächst auf angebliche Befürchtungen Außenstehender und 219 Wurzbach, Lexikon: Bd. 22, S. 109. Petrasch zog später nach Ungarn und lebte dort auf Familiengütern. Dies erklärt, warum er ab den späten sechziger Jahren keinen Einfluss mehr auf Sonnenfels’ Karriere nahm. 220 Sonnenfels, Joseph von: Ankündigung einer deutschen Gesellschaft in Wien. In der ersten feyerlichen Versammlung den 2. Jänner 1761 abgelesen von Joseph edeln von Sonnenfels, Wien 1761. Zum Begriff der Sozietät vgl. Zaunstöck/Meumann: Sozietäten. 221 Es gibt keine eigene Überlieferung dieser Gesellschaft und nur wenige Hinweise in der zeitgenössischen Publizistik und den Nachlässen ihrer Mitglieder. Vgl. zur Übersicht Haider-Pregler: Abendschule, S. 328–330; Dies.: Schaubühne, S. 193f. u. Klingenstein, Grete: Johann Daniel Schöpflin und Wien, in: Vogler, Bernard u. Voss, Jürgen (Hg.): Strasbourg, Schoepflin et l’Europe au XVIIIe siècle, Bonn 1996, S. 128–162, hier S. 157f. 222 Sonnenfels: Ankündigung, S. 3.

Die Deutsche Gesellschaft zu Wien

51

führt dann aus: Wir werfen uns unter dem Namen der deutschen Gesellschaft nicht etwann zu Sprachtyrannen auf, die mit einem gebietrischen Stolze ein ganzes Volk nach ihren Gesetzen, oder nach ihrem Eigendünkel umgestalten wollen.223 Ziel sei es vielmehr, durch Vorbild in Wort und Schrift auf die Vorzüge einer guten deutschen Sprache hinzuweisen. Jedwede Kritik gegen solch ein Projekt sei Ausdruck von Leuten, welche selbst kaum Deutsch sprechen könnten und von den Vorzügen fremder Sprachen überzeugt seien, obwohl sie Deutsche sind.224 Diesen angeblichen Vorzug widerlegt Sonnenfels, indem er in seiner Argumentation geschickt die Verwendung von gutem Deutsch der von schlechtem Französisch gegenüberstellt.225 Unter diesen Umständen sei in der Muttersprache ein emotionalerer Ausdruck möglich, die Verteidigung vor Gericht einfacher, das Schreiben beschleunigt, das Vermischen von Sprachen werde vermieden und als deutscher Gelehrter käme man außerdem einer moralischen Pflicht zur eigenen Sprache nach. Die deutsche Sprache solle daher das zentrale Verständigungsmittel in den Erblanden sein. Im Zuge der Rede wird deutlich, dass seine Ausführungen weniger gegen das lokal gebräuchliche Tschechisch oder Ungarisch gerichtet sind, als vielmehr gegen die Verwendung von Französisch und Italienisch in den deutschsprachigen Ländern der Habsburgermonarchie. Im Schlusswort wird die angeblich schwere aber lohnende Aufgabe der Verbesserung der Sprache in Wien laut Sonnenfels schließlich zur Sache aller Wissenschaften und Künste: sie ist die Sache Deutschlands selbst.226 Die Frage, wem die Gründung der auf diese Weise beschriebenen Sozietät zuzuschreiben sei, wird in den Quellen auf zwei Weisen beantwortet. Entweder Professor Paul Riegger, gemeinsam mit seinem Sohn Joseph Anton, oder aber der Professor für Naturrecht Karl Anton von Martini werden als Hauptfigur genannt.227 Sonnenfels selbst schrieb darüber: ich ward vom Hern. Von Riegger, Regierungsrath und Professor zu Freyburg, der eigentlich als der Urheber davon angesehen werden muss, zum Beytritt eingeladen.228 Vorbild 223 Ebd., S. 5. 224 Ebd., S. 9. u. S. 13. Gegenargumente oder Kritik in einer leicht zu widerlegenden Form in eine eigene Darstellung aufzunehmen, um sie dann souverän zu entkräften, ist eine häufig angewandte Methode Sonnenfels’. 225 Ebd., S. 15–21. 226 Ebd., S. 22. 227 In den genannten Darstellungen wird mehrheitlich einer der beiden Herren Riegger als Urheber genannt. Lediglich Friedrich Nicolai verweist auf Martini, vgl. Nicolai: Beschreibung, S. 893. 228 Luca: Österreich, S. 153. Gemeint ist der jüngere Riegger, der zur Zeit der Entstehung des Briefes nach Freiburg berufen war. Dessen Vater war inzwischen bereits verstorben und Sonnenfels verzichtete auf die sonst von ihm für Verstorbene verwendete Formulierung seelig (!).

52

Erste eigene Schritte

der neuen Sozietät war zunächst wahrscheinlich jene Deutsche Gesellschaft, welche Johann Christoph Gottsched 1731 in Leipzig geformt hatte und deren Leistungen allgemein anerkannt waren.229 Sie war in den folgenden Jahrzehnten bereits im Umfeld vieler protestantischer Universitäten des Reiches nachgeahmt worden, so dass die Wiener Gesellschaft lediglich innerhalb des katholischen Österreichs als Novum betrachtet werden kann. Darauf verweist auch der Berliner Verleger Friedrich Nicolai in seiner Reisebeschreibung überspitzt: Das ganze übrige Deutschland, welches damals schon seit zwanzig Jahren mit deutschen Gesellschaften angefüllet war, merkte nicht auf die in Wien.230 Für diese Gesellschaften war ein Miteinander von Studenten, Lehrern und beruflich etablierten Absolventen typisch, bei dem jeder selbstverfasste Texte vorlesen und sich der Kritik der anderen stellen musste. Sprache und Stil der Mitglieder wurden so verbessert und eine Auswahl ihrer Werke veröffentlicht, die durch ihr Beispiel Einfluss auf den Sprachstil der Umwelt nehmen sollten.231 Die unter Beteiligung Sonnenfels’ erfolgte Gründung war allerdings nicht der erste Versuch zur Förderung der deutschen Sprachkultur in Wien. Bereits in den späten vierziger und fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts hatte es dort Bemühungen zu einer Reform der Schriftsprache gegeben.232 Eine zentrale Figur war dabei der Schriftsteller und Sekretär der niederösterreichischen Stände Franz Christoph Scheyb (1704–1777). Er stand in Korrespondenz mit Gottsched und berichtete dem sächsischen Gelehrten aus Wien.233 Gottsched kam im Jahr 1749 sogar persönlich nach Wien und 229 Zur Geschichte und Arbeitsweise dieser Gesellschaft: Vgl. Döring, Detlef: Die Geschichte der deutschen Gesellschaft in Leipzig. Von der Gründung bis in die ersten Jahre des Seniorats Johann Christoph Gottscheds (Frühe Neuzeit Bd. 70), Tübingen 2002. Zur Leitung Gottscheds siehe S. 105–228. Zur Vorbildfunktion dieser Gesellschaft: Vgl. Seidel, Robert: Zur Einleitung: Neue Wege in der Sozietätsgeschichte, in: Zaunstöck/Meumann: Sozietäten, S. 42–53, hier S. 46; Im Hof, Ulrich: Das gesellige Jahrhundert: Gesellschaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung, München 1982, S. 125 u. Dülmen, Richard van: Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland, Frankfurt a.M. 1986, S. 43f. 230 Nicolai: Beschreibung, S. 899. 231 Vgl. Seidel: Sozietätsgeschichte, S. 46f. 232 Vgl. Wiesinger, Peter: Die Reform der deutschen Schriftsprache unter Maria Theresia. Ziele – Durchführung – Wirkung, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich, Bd. 17 2002, S. 131–140, hier S. 131–135 u. Pawel, Jaro: Die literarischen Reformen des 18. Jahrhunderts in Wien, Wien 1881, S. 21–23, der auf eine Wienreise Gottscheds 1749 verweist. 233 Vgl. Klingenstein: Schöpflin, S. 155–159; Haider-Pregler: Abendschule, S. 274–302 u. Wangermann, Ernst: Maria Theresia. A reforming Monarchy, in: Dickens, Arthur G. (Hg.): The Courts of Europe. Politics Patronage and Royalty 1400–1800, London 1977, S. 283–303, hier S. 300.

Die Deutsche Gesellschaft zu Wien

53

plante dort die Gründung einer Akademie der Wissenschaften. Dieser Plan wurde zwar nie umgesetzt, doch die Bestrebungen führten zur Gründung einer Professur für Beredsamkeit am Theresianum. Erster Inhaber wurde der aus Sachsen stammende protestantische Kameralist Johann Heinrich Gottlob von Justi (1720–1771), der Wien bereits 1753 wieder verlies. Der Ausbruch des Siebenjährigen Krieges verzögerte danach weitere Reformen, während sich Männer wie Scheyb, Sonnenfels’ Förderer Petrasch und der in Sachsen ausgebildete Professor für Wohlredenheit am Theresianum Joseph Heinrich von Engelschall (1724–1776) weiterhin ohne offiziellen Auftrag der Verbesserung der deutschen Sprache widmeten. Im Jahr 1761 erhielt die Reformbewegung mit der Gründung der Deutschen Gesellschaft neuen Schwung. So kamen erfahrene Schriftsteller und Sprachreformer mit jüngeren Kollegen im Hause Rieggers zusammen, um Sonnenfels’ Eröffnungsrede zu hören. Für seine Aufgabe als Redner hatte sich der junge Rechnungsführer durch seine zuvor unternommenen Versuche als Autor und sein rhetorisches Talent qualifiziert, das den beteiligten Professoren schon während seines Studiums aufgefallen war.234 In seinen autobiographischen Schriften nennt er rückblickend zwei Gründe für die literarischen Ambitionen, die zu seinem Eintritt in diese Gesellschaft führten: Erstens habe er bei seinen Studien zufällig eine Rezension Friedrich Nicolais in dessen Briefen die neueste Literatur betreffend gelesen, in der behauptet worden sei, dass Österreich keinen Schriftsteller hervorgebracht habe der die Aufmerksamkeit des übrigen Deutschland verdienet hätte und dass es diesem Land an gutem Geschmack fehle.235 In betont patriotischer Empörung habe er sich augenblicklich der Schriftstellerei als Lebensziel gewidmet, um den Kritiker zu widerlegen. Gerade die österreichischen Historiker des 19. Jahrhunderts widmeten dieser Begründung vor dem Hintergrund des für sie präsenten deutschen Dualismus besondere Aufmerksamkeit. Hieran darf aber aus zwei Gründen gezweifelt werden.236 Zum einen erschien die genannte Rezension erst 1761, nachdem Sonnenfels bereits in der Deutschen Gesellschaft tätig war, so dass sie keinen Grund für seinen Beitritt darstellen konnte; zum anderen galt die negative Rezension einer Abhandlung seines Freundes Ernst Gottlieb von Petrasch, die er als Vorwort der Tragödie Penelope veröffentlicht hatte.237 Nicolais Kritik an den dort gemachten Vorschlägen für eine Reform des The234 Vgl. Luca: Österreich, S. 159. 235 Lessing, Gotthold Ephraim von, Mendelssohn Moses u. Nicolai, Friedrich (Hg.): Briefe die neueste Literatur betreffend, Bd. 1–24, Berlin 1759–1765, hier Bd. 11 Brief Nr. 203 von 1761, S. 322–326. Für Sonnenfels’ Darstellung vgl. Luca: Österreich, S. 152. 236 Zur kritischen Betrachtung: Haider-Pregler: Schaubühne, S. 193. 237 Ebd., S. 193f.

54

Erste eigene Schritte

aters traf daher einen Mann, den Sonnenfels zeitlebens als seinen Freund bezeichnete. Im Gegensatz zur dieser angeblich patriotischen Motivation erscheint der zweite Grund für sein schriftstellerisches Engagement pragmatischer. Angesichts der erwähnten Komplikationen bei seiner Stellensuche und seinem Wunsch, nicht länger Rechnungsführer zu bleiben, bemerkte er: und nun sah ich rings herum und in allen Gattungen von Wissenschaften und Kenntnissen sah ich geschickte Leute, die ich zu Mitbewerben haben würde: das Feld der Literatur allein lag vor mir öde und unbearbeitet […]. Wenigstens aber sah ich, dass ich unter meinen Landsleuten nicht häufige Mitbewerber fände, wenn ich in der deutschen Literatur etwas Unterscheidendes geleistet haben würde.238 Die Literatur erschien also als das einfachste Mittel zur dringend gesuchten neuen Anstellung. Welche Wirkung diese beiden Motive jeweils auf Sonnenfels hatten, lässt sich zwar nicht in Quellen ermitteln, aber unabhängig vom Grund seines Engagements zeigten sich schon bald erste Erfolge. Das Ankündigungsschreiben erregte die Aufmerksamkeit der Deutschen Gesellschaft in Leipzig, wo es in voller Länge und mit der Anerkennung und den Glückwünschen Gottscheds publiziert wurde.239 Diese öffentliche Wertschätzung machte Sonnenfels im übrigen Deutschland bekannt. Dennoch erreichte seine Rede die Wahrnehmung des Berliner Kreises um Friedrich Nicolai – den zweiten Pol der damaligen literarischen Welt – erst über ein französisches Journal.240 Dieser Umweg führte dazu, dass erst 1763 eine Rezension in Nicolais gegenüber Österreich sonst eher kritischen Zeitung erschien: in Wahrheit, die Hrn. Mitglieder der neuen Gesellschaft müssen uns das Vorurtheil, das wir wider die ihrige gehabt haben, verzeihen; sie haben uns auf eine büntige und unerwartete Art widerleget, und wenn alle Mitglieder dem edlen Dolmetscher ihrer Empfindungen gleichen, so versprechen wir uns von dieser Gesellschaft mehr, als von allen Deutschen Gesellschaften bey uns und neben uns: Es brauchet nur ein oder zwey gute Genies, die eine Nation auf einmal erleuchten können: es braucht nur einen Sonnenfels.241 Der junge Rechnungsführer war durch die Anerkennung sowohl der Leipziger, als auch der Berliner Rezensenten nun ein berühmtes Mitglied der 238 Luca: Österreich, S. 155. 239 Haider-Pregler: Abendschule, S. 328. 240 Nicolai: Beschreibung, S. 899. Zum beginnenden Konflikt der Leipziger und Berliner Reformer vgl. Wolf, Norbert Christian: Polemische Konstellationen: Berliner Aufklärung, Leipziger Aufklärung und der Beginn der Aufklärung in Wien (1760–1770) (21.08.2005). In: Goethezeitportal. URL: (Zugriff am 20.07.2009). 241 Nicolai, Friedrich (Hg.): Bibliothek der schön Wissenschaften und freyen Künste, Bd. 9, 1763, S. 75–91.

Die Deutsche Gesellschaft zu Wien

55

neuen Gesellschaft. Diese war aber keineswegs nur die Bühne ihres jungen Redners, sondern vielmehr ein Forum der Wiener Gelehrten der theresianischen Zeit. Bezüglich ihrer Mitglieder werden in Ermangelung einer Liste in der Literatur verschiedene Angaben gemacht, die jeweils nur wenige Namen umfassen.242 Dennoch lässt sich aber eine Unterscheidung zwischen zwei Gruppen ausmachen, die beide aus dem universitätsnahen Milieu stammten.243 Die erste umfasste ältere und beruflich etablierte Männer, wie Sonnenfels’ Professoren Riegger und Martini, die genannten Sprachreformer Petrasch, Engelschall und Scheyb sowie den von Scheyb geförderten Johann Gottlieb Quand und Joseph von Sperges (1725–1791), damals noch Archivar in der Staatskanzlei.244 Scheyb korrespondierte noch immer mit Gottsched über Sprachreformen, so dass er ein Bindeglied zu dessen Leipziger Zirkel darstellte, an dem sich die erste Gruppe primär orientierte.245 Die zweite Gruppe bestand hingegen aus jüngeren Schriftstellern, die sich entweder wie Sonnenfels Anfang 1761 noch auf Stellensuche befanden oder wie Rieggers Sohn gerade ins Berufsleben eingetreten waren. Viele von Ihnen hatten bei Riegger senior und Martini studiert. Zu ihnen gehörten unter anderem der gerade zum Gerichtschreiber ernannte Franz Joseph Bob (1733–1802), der aus dem Jesuitenorden ausgetretene arbeitslose Ignaz von Born (1742–1791), der angehende Zensor Konstantin Franz Florian Khauz (1735–1797) – ein Neffe Scheybs –, der Verlagskorrektor Christian Gottlob Klemm (1736–1811) und Franz Heufeld (1731–1795) damals Sekretär eines Generalfeldzeugmeisters.246 Diese Männer schienen im Laufe der Jahre eher die Anerkennung des jungen Berliner Kreises um Nicolai und Mendelssohn zu suchen, als die der älteren Leipziger Reformer um Gottsched.247 Dass einige der jungen Mitglieder später als Professoren, Hofräte oder Autoren 242 Solche Kurzlisten finden sich in den Quellen bei Luca: Österreich, S. 451 u. Nicolai: Beschreibung, S. 894–897; in der Literatur bei Haider-Pregler: Schaubühne, S. 193; Reinalter: Born, hier S. 119; Kopetzky: Sonnenfels, S. 13 u. Rosenstrauch-Königsberg, Edith: Freimaurerei im josephinischen Wien. Aloys Blumauers Weg vom Jesuiten zum Jakobiner, Wien 1975, S. 15. 243 Vgl. Haider-Pregler: Abendschule, S. 329. 244 Ebd., S. 328. Vgl. zu Sperges: Pascher, Franz: Joseph Freiherr von Sperges auf Palenz und Reisdorf 1725–1791, Diss. Wien 1965, hier S. 18–27; zu Scheyb: Klingenstein: Schöpflin, S. 155–159 u. zu Engelschall: Brosche: Theater, S. 31. 245 Klingenstein: Schöpflin, S. 155–158. 246 Bei dem Feldzeugmeister handelt es sich um Baron Helfreich, vgl. Rieder, Heinz: Heufeld, Franz in: NDB, Bd. 9, S. 40. 247 Klingenstein: Schöpflin, S. 155–158; nach Haider-Pregler: Schaubühne, S. 193f. liegt in dieser unterschiedlichen Ausrichtung die Ursache für die kurze Lebensdauer der Deutschen Gesellschaft zu Wien.

56

Erste eigene Schritte

bedeutende Stellungen in der Wiener Gesellschaft einnehmen sollten, war damals nicht abzusehen. Ihr Motiv zur Teilnahme an der Deutschen Gesellschaft war daher neben den proklamierten Idealen durchaus die Hoffnung auf literarischen Ruhm und damit verbundenes Einkommen. Sonnenfels bemerkte: Diese Gesellschaft hätte nützlich werden können, wenn sie Unterstützung, und jedes Mitglied nicht die voreilige Begierde gehabt hätte, seine Versuche im Drucke zu sehen.248 Keinem anderen Mitglied gelang es jedoch, innerhalb der Sozietät eine Stellung einzunehmen, welche mit seiner vergleichbar war oder ähnliche Anerkennung zur Folge hatte. Dennoch waren die Übrigen keineswegs untätig. Dies galt besonders für Klemm, der mit Unterstützung Heufelds Die Welt als erste österreichische Wochenschrift herausgab, an der sich auch Sonnenfels und andere Mitglieder der Gesellschaft mit kleineren Beiträgen beteiligten.249 Die beiden Herausgeber setzten sich zu Beginn der sechziger Jahre für eine Reform der Sprache an den Wiener Theatern ein und führten die Gedanken des Freiherren von Petrasch und des Professor Engelschall fort, die sich bereits seit Jahren mit der Bedeutung des Theaters für die Schaffung einer höheren Sprachkultur in Wien beschäftigten.250 Petraschs Unterstützung galt aber weiterhin vornehmlich Sonnenfels, der über seinen Förderer berichtete: In diesem Hause schrieb ich meine Rede auf Marien Theresien, in diesem Hause las ich sie in einer zahlreichen Versammlung angesehener Männer, die Petrasch seines Günstlings wegen zusammengebeten hatte.251 In dieser Rede, welche der junge Autor anlässlich des 45. Geburtstags der Monarchin am 13. Mai 1762 verlas, widmet er sich einem ausführlichem Lob der Kaiserin und zahlreichen Danksagungen für ihre Herrschaft, wobei er besonders ihren friedlichen und auch freiheitlichen Charakter betont: wir erhielten eine Prinzessin, die mit allen Vorzügen des männlichen, die Reize ihres Geschlechts vereiniget, und durch den Sanftmut den Ernst der Majestät gemäßigter, liebenswürdiger gemacht hat. […] die Macht nicht auf Knechtschaft sondern auf Gehorsam, nicht auf Zwang und Schrecken, sondern auf die Liebe ihrer Unterthanen gründet. […] wir erhielten Theresien.252 Es war seinem Freund Petrasch zu verdanken, 248 Luca: Österreich, S. 153. 249 Die Welt wurde nach einiger Zeit durch den Österreichischen Patrioten ersetzt. Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Freimaurerei, S. 15; Gugler, Otto Michael: Zensur und Repression. Literatur und Gesellschaftsbild im Zeitalter des Spätjosephinismus, Diss. Wien 1995, S. 166 u. Kap. 5.1.2. Nicolai lobte diese beiden Wochenschriften in seiner Reisebeschreibung als besonderes Verdienst der Gesellschaft, ohne allerdings die Namen der Autoren zu nennen. Nicolai: Beschreibung, S. 899. 250 Haider-Pregler: Schaubühne, S. 194 u. Dies.: Abendschule, S. 313–316. 251 Luca: Österreich, S. 162. 252 Zitiert nach Nicolai, Friedrich (Hg.): Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen

Die Deutsche Gesellschaft zu Wien

57

dass die Rede sowohl dem Wiener Publikum bekannt wurde, als auch im Druck erschien und in Leipzig und Berlin rezensiert werden konnte: Wir müssen auch ein Wort von seiner Rede auf die Kaiserinn Königinn, sagen und wir können nichts thun, als unsere Lobsprüche wiederholen. Eine männliche Beredsamkeit voller Ausdrücke und glücklicher Wendungen.253 Derartiges Lob aus anderen Gebieten des Reiches steigerte wiederum das Ansehen Sonnenfels’ in Wien. Mitte des Jahres 1762 sah er sich, unterstützt von den etablierten Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft, im Stande, seine erste Bewerbung um eine feste Anstellung im Staatsdienst einzureichen. Dabei bat er als akademischer Außenseiter um nichts Geringeres als die Verleihung der bereits besetzten Professur für deutsche Eloquenz an der Wiener Universität und die Entlassung ihres rechtmäßigen Inhabers, des erfahrenen Johann Siegmund Valentin von Popowitsch (1705–1774).254 Sein Ansuchen unterstützte er mit einer Rede über die Notwendigkeit seine Muttersprache zu beherrschen, die aber weniger Beachtung fand als seine beiden vorherigen Werke.255 Der Antrag wurde abgelehnt. Für die kühne Bewerbung werden in der Forschung neben der pragmatischen finanziellen Sicherheit zwei weiterführende Motivationen genannt und gegeneinander vorgebracht: Einerseits habe Sonnenfels diese Stellung aus einem Drang nach politischem Einfluss heraus, andererseits aufgrund seiner Begeisterung für eine literarische Karriere antreten wollen.256 Diese Zweiteilung ist allerdings in Frage zu stellen. Hierbei wird eine Trennung angenommen, die sich Sonnenfels selbst so nicht dargestellt hat. Für den jungen Autor und seinen Kreis stellte die Reform der deutschen Sprache per se eine politische Aufgabe dar, die auch dem Interesse ranghoher Beamter entsprach. So hatte beispielsweise Graf Haugwitz persönlich die Berufung Justis nach Wien als Teil seines Reformkonzeptes erwirkt.257 Die von Sonnenfels angestrebte Lehrkanzel bot eine Chance, die begonnenen Sprachreformen institutionell abzusichern. Darin liegt aber kein Widerspruch zu einer von ihm explizit gewünschten literarischen Karriere. Die Tatsache, dass weite Teile seiner frühen Schriften Künste, 9. Bd. 1763, Sonnenfels: Rede auf Marien Theresien: Rezension, S. 75–91, hier S. 82. 253 Ebd. S. 81. 254 Vgl. Luca: Österreich, S. 156 u. Kann: Kanzel, S. 156. 255 Sonnenfels, Joseph von: Rede von der Notwendigkeit seine Muttersprache zu beachten, Wien 1761. 256 Haider-Pregler: Abendschule, S. 60 spricht für die politische Komponente und stellt sich explizit gegen Osterloh: Reformbewegung, S. 31, der einen literarischen Schwerpunkt sieht. 257 Vgl. Klingenstein: Mercantilism, S. 195.

58

Erste eigene Schritte

unterhaltend und am Markt orientiert geschrieben wurden, unterstreicht dies.258 Daher erscheint eine Mischung beider genannter Motive für die Bewerbung wahrscheinlich. Es ist sicherlich richtig, dass im weiteren Verlauf seiner Karriere die politische Komponente mehr und mehr an Bedeutung gewann, doch darf diese Gewichtung keineswegs auf frühere Phasen seines Lebens übertragen werden. Nachdem seine Bewerbung abgelehnt worden war, widmete sich Sonnenfels auf Anraten seines neuen Bekannten, des Staatsrates von Borié, wie erwähnt, den Polizey- und Kameralwissenschaften, während die Deutsche Gesellschaft ihre Arbeit fortsetzte. Sie stand allerdings vor mehreren Herausforderungen. So erfuhr Nicolai aus seinem Briefwechsel mit den Mitgliedern von internen Konflikten: Sie glaubten nicht allein, ihre Werke überhaupt wären sehr vollkommen, sondern einer wollte auch immer vollkommener seyn, wie der andere. Daraus entstand zwischen ihnen Neid und Eifersucht, und in wenigen Jahren, schon um 1765 war alles voll Streiten und Kämpfen.259 Zu Nicolais Korrespondenten, denen er diese Informationen verdankte, gehörte kurzzeitig auch Sonnenfels, der neue Werke mit der Bitte um Beachtung nach Berlin sandte.260 Neben den Spannungen, die unter anderem zwischen Sonnenfels und Klemm als konkurrierenden Herausgebern moralischer Wochenschriften bestanden, beklagten die Mitglieder wiederholt die fehlende Unterstützung und Anerkennung durch andere Deutsche Gesellschaften.261 Hier kam eine allgemein negative Einschätzung der österreichischen Aufklärungsbewegung durch deren protestantische Vorgänger zum Ausdruck.262 Während man in Wien davon ausging, die norddeutschen Vorbilder bald ein- und sogar überholen zu können, stellte man dort die Wiener Kultur als vergleichsweise wenig entwickelt dar. Jene Missachtung, die lediglich durch einige positive Rezensionen von Arbeiten aus dem Umfeld der Wiener Gesellschaft gemildert wurde, hatte schon 1763 zu Auflösungserscheinungen geführt. Ein zusätzlicher Grund dürfte die Unfähigkeit der Gesellschaft gewesen sein, die Erwartungen ihrer jungen Mitglieder nach Ruhm und Erfolg zu er258 Vgl. die Ausführungen über seine frühen Wochenschriften in Kap. 5.1.1, 5.1.2 u. 5.1.3. 259 Nicolai: Beschreibung, S. 900. Sonnenfels schrieb zuletzt 1764 aus dem Kontext der Gesellschaft an Nicolai und bat um Rezension weiterer Reden, vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 164f. 260 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 161–163. 261 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Freimaurerei, S. 15 und zum Konflikt zwischen Klemm und Sonnenfels siehe Kap. 5.1 u. 5.2. 262 Vgl. Wolf: Konstellationen, S. 2f. Besondere Beachtung verdient hier die heftige Reaktion Friedrich Nicolais auf Petraschs Behauptung, die Reform der Wiener Schaubühne sei der Angelpunkt für eine Verbesserung des deutschen Theaters im Allgemeinen, S. 4–7.

Die Deutsche Gesellschaft zu Wien

59

füllen. Sie hatte keinen einflussreichen Patron und die etablierten Mitglieder wie Riegger senior und Martini waren entweder nicht willens oder nicht fähig, sich diesbezüglich für die anderen einzusetzen, die somit in ihrem jeweiligen beruflichen Status verblieben. Dies wird an der Person Sonnenfels’ deutlich, für den diese Sozietät die eigentliche, aber letztlich vergebliche Hoffnung auf eine Anstellung verkörperte. Für ihn wurde schließlich der parallele Kontakt zu einer Person außerhalb dieser Gemeinschaft, nämlich zum Freiherrn von Borié, entscheidend. Vor diesem Hintergrund erscheint die pessimistische und kurze Beschreibung der Wirkungsgeschichte der Gesellschaft durch ihr berühmtestes Mitglied verständlich: Sie verfiel nach und nach.263 Eine Betrachtung der Deutschen Gesellschaft aus der Perspektive des jungen Sonnenfels lässt sie aber trotz ihres raschen Zerfalls als bedeutendes Element seiner Biographie erscheinen. Sie ermöglichte nicht nur die Verfeinerung und Anerkennung seines Sprachstils, welcher für die Gestaltung von Gesetzestexten und Lehrbüchern der folgenden fünfzig Jahre entscheidend wurde, sondern motivierte ihn durch Erfolg und Lob, sich trotz seiner unterschiedlichen beruflichen Verwendungen immer wieder literarisch zu betätigen. Insofern ist sie als Beispiel dafür zu sehen, wie soziale Beziehungen dazu beitrugen, Sonnenfels’ Ruf, sein Ansehen und damit auch seine Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Weiterhin war sie ein Treffpunkt zahlreicher im Nachhinein erfolgreicher Persönlichkeiten, die später immer wieder auf diese Gemeinsamkeit zurückgreifen konnten. Exemplarisch sei hier auf Ignaz von Born verwiesen, der um 1762 als junger erwerbsloser Exjesuit zum Umfeld der Gesellschaft gehörte.264 Ihn und Sonnenfels verband sehr bald eine tiefe Freundschaft, die auch ihrer Umgebung nicht verborgen blieb. Ignaz de Luca, ein gemeinsamer Bekannter, berichtete über Born: Bey seiner ersten Anwesenheit in Wien, erhielt er die Bekanntschaft mit dem berühmten Herrn von Sonnenfels, die bald bis zur innersten Vertraulichkeit erwuchs. 265 Als der spätere Hofrat Born nach reicher Heirat Gutsbesitzer in Böhmen wurde, besuchte ihn Sonnenfels mit seiner Familie und im Gegenzug verwendete Born bei Aufenthalten in Wien zeitweise dessen Adresse als

263 Luca: Österreich, S. 153. 264 Vgl. zu dieser Phase von Borns Lebensgeschichte: Lindner, Dolf: Ignaz von Born, Meister der wahren Eintracht. Wiener Freimaurerei im 18. Jahrhundert, Wien 1986, S. 19f. u. Reinalter, Helmut: Ignaz von Born. Aufklärer, Freimaurer und Illuminat, in: Ders. (Hg.): Aufklärung und Geheimgesellschaften. Zur politischen Funktion und Sozialstruktur der Freimaurerlogen im 18. Jahrhundert, München 1989, S. 151–173, hier S. 153; vgl. insg. Hofer, Paul: Ignaz von Born. Leben, Leistung, Wertung, Diss. Wien 1955. 265 Luca: Österreich, S. 41.

60

Erste eigene Schritte

Postanschrift.266 Gemeinsam wurden sie in den achtziger Jahren schließlich im Kreis der Wiener Freimaurer aktiv.267 Mit Born und den anderen Wiener Sprachreformern konnte ­Sonnenfels die Deutsche Gesellschaft als ein Forum zum intellektuellen Austausch ­n utzen, auf dem die Standesunterschiede von geringerer Bedeutung ­waren.268 So war es dem jungen Juristen und Rechnungsführer möglich, unter angesehenen Gelehrten eine zentrale Stellung einzunehmen und von norddeutschen Schriftstellern als alleiniger Mittelpunkt der Gesellschaft angesehen zu werden. Diese Einschätzung, die unter den anderen Wiener Autoren höchstwahrscheinlich nicht unumstritten war, hält sich bis heute in Publikationen.269 Wenn seine dort geknüpften Verbindungen auch nicht ­direkt den gewünschten Erfolg hatten, so stellte seine Bekanntheit bei ­Wiens lesendem Publikum sicherlich einen Grund für spätere Wirkungsmöglichkeiten dar. Auch war die Arbeit der Deutschen Gesellschaft in den Augen der Zeitgenossen keineswegs ergebnislos geblieben. In Berlin und Leipzig wurden die Veränderungen und Reformen wohlwollend verfolgt und auch in Wien erkannte man das Wirken dieser Gesellschaft als ein Fundament für eine zunehmende Bedeutung der deutschen Sprache an.270 Dies war nicht zuletzt Sonnenfels’ Darstellung ihrer Arbeit zu verdanken.

3.6 Familiengründung mit Theresie von Hay Am 12. Mai 1763, während Sonnenfels’ Berufung zum Professor dank der Fürsprache Boriés zwar vereinbart, aber noch Gegenstand von Verhandlungen war, verzeichnete das Traubuch von St. Stephan in Wien die Ehe266 Lindner: Born, S. 28 u. S. 32. 267 Siehe Kap. 6.2. 268 Vgl. zu der Verringerung von Standesunterschieden in vergleichbaren Sozietäten: Nipperdey, Thomas: Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Eine Fallstudie zur Modernisierung, in: Ders.: Gesellschaft, Kultur, Theorie: Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte, Göttingen 1976, S. 174–205. 269 Besonders deutlich die Fehleinschätzung von West, Hugh: Knowledge, Brotherhood and Love: Georg Forster in Vienna, 1784, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich, 18/19 2004, S. 337–354, der die anderen Mitglieder zu Gefolgsleuten Sonnenfels degradiert: He called his troops the „German Society“, S. 341; vgl. auch Nisbet, Hugh Barr: Lessing. Eine Biographie, München 2008, S. 585 u. die Bezeichnung von Sonnenfels als Präsident der Gesellschaft bei: Breunlich, Maria u. Mader, Marieluise (Hg.): Karl Graf von Zinzendorf: Aus den Jugendtagebüchern 1747/1752 bis 1763 (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs Bd. 84), Wien, Köln u. Weimar 1997, S. 38. 270 Vgl. Nicolai: Beschreibung, S. 903.

Familiengründung mit Theresie von Hay

61

schließung von Joseph Aloysius von Sonnenfels mit der fünfzehn Jahre jüngeren Maria Theresie von Hay (1748–1820), der Tochter eines Oberamtmannes aus Fulnek in Mähren.271 Robert Kann charakterisierte sie in wenigen Worten als bescheidene, anspruchslose Hausfrau, ein Urteil, das einerseits wegen seiner Pauschalität und andererseits aufgrund der großen Bedeutung eines Lebenspartners für das Beziehungsgeflecht einer Person näherer Überprüfung bedarf.272 Sonnenfels selbst beschrieb seine Ehe stets als glücklich und schrieb in einem Brief an den geheimen Rat Christian Adolf Klotz in Halle (1738– 1771), mit dem er aufgrund seiner literarischen Tätigkeit korrespondierte: Der Freundschaft und Geheimnisses mehr als Mann fähig, ist sie die getreue Theilnehmerin meiner Sorgen, meine Rathgeberin, meine Trösterin.273 Ähnliche Ausführungen fügte Sonnenfels auch beinah fünfzig Jahre später in sein Testament ein.274 Hinweise auf Konflikte in der Ehe sind nicht überliefert. Über die emotionale häusliche Unterstützung hinaus, die trotz ihrer Relevanz keinen Niederschlag in Quellen gefunden hat, war seine Frau aber auch für die Pflege von Kontakten zu Freunden und Kollegen bedeutsam und bereicherte die sozialen Beziehungen ihres Mannes.275 Sie lud zu Geselligkeiten in ihrem Haus und war in der Wiener Gesellschaft angesehen, wie aus den Briefen und Tagebüchern zweier Persönlichkeiten hervorgeht, die sich zeitweilig in Wien aufhielten: Anfang der siebziger Jahre versuchte Eva König (1736–1778), die spätere Frau von Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), dort die Tapetenfabrik ihres verstorbenen ersten Mannes zu verkaufen und berichtet von mehreren Begegnungen mit Theresie und einigen ihrer Schwestern.276 Eva König lobt 271 Vgl. eine Fotografie des Eintrages bei Lindner: Sonnenfels, S. 42. Über die erste Begegnung und die Zeit der Brautwerbung sind keinerlei Hinweise überliefert. In der Heiratsurkunde wird die Braut Maria Theresia von Hay genannt, in Briefen und Wochenschriften Sonnenfels’ später aber nur Theresie. Aufgrund der häufigeren Verwendung wird hier der Name Theresie übernommen. 272 Kann: Kanzel, S. 231. 273 Rollet, Hermann: Briefe von Sonnenfels als Beitrag zu seiner Biographie, Wien 1874, hier S. 19, vom 21. Jan. 1769. 274 HSS der WIBI Inv. 2564 vom 11. Feb. 1811. 275 Vgl. zu dieser für Professorenfrauen nicht untypischen Aufgabe Panke-Kochinke, Birgit: Göttinger Professorenfamilien. Strukturmerkmale weiblichen Lebenszusammenhangs im 18. und 19. Jahrhundert, Pfaffenweiler 1985, S. 62. 276 Schulz, Günter u. Schulz, Ursula (Hg.): Meine liebste Madam. Gotthold Ephraim Lessings Briefwechsel mit Eva König 1770–1776, München 1979, S. 46 im Brief vom 19. Dez. 1771 u. S. 52 am 26. Jan. 1772. Vgl. zu ihrem Besuch auch Kap. 5.2. und zu ihrer Biographie und Bedeutung für Lessing Nisbet: Lessing, S. 571–574.

62

Erste eigene Schritte

hier ihre umgängliche Art und Freundlichkeit: und so sind also sehr wenige, die mich besuchen; unter den Wenigen ist die Frau von Sonnenfels die, welche mich am fleißigsten besucht. Ihr Mann ist auch schon einigemal hier gewesen.277 Da in Wien bekannt war, dass König regelmäßig mit Lessing korrespondierte, thematisierten die Gespräche der Damen Theaterreformen, Lessings neue Stücke und die Situation der Bühnen in der Stadt. Theresie von Sonnenfels konnte dabei auf ihre Bekanntschaft mit mehreren Schauspielern und Sängern zurückgreifen, welche in ihrem Haus verkehrten.278 Weitere Berichte stammen vom weltreisenden Freimaurer Johann Georg Forster (1754–1794), der sich auf der Durchreise nach Wilna von Juli bis September 1784 in Wien aufhielt.279 Er machte dort in Abwesenheit von Sonnenfels die Bekanntschaft von dessen Frau: Die Sonnenfels heißt Therese, ist eine gar gute, brave, liebe, nicht schöne aber würdige Frau, und ich ehre sie als eine von meinen Müttern.280 Er besuchte sie aber auch, weil in ihrem Haus attraktive und talentierte junge Schauspielerinnen wie die von ihm verehrte Katharina Jaquet (1760–1786) verkehrten, ein Umstand, der ihn und angeblich ebenso andere Männer dorthin führte. Außerhalb des Hauses organisierte Theresie auch ohne ihren Mann Ausflüge, die von Forster zu den schönsten Tagen seines Aufenthaltes gezählt wurden.281 Der Reisende ist von ihr derart beeindruckt, dass er ihr einen jungen Freund vorstellt, der neu in Wien ist. Er schreibt darüber: Sie ist eine brave, rechtschaffene, gebildete Frau in gesetzten Jahren, und mit der Freimüthigkeit, die ihr eigen ist, und die sie mit der sanftesten Gemüthsart verbindet, scheint sie mir recht geschickt, zur Bildung eines jungen Mannes etwas beitragen zu können.282 Angesichts dieser positiven Einschätzungen wundert es nicht, dass er ihr auch dann noch Briefe schrieb, als der Kontakt zu ihrem Ehemann bereits abgebrochen war.283 Neben ihrer Wirkung auf die sozialen Beziehungen ihres Mannes ist noch zu erwähnen, dass Theresie ihn im hohen Alter pflegte, für ihn Be277 Brief vom 22. April 1772, in: Schulz: Madam, S. 170. 278 Brief vom 5. Dez. 1772, in: ebd. S. 209. 279 Vgl. zu seiner Person Uhlig, Ludwig: Georg Forster. Lebensabenteuer eines gelehrten Weltbürgers (1754–1794), Göttingen 2004 u. West: Knowledge und zu seinem Besuch Kap. 6.2.1 u. 6.2.2. 280 Forster, Georg: Tagebücher, in: Leuschner, Brigitte (Hg.): Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe in 17 Bänden, Bd. 12, Berlin 1973, S. 118. Vgl. auch Forsters Brief an Theresie Heyne vom 3. Sept. 1784, in: Forster, Georg: Briefe 1784 – Juni 1787, in: Leuschner, Brigitte (Hg.): Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe in 17 Bänden, Bd. 14, Berlin 1978, S. 179–182. 281 Forster: Tagebücher, S. 118f. 282 Brief an Christian Gottlob Heyne vom 1. Sept. 1784, in: Forster: Briefe 1784–87, S. 176. 283 Der Briefverkehr mit Theresie Sonnenfels ist erwähnt in: Forster: Tagebücher, S. 134.

Familiengründung mit Theresie von Hay

63

hördengänge erledigte und finanzielle Belange regelte.284 Seine Dankbarkeit drückte Sonnenfels in seinem bereits 1811 verfassten Testament aus: Und nun theure Gefährtin meines Lebens, empfange die Versicherung, dass meine innigste Verehrung und Dankbarkeit für die Glückseligkeit von 48 Jahren mich hinaus über das Grab begleiten wird.285 Die Ehe der beiden blieb kinderlos, was aber in den ersten zehn Ehejahren keineswegs bedeutete, dass sie alleine lebten. Theresie von Sonnenfels war das fünfte von sieben Kindern, welche nach der Eheschließung alle in verwandtschaftlicher Beziehung zu dem angehenden Professor standen.286 Er schrieb in einem Brief an den Geheimrat Klotz: An Kindesstatt sind mir zwo Schwestern meiner Frau, die meine Sorgfalt durch ihre vortreflichen Herzen reichlich belohnen.287 Es handelte sich bei ihnen um Thereses ältere Schwester Eleonore, und Karoline, das jüngste Kind der Familie Hay. Hinweise auf den Anlass dieses Zusammenlebens finden sich in den Quellen keine, wobei aber der nicht zu datierende Tod der Eltern Theresias als Grund angenommen werden kann. Der Unterhalt solch eines großen Haushalts, der auch mehrere Dienstboten umfasste, schien für den Jungakademiker nicht leicht gewesen zu sein, wie seine Frau in einem Brief ihres Mannes an Klotz andeutete: beschäftiget er sich noch itzt hauptsächlich, mich und meine Schwestern glücklich zu machen. Aber seine Uneigennützigkeit gehet manchmal bis zur Verschwendung; das Rechnen ist seine Sache nicht, und da geschieht es sehr oft, dass die Ausgabe die Einnahme übersteigt.288 Trotz dieser Schwierigkeiten blieben beide Schwestern mehrere Jahre im gemeinsamen Haushalt und nahmen mit Theresie und ihrem Mann am gesellschaftlichen Leben Teil. Die vier anderen Kinder der Familie Hay waren bereits verheiratet oder, im Falle des einzigen Sohnes, mit der eigenen Karriere beschäftigt. Johann Leopold von Hay, Jahrgang 1735, stand zum Zeitpunkt der Eheschließung seiner Schwester bereits als Zeremonier des Bischofs von Olmütz in kirchlichen Diensten.289 Nach der Heirat seiner Schwester erlebte der junge 284 Sie vertrat ihren Mann bei Gehaltsauszahlungen und der Beantragung von Zuschlägen: vgl. HSS der WIBI Inv. 128 749 vom 20. April 1817 und Inv. 128 748 vom selben Tag. 285 HSS der WIBI Inv. 2564 vom 11. Feb. 1811. Er hinterließ ihr materiellen Besitz im Wert circa 9000 fl., was weniger als das Anderthalbfache seiner letzten jährlichen Einkünfte war, und eine Leibrente von 500 fl., vgl. HHStA Staatsratsprot. 2241 ex 1798. 286 Vgl. für eine kurze Übersicht über die sieben Kinder der Familie Hay und ihre Ehen JägerSunstenau: Vorkämpfer, S. 18. 287 Brief vom 21. Jan. 1769, in: Rollet: Briefe, S. 20. 288 Brief vom 21. Jan. 1769, in: Rollet: Briefe, S. 17. 289 Zur Karriere Leopold Hays vgl. Wolny, Reinhold Joseph: Die josephinische Toleranz unter besonderer Berücksichtigung ihres geistlichen Wegbereiters Johann Leopold Hay, München 1973; für seine Biographie insg.: Müller, Willibald: Johann Leopold von Hay. Ein biographischer Beitrag zur Geschichte der josephinischen Kirchenpolitik, Wien 1892.

64

Erste eigene Schritte

Geistliche eine Beschleunigung seiner Karriere. Sonnenfels’ Schwager wurde über Kremsier nach Nikolsburg versetzt, wo die Familie von Dietrichstein, Sonnenfels’ Paten und Förderer, residierte. Dort wurde er 1775 zum Probst ernannt und mit Sondermissionen beauftragt, welche die protestantischen Gemeinden in Böhmen und Mähren betrafen. Es ist zwar möglich, dass seine Karriere durch die Kontakte seines Schwagers gefördert wurde, doch sind keine Hinweise darauf in Quellen überliefert.290 Leopold Hay erwies sich als talentiert bei der Durchsetzung landesfürstlicher Interessen gegenüber den protestantischen Gemeinden, die sich der ihnen in den siebziger Jahren abverlangten Rekatholisierung teilweise gewaltsam widersetzten.291 Seine Leistungen und sein Eintreten für eine tolerante Politik gegenüber religiösen Minderheiten fielen dem Kaiser Joseph II. auf. Der Monarch unterstützte daher Hays Ernennung zum Bischof von Königgrätz durch Maria Theresia am 29. Juli 1780.292 Nun wurde Sonnenfels’ Schwager zu einem wichtigen Fürsprecher der josephinischen Toleranzpolitik und setzte sich in einem Hirtenbrief an die Priester seiner Diözese für eine unbedingt Gehorsamspflicht gegenüber dem Staate ein.293 Er forderte an anderer Stelle die Einrichtung einer Religionspolizey zur Überwachung der Toleranz und ihrer Grenzen, wodurch er Konflikte zwischen den Konfessionen entschärfen wollte.294 Ob die Ansichten seines Schwagers auf Sonnenfels zurückgehen oder von ihm beeinflusst waren, kann trotz eines kontinuierlichen persönlichen Kontaktes nur vermutet werden.295 Die andauernde Verbindung der beiden wird beispielsweise durch Erwähnung von Reiseplänen der Familie Sonnenfels in den Briefen Georg Forsters von 1784 bestätigt: […] und wusste, dass sie jetzt auf fünf Wochen nach Böhmen zum Bischof Hey[!], Bruder der Frau von Sonnenfels, verreisten.296 290 Diese Theorie brachte Wolny in seiner verherrlichenden Darstellung Hays dazu, die Eheschließung Sonnenfels’ zeitlich zu verlegen und Hay bereits vorher zum Probst in Nikolsburg zu machen, wo dieser seinen späteren Schwager 1775 kennengelernt habe, vgl. Wolny: Wegbereiter, S. 45. 291 Müller: Hay, S. 41–44. 292 Müller: Hay, S. 49. 293 Dieser Hirtenbrief, auf dem die positive Beurteilung Hays in der Historiographie des späten 19. Jahrhunderts beruht, fand zeitgenössische Verbreitung u.a. durch August Ludwig Schlözers Zeitschrift: Staats-Anzeigen, 1. Bd. 1782, S. 157–167. 294 Wolny: Wegbereiter, S. 67. 295 Was Wolny, ebd. S. 46 nicht an der Annahme hindert, dass Hays liberale Gesinnung auf seinen Schwager zurückgehe. 296 Brief an Christian Gottlob Heyne vom 1. Sept. 1784, in: Forster: Briefe 1784–87, S. 176. Hinweise auf weitere Besuche bieten: Müller: Hay, S. 14 u. S. 88f. u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 299. Sonnenfels selbst schrieb in einem Brief vom 4. Juli eines nicht genannten Jahres von einer geplanten Reise nach Böhmen und den zu treffenden Vorbereitungen siehe: HSS

Familiengründung mit Theresie von Hay

65

Elisabeth, die älteste Tochter der Familie Hay, hatte um 1766 den später geadelten Arzt und Apotheker Ignaz Tschiaska von Sternstein geheiratet und lebte mit ihrem Mann in Mähren. Über eine Beziehung zu der Familie Sonnenfels ist nichts bekannt. 297 Ihre jüngere Schwester Antonie heiratete den Beamten Franz Breitschopf, der als Landschafts-Unterkassier in der Nähe von Brünn tätig war. Deren 1766 geborener Sohn Franz zog nach Wien und trat dort in die Arcieren Leibgarde ein, zu deren Offizieren Sonnenfels noch immer gute Beziehungen unterhielt. Dort diente er bis zu seinem Tode, zuletzt im Range eines Majors.298 Das sechste Kind mit Namen Maria hatte einen Hofkonzipisten namens Ludwig Sobeck geheiratet, welcher, wie beschrieben, als Käufer des sonnenfelsschen Familienhauses zum weißen Stern in Erscheinung getreten war. Sie und ihr Mann blieben zeitlebens in Wien sesshaft. 299 Diejenigen beiden Töchter, die bei Joseph und Theresie von Sonnenfels lebten, waren das vierte und siebte Kind der Familie Hay. Hinweise auf eine Einflussnahme Sonnenfels’ und seiner Frau auf deren Eheschließungen sind nicht überliefert, speziell im Falle der jüngeren Schwester jedoch sehr wahrscheinlich. Die ältere Schwester, Eleonore, heiratete 1773 den vermögenden späteren Hofrath und Vizepräsidenten der Hofkammer Baron Johann Jakob Benedikt von Neffzern (1705–1785), wie aus einem Schreiben Eva Königs vom 4. Oktober 1773 hervorgeht.300 Dass alle drei Söhne, die aus dieser Ehe stammten, zu kaiserlichen Kämmerern ernannt wurden, unterstreicht die Nähe dieser Familie zum Hof. Der Baron war ein Kollege von Sonnenfels’ Bruder Franz und betätigte sich in den achtziger Jahren wie Joseph von Sonnenfels als Freimaurer in Wien, wenn auch nicht in derselben Loge.301 Die jüngste Tochter der Familie blieb noch bis 1778 im Haushalt ihres Schwagers. Sie heiratete in diesem Jahr dessen Kollegen in der Zensurbehörde, Johann Melchior von Birkenstock (1738–1809).302 In ihrem 35. Lebensjahr verstarb sie nach nur zehn Jahren Ehe als vierfache Mutter. Das der ÖNB Wien Nr. 9/76–2, weitere Hinweise finden sich im Protokoll der Loge zur wahren Eintracht, Irmen: Protokolle. 297 Vgl. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 18. 298 Vgl. Schulz: Madam, Registereintrag zu Franz Breitschopf. 299 Vgl. Jäger-Sunstenau: Vorkämpfer, S. 19. 300 Brief Eva Königs an Lessing vom 4. Okt. 1773, in: Schulz: Madam, S. 236f. 301 Vgl. Registereintrag bei Schulz: Madam. 302 Vgl. zu Birkenstocks Karriere: Weitensfelder, Hubert: Studium und Staat. Heinrich Graf Rottenhan und Johann Melchior Birkenstock als Repräsentanten der österreichischen Bildungspolitik um 1800 (Schriftenreihe des Universitätsarchivs, Universität Wien Bd. 9), Wien 1996, S. 25–69. Zur Verbindung von Sonnenfels und Birkenstock vgl. Kap. 4.3 u. 7.4.

66

Erste eigene Schritte

Verhältnis zwischen Sonnenfels und ihrem Mann war das intensivste, das durch die Verbindung mit der Familie Hay entstand. Der aus Thüringen stammende Birkenstock war 1763, im selben Jahr wie Sonnenfels, in kaiserliche Dienste getreten und wurde mit Förderung des Grafen Kaunitz als Hofsekretär angestellt.303 Von dort wurde er zur Hofkanzlei und zur Zensurbehörde versetzt, wo er und Sonnenfels zeitweise Kollegen wurden. Er stieg zum Regierungsrat auf, bevor seine insgesamt fünfundzwanzigjährige Tätigkeit im Jahr 1781 ihren Höhepunkt in seiner offiziellen Ernennung zum alleinigen Zensor politischer Schriften fand. Sein Interesse galt aber vielmehr der Bildungspolitik und der Arbeit in den dafür zuständigen Hofkommissionen, wo er wiederum auf Sonnenfels traf. Birkenstock brachte zahlreiche Anträge und Vorschläge ein, bei deren Diskussion zahlreiche fachliche Differenzen beider Männer auffällig wurden. Dennoch konnte Birkenstock, der zeitweise zum Referent für das gesamte Studienwesen ernannt worden war, in der Regierungszeit Leopolds II. viele seiner Vorschläge durchsetzen, bevor er 1803 in den Ruhestand trat.304 Auch im außerberuflichen Bereich gab es mehrere Berührungspunkte beider Männer. Obgleich ihr dienstliches Verhältnis eher durch Differenzen und Spott geprägt war, so schienen beide dennoch vorerst freundschaftlichen Kontakt gepflegt zu haben, wie aus Briefen in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek hervorgeht.305 Beide verkehrten in den Wiener Salons und wurden dort bei Veranstaltungen zusammen gesehen.306 Hingegen lässt sich die Vermutung, dass beide auch in derselben Loge als Freimaurer tätig waren, nicht bestätigen.307 Angesichts der im Laufe der Jahre an Intensität zunehmenden Meinungsverschiedenheiten war solch ein freundschaftlicher Umgang keineswegs 303 Zu seinen Aufgaben gehörte die Begleitung Josephs II. zur Kaiserkrönung und die Pflege des Botschaftsarchives, vgl. Weitensfelder: Studium, S. 27. 304 Weitensfelder: Studium, S. 29. Seine Beziehungen ermöglichten ihm außerdem als Förderer von jungen Lehrern aufzutreten und Stellen an Lyzeen zu vermitteln. Vgl. seine Briefe in der HSS der ÖNB, Nr. 13/60–3 u. Nr. 9/57–2. 305 Birkenstock nannte Sonnenfels in einem 1798 verfassten Brief an einen ungenannten Freund zwar spöttisch notre Machine litteraire bzw. Notre Mandarin de la 1ere classe en Litterature; dennoch liegen freundschaftliche Briefe an Sonnenfels selbst vor: HSS der WIBI, Inv. 8639 u. Inv. 8643. 306 Ich danke Grete Walter-Klingenstein für den Hinweis und die Übermittlung von Textstellen aus: Klingenstein, Grete, Faber, Eva u. Trampus, Antonio (Hg): Europäische Aufklärung zwischen Wien und Triest, 1776–1782. Die Tagebücher des Gouverneurs Karl Graf von Zinzendorf 1776–1782 (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs Bd. 103), Wien u.a. 2009, hier Eintrag vom 28. Dezember 1777. 307 Der entsprechenden Behauptung von Weitensfelder: Studium, S. 38 widersprechen die Protokolle von Sonnenfels’ Loge: vgl. Irmen: Protokolle.

Studium der Rechte

67

selbstverständlich. Hier sind vor allem ihre Auseinandersetzungen bezüglich der Akademie der bildenden Künste zu nennen, in der Sonnenfels als Sekretär und Birkenstock als Ratsmitglied tätig war, die schließlich zum Rückzug Birkenstocks aus dem Kreis der Förderer führten.308 Bisher war nicht nachvollziehbar, warum beide Männer trotz ihrer immer deutlicher werdenden Differenzen dennoch weiterhin in gutem Verhältnis standen. Briefe verweisen aber darauf, dass Birkenstocks Tochter Antonie Birkenstock (1780–1869), spätere Brentano, dafür einen Anlass bot. Sonnenfels war ihr eng verbunden, wie eine Nachricht anlässlich ihrer Genesung von einer Krankheit an Birkenstock belegt: Ich bin nun viel ruhiger, weil sie sich wohl befindet, und sie werden es auch sein, denn die Liebe für ihren vortreflichen Vater liegt in jeder Zeile, sie wird auch unauslöschlich in ihrem Herzen ­bleiben. […] dies ist Ihr Werck lieber Freund, Sie haben in allem Verstand betrachtet ein Meisterstück an Ihrer Tochter vollendet.309 Zwischen dem Onkel Sonnenfels und seiner Nichte bestand über den 1809 zu beklagenden Tod ihres Vaters hinaus fortlaufender sehr emotionaler Briefkontakt, in dem auch der Vater oft mit freundlichen Worten erwähnt wird.310 Trotz der großen Wertschätzung, die Sonnenfels ihr über Jahrzehnte entgegenbrachte, gilt für die Beziehung zu seiner Nichte, ebenso wie für diejenige zu der Mehrzahl seiner Verwandten, dass sie ohne nachweisbare Auswirkungen auf seine Karriere blieben. Eine Ausnahme bildet in dieser Hinsicht seine Frau Theresie, die in mehreren noch ausführlich zu behandelnden Lebensbereichen in Erscheinung trat.

308 Siehe Kap. 4.3. 309 HSS WIBI, Inv. 8642, Brief vom 9. Aug. 1789. 310 HSS WIBI, Inv. 8647, Brief vom 31. Okt. 1814 u. HSS WIBI, Inv. 8648, Brief vom letzten des 1815ten Jahre.

4. D ie W irkungsstätten U niversität

und

A kademie

4.1 Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität 4.1.1 Die Berufung in das Lehramt für Polizey- und Kameralwissenschaft 1763 Als Anfang der sechziger Jahre die Einrichtung eines Lehrstuhls für Kameralwissenschaft angeregt wurde, besaß dieses Fach in Österreich bereits eine Vorgeschichte. Von dem Jahr 1751 an hatte der in Sachsen ausgebildete Johann Heinrich Gottlob von Justi in Wien deutsche Beredsamkeit und Kameralwissenschaft unterrichtet.311 Seine Berufung war im Kontext der vielschichtigen Reformen nach dem Ende des österreichischen Erbfolgekrieges erfolgt und seine Aufgabe war es, angehende Beamte an der theresianischen Akademie in modernen Verwaltungsfragen zu schulen. Bereits 1755 aber verließ Justi die habsburgischen Erblande wieder, da seine weitere Karriere unter anderem durch seine Weigerung, die Konversion zum Katholizismus zu vollziehen, behindert wurde. Kurz nach seiner Abreise wurde der Lehrstuhl aufgelöst, und diesbezügliche Kenntnisse konnten nur noch durch praktische Arbeit in den Behörden erworben werden.312 Um 1762 war neben dem Staatsrat Borié – Sonnenfels’ Förderer – und dem Staatskanzler Kaunitz auch die Hofkammer der Ansicht, dass dieser Zustand einen Mangel darstelle und dass auch die Cameral-Wissenschaften in eine systematische Ordnung und Licht wenigstens insoweit gesetzt werden mögen, damit einem Anfänger der Weg gebahnt werde, zu leichterem Begriff der nachfolgenden Übung in den unzählbaren Theilen der Cameralpraxis und er erfahre […] was in gleichen Fällen anderer Orten üblich ist und dienstsam befunden worden.313 Der Staatsrat Borié plante diesen Anforde311 Vgl. Dittrich, Erhard: Die deutschen und österreichischen Kameralisten, Darmstadt 1974, S. 103f.; Frensdorf, Ferdinand: Über das Leben und die Schriften des Nationalökonomen J. H. G. von Justi, Göttingen 1903, S. 21–35; Sommer, Louise: Die österreichischen Kameralisten in dogmengeschichtlicher Darstellung, Wien 1920–1925, Ndr. Aalen 1967, S. 153–217 u. Klingenstein: Mercantilism, S. 192–196. Zu Justi als Sonnenfels’ Vorgänger vgl. Osterloh: Reformbewegung, S.  35–45; Deutsch, Georg: Joseph von Sonnenfels und seine Schüler. Ein Beitrag zur Nationalökonomie in Österreich, in: Österreich-Ungarische Revue. Neue Folge Bd. 5, Wien 1888, S. 67f. u. Obereder, Maria: Bildung als politische Notwendigkeit. Zur Bildungsökonomie der Kameralisten Justi und Sonnenfels, Graz 1988. 312 Es gab allerdings noch kurzzeitig Unterricht unter Karl von Zallinger: vgl. Deutsch: Sonnenfels, S. 67, der aber bald nach Ungarn versetzt wurde. 313 AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 19 ex 1763, Fol. 19r. u. Fol. 19v. Bericht der Hofkammer

70

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

rungen gemäß einen Lehrstuhl, an welchem den angehenden Beamten nicht die praktische Arbeit in den Behörden, sondern allgemeine Grundsätze der Staatslehre beigebracht werden sollten.314 Hierfür erschien ihm der junge Sonnenfels geeignet, da dieser die Fähigkeit besaß, in kurzer Zeit große Mengen an Material zu sichten, dieses in einfache und relativ leicht vermittelbare Lehrsätze zu kleiden und anschließend rhetorisch gut zu präsentieren.315 Die Berufung des jungen Rechungsführers war aber aufgrund seines Mangels an spezifischer Fachkenntnis völlig von der Hilfe einflussreicher Förderer wie Borié abhängig. Über ihn schrieb Sonnenfels noch nach zwanzig Jahren Dienstzeit, dass er es war, dem ich den Ruf zu dem politischen Lehramte, Er dessen Mitwirkung ich das Lehramt selbst zu verdanken habe. Freyherr von Borié sprach einem jungen, unbekannten Manne bei Fürsten von Kaunitz das Wort, und bewog den allgemeinen Beschützer der Talente, mir seine Unterstützung […] zu gewähren.316 Aufgrund der Verbindung beider Männer folgte auch Sonnenfels’ Denkschrift, in der er im Herbst 1762 die Gründung eines Lehrstuhls für Kameralwissenschaft und die Verleihung der Professur an sich selbst erbat, ganz den Gedanken Boriés und des Staatskanzlers Kaunitz.317 Deren Ansichten entsprechend legte er einen Schwerpunkt auf die Notwendigkeit, die allgemeinen Grundsätze der Staatswirtschaft zu systematisieren und sie angehenden Beamten zu vermitteln, damit diese sie im Einzelfall anwenden würden.318 Außerdem sprach er sich für eine Vermehrung der Bevölkerung, eine Förderung des Binnenhandels und die Gründung einer kameralistischen Fachzeitschrift mit Bezug zur österreichischen Behördenpraxis aus.319 Maria Theresia nahm diese Denkschrift wohlwollend auf und befahl, Sonnenfels zu befragen, ob er sich tatsächlich zutraue, dieses Lehramt zu bekleiden und welche Gehaltsvorstellungen er habe.320 Die Studienhofkommission übermitüber die neue Kameralprofessur vom 14. Okt. 1763. Zu Boriés Ansichten vgl. Klingenstein: Akademikerüberschuß, S. 171. 314 Vgl. Muzik: Borié, S. 88–90 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 269. 315 Vgl. Walter-Klingenstein: Professor, S. 834f. u. Ogris: Rechtsreformer, S. 18. 316 Sonnenfels: Herz, S. 13. 317 Vgl. Muzik: Borié, S. 89 u. Szabo, Franz: Kaunitz and the enlightened absolutism 1753– 1780, Cambridge 1994, S. 163. 318 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 32. 319 Zum Konzept einer Zeitschrift über die Commerzien der Erblande vgl. Hofkammerarchiv Kommerz: Ober- und Niederösterreich Kart. 136 (Zugl. Fasz. 55 1749–1786 u. alternativ 117 rot), Fol. 3r.–10v. In seiner Ausarbeitung beruft sich Sonnenfels dabei direkt auf Empfehlungen des Staatsrates Borié, die er als seine Grundlagen nennt. Vgl. Klingenstein: Mercantilism, S. 197. 320 Diese Aufforderung vom Nov. 1762 ist leider nicht mehr erhalten, aber in der Darstellung von Kopetzky: Sonnenfels, S. 28 und in dem Antwortschreiben erwähnt.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

71

telte darauf am 19. Februar die Antwort, dass sich der Kandidat durchaus zutraue, die Erwartungen an das Fach zu erfüllen, und in Ansehung der Besoldung jenen Gehalt, welchen der vorhinige Lehrer dieser Wissenschaften in dem Collegio Theresiano genossen, gleichfalls zu überkommen wünschete.321 Diese Antwort der Kommission, in der auch Sonnenfels’ ehemaliger Lehrer und Kollege in der Deutschen Gesellschaft Martini saß, schien bereits zu genügen, um den fachlichen Außenseiter in die engste Wahl für das Lehramt zu ziehen. Es wurde ein Prüfungsverfahren mit nur einem einzigen Kandidaten begonnen, als am 26. März der Befehl an die Studienhofkommission erging: Sie Studien Hofkommission von dem Sonnenfelß das Lehrbuch, nach welchen Er seine Vorlesungen in denen Cameral–Wissenschaften halten will, abforderen, dieses sambt dessen dabei gemachten Anmerkungen einsehen, auch andere in diesen Wissenschaften erfahrenen Männer zu Rath ziehen, sofort die Gutmeinung erstatten solle, ob in dieser oder welcher anderen Arth mit der würcklichen Lehre dieser Wissenschaften der Werckthätige Anfang gemacht werden könne?322 Auf die genannte Aufforderung antwortete der angehende Professor zunächst mit einem mehrmonatigen Schweigen. Mitte Juni 1763 überreichte er dann überraschend nicht nur der Studienhofkommission eine Antwort auf ihre Anfragen, sondern gleichzeitig auch noch eine Eingabe an den Staatsrat, wo Borié und Kaunitz seine Sache vertraten und dieses zweite Schriftstück auch an die Kaiserin weiterleiteten.323 Auf diese Weise konnte er für die jeweiligen Empfänger seine Ausführungen variieren und unterschiedliche Akzente setzen. In beiden Dokumenten benennt er zunächst das Lehrbuch, welches er verwenden will, und begründet seine Wahl. Die Staatswirthschaft von Johann Heinrich Gottlob Justi sei nach seinem Ermessen am besten geeignet und außerdem von den Behörden bereits geprüft worden.324 In seiner Antwort 321 AVA StudHK Kart. 132 Konv. 16 ex 1763, Fol. 77r. u. Fol. 77v. Protokoll der b.ö. Hofkanzlei vom 19. Feb. 1763. Sonnenfels meint mit der Bezeichnung Vorgänger Johann Heinrich Gottlob Justi, obwohl dessen Lehrstuhl bereits 1755 aufgelöst worden war. 322 AVA StudHK, Kart. 132 Konv. 16 ex 1763, Fol. 74r. Dekret an die StudHK vom 26. März 1763. Vgl. auch HHStA Staatsratsprot. 314 ex 1763. Osterloh: Reformbewegung, S. 33 verweist darauf, dass Sonnenfels die Notwendigkeit einer Prüfung seiner Lehrsätze bereits am 27. Nov. 1762 mitgeteilt worden war. 323 Die Nachricht ist ohne Datum archiviert: AVA StudHK, Kart. 16, Konv. Polizei u. Ca[mer]al­­wissenschaften 19 ex 1763, Fol. 16r.–17v, parallel auch Hofkammerarchiv, Kommerz: Ober- und Niederösterreich Kart. 136 (Fasz. 55 1749–1786) (alternativ 117 rot), Fol. 16r.– 18v. Die Eingabe an Staatsrat und Kaiserin, ebenfalls o.D., ebd., Fol. 24r.–30v. Zur Datierung ist der Hinweis viereinhalb Monate bis zum Semester gegeben (Mitte Juni). 324 Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Staatswirthschaft oder Systematische Abhandlung aller Oeconomischen und Cameral-Wissenschaften, die zur Regierung eines Landes erfordert werden, 2 Bde. Leipzig 1755.

72

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

an die Hofkommission weist er allerdings am Beispiel eines einzelnen Paragraphen auf die umfangreichen Änderungen hin, die in Einzelfragen noch notwendig seien.325 Gegenüber dem Staatsrat und der Kaiserin hingegen verzichtet er auf dieses Beispiel und betont stattdessen vornehmlich, dass er Justis zum Teil polarisierende Ausführungen über die höheren Stände durch seinen Vortrag mäßigen werde.326 Nach den Ausführungen zu seinem Lehrbuch geht Sonnenfels in beiden Dokumenten darauf ein, dass er dem Befehl, seine Anmerkungen zu diesem Buch der Studienhofkommission vorzulegen, nicht Folge leisten könne. Er bezeichnet die Aufgabe gegenüber der Kommission sogar als Unmöglichkeit.327 Ohne eigene Lehrerfahrung spricht er zur Erläuterung die Professoren mit einer gewissen Dreistigkeit als Gleichberechtigter an und verweist darauf, dass ihnen wohl bewusst ist, dass ein Professor sich nur […] Randnoten, Beziehungen und Anmerkungen zu seinem eigenem Gebrauche, nicht, dass sie von jemand anderen eingesehen werden könnten verfertige, und dass [er] […] übrigens die erweiterte Ausführung dieser Anmerkungen seinem mündlichen Vortrage vorbehalte.328 Es sei daher prinzipiell falsch, zu erwarten, dass er den Befehl befolgen könne. Eine Überprüfung seiner Qualifikation sei außerdem nicht notwendig, denn So wie jeder Professor durch das Lehren selbst täglich neue Kenntnisse, täglich neue Stärke erwirbt, folglich dieser in seine Wissenschaft eindringt, mithin auch seine Vorlesungen immer verbessert, so werde ich, der ich vielleicht meine stehte Verwendung anführen darf, immer in meinen Vorlesungen nützlicher […] werden.329 Hier enden seine Ausführungen für die Studienhofkommission. Anstelle der geforderten ausführlichen Anmerkungen legte er eine kurze Arbeitsprobe bei, die nur einen winzigen Ausschnitt der Materie umfasst.330 Gegenüber Staatsrat und Kaiserin trat Sonnenfels hingegen wesentlich bescheidener auf. Er betont, bereits Anmerkungen gemacht zu haben, die aber mehr für ihn allein bestimmt und so umfangreich seien, dass er, um sie vollständig auszuarbeiten, wesentlich mehr Zeit benötige.331 Er merkt 325 Vgl. AVA StudHK, Kart. 16, Konv. Polizei u. Ca[mer]alwissenschaften 19 ex 1763, Fol. 16v. 326 Ebd., Fol. 27r. 327 Ebd., Fol. 16r. 328 Ebd., Fol. 16v. 329 Ebd., Fol. 17r. 330 Ebd., Fol. 32r.–36v. Zum Verhältnis von Sonnenfels’ Ausführungen zur Lehre Justis vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 34 u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 34–36. Für die Hofkammer erstellte er später eine zwar längere, aber ebenfalls nur auf einen kleinen Auszug beschränkte Eingabe: AVA Handschriftensammlung HS 1155 Vorlesung über Justi Staatswirthschafts I Buch II Abtheilung I Abschnitt, ursprünglich aus dem Bestand der Hofkammer, als Camerale 117 rot, Fol. 31r.–84v. 331 Ebd., Fol. 26v.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

73

an, dass in vier und ein halb Monat332 Semesterbeginn sei und ihn daher zahlreiche Pflichten, wie das Verfassen einer Antrittsrede und die Planung von Prüfungsfragen, belasten würden. Außerdem hätten sich viele Ergänzungen erst im Laufe des Vortrages ergeben. Er schließt hier rasch die Namen derjenigen Schriftsteller an, welche er benutze, um Justis Staatswirthschaft zu ergänzen und legt dabei Wert auf Autoren, die sein Förderer Borié, der Staatskanzler Fürst Kaunitz und ranghohe Beamte der Finanzbehörden kannten und schätzten.333 Im Schreiben an den Staatsrat und die Kaiserin folgen noch zwei weitere Aspekte, welche gegenüber der Studienhofkommission nicht erwähnt werden. Sonnenfels nimmt sich Zeit für eine Aufzählung seiner bisherigen Verdienste, wobei er neben seinen Zeugnissen und Praktika ganz besonders seinen Einsatz für den literarischen Ruhm seines Vaterlandes betont und darauf verweist, dies alles mit dem geringen Verdienst eines Rechnungsführers getan zu haben.334 Dieser Hinweis leitet zu einer Beschreibung seiner finanziellen Situation seit Beginn seiner intensiven Vorbereitungen auf das neue Amt über: Die Wissenschaft, die nun mein Beruf ward, forderte meine ganze Zeit […] und war mit meiner bekleideten Stelle unverträglich; ich musste also diesen kleinen Genuß fahren lassen um mich hierher ganz zu widmen. Ich musste mir eine Menge neue Bücher anschaffen, […] und ich sehe mich in den betrübten Umständen kein Brod zu haben, als was mir nun schon durch so lange Jahre bis in mein 30’ die Liebe meines Vaters reichet.335 Auf diese Schilderung folgt seine abschließende Aufforderung an die Kaiserin: Geruhen Euer k.k. […] May. nun endlichen meiner so vielfältigen Anwendung in Gnaden anzusehen und mir die gedachte Cameral-Professors Stelle […] zu verleihen.336 Sonnenfels versuchte also, das ihm drohende Prüfungsverfahren unter Berufung auf seine Verbündeten im Staatsrat und die Monarchin wenn nicht zu umgehen, so doch zumindest abzukürzen. Dafür war neben finanziellen Zwängen sicherlich relevant, dass er als Fachfremder nach einigen Monaten Privatstudium nicht dieselben Kenntnisse besaß wie diejenigen, welche seine Anmerkungen prüfen sollten. Darüber hinaus zeigt der unterschiedliche Ton, den er in seinen Eingaben verwendet, dass ihm wohl bewusst war, dass nur seine Förderer im Staatsrat und nicht die Studienhofkommision die Professur an ihn vergeben wollten und konnten. Obwohl sein 332 Ebd., Fol. 24r. 333 Ebd., Fol. 28r. Bspw. Locke, Montesquieu, Mirabeau, Ricard, Hume usw. vgl. Ogris: Rechts­­reformer, S. 18 u. Klingenstein: Mercantilism, S. 187–191 u. 199f. 334 Ebd., Fol. 29r. u. Fol. 29v. 335 Ebd., Fol. 30. 336 Ebd.

74

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

ehemaliger Lehrer Martini Mitglied der Kommission war, stand man ihm dort den Akten nach lediglich neutral gegenüber und hätte ebenso auch einen anderen Kandidaten geprüft. Seine „Probestücke“ wurden nun mit der Bitte an die böhmisch-österreiche Hofkanzlei weitergeleitet, sie an zuständige Behörden zur Überprüfung zu schicken.337 Maria Theresia selbst bestimmte dies mit einer Resolution vor dem 20. August 1763, in der sie anordnete, die Probeschrift von der Hofkammer und dem Kommerzienrat prüfen zu lassen.338 Sonnenfels’ Anmerkungen wurden somit von Verwaltungs- und Finanzfachleuten geprüft, die nicht nur in der Theorie belesen waren, sondern sich auch in der Praxis bewährt hatten.339 Solch ein Verfahren war notwendig, da es an der Wiener Universität keine fachkundigen Prüfer und kein etabliertes Habilitationsverfahren für die neue Professur gab. Die Monarchin befahl, die Prüfung rasch durchzuführen, damit dieses nöthige Lehr-Amt mit dem neuen SchulJahre den Anfang nehmen könne.340 Diese Frist ließ weniger als vier Wochen zum Erstellen eines Gutachtens und machte darüber hinaus die Prüfung eines weiteren Kandidaten völlig unmöglich. Sonnenfels erhielt als Reaktion auf seine Bittschrift außerdem 800fl. Büchergeld angewiesen, wodurch die positive Aufnahme seiner Eingabe unterstrichen wird. Der Anschein, dass die Überprüfung seiner Lehrsätze eher eine Farce als ein gründliches Verfahren war, bestätigt ein kaiserliches Dekret vom 31. August, das erlassen wurde, bevor Hofkammer und Kommerzienrat ihre Gutachten überhaupt fertig gestellt hatten. Hier wurde im Namen Maria Theresias über die Kameralwissenschaft verkündet: In dieser gnädigsten Absicht ist von allerhöchst derselben bey allhiesiger Universitaet die Einführung einer eigenen Lehr-Schule vorerwehnter Wissenschaften, und welcher bereits mit dem neu eintreffenden Schul-Jahr den Anfang zu nehmen hat, anbefohlen, auch zum Professore gedachter Lehr-Schule den Joseph v. Sonnenfels über die mit ihm vorgenommene Prüfung und am Tag gelegte stattliche Fähigkeit ernennet worden.341 Der Verweis auf die Prüfung und bewiesene Fähigkeit ist also in doppelter Hinsicht in Frage zu stellen. Einerseits, weil noch kein offizielles Ergebnis vorlag und andererseits, da, selbst wenn ein früheres informelles 337 AVA StudHK, Kart. 132, Konv. 17 ex 1763, Fol. 99v. u. Fol. 100r. Protokoll der StudHK vom 25. Juli 1763. 338 Ebd., Fol. 97r. o.D. Die Resolution wurde am 20. Aug. 1763 archiviert. 339 Die Beamten in den obersten Finanzbehörden verfügten über umfangreiche Kenntnisse der Kameralwissenschaft, die allerdings bisher als eine nicht zur Verbreitung vorgesehene Form des Herrschaftswissens angesehen wurde. Vgl. Klingenstein: Mercantilism u. Dies.: Professor, S. 832. 340 Ebd. 341 AVA StudHK, Kart. 16, Konv. Polizey und Ca[mer]alwissenschaften 19 ex 1763, Fol. 7r.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

75

Gutachten erstellt worden wäre, dieses nur auf einem Aufsatz von wenigen Seiten basiert hätte. Die Hofkammer und der Hofkommerzienrat gaben ihre Beurteilungen erst am 14. Oktober 1763 ab. Die Wertung des Kommerzienrates ist dabei relativ kurz und voll des Lobes für Sonnenfels’ bündigen Stil.342 Er hebe die richtigen Sätze auf gründliche Weise hervor und müsse sich nur noch bemühen, seine Wissensgebiete zu beschränken. Im Gegensatz dazu äußerte sich die Hofkammer als oberste Finanzbehörde der Monarchie deutlich negativer.343 Eingangs lobt zwar auch diese Behörde den Stil und die Auswahl der richtigen Lehrsätze aus der Literatur, geht dann aber rasch zur Kritik über und stellt mit gewisser Irritation fest, dass Sonnenfels sich viel intensiver mit der Polizey-, als mit der Kameralwissenschaft beschäftige.344 Da derlei Materie für den Staat aber auch von Nutzen sei, könne man die Professur derartig umwidmen, dass der zukünftige Inhaber beide Fächer unterrichte. Es sei aber zu bedenken, dass die Materie viel zu umfangreich und die Literatur zu komplex wären, um in kurzer Zeit im Privatstudium erlernt werden zu können. Die Klagen des Bewerbers über die fehlende Zeit würden dies bestätigen. Die Hofkammer empfahl daher, die Professur noch für ein Jahr auszusetzen und Sonnenfels erst einmal gründlich studieren zu lassen.345 Beide Beurteilungen wurden dem Bewerber mitgeteilt und die Kaiserin befahl entgegen den darin geäußerten Bedenken, den Lehrstuhl mit Beginn des Wintersemesters am 1. November zu eröffnen.346 Die Bedeutungslosigkeit des nun abgeschlossenen Berufungsverfahrens zeigt sich abschließend darin, dass es von Seiten des Staatsrates nicht für nötig gehalten wurde, ein offizielles Ernennungsdekret auszuarbeiten. Die Studienhofkommission erkannte daraufhin zwar an, dass Sonnenfels de facto bereits berufen war, forderte aber noch ein diesbezügliches Dokument ein.347 In dem darauf folgenden Dekret vom 31. Oktober 1763 wurde der Kandidat einen Tag vor Semesterbeginn offiziell zum Professor ernannt: Ihre […] Majestät hätte auf 342 Ebd., Fol. 14r.–15v., parallel überliefert bei Hofkammerarchiv Kommerz: Ober- und Niederösterreich Kart. 136 (Fasz. 55 1749–1786) (auch 117 rot), Fol. 86r.–87v., Meinung des kayl königlen Commercien Raths über das eingelangte Specimen des Professoris von Sonnenfels. 343 Ebd., Nachricht des Grafen Herberstein im Namen der Hofkammer an die Hofkanzlei vom 14. Okt. 1763, Fol. 18r.–23v. 344 Ebd., Fol. 20r. Vgl. dazu auch Osterloh: Reformbewegung, S. 35. 345 Ebd., Fol. 23r. 346 AVA StudHK, Kart. 16, Konv. Polizey und Ca[mer]alwissenschaften 19 ex 1763, Fol. 10r. Kaiserlicher Befehl an den Hofkanzler Graf Chotek vom 27. Okt. 63, vgl. zur Datierung Kopetzky: Sonnenfels, S. 37. 347 Vgl. Nachricht der StudHK vom 31. Okt. 1763, Ebd., Fol. 12r.

76

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

dessen allerunterthänigstes Anlangen und über die mit ihm vorgenommene Prüfung auch an den Tag gelegte stattliche Fähigkeit denselben zum Professor der von ihm vorgeschlagenen neuen Lehr-Schule von den Polizey- und Cameral-Wissenschaften allergnädigst ernennet.348 Das Verfahren macht deutlich, dass der junge Akademiker bereits vom ersten Moment an als Besetzung für den geplanten Lehrstuhl vorgesehen war und dass seine Förderer im Staatsrat ihm die Position unabhängig vom Ergebnis der Überprüfung seiner Lehrsätze verschafften.349 Die Bedeutung dieser Unterstützung wird durch die Behandlung einer parallelen Anfrage des aus Sachsen stammenden Professors für deutsche Wohlredenheit Johann Heinrich von Engelschall illustriert, der Anfang 1763 ersuchte, zusätzlich über Staatswissenschaften und Ökonomie an der Universität lehren zu dürfen.350 Sein Antrag wurde mit dem Hinweis auf fehlende Erfahrung im Staatsdienst von der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei abgelehnt, während zugleich der nicht weniger unerfahrene Sonnenfels seine Berufung erhielt. Hier zeigt sich, dass die Umsetzung von Bildung in eine entsprechende Anstellung an die Nutzung eines Netzwerkes gebunden war. Nur durch die Hilfe einflussreicher Personen, deren Ansichten Sonnenfels übernahm oder teilte, war es ihm möglich, zum Professor berufen zu werden. Sein Amtsantritt traf die Universität Wien ebenso unerwartet wie die Einrichtung des neuen Lehrstuhls überhaupt. Wenn eine Benachrichtigung auf informellem Wege auch wahrscheinlich ist, so wurde aber das zentrale Gremium der Universität, das Konsistorium, offiziell erst nach Beginn des Semesters über die Entwicklung informiert.351 Sonnenfels selbst antwortete aufgrund einer Anfrage vom 7. November dem Studiendirektor, dass er am 16. desselben Monats seine Antrittsrede halten und ab dem 18. mit seinen Vorlesungen beginnen wolle.352 Von Seiten der Universität war aber noch nicht festgelegt, in welche Fakultät der neue Professor immatrikuliert werden solle. Die Wahl fiel auf die philosophische, die noch immer vom Orden der Jesuiten geprägt war. Der dortige Rat machte die Aufnahme allerdings

348 Zit. nach Kopetzky: Sonnenfels, S. 38 u. Feil: Sonnenfels, S. 8. 349 Vgl. Hock, Carl Freiherr von u. Bidermann, Ignaz: Der österreichische Staatsrath (1760– 1848). Eine geschichtliche Studie, Wien 1879, S. 59. 350 Der Antrag datiert vom 5. März 1762, vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 33, wobei er bereits im Protokoll der b.ö. Hofkanzlei vom 19. Febr. 1763, AVA StudHK, Kart. 132, Konv. 16 ex 1763, Fol. 77v. kurz erwähnt wird. 351 AUW Konsistorialakten Fasz. I/2 Reg., Nr. 114 CA 1.2.115 2A3/1A4, Kaiserlich. Dekret vom 4. Nov. 1763. 352 AUW Konsistorialakten Fasz. I Lit. S. Nr. 29, Nachricht Sonnenfels an den Rector Magnifice o.D.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

77

von der Tatsache abhängig, dass Sonnenfels eine Promotion erhalte.353 Da es keinerlei Beispiel für einen Dozenten gäbe, der ohne dies Verfahren angestellt sei, sei auch keine Ausnahme möglich. Das Konsistorium, das sich einem kaiserlichen Dekret nicht widersetzen wollte, benachrichtigte Sonnenfels daraufhin am 28. November 1763, dass er bei der philosophischen Fakultät vorstellig werden und dort über vorher ohne allen seinen Entgelt überkommende Doctors-Würde, immatriculieret werden solle.354 Wie wenig Bedeutung er dieser Beförderung und seiner förmlichen Immatrikulation aber beimaß wird daraus deutlich, dass er der Aufforderung jahrelang nicht nachkam, sondern lediglich kraft kaiserlichem Dekret sein Amt bekleidete. Das Konsistorium musste ihn 1765 erneut ermahnen, sich endlich bei seiner Fakultät offiziell vorzustellen.355 Dies Beispiel zeigt, dass Sonnenfels gegenüber den Institutionen der Universität zunächst eine gewisse Distanz wahrte und eher auf die Unterstützung seiner Verbündeten im Staatsrat zu zählen schien. Die Ernennung zum Professor des neugeschaffenen Lehrstuhls für Polizey- und Kameralwissenschaft stellte den ersten bedeutenden Wegpunkt in Sonnenfels’ Karriere da. Er bekam nun sowohl den nützlichen Ruf wissenschaftlicher Autorität als auch ein festes Gehalt. Diese beiden Vorteile ermöglichten ihm seine zahlreichen Nebentätigkeiten und waren die Grundlage weiterer beruflicher Erfolge. Dass sein Weg vom Buchhalter zum Professor eines ihm fremden Fachs eine Besonderheit darstellte, war ihm dabei durchaus bewusst. Er bemühte sich daher, diesen Karrieresprung in seiner Autobiographie auf eine Weise zu begründen, die zwar nicht den Tatsachen entsprach, ihn aber in einem besseren Licht erscheinen ließ: Der Umstand ist für mich zu rühmlich, als dass ich ihn übergehen sollte: ich habe dieses Lehramt nicht gesucht; ich habe dazu den Ruf erhalten, ich habe mich bestrebet, diesen Ruf durch eine Probearbeit zu rechtfertigen, welche mit dem Beyfalle aller Hofstellen, bey denen sie zur Beurtheilung umlief, beehret wurde; Ich erhielt hierauf eine Belobung und ein Anstellungsdekret.356 353 Nachricht des Direktors an das Consistorium, ebd. Die Einordnung des neuen Faches in der Philosophischen Fakultät entsprach einerseits der Zuordnung der „guten policey“ zur Philosophie und andererseits der zunehmenden Umgestaltung der Fakultät zu einem Vorstudium für die Jura. Vgl. Hammerstein, Notker: Was heißt Aufklärung an den katholischen Universitäten des Reiches?, in: Klueting, Harm, Hinske, Norbert u. Hengst, Karl (Hg.): Katholische Aufklärung – Aufklärung im katholischen Deutschland (Studien zum 18. Jahrhundert Bd. 15), Hamburg 1993, S. 142–162, hier S. 152–159. 354 Dekret des Consistoriums an Sonnenfels vom 28. Nov. 1763, ebd. siehe auch: AUW Consistorales Protokoll R. 21.26. 355 AUW Consistorales Protokoll R. 21.26, Dekret des Consistoriums vom 22. Aug. 1765. 356 Luca: Österreich, S. 164.

78

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Noch vor Beginn seiner eigentlichen Lehrveranstaltungen umriss er in einer feierlichen Versammlung aller Universitätsangehörigen seine Vorstellungen und seine grundlegenden Absichten für den neuen Lehrstuhl in seiner Antrittsrede, welche den Titel von der Unzulänglichkeit der alleinigen Erfahrung in Geschäften der Staatswirtschaft trägt.357 Mit dem Titel verwies er bereits darauf, dass Kameralwissenschaft nach seiner Auffassung keine Sache der Praxis allein sei, sondern der theoretischen und systematischen Vorbereitung bedürfe. Er folgte hier den Ansichten Kaunitz’ und Boriés, wenn er beschrieb, wie bisher die Kenntnis der Praxis der Staatswirtschaft als ausreichend angesehen worden sei, obwohl sie oftmals an ihre Grenze stoße.358 Nur durch allgemeine Grundsätze könnten Einzelfälle richtig bewertet, Auswirkungen einer Entscheidung auf andere Bereiche des Staates erkannt und Fehler vermieden werden, welche sich sonst eventuell erst nach Jahrzehnten zeigten und dann unkorrigierbar seien.359 Die Kenntnis der Praxis sei angesichts zahlloser Einzelfälle sicher recht nützlich, aber keineswegs so bedeutend wie seine zukünftige Lehre. Es liegt nahe, dass Sonnenfels hiermit zwar den eingangs genannten Erwartungen entsprach, gleichzeitig aber die Angehörigen der verschiedenen Behörden herausforderte, die ohne Kenntnis der von ihm gepriesenen Grundsätze seit Jahren aus der Praxis heraus erfolgreich tätig waren.360 Schon vor dem eigentlichen Beginn seiner Lehrtätigkeit war seine universitäre Karriere also nicht nur von seiner vornehmlich in der Person Boriés begründeten Nähe zum Staatsrat und indirekt zur Kaiserin geprägt, sondern auch von beginnenden Diskrepanzen zwischen ihm und den Institutionen der Universität, der Studienhofkommission und etablierten Beamten in Behörden, die seinem Fach eigentlich organisatorisch nahe standen. Dabei ist zu beachten, dass diese Differenzen nicht nur durch Sonnenfels’ ungewöhnlichen Einstieg in die akademische Welt, sondern auch durch seinen sorgoder beinahe rücksichtslosen Umgang mit den etablierten Elementen der Verwaltungshierarchie verursacht wurden.

357 Die Rede wurde im Nov. 1763 gehalten und erschien im folgenden Jahr im Druck. Sonnenfels, Joseph von: Von der Unzulänglichkeit der alleinigen Erfahrung in den Geschäften der Staatswirthschaft: eine Rede beym Antritte seines Lehramtes, Wien 1764. 358 Ebd., S. 4–15. 359 Ebd., S. 15–20. 360 Osterloh: Reformbewegung, S. 36 legt nahe, dass weniger der Inhalt der Lehre, als vielmehr Sonnenfels’ provokantes Auftreten Ursache für Spannungen war. Die leitenden Beamten kannten außerdem schon seit längerem die Originale, aus denen er seine Lehrsätze zusammengestellt hatte.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

79

4.1.2 Schritt für Schritt zu einer eigenen Machtposition Am 18. Februar 1764, als Sonnenfels bereits seit mehr als vier Monaten an der Universität Wien lehrte, behandelte die böhmisch-österreichische Hofkanzlei eine Beschwerde des jungen Professors, die schon seit mehreren Wochen zirkulierte: Joseph von Sonnenfels, […] hat allergehorsamst vorgestellet, dass er bereits durch drey Monate das ihm allergnädigst anvertraute Lehr-Amt versehe, ohne dass ihm ein gewisser Gehalt […] bisanhero bestimmet worden wäre.361 Die finanzielle Lage des Betroffenen, der fest mit einem regelmäßigen Einkommen gerechnet habe, sei inzwischen kritisch geworden. Die Hofkanzlei rechtfertigte die Verzögerung allerdings damit, dass in dem unmittelbar vor Semesterbeginn erlassenem Ernennungsdekret kein Gehalt bestimmt wurde und sich keine Behörde zuständig gefühlt habe, eine Summe festzulegen.362 Dies sei Sache der Monarchin selbst. Auf Empfehlung der Hofkanzlei setzte jene in einer Randbemerkung am 11. März fest: Ich verwillige dem Sonnenfels eine jährliche Besoldung von fünf Hundert Gulden, welches demselben also zu erinnern ist. Maria Theresia.363 Sowohl die lange Bearbeitungsdauer des Antrages als auch das Fehlen jeglicher Unterstützung seitens der Universität weisen auf den schlechten Stand des neuen Fachs und seines einzigen Vertreters hin. Die im vorherigen Kapitel erwähnten Spannungen zwischen dem jungen Kameralwissenschaftler und den zuständigen Behörden fanden so ihren ersten Ausdruck. Die niedrige Besoldung, welche deutlich weniger als die Hälfte des Verdienstes anderer Professoren umfasste, zeigt darüber hinaus den geringen Stellenwert, der ihm und seinem Fach beigemessen wurde.364 Sonnenfels selbst kommentierte seine finanzielle Lage rückwirkend ironisch: 500 Gulden, das ist nach dem Preise, wie man in Wien lebt, nach Abzug der auf das sparsamste berechneten Hausmiethe, Holz, Licht und solcher Bedürfnisse, täglich gerade noch auf eine gesalzene Wassersuppe für mich und meine Frau. Das war in der Tat vorgesorgt, dass mich die Verdauung nicht am Studieren hindern möchte.365 Ausgehend von diesem Tiefpunkt ist allerdings in den folgenden Jahren zu beobachten, wie sowohl seine persönliche finanzielle Situation als auch die Position seines Fachs an der Universität immer weiter verbessert wurde. 361 AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 10 ex 1764, Fol. 96r.–97v., Note der B.ö. Hofkanzlei vom 18. Feb. 1764 hier Fol. 96r. 362 Ebd., Fol. 97r. u. Fol. 97v. 363 Ebd., Fol. 97v. 364 Dieses Gehalt entsprach dem eines Hilfslehrers, der reguläre Professoren vertrat oder unterstützte. Vgl. die Gehälter für Sonnenfels’ Substituten in Kap. 4.1.2. 365 Luca: Österreich, S. 165.

80

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Dieser Aufstieg war, wie im Folgenden geschildert wird, durch seine Beziehung zum Staatsrat und zu anderen Schutzpatronen seiner Person und des neuen Lehrfaches möglich. Den ersten Schritt stellte eine Erhöhung von Sonnenfels’ Gehalt dar. Sein Gönner Borié verwendete sich noch im März 1764 im Staatsrat für ihn und brachte dort seine schwierige finanzielle Lage zur Sprache.366 Es gelang der Mehrheit der Staatsräte, eine deutliche Verbesserung der Besoldung durchzusetzen.367 Maria Theresia ließ bereits am 14. April 1764 eine Erhöhung auf 1.200fl. verkünden.368 Das neue Lehramt befand sich dadurch nun materiell zunächst ungefähr auf demselben Niveau wie rangniedrige etablierte Professuren. Dies änderte sich im folgenden Jahr, als der Freiherr von Borié im Staatsrat für seinen Schützling die Erlaubnis erwirkte, neben der Universität auch an den zwei Wiener Adelsakademien – dem Theresianum und der Savoyischen Ritterakademie – zu lehren.369 Die Genehmigung wurde Mitte 1765 unter Umgehung der eigentlich zuständigen Studienhofkommission erteilt und ihr ohne Konsultation lediglich übermittelt.370 Aufgrund der dadurch steigenden Arbeitsbelastung wurde Sonnenfels eine weitere Gehaltserhöhung bewilligt, die ihn zu einem der materiell bessergestellten Mitglieder der Universität machte: Ich habe dem Sonnenfels den wegen seines aufhabenden Lehr Amts bishero […] 1200fl. bezogenen Gehalt auf 2000fl. zu erhöhen befunden.371 In der mit diesem Dekret erfolgten Vervierfachung seines Einstiegsgehaltes binnen eines Jahres wird der große Einfluss deutlich, den seine Förderer bei der Kaiserin zu seinen Gunsten geltend machten. Dessen Ausmaß wird auch dadurch illustriert, dass er in der Kürze der Zeit gar nicht im Stande war, diese Erhöhungen durch herausragende Leistungen zu rechtfertigen, sie also gewissermaßen als Vorschuss erhielt. Doch es blieb nicht bei materiellen Zuwendungen; Maria Theresia gewährte darüber hinaus ihm und seinem Fach verschiedene ideelle Verbesserungen. So wurde mit allerhöchster Förderung für den Besuch der neuen Lehrschule Werbung gemacht, als die Kaiserin 1763 befahl: so ist solches in al366 Vgl. HHStA Staatsratsprot. 280 ex 1764 u. 558 ex 1764. u. Muzik: Borié, S. 89. 367 Vgl. Luca: Österreich, S. 166. 368 AVA StudHK 16, Konv. 10 ex 1764, Fol. 94r. Dekret der Kaiserin an Graf Johann Karl Chotek. 369 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 60 und Muzik: Borié, S. 89, sowie Osterloh: Reformbewe­ gung, S. 125. Sonnenfels unterrichtete erst am Theresianum und dann ab 1770 auch an der Savoyischen Akademie, vgl. HHStA Staatsratsprot. 2690 ex 1770. 370 StudHK Kart. 16, Konv. 20 ex 1765, Fol. 108r. 371 AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 20 ex 1765, Fol. 110r. Kaiserliches Dekret an Rudolph Chotek vom 29. Juni 1765.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

81

len Meinen Ländern mit dem Anfügen bekannt zu machen, dass jene, welche solche besuchen, und in diesen Wissenschaften einen guten fortgang machen würden, vor anderen zu Lands-fürstlichen Diensten würden aufgenommen werden.372 Neben diesem allgemeinen Anreiz setzte sich die Kaiserin auf Anraten des Staatsrates Borié besonders dafür ein, dass Studenten aus nichtdeutschen Landesteilen in Wien das neue Studium absolvierten.373 Sie bewilligte ab 1766 Stipendien in Höhe von 200fl. für Studenten aus Ungarn und Siebenbürgen, welche in dem neuen Fach gute Fortschritte machen würden. Die Stipendiaten wurden von Sonnenfels ausgewählt und erhielten ihre Unterstützung jährlich.374 Aber nicht nur die ungarischen, sondern alle Studenten konnten davon profitierten, dass er ab 1767 die Aufgabe hatte, jedes Jahr eine Liste seiner besten Schüler zusammenzustellen, die an die Monarchin weitergeleitet wurde, um besonders talentierte zukünftige Beamte auszuwählen.375 Neben den positiven Anreizen wurden aber auch Zwangsmaßnahmen wie eine Überwachung des Vorlesungsbesuches verordnet, um die Bedeutung des Faches zu unterstreichen.376 Ihre persönliche Zustimmung und Anteilnahme an der sonnenfelsschen Lehre äußerte Maria Theresia in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre mehrmals, sah sie hier doch Unterstützung für das nach dem Siebenjährigen Krieg begonnene umfassende Reformprogramm: Gereichet mir alles, was die Polizey- und Staatswirthschafts Kenntniße in Meinen Erblanden, besonders aber in Böhmen mehrers ausbreiten kann, zum vorzüglichen wohlgefallen.377 Dass damit nicht nur wirtschaftliche Ziele, sondern auch eine staatserhaltende Legitimationsfunktion verbunden war, kommt an anderer Stelle zum Ausdruck, wenn die Kaiserin zu den zentralen Vorzügen der Polizeywissenschaft zählt, dass diese begründe warum und wie alles mit dem Landesfürsten verbunden ist.378 Drei weitere Dekrete zur Förderung der Kameralstudien folgten in den Jahren 1769 und 1770: Am 14. Juli 1769 befahl Maria Theresia, den Adel Böhmens anzuweisen, sich den Kameralstudien zu widmen, und ihr persön372 AVA StudHK, Kart. 16, Konv. Polizey und Ca[mer]alwissenschaften, Konv. 19 ex 1763, Fol. 10r. Kaiserlicher Befehl an Rudolph Chotek vom 27. Aug. 1763. 373 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 57. 374 Vgl. HHStA Staatsratsprot. 872 ex 1766; 66, 656, 1022, 1347 u. 1772 ex 1767 u. 949 ex 1768. 375 Vgl. bspw. HHStA Staatsratsprot. 2202 ex 1767. Die karrierefördernde Wirkung erwähnt auch Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 59. 376 Vgl. AVA StudHK, Kart. 16, Konv. Polizey und Ca[mer]alwissenschaften, Konv. 19 ex 1763, Fol. 10. Kaiserlicher Befehl an Rudolph Chotek, kroatischen Offiziersanwärtern den Besuch zu Befehlen vom 27. Aug. 1763. u. HHStA Staatsratsprot. 787, 841, 872 u. 896 ex 1766. 377 AVA StudHK, Kart. 23, Konv. 55 ext 1769, Fol. 407v. 378 Ebd., Ca[mer]al- und Polizeywissenschaften in genere, Konv. 43 ex 1767, Fol. 214r.

82

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

lich die Namen der neuen Studenten zu übermitteln.379 Es folgte im August die Order, dass nun auch der Clerus selbst nach und nach in diesen Wissenschaften sich einige Kenntniß beyleget.380 Hier ging die Kaiserin so weit festzulegen, dass keine kirchliche Stellung, die vom Landesfürsten abhängig sei, von jemandem ohne Zeugnisse der Kameralwissenschaften angetreten werden könne. Ein Einspruch der Hofkanzlei angesichts dieser zusätzlichen Belastung der angehenden Kleriker wurde von ihr kurzerhand abgelehnt.381 Für die weltliche Ebene folgte im November 1770 ein entsprechendes Dekret: Mayth. hätten neuerdings […] resolviert, dass niemand zu einem politischen, es sey landesfürstlich, ständisch oder Städtischen officio ohne beybringenden glaubwürdigen Zeugniß der erlernten Polizey und Kameral Wissenschaften nebst den übrigen sequisites gelangen solle.382 Dieses Dokument belegt die gewachsene Bedeutung der sonnenfelsschen Fächer und stellt sieben Jahre nach deren Einrichtung den Höhepunkt ihrer ideellen Förderung dar. Für beide geschilderten Arten der Unterstützung, der materiellen und ideellen, hatte der Staatsrat große Bedeutung. Sonnenfels war diesem Gremium vornehmlich durch seine Beziehung zum Freiherrn von Borié verbunden, der aber im Jahr 1770 Wien verließ, um bis 1792 als Gesandter zum Reichstag nach Regensburg zu gehen.383 Dennoch änderte sich zunächst kaum etwas an der besonderen Aufmerksamkeit, die Sonnenfels zuteil wurde. In den Protokollen des Staatsrates wird zwischen 1763 und 1775 kaum jemand, der nicht zur kaiserlichen Familie oder zum Staatsrat selbst gehörte, so häufig namentlich erwähnt wie er.384 Dies lag nicht allein am Interesse des Rates, sondern auch daran, dass er sich selbst mit Denkschriften und Eingaben immer wieder ins Gespräch brachte. Auffällig ist dabei, dass alle diese Anträge tatsächlich in dem höchsten Beratungsgremium besprochen wurden und nicht auf der Ebene der für Bildungsfragen zuständigen Studienhofkommission blieben. Grund dafür war neben der von Borié vermittelten Unterstützung durch den Staatskanzler Kaunitz auch die Mitte der sechziger Jahre geknüpfte Bekanntschaft mit einem weiteren Mitglied des Staatsrats. Mit 379 Vgl. AVA StudHK, Kart. 23, Konv. 43 ex 1769, Fol. 27r. Kaiserliches Dekret vom 14. Juli 1769. Sonnenfels hatte schon zuvor die besondere Bedeutung seines Lehrfaches für ­adelige Studenten betont, die für höhere Staatsämter vorbereitet werden müssten: Sonnenfels, Joseph von: Das Bild des Adels, eine Rede womit in der k.k. savoyschen Ritterakademie am 4. November 1767 das Studium angefangen worden, Wien 1767. 380 AVA StudHK, Kart. 23, Konv. 29 ex 1769, Fol. 1r. u. Fol. 2r. Kaiserliches Dekret vom 19. Aug. 1769; zitiert ist aufgrund besseren Zustandes die Fassung ebd., Konv. 25 ex 1769, Fol. 44r. 381 Feil: Sonnenfels, S. 11. 382 AVA StudHK, Kart. 23, in gen. Oeconomie, Konv. 3 ex 1770, Fol. 1r. 383 Muzik: Borié, S. 111. 384 HHStA Staatsratsprot. 1763–1775.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

83

dem Freiherrn Tobias von Gebler (1720–1786) verband Sonnenfels neben einem gemeinsamen Interesse an der Polizey- und Kameralwissenschaft auch das Engagement für eine Reform des deutschen Theaters.385 Über ihn schrieb er: Gebler, der damals noch Hofrath war, suchte mich zu kennen, und diese Bekanntschaft erwarb mir seine Freundschaft, seine Unterstützung.386 Das Verhältnis zwischen den beiden war allerdings nicht frei von Spannungen, da sich Phasen der Kooperation mit Phasen der Konfrontationen abwechselten, wie später noch dargelegt wird.387 Dennoch war es Sonnenfels gelungen, seine Verbindung zum Staatsrat zu erweitern, wodurch er den Abgang Boriés kompensieren konnte. Neben seinen persönlichen Beziehungen wirkten auch erste Erfolge, die er im Laufe der sechziger Jahre als Professor und als wissenschaftlicher Autor erzielte, zu seinen Gunsten. Der Anfang von Sonnenfels’ wissenschaftlicher Karriere war allerdings eher bescheiden. Er schrieb in seinem ersten Jahr an der Universität zunächst zwei kleinere Abhandlungen, Von dem Zusammenflusse und über Die neun Handlungsgrundsätze Englands, denen keine besondere Aufmerksamkeit von anderen Gelehrten zuteil wurde.388 Demgegenüber stellte jedoch bereits 1765 die erste Auflage des ersten Teils seines dreibändigen Lehrbuchs der Polizey-, Handlungs-, und Finanzwissenschaft einen Durchbruch dar.389 In diesen Büchern stellte er seine Grundsätze für die Verwaltung und die zukünftigen Reformen der Habsburgermonarchie in einfachen deutschen Lehrsätzen vor.390 Obwohl auf den eigentlichen Inhalt dieser Lehrbücher in 385 Vgl. allg. Schläger, Hans: Tobias von Gebler, Diss. Wien 1972; Der Kontakt zu Sonnenfels wird auch in einem Brief Eva Königs an Lessing vom 22. April 1772 beschrieben, in: Schulz: Madam, S. 170. 386 Luca: Österreich, S. 168. 387 Siehe Kap. 5.2; Zum gemeinsamen Einsatz für eine Theaterreform siehe Kap. 7.1.2 u. 7.1.3. Vgl. einen Brief von Gebler an Friedrich Nicolai vom 13. März 1782, in: Werner, Richard Maria (Hg.): Aus dem josephinischen Wien. Geblers und Nicolais Briefwechsel während der Jahre 1771–1786, Berlin 1888, hier S. 19. 388 Beide Texte erschienen auch in Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 10. 389 Die erste Auflage des ersten Bandes von 1765: Sonnenfels, Joseph von: Sätze aus der Polizey-, Handlungs- und Finanzwissenschaft. Zum Leitfaden der akademischen Vorlesungen, Wien 1765, wurde beim Erscheinen des zweiten Teils 1769 und des dritten 1776 überarbeitet. Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 134. In der vorliegenden Arbeit wird vergleichend mit anderen Ausgaben primär die 8. Auflage des Gesamtwerkes verwendet, die aufgrund ihrer weiten Verbreitung als Ndr. herausgegeben wurde: Sonnenfels, Joseph von: Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz: zu dem Leitfaden des politischen Studiums, 8. Aufl. Wien 1806, Ndr. Rom 1970. 390 Vgl. zu diesen Lehrbüchern und den Lehrsätzen Sonnenfels grundlegend: Osterloh: Reformbewegung, S. 36–123; Kopetzky: Sonnenfels, S. 46–48; Sommer: Kameralisten, S. 319– 446; Dittrich: Kameralisten, S. 110f. u. wenn auch teilweise veraltet Spitzer, Felix: Josef von Sonnenfels als Nationalökonom, Bern 1906.

84

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

den folgenden Kapiteln jeweils im Kontext einzelner Reformprojekte eingegangen wird, sind hier einige grundlegende Aspekte zum Verständnis dieser Werke und ihrer Bedeutung für Sonnenfels’ Karriere anzumerken. Zunächst ist es angesichts der kurzen Zeit, die ihm zum Schreiben blieb, und der Erwartungshaltung seitens seiner Förderer nicht überraschend, dass diese Lehrbücher kein eigenes Theoriegebäude präsentieren, sondern lediglich eine systematische Sammlung der damals im übrigen Europa verbreiteten Polizey- und Kameralwissenschaft darstellen.391 Der Autor selbst gesteht im Vorwort der überarbeiteten Grundsätze der Polizeywissenschaft, seine Thesen aus der europäischen Reformliteratur entliehen zu haben. Er rechtfertigt dies: Alle Bücher, die ich zum Leitfaden meiner Vorlesungen wählen wollte fand ich, nach den Materien, die behandelt, und nach der Zeit, in welcher sie behandelt werden sollten, entweder zu weitläufig oder zu eingeschränkt.392 Hier wird angedeutet, dass allein der Nutzen für die Lehre und nicht neue wissenschaftliche Erkenntnisse im Zentrum seiner Arbeit standen. Die Ausbildung zukünftiger Beamter mit einem theoretischen Hintergrund für die praktische Arbeit in den Behörden war das Ziel des Lehrstuhls.393 Diesen Hintergrund, die Staatswissenschaft, nannte Sonnenfels auch: die Wissenschaft zu regieren.394 Sie besteht ihm zufolge aus drei Teilen, denen er jeweils einen Teilband gewidmet hatte: Die Basis bildet die Polizeywissenschaft, welche Die Grundsätze die innere Sicherheit zu gründen und zu erhalten lehrt.395 Ihr nachgeordnet folgt die Handlungswissenschaft, welche die Vervielfältigung der Nahrungswege zum Ziel hat.396 Den dritten Teil des Lehrsystems bildet die Finanzwissenschaft oder die Methoden zur Hebung der Staatseinkünfte.397 Jedes der drei Lehrbücher präsentiert auf über 500 Seiten in nummerierten Lehrsätzen einen verständlich formulierten Forschungsüberblick anhand einer vornehmlich für die österreichischen Bedürfnisse angelegten Systematik.398 391 Diese Erkenntnis wird von der Forschung einstimmig vertreten, wobei ein Schwerpunkt in den Arbeiten von Hildegard Kremers darauf liegt, die Quellen von Sonnnenfels’ Grundsätzen zu ermitteln und somit neue Erkenntnisse zum Verständnis von Sonnenfels’ Lehre und zum Wissenstransfer im Europa der Aufklärung zu gewinnen, vgl. Kremers: Werk u. Dies.: Sources; Hinweise finden sich in den Lehrbüchern selbst, denen Bilder von Montesquieu und Forbonnais vorangestellt sind. 392 Sonnenfels: Polizey, Vorwort. 393 Osterloh: Reformbewegung, S. 39. 394 Sonnenfels: Polizey, S. 16. 395 Ebd., S. 20. 396 Ebd. 397 Ebd. 398 Vgl. die Einschätzung Sonnenfels’ in einem Brief an Klotz vom 5. März 1769, in: Rollet: Briefe, S. 22.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

85

Obwohl die erste Fassung der Polizeywissenschaft bereits 1765 erschien, entwickelt die Wirkungsgeschichte dieser Lehrbücher erst ab dem Jahre 1769 zunehmende Dynamik. Sonnenfels gab in diesem Jahr die zweite, wesentlich veränderte Auflage der Polizey-, und die erste seiner Handlungswissenschaft heraus. Sowohl der Staatsrat als auch die Kaiserin hatten bereits im Vorfeld Interesse an diesen Werken bekundet und erhielten seit 1767 Berichte über den jeweiligen Stand der Arbeit.399 Dies lag wahrscheinlich daran, dass schon nach Einsicht der Manuskripte beschlossen worden war, die Bände zu verbindlichen Lehrbüchern an allen Universitäten der Habsburgermonarchie zu machen. Auf diese Weise sollte die Einheitlichkeit des Unterrichts an den verschiedenen, in den Jahren nach 1763 in der Monarchie eingerichteten Kamerallehrstühlen gewährleistet werden. Sonnenfels schrieb in einem Bericht vom 28. August 1769 an Maria Theresia: dass von dem von Eurer Majestät für die Camerallehrämter vorgeschriebenen Lehrbuche der erste Theil […] bereits völlig abgedruckt, der zweyte aber, von welchem wirklich schon 18 Bögen im Druck sind, mit Ende dieses Monats volkommen fertig seyn wird. Die in den Provinzen angestellten Cameralprofessoren können demnach für das künftige Schuljahr über diese Beiden Theile ohne allen Aufenthalt ihre Vorlesungen halten.400 Kurz nach dieser Meldung wurden die Lehrbücher publiziert und unter anderem auch von Joseph II. zur Kenntnis genommen, der mit seiner Mutter übereinstimmend am 25. November desselben Jahres befahl: Dem Sonnenfels ist mein gnädigstes Wohlgefallen über die von ihm mit gleicher Gründlichkeit, und Deutlichkeit verfassten beyden ersten Theile seines, von mir allen Kanzeln der Polizey- und Kameralwissenschaften vorgeschriebenen Lehrbuchs, durch ein Decret zu erkennen zu geben.401 Eine Belohnung für seine Arbeit hatte Sonnenfels bereits am 9. März des Jahres 1769 in Form eines Dekrets Maria Theresias erhalten: Ich habe dem Sonnenfelß den Charakter eines würklichen Regierungs Raths, gratis verliehen.402 Mit diesem Titel, den auch andere Professoren an der Universität innehatten, war zugleich eine Gehaltserhöhung von 400fl. verbunden.403 Der 399 Vgl. eine Notiz zur Weiterleitung eines undatierten Berichtes von Sonnenfels über seine Lehrbücher AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 24 ex 1767 unf. und einen Bericht Sonnenfels’ an Maria Theresia vom 28. Aug. 1769, AVA StudHK, Kart. 23, Ca[mer]al- und Polizeywissenschaften in gen., Konv. 28 ex 1769, Fol. 32r. u. Fol. 32v. 400 AVA StudHK, Kart. 23, ebd., Konv. 28 Ex 1769, Fol. 32r. u. Fol. 32v. 401 Befehl Josephs an den Kanzler Johann Carl Chotek, StudHK, Kart. 16, Konv. 33 ex 1769, Fol. 217r. Vgl. zum Kontext: Osterloh: Reformbewegung, S. 134. 402 AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 22 ex 1769, Fol. 204r. vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 62. 403 AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 22 ex 1769, Fol. 204r. Hier wird allerdings von einer Erhöhung von 1.200 auf 1.600 fl. gesprochen, obwohl Sonnenfels bereits 2.000 fl. erhielt. Seine

86

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

neue Rat wurde auf eigenen Wunsch der niederösterreichischen Regierung zugeordnet und arbeitete dort auf dem Gebiet der Polizey und der Zensur.404 Später schrieb Sonnenfels seine Ernennung dem Wirken des Staatsrates Tobias von Gebler zu: Er hatte den größten Antheil an den Belohnungen, womit die Monarchinn mir ihren Beyfall über den ersten Theil meiner Grundsätze zu bezeugen, und mich zur Fortsetzung dieses Werkes zu ermuntern die Gnade hatte.405 Seine Lehrbücher, deren dritter Teil 1772 erschien, erlebten mehrere Neuauflagen und wurden für den Unterricht in Ungarn ins Lateinische übersetzt.406 Sie blieben in der Habsburgermonarchie bis 1848 grundlegend für den Unterricht in den Wirtschafts- und Staatswissenschaften.407 Auch in anderen Gebieten des Reiches, so an den Universitäten zu Bonn, Mainz und Kaiserslautern, wurde nach seinen Grundsätzen gelesen.408 Die Neuauflagen wurden in Zeitschriften angekündigt und durch Vorabdrucke und Anzeigen beworben.409 Darüber hinaus zogen die drei Werke auch noch eine kurzlebige Fachzeitschrift, mehrere ergänzende Veröffentlichungen, vorbereitende Einführungen und studienbegleitende Kurzfassungen nach sich, welche von Sonnenfels oder seinen ehemaligen Studenten ausgearbeitet wurden und die Wirkung seiner Arbeiten noch verstärkten.410 Neben seinen Lehrbüchern wurden allgemein auch seine Fähigkeiten als Lehrer und Redner gelobt.411 Im Gegensatz zu seinen Kollegen unterrichtete er in deutscher Sprache und gewann bei den Studenten rasch an Popularität. Sein Talent nutzte Sonnenfels allerdings nicht nur im Rahmen regulärer Vorlesungen, sondern auch in öffentlichen Disputationen, bei Festreden an den Akademien und ähnlichen Anlässen.412 Durch eine derartige Präsenz späteren Gehaltsangaben legen nahe, dass der Aufschlag dennoch ausbezahlt wurde und er daher 2.400fl. verdiente. 404 Vgl. AUW Konsistorialakten, Fsz. I Lit S. Nr. 29, Nachricht des Konsistoriums an die Fakultäten vom 22. März 1769. Der eigentliche Eintritt in die Regierung verzögerte sich noch bis 1771, vgl. AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 161 ex 1776, Fol. 269–274r. Memoria des Sonnenfels vom 28. Okt. 1776, hier Fol. 272v. 405 Luca: Österreich, S. 169. 406 Vgl. HHStA Staatsratsindex 2094 ex 1768. 407 Simonson, Franz: Joseph von Sonnenfels und die Grundsätze der Polizei, Berlin 1884, S. 21f. 408 Vgl. Stieda, Wilhelm: Die Nationalökonomie als Universitätswissenschaft, Leipzig 1905, Ndr. Vaduz 1978, S. 74, 84, 189, 202 u. 333. 409 Baumeister, J. von: Eine Ausgabe der sämtlichen Werke des Herrn Hofraths von Sonnenfels, in: Der Teutsche Merkur, Bd. 4 1782, S. 274–276. 410 Für eine Übersicht siehe Osterloh: Reformbewegung, S. 37 u. 240. 411 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 123 u. Kink, Rudolf: Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien, 2 Bde., Wien 1845/55, hier Bd. 1, S. 507. 412 Vgl. Klingenstein: Patriot, S. 212 u. Dies.: Mercantilism, S. 181.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

87

außerhalb der Lehrveranstaltungen unterschied er sich von anderen Professoren, die, wenn überhaupt, auf schriftlichem Wege außeruniversitäres Publikum suchten. Insofern trugen seine Talente im Laufe der Dienstjahre dazu bei, nicht nur sein eigenes Ansehen, sondern auch das seines Fachs zu vergrößern. Seine Kontakte zum Staatsrat und dadurch zur Monarchin nutzte Sonnenfels auch weiterhin zur Verbesserung der Ausstattung seines Lehrstuhls. Im Jahr 1766 erhielt er 800fl. für den Erwerb von Fachliteratur.413 Er gab aber stattdessen einfach 1.751fl. aus und beantragte anschließend beim Staatsrat, ihm diese Summe und noch zusätzliche Mittel für regelmäßige Neuanschaffungen zugunsten des Lehrstuhls zu gewähren. Die Kaiserin persönlich bewilligte ihm am 27. August des Jahres rückwirkend 200fl. jährlich für diesen Zweck und ordnete an, dass eine Liste der Neuanschaffungen stets dem Staatsrat vorgelegt würde. Die von ihm angeschafften Bücher gehörten damit nicht ihm persönlich, sondern der Universität. Allerdings ist über den Aufstellungsort der stetig wachsenden Fachbibliothek nichts bekannt. Die weitreichende Anerkennung verlieh Sonnenfels eine Autorität als Experte für Polizey- und Kameralwissenschaft, die mit jedem weiteren Dienstjahr und zunehmender Anzahl der von ihm ausgebildeten Studenten wuchs. Dieser Ruf erlaubte es ihm zukünftig, in Fragen der Staatsreformen als Sachkundiger und vom Herrscher geförderter Akteur in den Debatten aufzutreten. Diese Stellung war aber, wie offenbar wurde, von der Nutzung sozialer Beziehungen abhängig. Allerdings erleichterte es ihm sein guter Ruf sicherlich, Fürsprecher zu finden mit deren Hilfe es ihm auch gelang, seinen Status in der Universität Wien zu erhöhen und die Entwicklung der Polizey- und Kameralwissenschaft in den Provinzen der Monarchie zu begünstigen.414 Diese Entwicklung nahm am 29. Dezember 1766 mit der Einrichtung von Lehrstühlen in Linz, Tyrnau und Klagenfurt ihren Anfang. Dies geschah auf Empfehlung des Staatsrates von Borié und auf ausdrücklichen Wunsch der jeweiligen Stände.415 Sonnenfels erhielt vom Staatsrat den Auftrag, geeignete Kandidaten mit einer entsprechenden Herkunft für diese und weitere 413 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 57f. u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 60. 414 Dies unterstreicht die Bedeutung Wiens als kulturelles und wissenschaftliches Zentrum für die übrigen Landesteile der Monarchie, vgl. Csáky, Moritz: Der Stellenwert Wiens im Prozeß des kulturellen Austauschs zwischen West- und Südosteuropa um 1800, in: Plaschka, Georg u. Mack, Karlheinz (Hg.): Wegenetz europäischen Geistes. Wissenschafts­ zentren und geistige Wechselbeziehungen zwischen Mittel- und Südosteuropa vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum 1. Weltkrieg, München 1983, S. 356–359. 415 Vgl. Muzik: Borié, S. 91 u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 59.

88

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Kanzeln auszubilden.416 Er selbst schrieb am 24. Juli 1769 an Klotz: Ich habe schon 6 Schüler von mir in unsere Provinzen, als Lehrer der Kameralwissenschaften gesendet; und diese Lehrstühle hat man erst gestiftet: also habe ich Grund zu erwarten, dass meine Grundsätze allgemein verbreitet werden.417 Seine Annahme wird dadurch bekräftigt, dass die neuen Professoren nicht nur von ihm ausgebildet wurden, sondern in ihrem Amt auch sein Lehrbuch verwenden mussten. Darüber hinaus fungierte er aufgrund seiner Kontakte zum Staatsrat und den Zentralbehörden auch als ihr Ansprechpartner bei Problemen. Dies zeigt sich im Jahr 1770 als Sonnenfels bezüglich des von mir auf allerhöchsten Befehl zum Lehramte der Kameralwissenschaften nach Tyrnau vorgeschlagenen deutschen Gardisten Pal eine Eingabe an den Staatsrat und die Kaiserin schrieb.418 Dieser habe sein neues Amt angetreten und beklage nun, dass er weniger Gehalt als die anderen Professoren beziehe. Sonnenfels nimmt sich der Sache an und führt aus, dass dies einen nachteiligen Eindruck bei den Studenten hinterlassen würde. Als Ursache dieses Missstandes nennt er, dass bei der Studienhofkommission niemand für diese Wissenschaften das Wort führt, indessen alle übrigen ihre Vertreter haben, das diesfällige Lehramt gegen die anderen Lehrämter sehr ungleich gehalten 419 werde. Daher habe er diese und noch weitere Eingaben an den Staatsrat verfasst, in denen er sich für die Gleichstellung der Besoldung des Professors Pal mit der seiner Kollegen einsetzte.420 Er betont die große Bedeutung seines Faches und, wie viel Mühe erforderlich sei, solch eine umfassende Wissenschaft zu studieren oder gar zu lehren.421 Doch sei dies nur ein Beispiel für mehrere Defizite, welche alle eine gemeinsame Ursache hätten: Ich stellte zugleich allerunterthänigst vor, diese Ungleichheit könne auf der einen Seite zu einem nicht eben tröstenden Beweise dienen, dass diese Wissenschaften noch nicht auf fähige Gönner zuversichtlich seyn dürfen.422 Angesichts der zahlreichen Vergünstigungen, die Sonnenfels und der Wiener Lehrstuhl erhalten hatten, scheint die Aussage zwar auf die neuen Lehrer, nicht aber 416 Bspw. HHStA Staatsratsprot. 1972 ex 1768 u. 1027 ex 1770 zur Berufung von Lehrern für das Gebiet Siebenbürgen. 417 Rollet: Briefe, S. 27. 418 HHStA Akten der Staatskanzlei zu Wissenschaft, Kunst und Literatur, Kart. 2, Konv. Rechts- und Staatswissenschaften, Volkswirtschaft, Politik, Fol. 453r.–455v. Pro Memoria von Sonnenfels o. D., hier Fol. 453r. 419 Ebd. 420 Vgl. HHStA Staatsratsprot. 1380, 1980 und 1525 ex 1770. 421 HHStA Akten der Staatskanzlei zu Wissenschaft, Kunst und Literatur, Kart. 2, Konv. Rechts- und Staatswissenschaften, Volkswirtschaft, Politik. Fol. 453r.–455v. Pro Memoria von Sonnenfels o.D., hier Fol. 455r. 422 Ebd., Fol. 453v.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

89

auf ihn selbst zuzutreffen. Fälle wie der des Professor Pal belegen, dass Sonnenfels’ Kollegen Beziehungen fehlten, die er aber in Wien sehr wohl mobilisieren konnte. Daher wandten Pal und andere sich an ihn, um auf diesem Wege vor dem Staatsrat Gehör zu finden. Durch diese Schlüsselstellung besaß er eine relative Machtposition in der akademischen Welt. Im Gegensatz zu seinen bisherigen Beziehungen war er selbst nun aufgrund seiner besseren Verbindungen der stärkere Akteur und prägte ein eigenes universitäres Netzwerk. Seine Funktion als Ansprechpartner führte jedoch dazu, dass er weniger Zeit auf die Lehre und mehr auf die Verwaltung des Faches und den Ausbau seiner Position an der Universität und in der niederösterreichischen Regierung verwandte. Da er außerdem noch intensiv als Autor tätig war, musste er sich bemühen, wenigstens für Teile seines Lehrdeputats einen Substituten zu bekommen. Im Jahr 1768 bat Sonnenfels Maria Theresia erfolgreich um die Berufung des Karl von Zahlheim zum Hilfslehrer für den Unterricht an den beiden Adelsakademien.423 Zahlheims Ernennung erfolgte gegen den Einspruch der Studienhofkommission. Deren Mitglieder befürchteten, dass Sonnenfels überhaupt nicht mehr selbst unterrichten würde, wenn nicht ausdrücklich befohlen werde, dass Zahlheim – wie bei Substituten üblich – nur im Krankheitsfall aushelfen sollte.424 Tatsächlich begann nun ein Rückzug des erfolgreichen Professors aus der Lehre, gegen den die Hofkommission und auch die böhmisch-österreichische Hofkanzlei im folgenden Jahr Widerstand leisteten. Bereits 1770 musste die Stelle des Substituten neu besetzt werden. Zahlheim wurde entlassen, nachdem er eine von der Zensur verbotene Schrift im Ausland drucken ließ und sie in Wien verkaufte.425 Sonnenfels schlug darauf seinen Schüler Ignaz de Luca (1746–1799) als neuen Lehrer vor und beantragte gleichzeitig, endgültig von der Arbeit an den Akademien entbunden zu werden. Die Hofkanzlei stimmte der Ernennung de Lucas zum Substituten zwar zu, äußerte sich aber gemeinsam mit der Studienhofkommission kritisch über Sonnenfels’ weitere Wünsche.426 Der Antragssteller habe bereits im Falle Zahlheim versichert, nur eine Vertretung im Krank423 Vgl. AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 22 ex 1769 Fol 204r. Dekret Maria Theresias vom 9. Martii 1769 und ebd. Konv. 161 ex 1776, Fol. 269–274r. Memoria des Sonnenfels vom 28. Okt. 1776, hier Fol. 270r. 424 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 135. 425 Vgl. dazu Grünberger: Luca, S. 7 u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 158. Maria Theresia nahm ihn aber dennoch wieder im Range eines Sekretärs in landesfürstliche Dienste auf, vgl. AVA StudHK, Kart. 16 Konv. 20 ex 1771, Dekret Maria Theresias an Carl Chotek vom 6. März 1771. 426 AVA StudHK, Kart. 23, Konv. 59 ex 1770, Fol. 558r.–562r. Protokoll der b.ö. Hofkanzlei vom 1. Sept. 1770.

90

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

heitsfall zu benötigen aber sodann keinen Unterricht mehr erteilt, bis es ihm explizit befohlen worden sei: das letzte allerhöchste Hof: Decret, welches ihn deutlich zu ordentlicher Haltung der Vorlesungen anweiset, bezeigt das klare Widerspiel.427 Er versuche nun, sein Fehlverhalten dauerhaft zu rechtfertigen und habe dafür keine überzeugenden Gründe. Auf Sonnenfels’ Behauptung, zu wenig Zeit zu haben, entgegnet die Hofkanzlei, dass das Lehrdeputat an den Akademien nur wenige Stunden umfasse und der Antragssteller schließlich auch Zeit genug für Nebentätigkeiten als Schriftsteller habe. Für diese Behörde stehe fest, dass Sonnenfels eine bestimmte Absicht mit dieser Anfrage verfolge: Da nun überhaupt aus der Vorstellung des v. Sonnenfels nicht undeutlich abzunehmen ist, dass derselbe dahin abziele nicht so einen Lehrer, als vielmehr einen Directorem der Cameral: Wissenschaften abzugeben.428 Ein Streben nach einem solchen Einfluss, wie er nur den leitenden Studiendirektoren der vier Fakultäten zustehe, sei aber nicht zu unterstützen.429 Maria Theresia stimmte diesen Anmerkungen zu, so dass Sonnenfels selbst die Vorlesungen des nächsten Semesters eröffnete. Seine zum Jahreswechsel erfolgte Berufung in die Bücherzensurkommission nahm er allerdings zum Anlass, Ignaz de Luca anzuweisen, für den Rest des Jahres den Unterricht an den Adelsschulen zu erteilen.430 Diesmal provozierte er jedoch den Widerstand der beiden Akademien selbst. Besonders an der Savoyischen wollte man die Abwesenheit des regulären Professors nicht dauerhaft hinnehmen. De Luca sah sich Anfeindungen ausgesetzt, als im Kollegenkreis Zweifel an seinen Fähigkeiten als Lehrer geäußert wurden.431 Eine Beschwerde des Direktors erhielt schließlich kaiserliche Zustimmung, so dass Sonnenfels rückblickend nicht ohne Empörung schrieb: ich sahe mich also genöthiget, nachdem ich bereits zwey Jahre der Vorlesungen in der Akademie enthoben gewesen, dieselbe neuerdings zu übernehmen.432 In den folgenden Monaten versuchte er trotz des zuletzt ergangenen Dekretes immer wieder, von der Lehre befreit zu werden. Insgesamt fünfmal bemühte er sich auf dem Dienstweg, Mal mit Bezug auf seine Verdienste und Mal mit Hinweis auf sein angeblich geringes Gehalt, die begehrte Freistellung zu erhalten.433 Die böhmisch-österreichische Hofkanzlei antwortete schließlich beinah gehässig, dass Sonnenfels mehr Gehalt als die meisten anderen Pro427 Ebd., Fol. 559r. 428 Ebd., Fol. 559r. u. Fol. 559v. 429 Zur Funktion der Studiendirektoren vgl. Klingenstein: Despotismus, S. 145. 430 Zu Sonnenfels’ Tätigkeit in der Kommission vgl. Kap. 5.4. 431 Grünberger: Luca, S. 7 u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 159. 432 AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 161 ex 1776, Fol. 269r.–274r. Memoria des Sonnenfels vom 28. Okt. 1776, hier Fol. 272v. 433 Vgl. zu seinen Anträgen und der Antwort: Kopetzky: Sonnenfels, S. 160f.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

91

fessoren beziehe und dass seine Verdienste außerdem in erster Linie im Abschreiben anderer Autoren bestanden hätten. Die Kanzlei empfahl ein kaiserliches Dekret zur Beendigung der Beschwerden. Dieses Dokument folgte aus der Hand Josephs II.434 Er ordnete an, dass Sonnenfels wie üblich im Krankheitsfall oder bei dienstlicher Verhinderung einen Ersatzmann habe solle, eine pauschale Befreiung aber nicht möglich sei. Für die beteiligten Behörden war das Verfahren damit abgeschlossen, nicht aber für Sonnenfels. Er wandte sich direkt an Maria Theresia und ignorierte die Anweisung des Mitregenten Joseph.435 Dabei gelang es ihm zu erwirken, dass ich von der Abhaltung ordentlicher Vorlesungen allergnädigst dispensirt, jedoch über den Fortgang der politischen Studien in den Akademien die Aufsicht zu führen, [und] die Examina selbst abzuhalten verpflichtet seyn soll.436 Sonnenfels hatte somit durch Eingreifen der Monarchin schließlich doch die von der Hofkanzlei und der Studienhofkommission abgelehnte Funktion eines Leiters der Studien erhalten. Seinem Schüler de Luca verschaffte er einen Lehrstuhl in Linz, während neue Lehrer aus dem Kreis seiner Studenten an der Akademie nachfolgten.437 Leider kann in den Quellen nicht nachvollzogen werden, welche Beweggründe Maria Theresia zu dieser außerordentlichen Maßnahme trieben, die von 1771 bis zu Sonnenfels’ Rücktritt von der Universität im Jahr 1790 Bestand hatte. In jedem Fall zeigte ihr Eingriff zu seinen Gunsten, der offen gegen zwei ihrer Zentralbehörden und ihren mitregierenden Sohn vorgenommen wurde, welches Interesse sie dem Professor auch in Abwesenheit dessen Förderers Borié entgegenbrachte. Ihre Unterstützung ging so weit, ihm für die Aufsicht über die Studien zusätzlich weitere 600fl. jährlich anzuweisen, so dass Sonnenfels für seine Professur insgesamt 3.000fl. erhielt.438 Sein Einstiegsgehalt hatte sich nunmehr in acht Jahren versechsfacht und er selbst war vom Neuling an der Universität zum Leiter seines landesweit gelehrten Faches geworden, das er so dem Einfluss der universitären Kontrollorgane entzog. Er kümmerte sich nun um die Organisation seines Faches, die Vermittlung von Anträgen und die Vergabe von Geldern und Posten. Somit konnte er spätestens jetzt in einem eigenen universitären Netzwerk agieren, das er selbst ausbaute und dessen stärkster Akteur er selber war. 434 Ebd., S. 161. 435 AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 161 ex 1776, Fol. 269r.–274r. Memoria des Sonnenfels vom 28. Okt. 1776, besonders: Fol. 272r. u. Fol. 272v. 436 Ebd., Fol. 272v. u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 162 sowie S. 243. Hier wird eine angebliche mündliche Erlaubnis der Kaiserin für Sonnenfels angeführt, seinen Substituten dauerhaft zu verwenden. 437 Vgl. Grünberger: De Luca, S. 9f. 438 Ebd., Fol. 272v.

92

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Die Bedeutung seiner Stellung wurde dadurch noch erhöht, dass er 1780 in die Studienhofkommission berufen wurde.439 Zehn Jahre zuvor war dies durch den Einspruch der Behörde aufgrund seiner fehlenden Erfahrung noch verhindert worden, nun aber ernannte Maria Theresia ihn aufgrund seiner langjährigen Dienste zum Mitglied und verband dies mit seiner Beförderung zum Hofrat für seine verschiedenen Verdienste für die Verwaltung der Monarchie, beispielsweise als Beleuchtungsdirektor Wiens.440 Nach seiner Berufung begegnete die Kommission ihm und seinem Fach mit wohlwollender Neutralität, die er gelegentlich auch in Unterstützung umwandeln konnte. Besonders nachdem Gottfried van Swieten (1734–1803) unter Joseph II. zum neuen Präsidenten der Kommission ernannt wurde arbeiteten beide Männer gemeinsam daran, eine neue auf Effizienz fokussierte Bildungspolitik durchzusetzen.441 Er befand sich nun in der Position, die Stellung der Polizey- und Kameralwissenschaft an den Universitäten und in deren Curricula nicht mehr nur zu vertreten, sondern auch zu verbessern. Den ersten Schritt dazu stellte eine Erhöhung des Ranges seines Studienfaches gegenüber anderen dar. Anfangs war seinem Studiengebiet, wie schon an seinem ersten Gehalt ersichtlich, nur untergeordnete Bedeutung beigemessen worden. Dass Sonnenfels dies nicht hinnehmen wollte, äußerte sich bereits 1766, als er vergeblich versuchte, seine Vorlesungen auszuweiten und in einen besseren Hörsaal zu verlegen.442 Er beantragte ohne Rücksprache mit den Betroffenen, die Lehrveranstaltungen zweier älterer Professoren der Jura zu verschieben. Er forderte deren Hörsäle mit dem schlichten Argument für sich, dass er mehr Studenten habe. Bei der Erörterung dieses Antrages wurde zwar auch von Seiten der Studienhofkommission auf die große Zahl seiner Zuhörer verwiesen, aber dennoch davon abgeraten, ältere Professoren der Jura seinetwegen einzuschränken. Die Hofkanzlei drückte noch deutlicher aus, dass Sonnenfels als Mitglied der philosophischen Fakultät auf keinen Fall die juristischen Studien stören solle, da deren Bedeutung größer sei.443 439 Vgl. Kap. 7.4.2. 440 Vgl. Kap. 7.3.2. 441 Vgl. zu diesem Zusammenhang ausführlich Kap. 7.4 sowie Wangermann: Bildungsideal und Ders: Aufklärung und staatsbürgerliche Erziehung. Gottfried van Swieten als Reformator des österreichischen Unterrichtswesens 1781–1791, Wien 1978 u. Grimm, Gerald: Elitäre Bildungsinstitution oder „Bürgerschule“? Das österreichische Gymnasium zwischen Tradition und Innovation 1773–1819, Frankfurt a.M. 1995, S. 196–255. 442 Vgl. dazu StudHK, Kart. 132, Konv. 46 ex 1766, Protokoll vom 11. Sept. 1766, Fol. 259– 261, spez. Fol. 260v. u. Fol. 261r. u. HHStA Staatsratsprot. 2588 ex 1766. 443 AVA StudHK, Kart. 132, Konv. 46 ex 1766, Fol. 255r. Protokoll der b.ö. Hofkanzlei vom 10. Aug. 1766.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

93

Maria Theresia folgte zu diesem frühen Zeitpunkt den Empfehlungen und entschied, Sonnenfels zwar häufiger, aber nicht in den Sälen der Jura lesen zu lassen.444 Nicht nur in diesem Einzelfall, sondern auch generell erwies sich die Zugehörigkeit seiner Fächer zur philosophischen Fakultät als Nachteil. Aufgrund der üblichen Studienordnung, welche allen Angehörigen der drei höheren Fakultäten Jura, Medizin und Theologie zunächst den Besuch der philosophischen Studien vorschrieb, bestand anfangs die Gefahr, dass das neue Fach lediglich ein kurzzeitiges Vorstudium bleiben würde. Nachdem Sonnenfels eine eigene Machtposition ausgebaut hatte und zum Interessenvertreter seines Faches geworden war, unternahm er deswegen mehrere Versuche, die Polizeywissenschaft in die juristische Fakultät zu übertragen.445 Er betonte in seinen diesbezüglichen Vorträgen, dass erst sein Fach den anderen Teilen der Jura – wie der Institutionenlehre, dem Staatsrecht oder dem Kirchenrecht – Orientierung durch allzeit gültige Grundsätze gebe, die zugleich auf ihre Anwendung in den Gebieten des Hauses Österreich geprüft würden.446 Im Jahr 1784 erreichte er sein Ziel und fünf Jahre später stellte die Polizey- und Kameralwissenschaft, für die auch die Bezeichnung politische Wissenschaften gebräuchlich geworden war, den Abschluss der juristischen Studien dar.447 Erst im letzten Studienjahr durften die angehenden Juristen Sonnenfels’ verbindliche Vorlesungen besuchen, deren Zeugnis auch Voraussetzung für eine Promotion war. Er selbst verteidigte diese Einteilung, als mehrere Studenten beantragten, seine Vorlesungen bereits im vorletzten, also dem dritten Studienjahr, besuchen zu dürfen, um mehr Zeit für die abschließenden Prüfungen zu haben.448 In den Beratungen in der Studienhofkommission, zu der er inzwischen gehörte, führte er gegen den Antrag aus, dass seine Lehre auf den Beispielen aller anderen Teile des Faches aufbaue und diesen abschließend Sinn gebe: Sie ist also gleichsam die Philosophie der Gesetzgebung.449 Die politischen Wissenschaften hatten sich somit auf Sonnenfels’ Bestreben hin von einem philosophischen Vorbereitungskurs zum Höhepunkt der juristischen Studien entwickelt. Sein Interesse galt aber nicht nur seinen ursprünglichen Fächern, sondern weiterhin auch der deutschen Beredsamkeit und Eloquenz, um deren 444 Vgl. Feil: Sonnenfels, S. 10 u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 66. 445 Osterloh: Reformbewegung, S. 244–247. 446 Ebd., S. 245 u. 238f. 447 Anonym: Studienplan der Universität zu Wien, in: Journal von und für Deutschland, 6. Jg. 7. St 1789, S. 49–54, hier S. 54. 448 AVA StudHK, Kart. 15, Konv. Politische Wissenschaften und Statistik, Fol. 18r.–18v. Memoria von Sonnenfels vom 27. Okt. 1789. 449 Ebd., Fol. 18v.

94

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Lehrstuhl er sich als junger Literat im Jahr 1762 vergeblich beworben hatte. Wie schon in der Deutschen Gesellschaft so hatte sich Sonnenfels auch an der Universität immer wieder mit der Verbesserung und Pflege der deutschen Sprache beschäftigt. Als die Studienhofkommission 1780 darüber beriet, die Lehrstühle für deutsche Eloquenz und Ästhetik zusammenzulegen, unterstützte er in einem Gutachten diesen Vorschlag nicht nur, sondern bot an, den neuen Lehrstuhl unentgeltlich zu übernehmen und in kurzer Zeit ein Lehrbuch dafür zu entwerfen.450 Der Antrag wurde von seinen Kollegen angenommen und kurze Zeit später erschien eine feierliche Ankündigung des neuen Faches Geschäftsstyl im Deutschen Museum.451 Im Vorwort stellt zunächst Joseph Retzer (1754–1824), ein ehemaliger Student Sonnenfels’, dessen Verdienste und dessen Erfahrung überdeutlich und glorifizierend heraus. Vor diesem Hintergrund äußert sich der Professor dann selbst über seinen neuen Lehrstuhl. Er schreibt, dass grundlegende Defizite den Stil der Kanzleien Österreichs beeinträchtigten und deren Effizienz verringern würden. Sein Unterricht aber könne die Grundlagen zu einer Verbesserung legen.452 Neben den eigentlichen Dokumenten, deren Erstellung geübt werden solle, würden auch zusätzliche Fähigkeiten, wie die Präsentation von Texten, das Erstellen von Voten in Kommissionen und Ähnliches gelehrt. Die auf diese Weise angekündigten und zugleich beworbenen Vorlesungen über den Geschäftsstyl begannen bereits 1781 und waren verpflichtend und gratis für alle Studenten.453 Das versprochene Lehrbuch gab Sonnenfels 1784 unter dem Titel: Über den Geschäftsstyl – Die ersten Grundlinien für angehende österreichische Kanzleybeamten heraus.454 Der Titel verweist bereits auf die Nähe des Lehrstoffes zur Verwaltungspraxis, die sich im Inhalt widerspiegelt. Das Buch enthält zahlreiche Muster für die Dokumente, mit denen die zukünftigen Beamten gewöhnlich arbeiten würden. Ergänzt wurde es mit Beispielen von Sonnenfels’ eigenen Denkschriften und Anträgen, die auch verdeutlichten, wie ein Beamter seine Ansichten und Forderungen gegenüber vorgesetzten Behörden aus eigener Initiative vorbringen sollte.455 Wie 450 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 236. 451 Sonnenfels, Joseph von u. Retzer, Joseph von: Ankündigung der Vorlesungen über den Ge­ schäftststyl, in: Deutsches Museum, Bd. 2 1780, S. 303–312. 452 Ebd., S. 308–311. 453 Vgl. Heindl, Waltraud: Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich 1780– 1848 (Studien zu Politik und Verwaltung Bd. 36), Wien 1991, S. 106f. 454 Sonnenfels, Joseph von: Über den Geschäftsstyl: Die ersten Grundlinien für angehende österreichische Kanzleybeamten, Wien 1784. 455 Bodi, Leslie: Sprachregelung als Kulturgeschichte. Sonnenfels’ Über den Geschäftsstyl (1784) und die Ausbildung der österreichischen Mentalität, in: Wunberg, Gotthart (Hg.): Pluralität. Eine interdisziplinäre Annäherung, Wien, Köln u. Weimar 1996, S. 122–153. Bodi formuliert das Beamtenideal Sonnenfels’ als das eines gehorsamen Rebellen.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

95

auch sein Lehrbuch von der Polizey-, Handlung- und Finanzwissenschaft wurde dieses Werk von höchster Stelle gefördert. Die Universität wurde auf Befehl Josephs II. informiert: Seine Majestät hätten das von Herrn Hofrath v. Sonnenfels verfasste Werk über den Geschäftsstyl, die ersten Grundlinien für angehende österreichische Kanzley Beamte zum allgemeinen Vorlesebuch für sämmtliche Universitäten, und Lycäen vorgeschrieben.456 Das neue Fach sollte derart mit den politischen Studien verbunden werden, dass die Fortschritte jedes Studenten im Geschäftsstyl in seinen Zeugnissen vermerkt werden. Dementsprechend sei es in der gesamten Monarchie nötig, jeden Lehrer der politischen Wissenschaften mehrere Wochen im Semester auch den Geschäftsstyl lehren zu lassen.457 In den allgemeinen Studienplänen wurde das Fach als Ergänzung der politischen Wissenschaften aufgenommen und hatte eine noch größere Präsenz von Sonnenfels’ Lehre im juristischen Studium zur Folge.458 Langfristige Wirkung entfaltete es durch zusätzliche Bücher mit Musterdokumenten oder Musterbriefen für den Behördenverkehr, die bis in die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts neu aufgelegt wurden.459 Dieser kombinierte Erfolg Sonnenfels’ als Lehrer, wissenschaftlicher Autor und Verwalter zweier im Bildungssystem zentraler Fächer stellte um 1789 den Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Karriere dar. Eine abschließende Betrachtung seiner Laufbahn an der Universität kommt nicht umhin zu betonen, wie außergewöhnlich und bemerkenswert der Aufstieg dieses Mannes und der seines Faches an der Universität waren. Eindeutig zeigt sich, dass diese Entwicklung vornehmlich seinen Kontakten zum Staatsrat und dem Wohlwollen der Monarchen zu verdanken war. Beides ist nicht voneinander zu trennen, da der Staatsrat keine Exekutivkompetenzen besaß und seine Mitglieder die Zustimmung des Landesherrn brauchten, um bei Meinungsverschiedenheiten eigentlich zuständige Behörden umgehen zu können.460 Erkennbar ist eine anfängliche Unterscheidung der Fördermaßnamen in solche, die zugunsten der Person Sonnenfels’ und andere, die von ihm unabhängig dem Lehrfach der Polizey- und Kameralwissenschaft gewährt wurden. Erstere gingen meist auf Initiativen Boriés und später Geblers zurück, letztere kamen außer von Borié auch von Sei456 AUW Konsistorialakten Faszikel I /2 Reg. Nr. 234 CA 1.2, Bericht der n.ö. Regierung vom 7. Dez. 1784 über dieses Dekret an das Konsistorium der Universität. 457 AVA StudHK, Kart. 23, Ca[mer]al- und Polizeywissenschaften in gen. Konv. 13 ex 1771(!) Fol. 12r., Kaiserliches Dekret vom 22. Dez. 1781. 458 Vgl. Anonym: Studienplan, S. 52–54. 459 Vgl. Ogris: Polizey, S. 285 u. Sonnenfels, Joseph von: Wienerisches Briefmagazin oder Auswahl der bündigsten Briefe für das gemeine Leben, Wien 1798. 460 Szabo: Kaunitz, S. 51–60.

96

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

ten Kaunitz’, Maria Theresias und Josephs II. Diese frühe Trennung verliert aber bereits um 1770 an Deutlichkeit. Durch Sonnenfels’ Erfolge, seinen Eintritt in die Studienhofkommission und seinen Status als Interessenvertreter der politischen Wissenschaften waren seine Anträge nicht mehr auf ihn und seinen Wiener Lehrstuhl, sondern stets auf das Fach als Ganzes bezogen. Dementsprechend war die weitere Förderung dieser Studien mit der ihres prominentesten Vertreters verbunden, der auch ihren geistigen Mittelpunkt darstellte; so hatte die steigende Bedeutung seines Fachs wiederum mehr Einfluss für ihn selbst zur Folge. Allerdings nahm Sonnenfels im Laufe der Jahre eine zunehmend exponierte Position im personellen Gefüge der Universität ein, die in Verbindung mit seinem offensiven Auftreten Gegenbewegungen provozierte. Die Folge waren Versuche, gegen seine persönliche Stellung oder die zunehmende Bedeutung seines Faches vorzugehen. 4.1.3 Umstrittene Thesen – erste Kontroversen Ich war an einem Platze […] an dem ich mir auch durch meine Freymüthigkeit bald eine Legion Widersacher – Diese Benennung ist zu gelinde – Feinde ist das wahre Wort, erwecken konnte – wirklich erweckte. Die Begebenheiten dieses Zeitpunktes sind Ihnen größtenteils bekannt; es sind nicht eigentlich Begebenheiten, die dem Lehrer widerfahren, es sind Begebenheiten des Lehramtes, die jedem andern, der an meiner statt da gestanden hätte, ebenfalls aufgestossen seyn würden.461 So schrieb Sonnenfels 1775 rückblickend über die Situation nach Antritt seiner Professur in Wien. Eine Betrachtung der gegen ihn und sein Fach geführten Angriffe und der ihm in den Weg gelegten Hindernisse muss sich mit dieser Selbsteinschätzung ebenso wie mit seiner Wertung Feinde kritisch auseinandersetzen. Dass Sonnenfels sich von Beginn seiner Karriere an Anfeindungen ausgesetzt sah, bringt er bereits in der Druckfassung seiner Antrittsrede aus dem Jahr 1763 zum Ausdruck. Im Vorwort führt er aus, dass diese Rede allein deswegen erschienen sei, weil man seine Worte bereits verstümmelt und misgedeutet462 habe, um ihm zu schaden. Ziel sei es, wie er an anderer Stelle erwähnt, ihm die Gewogenheit bald zu entreißen, die Freyherr von Borié mir auf die edelste Art zugewendet hatte.463 Durch die Veröffentlichung würde er seine Ausführungen aber allgemein überprüfbar machen und sich so vor Verleumdungen schützen. Namen oder Institutionen derjenigen, welche er für diese Handlungen verantwortlich macht, nennt er allerdings nicht. Auf461 Luca: Österreich, S. 166. 462 Sonnenfels: Unzulänglichkeit, Vorwort. 463 Sonnenfels: Herz, S. 12f.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

97

grund der mangelhaften Überlieferung bleiben seine Angaben der einzige und offensichtlich parteiische Bericht über diese frühen Ereignisse. Deutlich vielschichtiger sind die Quellen bezüglich eines umstrittenen Antrages des jungen Lehrers Sonnenfels, der im Frühjahr 1765 innerhalb der Zentralbehörden der Monarchie verhandelt wurde. Sein Ziel war es, die Ausrichtung seines Lehrstuhles von der Theorie auf die Praxis der Polizey- und Kameralwissenschaft zu erweitern.464 Er bat um eine Reisegenehmigung, ein Empfehlungsschreiben und Geld, um in den vorlesungsfreien Monaten September und Oktober die wirtschaftliche Lage der Erbländer vor Ort zu untersuchen: Die Gegenstände meiner Belehrung würden die Fabriquen, Manufacturen, Commercial-Strassen, Maute, die Agricultur, die Population nebst dem wechselseitigen Mangel und Überfluß der Provinzen seyn.465 Mit diesem Projekt wollte er statistische Grundlagen gewinnen, die ihm ermöglichen würden, seinen Unterricht den realen Gegebenheiten in der Monarchie anzupassen. Er veranschlagte dafür vier Jahre, in denen er insgesamt sechs bis acht Monate verreisen würde. Der Nutzen hingegen davon würde sich hauptsächlich in den Supplementen meiner Vorlesungen veroffenbaren, in welchen ich meine Zuhörer unvermerkt von der Verfassung allerhöchst dero Länder unterrichten, und zu den praktischen Arbeiten untereinsten anzuschicken im Stande wäre.466Außerdem werde er auf diese Weise den Zustand der Monarchie und ihrer Wirtschaft offenbaren, der nach seiner Meinung nur unzusammenhängend untersucht sei. Freiherr von Borié unterstützte diesen Antrag im Staatsrat: Mir scheinen diese Reisen nötig zu sein, in dem die Speculation nicht ohne Praxis bestehen kann.467 Mit seiner Fürsprache wurde das Ansuchen an die Kaiserin weitergeleitet, die aber nicht sofort entschied, sondern befahl, es in dafür zuständigen Behörden zirkulieren zu lassen.468 Daher leitete der Hofkammerpräsident Johann Seyfried von Herberstein (1706–1771) am 14. Mai 1765 den Antrag an die Hofkommerzienkommission weiter.469 Er merkte an, dass der Proponent den Begreif deren Sachen sich leichter als möglich vorstelle, dießfällige Ausgaab mithin, wo nicht schädlich, wenigstens fruchtlos seyn dörffte.470 Die Hofkommerzienkommission teilte die Einschätzung der Hofkammer. Es sei offensichtlich, dass der Supplicant von der Weesenheit und dem weithen Umfang derer practischen Cameral- und Comercial-Wissenschafftn noch wenig Begriff 464 Diese Quelle ist publiziert bei: Klingenstein: Professor, S. 839f. 465 Klingenstein: Professor, S. 839. 466 Ebd. 467 Osterloh: Reformbewegung, S. 129. 468 Klingenstein: Professor, S. 840. 469 Quelle ist publiziert ebd.; vgl. AVA Commerz Fasz. 54 N.Ö. Nr. 284 ex 1765, Fol. 75r.–75v.  470 Klingenstein: Professor, S. 840.

98

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

habe, da er sich vorstellet, und mit der blendenden Hoffnung schmeichlet, diesen wichtigen Gegenstand innerhalb sechs Monathe mittels einer LänderReiß so zu erschöpfen, dass er darinen einen Lehr-Meister abgeben könne.471 Dadurch bestehe die Gefahr, dass falsche Ergebnisse erzielt und jungen Menschen vermittelt werden.472 Insgesamt würde das Unternehmen also nur unnütze Kosten verursachen. Auf dieses Urteil hin ließ Maria Theresia dem jungen Professor die Ablehnung seines Gesuches mitteilen. Sonnenfels reagierte mit einem erneuten Antrag, der diesmal darauf zielte, sämtliche Archive und Registraturen der Wirtschaftsbehörden in der Hauptstadt einsehen zu dürfen, um wenigsten auf diesem Wege sein Fach mit der Praxis zu verbinden. Der Kommerzienrat lehnte dies wiederum mehrheitlich ab und verwies darauf, dass die Aufgabe des neuen Lehrfachs allein in der Vermittlung der theoretischen Grundsätze liegen solle.473 Wie schon einmal angemerkt sei die Materie derart komplex, dass ein einzelner Mann sie in Nebentätigkeit nicht überschauen könne. Abschließend verwies das Gremium in seiner Beurteilung darauf, dass viele der Informationen ohnehin geheim seien und dass nicht so kurz nach einem Krieg der ganzen Welt die Stärken und Schwächen der Monarchie offenbart werden sollten. Auch in diesem Fall schloss sich Maria Theresia der Ablehnung an. In der Abweisung von Sonnenfels’ Gesuchen kam insgesamt eine Ausein­ andersetzung zwischen Theorie und Praxis der Kameralwissenschaft zum Ausdruck, die sich schon in der Ablehnung ähnlicher Anträge seines Vorgängers Justi gezeigt hatte.474 Die befragten Behörden äußerten sich dabei aber keineswegs gegen das Lehrfach generell, dessen theoretische Grundsätze sie als nützlichen Teil der Beamtenausbildung ansahen und dessen Einrichtung sie befürwortet hatten. Sonnenfels hatte jedoch mit den vorliegenden Anträgen versucht, die Ausrichtung seines Lehrfaches insgesamt zu verändern. Anstatt nur Grundsätze zu lehren, wollte er die Praxis erforschen, in seine Lehre einbinden und gegebenenfalls auch kritisieren, wie schon sein erstes Lehrbuch zeigte.475 Diese Ausweitung seines Einflusses ließen die befragten Behörden aufgrund seiner angeblich fehlenden Ausbildung und Erfahrung nicht zu. Die Ablehnung wurde wahrscheinlich durch seine publizierte Antrittsrede verstärkt, in der er sein Lehramt bewusst als theoretisch 471 Ebd., S. 841. Vgl. AVA Commerz Fasz. 54 N.Ö., Nr. 284 ex 1765, Fol. 76r.–77v., Gutachten vom 21. Mai. 472 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 129. 473 Hofkammerarchiv Kommerz: Ober- und Niederösterreich Kart. 136 (Fasz. 55 1749–1786), Fol. 94r.–97v., Allerunterthänigster Vortrag des gehorsamsten Comercien Raths, vom 21. Mai mit Resolution vom 1. Juni 1765; vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 130. 474 Vgl. Klingenstein: Mercantilsm, S. 196. 475 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 130.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

99

bezeichnete und betonte, dass es gerade deswegen der praktischen Erfahrung der etablierten ranghöheren Beamten überlegen sei.476 Männer wie der Präsident des niederösterreichischen Kommerzienrates Graf Philipp Joseph Sinzendorf (1726–1788) und der Präsident der Hofrechenkammer Graf Ludwig Zinzendorf (1720–1780) hatten jedoch bereits seit Jahrzehnten Daten gesammelt, kannten selbst die kameralistische Literatur und hatten darauf basierende eigene Reformprojekte angeregt.477 Sie lehnten daher auch die zweite Anfrage des nur mit Bücherwissen gebildeten Sonnenfels’ ab. Er schrieb daraufhin vorerst keinen weiteren Antrag, so dass die Verbindung seiner Lehrsätze mit der praktischen Staatswissenschaft nicht erfolgte.478 Nachdem dies lediglich eine angestrebte Erweiterung von Sonnenfels’ Kompetenzen verhinderte, stellten die Ereignisse des Jahres 1767 einen tatsächlichen Angriff auf seine Karriere und seine universitäre Lehre dar. Am 12. Mai ließ Sonnenfels einen seiner Schüler, Franz Georg von Keeß (1747–1799), 65 Thesen aus seinen Lehrsätzen im Hörsaal der Polizey- und Kameralwissenschaft öffentlich diskutieren und gegen jedermann verteidigen.479 Solche Disputationen, die er in deutscher Sprache abhalten ließ, waren für den Professor ein Weg, seine Lehre auch außerhalb seiner eigentlichen Hörerschaft zu verbreiten.480 Besonders drei von den fünfundsechzig Thesen, die der zwanzigjährige Keeß vor dem Publikum vertrat, wurden im nachhinein Gegenstand einer Kontroverse: Die zweiundzwanzigste These behandelte das Strafverfahren und lautete: Die Tortur ist ein unschickliches, ungerechtes Mittel zur Überführung des Beschuldigten.481 Die vierundzwanzigste betraf die Religion: Die Religion ist das wirksamste Mittel, den sittlichen Zustand auszubilden. Die weltliche Gesetzgebung würde in manchem Stücke unzureichend sein, wenn das Band der Religion und ihre Strafen ihr nicht die Hände böten: daher sie in der Polizey nicht als Endzweck, sondern als ein Mittel nicht aus den Augen gelassen werden kann. An vierundsech476 Sonnenfels: Unzulänglichkeit. 477 Vgl. Klingenstein: Mercantilsm, S. 183–192 verweist dafür auf die Reisen Zinzendorfs und die für den Unterricht Josephs II. bereits gesammelten Daten, die den zuständigen Behörden als vertrauliches Material vorlagen und nicht zur Verbreitung bestimmt waren. 478 Klingenstein: Professor, S. 833. 479 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 126f.; Ogris: Rechtsreformer S. 55 u. die Druckfassung der Thesen: Keess, Franz Georg von: Lehrsätze aus der Polizey- und Finanzwissenschaft, Wien 1776. Die Originale mit Anmerkungen des Prüflings zur Verteidigung sind überliefert im Bestand HHStA Nachlass Keeß Kart. 5, Akten der Hofkommission in Gesetzessachen 1728–1796. 480 Vgl. zu den Disputationen Klingenstein: Patriot, S. 211f. 481 Zu diesen drei Lehrsätzen: ebd.; vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 74f. Die zu diesen plakativen Lehrsätzen gegebenen ausführlichen Erläuterungen erfolgten im Rahmen der Disputation mündlich und sind daher im Nachlass nur teilweise überliefert.

100

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

zigster Stelle wurde erneut das Strafrecht thematisiert: Die Todesstrafe ist in keinem einzigen Verbrechen eine schickliche Strafe. Vier Wochen nachdem diese Thesen vor Publikum diskutiert worden waren, wandten sich der Hofkanzler Johann Carl Chotek (1705–1787) im Namen der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei und der Kardinalerzbischof Christoph Migazzi (1714–1803) an Maria Theresia.482 In seiner vom 13. Juni 1767 datierten Note bezeichnete der Hofkanzler die Lehrsätze als solche, woraus sowohl für die Religion, als den Staat gefährliche folgen entstehen können. […] Allein der Ausdruck […] bleibt doch wegen der auf schwache Gemüther würcken könnenden schädlichen Eindrücken, welche leicht auf Abweege verführen allemal gefährlich.483 Eine detaillierte Kritik, besonders an den Thesen zum Strafrecht, schließt sich an. Ohne auf Keeß’ Person einzugehen, wird getadelt, dass Sonnenfels für diese Lehrsätze die Form der Disputation gewählt habe, als darinnen die von der gesetzgebenden Gewalt allein herfliessende Anordnungen öffentlichen Prüfungen ausgesezet, in publico ungescheuet getadelt und als der Wohlfahrt des Staats nachtheilig und schädlich ausgegeben werden.484 Gerade die Wendung an Personen außerhalb von Lehrveranstaltungen wird als Verfehlung dargestellt. Chotek mahnt vor den Auswirkungen eines solchen Verhaltens: Wie wird aber der Landesfürst der Befolgung seiner Gesätzen und Befehlen versicheret seyn können, wann einmahl das Volk von deren Schädlichkeit durch öffentliche Lehr-Sätze eingenommen ist, und was hat man sich von jenen die dereinstens […] aus dieser Schule angestellt werden dörften für einen Eifer und Würksamkeit zu versprechen.485 Er schlägt vor, der möglichen Gefahr dadurch zu begegnen, dass Sonnenfels seine Lehrbücher nach den bestehenden Gesetzen einrichten, seinen Unterricht von der Studienhofkommission überwachen, und alle seine weiteren Schriften einer speziellen Zensur vorlegen solle. Diese Forderungen entsprachen auch denen des Kardinalerzbischofs Migazzi, der zugleich den Vorsitz in der Studienhofkommission innehatte. Die Kommission befürwortete dementsprechend seinen Antrag.486 482 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 76–78 u. Osterloh: Reformbewegung S.  126f.; zu Migazzi und seiner Bedeutung für dieses Verfahren vgl. Breuer, Dieter: Kardinal Migazzi, Förderer und Gegner des kulturellen Wandels im theresianischen Zeitalter, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich, Bd. 17 2002, S. 219–231; Wolfsgruber, Cölestin: Christoph Anton Kardinal Migazzi, Fürsterzbischof von Wien. Eine Monographie und zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Josephinismus, Ravensburg 1897, spez. S. 337–340. 483 AVA StudHK, Kart. 16 Konv. 22 ex 1767, Fol. 130r.–138v., hier Fol. 130v. u. Fol. 131v. 484 Ebd., Fol. 135v. u. Fol. 136r. 485 Ebd., Fol. 135v. 486 Migazzi beklagte besonders die schädlichen Auswirkungen solcher Lehrsätze für die Religion, da sie es als gut erscheinen ließen, der Kirche Rechte und Eigentum zum Wohle des Staates zu nehmen. StudHK Kart. 16 Konv. 22 ex 1767 Fol. 139r.–139v.; vgl. HHStA Staatsratsprot. 1544 ex 1767.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

101

Zu diesen Forderungen, deren Umsetzung eine erhebliche Einschränkung für Sonnenfels’ Handlungsmöglichkeiten bedeutet hätte, äußerte sich schließlich auch der Staatsrat.487 Obwohl der Freiherr von Borié nicht anwesend war, überzeugte der Staatskanzler Kaunitz in Rücksprache mit Heinrich Cajetan von Blümegen (1715–1788), der damals Landeshauptmann von Mähren war, den Rat, sich zugunsten des Beschuldigten zu verwenden. Man betonte, dass die Lehrsätze als Thesen und keineswegs als Tatsachen präsentiert wurden und zur Diskussion standen. Darüber hinaus sei ihr Inhalt auch in anderen Ländern bereits disputiert worden.488 Die Kaiserin befahl in Abwägung der verschiedenen Eingaben am 26. Juli 1765 Sonnenfels anzuweisen; womit derselbe seine allzugroße Freyheit im Schreiben überhaupt behörig mässige und beschränke; in seinen Lehrsätzen und Streitfragen aber jene Bescheidenheit und reifre Überlegung sich bediene welche von ihm und seinen bekleideten Lehramt billig geforderet werden kann.489 Sie selbst forderte seine bisherigen Veröffentlichungen zur Prüfung an und befahl dem Professor außerdem, die noch unfertigen Lehrbücher der Handlungs- und Finanzwissenschaft wenigstens in einfachen Sätzen der Zensurkommission und ihr selbst vorzulegen.490 Sonnenfels entsprach dem Befehl und reichte das Manuskript der zweiten Auflage seiner Polizeywissenschaft und Teile der Handlungswissenschaft ein. In beiden Fällen zeichnete sich ab, dass eine Veröffentlichung nur mit zahlreichen Änderungen genehmigt werden würde.491 Daher antwortete er im Herbst 1767 auf eine Anfrage der Studienhofkommission, wann mit der Fertigstellung seines zweiten Lehrbuchs zu rechnen sei, unerwartet mit einer umfangreichen Vorstellung an die Kaiserin persönlich.492 Das Schreiben beginnt mit einem Verweis auf die vorhergehenden Beschwerden gegen seine Lehrsätze, welche bereits Stadtgespräch493 geworden seien. Er habe erfahren, dass die geplante Neuauflage der Polizeywissenschaft mehrere Anlässe zur Beschwerde gegeben habe. Diese führt er auf ein systematisches Problem seiner Wissenschaft zurück: es wird entweder 487 Vgl. Szabo: Kaunitz, S. 187f. u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 61f. 488 Vgl. ebd., S. 62. 489 HHStA Staatsratsprot. 1420 ex 1767, siehe auch AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 22, Fol. 137r. u. Fol. 137v. 490 Vgl. die diesbezügliche Benachrichtigung der Bücher-Censur-Kommission, AVA StudHK Kart. 16, Konv. 22 ex 1767, Fol. 128r.–129v. 491 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 131. 492 AVA StudHK, 16 Konv. 27 ex 1767, Fol. 187r.–192r. und die parallele Überlieferung: Hofkammerarchiv, Kommerz: Ober- und Niederösterreich Kart. 136 (Fasz. 55 1749–1786), Fol. 114r.–119v. Beide Quellen o.D. vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 132f. 493 Ebd., Fol. 187r.

102

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

gelehret, was wirklich ist: oder dasjenige, was seyn sollte.494 Der erste Fall bedeute die Vermittlung umfangreichen Detailwissens und den Verzicht auf die Möglichkeit der Verbesserung, da kein Staat der Welt in seiner derzeitigen Form vollkommen sei. Im zweiten Fall, der einen eher theoretischen Zugang voraussetze, würden alle möglichen Verbesserungen des Staates erörtert, selbst dann, wenn sie mit den aktuellen Zuständen nicht übereinstimmten. Er habe sich zu letzterer Methode berufen gefühlt, da ihm befohlen worden sei, mich blos bey den theoretischen Grundsätzen zu halten.495 Da die Vermittlung von dementsprechenden Grundsätzen nun aber Angriffe auf ihn und sein Lehramt zur Folge habe, ersucht er um die Beantwortung dreier Fragen: Zunächst bittet er um Auskunft, ob er seine neuen Lehrbücher nach denjenigen Grundsätzen, zu bearbeiten habe, welche ich für die ächten anerkenne: ohne darauf zu sehen, ob sie mit der gegenwärtigen Verfassung übereinstimmen, oder derselben widersprechen.496 Weiterhin fragt Sonnenfels für den Fall, dass die Gegebenheiten der Erblande mit den idealen Grundsätzen übereinstimmen, ob er Beispiele aus der Verwaltungspraxis geben soll und wie er diese erhalten könnte. Den Abschluss bildet der didaktische Hinweis, dass ein Teil seiner Lehre nur mündlich in den Veranstaltungen erfolge und er eine Anweisung brauche, wie diesbezüglich eine Zensur umgesetzt werden solle. Erst ans Ende der Eingabe setzt Sonnenfels die gewünschte Auskunft über die für den Unterricht in Wien und den übrigen Erblanden benötigten Lehrbücher. Wenn seine Fragen beantwortet seien, könne er sie in je vier Monaten in Druck geben.497 Maria Theresia forderte über diese Eingabe ein Gutachten des Leiters der Bücher-Censur-Komission, Gerhard van Swieten (1700–1772).498 Der Niederländer, der zugleich auch Leibarzt der Kaiserin war und eine Reform des österreichischen Medizinstudiums durchführte, schrieb über Sonnenfels: dass man seinen darinn gemachten Antrag für räthlich und das demselben beygefügte Ansuchen für billig erkenne.499 Unterstützt wurde die Eingabe außerdem im Staatsrat, wobei sich Kaunitz hervortat, den Sonnenfels ebenso wie auch van Swieten in einem Brief als seinen Beschützer beschrieb.500 Am 17. November teilte Maria Theresia angesichts der Fürsprache ihres obersten Zensors der Studienhofkommission mit, dass Sonnenfels bezüglich 494 Ebd., Fol. 189r. 495 Ebd., Fol. 189v. 496 Ebd., Fol. 191v. 497 Ebd., Fol. 192r. Der Wahrheitsgehalt dieser Ankündigung ist in Zweifel zu ziehen, da Son­ nenfels bis 1776 brauchte, um das Lehrbuch zur Finanzwissenschaft zu publizieren. 498 AVA StudHK, 16 Konv. 27 ex 1767, Fol. 193r. u. Fol. 193f. 499 Ebd., Fol. 193v. 500 Brief Sonnenfels’ an Klotz vom 25. Okt. 1768, in: Rollet: Briefe, S. 6; vgl. Szabo: Kaunitz, S. 188.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

103

seiner Fragen folgende Antworten zu übermitteln seien: Zunächst, dass er nach denjenigen Grundsätzen, welche er für die ächten hält, arbeiten, die beyden Abhandlungen aber ehe solche zum Druck befördert werden, denen betreffenden Stellen zur Einsicht übergeben solle.501 Bezüglich der zweiten Frage wurde angeordnet, die Lehrsätze oder Fragen an den Hofkommerzienrat zu schicken, dieser würde dann die Übereinstimmung von Ideal und Wirklichkeit prüfen und Beispiele mitteilen. Was die dritte Frage anbelangt, da hat zwar die Schulfreyheit einzutreten, doch aber hat sich der Lehrer jederzeit einer vernünftigen Mäßigung zu gebrauchen.502 Durch diese Entscheidung wurde die zukünftige Tätigkeit Sonnenfels’ erheblich erleichtert. Die Zensur ließ seine Lehrbücher nun mit nur minimalen Änderungen passieren und seine Lehre besaß Schutz vor weiteren Angriffen. Darüber hinaus wurde bestätigt, dass sein Unterricht auch auf die Verbesserung der Praxis hinauslaufen sollte. Seine vergeblichen Versuche des Jahres 1765, Zugang zu Daten und internen Verordnungen betreffend der Kameralpraxis zu erhalten, schienen durch den neuen Befehl an den Kommerzienrat nun doch noch von Erfolg gekrönt zu sein. Der Anschein trog allerdings, denn die Behörde übte sich in passivem Widerstand gegen seine Anfragen und verschleppte sie über Monate, bevor sie angab, nicht genügend Personal für derartige Dinge zu haben.503 Insgesamt gelang es Sonnenfels aber dennoch, gestärkt aus dieser Auseinandersetzung hervorzugehen. Es gab nachvollziehbare Motive für die Beschwerdeführer Chotek und Migazzi, deren Eingaben voneinander unabhängig und zeitversetzt die Monarchin erreichten, anlässlich der öffentlichen Disputation gegen Sonnenfels tätig zu werden. Falsch wäre es sicherlich, ihnen eine massive persönliche Abneigung oder eine absolute Reformfeindschaft zu unterstellen, wie es vornehmlich in älteren Darstellungen üblich ist.504 Obwohl gerade der Erzbischof Migazzi sich eigentlich gegen den Einfluss der Jesuiten stellte 501 Ebd. AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 27 ex 1767, Fol. 183. Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 132 u. Feil: Sonnenfels, S. 20. Der bei letzterem nahegelegte Zusammenhang zwischen dieser Schrift und Sonnenfels’ Beförderung zum Regierungsrat ist allerdings angesichts des zeitlichen Abstandes zweifelhaft. 502 Der Begriff Schulfreyheit verweist darauf, dass Lehrsätze im Diskurs innerhalb der Universität weniger streng bewertet werden, als solche, die darüber hinaus für das Lesepublikum verbreitet werden. Darauf bezieht sich auch die Aufforderung zur Mäßigung. 503 Hofkammerarchiv, Kommerz: Ober- und Niederösterreich Kart., 136 (Fasz. 55 1749–1786), Fol. 110r.–113r. Vortrag vom 23. Juli 1768, vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 134. Zur Rechtfertigung werden Beispiele für die Weitläufigkeit von Sonnenfels’ Fragen genannt, die den Kommerzienrat tatsächlich überforderten, wie seine Anforderung einer Übersicht über alle bisher in der Monarchie ergangenen Handwerksordnungen. 504 Vgl. die bisher genannten Darstellungen aus dem 19. Jahrhundert und die neueren Arbeiten von Lindner: Sonnenfels, S. 91 u. Kann: Kanzel, S. 162.

104

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

und partielle Reformen befürwortete, gingen ihm und anderen Sonnenfels’ Lehrsätze und deren öffentliche Präsentation zu weit.505 Die Hofkanzlei war in ihren Forderungen extremer als der Erzbischof und verlangte eine langfristige Überwachung des Faches, was auf ein grundlegendes Misstrauen dagegen hindeutet, wie die Polizey- und Kameralwissenschaften von ihrem ersten Professor geführt wurden. Weiterhin sei darauf verwiesen, dass Sonnenfels in zweierlei Hinsicht eine Funktion als Stellvertreter zukam. Zum einen wurden ab 1766 mehrere neue Lehrstühle seines Faches in der Monarchie gegründet, die sich nach seinen Thesen und Lehrbüchern richteten. Daher versprach ein Angriff gegen ihn auch Wirkung auf diese Studien in den gesamten Erblanden. Zum anderen war er von Reformern im Staatsrat wie Borié und Kaunitz gefördert worden, zählte gewissermaßen zu ihrer Klientel und personifizierte somit deren Einfluss auf die Beamtenausbildung.506 Beide Aspekte machten Sonnenfels zu einem bevorzugten Ziel. Seine Person hatte also den Anlass gegeben, das durch seine Art zu lehren und seine Stellung unbequem gewordene Fach anzugreifen. Die Rolle Maria Theresias erscheint dabei eher passiv, da sie weitgehend auf Anträge und Gutachten der Behörden reagierte. Dass Sonnenfels Verbündete im Staatsrat nicht vermochten, sich gegen drei andere Institutionen durchzusetzen, betont die Wirkung ihrer Konsultationspraxis. Erst durch die Unterstützung van Swietens und Kaunitz’, die beide zum unmittelbaren Beraterkreis der Monarchin gehörten, gelang Sonnenfels mit seiner Denkschrift der Durchbruch. Damit hatte er eine erste Verbindung zu dem einflussreichen Leiter der Bücher-Censur-Kommission hergestellt.507 Waren bisher Sonnenfels’ Lehre und seine Methoden Gegenstand von kritischen Eingaben, so folgte im Jahr 1776 ein Antrag, der sich eindeutig gegen seinen persönlichen Status richtete. In einer Eingabe der Hofkam505 Vgl. Breuer: Migazzi 2003, der auf ältere Darstellungen verweist und diese kritisch revidiert. Einen Überblick über Migazzis Reformtätigkeit bietet: Hersche, Peter: Der Spätjansenismus in Österreich (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs Bd. 7) Wien 1977, S. 66–70. 506 Für Migazzi schien insbesondere letzteres ein Grund zu sein, wie seine Beschwerde nahelegt. 507 Zur Stellung Gerhard van Swietens vgl. im Überblick: Brechka, Frank T.: Gerard van Swieten and his World 1700–1772, The Hague 1970, S. 119–130 u. Lesky, Erna u. Wandruszka, Adam: Gerard van Swieten und seine Zeit. Internationales Symposium veranstaltet von der Universität Wien im Institut für Geschichte der Medizin, Wien, Köln u. Graz 1973. Außerdem zum Bildungswesen: Hengl, Martina: Das Schul- und Studienwesen Österreichs im aufgeklärten Absolutismus: Studienhofkommission, Schulwirklichkeit, Schulbauten, Diss. Wien 2001, S. 19–26; Arneth, Alfred von: Die Wiener Universität unter Maria Theresia, Wien 1879, S. X –29. Zu seiner Tätigkeit als Zensor: Kap. 5.4.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

105

mer wurde angeprangert, dass er, obwohl in den Akademien an seiner Stelle Substituten unterrichten würden, weiterhin Gehalt für diese Tätigkeit ­beziehe.508 Die Hofkanzlei bat nun im Namen Maria Theresias den Betroffenen um Auskunft, woraufhin Sonnenfels am 28. Oktober 1776 wieder einmal nicht mit einer Eingabe an die untersuchende Behörde, sondern an die Monarchin persönlich antwortete.509 Darin gab er an, es sei ihm nur möglich diese Vergünstigung zu erklären, wenn er den Zusammenhang aller Förderungen, die ihm zuteil wurden, und aller Verdienste, die er dafür geleistet habe, schildere. In einem ausführlichen Bericht rückt Sonnenfels nun seine Karriere und die Wohltaten, die er erhalten hatte, in das seiner Meinung nach rechte Licht.510 Er behauptet durch Gnade der Landesherrin von einem unbekannten, schutzlosen von niemanden empfohlenen mann zu einem anerkannten Gelehrten geworden zu sein.511 Seine detailliert geschilderten guten Absichten und seine intensive Arbeit zum Wohle des Staates werden hier den Widrigkeiten des geringen Einstiegsgehaltes entgegengestellt.512 Mit dem Verweis auf einen seiner Verbündeten führt er aus: Gleich damals schon ward die Frage aufgeworfen: ob nun, da ich nun in den Akademien nicht mehr vorläse: der bisherige Gehalt beyzulassen wäre? Worüber die allerhöchste Entscheidung dahin ausfiel; da Euer Majestät mich wegen meiner Verwendung auf einer Seite durch eine Zulage belohnt hätte, so könnte dero Willen keineswegs dahin gegangen seyn, mir auf der anderen Seite etwas zu benehmen: wie dießfalls der Staatsrath Freyherr v. Gebler, an welchen Eure Majestät mich in dieser Angelegenheit besonders verwiesen, die umständliche Auskunft zu geben fähig seyn wird.513 Die Freistellung und materielle Sicherheit habe ihm dann ermöglicht, sich verdienstvoll für die Theater- und Bücherzensur einzusetzen.514 Gerade letztere habe, wie er bildhaft betont, einen immensen Arbeitsaufwand bedeutet, da die Tage zur Lektur der einkommenden Bücher nicht zureichen, und ich ganze Nächte zu Hülfe nehmen musste, um die Buchhändler zu fördern.515 Daher sei nach der Entlassung seines Substituten Zahlheim die kurzzeitige Rückkehr in die Lehrtätigkeit eine erhebliche Belastung gewesen, von der er schließlich dankenswerter Weise auf kaiserlichen Befehl erneut freigestellt worden sei.516 Außerdem 508 Vgl. HHStA Staatsratsprot. 538 ex 1776. 509 AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 161 ex 1776, Fol. 269r.–274v. 510 Ebd., Fol. 269r. 511 Ebd. 512 Ebd., Fol. 270r. 513 Ebd. 514 Siehe Kap. 5.4 zur Bücher- und Kap. 7.1 zur Theaterzensur. 515 Ebd., Fol. 270r. 516 Ebd., Fol. 272v.

106

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

würden andere Professoren für weniger Arbeit durchaus mehr verdienen als die 3.000fl., die ihm vor Abzug von Steuern zustehen.517 Ich wage es, zu glauben, dass dieser Gehalt die Erwartung noch nicht übersteige, zu welcher die Huld Eurer Majestät gegen Wissenschaften und Verwendung, einen Professor nach 14 jahren seines, wie ich wünsche, nicht ohne allen Nutzen bekleideten Lehramtes berechtiget.518 Auf diese Einlassung, die indirekt den Wunsch nach einer Gehaltserhöhung in sich trägt, folgt abschließend eine Publikationsliste, die belegen solle, dass ich mich von der Verbindlichkeit überzeugt gehalten, die von meinen Berufsgeschäften erübrigten Stunden, der Bildung der Denkungsart, der Sitten, des Geschmacks, und einigermassen der Verbreitung des Nationalruhms zuzueignen.519 Mit diesem Schreiben an Maria Theresia persönlich hatte Sonnenfels wie schon zuvor bei Beschwerden über seine Lehrsätze mit einer Flucht nach vorn reagiert. Wieder war dies Manöver von Erfolg gekrönt. Seine Schrift wurde von seinem Bekannten, dem Staatsrat von Gebler, positiv kommentiert und dann von der Kaiserin durch die Studienhofkommission am 7. Dezember beantwortet.520 Sie ließ dem Professor und der Finanzbehörde mitteilen, dass die bestehende Ordnung beibehalten werde. Doch der Erhalt des Status quo war nicht von Dauer, da Sonnenfels später sogar noch von Abgaben und Steuern befreit wurde, die er in seinem Schreiben erwähnt hatte.521 Der somit gescheiterte Antrag stellte die letzte Aktivität der Wiener Behörden gegen das Fach der politischen Wissenschaften und seinen Vertreter dar. Eine weitere Kontroverse, die sich noch einmal auf die bereits dargelegte Auseinandersetzung von Theorie und Praxis der Kameralwissenschaft bezog, ging im Jahre 1786 von einem individuellen Antrag aus.522 In diesem Jahr erbot sich der Verwaltungsbeamte Joseph Kropatschek, anhand einer von ihm herausgegebenen Gesetzessammlung Vorlesungen in praktischer Gesetzeskunde zu geben, die ohne theoretische Grundlagen am Tagesgeschäft orientiert wären.523 Dieser Vorschlag wurde von Joseph II. unterstützt, da bisher in den politischen Wissenschaften nur allgemeine Grundsätze behandelt werden würden. Daraufhin wandte sich Sonnenfels, dem die Verbindung seines Faches mit der Praxis 1767 untersagt worden war, in einem Gutachten für die Studienhofkommission, deren Mitglied er seit sechs 517 Ebd., Fol. 273r. 518 Ebd., Fol. 273v. 519 Ebd., Fol. 273v. 520 AVA StudHK, Kart. 16, Konv. 161 ex 1776, Fol. 267; vgl. Luca: Österreich, S. 168. 521 AVA StudHK, Kart. 16, Hinter dem Konv. 161, Nachricht der StudHK o.D., unf. 522 Vgl. dazu Osterloh: Reformbewegung, S. 248–250. 523 Kropatschek, Joseph: Handbuch aller unter der Regierung des Kaisers Joseph II. ergangenen Verordnungen und Gesetze, 18 Bde. Wien 1785–1790.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

107

Jahren war, am 30. Dezember 1786 gegen Kropatschek und verwies auf alte Argumente aus seiner Antrittsvorlesung.524 Er betonte, die Praxis habe ohne sein System keinen Wert, da sie nur eine Gedächtnisübung darstelle und ordnender Grundsätze bedürfe. Er empfahl stattdessen, die politischen Wissenschaften und die neue praktische Geschäftskenntnis mit dem Lehrfach des Geschäftsstyl einfach in seiner Person zusammenzulegen. Joseph II. stimmte dem Antrag zu, der die Einsparung einer neuen Lehrstelle bedeutete.525 Diese Anordnung konnte aber bis zu Sonnenfels Rücktritt vom Lehramt im Jahr 1790 nur bedingte Auswirkungen haben, da er sich zunächst mit der Intensivierung der Stillehre beschäftigte. Insgesamt erwiesen sich die Kritiken und Hemmnisse, welche Sonnenfels oder sein Fach betrafen, nicht wirklich als eine Gefahr. In seiner Reaktion auf den meist positiven Ausgang der geschilderten Ereignisse offenbart sich aber eine generelle Tendenz, die gewissermaßen als Rückkopplung Anlass für weitere Anfeindungen gab. Sonnenfels neigte dazu, sich selbst zu verherrlichen und Personen zu verspotten, die von ihm als Gegner wahrgenommen wurden. Sein Hang zur Satire zeigte sich beispielsweise im Umgang mit dem Kardinalerzbischof Christoph Migazzi. Nach dessen vergeblicher Kritik an seinen Lehrsätzen widmete Sonnenfels ihm einen Band seiner Wochenschrift: Der Mann ohne Vorurtheil.526 In sarkastischem Tonfall schreibt er darin ein Loblied auf den Bischof und betont immer wieder dessen Weisheit, Milde und Unfähigkeit zu böswilliger Anfeindung. Er schildert außerdem das angeblich tiefe Bedauern des Erzbischofs darüber, von der Armut Christi so weit entfernt zu sein. Sonnenfels fordert daher höhere Abgaben für Migazzi, da jener sich sicherlich darüber freuen würde. Im Gegensatz zur nur gelegentlich verwendeten Satire ist das Eigenlob ein kontinuierliches Element aller hier genannten sonnenfelsschen Memoranden, informellen Eingaben, Reden, Vorlesungen und Publikationen. Man kann hierin den Ausdruck eines starken Selbstbewusstseins sehen, das ihn einerseits motivierte, seine Karriere immer weitere voranzutreiben, den Zeitgenossen aber andererseits Anlass für Kritik und sogar Anfeindungen gab. So schrieb Eva König am 19. Dezember 1770 an ihren zukünftigen Ehemann Lessing: Sein Stolz und Eigenliebe überschreiten alle Gränzen.527 Lessing antwortete darauf: Er hat es, durch seine unerträglichen Großspre524 Osterloh: Reformbewegung, S. 250. 525 Ebd. 526 Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 3, Vorwort S. I-VIII; Vgl. auch Kopetzky: Sonnenfels, S. 86–88, der sie zitiert, diese Schrift aber fälschlicherweise als echte Versöhnung deutet. Zur Einordnung als Satire vgl. den Brief Sonnenfels’ an Klotz vom 25. Okt. 1768, in: Rollet: Briefe, S. 5. 527 Schulz: Madam, S. 43.

108

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

chereien […] ziemlich bei mir verdorben.528 Auch Friedrich Nicolai, der Sonnenfels’ frühe Schriften gelobt hatte, gab in seiner Allgemeinen Deutschen Bibliothek 1767 die Beurteilung heraus: er sagte seinen Landsleuten Wahrheiten ins Gesicht, die man bisher nur gedacht hat; nur schade, dass er sie mit zuviel Bitterkeit und in zu hohem Tone sagt, der nach Eigenliebe schmeckt.529 Ebenso äußerte sich der Weltreisende Georg Forster, als er sich in den achtziger Jahren in Wien aufhielt, nach einer Begegnung mit Sonnenfels: Sonnenfels ist ebenfalls voll Talent, und hat ein gutes Herz, aber er ist zum Ekel eitel und spricht unaufhörlich von sich selbst mit einem Beifall, der schon im Munde eines Dritten unausstehlich sein würde.530 Um zu illustrieren, dass solche Beobachtungen Sonnenfels’ ganzes Leben begleiteten, sei noch auf den Bericht des jungen Philosophen Friedrich Karl Forberg (1770– 1848) verwiesen, der Sonnenfels im Mai 1791 besuchte: Wir sprachen von einigen minder interessanten Dingen; sein liebes Ich kam alle Augenblicke ins Spiel und seine Eitelkeit würde unerträglich sein, wenn nicht sein Witz und seine Beredsamkeit die Phantasie bestächen.531 Seine Neigung zur Satire und zur Selbstinszenierung, die er im Umgang mit Personen und Behörden an den Tag legte, bot einigen sicherlich ein zusätzliches Motiv, um gegen ihn und sein Lehrfach vorzugehen. Die Untersuchung der von Sonnenfels in seinen Schriften erwähnten Beschwerden, Kritiken und Hemmnisse ergibt ein vielschichtiges Bild derjenigen, die er als Feinde bezeichnet hatte und ihrer Motive. Sowohl der Kardinalerzbischof Migazzi, der Hofkanzler Chotek, als auch die zentralen Wirtschaftsbehörden erscheinen entgegen der pauschalen Urteile in einigen Darstellungen des 19. Jahrhunderts nicht als blinde Fortschrittsfeinde, die auf jede Neuerung mit Ablehnung reagieren. Gerade ihr vom Monarchen unterstützter Werdegang in den Reformkontexten nach dem österreichischen Erbfolgekrieg widerspricht einer Bewertung als reformfeindlich. Allerdings ist auf eine unterschiedliche Vorstellung von Reichweite und Dynamik der gewünschten Reformen hinzuweisen, die Sonnenfels und seine Kontrahenten trennte. Deren Vorgehen war nicht so homogen, wie Sonnenfels selbst es gerne darstellte, Sie hielten Blutrath über mich; und in diesem Synedrium ward

528 Brief an Eva König vom Lessing vom 13. Jan. 1771, in: Schulz: Madam, S. 49. 529 Nicolai, Friedrich (Hg.): Allgemeine Deutsche Bibliothek, 10. Bd. 2. St. 1769, S. 35. 530 Brief Forsters an Sömmering am 26. Aug. 1784, in: Forster: Briefe 1784–87, S. 169–175, hier S. 174. 531 Brief von Forberg an Karl Leonhard Reinhold vom 14. Mai 1791, vgl. Keil, Reinhard: Wiener Freunde 1784–1808 (Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur und des geistigen Lebens in Österreich Bd. 2), Wien 1883, S. 27.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

109

ich schon verurtheilt.532 Abgesehen von der Hofkammer und dem Hofkommerzienrat, die ohnehin in regulärem Schriftverkehr und Austausch standen, bildeten seine Kritiker kein gemeinsames Netzwerk und gründeten keine Verschwörung. Sie agierten auch bei denselben Anlässen stets in separaten Beschwerden oder Eingaben mit eigenen Schwerpunkten und variierender Argumentation. Die Intensität ihrer angeblichen Angriffe erwies sich bei genauer Betrachtung auch angesichts ihrer Ergebnislosigkeit als keineswegs so dramatisch, wie Sonnenfels selbst sie stets schilderte. Es scheint, als ob er hier durch eine übertriebene Darstellung der Macht seiner Gegner bemüht war, seinen eigenen Erfolgen zusätzlichen Glanz zu verleihen. Außerdem ist seine eingangs zitierte Behauptung in Zweifel zu ziehen, dass alle beschriebenen Ereignisse nur dem Fach gegolten hätten und jedem anderen Professor ebenso widerfahren wären. Durch seine Art zu unterrichten sowie seine Versuche, Lehrsätze an die Öffentlichkeit zu tragen und seine Kompetenzen auszuweiten, schuf er oftmals erst den Anlass zur Konfrontation. Die Angriffe galten daher meist Fach und Person als Einheit, da Sonnenfels sich durch sein Verhalten als Personifikation einer expansiven und in der Wahrnehmung seiner Kritiker nach Öffentlichkeit strebenden politischen Wissenschaft darstellte. Den weitgehend einzeln agierenden Gegnern standen Sonnenfels’ Beschützer gegenüber, die durch den gemeinsamen Bezug zu seiner Person jeweils der Situation entsprechend wirken konnten. Neben dem Staatskanzler Kaunitz und den Staatsräten Borié und Gebler standen ihm auch Gerhard van Swieten als Vorsitzender der Bücher-Censur-Kommission und später dessen Sohn Gottfried als Präsident der Studienhofkommission zur Seite. Durch seine Verbindungen zu diesen Personen war Sonnenfels gerade angesichts der Konsultationspraxis der Monarchin für die verschiedenen Gegebenheiten gewappnet. Maria Theresias häufige Rücksprache mit ihren Beratern ermöglichte es den ohne Exekutivkompetenzen agierenden Verbündeten im Staatsrat, indirekt durch die landesherrliche Autorität zu wirken. Sonnenfels fühlte sich mit dieser Unterstützung im Stande, angesichts von Kritik oder Beschwerden mehrmals die Flucht nach vorn bis zur Monarchin selbst anzutreten und führte stets ein für sich und sein Fach positives Ergebnis herbei. Die Stärke seines Netzwerks in der obersten Ebene der habsburgischen Beamtenhierarchie wird dadurch illustriert, dass seine Seilschaften nicht nur Schutz gewährten, sondern auch eine Ausweitung von Kompetenzen und Einfluss aus einer defensiven Situation heraus ermöglichten. Im Gegensatz dazu kam das von ihm selbst geschaffene universitäre Netzwerk, in dem er selbst der einflussreichste Akteur war, bei diesen 532 Bspw. Brief Sonnenfels’ an Klotz vom 25. Okt. 1768, in: Rollet: Briefe, S. 5.

110

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Konflikten nicht zum Tragen. Dies änderte sich allerdings, als Sonnenfels in Konfrontation mit Personen geriet, die sich gewissermaßen auf Augenhöhe mit ihm bewegten. 4.1.4 Akademische Fehden in populären Kurzschriften Nachdem Sonnenfels sich in den siebziger Jahren mehrfach gegen Behörden, ranghohe Beamte und Kirchenvertreter durchgesetzt hatte, folgte in den achtziger Jahren eine Reihe von akademischen Auseinandersetzungen. Zwar musste er sich sicherlich schon vorher Debatten mit anderen Gelehrten stellen, doch nun erst fanden sie angesichts der unter Joseph II. gelockerten Zensurgesetze literarischen Niederschlag und ein breiteres Publikum. Sie standen im Zusammenhang mit der sogenannte Broschürenflut.533 Bei den Broschüren handelt es sich um kurze und günstige Gelegenheitsschriften, die meist populäre Themen aufgriffen und in gegenseitiger Wechselwirkung diskutierten. Eine erfolgreiche Schrift, beispielsweise über die erotischen Verwicklungen der Stubenmädchen, zog bis zu 25 Folgeschriften nach sich, durch die Autoren und Verleger vom Erfolg der Ursprungsschrift finanziell profitieren wollten. Solche Broschüren wurden durch die Lockerung der Zensurgesetze unter Joseph II. ermöglicht, die, wenn auch keine völlige Pressefreiheit, so doch eine weitgehende Pressfreyheit zur Folge hatte, die Kritiken und Erörterungen gestattete, aber eine Zensur beibehielt.534 Es bleibt hier festzuhalten, dass Publikationen, die in diesem populären Kontext erschienen, eine hohe Reichweite, aber oft einen schlechten Ruf hatten.535 Erste Hinweise auf hier verortete akademische Konflikte und den Umgang damit bietet eine Rede, die Sonnenfels 1780 zur Semestereröffnung hielt und in der er rückblickend über seine vergangenen siebzehn Jahre als 533 Vgl. zur Broschürenflut Jakob, Hans-Joachim: Die Folianten bilden Gelehrte, die Broschüren aber Menschen: Studien zur Flugschriftenliteratur in Wien 1781 bis 1791 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; Bd. 1809), Frankfurt a.M. u.a. 2001, allg. S. 19–27, zur Definition S. 44–60; für eine zeitgenössische Betrachtung vgl. Blumauer, Alois: Beobachtungen über Oesterreichs Aufklärung und Literatur, Wien 1782; Hierzu: Rosenstrauch-Königsberg, Edith: Literatur der Aufklärung. 1765–1800, Wien, Köln, Graz 1988, S. 162–194 u. S. 297–319. Die Broschürenflut als Gesamtphänomen und Sonnenfels’ Rolle dabei ist Gegenstand des Kap. 5.1.4. 534 Vgl. Sashegyi, Oskar: Zensur und Geistesfreiheit unter Joseph II. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte der habsburgischen Länder, Budapest 1958, spez. S.  35; Klingenstein, Grete: Staatsverwaltung und kirchliche Autorität im 18. Jh. Das Problem der Zensur in der Theresianischen Reform, München 1970 u. Bodi, Leslie: Tauwetter in Wien. Zur Prosa der österreichischen Aufklärung 1781–1795 (Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts Bd. 6), Köln u. Weimar 1995, spez. S. 44–57. 535 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Literatur, S. 307f.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

111

Professor sprach.536 Er berichtet, dass jene Tätigkeit, ebenso wie seine zusätzlichen Verwendungen als Zensor, Autor und Rat der niederösterreichischen Regierung, dazu geführt hätten, dass Gerüchte über ihn im Umlauf seien. Er beobachte allerdings, dass die mannigfaltigen Geschichten, die bei ihrer Verschiedenheit dennoch das unter sich Gemein haben, dass sie für mich gleich entehrend sind, vorzüglich im Munde des Pöbels, in Schenken und Trinkgelagen herumgehen.537 Es stelle sich nun die Frage, warum gerade in solchen Kreisen über ihn geredet würde. Die Antwort sieht er im kontinuierlichen Handeln reformfeindlicher Kräfte gegen ihn. Jene nicht näher bezeichneten Kräfte, denen seine Offenheit ein Dorn im Auge sei, würden ebenso hinter dieser Entwicklung wie hinter Drohbriefen oder Anzeigen und Beschwerden bei der Kaiserin stecken. Sich selbst mit niemand geringerem als Sokrates vergleichend führt Sonnenfels aus: Beinahe fangen diese ewigen Anfälle auf mich an, mir schäzbar, beinah werden sie für mich rühmlich werden, und […] statt eines Beweises dienen, entweder, dass ich etwas Wichtiges geleistet habe, oder zu leisten auf dem Wege bin.538 Diese Wendung nutzt er sodann für längere selbstverherrlichende Ausführungen, die eine Aufzählung seiner Verdienste und positiven Charaktereigenschaften, sowie weitere Vergleiche mit berühmten Persönlichkeiten umfassen. Die Anfeindungen, deren angebliches Ausmaß aus Quellen nicht ersichtlich ist, werden so zu einer Legitimation für eine – wie beschrieben – typische öffentliche Lobeshymne auf ihn selbst. Dass ein derartiges Vorgehen in Rahmen einer feierlichen Lehrveranstaltung von Seiten anderer Akademiker Widerspruch provozierte, ist vorstellbar. Sein Hang dazu, sich selbst in Szene zu setzen, bildete daher auch eine der Grundlagen für die in der Öffentlichkeit ausgetragenen akademischen Konflikte der achtziger Jahre. Durch seine Bekanntheit, welche dank öffentlicher Disputationen und seiner Autorentätigkeit gewachsen war, stellte er außerdem ein einträgliches Ziel für Autoren der entstehenden Broschürenflut dar. Die erste dieser literarischen Auseinandersetzungen wird hier ausführlich dargestellt, da sie die umfangreichste war und zugleich als Beispiel für die folgenden dienen kann. Gegenstand des Disputes war die Druckfassung der ersten Vorlesung, die Sonnenfels im Jahr 1780 nach dem Tode Maria Theresias hielt, die ihn kurz zuvor noch zum Hofrat ernannt hatte.539 Dem Text 536 Sonnenfels, Joseph von: Rede zu Anfang des neuen Schuljahres, in: Deutsches Museum, Bd. 1 1780, S. 554–563. 537 Ebd., S. 555. 538 Ebd. 539 Die erste Auflage ist eigenständig erschienen: Sonnenfels, Joseph von: Die Erste Vorlesung, welche Herr Hofrath von Sonnenfels nach dem Tode Marien Theresiens hielt, Wien 1780. Spätere Auflagen erschienen in Sammelbänden. Zit. wird aus der 1. Auflage.

112

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

ist ein Vorwort des anonymen Herausgebers vorangestellt, der behauptet, diese Vorlesung ohne Wissen des Autors in Druck gegeben zu haben. Sonnenfels beschreibt eine fiktive Version der letzten Tage und letzten Worte der Monarchin, die er in dem besten Licht darstellt. Bey dem Sterbelager dieser Fürstinn hätte wie bey dem Tode des Socrates, ein Plato aufzeichnen sollen, was er gesehen, was gehöret. Jedes Ihrer Worte war Unterricht jede Ihrer Handlungen Beyspiel.540 In auffällig gehobener Wortwahl werden die Ermahnungen der Monarchin für ihren Nachfolger und eine Zustandsbeschreibung der Länder der Monarchie aus ihrer persönlichen Sicht im angeblichen Wortlaut wiedergegeben, in Wirklichkeit aber von Sonnenfels imaginiert.541 Dabei werden die Stärke und die Frömmigkeit der Herrscherin angesichts ihres nahen Todes betont und durch Beispiele in Form weiterer angeblich privater Gespräche untermalt. Kontrastreich schildert der Autor die Ruhe der Kaiserin bei der Überarbeitung ihres Testamentes und das ängstliche Leiden der Menschen in ihrer Umgebung, bis hin zu einer detailreichen Schilderung ihres Todes.542 Doch er endet an dieser Stelle nicht, sondern würdigt die Verstorbene mit einem Vergleich der Erblande bei Beginn und Ende ihrer Herrschaft.543 Zur ihrer Glorifizierung wird daher die Zeit Karls VI. in dunkelsten Farben gemalt: Die Kriegsvorbereitungen seien unter seiner Herrschaft ignoriert, die Wirtschaft vernachlässigt, Talente nicht gefördert und die Bauern unterdrückt worden. Vor diesem Hintergrund seien die Leistungen Maria Theresias um so größer zu bewerten und hätten ihr schließlich die Anerkennung ganz Europas eingebracht. Zum Abschluss nutzt Sonnenfels die Gelegenheit für eine Anspielung auf Joseph II., als er von der Verehrung spricht, welche seine Zuhörer und er selbst noch immer für die Verstorbene empfänden: Die unserige [Verehrung], meine Herren! Soll sich in der Fortsetzung unserer Anwendung auf Wissenschaften offenbaren, die in der großen Verstorbenen die Stifterin ihres Lehrstuhls betrauren; aber nach nicht zweydeutigen Merkmalen sich eines gleichen Schutzes von dem Jenigen versichert halten können, den die Vorsicht ausersehen, so viele Reiche über den erlittenen Verlust zu trösten, und zu entschädigen.544 Die Wirkung seiner Darstellung verdeutlicht ein Blick in die Tagebücher des Gouverneurs von Triest, Karl von Zinzendorf (1739–1813). Am 27. Dezember notierte er: Le discours de Sonnenfels est d’une éloquence fort touchante.545 Im Anschluss an dieses Urteil gibt Zinzendorf die letzten Tage im 540 Ebd., S. 6. 541 Ebd., S. 14–17. 542 Ebd., S. 24. 543 Ebd., S. 34–40. 544 Ebd., S. 46. 545 Klingenstein/Faber/Trampus: Tagebücher, Eintrag vom 27. Dez. 1780.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

113

Leben Maria Theresias ähnlich wieder, wie sie in der Vorlesung geschildert wurden. Daher ist anzunehmen, dass Sonnenfels in dieser Rede Bezug auf die Gerüchte nahm, welche in Wien nach dem Ableben der Monarchin kursierten. Er fügte sie zusammen und nutzte sein literarisches Talent, um ein wirkungsmächtiges, in mehreren Auflagen erschienenes Idealbild des Todes einer Herrscherin zu entwerfen. Seine Publikation wurde bereits in den ersten Monaten des Jahres 1781 von einem anonymen Autor angegriffen.546 In einer kurzen Abhandlung wird ohne Einleitung unmittelbare Kritik an verschiedenen Aspekten der Rede geübt: So sehr es Schade ist, dass man es sagen muss, so allgemein wird behauptet, dass die meisten Reden, die der H. Hofrath, um seine Vorlesung zu verschönern, der sterbenden Fürstinn in den Mund legt theils ganz erdichtet, theils unrichtig angesetzt, überhaupt aber zu leichtgläubig von ihm nacherzählt werden.547 Ironisch führt der Verfasser aus, dass er sich besonders gewundert habe, dass Sonnenfels sich nicht gleich selbst in die Szenerie geschrieben habe: Nimmermehr paßte das zu seiner bekannten Ruhmsucht.548 Des Weiteren wird der Widerspruch solch einer Lobrede gegen den Wunsch der Kaiserin betont, derartige Ausführungen zu unterlassen. Den Höhepunkt der Argumentation aber bildet die Kritik an der negativen Darstellung Karls VI., die mehr als die Hälfte des Textes umfasst. Die von Sonnenfels beschriebenen Schwächen und Fehler des vorhergehenden Regimes werden hier hinterfragt und schließlich widerlegt. Dabei nutzt der Autor immer wieder ironische Anspielungen, beispielsweise bei der Kritik an Karls Wirtschaftspolitik, die wohl nur begründet sei, weil ein v. Sonnenfels dazumal noch nicht die Finanzen lehrte.549 Am Ende bewertet der Autor die Vorlesung weniger als Schilderung des Todes, sondern vielmehr als das Bild manches Schriftstellers, manches lächerlichen Anbeters seiner selbst in unserm Jahrhunderte, der bey jeder auch entferntesten Gelegenheit für jeden seiner Einfälle, weil sie ihm schön oder neu scheinen, auf die anders denkende Vorwelt und Mitwelt, ohne Achtung, sogar ohne Ehrfurcht, losstürmet.550 Diese Kritik wurde wie schon die Vorlesung selbst in den höchsten Kreisen rezipiert. Gouverneur Karl von Zinzendorf erwähnt, dass sie bei einem Abendessen hoher Beamter vorgelesen und besprochen wurde.551 Ihr Autor ist nicht zu bestimmen, verfügte aber über detaillierte Kenntnisse der Regierung Karls VI. 546 Anonym: Anmerkungen zur vermuthlichen zweyten Auflage von der ersten Vorlesung, welche Herr Hofrath Sonnenfels nach dem Tode Marien Theresiens hielt, Wien 1781. 547 Ebd., S. 7. 548 Ebd., S. 12. 549 Ebd., S. 23. 550 Ebd., S. 29. 551 Klingenstein/Faber/Trampus: Tagebücher, Eintrag vom 15. Feb. 1781.

114

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Diese Druckschrift provozierte eine Vielzahl von Reaktionen zugunsten Sonnenfels’. Die erste von ihnen war ebenfalls von einem Anonymus verfasst und erschien kurz nach der Kritik im Druck.552 Auf 18 Seiten wird der anonyme Kritiker angegriffen und beschimpft. Der Autor sagt über sein Verhältnis zu Sonnenfels: Ich bin weder einer von seinen jungen Freunden, noch pedantisch sein Schüler, […] aber ich hasse die Blättler, die sich durch ihre kritische Zänkereyen im Reiche der Wissenschaften wichtig machen wollen.553 Mit dieser vagen Begründung wird der Kritiker mit Hunden und Affen verglichen. Der anonyme Autor behauptet, dass Sonnenfels, der nun freylich über ihr Gebelle hinaus ist,554 es für unter seiner Würde halte zu antworten.555 Er selbst könne aber nicht still bleiben, weil ihr Gewäsche, dass sie ausgeschüttet haben, so richtig mit den Gefühlen vieler sympathisiert, die den Ruhm, welchen sich der Mann durch unermüdete Arbeit erworben hat, immer schelsüchtig angesehen, weil sein Genie ihrer Dumheit oder Bosheit im Wege ist.556 Nach derartigen Auslassungen werden sämtliche Kritikpunkte an der negativen Schilderung Karls VI. mit der Begründung beiseite gefegt, dass Sonnenfels aus edler Absicht und Verehrung geschrieben habe und Details bei solch großen Zusammenhängen und Gefühlen unbedeutend seien. Aus solchen Gründen können nur schöne Seelen zu viel tun.557 Der Kritiker hingegen habe die Zeit Karls VI. viel zu positiv geschildert, da sich gerade die Wissenschaft erst durch van Swieten entfaltet habe. Die Broschüre endet mit dem Versuch, die Kritik an Sonnenfels’ Rede als Angriff auf das Gedenken an Maria Theresia umzudeuten: nun kömmt vollends ein Schwarm Zänker, schreyt uns die Ohren voll und vertreibt uns von dem Grabe der Monarchinn, und entweyht die heilige Stelle.558 Bezüglich der Identität des Verfassers sind drei Indizien zu nennen: Erstens erschien diese Schrift beim selben Verlag, in dem auch Sonnenfels’ Vorlesung gedruckt worden war, zweitens verweist das explizite Lob für den verstorbenen van Swieten auf einen früheren Verbündeten des kritisierten Professors und drittens war sich der Autor sicher, dass der Angegriffene nicht doch noch selbst auf die Kritik antworten würde. Gemäß diesen Indizien stammte der Verfasser aus dem Umfeld Sonnenfels’, schrieb wahrscheinlich mit dessen Wissen oder war sogar er selbst. 552 Anonym: Wohlmeinend abgefaßte Erinnerungen von dem Verfasser der Anmerkungen zur vermuthlich zweyten Auflage von der ersten Vorlesung, welche Herr Hofrath von Sonnenfels nach dem Tode Marien Theresiens hielt, zu beherzigen, Wien 1781. 553 Ebd., S. 4. 554 Ebd., S. 5. 555 Ebd., S. 3 u. S. 7. 556 Ebd., S. 7. 557 Ebd., S. 12. 558 Ebd., S. 18.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

115

Zeitgleich mit dieser groben Erwiderung erschien auch eine neutral gehaltene und um sorgfältige Rechtfertigung der Vorlesung bemühte Broschüre eines gewissen Johann Franz, der sich in Bezug auf Sonnenfels, als einer seiner jungen Freunde und Schüler bezeichnete.559 Sorgfältig versucht Franz unter Verwendung von Sonnenfels’ Lehrsätzen und Begriffen, den Wahrheitsgehalt des kritisierten historischen Vergleiches zu beweisen.560 Dabei verweist Franz nicht ohne Spott auf die seiner Meinung nach fehlenden Kenntnisse des anonymen Kritikers, der die Lehre seines Professors nicht verstanden habe. Seinem Lehrer vertraue er auch bezüglich der Schilderung vom Ende Maria Theresias: Man hat das Zutrauen zu Sonnenfels Einsicht, er habe seine Nachrichten aus ganz trüben Quellen nicht geschöpft, […] und nur gewählt, was der Monarchin würdig war.561 Abschließend betont Franz, nicht auf Befehl seines Professors gehandelt zu haben, sondern aus Sorge, dass dessen Lehrfach diskreditiert und die berufliche Zukunft derjenigen die das Glück hatten, Sonnenfels Zuhörer zu seyn gefährdet werden könne.562 Seine Behauptung, unabhängig gehandelt zu haben, wird dadurch unterstützt, dass diese Schrift bei einem anderen Verleger, als Sonnenfels’ Vorlesung und die polemische Streitschrift zu ihren Gunsten erschien. Selbstverständlich bedeutet dies keineswegs, dass Sonnenfels nicht auch an ihrer Entstehung beteiligt gewesen sein könnte. Unklar ist, inwiefern die Sorge berechtigt war, dass durch die Rezeption der Vorlesung die beruflichen Chancen von Sonnenfels’ Schülern verringert werden könnten. Die Wahrscheinlichkeit, nach vierzig Jahren theresianischer Herrschaft noch höhere Beamte anzutreffen, welche aus der Ära Karls VI. stammten und beleidigt werden könnten, ist sicher als gering anzusehen. Unabhängig vom Motiv ihrer Entstehung bot diese Schrift eine lobreiche und weniger aggressive Verteidigung, als die zur gleichen Zeit erschienene Streitschrift. Jene wurde wiederum selbst Gegenstand von kritischen Äußerungen. Als ein angeblich Unbeteiligter äußerte sich ein gewisser Wenzel Anton Wersack, ein weiterer Schüler Sonnenfels’, auf über 100 Seiten zu der Vorlesung, ihrer Kritik und ihrer bisherigen Verteidigung.563 Er versichert dem Leser seine Neutralität, begründet aber seine Kenntnis der Materie: Da ich 559 Franz, Johann: Kurze Anmerkungen zu den Anmerkungen über die erste Vorlesung, welche Hr. Hofrath v. Sonnenfels nach dem Tode Maria Theresiens hielt. Von Johann Franz, einem seiner jungen Freunde, Wien 1781. 560 Ebd., S. 18–34. Beispielsweise fordert Franz nach Sonnenfels’ Kriterien eine Handelsbilanz für die Zeit vor 1740 zu erstellen, bevor man Anmerkungen darüber mache. 561 Ebd., S. 7. 562 Ebd., S. 45. 563 Wersack, Wenzel: Rechtfertigung der angegriffenen Vorlesung des Herrn Hofraths v. Sonnenfels, zur Erbauung ihrer bisherigen Vertheidiger, Wien 1781.

116

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

selbst ein gelehriger Schüler des Herrn Hofrath bin.564 Einleitend äußert er sich explizit über die aggressiven anonymen Anmerkungen zu der Kritik: Er lärmt, schreyt, schlägt um sich her, dass es gräßlich ist, und wehe dem Anmerker! nun widerlegt er, sperrt das Maul weit auf, und sagt – nichts. Der Herr Hofrath wird ihm wenig Dank wissen; noch ein Paar solcher Vertheidiger, und das Spiel ist verlohren.565 Auch die Arbeit seines Kommilitonen Johann Franz erscheint ihm schlecht, weil sie zu sehr bemüht sei, jedes Wort von Sonnenfels zu rechtfertigen. Daher sei es nun an ihm, gemäß dem vom Professor gelehrtem Verfahren für Diskurse, die Kritik in klare Fragen zu verwandeln und sorgsam zu beantworten.566 In seinen entsprechenden Ausführungen stimmt er weitgehend, aber nicht immer mit seinem Lehrer überein und kann besonders dessen negative Darstellung der Zeit Karls VI. nicht teilen.567 Mit versöhnlichen Worten an alle Beteiligten hofft er die Debatte zu schließen, was ihm allerdings nicht gelang. Auf diese Schrift hin schrieb der junge Johann Franz noch eine weitere kleine Broschüre, in der er unter mehrfachem ausführlichem Lob für Sonnenfels seine eigenen Ausführungen verteidigt.568 Dabei wahrt er weitgehend einen kollegialen Ton und endet mit der Aufforderung an Wersack: und bleiben Sie mein Freund, so wie ich der ihrige bleiben werde.569 Beiden Texten sind trotz der gegenseitigen Kritik zwei Dinge gemein: Zum einen bemühen sich die Autoren um einen höflichen Umgang miteinander; zum anderen weben sie in ihre Texte eine Vielzahl von Komplimenten für ihren Lehrer ein. Dies ist gerade deswegen bemerkenswert, weil die zweite Broschüre von Johann Franz nur noch eine Verteidigung seiner ersten darstellt und eigentlich gar nicht mehr auf Sonnenfels’ umstrittene Vorlesung bezogen ist. Aufgrund dieser Entfernung vom eigentlichen Gegenstand folgte auch keine weitere Broschüre eines der genannten Autoren. Gegen Ende des Jahres 1781 veröffentlichte jedoch ein bisher Unbeteiligter eine letzte Broschüre zur umstrittenen Vorlesung.570 Ihr Verfasser war Heinrich Joseph Watteroth (1756–1819), zu diesem Zeitpunkt seit kurzem 564 Ebd., S. 2. 565 Ebd., S. 4. 566 Ebd., S. 8. Er folgt damit der bereits erwähnten für Sonnenfels typischen Methode, in seinen Streitschriften plakative Gegenargumente in Form von Fragen einzufügen und zu widerlegen. 567 Ebd., S. 103. 568 Franz, Johann: Freymüthige Beantwortung der wichtigsten, aus der vorgeblichen Rechtfertigung der v. Sonnenfelsisch. Vorlesung gezogenen Fragen, Wien 1781. 569 Ebd., S. 36. 570 Watteroth, Heinrich Joseph: Gelegenheitliche Betrachtungen für Heuchler, Liebhaber der Mißbräuche, Kritiker und Konsorten, Wien 1781.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

117

Lehrer für Statistik, worunter eher Staatenkunde als ein mathematisches Fach verstanden wurde, an den Adelsakademien.571 Er war bei der Bewerbung um sein Amt von Sonnenfels unterstützt worden, der mit ihm auch später, beispielsweise im Rahmen der Freimaurerloge zur wahren Eintracht, Umgang außerhalb der Universität pflegte.572 Im betreffenden Jahr versuchte Watteroth, seinen Lehrauftrag in eine reguläre Professur im Rahmen der politischen Wissenschaften umzuwandeln. Da dieses Fach noch immer von Sonnenfels dominiert wurde, liegt darin eine mögliche Erklärung für seine Parteinahme. Seine Verteidigung der angegriffenen Vorlesung, die er als Briefe eines ausländischen Freundes ausgibt, beginnt mit dem Hinweis auf Sonnenfels’ Schüler, die er in der Ehrenhaftigkeit ihres Handelns mit den Schülern des Socrates vergleicht.573 Bezüglich des anonymen Kritikers bedient sich Watteroth eines anderen, aggressiveren Tonfalls und bezweifelt dessen Ehre und Bildung, bleibt aber hinter den Auslassungen der ersten Streitschrift zurück. Er behauptet, dass die Kritik ohnehin nur bekannt geworden sei, weil sie einen so berühmten Mann wie Sonnenfels traf: Ich bin gewiß niemand würde die Anmerkungen gelesen haben, wenn sie jede andere Schrift verstümmelt hätten.574 Auch Watteroth ist bemüht zu moralisieren und den Tod der Monarchin als ein Ereignis zu schildern, in dessen Nähe Kritik unangebracht sei. Schande! –Der Nationalstolz wenigstens hätte ihn zurückhalten sollen, seinen Groll gegen einen Mann, dess Vorzüge und Verdienste um die deutsche Litteratur Deutschland besser weis, und Wien höher zu schätzen schuldig wäre, in diesem Zeitpunkte anzubringen.575 Dieser pauschalen Verurteilung folgen mehr als neunzig Seiten Widerlegung der Anmerkungen. Dabei wechselt der Autor zwischen historischen Argumenten, positiven Pauschalurteilen über Sonnenfels’ Autorität, Wissen und Integrität, sowie Beleidigungen: Es scheint, der Herr Anmerker habe hier einige Hirnskonvulsionen gehabt.576 Beendet wird die Schrift mit einem Lob für die Aufklärung in Österreich, für die Errungenschaften Sonnenfels’ und für die Hoffnung, die Joseph II. nun bei den Gelehrten der Welt wecke.577 Als Beilage dieser Broschüre ist ein Brief Sonnenfels’ an einen Unbekannten abgedruckt, der angeblich schon länger in Form von Abschriften in Wien kursierte. Jener äußert sich darin zu den Vorgängen, gibt sich gelassen und beruft sich auf seine eigene Erfahrung als Kritiker: ich weis also, wie 571 Vgl. Eckert: Wattenroth, S. 22–37. 572 Vgl. Irmen: Protokolle, S. 152. Sonnenfels fungierte am 28. Juli 1783 als Pate Watteroths. 573 Watteroth: Betrachtungen, S. 5. 574 Ebd., S. 5. 575 Ebd., S. 11. 576 Ebd., S. 96. 577 Ebd., S. 104f.

118

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

wenig dazu gehört, Rezensionen, Kritiken, Anmerkungen hinzuwerfen: aber ich weis auch, wie wenig solche Blätter die Schale sinken machen, womit die Nachkommenschaft einst den Wert der Schriftsteller abwiegen wird.578 Das Urteil über seine Arbeit würde nicht von Kritikern, sondern vom Publikum getroffen. Daher, so behauptet er, habe er selbst die Anmerkungen zu seiner Vorlesung gar nicht gelesen und nicht darauf reagiert.579 Allerdings erwähnt er auch die zahlreichen Verteidigungen zu seinen Gunsten nicht und stellt es so dar, als wäre die Kritik von allein im Sande verlaufen.580 Mit einem solchen Brief konnte Sonnenfels die ganze Debatte in seinem Sinne darstellen. Er erscheint hier abschließend als überlegener und von Federkriegen distanzierter Gelehrter, der sich des Wertes seiner Arbeit sicher ist und nicht nötig hat, sich zu verteidigen. Ob Sonnenfels tatsächlich nichts von den Verteidigungsschriften wusste oder ob er als Akteur hinter den Kulissen für ihr Erscheinen verantwortlich war und gewissermaßen die Fäden zog, kann aus den Quellen nicht eindeutig beantwortet werden. Allerdings deutet das umfangreiche Lob, das jeder Verteidiger in seine Schriften für ihn einstreute, darauf hin, dass sie seine Gunst gewinnen wollten. Wenn man seine herausragende Stellung in seinem Lehrfach und somit seinen Einfluss auf die weitere Karriere seiner Schüler Franz und Wersack und seines Kollegen und Protegès Watteroth bedenkt, ist es unwahrscheinlich, dass er nicht vorab über die Publikationen seiner Schüler informiert und von ihnen dazu befragt worden war. Neben seinem Einfluss, der lediglich für die Verteidiger relevant war, ist als Motiv zur Beteiligung an der Debatte aber auch der kommerzielle Nutzen zu erwähnen, den jeder Autor und Verleger daraus ziehen konnte. Die umstrittene Vorlesung erreichte zwei Auflagen, wurde außerhalb Österreichs rezipiert und – zumindest laut Sonnenfels – in wenigen Tagen 4.000 Mal in Wien verkauft, so dass auf sie bezogene Publikationen gute Absatzchancen hatten.581 Wenn diese Zahl auch aus voreingenommener Quelle stammt, so weist sie in Verbindung mit der Länge der Debatte und dem mehrfachen Engagement verschiedener Verleger darauf hin, dass eine Beteiligung finanziell lohnenswert gewesen sein muss.582 Des Weiteren bestand die Mög578 Ebd., Anm., S. 7. 579 Ebd., Anm., S. 8f. 580 Zumindest ein Teil der Verteidigungsschriften muss bereits erschienen sein, als der Brief verfasst wurde, da in diesem auf die Abschriften der Vorlesung Bezug genommen wird, die im Laufe des Jahres 1781 angeblich im europäischen Ausland erschienen sind, ebd., S. 9. 581 Watteroth: Betrachtungen, 1781, S. 6–9, hier S. 9 u. vgl. Franz: Beantwortung, S. 8: Sie ist vortrefflich ins Italiaenische, englische, Holländische, auch ins Französische, Pohlnische, Illyrische [Serbokroatisch] übersetzt, stand in allen Zeitungen. 582 Die Verlagshäuser Trattner, Gräffer und Kurzböck publizierten die besprochenen Bro-

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

119

lichkeit, durch Kritik und Verteidigung dieser Vorlesung bis in höchste Kreise bekannt zu werden, wie die Tagebücher Zinzendorfs zeigen. Gerade für junge Akademiker lag darin ein zusätzlicher Anreiz. Neben diesen rationalen Gründen kann natürlich auch schlichte Sympathie oder Antipathie gegenüber Sonnenfels ein Motiv gewesen sein. Die ausführliche Schilderung dieser literarischen Auseinandersetzung dient als Beispiel für weitere Konflikte der achtziger Jahre. Es ist typisch, dass Sonnenfels’ Lehrsätze oder Reden im Falle einer Kritik nicht von ihm, sondern von seinen Schülern verteidigt wurden. Diese Verteidigung erfolgt selbst dann schriftlich, wenn die Kritik nur mündlich gegeben wurde und diente zugleich als Medium für ein ausführliches Lob seines Charakters, seiner Fähigkeiten und seiner Verdienste. Beispielsweise sei hier auf Sonnenfels’ erste Vorlesung im Jahr 1782 verwiesen, die gedruckt im Reich erschien und die Errungenschaften und den Charakter Josephs II. pries.583 Auf angebliche mündliche Kritik hin folgte eine Verteidigungsschrift des gerade in Wien eingetroffenen jungen Schriftstellers Leopold Alois Hoffmann (1760–1806), welche wie gewohnt die Fähigkeiten und Verdienste des einflussreichen Redakteurs Sonnenfels verkündete.584 Nur in wenigen Fällen übernahm Sonnenfels seine Verteidigung selbst, wobei er das Medium der überregionalen Zeitschrift dem der Wiener Broschüre vorzog. Dies galt beispielsweise im Falle eines Streits um die von ihm bekämpfte Reformidee der Einrichtung staatlicher Bordelle in Wien.585 Auffällig ist in solchen Fällen aber, dass die Kritik mit Respekt und Lob für den Professor vorgetragen und als Diskussionsbeitrag präsentiert wird. Dementsprechend sachlich antwortet Sonnenfels auf diese und ähnliche Kritik in Hinblick auf seine Thesen zum Verhältnis von Sittlichkeit und Bevölkerungszuwachs in den Stats-Anzeigen des Göttinger Gelehrten August Ludwig von Schlözer (1735–1809) und nutzt die Gelegenheit, seine diesbezüglichen Lehrsätze zu präsentieren und zu erläutern.586

schüren, wobei Trattner sowohl die kritischen Anmerkungen, als auch eine Verteidigungsschrift herausgab, was eine Parteinahme unwahrscheinlich erscheinen lässt. 583 Retzer, Joseph von: Herrn Hofraths von Sonnenfels erste Vorlesung in diesem akademischen Jahrgange, in: Deutsches Museum, Bd. 1 1782, S. 312–326. 584 Hoffmann, Leopold Alois: Etwas mehr als Anmerkungen zu der ersten Vorlesung welche Herr Hofrath von Sonnenfels in diesem akademischen Jahre gehalten hat, Wien 1782. 585 Paulsen, Nikolaus: Bordelle sind in Wien nothwendig, Herr Hofrath von Sonnenfels mag dagegen auf seinem Katheder predigen, was er will, Wien 1786. 586 Sonnenfels erläutert diesbezüglich, dass nur durch Eheschließungen und hohe moralische Werte ein gesundes Bevölkerungswachstum entstehe. Sonnenfels, Joseph von: Brief aus Wien vom 16. März 1787, in: Stats-Anzeigen, Bd. 10 1787, S. 254–259.

120

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Eine dritte, aber äußerst selten angewandte Methode gegenüber kritischen Schriften war, sie schlicht zu ignorieren, wie im Falle des Freiburger Professors für Polizey- und Kameralwissenschaft Franz Joseph Bob, der sich zeitlebens weigerte, nach Sonnenfels’ Lehrbuch zu lesen.587 Er gab 1779 sogar ein eigenes Werk heraus und betonte, in kritischer Haltung zu dem Werk des Wiener Professors zu stehen.588 Doch jener reagierte in den folgenden Jahren nicht auf die Anmerkungen aus der habsburgischen Provinz. Dies könnte seine Ursache einerseits in der vergleichsweise geringen Bedeutung Bobs in der akademischen Welt, andererseits aber auch in der langen gemeinsamen Bekanntschaft haben, die noch auf die Deutsche Gesellschaft in Wien zurückging. Unabhängig davon, welchen Verlauf sie nahmen, begleiteten die beschriebenen Debatten Sonnenfels’ Karriere. Sie trugen dazu bei, seine Bekanntheit in der lesenden Öffentlichkeit zu steigern und prägten schon früh das Bild von ihm als einem der bedeutendsten Gelehrten Österreichs – ein Ruf, der in der Folgezeit von ihm und seinen Schülern bewusst kultiviert und schließlich von seinen frühen Biographen übernommen wurde. 4.1.5 Rücktritt vom Lehramt 1791 Sonnenfels’ akademische Karriere fand am 5. August 1791 offiziell ihr Ende. Kaiser Leopold II. schrieb an den obersten Kanzler Graf Leopold Kolowrat (1727–1809): Ich habe für gut gefunden dem Hofrath von Sonnenfels die angesuchte Entlassung vom Lehramte der politischen Wissenschaften und des Geschäftstils zu bewilligen.589 Als Akt der Gnade wurde das Gehalt zeitlebens fortgezahlt.590 Wenn die Gründe, welche den erfolgreichen Professor dazu gebracht hatten, um Erlaubnis für seinen Rücktritt zu bitten, auch nicht eindeutig zu ermitteln sind, so lassen sich doch drei wahrscheinliche Ursachen erkennen. Zum einen fand mit Beginn der Herrschaft Leopolds II. eine Neuorientierung der Bildungspolitik statt.591 Der Monarch unterstützte Sonnenfels’ ehemaligen Professor Karl von Martini, um ein neues Bildungssystem gegen 587 Osterloh: Reformbewegung, S. 256. 588 Bob, Franz Joseph: Von dem Systeme der Polizeywissenschaft und dem Erkenntnisgrundsatz der Staatsklugheit und ihrer Zweige, Freiburg i.Br. 1779. 589 AVA StudHK, Kart. 15, Fol. 27r. Sonnenfels hatte seinen Rücktritt bereits zwei Wochen zuvor inoffiziell angekündigt, vgl. HHStA VA 38, Fol. 60v. Bericht L. A. Hoffmanns an den Kaiser vom 21. Juli 1791. 590 Vgl. AUW, Konsistorialakten Fasz. I in gen. Reg nr. 373 CA 1.0.385 u. HHStA Staatsratsprot. 3987 ex 1791. 591 Siehe Kap. 7.4.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

121

die inzwischen josephinisch geprägte Studienhofkommission durchzusetzen, zu der auch Sonnenfels selbst gehörte.592 Der Einfluss dieser Behörde war daher im Sommer 1791 bereits gesunken. Das neue Studiensystem sah mehr Gestaltungsräume für die einzelnen Lehrer vor und hätte die Bedeutung des ersten Professors der politischen Wissenschaften stark vermindert. Speziell Sonnenfels’ Funktion als „Direktor“ des Faches wäre durch eine mitbestimmende Lehrerversammlung eingeschränkt worden. Robert Kann sieht darin die Ursache für den Rücktritt und geht soweit, diese angeblich durch Resignation motivierte Handlung als ein zur-Mumie-werden zu bezeichnen.593 Dagegen ist aber anzumerken, dass der Streit zwischen der Studienhofkommission unter Gottfried van Swieten und dem von Leopold II. unterstützten Martini im Sommer 1791 noch nicht entschieden war, wenn sich auch letzterer in der besseren Position befand. Noch am 29. September wird dem Kaiser diesbezüglich berichtet: Das litterarisch-ministerialische Turnier zwischen Baron Martini und Baron Swieten fängt nun an ganz öffentlich, ernsthaft und entscheident zu werden.594 Sonnenfels entschied sich also zum Rücktritt, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen war, was – entgegen Kann – das Vorhandensein weiterer Gründe nahelegt. Der erfolgreiche Professor versuchte außerdem unter Leopold II., vom Katheder und der Theorie endgültig in die Praxis zu wechseln. Einen ersten Schritt unternahm er kurz nach Regierungsantritt Leopolds, als er ihm anbot, ihm Privatvorlesungen über die Geheimnisse der Regierungskunst zu geben und ihn zu beraten.595 Der Kaiser lehnte diesen Vorschlag Sonnenfels’ ab, den er bereits 1778 in einer Weise beurteilt hatte, die ihn für eine solche Verwendung ungeeignet erscheinen lässt: Dieser Sonnenfels ist […], ein Mann von großem Talent, sehr fähig und ein großer Arbeiter, aber von Anmaßung und Eitelkeit, lobt sich immer selbst, äußerst fanatisch, macht alle Sachen mit dem größten Aufsehen und Publizität, spricht zu viel, und rühmt sich zu viel, übernimmt viele Verpflichtungen, die er dann nicht erfüllen kann und er macht sich dann lächerlich.596 Trotz der Ablehnung fand Leopold II. für ihn eine Verwendung, bei der er seine Fähigkeit als großer Arbeiter durch Einbindung in eine Kommission einsetzen sollte. Am 26. März 1791 592 Vgl. zu dieser Entwicklung Hengl: Studienwesen, S. 225–254 u. Wangermann: Aufklärung, S. 108–113. 593 Kann: Kanzel, S. 231. 594 HHStA VA 38, Fol. 278r. Bericht L. A. Hoffmanns an Leopold II. vom 29. Sept. 1791. 595 HHStA VA 38, Fol. 157r. Bericht Hoffmanns vom 20. Juni 1791. Hoffmann beantwortet hier eine diesbezügliche Anfrage des Monarchen. 596 Wandruszka, Adam: Leopold II. Erzherzog von Österreich, Großherzog von Toskana, König von Ungarn und Böhmen, Römischer Kaiser, Wien 1965, S. 325. Die Beurteilung schrieb er nach einer Begegnung 1778.

122

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

wurde eine Behörde zur Sammlung der Gesetze der Erblande konstituiert, mit deren arbeitsintensivem Referat Sonnenfels betraut wurde. Hierin sieht Kopetzky den alleinigen Grund für dessen Rücktritt vom Lehramt.597 Diese schon bald eingestellte Kommission stellte die Fortsetzung ähnlicher Projekte unter Maria Theresia und Joseph II. dar.598 Neben der Kommissionsarbeit wurde Sonnenfels außerdem die Aufgabe übertragen, eine neue Polizeyverfassung für Wien auszuarbeiten, da seine Kenntnisse auf diesem Gebiet und seine Fähigkeiten als Stilist allgemein anerkannt waren.599 Er war nun tatsächlich auf mehrfache Weise an der Staatsverwaltung beteiligt, musste dafür aber eine deutlich gestiegene Arbeitsbelastung in Kauf nehmen. In einer Audienz am 22. Juni 1791 überreichte Sonnenfels Leopold II. eine ausführliche Denkschrift, aus welcher hervorgeht, dass er einerseits seine Zukunft nicht mehr mit der Universität verbinden wollte und andererseits auch mit den neuen Aufgaben noch nicht zufrieden war:600 Er berichtet wieder einmal von seinen Verdiensten und davon, seit längerer Zeit um eine Anstellung zu bitten, welche seinen Fähigkeiten und Talenten entspreche. Eure Majestät geruhten mir die Gewährung meiner Bitte anfangs im allgemeinen zuzusagen, und dann letzthin von meiner besonderen Bestimmung zu dem Studienreferate eine Eröffnung zu machen.601 Das angebotene neue Referat bei der Hofkanzlei würde angesichts des sinkenden Einflusses der Studienhofkommission künftig die höchste Stellung im neuen Bildungswesen der Erblande darstellen.602 Er verweist allerdings darauf, dass das Studienwesen von Martini bereits ausgearbeitet worden sei und ein Referent nur noch die Verwaltung und praktische Umsetzung zu überwachen habe. Daher lehnte er ab: Doch wenn derjenige, der durch lange Zeit die Baukunst zum Gegenstand seiner Verwendung gemacht, […] sich den Wunsch erlaubt, nicht bloß als Maurer zu arbeiten, verdienet er den Vorwurf des Stolzes? Dies ungefähr ist mein Fall.603 Nach einer ausführlichen Begründung seiner Überqualifikation wendet er sich einem Vorschlag für seine zukünftige 597 Vgl. Wagner: Kodex, S. 42–55 u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 320f. 598 Siehe Kap. 7.6. 599 Bibl, Victor: Die Wiener Polizei. Eine kulturhistorische Studie. Leipzig, Wien 1927, hier S. 257–270; Wandruszka: Leopold II., S. 337–341 u. Wangermann, Ernst: From Joseph II. to the Jacobin Trials. Government Policy and Public Opinion in the Habsburg Dominions in the Period of the French Revolution, Oxford 1969, hier S. 95–97; Siehe Kap. 7.3. 600 HHStA VA 41, Konv. Alt 63, Fol. 309–482, Nota von Hofrath Sonnenfels, Fol. 356r.–361v., vgl. auch Wandruszka: Leopold II., S. 325. 601 Ebd., Fol. 358r. 602 Zur Einrichtung dieses neuen Referates vgl. Adler: Unterrichtsverfassung, S. 58–60 u. Kapitel 7.4. 603 HHStA VA 41, Konv. Alt 63, Fol. 309–482, Nota von Hofrath Sonnenfels, Fol. 356r.–361v., hier Fol. 358v.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

123

Verwendung zu: Der für die Kenntnisse, welche zu erwerben ich Gelegenheit hatte zukömmlichste Ort, dürfte das Kabinet seyn. […] eine Anstellung, die mich dem Fürsten näherte […], würde die Glückseeligkeit meines Lebens machen.604 Dort könne er alle eingehenden Denkschriften und Anträge zusammenfassen, dem Monarchen vortragen und dessen Entscheidung notieren, in Worte kleiden und weiterleiten. Überhaupt würde alles, was von der inneren Staatsverwaltung zu und von Eurer Majestät gelangen, zu ihrer grossen Erleichterung […] von mir vorbereitet werden können.605 Dabei käme ihm auch die Aufgabe zu, die Eingaben zu gewichten und gegebenenfalls nicht nur Mehrheitsentscheidungen der Kommissionen, sondern auch einzelne Separatvoten vorzulegen. Wenn diese Stelle nicht sogleich geschaffen werden könne, sei es auch möglich, ihn während einer Anstellung im Staatsrat diese Aufgabe erfüllen zu lassen. Beiläufig verweist Sonnenfels dabei noch auf eine angeblich notwendige Reform dieses Gremiums, das sich weniger mit Alltagsgeschäften als mit den großen Konzepten des Staates beschäftigen solle.606 Er schließt seine Bittschrift mit dem Hinweis auf seinen tadellosen Charakter, für den auch Fürst Kaunitz bürgen könne. Die Reaktion Leopolds auf diese Eingabe ist nicht bekannt; jedoch ist zu beobachten, dass der ambitionierte Antragssteller weder die gewünschte Stelle noch das Studienreferat erhielt. Abschließend ist neben den Bildungsreformen und Sonnenfels Weg in die Verwaltungspraxis noch ein dritter scheinbar simpler Aspekt zur Erklärung seines Rücktrittsgesuchs zu nennen. Er ging davon aus, einen Nachfolger seiner Wahl berufen und anleiten zu können.607 Auf diese Weise wären der Fortbestand seiner akademischen Lehre und sein Einfluss auf Fach und Universität gesichert gewesen. 4.1.6 Ein Konflikt weitet sich aus: Sonnenfels gegen Leopold Alois ­Hoffmann und Heinrich Joseph Watteroth Sonnenfels’ Annahme, seinen Nachfolger nach eigenem Gutdünken wählen zu können, erwies sich vier Tage nach der Anerkennung seines Rücktrittsgesuches als falsch. Sein Wunschkandidat war Franz von Egger (1765–1835), ein ehemaliger Student, der als Praktikant bei ihm gearbeitet hatte und seit 1789 mit seiner Fürsprache den Lehrstuhl der politischen Wissenschaften in 604 Ebd., Fol. 359v. 605 Ebd., Fol. 360r. 606 Ebd., Fol. 361v. 607 Vgl. HHStA VA Kart. 38, Fol. 60r.–61v. Bericht Hoffmanns an Leopold II. vom 21. Juni 1791, vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 253.

124

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Graz bekleidete.608 Leopold II. verfügte jedoch, ohne ein Berufungsverfahren durchzuführen, in einem Dekret vom 5. August 1791 die Aufteilung der offenen Lehrkanzel und ihre Vergabe an zwei andere Wiener Professoren: Heinrich Joseph Watteroth und Leopold Alois Hoffmann.609 Watteroth, ein ehemalige Protegé Sonnenfels’, der bisher an der Universität Wien Statistik, also Staatenkunde, gelehrt hatte, erhielt nun zusätzlich die politischen Wissenschaften und Hoffmann vereinigte seine Kanzel der deutschen Eloquenz mit Sonnenfels’ ehemaligem Geschäftsstyl. Zur Erläuterung des darauf folgenden weitreichenden Konfliktes zwischen den Nachfolgern und ihrem Vorgänger, welcher die intensivste zeitlebens geführte Auseinandersetzung Sonnenfels’ darstellte, ist es nötig, die Stellung und bisherige Karriere dieser beiden Männer näher zu beleuchten. Hoffmann war in den siebziger und frühen achtziger Jahren als Schriftsteller in Erscheinung getreten.610 Er war Freimaurer und verkehrte mit Gottfried van Swieten und Sonnenfels, dessen Vorlesungen er auch öffentlich verteidigte.611 Nach dem Verbot des Illuminatenordens 1785 in Bayern begann er – damals Professor für deutsche Sprache in Pest – vermehrt gegen die geheimen Gesellschaften zu schreiben. Dieses Verhalten verstärkte sich angesichts der Französischen Revolution, die er als Ergebnis einer pervertierten Aufklärung und der von geheimen Gesellschaften ausgeübten Manipulation der öffentlichen Meinung schilderte.612 In Ungarn empfahl er sich in der Spätphase der Herrschaft Josephs II. durch seine Tätigkeit als Spitzel sowie als Autor prokaiserlicher Flugschriften und Broschüren für weitere 608 Vgl. Wurzbach: Lexikon, Bd. 4, S. 1–3. 609 AVA StudHK, Kart. 15, Konv. Politische Wissenschaften und Statistik, Fol. 27r. Dekret Leopolds II. vom 05. Aug. 1791; vgl. auch Osterloh: Reformbewegung, S. 253. 610 Vgl. zu diesem Kontext: Fuchs, Ingrid: Leopold Alois Hoffmann 1760–1806. Seine Ideen und seine Bedeutung als Konfident Kaiser Leopold II., Diss. Wien 1963; Reinalter, Helmut: Gegen die „Tollwuth der Aufklärungsbarbarei“. Leopold Alois Hoffmann und der frühe Konservativismus in Österreich, in: Weiss, Christoph u. Albrecht, Wolfgang (Hg.): Von „Obscuranten“ und „Eudämonisten“. Gegenaufklärerische, konservative und antirevolutionäre Publizisten im späten 18. Jahrhundert, St. Ingbert 1997, S. 221–244 u. Sommer, Friedrich: Die Wiener Zeitschrift (1792–1793). Die Geschichte eines antirevolutionären Journals, in: Das Freimaurermuseum, Bd. 7 1932, S. 9–155. 611 Fuchs: Hoffmann, S. 46–50 u. Lettner, Gerda: Das Rückzugsgefecht der Aufklärung in Wien 1790–1792, Frankfurt a.M. 1988, S. 22f. Zu seiner Entwicklung auch: Reinalter: Tollwuth, S. 224–227. 612 Julliard, Catherine: La ‚Wiener Zeitschrift‘ de Leopold Alois Hoffmann: Une revue réactionnaire à l’époque de la Révolution française, in: Bois, Pierre-André (Hg.): Voix conservatrices et réactionnaires dans les périodiques allemands de la Révolution française à la restauration, Bern, Berlin, Brüssel 1999, S. 299–325, hier zu seinen frühen Schriften, S. 303–307 u. zur Französischen Revolution S. 308–314 u. zur Aufklärung S. 314–323.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

125

Verwendungen.613 So wurde ihm im Jahr 1790 eine neue Aufgabe zugewiesen, als er von Leopold II. auf die Professur des deutschen Stils und der Eloquenz nach Wien berufen wurde.614 Leopold II. hatte angesichts von Unruhen gegen die Reformpolitik seines Bruders und der positiven Reaktion in Österreich auf die Frühphase der Französischen Revolution begonnen, einen geheimen Mitarbeiterkreis zu bilden.615 Die Aufgabe dieses Gremiums war es, Stimmung und öffentliche Meinung zu beobachten und diese, ausgehend von einem Vorschlag Hoffmanns, durch eigene Publikationen zu beeinflussen.616 Darüber hinaus hatte Hoffmann angeregt, eine neue Geheimgesellschaft nach dem Vorbild der Illuminaten zu gründen. Sie sollte dem Kaiser unterstehen und auf informellen Wegen gegen regierungskritische Elemente tätig werden, wozu er auch Beamte zählte, die noch immer die josephinische Reformpolitik vertraten.617 In diesen Personenkreis eingebettet und vom Monarchen geschützt setzte Hoffmann seine Tätigkeit nun in Wien fort und verfasste Berichte über die Universität und seine Kollegen, während er in seinem Unterricht gegen die angeblich pervertierte Aufklärung dozierte. Immer wieder warnte er vor verschiedenen Verschwörungen geheimer Gesellschaften zum Sturz der Monarchie. Der Wahrheitsgehalt seiner Aussagen ist allerdings angesichts der Auflösung beinahe aller Freimaurerlogen zwischen 1785 und 1790, des Endes der Aktivitäten der Wiener Illuminaten schon vor 1785 und seiner verzerrten Darstellung der Ziele dieser Gemeinschaften in Zweifel zu ziehen.618 Dennoch gewann er durch seine Berichte die Gunst Leopolds II., an den er am 31. Juli schrieb: Die Vorsehung hat mir an Eurer Majestät einen Schutzgott verliehen, der mich […] väterlich schützen wird.619 Tatsächlich hatte sich Leopold 613 Vgl. Fuchs: Hoffmann, S. 139–154 u. Eckert: Wattenroth, S. 47. 614 Lettner: Aufklärung, S. 42. 615 Vgl. zu dieser Entwicklung: Reinalter: Tollwuth, S. 222f.; Winter, Eduard: Frühliberalismus in der Donaumonarchie. Religiöse, nationale und wissenschaftliche Strömungen von 1790–1868 (Beiträge zur Geschichte des religiösen und wissenschaftlichen Denkens Bd. 7), Berlin 1968, S. 7; Silagi, Denis: Jakobiner in der Habsburger-Monarchie. Ein Beitrag zur Geschichte des aufgeklärten Absolutismus in Österreich (Wiener historische Studien Bd. 6), Wien u. München 1962, S. 71–166; Wangermann, Ernst: Österreichische Aufklärung und Französische Revolution, in: Ders. u. Wagner, Birgit (Hg.): Die schwierige Geburt der Freiheit. Das Wiener Symposion zur Französischen Revolution, Wien 1991, S. 183–193, hier S. 183–186. Die Anfänge dieses geheimen Gremiums gehen auf Joseph II. zurück, der die Vorgänge in Ungarn gegen Ende seiner Herrschaft überwachen ließ: Fuchs: Hoffmann, S. 139–144. Die ausführlichste Studie ist Lettner: Aufklärung. 616 HHStA VA Kart. 38, Fol. 288r. Bericht an den Kaiser vom 03. Okt. 1791. 617 Vgl. Lettner: Aufklärung, S. 41, 72f. u. 81. 618 Vgl. Kap. 6.2. 619 HHStA VA Kart. 38, Fol. 197r. Bericht vom 31. Juli 1791.

126

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

mehrmals für ihn eingesetzt, sein Gehalt verdoppelt und seine Publikationen mit dem kaiserlichen Namen vor der Zensur geschützt.620 Hingegen brachten seine antiaufklärerischen Schriften Hoffmann die Gegnerschaft Gottfried van Swietens ein, der als Zensor und amtierender Leiter der Studienhofkommission vergeblich gegen die Gehaltserhöhung Hoffmanns protestierte.621 Erfolgreich jedoch verhinderten Swieten und sein Mitarbeiter Sonnenfels, der damals selbst noch Professor war, durch Verzögerungen der Arbeit der Studienhofkommission die Umsetzung des kaiserlichen Befehls, Hoffmanns Vorlesungen zu einer Pflichtveranstaltung für alle Studenten zu machen.622 Neben der Diffamierung der Aufklärungsbewegung bot hierfür auch die Konkurrenz zu Sonnenfels’ eigenem Lehrfach Geschäftsstyl einen Grund. Besonders deutlich wurde der frühe Gegensatz des ersten Professors der politischen Wissenschaften zu Hoffmann im Zusammenhang mit der Gründung einer neuen Zeitschrift in Wien. Sonnenfels war als Mitglied der Studienhofkommission zugleich Zensor der politischen Schriften und hatte im März 1791 die kaiserliche Anweisung erhalten, Hoffmanns Projekt einer neuen Tageszeitung, genannt der Politische Merkur, zu genehmigen.623 In Rücksprache mit van Swieten genehmigte er das Projekt zwar prinzipiell, unterstellte jedoch jedes Exemplar seiner erneuten Zensur, forderte Stempelgebühr und gab keinen Schutz vor Nachdrucken. Hoffmann mutmaßte deswegen in einem Bericht an den Kaiser: Darüber, dass er in der Angelegenheit des politischen Merkurs, worinn er das Referat zu führen hatte, dagegen referirt und dem Unterdrückungs-Vorschlage des Baron Swieten völlig beigestimmt hat, ist er nach meinem Gefühl entschuldigt; denn er will ein ähnliches Blatt unternehmen, und also stand ihm der Merkur im Wege.624 Da kurze Zeit später tatsächlich das von Sonnenfels unterstützte Politische Sieb im Druck erschien, ist dieser Vorwurf nicht unberechtigt, verweist aber in Anbetracht von Hoffmanns immer stärker umstrittenem Status als Spitzel Leopolds sicher nicht auf das einzige Motiv.625 Als Reaktion lieferte Hoffmann dem Kaiser Berichte über Swieten und Sonnenfels, in denen er sie als revolutionäre Illuminaten oder Jakobiner darstellte, wobei diese Wörter von ihm synonym gebraucht wurden.626 Über Sonnenfels schrieb er: Man betheu620 Vgl. Lettner: Aufklärung, S. 43. 621 Vgl. Fuchs: Hoffmann, S. 144. 622 Lettner: Aufklärung, S. 58, vgl. auch HHStA VA Kart. 38, Fol. 168v. 623 Vgl. HHStA VA Kart. 38, Fol. 119r.–120v. Bericht Hoffmanns vom 16. oder 18. März 1791. 624 HHStA VA 38, Fol. 125r.–130v. Bericht an den Kaiser vom 1. Mai 1791, hier Fol. 129v. Alle Unterstreichungen und Hervorhebungen in dieser und den folgenden Quellen sind aus dem Original übernommen. 625 Das politische Sieb, herausgegeben von einem Zeitungsklub, Wien 1791–1792. 626 Vgl. HHStA VA 38, Fol. 125r.–130v. Bericht an den Kaiser vom 1. Mai 1791.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

127

ert, gleich bei der Thronbesteigung euer Majestät, sehr ungebührliche Ausdrücke über die allerhöchste Person Eurer Majestät öffentlich aus seinem Munde gehört zu haben – und daher nennt man ihn […] auch ziemlich laut einen Heuchler.627 Hoffmann führt weiter aus: Er wird als Werkzeug der Illuminaten und der Swietenschen Parthei gebraucht, ohne es recht zu wissen.628 Sein Egoismus und Ehrgeiz werde von angeblich zahlreichen Illuminatenklubs ausgenutzt, damit er bei den ihm gewährten Audienzen heimlich in ihrem Sinne tätig sei.629 Auf ähnliche Weise versuchte Hoffmann auch Gottfried van Swieten zu diskreditieren. Die Folge seiner antiaufklärerischen Schriften, seiner allgemein bekannten Stellung als Günstling des Monarchen sowie seiner allgemein vermuteten Spitzeltätigkeit war, wie er selbst berichtete, dass sich weite Teile des Lehrkörpers der Universität und der josephinischen Beamten gegen ihn stellten.630 Gleichzeitig gelang es ihm dennoch aufgrund der kaiserlichen Protektion, neue Mitglieder für den geheimen Mitarbeiterkreis zu werben, zu denen auch Joseph Heinrich Watteroth gehörte. Watteroth war Lehrer für Statistik an der theresianischen Akademie und hatte mit Unterstützung Sonnenfels’ nach sechsjährigem Dienst 1783 eine Stellung als Professor erhalten.631 Auf dessen Empfehlung und Fürsprache trat er ebenfalls in die Freimaurerloge zur wahren Eintracht ein, wobei er in den Protokollen nur selten als anwesend geführt wurde.632 Sonnenfels schützte seinen jungen Kollegen außerdem, als der Kardinalerzbischof Migazzi sich über einige von dessen Lehrsätzen beschwerte.633 Doch die Unterstützung des älteren Professors wurde von Watteroth im Nachhinein keineswegs positiv geschildert: Er gab sich auch seit meiner Beförderung alle erdenkliche Mühe mich in sein Netz zu ziehen.634 Hierbei bezog er sich, wie an anderer Stelle deutlich wird, auf die Stellung Sonnenfels’ als „Direktor“ der politischen Wissenschaften und zentraler Akteur in einem akademischen Netzwerk, in das er sich angeblich einfügen sollte.635 Watteroth schildert Sonnenfels’ Verhalten als unerwünschte Bevormundung und Einmischung 627 Ebd., Fol. 128v. 628 Ebd., Fol. 129r. 629 Ebd., Fol. 129r. 630 Vgl. HHStA VA Kart. 38, Fol. 135r.–138v. Bericht vom 28. Mai 1791, spez. Fol. 137v. u. ebd. Bericht vom 4. Juli 1791, HHStA VA Kart. 38, Fol. 169r u. Lettner: Aufklärung, S. 46. Dazu gehörten angeblich auch Karl Anton von Martini und Mitarbeiter der Hofkanzlei. 631 Vgl. Eckert: Wattenroth, S. 22- 45. Zwischenzeitlich bekleidete er eine Professur für Weltgeschichte, die er 1786 auf ausdrückliche Empfehlung von Sonnenfels erhalten hatte, vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 276. 632 Vgl. zur Aufnahme Watteroths am 28. Juli 1783, Irmen: Protokolle, S. 152. 633 Kopetzky: Sonnenfels, S. 276. 634 HHStA VA Kart. 41, Fol. 177r. Bericht an den Kaiser, Ende des Jahres 1791. 635 Wiener Zeitschrift 2. Heft, S. 258. Vgl. Eckert: Wattenroth, S. 67.

128

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

in seine Lehrtätigkeit, der er sich entziehen wolle. Vor dem Hintergrund dieser Diskrepanzen und angesichts eines Mangels anderer Verbindungen an der Universität begann er, Berichte für den Kaiser anzufertigen, die Hoffmann dann weiterleitete.636 Bald darauf ließ er sich für den geheimen Mitarbeiterkreis anwerben, der ihm neue Einflussmöglichkeiten bot und für ihn ein Gegengewicht zur Position seines früheren Förderers darstellte. Seine neuen Verbindungen wurden anlässlich von Sonnenfels’ Rücktritt mobilisiert, um gegen dessen Pläne vorzugehen, den Lehrstuhl an den Grazer Professor Egger zu vererben. Hoffmann verfasste diesbezüglich einen Bericht an den Kaiser: Der eigentliche, erste und giltigste [Bewerber] um die Sonnenfelsische Kanzel ist der Professor Watteroth. […], da Sonnenfels aus allen seinen Zöglingen keinen aufweisen kann, der sich nur irgend einigen litherarischen Rufe in der Gelehrten Welt erworben hätte, oder mit Watteroth sich messen könnte.637 Hoffmann warnte außerdem davor, dass sich Sonnenfels und andere gegen diese Nachfolge stellen würden. Dies gelte aber als Beweis, dass Watteroth deren Illuminatensekte verlassen habe und somit vertrauenswürdig sei. Leopold II. reagierte am 5. August mit der beschriebenen Zweiteilung des Lehramtes. Die Lage Hoffmanns und Watteroths, die bei den josephinischen Beamten in der Verwaltung und an der Universität ohnehin nicht gut angesehen waren, wurde durch diesen Gunstbeweis noch verschlechtert. Nun standen diejenigen, welche sich selbst als Aufklärer bezeichneten und dem josephinischen Reformbeamtentum angehörten, gegen die beiden Protegés des Kaisers. Ihre ablehnende Haltung wurde dadurch verstärkt, dass besonders Watteroth sich auf seiner neuen Lehrkanzel bemühte, seinen Vorgänger fachlich und auch persönlich zu diskreditieren und dessen Lehrsätze als falsch zu widerlegen.638 Es folgte eine Reaktion auf vier Ebenen. Zunächst schlug Gottfried Swieten als Präses der Studienhofkommission dem Kaiser zur Bestimmung des Gehalts der Nachfolger vor, die angeblich im Falle von Hoffmann ohnehin zu hoch angesetzte Besoldung auf nur 1.200fl. zu belassen.639 Leopold II. ignorierte dies allerdings und erhöhte am 1. November Hoffmanns Gehalt auf 1.800fl. und das Watteroths sogar auf 2.000fl.640 636 Vgl. Eckert: Wattenroth, S. 48f. u. S. 50. 637 HHStA VA Kart. 38, Fol. 61v. Bericht Hoffmanns vom 21. Juli 1791. 638 Osterloh: Reformbewegung, S. 255. u. Beidtel, Ignaz: Geschichte der österreichischen Staatsverwaltung 1740–1848 2 Bde., Frankfurt a.M. 1986, Ndr. der Ausgabe Innsbruck 1896, hier Bd. 2, S. 38f. 639 AVA StudHK Kart. 15 Konv. Politische Wissenschaften und Statistik, Fol. 29f., Gutachten vom Aug. 1791. 640 AVA StudHK Kart. 15 Konv. Politische Wissenschaften und Statistik, Fol. 23r. u. Fol. 23v. Dekret vom 1. Nov. 1791, vgl. auch AVA StudHK Kart. 21 Konv. 185 ex 179, Fol. 2r.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

129

Zur selben Zeit wie sein Kommissionskollege van Swieten engagierten sich auch Sonnenfels’ Studenten – nach Meinung Hoffmanns auf dessen Betreiben hin – gegen die neuen Professuren: Es geht überall die Rede, Sonnenfels künftige Schüler hätten eine Bittschrift an Euer Majestät gebracht, damit dieser Professor noch wenigstens ein Jahr bei seiner Kanzel verbleiben dürfe.641 Auch diese Maßnahme, welche den Rückhalt des ersten Professors der politischen Wissenschaften bei seinen Studenten illustriert, führte zu keiner Revision. Drittens wurde Sonnenfels anlässlich der Krönung Leopolds II. zum böhmischen König persönlich tätig und versuchte, Hoffmann doch noch von seiner Kanzel fernzuhalten. Er reiste nach Prag und bemühte sich auf den dortigen Hoffesten um einen Ausweg. Hoffmann, dessen Reisekosten Leopold II. übernommen hatte, berichtete am 8. September, dass Sonnenfels ihn auf einem Ball angesprochen habe: Ich müsse als Professor des Geschäftsstils in ein politisches dikasterium kommen, und er würde das alles schon in Ordnung bringen.642 Seine Verwirrung über dieses Entgegenkommen klärt sich am folgenden Tag: Sonnenfels soll die sicher [!] Absicht haben, hier in Prag seine designirte Professur wieder zu bekommen. Dies erklärt zum Theil seine ungebetenen Bemühungen in Absicht meiner politischen Anstellung.643 Hoffmann empfahl, Sonnenfels’ Anträge zu ignorieren und der Kaiser folgte seiner Anregung.644 Als schließlich im Oktober die beiden Professoren ihre neue Lehrtätigkeit aufnehmen wollten, berichteten sie dem Kaiser von Erschwernissen, die ihnen von Seiten der Universität entgegengestellt wurden. Dies war die vierte Reaktion. Hoffmann schrieb dem Kaiser: dass heut, da ich von 9 bis 10 Uhr meine erste Vorlesung halten sollte, kein einziger Hörsaal dazu vorhanden war; dass Prof. Watteroth ganz nothdürftig von 8 bis 9 Uhr eine leere Kanzel finden konnte, und das für unsere beiderseitigen Nachmittagsvorlesungen nirgend ein Platz angeordnet ist.645 Zunächst bittet er noch lediglich um Hilfe bei diesem konkreten Problem, zwei Wochen später sieht er gegen die zum Fluch der Studien und Universität gewordene Kabbale646 keinen anderen 641 HHStA VA Kart. 38, Fol. 212r. Bericht vom 11. Aug. 1791, vgl. zur Petition auch: Osterloh: Reformbewegung, S. 254. 642 HHStA VA Kart. 38, Fol. 252r. u. Fol. 252 v. Bericht Hoffmanns aus Prag vom 8. Sept. 1791, hier Fol. 252v. Zur Einladung Hoffmanns durch Leopold II. Lettner: Aufklärung, S. 58. 643 HHStA VA Kart. 38 Fol. 258r.–259v. Bericht Hoffmanns aus Prag vom 9. u. 10. Sept. 1791, hier Fol. 259v. 644 HHStA VA Kart. 38 Fol. 260r.–261v. Bericht Hoffmanns aus Prag vom 16. Sept. 1791., hier Fol. 260v. 645 HHStA VA Kart. 38 Fol. 296r.–297v. Bericht Hoffmanns vom 19. Okt. 1791, hier Fol. 296r. 646 HHStA VA Kart. 38 Fol. 306r.–207v. Bericht Hoffmanns vom 27. Okt. 1791, hier Fol. 306r.

130

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Ausweg, als den Kaiser um Vollmachten zu seinen Gunsten zu bitten, die ihm und Watteroth aufgrund ihres Einsatzes als geheime Mitarbeiter auch ausgestellt wurden.647 Doch es folgten weitere Nadelstiche seitens der Universität, wie die Forderung an Watteroth, sich nach mehreren Jahren Lehrtätigkeit noch einem angeblich fehlenden formalem Examen Rigorosum zu unterwerfen, die er nur durch direkte Intervention des Monarchen umgehen konnte.648 All dies erschwerte die Arbeit der beiden kaiserlichen Günstlinge, führte aber nicht dazu, dass sie aufgaben. Eine Verbindung der vier beschriebenen Reaktionen ist in den Quellen nicht nachweisbar, obwohl Sonnenfels als zentraler Akteur in Erscheinung trat und darüber hinaus Verbindungen zu den involvierten Behörden, Universitätsgremien und Studenten besaß. Auch wenn die Handlungen gegen Hoffmann und Watteroth möglicherweise unabhängig voneinander begründet sein könnten, so nahmen die beiden sehr wohl ihren Vorgänger als Ursache ihrer Probleme wahr. Sie unterstellten ihm nicht nur den Willen, sondern auch die Fähigkeit, als Organisator in Erscheinung zu treten, wie Hoffmann später schrieb: Es ist durchaus ein großer und fester Plan: mich von der Universität weg zu drängen, Sonnenfels ist die Schuld von allem.649 Während des konfliktreichen Beginns ihrer neuen Lehrtätigkeit arbeiteten die Mitgliedern des geheimen Mitarbeiterkreises zeitgleich an der Gründung ihrer eigenen Geheimgesellschaft und eines prokaiserlichen antiaufklärerischen Publikationsorgans, wofür sie Geld und Unterstützung des Kaisers erhielten.650 Da dieses Medium bedeutsam für die Auseinandersetzung Sonnenfels’ mit seinen Nachfolgern wurde, ist an dieser Stelle eine kurze Betrachtung notwendig. Ziel des Projektes mit Namen Wiener Zeitschrift war es, Entscheidungen Leopolds II. in Form von Dekreten mit glorifizierendem Begleittext zu publizieren und gleichzeitig Angriffe gegen die josephinisch geprägte Beamtenschaft zu unternehmen, die sich Maßnahmen gegen den früheren Reformkurs widersetzte.651 Auf diese Weise sollte angesichts der Sorge vor einer 647 Vgl. Lettner: Aufklärung, S. 64. 648 Eckert: Watteroth, S. 53–58 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 254. 649 HHStA VA Kart. 38, Fol. 54r.–57v., Bericht vom 28. Feb. 1792, hier Fol. 57r. 650 Vgl. zur Zeitschrift und ihren Zielen: Reinalter: Tollwuth, S.  228–230; Lettner: Aufklärung, S. 72–74 u. S. 76–78; Sommer: Zeitschrift insg. u. Julliard: Zeitschrift insg. 651 In der Forschung ist umstritten, inwieweit Leopold mehr als nur generelle Tendenzen zum Inhalt beisteuerte, vgl. Lettner: Aufklärung, S. 72–74. Unabhängig davon ist festzustellen, dass er die Zeitschrift auch dann fortlaufend unterstützte, als sie gegen seine eigenen Beamten benutzt wurde, vgl. Julliard: Zeitschrift, S. 314–323 u. mit einem stärkeren Bezug auf die Freimaurerei Sommer: Zeitschrift, S. 34–46.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

131

Ausbreitung der französischen Revolution die öffentliche Meinung in Wien zugunsten der Person des Kaisers beeinflusst werden. Beamte, die unter Joseph II. leitende Funktionen besaßen oder die wie Sonnenfels dessen Reformkurs unterstützt hatten, sollten dabei als Sündenböcke für die fehlgeschlagenen Reformen herhalten. Leopold II. trug nicht nur die Kosten und betrieb Werbung in den Kreisen des Hochadels, sondern steuerte auch Dokumente aus seinem Kabinett zur Veröffentlichung bei und sorgte dafür, dass die josephinisch geprägte Zensur diese Publikation nicht behindern konnte.652 Anstelle der Mitarbeiter van Swietens erhielt Watteroth in einer Ausnahmeregelung die Kompetenz, die Wiener Zeitschrift zu genehmigen.653 In dieser Phase des Projekts trat Sonnenfels in Erscheinung. Hoffmann berichtete am 23. Oktober 1791 dem Kaiser von einem Gespräch mit seinem Vorgänger, bei dem die neue Zeitung, allerdings nur in ihrer Funktion als Instrument zur Publikation kaiserlicher Dokumente, im Mittelpunkt stand.654 Sonnenfels habe ihm daraufhin berichtet, selbst ein solches Projekt zu verfolgen und ihm eine Zusammenarbeit angeboten: Das neue dabei besteht jetzt einzig darinn, das der Hr. Hofrath die Oberdirektion und die Generalaufsicht dabei zu führen große Neigung bezeigt, und dass er meint: Ich sollte dabei in der tief verborgensten Dunkelheit stehen, und unter meinem Namen nicht um die Erlaubnis der Sache einkommen, denn dass würde zu viel aufsehen und neue Hindernisse machen – denn außerdem getraue sich der Hr. Hofrath die Erlaubnis gleich auszuwirken.655 Hoffmann war besorgt, da die eigentliche, geheime Zielsetzung der neuen Zeitschrift nur von ihm und nicht von Sonnenfels erfüllt werden könne. Jener solle irgendeine andere Aufgabe vom Kaiser zugewiesen bekommen.656 Da die Planung der neuen Zeitschrift in geheimen Berichten und vertraulichen Audienzen erfolgte, liegt nahe, dass Sonnenfels nicht um die wahre politische Zielsetzung des Projektes wusste. Er bereitete zu diesem Zeitpunkt tatsächlich mit einigen Mitarbeitern eine eigene Zeitschrift vor, über die er bereits mit dem Kaiser gesprochen hatte. Sie sollte aus einem Nachrichtenüberblick und der Publikation neuer Dekrete bestehen.657 Die Möglichkeit einer Kooperation, bei der er selbst federführend sein würde, erschien daher für ihn 652 Lettner: Aufklärung, S. 58. 653 Vgl. Wangermann: Aufklärung, S. 112f. 654 HHStA VA Kart. 38, Fol. 300r.–301v. Bericht Hoffmanns vom 23. Okt. 1791. 655 Ebd., Fol. 300r. 656 Ebd., Hoffmann schlägt vor, Sonnenfels eine neue, gemäßigte Freimaurerloge planen zu lassen. 657 Das Projekt des Politischen Siebes wurde, noch ohne Sonnenfels, dem Kaiser vermutlich erstmals im August 1791 vorgetragen. Vgl. HHStA VA Kart. 38, Fol. 209r.–210v., Bericht Hoffmanns an den Kaiser vom 13. Aug. 1791.

132

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

keineswegs abwegig, da er so mögliche Konkurrenz im Ansatz unterbinden könnte. Leopold II. entschied sich gegen eine Mitarbeit Sonnenfels’ an der Wiener Zeitschrift und genehmigte statt dessen, wenn auch ohne besondere Privilegien, das von jenem gemeinsam mit dem aus Böhmen stammenden Schriftsteller Franz Xaver Huber (1755–1814) und dem Ritter von Steinsberg herausgegebene Politische Sieb.658 Somit erschienen gleichzeitig zwei neue Zeitschriften, deren Herausgeber einerseits frühkonservativ, andererseits josephinisch geprägt waren. Gerade diese doppelte Genehmigung macht es schwer, die Haltung Leopolds II. eindeutig zu bewerten, wie es Lettner tut, wenn sie ihm antiaufklärerische Konsequenz unterstellt.659 Die Folge dieser doppelten Publikation war eine offene Konkurrenz der Zeitschriften und Herausgeber.660 Hoffmann schrieb zahlreiche Berichte an den Kaiser über das Politische Sieb und seine Redakteure, die angeblich Dokumente der Kanzlei oder Beiträge seiner Zeitung ohne Genehmigung nachdruckten, von bösem Charakter seien, und gegen die Interessen des Staates handelten.661 Als Ursache für ihre angeblichen Untaten vermutete Watteroth: Mir bleibt fast kein Zweifel übrig, dass Sonnenfels mit seinem Antheile an dieser Schrift nur sich an Hofmann zu rächen sucht, weil er ihm nicht einen gleichen Einfluss auf seine Zeitschrift zugestanden hat.662 Noch bevor der Kaiser auf diese Denunziation reagieren konnte, verwendete allerdings Watteroth gemeinsam mit Hoffmann die Wiener Zeitschrift für einen direkten Angriff auf Sonnenfels. Den Anlass gab, neben der beschriebenen Behinderung ihrer Lehrtätigkeit, den Versuchen ihres Vorgängers sein Amt zurückzuerhalten und der literarischen Konkurrenz schließlich die Ausarbeitung einer Erlaubnis für Watteroth bei der Hofkanzlei. Der Kaiser hatte persönlich dem obersten Kanzler Graf Leopold von Kolowrat am 5. Dezember 1791 befohlen, dass Sonnenfels’ Nachfolger alle Archive und Registraturen sowie Dokumente zur laufenden Gesetzgebung einsehen und in den Ferien die Erblande auf 658 HHStA VA Kart. 38, Fol 308r–309v. Bericht Hoffmanns vom 9. Nov. 1791. Steinsberg selbst versichert dem Kaiser: HHStA VA Kart. 38, Fol. 17r.–18v., hier 17r.: dass alle unsere Blätter der Hofrath von Sonnenfels durchsehe. In der Zeitschrift selbst hingegen wurde die Mitarbeit Sonnenfels’ vor dem Publikum bestritten: Politisches Sieb vom 10. Jan. 1792, S. 101. 659 Lettner: Aufklärung, 90–93. 660 Vgl. Peham, Helga: Leopold II. Herrscher mit weiser Hand, Graz, Köln, Wien 1987, S. 240f. 661 Vgl. HHStA VA Kart 38, Fol. 308r.–309v. Bericht Hoffmanns vom 9. Nov. 1791; ebd., Fol. 312r.–313v. Bericht vom 21. Nov. 1791; ebd. Fol. 330r.–332.v. Bericht vom 8. Jan. 1792 u. besonders Fol. 326r.–327v. Bericht vom 18. Dez. 1791. 662 HHStA VA Kart. 42 Konv., Fol. 1–292, Fol. 179v. u. Fol. 180r.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

133

Staatskosten bereisen dürfe.663 Diese Reisen sollten offiziell der Fortbildung dienen, inoffiziell aber eine Überprüfung der Beamtenschaft und die Anwerbung von Mitgliedern für die neue Geheimgesellschaft ermöglichen.664 Aus diesem Grund wurden Watteroth Reisen genehmigt, die seinem Vorgänger trotz mehrerer Anträge verweigert worden waren. Die Umarbeitung dieses Befehls in ein Dekret wurde Sonnenfels übertragen, da er als Stilist umfangreiche Erfahrung besaß. In Rücksprache mit van Swieten und Kolowrat widersetzte er sich jedoch der kaiserlichen Anordnung und verweigerte Watteroth in seiner Textfassung des Dekretes am 9. Dezember nicht nur die Reisekostenerstattung, sondern auch die Einsicht in die Registraturen und Archive.665 Die Wiener Zeitschrift publizierte jedoch am selben Tag bereits eine eigene Textfassung des in Stichworten ergangenen kaiserlichen Befehls.666 Als nun van Swieten und Kolowrat das von Sonnenfels umgearbeitete Dekret trotzdem am 15. Dezember an Watteroth schickten, veränderten sie damit öffentlich eine kaiserliche Order. Watteroth schrieb an Leopold II.: Ich habe das Original von dem allerhöchsten Handbillete […] gelesen. Ich vermisse in meinem Dekret den Inhalt desselben. Ich kann die Bosheit des Hofr. Sonnenfels nicht besser züchtigen, als wenn ich in Hofmanns Zeitschrift zücke.667 Der Kaiser reagierte nicht selbst auf die Insubordination durch seine ranghöchsten Beamten, sondern ließ Watteroth und Hoffmann gewähren. Am 7. Januar 1792 kündigte Hoffmann durch Aushänge an, dass in zwei Tagen eine neue Ausgabe der Wiener Zeitschrift erscheinen werde, welche von Watteroth verfasste Fragmente über eine künftige Biographie des Hofrath v. Sonnenfels enthalte.668 Sonnenfels reagierte auf diese Ankündigung umgehend und schrieb am 8. Januar einen Brief an den Vizepräsidenten der niederösterreichischen Landesregierung und Wiener Polizeichef Baron Jakob von Wöber: Dies neue Heft enthält einen Artikel, von dem ich vermuthen kann, dass er einen verläumderischen Ausfall auf mich enthält: und Watteroth ist sein eigener Censor. Den guten Ruf eines unbescholtenen Bürgers zu schützen, ist die Sache der Polizey. Wenn die Schrift heraus ist, wäre dieser Schutz unmöglich. Ich rufe also das Polizeypräsidium an, von der Sache Ein663 Lettner: Aufklärung, S. 64f. 664 Vgl. HHStA VA Kart. 42, Fol. 118r. 665 Vgl. AVA StudHK Kart., 15 Fol. 33r. u. Fol. 33v. Lettner: Aufklärung, S. 84 vermutet, dass den beteiligten Beamten der geheime eigentliche Zweck der Reisen bekannt geworden war. 666 Wiener Zeitschrift Bd. 1, Heft 1, S. 127. 667 HHStA VA Kart. 42, Konv. Fol. 1–292, Fol. 183r.–186v. Wunsch den Hofr. Sonnenfels dar­ stellen zu dürfen., o.D. 668 Lettner: Aufklärung, S. 85.

134

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

sicht zu nehmen. Ist nur der Schriftsteller Sonnenfels angegriffen, der mag sich vertheidigen! Ist aber der Bürger, der Beamte angefallen, so bin ich berechtigt zu bitten, dass mit Herausgebung des Heftes bis zur höheren Entscheidung angehalten werde.669 Baron Wöber, ein Kollege Sonnenfels’ in der niederösterreichischen Verwaltung, gab dieser Anfrage statt und setzte den Verkauf der Zeitschrift vorläufig aus.670 Hierbei spielte möglicherweise eine Rolle, dass beide Beamte in den Jahren zuvor gemeinsam an einer neuen Polizeiverfassung für Wien gearbeitet hatten und laut Hoffmann ohnehin bei manchen Geschäften gemeinsame Sache miteinander pflegen.671 Wenige Stunden nach Wöbers Entscheidung griff aber Leopold II. in das Verfahren ein und hob das Verbot wieder auf. Die Nachricht erreichte Sonnenfels am Abend des 8. Januar, woraufhin er eine Eingabe an den Kaiser richtete, in der er wiederum um das Verbot der Zeitschrift bat: Morgen soll die Zeitschrift herausgegeben werden. Einen Tag kann dem Verfasser keinen, aber meiner Ehre einen vielleicht unersetzlichen Nachteil bringen. Ich bitte also allerunterthänigst den Verkauf sogleich suspendieren zu lassen.672 Der Kaiser reagierte nicht und am nächsten Morgen wurden die über Nacht gedruckten Exemplare verkauft. Watteroth veröffentlichte einen vierzehnseitigen offenen Brief an Sonnenfels, in dem er angeblich dessen Hilfe gegen sophistische Schwätzer erbat, welche ihn und seine Kanzel bedrängen würden.673 Mit ironischer Übertreibung schildert er die Stellung und Verdienste des angeblich stets bescheidenen Sonnenfels. Seine eigenen wissenschaftlichen Beweisführungen hätten nie eine Chance gegen dessen Dogmen, welche die Fähigkeit haben den Geist zu fesseln.674 Er führt nun die Hemmnisse auf, die ihm auf dem Lehrstuhl in den Weg gelegt wurden, als er seine eigene Lehre vorstellte und dass man allgemein annehme, Sonnenfels sei schuld daran. Er selbst könne dies natürlich nicht glauben, da es einem so großen Mann wie seinem Vorgänger nicht möglich wäre derart kleinlich zu denken.675 Außerdem, so merkt er an, könne Sonnenfels seine Lehre nicht dogmatisch ver669 HHStA VA Kart. 38, Fol. 26r.–27v. Bericht Wöbers vom 15. Jan. 1791, enthält den Brief Sonnenfels’ als Beilage, Fol. 27r. u. Fol. 27v. 670 Vgl. dazu und zu den folgenden Ereignissen den anonymen Bericht an den Kaiser Geschichte des Professors Hoffmann HHStA VA Kart. 38, Fol. 31r.–44v., spez. Fol. 33r. u. Fol. 33v. 671 HHStA VA Kart 38 Bericht vom 24. Jan. 1792, Fol. 348r.–352v., hier Fol. 350r. 672 Vgl. Lettner: Aufklärung, S. 86. 673 Abgedruckt bei Kopetzky: Sonnenfels, S. 323–330, allerdings mit wertenden Anmerkungen pro Sonnenfels. Erschien zuerst am 9. Jan. 1792, siehe: Wiener Zeitung, Bd. 1 Heft 2, in: Wiener Zeitung, Sammelband, S. 256f. 674 Ebd., S. 260. 675 Ebd., S. 262.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

135

teidigen, da sie gar nicht von ihm selbst stamme, sondern aus ganz Europa entliehen sei. Ferner sei es unwahrscheinlich, dass Sonnenfels Streit mit ihm Suche, da jener stets betone, weit über anderen Gelehrten und ihren Konflikten zu stehen: Laut Ihren Nachrichten lag im Kabinette Josephs des zweiten ihr Schulbuch immer aufgeschlagen. […] Jeder Staatsrath, jeder Referent in den Kanzleien hatte, wie Sie Ihre Zuhörer öffentlich versicherten, bei jeder Ausarbeitung Ihr Buch unter dem Tische. […] Nein mit einem solchen Manne, der die Meinungen von Europa lenkt, auf Länder und Nationen wirkt,[…] der als König dem Theater, der Kunstschule die Gesetze des Geschmacks vorschreibt, die Kanzleien schreiben lehrt, den Referenten Referate macht, […] – mit diesem Manne soll ichs aufnehmen, ich, der ich nur lallen kann?676 Zu seiner großen Verwirrung benutze dieser große Mann trotz seiner von ihm selbst behaupteten Überlegenheit nun aber scheinbar doch niedere Methoden der Nachforschung und der Unterstellung gegen seinen Nachfolger. Dies läge nun als Todsünde vor der literarischen Republik auf Sonnenfels’ Gewissen.677 Mit der Ankündigung weiterer Fragmente schließt Watteroth seine Ausführungen. Durch die Freigabe und den Schutz für diese Publikation hatte Leopold II. eindeutig Stellung gegen Sonnenfels und für dessen Nachfolger bezogen. Watteroth schrieb ihm daraufhin über seinen Vorgänger: Der gute Mann hält sich für das non plus ultra in den polit. Wissenschaften, und hält alle Abweichungen von seinen Sätzen für Beleidigungen seiner litterarischen Majestät.[…] Izt widerlege ich ihn, indem ich ihn lobe. Ich kann Euer Majestät aus dem geheimsten meines Herzens kein Geheimniß machen: ich gestehe, dass mir sein Geschrey ein etwas boshaftes Vergnügen verursacht. 678 Während Watteroth noch sein Vergnügen äußerte, schrieb Hoffmann am 18. Januar beunruhigt an den Kaiser, er sei vor einer Verschwörung gewarnt worden.679 Seine Gegner, bei denen es sich um Illuminaten und Jakobiner handle und die daher auch Feinde des Kaisers seien, hätten sich gegen ihn verabredet, um seinen Ruf und den seiner Zeitschrift zu vernichten. Er bittet um die Hilfe des Monarchen und warnt: Sonnenfels ist ohnstreitig der böseste und niederträchtigste Mensch in der Monarchie. Er ist der Anzettler aller dieser Komplotte, und ihm fehlt nur die Gelegenheit (aber er sucht sie) den österreichischen Mirabeau […] zu spielen.680 Diese Mahnung blieb unbeantwortet. 676 Ebd., S. 264 u. S. 267. 677 Ebd., S. 270. 678 HHStA VA 42 Konv., Fol. 1–292 u. Fol. 177r. 679 HHStA VA 38 Bericht Hoffmanns vom 18. Jan., Fol. 344r–348v., mit Beilage Fol. 345r. 680 Ebd., Fol. 344r.

136

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Sonnenfels reagierte in den folgenden Tagen tatsächlich auf die Wiener Zeitschrift. Mit Genehmigung des Polizeipräsidenten Wöber als Zensor äußerte er sich im Politischen Sieb in zwei Artikeln vom 19. und 20. Januar.681 Er schrieb darin ironisch über die angebliche Mitarbeit Leopolds II. an der Wiener Zeitschrift und kritisierte ein nicht namentlich genanntes Mitglied des geheimen kaiserlichen Mitarbeiterkreises. Dabei handelte es sich allerdings weder um Hoffmann, noch um Watteroth, sondern um den nur sporadisch tätigen Informanten Major Stieber, von dem Sonnenfels behauptet, er sei korrupt und prahle überall mit der Gunst des Monarchen und seinen Einflussmöglichkeiten. Obwohl er Stiebers Namen nicht nannte, sorgten er und seine Mitherausgeber durch Sprecher, die in Buchhandlungen und Kaffeehäusern tätig waren, dafür, dass die Leser ihn erkannten.682 Der Kaiser reagierte darauf, in dem er Stieber überraschend entließ und Franz Xaver Huber, einem der Herausgeber des Politischen Siebes, eine Audienz gewährte.683 Dadurch alarmiert verfasste Hoffmann sogleich einen Bericht, in dem er die Gefährlichkeit der Verschwörer anmahnte, die ihn und die Zeitschrift vernichten wollten.684 Außerdem plane die juristische Fakultät eine Eingabe an den Kaiser, die angeblich voller Lügen sei, um ihn und Watteroth aus ihren Ämtern zu vertreiben. Huber hingegen versuchte, Hoffmann als schlechten Charakter zu diskreditieren, ohne damit aber eine Reaktion des Monarchen hervorzurufen.685 Sonnenfels hatte inzwischen die Hofkanzlei am 27. Januar formell ersucht, keine Broschüren zu seinen Gunsten zuzulassen, angeblich um der Debatte keine unnötige Publizität zu verleihen und einen öffentlichen Streit zu verhindern.686 Dieses Vorgehen erscheint allerdings aus drei Gründen eher als ein Manöver denn als ein ehrlicher Wunsch um Zurückhaltung. Erstens hatte er sich bereits selbst im Politischen Sieb an der Debatte beteiligt; zweitens wurden später trotzdem Broschüren zu seinen Gunsten gedruckt; drittens wurde seine Eingabe an den Kaiser weitergeleitet und mit dem expliziten Hinweis versehen, dass der Antragssteller nun für keine erscheinende Schrift mehr verantwortlich gemacht werden könne. Die anonymen Kanzleibeamten, die diesen Freibrief ausstellten, schienen ebenso auf Sonnenfels’ Seite zu stehen wie der Polizeichef Baron Wöber. 681 Das Politische Sieb, Nr. 15 1792, S. 226 u. S. 232f.; Entgegen der Quelle behauptet Eckert, Sonnenfels habe auf die Fragmente nicht geantwortet, Eckert: Wattenroth, S. 75. 682 HHStA VA Kart. 40, Fol. 241v. Bericht Hubert Kumpfs, vom 20. Jan. 1792. 683 Vgl. HHStA VA Kart. 40, Fol. 323r. 684 HHStA VA Kart. 38, Fol. 348r.–351v. Bericht vom 24. Jan. 1791. 685 HHStA VA Kart. 38, Fol. 352r.–353v. Bericht vom 28. Jan. 1791. 686 Vgl. dazu und zur Weiterleitung: Lettner: Aufklärung, S. 86f.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

137

Letzterer bezog in einem Bericht über die Vorgänge des 8. Januar und über die Reaktionen auf den Artikel Watteroths in Wien erneut Stellung: Ich kann Eurer Majestät nicht bergen, was für einen widrigen Eindruck diese Schrift im Publikum gemacht habe. Jedermann besorgt um so mehr einen ähnlichen Anfall auf seine Ehre, als der Ruf gehet, diese Schrift keiner Zensur unterliegt, und Watherod und Hofmann wechselseitig ihre Schriften Zensuriren, folglich Verfasser und Zensor eine Person ausmachen.687 Auch die Wirkung auf das Ausland sei verheerend, wenn Männer von Amt und Würden derartig streiten würden. Daher bat er um Verbot der Fortsetzung der Fragmente. Der Kaiser änderte seine Haltung gegenüber der Wiener Zeitschrift aber nicht, so dass Anfang Februar der zweite und letzte Teil von Watteroths Artikel erschien.688 Jener ging hier wesentlich sachlicher, aber keineswegs freundlicher gegen Sonnenfels vor. Er rechtfertigte seinen ersten Artikel mit Verweis auf zahlreiche Intrigen gegen sich.689 Die Vorwürfe gipfeln in Ausführungen zum Reisedekret, das Sonnenfels für ihn abweichend von dem kaiserlichen Befehl ausgearbeitet hatte.690 Dessen Verhalten widerspräche dessen eigener Aussage, dass die Wissenschaft die Daten aus solchen Forschungsreisen zum Wohle der Nation dringend benötige. Daher wird er hier als Beamter beschrieben, der private Fehden über das Wohl des Staates stelle.691 Dieser Vorwurf entspricht generell dem Tenor der Zeitschrift, in der auch van Swieten und andere hohe Staatsbeamte als Schuldige an den Missständen der Verwaltung geschildert wurden, um im Gegenzug die aktuelle kaiserliche Politik zu rechtfertigen und zu glorifizieren.692 Nach dem Verkauf der Zeitschrift schrieb Watteroth in einem Bericht über Sonnenfels und dessen Kollegen: Der Sieg euer Majestät über diese Herren ist so gut wie entschieden.693 Dass dieses Urteil verfrüht war, wird in den Reaktionen von Sonnenfels und anderen Gegnern Watteroths und Hoffmanns deutlich, welche nun koordiniert gegen die erklärten Protegés des Kaisers vorgingen. Wie schon anlässlich deren Ernennung zu Sonnenfels’ Nachfolgern engagierten sich neben ihm selbst auch Mitglieder der Hofkanzlei, Studenten und Lehrende der Universität gegen die beiden Männer. Den Anfang machten zwei Artikel im Politischen Sieb. Am 4. Februar erschien die Warnung an einen After

687 HHStA VA Kart. 38, Fol. 26r.–27v. Bericht Wöbers vom 15. Januar 1791, hier Fol. 29r. 688 Wiener Zeitschrift Bd. 1 H 3, S. 371–387, vgl. Eckert: Wattenroth, S. 78–81. 689 Ebd., S. 375–379. 690 Ebd., S. 380–382. 691 Ebd., S. 383. 692 Lettner: Aufklärung, S. 88f. 693 HHStA VA Kart. 42 Konv. Fol. 1–292, Fol. 212r. Über Sonnenfels.

138

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Hofgünstling.694 Sonnenfels’ Mitherausgeber beschrieben einen anonymen Günstling Leopolds, der sich in betrügerischer Absicht der Gunst des Monarchen rühme. Sie drohen ihn öffentlich zu entlarven, wenn er nicht sein Verhalten ändere: Diesem gelehrt sein wollenden Ignoranten, der nun im Publikum spuckt und so manche brave Männer schreckt, so manch blöde täuscht, diene dieser erste Wink zur Besserung.695 Ein Zuträger von Leopolds geheimen Mitarbeiterkreis berichtete, wem das Publikum diese anonymen Anschuldigungen zusprach: Es wurden Hr. Professor Hoffmann, Hr. Professor Watteroth genannt.696 Zehn Tage nach diesem Artikel folgte der Abdruck eines fingierten Briefes im Sieb, in welchem dem Gründer einer neuen Geheimgesellschaft vorgeworfen wurde, durch Lügen allein seine persönliche Bereicherung anzustreben.697 Wie im Falle Stiebers wurde der ungenannte Empfänger durch Sprecher in den Buchhandlungen als Leopold Hoffmann offenbart, so dass sein Projekt eines kaisertreuen Geheimbundes als Lügengebäude diffamiert wurde.698 Informanten des Kaisers schilderten die Erfolge dieser Berichterstattung in Wien und eine allgemein gegen Hoffmann und Watteroth eingenommene Stimmung.699 Vor diesem Hintergrund trat nun einer von Sonnenfels’ Mitherausgebern des politischen Siebs mit Unterstützung der Hofkanzlei und des Polizeipräsidenten Wöber öffentlich und namentlich gegen Hoffmann auf. Dabei handelte es sich um den Wiener Schriftsteller und Privatdozenten Franz Xaver Huber, der bereits bei der Publikation seiner früheren Schriften von Sonnenfels unterstützt worden war.700 Er gab am 16. Februar eine Broschüre mit dem Titel heraus: Kann ein Schriftsteller wie Professor Hoffmann Einfluss auf die Stimmung der deutschen Völker, und auf die Denkungsart ihrer Fürsten haben?701 Diese Publikation wurde von den Zensoren der Hofkanzlei entgegen bestehender Anordnungen nicht zur Prüfung an den Kaiser weitergeleitet, sondern direkt genehmigt und dazu vom verbündeten Polizeipräsi-

694 Das politische Sieb Nr. 31, S. 455f. 695 Ebd. 696 HHStA VA Kart 40, Fol. 255r. Undatierter Bericht des Informanten Kumpf an Gotthardi. 697 Das politische Sieb Nr. 41 vom 14. Feb. 1792, S. 595f. 698 Zur Verbreitung vgl. einen Bericht Kumpfs o.D.: HHStA VA 40, Fol. 270v. 699 Bspw. ebd. u. Fuchs: Hoffmann, S. 157. 700 Vgl. zu Hubers Schriften allgemein Bodi: Tauwetter S. 296–311; zur Zusammenarbeit mit Sonnenfels: Wangermann, Ernst: Die Waffen der Publizität. Zum Funktionswandel der politischen Literatur unter Joseph II., München 2004, S. 165. 701 Huber, Franz Xaver: Kann ein Schriftsteller wie Professor Hoffmann Einfluss auf die Stimmung der deutschen Völker, und auf die Denkungsart ihrer Fürsten haben? An Herrn La Veaux, Verfasser des Straßburger französischen Couriers von Franz Xaver Huber, Verfasser des Schlendrian, Wien 1792.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

139

dent Wöber mit der Erlaubnis versehen, öffentlich beworben zu werden.702 Zensor der Hofkanzlei war Joseph von Retzer, einer von Sonnenfels’ ehemaligen Schülern, der nicht nur außerhalb der Universität Kontakte zu seinem Lehrer pflegte, sondern auch bei literarischen Projekten gemeinsam mit ihm in Erscheinung getreten war.703 Die Werbung erfolgte einen Tag nach der Publikation der Broschüre im Politischen Sieb, wo ausdrücklich die behördliche Genehmigung für das Werk betont wurde.704 In seiner beinah 50 Seiten umfassenden Streitschrift setzt sich Huber mit der angeblichen Verbreitung des Gerüchtes auseinander, dass Hoffmanns Zeitschrift und seine Person vom Kaiser und anderen Monarchen unterstützt würden. Das Erscheinen seiner öffentlichen Kritik an Hoffmann, den er als sine arte, sine Litteris, insultantem in omnes bezeichnet, beweise, dass dieser keineswegs von höchster Stelle geschützt werde.705 Es sei lediglich noch niemand gegen ihn vorgegangen, weil seine Arbeiten als so lächerlich und unbedeutend angesehen worden seien, dass die Notwendigkeit nicht bestanden habe.706 Erst durch das Gerücht, er würde den Schutz des Kaisers genießen, bestünde nun eine Pflicht für österreichische Schriftsteller sich zu äußern. Es folgt eine ausführliche Kritik an den grundlegenden Fähigkeiten und Qualifikationen Hoffmanns, dessen Werke so unbedeutend und fragwürdig seien, dass es gegen die Weisheit der Herrschenden spreche, einen solchen Mann zu unterstützen. Mehrere Passagen aus seinen Schriften werden hier angeführt und satirisch widerlegt: Ich zweifle nicht, auch hier werden die Freunde des Hr. Prof. sagen: zugegeben, dass er nicht deutsch kann, dass er unbewandert in der Geschichte ist, zugegeben, dass er wider die Regeln der Syllogistik sündigt, aber er kann doch sonst alles!707 Der Zweck der Zeitschrift allein widerspreche schließlich den fortschrittlichen Zielen der Regierenden, allen voran Leopolds II., der sich immer wieder zugunsten von Reformen im Sinne der Aufklärung eingesetzt habe.708 Diesen Zielen stehe die Wiener Zeitschrift entgegen, denn: Herr Hoffmann zieht im allgemeinen wider die Aufklärung los. Die Bürger der österreichischen Monarchie 702 Vgl. Lettner: Aufklärung, S. 138. Seit dem 14. Jan. 1792 mussten die Zensurbehörden Manuskripte der kaiserlichen Kanzlei zur Genehmigung vorlegen. 703 Retzer und Sonnenfels waren beide in der Loge zur Wahren Eintracht inkorporiert und oft gemeinsam bei Sitzungen anwesend, vgl. Irmen: Protokolle. Retzer war außerdem Herausgeber der umstrittenen Vorlesungen Sonnenfels’, der wiederum in einem publizierten Brief seine Freundschaft zu seinem ehemaligen Studenten beteuert, Sonnenfels, Joseph von: Brief an R., in: Deutsches Museum, Bd. 1 1780, S. 551–554. 704 Das Politische Sieb Nr. 42 vom 17. Feb. 1792. 705 Ebd., S. 4. 706 Ebd., S. 7. 707 Ebd., S. 14. 708 Ebd., S. 29f.

140

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

sollen wieder wie er, das ist, wie der Pöbel vor 100 Jahren denken.709 In einem Schlusswort zugunsten der Aufklärung geht Huber zu indirekter Kritik an der Ausrichtung von Hoffmanns Publikationen über und verweist darauf, dass es ein schlechtes Kompliment für die Monarchen ist, zu behaupten, dass sie nur bestehen können, solange die Welt dumm ist.710 Über die Wirkung der Broschüre wurde dem geheimen Mitarbeiterkreis des Kaisers am folgenden Tag, dem 17. Februar, von einem Zuträger, der zu Hubers Freundeskreis gehörte, berichtet: Die Schrift an la Veaux wider Herrn Hoffmanns Schriften macht viel aufsehen, und es sollen schon gegen 5000 Exemplare abgegangen sein.711 Der Erfolg werde im Kreise Hubers und seiner Verbündeten gefeiert und man plane bereits das nächste Projekt: Dann soll auch ein Dialog erscheinen, worinnen Watheroth und Hofmann lächerlich gemacht werden –Sonnenfels aber seiner alten Verdienste wegen darinn auf das rühmlichste Paradieren wird.712 Hoffmann reichte nun ein weiteres Mal eine ausführliche Beschwerde beim Kaiser ein, in welcher er die angeblich gegen ihn und die Monarchie verschworenen Jakobiner und Illuminaten unter der Führung von Sonnenfels’ anklagte:713 Sonnenfels und seines gleichen, die doch allenfalls etwas zu verlieren haben, sind zu feige und sich zu übel bewusst, um in eigener Person ihre Sache zu vertreten. Also erkauften sie sich […] ähnliche Leute im In- und Ausland, welche, da sie wenig zu verlieren haben, zu schlechten Streichen leicht zu gewinnen sind.714 Hoffmann versucht in diesem Bericht außerdem den Eindruck zu erwecken, Sonnenfels’ angebliche Gefolgschaft stehe kurz davor, eine Revolution gegen die Monarchie und die Staatsordnung anzuzetteln. Dies schrieb er wohl, um den zögerlichen Kaiser zum Handeln zu bewegen. Leopold II. reagierte, indem er noch am 17. Februar den Polizeipräsidenten Wöber vorlud und befragte.715 Er forderte einen Bericht darüber, wer bei der Hofkanzlei die Broschüre zugelassen hatte und ließ Huber fortan polizeilich überwachen. Darüber hinaus lud er letzteren noch am selben Tag 709 Ebd., S. 40. 710 Ebd., S. 42. 711 HHStA VA Kart. 40 Bericht des Kumpf vom 17. Feb. 1792, Fol. 273r.–275v., hier Fol. 237r. 712 Ebd., Fol. 273v. 713 Vgl. HHStA VA Kart. 38, Fol. 359r.–362v. Bericht Hoffmanns vom 18. Feb. 1792, vgl. bes. Fol. 360v. 714 Ebd., Fol. 361v. 715 Vgl. zu den folgenden Maßnahmen: Lettner: Aufklärung, S. 152. Außerdem wird in einem undatierten Dekret eine schriftliche Ermahnung für Huber erwähnt: HHStA VA 38, Fol. 356r. Dies widerspricht der Theorie, Leopold habe Huber unterstützt, um sich nicht als Protektor der Wiener Zeitschrift zu erkennen zu geben und offiziell eine neutrale Haltung zu wahren, vgl. Sommer: Zeitschrift, S. 128.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

141

zu einer Audienz. Als Huber dem Kaiser zum Empfang gemeldet wurde, ließ Leopold ihn dann öffentlich abweisen und verkünden: Dem Franz Huber ist zu bedeuten, dass Se. Majestät keinen gemietheten öffentlichen Pasquillenschreiber zur Audienz vorlassen können.716 Die Maßregelung wurde mündlich in der Stadt bekannt gemacht und am nächsten Tag in Zeitungen veröffentlicht. Am selben Tag, dem 18. Februar, wurde jedoch auch eine Broschüre des bekannten Wiener Schriftstellers Johann Baptist von Alxinger (1755–1797) publiziert, welche den eindeutigen Titel Antihoffmann trug.717 Auch diese Schrift war trotz der kaiserlichen Unterstützung für Hoffmann von der Hofkanzlei genehmigt worden, die sich zusätzlich an diesem Tage in einem Bericht des böhmischen Hofkanzlers Franz Karl von Kressel (1720–1801) für die Rechtmäßigkeit von Hubers Broschüre aussprach.718 In seinem Antihoffmann bietet Alxinger eine umfassende Kritik an den bisherigen Publikationen Hoffmanns und seiner politischen Aktivitäten.719 Er verteidigt darüber hinaus die josephinische Pressfreiheyt mit ihrem allgemeinem Recht, Mitbürger und staatliche Einrichtungen zu kritisieren, als Wegbereiter positiver Entwicklungen in der Gesellschaft.720 Im Gegensatz zu der Schrift Hubers widmet sich der Antihoffmann auch ausführlich den Angriffen Watteroths auf Sonnenfels und bezieht zu dessen Gunsten Stellung, obwohl Alxinger nur gelegentlich in Verbindung zu dem zurückgetretenen Professor stand.721 Er betont besonders dessen frühere Hilfe für seinen jetzigen Gegner, so dass Watteroth als undankbarer Verräter erscheint. Die überragende Qualifikation und Leistung des Vorgängers wird den ungewissen Fähigkeiten seines Nachfolgers kritisch gegenübergestellt. Alxinger gesteht zwar ein, dass Sonnenfels stets Einfluss auf Watteroths Kanzel nehmen wollte, stellt dies aber als ein berechtigtes Vorgehen und die Beschwerde darüber als besonderes Zeichen der angeblichen Unfähigkeit des Nachfolgers dar. Er wirft abschließend die Frage auf, ob Sonnenfels’ Ruf unter den Angriffen leiden 716 HHStA VA 38, Fol. 96r. Auszug aus der allgemeinen Bürgerchronik vom 18. Febr. 1792. 717 Alxinger, Johann Baptist: Anti-Hoffmann von Alxinger, Wien 1792. Zu Alxinger vgl. Sengle, Friedrich: Johann Baptist von Alxinger (1755–1797), in: Zeman, Herbert (Hg.): Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, 2 Bde. Graz 1979, Bd. 2 S. 773–803 u. Ritter, Erwin Frank: Johann Baptist von Alxinger and the Austrian enlightenment (Europäische Hochschulschriften Reihe I, Deutsche Literatur und Germanistik Bd. 34), Bern 1970. 718 HHStA VA 38, Fol. 13r. Vorstellung des Baron Kressel. 719 Zu letzterem vgl. Alxinger: Antihoffman, S. 5 u. S. 49. 720 Dieser Aspekt wird besonders bei Lettner: Aufklärung, S. 158–160 betont. 721 Alxinger: Antihoffman, S. 80–91. Alxinger verkehrte zwar teilweise in denselben Kreisen wie Sonnenfels, hatte ihm gegenüber aber Distanz bewahrt und sogar ein Spottgedicht auf ihn verfasst, für das er sich an dieser Stelle allerdings entschuldigt.

142

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

könne und antwortet: Wenn man aber bedenket, dass ein höchst unbedeutender Schriftsteller, wie Herr Prof. Watteroth, der noch dazu auf eine so heftige, so bittere, so leidenschaftliche Art einen verdienstvollen Mann angreift, keinen Glauben verdient noch erhält, so hebt sich diese Bedenklichkeit in der Praxis von selbst.722 Nach dieser Antwort gibt er noch ein Beispiel für den Umgang der Wiener Studenten mit der Affäre. Nach einer Veranstaltung Watteroths hätten jene vor dem Hörsaal laut „Vivat“ gerufen und erst als er sich dankbar verneigte ein „Sonnenfels“ folgen lassen. Alxinger lobte dieses Verhalten ausführlich und rief somit indirekt zur Nachahmung auf. Kurz nach dem Erscheinen des Antihoffmann schrieb Alxinger in einem Brief, dass er sich damit bewusst gegen die kaiserliche Haltung zu Hubers Broschüre gestellt habe, obwohl die öffentliche Abfuhr weitere Autoren abschrecken sollte: Ich gab aber mein Stück doch heraus und gewann den Beyfall aller meiner Mitbürger, einige Pfaffen und Spitzbuben abgerechnet.723 Diese Einschätzung wird auch auf der Gegenseite von einem Agenten des geheimen Mitarbeiterkreises bestätigt: was gestern in der Audienz vorginge wegen Hrn. Huber macht viel Redens und bringt eine ziemliche Zahl Menschen […] noch mehr wider Hr. Prof. Hofmann auf.724 Die negative Stimmung und der Erfolg der gegen Sonnenfels’ Nachfolger gerichteten Publikationen hatten vor allem Auswirkungen an der Wiener Universität, wo die Kollegen der beiden Männer, wie oben erwähnt, versucht hatten, ihnen Steine in den Weg zu legen. Bereits am 18. Februar, dem Tag der Publikation des Antihoffmann, verfolgten die Studenten Hoffmanns Abgang aus dem Hörsaal erstmals mit Zischen und Gelächter.725 Er hatte sich in dieser Stunde geweigert, ein ihm übergebenes Dekret laut vorzulesen, das ihn verpflichtete, den Geschäftsstyl in separaten Stunden exakt nach Sonnenfels’ Lehrbuch vorzutragen. Während das Politische Sieb am 24. Februar eine Artikelserie begann, welche die herausragenden Verdienste Leopolds als Großherzog der Toskana lobte, spitzte sich laut Hoffmanns Schilderungen die Lage an der Universität zu.726 Er berichtete: Schon gegen Ende der Vorlesung des Prof. Watteroth fieng sich der Hörsaal auf ganz ungewöhnliche Art an vollzudrängen. Watteroth war […] so […] erschrocken, dass er in der größten Eile in meine Wohnung fuhr, um mich zu warnen, und mir den Gang ins Kollegium abzurathen.727 Hoffmann habe diese Warnung ignoriert und sich in seiner Vorlesung einer 722 Ebd., S. 87. 723 Brief Alxingers an Carl Leonhard Reinhold vom 6. Mai 1792, zit. nach Keil: Freunde, S. 53f. 724 HHStA VA Kart. 40 Bericht des Kumpf vom 18. Feb. 1792, Fol. 276r. 725 Vgl. Lettner: Aufklärung, S. 169. 726 Vgl. Das Politische Sieb, Nr. 51, S. 743ff. 727 HHStA VA 38, Fol. 54r.–57v., Bericht Hoffmanns vom 24. Febr. 1792 hier Fol. 54r.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

143

Vielzahl von Studenten gegenüber gesehen, die alle Bänke und Gänge füllten. Vom Eintritt an aber, bis auf die Kanzel verfolgen mich neugierige Augen, ein ziemlich lautes Lachen und Zischen. […] Meine Lage war wenigstens äußerst bedenklich und Gefahrvoll.728 Die Veranstaltung war seinem Bericht zufolge von Zwischenrufen, Gelächter und bedrohlichen Gesten geprägt, so dass er abschließend dem Kaiser berichtete: Es muss darum die unverbrüchlichste Regel der Klugheit für mich sein, nicht eher in die Vorlesung zu gehen, bis durch höhere Autorität das glimmende Feuer des Aufruhrs gelöscht ist. Ich habe glauben müssen dem Angriff bewaffneter Straßenräuber entgangen zu sein, als ich vom Hörsaal hinaus mich wieder in frischer Luft befand.729 Das Verhalten der Studenten erregte in Wien große Aufmerksamkeit und provozierte eine Reaktion des Kaisers. Da die Studenten sich gegen einen Professor aufgelehnt hatten, der unter seinem erklärten Schutz stand, stellten sie indirekt auch seine eigene Autorität in Frage. Solch ein Aufruhr war zur Zeit der Französischen Revolution augenblicklich ein Anlass für eine polizeiliche Untersuchung. Der Kaiser wies Hoffmann an, nicht wieder zu dozieren, bis der Rektor die Ruhe an der Universität garantieren könne.730 Jener aber forderte Hoffmann entgegen dem kaiserlichen Befehl umgehend auf, in seinem Beisein die Vorlesungen am 28. Februar fortzuführen.731 Der Monarch selbst, von diesem Verhalten irritiert, hob die Anweisung nicht auf, sondern entsandte stattdessen einen anonymen Beobachter. Die Vorlesung fand dessen und Hoffmanns Angaben gemäß erneut vor ungewöhnlich zahlreichem Publikum, diesmal aber im Beisein des Rektors statt, worüber Hoffmann berichtete: Seine Gegenwart hat höchst wahrscheinlich mehr verdorben als gebessert. Als ich bei einer ziemlich laut und merkbar werdenden Verspottung […] meinem Ansehen als Lehrer einiges Gewicht […] zu geben suchte, und auf Ruhe drang, rief der Rektor aus seiner Bank gegen mich hinauf: Exaggeriren Sie sich nicht Herr Professor! Fahren Sie nur in Ihrer Materie fort.! Ein lautes Lachen und Höhnen war die Folge.732 Nachdem Hoffmann den Saal unter erneutem Murren und Zischen verlassen hatte, forderte der Rektor nach Bericht des anonymen Informanten das Publikum noch auf, Beschwerden über den Professor schriftlich vorzubringen, damit er diese als Grundlage für einen Bericht verwenden könne.733 728 Ebd., Fol. 54v. 729 Ebd., Fol. 56r. 730 Lettner: Aufklärung, S. 181f. 731 Vgl. HHStA VA 38, Fol. 40r.–45v. Eine Vorlesung des Hoffmann u. HHStA VA Kart. 38, Fol. 46r.–47v. Bericht Hoffmanns vom 27. Februar. 732 Ebd., Bericht Hoffmanns vom 27. Febr. 1792, Fol. 47r. 733 Zitiert nach HHStA VA 38, Fol. 40r.–45v. Eine Vorlesung des Hoffmann, hier Fol. 40v., vgl. zum Verhalten des Rektors: Ebd. Bericht Hoffmanns vom 27. Febr., Fol. 47v.

144

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Hoffmann schrieb daraufhin in mehreren Eingaben an den Monarchen, dass eine Verschwörung unter Sonnenfels’ Führung gegen ihn und die Monarchie die Ursache von allem sei.734 Eine Bestätigung dieser Beschuldigung gibt es in anderen Quellen nicht, wenn auch Sonnenfels’ Einfluss auf seine Kollegen und die zeitliche Nähe zu seiner Auseinandersetzung mit Watteroth und Hoffmann möglich erscheinen lassen, dass er eine zentrale Rolle spielte. Leopold II. konnte auf diese Berichte jedoch nicht mehr reagieren, da er am selben Tag überraschend erkrankte, die Amtsgeschäfte seinem Nachfolger übergab und binnen weniger Tage verstarb. Hoffmann hielt keine weiteren Vorlesungen mehr und wurde am 14. Mai auf Befehl Franz’ II., der den geheimen Mitarbeiterkreis seines Vorgängers auflöste, in den vorgezogenen Ruhestand versetzt.735 Er war in Wien gesellschaftlich derart geächtet, dass er bis zu seinem Tode in ein freiwilliges Exil nach Wiener Neustadt ging. Sein Nachfolger als Lehrer des Geschäftsstyls wurde der Wiener Jurist Johann Georg von Scheidlein (1747–1826), der nach Sonnenfels’ Lehrbuch vortrug. Watteroth, der nur ein sekundäres Ziel der Bewegung gegen Hoffmann und den geheimen Mitarbeiterkreis Leopolds II. gewesen war, behielt vorerst seine Ämter an der Universität, war aber sozial isoliert und hatte häufig gegen Anfeindungen zu kämpfen.736 Ihm wurde außerdem mit dem Sonnenfelsschüler de Luca ein Konkurrent an die Seite gesetzt, der streng im Sinne seines Vorgängers dozierte und der bereits Mitte der neunziger Jahre sein Lehramt übernahm.737 Sonnenfels hatte somit die siebenmonatige Auseinandersetzung mit seinen Nachfolgern erfolgreich beendet, die nach und nach zu einer Konfrontation zweier politischer Netzwerke in Wien geworden war. Auf der einen Seite standen Hoffmann und Watteroth als Exponenten des Zirkels, der vom Kaiser bei seinen Aktivitäten unterstützt wurde. Ihnen gegenüber waren die Beamten der Hofkanzlei, der Polizeipräsident und die Mitglieder der Universität positioniert, welche sich für die größtenteils josephinischen Reformkonzepte engagierten, die sie unter dem Schlagwort Aufklärung zusammenfassten. Die Auseinandersetzung um Sonnenfels’ Nachfolge ist somit untrennbarer Teil eines größeren Konflikts. 734 Vgl. HHStA VA Kart. 38, Fol. 54r.–57v., Bericht vom 28. Februar 1792 spez. Fol. 57r. u. HHStA VA Kart. 38 Fol. 50r.–53v., Bericht vom 28. Febr. 1792, spez. Fol. 51v. 735 Vgl. Reinalter: Tollwuth, S. 237f.; Lettner: Aufklärung, S. 185; Eckert: Wattenroth, S. 76 u. Sommer: Zeitschrift, S. 114, wobei Sommer auf die chaotische letzte Vorlesung als Ursache verweist, Lettner hingegen auf einen konservativen Politikwechsel, der nicht mehr die Konfrontation mit Vertretern der josephinischen Reformpolitik, sondern ihre Vereinahmung suchte. 736 Eckert: Wattenroth, S. 77. 737 Vgl. Grünberger: Luca, S. 38–52.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

145

Dass Sonnenfels hierbei eine Führungsrolle einnahm, ist nur anhand der Berichte Hoffmanns und seiner Kollegen zu belegen, die keineswegs unvoreingenommen verfasst wurden. Allerdings sind diese Schilderungen nicht der einzige Grund dafür, von einer Schlüsselposition des zurückgetretenen Professors auszugehen. Er stellte durch seine Kontakte zur Universität, zur Hofkanzlei, zur Studienhofkommission, zum Polizeipräsidenten und zu den Herausgebern des Politischen Siebes eine – und teilweise auch die einzige – Verbindung aller Akteure dar, die gegen die Protegés des Kaisers tätig wurden. Er besaß außerdem Popularität und nahm durch seine erfolgreiche Selbstdarstellung schon seit Jahren den Rang einer Schlüsselfigur der Wiener Aufklärung ein. Daher hatte ein Angriff auf ihn und seine Lehre ebenso wie seine Verteidigung Symbolcharakter. Dies zeigt sich daran, dass frühere Angriffe der Wiener Zeitschrift auf Beamte keineswegs mit der gleichen Heftigkeit beantwortet wurden, wie derjenige auf Sonnenfels und dass die Aktionen gegen Hoffmann nicht unmittelbar bei seiner Berufung an die Universität Wien, sondern erst bei Antritt der Nachfolge von Sonnenfels begannen. Hinzu kommt noch, dass Watteroth und Hoffmann seinen Rang als Symbolfigur dadurch weiter hervorhoben, dass sie ihn als Urheber der Attacken auf sich benannten und ihn persönlich öffentlich angriffen. Das Ergebnis des Konfliktes, welcher durch den Tod Leopolds II. ein vorzeitiges Ende fand, unterstreicht ebenfalls Sonnenfels’ Bedeutung. Wenn die konservative Politik des neuen Herrschers den Triumph der Vertreter der josephinischen Reformbewegung auch als kurzlebig erscheinen ließ, so blieb sein persönlicher Einfluss bestehen, wie seine Berufung in mehrere Hofkommissionen und sein mehrmaliges Rektorat an der Wiener Universität zeigen. 4.1.7 Rückkehr als Rektor und Senior 1794, 1796 und 1803 Am 15. November 1794 wählten die Prokuratoren der Wiener Universität Joseph von Sonnenfels erstmals zum Rector Magnificus.738 Der neuernannte Rektor nutzte die Gelegenheit seiner feierlichen Amtseinführung für eine längere Rede, in der er seine bisherige Karriere, seine Amtsauffassung und die Entwicklung der österreichischen Bildungspolitik thematisierte.739 Dabei widmete er sich – wie so oft – einem ausführlichen Lob seiner selbst und seiner zahlreichen Verdienste für die Gesellschaft im Allgemeinen und 738 Vgl. allg.: Kink: Universität, S. 110f. u. zu Sonnenfels: Kopetzky: Sonnenfels, S. 346f. 739 Sonnenfels, Joseph von: Rede bey dem feyerlichen Antritte des Rektorats an der Universität in Wien im Jahre 1794, Wien 1794. Die Rede wurde auf Latein gehalten, erschien aber zeitgleich auch auf Deutsch im Druck, wobei Sonnenfels die Übersetzung selbst besorgte, siehe S. 3f.

146

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

die Universität im Besonderen. Seinen vor kurzem erfolgten Rücktritt vom Lehramt begründet er bei dieser Gelegenheit mit seinem hohen Alter.740 Er betont, dass die akademischen Auseinandersetzungen, an welchen er beteiligt war, für ihn eine Auszeichnung darstellten und stützt seine Bedeutung für die Reformen seiner Zeit auf das Zeugniß der Kämpfe und Wunden.741 Neben dem Eigenlob verweist er auch auf die Leistungen des verstorbenen Gerhard van Swieten und Maria Theresias, die beide die Grundlage all jener positiven Entwicklungen geschaffen hätten, die es nun fortzuführen gelte.742 In seiner Wahl zum Rektor sehe er eine Bestätigung und Anerkennung all seiner Verdienste und eine besondere Ehre, wobei er davor warnt, Gelehrten die nicht aus dem Herrschaftsbereich des Hauses Österreich stammen, Einfluss auf die österreichischen Entwicklungen zu geben.743 Sonnenfels’ Ausführung, dass man ihnen nicht gestatten dürfe, durch Intrigen zu erreichen, was ihnen durch Verstand nicht zustehe, ist eine Anspielung auf seinen immer noch an der Universität tätigen, ihm unbequemen Nachfolger Joseph Heinrich Watteroth.744 Vom Bildungswesen allgemein geht er zu seinem neuen Amt über, das seiner Ansicht nach früher einmal einer geistigen Führungsrolle in der Monarchie entsprochen habe.745 Dies habe sich geändert, denn dieses anfangs so wichtige Amt sank herab zu einem leeren Schattenbilde dessen, was es war, zu einem unbedeutendem Gepränge, zu einem Tragpfahle beynah, bloß die veralteten Ehrenzeichen daran zur Schau zu hängen.746 Er sieht allerdings trotzdem dahingehend Spielraum für einen bedeutenden Mann, der diese Position erreicht, dass derjenige, der damit bekleidet ist, dafür halten könne, er sey neuerdings in das Recht eingesetzt, sey wieder zu der Pflicht zurückgerufen, die öffentliche Bildung unter seine Auffsicht zu nehmen, den Lehrern über den Nutzen ihres Unterrichts […] Zeugniß zu geben, die Schüler zur Verwendung anzueifern, […] die Sache der Wissenschaften zu führen, und dieselben, sollte es die Nothwendigkeit erheischen, mit ehrfurchtsvoller Freymüthigkeit selbst vor dem Throne zu vertreten.747 All dies sei besonders in Anbetracht der gegenwärtigen politischen Entwicklung in Europa von Bedeutung, da ange740 Ebd., S. 28. 741 Ebd. 742 Ebd., S. 16–24, wobei weite Teile des Lobes auf die Monarchin aus seiner ersten Vorlesung nach dem Tode Maria Theresias übernommen wurden. 743 Ebd., S. 30–41. 744 Ebd., S. 33. 745 Diese Einschätzung ist allerdings fragwürdig, da die Universität Wien erst durch die Reformen um 1750 ihre herausragende Stellung im Herrschaftsbereich der Habsburger erhielt. Vgl. Klingenstein: Despotismus, S. 130–139. 746 Ebd., S. 48. 747 Ebd., S. 49f.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

147

sichts der Französischen Revolution die Liebe des Volkes zum Monarchen und Vaterland zu erhöhen, eine zentrale Aufgabe sei.748 Sonnenfels’ hohen Ansprüchen an seine Amtsführung standen die formal eingeschränkten Kompetenzen seines Amtes gegenüber.749 Der Posten des Rector Magnificus stellte zwar das höchste Amt der Universität dar und wurde durch einen Ehrenplatz bei Veranstaltungen und eine besondere Medaille über der schwarzen Gelehrtentracht gewürdigt, brachte aber auf den Versammlungen der Universität keine gültige Stimme. Das traditionelle Amt des höchsten Richters über die Mitglieder der Universität hatte durch die Modernisierung der Justiz ebenso an Bedeutung verloren wie die Ausrichtung von feierlichen Gesellschaften, die auf zwei Festessen pro Amtszeit beschränkt worden waren. Das Rektorat war insofern seit den Reformen Maria Theresias ein vor allem protokollarisches und weniger ein politisch bedeutendes Amt. Erst im Rahmen der Reformen Leopolds II. hatte sich dies dahingehend geändert, dass die Universität zum Landstand erhoben wurde und der Rector Magnificus seit dem 22. März 1791 auf den ständischen Versammlungen mit Sitz und Stimme auf der Prälatenbank die Interessen der Institution vertrat.750 Sonnenfels’ Schwager Johann Heinrich von Birkenstock berichtete außerdem, dass sein Verwandter als Rektor gleichzeitig als Präses der höchsten Dozentenversammlung, des Studienkonsesses, fungierte und dessen Geschäfte leitete.751 Dabei blieb er allerdings in ein System wechselseitiger Kontrolle eingebunden, welches ihm keine einfache Umsetzung seiner Interessen erlaubte. Es ist anhand von Quellen nicht zu ermitteln, inwieweit Sonnenfels in Anbetracht der ihm zur Verfügung stehenden Mittel binnen eines Jahres versuchte, seine angekündigten, teilweise sehr weitreichenden Absichten in die Tat umzusetzen und über die Alltagsgeschäfte hinaus zu wirken. Mindestens einmal ist jedoch erkennbar, dass es ihm gelang, sein Amt zu seinen eigenen Gunsten zu nutzen.752 Im Herbst 1794 beantragte Ignaz de 748 Ebd., S. 54–67. Wobei die Bedeutung der patriotischen Liebe der Untertanen und des Monarchen zum gemeinsamen Vaterland schon vorher Lehrgegenstand Sonnenfels’ war, vgl. Sonnenfels, Joseph von: Ueber die Liebe des Vaterlandes, Wien 1771. 749 Vgl. zum Rektorat: Kink: Universität, S. 110–114 u. zur Entwicklung angesichts der vorhergehenden Bildungsreformen kurz: Thienen-Adlerflycht, Christoph: Wandlungen des österreichischen Studiensystems im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, in: Neuloh, Otto u. Rüegg, Walter (Hg.): Student und Hochschule im 19. Jahrhundert, Göttingen 1975, S. 27–46, hier S. 38f. 750 Vgl. Kink: Universität, Bd. 2, Urkunde vom 22. März 1791, S. 610f.; Adler: Unterrichtsverfassung, S. 61–63 sowie Kap. 7.4.3. 751 HHStA StudrevHK Kart. 3 Konv. 55, Fol. 34v. 752 Vgl. zu diesem Verfahren: Grünberger: Luca, S. 43–52 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 254f.

148

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Luca, Sonnenfels’ ehemaliger Schüler, Substitut und Herausgeber einiger Ergänzungshefte zu dessen Lehrbüchern, der damals als Privatdozent in Wien tätig war, eine Veränderung des Lehrplans. Er bat darum, Watteroths Studienfach der politischen Wissenschaft und Statistik aufzuteilen und die Statistik auf ihn zu übertragen, da kein einzelner Mann alle notwendigen Inhalte überblicken und unterrichten könne. In seinem Antrag gab de Luca bereits Ort und Zeit seiner neuen Lehrveranstaltungen an. Mehrmals betonte er dabei, sich im Gegensatz zu Watteroth eng an Sonnenfels’ Lehrsätze halten zu wollen.753 Daneben plane er, Privatvorlesungen in den politischen Wissenschaften zu halten, da auch hier die Lehre Sonnenfels’ nicht genug Beachtung fände. In erster Instanz entschied die Versammlung der juristischen Fakultät am 31. August über diesen Antrag. Der in seinem Amt angegriffene Watteroth verteidigte die bestehende Studienordnung in einem ausführlichen Gutachten, in dem er die generelle Eignung de Lucas und des sonnenfelsschen Systems anzweifelte.754 Die Versammlung empfahl daraufhin, Watteroth seinen Lehrplan modifizieren zu lassen, die bestehende Ordnung insgesamt aber nicht zu verändern, um Umstände zu vermeiden. Diese vorläufige Entscheidung ging nun mit beiden Anträgen an den Studienkonsess, wo Sonnenfels referierte und sich entschieden für die Teilung von Watteroths Lehrauftrag einsetzte.755 Es gelang ihm, das höchste Gremium der Universität unter Berufung auf seine eigene Erfahrung davon zu überzeugen, dass eine Trennung von politischer Wissenschaft und Statistik wissenschaftlich logisch und von Vorteil für das Fach sei. Somit wurde de Luca am 26. November als regulärer Professor angestellt.756 Sonnenfels hatte damit nicht nur seinem Schüler eine feste Anstellung verschafft, sondern lange nach Ende der direkten Auseinandersetzung mit Watteroth noch dessen Einfluss und Einkommen verringert. Auch der zweite seiner beiden Nachfolger trat im Rahmen von Sonnenfels’ Rektorat in Erscheinung. Auf die Rede, welche Sonnenfels anlässlich seiner Amtseinführung gehalten hatte, erfolgte eine Reaktion seines ehemaligen Kontrahenten Leopold Alois Hoffmann, der seit 1792 in Wiener Neustadt im selbst gewählten Exil lebte. Hoffmann gab eine Schrift mit dem Titel: Höchst wichtige Erinnerungen zur rechten Zeit, über einige der allerernsthaftesten Angelegenheiten dieses Zeitalters. Zum Theil veranlasst durch die gedrukte Rede, welche Herr Hofrath J. v. Sonnenfels bei dem feierlichen Antritte des 753 Grünberger: Luca, S.45. 754 Ebd., S. 45–49. 755 Ebd., S. 50f. 756 Eckert: Wattenroth, S. 58.

Sonnenfels’ Wirken an der Wiener Universität

149

Rektorats an der Universität Wien im Jahre 1794 gehalten hat, heraus.757 Auf seine weitgehend polemischen Ausführungen gegen Sonnenfels und dessen Selbstdarstellung folgte ebenso wenig eine Reaktion wie auf seine Vorwürfe, Gelehrte im Allgemeinen seien Schuld an den aktuellen revolutionären Entwicklungen in Frankreich. Hoffmann schrieb fortan zwar weiterhin gegen geheime Gesellschaften und Aufklärer, aber nicht wieder gegen seinen einstigen Vorgänger im Lehramt. Sonnenfels’ zweite Wahl zum Rector Magnificus im Jahre 1796 und die Publikation zweier diesbezüglicher Reden hatten keine vergleichbaren Äußerungen zur Folge.758 In Sonnenfels’ Wohnung hielt ein Prokurator der Universität eine Lobrede, welche seine Verdienste betonte und den neuen Rektor als Mittelpunkt der österreichischen Aufklärung pries: Wer begrüßte nicht heiter und froh den anbrechenden Morgen, der seinem Auge unermeßliche Quelle, des Wahren, Guten und Schönen enthüllte? Wer nützte nicht dankbar sein entschleiertes Auge zuerst, die Schöpfer dieser bereits Licht und Wärme ausströmenden Dämmerung auszuforschen? und wer fand an ihrer Spitze nicht Eure Magnifizienz?759 Der Lobredner betonte die Einstimmigkeit der Wahl und die besondere Ehre der Universität, ihr Rektorat an einen der würdigsten Männer Deutschlands übertragen zu haben.760 Diese Sichtweise bestätigte nun in einem offiziellen Rahmen die zahlreichen früheren Schilderungen über Sonnenfels, die er selbst oder seine Schüler in Druckschriften und Reden verbreitet hatten. Der Gelobte antwortet mit einer Bestätigung aller Komplimente und berichtete erneut von den zahlreichen Widerständen und Kämpfen, die er gegen kirchliche und weltliche Kräfte habe bestehen müssen, um all die geschilderten Verbesserungen zu erreichen.761 Die Tatsache, dass alle Bemühungen seiner Feinde ihn nicht daran hindern konnten, sich Wissenschaft und Fortschritt zu widmen, würde ihn zu einem Vorbild für Andere machen. Bezüglich seiner Vorhaben äußert er lediglich, dass er sich bemühen wolle, die Interessen der Universität vor dem Monarchen zu vertreten. Von den weitgesteckten Zielen des ersten Rektorates ist hingegen nicht mehr die 757 Hoffmann, Leopold Alois: Höchst wichtige Erinnerungen zur rechten Zeit, über einige der allerernsthaftesten Angelegenheiten dieses Zeitalters. Zum Theil veranlasst durch die gedrukte Rede, welche Herr Hofrath J. v. Sonnenfels bei dem feierlichen Antritte des Rektorats an der Universität Wien im Jahre 1794 gehalten hat. […], Wiener Neustadt 1794. 758 Beide Reden sind gemeinsam publiziert: Sonnenfels, Joseph von: Zwey Gelegenheitsreden gehalten als der k.k. wirkliche Directorial Hofrath Herr von Sonnenfels abermals zum Rektor der Universität in Wien gewählet wurde, Wien 1796. 759 Ebd., S. 10. 760 Ebd., S. 7. 761 Ebd., S. 25.

150

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Rede. Es scheint, dass der nunmehr dreiundsechzigjährige Rector Magnificus in der repräsentative Rolle seine Amtes aufging. Ein weiteres und letztes Ehrenamt der Universität Wien wurde Sonnenfels 1803 im hohen Alter angetragen. In einem Brief vom 12. Dezember wurde der Universitätsverwaltung mitgeteilt: Es hat die phil Fakultät nach ableben ihres Senior […] den Hrn. Jos. v. Sonnenfels k.k. wirkl. Hofrath und Mitglied dieser Facultat zum Senior ernannt.762 Der Posten des Seniors wurde traditionell einem verdienten ehemaligen Professor einer Fakultät von deren Vertretern auf Lebenszeit verliehen und beinhaltete Sitz und Stimme im Senat der Universität. Ob und in welcher Weise Sonnenfels von diesem Privileg in seinen letzten Lebensjahren Gebrauch machte, ist im vorliegenden Quellenmaterial nicht ersichtlich. In Anbetracht der drei Ehrenämter, die Sonnenfels bekleidete, bleibt festzuhalten, dass mit seinem Rücktritt vom Lehramt 1791 keineswegs das Ende seines Einflusses auf die Universität gekommen war. Die drei Ämter schienen dabei allerdings eher ein Ausdruck der Anerkennung und Bestätigung des herausragenden Rufes in der wissenschaftlichen Gemeinschaft, als tatsächliche Machtpositionen gewesen zu sein. Dennoch steigerten sie durch die mit ihnen verbundene Anerkennung Sonnenfels’ Ansehen, seinen Ruf als Mann der sogenannten Aufklärung und seine wissenschaftliche Autorität. Dies trug sicherlich zur langen Wirkung seiner Lehre bei, die durch Verwendung seiner Bücher und Berufung von Professoren, die in seinem Sinne ausgebildet worden waren, gesichert wurde. Dabei ist anzumerken, dass seine ehemalige Reformlehre zu dieser Zeit bereits fünfzig Jahre alt und damit stellenweise durch neue Entwicklungen obsolet geworden war.763 Viele der Reformen, welche beispielsweise in seinen Grundsätzen angemahnt wurden, waren inzwischen umgesetzt und bildeten einen Teil derjenigen Staatsordnung, welche zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor Veränderungen bewahrt werden sollte.764 Somit waren seine Lehrwerke auch für die restaurative Politik Metternichs geeignet und die Grundsätze und der Geschäftsstyl wurden an einigen Fakultäten bis 1848 als Grundlage der Lehre verwendet.

762 AUW Konsitorialakten Faszikel I Lit. S., Nr. 29 Bericht der philosophischen Fakultät an das Konsistorium vom 12. Dez. 1803. 763 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 257. 764 Vgl. Ogris: Polizey, S. 294f.; Osterloh: Reformbewegung, S. 235f. u. Kann: Kanzel, S. 245f. Wobei letzterer betont, dass trotz einer formalen Beibehaltung bestimmter josephinischer Institutionen, wie der Zensur und Polizei, sich deren Auftrag und Wirkung verändert habe.

Sonnenfels’ Netzwerk an der Universität und den Wiener Adelsakademien

151

4.2 Sonnenfels’ Netzwerk an der Universität und den Wiener Adelsakademien Von 1763 bis 1790 unterrichtete Joseph von Sonnenfels, wie geschildert, zunächst Polizey- und Kameralwissenschaft und später zusätzlich Geschäftsstyl als ordentlicher Professor an der Wiener Universität. Zeitweise übernahm er diese Aufgabe auch an den beiden Adelsakademien der Stadt, wo er sich aber bald durch Substituten vertreten ließ. Bereits in seiner Antrittsrede äußerte sich der damals dreißigjährige Professor gegenüber seinen zukünftigen Studenten über ihr künftiges Verhältnis zueinander: Endlich komme ich auf Sie, und nenne Sie zum Voraus zuversichtlich meine Freunde. […] als ein junger Mann rede ich Jünglinge an, […], und es wird unter uns wenig Zurückhaltung seyn. Ich weiß es, Ich wage nicht zu viel, wenn ich Sie zum Vertrauen gegen mich einlade, wenn ich Sie ermuntre, die kleine Entfernung, die zwischen Lehrer und Zuhörer ist, nicht immer auf das Strengste vor Augen zu haben. Sehen sie dieses Verhältnis als ein Band an, dass Sie mit mir auf das engste verknüpfet; […] das mich verbindet Ihre Ehre als die Meinige, Sie hingegen meine Ehre als die Ihrige anzusehen.765 In den folgenden Jahren nutzte Sonnenfels verschiedene Methoden, um das von ihm gewünschte enge Verhältnis zu seinen Studenten aufzubauen, von denen einige bereits Teil seiner Lehraufgaben waren, andere von ihm selbst eingeführt wurden. Er orientierte sich dabei am Vorbild protestantischer Universitäten, an denen ein freieres Miteinander von Studenten und Lehrenden üblich war, als in den habsburgischen Territorien. Zunächst einmal ist auf das allgemein anerkannte rhetorische Talent des erfolgreichen Professors zu verweisen, das sich innerhalb und außerhalb der Lehrveranstaltungen zeigte und ihn bei den Studenten beliebt machte.766 Durch die Verwendung von Stellvertretern im Vorlesungsalltag der beiden Adelsakademien war seine Wirkung dort allerdings auf besondere Anlässe beschränkt. Hierzu gehörten beispielsweise die feierlichen Semestereröffnungen, die er nutzte, um sich persönlich vor allen Hörern als Reformer des Staates und sein Fach als Mittelpunkt des juristischen Studiengangs zu präsentieren.767 765 Sonnenfels: Unzulänglichkeit, S. 23f. 766 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 123 u. Höslinger, Clemens: Als Student im Josephinischen Wien: Aus Carl Joseph Pratobeveras Selbstbiographie, in: Springer, Elisabeth u. Kammerhofer, Leopold (Hg.): Archiv und Forschung. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv in seiner Bedeutung für die Geschichte Österreichs und Europas, München 1993, S. 139– 152, hier S. 146. 767 Klingenstein: Akademikerüberschuß, S. 165f. Außer ihm tat dies nur noch Martini, der nach Klingenstein jedoch als Redner weniger Erfolg hatte.

152

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Hinzu kam, dass Sonnenfels unabhängig von seinem Redetalent eine gewisse Prominenz besaß; zum einen durch seine literarische Tätigkeit sowie zum anderen durch die enge Beziehung zu Mitgliedern des Staatsrats. Diese zeigte sich in der geschilderten kaiserlichen Unterstützung für sein neues Lehrfach und verlieh seinem Unterricht zusätzliche Bedeutung.768 Darüber hinaus hatte er in allen Wiener Bildungsinstituten den Vorsitz in Prüfungen seines Faches und war für die Vergabe von Zeugnissen verantwortlich.769 Schließlich schuf er durch die öffentlichen Disputationen einen weiteren Anlass, um den Kontakt mit besonders begabten Studenten zu intensivieren. Diese Disputationen – diejenige des Franz Georg von Keeß’ wurde bereits erwähnt – etablierte er in neuer Form bereits seit der Mitte der sechziger Jahre. Sie wurden von herausragenden Prüflingen der Adelsakademien gegen Ende ihres letzten Jahres öffentlich im großen akademischen Festsaal abgehalten.770 Sonnenfels forderte von seinen Studenten, seine eigenen Thesen vor seinen Augen öffentlich in deutscher Sprache zu präsentieren, wobey jedermann freystehe, gegen die ausgesetzten Sätze Einwürfe zu machen.771 Daraufhin war es die Prüfungsaufgabe des Studenten, die Lehrsätze zu verteidigen. Dies setzte eine vorher erworbene Vertrautheit mit der Materie und angemessenen Argumentationsweisen voraus und konnte den Schüler enger an die Lehrsätze seines Professors binden als einfache Examina. Die zu verteidigenden Sätze konnten dabei wie im Falle Keeß durchaus auch provokante Kritik an der Rechtsordnung oder gesellschaftlichen Zuständen enthalten.772 Später erschienen sie oftmals gemeinsam mit der von Sonnenfels benoteten schriftlichen Abschlussarbeit des Schülers unter Nennung beider Namen im Druck.773 Dass derartige Prüfungen in Wien nicht allgemein üblich und normalerweise in lateinischer Sprache für ein kleineres Pu768 Kink: Universität, S. 500. 769 Vgl. bspw. Brief vom 7. Jan. 1812 über Franz von Siber, in: ÖNB Handschriftensammlung Nr. Brief 9/76–8 und zwei Zeugnisunterlagen in der HSS der WIBI Inv. Nr. 3695 u. Inv. Nr. 8650. 770 Vgl. die Beispiele: Langemantel, Cajetan von: Vom Zusammenfluße: eine Abhandlung. Nebst angehängten Lehrsätzen aus der Polizey-, Handlung- und Finanzwissenschaft / welche [er] auf Anleitung Josephs von Sonnenfels […] am 7 März von 4 bis 6 Uhr Nachmittags in dem großen akademischen Hörsaale öffentlich vertheidigen wird, Wien 1767; Zichy, Carl Graf von: Sätze aus der Polizey-, Handlungs- und Finanzwissenschaft, Wien 1771; Oeltl, Joseph: Geschichte der Handlung und Schiffahrt der Alten […], Wien 1775, u. auch Anton Graf von Apponyi am 15. Aug. 1771 nach Klingenstein: Patriot, S. 211. 771 Zichy: Sätze, Deckblatt. 772 Vgl. zur Verteidigung von Lehrsätzen durch Keeß und deren Folgen Kap. 4.1.3 u. 7.2.2. 773 Langenmantel: Sätze u. Oeltl: Sätze. Bei letzterem wird die Nähe der verteidigten Lehrsätze zu Sonnenfels’ Schriften durch Wortwahl und Reihenfolge besonders deutlich.

Sonnenfels’ Netzwerk an der Universität und den Wiener Adelsakademien

153

blikum vorgesehen waren, legt eine Kritik in der Zeitschrift Stats-Anzeigen des Göttinger Rechtsgelehrten August Ludwig von Schlözer aus dem Jahr 1783 nah.774 Der anonyme Verfasser berichtet vom Zustand der Wiener Universität und kritisiert Sonnenfels’ ungewöhnliche Neigung für öffentliche Prüfungen und Disputationen, da diese in seinen Augen einen unnützen Zeitverlust darstellen.775 Besonders im Rahmen der literarischen Fehden der achtziger Jahre wird deutlich, dass der vielfältige Kontakt der Studenten mit Sonnenfels’ und seiner Lehre zumindest bei einem Teil von ihnen Wirkung zeigte.776 Absolventen und Studenten bezogen, wie beschrieben, öffentlich zu seinen Gunsten Stellung, als seine erste Vorlesung nach dem Tode Maria Theresias der Kritik ausgesetzt war. Dabei wurde in den Schriften beider Seiten der Begriff der Sonnenfelsianer oder seltener der jungen Freunde verwendet, um die Verteidiger des angegriffenen Professors zu beschreiben.777 Die Fürsprecher besetzten den Begriff positiv: Aber was dachten die Sonnenfelsianer? Sie standen unerschüttert. Der einzige goldene Grundsatz ihres Lehrers: Man muss Zutrauen zu den Einsichten, Billigkeit und Gerechtigkeit seines Regenten haben: dieser war es, durch dessen Zauberkraft sie unbeweglich blieben.778 Hingegen wurde den so bezeichneten jungen Akademikern seitens der Kritiker vorgeworfen, dogmatisch an Sonnenfels’ Lehre festzuhalten und diese offensiv verbreiten zu wollen: Aergerlich ist es allerdings für alte erfarne Räte, dass wenn ein Sonnenfelsianer in ihr Mitte triet, er sie als Ignoranten betrachtet, weil sie nicht über den Nutzen der Bevölkerung und des Luxus, nach ihres Lehrers Lehre, zu schwatzen wissen.779 Trotz häufiger Erwähnungen wird das Wort Sonnenfelsianer aber nie explizit definiert, sondern als bekannt vorausgesetzt. Daher ist wahrscheinlich, dass der Terminus in gebildeten Kreisen Anfang der achtziger Jahre verbreitet war und dem Gebrauch nach Sonnenfels’ Studenten und Absolventen beschrieb, die öffentlich für seine Person und Lehre eintraten. Ver774 Anonym: Von dem ehemaligen literarischen Zustande der Universität Wien, in: Stats-Anzeiger, Bd. 3 1783, S. 319–345. 775 Ebd., S. 341. 776 Vgl. Kap. 4.1.4. 777 Vgl. Franz: Beantwortung, S.  16; Wersack, Wenzel: Züge zur Zeichnung der Verdienste des königlichen wirklichen Hofraths Joseph von Sonnenfels um Gelehrsamkeit und Staat, Wien 1792, S. 91 u. Anonym: Zustand, S. 341. Der Terminus der jungen Freunde wird verwendet bei Anonym: Erinnerungen, S. 4 u. Franz: Anmerkungen, im Titel. Vgl. die kurze Anmerkung bei Winter, Eduard: Joseph von Sonnenfels, in: Pollak, Walter (Hg.): Von den Babenbergern zum Wiener Kongreß (Tausend Jahre Österreich Bd. 1), Wien u. München 1973, S. 300–303. 778 Franz: Beantwortung, S. 16. 779 Anonym: Zustand, S. 341.

154

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

einzelt wird in den Schriften seiner Verteidiger auch eine Negation verwendet: Es war meine Absicht nicht, alle antisonnenfelsianer herabzudocieren.780 Dieses Wort scheint sich in seiner Verwendung eher allgemein auf alle Personen zu beziehen, die Sonnenfels’ Lehre anzweifelten, als auf eine aktive Gruppe miteinander bekannter Personen. Beide Wörter finden ab Mitte der achtziger Jahre angesichts seines schwächeren persönlichen Engagements in der Lehre keine Verwendung mehr, obwohl Studenten auch weiterhin zu Sonnenfels’ Gunsten öffentlich in Erscheinung traten. Nach kritischen Rezensionen seines 1787 erschienenen Lehrbuchs über den Geschäftsstyl antwortete beispielsweise einer seiner Zuhörer mit einer ausführlichen Erwiderung und Lobschrift auf seinen Lehrer.781 Dass er dabei Briefe von Sonnenfels zur Bekräftigung anführen und verwenden konnte, legt eine enge Zusammenarbeit von Lehrer und Schüler nahe. Es besteht allerdings, zumindest der Behauptung einer zeitgenössischen Rezension nach, auch die Möglichkeit, dass diese Schrift von Sonnenfels selbst verfasst wurde.782 Eindeutiger zeigt sich die Unterstützung der Studenten anlässlich des untersuchten Konfliktes um Sonnenfels’ Nachfolge 1791. Seine Schüler traten hier, wie dargestellt, mit einer Petition zu seinen Gunsten und öffentlichen Missfallensbekundungen gegen seine Kontrahenten in Erscheinung. Was auch immer die Motive der jungen Akademiker waren, es ist zu beobachten, dass Sonnenfels während seiner Lehrtätigkeit zumindest von Teilen der Studentenschaft, die zeitweise als Sonnenfelsianer bezeichnet wurden, in Konflikten und Auseinandersetzungen unterstützt wurde. Er verfügte sicherlich über ein universitäres Netzwerk, das zu seinen Gunsten aktiv wurde, wenn man auch nicht genau in Erfahrung bringen kann, wie er seine Unterstützer mobilisierte. Nach Ende des Studiums wurde sein Verhältnis zu den Studenten angesichts ihrer Suche nach einer Anstellung oftmals auf die Probe gestellt. Die Absolventen der Polizey- und Kameralwissenschaft lassen sich diesbezüglich in zwei Gruppen einteilen, eine beruflich erfolgreiche und eine erfolglose. Trotz aller kaiserlichen Unterstützung für die politischen Wissenschaften litt die Stellensuche der Absolventen unter gewissen Vorbehalten gegen Sonnenfels’ Lehre. Er selbst thematisierte dies in einer Rede zu Beginn des 780 Franz: Beantwortung, S. 35. 781 Anonym: Anhang zu dem Werke über den Geschäftsstil des Hrn. Hofraths und Professors von Sonnenfels. Herausgegeben von einem seiner Zuhörer, Wien 1787. 782 Anonym: Rezension zu „Anhang zu dem Werke über den Geschäftsstil des Hrn. Hofraths und Professors von Sonnenfels. Herausgegeben von einem seiner Zuhörer“, in: Nicolai, Friedrich: Allgemeine deutsche Bibliothek Bd. 86, 2 St. 1787, S. 579–590, hier S. 580.

Sonnenfels’ Netzwerk an der Universität und den Wiener Adelsakademien

155

Schuljahres 1780.783 Dort schildert er seinen Studenten, dass ihre Vorgänger bei Anstellungen oftmals übergangen würden.784 Allerdings glaube er, dass sein Fach einen Wert an sich habe und dass sich die Qualität seiner Schüler schließlich durchsetzen werde. Diejenigen, welche nun aber enttäuscht seien, hätten ihr Studium nur aufgrund der späteren Besoldung gewählt und seien daher ohnehin schlechte Beamte.785 Als weitere mögliche Ursache für die Anstellungsschwierigkeiten gibt Sonnenfels hingegen an anderer Stelle die Begründung, die Ausbildung seiner Schüler sei zu gut gewesen, so dass mancher Bewerber aufgrund seines umfassenden Wissens als arrogant erscheine.786 Dieses Argument verweist implizit auf die Schwierigkeit einer rein theoretischen Universitätsausbildung für die Beamtenlaufbahn. Die Absolventen der Universität oder der Adelsakademien verfügten im Gegensatz zu ihren Konkurrenten, die aus dem niederen Dienst der Behörden kamen, über keine praktischen Kenntnisse und mussten diese erst noch erwerben. Sonnenfels hatte, wie bei Entwicklung seines Lehrfaches beschrieben, zunächst eine besondere Betonung der theoretischen Vorbildung durchgesetzt und damit für sich und seine Absolventen eine kritische Haltung gegenüber der praktischen Arbeit der Behörden eingenommen. Für ihn lag darin bloße Anwendung seiner Theorien. Dass eine derartige Sichtweise, die er auch in seinen Schriften publizierte, für die Stellensuche seiner Schüler nicht förderlich war, solange ihre Vorgesetzten nicht selbst diese Studien absolviert hatten, ist naheliegend. Aus diesem Grunde verwies Sonnenfels in seinem Lehrbuch über den Geschäftsstyl darauf, dass Weiterbildung und Aneignung der Praxis wesentliche Elemente einer zukünftigen Karriere seien.787 Gleichzeitig begann er die praktischen Aspekte der Kameralistik zunehmend in seine Lehrveranstaltungen einzubeziehen.788 Aber auch eine konsequente praktische Verwendung bedeutete für einen Absolventen der politischen Wissenschaft keine automatische Anstellung, wie das Beispiel des Praktikanten Georg Dorfner zeigt.789 Dieser hatte be783 Sonnenfels: Schuljahr, S. 554–556. Er bekräftigte seine Beobachtungen zehn Jahre später erneut: Sonnenfels, Joseph von: Mit der einen Hand gebaut, mit der andern wieder niedergerißen, in: Patriotisches Archiv für Deutschland, Bd. 11 1790, S. 491–495. 784 Sonnenfels: Schuljahr., S. 561. 785 Ebd., S. 562. 786 Ebd. u. Sonnenfels/Retzer: Ankündigung, S. 306. 787 Ebd. 788 Vgl. die obigen Ausführungen über die Auseinandersetzung von Theorie und Praxis Kap. 4.1.3. 789 Vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 10, unf. Georg Dorfner an Graf Clary, Präsident der Hofkommission in Gesetzessachen, o. D. (nach 1799) u. ebd., Joseph von Sonnenfels an Graf Clary am 14. April 1800. Siehe auch: HHStA Akten der Staatskanzlei

156

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

reits 1794 die juristischen Studien hervorragend absolviert und fiel dem Rektor Sonnenfels positiv auf. Daher wurde er durch Dekret vom 6. Februar 795 […] als Konzepts-Praktikant angestellet, und dem Büreau dieses Herrn Hofraths zugewiesen.790 Auf das erste Praktikum folgten ein zweites bei einem anderen Hofrat und schließlich ein drittes in der Hofkommission für Gesetzessachen, die 1797 unter Sonnenfels’ Mitarbeit eingerichtet wurde. Hier erbat Dorfner mit Unterstützung seines ehemaligen Lehrers vergeblich Stelle und Gehalt eines Konzipisten. Mit zahlreichen Empfehlungsschreiben, unter anderem des Grafen von Dietrichstein, versehen, arbeitete er weiter als unbezahlter Praktikant für seinen ehemaligen Lehrer. Diesen Status überwand er erst nach mehr als sechs Jahren im April 1801 durch kaiserlichen Entschluss auf wiederholten Antrag Sonnenfels’.791 Die Schwierigkeiten, denen sich ein herausragender und besonders geförderter Schüler gegenübersah, lassen vermuten, welche Probleme die mittelmäßigen und auf sich allein gestellten Bewerber erwarteten. Diese Männer bildeten die Gruppe der Studenten, die erst nach langjähriger Wartezeit in niedriger oder mittlerer Stellung gegebenenfalls fachfremd beschäftigt wurden und über deren weiteres Verhältnis zu ihrem ehemaligen Lehrer keine Quellen berichten. Ausführlicher lassen sich hingegen die Absolventen betrachten, die im Stande waren, trotz aller Hemmnisse nach ihrem Studium hohe Positionen in den verschiedenen Zentralbehörden der Monarchie einzunehmen. Bei ihnen handelte es sich vornehmlich um die Absolventen der Theresianischen oder Savoyischen Adelsakademie, die neben ihrer Ausbildung über einen Adelstitel und familiäre Verbindungen und Beziehungen verfügten. Sie waren, unabhängig von ihrem Bildungsabschluss, Teil eines Patronagenetzwerkes. Dies unterstreicht einmal mehr die Bedeutung sozialer Beziehungen für die Umsetzung von Kenntnissen und Fähigkeiten in konkrete Vorteile. Die Absolventen fanden ihre Anstellung oftmals bei den zentralen Finanzbehörden, wie beispielsweise die beiden Grafen Phillip (1752–1803) und Joseph (1757–1816) Herberstein bei der Hofkammer.792 Der jüngere der beiden Brüder, welcher 1816 Präsident der Behörde werden sollte, fiel bereits 1780 dem damaligen Gouverneur von Triest Graf Zinzendorf aufgrund fachlicher Nähe zu seinem ehemaligen Professor auf: Je lus à Pittoni mes zu Wissenschaft, Kunst und Literatur Kart. 2: Rechts- und Staatswissenschaften, Volkswirtschaft, Politik, Pro memoria des Sonnenfels, Fol. 453r.–456r. Fol. 454r. 790 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 10 unf. Georg Dorfner an Graf Clary. 791 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 10 unf. Staatsminister von Clary an Franz II. am 8. April 1801. 792 Vgl. Wurzbach: Lexikon, Artikel Herberstein, Philipp, Bd. 8., S. 346f. u. Herberstein, ­Joseph, Bd. 8, S. 348–350.

Sonnenfels’ Netzwerk an der Universität und den Wiener Adelsakademien

157

observations sur le projet des finances soit-disant du jeune Herberstein, mais probablement de son ancien précepteur Sonnenfels.793 Doch nicht nur in den Finanzbehörden, sondern auch in anderen Wiener Dienststellen traf man zunehmend auf Sonnenfels’ Absolventen. Hier sind vor allem die schon genannten Franz Georg von Keeß und Joseph von Retzer zu erwähnen. Keeß, dessen Verteidigung von Sonnenfels’ Thesen über Folter und Todesstrafe eine Klage der Hofkanzlei nach sich gezogen hatte, erhielt bereits zwei Jahre nach seinem Abschluss am Theresianum 1770 die Berufung zum Regierungsrat.794 Seine juristische Promotion enthielt einen zustimmenden Kommentar zu den Grundsätzen der Polizey- und Kameralwissenschaft, und ermöglichte ihm mit exzellenten Noten eine rasche Karriere.795 Dabei halfen ihm und seinen Brüdern auch die Beziehungen seines Vaters, der für seine Leistungen im Staatsdienst, speziell als Vizepräsident des niederösterreichischen Appellationsgerichtes und als geheimer Rat, 1795 die Erhebung in den Adelsstand erhalten hatte. Wie mehrere seiner Brüder trat Franz Georg nach dem Studium in den Staatsdienst. Von 1777 bis 1799 arbeitete er als Hofrat bei der Obersten Justizstelle sowie für verschiedene legislative Hofkommissionen, an denen – teilweise auf seinen Antrag hin – auch Sonnenfels beteiligt war. Wenn beide Männer teilweise auch gegensätzliche Ansichten vertraten, so waren sie besonders bei der Ausarbeitung des neuen josephinischen Strafrechts oftmals einer Meinung.796 Durch Absolventen wie Keeß und Herberstein bestand daher offenbar eine Möglichkeit für Sonnenfels, Teile seiner theoretisch angelegten Lehre in die Praxis der Behördenarbeit zu übertragen. Zu einer persönlichen Beziehung über die fachliche Kooperation hinaus liegen allerdings in beiden Fällen keine Quellen vor. Anders ist dies bei Joseph von Retzer, einem ehemaligen Schüler, der gemeinsam mit Sonnenfels in die Zensurkommission berufen worden war. Sein früherer Lehrer schrieb später, Retzer habe durch sein Herz und seinen Geist die Freundschaft eines Sonnenfels verdient.797 Nachdem er 1774 aus 793 Klingenstein/Faber/Trampus: Tagebücher, Eintrag vom 21. Nov. 1780. 794 Vgl. Kocher, Gernot: Franz Georg von Keeß, in: Brauneder, Wilhelm (Hg): Juristen in Österreich 1200–1800, Wien 1987, S. 93–97; Blinder, J. K. u. Suchomel, H.: Zur ­Lebensgeschichte des Hofrats Franz Georg Edlen von Keeß, in: Wiener juristische Gesellschaft: Festschrift zur Jahrhundertfeier des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Wien 1911, S. 355– 367. 795 Vgl. HHStA Nachlass Keeß Kart. 5: Akten der Hofkommission in Gesetzessachen 1728– 1796. 796 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 170f.; Hoegel: Strafrecht, S. 77f. sowie Kap. 7.2 u. 7.3. 797 Zit. Sonnenfels: Retzer, S. 551. Retzer schrieb wiederholt entsprechende Entgegnungen, so: An Gleim. Bey Uebersendung meines und des Herrn von Sonnenfels Bildnisses, in: Der neue Teutsche Merkur, Bd. 2 1798, S. 168–172. Vgl. zu Retzers Karriere: Lettner:

158

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

dem Theresianum entlassen worden war, arbeitete Retzer zeitweise bei der Hofkammer, war als Zensor und später bei der geistlichen und milden Stiftungskommission beschäftigt, deren Vorsitz er übernahm. Neben seiner eigenen schriftstellerischen Tätigkeit trat er als Herausgeber von Sonnenfels’ späteren Lehrbüchern in Erscheinung, die er stets überaus positiv rezensierte.798 Als Zensor ergriff er, wie beschrieben, anlässlich des Konflikts mit Watteroth und Hoffmann Partei zu Gunsten seines alten Lehrers. Neben Retzer äußerten sich auch andere Absolventen lobend über ihren ehemaligen Professor und zeichneten so dem Lesepublikum ein bestimmtes Bild von ihm. Die in dieser Hinsicht auffälligste Schrift ist von einem gewissen Wenzel Anton Wersack verfasst, der bereits in den literarischen Debatten der achtziger Jahre für seinen Lehrer eingetreten war.799 Er publizierte 1792 eine Biographie Sonnenfels’, die panegyrische Züge trug und alle großen Reformen im Land allein auf die Tätigkeit dieses Mannes zurückführte: An allen Orten, wo nur Aufklärung schimmerte, weit mehr noch, wo ihr volles Licht strahlete, fand ich Ursache, stolz darauf zu seyn, dass ich mich rühmen durfte ein Schüler des allgemein bewunderten Sonnenfels zu heißen, in dessen Lobe Staatsmänner, Gelehrte, belesene Handelsleute und Künstler unerschöpflich waren.800 Mit derartigen Behauptungen trugen die Schüler dazu bei, einen Mythos von Sonnenfels als Oberhaupt der Aufklärungsbewegung zu schaffen und zu verbreiten, der keineswegs frei erfunden war, aber dessen glorifizierende Bewertungen kritisch gesehen werden müssen. Die Existenz solcher Schriften widerspricht dabei der Annahme Robert Kanns, dass Sonnenfels’ Lobredner ihn nicht persönlich kennen und allein fachlich beurteilen würden.801 Schließlich ist noch auf eine andere, zum Verständnis des universitären Netzwerk von Sonnenfels überaus bedeutende, Gruppe erfolgreicher Absolventen zu verweisen. Es handelt sich dabei um diejenigen, welche an einer Universität oder Akademie als Professoren, Lehrer oder Privatdozenten tätig waren. Da Sonnenfels den ersten Lehrstuhl für Polizey- und Kameralwissenschaft in der Monarchie inne hatte und sein Lehrbuch verpflichtende Aufklärung, S. 161 u. Wurzbach: Lexikon, Artikel Retzer Bd. 25, S.  343–346; zu seiner Zensortätigkeit Olechowski, Thomas: Zur Zensur am Ende des 18. Jahrhunderts: Dichter als Zensoren, in: Eybl, Franz M, Frimmel, Johannes u. Kriegleder, Wynfried (Hg.): Aloys Blumauer und seine Zeit (Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts Bd. 21), Bochum 2007, S. 135–143, hier S. 139–143. 798 Vgl. Sonnenfels: Vorlesung, oder Sonnenfels/Retzer: Ankündigung. 799 Wersack: Verdienste. 800 Ebd., S. 28. 801 Kann: Kanzel, S. 230. Kann schlussfolgert dies aus seiner Annahme, dass Sonnenfels’ egozentriertes Sozialverhalten Sympathie ihm gegenüber unmöglich mache.

Sonnenfels’ Netzwerk an der Universität und den Wiener Adelsakademien

159

Grundlage allen diesbezüglichen Unterrichtes war, lag es nahe, dass die ihm folgenden Lehrer aus seinen Studenten ausgewählt wurden.802 Da er selbst oftmals die Auswahl traf, konnte er davon ausgehen, dass er Rückhalt bei diesen Männern finden würde, die ihm ihre Karriere verdankten.803 Der erfolgreichste von ihnen war der bereits erwähnte Ignaz de Luca. Er hatte bis 1768 bei Sonnenfels studiert und erhielt 1770 eine Stelle als Substitut für einen an den Akademien beurlaubten Lehrer. Seine Anstellung wurde damit begründet, dass er Sonnenfels durch seine Bereitschaft, nach seinem Abschluss zwei Jahre lang Privatvorlesungen über dessen Lehrbücher zu halten, positiv aufgefallen war.804 Sein neues Amt behielt er allerdings nicht lange, sondern gab es bereits 1771 für eine Professur in Linz auf.805 Die Anstellung verdankte er Sonnenfels’ Einsatz in der Berufungskommission, wo jener sich ausführlich für ihn verwendete. Anhand des Beispiels dieser Kommissionssitzung wird der Einfluss deutlich, über den Sonnenfels um 1770 verfügte. Drei Bewerber standen zur Auswahl, von denen zwei, Ignaz de Luca und Dominik Kefil, herausragende Absolventen von Sonnenfels’ Lehrfach waren. Der Professor erreichte de Lucas Berufung nach Linz und mit seiner Fürsprache erhielt Kefil noch in derselben Sitzung ohne ein weiteres Berufungsverfahren die Position de Lucas an den Wiener Akademien. Der dritte, ein externer Kandidat, wurde hingegen mit einer Empfehlung für eventuell freiwerdende Verwaltungsstellen verabschiedet. De Luca begann danach seine Lehrtätigkeit in Linz, kehrte aber bereits Mitte der achtziger Jahre nach Wien zurück. Hier arbeitete er als freier Schriftsteller und Privatdozent, der sich in seinen Werken an der sonnen802 Vgl. für die Erblande: Osterloh: Reformbewegung, S.  253; für Ungarn: Szabo: Kaunitz, S. 399f. Neben den hier ausführlich Beschriebenen ist bspw. noch auf den Prager Kameralprofessor Ignaz Butschek und seinen Grazer Kollegen Joseph Buresch zu verweisen. Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 56 u. Klingenstein: Akademikerüberschuß, S. 182f. u. Dies.: Der Fall Buresch oder über die Anfänge der Polizey- und Kameralwissenschaften in Graz, in: Pferschy, Gerhard (Hg.): Siedlung, Macht und Wirtschaft. Festschrift Fritz Posch zum 70. Geburtstag (Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchives Bd. 12), Graz 1981, S. 397–409, hier S. 404f. 803 Vgl. Kap. 4.2.1. Tatsächlich gab es nur zwei Professoren, die öffentlich von seiner Lehre abwichen und beide bereits erwähnt wurden. Es handelt sich dabei um Heinrich Joseph Watteroth, der Sonnenfels’ persönliche Integrität in Frage stellte, und Franz Joseph Bob in Freiburg, der ein eigenes Lehrbuch verwendete. 804 Grünberger: Luca, S. 2–6; vgl. zu seiner Anstellung und Entlassung: AVA StudHK Kart. 16 Konv. 161 ex 1776, Fol. 269r–274v. Rechtfertigung des Sonnenfels, spez. Fol. 272r. u. Fol. 272v. 805 Das Protokoll des Berufungsverfahrens vom 24. Okt. 1771 ist erhalten in: AVA StudHK Kart. 16 Konv. 26 ex 1771, Fol. 235r.–237v. Für ein ähnliches Verfahren in Graz vgl. Klingenstein: Buresch, S. 404f.

160

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

felsschen Lehre orientierte.806 Unter anderem trug er durch sein bereits eingangs erwähntes und zitiertes Werk Gelehrtes Österreich, in dem die Lebensläufe von Sonnenfels und anderen Gelehrten zusammengestellt wurden, dazu bei, den herausragenden Ruf seines ehemaligen Lehrers weiter zu festigen.807 Unter Sonnenfels’ Rektorat erhielt de Luca schließlich 1794 den Lehrstuhl für Statistik in Wien.808 So verband er nun die Lehre seines ehemaligen Professors mit der praktischen datenbasierten Staatswissenschaft, eine Herangehensweise, welche bereits auf die wissenschaftliche Arbeit des 19. Jahrhunderts verwies. Dies führte schließlich zur Etablierung eines eigenen Studienzweiges der Staatswissenschaften, der zwischen der Jurisprudenz und der Ökonomie angesiedelt war. De Luca schrieb selbst zusammenfassend über seine Karriere, dass er in Sonnenfels seinen zweiten Vater zu verehren das günstige Los hatte.809 Wie de Luca, so waren auch andere Dozenten in ihrer Karriere und wissenschaftlichen Forschungsarbeit mit ihrem einstigen Lehrer und nunmehrigen Kollegen verbunden.810 Dies galt, wie der Fall des Kirchenrechtlers Joseph Valentin Eybel zeigt, allerdings nicht nur für seine eigenen Fächer.811 Eybel war ebenfalls Student von Sonnenfels und mit seinem Kommilitonen de Luca befreundet.812 Er übernahm in Wien eine Vertretungsprofessur für Kirchenrecht und erhielt später eine entsprechende Stellung in Linz. Seinen Studenten empfahl er, unabhängig von einer zukünftigen geistlichen oder weltlichen Karriere, in seinen Schriften häufig das Studium der Polizeywissenschaft nach Sonnenfels, bis anlässlich der Papstreise nach Wien 1782 Meinungsverschiedenheiten zwischen Schüler und ehemaligem Lehrer auftraten.813 Es bestand aber weiterhin ein gutes Verhältnis zwischen Eybel, 806 Vgl. Grünberger: Luca, S. 9–31. Zur Nähe seiner Lehre zu Sonnenfels vgl. Luca, Ignaz de: Leitfaden in die Handlungswissenschaft des Herrn Professors von Sonnenfels zum Gebrauch der Studierenden von Ignaz de Luca, Linz 1775 u. Ders.: Leitfaden in die Polizeywissenschaft des Joseph von Sonnenfels, Linz 1776. 807 Luca: Österreich. 808 Vgl. Eckert: Wattenroth, S. 58–61, Grünberger: Luca, S. 38–51. Vgl. zur Berufung: HHStA VA Kart. 42 Konv., Fol. 1–292 u. Fol. 88r.–88v. Bericht Watteroths an den Kaiser, o.D. u. Osterloh: Reformbewegung, S. 254f. 809 Grünberger: Luca, S. 1. 810 Vgl. exemplarisch: Brief Sonnenfels’ an Prof. Hauck in Linz vom 23. Okt. 1812. HSS der WIBI Inv. 128.128. 811 Vgl. Brandl, Manfred: Der Kanonist Joseph Valentin Eybel (1741–1805). Sein Beitrag zur Aufklärung in Österreich. Eine Studie in Ideologie (Forschungen zur Geschichte der katholischen Aufklärung Bd. 2), Steyr 1976. 812 Ebd., S. 19 u. S. 113. 813 Brandl: Eybel, S. 80 u. zur Meinungsverschiedenheit: ebd. S. 175f. Vgl. Sonnenfels, Joseph von: Uiber die Ankunft Pius VI. in Wien 1782, S. 3–6. Hier erklärt jener eine Publikation Eybels mit dem Titel „Was ist der Papst?“ für sinnlos.

Vom Sekretär zum Präses: Sonnenfels in der Akademie der bildenden Künste

161

de Luca und auch Joseph von Retzer, die untereinander über Jahre hinweg Beziehungen unterhielten.814 Allerdings findet dies in den Quellen nur geringen Niederschlag. Insgesamt kann man beobachten, dass es Sonnenfels während seiner Tätigkeit an der Universität gelang, Teile der Studentenschaft eng an seine Person und seine Lehre zu binden. Eine Kombination von direkten persönlichen Kontakten, Patronage und Kooperation führte in einigen Fällen dazu, dass er unter den Studenten und Absolventen ein Netzwerk erschuf, das zu beiderseitigem Vorteil mobilisiert werden konnte.

4.3 Vom Sekretär zum Präses: Sonnenfels in der Akademie der bildenden Künste Das Wirken Sonnenfels’ in der k.k. Kupferstecherakademie und späteren Akademie der bildenden Künste, deren Entwicklung er über vierzig Jahre begleitete, ist bisher noch weitgehend unerforscht.815 Die Kupferstecherakademie wurde im Jahr 1766 in Wien als Ergänzung zu der seit 1692 mit Unterbrechungen bestehenden höheren Schule der Malerei, Bildhauer- und Architekturkunst gegründet.816 In diesem Institut sollte die Kunst der Skizzierung und des Stechens unterrichtet werden, die im literarischen Markt an Bedeutung zunahm. Direktor der Einrichtung wurde der in Wien und Paris ausgebildete Jakob Matthias Schmutzer (1733–1811), von dem auch der Vorschlag zur Gründung stammte.817 Kaunitz, der die Einrichtung dieser Schule bei Maria Theresia befürwortet hatte, wurde zum Protektor ernannt und vertrat ihre Angelegenheiten bei Hofe.818 Aus diesem Grunde schrieb Schmutzer am 16. Juli 1768 an Kaunitz, die Akademie bittet den durchlauchtigen Protector aus hohen selbsteigenen Beweg-Gründen, […] einen diesen in der That verdienten, und dieses Amtes würdigen Manne zu einem Academie Secretaire gnädig zu ernennen.819 Für 814 Vgl. einen Brief de Lucas an Retzer vom 4. Mai 1776, HSS der ÖNB Sig. 31/19–1. 815 Vgl. zur Übersicht: Kopetzky: Sonnenfels, S. 148–151 u. S. 361–367. 816 Wagner, Walter: Die Geschichte der Akademie der bildenden Künste in Wien, Wien 1967, S. 29f. u. Szabo: Kaunitz, S. 200. 817 Sonnenfels lobte seine Fähigkeiten in einem Brief an Klotz vom 28. Dez. 1786, in: Rollet: Briefe, S. 15. 818 Szabo: Kaunitz, S. 201. Kaunitz ermöglichte bspw. Reisegenehmigungen für die Mitglieder. 819 AABK VA Kart. 2 Konv. 1766–1771, Fol. 38r.–39.v. Schmutzer an Kaunitz o.D, hier Fol. 39r.

162

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

das neue Amt schlägt er zwei Kandidaten vor: Sonnenfels und den Hofkanzleisekretär Jakob Emanuel Wächtler. In einem anderen Schreiben merkt Schmutzer zu ihrer Eignung nur an: Beide sind zu sehr bekannt, als dass wir ihnen etwas mehreres anzuführen hätten.820 Bevor aber eine Entscheidung getroffen werden konnte, wandte sich Sonnenfels bereits mit einer Eingabe an Kaunitz persönlich. Er bittet unter Verweis auf frühere Förderung – Meine gegenwärtigen Glücksumstände sind die Folge Eurer Durchlaucht gnädigsten Schutzes – um Unterstützung bei seiner Bewerbung, die er durch ein direktes Schreiben an Maria Theresia zum Erfolg führen will.821 Sowohl hier wie auch im kurz darauf an die Kaiserin gerichteten Schreiben betont er seine Eignung für die Stelle und seine Bereitschaft, bis zum Tode eines pensionierten Sekretärs auf Entlohnung zu verzichten, sofern er dann dessen freiwerdende Pension als Gehalt bekomme.822 Kaunitz, der wie beschrieben zugleich auch die universitäre Karriere Sonnenfels’ förderte, entsprach dem Gesuch und leitete den Antrag weiter.823 Gleichzeitig übernahm Sonnenfels bereits ehrenamtlich erste Aufgaben in der neuen Schule. Er wurde auf Empfehlung des Direktor Schmutzer von der Akademie gebeten, unbesoldet ihren Schriftverkehr zu organisieren.824 Neben dieser Pflicht übernahm er auch die Aufgabe, als Gast bei einer feierlichen Preisverleihung am 23. September 1768 eine Rede zu halten und sprach Von dem Verdienste des Portraitmalers.825 In dieser kurz darauf im Druck erschienenen Ansprache lobt er diesen Zweig der Malerei und beschreibt mit Vergleichen zur Antike und unter Verwendung eines exemplarischen Vertreters dieser Kunst ihre Bedeutung. Die Fähigkeit, die Wahrheit und zugleich die innere Schönheit des Objekts zu zeigen, sei dabei das Ziel. En passant brachte Sonnenfels Kenntnisse über Farbmischungen und Schattenspiel ein, die seinen Kunstverstand betonten. Sein Interesse für die Kunsttheorie entsprach dabei den Neigungen des Grafen Kaunitz, der auch die Schriften des Johann Joachim Winckelmanns (1717–1768) zu Kunstgeschichte und -theorie förderte.826

820 AABK VA Kart. 2 Konv. 1766–1771, Fol. 50r. Fragment eines Schreibens von Schmutzer an Kaunitz. 821 AABK VA Kart. 2 Konv. 1766–1771, Fol. 43r.–43v. Sonnenfels an Kaunitz o.D. (1768), hier Fol. 43r. 822 AABK VA Kart. 2 Konv. 1766–1771, Fol. 41r.–42v. Sonnenfels an Maria Theresia o.D. (1768). 823 Vgl. Szabo: Kaunitz, S. 201. 824 AABK VA Kart. 2 Konv. 1766–1771, Fol. 60r.–61v. Protokoll vom 23. Sep. 1768. 825 Sonnenfels, Joseph von: Von dem Verdienste des Portraitmalers, Wien 1768. 826 Vgl. Pascher: Sperges, S. 152f.

Vom Sekretär zum Präses: Sonnenfels in der Akademie der bildenden Künste

163

Sein Einsatz und seine Eingaben zeigten ihre Wirkung am 27. Januar 1769, als Sonnenfels durch kaiserliches Dekret zum Sekretär der Akademie ernannt wurde. Dies geschah auf einstimmiges Verlangen der besagten Akademie, und in Folge des von ihres Protectorii wegen erstatten gehorsamsten Vortrags.827 Damit wird der Rückhalt erkennbar, den Sonnenfels in dieser frühen Phase durch seinen Kontakt zu Kaunitz und sein Engagement in dem neuen Institut genoss. Mit der Anstellung wurde eine Besoldung von 400fl. verbunden, obwohl er angeboten hatte, darauf zu verzichten. Allerdings waren die Aufgaben eines Sekretärs der Akademie noch nicht klar definiert worden. Daher schrieb Sonnenfels einen Bericht über seine zukünftige Tätigkeit an das Ratsmitglied Joseph von Sperges, der als Verbindungsmann und informeller Vertreter Kaunitz’ an der Akademie tätig war:828 Ich würde bey den Rathsversammlungen den Vortrag machen und die Gegenstände erläutern, dabey das Protokoll führen, […] den ausgefallenen Schluss anzeigen, und dem Protector zur Bestätigung der Entschlüsse übergeben: […] Ich würde die Vorträge an die Stellen machen, die auswärtige Correspondenzen in Namen der Academie, aber unter meiner Unterschrift führen.829 Darüber hinaus wolle er schließlich bei allen festlichen Anlässen eine Rede halten. Seine Haltung zu eigentlichen Sekretariatsaufgaben kommentierte Sonnenfels unter Verweis auf Kaunitz: Ich glaube der Fürst werde nicht fordern, dass ich Kleinigkeiten; Einladungszeddel u.d.g. unter meine Verrichtung nehmen soll.830 Die von ihm gewünschten Kompetenzen griffen in Bereiche ein, die bisher gemäß dem Statut der Akademie von 1767 dem Direktor Schmutzer vorbehalten waren.831 Dazu schlug er eine Arbeitsteilung vor: meine Bestimmung sey, das Formale, und wenn ich so sagen darf, der Litterarum der Akademie, wie Schmutzers Bestimmung das Artisticum.832 Tatsächlich tritt Schmutzer in den folgenden Monaten mehr und mehr zurück, so dass Sonnenfels am 24. Juli 1769 in einem Brief an den halleschen Geheimrat Klotz darauf verweisen kann, dass alle Post betreffend der Akademie direkt an ihn gesandt werden könne.833

827 AABK VA Kart. 2 Konv. 1766–1771, Fol. 53r.–54v. Dekret vom 27. Jan 1769, hier Fol. 53r. Vgl. auch zur Besoldung: ebd., Fol. 44r.–45v. u. das Sessionsprotokoll der Akademie vom 02. Dez. 1768, Fol. 61a r.–61b v. 828 Zur Bedeutung Sperges’ in der Akademie vgl: Pascher: Sperges, S. 135–182. 829 AABK VA Kart. 2 Konv. 1766–1771, Fol. 46r. u. 46v. Bericht Sonnenfels an Sperges. 830 Ebd., Fol. 46r. 831 Vgl. Wagner: Akademie, S. 30. 832 Ebd., Fol. 46v. 833 Sonnenfels an Klotz, 24. Juli 1769, in: Rollet: Briefe, S. 27.

164

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Der Status des Sekretärs änderte sich auch nicht nach der auf Kaunitz’ Betreiben 1773 erfolgten Vereinigung der drei Wiener Kunstschulen und Akademien zu einer einzigen großen Akademie der bildenden Künste.834 Hierbei nahmen die Organisation der ehemaligen Kupferstecherakademie und ihr Personal eine Schlüsselposition ein. Sonnenfels wurde als einziger Sekretär in die neue vereinigte Akademie übernommen, was Kaunitz gegenüber Maria Theresia mit dessen Genie zu den schönen Künsten begründete.835 Auch die Rede beim Festakt anlässlich der Gründung der neuen Akademie wurde von Sonnenfels gehalten.836 Die im Vereinigungsjahr 1773 festgelegte provisorische Ordnung der Akademie, welche bis 1800 bestehen blieb, beschrieb die Funktionen des Sekretärs im Sinne von Sonnenfels’ Auslegung. Sein Gehalt wurde bei diesem Anlass auf Initiative des Fürsten Kaunitz, der bereits die Erhöhung seines Lohns an der Universität befürwortet hatte, auf 800fl. erhöht.837 Er wurde darüber hinaus in den akademischen Rat erhoben und war dort stimmberechtigt.838 Dieser Rat, der unter dem Vorsitz eines Präses das höchste Gremium der Akademie darstellte und den Protektor beraten sollte, bestand von da an aus siebenundzwanzig Personen; siebzehn Lehrern und zehn Adeligen oder geadelten Beamten.839 Sonnenfels’ Position war bei Gründung der vereinigten Akademie von zentraler Bedeutung. Er verfügte über weitreichende Kompetenzen und die Unterstützung des Protektors Kaunitz, wenn er auch im Gegensatz zu dem Herrn von Sperges nicht unmittelbar als dessen Interessenvertreter wirkte. Im akademischen Rat besaß er durch seine Doppelrolle als Mitglied und alleiniger Referent ebenfalls eine Schlüsselstellung. Doch nur Sperges kam es zu, die Beschlüsse des Rates zu kommentieren und an Kaunitz weiterzuleiten.840 Die übrigen der nicht lehrenden Ratsmitglieder waren hauptamtlich in der Verwaltung, genauer bei der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei oder bei der niederösterreichischen Regierung tätig.

834 Vgl. Wagner: Akademie, S. 37–42 u. Szabo: Kaunitz, S. 200–203, sowie Weitensfelder: Studium, S. 30, der dabei von einer Mitarbeit von Sonnenfels’ Schwager Birkenstock ausgeht. 835 AABK VA Kart. 3 Konv. 1772, Fol. 109r. Kaunitz an Maria Theresia am 20. Nov. 1772. 836 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 148. 837 Vgl. AABK VA Kart. 3 Konv. 1773, Fol. 194r.–195v. Memorandum Kaunitz’. Diese Gehaltszulage wurde bis 1774 im Rat diskutiert, dann aber durchgesetzt. Vgl. ebd., Fol. 196r.–198v. Vorschlag des Sperges u. Ebd. Konv. 1774, Fol. 14r.–16v. Note an den Kommerzienhofrat mit der Entscheidung vom 3. März 1774. 838 Ebd. 839 Vgl. zu der Ordnung der Akademie die vom Sekretariatsadjunkten erstellte Studie: Weinkopf, Anton: Beschreibung der Kaiserl. Akademie der bildenden Künste, Wien 1783; Zum Rat siehe S. 19. 840 Vgl. Pascher: Sperges, S. 139–142.

Vom Sekretär zum Präses: Sonnenfels in der Akademie der bildenden Künste

165

Es stellt sich nun die Frage, ob und wie es Sonnenfels gelang, diese gewissermaßen nebenberufliche Position zu nutzten und wie sich sein Verhältnis zu den Mitgliedern der Akademie entwickelte. Grundlegend war die andauernde Unterstützung durch den Protektor Kaunitz, die im Januar 1775 deutlich wurde, als Sonnenfels vom Hofkammerpräsidenten Leopold Graf von Kolowrat beschuldigt wurde, Brennholz aus den Beständen der Akademie für private Zwecke entnommen zu haben.841 Die Beschuldigung wurde Kaunitz vorgebracht, an den sich auch Sonnenfels selbst mit einer Rechtfertigung wandte.842 Darin behauptet er, dass ihm eine bestimmte Menge Holz als Deputat zustehe, wenn dies auch nirgendwo schriftlich fixiert sei und dass die Akademie derzeit ohnehin zuviel Holz zum Heizen erhalte. Kaunitz’ Entscheidung liegt nicht in Form eines Dekrets vor, aber das Ergebnis unterstreicht die Unterstützung des Protektors für den Sekretär: Fortan organisierte Sonnenfels selbst den Holzeinkauf und durfte für eigene Zwecke beliebig auf den Vorrat zugreifen, was 1794 schriftlich in seinem Sinne als Deputat bezeichnet wurde.843 Als dieses Deputat im 19. Jahrhundert unter dem späteren Protektor Metternich in eine Geldzahlung umgewandelt werden sollte, gelang es Sonnenfels jährlich 600fl. dafür zu erhalten und damit sein Sekretärsgehalt beinah zu verdoppeln.844 Unter dem Fürsten Kaunitz, der sich in akademischen Zusammenhängen noch stärker für Sonnenfels einsetzte als in universitären, begann er sich auch in der Lehre zu engagieren. Neben Ansätzen zu einer Modernisierung des Sprachstyls im Schriftverkehr der Mitglieder gab der Sekretär auf Anregung des Protektors auch Vorlesungen in Mythologie und fungierte in historischen Fragen als Berater.845 Seine Kooperation mit Kaunitz war vor allem in der Auseinandersetzung mit den Zünften erfolgreich, deren Vorschriften einige Künstler unterlagen, wenn es parallele Handwerksausbildungen gab.846 Auf eine Eingabe des Sekretärs vom 4. April 1773 hin, in welcher Sonnenfels beklagte, dass Künstler mit Riemenschneidern gleichgesetzt würden, wurde Kaunitz bei der Kaiserin vorstellig. Unter ihrem Nachfolger erreichte er nach provisorischen Erlässen schließlich 1783, dass die Meister841 AABK VA Kart. 3 Konv. 1775, Fol. 8r. Beschwerde Kolowrats. 842 Ebd. Fol. 9r.–14v. Rechtfertigung des Sonnenfels vom 20. Jan. 1775. 843 Vgl. AABK VA Kart. 11 Konv. 1794, Fol. 52r. Bestellung der Akademie für Brennholz. 844 Vgl. AABK VA Kart. 31 Konv. 1811, Fol. 300. Der Besoldungsstand der Akademie vom Juli 1811. 845 Zum Styl vgl. AABK VA Kart. 10 Konv. 1793, Fol 97r.–103v. Bericht des Adjunkten Weinkopf, spez. 103r. u. 103v. Zur Mythologievorlesung siehe AABK VA Kart. 11 Konv. 1794 Fol. 10r.–211v. Votum von Birkenstock am 5. Dez., spez. Fol. 211r. und zur Funktion als Berater vgl. Wagner: Akademie, S. 44. 846 Vgl. Zu dieser Entwicklung Wagner: Akademie, S. 48f. u. Szabo: Kaunitz, S. 204.

166

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

prüfungen in allen Kunsthandwerken nur noch von der Akademie durchgeführt wurden und dass deren Schüler als Studenten und nicht als Gesellen anzusehen seien. Damit wurde eine Abgrenzung von Kunst- und Gebrauchshandwerk gesetzlich fixiert. Dass Sonnenfels um gute Beziehungen zum Protektor bemüht war, zeigt sich auch bei der Kooperation mit dem späteren Ratsmitglied Graf Joseph von Frieß (1719–1785), der das Manuskript der Kunstgeschichte von Winckelmann in einer Prunkausgabe herausgeben wollte. Sonnenfels half dabei und schrieb eine Widmung für Kaunitz an die Spitze.847 In den Jahren zuvor stand Sonnenfels besonders häufig im Widerspruch zu dem Grafen von Sperges, der als Mitarbeiter der Staatskanzlei und Interessenvertreter des Staatskanzlers Kaunitz an denselben Patron gebunden war. Im Jahr 1777 kam es sogar zu einer Krise im Verhältnis zwischen Sonnenfels einerseits und dem Staatskanzler und seinem Mitarbeiter andererseits.848 Der niederösterreichische Statthalter Christian August von Seilern (1717–1801) wies damals die Akademie an, alle Entwürfe für Kupferstiche den Zensurbehörden vorzulegen. Als Vertreter des Fürsten Kaunitz wandte sich Sperges jedoch an den Grafen von Seilern und teilte ihm mit, dass er alle Dekrete zunächst an den Protektor der Akademie zu richten habe. Seiler hakte nach und begründete seinen Vorstoß damit, dass Kupferstiche nicht nur Kunst, sondern aufgrund ihrer möglicherweise hohen Verbreitung auch eine Frage der öffentlichen Sittlichkeit wären. Kaunitz intervenierte auf Sperges Aufforderung hin am 11. Juli 1777 und unterband die Zensur. Dabei vermerkte er auf einem Schreiben an Sperges, dass er Sonnenfels als eifrigen Verfechter der Zensur hinter diesem Vorstoß vermute und solch ein Vorgehen nicht ohne Folgen belassen würde. Ein mögliches Ergebnis dieser Ereignisse war die Berufung eines Sekretariatsadjunkten, der die tägliche Schreibarbeit in der Akademie übernehmen sollte.849 Hierfür wählte Sperges ohne Rücksprache mit Sonnenfels den jungen Anton Weinkopf, der auch als Angestellter des Hausarchivs für Kaunitz arbeitete. Zwar bedeutete dies eine Einschränkung von Sonnenfels’ Aufgabenbereich, allerdings kann darin, entgegen der Vermutung von Pascher, keineswegs ein erheblicher Verlust seines Einflusses gesehen werden. Sonnenfels behielt seine prestigeträchtige Stellung, einen Sitz mit Stimme im Rat, eine Möglichkeit zu öffentlichen Auftritten, seinen Titel und sein Gehalt 847 Kopetzky: Sonnenfels, S. 149. Sonnenfels erhielt für seine Hilfe einen Teppich aus Frieß’ Fabrikation; zum Dank widmete er ihm den zweiten Band seiner gesammelten Schriften. Vgl. Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 2, 1783, Vorwort. Vgl. Pascher: Sperges, S. 152f. 848 Vgl. Pascher: Sperges, S. 149f. 849 Vgl. Pascher: Sperges, S. 151f. u. Wagner: Akademie, S. 44f.

Vom Sekretär zum Präses: Sonnenfels in der Akademie der bildenden Künste

167

und wurde von der täglichen Schreibarbeit entbunden, die er ohnehin nicht ausüben wollte. Außerdem führte der Rückzug aus dem Alltagsgeschäft der Akademie dazu, dass es weniger Kontakt mit Sperges und damit auch keine weiteren Meinungsverschiedenheiten mehr gab. Nach dem Tode des Fürsten Kaunitz 1794 übernahm der bisherige Präses des Rates Philipp Graf von Cobenzl (1741–1810), der damals aufgrund seiner gescheiterten propreußischen Außenpolitik als Hofkanzler gewissermaßen beurlaubt war, dessen Amt.850 Das Verhältnis zwischen ihm und dem beständigen Sekretär war angespannt, da der neue Protektor die Erfüllung eigentlicher Sekretärsarbeit anmahnte. Sonnenfels wandte sich daraufhin in einem herausfordernden Promemoria direkt an Cobenzl:851 Sie selbst haben es nicht für Nothwendig gehalten, sich darüber einige Zurückhaltung aufzulegen, dass sie mit mir unzufrieden sind, oder, um Eur. Exzellenz eigenen Ausdruck beyzubehalten, dass ich nichts tue.852 Wie üblich weist Sonnenfels unter Berufung auf seine Verdienste jede Anschuldigung von sich und fordert Cobenzl auf, den Sekretär der gesamten Akademie nicht mit einem Präsidiumssekretär zu verwechseln.853 Unter Berufung auf Dekrete von Kaunitz führt er aus: nach dieser Vorschrift ist also der beständige Sekretär der Akademie der eigentliche Referent derselben, ist ihr bestimmter Wortführer und Vertreter bei allen Stellen, in allen Angelegenheiten und dieses dergestalt, dass alles was die Akademie betrifft, durch seine Hände zu gehen, eigentlich ohne ihn nichts zu geschehen hat.854 Seine Arbeit für den Präses bestehe lediglich in der Vorbereitung des Referates bei den Ratssitzungen, welche schon länger aufgrund der Abwesenheit einiger Mitglieder nicht stattgefunden hätten. Daher seien alle Vorwürfe gegenstandslos. Seine Ausführungen wurden durch ein Schreiben der Direktoren der verschiedenen Abteilungen und der Lehrer der Akademie bekräftigt, in dem sie ihre Zufriedenheit mit dem hocherverdiente[n] Sekretär betonten. Die Tatsache, dass Sonnenfels die Unterstützung seiner Kollegen mobilisieren konnte, verweist darauf, dass er in der Akademie der bildenden Künste nicht allein durch die Bindung an eine einzelne starke Bezugsperson wie Graf Kaunitz verankert war, sondern auch dort ein eigenes Netzwerk aufbauen konnte.855 Graf Cobenzl reagierte auf diese offensiven Worte mit einem kurzen Antwortschreiben, in dem er die verschiedenen Einsprüche erwähnt und 850 Vgl. AABK VA 13 Konv. 1796, Fol. 112r.–115v. Anfrage des Cobenzl betreff der zukünftige Organisation. 851 AABK VA 13 Konv. 1796, Fol. 117r.–120v. Promemoria des Sonnenfels vom 7. Okt. 796. 852 Ebd., Fol. 117r. 853 Ebd., Fol. 118v. 854 Ebd., Fol. 118r. u. Fol. 118v. 855 AABK VA Kart. 13 Konv. 1796, Fol. 121r. u. 121v. hier Fol. 121v.

168

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Sonnenfels mitteilt, dass wohl ein Missverständnis vorgelegen habe und Übrigens haben sie in allem, was sie mir sagen, vollkommen recht.856 In der Folgezeit nahm Cobenzl einen Umweg und ließ Sonnenfels nur durch den jeweiligen Präses erinnern, wenn wiederholt die Ausfertigung von Urkunden oder Diplomen in Verzug geriet.857 Dem Sekretär war es also durch seinen Rückhalt in der Akademie gelungen, seine Position auch gegenüber dem neuen Protektor zu halten. Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass die alltägliche Arbeit an der Akademie stets frei von Spannungen und Konflikten war, wie aus einem Gutachten hervorgeht, das Sonnenfels kurz zuvor über eine Probearbeit für die Neubesetzung der Vergolderprofessur angestellt hatte.858 Hier beklagt er, dass Intrigen und Kompetenzstreit die Berufung eines fähigen Mannes verzögern oder verhindern könnten und dass solche Verwicklungen des Öfteren die Entwicklung der Akademie stören würden. Unter Kaunitz’ Nachfolger Graf Cobenzl kam es zu einen besonders langwierigen Streit um Kompetenz und Rang des beständigen Sekretärs, den Sonnenfels mit seinem angeheirateten Verwandten, dem bereits erwähnten Hofrat Johann Melchior von Birkenstock führte.859 Birkenstock war 1776, zwei Jahre vor seiner Heirat mit Sonnenfels’ Schwägerin, auf Betreiben von Kaunitz als adeliger Rat in das Gremium aufgenommen worden.860 Er war, wie auch Sonnenfels, außerhalb der Akademie mit Zensurfragen beauftragt. In den folgenden Jahren erwarb er sich durch seine private Kunstsammlung und seiner Kenntnisse des Bildungswesens, die er in leitender Tätigkeit in Reformkommissionen vertiefte, die Anerkennung des Grafen Kaunitz.861 Im akademischen Rat trat er mit kleineren Eingaben zur Organisation von Wettbewerben oder Preisaufgaben in Erscheinung.862 Die Quellen belegen eine um 1795 zunehmende Spannung zwischen ihm und Sonnenfels, wobei eine Unstimmigkeit in der offiziellen Rangordnung der Akademie den Anlass gab. Bei der Beurteilung der Probearbeiten eines Kandidaten für die genannte Lehrerstelle der Vergolder äußerte sich Birkenstock in seinem Gutachten auch über Amt und Rang des beständigen Sekretärs, wobei er sich auf die ursprünglichen Statuten der Kupferstecherakademie beruft: Unter den Räthen war ihm kein Platz angewiesen. Ist derselbe jetzt Rath, mehr als Rath, Vice856 AABK VA Kart. 13 Konv. 1796, Fol. 127r.–128v. Nachricht des Cobenzl. 857 Vgl. bspw. AABK VA Kart. 17 Konv. 1801, Fol. 349r. Cobenzl an Doblhoff-Dier. 858 AABK VA Kart. 12 Konv. 1795, Fol. 296r.–300v. Gutachten des Sonnenfels, hier fol. 298v. u. 299r. 859 Vgl. Kap. 3.4. 860 Weitensfelder: Studium, S. 31. 861 Ebd., S. 28–30. 862 Ebd., S. 32.

Vom Sekretär zum Präses: Sonnenfels in der Akademie der bildenden Künste

169

Präses oder nur Sekretär und wo ist sein Rang und Platz? Worauf gründet sich die jetzige Abweichung? Auf Versehen, auf Eigenmacht oder auf Gesatz?863 Er führt aus, dass gerade die immer bedeutendere Position des Sekretärs in der offiziellen Rangordnung der Akademie ein Problem darstelle, da durch dessen Aufrücken andere Räte, wie er selbst, indirekt degradiert würden. Dies sei ein unhaltbarer Missstand: Hängt Auswahl des Ranges, hängen Räthe vom Sekretär ab, wie kläglich, wie unordentlich würde die Verfassung einer solchen Akademie seyen? Daher forderte er, die Rangordnung zu prüfen.864 Eine Untersuchung der Ratsprotokolle der Akademie zeigt eine Entwicklung, die Birkenstocks Angaben bestätigt.865 Trug sich Sonnenfels dort Mitte der siebziger Jahre am Ende der Anwesenheitsliste noch mit einem Ich ein, so rückte er in der Liste unter Nutzung seines vollen Namens und Titels bald immer weiter vor, bis er 1780 in den obersten Reihen angekommen war. Dies ist zwar nur ein einzelner Aspekt, illustriert aber den vom jeweils gegenzeichnenden Präses akzeptierten Wandel in Sonnenfels’ Selbstwahrnehmung und Darstellung. Auf die Beschwerde des Rates Birkenstock hin forderten Präses und Protektor den Sekretär auf, rasch die Statuten der Akademie mit einer klaren Rangordnung neu auszuarbeiten.866 Als Sonnenfels dieser neue Auftrag mit Hinweis auf die Beschwerde übermittelt wurde, reagierte er mit einer Verteidigungsschrift.867 Darin führte er zwar aus, dass gewisse Dinge, die zur Ordnung der Akademie gehören, nicht in der bisherigen Satzung festgelegt seien, bestätigt aber: In der That hat Birkenstock den Rang vor mir und sollte daher auch vor mir eingerückt sein.868 Der Fehler in der Rangfolge sei Schuld des Sekretariatsadjunkten, der ohne Rücksprache gearbeitet habe. Sonnenfels schlägt daraufhin vor, den Streit durch zwei Dekrete zu beenden: Eines an Birkenstock, welches dessen Anspruch bestätigt und eines an den Adjunkten, welches ihn ermahnt, stets den Schematismus, also die schriftlich fixierte Rangordnung, kontrollieren zu lassen. Doch damit fand die Auseinandersetzung kein Ende, da nun die schriftliche Fixierung der Rangordnung Gegenstand von Vorwürfen und Beschwerden wurde. Wiederholt erreichten den Protektor Cobenzl diesbe863 AABK VA Kart. 12 Konv. 1795, Fol. 320r.–338v. Gutachten des Birkenstock, hier Fol. 337r. 864 Ebd. 865 AABK Bestand Rathsprotokolle Kart. 1. Vgl. Prot. ex 1773, Fol. 5r. u. Prot. ex 1779, Fol. 1r. 866 AABK VA Kart. 13 Konv. 1796, Fol. 94r. Nachricht an Sonnenfels. 867 Ebd., Fol. 129r.–130v. Bericht des Sonnenfels über die Unstimmigkeiten im Akademie Schematismus. 868 Ebd., Fol. 129r.

170

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

zügliche Eingaben Birkenstocks.869 Er sah sich schließlich genötigt, dem Kaiser einen Bericht über diesen Streit zu schicken.870 Dem zufolge: zwischen Birkenstock und Sonnenfels als den Hauptpersonen gestritten wird über den Rang, der jedem von Ihnen […] gebühret. Ob Sonnenfels als beständiger Secretär ein wirklicher Rath oder nur ein besoldeter Bedienter, […] und mehrere andere Gegenstände von gleicher Wichtigkeit, worüber mit viller Bitterkeit […] geschriben worden.871 Dem Kaiser wird daher empfohlen, schnellstmöglich neue Statuten mit einer klaren Rangordnung ausarbeiten zu lassen. Franz II. erteilte einen entsprechenden Befehl, was zur Folge hatte, dass sich in den folgenden Jahren Konflikte um die Ausgestaltung dieser neuen Statuten entzündeten. Bei den Beratungen nahm Sonnenfels seiner Stellung gemäß den Mittelpunkt ein und wog verschiedene Eingaben und Vorschläge gegeneinander ab, bis er am 9. März 1800 meldete: Der Entwurf der Statuten wäre nun vollendet.872 An den Beratungen über diesen Entwurf wurde auf Sonnenfels’ Wunsch auch Birkenstock beteiligt, der wesentliche Elemente aus den Statuten der Berliner Akademie übernehmen wollte.873 Seine Anregungen wurden aber gewissermaßen unter den Tisch fallen gelassen und tauchten nicht in den im November 1800 erlassenen neuen Statuten auf.874 Graf Cobenzl, der Birkenstock angesichts erneuter Beschwerden keine Einladungen und Rundschreiben mehr zukommen ließ, sah keine andere Möglichkeit, als sich 1801 erneut an den Kaiser zu wenden.875 Er bat den Monarchen, entweder eine Kommission einzusetzen, die zwischen dem nach seinen Angaben an aller Zänkerey schuldigen Birkenstock und Sonnenfels vermittle, oder aber ein Dekret zu erlassen, dass Birkenstock einmal für alzeit als aus eigener Bewegung von der Akademie ausgetreten anzusehen, von seinen älteren und neueren Vorstellungen in dieser ganzen Sache keinen weiteren Gebrauch zu machen seye.876 Die Antwort des Kaisers ist nicht überliefert, aber Hofrat Birkenstock erscheint fortan nicht mehr in den Akten der Akademie. Die Statuten hingegen erwiesen sich als überaus bearbeitungs869 Ebd., Fol. 208r.–211r. Zwei Briefe des Baron Doblhoff in Angelegenheit der Beschwerde des Hofr. von Birkenstock u. ein dritter Brief: Fol. 228r.–229v. 870 Ebd., Fol. 356r.–358v. 871 Ebd., Fol. 356r. u. 356v. 872 AABK VA Kart. 16 Konv. 1800, Fol. 21r. 873 AABK VA Kart. 16 Konv. 1800, zur Mitarbeit Birkenstocks Fol. 57r.; Vgl. Weitensfelder: Studium, S. 32. 874 Wagner: Akademie, S. 57–59. 875 Zur Umgehung Birkenstocks bei Beratungen vgl. AABK VA Kart. 17 Konv. 1801, Fol. 112r. u. AABK VA Kart. 18 Konv. 1801, Fol. 571r.–573v. Bericht des Kurators o.D. 876 Ebd., Fol. 572r.

Vom Sekretär zum Präses: Sonnenfels in der Akademie der bildenden Künste

171

bedürftig. Den ersten Schritt zur Neufassung, der gleichzeitig auch Grenzen seines Einflusses aufzeigt, unternahm Sonnenfels am 8. August 1801. Er wandte sich mit Vorschlägen zur neuen Organisation der einzelnen Fachschulen an den akademischen Rat, der seinen Ausführungen die Zustimmung verweigerte, da er die Befugnis des Sekretärs nicht anerkannte.877 An dieser Konstellation änderte sich bis zum Tode des Grafen Cobenzl am 30. August 1810 nichts. Danach belegen mehrere Dokumente die baldige Wahl des Grafen Klemens Wenzel von Metternich-Winneburg (1773–1859), damals Außenminister des Kaisers, zum neuen Protektor. 878 Der Kaiser bewilligte diese Wahl und eine der ersten Aufgaben Metternichs war es, den Posten des ebenfalls verstorbenen Präses der Akademie neu zu besetzten. Das Amt des Präses war protokollarisch von höchstem Rang und stand über den Direktoren der einzelnen Fachschulen. In Rücksprache mit dem Rat schrieb Metternich am 30. Dezember 1810 an Kaiser Franz I.: erlaube ich mir zu bemerken, dass die einstimmige Wahl, durch welche der Vice-Präsident der politischen Gesetz-Commission von Sonnenfels, zum Präses eben dieser Akademie […] vorgeschlagen wird, um so mehr in jeder Hinsicht die allerhöchste Genehemigung zu verdienen scheint, als er alle dazu erforderlichen Eigenschaften in sich vereiniget.879 Metternich hebt sowohl Sonnenfels’ Erfahrung, als auch dessen Liebe zur Kunst besonders hervor. In seinem Schreiben wurde jener, der nun seit vierunddreißig Jahren Sekretär war, zum einzigen Kandidaten für das höchste Amt der Akademie gekürt. Der Kaiser stimmte dem Antrag zu.880 Bei der feierlichen Amtseinführung bezeichnete Metternich Sonnenfels als würdigen Greis und eine lebende Mahnung an den Geist der Gründungszeit der Akademie.881 Der Ton der Rede legt nahe, dass der neue Präses für ihn mehr ein lebendes Symbol, als ein wichtiger Amtsträger war. Dies wird dadurch bestätigt, dass mit dem Amt vornehmlich repräsentative Aufgaben verbunden waren, denn die Geschäftsführung und das Fachreferat oblagen dem Sekretariat, das neu besetzt wurde. Dem neuen Präses wurde ein Gehalt von 1.500fl. zusätzlich zu seinen anderen Einkünften als Hofrat und Professor im Ruhestand bewilligt.882 Im 877 Wagner: Akademie, S. 60. 878 Vgl. AABK VA Kart. 30 Konv. 1810, Fol. 190r. Ergebnis der außerordentlichen Ratssitzung am 7. August 1810 für die früheste u. AABK VA Kart. 30 Konv. 1810, Fol. 339r. Bericht des Rates für die späteste Angabe, den 23. Sept. 1810. 879 AABK VA Kart. 30 Konv. 1810, Fol. 341r.–342v. Metternich an Franz I., hier Fol. 342r. u. Fol. 342v. 880 Ebd., Fol. 339v. Anmerkung Franz I. vom 3. Jan. 1811. 881 Vgl. Wagner: Akademie, S. 64. 882 AABK VA Kart. 31 Konv. 1811, Fol. 7r.–8v. Metternich an Franz I. auf Entscheidung des

172

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

Rat setzte er sich für die Aufnahme neuer Ehrenmitglieder in die Akademie ein, zu denen Angehörige der Familie von Dietrichstein die ihn seit seiner Jugend unterstützt hatte, und sein ehemaliger Schüler Graf von Herberstein gehörten.883 Obwohl sein Amt eigentlich einen repräsentativen Charakter hatte, nahm Sonnenfels an mehreren Entscheidungsprozessen entscheidenden Anteil. Er arbeitete weitgehend allein das neue Statut der Akademie aus, welches am 4. Februar 1812 die alten Verordnungen ablöste.884 Diese Ordnung blieb bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Kraft. Im zwölften Paragraphen regelte er dabei die Stellung des Sekretärs dahingehend, dass seine Nachfolger dieselben Kompetenzen erhielten, die auch er besessen hatte.885 Die durch die politischen Entwicklungen der Jahre 1812 bis 1815 bedingte häufige Abwesenheit Metternichs ergab für Sonnenfels oftmals die Möglichkeit, wichtige Entscheidungen, beispielsweise personeller Art, selbst zu treffen.886 Er verfügte im Gegensatz zu seinen Vorgängern deshalb sogar über ein eigens eingerichtetes Spesenkonto, um notwendige Anschaffungen und Ausgaben nach eigenem Ermessen tätigen zu können.887 Die Abwesenheit des Protektors machte ihn daher zum einflussreichsten Präses, den es bisher im Hause gegeben hatte. Ein Lob für die sorgsame Verwendung seiner Mittel unterstreicht außerdem, dass seine Fähigkeiten zur Amtsführung auch nach dem achtzigsten Lebensjahr nicht wesentlich eingeschränkt waren. Sonnenfels selbst schrieb: besonders ist mein Geist frey und thätig so sehr als jemals.888 Er nutzte seinen erweiterten Handlungsrahmen vor allem, um sich in den Jahren 1812 und 1813 für die Akademie einzusetzen.889 Zu dieser Zeit wurde ein neues polytechnisches Lehrinstitut, die spätere technische Hochschule, geplant, in dem auch Architektur und Zeichnen unterrichtet Kaisers am 8. Jan. 1811. Im Laufe des Jahres wurde das Gehalt allerdings auf 1.300 fl. neu berechnet, von denen 600 fl. Entschädigung für ein entfallenes Holzdeputat seien. Ebd., Der Besoldungsstand der Akademie, Fol. 300r. 883 Ebd., Ergebnis einer Ratssitzung, Fol. 29r. 884 Vgl. Wagner: Akademie, S. 63–72 u. zu den Details der Ausarbeitung vgl. die Notizen in: AVA StudHK Kart. 647 Konv. Akademie der bildenden Künste. Sonnenfels hielt außerdem eine Rede anlässlich des Festaktes zur Verkündung der Statuten, die gemeinsam mit weiteren Reden und einer Beschreibung der Zeremonie publiziert wurde: vgl. Metternich, Clemens Wenzel, Sonnenfels, Joseph von u.a.: Aussichten für die Kunst in dem Oesterreichischen Kaiserstaat, in: Deutsches Museum, Bd. 1 1812, S. 248–287. 885 Vgl. AVA StudHK Kart 647, gedruckt, Statuten der Akademie der bildenden Künste von 1812, hier S. 12. 886 Vgl. Wagner: Akademie, S. 66. 887 Vgl. AABK VA Kart. 34 Konv. 1815, Fol. 200r. Brief von Metternich vom 30. Mai 1815. 888 HSS der WIBI Inv. 8649, 18. Feb. 1816. 889 Vgl. zu den Ereignissen: Wagner: Akademie, S. 72–75.

Vom Sekretär zum Präses: Sonnenfels in der Akademie der bildenden Künste

173

werden sollten. Sonnenfels wandte sich in Metternichs Abwesenheit mit Unterstützung des Rates mehrmals an den Kaiser und forderte den Verzicht auf die Erteilung dieser Lehrfächer und stattdessen eine bessere Ausstattung der Akademie, um dort zusätzlichen Unterricht zu ermöglichen.890 Franz I. nahm den Antrag an und befahl, dass die neue Schule nur klar von der Akademie abgegrenzte Gegenstände unterrichten solle. Darüber hinaus nutzte Sonnenfels seinen neuen Rang für ein stärkeres künstlerisches Engagement. Bisher war er in der Akademie als Redner in Erscheinung getreten, der Vorträge bei feierlichen Preisverleihungen, Semestereröffnungen und Zeugnisvergaben hielt, die anschließend durch Publikation einem größeren Publikum zugänglich gemacht wurden.891 Außerdem hatte er schon früh Entwürfe für Urkunden, Diplome und Zeitungsanzeigen ausgearbeitet.892 In seinem letzten Lebensjahrzehnt kam nun die Gestaltung von Inschriften für Denkmäler und die künstlerische Ausarbeitung von Gedenkmünzen und Medaillen dazu.893 Hierbei wollte der Präses den Entwurf, die Ausarbeitung und die abschließende Präsentation leiten und überwachen, was ihm in manchen Fällen auch bewilligt wurde. Doch Sonnenfels geriet in den letzten Jahren seiner Tätigkeit an der Akademie wiederholt in Konflikt mit dem Staatskanzler Metternich, der zugleich Protektor oder – wie es nun genannt wurde – Kurator der Akademie war. Bereits 1811 hatte er ihm vorgeschlagen, in die Statuten einen Paragraphen einzuarbeiten, der es dem Rat erlauben sollte, mit einer Zweidrittelmehrheit beim Kaiser Beschwerde über den Kurator einzulegen.894 Obwohl Sonnenfels erläuterte, dass diese Regelung nicht auf die Gegenwart gezielt, sondern eine reine Vorsichtsmaßnahme sei, lehnte Metternich seinen Vorschlag ab. Blieb diese Meinungsverschiedenheit zunächst ohne Auswirkungen, so bot 1814 der Entwurf einer Rede von Sonnenfels Anlass zum Streit. Erstmals schickte der Kurator dem Sekretär ein Manuskript mit Anmerkungen 890 AABK VA Kart. 33 Konv. 1813, Fol. 269r.–282v. Bericht des Präses Sonnenfels. 891 So bspw. die frühe Rede: Sonnenfels, Joseph von: Ermunterung zur Lektur an junge Künstler: eine Rede bey der 1. feyerlichen Austheilung der Preise in der k.k. Kupferstecher-Akademie gelesen von Sonnenfels, Wien 1768 u. die späte: Sonnenfels, Joseph von: Eine Vorlesung bey der feyerlichen Preisvertheilung an der k.k. Akademie der bildenden Künste im Jahre 1801, Wien 1801. 892 Vgl. AABK VA Kart. 15 Konv. 1798, Fol. 131r.–133v. 893 Vgl. HHStA Akten der Staatskanzlei zu Wissenschaft, Kunst und Literatur Kart. 10, Bildende Kunst, Kunstgewerbe, Archäologie und Akademien, Konv. Sonnenfels, Neumann Wrbna, Fol. 143r. Sonnenfels über die Gestaltung einer Gedenkmünze u. HSS der WIBI. Inv. Nr. 3868, Brief Sonnenfels an den Bürgermeister von Wien vom 6. April 1806 über eine neue lateinische Inschrift, ebenso Inv. Nr. 8646. 894 Vgl. AABK VA Kart. 31 Konv. 1811, Fol. 82r.–83v. Sonnenfels an Metternich im Feb. 1811.

174

Die Wirkungsstätten Universität und Akademie

und der Aufforderung zurück, es zu ändern.895 Sonnenfels antwortete darauf mit einem ausführlichen Schreiben, in dem er sich weigerte, Metternichs Auftrag zu erfüllen. Es gehöre nicht zu den Kompetenzen des Kurators, seinen Entwurf zu revidieren. Außerdem könne er die Affäre publik machen: Aber ich habe für jeden Fall das Mittel in meinen Händen, in keinem schlechten Licht zu erscheinen. Das Publikum wird meinen Entwurf und die Bemerkungen des Kurators darüber lesen – und den Ausspruch tun.896 Jedoch, so schließt Sonnenfels, könne er als einfacher Beamter dem Willen des höchsten Ministers nicht zuwider handeln und die alte Fassung seiner Rede halten. Da aber der Vortrag einer zensierten Rede seinen Prinzipien widerspreche, werde er aufgrund einer vorgeblichen Krankheit der Akademie fernbleiben, weil ich doch bei dieser Feierlichkeit keine Stumme Rolle übernehmen kann.897 Allerdings merkt er noch an, dass über diesen einzelnen Anlass hinaus eine Diskrepanz zwischen seinen Ansprüchen und den tatsächlichen Kompetenzen bestünde, die Metternich seinem Amt zubilligt: Dieser Vorgang überzeugt mich neuerdings, dass unter solchen Umständen ich nicht für die Rolle oder die Rolle nicht für mich berechnet ist.898 Tatsächlich wird Sonnenfels’ Kooperation mit Metternich, der nach dem Ende des Wiener Kongress’ zunehmend persönlich in der Akademie in Erscheinung trat, mehr und mehr von einem Rückzug auf seine eher repräsentative Funktion geprägt. In der Folge scheint Missstimmung zwischen Sonnenfels und Metternich geherrscht zu haben. So schrieb er ihm 1816, nachdem sein Entwurf für eine Medaille nicht kommentiert wurde: Ich ertrage den Gedanken nicht, die Antwort auf mein Schreiben wäre aus Geringschätzung unterblieben; Vergessenheit also! […] Doch ich vergesse, dass man altes Geräth als unbrauchbar aus dem Wege schafft und vergißt.899 Weiterer Schriftverkehr zwischen Kurator und Präses ist nicht überliefert, zumal Sonnenfels im März des folgenden Jahres zum letzten Mal in der Akademie erschien, um Dokumente zu unterzeichnen.900 Erst nach seinem Tode wurde erstmals die Ernennung eines neuen Präses im Rath thematisiert, was darauf verweist, dass er bis zu seinem Lebensende im Stande war, seinen Dienst in der Akademie zu erfüllen.901 895 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 363–365. 896 Kopetzky: Sonnenfels, S. 365. 897 Ebd., S. 366. 898 Ebd. 899 HHStA Akten der Staatskanzlei zu Wissenschaft, Kunst und Literatur Kart. 10: Bildende Kunst, Kunstgewerbe, Archäologie und Akademien Konv. Sonnenfels Brief vom 17. Okt., Fol. 149r. 900 Zuletzt am 17. März, vgl. AABK VA Kart. 36 Konv. 1817, Fol. 1–242 u. Fol. 43r. 901 Vgl. Wagner: Akademie, S. 82.

Vom Sekretär zum Präses: Sonnenfels in der Akademie der bildenden Künste

175

Die einundvierzig Jahre, die sich Sonnenfels in der Akademie engagiert hatte, waren von einem guten Anfang und enger Kooperation mit dem ersten Protektor Kaunitz geprägt, wenn es auch in der Mitte der siebziger Jahre zu Meinungsverschiedenheiten kam. Unter dessen Nachfolger Cobenzl gelang es ihm, seine erworbene Position zu halten und durch seine Verbindungen zu Lehrern und Direktoren in Konflikten zu verteidigen. Erst unter dem Kurator Metternich, als Sonnenfels mit der Berufung zum Präses nach einer Übergangszeit gewissermaßen in den Ruhestand befördert wurde, war sein Widerstand vergeblich. Insgesamt bot ihm die Akademie einen gesellschaftlichen Rahmen, den er entscheidend prägen und in dem er enge Kooperation mit Personen wie Kaunitz suchen konnte, zu denen er bisher nur eingeschränkten Zugang hatte. Noch bevor seine Karriere als Professor an der Universität ihren Höhepunkt erreichte, war er bereits einer der einflussreichsten Männer in der Akademie der bildenden Künste. Überschneidungen zwischen dem sozialen Zirkel der Akademie und Sonnenfels’ anderen Tätigkeitsbereichen sind zwar vorhanden, aber nur in wenigen Fällen, wie bei Kaunitz und Birkenstock, von direkter Art. Die Kontakte mit den übrigen Ratsmitgliedern waren angesichts der seltenen Sitzungen eher sporadisch und es deuten keine Hinweise auf einen Umgang mit den Lehrern der Akademie außerhalb des Hauses hin. Eine mögliche Ursache dafür ist sein hohes Alter, das Sonnenfels, den würdigen Greis, in seinen späten Jahren von den anderen Mitgliedern der Akademie trennte. Nicht zu unterschätzen sind aber die zusätzliche Bekanntheit und das Ansehen, welches Sonnenfels durch das Amt in Wien und im Schriftverkehr mit Künstlern im In- und Ausland erwerben konnte, wie er in einem Brief an den Geheimrat Klotz andeutete. Die damit verbundenen Schriften und öffentlichen Auftritte erweiterten seinen Ruf als gebildeter Kunstkenner, was ihm wiederum den Zugang zu bestimmten Personen und Kreisen erleichterte. Seine dabei von vielen Seiten anerkannte Kenntnis der schönen Künste und des guten Geschmacks, die besonders seine Schüler immer wieder hervorhoben, wurde schließlich zu einem Leitmotiv in seinen frühen Bio­ graphien.

5. S onnenfels ­S tilrevisor

als

S chriftsteller , Z ensor

und

5.1 Von der moralischen Wochenschrift zur Realzeitung 5.1.1 Der Vertraute: Sonnenfels’ erster Versuch einer Wochenschrift Im Jahr 1765 wandte sich Sonnenfels mit seiner ersten Wochenschrift Der Vertraute an das Wiener Publikum.902 Damit trat er auf eine gänzlich andere Weise in die gerade entstehende Welt der Wiener Literatur ein, als mit seinen zeitgleich erscheinenden Lehrbüchern, die für ein Fachpublikum erstellt waren. Um die Bedeutung der verschiedenen Periodika für Sonnenfels’ Karriere und soziale Beziehungen zu verstehen, ist allerdings zunächst eine kurze Betrachtung des literarischen Umfelds nötig, in dem er agierte und seine Werke produzierte. Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges (1763) und nach der kurzen Wirkungszeit der Deutschen Gesellschaft zu Wien verfünffachte sich die Zahl der Zeitschriftengründungen im Verhältnis zum vorherigen Jahrzehnt.903 Der literarische Markt in der Habsburgermonarchie, speziell in Wien, erlebte trotz der theresianischen Zensur eine immense Expansion, die auf verschiedenen Entwicklungen basierte:904 Wien besaß als größte Stadt des deutschsprachigen Raums einen bemerkenswert metropolitanen Charakter und stellte einen nach Volumen großen und zugleich räumlich begrenzten Absatzmarkt für neue Bücher und Periodika dar.905 Die Stadt mit insgesamt mehr als 200.000 Einwohnern war durch ihre Funktion als kaiserliche Residenz, Universitätsstadt und Sitz al902 Sonnenfels, Joseph von: Der Vertraute, eine Wochenschrift, Wien 1765, hier zitiert wird der Ndr. in: Rosenstrauch-Königsberg: Literatur. 903 Die Zahl stieg von sechs Gründungen bis 1760 auf 35 bis 1770, vgl. Lang, Helmut: Die Zeitschriften in Österreich zwischen 1740 und 1815, in: Zeman, Herbert (Hg.): Die österreichische Literatur: Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Graz 1979, S. 203–228, hier S. 204. 904 Mehrfach wird darauf verwiesen, dass die theresianische Zensur zwar strenger als ihre Nachfolger war, aber den Markt nicht völlig einengte, vgl. ebd. S.  206; Frank, Peter R.: Buchhandel in der maria-theresianischen Zeit, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich, 17 2002, S. 141–152, hier S. 147–149 u. Seidler, Wolfram: Buchmarkt und Zeitschriften in Wien 1760–1785. Studie zur Herausbildung einer literarischen Öffentlichkeit im Österreich des 18. Jahrhunderts (Aufsätze zur Lesegeschichte: Sonderband 1), Szeged 1994, S. 28. 905 Vgl. Seidler: Buchmarkt, S. 19–27 u. Bodi: Tauwetter, S. 20 u. S. 67–90.

178

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

ler Zentralbehörden Zentrum der deutschen und lateinischen literarischen Produktion der Monarchie. Wohlstand und Bildung waren in der Stadt relativ weit verbreitet und der Wunsch nach Information und Unterhaltung groß.906 Neben einem Absatzmarkt bot Wien auch einen Umschlagplatz für die anderen Gebiete der Habsburgermonarchie, in denen deutsche Literatur vertrieben wurde.907 Der von Maria Theresia geförderte Buchhändler und Verleger Johann Thomas von Trattner (1717–1798) hatte von dieser Stadt aus ein Vertriebsimperium aufgebaut, das weite Teile ihrer Länder umfasste und mit zahlreichen Druckereien die Produktions- und Verbreitungsmöglichkeiten vom Breisgau bis nach Ungarn stark erhöhte.908 Seine Kapazitäten waren durchaus mit denen einiger Leipziger Buchhändler vergleichbar, welche zu dieser Zeit im Heiligen Römischen Reich marktführend waren und er trug dazu bei, den wachsenden Buchmarkt der habsburgisch beherrschten Gebiete durch Messen und reguläre Handelskontakte eng an den des Reiches anzubinden.909 Allerdings unterlag der Handel trotz der starken Expansion noch immer staatlichen Eingriffen, speziell der Zensur, die erst unter Joseph II. mit Einführung der bereits erwähnten Pressfreyheit entscheidend gemildert wurde.910 Neben Absatzmarkt und Vertriebsmöglichkeiten wirkte auch die literarische Entwicklung auf das Erscheinen neuer Werke. Vorbilder in anderen Gebieten des Reiches, die Arbeit der Deutschen Gesellschaft zu Wien und die ersten Reformen der Regierungsbeteiligung Joseph II. nach 1765 wiesen den Weg hin zu einer stärkeren Beachtung der deutschen Sprache.911 Wenn das Französische für weite Teile des Adels auch die primäre Kultur906 Vgl. Bodi: Tauwetter, S. 72–74. u. Frank: Buchhandel, S. 144, der eine wesentlich höhere Alphabetisierung und damit ein größeres Lesepublikum vermutet als andere Autoren. 907 Seidler: Buchmarkt, S. 23. Zur Bedeutung Wiens als kulturelles Zentrum für Mittel- und Südosteuropa vgl. Csáky: Stellenwert, der besonders die wechselseitige Beeinflussung verschiedener Kulturkreise im literarischen Schaffen der in Wien ansässigen Autoren betont. 908 Zu Trattners Karriere vgl. Cloeter: Trattner und Giese, Ursula: Johann Thomas Edler von Trattner. Seine Bedeutung als Buchdrucker und Herausgeber, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 3 1961, Sp. 1013–1191, hier Sp.1023–1102. Zur Karriere und zum Ausbau des Vertriebsnetzes: Wittmann, Reinhard (Hg.): Der Deutsche Buchmarkt in Osteuropa im 18. Jahrhundert. Voraussetzungen und Probleme, in: Ders. (Hg.): Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880, Tübingen 1982, S. 93–110, S. 103. Zu ihm und Sonnenfels vgl. Kap. 5.3. 909 Frank: Buchhandel, S. 142. 910 Zur Bedeutung der Zensur für den Buchmarkt merken Frank: Buchhandel, S. 145 u. Lang: Zeitschriften, S. 206 an, dass diese die literarische Entwicklung zwar beeinträchtigte, aber nicht elementar behindern konnte. Zur Organisation und Bedeutung der Zensur vgl. Kap. 5.4. 911 Vgl. zu dieser Entwicklung: Bodi: Tauwetter, S. 87f. u. Wittmann, Reinhard: Geschichte des deutschen Buchhandels, München 1999, S. 151–153.

Von der moralischen Wochenschrift zur Realzeitung

179

sprache blieb, so bestand im wachsenden bürgerlichen Publikum Interesse an deutscher Literatur, das sich allerdings in Wien erst später entwickelte als in anderen Gebieten.912 Gleiches gilt für die Differenzierung des literarischen Marktes durch neue Werke, die primär Unterhaltungszwecken dienten.913 Diese verspätete Entwicklung hatte zur Folge, dass die sogenannten moralischen Wochenschriften, zu denen auch Sonnenfels’ Periodika gehörten, in Wien erst Anfang der sechziger Jahre verbreitet wurden, als dieses Genre im restlichen Reichsgebiet bereits als veraltet galt.914 Formal handelte es sich dabei um periodische Schriften in deutscher Sprache im Oktavformat, deren Verfasser – meist eine Einzelperson – anonym blieb und seine Inhalte in einer festgelegten Form präsentierte. 915 Der Autor nahm dafür eine bestimmte Rolle an, die dem Titel der Zeitschrift entstammte, wie in Sonnenfels’ Fall Der Vertraute oder Der Mann ohne Vorurtheil. Auf Aktualität oder Übermittlung von Neuigkeiten wurde vorwiegend zugunsten sittlich-moralischer Texte verzichtet.916 Der Anspruch der Autoren war es, die moralische Entwicklung ihrer Mitmenschen zu fördern und deren Denken und Handeln positiv zu beeinflussen. Für die österreichischen Werke war außerdem die Förderung der deutschen Sprache durch vorbildhaftes Schreiben von großer Bedeutung.917 Zu diesem Zwecke wandten sich die Autoren auf drei Arten an den Leser: durch direkte Ansprache in den Texten, durch fingierte oder echte Leserbriefe, die eine Dialogform simulierten, oder durch eine oder mehrere fiktive Nebenfiguren, die sich ergänzend oder konträr zur Figur des Verfassers äußern konnten. Derartige Periodika waren in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zuerst in England und dann in den protestantischen Territorien des Reiches erfolgreich. Zur Verbreitung ist anzumerken, dass eine Auflage ca. 500 verkaufte Exemplare umfassen musste, um ein weiteres Erscheinen finanziell zu rechtfertigen.918 Allerdings überstieg die Zahl der Leser die der verkauften Exemplare selbstverständlich um ein Vielfaches. Ihr Preis entsprach in 912 Ebd., S. 20. Der Autor spricht von einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. 913 Seidler: Buchmarkt, S. 34f. 914 Martens, Wolfgang: Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften, Stuttgart 1971, S. 3. 915 Vgl. grundlegend: Martens: Botschaft, S. 16–23 u. S. 30–131. 916 Dieser Verzicht auf Aktualität ermöglichte den Autoren, sämtliche Bände seiner Schrift im Voraus zu schreiben. Sonnenfels schrieb allerdings nach eigenen Angaben dennoch wochenweise, vgl. Rollet: Briefe, S. 10, Brief Sonnenfels’ an Klotz vom 17. Dez. 1768. 917 Vgl. Sonnenfels: Vertraute, S. 5 u. Giese: Trattner, Sp. 1186 über Klemm. 918 Vgl. Martens: Botschaft, S. 112 u. Böning, Holger: Aufklärung und Presse im 18. Jahrhundert, in: Jäger, Hans-Wolf (Hg.): „Öffentlichkeit“ im 18. Jahrhundert (Das 18. Jahrhundert Supplemente Bd. 8), Göttingen 1997, S. 151–163, hier S. 152.

180

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

Wien dem von zwei Portionen Tabak oder drei Gläsern Bier in einem städtischen Gasthaus und sie waren die ersten Periodika in der Stadt, welche ihren Verfassern ermöglichten, einen bescheidenen Lebensunterhalt als Schriftsteller zu bestreiten.919 Die erste derartige Wochenschrift in Wien gründete, wie bereits erwähnt, der in der Deutschen Gesellschaft engagierte Christian Gottlob Klemm unter dem Titel Die Welt im Jahr 1763.920 Damit ergänzte er erfolgreich den bisher von Anzeigen- und Nachrichtenblättern geprägten Markt. Nach eigenen Angaben war es sein Ziel, alle Schichten anzusprechen und gleichermaßen mit moralischen Texten zu unterhalten.921 Mehrere Mitglieder der Deutschen Gesellschaft, unter ihnen auch Sonnenfels, trugen durch Leserbriefe über die Reform des deutschen Theaters und der Literatur zu seiner Arbeit bei.922 Nach einem Jahr beendete Klemm seine Wochenschrift und gründete als Nachfolgereihe den Österreichischen Patrioten, während ab dem 2. Februar 1765 Sonnenfels gleichzeitig seinen Vertrauten herausgab.923 Sonnenfels selbst war zu diesem Zeitpunkt seit zwei Jahren Professor für Polizey- und Kameralwissenschaft und publizierte gerade den ersten Band seines Lehrbuchs. Das neue Periodikum stand allerdings in keinem Verhältnis zu seinen Lehrfächern, denn Zweck und Zielgruppe umriss er damit, dass Der Vertraute ein Versuch gewesen sei: ob die deutsche Lektüre unter meinen Landesleuten, vorzüglich unter dem holderen Geschlechte, Anhänger gewinnen könnte, dadurch, dass sie demselben bequemer gemacht würde.924 Mit seiner Wochenschrift setzte er also sein literarisches Engagement fort, das er vor Antritt seines Lehramtes in der Deutschen Gesellschaft gepflegt hatte. Im Vorwort des Vertrauten wird allerdings auch dessen unterhaltender Charakter deutlich, wenn Sonnenfels behauptet, als anonymer Verfasser Zugang zu den Geheimnissen und privaten Belangen der berühmten und schönen Bewohner Wiens zu haben, womit er auch die Notwendigkeit begründet, seinen Namen geheim zu halten.925 In seiner Zeitschrift wolle er Geschichten aus der gehobenen Gesellschaft bekannt machen und bat auch 919 Martens: Botschaft, S. 122–123. 920 Zum literarischen Markt vor Sonnenfels vgl. Seidler: Buchmarkt, S. 65–68 u. die Anmerkung bei Lang: Zeitschriften, S. 207. Zu Klemm vgl. insg. die eher oberflächliche Darstellung Patek, Rudolf: Ch. G. Klemm (1736–1802) als Journalist und Theaterschriftsteller, Diss. Wien 1932. 921 Seidler: Buchmarkt, S. 68. 922 Sonnenfels, Joseph von: An die Verfasser der Welt, in: Sonnenfels, Gesammelte Schriften Bd. 1, S. 289–311. 923 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 49–53. 924 Sonnenfels: Vertraute, S. 5. 925 Ebd., S. 6.

Von der moralischen Wochenschrift zur Realzeitung

181

um diesbezügliche Zuschriften.926 Tatsächlich nutzte Sonnenfels den populären Aufhänger, um in teilweise humorvollen Geschichten auf allgemeine moralische Missstände einzugehen. Inwieweit seine Erzählungen auf realen Vorbildern basierten oder Fiktion waren, kann allerdings nicht mehr ermittelt werden. Dass sie in jedem Fall beim Publikum beliebt waren, zeigen die guten Verkaufszahlen der ersten Ausgaben der neuen Wochenschrift, die nun ein Gegenstück zu Klemms Patrioten darstellte.927 Über seine Konkurrenten äußerte sich Sonnenfels in der Maske des Vertrauten abwertend. In einer Geschichte lässt er in seinem Arbeitszimmer den Geist der guten Literatur mit seiner Hilfe den Aftergenius der Wochenblättner schlagen und bezeichnet sich selbst als erwähltes Werkzeug des guten Geschmacks.928 Sonnenfels’ Umgang mit Klemm und mit anderen Autoren neuer Wochenblätter zeigt, dass ihm bereits früh daran gelegen war, eine herausragende Stellung unter den Wiener Schriftstellern einzunehmen. Bevor aber die angegriffenen Autoren reagieren konnten, wurde Der Vertraute von den theresianischen Zensurbehörden einer Überprüfung unterzogen. Im sechsten Heft hatte der Autor sich scherzhaft über das ungleiche Alter einiger Paare der höheren Gesellschaft geäußert, das Anlass zu Gerüchten gebe.929 Daraufhin hätten sich nach Sonnenfels’ Angaben einige Personen bei Maria Theresia beschwert, da sie vermuteten, sie seien Gegenstand seiner Schilderung gewesen. Er selbst berief sich auf ein Missverständnis und schien nicht an einen Erfolg der Beschwerden zu glauben, da er bereits eine siebte Ausgabe geschrieben hatte, in der er die Fortsetzung seines Vertrauten feierte.930 Dies war jedoch verfrüht, denn die Kaiserin verbot das weitere Erscheinen der Zeitschrift. Ranghohe Beamte wie Kaunitz oder Borié, die zeitgleich tatkräftig Sonnenfels’ Karriere an der Universität unterstützten und seine ersten wissenschaftlichen Publikationen förderten, schienen an dem Erhalt dieses nichtwissenschaftlichen und teilweise sozialkritischen Periodikums nicht interessiert. Sonnenfels stand hier, wie er in der siebten Ausgabe der Schrift andeutete, vermutlich allein und hatte nur die Möglichkeit, auf seinen Erfolg beim Publikum zu verweisen. Das Verbot hatte aber keineswegs seinen Rückzug aus dem Genre der moralischen Wochenschrift zur Folge. Es scheint vielmehr, dass der kurzlebige Erfolg Anlass für ein weiteres, wesentlich länger wirkendes Projekt bot, das zu den bekanntesten Werken Sonnenfels’ gehört. Im Mann ohne Vorurtheil 926 Ebd., S. 8. 927 Vgl. Seidler: Buchmarkt, S. 72. 928 Sonnenfels: Vertraute, S. 13f. 929 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Literatur, S. 321 u. Sonnenfels: Vertraute, S. 6. 930 Die siebte Ausgabe erschien in den Gesammelten Schriften von 1783 als Teil des Vertrauten.

182

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

wandte er ein überarbeitetes Konzept an und verband wesentliche Elemente seiner von höchster Stelle geförderten universitären Lehre mit einer unterhaltsamen fortlaufenden Geschichte.931 Der Erfolg dieser neuen Zeitschrift erlaubte ihm schließlich, nicht mehr nur am literarischen Markt teilzuhaben, sondern ihn zu verändern. 5.1.2 Der Mann ohne Vorurtheil: Eine neue Wochenschrift in Auseinandersetzung mit Zensur und Konkurrenz Ab dem 23. September 1765 erschien Sonnenfels’ neues Periodikum jeden Mittwoch und Samstag bei der trattnerschen Buchhandlung.932 Nicht nur das Erscheinen von zwei Ausgaben pro Woche, sondern auch der Preis der neuen Schrift war ungewöhnlich. Der Mann ohne Vorurtheil kostete mit drei Kreuzern weniger als konkurrierende Medien und wurde durch das trattnersche Vertriebsnetz schnell und günstig über die Grenzen der Stadt hinaus verbreitet.933 Die Tatsache, dass er über zwei Jahre hinweg fortgesetzt wurde und somit die langlebigste moralische Wochenschrift der Erblande war, legt nahe, dass der Mann ohne Vorurtheil trotz des niedrigen Preises Gewinn erwirtschaftete. Sein Erfolg wird auch durch das Erscheinen einer zweiten und dritten Auflage bestätigt.934 In Wien wurde der Inhalt dieser Zeitschrift an öffentlichen Orten ebenso intensiv diskutiert wie die Nachrichten. Der Erzbischof Migazzi schrieb: man ließt sie öffentlich in den Schul und Cofée Häußern.935 Sie markiert einen derart bedeutenden Abschnitt in Sonnenfels’ literarischer Karriere, dass ein späterer Biograph den Titel als Synonym für ihn selbst verwendete.936 In seiner Zeitschrift bemühte sich Sonnenfels in der Maske eines Mannes ohne Vorurteil darum, die Ideale der Aufklärung, die er allerdings nicht explizit definiert, unter seinen Landsleuten zu verbreiten.937 Dies sei von unmittelbarem Nutzen für den Staat, denn: Ein aufgeklärtes Volk gehorchet, 931 Inwieweit der Titel von Voltaires Theaterstück: Nanine oder der Mann ohne Vorurtheil beeinflusst ist, kann leider nicht ermittelt werden, vgl. für eine Übersicht über Aufbau und Inhalt: Krebs: Revue. 932 Vgl. zu diesen Details Rosenstrauch-Königsberg: Literatur, S. 322. 933 Zur Bedeutung des Preises vgl. Martens: Botschaft, S. 122f. u. Bodi: Tauwetter, Anhang. Diese Wochenschrift lag preislich zwischen dem Wert eines Milchkaffees und dem eines Tees mit Sahne in einem städtischen Gasthaus. 934 Die 2. Auflage 1769 wird erwähnt in: Rollet: Briefe, S. 40, die 3. Auflage in den Gesammelten Schriften. Kann: Kanzel, S. 199 betont die Einmaligkeit dieses Erfolges. 935 Vgl. Gugler: Zensur, S. 163 u. Seidler: Buchmarkt, S. 72 u. S. 80. 936 Lindner: Sonnenfels. 937 Vgl. Krebs: Revue, S. 215.

Von der moralischen Wochenschrift zur Realzeitung

183

weil es will; ein durch Vorurtheile geblendetes, weil es muss.938 Die Bekämpfung von Vorurteilen durch Vorbild und Beispiel in gutem Deutsch sei daher sein primäres Ziel. Zu diesem Zweck erfindet Sonnenfels eine Rahmenhandlung, in der ein philosophischer Gelehrter von der Ankunft eines Indianers in Österreich berichtet.939 Bemerkenswert ist dabei, dass der sogenannte Wilde noch niemals mit der europäischen Kultur in Kontakt getreten ist. Der anonyme Gelehrte, aus dessen Berichten die Wochenschrift besteht, beschließt, den Indianer namens Capa-Kaum zu unterrichten und ihn zu einem Bürger Österreichs zu machen: Er muss seine Pflichte, seine Rechte, er muss unsere Sitten, Gewohnheiten, Gesetze kennen lernen. Sie sollen hinfür die Vorschrift seiner Handlung werden.940 Im Zuge des Unterrichts unterzieht der Gelehrte die erwähnten Gegenstände einer kritischen Prüfung, die durch die Anmerkungen des Capa-Kaum verstärkt wird, der wie auch der Philosoph ein Mann ohne Vorurteil ist.941 Der Indianer ist dabei als edler Wilder im rousseauschen Sinne sowohl Gegenstand der Betrachtung als auch Akteur. Ergänzt wird der fiktive Dialog im Sinne des Genres durch Monologe des Erzählers und fingierte Leserbriefe, welche bestimmte Untersuchungsgegenstände einführen und den Anschein von Publikumsbeteiligung erwecken.942 Im weiteren Verlauf der Zeitschrift wechselt Sonnenfels mehrmals zwischen eher humorvollen und eher kritischen Passagen. So wird beispielsweise nach der Ankunft Capa-Kaums in Wien die Titelsucht der Wiener, das Glückspiel oder die Einrichtung der Nachtwache ironisch kommentiert. Im Falle der Nachtwache erläutert der Gelehrte seinem Schüler deren Waffenlosigkeit damit, dass kein Dieb es wage sie anzugreifen, solange sie das Gesetz des Kaisers schütze. Der Indianer entgegnet darauf, dass es doch ein938 MoV Bd. 3, in: Sonnenfels: Gesammelte Schriften, Bd. 3, S. 221; vgl. auch Bodi: Tauwetter, S. 41. Die Zählung der Bände ist je nach Auflage unterschiedlich und weist Auslassungen und Dopplungen auf, daher wird hier der Aufzählung in Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 1–3 gefolgt. 939 Sonnenfels schildert die wundersame Reise des Indianers bewusst als Fiktion und verzichtet darauf, eine Illusion von Wahrheit zu schaffen, vgl. MoV Bd. 1–3, in: Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 1. 940 Vgl. Martens: Botschaft, S. 298. 941 Vgl. allg. zu Nebenfiguren in Wochenschriften: Martens: Botschaft, S. 42–53. Zur Bedeutung der Figur Capa-Kaums speziell: Godel, Rainer: Der Wilde als Aufklärer? Kulturanthropologisch vermittelte Rezeptionssteuerung in Joseph von Sonnenfels „Mann ohne Vorurtheil“, in: Aufklärung Bd. 14 2003, S. 205–232, hier S. 205–219, zu dessen aktiver Rolle spez. S. 218. 942 Zur Bedeutung der Briefe vgl. Götz, Rudolph: Der Leserbrief als „Zeitgespräch der Gesellschaft“. Ein Beitrag zur Publizistik der Aufklärung im theresianisch-josephinischen Wien, Diss. Wien 1981.

184

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

facher wäre, den Diebstahl als Ganzes zu verbieten, wenn sich Diebe in Österreich schon an die Gesetze hielten.943 Auf solche moralisch-unterhaltende Episoden folgt oft ein Wechsel zu sozialkritischen Ausführungen. Hierbei legt Sonnenfels Themen, die er bereits in seinen Lehrveranstaltungen angesprochen hatte, einem breiteren Publikum dar. Somit stehen nun erstmals in einer Wiener Wochenschrift Reformen für Handwerk und Bauernstand im Mittelpunkt.944 Im ersten Fall verweist Sonnenfels darauf, dass lange Lehrzeiten und die Zunftschranken das Auskommen des einzelnen Handwerkers und die Produktion in der Monarchie beeinträchtigen würden.945 Eine Reform könne die Wirtschaft fördern und zahlreichen Menschen das Leben erleichtern. Im zweiten Fall beklagt er die Lebensumstände der Bauern, die er deutlich von dem Bild kontrastiert, welches die Adeligen auf ihren Ausflügen gewännen: Sie denken sich ein Arkadien, wo man […] mit dem Spiele der Arbeit sich Müdigkeit zur Lust erwecket, um desto sanfter zu schlafen; wo die Vergnügungen aneinandergereihet sind.946 Als Gegensatz zur harmonischen Sichtweise des Adels präsentiert er eine drastische, auch sprachlich abgesetzte Schilderung bäuerlichen Elends: Betrachten sie diese Frau! […] diese Lappen, womit sie nur halb bedeckt ist, sind das Kennzeichen des Elendes, und erwecken Grauen. Dort diese nackten auf der Erde herumkriechenden Kinder, dieses im Winkel unsauber hingestreute Stroh scheint uns ihr Lager zu seyn.947 Wie schon im Falle des Handwerks bleibt es nicht bei einer Beschreibung; auch Ursachen und Maßnahmen, welche die Regierung gegen die Missstände unternehmen sollte, werden genannt. So werden eine Gesundheitsvorsorge für die Landbevölkerung, eine Senkung der Arbeitsdienste und die Verteilung von Dünger empfohlen.948 Ob derartige Passagen Sonnenfels’ Erfolg beim Wiener Publikum begründeten, kann nicht ermittelt werden, aber die zumindest zeitweilige Anerkennung durch andere Autoren wie Klotz, Nicolai und Lessing beruhte sicherlich darauf. So schrieb Lessing: Lassen Sie es aber doch einmal einen in 943 Gerade die mehrere Seiten umfassende Analyse der Wiener Nachtwache aus der Sicht eines Indianers, vgl. Ndr. bei Rosenstrauch-Königsberg: Literatur, S. 43–48 widerlegt die Behauptung Kanns, Sonnenfels habe keinerlei Humor besessen, Kann: Kanzel, S. 201. 944 Zur Einmaligkeit solcher Ansichten vgl. Martens: Botschaft, S. 393 u. S. 397. 945 Vgl. MoV Bd. 13 u. 14, in: Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 1 u. Martens: Botschaft S. 393–394. Sonnenfels schlägt allerdings nur eine Reform und keine Aufhebung der Zünfte vor. 946 MoV Bd. 26, in: Sonnenfels: Gesammelte Schriften, Bd. 2, S. 191–198, hier S. 195. 947 MoV Bd. 24, in: ebd., Bd. 2, S. 172–182, hier S. 175. 948 Auch hier verzichtet Sonnenfels auf die Forderung nach fundamentalen Reformen, wie beispielsweise einer Aufhebung der Leibeigenschaft, sondern mahnt lediglich Verbesserung im bestehenden System an.

Von der moralischen Wochenschrift zur Realzeitung

185

Berlin versuchen, über andere Dinge so frey zu schreiben, als Sonnenfels in Wien geschrieben hat; lassen Sie es ihn versuchen, dem vornehmen Hofpöbel so die Wahrheit zu sagen, als dieser sie ihm gesagt hat. 949 Mit einer solchen Popularisierung und erfolgreichen Verbreitung seiner bisher nur an der Universität und in einer Fachpublikation vertretenen Ansichten begab sich Sonnenfels allerdings in eine exponierte Lage, die durch seine bereits erörterten öffentlichen Disputationen verstärkt wurde. Es war ihm zwar bisher erlaubt, seine Reformvorschläge in wissenschaftlicher Sprache vor einem universitären Publikum zu vertreten, aber derart unverhüllte Kritik provozierte Reaktionen.950 Einen Anlass zur offenem Beschwerde bot seine Beurteilung des Kirchenasyls im vierten Band des Mann ohne Vorurtheil. Das Asylrecht stellte seinen Ausführungen zufolge einen außerstaatlichen Eingriff in die Strafverfolgung dar und sei daher abzuschaffen. In seiner Konsequenz bewirke es sogar, dass in der Nähe von Kirchen vermehrt schwere Straftaten wie Mord begangen werden würden. Der Kardinalerzbischof Migazzi reagierte auf diese Ausgabe mit einer Beschwerde an die Kaiserin.951 Er forderte einen Widerruf im Wochenblatt und eine Bestrafung des Autors. Maria Theresia übergab die Beschwerde dem Staatsrat zur Beurteilung. Hier setzten sich nun Sonnenfels’ Förderer Borié und Kaunitz für sein Wochenblatt ein. Der Staatsrat resolvierte, dass der Inhalt des Wochenblattes korrekt und nur die Form zu provokativ gewesen sei.952 Für die Form aber sei weniger der Verfasser als vielmehr der Zensor verantwortlich, der sie genehmigt habe. Maria Theresia erließ daraufhin ein tadelndes Dekret an die Zensurkommission und verzichtete auf eine Bestrafung des Autors. Sie befahl nur dem gedachten Sonnenfels ernstlich zu bedeuten, dass er sich von Materien, welche in die geistlichen und Staatsrechte einschlagen, in den Wochenblättern zu schreiben enthalten soll.953 Darüber hinaus, so die Landesherrin, sollte die Zensur das Wochenblatt nun strenger beobachten. Doch in der Zensurkommission nahm deren Leiter Gerhard van Swieten die Kritik nicht einfach hin. Auch er war ein Förderer von Sonnenfels und hatte persönlich das betreffende Wochenblatt zugelassen.954 Er verfasste 949 Brief Lessings an Friedrich Nicolai vom 25. Aug. 1769, zit. nach Ogris: Rechtsreformer, S. 19. Dieses Zitat steht allerdings in einem mehr antipreußischen als prosonnenfelsischen Kontext. 950 Osterloh: Reformbewegung, S. 126. 951 Zu dem folgenden Verfahren vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 61–63; Fournier, August: Historische Studien und Skizzen, Prag u. Leipzig 1885, S. 92f. u. Gugler: Zensur, S. 162f. 952 Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 61 u. Szabo: Kaunitz, S. 187f. 953 AVA StudHK Kart. 16 Konv. 18 ex 1767, Fol. 123r. Kaiserliches Dekret vom 23. Jan. 1767. 954 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 126 u. Freiberg, Doris: Der Wiener literarische Journalismus im 18. Jahrhundert, Diss. Wien 1953, S. 132f.

186

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

eine Stellungnahme an die Kaiserin, zu der er als Leibarzt und Berater in Bildungsfragen in regelmäßiger persönlicher Verbindung stand. Darin bot er seinen Rücktritt an, da er in diesem Wochenblatt immer noch nichts Falsches oder Unwahres bemerken könne, aber dennoch einen Fehler gemacht haben soll. Maria Theresia lehnte das Ansuchen ihres obersten Zensors ab und begründete nach Rücksprache mit dem Staatsrat, in dem Sonnenfels bekanntermaßen ebenfalls Verbündete besaß, dass der Inhalt eigentlich nicht strittig sei, sondern nur die provozierende Form der Verbesserung bedürfe.955 Sie nahm die Kritik an der Zensur zurück und beließ es bei einer kurzen Ermahnung. Sonnenfels gab später in Briefen an, diesen glimpflichen Ausgang der Affäre van Swieten zu verdanken.956 Eine darauffolgende erneute Beschwerde Migazzis wurde abgelehnt. In späteren Eingaben beklagte der Erzbischof daher: man hätte mit Grund anhoffen sollen, dass bey einem Mann, der zwar ohne Vorurtheil seyn will, nicht aber ohne Unterwerfung seyn solle, die Allerhöchste Willensmeynung mehr dann zureichend seyn würde ihn in die gehörigen Schranken zurückzuhalten.957 Doch Sonnenfels könne einfach weiterschreiben, wie es ihm beliebe. Diese Auseinandersetzung mit der Zensur verlief für Sonnenfels im Gegensatz zum Fall des Vertrauten insgesamt erfreulich, da sich seine Förderer im Staatsrat und sogar der oberste Zensor für ihn eingesetzt hatten. Ursache dafür waren wahrscheinlich nicht so sehr die unterhaltsamen Geschichten, sondern vielmehr seine kritische Haltung, die den reformerischen Intentionen Boriés und Kaunitz’ entgegenkam. Dies bedeutet, dass die Unterstützung von Seiten des Staatsrates weniger dem Autor Sonnenfels generell, als vielmehr den im Mann ohne Vorurtheil vertretenen Reformideen galt. Durch sein literarisches Engagement geriet Sonnenfels aber nicht nur in Auseinandersetzung mit der Zensur, sondern auch in Konflikt mit anderen Autoren. Der Markt für moralische Wochenschriften war trotz aller positiver Entwicklung noch klein und mehr Leser für einen Autor bedeuteten sinkenden Absatz für einen anderen. In dieser Situation suchte Sonnenfels mit einer in Wien bisher ungekannten Intensität die Auseinandersetzung.958 Zunächst übernahm er ab 1765 gezielt die Themen der zweiten Wochenschrift Klemms, des Österreichischen Patrioten. Damit versuchte er, seinem ehemaligen Kollegen aus der Deutschen Gesellschaft Leser abzuwerben. Flan955 Vgl. Wahlberg, Wilhelm Emil: Gesammelte kleinere Schriften und Bruchstücke über Strafrecht, Strafprozess, Gefängniskunde, Literatur und Dogmengeschichte der Rechtslehre in Österreich, 3 Bde. Wien 1877, hier Bd. II, S. 36 u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 62 mit Aktenverweis. 956 Vgl. Brief an Klotz vom 23. Okt. 1768, in: Rollet: Briefe, S. 6. 957 AVA StudHK Kart. 16 Konv. 22 ex 1767, Fol. 139r. u. Fol. 139v. 958 Vgl. Haider-Pregler: Schaubühne, S. 208 u. Kann: Kanzel, S. 199.

Von der moralischen Wochenschrift zur Realzeitung

187

kierend schrieb er mehrmals Schlechtes über Klemms Charakter, bis dieser sich genötigt sah, sich in seiner eigenen Wochenschrift zu verteidigen.959 Vorerst sah es nach einem Sieg für Sonnenfels aus, als der Österreichische Patrioten zu Beginn des Jahres 1766 mangels Leser eingestellt wurde.960 Für eine Weile war nun der Mann ohne Vorurtheil die marktführende Wochenschrift in Wien und damit in einer Position, die Sonnenfels gegen jedwede neue Konkurrenz verteidigte. Dies konnte spöttisch und beiläufig geschehen wie im Falle des Autors Strephon, den Sonnenfels mit Spottgedichten bedachte, aber auch in offener Auseinandersetzung mit persönlicher Kritik wie im Falle des in Frankfurt studierten Wilhelm Ehrenfried Neugebauers (1735–1767).961 Die letztere Auseinandersetzung ist beispielhaft für Sonnenfels’ Fähigkeit und Willen, seine Stellung zu verteidigen. Kurz nach dem Ende des Patrioten trat der aus Breslau stammende Neugebauer mit seinem Plan einer moralischen Wochenschrift unter dem Titel Der Verbesserer an die Öffentlichkeit. Seine Ankündigung einer Schrift, welche besser als die bisher erschienenen sein werde, provozierte Sonnenfels zu einer Fundamentalkritik an den in Wien literarisch tätigen Zuwanderern, zu denen neben Neugebauer auch Klemm gehörte. Fremde aus anderen Gebieten des Reiches seien seiner Meinung nach nicht in der Lage, eine Wochenschrift für Wien zu schreiben, da ihnen Umgang und Sitten fremd seien.962 Darüber hinaus seien keineswegs begabte Männer, sondern vielmehr gestrandete Existenzen aus ihrer jeweiligen Heimat nach Wien gekommen. Der Autor Neugebauer, so wirft Sonnenfels ihm vor, habe ohnehin nur aus Geldgier und nicht aufgrund seines Talentes zu schreiben begonnen. Zur Antwort gab Neugebauer noch vor Erscheinen seiner Wochenschrift ein Pamphlet heraus, in dem er betonte, keine Konkurrenz für den Mann ohne Vorurtheil sein zu wollen, da er ein allgemeines Wochenblatt plane, das jederzeit und überall gelesen werden könne und keinerlei Wiener Details enthalten werde.963 Er merkte außerdem an, Sonnenfels sei ein Mann: der nicht zufrieden ist einen Anteil an seinem Beifall zu haben, sondern auch allen anderen verbie-

959 Vgl. Seidler: Buchmarkt, S. 89f. Siehe auch: Der Österreichische Patriot, 62. Stück vom 2. Mai 1766. 960 Vgl. zur späteren Auseinandersetzung von Sonnenfels und Klemm über das Theater Kap. 7.1. 961 Vgl. zum Fall Strephon Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 9, S. 117; zum Fall Neugebauer Seidler: Buchmarkt, S. 90–96 sowie den 18. und 23. Band des MoV in Sonnenfels: Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 272–287 u. ebd. Bd. 1, S. 301–320. 962 MoV Bd. 18, in: Sonnenfels: Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 272–287, hier S. 286. 963 Neugebauer, Wilhelm Ehrenfried: Des Verbesserers Anrede an das Publicum, das 18. Stück des M.o.V. betreffend, Wien 1766 (Im Druck mit dem Verbesserer erschienen).

188

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

ten will, sich gleichfalls nach einem dergleichen Anteil zu bestreben.964 Die Folge dieser Ausführungen war, dass Sonnenfels im Mann ohne Vorurtheil die Eignung des geplanten Verbesserers für das österreichische Publikum in Zweifel zog, da vor seinem eigenen Erscheinen die Wochenblätter gerade wegen ihrer Allgemeinheit nicht diejenigen Teile der Bevölkerung erreicht hätten, welche es zu verbessern gelte.965 Außerdem brachte er abschließend Kritik am Charakter Neugebauers vor, den er als undankbaren Menschen darstellte. Der Verbesserer erschien unter entsprechenden Entgegnungen kurz darauf im Druck, vermochte aber nicht, den Rang des Mann ohne Vorurtheil zu gefährden, bevor er aufgrund von Neugebauers Tod eingestellt wurde. Das hier geschilderte Beispiel zeigt, wie Sonnenfels seine eigenen Druckwerke nutzte, um einen potentiellen Widersacher zu diskreditieren und sein eigenes Ansehen zu erhöhen. Es scheint, dass das Urteil Freibergs über Sonnenfels’ Rolle in der literarischen Szene Wiens: man drückte sich scheu in die Ecke vor diesem Frühmeister des Journalismus,966 eher im Passiv verwendet werden sollte: Man wurde in die Ecke gedrängt von Joseph von Sonnenfels. Hier wird deutlich, weshalb einige Wiener Schriftsteller, wie beispielsweise Klemm, sich trotz ähnlicher inhaltlicher Ziele, wie einer Reform der Sprache und des Theaters, gegen ihn stellten.967 Sein aggressives Verhalten war neu für die literarische Szene Wiens, und wurde schon bald zu einem Vorbild für jüngere Autoren. 5.1.3 Die Frauen und das Theater: Weitere Zeitschriftenprojekte und der Weg vom Autor zum Redakteur Noch während der Mann ohne Vorurtheil erschien, startete Sonnenfels am 26. August 1766 ein speziell für ein weibliches Publikum konzipiertes neues Periodikum. Es trug den Titel Theresie und Eleonore, war also nach seiner Frau und ihrer im gemeinsamen Haushalt lebenden Schwester benannt.968 Damit bot er eine Neuheit, da noch nie zuvor in Österreich ein Wochenblatt für weibliche Leser erschienen war. Sonnenfels erschloss sich auf diese Weise einen neuen Publikumskreis, dem er in der Maske seiner Frau und Schwägerin entgegentrat. Laut Ankündigung würden sich die beiden Frauen als Autorinnen abwechseln, wobei die verheiratete Theresie über das 964 Ebd., vgl. Seidler: Buchmarkt, S. 94. 965 MoV Bd. 23, in: Sonnenfels: Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 301–320. 966 Freiberg: Journalismus, S. 43. 967 Vgl. Haider-Pregler: Schaubühne, S. 209 u. Kap. 7.1. 968 Martens: Botschaft, S. 53 behauptet hingegen, die Personen wären völlige Fiktion.

Von der moralischen Wochenschrift zur Realzeitung

189

Eheleben und die ledige Eleonore über Liebhaber und die Suche nach einem Bräutigam schreiben würde. Beiden sei es ein besonderes Vergnügen, entsprechende Zuschriften zu beantworten. Als Ziel Sonnenfels’ ist in diesem Periodikum der Wunsch erkennbar, eine bessere Bildung, Schriftsprache und moralische Erziehung der Frau in ihrem Lebensbereich zu ermöglichen, aber keineswegs die Stellung der Frau in der Gesellschaft zu verändern.969 Von zentraler Bedeutung war dafür die Ermunterung zur in seinem Sinne guten und geeigneten Lektüre, wenn auch daneben in fiktiven Zuschriften Fragen der Partnersuche und das Eheleben besprochen wurden. Gelegentlich wurde bei inhaltlichen Fragen auf den Mann ohne Vorurtheil verwiesen, der den angeblichen Verfasserinnen aber zu ernsthaft sei. Die Wochenschrift hatte, wie in ihrer Einleitung angekündigt worden war, eine Laufzeit von sechs Monaten und wurde zwei Jahre später nachgedruckt.970 Der Anschein einer weiblichen Verfasserschaft wird dabei konsequent beibehalten und Sonnenfels schrieb diesbezüglich in einem Brief: vielleicht habe ich den Beifall, mit welchem diese [Zeitschrift] aufgenommen, größtentheils dieser Einkleidung zu verdanken.971 In seiner Korrespondenz mit dem Geheimrat Klotz gibt er darüber hinaus an, alleiniger Verfasser zu sein und die Erlaubnis seiner Frau und Schwägerin zu haben, unter ihrem Namen ihrem Geschlechte Wahrheiten zu sagen und Erinnerungen zu machen, die es vielleicht lieber aus dem Munde seiner Gespielinnen hören würde.972 Eine festere Bindung an die Leserschaft und ein besserer Absatz waren demnach Motiv für das Pseudonym. Allerdings ist keineswegs ausgeschlossen, dass sich seine Ehefrau angesichts ihrer bereits erwähnten sozialen Verbindungen und von verschiedener Seite gelobten Intelligenz an der Entstehung der Wochenschrift beteiligte. Sonnenfels schrieb an den Geheimrat Klotz: Ich habe gleichwohl diese Blätter zu gleicher Zeit geschrieben, da ich noch wöchentlich zwey andere verfertigte, und mir bey meinen vielen Arbeiten für so ein Stück nur zwo Stunden übrig waren.973 Bei derartiger Belastung ist die Mitarbeit weiterer Personen wahrscheinlich, die einzugestehen aber Sonnenfels’ üblicher Selbstdarstellung widersprechen würde. Eine Beteiligung seiner Frau und seiner Schwägerin ist aber in den Quellen nicht zu belegen und bleibt daher eine Vermutung. Beim Publikum, das teilweise bereits das Pseudonym Mann ohne Vorurtheil durchschaut hatte, dürfte die Zuordnung dieser Schrift zu der 969 Freiberg: Journalismus, S. 86, zu Theresie und Eleonore S. 89–93. 970 Vgl. Rollet: Briefe, S. 40. 971 Kopetzky: Sonnenfels, S. 68 zit. einen Brief Sonnenfels’ an Ignaz von Born. 972 Ebd. 973 Brief Sonnenfels’ an Klotz vom 17. Dez. 1768, in: Rollet: Briefe, S 9–12, hier S. 9.

190

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

sozial sehr aktiven und bekannten Frau von Sonnenfels zum Erfolg des Periodikums beigetragen haben. Die Bedeutung der Namensgebung und fiktiven Verfasserschaft wird durch das Scheitern des nachfolgenden Periodikums Das weibliche Orakel unterstrichen.974 In dieser 1767 erschienenen Wochenschrift verzichtete Sonnenfels auf jede Personifikation und legte Wert auf moralisch-sittlichen Inhalt. Bezeichnenderweise wurde sie rasch eingestellt und nicht wieder aufgelegt. Ebenso wenig wurde sie, im Gegensatz zu ihrem Vorläufer, später in Sonnenfels’ Gesammelte Schriften aufgenommen. Das gleiche Schicksal teilten seine fachspezifischen Periodika, wie die Versuche in politischen und ökonomischen Ausarbeitungen zum Nutzen und Vergnügen.975 Hier wurden kurzzeitig prinzipielle Modernisierungsfragen, neue Maschinen und auch die Entwicklung von Landwirtschaft und Bevölkerung im ländlichen Niederösterreich thematisiert. Form und Inhalt dieses wissenschaftlichen Journals fanden aber keinen Anklang beim städtischen Wiener Publikum, das für den kommerziellen Erfolg einer Schrift entscheidend war.976 Das Scheitern der beiden letztgenannten Zeitschriften führte allerdings keineswegs zu einem Ende von Sonnenfels’ Autorentätigkeit. Sein letztes selbstverfasstes Periodikum, die Briefe über die wienerische Schaubühne, lief über zwei Jahre von 1767 bis 1769 und erlebte mehrere Neuauflagen und Nachdrucke.977 In Anlehnung an Lessings Hamburgische Dramaturgie schrieb er darin Rezensionen über Theateraufführungen in Wien und äußerte sich generell zur Entwicklung dieser Kunstform.978 Er plädierte im Sinne der inzwischen aufgelösten Deutschen Gesellschaft für eine regelmäßige Verwendung gehobener deutscher Sprache und angeblich typisch deutscher Eigenschaften der Charaktere, worunter er beispielsweise verstand,

974 Sonnenfels, Joseph von: Das weibliche Orakel, Wien 1767. 975 Sonnenfels, Joseph von: Versuche in politischen und ökonomischen Ausarbeitungen zum Nutzen und Vergnügen, Wien 1768. 976 Dennoch erhielt das Werk eine positive Rezension: Springer, J.: Sonnenfels, J.v.: Versuche in politischen und ökonomischen Ausarbeitungen zum Nutzen und Vergnügen. St. 1.: Rezension., in: Allgemeine deutsche Bibliothek, 9. Bd. 2. St 1769, S. 284–285. 977 Sonnenfels, Joseph von: Briefe über die Wienerische Schaubühne, Wien 1768. Eine überarbeitete Fassung folgte in: Sonnenfels: Gesammelte Schriften, Bd. 5 u. Bd. 6. Hier wird ein verbreiteter Ndr. der Originalauflage zit. (Wiener Neudrucke Bd. 7), Wien 1884. 978 Vgl. Lengauer, Hubert: Zur Stellung der „Briefe über die wienerische Schaubühne“ in der aufklärerischen Dramentheorie, in: Zeman, Herbert (Hg.): Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Graz 1979, S. 587–621, hier S. 587. Vorwort zu Sonnenfels: Schaubühne, S. VII. Zu Inhalt, Wirkung auf das Netzwerk und Reaktionen auf diese Wochenschrift siehe Kap. 7.1.

Von der moralischen Wochenschrift zur Realzeitung

191

die Diener stets dümmer als die Herren erscheinen zu lassen.979 Die gesellschaftliche Bedeutung des Theaters für Wien und die öffentliche Anteilnahme am Streit um die Konzeption zukünftiger Aufführungen sicherten dieser Schrift, deren Themen bereits in Klemms Patrioten und dem Mann ohne Vorurtheil behandelt wurden, eine lange Laufzeit. Die Arbeit daran erlaubte Sonnenfels zum einen, Verbindungen zur Theaterszene aufzubauen; zum anderen führten seine negativen Rezensionen und die Ablehnung des improvisierenden Volkstheaters auch zu öffentlichen Anfeindungen gegen ihn, welche das Interesse an der Wochenschrift wiederum steigerten. Er stellte das Periodikum ein, als durch die Entwicklung in der Theaterszene und seine Berufung zum Theaterzensor die praktische Umsetzung der von ihm geforderten Reformen möglich schien.980 Nach der Zeitschrift Briefe über die wienerische Schaubühne zog Sonnenfels sich als Autor vom Zeitschriftenmarkt zurück. Dafür gab es verschiedene Gründe. Zum einen hatte er in dem bereits erwähnten Schreiben an Klotz seinen immensen Arbeitsaufwand erwähnt, der sich ab 1770 durch die Übernahme zusätzlicher Aufgaben als niederösterreichischer Regierungsrat noch weiter erhöhte. Zum anderen folgte Anfang der siebziger Jahre eine Vielzahl neuer Autoren seinem Vorbild, so dass der Markt gesättigt war, während zugleich die Umsätze für moralische Schriften zurückgingen und die Nachfrage nach aktuellen und unterhaltenden Medien wuchs.981 Von da an blieb die über Jahre hinweg ausgearbeitete Monographie Sonnenfels’ bevorzugte Wirkungsform. Durch seine Tätigkeit als Autor moralischer Wochenschriften war er allerdings zu einer dem Wiener Lesepublikums allgemein bekannten Person geworden. Er hatte seine Kooperation mit reformorientierten Beamten wie van Swieten und Borié vertiefen und seine Ansichten unter deren Schutz außerhalb des Hörsaales bekannt machen können. Dadurch präsentierte er sich bereits den Zeitgenossen als zentrale Figur derjenigen Reformdiskurse, deren Summe als Aufklärung bezeichnet wurde. Durch das damit verbundene Ansehen boten sich Sonnenfels erweiterte Möglichkeiten der Interaktion mit anderen führenden Persönlichkeiten des in Kapitel sieben erörterten Reformgeschehens. Dies alles galt allerdings keineswegs nur für die von ihm selbst verfassten Wochenschriften, sondern auch für redaktionelle Arbeiten und kleinere Beiträge für Zeitschriftenprojekte, in die er seine umfangreiche Erfahrung als 979 Lengauer: Stellung, S. 603 u. Sonnenfels: Schaubühne, 30. Schreiben, Ndr. S. 183. 980 Siehe Kap. 7.1 981 Vgl. Winckler, Johann: Die periodische Presse Österreichs. Eine historisch-statistische Studie, Wien 1875, S. 35. Hier vollzog sich eine Entwicklung, die 1760 im protestantischen Reichsgebiet bereits abgeschlossen war, vgl. Martens: Botschaft, S. 3.

192

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

Schriftsteller einfließen lassen konnte. Als das bedeutendste unter seiner Mitarbeit erstellte Periodikum gilt die auflagenstarke Wiener Realzeitung der Wissenschaften, Künste und Commercien. Sie wurde ab 1770 zunächst mit einem Schwerpunkt auf Themen der Commercien von dem Unternehmer Jacob Bianchi in Kooperation mit Trattners Konkurrenten Joseph von Kurzböck (1736–1793) herausgegeben.982 Nachdem die Zeitschrift ab Mitte der siebziger Jahre stärker die Künste, speziell die Literatur, in den Mittelpunkt rückte, wurde sie überaus erfolgreich und setzte weit über 1.000 Exemplare an mehreren Orten der Habsburgermonarchie ab.983 Sonnenfels schrieb zunächst kurze Beiträge und arbeitete später eng mit den Herausgebern zusammen, so dass ihm 1777 zeitweise die redaktionelle Leitung übertragen wurde.984 Wie lange er diese Funktion ausübte ist zwar in der Forschung umstritten, doch zeigt sich anhand vieler Aspekte die andauernde enge Bindung zwischen ihm und der Zeitschrift.985 Die Mitarbeiter rekrutierten sich wie im Falle Ignaz de Lucas aus dem Kreis seiner ehemaligen Studenten oder wie im Falle Ignaz von Borns aus persönlichen Freunden. Diese Männer rezensierten seine Monographien und Vorlesungen überaus positiv und bezogen im Falle negativer Rezensionen Stellung zu seinen Gunsten.986 Sonnenfels ermutigte und unterstützte hier junge Talente wie den Exjesuiten und Dichter Aloys Blumauer (1755–1798), der später gemeinsam mit ihm und Born als Freimaurer tätig war und den aus Erlangen stammenden jungen Autor Johann Rautenstrauch (1746–1801).987 Anfang der achtziger Jahre übernahmen schließlich die Mitglieder der Freimaurerloge Zur wahren Eintracht, in der Born und Sonnenfels führende Positionen einnahmen, de facto die Redaktion der Realzeitung.988 Die Zeitschrift behandelte nun 982 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg, Edith: Die Wiener „Realzeitung“ als Kommunikationsmittel in der Habsburger Monarchie, in: Fried, Istvan, Lemberg, Hans u. Dies. (Hg.): Zeitschriften und Zeitungen des 18. und 19. Jahrhunderts in Mittel- und Osteuropa, Essen 1987, S. 117–138, hier S. 118–121. Vgl. auch Junaschek, Gudrun: Die publizistische Tätigkeit der Freimaurer zur Zeit Joseph II. in Wien, Wien 1964, S. 67–90. 983 Rosenstrauch-Königsberg: Realzeitung, S. 117. 984 Vgl. zur dementsprechenden Ankündigung in der Realzeitung Lindner: Sonnenfels, S. 144. 985 Ogris: Polizey, S. 284 geht von einer zehnjährigen Tätigkeit als leitender Redakteur aus. Rosenstrauch-Königsberg: Realzeitung, S. 122 sieht Sonnenfels hingegen nur für fünf Monate als Vertreter Bianchis in dieser Position. 986 Rosenstrauch-Königsberg: Realzeitung, S. 124–126. 987 Vgl. zur Übersicht Rosenstrauch-Königsberg: Freimaurerei, S. 14 u. 35; Hoffmann-Wellenhof, Paul von: Alois Blumauer. Literarhistorische Skizze aus dem Zeitalter der Aufklärung, Wien 1885 u. Eybl, Franz M., Frimmel, Johannes u. Kriegleder, Wynfried (Hg.): Aloys Blumauer und seine Zeit (Jahrbuch der österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Bd. 21), Bochum 2007. 988 Vgl. Strasser, Kurt: Die Wiener Presse in der josephinischen Zeit, Diss. Wien 1962, S. 73 u. Kap. 6.1.

Von der moralischen Wochenschrift zur Realzeitung

193

fast ausschließlich die literarische Entwicklung in der Habsburgermonarchie. Ihre Verfasser schrieben Rezensionen über die zahlreichen Neuerscheinungen, nutzten sie aber auch für reformorientierte Kritiken, unter anderem an der Kirche.989 Durch die zunehmende Nähe zu den Freimaurerlogen wurde sie trotz ihres Erfolges 1786 im Rahmen der Selbstauflösung zahlreicher Logen infolge des Freimaurerpatents Josephs II. eingestellt. Bei diesem Projekt genoss Sonnenfels wesentlich weniger öffentliche Aufmerksamkeit als bei seinen vorherigen Periodika. In Bezug auf die Entwicklung seiner sozialen Beziehungen allerdings erscheint die Arbeit in der Redaktion bedeutender, da er Kontakte zu anderen Mitarbeitern pflegen konnte und musste. Hier bestand eine Möglichkeit, Verbindungen zu Personen zu vertiefen, die erstens über einen gleichen oder sogar schwächeren politischen Einfluss verfügten; zweitens ähnliche Reformansichten vertraten; sich drittens in derselben Loge engagiert hatten und schließlich oftmals zusammen mit ihm in den Wiener Behörden tätig waren. Durch die Tätigkeit für die Realzeitung wurde Sonnenfels außerdem befähigt, Kontakt zu den jüngeren Schriftstellern des josephinischen Jahrzehnts zu halten und einen gewissen Einfluss auf ihre Entwicklung zu nehmen. Darin lagen auch Vorteile für ihn selbst, da er durch diese Seilschaften seinen Ruf als Autor verbessern konnte. Dies galt besonders, als er sich zur Zeit der josephinischen Broschürenflut eher zurückhielt und vornehmlich kleine Beiträge in außerösterreichischen Zeitschriften publizierte. Vor allem zwei Periodika nutzte Sonnenfels allein oder mit seinem Schüler Joseph Retzer mehrfach: Zum einen Christoph Martin Wielands (1733– 1813) Werk Neuer Teutscher Merkur. Der Merkur war ein besonders prestigeträchtiges Medium, da Wieland in Weimar mit Goethe, Schiller und Herder Umgang pflegte. Ein mögliches Bindeglied zu Sonnenfels stellte Wielands Schwiegersohn der Philosoph Carl Leonhard Reinhold (1757–1823) dar.990 Reinhold hatte in Wien einerseits als Schriftsteller Kontakt zu Sonnenfels und war andererseits ein Mitglied von dessen Freimaurerloge, bevor er 1783 nach Weimar ging und Mitarbeiter des Neuen Teutschen Merkur 989 Vgl. die Broschüre: Fast, Patricius: Vertheidigung des katholischen Unterrichtes in 10 Th. wider die hiesige Realzeitung Nr. 47 am 20. Wintermonats 1781 und die Antwort der Redakteure; Rautenstrauch, Johann: Schreiben der Verfasser der Realzeitung an den Verfasser des katholischen Unterrichtes, Wien 1782 u. Junaschek: Tätigkeit, S. 70–73 u. S. 74–78. 990 Vgl. Fuchs, Gerhard W.: Karl Leonhard Reinhold – Illuminat und Philosoph: Eine Studie über den Zusammenhang seines Engagements als Freimaurer und Illuminat mit seinem Leben und philosophischem Wirken (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850“ Bd. 16), Frankfurt a. M. 1994, zu seinen Verbindungen in Wien siehe S. 17–21.

194

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

wurde.991 An zweiter Stelle ist die Zeitschrift Deutsches Museum zu nennen, die in Leipzig von dem Schriftsteller und Übersetzer Heinrich Christian Boie (1744–1806) und dem preußischen Diplomaten Christian Konrad Wilhelm von Dohm (1751–1820) herausgegeben wurde.992 Eine persönliche Bekanntschaft ist hier nicht nachweisbar, wohl aber gemeinsame literarische und politische Ansichten, beispielsweise über Bevölkerungspolitik und Toleranz gegenüber der jüdischen Bevölkerung. 5.1.4 Sonnenfels und die Broschürenflut Unter der Alleinherrschaft Josephs II. wurden die Rahmenbedingungen für den literarischen Markt durch eine kaiserliche Zensurreform verändert, die eine wesentliche Lockerung des früher restriktiven Systems zur Folge hatte.993 Die sogenannte erweiterte Pressfreyheit ermöglichte nun Berichte über politische und gesellschaftliche Ereignisse sowie Kritiken, sofern sie namentlich gezeichnet waren und keine persönlichen Schmähungen darstellten. Eine drastische Ausweitung des Buchmarktes war die Folge, auf dem nun vermehrt unterhaltende und tagesaktuelle Schriften um die Gunst möglichst vieler Käufer warben.994 Der Markt begann, sich in ein kleines elitäres Segment und ein quantitativ größeres Unterhaltungssegment zu teilen.995 Schriften aus letzterem wurden vom Publikum meist durch gemeinsame und von Diskussionen begleitete Lektüre in Lesekabinetten und vor allem in 991 Zur Bedeutung der gemeinsamen maurerischen Aktivität, vgl. Kap. 6.2 992 Bruchmann, Karl: Dohm, Christian Wilhelm, in: NDB, Bd. 4, S. 42 f. u. Elschenbroich, Adalbert: Boie, Heinrich Christian, in: NDB, Bd. 2, S. 423 f. 993 Vgl. Bodi: Tauwetter, S. 44–57 u. Wolf, Norbert Christian: Der Raum der Literatur im Feld der Macht. Strukturwandel im theresianischen und josephinischen Zeitalter, in: Das 18. Jahrhundert und Österreich, Bd. 17, S. 45–70, hier S. 56 u. S. 61–63; Zur zeitgenössischen Reaktion vgl. Seidler: Buchmarkt, S. 40–44 u. Mitrofanov, Paul von: Joseph II. Seine politische und kulturelle Tätigkeit, 2 Bde. Wien und Leipzig 1910, S. 819–832. Anzumerken bleibt, dass diese Lockerung aufgrund der generellen Beibehaltung einer Zensur keineswegs eine tatsächliche Pressefreiheit darstellte. 994 Vgl. allgemein: Engelsing, Rolf: Die Perioden der Lesergeschichte in der Neuzeit. Das statistische Ausmaß und die soziokulturelle Bedeutung der Lektüre, in: Archiv für die Geschichte des Buchwesens, Bd. 10 1970, Sp. 977–997 u. Wittmann, Reinhard: Der gerechtfertigte Nachdrucker? Nachdruck und literarisches Leben im 18. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.): Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880, Tübingen 1982, S. 69–92, S. 89 u. für Wien Seidler: Buchmarkt, S. 34f. u. S. 37. 995 Vgl. Bürger, Christa: Literarischer Markt und Öffentlichkeit am Ausgang des 18. Jahrhunderts in Deutschland, in: Dies. u. Bürger, Peter u. Schulte-Sasse, Jochen (Hg.): Aufklärung und literarische Öffentlichkeit (Edition Suhrkamp 1040; Neue Folge 40), Frankfurt a.M. 1980, S. 162–185, hier S. 164–168 sowie S. 174–176.

Von der moralischen Wochenschrift zur Realzeitung

195

Kaffeehäusern wahrgenommen.996 Damit verbunden war die forcierte Verwendung der deutschen Sprache, wodurch die Absatzmöglichkeiten stiegen. Dies förderte wiederum eine zunehmende Ökonomisierung der literarischen Szene der Erblande und hatte zur Folge, dass immer mehr Personen versuchten, von der Schriftstellerei zu leben und somit ihre wirtschaftliche Existenz an die Höhe ihrer Auflage banden.997 In diesem Kontext ist das Aufkommen der in Wien neuen literarischen Gattung der Broschüre zu sehen, welche für die Zeit der erweiterten Pressfreyheit prägend war und bereits im vierten Kapitel kurz thematisiert wurde.998 Der Dichter Aloys Blumauer, der, gefördert von Sonnenfels, für die Realzeitung arbeitete, schrieb über sie: Die meisten von Ihnen erschienen blos des Geldes wegen, waren in einem Tage fertig, am zweyten gelesen, und am dritten vergessen.999 Tatsächlich behandelten diese Schriften auf wenigen Seiten aktuelle Themen in einfacher Sprache, wodurch sie relativ hohe Auflagen erreichten, aber sehr schnell veraltet waren. Die Autoren vertraten hier meist konsequent und möglichst provokant eine bestimmte Ansicht, die auch zur Unterhaltung des Publikums beitragen sollte. Die Themen waren daher primär nach dem vermuteten Publikumsinteresse ausgewählt und erörterten nicht ohne Ironie die erotischen Verwicklungen der Stubenmädchen oder die Farbe des Antichristen.1000 Wurde ein Thema populär, wie im Falle der neuen Begräbnisverordnung Josephs II., so folgten rasch Dutzende von Broschüren, in denen Autoren ihre oft gegenteiligen Ansichten marktorientiert vertraten. Debatten in den Kurzschriften waren die Folge, in denen sich Argument und Gegenargument, gespickt mit publikumswirksamen Beleidigungen, abwechselten.1001 Die Produktion weitete sich angesichts des Erfolges der Broschüren rapide aus und umfasste Mitte der achtziger Jahre bis zu 65 Neuerscheinungen pro Woche, die von immer neuen Autoren und Verlegern erstellt wurden.1002 Damit erreichte die Ökonomisierung des literarischen Marktes ihren bisherigen Höhepunkt und neue Literatur galt nun primär als Ware.1003 Hier stellt sich die Frage, wie Sonnenfels und die mit  996 Vgl. Bodi: Tauwetter, S. 72–75.  997 Vgl. Seidler: Buchmarkt, S. 44–51 u. Bodi: Tauwetter, S. 164–178.  998 Vgl. Bodi: Tauwetter, S. 164–178; Jakob: Folianten, S. 15–26 u. S. 44, Strasser: Presse, S. 82–85.  999 Seidler: Buchmarkt, S. 44. 1000 Vgl. Wernigg, Ferdinand: Bibliographie österreichischer Drucke während der „erweiter­ ten Pressfreiheit“ 1781–1795 (Veröffentlichungen aus der Wiener Stadtbibliothek 4. Folge), Wien u. München 1973. 1001 Vgl. Kap. 4.1.4. 1002 Vgl. Seidler: Buchmarkt, S. 45f.; Jakob: Folianten, S. 123. Tschurtschentaler: Publizistik, S. 21 geht sogar von bis zu 20 Broschüren pro Tag aus. 1003 Seidler: Buchmarkt, S. 49–51.

196

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

ihm bekannten Autoren auf die Umwälzung der ihnen vertrauten Ordnung reagierten. Der für die Erstellung der Realzeitung immer bedeutendere Blumauer äußerte sich übereinstimmend mit anderen Rezensenten kritisch über das neue Genre und verglich in seinen Schriften die Entwicklung des Marktes mit Naturkatastrophen wie Fluten oder Heuschreckenschwärmen.1004 Diese Kritik verweist darauf, dass die Broschüren und viele ihrer Autoren in den Kreisen der etablierten Schriftsteller einen schlechten Ruf hatten, obgleich manche Schriftsteller Broschüren auch nutzten, um die josephinische Reformpolitik zu verteidigen, Missstände anzuprangern oder um modernes Wissen und Poesie zu verbreiten.1005 Außer den Broschüren stand ihnen aber auch das Medium der Zeitschrift zur Verfügung. Neben der bereits erwähnten Realzeitung spielte besonders der von Blumauer ab 1783 herausgegebene Wiener Musenalmanach eine wichtige Rolle. An ihm beteiligten sich junge Autoren wie Franz Joseph Ratschky (1757–1810) und der Hofbibliothekar Gottlieb Leon (1757–1832) ebenso wie der erfahrene Hofrat Franz Salesius von Greiner (1732–1798).1006 Auch Sonnenfels, der seinen früheren Mitarbeiter weiterhin förderte und ihm 1780 vermutlich zu einer Anstellung bei der Hofbibliothek verholfen hatte, steuerte kleinere Beiträge bei.1007 An der sogenannten Broschürenflut nahm er selbst hingegen nur wenig Anteil, obwohl er nun eine Gelegenheit gehabt hätte, seine in den Wochenschriften vertretenen Ansichten einem noch größeren Publikum gewinnbringend mitzuteilen und sein Talent als Autor finanziell zu nutzen.1008 Er schien im Gegenteil stärker bemüht, kleinere Beiträge in außerösterrei­ chischen Zeitschriften zu lancieren und nicht in dem geschilderten Wiener Kontext in Erscheinung zu treten, wenn er beispielsweise auch Ausnahmen für Preisaufgaben machte.1009 Es waren vermutlich der schlechte Ruf der Broschüren und die mangelnde Sachlichkeit der Debatten, die seine Konzentration auf wissenschaftliche Monographien begründeten.

1004 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Literatur, S. 306f. u. Jakob: Folianten, S. 65 u. S. 165–193. 1005 Zu ihnen gehörten primär die mit Sonnenfels bekannten Blumauer, Rautenstrauch und Alxinger, für weitere vgl. Wolf: Raum, S. 68 u. Hoffmann-Wellenhof: Blumauer, S. 9. Zur Rolle der Broschüren als Medien der Aufklärung vgl. Jakob: Folianten, S. 162, S. 169 u. S. 233f. 1006 Vgl. Hoffmann-Wellenhof: Blumauer, S. 28–30, zuvor ab 1777 als Wienerischer Musenalmanach unter wechselnden Herausgebern erschienen. 1007 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Freimaurerei, S. 14 u. spez. S. 35 zur Anstellung. 1008 Ein Beispiel wäre: Sonnenfels: Ankunft. 1009 Vgl. Kap. 7.6.2.

Von der moralischen Wochenschrift zur Realzeitung

197

Dies wird nicht nur durch sein ähnliches Verhalten in den akademischen Fehden, sondern auch durch zwei Äußerungen von ihm unterstrichen: Zum einen sein Resümee über die Literatur der achtziger Jahre: In diesen Zeiten, wo periodische Schriften und Journale, Archive der Schmähsucht und der ärgerlichsten Anekdoten geworden.1010 Zum anderen sein Kommentar zu seinem Rückzug als Schriftsteller in Schlözers Stats-Anzeigen vom 16. März 1787: Die Zeit, da die Gattung von Oeffentlichkeit, die mir Umstände und StandOrt verschaffen konnten, für mich einigen Reiz hatte, ist vorüber.1011 So trat Sonnenfels während der Broschürenflut meist nur als Referenz in Debatten auf, die von Kritikern und Schülern seiner Lehrsätze geführt wurden. Darin spiegelt sich auch ein Generationswechsel in der literarischen Szene Wiens wider, da die neuen Rahmenbedingungen auch neue Autoren auf den Plan riefen. Der erfahrene Sonnenfels blieb allerdings als akademischer Schriftsteller aktiv und begleitete in seinen Schriften die Reformen, an deren Umsetzung er als niederösterreichischer Regierungsrat und nach 1780 als Hofrat der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei beteiligt war. 5.1.5 Pränumerantenlisten – Ein Hinweis auf Sonnenfels’ Leserschaft? Von 1783 bis 1787 erschien im Verlagshaus Josef Baumeister eine Sammlung der bisherigen Schriften von Sonnenfels in zehn Bänden, die nach Angaben des Herausgebers durch den Autor selbst zusammengestellt wurde.1012 Der Vertraute, der Mann ohne Vorurtheil, Theresie und Eleonore, sowie die Briefe über die Wienerische Schaubühne wurden in voller Länge mit kleineren Überarbeitungen neu aufgelegt und füllten, mit neuen Vorworten versehen, sechs Bände. Die folgenden Teile waren mit kleineren Schriften und zahlreichen Reden gefüllt, wobei nur zwei der Bände kurze Abhandlungen aus dem Bereich der Polizey- und Kameralwissenschaft enthalten.1013 Die gesammelten Werke konnten bereits vor Erscheinen des ersten Bandes durch Pränumeration im Voraus erworben werden.1014 Bei diesem Verfahren bezahlten Interessenten noch vor dem Druck den Kaufpreis und erhielten 1010 Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 6, Vorwort S. I. 1011 Sonnenfels, Joseph von: Aus Wien: Beförderung der Lüderlichkeit hemmt die Bevölkerung, in: Stats-Anzeigen, Bd. 10 Heft 38 1787, S. 254–259, hier S. 255. 1012 Sonnenfels: Gesammelte Schriften u. Baumeister, J. v.: Ankündigung sämtlicher Werke des Herrn Hofraths von Sonnenfels, in: Deutsches Museum, Bd. 1 1783, S. 96. 1013 Eine Übersicht darüber bietet Kopetzky: Sonnenfels, S. 297–303. 1014 Zum Prinzip der Pränumeration, auch in Abgrenzung von der Subskription vgl. Wittmann, Reinhard: Subskribenten- und Pränumerantenverzeichnisse als Quellen zur Lesergeschichte, in: Ders.: Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880, Tübingen 1982, S. 46–68, hier S. 53f.

198

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

die Bände, deren Inhalt ihnen nur kurz angegeben wurde, nach Erscheinen. Im zweiten Band ist eine Liste der Pränumeranten bis zum 20. Juni 1783 gegeben, welche als möglicher Hinweis auf Sonnenfels’ Leserschaft dienen könnte.1015 Die Käufer werden hier mit Namen, oftmals mit Beruf und im Falle einer Adresse außerhalb Wiens mit Ort der Pränumeration angegeben. Die Liste umfasst 632 Namen und 40 ungenannte Personen.1016 Bei der regionalen Verteilung ist zu beobachten, dass es sich um eine weitgehend lokal gebundene Pränumeration handelte, denn nur für ca. 10 Prozent der Personen ist ein Wohnort außerhalb Wiens angegeben. Die Hälfte von diesen war in Prag ansässig, die übrigen lebten, von Einzelpersonen abgesehen, in Cölln [ein Teil Berlins], Laybach [Ljubljana], Linz und Pressburg [Bratislava]. Die soziale Streuung, soweit sie sich anhand der angegebenen Berufe und Adelstitel erkennen lässt, zeigt eine rege Beteiligung des Adels, der ca. 18 Prozent der Pränumeranten ausmachte. Die Mehrheit davon waren Freiherren und Barone, die wie Sonnenfels in gehobenen Positionen in den Zentralbehörden der Monarchie tätig waren und oftmals zu seinen Kollegen zählten. Aber auch Angehörige des hofnahen Adels, zum Beispiel die Familien Blümegen, Chotek, Clary, Dietrichstein, Khevenhüller, Pallfy und Thun finden sich, oftmals mit mehreren Nennungen, auf der Liste. Der größte Teil der weiblichen Pränumeranten, die ca. 4 Prozent umfassen, gehört dazu. Die verbleibenden 82 Prozent der Käufer waren größtenteils Verwaltungsbeamte, allerdings im Range von Adjunkten und Sekretären. Auch Advokaten, Räte in untergeordneten Behörden, Doktoren der Medizin, Kaufleute und Priester erscheinen hier. Schließlich beteiligten sich auch Professoren verschiedener Universitäten und Gymnasien der Monarchie, beispielsweise in Prag, Graz und Linz, wo auch Bibliotheken die Gesammelten Schriften zum Gebrauch in der universitären Lehre erwarben. Bei mehreren Personen lassen sich Verbindungen zu Sonnenfels durch frühere oder Mitte der achtziger Jahre noch andauernde gemeinsame Aktivitäten nachweisen. So finden sich neben seinen Kollegen auch ehemalige Angehörige der Deutschen Gesellschaft zu Wien und Personen, die mit Sonnenfels in Salons zusammenkamen oder die zur Loge zur wahren Eintracht gehörten.1017 Die Liste der Pränumeranten zeigt, dass die Gesammelten Schriften von einem gehobenen, sozial gemischten, aber lokal weitgehend an Wien gebun1015 Sonnenfels: Gesammelte Schriften, Bd. 2, S. 371–388. 1016 Vgl. die Erwähnung bei Osterloh: Reformbewegung, S. 126 mit einer knappen Namensauswahl. 1017 Vgl. Kap. 6.

Der Streit der Schriftsteller Christian Adolf Klotz und Gotthold Ephraim Lessing

199

denem Publikum geordert wurden. Zu ihrer Bedeutung als Quelle zur Leserschaft dieser Werke sei allerdings Folgendes angemerkt:1018 Erstens gibt diese Liste einen sehr frühen Stand der Pränumerationen wieder, da sie bereits vier Jahre vor dem Erscheinen des letzten Bandes erstellt wurde. Nicht nur spätere Pränumeranten, sondern vor allem Käufer in Buchhandlungen wurden dabei nicht erfasst. Zweitens war es nur einem relativ wohlhabenden Kundenkreis möglich, den Preis für alle zehn Bände auf einmal zu entrichten. Drittens bedeutet der Erwerb von Schriften, gerade durch vermögende Personen, die umfangreiche Hausbibliotheken besaßen, keineswegs, dass diese auch wirklich gelesen wurden. Viertens konnten die Vorbestellung der Werke eines bekannten und angesehenen Autors und das Erscheinen in einer entsprechenden Liste auch als Teil der Selbstdarstellung dienen. Schließlich spielte möglicherweise für Bekannte und Vorgesetzte Sonnenfels’ auch der Wunsch eine Rolle, gewissermaßen als Mäzen den Autor zu unterstützen; lesen mussten sie sein Werk dafür nicht. Trotz dieser Einschränkungen, welche die untersuchte Liste als Hinweis auf die Leserschaft zweifelhaft erscheinen lassen, zeigt sie, welches Ansehen Sonnenfels als nichtwissenschaftlicher Autor erlangt hatte. Angehörige des Hochadels und einflussreiche Beamte waren bereit, öffentlich als seine Leser und Förderer in Erscheinung zu treten. Auch seine Stellung im Kollegenkreis bekommt durch deren Nennung in der Liste eine positive Gewichtung. Die Tatsache, dass viele rangniedere Beamte, die unter Verwendung seiner Lehrbücher ausgebildet wurden, die Vorauszahlung für alle zehn Bände leisteten, unterstreicht das Ansehen, dass seine Arbeit genoss. Insgesamt scheint die Liste daher eher ein Indiz für Ruf und Stellung des Verfassers zu sein als ein Hinweis auf seine Leserschaft.

5.2 Der Streit der Schriftsteller Christian Adolf Klotz und Gotthold Ephraim Lessing – Ein Beispiel für die Beziehung zu anderen Autoren Die Karriere Sonnenfels’ als Schriftsteller war, wie bereits auf Wien bezogen deutlich wurde, durch seine Beziehungen zu anderen Autoren wesentlich geprägt, die als Konkurrenten oder Unterstützer fungierten. Ein aufgrund seiner Intensität herausragendes Beispiel für eine solche Verbindung über den Wiener Wirkungskreis hinaus ist Sonnenfels’ Kontakt zum Halleschen Professor für Beredsamkeit Christian Adolf Klotz (1738–1771).1019 Am Fall 1018 Vgl. zu Pränumerantenlisten als Quellen: Wittmann: Subskribenten, S. 46–68. 1019 Übersicht bei Rollet: Briefe, S. IV-XX. Klotz war zu diesem Zeitpunkt seit zwei Jahren

200

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

Klotz lassen sich sowohl eine grenzübergreifende Beziehung wechselseitigen Nutzens als auch der Verlauf eines literarischen Konfliktes und dessen ­soziale Folgen zeigen. Als Sonnenfels vier Jahre im Lehramt war, unternahm er 1767, während in Wien sein Mann ohne Vorurtheil erschien, eine Reise nach Leipzig, der damals bedeutendsten Stadt für den deutschen Buchhandel. Dort lernte er unter anderem Klotz und dessen Bekannten, den Erfurter Professor Friedrich Justus Riedel (1742–1785) kennen.1020 Aus diesem persönlichen Kontakt erwuchsen in den folgenden Jahren ein Briefwechsel und ein regelmäßiger Austausch von Neuerscheinungen und Ratschlägen zur Verbesserung zukünftiger Projekte. Klotz war zu dieser Zeit ein im deutschsprachigen Raum bekannter und angesehener Gelehrter, der als Experte für Altertumskunde, Mineralogie und Literatur sowie als Rezensent hohes Ansehen genoss.1021 Dieser Rang bot Sonnenfels einen Grund, um mit der Bitte um Rat und Rezensionen an ihn heranzutreten. Die Folge war ein Briefwechsel, in dem der Wiener Professor mehrfach seine Freundschaft und Dankbarkeit zum Ausdruck brachte.1022 Außerdem versäumte er nicht, seine eigenen Leistungen zu betonen und beispielsweise seine Auseinandersetzungen mit der Zensur in dramatischen Worten zu schildern: O mein theurer Freund, wie viel waget ein Mann nicht, in einem Lande zu denken, wo es Kriegsheere von Leuten gibt, denen daran liegt, dass die Vernunft nirgend einen Strahl ihres Lichtes senden möge, bei dem man etwan die Hässlichkeit dieser Niederträchtigen in wahrer Gestalt erblicken möchte. Nicht bloß als Schriftsteller, auch als Lehrer habe ich manche Verfolgung erlitten; und es reuet mich nicht.1023 Vor dem Hintergrund überwunder Widerstände zeichnet Sonnenfels daraufhin für Klotz das bekannte Bild seiner selbst als bedeutendsten Vertreter der österreichischen Aufklärungsbewegung. Aus den Quellen ist nicht zu ermitteln, wie Klotz auf die Ausführungen reagierte, aber es lässt sich eine zunehmend persönliche Prägung der Korrespondenz erkennen, die sich auf Bemerkungen über die Ehefrauen, die Kinder und auf die Planung gegenseitiger Besuche erstreckt.1024 Professor in Halle. Er hatte vorher kurzzeitig bereits eine Professur für Philosophie in Göttingen inne, vgl. Rollet: Briefe, S. III–V. 1020 Kopetzky: Sonnenfels, S. 197 u. Baum, Wilhelm: Der Josefinismus im Spiegel der Kritik Lessings, Wielands und Herders, in: Ders., Benedikt, Michael u. Knoll, Reinhold (Hg.): Verdrängter Humanismus – verzögerte Aufklärung. Österreichische Philosophie zur Zeit der Revolution und Restauration, Wien 1992, S. 615–656, hier S. 624. 1021 Lindner: Sonnenfels, S. 111 sowie Freiberg: Journalismus, S. 48f. 1022 Vgl. Rollet: Briefe, insg. 1023 Brief an Klotz vom 25. Okt. 1768, in: Rollet: Briefe, S. 3. 1024 So forderte Klotz’ Frau eine Beschreibung von Sonnenfels und seiner Gattin, die sich

Der Streit der Schriftsteller Christian Adolf Klotz und Gotthold Ephraim Lessing

201

Klotz nutzte seine Stellung als Herausgeber der Deutschen Bibliothek sowie seine Kontakte zu den von Riedel herausgegebenen Erfurter Gelehrten Nachrichten nun für Sonnenfels. Beide Periodika wurden so, wie Lessing kritisch bemerkte, zur Posaune des Herrn Sonnenfels.1025 Dort erschienen positive Rezensionen seiner Werke und Ankündigungen neuer Vorlesungen und Projekte, während seine Konkurrenten, wie Klemm, der genannte frühere Herausgeber der Welt und des Österreichischen Patrioten, mit Kritik bedacht wurden.1026 Dass derartige Bewertungen keineswegs auf fachlichen Gründen basierten, wird deutlich, als Sonnenfels im März 1770 eine baldige negative Äußerung des Berliner Rezensenten Friedrich Nicolai über seine Person vermutet.1027 Er berichtet Klotz, dass er in Riedels Zeitschrift positive Bemerkungen über seine Stellung in Wien und sein Verhältnis zum Kaiser lancieren möchte. Zugleich erläutert er, dass er dies nicht in Klotz’ Deutscher Bibliothek tun wolle, um Nicolai nicht gegen ihn aufzubringen. Wichtig ist hierbei, dass die generelle Möglichkeit, Nachrichten durch Klotz verbreiten zu lassen, überhaupt nicht in Frage gestellt wird. Somit erscheint die Anerkennung anderer Schriftsteller für Sonnenfels’ literarische Arbeit außerhalb der Erblande wie auch in Wien zu einem nicht unerheblichen Teil auf der Nutzung seiner sozialen Netzwerke zu basieren, wie sich auch in anderen Fällen zeigt. Ein Beispiel hierfür sind die negativen Rezensionen für die Werke Heufelds und Klemms, die Sonnenfels, wie sein Bekannter Tobias von Gebler es formuliert, in verbündete Journale hat eindrucken lassen. 1028 Sonnenfels revanchierte sich für Klotz’ Unterstützung mit Dankesworten und arrangierte dessen Ernennung zum Ehrenmitglied der Akademie der bildenden Künste. Außerdem bot er Klotz an, für ihn eine Reise nach Wien mit Besichtigung von böhmischen Bergwerken und einer Audienz beim Kaiser zu organisieren.1029 Doch die Beziehung beider Männer hatte nicht nur positive Auswirkungen. Klotz hatte sich bereits im Laufe der sechziger Jahre mehrmals in Rezensionen und Anmerkungen kritisch über den damals noch in Hamburg tätigen Gotthold Ephraim Lessing geäußert.1030 Die Meinungsverschiedendaraufhin wechselseitig in bestem Licht beschrieben, vgl. Brief vom 21. Jan. 1769, in: Rollet, Briefe, S. 15–21. 1025 Brief Lessings an Eva König vom 29. Nov. 1770, in: Schulz: Madam, S. 38; vgl. HaiderPregler: Abendschule, S. 342. 1026 Vgl. Freiberg: Journalismus, S. 45–48. 1027 Vgl. Brief an Klotz vom 9. März 1770, in: Rollet: Briefe, S. 33f. 1028 Vgl. Brief von Gebler an Nicolai vom 12. Feb. 1775, in: Werner: Briefwechsel, S. 29. 1029 Brief vom 24. Juli 1769, in: Rollet: Briefe, S. 26. 1030 Zum Konflikt Lessing-Klotz vgl. Nisbet, Hugh Barr: Lessing. Eine Biographie, München 2008, S. 541–554 u. Rollet: Briefe, S. VII-VIII.

202

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

heiten eskalierten, als er in seiner Abhandlung Ueber den Nutzen und Gebrauch der alten geschliffenen Steine und ihrer Abdrucke Lessing kritisierte und ihm bezüglich des Altertums fachliche Fähigkeiten absprach.1031 Sonnenfels schrieb darüber am 30. November 1768 an Klotz: Ich weiß etwas von dem Unterschiede ihrer Meinungen […] aber wer hätte glauben sollen, dass es zu einem öffentlichen Bruche hätte kommen sollen. Ich weiß nicht, mit welchen Waffen von beyden Seiten gekämpft wird: Ansehen, Geist und Feuer ist auf beyden Seiten.1032 Scheint diese Wortwahl noch eine neutrale Haltung anzudeuten, so beendet er den Brief mit dem Hinweis, Klotz zur Seite stehen zu wollen: Beehren sie mich mit ihrer Zuschrift, mit ihren Befehlen.1033 Klotz nutzte dieses Angebot vorerst nicht. Sonnenfels wiederum zeigte seine Sympathie öffentlich und widmete ihm den letzten Band seiner Briefe über die Wienerische Schaubühne, den er in Form eines offenen Briefes gestaltete, in dem er seine eigenen Verdienste und seine Freundschaft zu Klotz betonte.1034 Lessing reagierte auf Klotz’ Kritik mit seinen Briefen antiquarischen Inhalts und stellte dessen Kompetenz und Charakter in Frage.1035 Sonnenfels riet Klotz daraufhin, die Sache auf sich beruhen zu lassen.1036 Er schrieb: Sie haben einen Ruhm zu verliehren; und das haben ihre Gegner nicht. Lessing allein ist ein Mann, der um die Literatur verdient ist, aber Lessing hat nicht den Ruhm der vielleicht noch wesentlicher ist, den Ruhm eines so guten Mannes.1037 Ihm war bewusst, dass eine öffentliche Verbreitung dieser Aussage, wie sie bei Briefwechseln zwischen Gelehrten öfter vorkam, von Seiten Lessings überaus nachteilig aufgenommen werden würde. Daher setzte er hinzu: Dieses Wort sey unter uns beyden auf unsere wechselseitige Ehre verschlossen, ein Zeichen meines Zutrauens gegen Sie.1038 Klotz entsprach dieser Aufforderung und erwähnte bis zu seinem überraschenden Tode im Jahr 1771 nichts davon.1039 Die Beziehung beider Männer blieb allerdings auch darüber hinaus folgenschwer für Sonnenfels. Obwohl er nicht öffentlich gegen Lessing in Erscheinung getreten war, bestand zwischen ihnen aus verschiedenen Gründen kein gutes Verhältnis, 1031 Klotz, Christian Adolf: Ueber den Nutzen und Gebrauch der alten geschliffenen Steine und ihrer Abdrucke, Altenburg 1768. Streitpunkt war die Frage, ob in der Antike Furien abgebildet wurden, was Lessing verneinte und Klotz bejahte. 1032 Rollet: Briefe, S. VIII. 1033 Ebd. 1034 Sonnenfels: Schaubühne, S. 55. Schreiben Ndr. S. 331–346, vgl. Vorwort S. VII. 1035 Lessing, Gotthold Ephraim: Briefe antiquarischen Inhalts, Berlin 1768. 1036 Brief vom 24. Juli 1769, in: Rollet: Briefe, S. 25. 1037 Ebd. 1038 Ebd. 1039 Brief vom 3. Sept. 1769, in: Rollet: Briefe, S. 28.

Der Streit der Schriftsteller Christian Adolf Klotz und Gotthold Ephraim Lessing

203

obgleich sie einander in ihren Reformideen für das Theater durchaus nahe­ standen.1040 Dafür zeigen sich verschiedene Hinweise in Lessings Briefwechsel mit Eva König, seiner zeitweise in Wien wohnhaften zukünftigen Frau. Zum einen hatte Sonnenfels eine frühere Korrespondenz abgebrochen, als Lessing ihm Vorwürfe über die österreichische Zensur gemacht hatte, die er auf seine Person bezog.1041 Zum anderen gab es mehrere gescheiterte Versuche einflussreicher Persönlichkeiten, wie Staatsrat Tobias von Gebler, Lessing zu einer Anstellung in Wien im Rahmen einer neuen Akademie der Wissenschaften zu verhelfen.1042 Eva König, die zunächst positiv über Sonnenfels berichtet hatte und – wie erwähnt – vor allem mit dessen Frau Umgang pflegte, schrieb an Lessing, sie habe gehört, dass Sonnenfels für das Scheitern verantwortlich sei.1043 Lessing vertraute offenbar dieser Auskunft, während in der Forschung umstritten ist, ob Sonnenfels tatsächlich gegen dessen Anstellung in Wien vorging oder es aber nur unterließ sich für ihn einzusetzen.1044 Es bleibt zu vermuten, dass es ihm ohnehin recht war, dass kein berühmterer Autor und damit potentieller Konkurrent in Wien wohnhaft wurde.1045 Lessing sprach sich schließlich in seiner Korrespondenz dagegen aus, seine berufliche Zukunft in Wien zu suchen. Einerseits weil Sonnenfels dort eine starke Stellung besaß und andererseits weil Konflikte mit der Zensur ihm ein schlechtes Bild von der österreichischen Literatur vermittelt hatten. Seine negative Haltung verstärkte sich noch, als sein ehemals mit Klotz verbündeter Gegner Riedel nach Wien an die Akademie der bildenden Künste berufen wurde, worin Eva König abermals das Wirken Sonnenfels’ sah.1046 1040 Lessings Brief an Eva König vom 25. Okt. 1770, in: Schulz: Madam, S. 34f. 1041 Müller: Sonnenfels S. 89f. 1042 Lessing an Eva König am 11. Dez. 1771, in: Schulz: Madam, S. 127. vgl. Nisbet: Lessing, S. 583–585. 1043 Zur positiven Haltung Eva Königs: Brief vom 5. Okt. 1770, in: Schulz: Madam, S. 30 u. Brief vom 1. Jan. 1771, in: ebd. S. 46. Die Nachricht übermittelte König an Lessing am 14. Jan. 1772, Lessings Reaktion erfolgte im Brief an Eva König vom 9. Jan. 1772. Als Quelle der Information kommt der mit Eva König bekannte Staatsrat Tobias Gebler in Frage, der diesbezüglich am 15. Juli 1775 an Friedrich Nicolai schrieb, Werner: Briefwechsel, S. 67f. Kann: Kanzel, S. 237–240 zieht die Schlussfolgerung Eva Königs aufgrund ihres angeblich unseriösen Charakters in Zweifel. 1044 Gegen eine aktive Rolle Sonnenfels’: Müller: Sonnenfels, S. 82–101; dafür: Baum: Josefinismus, S. 619–648, spez. S. 619f., 624 u. 633. 1045 Baum: Josefinismus, S. 641. 1046 Ebd., S. 629 u. Pawel: Reformen, S. 35; vgl. den Brief Eva Königs an Lessing am 3. Jan. 1772, in: Schulz: Madam, S. 128. Sie korrigierte ihre Vermutung aber später und sah Sonnenfels nur noch als einen von mehreren Unterstützern: 25. Mai 1772, S. 178.

204

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

Allerdings schrieb Sie Anfang der siebziger Jahre, dass Sonnenfels in Wien sowohl an öffentlicher Anerkennung als auch an Einfluss verloren habe.1047 Diese Einschätzung wird dadurch bestätigt, dass seine Bestrebungen als Zensor des Wiener Theaters scheiterten und er durch die Versetzung des Staatsrats Borié nach Regensburg und den Tod Gerhard van Swietens zwei seiner wichtigsten Gönner und Förderer verlor.1048 Zu diesem Zeitpunkt, als Sonnenfels’ Verhältnis zu Lessing angespannt war und sein Stern in Wien zu sinken schien, gab die Witwe des Professors Klotz ohne Rücksprache mit dessen Korrespondenten den Briefwechsel ihres Mannes in Druck.1049 Sonnenfels’ verherrlichende Schilderungen seiner selbst, seine Aussagen über Lessing, seine Methoden zum Erhalt positiver Rezensionen und seine Bemerkungen über Wiener Schauspieler wurden nun unerwartet publik. Ermöglicht wurde das Erscheinen der Briefe durch eine Ausnahmegenehmigung der Zensurbehörde, die ein bisheriger Förderer Sonnenfels’, der Staatsrat Tobias von Gebler, erwirkt hatte.1050 Über dessen Lieblingsschauspielerin und Geliebte namens Teutscher hatte Sonnenfels in den Briefen geschrieben:1051 Diese Teutscherin ist gleichfalls ein Mädchen […] mit der unangenehmsten und unverständlichsten Stimme von der Welt, einer unverständlichen Aussprache, ohne Einsicht, mit gezwungenen Gebehrden.1052 Diese Kritik hielt Gebler zu Sonnenfels’ Schaden nicht geheim, sondern ließ sie gemeinsam mit anderen strittigen Ausführungen veröffentlichen. Dazu gehörten beispielsweise Bemerkungen über die Wiener Geistlichkeit: die gezüchtigten Thoren werfen immer mit Steinen nach ihren Zuchtmeistern,1053 und die Einschätzung von Sonnenfels’ Verhältnis zum Adel durch seine Frau: denn der Adel hat wohl keinen ärgern Feind als ihn.1054 Eva König berichtet, dass zunächst nur zwei Exemplare des Buches in Umlauf waren, von denen eines bei der Kaiserin verblieb, das andere aber rasch herumgereicht wurde.1055 Weitere Exemplare seien bald bestellt worden, davon alleine dreißig vom Erzbischof Migazzi, der beabsichtigte, sie in Wien zu verteilen. Die Briefe seien schnell Stadtgespräch geworden und hät1047 Eva König an Lessing am 14. Okt. 1770, in: ebd., S. 31. 1048 Eva König an Lessing am 19. Dez. 1770, S. 43f. u. Brief vom 26. Jan. 1771, in: ebd., S. 55. Vgl. zu Sonnenfels Bestrebungen zur Theaterreform Kap. 7.1. 1049 Hagen, J. A. von: Briefe Deutscher Gelehrter an den Geheimrat Klotz, Halle 1773, vgl. Haider-Pregler: Schaubühne, S. 240. 1050 Brief Eva Königs vom 5. Dez. 1772, in: Schulz: Madam, S. 210. 1051 Siehe für Geblers Haltung zu ihr: Brief Geblers an Friedrich Nicolai vom 13. Dez. 1773, in: Werner: Briefwechsel, S. 51. 1052 Brief vom 3. Sept. 1769, in: Rollet: Briefe, S.31. 1053 Brief vom 25. Okt. 1768, in: Ebd., S. 3–6. 1054 Brief vom 21. Jan. 1769, in: Ebd., S. 18. 1055 Eva König an Lessing am 5. Dez. 1772, in: Schulz: Madam, S. 209–211.

Der Streit der Schriftsteller Christian Adolf Klotz und Gotthold Ephraim Lessing

205

ten zahlreiche Personen gegen Sonnenfels aufgebracht oder sie über seine Selbstdarstellung spotten lassen. Bei einem Maskenball sei der Prediger der Niederländischen Gesandtschaft sogar als ein Briefträger verkleidet erschienen, auf dessen Tasche „Briefe von Sonnenfels an Klotz“ geschrieben war, womit er großes Gelächter geerntet habe.1056 Lessing reagierte zunächst empört und schrieb an Eva König, er plane einen öffentlichen Brief an Sonnenfels und fordere eine Erklärung, warum er weniger als Klotz den Ruf eines guten Mannes habe. Doch angesichts der ihm geschilderten Reaktionen in Wien beschloss er zunächst, die Affäre auf sich beruhen zu lassen: Sie haben mich mitleidig gegen ihn gemacht, ohne es zu wollen. Auf wen alle zuschlagen, der hat vor mir Friede.1057 Allerdings bat er Eva König, sich an Sonnenfels zu wenden und ihn zur Bescheidenheit zu ermahnen: was verschoben sei, sei darum nicht geschenkt.1058 Sonnenfels, der auf diese Weise geschont wurde, gelang es gemäß einem Bericht Geblers an Nicolai, von der Witwe Klotz weitere, noch nicht gedruckte Briefe zurückzufordern und somit zusätzlichen Schaden zu verhindern.1059 Die Affäre konnte so in den folgenden Monaten abklingen. In der Tat waren Sonnenfels’ Netzwerke in Wien derart vielschichtig, dass selbst der später als „klotzische Affäre“ bekannte Zwischenfall seine weitere Karriere kaum beeinträchtigte. Abgesehen von kurzzeitigem Spott, der aber nach einigen Jahren vom langfristigen Erfolg seiner Bücher und Wochenschriften völlig überlagert wurde, hatte er dadurch, vom Staatsrat Gebler abgesehen, kaum jemanden gegen sich aufgebracht, der nicht schon vorher versucht hätte, ihm zu schaden. Es scheint vielmehr, als ob gerade seine sozialen Beziehungen ermöglichten, den Schaden der Publikation zu mildern. Seine etablierten Seilschaften mit Studenten, Absolventen und Kollegen in den Behörden und an der Universität blieben nicht nur weitgehend unversehrt, sondern stützten seine Position, als er kurzfristig Zielscheibe von Scherzen und Spott wurde. Ob Sonnenfels’ Ansehen als Schriftsteller durch das Bekanntwerden seines Verhaltens, das er sicherlich nicht als einziger an den Tag legte, langfristig gelitten hat, lässt sich anhand der Quellen nicht ermitteln. Der Erfolg seiner Gesammelten Schriften und seiner späteren oft in mehrfachen Auflagen erschienenen fachbezogenen Publikationen spricht aber dagegen. Sein Verhältnis zu Lessing, das schon vorher getrübt war, wurde in der Folge von gegenseitiger Nichtbeachtung geprägt. Daher kam es auch bei einem 1056 Eva König an Lessing am 26. Jan. 1773, in: ebd., S. 216. 1057 Lessing an Eva König am 8. Jan. 1773, in: ebd., S. 213. 1058 Ebd. 1059 Brief von Gebler an Friedrich Nicolai vom 1. Mai 1773, in: Werner: Briefwechsel, S. 43f.

206

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

Wienbesuch des berühmten Autors im April 1775 zu keiner Begegnung der beiden.1060 Lessing wurde vom theaterbegeisterten Staatsrat Gebler in die Gesellschaft eingeführt, vom Theaterpublikum bejubelt und von verschiedenen Adelsfamilien zu Abendgesellschaften eingeladen, ohne in Kontakt mit Sonnenfels zu treten. Die hier ausführlich beschriebene Beziehung Sonnenfels’ zu Klotz und Lessing steht als besonders gut überliefertes Beispiel für die Vernetzung des Wiener Gelehrten in den Schriftstellerkreisen der sogenannten Aufklärungsbewegung. Allerdings muss an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass Sonnenfels auch über die Zeit seines Kontaktes zu Klotz hinaus mit anderen Autoren in Verbindung stand und mit Ihnen über seine Sicht auf die europäische Reformbewegung diskutierte. Ergänzend sei daher auf seine lang andauernde Beziehung zum Umfeld des Berliner Verlegers und Schriftstellers Friedrich Nicolai verwiesen, die bereits auf die Zeit der Deutschen Gesellschaft zu Wien zurückging. Sie wird im Jahr 1787 greifbar, als Sonnenfels eine Reise nach Berlin unternahm. Dort war er zu Gast im sogenannten Montagsklub, einer zu dieser Zeit formlosen wöchentlichen Versammlung von Männern, die sich der Aufklärungsbewegung verbunden fühlten.1061 Nach seiner Abreise widmete er Nicolai und den anderen Mitgliedern des Klubs eine Rede, in der er dazu aufrief, die Konkurrenz zwischen österreichischer und preußischer Aufklärung zu überwinden, um dem gemeinschaftlichen Vaterland zu dienen: Lassen Sie uns nicht Berlin, nicht Wien denken! Lassen Sie uns denken, dass wir Deutsche sind!1062 Über eine weitere Verbindung Sonnenfels’ zum Montagsklub und zur Reaktion auf seine schwärmerische Aufforderung, die gemeinschaftlichen Kräfte zu dem Ruhme und der Glückseligkeit Deutschlandes untrennbar zu vereinigen, liegen keine Quellen vor.1063 Es scheint daher, dass der freundschaftliche Umgang mit Mitgliedern des Klubs in ihm Hoffnungen weckte, die aufgrund der politischen Lage nach 1789 nicht verwirklicht werden konnten. 1060 Vgl. Nisbet: Lessing, S. 583–585 u. Flemming, Willi: Lessing in Wien und das Grundanliegen seines Wirkens, in: Festschrift für Eduard Castle zum achtzigsten Geburtstag, Wien 1955, S. 33–50, hier S. 44f. 1061 Vgl. zur Organisation des Montagsklubs und seinen Mitgliedern Panwitz, Sebastian: Die Berliner Vereine 1786–1815, in: „Berliner Klassik. Eine Großstadtkultur um 1800/Online-Dokumente“, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 2002, URL: http://www.berliner-klassik.de/ publikationen/ werkvertraege/ panwitz_vereine/ vereine. html [Zugriff am 26.10.09] u. Keeton, Kenneth: The Berliner Montagsklub – A center of German Enlightenment, in: The germanic review, Bd. 36 1961, S. 148–153. 1062 Sonnenfels, Josef von: An die Freunde des Montagsklubs zu Berlin, in: Berlinische Monatsschrift 1787, Teil 2, S. 350–356. 1063 Ebd., S. 356.

Die Netzwerke der Wiener Verleger – Konflikt und Kooperation

207

5.3 Die Netzwerke der Wiener Verleger – Konflikt und ­Kooperation Zum Verständnis von Sonnenfels’ literarischer Karriere sind neben den Beziehungen zu anderen Autoren auch die zu seinen Verlegern von großer Bedeutung, da im theresianisch-josephinischen Wien Erfolg und Rezeption der Werke oftmals von ihnen beeinflusst wurden.1064 Darüber hinaus bot die Bindung eines Autors an einen Verlag Gelegenheit zum Anschluss an eine ganze Gruppe von Autoren, die im selben Haus publizierten und einander durch Rezensionen und Aufträge unterstützen konnten. Die Auswirkungen und Entwicklungen solcher Beziehungen lassen sich für Sonnenfels besonders deutlich im Falle der Herren Trattner und Kurzböck aufzeigen, die nacheinander seine wichtigsten Geschäftspartner waren und zu denen er ein überaus unterschiedliches Verhältnis hatte. Es sei angemerkt, dass Sonnenfels keineswegs exklusiv für einen der beiden Verleger schrieb und stets auch Werke an anderer Stelle herausgab. Seine Zusammenarbeit mit anderen Buchproduzenten war allerdings nie so umfangreich wie die mit Trattner oder Kurzböck. Die Kooperation Sonnenfels’ mit Johann Thomas von Trattner begann mit seiner Berufung an die Wiener Universität. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Trattner war zu diesem Zeitpunkt bereits seit beinah fünfzehn Jahren erfolgreich als Verleger tätig.1065 Er war mit Unterstützung Maria Theresias 1749 Universitätsbuchdrucker und 1752 offizieller Hofbuchdrucker geworden. Sein Betrieb in Wien stellte Anfang der sechziger Jahre bereits ein Großunternehmen mit fünfzehn Pressen, einem eigenen Übersetzungsbüro, einer Typengießerei, einer Kupferstecherei, einer Setzerei und einer eigenen Papierfabrik dar.1066 Wie bei der Erörterung von Sonnenfels’ Wochenschriften erwähnt, hatte er begonnen, ein Netz aus Zweigstellen und vertraglich gebundenen Buchhandlungen einzurichten, das Prag und die österreichischen Erblande umfasste.1067 Maria Theresia hatte Trattner durch Kredite zur Begleichung seiner Schulden, ein Monopol auf das Gießen von Typen und zahlreiche Privilegien zur alleinigen Herausgabe, beispielsweise von Lehrbüchern für die höheren Schulen, unterstützt. Darüber hinaus wurden die Erzherzöge und späteren Kaiser Joseph und Leopold, zu deren Erzie1064 Zur Bedeutung der Verleger: Zeman, Herbert: Der Drucker-Verleger Joseph Ritter von Kurzböck und seine Bedeutung für die österreichische Literatur des 18. Jahrhunderts, in: Ders.: Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Graz 1979, S. 143–178, hier S. 144. 1065 Vgl zu seiner Karriere: Giese: Trattner, Sp. 1023–1102 u. Cloeter: Trattner. 1066 Giese: Trattner, Sp. 1021–1049. 1067 Ebd. u. Wittmann: Geschichte, S. 134.

208

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

hungsplan das Erlernen eines Handwerkes gehörte, von Trattner in einem eigens dafür eingerichteten Raum in der Hofburg in der Druckkunst unterwiesen.1068 Durch das genannte trattnersche Privileg für Lehrbücher wurde dieser auch zum Verleger des ersten Bandes von Sonnenfels’ Werk Von der Polizey-, Handlung und Finanzwissenschaft. Die auf diese Weise geknüpfte geschäftliche Verbindung wurde mit den Wochenschriften der Vertraute, dem überaus erfolgreichen Mann ohne Vorurtheil und Theresie und Eleonore fortgesetzt.1069 So konnten die Popularität dieser Wochenschriften beim Publikum und das erfolgreiche Vertriebssystem Trattners einander fördern.1070 Bereits im Jahr 1768 kam es jedoch zu einem Konflikt zwischen Sonnenfels und Trattner, der in einer formellen Klage Ausdruck fand.1071 Der Professor der Polizey- und Kameralwissenschaft hatte den zweiten Band seines bereits in allen höheren Schulen zur Verwendung befohlenen Lehrbuches zum Druck beim Verleger Johann Kurzböck abgegeben. Er berief sich darauf, dass Trattners Privileg auf einem Vertrag basiere, der vor seiner Einstellung verhandelt worden sei, und dass er sein Werk drucken könne, wo immer er es wünsche. Trattner forderte im Gegenzug das Konsistorium der Universität auf, Sonnenfels zu befehlen, diesen und den folgenden dritten Band allein bei ihm erscheinen zu lassen. Obwohl das höchste Gremium der Universität uneins war, entsprach man schließlich mehrheitlich dem Antrag des Verlegers. Die weitere Zusammenarbeit beider Männer, die sich auf akademische Werke beschränkte, ist daher als erzwungen anzusehen. Die Ursache für Sonnenfels’ Versuch eines Verlagswechsels im Jahr 1768 dürften vermutlich bessere Konditionen gewesen sein, da der neue Verleger Kurzböck sich auf kein Privileg berufen konnte, sondern mit ihm einen Vertrag aushandeln musste.1072 Darüber hinaus erschien ein solcher Vorstoß derzeit als erfolgversprechend, da Trattner zuvor mehrmals von Angehörigen der niederösterreichischen Regierung aufgrund seiner Privilegien und seines Geschäftsgebaren kritisiert worden war.1073 Ein Indiz für zusätzliche persönliche Motive bietet die einflussreiche Position von Sonnenfels’ Konkurrenten 1068 Giese: Trattner, Sp. 1048. 1069 Lang: Zeitschriften, S. 207. 1070 Strasser: Presse, S. 121. 1071 Vgl. dazu AUW Konsistorialakten: Erwähnung bei R. 28. Consist. 9. März 1768 u. die Beratung des Falles durch das Konsistorium R. 21.28 Consist. 23. April 1768. 1072 Zu den Konditionen für Sonnenfels vgl. einen Brief in der HSS der ÖNB: Sig. 9/76–12 Sonnenfels aus Wien am 25. Okt. 1792. 1073 Giese: Trattner, Sp. 105f. u. Sp. 1067. Die Kritik spiegelt den Übergang von einer merkantilistischen, auf Monopolstellung und Privilegien zielenden Wirtschaftsform zu einem System staatlich begrenzten Wettbewerbs.

Die Netzwerke der Wiener Verleger – Konflikt und Kooperation

209

Klemm im trattnerschen Verlag, der dort bereits seit mehreren Jahren als Korrektor, Rezensent und Autor tätig war.1074 Wenn auch weiterhin einige akademische Werke Sonnenfels’ bei Trattner erschienen, so wurden seine letzte Wochenschrift, die Briefe über die Wienerische Schaubühne, und spätere Monographien zum größten Teil von Johann Kurzböck herausgegeben. Kurzböck, der im Gegensatz zu Trattner aus einer etablierten Verlegerfamilie stammte, war nach Ende des Siebenjährigen Krieges zu dessen schärfstem Konkurrenten geworden.1075 Für die Herausgabe von Lobgedichten und Liedern zur Hebung der Moral der Truppen und der Zivilbevölkerung hatte er als Gegenleistung ein Privileg auf hebräische, slawische, griechische und orientalische Drucke in Wien erhalten.1076 Sonnenfels’ Erfahrung als Sohn und Mitarbeiter eines Hebräischlehrers und Dolmetschers eröffneten ihm daher in diesem Haus zusätzliche Betätigungsmöglichkeiten. Darüber hinaus erscheint die Abwerbung von Trattners erfolgreichem Autor durch Kurzböck als Teil eines zunehmenden Konkurrenzkampfes. Kurzböck unterbot zur selben Zeit die Preise Trattners, so dass beispielsweise die niederösterreichischen Stände ihre Dekrete, Patente und andere Verlautbarungen bei ihm drucken ließen.1077 Der bedrängte Trattner wehrte sich gegen den Wettbewerb durch Beschwerden bei Maria Theresia, die zwar aufgrund seiner Privilegien die laufenden Aufträge bei ihm beließ, ihn aber zwang, seine Preise zu senken. Unter Joseph II. kam durch die Aufhebung von Vorrechten auf bestimmte Marktsegmente und die Lockerung der Zensur der literarische Markt in Bewegung. So stand der offizielle Hofbuchdrucker schließlich in den achtziger Jahren im Wettbewerb mit verschiedenen kleinen Verlagshäusern, von aber denen Kurzböck sein einflussreichster Rivale blieb.1078 Sonnenfels hatte in dieser Auseinandersetzung durch die Wahl Kurzböcks für seine nicht vertraglich gebundenen Publikationen eindeutig Position bezogen, wenn sein Name auch weiterhin im Programm Trattners geführt 1074 Seine Stellung wird als die eines Codirektors beschrieben, vgl. Zeman, Herbert: Der Drucker-Verleger Joseph Ritter von Kurzböck und seine Bedeutung für die österreichische Literatur des 18. Jahrhunderts, in: Göpfert, Herbert, Kozielek, Gerard u. Wittmann, Reinhard (Hg.): Buch- und Verlagswesen im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der Kommunikation in Mittel- und Osteuropa, Berlin 1977, S. 104–129, hier S. 117. 1075 Zur Übersicht vgl. die Arbeiten von Zeman. 1076 Zeman: Drucker (1979), S. 149–157. 1077 Giese: Trattner, S. 1068–1072. 1078 Vgl. dazu die Vertragsverhandlungen der Hofkammer mit beiden Druckern im Laufe der neunziger Jahre, AVA Hofkammerarchiv Kamerale rot 7, Fol. 666r.–674v. Zur Öffnung des Marktes vgl. Wolf, Nobert Christian: Blumauers Autorpolitik, in: Aloys Blumauer und seine Zeit, S. 13–30, hier S. 17.

210

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

wurde. Für ihn bot Kurzböcks Verlagshaus im Laufe der siebziger und achtziger Jahre wesentlich mehr als nur die Publikation seiner Werke. Zwei eigene Periodika, die Realzeitung und der Wiener Musenalmanach, erschienen hier.1079 Dabei arbeiteten wie im Falle der Realzeitung führende Schriftsteller Wiens zusammen, und gaben einen periodischen Überblick über die österreichische Literatur. Sonnenfels nahm zeitweise eine leitende Funktion in dieser Runde ein, welche die bekanntesten Mitglieder der Schriftstellergeneration des josephinischen Jahrzehnts umfasste.1080 Die Arbeit an der Realzeitung und am Musenalmanach, zu dem Sonnenfels kleinere Beiträge verfasste, war eine Möglichkeit sich für Ziele einzusetzen, die er seit den sechziger Jahren in der Deutschen Gesellschaft verfolgt hatte: durch gute Beispiele die österreichische Literatur zu fördern und den Geschmack des Publikums zu verbessern. Beide Periodika konnten aber auch zur Werbung für oder zur Verteidigung von Publikationen aus Kurzböcks Verlag dienen. Angesichts der zunehmenden Konkurrenz gingen die Wiener Verleger im Laufe der siebziger Jahre dazu über, Neuerscheinungen gegenseitig negativ zu rezensieren und die literarischen Fähigkeiten des jeweils anderen anzuzweifeln.1081 Den Mitarbeitern der Realzeitung stand dabei auf Seiten Trattners vor allem der nach Wien berufene Erfurter Professor Riedel, ein gemeinsamer Bekannter Sonnenfels’ und des verstorbenen Geheimrats Klotz, gegenüber.1082 Riedel und seine Mitarbeiter schrieben Verrisse über Kurzböcks Neuerscheinungen, hielten sich aber gegenüber Sonnenfels’ Werken zurück. Mögliche Ursachen dafür sind, dass dessen Lehrbücher noch immer bei Trattner erschienen, dass er eine überaus einflussreiche Stellung in Wien besaß und dass er zu Riedel zeitweise in freundschaftlicher Beziehung gestanden hatte. Eine in zweifacher Hinsicht bemerkenswerte Ausnahme von der Schonung Sonnenfels’ stellt der im Rahmen der Broschürenflut ausgetragene und bereits geschilderte Streit um dessen erste Vorlesung nach dem Tode Maria Theresias dar.1083 Einerseits erwies sich Trattner in diesem Fall als überaus geschäftstüchtig und gab sowohl die erste Kritik an dieser Vorlesung, als auch spätere Verteidigungsschriften heraus; andererseits war diese Vorle1079 Zeman: Drucker (1979), S. 171 bezeichnet dabei die Realzeitung als Hausorgan Kurzböcks, eine Verbindung, die Rosenstrauch-Königsberg: Realzeitung nicht herstellt. 1080 Rosenstrauch-Königsberg: Realzeitung, S. 122–126. 1081 Zeman: Drucker (1979), S. 164f. u. Giese: Trattner, Sp. 1123. 1082 Vgl. Zeman: Drucker (1977), S. 117. Bemerkenswert ist, dass Riedel für zwei Jahre auch für die Realzeitung tätig war, dort aber von neuen Autoren wie Blumauer verdrängt wurde. 1083 Vgl. Kap. 4.1.4.

Die Netzwerke der Wiener Verleger – Konflikt und Kooperation

211

sung nach Angabe des Verlegers Kurzböck ohne Wissen und Erlaubnis des Autors publiziert worden. Dies legt entweder nahe, dass Kurzböck Zugang zu Sonnenfels’ Manuskripten hatte und dass ihre Geschäftsbeziehung einen derartigen Vertrauensbruch überstand oder dass die Zusammenarbeit der beiden verschworen genug war, um die Lancierung einer angeblich ungewollten Publikation inklusive darauf folgender Beschwerden zu inszenieren. In jedem Fall ist es ein Indiz für eine zumindest bis Anfang der achtziger Jahre enge Zusammenarbeit zwischen Autor und Verleger, die auch gemeinsam Bücher im Ausland bestellten.1084 Neben den Kritiken und Rezensionen war Trattner bemüht, den Absatz der kurzböckschen Konkurrenz mittels seiner logistischen Überlegenheit und eigenen Neuerscheinungen zu vermindern, wobei er vorwiegend günstige Nachdrucke gegen neue einheimische Werke setzte.1085 Die hier verwendete Vorgehensweise des Nachdruckens, worunter die Kopie eines bereits erschienen Werkes ohne Genehmigung des Autors oder Erstverlegers verstanden wird, ist typisch für Trattners Geschäftspolitik und wird zuerst im Reich, dann im Laufe der achtziger Jahre auch in Wien Gegenstand intensiver Debatten.1086 Der Zirkel um Realzeitung und Musenalmanach, deren Verleger Kurzböck selbst nicht als Nachdrucker in Erscheinung trat, betei­ligte sich daran, wobei Sonnenfels zu einem entschiedenen Gegner Trattners wurde. Zum besseren Verständnis sei das vorwiegend süddeutsche Phänomen des Nachdrucks, der für die Zeit ab 1765 in einigen Darstellungen zur Geschichte des Buchhandels sogar namensgebend war, kurz erläutert. Das Nachdrucken von Büchern war ein Verfahren, das bereits im frühen 18. Jahrhundert von Verlegern und Autoren als Ärgernis beklagt wurde.1087 In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurde die Praxis speziell in den südlich von Sachsen gelegenen Reichsgebieten immer häufiger angewandt. Der Buchhandel im Norden war zu dieser Zeit auf Druck der Leipziger Verleger, welche aufgrund der Stellung Leipzigs als Messeort eine dominierende Position besaßen, weitgehend vom vorher üblichen Tausch der Sortimente zum Handel gegen Bargeld übergegangen.1088 Durch die Aufhebung des beim 1084 HSS der WIBI Inv. Nr. 25075 Brief vom 25. Mai 1788 an Prof. Ö. in Leipzig. 1085 Zu diesem Kontrast vgl. Zeman: Drucker (1979), S. 169f. 1086 Vgl. Kiesel, Helmut u. Münch, Paul: Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. Voraussetzungen und Entstehung des literarischen Markts in Deutschland, München 1977, S. 132–139; Wittmann: Geschichte, S. 122–150; Bodi: Tauwetter, S. 82–87 u. Seidler: Buchmarkt, S. 56–63. 1087 Zum Kontext vgl. Wittmann: Nachdrucker, S. 69–71. 1088 Bülow, Michael: Buchmarkt und Autoreneigentum. Die Entstehung des Urhebergedankens (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München Bd. 30), Wiesbaden 1990, S. 1–11.

212

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

Tausch üblichen Rückgaberechts trug beim neuen Handel gegen Geld nun allein der Vertreiber das Risiko. Beschwerden von Buchhändlern im Süden des Reiches, wie beispielsweise Trattner, dass bereits die Transportkosten aus Leipzig seine Gewinnspanne übersteigen würden, wurden ignoriert. Trattner und andere druckten daraufhin vermehrt die Neuerscheinungen der Buchmesse und Klassiker nach und versuchten, sie für ein Drittel des Originalpreises auch auf der Leipziger Messe zu verkaufen. Die dortigen Händler, welche darin einen Angriff auf ihre Umsätze sahen, reagierten 1765 mit der Gründung einer Buchhandelsgesellschaft, die gegen den Handel mit Nachdrucken gerichtet war und die eine Spaltung des Buchmarktes in einen nördlichen und südlichen Teil zur Folge hatte.1089 Zur Zeit von Sonnenfels’ und Trattners Zusammenarbeit stellte der Nachdruck bereits dessen wichtigste Einnahmequelle dar. Er versorgte den schnell wachsenden Absatzmarkt in Wien und anderen Gebieten der Monarchie mit neuer Literatur zu günstigen Preisen.1090 Dabei wurde der Nachdruck nur bedingt als Unrecht angesehen und galt angesichts des Fehlens eines Urheberrechtes vielmehr als ein Kavaliersdelikt.1091 Im Verständnis der sechziger Jahre hatte ein Autor ohnehin alle Rechte an seinem Werk zum Zeitpunkt der Drucklegung an den Verleger abgegeben.1092 Nur der Verleger, der aber bereits an der Erstauflage verdient hatte, wurde nach damaligem Verständnis durch den Nachdruck geschädigt. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts änderte sich diese Sichtweise, als zunehmend Debatten über das Eigentum des Autors an seinem Text geführt wurden. Maria Theresia und Joseph II. unterstützten beide den Nachdruck.1093 Sie förderten Trattners Geschäftspraxis, da auf diese Weise der Buchmarkt der Habsburgermonarchie ein Binnenmarkt blieb und das Geld im Lande zirkulierte. Außerdem wurde in der schnellen und günstigen Verbreitung nützlicher Werke ein Vorteil für die eigene Bevölkerung gesehen. Dieser Gedanke brachte auch die Vertreter der Aufklärungsbewegung dazu, den Nachdruck zunächst zu befürworten. Dem entspricht die bereits im 19. Jahrhundert verbreitete Anekdote, Maria Theresia habe Trattner bei einer Audienz befohlen: Er muss Nachdrucke unternehmen, bis Originalwerke zu Stande kommen. Drucke Er nach. Sonnenfels soll ihm sagen was!1094 Wenn 1089 Wittmann: Geschichte, S. 127–129. 1090 Wittmann: Nachdrucker, S. 74 u. S. 86. 1091 Giese: Trattner, Sp. 1147f. u. Seidler: Buchmarkt, S. 58. 1092 Bülow: Autoreneigentum, S. 20 u. S. 27. 1093 Vgl. Kiesel/Münch: Entstehung, S. 134; Wittmann: Geschichte, S. 131f.; Wittmann: Nachdrucker, S. 78–80 u. Gnau, Hermann: Die Zensur unter Joseph II., Straßburg 1911, S. 158f. 1094 Zit. nach Giese: Trattner, Sp. 1019.

Die Netzwerke der Wiener Verleger – Konflikt und Kooperation

213

diese Zuordnung auch aufgrund der Tatsache in Zweifel zu ziehen ist, dass Trattner bereits etliche Jahre bevor Sonnenfels literarisch tätig wurde Werke für den Nachdruck auswählte, so verweist sie doch zu Recht auf die Tatsache, dass in den fünfziger und sechziger Jahren kaum ein Gelehrter den Nachdruck von Büchern öffentlich ablehnte.1095 Zumindest der Nachdruck nützlicher und moralisch einwandfreier fremdsprachlicher Literatur wurde allgemein als rechtmäßig angesehen.1096 In Einzelfällen wurde Autoren oder Erstverlegern von Herrschern bestimmter Territorien ein Privileg erteilt, das den Nachdruck ihres Werkes in dem jeweiligen Land unterband.1097 Die Zersplitterung des Reiches machte es dabei aber weitgehend unmöglich, dass Autor oder Verleger im gesamten Reichsgebiet derartige Privilegien erwerben konnten. In diesem Zusammenhang war Sonnenfels ein Ansprechpartner für Autoren und Verleger, welche vor Trattners Geschäftsimperium geschützt werden wollten.1098 Da er in Einzelfällen im Stande war, die Verleihung kaiserlicher Privilegien zu erwirken, zog dies das Interesse von Schriftstellern aus dem Reich nach sich. Anfang der achtziger Jahre, parallel zur Verschärfung des Konkurrenzkampfes von Trattner und Kurzböck, begann sich die Situation zu ändern. Auch in Wien hatte die Produktion neuer literarischer Werke rapide zugenommen und einheimische Autoren sahen sich nun durch den Nachdruck um ihren eigenen finanziellen Erfolg betrogen. Hinzu kam, dass die Diskussionen gegen den Nachdruck im Norden des Reichs immer heftiger geführt wurde und nun auf die Frage nach den Rechten des Autors an seinem Text hinauslief.1099 Dieses Argument wurde auch für Sonnenfels relevant, der wiederholt versuchte, sich aus der erzwungenen Kooperation mit Trattner zu befreien. Am 14. November 1780 beantragte er in der Studienhofkommission bezüglich seines neuen Werkes über den Geschäftsstyl, dass: dieses Lehrbuch alsdann dem von Trattner’schen privilegio auf die Schulbücher nicht unterzogen, sondern die Auflage ihm von Sonnenfels überlassen […] werden möchte.1100 Die Kommission unterstützte Sonnenfels’ Argumentation, dass dies Buch sein Eigentum sei, und erwirkte bei Joseph II. eine Bestätigung. Trattner selbst legte darüber Beschwerde bei Maria Theresia ein 1095 Bülow: Autoreneigentum, S. 16–22. 1096 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 298. 1097 Bülow: Autoreneigentum, S. 30–33. 1098 Vgl. HSS der WIBI Inv. Nr. 86238, Brief Sonnenfels’ an unbekannt vom 12. Okt. o. J. 1099 Vgl. Schulte-Sasse, Jochen: Das Konzept bürgerlich literarischer Öffentlichkeit und die Gründe seines Zerfalls, in: Bürger, Christa, Bürger, Peter u. Schulte-Sasse, Jochen (Hg.): Aufklärung und literarische Öffentlichkeit, Frankfurt a.M. 1980, S. 99–106 u. Bülow: Autoreneigentum, S. 34–45. 1100 Kopetzky: Sonnenfels, S. 265.

214

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

und verwies auf den bestehenden Vertrag. Die Monarchin hob schließlich den Befehl ihres Sohnes auf und gab Trattner recht, wodurch sie generell die Rechte der Autoren an ihren Texte den Ansprüchen der Verleger unterordnete. Unter der Alleinherrschaft Josephs II. beantragte die böhmisch-österreichische Hofkanzlei 1782 ein Verbot des Nachdruckes inländischer Werke, um die einheimischen Autoren und Verleger zu unterstützen.1101 Der Kaiser stimmte dieser Einschränkung zu. Darauf aufbauend schrieb Sonnenfels, inzwischen als Hofrat Mitglied der Hofkanzlei und der Studienhofkommission, eine Denkschrift, in der er ein generelles Verbot des Nachdruckes forderte.1102 Er berief sich im Namen dieser Kommission sowohl auf das im Falle einheimischer Autoren nunmehr anerkannte Eigentum des Autors an seinem Text, sowie die negativen Auswirkungen für das Ansehen des österreichischen Handels im Reich.1103 Die Förderung der Schriftsteller und Gelehrten sei eine zentrale Aufgabe des Staates, die durch den Nachdruck behindert werde. Es sei darüber hinaus dem Prinzip gerechten Herrschens zuwider, Bürger des eigenen Landes vor einer Straftat zu schützen, diese aber gegenüber Bürgern der Nachbarländer zu fördern.1104 Nach Sonnenfels litten das Ansehen und die Absatzmöglichkeiten der österreichischen Gelehrten im Norden des Reiches unter den Gegenmaßnahmen der dortigen Buchhändler. Der Nachdruck zeige Europa außerdem, dass Geisteswerke in Österreich nur als bloßes Handwerk angesehen würden. Letzterer Vergleich sei aber gerade im Falle des Nachdrucks unzutreffend: Ein Handwerker, der die Arbeit eines anderen imitiert, müsse dasselbe Geschick besitzen, ein Nachdrucker benötige aber keinerlei Talent zum Schreiben. Hierin spiegelte sich die Selbsteinschätzung der Wiener Autoren wider, als Schriftsteller mehr zu sein als bloße Auftragsschreiber und daher Anerkennung als Künstler zu verdienen.1105 Joseph II. lehnte diesen Antrag ab und ergänzte, dass er sicherlich nicht der letzte Fürst sein wolle, der den Nachdruck verbiete, aber keineswegs der erste.1106 Dies zeigt, dass er sich des fragwürdigen Rechtsstatus dieser Praxis bewusst war, die Vorteile aber für ihn ausschlaggebend blieben. 1101 Vgl. Giese: Trattner, Sp 1138f. u. Gnau: Zensur, S. 159–162. 1102 Sie wurde 1785 während eines erneuten Streites um den Nachdruck publiziert: Vortrag der Studien und Censurs-Hofcommission zu Wien über den Nachdruck fremder Bücher, in: Journal von und für Deutschland. 1784–92, 2. Jg., 2. St., S. 115–119. Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 299 u. Giese: Trattner, Sp. 1140–1145. 1103 Zeman: Drucker (1977), S. 117f. 1104 Ebd., S. 117. 1105 Wolf: Blumauer, S. 19f. 1106 Vgl. Bodi: Tauwetter, S. 84f.

Die Netzwerke der Wiener Verleger – Konflikt und Kooperation

215

Durch die Ablehnung dieses Antrages gestärkt, unternahm Trattner 1784 den Versuch zu einer weiteren Ausweitung seines Nachdruckangebotes.1107 Er schrieb einen offenen Brief an die bekanntesten Wiener Gelehrten und Schriftsteller, unter ihnen Sonnenfels und Blumauer, und bat um Listen neuer und klassischer Werke, welche zum Wohle des Staates nachgedruckt werden sollten.1108 Die Angesprochenen nutzten diese Anfrage, um öffentlich gegen Trattner und den Nachdruck Stellung zu beziehen. Sonnenfels lehnte die Zusammenarbeit ab und veröffentlichte folgenden Vergleich: Wenn Nachdruck ein Beweis patriotischer Gesinnung ist, so muss es Straßenraub, durch den fremde Ware, statt sie zu bezahlen, mit Gewalt genommen wird, nicht weniger sein. Beides erspart dem Staate den Ausfluß der Barschaft und aller Unterschied liegt in der Förmlichkeit des Benehmens.1109 Sein Kollege in der Zensurkommission, der ebenfalls für die Realzeitung tätige Blumauer, veröffentlichte als Titelblatt des 2. Bandes seiner travestierten Äneis als Antwort einen Spottvers auf die Nachdrucker, begleitet von der Abbildung eines Hundes, der Trattners Namen auf dem Halsband trug.1110 Weitere Autoren beteiligten sich an der Kritik. Neben dieser publizistischen Offensive wurde auch der von Sonnenfels verfasste Antrag der Studienhofkommission gegen den Nachdruck außerhalb der Erblande veröffentlicht, wodurch die Distanz der Behörde zu Trattner und seinem Projekt betont wurde. Der Antrag erschien 1785 im Journal von und für Deutschland des katholischen Geistlichen und Regierungsbeamten in Fulda Siegmund von Bibra (1750–1803).1111 Außer Sonnenfels wurde in der Druckfassung kein Kommissionsmitglied namentlich genannt, so dass er vor dem Publikum im Reich als Wortführer einer Bewegung gegen den Nachdruck auftrat. Trattner legte als Reaktion Beschwerde dagegen ein, als Räuber und Hund dargestellt zu werden. Die Klage wurde aber abgewiesen, da nach Meinung der Hofkanzlei und der Studienhofkommission der Vergleich mit einem Räuber nicht unpassend und das Halsband des gezeichneten Hundes nicht leicht zu lesen sei.1112 Der Kaiser stimmte zu und erteilte Trattner ei1107 Giese: Trattner, Sp. 1149. 1108 Eine überarbeitete Fassung dieses Briefes wurde auch der Hofkanzlei mit der Bitte um Unterstützung am 22. Jan. 1785 vorgelegt, vgl. HSS der ÖNB, Codex 9717, Fol. 284r.–285v. 1109 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 268f. u. Giese: Trattner, Sp. 1149–1153. 1110 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 300. 1111 Sonnenfels, Joseph von: Vortrag der Studien und Censurs-Hofcommission zu Wien über den Nachdruck fremder Bücher, in: Journal von und für Deutschland, Bd. 2/2 1785, S. 115–119. 1112 Stellungnahme der StudHK nach dem 20. März 1785: HSS der ÖNB, Codex 9717, Fol. 481r.u.v. Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 300 u. Giese: Trattner, Sp. 1153.

216

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

nen Verweis für die unberechtigte Beschwerde. Dies zeigt wiederum, dass Trattner, obgleich der Nachdruck offiziell bis ins 19. Jahrhundert erlaubt blieb, inzwischen ein derart geringes Ansehen hatte, dass es möglich war, ihn straflos öffentlich zu beleidigen.1113 Seine Umsätze blieben zwar relativ hoch, sanken aber angesichts der Tatsache, dass der Markt zunehmend nach einheimischen Neuerscheinungen verlangte. Darauf konnte Trattner nicht reagieren, da die Wiener Autoren bei anderen Verlegern unter Vertrag standen und auf kaiserliche Anordnung vor Nachdruck geschützt waren.1114 Sowohl die Zusammenarbeit Sonnenfels’ mit Kurzböck, als auch seine Gegnerschaft zu Trattner wirkten sich positiv auf seine Stellung innerhalb der Wiener Gesellschaft aus. Die Kooperation mit Kurzböck ermöglichte die Bildung eines Netzwerkes mit jungen Wiener Autoren und sicherte ihm die Unterstützung der Realzeitung für seine eigenen Projekte. Hierbei war es ihm als erfahrenem und bereits im übrigen Reich „vernetztem“ Schriftsteller möglich, die jungen Autoren zu unterstützen, so dass er sich in einer relativen Machtposition befand. Zugleich war er durch die Tatsache, dass vertragsgemäß noch immer Werke bei Trattner erscheinen mussten, vor pauschalen schlechten Rezensionen in dessen Veröffentlichungen geschützt, ohne dass darunter seine Beziehung zum Zirkel um Kurzböck litt. Sonnenfels’ Motive dafür, im Konflikt mit Trattner um den Nachdruck als Wortführer Stellung zu beziehen, können zwar nicht mehr ermittelt werden, doch deutet die bewusste Mobilisierung der Öffentlichkeit darauf hin, dass sein Ansehen bei Verlegern und Autoren im Reich eine Rolle spielte. Der vielschichtige Konflikt mit Trattner bot ihm Gelegenheit, sowohl seine eigenen Interessen zu wahren, als auch Solidarität mit den bisherigen Opfern dieser Praxis zu zeigen. Durch seine positiven sowie auch seine negativen Beziehungen zu Verlegern konnte er daher seine sozialen Kontakte im literarischen Kontext ausweiten und verbessern. Es bleibt zu betrachten, ob ähnliches auch in Bezug auf Tätigkeiten zu beobachten ist, die zwar in Verbindung zur Literatur standen, aber nicht von seiner eigenen Tätigkeit als Autor oder Redakteur abhingen.

5.4 Vom Autor zum Zensor – Sonnenfels als Mitglied zweier Zensurbehörden Die Zensur als obrigkeitlicher Eingriff sowohl in die Buchproduktion als auch in den Buchhandel unterlag im Laufe der theresianischen und im 1113 Bülow: Autoreneigentum, S. 14. 1114 Zeman: Drucker (1977), S. 107 u. Ders.: Drucker (1979), S. 146.

Vom Autor zum Zensor – Sonnenfels als Mitglied zweier Zensurbehörden

217

Übergang zur josephinischen Herrschaft weitgehenden Veränderungen. Im Mittelpunkt der jeweiligen Reformen wirkte stets eine Person mit dem Namen van Swieten: Gerhard van Swieten unter Maria Theresia und sein Sohn Gottfried van Swieten unter Joseph II. Beide Männer waren zu ihrer Zeit jeweils die direkten Vorgesetzten Sonnenfels’ bei dessen zweimaliger Tätigkeit für die Wiener Zensurbehörde. Da seine Berufungen zum Zensor von einer beinahe zehnjährigen Zeit anderweitiger Verwendung unterbrochen wurden, lässt sich dabei klar zwischen der theresianischen und josephinischen Zensur unterscheiden. Noch bevor Sonnenfels selbst die Zensur ausübte, war er, wie die Ausführungen über seine Wochenschriften zeigen, Betroffener dieser Einrichtung. Dessen ungeachtet verteidigte er sie in seinen Lehrbüchern: In Ansehung der Religion, der moralischen und politischen Meinungen der Bürger ist nichts gefährlicher, als eine allgemeine Freyheit, alles, was der Religion, dem Staate, den Sitten und einer guten Denkungsart entgegen ist, zu schreiben, und alle Schriften dieser Art zu lesen. Die Büchercensur, wodurch die Freyheit Schranken erhält, ist daher als einer der nothwendigeren Polizeyanstalten anzusehen.1115 Die Befürwortung der Zensur schränkte er in seinen weiteren Ausführungen jedoch in einer Hinsicht ein, die er auch zur Verteidigung seiner Lehrsätze benutzte: Die Bestimmung einer Zensur sey also: Ohne irgend einem nützlichen Werke den Eingang zu erschweren, nur, dasjenige auszuschließen, durch welches irrige, ärgerliche und gefährliche Meinungen verbreitet werden können.1116 Ziel solch nützlicher Werke war nach Sonnenfels die höhere Bildung der Einwohner, durch welche jene dann die Qualität der Verfassung ihres Heimatlandes verstehen könnten und zu vaterlandsliebenden Untertanen werden würden. Selbstverständlich nahm er für seine eigenen Werke in Anspruch, dass sie aufgrund ihres Nutzens für diesen Zweck von der Zensur befreit bleiben sollten. Die Tatsache, dass es ihm gelang, einige seiner Schriften trotz Widerspruchs von kirchlicher Seite zu publizieren, deutet auf Veränderungen hin, welche das Zensursystem von der Zeit rein klerikaler Prägung am Beginn des 18. Jahrhunderts bis zu Sonnenfels’ publizistischer Tätigkeit vollzogen hatte.1117 Zum Verständnis seiner Arbeit und seiner Einflussmöglichkeiten 1115 Sonnenfels: Policey, § 94, vgl. Gnau: Zensur, S. 53; Für eine kritische Betrachtung siehe: Plachta, Bodo: Zensur: Eine Institution der Aufklärung?, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich, Bd. 17 2002, S. 153–166, hier S. 153–157. 1116 Sonnenfels: Policey, § 96. 1117 Vgl. zur im folgenden beschriebenen theresianischen Zensur: Klingenstein, Grete: Van Swieten und die Zensur, in: Lesky, Erna u. Wandruszka, Adam (Hg.): Gerard van Swieten und seine Zeit. Internationales Symposium veranstaltet von der Universität Wien im Institut für Geschichte der Medizin 8.–10. Mai 1972, Wien, Köln, Graz 1973, S. 93–107;

218

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

als Zensor ist eine Betrachtung eben dieser Entwicklung nötig, da ihr Verlauf sowohl die Funktionsweise der zuständigen Behörde, als auch die Stellung seines Förderers Gerhard van Swieten illustriert. Zunächst ist zu beachten, dass die Zensur aus zwei miteinander verbundenen Elementen bestand, der Vorzensur von Manuskripten und der Nachzensur oder Revision bereits gedruckter Werke, die beispielsweise aufgrund eines ausländischen Druckortes nicht der Vorzensur unterlagen. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Vorzensur de facto von den jesuitischen Professoren der Wiener Universität ausgeübt. Ein weltlicher Einfluss ist kaum zu beobachten, zumal die Mehrzahl der österreichischen Autoren dieser Zeit Geistliche waren. Auch die Nachzensur, bei der weltliche Behörden zumindest als ausführende Organe involviert waren, wurde von den Jesuiten dominiert, da sie über das Personal für umfangreiche Lektüre verfügten. Auf Betreiben Haugwitz’ und van Swietens wurde im Zuge der Reformen nach Ende des österreichischen Erbfolgekrieges eine staatliche Behörde zur Vereinheitlichung der Zensur zunächst auf Landesebene etabliert.1118 Im Jahr 1751 setzte man in Wien eine für die Nachzensur, kurz darauf auch für die Vorzensur zuständige Bücher-Censur-Kommission ein, in der die Jesuiten mit weltlichen Beamten zusammenarbeiten sollten. Die neue Behörde war zu diesem Zeitpunkt immer noch von kirchlichem, speziell jesuitischem Einfluss geprägt, gegen den aber vor allem van Swieten vorging.1119 Er tat dies durch mehrere Reformvorschläge, welche die weitgehende Zustimmung der Kaiserin erhielten. Neue Publikationen wurden in verschiedene Gruppen unterteilt, die jeweils von Experten bearbeitet werden sollten, so dass den Jesuiten nur das philosophische und theologische Fach verblieb. Gerhard van Swieten erhielt die Zuständigkeit für medizinische Werke und die sogenannten materies mixtae, worunter nichtwissenschaftliche Werke, wie Sonnenfels’ Wochenschriften, verstanden wurden.1120 Darüber hinaus setzte er sich, zunächst als einfaches Kommissionsmitglied und ab 1759 als VorWagner, Hans: Die Zensur in der Habsburger Monarchie (1750–1810), in: Göpfert, Herbert, Kozieleck, Gerard u. Wittmann, Reinhard (Hg.): Buch- und Verlagswesen im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der Kommunikation in Mittel- und Ost­europa, Berlin 1977, S. 28–44, spez. S. 29–31; Gugler: Zensur, S. 159–168 sowie ausführlich und grundlegend: Klingenstein: Staatsverwaltung. 1118 Vgl. zu dieser Entwicklung: Klingenstein: Staatsverwaltung, S. 160–167 u. Fournier: Studien, S. 68f. 1119 Van Swieten hatte zu Beginn seiner Tätigkeit in Wien negative Erfahrungen mit dem Orden gemacht und hielt den damaligen Erzbischof Trautson für wesentlich kooperativer. Vgl. Klingenstein: Swieten, S. 101. 1120 Wagner: Zensur, S. 30f.

Vom Autor zum Zensor – Sonnenfels als Mitglied zweier Zensurbehörden

219

sitzender, erfolgreich dafür ein, die Zensoren für theologische Schriften aus dem Umfeld des Erzbischofs zu berufen, um den Einfluss der Jesuiten zu beschneiden.1121 Die Bischöfe, zunächst Trautson und später Migazzi, unterstützten diese Bestrebungen, um ihre eigenen Einflusssphäre zu erweitern.1122 Der letzte Angehörige der Societas Jesu verließ die Behörde 1764, ein Jahr vor dem Erscheinen von Sonnenfels’ Lehrbuch und seiner ersten Wochenschrift. Die Kompetenzen der Zensurbehörde waren bis zu diesem Zeitpunkt stetig erweitert worden, so dass sie nun unter van Swietens Vorsitz als Zentralbehörde die Arbeit aller Landesstellen koordinieren sollte.1123 Hierfür hatte sich Anfang der sechziger Jahre eine Arbeitsweise etabliert, die auch Sonnenfels’ spätere Tätigkeit bestimmte.1124 Die unentgeltlich tätigen Zensoren trafen sich mehrmals im Monat und besprachen kontroverse Manuskripte oder Neuerscheinungen. Um ein Buch für schädlich zu erklären, war ein einstimmiger Beschluss nötig, wobei ein Verbot die Bestätigung Maria Theresias erforderte. Im Falle von Uneinigkeit, die auch durch wiederholte Lektüre und Diskussion nicht beigelegt werden konnte, entschied ebenfalls die Monarchin. Die Stellung des von ihr geschätzten Kommissionspräses und Leibarztes van Swieten war in der Wahrnehmung des Wiener Lesepublikums derart überragend, dass Eva König nach Gesprächen mit Wienern über ihn an Lessing schrieb: Sie wissen doch, dass er es ist, der die Censur hat?1125 In seiner Amtsführung trat Gerhard van Swieten für möglichst geringe Eingriffe der Zensur ein, sorgte für eine höhere Verfügbarkeit ausländischer Schriften für Gelehrte und setzte die Freigabe mehrerer strittiger Werke gegen die Kommissionsmehrheit durch.1126 Sein Verhalten hatte Auseinandersetzungen erst mit den Jesuiten und später mit dem Erzbischof Migazzi zur Folge, wie bei dem Umgang mit Sonnenfels’ Mann ohne Vorurtheil deutlich wird. Swietens Zensur war in Konsequenz weit weniger streng, als die Behörde selbst behauptete, da sie in ihren Berichten stets bemüht war, die Effizienz ihrer eigenen Arbeit zu betonen.1127 Die Tatsache, dass er als Zensor auch Verbote, etwa von Werken Voltaires erwirkte, ist der stetigen Kontrolle der Kommissionsarbeit durch den Erzbischof und durch Maria Theresia zu1121 Breuer: Migazzi, S. 225. 1122 Vgl. Plachta, Bodo: Damnatur – Toleratur – Admittitur. Studien und Dokumente zur literarischen Zensur im 18. Jahrhundert, Tübingen 1994, S. 39–42. 1123 Klingenstein: Swieten, S. 101. 1124 Vgl. Sashegyi: Zensur, S. 37 u. Fournier: Studien, S. 82f. 1125 Brief Eva Königs an Lessing am 26. Januar 1771, in: Schulz: Madam, S. 50 1126 Vgl. Sonnenfels’ Brief an Klotz vom 30. November 1768, in: Rollet: Briefe, S. 11; Klingenstein: Swieten, S. 104f. u. Freiberg: Journalismus, S. 132. 1127 Vgl. Frank: Buchhandel, S. 145.

220

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

zuschreiben. Sonnenfels beschrieb später rückblickend, dass es gerade diese Strenge in einigen Fällen van Swieten erlaubt habe, bei anderen Gelegenheiten großzügig zu sein.1128 Im Vorfeld von Sonnenfels’ Berufung sahen sich van Swieten und seine Kommission mehreren rivalisierenden Institutionen gegenüber, die versuchten eine strengere Zensur durchzusetzen.1129 Dies war zum einen die böhmisch-österreichische Hofkanzlei, wie das Beispiel von Sonnenfels’ Abhandlung Von der Theurung in großen Städten, und dem Mittel, derselben abzustellen verdeutlicht.1130 Sein Werk, in dem er eine De-urbanisierung zur Lösung wirtschaftlicher Probleme empfahl, war 1767 unter Umgehung van Swietens und der eigentlich zuständigen Zensurkommission auf Anraten der Hofkanzlei von Maria Theresia mit einem Druckverbot belegt worden.1131 Sonnenfels befolgte diese Anordnung zwar, gab die Schrift aber zwei Jahre später in Leipzig heraus. Als sein Werk von dort in die Erblande importiert und somit Gegenstand der Nachzensur wurde, beantragte die Hofkanzlei ein erneutes Verbot.1132 Joseph II., zu diesem Zeitpunkt Mitregent Maria Theresias, verfügte entgegen der vorherigen Entscheidung seiner Mutter, dass lediglich einige Bemerkungen über die vorherige Zensur durch die Hofkanzlei entfernt werden müssten, damit die Abhandlung verkauft werden könne.1133 Der Kaiser zeigte bereits hier, dass er eine wesentlich nachsichtigere Zensur befürwortete als seine Mutter. Durch seine Ablehnung des Antrages der Hofkanzlei und Aufhebung des von dort ausgegangenen Verbotes stärkte Joseph außerdem die Stellung der eigentlich zuständigen Zensurkommission. In Übereinstimmung mit van Swietens Behörde wurde nun auch eine Neuauflage der Abhandlung durch den Verleger Kurzböck in Wien gestattet. Als zweite Konkurrenz der Zensurbehörde trat neben der Hofkanzlei der Wiener Erzbischof Migazzi hervor, nachdem seine Vertreter sich in der Kommission nicht hatten durchsetzen können.1134 Er begann mit zunehmendem Erfolg, eine parallele Zensur vorzunehmen, die er auf Rekurse an Maria Theresia stützte. Unter seiner Leitung verlieh die Monarchin schließlich der Zensur theologischer Schriften eine gewisse Eigenständigkeit. 1128 Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 8, S. 111. 1129 Vgl. Klingenstein: Staatsverwaltung, S. 197–202. Zu Sonnenfels: Kopetzky: Sonnenfels, S. 184. 1130 Sonnenfels, Joseph von: Von der Theurung in großen Städten, und dem Mittel, derselben abzustellen, Leipzig 1769 u. 2. Aufl. Wien 1770. 1131 Vgl. HHSTA Staatsrat Index Prot. 2334 ex 1767 u. AVA StudHK Kart. 16 Konv. 23 ex 1767 Fol. 150r.–153v. Gutachten der Hofkanzlei, vom 26. Sept.1767. 1132 Kopetzky: Sonnenfels, S. 79 u. S. 157. 1133 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 131 u. Feil: Sonnenfels, S. 21. 1134 Klingenstein: Staatsverwaltung, S. 158.

Vom Autor zum Zensor – Sonnenfels als Mitglied zweier Zensurbehörden

221

Sonnenfels’ Ernennung ist daher im Zusammenhang der rivalisierenden Einflüsse van Swietens und des Erzbischofs Migazzi auf die Zensur zu sehen. Für seine Berufung sprachen seine fachliche Qualifikation und sein Einsatz für Reformziele, die auch von Swieten vertreten wurden. Außerdem war er ein populärer öffentlicher Kritiker Migazzis und hatte bereits die Unterstützung des Kaisers gegen die Zensurversuche der Hofkanzlei erhalten. Sonnenfels trat auf van Swietens Anregung hin 1770 in die Kommission ein und übernahm zunächst die Revision der englischen Schriften. Seine Kollegen waren überwiegend ältere Beamte wie sein ehemaliger Lehrer Karl Anton von Martini, welche dieses Ehrenamt neben ihren anderen Beschäftigungen ausübten. Noch bevor Sonnenfels sein erstes Jahr in der Kommission vollendet hatte, bat van Swieten am 15. Januar 1771 die Monarchin aus gesundheitlichen Gründen um eine langfristige Beurlaubung. Es war Sonnenfels, der im Namen der gesamten Kommission einen Bericht über die letzte Sitzung unter dem erkrankten Vorsitzenden schrieb: Das würdige Oberhaupt dieser Commission nämlich trug derselben mit allen Merkmalen der Innigsten Rührung vor, wie die Sichtbare und täglich wachsende Abnahme seiner Kräfte, ihm ferner nicht gestatte, welches sonst sein eifrigster Wunsch gewesen, seine Arbeit fortzusetzen; 1135 Sonnenfels’ Nähe zu van Swieten findet darin Ausdruck, dass es ihm als Neuling überlassen wurde, dieses wichtige Protokoll zu verfassen. Die Kaiserin beurlaubte den Präses und antwortete der Zensurkommission auf Sonnenfels’ Bericht hin: Der censurs commission verspreche all meinen schutz so lang sie wird fortfahren in denen principiis des so werthen van Suiten. ich ersehe mit vergnügen in was billige betrübnuß, sein urlaub selbe versetzt, ich selbsten kunte dis wohl verfasste protocol nicht ohne stark gerüehrt zu sein lesen.1136 Neben dem Lob erhielt Sonnenfels zeitweilig Swietens Aufgabenbereich. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass es ihm gelang, in wenigen Monaten eine bedeutende Stellung in der Kommission einzunehmen. Er war nun neben der Revision der englischen Bücherimporte für die Vorzensur und Revision von Wochenschriften, Romanen, und politischer Literatur zuständig.1137 Diese Position bot ihm die Möglichkeit, direkten Einfluss auf die von ihm geforderte Bildung der Bevölkerung zu nehmen und auf die literarische Szene Wiens einzuwirken. Doch übte er diese umfangreiche Tätigkeit nur einige Monate bis zur kurzzeitigen Rückkehr van Swietens aus, der am 18. Juni 1772 verstarb. 1135 Fournier: Studien, S. 107f. u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 187–189. 1136 Fournier: Studien, S. 109 u. Gugler: Zensur, S. 167. 1137 AVA StudHK Kart. 16 Konv. 161 ex 1776, fol. 269r.–274v. Rechtfertigung des Sonnenfels, hier 270v.

222

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

Damit hatte Sonnenfels einen Verbündeten verloren, der aufgrund seiner Kommissionsaufgaben und seiner Nähe zur Kaiserin nach der Abreise des Staatsrates Borié aus Wien von besonderer Bedeutung gewesen war. Der Vorteil der Zensurarbeit, sich im direkten Umfeld dieses wichtigen Mannes zu bewegen, war damit hinfällig geworden. Zugleich wuchs das Arbeitspensum Sonnenfels’ immens an, da er erneut den Aufgabenbereich des Verstorbenen erhielt. Maria Theresia reagierte nach dem Tode van Swietens außerdem auf die zunehmenden Beschwerden von Erzbischof und Hofkanzlei mit dem Befehl, die Zensurbehörde neu zu organisieren.1138 Noch bevor eine Entscheidung darüber getroffen wurde, schrieb Sonnenfels am 4. August 1772 einen Antrag auf Entlassung an Maria Theresia.1139 Er beklagt den Umfang seines Aufgabenbereiches, da bei den täglich sich häufenden neuen Büchern meines Faches meine Arbeit von Tag zu Tag zuwächst und mich zwingt, um die Buchhandlung nicht zu hemmen, halbe Nächte zu Hilfe zu rufen, welches meine Augen […] sehr mitnimmt. 1140 Über die gesundheitlichen Folgen hinaus führe die unentgeltliche Arbeitsbelastung zu einer angespannten finanziellen Situation seiner Familie, da er kaum Zeit zum Publizieren habe, wodurch er sonst bis zu 1.500fl. im Monat verdiene. Er bat die Monarchin, ihn entweder vom Zensoramt zu entbinden, oder ihm einen angemessen finanziellen Ausgleich zu bieten. Durch die Erwähnung seines angeblichen Einkommens aus Publikationen legte Sonnenfels allerdings eine Summe dafür nahe, die das wenige Jahre später festgelegte Gehalt der Zensoren von 500fl. weit übersteigt. Der Hofkanzler Heinrich Cajetan von Blümegen, der für Maria Theresia diese Eingabe kommentierte, vermerkte dementsprechend, dass eine derartige Forderung angesichts von Sonnenfels’ ohnehin hohem Gehalt als Professor unberechtigt sei.1141 Die Kaiserin entschied daraufhin, seinen Antrag auf Entlassung anzunehmen.1142 Die in Teilen der Literatur vertretene Auffassung, Sonnenfels sei ohne einen entsprechenden Antrag und gegen seinen Willen von der Zensur entlassen worden, kann vor diesem Hintergrund nicht bestätigt werden.1143 Die Fehleinschätzung basiert vermutlich auf einem Brief Eva Königs an Les-

1138 Sashegyi: Zensur, S. 16 u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 190. 1139 Kopetzky: Sonnenfels, S. 190 vgl. inhaltlich AVA StudHK Kart. 16 Kon. 161 ex 1776, fol. 269r.–274v. Rechtfertigung des Sonnenfels spez. 270v. u. 271r. 1140 Kopetzky: Sonnenfels, S. 190. Die Wiener Zensurbehörde umfasste inkl. Assistenten für Lesearbeit nicht mehr als zehn Mitarbeiter, vgl. Klingenstein: Staatsverwaltung, S. 179. 1141 Ebd. S. 191f. 1142 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Freimaurerei, S. 14 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 135. 1143 So bei Lindner: Sonnenfels, S. 126.

Vom Autor zum Zensor – Sonnenfels als Mitglied zweier Zensurbehörden

223

sing, in dem sie offenbar falsche Behauptungen Sonnenfels’ weitergab.1144 Er stellte er sich ihr gegenüber durch seine Aussagen als Reformer dar, der dem Widerstand konservativer Kräfte weichen musste und konnte zugleich Gerüchte über seine finanzielle Lage vermeiden. Hierin kann ein weiteres Beispiel für seine geschickte Selbstdarstellung gesehen werden. Er reagierte mit seinem Rücktritt auf die für ihn nachteilige Entwicklung, welche die Tätigkeit als Zensor arbeitsintensiv und von geringem Nutzen erscheinen ließ. Die nach van Swietens Tod geplanten Reformen machten es außerdem fragwürdig, ob er weiterhin zugunsten einer milden Zensur würde wirken können. Seine frühe Zensortätigkeit ist damit kaum als ein Gewinn für ihn zu sehen. Da noch weitere Beamte der Kommission zurücktraten, wurden die Pläne zur Neuordnung und Besetzung der Behörde in der Regierungszeit Maria Theresias nicht mehr ausgeführt. Stattdessen folgte eine zunehmend konservative Bürokratisierung.1145 Erst unter der Alleinregierung Josephs II. kam es zu einer neuen, tiefgreifenden Veränderung des Zensurwesens und zu Sonnenfels’ Rückkehr.1146 Im Jahr 1780 ließ der Monarch den Staatsrat Maßnahmen zur Zentralisierung der Zensur erörtern, deren Ausübung noch immer auf Landesbehörden verteilt war und in Wien lediglich koordiniert wurde.1147 Noch bevor die Debatte abgeschlossen war, fertigte der Kaiser am 8. Juni 1781 ein neues Zensurgesetz aus, das unter dem bereits genannten Stichwort der erweiterten Pressfreyheit, eine erhebliche Lockerung, aber keineswegs Aufhebung staatlicher Eingriffe bedeutete.1148 Joseph II. gestattete nun namentlich gezeichnete Kritiken an jeder Person und Institution und hob die bisher mit der Revision verbundene Suche nach verbotener Literatur im Privatbesitz auf. Schriften jedoch, welche den Staat gefährdeten oder reine Schmähungen darstellten, blieben ebenso illegal wie der Handel mit verbotenen ausländischen Werken. Die letzte Instanz in Zensurfragen blieb Joseph II. selbst. Nachdem eine Reform der bestehenden Zensurbehörde im Staatsrat aufgrund der Kosten und des potentiellen Arbeitsaufwandes abgelehnt worden war, hob der Kaiser die Kommission am 8. April 1782 auf.1149 Er ließ die 1144 Brief Eva Königs an Lessing am 26. 10. 1772, in: Schulz: Madam, S. 200. 1145 Klingenstein: Staatsverwaltung, S. 200 1146 Vgl. grundlegend Sashegyi: Zensur; zur Übersicht Bodi: Tauwetter, S. 43–57. 1147 Zur Staatsratsdebatte: Gugler: Zensur, S. 176–180 zur Organisation: Walter: Zentralverwaltung, S. 42f. 1148 Vgl. Wagner: Zensur, S. 32f.; Bodi: Tauwetter, S. 48f.; Gnau: Zensur, S. 43–46 u. S. 49–54 sowie mit quellenkritischer Anmerkung: Sashegyi: Zensur, S. 27–29. 1149 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 62–64 u. Bodi: Tauwetter, S. 51.

224

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

weltlichen Beamten als Zensoren im Amt und ordnete sie der obersten Bildungsbehörde, also der Studienhofkommission, zu. Somit folgte deren Leiter Gottfried van Swieten nach zehn Jahren seinem Vater in das Amt des obersten Zensors nach, während der kirchliche Einfluss weitgehend ausgeschaltet wurde. Die Zusammenarbeit zwischen der Studienhofkommission und den ihr zugeteilten Zensoren wurde dabei von Joseph von Sonnenfels koordiniert, der seit 1780 Mitglied dieser Behörde war.1150 Sein Tätigkeitsbereich in der zeitweise als Studien- und Zensurssachen Commission bezeichneten Behörde wurde dabei als Zensurreferat beschrieben und umfasste keinen spezifischen Bereich der Literatur.1151 Es bleibt zu erörtern, welche Möglichkeiten sich aus dieser Position für ihn ergaben. Gottfried van Swieten schlug dem Kaiser kurz nach der Fusion der Zensurbehörde mit der Studienhofkommission einige personelle Veränderungen vor, die auf die reformorientierte Arbeitsweise der Kommission und auch auf Sonnenfels’ Einfluss hindeuten. Die neuernannten Zensoren wurden durch ihr Amt allerdings nicht gleichzeitig zu Mitgliedern der ihnen übergeordneten Studienhofkommission:1152 Joseph von Retzer, der bereits als Schüler Sonnenfels’ hervorgetreten war, erhielt die Zensur der ausländische Wochenschriften und der vermischten Gegenstände.1153 Retzer hatte sich als Herausgeber einiger Schriften seines Lehrers und Empfänger freundschaftlicher Briefe als dessen Verbündeter gezeigt und trat zu dieser Zeit auch in die von Sonnenfels und Ignaz von Born geprägte Freimaurerloge zur wahren Eintracht ein. Der Eindruck einer positiven Beziehung wird dadurch verstärkt, dass Sonnenfels sich im Zuge der Pensionierung eines älteren Zensors dafür einsetzte, dessen Gehalt zum größten Teil Retzer zuzuweisen.1154 Auch im Verhalten seines ehemaligen Studenten im Nachfolgestreit um seinen Lehrstuhl zeigen sich Hinweise auf eine langfristige gegenseitige Unterstützung. Als zweiter neuer Zensor wurde der Dichter Aloys Blumauer ernannt, der ebenfalls in der Loge zur wahren Eintracht aktiv war. Er erhielt die Zensur über die deutschsprachige nichtwissenschaftliche Literatur.1155 Blumauer wurde bereits im Kontext der Wiener Realzeitung erwähnt, für die er zeitweise gemeinsam mit Sonnenfels tätig war. Er wurde auch außerhalb des 1150 Siehe zu Sonnenfels’ Berufung Kap. 7.4. 1151 Sashegyi: Zensur, S. 41f. u. Rosenstrauch-Königsberg: Freimaurerei, S. 38. Zur Bezeichnung der Behörde vgl. AVA StudHK Kart. 133 Konv. 215 ex 1782. 1152 Zum Personal siehe Tschurtschentaler: Publizistik, S. 16–20. 1153 Ebd. S. 17 u. Sashegyi: Zensur, S. 50. 1154 Sashegyi: Zensur, S. 51. 1155 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Freimauerei, S. 13–16 u. Sashegyi: Zensur, S. 46.

Vom Autor zum Zensor – Sonnenfels als Mitglied zweier Zensurbehörden

225

Zensoramts von Gottfried van Swieten gefördert und als dessen Untergebener in der Hofbibliothek angestellt, wobei dies möglicherweise auf die Unterstützung und Empfehlung Sonnenfels’ zurückzuführen war.1156 Die dritte personelle Veränderung stellte die Ernennung des bisher lediglich als Mitarbeiter bezeichneten, erfahrenen Johann Melchior Birkenstock zum vollwertigen Zensor der politischen und militärischen Schriften dar.1157 Er war Sonnenfels durch die Ehe mit dessen junger Schwägerin Karoline Hay verbunden, die im sonnenfelsschen Haus aufgewachsen und erzogen worden war. Mehrere Briefe belegen zu dieser Zeit außerdienstliche Kontakte beider Männer, die erst später über die Rangordnung an der Akademie der bildenden Künste in Auseinandersetzung gerieten.1158 Diese personellen Veränderungen weisen in Verbindung mit Sonnenfels’ Rolle als Koordinator darauf hin, dass die Zensur nun von josephinisch geprägten Reformern ausgeübt wurde, die wie Blumauer und Sonnenfels auch als Autoren tätig waren. Gottfried van Swieten selbst setzte sich durch mehrmalige Eingriffe in die Arbeit der Zensoren für eine weitestmögliche Freiheit der Autoren und Verleger im gesetzlichen Rahmen ein.1159 Dabei gelang es ihm, vor allem das Zeitschriftenwesen in Wien zu fördern. Weiterhin deuten die Neuernennungen auf den Einfluss des Zensurreferenten Sonnenfels hin, der nun sowohl durch sein Amt als auch durch seine persönlichen Beziehungen an der Gestaltung der Zensur wesentlich beteiligt war, ohne allerdings, wie zehn Jahre zuvor, selbst mehrere Bereiche der Literatur überwachen zu müssen. Es war ihm so möglich, Teile seines universitären und seines literarischen Netzwerkes miteinander zu verbinden. Neben seinen Bekannten gab es im Jahr 1788 nur drei weitere Zensoren. Zu ihnen gehörte mit Franz Florian Khauz ein ehemaliges Mitglied der Deutschen Gesellschaft zu Wien, über dessen Verhältnis zu Sonnenfels aber nichts bekannt ist.1160 Die alltägliche Arbeit der Zensoren fand außerhalb der Studienhofkommission statt, in deren Sitzungen nur gelegentlich strittige Fragen bezüglich der Zensur diskutiert wurden, die Sonnenfels dann in Form eines Referates vorlegte.1161 Die Beamten arbeiteten formell weitgehend unabhängig in ihrem jeweiligen Fachbereich, wobei sich die erwähnte Lockerung der Zensurbestimmungen für sie auch negativ auswirkte. Zum einen wuchs die literarische Produktion und damit das Arbeitspensum rapide an, zum ande1156 Rosenstrauch-Königsberg: Freimauerei, S. 35. 1157 Weitensfelder: Studium, S. 28 u. Sashegyi: Zensur, S. 39 u. 49. 1158 HSS der WIBI Inv. Nr. 8643 u. Inv. Nr. 8639. 1159 Sashegyi: Zensur, S. 102 u. Strasser: Presse, S. 22–27. 1160 Bodi: Tauwetter, S. 51. 1161 Sashegyi: Zensur, S. 40.

226

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

ren fehlten konkrete Richtlinien. Die Zensoren besaßen eine relative Eigenständigkeit und sahen sich daher oft dem Vorwurf ausgesetzt, von persönlichen Motiven geleitet zu sein.1162 Die Häufigkeit solcher Anschuldigungen weist darauf hin, dass die Freigabe einer Schrift in der Tat wesentlich von der Meinung eines einzelnen Zensors abhängig sein konnte. Allerdings sind wiederholt Eingriffe Gottfried van Swietens in die Zuständigkeiten der Zensoren festzustellen, bei denen er bemüht war, der Zensurausübung eine tolerante und möglichst persönliche Note zu geben.1163 Die Kooperation des jüngeren van Swieten mit Sonnenfels, deren grundlegende Auffassungen vom Zweck der Zensur übereinstimmten, zeigte sich auch in der gemeinsamen bildungspolitischen Arbeit in der Studienhofkomission, wie beispielsweise in der Debatte um die Verwendung einheitlicher Lehrbücher für die höheren Schulen in der Habsburgermonarchie.1164 Sonnenfels stellte sich hier mit van Swieten gegen seinen ehemaligen Lehrer Martini, der für die Beibehaltung regionaler Unterschiede eintrat. Doch obwohl Sonnenfels eine zentrale Position einnahm, ist davon auszugehen, dass Gottfried van Swieten aufgrund seiner höheren Stellung und seines Zugangs zu Joseph II. die zentrale Figur der josephinischen Zensur darstellte. Sonnenfels erscheint hierbei als dessen engster Mitarbeiter und fungierte als Bindeglied zwischen den Zensoren und der Hofkommission. Da die Akten der Zensurbehörde durch den Brand des Justizpalastes 1927 vernichtet wurden, ist eine genaue Analyse seiner tatsächlichen Einflussnahme aber leider nicht möglich. Die Tatsache, dass weder er selbst noch Schüler, die zu seinen Gunsten schrieben, von der Zensur beeinträchtigt wurden, ist nur ein Indiz; die Freigabe ihrer Werke könnte ebenso den Lockerungen der allgemeinen Rahmenbedingungen zugeschrieben werden. Die so geschaffene Zensurordnung blieb bis zur Herrschaft Leopolds II. trotz einiger Verschärfungen angesichts der revolutionären Ereignisse in Frankreich im Wesentlichen bestehen.1165 Unter dem neuen Kaiser wurde die Zensur dann aus der Kompetenz der Studienhofkommission ausgegliedert, der Hofkanzlei unterstellt und verschärft.1166 Sonnenfels verlor seinen Posten als Zensurreferent und Leopold II. befahl angesichts der in seinen Augen notwendigen strengeren Handhabung der Zensur, neues Personal anzuwerben und speziell die Professoren der Wiener Universität Schriften ihrer jeweiligen Fachgebiete zensieren zu lassen.1167 Auf diese Weise war es 1162 Seidler: Buchmarkt, S. 55 u. Tschurtschentaler: Publizistik, S. 18. 1163 Sashegyi: Zensur, S. 43. 1164 Bodi: Tauwetter, S. 56; zu den gemeinsamen bildungspolitischen Vorhaben vgl. Kap. 7.4. 1165 Wangermann: Trials, S. 45f. u. Sashegyi: Zensur, S. 228. 1166 Wagner: Zensur, S. 35f. 1167 Lettner: Aufklärung, S. 41; vgl. Die Schilderung Leopold Alois Hoffmanns an Leopold II.:

Sonnenfels als Sprachkritiker und „Staatsstilist“

227

möglich, dass Professor Joseph Watteroth, wie im Konflikt um Sonnenfels’ Nachfolge beschrieben, zum Zensor der Wiener Zeitschrift von Leopold Alois Hoffmann ernannt wurde. Mit diesen Maßnahmen endete Sonnenfels’ Einfluss auf die Zensur. Während sie unter Joseph II. aus Sicht der Mitarbeiter noch einen pädagogischen Zweck zur Bildung des Volkes besaß, so wurde sie nun zu einem Organ der staatlichen Sicherheitspolitik.1168 Sie verlor damit ihren fürsorgenden Charakter im Sinne der älteren frühneuzeitlichen Polizey und wurde Mittel der Kontrolle im Sinne der modernern Polizei. Dies lag neben der politischen Entwicklung zur Zeit der Französischen Revolution sicherlich auch daran, dass ohne den jüngeren Swieten einflussreiche Persönlichkeiten unter den Zensoren fehlten. Sonnenfels persönlich beteiligte sich zwar nicht mehr an der Zensur, wirkte aber noch durch seine Ausarbeitung von Polizeiverordnungen auf die Rahmenbedingungen dieser Einrichtung in der franziszeischen Zeit.

5.5 Sonnenfels als Sprachkritiker und „Staatsstilist“ Der Wunsch, durch Kritik und Beispiel auf die Entwicklung der deutschen Sprache in Österreich einzuwirken, ist eine Grundkonstante in Sonnenfels’ Leben. Anfang der achtziger Jahre, zu Beginn der Alleinherrschaft Josephs II., ergab sich für ihn eine neue Gelegenheit, dieses Ziel zu erreichen. Im Staatsrat wurde im Frühjahr 1781 eine anonyme Anfrage über die Umständlichkeit und den Umfang des Schriftverkehres zwischen den Behörden besprochen. Man wandte sich daraufhin an Sonnenfels und befahl ihm, ein Gutachten darüber zu verfassen: wie künftighin bey allen Eingaben, die den Behörden überreichet würden, […] auf das kürzeste gefasset, wie die Korrespondenz zwischen den unteren Behörden und von stelle zu stelle auf ähnliche art eingerichtet, wie die Amtsberichte […] kurz und deutlich stylisiret, dann wie mit der nemlichen Beobachtung wiederum die allseitig ergehende befehle, Rescripte und Anordnungen, endlichen aber wie die Vorschriften dazu für alle Behörden hier und in den Ländern auf einmal abgefasset werden sollten.1169 Die Tatsache, dass gerade Sonnenfels diesen umfangreichen Auftrag erhielt, wird zu dieser Zeit durch mehrere Qualifikationen begrünHHStA VA Kart. 38 fol. 266r.–267v. Bericht vom 16. September, spez. fol. 266v. zu Swietens Verhalten. 1168 Bodi: Tauwetter, S. 52 u. zur Haltung Josephs II. zur Zensur als Mittel zur Bildung des Volkes vgl. Gnau: Zensur, S. 22 u. Olechowski: Zensur, S. 138. 1169 HHStA Staatsratsindex 419 ex 1781 u. 1627 ex 1781.

228

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

det. Er hatte zum einen angeboten, den Lehrstuhl für allgemeine deutsche Eloquenz zu übernehmen und ihn zu einem Lehrstuhl für behördenbezogenen Geschäftsstyl umzuwandeln. Dadurch betonte er seine sprachliche Expertise, die er als bekannter Autor und ehemaliger Zensor erworben hatte. Zum anderen war er seit zwei Jahren mit der Vorarbeit für eine Sammlung und Systematisierung älterer Gesetze und Patente betraut, so dass er mit der Materie bestens vertraut war.1170 Sonnenfels führte den Auftrag aus und reichte umfangreiche Vorschläge zur Reform des Schriftverkehrs und zur sprachlichen Ausarbeitung von Erlässen und Patenten ein.1171 Nach Beratungen mit Staatsrat und Hofkanzlei nahm Joseph II., der zugleich auch Sonnenfels’ Vorlesungen über den Geschäftsstyl genehmigt hatte, den Entwurf an. Auf einen Vorschlag der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei hin befahl er außerdem entgegen der Meinung des Staatsrates: Der Sonnenfels ist künftig über ein jedes hinaus zugebendes Patent, so viel den Styl betrifft vorher mit seinem Gutachten zu vernehmen.1172 Durch diesen Befehl und die Annahme seiner Vorschläge erhielt Sonnenfels eine neue offizielle Funktion, welche gewissermaßen als die eines „Staatsstilisten“ bezeichnet werden kann. Er entwarf daraufhin sein bereits erwähntes Lehrbuch des Geschäftsstyls, das zur Grundlage des innerbehördlichen Schriftverkehrs wurde und unterrichtete die zukünftigen Beamten. Außerdem war er von nun an bezüglich der sprachlichen Gestaltung in Gesetzgebungsverfahren eingebunden.1173 Die Berufung eines Beamten von Sonnenfels’ Qualifikation in diese Position verdeutlicht die generelle Zielsetzung Josephs II., die deutsche Sprache zur Amts- und Verwaltungssprache der gesamten Monarchie zu machen, was vornehmlich gegen die Verwendung des Lateinischen in Ungarn gerichtet war.1174 Für den Monarchen bot es Vorteile, wenn die Korrektur von Gesetzen, die Ausbildung der neuen Beamten und die Reform des Kanzleistils von einer einzigen Person und somit einheitlich durchgeführt wurden. So kamen Sonnenfels die Zentralisierungsbestrebungen Josephs II. zugute. Die praktische Durchführung der stilistischen Revision von Patenten und Verordnungen erwies sich allerdings als umstritten.1175 Schon bald wandten 1170 Vgl. zu letzterem Aspekt Kap. 7.6.1 1171 HHStA Staatsratsindex 1277 ex 1781. 1172 HHStA Staatsratsindex 2673 ex 1781; zu den Stellungnahmen der beratenden Behörden siehe Osterloh: Reformbewegung, S. 237 u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 126. 1173 Zur Bedeutung vgl. Bodi: Sprachregelung, S. 122–142. 1174 Winter: Frühliberalismus, S. 23f. 1175 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 234–238. Zum Fall des ersten überarbeiteten Patentes, das im Staatsrat besprochen wurde: HHStA Staatsratsindex 408, 1292, 2857 und 3643 ex 1783.

Sonnenfels als Sprachkritiker und „Staatsstilist“

229

sich die ersten Behörden an den Kaiser und forderten ihn auf, von Sonnenfels vorgenommene Änderungen zurückzunehmen. Wenn die konkreten Beispiele, wie die Streichung eines Adjektivs, auch sekundär erscheinen, so ging es den Gesetzgebungskommissionen doch darum, ein Recht auf Rekurs an den Kaiser zu erhalten, um in Zukunft gegen eventuell umfangreichere und auf den Inhalt bezogene Überarbeitungen Einspruch einlegen zu können. Joseph II. bestätigte dieses Recht und verwies darauf, dass die Revision ausschließlich der Verbesserung des Stils zugunsten der Verständlichkeit dienen solle.1176 Als im Jahr 1786 aber weitere Beschwerden darüber eingingen, dass eine Stilrevision die Gesetzgebung verzögere, beschloss Joseph II. am 11. März: Die Gesetzgebung sei künftig am besten geregelt, wenn sich die Hofstelle mit der Verfassung des Aufsatzes der öffentlichen Anordnung selbst nicht abgibt, sondern lediglich jene Acten, die den Stoff der neuen von mir quod Materiale bereits festgesetzten Gesetzgebung enthalten gleich „brevi manu“ dem Hofrath von Sonnenfels zu dem Ende übergibt, auf dass er hiernach den PatentsEntwurf verfassen, und solchen […] dem Präsidio zu Approbation vorlegen solle.1177 Die Position des Stilisten im Gesetzgebungsverfahren wurde somit gestärkt, da nun überhaupt kein Gegenentwurf mehr vorlag und die Hofstelle nun nicht einfach Änderungen ablehnen, sondern eigene Vorschläge begründen musste. Darüber hinaus war Sonnenfels zu dieser Zeit Zensurreferent der Studienhofkommission und hatte durch sein an allen Hochschulen verwendetes Lehrbuch über den Geschäftsstyl zusätzliche Autorität in Stilfragen gewonnen.1178 Dass Joseph II. allerdings lediglich eine Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens und keineswegs einen gestaltenden Einfluss Sonnenfels’ auf die Gesetzgebung beabsichtigte, zeigt eine Resolution vom 5. November 1786. Man solle: dem Sonnenfels aber die Weisung geben, dass er künftig sich über die Beurtheilung des Materialis der in Druck legenden Verordnungen nicht mehr einlassen, sondern seine Bearbeitung blos auf die Güte des Stylls beschrenken, und also selbe mehr als bis jetzo, beschleunigen soll.1179 Nach dieser Ermahnung blieb die Beteiligung Sonnenfels’ an der Gesetzgebung offenbar weitgehend unverändert und unkommentiert. Auch unter der Herrschaft Leopolds II. und Franz’ II. überarbeitete er die ausgehenden Patente und Gesetze gemäß dem etablierten Verfahren.1180 1176 Osterloh: Reformbewegung, S. 237f. 1177 HHStA Staatsratsindex 987 ex 1786. Vgl. auch Staatsratsindex 1510 u. 3930 ex 1786. 1178 Vgl. Bodi: Sprachregelung, S. 123f. 1179 HHStA Staatsratsindex 4287 ex 1786. 1180 Vgl. bspw. HHStA Staatsratsindex 5421 ex 1792 u. 5757 ex 1798.

230

Sonnenfels als Schriftsteller, Zensor und Stilrevisor

Seine Möglichkeiten, auf den Inhalt der Dokumente Einfluss zu nehmen, sind aufgrund der Quellenlage nicht mehr zu rekonstruieren.1181 Zu beachten ist, dass Sonnenfels oftmals selbst in der Kommission saß, welche für den Monarchen die Grundlagen eines neuen Gesetzes erarbeitete. In diesen Fällen ist die stilistische Überarbeitung eher als eine Ergänzung zu verstehen. Anders stellte sich die Lage dar, wenn er keinen Einfluss auf die Vorbereitung der Entwürfe gehabt hatte. Noch 1798 zeigen die Protokolle des Staatsrates in solchen Fällen Beschwerden über seine inhaltlichen Eingriffe in kaiserliche Patente.1182 In diesem Jahr ging er so weit, dass Franz II. befahl: Das Präsidium der galiz[ischen]. Hofkanzley hat den Hofrath v. Sonnenfels zu sich zu beruffen, demselben sein diesfälliges Benehmen zu verweisen, u. ihm anzudeuten, wen er Erinnerungen, die nicht den Styl und die Sprache allein treffen, zu machen hat, er solches dem Präsidio anzeigen, niemals aber ein neues Patent zu verfassen befugt seyn sollte.1183 Die Tatsache, dass es einer derartigen Ermahnung bedurfte, ist als Indiz für wiederholte Manipulationsversuche Sonnenfels’ zu werten. Bei der folgenden Analyse einzelner Reformprojekte ist daher seine Einflussnahme als „Staatsstilist“ jeweils im Einzelfall zu untersuchen. Gleiches gilt für die Auswirkungen der damit verbundenen Kompetenzen auf seine Beziehung zu anderen, am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Personen. Sonnenfels’ neue Aufgabe wurde von ihm und seinen Schülern als eine besondere Ehre und Auszeichnung beschrieben: Hier dürfen wir auch die Betrachtung nicht außer acht lassen, dass nur wenige Provincen Deutschlands das Glück haben einen Sonnenfels zu besitzen, und dass er es ist, der berufen wurde, den Gesetzen Joseph II. eine ihrem wichtigen inneren Gehalte angemessene Einkleidung zu geben, durch welche er dem Ruhme, den sie erhalten, und der allgemeinen Aufmerksamkeit, die sie erregen, so zu sagen, den Weg bahnet, und dass die edle Einkleidung, worauf wir Stolz thun können, dieses Mannes Werk allein ist.1184 Durch solche und ähnliche Schilderungen wurde Sonnenfels’ immer wieder vorgebrachte glorifizierende Selbstdarstellung einmal mehr bekräftigt. Seine Leistungen auf dem Gebiet der Sprachreform zeigen allerdings, dass die öffentliche Figur „Sonnenfels“, die aus all den positiven Beschreibungen entstand, zwar nicht frei von Übertreibungen war, aber keineswegs als Fiktion abgetan werden kann – schuf er doch auf sprachlicher Ebene Grund1181 Wobei Osterloh: Reformbewegung, S. 237 eine Einflussnahme generell für möglich hält. 1182 HHStA Staatsratsindex 5757 ex 1798. 1183 Ebd. 1184 Anonym: Anhang zu dem Werke über den Geschäftsstil des Hrn. Hofraths und Professors von Sonnenfels. Herausgegeben von einem seiner Zuhörer, Wien 1787, S. 143.

Sonnenfels als Sprachkritiker und „Staatsstilist“

231

lagen für Beamtenausbildung, Verwaltung und Gesetzgebung, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts nachwirkten.1185 Dies erreichte er zunächst durch die direkte Unterstützung Josephs II., bevor er später aufgrund seiner fachlichen Autorität seine Position langfristig ohne nachweisliche Förderer halten konnte. Der Ausnahmecharakter dieses Amtes wird dadurch unterstrichen, dass Sonnenfels in Streitfällen ohne Unterstützung anderer Personen dem Monarchen gegenübertrat, der dann eine Wahl zwischen den unterschiedlichen Ansichten oder Formulierungsvorschlägen traf. Es scheint, als sei er erstmals ohne Mitarbeiter oder Kollegen mit einer Zuständigkeit versehen worden, die mehr auf seinen nachweislichen Qualifikationen basierte als auf seinen sozialen Beziehungen.

1185 Bodi: Sprachregelung, S. 141f.

6. W iener G eselligkeit

und geheime

G esellschaften

6.1 Ausflüge, Abendgesellschaften und Salons Joseph von Sonnenfels besuchte über mehrere Jahrzehnte hinweg regelmäßig Abendgesellschaften in Wien, bei denen sich ihm zahlreiche Möglichkeiten sozialer Interaktion eröffneten. Der soziale Raum, in dem er und seine Bekannten sich dabei bewegten, lässt sich generell als ein halböffentlicher bezeichnen.1186 Halböffentlich deswegen, weil die Gesellschaften einerseits in Einzelfällen mehrere hundert Gäste umfassen konnten und keiner Geheimhaltung unterlagen, andererseits die Teilnahme aber an Beziehungen zu den Gastgebern gebunden blieb, die durch Verwandtschaft, gemeinsame berufliche Tätigkeit oder kulturelle Interessen begründet waren. So entstand ein von der Öffentlichkeit getrennter Bereich, in dem Unterhaltung durch Spiel und Musik und auch politische Diskussionen in ausgewählter Runde möglich waren. Im Mittelpunkt dieser Zirkel stand meist eine Frau, die als Gastgeberin fungierte und die Gespräche oder das Unterhaltungsprogramm organisierte.1187 Die bedeutende Rolle der Frauen, die damit die Verantwortung für die Qualität der Abendgestaltung übernahmen, wurde durch den halböffentlichen Charakter dieser Runden gefördert.1188 Die Zusammenkünfte fanden an bestimmten Tagen statt, an denen die bereits in der Gesellschaft etablierten Besucher im Haus der Gastgeberin erschienen.1189 Der Kreis dieser regelmäßigen Besucher, der habituées, konnte bei jedem Treffen noch um zusätzliche Gäste erweitert werden, sofern sie

1186 Vgl. Tolkemitt, Brigitte: Knotenpunkte im Beziehungsnetz der Gebildeten: Die gemischte Geselligkeit in den offenen Häusern der Hamburger Familien Reivarus und Sieveking, in: Weckel, Ulrike (Hg.): Ordnung, Politik und Geselligkeit der Geschlechter im 18. Jahrhundert (Das achtzehnte Jahrhundert, Supplemente, Bd. 8), Göttingen 1998, S. 167–169; Fiorioli, Elisabeth: Die Wiener Salonkultur als Spiegel der Gesellschaft, in: Csáky, Moritz u. Pass, Walter (Hg.): Europa im Zeitalter Mozarts Wien, Köln, Weimar 1995, S. 291–294, hier S. 291f. 1187 Dies galt für jede nachweislich von Sonnenfels besuchte Abendgesellschaft, vgl. allg.: Drewitz, Ingeborg: Berliner Salons. Gesellschaft und Literatur zwischen Aufklärung und Industriezeitalter, 3. Aufl. Berlin 1984, S. 8; Heyden-Rynsch, Verena von der: Europäische Salons: Höhepunkte einer versunkenen weiblichen Kultur, Reinbeck 1995, S. 16 u. Prohaska, Gertrude: Der literarische Salon der Karoline Pichler, Diss. Wien 1946, S. 1. 1188 Tolkemitt: Knotenpunkte, S. 169. Vgl. Tanzer, Gerhard: Spectacle müssen sein. Die Freizeit der Wiener im 18. Jahrhundert (Kulturstudien Bd. 21), Wien u.a. 1992, hier S. 205. 1189 Vgl Heyden-Rynsch: Salons, S. 16 u. Tanzer: Spectacle, S. 202.

234

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

Empfehlungen oder Einladungen erhielten.1190 Im Falle Wiens ist zu beobachten, dass verschiedene Abendgesellschaften ihre Sitzungen auf unterschiedliche Wochentage verteilten, so dass jeden Abend mindestens eine besucht werden konnte.1191 Der Verlauf der jeweiligen Zusammenkunft konnte dabei in Wien, wie auch an anderen Orten, je nach Status und Intention der Gastgeberin stark differieren und bewegte sich zwischen den Polen eines repräsentativen und aufwendigen Festes einerseits und relativ bescheiden gehaltener Runden, in denen Wert auf Konversation gelegt wurde, andererseits.1192 Besonders die Schriftsteller der Aufklärungsbewegung waren in ihren Schilderungen um eine Abgrenzung zwischen beiden Arten bemüht. Sie unterstellten dem hohen Adel, er strebe nur nach Unterhaltung und maßen hingegen den Treffen des Dienstadels und des Beamtentums kulturelle Bedeutung bei.1193 Diese Unterscheidung dürfte aber in Wirklichkeit keineswegs so eindeutig gewesen sein, da sich Unterhaltung und kulturelles Engagement vermischten. Mahlzeiten, Kartenspiele, aber auch Theateraufführungen, Lesungen und Konzerte konnten bei den Abendgesellschaften ineinander übergehen, die in der Literatur oftmals unter dem nicht eindeutig definierten Begriff des „Salons“ summiert werden.1194 Dort standen meist besondere Vertraute der Gastgeberin, oftmals Schriftsteller, im Mittelpunkt der Gespräche und prägten die Abende. Ihr selbst und auch anderen weiblichen Gästen boten solche Treffen wiederum eine Möglichkeit, sich an aktuellen Diskussionen zu beteiligen und kulturelle Entwicklungen mitzugestalten.1195 Die erste Abendgesellschaft, an der Sonnenfels seit den späten sechziger Jahren regelmäßig teilnahm, wurde von Charlotte von Greiner (1740–1816) und ihrem Mann Franz (1732–1798) ausgerichtet, der im Range eines Hofrates der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei stand.1196 Diese Fami1190 Heyden-Rynsch: Salons, S. 17. 1191 Heyden-Rynsch: Salons, S. 17 u. Spiel: Arnstein, S. 138. 1192 Vgl. zur Unterscheidung Tolkemitt: Knotenpunkte, S. 172. 1193 Vgl. exemplarisch die zeitgenössische Darstellung: Pezzl, Johann: Skizzen von Wien, Wien 1787, S. 230. Die dortige Pauschalisierung ist allerdings in Zweifel zu ziehen, vgl. Carl, Horst: Fürstenhof und Salon – adeliges Mäzenatentum, in: Csáky, Moritz u. Pass, Walter (Hg.): Europa im Zeitalter Mozarts, Wien, Köln, Weimar 1995, S. 50–58, hier S. 56. 1194 In der Forschung wird für solche Zusammenkünfte seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts – entgegen dem Sprachgebrauch der Zeitgenossen – oft der eigentlich erst im 19. Jahrhundert übliche Begriff des „Salon“ verwendet: Vgl: Fiorioli: Spiegel, S. 291–294 u. Carl: Fürstenhof, S. 55; vgl. Zum Begriff ausführlich: Heyden-Rynsch: Salons, S. 11–21. 1195 Pointiert zur damit verbundenen Rolle der Frau in der Aufklärung: Weckel, Ulrike (Hg.): Ordnung, Politik und Geselligkeit der Geschlechter im 18. Jahrhundert (Das achtzehnte Jahrhundert, Supplementa, Bd. 6), Göttingen 1998, S. 7–11. 1196 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg, Edith: Aloys Blumauer – Jesuit, Freimaurer, Jakobiner,

Ausflüge, Abendgesellschaften und Salons

235

lie war aufgrund des persönlichen Dienstes von Charlotte von Greiner als Kammerfrau, Vorleserin und Sekretärin Maria Theresias eng mit dem Hof verbunden und verfügte bis zur Alleinherrschaft Josephs II. über ein mietfreies Hofquartier, in dem fünf Räume nur für Geselligkeiten genutzt werden konnten.1197 Die Tochter der Beiden, Caroline von Greiner (1769–1843) die später unter dem Namen Pichler als Schriftstellerin bekannt wurde, notierte in ihrem Tagebuch: Jeden Abend war Gesellschaft.1198 Sie beschrieb, wie die Gäste sich dabei in drei Gruppen teilten: Eine junge, welche Theater spielte und musizierte, eine gelehrte, welche Konversation betrieb, und eine dritte von älteren Besuchern, die vornehmlich an einem geselligen Umtrunk Interesse hatte.1199 Die Versammlungen dauerten von sieben bis zehn Uhr abends und hatten stets die aufgrund ihrer Stellung und Sprachkenntnisse angesehene Charlotte von Greiner zum Mittelpunkt.1200 Bevorzugter Gast und Kern der gelehrten Versammlung war der in Wien gebürtige Schriftsteller Lorenz Leopold Haschka (1749–1827), der nach und nach andere Autoren in die Runde einführte.1201 Durch ihn gelangte auch Sonnenfels in diese Gesellschaft, wo man sich durch Lesungen und kleine Aufführungen mit neuer Literatur auseinandersetzte.1202 Dies bot jungen Autoren einen Rahmen, in dem sie sich einem ausgewählten Publikum präsentieren und Kontakte knüpfen konnten. So begegnete Sonnenfels hier beispielsweise Aloys Blumauer, seinem späteren Kollegen bei der Realzeitung und der Zensurbehörde. Auch die Gastgeber selbst waren literarisch tätig und ihre Tochter Caroline unternahm früh erste Schreibversuche, die in dieser Runde besprochen wurden. Neben kulturellen wurden aktuelle politische Themen wie die Abschaffung der Todesstrafe diskutiert.1203 Musikalische Darbietungen rundeten oftmals das Programm ab, wobei neue Kompositionen präsentiert und kommentiert wurden.1204

in: Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte Tel Aviv, Bd. 2 1973, S. 145–171, hier S. 55; Pichler, Caroline: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, 2. Aufl. hg. von Blümmel, Karl Emil, 2 Bde. München 1914, Bd. 1, S. 49 u. ebd. Bd. 2, S. 398f. Zu Franz Greiner: vgl. Luca: Österreich, S. 158–160. 1197 Vgl. Prohaska: Pichler, S. 18f. u. S. 21; Landon, Else: In der Gunst der Kaiserin. Karrieren unter Maria Theresia, Wien 1997, S. 17–67; Tanzer: Spectacle, S. 201 u. 204 u. Pichler: Denkwürdigkeiten, S. 43. 1198 Pichler: Denkwürdigkeiten, S. 53. 1199 Ebd., S. 150. 1200 Prohaska: Pichler, S. 22. 1201 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Freimaurerei, S. 13 u. Landon: Karrieren, S. 53f. 1202 Prohaska: Pichler, S. 23. 1203 Prohaska: Pichler, S. 22. 1204 Ebd., S. 23f. u. Landon: Karrieren, S. 51.

236

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

Daher besuchten neben Sonnenfels, der regelmäßiger Gast dieser Treffen wurde, auch bedeutende Musiker wie Mozart, Haydn und Salieri und mehrere ranghohe Beamte, die zu den Kollegen und Vorgesetzten Greiners gehörten, diesen Zirkel. Als Beispiel sind hier der bekannte Staatsrat Tobias von Gebler, Gottfried van Swieten oder der spätere Mann von Sonnenfels’ Schwägerin, Johann Melchior Birkenstock zu nennen.1205 Über Sonnenfels’ tatsächlichen Umgang im Hause Greiner kann jedoch mangels Quellen keine Aussage getroffen werden. Für ihn bestand hier aber ein hohes Potential, neue Kontakte zu Personen zu knüpfen, mit denen er beruflich und durch gemeinsame Interessen verbunden war. Von besonderer Bedeutung dürfte dabei die Nähe der Gastgeber zum Hof gewesen sein. Franz und Charlotte von Greiner besaßen das Vertrauen der Kaiserin und ständigen Zugang zu ihr, den die Monarchin für einen intensiven Briefwechsel nutzte.1206 Hinweise darauf, dass beide Greiner diese Möglichkeit zugunsten Sonnenfels’ gebrauchten, in Streitfragen zu seinen Gunsten intervenierten oder für seine Schriften ein gutes Wort bei der Herrscherin einlegten, lassen sich allerdings, abgesehen von einer kurzen Danksagung in seinen Gesammelten Schriften, nicht durch Quellen bestätigen.1207 Es ist jedoch durch die im Laufe der Zeit immer enger werdende Verbindung des Professors zur Familie Greiner wahrscheinlich. Er und Franz von Greiner waren Kollegen bei der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei und engagierten sich in den achtziger Jahren gemeinsam in derselben Freimaurerloge.1208 Caroline, die Tochter der Familie Greiner, lernte durch Sonnenfels einen seiner Protegés, den späteren niederösterreichischen Regierungsrat Andreas Pichler (1764– 1837) kennen.1209 Caroline und Andreas heirateten 1793 und Sonnenfels, der als Trauzeuge fungierte, blieb dem Paar noch über Jahre als Hausgast verbunden.1210 Diese Nähe nahmen auch Sonnenfels’ Kontrahenten war, für die Pichler schlicht als Spion Sonnenfels’ galt.1211

1205 Prohaska: Pichler, S. 25–28 u. zu weiteren Gästen auch S. 33–41. Vgl. Jakob: Folianten, S. 138 u. Landon: Karrieren, S. 62. 1206 Arneth, Alfred von: Maria Theresia und der Hofrath von Greiner, Wien 1859. 1207 Pichler: Denkwürdigkeiten, Anmerkungen, S. 459; Prohaska: Pichler, S. 32. Sonnenfels: Herz, S. 21, vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 306. 1208 Pichler: Denkwürdigkeiten, Anmerkungen, S. 459; vgl. zur Freimaurerei Kap. 6.2. 1209 Zur Biographie Caroline Pichlers vgl. den gleichnamigen Artikel in Wurzbach: Lexikon, Bd. 22, S. 242–253 u. Jordan, Stefan: Pichler, Caroline, in: NDB Bd. 20, S. 411–412. Zu Sonnenfels’ Unterstützung für Andreas Pichler vgl. außerdem ein Empfehlungsschreiben in: HHS der WIBI, Inv. 760. 1210 Prohaska: Pichler, S. 43 u. Pichler: Denkwürdigkeiten, S. 189. 1211 HHStA VA Kart. 41 Konv. 1–292 , Fol. 177v. Watteroth: Nachrichten vom Anwachsen der Assoziation.

Ausflüge, Abendgesellschaften und Salons

237

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gründete Caroline Pichler ihren eigenen Salon, wie sie ihn explizit nannte, um literarische Neuerscheinungen zu diskutieren.1212 Obwohl Sonnenfels den weiteren Berufsweg ihres Mannes zum Regierungsrat begleitete und von ihm in einem 1801 veröffentlichten Lobgedicht geehrt wurde, erscheint er nicht unter den Besuchern dieses neuen literarischen Zirkels. Dies könnte daran liegen, dass die anderen Gäste mehrere Jahrzehnte jünger waren als er.1213 Einen deutlichen Kontrast zu den Gesellschaften der Familie Greiner stellten die ab Mitte der siebziger Jahre von Sonnenfels ebenfalls regelmäßig besuchten Veranstaltungen der jüdischen Bankiersfamilie Arnstein dar.1214 Diese Familie hatte eine Führungsrolle unter den tolerierten jüdischen Familien Wiens inne und ihr Oberhaupt leitete das Bankhaus Arnstein&Eskelez. Die Frau des einzigen Sohnes, die aus Berlin stammende Franziska von Arnstein (1758–1818), lud in ihrem Palais am hohen Markt zu Zusammenkünften, die sich durch großen Aufwand und zahlreiche Gäste auszeichneten.1215 Sie selbst war aufgrund ihrer Erscheinung und ihrer Umgangsformen sehr beliebt und hatte vertraulichen Umgang mit Joseph II., der Anlass zu Gerüchten bot.1216 Im Mittelpunkt ihrer Veranstaltungen, bei denen sich bis zu vierhundert Gäste amüsierten, standen Musik und Tanz, wobei sie in einigen Fällen auch Lesungen oder Diskussionen über kulturelle Themen in kleinerer Runde anregte.1217 Eine Gästeliste ist nicht überliefert, doch die Anwesenheit Josephs II. legt nahe, dass sich weitere ranghohe Persönlichkeiten einfanden.1218 Nach Ende der josephinischen Ära setzte Franziska von Arnstein die Veranstaltungen in einem kleineren Rahmen fort und bemühte sich stärker um eine Balance zwischen kulturellem Anspruch und aufwendiger Unterhaltung, was auch die Mischung ihres Publikums bedingte: Hier kamen ranghohe Beamte, Künstler, aber auch Mitglieder der wirtschaftlichen Elite Wiens und der ihr angehörenden jüdischen Familien zusammen.1219 Sonnen1212 Zur Gründung und zur Geschichte zu Lebzeiten Sonnenfels’: Prohaska: Pichler, S. 64–133. 1213 Das Lobgedicht erschien in: Sonnenfels, Joseph von: Charakteristisches Porträt eines der würdigsten österreichischen Staatsmänner von ihm selbst. Mit einem Schreiben an Ihn. Herausgegeben von einem seiner Verehrer [Andreas Pichler], Wien 1801. Zur Trennung von Sonnenfels und Pichler: Pichler: Denkwürdigkeiten, Anmerkungen, S. 498 u. 588. 1214 Heyden-Rynsch: Salons, S. 163 u. Höslinger: Student, S. 149. Zur Familie Arnstein: Spiel: Arnstein, S. 55, 69 u. S. 75 u. Andics: Juden, S. 202. 1215 Heyden-Rynsch: Salons, S. 162. 1216 Spiel: Arnstein, S. 101 u. 122. 1217 Tanzer: Spectacle, S. 208. 1218 Spiel: Arnstein, S. 122. 1219 Bodi: Tauwetter, S. 77 betont das als besondere Qualität dieser Treffen, vgl. Tanzer: Spectacle, S. 206.

238

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

fels kam hier eine herausragende Rolle als Vertrauter der Gastgeber zu, da Franziska Arnstein mit ihm regelmäßig vor anderen Gästen über die Bedeutung des Judentums, der Toleranz und der Konversion diskutierte.1220 Die Tatsache, dass Sonnenfels’ Familie im Judentum großen Einfluss besessen hatte und einige Vorfahren einen exzellenten Ruf als Schriftgelehrte hatten, erlaubte es ihm, als Mittler zwischen verschiedenen Besuchergruppen zu agieren und eine zentrale Figur dieser Gesellschaften zu sein. Er nahm schließlich für die Familie eine derartige Bedeutung ein, dass er bei Übertritt eines Mitgliedes zum Christentum als Taufpate zur Verfügung stand und trotzdem zu den im Judentum verbleibenden Mitgliedern ein enges Verhältnis behielt.1221 Wegen der großen Konkurrenz anderer abendlicher Unterhaltungen verlor die Gesellschaft im Hause Arnstein aber mit zunehmendem Alter der Anwesenden und eventuell kriegsbedingt sinkendem finanziellen Aufwand gegen Ende des 18. Jahrhunderts an Publikum. Sonnenfels und auch seine Frau blieben allerdings weiterhin unter den Gästen. Die Gastgeberin reagierte zu Beginn des 19. Jahrhunderts und betonte nun den bisher nur teilweise gepflegten intellektuellen Charakter, um einen Ort für gehobene Konversation einzurichten. Im Gegensatz zum Salon der Caroline Pichler wollte sie mit ihren Gästen über die Literatur hinaus allgemeine politische Themen in angenehmem Rahmen aufgreifen.1222 Ihr Konzept war zur Zeit des Wiener Kongresses besonders erfolgreich, als einflussreiche Vertreter der beteiligten Mächte wie der Herzog von Wellington, Wilhelm von Humboldt oder der Freiherr von Hardenberg in ihrem Haus mit Gelehrten wie August Wilhelm Schlegel verkehrten.1223 Sonnenfels und die Familie Arnstein blieben einander auch zu dieser Zeit verbunden.1224 Alle Abendgesellschaften boten eine Möglichkeit, über den unmittelbaren Zweck der Unterhaltung hinaus eine weiterführende langfristige persönliche Beziehung zu den Gastgebern zu begründen. Darüber hinaus wurden enge inoffizielle Bindungen geknüpft, die aufgrund der Netzwerke der verschie1220 Spiel: Arnstein, S. 139–145 u. 282. 1221 Am 28. Nov. 1805 ließ Henriette, die Tochter Franziska Arnsteins, ihr Kind taufen und vollzog mit ihrem Mann 1810 denselben Schritt. Sonnenfels war in beiden Fällen Pate. Vgl. Lindner: Sonnenfels, S. 186 u. Spiel: Arnstein, S. 298 u. 357. 1222 Heyden-Rynsch: Salons, S. 164. 1223 Heyden-Rynsch: Salons, S. 165 u. Tietze, Hans: Die Juden Wiens. Geschichte – Wirtschaft – Kultur, Wien 1987, S. 141. 1224 Die lange Dauer der Verbindung von Sonnenfels zum Hause Arnstein beschreibt auch der Jurist Carl Joseph Pratobevera, ein Schüler und späterer Kollege Sonnenfels’, in seiner Autobiographie: Neschwara, Christian (Hg.): Ein österreichischer Jurist im Vormärz. „Selbstbiographische Skizzen“ des Freiherrn Karl Josef Pratobevera (1769–1853), (Rechtshistorische Reihe Bd. 374), Frankfurt a. M. u.a. 2009, S. 64f.

Ausflüge, Abendgesellschaften und Salons

239

denen Gäste Sonnenfels potentiell Einfluss in der Staatsverwaltung eröffneten. Außerdem boten ihm diese Gesellschaften eine Bühne zur Selbstdarstellung und Selbstinszenierung. Er konnte hier in Diskussionen als Akteur der Aufklärungsbewegung in Erscheinung treten und durch seine Nähe zu den Gastgebern eine einflussreiche Stellung bekleiden. Die Prominenz und die Kenntnisse einiger Teilnehmer gaben der Präsentation und Verteidigung seiner Reformkonzepte in diesen halböffentlichen Räumen besondere Bedeutung. Hier konnte er auf eine neue unmittelbar an seine sozialen Beziehungen gebundene Art Ansehen als Gelehrter und Reformer erwerben. Anders scheint dies bei den Veranstaltungen der dritten und letzten Gastgeberin gewesen zu sein, die Sonnenfels und seine Frau besuchten. Hierbei handelte es sich um die Gräfin Marie Wilhelmine von Thun-Hohenstein (1744–1800), einer Vertreterin des Wiener Hochadels, die, wie Georg Forster berichtete, zu kleinen sehr exklusiven Treffen lud: der Kaiser, Kaunitz [junior], die Engländer, die sich hier aufhalten, besuchen oft ihre Zirkel.1225 Über den Verlauf der Versammlungen führt er aus: Fast alle Abend zwischen neun und zehn Uhr kommen diese Leute bei der Gräfin Thun zusammen, da wird allerlei witziges Gespräch geführt, es wird Klavier gespielt, deutsch oder italienisch gesungen, auch wohl, wenn die Begeisterung die Leute überfällt getanzt.1226 Die Klientel der thunschen Gesellschaften war so hochrangig, dass es einem Beamten mittleren Ranges wie Sonnenfels zwar aufgrund seiner Bekanntheit als Schriftsteller und Kunstrichter möglich war, gelegentlich eingeladen zu werden, aber keinesfalls eine führende Stellung unter den Anwesenden einzunehmen. In den Beschreibungen der Treffen finden Sonnenfels und seine Frau keine Erwähnung; allerdings führten sie mit Forster Gespräche über diese Veranstaltungen und ließen der Gräfin kleine Aufmerksamkeiten als Dank zukommen.1227 Hinweise auf eine enge Bindung an die Gastgeberin sind nicht überliefert, so dass die gelegentliche Teilnahme an diesen Versammlungen im Gegensatz zu der Verbindung zu Greiner und Arnstein einen eher oberflächlichen Charakter gehabt zu haben scheint. Die Abendgesellschaften wurden im Sommer mehrmals in der Woche durch Ausflüge ergänzt. Hierbei fuhr man in Gruppen zum Landsitz eines Gastgebers, um dort eine Mahlzeit einzunehmen und den Nachmittag mit Gesprächen im Freien zu verbringen. Diese Treffen erfolgten unregelmäßig und waren an keinen festen Termin gebunden. Während seines Besuches in Wien wurde der Freimaurer Georg Forster zu mehreren dieser Ausflüge 1225 Brief vom 1. Aug. 1784 an Theresie Heyne, in: Forster: Briefe 1784–87, S. 152. 1226 Brief vom 3. Sept 1784 an Theresie Heyne, ebd. 1227 Forster: Tagebücher, S. 118 vom 19. August.

240

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

eingeladen und berichtete, dass auch Sonnenfels und seine Frau daran teilnahmen.1228 In den von ihm beschriebenen Fällen luden die Feldmarschälle Andreas Reichsgraf Hadik von Futak (1710–1790) und Friedrich Moritz Graf von Nostitz-Rieneck (1728–1796), der zugleich Präsident des Hofkriegsrates war, zu Geselligkeiten. Sonnenfels scheint sich besonders mit letzterem gut verstanden zu haben und publizierte 1796 eine Lobschrift, in der er ihre langjährige Freundschaft betonte.1229 Auffällig an diesen sommerlichen Ausflügen ist, dass, Forsters Berichten zur Folge, Theresie von Sonnenfels alleine aktiv wurde, Besuche unternahm und Beziehungen zu gemeinsamen Bekannten pflegte. Hier finden sich Hinweise auf ein eigenes Beziehungsgeflecht von Sonnenfels’ Ehefrau, welches mit demjenigen ihres Mannes in Wechselwirkung stand. Man kann annehmen, dass sie nicht nur bei den hier kurz erwähnten Gelegenheiten sozial aktiv war, sondern durchaus häufiger dazu beitrug, sich selbst und ihren Mann im Netzwerk der Abend- und Ausflugsgesellschaften zu positionieren.1230 Es sind nur wenige Hinweise darauf überliefert, dass Sonnenfels oder seine Frau selbst zu einer regelmäßigen Zusammenkunft einluden.1231 Einerseits finden sich Andeutungen, dass Theresie gemeinsam mit ihren Schwestern Kontakte zu Schauspielerinnen pflegte, mit denen sie durch das Engagement ihres Mannes für das Theater bekannt geworden waren;1232 andererseits wird vereinzelt darauf verwiesen, dass um 1770 einige von Sonnenfels geförderte Schauspieler in seinem Haus unregelmäßig Aufführungen für Theaterinteressierte gaben.1233 Unabhängig davon ob und wie oft Sonnenfels selbst einlud, zeigte er sich als sozial sehr aktiv und mit einer Vielzahl von potentiellen Beziehungen zu einflussreichen Personen ausgestattet. Interessant für die weiteren Untersuchungen wird sein, ob sich seine Netzwerke in den Abendgesellschaften mit seinen beruflichen Aktivitäten überschneiden, und ob es ihm gelang, diese Beziehungen zur Durchsetzung seiner Interessen zu nutzen. 1228 Forster: Tagebücher, S. 118f. vom 19. u. 20. August. 1229 Sonnenfels, Joseph von: Skizze des Hofkriegsraths-Präsidenten, Feldmarschalls, Grafen von Nostiz, Wien 1796. 1230 Wunder, Heide: „Er ist die Sonn’, sie ist der Mond“. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992, S. 11–31 verweist darauf, dass gerade die personenbezogenen gesellschaftlichen Systeme Frauen wesentlichen, aber oft unbeachteten Einfluss einräumten. 1231 Vgl. einen kurzen Verweis auf sonntägliche Treffen von Gelehrten und Künstlern im Hause Sonnenfels, bei Tanzer: Spectacle, S. 204. 1232 Vgl. Forster: Tagebücher, S. 118 u. S. 120. 1233 Lange, Joseph: Biographie des Joseph Lange, k.k. Hofschauspielers, Wien 1808, S. 19f. Vgl. Haider-Pregler: Schaubühne, S. 232.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

241

6.2 Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht 6.2.1 Die Entwicklung der Loge zu einer freimaurerischen gelehrten ­Gesellschaft Sonnenfels’ erste dauerhafte Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge begann im Jahr 1782. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Freimaurerei bereits verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen, die sie letztendlich zu einem der bedeutendsten Orte sozialer Interaktion des 18. Jahrhunderts gemacht hatte.1234 Ihr moderner Ursprung als geheimer Gesellschaftsort und soziales Forum wird auf eine englische Gründung aus dem Jahr 1717 zurückgeführt. Alle Logen, welche sich nach dem Vorbild dieser ersten Großloge rasch in Europa verbreiteten, waren durch gemeinsame Prinzipien verbunden, die ihnen eine herausragende Stellung in der Aufklärungsbewegung gaben.1235 Erstens schufen die Logen einen Raum, welcher zumindest formal dem Prinzip der Geheimhaltung unterlag und so in einem gewissen Rahmen offene Gespräche ermöglichte.1236 Zweitens fanden sich hier sowohl Adelige als auch Angehörige des Bürgertums ein und verkehrten miteinander in einer Sphäre theoretisch negierter, praktisch immerhin verminderter Standesun1234 Für eine kurze Übersicht vgl. Reinalter, Helmut: Freimaurerei und Geheimgesellschaften, in: Ders. (Hg.): Aufklärungsgesellschaften (Schriftenreihe der internationalen For­ schungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850“ Bd. 10), Frankfurt a.M. 1993, S. 83–96; Dülmen: Gesellschaft, S. 55–66; Lindert, Wilgerte: Aufklärung und Heilserwartung. Philosophische und religiöse Ideen Wiener Freimaurer (1780–1795) (Schriftenreihe der internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850“ Bd. 26), Frankfurt a.M. 1998, S. 20–26 u. Schüttler, Hermann: Karl Leonhard Reinhold und die Illuminaten im Vorfeld der Französischen Revolution, in: Reinalter, Helmut (Hg.): Der Illuminatenorden (1776–1785/87): Ein politischer Geheimbund der Aufklärungszeit, Frankfurt a.M. 1997, S. 323–350, hier S. 328–332. 1235 Vgl. Reinalter, Helmut: Die Freimaurerei zwischen Josephinismus und frühfranziszeischer Reaktion. Zur gesellschaftlichen Rolle und indirekt politischen Macht der Geheimbünde im 18. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.): Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft Bd. 403), Frankfurt a.M. 1983, S. 35–84, hier S. 37f. 1236 Vgl. Priglinger, Walter: Verdrängter Humanismus und verzögerte Aufklärung. Auf der Suche nach der österreichischen Philosophie, in: Benedikt/Baum/Knoll: Humanismus, S. 31–91, hier S. 73, der von Ersatzöffentlichkeit spricht, u. Reinalter, Helmut: Freimaurerei und Demokratie im 18. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.): Aufklärung und Geheimgesellschaften. Zur politischen Funktion und Sozialstruktur der Freimaurerlogen im 18. Jahrhundert (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution, Bd. 16), München 1989, S. 41–63, hier S. 61; Grundlegend war die These von Koselleck, Reinhard: Kritik und Krise. Die Pathogenese der bürgerlichen Welt, Frankfurt 1973, S. 49–68, dass diese Möglichkeit den Erfolg der Freimaurerei begründete.

242

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

terschiede. Einige Vertreter der Forschung gehen so weit, hier Vorformen einer republikanischen und standesübergreifenden Organisation verwirklicht zu sehen.1237 Schließlich sollte, einem dritten Prinzip folgend, eine brüderliche Freundschaft zwischen allen Maurern und allen Logen in den Ländern Europas herrschen. Diese Aspekte ergaben zusammen mit Vorschriften für Kleidung und Verhalten bei Logensitzungen einen Bereich eigener gesellschaftlicher Regeln, der teilweise aus den politischen und sozialen Gegebenheiten der Außenwelt losgelöst war.1238 Zugleich bestand durch die regulären Tätigkeiten der Mitglieder außerhalb der Logen die Möglichkeit, politische Konzepte oder Reformideen gemeinsam umzusetzen und so von der Loge aus auf die Außenwelt einzuwirken.1239 Da aber im Laufe des 18. Jahrhunderts in Geheimbünden meist auch esoterische oder alchemistische Aspekte von Bedeutung waren, konnte die Logenarbeit erheblich variieren.1240 Standen für einige Maurer die gesellschaftliche Arbeit und die charakterliche Entwicklung ihrer Brüder im Mittelpunkt, so legten andere, zeitweise sogar die Mehrheit, ihren Schwerpunkt auf geheimes Wissen und magische Kräfte.1241 Bald bildeten sich daher Untergruppen innerhalb der Freimaurerbewegung, die unterschiedlichen Reglementarien folgten.1242 Erst kurz vor Sonnenfels’ Beitritt zeichnete sich eine Reorganisation der deutschen Logen ab, welche schließlich 1782 auf dem sogenannten Wilhemsbader Konvent zu einer Vereinbarung führte, sich künftig auf die grundlegenden Prinzipien der Maurerei zu besinnen.1243 Die Freimaurerei als größte aller geheimen Gesellschaften war zu diesem Zeitpunkt ein herausragendes Medium der sozialen Interaktion und ein geradezu archetypischer Ort, um Beziehungen zu knüpfen. Vertreter 1237 Im Hof: Jahrhundert, S. 216–220; Neugebauer-Wölk, Monika: Esoterische Bünde und bürgerliche Gesellschaft. Entwicklungslinien zur modernen Welt im Geheimbundwesen des 18. Jahrhunderts (Kleine Schriften zur Aufklärung Bd. 8), Wolfenbüttel 1995, S. 7. 1238 Reinalter: Broschüren, S.  24; Dülmen: Gesellschaft, S. 64. Vgl. zur Bedeutung für die Aufklärungsbewegung: Koselleck: Kritik und Krise, S. 49–61. 1239 Neugebauer-Wölk, Monika: Arkanwelten im 18. Jahrhundert. Zur Struktur des Politischen im Kontext von Aufklärung und frühmoderner Staatlichkeit, in: Arkanwelten im politischen Kontext (Aufklärung Bd. 15), Hamburg 2003, S. 7–65, hier S. 26. 1240 Neugebauer-Wölk: Bünde, S. 17. 1241 Schüttler: Reinhold, S. 328f. Agethen, Manfred: Geheimbund und Utopie. Illuminaten, Freimaurer und deutsche Spätaufklärung, München 1984, S. 133 betont, dass gerade die allgemein verkündete Existenz geheimen Wissens erheblich zur Verbreitung der Logen beitrug. 1242 In diesem Kontext steht auch die Verbreitung des Systems der strikten Observanz: Lindert: Heilserwartung, S. 23–26; Schüttler: Reinhold, S. 329–332. 1243 Vgl. Kuess, Gustav u. Scheichelbauer, Bernhard: 200 Jahre Freimaurerei in Österreich, Wien 1959, S. 27. u. Hammermayer, Ludwig: Der Wilhemsbader Freimaurer Konvent von 1782 (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung, Bd. V/2), Heidelberg 1980.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

243

verschiedener politischer und geistiger Bewegungen waren Mitglieder der Logen und nutzten sie als Foren, in denen sie teilweise auch mit Herrschaftsträgern in Verbindung treten konnten.1244 Dies konnte pragmatische Vorteile für die individuelle Karriere haben, wie es Caroline Pichler in Bezug auf die Erfahrungen ihres Vaters Franz von Greiner schilderte: Es war damals nicht unnützlich zu dieser Bruderschaft zu gehören, welche in allen Kollegien Mitglieder hatte und überall den Vorsteher, Präsidenten, Gouverneur in ihren Schoß zu ziehen verstanden hatte. Da half dann ein Bruder dem anderen.1245 Joseph von Sonnenfels schloss sich den Freimaurern erstmals auf einer Reise im Jahr 1776 kurzzeitig in einer Leipziger Loge an.1246 In Wien vollzog er diesen Schritt erst 1782. Für diese Verzögerung lassen sich drei mögliche Ursachen identifizieren. Erstens lehnte Maria Theresia die Freimaurerei generell ab und verbot die Logenarbeit in ihren Ländern. Eine langfristige und aktive Mitgliedschaft auch in einer auswärtigen Loge hätte daher den Ruf eines Beamten bei der Monarchin schädigen können.1247 Zweitens änderte sich die Lage unter der wohlwollenden Duldung durch Kaiser Joseph II., so dass die Maurerei überaus populär wurde. Caroline Pichler berichtete, dass sie sogar die Grenze zur Modeerscheinung überschritt:1248 Der Orden der Freimaurer trieb sein Wesen mir einer fast lächerlichen Öffentlichkeit und Ostentation. Freimaurerlieder wurden gedruckt, komponiert und allgemein gesungen. Man trug Freimaurerzeichen als joux-joux an den Uhren, die Damen empfingen weiße Handschuhe von Lehrlingen und Gesellen und mehrere Modeartikel […] hießen a la franc-maçon, Viele Männer ließen sich aus Neugier aufnehmen, traten dann […] in den Orden und genossen wenigstens die Freuden der Tafellogen.1249 Drittens zerfielen die verschiedenen österreichischen Logen vor dem Wilhelmsbader Konvent in miteinander streitende Fraktionen, unter denen die Gold- und Rosenkreuzer über besonderen Einfluss verfügten.1250 Deren Brüder bildeten eine besonders in Wien einflussreiche Gesellschaft, welche sich als ein geheimer Orden innerhalb 1244 Reinalter, Helmut: Die Rolle der Freimaurerei und Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert, Innsbruck 1995, S. 16 u. Neugebauer-Wölk: Arkanwelten, S. 33. 1245 Pichler: Denkwürdigkeiten, S.  94; vgl. Deutsch, Adolf (Hg.): Sammlung von Wiener Schattenrissen aus dem Jahre 1784, Wien 1928, S. 11. 1246 Vgl. Irmen: Protokolle, S. 81 u. Lindner: Sonnenfels, S. 157f. Sonnenfels verweist in seinem Aufnahmeantrag an die Loge zur wahren Eintracht auf seine frühere Mitgliedschaft in der Loge Balduin. 1247 Kuess/Scheichelbauer: Freimaurerei, S. 17–26. 1248 Vgl. zur Einschätzung der Wiener Freimaurerei um 1782 als Modeerscheinung auch Rosenstrauch-Königsberg: Freimaurerei, S. 48. 1249 Pichler: Denkwürdigkeiten, S. 94; Deutsch: Schattenrisse, S. 11. 1250 Vgl. allg. Edighofer, Roland: Die Rosenkreuzer, München 1995.

244

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

der Freimaurer organisierte. Mit der Betonung geheimer mystischer und alchimistischer Erfahrungen vor einem christlichen Hintergrund stellten sie eine Gegenbewegung zur Popularisierung der Maurerei dar und versuchten vergeblich, auch Joseph II. zum Beitritt zu bewegen.1251 Wenn der Kaiser auch persönlich Distanz zu den Logen bewahrte, ermöglichte seine Toleranz dennoch zahlreiche Neugründungen in Wien, von denen eine schließlich durch ihre Mitgliederstruktur und ihre besondere Logenarbeit für Sonnenfels interessant wurde. Diese Loge wurde am 12. März 1781 unter dem Namen: Loge zur wahren Eintracht im Orient zu Wien unter dem Vorsitz des Hofchirugen Ignaz Fischer gegründet.1252 Sie umfasste zunächst lediglich 15 Mitglieder und folgte den oben beschriebenen klassischen Prinzipien der Maurerei. Am 14. November desselben Jahres wurde Ignaz von Born, der wie erwähnt in den sechziger Jahren mit Sonnenfels in der Deutschen Gesellschaft tätig gewesen war, in die Loge aufgenommen und begann sogleich, sie umzugestalten. Born hatte Wien als arbeitsloser Exjesuit verlassen und war nach einem Studium in Prag zunächst als Bergrath für die Landesregierung tätig.1253 Dort, wo das Verbot Maria Theresias weniger streng befolgt wurde, war er 1770 den Freimaurern beigetreten. Er machte sich durch die Verbindung von Logenarbeit und Wissenschaft, die in der Herausgabe von Zeitschriften und seiner Aufnahme in mehrere gelehrte Gesellschaften gipfelte, rasch einen Namen.1254 Nach zeitweiligem Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen wurde er 1777 nach Wien berufen, um das kaiserliche Naturalienkabinett zu ordnen. Dabei gewann er die Sympathie der ältesten Schwester Josephs II., Maria Anna (1738–1789), der er Privatunterricht gab und die 1251 Vgl. Kuess/Scheichelbauer: Freimaurerei, S. 28–45. 1252 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Freimaurerei, S. 50 u. Abafi: Geschichte, S. 278. Die wahre Eintracht war eine Tochterloge der vom Adel dominierten Loge Zur gekrönten Hoffnung. Zur Organisation der wahren Eintracht in der Frühphase siehe Lorenzi, Ernst (Hg): Das Logenbuch der Loge zur wahren Eintracht im Orient zu Wien, 1782 u. 1783 nur für Meister des Ordens, Ndr. (Quellen zur freimaurerischen Geschichtsforschung, Bd. 2), Wien 1979. 1253 Zu Borns Tätigkeit in Böhmen vgl. Vávra, Jaroslav: Ignaz von Born als führende Persönlichkeit der Aufklärungsepoche in Böhmen, in: Balász, Eva u. Hammermayer, Ludwig u.a. (Hg.): Beförderer der Aufklärung in Mittel- und Osteuropa. Freimaurer, Gesellschaften, Clubs, Essen 1987, S. 141–146; Reinalter: Born, S. 120–124 u. Lindner: Born, S. 20–81. 1254 Vgl. Teich, Mikulas: Ignaz von Born als Organisator wissenschaftlicher Bestrebungen in der Habsburger Monarchie, in: Amburger, Erik (Hg.): Wissenschaftspolitik in Mittelund Osteuropa: Wissenschaftliche Gesellschaften, Akademien und Hochschulen im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert (Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa Bd. 3), Berlin 1976, S. 195–205 u. Lessing, Erich, Fischer, Julius u. Lessing, Traudl u.a (Hg.): Die Übungslogen der gerechten und vollkommenen Loge zur wahren Eintracht im Orient zu Wien 1782–1785, Wien 1984, S. 11.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

245

seine weitere Karriere unterstützte. Mit ihrer Fürsprache wurde er 1779 zum wirklichen Hofrat ernannt.1255 Zwischen ihm und Sonnenfels scheint, wie erwähnt, bereits seit der Mitte der sechziger Jahre eine enge persönliche Beziehung bestanden zu haben, die in wechselseitigen Besuchen und gemeinsamen Urlauben Ausdruck fand.1256 Born übernahm am 9. März 1782 als Meister vom Stuhl den Vorsitz der Loge und legte neue Regeln für die Logenarbeit fest, die den andernorts üblichen Gehorsamsprinzipien das Recht auf Beschwerden und Diskussionen entgegensetzten.1257 Er warb rasch weitere Mitglieder, unter ihnen auch Sonnenfels’ Schüler Joseph Retzer und zog junge Schriftsteller wie Aloys Blumauer ins Umfeld der Loge. Die neuen Mitglieder waren zu einem großen Teil Beamte und Schriftsteller, welche sich für die Reformpolitik Josephs II. aussprachen und einsetzten. Dies entsprach Borns Prager Bemühungen um eine Verbindung von Maurerei und Wissenschaft. Über seine Mitgliederauswahl und deren Zweck äußerte sich Ignaz von Born rückblickend in einem Brief vom 9. Juni 1784: Noch immer arbeiten wir nach unserem ersten Plane. Nach und nach schließt sich immer ein geschickter junger Mann nach dem anderen an unsern Kreis; Eintracht unter den helldenkenden Köpfen und guten Schriftstellern Wiens ist noch immer unser Streben und die Verbreitung der Aufklärung unsere Arbeit.1258 Für Sonnenfels boten nun die Ausrichtung dieser Loge, die dortige personelle Entwicklung und die persönliche Beziehung zu Ignaz von Born genügend Anreize, um die Aufnahme in die wahre Eintracht zu erbitten.1259 Sein Beitritt erfolgte am 29. Juni 1782 und wurde am 6. Juli in einer Tafelloge mit einer Begrüßungsrede Retzers und einem Gedicht Blumauers als besonderes Ereignis gefeiert.1260 Die Auftritte dieser beiden mit Sonnenfels auch in anderen Kontexten verbundenen Männer verdeutlichen die personellen Überschneidungen seiner verschiedenen Netzwerke, die bis in den geschlossenen sozialen Raum der Loge hineinreichten. Die Verbindung seiner logeninternen Beziehungen mit der Außenwelt wird auch dadurch verdeutlicht, dass Sonnenfels mit Borns Genehmigung sofort im Rang eines Meisters aufgenommen wurde, obwohl er in Leipzig nur kurzzeitig als Durchreisender einer Loge beigetreten war. Wenige Wochen nach seinem Eintritt wurde ihm vermutlich aufgrund seiner Talente und seiner Beziehungen zu den übrigen Brüdern das Amt des offiziellen Redners und Sprechers der Loge verliehen. 1255 Reinalter: Born, S. 124. 1256 Vgl. Lindner: Born, S. 28–32. 1257 Irmen: Protokolle, S. 65f., Prot. vom 9. März 1782; vgl. Lindner: Born, S. 100f. 1258 Zit. nach Keil: Freunde, S. 35 u. identisch: Reinalter: Born, S. 361. 1259 Irmen, Protokolle, S. 81. Das Aufnahmegesuch ist zitiert bei: Lindner: Sonnenfels, S. 157f. 1260 Ebd.

246

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

Bereits für das Jahr 1783 verzichtete er darauf, um deputierter Meister und somit Stellvertreter Borns zu werden.1261 Born und Sonnenfels gestalteten fortan gemeinsam die Arbeit der Loge so, dass sie gewisse Züge einer Akademie der Wissenschaften annahm, deren Gründung in Wien bisher zwar oft angeregt wurde, aber noch nicht erfolgt war.1262 Seit dem 4. November 1782 wurden bis zur Auflösung der wahren Eintracht 1785 einundzwanzig sogenannte Übungslogen für die Brüder abgehalten.1263 Das Logenmitglied Johann Pezzl (1756–1823) beschrieb diese: In den Wintermonaten waren an gewissen Tagen die sogenannten Übungslogen, welche in öffentlichen Vorlesungen bestanden. Drey oder vier Mitglieder lasen jeder einen selbstgewählten Aufsatz in Prosa oder in Versen, über Gegenstände aus der Geschichte, der Moral, der Philosophie, gewöhnlich auch etwas über die Geschichte der älteren und neueren Mysterien und geheime Gesellschaften.1264 Die Sitzungen, in denen die rangniedrigen Mitglieder die Themen in eigenen Arbeiten reflektieren sollten, leitete Born, von dem auch der Vorschlag zur Durchführung stammte. Die Ergebnisse wurden auf Sonnenfels’ Anregung in einem Journal ausschließlich für Freimaurer publiziert.1265 Redakteur wurde Aloys Blumauer, der gemeinsam mit Sonnenfels bereits seit den siebziger Jahren die Realzeitung herausgab. 1261 Vgl. HHStA VA Kart. 65 Konv. Fol. 1–291: Verzeichnis der Brüder und Mitglieder der gesetzmäßig verbesserten und vollkommenen St Johannes [Loge] zur wahren Eintracht im Orient von Wien im Jahre 5785, hier Fol. 251r. Hier werden Sonnenfels’ Ämter tabellarisch erfasst. Sonnenfels war als Redner nur wenig aktiv und hinterließ keinen Beitrag zur entsprechenden Sammlung der Loge: HHStA VA Kart. 70. Vgl. Irmen: Protokolle, S. 95 zur Ernennung als Redner am 14. Okt. 1782 u. S. 126 zu seiner Wahl zum deputierten Meister am 15. März 1783. 1262 Rosenstrauch-Königsberg, Edith: Eine freimaurerische Akademie der Wissenschaften in Wien, in: Schoeps, Julius u. Geiss, Imanuel u.a. (Hg.): Revolution und Demokratie in Geschichte und Literatur. Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Grab, Duisburg 1979, S. 151–170, hier S. 68–74. 1263 Vgl. Lessing/Fischer: Übungslogen, zu den Sitzungen S. 8. 1264 Reinalter, Helmut: Ignaz von Born und die Illuminaten in Österreich, in: Ders. (Hg.): Der Illuminatenorden: 1776–1785/87. Ein politischer Geheimbund der Aufklärungszeit, Frankfurt a.M. 1997, S. 351–392, hier S. 359. 1265 Reinalter: Illuminaten, S. 358f. Vgl. zum Journal: Giese, Alexander: Freimaurerisches Geistesleben im Zeitalter der Spätaufklärung am Beispiel des „Journals für Freymaurer“. Versuch einer Würdigung, in: Gottschalk, Friedrich (Hg.): Bibliotheca Masonica Bd. 2/2, Graz 1988, S. 7–59 u. Biet, Franz: Die ungeschminkte Maurertugend. Georg Forsters freimaurerische Ideologie und ihre Bedeutung für seine philosophische Entwicklung (Schriftenreihe der internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850“ Bd. 8), Frankfurt a.M. u.a. 1993, S. 98. Vgl. zu diesem Medium insg.: Rosenstrauch-Königsberg, Edith: Ausstrahlungen des Journals für Freimaurer, in: Balász, Eva, Hammermayer, Ludwig u.a. (Hg.): Beförderer der Aufklärung in Mittel- und Osteuropa. Freimaurer, Gesellschaften, Clubs, Essen 1987, S. 103–117.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

247

Der erste Band des Journals enthielt sowohl einen Beitrag von Born als auch von Sonnenfels.1266 Born besprach die antiken Mysterien der Ägypter und ihre Bedeutung für die geheimen Gesellschaften der Gegenwart. Sonnenfels hingegen befasste sich mit dem Einfluss der Maurerei auf die bürgerliche Gesellschaft und legte in seiner Rede das Programm der wahren Eintracht dar.1267 Ausgangspunkt seiner Darstellung ist eine positive Schilderung von Ursprung und Ziel der Freimaurerei: Endzweck ist: durch die dem Orden eignen Mittel die Zahl der tugendhaften Bürger zu vergrössern, und durch das Wohl der Staaten das gemeinschaftliche Wohl der Menschheit zu befördern.1268 Aus dieser Schlussfolgerung leitet er einen Nutzen der Freimaurerei für den modernen Staat ab. Das Mittel, um diesen Nutzen zu erreichen, sei, der Polizey der Aufnahme, [also der Regelung der Wahl neuer Mitglieder] und der damit verbundenen inneren Disziplin Bestand und Festigkeit zu geben.1269 Dass Sonnenfels’ Ausführungen über Jahre hinweg befolgt wurden und auch die volle Unterstützung Borns und der anderen Mitglieder der wahren Eintracht besaßen, wird deutlich, wenn man die Mitgliederstruktur der Loge betrachtet. Die wahre Eintracht expandierte in den ersten Jahren ihres Bestehens erheblich. Bereits 1783 hatte sich ihre ursprüngliche Mitgliederzahl versechsfacht und umfasste bis zu ihrer Auflösung 1786 maximal 176 gleichzeitig inkorporierte Brüder.1270 Dabei legten die Mitglieder auf Sonnenfels’ Anregung und Borns Empfehlung strenge Kriterien bei der Aufnahme an und gingen sogar so weit, unaufgefordert Kommentare zur charakterlichen Eignung neuer Freimaurer an andere Logen zu versenden.1271 Sonnenfels formulierte in diesem Kontext: Keiner kann in den Orden aufgenommen werden, wenn er nicht unverbrüchliche Ergebenheit gegen seine Religion, Obrigkeit, Vaterland und gute Sitten hat.1272 Durch derartige Einmischung und die nicht seltene Weigerung Kandidaten aufzunehmen, zog sich die Loge die Kritik der Abgewiesenen und teilweise auch ihrer Schwesterorganisationen zu.1273

1266 Journal für Freymaurer, herausgegeben von den Brüdern der Loge zur wahren Eintracht im Orient von Wien, Wien 1784–1787. 1267 Ndr. in Lessing/Fischer: Übungslogen, S. 72–78. Die Rede wurde als Beitrag zu einer Übungsloge am 4. Jan. 1783 in der Loge gehalten. 1268 Ebd., S. 74. 1269 Ebd., S. 77. 1270 Abafi: Geschichte, S. 287. 1271 Huber, Eva: Sozialstruktur der Wiener Freimaurer 1780–1790, Diss. Wien 1991, S. 87. 1272 Lessing/Fischer: Übungslogen, S. 74. 1273 Abafi: Geschichte, S. 285 verweist auf Schmähschriften gegen die wahre Eintracht, als Maulaffenloge auf dem Graben.

248

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

Das Ergebnis des Auswahlprozesses war ein ungewöhnliches Mitgliederprofil der wahren Eintracht: Die soziale Verteilung der Brüder wies einen Adelsanteil von 40–45 Prozent und damit den zweithöchsten aller Wiener Logen auf.1274 Dabei dominierte der Dienstadel, zu dem auch Born und Sonnenfels gehörten, gegenüber nur wenigen, meist aus Ungarn stammenden Angehörigen des Hochadels.1275 Beruflich bildeten die Beamten der Wiener höheren Schulen, Akademien und Universität sowie der niederösterreichischen Landesregierung mit 30 Prozent die größte Gruppe von denen beinahe drei Viertel im Lehrberuf tätig waren. Dieser Anteil überstieg denjenigen anderer Logen um das Dreifache. Knapp 25 Prozent der Mitglieder und somit die zweitgrößte Gruppe war in den Zentralbehörden der Habsburgermonarchie beschäftigt und arbeitete dem Monarchen und seinen Beratern zu. Die letzte Großgruppe, beinah zwanzig Prozent der Brüder, waren Offiziere. Es folgten Diplomaten, selbstständige Schriftsteller, Künstler und Ärzte, die zahlreicher als in anderen Wiener Logen die Mitgliederzahl ergänzten, zu der mit nur fünf Prozent ein außergewöhnlich niedriger Satz an Gewerbetreibenden, Finanziers und Geschäftsleuten gehörte.1276 Nahezu alle Mitglieder der Loge hatten studiert und waren in die josephinische Reformpolitik eingebunden. Insofern spiegelte die Mitgliederstruktur der wahren Eintracht den Charakter der Loge als einer Art gelehrter Gesellschaft Wiens wider und war für diejenigen, die mit dementsprechenden gesellschaftlichen Kreisen in Kontakt treten wollten, schon bald eine wichtige Anlaufstelle.1277 Der wissenschaftliche Anspruch, den Sonnenfels und Born verfolgten, zeigte sich auch in den literarischen Unternehmungen, von denen das Journal für Freimaurer, das aus den Übungslogen hervorging, besondere Wirkung entfaltete.1278 Von der Zeitschrift, die als Privatdruck für Maurer weitgehend unzensiert blieb, wurden vierteljährlich über eintausend Exemplare nur an Meister der Maurerei verkauft, die besonders im Reich und in Ostmitteleuropa großen Einfluss auf die Entwicklung der Logen

1274 Vgl. zu den folgenden Angaben: Huber: Sozialstruktur, S. 187–180 u. S. 297–308. 1275 Vgl Loge Libertas (Hg.): Fünf Jahre Libertas. Unsere Brüder im 18. Jahrhundert, Wien 1965, hier S. 29 u. Lessing/Fischer: Übungslogen, S. 11. 1276 Zur Bedeutung der zahlreichen Schriftsteller vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Maurerei, S. 53. 1277 Steiner, Gerhard: Freimaurer und Rosenkreuzer: Georg Forsters Weg durch Geheimbünde. Neue Forschungsergebnisse auf Grund bisher unbekannter Archivalien, Berlin 1985, S. 179. 1278 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Ausstrahlungen. Zur Korrespondenz bzgl. der Zeitschrift: HHStA VA Kart. 65/ II. Vgl. auch Reinalter: Broschüren, S. 13.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

249

hatten.1279 In ihren Beiträgen zeigte sich jedoch, dass Born und Sonnenfels unterschiedliche Schwerpunkte in der Logenarbeit setzten, die sich bereits in ihren ersten Aufsätzen angedeutet hatten.1280 Born publizierte wiederholt Untersuchungen über die Mysterien antiker Orden und geheimer Gesellschaften, denen er große Bedeutung beimaß. Sonnenfels kommentierte stattdessen aktuelle gesellschaftliche Fragen, wie beispielsweise die Haltung des Papstes zu den Logen, mittels Satire. Trotz dieser unterschiedlichen Nuancen setzten sie sich gemeinsam für weitere Publikationen, wie einen von Blumauer herausgegebener Lieder- und Gedichtband, die Musicalischen Unterhaltungen der eintraechtigen Freunde in Wien und die von Born edierten Physikalischen Arbeiten der eintraechtigen Freunde zu Wien, ein.1281 Die Loge war nun sowohl durch gemeinschaftliche Publikationen als auch durch die Broschüren und Abhandlungen ihrer Mitglieder in verschiedenen Wissenschaftsgebieten präsent. Flankiert wurde die literarische Produktion durch die dominierende Rolle der Brüder bei der Herausgabe der offiziell von der Loge getrennten Realzeitung. Diese wurde so für die Logenmitglieder zu einer Quelle positiver Rezensionen.1282 Die Rolle der wahren Eintracht als gelehrte Gesellschaft unterstrichen ihre Mitglieder schließlich durch Eröffnung eines Naturalienkabinetts und einer Leihbibliothek.1283 Die Prinzipien der Maurerei schufen für die gemeinsame Arbeit einen innovativen Rahmen. Die Verminderung der Standesunterschiede, welche teilweise unter dem Schutz der Geheimhaltung geschah, erlaubte Wissenschaftlern wie Sonnenfels ein freieres Schreiben und Interagieren als es andernorts möglich gewesen wäre. Der Freimaurer Friedrich Münter (1761– 1830) berichtete anlässlich eines Besuches über die wahre Eintracht: Die 1279 Vgl. das Ankündigungsschreiben, welches anderen Logen zugestellt wurde und die Vorzüge dieses Mediums betont: HHStA VA Kart. 66, Fol. 299r.–301v. Zur Bedeutung vgl. Reinalter: Broschüren, S. 14; Zur Verbreitung siehe Rosenstrauch-Königsberg, Edith: Illuminaten in der Habsburger Monarchie, in: Quatuor Coronati, Bd. 20 1983, S. 119–142, hier S. 149. 1280 Vgl. Giese: Geistesleben, S. 39 u. Lindner: Born, S. 141. 1281 Die Gedicht- und Liedersammlung wurde dabei zu einem großen finanziellen Erfolg und fand Abnehmer im gesamten deutschsprachigen Raum, vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Ausstrahlungen, S. 53. Die Physikalischen Arbeiten erschienen zwar bis 1788, die naturwissenschaftlichen Versammlungen in der Loge wurden allerdings nach wenigen Sitzungen eingestellt, vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Freimaurerei, S. 64f. 1282 Siehe Rosenstrauch-Königsberg: Realzeitung u. Tschurtschentaler: Publizistik, S. 186. 1283 In der Forschung wird z. T. der Terminus Freimaurerische Akademie der Wissenschaften verwendet, so bei Kuess/Scheichelbauer: Freimaurerei, S.  46; Rosenstrauch-Königsberg: Akademie, S. 85 u. Reinalter: Reaktion, S. 42. Da diese Bezeichnung allerdings stets mit Verweis auf die tendenziös projosephinische wissenschaftliche Arbeit eingeschränkt wird, findet hier der Begriff der gelehrten Gesellschaft Verwendung.

250

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

ganze Bornische (Loge) ist eine Art Akademie der Wissenschaft. Alle Menschen von Kopf die in Wien sind, […] sind in dieser (Loge) […] und dadurch ist sehr viel aufs Publicum gewirkt.1284 Schon bald übte die wahren Eintracht im Gefüge der Wiener Logen eine Vorbildfunktion aus und andere Maurer begannen, ebenfalls Kabinette und Bibliotheken einzurichten.1285 Es war der Loge, welche von Münter nur die bornische genannt wurde, darüber hinaus möglich, Einfluss auf die Entwicklung anderer Logen innerhalb der Monarchie zu nehmen.1286 Dies geschah durch die Besetzung von Führungspositionen bei Neugründungen, welche den Angehörigen dieser Loge aufgrund ihres allgemeinen Ansehens überdurchschnittlich häufig zugesprochen wurden und durch reisende Brüder, die in den Provinzen von der erfolgreichen Arbeit in Wien berichteten. Die Bezeichnung der wahren Eintracht als bornische Loge durch Friedrich Münter entspricht dabei der üblichen zeitgenössischen Wahrnehmung, die auf Borns großer Bedeutung für das soziale und gesellschaftliche Leben der Mitglieder beruhte.1287 Er veranstaltete in seinem Haus wöchentlich an mehreren Abenden Logentreffen im kleineren Kreis, bei denen seine beiden Töchter die Aufmerksamkeit der jüngeren Brüder genossen.1288 Die maurerische Prägung der Versammlungen und das Fehlen einer formellen Gastgeberin unterschied sie von anderen Abendgesellschaften, die in Wien gegeben wurden. Allgemein verweisen die Gäste auf Borns Großzügigkeit, seine charismatische Erscheinung und das Ansehen, das er als Oberhaupt der Loge besaß und durch Korrespondenz mit Brüdern im In- und Ausland untermauerte.1289 Auch die Erzherzogin Maria Anna unterstützte nicht nur – wie erwähnt – ihn selbst, sondern auch seine maurerische Arbeit durch Geschenke an die Loge.1290 Sonnenfels, der offiziell Borns Stellvertreter war, nahm trotz seiner vielschichtigen Beziehungen zu einigen Brüdern keinen vergleichbaren Rang ein. Ein Grund hierfür war die erheblich geringere Zeit, die er für die Logenarbeit aufwandte, da er wiederholt mit Hinweis auf profane Geschäfte den 1284 Rosenstrauch-Königsberg, Edith: Freimaurer, Illuminat, Weltbürger. Friedrich Münters Reisen und Briefe in ihren europäischen Bezügen, Essen 1987, S. 74. 1285 Reinalter: Illuminaten, S. 361 u. Junaschek: Tätigkeit, S. 163. 1286 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Ausstrahlungen, S. 61f. 1287 Zu Borns Popularität und ihren Ursachen vgl. Reinalter: Aufklärer, S.  167; Lindner: Born, S. 117–119; Abafi: Geschichte, S. 282 u. Beales, Derek: Enlightenment and Reform in Eighteenth-Century Europe (International Library of Historical Studies Bd. 29), London 2005, S. 102. 1288 Zu den Töchtern vgl. Deutsch: Schattenrisse, S. 33f.; zu Borns Gesellschaften Prohaska: Pichler, S. 13. 1289 Abafi: Geschichte, S. 282. 1290 Silagi: Jakobiner, S. 35.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

251

Logensitzungen fernblieb.1291 Seine zahlreichen Tätigkeiten an Universität, Kunstakademie und in den Behörden der Monarchie hinderten ihn auch daran, sein Amt als Redner auszuüben, so dass er schon bald um Entlastung durch einen Substituten bat.1292 Es liegen außerdem keine Hinweise dafür vor, dass er zusätzliche Treffen in seiner Wohnung oder auf seine Kosten ausrichtete oder dass seine Logenbrüder für ihn Feste veranstalteten, wie sie für Born gegeben wurden. Allerdings besaß seine Frau Theresie eine besondere Bedeutung für die Brüder der Loge. Sie genoss bei den Männern der wahren Eintracht ein hohes Ansehen und stand bei den Tafellogen zur Feier der heiligen Theresie, der Schutzpatronin der Freimaurer, als Schwester Theresie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.1293 Trotz der unterschiedlichen Intensität mit der Born und Sonnenfels sich der Maurerei widmeten, dauerte die enge Zusammenarbeit der beiden langjährigen Freunde an. Sie erarbeiteten beispielsweise einen gemeinsamen Vorschlag zur Reform der logeneigenen Armenfürsorge, der Sonnenfels großes Interesse entgegenbrachte.1294 Auch die übrigen Mitglieder der Loge gingen von einer engen Verbindung der beiden aus, wie sich anlässlich des Endes von Borns Amtszeit als Meister vom Stuhl 1783 zeigte: Da er aber seinen Schmuck ablegen und den Hammer den Händen des ältesten Meisters übergeben wollte, bat der von der Loge dazu eigends bevollmächtigte Br. […] Sonnenfels denselben im Nahmen aller B.B. [Baubrüder] den Hammer noch länger zu behalten.1295 Schließlich arbeiteten Sonnenfels und Born auch bei der Errichtung einer eigenen Landesloge für die Habsburgermonarchie im Jahr 1784 zusammen. Dadurch sollte die österreichische Maurerei von den Logen im übrigen Heiligen Römischen Reich unabhängig werden. Bisher stand sie unter der Hoheit der Landesloge zu Berlin, die einen Teil ihrer Einnahmen erhielt und die höchste Instanz zur Bewilligung von Graden und der Einrichtung neuer Logen darstellte.1296 Durch den Bayerischen Erbfolgekrieg 1778/79 wurde die Verbindung zur Landesloge allerdings zeitweise unterbrochen, so dass die Logenarbeit in der Habsburgermonarchie eigenständig durchgeführt wurde. Viele Maurer betrachteten diese Entwicklung als vorteilhaft.1297 In Anbetracht eines von Joseph II. 1781 erlassenen Gesetzes, welches kirch1291 Im Verzeichnis aus dem Jahr 1783 erscheint Sonnenfels an zweiter Stelle der Mitgliederliste direkt hinter Born HHStA VA Kart. 66, Fol. 370r. 1292 Irmen: Protokolle, S. 95 am 21. Okt. 1782 wird ein zweiter Redner gewählt. 1293 Irmen: Protokolle, S. 226, Prot. vom 11. Okt. 1784 u. Lindert: Heilserwartung, S. 73f. 1294 Irmen, Protokolle, S. 142, Prot. vom 27. Mai 1783. 1295 Irmen: Protokolle, S. 125, Prot. vom 15. März 1783. 1296 Abafi: Geschichte, S. 65f. 1297 Lessing/Fischer: Übungslogen, S. 9 u. Giese: Geistesleben, S. 7.

252

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

lichen Orden und Gesellschaften verbot, auswärtigen Oberen zu unterstehen, wurde schließlich das Projekt einer eigenen Landesloge diskutiert.1298 In einer Rede in der wahren Eintracht am 30. Dezember 1782 betonte Sonnenfels, dass dieser Plan mit besonderer Sorgfalt durchzuführen sei.1299 Gemäß den Gebräuchen innerhalb seiner Loge könne darüber nicht einfach allein von den Meistern des Ordens entschieden werden. Es müsse vielmehr eine gemeinsame Beratung aller Brüder erfolgen. Seine eigene Sicht auf die Logenorganisation zeigt sich in der ungewöhnlichen Formulierung dieser Forderung: Er rief alle Logen auf, sich zunächst über Aufbau und Struktur einer zukünftigen Landesloge zu verständigen, welche in ihrer Regierungsform ganz demokratisch ist, und welche die Freiheit der einzelnen Logen nicht beeinträchtigen dürfe, von denen jede einen unabhängigen Freystaat ausmacht.1300 Dadurch betont Sonnenfels, der außerhalb der Logen vielfach als Befürworter der monarchischen Regierungsform auftrat, die Rolle der Freimaurerei als eine eigene von der Umgebung losgelöste Sphäre, welche dennoch zur Außenwelt in konstruktiver Wechselwirkung stehen soll. Mehrere Logen, speziell in Wien, stellten sich jedoch gegen die Gründung einer eigenen Landesloge. Sie befürchteten, dass jene einen wesentlich intensiveren Einfluss nehmen würde, als es der Großloge von Berlin bisher möglich war.1301 Darüber hinaus zeichnete sich ab, dass die Mitglieder der Loge zur wahren Eintracht auch in einer neuen Landesloge federführend sein würden. Tatsächlich wurde die Gründung vor allem in der wahren Eintracht diskutiert und vorbereitet, wobei sich Sonnenfels hervortat.1302 Er setzte sich dafür ein, der Landesloge eine Verfassung zu geben, in welcher der demokratische Aufbau einer jeden Loge festgeschrieben werden sollte. Insbesondere Logen in denen die Rosenkreuzer großen Einfluss besaßen waren mit dem Führungsanspruch der wahren Eintracht aber nicht einverstanden, da sie ihr eigenes mystizistisches Verständnis der Maurerei in Bedrängnis sahen.1303 Im April 1784 gelang es dem Kreis um Born und Sonnenfels, den Widerspruch der Wiener Logen durch eine Personalentscheidung so weit zu verringern, dass die Gründung vollzogen werden konnte.1304 Der Graf Johann Baptist Karl von Dietrichstein-Proskau (1728–1808), Oberststallmeister 1298 Abafi: Geschichte, S. 65f. 1299 Vgl. Irmen: Protokolle, S. 109–111, Prot. der Sitzung vom 30. Dez. 1982. 1300 Ebd., S. 111. 1301 Kuess/Scheichelbauer: Freimaurerei, S. 54 u. Reinalter: Born und die Illuminaten, S. 360. 1302 Irmen: Protokolle, S. 193f., Prot. vom 15. März 1784; vgl. zu Sonnenfels’ Beitrag: Abafi: Geschichte, S. 183 u. Irmen: Protokolle, S. 195, Prot. vom 22. März 1784. 1303 Vgl. Huber: Sozialstruktur, S. 88. 1304 Irmen: Protokolle, S. 197f., Prot. vom 5. Apr. 1784.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

253

und persönlicher Vertrauter Josephs II., der zugleich ein Rosenkreuzer war, wurde zum Vorsitzenden der Landesloge und somit zum höchsten Freimaurer der Habsburgermonarchie ernannt.1305 Ob die Zusammenarbeit Dietrichsteins mit Born und Sonnenfels durch Sonnenfels’ Beziehung zu dessen Familie erleichtert wurde, kann man allerdings nur vermuten.1306 Das Amt des obersten Sekretärs und Schriftführers der Landesloge erhielt Ignaz von Born, dessen Stellung so einflussreich war, dass er von Brüdern als Secretär und Souffleur des Landes Großmeisters bezeichnet wurde.1307 Auch Georg Forster teilte diese Beobachtung und äußerte sich ein Jahr nach ihrer Gründung über die Arbeit der neuen Landesloge: Alle kaiserlichen Logen sind vereinigt unter einem gemeinschaftlichen Haupte, dem Grafen von Dietrichstein, als Nationalgroßmeister […]. Der Graf Dietrichstein soll Rosen Creuzer sein, allein er hat weiter keinen Einfluss, um die Rosen Creuzer auszubreiten oder das mindeste für die Rosen Creuzer vortheilhafte aus der Logen Vereinigung zu ziehen. Im Gegenteil wirkt die ganze Maurerei auf Aufklärung.1308 Der Staatsrat Tobias von Gebler, selbst Freimaurer im Umfeld Borns und Sonnenfels’, betont in einem Brief an Friedrich Nicolai die Ziele und den Erfolg der großen Landesloge: Die neue, mit Vorwissen unsers Monarchen geschehene Verbindung […] zielet dahin ab, alle Rosenkreuzerische und Magische Schwärmerey auszuschließen, von welcher […] unser erleuchteter Regent nichts wissen will. Freylich haben wir in unserem Zirkel nur allzu viele Goldsucher, auch zum Theil wohl Geisterbanner, sie lassen aber jetzt gewaltig die Köpfe sinken.1309 Geblers Ausführungen unterstreichen den Einfluss der Maurer aus dem Umfeld Borns und Sonnenfels’. Letzterer erhielt selbst durch die Gründung der Landesloge zwei neue Ämter, deren Bedeutung allerdings nicht mit Borns Posten vergleichbar war. Er leitete zum einen die Distriktloge zur wohltätigen Eintracht und koordinierte somit die Arbeit der wahren Eintracht und der ihr nahestehenden Loge Zur Wohltätigkeit.1310 Zum anderen wurde Sonnenfels offizieller Vertreter der wahren Eintracht in 1305 Ebd. u. Wagner, Hans: Die politische und kulturelle Bedeutung der Freimaurer im 18. Jahrhundert, in: Balász, Eva, Hammermayer, Ludwig u.a. (Hg.): Beförderer der Aufklärung in Mittel- und Osteuropa. Freimaurer, Gesellschaften, Clubs, Essen 1987, S. 69–86, hier S. 79; Kuess/Scheichelbauer: Freimaurerei, S. 54f. Vgl. auch einen Brief Friedrich Münters betreff Dietrichsteins Ernennung, bei Rosenstrauch-Königsberg: Münter, S. 70. 1306 So Wagner: Bedeutung, S. 79. 1307 Wilhelm, Gustav (Hg.): Briefe des Dichters Johann Baptist von Alxinger (Sitzungsberichte der kaiserlichen Akad. der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-historische Classe, Bd. CXL), Wien 1898, S. 22. 1308 Brief Georg Forsters an Sömmering vom 14. Aug. 1784, in: Forster: Briefe 1748–87, S. 162f. 1309 Brief vom 16. Feb. 1785, in: Werner: Briefwechsel, S. 121–131, hier S. 125. 1310 Reinalter: Born und die Illuminaten, S. 360 u. Abafi: Geschichte, S. 182f.

254

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

den Sitzungen der Landesloge.1311 Ignaz von Born hingegen erhielt für diese Sitzungen das Mandat der zahlreichen Tochterlogen der wahren Eintracht, wodurch sein Rang zusätzlich erhöht wurde.1312 Damit war der Höhepunkt des Einflusses beider Männer auf die Maurerei erreicht. Um die Bedeutung der Freimaurerei für Karriere und Lebensweg von Sonnenfels zu erfassen, bleibt nun, seine konkreten Wirkungsmöglichkeiten in der Loge zu untersuchen. Zunächst war ihm dort die Möglichkeit gegeben, im Schutz eines arkanen Raumes offen mit den bedeutendsten Schriftstellern, Dichtern und Gelehrten des josephinischen Jahrzehnts zu kommunizieren. Zu den Mitgliedern der wahren Eintracht gehörten Aloys Blumauer, Karl Leonhard Reinhold, Martin Joseph Prandstätter, Joseph Franz Ratschky, Joseph Retzer, Johann Pezzl, Johann Bapitist von Alxinger und Gottlieb Leon.1313 Da gerade für Schriftsteller die Mitgliedschaft in der wahren Eintracht als einer Art Akademie der Wissenschaften zu einer erstrebenswerten Auszeichnung geworden war, steigerte dies für ein führendes Mitglied wie Sonnenfels das eigene Ansehen und trug zu seinem Ruf als Aufklärer bei.1314 Darüber hinaus eröffnete ihm die Maurerei neue Verbindungen über Wien hinaus, wie sich exemplarisch im Falle Christoph Martin Wielands zeigt.1315 Dessen Schwiegersohn Karl Reinhold war zu Beginn der achtziger Jahre Bruder im Orden und zeitgleich Freimaurer in der Loge zur wahren Eintracht. Mit Unterstützung der Freimaurer floh er 1783 aus dem Mönchsorden der Barnabiten und zog nach Weimar, wo er 1785 die Tochter Wielands heiratete. Sonnenfels und andere Brüder der Loge wandten sich später oft an ihn, wenn sie Kontakt zu seinem einflussreichen Schwiegervater suchten. Im Falle von Sonnenfels’ Schrift Über die Liebe des Vaterlandes wird dies besonders deutlich.1316 Für die Überarbeitung des Werkes, das in erster Auflage 1771 von Goethe vernichtend rezensiert wurde, erbat sich Sonnenfels im Rahmen der Erstellung seiner Gesammelten Schriften über Reinhold Wielands belehrendes 1311 Irmen: Protokolle, S. 197f., Prot. vom 5. April 1784. 1312 Lessing/Fischer: Übungslogen, S. 13. 1313 Für ein Verzeichnis aller Brüder und auch aller Gäste der Loge inklusive kurzer biographischer Verweise vgl. Irmen: Protokolle, S. 320–384. 1314 Reinalter: Reaktion, S. 41. 1315 Vgl. Schüttler: Reinhold; Fuchs, Gerhard: Karl Leonhard Reinhold – Illuminat und Philosoph: Eine Studie über den Zusammenhang seines Engagements als Freimaurer und Illuminat mit seinem Leben und philosophischen Wirken (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850“ Bd. 16), Frankfurt a.M. 1994, sowie Keil: Freunde, S. 1–23. 1316 Sonnenfels: Liebe; Vgl. zu der Schrift die beiden Artikel: Klingenstein: Patriot u. Wangermann: Vaterlandsliebe.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

255

Urtheil, wovon ich bei einer neuen Ausgabe nutzen ziehen kann.1317 In einem weiteren Brief forderte er Reinhold im Jahr 1786 auf, dessen Schwiegervater zu überzeugen, eine positive Rezension der Neuerscheinung zu lancieren.1318 Dies erinnert an Sonnenfels’ Kooperation mit dem Geheimrat Klotz und legt die Vermutung nahe, dass solche Aktionen kein Einzelfall waren und er generell die Verbindungen der Maurer und Logen zur Unterstützung seiner Karriere als Autor nutzte. Nachweislich hingegen nutzte er seine Autorität als Literat, die durch den Ruhm der Loge und neue Kontakte gewachsen war, um junge Autoren in den Kreis der Loge zu ziehen und ihre Werke zu fördern.1319 Die gemeinsame Arbeit mit solchen Nachwuchstalenten, wie dem gebürtigen Wiener Joseph Franz Ratschky (1757–1810), aber auch mit erfahrenen Autoren wie Born und Blumauer sicherte Sonnenfels’ Einfluss auf die maurerischen Medien. Überdies war die Mehrheit der Wiener Zensoren Freimaurer. So wurde es für Sonnenfels noch leichter, in seinem Sinne auf das Publikum zu wirken oder andere Autoren dazu zu ermuntern.1320 Doch nicht nur Schriftsteller, sondern auch junge Universitätslehrer wurden durch ihn der Loge zugeführt.1321 Sein späterer Nachfolger und Konkurrent Watteroth wurde ebenso durch seine Fürsprache aufgenommen wie der Jurist Franz von Zeiller (1751–1828), der zum Nachfolger Martinis wurde und später gemeinsam mit Sonnenfels das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) erstellte. Sonnenfels versuchte, sich auf diese Weise Einfluss auf die Arbeit seiner jungen Kollegen zu sichern, für welche die Loge im Gegenzug zu einem wichtigen Karrieremotor wurde.1322 Graf Leopold Kolowrat (1727–1809), zu diesem Zeitpunkt oberster böhmisch-österreichischer Kanzler, formulierte seinen Beitrag für die Maurerei bei seinem Aufnahmeantrag in die Loge entsprechend: Mein profanes Verhältnis bietet mir manchmal Gelegenheit an, das mir näher gewordene Verdienst zu unterstützen und Fähigkeit und

1317 Brief Sonnenfels an Reinhold am 25. März oder Mai 1786, in: Lauth, Reinhard, Heller, Eberhard u. Hiller, Kurt (Hg.): Karl Leonhard Reinhold: Korrespondenz 1773–1788 (Korrespondenzausgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Bd. 1), Stuttgart, Bad Cannstadt 1983, S. 90. Die Schrift wurde auch in Wien negativ rezensiert und daraufhin anonym verteidigt. Vgl. die Druckschriften Anonym: Ich will kein Patriote seyn, Wien 1771 u. Anonym: Ich will ein Patriote seyn, Wien 1771. 1318 Reinhold: Korrespondenz, S. 93, Brief Sonnenfels an Reinhold am 25. März oder Mai 1786. 1319 Vgl. Abafi: Geschichte, S. 299. Als Beispiel wird Joseph Ratschky genannt. 1320 Vgl. Sashegyi: Zensur, S. 118 u. Junaschek: Tätigkeit, S. 15. 1321 Vgl. zu den folgenden zwei Beispielen: Irmen: Protokoll, bzgl. Watteroth: Prot. vom 28. Juli 1783, S. 152 u. bzgl. Zeiler: Prot. vom 16. Sept. 1782, S. 90. 1322 Reinalter: Illuminaten, S. 359.

256

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

Rechtschaffenheit in Tätigkeit umzusetzen.1323 Die Aufnahme des Grafen Kolowrat zeigt, dass Sonnenfels trotz aller seiner bisherigen Erfolge in der Loge nicht nur als Förderer, sondern auch Geförderter in Erscheinung trat. Der Hofkanzler, der außerhalb der Freimaurerei Sonnenfels’ Vorgesetzter war, wurde nämlich von ihm für die wahre Eintracht geworben und sogleich aufgenommen.1324 Aufgrund seines hohen Ranges ernannte man den Hofkanzler augenblicklich zu einem deputierten Meister und somit zu einem Mitglied des Führungszirkels.1325 Kolowrat nahm die Ernennung dankend an, erschien aber nicht regelmäßig bei den Logensitzungen. Darauf angesprochen teilte er mit, dass Sonnenfels ihn informieren und an seiner Stelle Dokumente mitunterzeichnen solle.1326 Zwischen dem Hofkanzler und seinem Untergebenen bestand also innerhalb der Loge ein Vertrauensverhältnis, das aufgrund von Kolowrats allgemein positiver Einstellung zur Protektion sicherlich Sonnenfels’ Karriere nützte. Möglicherweise waren beide Männer auch durch gemeinsame Aktivität für den Orden der Illuminaten verbunden, die Gegenstand des folgenden Kapitels ist. Die Beziehung zum Hofkanzler blieb aber eine Ausnahme, da die meisten Brüder der Loge beruflich einen mit Sonnenfels vergleichbaren oder niedrigeren Rang bekleideten. Für sie besaß der sozial überaus aktive Sonnenfels eine erhebliche Bedeutung, da er Kontakte zu Born und Kolowrat und auch zu anderen einflussreichen Akteuren wie Gottfried van Swieten besaß. Er war dadurch ein Vermittler, der jungen Talenten Türen öffnen konnte, wenn sie sich ihm anvertrauten. Schließlich war es ihm möglich, im geschlossenen Raum der Loge mit Gleichgesinnten neue Konzepte und Theorien offen zu diskutieren und sie an eine jüngere Generation von Autoren und Beamten weiterzugeben.1327 Die große Bedeutung dieser Möglichkeit wird in doppelter Hinsicht in seiner oben genannten programmatischen Rede von 1782 deutlich. Die Logenarbeit erscheint dabei als eine Vertiefung seiner Tätigkeit an der Universität und den Akademien, wo er anhand detaillierter Vorgaben die zukünftigen Träger der josephinischen Politik ausbildete. Die relative Freiheit einer von ihm und seinen Vertrauten geprägten und von der Außenwelt – zumindest formal – abgeschlossenen Gemeinschaft ermöglichte es ihm, die Verbreitung einer kritisch-reformorientierten Geisteshaltung auf einer neuen Ebene weiterzuführen und mit der Nutzung des maurerischen Netzwerkes zu verbin1323 Lessing/Fischer: Übungslogen, S. 11. 1324 Irmen: Protokolle, S. 164, Prot. vom 6. Okt. 1783. 1325 Ebd., S. 165, Prot. vom 13. Okt. 1783. 1326 Ebd., S. 172, Prot. vom 24. Nov. 1783. 1327 Rosenstrauch-Königsberg: Akademie, S. 68 vermutet hierin ein zentrales Motiv für die Gründung der Loge überhaupt.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

257

den. Dadurch erwarb er nicht nur persönliche Vorteile, sondern schuf auch eine Grundlage für das Weiterleben der josephinischen Reformideen bis in das 19. Jahrhundert. 6.2.2 Der Geheimbund der Illuminaten in der wahren Eintracht Neben den bereits erwähnten Rosenkreuzern, die als Geheimbund innerhalb der Freimaurerei operierten, etablierten sich zu Beginn der achtziger Jahre auch die Illuminaten im Wiener Logensystem.1328 Übereinstimmend wird in der Forschung darauf verwiesen, dass der Loge zur wahren Eintracht eine Schlüsselrolle für das nur schwer zu erfassende Wirken dieses zunächst bay­erischen Ordens in der Habsburgermonarchie zukam.1329 Da nur wenige Quellen über den österreichischen Zweig des Ordens berichten, kann eine Betrachtung der Entwicklung der Illuminaten in ihrem Ursprungsland ­Bayern helfen, deren Intention und Organisationsform zu verstehen. Im Jahr 1776 gründete Adam Weishaupt (1748–1830), Professor für Kirchenrecht an der Universität Ingolstadt, den Geheimbund der Illuminaten.1330 Der Orden war nach dem Vorbild der Jesuiten gestaltet und setzte die Prinzipien der Geheimhaltung und einer strengen inneren Disziplin voraus. Weishaupts Ziel war es zunächst, ein Mittel gegen eine von ihm vermutete Verschwörung konservativer Exjesuiten und Rosenkreuzer gegen die Aufklärungsbewegung zu schaffen. Nachdem diese Verschwörung aber ausblieb nutzte er den Orden verstärkt als persönliches Machtinstrument. Die Mitglieder stammten anfangs nur aus Ingolstadt und ihr Kreis beschränkte sich vornehmlich auf Weishaupts Studenten. Im Mittelpunkt der Organisation standen die Unterweisung der Mitglieder und ihre Charakterbildung durch kirchenkritische Lektüre und philosophische Übungen. Durch gegenseitige Überwachung und Kontrolle wollte Weishaupt die Illuminaten für 1328 Grundlegend für das Wirken des Ordens in Österreich sind die Darstellungen von Rosenstrauch-Königsberg, Illuminaten u. Reinalter, Illuminaten; vgl. auch Abafi: Geschichte, S. 116–135 u. Engel, Leopold: Geschichte des Illuminaten-Ordens. Ein Beitrag zur Geschichte Bayerns, Berlin 1906, S. 192–206. 1329 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Ausstrahlung, S. 57; Reinalter: Aufklärer, S. 166; 1330 Jener wurde auch Bienenorden oder Orden der Perfectibilisten genannt. Vgl. für einen Überblick zur Geschichte des Ordens: Engel: Illuminaten; Dülmen: Illuminaten; Ders.: Der Geheimbund der Illuminaten (Neuzeit im Aufbau Bd. 1), Stuttgart 1977; Reinalter: Illuminaten; Agethen: Geheimbund, S. 70–85; Weis, Eberhard: Der Illuminatenorden 1776–1786 unter besonderer Berücksichtigung der Fragen seiner sozialen Zusammensetzung, seiner politischen Ziele und seiner Fortexistenz nach 1786, in: Reinalter, Helmut (Hg.): Der Illuminatenorden: 1776–1785/87. Ein politischer Geheimbund der Aufklärungszeit, Frankfurt a.M. 1997, S. 227–246.

258

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

seine Zwecke nutzbar machen, wobei allerdings eben diese Zwecke noch nicht klar definiert waren.1331 Der Geheimhaltung kam im Orden schon früh eine besondere Bedeutung zu, die über den Schutz vor vermuteten Intrigen potentieller Gegner hinausreichte. So heißt es in den Ordensstatuten: Der Orden will Überhaupt, so viel als Möglich geheim Bleiben; denn alles Geheime und Verborgene hat für uns sonderbaren Reiz; bei anderen Leuten aber erweckt die Verborgenheit Neugierde und zugleich wird die Anhänglichkeit zum Orden vergrößert.1332 Tatsächlich führten dieser Reiz und die vorsichtige Werbung neuer Mitglieder zu einer langsamen Expansion, so dass der Orden 1779 circa sechzig Mitglieder innerhalb Bayerns umfasste. Sie alle waren zu Gehorsam gegenüber den ihnen unbekannten geheimen Anführern verpflichtet, hinter deren Namen sich Weishaupt verbarg: Die Oberen sind unsere Führer, die leiten uns aus Finsterniss und Irrthum zum Licht […] Der Orden fordert also freiwillig ein Opfer der Freiheit von allen Mitgliedern, zwar nicht unbedingt, aber allezeit.1333 Um das Jahr 1780 führten die lokale Beschränkung des Ordens und sein strenges Reglement zu einer vorläufigen Stagnation seiner Mitgliederzahl. Erst durch die Aufnahme des Freimaurers Adolph von Knigge (1752–1796) im Jahr 1780 begann eine neue Dynamik, die zu einer kurzen Blütezeit führen sollte. Knigge arbeitete schon bald als neues Führungsmitglied eng mit Weishaupt zusammen. Er setzte sich erfolgreich dafür ein, gezielt Freimaurer als Mitglieder zu werben, da diese bereits einer Auswahl unterzogen worden wären, an Geheimhaltung gewöhnt seien und man die auf diese Weise die maurerische Infrastruktur vereinnahmen könne.1334 Durch Knigges neue Form der Werbung wuchs der Orden bis 1784 auf ca. 1.000 Mitglieder an und verbreitete sich über die bayerischen Landesgrenzen hinaus nach Österreich und auch nach Norddeutschland.1335 Erst während diese Entwicklung sich vollzog wurden das System der Ordensränge, deren Aufgaben und das endgültiges Ziel der Organisation ausgearbeitet und definiert.1336 Die unterste Stufe des Geheimbundes bildeten die sogenannten Minervalgrade (Novize, Minerval und Illuminatus Minor), in denen vornehmlich die Ausbildung und eine überwachte charakterliche Entwicklung der Mitglieder erfolgen sollte. Oberhalb dieser Ebene standen 1331 Weis: Orden, S. 236. 1332 Abafi: Geschichte, S. 124. 1333 Abafi: Geschichte, S. 119f. 1334 Für eine kurze Übersicht über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Freimaurern und Illuminaten vgl. Weis: Orden, S. 228f. 1335 Bereits die Mitgliederzahl ist sehr umstritten. Dülmen: Gesellschaft, S. 104 geht von 600 Mitgliedern aus, Weis: Orden spricht von 1.000 bis 2.000 Personen. 1336 Silagi: Jakobiner, S. 40.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

259

diejenigen Illuminaten, welche nach beendeter Ausbildung die Ränge Lehrling, Geselle und Meister in der Freimaurerei bekleideten und die schließlich durch den „Illuminatus Major“ oder „Dirigens“ in ihrer weiteren Arbeit geleitet und überwacht wurden. Diese beiden Stufen bildeten, organisatorisch in sogenannten Minervalkirchen zusammengefasst, die Grundlage der Ordensarbeit; sie waren vermutlich die einzigen Ränge, welche tatsächlich verbreitet waren.1337 Die eigentlichen Ziele des Ordens sollten hingegen nur den obersten Graden bekannt sein, die auf den Minervalkirchen aufbauten. Geplant war die strategische Positionierung der Illuminaten aller Ränge in Regierungsämtern und in der Nähe der Monarchen. Vermutlich wollte Weishaupt auf diese Weise ohne eine Revolution oder einen Putsch das gesellschaftliche System in den deutschen Monarchien langfristig manipulieren. Die endgültigen Zwecke, zu denen diese Macht schließlich benutzt werden sollte, sind allerdings relativ unklar formuliert und zielen auf eine angebliche Herrschaft der Tugend und Weisheit und eine Verbesserung des Menschengeschlechts.1338 Bereits im Jahre 1784 endete die Blütezeit des Ordens, als Streitigkeiten zwischen Knigge und Weishaupt zum Austritt des ersteren führten und Uneinigkeit unter den ranghöheren Mitgliedern deutlich wurde.1339 Nur wenige Monate später wurde der Orden in Bayern verboten und weite Teile seiner Mitglieder verloren durch Versetzung oder Gefängnisstrafe ihre Aufgaben im Staatsdienst. Ursache war die Vermutung einer staatsgefährdenden Wirkung des Ordens auf Teile der bayerischen Regierung. In der Forschung wird außerdem die Theorie vertreten, dass Joseph II. versucht habe, durch die in Bayern und Österreich aktiven Illuminaten Einfluss auf die bayerische Politik zu nehmen.1340 Sein Ziel sei der Anschluss Bayerns an die Österreichischen Erblande seines Hauses gewesen, wobei die Bayerische Herrscherfamilie dafür die Österreichischen Niederlande als Ausgleich erhalten sollte. Friedrich II. von Preußen habe dieser Theorie nach jedoch alles getan, um das Projekt zu verhindern: Er habe durch gezielte Propaganda und Agententätigkeit auf ein Verbot der Illuminaten hingewirkt, um Joseph II. zu schaden. Unabhängig von den zugrundeliegenden Motiven zeigte das Verbot Wirkung und die weiteren Aktivitäten des Ordens außerhalb Bayerns waren marginal. Spätere Berichte über Illuminaten, die gerade im Zusam1337 Vgl. Silagi: Jakobiner, S. 39 u. Abafi: Geschichte, S. 127. 1338 Reinalter, Helmut: Freimaurerei und Demokratie im 18. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.): Aufklärung und Geheimgesellschaften. Zur politischen Funktion und Sozialstruktur der Freimaurerlogen im 18. Jahrhundert, München 1989, S. 41–63, hier S. 58 u. S. 60. 1339 Vgl. Dülmen: Illuminaten, S. 808f. u. Rosenstrauch-Königsberg: Illuminaten, S. 145. 1340 So bei Reinalter: Broschüren, S. 16; Silagi: Jakobiner, S. 44; Agethen: Geheimbund, S. 78f.; Dülmen: Illuminaten, S. 807 u. Lindert: Heilserwartung, S. 110f.

260

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

menhang der Französischen Revolution den Charakter von Verschwörungstheorien annahmen, sind oft widersprüchlich und von starken Übertreibungen geprägt.1341 Drei Jahre vor seinem Verbot, noch in der Blütezeit des Illuminatenordens, war dessen Expansion in die Wiener Logen erfolgt. Über diese Zusammenhänge bietet die Forschung aufgrund der schlechten Quellenlage abweichende und teilweise widersprüchliche Interpretationen. So ist bereits umstritten, wer für die Ausbreitung der Illuminaten nach Wien verantwortlich war.1342 Mehrere Hinweise deuten aber auf Ludwig Graf Cobenzl (1744– 1792), Dompropst in Eichstätt, dessen „Missionstätigkeit“ in Wien unter dem Decknamen Arrian in Briefen zwischen Ordensmitgliedern vom Januar und Februar 1782 erwähnt wird.1343 Über die Tätigkeit und die Verbreitung der Illuminaten in Wien kam man aus den Briefen der besuchenden Illuminaten Forster und Münter, durch Erwähnungen in Weishaupts Korrespondenz und durch Illuminatenlisten und Berichte des leopoldinischen Infor­ mantennetzes folgende Aussagen ableiten:1344 Sonnenfels und Ignaz von Born wurden relativ früh Illuminaten. Durch sie verbreitete sich der Orden innerhalb der Loge zur wahren Eintracht, die von Besuchern und Beobachtern als Zentrum des Ordens in Österreich wahrgenommen wurde. Sonnenfels trug dabei die Ordensnamen Fabius und Numa, Born hingegen den des Furius Camillus.1345 Beide bekleideten rela1341 Vgl. die Ausführungen über die Berichte Leopold Alois Hoffmanns in Kap. 4.1.6. Weis: Orden, S. 227 u. Agethen: Geheimbund, S. 85 betonen, dass es entgegen nach 1789 verbreiteten Verschwörungsberichten keinerlei Versuche mehr gab, den Orden neu zu gründen. 1342 So wird bei Silagi: Jakobiner, S. 40 die Theorie vertreten, dass der Dichter Johann Baptist von Alxinger dazu Anlass gab. Rosenstrauch-Königsberg: Philosophie, S. 566 hingegen nennt Sonnenfels als Gründer der österreichischen Illuminaten, vertritt diese Ansicht aber später nicht mehr. 1343 Vgl. Engel: Illuminaten, S. 181f. u. 195–197 u. HHStA VA Kart. 42 Konv. Schriften zum WienerKomplex , Fol. 75r.–82v. Bericht über die Illuminaten [nach dem Schriftbild verm. von Maier, einem Wiener Kollegen Hoffmanns]. 1344 Forster: Tagebücher, S. 104–130; vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Münter, S. 65–83; Steiner: Forster, S. 171–197; Ulig, Ludwig: Georg Forster. Lebensabenteuer eines gelehrten Weltbürgers (1754–1794), Göttingen 2004, S. 168–188 u. West: Knowledge, S. 337–351. 1345 Im Falle Sonnenfels ist unklar, ob er vor oder nach seiner Aufnahme Illuminat wurde. Er steht in allen den Wiener Behörden vorgelegten Illuminatenlisten. Diese Listen wurden allerdings vornehmlich um 1790 von inoffiziellen Mitarbeitern Leopolds II. erstellt, die zum Teil mit Sonnenfels verfeindet waren und für ihre Listen Vergünstigungen und Bezahlung erhielten. HHStA VA Kart. 38, Fol. 87f. Notiz über die Illuminaten; ebd. Konv. Geheime Schriften Gotthardis, Fol. 61r.–63v. Liste der Illuminaten in Wien; VA Kart. 41 Konv. Alt. 62, Fol. 162r.–308v.: Eine Liste berühmter Illuminaten von Professor Hoffmann, Fol. 272r.–273v. u. Liste der bekannten Glieder der Illuminaten Secte in Pfalzbaje-

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

261

tiv hohe Positionen in der Hierarchie der Illuminaten. Welche Funktionen sie ausübten ist allerdings nicht eindeutig zu bestimmen, wobei Sonnenfels mehrmals als Provincialmeister von Österreich genannt wird, Born hingegen als oberster Illuminat von Wien.1346 Davon weichen andere Angaben ab, wonach zuerst Sonnenfels Oberhaupt der Illuminaten gewesen sein soll, bevor Born ihn abgelöst habe.1347 Das bornsche Haus war allen Berichten zufolge Treffpunkt für einheimische und besuchende Ordensmitglieder, die hier neben den zahlreichen maurerischen Besuchern eigene Sitzungen abhalten konnten.1348 Durch diese Aktivitäten und seine Korrespondenz erschien Born den besuchenden Illuminaten als Oberhaupt der Freimaurerei und der Illuminaten in Wien. Die Arbeit der unteren Ränge des Ordens, die philosophischen Übungen und Unterweisungen, wurden von ihm und Sonnenfels neben den Übungslogen der Freimaurer geleitet und überwacht. Dass es sich bei diesen Sitzungen der wahren Eintracht und der sogenannten Minervalkirche der Illuminaten um parallele und nicht identische Versammlungen handelte, legt ein Brief des besuchenden Illuminaten Friedrich Münter nahe: Im Winter hält Born Meisterübungen, die in ordentlichen Vorlesungen bestehen. Keiner aber darf vorlesen als Illuminat. Dieß ist auch so bey den Reden im Lehrling und Ges.[ellengrad].1349 Da die Illuminaten eine Schlüsselfunktion in der wahren Eintracht besaßen, ist anzunehmen, dass noch weitere Mitglieder zu dem Geheimbund gehörten. Im Falle Blumauers, Watteroths, Retzers, des Bibliothekars Gottlieb Leon und des nach Weimar geflohenen Mönchs Karl Reinhold ist dies aufgrund mehrfacher Erwähnung in Briefen und Tagebüchern wahrscheinlich.1350 Aber auch wenn noch weitere der bis zu 176 rischen Staaten, Fol. 204r.–207v. mit Korrektur Fol. 209r. u. Eine neue Illuminatenliste, Fol. 198r.–201v. Zu den Namen siehe HHStA VA Kart. 38, Fol. 207r. vgl. auch die von Dülmen: Illuminaten, S. 825 als Anhang gegebene Illuminatenliste aus dem Geheimen Staatsarchiv München. 1346 Reinalter: Illuminaten, S. 366 u. Abafi: Geschichte, S. 132. 1347 HHStA VA Kart. 42 Konv. Schriften zum Wiener Komplex, Fol. 75r.–82v. Bericht über die Illuminaten. Der Autor, gemäß dem Schriftbild vermutlich der Wiener Professor Maier, stand in Verbindung mit Hoffmann und schrieb fünf Jahre nach Ende des Ordens. Er wurde für Berichte über den Orden ohne deren Überprüfung bezahlt. Obwohl die Quelle daher kaum glaubwürdig ist folgt ihr Lindert: Heilserwartung, S. 112. 1348 Vgl. Fuchs: Reinhold, S. 21 u. Rosenstrauch-Königsberg: Münter, S. 66 u. S. 76. 1349 Rosenstrauch-Königsberg: Münter, S. 74. Es wird vereinzelt auf die Existenz einer zweiten, von der ersten unabhängigen Minervalkirche in Wien verwiesen. 1350 Für weitere potentielle Illuminaten siehe Lessing/Fischer: Übungslogen, S.  13; Lindner: Born, S. 153; Kopetzky: Sonnenfels, S. 307f.; Rosenstrauch-Königsberg, Edith: Präjakobinische Geheimbünde in der Habsburger Monarchie, in: Büsch, Otto u. Grab, Walter (Hg.): Die demokratische Bewegung in Mitteleuropa im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert. Ein Tagungsbericht, Berlin 1980, S. 130–147, hier S. 97f. u. Abafi: Geschichte, S. 131f.

262

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

Brüder dem Illuminatenbund angehörten, sind pauschale Einschätzungen zu vermeiden, wie Gegner des Ordens sie verbreiteten: Und man kann ohne vieles bedenken fast jeden guten Kopf von der bornschen Loge für einen Illuminaten halten.1351 Dass sowohl innerhalb als auch außerhalb dieser Loge Illuminaten für die Verbreitung des Geheimbundes in der Habsburgermonarchie tätig waren, wird besonders durch die Aufnahme und Wirkung zweier weiterer Mitglieder deutlich: Zum einen wurde der böhmisch-österreichische Hofkanzler Graf Kolowrat beim Konvent zu Wilhelmsbad 1782 von bayerischer Seite angeworben und engagierte sich für die Expansion der Illuminaten nach Böhmen.1352 Knigge berichtete diesbezüglich an Weishaupt: Ich habe auf dem Convente in Wilhelmsbad den Deputirten Grafen von Kolowrat angeworben, und ihm den Namen Numenius gegeben. Hier ist sein Revers. Er wusste nicht nur die Existenz des Ordens, sondern sagte mir auch, er habe gehört Sonnenfels sey Illuminat.1353 Erst während er also bereits Illuminat war, wurde Kolowrat wie beschrieben auf Vorschlag des Illuminaten Sonnenfels in die wahre Eintracht aufgenommen und umgehend zum Meister ernannt.1354 Es liegt also nahe, dass nicht nur sein Einfluss als Hofkanzler, sondern auch sein Einsatz für die Illuminaten einen Grund dafür bot. Die gemeinsame Mitgliedschaft im Geheimbund ist möglicherweise auch ein Motiv für ihre Kooperation in Fragen der Logenpolitik. Zum anderen wird in verschiedenen Quellen übereinstimmend der in keiner Freimaurerloge inkorporierte Gottfried van Swieten als ranghoher und einflussreicher Wiener Illuminat bezeichnet.1355 Unter seiner Führung wurde die Arbeit der Zensurbehörde der Habsburgermonarchie, in der Sonnenfels, Retzer und Blumauer arbeiteten, demzufolge nicht nur von Freimaurern, sondern auch von Illuminaten geprägt.1356 Sein Einsatz zur Verbreitung des Ordens durch die Berufung von Mitgliedern auf Ämter in Ostmitteleuropa ging so weit, dass er im Falle kaiserlichen Widerspruchs mit seinem Rücktritt als Leiter der Studienhofkommission drohte, um seine Zu Gottlieb Leon vgl. Keil: Freunde, S. 23. Zu Blumauer vgl. Reinalter: Reaktion, S. 45 u. Rosenstrauch-Königsberg: Blumauer, S. 19. Zu Reinhold vgl. Fuchs: Reinhold, S. 21. 1351 HHStA VA Kart. 41 Konv. Schriften zum Wiener Komplex: Anonymer Bericht o.D., Fol. 75r.–82v., hier Fol. 78r. 1352 Vgl. Dülmen: Gesellschaften, S. 103. 1353 Engel: Illuminaten, S. 193f. 1354 Vgl. Irmen: Protokolle, S. 136f. 1355 So nennt Hoffmann sie die swietensche Partei, in: HHStA VA Kart. 38, Fol. 129r. Vgl. Lesky: Swieten, S. 170. u. Rosenstrauch-Königsberg: Illuminaten, S. 145 u. S. 152–157. 1356 Sashegyi: Zensur, S. 42.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

263

Interessen durchzusetzen.1357 Seine enge Zusammenarbeit mit Sonnenfels in den Wiener Behörden, speziell in der Studienhofkommission begann allerdings bereits vor ihrer beider Mitgliedschaft im Illuminatenorden und überdauerte sie bei weitem.1358 Die beiden letztgenannten neuen Mitglieder zeigen, dass durchaus von einer expansiven Aktivität des Geheimbundes in den Erblanden und speziell in Wien auszugehen ist. Dies spiegelt sich auch in den besorgten Aussagen von Freimaurern wider, die dem Orden ablehnend gegenüberstanden.1359 Es bleibt jedoch zu beachten, dass ausschließlich Hinweise auf Arbeit in den unteren Graden des Illuminatismus vorliegen, welche die gelenkte Charakterentwicklung und eine Verbreitung neuen Gedankengutes umfassten. Es ist fraglich, ob die Wiener Mitglieder von den erst spät ausgearbeiteten höheren Zielen des Ordens überhaupt wissen konnten.1360 Für sie dürfte der Illuminatismus lediglich als radikal aufklärerischer Zweig der Maurerei erschienen sein, der den in Österreich einflussreichen Rosenkreuzern gegenüberstand.1361 Es war wohl gerade die Auseinandersetzung mit diesem mystisch-christlichen Geheimbund, die mehrere Wiener Maurer überzeugte, sich den Illuminaten anzuschließen und in den niederen Rängen zu lernen und zu philosophieren. Für Sonnenfels lag in dieser Gegnerschaft allerdings, wie Georg Forster erfuhr, insofern eine Schwierigkeit, als der Obersthofmeister Johann Karl Graf von Dietrichstein, das führende Mitglied der Familie, die ihn seit seiner Jugend förderte, ein Rosenkreuzer war.1362 Bei der Betrachtung der Logenarbeit in der wahren Eintracht fällt auf, dass die Loge zentralen Prinzipien des Illuminatismus konsequent zuwiderhandelte, obwohl Born und Sonnenfels hier Schlüsselpositionen innehatten.1363 Born befragte die Mitglieder bei wesentlichen Entscheidungen, und Sonnenfels stellte den Wert der inneren Demokratie einer jeden maurerischen Versammlung über das Gehorsamsprinzip.1364 Auch die Veröffentlichung eines Journals entsprach keineswegs der Forderung nach größtmög1357 Rosenstrauch-Königsberg: Geheimbünde, S. 94f. 1358 Vgl. Kap. 7.4. 1359 Huber: Sozialstruktur, S. 88. 1360 Dülmen: Gesellschaften, S. 107 verweist darauf, dass die Unwissenheit der Mitglieder über die eigentlichen Zwecke des Ordens typisch war. 1361 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Freimaurerei, S.  57; Lindner: Born, S. 154f. sowie Silagi: Jakobiner, S. 42. 1362 Vgl. einen Brief Georg Forsters an Sömmering vom 14. Aug. 1784, in: Forster: Briefe, S. 162. 1363 Dieser These steht Abafi: Geschichte, S. 307 entschieden gegenüber, der hier die reinsten Prinzipien des Illuminatismus verwirklicht sieht. 1364 Dies galt besonders im Falle der Einrichtung der Übungslogen, vgl. Lessing/Fischer: Übungslogen.

264

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

licher Geheimhaltung. Die Beiträge Borns, in denen er antike Mysterien thematisierte, standen ebenfalls im Gegensatz zu der pragmatischen und auf zukünftige politische Einflussnahme gerichteten Intention der Illuminaten.1365 Es scheint, dass die Wiener Logen insgesamt relativ eigene Wege innerhalb des Ordens gingen, wie auch durch einen Brief Weishaupts bestätigt wird: Weder ich noch Philo [Freiherr von Knigge] haben nach Wien Correspondenzen unterhalten. Warum alles verfallen, liegt in […] fehlerhaft getroffenen Einrichtungen;1366 Die divergierende Entwicklung überschnitt sich außerdem mit den Bestrebungen der österreichischen Freimaurer und speziell Borns, eine eigene große Landesloge für die Habsburgermonarchie zu gründen.1367 Die im Illuminatismus geforderte Abhängigkeit und der strenge Gehorsam gegenüber auswärtigen unbekannten Oberen waren mit diesem Vorgehen nicht zu vereinbaren, das gerade eine eigenständige Entwicklung der geheimen Gesellschaften der Habsburgermonarchie ermöglichen sollte. Bevor aus den Unterschieden aber eine Auseinandersetzung um die zukünftige Rolle des Ordens erwachsen konnte, erging das Verbot in Bayern. Nun wurden auch die geheimen Ordensziele bekannt gemacht, wonach sich zahlreiche bisher im Unwissen gehaltene Mitglieder aus dem Orden zurückzogen.1368 Es ist unklar, inwieweit der Orden zur Zeit der Reform der österreichischen Maurerei im Jahre 1785, als auch die wahre Eintracht aufgelöst wurde, überhaupt noch Anhänger hatte.1369 Der Illuminat Gottlieb Leon schrieb an den damals in Erfurt ansässigen Karl Reinhold: Vom Illuminationswesen ist bey uns schon lange weder Rede noch Frage mehr. Der Orden hat bey uns […] völlig aufgehört. Da sein Leben u. Weben – meines Wissens – nicht länger als 1 u. ¾ Jahr in unserm gepreßten so dumpfigen als sumpfigen Klima dauerte, […] so kannst du dir leicht vorbilden, dass ich von dem eigentlichen Zweck’ u. Triebwerke desselben nur die oberflächlichen Begriffe eines Neulings haben konnte.1370

1365 Meumann, Markus: Zur Rezeption antiker Mysterien im Geheimbund der Illuminaten. Ignaz von Born, Karl Leonhard Reinhold und die Wiener Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“, in: Neugebauer-Wölk, Monika (Hg.): Aufklärung und Esoterik, Hamburg 1999, S. 288–304, hier S. 290–293 betont die Besonderheit dieses Aspektes und verweist im Umfeld der wahren Eintracht außerdem auf die Studien Karl Reinholds über die ägyptischen Mysterien. 1366 Brief vom 1. Okt. 1784. Zu der relativen Eigenständigkeit der österreichischen Illuminaten vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Illuminaten, S. 147. 1367 Siehe Kap. 6.2.1. 1368 Dülmen: Illuminaten, S. 811. 1369 Vgl. Reinalter: Illuminaten, S. 372. Zur Reform von 1785, vgl. Kap. 6.2.4. 1370 Brief vom 16. Aug. 1786, in: Reinhold: Korrespondenz, S. 114. Vgl. auch Keil: Freunde, S. 60.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

265

Obwohl Hoffmann und Watteroth in späteren Berichten Sonnenfels wiederholt vorwarfen, bis in die neunziger Jahre hinein Teil einer illuminatisch-jakobinischen Verschwörung zu sein, deutet das Fehlen von Beweisen, das Ausbleiben jedweder Anklage und die Nichterwähnung seiner Person in den Verhören der Jakobinerprozesse darauf hin, dass er keineswegs die geheimen Ziele des Ordens verfolgte. Es ist ohnehin sehr wahrscheinlich, dass er erst nach dem Ende der Illuminaten von Weishaupts Plänen erfuhr. Somit sind auch die abenteuerlichen Berichte eines Informanten nicht ernst zu nehmen, dass Sonnenfels als maskiertes Oberhaupt einer Illuminatenverschwörung des Nachts auf Dächern geheime Treffen zur Planung einer Weltrevolution leite.1371 Trotz der erwähnten strengen Regeln bot der Orden für Sonnenfels Zeit seiner Existenz in zweifacher Hinsicht eine Ergänzung seiner maurerischen Aktivitäten. Zum einen wurde das Netzwerk zur Förderung individueller Karrieren, aber auch zur Verteidigung der josephinischen Reformpolitik gegen potentielle Gegner intensiviert und um einflussreiche Persönlichkeiten ergänzt. Die Exklusivität des Illuminatenordens und die doppelte Geheimhaltung innerhalb der Maurerei dürften dabei den Effekt einer abgeschlossenen sozialen Sphäre noch verstärkt haben. Zum anderen passten Ziele und Konzepte der Illuminaten, soweit Sonnenfels sie überschauen konnte, zu dem Plan, die wahre Eintracht zu einer gelehrten Gesellschaft für Wien zu machen. Seine Rede vom Einfluss der Maurerey auf die bürgerliche Gesellschaft vereint Prinzipien der unteren Illuminatenränge, wie strenge Auslese der Mitglieder und Disziplin, mit der in der Logenarbeit der wahren Eintracht betonten Treue zum josephinischen Staat. Die Negierung des illuminatischen Gehorsamsprinzips in der Logenarbeit wiederum verweist auf die Prioritäten Sonnenfels’ und Borns, die in der egalitären wissenschaftlichen Arbeit lagen. Daher erscheint Sonnenfels’ Tätigkeit als Illuminat letztlich lediglich als Ergänzung seiner Aktivitäten und seiner sozialen Beziehungen als Freimaurer. 6.2.3 Sonnenfels’ Patriotischer Traum einer freien Akademie der Wissenschaften Im neunten Band seiner Gesammelten Schriften publizierte Sonnenfels im Jahr 1787 eine Rede, die er angeblich im September 1784, also zeitgleich mit seinem Engagement für die Orden der Freimaurer und Illuminaten, in einer

1371 Silagi: Jakobiner, S. 107–109. Auffallend ist dabei, dass der Informant nach Versetzung zu einem misstrauischen Vorgesetzten plötzlich nichts mehr zu berichten hatte.

266

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

Versammlung gelehrter Bürger Wiens gehalten habe.1372 Diese Rede trug den Titel: Entwurf zu einer Privatvereinigung für Männer von Wissenschaften oder Ein patriotischer Traum und thematisierte Aufbau, Organisation und mögliche Ziele einer neuen gelehrten Gesellschaft in Wien. Sonnenfels machte sich damit an die Verwirklichung einer Vision, die bereits Ende der vierziger Jahre in der Familie Petrasch diskutiert wurde.1373 Joseph von Petrasch (1714–1772) hatte 1746 in seinem Garnisonsort Ollmütz eine gelehrte Gesellschaft gegründet.1374 Später reichte er bei Maria Theresia einen Entwurf für eine Akademie der Wissenschaften ein, der auf Thesen Gottscheds basierte und mit dem Grafen Haugwitz abgesprochen war. Seine Bemühungen waren jedoch vergeblich. Seitdem hatte es immer wieder Initiativen zugunsten einer solchen Akademie gegeben, bei denen beispielsweise auch Lessing einbezogen wurde, ohne dass einer der Entwürfe publiziert wurde. Die öffentliche Präsentation von Sonnenfels’ neuem Plan erschien daher unerwartet, zumal mit seiner Hilfe gerade das Statut der Loge zur wahren Eintracht erstellt wurde, die selbst als eine Art gelehrter Gesellschaft gestaltet war. Eine Abgrenzung und eine genaue Betrachtung beider Pläne erscheinen daher angebracht. In seiner Rede verwies Sonnenfels nach einer längeren Einleitung über das Wesen von Akademien und den großen Nutzen, den sie für einen Staat haben können, darauf, dass bereits erste Erörterungen und Treffen von gelehrten Mitbürgern stattgefunden hätten […] und es war Ihnen gefällig mich mit dem Auftrage zu dem Vorschlage eines […] Planes zu beeheren. Ich lege ihnen denselben hiermit zur Beurtheilung und Berichtigung vor, nach der Ordnung, die bereits vorläufig beliebt worden.1375 Die von ihm konzipierte private Akademie der Wissenschaften bestand aus vier Klassen, einer historischen, einer philosophischen, einer physischen und einer mathematischen, in denen unbesoldete Mitglieder neben ihren alltäglichen Berufen gemeinsam forschen und philosophieren sollen. 1376 Diese arbeitenden Mitglieder sollten unbeschränkt, aber nur nach sorgfältiger Prüfung ihrer wissenschaftlichen Qualifikation und Liebe zur Aufklärung aufgenommen werden.1377 Sonnenfels spricht sich explizit dagegen aus, Kandidaten diese Prüfung zu ersparen, selbst wenn sie von Adel seien: Wir werden also aus dem Adel keine Glieder wählen, um durch erlauchte Na1372 Sonnenfels, Joseph von: Ein patriotischen Traum, in: Gesammelte Schriften, Bd. 9, S. 287–355. 1373 Vgl. Haider-Pregler: Abendschule, S. 275–280. 1374 Ihr Name war: Societas eruditorum incognitorum in terris Austriacis, ebd. S. 275. 1375 Haider-Pregler: Abendschule, S. 304. 1376 Sonnenfels: Traum, S. 305–321 zur genauen Einteilung der Klassen. 1377 Ebd., S. 326f.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

267

men unserem Verzeichnisse Glanz und Ansehen zu verschaffen.1378 Für die harmonische und effiziente Arbeit der geplanten Akademie liege hierin eher eine Gefahr als ein Nutzen. Über die Aufnahme der neuen Mitglieder solle auf einer gemeinsamen Versammlung aller Klassen abgestimmt werden. Als Verfahren empfiehlt er nach Vorbild der Freimaurerlogen eine anonyme Abstimmung mittels schwarzer und weißer Kugeln.1379 Dem Ablauf der gemeinsamen Versammlungen widmet Sonnenfels ausführliche Erläuterungen, anhand derer die Organisation erheblich von der Arbeit der Freimaurer und vor allem der Illuminaten unterschieden werden kann.1380 Bei den Treffen soll es verboten sein, Bezug auf Titel oder Ämter zu nehmen. Die Platzwahl und die Redefolge sollten völlig frei sein und durch einen einmalig auf zwei Jahre gewählten Wortführer nur wenn nötig koordiniert werden. Neben dem Wortführer sieht der Plan lediglich ein weiteres Amt vor, einen ebenfalls einmalig auf zwei Jahre ernannten Sekretär zur Führung des Protokolls und der Korrespondenz.1381 Jedes Mitglied soll in den gemeinsamen Versammlungen und in den Treffen der einzelnen Klassen einen Sitz und eine freie Stimme haben. Niemand besäße das Recht, Befehle oder Weisungen zu erteilen oder die Arbeit anderer Mitglieder mehr als einer wissenschaftlichen Rezension und Erörterung zu unterziehen. Alle Entscheidungen sollen mehrheitlich getroffen werden. In diesem Sinne wird auf einen einflussreichen adeligen Protektor oder Kurator, wie er in der Akademie der bildenden Künste eingesetzt war, ebenso verzichtet wie auf einen weisungsbefugten Rat.1382 Das Fehlen jedweder Herrschaftsstruktur und eines Protektors brachte Sonnenfels dazu, die Akademie als eine private – also explizit von staatlichen Strukturen getrennte – Akademie zu bezeichnen. Jede Klasse solle selbst mehrheitlich entscheiden, auf welche Weise und wie häufig sie ihrer Arbeit nachgehen wolle. Dabei legte Sonnenfels allerdings großen Wert darauf, die bearbeiteten Wissensgebiete im Sinne der josephinischen Reformpolitik von vornherein zu beschränken: Nur was in der Ausübung einen Nuzen schaffen, […] der Nationalglückseligkeit etwas zusetzen, […] was die Zahl nutzbarer Wahrheiten vermehren, die Zahl schädlicher Irrtümer verringern kann, sey der Gegenstand unserer vereinigten Bemühungen.1383 Vor dem Hintergrund der Tätigkeit der wahren Eintracht als freimaurerischer gelehrter Gesellschaft ist bemerkenswert, dass er sich 1378 Ebd., S. 323f. 1379 Ebd., S. 340. Er verwendet auch den entsprechenden Terminus des Ballotierens. 1380 Ebd., S. 330–393. 1381 Ebd., S. 334f. 1382 Ebd., S. 322. 1383 Ebd., S. 305.

268

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

explizit gegen das Studium antiker Mysterien und Kulte ausspricht, sofern diese nicht zur Verbesserung der Sitten der Gegenwart nutzbar gemacht werden.1384 Die Frage nach dem Nutzen für die Gesellschaft ist für ihn zentral und müsse stets gestellt werden, um die Existenz der konzipierten Akademie zu rechtfertigen. Dass Sonnenfels bei seinem Plan allerdings keineswegs von einer theoretischen, sondern von einer bereits existierenden Organisation ausging, verdeutlicht – neben dem Hinweis auf bisherige Versammlungen zu Beginn der Rede – sein kurzer Briefwechsel mit Moses Mendelssohn, in dem dessen mögliche Aufnahme in die private Akademie thematisiert wird. Am 16. Dezember 1784 lud Sonnenfels in seiner Funktion als Sekretär und Mitglied der philosophischen Klasse den jüdischen Gelehrten ein, zunächst korrespondierendes Mitglied der Akademie zu werden. Er beschreibt diese Organisation: Unsere Verfassung hat Freiheit der Meinung und Gleichheit der Grundlage, die wir um den Titel Academie de sa Majesté nicht aufgeben wollen; wir haben keinen Präsidenten, damit der Stolz des Namens keinen Kammerherren nach der Stelle lüstern mache.1385 Er äußert darüber hinaus die Hoffnung, durch die Aufnahme einiger bekannter Persönlichkeiten finanzielle Unterstützung seitens des Monarchen zu erhalten. Solch eine Finanzierung sei aber nur dann annehmbar, wenn die Freiheit der Akademie keinen Beschränkungen unterliege. In seiner Antwort vom 21. Januar 1785 bringt Mendelssohn seine Begeisterung für das Projekt zum Ausdruck und schreibt: Da Sonnenfels mein Führer sein will, so frage ich nicht wohin. Ich will also nicht wissen in welcher Männer Gesellschaft sie mich bringen. Genug es sind Männer von Wissenschaft, die Sonnenfels schätzen, und von ihm geschätzt werden.1386 Doch bevor aus provisorischen Sitzungen eine regelmäßig arbeitende private Akademie der Wissenschaften werden konnte, kam es aus unbekannten Gründen zu einem Abbruch aller diesbezüglichen Korrespondenz und vermutlich auch der Arbeit der gerade erst gegründeten Institution. Eine kurze Erwähnung in einem Schreiben des Wiener Freimaurers Gottlieb Leon verweist darauf, dass sie Mitte des Jahres 1786 ihre Arbeit einstellte.1387 Zur Planung und Gründung dieser freien Akademie ist zu beachten, dass Wien 1784 mit der wahren Eintracht, wie geschildert, bereits seit Jahren eine inoffizielle Akademie der Wissenschaften besaß, an der Sonnenfels au1384 Ebd., S. 300f. 1385 Michael, Reuven (Hg.): Moses Mendelssohns Briefwechsel (Gesammelte Schriften Jubiläumsausgabe Bd. 20,2), Stuttgart 1994, Brief Nr. 255, S. 423f. 1386 Ebd., Brief Nr. 258, S. 427f. 1387 Reinhold: Korrespondenz, Brief vom 16. Aug. 1786, S. 114–128, hier S. 121.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

269

ßerdem organisatorisch beteiligt war. Die Versammlung aber, welche diese Rede hörte, war mit der Loge organisatorisch nicht verbunden, wie aus deren Protokollen hervorgeht.1388 Durch die Ablehnung der Erforschung antiker Mysterien stellte die Rede sich sogar direkt gegen die Lehre Ignaz von Borns. Hier wurde also eine Ergänzung oder sogar Konkurrenz für die wissenschaftliche Arbeit der bornischen Loge geschaffen, die auf jedwede mystischen Bezüge, den Ritus und das Gradsystem der Maurerei verzichtete. Sonnenfels’ häufige Abwesenheit von den regulären Logensitzungen, besonders bei formaler Logenarbeit, deutet auch darauf hin, dass er daran bestenfalls geringes Interesse hatte. Er tritt ohnehin erst dauerhaft in eine Loge ein, nachdem sein Freund Born das Konzept einer maurerischen Akademie der Wissenschaften entworfen hatte. Seine Erfahrung und sein großes Engagement als Universitätslehrer, Publizist, Freimaurer und permanenter Sekretär der Akademie der bildenden Künste dürften ihn bei seinem Konzept einer privaten Akademie beeinflusst haben, das aber die bisherige Logenpraxis nur in Teilen aufgriff. Dadurch glich Sonnenfels eine wesentliche Schwäche der wahren Eintracht aus, die weitgehend maurerischen Themen und Riten verpflichtet war und fähige Nichtmaurer ausschließen musste.1389 Die neue private Akademie hingegen hätte jedwedem talentierten Gelehrten einen Ort der Forschung und des fachlichen Austauschs geboten. Darin läge, wie Sonnenfels betont, größerer Nutzen für den Staat, wodurch die Anerkennung der neuen Gesellschaft erleichtert würde. Die Tatsache, dass seine Akademie auch den Mitgliedern der wahren Eintracht offenstand und sie als Teil der intellektuellen Szene Wiens sogar gezielt ansprach, verschärfte dabei die Konkurrenz.1390 In Verbindung mit der stellenweise geradezu schwärmerischen Darstellung seines Patriotischen Traumes, verweist diese Beobachtung darauf, dass der Kern von Sonnenfels’ Mitgliedschaft in den geheimen Gesellschaften in der freien wissenschaftlichen Arbeit und nicht in der Suche nach mystischen Erkenntnissen liegt. Dies klang bereits in seiner Rede Vom Nutzen der Maurerey für die bürgerliche Gesellschaft an.1391 Gegen diese Annahme spricht die in der älteren Forschung vertretene These, dass Sonnenfels seine Rede vor einer Versammlung der Wiener Illuminaten hielt.1392 Dies erscheint in Anbetracht ihres Inhalts jedoch überaus fraglich. Zum einen sind Binnendemokratie, das Fehlen jedweder autoritärer Strukturen, öffentliche Preis1388 Vgl Irmen: Protokolle. Die Rede wurde zwischen der 310. und 311. Sitzung gehalten und ebensowenig wie die erwähnten Versammlungen in einem Protokoll thematisiert. 1389 Rosenstrauch-Königsberg: Akademie, S. 75–80. 1390 Vgl. Reinhold: Korrespondenz, S. 119, FN 23. 1391 Siehe Kap. 6.2.1. 1392 Vgl. Abafi: Geschichte, S. 132 u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 309.

270

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

aufgaben und Publikationen, sowie die festgeschriebene Freiheit jedes Mitgliedes keineswegs typisch für die Illuminaten. Zum anderen widerspricht der Versuch, mit Moses Mendelssohn einen Juden aufzunehmen, deren Aufnahmepraxis.1393 Diese Schlussfolgerung kann durch eine Quelle zwar illustriert, aufgrund deren eingeschränkter Glaubwürdigkeit allerdings nicht belegt werden, da sie aus dem geheimen Spitzelnetz Leopolds II. stammt. Professor Maier, ein ehemaliger Freimaurer und Kollege der Informanten Watteroth und Hoffmann, berichtet über Sonnenfels: Er versuchte es, alle geheime Gesellschaften […] durch eine öffentliche, gelehrte Gesellschaft zu stürzen.1394 In dem Bericht heißt es weiterhin, dass Sonnenfels sogar versucht habe, dem Kaiser Verzeichnisse der Illuminaten zukommen zu lassen, die jedoch angeblich von Verrätern im Kabinett abgefangen worden wären. Es bleibt dazu abermals anzumerken, dass Maiers Bericht voller Widersprüche ist und nicht durch andere Quellen bestätigt wird.1395 Unabhängig von der hier behaupteten Radikalität von Sonnenfels’ Absichten verweist diese Quelle dennoch darauf, dass sein patriotischer Traum sich tatsächlich gegen die beiden Geheimgesellschaften stellte, denen er bisher angehörte. Dies geschah entgegen den Vorwürfen Maiers allerdings nachweislich nur auf einer wissenschaftlichen Ebene, die den Quellen zufolge für Sonnenfels ohnehin von größerer Bedeutung war als Mysterien und Verschwörungen. Seine Intention war es, neben greifbaren Vorteilen wie Status und Beziehungen den größtmöglichen akademischen Nutzen für die Monarchie im Sinne seiner wissenschaftlichen Thesen zu erzielen. Es bleibt zu untersuchen, inwieweit seine Arbeit für eine neue gelehrte Gesellschaft Auswirkungen auf sein freimaurerisches soziales Netzwerk hatte. 6.2.4 Das Ende der wahren Eintracht Im Laufe des Jahres 1784, während sich Sonnenfels für die Gründung der Landesloge von Österreich einsetzte und am Konzept einer neuen gelehrten Gesellschaft arbeitete, vollzog sich ein Prozess zunehmender Entfremdung zwischen ihm und der von Ignaz von Born dominierten wahren Eintracht. Dies äußerte sich in vierfacher Hinsicht: Erstens erschien Sonnenfels immer 1393 Vgl. Weis: Orden, S. 227. 1394 HHStA VA Kart. 41 Konv. Schriften zum Wiener Komplex: Anonymer Bericht o.D., Fol. 75r.–82v., hier Fol. 76r. 1395 So erscheint Sonnenfels in dem Bericht zugleich als unwissendes Werkzeug der Illuminaten, als jemand, der diese manipuliert, und als treuer Illuminat, der den Orden auch sieben Jahre nach dessen Verbot unterstützt. Derartige Widersprüche verweisen auf die fragwürdige Glaubwürdigkeit der Quelle.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

271

seltener bei den Logensitzungen und zeichnete immer weniger Beiträge zur Logenarbeit.1396 Zweitens wurde er bei der Wahl zu Borns Stellvertreter im März 1784 zwar in Abwesenheit vorgeschlagen, hatte aber ausrichten lassen, dass er aufgrund seiner zahlreichen Geschäfte die Wahl nicht annehmen werde.1397 Drittens wurde er, obwohl er den Rang eines Meisters hatte, bei Entscheidungen über Annahme und Ausschluss von Mitgliedern in der zweiten Jahreshälfte nur noch lückenhaft informiert.1398 Schließlich plante er viertens, wie geschildert, die Gründung einer alternativen privaten Akademie der Wissenschaften, die in Konkurrenz zur wahren Eintracht stehen sollte. Dass er jedoch zugleich bereit war, sich für die Errichtung der Landesloge einzusetzen und darin auch Ämter zu übernehmen, deutet darüber hinaus darauf hin, dass der Prozess des Rückzuges tatsächlich speziell auf die wahre Eintracht und nicht auf die Maurerei als Ganzes bezogen war. Innerhalb der bornischen Loge war eine Entwicklung zu erkennen, welche eine mögliche Ursache für die Entfremdung darstellt. Ignaz von Born war nicht nur Meister vom Stuhl und häufiger Gastgeber für Treffen der Brüder im privaten Rahmen, sondern wurde darüber hinaus im Laufe der Zeit zum Gegenstand eines Personenkultes.1399 Die reisenden Maurer Georg Forster und Friedrich Münter schilderten ihn als gefeierten Mittelpunkt der Wiener Maurerei. Forster schrieb: Dieser Mann hat hier unter Allem, was ihn nur kennt, eine Stimme für sich. Alle nennen ihn ihren lieben Vater Born.1400 Die Mitglieder seiner Loge äußerten ihre Zuneigung nicht nur durch Anwesenheit bei den regelmäßigen Zusammenkünften in seinem Haus, sondern auch durch Gedichte, Lieder, musikalische Kompositionen und auch Gemälde und Skulpturen, welche Borns Arbeit für die Maurerei verherrlichten.1401 Innerhalb der Loge band Born einen Kreis von Maurern eng um sich, zu denen neben dem Dichter Johann Baptist von Alxinger auch der früher von Sonnenfels geförderte Blumauer gehörte. Sie unterstützten Borns Führungsanspruch und banden ihr maurerisches Engagement an ihn und seine Vorstel1396 Irmen: Protokolle, S. 192–318, spez. S. 192, Prot. vom 12. März 1784. 1397 Vgl. ebd., S. 192, Prot. vom 12. März 1784. In Anbetracht der Tatsache, dass der Gegenkandidat selbst vorschlug, Sonnenfels an seiner Stelle zu wählen, ist die von Teilen der Forschung vertretene Lesart, Sonnenfels sei bei der Wahl geschlagen worden, fragwürdig. Vgl. Huber: Sozialstruktur, S. 88 u. Lessing/Fischer: Übungslogen, S. 12. 1398 Irmen: Protokolle, S. 216, Prot. vom 9. Aug. 1784. 1399 Reinalter: Born, S. 126 u. Libertas: Brüder, S. 36. 1400 Brief an Theresie Heyne vom 1. Aug. 1784, in: Forster: Briefe 1784–1787, S. 143. 1401 Vgl. Reinalter: Aufklärer, S. 170 u. Rosenstrauch-Königsberg: Münter, S. 67. Bzgl. der Gedichte vgl. das Beispiel: Auf die Zurückkunft unseres Hochwürdigen von B*n aus dem Bade vom 14. Sept. 1785 in HHStA VA Kart. 65 II; bzgl. der Skulpturen vgl. Irmen: Protokolle, S. 239f., Prot. vom 8. Dez. 1784.

272

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

lungen. Alxinger schrieb: Was Du von unserer (Loge) sagst, sie sey ohne Born ein Körper ohne Seele, ist eine ewige Wahrheit. so wahr, als dass ich, wär er nicht M[eiste] v[om] St[uhl] niemals zu dieser (Loge) getreten wäre, so wahr, als dass ich, wenn er es heute aufhört zu seyn, morgen decke. 1402 Sonnenfels gehörte nicht zu diesem Kreis und schrieb auch keine Lobgedichte oder Lieder auf seinen Mitbruder. In Anbetracht seiner eigenen, zeitweise führenden Rolle in der österreichischen Aufklärungsbewegung und des Eifers mit dem er diesen Status vertrat, ist anzunehmen, dass er die zunehmende Verherrlichung Borns nicht positiv aufnahm. Notizen besuchender Maurer zeigen, dass Sonnenfels vielmehr bemüht war, bei Begegnungen seine eigenen Taten und Talente in den Mittelpunkt zu stellen.1403 Auf diese sonnenfelssche Eigenart zielte auch eine im Jahr 1785 im Druck erschienene Satire. Sie bezog sich auf seine unabhängige private Akademie der Wissenschaften, die inzwischen vermutlich erste Versammlungen abgehalten hatte und nannte sie: Die Akademie im Hans-Wurstischen Haus.1404 In dieser Schrift wurde die neue Gesellschaft als Huldigung an Sonnenfels’ Ego dargestellt, der sich ein eigenes Forum schaffen wolle, um persönliche Anerkennung zu erhalten. Der anonyme Autor ließ Sonnenfels mit den Worten auftreten: Ich bin das Alpha und das Omega; die anderen Gelehrten, Was sind sie gegen mich?1405 Als Verfasser der Schrift wurde der Dichter Johann Baptist Alxinger vermutet, der dies zwar zunächst bestritt, einige Jahre später im Kontext des Nachfolgestreits um Sonnenfels’ Lehrstuhl in seiner Schrift Anti-Hoffmann jedoch angab: Ich, der selbst vor einigen Jahren eine bittere Schrift gegen Sonnenfelsen verfasst habe, auf die ich nicht ohne Reue zurück sehe […] Ich schrieb einen meiner liebsten Freunde zu rächen, der mir eine Beleidigung von Sonnenfels erlitten zu haben klagte.1406 Die ausführliche Kritik am Akademieprojekt legt nahe, dass der Kreis um Born, in dem sich Alxingers Freunde bewegten, durch Sonnenfels’ Patriotischen Traum und seine Werbung dafür provoziert wurde. Es kam Ende des Jahres 1785 gemäß den Gebräuchen der literarischen Szene Wiens zu einer 1402 Alxinger in einem undatierten Brief von 1785, zit. nach Keil: Freunde, S. 43. Die Formulierung decken meint in diesem Kontext den Austritt aus der Loge. Blumauer bemühte sich, die Tochter Borns zu einer Heirat zu überzeugen, wurde von ihr aber nach mehreren Jahren abgewiesen. Vgl. Rosenstrauch-Königsberg, Freimaurei, S. 205f. 1403 Brief Forsters an Sömmering, geschrieben am 26.–28. Aug. 1784, in: Forster: Briefe 1784–1787, S. 174 u. Rosenstrauch-Königsberg: Münter, S. 82. 1404 Kurztitel nach Tobias von Gebler: Brief an Friedrich Nicolai vom 17. April 1786, in: Werner: Briefwechsel, S. 132. Zum vollständige Titel: Die Musen in Wien auf dem Salzgrieß im Hanswurstischen Haus, Wien 1785, vgl. Lindner: Sonnenfels, S. 163f. 1405 Zit. nach Lindner: Sonnenfels, S. 163f. 1406 Alxinger: Anti-Hoffmann, S. 88.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

273

Gegenbroschüre: Der Wirth vom goldenen Eimer im neuen Lerchenfelde.1407 Ein anonymer Autor verteidigte die neue private Akademie der Wissenschaften und ihren Sekretär Sonnenfels. Nach Verweisen auf die Kritik und Satire gegen die Mitglieder der Gesellschaft nimmt er auf die Verdienste und Erfahrung Sonnenfels’ Bezug. Dessen Name bürge dafür, dass in der neuen Akademie im Gegensatz zu anderen Versammlungen gute Sitten und ordentliche Wissenschaft vorherrschen würden.1408 Dass durch diese Schriften die Entfremdung zwischen Born und Sonnenfels vertieft wurde, kommentierte einige Monate später der Staatsrat und Freimaurer Tobias von Gebler in einem Brief an Friedrich Nicolai: Seit jener Zeit sind natürlicher Weise die S(onnenfels)ianier und B(ornia)ner keine Freunde mehr.1409 Zum hier angesprochenen Kreis der S(onnenfels)ianier zählten der ebenfalls in Alxingers Satire angegriffene Joseph Retzer, Zensurbeamter und Vertrauter Sonnenfels’, und einige andere ehemalige Studenten, die bereits in akademischen Streitschriften als Sonnenfelsianer bezeichnet worden waren.1410 Auf die Existenz dieser Gruppe innerhalb der Loge, die spätestens nach Erscheinen der Broschüre Alxingers den Anhängern Borns kritisch gegenüberstand, verweist auch das Logenmitglied Reinhold, der als Grund für Sonnenfels’ Rückzug angab: Vermuthlich bewog ihn dazu sein gescheiterter Plan, durch eine eigene Faktion sein innig geliebtes Ich in unserer Loge aufs Postament zu bringen, noch mehr aber die saubere Satyre, die man in so brüderlicher Wohlmeinung auf ihn verfasste.1411 Zusammenfassend kann man beobachten, dass die Zusammenarbeit von Born und Sonnenfels nun einer Konkurrenzsituation innerhalb des maurerischen Netzwerkes gewichen war. Beiden Akteuren lassen sich dabei bestimmte andere Personen zuordnen, die auch öffentlich Position für einen von ihnen bezogen. Auf die dominante Rolle Borns und seiner Ansichten zur wissenschaftlichen Arbeit der Loge reagierte Sonnenfels mit einem allmählichen Rückzug, den er durch die Schaffung eines alternativen sozialen Raumes in Form der neuen gelehrten Gesellschaft vorbereitete. 1407 Schloetmann, Johann von: Der Wirth vom goldenen Eimer im neuen Lerchenfeld an seinen Freund den Kanzlisten N. Ein Schreiben durch die kleine Post, Wien 1786. Vgl. Lindner: Sonnenfels, S. 164. 1408 Vgl. ebd. 1409 Brief Geblers an Nicolai am 17. April 1786, in: Werner: Briefwechsel, S. 132f., hier S. 133. Ergänzungen durch Werner. 1410 Vgl. Alxinger: Anti-Hoffmann, S. 88. Leon berichtet in einem Brief vom 16. Aug. 1786 an Reinhold, der Direktor des Staatsarchives, Michael Ignaz Schmidt, sei Mitglied der Akademie gewesen. Reinhold: Korrespondenz, S. 120 FN 27 u. S. 121 FN 31 u. Lindert: Heilserwartung, S. 109. Vgl. außerdem Kap. 4.2. 1411 Brief vom 16. Aug. 1786, in: Reinhold: Korrespondenz, S. 114–128, hier S. 119.

274

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

Zur selben Zeit verloren Sonnenfels und Born ihr gemeinsames Netzwerk der Illuminaten, da der Orden sich nach seinem Verbot in Bayern auflöste.1412 Besonders Born setzte sich als Reaktion in maurerischen Druckschriften zugunsten des verfolgten Ordens ein und verzichtete als Zeichen des Protests öffentlich auf seine Mitgliedschaft in der bayerischen Akademie der Wissenschaften.1413 Bezüglich der Vorwürfe, der Illuminatismus sei eine Verschwörung gegen die Monarchie, meldete Born dem Illuminaten Friedrich Münter: Sie wissen aber nicht, dass die Fratres R[osen] C[reuzer] so viel Lermen gegen die Ill[uminaten] erhoben haben, dass wir auf einige Zeit unsre Arbeiten einstellen mussten.1414 Das hier erwähnte Lermen ist ein Hinweis auf die Tatsache, dass sich Ende des Jahres 1785 die verschiedenen Fraktionen innerhalb der Maurerei – die verbliebenen Illuminaten, die Rosenkreuzer und andere Gruppen – bezüglich ihrer Auslegungen des Freimaurertums stritten.1415 Bevor es jedoch zu einer Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Gruppen und den von ihnen dominierten Logen kommen konnte und bevor der Konflikt zwischen Born und Sonnenfels entschieden worden war, griff Joseph II. persönlich mit seinem Freimaurerpatent vom 11. Dezember 1785 in das Logensystem ein.1416 Das Gesetz beendete binnen weniger Monate weitgehend die Logenarbeit in der Habsburgermonarchie und seine praktische Umsetzung nötigte Sonnenfels und Born schließlich, die Maurerei aufzugeben. Joseph II. unterstellte die Logen zwar kaiserlichem Schutz und akzeptierte sie offiziell als Teil der österreichischen Gesellschaft, befahl aber, ihre Anzahl streng zu reglementieren, so dass beispielsweise in Wien anstatt acht nur noch drei Logen bestehen durften. Auch mussten Mitgliederlisten, Versammlungsorte und Termine der Logenarbeit den Polizeibehörden bekannt sein. Seine Begründung für die Regulierung der Logenarbeit, die er als Gaukeley bezeichnete, lautete: Diese Versammlungen, wenn sie sich selbst überlassen und unter keiner Leitung sind, können in Ausschweifungen, die für Religion, Ordnung und Sitten allerdings verderblich seyn können, besonders aber bei Obern, durch eine fanatische engere Verknüpfung, […] gegen ihre Untergebenen, die nicht in der nämlichen gesellschaftlichen Verbindung mit ihnen stehen, ganz wohl ausarten, oder doch wenigstens zu einer Geld-

1412 Siehe Kap. 6.2.2. 1413 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Ausstrahlung, S. 57f. u. Irmen: Protokolle, S. 307, Prot. 24. Okt. 1784. Zum Austritt aus der Akademie Reinalter: Illuminaten, S. 371f. 1414 Brief vom 22. Sept. 1785, in: Rosenstrauch-Königsberg: Münter, S. 76. Ergänzungen von Rosenstrauch-Königsberg. 1415 Vgl. Reinalter: Reaktion, S. 46f. u. Kuess/Scheichelbauer: Freimaurerei, S. 65f. 1416 Vollständiger Abdruck bei Reinalter: Broschüren, S. 64f.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

275

schneiderei dienen.1417 Mit den notwendigen Einschränkungen könnten diese Gesellschaften allerdings durchaus auch zum Wohle des Staates beitragen, da sich dort viele angesehene Bürger wohltätig engagieren würden. Nach der Verkündung des Gesetzes am 17. Dezember 1785 hatten die Logen noch vierzehn Tage Zeit, um sich neu zu organisieren. In der Forschung sind die Umstände der Entstehung dieses Patentes und der Einfluss, den verschiedene maurerische Gruppen darauf gehabt haben, umstritten.1418 Mehrheitlich wird, wenn auch ohne eine eindeutige Quellenbasis, darauf verwiesen, dass der Kreis um Born durch den Oberststallmeister von Dietrichstein den Kaiser angesichts der Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Geheimbünden um eine Regulierung gebeten habe. Sollte das der Fall gewesen sein, so griff der Herrscher mit dem Patent, in dem Formulierungen wie Gaukeley und Ausschweifungen klar eine kritische Haltung erkennen lassen, über die Ziele Borns hinaus. Die Maurerei wurde nun als Ganzes polizeilich kontrolliert. Als mögliche Ursache für die Schärfe des Patentes ist zum einen der Widerspruch zwischen dem geheimen und von staatlichem Einfluss losgelösten Logenraum einerseits und dem absoluten Herrschaftsanspruch Josephs II. andererseits zu nennen. Weiterhin kamen zu jener Zeit die Ziele des Illuminatenordens ans Licht und ließen Verschwörungen gegen die Staatsordnung befürchten. Der Kaiser drückte außerdem seine Sorge vor einem System freimaurerischer Seilschaften aus, das seinem Konzept im Wege stand, Beförderungen nur durch Talent und Fleiß zu begründen.1419 Schließlich können Berichte über eine mögliche Politisierung der Maurerei aus Ungarn als aktueller Anlass gewertet werden. Georg Forster schrieb: Er habe erfahren, dass der erste Anlass für die Freimaurerreform im Oesterreichischen durch die geheimen Zusammenkünfte der Ungarn, der der neuen kaiserlichen Einrichtung entgegenarbeiten wollten, gegeben worden sey. Diese Herren hatten nämlich Freimaurerversammlungen zum Vorwand gebraucht, um sich über ihre Widersetzungsmaßregeln zu berathschlagen.1420 1417 Zit. nach Rosentrauch-Königsberg: Freimaurerei, S. 61. 1418 Rosenstrauch-Königsberg: Blumauer, S. 20 spricht für einen kaiserlichen Alleingang, ebenso Bodi: Tauwetter, S. 229 u. Steiner: Forster, S. 194f. Eine Verbindung zur Gruppe um Born wird vermutet bei Wagner: Bedeutung, S.  81; Libertas: Brüder, S.  43; Silagi: Jakobiner, S. 43; Lindert: Heilserwartung, S. 33 u. Kuess/Scheichelbauer: Freimaurerei, S. 166. Auf möglichen Einfluss anderer Logen, die sich eigene Vorteile erhofften, verweist Reinalter: Broschüren, S. 17. 1419 Vgl. Rosenstrauch-Königsberg: Blumauer, S. 20; Bodi: Tauwetter, S. 229f u. Reinalter: Illuminaten, S. 365. 1420 Vgl. Reinalter: Illuminaten, S. 364, Brief Georg Forsters an Christian Gottlob Heyne vom 12. Okt. 1786, in: Forster: Briefe, S. 563f.

276

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

Unabhängig von den in den Quellen nicht detailliert erwähnten Vorgängen ist bei der praktischen Umsetzung der Reform erkennbar, dass Joseph II. hier seinen Vertrauten Johann Carl von Dietrichstein als Landesgroßmeister und auch Born als dessen Sekretär unterstützte.1421 Diese Personenkonstellation deutet darauf hin, dass der Kaiser der Arbeit der bisherigen Landesloge und auch der wahren Eintracht nicht gänzlich ablehnend gegenüberstand; war doch gerade letztere ein Sammelpunkt für Beamte, die sich für seine Reformpolitik einsetzten. In Borns Loge wurde das Freimaurerpatent zwei Tage nach seiner Publikation in einer Sitzung am 19. Dezember verlesen. Sonnenfels blieb dem Treffen fern, obwohl er sich in der Stadt aufhielt.1422 Die Loge ernannte Born und einen seiner Stellvertreter zu Abgesandten, die bei einem Treffen der Landesloge unter Dietrichsteins Vorsitz die Umsetzung des Gesetzes besprechen sollten. Sonnenfels, der aufgrund seines Amtes als Distriktsmeister eigentlich zwischen der wahren Eintracht und der Landesloge stand, wurde dabei zunächst übergangen. Beim Treffen der großen Landesloge am 20. Dezember fand er sich allerdings dennoch mit Dietrichstein, Born und den Vertretern aller Wiener Logen zu Gesprächen ein.1423 Der Fürst von Dietrichstein, der eine schnelle Umsetzung der Reform wünschte, ordnete dort die Auflösung aller bestehenden Logen und die Einrichtung dreier neuer an, deren Meister er selbst ernennen wollte. Alle Maurer sollten sich zur Aufnahme erneut einer geheimen Abstimmung stellen. Letztere Anordnung führte zu Widerspruch seitens der versammelten Brüder, da sie durch die zweite Abstimmung viele Ausschlüsse befürchteten. Hier tat sich nach Bericht des Freimaurers und Theaterschriftstellers Franz Kratter besonders Sonnenfels als Kritiker hervor, während Born hingegen im Namen seiner Loge den Plan unterstützte.1424 Die Mehrheit der Anwesenden erklärte Dietrichstein schließlich für nicht berechtigt, derartige Anweisungen zu erteilen, da er durch das Verlesen des kaiserlichen Befehls, die Logen aufzulösen, zu Beginn der Sitzung augenblicklich auch die Landeloge aufgelöst und damit sein eigenes Amt abgeschafft habe. Die Deputierten gingen vorerst auseinander und zahlreiche Maurer, sowohl Gegner als auch Befürworter der Logenreform, traten angesichts dieser Entwicklung aus dem Orden aus. 1421 Reinalter: Illuminaten, S. 370 u. Kuess/Scheichelbauer: Freimaurerei, S. 71f. 1422 Irmen: Protokolle, S. 315, Prot. vom 19. Dez. 1785. 1423 Vgl. zum Verlauf der Sitzung: Abafi: Geschichte, S. 156–160. Abafi fußt dabei auf der zeitgenössischen Darstellung Kratter, Franz: Drey Briefe über die neueste Maurerrevolution in Wien, Wien 1786. Diese Schrift ist in ihrer Interpretation der Ereignisse allerdings gegen Born gerichtet, vgl. zu dieser Sitzung speziell S. 68–72. Vgl. auch Kuess/Scheichelbauer: Freimaurerei, S. 72–74. 1424 Kratter: Briefe, S. 72.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

277

Born reagierte drei Tage später, am 23. Dezember, in einer Versammlung der wahren Eintracht, der Sonnenfels wiederum fernblieb. Er überzeugte die Mitglieder, ihm ein Mandat zu verleihen, um entweder Dietrichsteins Ansichten durchsetzen oder die Auflösung der Loge erklären zu können.1425 Damit war es ihm gelungen, seinen Führungsanspruch zu bekräftigen. Der Fürst von Dietrichstein erhielt kurz vor der nächsten Versammlung am Weihnachtsabend 1785 eine Audienz bei Joseph II. Auf seinen Bericht über den Verlauf der letzten Sitzung bekam er eine kaiserliche Generalvollmacht, die Maurerei neu zu ordnen.1426 Diese Vollmacht wurde in der folgenden Sitzung umgesetzt und Dietrichstein befahl, nun unterstützt von Born, eine neue Abstimmung über jeden Bruder, der ein Freimaurer bleiben wollte.1427 Zwei der acht Logen verkündeten daraufhin ihre vollständige Auflösung. Dietrichstein setzte die Zahl der Wiener Logen nun auf nur noch zwei fest und bestimmte für die beiden neuen Logen Würdenträger sowie einen Kern von Mitgliedern.1428 Sonnenfels wurde dabei nicht einbezogen. Born hingegen erhielt sogleich die Ernennung zum Meister vom Stuhl einer der beiden neuen Logen, die am 6. Januar unter dem Namen zur Wahrheit eröffnet wurde.1429 Alle bestehenden Logen sollten bis dahin aufgelöst sein. Als Reaktion auf diese Sitzung trat beinah die Hälfte der Wiener Freimaurer aus dem Orden aus. Sonnenfels und Born nahmen gemeinsam an der letzten Sitzung der wahren Eintracht am 27. Dezember teil, in der das Vermögen für wohltätige Zwecke gestiftet wurde.1430 Aus acht Logen mit über 1.000 Freimauern verschiedener Richtungen waren im Zuge dieser Reform zwei mit insgesamt nur 350 Mitgliedern geworden.1431 Die unmittelbare Folge der Neuordnung der Maurerei war eine weitere Broschürenflut, wie sie für die Literatur der josephinischen Zeit typisch war.1432 Zahlreiche Maurer diskutierten das Für- und Wider der neuen Verordnungen öffentlich, wobei sich Sonnenfels, wie schon früher beobachtet, aus derartigen literarischen Debatten heraushielt. In dieser Diskussion erhielt die Reform auch den Namen Freimaurerrevolution.1433 Auffällig ist 1425 Irmen: Protokolle, S. 317, Prot. vom 23. u. 27. Dez. 1785. 1426 Abafi: Geschichte, S. 161. Vgl. die Fortsetzung von Kratters Schrift: Kratter, Franz: Briefe über die neueste Maurer-Revolution in Wien. An einen Freymaurer zur anerkannten Unschuld in P., Wien 1785, S. 34f. 1427 Kratter: Revolution, S. 38–73. 1428 Abafi: Geschichte, S. 162–165­. 1429 Kuess/Scheichelbauer: Freimaurerei, S. 74. 1430 Irmen: Protokolle, S. 318, Prot. vom 27. Dez. 1785. 1431 Vgl. Libertas: Brüder, S. 40 u. Kuess/Scheichelbauer: Freimaurerei, S. 74. 1432 Vgl. Junaschek: Tätigkeit, S. 84–89 u. Reinalter: Broschüren, insg. 1433 Siehe Kratter: Revolution.

278

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

dabei, dass der Kaiser trotz mehrfacher Bitte keine Maßnahmen ergriff, um Born und Dietrichstein vor negativer Presse zu schützen.1434 Die öffentlich ausgetragenen, teilweise polemischen Auseinandersetzungen führten dazu, dass die Maurerei für potentielle Neumitglieder weniger attraktiv wurde und ihr Ansehen sank.1435 Die Folgen waren ein drastischer Rückgang der Anträge auf neue Mitgliedschaft und der Verzicht vieler Maurer auf die erneute Aufnahme in eine der beiden Sammellogen. Sonnenfels tat es diesen Maurern allerdings nicht gleich, sondern wurde durch Mitgliederabstimmung zum einfachen Mitglied der von Born und Dietrichstein geleiteten Loge Zur Wahrheit gewählt.1436 Die dortige Arbeit wurde von den verbliebenen Mitgliedern jedoch keineswegs als positiv empfunden.1437 Zahlreiche Austritte bezeugen die schlechten Auswirkungen der radikalen Umgestaltung, wie auch Gottlieb Leon schilderte: Die Inwohner des schönen Bienenkorbes, der vormals nicht nur in Wort allein, sondern auch wirklich in That unter dem Namen der wahren Eintracht bestand, und ein ganz wohlbereitetes Honig hervorbrachte, nun aber durch die dazugekommenen faulen Hummeln unter dem Namen der Wahrheit, nicht anders als Narrheit, Unverträglichkeit u. Zwietracht ausheckte, werden nun bald ihren gänzlichen Ausflug in die Freiheit beginnen […] So geht dann nun das schöne zur Aufnahme der Aufklärung und Wissenschaften in unserm Bezirke errichtete Gebäude zu Trümmern. 1438 An der Arbeit der so beschriebenen Loge beteiligte sich Sonnenfels nicht mehr aktiv, sondern beschränkte sich auf mehrere schriftliche Eingaben, die sich ausschließlich mit der Armenfürsorge befassten. Er empfahl mehrere hilfsbedürftige Personen an die Wahrheit, die zuvor durch seine Vermittlung von der wahren Eintracht unterstützt worden waren.1439 Er selbst hingegen versäumte es, seine Beiträge für die Loge zu bezahlen und gab statt dessen seine Bände des Journals für Freimaurer zurück. Sein Verhalten deutet bereits auf seinen endgültigen Austritt aus der Freimaurerei am 24. Juni 1786 hin, den er Born auf einem formlosen Zettel mitteilte.1440 1434 Libertas: Brüder, S. 40–43. 1435 Brief von Gottlieb Leon an Reinhold am 16. Aug. 1786, in: Reinhold: Korrespondenz, S. 117 u. Libertas: Brüder, S. 43. 1436 Vgl. die Liste der Mitglieder vom 5. Jan. 1786, in: HHStA VA Kart. 65 Konv. Fol. 1–292, hier Fol. 261r. 1437 Kuess/Scheichelbauer: Freimaurerei, S. 76. 1438 Brief vom 16. Aug. 1787, in: Reinhold: Korrespondenz, S. 116 u. Reinalter: Illuminaten, S. 372. Die Formulierung Bienenkorbes bezieht sich hier vermutlich auf die starke Stellung der Illuminaten in der Loge, da dieser Geheimbund auch als Bienenorden bezeichnet wurde. 1439 HHStA VA Kart. 65 Konv., Fol. 1–292, hier Fol. 304r. u. Fol. 304v. 1440 Born erhielt das Dokument erst am 9. Juli. 1786. Vgl. HHStA VA Kart. 65 Konv. Fol.

Sonnenfels als ein Meister der Freimaurerloge zur wahren Eintracht

279

Die in der Forschung teilweise vertretene Ansicht, er habe mit Born gemeinsam und in Übereinstimmung die Loge gedeckt, ist angesichts der geschilderten Zusammenhänge und Borns erst am 21. August erfolgtem Abschied nicht haltbar.1441 Im Gegenteil verweisen zwei Schriftstücke darauf, dass der Konflikt zwischen den beiden ehemaligen Freunden bis zum Ende ihres maurerischen Engagements nicht beigelegt wurde. Der mit Born korrespondierende Georg Forster berichtete über die Folgen der Freimaurerrevolution am 12. Oktober: Uebrigens hat diese Geschichte zu großen Zerrüttungen unter den Freimaurern, selbst in Wien, Anlass gegeben. Born und Sonnenfels haben sich darüber ganz entzweit. Born hat unendlichen Verdruß und Aerger von der Sache gehabt.1442 Born selbst verwendete einen noch deutlicheren Ausdruck für seine Haltung gegenüber Sonnenfels, als er am 2. August, zwei Wochen vor seiner letzten Logensitzung, an Friedrich Münter schrieb: Ich bin fest entschlossen, die ganze M(aurerei) aufzugeben; Sonnenfels ist zum Verräther des O[rdens] geworden.1443 Diese letzte Aussage Borns führte in der Forschung zu Vermutungen über ihren unmittelbaren Zusammenhang hinaus. So wird sie einerseits auf den erwähnten Bericht über einen Versuch Sonnenfels’ zurückgeführt, dem Kaiser 1784 eine Liste der Wiener Illuminaten zu überreichen, oder aber andererseits auf seine Treue zu dem Rosenkreuzer Dietrichstein, die ihn von Born entfremdet habe.1444 In Anbetracht der Tatsache, dass die angebliche Übergabe der Liste bereits lange vor Borns Brief versucht wurde und dass keine weiteren Hinweise auf einen Loyalitätskonflikt Sonnenfels’ vorliegen, sind beide Versionen unwahrscheinlich. Nachdem auch Born seinen angekündigten Rückzug aus der Maurerei vollzogen hatte, stellte seine Loge angesichts immer weiter schwindender Mitgliederzahlen und misstrauischer Polizeibehörden ihre Arbeit ein.1445 Der hier beschriebene Abschluss von Sonnenfels’ maurerischem Engagement erwies sich als Ende einer bereits 1784 begonnenen Entwicklung der Entfremdung zwischen ihm und der Führungsriege der wahren Eintracht um Born. Die zunehmende Distanz und Borns bedeutende Rolle für die Frei1–291, hier Fol. 337r. [!] Die Nachricht ist abgedruckt bei Reinhold: Korrespondenz, S. 119–121. 1441 Rosenstrauch-Königsberg: Freimaurerei, S. 63 u. Reinalter: Illuminaten, S. 368. 1442 Brief an Christian Gottlob Heyne, vom 12. Okt. 1786, in: Forster: Briefe 1784–87, S. 564. Forster bezog sich dabei auf einen älteren Briefwechsel mit Born aus der Mitte des Jahres 1786. 1443 Vgl. mit den Ergänzungen von Rosenstrauch-Königsberg: Münter, S. 76 u. Reinalter: Illuminaten, S. 368. 1444 Zur ersten Theorie vgl. Lindner: Born, S. 180; Lindert: Heilserwartung, S. 107 u. 109; zur zweiten Rosenstrauch-Königsberg: Münter, S. 77. 1445 Vgl. Kuess/Scheichelbauer: Freimaurerei, S. 76. Die Freimaurerei wurde 1795 unter Franz II. verboten, vgl. Reinalter: Reaktion, S. 49–53.

280

Wiener Geselligkeit und geheime Gesellschaften

maurerbewegung führten schließlich im Zuge der Neuordnung der österreichischen Logen auch zum Bruch mit dem Fürsten von Dietrichstein und somit dem in Wien einflussreichsten Mitglied derjenigen Familie, die früher sein Förderer gewesen war. Man muss allerdings anmerken, dass die Familie Dietrichstein bereits seit Beginn der siebziger Jahren kaum noch Einfluss auf das Leben Joseph von Sonnenfels’ ausgeübt hatte. Weiterhin führte die Auseinandersetzung mit Born dazu, dass mehrere junge Autoren wie Blumauer und Alxinger Sonnenfels’ Werken und seinem Einfluss auf die Literatur Wiens in Zukunft kritisch gegenüberstanden. Auf ihre gemeinsame Arbeit an der Realzeitung folgte kein weiteres Projekt. ­Diese negative Grundstimmung wurde im Falle Alxingers erst in den neunziger Jahren dadurch überwunden, dass er und Sonnenfels in Leopold Alois Hoffmann einen gemeinsamen Gegner fanden. Insgesamt bot die Maurerei Sonnenfels einzigartige Möglichkeiten, seine bestehenden sozialen Beziehungen zu vertiefen und durch neue Kontakte über seinen unmittelbaren beruflichen Wirkungskreis hinaus zu erweitern. Der Konflikt zwischen ihm und Ignaz von Born, die beide ein eigenes Netzwerk in der Loge aufbauten, trug jedoch dazu bei, dass er seine Chancen in der Maurerei nur kurzzeitig nutzen konnte und die Zahl neuer Kontakte beschränkt blieb. Tatsächlich war Sonnenfels eine Vielzahl der Mitglieder schon seit längerer Zeit bekannt. Er versuchte vergeblich, Männer seines Vertrauens und die für ihn positiven Ansätze der Logenarbeit unter Umgehung Borns in eine eigene gelehrte Gesellschaft zu überführen, um gewissermaßen ein konkurrierendes wissenschaftliches Forum außerhalb der Loge zu schaffen. Das rasche Ende seines dortigen Engagements und auch seiner maurerischen Tätigkeit deutet schließlich darauf hin, dass sein Freimaurernetzwerk eine Episode blieb. Dennoch darf dessen Wirkung auf Sonnenfels’ Beziehungsgeflecht nicht unterschätzt werden, da in dieser Zeit die seit Jahrzehnten bestehende Verbindung zu Born und mit ihm verbundenen Personen wie den Autoren Blumauer und Alxinger gestört wurde. Seine Beziehung zu diesen Männern war gleichzeitig in verschiedenen Zusammenhängen relevant, so dass die Entfremdung in der Freimaurerei auch Auswirkungen auf seine Stellung im literarischen Wien hatte. Bei denjenigen Logenbrüdern hingegen, mit denen er weiterhin ein gutes Verhältnis unterhielt, lässt sich erkennen, dass sie nie eindeutig Bezug auf ihre Zeit als Freimaurer nahmen, sondern andere Gemeinsamkeiten betonten. In der folgenden Untersuchung von Sonnenfels’ Einfluss auf die Staatsreformen muss daher – auch angesichts der Kurzlebigkeit der Wiener Logen – beachtet werden, dass hier geknüpfte Kontakte in den folgenden Jahren gepflegt und auf anderer Basis fortgeführt werden mussten, ehe Sonnenfels sie zu seinen Gunsten nutzen konnte.

7. D er S taatsreformer S onnenfels 7.1 Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II. 7.1.1 Erste Reformansätze durch die Deutsche Gesellschaft zu Wien In den sechziger und frühen siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts wurde das Wiener Theater Gegenstand grundlegender Reformdebatten.1446 Die Auseinandersetzung, zunächst zwischen Reformern aus dem Umfeld der von Sonnenfels frequentierten Deutschen Gesellschaft und Vertretern des Altwiener Volkstheaters, zielte neben künstlerischen Aspekten vor allem auf die Frage nach der generellen Stellung des Theaters in Staat und Gesellschaft. Die Traditionalisten wiesen auf den unterhaltenden Charakter des Schauspiels und der beliebten Figur des Hans Wurst hin, die Kritiker hingegen betonten die Verantwortung des absolutistischen Staates für die sittliche und moralische Entwicklung seiner Bürger. Das Theater war für die Kritiker, zu deren Wortführer Sonnenfels wurde, ein Gegenstand staatlichen Interesses, den sie in jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit pädagogischen, marktwirtschaftlichen, ästhetischen und politischen Argumenten in ihrem Sinne zu verändern versuchten. Dabei provozierten sie eine Gegenbewegung, welche die Bühne selbst für ihre Zwecke mobilisierte und das Publikum einband. In Anbetracht dieser Debatte und der immensen Bedeutung des Theaters als öffentlicher Raum und Element der Freizeitgestaltung im Wien des 18. Jahrhunderts wurde diese Auseinandersetzung, welche als Hans-Wurst-Streit bezeichnet wird, von weiten Teilen der Bevölkerung mit großem Interesse verfolgt.1447 Hier trat Sonnenfels erstmals mit dem Ziel in Erscheinung, selbst Veränderungen in der Gesellschaft durchzusetzen und wandte verschiedene Methoden an, um sich als Hauptperson der Debatte zu profilieren. Die Intensität, Dauer und stellenweise die Härte, mit der die verschiedenen Seiten gegeneinander vorgingen, um Einfluss auf Publikum und Gesetzgeber zu erhalten, macht den Konflikt um die Schaubühne zu einem Markstein von 1446 Zur Bedeutung der Debatte vgl. die pointierte Darstellung von Haider-Pregler: Schaubühne, S. 191f. u. Müller-Kampel, Beatrix: Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Spaßtheater im 18. Jahrhundert, Paderborn 2003, S. 152. 1447 Zum öffentlichen Interesse: Brosche: Theater, S.  36; Müller-Kampel: Spaßtheater, S. 163f.; Kann: Kanzel, S. 205; auch als Quelle: Nicolai: Beschreibung, S. 560. Zum Begriff Hans-Wurst-Streit vgl. die teilw. veraltete Darstellung: Görner, Karl von: Der HansWurst-Streit in Wien und Joseph von Sonnenfels, Wien 1884. Zur Weiterverwendung des Begriffs: Müller-Kampel: Spaßtheater, S. 153 u. Kann: Kanzel, S. 205 u. S. 210.

282

Der Staatsreformer Sonnenfels

Sonnenfels’ Karriere. Da sein Auftreten in der Auseinandersetzung zu einem Zeitpunkt erfolgte, als bereits Grundlagen geschaffen und mehrere mit ihm verbundene Personen involviert waren, kann dabei auf eine „Vorgeschichte“ nicht verzichtet werden. Zwischen 1708 und 1712 wurde die erste deutschsprachige Bühne in Wien im Theater am Kärtnerthor eröffnet.1448 Das Programm bestand aus einer deutschen Adaption der italienischen Komödie, welche durch folgende vier Elemente geprägt war:1449 Erstens besaßen die Stücke ein Sortiment fester Rollen, die immer wieder vorkamen. Von ihnen erreichte die Figur des Hans Wurst mit ihrem Markenzeichen, dem grünen Hut, der auch als Synonym für ihn verwendet wurde, besondere Popularität. Darsteller dieser Figur war von 1726 bis 1769 Gottfried Prehauser (1699–1769), der durch andere weitgehend identische Figuren, wie den von Felix Kurz (1717–1784) gespielten Bernadon, ergänzt wurde, die teilweise gemeinsam, teilweise als Konkurrenten auftraten.1450 Zweites Element war die Improvisation – oder nach damaligem Sprachgebrauch das Extemporiren – weiter Teile des Theaterstücks in den Grenzen einer bestimmten Rahmenhandlung. Dieses Vorgehen ermöglichte es, aus dem Stegreif auf aktuelle Ereignisse oder Einfälle einzugehen und machte jede Aufführung einzigartig. Drittens waren die Verwendung zahlreicher Maschinen und Spezialeffekte sowie häufige Schlägereien und akrobatische Einlagen typisch.1451 Viertens wurde dem Publikum eine ständige Betonung von vulgären Aspekten, gerade in den improvisierten Passagen dargeboten, so dass auf der Bühne regelmäßig Darmtätigkeit, Ehebruch und Sauf- und Fressorgien im Mittelpunkt standen.1452 Die Alternative zu den Hans-Wurst-Stücken bildeten ab 1741/42 die Aufführungen im Theater der Hofburg, bei denen französische und italienische Opern und Theaterstücke im Mittelpunkt standen.1453 Die erste Inszenierung eines deutschen Stückes ohne Extemporierung wurde im Jahr 1747 geboten, konnte sich aber ebensowenig wie andere als regelmäßig bezeichnete Inszenierungen gegen die Stegreifkomödie durchsetzen. Dieser frühe Versuch, eine regelmäßige Schaubühne zu begründen, ging auf die Initiative eben jenes Freiherrn Ernst Gottlieb von Petrasch zurück, der sich später in 1448 Haider-Pregler: Schaubühne, S. 191; Abweichend nennt Kann: Kanzel, S. 110 als Datum 1708; Lindner: Sonnenfels, S. 98 hingegen 1709; Görner: Hans-Wurst-Streit differenziert zwischen der Eröffnung 1708 und einem Umzug in ein eigenes Haus 1712. 1449 Vgl. Kann: Kanzel, S. 210 u. Müller-Kampel: Spaßtheater, S. 29–32. 1450 Lindner: Sonnenfels, S. 98. 1451 Brosche: Theater, S. 85 u. Görner: Hans-Wurst-Streit, S. 6. 1452 Vgl. die ausführlichen und beispielreichen Untersuchungen bei Müller-Kampel: Spaßtheater, S. 86–142. 1453 Haider-Pregler: Schaubühne, S. 191.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

283

der Deutschen Gesellschaft engagierte und als Vorgesetzter Sonnenfels’ zu dessen Freund und Förderer wurde.1454 Ab 1747 standen somit in Wien die drei Gattungen Stegreifkomödie, regelmäßiges deutsches und fremdsprachliches Theater in Konkurrenz zueinander. Erstere hatte in Franz I. einen Förderer, der häufig ihren Inszenierungen beiwohnte, die letztere fand Unterstützung beim Fürsten Kaunitz, welcher mit französischen Schauspielern verkehrte und über Theaterfragen korrespondierte.1455 Das regelmäßige deutsche Theater hingegen verfügte über keine derartigen Fürsprecher. Allerdings herrschte keine offene Feindschaft zwischen den Befürwortern der beiden deutschen Theaterformen, so dass es 1750 zu einem Kompromiss kam und nun dienstags und donnerstags regelmäßige Stücke gespielt wurden.1456 Aufgrund seiner großen Beliebtheit wurde allerdings für den Hans Wurst oftmals eine Rolle mit Gelegenheit zum Extemporieren in die Bühnenwerke hineingeschrieben.1457 Ein Jahr später, also 1751, rückten alle drei Formen des Theaters im Zuge der theresianischen Staatsreformen in das Blickfeld der Obrigkeit. Die damals neugeschaffene Zensurhofstelle hatte zwar auch die Aufgabe Theaterstücke zu überprüfen, da sie jedoch nur deren Schriftfassungen kontrollierte, blieb die Stegreifkomödie unbeeinträchtigt.1458 Ein Jahr später widmete sich die Kaiserin selbst diesem Defizit: Sie befahl, dass keine anderen Vorstellungen, als welche entweder aus dem französischen, wällischen oder spanischen Theater herfliessen oder in deutscher Sprache wol ausgearbeitet befunden werden, auf dem hiesigen Theater zu producieren gestattet seien, […] es wäre denn, dass […] eine oder die andere wol ausgearbeitete Piece zum Vorschein käme, welche jedoch eher genau durchgegangen werden soll. Überhaupt soll jede […] unfläthige Redensart unfehlbar vermieden und den Komödianten sich deren zu gebrauchen bei schwerster Bestrafung nachdrucksam verboten werden.1459 Dieser landesfürstlichen Anweisung blieb die Wirkung allerdings völlig versagt. Vermutlich mit Unterstützung Franz I. berief man sich auf das Fehlen ausreichender Übersetzungen ausländischer Stücke und die Tatsache, dass zwar extemporierte Theaterstücke verboten waren, nicht aber das Extemporieren 1454 Es wurde aufgeführt: Krüger, Benjamin Ephraim: Vitichab und Dankward, die allemanischen Brüder, Danzig 1719. 1455 Vgl. Brosche: Theater, S. 27; Müller-Kampel: Spaßtheater, S. 154 u. Arneth: Maria Theresia, S. 274–276. 1456 Brosche: Theater, S. 29. 1457 Ebd. 1458 Vgl. Kann: Kanzel, S. 211 u. Brosche: Theater, S. 100. 1459 Zit. nach Görner: Hans-Wurst-Streit, S. 4f., vgl. Müller-Kampel: Spaßtheater, S. 153.

284

Der Staatsreformer Sonnenfels

an sich.1460 So trat der Hans Wurst nun verstärkt in regelmäßigen Stücken auf, die in kurzer und harmloser Fassung der Zensur vorgelegt wurden, und spielte angesichts des Fehlens staatlicher Kontrolle weiterhin seine Rolle in den Theatern. Auch das neugeschaffene Amt eines Generaldirektoriums der Bühnen, welches in raschem Wechsel von Angehörigen des hohen Adels besetzt wurde, blieb bis zum Beginn der sechziger Jahre ohne Wirkung.1461 Im Laufe der Jahre 1752 bis 1760 kam es dennoch zu einer Mäßigung der Praktiken innerhalb der Stegreifkomödien, welche durch den Rückzug des besonders ausfallenden und beliebten Bernadon-Darstellers Felix Kurz von der Wiener Bühne und die neuen Werke des Autors Phillipp Harfner (1735–1764) begründet wurde. Harfner schrieb Stücke, in denen die meisten Rollen mit Ausnahme des Hans Wurst vollständig ausgearbeitet waren und die das Publikum durch den massiven Einsatz von Maschinen, Masken und Spezialeffekten unterhielten.1462 Wenn bisher eher von einem Nebeneinander als einem Gegeneinander der Anhänger verschiedener Formen des Theaters auszugehen ist, so änderte sich dies 1760 unmittelbar vor der Gründung der Deutschen Gesellschaft zu Wien. Joseph Friedrich von Engelschall, Professor für deutsche Beredsamkeit an der Savoyischen Akademie, verfasste die Schrift Zufällige Gedanken über die deutsche Schaubühne zu Wien, in welcher er im Sinne seines Vorbildes Gottsched die Abschaffung des Hans Wurst und des Extemporierens anmahnte.1463 Die Schaubühne sollte seiner Meinung nach gemäß Gottscheds Lehre eine Funktion als Sittenschule im Staate einnehmen. Sonnenfels’ Freund und Förderer Ernst Gottlieb Petrasch veröffentlichte ähnliche Thesen und drängte ebenfalls auf Reformen.1464 Insofern steht die Gründung der Deutschen Gesellschaft in unmittelbaren Zusammenhang mit den Reformdebatten über das Wiener Theater. Die zentrale Bedeutung des Themas für die Gesellschaft zeigte sich darin, dass ihre Mitglieder in gemeinsamen Beiträgen in der von ihrem Mit1460 Vgl. Haider-Pregler: Abendschule, S. 272 u. Müller-Kampel: Spaßtheater, S. 154. 1461 Brosche: Theater, S. 29. 1462 Vgl. Brosche: Theater, S.  34f.; Müller-Kampel: Spaßtheater, S. 52f. u. Görner: HansWurst-Streit, S. 12 u. S. 19–21; Für Harfners Werke wurde auch der Begriff der Maschinenkomödie verwendet. 1463 Engelschall, Joseph Friedrich von: Zufällige Gedanken über die deutsche Schaubühne zu Wien. Von einem Verehrer des Geschmacks und der guten Sitten, Wien 1760. Vgl. Haider-Pregler: Abendschule, S.  313–317; Brosche: Theater, S. 31 u. Glossy, Karl: Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur (Jahrbücher der Grillparzer-Gesellschaft Bd. VII), Wien 1897, hier S. 19. 1464 Heyden, Ludwig Jacob: Penelope. Ein Trauerspiel in Versen von fünf Handlungen mit einer Vorrede „An die Wiener“, Wien 1761. Bezüglich der Zuordnung zu Petrasch vgl. Haider-Pregler: Abendschule, S. 317f.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

285

glied Christian Gottlob Klemm herausgegebenen Wochenschrift Die Welt immer wieder die Zustände in Stegreifkomödien kritisierten.1465 Klemm forderte allerdings keine Abschaffung des Hans Wurst generell, sondern eine Mäßigung dieser Figur durch Beschränkung des Extemporierens und eine strenge Auswahl der Schauspieler für diese Rolle.1466 In diesem Zusammenhang sprach auch er im Sinne Gottscheds von der Schaubühne als Sittenschule für die Bürger. Als Sonnenfels sich 1762 in einem offenem Schreiben an Klemm, das in der Welt abgedruckt wurde, erstmals zu Wort meldete, agierte er also bereits aus einem Netzwerk der Theaterkritik heraus.1467 Die Deutsche Gesellschaft war trotz ihrer internen Konflikte vorerst in ihrem Wunsch geeint, das Stegreiftheater zu reformieren, wie es Sonnenfels zum Ausdruck brachte: So wie unsere Schaubühne dermalen aussieht, ist ihre Absicht nicht zu erbauen, zu belehren, sondern zu belustigen, zu zerstreuen. Die Art dieser Belustigungen, dieser Zerstreuungen schreibt nicht der Schauspieler uns, unser Geschmack schreibt sie dem Schauspieler vor. […] Wollen sie der Schaubühne einen Dienst erweisen? Bereiten sie unsere Denkungsart zu den Eindrücken eines regelmässigen und rührenden Schauspiels! Flössen Sie uns Empfindungen, Geschmack ein!1468 Die Erziehung des Publikums habe durch gute Beispiele und notfalls Verordnungen zu erfolgen. Außerdem gelte es, den Schauspielern Anerkennung in besseren gesellschaftlichen Kreisen zu verschaffen, da sie dann von selbst würdevoller spielen würden.1469 Die Kritik Sonnenfels’ und anderer Mitglieder der Deutschen Gesellschaft blieb nicht unbeantwortet. Der von ihnen angegriffene Bühnenautor Phi­­lipp Harfner konterte, indem er sie öffentlich verspottete.1470 In einer Schrift zum neuen Jahr 1763 wird von einer Reise des Hans Wurst auf eine Insel berichtet: Hier ist der Aufenthalt der bartlosen Gelehrten. Grobe Critici, Spötter, Abschreiber, Wochenschriftauthores, und dergleichen gelehrte Leute seynd die Inwohner dieser Insel, die nirgends mehr geduldet werden. Sie haben sich mit den Töchtern des Eigenlobs, der Selbstliebe, des Geldhungers, der 1465 Klemm, Christian Gottlob: Die Welt. Eine Wochenschrift, Wien 1761/1762. Vgl. Kann: Kanzel, S. 212 u. Brosche: Theater, S. 33. 1466 Vgl. Haider-Pregler: Abendschule, S. 331; Dies.: Schaubühne, S. 201f. u. Görner: HansWurst-Streit, S. 10. Klemm befürwortete bspw. zwar Gottlieb Prehauser und seinen Hans-Wurst, wandte sich aber gegen die Figur des Burlin. 1467 Vgl. Klemm: Welt, 1. Jg. 3. Bd. Nr. 96. Außerdem: Haider-Pregler: Abendschule, S. 328; Görner: Hans-Wurst-Streit, S. 16–19 u. Müller-Kampel: Spaßtheater, S. 156. 1468 Zit. nach Görner: Hans-Wurst-Streit, S. 17; vgl. Haider-Pregler: Schaubühne, S. 202. 1469 Kann: Kanzel, S. 212. 1470 Müller-Kampel: Spaßtheater, S. 155. Zu der Kritik an Harfner: Görner: Hans-WurstStreit, S. 21.

286

Der Staatsreformer Sonnenfels

Schmähsucht und der Unart verheiratet, um ihr Geschlecht unsterblich zu machen.1471 Die Insel der bartlosen Gelehrten, deren Unerfahrenheit und Ablehnung der Tradition durch diesen Titel betont wird, erscheint hier als Zerrbild der Deutschen Gesellschaft. Dieser frühe Fall einer satirischen Wendung an das Publikum ist exemplarisch für die Taktik, mit der Angehörige des Schauspielbetriebs zukünftig die reformorientierte Theaterkritik erwidern sollten. Die Deutsche Gesellschaft reagierte auf diese Angriffe nicht, denn die einander zuwiderlaufenden Bestrebungen ihrer Mitglieder, aus ihrem Engagement Popularität und Einkommen zu erzielen, führten schon zu dieser Zeit zu ihrer Auflösung. Die ehemals gemeinsam agierenden Reformer gerieten nun zunehmend in Konkurrenz. Besondere Bedeutung kam dabei aufgrund der Intensität der Auseinandersetzung dem Konflikt zwischen Klemm und Heufeld auf der einen und Sonnenfels auf der anderen Seite zu. Ausgangspunkt war das Jahr 1765, in dem Sonnenfels begann, offensiv und stellenweise polemisch in die Debatte einzugreifen. Bisher war den Reformen der Erfolg versagt geblieben. Das städtische Publikum besuchte in großer Zahl die Stegreifkomödien und der Hof sowie die ihm nahen Vertreter des Hochadels schlossen sich gelegentlich an, wenn sie nicht den italienischen und französischen Aufführungen im Theater an der Hofburg beiwohnten.1472 Nur eine Minderheit des Publikums zeigte bis zu diesem Zeitpunkt Interesse an regelmäßigen deutschen Inszenierungen, die keinen Hans Wurst zu bieten hatten.1473 7.1.2 Sonnenfels im „Hans-Wurst-Streit“ Sonnenfels bereitete sein selbstständiges Auftreten in der Wiener Reformdebatte zunächst durch eine Positionierung vor einem deutschlandweiten Publikum vor. Er beantwortete in einem in Friedrich Nicolais Bibliothek der Schönen Wissenschaften und freyen Künste veröffentlichten Brief zwei dort zuvor erschienene Kritiken des Wiener Theaterwesens.1474 Darin schreibt er von einer langsamen Verbesserung des Publikumsgeschmacks in Wien, die durch die Aufführungen regelmäßiger Stücke von Lessing, Gellert und an1471 Zit. nach Müller-Kampel: Spaßtheater, S. 155. Vgl. auch Brosche: Theater, S. 65–67. 1472 Vgl. Görner: Hans-Wurst-Streit, S. 22f. u. Brosche: Theater, S. 36. 1473 Ebd. 1474 Die Kritiken waren: Anonym: Auszug eines Briefes von Wien vom 12. Juni 1763, in: Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaft und freyen Künste, Bd. 9, S. 326–330 u.: Auszug eines Briefs von Wien die dasige deutsche Schaubühne betreffend, in: ebd. Bd. 10, 1. Stück, S. 162–169. Die Antwort von Sonnenfels: Brief vom 18. Hornung 1764, in: ebd. Bd. 11, S. 147–157. Zur Bedeutung dieser Entgegnung Sonnenfels’ vgl. Haider-Pregler: Abendschule, S. 332f. u. Dies.: Schaubühne, S. 202f.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

287

deren erreicht worden sei.1475 Die von den Kritikern bemängelte Bedeutung des Hans Wurst und der Stegreifkomödie sei zwar nicht zu leugnen, doch Nach und nach wird sich der große Haufe ganz an regelmäßige Schauspiele gewöhnen, die er itzt nur noch gleichsam duldet.1476 Der negative Eindruck der Wiener Bühne auf Reisende sei Ergebnis eines derzeit noch schlechten, allerdings im Wandel befindlichen Systems: Dies ist nun freylich nicht eben der gute Geschmack: aber müssen sich die Schauspieler nicht nach dem größten Haufen der Zuhörer bequemen, der Zuhörer von denen sie leben […]?1477 Im Sinne seines Schreibens in der Welt folgert er, dass die Verbesserung der Bühne von einer Verbesserung des Publikumsgeschmacks abhängig sei. Die rein ökonomische Sicht des Betreibers, der des Deutschen nicht mächtig sei, wirke dabei allerdings verzögernd und störe auch die Schauspieler, die ihr Talent dem Kritiker nicht zeigen können, wo man sie nur als mechanische Werkzeuge des pöbelhaftesten Unsinns gebraucht hat.1478 Die Reaktion der Herausgeber auf dieses Schreiben war, wie schon die Rezensionen auf Sonnenfels’ Reden in der Deutschen Gesellschaft, überaus positiv: Die Wiener Schaubühne hätte inzwischen keinen würdigeren Vertheidiger, als […] Sonnenfels finden können: wir freuen uns, dass sie an diesem Manne einen Gönner und Freund gefunden, der so vieles zu ihrer Verbesserung und Aufnahme beytragen kann.1479 Noch bevor er also in Wien in Erscheinung trat, hatte Sonnenfels sich auswärts erfolgreich als bedeutender Theaterreformer hervorgetan, auch wenn bereits mehrere andere Personen vergleichbare Anstrengungen unternommen hatten. Seine ersten öffentlichen Anmerkungen zum Wiener Theater dürfte Sonnenfels als Professor an der Universität geäußert haben, wie ausführliche Erörterungen bereits in der ersten Auflage seines Lehrbuches von der Polizeywissenschaft nahelegen.1480 Daran wird deutlich, dass er seine Theorien über die Schaubühne nicht losgelöst von seiner Gesellschafts- und Staatslehre betrachtete, sondern als Teil derselben. Dementsprechend zählt er sie unter die Gegenstände, welche die besondere Beachtung der Staatsverwaltung verdienten: Hierunter sind die Schauspiele vorzüglich seiner Aufmerksamkeit würdig, die, wofern sie ihre gehörige Einrichtung empfangen, das Ergötzende mit dem Nutzbaren vereinigen, und […] eine Schule der Sitten, 1475 Sonnenfels: Brief vom 18. Hornung, S. 152. 1476 Ebd., S. 153. 1477 Ebd. 1478 Ebd., S. 156. 1479 Ebd., S. 148. 1480 Haider-Pregler: Abendschule, S. 57–64.

288

Der Staatsreformer Sonnenfels

der Höflichkeit und der Sprache werden können.1481 Für Sonnenfels ergibt sich daraus die Schlussfolgerung: Aus eben dem Grundsatz, dass die Schaubühne eine Schule der Sitten sein soll, ist nicht zuzugeben, dass unflätige Possen oder anders, Sitten und Anstand entehrendes Zeug auf derselben zum Vorscheine komme. Eine Theatralcensur ist unumgänglich erforderlich. Doch ist in Ansehung der Sitten nicht genug, dass diese Censur die ganz entworfenen, und sogenannten studierten Stücke übersehe; sondern es sind, dem Endzwecke gemäß, keine andere als ganz censurierte Stücke aufzuführen. Die ungezwungenste Folge hieraus also ist, die extemporirten Stücke ganz abzuschaffen. Diese Stücke sind dem Geschmacke, wie den Sitten nachtheilig.1482 Die Theaterzensur scheint ihm zufolge also keineswegs allein ästhetische oder künstlerische Gründe zu haben, sondern einen unmittelbaren Nutzen für die Verbesserung der Gesellschaft zu bieten.1483 Die Optimierung der Bühne auf den Endzweck einer Schule der Sitten ist dabei das Ziel, welches vor ihm bereits von Gottsched und dessen Wiener Anhängern vertreten wurde. Dennoch betont Sonnenfels an dieser Stelle, dass er der erste sei, der derartige Gedanken formuliere und verschweigt damit unter anderem Thesen seines eigenen Vorgängers Johann Gottlob Justi, dessen Lehrbuch er bisher verwendet hatte.1484 Seine Lehrsätze erschienen in schriftlicher Form zeitgleich mit seiner erfolgreichen Wochenschrift Der Mann ohne Vorurtheil und mit diesem Periodikum gelang es ihm, sich auch in Wien als Autorität in Theaterfragen zu etablieren.1485 Darunter litt die Arbeit anderer Autoren wie Klemm, dessen Zeitschriftenprojekte Die Welt und der Österreichische Patriot er wie beschrieben bedrängte. Im Rahmen seiner neuen Wochenschrift unterzog Sonnenfels die Wiener Inszenierungen und auch das Publikum einer harten Kritik und entwickelte daraus eine populäre Fassung seiner Thesen über die Notwendigkeit, die Schaubühne zum Wohle des Staates zu zensieren.1486 Die Konsequenz seiner Ausführungen, die in einem exemplarischen Reglement für eine Theaterzensur ihren Höhepunkt fanden, war erneut die Forderung nach Abschaffung des Extemporierens und einer Zensur jeder einzelnen Theateraufführung. Seine Appelle kleidete er dabei immer wieder in Kritik am 1481 Sonnenfels: Polizey, § 86. 1482 Sonnenfels: Polizey, § 89 u. § 90. 1483 Kann: Kanzel, S. 205. 1484 Vgl. Haider-Pregler: Abendschule, S. 58–60. 1485 Zum Inhalt und Klemms theoretischen Ansätzen vgl. Brosche: Theater, S.  33; HaiderPregler: Abendschule, S. 331f. Vgl. zum MoV und seiner Konkurrenz Kap. 5.1.2 u. zum Verdrängen des Patrioten Brosche: Theater, S. 39. 1486 Vgl. dazu: Brosche: Theater, S. 41–43 u. Haider-Pregler: Schaubühne, S. 205–208. Als Quelle: MoV Bd. 25, in Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 3, spez. S. 120, 126 u. 145f.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

289

Geschmack des Publikums und besonders am Verhalten des Wiener Adels, der die deutsche Bühne stärker fördern und seine Gallomanie überwinden müsse. Durch diese Aktionen trat Sonnenfels bewusst aus dem Beziehungsgeflecht der Theaterreformer im Umfeld der sich auflösenden Deutschen Gesellschaft heraus und stellte sich selbst in den Mittelpunkt der Debatte. Dabei kann man beobachten, wie er seine Position im universitären Kontext mit seinem literarischen Engagement verband, so dass seinen Reformansichten größtmögliche Reichweite gegeben war. Bemerkenswert ist, dass er dies ohne erkennbare Unterstützung durch seine im universitären Kontext präsenten Förderer tat. Fürst Kaunitz befürwortete das französische Theater und Freiherr von Borié war an der Debatte nicht beteiligt.1487 Die Veröffentlichung seiner Reformansichten in der erfolgreichsten Wochenschrift Wiens, deren Inhalt an vielen Orten öffentlich zugänglich war, rückte Sonnenfels allerdings wieder einmal in eine exponierte Stellung, die folgenreich für seine sozialen Beziehungen in Wien sein sollte. Zunächst erwiderte der Bühnenautor Klemm in seinem Periodikum der Österreichische Patriot die Kritik und fragte: Warum tragen diejenigen Kunstrichter, die am allermeisten über den schlechten Geschmack des Publicums klagen und die Regeln des Theaters so gut verstehen, nicht durch gute Stücke selbst etwas zur Verbesserung bei […]?1488 Sonnenfels, der tatsächlich nicht selbst als Bühnenautor tätig wurde, erwiderte Klemms Anmerkung nicht direkt, sondern ging stattdessen zu Angriffen auf die Fähigkeiten und den Charakter seines Konkurrenten über.1489 Sein offensives Verhalten provozierte daraufhin wiederum Reaktionen von Seiten Klemms und anderer kritisierter Bühnenautoren, wie des in Wien erfolgreichen Franz von Heufeld. Sie mobilisierten dafür ihr bevorzugtes Medium, die Schaubühne selbst. Im Jahr 1767 kamen zwei Komödien in Wien zur Aufführung, welche eine Satire und damit einen Angriff auf Sonnenfels’ Stellung als Kunstrichter darstellten.1490 Es bleibt dabei zu betonen, dass beide Autoren nicht etwa 1487 Vgl. Muzik: Borié. 1488 Klemm, Christian Gottlob: Der Österreichische Patriot, Wien 1766, hier Bd. 2, S. 45. 1489 Seidler: Buchmarkt, S. 89f.; siehe Klemm: Patriot, Bd. 62 vom 2. Mai 1766. Sonnenfels war an der Erstellung des Theaterstückes Xerxes der Friedsame zwar beteiligt, ließ es aber von anderen Autoren, die er wie Franz Joseph Bob aus der Deutschen Gesellschaft kannte, ausarbeiten. Vgl. Brosche: Theater, S. 65. Das Stück war ein kommerzieller Misserfolg. 1490 Heufeld, Franz von: Kritik über den Geburtstag. Ein Lustspiel, Wien 1767 u. Klemm, Christian Gottlob: Der auf den Parnaß versetzte grüne Hut, Wien 1767. Beide Stücke wurden zeitgleich in einer Druckfassung publiziert. Vgl. Haider-Pregler: Schaubühne,

290

Der Staatsreformer Sonnenfels

Vertreter des Volkstheaters, sondern gemäßigte Theaterreformer waren, die jedoch durch Sonnenfels’ völlige Ablehnung der Tradition und seine Attacken herausgefordert wurden. Eine Betrachtung der beiden Stücke zeigt, wie bekannt Sonnenfels in Wien war und auf welche Weise die Autoren ihre Verbindungen zu Schauspielern und Betreibern des Theaters nutzten, um seine Autorität als Kritiker zu untergraben.1491 Franz von Heufeld, auf dessen frühere Freundschaft mit Sonnenfels in der Debatte wiederholt verwiesen wird, reagierte mit dem Werk: Die Kritik über den Geburtstag auf eine vernichtende Rezension Sonnenfels’ über sein Lustspiel Der Geburtstag.1492 In dem Stück erwartet eine Familie den Besuch eines berühmten Kritikers namens Jungwitz, der ihr eine Kritik des Theaterstückes Der Geburtstag vorlesen will. Doch hat dieser Gelehrte, dessen Figur Sonnenfels symbolisierte, keinen guten Ruf in der Stadt: Bey der ersten Zusammenkunft zeigte er sich gleich als einen Pedanten vom ersten Range, als den eitelsten Menschen, der unter der Sonne lebt; der von nichts, als von sich selbst und seinen Werken spricht; der gleichviel affektiertes Wesen in seinen Reden und Gebärden hat; der, weil er Wörter gelernt hat, weil er einige Schriftsteller nach der Quer anführet, weil er aus einem großen Büchervorrath alte Gedanken in neue Läppchen kleidet, sich schmeichelt unsere besten Schriftsteller zu übertreffen; der sich einbildet, das Recht zu haben, alle Werke der Literatur zu beurtheilen, und seinen Ausspruch zum Gesetze zu machen. Wehe demjenigen, der sich seinem Urtheile nicht unterwirft; er wird ihn nicht schonen.1493 Zahlreiche weitere Ausführungen in diesem Tonfall schließen sich an, bevor der Kritiker selbst erscheint und seine Autorität als Kunstrichter verteidigt: Ich – der ich es über mich nahm, den guten Geschmack in Wien einzuführen; ich – der ich mich zum Richter über die Werke S. 210–213; Brosche: Theater, S. 70–77. Brosche äußert ohne Beleg Zweifel an der tatsächlichen Aufführung von Heufelds Stück – trotz entsprechender Hinweise im Vorwort. Ebenso: Dietrich, Margaret: Der grüne Hut in der Wiener Aufklärung, in: Kudszus, Winfried u. Seeba, Heinrich u. a. (Hg.): Austriaca. Beiträge zur österreichischen Literatur. Festschrift für Heinz Politzer zum 65. Geburtstag, Tübingen 1975, S. 43–58, hier S. 44. 1491 Vgl.: Brosche: Theater, S. 70–75; Görner: Hans-Wurst-Streit, S. 31f. u. S. 42–52 u. HaiderPregler: Schaubühne, S. 210–213. 1492 Vgl. Heufeld: Kritik. Es bleiben wie angedeutet Zweifel, ob die Kritik lediglich publiziert und in privatem Rahmen aufgeführt oder tatsächlich öffentlich inszeniert wurde. Das Stück selbst trägt einen Vermerk, aufgeführt worden zu sein. Sonnenfels selbst äußert sich widersprüchlich, einmal betont er, dass das Stück unterbunden worden sei: Sonnenfels: Schaubühne, 54. Schreiben, Ndr. S. 325. An anderer Stelle führt er aus, dass ihm damit ebenso wie bei dem zweiten Stück auf der Bühne öffentlicher Schaden zugefügt wurde. Ebd., S. 346. Vermutlich ist daher von einer kurzzeitigen Aufführung auszugehen, bevor ein Verbot wirksam wurde. 1493 Heufeld: Kritik, S. 10.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

291

der Literatur machte – ich, der ich dem Publikum mehr als einmal sagte und bewies, dass es dumm ist.1494 Jungwitz beginnt schließlich seine Kritik zu verlesen, die von den Anwesenden aber durch Einwürfe unterbrochen wird, bevor der größte Teil von ihnen bei der Lesung einschläft. Dabei werden Sonnenfels’ Kritiken an der Hemmungslosigkeit der Stegreifkomödie ins Lächerliche überzogen. Die wichtigste Entgegnung, vorgebracht von einem Charakter namens Freymund, vertritt die Meinung Heufelds und widerlegt Sonnenfels’ Ausführungen mit Hinweis auf den unterhaltenden Zweck des Theaters: Ziehn wir in einer Komödie nichts anders zu Rathe, als die Wirkung, die sie auf uns macht. Ueberlassen wir uns ganz und gar demjenigen, was uns ergötzet; und jagen wir nicht nach Vernünfteleyen, die unser Vergnügen schwächen.1495 Das abschließende Argument prägte auch eine kurze, auf dem Stück basierende literarische Auseinandersetzung, die einige Jahre vor der josephinischen Broschürenflut in mehreren kleinen Schriften ausgetragen wurde.1496 Sie sei kurz dargestellt, da sie für mehrere ähnliche Debatten in der Theaterdiskussion exemplarisch ist, die aufgrund lückenhafter Überlieferung nicht mehr nachvollziehbar sind. Zunächst wurde in einer anonymen Druckschrift Gedanken eines Philosophen die auf der Bühne erfolgte Bloßstellung Sonnenfels’ erwidert. Die Kenntnisse des Verfassers über die Bedeutung einzelner Anspielungen und die Tatsache, dass er sich an einer Stelle selbst als durch das Theaterstück angesprochen bezeichnet, legen nahe, dass es sich hierbei um Sonnenfels handelt.1497 Heufelds Charakter und seine Leistungen werden hier herabgewürdigt und Sonnenfels, dessen stadtbekannte Eitelkeit wenigstens auf berechtigten Grundlagen basiere, wird im Gegenzug gelobt.1498 Hingegen stelle der hier erstmals erfolgte Gang eines kritisierten Autors auf die Bühne einen unverzeihlichen Verstoß gegen Sitten und Moral dar. Das Argument Heufelds, dass die Komödie dem Publikum gefallen müsse, wird vom Verfasser dahingehend widerlegt, dass dadurch Schmähungen, Beleidigungen und Sittenverstößen Vorschub geleistet werde.1499 Der Autor verfällt dabei in einen aggressiven Tonfall, welcher der Schrift nicht den Charakter eines Beitrages zu einer intellektuellen Debatte verleiht.

1494 Ebd., S. 21. 1495 Ebd., S. 30. 1496 Vgl. Anonym [Sonnenfels]: Die Gedanken eines Philosophen von dem Lustspiele: Die Kritik über den Geburtstag, Wien 1767, sowie Anonym [Sonnenfels]: Schreiben des Philosophen an den unpartheyischen Mann, Wien 1767. 1497 Sonnenfels: Gedanken, S. 6. 1498 Ebd., S. 3. 1499 Ebd., S. 14–16.

292

Der Staatsreformer Sonnenfels

Eine Gegenschrift, die Gedanken eines unparteyischen Mannes, die Heufeld herausgeben wollte, wurde von der Zensur verboten.1500 Ihr Inhalt wurde entgegen diesem Erlass aber in gekürzter Fassung an öffentlichen Plätzen von Freunden Heufelds laut verlesen und verteilt, eine Vorgehensweise, die Sonnenfels mehr als zwanzig Jahre später selbst in seiner Auseinandersetzung mit Hoffmann und Watteroth anwendete. Die so verbreiteten Vorwürfe nahm der Verfasser der Gedanken eines Philosophen daher in einem zweiten Druckwerk, dem Schreiben eines Philosophen auf. Der anonyme Autor verteidigt Sonnenfels’ Leistungen als Redner und seinen akademischen Rang ebenso wie seine Expertise in Fragen des Theaters, wobei er zahlreiche Detailkenntnisse vorweist.1501 Letztere legen wiederum nahe, dass es sich um Sonnenfels oder eine Person aus seinem engeren Umfeld handelt. Der anonyme Verfasser beruft sich schließlich auf die gemeinsame Bekanntschaft aller an der Debatte Beteiligten und mahnt zur Mäßigung. Diese schriftliche Auseinandersetzung, die Sonnenfels offenbar nach der Aufführung von Heufelds Stück suchte, verweist auf die unterschiedlichen Medien, die den an der Debatte beteiligten Männern zur Verfügung standen. Da Sonnenfels derzeit über kein Netzwerk in der Welt des Theaters verfügte, hatte er keine Möglichkeit, dem Angriff mit gleichen Mitteln – also auf der Bühne – zu begegnen. Stattdessen war er bemüht, seine Fähigkeiten als Autor der marktführenden Wochenschrift einzusetzen, um die Auseinandersetzung auf ein ihm vertrautes Feld zu ziehen. Hier besaß er dieselben Aktionsmöglichkeiten wie seine Kontrahenten. Als jene aber ihre Angriffe auf der Bühne fortsetzten befand er sich grundlegend im Nachteil, da die Aufführungen ein wesentlich größeres Publikum erreichten als seine mehrseitigen Streitschriften. Er wurde daher im Falle des zweiten, im selben Jahr aufgeführten Schmähstückes bereits präventiv tätig und versuchte, die Aufführung im Vorfeld zu verhindern und publizistisch dagegen vorzugehen.1502 Die Theaterankündigungen für den Februar 1767 hatten auf ein neues Stück von Sonnenfels’ Konkurrent, dem Wochenschriften- und Theaterautor Klemm, verwiesen. Klemm, der wie erwähnt, gegen ein völliges Verbot und für eine Mäßigung des Hans Wurst plädiert hatte, kündigte das Stück an: Der auf den Parnaß [Olymp] versetze grüne Hut. Sonnenfels, der auf unbekanntem Weg über den Inhalt des Stückes informiert wurde, wandte sich an die Zensur. In seinen gesammelten Schriften berichtete er darüber: Da man aus 1500 Vgl. zu dieser Schrift das Vorwort von Sonnenfels: Schreiben. 1501 Beispielsweise über die Entstehung von Sonnenfels Reden, ebd., S. 5–9f. 1502 Klemm: Hut.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

293

dem Vorhaben, einen Bürger auf der Schaubühne, wie auf einem Spottgerüst auszusetzen, kein Geheimnis machte, so glaubte ich es meiner Ehre schuldig zu sein […] Polizei und Zensur davon zu benachrichtigen. Ich erwog nicht, dass die sittenlosen Schauspiele, wider die ich zu Felde lag, unter den Augen der Polizei unter Genehmigung der Zensur aufgeführt werden. Meine Anzeige war also ohne Wirkung.1503 Die Zensurbehörde, in der Sonnenfels zu dieser Zeit noch keinen Einfluss besaß, reagierte darüber hinaus auf die geplante Gegenschrift im Mann ohne Vorurtheil, der aus nicht überlieferten Gründen die Druckerlaubnis verweigert wurde.1504 Klemms Theaterstück, in dem der beliebte Gottlieb Prehauser als Hans Wurst auftrat, hatte am 26. Februar 1767 Premiere. Zu beachten ist, dass eine gedruckte Fassung vorlag. Dies verweist darauf, dass kein Raum für das Extemporieren vorgesehen war, wenn auch gewisse Varianten in den einzelnen Aufführungen wahrscheinlich sind. Klemm beschrieb in dem Stück, wie die Götter des Olymp auf Hans Wurst aufmerksam werden und ihre Neugier mit einer Reise auf die Erde befriedigen. Ursache für ihre Reise ist eine Beschwerde der Göttin der Komödie über Theaterkritiker, die das Gift da in finsteren Löchern zubereiten, das sie alsdenn über diejenigen ausschütten, welche ihren Nacken nicht unter ihr Joch beugen, welche mir getreu sind, und die Welt noch mit Komödien vergnügen wollen.1505 Die Götter wollen daher den kritisierten Hans Wurst selbst beurteilen. Klemm beschreibt, wie sie den Darsteller Prehauser, der sich selbst spielt, überzeugen, für sie in einem Theaterstück im eigentlichen Theaterstück den Hans Wurst zu geben. Prehauser soll dabei als Hans Wurst in verschiedene Rollen schlüpfen, um einem Mann zu einer Braut zu verhelfen. Die Handlung endet damit, dass die Götter schließlich von Prehausers Spiel derart angetan sind, dass sie ihn zur Muse erheben und mit seinem grünen Hut auf den Olymp berufen. Neben zahlreichen Verweisen allgemeiner Art auf Kritiker war besonders eine Passage von Bedeutung, in der Hans Wurst die Verkleidung eines Gelehrten anlegt, um diesen Stand beim Vater der Braut zu diskreditieren.1506 Dabei imitierte Prehauser in Kleidung, Gestik und Sprache Joseph von Sonnenfels. Diese Maskerade war aus dem Text nicht ersichtlich und konnte daher von der Zensurbehörde nicht unterbunden werden. Sonnenfels wird hier als eitler, neidischer Kritiker dargestellt, der in Ermangelung eigenen Talentes Andere unterdrückt:1507 1503 Sonnenfels: Gesammelte Schriften, Bd. 3, S. 314f.; vgl. Brosche: Theater, S. 71. 1504 Ebd. u. Kann: Kanzel, S. 215. 1505 Klemm: Hut, S. 4 1506 Klemm: Hut. 3. Aufz. 7. Auftritt, S. 56–60; Haider-Pregler: Schaubühne, S. 212. 1507 Die folgenden Zitaten entstammen Klemm: Hut, S. 58f.

294

Der Staatsreformer Sonnenfels

Hannswurst: […] Es mag erscheinen was will, so packe ich es an, denn es kann unmöglich gut seyn, weil ich es nicht gemacht habe. […] Ich sage dem Autor ohne Anstand, dass er ein schlechter Schriftsteller ist, weil er mich nicht zu Rathe gezogen hat. Lysimon: Und wenn er sie zu Rathe zieht? Hannswurst: Da stelle ich ihm so viel daran aus, dass er es nicht mehr brauchen kann. Auch Sonnenfels’ Bestrebungen zur Verbesserung des Publikumsgeschmacks wurden persifliert. Lysimon: Was ist denn der gute Geschmack? Hannswurst: Was ich davor ausgebe. Nichts lustiges, aber lange moralische Abhandlungen […] wodurch man recht mit Bequemlichkeit die Leute einschläfert. Den Abschluss von Klemms Stück bildet ein langer Monolog Apolls, in dem die Volkskomödie und die Figur des Hans Wurst gegen Kritik verteidigt werden. 1508 Die soziale Funktion der Unterhaltung, aber auch der Satire wird dabei besonders betont. Wie schon bei Heufeld gipfelt die Argumentation in der Bedeutung des Humors für das Publikum: Die Freude ist ein Bedürfnis der Seele, und der Trieb dazu ist eben so gegründet, als der zur Nahrung. 1509 Das Stück, welches Anfangs noch regen Zuspruch fand, wurde im Laufe der Spielzeit schließlich doch mangels Besuchern ein Misserfolg. Ob die Ursache dafür in den nur kurzen Auftritten des Hans Wurst lag oder darin, dass viele Zuschauer die vorherigen Diskussionen nicht verfolgt hatten, kann nicht ermittelt werden.1510 Das Scheitern dieses Stückes und die Tatsache, dass hier nicht nur ein Kritiker, sondern ein zunehmend erfolgreicher Universitätslehrer und Staatsbeamter auf der Bühne persifliert wurde, trug allerdings dazu bei, Sonnenfels Sympathien zu verschaffen.1511 Die vorher passive Zensurbehörde reagierte angesichts der Aufführungspraxis schließlich doch noch, wie Klemm selbst berichtete, und unterzog den Autor einem fünfstündigen Verhör.1512 Sonnenfels selbst oder jemand, der seine Ansichten teilte, erwiderte dieses Stück in schriftlicher Form und gab eine fälschlicherweise Klemm 1508 Hierbei folgt Klemm nach Erkenntnissen von Haider-Pregler: Abendschule, S. 334f. der Argumentation Justus Mösers, in: Möser, Justus: Harlekin oder die Vertheidigung des Groteskcomischen, Osnabrück 1777. 1509 Klemm: Hut, S. 80f. 1510 Vgl. Brosche: Theater, S. 71 u. Görner: Hans-Wurst-Streit, S. 52. 1511 Rollet: Briefe, S. 4. 1512 Vgl. Haider-Pregler: Schaubühne, S. 213.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

295

zugeschriebene satirische Schrift unter dem Pseudonym Knopf heraus, in welcher der Triumph der Vorurteile und die Abschaffung jedweder Kritik gefeiert wird.1513 Gelehrte werden hier im Rahmen einer Verherrlichung der Volkskomödie satirisch zu Staatsfeinden erklärt. Die beiden Angriffe auf Sonnenfels hatten keine negativen Auswirkungen auf seinen Einsatz für die Reform des Theaters, den er auch nach dem Ende des Mann ohne Vorurtheil fortsetzte. Im Gegenteil führte die vielschichtige Auseinandersetzung mittels Periodika, Broschüren und der Schaubühne dazu, dass seine Bekanntheit als Theaterreformer erheblich gesteigert wurde. Allein die Tatsache, dass eine Sonnenfelsimitation im Theater Wiedererkennungswert besaß, zeigt, dass er durch diese Affäre und seine Wochenschriften schon früh zu einer stadtbekannten Persönlichkeit wurde. Seine Bekanntheit brachte Sonnenfels aber nicht nur Gegner, deren große Zahl, Stärke und Skrupellosigkeit er immer wieder betonte, sondern auch Verbündete ein.1514 Der damalige Hofrat der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei und spätere Staatsrat Tobias von Gebler, der sich selbst als Autor regelmäßiger Stücke betätigte, trat mit Sonnenfels in Kontakt:1515 Meine Vorstellungen blieben in den ersten Jahren nicht unbemerkt. Gebler, der damals noch Hofrath war, suchte mich zu kennen, und diese Bekanntschaft erwarb mir seine Freundschaft, seine Unterstützung.1516 Neben ihrem gemeinsamen Interesse an einer regelmäßigen Schaubühne verband beide Männer auch der Wunsch, die Verbreitung einer gehobenen deutschen Sprache in Österreich zu fördern.1517 Trotz ihrer Kooperation blieb das Verhältnis zwischen dem Autor und dem Kritiker, welches später durch die Publikation der klotzschen Briefe vorerst ein Ende fand, schon zu dieser frühen Zeit nicht frei von Spannungen, die sie aber zugunsten ihrer gemeinsamen Reformziele überwanden.1518 Der vereinte Einsatz der beiden für die deutsche Bühne war nach ihrem Verständnis durch die aktuelle Entwicklung des Theaterwesens noch immer dringend notwendig. Im Jahr 1767 gab der Theaterpächter Franz Hilverding, 1513 Klemm, Christian Gottlob [verm. stattdessen Sonnenfels oder jemand aus seinem Umfeld]: An die uralte, weltberühmte und hochgelehrte Gesellschaft der schönen Wissenschaften von Hirschau, Hirschau [Wien] 1767. 1514 So stellte er sich in seinen Briefen an Klotz als von übermächtigen Feinden umgebener Märtyrer dar und behauptet in seinen Gesammelten Schriften sogar, zeitweise nur bewaffnet aus dem Haus gegangen zu sein, Sonnenfels: Schriften, Bd. 3, S. 78 Fn. 1515 Vgl. Schläger: Gebler, zu ihm und Sonnenfels spez. S. 221f.; Pawel: Reformen, S. 36 u. Görner: Hans-Wurst-Streit, S. 54. 1516 Luca: Österreich, S. 168. Da Sonnenfels diesen Bericht schrieb als er nach dem Erscheinen der klotzischen Briefe um Versöhnung bemüht war, ist die hier gekürzte euphemistische Beschreibung der Freundschaft vermutlich dem Kontext geschuldet. 1517 Schläger: Gebler, S. 125–127. 1518 Brosche: Theater, S. 79f.

296

Der Staatsreformer Sonnenfels

der zwar Klemms und Heufelds Stücke spielte, sich aber auch mit Sonnenfels in Theaterfragen beraten hatte, nach kurzer Amtszeit die kostspielige Leitung der Wiener Bühnen auf.1519 Im Mai folgte ihm der Italiener Guiseppe d’Afflisio, welcher der deutschen Sprache kaum mächtig war und sich dementsprechend primär um das italienische und französische Theater kümmerte.1520 Damit entsprach er den Interessen des Grafen Kaunitz, der sich vermutlich für die Vergabe der Theaterpacht an den Italiener eingesetzt hatte. Die deutsche Bühne wurde nun ausschließlich nach kommerziellen Gesichtspunkten geführt, so dass der Hans Wurst noch stärkere Bedeutung gewann. In diesem Zusammenhang gab Sonnenfels zunächst unter dem Pseudonym eines französischen Reisenden seine Briefe über die wienerische Schaubühne in Anlehnung an Lessings Hamburgische Drammaturgie heraus.1521 Vom Dezember 1767 bis zum Februar 1769 erschienen insgesamt 55 Ausgaben dieser Wochenschrift, die ab dem 20. Band mit seinem eigenen Namen gezeichnet war.1522 Da im Zuge dieser Untersuchung weniger Sonnenfels’ Theorien zum Theater als vielmehr die Durchsetzung seiner Reformziele gegen Widerstand im Mittelpunkt steht, seien die zentralen Aussagen der Briefe als Schlüsseldokument seiner Reformziele hier nur kurz zusammengefasst. Sonnenfels ging in diesem Periodikum verstärkt dazu über, ästhetische Aspekte zu berücksichtigen und schrieb ausführliche positive Berichte über Stücke, die seiner Meinung nach vorbildlich seien.1523 Der Tonfall seiner Schriften war zwar stellenweise noch aggressiv, über weite Teile aber ru1519 Vgl. zur Entwicklung: Brosche: Theater, S. 52 u. Görner: Hans-Wurst-Streit, S. 34. 1520 In der älteren Literatur wird der Name d’Affligio verwendet, neuere Arbeiten hingegen benutzen die Schreibweise d’Afflisio, bspw. Brosche: Theater und Haider-Pregler: Abendschule. Hier wird der mehrheitlichen Verwendung gefolgt. Vgl. zu seiner Berufung Hadamowsky, Franz: „Spectacle müssen sein“. Maria Theresia und das Theater, in: Koschatzky, Walter (Hg.): Maria Theresia und ihre Zeit, Wien 1980, S. 287–392, hier S. 391. 1521 Mehrere Publikationen behandeln das Verhältnis der beiden Schriften zueinander, wobei Sonnenfels nachweislich von Lessings Projekt wusste, aber nicht mehr als die grundlegende Idee übernahm und für seine Zwecke weiterentwickelte, vgl. Haider-Pregler: Schaubühne, S. 213; Vorwort zu Sonnenfels: Schaubühne, S. VI.; Kolisch, Fritz: Lessings Hamburgische Dramaturgie und Sonnenfels’ Briefe über die Wiener Schaubühne, Wien Diss. 1910; Kann: Kanzel, S. 206f. u. Brosche: Theater, S. 53. Die hier verwendete Ausgabe ist der Ndr. der ersten Auflage, Wien 1768, da die Neuauflage in den Gesammelten Schriften, Wien 1783 aufgrund weiterer Entwicklungen im Theaterwesen inhaltlich und stilistisch stark überarbeitet wurde, wie im Vorwort des Ndr. ausführlich dargelegt wird. 1522 Zum Inhalt der Briefe und Sonnenfels’ Theorien über die Schaubühne vgl. HaiderPregler: Schaubühne, S. 213–224; Görner: Hans-Wurst-Streit, S. 55–73; Kann: Kanzel, S. 206–218; Brosche: Theater, S. 51–61 u. Lengauer: Stellung, S. 587–621. 1523 So bspw. Sonnenfels: Schaubühne, S. 10–16 über die Aleste von Gluck und S. 129 über Voltaires Adelaide.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

297

higer als vorher und vereinzelt sogar kompromissbereit.1524 Er erkannte nun die Unterhaltungsfunktion des Theaters offen an, wenn er sie auch an ein gewisses Niveau gebunden und von der Zensur überwacht wissen wollte.1525 Die Abschaffung des Extemporierens blieb für ihn allerdings unverzichtbare Grundlage jeder Verbesserung des Theaters.1526 Die Tatsache, dass ein großer Teil des Publikums solche Aufführungen besuchte, ist für ihn dementsprechend Anlass für Kritik am Geschmack der Zuschauer.1527 Im Widerspruch zu seinen eigenen Aussagen behauptet er allerdings an späterer Stelle, dass die gemäßigten Stücke einen wesentlich größeren Zulauf haben würden, wenn sie nicht an ungünstigen Tagen und mit stark beschränkten Mitteln gegeben würden.1528 Auch beobachtete er eine langsame Verbesserung des Publikumsgeschmacks, die er seinen eigenen Bemühungen zuschreibt.1529 Seinen früheren Forderungen im Mann ohne Vorurtheil entsprechend stellte Sonnenfels auch in der neuen Wochenschrift immer wieder die Verantwortung des hohen Adels für die Schaubühne heraus.1530 Dieser Stand habe die Aufgabe, die deutschen Schauspieler zu fördern, um deren Ansehen und Spielweise zu verbessern und sie zu einem entsprechenden Lebenswandel zu motivieren. Den deutschen Darstellern, die nach Sonnenfels’ Ansicht lebenslang an bestimmte Rollen wie der Liebhaber oder der Diener gebunden sein sollten, müsse außerdem ein Recht auf Mitsprache bei der Auswahl der Stücke und Inszenierungen zukommen.1531 Sie sollten nun jeder nicht mehr nur ihre Rolle, sondern Textausgaben des ganzen Stückes erhalten, um verstehen zu können, in welchem Zusammenhang sie spielten.1532 Die Bevorzugung fremdsprachiger Akteure wird hingegen wiederholt zum Gegenstand seiner Kritik, die er erneut auf die allgemeine Gallomanie ausweitet.1533 Auffällig sind bei seinen Ausführungen zum einen ein polemischer Bruch mit Gottsched und somit die Abgrenzung von den älteren Wiener Reformern, zum anderen sein Lob des Talents, das der Hans Wurst Darsteller Prehauser – abgesehen vom Stück Der auf den Parnaß versetzte 1524 Er schlägt vor, einige Stücke von Harfner und Heufeld in den regulären Spielplan aufzunehmen, sofern kein Extemporieren darin vorkomme. Vgl. Brosche: Theater, S. 92. 1525 Sonnenfels: Schaubühne, 53. Schreiben, Ndr. S. 321, Sonnenfels sah für einen idealen Spielplan mindestens 50 Prozent Komödien oder Lustspiele vor. 1526 Sonnenfels: Schaubühne, 23. Schreiben, Ndr. S. 141. 1527 Ebd. 2. Schreiben, Ndr. S. 13f.; 5. Schreiben, Ndr. S. 29 u. 22. Schreiben, Ndr. S. 129. 1528 Ebd. 34. Schreiben, Ndr. S. 200–203. 1529 Ebd. 55. Schreiben, Ndr. S. 339 u. S. 342f. 1530 Ebd. 5. Schreiben, Ndr. S. 32 u. 6. Schreiben, Ndr. S. 32f. 1531 Ebd. 33. Schreiben, Ndr. S. 197f. 1532 Ebd. 25. Schreiben, Ndr. S. 149f. 1533 Ebd. 16. Schreiben, Ndr., S. 89f. u. 17. Schreiben, Ndr. S. 99.

298

Der Staatsreformer Sonnenfels

grüne Hut – bewiesen habe.1534 Sonnenfels’ Briefe gipfelten in der Forderung, eine Nationalschaubühne zu schaffen, an welcher Nationaldichter die gehobene Sprache einer Nation und Elemente aus ihrer Geschichte mit Hilfe vorbildlicher Nationalschauspieler abbilden und veredeln sollten.1535 Neben derartig fundamentalen Aussagen gab Sonnenfels dem Theaterbetreiber d’Afflisio auch unaufgefordert konkrete Ratschläge zur Bildung seines Ensembles und Organisation des Theaterbetriebes.1536 Während des Erscheinens der Briefe sind zwei Entwicklungen in Sonnenfels’ sozialen Beziehungen zu beobachten, die Auswirkungen auf sein zukünftiges Engagement als Theaterreformer hatten und die teilweise durch diese Wochenschrift bedingt wurden. Zunächst forderte er durch seine ausführliche Kritik am französischen Theater dessen Befürworter und Unterstützer Kaunitz heraus.1537 Obgleich sich die daraus resultierenden Spannungen zunächst nicht unmittelbar auswirkten, so konnte er für seine Theaterreformen jedoch keineswegs auf Unterstützung hoffen, solange er Kaunitz bevorzugte Unterhaltungsform und sogar dessen französische Aussprache und Floskeln bei Hofe kritisierte.1538 Von konkreterer Bedeutung für die Entwicklung seiner Einflussmöglichkeiten auf die Wiener Schaubühne waren aber die Auswirkungen eines Schreibens im Wiener Diarium vom 27. Juli 1768. In diesem Brief kritisierte ein anonymer Verfasser, der sich als MvJ bezeichnete, Sonnenfels’ Briefe und forderte dazu auf, dessen Vorschläge zu ignorieren.1539 Die mangelnde tatsächliche Erfahrung des Kritikers mache seine Konzepte nutzlos, deren Umsetzung nur für leere Theater sorgen würde. Am Ende des Schreibens äußerte sich MvJ über die Wiener Schauspieler und betonte, dass deren schlechtes Spiel das Geschäft der Unternehmer erschwere, da selbst diejenigen nicht gut seien, die Sonnenfels loben würde. In der Ausgabe des Diariums vom 3. August folgte auf diese Passage eine Entgegnung der bekannten und von Sonnenfels gelobten Schauspielerin Christiane Friederike Huber.1540 Sie reagierte auf die verwegene Beschimp1534 Zu Gottsched: Ebd. 17. Schreiben, Ndr. S. 100. Zum Lob Prehausers: Ebd. 33. Schreiben, Ndr. S. 196 u. 52. Schreiben, Ndr. S. 312. Vgl. Zechmeister, Gustav: Das Wiener Theater nächst der Burg und nächst dem Kärntnerthor von 1747–1776, Wien 1971, S. 114. 1535 Sonnenfels: Schaubühne, 21. Schreiben, Ndr. S. 126, 25. Schreiben, Ndr. S. 148–154. u. 27. Schreiben, Ndr. S. 160–177. 1536 Ebd. 33. Schreiben, Ndr., S. 193–200. 1537 Kann: Kanzel, S. 206 u. S. 218. 1538 Szabo: Kaunitz, S. 204f. 1539 Wienerisches Diarium Nr. 61 vom 26. Heumonat 1768. Vgl. zum Kontext: Brosche: Theater, S. 92–95. 1540 Wienerisches Diarium Nr. 63 vom 3. Augustmonat 1768. Sonnenfels lobte sie bspw. in: Sonnenfels: Schaubühne, 15. Schreiben, Ndr. S. 88.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

299

fung aller deutschen Schauspieler und ergriff für Sonnenfels Partei. Er sei ein Mann, der mit ihm eigenen Scharfsichtigkeit, die Fehler unserer Schaubühne aufspühret, solche dem Publikum so lebhaft zum Abscheu darstellt – Mit der Offenherzigkeit eines redlichen Mannes die ächten Mittel, auf der Bahn eines edleren Geschmacks zu bleiben, vorschlägt.1541 Nicht seine Vorschläge, sondern vielmehr die derzeitige Theaterleitung sei fehlerhaft: Eben darum haben wir auch noch nicht Gelegenheit gehabt, unsere Rollen mit der Würde vorzustellen, wie wir es thun würden, wenn nur Kenner der Talente uns zu gebieten hätten.1542 Der MvJ reagierte in weiteren Beiträgen im Diarium mit Entschuldigungen beim Ensemble. Dieses Schreiben stellt zwar nur ein Indiz dafür dar, dass im Laufe der Zeit Schauspieler für Sonnenfels’ Ideen zur Reform des Theaters gewonnen wurden, wird aber durch die enge Verbindung zu jungen Darstellern wie Katharina Jaquet (1760–1786) und Josef Lange (1751–1831) bestätigt, denen er als Förderer und Ratgeber zur Seite stand.1543 Er setzte seine Bekanntheit als Theaterexperte und seine Beziehungen zu gehobenen theaterinteressierten Kreisen zu ihren Gunsten ein und organisierte für sie beispielsweise Aufführungen vor Financiers und Angehörigen des Adels.1544 Solche Zusammenkünfte steigerten auch sein eigenes Ansehen und festigten seinen guten Ruf, den er in der Debatte einsetzen konnte. Hinzu kam, dass seine Forderung, den Schauspielern Mitspracherechte zu geben und ihnen einen höheren gesellschaftlichen Status zu verleihen, den Wünschen vieler Bühnenkünstler entsprach.1545 Die somit erkennbare positive Entwicklung seiner Beziehungen zur Welt des Theaters wurde auch durch eine langsame Veränderung des Publikumsgeschmacks zugunsten regelmäßiger Stücke begünstigt. Steigende Einnahmen für diese Inszenierungen bekräftigten seine Thesen und verliehen ihnen Nachdruck. Diese Tendenz wurde durch den Tod der Darsteller Weiskern und Prehauser 1768 beziehungsweise 1769 verstärkt. Sie hatten als herausragende Vertreter der Volkskomödie keine vergleichbaren Nachfolger.1546 Daraufhin übernahm der reformfreudige Wiener Bankier Joseph Karl Baron von

1541 Zit. nach Brosche: Theater, S. 94. 1542 Ebd. 1543 Zu Katharina Jaquet, die schon früh Kinderrollen spielte, vgl. Sonnenfels’ Brief an Klotz vom 3. Sept. 1769, in: Rollet: Briefe, S. 31f. u. eine Lobeshymne (!) in Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 9, S. 37–68 sowie: Haider-Pregler, Hilde: Katharina Ja(c)quet, in: NDB Bd. 10, S. 353. Zu Joseph Lange siehe Lange: Biographie, S. 19f., S. 39f. u. S. 58f. 1544 Lange: Biographie, S. 19f. u. Brosche: Theater, S. 87f. 1545 Haider-Pregler: Abendschule, S. 338. 1546 Haider-Pregler: Abendschule, S. 342.

300

Der Staatsreformer Sonnenfels

Bender 1769 die für d’Afflisio unrentable Pacht des deutschen Theaters.1547 Der neue Betreiber stellte Heufeld als Direktor und Klemm als Theatralsekretär mit der Aufgabe ein, einen neuen regelmäßigen Spielplan zu entwerfen. Bender befürwortete eine gemäßigte Reform des Theaters in ihrem Sinne und ließ beiden weitgehend freie Hand. Sie wandten sich mit einer Erklärung an das Publikum, in der sie die Grundlagen ihrer Arbeit umrissen: Das angenehmste, lehhreichste, das unschuldigste Vergnügen für den Bürger des Staates ist unstreitig eine wohleingerichtete Schaubühne. Ist diese Schaubühne national, macht sie die herrschenden Laster und Thorheiten verächtlich und lächerlich; so wird dieses Vergnügen um desto mehr erhöhet und auch der niedrigste Bürger lernt das wahre Gute und Schöne kennen.1548 Beide Männer übernahmen mit dieser Ankündigung ihre ursprünglichen Forderungen, Themen und Begriffe, die zuletzt aber nur noch von Sonnenfels öffentlich vertreten worden waren. Sonnenfels schrieb daraufhin an den Geheimrat Klotz: Sie sehen wohl, dass ich unter solchen Aspekten, meine Briefe über die Schaubühne nicht fortsetzen konnte.1549 Doch er stellte seine Wochenschrift nicht ein, ohne die aktuelle Entwicklung zu seinen eigenen Gunsten umzudeuten. In der 55. und letzten Ausgabe der Briefe druckte er die Bekanntmachung der neuen Theaterleitung an das Publikum ab und setzte ein öffentliches Schreiben an Klotz nach, in dem er die gesamte Entwicklung des Theaters seinem eigenen Einsatz zuschrieb: Fand das Schicksal keine anderen Wege, die Verbesserung der Bühne und des gesitteten Vergnügens herbeyzuführen, und forderte der Geschmack eine große Versöhnung, so beklage ich mich nicht mehr, ihr Götter! Um diesen Lohn lasse ich mir auf den Parnaß versetzte grüne Hüte und Kritiken des Geburtstags gefallen.1550 Wenn sich Sonnenfels mit diesem Schlusswort auch scheinbar versöhnlich zurückzog, so arbeitete er hinter den Kulissen weiter gegen Heufeld und Klemm. Auf seine Aufforderung hin wurde sein literarisches Netzwerk aktiv und seine Korrespondenten Klotz und Riedel rezensierten die Gesamtausgabe seiner Briefe überaus positiv während sie Klemms neue Wochenschrift Dramaturgie, Literatur und Sitten angriffen, die dieser neben seiner Arbeit am Theater verfasste.1551 In seinem Rezensionsorgan Deutsche Bibliothek 1547 Vgl. ebd., S. 341 u. Brosche: Theater, S. 52. Hadamowsky: Spectacle, S. 391 weist darauf hin, dass sich Baron Bender als vermögender Bankier für die Kredite des Pächters d’Afflisio verbürgt habe. 1548 Nachricht an das Publikum vom 25. Feb. 1769, abgedruckt bei Sonnenfels: Briefe, S. 344. 1549 Brief an Klotz vom 5. März 1769, in: Rollet: Briefe, S. 21–25, hier S. 23. 1550 Sonnenfels: Schaubühne, S. 55. Schreiben Ndr. S. 346. 1551 Klemm, Christian Gottlob: Dramaturgie, Literatur und Sitten, Wien 1769/1770. Vgl. zu diesem Zusammenhang: Haider-Pregler: Schaubühne, S. 223f.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

301

kommentierte Klotz: Statt Sonnenfels nun Herrn Klemmen zu lesen, schmeckt ohngefehr so, als eine Mahlzeit bey einem westphälischen Bauer auf einen fürstlichen Schmauß.1552 Auf diese Angriffe reagierte Klemm in seiner Dramaturgie unter Verweis auf die Ursache für die kritischen Rezensionen: Jene würden von Leuten stammen […] die bloß deswegen lästern, um einem anderen Cour zu machen, mit dem schon lange alle Katzbalgereyen aufgehört haben und der zu edel denkt, als dass er solche Angriffe nicht selbst verabscheuen sollte.1553 Das Verhältnis zwischen den beiden neuen Leitern der Wiener Schaubühne und Sonnenfels war in Anbetracht dieser Vorgänge alles andere als versöhnlich, obwohl der letzte Beitrag der Briefe das Gegenteil behauptete. Bevor Klemm aber weitere Entgegnungen publizieren konnte, traten Veränderungen ein, die den Herausgeber der Briefe wieder in den Mittelpunkt der Ereignisse rücken ließen. 7.1.3 Vom freien Kritiker zum staatlichen Zensor Unter der Leitung von Heufeld und Klemm, die völlig auf das Stegreiftheater verzichteten und einen regelmäßigen Hans Wurst auf die Bühne brachten, wurde die Wiener Schaubühne zu einem Verlustgeschäft für den reformorientierten Pächter Bender.1554 Nachdem der Baron vergeblich einen Teil seines Privatvermögens zugeschossen hatte, verließ er im Oktober 1769 überraschend die Stadt und die Leitung der Bühnen fiel wieder an den Italiener d’Afflisio zurück. Jener sah die einzige Chance auf finanziellen Gewinn in einer Rückkehr zum Stegreiftheater. Dieser Vorschlag widersprach allerdings in zweierlei Hinsicht neueren Entwicklungen im Schauspielerensemble. Zum einen hatten einige Darsteller aufgrund des zunehmend schlechteren Rufes des Stegreiftheaters vertraglich vereinbart, nicht in solchen Komödien spielen zu müssen und zum anderen verfügte das Ensemble nach dem Tode Weiskerns und Prehausers über keinen im Extemporieren erfahrenen Hans Wurst mehr. Der Betreiber d’Afflisio wandte sich daraufhin an die damals in Wien gastierende sogenannte Badener Truppe, die mit ihrer dem Hans Wurst entsprechenden Figur des Kasperl in den Wiener Vororten auftrat.1555 Eine Berufung der ortsfremden Darsteller hätte aber nicht nur eine Rückkehr des Stegreiftheaters, sondern möglicherweise auch die Entlassung einiger Wie1552 Klotz, Christian Adolf: Deutsche Bibliothek 13. St., S. 84. 1553 Klemm: Dramaturgie, S. 528. 1554 Vgl. Brosche: Theater, S. 101–103 u. Haider-Pregler: Schaubühne, S. 227f. 1555 Vgl. zur Badener Truppe: Schindler, Otto: Theatergeschichte von Baden bei Wien im 18. Jahrhundert. Mit besonderer Berücksichtigung der „Badner-Truppe“ und ihres Repertoires, Diss. Wien 1971.

302

Der Staatsreformer Sonnenfels

ner Schauspieler bedeutet. Da das Ensemble dies verhindern wollte, kam es zu einer Zusammenarbeit mit dem stadtbekannten Theaterexperten Sonnenfels. Der Schauspieler Johann Gottlieb Stephanie (1741–1800) wandte sich im Namen seiner Kollegen am deutschen Theater mit einer Eingabe gegen das Extemporieren an die Kaiserin.1556 Dieses Schriftstück wurde – wie HaiderPregler darlegt – zwar von Stephanie geschrieben, aber wahrscheinlich von Sonnenfels formuliert.1557 In Sorge, durch auswärtige Schauspieltruppen verdrängt zu werden, unterstützten die übrigen Darsteller den Antrag, der im November 1769 an Maria Theresia übergeben wurde. Darin wurde betont, dass die Entwicklung des Geschmacks in Wien weit vorangeschritten sei und nun die Bühne, befreit vom sittenlosen Wust und den unanständigen Possenspielen, erfolgreich betrieben würde.1558 Nicht nur die Begeisterung der Schauspieler für das regelmäßige Theater, sondern auch dessen finanzielle Erfolge, die anhand der Einnahmeregister belegt werden, würden die regelmäßigen Komödien bedeutsamer als die Stegreifstücke machen. Stephanie äußert sich allerdings nicht darüber, wie es angesichts der steigenden Einnahmen zum finanziellen Scheitern der Direktion Benders kommen konnte. Stattdessen gipfelt seine und Sonnenfels’ Argumentation in einer Warnung vor der Rückkehr des Extemporierens, die eine Gefahr für die Ehre der Nation sei, der durch einen kaiserlichen Befehl begegnet werden müsse. Zur gleichen Zeit reichte Sonnenfels selbst ein Promemoria: Über die Notwendigkeit das Extemporieren abzustellen ein, das er in gekürzter Form auch publizierte.1559 Seine Eingabe richtete er allerdings an Joseph II., als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Sonnenfels begründete die Notwendigkeit, das Theater zu einer repräsentativen Einrichtung zu machen, sowohl mit der Würde als auch mit dem Rang des österreichischen Hofes. Dabei grenzt er das deutsche oder das Nationalschauspiel als Gegenstand besonderer Bedeutung von dem französischen Theater ab, das keine Bevorzugung seitens des Hofes verdiene. Auf dem Gebiet des Theaters könne sich der österreichische Hof aufgrund seines Ranges als Kaiserhof in ganz Deutschland Ruhm erwerben, wenn er nur dazu bereit sei. Die Rolle der Residenzstadt überhöhend fragt Sonnenfels: Soll Deutschland ewig verurtheilt 1556 Brosche: Theater, S. 102f. 1557 Haider-Pregler: Schaubühne, S. 227. 1558 Zit. nach Brosche: Theater, S. 102. 1559 Die gekürzte Fassung: Brünner Zeitung Nr. 16 vom 19. April 1770, vgl. Brosche: Theater, S. 103–106; Für Unterschiede zur vollständigen Fassung vgl. Haider-Pregler: Schaubühne, S. 227 u. Dies.: Abendschule, S. 345. Zu der Entscheidung darüber siehe HHStA Staatsratsindex 816 ex 1770.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

303

sein, ohne anständiges Schauspielhaus zu bleiben? Wien allein kann sich diesen Ruhm erwerben, alle Umstände sind hiezu vorzüglich günstig.1560 Zu den erwähnten Umständen zählt Sonnenfels vor allem die Veränderung des Publikumsgeschmacks, die er unter Berufung auf dieselben Besucherregister wie Stephanie nachweist. Abschließend betont er die Bedeutung der Bühne für die moralische Entwicklung der einfachen Bevölkerung: Wäre es nun aber gleichgültig diesen Teil der Bürger entweder in eine Gaucklerbude hinzuschicken, wo sie die Albernheit eines Possenspielers und seine Unhöflichkeiten […] anhören müssen, oder ihnen ein gesittetes Vergnügen zu verschaffen, […]? Der Mann aus der mittleren Klasse bedarf es sogar weit mehr, dass der Staat ihm eine anständige Ergötzung zu verschaffen suche, als der Adel.1561 Der große Einfluss der Bühne auf den bürgerlichen Stand unterstreiche, dass der Staat ihr Niveau durch ein Verbot des Extemporierens sichern müsse. Beide Anträge wurden vom Staatsrat Gebler unterstützt, der nicht nur mit Sonnenfels in Theaterfragen kooperierte, sondern selbst enge persönliche Beziehungen zu den Wiener Schauspielern unterhielt.1562 Joseph II. befahl daraufhin, jedwedes Extemporieren innerhalb der Kaiserstadt zu unterlassen und verbot Auftritte auswärtiger Schauspieltruppen an den kaiserlichen Theatern der Stadt.1563 Der Theaterbetreiber d’Afflisio konterte mit einem Promemoria zugunsten des Stegreiftheaters vom 16. Dezember 1769.1564 Er betonte entgegen den Angaben von Sonnenfels und Stephanie die wirtschaftliche Notwendigkeit und bot am Ende einen Kompromiss an: Er ersuche selbst um die Aufstellung eines Censors, der bey der Generalprobe extemporirter Stücke, und auch bey der Vorstellung gegenwärtig sey, und der also von dem Gesitteten derselben Rechenschaft geben könne.1565 Als dieser Kompromissvorschlag des Theaterpächters bekannt wurde, reichte Sonnenfels im Gegenzug sein eigenes Promemoria einfach ein zweites Mal ein und erhielt erneut Geblers Unterstützung. Joseph II. wies den Vorschlag d’Afflisios schließlich am 11. Januar 1770 ab. Der Impressario reagierte darauf mit einer überraschenden Personalentscheidung.1566 Er berief den erfolgreichen Stegreifspieler Felix Kurz zum Di1560 Zit. nach Brosche: Theater, S. 104. 1561 Zit. nach Haider-Pregler: Schaubühne, S. 228. 1562 Vgl. Haider-Pregler: Schaubühne, S. 227 u. Luca: Österreich, S. 167. 1563 Brosche: Theater, S 106. 1564 Ebd., S. 107. 1565 Ebd. 1566 Sonnenfels an Klotz: Brief vom 9. März 1770, in: Rollet: Briefe, S. 33–35; vgl. Görner: Hans-Wurst-Streit, S. 83.

304

Der Staatsreformer Sonnenfels

rektor des deutschen Theaters. Kurz hatte Wien zehn Jahre zuvor verlassen, um mit seiner dem Hans Wurst ähnlichen Figur des Bernadon andernorts aufzutreten. Die Reaktion des Kaisers auf diese Personalie beschreibt Sonnenfels in einem Brief an Klotz am 9. März: da man den Impressarius wegen seines Pachtkontraktes nicht hindern kann, jemanden, wem er will die Aufsicht zu geben; so hat man mich – zum Theatralcensor gesetzt.1567 Diese Berufung verdankte Sonnenfels, der damit sein nebenberufliches Engagement in ein neues offizielles Amt überführen konnte, dem Freiherrn von Gebler: Er war es endlich, welcher der bekannten Schrift: über die Nothwendigkeit das extemporiren abzustellen vor dem Throne Nachdruck gab, und mich zum Censor der Schaubühne zu der Zeit vorschlug, als die Wiederkehr Bernadons, dem Geschmack wenigstens des großen Haufens einen gefährlichen Rückfall drohte.1568 Möglich war diese Berufung auch dadurch geworden, dass Sonnenfels wenige Monate zuvor aufgrund des großen Erfolges seines Lehrbuchs der Titel eines niederösterreichischen Regierungsrats ohne bestimmten Aufgabenbereich verliehen wurde.1569 Das neue Zensoramt war allerdings zunächst nur ein Titel, der noch nicht durch eine Verordnung oder einen Erlass mit Kompetenzen ausgestattet war. Dennoch wurden bereits anonyme Lobgedichte und Hymnen auf Sonnenfels und die Erwartungen, die an seine Tätigkeit gestellt wurden, publiziert.1570 Als neuernannter Zensor verfasste er umgehend ein Promemoria an den Kaiser, in dem er ausführlich darlegte, welche Kompetenzen und Aufgaben seiner Meinung nach mit dem neuen Amt verbunden sein sollten.1571 Sonnenfels forderte, vermutlich auch aufgrund seiner eigenen Erfahrungen, alle Stücke vor Probenbeginn schriftlich auszuarbeiten und von seiner Zensur überprüfen zu lassen. Sollte ein neues Stück oder auch ein neuinszeniertes altes Stück die Zensur passieren, so müsse er als Zensor auch die Proben, die Werbung für die Aufführungen und jeden einzelnen Auftritt überwachen, um zu verhindern, dass unangemessene Requisiten, Gesten oder ähnliches die Zensur unterlaufen. Widerstand gegen seine Autorität und Extemporieren durch Wort, Geste oder Requisite sollten beim erstmaligen Vorkommen mit Arrest, bei Wiederholungstätern mit Verbannung von der Bühne bestraft werden. Sonnenfels schließt seinen Antrag mit einer bemerkenswerten Forderung, die über das Theaterwesen hinaus seine Stellung in Wien 1567 Sonnenfels an Klotz: Brief vom 9. März 1770, in: Rollet: Briefe, S. 35. 1568 Luca: Österreich, S. 169. 1569 Vgl. Kap. 4.1.2. 1570 Anonym: Auf den Herrn Regierungsrath von Sonnenfels. Bey dem Auftrage der Censur über die deutschen Schauspiele, 1770. Es handelt sich um eine Schmuckausgabe ohne Angabe des Druckortes, wobei Wien wahrscheinlich ist. 1571 Vgl. Brosche: Theater, S. 108–110.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

305

erheblich verbessern würde: Welches letztere, da es der Verfasser dieses aller­ unterthänigsten Pro Memoria natürlich erwarten muss, er werde bei seinem Amte nothwendig viel zu kämpfen […] haben, da man gewiß Gelegenheit suchen wird, gegen ihn manche Beschuldigung bis vor den Thron zu bringen. [Daher mögen] Ihre Majestät geruhen ihm den Weg zu bestimmen, wodurch er seine Vorstellungen ohne Einstreuungen und Hindernisse zu erfahren unmittelbar an allerhöchst Dieselbe bringen möge.1572 Er bat also um einen direkten Dienstweg zum Monarchen, der ihn gegen zukünftige Angriffe schützen sollte und der aus der Zensur eine erhebliche Machtposition gemacht und seine gesamte Karriere befördert hätte. Über diese Eingabe erstattete im Staatsrat Tobias von Gebler Bericht. Er fertigte ein positives Gutachten für den Kaiser an, das allerdings eine Einschränkung enthielt: Ich finde die Vorschläge des neuernannten TheaterCensors von Sonnenfels dem Endzweck wohl angemessen. Es hat jedoch derselbe sich in den Schranken eines Censors zu halten, folglich die bemerkenden Anordnungen dem über die Theater gesetzten Grafen zur weiteren Verfügung anzuzeigen.1573 Joseph II. folgte Geblers Rat und übernahm alle sonnenfelsschen Anregungen außer derjenigen, ihm einen direkten Dienstweg zum Monarchen zu gestatten. Von dieser nicht unerheblichen aber singulären Einschränkung abgesehen gelang es Sonnenfels, dass Zensoramt selbst zu gestalten und somit durch ein Dekret vom 15. März 1770 erheblichen Einfluss auf die Wiener Schaubühne zu erhalten. Die praktische Arbeit, die er als Zensor leistete, hat allerdings nur vereinzelt Niederschlag in den Quellen gefunden. Der Spielplan wurde keinen wesentlichen Veränderungen unterzogen. Die Stücke in denen Felix Kurz als Bernadon auftrat fielen beim Publikum durch, was ältere Darstellungen durch die Entwicklung des Geschmacks, neuere mit dem Verbot des Extemporierens und der Kontrolle durch Sonnenfels erklären.1574 Zwei der sogenannten Bernadoniaden ließ er wegen angeblicher staatsschädigender Inhalte gar nicht zur Aufführung zu und setzte das Verbot auch gegen den Widerspruch d’Afflisios beim Kaiser durch.1575 Nur in einem Fall, dem Theaterstück Die Matrone von Ephesus,1576 wird sein Wirken als Zensor durch einen Brief deutlich.1577 Empfänger ist Johann Wenzel Graf von Spork (1724–1804), geheimer Rat und späterer Appellations- und Kriminaloberge1572 Haider-Pregler: Schaubühne, S. 229f. 1573 Glossy: Theaterzensur, S. 262. 1574 Brosche: Theater, S. 125f. u. Haider-Pregler: Schaubühne, S. 236. 1575 Ebd. u. Zechmeister: Theater, S. 57–61. 1576 Weisse, Christian Felix: Die Matrone von Ephesus, oder Sind alle Witwen so? Ein Lustspiel in Versen in einem Aufzuge, Wien 1770. 1577 Brosche: Theater, S. 126.

306

Der Staatsreformer Sonnenfels

richtspräsident des Königreichs Böhmen, der damals für die Spektakel der Hauptstadt verantwortlich war. Hier zeigt sich ein intensives und sehr detailreiches Eingreifen Sonnenfels’ in den Text und die Intention des Stückes. So werden nicht nur Küsse auf der Bühne, sondern sogar Gespräche über Küsse gestrichen und durch Gespräche über Heiratspläne ersetzt. D’Afflisio legte schließlich ein zweites Mal aus finanziellen Gründen die Pacht für die Wiener Theater nieder. Der ungarische Graf Johann Kohary übernahm daraufhin die Leitung der Wiener Bühnen und das damit verbundene finanzielle Risiko.1578 Er berief einen Ausschuss ein, welcher aktiv in das künstlerische Geschehen auf den Bühnen eingreifen sollte. In diesem Komitee saß Sonnenfels als Zensor gemeinsam mit Kohary, den Theaterintendanten und auch dem Fürsten Kaunitz, welcher die Interessen des französischen Theaters vertrat. Sonnenfels setzte sich hier dafür ein, die Schauspieler zu sorgfältigen Charakterstudien zu ermahnen, authentische Kostüme zu verwenden und die deutsche Sprache im Theater zu fördern.1579 Noch während auf diese Weise die Reform der Bühnen Gestalt annahm, reichte Sonnenfels am 17. März ein weiteres Promemoria beim Kaiser ein.1580 Diesmal forderte er, das Verbot des Extemporierens außerhalb der Stadtgrenzen Wiens auch auf Wandertruppen und Marionettenspiele auszuweiten. Diese Darsteller würden als Partisane des verderblichen Geschmacks die kaiserliche Autorität und die Moral der Bevölkerung gefährden. Wenn durch dieses Verbot mehrere von ihnen arbeitslos würden, da sie nicht über ein Repertoire an regelmäßigen Stücken verfügten, so sei es zum Wohle des Staates, dass sie zu anderen Berufen wechselten. Staatsrat Gebler übernahm erneut die Berichterstattung beim Kaiser und kommentierte: Ich bin demnach der Meinung, dass, gleichwie auch solches in der Polizei Wissenschaft gelehret wird, kein wohl eingesicherter, viel weniger ein christlicher Staat, dergleichen öffentliche Schulen des Unsinns, Grobheit und des Lasters dulden [sollte].1581 Darüber hinaus forderte Gebler alle Arten der Schaustellerei nicht nur Schauspiel, sondern auch Seiltanz und Taschenspieler, sowie Tierdressuren der Genehmigung der Zensur zu unterwerfen und streng zu reglementieren. Dieser erweiterte Antrag wurde von Joseph II. abgelehnt. Die Gründe des Kaisers sind in den Quellen nicht ersichtlich, wahrscheinlich ist jedoch, dass Geblers Ansätze ihm zu weit gingen, da er als Herrscher auch die soziale Bedeutung der Spektakel für die Gesellschaft bedenken musste. Sie boten 1578 Vgl. Hadamowsky: Spectacle, S. 391 u. Glossy: Theaterzensur, S. 27. 1579 Vgl. Haider-Pregler: Schaubühne, S. 233–235. 1580 Brosche: Theater, S. 116f. 1581 Ebd., S. 118.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

307

in Wien ebenso wie auf dem Land Ablenkung von Sorgen und Problemen und schufen einen begrenzten Raum zur Auslebung von Emotionen.1582 Eine Zensur, die auf jedem Dorfe Wirkung zeigen sollte, wäre außerdem praktisch kaum durchführbar gewesen und hätte daher zahlreiche pauschale Verbote ländlicher Unterhaltung bedeutet. Trotz der Ablehnung befand sich Sonnenfels zu dieser Zeit auf dem Höhepunkt seiner Macht in Theaterfragen. Allerdings hatten seine abfälligen Bemerkungen über die Bedeutung des französischen Theaters zu einer zunehmenden Entfremdung vom Staatskanzler Kaunitz geführt.1583 Kaunitz beschwerte sich sogar bei Graf Kohary, der als Pächter den Bühnen Wiens vorstand, über seinen ehemaligen Protegé.1584 Hinzu kam, dass Sonnenfels in einer Mitteilung der Theaterdirektion an das Publikum die von Kaunitz unterstützte französische Bühne nur am Rande erwähnte. Solche Meinungsverschiedenheiten belasteten sein Verhältnis zum Staatskanzler. Ob diese Spannungen Einfluss auf Sonnenfels’ überraschende Entlassung von der Theaterzensur hatten, kann nicht belegt werden. Im Oktober 1770 berichteten Sonnenfels und seine Frau ihren Bekannten, er habe den landesherrlichen Befehl erhalten: sich bei Verlust seines Dienstes weiter nicht in Theatralsachen zu mengen.1585 Entgegen Gerüchten in Wien, über die Eva König in ihren Briefen an Lessing schrieb, ist die Begründung Günther Brosches plausibel, dass die Aufführung des Stückes Die Matrone von Ephesus den Anlass für seine Entlassung darstellte.1586 Dieses Stück war bereits aufgrund seiner Handlung für eine Aufführung unter der noch immer in Trauer um ihren Mann lebenden Maria Theresia problematisch. Daran konnte auch eine intensive Zensur von Details nichts ändern.1587 In der Komödie wird die Geschichte einer jungen Witwe erzählt, die am Grab des Mannes trauert. Überraschend kommt ein junger Soldat hinzu, der ihr Weinen hört, und beide verlieben sich nach kurzem Gespräch ineinander. Der Soldat muss sie aber schon bald verlassen, um auf seinen Posten als Wächter eines Gehängten zurückzukehren. Dort stellt er zu seinem Entsetzen fest, dass in seiner Abwesenheit der Leichnam gestohlen wurde. Ihm droht nun selbst die Todesstrafe. Angesichts dieser Notlage beschließt die Witwe, ihrem neuen Geliebten kurzerhand die Leiche ihres Ehemanns zu übergeben, damit der 1582 Vgl. Tänzer: Spectacle, S. 145, S. 163–166. 1583 Brosche: Theater, S. 123f. 1584 Hierin vermuten mehrere Autoren die Ursache für Sonnenfels’ Entlassung, vgl. Kann: Kanzel, S. 212. u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 106. 1585 Eva König an Lessing am 14. Okt. 1770, in: Schulz: Madam, S. 31. 1586 Brosche: Theater, S. 130–133. Vgl. dagegen: Eva König an Lessing am 22. April 1772, in: Schulz: Madam, S. 170 u. Zechmeister: Theater, S. 50. 1587 Brosche: Theater, S. 126f.

308

Der Staatsreformer Sonnenfels

Galgen am Straßenrand nicht leer bleibe. Nach der Wachablösung kann das neue Paar dann verliebt von dannen gehen. Dieses Stück der betont religiö­ sen Maria Theresia zu zeigen und es mit dem Untertitel Sind alle Witwen so? zu bewerben, war für sie sicherlich ein Grund, ihren Zensor zu entlassen. Die Annahme wird dadurch unterstützt, dass Sonnenfels zwar durch Joseph II., an den er auch seine Promemoria richtete, berufen, aber auf Befehl von dessen Mutter entlassen wurde.1588 Auch sein darauffolgender Rückzug aus dem Theaterleben, der bis nach dem Tode der Monarchin dauerte, deutet darauf hin. Erst in den 1780er Jahren trat er wieder vereinzelt als Kritiker in Erscheinung.1589 So fand seine Theaterkarriere zu Beginn der siebziger Jahre mit der Aufführung neuer Spottstücke und dem Druck neuer Schmähschriften ein vorerst unrühmliches Ende.1590 Auch ehemalige Verbündete wie Gebler oder mit ihm bekannte Schauspieler ergriffen spätestens nachdem die klotzschen Briefe publiziert worden waren nicht mehr für ihn Partei. Sonnenfels’ Ansehen hatte einen vorläufigen Tiefpunkt erreicht. Derartigen Rückschlägen zum Trotz waren er und seine Protegés Retzer und de Luca immer wieder bemüht, die Entwicklung des Wiener Theaters als alleinigen Verdienst des Mannes ohne Vorurtheil darzustellen.1591 Dadurch trugen sie bewusst zu einer Darstellung Sonnenfels’ als Zentrum der Wiener Reform- und Aufklärungsbewegung bei, die nach seiner Entlassung noch zu einer weiteren Auseinandersetzung führte. Die ehemaligen Kontrahenten traten sich erneut gegenüber, diesmal stritten sie allerdings vor dem Publikum darüber, wem der Sieg über den Hans Wurst nun zu verdanken sei. Gebler berichtet darüber in einem Brief an Nicolai: Herr von Sonnenfels ist über den Theatralalmanach sehr ungehalten, weil Heufeld und Klemm […] dem Publikum gesagt haben, dass nicht durch die bis zur größten Unanständigkeit getriebenen Grobheiten einer Aftercritik, sondern durch Benders patriotische Aufopferung eines beträchtlichen Kapitals der Hannswurst verbannet worden, und das die Einführung der dermaligen, auch auf den Unsinn sich erstreckenden Theatralcensur die Frucht anderweitiger sehr 1588 Haider-Pregler: Schaubühne, S. 238. 1589 Zum Beispiel: Sonnenfels, Joseph von: Nach der zweiten Vorstellung der Iphigenia in [!] Tauris, in: Deutsches Museum, Bd. 1 1782, S. 400–416. 1590 Haider-Pregler: Abendschule, S. 347; vgl. Brief Königs an Lessing, in: Schulz: Madam, S. 220. 1591 Vgl. Luca: Österreich, S. 167 u. das Vorwort des Herausgebers Joseph Raag, Hof-Gerichtsadvokat, Dr. der Rechte und Prokurator an der Wiener Universität, für: Sonnenfels: Gelegenheitsreden, S. 18. In diesem Kontext vgl. auch den Neudruck seiner Promemorien bei der Umwidmung des Hof- zum Burg- und Nationaltheater im Jahr 1776; siehe Haider-Pregler: Schaubühne, S. 242.

Schaubühne und Theaterzensur unter Maria Theresia und Joseph II.

309

schweren Bemühungen gewesen sey. […] Er hat daher in der Prager gelehrten Zeitung eine sehr scharffe Kritik über den verhaßten Allmanach eindrucken lassen […].1592 Sonnenfels gelang es, diese Auseinandersetzung für sich zu entscheiden. Dies lag hauptsächlich daran, dass er über das Theater hinaus auch auf anderen Gebieten bekannt und erfolgreich war und besonders durch sein Amt als Lehrer der Polizey- und Kameralwissenschaft generell als wichtiger Mitarbeiter der josephinischen Reformen in Erscheinung trat. Hinzu kam seine Erfahrung als Autor und Redakteur, die sich in zahlreichen, noch zu seinen Lebzeiten verfassten Lobschriften niederschlug, in denen er selbst oder verschiedene Laudatoren die Verbesserung der Schaubühne als seinen alleinigen Verdienst feierten. Außerdem überlebte Sonnenfels seine Gegner um Jahrzehnte, so dass er nach deren Tod seine Sichtweise als Augenzeuge ohne Widerspruch untermauern und dadurch in der Geschichtsschreibung des frühen 19. Jahrhunderts die von ihm angestrebte Rolle als alleiniger Reformator der Wiener Schaubühne und Wegbereiter der Aufklärung einnehmen konnte. Bemerkenswert ist, dass er als Kritiker zunächst in Verbindung mit der Deutschen Gesellschaft in Wien auftrat. Er löste sich jedoch aus diesen Zusammenhängen, um fortan allein zu agieren, wobei sein angriffslustiges Auftreten ihn in Konkurrenz zu seinen früheren Verbündeten brachte. Bereits ein Jahrzehnt vor der josephinischen Broschürenflut konnten dabei eben jene Publikationsformen und intensiven Debatten beobachtet werden, die später so viele Nachahmer finden sollten. Nachdem Sonnenfels begann, sich selbst in den Mittelpunkt der Reformdiskussionen zu stellen, sah er sich aber nicht nur einzelnen Personen, sondern ganzen Netzwerken gegenüber, die jene zu ihrer Unterstützung mobilisierten. So war es seinen Widersachern Klemm und Heufeld gemeinsam mit Wiener Schauspielern möglich, auf der Schaubühne aktiv zu werden und dort dem Publikum ihre Ansichten darzulegen. Sonnenfels musste sich, um diesen Vorteil auszugleichen, selbst um eine stärkere Position in der Debatte bemühen. Er erreichte dies in drei Schritten. Erstens erwarb er sich durch seine erfolgreichen Wochenschriften und durch sein universitäres und literarisches Netzwerk einen Ruf als sachkundiger Theaterreformer. Dies brachte ihm dem Staatsrat von Gebler näher, einem Mann der über hervorragende Beziehungen in der Staatsverwaltung verfügte. In einem zweiten Schritt verschaffte sich Sonnenfels durch seinen Verbindungsmann Gebler bessere Verbindungen zum Monarchen und zu den Regierungsbehörden als sie beispielsweise der Pächter d’Afflisio besaß. An dritter Stelle folgte 1592 Gebler an Nicolai am 12. Feb. 1772, in: Werner: Briefwechsel, S. 29.

310

Der Staatsreformer Sonnenfels

schließlich die allmähliche Bildung eines eigenen Netzwerkes in der Sphäre des Theaters, die zuvor von Klemm und anderen Personen dominiert wurde. Nachdem er seine Forderungen gemäßigt hatte, war Sonnenfels imstande, Schauspieler und Autoren von seinen Ansichten zu überzeugen und ihre Unterstützung für seine Reformziele zu erhalten. Es waren aber letztlich Maria Theresia und Joseph II., die es, vermutlich nicht unbeeinflusst von den genannten Faktoren, Sonnenfels ermöglichten, sein außerdienstliches Engagement in eine offizielle Stellung zu verwandeln. Er schloss so ohne offiziellen Auftrag eine Lücke in der Reformgesetzgebung Maria Theresias, deren frühere Dekrete wirkungslos geblieben waren. Sein Erfolg und sein rascher Sturz zeigen aber auch, dass trotz allen Engagements die Entscheidung über Verlauf und Ergebnis der Reformen letztlich von den beteiligten Monarchen abhing, die selbst über der Debatte standen. Doch auch über das Ende seines Zensoramtes hinaus blieb die exponierte Stellung, in die sich der angriffslustige Kritiker Sonnenfels begab, von großer Bedeutung für seine sozialen Beziehungen. Zum einen stand er mit Wiener Theaterschriftstellern wie Klemm und Heufeld langfristig in Konflikt, zum anderen verschlechterte sich auch sein Verhältnis zum Fürsten Kaunitz, der nach Sonnenfels’ Kritik am französischen Theater mehrere Jahre lang nicht mehr zu seinen Gunsten aktiv wurde. Dass er sich offen gegen die Ansichten des mächtigen Staatskanzlers stellte und seine Beziehung zu ihm riskierte, illustriert abschließend die große Bedeutung, die er der Theaterreform beimaß. Kurzfristig folgte auf seine Entlassung von der Zensur eine deutliche Verschlechterung seiner sozialen Stellung in Wien, was wohl auch durch die zeitnahe Publikation der klotzschen Briefe bedingt war. Mittelfristig erwiesen sich aber seine Verbindungen und seine Popularität als Universitätslehrer, Schriftsteller und Staatsreformer auf anderen Gebieten stark genug, um diese Niederlage zu überdauern. So erwarb und verteidigte er – auch durch Hilfe anderer – den Rang eines Experten für Fragen von Bühnenkunst, Moral, Sprache und Stil.

7.2 Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787 Neben der Theaterreform wird in älteren Darstellungen vor allem die Abschaffung der Folter in Österreich als wichtigstes und beinah alleiniges Verdienst des Joseph von Sonnenfels beschrieben.1593 Diese Einschätzung war wirkungsmächtig genug, um 1866 die Errichtung einer Statue zu begründen, die den Wiener Professor beim Zertreten von Folterinstrumenten 1593 So bei Müller: Sonnenfels, S. 48–81 u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 69–73.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

311

zeigt.1594 Neuere Untersuchungen haben sich bemüht, dieses Bild kritisch zu hinterfragen und daher die Leistungen anderer europäischer Juristen oder den Einfluss Josephs II. in den Mittelpunkt gerückt.1595 Dass diese Reform des Strafrechts keineswegs allein von Sonnenfels ausging, ist daher inzwischen, zumindest in wissenschaftlichen Arbeiten, eine allgemein verbreitete Ansicht.1596 Weit seltener wurde bisher jedoch Sonnenfels’ Beitrag zur Aufhebung der Todesstrafe untersucht, obwohl die Kritik an beiden Aspekten des Rechtswesens für ihn gleich bedeutend war und oft auch an gleicher Stelle betrieben wurde.1597 Der Kampf um eine Reform des Strafrechts, sowohl gegen Folter als auch gegen Todessstrafe, wird daher hier als eine Einheit betrachtet, die sich durch Sonnenfels’ Stellung und Methoden von seiner späteren Mitwirkung an der Gesetzgebung unterscheidet. Seine Reformbemühungen auf diesem Gebiet stellen nach seinem nur kurzzeitigen Zensoramt sein erstes längerfristiges Handeln als Mitglied der niederösterreichischen Regierung und als Staatsbeamter außerhalb der Universität dar. 7.2.1 Folter und Todesstrafe in der Constitutio Criminalis Theresiana (1768) Die rechtliche Grundlage des Strafrechts der österreichischen Erblande bildete zur Wirkungszeit Sonnenfels’ die Constitutio Criminalis Theresiana, die am 31. Dezember 1768 Gesetzeskraft erlangte.1598 Dieses Gesetz war das Ergebnis der Arbeit einer bereits 1752 eingesetzten Kommission, die aus sechs zuvor gültigen Strafgesetzen ein einzelnes erstellte.1599 Ziel war dabei we1594 Ursprünglich stand sie auf der Elisabethbrücke, die über den Wienfluß führte. Sie wurde in der NS-Zeit entfernt und nach Kriegsende auf dem Rathausplatz aufgestellt. 1595 Vgl. Conrad: Strafrechtsreform, S. 73; Deimling, Gerhard: Cesare Beccaria. Die Anfänge moderner Strafrechtspflege in Europa, Wuppertal 1988; Schmoeckel, Mathias: Humanität und Staatsräson. Die Abschaffung der Folter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozess- und Beweisrechts seit dem hohen Mittelalter, Köln, Weimar, Wien 2000, S. 180–183. Als Beleg wird hier meist die europaweit rezipierte folterkritische Schrift Beccaria, Cesare: Dei delitti e delle pene, Mailand 1767 herangezogen. 1596 Dies gilt nicht für populäre Darstellungen, wie Lindner: Sonnenfels, spez. S. 131–134. 1597 Zur Abschaffung der Todesstrafe in Österreich vgl. die herausragende Studie Ammerer, Gerhard: Das Ende für Schwert und Galgen? Legislativer Prozess und öffentlicher Diskurs zur Reduzierung der Todesstrafe im Ordentlichen Verfahren unter Joseph II. (1781–1787), (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Sonderband 11), Wien 2010. 1598 Constitutio Criminalis Theresiana oder der Römisch-Kaiserlichen zu Hungarn und Böheim etc, etc Königlich Apostolischen Majestät Theresiä peinliche Gerichtsordnung, Wien 1768. 1599 Vgl. Wahlberg: Schriften, Bd. 2, S. 115. Bezüglich der alten Strafrechte: Zum einen galt noch die 1532 von Karl V. erlassenen Constitutio Criminalis Carolina; in Österreich unter der Enns die von Ferdinand III. 1656 erlassene Neue peinliche Landgerichtsordnung; im Kö-

312

Der Staatsreformer Sonnenfels

niger eine inhaltliche Reform als vielmehr eine Steigerung der juristischen Effizienz.1600 Das Strafgesetz, das alle seine Vorgänger ersetzte, bestand aus zwei Teilen. Der erste trug den Titel von der peinlichen Verfahrung und der zweite von den halsgerichtsmäßigen Verbrechen insbesonderheit und deren Straffen.1601 Nach einer Definition des Verbrechens als vorsätzlicher Handlung oder Unterlassung folgt im ersten Abschnitt eine Übersicht über das Instrumentarium der Strafen, wobei der Todesstrafe besondere Bedeutung zukam.1602 Im Anschluss daran stehen Bestimmungen zur Zusammensetzung eines Gerichtes und zur Verfahrensweise, bei deren Erörterung die Anwendung der Folter den größten Raum einnimmt. Der erste Teil endet mit einer Reihe von Kupferstichen, auf denen die Anwendung der verschiedenen Formen der Folter dargestellt wird. Der zweite Teil besteht aus einem Katalog der verschiedenen Delikte und einer Aufzählung von fallspezifischen Gründen für die Aufnahme eines Verfahrens, von Bedingungen für die Anwendung der Folter, von Fragen für das Verhör, von mildernden oder erschwerenden Umständen und von den zu verhängenden Strafen. Dabei fällt auf, dass Verbrechen gegen Kirche und Sitten älteren Rechtstraditionen entsprechend an erster Stelle der Aufzählung stehen.1603 In beiden Teilen ist die große Bedeutung augenscheinlich, die Folter und Todesstrafe eingeräumt wird. Die Folter wird definiert als ein Rechtliches Zwangmittel, um einen leugnenden Übeltäther, welcher der verübten That halber stark beschweret ist, in abgang eines vollständigen Beweises zur Bekanntnis zu bringen, oder allenfalls denselben von dem ihme zur Last fallenden Verdacht und Inzichten zu reinigen.1604 Damit erschien sie im damaligen Rechtsverständnis nicht als Strafe, sondern als Instrument der Untersuchung durch ein sogenanntes Blut- oder Halsgericht, welches Delikte verfolgte, die mit dem Tode des Täters geahndet werden konnten.1605 nigreich Böhmen, der Markgrafschaft Mähren und dem Herzogtum Schlesien hingegen die 1701 von Joseph I. erlassene Josephina; in anderen Teilen der Monarchie wurden entweder regional kodifizierte Landesgesetze oder das römische Recht verwendet. Vgl. Domin-Petru­ shevecz, Alphons von: Neuere österreichische Rechtsgeschichte, Wien 1869, hier S. 32. 1600 Zur Arbeit der Kommission und den unterlassenen inhaltlichen Reformen siehe Maasburg, Friedrich Maschek von: Zur Entstehungsgeschichte der Theresianischen Halsgerichtsordnung, Wien 1880 u. Kwiatkowski, Ernest: Die Constitutio Criminalis Theresiana. Ein Beitrag zur theresianischen Reichs- und Rechtsgeschichte, Innsbruck 1903. 1601 Vgl. Einleitung der CCT. 1602 Ebd. 1603 Vgl. dazu auch Domin-Petrushevecz: Rechtsgeschichte, S. 74–78. 1604 CCT, Art. 38 § 1. Vgl. zur Einordnung auch Ogris: Rechtsreformer, S. 64. Unter Inzichten können Hinweise auf die mögliche Schuld eines Verdächtigen im Sinne von heutigen Verdachtsmomenten oder Indizien verstanden werden. 1605 CCT, Art. 18 § 1–2.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

313

Grundlegend für die Arbeitsweise dieser Gerichte war das auf Schriftlichkeit basierende Inquisitionsverfahren.1606 Der oder die Richter übernahmen hier sowohl die Funktion des Anklägers als auch des Verteidigers. Details des Verfahrens, wie beispielsweise Zeugenaussagen, wurden geheim gehalten und auch dem Angeklagten nicht offenbart. Nachdem zunächst im Rahmen der sogenannten Inquisition festgestellt worden war, ob tatsächlich ein Verbrechen verübt wurde und ob es Verdachtsmomente gegen eine bestimmte Person gab, durfte anschließend zur Spezialinquisition, dem eigentlichen Prozess, geschritten werden.1607 Obwohl die Gesetzgeber bemüht waren, durch eine Einschränkung den Übergang zur Spezialinquisition zu begrenzen – Ohne Rechtmäßige Inzichten oder Anzeigungen kann weder mit der Spezial-Inquisition, vielweniger mit der Verhaftnehmung, scharfen Frage oder Aburteilung vorgegangen werden – ließen unklare Bestimmung der Inzichten Freiraum für Willkür.1608 Um einen Angeklagten eines Verbrechens zu überführen, kannte die Theresiana nur zwei Möglichkeiten: Niemand der nicht entweder einer Uebelthat selbst geständig oder derselben überwiesen ist, kann mit der auf die That ausgesetzten ordentlichen Strafe beleget werden.1609 Da allerdings keine genauen Angaben darüber vorlagen, in welchem Fall ein Angeklagter überwiesen und zu verurteilen sei, blieb das Geständnis von zentraler Bedeutung. Im Falle einer Verweigerung des Bekenntnisses trotz Inzichten für die Schuld des Angeklagten konnte daher bei drohender Todesstrafe die Folter zur Anwendung kommen, um Schuld oder auch Unschuld zu beweisen.1610 Um die Anwendung der Folter anzuordnen, mussten die zuständigen Richter ein sogenanntes Beyurteil erlassen, in dem Methoden und Dauer genau bestimmt wurden.1611 Für solch ein Beyurteil war die Berücksichtigung mehrerer Kriterien und das Vorhandensein mehrerer Inzichten not1606 CCT, Art. 25 § 2; Domin-Petrushevecz: Rechtsgeschichte, S. 56 u. S. 71 u. grundlegend Conrad, Hermann: Deutsche Rechtsgeschichte Bd. II: Neuzeit bis 1806, Karlsruhe 1966. 1607 CCT Art. 25–38. Vgl. auch Domin-Petrushevecz: Rechtsgeschichte, S. 67. 1608 CCT Art. 27 § 1. Die CCT gab zwar eine Liste der Anzeigungen und Inzichten vor, wie Ähnlichkeit mit dem Täter, Nähe zum Tatort oder Zeugenaussagen, die Entscheidung, welche von ihnen für eine Spezialinquisition ausreichend waren, lag aber im Ermessen des Richters. Vgl. CCT Art. 27 § 13. 1609 CCT, Art. 32. 1610 CCT, Art. 37 § 10 u. CCT, Art. 38 § 8. Vgl. zur Einschränkung auch Hartl, Friedrich: Humanität und Strafrecht. Zum 200-jährigen Jubiläum der Aufhebung der Folter in Österreich, in: Österreichische Juristenzeitung, Bd. 31 1976, Wien 1976, S. 147–150. 1611 CCT, Art. 38 § 4–5. Die Kombination dieser Elemente blieb dem Ermessen des Richters überlassen. Er allein konnte festlegen, wann die Folter beantragt wurde. Im Falle besonders zahlreicher Inzichten blieb allerdings ausdrücklich zu prüfen, ob nicht bereits ein Beweis vorliege, vgl. CCT, Art. 38 § 3.

314

Der Staatsreformer Sonnenfels

wendig, die für jedes Verbrechen genau erläutert waren. Außerdem mussten persönliche Umstände der Angeklagten beachtet werden. Alter, Geschlecht, Gesundheit und sozialer Status konnten Dauer und Schwere der Folter beeinflussen.1612 Wenn in Anbetracht aller Umstände die Richter ein Beyurteil verfassten, oblag es ihnen allein, die Intensität und Dauer der Befragung nach vernünftigen Ermessen festzulegen. Der richterliche Entschluss musste anschließend von einer höheren Instanz bestätigt werden.1613 Erst danach konnte mit der Folter zur Klärung der Schuldfrage begonnen werden. Artikel 38 der Theresiana beschrieb detailliert die dabei zu beachtende Vorgehensweise sowie die zulässigen Methoden. Der Angeklagte wurde im Beisein mehrerer Schreiber und Ärzte zunächst zweimal unter Androhung der Folter und Demonstration der entsprechenden Werkzeuge aufgefordert, ein Geständnis abzulegen.1614 Verweigerte er dies, wurde gemäß den im Beyurteil angeordneten Graden die Befragung durchgeführt.1615 Zur Anwendung kamen dabei im ersten Grad Daumenschrauben, im zweiten die Schnürung von Gliedmaßen zur Überdehnung der Gelenke oder metallene Beinpressen und im dritten das Aufhängen des Angeklagten an verdrehten Armen mit mehrmaligem ruckartigem Absetzen oder dem Verbrennen seiner Haut. Bei der Anwendung hatten die Knechte sich exakt an das Bey­ ur­teil zu halten und wurden bei dessen Missachtung oder falls sie den Angeklagten demütigten oder schlugen, bestraft.1616 Die anwesenden Ärzte hatten die Aufgabe, die Folter im Falle von Lebensgefahr oder drohender permanenter Schäden zu unterbrechen.1617 Signalisierte der Angeklagte Bereitschaft zum Geständnis, so wurde das Verhör unterbrochen. Gestand er tatsächlich, war die Untersuchung beendet; tat er dies nicht, wurde die Folter fortgesetzt. Die Dauer der Anwendung der jeweiligen Grade war allerdings im Gegensatz zu den Methoden selbst nicht genau definiert und bot wiederum dem Richter Spielraum. Dabei galt der Grundsatz, dass das Verfahren an einem Tag abgeschlossen sein sollte, wenn der Angeklagte ein Christ und noch nicht vorbestraft war.1618 1612 CCT, Art. 38 § 11. 1613 CCT, Art. 38 § 19 u. zur Genehmigung CCT, Art. 38 § 28. 1614 CCT, Art 38 § 9, § 12 u. § 14–16. 1615 Die Theresiana beinhaltet zwei Gradsysteme der Folter, die sog. Prager und die Wiener Tortur. CCT, Art. 38 § 17 allgemein u. § 18 zur Folter mittels Beinpresse. Vgl. Hartl: Humanität, S. 148. 1616 CCT, Art. 38 § 32. 1617 CCT, Art. 38 § 20. 1618 CCT, Art. 38 § 13. In anderen Fällen, spez. bei Vorstrafen war eine bis zu dreitägige Folter möglich.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

315

Wenn der Angeklagte während des Verhörs gestand, so musste er diese Aussage nach einigen Tagen der Erholung bestätigen. Weigerte er sich, so galt das Geständnis als nie gegeben und die Folter wurde, sofern sie nicht abgeschlossen war, fortgesetzt oder erneut angeordnet. Insgesamt galt dabei: Über dreimal soll keiner torquiert, sondern […] los und ledig gesprochen werden, weil er sich von den vorigen Inzichten durch die ausgestandene Tortur gereinigt hat.1619 Die zahlreichen Einschränkungen und die große Sorgfalt, mit der dieses Untersuchungsmittel in der Theresiana geregelt wird, verweist auf eine durchaus zwiespältige Haltung der Gesetzgeber, die im Gesetz selbst zum Ausdruck kommt: Gleichwie nun die Tortur an sich selbst eine Sache von äusserster Wichtigkeit und unersetzlichem Nachteil ist.1620 Neben der in der Theresiana kodifizierten Theorie sind zwei Aspekte bezüglich der Praxis anzumerken: Erstens wurde die Folter nur selten angewendet; ein 1775 erstelltes Gutachten des Vizepräsidenten der Obersten Justizstelle über die vorangegangenen Jahre belegt, dass in gesammten ihrer May. Erblanden des jahrs kaum 30 Delinquenten torquiret werden.1621 Zweitens brachte die Anwendung kaum nachvollziehbare Erfolge, wie im Falle Innerösterreichs deutlich wird.1622 Binnen 25 Jahren wurden dort 35 Personen unter der Folter verhört. Lediglich neun von ihnen legten ein Geständnis ab. Dies bedeutet, dass selbst wenn die neun Geständnisse wahrheitsgemäß wären, entweder bis zu 26 Unschuldige gefoltert oder bis zu 26 Schuldige trotz Folter nicht überführt werden konnten. Im Gegensatz zur Folter handelte es sich bei der Hinrichtung nicht um einen Teil des Untersuchungsprozesses, sondern um eine Strafe für einen überführten Verbrecher. In der Theresiana nimmt sie als schwerste Strafe besonders großen Raum ein und wird im zweiten Teil des Gesetzes für eine Vielzahl von Delikten wie Mord, Landesverrat, Fälscherei, aber auch Gotteslästerung und Ehebruch vorgeschrieben.1623 Nicht nur durch die auf der katholischen Sittenlehre basierende Auswahl der Tatbestände, sondern durch die angegebenen Zwecke der Todesstrafe wird die Theresiana als eine Kompilation älteren Rechts kenntlich. Primär sollte sie dem Staat Genugtuung 1619 CCT, Art. 38 § 28. 1620 CCT, Art. 38 § 10. Der so begonnene Paragraph leitet zu den Einschränkungen der Tortur über. 1621 Kwiatkowski: Theresiana, S. 33. 1622 Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 45. 1623 Hier ist anzumerken, dass die Todesstrafe in der Praxis bei kleineren Delikten wie erstmaligen Diebstählen abweichend von der Norm eher selten verhängt wurde, vgl. Hoegel: Strafrecht, S. 67. Zur Bedeutung der Todesstrafe in der Theresiana und zu alternativen Strafformen vgl. Ammerer: Schwert, S. 38–48.

316

Der Staatsreformer Sonnenfels

für den geleisteten Verstoß gegen die Ordnung gewähren und erst sekundär eine abschreckende Wirkung auf potentielle Straftäter entfalten.1624 Die Todesstrafe wurde gemäß Artikel 5 der Theresiana in eine schwerere und eine gelindere unterschieden. Die Erstere wurde in Ausnahmefällen angewendet und umfasste Verbrennen, Vierteilen oder Rädern. Die zweite, die in Erhängen oder Enthaupten bestand, stellte hingegen den Regelfall dar.1625 Im Falle erschwerender Tatumstände konnte die Todesstrafe nach Ermessen des Richters noch durch zusätzliche Schmerzen oder die Verweigerung eines christlichen Begräbnisses verschärft werden.1626 Wie schon bei der Folter wurde auch hier im Vergleich zur vorherigen Gesetzgebung versucht, durch Beschränkungen mildernd zu wirken: Das Ertränken, das Schinden, das lebendig Vergraben, das lebendige Pfählen etc., wie auch das Vierteilen und Radbrechen der Weibsbilder sind in diesen Landen […] künftig nicht zu gebrauchen.1627 Auch die praktische Umsetzung der in der Theresiana kodifizierten Verordnungen brachte im Zuge der Regierungszeit Maria Theresias schon bald Entschärfungen. So konnten zum Tode Verurteilte um eine landesfürstliche Begnadigung zu langjährigen Haftstrafen bitten, welche die Kaiserin in mehreren Fällen gewährte.1628 Trotz aller Milderungen stand die Beibehaltung von Folter und Todesstrafe im Widerspruch zu den aktuellen Reformdebatten in Europa. Zum Zeitpunkt der Kundmachung des neuen Gesetzes war die Folter in Preußen, Dänemark, Schweden, England und Sachsen abgeschafft und Katharina II. plante angeblich ihre Aufhebung in Russland.1629 Wenn auch Frankreich, Spanien und Bayern die Folter weiterhin anwendeten, so blieb die Theresiana doch das letzte Strafgesetz Europas, welches sie als reguläres 1624 CCT, Art. 4 § 2. Bei anderen Strafen wird als erster Zweck die Besserung des Täters angegeben. 1625 CCT, Art. 5f. Im weiteren Verlauf wurde darauf hingewiesen, dass Frauen nur durch das Schwert und nicht durch den Galgen zu richten seien. Bzgl. dieser Hinrichtungsarten vgl. Dülmen, Richard van: Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München 1985, S. 97–120 u. Evans, Richard J: Rituale der Vergeltung, die Todesstrafe in der deutschen Geschichte. 1532–1987, Hamburg 2001, [Übers. aus d. Engl.: Rituals of Retribution. Capital Punishment in Germany 1600–1987, Oxford 1996], S. 98–135. 1626 CCT, Art. 5 § 3. u. Art 4 § 4. Davon abgesehen konnte der Richter nach eigenem Ermessen auch weitere Verschärfungen und zusätzliche Sonderstrafen verhängen. Dies regelt CCT, Art. 7. 1627 CCT, Art. 5 § 5. 1628 Zu dieser Praxis: Kwiatkowski: Theresiana, S. 41f. u. S. 47. Sie basierte auf CCT, Art. 5 § 7. Vgl. Domin-Petrushevecz: Rechtsgeschichte, S. 60. Die Haft sollte eigentlich lebenslänglich dauern, war aber oftmals nach 10 Jahren beendet. 1629 Vgl. Kann: Kanzel, S. 188. Vgl. insg. Schmoeckel: Humanität u. zur Übersicht Unterkalmsteiner, Elsbeth: Folter und Tortur. Zum Diskurs um die Strafrechtspraxis in Österreich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, Dipl. Innsbruck 2002, S. 111f.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

317

Rechtsmittel vorsah.1630 Die Todesstrafe war im Gegensatz dazu zwar nicht vielerorts abgeschafft, aber oft auf wenige Delikte und eine einzelne Hinrichtungsart beschränkt worden. Die Kritik Sonnenfels’ und anderer österreichischer Beamter an der Theresiana stand somit vor dem Hintergrund einer europäischen Reformbewegung. 7.2.2 Sonnenfels’ Kritik an der Rechtsordnung – und ihre Konsequenzen Die Reformbedürftigkeit des Strafrechts der habsburgischen Erblande war ein zentraler Gegenstand der Ausführungen des ersten Wiener Professors für Polizey- und Kameralwissenschaften. Drei Jahre vor Verkündung der Theresiana, als die diesbezüglichen Beratungen bereits weitgehend abgeschlossen waren, veröffentlichte Sonnenfels die erste Auflage des von ihm auf kaiserlichen Befehl erarbeiteten neuen Lehrbuchs.1631 Für ein akademisches Publikum legte er bereits in diesem Frühwerk die Grundlagen seiner Straftheorie dar. Er folgte dabei, wie in seinem Lehramt generell, den bestehenden europäischen Diskursen, deren Argumente er zusammenfasste und auf die Gegebenheiten der Erblande bezog. Strafe wurde von ihm folgendermaßen definiert: Die Strafe ist ein Uebel der Empfindung, wegen der Bosheit der Handlung. Ihr Endzweck ist durch die Vorstellung des Uebels der Empfindung von der Bosheit der Handlung abzuhalten. […] Selbst bei Todesstrafen wird dieser [Endzweck] nicht aus den Augen verloren.1632 Hiermit bestätigt er teilweise die in der Endredaktion befindliche Theresiana, widerspricht ihr aber zugleich, da er die dort genannte Genugtuung des Staates als Zweck der Strafe nicht mehr anführte. Aus seiner Definition leitet Sonnenfels ein grundlegendes strafrechtliches Prinzip ab, um den von ihm postulierten Endzweck der Strafe erreichen zu können: Diejenige Strafe wird der wirksamste abhaltende Beweggrund seyn, welche das der Bosheit der Handlung gerade entgegengesetzte Uebel der Empfindung verhänget.1633 Betrüger seien daher am besten mit Geldstrafen, Duellanten mit Ehrenstrafen zu bedrohen, um eine größtmögliche Abschreckung zu erzielen. Seiner Theorie folgend seien Strafen generell nach der Stärke des Eindrucks zu bewerten, den sie auf potentielle Verbrecher haben. Der Todesstrafe, der wie beschrieben große Bedeutung im Rechtssystem zukam, attestiert Sonnenfels aus empirischen Gründen nur geringe Wirkung: 1630 Conrad: Sonnenfels, S. 6. 1631 Sonnenfels: Sätze (1765). 1632 Sonnenfels: Sätze (1765), S. 305. Sonnenfels gibt an, diese Definition von Grotius übernommen und dann verbessert zu haben. Zu Sonnenfels Straflehre und deren Kontext vgl. Ammerer: Schwert, S. 223–225. 1633 Ebd., S. 306. Vgl. dazu Ogris: Strafrecht, S. 672.

318

Der Staatsreformer Sonnenfels

da […] unter der Vollstreckung des Urteils selbst Diebstähle begangen werden.1634 Die Vermutung, der Verlust des Lebens sei für Straftäter eine besonders abschreckende Strafe, negiert er dahingehend, dass viele Verbrecher aufgrund der Art ihres Lebens den Tod nur wenig fürchten. Für sie gelte, dass ihre Abscheu vor Arbeit […] größer als die Furcht des Todes ist […]. Die Arbeit ist [für solche Personen] ein größeres Uebel als der Tod selbst.1635 Die Todesstrafe erfülle daher den Endzweck der Strafe nur ungenügend. Sonnenfels ergänzt sein Argument mit der populationistischen These, dass der Verlust eines Untertanen, selbst eines Verbrechers, für den Staat in jedem Falle schädlich sei, denn: die Todesstrafe raubt dem Staate […] einen Menschen, dessen Arbeitsamkeit ihm nutzbar seyn könnte.1636 Mit solch einer Ausführung schloss er sich eng an die Konzepte seines Förderers von Borié an. Beide Argumente führt er zu folgender Synthese: Wenn also der Gesetzgeber statt der Todesstrafe auf große Verbrechen eine schwere lebenslange Arbeit aussetzte; so würde dadurch sowohl der abhaltende Beweggrund wirksamer, als die Strafe selbst für das gesamte Wohl der Gesellschaft nützlicher werden.1637 Diese Sichtweise stellt seine Begründung für eine Rechtsreform dar, in der allein der Nutzen für den Staat und keineswegs humanitäre oder ethische Gründe gegen eine Bestrafung mit dem Tode angeführt werden. Die Publikation dieses Buches und seine Verbreitung an den Universitäten blieben zunächst ohne Konsequenzen, da die Ausführungen in vornehmlich universitären Kreisen rezipiert wurden. Schon 1767 änderte sich dies allerdings. Am 12. Mai verteidigte Franz Georg von Keeß – wie beschrieben – öffentlich Sonnenfels’ Thesen gegen Folter und Todesstrafe.1638 Diese Disputation zog für Sonnenfels eine offizielle Anklage durch die Studienhofkommission nach sich, da seine Lehre einen Widerspruch zur bestehenden Rechtsordnung darstellte. Wie bereits geschildert, wurde die Klage mit Hilfe des Staatskanzlers Kaunitz und des Staatsrates Blümegen abgewendet, die beide betonten, dass es sich um eine Disputation handle und somit lediglich um Thesen, die in ähnlicher Form schon häufig erörtert worden seien.1639 1634 Sonnenfels: Sätze (1765), S. 306. Der an dieser Stelle kurz angesprochene Aspekt der Besserung des Straftäters wird nicht noch einmal erwähnt. Da die Alternative zur Todesstrafe lebenslange Zwangsarbeit darstellte, ist davon auszugehen, dass unter Besserung im Sinne Sonnenfels’ keine Resozialisierung, sondern die Verwendung des Verurteilten für den allgemeinen Nutzen verstanden wird. 1635 Ebd. 1636 Ebd. 1637 Ebd., S. 307. 1638 Vgl. Kap. 4.1.3. 1639 Vgl. ebd. u. auch Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 62.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

319

Sonnenfels selbst reichte aufgrund der Vorwürfe im folgenden Jahr eine umfangreiche – im Kontext seiner universitären Karriere bereits erwähnte – Verteidigungsschrift ein, in der er ausführte, mehr nutzen zu können, wenn er über den Idealzustand eines Staates lehren dürfe, anstatt nur bestehende Einrichtungen zu beschreiben.1640 Sein Antrag wurde von Kaunitz, aber auch vom dem Leiter der Bücherzensurkommission Gerhard van Swieten unterstützt. Am Ende der Debatte stand die nicht nur für seine universitäre Lehre, sondern auch für seine Beteiligung an der Reform des österreichischen Strafrechts bedeutende kaiserliche Erlaubnis vom November 1767: dass er nach denjenigen Grundsätzen, welche er für die ächten hält, arbeiten […] solle.1641 Die Publikation und öffentliche Disputation seiner Grundsätze seien aber einzuschränken und von der Zensur zu überwachen. Im Schutz dieser Anordnung gab Sonnenfels 1768 die zweite, stark veränderte Auflage des ersten Bandes seines Lehrbuches Über die Polizeywissenschaft heraus.1642 Hier äußert er sich in Ergänzung der ein Jahr zuvor verteidigten Lehrsätze ausführlich über die Folter und ist bemüht ihren Nutzen in Frage zu stellen.1643 Er stellt die These auf, dass das auf der Folter abgegebene Geständniß zur Verurtheilung unzureichend, dass die Zwangfrage nur der schwachen Unschuld gefährlich, nur dem starken Schuldigen günstig ist.1644 Zur Begründung führt er an, dass die Tortur der Physis des Angeklagten einen Einfluss auf das Urteil einräume und kräftige Verbrecher gegenüber schwachen Unschuldigen bevorzuge.1645 Die gängige Rechtspraxis, das Geständnis in Anbetracht der Unzulänglichkeit der Folter später erneut bestätigen zu müssen, ist nach Sonnenfels keine Lösung des Dilemmas.1646 Die Angst, bei einem Widerruf erneut gefoltert zu werden, würde den Wahrheitsgehalt der Aussage verzerren. Allein die Notwendigkeit, ein unter der Folter gegebenes Geständnis noch einmal bekräftigen zu müssen, sei bereits ein Eingeständnis der Unzuverlässigkeit dieses Untersuchungsmittels. 1640 AVA StudHK Kart. 16 Konv. 27 ex 1767, Fol. 187r.–192r. o.D.; vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 132f. 1641 AVA StudHK Kart. 16 Konv. 27 ex 1767, Fol. 183r.; vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 132. 1642 Die folgenden Passagen der zweiten Auflage wurden auch in späteren Ausgaben beibehalten. Vgl. die Paragraphenfolge in Sonnenfels: Polizey. 1643 Mit der Folter beschäftigen sich im Wesentlichen § 165–169. Nur in der ersten Auflage von 1768 haben diese Paragraphen bei gleichem Inhalt die Nummer 80 bis 84. Im Folgenden wird nach der für die Mehrheit der Auflagen gebräuchlichen Paragraphenordnung zitiert, welche bis 1848 bestand hatte. 1644 Sonnenfels: Polizei, § 165. 1645 Ebd., § 168. 1646 Ebd., § 166

320

Der Staatsreformer Sonnenfels

Sonnenfels sieht einen weiteren klaren Hinweis darauf, dass die Strafrechtsbehörden selbst die Unzulänglichkeit der Folter erkennen, in dem richterlichen Recht, unabhängig vom Ergebnis des Verhörs Sonderstrafen verhängen zu können.1647 Die Existenz dieses Sonderrechtes lasse den Zweck der Folter absurd erscheinen entweder zum Geständnisse zu zwingen oder von den beschwerenden Inzichten zu reinigen. Wo nun keines aus beiden erhalten wird, war sie eine zwecklose Grausamkeit.1648 Allerdings erörtert Sonnenfels an dieser Stelle auch Fälle, in denen er eine Anwendung der Folter für nützlich und rechtlich vertretbar hält. Bedingung dafür ist, dass der Gefolterte bereits der Tat vollständig überführt worden und verurteilt sei. Wenn er sich nun weigere, Mitschuldige zu benennen oder Informationen über Gefahren für Staat und öffentliche Ordnung preiszugeben, dann gelte: Die Folter wäre hier das Vertheidigungsmittel von Seite des gemeinen Wesens, ein befürchtetes Uebel abzuwenden.1649 Da sie in solch einem Fall nicht Teil des Untersuchungsprozesses, sondern eine Strafe für die Verweigerung einer Aussage sei, träfen seine eigenen Argumente nicht mehr zu. Bezüglich der Strafen, denen er ein eigenes Kapitel widmet, ergänzt er seine Ausführungen von 1765 dahingehend, dass die Verhältnismäßigkeit von Verbrechen und Strafe stets zu beachten sei, um Mitleid der Untertanen gegenüber den Delinquenten zu vermeiden.1650 Dadurch könne die Sympathie des Volkes gegenüber der Gesetzgebung vergrößert werden. In einem Vergleich verschiedener Strafen bekräftigt er erneut die Abschreckungswirkung der Zwangsarbeit und deren Nutzen für den Staat.1651 Die überarbeitete Neuauflage des Lehrbuchs erhielt ein ausdrückliches Lob Josephs II. und wurde, wie erwähnt, an allen Universitäten der Monarchie verwendet.1652 Die universitären Verbindungen Sonnenfels’ und sein akademisches Netzwerk konnten so wirksam werden und seinen Beitrag zur Reformdebatte verbreiten, wodurch er den Status eines Experten in Fragen der Strafrechtsreform erwarb. Gerade zu dieser Zeit wurde die Theresiana endgültig ausgefertigt und zur Verkündung vorbereitet. Noch bevor sie in Kraft treten konnte, kam es bereits zum Widerspruch des Staatskanzlers Kaunitz, der in einem Gutachten vom 22. Januar 1769 kritisierte: dass man dem Beispiel der Engländer und anderer gesitteter Nationen zuwider den barbarischen Gebrauch der Tor1647 Ebd., § 167. 1648 Ebd., § 169. 1649 Ebd. 1650 Vgl. zur Bestätigung der Ausführungen von 1765 §§ 352–558, zur Ergänzung § 362. 1651 Ebd., §§ 382–385. 1652 Arneth: Maria Theresia, S. 207.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

321

tur nicht gänzlich abgeschafft […] auch sogar die ganze scharfrichterliche Manipulation in Kupfern vorgestellt und solche einer Kriminalordnung einverleibt hat, dessen erstes Blatt den verehrungswürdigen Namen ihrer Majestät enthält.1653 Der Widerspruch des ranghöchsten Ratgebers der Kaiserin und weiterer Mitglieder des Staatsrats brachte die Monarchin dazu, die Veröffentlichung der Theresiana vorerst auszusetzen und eine Beratung darüber anzuordnen.1654 Noch bevor es aber dazu kam, zog Kaunitz seinen Widerspruch mit der Begründung zurück, er habe nicht gewusst, dass lediglich eine Kompilation älteren Rechts vorgesehen sei und eine Rechtsreform erst später erfolgen solle.1655 Danach trat die Theresiana an die Stelle der bisherigen Strafgesetze und wurde zugleich als Lehrbuch für den juristischen Unterricht an den Universitäten verwendet.1656 Sonnenfels’ Lehre stand nun auf einmal nicht nur gegen die althergebrachte Rechtspraxis, sondern in offenem Widerspruch zur neuesten Gesetzgebung der regierenden Monarchin. Im Jahr 1772 reagierte die Hofkanzlei auf diesen Gegensatz und erwirkte ein kaiserliches Dekret gegen Sonnenfels:1657 Es sey vorgekommen, dass noch immerfort einige Sätze aus den politischen Wissenschaften, welche den publicirten höchsten Gesetzen schnurstracks zuwiderlaufen, und in sich selbst anstössig sind, als z. B. Sätze, worinnen die Tortur verworfen und andere, worin alle Todesstrafen gegen alle göttlichen und menschlichen Gesetze gemissbilliget werden, ungeachtet solche schon vor einigen Jahren geahndet und abgeändert worden und dennoch gelehrt und gedruckt werden.1658 Dieselben Vorwürfe wurden auch anderen Lehrern der Polizey- und Kameralwissenschaft gemacht, die wie Ignaz de Luca von Sonnenfels ausgebildet worden waren und gemäß dessen Lehrbuch dozierten.1659 Maria Theresia 1653 Zit. nach Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 42/43 u. Conrad: Sonnenfels, S. 6. 1654 Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 42; vgl. auch Blinder/Suchomel: Keeß, S. 33. 1655 Ebd., S. 58; vgl. auch Arneth: Maria Theresia, S. 200. 1656 Vgl. Domin-Petrushevecz: Rechtsgeschichte, S. 55 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 166. 1657 Neuere Autoren verwenden dieses Dekret ohne Datum, vgl. Ogris: Rechtsreformer, S. 64 u. Kann: Kanzel, S. 189. Nur die älteren Darstellungen geben den 22. Aug. 1772 an, vgl. Feil: Sonnenfels, S. 22. Sonnenfels selbst bestätigt das Datum: AVA StudHK Kart. 16 Konv. 34 ex 1772, Fol. 251r.–264v. Rechtfertigung des Sonnenfels, hier Fol. 251r. Zur Verantwortung der Hofkanzlei für das Dekret vgl. HHStA Staatsratsprot. 1966 ex 1772 Resolution auf den Vortrag der Böhm. O Kanzley vom 8. August. 1658 Das Dekret publizierte Sonnenfels in seiner Abhandlung über die Tortur, vgl. Sonnenfels, Joseph von: Ueber die Abschaffung der Tortur, Zürich 1775, unv. Ndr. Zürich 1970, hier S. 92f. Der Inhalt wird in Quellen bestätigt bei: AVA StudHK Kart. 16 Konv. 34 ex 1772, Fol. 242–249r. Gutachten Blümegens, hier Fol. 242v. u. 243r. 1659 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 186.

322

Der Staatsreformer Sonnenfels

befahl aus diesem Grunde: sowohl dem Sonnenfels, als die übrigen Personen der Polizey Wissenschaften anzuweisen, den Gegenstand von Aufhebung der Todes-Strafen in ihren Sätzen nicht zu berühren.1660 Sonnenfels, der in Anbetracht der Unterstützung, die er bereits 1767 gegen die Anklage der Studienhofkommission erhalten hatte, um die ambivalente Haltung der Kaiserin und der ranghohen Beamten gegenüber seiner Lehre wusste, wandte sich umgehend in einer ausführlichen Stellungnahme direkt an Maria Theresia.1661 Wie es ihm gelungen war, ihr seine Eingabe persönlich zukommen zu lassen, ist aus den Quellen nicht ersichtlich. Da er dazu keine offizielle Berechtigung hatte, halfen ihm dabei möglicherweise persönliche Verbindungen, wie die zum Hofrat Greiner, der das Vertrauen der Monarchin besaß. Flankiert wurde sein Schreiben von einer Beschwerde seines ehemaligen Schülers und Kollegen de Luca.1662 Darin beklagte jener die Eingriffe der Zensurbehörde in seine Schriften, die doch nur den bereits kaiserlich belobigten Ausführungen seines ehemaligen Lehrers folgen würden und unterstützte ihn somit auch im Namen anderer Kollegen. In seiner eigenen Verteidigungsschrift argumentiert Sonnenfels mit dem kaiserlichen Befehl von 1767, laut dem er die idealen Grundsätze der Staatswissenschaft und nicht nur die derzeitigen Gegebenheiten lehren solle.1663 Wie es auch schon Kaunitz und Blümegen 1767 zu seiner Verteidigung getan hatten, legt er dar, dass Folter und Todesstrafe allgemein in ganz Europa Gegenstand von Disputationen und Kritik seien. Explizit geht er auf den Vorwurf ein, er habe die Todesstrafe verworfen und betont zu seiner Verteidigung, dass er sie als prinzipielles Recht des Monarchen stets verteidigt habe und lediglich eine eingeschränkte Anwendung empfehle.1664 Nach dieser Erklärung geht Sonnenfels dazu über, Maria Theresia unmittelbar den Kern seiner Strafrechtslehre darzulegen: Das Beyspiel einer lebenslangen schweren Arbeit, die Verlängerung eines mühsamen qualvollen Lebens wird mächtiger und die Art der Strafe für das gesamte Wohl der Gesellschaft nützlicher seyn.1665 Den Höhepunkt seiner Argumentation bildet ein Appell, sich 1660 HHStA Staatsratsprot. 1966 ex 1772 Resolution auf den Vortrag der Böhm. Ö Kanzley vom 8. August. 1661 Sonnenfels’ Eingabe ist vollständig abgedruckt im Anhang des Ndr. von Sonnenfels: Tortur. Sie stimmt in dieser Fassung wörtlich überein mit der Quelle: AVA StudHK Kart. 16 Konv. 34 ex 1772, Fol. 251r.–264v. Aufgrund der besseren Verfügbarkeit des Druckes wird hier jener zitiert. 1662 Vgl. AVA StudHK Kart. 16 Konv. 34 ex 1772, Fol. 242r.–249r. Gutachten Blümegens, hier Fol. 246r. 1663 Sonnenfels: Tortur, S. 97–100. 1664 Ebd., S. 104–106. 1665 Ebd., S. 107f.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

323

der europäischen Reformentwicklung anzuschließen:1666 […] geruhen Sie, zur Erörterung […] eine Untersuchung anzuordnen, wobei die Vertreter der Folter und Todesstrafe […], ihre Gründe vorlegen und dasselbe dann auch mir erlaubt sein möge. Das Ziel der Untersuchung sei kein anderes als die Wahrheit, die Überführung auf einer oder der andern Seite und die Beruhigung eurer Majestät!1667 Er bat also nicht nur darum, das an ihn ergangene kaiserliche Schweigegebot ignorieren zu dürfen, sondern ersuchte stattdessen um eine zentrale Position in einer Untersuchung der Folter und Todesstrafe. Maria Theresia forderte ihn auf, sich mit dieser Schrift an den Staatsrat und Obersthofkanzler Heinrich von Blümegen zu wenden, der ihr darüber unter Umgehung weiterer Instanzen ein Gutachten anfertigen solle.1668 Durch die Auswahl Blümegens als Gutachter traf sie allerdings bereits eine tendenzielle Entscheidung, da jener sich bereits 1767 zugunsten Sonnenfels’ als sachverständiger Gegner der Folter hervorgetan hatte. Wenn auch über diese vorherige Kooperation hinaus keine Verbindungen zwischen ihm und Sonnenfels nachvollziehbar sind, so ist doch von einer grundsätzlichen Übereinstimmung beider Männer auszugehen. Blümegen legte sein Gutachten am 4. Dezember 1772 vor:1669 Ich wäre dahero des unmaßgebigsten Erachtens, dass zwar der Sonnenfels überhaupt wegen des durch die angezogene Verordnung ihm gleichfalls angeschuldeten Ungehorsams sich ganz wohl, und um so mehr gerechtfertiget habe.1670 Die Professoren sollten wie bisher fortfahren dürfen, wobei aber auf öffentliche Disputation der fraglichen Sätze aus Gründen der Ordnung verzichtet werden sollte. Die Bitte nach einer Untersuchung der Theresiana lehnte Blümegen allerdings ab, da dies in die Zuständigkeit der Obersten Justizstelle falle und das neue Gesetz nach langer Kodifikationsarbeit erst seit kurzem in Kraft sei. Dennoch sei es ratsam den Antrag mit kaiserlichem Wohlwollen zu kommentieren, da Sonnenfels’ Ausführungen ihn prinzipiell überzeugen würden.1671 Die Kaiserin folgte der Empfehlung, womit die Diskussion vorerst beendet schien und die Theresiana bestätigt wurde.1672 In dieser Entwicklung ist erkennbar, dass Sonnenfels bereits kurz nach Antritt seiner Professur begann, Kritik an der Strafrechtsordnung zu üben 1666 Ebd., S. 114. 1667 Ebd., S. 116. 1668 Vgl. AVA StudHK Kart. 16 Konv. 34 ex 1772, Fol. 242r.–249r. Gutachten Blümegens, hier Fol. 242r. 1669 Vgl. ebd. 1670 Ebd., Fol. 247v. u. Fol. 248r. 1671 Ebd., Fol. 249r. u. Fol. 249v. 1672 Vgl. HHStA Staatsratsprot. 2882 ex 1772 vom 4. Dez. 1772 Resol. auf Nota des obersten Kanzlers Grafen von Blümegen.

324

Der Staatsreformer Sonnenfels

und dies auch über die Verkündung der Theresiana hinaus fortsetzte. Dabei konnte er auf die Hilfe seines Netzwerkes aus Schülern und Kollegen bauen, die sogar bereit waren, Strafen zu riskieren. Außerdem wurde er zusätzlich von ranghohen Beamten unterstützt, die bisher nicht als seine Förderer in Erscheinung getreten waren. Dies legt nahe, dass er für Männer wie Blümegen als Symbolfigur ihrer eigenen kritischen Haltung gegenüber dem neuen Strafgesetz angesehen wurde, zumal niemand innerhalb der österreichischen Länder die Theresiana mit einer vergleichbaren Intensität oder Wirkung kritisierte.1673 Seine Theorien waren Grundlage der Ausbildung zukünftiger Beamter, hatten sich zweimal gegen Anklagen durchgesetzt und wurden im Rahmen seiner Schutzschrift schließlich der Herrscherin selbst präsentiert, die sogar ihr Wohlwollen darüber äußerte.1674 Die Haltung Maria Theresias erscheint in diesem Zusammenhang als überaus zwiespältig und von ihren jeweiligen Ratgebern abhängig. Einerseits bewilligte sie die Theresiana und verbot Sonnenfels sie zu kritisieren, kurze Zeit später aber war sie andererseits bereit, ihm ihre Anerkennung auszusprechen. Diese schwankende Haltung legte den Zeitgenossen nahe, dass bereits wenige Jahre nach Verkündung des neuen Gesetzes eine Reform des Strafrechts möglich war. 7.2.3 Erste Erfolge der Foltergegner – Sonnenfels wendet sich ans ­Publikum Bereits kurz nachdem von kaiserlicher Seite versucht worden war, die Debatte um die Folter zu beenden, wurde sie durch eine bisher unbeteiligte Institution erneut angefacht. Die medizinische Fakultät der Wiener Universität erstellte ein Gutachten über die gesundheitlichen Auswirkungen

1673 An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass – wie erwähnt – besonders der Arbeit des italienischen Untertanen der Habsburgermonarchie Cesare Beccaria: Dei Delitti e delle pene eine große Bedeutung als Grundlage für Strafrechtsreformen in Österreich beigemessen wird. Diese in ganz Europa beachtete Schrift hatte aber zehn Jahre nach ihrem Erscheinen 1765 noch keinen nachweisbaren Effekt auf die Gesetzgebung in Österreich erzielt und war auch nicht offizielles Lehrbuch der Universitäten. Sie diente zwar vermutlich Sonnenfels als Grundlage seiner Arbeit, war aber für ihn auch Gegenstand kritischer Abgrenzung. Dass diese Schrift bei anderen Personen als Gegenstand privater Studien Auswirkungen auf ihre Entscheidungen hatte, ist sehr wahrscheinlich, aber nicht zu belegen. Für eine Einordnung und einen Vergleich der Schriften Beccarias und Sonnenfels siehe Ammerer: Schwert, S. 49–61. 1674 Der Behauptung von Kopetzky: Sonnenfels, S. 213. Sonnenfels sei deswegen zum Regierungsrat berufen worden, ist anhand der Quellen allerdings zu widersprechen. Die Beförderung erfolgte bereits 1770/71.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

325

mehrtätiger Folter.1675 Jene Praxis, im damaligen Sprachgebrauch Intercalartortur genannt, verzerre die Untersuchungsergebnisse erheblich, da sie für körperlich schwache Angeklagte eine unerträgliche Belastung bedeute; außerdem vergrößere sich das Risiko permanenter gesundheitlicher Schädigungen. Maria Theresia reagierte auf dieses Gutachten am 22. August 1773 mit einer Resolution: Der Befund der medicinischen Facultaet bewegt Mich, ­diese Intercalar-Tortur gänzlich aufzuheben; ohne neue Kundmachung jedoch muss diese Abänderung lediglich den Ober-Gerichten zu ihrem Verhalt bedeutet werden.1676 Hier zeigt sich, dass sie trotz ihrer grundlegenden Reformbereitschaft nicht so weit ging, öffentlich die Notwendigkeit von Verbesserungen am erst kürzlich publizierten Strafgesetz einzugestehen. Eben diese ambivalente Haltung hatte sich bereits im Umgang mit Sonnenfels gezeigt. Neben dessen Eingaben von 1772 und dem neuen Gutachten von 1773 sprachen auch Erfahrungen aus der Rechtspraxis gegen die Folter. Besonders zwei Fälle einer folgenschweren Folterung von Unschuldigen weckten die Aufmerksamkeit der Wiener Bevölkerung.1677 Zum einen wurde ein Wiener Bürger namens Anton Wöllner zu Unrecht des Mordes angeklagt und bei Anwendung der Folter verkrüppelt. Als Entschädigung erhielt er ein kleines Fuhrwerk und das lebenslange Recht, innerhalb der Stadtgrenzen zu betteln. So stand er den Wienern noch jahrelang an belebten Plätzen als Exempel für die Folterung Unschuldiger vor Augen. Zum anderen wurde das Dienstmädchen Agnes Reinhard eines Diebstahls im Hause ihrer Herrschaft bezichtigt und starb an den Folgen der Folter. Erst später stellte sich heraus, dass der vermisste Wertgegenstand gar nicht gestohlen, sondern nur verlegt worden war. Die Rezeption beider Fälle führte dazu, dass viele Bürger eine negative Haltung zur von Sonnenfels bereits öffentlich verworfenen peinlichen Befragung einnahmen. 1675 HHStA Staatsratsindex Prot. 2335 ex 1773. Vgl. Arneth: Universität, S. 43 u. Ogris: Rechtsreformer, S. 65. Sie wurde besonders im Falle mehrmals widerrufener Geständnisse angewendet. 1676 Arneth: Maria Theresia, S. 578 u. Wahlberg: Schriften Bd. II, S. 270. Die Abschaffung der Intercalartortur führte in der Folge zu zahlreichen Anfragen der Gerichte, wie im Falle widerrufener Geständnisse zu verfahren sei. Vgl. HHStA Staatsratsprot. 2457 ex 1775 Vortrag der obersten Justizstelle vom 29. Sept. 1775. Die Debatte darüber, ob Widerrufsfolter vom Dekret auszunehmen sei, wurde bis zur Aufhebung der Tortur 1775 durch eine kaiserliche Randbemerkung vertagt, vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 44. 1677 Mehrere Autoren führen dies sogar als wesentlichen Grund für die Strafrechtsreform an. So Müller: Sonnenfels, S. 135, der von zwei nicht näher genannten Missgriffen spricht. Kopetzky schildert stattdessen einen Vorfall, bei dem einem Angeklagten die Hand abgerissen worden wäre. Kopetzky: Sonnenfels, S. 214. Vgl. für diese Beispiele: Hartl: Humanität, S. 149.

326

Der Staatsreformer Sonnenfels

Maria Theresia reagierte auf diese Entwicklung mit einem Dekret vom 19. November 1773: Die mehreren Anstände, die wegen der Tortur noch immer gereget werden, erfordern allerdings, diesen für den Staat so wichtigen Gegenstand einer weitern Betrachtung noch zu unterziehen, damit Ich in Ansehung dieser Criminal-Ausmessung fortan mich beruhiget finden möge. […] Es ist daher […] das Gutachten abzufordern, ob nicht allenfalls die Tortur gänzlich aufzuheben, oder auf was für species delicti sie etwa zu beschränken, und was für anderweite Vorsehung in solchem Fall anzuordnen und zu substituieren wäre?1678 Das gewünschte Gutachten sollte sowohl vom Staatsrat als auch von der Obersten Justizstelle und allen Landesregierungen erstellt werden, was einen ungewöhnlichen Verwaltungsaufwand bedeutete.1679 Bemerkenswert ist, dass alle diese Behörden den Auftrag erhielten, lediglich über Beschränkung oder Aufhebung der Folter zu entscheiden, nicht aber über ihre Beibehaltung. Die Bewertung des Dekrets ist in der Forschung widersprüchlich. Einerseits wird die Wirkung von Sonnenfels’ Eingaben betont, andererseits eher diejenige des medizinischen Gutachtens und der Rechtspraxis.1680 Dazu ist anzumerken, dass zwar Formulierungen im kaiserlichen Dekret und der sonnenfelsschen Argumentation Ähnlichkeiten aufweisen, aber seiner zentralen Forderung nicht nachgegeben wurde.1681 Die von ihm gewünschte Untersuchung wurde zwar angeordnet, er selbst erhielt aber darin keineswegs eine zentrale Rolle, sondern durfte sich lediglich als eines von mehreren Mitgliedern der niederösterreichischen Regierung äußern. Man kann aber zumindest davon ausgehen, dass Sonnenfels’ Eingabe von 1772 und die Unterstützung, die ihm dafür von Kollegen und ranghohen Verwaltungsbeamten zuteil wurde, dazu beitrug, die Reformdebatte am Leben zu erhalten und voranzubringen. Die praktische Umsetzung des Befehls und das Erstellen der Gutachten nahm bereits auf der Ebene der Landesregierungen mehr als ein Jahr in Anspruch.1682 Vielerorts lagen Meinungsverschiedenheiten zwischen Befürwortern und Gegnern der Folter vor, wodurch das Verfahren in die Länge gezogen wurde. Die Landesregierungen trafen Mehrheitsentscheidungen, die teilweise 1678 HHStA Staatsratsindex 2564 ex 1773; vgl. Arneth: Maria Theresia, S. 579. 1679 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 168. 1680 Zwei Pole der Forschung bilden Ogris: Rechtsreformer, der das medizinische Gutachten nicht erwähnt und den Verdienst bei Sonnenfels sieht und Hartl: Humanität, welcher Sonnenfels’ Arbeit bis 1773 ignoriert und allein medizinische Gründe gelten lässt. 1681 So bspw. die Erwähnung des Zieles der Beruhigung des Monarchen als Grund für eine Untersuchung. 1682 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 168. Zum jeweiligen Ergebnis siehe: Kwiatkowski: Theresiana, S. 33f. u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 44.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

327

für eine Einschränkung, teilweise für eine völlige Aufhebung der Folter ausfielen. Die Regierung Niederösterreichs, in der Sonnenfels als Referent für Fragen der Polizey tätig war, gab mit ihrem späten Mehrheitsbeschluss den Ausschlag.1683 Entgegen seinen Vorstellungen votierte sie für eine Beibehaltung der Folter im Strafverfahren. Daraufhin legte er dem Gutachten seiner Regierung als Vertreter der überstimmten Minderheit ein Votum separatum bei, in dem er seine Argumente gegen die Folter zusammenfasste.1684 Nach Abschluss der Beratungen auf Landesebene äußerten sich zwei Zentralbehörden, die Oberste Justizstelle und der Staatsrat. Erstere meldete am 2. Mai 1775 den mehrheitlich getroffenen Beschluss gegen die völlige Aufhebung der Tortur.1685 Allerdings hätten die Beratungen ergeben, dass auch die Todesstrafe einer Überprüfung zu unterziehen sei, denn wenn die Todes-Strafe vermindert würde, so […] könne der Richter sparsamer mit Verhängung der Tortur fürgehen.1686 Die Mitglieder des Staatsrats waren hingegen in ihren Einzelgutachten wie auch die Länderbehörden verschiedener Ansicht.1687 Das Beispiel des Staatsrates Friedrich Binder von Krieglstein (1708–1782) deutet dabei auf die Reichweite der sonnenfelsschen Argumentation hin: Was die Tortur selbst und überhaupt anbelanget, ist schon oft vorgestellet worden, wie wenig dieselbe, außer, wo es sich von der Namhaftmachung der Mitschuldigen handelt, mit einer gesunden Polizey überein komme und wie unverläßig ein auf solche Art erzwungenes Geständniß zu achten sei.1688 Da Sonnenfels als einziger bekannter Autor diese Ausnahme zur Beibehaltung der Folter vertrat und sich dadurch von anderen europäischen Rechtsreformern unterschied, kann hier von der Kenntnis seiner Thesen in höchsten Kreisen ausgegangen werden. Eine mögliche Verbindung ist in diesem Fall dadurch gegeben, dass Binder zum Umfeld der Reformbeamten um den Staatkanzler Kaunitz gehörte. Es folgte eine mehrwöchige Beratung mit dem Ziel, einen Kompromiss zu erarbeiten, der dann am 23. Juli zwischen Staatsrat und Oberster Justizstelle erörtert wurde und die fortlaufende, aber eingeschränkte Verwendung der Folter im Kriminalverfahren vorsah.1689 1683 Vgl. zu Sonnenfels’ Ernennung Osterloh: Reformbewegung, S. 139 u. Kap. 7.3. 1684 Dies Votum ist publiziert als Sonnenfels: Tortur, 1775. 1685 Kwiatkowski: Theresiana, S. 33. 1686 Ebd. 1687 Vgl. zu diesem Widerspruch Hartl: Humanität, S. 149. 1688 Vgl. Kwiatkowski: Theresiana, S. 34 u. Unterkalmsteiner: Folter, S. 100. Wenn dieses Zitat auch exemplarisch für die Reichweite der Thesen steht, so war der Vorschlag, zur Ermittlung von Mittätern die Folter zuzulassen, nicht mehrheitsfähig. Zu Binder vgl. Benedikt, Heinrich: Binder von Krieglstein, Friedrich, in: NDB, Bd. 2, S. 244. 1689 Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 45.

328

Der Staatsreformer Sonnenfels

Bevor Maria Theresia darüber entscheiden konnte, unterbrach Sonnenfels das Verfahren. Sein Votum Separatum, das angeblich in Zürich gedruckt worden war, gelangte in den Wiener Buchhandel.1690 In dieser Schrift gab er einen durch seine eigene Sicht gefärbten Überblick über die Argumentation für und wider die Folter und bezog ausführlich und in allgemein verständlicher Weise Stellung. Die Publikation dieses Votums in der Schlussphase der Debatte bildet die Grundlage für die vornehmlich von der älteren Forschung aber auch in neueren Überblicksdarstellungen vertretene Annahme, dass Sonnenfels von zentraler Bedeutung für die Aufhebung der Folter gewesen sei. Die Druckfassung des Votums besteht aus drei Teilen: Einem Vorwort des Herausgebers, dem Votum Separatum und der älteren bereits erwähnten Schutzschrift von Sonnenfels aus dem Jahre 1772. Das Vorwort des Herausgebers, der sich nur FUC nennt, leitet in den Text ein.1691 Er gibt an, dass dieses Werk anlässlich der Beratungen in der niederösterreichischen Regierung verfasst und danach ohne Wissen des Autors abgeschrieben und publiziert worden sei. Außerdem sei die Debatte als Ganzes allein auf die im Anhang abgedruckte Rechtfertigung Sonnenfels’ zurückzuführen, aufgrund derer Maria Theresia eine Untersuchung der Folter befohlen habe. Diese Angabe FUCs erscheint allerdings angesichts der verschiedenen Einflüsse, die 1772 und 1773 für eine Überprüfung der Tortur sprachen, wenig glaubwürdig. Sie ist in ihrer Übertreibung vielmehr ein weiterer Baustein der parallel zu seinen tatsächlichen Leistungen entstehenden öffentlichen Figur „Sonnenfels“. Einmal mehr erscheint er hier als einsamer Mittelpunkt der österreichischen Reformbewegung, obwohl er in seinem eigentlichen Votum selbst neben seiner Schrift eine Reihe trauriger Erfahrungen und das medizinische Gutachten benennt, die den Entschluss der Kaiserin beeinflusst hätten.1692 In seinem Votum widmet er sich einer grundlegenden Untersuchung der Geschichte und Zweckmäßigkeit der Folter und einer knappen Präsentation der angeblichen Argumente ihrer Befürworter, bevor er nach deren ausführlicher Widerlegung kurz mögliche Alternativen erörtert. Ausgehend von einer immer stärkerer Regulierung im Laufe der Rechtsgeschichte stellt er die 1690 Sonnenfels: Tortur. Im unveränderten Nachdruck der Quelle und in allen Akten wird als Erscheinungsort Zürich angegeben. In der Sekundärliteratur finden sich aber dennoch zwei unbegründete andere Angaben. Zum einen Leipzig, vgl. Kann: Kanzel, S. 190 zum anderen Monaco bei Strub, Bettina: Der Einfluss der Aufklärung auf die Todesstrafe, Diss. Zürich 1973. Der genaue Zeitpunkt der Veröffentlichung ist unbekannt. Da aber Sonnenfels Anfang August angeklagt wurde, ist vom Erscheinen der umstrittenen Schrift etwa von Mitte Juni bis Mitte Juli auszugehen. 1691 Sonnenfels: Tortur, S. 3–8. 1692 Ebd., S. 10f. u. S. 25.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

329

Folter als ein Mittel des Strafverfahrens dar, das die Gesetzgeber selbst nur mit Misstrauen verwenden würden.1693 Er bezweifelt angesichts der bisherigen Erfahrungen den Nutzen der Folter: Wird daher der Untersuchte zum Geständnisse gebracht, so beweißt dasselbe keineswegs, dass er ein […] Verbrechen gewiß begangen habe; das allein beweist es, er habe der Gewalt der Streckung, der Schraubung, der mannigfaltigen Martertarten nicht mehr widerstehen können.1694 Diese Problematik sei seiner Ansicht nach auch den derzeitigen Gesetzgebern bekannt, wie er durch Nennung der zahlreichen Einschränkungen der Folter belegt.1695 Einen fatalen Höhepunkt habe diese Sorge um das Wohlergehen der Beschuldigten in der Dienstweisung für Richter, stets den schwächsten Angeklagten zuerst zu befragen, um die Anwendung der Folter möglichst kurz zu halten: kraftvolle Muskeln, die Nerven eines Pferdes, […] werden also einen Bösewicht nicht nur auf der Folter retten, sondern auch vor der Folter! Es ist also die Schwachheit hauptsächlich, gegen welche der Angriff des Richters gerichtet ist, nicht die Bosheit, nicht das Laster!1696 Darüber hinaus würde die Rechtspraxis immer wieder zeigen, dass die Folter keine Sicherheit bei den Urteilen bringe, weswegen bereits zahlreiche Monarchen ihre Aufhebung befohlen hätten.1697 Sonnenfels schlussfolgert daher, dass die Folter aus dem Rechtsverfahren gänzlich zu verweisen sey.1698 Auf seine Beweisführung, die sich keineswegs auf humanitäre Gründe sondern lediglich auf die Frage nach dem Nutzen der Folter stützt, folgt eine Reihe angeblicher Argumente zugunsten der Folter, die er entsprechend den Ausführungen in seinen Lehrbüchern widerlegt. Diese Inszenierung einer Debatte erlaubt ihm, sich als einen überlegenen Diskutanten und Gelehrten darzustellen. Dabei befürwortet er erneut die Folterung von bereits rechtskräftig Verurteilten im Falle akuter Gefahr für Staat und öffentliche Ordnung.1699 Gegen Ende seiner Ausführungen wendet er sich direkt an Maria Theresia: Der größte Ruhm der Gesetzgeber ist in dem Selbsterkentnisse, dass ihre Entschlüssungen die Rathschläge eines Menschen sind und daher 1693 Ebd., S. 11–19. Ihre Ursprünge schildert er im römischen Recht, bevor sie vor allem im Zuge der Eroberung der neuen Welt zu großer Bedeutung aufgestiegen sei und erst im Laufe der letzten Jahrhunderte in Europa selbst verbreitet worden wäre. Zum Misstrauen der Gesetzgeber vgl. ebd., S. 18, wo er die CCT zitiert. 1694 Ebd., S. 22. 1695 Ebd., S. 19–27. 1696 Ebd., S. 34. 1697 Ebd., S. 42. u. S. 34–42. 1698 Ebd., S. 49f. 1699 Ogris: Rechtsreformer, S. 79–84. Obwohl dies in Teilen der Forschungsliteratur nur als ein Manöver gewertet wird, blieb Sonnenfels dieser Ansicht weit über das Ende der Folter hinaus treu und wiederholte sie bis zur Wende zum 19. Jahrhundert, vgl. Ogris: Strafrecht, S. 688.

330

Der Staatsreformer Sonnenfels

Verbesserungen nötig haben. Selbst durch diese Berathschlagung, in welche ihro Majestät die Freymüthigkeit ihrer Räthe über eines von dero Gesetzen auffordern, geben sie den Beweis, dass ihre große Seele über die Bedenklichkeiten der kleinen Ruhmsucht hinwegsieht; dass nicht unveränderte Gesetze, aber gute zu geben ihre preiswürdige Absicht ist.1700 Hierauf folgt noch die kurze Schilderung eines alternativen Strafverfahrens, bei dem Kreuzverhöre durch spezialisierte Ermittler und eine gründliche Beweisaufnahme die Anwendung der Folter überflüssig machen könnten.1701 Diesem Votum war, wie erwähnt, die Wirkung in der niederösterreichischen Regierung versagt geblieben, da Sonnenfels nicht vermochte, eine Mehrheit der Räte von seinen Ansichten zu überzeugen. Zum Zeitpunkt der Drucklegung waren die Beratungen ohnehin bereits abgeschlossen und es stand lediglich noch der Beschluss der Zentralbehörden aus. Dennoch wurde Sonnenfels auf Initiative der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei angeklagt, gegen das Amtsgeheimnis verstoßen und Fakten aus einer vertraulichen Regierungsdebatte veröffentlicht zu haben.1702 Seine Publikation wurde sofort beschlagnahmt und mit einem vorläufigen Verbot belegt.1703 Laut der Anklage stelle die Schrift nicht nur eine Indiskretion, sondern auch ein Dilemma für die weitere Arbeit der Hofkanzlei dar, da eine eventuelle Aufhebung der Folter nun vom Publikum zu unrecht als Sonnenfels’ Verdienst angesehen werde.1704 Wie schon bei der Theaterreform zeigt sich hier, dass nicht nur die unmittelbare Gestaltung von Reformen, sondern auch die Frage, wem der Verdienst dafür zukommt, für den erfahrenen Selbstdarsteller Sonnenfels ebenso wie für andere Akteure große Bedeutung besaß. Am 4. August forderte die Hofkanzlei die Oberste Justizstelle auf, ein Ermittlungsverfahren zu beginnen und Sonnenfels entweder die Drucklegung oder zumindest sträfliche Nachlässigkeit im Umgang mit vertraulichen Dokumenten nachzuweisen. Maria Theresia stimmte dem Antrag zu und am 23. September 1775 wurde Sonnenfels einem Verhör durch drei Hofräte der Justizstelle unterzogen.1705 1700 Sonnenfels: Tortur, S. 78. 1701 Ebd., S. 84–89. 1702 Wahlberg: Schriften, Bd. II, S. 265. Hier wird angedeutet, dass die Argumente, die er seinen Gegnern in den Mund legt, auch tatsächlich von diesen verwendet wurden. Vgl. zum Verfahren: HHStA Staatsratsprot. 2509 ex 775 Vortrag der obersten Justiz Stelle vom 25. Sept. 1775. 1703 Vgl. Conrad: Sonnenfels, S. 11 u. Wahlberg: Schriften, Bd. II, S. 271, der betont, dass die Ausführungen Sonnenfels’ inhaltlich nicht in Zweifel gezogen wurden. 1704 Ebd., S. 265f. 1705 Ein Teil des inzwischen zerstörten Verhörprotokolles ist zitiert bei Arneth: Maria Theresia, S. 579f.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

331

Ihm drohte dabei, wie der Fall seines ersten Substituten Zahlheim gezeigt hatte, der Verlust aller Dienst- und Ehrenämter.1706 Er sagte aus: Er habe es nicht in Druck legen lassen; zum beweiß dessen dienete die Vorrede. […] Ferners seye ihm sehr unlieb, dass dieses sein votum in druck erschienen. […] Er wisse auch nicht, wer es zum Druck befördert habe und die Vorrede sey so grammaticalisch geschreiben, dass er dessen Verfasser nicht erathen ­könne.1707 Er gestand allerdings, seine Schrift mehreren Personen ausgeliehen zu haben, die auch Zeit genug gehabt hätten, Abschriften davon anzufertigen. Dies sei dann aber, wie er mehrmals betont, ohne sein Wissen geschehen. Die ermittelnden Beamten meldeten aufgrund seiner Aussage am 25. September 1775, dass kein indicium vorhanden seye, mitelst welchen jener, der den druck veranlasset, entdecket werden könne.1708 Dennoch seien dem Angeklagten Uebereilung und Ruhmsucht vorzuwerfen, die ihn zu Indiskretionen verleitet hätten. Die Ermittler schlossen mit dem Hinweis, dass eine schwere Strafe dafür übertrieben sei und es sich empfehle, lediglich eine Ermahnung auszusprechen. Maria Theresia folgte dem Vorschlag und befahl außerdem, die konfiszierten Ausgaben des Votums außer Landes schaffen zu lassen.1709 Obwohl die Untersuchung keinen Beweis dafür ergab, wird von Teilen der Forschung Sonnenfels’ selbst die Initiative der Drucklegung zugesprochen.1710 Dies wiederum führt zu unterschiedlichen Interpretationen, mittels derer entweder seine Verdienste oder sein ruhmsüchtiger Charakter betont werden sollen. Einen Beweis dafür, dass er die Schrift selbst publizierte, gibt es nicht, wenn auch verschiedene Indizien dafür sprechen. So nahm er das Votum in seine gesammelten Schriften auf, kombinierte es genau wie in der Druckfassung mit seiner Schutzschrift von 1772, und bezeichnete letztere ebenso wie zuvor der Herausgeber FUC als ein Muster dafür, wie ein Untertan seine Sache vor dem Thron vertreten könne. Auch war es für Sonnenfels durchaus üblich, sich bei dem ungünstigen Verlauf einer Debatte oder bei eigener Nichtbeteiligung entweder selbst oder durch lancierte Schriften an die lesende Öffentlichkeit zu wenden. Hierbei könnten ihm auch einer seiner Schüler wie etwa de Luca, Retzer oder sein Verleger Kurzböck, die auch andere seiner Werke publizierten, als Herausgeber beigestanden haben. Dass 1706 Vgl. Kap. 4.1.2. 1707 Arneth: Maria Theresia, S. 579. 1708 Ebd., S. 580 u. Wahlberg: Schriften, Bd. II, S. 268. 1709 Vgl. zum Verweis: HHStA Staatsratsprot. 2509 ex 775 Resolution zum Vortrag der obersten Justiz Stelle vom 25. Sept. 1775 und zur Entfernung der Bücher HHStA Staatsratprot. 3113 ex 775 Vortrag der Böhmisch Ö Kanzley [ vom 1. Dez. 1775] Resol. Ad 3tium. 1710 Vgl. Conrad: Sonnenfels, S. 11.

332

Der Staatsreformer Sonnenfels

er einer Verbreitung seiner Schrift grundsätzlich nicht entgegenstand, zeigt sich in seiner Aussage, er habe sie an zahlreiche Personen verliehen und Abschriften zugelassen. Sonnenfels wusste als stadtbekannter Autor um die Wirkung einer solchen Schrift auf die in der ersten Jahreshälfte noch keineswegs entschiedene Debatte. Seine Erfahrungen bei der Theaterreform ließen die Wendung an die lesende Öffentlichkeit Wiens als Chance erscheinen, die Reform angesichts seiner Niederlage in der niederösterreichischen Regierung doch noch in seinem Sinne voranzubringen. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht, denn obwohl Rezensenten im Reich sein Votum lobten, blieb es ohne nachweisbare Wirkung auf die in den Zentralbehörden andauernden Verhandlungen.1711 7.2.4 Die Abschaffung der Folter und das Aussetzen der Todesstrafe: Der Weg zum neuen Strafgesetz von 1787 Noch bevor die Debatte zwischen Oberster Justizstelle und Staatsrat abgeschlossen war, bezog Joseph II. mit einem Gutachten für seine Mutter vom 22. August Stellung: Ich muss bekennen, dass ich in meiner Ueberzeugung die Aufhebung der Tortur nicht allein für ein billiges und unschädliches, sondern als ein notwendiges Mittel ansehe. Ich wäre also ohne Scheu mit Auslöschung derselben aus der Nemesis Theresiana vorzugehen einverstanden.1712 Er führte im weiteren Verlauf des Schreibens aus, dass er außerdem eine Aufhebung der Todesstrafe und deren Umwandlung in Zwangsarbeit befürworte, da auf diese Weise der Staat Nutzen aus der Bestrafung ziehen könne. Welche Einflüsse den jungen Kaiser zu seiner Stellungnahme brachten, kann nicht genau gesagt werden. Ob ihn die Arbeit seines Erziehers Johann Christoph Bartenstein (1690–1769), der ihn Schriften gegen die Folter lesen ließ, die Lektüre von Beccarias berühmtem Werk Dei delitti e delle pene oder doch die Kenntnis der von ihm gelobten sonnenfelsschen Lehrsätze beeinflusst hatte, kann nicht ermittelt werden. Wahrscheinlich ist vielmehr ein Zusammenspiel aller Faktoren.1713 In Anbetracht der unter den Zentralbehörden noch immer schwelenden Meinungsverschiedenheiten antwortete Maria Theresia auf das Gutachten ihres Sohnes mit der Notiz: Ich ersuche den Kayser, der die Jura studirt hat, 1711 Exemplarisch: Köhler, J. B.: Sonnenfels, J. v.: Ueber die Abschaffung der Tortur, Rezension, in: Allgemeine deutsche Bibliothek, 27. Bd. 2. St., S. 351–360. Vgl. Ogris: Rechtsreformer, S. 61–68. 1712 Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 45. Zur Einstellung Josephs II. zur Folter und Todesstrafe und Einflüssen darauf Conrad: Strafrechtsreform, S. 59. 1713 Conrad: Strafrechtsreform, S. 64f. betont, dass die Ansichten Josephs II. zwischen denen Beccarias und Sonnenfels’ lagen.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

333

noch mehr, auf dessen billigkeit, einsicht und menschenlieb trauend, er möge dies werck decidirn ohne meine consilia, da ich es gar nicht verstehen und nur nach denen mehren stimmen decidieren könnte.1714 Die Übertragung der alleinigen Entscheidungsgewalt, die auf Anraten des Staatskanzlers Kaunitz, eines bekannten Gegners der Folter, vollzogen wurde, stellte angesichts Josephs klarer Linie allerdings bereits eine Entscheidung dar.1715 Insofern war es indirekt doch Maria Theresia, die mit dieser Aufforderung die bald folgende Abschaffung der Folter bewirkte. Der Kaiser berief ein Gremium aus je vier Mitgliedern des Staatsrats und der Obersten Justizstelle ein, das am 2. Dezember mit der Beratung begann. Erneut kam es zu keiner Einigung, bis am 21. Dezember der mit der Materie vertraute Graf von Blümegen hinzugezogen wurde.1716 Seine Stimme gab den Ausschlag für die völlige Abschaffung der Folter. Der Kaiser leitete das Ergebnis der letzten Abstimmung mit dem Entwurf einer Kundmachung an seine Mutter weiter. Maria Theresia stimmte am 2. Januar 1776 zu:1717 Die peinliche Frage seye nach dem in mehreren Staaten schon Vorgegangenem Beyspiel, ohne einigen Vorbehalt allgemein aufzuheben […].1718 Allerdings sollte diese Anordnung nicht offiziell verkündet werden, um keinen Anreiz für Kriminelle entstehen zu lassen.1719 Die Aufhebung der Folter hatte aber eine Lücke in der Gesetzgebung verursacht, die den Umgang mit der Theresiana überaus schwierig machte. Die Kaiserin befahl daher auf Anraten der Obersten Justizstelle, möglichst bald eine entsprechende Umarbeitung des Kriminalgesetzes vorzunehmen.1720 Diese Änderung kam aber zu ihren Lebzeiten nicht mehr zustande, so dass Unsicherheiten und häufige Anfragen von Gerichten an die Justizstelle die Folge blieben. Diese Vorgänge liefen ohne eine nachweisliche Beteiligung Sonnenfels’ ab. Ihr Ergebnis, die völlige Abschaffung der Tortur, widersprach sogar seiner 1714 Das genaue Datum wird nicht genannt, muss aber kurz nach dem Gutachten Josephs II. angesetzt werden. Zitiert nach Kann: Kanzel, S.  190; vgl. Conrad: Strafrechtsreform, S. 58. Dort wird auch der Anhang zitiert, welcher dem Kaiser freistellt Rechtsgelehrte hinzuzuziehen. 1715 Vgl. Kann: Kanzel, S. 163 u. Szabo: Kaunitz, S. 184. 1716 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrath, S. 46; u. Kwiatkowski: Theresiana, S. 34f. 1717 Ogris: Rechtsreformer, S. 65. Die wörtliche Übereinstimmung des Auftrages der Kaiserin mit den vorher geäußerten Ansichten ihres Sohnes wird deutlich im Vergleich mit Strub: Aufklärung, S. 158 und Hoegel: Strafrecht, S. 73. 1718 HHStA Staatsratsprot. 1485 ex 1775 Resolution auf den Vortrag der obersten Justizstelle vom 6. Juni 1775. Die Abschaffung der Folter in Ungarn folgte ca. ein Jahr später. 1719 Vgl. Moos, Reinhard: Der Verbrechensbegriff in Österreich im 18. und 19. Jahrhundert. Sinn und Strukturwandel, Bonn 1968, S. 117. 1720 HHStA Staatsratsprot. 62 ex 1776.

334

Der Staatsreformer Sonnenfels

Lehre, in der er bis ins 19. Jahrhundert Ausnahmen vorsah. Er war, obwohl er explizit darum ersucht hatte und mehrere ranghohe Beamte seine Arbeit mit Wohlwollen verfolgten, nicht in eine beratende Kommission berufen, sondern lediglich als Mitglied einer Landesregierung konsultiert worden. Dennoch ist davon auszugehen, dass seine ständige kritische Betrachtung der strafrechtlichen Verhältnisse im Unterricht für angehende Staatsbeamte dazu beitrug, dass Mitte der siebziger Jahre keine klare Mehrheit mehr für die Beibehaltung der Folter gefunden werden konnte. Bei seinen Bemühungen, sich in der Debatte zu positionieren, nutzte Sonnenfels mehrere der bisher vorgestellten sozialen Beziehungen, wie seine universitären Kontakte und verband sie mit seiner Erfahrung und seinem Rang als wissenschaftlicher und populärer Autor.1721 Doch all das reichte nicht, um in diesem von deutlich ranghöheren Beamten geprägten Verfahren eine entscheidende Stellung einzunehmen. Solch eine interne Regierungsdebatte besaß einen gänzlich anderen Charakter als die offen diskutierte Theaterreform, bei der Sonnenfels durch Appelle an die Öffentlichkeit seine Eingaben bei den Monarchen erfolgreich unterstützen konnte. Außerdem war die Theaterreform weitaus weniger umstritten. Es scheint, dass er trotz seines Ansehens und seines Rufs als Akademiker zu dieser Zeit nicht als wichtig genug galt, um in dieser Frage gleichrangig mit Staatsräten oder Hofräten der Obersten Justizstelle agieren zu können. Der Versuch, selbst oder durch Verbündete, seine Ansichten durch eine Publikation an die Öffentlichkeit zu tragen, erschien daher als ein unstatthafter Eingriff und wurde ohne Einspruch anderer Foltergegner geahndet. Dies alles steht im Widerspruch zu dem Bild des erfolgreichen Einzelkämpfers gegen die Folter, das Sonnenfels von sich zeichnete.1722 So führte er bereits in seiner kurzen Autobiographie von 1777 an: Doch die Folter ist abgeschafft. […] Die Narben der Wunden, die man in Vertheidigung der guten Sache empfängt, sind Ehrenzeichen.1723 Auch die Neuauflage des Votum Separatum in den Gesammelten Schriften verzichtet nicht auf Eigenlob. Hierbei erhielt er, wie auch in seiner angeblichen Rolle als alleiniger Reformer des Theaters, Unterstützung durch sein universitäres Netzwerk.1724 Der Gegensatz zwischen der Geheimhaltung des wirklichen Verfahrens einerseits und der öffentlichen Präsenz Sonnenfels’ als Lehrer und Autor andererseits, verliehen seiner Darstellung der Dinge Glaubwürdigkeit. Wie sehr er 1721 Selbst wenn die Schrift ohne sein Wissen erschien, so profitierte sie dennoch von seiner Bekanntheit beim Wiener Publikum und besonders bei Rezensenten außerhalb der Erblande. 1722 Ogris: Rechtsreformer, S. 63. 1723 Sonnenfels: Herz, S.16. 1724 Vgl: Luca: Österreich, S. 177f. u. Wersack: Verdienste, S. 19f.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

335

darum bemüht war, seinen Einsatz ins rechte Licht zu rücken, wird durch seine abwertenden Äußerungen über Cesare Beccaria deutlich, den Autor der damals europaweit rezipierten und gefeierten folterkritischen Schrift Dei delitti e delle pene.1725 Mehrfach betonte er, sich schon lange vor Beccaria gegen die Folter geäußert zu haben und kritisierte, dass jener nur Lob dafür erhalte, an einem bequemen Ort ohne Gefahr das zu sagen, wofür er selbst mit schweren Strafen bedroht worden sei.1726 Aus seiner Selbstdarstellung, die in solchen Bemerkungen, seinem Votum und dessen Vorwort zum Ausdruck kam, formte die Historiographie des 19. Jahrhunderts gewissermaßen einen Mythos vom einsamen Kämpfer gegen die Folter.1727 Man griff sogar Gerüchte auf, wie die Erzählung Sonnenfels habe sein Votum auf dem Schoße der Kaiserin verlesen und diese dermaßen zu Tränen gerührt, dass sie gegen den Widerspruch ihrer ranghohen Ratgeber die Folter abschaffte. Doch auch in neueren Überblicksdarstellungen zeigt Sonnenfels’ Selbstdarstellung noch gelegentlich Wirkung.1728 Dass die Reform des Strafrechts mit der Aufhebung der Tortur noch nicht abgeschlossen war, kommt im Dekret vom 2. Januar 1776 zum Ausdruck. Hier hatte Maria Theresia nicht nur die Abschaffung der Folter, sondern auch die Abschaffung der Todesstrafe thematisiert, die in den folgenden Jahren Gegenstand von Debatten wurde: Bey dieser Gelegenheit will noch der obersten Justizstelle untereinstens zur näheren Berathung geben, ob nicht auch die Todesstrafe nach und nach, wo nicht gänzlich, doch zum größten Theil aufzuheben, […] wäre, unter der Vorsehung, dass in allen Ländern zur angemessenen Züchtigung und Straffe die erforderlichen Arbeiten ausgewählt, Häuser errichtet, oder die obhandenen erweitert und daselbst gegen die anhaltenden Delinquenten mit solcher Härte und Schärfe vorgegangen werde und öffentlich die Züchtigung vollbracht werden müsten, damit das öfters wiederholte Ansehen derley Sträflinge den Abscheu […] in dem Publio mehrers würke als die Todesstrafe und solchergestalten auch die Gesell1725 Vgl. Luca: Österreich, S. 177 u. Sonnenfels: Herz, S. 16. 1726 Vgl. Osterloh: Sonnenfels, S. 125. Dies provozierte Untersuchungen mit dem Ziel, die Rolle Beccarias zu betonen, vgl. Cattaneo, Mario: Beccaria e Sonnenfels. L’abolizione della tortura nell’età Teresiana, in: Società editrice il Mulino (Hg.): Economia, istituzioni, cultura in Lombardia nell’età di Maria Teresa. Volume Secundo: Cultura e società, Milano 1982, S. 143–157, hier, S. 147–149; Deimling: Anfänge, S. 10. u. Conrad: Grundlagen, S. 73; 1727 Vgl. Deutsch: Sonnenfels, S. 73f.; Müller: Sonnenfels, S. 48–81 u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 69–73 u. S. 201. 1728 Vgl. Bèrenger, Jean: Geschichte des Habsburgerreiches 1273–1918, 2. Aufl. Wien, Köln, Weimar 1996, S. 515 u. Zöllner, Erich: Geschichte Österreichs von den Anfängen bis zur Gegenwart, 4. Aufl. München 1970, S. 316.

336

Der Staatsreformer Sonnenfels

schaft aus der Arbeit solcher Delinquenten annoch einigen Nutzen ziehe.1729 Gerade der zuletzt angesprochene Aspekt des Nutzens der Verurteilten für den Staat unterstreicht, dass die Monarchin hier den Reformkonzepten ihres Sohnes folgte, die jener in seiner Denkschrift vom 22. August formuliert hatte. Darin hatte er seine Haltung, eine Strafrechtsreform müsse aus Gründen der Nützlichkeit und nicht der Humanität erfolgen, klar zum Ausdruck gebracht.1730 Der Befehl, dass die Oberste Justizstelle und nicht etwa Sonnenfels diese Untersuchung durchführen sollte, legt nahe, dass die Herrscherin hierzu offenbar nicht von ihm persönlich oder dem Studium seiner Lehrbücher überzeugt wurde. Die Behörde empfahl am 14. März 1776, die Todesstrafe für Tötungs- und schwere Diebstahlsdelikte, sowie Gotteslästerung, Kirchenschändung und Untreue von Beamten beizubehalten, für alle anderen Delikte aber abzuschaffen.1731 Bevor Maria Theresia darüber entschied, ließ sie noch ein zweites Gutachten erstellen, wegen Bestimmung der an Platz der Todesstrafe zu verhängenden körperlichen Strafen und Errichtung der nöthigen Arbeitshäuser.1732 Hierfür musste die zusätzliche Menge an Häftlingen pro Jahr ermittelt werden, die sich aus der vorgeschlagenen Einschränkung der Todesstrafe ergeben würde. Man setzte daher die Reform für ein Jahr probeweise in Kraft.1733 Die Ergebnisse wurden ihr in einem Gutachten der Obersten Justizstelle und der Hofkanzlei am 14. März 1777 vorgelegt, dem zufolge mehrere neue Zucht- und Arbeitshäuser eingerichtet werden müssten.1734 Angesichts der Kriegsvorbereitungen aufgrund der Bay­erischen Erbfolge brachten die finanziellen Lasten Maria Theresia im April 1778 zum Entschluss: Bey den dermaligen Umständen […] können diese außerordentlichen Auslagen nicht statt finden und wird also die Ausführung dieses Gegenstandes bis auf gelegenere Zeiten verschoben bleiben müssen.1735 Damit 1729 HHStA Staatsratsprot. 1485 ex 1775 Resolution auf den Vortrag der obersten Justizstelle vom 6. Juni 1775. Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 47. und Kwiatkowski: Theresiana, S. 35. Es bleibt anzumerken, dass Joseph II. sich bereits vorher, wenn auch scheinbar ohne Erfolg, gegen die Todesstrafe geäußert hatte, so bspw. am 12. August 1775. Vgl. dazu: Mitrofanov, Joseph II., S. 524. 1730 Vgl. zu dieser Haltung Josephs II. Ammerer: Schwert, S. 434f. 1731 Kwiatkowski: Theresiana, S. 36. 1732 Ebd. S. 37. Der Befehl dazu erging zwischen dem 12. u. 14. Febr. 1776. 1733 In dieser Resolution vom 19. Jan. 1777 sehen einige Autoren bereits eine endgültig erfolgte Einschränkung der Todesstrafe, die gewissermaßen die Reformen Josephs II. vorwegnahm, und negieren deren nur vorläufige Wirksamkeit; vgl. Conrad: Sonnenfels, S. 11 und Hoegel: Strafrecht, S. 72. 1734 Kwiatkowski: Theresiana, S. 37. 1735 Als Datum wird abweichend ebd. S. 38 der 4. April u. bei Hoegel: Strafrecht, S. 73 der 6. April angegeben.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

337

trat die Todesstrafe wieder in Kraft und angesichts der angespannten finanziellen Lage der Monarchie wurde zu Lebzeiten der Kaiserin kein weiterer Reformversuch unternommen. Joseph von Sonnenfels hatte an diesem Verfahren keinen nachweisbaren Anteil. Er äußerte sich zwar gemäß seinem Lehrbuch vermutlich weiterhin gegen Folter und Todesstrafe, trat aber nicht publizistisch in Erscheinung und war auch nicht an den Gutachten beteiligt. Erst durch seine Beförderung zum Hofrat der böhmischen-österreichischen Hofkanzlei im Jahr 1780 stieg er in der Beamtenhierarchie auf und hatte nun zumindest die Möglichkeit, zu gemeinsamen Beratungen mit der Obersten Justizstelle hinzugezogen zu werden.1736 Diese Gelegenheit ergab sich zu Beginn der Alleinherrschaft Josephs II. Der Kaiser ordnete am 9. März 1781 an, dass die nach den Gesetzen zu schöpfenden Todesurtheile zwar den Delinquenten angekündigt, jedoch weder vollzogen, noch auch die Malefizperson ausgesetzt, sondern vorläufig das Todesurtheil sammt den Acten der obersten Justizstelle eingesendet und die weitere Entschliessung abgewartet werden soll.1737 Die Oberste Justizstelle wiederum hatte Anweisung, keines der eingesandten Urteile zu bestätigen, so dass die Todesstrafe theoretisch noch bestand, praktisch aber aufgehoben worden war. Der Kaiser forderte nun den Staatsrat und die Oberste Justizstelle auf, sich zur neuen Lage zu äußern.1738 Beide Seiten befürworteten eine Überarbeitung des Strafgesetzes, woraufhin der Befehl erging, eine Kommission damit zu beauftragen. 1739 Sonnenfels war gemäß den Beratungsprotokollen nur an einer einzigen Sitzung dieser Kommission beteiligt.1740 In seinem Beisein wurden, ohne dass er das Wort ergriff, Verbesserungen zur praktischen Umsetzung vorgeschlagen, um zu verhindern, dass während der Ausarbeitung der neuen Criminal Verfassung ein Verbrecher, welcher nur mit Strafarbeiten hiefür anzusehen seyn wird; wegen länger gedauerter Berathschlagung mit dem 1736 Vgl. zu seiner Beförderung Kap. 7.3.2. 1737 Zitiert nach Domin-Petrushevecz: Rechtsgeschichte, S. 148. Ein im Wortlaut abweichendes, inhaltlich aber übereinstimmendes Zitat verwendet Mitrofanov: Joseph II., S. 521. Die große Sorge aller Beteiligten um die Geheimhaltung dieser Verordnung wird deutlich in einem diesbezüglichen Schreiben des Staatskanzlers Kaunitz an die Mailänder Behörden, siehe Wahlberg: Schriften Bd. II, S. 158. 1738 Hoegel: Strafrecht, S. 73 Das Gutachten der Justizstelle folgt auf den Seiten 73 bis 76. Einer der beiden Gutachter war Sonnenfels’ Lehrer Karl Anton von Martini. Zum nicht abgeschlossenen Gutachten des Staatsrates vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 306. 1739 Hoegel: Strafrecht, S. 76. 1740 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 61, Konv. 141, Mappe 60 58/12 Vortrag der obersten Justizstelle vom 16. März 1781, unf..

338

Der Staatsreformer Sonnenfels

Tode bestrafet worden wäre.1741 Dafür sollte den Appellationsgerichten ein Gnadenrecht zugesprochen werden. Der Kaiser resolvierte, dass er bald eine Überarbeitung des Kriminalsystems erwarte und somit keine Notwendigkeit für zusätzliche Begnadigungsrechte bestünde. Doch schon am 24. Juli 1781 meldete die damit beauftragte Kommission, dass ein völlig neues Strafgesetz erstellt werden müsse, da die Änderungen der Theresiana zu umfassend wären.1742 Das bestehende Provisorium sei daher vorerst zu verlängern. Joseph II. bestätigte dies im August und drängte wiederholt auf eine rasche Fertigstellung.1743 Doch die Ausarbeitung verzögerte sich um mehr als zwei Jahre, woraufhin die Gerichte eine erneute Bekräftigung der provisorischen Aufhebung der Todesstrafe zugesandt bekamen. Zugleich setzte Joseph II. den Vorschlag der Obersten Justizstelle um und verlieh den Appellationsgerichten ein eingeschränktes Begnadigungsrecht. 1744 Ab dem Jahr 1781 standen somit aufgrund eines kaiserlichen Dekretes die Rechtspraxis und das bestehende Strafgesetz einander entgegen. Richter, die sich nicht an das Provisorium hielten, wurden diszipliniert.1745 Fünf Jahre lang wurde kein Todesurteil vom Kaiser bestätigt und somit auch keines vollstreckt. Dies änderte sich im Jahr 1786 als Joseph II. unvermittelt eine Ausnahme machte. Der Kanzleibeamte Franz Zahlheim, nicht mit Sonnenfels’ ehemaligem Substituten identisch, wurde des räuberischen Mordes für schuldig befunden und am 11. März mit glühenden Zangen gezwickt und dann gehängt.1746 Die Beweggründe für die Genehmigung der Hinrichtung durch Joseph II. bleiben unbekannt. Möglich ist, dass im Falle Zahlheims sein Beamtenstatus den Ausschlag gab, da der Kaiser gerade von diesem Stand ein vorbildliches Benehmen erwartete. Dieses von der Wiener Öffentlichkeit sehr negativ aufgenommene Exempel führte schon bald zu mehreren Folgeanträgen der Gerichte, die vom Kaiser jedoch abgelehnt und in lebenslange Haftstrafen in Ketten mit regelmäßiger öffentlicher Auspeitschung umgewandelt wurden.1747 Im Falle einer Räuberbande in Ungarn begründete der Kaiser seine Entscheidung gegen die Todesstrafe: Die Todesstrafe macht nie diejenige Wirkung, welche eine 1741 Hoegel: Strafrecht, S. 76. 1742 Vgl. ebd., S. 77 und Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 307. 1743 Hoegel: Strafrecht, S. 77. 1744 Dies galt im Falle von Diebstählen, vgl. Maasburg, Friedrich von: Die Strafe des Schiffziehens in Österreich (1783–1790). Nebst einem Rückblick auf das altösterreichische Gefängniswesen, Wien 1890, S. 64. 1745 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 136f. 1746 Conrad: Strafrechtsreform, S. 63. 1747 So im Falle eines sechsfachen Raubmörders und einer Räuberbande. Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 329.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

339

anhaltende schwere Arbeit und Strafart nach sich zieht, da sie geschwind vorbeigeht und vergessen wird, die andere aber dem Publicum lang unter den Augen bleibt. Demnach sollen die Rädelsführer der Arader Räuber gebrandmarkt, geprügelt, zum Schiffsziehen oder zur Kettenstrafe verbannt werden. Dies wird weit abspiegelnder sein, als die Todesstrafe.1748 In dieser Aussage zeigt sich erneut, dass die Frage nach dem Nutzen für den Staat und nicht ethische Überlegungen Grundlage der Reform waren. Wenn der Kaiser mit solchen Anordnungen auch den Konzepten zu folgen schien, die Sonnenfels seit zwanzig Jahren in seinem Lehrbuch verbreitete, so bedeutet dies aber keineswegs, dass er seine Meinung allein auf dessen Werke gründete.1749 Auch im weiteren Reformprozess ist kein eindeutiger Beitrag Sonnenfels’ zu erkennen. Die Initiative kam aus der Dynamik der Folterdebatte und die Details wurden regulär auf Behördenebene entschieden. Seine Mitarbeit an Teilen der Reform ist zwar in Protokollen zu ersehen, die aber nur Anwesenheit und Abstimmungsbeteiligung vermerken und keine besondere Äußerung oder Anmerkung des neuen Hofrats belegen. Des Weiteren verzichtete er nach der Untersuchung von 1775 darauf, sich außerhalb seiner Lehrveranstaltungen öffentlich über Fragen des Strafrechts zu äußern. Hierfür spielte neben der kaiserlichen Verwarnung vermutlich auch die Tatsache eine Rolle, dass die Todesstrafe in der Rechtspraxis bereits aufgehoben worden war. 7.2.5 Sonnenfels’ Beitrag zur Entstehung des josephinischen ­Kriminalstrafrechts Auf kaiserlichen Befehl wurde zur Ausarbeitung des neuen Gesetzes eine eigene Kompilationskommission eingesetzt, deren Mitglieder in einer Sitzung am 24. Juli 1781 den Vorschlag der Obersten Justizstelle zur Einschränkung der Todesstrafe berieten.1750 Das Referat in dieser Kommission führte Franz Georg von Keeß, ein reformorientiertes Mitglied der Justizstelle. Es war eben jener Jurist, der in den sechziger Jahren bei Sonnenfels Polizeywissenschaft studiert und die Thesen seines Professors gegen die Todesstrafe öffentlich verteidigt hatte. 1748 Bermann, Moritz: Maria Theresia und Kaiser Josef II. in ihrem Leben und Wirken, Wien 1880, S. 918. 1749 Vgl. Conrad: Strafrechtsreform. Conrad zufolge leisteten vor allem Christoph Bartenstein als Erzieher Josephs II. und der Mailänder Jurist Beccaria einen wichtigen Beitrag zur Geisteshaltung des Monarchen in dieser Frage. 1750 Zur Einberufung der Kommission vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 305. Den Auftrag, die Todesstrafe aus der Theresiana zu entfernen, erteilte Joseph II. am 13. April 1781. Vgl. dazu: Osterloh: Reformbewegung, S. 169.

340

Der Staatsreformer Sonnenfels

Seine Ernennung zum Referenten durch den Kaiser setzt daher bereits eine klare Linie für die Kommissionsarbeit. In der Sitzung am 24. Juli trat Keeß tatsächlich mit einem ausführlichen Votum gegen die Todesstrafe auf, das der Argumentation seines Lehrers und dessen Schriften folgte.1751 Er plädierte für die völlige Aufhebung und deren Ersatz durch langjährige schwere Haft und Zwangsarbeit. Zur Begründung führte er im Sinne Josephs II. den Nutzen der Arbeit für die Gemeinschaft und die höhere Abschreckung an. Erneut kam es zu Debatten zwischen Befürwortern und Gegnern der Todesstrafe. Einstimmigkeit bestand lediglich darin, dass eine mehrjährige umfangreiche Arbeit zur Erstellung eines neuen Strafgesetzes notwendig sei.1752 Gemeinsam mit diesem Antrag leitete Keeß als Referent allerdings sein eigenes Votum gegen die Todesstrafe an den Kaiser weiter, obwohl in der Kommission darüber noch gesprochen wurde.1753 Der Kaiser bestätigte den Beschluss der Kommission und befahl zugleich die provisorische Aufhebung der Todesstrafe zu verlängern, ohne explizit auf Keeß’ Votum einzugehen.1754 Daraufhin wurden die Beratungen über das neue Gesetz fortgesetzt. Am 9. September 1781 kam die Kommission nach einer Abstimmung über den Gegenstand der Todesstrafe mehrheitlich zu dem Schluss, dass in Übereinstimmung mit dem Gutachten der obersten Justizstelle zwar eine Einschränkung, aber keine Aufhebung zu empfehlen sei.1755 Keeß legte dem Beschluss bei der Weiterleitung an den Monarchen erneut ein eigenes Votum bei, in dem er auf Gründe für eine völlige Aufhebung verwies. Joseph II. folgte diesmal dessen Vorschlägen und befahl der Kommission, als Ersatz der Todesstrafe verschiedene Methoden der Zwangsarbeit und der verschärften Haft sowie in schweren Fällen die Brandmarkung zu verhängen.1756 Bei einigen Delikten wie Gotteslästerung oder Majestätsbeleidigung, die gemäß der Theresiana mit dem Tode bestraft wurden, sei hingegen eine Behandlung des Täters als geisteskrank angebrachter als schmerzhafte Strafen. Zu diesem Zeitpunkt versuchte der Staatsrat in die Kompilationsarbeit einzugreifen, da einigen seiner Mitglieder, vor allem dem Staatskanzler 1751 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 170 u. Hoegel: Strafrecht, S. 77. Die Gemeinsamkeit zur Lehre Sonnenfels’ zeigt sich an mehreren Stellen der Argumentation Keeß’, wie in der Befürwortung einer Reform des Polizeywesens gemäß der von ihm vertretenen Grundsätze. 1752 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 307–311. 1753 Wahlberg, Schriften Bd. III, S. 5. 1754 Maasburg: Schiffsziehen, S. 64. u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 307f. 1755 Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 308–310. 1756 Ebd., S. 311–313.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

341

Kaunitz, die neuen Strafen unangemessen erschienen: gelinde Strafen eignen sich zur Besserung mehr als grausame und schrecken so gut wie diese ab. Das lehrt die Erfahrung. In mehreren Staaten, wo die Strafgesetze humaner sind, als in Österreich, sind auch Verbrechen von so enormer Abscheulichkeit, wie sie hier oft vorkommen, seltener.1757 Der Kaiser ging auf solche Anmerkungen aber nicht ein, sondern befahl am 1. Dezember der Kommission, ihre Arbeit zu beschleunigen.1758 Am selben Tag entschied er endgültig: Ist die Todesstrafe dahin zu limitieren, dass sie nicht verhängt werden kann, ausgenommen nach vorhergegangener Anfrage bei Hof; derselben müssen solche Züchtigungen substituiert werden, welche weit schreckbarer und empfindlicher, als der Tod selbst sind. […] Hat nur eine einzige Art der Todesstrafe, nämlich die mit dem Strange zu verbleiben […] und ist auch keine Verschärfung mehr sowohl an dem lebendigen, als toten Körper stattzugeben.1759 Nachdem auf diese Weise der Kommission gezeigt wurde, dass der Kaiser die Ansichten ihres Referenten teilte, erhielt Keeß den Auftrag, das neue Strafgesetz anzufertigen.1760 Sein Entwurf, der schließlich am 1. Februar 1783 vorgelegt wurde, folgte bezüglich der Gliederung und der Gewichtung der Straftaten dem Muster von Sonnenfels’ Lehrbuch Grundsätze der Polizeywissenschaft.1761 In der Forschungsliteratur finden sich Hinweise, dass diese fachliche Anlehnung auch auf persönlicher Kooperation des Referenten mit seinem ehemaligen Lehrer basiert habe.1762 Ein klares Indiz dafür, dass tatsächlich eine Absprache stattgefunden hat, stellt aber die Stilrevision des Entwurfes dar, die Sonnenfels auf kaiserlichen Befehl übernahm.1763 Er setzte sich besonders für Straffungen und Vereinfachungen ein, die er in kooperativer Arbeit mit Keeß und der Kommission umsetze. Dabei wurde erkennbar, dass er und sein ehemaliger Schüler, über deren gute Zusammenarbeit ihre Kollegen dem Kaiser berichteten, in ihren zentralen Thesen zur Strafrechtsreform übereinstimmten.1764 1757 Ebd., S. 309f. 1758 Zit. nach Osterloh: Reformbewegung, S. 170. Vgl. auch: Hoegel: Strafrecht, S. 78. 1759 Ebd., S. 78f. 1760 Osterloh: Reformbewegung, S. 170f. 1761 Osterloh: Reformbewegung, S. 171. 1762 Vgl. Blinder/Suchomel: Keeß, S. 363 u. Ogris: Strafrecht 1990, S. 479. 1763 Diese Tätigkeit erwähnt Sonnenfels in einem Brief anläßlich der Endredaktion: HSS der WIBI Inv. 8640 Brief Sonnenfels an Unbekannt vom 1. Dez. 1786. Vgl. Ogris: Rechtsreformer, S. 45f. u. Wahlberg: Schriften Bd. III, S. 13. Eine genaue Untersuchung der Wirkung der Stilrevision zum ersten Teil des Strafgesetzes bietet Ammerer: Schwert, S. 284–294 mit einem synoptischen Vergleich der Passagen zur Todesstrafe, bei dem die Entwicklung von Keeß’ Entwurf und Sonnenfels Revision zum fertigen Gesetzestext erkennbar ist. 1764 Vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 7 Konv. 4/15 Vortrag des Präsidenten

342

Der Staatsreformer Sonnenfels

Nach Abschluss der Kommissionsarbeit wurde der Entwurf am 12. März 1783 zusammen mit der Bitte an den Kaiser gesandt, ihn möglichst rasch in Kraft treten zu lassen.1765 Joseph II. befahl jedoch am 10. April, zunächst noch einen Strafkodex für die sogenannten politischen Verbrechen, also die Verstöße gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit, zu erstellen.1766 Da dieser Teil des Strafgesetzes weder Folter noch Todesstrafe behandelt, wird Sonnenfels’ Einfluss auf seine Entstehung erst im Kapitel zur Kodifikation der Polizeigesetze dargelegt. Nach Abschluss der Beratungen wurde der Entwurf 1786 vom Kaiser angenommen und beide Teile konnten unter dem gemeinsamen Titel Gesetz über Verbrechen und derselben Bestrafung am 13. Januar 1787 verkündet werden.1767 Die Theresiana war damit offiziell aufgehoben. Das neue Gesetz war wesentlich kürzer als sein Vorgänger, verzichtete auf Abbildungen und war im Gegensatz zur Theresiana durchweg von einem nüchternen und sachlichen Sprachstil geprägt. Die Delikte wurden im Sinne des Josephinismus neu geordnet, so dass nicht mehr Verbrechen gegen Religion und Sitten, sondern solche gegen Staat und Landesfürst an erster Stelle standen.1768 Bezüglich der Todesstrafe wurde festgelegt: §20 Die Todesstrafe soll ausser den Verbrechen bei welchem nach dem Gesetz mit Standrecht verfahren werden muss nicht statt finden. In den standrechtlichen Fällen aber ist der Strang zur alleinigen Todesstrafe bestimmet.1769 Man kann abschließend festhalten, dass es Sonnenfels gelungen war, zumindest indirekten Einfluss auf dieses vom Kaiser initiierte Reformprojekt zu nehmen. Dies ist besonders bemerkenswert, da er zeitgleich daran scheiterte, Teile seiner Polizeilehre in der bürgerlichen Geseztgebung zu verankern.1770 Wenn er auch ursprünglich nicht in die Kompilationskommission berufen worden war, so wurden seine Lehrsätze und seine stilistischen Wünsche unter dem Referat Keeß’ dennoch weitgehend umgesetzt. Neben der Kooperation mit seinem ehemaligen Studenten konnte er dabei von seiner Poder KompilationsKommission Sinzendorf an den Kaiser über den Vortgang der Arbeiten. 20. Okt. 1786, vgl. Kap. 7.6.2. 1765 Hoegel: Strafrecht, S. 80. 1766 Osterloh: Reformbewegung, S. 172 u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 315. 1767 Allgemeines Gesetz über Verbrechen und derselben Bestrafung, Wien 1787. 1768 Vgl. zu Gliederung und Aufbau des Gesetzes: Domin-Petrushevecz: Rechtsgeschichte, S. 151 u. kurz Mitrofanov: Joseph II., S. 525. 1769 AGVB I § 20. 1770 Vgl. dazu den Leserbrief Sonnenfels’ an Schlözer: Sonnenfels: Lüderlichkeit, in dem er in Bezug auf eine Kritik am bürgerlichen josephischen Gesetzbuch, dessen Bestimmungen – bspw. zum rechtlichen Status unehelicher Kinder – seiner eigenen Lehre widersprachen, darauf verweist, nur für den Stil verantwortlich zu sein und keinerlei Verantortung für die öffentlich kritisierten Verordnungen zu tragen. Vgl. Kap. 7.6.2.

Die Aufhebung von Folter und Todesstrafe 1775–1787

343

sition als „Staatsstilist“ und der Nähe seiner Ansichten zu jenen Josephs II. profitieren.1771 Trotzdem steht der Kaiser selbst als Initiator und treibende Kraft im Mittelpunkt dieser Reform. Die von ihm schon bei der personellen Zusammensetzung der Kommissionen vorgebenen Richtlinien stellten bereits die Weichen für die weitere Richtung der Gesetzgebung. Sonnenfels hingegen hatte sich seit seinen Bemühungen in den frühen siebziger Jahren bedeckt gehalten und trat auch nicht durch Publikationen in Erscheinung.1772 Dies könnte daran liegen, dass er im Gegensatz zur Aufhebung der Folter diesmal eine Gelegenheit hatte, selbst aktiv zu werden, wenn er dabei auch an die Kooperation mit anderen Beamten gebunden blieb. Für die ältere Geschichtsschreibung war daher seine Leistung auf diesem Gebiet bisher nur von nachrangigem Interesse. Das im neunzehnten Jahrhundert beliebte Bild des aufgeklärten Reformers, der sich gegen vielfachen Widerstand behaupten muss, ließ sich im Falle der Folter leichter zeichnen. Die Strafrechtsreform Josephs II. war allerdings mit der Publikation des neuen Gesetzes noch nicht völlig abgeschlossen. Es fehlte noch an einer neuen Strafprozessordnung, die aber am 1. Juni 1788 erlassen wurde.1773 Die Folter blieb abgeschafft, und § 106 sah vor, dass kein Geständnis, das durch Versprechen, Drohung oder Gewalt beeinflusst war, Gültigkeit vor Gericht besitzen dürfe.1774 Darüber hinaus regelte die Gerichtsordnung in mehreren Passagen den Schutz des Angeklagten und seine Versorgung während der

1771 Vgl. Ammerer: Schwert, S. 59f. 1772 Keine Ausnahme stellt eine Diskussion dar, welche im Kontext der josephinischen Broschürenflut um 1781 ausgetragen wurde: In drei Schriften wurde Sonnenfels’ Begründung für das Recht des Monarchen mit dem Tode zu bestrafen erörtert. Dies Recht wurde dabei generell nicht in Frage gestellt. Vgl. Häss, Karl: Worauf gründet sich das Recht des Monarchen mit dem Tode zu strafen […] von Karl Häß wider Herrn Hofrath von Sonnenfels, Wien 1781; Anonym: Etwas an Herrn Karl Häss. Als eine kleine Beantwortung seiner Antisonnenfelsianischen Broschüre „Worauf gründet sich das Recht des Monarchen mit dem Tode zu strafen?“ Von R-l-r, Wien um 1780 u. Anonym: Gründet sich das Recht der Monarchen mit dem Tode zu straffen in der Übertragung der Menschen. Von einem Freunde der Wahrheit beantwortet, Wien 1785. 1773 Vgl. Hartl, Friedrich: Das Wiener Kriminalgericht. Strafrechtspflege vom Zeitalter der Aufklärung bis zur österreichischen Revolution (Wiener rechtsgeschichtliche Arbeiten Bd. 10), Wien 1973, S. 23; Ogris, Werner: Joseph II. Staats- und Rechtsreformen, in: Barton, Peter F. (Hg): Im Zeichen der Toleranz. Aufsätze zur Toleranzgesetzgebung des 18. Jahrhunderts in den Reichen Josephs II., ihren Voraussetzungen und ihren Folgen. Eine Festschrift (Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte Bd. 8), Wien 1981, S. 109–151, hier S. 145f. u. Domin-Petrushevecz: Rechtsgeschichte, S. 161f. Sonnenfels’ stilistische Mitarbeit ist auch hier vermutet, aber nicht belegt. 1774 Domin-Petrushevecz: Rechtsgeschichte, S. 163.

344

Der Staatsreformer Sonnenfels

Untersuchungshaft.1775 Dennoch kam es immer wieder zu Anträgen einzelner Richter, welche die Folter gegen bereits verurteilte Verbrecher einsetzen wollten, wie Sonnenfels’ es in seinen Lehrbüchern empfahl.1776 Sonnenfels selbst äußerte sich in einem Fall zugunsten des Einsatzes der Folter zur Ermittlung von Mitschuldigen, stieß aber auf die generelle Ablehnung Josephs II.1777 Der Kaiser hingegen führte sogenannte Lügenstrafen ein, die erlaubten Angeklagte, die Meineid leisteten oder Aussagen verweigerten, körperlich zu züchtigen.1778 Als Alternative zur Todesstrafe etablierte Joseph II. in der Folgezeit das Schiffsziehen an der Donau in Ungarn, das sich aber in Anbetracht der hohen Todesrate der Verurteilten als eine langsame Form der Todesstrafe erwies.1779 Der Kaiser schien die Abschreckungswirkung dieser Strafe als besonders wirkungsvoll anzusehen und Gutachten und Beschwerden des Hofrates Keeß gegen ihre Grausamkeit blieben bis zum Herrschaftsbeginn Leopolds II. ohne Erfolg.1780 Dies unterstreicht ein weiteres Mal, dass der Aufhebung von Folter und Todesstrafe keineswegs humanitäre, sondern utilitaristische Motive zugrunde lagen.1781 Dabei zeigt das Handeln Josephs II., der, um einen größtmöglichen Abschreckungseffekt zu erzielen, weit über die Vorschläge von Keeß, Sonnenfels und anderen hinausging, dass er selbst es war, der den Strafrechtsreformen Gestalt verlieh und bestimmte, ob und in welchem Rahmen Diskussion stattfanden und seinen Beamten Spielräume gewährt wurden.1782

1775 Vgl. Mitrofanov: Joseph II., S. 531. 1776 Vgl. dazu: Conrad: Sonnenfels, S. 13 u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 332f. 1777 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 333; Conrad: Sonnenfels, S. 13. 1778 Vgl. Ogris: Rechtsreformer, S. 68. 1779 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 329–332. Zur Einführung des Schiffsziehens durch Resolution: Maasburg: Schiffsziehen, S. 12. Bereits 1773 hatte Joseph II. vom Hofkriegsrat eine Erörterung der Vorzüge dieser Strafe gefordert: vgl. ebd., S. 9–12. Maasburg betont dabei, dass es für jene Strafe keine gesetzliche Grundlage gab. Vgl. auch die materialreiche Darstellung bei Macho, Eva: Joseph II. – Die „Condemnatio ad poenas extraordinarias“ Schiffziehen und Gassenkehren (Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs Bd. 9), Frankfurt a.M., Berlin, Bern u. a. 1999 u. Ammerer: Schwert, S. 383–392. 1780 Vgl. Maasburg: Schiffsziehen, S. 16–18 u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 331f. 1781 Siehe Ammerer, Gerhard: Aufgeklärtes Recht, Rechtspraxis und Rechtsbrecher – Spurensuche nach einer historischen Kriminologie in Österreich, in: Ammerer, Gerhard u. Haas, Hanns (Hg.): Ambivalenzen der Aufklärung. Festschrift für Ernst Wangermann, Wien 1997, S. 101–138, hier S. 114–118. 1782 Ammerer: Schwert, S. 429–435.

Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien

345

7.3 Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien 7.3.1 Sonnenfels als Polizeireferent der niederösterreichischen Regierung Am 18. Januar 1773 wurde dem Regierungsrat Sonnenfels ein eigener Aufgabenbereich in der niederösterreichischen Regierung übertragen.1783 Wie aus verschiedenen Quellen hervorgeht, erhielt er das Referat für Fragen der Polizey, wofür er sich durch den Erfolg seiner diesbezüglichen Lehrbücher und seiner führenden Rolle in der Beamtenausbildung qualifiziert hatte.1784 Den Begriff Polizey definierte Sonnenfels dabei enger, als beispielsweise sein Vorgänger Justi es getan hatte.1785 So beinhaltete das Wort bei dem älteren Kameralisten noch die Gesamtheit der Staatsführung und stand unter einem wirtschaftspolitischen Primat, welcher auf Maßnahmen zur Steigerung der Bevölkerung und des Staatseinkommens zielte. Sonnenfels hingegen verengte den Begriff: Die Polizey ist eine Wissenschaft die innere Sicherheit des Staates zu gründen und zu handhaben.1786 Diese Sicherheit besteht aus zwei Teilen, der öffentlichen und privaten Sicherheit. Erstere bedeutet, dass der Staat und seine Ordnung vor kriminellen Bürgern geschützt sind, letztere, dass der Bürger selbst Schutz vor allen potentiellen Gefahren genießt, zu denen auch staatliche Willkür gehört.1787 Die Aufgabe der Polizey sei es, für ein Gleichgewicht dieser beiden Sicherheiten zu sorgen, wobei stets den Staatsinteressen Vorrang vor denjenigen der Bürger eingeräumt werden müsse.1788 Die öffentliche Sicherheit ähnelt in ihren Aufgaben – beispielsweise der Strafverfolgung – der modernen Polizei; zum besseren Ver1783 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 215 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 138. 1784 Eine Überlieferung der diesbezüglich Akten geht nur bis 1775 zurück. Seine Ernennung wird durch die Tagebücher des Hofkammerpräsidenten Zinzendorf vom 8. Feb. 1778 und Gutachten der Polizeihofstelle sowie mehreren diesbezüglichen Erwähnungen in Berichten der n.ö. Regierung bestätigt. Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 139 u. Ogris: Strafrecht 1990, S. 479f. 1785 Für eine Übersicht über Sonnenfels’ Polizeilehre vgl. Schulze, Reiner: Policey und Gesetzgebungslehre im 18. Jahrhundert, Berlin 1982, S. 99–105 u. Ogris: Rechtsreformer, S. 26–30. Zum Kontext von Sonnenfels’ Lehre vgl. Preu, Peter: Polizeibegriff und Staatszwecklehre. Die Entwicklung des Polizeibegriffs durch die Rechts- und Staatswissenschaften des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1983, S. 149–158; Bibl: Polizei, S. 200 u. zur Abgrenzung von der früheren Verwendung des Terminus: Simon, Thomas: „Gute Policey“. Ordnungsleitbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der frühen Neuzeit (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte Bd. 170), Frankfurt a.M. 2004, S. 565f. u. Schulze: Policey, S. 108–110. 1786 Sonnenfels: Polizey, Vorwort S. I. 1787 Osterloh: Reformbewegung, S. 49. 1788 Ogris: Rechtsreformer, S. 35ff.

346

Der Staatsreformer Sonnenfels

ständnis wird sie daher im Folgenden als Sicherheitspolizei bezeichnet. Ihr Gegenstück, die Privatsicherheit umfasst hingegen eine Vielzahl von Aufgaben zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung und eines möglichst vorteilhaft organisierten Lebens der Bürger.1789 Hierzu gehören nach Sonnenfels medizinische Versorgung, Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und Arbeit sowie die Überwachung gefährlicher Substanzen, des Straßenverkehrs, der Preisentwicklung und vieles mehr. Dieser Teil der Polizei wird hier zur leichteren Unterscheidung als Wohlfahrtspolizei bezeichnet.1790 Unterschiedlich wie ihre Aufgaben war auch der Grad der Aktivität beider Teilbereiche. Sollte die Sicherheitspolizei defensiv, aber schnell und abschreckend auf bestehende Bedrohungen und Verbrechen reagieren, so war es die Aufgabe der Wohlfahrtspolizei, vorbeugend tätig zu sein, sämtliche Gefahrenquellen zu analysieren und ihnen durch Vorsorge zu begegnen.1791 Trotz dieser Differenzierung in der Theorie, war Sonnenfels in der Praxis durch sein neues Amt für die Organisation beider Arten der Polizei verantwortlich. Die Wiener Polizeieinrichtungen hatten sich in den Jahren zuvor schon mehrfach als überaus reformbedürftig erwiesen.1792 Kritische Gutachten verschiedener Behörden aus den Jahren 1771 und 1772 belegen, dass die Bemühungen der sechziger Jahre nach Meinung der Zeitgenossen nicht von Erfolg gekrönt waren.1793 Noch immer war eine Vielzahl von Kommissionen teilweise parallel mit Aufgaben der Wohlfahrtspolizei befasst, während mehrere rivalisierende Polizeieinheiten, die Tag- und die Nacht-, sowie die sogenannte Rumorwache die öffentliche Sicherheit gewährleisten sollten.1794 Den Sicherheitskräften wurde in den Berichten allgemein eine schlechte Ausbildung, ein viel zu geringes Einkommen und daraus resultierende Fehlverhalten attestiert.1795 Als Reaktion auf die Beschwerden begann eine Reform, die in mehreren Schritten von 1773 bis 1776 vollzogen wurde und auf 1789 Die Ansicht Preus, dass Sonnenfels die Aufgaben der Polizei allein auf Sicherheitsaspekte beschränkt, kann nicht bestätigt werden, zumal der Autor selber angibt, dass Sonnenfels diesen Sicherheitsaspekt wiederum auf zahlreiche andere Bereiche ausweitet. Vgl. Preu: Polizeibegriff, S. 164f. 1790 Zum Begriff der Wohlfahrtspolizei vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 136–140. 1791 Preu: Polizeibegriff, S. 168f. 1792 Vgl. Bibl: Polizei, S. 201–210 u. Walter, Friedrich: Die Organisierung der staatlichen Polizei unter Kaiser Joseph II., in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Wien Bd. 7, Wien 1927, S. 22–53, hier S. 22. 1793 Vgl. Hofkanzlei IV M I N.Ö Kart. 1326 Konv. 344 ex Jänner 1773 unf.; Außerdem Walter: Organisierung, S. 22; Bibl: Polizei, S. 216f. u. Oberhummer, Hermann: Die Wiener Polizei, Bd. 2, Wien 1938, S. 35. 1794 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 75f. 1795 Bernard, Paul Peter: From the Enlightenment to the Police State: The Public Life of Johann Anton Pergen, Illinois 1991, S. 122f.

Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien

347

eine Umarbeitung des Polizeisystems im Sinne von Sonnenfels’ Lehrsätzen hinauslief.1796 Von Seiten der Monarchen und ihres engeren Beraterstabes wurden hierbei bereits durch die Auswahl des Reformpersonals Richtungsentscheidungen für die Reform getroffen. Die Landesregierung erhielt zunächst die alleinige Hoheit über alle Polizeigegenstände. Sie bildete und koordinierte verschiedene Kommissionen, die sich mit den verschiedenen Teilaspekten der Polizey beschäftigten. Dabei fällt auf, dass eine Vielzahl von ihnen wie die Handwerks-, Gesundheits,- Feuer-, Schul-, Verschönerungs- oder Armenkommission mit Aufgaben der Wohlfahrtspolizei und nur eine einzelne mit der Sicherheitspolizei beauftragt war. Dieser Polizey- und Sicherheitskommission unterstanden: alle diejenigen Personen und täthigen Vorkehrungen, die zur Verhinderung, Entdeckung und Bestrafung jeder der bürgerlichen Sicherheit nachtheiligen Handlung abzielen.1797 Zur praktischen Umsetzung der in den verschiedenen Kommissionen beschlossenen Polizeimaßnahmen wurden Stadt und Vorstädte in zwölf Bezirke eingeteilt, in denen jeweils ein Aufseher und eine Abteilung der neuorganisierten Stadtwache einquartiert wurden, die insgesamt ca. 300 Mann umfasste.1798 Sonnenfels war für die Umsetzung dieser Reform in doppelter Hinsicht verantwortlich, da er sowohl die Dienstanweisung für die Bezirksaufseher, als auch das Reglement für die neue Stadtwache ausarbeitete.1799 Ein Bezirksaufseher überwachte nach Sonnenfels die zur Befolgung der Gesetze und Vollstreckung der zur öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Bequemlichkeit notwendigen Anstalten, welchen er alle seine Aufmerksamkeit, Eifer, Kräfte anzuwenden hat, und im widrigen Falle nicht nur den Verlust seiner Bedienung, sondern nach Lage der Umstände […] eine strenge Strafe unnachlässig zu erwarten hat.1800 Diese Anstalten umfassten zahlreiche Aufgaben, welche die Zusammenarbeit mit verschiedenen Regierungskommissionen erforderten. Die Beamten inspizierten die Polizeiwachen, überprüften Bauvorhaben und die Straßenpflaster sowie den Zustand von Durchgangswegen, hatten Aufsicht über den Verkauf von giftigen Substanzen, den Bettel, die Beleuchtung, die Lebensmittelpreise, die Sperrstunde, Brandschutzmaßnahmen und die Straßenreinigung.1801 Kurz gesagt übernahmen 1796 Vgl. zu den Anfängen der Reform: Osterloh: Reformbewegung, S. 135–138 u. Oberhummer: Polizey, Bd. I, S. 23 u. zu Sonnenfels S. 139. 1797 Osterloh: Reformbewegung, S. 77 u. S. 138. 1798 Vgl. Bernard: Pergen, S. 123 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 144. 1799 Bibl: Polizei, S. 220. 1800 Ebd., S. 221. 1801 Ebd., S. 222.

348

Der Staatsreformer Sonnenfels

sie vornehmlich Aufgaben der Wohlfahrtspolizei, wohingegen die Wachen mit ihren Hauptleuten neben der Unterstützung der Bezirksbeamten vornehmlich sicherheitspolizeiliche Aufgaben wahrnahmen.1802 Die Tatsache, dass die Dienstanweisung dieser Beamten von Sonnenfels verfasst wurde, wird durch eine kritische Anmerkung der Hofkanzlei über den Stil deutlich. Dessen erste Ausarbeitung tauge dem Verfasser entsprechend weit besser zum Stoff eines theoretischen Polizeylehrers zum Unterricht der Schüler, als zu einer Instruction für wirklich manipulierende […] Polizeybeamten.1803 Die Kritik entfiel allerdings nach einer Überarbeitung. Doch war diese Neuordnung keineswegs ohne Widerspruch, zum Beispiel von Seiten des früher teilweise für das Polizeiwesen verantwortlichen Wiener Magistrats, vollzogen worden.1804 Die von Sonnenfels gewünschten, weitläufigen Zuständigkeiten erhielten die Bezirksbeamten erst, nachdem die böhmisch-österreichische Hofkanzlei bei der Kaiserin vorstellig geworden war und die Vorschläge der niederösterreichischen Regierung unterstützte. Sonnenfels verdankte dies der Fürsprache des Hofrats von Greiner, in dessen Haus er häufig zu Gast war.1805 Greiner besaß in dieser Hinsicht das Vertrauen Maria Theresias, die ihn in Briefen diesbezüglich um Rat bat.1806 Darüber hinaus sprach nach Sonnenfels’ eigenen Angaben auch der niederösterreichische Regierungspräsident Christian August Graf von Seilern zu seinen Gunsten, den er ebenfalls bei Abendveranstaltungen seines Freundes Greiner kennengelernt hatte.1807 Die Neuordnung der Polizey forderte einen erheblichen Personalzuwachs, der nur durch die Aufbringung zusätzlicher Geldmittel möglich wurde. Der damalige Gouverneur von Triest und spätere Präsident der Hofrechenkammer Graf Zinzendorf berichtet in seinem Tagebuch, wie Sonnenfels die Lösung dieses Problems bewerkstelligte. Der Polizeireferent verkaufte 3.000 Lizenzen für den Kleinhandel mit Gemüse, Obst und Kräutern an Frauen

1802 Oberhummer: Polizey, Bd. I, S. 36. u. Bd. II, S. 250, wo ein Abdruck der neuen Wachordnung vorliegt u. Osterloh: Reformbewegung, S. 79 u. S. 145. 1803 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 141. 1804 Ebd. Die Ausweitung der staatlichen Polizeikompetenzen auf Bereiche, die bisher von lokalen Behörden dominiert wurden, ist ein typisches Phänomen des 18. Jahrhunderts, das als Schritt zur modernen Staatsbildung angesehen werden kann. Vgl. Stolleis, Michael: Die Idee des Souveränen Staates, in: Der Staat, Beiheft 11 (1996), S. 63–86, hier S. 83. 1805 Vgl. Kap. 6.1. Die Funktion Greiners als Verbindungsmann zwischen Landesregierung und Hofkanzlei wird deutlich in: Hofkanzlei IV M I N.Ö Kart. 1326 Nr. 465 Dez. 1773 Vortrag der Hofkanzlei vom 17. September 1763, Fol. 4r.–52v. 1806 Vgl. Arneth: Maria Theresia, S. 391. 1807 Sonnenfels: Herz, S. 20f. Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 138.

Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien

349

aus dem Wiener Umland.1808 Die Einnahmen bildeten den Grundstock eines Polizeifonds, so dass das neue Polizeisystem am 2. März 1776 durch ein kaiserliches Patent in Kraft treten konnte.1809 Darin wurden die neuen Verordnungen nicht nur aufgelistet, sondern auch begründet und erläutert. Dies entsprach Sonnenfels’ Polizeitheorie, in der die Publikation der Polizeiordnungen und die öffentliche Präsenz der Polizei ihre Akzeptanz bei den Untertanen erhöhen soll.1810 Seine Ansichten wurden von der niederösterreichischen Regierung bereits kurz nach seiner Berufung zum Polizeyreferenten mehrheitlich unterstützt, als diese sich im April 1773 gegen die Einrichtung einer Geheimpolizei und ein System von Ausspähern äußerte: welches mit den Begriffen der bürgerlichen Freyheit unverträglich sein dürfte, weil endlichen dabey auch solche Mittel angewendet werden, welche sich mit den reinen Begriffen der Religion, mit der Anständigkeit der Sitten, mithin auch mit den ächten Grundsätzen der Staatsverfassung kaum vereinbahren zu lassen scheinen.1811 Sonnenfels nahm diesbezüglich in die Verordnungen von 1776 die Vorschrift auf, dass für die Polizei in ihrem Amtsunterricht das geziemende Betragen, die Bescheidenheit und Behutsamkeit auf das nachdrücklichste anempfohlen, auch alles, was die billige Freiheit der Bürger zu stöhren fähig wäre, auf das schärfste untersagt ist.1812 Insgesamt steht die neue Polizeiordnung den Vorstellungen und Konzepten Sonnenfels’ inhaltlich sehr nahe, wenn auch einige seiner Vorschläge, wie die Durchführung von Passkontrollen an der Peripherie der Stadt, nicht realisiert wurden.1813 Die Aktenverluste durch den Brand des Justizpalastes von 1927 machen es allerdings unmöglich, seinen exakten Beitrag nachzuzeichnen. Eindeutig ist jedoch, dass aus dem Universitätslehrer und Theoretiker Sonnenfels ein aktives Mitglied der Verwaltung eines Erblandes geworden war.1814 Dieser Schritt, der ihm ermöglichte zur Umsetzung seiner Lehrsätze in geltendes Recht beizutragen, beruhte auf der Unterstützung durch Hofrat Greiner und durch seinen Vorgesetzten Graf von Seilern, dem er auch öffentlich seine Dankbarkeit für gute Zusammenarbeit aussprach.1815 1808 Klingenstein/Faber/Trampus: Tagebücher, Eintrag vom 8. Feb. 1778. 1809 Kropatschek: Handbuch, Bd. VIII, S. 617f. 1810 Osterloh: Reformbewegung, S. 77. 1811 Bibl: Polizei, S. 223. 1812 Hofkanzlei IV M I N.Ö Kart. 1326, Nr. 233 aus. Nov. 1775; Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 146. 1813 Ebd., S. 145. 1814 Vgl. Walter: Organisierung, S. 24. 1815 Vgl. Sonnenfels: Herz, S. 20.

350

Der Staatsreformer Sonnenfels

7.3.2 Die praktische Umsetzung: Eine Stadtbeleuchtung für Wien Nach Beendigung der Arbeiten zur Polizeireform wurde Sonnenfels mit einem mehrjährigen Sonderauftrag auf einem Spezialgebiet der Wohlfahrtspolizei betraut. In den Jahren 1776 bis 1779 übernahm er das Amt des sogenannten Illuminationsdirektors und organisierte die Installation und den Betrieb der Straßenbeleuchtung für Wien. Vor Beginn der Neuorganisation war die als Illumination bezeichnete Straßenbeleuchtung dezentral organisiert.1816 Es war Aufgabe der jeweiligen Hausmeister oder Dienstboten im Laufe des Tages Öl aus einer zentralen Sammelstelle zu holen und damit bei Dunkelheit Laternen vor den Häusern zu entzünden. Dieselben Leute waren auch zur Wartung der Lampen verpflichtet, die aber meist unzuverlässig ausgeführt wurde. In Nächten mit hellem Mondschein wurde wie in anderen europäischen Großstädten auf Beleuchtung verzichtet, obwohl die engen Gassen der inneren Stadt dadurch zeitweise völlig im Dunkeln lagen. Zur Abhilfe wurde ein Vertrag mit einem Pächter namens Duprée geschlossen, der eine neue Beleuchtung aus einem staatlichen Fonds finanzieren, installieren und erhalten sollte.1817 Als sich im Jahr 1776 jedoch in zahlreichen Beschwerden und Mahnungen abzeichnete, dass er den Kontrakt nicht einhalten konnte, wurde nach Alternativen gesucht. Sonnenfels wandte sich zu diesem Zeitpunkt mit dem Vorschlag an die böhmisch-österreichische Hofkanzlei, dass bestehende System nur leicht zu verändern und die Lampen in der Mitte der Straße anbringen zu lassen sowie die Tätigkeit der zuständigen Personen strenger zu überwachen.1818 Sein Vorschlag wurde zwar abgelehnt, aber er erhielt stattdessen die Aufgabe Duprées und sollte nun eine völlige Neuorganisation der Beleuchtung konzipieren. Der genaue Grund für diese Ernennung kann zwar aufgrund fehlender Quellen nicht mehr ermittelt werden, aber Sonnenfels selbst hatte als Mitglied der niederösterreichischen Regierung die Beleuchtung zu einer offiziellen Polizeyaufgabe erklärt. Außerdem hatte er sich durch seine Initiative bei der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei ins Gespräch gebracht, wo sein Bekannter Franz von Greiner zu den zuständigen Referenten gehörte. Unter Sonnenfels’ Leitung wurden in den folgenden Jahren mit erheblichem finanziellem Aufwand sowohl Zahl und Zustand der Laternen, als 1816 Vgl. zum früheren Beleuchtungswesen: Nicolai: Beschreibung, Bd. IV, S. 212–214 u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 244f. 1817 Vgl. HHStA Staatsratsindices 1776 Einträge „Beleuchtung“ und „Dupree“; zu seiner Entlassung: HHStA Staatsratsprot. 2650 u. 2794 ex 1776. Protokoll der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei vom 3. Dez. 1776. 1818 Ebd., 2794 ex 1776.

Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien

351

auch die Organisation von Wartung und Betrieb verbessert.1819 Im Bereich der inneren Stadt hingen nun in jeder Gasse alle sechzehn Schritt neue Laternen mit reflektierenden Flächen zur Verstärkung des Lichtes, die regelmäßig gewartet wurden. Über ihren Gebrauch berichtet der ansonsten gegenüber den Wiener Einrichtungen eher kritische Berliner Friedrich Nicolai: Alle Laternen brennen beständig im Sommer und Winter, der Mond mag scheinen oder nicht. Wenn man dieses siehet, muss man sich der Kärglichkeit schämen, mit welcher in Berlin und in vielen anderen Städten Deutschlands, ja sogar in dem berühmten Paris die Laternen im Sommer niemals, und im Winter alsdenn nicht angesteckt werden, wenn nur im Kalender Mondschein angezeiget ist.1820 Dies wurde dadurch ermöglicht, dass Maria Theresia nicht nur einen Fonds für den Ausbau der Beleuchtung bis in die größeren Straßen der Vorstädte, sondern auch zur Anstellung von Personal zum Anzünden und Überwachen der Laternen bereitstellte.1821 Das Projekt, welches im wörtlichen Sinne zur Aufklärung in Wien beitrug, hatte unter Sonnenfels’ Leitung schnell eine für den Alltag der Bürger und für jeden Besucher auffällige Wirkung, die seine Leistung als Staatsbeamter hervorhob. Er trug die alleinige Verantwortung und besaß bei dieser Tätigkeit im Gegensatz zu nahezu allen anderen Aufgaben, die er im Laufe seines Lebens bekleidete, selbst eine gewisse Entscheidungskompetenz. Er besorgte allein die Verteilung der Mittel und kontrollierte die Arbeits- und Lieferverträge. Aus diesem Grund beantragte er nach Abschluss des Projektes eine Belohnung von 2.000fl., die etwa zwei üblichen Jahresgehältern von Professoren der philosophischen Fakultät entsprach.1822 Die Kaiserin befahl auf diesen Antrag hin: Nachdem dieses Werk Sonnenfels’ so gut geführet, so sollte er noch selbes fortsetzen mit 2000 fl. aus dem IlluminationsFundo, Renummeration und gratis den Hofrathstitel erhalten, doch also dass er seine Dienste bei der Regierung continuiere, bis eine Gelegenheit komme, ihn weiter zu placieren.1823 Die Einrichtung der ersten ständig brennenden Stadtbeleuchtung Europas brachte Sonnenfels also den Titel und die Würde eines Hofrats, bedeutete aber vorerst noch nicht die tatsächliche Versetzung zu einer Hofkanzlei und die Verleihung neuer Kompetenzen. Er setzte statt1819 Nicolai: Beschreibung, Bd. IV, S. 212–214. 1820 Ebd., S. 213f. Vgl. auch Kopetzky: Sonnenfels, S. 244. 1821 Nicolai: Beschreibung, Bd. IV, S. 214. 1822 Für den diesbezüglichen Vortrag der Hofkanzlei vom 11. Dez. 1779 siehe Kopetzky: Sonnenfels, S. 244. 1823 Zit. nach ebd., vgl. Wagner: Polizei, S. 31 u. Brunner: Mysterien, S. 65. Im Hof- und Staatsschematismus von 1781 wird Sonnenfels dementsprechend nicht als Hofrat bei der Böhmisch-österreichischen Hofkanzlei, sondern als Titularhofrat bei der niederösterrischen Regierung geführt.

352

Der Staatsreformer Sonnenfels

dessen seine Tätigkeit als Regierungsrat und zeitweise als Beleuchtungsdirektor fort, wobei er aber zunehmend in Kritik geriet. Im Jahr 1779 kam es erstmals zu anonymen Anzeigen, in denen ihm vorgeworfen wurde, die Mittel des Illuminationsfonds nicht akkurat zu verwalten.1824 Sonnenfels machte diese Anklage selbst öffentlich bekannt und schrieb sogleich eine Widerlegung der Vorwürfe.1825 So wollte er, nach eigenen Angaben, seinen guten Ruf verteidigen, der zugleich auch durch akademische Intrigen angegriffen werde. In einer Rede vor seinen Studenten sagte er dazu: Beinahe fangen diese ewigen Anfälle auf mich an, mir schäzbar, beinah werden sie für mich rühmlich werden, und in den Augen des Mannes ohne Vorurtheil statt eines Beweises dienen, entweder, dass ich etwas wichtiges geleistet habe, oder zu leisten auf dem Wege bin.1826 Die Anzeigen blieben vorerst ohne Auswirkungen. Im Jahr 1781 änderte sich dies allerdings, als Sonnenfels von einem seiner eigenen Beleuchtungsinspektoren, einem gewissen Leutner, des Betruges bezichtigt wurde.1827 Kern der Vorwürfe war die Tatsache, dass er den Auftrag für sämtliche Öllieferungen an seinen Bruder Franz vergeben hatte, der dabei unter einem Decknamen aufgetreten war. Die Anzeige wurde von der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei, wo Sonnenfels’ Bekannter Greiner tätig war, an den Kaiser weitergeleitet und mit einem Antrag ergänzt, sie zu ignorieren und Leutner zu bestrafen. Der Kaiser verordnete aufgrund des Berichtes zunächst einen achttätigen Arrest für den Inspektor und befahl ihm, sich bei seinem Vorgesetzten zu entschuldigen.1828 Die Anschuldigungen erschienen Joseph II. aber keineswegs unglaubwürdig zu sein, da er gleichzeitig den Befehl erließ: der Umstand warum des Sonnenfels Bruder unter einem verdeckten Namen die Öhllieferung übernommen, ist Mir noch näher aufzuklären, und zugleich an Handen zu lassen, ob es schicksam sey, dass der Bruder des Directoris bey dem nämlichen Geschäft sich mit der Lieferung abgebe?1829 Darüber hinaus sollten die Finanzen des Amtes geprüft und ein Gutachten zur Behebung der Missstände erstellt werden. Die Gründe für die Abweisung von Leutners Klage, für seine Bestrafung und für den Verzicht auf eine Strafverfolgung gegen Sonnenfels sind in den Quellen nicht ersichtlich. Allerdings dürfte dafür relevant gewesen 1824 Vgl. Sonnenfels: Schuljahr, S. 555f. u. ders.: Schreiben, Vorwort. 1825 Sonnenfels: Schreiben, S. 552. 1826 Sonnenfels: Schuljahr, S. 555. 1827 Vgl. zur Anzeige: HHStA Staatsratsprot. 2599 ex 1781 Vortrag der böhm. Öen Kanzley vom 28. Okt. 1781; Kopetzky: Sonnenfels, S. 380 datiert die Anzeige Leutners mit dem 14. Nov. falsch. 1828 Ebd. 1829 Ebd.

Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien

353

sein, dass die Wahl seines Bruders als Lieferant keine Straftat im Sinne des Gesetzes darstellte.1830 Der weitere Verlauf der angeordneten Nachforschungen deutet jedoch darauf hin, dass nicht nur die Rechtslage, sondern auch einflussreiche Fürsprecher zugunsten Sonnenfels’ wirkten. Die Untersuchung sollte durch die niederösterreichische Regierung erfolgen, wurde aber auf Befehl von deren Präsidenten Graf von Seilern gar nicht durchgeführt, sondern durch eine persönliche Rechtfertigung von Sonnenfels ersetzt.1831 Der Beklagte erwähnt dies 1783 in der autobiographischen Einleitung in seine gesammelten Schriften: Graf Sailern [!] schätzte mich hoch genug, um in einem sehr unangenehmen Vorfalle, wo der Zusammenfluß ungünstiger Umstände mich in Argwohn zu bringen schien, mich meiner eigenen Rechtfertigung zu überlassen.1832 An dieser Stelle verwies er auch auf seine enge private Beziehung zu dem Regierungspräsidenten, der mit ihm nicht nur in den Abendgesellschaften der Familie Greiner verkehrte, sondern in dessen eigenem Haus er später auch zu Gast war.1833 Joseph II. nahm das Gutachten, das lediglich auf Sonnenfels’ eigener Erklärung basierte, an, befahl aber dennoch der Rechenkammer, weiterhin die Finanzen des Illuminationsfonds zu prüfen.1834 Das Ergebnis dieser Prüfung ist in den Protokollen des Staatsrates nicht überliefert und dürfte daher nicht schwerwiegend gewesen sein. Es blieb dabei, dass die Tätigkeit als Beleuchtungsdirektor zu einem wichtigen Baustein von Sonnenfels’ Karriere werden konnte und sein Ansehen steigerte. Er agierte hier eigenverantwortlich als Leiter eines eigenen Teils der Wiener Wohlfahrtspolizei und verfügte anders als bei seiner kurzzeitigen Theaterzensur über ein umfangreiches Budget. Außerdem besaß er in dieser Stellung Rückhalt bei Mitgliedern der Hofkanzlei und seinem Vorgesetzten, die ihn gegen Betrugsvorwürfe verteidigten. Nicht mehr zu ermitteln ist, wie sich durch das gemeinsame Ölgeschäft das Verhältnis zwischen ihm und seinen Bruder entwickelte. Allerdings liegt hierin ein Indiz einerseits für Familienbande, die trotz räumlicher Entfernung bestanden, und andererseits für die Entstehung des beträchtliche Vermögens des jüngeren Sonnenfels.

1830 Die Ölgeschäfte bieten eine mögliche Erklärung für das Vermögen von Sonnenfels’ Bruder, das er nicht durch Erbe, Heirat oder seinen regulären Dienst erwerben konnte. 1831 Vgl. HHStA Staatsratsprot. 3050 ex 1781 Vortrag der b.ö. Kanzley vom 23. Dez. 1781. 1832 Sonnenfels: Herz, S. 20. 1833 Ebd. 1834 Vgl. HHStA Staatsratsprot. 3050 ex 1781 Vortrag der b.ö. Kanzley vom 23. Dez. 1781; Sonnenfels selbst gibt an, dass kein weiteres Eingreifen des Grafen Seilern mehr nötig war, Sonnenfels: Herz, S. 20f.

354

Der Staatsreformer Sonnenfels

7.3.3 Der Übergang zur josephinischen Geheimpolizei: Das System Pergen Im Zuge der umfassenden Reformen, die Joseph II. nach Beginn seiner Alleinherrschaft 1780 unternahm, kam es auch zu einer Umgestaltung der Polizeieinrichtungen, zunächst der Hauptstadt und später der gesamten Erblande. Dies führte zu personellen Veränderungen, die sich als ungünstig für Sonnenfels und sein System einer Wohlfahrtspolizei erwiesen. Der neue niederösterreichischen Regierungspräsidenten Graf Johann Anton von Pergen (1725–1814) übernahm nach seinem Amtsantritt ab 1782 auch die Leitung des Polizeiwesens.1835 Pergen war zu dieser Zeit ein erfahrener Beamter, der unter anderem die Königswahl und Krönung Josephs II. vorbereitet hatte. Durch geselligen Umgang mit der Familie Thun und durch Besuch ihrer Abendgesellschaften genoss er außerdem über Jahre hinweg das Privileg, mit dem Kaiser auch außerhalb der Kanzlei zu verkehren.1836 Nachdem durch die bisherigen Reformen der Einfluss der Stände auf die Verwaltung immer mehr zurückgedrängt wurde, bedeutete dies für die Landesregierungen einen erheblichen Zuwachs an Pflichten.1837 Die Gerichte und Magistrate übernahmen nun immer mehr Aufgaben der Wohlfahrtspolizei und gerieten beispielsweise in Wien in Kompetenzstreit. Durch ein Sondervotum schlug Pergen daher erfolgreich vor, eine neue koordinierende Stelle mit dem Titel Polizeyoberdirektor zu schaffen, die am 6. April 1782 besetzt wurde.1838 Erster Polizeioberdirektor für Wien wurde der von ihm geförderte Franz Anton Beer, der allein ihm gegenüber verantwortlich war.1839 Beer unterstützte sogleich eine Denkschrift seines Förderers vom 3. Dezember 1782, in der Pergen den Kaiser über organisatorische Schwächen der Polizei informierte und ein eigenes Konzept für die Hauptstadt vorstellte.1840 Sein Plan basierte auf einem erheblich engeren Polizeibegriff als der von Sonnenfels: Die Polizei ist bisher in dem weitläufigsten Verstande genommen und unter diesem Namen alles, was Verschönerung und Gemächlichkeit, aber auch Ordnung […] mit sich bringt verstanden worden.1841 Die weite Defini1835 Zum Werdegang Pergens vgl. Bernard: Pergen u. Leitner, Hermann: Der geheime Dienst der Polizei in seinen Anfängen zur Zeit des österreichischen Absolutismus, Diss. Wien 1994, S. 29–32. 1836 Bernard: Pergen, S. 124f. 1837 Osterloh: Reformbewegung, S. 14. Vgl. zu dieser Entwicklung Brandt, Peter, Kirsch, Martin u.a.: Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im. 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel, Bonn 2006, S. 872. 1838 Vgl. Walter: Organisierung, S. 28. 1839 Vgl. Bibl: Polizei, S. 225. 1840 Vgl. Walter: Zentralverwaltung, S. 54 u. Benna: Polizeyhofstelle, S. 110f. 1841 Osterloh: Reformbewegung, S. 147.

Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien

355

tion und die damit verbundene Aufgabenfülle für die Behörden war nach seiner Ansicht in der Praxis nicht umsetzbar, so dass er von einer Polizei im engeren Sinne sprach, die nur noch den Aufgaben der sonnenfelsschen Sicherheitspolizei entsprach: Die Sicherheit des Landesfürsten und aller seiner Diener und Unterthanen […] sowohl für ihre Person und ihre Habschaften ist eigentlich diejenige Polizei, ohne welche der Staat selbst nicht existieren kann.1842 Nach Pergen war es notwendig, dass die Arbeit der Polizeibehörden sich nur auf diesen Polizeibegriff beschränkt, denn nur so könne eine Überlastung verhindert und die Sicherheit im Land gewährleistet werden. Joseph II. befürwortete die Eingabe und befahl dem Grafen, eine Reform der Wiener Polizei zu organisieren.1843 Dafür erhielt Pergen das Recht, regelmäßig und unmittelbar mit dem Kaiser die Sicherheitslage in der Stadt zu besprechen. Er nutzte seine neue Stellung sogleich, um die seiner Ansicht nach wichtigste Polizeieinrichtung zu schaffen: eine von den Verwaltungsbehörden unabhängige Geheimpolizei.1844 Ihre Aufgabe umriss er in einer Instruktion, die nicht nur vor den einfachen Untertanen, sondern auch vor den Mitgliedern der niederösterreichischen Regierung geheim gehalten wurde: dass dieselbe auch das Tun und Lassen der Beamten unter der Hand Acht gebe und nachforsche, wie man mit diesem oder jenem im Publikum zufrieden sey; ob derselbe Bestechungen annehme oder ob er Verwandte im Ausland habe und mit solchen besonderen Briefwechsel unterhalte, ob er mit bedenklichen Fremden vertraulich umgehe oder gar denselben Amtsschriften mitteile […] weiters muss die Polizey im geheimen nachforschen, was im Publikum über den Monarchen und seine Regierung gesprochen werde. Auf die Gesinnungen von Militär und Klerus ist aufzupassen.1845 Der Unterschied zum vorherigen Polizeisystem, in dem die Sicherheitspolizei nur im konkreten Verdachtsfall reagierte, ist offensichtlich. Das neue System war permanent tätig und rechtfertigte seine Existenz durch Spitzelberichte und Verhaftungen, daher war ihm die Konstruktion von Verdachtsmomenten immanent. Die neue Geheimpolizei erforderte ein eigenes Informationsnetz, das sich nach Vorstellung Pergens in allen Bevölkerungsschichten verankern sollte, um unter anderem durch Dienstboten, Fuhrknechte, Handwerker und Lehrer jedwede verdächtige Handlung zu beobachten.1846 Auch die Kontrolle der Post, vor allem von Reisenden und Gesandten, sollte ständig durchgeführt 1842 Ebd. 1843 Vgl. Walter: Zentralverwaltung, S. 54–56 u. Bernard: Pergen, S. 128–132. 1844 Bibl: Polizei, S. 227–229. 1845 Benna: Polizeyhofstelle, S. 97. 1846 Benna: Polizeyhofstelle, S. 98f.

356

Der Staatsreformer Sonnenfels

werden. Die Aufgaben der Wohlfahrtspolizei in Sonnenfels’ Sinne wurden hingegen weitgehend auf kleinere Verwaltungsbehörden abgeschoben, deren Mittel dann schrittweise gekürzt wurden.1847 Pergens Polizei unterschied sich von Sonnenfels’ umfangreicherer Polizey durch folgende Grundannahme: Pergen nahm die Existenz einer bestimmten Zahl von Verbrechen, speziell Verschwörungen, als gegeben an und wollte diese möglichst effizient aufdecken. Sonnenfels hingegen sah die Zahl der Verbrechen als veränderliche Größe und wollte durch seine Wohlfahrtspolizei Rahmenbedingungen schaffen, welche die Zahl der Straftaten präventiv verringern sollten. Daher war eine Geheimpolizei in seinen Augen nutzlos und Sicherheit durch Fürsorge die bessere Lösung. Für die Bestrebungen Pergens, Joseph II. von seinen Ideen zu überzeugen, bedeutete dieser Unterschied einen Vorteil, da sein System günstiger war und mehr Verhaftungen aufweisen konnte. Sonnenfels’ Konzept war hingegen teurer und seine Anwendung bewirkte eine sinkende Verhaftungsrate, die von seinen Gegnern auch als Versagen interpretiert werden konnte. Bei der Umsetzung der neuen Polizeiordnung kam es in Detailfragen wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen Pergen und dem Hofrat von Greiner.1848 Nach dem Tode Maria Theresias war dessen Einfluss allerdings gesunken, so dass es Pergen gelang, seine Reformpläne in der Hauptstadt umzusetzen und danach Beamte in andere Städte zu entsenden, die dort mit den jeweiligen Magistraten oder der Landesregierung kooperierten. Als er jedoch versuchte, sein Polizeisystem auf die gesamten Erblande auszudehnen und sich selbst zur obersten Polizeiinstanz zu machen, stieß er erneut auf Widerstand.1849 Diesmal legte die böhmisch-österreichische Hofkanzlei unter der Leitung des Kanzlers Kolowrat, der zu dieser Zeit gemeinsam mit Sonnenfels in der Loge zur wahren Eintracht und im Orden der Illuminaten aktiv war, Widerspruch dagegen ein und motivierte die Landeschefs, dies ebenfalls zu tun. Befürchtet wurden eine zu große Machtfülle Pergens und ein Eingriff in die Rechte der einzelnen Länder und der Hofkanzlei, die als Zentralbehörde Berichte aus den Ländern entgegennahm. Joseph II. gab der Beschwerde 1786 recht, so dass das pergensche Polizeisystem sich außerhalb Wiens vorerst nicht durchsetzte.1850 Sonnenfels war an dieser Reform der Polizeiorganisation nicht beteiligt, da er zu dieser Zeit auf legislativem Gebiet tätig war und am zweiten Teil des 1847 Bibl: Polizei, S. 232 u. Kap. 6.1 1848 Vgl. Bernard: Pergen, S. 126. 1849 Vgl. Bernard: Pergen, S. 135f., Walter: Zentralverwaltung: S. 56f. u. Ders.: Organisierung, S. 32–39. 1850 Ebd., S. 58f.

Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien

357

josephinischen Strafgesetzes über die schweren Polizeyübertretungen mitarbeitete.1851 So schuf er rechtliche Rahmenbedingungen zur Behandlung von Verstößen gegen Verordnungen der Wohlfahrtspolizei, während Pergen zugleich im Geheimen die praktische Arbeitsweise der Polizei immer mehr auf Sicherheitsaufgaben zuschnitt. Sein öffentliches Schweigen gegenüber diesen Veränderungen ist dadurch zu erklären, dass die pergenschen Reformen auf vertraulichen kaiserlichen Anweisungen und nicht auf öffentlich verkündeten Dekreten basierten.1852 Selbst wenn er durch seine Kontakte von der heimlichen Einrichtung der Geheimpolizei erfahren hätte, wäre eine öffentliche Kritik daran ein noch schwererer Fall von Indiskretion gewesen als die Publikation seines Votum Separatum, die bereits die Strafe der Amtsenthebung hätte bedeuten können. Allerdings ist es natürlich möglich, dass Sonnenfels, der zeitlebens ein Gegner der Geheimpolizei blieb, sich durch seine Bekannten Greiner und Kolowrat indirekt an den Debatten beteiligte.1853 In seiner universitären Lehre blieb er dem Konzept einer umfassenden Wohlfahrtspolizei treu und äußerte sich dementsprechend zu einzelnen öffentlich diskutierte Reformprojekten. Dies galt besonders für einen Vorschlag der medizinischen Fakultät, staatlich genehmigte und kontrollierte Bordelle in Wien zu errichten.1854 Sonnenfels stritt entschieden gegen diese Anregung, die nach Meinung von Medizinern eine bessere Gesundheitskontrolle ermöglichen würde.1855 Seine Argumentation basierte auf der Verantwortung des Staates für die moralische und sittliche Entwicklung der Bürger, die er schon in seinen Begründungen zur Einrichtung einer Theaterzensur hervorgehoben hatte.1856 Im Rahmen der josephinischen Broschürenflut drängte die Meinungsverschiedenheit an die Öffentlichkeit, wobei die Befürworter pointiert den Standpunkt vertraten: dass öffentliche Bordelle in Wien eben so nothwendig, als öffentliche politische Vorlesungen sind.1857 Durch Intervention bei der Hofkanzlei gelang es Sonnenfels allerdings letztlich, die Umsetzung dieses Vorschlags zu verhindern.1858 Diese scheinbar nebensächliche Episode zeigt, dass Sonnenfels bei der Ausbildung neuer Staatsbeamter, die später vornehmlich im Bereich der Po1851 Siehe Kap. 7.2.5 u. Kap. 7.6.2. 1852 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 320 u. Wangermann: Trials, S. 38. 1853 Vgl. Wangermann: Trials, S. 37f. 1854 Zu diesem Kontext vgl. Bibl: Polizei, S. 251f. u. Oberhummer: Polizey, S. 43. 1855 Vgl. Paulsen, Nikolaus: Bordelle sind in Wien nothwendig, Herr Hofrath von Sonnenfels mag dagegen auf seinem Katheder predigen, was er will, Wien 1776. 1856 Dies zeigte sich bspw. auch bei seinen Stellungnahmen in Fragen des improvisierten Theaters, in dem sexuelle Aspekte von großer Bedeutung waren, vgl. Kap. 7.1.1. 1857 Paulsen: Bordelle, S. 4. Sonnenfels erwiderte dies in: Sonnenfels: Lüderlichkeit. 1858 Vgl. Bibl: Polizei, S. 251f. u. Oberhummer: Polizey, S. 43.

358

Der Staatsreformer Sonnenfels

lizei- und der Zentralbehörden nach einer Anstellung suchten, fortlaufend sein eigenes Polizeisystem vermittelte. Der offene Widerspruch seiner Lehrsätze zu der neuen Geheimpolizei Josephs II. trug für ihn dabei kein Risiko disziplinarischer Maßnahmen wie im Falle der Folter mit sich, da es in Wien offiziell keine Geheimpolizei gab. Der prinzipielle Widerspruch gegen sie war daher nicht gegen die offizielle Staatsordnung gerichtet und blieb somit straffrei. Trotz aller Kritik setzte Pergen seine Pläne weiter um und erreichte angesichts der Französischen Revolution und Unruhen in einigen Provinzen des Habsburgischen Herrschaftsbereiches eine Ausweitung und Zentralisierung der Geheimpolizei.1859 Nachdem er 1789 aus gesundheitlichen Gründen sein Amt als niederösterreichischer Regierungspräsident niedergelegt hatte und sich nur noch um die Leitung der Polizei kümmerte, wurde für ihn ein neues Büro mit einem eigenen Mitarbeiterstab, welcher den Polizeioberdirektor Beer und den Hofsekretär Johann Christianus Friedrich Schilling (1753–1803) umfasste, zur Koordinierung der erbländischen Polizei eingerichtet.1860 Die Informationen aller Polizeistellen und Zuträger gelangten nun von den Agenten unter Umgehung der Landesregierungen direkt an die Landespräsidenten, die wiederum unter Umgehung der Hofkanzlei allein Pergen Bericht erstatteten.1861 Darüber hinaus behielt er ein Recht auf freien Zugang zu Joseph II. Auf diese Weise wurde ein zentralisiertes, geheimes Polizeinetz eingerichtet, das nun auch die Arbeit der regulären Ermittlungsund Strafverfolgungsbehörden koordinierte. Es stützte sich allein auf kaiserliche Anordnungen und stand parallel zu den ursprünglich zuständigen Behörden, deren Widerspruch bei Joseph II. erfolglos blieb. Das Wiener Büro erhielt schließlich Weisungskompetenz für alle polizeilichen Einrichtungen der Erblande. Joseph befahl: dass gesamte Länderchefs in Ansehung ihrer diesfalls zu machenden Einrichtungen oder zu überkommenden Weisungen sich unmittelbar und an ihn allein zu verwenden gehalten seyn sollen.1862 Pergen nutzte diese Anordnung, um verschärfend in einzelne Ermittlungsund Strafverfahren einzugreifen.1863 Darüber hinaus arbeitete er eine Instruktion für den geheimen Dienst aus, für deren Umsetzung er sich nach dem unerwarteten Tod Josephs II. an dessen Bruder und Thronfolger wenden musste. 1859 Vgl. Wangermann: Trials, S. 30, S. 35 u. S. 58 u. Bodi: Tauwetter, S. 241. 1860 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 149 u. Walter: Organisierung, S. 38f. 1861 Vgl. Walter: Zentralverwaltung, S. 60–63. 1862 Osterloh: Reformbewegung, S. 149. 1863 Leitner: Dienst, S. 33–35.

Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien

359

7.3.4 Die Rückkehr zur Wohlfahrtspolizei unter Leopold II.: Sonnenfels’ neue Polizeiverfassung für Wien Als Leopold II. die Nachfolge seines Bruders antrat, befand sich die Monarchie in einem Zustand, der den häufigen und intensiven Einsatz einer Geheimpolizei zu erfordern schien. Die Französische Revolution und Aufstände gegen die Reformen Josephs II. in mehreren Landesteilen veranlassten den Grafen Pergen, sich unmittelbar an den neuen Monarchen zu wenden und eine weitere Verschärfung der Gesetzgebung und zusätzliche Kompetenzen für die Polizeyoberdirektion zu empfehlen.1864 Der Kaiser lehnte diesen Antrag allerdings ab und ließ stattdessen eine Kommission Pergens bisherige Amtsführung und Methoden untersuchen, die von Seiten der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei erneut kritisiert worden waren.1865 Zugleich begann Leopold mit der Einrichtung eines eigenen geheimen Informantennetzes außerhalb des pergenschen Polizeisystems, in dem auch Sonnenfels’ Nachfolger an der Universität Leopold Alois Hoffmann und Joseph Heinrich Watteroth tätig waren.1866 Im Fokus der Kritik stand der Umgang der pergenschen Polizeibehörde mit Verdächtigen. Leopold II. sandte auf Rat der obersten Justizstelle hin eine Instruktion an Pergen, in der er eine schonende und respektvolle Behandlung der Inhaftierten befahl.1867 Darüber hinaus griff er in die bisherige Unabhängigkeit der Polizeibehörde ein und erließ am 28. Februar 1791 ein Dekret, dass der niederösterreichischen Regierung und dem Appellationsgericht das Recht zu einer Überprüfung des Umgangs mit Gefangenen verlieh. Pergen reagierte auf diese für sein Polizeisystem ungünstige Entwicklung mit einer Protestnote, die auch nach zweimaligem Einreichen ohne Wirkung blieb.1868 Auf dieses Zeichen eines politischen Wechsels hin bat er den Kaiser um seinen Rücktritt. Seinem Wunsch wurde entsprochen, ohne dass Leopold II. für ihn einen Nachfolger ernannte. Am 8. März befahl der Kaiser vielmehr, dass die von Pergen geführte Polizeyoberaufsicht in den sämtlichen Ländern aufzuhören und führohin in allen Ländern unter den behörigen Länderchefs unmittelbar zu stehen habe.1869 Die Landeschefs berichteten nun an die böhmisch1864 Vgl. zur Lage: Walter: Zentralverwaltung, S.  70–73; zum Antrag: AVA Pergen Akten Kart. 19 Konv. H 6, Note vom 2. März 1790 u. Kart. 19 Konv. H 5, Note vom 1. März 1790. 1865 Vgl. Bernard: Pergen, S. 171f.; Walter: Organisierung, S. 50 u. Wandruszka: Leopold II., S. 337f. 1866 Siehe Kap. 4.1.6; vgl. Walter: Zentralverwaltung, S. 92 u. Wangermann: Trials, S. 101. 1867 Vgl. zur Instruktion und dem späteren Dekret Wangermann: Trials, S. 93f. 1868 Wangermann: Trials, S. 94f. u. Walter: Organsisierung, S. 52. 1869 Osterloh: Reformbewegung, S. 151.

360

Der Staatsreformer Sonnenfels

österreichische Hofkanzlei, deren oberster Kanzler Kolowrat wiederum mit dem Kaiser in Verbindung stand.1870 Pergens Mitarbeiter Johann Schilling und der Regierungssekretär Mährental wurden nun der niederösterreichischen Regierung unterstellt, deren Leiter Wenzel Graf Sauer von und zu Ankenstein (1742–1799) gemeinsam mit dem weiterhin tätigen Polizeidirektor Beer die Polizeiarbeit in diesem Land und in der Stadt Wien dirigierte.1871 Das josephinische System einer zentralisierten Geheimpolizei wurde somit aufgehoben und Leopold II. begann nun mit einer Neuordnung, die scheinbar Gegensätzliches miteinander verband, indem er einerseits die staatliche Polizei wieder anhand der Prinzipien der theresianischen Wohlfahrtspolizei organisierte und andererseits sein eigenes Informantennetzwerk außerhalb der Polizeihierarchie aufbaute.1872 Zur dieser Zeit ersuchte Sonnenfels um seine Entlassung aus dem Universitätsdienst und bat um die Übertragung neuer Aufgaben. Dabei hoffte er nach eigenen Angaben auf eine Stelle im Kabinett und den Befehl, eine große Gesetzessammlung zu erstellen.1873 Wenn Leopold dieser Bitte auch nicht entsprach, so kam ihm die Initiative des umtriebigen Hofrats gelegen, der maßgebliche Erfahrungen bei der Organisation der theresianischen Polizei gesammelt hatte. Er hatte über ihn bereits vermerkt: Dieser Sonnenfels ist […], ein Mann von großem Talent, Tätigkeit, sehr fähig und ein großer Arbeiter, aber voll Anmaßung und Eitelkeit.1874 Sonnenfels erhielt den Befehl, die Polizeyverfassung der Hauptstadt neu zu organisieren.1875 Durch seine Wahl setzte Leopold bereits die Richtung der Reform fest, trat Sonnenfels doch für eine öffentliche Wohlfahrtspolizei und explizit gegen geheime Ermittlungseinrichtungen auf. Bereits zwei frühe Entwürfe, die er im Jahr 1791 für eine neue Polizeyordnung und eine Dienstanweisung für die Beamten erstellte, bestätigten diesen Eindruck.1876 Seine Konzepte sahen in Anlehnung an die theresianischen Einrichtungen 1870 Vgl. Wandruszka: Leopold II., S.  338; Walter: Zentralverwaltung, S. 94 u. Oberhummer. Polizey, S. 95. 1871 Osterloh: Reformbewegung, S. 155 u. Wangermann: Trials, S. 95. 1872 Vgl. grundlegend: Osterloh: Reformbewegung, S. 150. Bzgl. Leopolds Plänen verweist Wandruszka auf die Ähnlichkeit zwischen der neuen Polizeiordnung für Wien und derjenigen die der Kaiser für die Toskana erlassen hatte, Wandruszka: Leopold II., S. 340. 1873 HHStA VA Kart. 41 Konv. Alt 62, Fol. 309r.–482v. Nota von Hofrath Sonnenfels an S.M. dem 22 Julius 1790 überreicht über welche er sogleich eine Entscheidung haben wollte, die seinen Charakter und seine Denkungsart entwickelt, Fol. 357r.–362v. Vgl. Kap. 4.1.5; Wandruszka: Leopold II., S. 325. 1874 Zur Beurteilung Sonnenfels durch Joseph II, zit. nach Wagner: Organisierung, S. 42f. 1875 Vgl. Bernard: Pergen, S. 176 u. Wandruszka: Leopold II., S. 339 1876 Vgl. zur Übersicht: Oberhummer, Polizei S. 59–73; Osterloh: Reformbewegung, S. 150–155 u. Benna: Polizeyhofstelle, S. 173f.

Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien

361

vor, die Stadt Wien erneut in zwölf Bezirke einzuteilen, die wiederum einem leitenden Beamten mit dem Titel eines Bezirksdirektors unterstehen sollten. Diese Direktoren sollten die lokalen Polizeiwachen und Beamten befehligen und deren Reporte an die Landesregierung weiterleiten, die dann über die Hofkanzlei dem Kaiser berichtete.1877 Die Aufgaben der Direktoren erstreckten sich ihm zufolge auf drei Bereiche: Erstens Civilgegenstände, worunter Sonnenfels die Aufgabe und das Recht verstand, mindere Vergehen und Streitfälle um geringen Wert zu entscheiden.1878 Zweitens Kriminalgegenstände, welche die Organisation der Strafverfolgung umfassten. Hierbei sah Sonnenfels explizit keine weitläufige Überwachung vor, sondern lediglich ein schnelles und effizientes Handeln nach vollzogener Tat. Eine Überwachung ohne richterliche Anordnung und ohne konkreten Verdachtsfall war nach seiner Ansicht illegal. Somit müsse jede Geheimpolizei abgeschafft werden.1879 Drittens die Polizeygegenstände, die den Großteil der wohlfahrtspolizeilichen Aufgaben beinhalten. Die Direktoren sollten die Aufsicht über Gesundheitswesen, Lebensmittelversorgung, Sauberkeit, Brandschutz, Infrastruktur, Gewerbe und Erwerbslose in ihren Bezirken führen. Die Details zu diesen Bestimmungen legte Sonnenfels in einer über 130 Seiten umfassenden Verordnung dar.1880 Darin empfahl er, den Direktoren zur Erfüllung ihrer umfangreichen Funktionen mehrere Mitarbeiter zur Seite zu stellen und die Zahl des für die Bürger sichtbaren Polizeipersonals zu erhöhen. Im Besonderen geht er auf die Notwendigkeit ein, das Gesundheitswesen zu verbessern, wie aus einer eigens von ihm entworfenen Instruktion für Bezirksärzte hervorgeht.1881 So schlug er vor, in jedem Bezirk einen Arzt, einen Wundarzt und eine Hebamme anzustellen, welche die bedürftigen Einwohner kostenlos versorgen sollten. Die Bezirksärzte hätten außerdem die Aufgabe, die Qualität von Arzneien und der ärztlichen Versorgung zu prüfen, ansteckende Kranke zu isolieren und in Kriminalfällen eine Leichenbeschau zur Erleichterung der Strafverfolgung vorzunehmen. Eine Kurzfassung seiner Entwürfe, die noch immer alle Beschränkungen der Polizeigewalt beinhaltete, bereitete Sonnenfels auf kaiserlichen Befehl zur Verkündung vor.1882 Hierbei arbeitete er mit dem Regierungsmitglied 1877 Benna: Polizeyhofstelle, S. 125; Peham: Herrscher, S. 254 u. Bibl: Polizei, S. 258. 1878 Siehe Oberhummer: Polizey, S. 60–62. 1879 Siehe Wangermann: Trials, S. 97. 1880 Dienstanweisung für Polizeybezirksdirektoren: NÖLA: Präsidialakten 1791, unf. 1881 NÖLA, Präsidialakten 1791 Konv. No.1; Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 154f. 1882 NÖLA, Präsidialakten 1791, unf.: Entwurf zur Nachricht, womit die Einführung der neuen Polizeyverfassung für Wien bekannt zu machen seyn dürfte.

362

Der Staatsreformer Sonnenfels

Jacob Wöber zusammen, der ebenfalls bereits seit der theresianischen Polizeireform im Amt war und der ihn zeitgleich gegen seine Nachfolger Watteroth und Hoffmann unterstützte.1883 Während beide Männer den Text ausfertigten, erhoben Befürworter des pergenschen Systems ungeachtet der kaiserlichen Anordnung Widerspruch gegen Sonnenfels’ Konzept einer neuen Polizeyverfassung.1884 Das Oberhaupt der Landesregierung Wenzel Graf Sauer, der in Polizeifragen eng mit Pergens ehemaligen Mitarbeitern Schilling und Mährental kooperierte, kritisierte den Entwurf in einer Eingabe an Leopold II.1885 Sein zentrales Argument war dabei, dass nur eine Geheimpolizei die Sicherheit im Staate gewährleisten könne. Die Maßnahmen, die Sonnenfels vorschlage, seien zur Verhinderung von Verschwörungen schlicht unzureichend. Auch bringe die Bekanntmachung so weiter Teile der Verordnung im Publikum nur den Nachteil, dass die Polizeieinrichtungen zum Gegenstand von Kritik werden könnten. Insgesamt zeige der Entwurf, dass sein Verfasser ein Theoretiker und keineswegs ein erfahrener Praktiker sei. In Kooperation mit Schilling und dem Sekretär Mährental erstellte Graf Sauer einen Gegenentwurf und reichte diesen, sowie eine gekürzte Version von Sonnenfels’ Bekanntmachung zusammen mit seiner Note ein. In mehreren zusätzlichen Eingaben versuchte Sauer noch im Laufe des Oktobers Leopold II. zu bewegen, die Geheimpolizei als integralen Bestandteil der Polizeiordnung bestehen zu lassen.1886 Die enge Kooperation der pergenschen Beamten legt dabei nahe, von der Bildung eines Netzwerkes gegen Sonnenfels’ Einfluss auf die Polizeireform zu sprechen. Unklar ist, ob Leopold Aloys Hoffmann, Sonnenfels’ Nachfolger an der Wiener Universität, aus eigenem Antrieb oder in Absprache mit diesen Männern handelte, als er sich gegen dessen Beteiligung an der Polizeireform äußerte. In seiner Eigenschaft als Informant Leopolds II. berichtete er am 23. Juli von den negativen Folgen, die daraus entstünden, dass Sonnenfels und nicht die bisher zuständigen Beamten das neue System erarbeiten würden: Gänzliche Unthätigkeit aller Polizei – Anwachsende Theurung […] zunehmender Gassenbettel – Sorglosigkeit in offizieller Beobachtung verdächtiger Zusammenkünfte und Reden in öffentlichen Bier und Wirthshäusern […] Vorläuffige Beschimpfung und Herabwürdigung der neuen Polizei durch die alte, [und als Resultat davon] Aufhetzung des Publikums gegen alle 1883 NÖLA Präsidialakten 1791, unf. Konv. No. 2 Note zur neuen Polizeyverordnung. 1884 Vgl. Wangermann: Trials, S. 97–99 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 155–157. 1885 NÖLA Präsidialakten 1791, unf.: Note Sauers vom 12. August 1791 weitere Schriften folgten ebd. am 19. Okt. 1791 und vom Grafen Saurau am 10. Juni 1792. 1886 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 157.

Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien

363

Polizei.1887 Diese Zustände seien die Folge eines Streits der verschiedenen Polizeireformer angesichts der Fehler im neuen System: Das Projekt […] welches Sonnenfels gemacht haben soll, wird von allen Justizverständigen und allen denjenigen, welche Wien und die Geschäfte kennen, für die inkonsequenteste Schimäre gehalten.1888 Hoffmann ist daher, angeblich übereinstimmend mit allen Experten, der Meinung, die Reform müsse umgehend in andere Hände gelegt werden. Sein Bericht ist allerdings aufgrund seiner offenen Auseinandersetzung mit Sonnenfels kaum als neutral anzusehen. Dennoch unterstreicht diese Quelle die Vielschichtigkeit, welche die Kritik an der Neuorganisation der Polizei auszeichnet. Leopold II. reagierte jedoch nicht auf die Nachricht und ignorierte auch den Entwurf von Sauer, Schilling und Mährental. Sonnenfels’ Konzepte wurden umgesetzt, wenn auch die von Sauer gekürzte Version des Dekrets zur Verkündung am 1. November 1791 verwendet wurde.1889 Die Polizeireform Leopolds II. unterscheidet sich daher von anderen bisher betrachteten Projekten. Sonnenfels wurde in diesem Fall vom Landesfürsten direkt zur Erfüllung eines bestimmten Auftrages berufen, für den er sich durch Erfahrung und Expertise empfohlen hatte. Dies wird auch durch die Unterstützung und Verteidigung verdeutlicht, die er dabei durch den Kaiser genoss, obwohl der Monarch zur selben Zeit zugunsten von Hoffmann und Watteroth in den Nachfolgekonflikt um Sonnenfels’ Lehrkanzel eingriff. Sonnenfels’ Handeln folgte hier den unmittelbaren Zielen des Herrschers, die bereits feststanden und nicht wie im Falle der Aufhebung der Folter durch Maria Theresia erst durch einen Aushandlungsprozess geformt wurden. Daher fand weder innerhalb der Behörden noch in der Öffentlichkeit eine Debatte oder Erörterung statt. So wurde die Polizeireform Leopolds II. zu einem der unmittelbarsten Wirkungsfelder Sonnenfels’ in der Staatsverwaltung. Da er hier den Willen des Monarchen ausführte, war es für ihn nicht Notwendig, seine Kontakte zu mobilisieren oder eine Debatte zu inszenieren. Bemerkenswert bleibt das Verhalten Leopolds II. Einerseits förderte er eine öffentliche Wohlfahrtspolizei, die das Leben der Untertanen verbessern und sein Ansehen steigern sollte, andererseits schuf er zugleich ein neues Agentennetz ohne polizeiliche Befugnisse außerhalb der staatlichen Institutionen. Möglicherweise versuchte er auf diese Weise die Vorteile beider von seinen Vorgängern erprobter Systeme zu nutzen. In der Praxis erwiesen sich die von Sonnenfels konzipierten Polizeieinrichtungen als effizient und das 1887 HHStA VA Kart. 38, Fol. 191r.–192v., Bericht vom 23. Junius 1791. Zitat fol. 191r. 1888 Ebd., Fol. 191v. u. Fol. 192r. 1889 Vgl. die Ausführungen bei Osterloh: Reformbewegung, S. 156f. mit Quellenverweisen.

364

Der Staatsreformer Sonnenfels

neue Gesundheitswesen brachte eine Verbesserung der Lebensumstände in der Stadt Wien.1890 Einen Nachteil stellten jedoch die Personalkosten dar, welche die der pergenschen Geheimpolizei um ein Vielfaches übertrafen.1891 Sie waren auch der Grund dafür, dass Sonnenfels’ Polizeisystem nicht in anderen Ländern der Monarchie eingerichtet wurde, sondern auf Wien beschränkt blieb. 7.3.5 Die Wiedererrichtung der pergenschen Geheimpolizei unter Franz II. Bereits unmittelbar nach der Thronbesteigung Franz II. unternahmen die Kritiker des von Sonnenfels ausgearbeiteten Polizeisystems einen neuen Vorstoß. Wieder war es der niederösterreichische Regierungspräsident Graf Sauer, der beim Kaiser vorstellig wurde und mahnend die schlechte Situation beschrieb. Gerade angesichts der Revolution in Frankreich drohten verheerende Folgen für die Monarchie: so ist das Anzeigewesen ganz vernachlässigt, die Aufsicht über die Fremden wird nicht mit genügender Aufmerksamkeit geleistet, und in dem, was eigentlich geheimer Dienst heißt, wird […] nicht mit einstimmiger Mitwirkung gearbeitet.1892 Während der Kaiser auf diese Kritik hin lediglich eine Überprüfung des Polizeiwesens anordnete, ließ Graf Sauer bereits die Befürworter der Geheimpolizei und ehemaligen Mitarbeiter Pergens, Schilling und Mährental zusammen mit dem josephinischen Oberpolizeidirektor Beer direkt in sein Büro versetzen.1893 Die Diskussion über das leopoldinische System gewann kurz darauf durch die Entwicklung in Galizien neue Dynamik. Dieses Territorium, das durch die erste Teilung Polen-Litauens an die Habsburgermonarchie gefallen war, besaß noch immer die Polizeiverfassung von 1789. Als der zuständige Gouverneur im Sommer 1792 eine Anfrage darüber stellte, wie die Einrichtung und Finanzierung der Geheimpolizei in dem Gebiet zu besorgen sei, meldete sich Sonnenfels mit einer Eingabe an den Kaiser zu Wort.1894 Sein Votum behandelte die Frage ob es rätlich sei, die Ausspähung in den Plan der Polizei mitaufzunehmen und ob die Ausspähung zur Besorgung der Polizei ein notwendiges oder zuverlässiges und ein von allen Seiten unnachteiliges 1890 Vgl. Wangermann: Trials, S. 99; Osterloh: Reformbewegung, S. 157 u. Oberhummer: Polizey, S. 60. 1891 Oberhummer: Polizey, S. 73–77 u. Benna: Polizeihofstelle, S. 126f. 1892 NÖLA Präsidialakten 1791, unf.: Eingabe Sauers vom 10. Juni 1792. 1893 Vgl. zur Reaktion: Osterloh: Reformbewegung, S. 158; zur Personalie: Wangermann: Trials, S. 121f. 1894 Die Anfrage des Gouverneurs: HHStA Staatsratsprot. 2332 ex 1792 u. Sonnenfels’ Stellungnahme HHStA Staatsratsprot. 4293 ex 1793; vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 158. Zu Sonnnfels’ Hofratsstatus vgl. den Hof- und Staatsschematismus von 1783.

Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien

365

Mittel sei. Bei seiner Argumentation wie auch bei der Fragestellung zeigen sich Parallelen zu Sonnenfels’ Votum Über die Abschaffung der Tortur, mit dem er bereits einmal in einem Diskurs innerhalb der Behörden aufgetreten war.1895 Sonnenfels beschreibt ausführlich und wie auch in seinem früheren Votum mit schwärmerischen Worten, dass bei ausreichenden öffentlichen Polizeimaßnamen eine Geheimpolizei unnötig sei. Solch eine Einrichtung bringe nur negative Folgen für den Staat: weil es die Sittlichkeit untergräbt, die Bande des gesellschaftlichen Lebens auflöst und den Verläumdungen Tür und Tor öffnet.1896 Insgesamt erscheine ihm daher eher eine teilweise Ausweitung des leopoldinischen Polizeisystems auf Galizien empfehlenswert. Die Anfrage des Gouverneurs und Sonnenfels’ Stellungnahme provozierten aber auch Reaktionen anderer Personen. In einem Gutachten für Franz II. betonte Regierungsrat Schilling die immensen Kosten der angeblich ineffizienten Wohlfahrtspolizei, welche diejenigen einer Geheimpolizei um mehr als das Zehnfache übersteigen würden.1897 Von diesen Kosten sei angesichts der Koalitionskriege gegen Frankreich dringend abzuraten. Stattdessen sollte die Reform Leopolds II. zurückgenommen werden. Auch Sonnenfels’ Vorgesetzter, der oberste Kanzler Kolowrat, schaltete sich ein und forderte im Namen der vereinigten Hofkanzlei die Neuordnung des Polizeisystems zwar beizubehalten, aber organisatorisch zu den theresianischen Einrichtungen zurückzukehren und seiner eigenen Behörde die Oberhoheit über die gesamte Polizei zu geben.1898 Zur Bekräftigung seines Antrags kritisierte auch er die Ineffizienz der bestehenden Polizeiverwaltung, womit er die Bemerkungen Schillings vermutlich unabsichtlich stützte. Kaiser Franz II. bat angesichts dieser Memoranden den erfahrenen Grafen Pergen um eine Einschätzung, der darauf am 10. September 1792 antwortete und betonte, dass Kaiser Leopold ein neues […] weitläufiges und äußerst kostspieliges und die Beamten mehr mit Schreiben als Handeln beschäftigendes [Polizeisystem] eingeführet habe.1899 Er wisse zwar aufgrund seines Ruhestandes nichts Genaues, doch ihm erscheine eine Rückkehr zur alten Ordnung empfehlenswert.1900 Während der Staatsrat die eingegangenen Voten beriet und noch Uneinigkeit zwischen den Mitglieder bestand, traf Franz II. bereits eine Ent1895 Vgl. Kap. 7.2.3 1896 HHStA Staatsratsprot. 4293 ex 1792. 1897 Bernard: Pergen, S. 184. 1898 Vgl. Benna: Polizeyhofstelle, S. 178 u. Bernard: Pergen, S. 185. 1899 AVA Pergenakten Kart. 19 H8, Memorandum Pergens vom 19. Sept. 1792, Fol. 60v. [Wegen Restaurierung zit. nach Leitner: Dienst, S. 43]. 1900 Weitere Denkschriften bestätigten diese Einschätzung: Vgl. die Akten o. D. u. o. Titel: AVA Pergenakten, Kart. 18 Konv. 27, Fol. 441r.–447v. u. Konv. 29, Fol. 125r.–143r.

366

Der Staatsreformer Sonnenfels

scheidung. Am 2. Januar enthob er den Grafen Sauer aller Verantwortung bezüglich der Polizei und übertrug deren Leitung erneut Pergen: und da Ich dieselbe, so wie unter Kaiser Joseph […] bestanden hat, auch dermalen wieder eingerichtet sehen wünsche, und habe ich zu Meinem Polizey-Minister in allen Meinen Erbländern, Meinen Staatsminister, den Grafen von Pergen welcher ohnehin diese Charge in vorigen Zeiten zum Wohl des Staates schon bekleidet hat, […] ernannt.1901 Der Wortlaut dieser Erklärung setzte den Kurs für die Maßnahmen des neuen, eigentlich alten Ministers. Pergen, der wieder direkten Zugang zum Monarchen erhielt, etablierte erneut ein Netzwerk von Informanten und zentralisierte die Leitung aller Polizeigeschäfte in seinem Büro. Dieser Polizeyhofstelle wurden nun erneut die drei Beamten Schilling, Mährental und Beer als Oberpolizeidirektor von Wien, zugeteilt. Die Polizei wurde dadurch von der Verwaltung getrennt und dem Minister gelang es darüber hinaus, sie in wesentlichen Teilen auch unabhängig von richterlichen Entscheidungen – wie Durchsuchungsbefehlen – zu machen. Die Behörde konzentrierte ihre Tätigkeit auf sicherheitspolizeiliche Maßnahmen und zog sich von der Wohlfahrtspolizei zurück, wobei Pergen auf Beers Rat einige Teile der sonnenfelsschen Polizeyverfassung beibehielt, die wie die kostenlose Gesundheitsvorsorge besonders geeignet waren, um die Stimmung der Bevölkerung positiv zu beeinflussen.1902 Seinen direkten Zugang zu Franz II. nutzte Pergen in den folgenden Jahren zum einen, um dem Kaiser Berichte über die Gesinnung und das Verhalten ranghoher Beamten zukommen zu lassen und zum anderen, um für seine Behörde zusätzliche Kompetenzen wie die alleinige Kontrolle über das Zensurwesen zu erhalten.1903 So setzte sich auf kaiserlichen Entschluss das Überwachungssystem gegen die Wohlfahrtspolizei durch. Sonnenfels unternahm noch einen letzten Versuch, gegen diese Einrichtungen vorzugehen. Franz II. hatte im Mai 1794 befohlen, die seit einer langen Reihe von Jahren ergangenen vielfältigen Polizeyverordnungen in ein System zu fassen; wo es nothwendig seyn wird die zusagenden Verbesserungen anzuzeigen, dann aber über diesen wichtigen Zweig der öffentlichen Verwaltung ein vollständiges (ordentliches) Gesetzbuch zu entwerfen.1904 Den 1901 HHStA Staatsratsprot., 36 ex 1793; vgl. zur Umsetzung: Benna: Polizeyhofstelle, S. 123– 150; Oberhummer: Polizey, S. 83–108 u. Leitner: Dienst, S. 44f. 1902 Vgl. Wangermann: Trials, S. 124; Osterloh: Reformbewegung, S. 159 u. Bernard: Pergen, S. 186–195. 1903 Zu den Berichten siehe: HHStA VA Kart. 40, Fol. 4r.–12v. u. zur Entwicklung bzgl. der Zensur: Benna: Polizeyhofstelle, S. 150–171. 1904 AVA Hofkanzklei III A 3 Kart. 310 Konv. Sonnenfels Ausarbeitung über die Polizeiverordnung 1794–1795, Fol. 2r.; vgl. HHStA Staatsratsprot. 1653 ex 1794 vom 12. April 1794. Unterstreichung sind stets aus dem Original übernommen.

Wohlfahrtspolizei oder Sicherheitspolizei? Zwei Reformkonzepte für Wien

367

Auftrag zu dieser Gesetzessammlung und zur Ausarbeitung von Verbesserungsvorschlägen vergab die Hofkanzlei an Sonnenfels, der aufgrund seiner Tätigkeit als „Staatsstilist“ und Mitarbeiter bei mehreren Gesetzgebungsprojekten die notwendige Erfahrung besaß.1905 Noch im selben Jahr legte er sowohl einen ersten Entwurf für einen Polizeycodex, als auch eine umfangreiche in 178 Paragraphen unterteilte Denkschrift vor.1906 Die ersten zehn Paragraphen widmete er einer sorgfältigen Abrechung mit dem pergenschen System. Sonnenfels nennt hier ein letztes Mal seine Argumente für eine öffentliche Polizei, die der Kontrolle der Staatsverwaltung untersteht: Das Innere unbescholtener Familien sey also eine unzugängliche Freystätte, welche dem Auge der Ausspähung zu entweihen, nie erlaubt werde. Der rechtschaffene Mann ist berechtigt jede Forschung gegen ihn als unverdiente Kränkung zu empfinden.1907 Eine Überwachung müsse an strenge, für den Bürger nachvollziehbare Regeln geknüpft werden, deren Übertretung streng zu bestrafen sei.1908 Der Kaiser leitete die Denkschrift zur Begutachtung an die Polizeyhofstelle weiter, wo Johann Schilling im Namen der Befürworter der pergenschen Geheimpolizei ein Gutachten verfasste.1909 Er diffamierte Sonnenfels’ Argumente als zu theoretisch, da sie nichts mit der Praxis der Polizeiarbeit zu tun hätten. Bedrohungen für den Staat könne nur begegnet werden, wenn eine sorgfältige und permanente Überwachung der Stimmung im Volke und aller verdächtiger Handlungen möglich sei. Neben Schilling kritisierte auch Pergen persönlich Sonnenfels’ Entwurf und stellte generell die Kompetenz und Zuständigkeit seines Kontrahenten für Verbesserungsvorschläge in Frage.1910 Diese Kritik wurde durch den 1794 als großen Erfolg inszenierten Prozess gegen die Wiener Jakobinerverschwörung verstärkt, der die Wirksamkeit der Geheimpolizei zu belegen schien.1911 Franz II. entschied daraufhin, Sonnenfels in einer Resolution am Ende des Jahres 1795 eine Rüge für seine Denkschrift auszusprechen und 1905 HHStA Staatsratsprot. 2363, 2011, 1653 u. 3152 ex 1794, spez. 2363 Resolution vom 11. Juli 1794. 1906 AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 310 Konv. Sonnenfels Ausarbeitungen über die Polizeiverordnungen 1794–95. Folierung lückenhaft, starke Brandschäden. Für Auszüge vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 160–163. 1907 Ebd., § 55. 1908 Ebd., § 70. 1909 Osterloh: Reformbewegung, S. 164. 1910 HHStA Staatsratsprot. 128, 1991 u. 2222 ex 1796. Vgl. auch die diesen Ausführungen entsprechende stark verbrannte ausführliche Stellungnahme AVA Pergenakten Kart. 18 Konv. 27, Fol. 441r.–447v. 1911 Vgl. zu den Auswirkungen, bspw. Gehaltszulagen und Beförderungen für Pergens Stab Wangermann: Trials, S. 172.

368

Der Staatsreformer Sonnenfels

befahl: In die Organisierung der Polizey, und die von Mir für dieselbe vorgeschriebene Directio Regeln hat er sich keineswegs einzumengen.1912 Sonnenfels folgte der Anordnung und versuchte nicht noch einmal für sein Konzept einer Wohlfahrtspolizei einzutreten. Seine fortwährend kritische Haltung gegenüber Pergens System zeigte er allerdings in einer Publikation in Wielands Neuem Teutschen Merkur.1913 Darin analysiert er die Ursachen der Französischen Revolution und kommt zu dem Schluss, dass den Polizeieinrichtungen der Stadt Paris große Bedeutung für den Ausbruch der Revolution zukam. Die Vernachlässigung der Wohlfahrt, der Straßenreinigung, der Nahrungsmittelversorgung, des Medizinalwesens und der sichtbaren Polizeipräsenz habe eine revolutionäre Stimmung entstehen lassen, die so allgemein war, dass die Geheimpolizei sie zwar beobachten, aber nicht bekämpfen konnte. Immer intensivere Nachforschungen und willkürliche Verhaftungen hätten dann wesentlich dazu beigetragen, die Situation zu verschärfen und die Revolution auszulösen. Sonnenfels’ Mahnung blieb jedoch unbeachtet und war seine einzige publizistische Äußerung zu diesem Thema. Es zeigt sich, dass Franz II. im Vergleich zur Zeit seines Vaters die Rahmenbedingungen der Polizeyreformen geändert hatte. Sonnenfels wurde ausgeschlossen und konnte nur noch versuchen, durch Gutachten Einfluss zu nehmen, denen aber mangels Fürsprache der Erfolg versagt blieb. Seine Kontakte bei der Hofkanzlei verfolgten eigene Ziele und darüber hinaus waren viele seiner früheren Verbündeten, wie der Staatsrat Borié oder Franz von Greiner, inzwischen verstorben oder hatten selbst ihren Einfluss verloren. So stand Sonnenfels mit seinen Ansichten zur Wohlfahrtspolizei weitgehend allein gegen den Willen des Kaisers. Auch seinen sonst so nützlichen Ruf als Autor und seine Kontakte an der Universität konnte er hier nicht zu seinen Gunsten nutzen, da es zu keiner öffentlichen Debatte über die geheimen Reformen kam. Stattdessen waren es die Monarchen, die letztendlich über Erfolg oder Misserfolg der verschiedenen Reformkonzepte entschieden und sie ohne weitere Aushandlungsprozesse durch einzelne Reformer umsetzen ließen. Die eingeschränkten Gestaltungsmöglichkeiten Sonnenfels’ spiegeln sich darin wider, dass sowohl er selbst, als auch seine Schüler und frühen Biographen dieser eher „hinter den Kulissen“ vollzogenen Reform bei der Aufzählung seiner Verdienste geringere Aufmerksamkeit wid1912 HHStA Staatsratsprot. 128 ex 1796. Circul Note des Polizey Ministers Grafen von Pergen vom 30. Dez. 1795. 1913 Sonnenfels, Joseph von: Über die Ursachen der französischen Revolution. Aus einer ungedruckten Staatsschrift, in: Der neue Teutsche Merkur, Bd. 3, 7. St. (1797), S. 237–271. Vgl. Reinalter, Helmut: Österreich und die Französische Revolution, Wien 1988, S. 144– 147.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

369

meten, als beispielsweise seinen Bemühungen um eine Theaterreform oder die Aufhebung der Folter.

7.4 Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen 7.4.1 Sonnenfels’ frühe Äußerungen zum Erziehungswesen Im Jahr 1767, dem vierten Jahr seiner eigenen Lehrtätigkeit, wandte sich Sonnenfels erstmals vor einem breiten Lesepublikum dem Erziehungswesen der Habsburgermonarchie zu. Hierfür bediente er sich, wie schon bei anderen Themen, seiner erfolgreichen Wochenschrift Der Mann ohne Vorurtheil.1914 Die Wahl dieses populären Mediums und eines unakademischen Stils sicherten ihm eine wesentlich größere Aufmerksamkeit in Wien, als sie eine wissenschaftliche Erörterung geboten hätte – dies wurde schon bei seinen Äußerungen zum Strafrecht und zur Theaterreform deutlich. Mit seinen bildungspolitischen Ausführungen präsentierte er hier die Grundlagen für seine spätere Mitarbeit an den diesbezüglichen Reformprojekten, die von der Herrschaftszeit Maria Theresias bis zu derjenigen Franz’ II. durchgeführt wurden. Am Beginn steht für ihn eine Definition der Erziehung als Gesetzen, welche uns zu Bürgern […] aus einzelnen Menschen umgestalten.1915 Der Gesetzgeber müsse erkennen, dass die Erziehung der Untertanen die Basis für eine positive Entwicklung des Staates und für das Verhältnis zwischen ihm und seinen Bürgern sei. Dabei ist die Disziplinierung der Untertanen für Sonnenfels das naheliegende Ziel, denn die Vorschriften der Erziehung sind die Ersten, bei denen der Willen zur Unterwürfigkeit gewöhnet wird.1916 Aufgrund dieser Bedeutung dürfe der Staat keineswegs Privatkräfte, worunter auch religiöse Orden zählen, im Erziehungswesen dulden. Nur unter staatlicher Aufsicht könne garantiert werden, dass die Erziehung ihr höchstes Ziel erreiche: Sehet da den wichtigen Endzweck der öffentlichen Erziehung, die 1914 MoV Bd. 12, in: Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 2, S. 341- 346 u. MoV Bd. 13, in: ebd. Bd. 2, S. 347–356. Zu den Ausführungen dort siehe Grimm: Bürgerschule, S. 34–36. Vgl. zu Sonnenfels bildungspolitischen Äußerungen allg.: Kann: Kanzel, S. 119–123; Becker-Cantarino, Barbara: Joseph von Sonnenfels and the Development of Secular Education in Eighteenth-century Austria, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century, Bd. 167 (1977), S.  29–47; Grimm, Gerald: Die Staats- und Bildungskonzeption Joseph von Sonnenfels und deren Einfluss auf die österreichische Schul- und Bildungspolitik im Zeitalter des Aufgeklärten Absolutismus, in: Hager, Fritz Peter (Hg.): Staat und Erziehung in Aufklärungsphilosophie und Aufklärungszeit, Bochum 1993, S. 53–66, sowie Klingenstein: Akademikerüberschuß. 1915 MoV Bd. 13, in: Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 2., S. 338. 1916 Ebd., S. 339.

370

Der Staatsreformer Sonnenfels

wahre Quelle der Liebe des Vaterlandes: in dem Herzen der Kinder eine Gewißheit zu gründen, dass ihr Wohl mit dem Wohl des Staates unabsönderlich verknüpfet ist.1917 Dadurch könne die Zufriedenheit der einzelnen Bürger gesteigert und zugleich großer Nutzen für den Staat erzielt werden. In der folgenden Ausgabe des Mann ohne Vorurtheil berichtet Sonnenfels, wie ein Bildungswesen beschaffen sein müsse, um dies Ziel zu erreichen.1918 Hierfür sei es notwendig, von der Idee einer gemeinsamen und gleichen Erziehung aller Kinder durch den Staat Abstand zu nehmen. Die spätere berufliche Heterogenität der Bürger müsse notwendigerweise auch eine Heterogenität im Erziehungswesen zur Folge haben. Nur durch sorgfältig gestaffelte Bildungseinrichtungen könnten die negativen Folgen einer egalitären Erziehung vermieden werden, denn – so warnt er – es dürfen die niederen Schichten nicht von einem Erziehungswesen verdorben werden, das sich nur für die Oberklassen eignet. […] Nein! Es ist nicht zu erwarten, dass die Kinder des gemeinen Volkes jemals wie die Fürsten denken werden, aber es ist zu befürchten, dass Prinzen wie der Pöbel denken lernen mögen.1919 Innerhalb der standesgemäßen Bildungseinrichtung könne ein jeder genau das lernen, was er für seinen späteren Lebensweg benötige. Diese Einschätzung ergänzt Sonnenfels in seiner für weibliche Leser konzipierten Zeitschrift Theresie und Eleonore.1920 Dort führt er aus, dass auch Frauen eine abgestufte Ausbildung benötigen, da sie in ihrer jeweiligen sozialen Klasse als Mütter Verantwortung für die Erziehung der Kinder tragen. Seine Ansichten band er im Jahr 1768 in der zweiten Auflage seines Lehrbuches Grundsätze der Polizeywissenschaft in die universitäre Lehre ein.1921 Er wiederholte hier die Ausführungen aus seinen Wochenschriften und ergänzte sie um Anmerkungen zur großen Bedeutung der Erziehung für den Staat. Stabilität und Wohlstand hängt für ihn vom richtigen Bildungswesen ab, das ständisch differenziert mit hervorragend ausgebildetem Lehrpersonal und einem dichten Netz von Primärschulen und Waisenhäusern alle Untertanen erfassen müsse. Die einfachen Schulformen hätten dabei organisatorisch Vorrang vor den höheren, da ihr Nutzen für die Gesamtbevölkerung größer sei. Im Sinne der europäischen Reformbewegung des 18. Jahrhunderts, als deren österreichischer Vertreter sich Sonnenfels positionierte, folgerte er: die Gesetzgebung kann also die Vorsorge für die Aufklärung des Bürgers ohne ihren eigenen Nachteil nicht verabsäumen. […] Das dumme 1917 MoV Bd. 13, in: ebd., S. 341. Vgl. auch: Sonnenfels: Liebe, S. 69 u. Grimm: Bürgerschule, S. 35. 1918 MoV Bd. 13, in: Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 2., S. 347–356. 1919 MoV Bd. 13, in: ebd., S. 356. 1920 Sonnenfels: Gesammelte Schriften Bd. 4. 1921 Die Ausführungen blieben in den folgenden Auflagen erhalten, zitiert ist hier aufgrund seiner Verfügbarkeit der Ndr. Ogris: Polizey, spez. S. 50–59 u. S. 73.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

371

Volk gehorcht, weil es muss; das Unterrichtete, weil es selbst will.1922 Diese Aufklärung sollte aber niemals die Schranken der verschiedenen Klassen der Gesellschaft aufheben. So könne das Endziel erreicht werden, die Untertanen mit Dankbarkeit die Pflichten des bürgerlichen Lebens erfüllen zu lassen.1923 Sonnenfels’ Erläuterungen zu Bildung und Erziehung blieben zu dieser Zeit kurz und waren ohne konkrete Pläne lediglich auf die sozialen Auswirkungen des Bildungssystems konzentriert.1924 Sie standen dabei wie auch seine Polizeywissenschaft im Kontext der Schriften westeuropäischer Gelehrter und waren an die Werke von Locke, Hume, Montesquieu, Rousseau, Fénélon und seinem Vorgänger Justi angelehnt, beziehungsweise aus ihnen entnommen.1925 Auch in der Habsburgermonarchie selbst stand er mit seinen Lehrmeinungen keineswegs allein.1926 Staatskanzler Kaunitz, der in den sechziger Jahren als Förderer von Sonnenfels’ Lehrstuhl in Erscheinung getreten war, hatte sich ein Jahr vor dem Erscheinen der betreffenden Ausgabe des Mann ohne Vorurtheil mit einer Denkschrift an Maria Theresia gewandt.1927 Er legte darin ebenfalls die Notwendigkeit eines gegliederten Erziehungswesens dar, das sich an den beruflichen Möglichkeiten der Bauern-, Handwerker- oder Bürgersöhne orientieren sollte. Praktische Lehrinhalte sollten dabei größere Bedeutung als alte Sprachen einnehmen, um die Abwanderung in den Gelehrten- oder geistlichen Stand zu verhindern. Wenn Maria Theresia auf diese Denkschrift auch nicht antwortete, so illustriert der Text doch, dass Sonnenfels sowohl im In- als auch Ausland als Teil einer bestehenden Reformdebatte auftrat und keineswegs alleine stand. Es bleibt darzustellen, welche Charakteristika das Bildungswesen der Habsburgermonarchie gegen Ende der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts aufwies, die zu solchen Anmerkungen führten.1928 Obwohl an den 1922 Ebd., S. 57. 1923 Ebd., S. 58. 1924 Vgl. Grimm: Bürgerschule, S. 36. 1925 Vgl. zu den Einflüssen auf Sonnenfels Becker-Cantarino: Education, S. 39. 1926 Vgl. Grimm, Gerald: Die Schulreform Maria Theresias 1747–1775. Das österreichische Gymnasium zwischen Standesschule und allgemeinbildender Lehranstalt im Spannungsfeld von Ordensschulwesen, theresianischem Reformabsolutismus und Aufklärungspädagogik (Aspekte pädagogischer Innovation Bd. 10), Frankfurt a.M. 1987, S. 116–118 u. S. 129. 1927 Denkschrift vom 18. Feb. 1766, zit. in: Beer, Adolf: Denkschriften des Fürsten Wenzel Kaunitz-Rittberg, in: Archiv für Österreichische Geschichte, Bd. 48 1872, S. 98–107. 1928 Vgl. dazu grundlegend: Engelbrecht: Bildungswesen und Hammerstein, Notker u. Herrmann, Ulrich (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2: 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800, München 2005; außerdem kurz Klingenstein: Akademikerüberschuß, S. 173–183 u. Hengl: Studienwesen, S. 18–28 u. S. 77–80.

372

Der Staatsreformer Sonnenfels

Universitäten unter dem Einfluss Gerhard van Swietens ab 1749 Reformen unternommen worden waren, die sich speziell gegen den Einfluss der Jesuiten richteten, besaßen geistliche Orden noch immer eine Führungsrolle im Bildungswesen. Die Primärbildung war überaus heterogen und wurde ohne staatliche Aufsicht klerikal und lokal teilweise mit Privatlehrern organisiert. Noch immer war die niedere Schulbildung im Gegensatz zur Universität nicht Gegenstand staatlicher Eingriffe, was Sonnenfels und Kaunitz besonders heftig kritisierten. Das sekundäre Bildungswesen der Gymnasien oder Lateinschulen stand ebenfalls noch unter geistlicher Aufsicht und bereitete durch relativ gründlichen Unterricht in alten Sprachen auf das Studium vor. Da der Besuch dieser Schulen frei war, wurde an ihnen ein stetiger Zuwachs der Schülerzahlen verzeichnet, ohne dass strukturelle Anpassungen vorgenommen wurden. Dies wiederum wirkte sich auf die Universitäten aus, an denen ebenfalls teilweise unentgeltlicher Unterricht gegeben wurde. Allerdings hatten, speziell in Wien, bereits Reformen zugunsten einer zunehmenden Verweltlichung und Modernisierung des Bildungswesens begonnen. Neben den regulären Universitäten, an denen die Jesuiten in den sechziger Jahren noch immer zentralen Einfluss besaßen, bestand in der Habsburgermonarchie auch die Möglichkeit an einigen Gymnasien oder anderen kirchlichen Einrichtungen eingeschränkte philosophische oder theologische Studien zu absolvieren.1929 Jene Institute waren oft der staatlichen Kontrolle entzogen, so dass Kritiker die Qualität der Ausbildung bezweifelten. Die höheren Schulen der Erblande hatten insgesamt Reformen, die zuvor in protestantischen Gebieten durchgeführt wurden, nicht nachvollzogen und blieben an ältere Organisationsmuster gebunden. Eine Ausnahme stellten die wenigen Ritterakademien dar, in denen junge Adelige eine weltlich orientierte Erziehung mit modernen Fremdsprachen und naturwissenschaftlichem Lehrstoff erhielten. Die Organisation und Reform des Bildungswesens wurde durch einen Befehl Maria Theresias vom 22. März 1760 der Studienhofkommission unterstellt.1930 Diese Kommission war weitgehend unabhängig und sollte in nur einer monatlichen Sitzung die Verbesserung der Studien stets vor Augen haben und auf die Festhaltung der in Studiensachen erlassenen und weiter ergehenden Verordnungen ein beständig obachtsames Auge tragen. Bei ihrer monatlichen Sitzung hatte sie außerdem alles was in Studiensachen vorfallet gemeinschaftlich zu überlegen.1931 Den Vorsitz führt der Wiener Erzbischof 1929 Hammerstein, Notker u. Müller, Rainer: Das katholische Gymnasialwesen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Hammerstein/Herrmann: Bildungsgeschichte, S. 324–354, hier S. 332. 1930 Hengl: Studienwesen, S. 18–20. 1931 Vgl. ebd., S. 24 u. Engelbrecht, Helmut: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Bildung auf dem Boden Österreichs, Bd. 3: Von der frühen Aufklärung bis zum Vormärz, Wien 1984, S. 466.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

373

Christoph Migazzi, zu dessen Vizepräses Gerhard van Swieten, der Leibarzt der Kaiserin, ernannt wurde. Weitere Mitglieder waren die Direktoren der vier Fakultäten der Wiener Universität. Die Kommission übernahm die Verwaltung des sekundären und tertiären Schulwesens der böhmischösterreichischen Erbländer. Sie wurde allerdings durch einen komplizierten Geschäftsgang behindert, der mehrfache Rücksprache mit der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei verlangte.1932 Im Jahr 1770 schlug Joseph II., damals noch Mitregent seiner Mutter, vor, Sonnenfels anlässlich seiner Beförderung zum Regierungsrat in diese Behörde aufzunehmen.1933 Die Anfrage an die Kommission enthält zwar keine Begründung, aber Sonnenfels’ Erfolge als Hochschullehrer und Autor von Lehrbüchern dürften dafür einen Anlass geboten haben. Außerdem hatte er sich mehrfach darüber beschwert, dass die Interessen seines Faches in der Kommission nicht vertreten werden würden.1934 Allerdings sprachen sich sowohl die Kommission selbst, als auch die beratende böhmisch-österreichische Hofkanzlei gegen die Berufung aus.1935 Zur Begründung wurde auf das große Arbeitspensum des jungen Professors verwiesen, der bereits in die Zensurkommission aufgenommen worden war. Er sei, davon abgesehen, auch nicht im Range des Direktors einer Fakultät beschäftigt und somit im Plan der Kommission nicht vorgesehen. Darüber hinaus wäre angesichts der in der Hofkommission behandelten Gegenstände auch seine Qualifikation in Zweifel zu ziehen, da dort Theologie, Jura, Medizin und Philosophie behandelt würden in welchen Wissenschaften derselbe noch keinen Gradum erhalten, noch eine von den gewöhnlichen scharfen-Prüfungen praestiniert hat.1936 Die Ernennung eines nur sechsunddreißigjährigen Gelehrten wäre außerdem eine Demütigung für ältere und verdiente Professoren. Die Einwände der Kommission waren erfolgreich, so dass Sonnenfels’ Berufung nicht vollzogen wurde. Trotzdem trat er im November des folgenden Jahres erneut mit Thesen zur Bildungspolitik in Erscheinung.1937 Er wählte diesmal die Gelegenheit 1932 Vgl. ebd., S. 23–29 u. Klingenstein: Akademikerüberschuß, S. 173. 1933 AVA StudHK Kart. 23 Konv. Kanzler der Universität 1770, Fol. 8r.–9v. Protokoll der Com[m]is[s]iones Studiorum Aulitae vom 31. Jan. 1770, hier Fol. 8r. 1934 Vgl. Kap. 4 der vorl. Arbeit. Becker-Cantarino: Education, S. 40 gibt als Begründung an, Sonnenfels sei anerkannter Experte für Bildungsfragen gewesen, belegt diesen Ruf aber nicht. 1935 Vgl. AVA StudHK Kart. 23 Konv. Kanzler der Universität 1770, Fol. 8r.–9v. Protokoll der Com[m]is[s]iones Studiorum Aulitae vom 31. Jan. 1770 u. ebd., Fol. 2r.–3v. Protokoll der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei. 1936 Ebd., Fol. 8v. Protokoll der Com[m]is[s]iones Studiorum Aulitae vom 31. Jan. 1770. 1937 Sonnenfels, Joseph von: Über den Nachteil der vermehrten Universitäten, in: Ders.: Gesammelte Schriften Bd. 8, S. 243–272; Vgl. die Darstellungen: Klingenstein: Akademiker­ überschuß; Weitensfelder: Studium, S. 127f. u. Heindl: Rebellen, S. 93–95.

374

Der Staatsreformer Sonnenfels

einer Semestereröffnungsrede, die er vor Studenten höherer Jahrgänge und geladenen Gästen hielt. Zu jener Zeit war er im Umfeld der Wiener Universität der einzige, der diese Möglichkeit für Stellungnahmen zu allgemeinen Fragen nutzte.1938 Durch die Verwendung deutscher Sprache für die Rede und den anschließenden Druck sprach er außerdem ein breites Publikum an. In seinem Vortrag Ueber den Nachtheil der vermehrten Universitäten fasste er seine Ansichten zum Bildungswesen der Monarchie zusammen und präsentierte gleichzeitig eine Kritik an der Arbeit der zuständigen Hofkommission und der Hofkanzlei. Sonnenfels erläuterte seinen Zuhörern, dass er in den steigenden Studentenzahlen keinen Vorteil sehen könne. Im Gegenteil: Diese jedermann ohne Unterscheid offen stehenden Säle der Wissenschaften, diese Gedränge von Zuhörern […] diese zahllose Menge von Leuten, die kein anderes Geschäft kennen als die Gelehrsamkeit, von denen die Welt mit unendlichen Schriften überschwemmt wird, das ist gerade das Uebel, welches […] das gemeinschaftliche Wohl untergräbt.1939 Der immer weiter zunehmenden Zahl von Studenten und Absolventen stehe lediglich eine begrenzte Zahl von möglichen Posten im Staate oder im privaten Bereich gegenüber.1940 Dies Missverhältnis bewirke, dass zahlreiche Absolventen ohne Aussicht auf eine Anstellung die Universität verlassen müssten. Da haben wir nun von Jahr zu Jahr einen neuen Schwarm […] von müßigen Raubfliegen, welche auf fremde Kosten ihren Unterhalt suchen werden.1941 Der Gefahr einer Verelendung oder sogar Kriminalisierung dieser Personen, die nach langem Studium für produktive Arbeit unwillig oder untauglich seien, müsse der Staat durch Überwachung ihres Anwachsens begegnen. Der Stand der Akademiker müsse zahlenmäßig gering bleiben, gleich der Würze in einem Gerichte1942 und stets im Verhältnis zu den verfügbaren Beschäftigungen stehen. Auch müsse eine wesentlich strengere Kontrolle und Prüfung der Studenten durchgeführt werden, um zu verhindern, dass später unfähige Bewerber durch Protektion und Intrigen in Ämter gelangen können.1943 Einer sorgfältigen Prüfung und Ausbildung stehe aber die große Teilnehmerzahl in den Lehrveranstaltungen entgegen. Die Ursache dafür, dass die Zahl der Studenten trotz der wirtschaftlichen Unsicherheit zunehme, liegt seinen Angaben nach in einer allgemein guten Bewertung der Federbedienungen, die ein höheres Prestige besäßen als das 1938 Klingenstein: Akademikerüberschuß, S. 165f. 1939 Sonnenfels: Nachtheil, S. 246. 1940 Ebd., S. 259 u. S. 265. 1941 Ebd., S. 260. 1942 Ebd., S. 254. 1943 Ebd., S. 264–267.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

375

Handwerk.1944 Diese schädliche Einschätzung, die durch Gerüchte von hohen Gehältern und wenig Arbeit noch genährt werde, habe eine regelrechte Studiersucht der mittleren Klasse zur Folge.1945 Folglich würden viele Handwerker ihre klügsten Kinder studieren lassen. Dies habe schlechte Auswirkungen auf die Berufsnachfolge: Was lässt sich demnach von Köpfen erwarten, die nur darum, weil sie so beschränkt sind, zu einem Handgewerbe […] Gleichsam verstoßen worden?1946 Die Handwerkskunst und damit die Wirtschaft der Monarchie, litten daher ebenso wie die Staatsämter und die Studenten selbst unter den Folgen der Studiersucht. Unter Berücksichtigung seines Zieles, das Gleichgewicht aller Stände zu bewahren, formuliert Sonnenfels daher die Aufgabe des Gesetzgebers: Einem Stande Schranken auszuzeichnen der nur […] zum gemeinsam Wohl beiträgt, wenn er das Gerechte Ebenmaß gegen die übrigen Stände nicht überschreitet.1947 Er führt sogleich auch aus, welche Maßnahmen er selbst dafür ergreifen würde: Werde ich in Vorschlag bringen, die höheren Schulen und Gymnasien bis auf eine geringe Zahl herabzusetzen […].? Werde ich die Freyheit seine Söhne dem Studium zu widmen zum mindesten bei einer gewissen Klasse mittelbar oder unmittelbar begränzen? Dies würde ich ohne Zweifel.1948 Es sei aber unabdingbar, den Angehörigen der produktiven Klasse, unabhängig, ob sie in Städten oder auf dem Land leben, eine für ihre Berufe angemessene Bildung und Perspektive sowie Anerkennung zu geben, um sie an ihrem jeweiligen Platz zu pflichtbewussten Bürgern zu machen. Dies würde die Wirtschaftskraft der Monarchie erhöhen und somit das Wachstum der Bevölkerung fördern, das Sonnenfels ebenso wie sein Förderer Borié als zentral für die Wohlfahrt des Staates ansah.1949 Er plädierte daher kurzgefasst für eine Verringerung der Studentenzahlen und eine Verstärkung des primären Bildungssektors, was beides durch die Aufhebung von höheren Schulen und Gymnasien finanziert werden sollte. Seine Ansichten waren dabei streng von ökonomischen Argumenten geprägt, was sich in seiner konsequenten Darstellung der Universität als zweckgebundene Ausbildungsstätte spiegelt.1950 Mit seinen Ansichten stand Sonnenfels nicht allein, wenn er sie auch pointierter und publikumswirksamer formulierte als andere. Der Prager Professor Karl Heinrich Seibt hielt beispielsweise im selben Jahr ebenfalls 1944 Ebd., S. 249–252. 1945 Ebd., S. 254f. 1946 Ebd., S. 256. 1947 Ebd., S. 247. 1948 Ebd., S. 269. 1949 Klingenstein: Akademikerüberschuß, S. 187. 1950 Klingenstein: Akademikerüberschuß, S. 175 u. Weitensfelder: Studium, S. 126.

376

Der Staatsreformer Sonnenfels

eine Rede über das Erziehungswesen, in der er die Erziehung aller Bürger in standesgemäßen Grenzen zum Wohle des Staates proklamierte.1951 Auch die theresianische Bildungspolitik der fünfziger und sechziger Jahre hatte bereits begonnen, auf die von verschiedener Seite thematisierte Studiersucht zu reagieren.1952 So befahl Maria Theresia bereits 1761 Bürgerund Bauernsöhne, wenn sie nicht außerordentliche Talente besitzen, nicht zum Studium zuzulassen.1953 Sonnenfels’ Rede und die zu Beginn der siebziger Jahre durchgeführten Reformen legen allerdings nahe, dass derartigen Anordnungen die Wirkung versagt blieb. Wie sehr er mit seinen Ausführungen den aktuellen Stand der Debatten in den Zentralbehörden und bei Hofe erfasst hatte, zeigt die Diskussion über einen Vorschlag des Grafen Pergen, der von 1770 bis 1772 im Staatsrat und auch von Seiten Maria Theresias und Josephs II. beurteilt wurde.1954 Drei Monate vor Sonnenfels’ Rede reichte der Graf ein Exposé beim Staatsrat ein, in dem er die Einrichtung eines einheitlichen Erziehungswesens in den Erblanden anregte. Durch eine Stärkung des primären Sektors sollte allen Untertanen bis ins zwölfte Lebensjahr eine gleiche Bildung vermittelt werden, die auf den Erwerb praktisch nutzbaren Wissens abziele. Gymnasien sollten nur noch eine geringe Zahl von Schülern auf die Studien vorbereiten, während Realschulen den produktiven Schichten praktische Kenntnisse vermitteln. Das Ziel dieser Maßnahmen sei die Erziehung arbeitswilliger und fähiger Untertanen. Um die staatliche Hoheit über die Erziehungseinrichtungen zu sichern, sei es außerdem unbedingt nötig, sämtliche geistlichen Lehrkräfte zu entlassen und durch besoldetes, gut ausgebildetes weltliches 1951 Vgl. Grimm: Schulreform, S. 110 u. S. 491. Zu Seibt vgl. Wotke, Karl: Karl Heinrich Ritter von Seibt als der Direktor der Gymnasien Böhmens, Prag 1905. Seibts Rede erschien im Druck: Seibt, Karl Heinrich: Vom Einflusse der Erziehung auf die Glückseligkeit des Staats. Eine Rede zum Eingange der Vorlesungen über die Erziehungskunst gehalten, Prag 1771. Es äußerten sich ähnlich der bayerische Bildungsreformer Ickstatt und Johann Heinrich Basedow. Vgl. Grimm: Bürgerschule, S. 38 u. S. 63 u. Klingenstein: Akademikerüberschuß, S. 176f. u. S. 200f. Für weitere Kontextualisierung von Sonnenfels’ Ausführungen siehe ebd., S. 184–189. 1952 Grimm: Bürgerschule, S. 39f. 1953 Verordnung vom 2. Mai 1761. Vgl. Wotke, Karl: Die von der Studien-Revisions-Hofkommission (1797–1799) vorgeschlagene Reform der österreichischen Gymnasien (Beiträge zur österreichischen Erziehungs- und Schulgeschichte Bd. 17), Wien, Leipzig 1915 [Nachf. zit. als Wotke: Gymnasien], hier S. 13 u. Grimm: Bürgerschule, S. 51. 1954 Vgl. Grimm: Bürgerschule, S. 41–44 sowie Helfert, Joseph Alexander von: Die Gründung der österreichischen Volksschule durch Maria Theresia, Prag 1860, S. 208–213 u. S. 237– 241. Vgl. auch HHStA, Alte Kabinettsakten, Studiensachen, 239 ex 1771, Copia eines Vortrages des Staatsministers Grafen von Pergen am 26. August 1770 wegen Verbesserung des Schulwesens. Im Gegensatz dazu datiert Hock den Vorschlag ohne Beleg auf den 16. Juli. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 63–65.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

377

Personal zu ersetzen, das teilweise aus dem Ausland, also anderen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches, rekrutiert werden sollte. Nach Diskussionen im Staatsrat, in deren Folge Pergen bereits eine Kommission zur Umsetzung seines Vorschlages zusammenstellte, entschied Maria Theresia angesichts der drohenden Kosten jedoch, Geistliche als Lehrer vorerst nur zu entlassen, wenn sie den neuen Lerninhalten widersprachen.1955 Pergen protestierte dagegen und betonte, wie wichtig es sei, zum Wohle des Staates das Bildungswesens zu säkularisieren. Nachdem aber die Herrscherin ihrem Kurs treu blieb und auch Joseph II. die Anstellung ausländischer Fachkräfte ablehnte, zog der Graf sich aus der Reformdebatte zurück und nahm eine diplomatische Mission in Mainz an. Gerade die Ausführungen Josephs II. im Juli 1772 zeigen, wie sehr Sonnenfels’ Ansichten denen des Mitregenten entsprachen.1956 Der Kaiser, der auch vorgeschlagen hatte, ihn in die Studienhofkommission aufzunehmen, betonte in seiner Stellungnahme, dass Bildungsreformen im Primärsektor beginnen müssten und durch Einsparungen und Schließungen in den höheren Bildungseinrichtungen finanziert werden sollten. Vor allem müssen wir trachten, dass alle Unterthanen nach Möglichkeit schreiben, lesen und etwas rechnen lernen; dazu sind alle gelehrte unnutz.1957 Zeitgleich mit Pergen sprachen sich Staatsrat Tobias von Gebler und Fürst Kaunitz für Bildungsreformen aus, wobei letzterer den Mann von Sonnenfels’ Schwägerin, Melchior Birkenstock, zur Beobachtung der größten protestantischen Reformuniversität nach Göttingen schickte.1958 Alle diese Bestrebungen erscheinen als Teil einer Reformdynamik, die auf eine Neuorganisation des Bildungswesens hinauslief. Sie nahm konkrete Gestalt an, als durch die Aufhebung des Jesuitenordens 1773 und die Säkularisierung seines Besitzes erhebliche finanzielle Mittel frei wurden, die in einem Fonds zur Reform der Primärbildung zusammengefasst wurden.1959 Ein Schüler des Prager Professors Seibt, Franz Karl von Kressel, übernahm die Leitung einer Sonderkommission zur Reform der Erziehungswesens, die aus dem reichen Angebot an Ideen einen Plan von Sonnenfels’ 1955 Vgl. zur kaiserlichen Resolution vom 15. Jan. 1772 Grimm: Bürgerschule, S. 42. 1956 Nota Josephs II. zum Schulreformplan des Grafen Pergen vom 15. Juli 1772, abgdr. bei: Helfert: Gründung, S. 250f. 1957 Ebd.; vgl. Grimm: Bürgerschule, S. 43. 1958 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 62f. u. Becker-Cantarino: Education, S. 32. Der Bericht Birkenstocks mit einem ausführlichen Lob Göttingens ist publiziert bei Lhotsky, Alphons (Hg.): Ein Bericht über die Universität Göttingen für den Staatskanzler Fürsten KaunitzRietberg (1772), in: Nachrichten der Akademie Göttingen, Bd. 3 1966, S. 39–68. Vgl. auch die Notizen Birkenstocks in: AVA StudHK Kart. 23 Konv. 5 Lehrerstellen 63 ex 1772. 1959 Vgl. Adler: Unterrichtsverfassung, S. 3f. u. S. 11–14 u. Grimm: Bürgerschule, S. 44.

378

Der Staatsreformer Sonnenfels

ehemaligem Lehrer Karl Anton von Martini zum Umsetzung empfahl.1960 Martini legte den Schwerpunkt zunächst darauf, die Primärschulen neu zu organisieren, da eine weitläufige Bildung aller Untertanen sowohl der Staatsverwaltung als auch der Wirtschaft und dem Militär großen Nutzen bringen würde. Der von Pergen geforderte gemeinsame Unterricht aller Stände in den ersten Jahren war ebenso wenig vorgesehen wie die Entlassung aller geistlichen Lehrer, so dass der neue Plan schneller durchführbar schien und zugleich mit den Grundsätzen übereinstimmte, die Sonnenfels und andere postuliert hatten. Bereits 1774 übernahm Franz von Kressel die Leitung der Studienhofkommission, um den Reformplan umzusetzen.1961 Die Details erarbeitete der Abt Ignaz von Felbiger (1724–1788), dessen Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt und Trivialschulen am 6. Dezember 1774 erlassen wurde.1962 Diese Ordnung sah einen mindestens sechsjährigen Unterricht für alle Untertanen vor, betonte aber explizit, dass eine Unterscheidung nach Ständen notwendig sei. Die Lerninhalte waren praxisbezogen und an den Erfordernissen des Staates orientiert.1963 Darüber hinaus wurden 1775 und 1776 Modifikationen im Gymnasialwesen vorgenommen, die finanzielle Kürzungen und eine strengere Abschlussprüfung zur Verminderung der Studentenzahlen umfassten. Dabei spiegeln landesfürstliche Dekrete den Gedanken wider, Ausbildung müsse nach Ständen gegliedert werden. So wird am 10. August 1776 ausdrücklich befohlen, Söhnen von adelichen Personen, Räthe und Sekretarien einen leichteren Zugang zu Studien zu ermöglichen und bei Kandidaten anderer Herkunft streng auszuwählen.1964 Dies illustriert, dass einzig eine nützliche und angemessene Bildung das Ziel der Reformpolitik war. Im Zuge der Reformen wurde ebenfalls die Verwaltung des Bildungswesens verändert. Die Studienhofkommission wurde am 5. März 1778 zur Verkürzung ihres Geschäftsgangs direkt der Hofkanzlei unterstellt.1965 Wenn sie auch weiterhin Anträge unmittelbar an den Monarchen richten durfte, 1960 Vgl. Adler: Unterrichtsverfassung, S. 5; Grimm: Bürgerschule, S. 45f. u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 64. Zu der Überlieferung dieser kurzzeitig bestehenden Kommission vgl. HHStA Altes Kabinettsarchiv Kart. 1. 1961 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 30 u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 65. 1962 Grimm: Bürgerschule, S. 47–49; Ders.: Schulreform, S. 108 u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 67. Vgl. auch Krömer, Johann: Ignaz von Felbiger, Leben und Werk (Untersuchungen zur Theologie der Seelsorge Bd. XXII), Freiburg i.Br., Basel, Wien 1966. 1963 Grimm: Schulreform, S. 112f. 1964 AVA Stud HK Fas. 40, Konv. 9 ex 1776, Fol. 64v.–65r. Vgl. Grimm: Bürgerschule, S. 97 und zur aufgrund dessen kritischen Bewertung glorifizierender Darstellungen der Reform: Grimm: Schulreform, S. 106f. 1965 Vgl. zu den Veränderungen: Hengl: Studienwesen, S. 29–33.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

379

so mussten nun alle laufenden Beschlüsse von der Kanzlei geprüft und gegengezeichnet werden. Der Aktenverkehr der Kommission mit den Länderstellen wurde normiert, damit die zentrale Lenkung aller sekundären und tertiären Bildungseinrichtungen effizienter wurde. Joseph von Sonnenfels war an den Vorgängen nicht nachweislich beteiligt, da ihm 1770 die Aufnahme in die Hofkommission verwehrt worden war. Dennoch weisen die Reformen der siebziger Jahre wesentliche Elemente der von ihm vertretenen bildungspolitischen Maßnahmen auf. Diese Übereinstimmungen führten Teile der historischen Forschung dazu, Sonnenfels einen zentralen Einfluss auf die Bildungsreformen zuzugestehen, bis hin zum Status des in Bildungsfragen einflussreichen Beraters der Kaiserin.1966 Der gescheiterte Versuch, ihn in die Hofkommission zu berufen, die beschriebenen zahlreichen früheren oder parallelen Aktivitäten anderer Gelehrter und Staatsbeamter und die Tatsache, dass er an der Umsetzung der Reformen der siebziger Jahre nicht nachweislich beteiligt war, sprechen allerdings gegen eine solche Bewertung. Sein Einfluss auf die Bildungsreformen war bis zu seinem späteren Eintritt in die Studienhofkommission im Jahr 1780 lediglich von potentieller und indirekter Natur. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Sonnenfels aufgrund seines akademischen Rufes und seiner Stellung als Autor eine prominente Rolle in der laufenden Reformdebatte einnahm. Es gelang ihm, bestehende Tendenzen und Meinungen, die von fast allen an der Reform Beteiligten geteilt wurden, in besonders pointierter und klarer Form darzustellen. Darüber hinaus war er ein wichtiger Vermittler, da er diese Ansichten einerseits dem Wiener Lesepublikum und andererseits in seinen Lehrveranstaltungen und Büchern allen angehenden Staatsbeamten bekannt machte. Somit personifizierte er gewissermaßen den bildungspolitischen Zeitgeist. Doch erst nach seiner Berufung in die Studienhofkommission im Jahr 1780 war es ihm möglich, diesen Status in einen nachweisbaren Einfluss auf die Bildungspolitik der Habsburgermonarchie umzumünzen. 7.4.2 Mitarbeit in der josephinischen Studienhofkommission Sonnenfels wurde am 14. Oktober des Jahres 1780 von Maria Theresia in die Studienhofkommission berufen.1967 Die Monarchin befragte die Kommission 1966 Grimm: Schulreform, S. 109. Vgl. ders.: Bürgerschule, S. 40, wo Sonnenfels’ Ansichten als ideologische Grundlage der Reformen bezeichnet werden. Auch Becker-Cantarino: Education, S. 29 verweist darauf, dass die Bildungsreformen Maria Theresias und Joseph II. den Anregungen Sonnenfels’ entsprachen. 1967 Vgl. mit einem Abdruck des Ernennungsdekrets: Becker-Cantarino: Education, S. 42.

380

Der Staatsreformer Sonnenfels

diesmal nicht, sondern wickelte die Berufung gemeinsam mit seiner Beförderung vom Titular zum wirklichen Hofrat ab. In den Jahren zuvor hatte sich die Schulwirklichkeit den Reformbestrebungen der Staatsbeamten noch nicht angepasst und den Plänen Felbigers war nach einem von ihm selbst verfassten Bericht die Wirkung bisher weitgehend versagt geblieben.1968 Die Schulpflicht wurde oftmals wegen der Mitarbeit der Kinder in der Landwirtschaft umgangen und es fehlte vielerorts an Personal und Sachmitteln für eine sorgfältige Schulbildung. Joseph II. reagierte darauf mit Strafandrohungen für die Eltern und entließ Felbiger 1782. Doch auch dessen Nachfolger waren nicht im Stande, die Probleme mit den gegebenen Mitteln zu lösen.1969 Die mangelnde finanzielle Ausstattung und der passive Widerstand der ländlichen Bevölkerung ließen sich bis zum Beginn der achtziger Jahre nicht überwinden. Diese Einschätzung wurde durch einen Report des aus Niederschlesien stammenden Hofrats Franz Joseph von Heinke (1726–1803) bestätigt, der einige Gymnasien kontrolliert hatte.1970 Heinke, ehemals Direktor der juristischen Fakultät der Prager Universität, berichtete von der häufig noch andauernde Beschäftigung ehemaliger Jesuiten und Geistlicher und beklagte die weiterhin zu hohe Zahl angehender Akademiker und einen erheblichen Mangel an Disziplin. Unterdessen hatte die Studienhofkommission seit 1770 mehrmals ihr Präsidium gewechselt. Hofrat von Martini, der ursprünglich für die Reformplanung verantwortlich war, hatte sich, nach eigenen Angaben enttäuscht von der Umsetzung seiner Pläne, aus der Bildungspolitik zurückgezogen, um für die Oberste Justizstelle zu arbeiten.1971 Als Sonnenfels 1780 in die Hofkommission eintrat, stand daher ein erneuter Päsidiumswechsel an und das Bildungswesen erschien noch immer als Reformbaustelle. In dieser Lage konzentrierte er sich als neues Mitglied der Kommission zunächst jedoch weniger auf die Bildungsreformen als vielmehr auf einen Antrag in eigener Sache.1972 In seiner ersten Sitzung am 14. November 1780 brachte er entgegen der geplanten Agenda die Rede auf sein geplantes Lehr1968 Grimm: Bürgerschule, S. 185 u. 188f. u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 520f. 1969 Vgl. Grimm: Bürgerschule, S. 192–195 u. Hengl: Studienwesen, S. 64f. 1970 Zu den weiteren Problemen bei der Umsetzung der Reform vgl. Grimm: Bürgerschule, S. 63 u. S. 118. Zum Bericht Heinkes siehe S. 184–189. 1971 Adler: Unterrichtsverfassung, S. 15 u. Hebeis: Martini, S. 80–83 u. S. 102–107. Zur Begründung vgl. den Abdruck des Vortrag Martini’s über die vorzunehmende Studienreform vom 24. Juni 1790 bei Kink: Universität, S. 300–318, speziell, S. 302. 1972 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 265f. Im Widerspruch dazu steht Becker-Cantarino: Education, S. 43, die ohne Beleg einen späteren Eintritt Sonnenfels’ in die Kommission voraussetzt und als dessen erste Tätigkeit die Diskussion der Anweisung Josephs II. für van Swieten angibt.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

381

buch über den Geschäftsstyl. In Anbetracht seiner oben genannten Zwangsverträge mit dem Hofdrucker Trattner bat er darum, dass er selbst und nicht sein Verleger ein Privileg zur Publikation und einen zehnjährigen Schutz vor Nachdruck erhalten möge.1973 Die Hofkommission empfahl daraufhin, dem Antrag zu entsprechen.1974 Joseph II. stimmte zu, doch im letzten Moment konnte Trattner ein Veto Maria Theresias erwirken, so dass das Gesuch abgelehnt wurde. Aufgrund der Missstände im Erziehungswesen setzte sich Joseph II. nach Beginn seiner Alleinherrschaft für eine Beschleunigung und Intensivierung der Bildungsreformen ein.1975 Zu diesem Zweck befahl er dem obersten Kanzler Graf Blümegen im November 1781, das Präsidium der Studienhofkommission an den Sohn Gerhard van Swietens zu übertragen.1976 Gottfried van Swieten hatte zuvor Erfahrungen im auswärtigen Dienst, beispielsweise als Gesandter in Berlin, gesammelt und galt als ein Protegé des Fürsten Kaunitz.1977 Im Jahr 1777 kehrte er nach Wien zurück und übernahm die Leitung der Hofbibliothek. Er behielt diese Stellung und sein Gehalt auch, als er ab 1781 ehrenamtlich das Präsidium der Kommission übernahm. Zu seiner Ernennung erhielt er vom Kaiser konkrete Anweisungen für die weitere Reformarbeit.1978 1. Sollen hinfüro die großen Universitäten auf 3 in den Österreichischen und Böhmischen Landen eingeschränket werden, nämlich Wien Prag und eine in Gallitzien. […] 3. An der hiesigen Universität werden die unnützen Lehrer, als Jene von den ausländischen Sprachen und dergleichen einzustellen seyn; […] 9. Wird ein Aufsatz zu machen seyn, wie überhaupt in den Böhmisch- und Österreichischen Erblanden die Studien und Schulen einzutheilen seyen, […] da die Anzahl der das lesen und schreiben lernenden so groß als möglich, jene der auf höheren Stufen sich verwendenden minder und endlich jene, die alle Studien der Universität frequentieren nur die ausgesuchtesten Talente seyn müssen. Außerdem befahl der Kaiser, die aufzuhebenden Universitäten in Gymnasien umzuwandeln und die dadurch überzähligen Professoren zur Besetzung der Lehrkanzeln nach Galizien zu entsenden. An 1973 Vgl. Kap. 5.3. 1974 Zit. nach Kopetzky: Sonnenfels, S. 266. 1975 Vgl. Klingenstein: Universitätsfragen, S. 83–86 u. Thienen-Adlerflycht: Wandlungen, S. 34–36. 1976 Wangermann: Swieten, S. 176f. 1977 Biographische Exkurse bieten Wangermann: Aufklärung, S. 9–12 u. Hengl: Studienwesen, S. 70–72. 1978 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 68f. Für die Anweisungen siehe Kink: Universität, S. 545f. u. Wangermann: Aufklärung, S. 19f. Die Berufung Swietens und die damit verbundene neue Dynamik brachten Kopetzky: Sonnenfels, S. 267 u. Walter: Staatsverwaltung, S. 45f. zu der inzwischen überholten Einschätzung, die Kommission wäre völlig neu gegründet worden.

382

Der Staatsreformer Sonnenfels

den Universitäten sollte die Lehre möglichst in deutscher Sprache abgehalten werden, wobei die Anwerbung von berühmten Gelehrten aus anderen Ländern unabhängig ihrer Konfession erlaubt wurde. Ziel war es also, durch Einsparungen im sekundären und tertiären Bildungssektor die Ausstattung des Primärschulwesens zu verbessern.1979 Die Parallelen zwischen dieser kaiserlichen Anordnung und den Reformempfehlungen, die Sonnenfels und andere Beamte bereits um 1770 gaben, sind offensichtlich. Inwieweit der Kaiser aber tatsächlich von Sonnenfels direkt beeinflusst wurde – wie einige Autoren annehmen – ist nicht zu bestimmen, da sich beide in einem bildungspolitischen Reformkontext bewegten, der sich im Zuge der Aufklärung in Europa verbreitete.1980 So dürften unter anderem auch kurz zuvor in Bayern nach ähnlichen Prinzipien durchgeführte Neuordnungen auf die Entscheidung des Monarchen eingewirkt haben.1981 Zu beachten ist, dass nicht Sonnenfels, sondern Gottfried van Swieten die Leitung der Kommission erhielt und, wie sich im Laufe der Kommissionsarbeit herausstellte, von Joseph II. vertrauensvoll konsultiert wurde. Um die Durchführung der Reformzielen zu ermöglichen, wurden unter der neuen Leitung die Kompetenzen der Studienhofkommission in drei Schritten ausgedehnt. Erstens unterstellte ihr ein kaiserlicher Befehl im November 1781 das Primärschulwesen der böhmischen und österreichischen Länder.1982 Damit lagen die geplanten Bildungsreformen ebenso wie deren Durchführung und die Verwaltung aller Bildungseinrichtungen in den Händen einer einzigen Institution. Zweitens wurde im folgenden Jahr auch die Zensurhofkommission der Studienhofkommission untergeordnet.1983 Die Mitarbeiter der Zensurhofkommission blieben im Amt und bearbeiteten weiterhin ihre spezifischen Aufgabengebiete, mussten aber Berichte über ihre Tätigkeit abliefern. In strittigen Fällen entschied van Swietens Hofkommission über Verbot oder Freigabe eines Werkes. Wie bereits beschrieben übernahm Sonnenfels die Aufgabe, die Zensurangelegenheiten bei der Kommission vorzutragen und stellte somit das Bindeglied zwischen beiden Behörden dar.1984 Drittens erging am 3. Dezember 1783 schließlich der Befehl, das gesamte hungarische und siebenbürgische studienwesen der unter dem Freyherrn van Suiten aufgestellten Hofkommission auf die nehmliche Art zu untergeben.1985 Die bereits 1781 ausgeweiteten Kompetenzen galten nun also 1979 Grimm: Bürgerschule, S. 184. 1980 Becker-Cantarino: Education, S. 42 u. Grimm: Bildungskonzeption, S. 58–62. 1981 Grimm: Bürgerschule, S. 159–183. 1982 Hengl: Studienwesen, S. 62. 1983 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 62–67. 1984 Die Position Sonnenfels’ als Zensurreferent ist Gegenstand des Kap. 5.4. 1985 Walter: Zentralverwaltung, S. 46.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

383

innerhalb der gesamten Monarchie. Dadurch wurden die Entscheidungen der Kommission zum Maßstab aller Bildungseinrichtungen von Freiburg im Breisgau bis zur osmanischen Grenze. Bereits unmittelbar nach Amtsantritt van Swietens zeigte sich aber, dass er keineswegs vorhatte, die ihm übermittelten Anordnungen Josephs II. nur umsetzen, sondern dass er sie auch kritisch hinterfragen und beeinflussen wollte. So gelang es ihm, die Aufhebung der Universität Freiburg zu verhindern, die durch ihren Grundbesitz finanziell unabhängig war und nach Swietens Argumentation aufgrund ihrer Lage und Bedeutung ein wichtiges Gegenstück zu den protestantischen Universitäten im Reich darstellte.1986 Auch die Umwandlung der aufzuhebenden Universitäten in einfache Gymnasien konnte durch seinen Einwand vermieden und eine Umformung in Lyzeen, also Schulen mit eingeschränkten Studienmöglichkeiten, erreicht werden.1987 Diese Lyzeen erhielten das Recht wissenschaftliche Grade zu verleihen und sollten der Ausbildung von Beamten für die Länderverwaltung dienen. Swietens besonderes Interesse galt dabei dem Erhalt der philosophischen Fächer, von denen er besonders der Geschichte grundlegende Bedeutung für alle anderen Studien beimaß.1988 Außerdem widersprach die Kommission unter seinem Vorsitz der Aufhebung zahlreicher Professuren.1989 Im Gegenteil: Sie empfahl sogar Neuanstellungen zur Verbesserung der Ausbildung. Diesen offenen Widerspruch gegen die kaiserlichen Anordnungen unterstützte der Staatskanzler Fürst Kaunitz, während der frühere Leiter der Kommission Karl Anton von Martini dagegen im Staatsrat Protest einlegte.1990 Joseph II. folgte strikt der von ihm selbst vorgegebenen Linie und nahm die Anmerkungen Kaunitz’ und der Hofkommission zwar zur Kenntnis, sandte aber nur den Hinweis zurück, dass er lediglich seine befohlene Reform vollzogen wünsche.1991 Trotz solcher Widersprüche, die auch zu Rücktrittsdrohungen Swietens gegenüber Joseph II. führen konnten, sorgte der Leiter der Studienhofkommission im folgenden Jahrzehnt dafür, dass die zentralistischen Ziele der josephinischen Bildungspolitik schrittweise in konkrete Verordnungen umgesetzt wurden.1992 1986 Vgl. Grimm: Bürgerschule, S. 197–199 u. Wangermann: Aufklärung, S. 20f. Ders.: Swieten, S. 172. 1987 Grimm: Bürgerschule, S. 200f. u. Wangermann: Aufklärung, S. 21f. 1988 Wangermann: Swieten, S. 177f. u. grundlegend zu den Absichten und Zielen Swietens: ders.: Aufklärung, S. 62–84. 1989 Vgl. Wangermann: Aufklärung, S. 22–25. 1990 Ebd., S. 24f. Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 524. 1991 Rescript Joseph II. vom 29. Nov. 1781, publiziert bei Kink: Universität, S. 546f. 1992 Vgl. Hengl: Studienwesen, S.  103–110; Weitensfelder: Studium, S. 126–128. Die Rück-

384

Der Staatsreformer Sonnenfels

Die Lehrenden wurden aufgefordert, den Unterricht nur anhand der vorgegebenen Lehrbücher zu gestalten und entsprechend einem kaiserlichen Befehl vom 29. November 1781 keine Lerninhalte zu unterrichten, die über den Nutzen für die Beamtenausbildung hinausgingen.1993 Am 7. September 1784 folgte die Anordnung, bei der Anstellung von Staatsbeamten nur noch Bewerber mit inländischen Zeugnissen anzunehmen.1994 Der Unterricht wurde nun zur Berufsvorbereitung, so dass sowohl die Zahl von Studienreisen ins Ausland, als auch die Zahl der Studenten aus anderen Ländern des Heiligen Römischen Reiches stark zurückging. Im josephinischen Bildungssystem wurde die Disziplin der Lehrer und Schüler sowie die Vermittlung der vorgegebenen Inhalte von Aufsichtsbeamten, den Direktoren und Vizedirektoren, kontrolliert, die bis auf die Ebene des Gymnasiums das Funktionieren der Schulmaschine sicherstellen sollten.1995 Zu überprüfen war besonders die Umsetzung eines Befehls vom 2. Juli 1783, Deutsch anstelle von Latein zur verpflichtenden Unterrichtssprache aller Fakultäten zu machen.1996 Auch in diesem Kontext trat Gottfried van Swieten aus Rücksicht auf den Widerstand einiger Fakultäten für Ausnahmen ein, beispielsweise für die theologischen Studien. Das philosophische Studium wurde im Zuge der Neuorganisation zu einer Art Grundstudium herabgestuft, das einen Vorbereitungskurs der Beamtenausbildung darstellte. Trotzdem setzte sich van Swieten oft persönlich für diese Fakultät ein und war sogar in mehreren Fällen bereit, in offenen Widerspruch zum Monarchen zu treten.1997 Ein Beispiel dafür bietet die Erhebung von Schulgeld, das Joseph II. zunächst nur für die Schüler höherer Schulen, später aber für Mädchen bereits trittsdrohung stand im Kontext der Kürzung des medizinischen Studiums von vier auf drei Jahre. Der Kaiser bestand auf der Reform und Swieten verzichtete schließlich auf seinen Rücktritt; vgl. Wangermann: Aufklärung, S. 30f. 1993 Kink: Universität, S. 549 u. Rescript Joseph II. vom 29. Nov. 1781, Abdruck bei Kink: Universität, S. 546f. Hingegen verweist Wangermann: Aufklärung, S. 80f. auch hier auf die mangelnde Umsetzung; vgl. Thienen-Adlerfylcht: Wandlungen, S. 29. 1994 Vgl. Kink: Universität, S. 551. 1995 Bei den Direktoren selbst, welche die vier Fakultäten einer Universität kontrollierten, handelt es sich um eine ältere Einrichtung aus theresianischer Zeit: Vgl. AVA StudHK Kart. 132 Konv. 45 ex 1766, Fol. 247v. Die Vizedirektoren, deren Zahl mehrfach erhöht wurde, stellen dagegen eine Neuerung Josephs II. dar, Grimm: Bürgerschule, S. 185 u. S. 229. Letztere arbeiteten mit den Kreishauptleuten bei der Kontrolle aller höheren Schulen zusammen. Zu den Kompetenzen der Direktoren vgl. Thienen-Adlerfylcht: Wandlungen, S. 30–32 u. Kink: Universität, S. 530–535. 1996 Gemäß Dekret vom 2. Juli 1783. Vgl. Kink: Universität, S. 567 u. Wangermann: Aufklärung, S. 26f. 1997 Vgl. inkl. Beispielen: Wangermann: Aufklärung, 15f. u. S. 27f.; Hengl: Studienwesen, S. 72; Thienen-Adlerfylcht: Wandlungen, S. 29 u. Klingenstein: Universitätsfragen, S. 84.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

385

vom Schulbeginn an einfordern wollte.1998 Van Swieten kritisierte die kaiserlichen Pläne offen, da einerseits ein Schulgeld, das auf die höheren Schulen beschränkt blieb, zu wenig einbrächte und andererseits die Mädchen als zukünftige Mütter und Ehefrauen nicht in ihrer elementaren Bildung beschränkt werden dürften. Das Ergebnis der Verhandlungen war eine kostenlose Elementarbildung für Mädchen und Jungen. Erst danach sollte ein ansteigendes Schulgeld verlangt werden, das den Zugang ärmerer Schichten zum Studium begrenzen würde.1999 Schließlich wurde die finanzielle Fundierung der höheren Schulen auf Befehl Josephs II. neu geregelt.2000 Verfügten diese bisher über eigene, wenn auch oftmals unzureichende Fonds, so wurden diese Gelder nun dem allgemeinen Staatshaushalt zugeführt und unterstanden somit dem Landesherrn. Die realen Besitztümer der Universitäten, aus denen die Fonds entstanden waren, wurden 1783 in die Verfügungsgewalt der Hofkammer überführt, so dass der staatliche Zugriff auf die höheren Bildungseinrichtungen noch verstärkt wurde.2001 Van Swietens Amtsführung wies während der Umsetzung dieser Reformen besondere Eigenarten auf.2002 Er fertigte die Sitzungsprotokolle nicht nur einfach aus, sondern veränderte sie, fügte Separatgutachten hinzu und modifizierte auch die Eingaben und Kommentare anderer Kommissionsmitglieder nach eigenem Ermessen. Dem Kaiser schilderte er anlässlich einer Beschwerde des Kommissionsmitgliedes Greiner: Denn ich glaubte […] die Pflicht des Vorstehers nicht zu erfüllen, wenn je etwas beschlossen würde, dem ich nicht aus voller Überzeugung beygetreten wäre: und so geschieht es, dass Euer Majestät nichts vorgelegt wird, was nicht zugleich ganz meine Gesinnung ist.2003 Joseph II. tolerierte dieses Verhalten des Vorsitzenden und ermöglichte van Swieten dadurch, die zentrale Rolle bei der Umsetzung seiner Bildungsreformen einzunehmen, auch wenn in Einzelfällen Widersprüche zwischen ihnen bestanden. Die starke Stellung des Kommissionspräsidenten zeigte sich beispielsweise bei der ihm gewünschten Berufung eines 1998 Vgl. Grimm: Bürgerschule, S. 203–208 u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 527f. Zur Reaktion Swietens vgl. AVA StudHK Kart. 133 Konv. 215 ex 1782, Protokoll der Studien und Censurssachen Kommission vom 2. Juli 1782, hier Fol. 1014v. 1999 Klingenstein: Akademikerüberschuß, S. 186. 2000 Vgl. Adler: Unterrichtsverfassung, S. 16–21; Grimm: Bürgerschule, S. 203 u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 522 u. S. 525f. 2001 Ebd., S. 31 u. Kink: Universität, S. 559. 2002 Vgl. Wangermann: Aufklärung, S. 16–19 u. Hengl: Studienwesen, S.  72f.; mit negativer Interpretation Kink: Universität, S. 539–542 u. Grimm: Bürgerschule, S. 196. Exemplarischer Beleg: ÖNB Hss Codex 9717, Fol. 226r.–227v. mit Antwort Josephs II. 2003 Wangermann: Aufklärung, S. 17f.

386

Der Staatsreformer Sonnenfels

zweiten Dozenten für das Lehrfach Naturgeschichte.2004 Der Kaiser lehnte dies ab und deutete an, dass die Personalpolitik des Vorsitzenden wohl von persönlichen Motiven beeinflusst wäre. Als Reaktion auf die Anschuldigung bot van Swieten seinen Rücktritt an. Der Monarch stimmte daraufhin der Anstellung doch noch zu und schrieb ihm: Wenn Ich in meiner Resolution etwas gesagt habe, das Ihnen empfindlich gefallen ist, so war es nicht Meine Gesinnung und endlich macht man mir Galle genug, dass Ich manchmal auch von übler Laune überfallen werde.2005 Diese einflussreiche, aber exponierte Stellung führte dazu, dass van Swieten selbst und nicht die Kommission als Ganzes für die Folgen der kaiserlichen Reformpläne kritisiert wurde.2006 So wurden Maßnahmen zur Einschränkung der Freiheit der Lehre und die zahlreichen Kürzungen von Zeitgenossen ihm alleine angelastet und ältere historische Darstellungen übernahmen diese Wertung.2007 Eine Betrachtung seiner keineswegs unkritischen Haltung zu den landesherrlichen Reformplänen legt allerdings nahe, dass er und seine Mitarbeiter eher bemüht waren, einen mildernden Einfluss zu nehmen.2008 Swietens Art der Amtsführung und sein sichtbarer Einfluss auf den Kaiser brachten aber ein gewisses Konfliktpotential in die Kommissionsarbeit. Der Vorsitzende stand dabei besonders häufig im Widerspruch zu Hofrat Franz Joseph von Heinke, der den negativen Bericht über die Gymnasien angefertigt hatte, und zu Hofrat von Greiner, der gegen seine Amtsführung Beschwerde eingereicht hatte.2009 Diese fachlichen Differenzen hinderten ihn allerdings nicht daran, ebenso wie Sonnenfels gelegentlich den Salon Greiners zu besuchen. Mit Sonnenfels selbst arbeitete er ohne Schwierigkeiten zusammen, gleiches galt für die beiden Geistlichen Franz Stephan Rautenstrauch (1734–1785), dem Direktor der theologischen Fakultät Wien, und seinen Nachfolger, dem früheren Leiter des Prager Generalseminars Augustin Zippe (1747–1816). 2004 Wangermann: Aufklärung, S. 28–30. 2005 Ebd., S. 29. 2006 Vgl. Wangermann: Aufklärung, S. 85–98 u. Hengl: Studienwesen, S. 233. 2007 So Kink: Universität, S. 539 u. S. 582–588, der die Berufung Swietens als große Calamität bezeichnet. 2008 Wangermann: Aufklärung, S. 5–8; Ders.: Swieten, S. 176–180 u. Sauer, Werner: Von der „Kritik“ zur „Positivität“. Die Geisteswissenschaften in Österreich zwischen Josephinischer Aufklärung und Franziszeischer Restauration, in: Schnedl-Bubenicek, Hanna (Hg.): Vormärz: Wendepunkt und Herausforderung. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Kulturpolitik in Österreich, Wien, Salzburg 1983, S. 17–46, hier S. 21f. u. S. 28f. 2009 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 73 u. Wangermann: Aufklärung, S. 18. Für ein Beispiel betreffend der Entfernung des Kirchenrechtes aus dem Curriculum der juristischen Studien vgl. Kink: Universität, S. 576–579.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

387

Im Falle Swietens und Sonnenfels lässt sich dies sowohl durch die Protokolle der Hofkommission, als auch durch das von beiden außerhalb der Kommission durchgeführte Projekt einer neuen Schulordnung für die theresianisch-savoyische Ritterakademie bestätigen.2010 Außerdem waren sie durch ihr gemeinsames Engagement für den Orden der Illuminaten und ihre Arbeit für die Zensur verbunden.2011 Wie bereits geschildert, berief van Swieten mehrere mit Sonnenfels bekannte Befürworter der josephinischen Reformen, die zugleich Freimaurer waren, in die Zensurkommission und nahm selbst durch Eingaben und Gutachten an deren Arbeit Anteil. Beide Männer arbeiteten dabei mit dem Dichter Aloys Blumauer, Sonnenfels ehemaligem Schüler Retzer und Melchior Birkenstock zusammen. Sie alle sorgten für eine möglichst schonende Zensur von Schriften der damaligen europäischen Reformbewegung, die sie selbst als Aufklärung bezeichneten.2012 In den Sitzungsprotokollen der Hofkommission erscheint Sonnenfels als ein vergleichsweise aktives Mitglied, wobei der größte Teil seiner Referate und Eingaben den Bereich der Zensur betraf.2013 Darüber hinaus wurde er vornehmlich in Belangen seines eigenen Faches und zugunsten von Personen aktiv, mit denen er Lehrstühle besetzen wollte.2014 Es gelang ihm mit Zustimmung van Swietens, in den meisten neuen Lyzeen Lehrstühle für Polizeywissenschaft zu erhalten und bei Entlassung den Professoren Stellen in den Kreisämtern zu besorgen und ihnen eine Entsendung nach Galizien zu ersparen.2015 Außerdem erhielt er die Zustimmung der Kommission für die Übertragung seines nun politische Wissenschaft genannten Faches von der philosophischen in die juristische Fakultät durch Resolution vom 11. November 1784.2016 Dies sicherte den Lehrenden ein höheres Einkommen, bewahrte sie vor weiteren Kürzungen und ermöglichte Sonnenfels, wie bereits erwähnt, einen noch stärkeren Einfluss auf die Beamtenausbildung zu nehmen, da alle angehenden Juristen in den letzten Semestern nun als Abschluss die politischen Wissenschaften studieren mussten. 2010 Die relevanten Protokolle sind enthalten in: AVA StudHK Kart. 133. Für das Schulstatut vom 20. Nov. 1783 siehe Eckert: Watteroth, S. 22. 2011 Vgl. Kap. 6.2 u. 5.4. 2012 Vgl. Sauer: Kritik, S. 25. 2013 Vgl. exemplarisch für ein Quartal: AVA StudHK Kart. 133 Konv. 215 von 1783 Protokoll vom 8. Jänner 1783; Konv. 216 ex 1783 Protokoll vom 19. Feb. 1783 u. Konv. 217 ex 1783 Protokoll vom 14. März 1783. 2014 Vgl. zu den Maßnahmen zugunsten seines Faches: Osterloh: Reformbewegung, S. 242– 252 sowie Kopetzky: Sonnenfels, S. 277–279. 2015 Zum Erhalt der Polizeywissenschaft in Graz, Innsbruck und Brünn vgl. exemplarisch AVA StudHK Kart. 23 Konv. In genere Oeconomie, Fol. 35r. Note an die Hofrechenkammer vom 25. Mai 1782. 2016 Vgl. Kink: Universität, S. 567.

388

Der Staatsreformer Sonnenfels

An Reformprojekten, die über sein eigenes Fach hinausgingen, wirkte Sonnenfels hingegen nur selten durch eigene Anträge oder Arbeiten mit. Sein besonderes Interesse galt in diesen Fällen der Reduktion von Ferien und Feiertagen und der Verlegung der Herbstferien in den Sommer.2017 Er führte auch das Referat gegen einen Antrag des mährischen Guberniums, die Matrikel und die Immatrikulationsgebühr abzuschaffen.2018 Mit Unterstützung der Kommission gelang ihm, diese Gebühr zu erhalten, um damit sowohl die Pedellen als auch die staatlichen Kontrollbeamten besolden zu können. Schließlich schaffte er es gemeinsam mit Swieten sogar, den Kaiser zu überzeugen, einen im Staatsrat bereits angenommenen und von Kaunitz und Martini unterstützten Antrag zur Ersetzung der mündlichen durch schriftliche Abschlussprüfungen abzulehnen. Sonnenfels hatte im Namen der Kommission dargelegt, dass eine mündliche Prüfung erlaube, nicht nur das Gedächtnis des Kandidaten, sondern auch seine sprachlichen Talente zu prüfen.2019 Auch seine Fähigkeiten als Stilrevisor stellte er der Kommission zur Verfügung, wenn er Disziplinarvorschriften überarbeitete und dabei erfolgreich vorschlug, einige Strafen, wie das Knien auf Holzscheiten, aufgrund ihrer gesundheitsschädlichen Wirkung aufzuheben.2020 Seine stilistischen Kenntnisse und seine literarischen Äußerungen über das Bildungswesen der Monarchie trugen auch dazu bei, dass van Swieten ihm eine Aufforderung der russischen Zarin Katharina II. übermittelte, einen Bericht über das österreichische Bildungswesen als mögliches Vorbild für Reformen in Russland anzufertigen.2021 Sonnenfels kam dem Befehl im Jahr 1786 nach und schilderte in einem 152seitigen Schreiben die Leistungen Maria Theresias und seines Kollegen van Swietens sowie die zahlreichen Vorzüge, die ein Zurückdrängen des kirchlichen Einflusses habe.2022 Dabei verwendet er an zentraler Stelle den Begriff der National-Erziehung, worunter er verstand, dass jede Nation ihren Bürgern die für deren jeweilige Classe nötige Bildung und Aufklärung geben müsse.2023 Ziel sei es, aus den Studenten 2017 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S.  269; Hengl: Studienwesen, S. 114–116 u. Grimm: Bürgerschule, S. 253. 2018 Kopetzky: Sonnenfels, S. 267. 2019 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 267f. u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 531f. 2020 AVA StudHK Kart. 133 Konv. 213 von 1782 Protokoll der Studien- und Zensurhofkommission vom 7. März 1782. 2021 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 271–275 u. Weitensfelder: Studium, S. 128–131. 2022 AVA StudHK Kart. 23 Konv. Studien in genere, Fol. 12r.–100v. Über die Einrichtung der Studien in den k.k. Deutschen, Böhmischen und Ungarischen Erblanden. 2023 Ebd., Sonnenfels folgte damit dem von der StudHK unter Leitung van Swietens erstellten Studienplan von 1785; vgl. Weitensfelder: Studium, S. 128f. u. Klingenstein: Universitätsfragen, S. 84. Zum Begriff und der Bedeutung des Terminus Nationalerziehung vgl. Thienen-Adlerflycht: Wandlungen, S. 28–30.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

389

fähige und gehorsame Staatsdiener zu machen, die aus Überzeugung und Vaterlandsliebe ihrem Land dienen würden. Hierfür seien begrenzte staatliche Eingriffe in das Bildungswesen, bspw. zur Kontrolle der Ordnung, notwendig. Sein Lob der österreichischen Einrichtungen verband Sonnenfels mit Kritik an protestantischen Universitäten, denen er vorwarf, mangels staatlicher Lenkung die Studien nicht zum allgemeinen Besten zu gestalten. Mit diesen Ausführungen provozierte er seinen angeheirateten Verwandten Johann Melchior Birkenstock. Jener schrieb, außerhalb der Kommission stehend, ein Gegengutachten und lobte dabei ausführlich die Erfolge des Systems, das er 1772 in Göttingen beobachtet hatte.2024 Er empfahl eine Mischung beider Bildungsformen und kritisierte Sonnenfels’ in seinen Augen ungerechtfertigte und pauschale Kritik an einem erfolgreichen Modell. Wenn die Überlieferung auch lückenhaft ist, erscheint es naheliegend, dass Birkenstocks Eintritt in die Studienhofkommission 1787 zu Spannungen führte, obgleich er niemals eine Stellung einnehmen konnte, die mit der seines Verwandten zu vergleichen war.2025 Aber selbst Sonnenfels blieb wie alle Mitglieder an das Wohlwollen und die Zustimmung des dominierenden van Swieten gebunden. Der Präses allein besaß durch die Unterstützung des Kaisers die Möglichkeit, die vorgegebenen Konzepte umzusetzen oder auch in seinem Sinne zu beeinflussen. Sonnenfels kam dabei die Rolle eines engen Mitarbeiters zu, was auch durch verschiedene außerdienstliche Kontakte bestätigt wird. Er zeigte zwar zugunsten seines eigenen Fachs durchaus Initiative, wirkte aber keineswegs über einzelne Details hinaus auf die Gestaltung der Bildungsreformen ein. Bemerkenswert ist dabei, dass er auch dann mit Swieten kooperierte, wenn dessen Modifikationen der kaiserlichen Befehle seinen eigenen Lehrsätzen entgegenstanden, wie es bei der Abmilderung der Anordnung von 1781 der Fall war. Die unter seiner Mitwirkung durchgeführten Reformen zeigten allerdings in den letzten Jahren der Herrschaft Josephs II. nicht die erhofften Auswirkungen.2026 Die durch die Schließung von Hochschulen und Lehrstühlen sowie durch Zentralisierung der Finanzen gewonnenen Gelder erwiesen sich als unzureichend, um die Kosten des stetig expandierenden Primärschulwesens zu bestreiten.2027 Im höheren Schulwesen hingegen wurde das Ziel einer Verringerung der Studentenzahl erreicht. Einige Gymnasien meldeten einen Rückgang ih2024 Weitensfelder: Studium, S.  130f.; vgl. die Anmerkungen und Notizen Birkenstocks in AVA StudHK Kart. 23 Konv. 5 Lehrerstellen 63 ex 1772. Das Gegengutachten ist publiziert bei Adler: Unterrichtsverfassung, S. 114–119. 2025 Weitensfelder: Studium, S. 28. 2026 Vgl. zu den Erwartungen an die Kommission: Nicolai: Beschreibung, Bd. IV, S. 358. 2027 Grimm: Bürgerschule, S. 202–208.

390

Der Staatsreformer Sonnenfels

rer Schüler und somit der potentiellen Studenten um bis zu 60 Prozent.2028 Dieser starke Rückgang führte allerdings, aufgrund des gleichzeitigen Verbotes auswärts ausgebildete Untertanen anzustellen, zu Beschwerden der Hofkanzlei und anderer Zentralbehörden, die um qualifizierten Nachwuchs fürchteten.2029 Auch die höheren Schulen selbst äußerten sich besorgt über die mangelnde Auswahl an Nachfolgern für freiwerdende Lehrerstellen, da Qualität und Quantität der Bewerber abgenommen hätten.2030 Auf diese Entwicklung reagierten Martini und Kaunitz mit offener Kritik an den Auswirkungen der Sparmaßnahmen im Staatsrat und der Hofrat Heinke schickte als Mitglied der Studienhofkommission gewissermaßen hinter dem Rücken van Swietens eine Eingabe über die Mängel des derzeitigen Bildungswesens an Joseph II.2031 Hierin beklagte er die Vermehrung der Lehrinhalte bei Kürzung der Lehrzeit. Daraus resultiere, dass die Studien bloß aus Gedächtniswerk bestünden. Die mangelnden Lateinkenntnisse würden die Akademiker der Monarchie außerdem von denen anderer Länder entfremden und schließlich habe die völlige Verdrängung der Religion aus dem Unterricht die Sitten und Schulzucht verkommen lassen, wodurch ein unmoralisches Verhalten der zukünftigen Beamten drohe. Joseph II., der gegen Ende seiner Herrschaft zahlreiche Reformmaßnahmen zurücknehmen musste, reagierte auf diese Beschwerden mit einem politischen Kurswechsel. Er befahl seinem böhmisch-österreichischen Kanzler Graf Kolowrat am 9. Februar 1790, eine neue Kommission zur Reform des Bildungswesens einzurichten, in der Heinke einen Reformplan ausarbeiten sollte:2032 Schon mehrmals habe ich der Hofkanzlei die von mehreren Seiten eingegangenen Klagen über die […] Einrichtung der Studien in der Monarchie […] zu erkennen gegeben. Seitdem sind die Klagen so allgemein geworden, dass einsichtsvolle Aeltern es für ihre Pflicht halten, ihre Söhne dem öffentlichen Unterricht zu entziehen, […] Sie werden dann den ganzen neuen Plan mit der schliesslichen Wohlmeinung dieser Commission Mir zur Entscheidung vorlegen, damit alsdann das Ganze der Studien-Commissien gleich zur Ausführung könne vorgelegt werden.2033 Mit dieser Anordnung 2028 Grimm: Bürgerschule, S. 214. 2029 Vgl. eine Anfrage der geistlichen Hofkommission an die Studienhofkommission zur Diskussion über den baldigen Nachwuchsmangel für Priester: AVA StudHK Kart. 133 Konv. 363 ex 1788 Protokoll vom 20. Feb. 1788, speziell Fol. 1140v. u. Grimm: Bürgerschule, S. 216. 2030 Grimm: Bürgerschule, S. 210 u. S. 217. 2031 Vgl. zu Kaunitz und Martini: Grimm: Bürgerschule, S. 212f., zum Gutachten Heinkes siehe Hengl: Studienwesen, S. 233 u. Kink: Universität, S. 305 u. 588. 2032 Vgl. Grimm: Bürgerschule, S. 255; Hengl: Studienwesen, S. 234 u. Wangermann: Aufklärung, S. 95f. 2033 Zit. nach Kink: Universität, S. 589.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

391

umging der Kaiser den bisher in Bildungsfragen einflussreichen Gottfried van Swieten und auch die übrigen Mitglieder der Studienhofkommission, die zukünftig auf Verwaltungsaufgaben beschränkt werden sollte. Bevor seine Anweisung aber umgesetzt werden konnte, starb Joseph II. Die gerade begonnene Reform der Reform oblag nun seinem Nachfolger. 7.4.3 Neue Kommissionen, neue Konzepte: Das Bildungswesen unter Leopold II. Leopold II. widmete sich bereits kurz nach seiner Thronbesteigung der neuerlichen Reform des Bildungswesens. Er befahl noch im April 1790, eine neue Kommission unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten der Obersten Justizstelle Karl Anton von Martini einzurichten, der ihn früher selbst als Hauslehrer für Naturrecht unterrichtet hatte.2034 Diese Behörde wurde Studieneinrichtungskommission genannt und hatte die Aufgabe, den Wahrheitsgehalt der vorliegenden Beschwerden über das Bildungswesen zu prüfen und Verbesserungsvorschläge vorzulegen. Neben Martini, der den josephinischen Reformen und sowohl der Person, als auch der Arbeitsweise Gottfried van Swietens kritisch gegenüberstand, wurden auch die Hofräte Greiner und Birkenstock berufen.2035 Die Monarchie besaß von diesem Augenblick an zwei zentrale bildungspolitische Behörden, deren Kompetenzen unklar abgegrenzt waren, deren Personal teilweise identisch war und deren jeweilige Präsidenten unterschiedliche Ziele verfolgten.2036 Am 24. Juni überreichte Martini dem Kaiser eine ausführliche Denkschrift über die bisherigen Studieneinrichtungen.2037 In diesem Dokument berichtet er: Es finden sich bei der dermaligen Verfassung verschiedene Mängel und Gebrechen, die dem ächten Schulgeiste, der wahren Aufnahme nützlicher Kenntnisse und Wissenschaften und einer guten Schulzucht zum grossen Nachtheil gereichen.2038 Martini empfahl einen neuen Studienplan zu entwickeln, den er selbst in Konsultation mit den Lehrkräften ausarbeiten wolle. Da dies un2034 Befehl Leopolds II. vom 13. April 1790, vgl. Hengl: Studienwesen, S. 226 u. S. 234; Adler: Unterrichtsverfassung, S. 34 u. Wandruszka: Leopold II., S. 322f. Zu den mutmaßlichen Zielen des Kaisers vgl. auch Grimm: Bürgerschule, S. 285–293. 2035 Vgl. AVA StudHK Kart. 133 Konv. 156 ex 1790 Sitzung über die künftige Einrichtung der Studien vom 24. Juli 1790 u. ebd. Konv. 137 ex 1791 Protokoll vom 4. Januar 1791 u. die Protokolle im Konv. 298 ex 1791. Diese Dokumente führen Greiner und Birkenstock unter Martini in der Anwesenheitsliste. 2036 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 235; Wandruszka: Leopold II., S. 326 u. Grimm: Bürgerschule, S. 293. 2037 Weitgehend publiziert bei: Kink: Universität, S. 300–318; vgl. auch Grimm: Bürgerschule, S. 294–305 u. Wangermann: Aufklärung, S. 97–99. 2038 Kink: Universität, S. 307.

392

Der Staatsreformer Sonnenfels

bedingt notwendig sei, um die bekannten Missstände zu beheben, habe er für die Universitäten bereits mit der Arbeit an dem Plan begonnen. Über Swietens Hofkommission merkte er bei dieser Gelegenheit an: hatte ich freylich öfters Gelegenheit, […] zu zeigen, nach welchen verkehrten Grundsätzen man nicht selten bei neuen in Studiensachen getroffenen Anstalten zu Werke ging; allein die Meinungen des Präsidenten der Studienhofkommission behielten meistens die Oberhand.2039 Auch späteren Berichten über die rasche Fertigstellung des neuen Studienplans legte er Kritik an der noch immer bestehenden Studienhofkommission bei. Martini berief sich hierbei auf zwei ihrer Mitglieder, die Swieten kritisch gegenüberstanden: Die zween Hofräthe v. Greiner und v. Birkenstock tragen kein Bedenken zu gestehen, dass fast niemals die Rede von eigentl. Studienwesen, von Untersuchungen und Vorschlägen der inneren Studienverfassung war, sondern, dass man sich blos mit Verteilung der Stipendien, mit Besetzung vakanter Lehrstellen, kurz mit der blos äusserlichen Manipulazion des Schulwesens abgab.2040 Diese Aussage der beiden Beamten kann als Ablehnung von Swietens Führungsstil und vielleicht auch als Hinwendung zu dem neuen Reformer Martini gewertet werden. Unter solchen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass ihre Arbeit für van Swietens Kommission nicht mehr besonders sorgfältig durchgeführt wurde und beispielsweise ein von Birkenstock zu erstellender Gegenentwurf zu Martinis Studienplan gar nicht zum Abschluss kam.2041 Der Kaiser nahm die Berichte zur Kenntnis und ließ die Studieneinrichtungskommission die neue Studienordnung erstellen. Der älteren Hofkommission kamen hingegen nur noch exekutive Aufgaben zur Umsetzung derselben zu. Im Oktober 1790 konnte Martini bereits seine Pläne zu einer Neuregelung des Studienwesens vorlegen, in denen er die Abschaffung der Studiendirektoren und Vizedirektoren und ihre Ablösung durch Lehrerversammlungen empfahl.2042 Innerhalb der Schulen sowie der Universitäten sollten diese Versammlungen über Stellenvergaben entscheiden und die Qualität der Lehre sichern. Ihnen übergeordnet waren die Studienkonsesse, 2039 Ebd., S. 304. 2040 AVA StudHK Kart. 133 Konv. 156 ex 1790, Fol. 1248r. u. 1248v. Sitzung über die künftige Einrichtung der Studien vom 24.07.1790. Zu Birkenstocks Abkehr vom Reformkurs Swietens: Weitensfelder: Studium, S. 29. 2041 Hengl: Studienwesen, S. 239 verweist auf Birkenstocks ungewöhnlich langsame Arbeit bei der Erstellung des Entwurfs, nicht aber auf seine gleichzeitige Tätigkeit für Martinis Kommission. 2042 Vgl. zu den Reformplänen Martinis: Hengl: Studienwesen, S.  226–229; Grimm: Bürgerschule, S. 294–309 u. Wangermann: Aufklärung, S. 99–101. Zur Abschaffung der Direktoren und Einrichtung von Lehrerversammlungen vgl. AVA StudHK Kart. 133 Konv. 156 ex 1790, Fol. 1247r. u. Fol. 1247v. Sitzung über die künftige Einrichtung der Studien vom 24. Juli 1790.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

393

bei denen es sich um Versammlungen von gewählten Lehrervertretern und Leitern der Fakultäten in den Universitätsstädten handelte. Hier sollten Lehrkanzeln vergeben, Schulbücher geprüft und strittige Fälle der Lehrerversammlungen entschieden werden. Diese Konsesse waren somit als dezentrale oberste Studienbehörden in den verschiedenen Erbländern vorgesehen. Die Studienhofkommission sollte lediglich deren Arbeit koordinieren und als Mittler zwischen den Versammlungen und der Hofkanzlei fungieren. Das neue System ermöglichte den Lehrenden weitgehende Mitspracherechte und verringerte die staatliche Kontrolle, so dass Forschung und Lehre wesentlich freier waren, als im josephinischen System. Allerdings legte Martini Wert auf verpflichtende religiöse Übungen für Lehrer und Schüler, sowie auf eine enge Bindung der Lehre an die festgelegten Schulbücher und das Verbot von Mitschriften freier Lehrervorträge.2043 Leopold II. stimmte diesen Vorschlägen ebenso zu wie auch der Umwandlung der schriftlichen Abschlussprüfungen in mehrere Prüfungen im Laufe des Semesters und der häufigeren Verwendung der lateinischen Sprache in Lehrveranstaltungen. Außerdem wurden die Ferien vom Sommer in den Herbst verlegt, um die Bauern während der Erntezeit zu unterstützen.2044 Der Monarch ordnete an, die Pläne in Druck zu geben und damit sowohl seine eigene Reformpolitik als auch die Funktion Martinis als Unterrichtsreformer den Untertanen vorzustellen.2045 In den Text wurde auch eine Beschreibung der derzeitigen Mängel des Bildungswesens aufgenommen, wodurch die Amtsführung Swietens und der Arbeit der Studienhofkommission indirekt kritisiert wurde. Kurz nachdem er die Zustimmung des Landesherrn erhalten hatte, wandte sich Martini erneut an Leopold II. und äußerte die Befürchtung, dass van Swieten mit einigen Verbündeten seine Reformen verhindern oder manipulieren könnte.2046 Er bat daher zu befehlen, dass alle Mitglieder der Studienhofkommission schriftlich erklären sollten, dass sie die neuen Reformen unterstützen und nach besten Kräften umsetzen würden. Ein zustimmendes Handbillet erging am 27. Dezember 1790.2047 Eine Reaktion blieb zunächst aus, so dass der oberste Kanzler Kolowrat berichtete, er befürchte bald Widerspruch und sogar Schmähschriften gegen

2043 Vgl. Adler: Unterrichtsverfassung, S. 54f. u. Wangermann: Aufklärung, S. 100. 2044 Vgl. Grimm: Bürgerschule, S. 254 u. S. 320 u. Adler: Unterrichtsverfassung, S. 38. 2045 Nachricht von einigen Schul- und Studienanstalten in den österreichischen Erblanden, Wien 1791; vgl. Adler: Unterrichtsverfassung, S. 39; Kink: Universität, S. 595 u. Wangermann: Aufklärung, S. 101f. 2046 AVA StudHK Sig. 1 Kart. 1 StudHK in genere, 1760–1791, Konv. 133 ex 1791 Martini an Leopold am 2. Dez. 1790 2047 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 240 u. Grimm: Bürgerschule, S. 310.

394

Der Staatsreformer Sonnenfels

Martinis Konzepte.2048 Nach einer Ermahnung folgten van Swieten und die übrigen Mitglieder der Studienhofkommission zwar dem kaiserlichen Befehl, aber mehrere Beschwerden aus dem Jahr 1791 belegen, dass die Zusammenarbeit keineswegs ohne Missstimmung blieb.2049 Über Sonnenfels’ Verhalten in dieser Zeit berichten die kaiserlichen Informanten Hoffmann und Watteroth, die aus persönlichen Gründen gegen ihn eingenommen waren. Sie schildern, wie er opportunistisch versucht habe, sowohl zu Martini als auch zu van Swieten gute Beziehungen zu unterhalten.2050 Die Informanten beziehen sich darauf, dass Sonnenfels für Martinis Sohn einen Praktikumsplatz in seinem eigenen Büro bei der Hofkanzlei einrichtete, während er zugleich eng mit van Swieten zusammenarbeitete. Er verhalte sich ihren Angaben nach ohne eigene Meinung stets der aktuellen behördenpolitischen Machtlage entsprechend. Diese Schlussfolgerung ist allerdings nicht haltbar. Die Gefälligkeit für seinen ehemaligen Lehrer zu einer Zeit, als der Kaiser eindeutig Stellung gegen van Swieten bezog, war nicht von einem Kurswechsel Sonnenfels’ in Fragen der Bildungspolitik begleitet. Dies zeigt sich erstmals nach seinem Rücktritt vom Lehramt, als er sich mit dem bereits erwähnten ausführlichen Antrag vom 22. Juni 1790 an den Kaiser wandte und um einen Posten im unmittelbaren Umfeld des Monarchen bat.2051 Dabei lehnte er ein Angebot ab, als Studienreferent die Leitung des Studienwesens der gesamten Monarchie zu übernehmen. Er verwies darauf, dass jenes Amt keine Gestaltungsspielräume mehr besitze, sondern lediglich die Umsetzung der Pläne Martinis zu überwachen habe. Solch eine Aufgabe sei für einen Mann seiner Erfahrung und seines Ranges nicht annehmbar. Seine kategorische Ablehnung ohne einen Versuch, über die neue Stellung und deren Kompetenzen zu verhandeln, deutet auf elementaren Widerspruch zwischen seinen und Martinis bildungspolitischen Ansichten hin. Die Tatsache, dass er in seinem Rücktrittsgesuch nicht auch um seine Entlassung aus der Studienhofkommission bat, obwohl seine Gestaltungsmöglichkeiten dort durch Swietens Amtsführung ebenfalls beeinträchtigt wurden, illustriert seine Position. Ob das kaiserliche Angebot an Sonnenfels mit Wissen oder aufgrund einer Emp2048 AVA StudHK Sig. 1 Kart. 1 Stud HK in genere, 1760–1791, Konv. 141 ex 1791. Bericht Kolowrats vom 18. Jan. 1791. 2049 Hengl: Studienwesen, S. 241; Adler: Unterrichtsverfassung, S. 52 u. Grimm: ­Bürgerschule, S. 311. 2050 Vgl. HHStA VA 38, Fol. 157r.–160v., Bericht vom 20. Junius 1791. Zu Hoffmann und Watteroth vgl. Kap. 4.1.6. 2051 Zu Sonnenfels’ Rücktritt vgl. Kap. 4.1.5 u. eine Anmerkung bei Wandruszka: Leopold II., S. 325. Das Gesuch selbst: HHStA VA 41, Konv. Alt 63 Fol 309–482, Nota von Hofrath Sonnenfels, Fol. 356r.–361v.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

395

fehlung Martinis erfolgte, um ihn gewissermaßen für den neuen Reformkurs zu vereinnahmen, ist nicht zu ermitteln. Man kann als Ergebnis aber festhalten, dass Leopold II. ihn nach seiner Absage für keine weiteren bildungspolitischen Ämter vorsah. Der Gegensatz zwischen Martini einerseits und Sonnenfels als Verbündetem van Swietens andererseits trat wenige Tage später auch offen hervor. Sonnenfels verfasste zu einem bereits vom Monarchen befürworteten Antrag seines ehemaligen Lehrers, den Universitäten ihren Grundbesitz zurückzugeben und sie in den Rang von Landständen zu erheben, ein heute nicht mehr vorliegendes Gegengutachten im Namen der Studienhofkommission und verteidigte das josephinische System.2052 Beide Berichte wurden am 24. Juni 1791 vorgetragen, und der Wortlaut der überlieferten Ausarbeitung Martinis weist ironische Kritik an Sonnenfels’ Kompetenz auf. Wenn es wahr sei: dass der Referent der Studienhofkommission, der zugleich Professor der Kameral- und Kommerzialwissenschaften ist, die Wichtigkeit und Vorzüge eines Vorschlags nicht soll eingesehen haben […] so darf man sich ebensowenig wundern, als wenn derselbe die Bewegung der Erde um die Sonne sich nicht vorstellen kann.2053 Martinis sachliche Argumente einer langfristigen und sicheren Versorgung der Universitäten ohne weitere staatliche Zahlungen, die sogar unabhängig von der Inflation oder den Launen zukünftiger Monarchen wäre, überzeugte schließlich die Mitglieder des Staatsrates und den Kaiser. Sonnenfels’ Votum für eine Grundfinanzierung über den Staatshaushalt, die nur gegebenenfalls mit Zuschüssen verstärkt werden solle, blieb die Zustimmung hingegen versagt. Auch bezüglich der Rückverlegung der Ferien setzte sich Martini durch.2054 Gegen den von Hoffmann und Watteroth erhobenen Vorwurf, Sonnenfels würde zwischen Martini und van Swieten eine unklare Position beziehen, spricht zusätzlich der Konflikt um die Nachfolge in seinem Lehramt.2055 Da die beiden Informanten sich sowohl gegen ihn, als auch gegen van Swieten stellten und sie als Illuminaten und Verschwörer angriffen, provozierten sie eine Zusammenarbeit beider Männer. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden zentralen Bildungskommissionen und ihren jeweiligen Vorsitzenden verschärften sich in der zweiten Jahreshälfte 1791. Martini legte einen Plan zur Optimierung der Studienhofkommission vor, der ihren Zugriff auf die Länderbehörden dra2052 Vgl. Adler: Unterrichtsverfassung, S. 61–83. 2053 Die Passage nach der Auslassung bezieht sich zwar auf Den Pöbel, mit dessen geistigem Horizont Sonnenfels’ in der Auslassung aber gleichgesetzt wird. Zit. nach Adler: Unterrichtsverfassung, S. 70. 2054 Kopetzky: Sonnenfels, S. 271. 2055 Siehe Kap. 4.1.6.

396

Der Staatsreformer Sonnenfels

stisch einschränkte und ihr wesentlich seltener Zugang zu Berichten und Protokollen einräumte als bisher üblich.2056 Über die Reaktion Swietens berichtet der Informant Hoffmann: Das litterarisch-ministerialische Turnier zwischen Baron Martini und Baron Swieten fängt nun an ganz öffentlich, ernsthaft und entscheident zu werden. Der Baron Swieten hat eine lange, über 20 Bogen starke Deduktion oder vielmehr Kritik gegen den Studienplan des Baron Martini geschrieben und bei der Hofkanzlei übergeben. Baron Martini will nun diese Deduktion beantworten.2057 Van Swietens Bemerkungen, die am 15. August 1791 eingereicht wurden, stellten grundsätzlich den Nutzen von Martinis Plan und die Zweckmäßigkeit der Lehrerversammlungen in Frage.2058 Auch das Verbot von Mitschriften in Lehrveranstaltungen, der vermehrte Gebrauch der lateinischen Sprache in der philosophischen Fakultät und Abstufung des Geschichtsunterrichts auf einen freiwilligen Kurs griff er als schädlich für die Ausbildung der zukünftigen Beamten an. Martini reagierte mit einer Gegenschrift und beschwerte sich über die Trägheit der Studienhofkommission und formale Unstimmigkeiten, da die Kritik an seiner Arbeit zwar im Namen der Behörde ausgefertigt sei, aber von ihren Mitgliedern nicht besprochen, sondern ihnen nur vorgelesen worden wäre.2059 Dies Verhalten zeige, dass eine Kooperation beider Kommissionen in Bildungssachen unter van Swieten nicht möglich wäre. Daher empfahl er dem Kaiser: entweder den Freiherrn von Swieten die alte Bahn im Studienwesen fortwandeln zu lassen oder aber eine zweckmäßigere Leitung zu bestimmen.2060 Der Staatsrat kam zu keinem einstimmigen Urteil, wobei Kaunitz und der Erzherzog Franz eher zu van Swieten hielten und die anderen Räte zu ihrem Kollegen Martini.2061 Es wurde schließlich die Berufung einer dritten, neutralen Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Studienhofkommissionspräsidenten Franz von Kressel empfohlen. Sie sollte Kritik und Verteidigung überprüfen und somit eine Richtungsentscheidung für die Bildungspolitik treffen. Angesichts der Meinungsverschiedenheiten im Staatsrat stimmte Leopold II. diesem Vorschlag zu.

2056 Hengl: Studienwesen, S. 242f. 2057 HHStA VA Kart. 38, Fol. 278r. Bericht Hoffmanns vom 29. Sept. 2058 Swietens Denkschrift ist überliefert bei: AVA StudHK Kart. 133 Konv. 298 ex 1791, Fol. 1296r.–1350v. Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 244 u. Wangermann: Aufklärung, S. 101–107. 2059 AVA StudHK Kart. 133 Konv. 298 ex 1791, Fol. 1351r.–1357v. Eine Eingabe Martinis. Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 245f. u. Wangermann: Aufklärung, S. 107. 2060 AVA StudHK Kart. 133, Fol. 1351r.–1358v., Martini an Kolowrat am 25. Aug. 1791. 2061 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 248f.; Grimm: Bürgerschule, S. 312. u. Adler: Unterrichtsverfassung, S. 52f. u. S. 57f.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

397

Noch bevor die Überprüfungskommission zusammentrat, reichte Martini erneut Beschwerden über Swietens willkürliche Amtsführung und seine Manipulation der Akten ein und ersuchte um die Entlassung seines Kontrahenten.2062 Auch über Sonnenfels beklagte er sich, da jener sich in Sitzungen von einem einfachen Hofkonzipisten namens Bartsch, einem Absolventen der politischen Wissenschaften, vertreten ließe.2063 Zur gleichen Zeit berichteten auch die Informanten Hoffmann und Watteroth dem Kaiser von den Schwierigkeiten, die ihnen angeblich von ihrem Vorgänger Sonnenfels und durch die allmächtige Willkür van Swietens bei ihrer Nachfolge an der Universität bereitet würden.2064 Kurz nachdem diese Berichte Leopold II. erreicht hatten, trat im Oktober 1791 die Überprüfungskommission zusammen und diskutierte in einer einzigen Sitzung über die Sachlage. Ihrer Beratung lag allerdings auf Weisung der Hofkanzlei und des Kaisers lediglich eine einseitige Kurzfassung von van Swietens über zwanzig Bogen umfassenden Eingabe zugrunde. Seine Ausführungen wurden darin sinnentstellend radikalisiert und seine Vorschläge auf ein unpraktikables Maß gesteigert.2065 Dadurch, dass Leopold II. einem der beiden Kontrahenten solch einen erheblichen Nachteil auferlegte, zeigte er den Mitgliedern der Überprüfungskommission bereits im Vorfeld, welches Ergebnis er selbst bevorzugte. Dementsprechend wurde Martinis vollständig vorliegende Arbeit gelobt, seine Beschwerde über das protokoll­ widrige und eigenmächtige Vorgehen van Swietens als angebracht bezeichnet und dessen Kritik als unberechtigt dargestellt.2066 Die Überprüfungskommission empfahl die Abberufung van Swietens und dessen ehrenvolle Erhebung zum geheimen Rat ohne Kompetenzen für den Bildungssektor. Im Staatsrat äußerte sich Kaunitz angesichts einer Besprechung des Beratungsprotokolls über die Ungleichbehandlung der beiden Bildungsreformer und folgerte, dass der Kaiser wohl die simple Umsetzung des Planes von Martini und keine Konsultationen mehr wünsche.2067 Daher empfahl er, wie auch der restliche Staatsrat, dem Ergebnis der Beratungen zu folgen.

2062 Die Beschwerden Martinis an die Hofkanzlei datieren vom 23. Sept. u. 4. Okt. 1791, vgl. Hengl: Studienwesen, S. 247f. sowie Adler: Unterrichtsverfassung, S. 53. 2063 Kopetzky: Sonnenfels, S. 280. 2064 HHStA VA Kart. 38, Fol. 147r.–154v., Bericht vom 18. Junius. Auch der Informant Mayer berichtete an den Kaiser über die Intrigen Swietens gegen Martini. VA Kart. 42 Konvolut Schriften zum Wiener Komplex, Fol. 13r.–14v. Bericht des Mayer o. D. [verm. vor dem 28. Sept. 1791 – Datum des nächsten Berichtes]. 2065 Zu den Beratungen in dieser Kommission siehe Wangermann: Aufklärung, S. 107–109. 2066 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 250–253 u. Adler: Unterrichtsverfassung, S. 55. 2067 Wangermann: Aufklärung, S. 110f.

398

Der Staatsreformer Sonnenfels

Die Beurteilung durch die Kommission gab in Verbindung mit den andauernden Beschwerden Martinis den Ausschlag und führte am 5. Dezember 1791 zur Verleihung der geheimen Ratswürde an van Swieten und zur Aufhebung der Studienhofkommission.2068 Deren Aufgaben, die Martini bereits mehrfach zugunsten der Lehrerversammlungen beschränkt hatte, fielen nun einem einzelnen Referenten bei der Hofkanzlei zu. Das neue Amt, das mit ungewöhnlich großzügigem Gehalt verbunden war, erhielt das ehemalige Kommissionsmitglied Melchior Birkenstock, der im vorangegangenen Konflikt Martini unterstützt hatte.2069 Martini selbst erhielt eine Sonderfunktion als leitender Beamter, um die Reform durchzusetzen.2070 Leopold II. hatte damit konsequent seinen Reformkurs gegen die josephinischen Einrichtungen fortgeführt und ein dezentrales Bildungssystem durchgesetzt, bei dem die Eigenverantwortlichkeit der Lehrenden vor staatlicher Kontrolle stand. In dieser Phase der habsburgischen Bildungspolitik ist Sonnenfels’ Einfluss dem der beiden Kontrahenten van Swieten und Martini untergeordnet. Er war erst durch seine enge Bindung an Gottfried van Swieten zu einem bedeutenden Mitarbeiter an der Bildungsreform geworden, und durch eben diese Verbindung kam es nun zu seinem erzwungenen Rückzug. Die Unterstützung des Landesherrn für Martini hatte die Machtverhältnisse des josephinischen Jahrzehnts umgekehrt. Dies illustriert erneut, dass zwar die Details der Staatsreformen auf der Ebene der Staatsbeamten verhandelt wurden, diese sich aber in Leitlinien bewegten, welche von den Monarchen vorgegeben wurden. Doch eben dieses Phänomen bewirkte, dass kurze Zeit später unter einem neuen Landesherrn ein Kurswechsel in der Bildungspolitik eine erneute Gelegenheit für Sonnenfels darstellte, sich mit neuen Mitarbeitern und Vorgesetzten bis in das 19. Jahrhundert hinein an der Gestaltung des Erziehungswesens zu beteiligen. 7.4.4 Die Reform der Reform der Reform: Sonnenfels in der ­Studienrevisionshofkommission Franz’ II. Im Jahr 1795 befasste sich Franz II. mit den bisherigen Reformen im Bildungswesen, das in Berichten an die Hofkanzlei noch immer als unfertige Baustelle erschien.2071 Da außerdem Melchior Birkenstock als alleiniger Re2068 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 254f.; Grimm: Bürgerschule, S. 313 u. Wangermann: Aufklärung, S. 113. 2069 Weitensfelder: Studium, S. 29. 2070 HHStA Staatsratsprot. 4731 ex 1791; vgl. Hengl: Studienwesen, S. 256. 2071 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 257f.; Osterloh: Reformbewegung, S. 257 u. Weiss, Anton: Die Entstehungs-Geschichte des Volksschul-Planes von 1804. Festschrift der Universität Graz aus Anlass der Jahresfeier am 15. Nov. 1899, Graz 1900, S. 3.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

399

ferent mit der Koordinierung aller Lehrerversammlungen und Anfragen an die Zentralbehörden überlastet war, schien eine erneute Reform dringend notwendig zu sein. Auf Befehl des Monarchen wurden gleichzeitig zwei Initiativen zur Beseitigung der Defizite und zur Erstellung eines Gesamtkonzepts für alle Bildungseinrichtungen unternommen.2072 Zum einen wurde Hofrat Birkenstock von seiner Arbeit als Bildungsreferent bei der Hofkanzlei freigestellt, um einen neuen allgemeinen Studienplan zu entwerfen, und zum anderen sollte der zweite Kanzler der Hofkanzlei, Heinrich Graf von Rottenhan (1738– 1809), einen eigenen Bericht über die notwendigen Reformmaßnahmen erstellen.2073 Rottenhan, der in Göttingen Jura studiert hatte, stand bereits seit 1769 in kaiserlichen Diensten und war vornehmlich in wirtschaftspolitischen Fragen tätig. Zum Chef der oberösterreichischen Regierung ernannt, befürwortete er ein strenges Vorgehen während der Jakobinerprozesse Anfang der neunziger Jahre und sprach sich gegen die Lockerung staatlicher Kontrollen im Bildungswesen aus.2074 Er hatte sich unter Franz II. rasch als Gesetzesreformer profiliert und die Leitung der zuständigen Hofkommission übernommen.2075 Der Kanzler reichte am 16. Juni 1795, noch vor Birkenstock, eine Denkschrift bei Hofe ein, in welcher er die Einrichtung und zukünftigen Aufgaben einer Studienrevisionshofkommission erörterte, die das Bildungswesen nach einem einzigen Plan organisieren sollte.2076 Er folgte dabei dem gängigen Konzept, die Ausbildung für die Bevölkerungsschichten zu staffeln und die Zahl der Studenten zu begrenzen. Außerdem sollten der Einfluss der Lehrerversammlungen zugunsten stärkerer staatlicher Kontrolle und Zentralisierung verringert werden. Dieser Vorschlag entsprach der Haltung des Kaisers, der bereits 1792 befahl, dass Vertreter der Landesregierungen den Sitzungen der Konsesse beiwohnen und sie überwachen sollten.2077 Rottenhan empfahl generell eine Rücknahme der leopoldinischen Reformen und befürwortete das josephinische Bildungssystem, wie es unter Swieten eingerichtet worden war.2078 Seine Argumentation orientierte sich, besonders 2072 Siehe Wotke: Gymnasien, S. VIf. u. S. 257f. u. Weiss: Volksschulplan, S. 3–5. 2073 Zur Person Rottenhans vgl. Weitensfelder: Studium, S. 69–115 u. S. 20f. 2074 Weitensfelder: Studium, S. 83. 2075 Siehe Kap. 7.6.1 u. 7.6.4. 2076 Rottenhan, Heinrich Franz: Gutachten über den Gesichtspunkt und den Wirkungskreis der Studien-Revisions-Kommission, vom 16. Juni 1795, in: Egglmaier: Leitlinien, S. 23– 80. Vgl. Grimm: Bürgerschule, S.  354–372; Weiss: Volksschulplan, S. 6–20 u. ThienenAdlerflycht: Wandlungen, S. 41–44. 2077 Hengl: Studienwesen, S. 230. 2078 Adler: Unterrichtsverfassung, S. 86 u. S. 89.

400

Der Staatsreformer Sonnenfels

bezüglich der zu überwachenden Zahl der Studenten, eng an den früheren Ausführungen Sonnenfels’. Die entsprechenden Artikel und Reden hatte Rottenhan mit dessen gesammelten Schriften erworben.2079 Im selben Jahr, in dem seine Denkschrift entstand, arbeitete er gemeinsam mit Sonnenfels außerdem an der Verwirklichung der Idee einer Überarbeitung der Thora, um die Glaubenspraxis der jüdischen Minderheit zum Wohle des Staates zu beeinflussen.2080 Die inhaltliche sowie die argumentative Nähe und die gleichzeitige Zusammenarbeit auf anderen Gebieten deuten somit auf eine mögliche Kooperation beider Männer hin. Der Kaiser stimmte den Darlegungen Rottenhans zu und befahl 1795 die Einrichtung einer neuen Kommission unter dessen Vorsitz, die Studienrevisionshofkommission genannt wurde.2081 Birkenstocks Plan sollte dort erörtert und verbessert werden. Zu diesem Zweck befahl Franz II., Mitglieder zu ernennen, die möglichst verschiedene Ansichten vertraten, um ihre Vorstellungen in die Beratungen einzubinden.2082 Ihm lag an einer raschen Fertigstellung der Reform, der er besondere Bedeutung für sein Land zumaß und er forderte daher, dass jeder fertig gestellte Teil des neuen Planes unmittelbar ihm selbst und dem Staatsrat zur Beratung vorzulegen sei, um das Verfahren zu beschleunigen. Diese Vorgehensweise kam Rottenhan zugute, der im Zuge zahlreicher Beförderungen 1796 auch in den Staatsrat berufen wurde, so dass er dort die Ausarbeitungen der Hofkommission erläutern, beziehungsweise verteidigen konnte.2083 Diese Doppelfunktion erhöhte wiederum seine Stellung innerhalb der Studienrevisionskommission selbst. Trotz aller kaiserlichen Mahnungen konnte die neue Kommission ihre Arbeit aus Personalgründen erst 1797 aufnehmen.2084 Zu ihren Mitgliedern gehörte mit Birkenstock ein Anhänger der Reformen Martinis, dem in den Personen der Hofräte Sonnenfels und Zippe Befürworter der josephinischen Bildungspolitik gegenüberstanden. Darüber hinaus waren Experten für die verschiedenen Fakultäten und Schulformen berufen worden, sowie der im 2079 Vgl. Kap. 5.1.5. Eine längere Bekanntschaft vermutet Weitensfelder: Studium, S. 87. 2080 Siehe Kap. 7.5. 2081 Vgl. Wotke: Gymnasien, S. VIIIf.; Hengl: Studienwesen, S. 258 u. Grimm: Bürgerschule, S. 374. 2082 Vgl. Weitensfelder: Studium, S. 22; Grimm: Bürgerschule, S. 375. Abweichend gibt Adler: Unterrichtsverfassung, S. 84 an, es seien ausschließlich josephinische Beamte in der Kommission gewesen. Dies bezieht sich vermutlich darauf, dass Franz II. nicht Martini selbst ernannte. Zu den verschiedenen Reformkonzepten der Mitglieder vgl. Wotke: Gymnasien S. XIII–XXVI. Eine Gegenüberstellung der Vorstellungen Birkenstocks und Rottenhan bietet: Adler: Unterrichtsverfassung, S. 91–96. 2083 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 259 u. Weitensfelder: Studium, S. 93. 2084 Vgl. Egglmaier: Leitlinien, S. 2f.; Wotke: Gymnasien, S. X u. Weiss: Volksschulplan, S. 21.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

401

Kapitel über die Polizeireformen erwähnte Regierungsrat Schilling von der obersten Polizeistelle für Fragen der Disziplin. Sonnenfels hatte sich in der Zeit zwischen der Auflösung der alten und der Einberufung der neuen Hofkommission durch seine zweimalige Wahl zum Rektor der Universität kontinuierlich mit dem Bildungswesen auseinandergesetzt.2085 Es war ihm gelungen, den Konflikt mit seinen Nachfolgern Hoffmann und Watteroth für sich zu entscheiden und seinen Einfluss auf die politischen Wissenschaften zu behalten. Aufgrund der von Martini angeregten Reform Leopolds II. war er als Rektor zugleich auch Leiter der Sitzungen des Studienkonsesses der Hauptstadt und somit auf der Verwaltungsebene an Entscheidungen im Erziehungswesen beteiligt.2086 Mit der ersten Sitzung am 17. Januar 1797 war er nun wieder im Stande, auf konzeptioneller Ebene mitzuwirken und startete eine Initiative.2087 Gleich nachdem die Agenda der Kommission gemeinsam beschlossen worden war, stellte er laut Protokoll einen Antrag: Der Verfall der Schulzucht würde immer bedenklicher werden, und von der Organisation und Verfassung der Studienconsesse sey schon gar nichts gedeihliches zu erwarten. […] Die Daten zu dieser Bemerkung habe er während seiner zweimaligen Verwaltung des Rektorats der hiesigen Universität geschöpft, und auch außerdem durch vielfältige eigene und fremde Beobachtung bestättiget gefunden. Er sey daher überzeugt, dass nur durch Wiedereinführung der Fakultätsdirectoren, oder durch eine andre provisorisch ähnliche Anstalt, für die Zwischenzeit bis zur Einführung der neuen Einrichtungen, Ordnung, Fleiß und Zucht in dem Studienwesen vor noch größerem Verfall gesichert werde.2088 Mit diesem Vorstoß griff Sonnenfels mit Zustimmung des Präsidenten Rottenhan und des Theologen Zippe bereits in der Eröffnungssitzung einen Eckpfeiler der leopoldinischen Reformen an. Der Hofrat Birkenstock jedoch widersprach den Ausführungen und die Kommission entschied, bis zur nächsten Sitzung beide Meinungen schriftlich zirkulieren zu lassen und dann zu entscheiden.2089 Bei dieser Gelegen2085 Siehe Kap. 4.1.7. 2086 Zu Sonnenfels’ Tätigkeit als Leiter des Konsesses sind überliefert: HHStA StudrevHK Kart. 1 Konv. 17 Gutachten vom 26. Juny 1796 zu einem Streit zwischen der Medizinischen und Juristischen Fakultät u. HHStA StudrevHK Kart. 2 Konv. 28 Gutachten vom 19. Aug. 1796 zu einem Antrag Studierender auf Befreiung von Teilen ihres Curriculums. 2087 Vgl. HHStA StudrevHK Kart. 3 Konv. 43, Fol. 60r.–65v., Protokoll vom 17. Januar 1797. Vgl. Wotke: Gymnasien, S. XII u. zu den Debatten: Adler: Unterrichtsverfassung, S. 97– 103. 2088 HHStA StudrevHK Kart. 3 Konv. 43, Fol. 60r.–65v., Protokoll vom 17. Jan. 1797, hier Fol. 62v.–63r. 2089 Beide schriftlichen Meinungsäußerungen sind überliefert in: HHStA StudrevHK Kart. 3

402

Der Staatsreformer Sonnenfels

heit wiederholte Sonnenfels am 28. Januar 1797 lediglich seine Argumente aus der Sitzung, Birkenstock hingegen schrieb am 1. März 1797 über seinen Kollegen: Man müsse fast besorgt sein über die Schilderung der Studienzustände durch Sonnenfels, der kurz hintereinander das Rektorat zweimal bekleidet und erst vor wenigen Monaten davon ausgetreten ist […] aber warum hat Sonnenfels, der als Rektor […] die Befugnis hatte, die Mängel abzustellen […] warum hat er dies nicht getan?2090 Darüber hinaus betonte er die Nutzlosigkeit aller Provisorien, da er die Pläne für das neue Bildungssystem beinah vollendet habe und die Beratungen daher umgehend beginnen könnten.2091 In der folgenden Sitzung zog Sonnenfels seinen Antrag zurück, da er unnötig sei, wenn schon bald eine vollständige Reform erfolgen ­werde.2092 Doch entgegen Birkenstocks Ankündigung dauerten die Beratungen bis 1799. In dieser Zeit gelang es Rottenhan, die Hofkommission aufgrund seiner Doppelstellung als Präsident und Staatsrat weitgehend im Sinne seines Gutachtens von 1795 zu steuern.2093 Der Kaiser förderte ihn und zeigte zugleich durch Dekrete, die zu häufigeren Sitzungen und schnellerer Arbeit mahnten, Interesse an der Arbeit der Kommission.2094 Die Protokolle der Studienrevisionskommission belegen in zahlreichen Fällen, dass vor allem die Hofräte Sonnenfels und Zippe die dominante Stellung Rottenhans bei der Besprechung der Reformpläne Birkenstocks unterstützten.2095 Im Zuge der Beratungen wurde unter Sonnenfels’ Mitwirkung eine endgültige Staffelung des Schulwesens in Trivial-, Haupt- und Realschulen, sowie Gymnasien, Lyzeen und Universitäten beschlossen. Experten wie der Piarist Franz Joseph Lang erstellten detaillierte Lehrpläne für die verschiedenen Schulformen und empfahlen bestimmte Lehrmethoden.2096 Der Zugang zu Bildung sollte sich nach den Bedürfnissen des Staates und der Klasse der Bürger richten, dabei aber für Begabte stets Aufstiegschancen bieten. Ziel war es, wie im josephinischen System, jedem Untertanen dasjenige Maß an Bildung zukommen zu lassen, das es ihm erlaube seine Tätigkeit bestens auszuüben und seine Stellung im Staate zu verstehen, Konv. 55, Fol. 25r.–29v. Gutachten Sonnenfels’ vom 27. Jan. 1797; das Gutachten Birkenstocks o.D., ebd., Fol. 34r.–44v. 2090 Ebd., Fol. 34v. 2091 Ebd., Fol. 44v. 2092 Adler: Unterrichtsverfassung, S. 103. 2093 Adler: Unterrichtsverfassung, S. 106. Vgl. Thienen-Adlerflycht: Wandlungen, S. 46. 2094 HHStA StudrevHK Kart. 4 Konv. 71. Handschreiben Franz’ II. an Rottenhan u. Wotke: Gymnasien, S. XIII. 2095 Eine Übersicht bietet Wotke: Gymnasien, S. 1–63. Hier werden alle Sitzungen in chronologischer Reihenfolge bis zur Abgabe des Schlussberichtes besprochen. Vgl. Weiss: Volksschulplan, S. 27–159. 2096 Grimm: Bürgerschule, S. 397–404.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

403

ohne durch ein Übermaß an Bildung Unzufriedenheit oder Aufsässigkeit zu verursachen. Der von Sonnenfels stets kritisierten Überzahl von Studenten sollte durch die neuen Realschulen entgegengewirkt werden, in denen die Schüler karriereorientiert und praxisnah für gehobene städtische Berufe ausgebildet werden sollten.2097 Durch eine Erhöhung des Eintrittsalters in Gymnasien und Universitäten wollte man außerdem die höhere Bildung noch exklusiver machen.2098 Die Lyzeen blieben die regulären Stätten der einfachen Beamtenausbildung, während auf den Universitäten die Ausbildung von höheren Beamten und einigen wenigen Gelehrten durchgeführt wurde. Die Verwaltung des neuen Bildungswesens sollte durch Studienkollegien auf Landesebene erfolgen, denen eine neue Zentralbehörde in Wien vorgesetzt werden müsste.2099 Die Studienkonsesse müssten in diesem Konzept hingegen in ihren Kompetenzen beschränkt und durch die Berufung sogenannter Kuratoren kontrolliert werden. Dies kam einer Aufhebung der von Martini geförderten akademischen Selbstverwaltung gleich.2100 Sonnenfels’ Nähe zur Linie des Präsidenten führte dazu, dass er im Laufe der Beratungen nur in wenigen Fällen aus der Reihe der abstimmenden Räte hervortrat.2101 Am folgenreichsten war sein Verweis auf den Nachwuchsmangel bei Gymnasiallehrern, der sich negativ auf das gesamte höhere Bildungswesen auswirke:2102 Hofr. v. Sonnenfels äußerte: Es sey vergeblich, gute Gymnasiallehrer in ausreichender Anzahl zu verlangen, wenn man nicht fähigen Subjekten Beweggründe gebe, sich diesem Berufe zu widmen. Diese Beweggründe seyen doppelter Art, Vortheile der Ehre und des Nutzens. Was von Seite des letzteren zur Wahl dieses Berufes und zum belassen dabey bestimmen könne, sey: Genügliches Auskommen für die Gegenwart, sichere Aussicht auf Verbesserung in der Folge, und Gewißheit einer anständigen Versorgung im Alter.2103 Anhand von Kostenkalkulationen empfahl er Gehaltserhöhungen zwischen 30 und 50 Prozent. Den Vorschlag Birkenstocks, den auch Rottenhan in seinem ersten Gutachten von 1795 vorgebracht hatte, Landschullehrern die Ausübung eines Handwerks zur Verbesserung des Gehaltes zu befehlen, lehnte er entschieden ab, denn dies sei mit der Achtung unvereinbar, deren der Schullehrer zur gedeilichen Verwaltung sei2097 Hengl: Studienwesen, S. 266 zu den Realschulen und einer ihnen übergeordneten polytechnischen Akademie in Wien. 2098 HHStA StudrevHK Kart. 16 Protokoll vom 20 Dez. 1797 unf. 2099 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 263 u. Weitensfelder: Studium, S. 141. 2100 Wotke: Gymnasien, S. 24 bzgl. allgemeiner Kuratoren und S. 39 für Kuratoren an Gymnasien. 2101 Zu Sonnenfels’ Arbeit in der Kommission vgl. Wotke: Gymnasien, S. XXIIIf. 2102 Zu den darauf basierenden Beratungen: Wotke: Gymnasien, S. 41–52. 2103 Vgl. HHStA StudrevHK Kart. 16 Protokoll vom 31. Jan. 1798.

404

Der Staatsreformer Sonnenfels

nes eigentlichen Amtes nicht entbehren könne.2104 Die Kommission ließ sich von seiner Haltung überzeugen und nahm umfangreiche Gehaltssteigerungen, speziell für die Gymnasiallehrer, in ihr Reformwerk auf. Die Ausübung eines Handwerkes sei den Lehrern zwar zu empfehlen, aber nicht zu befehlen. Darüber hinaus schlug Sonnenfels der Kommission vor, Lehrern nach einigen Dienstjahren Karrieren in der Verwaltung anzubieten, um fähige Studenten zumindest für eine Weile in den Lehrberuf zu bringen. Sollten Lehrkräfte bei der Schule verbleiben wollen, so müssten sie einen früheren und höheren Pensionssatz als Belohnung erhalten. Außerdem sollten sie durch ein Mitspracherecht bei der Vergabe von Stipendien mehr Ansehen bei ihren Schülern erhalten.2105 Nach kurzer Diskussion wurde auch diese Empfehlung angenommen. Im Laufe der Beratungen erlangte Sonnenfels auch Einfluss auf die Unterrichtsplanung der Gymnasien.2106 Zum einen in dem er sich erfolgreich für die Förderung einer gehobenen deutschen Sprache und gegen die häufige Verwendung des Lateinischen aussprach und zum anderen dadurch, dass er moderne Geographie als Grundlage für eine spätere Beamtenausbildung einführte.2107 Sein Antrag, an den Realschulen Anatomie zu unterrichten, wurde hingegen nicht berücksichtigt.2108 Um Talente dem Staat nutzbar zu machen, regte er außerdem erfolgreich an, die Namen guter Schüler in den Unterrichtsprotokollen zu erwähnen, welche die Schulen an die Studienkollegien zu senden hatten.2109 So sei es kaum noch möglich, dass ein begabter Schüler übersehen werde. Schließlich bemühte er sich wiederholt darum, auf die Wortwahl und den Stil der neuen Schulordnungen und Lehrpläne Einfluss zu nehmen, wie er es als „Staatsstilist“ schon bei zahlreichen Verordnungen Josephs II. getan hatte.2110 Sonnenfels stand in den zwei Jahren seiner Kommissionsarbeit, wohl aufgrund seiner treuen Haltung zu Rottenhan, fast durchgehend in Konflikt mit Birkenstock, zu dem sein Verhältnis bereits wegen dessen Ratsstellung in 2104 Vgl. HHStA StudrevHK Kart. 4 Konv. 72 Protokoll vom 19. Aug. 1797. Sonnenfels stand hier mit Zippe gegen die Meinung Birkenstocks. 2105 Vgl. HHStA StudrevHK Kart. 16 Protokoll vom 31. Jan. 1798. 2106 Vgl. HHStA StudrevHK Kart. 7 Konv. Einzelne Schriftstücke, Protokoll vom 24 Okt. 1789. 2107 Zur Verwendung lateinischer Sprache: HHStA StudrevHK Kart. 16, Protokoll vom 20. Dez. 1797. Zur Bedeutung der Muttersprache: ebd., Protokoll vom 27. Dez. 1797. Zur Geographie: ebd., Protokoll vom 17. Jan. 1798. 2108 Vgl. HHStA StudrevHK Kart. 15, Protokoll vom 26. Sept. 1797. 2109 Vgl. HHStA StudrevHK Kart. 16 Protokoll vom 31. Jan. 1798. Die bisher an herausragende Schüler vergebene Schulnote Eminenz entfiel. 2110 Vgl. bspw. HHStA StudrevHK Kart. 4 Konv. 62, Fol. 47r.- 58v., Protokoll vom 3. Junius 1797 mit Separatgutachten Sonnenfels’.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

405

der Akademie der bildenden Künste gespannt war. So schrieb er ein Gegengutachten zu Birkenstocks Bildungskonzepten und der Angegriffene erwiderte mit einem Gegengutachten zu Sonnenfels’ Bericht an Katharina II.2111 Die Auseinandersetzungen hatten allerdings keine nachweislichen Auswirkungen auf die Arbeitsweise der Kommission. Rottenhan erklärte dem Staatsrat, die Eingaben beider Hofräte seien Produkte von Missverständnissen, so dass die Dokumente dort nicht weiter beachtet wurden.2112 Dennoch zeigt sich hier, dass beide Männer, die früher noch außerdienstliche Kontakte pflegten, sich inzwischen zunehmend voneinander entfremdet hatten. Nur in zwei Fällen waren sie einer Meinung und stellen sich sogar gegen die Ansichten Rottenhans.2113 Zum ersten Mal als der Vorsitzende den Bischöfen das Recht einräumen wollte, die Sitzungen der neuen Bildungsbehörden auf Landesebene zu besuchen, um Moral und Sitten der Lehrkräfte zu verbessern.2114 Beide Hofräte waren im Sinne der josephinischen Reformen gemeinsam mit ihrem Kollegen Zippe zwar dagegen, aber die restliche Kommission folgte ihrem Präsidenten, so dass sie überstimmt wurden. Im zweiten Fall schlug Rottenhan angesichts eines angeblichen Mangels an Studenten der Theologie vor, das Stipendienwesen auf diesem Sektor auszuweiten, was aber von Sonnenfels, Birkenstock und dem Regierungsrat Johann Schilling abgelehnt wurde.2115 Auch hier setzte der Präsident seine Ziele durch. Die Beratungen der Studienrevisionshofkommission endeten mit einem Schlussgutachten im Herbst 1799.2116 Vor allem die Finanzierung der Gehaltszulagen, der zahlreichen Neueinstellungen und der geplanten Errichtung von Dutzenden neuer Schulen waren in den folgenden Wochen Gegenstand kritischer Debatten im Staatsrat, der auf kaiserlichen Befehl über den Beschluss beriet.2117 Obwohl einige der Staatsräte gegen besonders kostspielige Details des Reformplans votierten, gelang es Rottenhan, eine Mehrheit 2111 Vgl. Weitensfelder: Studium, S. 137. Birkenstocks Konzepte sind in zwei Teilen publiziert in: Egglmaier: Leitlinien, S. 6–12 u. S. 13–46; Sonnenfels Kritik ebd., S. 47–51. Zu seinem Gutachten vgl. Adler: Unterrichtsverfassung, S. 113–119. 2112 Weiss: Volksschulplan, S. 37. 2113 Vgl. HHStA StudrevHK Kart. 7 Konv. Einzelne Schriftstücke, Protokoll vom 7. Nov. 1798. Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 264f. Die unbelegte Annahme Sauers, dass Sonnenfels den Ansichten Rottenhans generell ablehnend gegenüberstand, kann daher nicht bestätigt werden, vgl. Sauer: Kritik, S. 31. 2114 Vgl. Hengl: Studienwesen, S.  264f.; Weitensfelder: Studium, S.  141f; Grimm: Bürgerschule, S. 381–383. 2115 Vgl. HHStA StudrevHK Kart. 16 Protokoll vom 7. Hornung 1798 u. Wotke: Gymnasien, S. 55. 2116 Hengl: Studienwesen, S. 266 u. Weitensfelder: Studium, S. 137–145. 2117 Vgl. Wotke: Gymnasien, S. 79–93 u. Grimm: Bürgerschule, S. 417–419.

406

Der Staatsreformer Sonnenfels

zur Unterstützung seines Konzeptes zu erhalten. Daraufhin beriet die Hofkommission in einer nachträglichen Sitzung im November 1799 über einen detaillierten Finanzplan für die neue Studienordnung, den Kommission und Staatsrat mit den Reformplänen an den Kaiser weiterleiteten.2118 Franz II. ordnete die Umsetzung der Pläne jedoch nicht an, sondern konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf den Krieg gegen das napoleonische Frankreich. Die Kommission tagte daher ohne konkrete Aufgabe weiter und bearbeitete nun Anfragen und Anträge verschiedener Schulen und Lehrer.2119 So übernahmen die Mitglieder höhere Verwaltungsarbeit an Stelle einer Bildungsreform und erörterten eine Assistentenstelle in Krakau, eine Vorlesungsordnung für Juristen, die Renovierung eines Professorenwohnhauses in Prag und die Anerkennung eines Doktortitels aus Padua. Kommissionspräsident Rottenhan schrieb währenddessen mehrere Anfragen an den Hof und bat um eine kaiserliche Resolution zu den Reformplänen.2120 Franz II. antwortete aber nicht, sondern löste die Studienrevisionshofkommission am 22. August 1802 unvermittelt auf.2121 Kurz darauf schaffte er die Lehrerversammlungen ab und setzte Sonnenfels’ Vorschlag von 1797, provisorisch die Direktoren wieder einzusetzen, in die Tat um.2122 Dies deutet darauf hin, dass der Landesherr die Reformen nicht aus inhaltlichen Gründen einfror, sondern eher durch die Finanzlage und die von den Koalitionskriegen geprägte politische Entwicklung in Europa dazu gebracht wurde. Lediglich der Teilplan über die Volksschulen wurde nach kurzer Umarbeitung 1804 vom Kaiser bestätigt.2123 Erst nach 1806, im neuen österreichischen Kaiserreich, kam es zu einer weiteren Überarbeitung und schließlich zur Verwirklichung der Reformpläne der Studienrevisionshofkommission.2124 Sonnenfels war daran allerdings ebenso wenig beteiligt wie alle anderen Mitglieder der Kommission. Sein langjähriges Engagement für die Reform des Bildungswesens hatte somit ein Ende gefunden. Die Betrachtung seiner über mehr als zwanzig Jahre währenden Tätigkeit innerhalb der Behörden, der ein mehrjähriges externes Engagement für 2118 Vgl. Wotke: Gymnasien, S. 128 u. Weitensfelder: Studium, S. 143. 2119 Vgl. HHStA StudrevHK Kart. 11. Sonnenfels war an Detailentscheidungen beteiligt, die in folgenden Konvoluten überliefert sind: ebd., 266, 283, 293, 296, 297, 301, 306, 307, 313, 319, 325, 328 u. 329. 2120 Bspw. am 21. Nov. 1801, vgl. Wotke: Gymnasien, S. 140; Hengl: Studienwesen, S. 268 u. Weitensfelder: Studium, S. 143f. 2121 Vgl. Weitensfelder: Studium, S. 137 u. S. 144 u. Grimm: Bürgerschule, S. 383 u. S. 419. 2122 Vgl. Hengl: Studienwesen, S. 268 u. Kink: Universität, S. 597 mit Zitat des kaiserlichen Dekrets. 2123 Weiss: Volksschulplan, S. 183f. 2124 Wotke: Gymnasien, S. 142.

Fünfunddreißig Jahre Bildungsreformen

407

Bildungsreformen voranging, offenbart drei Auffälligkeiten: Erstens agierte er in beiden Hofkommissionen nahezu ausschließlich in Verbindung mit den jeweiligen Präsidenten. Beide, van Swieten und Rottenhan, waren durch zusätzliche Ämter beziehungsweise durch Unterstützung des Landesherrn im Stande, die Kommissionsarbeit zu steuern. Sonnenfels befand sich dabei in der glücklichen Lage, dass er und beide Vorgesetzte dieselben Ansichten vertraten. Diese Übereinstimmung erklärt neben außerdienstlicher Zusammenarbeit im Falle van Swietens auch die kooperative Haltung beider Männer. Außergewöhnliche Maßnahmen, wie Publikationen, öffentliche Reden oder Eingaben an den jeweiligen Monarchen, wie Sonnenfels sie früher unternahm, waren hier überflüssig, da er in Fragen der Bildungsreform Teil eines bestehenden Reformkontextes war. Dies führte auch dazu, dass er innerhalb der Kommission gemeinsam mit anderen Beamten ein Netzwerk zur Unterstützung des jeweiligen Präsidenten bildete, wie die beinah völlige Übereinstimmung seines Abstimmungsverhalten mit dem des Hofrat Zippe nahelegt. Für seine sozialen Beziehungen hatte die Arbeit in den Bildungsbehörden recht unterschiedliche Auswirkungen, wie bei den Räten Greiner und Birkenstock deutlich wird. Im Falle Greiners blieben die sachlichen Meinungsverschiedenheiten in der Kommission ohne nachweislichen Folgen auf Sonnenfels’ enge Bindung an ihn und seine Familie – bei Birkenstock hingegen waren die neuen Unstimmigkeiten Ausdruck einer zunehmenden Entfremdung. Zweitens entwickelte sich das Verhältnis Sonnenfels’ zu den politischen Richtlinien der Monarchen bei den Bildungsreformen genau gegensätzlich zu seinem Engagement für die Reform des Polizeiwesens. Folgte er in Fragen der Polizey der Politik Leopolds II. und lehnte die josephinischen und franziszeischen Bemühungen um stärkere Kontrollen und Überwachung der Bürger ab, so kehrte sich seine Haltung bei den Bildungsreformen um. Dieser Aspekt verweist darauf, dass es keineswegs angebracht ist, seine Position gegenüber einem Herrscher kategorisch als befürwortend oder ablehnend anzusehen. Er handelte als Beamter seinen Reformplänen zum Wohle des Staates entsprechend, die er in Publikationen vertrat. Von der Regierung Maria Theresias bis zu der Franz’ II. versuchte er, angemessene bestmögliche Bildung für den größtmöglichen Teil der Bevölkerung zu garantieren, sofern das Gleichgewicht der Stände gewahrt blieb. Hier wiederum werden Parallelen zur Polizeireform deutlich, bei der Sonnenfels die größtmögliche Freiheit der Bürger forderte, welche keine Gefährdung für den Staat bedeute und das Gleichgewicht zwischen privater und öffentlicher Sicherheit bewahren würde. Schließlich zeigt sich ein weiteres Mal, dass seine öffentliche Präsenz als Redner und als Autor erfolgreicher Wochenschriften von großer Bedeutung

408

Der Staatsreformer Sonnenfels

für die langfristige Rezeption der Reformen waren. Sowohl ältere als auch neuere Darstellungen rekurrieren auf die Ähnlichkeiten seiner Reformpläne mit den tatsächlichen Maßnahmen und schlussfolgern daraus eine dominante Rolle des Hofrates. Diese Einschätzung muss aufgrund des hier vorgelegten Quellenmaterials relativiert werden.

7.5 Sonnenfels und die Judengesetzgebung Die Untersuchung von Sonnenfels’ Mitarbeit an der Reform von Gesetzen für die jüdische Bevölkerung wirft die in der Forschung bereits kontrovers diskutierte Frage nach der Bedeutung seiner jüdischen Herkunft auf. Eine Betrachtung ist vor allem nötig, da die einander widersprechenden Positionen Kanns und Karniels zu einer unterschiedlichen Bewertung seiner Mitarbeit an den Reformgesetzen Josephs II. geführt haben.2125 Beiden Darstellungen ist allerdings gemein, dass sie nicht auf einer Betrachtung der sozialen Beziehungen des Hofrates basieren. Robert Kann stellt Sonnenfels als einen assimilierten Konvertiten dar, der zwar über einen nicht zu vernachlässigenden jüdischen Bildungshintergrund verfügt, darüber hinaus aber der jüdischen Religion und der ihr zugehörigen Minderheit in Österreich nicht verbunden war.2126 Als Argument führt er Sonnenfels’ sehr frühen Übertritt zum Christentum an, der eine bewusste Auseinandersetzung mit dem jüdischen Glauben unmöglich gemacht habe. Eine mögliche Mitarbeit an der Judengesetzgebung ist für Kann daher nicht relevant. Josef Karniel hingegen geht von einem großen Einfluss der jüdischen Geisteswelt auf Sonnenfels’ Werke aus. Daraus folgert er, dass der Hofrat einen besonderen Einsatz bei der Judengesetzgebung zeigen müsste und ist bestrebt, diese These zu belegen.2127 So führt Karniel den erweiterten Bildungshintergrund als Argument dafür an, dass Sonnenfels als Experte für Fragen der Judengesetzgebung konsultiert werden konnte. Darüber hinaus sei er von ranghohen Kirchenmännern und Beamten – wie dem Erzbischofs Migazzi und dem Kanzler Chotek – aufgrund seiner jüdischen Herkunft diffamiert worden. Dies habe vermutlich dazu geführt, dass er besonderen Einsatz für die jüdischen Einwohner der Monarchie gezeigt habe. Auch Kann verweist zwar darauf, dass diese Personen Sonnenfels gemieden und ausge2125 Vgl. Kann: Kanzel, S. 158–163 u. S. 255 im Gegensatz zu Karniel: Toleranzpolitik, S. 407– 411 u. Ders.: Weltbild, S. 133–140. 2126 Kann: Kanzel, S. 159. Die These wird auch von Tietze: Juden, S. 108–110 vertreten. 2127 Vgl. Karniel: Toleranzpolitik, S. 404–416.

Sonnenfels und die Judengesetzgebung

409

grenzt hätten, relativiert dies aber mit Verweis auf dessen Charaktereigenschaften, welche – wie die in zahlreichen Quellen erwähnte Eitelkeit – bereits Grund genug für eine Abneigung geboten hätten.2128 Angesichts solch abweichender Meinungen scheint eine kurze Betrachtung von Sonnenfels’ Beziehung zum Judentum und den Wiener Juden notwendig, bevor seine Mitwirkung an der entsprechenden Gesetzgebung untersucht wird. Wie bekannt, blieb der junge Sonnenfels bis zur Gründung eines eigenen Hausstandes aufgrund der beruflichen Tätigkeit seines Vaters sowohl der jüdischen Geisteswelt als auch verschiedenen Teilen der heterogenen jüdischen Bevölkerung Wiens verbunden.2129 Als Akademiker half er seinem Vater beim Hebräischunterricht, unterstützte dessen Publikationen und arbeitete als Gerichtsdolmetscher an der Übersetzung von Urkunden und an der Lösung von Streitfällen in Erbsachen mit. Darüber hinaus hatte er sicherlich persönlichen Kontakt zu einheimischen und fremden Juden im Haus seiner Familie. Er selbst pflegte auch bis in sein hohes Alter Verbindungen zu jüdischen Einwohnern Wiens, wie seine Beziehung zur Familie Arnstein belegt.2130 Zudem zeichnen sich, wie sowohl Kann als auch Karniel beobachtet haben, gerade Sonnenfels’ frühe Werke durch häufige Verwendung von Zitaten und Gleichnissen aus dem alten Testament und der jüdischen Mythologie aus.2131 Trotz des frühen Übertritts zum Christentum schienen ihm also wesentliche Elemente der jüdischen Bildungswelt zur Verfügung gestanden zu haben. Dies alles legt einen erheblichen Einfluss des Judentums auf ihn nah, wogegen im Sinne Kanns angeführt werden kann, dass seine christliche Sozialisierung bereits mit der Einschulung begann.2132 Weiterhin überwiegen in seinen Schriften Anlehnungen an und Verweise auf die römische Antike und ihre Rezeption in den letzten zweihundert Jahren gegenüber Bezügen auf die Bibel.2133 Sein geistiger Horizont scheint demzufolge mit Elementen aus beiden Geisteswelten angereichert gewesen zu sein. Eine ähnliche Ambivalenz galt auch für seine sozialen Beziehungen, die er zu jüdischen und christlichen Einwohnern Wiens unterhielt. Allerdings machten die Kon2128 Kann: Kanzel, S. 156, 161f. u. 317. 2129 Vgl. Kap. 2.2 u. 3.6. 2130 Vgl. Kap. 6.1. 2131 Ein Beispiel bietet seine Neufassung eines biblischen Traummotivs unter hebräischem Pseudonym: Sonnenfels, Joseph von: Das Gesicht des Sohns Sela Haschemesch, das er gesehen hat über Franzen den Ersten, Römischen Kaiser, gesegnetsten Gedächtnisses, Wien 1765. Vgl. dazu: Karniel: Toleranzpolitik, S. 408. 2132 Luca: Österreich, S. 160. 2133 Reich an Beispielen ist Sonnenfels: Liebe.

410

Der Staatsreformer Sonnenfels

takte zu Juden nur einen kleinen Teil seiner Netzwerke aus und umfassten in einigen Fällen sogar Hilfe beim Übertritt zum Christentum. Insgesamt lässt sich somit eine eher zwiespältige Beziehung zum Judentum und der jüdischen Bevölkerung Wiens erkennen, die keine generellen Schlussfolgerungen über seine mögliche Mitwirkung an der im Folgenden betrachteten Judengesetzgebung seiner Zeit erlaubt. Im Jahr 1764, kurz vor Beginn der Mitregentschaft Josephs II., erließ die Hofkanzlei auf landesfürstlichen Befehl eine neue Judenordnung für die Stadt Wien.2134 Diese Vorschrift sollte neuere Entwicklungen und traditionelle Vorschriften in Einklang bringen. Die jüdische Bevölkerung, deren Zahl durch ein Verbot weiteren Zuzugs begrenzt wurde, war zur Zahlung einer Toleranzgebühr und einer Leibmaut beim Passieren der Stadttore verpflichtet. Für alle Juden sollte die Aufenthaltserlaubnis befristet werden, um eine permanente Ansiedlung rechtlich unmöglich zu machen. Ihnen blieben, wie schon zuvor, nahezu alle Berufs- und Ausbildungswege verschlossen. Lediglich die Gründung von Fabriken und Manufakturen für christliche Arbeiter wurde ihnen als neue Erwerbsmöglichkeit neben dem Kredit- und Wechselgeschäft zugestanden. Gleichzeitig erging eine Anweisung Maria Theresias an die niederösterreichische Regierung, besonders gründlich auf die Befolgung der Vorschriften zur sozialen Trennung von Christen und Juden zu achten.2135 Juden mussten demnach lange Bärte und gelbe Binden tragen, durften am Sonntagvormittag nicht ausgehen, konnten nur spezielle Gasthäuser besuchen und waren von öffentlichen Vergnügungen ausgeschlossen. Bei Gericht oder bei Verwaltungsakten wurde von ihnen stets die doppelte Gebühr verlangt. Obwohl die Monarchin für einige verdienstvolle und besonders wohlhabende jüdische Familien Ausnahmen machte, blieb ihre Haltung gegenüber den Angehörigen dieser Religion ablehnend.2136 Im September 1778 schrieb sie an ihren Sohn: Habe schon öfters befohlen, die Juden hier zu vermindern, keineswegs mehr zu vermehren unter keinen Vorwand.2137 Sie unterstützte Regelungen zur sozialen Ausgrenzung und im Falle einer Audienz war es Juden nicht gestattet, die Monarchin zu sehen, die hinter einem Paravent blieb.2138 Zu beachten ist, dass ihre Haltung nur durch die Religion bedingt war und keineswegs von einem zu dieser Zeit noch nicht vorhandenen ethnischen Judenbegriff abhing. Konvertiten wie Sonnenfels wurden von ihr 2134 Vgl. Tietze: Juden, S. 101–103 u. Andics: Juden, S. 159–170. 2135 Pribram: Urkunden, S. LXVI. 2136 Vgl. Kann: Kanzel, S. 160f.; Tietze: Juden, S. 99f. u. McCagg, William: A history of the Habsburg Jews, Indianapolis 1989, S. 19. 2137 Pribram: Urkunden, S. 428, Note Maria Theresias vom Sept. 1778. 2138 Tietze: Juden, S. 99.

Sonnenfels und die Judengesetzgebung

411

nicht anders als geborene Christen behandelt, nach Meinung einzelner Autoren vielleicht sogar bevorzugt.2139 Befremdlich erscheint daher der bei Kann und Karniel gegebene Hinweis, dass Sonnenfels’ Gegner ihn in theresianischer Zeit angeblich aufgrund seiner Herkunft als Nikolsburger Juden zu diffamieren versuchten.2140 Ein Beleg für dieses Zitat, auf welches in der Forschung seit Ende des 19. Jahrhunderts Bezug genommen wird, wurde nie gegeben. Ihm widerspricht die Tatsache, dass in den Quellen kaum ein Hinweis auf die Tatsache hindeutet, dass es sich bei dem Aufsteiger Sonnenfels um einen Konvertiten handelt. Seine jüdische Herkunft und seine diesbezüglichen Kontakte eröffneten ihm vielmehr neue Möglichkeiten, als dass sie ihm Türen verschlossen hätten. Er selbst ignoriert in seinen Lehrbüchern und Publikationen das Thema der aktuellen Behandlung der Juden in der Monarchie. Es finden sich lediglich Vergleiche mit staatlichen Einrichtungen und Leistungen einzelner Juden, die in der Bibel geschildert werden. Diese Vergleiche sind wiederum durchaus ambivalent und werten Aspekte der jüdischen Überlieferung sowohl positiv als auch negativ.2141 Vergleicht man den Eifer und die Risikobereitschaft, die er in Fragen des Theaters oder für die Aufhebung von Folter und Todesstrafe an den Tag legte, so scheint es, dass es sich bei der Toleranzgesetzgebung für ihn nicht um einen Gegenstand besonderen Interesses handelte. Andere Mitglieder der Familie Sonnenfels waren aktiver. So nahm sein Bruder Franz, wie bereits beschrieben, jüdische Familien in sein Mietshaus auf, als 1766 und 1772 Verordnungen zur räumlichen Trennung von Juden und Christen erlassen wurden.2142 Um die Problematik einer Bewertung solch eines Verhaltens zu verdeutlichen, sei darauf hingewiesen, dass Franz von Sonnenfels für die Aufnahme der Juden eine 33 Prozent höhere Miete verlangte und daher wirtschaftliche Vorteile genoss. Initiativen zugunsten der jüdischen Bevölkerung gingen zu dieser Zeit von anderen Personen aus. Gegen Ende der Herrschaft Maria Theresias formierte sich in Wien eine Interessengruppe, die weitreichende Freiheiten

2139 Priglinger: Humanismus, S. 73 verweist auf die Ambivalenz von Toleranz und Intoleranz gegenüber gebürtigen Juden. Vgl. Kann: Kanzel, S. 161 u. Karniel: Weltbild, S. 133. 2140 Vgl. Kann: Kanzel, S. 162; Karniel: Toleranz, S. 408. 2141 Vgl. für eine Zusammenfassung von Sonnenfels’ diesbezüglichen Ansichten: Karniel: Weltbild, S. 141–148, der die gesammelten Verweise erst abschließend seiner Wertung zuführt. 2142 Vgl. Tietze: Juden, S. 103f.; Karniel: Toleranz, S. 255–259 u. S. 410. Pribram: Urkunden, S. LXIVf.; Dies wird bei Andics: Juden, S. 167 ohne Beleg auf Joseph von Sonnenfels bezogen.

412

Der Staatsreformer Sonnenfels

für die jüdischen Einwohner anstrebte.2143 Ihr gehörten, neben den vermögenden jüdischen Familien, auch mehrere Staatsbeamte an. Eine Führungsrolle unter ihnen nahm der mit Sonnenfels vertraute Hofrat Franz von Greiner ein. Auch andere Männer aus seinem Umfeld, wie der Staatsrat Tobias von Gebler unterstützten dieses Vorhaben.2144 Daher ist zwar nicht zu belegen, aber als wahrscheinlich anzusehen, dass Sonnenfels sich zumindest an informellen Gesprächen beteiligte. Ob mit oder ohne seine Unterstützung: die frühen Bestrebungen seiner Bekannten, sich zugunsten der Wiener Juden einzusetzen, waren unter Maria Theresia nicht erfolgreich.2145 Aus dem Umfeld dieser Gruppe von Reformern stammte wahrscheinlich auch eine anonyme Schrift mit Anmerkungen über die Judenordnung von 1764, die Joseph II. zu Beginn seiner Alleinherrschaft überreicht wurde.2146 In ihr wurde um ein Ende der Beschränkungen und Ausgrenzung gebeten. Die Tatsache, dass sowohl der Kaiser, als auch die Hofkanzlei die Schrift lasen und in Akten erwähnten, deutet darauf hin, dass mehrere Hof- und Staatsräte den Autor unterstützten. Joseph II. erließ wenige Wochen später ein Hofdekret, in dem er am 13. Mai 1781 die Beratung und Verfassung neuer Patente über die Juden in den verschiedenen Erblanden befahl, um die in Meinen Erblanden so zahlreichen Glieder der jüdischen Nation dem Staate nützlicher zu machen.2147 In diesem Dekret verdeutlichte er zunächst, dass sämtliche Beschränkungen und sozialen Ausgrenzungen aufgehoben werden sollten. Dies ordnete er allerdings aus einem bestimmten Zweck heraus an: Ziel war explizit nicht, die Juden als gleichberechtigte Gesellschaftsgruppe zu akzeptieren oder sie gar zu fördern, sondern sie vielmehr dem Staate anzupassen, nutzbarer zu machen und sie, sofern sie vermögend waren, zu stärkeren Investitionen zu motivieren.2148 In Anlehnung an die Bildungspolitik des Kaisers, scheint hier der Begriff der Toleranzökonomie zutreffend. 2143 Karniel: Toleranz, S. 209–213. 2144 Karniel: Weltbild, S. 137. 2145 Vor allem Gebler tat sich laut den publizierten Staatsratsgutachten ab 1778 bei Beratungen im Staatsrat hervor, vgl. Pribram: Urkunden, S. 328–339. 2146 Diese Schrift wird in den Akten des Staatsrates und der Hofkanzlei besprochen, so im Gutachten der Hofkanzlei vom 7. Sept. 1781, abgdr. in: Pribram: Urkunden, S. 443–463, spez. S. 451–456. Zur Vermutung, sie sei von den vermögenden Juden Wiens verfasst, vgl. Tietze: Juden, S. 115; Bernard, Paul Peter: Joseph II. and the Jews. The Origin of the Toleration Patent of 1782, in: Austrian History Yearbook Bd. 4/5 1968/69, S. 101–119, hier S. 110 u. Karniel: Weltbild, S. 138. Für eine Übersicht über die darauf folgenden Reformmaßnahmen vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 371–394. 2147 Abgdr. bei: Karniel: Toleranz, S. 574–579 u. Pribram: Urkunden, S. 440–442. 2148 Vgl. Hock/Bidermann: S.  371 u. S.  375; Tietze: Juden, S. 114 u. Pribram: Urkunden, S. ­LXVIIf.

Sonnenfels und die Judengesetzgebung

413

Das kaiserliche Dekret löste in den folgenden Monaten umfangreiche Beratungen zwischen dem Staatsrat, der Hofkanzlei und den für das jeweilige Erbland zuständigen Landesregierungen oder Gubernien aus.2149 Die Ausarbeitung des Wiener Patentes erwies sich dabei als besonders kompliziert, da die dortige jüdische Bevölkerung starke soziale Unterschiede aufwies. Ein neues Gesetz musste sowohl das Leben mittelloser Juden, die aus den östlichen Gebieten der Monarchie in die Stadt kamen, als auch das der etablierten und gegen Zahlungen tolerierten jüdischen Bankiersfamilien regeln. Während die Beratungen in den Behörden noch andauerten, wurde die Interessengruppe um Greiner durch die Freimaurer im Umfeld der wahren Eintracht verstärkt, zu denen wiederum Sonnenfels in häufigem Kontakt stand. Hier kann erneut auf seine potentielle, aber nicht nachweisbare Einflussnahme verwiesen werden, die sich in der von den Logenbrüdern dominierten Realzeitung spiegelt, in der sich verschiedene Mitarbeiter gegen Beschränkungen der jüdischen Bevölkerung aussprachen.2150 Da Sonnenfels als Redakteur zeitweise die Zeitschrift leitete, kann er hier als Teil der Reformbewegung angesehen werden, auch wenn er nicht explizit in Erscheinung trat. Die Akten zu den Beratungen offenbaren, dass zwei unterschiedliche Ansichten zur Erfüllung der kaiserlichen Ziele vertreten wurden. Eine Gruppe von Beamten um den Hofrat Greiner setzte sich dafür ein, den Wiener Juden im Rahmen der kaiserlichen Vorgaben so viele Freiheiten wie möglich zu gewähren und die bereits vorhandenen Juden nicht nur in der Gesellschaft zu tolerieren, sondern – sofern sie ihre Religion privat ausübten – zu rezipieren, also gleichberechtigt mit den anderen Untertanen in den Staat aufzunehmen.2151 Nur dadurch, dass ihnen alle Wege und Berufe offenstünden, würden sie ihr volles Potential zum Wohle des Staates entfalten können. Greiner formulierte diesbezüglich ein ausführliches Separatvotum zu einem restriktiven und antijüdischen Gutachten der Hofkanzlei.2152 Er kritisierte den Plan der Mehrheit der Hofräte und der Angehörigen der niederösterreichischen Regierung, den Juden nur gerade so viele Rechte zu gewähren, wie zu einer Steigerung ihres Nutzens für den Staat unbedingt notwendig sei.2153 Staatsrat von Gebler, vor dem Streit um die klotzschen Briefe ein 2149 Vgl. die Übersicht bei Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 371–376; Tietze: Juden, S. 113–121; Karniel: Toleranz, S. 393–404 u. Pribram: Urkunden, S. LXXII–LXXV. 2150 Vgl. Karniel: Toleranzpolitik, S. 212 u. Rosenstrauch-Königsberg: Realzeitung, S. 128f. 2151 Tietze: Juden, S. 115f.; Karniel: Toleranzpolitik, S. 396; Pribram: Urkunden, S. LXXIIf. u. S. 464–472, Separatgutachten des Hofrates Greiner vom 7. Sept. 1781. 2152 Gutachten der Hofkanzlei vom 7. Sept. 1781, zit. nach: Pribram: Urkunden, S. 443–463. 2153 Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 372. Eine Leibmaut und die Bindung an bestimmte Gasthäuser sollte bestehen bleiben.

414

Der Staatsreformer Sonnenfels

Verbündeter Sonnenfels’ in Fragen der Theaterreform, vertrat im höchsten Beratergremium einen ähnlich gemäßigten Standpunkt wie Greiner in der Hofkanzlei, mit dem er sich aber nur selten durchsetzte.2154 Zu den Beamten, die sich für Restriktionen gegen die Juden aussprachen gehörte auch Graf Rottenhan, mit dem Sonnenfels später bei den Bildungsreformen und der Rechtskompilation zusammenarbeitete. Der Graf schlug vor, die reichen Juden in Wien zu tolerieren und die mittellosen in die östlichen Grenzregionen abzuschieben und als Bauern arbeiten zu lassen.2155 Durch kaiserliche Resolutionen wurden die Beratungen beschleunigt und einem vorläufigen Ende zugeführt. Joseph II. betonte dabei mehrmals, dass keineswegs gewünscht sei, die jüdische Nation in den Erblanden mehr auszubreiten oder da, wo sie nicht toleriert ist, neu einzuführen, sondern nur, da wo sie ist, und in der Maß, wie sie als toleriert bestehet, dem Staate nützlich zu machen.2156 Es wurde im Dialog zwischen den Behörden vereinbart, dem Kaiser zu empfehlen, den ansässigen Juden die freie Berufswahl, den Zugang zu höherer Bildung, die Gründung einer eigenen Normalschule und den Besuch öffentlicher christlicher Schulen zu gewähren. Die Gründung einer Gemeinde, das Recht auf Freizügigkeit außerhalb der Stadt, der Gebrauch der hebräischen Sprache in Dokumenten und Verträgen sowie der Import ihrer religiösen Schriften aus dem Ausland sollte jedoch untersagt werden. Ein Patententwurf wurde erstellt, in dessen Präambel mehrfach betont wurde, dass der Kaiser keineswegs eine Verbreitung oder Unterstützung des Judentums, sondern nur eine rechtliche Annäherung der bereits vorhandenen Juden an die einheimischen Untertanen wünsche.2157 Um Bürger der Monarchie zu werden blieb Konversion der einzige Weg. Alle neuen Freiheiten sollten nur für Juden gelten, die offiziell toleriert wurden und für diesen Status eine Gebühr entrichteten. Zugereiste und volljährige Kinder mussten Vermögen oder Einkommen nachweisen. Erst am Ende des Entwurfes 2154 Zu den Beratungen im Staatsrat vgl. Pribram: Urkunden, S. 473–476 u. Staatsratsgutachten vom 7. Sept. bis 1. Okt., ebd., S. 473–476. Zu Geblers Bedeutung vgl. Karniel: Toleranzpolitik, S. 331 u. S. 339. 2155 Weitensfelder: Studium, S. 74 u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 375. 2156 HHStA Prot. 2154 ex 1781 Vortrag der b.ö. Hofkanzley vom 11. Sept. 1781 mit Verweis auf die Resolution Josephs II. vom 1. Okt. 1781. 2157 Zur Erstellung des Entwurfes vgl. Vortrag der Hofkanzlei vom 16. Nov. 1781, zit. nach: Pribram: Urkunden, S. 477f. Der Entwurf selbst: Entwurf der Hofkanzlei für ein Toleranzpatent vom 16. Nov. 1781, zit. nach: Pribram: Urkunden, S. 478–485. Diese Vorlage wurde noch vom Staatsrat mit Anmerkungen versehen: Staatsratsgutachten vom 16.–30. Nov., zit. nach: Pribram: Urkunden, S. 485–487. Nach Lohrmann geht dieser Entwurf allein auf Sonnenfels zurück, vgl. Lohrmann, Klaus: Das österreichische Judentum zur Zeit Maria Theresias und Josephs II. (Studia Judaica Austriaca Bd. 7), Eisenstadt 1980, S. 15f.

Sonnenfels und die Judengesetzgebung

415

wurde die positive Haltung Josephs II. gegenüber allen seinen Untertanen und sein Wille betont, durch dieses Patent dem Staatswohl zu dienen. Als die Verhandlungen zu einem vorläufigen Ergebnis gekommen waren, übergab Hofrat Greiner auf kaiserlichen Befehl den Patententwurf an Sonnenfels in Absicht auf die Verbesserung des Stils.2158 Dies Vorgehen basierte auf der Erfahrung des literarisch tätigen Professors als Stilist und hatte keineswegs zum Ziel, ihm eine inhaltliche Einflussnahme zu ermöglichen. Er wurde hier als Experte für den Geschäftsstil und nicht, wie in Teilen der Forschung behauptet, als Kenner des Judentums konsultiert.2159 Dennoch nutzte er wie auch in anderen Fällen die Gelegenheit der Stilrevision, um Einfluss auf den Inhalt des Dokumentes zu nehmen. Er formulierte die Schlussworte des Entwurfs in eine neue Präambel um und ordnete die Paragraphen danach neu. In der von ihm erstellten Einleitung wurde nun das Wohlwollen des Monarchen für alle seine Untertanen und die prinzipielle Notwendigkeit betont, die jüdischen Einwohner von Beschränkungen zu befreien, die ihrem und dem Wohl des Staates entgegenstehen. Dies war zwar ein umfangreicher, dennoch nur ein rein formaler Unterschied, da die Präambel lediglich allgemeine Aussagen und keine konkreten Bestimmungen enthielt. Von der Einleitung abgesehen folgte Sonnenfels weitgehend den Vorgaben des Entwurfes und schlug vornehmlich stilistische Varianten vor. So empfahl er die Wörter ganz nicht durch keineswegs oder geahndet durch gestrafet zu ersetzen.2160 In einigen Fällen aber hatten seine Vorschläge auch inhaltlichen Bezug.2161 So betonte er, dass den Juden kein freier Zugang zu den höheren Studien gewährt werden dürfe, da diese sonst versuchen könnten, ohne Zulassungsprüfungen an den Universitäten oder Lyzeen aufgenommen zu werden. Stattdessen sollen ihnen nur dieselben Rechte auf Bildung wie den Christen gegeben werden. Bezüglich ihrer Wohnorte in der Stadt hingegen sei das Wort Wohnhäuser durch Wohnungen zu ersetzen, denn die Erlaubnis 2158 Vgl. Karniel: Toleranzpolitik, S. 406. Dieser Akt wird von Lohrmann: Judentum, S. 15f. ohne Belege als eine Kooperation beider Männer zur Änderung des Inhaltes des Patentes gedeutet; Zitat aus HHStA Staatsratprot. 2720 ex 1781, Resolution auf einen Vortrag der b.ö. Kanzley vom 16. Nov. 1781. Die Resolution selbst datiert laut einem ähnlichen Befehl ca. auf den 30. Nov., vgl. Resolution Joseph II. vom 30. Nov. 1781, zit. nach: Pribram: Urkunden, S. 487f. 2159 Karniel: Toleranzpolitik, S. 410. 2160 Vgl. HHStA Staatsratsprot. 2995 ex 1781, Vortrag der b.ö. Kanzley vom 20. Dez. 1781. Dies hindert Andics: Juden, S. 173 nicht daran anzunehmen, Sonnenfels habe große Bedeutung dabei gehabt. 2161 Vgl. die Beratungen bei der Hofkanzlei und im Staatsrat: Vortrag der Hofkanzlei vom 20. Dez. 1781, zit. nach: Pribram: Urkunden, S. 488–490 u. Staatsratsgutachten vom Dez. 1781, zit. nach: ebd., S. 490–492.

416

Der Staatsreformer Sonnenfels

zur Freizügigkeit innerhalb Wiens dürfe nicht davon abhängen, ob jemand ein ganzes Haus mieten könne. Schließlich betonte Sonnenfels, dass die im Entwurf angeordnete Abschaffung der hebräischen Sprache in der Öffentlichkeit nicht ratsam sei. Es wäre besser, lediglich alle schriftlichen Handlungen und Willenserklärungen, die einen rechtlichen Vorgang beweisen, nur noch auf Deutsch anzuerkennen. Diese Änderung wurde vom Staatsrat und der Hofkanzlei jedoch abgelehnt, da sie einen erheblichen häufigeren Gebrauch des Hebräischen erlaubt hätte. Die anderen Anregungen Sonnenfels’ wurden hingegen aufgenommen, wobei aber beide beratenden Behörden außerdem vorschlugen, den Stilrevisor für seine Änderung der Struktur des Patents zu rügen, da derartige Bearbeitungen und die Neufassung einer Präambel die Konsultationen nur unnötig in die Länge zögen.2162 Der Kaiser ordnete daraufhin an: [Es] ist dem Sonnenfelß die Weisung zu geben, dass er sich künftig bey solchen nur zur Verzögerung Anlass gebenden Bemerkungen keinerdings aufzuhalten, das Materiale und selbst die Eintheilung deren in einem Patent vorkommenden Verordnungen den Stellen gänzlich überlassen, sofort seine Bemerkung lediglich auf den Stylum beschränken […] solle.2163 Karniel folgert daraus, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung zwischen den Behörden und Sonnenfels stattgefunden habe, bei welcher letzterer einen Kampf um jedes Wort zur Besserung der Stellung der Juden geführt habe.2164 Doch Sonnenfels’ nachweislicher Beitrag zum Verfahren war gering und stand hinter dem anderer Akteure wie Hofrat Greiner deutlich zurück. Trotz seiner Verbindung zu mehreren Beteiligten ist festzuhalten, dass er keinen Einfluss auf die Konzeptarbeit hatte und auch nicht nachweislich darum bemüht war. Der Kaiser nahm Sonnenfels’ korrigierten Entwurf schließlich an und erließ am 2. Januar 1782 das neue Toleranzpatent für die Juden Wiens und Niederösterreichs.2165 Die neue Einleitung veränderte zwar den Inhalt nicht, stellte aber die gesamte Rechtsreform in ein anderes Licht. Ziel war nun offiziell, dass alle Unsere Unterthanen ohne Unterschied der Nazion und Religion, sobald sie in Unseren Staaten aufgenommen und geduldet sind, an 2162 Ebd. 2163 Ebd. u. Resolution Joseph II. vom 29. Dez. 1781, zit. nach: Pribram: Urkunden, S. 492. 2164 Karniel: Weltbild, S. 139. 2165 Die Annahme geschah durch Resolution vom 29. Dez., zit. nach: Pribram: Urkunden, S. 492. Das Toleranzpatent für die Juden Niederösterreichs vom 2. Jan. 1782, zit. nach: Pribram: Urkunden, S. 494–502, vgl. Klueting, Harm (Hg.): Der Josephinismus. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der theresianisch-josephinischen Reformen, Darmstadt 1995, S. 275–280. Eine erläuternde Zusammenfassung des Inhalts findet sich bei: Karniel: Toleranz, S. 411–416.

Sonnenfels und die Judengesetzgebung

417

dem öffentlichen Wohlstande, den wir durch unsere Sorgfalt zu vergrößern wünschen, gemeinschaftlichen Anteil nehmen, eine gesetzmäßige Freyheit genießen und auf jedem ehrbaren Wege zur Erwerbung ihres Unterhalts […] kein Hindernis finden sollen.2166 Sonnenfels scheint bei dieser Reform insgesamt eine neutrale Haltung eingenommen und als Hauptziel die Umsetzung des kaiserlichen Dekrets verfolgt zu haben. Seine Position spiegelt sich auch im Vergleich zweier weiterer Dokumente, an deren Erstellung er als Experte für Stilfragen beteiligt war. Zum einen bemühte er sich in einer Anordnung für christliche Lehrer, welche nun Juden in ihre Schulklassen aufnehmen sollten, die neuen Schüler dem besonderen Schutz des Lehrers zu empfehlen.2167 Die jüdischen Kinder seien außerdem von der Anwesenheit bei dem Singen religiöser Lieder oder dem Schulgebet zu befreien. Die erfolgreichen Vorschläge waren sowohl eine Rücksichtnahme auf den jüdischen Glauben als auch ein praktischer Weg, um jüdischen Kindern den Schulbesuch zu erleichtern.2168 Neben dieser Verordnung überarbeitete Sonnenfels zum anderen auch den Entwurf für ein Patent bezüglich der Juden in Galizien.2169 Hier folgte er der restriktiven Linie des Guberniums, das den im Vergleich zu Wien wesentlich zahlreicheren und ärmeren Juden einige in der Hauptstadt gewährte Rechte nicht bewilligen wollte. Erst ein einstimmiger Eingriff des Staatsrates verhinderte, dass der Kaiser diesem revidierten und bestätigten Patententwurf folgte, der den Abriss jüdischer Häuser in Lemberg und den Neubau eines Gettos in der Vorstadt zur Folge gehabt hätte.2170 Diese beiden Fälle aus der Regierungszeit Josephs II. lassen keine konsequente Einstellung Sonnenfels’ für oder gegen die jüdische Bevölkerung erkennen. Unter dessen Nachfolger Leopold II. beteiligte Sonnenfels sich nicht an neuen Regelungen der Judengesetze, die eher Detailfragen betrafen.2171 Allerdings wird nun erstmals seine jüdische Herkunft thematisiert. Dies geschieht jedoch nicht in den Berichten seiner Widersacher Hoffmann und Watteroth, die zwar sein berufliches Verhalten, seinen Charakter und seine

2166 Das Toleranzpatent für die Juden Niederösterreichs vom 2. Jan. 1782, zit. nach: Pribram: Urkunden, S. 494–502, hier S. 494. 2167 Vorschrift für Gymnasiallehrer, die Behandlung der jüdischen Schüler betreffend vom 1. Dez. 1782, unterzeichnet mit Sonnenfels, zit. nach: Pribram: Urkunden, S. 520, vgl. Karniel: Weltbild, S. 139f. 2168 Sonnenfels folgte dabei einer bestehenden Anordnung, vgl. ein Hofkanzleidekret zum Schulbildungswesen vom 19. Okt. 1781, zit. nach: Pribram: Urkunden, S. 513f. 2169 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 379–383. 2170 Ebd. S. 381–383. 2171 Zu den Reformen vgl. Tietze: Juden, S. 121–126.

418

Der Staatsreformer Sonnenfels

Moralvorstellungen diffamieren, seine Herkunft aber unerwähnt lassen.2172 Es ist Leopold II. selbst, der in einer Charakterisierung Sonnenfels’ kurz auf den Status von dessen Vater als getauften Juden verweist.2173 Den jüngeren Sonnenfels bezeichnet er allerdings nicht auf diese Weise. Aus solch einem Einzelfall generelle Ressentiments über eine Dienstzeit von 54 Jahren hinweg abzuleiten, erscheint nicht angebracht. Nach dem Herrschaftsbeginn Franz’ II. begann die Staatsverwaltung die Lockerungen der josephinischen Zeit zu widerrufen und vermehrt in das Leben der jüdischen Untertanen einzugreifen.2174 Graf von Rottenhan, der unter Franz II. in den Staatsrat aufstieg, wurde beim Kaiser vorstellig und verwies auf Untersuchungen aus dem Jahr 1789, wonach der Talmud Lehren enthalte, die Gefahr für die Ordnung des Staates bedeuten können.2175 Im Besonderen bezog er sich darauf, dass für Juden Eide und Verträge gegenüber Nichtjuden als wertlos dargestellt würden. Daher schlug er dem Kaiser vor, eine neue Hofkommission einzurichten, die den Talmud reinigen und den Gegebenheiten der deutschen Erblande anpassen sollte.2176 Franz II. stimmte zu und befahl am 5. September 1795: Im übrigen beangenehme Ich die Ernennung des Hofraths Joseph von Sonnenfels zum Präses der zur Reinigung des Talmuds niederzusetzenden Coon.2177 Über die Arbeit dieser Hofkommission liegen keine weiteren kaiserlichen Befehle, keine Protokolle, kein Ergebnis und keine Berichte in anderen Kommissionen vor, so dass ihre tatsächliche Einsetzung in Zweifel zu ziehen ist. Sonnenfels’ Berufung in den Rang eines Präses verweist aber auf zwei Dinge: Zum einen wurde sein jüdischer Bildungshintergrund anerkannt, da er als Präses die Diskussionen sachkundig zu leiten und die Ergebnisse zu kommentieren und zusammenzufassen hatte. Zum anderen war er aus Sicht des Kaisers vertrauenswürdig und stand nicht im Verdacht, zugunsten der Erhaltung des Talmuds gegen die Staatsinteressen zu handeln. Insgesamt deuten die jüdischen Aspekte in Sonnenfels’ Biographie und seine Verbindung zur Judenpolitik darauf hin, dass die Ansicht Karniels nicht bestätigt werden kann. Sonnenfels verfügte zwar über einen zusätzlichen jüdischen Bildungshintergrund und entsprechende gesellschaftliche Kontakte, vertrat aber gegenüber dem Judentum stets eine pragmatische und neutrale Haltung. Dies entspricht den Leitlinien der josephinischen 2172 Vgl. den Bestand: HHStA VA Kart. 38. 2173 Wandruszka: Leopold II., S. 325. 2174 Tietze: Juden, S. 132–135. 2175 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 393f. u. Kopetzky: Sonnenfels, S. 353. 2176 Weitensfelder: Studium, S. 74. 2177 HHStA Staatsratsprot. 2730 ex 1795 Resolution auf einen Vortrag des Directorii vom 25. Juli 1795.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

419

Kirchenpolitik, die mit seinen eigenen Lehrsätzen übereinstimmte, in denen er Kirche und Religion als Instrument zur Durchsetzung von Staatsinteressen darstellte. Bei den konkreten Reformprojekten waren zwar viele seiner Bekannten und auch mehrere Netzwerke aktiv, in denen er sich bewegte, doch eine herausragende Rolle wie bei anderen Reformprojekten nahm er weder ein, noch strebte er sie an. Seine tatsächliche Mitarbeit war nur durch seine offiziellen Ämter begründet und bewegte sich in dem dort gesetzten Rahmen. Die Quellen zeigen ihn einstimmig als unvoreingenommen gegenüber dem Judentum und bereit, sowohl Freiheiten zu gewähren als auch zu verweigern, wenn es dem staatlichen Interesse dient.2178 Seine guten Beziehungen, die er in den Salons und Abendgesellschaften zu Wiener Juden geknüpft hatte, scheinen daher der generellen Tendenz der josephinischen Epoche entsprechend weltlich und individuell geprägt und nicht von einer erkennbaren Sympathie oder Antipathie für den jüdischen Glauben beeinflusst zu sein. Es ist noch festzuhalten, dass seine Kontakte, seine Herkunft und seine geistige Verbindung zum gelehrten Judentum entgegen einiger Forschungsmeinungen keine negativen, sondern eher positive Auswirkungen auf seine Karriere hatten.

7.6 Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung 7.6.1 Sonnenfels’ Mitgliedschaft in den zuständigen Hofkommissionen Bereits unter der Herrschaft Maria Theresias wurden in der Zentralverwaltung der Erblande erste Initiativen zur Vereinheitlichung, Verschriftlichung und Normierung der bestehenden Rechtsordnungen unternommen; ein Vorgang, der als Kodifizierung bezeichnet wurde.2179 Ziel war es, durch 2178 Zu einem ähnlichen Schluss kommt, allerdings ohne eine vergleichbare Quellenbasis, Kann: Kanzel, S. 255. 2179 Zur österreichischen Kodifikationsbewegung allgemein vgl. Harrasowsky, Philipp Harald von: Geschichte der Codifikation des österreichischen Civilrechts, Frankfurt a.M. 1968, Ndr. der Ausg. 1868; Schlosser, Hans: Kodifikationen im Umfeld des Preußischen Allgemeinen Landrechts. Der französische Code Civil (1804) und das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (1811), in: Merten, Detlef u. Schreckenberger, Waldemar (Hg.): Kodifikation gestern und heute. Zum 200. Geburtstag des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 62. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung 1994 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 119), Berlin 1995, S. 63–82, hier S. 63–73; Wagner: Kodex, S. 17–28; Kocher: Höchstgerichtsbarkeit u. Walter, Friedrich: Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte von 1500–1955, Wien, Köln u. Graz 1972, S. 85–140.

420

Der Staatsreformer Sonnenfels

die Einheit des Rechts die Verbindung der verschiedenen Länder des Hauses Österreich zu einem Ganzen voranzubringen. Im Jahr 1753 befahl Maria Theresia daher die Einrichtung zweier Kompilationskommissionen, die sich verschiedener Sektoren des Rechts annehmen sollten. Damit gab sie im Gegensatz zur preußischen Kodifikationsbewegung, die auf eine Gesamtkodifikation abzielte, einer Edition getrennter Gesetzesbücher für verschiedene Rechtsbereiche den Vorzug.2180 Die Kommissionen widmeten sich zunächst dem Privat- und dem Strafrecht, wohingegen das Öffentliche und das Verwaltungsrecht aufgrund ihrer Komplexität vorerst keine Beachtung fanden. Hierin lag der Anfang einer langen Reihe von Hofkommissionen, die ein wichtiger Arbeitsplatz für den Staatsreformer Sonnenfels wurden und deren häufige Neuorganisation und Umbenennung es ratsam macht, ihre Entwicklung zunächst in Form eines Überblicks zu betrachten. Im Jahr 1756 wurden die verschiedenen Gesetzgebungskommissionen, die entgegen ihrem Namen selbstverständlich nur die Aufgabe hatten, den Monarchen als einzige Quelle der Gesetzgebung zu beraten, in einer einzigen Kompilationshofkommission zusammengelegt.2181 Diese vereinigte Kommission erstellte unter anderem die bereits erwähnte Constitutio Criminalis Theresiana und ihr unvollendetes zivilrechtliches Gegenstück den Codex Theresianus. In ihr entwarf Hofrat Franz Georg von Keeß später auch das Strafgesetz Josephs II.2182 Die Arbeitsweise dieser und aller folgenden Kommissionen, in denen später auch Sonnenfels tätig war, wurde dabei nicht durch eine schriftliche Verfahrensordnung oder Satzung geregelt, sondern folgte der traditionellen Beratungspraxis der älteren Behörden.2183 Zunächst erstellte ein Referent einen Entwurf für ein Patent oder für einen längeren Gesetzestext, der dann vom versammelten Kollegium besprochen und verbessert wurde. Die schriftlichen Meinungen anderer Behörden, wie etwa der Landesstellen, wurden dabei verlesen. Änderungsanträgen musste mit einer einfachen Mehrheit zugestimmt werden. Die Stimme des Kommissionspräsidenten zählte dabei nicht mehr, als die der übrigen Mitglieder, so dass vor allem der Einfluss der Referenten die Kommissi2180 Ogris: Rechtsreformer, S. 44 u. Conrad: Rechtsgeschichte, S. 393. 2181 Vgl. Kocher: Höchstgerichtsbarkeit, S. 80 u. zur Stellung der Monarchen in der Kodifikation: Conrad, Hermann: Staatsgedanke und Staatspraxis des aufgeklärten Absolutismus (Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften Vorträge der Geisteswissenschaften Bd. 173), Opladen 1971, S. 39. 2182 Vgl. Kap. 7.2.5. 2183 Kocher: Höchstgerichtsbarkeit, S. 79f. u. S. 82. Eine vermutlich auch hier angewendete Dienstanweisung für die Kommissionsarbeit in den Zentralbehörden datiert vom 1. Jan. 1792, vgl. Beidtel: Staatsverwaltung Bd. I, S. 441ff.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

421

onen prägte. Nach einer Überarbeitung des Entwurfes, die ebenfalls dem Referenten selbst oblag, wurde der Entwurf dann zur Begutachtung an die nächsthöhere Behörde oder den Monarchen weitergeleitet. Jedes Mitglied, dessen Antrag keine Mehrheit erhalten hatte, besaß das Recht, ein Separatvotum abzugeben. Die Kompilationsarbeit wurde von der von Sonnenfels, und auch von anderen Beamten vertretenen Annahme geprägt, dass es allgemeingültige und unveränderliche Grundsätze der Gesetzgebung gebe, auf denen die landesspezifische Gesetzgebung basieren müsse.2184 In einem Kommissionsprotokoll wird angegeben, die zentrale Aufgabe der Kommission ist die Aufstellung der leitenden Grundsätze, ohne welche bey dem Werke der Gesetzgebung kein Schritt mit Zuversicht und Festigkeit getan und im Gegentheile, durch welche allein die Übereinstimmung, die Verbindung, die Beziehung im Ganzen und in allen Theilen zuverlässig geprüft und beurtheilt werden kann.2185 Diese Grundsätze galten im Gegensatz zu den einzelnen Landesrechten als unveränderlich. Die Aufgabe der Kommission wurde daher nie als eine bloße Sammlung bestehender Gesetze, sondern immer als eine systematische Neuordnung und Überarbeitung anhand jener übergeordneten Grundsätze verstanden, die aber zunächst erst ermittelt werden mussten. Diese Grundlagen der Gesetzgebung und Staatsordnung entsprachen in ihrer Bedeutung dem Prinzip einer allgemeinen Staatsverfassung, wie sie im Zuge der Aufklärungsbewegung diskutiert und im Falle der Vereinigten Staaten, Polens, und Frankreichs realisiert wurde, ohne dass in den Kommissionen aber über ein Verfassungsdokument im wörtlichen Sinne beraten wurde. Sonnenfels wurde unter Maria Theresia und Joseph II. nicht zum offiziellen Mitglied dieses Gremiums berufen, sondern wirkte, wie im Kontext der Strafrechtsreform geschildert, lediglich als Stilrevisor und externer Berater in Fragen des Strafrechts und der Polizeigesetzgebung durch die Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Referenten, in diesem Fall mit seinem Schüler Franz Georg von Keeß.2186 Keeß stieg vom Fachreferenten für Strafrecht 1786 zum allgemeinen Referenten der Kommission auf und erstellte nun alle Entwürfe.2187 Sonnenfels selbst wurde zu dieser Zeit auf Befehl Josephs II. der Vorsitz in einer von ihm selbst angeregten zweiten Kompilationskom2184 Vgl. zu Sonnenfels und den Grundsätzen: Osterloh: Reformbewegung, S. 55f. u. Ogris: Rechtsreformer, S. 41. Zur Verbreitung dieser Ansicht vgl. Conrad: Staatsgedanke, S. 43f. 2185 AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 310, Fol. 1r.–12r. u. Fol. 13r.–27r. Protokoll vom 26. März 1791; sowie ebd., Fol. 21v.–22r. Protokoll vom 26. März 1791. Vgl. Wagner: Kodex, S. 250f. 2186 Siehe Kap. 7.2.5. 2187 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 7 Konv. 4/15 unf. Kaiserliche Resolution auf eine Nachricht vom 13. Aug. 1786.

422

Der Staatsreformer Sonnenfels

mission zugesprochen. Sie sollte ursprünglich den bisher vernachlässigten Sektor des Öffentlichen- und Verwaltungsrechtes umfassen, der als politische Gesetze bezeichnet wurde.2188 Obwohl Sonnenfels betonte, dass in der Sammlung und besonders der Systematisierung dieser Gesetze der Kern einer guten Staatsverwaltung liege, konnte diese Behörde ihre Arbeit jedoch nie wirklich aufnehmen und verblieb in der Planungsphase. Leopold II. setzte hingegen tatsächliche Veränderungen in dem bestehenden Kodifkationssystem durch. Er löste die bestehende Kommission auf und richtete im April 1790 eine neue Kompilationshofkommission unter seinem ehemaligen Lehrer Martini ein, der zugleich auch einer neuen Kommission zur Einrichtung des Bildungswesens vorsaß.2189 Dieser Hofkommission in Gesetzessachen wollte der Kaiser sämtliche Rechtsgegenstande, also die civil, criminal, wie auch der dahin einschlagenden Politik Gesetze, und der biß itzt bestehenden Gerichtsordnung anvertrauen.2190 Die neue Kommission, in die zunächst kein Mitglied ihrer Vorgängerorganisation übernommen wurde, war aus Fachjuristen zusammengesetzt und stand unter dem ausschließlichen Einfluss der Obersten Justizstelle, deren Archiv und Personal sie mitbenutzte.2191 Die Justizstelle hatte außerdem die Aufgabe, die in der Kommission verfertigten Entwürfe zu überprüfen. Sonnenfels versuchte erneut vergeblich, die unter Joseph II. gescheiterte Einrichtung einer Kommission zur Kodifikation der politischen Gesetze anzuregen, und blieb von den Beratungen ausgeschlossen.2192 Keeß wurde hingegen aufgrund seines allgemein anerkannten Arbeitseifers nach kurzer Zeit in Martinis Kommission berufen, war dort aber nicht für Konzepte sondern eher für die Materialsammlung verantwortlich.2193 Angesichts dieser Vorrangstellung der Obersten Justizstelle bemühte sich die Hofkanzlei als oberste Verwaltungsbehörde bereits unter Leopold 2188 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 124–126. 2189 Vgl. Hebeis: Martini, S. 107–109. Zur Einrichtung der neuen Kommission gibt das AVAVerzeichnis Oberste Justiz – Hofkommissionen den 2. April an; das entsprechende Dekret: Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 7 Konv. 4/21 verweist allerdings auf den 10. April. Hingegen enthält nur eine Monatsangabe: AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 101, Konv. Registraturs-Protokoll u. Index der Gesetzgebungs HK 10. April 1790 – Ende Febr. 1797, Fol. 51r; vgl. auch Kocher: Höchstgerichtsbarkeit, S. 81f. 2190 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 7 Konv. 4/21 Dekret vom 10. April 1790. 2191 Kocher: Höchstgerichtsbarkeit, S. 84f. u. Osterloh: Reformbewegung, S. 175f. 2192 Vgl. HHStA Kaiser Franz Akten Kart. 146, Fol. 131r.–147v., Progetto del consiglier Sonnenfels del 7 Aprile 1790 in sapporto alla compilazione di un nuovo Codici Politico oder nach Aktenvermerk: Promemoria Sonnenfels’ vom 7. April 1790. 2193 Vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 7 Konv. 4/26 Nachricht an die Hofkommission ohne Titel u. o.D. Siehe auch: Hebeis: Martini, S. 109, wo als Datum lediglich das Jahr 1792 angegeben wird.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

423

II., stärkeren Einfluss auf die Kodifikation zu nehmen. Ihre Bemühungen wurden intensiver, als die von Sonnenfels oft angemahnten politischen Gesetze Gegenstand der Kodifikationsarbeiten werden sollten.2194 Nach dem Herrschaftsbeginn Franz’ II. drängten beide Behörden – Justizstelle und Hofkanzlei – darauf, die Gesetzgebungsarbeiten leiten zu dürfen. Der neue Herrscher reagierte 1794 mit der Einrichtung einer Revisionskommission bei der Hofkanzlei, in der die Entwürfe der von Martini geleiteten Kommission geprüft werden sollten.2195 Dieses neue Gremium war ausschließlich mit Juristen aus den Hofkanzleien besetzt und stand unter Sonnenfels’ Referat. Die Existenz zweier konkurrierender Gremien erwies sich aber als nachteilig, so dass auf kaiserlichen Befehl 1796 stattdessen wieder eine gemeinsame Kompilationshofkommission eingerichtet wurde, die sich nun sowohl aus Vertretern der Obersten Justizstelle als auch der Hofkanzlei zusammensetzte.2196 Die Justizstelle verlor dabei das Recht, die Entwürfe einer Revision zu unterziehen, woraufhin Martini sich aus der Kompilationsarbeit zurückzog.2197 Sonnenfels hingegen wurde in die neue Kommission berufen und vertrat dort die Ansichten der Hofkanzlei, deren Anmerkungen und Anregungen er referierte.2198 Den Vorsitz übernahm nach Abgang Martinis zunächst Graf Ludwig von Cavriani von der Obersten Justizstelle (1739–1802). Ihm folgte ab 1798 für nur zwei Jahre der frühere Oberlandeskämmerer von Mähren, Graf Leopold von Clary (1736–1800), der aber noch vor Abschluss der Arbeiten verstarb. Schließlich übernahm Graf Heinrich von Rottenhan das Amt, der zeitgleich den Vorsitz der Studienrevisionskommission inne hatte und dort mit Sonnenfels das Bildungskonzept Martinis revidierte. Rottenhan war in der Materie bewandert, da er bereits Jahrzehnte zuvor als einfaches Mitglied in der theresianisch-josephinischen Kommission tätig gewesen war.2199 Referent für die meisten Projekte der 1796 eingerichteten vereinigten Kommission war der Wiener Professor der Rechte Franz von

2194 Vgl. Kocher: Höchstgerichtsbarkeit, S. 84f. u. Hebeis: Martini, S. 111. 2195 Eine Übersicht bietet Wagner: Kodex, S. 89–112. Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 176; Baltl, Hermann: Österreichische Rechtgeschichte, Graz 1982, S. 189f. u. Adler, Siegmund: Die politische Gesetzgebung in ihren geschichtlichen Beziehungen zum allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche, in: Wiener juristische Gesellschaft (Hg.): Festschrift zur Jahrhundertfeier des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Wien 1911, S. 83–145, hier S. 133. 2196 Vgl. Kocher: Höchstgerichtsbarkeit, S. 81, S. 85 u. S. 101 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 176. 2197 Kocher: Höchstgerichtsbarkeit, S. 105–107. 2198 Sonnenfels’ Aufnahme wird angeordnet im HHStA Staatsratsprot. 3199 ex 1796. 2199 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 7 Konv. 4/14 Mitteilung an die KompilationsHofkom vom 14. Sept. 1785.

424

Der Staatsreformer Sonnenfels

Zeil­ler (1751–1828).2200 Neben ihm konnten aber für spezielle Aufgaben auch andere Referenten berufen werden. So entstand unter wechselnder Leitung ein neues Strafgesetz, das 1796 in Galizien und nach erneuter Überarbeitung 1803 in den gesamten Erblanden in Kraft trat.2201 Im Anschluss daran folgte die Ausarbeitung des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), die 1811 abgeschlossen wurde. Während diese Arbeit noch andauerte wurde erneut versucht, eine Kodifikation des Öffentlichen- und Verwaltungsrechts unter dem Stichwort des politischen Kodex durchzuführen. Hierfür wurde wieder eine Spaltung der zuständigen Kommission vorgenommen. Neben Rottenhans Kommission wurde ab 1801 eine zweite Kompilationskommission unter dem Grafen Friedrich von Eger (1734–1812), Hofkanzler der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei, eingesetzt. Sonnenfels erhielt das Referat, aber die Kommission konnte aus personellen Gründen ihre Arbeit nicht beginnen und wurde schon nach zwei Jahren aufgelöst.2202 Ihr folgte eine Hofkommission zur Kompilation der Generalien und Normalien unter der Leitung des Staatsrates Anton Maximilian von Baldacci (1762–1841), in der wiederum Sonnenfels das Referat führte. Man begann mit der Sammlung der bestehenden Verwaltungsgesetze, die aber aufgrund passiven Widerstandes der Hofkanzlei und Länderstellen nur langsam vorankam. Aufgrund dessen wurde die Kommission im Jahr 1808 schließlich ebenfalls unter den Vorsitz des Grafen von Rottenhan gestellt, so dass nun beide Gesetzgebungskommissionen von derselben Person geleitet wurden.2203 Die unterschiedlichen Bezeichnungen verwiesen auf die weiterhin getrennten Aufgabenbereiche der Hofkommission in Justizgesetzessachen, und der Hofkommission in politischen Gesetzessachen.2204 Letztere Kommission war die wichtigste Wirkungsstätte Sonnenfels’. Er arbeitete dort zunächst in der Position eines Vizepräsidenten unter dem Grafen Rottenhan und stieg nach dessen Tode 1809 zeitweise zum Präsidenten auf, ohne aber zu erleben, dass vor seinem Tod im Jahr 1817 die Ar2200 Vgl. Fischer-Colbrie, Eduard: Eine Episode in Zeillers leben, in: Wiener juristische Gesellschaft (Hg.): Festschrift zur Jahrhundertfeier des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Wien 1911, S. 295–303. 2201 Kocher: Höchstgerichtsbarkeit, S. 82. 2202 HHStA Staatsratsprot. 3793 u. 4045 ex 1801, vgl. Wagner: Kodex, S. 119–138. 2203 Vgl. Wagner: Kodex, S. 139 u. Adler: Gesetzgebung, S. 144. Vgl. AVA HK III A 3 Kart. 310 Gesetzgebungs-Hofkommission – 1809, Konv. Feb. 1809, Fol. 1r. Protokoll der Normalien-Hofkommission am 28. Feb. gehaltenen I. Rathssitzung. 2204 Vgl. AVA HK III A 3, Kart. 311a, Fol. 337r. Zeitweise hieß die neue Kommission: Normalien-Sammlungs-Hofkommission, vgl. Resolution vom 11. Juni 1810, abgrd. bei: Wagner: Kodex, S. 431.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

425

beiten am politischen Kodex abgeschlossen werden konnten.2205 Seine Stellung in den unterschiedlichen Hofkommissionen und sein Beitrag zu den Reformen werden in den folgenden Kapiteln anhand dreier großer Kodifkationsprojekte untersucht. 7.6.2 Der Weg der universitären Polizeilehre in die Strafgesetzgebung Es wurde bereits deutlich, dass Sonnenfels sich nicht nur als Theoretiker, sondern auch als praktisch tätiger Rechtsreformer für die Umsetzung seiner polizeywissenschaftlichen Lehre einsetzte. Ein Beispiel hierfür sind die von ihm verfassten Polizeiordnungen für die Stadt Wien.2206 Die Kodifikationsbewegung bot ihm nun eine weitere Gelegenheit hierfür, da nun die legislatorischen Grundlagen geschaffen wurden, auf denen das Polizeisystem der Erblande basierte. Sein möglicher Einfluss auf die Erstellung des ersten Teils des josephinischen Gesetzbuches von Verbrechen und derselben Bestrafung, das die Aufhebung der Todesstrafe im regulären Strafverfahren regelte, ist bereits erörtert worden. Die zuständige Kompilationskommission hatte unter Keeß’ Referat mit stilistischer Konsultation Sonnenfels’ schon 1783 die Beratungen zu diesem Teil des neuen Gesetzes weitgehend abgeschlossen. Es zeigte sich aber, dass eine Vielzahl von Verstößen gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit keinen Eingang in das in seinem Umfang stark reduzierte Strafgesetz finden konnten.2207 Die neue Art von Vergehen wurde als politische Verbrechen oder Polizeyübertretungen bezeichnet und von den eigentlichen Straftaten abgegrenzt: Verbrechen sind Gesetzwidrige Handlungen und Unterlassungen, bei welchen die Absicht eigens auf etwas gerichtet ist, was die Sicherheit des gemeinen Wesens verletzt; schwere Polizeyübertretungen also jene Handlungen und Unterlassungen, deren Absicht auf kein Verbrechen gerichtet ist, sondern, wodurch etwas gethan oder unterlassen wird, was um Verbrechen zuvorzukommen oder um grösseren Nachtheil abzuwenden, oder um die öffentliche Sicherheit handzuhaben, verboten oder geboten ist.2208 Zu schnelles Fahren mit einem überladenen Fuhrwerk in 2205 Zur Ernennung Sonnenfels’ zum Vicepräsidenten vgl. AVA HK III A 3 Kart. 310 Gesetzgebungs-Hofkommission – 1809 Konv. 27. Aug. 1808 Nachricht an Sonnenfels. 2206 Siehe Kap. 7.3. 2207 Moos: Verbrechensbegriff, S. 176–179. Zur Schwierigkeit der Abgrenzung bei der Entstehung vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 7 Konv. 4/15 Vortrag Sinzendorfs an den Kaiser vom 20. Okt. 1786. 2208 Wahlberg: Schriften Bd. 3, S. 16. Der Text dieser Definition datiert aus der Zeit der vereinigten HK in Gesetzessachen nach 1796, bezieht sich aber rückwirkend auf den Stand zu Beginn der Polizeygesetzgebung.

426

Der Staatsreformer Sonnenfels

den Straßen der inneren Stadt Wiens oder Parken auf belebten Kreuzungen wurde nach dieser Definition erstmals eine strafbare Handlung im Sinne einer schweren Polizeyübertretung. Dieses neue umfangreiche Rechtsgebiet, das sowohl den zweiten Teil des josephinischen Strafgesetzes von 1787, als auch des franziszeischen von 1803 ausmachte, war im engsten Sinne Gegenstand von Sonnenfels’ wissenschaftlicher Tätigkeit. Hier bot sich ihm eine Gelegenheit zur Anwendung seiner universitären Polizeylehre, die ein geordnetes Verhältnis von öffentlicher und privater Sicherheit anstrebte. Hierzu empfahl er eine Wohlfahrtspolizei, die ordnend in möglichst viele Lebensbereiche der Bürger eingreifen sollte. Es bleibt zu untersuchen, ob es Sonnenfels durch seine Tätigkeit als Stilrevisor oder durch Beziehungen zu den Mitgliedern der Kompilationshofkommission gelang, Einfluss auf die Beratungen der Polizeyübertretungen zu nehmen.2209 In der Forschung ist sein Beitrag durchaus umstritten.2210 Es ist bekannt, dass Sonnenfels der Kommission selbst noch immer nicht angehörte, aber erneut mit einer stilistischen Revision beauftragt wurde. Die daraus folgenden Interpretationen führen allerdings weit auseinander, so dass eine gründlichere Betrachtung notwendig scheint. Ein erstes Indiz dafür, dass er an der Entstehung dieses Gesetzes mitwirkte, kann man bereits darin sehen, dass Keeß die Idee, einen zweiten polizeyrechtlichen Teil zu erstellen, in der Kommission und im Staatsrat erst präsentierte, nachdem Sonnenfels gemeinsam mit ihm die Überarbeitung des ersten Teils begonnen hatte.2211 Im Gegensatz zu diesem Indiz ist Sonnenfels’ Tätigkeit als Stilist ein deutlicherer Hinweis. Er übernahm wie beim ersten Teil die Revision, schickte diesmal aber zahlreiche und Änderungsanträge an die Kommission.2212 Er forderte den Aufbau des gesamten Textes, die Bewertung einzelner Delikte und auch den Satzbau und die einzelnen Formulierungen zu überarbeiten. Seine massiven Änderungsvorschläge veranlassten den Staatsrat Friedrich von Eger, am 6. März 1786 vorzuschlagen, Sonnenfels direkt die Ausarbeitung anhand der Kommissionsbeschlüsse vornehmen zu lassen.2213 Nach einer Überprüfung wären dessen Entwürfe dann zur Beschlussfassung 2209 Die Details der stilistischen Revision des 1. Teils werden deutlich bei Hoegel: Strafrecht Bd. 2, S. 151–164; zu Sonnenfels’ Einfluss auf den zweiten Teil des Strafgesetzes Ammerer: Schwert, S. 310–322. 2210 Für einen starken Einfluss Sonnenfels’: Osterloh: Reformbewegung, S. 172. Dagegen: Ogris: Rechtsreformer, S. 47 u. S. 84 u. Hoegel: Strafrecht, S. 83. 2211 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 172 u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 309. 2212 Osterloh: Reformbewegung, S. 173. 2213 Vgl. Kap. 5.5.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

427

an den Hof zu senden. Der Kaiser stimmte dem Vorschlag zu und erhob Sonnenfels damit indirekt in den Status eines Referenten der Kompilationshofkommission.2214 Dieser Effekt wurde durch seine weiterhin andauernde Zusammenarbeit mit dem Referenten Kees noch bekräftigt.2215 Darüber hinaus war er außerdem als Hofrat an den abschließenden gemeinsamen Beratungen der Verwaltungsbehörden mit der Kompilationshofkommission beteiligt. Dort übernahm er nicht nur, wie aus dem Nachlass von Keeß hervorgeht, in den gemeinsamen Sitzungen das Referat über den von ihm beeinflussten Entwurf, sondern erhielt außerdem auch den Auftrag, Berichte über diese Sitzungen zu verfassen und sie zusammen mit dem Entwurf im November 1786 an den Kaiser zu senden.2216 Da noch einige Korrekturen vorgenommen wurden, ging das Gesetz ein letztes Mal an Sonnenfels zurück, der nach eigenem Ermessen die Gelegenheit für eine kleine weitere stilistische Überarbeitung nutze, wie er dem Monarchen selbstbewusst mitteilte.2217 Nach einer weiteren Beratschlagung, bei der er und Keeß wenige Tage vor der Drucklegung, also „im letzten Augenblick“ noch eine neue Einleitung erstellten, wurde das Gesetz auf kaiserlichen Befehl am 13. Januar 1787 publiziert.2218 Wenn somit auch davon auszugehen ist, dass Sonnenfels teilweise direkt, teilweise indirekt den zweiten Teil des Strafgesetzes in seinem Sinne prägen konnte, so bleibt zu betonen, dass er abgesehen von der Stilrevision keinen offiziellen Status und keinen Anspruch auf Mitwirkung an der Gesetzgebung hatte. Er selbst betonte dies in Bezug auf das bürgerliche josephinische Gesetzbuch, dessen Entwurf parallel zum Strafgesetz in der Kompilationskommission verhandelt wurde. Auch hier versuchte Sonnenfels durch Überarbeitung des Stils Einfluss zu nehmen, wurde aber bereits 1783 von Joseph II. gerügt und allein auf Stilfragen beschränkt.2219 Nach diesem Befehl hielt er sich offenbar zurück, denn als das Werk in Schlözers Stats-Anzeigen von 1786 kritisiert wurde, verwies er darauf, dass mehrere Bestimmungen des 2214 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 173 u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 305. 2215 Binder/Suchomel: Keeß, S. 363. 2216 Vgl. Nachlass Keeß Kart. 6 Varia 1784–1788 Protokoll über die am 19. Dez. 1786 zwischen den vereinten Hofstellen und der Kompilations-Hofkommission gehaltene Zusammentretung. Über den Auftrag Berichte zu verfassen: HHStA Nachlass Keeß Kart. 6 Varia 1784–1788, unf., Protokoll über die am 3. Nov. 1786 zwischen den vereinten Hofstellen und der Kompilations-Hofkommission gehaltene Zusammentretung. Zur Kurzfassung der Beschlüsse vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 318. Zu Sonnenfels’ Bericht an den Kaiser und seine Reaktion Ammerer: Schwert, S. 314–316. 2217 Zitiert bei Ammerer: Schwert, S. 319. 2218 Ammerer: Schwert, S. 321f. 2219 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 179f. u. Ogris: Rechtsreformer S. 47f.

428

Der Staatsreformer Sonnenfels

neuen bürgerlichen Gesetzbuchs seiner Lehre zuwiderliefen.2220 Da Sonnenfels sich fälschlicherweise persönlich angegriffen sah, hob er hervor, für dieses Werk keinelei Verantwortung zu tragen und verwies darauf, daß mein Geschäft bei den erscheinenden Gesätzen überhaupt weiter nicht reichet als ungefär, damit Form und Sprache nicht mer(!) der Form und Sprache des verflossenen Jahrhunderts gleiche.2221 Diese Aussage, die primär auf das umstrittene bürgerliche Gesetzbuch bezogen ist, hat auch für das Strafgesetz eine gewisse Gültigkeit, da Sonnenfels wie er im Leserbrief unterstreicht, kein Mitglied der Kompilationskommission war und daher offiziell nur als Stilrevisor tätig wurde. Dies schließt jedoch seine inoffizielle Mitwirkung an dem in der Quelle nicht thematisierten Strafgesetz nicht aus, die in dieser frühen Phase der Polizeigesetzgebung aber „hinter den Kulissen“ ausgehandelt werden musste und von seiner Zusammenarbeit mit dem Referenten Kees abhängig war. Hierfür ist es wichtig zu beachten, dass der jüngere keineswegs als eine Marionette seines Lehrers angesehen werden kann, sondern durchaus eigene Wege ging. Dies zeigt die Erörterung der sogenannten Wucherfrage durch beide Männer. Der Tatbestand des Wuchers umfasste die Verzinsung von Krediten mit mehr als dem gesetzlichen Satz von vier bis sechs Prozent.2222 Keeß hatte mit einem Votum die josephinische Kompilationskommission überzeugt, die Aufhebung aller diesbezüglichen Gesetze zu empfehlen, um einen freien Kreditmarkt zu schaffen.2223 Er glaubte, dass Wucher durch das Spiel von Angebot und Nachfrage dann von selbst verschwinden würde. Joseph II. folgte dieser Empfehlung am 29. Januar 1787.2224 Es kam in der Folgezeit jedoch entgegen Keeß’ Erwartungen zu immer mehr Beschwerden über Wucher und einem Anstieg der Zinsen. Der Kaiser ließ daraufhin eine Preisaufgabe mit der Fragen ausschreiben: Was ist Wucher und was sind die besten Mittel ihm ohne Strafgesetze Einhalt zu 2220 Zur Kritik siehe H_G: Ueber die neue Gesetzgebung in Oesterreich; namentlich über das Gesetz, daß uneheliche, von 2 unverehlichten Personen erzeugte Kinder, alle Rechte der ehelichen haben sollen, vom 17. Dezember 1786, in: Staats-Anzeigen, Bd. 9 1786, S. 506–509. 2221 Sonnenfels: Lüderlichkeit, S. 255. 2222 Vgl. grundlegend: Hock/Bidermann: Staatsrat, S.  293–297; Blodig, Hermann: Der Wucher und seine Gesetzgebung historisch und dogmatisch bearbeitet. Eine socialpolitische Studie, Wien 1898, S. 16–22 u. Urfus, Valentin: Die Wuchergesetzgebung in Österreich zwischen Josephinismus und Liberalismus, in: Grass, Nikolaus (Hg.): Festschrift Hans Lentze. Zum 60. Geburtstage dargebracht von Fachgenossen und Freunden, Innsbruck 1969, S. 575–586, hier S. 575–577. 2223 Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 294. 2224 Vgl. ebd., S. 293 u. S. 297; Urfus: Wuchergesetzgebung, S. 579 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 191.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

429

gebieten?2225 Sonnenfels publizierte eine Schrift gegen Keeß’ Theorie, in der er prinzipiell empfahl, Strafgesetze gegen Wucher zu erlassen und zusätzlich eine staatliche Leihbank mit niedrigen Zinsen zu gründen, die den Markt regulieren könnte.2226 Schon bald bezogen weitere Autoren zugunsten von Keeß’ für einen freien Kreditmarkt Stellung und auch die beiden Protagonisten der Debatte traten in Erscheinung.2227 Ihre Äußerungen verweisen darauf, dass ihr freundschaftliches Verhältnis trotz der Meinungsverschiedenheiten andauerte. So berichtet Sonnenfels: Hofrath von Keeß erzeigte mir die Ehre, der Vorlesung [über den Wucher] selbst beizuwohnen. […] Nach dem Schlusse trat ich ihn mit einer Bewillkommung, die mir die Anständigkeit zur Pflicht machte, an, und wir gingen gleichsam Hand in Hand, unter einer freundschaftlichen Besprechung hinweg.2228 Einer weiteren Kooperation bei der Gesetzgebung schien nichts im Wege zu stehen. Nur nebenbei sei angemerkt, dass Sonnenfels in Fragen der Wuchergesetzgebung einmal mehr versuchte, als Außenstehender Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen, indem er das Forum der Publizität nutzte. Ergebnis der über die Meinungsverschiedenheit hinaus fortgesetzten Kooperation von Sonnenfels und Kees war das neue Strafgesetz, das zum Jahresbeginn 1787 in Kraft trat und dessen zweiter Teil inhaltlich den zentralen Anliegen von Sonnenfels’ Polizeilehre folgte.2229 Seine Idee einer Wohlfahrtspolizei wurde somit gerade zu dem Zeitpunkt legislatorisch verankert, als ihre institutionelle Form durch die josephinische Neuordnung unter dem Graf Anton Pergen bereits unterhöhlt wurde. Seinen Lehrsätzen entsprechend griffen die Verordnungen über die Polizeyübertretungen tief in das alltägliche Leben der Bürger ein und regulierten beispielsweise Tierhaltung, Lebensmittellagerung, Handel mit gefährlichen Substanzen und verderb2225 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 295; Urfus: Wuchergesetzgebung, S. 580 u. Blodig: Wucher, S. 20. 2226 Sonnenfels, Joseph von: Uiber die Aufgabe: Was ist Wucher?; Und welches sind die besten Mittel, demselben ohne Strafgesetze Einhalt zu thun, Wien 1989 u. Hofkamerarchiv Camerale rot 527, unf. Nr. 42 aus Febr. 1790 Entwurf zu einer Staatsanleihe über 50 Millionen; vgl. zu diesem Dokument Osterloh: Reformbewegung, S. 189–192. Die Hofkammer lehnte das Konzept als unrentabel ab, vgl. die Stellungnahme vom 8. Febr. 1790 Hofkammerarchiv ebd. 2227 Anonym: Anmerkungen über die Vorstellung des Herrn Hofraths v. Sonnenfels über Wucher und Wuchergesetze, Wien 1789 u. zugunsten von Keeß: Anonym: An Herrn Hofrath von Sonnenfels, Wien 1789. Eine neutrale Haltung vertritt: Paulsen, Nikolaus: Rathschlag über den Wucher und über die Meinungen der Herr Hofräthe von Keeß und von Sonnenfels, Wien 1791; vgl. Sonnenfels: Wucher u. ders.: Zu Herrn Hofraths von Keeß Abhandlung ueber die Aufhebung der Wuchergesetze, Wien 1791. 2228 Sonnenfels: Abhandlung, S. 7. 2229 Vgl. Ogris: Rechtsreformer, S. 45f.

430

Der Staatsreformer Sonnenfels

lichen Waren, Straßenverkehr und Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Sitten. Im Gegensatz zu den Straftaten sollten solche Vergehen nicht mittels Strafverfahren verfolgt, sondern lediglich durch die Verwaltungsbehörden mit einer Buße belegt werden.2230 Die Abgrenzung von Straftaten und Polizeyübertretungen erwies sich allerdings in der Praxis als überaus schwierig. Kees hatte bei der Gesetzgebung ganz im Interesse Sonnenfels’ versucht, viele kleine kriminelle Handlungen aus der Zuständigkeit der Justiz in diejenige der Verwaltung zu überführen.2231 Der Vorrang, den Sonnenfels den Verwaltungsbehörden für die Belange der Polizey einräumte, wird auch in seinen Lehrbüchern deutlich, wo Ausführungen über bestimmte Straftaten, wie den Giftmord, von langen Ausführungen über Vorkehrungen der Staatsverwaltung gegen die Entstehung des Deliktes, so durch Kontrolle von Handel, Besitz und Aufbewahrung von Giften, ergänzt werden.2232 Die Strafgesetzgebung erscheint in Sonnenfels’ Lehrbüchern lediglich als eine extreme Fortsetzung der verwaltungsdominierten Wohlfahrtspolizei in besonders schweren Fällen, um den regulierten Normalzustand wiederherzustellen.2233 Im Falle des Strafgesetzes von 1787 folgten aus der Neigung der Kompilationskommission, viele kleinere Delikte als Polizeyübertretung einzustufen, Unstimmigkeiten, die zu Anfragen der Justizbehörden führten.2234 Bevor die Kommission darauf reagieren konnte, wurde sie aber vom neuen Kaiser aufgelöst und durch die neue Hofkommission in Gesetzessachen unter Martini ersetzt, deren Mitglieder zur Obersten Justizstelle gehörten. Dort erstellte das Kommissionsmitglied Mathias von Haan, der Jahrzehnte zuvor gemeinsam mit Sonnenfels unter Martini studiert hatte, ein neues Strafgesetzbuch, welches das gerade erst erlassene Gesetz Josephs II. ablösen sollte.2235 Präsident Martini regte dabei entgegen Sonnenfels’ Lehrsätzen an, möglichst viele Delikte aus der Zuständigkeit der eher vorsorgenden Verwaltung in diejenige der eher strafenden Justiz zu überführen und steuerte so gegen dessen Einfluss.2236 Kurz nach Beginn der Herrschaft Franz’ II. konnte Sonnenfels aber durch seine Berufung in die neue Revisionshofkommission, welche die Arbeit Haans und Martinis prüfen sollte, doch noch an den Beratungen teilnehmen. 2230 Moos: Verbrechensbegriff, S. 176f. 2231 Zur unklaren Abgrenzung vgl. Moos: Verbrechensbegriff, S. 176–179 u. Wahlberg: Schriften Bd. 3, S. 14f. 2232 Sonnenfels: Polizey, § 153–155, vgl. Ogris: Rechtsreformer, S. 79. 2233 Vgl. Ogris: Strafrecht 2003, S. 674 u. Moos: Verbrechensbegriff, S. 176–179. 2234 Beidtel: Staatsverwaltung Bd. 2, S. 204. 2235 Vgl. Hoegel: Strafrecht, S. 83 u. Hebeis: Martini, S. 107 u. S. 114. 2236 Wahlberg: Schriften Bd. 3, S. 17 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 176.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

431

Da deren Entwurf zunächst mehrere Jahre bei den Länderstellen zirkulierte, war er als Referent in dieser neuen Behörde gewissermaßen in einer Warteschleife und wurde aufgrund seiner bisherigen Tätigkeiten vorerst zur Mitarbeit an drei anderen Reformprojekten verpflichtet. Erstens erhielt Sonnenfels persönlich den kaiserlichen Auftrag, die ergangenen vielfältigen Polizeyverordnungen in ein System zufassen zu lassen; wo es nothwendig seyn wird die zusagenden Verbesserungen anzuzeigen, dann aber über diesen wichtigen Zweig der öffentlichen Verwaltung ein vollständiges (ordentliches) Gesetzbuch zu entwerfen.2237 Auch wenn er diese langwierige Aufgabe nur teilweise erfüllte und sie später aufgrund anderer Verpflichtungen ruhen ließ, so zeigt sich doch, dass er als Experte für Fragen der Polizeygesetze galt. Da der Kaiser ihn und nicht die eigentlich zuständige Kompilationskommission beauftragte, kann außerdem angenommen werden, dass Franz II. dafür war, dass die Verwaltungsbehörden der Justiz Aufgaben abnahm, die eher wohlfahrtspolizeilich waren. Zweitens wurde 1794 in beiden Kompilationskommissionen auf allerhöchsten Befehl diskutiert, ob die Todesstrafe in Verbindung mit Konfiszierung des Besitzes für das Verbrechen des Hochverrats eingeführt werden sollte.2238 Der Kommission, in der Sonnenfels das Referat versah, wurde für diese Beratungen ein neuer Hofsekretär zugeteilt. Es handelte sich um Sonnenfels’ Schüler und Vertrauten Joseph Retzer.2239 Gemeinsam mit ihm und dem Mitglied der Obersten Justizstelle Graf von Rottenhan sprach sich Sonnenfels erfolgreich dagegen aus, dass Vermögen eines Verurteilten zu konfiszieren, da dies eine Strafe für die Familie und nicht nur den Täter sei.2240 Der von Martinis Mitarbeiter Haan ausgefertigte Entwurf eines neuen Strafgesetzes war inzwischen als Gesetzbuch für Galizien erlassen worden.2241 Dadurch wurde sowohl ein angebliches legislatorisches Defizit in 2237 AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 310 Gesetzgebungs-Hofkommission – 1809; Konv. Sonnenfels’ Ausarbeitungen über die Polizeiverordnungen 1794–95, Fol. 2r. u. Konv. Polizeygesetze 1794–1795. Die Quellen sind durch Brand schwer beschädigt und lückenhaft. Hinweise auf eine Erfüllung des Auftrages sind nicht überliefert. 2238 Vgl. Reinalter: Reaktion, S. 70 u. Beidtel: Staatsverwaltung, Bd. 2, S. 100. 2239 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 85 Konv. 1. Jhg. 1794. 2240 Vgl. Petenegg, Gaston Graf von: Ludwig und Karl Grafen und Herren von Zinzendorf. Minister unter Maria Theresia, Joseph II., Leopold II. und Franz I. Ihre Selbstbiographien nebst einer kurzen Geschichte des Hauses Zinzendorf, Wien 1879, S. 238. Vgl. Sonnenfels, Joseph von: Ein Beytrag zur Geschichte der österreichischen Gesetzgebung, in: Der neue Teutsche Merkur, Bd. 1 1797, S. 41–46. 2241 Pauli, Leslaw: Die Bedeutung Zeillers für die Kodifikation des Strafrechtes unter besonderer Berücksichtigung der polnischen Strafrechtsgeschichte, in: Selb, Walter u. Hofmeister, Herbert (Hg.): Forschungsband Franz von Zeiller (1751–1828). Beiträge zur

432

Der Staatsreformer Sonnenfels

der neuen Provinz behoben, als auch eine Möglichkeit zur Erprobung dieses Entwurfes in der Praxis geschaffen. Sonnenfels selbst betonte die Defizite in der Polizirung dieser Provinz, welche die konsequente Aufhebung lokaler Traditionen und die Durchsetzung neuer Gesetze notwendig machen würden.2242 Die Erfahrungen und die Anträge der galizischen Hofkanzlei zum neuen Gesetz wurden daher in die Beratung einbezogen, die im Jahr 1797 nach der Zirkulation des Entwurfes durch die Landesstellen begann. Zuständige Behörde war nun die neue vereinigte Hofkommission in Gesetzessachen, die am 20. November 1796 aus Mitgliedern beider Vorgängerbehörden zusammengesetzt wurde. Die erste Sitzung fand am 3. Juli 1797 statt und ihr Verlauf verweist direkt auf die zukünftige Verteilung der Kompetenzen. Auf einen gemeinsamen Antrag Sonnenfels’ und seines Schülers Keeß’ wurde analog zum josephinischen Strafgesetz mehrheitlich die Zweiteilung des Entwurfes in Criminalverbrechen und Polizeyübertretungen beschlossen.2243 Durch diesen Beschluss wurde endgültig Abschied von Martinis Konzept genommen, die Polizeyübertretungen in den Kontext der Strafjustiz einzubinden und einen Vorrang der Justizbehörden zu etablieren. Das Referat für den ersten Teil erhielt Franz von Zeiller, dasjenige für den zweiten wurde einstimmig an Sonnenfels selbst übergeben, der seine Expertise in den vergangenen Jahren mehrfach unter Beweis gestellt hatte.2244 Der Hofrat besaß nun die Möglichkeit, seine Polizeylehre in der Kommission zu präsentieren und sich direkt für ihre Umsetzung einzusetzen. Die Beratungen über den haanschen Entwurf unter dem Vorsitz des Grafen Leopold von Clary und später des Grafen Cavriani dauerten mit personellen Wechseln in der Kommission vom 3. April 1797 bis zur Sanktion durch den Kaiser im März 1803.2245 Sonnenfels kam dabei, je nachdem welcher Teil des Gesetzes beraten wurde, eine unterschiedliche Rolle zu. Bei den Beratungen über die Verbrechen war er nur eines von mehreren Kommissionsmitgliedern, die sich mit der Arbeit Zeillers beschäftigen; im zweiten Teil über die Polizeyübertretungen wurde er hingegen selbst zum Fachreferent. Die Untersuchung der Beratungsprotokolle über Zeillers Entwurf hinterlässt dennoch den Eindruck einer überaus aktiven Rolle des Hofrats, der sich zu verschiedenen Aspekten mit Sondervoten und Vorschlägen Gesetzgebungs- und Wissenschaftsgeschichte, Wien, Graz, Köln 1980, S. 180–191, hier S. 182. 2242 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 102. Ratsprotokolle 1799–1801, Protokoll über die bey der Hofkommission in Gesetzessachen abgehaltene Sitzung vom 4. Nov. 1799. 2243 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 176f. u. Hoegel: Strafrecht, S. 87. 2244 Vgl. Pauli: Zeiller, S. 182; Hoegel: Strafrecht, S. 87 u. Ogris: Strafrecht 2003, S. 675. 2245 Zur Eingrenzung und Einteilung der Bearbeitungszeit vgl. Hoegel: Strafrecht, Bd. 1, S. 88.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

433

hervortat. Darin bezog er sich nicht nur auf Wortlaut, Überschriften und stilistische Feinheiten, sondern auch auf grundsätzliche Fragen der Gesetzgebung, wie sich besonders deutlich im Falle der Milderungs- oder Beschwerungsumstände zeigt.2246 Sonnenfels ergriff sogar noch vor dem Referenten das Wort und sprach sich dafür aus, ein Gleichgewicht zwischen beiden Gegenständen herzustellen und sie separat zu erläutern, damit sie auf jedes einzelne Delikt angewendet werden können. Auf eine ausführliche Aufzählung der Milderungs- oder Beschwerungsumstände bei den einzelnen Tatbeständen wie sie früher üblich war, solle seiner Meinung nach verzichtet werden. In diesem Fall wird Zeiller von Sonnenfels, der die Unterstützung der übrigen Kommissionsmitglieder erhält, zu einem ausführenden Beamten degradiert, dessen eigene konzeptionelle Arbeit gar nicht in den Protokollen erwähnt wird. Auch bei Detailfragen bringt Sonnenfels erfolgreich Anträge ein, wie die Aufnahme des Hinweises, dass vor der Verhängung der Todesstrafe ganz besonders auf mildernde Umstände zu achten sei.2247 Solche Passagen, die einstimmig angenommen wurden, illustrieren, dass die von ihm vertretenen Ansichten, die auch seinen Lehrsätzen entsprechen, dem Rechtsverständnis der anderen Beamten gleichkamen.2248 Es lassen sich aber auch Unstimmigkeiten zwischen Sonnenfels und seinen Kollegen beobachten, wie sich besonders bei seinen Versuchen zeigte, Delikte vom Bereich der Straftaten in denjenigen der Polizeyübertretungen zu überführen.2249 Hierbei wurde er in einigen Fällen überstimmt. Dabei ist bemerkenswert, dass erstens Keeß niemals offen gegen seinen alten Lehrer votierte und zweitens, dass Sonnenfels sich einmal nach einer Abstimmungsniederlage durch ein Sondervotum direkt den Kaiser wandte.2250 Hier 2246 Zu der stilistischen Arbeit Sonnenfels’ vgl. Hoegel: Strafrecht, Bd. 2, S. 216–219. Zum Beispiel Vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 85 Konv. 192/1 Protokoll der Gesetzgebungs-Hofkommission vom 23. Okt. 1797, – vom 30. Okt. 1797 und – vom 6. Nov. 1797. 2247 Vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 85 Konv. 192/1 Protokoll der Gesetzgebungs-Hofkommission vom 30. Okt. 1797. 2248 Vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 85 Konv. 192/1 Protokoll der Gesetzgebungs-Hofkommission vom 6. Nov. 1797. 2249 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 85 Konv. 192/1 Protokoll der Gesetzgebungs-Hofkommission vom 16. Okt. 1797; vgl. Ogris: Rechtsreformer, S. 81f.; Sonnenfels beantragte eine Staffelung der Strafen bei Übertretungen gegen die Sittlichkeit, die den sozialen Stand berücksichtigte, da an Adelige höhere Maßstäbe angelegt werden müssten: AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 86 Konv. 193/4, Separatvotum des Sonnenfels vom 2. Nov. 1799; Außerdem beantragte er das Delikt der schweren Verwundung nicht als Verbrechen sondern nur als Übertretung zu behandeln. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 85 Konv. 192/1 Protokoll der Gesetzgebungs-Hofkommission vom 18. Sept. 1797 u. ebd. vom 16. Okt. 1797. 2250 Vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 85 Konv. 192/1 Protokoll der Gesetz-

434

Der Staatsreformer Sonnenfels

gelang es ihm, mit Keeß’ Unterstützung gegen die Kommissionsmehrheit, die tätige Reue, also den Versuch, die Folgen einer Straftat zu verringern, als mildernden Umstand ins Gesetz aufnehmen zu lassen.2251 Obwohl sich bei den Kommissionsentscheidungen nur relativ selten klare Fraktionen oder Interessensgruppen unterscheiden lassen, ist aber dennoch eine gewisse Tendenz auffallend. Sonnenfels stand mit seinen Aussagen nahezu immer in Opposition zum Referenten Zeiller, der die Kritiken mit ausführlichen Entgegnungen konterte, bevor sie zur Abstimmung gelangten.2252 Darin setzte sich dann in den meisten Fällen Sonnenfels durch. Da aber nur ein Bruchteil der von Zeiller insgesamt vorgeschlagenen Paragraphen tatsächlich bemängelt wurde, ist der erste Teil des neuen Strafgesetzes dennoch primär als dessen Werk zu sehen. Die übrigen Kommissionsmitglieder nahmen, anders als Keeß’, eine weitgehend neutrale Haltung ein und votierten je nach Sachlage sowohl für als auch gegen Sonnenfels’ Anträge. Mit Beginn der Beratungen zum zweiten Teil am 18. Juni 1798, die bis zum 23. September des folgenden Jahres andauerten, wechselte Sonnenfels in das Amt des Referenten. Nachdem der Kaiser am 13. April 1800 eine Erörterung der fertigen Entwürfe durch die Länderstellen beschlossen hatte, gingen vor allem aus Galizien zahlreiche Anfragen und Anregungen zu einer Überarbeitung bei der Kommission ein.2253 Diese wurden direkt beantwortet und bei der ab April 1802 durchgeführte Schlussredaktion unter dem Vorsitz des Grafen Rottenhan berücksichtigt. Diese Beratungen sind nur rudimentär überliefert. Die Fragmente legen jedoch nahe, dass Sonnenfels hier weitgehend im Stande war, für seine Ansichten die Zustimmung der Mehrheit zu erhalten. Der Präsident der Hofkommission in Gesetzessachen, Graf Leopold von Clary, fasste am 22. September 1800 den Verlauf der Debatte für den Kaiser zusammen: Sonnenfels’ Arbeit über die schwähre politische Übertretungen und deren Strafen wird als schön abgefasst bezeichnet, […] da diese Bearbeitung ein vorzügliches Produkt seines vortrefflichen Kopfes und Genies, seines rastlosen Fleißes, und seiner hinreißenden […] bezaubernden bündigen Schreibart ist.2254 Die gebungs-Hofkommission vom 23. Okt. 1797 u. zur kaiserlichen Entscheidung Konv. 192/5 zu § 212. 2251 Vgl. Hoegel: Strafrecht, Bd. 2, S. 211–213 u. Ogris: Rechtsreformer, S. 82. 2252 Für weiterer Beispiele für Meinungsverschiedenheiten siehe Hoegel: Strafrecht, Bd. 2, S. 211–215. 2253 Vgl. das kaiserliche Dekret: Hofkanzlei III A 3 Kart. 310 Gesetzgebungs-Hofkommission – 1809 Konv. 23. April 1801. Dekret vom 23. April 1801. 2254 Vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 10, Fol. 1r.–4v., Personalbericht vom 22. Sept.1801, hier Fol. 1v. u. 3v.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

435

Kommission habe es außerdem seiner Arbeit gegenüber nicht an Vertrauen fehlen lassen. Auch wenn der Präsident die allgemein gute Zusammenarbeit lobte, so bleibt auf den Hofrat von Zeiller hinzuweisen, der von der Rolle des Kritisierten in die des Kritikers wechselte.2255 Seine Vorschläge hatten allerdings nur teilweise Erfolg. Neben Zeiller stellte sich gelegentlich auch Keeß gegen seinen ehemaligen Lehrer, wobei er sich meist auf Teile der Polizeygesetzgebung bezog, die finanzielle Aspekte betrafen, wie die Schätzung konfiszierter Güter oder Zinsbemessungen. Es kam jeweils zu einem sachlichen Austausch von Argumenten, der keinen Einfluss auf die weitere Kooperation beider Beamter hatte. Bei den Beratungen, die schließlich anhand der Eingaben der Länderstellen folgten, schrieb Sonnenfels längere Voten über die Nottaufe von jüdischen Kindern als Polizeyübertretung, über eine rechtliche Sonderstellung der Hafenstadt Triest und gegen die Bitte der Galizischen Hofkanzlei, ein Patent gegen Kindsmord zu erlassen.2256 Die Kommission schloss sich einstimmig seinen Ausführungen an und setzte ihre Ansicht im Falle des Kindmords auch beim Kaiser durch, der den Entwurf des neuen Patentes, in dem nicht gemeldete Schwangerschaften für strafbar erklärt wurden, eigentlich bereits genehmigt hatte. Da der Monarch selbst keine klaren Vorgaben gemacht hatte, bestand hier offenbar ein Spielraum, in dem die Kommission und ihr Wortführer Sonnenfels Einfluss nehmen konnten. Dieses Beispiel unterstreicht, dass Sonnenfels den zweiten Teil des Strafgesetzes von 1803 im Wesentlichen nach seinen Ansichten ausarbeitete. Nicht nur Keeß unterstützte ihn dabei, sondern auch der Präsident Clary, der von ihm und seiner Arbeit eingenommen war. Auf sein gutes Arbeitsverhältnis zu dessen Nachfolger Rottenhan wurde bereits an anderer Stelle verwiesen.2257 Die guten Beziehungen zu den beiden Präsidenten und seinem Kollegen Keeß verschafften ihm somit einen Vorteil bei der immer neuen Mehrheitssuche. Bevor der Kaiser das neue Gesetz endgültig bestätigte, erließ er im Frühjahr 1802 den Befehl, die Ausweitung der Todesstrafe auf mehrere Delikte und die Verschärfung ihrer Vollstreckung zu erörtern.2258 Die Mitglieder der 2255 Vgl. Hoegel: Strafrecht, Bd. 2, S. 229–232. 2256 Vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 102 Ratsprotokolle 1799–1801. Zum Kindsmord Konv. Mendierte Ratsprotokolle v. J. 1800, Protokoll vom 25. Aug. 1800. Zur Unzucht: ebd., Protokoll vom 6. Okt. 1800. Zur Taufe von jüdischen Kindern: ebd., Protokoll vom 13. Dez. 1800. Zur Sonderstellung von Triest: ebd., Konv. Mendierte Ratsprotokolle vom Jahr 1801, Protokoll vom 7. Dez. 1801. 2257 Vgl. Kap. 7.4.4. 2258 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 86 Konv. 193/4 Kaiserliches Dekret vom

436

Der Staatsreformer Sonnenfels

Hofkommission lehnten dies mehrheitlich ab und bezeichneten diesen Vorschlag in kurzen Voten als einen Rückschritt im Rechtssystem.2259 Präsident Graf Rottenhan motivierte seine Mitarbeiter, sich zu äußern und teilte ihnen mit, dass die dermal vorliegende allerhöchste Entschliessung noch als keine bestimmte Vorschrift anzusehen sey, und ungeachtet derselben noch alles dasjenige in Vorschlag gebracht werden könne, was man dem Systemen des Strafgesetzes als zukömmlich erachten würde.2260 Sonnenfels nutzte diese Aufforderung für ein ausführliches Separatvotum, das er über Rottenhan an den Kaiser leitete. Hier sprach er im Namen der gesamten Kommission: Da die meisten Stimmen nicht undeutlich äussern, dass die Gründe gegen die Erweiterung der Todesstrafen auf sie tiefen Eindruck gemacht haben, wäre es nicht Pflicht dieses berathschlagenden Körpers solche vor der Hand nocherst Sr. Majestät ehrerbietigst vorzulegen; besonders, da sie sich durch den allerhöchsten Auftrag: Grundsätze aufzustellen, dazu aufgefordert findet, wenn die Entwicklung dieser Grundsätze auch entgegen gesetzte Folgen führen sollte.2261 Er stellte anschließend dar, dass dadurch die Stufenreihe des ganzen Strafsystems in Unordnung kommen könne. In Anlehnung an seine früheren Schriften und Eingaben über die Todesstrafe betont er die Vorzüge von Arbeitsstrafen und die nur geringe Abschreckungswirkung der Todesstrafe. Mehrmals wendet er sich direkt an Franz II. und betont die Notwendigkeit einer guten Gesetzgebung als Pflicht gerade im Vergleich zu anderen Ländern Europas: Wodurch hätten Ihre treuen Unterthanen verdienet […] als ein unsittlicher, zu Verbrechen bereiter Haufen, der nur durch Zwang und Henkerbeil eingehalten werden kann, behandelt [und], als ein solcher in der Meinung aller Völker aufgestellt zu werden?2262 Einige Wochen nach Erhalt der Eingabe und vermutlich auch anderer Schriften aus der Kompilationskommission sah der Kaiser von der Einführung verschärfter Todesstrafen ab, befahl aber die bereits seit 1796 in Galizien erprobte Ausweitung auf Mord, Raubmord, räuberischen Todschlag, Brandlegung und die Fälschung von Bancozetteln in der gesamten Monarchie anzuwenden.2263 Die Strafe sollte nur durch den Strang vollstreckt 9. März 1802; Note des Hofrat Froidvero o.D. u. Kaiserliche Entschließung an Graf Lazansky vom 12. Jan. 1802. 2259 Vgl. Wahlberg: Schriften, Bd. 3, S. 15f. u. S. 42; Kopetzky: Sonnenfels, S. 356f. 2260 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 86 Konv. 193/4 Note Rottenhans o.D. 2261 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 86 Konv. 193/4 Separatvotum des Sonnenfels vom 02. Nov. 1799. 2262 Ebd. 2263 Vgl. Wahlberg: Schriften, Bd.2, S.  146 u. S.  159f; Ebd., Bd. 3, S.  43 u. Pauli: Zeiller, S. 184f.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

437

werden und wurde in das neue Gesetz aufgenommen, das 1803 fertiggestellt war und schließlich unter der Benennung Strafgesetz über Verbrechen und schwere Polizeyübertretungen in Kraft trat.2264 Diese Modifikation, die gewissermaßen in letzter Minute erfolgte, macht erneut deutlich, dass die alleinige Entscheidungsbefugnis der Rechtsreformen beim Monarchen lag. Die hier getroffenen Bestimmungen blieben teilweise bis 1874 gültig. Der Inhalt des zweiten Teils folgte dabei eng dem Aufbau und teilweise dem Wortlaut von Sonnenfels’ Lehrbüchern.2265 An Umfang hatte der Teil über die Polizeyübertretungen, der in absichtliche körperliche Verletzungen, absichtliche Verletzungen der Sittlichkeit und Gefährdungsdelikte und Fahrlässigkeiten unterteilt wurde, gegenüber dem josephinischen Strafgesetz um mehr als das Dreifache zugenommen. Dies weist zum einen auf die feinere Unterteilung der Gegenstände und zum anderen auf die aktuelle politische Entwicklung in Europa hin, der man mit diesem Gesetz begegnen wollte. Die Erweiterung der Materie erwies sich aber als problematisch, da die Unterteilung in Verbrechen und Übertretungen damit unklar wurde.2266 Insgesamt zeigt sich auch hier, dass das neue Gesetz nicht Umsetzung eines einzelnen Systems war, sondern durch einen Aushandlungsprozess entstanden war, an dem Sonnenfels sich durch seinen dienstlichen Rang, sein kommissionsinternes Netzwerk und seinen Ruf als anerkannter Experte beteiligen konnte. Seine Stellung in der Kompilationsbehörde um 1800 scheint daher bedeutender zu sein, als in den früheren Reformprojekten, in die er sich durch Nutzung seiner Beziehungen erst einmal einbringen musste. Sonnenfels verzichtete hier, wo er tatsächlich eine führende Rolle einnehmen konnte, auf die früher öfter zu beobachtende Wendung an die lesende Öffentlichkeit. Dass dieser Verzicht aber keineswegs prinzipiell war, wird bei einem Vergleich mit der Reform der Strafgerichtsordnung zu Beginn des 19. Jahrhunderts deutlich, die nicht von der Hofkommission in Gesetzessachen, sondern von den Justizbehörden durchgeführt wurde. Gegenstand war die Entscheidungsfindung bei Kriminalprozessen. Da Sonnenfels hierbei keine direkte Einflussmöglichkeit besaß, versuchte er, sich durch eine Publikation in die Debatte einzubringen.2267 Im Gegensatz 2264 Vgl. Hoegel: Strafrecht, Bd.2, S. 224- 229. Gesetzeskraft erlangte es erst zum Jahreswechsel 1804. 2265 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 177 u. Ogris: Rechtsreformer, S. 85. 2266 Vgl. zur strittigen Einteilung der Materien: Beidtel: Staatsverwaltung, Bd. 2, S. 103f. u. S. 199–207; Ogris: Rechtsreformer, S. 85f. u. Moos: Verbrechensbegriff, S. 252–258. 2267 Sonnenfels, Joseph von: Über die Stimmenmehrheit bei Kriminalurtheilen, 1. Aufl. Wien 1801 u. 2. erweiterte Auflage, Wien 1808; vgl. zu dieser Schrift und ihrer Wirkung: Ogris: Rechtsreformer, S. 69–72.

438

Der Staatsreformer Sonnenfels

zu früheren Unternehmungen sicherte der inzwischen fast Siebzigjährige sich diesmal allerdings ab. Er schickte zuerst einen Entwurf an die Hofkanzlei und bat offiziell um eine Genehmigung sich äußern zu dürfen.2268 Erst nachdem ihm dies gestattet wurde unternahm er seinen letzten Versuch, Fragen der Staatsreform an ein davon betroffenes, aber unbeteiligtes Publikum zu tragen. Seine Schrift, in der er dafür eintrat, dass Richtergremien ihre Urteile einstimmig und nicht mehrheitlich fällen sollten, wurde über die Landesgrenzen hinaus rezipiert und stieß in Wien eine literarische Debatte an.2269 Trotz der ihr zuteil gewordenen Aufmerksamkeit blieb sie aber ohne Wirkung auf die Gesetzgebung. Sonnenfels kommentierte dies im Vorwort der zweiten Auflage auf typische Weise: Aber sollte es dem Manne nicht zu einigem Verdienste um die Gerechtigkeit und Menschheit gerechnet werden, der einen Baum pflanzet, in dessen Schatten nur erst die Spätenkel ruhen werden? Dieses späte Scheitern illustriert, dass, obwohl er zeitweise informelle Wege fand, sein Einfluss auf die Gesetzgebung im Wesentlichen an seine Tätigkeit in der Hofkommission in Gesetzessachen gebunden war. Dies gilt auch für das nächste in dieser Kommission abgeschlossene Projekt, das bereits während der Neufassung des Strafrechts vorbereitet wurde. 7.6.3 Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 Nachdem die Entwürfe für das neue Strafgesetz im Jahr 1801 fertig gestellt waren, widmete sich die Hofkommission in Gesetzessachen unter ihrem neuen Vorsitzenden Graf Rottenhan der Kodifikation des bürgerlichen Rechtes. Hierbei konnte man auf eine längere Erfahrung im Umgang mit der Materie zurückblicken. Bereits unter Joseph II. war am 31. März 1786 ein erstes Bürgerliches Gesetzbuch herausgegeben worden. Die Beratungen zu diesem Werk hatten bereits 1766 unter der Herrschaft Maria Theresias ihren Anfang genommen und zu einem ersten Entwurf, dem Codex Theresianus, geführt.2270 Doch erst nach beinah zwanzigjähriger Prüfung des Entwurfs 2268 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 102 Ratsprotokolle 1799–1801 Konv. Mendierte Ratsprotokolle vom Jahr 1801 Protokoll der Hofkommission in Gesetzessachen vom 5. Jan. 1801. 2269 Sonnenfels sandte die zweite Auflage dem König von Baiern und dem Kaiser von Russland zu. Vgl. die Nachricht An Hofrath von Sonnenfels Wien 27. Feb. 1808 Akten der Staatskanzlei zu Wissenschaft Kunst und Literatur Kart. 2, Fol. 459r. und das Billet an den k.k. Hr. Hofrath v. Sonnenfels 27. Febr. 1808 ebd. fol. 459v. Zur Wirkung vgl. Ogris: Strafrecht 1990, S. 472f. 2270 Harrasowsky: Codifikation, S. 95–145 u. Adler: Gesetzgebung, S. 86–89.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

439

in verschiedenen Behörden wurde auch Sonnenfels in seiner Funktion als „Staatsstilist“ konsultiert.2271 Noch während die Beratungen liefen, wurden angesichts drängenden Regelungsbedarfs im Laufe der achtziger Jahre mehrere Einzelpatente erlassen.2272 Auch hier übernahm Sonnenfels’ die Stilrevision und versuchte, laut Beschwerde der damaligen Kompilationskommission, seine Arbeit auf inhaltliche Aspekte auszuweiten. Durch kaiserlichen Beschluss wurden seine Initiativen jedoch abgeblockt. Auch bei den Beratungen zum eigentlichen Gesetzbuch gab Joseph II. Klagen der Kommission Recht und ermahnte Sonnenfels, wie im vorherigen Kapitel dargelegt, nur den Stil zu revidieren. Die Beratungen wurden daraufhin rasch abgeschlossen und das neue Josephinische Gesetzbuch konnte 1786 in Kraft treten. Schon bald zeigte sich, dass viele Aspekte einer Überarbeitung bedurften. Aber erst nach dem Tode Josephs II., als Leopold II. die neue Hofkommission in Gesetzessachen unter Karl Anton von Martini einsetzte, wurde offen darüber diskutiert, das Werk insgesamt einer Überarbeitung zu unterziehen.2273 Sonnenfels’ ehemaliger Lehrer erstellte nun einen eigenen Gesetzesentwurf, den er 1794 auf kaiserlichen Befehl zur Beratschlagung an die Landesstellen und nur in Auszügen an die Hofkanzlei sandte.2274 Damit löste er sogleich einen Protest der Räte der Hofkanzlei aus, die sich von den Beratungen ausgeschlossenen fühlten.2275 Die Folge war die Gründung einer eigenen Revisionskommission aus Verwaltungsjuristen, die Martinis Vorlage prüfen sollte. Hier legte Sonnenfels am 25. Januar 1796 einen Gegenentwurf vor und erteilte Martinis Konzepten eine harsche Kritik.2276 Er setzte sich dafür ein, 2271 Vgl. Harrasowsky: Codifikation, S. 151 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 179. 2272 Ein Verlöbnispatent 1782, Ehepatent 1783 und Erbfolgepatent 1786, vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S.  282 u. S.  293; Osterloh: Reformbewegung, S. 180 u. Ogris: Rechtsreformer, S. 46. 2273 Dieser Entwurf war vom 1786 verstorbenen Hofrat Horten ausgefertigt worden, dessen Arbeit Keeß nur teilweise und ohne Ergebnis fortführte. Vgl. den Entwurf und Notizen dazu, in: HHStA Nachlass Keeß, Kart. 1, Akten der Kompilationskommission 1770–1781. 2274 Der Entwurf Martinis ist mit Anmerkungen Keeß’ überliefert, in: HHStA Nachlass Keeß Kart. 4 Akten der Kompilationskommission und Hofkommission in Gesetzessachen 1787–1796 u. ebd., Nachlass Keeß Kart. 5 Akten der Hofkommission in Gesetzessachen 1728–1796. Die Notizen weisen nicht auf einen Einfluss Sonnenfels’ auf Keeß in diesem Kontext hin. Vgl. zum Entwurf: Harrasowsky: Codifikation, S. 153–155 u. Adler: Gesetzgebung, S. 106. 2275 Vgl. Adler: Gesetzgebung, S. 110–112 u. S. 156–160 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 180f. 2276 Vgl. Hebeis: Martini, S. 111; Adler: Gesetzgebung, S. 113–120 u. mit zahlreichen Zitaten: Wagner: Kodex, S. 96–111.

440

Der Staatsreformer Sonnenfels

die Kodifikation der Zivilgesetzgebung allein durch Verwaltungsbehörden wie die Hofkanzlei durchführen zu lassen, da das bürgerliche Recht den politischen Zielen des Staates, wie Vermehrung der Bevölkerung und der Glückseligkeit der Untertanen, untergeordnet sein müsse.2277 Wie schon in seinen Lehrbüchern fordert er die Bindung der Justiz und der Gesetzgebung an immerwährende Grundsätze einer guten Staatsführung, die einen Rang ähnlich einer Verfassung bekleiden müssten. Solche Grundsätze könnten nur durch gelehrte Mitglieder der Verwaltung wie ihm selbst dem Monarchen vorgelegt werden.2278 Dieser Ansicht stand Martinis Wunsch entgegen, dass die Kodifikation eine Sache der Justizbehörden sein solle. Jener hatte in seiner Einleitung ebenfalls Grundsätze der Gesellschaft in den Mittelpunkt gestellt, die ihm zur Folge aber nicht vom Herrscher abhängig seien, sondern sich aus dem natürlichen Recht der Menschen ergäben. In seinem Gegenentwurf kritisierte Sonnenfels seinen ehemaligen Lehrer deswegen offen. Dessen grundsätzliche Bezüge auf die Begriffe Freiheit und Gleichheit seien ein Fehler und angesichts der revolutionären Entwicklungen in Europa unangebracht und gefährlich. Sonnenfels schlägt daher vor, nicht von angeborenen Rechten der Untertanen sondern zunächst vom Zweck des Staates, also der allgemeinen Wohlfahrt zu sprechen, die allein durch den Monarchen garantiert werden könne. Erst danach könne man von den Freiheiten der Bürger sprechen, um zu betonen, dass es sich um Gnaden der Fürsten handle.2279 Die Kommission widmete der Beratung dieser Vorträge zwei Sitzungen, aber es ließ sich keine Mehrheit für die Ansichten Sonnenfels’ finden.2280 Er brachte dennoch weitere Gegenentwürfe vor, die aber ebenfalls in der Kommission scheiterten. So kam es zum einem Praxistest des neuen Gesetzes. Noch vor Abschluss der Revision wurde der in Teilen überarbeitete Entwurf Martinis als ziviles Gesetzbuch für Galizien erlassen.2281 Wie schon beim Strafrecht zuvor, wurde auf die Notwendigkeit verwiesen, das dortige Rechtswesen zu modernisieren. Das neu erworbene Gebiet diente so als Experimentierfeld für ein noch nicht ausgereiftes Gesetz. 2277 Wagner: Kodex, S. 96. 2278 Der Monarch sollte nach Sonnenfels’ Staatslehre Inbegriff des Staates und Quelle der Gesetze bleiben. Vgl. Reinalter: Gesellschaftstheoretiker, S. 145 u. 155. Allerdings sollte auch der Souverän an Gesetzte gebunden sein, um Willkürherrschaft zu verhindern, vgl. Wangermann: Trials, S. 36. 2279 Zur staatsrechtlichen Theorie Sonnenfels’ vgl. Garber, Jörn: Recht und Utilitarismus: Joseph von Sonnenfels und das späte Naturrecht, in: Reinalter: Sonnenfels, S. 97–138, zur Idee einer konstitutionellen Monarchie, S. 125–127. 2280 Zu den Sitzungen vom 25. Jan. und 14. März 1796 vgl. Adler: Gesetzgebung, S. 112 u. S. 120–125 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 185. 2281 Vgl. Adler: Gesetzgebung, S. 106 u. Hebeis: Martini, S. 112f.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

441

Die Beratungen in der Revisionskommission waren damit vorerst abgeschlossen, und ihre Akten wurden an Martini und die Oberste Justizstelle übersandt, die derzeit auf Erfahrungsberichte aus Galizien wartete.2282 Sonnenfels schickte seine eigenen überaus kritischen Anmerkungen in separater Post und legte auch einen persönlichen Brief bei. Darin betonte er die Hochachtung, gegen die hohen Einsichten meines Lehrers und wollte seine kritischen Anmerkungen als das unzweideutigste Merkmal meiner Verehrung und des hohen Begriffs, den ich von Ihrer Denkungsart habe angesehen wissen.2283 Die zugleich mitgesandten Akten zeigen jedoch, dass Sonnenfels Martini vielmehr mangelnde politische Weitsicht und ein Abdriften in staatsgefährdende Freiheitsideale vorgeworfen hatte. Der Brief erscheint daher eher als Rechtfertigung denn als Gruß. Ob Martini aus Enttäuschung über dieses Verhalten zurücktrat, wie vereinzelt angenommen, oder doch aufgrund der Einberufung einer neuen vereinigten Hofkommission in Gesetzessachen, die seinen Einfluss auf die Gesetzgebung beschränkte, ist nicht zu ermitteln.2284 Sein Entwurf blieb allerdings auch weiterhin die Basis der Beratungen, die nach einer mehrjährigen Unterbrechung zugunsten der Arbeiten am Strafgesetz in der neuen Hofkommission begannen, nachdem die Erfahrungsberichte aus Galizien eingegangen waren. Die Umarbeitung des Textes und die Vorbereitung der Kommissionssitzungen übernahm wie schon beim ersten Teil des Strafgesetzes Franz von Zeiller. Bereits in der ersten Sitzung positionierte er sich klar gegen die Ansichten des abwesenden Sonnenfels, indem er eine strikte Trennung der verschiedenen Rechtszweige und die Zuständigkeit der Justizbehörden für Rechtssetzung und Rechtsprechung zur Grundlage erklärte.2285 Er überzeugte die Kommissionsmehrheit außerdem, die von Sonnenfels schon bezüglich des alten Entwurfes gemachten Änderungsvorschläge zu streichen.2286 Der weitere Verlauf der Arbeit in der von Zeiller geprägten Kommission lässt sich anhand ihrer vollständig edierten Protokolle nachvollziehen.2287 Zu beachten ist dabei, dass Sonnenfels hier nicht nur in eigenem Interesse, 2282 Vgl. Adler: Gesetzgebung, S. 128f. u. Osterloh: Reformbewegung, S. 186. 2283 Zit. nach Wagner: Kodex, S. 110f. 2284 Die Annahme findet sich allein bei Adler: Gesetzgebung, S. 131. 2285 Vgl. Harrasowsky: Codifikation, S. 162–167 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 187f. 2286 Adler: Gesetzgebung, S. 143. 2287 Vgl. Ofner: Entwurf; Für Kurzdarstellungen von Sonnenfels’ Wirken vgl. Ogris: Rechtsreformer, S. 86–94. u. Hofmeister, Herbert: Die Rolle Zeillers bei den Beratungen zum ABGB, in: Selb, Walter u. Hofmeister, Herbert (Hg.): Forschungsband Franz von Zeiller (1751–1828). Beiträge zur Gesetzgebungs- und Wissenschaftsgeschichte, Wien, Graz u. Köln 1980, S. 107–126, hier S. 112–120.

442

Der Staatsreformer Sonnenfels

sondern gewissermaßen als Abgesandter der Hofkanzlei fungierte.2288 In jener Behörde wurden in gemeinsamer Sitzung aller Hofräte die Paragraphen des von Zeiller überarbeiteten Entwurfes besprochen und kommentiert. Sonnenfels trug dann die Meinung der höchsten Verwaltungsbehörde in der Hofkommission in Gesetzessachen vor, in der er zugleich auch als eigenständiges Mitglied mit separaten Voten und Meinungen tätig war. Neben den Beratungsergebnissen der Hofkanzlei wurden auch die Erfahrungen der Länderstellen einbezogen, wobei vor allem aus Galizien zahlreiche Anmerkungen an die Kommission gingen. Eine Betrachtung der Kommissionsprotokolle ergibt für die mehrjährigen Beratungen in insgesamt 174 Sitzungen ein durchaus ambivalentes Bild von Sonnenfels’ Beteiligung. Zu Beginn versuchte er, einige seiner früheren Anregungen trotz der Ablehnung durch Zeiller erneut verhandeln zu lassen und setzte sich mit Unterstützung des Präsidenten Rottenhan und des Vizepräsidenten von Haan auch durch.2289 So wurde nun in §16 ausgeführt, dass einerseits zwar Freiheitsrechte in den Erblanden bestünden, solche aber Ausdruck der Gnade des Monarchen seien und von ihm auch wieder entzogen werden könnten. Im weiteren Verlauf beschränkte sich Sonnenfels dann zunächst eher auf stilistische Aspekte. Auffallend ist, dass er besonders zu Beginn der Beratungen im Namen der Hofkanzlei das Wort in der Kommission ergreift und deren Ansichten nicht nur referiert, sondern beispielsweise im Falle der neuen Ehegesetze auch durchaus gegen Zeillers Erwiderung verteidigt und versucht eine Mehrheit dafür zu gewinnen.2290 Sonnenfels vertritt dabei eher restriktive Ansichten und fordert beispielsweise, eine verheimlichte Erbkrankheit als Grund zur Eheauflösung anzuerkennen und die Eheschließung schwer erblich Kranker generell zu verbieten. Dies sei rechtens, da die Einschränkung bereits durch die Natur der Krankheit begründet wäre und keine willkürliche Festlegung des Gesetzgebers sei. Zeiller widerspricht erfolgreich, da ein Eheverbot nur die Unzucht fördere. Auch Sonnenfels’ Vorschlag, Dienstboten und Handwerksgesellen wegen ihrer unsicheren materiellen Versorgung nur nach einer Vermögensprüfung mit Erlaubnisschein heiraten zu lassen, schwächte die Kommission auf Anraten Zeillers in ein Recht der Behörden ab, die Eheschließung bei Armut aufzuschieben. Anders war die Lage bei der Aufnahme von Abscheu erweckenden Krankheiten und schweren Gebrechen als Grund 2288 Besonders in den Beratungen zum ersten Teil des neuen Gesetzes wird dies durch mehrmalige Bezüge auf die Meinung der Hofkanzlei in seinen Aussagen deutlich. 2289 Protokoll vom 18. Jan. 1802, in: Ofner: Entwurf, S. 38. 2290 Protokolle vom 15. Feb. 1802, 22. Feb. 1802, 8. März 1802 und 15. März 1802, in: Ofner: Entwurf, S. 67–120. Vgl. auch das frühere Protokoll AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 102 Ratsprotokolle 1799–1801 Protokoll der Hofkommission vom 4. Nov. 1799.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

443

zur Auflösung der Ehe.2291 Zeiller war in diesem Fall dafür, da der Zweck der Ehe und das Wohlbefinden des gesunden Partners beeinträchtigt würden. Sonnenfels hingegen führte an, dass dadurch den Opfern eine weitere Grausamkeit zuteil würde. In der Debatte wurde ein Kompromiss erzielt, der verheimlichte Erkrankungen und Gebrechen, die vor der Eheschließung bestanden, als Auflösungsgrund anerkannte, nicht aber solche, die erst danach auftreten würden. Zeiller erwies sich hier, wie auch in den folgenden Beratungen, als dominierendes Mitglied der Kommission, fand Mehrheiten und überzeugte kritische Stimmen wie Sonnenfels und den Vizepräsidenten Haan, Kompromisse einzugehen. Sonnenfels selbst ist im ersten Jahr in fast jedem Protokoll mit Wortmeldungen präsent, auch wenn sie meist nur Details und den Stil betreffen. Erfolgreich, oft in Verbindung mit seinem früheren Kommilitonen Haan, spricht er gegen ein Züchtigungsrecht für Väter, gegen die Eintragung unehelicher Väter in Taufregister und für das Recht der Väter, die Interessen ihrer minderjährigen Kinder zu vertreten.2292 Mit dem Wechsel des Beratungsgegenstandes vom Personen- zum Sachenrecht ab dem 21. März 1803 nimmt die Zahl und Länge seiner Beiträge merklich ab. Er fehlt im Hochsommer bei mehreren Sitzungen und unterstützt eher die Ansichten anderer, wie die des Vizepräsidenten Haan.2293 Seine Anmerkungen beschränken sich mehr und mehr auf stilistische Details und die Wahl einzelner Worte.2294 Stärkere Präsenz zeigt er erst wieder im Jahr 1806, als Fragen des Vertragsrechts besprochen werden.2295 Besonders die Aufhebung jedweder Benachteiligung von Ehefrauen und ihr Schutz beispielsweise gegen Nötigung bei Bürgschaften gegenüber ihrem Gatten werden auf seinen Antrag hin ins Gesetz aufgenommen. Danach nehmen Aktivität und auch Präsenz des über siebzigjährigen Sonnenfels wieder merklich ab, bis Zeiller nach Abschluss der ersten Beratungen einen überarbeiteten Entwurf erstellte, der vom 4. Mai 1807 an besprochen wurde.2296 Die diesbezüglichen Debatten wurden von Zeiller souverän bestritten, dem es gelang, seinen Entwurf weitgehend bestätigen zu lassen. Selbst die Vorschläge für Ergänzungen stammen meist von ihm. In dieser Phase der Beratungen tat sich außer ihm lediglich das neu hinzuge2291 Protokoll vom 22. Feb. 1802, in: Ofner: Entwurf, S. 77–101. 2292 Vgl. Protokolle vom 31. Mai 1802, S. 147; vom 14. Juni 1802, S. 161f. u. vom 9. Aug. 1802, in: Ofner: Entwurf, S. 197. 2293 Vgl. Protokoll vom 9. Mai 1803, S. 253f. u. vom 16. Mai, in: Ofner: Entwurf, S. 263. 2294 Protokoll vom 27. Februar 1804, in: Ofner: Entwurf, S. 376. 2295 Vgl. Protokolle vom: 28. April 1806, S. 165; 2. Juni 1806, S. 193 u. 7. Juli 1806, S. 215, alle in: Ofner: Entwurf Bd. II. 2296 Ebd., S. 299.

444

Der Staatsreformer Sonnenfels

tretene Mitglied Hofrat Carl Joseph von Pratobevera (1769–1835) – ein ehemaliger Schüler sowohl von Sonnenfels als auch von Zeiller – durch die Zahl seiner Beiträge und Änderungsvorschläge hervor. Am 7. November 1807 und am 14. Januar 1808 legte Sonnenfels im Alter von vierundsiebzig Jahren der Kommission seine letzten ausführlichen Separatvoten vor.2297 Darin ging es um die Rechte eines Autors gegenüber seinem Verleger und die Uneinheitlichkeit der Maße in der Monarchie. Im ersten Fall versuchte er, die Kommission zu überzeugen, dass ein Autor auch dann das Recht haben sollte, eine veränderte Auflage seines Werkes bei einem neuen Verleger herauszugeben, wenn die erste noch nicht vollständig verkauft war. Bisher musste der Autor in einem solchen Fall alle verbliebenen Werke zum Ladenpreis übernehmen. Dies sei aber für Wissenschaft und Literatur überaus hinderlich, zumal ständig neue Erkenntnisse berücksichtigt werden müssten. Sonnenfels verweist auf seine Schrift über Kriminalurteile, bei der eine mehrjährige Debatte eine Überarbeitung und Neuauflage notwendig gemacht habe. Die Kommission folgte seinen Vorschlägen jedoch nicht, sondern einigte sich darauf, in solch einem Fall vom Verfasser eine angemessene, nicht näher bestimmte Entschädigung für seinen Verleger zu fordern. Dafür erhielten Autoren aber das prinzipielle Recht, selbst über neue Ausgaben ihrer Werke zu entscheiden. Sonnenfels’ Anmerkungen zur notwendigen Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten wurden hingegen nicht diskutiert, sondern lediglich als Denkanstoß für weitere Überlegungen aufgefasst. Fünf Tage später wurde der Entwurf an den Kaiser gesandt.2298 Es folgten noch Beratungen zu dem Patent, mit dem das Gesetz verkündet werden sollte und eine letzte sogenannte Superrevision durch einen Ausschuss der Kommission, dem Sonnenfels nicht angehörte. Das Verfahren verzögerte sich ein letztes Mal durch den Tod Rottenhans 1809 und endete schließlich, als Franz I. das Gesetz am 24. Juni 1811 im Rahmen einer besonderen Zeremonie von der Kommission überreicht bekam und verkünden ließ. Es fällt auf, dass, wie der Titel nahelegt, alle Aspekte des öffentlichen Rechtes vom neuen Gesetzbuch ausgeschlossen waren.2299 Dies ist sowohl Zeiller, der die Rechtsgebiete trennen wollte, um der Verwaltung Einfluss auf die Gesetzgebung zu verwehren, als auch Sonnenfels zuzuschreiben, der während der Bearbeitung bereits mit der Abfassung eines eigenstän2297 Ebd., S. 420–422 u. S. 459f. 2298 Harrasowsky: Codifikation, S. 163. 2299 Vgl. Adler: Gesetzgebung, S. 85f. u. S. 140 u. Eichler, Hermann: Zivilgesetzbücher im deutschsprachigen Rechtskreis 1811–1911: Rechtssystematische und rechtsdogmatische Grundlegung (Europäische Hochschulschriften, Reihe 2 Rechtswissenschaft Bd. 1836), Bern, New York, Paris u. Wien 1991, S. 12f.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

445

digen von den Verwaltungsbehörden erstellten politischem Kodex begonnen hatte. Zum Verhältnis des alten Hofrates Sonnenfels zu den übrigen Mitgliedern der Behörde sei zunächst angemerkt, dass sein Schüler Keeß die Kommission aus gesundheitlichen Gründen nach Ende der Strafrechtsberatungen verlassen hatte. Daher befand sich Zeiller nun in einer merklich günstigeren Position und konnte leichter Mehrheiten unter den Mitgliedern finden. Die anderen Räte stimmten je nach Sachlage Mal für und Mal gegen Sonnenfels’ Änderungsanträge. Eine Ausnahme stellte dabei Haan dar, der gemeinsam mit Sonnenfels unter Martini studiert hatte und häufig die von seinem ehemaligen Kommilitonen geäußerte Meinung durch sein Votum unterstützte. Präsident Rottenhan hingegen verfasste zwar positive Berichte über Sonnenfels’ Arbeit, verhielt sich in den Debatten aber eher passiv und griff nur selten ein.2300 Zur Erklärung von Sonnenfels’ relativ häufiger Abwesenheit und schwächerem Engagement ist zunächst auf die ab 1801 parallel begonnen Arbeiten am politischen Kodex zu verweisen. Sie stellten für ihn als Referenten eine erhebliche Arbeitsbelastung dar.2301 Dies wurde durch sein hohes Alter umso schwerwiegender, da er Schwierigkeiten beim Lesen und wegen zitternder Hand beim Schreiben längerer Texte hatte, wie aus seinen Anträgen auf die Anstellung von Assistenten hervorgeht.2302 Die beiden Assistenten namens Bartsch und Dorfner waren Schüler von Sonnenfels, die nach mehrjährigen unbezahlten Praktika nun als gering besoldete Schreiber in seinem Büro und für die Hofkommission in Gesetzessachen arbeiteten.2303 Sonnenfels bat darum, sie von ihren bisherigen Aufgaben zu entbinden und ihnen Rang und Besoldung von Hofkonzipisten zu gewähren, damit sie ihm bei der Arbeit am politischen Kodex helfen könnten. Der gealterte Hofrat schien dementsprechend seine Arbeitskraft und Zeit aus der Kommission zu verlagern, in der andere Personen eine führende Stellung einnahmen. Er konzentrierte sich stattdessen auf sein ehrgeizigstes Projekt, für dessen Verwirklichung er sich bereits seit mehreren Jahrzehnten immer wieder eingesetzt hatte.

2300 Vgl. für einen Bericht HHStA Staatsratsprot. 987 ex 1797 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 187. 2301 Vgl. HHStA Staatsratsprot. 3793 u. 4045 ex 1801; Osterloh: Reformbewegung, S. 188f. u. Ogris: Rechtsreformer, S. 48. 2302 Vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 10, Note Graf Clarys vom 22. Sept. 1800; ebd. Note Graf Clarys. o.D. u. ebd. Note Graf Clarys vom 14. April 1800 u. hier zitiert: ebd., Note Graf Clarys o.D., Fol. 3v. (eigene Folierung). 2303 HHStA Staatsratsprot. 1692 ex 1797.

446

Der Staatsreformer Sonnenfels

7.6.4 Der politische Kodex: Sonnenfels’ unvollendetes Lebenswerk Ich finde für das beßte […] mit Beiziehung des Hofraths Joseph von Sonnenfels eine eigene Kommission zusammenzusetzen, welche alle bestehenden Generalien, und Normalien […] nach den Materien zu sammeln, daraus ein Ganzes zu formen mit Klarheit, und Bestimmtheit zu zergliedern, die Widersprüche zu beseitigen, und überhaupt ein solches Werk zu liefern hat, dass den Behörden die Entscheidung in einzelnen besonderen Fällen erleichtert, und die vielfältigen Anfragen, und Erläuterungen ganz unnöthig gemacht werden.2304 Dieser Befehl Kaiser Franz’ II. vom 8. Mai 1801 ist in dreifacher Hinsicht bedeutsam für Sonnenfels’ Einfluss auf die Kodifikation in der Habsburgermonarchie. Zum einen wird nun als drittes und letztes Projekt die Sammlung der politischen Gesetze begonnen, zum anderen wird darauf verwiesen, dass es Ziel sei, ein Ganzes zu formen, also mehr als nur eine bloße Sammlung durchzuführen, und zum dritten wird ausdrücklich Sonnenfels für diese Aufgabe berufen. Seine in dem kaiserlichen Befehl angedeutete Stellung resultiert aus der Vorgeschichte dieses Kodifikationsprojekts. Durch langjähriges Engagement war er die erste Wahl des Monarchen, obwohl in der Hofkommission in Gesetzessachen zeitgleich Franz von Zeiller eine Führungsrolle bei den Kodifikationsarbeiten inne hatte.2305 Außerdem besaß er als ehemaliger Professor der politischen Wissenschaften den Ruf eines Experten für Fragen der staatlichen Organisation und Verwaltung. Die politischen Gesetze waren erstmals zu Beginn der Kodifikationsarbeiten 1753 als eigenständige Materie erkannt worden, woraufhin aber bis 1768 keine Maßname zu ihrer Bearbeitung erfolgte.2306 Sonnenfels schrieb zu deren Definition, ihr Inhalt sei von einem beinah unübersehbaren Umfange und begreift Vorschriften und Anstalten der inneren Staatsverwaltung wodurch die allgemeine Wohlfahrt gegründet, wodurch selbe erhalten wird; worüber sodann zu wachen der vollstreckenden Gewalt von Amts wegen obliegt.2307 Es handelte sich also um Gegenstände, die im Mittelpunkt seiner universitären Lehre standen.

2304 Hofkanzlei III A 3 Kart. 310 Gesetzgebungs-Hofkommission – 1809 Konv. 8. May 1801, Fol. 109. Kaiserliche Entschließung vom 3. May 1801 vgl. HHStA Staatsratsprot. 3793 u. 4045 ex 1801. 2305 Vgl. grundlegend: Adler: Gesetzgebung, S. 86–105 u. S. 133–135; Osterloh: Reformbewegung, S. 204–229 u. Wagner: Kodex, S. 24–66 u. S. 72–87. 2306 Vgl. Adler: Gesetzgebung, S. 86–88 u. Wagner: Kodex, S. 24. 2307 Wagner: Kodex, S. 474 im Bericht von 1813. Vgl. auch Osterloh: Reformbewegung, S. 224 zu früheren ähnlichen Aussagen Sonnenfels’.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

447

Die Tatsache, dass das öffentliche Recht von den durchgeführten Gesetzgebungsverfahren der Constitutio Criminalis Theresiana und des Codex Theresianus völlig ausgeschlossen wurde, weist auf die von vornherein geplante eigenständige Bearbeitung hin. Maria Theresia befahl dementsprechend bereits 1768 in einem Schreiben an Kaunitz, eine Sammlung der Verwaltungsvorschriften der verschiedenen Länder durchzuführen. Dabei sollte beachtet werden, welche Gesetze allgemeine Gültigkeit besäßen und welche lediglich landesspezifisch seien.2308 Das Projekt erwies sich allerdings aufgrund der erheblichen Unterschiede zwischen den Erblanden als sehr aufwendig.2309 Zum Ergebnis merkte Sonnenfels an, dass es sich auf eine bloße mechanische Sammlung beschränkte. Die ganze Frucht einer durch 12 Jahre fortgesetzten Arbeit war ein förmliches Gehäufe von Bänden, das sich bei der Wahl und Zusammenstellung der Verordnungen auch nicht durch das geringste Verdienst auszeichnete.2310 Das Projekt wurde nicht abgeschlossen. Im Jahr 1780 wandte sich Sonnenfels angesichts der noch immer bestehenden Lücke in der Gesetzgebung mit mehreren Memoranden an Maria Theresia, in denen er die Notwendigkeit eines politischen Kodex unterstrich und seinen Willen bekräftigte, ihn zu verfassen.2311 Er interpretierte den theresianischen Befehl dahingehend, dass nicht nur eine einfache Sammlung, sondern vielmehr ein allgemeiner Kodex der Verordnungen zur Staatsverwaltung angefertigt werden solle. Jener würde an den Grundsätzen der Staatsführung orientiert sein, die sich ihm in seinen Jahren als Lehrer der Politischen Wissenschaften erschlossen hätten; er sollte ein Systematisches, […], dem Lokal und der besonderen Verfassung jedes Landes angeschicktes Werk seyn; das ohne sich kleinfügig zu besonderen einzelnen Fällen zu erniedrigen, dennoch keinen Fall unentschieden lässt, weil es die allgemeinen Grundsätze enthält, welche die Entscheidung aller Fälle unter allen Umständen leiten können.2312 2308 Der Brief ist zit. bei: Wagner: Kodex, S. 26f.; Adler: Gesetzgebung, S. 90 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 205. 2309 Adler: Gesetzgebung, S. 89. 2310 HHStA Kaiser-Franz Akten Kart. 146, Fol. 131r.–147v. Allerunterthänigstes Promemoria Über die die Wiederherstellung der politischen Kompilation, von Sonnenfels. 2311 Insgesamt werden vier Eingaben genannt, vgl. Ogris: Rechtsreformer, S. 48f. Zwei von ihnen sind überliefert, aber fälschlich auf das Jahr 1790 datiert und daher der Korrespondenz Leopold II. zugeordnet. HHStA Familienkorrespondenz A Kart. 26, Fol. 38r.– 41v. u. Fol. 44r.–46v. Zur Korrektur der Datierung: Sonnenfels gibt im ersten Schreiben an, seit 17 Jahren seine Professur zu bekleiden (von 1763 bis 1780) und wendet sich im zweiten Schreiben an die Monarchin. Außerdem fehlen in beiden Eingaben Bezüge auf Arbeiten unter Joseph II. oder auf die Zustimmung Maria Theresias zu seinen Vorschlägen, obwohl die Vorgeschichte der Kodifikation thematisiert wird. Der Erkenntnisstand des Schreibers entspricht dem der Jahre 1779/ 1780. 2312 Ebd., Fol. 44r. u. Fol. 46v. Sonnenfels’ zweites Memorandum.

448

Der Staatsreformer Sonnenfels

Hierfür wäre eine allgemeine Systematik notwendig, die er aus dem vorhandenen Material ableiten könne, um sie als Grundlage für die Arbeit einer eigenständigen Hofkommission zu verwenden. In späteren Memoranden an ihre Nachfolger betont Sonnenfels die angeblich positive Reaktion Maria Theresias, über die aber keine anderen Akten vorliegen.2313 Noch unter ihrer Herrschaft entwarf er eine erste Systematik und Übersicht über die zu sammelnden Gegenstände.2314 Staatskanzler Kaunitz beurteilte dies am 20. April 1781: Ich finde den von dem Hofrath v. Sonnenfels eingereichten Plan vortrefflich verfasst, und wäre ihm also nach solchem die ganze Ausarbeitung aufzutragen.2315 Josephs II. entschloss daraufhin: Resolutio: es ist dem Sonnenfels nach seinem Plan die ganze Ausarbeitung aufzutragen.2316 Eine neue Hofkommission in politischen Gesetzessachen wurde aufgestellt und sollte unter Sonnenfels’ Referat zunächst mit der Sammlung beginnen.2317 Im Staatsrat reagierte Karl Friedrich Anton von Hatzfeld (1718–1793) mit genereller Kritik auf dessen Berufung, da ihm die Geschäftskenntnis und seinen Schriften nach zu urteilen auch die erforderliche Bescheidenheit mangle, seiner auf Kosten der Verständlichkeit oft allzu zierlichen Schreibart nicht zu gedenken.2318 Der Kaiser blieb aber vorerst bei seiner Entscheidung, da Kaunitz sich für den Referenten verwendete. Im Laufe des Jahres 1781 wurde jedoch Kritik an der langsamen Arbeitsweise der Kommission laut, woraufhin Joseph II. einen Bericht von Sonnenfels forderte.2319 Jener antwortete am 8. November 1782, dass die Beratungen noch mehr als vier Jahre benötigen würden, woraufhin der Kaiser befahl: Das wichtigste, was man von dieser Sammlung zu erwarten hat oder wünschen kann, ist, dass die Gubernia, Kreißämter und Dominien in eher je besser nur eine Art Register bekommen, in welchem die zu verbleiben habende Patente und Befehle zum Nachschlagen in allen politischen Fällen sich versammelt finden.2320 2313 Vgl. das Promemoria von 1790 u. Wagner: Kodex, Anhang Nr. 1. 2314 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 206 u. Adler: Gesetzgebung, S. 93. 2315 Vgl. Wagner: Kodex, S. 33. 2316 HHStA Staatsratsprot. 1003, 1277, 1627 u. 2673 ex 1781. 2317 Osterloh: Reformbewegung, S. 206. Den Vorsitz übernahm der in anderen Kontexten nicht in Erscheinung getretene Graf Auersperg, vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 124. 2318 Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 125f. u. Wagner: Kodex, S. 33. 2319 Adler: Gesetzgebung, S. 94f. 2320 Vgl. HHStA Staatsratsprot. 1642 ex 782 Vortrag der b.ö. Kanzley vom 18. May 1782: die Auskunft, wie weit der Hofrath v. Sonnenfels mit ihm aufgetragenen Auszug der politischen Anordnungen gekommen seye, betr. Vgl. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 126. Zu Josephs Befehl vgl. HHStA Staatsratsprot. 3638 ex 1728 Vortrag der b.ö. Kanzley vom 8 Nov. 1782 mit Resolution vom 16. Nov.; vgl. Adler: Gesetzgebung, S.  98; Osterloh: Reformbewegung, S. 208. Ogris: Rechtsreformer, S. 49 gibt an, dass die Arbeit bis 1787 weitergeführt wurde, vgl. HHStA Staatsratsprot. 1808 ex. 1781 u. Wagner: Kodex, S. 41.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

449

Damit waren Sonnenfels’ Bestrebungen zu einer Sammlung und Neufassung des öffentlichen Rechtes vorerst unterbunden worden. Joseph II. schien allein an der praktischen Wirkung und nicht an der möglichen Bedeutung einer verfassungsähnlichen Gesetzgebung generell interessiert zu sein, die Sonnenfels gegenüber Maria Theresia so sehr betont hatte.2321 Die Kommission erstellte nun das Register in mehreren Bänden, aber das Werk blieb unvollständig und als unveröffentlichtes Arbeitsmaterial allein den Behörden vorbehalten. Sonnenfels erwarb aber im Verlauf der Regierungszeit Joseph II. weiterführende Erfahrungen im Verwaltungsrecht.2322 Er sammelte und ordnete 1785 die Vorschriften zur Verwaltung der galizischen Kreisämter, die dadurch an die übrigen Gebiete der Monarchie angeglichen werden sollten.2323 Seine Erfahrung mit der praktischen Wirksamkeit politischer Gesetze betonte er ein Jahr später bei der erneuten Vorlage seines Projektes von 1780. Während der gemeinsamen Beratungen von Vertretern der Hofkanzlei und der Kompilationshofkommission über das josephinische Strafgesetz im Jahr 1786 überzeugte er die Mehrheit der Anwesenden, unter ihnen auch den Hofrat von Keeß, für eine vollständige Kodifikation der politischen Gesetze durch ihn selbst zu stimmen.2324 Diese vom ursprünglichen Auftrag der Kommissionssitzung abweichende Stellungnahme hatte aber keine Auswirkungen. Gründe dafür waren die Ablehnung des Projektes durch den Monarchen und durch die Mehrheit der Hofkanzleibeamten, die zum einen das bisherige Verwaltungsrecht nicht ändern wollten und zum anderen über die Verbindung mit aktuellen Debatten über Verfassungsgebung in Europa besorgt waren. Sonnenfels’ Vorhaben hätte ihrer Ansicht nach eine Einschränkung der Kompetenzen sowohl der Stände und Länder, als auch des Monarchen bedeutet, da er deren Macht an unveränderliche Paragraphen binden wollte. Nach diesem gescheiterten Versuch hielt Sonnenfels sich angesichts der von Joseph II. gesetzten Richtlinien bis zum Regierungsantritt Leopolds II. zurück. Bereits bei früheren Kontakten zum Thronfolger hatte der Hofrat sich bemüht, ihn für sein Projekt zu interessieren.2325 Sein Vorschlag war allerdings von Leopold II. abgelehnt worden, wobei zur Begründung über Rang und Charakter des Antragsstellers notiert wurde: Der genannte Hofrat ist nun 2321 HHStA Familienkorrespondenz A Kart. 26, Fol. 38r.–41v. u. Fol. 44r.–46v. 2322 Vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 289 u. Hock/Bidermann: Staatsrat, S. 129. 2323 HHStA Staatsratsprot. 2008 ex 1786, Sonnenfels, Hofrath Plan zur besseren Einrichtung der Registraturen. Zur Umsetzung vgl. HHStA Staatsratsprot. 690 ex 1787 u. 3032 ex 1788. 2324 HHStA Nachlass Keeß Kart. 6. 2325 Erstmals im Jahr 1784, Wagner: Kodex, S. 44.

450

Der Staatsreformer Sonnenfels

aber von wenig Ansehen und ist allein angestellt, um alle Gesetze und Verordnungen, die erlassen werden, in gutes Deutsch zu übertragen.2326 Darüber hinaus tendiere er dazu, große Projekte vorzuschlagen, die er nicht umsetzen könne.2327 Sonnenfels schrieb angesichts seiner vergeblichen Eingabe keine weiteren Anfragen, bis Leopold II. den Thron bestieg. Erst danach brachte er seine Idee in einem beinah vierzig Seiten umfassenden Promemoria am 7. April 1790 erneut zur Sprache, nicht ohne dabei seine bisherigen Verdienste auf diesem Gebiet und für den Staat im allgemeinen ausführlich hervorzuheben.2328 Bereits zu Anfang des Dokumentes verweist Sonnenfels darauf, das er weit mehr plante, als nur eine bloße Gesetzessammlung: Ohne Staatsverfassung kann eine rechtmäßige Regierung nicht einmal gedacht werden, weil der Mangel einer Verfassung der willkürlichen Gewalt zu viel einräumt: und bei willkürlicher Gewalt ist keine Regierung, es ist Anarchie.2329 Nach dem Scheitern der als überaus weise geschilderten Ansätze Maria Theresias sei nun die Zeit für einen vollständigen politischen Kodex gekommen, um dadurch wenigstens den Grund zu einer Staatsverfassung zu legen.2330 Sonnenfels sprach sich damit ein Jahr vor der polnischen und französischen Verfassung für die schrittweise Erstellung eines eigenen Staatsgrundgesetzes für die Habsburgermonarchie aus, das vom Monarchen selbst erlassen werden sollte.2331 Eine Staatsverfassung für die habsburgischen Länder würde ihm zufolge die Monarchie für kommende Generationen stabilisieren, Behördenwillkür und Machtmissbrauch verhindern und so das Volk von der Wohltätigkeit der höchsten Gesetzgebung überzeugen. Wichtig ist für ihn dabei, dass mit solch einer Verfassung keine Schwächung des Monarchen oder eine Herausforderung seiner Souveränität verbunden war.2332 Im Gegenteil sollte die Monarchie in ihrer bestehenden Form durch Rechtssicherheit erhalten und stabilisiert werden, um Radikalisierungen wie in Frankreich zu verhindern.2333 2326 Ebd. 2327 Ebd., S. 42f. 2328 Wagner: Kodex, Anhang Nr. 1 u. zur Erörterung: ebd., S. 44–53. Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 208–210 u. Ogris: Rechtsreformer, S. 49. 2329 Wagner: Kodex, Anhang, Nr. 1. 2330 Ebd. 2331 Vgl. Heindl: Rebellen, S. 86. Einen Grund dafür, dies gerade jetzt vorzuschlagen, stellten sicherlich die von Leopold II. als Großherzog der Toskana angeregten Debatten über eine Verfassung für das Großherzogtum dar. 2332 Vgl. Reinalter: Gesellschaftstheoretiker, S. 145 u. 155. u. Wangermann: Trials, S. 36. 2333 Hierbei sprach sich Sonnenfels dafür aus, allen Ständen die Möglichkeit einzuräumen, den Gesetzgeber auf Landtagen über ihre Lage zu informieren, vgl. Wagner: Kodex, S. 76–86. Die Ständeversammlungen waren für Sonnenfels allerdings kein Element politischer Partizipation, sondern lediglich eine Art Forum, das vom Herrscher und den Zentralbehörden abhängig bleiben sollte. Vgl. Wangermann: Trials, S. 89 u. 119.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

451

Der Kaiser reagierte zunächst nicht auf das Schreiben und ließ es mit dem Vermerk é stravagante ablegen.2334 Er bot Sonnenfels allerdings kurz darauf, wie dargelegt, vergeblich das Referat zur Umsetzung der Studienreformen Martinis an.2335 Auf dessen Verzicht folgte dann der ebenfalls bereits erläuterte kaiserliche Befehl, die Polizeiverfasssung der Hauptstadt zu überarbeiten.2336 So konnte Sonnenfels nicht nur sein Konzept der Wohlfahrtspolizei gegen das System Pergens verteidigen, sondern zugleich auch seine Fähigkeit für Gesetzgebungsprojekte beweisen. Im Februar 1791 befahl der Kaiser dem Kanzler Graf Kolowrat die erneute Einberufung einer Hofkommission in politischen Gesetzessachen und betonte, dass Sonnenfels das Referat erhalten sollte.2337 Die neuformierte Kommission trat daraufhin am 26. März zu ihrer Gründungssitzung zusammen, in der Sonnenfels seine Ansichten darstellte und eine Überarbeitung des Plans vorlegte, den er bereits unter Maria Theresia erstellt hatte.2338 Demnach sollten weite Teile des geplanten Kodex in Einteilung und Gewichtung exakt dem Aufbau seiner Lehrbücher folgen. Hierbei betonte er, dass er keineswegs die Ausarbeitung einer vollständigen Verfassung, sondern zunächst lediglich eine überarbeitete Sammlung des Verwaltungsrechts plane. Diese sei allerdings die Grundlage für eine spätere Verfassung. Die neue Kommission stimmte seinem Entwurf zu und leitete ihn an die Zentralbehörden weiter. Die Reaktion war allerdings überwiegend negativ. Von Seiten der Hofkanzlei war am 26. März 1791 ein eigener Antrag zur Erstellung eines politischen Kodex eingegangen, bei dessen Redaktion zwar Sonnenfels das Referat führen, aber der gesamten Hofkanzlei gegenüber verantwortlich sein sollte.2339 Die Idee, ihn und sein Konzept einzubinden und damit zu kontrollieren, äußerten auch Mitglieder des Staatsrates: denn obwohlen ich die Geschicklichkeit des v. Sonnenfels nicht Misskenne, so steht er doch in dem allgemeinen Ruf, er sey von den zur Mode gewordenen übertriebenen philosophischen Grundsätzen zu sehr eingenommen. Ja, ich läugne es nicht, dass 2334 Wagner: Kodex, S. 54. Zur Übersetzung: ist weitschweifig/wunderlich/extravagant. 2335 Vgl. Kap. 4.1.5. 2336 Vgl. VA 41 Konv. Alt 62 309–482, Fol. 356r.–362v. Nota von Hofrath Sonnenfels an S.M. dem 22 Julius 1790 überreicht über welche er sogleich eine Entscheidung haben wollte, die seinen Charakter und seine Denkungsart entwickelt. Siehe auch Kap. 7.3. 2337 Vgl. Wagner: Kodex, S. 54f.; Osterloh: Reformbewegung, S. 210 u. Ogris: Rechtsreformer, S. 50. 2338 Vgl. Wagner: Kodex, S. 55–62. Seine Ausführungen waren zum Teil wörtlich aus den Eingaben an Maria Theresia übernommen. 2339 Vgl. Wagner: Kodex, S. 60; Osterloh: Reformbewegung, S. 214 u. Adler: Gesetzgebung, S. 101f.

452

Der Staatsreformer Sonnenfels

mir die Lesung einiger seiner Schriften diesen Argwohn auch beygebracht hat. Es ist also höchst nothwendig, dass seine Anträge von mehreren Männern verschiedener Denkungsart geprüft werden, ehe sie für den Thron gelangen.2340 Diese Einschätzung des Staatsrates Hatzfeld, in der er indirekt auf die Gefahren der Verfassungsdebatten vor dem Hintergrund der revolutionären Bewegungen verwies, fand diesmal auch die Zustimmung Kaunitz’ und des Erzherzogs Franz.2341 Leopold II. ordnete daraufhin an, dass die Hofkanzlei künftig alle Beratungen und Ergebnisse der Kommission prüfen solle. Er verstarb aber, bevor eine Verfahrensweise etabliert werden konnte. Da keine weiteren Hinweise auf Ergebnisse der Kodifikationsarbeit vorliegen, ist anzunehmen, dass das Projekt mit Regierungsbeginn Franz’ II. vorerst eingestellt wurde.2342 Dies galt auch für Sonnenfels’ Arbeit an der Reform der politischen Gesetzgebung in Einzelfällen, der er bis zum Herrscherwechsel nachging. Er hatte für die Hofkanzlei Ausarbeitungen über den Lebensmittelhandel und das Marktwesen angefertigt und regte erfolgreich die Aufhebung von staatlicher Kontrolle des Getreidehandels an.2343 Seine Konzepte überzeugten Leopold II., der ihn beauftragte, neben der Polizeiverfassung auch die Grundsätze einer Marktordnung für Niederösterreich auszuarbeiten, die dann ab dem 9. August 1791 durch die Zentralbehörden beraten wurde.2344 Kern seines Konzeptes war eine Balance zwischen dem Schutz der Erzeuger vor Preisschwankungen am Markt und der Sicherung der Versorgung der Bevölkerung zu günstigen Preisen. Mit dem Tode Leopolds II. kam dies Projekt aber zu einem verfrühten Ende. Gleiches galt für Sonnenfels’ Arbeit an einer neuen Gewerbeverfassung, die er 1791 auf einen kaiserlichen Befehl hin begann.2345 Er reichte im folgenden Jahr ein Konzept ein, in dem er die Notwendigkeit eines freien Marktes von Angebot und Nachfrage betonte.2346 Die Behörden hätten die Aufgabe dieses Gleichgewicht zu überwachen und dabei zwischen Gewerben zu unterscheiden, bei denen eine Balance von selbst ent2340 Wagner: Kodex, S. 62f. 2341 Ebd., S. 64; Ogris: Rechtsreformer, S. 50 u. Adler: Gesetzgebung, S. 104 f. Die Genannten bezogen sich auf den von Sonnenfels verwendeten Terminus Menschenrechte und setzte die Umformulierung in Rechte des Bürgers durch. 2342 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 214 u. Wagner: Kodex, S. 65. 2343 Osterloh: Reformbewegung, S. 196 u. Pribram, Karl: Geschichte der österreichischen Gewerbepolitik 1740–1860, Bd. 1 1740–1798, Leipzig 1907, S. 490–494. 2344 Pribram: Gewerbepolitik, S. 503ff. u. Osterloh: Reformbewegung, S. 197f. verweisen darauf, dass Sonnenfels nicht namentlich erwähnt wird, die vorgeschlagenen Grundsätze aber wortwörtlich mit dessen Ausarbeitungen übereinstimmen. 2345 Ebd., S. 201. 2346 Der Entwurf ist überliefert: AVA Hofkanzlei IV F N Ö. in gen. Kart. 652, Nr. 495 aus März 1792.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

453

stünde und solchen, bei denen reguliert werden müsse, weil die Ausübenden keine besonderen Qualifikationen oder Talente benötigen würden. Sonnenfels’ Vorschläge wurden genehmigt und zur Beratung an die Länderstellen gesandt.2347 Bevor jedoch eine Entscheidung gefällt wurde, kam dieses Projekt ebenso wie der politische Kodex durch den Tod Leopolds II. zum Erliegen. Sonnenfels’ ehrgeiziges Großprojekt wurde erst wieder nach der Einberufung der vereinigten Hofkommission in Gesetzessachen 1797 von deren Präsidenten Cavriani thematisiert.2348 Der Graf befürwortete in seinen Ausführungen einen Antrag Sonnenfels’ vom 13. Mai 1797 auf Bewilligung zweier Assistenten und Freistellung von der übrigen Kommissionsarbeit. Sonnenfels erhielt trotz dieser Fürsprache zwar die gewünschten Mitarbeiter zugeteilt, musste aber, wie dargelegt, weiterhin an den Beratungen zum bürgerlichen Gesetzbuch teilnehmen.2349 Da die Arbeiten am politischen Kodex unter diesen Umständen kaum vorangingen, wurde er im Jahr 1800 mehrmals bei dem neuen Kommissionspräsidenten Clary vorstellig.2350 Er bat um eine finanzielle Ermunterung für seine Mitarbeiter und sich selbst, um das Projekt voranzutreiben und betonte dabei sein fortgeschrittenes Alter und die Notwendigkeit seiner raschen Freistellung für die Arbeit am Kodex. Nach dem Tode Clarys im folgenden Jahr erging die zu Beginn des Kapitels zitierte Resolution. Sie belegt, dass Franz II. nun willens war, das Projekt der politischen Kodifikation durch Sonnenfels in einer eigenen Kommission unter dem Staatsrat Friedrich von Eger durchführen zu lassen.2351 Die neue Kommission tagte aber lediglich vom 19. November 1801 bis zum 22. August 1802, als sie nach dem Tode Egers aufgelöst wurde.2352 Daraufhin kam eine weitere Kommission, diesmal unter Vorsitz des Staatsrats Baldacci zusammen, in der noch immer Sonnenfels das Referat in den Händen

2347 Osterloh: Reformbewegung, S. 204 u. Pribram: Gewerbepolitik, S. 551. Vgl. auch die Anmerkungen der Hofkammer: Rathssitzung vom 23. März 1792, Fol. 7r. u. Fol. 7v. AVA IV F N Ö. in gen. Kart. 652, Nr. 495 aus März 1792. 2348 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 10. Eingabe Sonnenfels’ vom 13. Mai 1797; vgl. Wagner: Kodex, S. 116f. u. Adler: Gesetzgebung, S. 132f. 2349 HHStA Staatsratsprot. 1692 ex 1797 u. 1006 ex 1801. 2350 Vgl. AVA Hofkanzlei III A3, Kart. 310 Memoria vom 4. Juni, Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 8, S. 303–310; Eingabe vom 4. Juli 1800, vgl. ebd., S. 117–124; AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 10 Nota an Graf Clary vom 14. April 1800 u. Nachricht von Sonnenfels am 8. April 1800; vgl. die jeweiligen Zweitschriften in Protokollen: AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 310 Gesetzgebungs-Hofkommission – 1809 Konv. 4. Juni 1800 u. Konv. 17. Nov. 1801. 2351 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 215–218 u. Adler: Gesetzgebung, S. 135. 2352 Wagner: Kodex, S. 124–127.

454

Der Staatsreformer Sonnenfels

hielt.2353 Auch hier fand er Zustimmung für seine Konzepte, verwies aber darauf, dass zunächst eine Sammlung der Verwaltungsvorschriften durchgeführt werden müsse, bevor man sie ordnen könne.2354 Diese Sammlung zog sich angesichts mangelnden Personals, geringer Kooperationsbereitschaft der Zentralbehörden, welche die Einsendung des Materials verzögerten, und schließlich auch wegen der französischen Invasion bis in das Jahr 1808 hin.2355 Während dieser Zeit verzichtete Sonnenfels immer mehr auf die Teilnahme an den Beratungen der Hofkommission in Gesetzessachen.2356 Es bleibt unklar, ob die neue Aufgabe seine Zeit ausfüllte, ob er angesichts seines fortgeschrittenen Alters sein Arbeitspensum verringern wollte oder ob seine geringen Gestaltungsspielräume angesichts von Zeillers Einfluss ihn von dort fernhielten. Während der Zeit des Wartens und Sammelns blieb Sonnenfels aber nicht untätig, sondern arbeitete teilweise gemeinsam mit anderen Räten der Kommission Rechtsgutachten aus oder übernahm die Textierung und Verbesserung neuer Polizeigesetze.2357 Seine erste diesbezügliche Aufgabe bearbeitete er noch allein. Kaiser Franz II. beauftragte ihn, einen Entwurf für ein System einer Sammlung aller Lebensmittelverordnungen der Hauptstadt zu verfassen, wobei Doppelungen und Widersprüche zu streichen seien.2358 Ein aktueller Anlass für diesen Auftrag ist nicht überliefert, doch schien angesichts knapper Ressourcen in Kriegszeiten der Lebensmittelversorgung besondere Aufmerksamkeit zu gelten. Sonnenfels besaß für diese Aufgabe über seine Erfahrung als Stilist und Mitglied der Gesetzgebungskommissionen hinaus noch zusätzliche Qualifikationen. Erstens hatte er in seiner Funktion als niederösterreichischer Regierungsrat an Beratungen über Lebensmittelfragen teilgenommen und zweitens hatte er bereits unter Leopold II. Verordnungen für den Lebensmittelhandel erstellt.2359 Noch im Jahr 1806 beendete er die befohlene Ausarbeitung und reichte sie ein, ohne dass darauf aber jemals eine Resolution oder eine weitere Beratung erfolgte.2360 2353 Ebd., S. 127–138. 2354 Vortrag Baldaccis vom 1. Sept. 1802, Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 9. 2355 Vortrag Baldaccis vom 19. März 1803, Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 10; vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 218. 2356 Adler: Gesetzgebung, S 137. 2357 Vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 102 Ratsprotokolle 1799–1801. 2358 AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 10, Note Graf Rottenhans an Franz II. Über Sonnenfels vom 7. May 1806. 2359 Osterloh: Reformbewegung, S. 195. 2360 Sonnenfels legte eine Eingabe bei, in welcher er darum bat, seinen Entwurf bei Erörterungen verteidigen zu dürfen: AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 310 Gesetzgebungs-Hofkommission – 1809 Konv. 30. Jänner 1806; vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 199f.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

455

Als nächstes und wesentlich umfangreicheres Projekt wurde von Sonnenfels eine neue Dienstbotenordnung für die Stadt Wien mit Konsultation der Obersten Justizstelle und der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei bis zum 12. Juli 1808 ausgearbeitet.2361 Die Tatsache, dass diese Verordnung, die in Wien die Beschäftigung von ca. 35.000 Menschen regelte, beinah sein alleiniges Werk war, wird durch mehrere Hinweise deutlich. Zum einen bittet er erfolgreich um eine Sonderzulage von 1.000fl. für die Erstellung des Entwurfes und zum anderen bewahrte er alle relevanten Akten in seinem Sommersitz in Hietzing auf, so dass andere Kommissionsteilnehmer keinen Zugang hatten.2362 Die fertige Gesindeordnung wurde auch an die Länderstellen zur Prüfung übersandt, trat aber zunächst lediglich in Wien in Kraft, wo sie bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wirksam blieb.2363 Seine detaillierten Kenntnisse nutzte Sonnenfels schließlich, um eine mehrfach aufgelegte Erläuterung der neuen Verordnung zu publizieren.2364 Die ruhenden Arbeiten am politischen Kodex wurden hingegen erst wieder Gegenstand kaiserlicher Aufmerksamkeit, nachdem die Beratungen zum bürgerlichen Recht abgeschlossen waren. Staatsrat Baldacci, der 1808 den Stillstand der Arbeiten vermerken musste, wurde durch Graf Rottenhan ersetzt und das Personal der Kommission mit weiteren Mitgliedern ­ver­stärkt.2365 Jene kamen, wie der in dieser Kommission passive Franz von Zeiller, teilweise aus der Hofkommission in Gesetzessachen. Sonnenfels kommentierte den Wechsel des Präsidiums und drückte dabei seine Erwartung aus: Bey einer Berathschlagung, wo Graf von Rottenhan den Vorsitz führt, wird die Routine sich nicht ermessen wissenschaftlichen Kenntnissen das Stimmrecht anzustreiten.2366 Er hoffte also nun, mit seiner Expertise 2361 Siehe zu den Beratungen: AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 310 Gesetzgebungs-Hofkommission – 1809, Konvolute: 22. März 1806; 1807 Dienstbotenordnung; 12. Juli 1807; 17. Juli 1807; 2. Aug. 1807; Dez. 1807; 8. März 1808; 20. Okt. 1808; 12. Juli 1808; 24. Aug. 1808 u. die Beratungsprotokolle in AVA Hofkanzlei IV M 8 Kart. 1370; kurz: Osterloh: Reformbewegung, S. 219 u. Wagner: Kodex, S. 135. 2362 Zum Bonus vgl. AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 310 Gesetzgebungs-Hofkommission – 1809 Konv. 12. Juli 1808. Für eine Eingabe Sonnenfels’ zur Aufbewahrung der Akten in Hietzing, siehe ebd., Konv. 17. Juli 1807. 2363 Vgl. AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 310 Gesetzgebungs-Hofkommission – 1809 Konv. 1809 Kaiserliches Dekret an alle Länderstellen. 2364 Sonnenfels, Joseph von: Bemerkungen über die für die Hauptstadt Wien und den Umkreis derselben innerhalb der Linien erlassene neue Gesindeordnung, Wien 1810, hier S. III. 2365 Zur Arbeit der HK ab der Berufung Rottenhans vgl. Kopetzky: Sonnenfels, S. 358–360 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 219f. 2366 AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 310 Gesetzgebungs-Hofkommission – 1809 Konv. Dezember 1808 Eingabe Sonnenfels vom 4. Dezember 1808.

456

Der Staatsreformer Sonnenfels

gegenüber Zeillers Erfahrungen als Jurist auftrumpfen zu können. Seine positive Haltung gegenüber Rottenhan, mit dem er zahlreiche gemeinsame Erfahrungen bei der Reform der Bildungspolitik und den vorhergehenden Gesetzgebungsprojekten gesammelt hatte, beruhte auf Gegenseitigkeit. Bereits in seinem ersten Vortrag schlug Rottenhan erfolgreich vor, ihn zum Vicepräsidenten der Kommission zu ernennen und den Plan für den Kodex überarbeiten zu lassen.2367 Er sagte: dass das Vicepräsidium nicht wohl in besseren Händen seyn kann, als wenn es […] dem Schöpfer der in einer sistematischen Theorie zuerst von ihm aufgestellten Staatswissenschaft anvertraut wird.2368 Sonnenfels hatte somit, wie diese Aussage und auch die beschriebene Praxis der Kommissionsarbeit zeigte, durch Rottenhans Hilfe die Möglichkeit, eine führende Stellung einzunehmen. Diese Tendenz wurde durch die Auswahl zweier leitender Referenten, Franz von Egger und Martin Norbert Kopetz, für das neue Projekt bekräftigt, die beide ehemalige Schüler von Sonnenfels und nun Professoren seiner Fächer waren. Egger war der von Sonnenfels 1791 gewünschte Nachfolger für seine eigene Professur gewesen und Kopetz hatte bereits einen zustimmenden Kommentar zu seinen Lehrbüchern verfasst.2369 In einer ausführlichen Denkschrift und einem Plan, der weitgehend mit seinen früheren Vorlagen identisch ist, betont Sonnenfels vor diesem ihm geneigten Gremium einmal mehr die große Bedeutung der politischen Gesetzgebung auch als Grundlage einer Staatsverfassung und die Bedeutung seiner eigenen Lehrsätze für deren Bearbeitung.2370 Die Situation schien günstig für eine Umsetzung seiner Pläne, bis Graf Rottenhan verstarb, noch bevor die Kommission zu ihrer ersten regulären Sitzung zusammentrat. Sonnenfels führte daraufhin im Beisein des obersten Kanzlers Graf Alois von Ugarte (1749–1817) bis zur Ernennung des neuen Präsidenten Graf Johann Rudolph Chotek (1748–1824) selbst die Kommis-

2367 Vortrag Rottenhans vom 29. März 1808, Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 15. Vgl. ebd., S. 143; Osterloh: Reformbewegung, S. 220f. Zur kaiserlichen Bestätigung vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 101 Konv. Gesetzgebungs-Hofkommission Index und Protokoll 1808–1818. Brief von Franz II. an Rottenhan o.D., unf.; vgl. HHStA Staatsratsprot. 1182 ex 1808. 2368 Ebd., Fol. 5 v. u. Wagner: Kodex, S. 143. Vgl. für weitere Komplimente an Sonnenfels: ebd., S. 115f. 2369 Osterloh: Reformbewegung, S. 221 u. S. 259; vgl. Kopetz, Martin Norbert Adolf: Leitfaden zu dem sonnenfelsischen Lehrbuche der politischen Wissenschaften, nach der neusten Auflage derselben, zum Gebrauch von Studirenden herausgegeben, Prag 1787. 2370 AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 310 Konv. 4. Dez. 1808, Fol. 1r.–44v. Beytrag zu der Beratschlagung über den Plan des politischen Kodex, Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 16. Vgl. ebd., S. 157 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 220 u. S. 222–225.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

457

sion und sagte über den Verstorbenen:2371 in welchem ich einen Beschützer – warum sollte ich meinem Herzen eine Benennung versagen, womit er mich solange so oft beehrte, in welchem ich einen liebevollen Freund verloren habe.2372 Der oberste Kanzler Ugarte nutzte die Gelegenheit, das Wort an den geschäftsführenden Vizepräsidenten zu richten und betonte als einer von mehreren ehemaligen Schülern Sonnenfels’ in der Kommission mit Vergnügen die Gelegenheit diesem Ihrem Ehemaligen Lehrer, dem Sie Ihre wissenschaftliche Bildung größtentheils zu verdanken hätten, vor einer so geehrten Versammlung Ihren wärmsten Dank an den Tag legen zu können.2373 Dies ist ein Hinweis darauf, dass einige seiner Studenten inzwischen hohe Positionen in der Monarchie bekleideten und zum Teil positiv von ihm und seinen Grundsätzen eingenommen waren. Er selbst bezog sich darauf, um die Bedeutung seiner Lehrsätze als Grundlage für die Gesetzgebung zu betonen.2374 Hinweise dafür, dass er zum neuen Präsidenten Graf Chotek eine ähnliche Verbindung wie zu Rottenhan besaß, liegen nicht vor. Dennoch unterstütze Chotek die bereits eingereichten Pläne und stimmte gemeinsam mit dem Rest der Kommission zu, die Sitzungen mangels eigener Büroräume in der Stadtwohnung des Vizepräsidenten am alten Fleischmarkt abzuhalten.2375 Sonnenfels erhielt dafür eine finanzielle Entschädigung und befand sich nun in der Position eines Gastgebers gegenüber den anderen Räten.2376 Seine besondere Position in dieser Kommission wurde dadurch noch untermauert, dass er die Akten bei sich zu Hause behalten durfte, wie im Jahr 1810 deutlich wurde, als die Kommission Boten zu seinem Sommersitz bei Hietzing schicken musste, um Dokumente abzuholen.2377 Schon bald zeigte sich, dass Rottenhan bei der Einrichtung der Kommission aufgrund der allgemeinen Konzentration auf die redaktionelle Arbeit 2371 Wagner: Kodex, S. 166f. Der kaiserliche Befehl dazu: AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 101 Konv. Gesetzgebungs-Hofkommission Index und Protokoll 1808–1818, Brief Franz II. an Graf Ugarte März 1809 o.D., unf. 2372 AVA Hofkanzlei III A 3, Kart. 310 Konv. Feb. 1809, Fol. 1r.–7v. Protokoll der Rathssitzung der Normalien-Hofkommission vom 28. Feb. 1809, bei: Wagner: Kodex, Anhang Nr. 20, spez. Fol. 4v.–5r. 2373 Ebd., Fol. 4r. 2374 Osterloh: Reformbewegung, S. 225. 2375 Wagner: Kodex, S. 168. Vgl. AVA Hofkanzlei III A 3, Kart. 310 Konv. Dez. 1809, Fol. 13r.– 18r. – Vortrag Choteks vom 25. März 1809, Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 21. 2376 Vgl. AVA Hofkanzlei III A3 Kart. 311a Konv. 3. Mai 1810, Fol. 236r. Die Entschädigung bestand aus einer Heizkostenpauschale und der Besoldung für einen Rathstürhalter und einen Hausknecht, insg. 300 fl. 2377 Vgl. AVA Hofkanzlei III A3 Kart. 311a Konv. 15. May 1810, Fol. 156r. Kommissionsinterne Nachricht vom 15. Mai 1810.

458

Der Staatsreformer Sonnenfels

nicht berücksichtigt hatte, dass die Sammlung der Verwaltungsvorschriften erst zu einem kleinen Teil abgeschlossen war.2378 Einerseits war von den Landesstellen eine immense Zahl von Akten, Verwaltungsnotizen und gedruckten Verordnungen eingesendet worden und musste nun geordnet werden; andererseits verzögerten die Hofkanzlei und die Hofkammer noch immer die Einreichung ihres Materials und weigerten sich, der Kommission Schreiber zur Bewältigung der Aktenberge zu überstellen. Die Anzahl der jeweils mehrseitigen Aktenstücke, die allein bei der Hofkanzlei zu sichten seien, wurde von einem Mitglied der Kommission auf circa 1,4 Millionen beziffert.2379 Von diesen müssten vermutlich etwa zehn Prozent tatsächlich abgeschrieben und revidiert werden. Es wurde errechnet, dass die Behörde die Sammlung in bisheriger Weise niemals beenden könne, da während der Bearbeitungsdauer immer wieder Neuerscheinungen bei allen Stellen erfolgen würden.2380 Sonnenfels’ Konzepte konnten unter diesen Umständen nicht umgesetzt werden. Mehrere seiner und Choteks Vorträge verweisen in den folgenden Jahren auf dieses Dilemma und folgerten daraus die Notwendigkeit von mehr Personal.2381 Erst die mit Sonnenfels’ Zustimmung durchgeführte Beschränkung auf Register und publizierte Verordnungen brachte eine Entspannung der Lage.2382 Die Kommissionsberichte aus den Jahren 1812 und 1813 melden daher Fortschritte bei der Sammlung und betonen wiederholt die Bedeutung des Projekts und dessen Nutzen für die allgemeine Wohlfahrt der Monarchie.2383 Der Kaiser zeigte dennoch zunehmende Ungeduld und befahl mehrfach, Auskunft über den Beginn der eigentlichen Redaktionsarbeiten zu erteilen und deren Abschluss zu beschleunigen.2384 Sonnenfels erhielt dazu 2378 Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 221. 2379 Eingabe Paschingers vom 15. Aug. 1810, Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 26 vgl. S. 174. 2380 Vgl. Eingaben Paschingers vom 15. Aug. 1810, Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang. Nr. 26 u. Eingabe Mesmers vom 25. Aug. 1810, Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 27. 2381 Vortrag Choteks und Sonnenfels’ vom 12. Nov. 1810, Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 29. Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 227. 2382 Wagner: Kodex, S. 183f. u. Vortrag Choteks vom 8. Mai 1811, Ndr. ebd., Anhang Nr. 30. Siehe auch Vortrag Sonnenfels’ vom 12. Aug. 1811, Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 31, Fol. 680v. 2383 AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 312 Konv. Juli 1812, Fol. 175r.–179r. Bericht Choteks und Sonnenfels vom 1. Juni 1812, Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 32 u. AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 312 Konv. Juli 1812, Fol. 238r.–242r. Vortrag Sonnenfels’ vom 28. Nov. 1812 u. Ebd., Kart. 313a Konv. 1815, Fol. 33r.–46r. Bemerkungen Sonnenfels’ vom 27. Feb. 1813, Ndr. bei: Wagner: Kodex, Anhang Nr. 34. 2384 HHStA Staastratsprot. 1975 ex 1812 Vortrag des Präsidiums der Hofkommission in poli-

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

459

eine besondere Gehaltszulage, welche seine regulären Bezüge auf 7.500fl. erhöhte.2385 Am 29. September 1813 wurde der Abschluss der Sammlungsarbeiten gemeldet.2386 Mit der Weiterleitung dieser Meldung wurde auch erneut auf die Entwürfe Sonnenfels’ für die Redaktion eingegangen und deren baldige Genehmigung erbeten, da die Arbeit sonst zunächst ruhen würde. Die Antwort des Kaisers folgte aber erst im Juli 1815 nach Ende des Wiener Kongress’.2387 In Anbetracht der verstrichenen Zeit forderte er einen neuen Plan zur Organisation und merkte an, dass Sie mit dem geringsten Personal- und Geldaufwande den Zweck in der möglichst kürzesten Zeit, und in der möglichsten Vollkommenheit zu erreichen trachten sollen verstehet sich von selbst.2388 Darüber hinaus ernannte der Kaiser einen neuen Vorsitzenden. Der bisherige Leiter der Steuerregulierungshofkommission, Christian Graf Wurmser, wurde am 19. April 1816 mit dieser Aufgabe betraut und sollte zunächst ein Gutachten über die Redaktionsarbeit anfertigen.2389 Noch bevor dessen Bericht vollständig war, verstarb Joseph von Sonnenfels, die treibende Kraft des Großprojektes, am 25. April 1817.2390 Wie sehr die Erstellung eines politischen Kodex’ als dritte Säule der Gesetzgebung neben dem Strafrecht und dem bürgerlichen Recht mit seiner Person verbunden war, zeigt der weitere Verlauf der Arbeiten. Präsident Wurmser betonte in einer Eingabe, dass die Sammlung und Registrierung der bestehenden Gesetze Vorrang vor einer Reform oder der Verfassung

tischen Gesetzessachen vom 1ten Juny 1812 – Über den Fortgang der Gesetzessammlung zur Redaction des politischen Codex. Vgl. Osterloh: Reformbewegung, S. 230 u. Wagner: Kodex, S. 179, S. 184 u. S. 187f. 2385 AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 312 Konv. 4. Mai 1813, Fol 395r.–398v. Kaiserliches Dekret vom 4. Mai 1813, speziell Fol. 396r. Vgl. auch die kurze Bestätigung in einer Note des Grafen Ugarte an Kommissionspräsident Chotek gleichen Datums ebd., Fol. 400r. 2386 AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 313a Konv. 1815, Fol. 2r.–6v., Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 37. Vgl. ebd., S. 194. und AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 313a Konv. 1815, Fol. 8r.–10r. Ndr. bei: Wagner: Kodex, Anhang Nr. 38. 2387 AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 313a Konv. 1815, Fol. 31r.–32r. Ndr. bei: Wagner: Kodex, Anhang Nr. 29; vgl. ebd. S. 199 sowie Osterloh: Reformbewegung, S. 231f. 2388 Vgl. AVA Oberste Justiz – Hofkommissionen Kart. 101 Konv. Gesetzgebungs-Hofkommission Index und Protokoll 1808–1818. Kaiserliches Handschreiben aus Paris vom 24. Juli 1815, unf. Zur Weiterleitung der Befehle vgl. HHStA Staatsratsprot. 822 u. 813 ex 1815 sowie 3173 u. 2681 ex 1816. 2389 Vgl. HHStA Staatsratsprot. 7316 ex 1815 u. AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 313a Konv. 1815, Fol. 31r.–32r. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 39; vgl. ebd., S. 199–202 u. Hof- und Staatsschematismus von 1816, S. 234. 2390 Zum Eintrag in das Sterberegister der Pfarrei St. Stephan vgl. Lindner: Sonnenfels, S. 199–202 u. Osterloh: Reformbewegung, S. 231f.

460

Der Staatsreformer Sonnenfels

eines Kodex besitzen sollte.2391 Der Kaiser befahl daraufhin eine gemeinsame Beratung der Kommission und der Hofkanzlei über die zukünftigen Arbeiten und vor allem über ihre Zielsetzung.2392 Er wartete allerdings deren Ergebnis nicht ab, sondern löste die Kommission bereits am 6. Februar 1818 auf und befahl den jeweiligen Hofstellen, die Sammlung der Verordnungen selbst durchzuführen.2393 Auch die Mitglieder der Kommission sprachen sich in ihrer letzten Sitzung, die am 17. Februar 1818 stattfand, für eine Aufgabe des Projektes und den Übergang zu einer bloßen Sammlung der Materialien aus.2394 Sie gaben an, das Vorhaben sei von vornherein zu weitschweifend und ehrgeizig angesichts der gegebenen Mittel gewesen und könne nicht in absehbarer Zeit verwirklicht werden. Somit stimmten sie einer Einstellung des Projektes einstimmig zu. Das rasche Ende des politischen Kodex zeigt, wie sehr dieses Projekt mit Sonnenfels verbunden war. Von der Regierungszeit Maria Theresias bis über den Wiener Kongress hinaus setzte er sich mit zahlreichen Eingaben, Denkschriften und seiner Tätigkeit in verschiedenen Kommissionen dafür ein. Es gelang ihm, vier Monarchen von seinen Konzepten zu überzeugen, wodurch er trotz aller Wechsel in den Präsidien über ganze Beamtengenerationen hinweg der bestimmende Faktor der Kodifikationsbewegung blieb. Dabei veränderte sich seine Rolle in der Debatte. War seine Berufung zur Zeit Josephs II. noch umstritten und Gegenstand der Kritik gewesen, so war er für Franz II. die erste Wahl zur Umsetzung seiner Idee. Die Realisierung scheiterte aber unter Joseph II., wie auch unter Franz II. vornehmlich an der Praxis. Die Menge des Materials und die Tatsache, dass Sonnenfels kein Konzept zur Sammlung desselben besaß, ließen den politischen Kodex mehr als Wunschdenken denn als erreichbares Ziel erscheinen. Der Hofrat erwies sich hier in der Sprache seiner Kommissionsberichte als ein Architekt, dessen Entwurf ausgezeichnet worden war, der aber nicht daran gedacht hatte, Baumaterial für die Realisierung beschaffen zu müssen.2395 Neben dieser organisatorischen Schwäche trug auch der Widerstand der Hofkanzlei und der Hofkammer gegen die Eingriffe der externen Hofkommission in ihre Verwaltungsordnung dazu bei, das Verfahren über die Lebenszeit seines zentralen Befürworters und Bearbeiters hinaus zu verzögern. Obwohl Sonnenfels unter Franz II. eine herausragende Stellung in den 2391 Osterloh: Reformbewegung, S. 223. 2392 HHStA Staatsratsprot. 258 ex 1817; vgl. Wagner: Kodex, S. 205. 2393 HHStA Staatsratsprot. 10.226 ex 1817; vgl. Wagner: Kodex, S. 207 u. Adler: Gesetzgebung, S. 145. 2394 AVA Hofkanzlei III A 3 Kart. 314 Konv. 25. Feb. 1818, Protokoll vom 17. Feb. 1818, Fol. 5r.–24r. Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 41. 2395 Vgl. zur Begrifflichkeit die Eingabe Baldaccis, Ndr. bei Wagner: Kodex, Anhang Nr. 10.

Die Kodifikation des Rechts – Reform durch ­Gesetzessammlung

461

Hofkommissionen einnahm, konnte er die genannten Mängel nicht beheben. Auch seine gute Verbindung zu den Präsidenten, vor allem zu Rottenhan, änderten dies nicht. Zur Begründung dafür, dass sein Projekt entgegen allen Hemnissen für einen derart langen Zeitraum Teil der politischen Agenda blieb, ist sicherlich auf seine fachliche Autorität zu verweisen, die er durch jahrzehntelange Arbeit an der Idee eines politischen Kodex, auf dem Gebiet der politischen Wissenschaften und der Polizeigesetzgebung erworben hatte. Niemand in der Kommission zweifelte die Expertise und Erfahrung des über siebzigjährigen Hofrates an, der wie kein anderer die mit der Aufklärung verbundene Reformtradition der Monarchie verkörperte.2396 So war er am Ende seines Lebens schließlich als Vizepräsident der Hofkommission, als Präses der Akademie der bildenden Künste und Senior der philosophischen Fakultät in Positionen angelangt, in denen er sich nicht mehr auf Interaktionen und Netzwerkhandeln stützen musste. Er erhielt in seinen letzten Lebensjahren für sein Werk Auszeichnungen und Anerkennung aus dem In- und Ausland, wie das Kommandeurkreuz des Stephansordens, den dänischen Danebrog- und den preußischen Adlerorden oder die ehrenhafte Aufnahme in Akademien der Wissenschaften.2397 Diese große Welle später Anerkennung trug dazu bei, seinen mühsam erarbeiteten und manchmal umstrittenen Ruf als zentrale Figur der österreichischen Aufklärung zu festigen und bot seinen frühen Biographen Anlass, ihn zum Mythos zu erhöhen. All dies half jedoch nicht zur Vollendung seines umfangreichsten und ehrgeizigsten Projekts, dem er sich bis zu seinem Tode gewidmet hatte.

2396 Vgl. Adler: Gesetzgebung, S. 145. 2397 HHStA Staatsratsprot. 823 u. 1322 ex 1813, sowie 3975 u. 6763 ex 1815.

8. F azit Vergegenwärtigt man sich alle Untersuchungsschritte, so lassen sich deren Ergebnisse drei Bereichen zuordnen. Erstens wurde der Kenntnisstand über Sonnenfels’ Lebenslauf erweitert; zweitens konnten durch die vergleichende Betrachtung seiner sozialen Beziehungen Schlussfolgerungen über deren Entstehung und Wirkungsweise gezogen werden und drittens führte die Untersuchung seines Einflusses auf die Staatsreformen in der Habsburgermonarchie zwischen 1763 und 1817 zu neuen Erkenntnissen darüber, wie diese Reformen geplant und umgesetzt wurden. Der Lebenslauf Sonnenfels’ kann in Hinblick auf die Entwicklung seiner sozialen Beziehungen vereinfachend in vier Phasen zusammengefasst werden. Von seiner Jugend an bis in das Jahr 1763, in dem seine Berufung zum Professor für Polizey- und Kameralwissenschaft erfolgte, war er auf der Suche nach einem eigenen Platz im Leben. Sein Ziel war eine feste Anstellung, die seinen Unterhalt und die Gründung eines eigenen Hausstandes sichern konnte. Hierbei stützte er sich zunächst auf die Beziehung zu seinem Vater und dessen Stellung als hebräischer Gelehrter und Dolmetscher, während er sich langsam eigene soziale Kontakte und Wirkungsbereiche wie die Deutsche Gesellschaft zu Wien erschloss. Schon hierbei fanden sein tiefes literarisches Interesse und seine Begeisterung für die deutsche Sprache Ausdruck, die er sich bis zu seinem Tode bewahren sollte. Zu seinen sozialen Beziehungen ist anzumerken, dass er von Kindesbeinen an überwiegend mit sozial höhergestellten Personen verbunden war, die wie sein Vater, die Familie Dietrichstein, der General Petrasch oder der Staatsrat von Borié, über bessere Verbindungen als er selbst verfügten und ihn sozusagen unter ihre Fittiche nahmen. Es waren diese Kontakte, welche schließlich seine Berufung zum Universitätslehrer ermöglichten, mit der 1763 der zweite Abschnitt seines Lebenslaufes begann. Ausgestattet mit einem regelmäßigen Gehalt gründete Sonnenfels nun eine eigene Familie und begann sich neben seiner Professur zahlreichen neuen Tätigkeitsfeldern zu widmen. An der Universität verzichtete er auf eine Einbindung in die bestehenden hierarchischen Strukturen und schuf sich stattdessen mit Hilfe eines Netzwerkes von Studenten, Absolventen und ihm untergeordneten Kollegen eine eigene Machtposition als Organisator und Förderer der politischen Wissenschaften. Gleichzeitig begann er eine Karriere als Schriftsteller, wodurch er nicht nur zusätzliche Einnahmen erhielt und seine literarischen Ambitionen pflegte, sondern auch im Stande war, Aspekte seiner universitären Reformlehre einem außeruni-

464

Fazit

versitären Publikum zu präsentieren. Aus dieser Wendung an das Lesepublikum resultierten Konflikte mit dem Erzbischof und den Zensurbehörden, die er aber mit Hilfe seiner Verbündeten meist für sich entscheiden konnte. Gleiches gilt für Auseinandersetzungen mit anderen Autoren, deren Arbeiten er direkt oder unter Nutzung eines Netzwerks von Rezensenten angriff. Seine sozialen Beziehungen, die durch die Aktivitäten seiner Frau Theresie gefördert wurden, nahmen an Zahl rasch zu und erwiesen sich in diesem Lebensabschnitt als stark genug, um die Folgen von Konflikten und Skandalen abzufedern. Seine verwobenen oder parallelen Engagements, die auf seiner Stellung als Professor und Autor basierten, erlaubten es ihm außerdem, sich auch ohne Aufforderung in diverse laufende Reformdebatten einzubringen. Er konnte daher entweder bestehende Diskurse, wie im Falle der Theaterreform, an sich reißen oder Reformdiskussionen über Regierungskreise hinaus von Beginn an prägen, wie im Falle der Strafrechtsreformen. Hierbei ist allerdings auf einen erheblichen Unterschied zwischen seiner herausragenden Stellung in den Debatten und seinem tatsächlichen, meist viel geringeren Einfluss auf die Reformen hinzuweisen. Dies änderte sich erst als 1769/73 mit Sonnenfels’ Ernennung zum Regierungsrat die dritte Phase seines Lebens begann. Seine Stellung in der niederösterreichischen Regierung ermöglichte ihm nun – zunächst auf dem Gebiet der Polizeigesetzgebung – die reguläre Mitarbeit an Reformprojekten. Seine Einbindung und fortschreitende Etablierung in der Staatsverwaltung ging einher mit einer Abnahme seiner Eigeninitiativen. Dafür bestand nun auch weniger Anlass, da viele seiner Reformkonzepte den Vorhaben des Mitregenten und späteren Kaisers Josephs II. entsprachen, wie das Beispiel der Bildungsreform zeigt. Die praktische Umsetzung wurde allerdings nicht ihm allein, sondern ranghöheren Beamten wie Gottfried van Swieten übertragen. In seinem neuen Wirkungsbereich, den Hofkommissionen, musste Sonnenfels sich daher mit diesen mächtigeren Persönlichkeiten arrangieren, um in Folge als ihr Partner an den Reformprojekten beteiligt zu werden. Hieraus entstanden für ihn letztendlich weit mehr Wirkungsmöglichkeiten, als durch publizistische Offensiven. Zeitgleich zu seiner immer umfangreicheren Arbeit in den Regierungsbehörden vollzog Sonnenfels einen doppelten Rückzug. Zum einen schrieb er selbst immer weniger und wurde vom Autor vorwiegend zum Redakteur und Förderer junger Talente, die seine Interessen in Debatten auch dann vertraten, wenn er sich selbst zurückhielt. Zum anderen gab er schrittweise die universitäre Lehre auf, ohne aber auf den Einfluss als Organisator und Interessenvertreter der politischen Wissenschaften zu verzichten, den sein Netzwerk ihm bot. Dies führte dazu, dass in dieser Phase zunehmend soziale Beziehungen überwogen, in denen er eine stärkere Position, teilweise sogar

Fazit

465

eine Führungsrolle, einnahm. Die Zahl seiner nachweisbaren Kontakte stagnierte jedoch in den siebziger Jahren und nahm nach 1785 sogar ab, obwohl die Überlieferung immer dichter wird. Dies liegt vermutlich daran, dass mit der Freimaurerei seine letzte große Initiative zum Erschließen eines neuen Wirkungskreises gescheitert war und er sich von da an überwiegend in gewohnten Bahnen bewegte. Die vierte Phase von Sonnenfels’ Lebenslauf begann mit seinem endgültigen Rücktritt von der Professur und dem Herrschaftsbeginn Franz’ II. Sie war wesentlich davon geprägt, dass er sich immer mehr auf seine Tätigkeiten in den zahlreichen Regierungskommissionen konzentrierte. Dabei gelang es ihm, erheblichen Einfluss zu nehmen. Ermöglicht wurde dies durch seine Verbindungen zu einflussreichen Persönlichkeiten wie Graf Rottenhan, durch seinen herausragenden akademischen Ruf und durch das Netzwerk der ehemaligen Studenten, die inzwischen in ranghohe Staatsämter aufgestiegen, beziehungsweise zu Kollegen geworden waren. Gerade letztere, wie Hofrat von Keeß, ermöglichten die Umsetzung der Konzepte ihres ehemaligen Lehrers. Die Verlegung von Sitzungen in seine Wohnung und die private Aufbewahrung relevanter Akten illustriert, dass Sonnenfels durch seine Seilschaften in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung in der Kommissionsarbeit innehatte. Daher war es ihm möglich, beispielsweise die Ausarbeitung des zweiten Teils des Strafgesetzes von 1803 ebenso zu prägen, wie die neue Wiener Gesindeordnung, die bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts Anwendung fand. Der erhebliche Arbeitsaufwand in den Kommissionen, über den er sich mehrmals beklagte, blieb aber nicht ohne Folgen für seine literarische Tätigkeit. Er zog sich noch weiter zurück und publizierte nun vornehmlich Arbeiten über die Reformprojekte und Konzepte, an deren Umsetzung er ohnehin beteiligt war oder zu deren Erörterung die Monarchen aufgefordert hatten. Seine sozialen Beziehungen nahmen in dieser Phase – wohl auch altersbedingt – an Zahl immer weiter ab. Todesfälle in seinem Bekanntenkreis häuften sich und führten dazu, dass schließlich einflussreiche Verbindungen fehlten, wie sie in früheren Phasen durch Kaunitz, Greiner oder Gottfried van Swieten bestanden hatten. Das ihm verbleibende, noch immer weitreichende Beziehungsgeflecht mobilisierte Sonnenfels in seinen letzten Lebensjahren meist nur noch wenn es darum ging, seine früheren und aktuellen Verdienste in das seiner Meinung nach rechte Licht zu rücken. Lediglich die Kontakte zu einigen Wiener Abend- und Ausflugsgesellschaften scheint er bis zu seinem Lebensende intensiv gepflegt zu haben, so dass hier am ehesten von seinem Freundeskreis gesprochen werden kann. Insgesamt bleibt anzumerken, dass sich alle Etappen seiner Karriere als Ergebnisse von Aushandlungsprozessen und Interaktionen zwischen ihm

466

Fazit

und seiner Umgebung herausstellten. Kein Schritt war selbstverständlich oder vorhersehbar, wie seine gescheiterten Vorhaben und die Krisen seiner sozialen Beziehungen belegen. Diesbezüglich zeigte sich die hier angewendete Methodik als eine Möglichkeit, um einerseits Kausalitäten aufzuzeigen, und andererseits, wie eingangs angedeutet, der Konstruktion einer einseitigen Lebens- und Erfolgsgeschichte Sonnenfels’ entgegenzuwirken. Stattdessen konnte vielmehr die Entwicklung verschiedener Sonnenfelsbilder beleuchtet werden, die eine alle vier Phasen verbindende Kontinuität darstellt: Zum einen erschufen er und seine Anhänger wie Joseph Retzer und Ignaz de Luca – teilweise bewusst, teilweise unbewusst – eine öffentliche Figur „Sonnenfels“, die im Laufe seiner Karriere zunehmend glorifiziert wurde. Dadurch provozierten sie zum anderen Gegenbewegungen durch Akteure wie Christian Klemm oder Alois Hoffmann, die versuchten, dieses Sonnenfelsbild durch Spott, Denunziation und Kritik zu untergraben. Mehrmals zeigten sich hierbei völlig unterschiedliche Interpretationen der Ereignisse und widersprüchliche Zuschreibungen von Leistungen, denn es wurde nicht nur um die Gestaltung der Staatsreformen gestritten, sondern auch um die eigene Stellung vor den Augen der zeitgenössischen Öffentlichkeit und der Nachwelt. Aus diesen Diskursen erwuchsen biographische Traditionen, bei denen sich, wie im Forschungsüberblick dargelegt, für längere Zeit eine verherrlichende Interpretation von Sonnenfels’ Wirken durchsetzte. Hierin findet eine eingangs dargelegte Grundproblematik der historischen Biographie Ausdruck: Die Konstruktion des historischen Individuums sowohl durch sich selbst, als auch durch seine Umwelt. Die hier angewandte Methode der Kontrastierung widersprüchlicher Beschreibungen vor dem Hintergrund des überlieferten Aktenmaterials, sowie der Erklärung ihrer Entstehung aus den sozialen Interaktionen des Individuums heraus, erwies sich als ein möglicher Weg, dieser Problematik zu begegnen. Bezüglich Sonnenfels’ sozialen Beziehungen selbst lässt sich Folgendes beobachten. Alle seine Wirkungsbereiche waren geschlossene soziale Systeme, zu denen er nur unter bestimmten Voraussetzungen oder durch Kontakt zu anderen Personen Zugang erhielt. Sie boten ihren Mitgliedern immer ein unterschiedliches Gestaltungs- und Mobilisierungspotential, so dass es in ihnen schwächere und mächtigere Akteure gab. Aus diesem Statusunterschied folgten in den meisten Fällen Konflikte, wie sich bei der Deutschen Gesellschaft, der Loge zur wahren Eintracht und auch im Kontext der Wiener Universität zeigte. Bemerkenswert ist, dass Sonnenfels sich nicht nur in einem oder zwei solcher Wirkungskreise durchsetzen musste, sondern stets vielfach engagiert war. Dies hatte drei Auswirkungen. Erstens besaß er durch seine Verbindungen die Möglichkeit, wie ein Makler Kontakte zu anderen sozialen Zirkeln oder zu einflussreichen Persönlichkeiten zu ver-

Fazit

467

mitteln, wodurch er seine jeweilige Stellung stärken konnte. Zweitens vermochte er so, Spannungen in einzelnen Netzwerken in anderen Bereichen auszugleichen. Entgegen diesen Vorzügen war er drittens jedoch nicht überall mit gleicher Intensität eingebunden. Er befand sich daher bei Konflikten um die Nutzung eines Netzwerkes gegenüber anderen Personen im Nachteil, die ihre Kontakte stärker konzentrierten, wie es beispielsweise Ignaz von Born im Umfeld der Freimaurerei tat. Generell aber verstand Sonnenfels es geschickt, in allen seinen Wirkungsbereichen schrittweise eine eigene Machtposition aufzubauen und sich von der Person unabhängig zu machen, die ihn gefördert und in den neuen Kreis eingeführt hatte. Die Tatsache, dass er stets gewissermaßen zweigleisig fuhr und sowohl gute Verbindungen zu einflussreichen Persönlichkeiten unterhielt, als auch selbst schwächere Akteure an sich band, begründete seinen langjährigen Erfolg. Die Betrachtung seiner Netzwerke zeigt ihn insgesamt als politischen Menschen im Wortsinn, also als ein Individuum, das in dem sozialen Gestaltungs- und Organisationsraum einer Stadt, in diesem Fall Wien, agiert und ihn prägt. Tatsächlich war es ihm möglich, zeitweise weite Teile der Bevölkerung zu erreichen und deren Lebenswirklichkeit im Zuge der habsburgischen Reformpolitik auf vielfache Weise – von der nächtlichen Straßenbeleuchtung über die Theaterkultur bis hin zur Polizeiordnung – zu verändern. Außerdem verstand er es durch seine Druckschriften, die neue lesende Öffentlichkeit für sich und seine Ziele zu mobilisieren, wobei er die Grenzen auslotete, die das monarchische Staatswesen zulassen konnte. Die Erweiterung des Blickwinkels auf Stellung und Handeln seiner Kontaktpersonen konnte auch das Verständnis von historischen Prozessen wie den Staatsreformen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts vertiefen. Diese Reformen erweisen sich als Aushandlungsprozesse, die sich in vom Monarchen gesetzten Leitlinien bewegten. Die Bedeutung dieser Leitlinien zeigt sich bereits in der Auswahl der Beamten für eine Hofkommission oder in dem befohlenen Beratungsweg, in dem ein Projekt geprüft und gestaltet werden soll. Hatte die Arbeit einmal begonnen, so kam dem Monarchen eine Rolle als Vermittler oder Schiedsrichter zu, der verschiedene Meinungsgruppen an seine Zielvorgaben band und schließlich aus den angebotenen Maßnahmen und Konzepten auswählte. Dabei konkurrierten Reformangebote, die auf drei Arten in den Diskurs eingebracht wurden. Erstens von miteinander rivalisierenden Hofkommissionen wie im Falle der Bildungspolitik; zweitens durch Separatvoten von Mitgliedern ein und derselben Hofkommission wie bei den Kodifikationsprojekten; drittens durch Initiativen formell unbeteiligter Beamter, wie Sonnenfels sie bei der Theater- oder Strafrechtsreform unternahm. Die Vertreter der unterschiedlichen Reformrichtungen

468

Fazit

bildeten dabei, wie sich anhand der Theater-, Bildungs- und Polizeireformen beobachten ließ, unter Umständen Netzwerke, um Einfluss auf die Entscheidung des Monarchen zu nehmen und die Stellung anderer Akteure zu schwächen. Die Untersuchung der unter Maria Theresia, Joseph II., Leopold II. und Franz II./I. durchgeführten Staatsreformen ermöglicht es, Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei der Entscheidungsfindung zu erkennen. Die Herrscher griffen mit ungleichem Nachdruck in Reformdebatten ein, wobei bereits bekannte Charakteristika der Regierungspraxis erneut deutlich wurden, wie die relativ häufige Konsultation ihrer Ratgeber durch Maria Theresia und die zentralistische Staatsführung Josephs II. Demgegenüber fallen jedoch drei Gemeinsamkeiten auf. Erstens agierte jeder der vier Monarchen in den Reformdebatten seiner Regierungszeit mit unterschiedlicher Intensität. So konnte gewissen Tendenzen zum Trotz ein detailorientiertes Eingreifen bei Maria Theresia ebenso beobachtet werden wie eine Rücksichtnahme auf Kommissionsbeschlüsse bei Joseph II. Für letzteres bietet der Umgang mit der Studienhofkommission unter van Swieten ein Beispiel. Diese bei allen Monarchen in spezifischen Fällen zu beobachtende Rücksicht verweist auf die zweite Gemeinsamkeit der Staatsreformen, nämlich ihre Bindung an ranghohe Beamte außerhalb des unmittelbaren Beraterkreises des Herrschers. Gerade das Beispiel Sonnenfels’ und seiner über vierzig Jahre dauernden Bemühungen zur Erstellung eines politischen Kodex verdeutlicht, dass sie nicht einfach den Willen der Herrscher ausführten, sondern selbst an Entscheidungen mitwirkten. Daher kommt der Tatsache besondere Bedeutung zu, dass ein Wechsel des Herrschers zwar personelle Veränderungen im unmittelbaren monarchischen Umfeld zur Folge haben konnte, die Arbeitsebene, auf der Sonnenfels sich bewegte, jedoch nur gering betroffen war. Er und seine Kollegen konnten so Reformkonzepte von der einen in die andere Regierung überführen. Dort bildeten ihre Ideen, wie angedeutet, eines von mehreren Elementen in den vom Nachfolger gelenkten Reformdebatten und mussten sich konkurrierenden Entwürfen und ihren Vertretern stellen. Dieser Gesichtspunkt verweist auf eine anhand von Quellen kaum erfassbare indirekte Bedeutung Sonnenfels’ für die Verwaltung und Reform der Habsburgermonarchie, da mehrere Beamtengenerationen von ihm und seinen Schülern nach seinen Grundsätzen ausgebildet wurden. Trotz der kontinuierlichen Bedeutung der Beamten besteht die letzte erkennbare Gemeinsamkeit der Staatsreformen in der alleinigen politischen Entscheidungsgewalt des Monarchen und in Einzelfällen seines unmittelbaren persönlichen Beraterkreises. Das Beispiel Sonnenfels’ zeigt, dass es selbst einem sehr vielfältig vernetzten und weit über sein Amt hinaus be-

Fazit

469

kanntem Beamten außerhalb der unmittelbaren Umgebung des Herrschers nicht gelang, neue allgemeine Konzepte für Reformen durchzusetzen, falls der Herrscher sie nicht prinzipiell unterstützte. Dies wurde beispielsweise bei der Reform der Polizeigesetzgebung deutlich, bei welcher Sonnenfels seine Pläne unter Maria Theresia und Leopold II. umsetzen konnte, unter Joseph II. und Franz II./I. aber scheiterte. Insgesamt blieb seine Einbindung in die Reformpolitik der Monarchen der detailbezogenen Arbeitsebene verbunden. Innerhalb von Hofkommissionen, in denen die Umsetzung der monarchischen Leitlinien vollzogen wurde, besaß er dabei gegenüber anderen Beamten einen bedeutenden Vorteil. Aufgrund seiner vielfachen sozialen Vernetzung und der Anerkennung, die ihm als Experte für die politischen Wissenschaften zukam, konnte er seine Ansichten auch gegen Widerstand durchsetzen, wie sich beispielsweise in den verschiedenen Kompilationskommissionen zeigte. Darüber hinaus ermög­ lichten seine Beziehungen und seinen Ruf als Stilist ihm sogar, Einfluss auf Details einiger Reformen zu nehmen, an denen er offiziell gar nicht beteiligt war, wie bei der Strafrechtsreform und der Toleranzgesetzgebung für die jüdische Bevölkerung erkennbar wurde. Trotz dieser beachtlichen Leistungen ist jedoch festzuhalten, dass Inszenierung und Wirklichkeit bei Sonnenfels’ Tätigkeit als Staatsreformer weit voneinander abweichen. Entgegen dem teilweise bewusst geschaffenen Mythos vom einsamen Reformer Sonnenfels war sein Einfluss stets abhängig vom Verhalten anderer Akteure und seiner Interaktion mit ihnen. Betrachtet man sein Leben als Ganzes sind diesbezüglich besonders diejenigen Förderer zu erwähnen, welche ihn wie Borié, Kaunitz und van Swieten in neue Wirkungskreise führten und ihn gegen Angriffe verteidigten. Doch obwohl Sonnenfels meist in Verbindung mit einflussreicheren Personen wirkte, kann er keineswegs als deren abhängige Exekutive gesehen werden. Seine Interaktion selbst mit weit mächtigeren Personen weist vielmehr auf eine wechselseitige Beeinflussung hin, die sich vor einem gemeinsamen theoretischen und wissenschaftlichen Hintergrund vollzog, den sie Aufklärung nannten. Seine eigenständige Stellung wird dadurch betont, dass er auch im Widerspruch zu seinen Förderern stehen konnte und mehrfach bereit war, ranghöhere Beamte herauszufordern und sich in gewissen Grenzen auch gegen die Monarchen zu stellen. Abschließend soll noch kurz auf Sonnenfels’ Grundsätze für die Reform von Staat und Gesellschaft verwiesen werden, die allen seinen Projekten zugrunde lagen. Er orientierte sich bei seinen Konzepten streng an den Gegebenheiten der Habsburgermonarchie und versuchte Radikalisierungen und Konflikte zu vermeiden, wie er sie im Vorfeld oder während der Französischen Revolution beobachten konnte. Sein Ziel war es, den gesamten

470

Fazit

Staat, inklusive des Monarchen als dessen höchste Institution und Inbegriff, durch die Kraft des Gesetzes auf das Wohl der Gemeinschaft zu verpflichten. Maßstab für die angestrebte Wohlfahrt war für ihn in das Wachstum der Bevölkerung. Um dies zu erreichen forderte er, durch polizeiliche Vorsorge, medizinische Versorgung und staatliche Erziehung, die größtmögliche Zufriedenheit der Einwohner in ihrem jeweiligen Stand zu gewährleisten. Die zu seiner Zeit andernorts in Frage gestellte Ständeordnung wollte er zum Wohl des Staates bewahren, wobei er stets mahnte, dass mit den Privilegien des Adels eine besondere Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft verbunden sei. Das Wohl aller Bürger sollte nach Sonnenfels’ Wunsch außerdem durch die Wahrung des Rechtes und den größtmöglichen Schutz vor Willkür gesichert werden. Den Institutionen des Staates gesteht er zum Erreichen seiner Ziele das Recht zu, auf vielfache Weise in das Leben der Bürger einzugreifen, es zu lenken und zu regulieren. Dieser Gesichtspunkt machte seine Grundsätze auch in der Zeit der franziszeischen Reaktion anwendbar und trug sicherlich zu ihrer langen Wirkung über den Wiener Kongress hinaus bei. Die hier präsentierten Ergebnisse laufen auf zwei pointierte Schlussfolgerungen hinaus: Erstens müssen mehrere Leistungen und Erfolge relativiert werden, die Sonnenfels von Zeitgenossen und frühen Biographen zugesprochen wurden. Dies gilt besonders für seinen mutmaßlichen Einfluss auf die Monarchen, deren Reformkonzepte er oftmals nur indirekt durch seine Stellung in literarischen Diskursen oder Interaktion mit anderen Beamten beeinflussen konnte. Zweitens zeigten sich im Gegenzug bisher unbekannte oder vernachlässigte Tätigkeitsfelder und Wege seiner Einflussnahme, die vornehmlich bei der konkreten Umsetzung von Reformkonzepten in Kommissionen erkennbar werden. Gerade hierbei wird deutlich, dass Sonnenfels weit mehr bewirkte, als bisher angenommen. Kurz gesagt war er über einen Zeitraum von fünfzig Jahren und in der Regierungszeit von vier Monarchen einer der bedeutendsten Universitätslehrer, Reformbeamten und Vermittler von Ideen seiner Zeit.

9. V erzeichnis

der zitierten

Q uellen

und

L iteratur

9.1 Ungedruckte Quellen Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA) Studienrevisionshofkommission (StudrevHK) Kart. 1, 2, 3, 4, 7, 11, 12, 15, 16, 20, 23 Vertrauliche Akten (VA) Kart. 3, 12, 38, 40, 41, 42, 65(1), 65(2), 66, 69, 70, 77 Hof- und Staatsschematismus 1781, 1783, 1797, 1803, 1817 Akten der Staatskanzlei zu Wissenschaft Kunst und Literatur Kart. 2, 10 Familienkorrespondenz A Kart. 26, 28 Kaiser Franz Akten Kart. 146 Kabinettsarchiv Nachlass Keeß Kart. 1, 2, 3, 4, 5, 6 Nachlass Kressel Kart. 1 Alte Kabinettsakten Kart. 1 Studiensachen Protokolle der Kabinettskanzlei (Staatsrats- und Handbilletprotokolle) Bd. 1a, 13, 14 Indices zu den Staatsratsprotokollen (Staatsratsind.) und Staatsratsprotokolle (Staatsratsprot.) 1763 –1816 (Nicht zugänglich 1769 u. 1784) Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA) Studienhofkommission (StudHK) Kart. 15, 16, 21, 23, 132, 133, 647 Hofkanzlei III A3 Kart. 310, 311a, 311b, 312, 313a, 313b, 314a, 314b, 315 Hofkanzlei IV F. N.Ö. in gen. 1784 –1799 Kart. 652 M I N.Ö Kart. 1326 M 8 Kart. 1370 Handschriftensammlung: HS 1155 Archiv der Obersten Justizstelle (Oberste Justiz) Pergen-Akten Kart. 16, 19, 22 Hofkommissionen Kart. 7, 8, 61, 62, 85, 86, 87, 101, 102, 103 Ratsprotokolle Bd. 33, 35, 36, 37, 71, 79 Hofkammerarchiv Camerale rot Kart. 7, 527 Kommerz: Ober- und Niederösterreich Kart. 136 Niederösterreichisches Landesarchiv (NÖLA) Normalienbücher 1783, 1786, 1787 u. 1791 Präsidial Akten 1791 Präsidiumsindex 1783–1796 Archiv der Akademie der bildenden Künste (AABK) Verschiedene Akten (VA) Jahrgänge/Kart.: 1762–1818 Ratsprotokolle Jahrgänge: 1762–1817

472

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

Archiv der Universität Wien (AUW) Konsistorialakten Fasz. I Lit S. Nr. 29 Fasz. III Lit. S. Nr. 352 u. 352a. Fasz. I/2 Reg. Nr. 234 CA 1.2.235 Fasz. I/2 Reg. Nr. 114 CA 1.2.115 Fasz. I in gen. Reg nr. 373 CA 1.0.385 Fasz, I in gen. Reg. Nr. 200 CA 1.0.211 Consistorial Sitzungsprotokoll 1761–1769 (R. 21.25–R. 21.32) Protokollum Consessuale 1791–1802 (R. 23.1–R. 23.11) Studienconsessprotokoll 1791–1794 (R. 24.1 u. R. 24.2) Consistorial Exhibitenprotokoll 1790–1810 (R. 25.1-R. 25.4) Consistorial Sitzungsprotokoll 1790–1817 (R. 28.1 u. R. 28.2) Handschriftensammlung (HSS) der Österreichischen Nationalbibliothek Codex 9717 Briefe mit Einzelsignatur von Ignaz von Born: 14/15-4; 14/15-6; 31/19-1 von J. Melchior Birkenstock: 13/60-2; 13/60-3; 13/60-5; 13/60-7; 13/0-8 von Joseph Retzer: 9/57-1; 9/57-2; 9/57-4 von Joseph von Sonnenfels: 9/76-1; 9/76-2; 9/76-3; 9/76-6; 9/76-7; 9/76-8; 9/76-10; 9/76-12; 31/8-3 von Friedrich Wilhelm III.: 9/76-9 von Aloys Blumauer: 8/5–2; 8/5-8 Handschriftensammlung (HSS) der Wienbibliothek Briefe mit Einzelsignaturen von und an Sonnenfels: Inv. Nr. 760; 1314; 2564; 3868; 8639; 8640; 8641; 8642; 8643; 8644; 8645; 8647; 8648; 8649; 25075; 86238; 128.742; 128.749; 128.748

9.2 Gedruckte Quellen Allgemeines Gesetz über Verbrechen und derselben Bestrafung, Wien 1787. Alxinger, Johann Baptist: Anti-Hoffmann von Alxinger, Wien 1792. Andreasen, Ojvind (Hg.): Aus den Tagebüchern Friedrich Münters. Wander- und Lehrjahre eines dänischen Gelehrten, Kopenhagen u. Leipzig 1937. Anonym: Sonnenfels, Joseph von: Ankündigung einer deutschen Gesellschaft in Wien 1761: Rezension, in: Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste, Bd. 9 1763, S. 75–91. Anonym: Auszug eines Briefs von Wien die dasige deutsche Schaubühne betreffend, in: Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste, Bd. 10 St. 1 1763, S. 162–169. Anonym: Sonnenfels, J.v.: Antrittsrede, gehalten im November 1763: Rezension, in: Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste, Bd. 12 1765, S. 99–107. Anonym: Sonnenfels, J.v.: Briefe über die wienerische Schaubühne. Quart. 1–4: Rezension, in: Allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 10 St. 2 1769, S. 28–32. Anonym: Sonnenfels, J.v.: Xerxes der Friedsame: Rezension, in: Allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 10 St. 2 1769, S. 28. Anonym: Auf den Herrn Regierungsrath von Sonnenfels bey dem Auftrage der Censur über die deutschen Schauspiele, Wien 1770.

Gedruckte Quellen

473

Anonym: Ich will kein Patriote seyn!, Wien 1771. Anonym: Ich will ein Patriote seyn!, Wien 1771. Anonym: Wohlmeinend abgefaßte Erinnerungen von dem Verfasser der Anmerkungen zur vermuthlich zweyten Auflage von der ersten Vorlesung, welche Herr Hofrath von Sonnenfels nach dem Tode Marien Theresiens hielt, zu beherzigen, Wien 1781. Anonym: An den Verfasser der Anmerkungen zur vermuthlich 2. Auflage der ersten Vorlesung welche Hr. Hofrath Josef von Sonnenfels nach dem Tode Marien Theresiens hielt, Wien 1781. Anonym: Anmerkungen zur vermuthlichen zweyten Auflage von der ersten Vorlesung, welche Herr Hofrath Sonnenfels nach dem Tode Marien Theresiens hielt, Wien 1781. Anonym: Freymüthige Beantwortung d. wichtigsten aus d. vorgeblichen Rechtfertigung der von Sonnenfels Vorlesung gezogenen Fragen, Wien 1781/82. Anonym: Von dem ehemaligen literarischen Zustande der Universität Wien, in: Stats-Anzeigen, Bd. 3 1783, S. 319–345. Anonym: Gründet sich das Recht der Monarchen mit dem Tode zu straffen in der Übertragung der Menschen? Von einem Freunde der Wahrheit beantwortet, Wien 1785. Anonym: Sammlung aller aus Gelegenheit der k.k. Verordnung vom 16. Dez. 1785 zum Vorschein gekommenen Schriften die Freymaurer betreffend, Wien u. Leipzig 1786. Anonym: Ueber Franz Krattners Auto da Fé, o.O. [Wien] 1786. Anonym: Anhang zu dem Werke über den Geschäftsstil des Herrn Hofraths und Professors von Sonnenfels. Hrsg. von einem seiner Zuhörer, Wien 1787. Anonym: Anhang zu dem Werke über den Geschäftsstil des Herrn Hofraths und Professors von Sonnenfels. Herausgegeben von einem seiner Zuhörer: Rezension, in: Allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 86 St. 2 1787, S. 579–590. Anonym: Paulsen, Nikolaus: Bordelle sind in Wien nothwendig, Herr Hofrath von Sonnenfels mag dagegen auf seinem Katheder predigen was er will: Rezension, in: Allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 75 St. 1 1787, S. 104–105. Anonym: Studienplan der Universität zu Wien, in: Journal von und für Deutschland, Jg. 6 St. 7 1789, S. 49–54. Anonym: Anmerkungen über die Vorstellung des Herrn Hofraths v. Sonnenfels über Wucher und Wuchergesetze, Wien 1789. Anonym: An Herrn Hofrath von Sonnenfels, Wien 1789. Anonym: An und über Hoffmann, Alxinger und Huber. Eine wohlverdiente Rüge des literarischen Unfugs dieses philosophisch-patriotischen Triumvirats, Wien 1792. Anonym: Briefwechsel, juristisch-physiokratischer, über Büchernachdruck und Eigenthum an Geisteswerken, mit Herrn von Sonnenfels, Ehlers, Becker und Krause: Ankündigung, in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 3 St. 1 1793, S. 234–237. Anonym: Wiener Zeitschrift 1–4r Band: Rezension, in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 9 St. 1 1794, S. 28–65. Anonym: Charakteristisches Porträt eines der würdigsten österreichischen Staatsmänner [Josef von Sonnenfels], Von ihm selbst. Hrsg. von Einem seiner Verehrer mit einem Schreiben an Ihn, Wien 1801. Baumeister, J. v.: Eine Ausgabe der sämtlichen Werke des Herrn Hofraths von Sonnenfels, in: Der Teutsche Merkur, Bd. 4 1782, S. 274–276. Baumeister, J. v.: Ankündigung sämtlicher Werke des Herrn Hofraths von Sonnenfels, in: Deutsches Museum, Bd. 1 1783, S. 96. Beccaria, Cesare: Dei delitti e delle pene, Milano 1767. Beer, Adolf: Denkschriften des Fürsten Wenzel Kaunitz-Rittberg, in: Archiv für Österreichische Geschichte, Bd. 48 1872, S. 98–107. Bessenyei, Georg von: Der Mann ohne Vorurtheil in der neuen Regierung, Wien 1781.

474

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

Blumauer, Aloys: Die Wiener Büchlschreiber nach dem Leben geschildert von einem Wiener, in: Deutsches Museum, Bd. 2 1783, S. 274–283. Blumauer, Aloys: Was ist Gaukeley? Oder vielmehr was ist nicht Gaukeley? Eine Gelegenheitsschrift, da ein k.k. Patent den 17. Dez. 1785 die Freymäurer betreffend zum Vorschein kam, Wien 1786. Blümmel, Karl Emil (Hg.): Caroline Pichler: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, 2 Bde. München 1914. Bob, Franz Joseph: Von dem Systeme der Polizeywissenschaft und dem Erkenntnisgrundsatz der Staatsklugheit und ihrer Zweige, Freiburg i.B. 1779. Breunlich, Maria u. Mader, Marieluise (Hg.): Karl Graf von Zinzendorf: Aus den Jugendtagebüchern 1747/1752 bis 1763 (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs Bd. 84), Wien, Köln u. Weimar 1997. Brünner Zeitung Nr. 16 vom 19. April 1770. Constitutio Criminalis Theresiana oder der Römisch-Kaiserlichen zu Hungarn und Böheim etc., etc. Königlich Apostolischen Majestät Theresiä peinliche Gerichtsordnung, Wien 1769. Egger, Franz: Kurze Erklärung des zweyten Theiles des Österreichischen Gesetzbuches über Verbrechen und schwere Polizey Uebertretungen, Wien 1817. Egglmaier, Herbert: Die Studienrevisionshofkommission und die Leitlinien der österreichischen Nationalbildung. Die Grundsatzdiskussion des Jahres 1797 im Spiegel der Gutachten, Klagenfurt 1995. Eyerel, J.: Ueber die kaiserliche Censur. An Joseph, Edlen von Retzer in Wien, in: Deutsches Museum, Bd. 2 1781, S. 500–505. Fast, Patricius: Vertheidigung des katholischen Unterrichtes in 10 Th. wider die hiesige Realzeitung Nr. 47 am 20. Wintermonats 1781, Wien 1781. Fetzer, Johann Jakob: Briefe über den gegenwärtigen Zustand der Literatur und des Buchhandels in Oesterreich, Zürich 1788. Forster, Georg: Tagebücher, in: Leuschner, Brigitte (Hg.): Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe, Bd. 12, Berlin 1973. Forster, Georg: Briefe 1784-Juni 1787, in: Leuschner, Brigitte (Hg.): Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe, Bd. 14, Berlin 1978. Franz, Johann: Kurze Anmerkungen zu den Anmerkungen über die erste Vorlesung, welche Hr. Hofrath v. Sonnenfels nach dem Tode Maria Theresiens hielt. Von Johann Franz, einem seiner jungen Freunde, Wien 1781. Ders: Freymüthige Beantwortung der wichtigsten, aus der vorgeblichen Rechtfertigung der v. Sonnenfelsisch. Vorlesung gezogenen Fragen, Wien 1781. Griesinger, Georg August: Berichtigung der Zweifel des Herrn Rates Hannamann gegen die Abhandlung des Hofrates von Sonnenfels über die Stimmenmehrheit bei Kriminalurteilen, Wien 1802. Grossegger, Elisabeth: Theater, Feste und Feiern zur Zeit Maria Theresias 1742–1776. Nach den Tagebucheintragungen des Fürsten Johann Joseph Khevenhüller-Metsch, Obersthofmeister der Kaiserin, Wien 1987. Hannamann, Octavian August: Sendschreiben an Herrn Joseph von Sonnenfels, k.k. Hofrath bey der Böhm. Oesterr. Hofkanzelley und Beysitzer der Hofcommission in Gesetzessachen veranlaßt durch dessen Abhandlung über die Stimmenmehrheit bey Criminalurtheilen, Wien 1801. Häss, Karl: Worauf gründet sich das Recht des Monarchen mit dem Tode zu strafen […] von Karl Häß wider Herrn Hofrath von Sonnenfels, Wien 1781. Hay, Johann Leopold: CircularSchreiben […] an die Geistlichen seiner Diöces, über die Toleranz: vom 20 Novemb., in: Stats-Anzeigen, Bd. 1 1782, S. 157–167.

Gedruckte Quellen

475

Heberstein, Philipp Graf von: Kurz gefaßte Abhandlung aus dem deutschen Staatsrechte über die Frage: Ob ein Reichsstand nach beschlossenem Reichskriege eigenmächtig die Neutralität ergreifen könne? […], Wien 1772. Heufeld: Kritik über den Geburtstag. Ein Lustspiel, Wien 1767. H_G [Anonym]: Ueber die neue Gesetzgebung in Oesterreich; namentlich über das Gesetz, daß uneheliche, von 2 unverehlichten Personen erzeugte Kinder, alle Rechte der ehelichen haben sollen, vom 17. Dezember 1786, in: Stats-Anzeigen, Bd. 9 1786, S. 506–509. Hoffmann, Leopold Alois: Etwas mehr als Anmerkungen zu der ersten Vorlesung welche Herr Hofrath von Sonnenfels in diesem akademischen Jahre gehalten hat, Wien 1782. Ders.: Kaiser Josephs Reformation der Freimaurer. Eine Denkschrift fürs achtzehnte Jahrhundert, Wien 1786. Ders.: Einleitungsrede beim Antritt des öffentlichen Lehramtes des deutschen Stils an der hohen Schule zu Wien, Wien 1790. Ders.: Wiener Zeitschrift von Leopold Alois Hoffman, k.k. Professor der praktischen Eloquenz, des Geschäftsstils und der praktischen Geschäftskunde an der Universität zu Wien, Wien 1791–1793. Ders.: Höchst wichtige Erinnerungen zur rechten Zeit, über einige der allerernsthaftesten Angelegenheiten dieses Zeitalters. Zum Theil veranlaßt durch die gedruckte Rede, welche Herr Hofrath J. v. Sonnenfels bei dem feierlichen Antritte des Rektorats an der Universität Wien im Jahre 1794 gehalten hat. Von Leopold Alois Hoffmann, Doctor der Philosophie & der F.F. K.K. quieszierter k.k. Professor der Wiener Universität. Als erster Nachtrag der W. Zeitschrift, den Lesern & Gegnern derselben gewidmet, Wien 1795/96. Huber, Franz Xaver: Kann ein Mensch wie Professor Hoffmann Einfluß auf die Stimmung der Völker haben? An Herrn La Veaux, Verfasser des Strasburger französischen Kuriers, Wien 1792. Huber, Franz Xaver: Rezension: Kann ein Schriftsteller, wie Herr Prof. Hoffmann, Einfluß auf die Stimmung der deutschen Völker und auf die Denkart ihrer Fürsten haben? An Herrn La Veaux, in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 4 St. 2 1793, S. 544–547. Irmen, Hans-Josef (Hg.): Die Protokolle der Wiener Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“ (1781–1785), Frankfurt a.M., Berlin, Bern, New York u.a. 1994. Journal für Freymaurer, Hrsg. von den Brüdern der Loge zur wahren Eintracht im Orient von Wien, Wien 1784–1787. Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Gesammelte politische und Finanzschriften über wichtige Gegenstände der Staatskunst der Kriegswissenschaften und des Kameral- und Finanzwesens, Leipzig 1761. Keess, Franz Georg von: Lehrsätze aus der Polizey- und Finanzwissenschaft, Wien 1776. Klemm, Christian Gottlob: Der auf den Parnaß versetzte grüne Hut, Wien 1776. Ders.: Die Welt. Eine Wochenschrift, Wien 1761/1762. Ders.: Der Österreichische Patriot, Wien 1766. Ders.: [verm. Sonnenfels, Joseph von]: An die uralte, weltberühmte und hochgelehrte Gesellschaft der schönen Wissenschaften von Hirschau, Hirschau [Wien] 1767. Ders.: Dramaturgie, Literatur und Sitten, Wien 1769/1770. Klingenstein, Grete, Faber, Eva u. Trampus, Antonio (Hg.): Europäische Aufklärung zwischen Wien und Triest, 1776–1782. Die Tagebücher des Gouverneurs Karl Graf von Zinzendorf 1776–1782 (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs Bd. 103), Wien u.a. 2009. Klotz, Christian Adolf: Ueber den Nutzen und Gebrauch der alten geschliffenen Steine und ihrer Abdrucke, Altenburg 1768.

476

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

Klueting, Harm (Hg.): Der Josephinismus. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der theresianischjosephinischen Reformen, Darmstadt 1995. Köhler, J. B.: Sonnenfels, J.v.: Ueber die Abschaffung der Tortur: Rezension, in: Allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 27 St. 2 1776, S. 351–360. Kopetz, Martin Norbert Adolf: Leitfaden zu dem Sonnenfelsischen Lehrbuche der politischen Wissenschaften, nach der neusten Auflage derselben, zum Gebrauch von Studirenden herausgegeben, Prag 1787. Kratter, Franz: Briefe über die neueste Maurer-Revolution in Wien: An einen Freymaurer zur anerkannten Unschuld in P., Wien 1785. Ders.: Freymaurer Auto da Fè in Wien, Wien 1786. Kremers, Hildegard (Hg.): Joseph von Sonnenfels. Aufklärung als Sozialpolitik. Ausgewählte Schriften aus den Jahren 1764–1798 (Klassische Studien zur sozialwissenschaftlichen Theorie, Weltanschauungslehre und Wissenschaftsforschung Bd. 10), Wien, Köln u. Weimar 1994. Kropatschek, Joseph: Handbuch aller unter der Regierung des Kaisers Joseph II. ergangenen Verordnungen und Gesetze, 18 Bände, Wien 1785–1790. Lange, Joseph: Biographie des Joseph Lange, k.k. Hofschauspielers, Wien 1808. Langenmantel, Kajetan von: Vom Zusammenfluße: eine Abhandlung; Nebst angehängten Lehrsätzen aus der Polizey-, Handlung- und Finanzwissenschaft, Wien 1767. Lauth, Reinhard, Heller, Eberhard u. Hiller, Kurt (Hg.): Karl Leonhard Reinhold: Korrespondenz 1773–1788, Wien 1983. Lessing, Gotthold Ephraim: Briefe antiquarischen Inhalts, Berlin 1768. Lessing, Gotthold Ephraim von, Mendelssohn Moses u. Nicolai, Friedrich (Hg.): Briefe die neueste Literatur betreffend, T. 1–24, Berlin 1759–1765, Brief Nr. 203 in Bd. 11, 1761. Lhotsky, Alphons (Hg.): Ein Bericht über die Universität Göttingen für den Staatskanzler Fürsten Kaunitz-Rietberg (1772), in: Nachrichten der Akademie Göttingen, Bd. 3 1966, S. 39–68. Lorenzi, Ernst (Hg.): Das Logenbuch der Loge zur wahren Eintracht im Orient zu Wien, 1782 u. 1783 nur für Meister des Ordens (Quellen zur freimaurerischen Geschichtsforschung Bd. 2), Ndr. Wien 1979. Luca, Ignaz de: Leitfaden in die Handlungswissenschaft des Herrn […] Professors von Sonnenfels zum Gebrauch der Studierenden von Ignaz de Luca, Linz 1775. Ders.: Leitfaden in die Polizeywissenschaft des Joseph von Sonnenfels, Wien 1776. Ders.: Das gelehrte Österreich. Ein Versuch, 2 Bde., Wien 1776. Ders.: Politischer Codex oder wesentliche Darstellung sämtlicher die K. K. Staaten betr. Gesetze und Anordnungen im politischen Fache: practisch bearbeitet, Wien o. J. Metternich, Clemens Wenzel, Sonnenfels, Joseph von u.a.: Aussichten für die Kunst in dem Oesterreichischen Kaiserstaat, in: Deutsches Museum, Bd. 1 1812, S. 248–287. Michael, Reuven (Hg.): Moses Mendelssohn: Briefwechsel 1761–1785 (Gesammelte Schriften Jubiläumsausgabe Bd. 20,2), Stuttgart 1994. Neugebauer, Wilhelm Ehrenfried: Des Verbesserers Anrede an das Publicum, das 18. Stück des M.o.V. betreffend, Wien 1766. Neschwara, Christian (Hg.): Ein österreichischer Jurist im Vormärz. „Selbstbiographische Skizzen“ des Freiherrn Karl Josef Pratobevera (1769–1853), (Rechtshistorische Reihe Bd. 374), Frankfurt a. M. u.a. 2009. Nicolai, Friedrich: Sonnenfels, J.v.: Gesammelte Schriften. Bd. 1: Rezension, in: Allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 9 St. 2 1769, S. 45–49. Ders.: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781, Berlin u. Stettin 1784, Ndr. in: Fabian, Bernhard u. Spieckermann, Marie Louise (Hg.): Friedrich Nicolai, Werke in 19 Bänden, Hildesheim 1994, Bd. 15–19.

Gedruckte Quellen

477

Oeltl, Joseph: Geschichte der Handlung und Schiffahrt der Alten. Aus dem Französischen übersetzt. Nebst Lehrsätzen aus den politischen Wissenschaften […], Wien 1775. Ofner, Julius (Hg.): Der Ur-Entwurf und die Berathungs-Protokolle des Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Wien 1889, Ndr. Glashütte 1976. Ogris, Werner (Hg.): Joseph von Sonnenfels: Grundsätze der Polizey (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens Bd. 12), München 2003. Paulsen, Nikolaus: Bordelle sind in Wien nothwendig, Herr Hofrath von Sonnenfels mag dagegen auf seinem Katheder predigen, was er will, Wien 1786. Ders.: Rathschlag über den Wucher und über die Meinungen der Herr Hofräthe von Keeß und von Sonnenfels, Wien 1791. Pelinka, Anton u. Reinalter, Helmut (Hg.): Die demokratische Bewegung in Deutschland von der Spätaufklärung bis zur Revolution 1848/49. Eine kommentierte Quellenauswahl, Frankfurt a.M., Berlin, Paris u. Wien 1998. Pezzl, Johann: Skizzen von Wien, Wien 1787. Pipitz, Franz Ernst (Hg.): Der Jakobiner in Wien. Oesterreichische Memoiren aus dem letzten Dezennium des achtzehnten Jahrhunderts, Zürich 1842. Pribram, Alfred Francis (Hg.): Urkunden und Akten zur Geschichte der Juden in Wien, Wien u. Leipzig 1918. Rautenstrauch, Johann: Schreiben der Verfasser der Realzeitung an den Verfasser des katholischen Unterrichtes, Wien 1782. Ders.: Österreichische Biedermannschronik Erster Theil, Freiheitsburg (Wien) 1784. Realzeitung der Wissenschaften, Künste und der Commerzien, Wien 1779. Reinalter, Helmut (Hg.): Joseph II. und die Freimaurer im Lichte zeitgenössischer Broschüren (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs Bd. 77), Wien, Köln u. Graz 1987. Retzer, Joseph F. Freiherr v.: An Herrn Aloys Blumauer, in: Deutsches Museum, Bd. 2 1782, S. 480–482. Ders.: An Gleim. Bey Uebersendung meines und des Herrn von Sonnenfels Bildnisses, in: Der neue Teutsche Merkur, Bd. 2 1798, S. 168–172. R-L-R: Etwas an Herrn Karl Häß. Als eine Beantwortung seiner Broschüre: Worauf gründet sich das Recht des Monarchen mit dem Tode zu strafen, Wien 1781. Rollet, Hermann (Hg.).: Briefe von Sonnenfels als Beitrag zu seiner Biographie, Wien 1874. Schloetmann, Johann von: Der Wirth vom goldenen Eimer im neuen Lerchenfeld an seinen Freund den Kanzlisten N. Ein Schreiben durch die kleine Post, Wien 1786. Schulz, Günter u. Schulz, Ursula (Hg.): Meine liebste Madam. Gotthold Ephraim Lessings Briefwechsel mit Eva König 1770–1776, München 1979. Seibt, Karl Heinrich: Vom Einflusse der Erziehung auf die Glückseligkeit des Staats. Eine Rede zum Eingange der Vorlesungen über die Erziehungskunst gehalten, Prag 1771. Sonnenfels, Alois: Splendor Lucis oder Glanz des Lichts, enthaltend eine kurze physico-cabalistische Auslegung des größten Natur-Geheimnuß; insgemein Lapis Philosophorum genannt, Wien 1747. Ders.: Beweis der Wahrheit des christ-katholischen Schau-Brods, der leiblichen Gegenwart Christi im Abendmahl wider die Irrthum- und Mängels-volle Bekanntnuß des entwichenen Georgii Rothfischers, Wien 1753. Ders.: Jüdischer Blut-Eckel, oder Das von Gebrauch des unschuldigen Christen-Bluts angeklagte, untersuchte, und unschuldig-befundene Judenthum. Aus Trieb der Wahrheit an Tag gegeben, Wien 1753. Sonnenfels, Joseph von: Ankündigung einer deutschen Gesellschaft in Wien. In der ersten fey-

478

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

erlichen Versammlung den 2. Jänner 1761 abgelesen von Joseph Edeln von Sonnenfels einem Mitglied der gelehrten Gesellschaft zu Rovoredo, Wien 1761. Ders.: Rede von der Notwendigkeit seine Muttersprache zu beachten, Wien 1761. Ders.: Rede auf Marien Theresien, Kaiserinn, Königinn von Hungarn und Böheim. An ihrem Geburtstage in der feyerlichen Versammlung der deutschen Gesellschaft in Wien gehalten, Wien 1762. Ders.: Joseph von Sonnenfels […], Einleitungsrede In Seine Akademische Vorlesungen, Wien 1763. Ders.: Joseph von Sonnenfels, kaiserlich: königlichen, ordentlichen, öffentlichen Professors der Polizey und Cameralwissenschaften: Antrittsrede gehalten im November 1763, Wien 1763. Ders.: Antrittsrede; Von der Unzulänglichkeit der praktischen Erfahrung in der Staatswissenschaft, Wien 1764. Ders: Theresie und Eleonore. Eine Wochenschrift, Wien 1764. Ders.: Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanzwissenschaft. Zum Leitfaden der akademischen Vorlesungen, Wien 1765. Ders.: Das Gesicht des Sohns Sela Haschemesch, das er gesehen hat über Franzen den Ersten, Römischen Kaiser, gesegnetsten Gedächtnisses, Wien 1765. Ders.: Schreiben des Philosophen an den unparteyischen Mann, Wien 1767. Ders.: Theresie und Eleonore. Eine Wochenschrift, Wien 1767. Ders.: Gedanken eines Philosophen von dem Lustspiel: Kritik über den Geburtstag, Wien 1767. Ders.: Das Bild des Adels, eine Rede womit in der k.k. savoyschen Ritterakademie am 4. Nov. 1767 das Studium angefangen […], Wien 1767. Ders.: Briefe über die Wienerische Schaubühne, Wien 1768, Ndr. Wien 1884 (Wiener Neudrucke Bd. 7). Ders.: Von dem Verdienste des Portraitmalers […], Wien 1768. Ders.: Ermunterung zur Lektur an junge Künstler: eine Rede: bey der 1. feyerlichen Austheilung der Preise in der k.k. Kupferstecher-Akademie gelesen von Sonnenfels, Wien 1768. Ders.: Abhandlung von der Theuerung in Hauptstädten und dem Mittel derselben abzuhelfen, 1. Aufl., Leipzig 1769. Ders.: Ueber die Liebe des Vaterlandes, Wien 1771. Ders.: Von der Bescheidenheit im Vortrage seiner Meinung eine Rede an die Zuhörer beym Eingange der Vorlesungen, Wien 1772. Ders.: Über die Abschaffung der Tortur, Zürich 1775. Ders.: Leitfaden in die Polizeywissenschaft, Wien 1776. Ders.: Politische Abhandlungen, Wien 1777. Ders.: Schreiben an Herrn von R-[Retzer], in: Deutsches Museum, Bd. 1 1780, S. 551–554. Ders.: Rede zu Anfang des neuen Schuljahres, in: Deutsches Museum, Bd. 1 1780, S. 554–563. Ders.: Die Erste Vorlesung, welche Herr Hofrath von Sonnenfels nach dem Tode Marien Theresiens hielt, Wien 1780. Ders.: Nach der zweiten Vorstellung der Iphigenia in Tauris Wien, 1781, in: Deutsches Museum, Bd. 1 1782, S. 400–416. Ders.: Herrn Hofraths von Sonnenfels erste Vorlesung in diesem akademischen Jahrgange, Wien 1782. Ders.: Uiber die Ankunft Pius II. in Wien, Fragment eines Briefes von ***, Wien 1782. Ders.: Des Herrn Hofrath von Sonnenfels Vorlesung mit denen allhier angeschlagenen Versen in Wien, Wien 1782. Ders.: Gesammelte Schriften, 10 Bde., Wien 1783–1787. Ders.: An mein Herz, in: Ders.: Gesammelte Schriften Bd. 1, S. 1–21.

Gedruckte Quellen

479

Ders.: Über den Geschäftsstil: Die ersten Grundlinien für angehende österreichische Kanzleybeamten, Wien 1784. Ders.: Vortrag der Studien und Censurs-Hofcommission zu Wien über den Nachdruck fremder Bücher, in: Journal von und für Deutschland, Jg. 2 St. 2 1785, S. 115–119. Ders.: Aus Wien: Beförderung der Lüderlichkeit hemmt die Bevölkerung, in: Stats-Anzeigen, Bd. 10 1787, S. 254–259. Ders.: An die Freunde des Montagsklubs zu Berlin, in: Berlinische Monatsschrift, Bd. 2 1787, S. 350–356. Ders.: Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz: zu dem Leitfaden des politischen Studiums, 1. Aufl. Wien 1765 u. 5. Aufl. ebd. 1787. Ders.: Uiber Wucher und Wuchergesetze: Eine Vorstellung; Mit Anmerkungen, Wien 1789. Ders.: Uiber die Aufgabe: Was ist Wucher?; Und welches sind die besten Mittel, demselben ohne Strafgesetze Einhalt zu thun, Wien 1789. Ders.: Wienerisches Briefmagazin oder Auswahl der bündigsten Briefe für das gemeine Leben, Wien 1789. Ders.: Mit der einen Hand gebaut, mit der andern wieder niedergerißen, in: Patriotisches Archiv für Deutschland, Bd. 11 1790, S. 491–495. Ders.: Zu Herrn Hofraths von Keeß Abhandlung ueber die Aufhebung der Wuchergesetze, Wien 1791. Ders.: Rede bey dem feyerlichen Antritte des Rektorats an der Universität in Wien im Jahre 1794, Wien 1794. Ders.: Zwey Gelegenheitsreden gehalten als der k.k. wirkliche Directorial Hofrath Herr von Sonnenfels abermal zum Rektor der Universität in Wien gewählet wurde, Wien 1796. Ders.: Skizze des Hofkriegsraths-Präsidenten, Feldmarschalls, Grafen von Nostiz, Wien 1796. Ders.: Ein Beytrag zur Geschichte der österreichischen Gesetzgebung, in: Der neue Teutsche Merkur, Bd. 1 1797, S. 41–46. Ders.: Ueber die Ursachen der französischen Revolution. Aus einer ungedruckten Staatsschrift, in: Der neue Teutsche Merkur, Bd. 2 1797, S 237–271. Ders.: Handbuch der inneren Staatsverwaltung mit Rücksicht auf die Umstände und Begriffe der Zeit, Wien 1798. Ders.: Kanzlei- und Registraturs-Auswurf, oder geschriebene Makulaturen, in: Der neue Teutsche Merkur, Bd. 2 1801, S. 265–282. Ders.: Eine Vorlesung bey der feyerlichen Preisvertheilung an der k.k. Akademie der bildenden Künste im Jahre 1801 […] von Hofrath Sonnenfels, Wien 1801. Ders.: Charakteristisches Porträt eines der würdigsten österreichischen Staatsmänner von ihm selbst. Mit einem Schreiben an Ihn. Herausgegeben von einem seiner Verehrer. F.B.V., Wien 1801. Ders.: Über die Stimmenmehrheit bey Kriminal-Urtheilen. Zweyte sorgfältig übersehene, durch zahlreiche Erörterungen, wie auch durch Aufnahme und Beantwortung der erschienenen Beurtheilungen und Einwürfe vermehrte Auflage, Wien 1808. Ders.: Über die am achten September erlassenen zwei Patente. Ein Antwortschreiben über folgende Fragen: Welcher Ursache ist die Verschlimmerung des Kurses zuzuschreiben? Wodurch kann derselben Einhalt geschehen?, Wien 1810. Ders.: Bemerkungen über die für die Hauptstadt Wien und den Umkreis derselben innerhalb der Linien erlassene Neue Gesindeordnung, Wien u. Triest 1810. Ders.: Über die öffentliche Sicherheit oder von der Sorgfalt, die Privatkräfte gegen die Kraft des Staates in einem untergeordneten Verhältnisse zu erhalten, von Sonnenfels, Wien 1817. Ders., Huber, Franz Xaver u. Guolfinger, Franz Ritter von Steinsberg: Das politische Sieb. Herausgegeben von einem Zeitungsklubb, Wien 16. Nov. 1791 bis 31. März 1792.

480

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

Sonnenfels, Joseph von, Roggendorf, Cajetanus von u. Osswald, Heinrich: Antrittsrede. Versuch über das Verhältnis der Stände. Vom Mauth- und Zollwesen Gehalten im November 1763. Nebst angehängten Lehrsätzen aus der Polizeywissenschaft […], Wien 1764. Sonnenfels, Joseph von u. Retzer Joseph F.: Ankündigung der Vorlesungen über den Geschäftsstil, in: Deutsches Museum, Bd. 2 1780, S. 303–312. Dies.: Erste Vorlesung in diesem akademischen Jahrgange, in: Deutsches Museum, Bd. 1 1782, S. 312–326. Springer, J.C.E.: Sonnenfels, J. v.: Versuche in politischen und ökonomischen Ausarbeitungen zum Nutzen und Vergnügen St. 1: Rezension, in: Allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 9 St. 2 1769, S. 284–285. Taglicht, Isidor (Hg.): Nachlässe der Wiener Juden im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Finanz-, Wirtschafts- und Familiengeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, Wien 1917. Watteroth, Heinrich Josef: Gelegenheitliche Betrachtungen für Heuchler, Liebhaber der Mißbräuche, Kritiker und Konsorten, Wien 1781. Weinkopf, Anton: Beschreibung der Kaiserl. Akademie der bildenden Künste, Wien 1783. Weisse, Christian Felix: Die Matrone von Ephesus, oder Sind alle Witwen so? Ein Lustspiel in Versen in einem Aufzuge, Wien 1770. Wensch, Wenzel August: Rechtfertigung der angegriffenen Vorlesung des Herrn von Sonnenfels zur Erbauung ihrer bisherigen Vertheidiger, Wien 1781. Werner, Richard Maria (Hg.): Aus dem josephinischen Wien, Geblers und Nicolais Briefwechsel während der Jahre 1771–1786, Berlin 1888. Wersack, Wenzel Anton: Rechtfertigung der angegriffenen Vorlesung des Herrn Hofraths v. Sonnenfels, zur Erbauung ihrer bisherigen Vertheidiger, Wien 1781. Ders.: Züge zur Zeichnung der Verdienste des königlichen wirklichen Hofraths Joseph von Sonnenfels um Gelehrsamkeit und Staat, Wien 1792. Wieland, Christoph Martin (Hg.): Deutscher Merkur, Bd. 3 1797, S. 115–134. Wienerisches Diarium, Jahrgang 1768. Zichy, Karl Graf von: Sätze aus der Polizey, Handlungs- und Finanzwissenschaft […], Wien 1771.

9.3 Darstellungen Abafi, Ludwig [Pseud. für Aigner, Ludwig]: Geschichte der Freimaurer in Österreich-Ungarn, 5 Bde., Budapest 1893. Adler, Siegmund: Die Unterrichtsverfassung Kaiser Leopold II. und die finanzielle Fundierung der österreichischen Universitäten nach den Anträgen Martinis, Wien 1917. Ders.: Die politische Gesetzgebung in ihren geschichtlichen Beziehungen zum allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche, in: Wiener juristische Gesellschaft (Hg.): Festschrift zur Jahrhundertfeier des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Wien 1911, S. 83–145. Agethen, Manfred: Geheimbund und Utopie. Illuminaten, Freimaurer und deutsche Spätaufklärung, München 1984. Alt, Peter-André: Mode ohne Methode? Überlegungen zu einer Theorie der literaturwissenschaftlichen Biographik, in: Klein, Christian (Hg.): Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart u. Weimar 2002, S. 23–40. Ammerer, Gerhard: Aufgeklärtes Recht, Rechtspraxis und Rechtsbrecher – Spurensuche nach einer historischen Kriminologie in Österreich, in: Ammerer, Gerhard u. Haas, Hanns (Hg.): Ambivalenzen der Aufklärung. Festschrift für Ernst Wangermann, Wien 1997, S. 101–138.

Darstellungen

481

Ders: Das Ende für Schwert und Galgen? Legislativer Prozess und öffentlicher Diskurs zur Reduzierung der Todesstrafe im Ordentlichen Verfahren unter Joseph II. (1781–1787), (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Sonderband 11), Wien 2010. Andics, Hellmut: Die Juden in Wien. Mit 132 Abbildungen nach Dokumenten, historischen Darstellungen und Photographien, Wien 1988. Arneth, Alfred von: Maria Theresia und der Hofrat von Greiner, Wien 1859. Ders.: Beaumarchais und Sonnenfels, Wien 1868. Ders.: Maria Theresias letzte Regierungszeit 1763–1780 Bd. 3 (zugleich Geschichte Maria Theresias Bd. 9), Wien 1879. Ders.: Die Wiener Universität unter Maria Theresia, Wien 1879. Baltl, Hermann: Österreichische Rechtsgeschichte, Graz 1982. Baum, Wilhelm: Der Josefinismus im Spiegel der Kritik Lessings, Wielands und Herders, in: Ders., Benedikt, Michael u. Knoll, Reinhold (Hg.): Verdrängter Humanismus – verzögerte Aufklärung. Österreichische Philosophie zur Zeit der Revolution und Restauration, Wien 1992, S. 615–656. Baumgarten, Britta u. Lahusen, Christian: Politiknetzwerke – Vorteile und Grundzüge einer qualitativen Analysestrategie, in: Hollstein, Bettina u. Strauss, Florian (Hg.): Qualitative Netzwerkanalyse. Konzepte, Methoden, Anwendungen, Wiesbaden 2006, S. 177–198. Barton, Peter F.: Im Zeichen der Toleranz. Aufsätze zur Toleranzgesetzgebung des 18. Jahrhunderts in den Reichen Josephs II., ihren Vorraussetzungen und ihren Folgen. Eine Festschrift (Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte Bd. 8), Wien 1981, S. 109–151. Beales, Derek: Enlightenment and Reform in Eighteenth-Century Europe (International Library of Historical Studies Bd. 29), London 2005. Becker-Cantarino, Barbara: Joseph von Sonnenfels and the Development of Secular Education in Eighteenth-Century Austria, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century, Bd. 167 1977, S. 29–47. Beidtel, Ignaz: Geschichte der österreichischen Staatsverwaltung 1740–1848, 2 Bde., Innsbruck 1896, Ndr. Frankfurt a.M. 1986. Benedikt, Michael, Baum, Wilhelm u. Knoll, Reinhold (Hg.): Verdrängter Humanismus – verzögerte Aufklärung. Österreichische Philosophie zur Zeit der Revolution und Restauration (1750–1820), Wien 1992. Benedikt, Heinrich: Binder von Krieglstein, Friedrich, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 2 1955, S. 244. Benna, Anna Hedwig: Die Polizeihofstelle. Ein Beitrag zur Geschichte der österreichischen Zentralverwaltung, Diss. Wien 1942. Bèrenger, Jean: Geschichte des Habsburgerreiches 1273–1918, 2. Aufl. Wien, Köln u. Weimar 1996. Berlepsch, Hans-Jörg von: Die Wiederentdeckung des „wirklichen Menschen“ in der Geschichte. Neue biographische Literatur, in: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 29 1989, S. 488–510. Bermann, Moritz: Maria Theresia und Kaiser Josef II. in ihrem Leben und Wirken, Wien 1880. Bernard, Paul: Joseph II. and the Jews. The Origin of the Toleration Patent of 1782, in: Austrian History Yearbook, Bd. 4/5 1968/69, S. 101–119. Ders.: From the Enlightenment to the Police State: The Public Life of Johann Anton Pergen, Illinois 1991. Bibl, Victor: Die Wiener Polizei. Eine kulturhistorische Studie, Leipzig u. Wien 1927. Biet, Franz: Die ungeschminkte Maurertugend. Georg Forsters freimaurerische Ideologie und ihre Bedeutung für seine philosophische Entwicklung (Schriftenreihe der internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850“ Bd. 8), Frankfurt a.M. u.a. 1993.

482

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

Blaas, Richard: Familienartikel Hartig, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 7 1966, S. 713. Blinder, J. K. u. Suchomel, H.: Zur Lebensgeschichte des Hofrats Franz Georg Edlen von Keeß, in: Wiener juristische Gesellschaft (Hg.): Festschrift zur Jahrhundertfeier des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Wien 1911, S. 355–367. Blodig, Hermann: Der Wucher und seine Gesetzgebung historisch und dogmatisch bearbeitet. Eine socialpolitische Studie, Wien 1898. Bodi, Leslie: Tauwetter in Wien. Zur Prosa der österreichischen Aufklärung 1781–1795 (Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts Bd. 6), Köln u. Weimar 1995. Ders.: Sprachregelung als Kulturgeschichte. Sonnenfels’ Über den Geschäftsstyl (1784) und die Ausbildung der österreichischen Mentalität, in: Wunberg, Gotthart (Hg.): Pluralität. Eine interdisziplinäre Annäherung, Wien, Köln u. Weimar 1996, S. 122–153. Bommes, Michael u. Tacke, Veronica: Das Allgemeine und das Besondere des Netzwerkes, in: Hollstein, Bettina u. Strauss, Florian (Hg.): Qualitative Netzwerkanalyse. Konzepte, Methoden, Anwendungen, Wiesbaden 2006, S. 37–62. Bourdieu, Pierre: Le capital social. Notes provisoires, in: Actes de la recherche en sciences sociales, Bd. 31 1980, S. 2–3. Ders.: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Kreckel, Reinhard (Hg.): Soziale Welt, Sonderband 2, Göttingen 1983, S. 183–198. Ders.: Die biographische Illusion, in: BIOS 1990, Heft 1, S. 75–81. Ders.: Das Feld der Macht und die technokratische Herrschaft, in: Dölling, Irene (Hg.): Die Intellektuellen und die Macht, Hamburg 1991, S. 67–100. Ders.: Das politische Feld. Zur Kritik der politischen Vernunft, Konstanz 2001. Ders.: Die Regeln der Kunst, Frankfurt a.M. 2001. Bödeker, Hans Erich: Journals and Public Opinion, in: Hellmuth, Eckhart (Hg.): The Transformation of Political Culture. England and Germany in the Late Eighteenth Century, Oxford 1990, S. 423–446. Ders.: Biographie. Annäherung an den gegenwärtigen Forschungs- und Diskussionsstand, in: Ders. (Hg.): Biographie schreiben (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft Bd. 18), Göttingen 2003, S. 9–64. Böning, Holger: Aufklärung und Presse im 18. Jahrhundert, in: Jäger, Hans-Wolf (Hg.): „Öffentlichkeit“ im 18. Jahrhundert (Das achtzehnte Jahrhundert Supplementa Bd. 8), Göttingen 1997, S. 151–163. Brandl, Manfred: Der Kanonist Joseph Valentin Eybel (1741–1805). Sein Beitrag zur Aufklärung in Österreich. Eine Studie in Ideologie (Forschungen zur Geschichte der katholischen Aufklärung Bd. 2), Steyr 1976. Brandt, Peter, Kirsch, Martin u.a.: Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel, Bd. 1: Um 1800, Bonn 2006. Brechka, Frank T.: Gerard van Swieten and his World 1700–1772, Diss. The Hague 1970. Breuer, Dieter: Kardinal Migazzi. Förderer und Gegner des kulturellen Wandels im theresianischen Zeitalter, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich, Bd. 17 2002, S. 219–231. Brosche, Günter: Joseph von Sonnenfels und das Wiener Theater, Diss. Wien 1962. Bruchmann, Karl: Dohm, Christian Wilhelm, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 4 1959, S. 42f. Brunner, Sebastian: Die Mysterien der Aufklärung in Österreich 1770–1800, Mainz 1869. Bülow, Michael: Buchmarkt und Autoreneigentum. Die Entstehung des Urhebergedankens (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München Bd. 30), Wiesbaden 1990. Bürger, Christa: Literarischer Markt und Öffentlichkeit am Ausgang des 18. Jahrhunderts in

Darstellungen

483

Deutschland, in: Dies., Bürger, Peter u. Schulte-Sasse, Jochen (Hg.): Aufklärung und literarische Öffentlichkeit (Edition Suhrkamp 1040; Neue Folge 40), Frankfurt a.M. 1980, S. 162– 185. Burt, Ronald: Introduction, in: Ders. u. Minor, Michael (Hg.): Applied Network Analysis. A methodological Introduction, London 1983, S. 9–17. Ders.: Network Data from Archival Records, in: Ders. u. Minor, Michael (Hg.): Applied Network Analysis. A methodological Introduction, London 1983, S. 158–174. Ders.: Structural Holes. The social structure of competition, Cambridge Mass. 1992. Carl, Horst: Fürstenhof und Salon – adeliges Mäzenatentum, in: Csáky, Moritz u. Pass, Walter (Hg.): Europa im Zeitalter Mozarts, Wien, Köln u. Weimar 1995, S. 50–58. Cattaneo, Mario: Beccaria e Sonnenfels. L’abolizione della tortura nell’età Teresiana, in: Società editrice il Mulino (Hg.): Economia, istituzioni, cultura in Lombardia nell’età di Maria Teresa, Bd. 2: Cultura e società, Milano 1982, S. 143–157. Cloeter, Hermine: Johann Thomas Trattner. Ein Großunternehmer im Theresianischen Wien, Graz u. Köln 1952. Conrad, Hermann: Zu den geistigen Grundlagen der Strafrechtsreform Joseph II. (1780–1788), in: Welzel, Hans (Hg.): Festschrift für Helmut von Weber zum 4. Juni 1963, Bonn 1963, S. 56–75. Ders.: Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2: Neuzeit bis 1806, Karlsruhe 1966. Ders.: Joseph von Sonnenfels, in: Juristen-Jahrbuch, Bd. 8 1967/68, S. 2–16. Ders.: Staatsgedanke und Staatspraxis des aufgeklärten Absolutismus (Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften Vorträge der Geisteswissenschaften Bd. 173), Opladen 1971. Csáky, Moritz: Der Stellenwert Wiens im Prozess des kulturellen Austauschs zwischen Westund Südosteuropa um 1800, in: Plaschka, Georg u. Mack, Karlheinz (Hg.): Wegenetz europäischen Geistes. Wissenschaftszentren und geistige Wechselbeziehungen zwischen Mittel- und Südosteuropa vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum 1. Weltkrieg, München 1983, S. 353– 369. Degenne, Alain u. Forsè, Michel: Introducing social networks, London 1999, Übers. der 1. Aufl., Paris 1994. Deimling, Gerhard: Cesare Beccaria. Die Anfänge moderner Strafrechtspflege in Europa, Wuppertal 1988. Deutsch, Adolf (Hg.): Sammlung von Wiener Schattenrissen aus dem Jahre 1784, Wien 1928. Deutsch, Georg: Joseph von Sonnenfels und seine Schüler. Ein Beitrag zur Nationalökonomie in Österreich, in: Österreich-Ungarische Revue, Neue Folge Bd. 5 1888, S. 65–85. Dickerhof, Harald: Die katholischen Universitäten im Heiligen römischen Reich deutscher Nation des 18. Jahrhunderts, in: Hammerstein, Notker (Hg.): Universitäten und Aufklärung, Göttingen 1995 (Das achtzehnte Jahrhundert Supplementa Bd. 3), S. 21–45. Ders.: Aufklärung und katholisches Reich, Berlin 1977. Dittrich, Erhard: Die deutschen und österreichischen Kameralisten, Darmstadt 1974. Domin-Petrushevecz, Alphons von: Neuere österreichische Rechtsgeschichte, Wien 1869. Döring, Detlef: Die Geschichte der deutschen Gesellschaft in Leipzig. Von der Gründung bis in die ersten Jahre des Seniorats Johann Christoph Gottscheds (Frühe Neuzeit Bd. 70), Tübingen 2002. Drewitz, Ingeborg: Berliner Salons. Gesellschaft und Literatur zwischen Aufklärung und Industriezeitalter, 3. Aufl., Berlin 1984. Droste, Heiko: Patronage in der Frühen Neuzeit. Institution und Kulturform, in: Zeitschrift für historische Forschung, Bd. 30 2003, S. 555–590. Duffy, Christopher: The military world of Joseph von Sonnenfels, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich, Bd. 6 1990/91, S. 138–143.

484

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

Dülmen, Richard van: Der Geheimbund der Illuminaten, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Bd. 36 (3) 1973, S. 793–833. Ders.: Der Geheimbund der Illuminaten (Neuzeit im Aufbau Bd. 1), Stuttgart 1977. Ders.: Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München 1985. Ders.: Gesellschaft der Aufklärer. Zur bürgerlichen Emanzipation und aufklärerischen Kultur in Deutschland, Frankfurt a.M. 1986. Eckert, Elfriede: Heinrich Joseph Watterroth. Eine Monographie, Diss. Wien 1950. Edighofer, Roland: Die Rosenkreuzer, München 1995. Eichler, Hermann: Zivilgesetzbücher im deutschsprachigen Rechtskreis 1811–1911: Rechtssystematische und rechtsdogmatische Grundlegung (Europäische Hochschulschriften Reihe 2 Rechtswissenschaft Bd. 1836), Bern, New York, Paris u. Wien 1991. Elschenbroich, Adalbert: Boie, Heinrich Christian, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 2 1955, S. 423f. Emich, Birgit, Reinhardt, Nicole, Thiessen, Hillard von u. Wieland, Christian: Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für historische Forschung, Bd. 32 2005, S. 233–265. Engel, Leopold: Geschichte des Illuminaten-Ordens. Ein Beitrag zur Geschichte Bayerns, Berlin 1906. Engelberg, Ernst u. Schleier, Hans: Zur Geschichte und Theorie der historischen Biographie, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. 38/1 1990, S. 195–213. Engelbrecht, Helmut: Von der frühen Aufklärung bis zum Vormärz (Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Bildung auf dem Boden Österreichs Bd. 3), Wien 1984. Engelsing, Rolf: Die Perioden der Lesergeschichte in der Neuzeit. Das statistische Ausmaß und die soziokulturelle Bedeutung der Lektüre, in: Archiv für die Geschichte des Buchwesens, Bd. 10 1970, Sp. 977–997. Evans, Richard J: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte. 1532– 1987, Hamburg 2001 [Übers. aus d. Engl.: Rituals of Retribution. Capital Punishment in Germany 1600–1987, Oxford 1996]. Eybl, Franz M.: Enlightenment in Austria: Cultural Identity and a National Literature, in: Becker-Cantarino, Barbara (Hg.): German Literature of the Eighteenth Century. The Enlightenment and Sensibility, Bern 2005, S. 245–264. Eybl, Franz M., Frimmel, Johannes, u. Kriegleder, Wynfried (Hg.): Aloys Blumauer und seine Zeit (Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts Bd. 21), Bochum 2007. Feil, Joseph: Sonnenfels und Maria Theresia. Sylvester Spende für Freunde zum Neujahr 1859, Wien 1858. Fiorioli, Elisabeth: Die Wiener Salonkultur als Spiegel der Gesellschaft, in: Csáky, Moritz u. Pass, Walter (Hg.): Europa im Zeitalter Mozarts, Wien, Köln u. Weimar 1995, S. 291–294. Fischer-Colbrie, Eduard: Eine Episode in Zeillers Leben, in: Wiener juristische Gesellschaft (Hg.): Festschrift zur Jahrhundertfeier des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Wien 1911, S. 295–303. Flemming, Willi: Lessing in Wien und das Grundanliegen seines Wirkens, in: Festschrift für Eduard Castle zum achtzigsten Geburtstag, Wien 1955, S. 33–50. Fournier, August: Historische Studien und Skizzen, Prag u. Leipzig 1885. Frank, Peter R.: Buchhandel in der maria-theresianischen Zeit, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich, Bd. 17 2002, S. 141–152. Freiberg, Doris: Der Wiener literarische Journalismus im 18. Jahrhundert, Diss. Wien 1953.

Darstellungen

485

Frensdorf, Ferdinand: Johann Heinrich Gottlob von Justi. Über das Leben und die Schriften des Nationalökonomen J.H.G. von Justi, Göttingen 1903. Fuchs, Ingrid: Leopold Alois Hoffmann 1760–1806. Seine Ideen und seine Bedeutung als Konfident Kaiser Leopold II., Diss. Wien 1963. Fuchs, Gerhard: Karl Leonhard Reinhold – Illuminat und Philosoph: Eine Studie über den Zusammenhang seines Engagements als Freimaurer und Illuminat mit seinem Leben und philosophischen Wirken (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850“ Bd. 16), Frankfurt a.M. 1994. Fuchs-Heinritz, Werner: Biographische Forschung. Eine Einführung in Praxis und Methoden, Wiesbaden 2005. Garber, Jörn: Recht und Utilitarismus: Joseph von Sonnenfels und das späte Naturrecht, in: Reinalter, Helmut (Hg.): Joseph von Sonnenfels (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs Bd. 13), Wien 1988, S. 97–138. Gestrich, Andreas: Biographie – sozialgeschichtlich, in: Ders., Knoch, Peter u. Merkel, Helga (Hg.): Biographie – sozialgeschichtlich (Kleine Vandenhoeck Reihe Bd. 1583), Göttingen 1988, S. 5–28. Giese, Alexander: Freimaurerisches Geistesleben im Zeitalter der Spätaufklärung am Beispiel des „Journals für Freymaurer“. Versuch einer Würdigung, in: Gottschalk, Friedrich (Hg.): Bibliotheca Masonica Bd. 2.2, Graz 1988, S. 7–59. Giese, Ursula: Johann Thomas Edler von Trattner. Seine Bedeutung als Buchdrucker und Herausgeber, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 3 1961, Sp. 1013–1191. Glossy, Karl: Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur (Jahrbücher der Grillparzer-Gesellschaft Bd. 8), Wien 1897. Gnau, Hermann: Die Zensur unter Joseph II., Straßburg 1911. Godel, Rainer: Der Wilde als Aufklärer? Kulturanthropologisch vermittelte Rezeptionssteuerung in Joseph von Sonnenfels „Mann ohne Vorurtheil“, in: Aufklärung und Anthropologie (Aufklärung Bd. 14), Hamburg 2003, S. 205–232. Görner, Karl von: Der Hans-Wurst-Streit in Wien und Joseph von Sonnenfels, Wien 1884. Götz, Rudolph: Der Leserbrief als „Zeitgespräch der Gesellschaft“. Ein Beitrag zur Publizistik der Aufklärung im theresianisch-josephinischen Wien, Diss. Wien 1981. Gradmann, Christoph: Geschichte, Fiktion und Erfahrung – kritische Anmerkungen zur neuerlichen Aktualität der historischen Biographie, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Bd. 17/2 1992, S. 1–16. Gräffer, Franz u. Deutsch, Simon: Jüdischer Plutarch oder biographisches Lexikon der markantesten Männer und Frauen jüdischer Abkunft, Wien 1848, Ndr. Hildesheim 1975. Grimm, Gerald: Die Schulreform Maria Theresias 1747–1775. Das österreichische Gymnasium zwischen Standesschule und allgemeinbildender Lehranstalt im Spannungsfeld von Ordensschulwesen, theresianischem Reformabsolutismus und Aufklärungspädagogik (Aspekte pädagogischer Innovation Bd. 10), Frankfurt a.M. 1987. Ders.: Die Staats- und Bildungskonzeption Joseph von Sonnenfels und deren Einfluß auf die österreichische Schul- und Bildungspolitik im Zeitalter des Aufgeklärten Absolutismus, in: Hager, Fritz Peter (Hg.): Staat und Erziehung in Aufklärungsphilosophie und Aufklärungszeit, Bochum 1993, S. 53–66. Ders.: Elitäre Bildungsinstitution oder „Bürgerschule“? Das österreichische Gymnasium zwischen Tradition und Innovation 1773–1819, Frankfurt a.M. 1995. Grünberger, Adolf: Ignaz de Luca. Sein Leben und Werk, Diss. Wien 1954. Gugler, Otto Michael: Zensur und Repression. Literatur und Gesellschaftsbild im Zeitalter des Spätjosephinismus, Diss. Wien 1995.

486

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

Haefs, Wilhelm: Ignaz von Born (1742–1791), in: Eibel, Karl (Hg.): Empfindsamkeit (Aufklärung Bd. 13), Hamburg 2001, S. 301–306. Hadamowsky, Franz: „Spectacle müssen sein“. Maria Theresia und das Theater, in: Koschatzky, Walter (Hg.): Maria Theresia und ihre Zeit, Salzburg 1980, S. 387–392. Hähner, Olaf: Historische Biographik: Die Entwicklung einer geschichtswissenschaftlichen Darstellungsform von der Antike bis ins 20. Jahrhundert (Europäische Hochschulschriften Reihe 3, Bd. 829), Frankfurt a.M. u.a. 1999. Haider-Pregler, Hilde: Katharina Ja(c)quet, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 10 1974, S. 353. Dies: Des sittlichen Bürgers Abendschule: Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheaters im 18. Jahrhundert, Wien 1980. Dies.: Die Schaubühne als „Sittenschule“ der Nation. Joseph von Sonnenfels und das Theater, in: Reinalter, Helmut (Hg.): Joseph von Sonnenfels (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs Bd. 13), Wien 1988, S. 191–244. Hammermayer, Ludwig: Der Wilhelmsbader Freimaurer-Konvent von 1782 (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung Bd. 5/2), Heidelberg 1980. Hammermayer, Ludwig Zur Geschichte der europäischen Freimaurerei und der Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert. Genese- Historiographie- Forschungsprobleme, in: Ders., Balász, Eva u. a. (Hg.): Beförderer der Aufklärung in Mittel- und Osteuropa. Freimaurer, Gesellschaften, Clubs, Essen 1987, S. 9–69. Hammerstein, Notker: Was heißt Aufklärung an den katholischen Universitäten des Reiches?, in: Klueting, Harm, Hinske, Norbert und Hengst, Karl (Hg.): Katholische Aufklärung – Aufklärung im katholischen Deutschland (Studien zum 18. Jahrhundert Bd. 15), Hamburg 1993, S. 142–162. Hammerstein, Notker u. Müller, Rainer: Das katholische Gymnasialwesen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Hammerstein, Notker u. Herrmann, Ulrich (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte Bd. II. das 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800, München 2005, S. 324–354. Hammerstein, Notker: Universitäten, in: Hammerstein, Notker u. Herrmann, Ulrich (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2: Das 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800, München 2005, S. 369–400. Harrasowsky, Philipp Harald von: Geschichte der Codification des österreichischen Civilrechts, Wien 1868, Ndr. Frankfurt a.M. 1968. Hartl, Friedrich: Humanität und Strafrecht. Zum 200-jährigen Jubiläum der Aufhebung der Folter in Österreich, in: Österreichische Juristenzeitung, Bd. 31 1976, S. 147–156. Ders.: Das Wiener Kriminalgericht. Strafrechtspflege vom Zeitalter der Aufklärung bis zur österreichischen Revolution (Wiener Rechtsgeschichtliche Arbeiten Bd. 10), Wien 1973. Hasenöhrl, Thomas: Bürgerliche Öffentlichkeit und ihre Manifestation in der Broschürenliteratur des josephinischen Jahrzehnts, Dipl. Wien 2002. Hatschek, Otto: Studien zum österreichischen Polizeistrafrecht, in: Archiv für Strafrecht und Strafprozeß, Bd. 57 1910, S. 1–120. Hebeis, Michael: Karl Anton von Martini (1726–1800). Leben und Werk, Frankfurt a. M. 1995. Heindl, Waltraud: Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich 1780–1848 (Studien zu Politik und Verwaltung Bd. 36), Wien 1991. Dies.: Bildung und Recht. Naturrecht und Ausbildung der staatsbürgerlichen Gesellschaft in der Habsburgermonarchie, in: Angerer, Thomas, Bader-Zaar, Birgitta u. Grandner, Margarete (Hg.): Geschichte und Recht. Festschrift für Gerald Stourzh zum 70. Geburtstag, Wien u.a. 1999, S. 183–206. Hengl, Martina: Das Schul- und Studienwesen Österreichs im aufgeklärten Absolutismus: Studienhofkommission, Schulwirklichkeit, Schulbauten, Diss. Wien 2001.

Darstellungen

487

Hersche, Peter: Der Spätjansenismus in Österreich (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte Österreichs Bd. 7), Wien 1977. Heyden-Rynsch, Verena von der: Europäische Salons: Höhepunkte einer versunkenen weiblichen Kultur, Reinbeck 1995. Hock, Carl Freiherr von u. Bidermann, Ignaz: Der österreichische Staatsrath (1760–1848). Eine geschichtliche Studie, Wien 1879. Hoegel, Hugo: Geschichte des österreichischen Strafrechts in Verbindung mit einer Erläuterung seiner grundsätzlichen Bestimmungen, 2 Bde. Wien 1904. Hofer, Paul: Ignaz von Born. Leben – Leistung – Wertung, Diss. Wien 1955. Hoffmann-Wellenhof, Paul von: Alois Blumauer. Literarhistorische Skizze aus dem Zeitalter der Aufklärung, Wien 1885. Hofmeister, Herbert: Die Rolle Zeillers bei den Beratungen zum ABGB, in: Selb, Walter u. Hofmeister, Herbert (Hg.): Forschungsband Franz von Zeiller (1751–1828). Beiträge zur Gesetzgebungs- und Wissenschaftsgeschichte, Wien, Graz u. Köln 1980, S. 107–126. Hollstein, Bettina: Grenzen sozialer Integration. Zur Konzeption informeller Beziehungen und Netzwerke (Forschung Soziologie Bd. 140), Opladen 2001. Dies.: Qualitative Methoden und Netzwerkanalyse – Ein Widerspruch, in: Dies. u. Strauss, Florian (Hg.): Qualitative Netzwerkanalyse. Konzepte, Methoden, Anwendungen, Wiesbaden 2006, S. 11–35. Holroyd, Michael: Works on Paper. The Craft of Biography and Autobiography, Washington D.C. 2002. Holzmann, Michael u. Portheim, Max von: Materialien zu einer Sonnenfels-Biographie, in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in der Tschechoslowakei, 2. Jg. Heft 1 1931, S. 59–66 u. S. 197–200. Höslinger: Clemens: Als Student im Josephinischen Wien: aus Carl Joseph Pratobeveras Selbstbiographie, in: Springer, Elisabeth u. Kammerhofer, Leopold (Hg.): Archiv und Forschung. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv in seiner Bedeutung für die Geschichte Österreichs und Europas, München 1993, S. 139–152. Im Hof, Ulrich: Das gesellige Jahrhundert: Gesellschaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung, München 1982. Huber, Eva: Sozialstruktur der Wiener Freimaurer 1780–1790, Diss. Wien 1991. Dies.: Logen und Geheimbünde in Wien im ausgehenden 18. Jahrhundert, in: Benedikt, Michael, Baum, Wilhelm u. Knoll, Reinhold (Hg.): Verdrängter Humanismus – verzögerte Aufklärung. Österreichische Philosophie zur Zeit der Revolution und Restauration (1750–1820), Wien 1992, S. 533–558. Jäger-Sunstenau, Hans: Joseph von Sonnenfels ein Vorkämpfer der Aufklärung in Österreich und seine Verwandtschaft, in: Genealogisches Jahrbuch, Bd. 10 1970, S. 5–21. Ders.: Die geadelten Judenfamilien im vormärzlichen Wien, Diss. Wien 1950. Jakob, Hans-Joachim: Die Folianten bilden Gelehrte, die Broschüren aber Menschen: Studien zur Flugschriftenliteratur in Wien 1781 bis 1791 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; Bd. 1809), Frankfurt a.M. u.a. 2001. Jansen, Dorothea: Einführung in die Netzwerkanalyse, 2. erw. Aufl., Opladen 2003. Jordan, Stefan: Pichler, Caroline, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 20 2001, S. 411–412. Julliard, Catherine: La ‘Wiener Zeitschrift’ de Leopold Alois Hoffmann: Une revue réactionnaire à l’époque de la Révolution française, in: Bois, Pierre-André (Hg.): Voix conservatrices et réactionnaires dans les périodiques allemands de la Révolution française à la restauration, Bern, u.a. 1999, S. 299–325. Junaschek, Gudrun: Die publizistische Tätigkeit der Freimaurer zur Zeit Josephs II. in Wien, Diss. Wien 1964.

488

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

Kalb, Herbert: Riegger, Paul Joseph, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 21 2003, S. 581–582. Kann, Robert A.: Kanzel und Katheder. Studien zur österreichischen Geistesgeschichte vom Spätbarock bis zur Frühromantik, Wien 1962. Karniel, Joseph: Joseph von Sonnenfels: Das Welt- und Gesellschaftsbild eines Kämpfers um ein glückliches Österreich, in: Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte Tel Aviv, Bd. 7 1978, S. 111–158. Ders.: Die Toleranzpolitik Kaiser Josephs II., Gerlingen 1986. Karsten, Arne u. Thiessen, Hillard von (Hg.): Nützliche Netzwerke und korrupte Seilschaften, Göttingen 2006. Keeton, Kenneth: The Berliner Montagsklub – A center of German Enlightenment, in: The Germanic Review, Bd. 36 1961, S. 148–153. Keil, Reinhard: Wiener Freunde 1784–1808 (Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur und des geistigen Lebens in Österreich Bd. 2), Wien 1883. Kellenbenz, Hermann: Harrach, Grafen von, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 7 1966, S. 697. Kendall, Paul Murray: The Art of Biography, New York 1985. Kiesel, Helmut u. Münch, Paul: Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. Voraussetzungen und Entstehung des literarischen Markts in Deutschland, München 1977. Kink, Rudolf: Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien, 2 Bde., Wien 1845/55. Klein, Christian (Hg.): Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart u. Weimar 2002. Klein, Christian: Biographik zwischen Theorie und Praxis. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: Ders. (Hg.): Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart u. Weimar 2002, S. 1–22. Ders.: Lebensbeschreibung als Lebenserschreibung? Vom Nutzen biographischer Ansätze aus der Soziologie für die Literaturwissenschaften, in: Ders. (Hg.): Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart u. Weimar 2002, S. 69–80. Klingenstein, Grete: Sonnenfels als Patriot, in: Schulz, Günter (Hg.): Judentum im Zeitalter der Aufklärung, Bremen u. Wolfenbüttel 1977, S. 211–229. Dies.: Akademikerüberschuß als soziales Problem im aufgeklärten Absolutismus. Bemerkungen über eine Rede von Sonnenfels aus dem Jahre 1771, in: Dies. u. Lutz, Heinrich (Hg.): Bildung, Politik und Gesellschaft. Studien zur Geschichte des europäischen Bildungswesens vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, München 1978, S. 165–204. Dies.: Van Swieten und die Zensur, in: Lesky, Erna u. Wandruszka, Adam (Hg.): Gerard van Swieten und seine Zeit. Internationales Symposium veranstaltet von der Universität Wien im Institut für Geschichte der Medizin 8.–10. Mai 1972, Wien, Köln u. Graz 1973, S. 93–107. Dies.: Johann Daniel Schöpflin und Wien, in: Vogler, Bernard u. Voss, Jürgen (Hg.): Strasbourg, Schoepflin et l’Europe au XVIIIe siècle, Bonn 1996, S. 128–162. Dies.: Staatsverwaltung und kirchliche Autorität im 18. Jahrhundert. Das Problem der Zensur in der Theresianischen Reform, München 1970. Dies.: Modes of Religious Tolerance and Intolerance in Eighteenth-Century Habsburg Politics, in: Austrian History Yearbook, Bd. 24 1993, S. 1–16. Dies.: Between Mercantilism and Physiocracy. Stages, Modes and Functions of Economic Theory in the Habsburg Monarchy 1748–1763, in: Ingrao, Charles (Hg.): State and Society in Early modern Austria, West Lafayette 1994, S. 181–213. Dies.: Der Fall Buresch oder über die Anfänge der Polizey- und Kameralwissenschaften in Graz, in: Pferschy, Gerhard (Hg.): Siedlung, Macht und Wirtschaft. Festschrift Fritz Posch zum 70. Geburtstag (Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchivs Bd. 12), Graz 1981, S. 397–409. Dies.: Despotismus und Wissenschaft. Zur Kritik norddeutscher Aufklärer an der österreichi-

Darstellungen

489

schen Universität 1750–1790, in: Engel-Jánosi, Friedrich (Hg.): Formen der europäischen Aufklärung (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit Bd. 3), Wien 1976, S. 126–157. Kocher, Gernot: Franz Georg von Keeß, in: Brauneder, Wilhelm (Hg.): Juristen in Österreich 1200–1800, Wien 1987, S. 93–97. Ders.: Höchstgerichtsbarkeit und Privatrechtskodifikation. Die Oberste Justizstelle und das allgemeine Privatrecht in Österreich von 1749–1811 (Forschungen zur europäischen und vergleichenden Rechtsgeschichte Bd. 2), Wien, Köln u. Graz 1979. Kolisch, Fritz: Lessings Hamburgische Dramaturgie und Sonnenfels’ Briefe über die Wiener Schaubühne, Diss. Wien 1910. Koselleck, Reinhard: Kritik und Krise. Die Pathogenese der bürgerlichen Welt, Frankfurt a.M. 1973. Kopetzky, Franz: Joseph und Franz von Sonnenfels. Das Leben und Wirken eines edlen Brüderpaares nach den besten Quellen dargestellt, Wien 1882. Kracauer, Siegfried: Die Biographie als neubürgerliche Kunstform, in: Ders.: Das Ornament der Masse, Frankfurt a.M. 1930, Ndr. 1963, S. 75–95. Ders.: Offenbach and the Paris of his time, London 1937. Krebs, Roland: Une revue de l’Aufklärung viennoise: “L’ Homme sans préjugés“ de Joseph von Sonnenfels 1765–1767, in: Grappin, Pierre (Hg.): L’Allemagne des lumières: Périodiques, correspondances, témoignages, Paris 1982, S. 215–233. Kremers, Hildegard: Quellenkritische Analyse des ökonomischen Denkens von Joseph von Sonnenfels, Diss. Graz 1983. Dies.: L’oeuvre de Joseph von Sonnenfels et ses sources européennes: Problèmes de réception au XVIIIe siècle, in: Francia, Bd. 14 1986, S. 331–367. Dies.: Das kameralistische Werk von Joseph von Sonnenfels. Einige neuere Aspekte der Quellenforschung, in: Reinalter, Helmut (Hg.): Joseph von Sonnenfels (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs Bd. 13), Wien 1988, S. 171–190. Kudszus, Winfried u. Seeba, Heinrich u. a. (Hg.): Austriaca. Beiträge zur österreichischen Literatur. Festschrift für Heinz Politzer zum 65. Geburtstag, Tübingen 1975. Kuéss, Gustav u. Scheichelbauer, Bernhard: 200 Jahre Freimaurerei in Österreich, Wien 1959. Krömer, Johann: Ignaz von Felbiger, Leben und Werk (Untersuchungen zur Theologie der Seelsorge Bd. XXII), Freiburg i. Br., Basel u. Wien 1966. Kwiatkowski, Ernest: Die Constitutio Criminalis Theresiana. Ein Beitrag zur theresianischen Reichs- und Rechtsgeschichte, Innsbruck 1903. Landon, Else: In der Gunst der Kaiserin. Karrieren unter Maria Theresia, Wien 1997. Lang, Helmut: Die Zeitschriften in Österreich zwischen 1740 und 1815, in: Zeman, Herbert (Hg.): Die österreichische Literatur: Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Graz 1979, S. 203–228. Laumann, Edward, Marsden, Peter u. Prensky, David: The boundary specification Problem in Network Analysis, in: Burt, Ronald u. Minor, Michael (Hg.): Applied Network Analysis. A methodological Introduction, London 1983, S. 18–34. Le Goff, Jacques: Saint Louis, Paris 1996. Leitner, Hermann: Der geheime Dienst der Polizei in seinen Anfängen zur Zeit des österreichischen Absolutismus, Diss. Wien 1994. Lengauer, Hubert: Zur Stellung der „Briefe über die wienerische Schaubühne“ in der aufklärerischen Dramentheorie, in: Zeman, Herbert (Hg.): Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Graz 1979, S. 587–621. Lentze, Hans: Joseph von Sonnenfels, in: Österreich in Geschichte und Literatur, Bd. 6 1972, S. 297–306. Lesky, Erna u. Wandruszka, Adam (Hg.): Gerard van Swieten und seine Zeit. Internationales

490

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

Symposium veranstaltet von der Universität Wien im Institut für Geschichte der Medizin, Wien, Köln u. Graz 1973. Lessing, Erich, Fischer, Julius u. Lessing, Traudl u. a. (Hg.): Die Übungslogen der gerechten und vollkommenen Loge zur wahren Eintracht im Orient zu Wien 1782–1785, Wien 1984. Lettner, Gerda: Das Rückzugsgefecht der Aufklärung in Wien 1790–1792 (Campus Forschung Bd. 558), Frankfurt a.M. 1988. Leuschner, Ulrike u. a. (Hg.): Netzwerk der Aufklärung. Neue Studien zu Johann Heinrich Merck, Berlin 2003. Lin, Nan, Dean, Alfred u. Ensel, Walter: Social Support, Life Events and Depression, London 1986. Lindert, Wilgertte: Aufklärung und Heilserwartung. Philosophische und religiöse Ideen Wiener Freimaurer (1780–1795), (Schriftenreihe der internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850“ Bd. 26), Frankfurt a.M. 1998. Lindner, Dolf: Joseph von Sonnenfels, Wien 1983. Ders.: Ignaz von Born, Meister der wahren Eintracht. Wiener Freimaurerei im 18. Jahrhundert, Wien 1986. Loge Libertas (Hg.): Fünf Jahre Libertas. Unsere Brüder im 18. Jahrhundert, Wien 1965. Lohrmann, Klaus: Das österreichische Judentum zur Zeit Maria Theresias und Josephs II. (Studia Judaica Austriaca Bd. 7), Eisenstadt 1980. Maasburg, Friedrich von: Zur Entstehungsgeschichte der Theresianischen Halsgerichtsordnung, Wien 1880. Ders.: Die Strafe des Schiffziehens in Österreich (1783–1790). Nebst einem Rückblick auf das altösterreichische Gefängniswesen, Wien 1890. MacHardy, Karin J.: War, Religion and Court Patronage in Habsburg Austria. The social and cultural dimensions of political interaction 1521–1622, Basingstoke u. a. 2003. Macho, Eva: Joseph II. – Die „Condemnatio ad poenas extraordinarias“ Schiffziehen und Gassenkehren (Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs Bd. 9), Frankfurt a.M., Berlin, Bern u.a. 1999. Marotzky, Winfried: Qualitative Biographieforschung, in: Flick, Uwe, Kardorff, Ernst von u. Steinke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung, ein Handbuch, Rheinbeck bei Hamburg 2000, S. 175–187. Martens, Wolfgang: Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen moralischen Wochenschriften, Stuttgart 1971. Ders.: Die Geburt des Journalisten in der Aufklärung, in: Schulz, Günter (Hg.): Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung Bd. 1, S. 84–98. McCagg, William: A history of the Habsburg Jews, Indianapolis 1989. Melbeck, Christian: Netzwerkanalyse zur empirischen Messung von Macht in politischen Systemen, in: Ders. u. Henning, Christian (Hg.): Interdisziplinäre Sozialforschung. Theorie und empirische Anwendungen. Festschrift für Franz Urban Pappi, Frankfurt a. M. u.a. 2004, S. 97–114. Meumann, Markus: Zur Rezeption antiker Mysterien im Geheimbund der Illuminaten. Ignaz von Born, Karl Leonhard Reinhold und die Wiener Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“, in: Neugebauer-Wölk, Monika (Hg.): Aufklärung und Esoterik, Hamburg 1999, S. 288–304. Mitrofanov, Paul von: Joseph II. Seine politische und kulturelle Tätigkeit, 2 Bde., Wien u. Leipzig 1910. Moos, Reinhard: Der Verbrechensbegriff in Österreich im 18. und 19. Jahrhundert. Sinn und Strukturwandel, Bonn 1968. Moote, Lloyd: New Bottles and New Wine. The Current State of Early Modernist Biographical Writing, in: French Historical Studies, Bd. 19/4 1999, S. 911–926.

Darstellungen

491

Müller, Willibald: Joseph von Sonnenfels. Biographische Studie aus dem Zeitalter der Aufklärung in Österreich, Wien 1882. Ders.: Johann Leopold von Hay. Ein biographischer Beitrag zur Geschichte der josephinischen Kirchenpolitik, Wien 1892. Müller-Kampel, Beatrix: Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Spaßtheater im 18. Jahrhundert, Paderborn 2003. Muncker, Franz: Joseph von Sonnenfels, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 34 1892, S. 628–635. Muzik, Peter: Egid Valentin Felix Freiherr von Borié (1719–1793). Leben und Werk eines österreichischen Staatsmannes, Diss. Wien 1973. Neugebauer-Wölk, Monika: Esoterische Bünde und bürgerliche Gesellschaft. Entwicklungslinien zur modernen Welt im Geheimbundwesen des 18. Jahrhunderts (Kleine Schriften zur Aufklärung Bd. 8), Wolfenbüttel 1995. Dies.: Arkanwelten im 18. Jahrhundert. Zur Struktur des Politischen im Kontext von Aufklärung und frühmoderner Staatlichkeit, in: Dies. (Hg.): Arkanwelten im politischen Kontext (Aufklärung Bd. 15), Hamburg 2003, S. 7–65. Nipperdey, Thomas: Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Eine Fallstudie zur Modernisierung, in: Ders.: Gesellschaft, Kultur, Theorie: Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte, Göttingen 1976, S. 174–205. Nisbet, Hugh Barr: Lessing. Eine Biographie, München 2008. Nowak, Kurt: Schleiermacher, in: Bödeker, Hans Erich (Hg.): Biographie schreiben (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft Bd. 18), Göttingen 2003, S. 173–210. Obereder, Maria: Bildung als politische Notwendigkeit. Zur Bildungsökonomie der Kameralisten Justi und Sonnenfels, Graz 1988. Oberhummer, Hermann: Die Wiener Polizei, 2 Bde., Wien 1938. Ogris, Werner: Joseph II. Staats- und Rechtsreformen, in: Barton, Peter F. (Hg.): Im Zeichen der Toleranz. Aufsätze zur Toleranzgesetzgebung des 18. Jahrhunderts in den Reichen ­Josephs II., ihren Vorraussetzungen und ihren Folgen. Eine Festschrift (Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte Bd. 8), Wien 1981, S. 109–151. Ders.: Aufklärung, Naturrecht und Rechtsreform in der Habsburgermonarchie, in: Hinske, Norbert (Hg.): Die Aufklärung und die Schwärmer (Aufklärung Bd. 3/1), Hamburg 1988, S. 29– 51. Ders.: Joseph von Sonnenfels als Rechtsreformer, in: Reinalter, Helmut (Hg.): Joseph von Sonnenfels (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs Bd. 13), Wien 1988, S. 11–97. Ders.: Joseph von Sonnenfels und die Entwicklung des österreichischen Strafrechts, in: Illuminismo e dottrine penali (La Leopoldina. Criminalità e giustizia criminale nelle riforme del 700 europeo Bd. 10), Milano 1990, S. 459–482. Ders. (Hg.): Joseph von Sonnenfels: Grundsätze der Polizey (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens Bd. 12), München 2003. Ders.: Joseph von Sonnenfels und die Entwicklung des österreichischen Strafrechts, in: Olechowski, Thomas (Hg.): Elemente europäischer Rechtskultur, Wien 2003, S. 657–676. Olechowski, Thomas: Zur Zensur am Ende des 18. Jahrhunderts: Dichter als Zensoren, in: Eybl, Franz M., Frimmel, Johannes u. Kriegleder, Wynfried (Hg.): Aloys Blumauer und seine Zeit (Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts Bd. 21), Bochum 2007, S. 135–143. Osterloh, Karl-Heinz: Joseph von Sonnenfels und die österreichische Reformbewegung im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus. Eine Studie zum Zusammenhang von Kameralwissenschaft und Verwaltungspraxis, Lübeck u. Hamburg 1970.

492

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

Panke-Kochinke, Birgit: Göttinger Professorenfamilien. Strukturmerkmale weiblichen Lebenszusammenhangs im 18. und 19. Jahrhundert, Pfaffenweiler 1985. Panwitz, Sebastian: Die Berliner Vereine 1786–1815, in: „Berliner Klassik. Eine Großstadtkultur um 1800/Online-Dokumente“, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 2002, URL: http://www.berliner-klassik.de/ publikationen/ werkvertraege/ panwitz_vereine/ vereine.html [Zugriff am 26.10.08] Pappi, Franz Urban: Die Netzwerkanalyse aus soziologischer Perspektive, in: ders. (Hg.): Methoden der Netzwerkanalyse, München 1987, S. 11–36. Pascher, Franz: Joseph Freiherr von Sperges auf Palenz und Reisdorf 1725–1791, Diss. Wien 1965. Patek, Rudolf: Ch. G. Klemm (1736–1802) als Journalist und Theaterschriftsteller, Diss. Wien 1932. Pauli, Leslaw: Die Bedeutung Zeillers für die Kodifikation des Strafrechtes unter besonderer Berücksichtigung der polnischen Strafrechtsgeschichte, in: Selb, Walter u. Hofmeister, Herbert (Hg.): Forschungsband Franz von Zeiller (1751–1828). Beiträge zur Gesetzgebungs- und Wissenschaftsgeschichte, Wien, Graz u. Köln 1980, S. 180–191. Pawel, Jaro: Die literarischen Reformen des 18. Jahrhunderts in Wien, Wien 1881. Peham, Helga: Leopold II. Herrscher mit weiser Hand, Graz, Köln u. Wien 1987. Petenegg, Gaston Graf von: Ludwig und Karl Grafen und Herren von Zinzendorf. Minister unter Maria Theresia, Joseph II., Leopold II. und Franz I. Ihre Selbstbiographien nebst einer kurzen Geschichte des Hauses Zinzendorf, Wien 1879. Plachta, Bodo: Damnatur – Toleratur – Admittitur. Studien und Dokumente zur literarischen Zensur im 18. Jahrhundert, Tübingen 1994. Ders.: Zensur: Eine Institution der Aufklärung?, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich, Bd. 17 2002, S. 153–166. Preu, Peter: Polizeibegriff und Staatszwecklehre. Die Entwicklung des Polizeibegriffs durch die Rechts- und Staatswissenschaften des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1983. Pribram, Karl: Geschichte der österreichischen Gewerbepolitik 1740–1860, Bd. 1 1740–1798, Leipzig 1907. Priglinger, Walter: Verdrängter Humanismus und verzögerte Aufklärung. Auf der Suche nach der österreichischen Philosophie, in: Benedikt, Michael, Baum, Wilhelm u. Knoll, Reinhold (Hg.): Verdrängter Humanismus – verzögerte Aufklärung. Österreichische Philosophie zur Zeit der Revolution und Restauration (1750–1820), Wien 1992, S. 31–91. Prohaska, Gertrude: Der literarische Salon der Karoline Pichler, Diss. Wien 1946. Raulff, Ulrich: Das Leben – buchstäblich. Über neuere Biographik und Geschichtswissenschaft, in: Klein, Christian (Hg.): Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart 2002, S. 55–69. Reinalter, Helmut: Die Freimaurerei zwischen Josephinismus und frühfranziszeischer Reaktion. Zur gesellschaftlichen Rolle und indirekt politischen Macht der Geheimbünde im 18. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.): Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft Bd. 403), Frankfurt a.M. 1983, S. 35–84. Ders. (Hg.): Joseph von Sonnenfels (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs Bd. 13), Wien 1988. Ders.: Joseph von Sonnenfels – Leben und Werk in Grundzügen, in: Ders. (Hg.): Joseph von Sonnenfels (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs Bd. 13), Wien 1988, S. 1–10. Ders.: Joseph von Sonnenfels als Gesellschaftstheoretiker, in: Ders. (Hg.): Joseph von Sonnenfels (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs Bd. 13), Wien 1988, S.139–156.

Darstellungen

493

Ders.: Freimaurerei und Demokratie im 18. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.): Aufklärung und Geheimgesellschaften. Zur politischen Funktion und Sozialstruktur der Freimaurerlogen im 18. Jahrhundert (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution Bd. 16), München 1989, S. 41–63. Ders.: Ignaz von Born. Aufklärer, Freimaurer und Illuminat, in: Ders.: Aufklärung und Geheimgesellschaften. Zur politischen Funktion und Sozialstruktur der Freimaurerlogen im 18. Jahrhundert, München 1989, S. 151–173. Ders.: Freimaurerei und Geheimgesellschaften, in: Ders. (Hg.): Aufklärungsgesellschaften (Schriftenreihe der internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850“ Bd. 10), Frankfurt a.M. 1993, S. 83–96. Ders.: Ignaz von Born (1742–1791). Aufklärer, Publizist, Forscher und Freimaurer, in: Ders. (Hg.): Gesellschaft und Kultur Mittel-, Ost- und Südosteuropas im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Festschrift für Erich Donnert zum 65. Geburtstag, Frankfurt a.M. u. Wien 1994, S. 117–135. Ders.: Die Rolle der Freimaurerei und Geheimgesellschaften im 18. Jahrhundert, Innsbruck 1995. Ders.: Gegen die „Tollwuth der Aufklärungsbarbarei“. Leopold Alois Hoffmann und der frühe Konservativismus in Österreich, in: Weiss, Christoph u. Albrecht, Wolfgang (Hg.): Von „Obscuranten“ und „Eudämonisten“. Gegenaufklärerische, konservative und antirevolutionäre Publizisten im späten 18. Jahrhundert, St. Ingbert 1997, S. 221–244. Ders.: Ignaz von Born und die Illuminaten in Österreich, in: Ders. (Hg.): Der Illuminatenorden: 1776–1785/87. Ein politischer Geheimbund der Aufklärungszeit, Frankfurt a.M. 1997, S. 351–392. Reinhard, Wolfgang: Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie, München 2004. Reinhardt, Nicole: „Verflechtung“ – ein Blick zurück nach vorn, in: Burschel, Wolfgang (Hg.): Historische Anstöße, Festschrift für Wolfgang Reinhardt zum 65. Geburtstag, Berlin 2002, S. 235–262. Rieder, Heinz: Heufeld, Franz in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 9 1972, S. 40. Ritter, Erwin Frank: Johann Baptist von Alxinger and the Austrian enlightenment (Europäische Hochschulschriften Reihe I, Deutsche Literatur und Germanistik Bd. 34), Bern 1970. Rommel, Otto: Die Alt-Wiener Volkskomödie. Ihre Geschichte vom Barocken Welt-Theater bis zum Tode Nestroys, Wien 1952. Rosenstrauch-Königsberg, Edith: Aloys Blumauer – Jesuit, Freimaurer, Jakobiner, in: Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte Tel Aviv, Bd. 2 1973, S. 145–171. Dies.: Freimaurerei im josephinischen Wien. Aloys Blumauers Weg vom Jesuiten zum Jakobiner, Wien 1975. Dies.: Eine freimaurerische Akademie der Wissenschaften in Wien, in: Schoeps, Julius, Geiss, Imanuel u.a. (Hg.): Revolution und Demokratie in Geschichte und Literatur. Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Grab, Duisburg 1979, S. 151–170. Dies.: Präjakobinische Geheimbünde in der Habsburger Monarchie, in: Büsch, Otto u. Grab, Walter (Hg.): Die demokratische Bewegung in Mitteleuropa im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert. Ein Tagungsbericht, Berlin 1980, S. 130–147. Dies.: Illuminaten in der Habsburger Monarchie, in: Quatuor Coronati, Bd. 20 1983, S. 119–142. Dies.: Illuminat, Weltbürger. Friedrich Münters Reisen und Briefe in ihren europäischen Bezügen, Essen 1987. Dies.: Die Wiener „Realzeitung“ als Kommunikationsmittel in der Habsburger Monarchie, in: Dies., Fried, Istvan u. Lemberg, Hans (Hg.): Zeitschriften und Zeitungen des 18. und 19. Jahrhunderts in Mittel- und Osteuropa, Essen 1987, S. 117–138. Dies.: Ausstrahlungen des Journals für Freimaurer, in: Balász, Eva, Hammermayer, Ludwig u.a.

494

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

(Hg.): Beförderer der Aufklärung in Mittel- und Osteuropa. Freimaurer, Gesellschaften, Clubs, Essen 1987, S. 103–117. Dies.: Literatur der Aufklärung. 1765–1800, Wien, Köln u. Graz 1988. Dies.: Die Philosophie der österreichischen Freimaurer und Illuminaten, in: Benedikt, Michael, Baum, Wilhelm u. Knoll, Reinhold (Hg.): Verdrängter Humanismus – verzögerte Aufklärung. Auf der Suche nach der österreichischen Philosophie, Bd. 2 Aufklärung, Revolution, Restauration, Wien 1991, S. 559–595. Sashegyi, Oskar: Zensur und Geistesfreiheit unter Joseph II. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte der habsburgischen Länder, Budapest 1958. Sauer, Werner: Von der „Kritik“ zur „Positivität“. Die Geisteswissenschaften in Österreich zwischen Josephinischer Aufklärung und Franziszeischer Restauration, in: Schnedl-Bubenicek, Hanna (Hg.): Vormärz: Wendepunkt und Herausforderung. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Kulturpolitik in Österreich, Wien u. Salzburg 1983, S. 17–46. Schindler, Otto: Theatergeschichte von Baden bei Wien im 18. Jahrhundert. Mit besonderer Berücksichtigung der „Badner-Truppe“ und ihres Repertoires, Diss. Wien 1971. Schläger, Hans: Tobias von Gebler, Diss. Wien 1972. Schleien, Marjem: Die moralischen Wochenschriften des Freiherrn von Sonnenfels, Diss. Wien 1936. Schlosser, Hans: Kodifikationen im Umfeld des Preußischen Allgemeinen Landrechts. Der französische Code Civil (1804) und das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (1811), in: Merten, Detlef u. Schreckenberger, Waldemar (Hg.): Kodifikation gestern und heute. Zum 200. Geburtstag des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 62. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung 1994 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 119), Berlin 1995, S. 63–82. Schmoeckel, Mathias: Humanität und Staatsräson. Die Abschaffung der Folter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozeß- und Beweisrechts seit dem hohen Mittelalter, Köln, Weimar u. Wien 2000. Schlegelmilch, Arthur: Österreich, in: Brandt, Peter, Kirsch, Martin u. Schlegelmilch, Arthur (Hg.): Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. Bd. 1 um 1800, Bonn 2006, S. 851–943. Schreckenberger, Waldemar (Hg.): Kodifikation gestern und heute. Zum 200. Geburtstag des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 62. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung 1994 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Schriftenreihe der Hochschule Speyer Bd. 119), Berlin 1995. Stolleis, Michael: Die Idee des Souveränen Staates, in: Der Staat, Beiheft 11 1996: Entstehen und Wandel verfassungsrechtlichen Denkens, S. 63–86. Schulte-Sasse, Jochen: Das Konzept bürgerlich literarischer Öffentlichkeit und die Gründe seines Zerfalls, in: Bürger, Christa, Bürger, Peter u. Schulte-Sasse, Jochen (Hg.): Aufklärung und literarische Öffentlichkeit, Frankfurt a.M. 1980, S. 99–106. Schulze, Reiner: Policey und Gesetzgebungslehre im 18. Jahrhundert, Berlin 1982. Schüttler, Hermann: Karl Leonhard Reinhold und die Illuminaten im Vorfeld der Französischen Revolution, in: Reinalter, Helmut (Hg.): Der Illuminatenorden (1776–1785/87): Ein politischer Geheimbund der Aufklärungszeit, Frankfurt a.M. 1997, S. 323–350. Schwingel, Markus: Pierre Bourdieu zur Einführung, 5. Aufl., Hamburg 2005. Seidel, Robert: Zur Einleitung: Neue Wege in der Sozietätsgeschichte, in: Zaunstöck, Holger u. Meumann, Marcus (Hg.): Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung Bd. 21), Tübingen 2003, S. 42–53. Seidler, Wolfram: Buchmarkt und Zeitschriften in Wien 1760–1785. Studie zur Herausbildung

Darstellungen

495

einer literarischen Öffentlichkeit im Österreich des 18. Jahrhunderts (Aufsätze zur Lesegeschichte Sonderband 1), Szeged 1994. Seifert, Eckhart: Paul Joseph Riegger (1705–1775), (Schriften zur Rechtsgeschichte Bd. 5), Berlin 1973. Sengle, Friedrich: Johann Baptist von Alxinger (1755–1797), in: Zeman, Herbert (Hg.): Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Bd. 2, Graz 1979, S. 773–803. Silagi, Denis: Jakobiner in der Habsburger-Monarchie. Ein Beitrag zur Geschichte des aufgeklärten Absolutismus in Österreich (Wiener historische Studien Bd. 6), Wien u. München 1962. Simon, Thomas: „Gute Policey“. Ordnungsleitbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der frühen Neuzeit (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte Bd. 170), Frankfurt a.M. 2004. Simonson, Franz: Joseph von Sonnenfels und die Grundsätze der Polizei, Berlin 1884. Sommer, Louise: Die österreichischen Kameralisten in dogmengeschichtlicher Darstellung, Wien 1920–1925, Ndr. Aalen 1967. Sommer, Friedrich: Die Wiener Zeitschrift (1792–1793). Die Geschichte eines antirevolutionären Journals, in: Das Freimaurermuseum, Bd. 7 1932, S. 9–155. Spiel, Hilde: Fanny Arnstein oder die Emanzipation, Frankfurt a.M. 1962. Spitzer, Felix: Josef von Sonnenfels als Nationalökonom, Diss. Bern 1906. Steiner, Gerhard: Freimaurer und Rosenkreuzer: Georg Forsters Weg durch Geheimbünde. Neue Forschungsergebnisse auf Grund bisher unbekannter Archivalien, Berlin 1985. Stieda, Wilhelm: Die Nationalökonomie als Universitätswissenschaft, Leipzig 1905, Ndr. Vaduz 1978. Strakosch, Henry: Absolutism and the Rule of Law. The struggle for the codification of civil law in Austria 1753–1811, Sidney 1967. Strasser, Kurt: Die Wiener Presse in der josephinischen Zeit, Diss. Wien 1962. Strub, Bettina: Der Einfluß der Aufklärung auf die Todesstrafe, Diss. Zürich 1973. Szabo, Franz: Kaunitz and the enlightened absolutism 1753–1780, Cambridge 1994. Tadmor, Naomi: Family and Friends in Eighteenth-Century England. Household, Kinship and Patronage, Cambridge 2001. Tanzer, Gerhard: Spectacle müssen sein. Die Freizeit der Wiener im 18. Jahrhundert (Kulturstudien Bd. 21), Wien u.a. 1992. Teich, Mikulás: Ignaz von Born als Organisator wissenschaftlicher Bestrebungen in der Habsburger Monarchie, in: Amburger, Erik (Hg.): Wissenschaftspolitik in Mittel- und Osteuropa: Wissenschaftliche Gesellschaften, Akademien und Hochschulen im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert (Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa Bd. 3), Berlin 1976, S. 195–205. Tersch, Harald: Vielfalt der Formen. Selbstzeugnisse der Frühen Neuzeit als historische Quellen, in: Winkelbauer, Thomas (Hg.): Vom Lebenslauf zur Biographie: Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik, Krems 2000, S. 69–98. Thienen-Adlerflycht, Christoph: Wandlungen des österreichischen Studiensystems im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, in: Neuloh, Otto u. Rüegg, Walter (Hg.): Student und Hochschule im 19. Jahrhundert, Göttingen 1975, S. 27–46. Tietze, Hans: Die Juden Wiens. Geschichte – Wirtschaft – Kultur, Wien 1987. Tolkemitt, Brigitte: Knotenpunkte im Beziehungsnetz der Gebildeten: Die gemischte Geselligkeit in den offenen Häusern der Hamburger Familien Reivarus und Sieveking, in: Weckel, Ulrike (Hg.): Ordnung, Politik und Geselligkeit der Geschlechter im 18. Jahrhundert (Das achtzehnte Jahrhundert, Supplementa Bd. 8), Göttingen 1998, S. 167–202.

496

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

Treuenfest, Amon Ritter von: Dienstzeit des k.k. Hofrathes und Präsidenten der Akademie der bildenden Künste in Wien Joseph Freiherrn von Sonnenfels als Gemeiner und Corporal im Infanterie Regiment Hoch- und Deutschmeister Nr. 4, in: Streffleurs (Österreichische) Militärische Zeitschrift, Bd. 3/4 1879, S. 201–205. Tschurtschenthaler, Ursula von: Die Publizistik im josephinischen Wien und ihr Beitrag zur Aufklärung, Diss. Wien 1957. Uhlig, Ludwig: Georg Forster. Lebensabenteuer eines gelehrten Weltbürgers (1754–1794), Göttingen 2004. Unterkalmsteiner, Elsbeth: Folter und Tortur. Zum Diskurs um die Strafrechtspraxis in Österreich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, Dipl. Innsbruck 2002. Urfus, Valentin: Die Wuchergesetzgebung in Österreich zwischen Josephinismus und Liberalismus, in: Grass, Nikolaus (Hg.): Festschrift Hans Lentze. Zum 60. Geburtstage dargebracht von Fachgenossen und Freunden, Innsbruck 1969, S. 575–586. Valentin, Jean-Marie: J. von Sonnenfels et le peuple: vision politique et esthétique théâtrale, in: Volk, Volksstück, Volkstheater im deutschen Sprachraum des 18.–20. Jahrhunderts, Bern 1986, S. 41–61. Vávra, Jaroslav: Ignaz von Born als führende Persönlichkeit der Aufklärungsepoche in Böhmen, in: Balász, Eva u. Hammermayer, Ludwig u.a. (Hg.): Beförderer der Aufklärung in Mittel- und Osteuropa. Freimaurer, Gesellschaften, Clubs, Essen 1987, S. 141–146. Vehse, Eduard: Geschichte des österreichischen Hofs und Adels, 11 Bde., Hamburg 1859. Ventzke, Markus: Personelle Netzwerke im Reformabsolutismus Sachsen-Weimars und Eisenachs zwischen 1775 und 1785, in: Meumann, Marcus (Hg.): Herrschaft in der Frühen Neuzeit: Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, München 2004. Vobis, Gertrud: Die jüdische Minderheit in Westeuropa: Die literarischen Salons im 19. Jahrhundert als Quelle für Netzwerkanalysen, in: Schweizer, Thomas (Hg.): Netzwerkanalyse. Ethnologische Perspektiven, Berlin 1989, S. 167–184. Vocelka, Karl: 1699–1815: Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im habsburgischen Vielvölkerstaat (Österreichische Geschichte, hg. von Wolfram, Herwig Bd. 7), Wien 2001. Wagner, Hans: Die Zensur in der Habsburger Monarchie (1750–1810), in: Göpfert, Herbert, Kozieleck, Gerard u. Wittmann, Reinhard (Hg.): Buch- und Verlagswesen im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der Kommunikation in Mittel- und Osteuropa, Berlin 1977, S. 28–44. Wagner, Hans: Die politische und kulturelle Bedeutung der Freimaurer im 18. Jahrhundert, in: Balász, Eva, Hammermayer, Ludwig u.a. (Hg.): Beförderer der Aufklärung in Mittel- und Osteuropa. Freimaurer, Gesellschaften, Clubs, Essen 1987, S. 69–86. Wagner, Stefan: Der politische Kodex. Die Kodifikationsarbeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in Österreich 1780–1818, Berlin 2003. Wagner, Walter: Die Geschichte der Akademie der bildenden Künste in Wien, Wien 1967. Wahlberg, Wilhelm Emil: Gesammelte kleinere Schriften und Bruchstücke über Strafrecht, Strafprozeß, Gefängniskunde, Literatur und Dogmengeschichte der Rechtslehre in Österreich, 3 Bde., Wien 1877. Walter, Friedrich: Die Organisierung der staatlichen Polizei unter Kaiser Joseph II., in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Wien, Bd. 7 1927, S. 22–53. Ders.: Die österreichische Zentralverwaltung. Die Zeit Josephs II. und Leopolds II. 1780–1792 (Veröffentlichung der Kommission für neuere Geschichte Österreichs Bd. 35), Wien 1950. Ders.: Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte von 1500–1955, Wien, Köln u. Graz 1972.

Darstellungen

497

Walter-Klingenstein, Grete: Professor Sonnenfels darf nicht reisen: Beobachtungen zu den Anfängen der Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaften, in: Kopetz, Hedwig (Hg.): Soziokultureller Wandel im Verfassungsstaat: Phänomene politischer Transformation. Festschrift für Wolfgang Mantl zum 65. Geburtstag, Wien 2004, Bd. 2, S. 829–842. Wandruszka, Adam: Leopold II. Erzherzog von Österreich, Großherzog von Toskana, König von Ungarn und Böhmen, Römischer Kaiser, Wien 1965. Wangermann, Ernst: From Joseph II. to the Jacobin Trials. Government Policy and Public Opinion in the Habsburg Dominions in the Period of the French Revolution, Oxford 1969. Ders.: Das Bildungsideal Gottfried van Swietens, in: Lesky, Erna u. Wandruszka, Adam (Hg.): Gerard van Swieten und seine Zeit. Internationales Symposium veranstaltet von der Universität Wien im Institut für Geschichte der Medizin 8.–10. Mai 1972, Wien, Köln u. Graz 1973, S. 175–181. Ders.: Aufklärung und staatsbürgerliche Erziehung. Gottfried van Swieten als Reformator des österreichischen Unterrichtswesens 1781–1791, Wien 1978. Ders.: Joseph von Sonnenfels und die Vaterlandsliebe der Aufklärung, in: Reinalter, Helmut (Hg.): Joseph von Sonnenfels (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs Bd. 13), Wien 1988, S. 157–170. Ders.: Österreichische Aufklärung und Französische Revolution, in: Ders. u. Wagner, Birgit (Hg.): Die schwierige Geburt der Freiheit. Das Wiener Symposion zur Französischen Revolution, Wien 1991, S. 183–193. Ders.: Publizistik als Parlamentsersatz bei Staatstheoretikern der Josephinischen Ära, in: Benedikt, Michael, Baum, Wilhelm u. Knoll, Reinhold (Hg.): Verdrängter Humanismus – verzögerte Aufklärung. Österreichische Philosophie zur Zeit der Reformation und Restauration (1750–1820), Wien 1992, S. 709–718. Ders.: Die Waffen der Publizität. Zum Funktionswandel der politischen Literatur unter Joseph II., München 2004. Ders.: Maria Theresia. A reforming Monarchy, in: Dickens, Arthur G. (Hg.): The Courts of Europe. Politics, Patronage and Royalty 1400–1800, London 1977, S. 283–303. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. rev. Aufl., Tübingen 1972. Weckel, Ulrike (Hg.): Ordnung, Politik und Geselligkeit der Geschlechter im 18. Jahrhundert (Das achtzehnte Jahrhundert, Supplementa Bd. 6), Göttingen 1998. Weis, Eberhard: Der Illuminatenorden 1776–1786 unter besonderer Berücksichtigung der Fragen seiner sozialen Zusammensetzung, seiner politischen Ziele und seiner Fortexistenz nach 1786, in: Reinalter, Helmut (Hg.): Der Illuminatenorden: 1776–1785/87. Ein politischer Geheimbund der Aufklärungszeit, Frankfurt a.M. 1997, S. 227–246. Weiss, Anton: Die Entstehungs-Geschichte des Volksschul-Planes von 1804. Festschrift der Universität Graz aus Anlaß der Jahresfeier am 15. Nov. 1899, Graz 1900. Weitensfelder, Hubert: Studium und Staat. Heinrich Graf Rottenhan und Johann Melchior Birkenstock als Repräsentanten der österreichischen Bildungspolitik um 1800 (Schriftenreihe des Universitätsarchivs, Universität Wien Bd. 9), Wien 1996. Wernigg, Ferdinand: Bibliographie österreichischer Drucke während der „erweiterten Pressfreiheit“ 1781–1795 (Veröffentlichungen aus der Wiener Stadtbibliothek 4. Folge), Wien u. München 1973. West, Hugh: Knowledge, Brotherhood and Love: Georg Forster in Vienna, 1784, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich, Bd. 18/19 2004, S. 337–354. Wiesinger, Peter: Die Reform der deutschen Schriftsprache unter Maria Theresia. Ziele – Durchführung – Wirkung, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich, Bd. 17 2002, S. 131–140. Wilhelm, Gustav (Hg.): Briefe des Dichters Johann Baptist von Alxinger (Sitzungsberichte der

498

Verzeichnis der zitierten Quellen und Literatur

kaiserlichen Akad. der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-historische Classe Bd. CXL), Wien 1898. Winckler, Johann: Die periodische Presse Österreichs. Eine historisch-statistische Studie, Wien 1875. Winkler, Hildegard: Die Reformen Josephs II. im Urteil der Broschüren. Ein Beitrag zur nichtperiodischen Publizistik des 18. Jahrhunderts, Diss. Wien 1971. Winkelbauer, Thomas: Plutarch, Sueton und die Folgen. Konturen und Konjunkturen der historischen Biographie, in: Ders. (Hg.): Vom Lebenslauf zur Biographie: Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik, Krems 2000, S. 9–46. Winter, Eduard: Frühliberalismus in der Donaumonarchie. Religiöse, nationale und wissenschaftliche Strömungen von 1790–1868 (Beiträge zur Geschichte des religiösen und wissenschaftlichen Denkens Bd. 7), Berlin 1968. Wittmann, Reinhard (Hg.): Der deutsche Buchmarkt in Osteuropa im 18. Jahrhundert. Voraussetzungen und Probleme, in: Ders. (Hg.): Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880, Tübingen 1982, S. 93–110. Ders.: Der gerechtfertigte Nachdrucker? Nachdruck und literarisches Leben im 18. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.): Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880, Tübingen 1982, S. 69–92. Ders.: Subskribenten- und Pränumerantenverzeichnisse als Quellen zur Lesergeschichte, in: Ders. (Hg.): Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880, Tübingen 1982, S. 46–68. Ders.: Geschichte des deutschen Buchhandels, München 1999. Wolf, Adam: Graf Rudolf Chotek, k.k. österreichischer Staats- und Conferenzminister, o.O. 1853. Wolf, Norbert Christian: Der Raum der Literatur im Feld der Macht. Strukturwandel im theresianischen und josephinischen Zeitalter, in: Das 18. Jahrhundert und Österreich, Bd. 17 2002, S. 45–70. Wolf, Nobert Christian: Blumauers Autorpolitik, in: Eybl, Franz M., Frimmel, Johannes u. Kriegleder, Wynfried (Hg.): Aloys Blumauer und seine Zeit (Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Bd. 21), Bochum 2007, S. 13–30. Ders. : Polemische Konstellationen: Berliner Aufklärung, Leipziger Aufklärung und der Beginn der Aufklärung in Wien (1760–1770), (21.08.2005), in: Goethezeitportal. URL: [Zugriff am 20.07.2009]. Wolfsgruber, Cölestin: Christoph Anton Kardinal Migazzi, Fürsterzbischof von Wien. Eine Monographie und zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Josephinismus, Ravensburg 1897. Wolny, Reinhold Joseph: Die josephinische Toleranz unter besonderer Berücksichtigung ihres geistlichen Wegbereiters Johann Leopold Hay, München 1973. Wotke, Karl: Karl Heinrich Ritter von Seibt als der Direktor der Gymnasien Böhmens, Prag 1905, S. 193–240. Ders.: Die von der Studien-Revisions-Hofkommission (1797–1799) vorgeschlagene Reform der österreichischen Gymnasien (Beiträge zur Österreich. Erziehungs- und Schulgeschichte Bd. 12), Wien u. Leipzig 1915. Wunder, Heide: „Er ist die Sonn’, sie ist der Mond“. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992. Wurzbach, Konstantin von: Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich. 60 Bde., Wien 1856–1891. Zaunstöck, Holger: Zur Einleitung: Neue Wege in der Sozietätsgeschichte, in: Ders. u. Meumann, Marcus (Hg.): Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung Bd. 21), Tübingen 2003.

Darstellungen

499

Zechmeister, Gustav: Das Wiener Theater nächst der Burg und nächst dem Kärntnerthor von 1747–1776, Wien 1971. Zeman, Herbert: Der Drucker-Verleger Joseph Ritter von Kurzböck und seine Bedeutung für die österreichische Literatur des 18. Jahrhunderts, in: Göpfert, Herbert, Kozielek, Gerard u. Wittmann, Reinhard (Hg.): Buch- und Verlagswesen im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der Kommunikation in Mittel- und Osteuropa, Berlin 1977, S. 104–129. Ders.: Der Drucker-Verleger Joseph Ritter von Kurzböck und seine Bedeutung für die österreichische Literatur des 18. Jahrhunderts, in: Ders. (Hg.): Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Graz 1979, S. 143–178. Ders. (Hg.): Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (Jahrbuch für österreichische Kulturgeschichte Bd. 7/9), 2 Bde., Wien 1979. Zöllner, Erich: Geschichte Österreichs von den Anfängen bis zur Gegenwart, 4. Aufl., München 1970.

Anhang I

T abellarischer L ebenslauf des J oseph ­S onnenfels [ mit K apitelverweisen ]

von

1733 Geboren in Nikolsburg als Sohn des Perlin Lipmann [Kap. 2.1] 1735 Taufe in Wien. Namenswechsel des Vaters zu Alois Wienner. Neuer Name des Kindes: Joseph Wienner. Patenschaft durch die Adelsfamilie von Dietrichstein [Kap. 2.1] 1740 H e r r s c h a f t s b e g i n n M a r i a T h e r e s i a s 1741–1745 Besuch des Piaristenkollegs in Nikolsburg, gefördert durch die Familie Dietrichstein [Kap. 2.1] 1746 Erhebung des Vaters Alois in den Adelsstand mit dem Titel „von Sonnenfels“ Alois von Sonnenfels ist hiernach bis zu seinem Tod 1768 als hebräischer Sprachlehrer, Gerichtsdolmetscher und Schriftsteller in Wien tätig [Kap. 2.2] 1746–1749 Studium an der philosophischen Fakultät der Universität Wien und unbestimmte Tätigkeiten im Umfeld des väterlichen Haushalts [Kap. 2.1] 1749–1754 Dienst im Regiment „Hoch und Deutschmeister“ (ab 1752 als Unteroffizier) [Kap. 3.1] 1755–1758 Studium an der juristischen Fakultät der Universität Wien [Kap. 3.2] 1759–1761 Unbezahlte juristische Praktika und Assistent des Vaters als Gerichtsübersetzer [Kap. 3.3] 1761–1763 Rechungsführer der kaiserlichen Leibgarde [Kap. 3.4] Im selben Zeitraum: Mitglied der „Deutschen Gesellschaft“ in Wien [Kap. 3.5] 1763 Berufung zum Professor für Polizey- und Kameralwissenschaft in Wien [Kap. 4.1.1] Hochzeit mit Theresie von Hay, Aufnahme zweier Schwestern seiner Frau in den Haushalt [Kap. 3.6] 1765 B e g i n n d e r M i t r e g e n t s c h a f t J o s e p h s II. 1765 Veröffentlichung des ersten Bandes des dreiteiligen Lehrbuches

502

Tabellarischer Lebenslauf des Joseph von ­Sonnenfels

„Sätze aus der Polizey-, Handlungs- und Finanzwissenschaft.“ [Kap. 4.1.2] Leitung einer umstrittenen Disputation gegen Folter und Todesstrafe [Kap. 4.1.3] Veröffentlichung seiner ersten Wochenschrift „Der Vertraute“ [Kap. 5.1.1] 1765–1766 Veröffentlichung der Wochenschrift „Der Mann ohne Vorur­ theil“ [Kap. 5.1.2] Zugleich weitere Zeitschriftenprojekte [Kap. 5.1.3] 1767–1769 Veröffentlichung der „Briefe über die Wienerische Schaubühne“ Tätigkeit als Theaterkritiker; Öffentlicher Konflikt um die Theaterreform [Kap. 7.1.1 u. 7.1.2] 1769 Ernennung zum beständigen Sekretär der Kupferstecherakademie (ab 1773 Akademie der bildenden Künste). Ausübung des Amtes bis 1810, dann Erhebung zum Präses [Kap. 4.3] Beförderung zum niederösterreichischen (Titular)Regierungsrat ohne Geschäftsbereich [Kap. 4.1.2] 1770 Ernennung zum Theaterzensor – Entlassung noch im selben Jahr [Kap. 7.1.3] Berufung in die Bücher-Zensur-Kommission unter Gerhard van Swieten – Rücktritt 1772 [Kap. 5.4] Mitarbeit an der „Realzeitung der Künste und Kommerzien“ bis 1785 [Kap. 5.1.3] 1771–1790 Leiter der Studien des Fachs „Politische Wissenschaften“ in der gesamten Habsburgermonarchie; Allmählicher Rückzug aus der universitären Lehre [Kap. 4.1.2] 1772 Die Korrespondenz mit Christian Adolph Klotz wird von dessen Witwe publiziert; Skandal in Wien bis 1773 [Kap. 5.2] 1773 Übertragung eines eigenen Aufgabenbereichs in der niederösterreichischen Landesregierung: „Polizeireferent“ bis zum Herrschaftsbeginn Josephs II [Kap. 7.3] 1775 Das Separatvotum „Ueber die Abschaffung der Tortur“ erscheint ohne Genehmigung in Wien; Eine Untersuchung gegen Sonnenfels bleibt ergebnislos [Kap. 7.2.3] 1776 Ernennung zum Direktor der Wiener Stadtbeleuchtung [Kap. 7.3.2] 1780 Beförderung zum (Titular)Hofrat der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei für seine erfolgreiche Tätigkeit als Beleuchtungsdirektor [Kap. 7.3.2]; Berufung in die Studienhofkommission, dort tätig bis zu deren Auflösung 1791 [Kap. 7.4.2]

Tabellarischer Lebenslauf des Joseph von ­Sonnenfels

503

1780 H e r r s c h a f t s b e g i n n J o s e p h s II. 1781 Berufung zum Professor für Geschäftsstil an der Universität Wien [Kap. 4.1.2] Neuer Aufgabenbereich in der Staatsverwaltung: Stilrevision neuer Gesetze [Kap. 5.5] 1782–1785 Mitglied der Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht im Orient zu Wien“. Redner und stellvertretender Meister der Loge [Kap. 6.2] Im selben Zeitraum: Verbindungen zum Orden der Illuminaten [Kap. 6.2.2] 1783–1787 Mitarbeit am josephinischen Strafgesetzbuch. Stilrevision des ersten Teils [Kap. 7.2.5] und eigenständige Arbeit am zweiten Teil [Kap. 7.6.2] 1790 H e r r s c h a f t s b e g i n n L e o p o l d s II. 1791 Rücktritt von den Professuren [Kap. 4.1.5] Entwurf von Reformkonzepten für Verwaltung und Polizeiordnung der Stadt Wien [Kap. 7.3.4] 1791–1792 Konflikt mit Leopold Alois Hoffmann und Joseph Heinrich Watteroth um seine Nachfolge an der Wiener Universität und seinen Ruf als Gelehrter [Kap. 4.1.6] 1792 H e r r s c h a f t s b e g i n n F r a n z II. ( a b 1804 F r a n z I.) 1794 Erstes Rektorat der Universität Wien [Kap. 4.1.7] Berufung in eine Revisionskomission für neue Gesetzesentwürfe bis 1796 [Kap. 7.6.1 und 7.6.2] 1796 Zweites Rektorat an der Universität Wien [Kap. 4.1.7] Berufung in die Studienrevisionshofkommission bis 1802 [Kap. 7.4.4] 1796–1817 Mitarbeit an drei Gesetzgebungsprojekten: 1796–1803 Redaktion des Allgemeinen Strafgesetzbuches: Sonnenfels erstellt die Gesetze über Polizeiübertretungen; außerdem vertritt er die Interessen der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei in der zuständigen Hofkommission [Kap. 7.6.2] 1803–1811 Mitarbeit am Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch [Kap. 7.6.3] 1808–1817 Nach längeren Vorarbeiten wird Sonnenfels Vizepräsident und leitender Referent einer Kommission zur Erstellung eines Gesetzbuches für die gesamte Staatsverwaltung; Die Arbeit bleibt unvollendet [Kap. 7.6.4] 1817 Gestorben in Wien [Kap.7.6.4]

Anhang II

P ersonenregister Afflisio, Guiseppe de  296, 298, 300f., 303, 305f., 309 Alxinger, Johann Baptist  141f., 196, 254, 260, 271–273, 280 Arnstein, Franziska  237–239, 409 Aspremont-Lynden, Ferdinand Karl von  46 Baldacci, Anton Maximilian von  424, 453, 455 Bartenstein, Johann Christoph  332, 339 (Anm.) Bartsch (Hofkonzipist und Sekretär)  397, 445 Basedow, Johann Heinrich  376 Beer, Franz Anton  354, 358, 360, 364, 366 Bender, Joseph Karl von  300–302, 308 Bianchi, Jakob  92 Bibra, Siegmund von  215 Birkenstock, Antonie von  67 Birkenstock, Johann Melchior von  65–67, 147, 164 (Anm.), 168–170, 175, 225, 236, 377, 387, 389, 391f., 398–405, 407 Blumauer, Aloys/Alois  192, 195f., 210, 215, 224f., 235, 245f., 249, 254f., 261f., 271f., 280, 387 Blümegen, Adelsgeschlecht  198 Blümegen, Heinrich Cajetan von  101, 222, 318, 321–324, 333, 381 Bob, Franz Joseph  55, 120, 159 (Anm.), 289 (Anm.) Boie, Heinrich Christian  194 Borié, Egyd Valentin von  48f., 58–60, 69–71, 73, 78, 80–83, 87, 91, 95–97, 101, 104, 109, 181, 185f., 191, 204, 222, 289, 318, 368, 375, 463, 469 Born, Ignaz von  20, 55, 59f., 189, 192, 224, 244–256, 260–265, 269–281, 467 Breitschopf, Franz (Junior und Senior)  65 Buresch, Joseph  159 (Anm.) Butschek, Ignaz  159 (Anm.) Cavriani, Graf Ludwig von  423, 432, 453

Chossid, Michael  25 Chotek, Adelsgeschlecht  198 Chotek, Johann Carl von  100, 103, 108, 408 Chotek, Johann Rudolph von  456–459 Clary, Adelsgeschlecht  198 Clary, Leopold von  423, 432, 434f., 453 Cobenzl, Ludwig von  260 Cobenzl, Philipp von  167f., 170, 171, 175 Dackesie, Eva  33 Dietrichstein, Adelsgeschlecht  25–27, 29–31, 35f., 38, 45, 64, 172, 198, 463 Dietrichstein, Carl Maximilian von  25–27, 41 Dietrichstein, Johann Karl von  156, 252f., 263, 275–280 Dohm, Christian Konrad Wilhelm  194 Dorfner, Georg  155f., 445 Duprée (Pächter der Stadtbeleuchtung)  350 Eger, Friedrich von  424, 426, 453 Egger, Franz von  123, 128, 456 Elvenich, Freiherr von (Hauptmann)  39 Engelschall, Joseph Friedrich von  53, 55f., 76, 284 Eybel, Joseph Valentin  160 Felbiger, Ignaz von  378, 380 Fischer, Ignaz  244 Forberg, Friedrich Karl  108 Forster, Johann Georg  11 (Anm.), 62, 64, 108, 239f., 253, 260, 263, 271, 275, 279 Franz I. Stephan  40, 283 Franz II. (ab  1804 Franz I. Kaiser von Österreich)  17, 23, 170–173, 229f., 234, 279 (Anm.), 283, 364–369, 396, 398–400, 402, 406f., 418, 423, 430f., 434–436, 444, 446, 452–454, 458–460, 465, 468f. Franz, Johann  115f. Friedrich II. König von Preußen  259 Frieß, Joseph von  166 Fritz, Elisabeth von  48

506 Gebler, Tobias von  83, 86, 95, 105f., 109, 201, 203–206, 236, 253, 273, 295, 303– 306, 308f., 377, 412–414 Geyer, Maria Rosalia (siehe Sonnenfels, Maria Rosalia von) Gottsched, Johann Christoph  52, 54f., 266, 284f., 288, 297f. Greiner, Caroline (siehe Pichler, Caroline) Greiner, Charlotte von  234–236 Greiner, Franz Salesius von  196, 234–236, 322, 348–350, 352, 356f., 368, 385f., 391f., 407, 412–416, 465 Haan, Mathias von  43, 430–432, 442f., 445 Hadik von Futak, Andreas  240 Hardenberg, Karl August von  238 Harfner, Philipp  284f., 297 (Anm.) Harrach, Aloys Thomas von  26 Hartig, Adam Franz von  45 Hatzfeld, Karl Friedrich Anton  448, 452 Haugwitz, Friedrich Wilhelm Graf von  57, 218, 266 Hay, Antonie von  65 Hay, Eleonore von  63, 65, 188f. Hay, Elisabeth von  65 Hay, Johann Leopold von  63f. Hay, Karoline von  63, 65, 225 Hay, Maria Theresia/e von (siehe Sonnenfels, Maria Theresia/e von) Haydn, Joseph  236 Heinke, Franz Joseph von  380, 386, 390 Herberstein, Johann Seyfried von  97 Herberstein, Joseph von  156f., 172 Herberstein, Philipp von  156 Heufeld, Franz  55f., 201, 286, 289–292, 294f., 297 (Anm.), 300f., 308–310 Hilverding, Franz  295 Hoffmann, Leopold Alois/Aloys  119, 124– 145, 148f., 158, 226 (Anm.), 227, 260–262 (Anm.), 265, 270, 280, 292, 359, 362f., 394–397, 401, 417, 466 Horten, Johann Bernhard  439 (Anm.) Huber, Christiane Friederike  298f. Huber, Franz Xaver  132, 136, 138–142 Humboldt, Wilhelm von  238 Isaac, Bayar  36 Jaq(c)uet, Katharina  62, 299

Personenregister Joseph II.  23, 43, 64, 66, 85, 91f., 95f.  99, 106f., 110, 112, 117,119, 122, 124f., 131, 178, 193–195, 209, 212–217, 220f., 223f., 226–229, 231, 237, 239, 243f., 248, 251, 253, 259, 268, 270, 274–279, 302–311, 320,332f.  336–344, 352–356, 358f., 373, 376f.  379 (Anm.),380–386, 388–391, 395, 404, 408, 410, 412, 414–417, 420–422, 427f., 430, 438f.  447–449, 460, 464, 468f. Justi, Johann Heinrich Gottlob von  53, 57, 69, 71–73, 98, 288, 345 Katharina II.  316, 388, 405 Kaunitz, Wenzel Anton von  2, 49, 66, 69–71, 73, 78, 82, 96, 101f.  104, 109, 123, 161–168, 175, 181, 186, 283, 289, 296, 298, 306f.  310, 318–322, 327, 333, 337, 341, 371f.  377, 381, 383, 388, 390, 396f., 447f., 452, 465, 469 Keeß, Franz Georg von  99f., 152, 157, 318, 339–342, 344, 420–422, 425–429, 432– 435, 439, 445, 449, 465 Kefil, Dominik  159 Khauz, Konstantin Franz Florian  55, 225 Khevenhüller, Adelsgeschlecht  198 Klemm, Christian Gottlob  55f., 58, 180f., 186–188,191, 201, 209, 285f., 288f,.  292– 295, 300f., 308–310, 466 Klotz, Christian Adolf  61, 63, 88, 163, 175, 184, 198, 191, 199–206, 210, 255, 295, 300f. Knigge, Adolph von  258f., 262, 264 Kohary, Johann von  306f. Kolowrat, Leopold von  120, 132, 133, 165, 255f.  262, 356f.  360, 365, 390, 393, 451 König, Eva  61f., 65, 107, 203–205, 219, 307 Kopetz, Martin Norbert  456 Kratter, Franz  276 Kressel, Franz Karl von  141, 377f., 396 Krieglstein, Friedrich Binder von  327 Kumpf, Hubert  136 (Anm.), 138 (Anm.) Kurz, Felix  282, 284, 303–305 Kurzböck, Joseph von  118 (Anm.), 192, 207–211, 213, 216, 220, 331 Langemantel, Cajetan von  152 (Anm.) Laßwitz, Freiherr von (Oberst)  39 Lazansky, Prokob von  37

507

Personenregister Leon, Gottlieb  254, 261, 264, 268, 273 (Anm.), 278 Leopold II.  8, 43, 66, 120–145, 207, 226, 229, 260 (Anm.), 270, 360–365, 391–398, 401, 407, 417f., 422f., 439, 447 (Anm.), 449–454, 468f. Lessing, Gotthold Ephraim  11 (Anm.), 61f.  107, 184, 190, 201–206, 219, 266, 286, 296, 307 Leutner (Beleuchtungsinspektor)  352 Lipmann, Perlin (siehe Sonnenfels, Alois) Luca, Ignaz de  12, 25 (Anm.), 59, 89–91, 144, 148, 159–161, 308, 466 Mährental (Regierungssekretär)  360, 362– 364, 366 Maier/Mayer (Professor in Wien)  260f. (Anm.), 270, 397 (Anm.) Maria Anna, Erzherzogin (Schwester Josephs II.)  244, 250 Maria Theresia  13, 23, 41, 43, 45–49, 56, 64, 70–75, 78–82, 85–93, 96–98, 100–106, 108f., 111–115, 117, 122, 146f.  153, 161f.  164f., 178, 181, 185f., 204, 207, 209f.  212–214, 217–223, 235f., 243f.  266, 283, 302, 307f.  310, 316, 320–326, 328– 333, 335–337, 348, 351, 356, 361, 369, 371–373, 376f.  379, 381, 388, 407, 410– 412, 419–421, 438, 447–451, 460, 468f. Martini, Karl Anton von  42f., 44, 51, 55, 59, 71, 74, 120–122, 127 (Anm.), 151 (Anm.), 221, 226, 255, 337 (Anm.), 378, 380, 383, 388, 390–398, 400f., 403, 422f., 430–432, 439–441, 445, 451 Mendelssohn, Moses  55, 268, 270 Metternich-Winneburg, Klemens Wenzel von  160, 165, 171–175 Migazzi, Christoph 100, 103f. 107f. 127, 182, 185f., 204, 219–221, 373, 408 Mozart, Wolfgang Amadeus  236 Münter, Friedrich  249f., 261, 271, 274, 279 Neffzern, Johann Jakob Benedikt von  65 Neugebauer, Wilhelm Ehrenfried  187f. Nicolai, Friedrich  11 (Anm.), 43, 51 (Anm.), 52–55, 56 (Anm.), 58, 108, 184, 201, 205f.  253, 273, 286, 308, 351 Nostitz-Rieneck, Friedrich Moritz von  240

Pal (Lehrer der Kameralwissenschaft)  88f. Pallfy, Adelsgeschlecht  198 Pergen, Johann Anton von  354–360, 362, 364–368, 376–378, 429, 451 Petrasch, Ernst Anton von  48 Petrasch, Ernst Gottlieb von  47–49, 50 (Anm.), 53, 55–57, 58 (Anm.), 282, 284, 463 Petrasch, Joseph von  266 Petrasch, Maximilian von  48 Pezzl, Johann  246 Pichler, Andreas  236f. Pichler, Caroline  235–238, 243 Popowitsch, Johann Siegmund Valentin von 57 Prandstätter, Martin Joseph  254 Pratobevera, Carl Joseph von  238, 444 Prehauser, Gottfried  282, 285 (Anm.), 293, 297, 299, 301 Quand, Johann Gottlieb  55 Raag, Joseph  308 (Anm.) Ratschky, Franz Joseph  196, 254f. Rautenstrauch, Franz Stefan  386 Rautenstrauch, Johann  192, 196 (Anm.) Reinhold, Karl Leonhard  193, 254f., 261, 264, 273 Riedel, Friedrich Justus  200f., 203, 210, 300 Riegger, Joseph Anton von  42f., 55 Riegger, Paul Joseph von  42–44, 50f., 53, 55, 59 Rottenhan, Heinrich von  399–407, 414, 418, 423f., 431, 434–436, 438, 442, 444f., 455– 457, 461, 465 Rutenstock, Maria Anna (siehe Sonnenfels, Maria Anna von) Salieri, Antonio  236 Sauer, Wenzel von  360, 362–364, 366, 405 Scheidlein, Johann Georg von  144 Scheyb, Franz Christoph  52f., 55 Schilling, Johann Christianus Friedrich  358, 360, 362–367, 401, 405 Schlegel, August Wilhelm von  238 Schlözer, August Ludwig von  64 (Anm.),119, 153 Schmutzer, Jakob Matthias  161–163

508 Seibt, Karl Heinrich  375–377 Seilern, Christian August von  166, 348f., 353 Seilern, Johann Friedrich von  30 Sinzendorf, Philipp Joseph von  99 Sobeck, Ludwig  36, 65 Sonnenfels, Alois/Aloys von  25–35, 38–41, 44–46, 73, 157, 409, 418, 463 Sonnenfels, Franz von  26–28, 34–38, 45, 65, 352f., 411 Sonnenfels, Maria Anna von  30, 32–34 Sonnenfels, Maria Rosalia von  35, 38 Sonnenfels, Theresia/e von  61–65, 67, 79, 188–190, 200f. (Anm.), 203f., 238, 240, 251, 307, 464 Sperges, Joseph von  55, 163f., 166 Spork, Johann Wenzel von  305f. Stephanie, Johann Gottlieb  302f. Sternstein, Ignaz von  65 Stieber, Major von  136, 138 Strephon (Wochenschriftenautor)  187 Swieten, Ger(h)ard van  102, 104, 109, 114, 146, 185f., 191, 204, 217–224, 319, 372f., 381 Swieten, Gottfried van  92, 121, 124, 126– 129, 131, 133, 137, 224–227, 236, 256, 262, 381–399, 407, 464f.  468f. Thun, Adelsgeschlecht  198, 354 Thun-Hohenstein, Marie Wilhelmine von 239 Trattner, Johann Thomas von  118f. (Anm.), 178, 192, 207–216, 381 Trautson, Johann Joseph von  218 (Anm.), 219 Trautson, Marie Caroline von  41 Ugarte, Alois von  456f. Ulfeld, Anton Graf von  46f. Wächtler, Jakob Emanuel  162 Watteroth, Joseph Heinrich  116–118, 124, 127–138, 141f., 144–146, 148, 158, 159 (Anm.), 227, 255, 261, 265, 270, 292, 359, 362f., 394f., 397, 401, 417 Weinkopf, Anton  166 Weishaupt, Adam  257–260, 262, 264f. Wellington, Arthur Wellesley Duke of  238 Wersack, Wenzel Anton  115f., 118, 158

Personenregister Wieland, Christoph Martin  193, 254, 368 Wienner, Alois/Aloys (siehe Sonnenfels, Alois von) Wienner, Maria Anna (siehe Sonnenfels, Maria Anna von) Winckelmann, Johann Joachim  162, 166 Wöber, Jakob von  133f., 136, 138–140, 362 Wurmser, Christian von  459 Zahlheim, Franz von  338 Zahlheim Karl von  89, 105, 331 Zichy, Karl von  37 Zinzendorf, Karl von  99, 112f., 119, 156, 345 (Anm.), 348. Zinzendorf, Ludwig von  99 Zippe, Augustin  386, 400–407 Zeiller, Franz von  255, 424, 432–435, 441– 446, 454f.