Lehrbuch der organischen Chemie
 9783111510347, 9783111142692

Table of contents :
Vorwort zur 35. und 36. Auflage
Vorwort zur 1. Auflage
Vorwort zur 19. Auflage
Vorwort zur 26. Auflage
Vorwort zur 31. und 32. Auflage
Inhaltsübersicht
Einleitung
Qualitative und quantitative Analyse organischer Verbindungen
Bestimmung des Molekulargewichts
Allgemeine Operationen
Bestimmung der wichtigsten physikalischen Konstanten
Einteilung der organischen Chemie
Verbindungen der Fettreihe (Acyclische oder aliphatische Verbindungen)
Kohlenwasserstoffe und Verbindungen mit einer funktionellen Gruppe
Verbindungen mit mehreren funktionellen Gruppen
Isocyclische Verbindungen
Einleitung
A. Monocyclische Verbindungen
B. Polycyclische Verbindungen
Heterocyclische Verbindungen
1. Sauerstoff bzw. Schwefel enthaltende Heterocyclen
2. Stickstoff enthaltende Heterocyclen
Nachträge und Berichtigungen
Register

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HOLLEMAN / RICHTE R ORGANISCHE CHEMIE

LEHRBUCH DER ORGANISCHEN CHEMIE Begründet von

A. F. H O L L E M A N f

Bearbeitet von

FRIEDRICH

RICHTER

35. und 36., umgearbeitete und erweiterte Auflage mit 113 Figuren

W A L T E R DE G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Göschen'sdie Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • G e o r g Reimer Karl J. Trübner • V e i t & Comp.

BERLIN

1 960

© Copyright 1960 by W A L T E R D E G R U Y T E R & CO., vormals G. J . Goschen'ache Verlagshandlung - J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp., Berlin W 35 — Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten — Archiv-Nr. 52 32 60 — Printed in Germany — Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 3 5 — Druck: Franz Spiller, Berlin SO 36

Vorwort zur 35. und 36. Auflage Die 35./36. Auflage wurde wiederum sorgfältig durchgesehen und an vielen Stellen umgearbeitet. Eine lange hinausgeschobene Erweiterung des Umfangs ließ sich angesichts des ständigen Zustroms von neuen Erkenntnissen nicht mehr umgehen. Es bedarf kaum einer Begründung, daß diese vor allem den Gebieten der Naturstoffchemie (z. B. Kohlenhydrate, Proteine, Terpene, Sterine, Nucleinsäuren, Alkaloide) zugute kam. Aber auch den zahlreichen Fortschritten der reinen Chemie wurde nach Möglichkeit Rechnung getragen. Theoretische Kapitel, Erörterungen von Reaktionsmechanismon und Exkursionen in die medizinischen und technologischen Grenzgebiete wurden wie bisher an geeigneten Stellen eingeschoben. Entsprechend dem Charakter des Buches stand der didaktische Zweck überall im Vordergrund. Die bewährte, stofforientierte Anlage wurde beibehalten. Sie kommt unter anderem den Bedürfnissen von Anfängern und Fortgeschrittenen in gleicher Weise entgegen und erleichtert den Überblick über die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Verbindungstypen. Besondere Sorgfalt wurde wiederum den Abschnitten über Nomenklatur und Systematik gewidmet. Ihre Kenntnis ist heute f ü r jeden Studierenden, der Zugang zur Originalliteratur sucht, unerläßlich. Literaturhinweise sollen den Leser zu eigenem Studium und zur Orientierung über noch im Fluß befindliche Fragen anregen. Sie sind, entweder in Form von Autorennamen oder in Form vollständiger Zeitschriftenzitate, etwas häufiger als früher gebracht. Schließlich sei erwähnt, daß auch dem Formelsatz im Hinblick auf einen einheitlichen Symbolismus Aufmerksamkeit geschenkt wurde. F r a n k f u r t am Main, Februar 1960 Friedrich

Richter

VI

Vorwort

Vorwort zur 1. Auflage Es ist nicht zu verkennen, daß die vorhandenen kurzen Lehrbücher der organischen Chemie zumeist ein sehr großes Tatsachenmaterial geben; die Zahl der Verbindungen, welche darin vorgeführt wird, ist oft jedoch so ansehnlich, daß sie nur verwirrend auf den Anfänger wirken kann. Dagegen tritt der Gedankeninhalt dieses Teiles der Chemie ebenso häufig zurück; die Begründung der Strukturformeln z. B. läßt manchmal viel zu wünschen übrig. Wie nützlich diese Bücher zum Nachschlagen auch sein mögen, so sind sie als Lehrbuch zu dienen doch oft wenig geeignet, wie wohl mancher aus eigener Erfahrung weiß. In dem vorliegenden Buche habe ich versucht, einerseits das Tatsachenmaterial einzuschränken und anderseits die Theorie mehr in den Vordergrund zu stellen. Daher ist für fast alle Verbindungen der Strukturbeweis geliefert. In der aromatischen Reihe jedoch war dies für die höher substituierten Verbindungen nicht durchführbar; deshalb werden die Methoden der Ortsbestimmung in dieser Reihe in einem besonderen Kapitel behandelt. An passender Stelle sind physikalisch-ohemische Theorien, z. B. die Gesetze der Esterifikation, die Ionisation u. a., eingeschaltet. Ebenso sind wichtige technische Prozesse, wie die Darstellung von Alkohol, Rohrzucker usw., nicht unerwähnt geblieben. Das Buch will also in erster Linie als Lehrbuch betrachtet werden, macht dagegen nicht Anspruch darauf, ein „Beilstein" in sehr verkürzter Gestalt zu sein. Ich schließe mit einem Wort aufrichtigen Dankes an den Herrn Verleger für die ausgezeichnete Sorge, welche er dieser Ausgabe gewidmet hat. Groningen (Niederlande), Oktober 1898. A. F.

Holleman

Vorwort zur 19. Auflage Die vorliegende 19. Auflage von H O L L E M A N S Lehrbuch der organischen Chemie ist auf Wunsch des Verfassers und der Verlagsbuchhandlung von mir einer durchgreifenden Revision unterzogen worden. Da der Grundgedanke des Werkes, wie ihn H O L L E M A N 1898 im Vorwort zur ersten Auflage ausgesprochen hat, auch heute noch volle Anerkennung verdient, so habe ich mich bemüht, an dem Aufbau des Lehrbuches, für dessen Beliebtheit die ungewöhnlich hohe Auflagenzahl Zeugnis ablegt, so wenig wie möglich zu ändern. Auch ist die organische Chemie von der lebhaften Entwicklung, in der sich ihre Nachbardisziplinen heute befinden, vorerst nicht in dem Maße befruchtet worden, daß eine völlige Neugestaltung des Werkes jetzt schon geboten erschiene. Ich habe mich deshalb vielfach darauf beschränkt, veraltete Anschauungen auszumerzen, offenkundige Fehler zu verbessern und die Fortschritte der letzten Jahre zu berücksichtigen. Darüber hinaus erwies es sich als notwendig, einige in den früheren Auflagen etwas stiefmütterlich behandelte Kapitel wesentlich zu erweitern. In erster Linie sind hiervon neben den isocyclischen Verbindungen die heterocyclischen Verbindungen betroffen worden, deren Umfang auf das Doppelte angewachsen ist. Auch

Vorwort

VII

das physiologisch-chemische Grenzgebiet ist seiner zunehmenden Wichtigkeit entsprechend etwas stärker als früher berücksichtigt worden. Um das Buch trotzdem nicht ungebührlich anschwellen zu lassen, habe ich vielfach eine etwas gedrängtere Form der Beweisführung gewählt, die, wie ich hoffe, auch in didaktischer Hinsicht eine Verbesserung bedeuten wird. Sodann habe ich manches ausgeschieden, was nicht unbedingt in den Rahmen eines Lehrbuches der organischen Chemie gehört und worüber sich der Studierende bei der weiten Verzweigung unserer Disziplin heute doch zwangsläufig in Speziallehrbüchern orientieren muß. Besondere Mühe habe ich schließlich auch der Revision der physikalischen Konstanten gewidmet, von denen nur die derzeit besten Werte Berücksichtigung gefunden haben. Berlin, im April 1930. Friedrich

Richter

Vorwort zur 26. Auflage In nicht abreißendem und fast unübersehbarem Strom ergießen sich seit einigen Jahren die Forschungsergebnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit in die wissenschaftliche Literatur. Der Zuwachs an Kenntnissen ist auch bsi zurückhaltender Beurteilung achtunggebietend, die damit verbundene Weitung des allgemeinen Gesichtskreises nicht minder eindrucksvoll. Die 26. Auflage sucht dem bei zunächst noch unveränderter Anlage Rechnung zu tragen und ist wieder sorgfältig dem Stand der Forschung angepaßt. Fast auf jeder Seite wird der aufmerksame Leser entsprechenden Ergänzungen oder Änderungen begegnen. Sie erstrecken sich ebensowohl auf die organische Chemie klassischer Prägung, die mit der ihr eigenen Methodik und Intuition das Feld in unverminderter Lebenskraft beherrscht, wie auf ihre Verknüpfung mit physikalischtheoretischen und biochemischen Beziehungen, aus denen sie ständig neue Impulse von steigender Wichtigkeit erhält. Daß das Lehrbuch im vergangenen Jahr auf das nicht gerade häufige Ereignis eines 50jährigen Bestehens zurückblicken konnte, verdankt es wohl vornehmlich eben der Betonung des Grundsätzlichen und dem Streben nach Einheit der theoretischen Vorstellungen, auf denen das Wundergebäude der organischen Strukturchemie ruht. Kein Erbe, dessen Besitz nicht auch hier ständig neu erworben werden müßte. Der große Wandel in den Verfahren der Technik hat in der vorliegenden Auflage gleichfalls in vielen Beispielen seinen Niederschlag gefunden. Wie in den Vorjahren bin ich auch diesmal zahlreichen Fachgenossen, unter denen ich besonders Herrn Prof. OTTO BAYER hervorheben möchte, für wertvolle Ratschläge und Auskünfte zu Dank verpflichtet. Frankfurt am Main, im Oktober 1949. Friedrich

Richter

Vorwort

VIII

Vorwort zur 31. und 32. Auflage Trotz der kurzen seit der letzten Auflage verflossenen Zeitspanne machte der Fortschritt der Forschung im Grundsätzlichen und in der Vielfalt der Erscheinungen, aus denen gemeinsam sich erst das volle Bild der organischen Chemie rundet, wieder zahlreiche Verbesserungen und Ergänzungen möglich. Der Begründer des Lehrbuchs, A. F . HOLLEMAN, bekannt vor allem durch seine Forschungen auf dem Gebiet der Benzolsubstitution und der Prototropie der Nitroverbindungen, verstarb am 11. August 1953 im hohen Alter von 94 Jahren. Sein Andenken lebt in dem Lehrbuch weiter, dem er bis in die letzte Zeit sein Interesse bewahrt hatte. Frankfurt-Höchst, im Juli 1954. Friedrich

Richter

Inhaltsübersicht Seite

Einleitung

1

Qualitative und quantitative Analyse organisoher Verbindungen Bestimmung des Molekulargewichts Allgemeine Operationen Bestimmung der wichtigsten physikalischen Konstanten Einteilung der organischen Chemie

3 6 8 14 17

Verbindungen der Fettreihe (acyclische oder aliphatische Verbindungen) K o h l e n w a s s e r s t o f f e und V e r b i n d u n g e n m i t e i n e r f u n k t i o n e l l e n G r u p p e

. .

19

Gesättigte Kohlenwasserstoffe (Alkane) Alkohole (Alkanole) Optische Aktivität Chemische Bindung. Alkylhalogenide, Ester, Äther Mercaptane, Thioäther, Sulfonsäuren Alkyl gebunden an Stickstoff Amine Nitroverbindungen Nitrile, Isonitrile Alkyl gebunden an Phosphor und Arsen Alkyl gebunden an Elemente der Kohlenstoffgruppe Metallorganische Verbindungen Monocarbonsäuren (Fettsäuren) Derivate der Fettsäuren Oxoverbindungen (Aldehyde, Ketone) Aldehyde (Alkanale) Ketone (Alkanone) Ungesättigte Kohlenwasserstoffe Alkylene (Olefine) C n H 2 n Kohlenwasserstoffe C n H 2 n _ 2 Ungesättigte Halogenverbindungen Polyhalogenverbindungen Ungesättigte Alkohole Ungesättigte Amine Ungesättigte Monocarbonsäuren Ungesättigte Oxoverbindungen

19 32 41 43 50 57 61 61 66 69 70 71 72 74 86 96 102 110 112 112 130 140 142 146 148 149 156

Verbindungen mit mehreren funktionellen Gruppen Mehrwertige Alkohole Glykole Glycerin Vier- und höherwertige Alkohole

160 160 160 164 170

X

Inhaltsübersicht

Mehrwertige Verbindungen, die Halogen-, Hydroxyl- oder Aminogruppen enthalten Gesättigte Diearbonsäuren Ungesättigte Diearbonsäuren Dreibasische Säuren Halogencarbonsäuren Kohlensäurederivate Schwefelderivate der Kohlensäure Hydroxysäuren Stereochemie der Weinsäuren Mehrwertige Aldehyde und Ketone Halogenierte Aldehyde Hydroxyaldehyde und Hydroxyketone Kohlenhydrate Monosaccharide Disaccharide Biochemie der Kohlenhydrate Enzyme Trisacoharide, Tetrasaccharide Polysaccharide Aminozucker Oxocarbonsäuren (Aldehyd- und Ketonsäuren) Aminosäuren Eiweißstoffe (Proteine)

Seite

. .

171 174 184 190 191 193 201 204 213 226 230 231 234 234 254 261 266 272 273 281 283 291 304

Isocyclische Verbindungen Einleitung

322

A. Monocyclische Verbindungen

323

1. A l i c y c l i s c h e V e r b i n d u n g e n

323

Cyclopropanverbindungen Cyclobutanverbindungen Cyclopentanverbindungen Höhere Cycloalkane

323 324 325 327

2. A r o m a t i s c h e V e r b i n d u n g e n

330

Struktur des Benzols Aromatische Substitution Aromatische Kohlenwasserstoffe Monohalogenverbindungen Mononitroverbindungen Monosulfonsäuren Einwertige Phenole Monoaminoverbindungen Zwischenprodukte bei der Reduktion von Nitroverbindungen

331 338 343 347 349 350 352 355 359

Phenylhydroxylamin Azoxy- und Azobenzol Hydrazobenzol

360 361 362

Inhaltsübersicht

XI Seite

Diazoverbindungen Hydrazine Monocarbonsäuren Einwertige Aldehyde und Ketone Phosphor- und Arsenverbindungen Metallorganische Verbindungen Benzolhomologe mit substituierten Seitenketten Halogenverbindungen Nitroverbindungen Carbonsäuren Alkohole Amine

365 371 372 374 378 378 379 379 380 381 382 382

Verbindungen mit ungesättigter Seitenkette Zwei- und mehrfach substituierte Benzolderivate

382 384

Polyhalogenverbindungen Halogennitroverbindungen Polynitroverbindungen Substituierte Sulfonsäuren Substituierte Phenole Mehrwertige Phenole Chinone Substituierte Aniline Mehrwertige Amine Azofarbstoffe Substituierte Benzoesäuren Benzoldicarbonsäuren (Phthalsäuren) Substituierte Aldehyde

385 385 386 387 388 390 396 400 403 404 413 419 421

3. H y d r o a r o m a t i s o h e V e r b i n d u n g e n

426

Cyolohexanverbindungen Monocyclische Terpene Bicyclische Terpene Sesquiterpene, Polyterpene Carotinoide

426 432 439 446 450

B. Polycycllsche Verbindungen

452

1. N i o h t k o n d e n s i e r t e a r o m a t i s c h e S y s t e m e

452

Biphenyl Triphenylmethan Triphenylmethyl Diphenyläthan

452 455 463 466

2. K o n d e n s i e r t e a r o m a t i s c h e S y s t e m e

467

Naphthalin Anthraoen Phenanthren Fluoren Naphthacen Pyren, Pyranthron, Violanthron, Coronen

467 476 483 485 485 485

XII

Inhaltstibersicht Helte

3. P o l y o y c l i s o h e h y d r o a r o m a t i s c h e P h e n a n t h r e n - A b k ö m m l i n g e Vitamine, Hormone Sterine Gallensäuren Digitalisglykoside Harzsäuren

487 487 491 499 499 500

Heterocycllsche Verbindungen 1. S a u e r s t o f f bzw. S c h w e f e l e n t h a l t e n d e H e t e r o o y o l e n Furan Thiophen Pyrone, Anthocyane

. . . .

503 504 506 508

2. S t i c k s t o f f e n t h a l t e n d e H e t e r o o y o l e n Pyridin Pyrrol Imidazol, Pyrazol, Thiazol Sydnone Chinolin Isoohinolin Indol Aoridin und Carbazol Harnsäuregruppe Nucleinsäuren Phenazine Phenoxazine Thiazine Alkaloide

514 514 522 532 539 540 545 545 552 553 559 565 566 568 570

Grundzüge der o r g a n i s c h - c h e m i s c h e n N o m e n k l a t u r I. Allgemeine Grundsätze II. Nomenklatur einiger wichtiger Funktionen und ihrer Derivate

596 596 609

E i n f ü h r u n g in d a s o h e m i s o h e Verbindungen

Schrifttum, Systematik

der

organischen 617

Nachträge und Berichtigungen

624

Register

627

Einleitung Der Begriff der „organischen Chemie" ist aus der chemischen Erforschung der lebendigen Substanz des Pflanzen- und Tierreiches erwachsen. B E R Z E L I U S , der ihn in die chemische Literatur einführte1, verknüpfte ihn mit dem Begriff des Organs2. Er verglich den Organismus mit einer chemischen Werkstatt, in der die Organe die Rolle von Instrumenten zur Erzeugung lebenswichtiger Produkte spielen. Die organische Chemie bedeutete für ihn die Wissenschaft, die die chemische Zusammensetzung des lebenden Körpers und die darin vor sich gehenden Prozesse beschreibt. Den gleichen Gedanken brachte L. GMELIN, der 1 8 1 9 als erster die Chemie der organischen Verbindungen zusammenfassend behandelte3, zum Ausdruck: „Sie beschäftigt sich vorzüglich mit den chemischen Verhältnissen der einzelnen näheren Bestandteile des organischen Reichs." Die organische Chemie bildete also ursprünglich einen Teil der Physiologie, und zwar denjenigen Teil, den wir heute als chemische Physiologie bezeichnen würden. Diese uns fremd gewordene Begriffsbestimmung hängt mit den damaligen theoretischen Vorstellungen eng zusammen. Lange Zeit hindurch war man nämlich der Meinung, daß die chemischen Verbindungen, die in Pflanzen und Tieren vorkommen, unter dem Einfluß einer besonderen geheimnisvollen Kraft, der Lebenskraft, erzeugt würden und außerhalb des Organismus nicht künstlich darstellbar seien. Die künstliche Gewinnung von Harnstoff aus Ammoniumcyanat „ohne Nieren" durch W Ö H L E R ( 1 8 2 8 ) war zwar eine von der Nachwelt gefeierte Entdeckung. Sie wurde jedoch von W Ö H L E R selbst 4 nicht in ihrer vollen Bedeutung erkannt (was damals auch kaum möglich war) und blieb ohne Eindruck auf die Zeitgenossen. Schon vor 1828 waren zwei andere Synthesen beschrieben worden, die am Bande der organischen Chemie standen. SCHEELE (1742 bis 1786) stellte 1783 durch Glühen von Pottasche, Holzkohle und Salmiak Kaliumcyanid dar, und WÖHLER beschrieb 1824 die Gewinnung von Oxalsäure aus Cyan. Aber beide Reaktionen boten für die damalige Zeit nichts Auffallendes. Denn Blausäure galt als anorganische Verbindung, und Oxalsäure, die man noch als C 2 0 3 formulierte, wurde jedenfalls nicht als organische Verbindung im eigentlichen Sinn angesehen. 1 8 4 5 folgte die Synthese der Essigsäure durch K O L B E , 1 8 6 0 beschrieb BERTHELOT in seinem großen Werk „La chimie organique fondée sur la synthèse" bereits zahlreiche synthetische Darstellungen von Kohlenwasserstoffen, Alkoholen, Fetten usw. So bildete sich allmählich die Einsicht, daß für die Entstehung und die Umwandlungen der chemischen Verbindungen in der belebten und unbelebten Natur die gleichen Gesetze gelten. Heutigentags wird diese Tatsache besonders eindrucksvoll durch die glänzenden Synthesen veranschaulicht, durch die in der chemischen Industrie organische Verbindungen in größtem Maßstabe aus einfachsten Rohstoffen und zum Teil direkt aus den Elementen aufgebaut werden. 1 In den Vorlesungen über Tierchemie (Stockholm 1806). Sohon vor BERZELIUS findet sich die Bezeichnung „organische Chemie" in den nachgelassenen Aufzeichnungen des Dichters NOVALIS, der sie vielleicht von dem Naturphilosophen SCHELLING übernommen hat. * Lehrbuch der Chemie, 3. Aufl., übersetzt von F. WÖHLER, Bd. III, 1. Hälfte S. 138

(Dresden 1827). 3

Handbuch der theoretischen Chemie, Bd. III, S. 935 (Frankfurt a. M. 1819).

4

O. WALLACH, B r i e f w e c h s e l z w i s c h e n J . BERZELIUS u n d F . WÖHLER, B d . I [ L e i p z i g 1 9 0 1 ] ,

S. 208; s. auch MCKIE, Nature 153, 608 (1944). H o l l e m a n - R l c h t e r , Organische Chemie. 35. u. 36. Auflage

1

2

Einleitung

Durch diese Synthesen ist die früher gemachte prinzipielle Unterscheidung zwischen organischen und anorganischen Verbindungen hinfällig geworden. Trotzdem hat man aus gleich zu erörternden Gründen an den alten Bezeichnungen festgehalten und nur durch eine schärfere Begriffsbestimmung dem Fortschritt der Erkenntnis Rechnung getragen. Die Beobachtung, daß alle im pflanzlichen und tierischen Organismus vorkommenden organischen Verbindungen Kohlenstoff enthalten, führte dazu, die organische Chemie als die „Chemie der Kohlenstoffverbindungen" zu definieren (GMELIN, KOLBE, KEKULÄ).

Mit dieser neuen Definition war folgerichtig eine allmähliche Loslösung der organischen Chemie von ihren Nachbarwissenschaften, wie Medizin und Pharmazie, verbunden. Durch die bahnbrechenden Arbeiten von LIEBIG ( 1 8 0 3 — 1 8 7 3 ) und WÖHLEB ( 1 8 0 0 — 1 8 8 2 ) in Deutschland, von BEBZELIUS ( 1 7 7 9 — 1 8 4 8 ) in Schweden, von GAYLUSSAC ( 1 7 7 8 — 1 8 5 0 ) , DUMAS ( 1 8 0 0 — 1 8 8 4 ) , LAUBENT ( 1 8 0 7 — 1 8 5 3 ) u n d GEBHABDT ( 1 8 1 6 — 1 8 5 6 ) in Frankreich entwickelte sich die organische Chemie rasch zu einer

selbständigen Wissenschaft, und der Umfang des von ihr zutage geförderten Materials wuchs in einem erstaunlichen Maße. Es ist nicht zu verwundern, daß über der Fülle der neuen Forschungsobjekte das ursprüngliche Ziel der organischen Chemie, die Erforschung der Substanzen in der lebenden Natur, wenn auch nicht gänzlich vergessen wurde, so doch zeitweilig in den Hintergrund treten mußte. Heute ist das Gebiet der organischen Chemie so weit ausgebaut, daß die Anwendung der gewonnenen Erfahrungen auf die Erforschung der lebenden Materie wieder zu ihren vornehmsten Aufgaben gehört. Obwohl nun die ursprüngliche Scheidewand zwischen anorganischer und organischer Chemie längst niedergerissen ist, ist es auch jetzt noch zweckmäßig, die Kohlenstoffverbindungen als „Organische Verbindungen" getrennt von den Verbindungen der anderen Elemente zu behandeln. Denn der Kohlenstoff zeichnet sich dadurch aus, daß er imstande ist, sich durch seine 4 Bindungseinheiten mit zahlreichen weiteren Kohlenstoffatomen zu sehr beständigen Kohlenstoffketten und -ringen zu vereinigen und namentlich auch Wasserstoff sehr fest zu binden. Auch bei den nächsten Verwandten des Kohlenstoffs, dem Bor und dem Silicium, sind diese Eigenschaften nur noch in sehr geringem Grade vorhanden. Es ist deshalb verständlich, daß die Zahl der bekannten Kohlenstoffverbindungen die Zahl der Verbindungen aller anderen Elemente weit übertrifft: man kennt heute etwa 6 0 0 0 0 0 organische gegenüber etwa 5 0 0 0 0 anorganischen Verbindungen. Bei der geringen Anzahl der außer Kohlenstoff an dem Aufbau organischer Verbindungen beteiligten Elemente — es sind im wesentlichen immer nur Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Schwefel — ist diese erstaunliche Fülle von Verbindungen nur auf Grund einer Erscheinung möglich, die man als „Isom e r i e " bezeichnet. Sie besteht darin, daß in Verbindungen der gleichen Elementarizusammensetzung die Elemente in sehr verschiedener Art miteinander verknüpft sein können. So kennt man von der Formel C9H10O3 bereits über 100 Verbindungen, die sich durch ihr physikalisches und chemisches Verhalten scharf voneinander unterscheiden. In der anorganischen Chemie fehlt diese Erscheinung fast ganz. Außer der Vielzahl der Kohlenstoffverbindungen sprechen aber auch methodische Gründe für eine gesonderte Behandlung der organischen Chemie. Die Sonderstellung des Kohlenstoffs gegenüber den anderen Elementen spiegelt sich auch im physikalischen und chemischen Verhalten seiner Verbindungen. Die meisten organischen Verbindungen lösen sich nicht in Wasser, sind Nichtelektrolyte und reagieren bei chemischen Umsetzungen entsprechend langsam. Im Gegensatz zu der Mehrzahl der anorganischen Verbindungen sind sie auch thermisch wenig beständig, so daß Zerfall und Umbau bei

Qualitative und quantitative Analyse organischer Verbindungen

3

höheren Temperaturen die Regel sind 1 . Für die Untersuchung der Kohlenstoffverbindungen müssen daher andere Methoden angewandt werden, als sie bei anorganischen Stoffen gebräuchlich sind.

Qualitative und quantitative Analyse organischer Verbindungen Bereits LAVOISIER ( 1 7 4 3 — 1 7 9 4 ) fand, daß in der Mehrzahl der Kohlenstoffverbindungen nur wenige Elemente vorkommen, nämlich K o h l e n s t o f f , W a s s e r s t o f f , S a u e r s t o f f und S t i c k s t o f f . Verbindungen mit H a l o g e n e n sind weniger häufig, noch geringer ist die Zahl der S c h w e f e l oder P h o s p h o r enthaltenden Substanzen. Verbindungen von Kohlenstoff mit anderen als den genannten Elementen existieren nur in verhältnismäßig kleiner Anzahl. Von einigen Elementen sind Verbindungen mit Kohlenstoff überhaupt nicht bekannt. Die qualitative Analyse organischer Verbindungen kann nur den Charakter einer ersten orientierenden Vorprobe haben. Meist wird man sich auf den Nachweis der Anwesenheit oder Abwesenheit eines der wenigen in Frage kommenden Elemente beschränken. Fast stets wird die Verbindung zunächst durch Oxydation zerschlagen (verbrannt), indem man sie mit einem Oxydationsmittel, meist Kupferoxyd, erhitzt. Hierbei oxydiert der Sauerstoff des Kupferoxyds den Kohlenstoff zu Kohlendioxyd, das an der Trübung von Kalkwasser erkennbar ist, und den Wasserstoff zu Wasser. Etwa vorhandener Stickstoff entweicht als Gas in Form von Stickstoff (meist über 80 % des Gesamt-Stickstoffs) und Stickoxyden. Enthält die organische Verbindung Schwefel, Phosphor oder Halogene, so kann man sie im zugeschmolzenen Rohr mit Salpetersäure oxydieren (unter Zusatz von Silbernitrat im Fall der Halogene) und erhält dann Schwefelsäure, Phosphorsäure bzw. Halogensilber. Oft erweist sich die Oxydation mit Natriumperoxyd als ein sehr brauchbares Verfahren. Organisch gebundener Stickstoff kann vielfach durch Erhitzen der Substanz mit Natronkalk oder konzentrierter Schwefelsäure in Ammoniak übergeführt werden. Eine andere vielbenutzte, von L A S S A I G N E stammende Methode zum Nachweis des Stickstoffs besteht darin, daß man den zu untersuchenden Stoff mit einem Stückchen Natrium oder Kalium in einem engen Reagenzröhrchen aus schwer schmelzbarem Glas („Glühröhrchen") erhitzt. Ist die Verbindung stickstoffhaltig, so entsteht dabei Alkalicyanid, das sich durch Überführen in Berlinerblau leicht erkennen läßt. Die Halogene Chlor, Brom und Jod werden beim Glühen der Substanz mit Calciumoxyd in Calciumhalogenid übergeführt. Eine sehr empfindliche Methode, um Chlor und Brom nachzuweisen, ist die BEiLSTEiNsche Probe. Man bringt eine geringe Menge des Stoffes zusammen mit Kupferoxyd in die nichtleuchtende Flamme des Bunsenbrenners. Dabei entsteht Kupferhalogenid, durch dessen Dampf die Flamme prächtig grün gefärbt wird. Beide Methoden können immer angewandt werden. Schwefel läßt sich durch Erhitzen der Verbindung mit einem Stückchen Natrium in einem Glühröhrchen nachweisen. Hierbei bildet sich Natriumsulfid, das sich durch sein Verhalten gegen Bleiacetat oder gegen Nitroprussidnatrium leicht erkennen läßt. 1

Einige einfachere Verbindungen, die sich durch geringen Kohlenstoffgehalt, Fehlen von Wasserstoff und salzartigen Charakter auszeichnen, verhalten sich nicht wie typische Kohlenstoffverbindungen. Kohlensäure und ihre Salze, die Carbonate, Kohlenoxyd und zahlreiche Carbide werden deshalb in der anorganischen Chemie abgehandelt. Auch Harnstoff und Phosgen haben zwar wegen ihrer zahlreichen Wechselbeziehungen mit organischen Verbindungen ihren Platz in der organischen Chemie, stehen aber nach ihrer Zusammensetzung anorganischen Verbindungen sehr nahe. 1»

Qualitative und quantitative Analyse organischer Verbindungen

4

Auch die quantitative Analyse fußt in der organischen Chemie im wesentlichen auf der Oxydation, wenn man von den zahlreichen Spezialbestimmungen funktioneller Gruppen absieht. Die Bestimmung von Kohlenstoff und Wasserstoff wird stets in einer Operation ausgeführt. Das heute noch dafür angewandte Verfahren der Verbrennung der Substanz mit Kupferoxyd, die sogenannte E l e m e n t a r - A n a l y s e , stammt ursprünglich von GAY-LTTSSAC. Erst L I E B I G 1 hat ihm jedoch diejenige Form gegeben, die es zu einem allgemein anwendbaren und unentbehrlichen Werkzeug der organischen Chemie gemacht hat. Die Elementar-Analyse2 hat im Lauf der historischen Entwicklung noch mancherlei Verbesserungen erfahren und wird heute meist in folgender Weise ausgeführt. Man vergast in einem horizontal liegenden Verbrennungsrohr die in einem Schiffchen befindliche Substanz durch Erhitzen im Sauerstoffstrom, der frei von Wasserstoff, Wasser und Kohlendioxyd sein muß, und leitet die Dämpfe bei Rotglut (etwa 700°) über Platindrahtnetz oder Kupferoxyd, die die Verbrennung zu Kohlendioxyd und Wasser katalytisch beschleunigen. Die aus dem Verbrennungsrohr abziehenden Gase leitet man durch zwei Absorptionsröhrchen, in denen das Wasser durch Magnesiumperchlorat, das Kohlendioxyd durch Natronasbest zurückgehalten wird. Die Gewichtsdifferenz der beiden Röhrchen vor und nach der Verbrennung ergibt die Menge des Wassers und Kohlendioxyds. Enthält die Analysensubstanz noch Stickstoff, Schwefel oder Halogen, so bilden sich bei der Verbrennung auch Stickstoff und Stickoxyde, Oxyde des Schwefels und Halogene, die ebenfalls eine Gewichtszunahme der Absorptionsgefäße hervorrufen würden. Sie müssen deshalb vorher beseitigt werden, ohne daß dadurch Verluste an Wasser oder Kohlendioxyd eintreten. Für die Bindung von Halogen und Schwefel verwendet man metallisches Silber bei 200°. Stickoxyde können durch metallisches Kupfer zu Stickstoff reduziert werden. Doch muß man dann zur Schonung des Kupfers in Gasströmen geringen Sauerstoffgehalts, z. B. Luft, verbrennen. In der Regel bindet man die Stickoxyde über Blei(IV)-oxyd bei 180—200° als basisches Bleinitrat. Da jedoch Blei(IV)-oxyd die Präzision der Resultate oft ungünstig beeinflußt, ist man teilweise dazu übergegangen, die Stickoxyde internem zwischen Wasserund Kohlendioxyd-Absorptionsröhrchen geschalteten Blasenzähler in reiner konz. Schwefelsäure zu absorbieren. Von Zeit zu Zeit werden die Stickoxyde aus der entstandenen Nitrose durch Erhitzen auf 150° weggekocht. Es ist auf die geschilderte Weise möglich, in demselben Rohr sehr viele Analysen hintereinander auszuführen, ehe ein Wechsel der Rohrfüllung nötig wird. Fig. 1 und 2 zeigen zwei übliche Beschickungen des Verbrennungsrohrs für eine C—H-Bestimmung, Fig. 3 den Aufbau der gesamten Apparatur in ihrer einfachsten Form. Pt OuorzwoHe Ouarzmlle

CuO

Ag-Wolle

Substanz

Fig. 1 Pb 0Z Asbest

¿3

Pb Cr

Cu 0

Substanz

Fig. 2 1

Geboren 12. Mai 1803 in Darmstadt, gestorben 18. April 1873 in München. Er studierte in Bonn, Erlangen und Paris, wurde schon 1824 Professor in Gießen und wirkte von 1852 bis zu seinem Tode in München. Seine Bedeutung für die Entwicklung der organischen und physiologischen Chemie sowie der Agrikulturchemie ist außerordentlich. Es sei nur an seine grundlegenden Arbeiten über die Knallsäure, Chloral, Amygdalin und die alkoholische Gärung erinnert. Vgl. die große Biographie von J. VOLHARD (Leipzig 1909) sowie den Briefwechsel mit WÖHLER, h e r a u s g e g e b e n v o n A . W . v . HOFMANN ( B r a u n s c h w e i g 1 8 8 8 ) . 2

Verbrennung im leeren Rohr: INGRAM, Chemistry and Industry 1956, 103.

Qualitative und quantitative Analyse organischer Verbindungen

Absorptionsröhrchen a b 1 Gasheizung oder c / elektrische Heizung

5

d Substanz e Blasenzähler und Trockenrohr

Da das Gewicht der Rohrfüllung unverhältnismäßig viel größer als die SubstanzEinwaage ist, die 4 mg bei der Mikroanalyse, 20—30 mg bei dem sog. „Halbmikro-Verfahren" beträgt 1 , muß man mit sehr reinen Materialien arbeiten und das Rohr mit der Füllung vor der ersten Analyse gründlich in einem getrockneten Gasstrom (Sauerstoff oder Luft) durchheizen, um die letzten Spuren von Wasser und verbrennlicher organischer Substanz zu entfernen. Dann wird das Schiffchen mit der Substanz eingeführt und die Verbrennung der Substanz im Sauerstoffstrom durch vorsichtiges Erhitzen mit freier Flamme bewerkstelligt. Meist ist heute auch dieser Teil der Operation durch Verwendung einer beweglichen elektrischen Heizung mit Motorantrieb völlig automatisiert. Die durch Normalschliffe mit der Apparatur verbundenen Absorptionsröhrchen können offen gewogen werden, da die Diffusion durch die kapillaren Zuführungsrohre nur recht langsam erfolgt. Stickstoff in stickstoffhaltigen Substanzen kann nach D U M A S in der gleichen Apparatur bestimmt werden. Zur Zersetzung der Stickoxyde kommt aus naheliegenden Gründen nur metallisches Kupfer in Frage. Man verbrennt die Substanz, die in diesem Fall innig mit Kupferoxyd gemischt wird, in einem Strom von luftfreiem Kohlendioxyd (Rohrfüllung siehe Fig. 4, S.6) und fängt die Verbrennungsgase unter Weglassung der Absorptionsgefäße für C0 2 und H 2 0 in einem mit 50°/0iger Kalilauge gefüllten graduierten Meßrohr („Azotometer") auf (Fig. 5). Hierbei werden alle Abgase von der Kalilauge absorbiert mit Ausnahme des Stickstoffs, der auf diese Weise direkt volumetrisch gemessen werden kann. Die Bestimmung des Stickstoffs erfolgt also getrennt von der Bestimmung des Kohlenstoffs und Wasserstoffs. Verfahren zur gleichzeitigen Bestimmung dieser Elemente in einem einzigen Arbeitsgang sind bekannt, aber wenig verwendet. In vielen Fällen kann man zur Bestimmung des Stickstoffs die Methode von K J E L anwenden. Sie besteht in der Überführung des Stickstoffs der organischen Substanz in Ammoniak durch Kochen mit konzentrierter Schwefelsäure unter Zusatz von Quecksilberoxyd, Selen und Kupfersulfat als Sauerstoffüberträger. Meist wird die Masse zuerst durch Verkohlung schwarz; bei fortgesetztem Erhitzen erhält man jedoch eine farblose, klare Lösung. Der Kohlenstoff ist dann durch den Sauerstoff der Schwefelsäure völlig oxydiert. Nach Erkalten der Lösung verdünnt man mit Wasser, setzt überschüssige Lauge zu und bestimmt das Ammoniak in bekannter Weise durch Destillation. DAHL

1 LAVOISIER verwendete 1788 f ü r die (mißglückte) Elementaranalyse von Rohrzucker mit Quecksilberoxyd die auch f ü r damalige Zeiten hohe Einwaage von 50 g .

6

Qualitative und quantitative Analyse organischer Verbindungen

Dieses einfache Verfahren findet insbesondere zu Serienbestimmungen ausgiebige Anwendung. Bei Nitroso-, Nitro- und Azoverbindungen wird jedoch ein Teil des Stickstoffs nicht in Ammoniak verwandelt, sondern in elementarer Form entbunden. Dieser muß also im Azotometer gesondert bestimmt werden, wenn man richtige Resultate erhalten will. Eine elegante, auf dem Prinzip der katalytischen Hydrierung beruhende Methode zur Stickstoff-Bestimmung verdankt man TER M E U L E N . Die Substanz wird mit feinem Nickelpulver (mit 10% Th0 2 aktiviert) vermischt und in einem Wasserstoffstrom erhitzt. Die mit Wasserstoff gemischten Dämpfe streichen danach über Nickelasbest. Der Stickstoff wird so quantitativ in Ammoniak übergeführt, das durch Titrieren bestimmt wird.

e

Halogene kann man nach der Methode von CARIUS bestimmen. Die Substanz wird dabei mit rauchender Salpeter-

Ag

Cu 0

Cu

CuO

Substanz

+

CuO

CuO

Fig. 4

Fig. 5

säure und Silbernitrat in einem zugeschmolzenen Glasrohr („Schießrohr") unter Druck auf 250—300° erhitzt. Das entstandene Silberhalogenid wird gewogen. Bequemer ist jedoch die Oxydation mit Natriumperoxyd in einer kleinen Stahlbombe nach P A R R W U R Z S C H M I T T , mitunter auch die direkte Verbrennung der im Sauerstoffstrom vergasten Substanz in einer Leuchtgasflamme und geeignete Titration des in vorgelegter Natronlauge gebildeten Halogen-Ions. Auch Umsetzung mit Natrium in flüss. Ammoniak + Äther bis zum Auftreten einer blauen Färbung kann zur Freisetzung des Halogens dienen. Die Oxydation mit Salpetersäure nach C A R I U S oder mit Natriumperoxyd kann ferner •cur Bestimmung von Schwefel, Phosphor usw. angewandt werden 1 . Der Sauerstoff organischer Substanzen läßt sich nach den Verfahren von BÜRGER und sehr genau quantitativ bestimmen, indem man die Substanz im Stickstoffstrom bei 1120° über Kohlenstoff zersetzt. Der Sauerstoff erscheint dann quantitativ als Kohlenoxyd, das mit Jodpentoxyd Kohlendioxyd und Jod gibt, die in üblicher Weise bestimmt werden können. UNTERZAUCHER

Bestimmung des Molekulargewichts Die Analyse lehrt nur die „empirische" Formel, auch Summenformel oder Bruttoformel genannt, dagegen noch nicht die Molekularformel einer Verbindung kennen: eine Verbindimg der Formel CaH&O,. hat die gleiche prozentuale Zusammensetzung wie eine Verbindung (CaH(,Oc)n. H a t man also die quantitative Zusammensetzung einer Verbindung ermittelt, so ist noch ihr Molekulargewicht zu bestimmen. Auf rein chemischem Wege lassen sich bereits Anhaltspunkte für die untere Grenze des Molekulargewichts gewinnen. Die empirische Formel des Benzols z. B. ist CH. Aus Benzol erhält man nun leicht eine Verbindung C 6 H 6 Br, in der ein Sechstel des Wasserstoffs durch Brom ersetzt ist und die sich wieder zu Benzol reduzieren läßt. Hieraus folgt, daß dem Benzolmolekül wenigstens die Formel C 6 H 6 zukommt. Sie wird jedoch auch C^Hjj oder allgemein (C6H8)n sein können. 1 Eine ausführlichere Beschreibung der hier nur kurz behandelten analytischen Methoden findet dian in GATTERMANNS Praxis des organischen Chemikers, 3 8 . Aufl. von Th. W I E L A N D (Berlin 1 9 5 8 ) . Siehe auch C. W E Y G A N D , Organisch-chemische Experimentierkunst, 2. Aufl. (Leipzig 1 9 4 8 ) .

Bestimmung des Molekulargewichts

7

Eine untere Grenze für das Molekulargewicht gibt auch das von LAURENT entdeckte „Oesetz der paaren Atomzahlen", das wir heute als eine einfache Konsequenz der Vierwertigkeit des Kohlenstoffs betrachten. Wenn sich nämlich n Kohlenstoffatome miteinander zu einer Kette vereinigen, so verbraucht jedes dazu 2 seiner Bindungseinheiten, mit Ausnahme der beiden endständigen Atome, die nur 1 Bindungseinheit verbrauchen. Insgesamt werden also 2 n — 2 Bindungseinheiten verbraucht, und 2n + 2 bleiben übrig. Diese Zahl ist durch 2 teilbar, also eine gerade Zahl, und deshalb muß auch die Summe der ungeradwertigen Elemente (Wasserstoff, Halogene, Stickstoff, Phosphor), die an Kohlenstoff gebunden sind, stets eine gerade Zahl sein. Eine Verbindung der empirischen Zusammensetzung C J H ^ O J N muß also mindestens das doppelte Molekulargewicht CjH^C^I^ besitzen. Der hier gegebene Beweis läßt sich leicht für alle denkbaren Verbindungstypen verallgemeinern.

Um das Molekulargewicht zu ermitteln, muß man daher physikalische Methoden anwenden. Sie beruhen in der Regel auf der Ermittlung des spezifischen Gewichts im Gaszustand (Gas- oder Dampfdichte) oder bei verdünnten Lösungen auf der Bestimmung des osmotischen Drucks oder meßbarer Eigenschaften, die mit ihm in theoretischem Zusammenhang stehen. In geeigneten Fällen stehen heute aber noch zahlreiche andere Verfahren zur Verfügung. Die t h e o r e t i s c h e n G r u n d l a g e n sowie die praktische Ausführung der Molekulargewichtsbestimmung nach den genannten Methoden, von denen besonders die kryoskopische und ebullioskopische Methode nach B E C K M A N N von Wichtigkeit sind, findet man in den Lehrbüchern der physikalischen Chemie. In praktischer Hinsicht steht die kryoskopische Molekulargewichtsbestimmung an erster Stelle. Hervorgehoben sei hier noch folgendes. Die gefundene Gefrierpunktserniedrigung (bzw. Siedepunktserhöhung) ist A= K

M '

wo M das Molekulargewicht der untersuchten Substanz, c die Konzentration in g für 100 g Lösungsmittel, K die kryoskopische (bzw. ebullioskopische) Konstante des Lösungsmittels bedeutet. Die Gesetze des osmotischen Drucks gelten streng nur f ü r große Verdünnung. Will man also das genaue M berechnen, so müßte man die Gefrierpunktserniedrigung einer äußerst verdünnten Lösung ermitteln. Da dies aber praktisch undurchführbar ist, muß man von endlichen Konzentrationen auf Null extrapolieren (Fig. 6). B E C K M A N N und E I J K M A N haben für eine große Anzahl von Fällen gezeigt, daß die so erhaltene Kurve annähernd eine Gerade ist. Nur, wenn die gelöste Substanz stark „assoziiert" ist (S. 34), wie es z. B. f ü r organische Säuren in Benzollösung der Fall zu sein pflegt, erhält man stärker gekrümmte Kurven.

Po

p.,

P?

P.3

Prozente

Fig. 6

Als Lösungsmittel kommen für die Bestimmung der Gefrierpunktserniedrigung namentlich die auf S. 8 aufgeführten in Betracht. Von diesen sind neben Phenol namentlich die letzten fünf sehr geeignete Lösungsmittel, weil sie nicht hygroskopisch sind, weil ferner ihr Schmelzpunkt höher als die Zimmertemperatur liegt, so daß keine Eiskühlung erforderlich ist, und endlich, weil die Konstante einen sehr hohen Wert hat. Besonders hoch ist die molekulare Gefrierpunktserniedrigung für Campher. Da diese Substanz in geschmolzenem Zustand ein ausgezeichnetes Lösungsmittel für sehr viele Verbindungen ist, stellt sie ein hervorragendes Mittel zu Molekulargewichtsbestimmungen dar (JOUNIAUX, JEFREMOW). Zur Bestimmung der Depression genügt in diesem Fall ein in ganze Grade geteiltes Thermometer. RAST hat gezeigt, daß man sogar mit einem gewöhnlichen Schmelzpunktsapparat genaue Werte erhalten kann.

Allgemeine Operationen

8

Lösungsmittel

Schmelzpunkt

Molekulare Gefrierpunktserniedrigung 1 gefunden

Wasser Eisessig Benzol Nitrobenzol Phenol Naphthalin Urethan Stearinsäure p-Toluidin Campher

+

0° 166 5-5 5-8 41 80 1 48-2 69 43 6 179

18-6 39 51 69 72—75 69 51 44—45 54 396

berechnet 18 6 38 0 50 7 69 78 1 69-4 50 47 51 407

Die molekulare Siedepunktserhöhung ist im allgemeinen kleiner als die molekulare Gefrier punktserniedrigung, wie folgende Tabelle zeigt:

Lösungsmittel

Molekulare Siedepunktserhöhung 1

Siedepunkt

Wasser Äther Äthylalkohol Benzol Chloroform Aceton

100° 34 6 78-3 80-2 61 2 56 1

gefunden

berechnet

5-2 21-6 11 6 26-4 380 17-3

5 2 22 0 118 26-4 37-7 17-2

Die in den vorstehenden Tabellen als berechnet angegebenen Zahlen sind mittels der VAN'T 0 • 02 T* — — gefunden, in der K die molekulare Gefrierpunktserniedrigung

HoFFSchen Formel K =

bzw. die Siedepunktserhöhung (für 1 Mol in 100 g Lösungsmittel) darstellt, T die absolute Temperatur des Schmelz- (bzw. Siede-JPunktes und W die Schmelz- (bzw. Verdampfungs-)Enthalpie in cal/g Lösungsmittel. Die Gleichung läßt sich durch Kombination des RAOULTschen Gesetzes mit der CLAUSius-ÜLAPEYRONschen Dampfdruckgleichung leicht ableiten.

Allgemeine Operationen Bevor wir auf die organischen Verbindungen näher eingehen, erscheint es zur Vermeidung von Wiederholungen zweckmäßig, eine kurze Übersicht über einige Operationen zu geben, die bei der Darstellung und Untersuchimg organischer Substanzen eine wichtige Rolle spielen und auch in theoretischer Hinsicht bemerkenswert sind. Ausführlichere Angaben findet man in den Praktikumsbüchern der organischen Chemie2. Neben der Kristallisation aus geeigneten Lösungsmitteln ist die Destillation3 das am meisten angewandte Hilfsmittel zur Reinigung organischer Substanzen, sei es, daß man auf diese Weise die zu reinigende Substanz von einer nicht flüchtigen Beimengung abtrennt, sei es, daß man die Unterschiede in der Flüchtigkeit der Bestandteile eines Gemisches zu einer fraktionierten Destillation (s. u.) ausnutzt. Viele Stoffe, die sich beim Sieden unter Atmosphärendrack zersetzen, lassen sich unter vermindertem Druck unverändert destillieren, weil dann der Siedepunkt viel niedriger ist. F ü r 1 Mol, gelöst in 100 g Lösungsmittel. Vgl. vor allem GATTERMANN-WIELAND, Die Praxis des organischen Chemikers 38. Auf). (Berlin 1 9 5 8 ) ; W E Y G A N D , Organisch-chemische Experimentierkunst, 2 . Aufl. (Leipzig 1 9 4 8 ) . 1

1

8

Vgl. G. KORTÜM, H . BUCHHOLZ-MEISENHEIMER,

traktion von Flüssigkeiten (Berlin 1952).

Die Theorie der Destillation und E x -

Destillation

9

Eine geeignete Apparatur ist in Fig. 7 abgebildet. Die zu destillierende Flüssigkeit befindet sich in einem Kolben nach C L A I S E N . In die Flüssigkeit taucht ein zu einer Kapillare ausgezogenes Glasrohr, durch das während des Evakuierens fortgesetzt kleine Luftbläschen eintreten; auf diese Weise wird das beim Sieden unter vermindertem Druck mitunter sehr heftige „Stoßen" der Flüssigkeit vermindert. Die Dämpfe werden nach dem Passieren eines Kühlers in der Vorlage kondensiert, die ihrerseits mit einem Manometer und der Wasserstrahlpumpe in Verbindung steht. Es empfiehlt sich, die Verbindungsröhren zwischen Kolben und Vakuum nicht zu eng zu wählen, weil man sonst mit Dampfstauungen und einem beträchtlichen Druckgefälle zwischen Kolben und Manometer zu rechnen hat. Der Druck im Kolben kann dann um mehrere Millimeter höher sein, als das Manometer anzeigt. Die Nichtbeachtung dieser Vorsichtsmaßregel hat viele ungenaue Siedepunktsbestimmungen zur Folge gehabt. Viele Substanzen, die sich auch im Vakuum der Wasserstrahlpumpe (d. h. 10—12 mm Druck) nicht unzersetzt destillieren lassen, können noch durch Destillation bei niedrigeren Drucken übergetrieben werden. Diese früher nur selten angewandte Operation

ist seit der Einführung der Quecksilberdampfstrahl-Pumpen in jedem Laboratorium leicht ausführbar geworden. Sie wird etwas irreführend meist Hochvakuumdestillation genannt, obwohl man erst Drucke unterhalb von etwa 0-001 mm als Hochvakuum bezeichnet; die wirklichen Destillationsdrucke pflegen aber bei 1—5 mm zu liegen. Für die Druckmessung gilt in erhöhtem Maße das oben Gesagte. Die Siedepunktserniedrigung gegenüber Atmosphärendruck beträgt bei Anwendung der Wasserstrahlpumpe etwa 100°, bei der Quecksilberpumpe etwa 150°.

3,5

3.0

2,5

2,0

1000/T -

Fig. 9 Den Siedepunkt einer Substanz unter verschiedenen Drucken entnimmt man aus ihrer Dampfdruckkurve, die den Zusammenhang zwischen Dampfdruck und Temperatur wiedergibt.

10

Allgemeine Operationen

Nach CLAUSIUS und C L A P E Y R O N gilt in vereinfachter Form: In p = — XjRT + konst., wo p den Dampfdruck, R die Gaskonstante, T die absolute Temperatur und A die Verdampfungsenthalpie bedeutet. Der Dampfdruck ist also eine Exponentialfunktion und steigt viel stärker als die Temperatur an. In Fig. 8 ist die Dampfdruckkurve von Toluol wiedergegeben. In Fig. 9 ist log p gegen den reziproken Wert der Siedetemperatur (in 0 absol.) aufgetragen. Die resultierende Kurve ist eine Gerade, wie die obige Gleichung es erwarten läßt. Die C L A U S i u s - C L A P E Y R O N s c h e Gleichung gibt eine sehr bequeme Möglichkeit zur annähernden Schätzung von Siedepunkten unter vermindertem Druck, wenn man sie mit der T R O U T O N S c h e n Regel (S. 34) kombiniert, nach der bei Atmosphärendruck XIT oft = etwa 21 ist (nomographische Darstellung auf logarithmisch-hyperbolischem Papier als Geradenschar, die sich in einem Punkt schneidet).

Die Trennung eines Gemisches f l ü c h t i g e r S t o f f e von verschiedenem Siedepunkt bewirkt man durch fraktionierte Destillation. Sie beruht darauf, daß bei der Destillation eines Gemisches der Dampf reicher an dem flüchtigeren Bestandteil ist als die Flüssigkeit. Angenommen, man habe ein Gemisch zweier Flüssigkeiten, von denen die eine bei 100°, die andere bei 130° siedet. Zu Beginn der Destillation wird vornehmlich die bei 100° siedende übergehen, gegen Ende die bei 130° siedende. Fängt man also den Anteil, der bis 110° übergeht, und ebenso den zwischen 120—130° destillierenden gesondert auf, so hat man in diesen zwei „Fraktionen" bereits eine rohe Trennung erzielt, während die dazwischenliegende Fraktion 110—120° noch ein Gemisch darstellt. Um die Trennung so vollständig wie möglich zu gestalten, verfährt man systematisch in folgender Weise: Die Fraktion 100—110° wird aufs neue aus dem Fraktionierkolben destilliert, bis das Thermometer 110° zeigt. Dabei macht man die Er-

Fig. 10

(a nach YOUNG-THOMAS, b nach WIDMER, c nach L E BEL-HENNINGER, d nach HEMPEL)

fahrung, daß dann noch eine gewisse Menge Flüssigkeit in dem Kolben übrig ist. Zu dieser gibt man die Mittelfraktion, erhitzt zum Sieden und wechselt erst dann die Vorlage, wenn das Thermometer wieder auf 110° steht. In die neue Vorlage destilliert man, bis das Thermometer 120° anzeigt, gibt darauf die Fraktion 120—130° hinzu und wechselt die Vorlage, wenn das Thermometer aufs neue 120° anzeigt. Den dann noch destillierenden Teil fängt man gesondert auf. Wiederholt man dieses Verfahren einige Male, wobei man zweckmäßig die Anzahl der Fraktionen vermehrt, so daß jede

Destillation

11

zwischen engeren Grenzen siedet, so verschwinden die mittleren Fraktionen meist fast ganz, und man erreicht eine nahezu vollständige Trennung. Theoretische Überlegungen zeigen in Übereinstimmung mit der Erfahrung, daß man durch fraktionierte Destillation nur die höhersiedende Komponente völlig rein erhalten kann, während die Reinigung des niedriger siedenden Anteils einen asymptotischen Prozeß darstellt und infolgedessen stets mehr Mühe kostet. Bezeichnend dafür ist ein Versuch vonYouNG: er zeigte, daß ein Gemisch gleicher Teile Benzol und Toluol erst bei 86° zu sieden beginnt, obwohl reines Benzol schon bei 80° siedet. Der Trennungseffekt einer Destillation kann durch Anwendung von Fraktionieraufsätzen (Kolonnen) (Fig. 10) in einer einzigen Operation vervielfacht werden. Der Aufsatz ist in seiner einfachsten Form ein Rohr, in dem durch Luftkühlung oder aufgesetzten Kühler ein Teil des Dampfes kondensiert wird, während der strömende Dampf sich mit dem Flüssigkeitsfilm durch Kondensation und Wiederverdampfung ins Gleichgewicht setzt, wobei die Diffusion im Dampf senkrecht zur Strömungsrichtung eine wesentliche Rolle spielt. Durch Einbau von „Böden" oder Füllung mit Perlen, keramischen Körpern oder Spiralen wird die Dampfströmung turbulent gemacht, wodurch Dampfdiffusion und Austausch verbessert werden. I n der Heligrid-Kolonne (PODB I E L N I A K ) besteht die Füllung aus einer Drahtspirale, die ihrerseits spiralig um ein in der Achse der Kolonne liegendes Rohr aufgewickelt ist. Als sehr wirksam haben sich Kolonnen mit rotierenden Teilen erwiesen. Die gebräuchlichste Form ist die zuerst von P O D B I E L N I A K angegebene Drehbandkolonne, bei der ein spiralig aufgewundenes Metallband mit 1200 Umdrehungen/Minute rotiert. Man k a n n den Trenneffekt einer Kolonne durch die Anzahl „theoretischer Böden" bei 100%igem Rückfluß ausdrücken und unter stark vereinfachenden Annahmen nach der Formel S =txN berechnen. Hierbei ist die S = (Y/1 — F ) A = , / ( F / 1 — R ) A = 0 der Trenneffekt, 1, so werden die zum Ausschütteln benötigten Mengen Lösungsmittel unbequem groß 1 . Durch n-maliges Ausschütteln mit der Menge m/n wird mehr ausgeschüttelt als durch einmaliges Schütteln mit der gesamten Menge m. Doch hat das fraktionierte Ausschütteln mit einer begrenzten Menge Lösungsmittel auch nur dann Vorteil, wenn mß > k. Eine Abart des Ausschütteins ist die fraktionierte Verteilung. Bei dem als „GefjenstromVerteilung" bekannten Verfahren geht man z. B. apparativ so vor, daß man auf der Peripherie eines Kreises vertikal angeordnete Röhren in 2 Etagen genau aufeinander passend übereinanderstellt, die untere Abteilung mit dem schweren, die obere mit dem leichten Lösungsmittel füllt und in ein Röhrenpaar (Nr. 0) die Substanz gibt. Nach dem Verteilen durch Schütteln der Anordnung dreht man die obere Etage um 1 Rohr weiter, schüttelt wieder und fährt damit fort, bis das erste obere über dem letzten unteren Rohr angelangt ist. Trägt man jetzt die analytisch ermittelte Konzentration in den einzelnen Röhren (oben + unten) gegen die Röhrennummer (r = 0 bis n) auf, so erhält man nach der binomischen Entwicklung 1

%n n\ _ ~ £0 r\(n-r)\ P" * 0-810 0-806 0-819 0-825 0-829 — — — —

— —

0-799 0-804 0 808 0-812 0-815 0-817

Unter Assoziation versteht man eine durch schwache Kräfte, z. B.Dipol- oder Dispersionskräfte Kräfte), bewirkte Zusammenlagerung von Molekülen zu Doppelmolekülen, Dreifachmolekülen usw. Unter den üblichen Bedingungen einer Molekulargewichtsbestimmung in hinreichend verdünnten Lösungen oder Dämpfen machen sich solche Erscheinungen im allgemeinen nicht bemerkbar, da man ja durch die Verdünnung eine Kraftwirkung der Moleküle aufeinander sorgfältig auszuschließen bemüht ist. Anders liegt natürlich der Fall bei homogenen Flüssigkeiten, wo die Moleküle wegen ihrer räumlichen Nähe gegenseitigen Einwirkungen unterliegen müssen. Obwohl nun hier die üblichen Verfahren der Molekulargewichtsbestimmung unanwendbar sind, so ist man doch in der Lage, den Molekularzustand der Flüssigkeiten durch eine Reihe empirischer Beziehungen zu beurteilen. Solche vielfach benutzten Beziehungen sind die TKOUTONsche Regel (nach dem englischen Physiker F. T . T R O U T O N ) (VAN DER W A A L S S c h e

(M Molekulargewicht, L Verdampfungsenthalpie in cal/g, T absolute Siedetemperatur), wonach die Verdampfungsentropie konstant wäre, und die EüTVtiSSChe Kegel yv'-

= k(tk — t)

(y Oberflächenspannung, v Molekularvolumen bei der Temperatur t, kritische Temperatur, jfc oft = 2). Beide Beziehungen lassen sich aus der reduzierten VAN DER W A A L S S c h e n Zustandsgieichung auch theoretisch verständlich machen. Doch ist ihr Wert aus vielen Gründen nur recht beschränkt, weshalb auch die so ermittelten Assoziationsgrade bestenfalls unsichere Schätzungen darstellen. Weitergehende Aufschlüsse gibt z. B. das Studium der Dipolmomente (S. 48). D i e Alkohole erscheinen im homogenen Zustand als assoziiert, da sie die T R O U T O N sehe und EÖTVÖssehe Regel nicht befolgen. Ihre Assoziationsneigung ist sogar groß genug, u m auch bei der Dampfdichtebestimmung und der kryoskopischen Methode noch deutlich in Erscheinung zu treten. Wie man aus Fig. 21 erMol Alkohol in 100 g Benzol sieht, wächst der (durchschnittliche) Assoziationsgrad von Äthylalkohol in Benzol als LöFig. 21 sungsmittel nahezu linear mit der Konzentration. Lösungen v o n 0 - 1 2 Mol Alkohol in 100 g Benzol zeigen im Durchschnitt 3faches Molekulargewicht. D i e Ursache dieser Assoziation wird später bei der Besprechung des Dipolcharakters d e r Alkohole (S. 47) deutlich werden.

Methanol (Methylalkohol) CH 3 OH Weitaus die größte Menge des Methylalkohols wird synthetisch aus Wassergas bei etwa 400° unter mindestens 200 Atmosphären Druck in Gegenwart v o n katalytisch wirkenden Metalloxydgemischen (ZnO + Cr 2 0 3 ) dargestellt: CO + 2 H , •=• CH t O;

AHin

- —21,7 kcal.

Alkohole

35

In welchem Maße hoher Druck das Gleichgewicht zugunsten der Methanolbildung verschiebt, beleuchtet die Ausbeute an Methanol bei 350° und 10 Atmosphären; sie beträgt nur 0 , 0 4 % ! Wenn man diese Reaktion mit der Hydrierung von Kohlenoxyd zu Methan (S. 22) und zu flüssigen Grenzkohlenwasserstoffen nach FISCHER-TROPSCH (S. 30) vergleicht, so erkennt man den bemerkenswerten Einfluß der Katalysatoren auf die Reaktionslenkung. Als Nebenprodukte entstehen bei der Methanolsynthese außer Dimethyläther (S. 55) durch weitere Kondensation auch in geringer Menge höhere Alkohole (z. B. Propylalkohol, Isobutylalkohol). Ihre Bildung kann man begünstigen, indem man den Katalysatoren Alkali zusetzt. Eisenverbindungen, namentlich Eisencarbonyl, wirken sehr schädlich, weil das aus ihnen entstehende feinverteilte Eisen die Reaktion in Richtung der Kohlenwasserstoffbildung ablenkt.

j Methylalkohol hieß früher auch Holzgeist1, weil er bei der Herstellung von Holzkohle durch trockene Destillation von Buchenholz als Nebenprodukt anfällt. Er entstammt den im Holz enthaltenen Methoxygruppen (S. 279). Das Produkt der Destillation besteht neben entweichenden Gasen (hauptsächlich Methan und Wasserstoff) aus wäßriger Flüssigkeit und Holzteer. Die wäßrige Flüssigkeit (roher Holzessig) enthält Methylalkohol in einer Menge von 1 — 2 % (bezogen auf das Gewicht des Holzes), daneben noch viele andere Stoffe, vor allem Essigsäure (5—6°/0) und Aceton (0,2°/0). Zur Entfernung der Essigsäure neutralisiert man die Destillationsprodukte mit Kalk und destilliert; die Trennung von Aceton, dessen Siedepunkt dem des Methylalkohols sehr nahe liegt, ist nur durch sorgfältige fraktionierte Destillation in Kolonnenapparaten (S. 36) zu erreichen. Sehr reinen Methylalkohol erhält man durch Veresterung mit Oxalsäure (vgl. S. 177) und Verseifung des durch Kristallisation gereinigten Esters. Methylalkohol brennt mit blaßblauer Flamme. Beim Mischen mit Wasser findet Volumverminderung (Kontraktion) und Wärmeentwicklung statt. Als dem Wasser besonders nahestehender Alkohol zeigt Methylalkohol in mancher Hinsicht ein etwas geringeres Lösungsvermögen gegenüber organischen Verbindungen als sein Homologes, der Äthylalkohol; z. B. sind Hexan und Schwefelkohlenstoff bei Zimmertemperatur mit Methylalkohol nicht vollkommen mischbar; wasserlösliche Verbindungen werden von ihm häufig besser gelöst als von Äthylalkohol. Methylalkohol findet technische Verwendung bei der Darstellung von Anilinfarbstoffen, von Formaldehyd und zum Denaturieren des Alkohols (S. 38). Er ist sehr giftig; schon nach dem Genuß von 8—10 g treten schwere Verdauungsstörungen, häufig Erblindung und Tod ein. Äthanol (Äthylalkohol) CgH5 0H Äthylalkohol ist der gewöhnliche Alkohol des Handels (Weingeist), der in großen Mengen durch Gärung zuckerhaltiger Flüssigkeiten hergestellt wird. Dabei wird Glucose, der wichtigste Zucker der Formel C 6 H l a 0 6 (vgl. S. 234), durch Hefepilze (Saccharomyceten) zu Alkohol und Kohlendioxyd vergoren2: C 6 H l 2 0 , = 2 C2H80 + 2 C02.

Für die technische Herstellung des Alkohols würde reine Glucose als Ausgangsmaterial zu teuer sein. Man geht deshalb entweder von Rüben- oder Zuckerrohrmelasse oder aber von Materialien aus, die reich an Stärke sind, z. B . Kartoffeln oder den Samenkörnern der Getreidearten. Das Polysaccharid Stärke läßt sich unter der katalanischen Wirkung eines Enzyms (S. 266, 275) in das Disaccharid Maltose überführen, das seinerseits enzymatisch durch Aufnahme von 1 Molekül Wasser in 2 Moleküle Glucose gespalten wird: C 12 H 22 O n + H 2 0 = 2 C,H 1 2 0,. Maltose

Glucose

Methyl ist von UE6U = Wein und VAT| = Holz abgeleitet (DUMAS, PÄLIGOT, Ann. Chim. Phys. [2] 58, 9 (1835). 2 Unter „Gärung" versteht man im allgemeinen durch Mikroorganismen hervorgerufene chemische Prozesse, die unter Gasentwicklung verlaufen. 1



Äthylalkohol

37

riechende Flüssigkeit, das Fuselöl; sie bestehen in der Hauptsache aus Amylalkoholen und höheren Homologen, die ihren Ursprung der Gärung der in den Rohmaterialien enthaltenen Aminosäuren (S. 297) verdanken. Über 96 Volumprozent hinaus läßt sich Alkohol durch Destillation allein nicht konzentrieren, da er mit Wasser eine konstant siedende Mischung (aus 95 -57 Gewichtsprozent Alkohol und 4-43°/ 0 Wasser) liefert, die bei 78-15° siedet, während reiner Alkohol erst bei 78-3° siedet. Durch Destillation über gebranntem Kalk kann man einen 99-8°/0igen Alkohol gewinnen. Die letzten Wasserspuren entfernt man durch Destillation über Calcium oder Natrium. Technisch wird absoluter Alkohol aus wasserhaltigem nach YOUNG durch Destillation unter Zusatz von Benzol (Siedepunkt 80-4 0 ) dargestellt. Wasser-Alkohol-Benzol bildet ein ternäres Gemisch mit einem Minimumsiedepunkt von 64-9°, das die Zusammensetzung 7-4°/ 0 H 2 0 , 18-ö°/o C.2HaO und 7 4 - 1 % C,H, hat. Ein Gemisch von Alkohol und Benzol hat bei der Zusammensetzung 6 7 - 6 % Benzol und 32-4°/ 0 Alkohol einen Minimumsiedepunkt von 68-2°. Beim Destillieren eines Gemisches der drei Substanzen geht erst das temäre Gemisch vom Siedepunkt 64-9° über, bis alles Wasser entfernt ist. Danach destilliert das binäre Gemisch vom Siedepunkt 68-2°. In der Destillierblase bleibt dann absoluter Alkohol zurück. An Stelle von Benzol kann auch Trichloräthylen verwendet werden. Es gibt auch andere technisch ausgeübte Verfahren zur kontinuierlichen Alkoholentwässerung, so die Behandlung von Alkohol im Gegenstrom mit einem Gemisch von Kaliumacetat und Natriumacetat, das durch etwas absoluten Alkohol flüssig erhalten wird, oder die Einwirkung von Gips auf Alkoholdämpfe.

Absoluter Alkohol ist eine leicht entzündliche, wasserhelle Flüssigkeit von eigenartigem Geruch. Er siedet bei 78-3°. Bei starker Abkühlung wird er zunächst sirupös und erstarrt dann zu einem Glas, das beim Ansteigen der Temperatur in Kristalle vom Schmelzpunkt — 114° übergeht. Er verbrennt mit blaßblauer, schwach leuchtender Flamme; wasserhaltiger Alkohol brennt bis zu etwa 50°/o Alkoholgehalt. Alkohol ist hygroskopisch und mischt sich mit Wasser in jedem Verhältnis unter Kontraktion (Volumverminderung) und Wärmeentwicklung. Das Maximum der Kontraktion tritt ein, wenn auf 52 Volumen Alkohol 48 Volumen Wasser kommen. Das Volumen beträgt nach der Mischimg bei 20° an Stelle von 100 nur 96-3. Der Wassergehalt von Alkohol-Wasser-Gemischen wird am genauesten durch Bestimmung des spezifischen Gewichts ermittelt. Da der Staat und die Industrie an der Bestimmung des Alkoholgehaltes wäßriger Flüssigkeiten ein großes Interesse besitzen, haben sich seit über einem Jahrhundert zahlreiche Gelehrte ( G I L P I N und BLAGDEN 1 7 9 0 , T R A L L E S 1 8 1 1 , GAY-LUSSAC 1 8 2 4 ) mit der Ausarbeitung von Tabellen befaßt, in denen das spezifische Gewicht in Abhängigkeit vom Alkoholgehalt und der Temperatur verzeichnet ist. Als beste Werte gelten heute die Zahlen von MENDELEJEW ( 1 8 6 9 ) und vom Bureau of Standards in Washington ( 1 9 1 3 ) . Im Handel und in der Technik wird der Alkoholgehalt meist in Volumprozenten angegeben, d. h. es wird die Anzahl Liter absoluten Alkohols angegeben, die in 100 Litern des wasserhaltigen enthalten sind. Für wissenschaftliche Zwecke gibt man meist Gewichtsprozente an, d. h. die Anzahl Gramme absoluten Alkohols, die in 100 g wasserhaltigem Alkohol enthalten sind. In Gewichtsprozenten ausgedrückt ist der Gehalt eines Alkohols niedriger als in Volumprozenten.

Ein erheblicher Teil des Alkohols wird in Form geistiger Getränke verbraucht1. Alkohol wirkt in kleinen Quantitäten zunächst anregend, dann narkotisch, in großen Mengen ist er giftig. Er wird im Organismus fast vollständig zu Kohlensäure und Wasser verbrannt. Seine größere oder geringere Schädlichkeit ist unter anderem auch durch den Grad seiner Reinheit, namentlich etwaigen Gehalt an Fuselölen, bedingt. 1 In der Deutsehen Bundesrepublik wurden 1952 1000001, ganz überwiegend durch Gärung, erzeugt. Davon wurden etwa 30% als Trinkbranntwein, der Rest für industrielle, medizinische und kosmetische Zwecke verbraucht. In USA werden jährlich eitwa Je 30000Ö t Alkohol aus Melasse und Äthylen gewonnen.

Acyclische Verbindungen

38

Man teilt die alkoholischen Getränke in destillierte und nicht destillierte ein. Zu den ersteren gehören Branntwein, Genever (Alkohol destilliert mit Wacholderbeeren), Kognak (durch Destillation von Wein erhalten) usw., mit einem Alkoholgehalt von 40—50%; zu den letzteren Bier mit 3—6%, Wein mit 8-5—10%, Champagner mit 8—9%; Madeira, Porto, Sherry mit maximal 21% verdanken ihren hohen Alkoholgehalt einem nachträglichen Zusatz von absolutem Alkohol.

Neben die gärungstechnische Darstellung von Alkohol ist neuerdings die Gewinnung aus Äthylen (S. 54, 129) getreten. Auch die Gewinnung durch Hydrierung von Acetaldehyd h a t unter Umständen Interesse. Alkohol wird zur Herstellung von Butadien für künstlichen Kautschuk (S. 133), zur Bereitung von Lacken und Firnissen, bei der Darstellung von Teerfarbstoffen und pharmazeutischen Präparaten (Chloroform, Chloral, Jodoform usw.) und als Lösungsmittel verwendet; ferner wird er zur Konservierung anatomischer Präparate gebraucht. Als ausgezeichnetes Lösungsmittel f ü r zahlreiche organische Verbindungen findet Alkohol auch im Laboratorium ausgedehnte Anwendung. Der f ü r gewerbliche Zwecke bestimmte Alkohol wird ungenießbar gemacht ( d e n a t u r i e r t ) und ist dann steuerfrei. Zur Denaturierung ist in Deutschland ein Zusatz von Methylalkohol und Pyridin vorgeschrieben; doch sind für besondere Zwecke der Technik auch andere Denaturierungsmittel gestattet. Als Reaktion auf Äthylalkohol kann die Bildung von Jodoform dienen, das beim Zusatz von Jod und Kalilauge entsteht (S. 145). Zur Bestimmung von Alkohol im Blut nach WIDMARK wird er abdestilliert und in vorgelegter Dichromat-Schwefelsäure oxydiert. Das überschüssige Dichromat wird mit Kaliumjodid und Thiosulfat zurücktitriert.

Propanole (Propylalkohole) C 3 H 8 0 Die isomeren Alkohole C 3 bis C5 sind in der Tabelle auf S. 39 mit ihren Strukturformeln und wichtigsten Eigenschaften zusammengestellt. Nach der Strukturtheorie kann es nur zwei Propanole geben, nämlich: CHjCHJCHJ-OH

CH,-CH(OH)CH s .

Propylalkohol, Propanol-(l)

Isopropylalkohol, Propanol-(2)

Ihre Struktur ist durch Oxydation ermittelt worden. Das bei 97° siedende Propanol gibt hierbei eine Verb.C 3 H 6 0 (Propionaldehyd), die sich weiter zu Propionsäure C 3 H 6 0 2 oxydieren läßt. F ü h r t man die gleiche Reaktionsfolge mit dem Propanol vom Siedep. 82° durch, so erhält man zwar ebenfalls eine Verb. C 3 H 6 0 (Aceton), die aber bei der Oxydation nur Säuren geringerer C-Zahl, nämlich C0 2 und Essigsäure C 2 H 4 0 2 liefert:

I

C 3 H 8 0 Kp: 9 7 ° - v C , H , 0 (Propionaldehyd) ->- C S H J O J (Propionsäure). C s H,0 Kp: 8 2 » - v C , H , 0 (Aceton) —>- C0 2 + C 2 H 4 0 2 (Essigsäure).

Propionsäure besitzt, wie später bewiesen werden wird, die Struktur CH 3 • CH 2 -COOH, Aceton die Struktur C H 3 C O C H 3 . Man sieht ein, daß nur primärer Propylalkohol beim Ersatz von zwei Wasserstoffatomen durch ein Sauerstoffatom in eine Verbindung von der Struktur der Propionsäure übergehen kann. Andrerseits kann Aceton offensichtlich nicht zu einer Säure gleicher C-Zahl oxydiert werden. Der höher siedende Alkohol muß also die Struktur des primären Propylalkohols haben, der niedriger siedende m u ß Isopropylalkohol sein. Durch das Verhalten bei der Oxydation unterscheiden sich allgemein primäre und sekundäre Alkohole. Denn nach den S. 32 angeführten allgemeinen Formeln enthalten alle primären Alkohole die Gruppe — C H 2 O H , die durch Oxydation in die f ü r Säuren charakteristische Gruppe — C a r b o x y l g r u p p e ) übergehen k a n n ; sekundäre

Propylalkohole Formel

Name

Propylalkohole, CsH,0

1. Normaler, Propanol-(l) 2. Iso-, Propanol-(2) 1. 2. 3. 4.

Butylalkohole, C4H10O

n-prim., Butanol-(l) n-sek., Butanol-(2) Iso-, 2-Methyl-propanol-(l) tert.-, 2-Methyl-propanol-(2)

CH,-CH 2 -CH 2 -OH CH, • CH( OH) • CH,

Siede- Schmelzpunkt punkt 97-2° — 127° 82-4 — 90



D?

0-819 0 800 0-801 0 781

CHS • CH2 • CH2 • CH, • OH CH, • CH2 • CH( OH) • CH, (CH,)2CH • CH, • OH (CH,)3C-OH

118 99-5 108 82-5

0-825 0 806 — 90 - 114,7 0-823 0 802 0-817 0 798 - 108 0 781 + 25-6 —

CH,-[CH 2 ],-CH 2 -OH

138-3



1. Amylalkohole, C5H120

2. n-prim., Pentanol-(l) Methylpropylcarbinol, Pentanol-(2) 3. Diäthylcarbinol, Pentanol-(3) 4. Isobutylcarbinol, 2-Methyl-butanol-(4) 6. Methylisopropylcarbinol, 2-Methyl-butanol-(3) 6. Dimethyläthylcarbinol, 2-Methyl-butanol-(2) 7. sek.-Butyl-carbinol, 2-Methyl-butanol-(l) 8. tert.-Butyl-carbinol, 2,2-Dimethyl-propanol-(l)

39

CH, • [CHJ 2 • CH(OH) • CH, 119-9

79

0-830 0 811 0-825 0 805



C a H, • CH(OH) • CjH,

116-1

— 75

0-837 0 816

(CH,) 2 CH-CH 2 -CH 2 -OH

132

— 117

0-824 0 806

(CH,),CH • CH(OH) • CH,

113



(CH,)2C(OH) • CH, • CH,

102-4

128 CH, • CH(CH2 • OH) • CH2 • CH, (CH s ),C-CHj-OH

Alkohole sind durch die Gruppe

H

> C \ Q J J

114



8-6 0-827 0 804

— — 70 +

0 814

53









charakterisiert, die durch Abspalten zweier

Wasserstoffatome die Gruppe > C = 0 (Carbonylgruppe) liefert, die charakteristisch für die Ketone (die Homologen des Acetons) ist. D i e p r i m ä r e n A l k o h o l e g e b e n a l s o b e i d e r O x y d a t i o n Säuren m i t d e r g l e i c h e n A n z a h l v o n K o h l e n s t o f f a t o m e n , die s e k u n d ä r e n d a g e g e n Ketone m i t der g l e i c h e n A n z a h l v o n K o h l e n s t o f f a t o m e n . Zugleich lehren uns die mitgeteilten Tatsachen noch etwas anderes. Beim Übergang von Propylalkohol in Propionsäure und auch bei der Bildung von Aceton aus Isopropylalkohol hat die Oxydation an dem Kohlenstoffatom angegriffen, an das bereits Sauerstoff gebunden war. Dies ist fast immer der Fall: Wenn eine organische Verbindung der Oxydation unterworfen wird, so wird das Molekül vorzugsweise an derjenigen Stelle angegriffen, an der sich bereits Sauerstoff befindet. Der elektronegative Sauerstoff wirkt durch Induktion (S. 188) lockernd auf die C-H-Bindung am gleichen C-Atom. Propylalkohol ist im Fuselöl enthalten. Technisch gewinnt man ihn z . B . als Nebenprodukt der Fischer-Tropsch-Synthese. E r riecht angenehm und ist in jedem Verhältnis mit Wasser mischbar. Isopropylalkohol1 ist ebenfalls flüssig, kommt jedoch n i c h t im Fuselöl vor. E r kann durch Reduktion von Aceton erhalten werden. Neuerdings wird jedoch umgekehrt Aceton durch katalytische Dehydrierung von Isopropylalkohol gewonnen, den man aus Propylen durch Wasseranlagerung bei Gegenwart starker Mineralsäuren in größtem Maßstab herstellt. Beide Alkohole sind giftiger als Äthylalkohol und finden auch als Lösungsmittel Verwendung. 1 Die heute oft anzutreffende pseudo-genferische Bezeichnung „Isopropanol" ist falsch. Sie würde sich von einem nicht existierenden „Isopropan" ableiten.

40

Acyclische Verbindungen

Butanole (Butylalkohole) C4H,0O 1. 2. 3. 4.

Die vier nach der Strukturtheorie möglichen Butylalkohole sind sämtlich bekannt: n-Butylalkohol, Butanol-(l) CH3 • CH2 • CH2 • CH2 • OH Kp: 118° sek.-Butylalkohol, Butanol-(2) CH3 CH2 CH(OH) CH3 Kp: 100° Isobutylalkohol, 2-Methyl-propanol-(l) (CH3)2CH • CH2• OH Kp: 108° tert.-Butylalkohol, 2-Methyl-propanol-(2) (CH3)2C(OH) CH3 Kp: 83°

Zwei dieser Alkohole, nämlich die vom Siedepunkt 118° und 108°, lassen sich zu Säuren von gleicher Kohlenstoffzahl (Buttersäure und Isobuttersäure) oxydieren, deren Struktur später (S. 81) bewiesen werden wird, sind also primär. Den bei 100° siedenden Alkohol kann man in ein Keton von gleicher Kohlenstoffzahl verwandeln. Ihm muß also die Struktur 2 eines sekundären Alkohols zukommen. Für den vierten, bei 25° schmelzenden und bei 83° siedenden Alkohol bleibt somit nur die Formel 4 übrig. Sie steht auch mit seinem chemischen Verhalten im Einklang. tert.-Butylalkohol läßt sich nämlich nur schwer oxydieren und wird dabei sofort in Moleküle von kleinerer Kohlenstoffzahl gespalten (Aceton, Kohlensäure u. a.). n-Butylalkohol wird in der Technik durch katalytische Hydrierung von CrotonaJdehyd (S. 156) dargestellt: CHS • CH: CH • CHO — V CHj-CH^CH^CHO Crotonaldehyd Butyraldehyd — V CHJ-CHJ-CHj-CHJ-OH Butylalkohol

In Ländern, die über billige Kohlenhydrate verfügen, namentlich in den Vereinigten Staaten, gewinnt man n-Butylalkohol durch Vergärung von Maisstärke oder Zuckerrohrmelasse durch bestimmte Clostridien. Hierbei entstehen neben Wasserstoff Butylalkohol, Aceton und Äthylalkohol im. Verhältnis 6:3:1. Über den Mechanismus der Aceton-Butylalkohol-Gärung ist wenig Sicheres bekannt. Man weiß lediglich, daß zunächst Buttersäure und Essigsäure entstehen. Hinsichtlich ihrer weiteren Umwandlung ist man über naheliegende Vermutungen nicht hinausgekommen. n-Butylalkohol löst sich in etwa 12 Teilen Wasser von Zimmertemperatur und ist als Lösungsmittel für Harze sehr geschätzt. Sein Essigsäureester (Butylacetat) wird in größtem Maßstab als Lösungsmittel für Nitrocellulose-Lacke verwendet. Isobutylalkohol ist ein Bestandteil des Fuselöls. Er bildet den Hauptbestandteil der höher siedenden Alkohole der MethanolSynthese und wird so gewonnen. Butanol-(2) wird durch Wasseranlagerung an n-Butylen oder durch Hydrierung vonMethyläthylketon erhalten. tert.-Butylalkohol, durch Wasseranlagerung an Isobutylen zugänglich, ist für viele Reaktionen ein brauchbares Lösungsmittel, weil er als tertiärer Alkohol gegen Oxydationsmittel einigermaßen beständig ist (Oxydation von Alkoholen zu Aldehyden mit tert.-Butylchromat). Pentanole (Amylalkohole) C^H^O Die acht auf S. 39 verzeichneten Alkohole C 5 H 12 0 werden Amylalkohole genannt. Isoamylalkohol (CH3)2CH • CH2 • CH2 • OH ist ein wichtiger Bestandteil des Fuselöls. Er riecht unangenehm, reizt zum Husten und findet mannigfache technische Verwendung. Er ist im Fuselöl von einer geringen Menge n-Amylalkohol und von 2-Methylbutanol-(l) begleitet. Bei 2-Methyl-butanol-(l) (sek.-Butylcarbinol) hat man einen sehr bemerkenswerten Fall von Isomerie beobachtet. Die Strukturchemie beruht auf der Voraussetzung, und unsere bisherigen Beispiele haben uns darin bestärkt, daß zwischen der Struktur-

41

Butanole, Pen tañóle

formel einer Verbindung und ihren Eigenschaften ein eindeutiger Zusammenhang besteht. Sind die Eigenschaften von zwei Verbindungen ungleich, so muß dies aus ihren Strukturformeln ersichtlich sein. Vom sek.-Butylcarbinol sind jedoch 3 verschiedene Isomere bekannt, denen man nach sorgfältigem Studium ein und dieselbe Strukturformel I i.

CH3

^3>CH-CH2.OH

II.

c h

^ > C H . c o o h

zuerkennen mußte. Ebenso existiert die aus sek.-Butylcarbinol durch Oxydation erhältliche Methyläthylessigsäure (II) in drei isomeren Formen. Die drei sek.-Butylcarbinole haben nun zwar gleiche chemische Eigenschaften; auch ihre physikalischen Konstanten sind innerhalb der Fehlergrenzen gleich. Aber in bezug auf eine physikalische Eigenschaft unterscheiden sie sich scharf voneinander: die Schwingungsebene des polarisierten Lichts wird durch das eine Isomere nach links, durch das zweite um denselben Betrag nach rechts gedreht, während ihre Lage durch das dritte nicht verändert wird. Zwei der Isomeren sind also, wie man zu sagen pflegt, optisch-aktiv. Die optische Aktivität dieser und ähnlicher Verbindungen ist nicht etwa durch verschiedene Lagerung der Moleküle zueinander, etwa durch Polymorphie, bedingt. Denn man trifft optische Aktivität auch bei Flüssigkeiten und Lösungen, ja sogar bei Dämpfen organischer Verbindungen bei normaler Dampfdichte an, wie zuerst B I O T gezeigt hat. Ferner bleibt die optische Aktivität auch bei Derivaten aktiver Stoffe erhalten. Dies ist die zweite Tatsache, die mit der Annahme Polymorphie-ähnlicher Verhältnisse unvereinbar ist. Hieraus folgt der wichtige Schluß, daß die Drehung der Polarisationsebene durch flüssige und gelöste Stoffe ihre Ursache in dem Bau des Moleküls selbst haben muß. Die richtige Deutung der Erscheinung fand im wesentlichen schon P A S T E U R 1 ( 1 8 4 8 ) , als er den optisch-aktiven Molekülen einen asymmetrischen Bau zuschrieb. Dann sind, wie z. B . bei einer Rechtsschraube und einer Linksschraube, zwei K o n f i g u r a t i o n e n (d.h. räumlicheAnordnungen)2 möglich, die sich nicht miteinander zur Deckung bringen lassen, sondern Spiegelbilder darstellen. Auch die rechte und die linke Hand sind Beispiele solcher Konfigurationen. In der allgemeinen Symmetrielehre wird gezeigt, daß ein Körper sich immer dann mit seinem Spiegelbild nicht zur Deckung bringen läßt, wenn er keine Spiegelebene besitzt, d. h. wenn man ihn nicht durch eine Ebene in zwei Hälften zerlegen kann, die sich wie Bild und Spiegelbild zueinander verhalten. PASTEURS Idee konnte jedoch nicht fruchtbar werden, solange man sich über die Anordnung der Atome im Molekül noch nicht im klaren war; dies änderte sich erst nach der Einführung der Strukturlehre durch K E K T ' L E . 1 8 7 4 entdeckten gleichzeitig VAN'T H O P F 3 und L E B E L 4 , daß in der Regel in optisch-aktiven Verbindungen mindestens ein „asymmetrisches" Kohlenstoffatom vorkommt, d. h. ein solches, das mit vier ungleichen Atomen oder Atomgruppen verbunden ist 5 . Verschwindet dieses asymmetrische 1 Geb. 27. 12. 1822 zu Dole (Dep. Jura), gest. 28. 9. 1895 zu Paris. Lehrte seit 1849 in Straßburg, 1854 in Lille, seit 1857 in Paris. Siehe den von E . FISCHER verfaßten Nekrolog (Ber. Dtsch.

C h e m . Ges. 2 8 ,

2336).

Man hat also Struktur = Reihenfolge der Verknüpfung und Konfiguration = räumliche Anordnung (s. a. S. 183) streng zu unterscheiden. 3 Geb. 30. 8. 1852 zu Rotterdam, gest. 1. 3. 1911. Lehrte seit 1878 in Amsterdam, seit 1896 in Berlin. Vgl. den Nachruf von C. LIEBERMANN (Ber. Dtsch. Chem. Ges. 44, 2217). 4 Geb. 21. 1. 1847 zu Pechelbronn (Elsaß), gest. 6. 8. 1930 in Paris. Vgl. E. COHEN in Naturwissenschaften 1925, 284 und E. WEDEKIND, Ztschr. f. angew. Chemie 43, 985 (1930). 5 Daß die Bedingung für das Auftreten optischer Aktivität etwas allgemeiner zu fassen ist, werden wir später sehen („molekulare Asymmetrie"). 2

42

Acyclische Verbindungen

C-Atom dadurch, daß zwei daran gebundene Gruppen gleich werden, so geht auch die optische Aktivität verloren, wie sich aus folgendem Beispiel ergibt. Der linksdrehende Amylalkohol I wurde durch Behandlung mit Jodwasserstoff in l-Jod-2-methyl-butan II übergeführt. Dieses erwies sich als optisch-aktiv. Behandelt man es mit naszierendem Wasserstoff, so wird Jod durch Wasserstoff ersetzt, und es entsteht 2-Methyl-butan (III). Diese Verbindung ist optisch-inaktiv. Wird l-Jod-2methyl-butan dagegen mit Äthyljodid in Gegenwart von Natrium umgesetzt, so entsteht aktives 3-Methyl-hexan (IV). L

M

C2HL

> C < C H aktiv

A

-OH

¿ 1 : > C < ? H , inaktiv

I L

I V

-

C ^

C

C

C H . , J aktiv

> C
C durch die ScHBÖDiNGEK-Gleichung

beschreiben, wo der zweite Differentialquotient die kinetische Energie des Elektrons in kartesischen Koordinaten, E die Gesamtenergie und U die potentielle Energie bedeutet und xp eine anschauliche Bedeutung erhält, wenn man sich ihr Quadrat als ein Maß der Dichteverteilung der „Elektronenwolke" um das Atom vorstellt. Die Gleichung

44

Acyclische Verbindungen

ist nur bei Einführung von Quantenzahlen für die verschiedenen Enei'giezustände lösbar. Die Lösungen sind stets Näherungslösungen. Es sollte deshalb niemals vergessen werden, daß die abgeleiteten anschaulichen Bilder immer von der Art der gewählten Näherung abhängen und darin auch ihre Grenze finden. Man unterscheidet im Aufbau der Atome die Hauptquantenzahl n( 1, 2, 3 . . .), die Nebenquantenzahl l (auch azimutale Quantenzahl genannt) (0,1,2,3..., n—1), die magnetische Quantenzahl m{—1, 0, +1) und die Spinquantenzahl s(—%> + %). Nach dem PAULischen Ausschließungsverbot darf kein Elektron eines Atoms in allen vier Quantenzahlen übereinstimmen. Nach einer aus der Spektroskopie stammendenTerminologie unterscheidet man s, p, d-Zustände. s-Zustände von (sharp) haben die Nebenquantenzahl 0 und werden als

o o

© ls

2s

sp-1 tetraedisch

2p

sp2 trigonal

a-Bindung

sp linear

Tr-Bindung

Fig. 28. Elektronendichte-Konturen (schematisch)

ls, 2s, 3s usw.-Zustände bezeichnet, je nach dem die Hauptquantenzahl 1, 2 oder 3 ist. Die Elektronenwölke hat Kugelsymmetrie, der ls-Zustand keine Knotenfläche, der 2 seine. der 3s-Zustand zwei Knotenflächen. p-Zustände (p = principal), die wegen 1= n—1 erst von n = 2 an auftreten können, haben die Nebenquantenzahl 1. Ihre Elektronenwölke hat,,Hantel-Form" mit einer Knotenfläche im Atom, so daß dort die Elektronendichte immer 0 ist. Es gibt 3 2p-Zustände von gleicher Energie, die im Raum Winkel von 90° miteinander bilden (p^, p„, pz). Im Kohlenstoffatom verteilen sich die 6 Elektronen auf die Energiezustände wie folgt: der 1 s-Zustand ist doppelt besetzt mit zwei Elektronen entgegengesetzten Spins, desgleichen der 2 s-Zustand. Die verbleibenden zwei Elektronen besetzen zwei 2p-Zustände einzeln. Dies ist jedoch nicht die Elektronen,,Konfiguration" des Kohlenstoffs in seinen Verbindungen. Die Auffassung des Elektrons als stehende Welle läßt unter gewissen Voraussetzungen Überlagerungen verschiedener Schwingungsformen zu. Durch Überlagerung der 2s- und der drei 2p-Zustände erhält man bastardierte („hybride") Zustände (sp3) mit vier nach den Ecken eines Tetraeders konzentrierten Elektronenwolken (Eig. 28), die für Verbindungsbildung energetisch günstiger sind.

Chemische Bindung

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Bisher haben wir uns nur mit der Elektronenkonfiguration des Atoms beschäftigt und die Existenz einer Reihe stabiler Zustände verzeichnet. Am einfachsten Fall der chemischen Bindung, der Bildung des Wasserstoffmolekülions H2® aus einem Wasserstoffatom und einem Proton, erfahren wir, daß bei fortschreitender Näherung des Protons das Elektron des Wasserstoffatoms unter den Einfluß beider Kerne gerät. Es gibt mit beiden Schwingungssysteme gleicher Frequenz. Wenn wir uns erinnern, daß gekoppelte Schwingungskreise gleicher Frequenz sich „verstimmen", indem eine Aufspaltung in je eine Schwingung niedrigerer und höherer Frequenz stattfindet, verstehen wir anschaulich, daß die Kopplung durch Annäherung auf einen Abstand R zu einem Zustand höherer und einem niedrigerer Energie führt. Wie die Rechnung ergibt, ist der letztere bindend, der erste nicht bindend. Über die theoretische Behandlung der Bindungsverhältnisse in Molekülen sei hier nur so viel gesagt, daß man Molekülfunktionen 1 in erster Näherung von den Atomfunktionen der einzelnen Atome ableiten kann, indem man sie linear kombiniert („LCAO-Methode", linear combination atomic orbitals-Methode). Die Wechselwirkung zwischen den Elektronenwolken zweier Atome ist um so größer, je besser sie sich überlappen können, deshalb sind p-Zustände und hybride s + p Zustände für die chemische Bindung besonders geeignet. Elektronenzustände, die an einer Bindung zwischen zwei Atomen beteiligt sind, sind einer weiteren Quantisierung in bezug auf die Bindungsrichtimg unterworfen. Man unterscheidet lscr, 2 so-, 2per und 2p?r-Zustände. Die Bindung im H 2 ®-Ion ist eine 1 SCT-Bindung, sie kommt aus zwei ls-Zuständen zustande und ist eine cr-Bindung, d . h . die Elektronenwolke ist zylindersymmetrisch um die Verbindungslinie der beiden Atome verteilt. Sind dagegen die Symmetrieachsen der Elektronenwolken senkrecht zur Atomverbindungslinie und einander parallel, so spricht man von einer ^-Bindung. Bisher haben wir nur von der sp 3 -Hybridisierung des Kohlenstoffs, die zu tetraedrischen Funktionen führt, gesprochen. Es gibt aber auch sp 2 -Hybridisierungen, Überlagerung eines s- und zweier p-Zustände. Dabei erhält man drei er-Bindungen in einer Ebene im Winkel von je 120° und senkrecht zu dieser Ebene den dritten, p^-Zustand. Die nähere Diskussion ergibt, daß zwei p^Elektronenwolken an benachbarten Atomen in der gleichen Ebene sich seitlich etwas zu überlappen vermögen. Sie bilden also eine Bindung. Die gleichzeitige Bindung durch eine a- und eine,,^-Bindung" macht in dieser Betrachtungsweise das Wesen der sog. „Doppelbindung" aus, von der wir später ausführlich zu reden haben werden. Schließlich ist auch eine sp-Hybridisierung, einen s- und einen p-Zustand betreffend, mit energetisch vorteilhaftem Erfolg möglich. Sie ergibt zwei cr-Bindungen im Winkel von 180°, also in gerader Linie, und senkrecht dazu in zwei Ebenen je einen p-Zustand. Hieraus ergibt sich das Bild der dreifachen Bindung aus einer cr-Bindung und zwei zueinander senkrecht orientierten jr-Bindungen. Wir haben im Vorhergehenden gesehen, daß eine Bindung zwischen zwei Atomen schon durch 1 Elektron hervorgerufen werden kann. Im allgemeinen entspricht eine Bindung 2 Bindungselektronen, wie dies z. B. in den 2s- und 2p-Bindungen der Fall ist. Dies hängt wesentlich damit zusammen, daß jeder Zustand nach dem PAXJXJ-Prinzip doppelt (mit Elektronen entgegengesetzten Spins) besetzt werden kann. Das bindende Elektronenpaar wird in der gewöhnlichen Formelschreibweise durch einen Strich repräsentiert 2 . Wir haben bisher stillschweigend angenommen, daß die Ladungsverteilung in einer Bindung zwischen den Atomen symmetrisch, die Bindung also „homöo1

Englisch: molecular orbital. Zum Zweck der Abkürzung auch häufig durch einen Punkt oder durch bloße Nebeneinanderstellung. Eine völlige Vereinheitlichung der Notation wäre wohl wünschenswert, erweist sich aber in der Praxis als zu umständlich. Senkrechte oder waagerechte Striche, die nur zu einem Atom gehören, z. B. H a NI, symbolisieren nach allgemeiner Konvention „einsame" Elektronenpaare. 2

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Acyclische Verbindungen

polar" im eigentlichen Sinn des Wortes ist. Dies ist nun aber durchaus nicht immer der Fall. Obwohl ein einzelnes Valenzelektron in einem beliebigen Atom sich formal immer in einem Feld der positiven Ladung 1 befindet (Kernladung — Ladungssumme der übrigen Elektronen), trifft dies praktisch keineswegs zu. Die Elektronenwolken der übrigen Elektronen schirmen das Kernfeld durchaus nicht vollkommen ab (p-Zustände haben z. B. in der Nähe des Kerns die Ladungsdichte 0). Deshalb zeigen verschiedene Atome durchaus verschiedene „Elektronegativität", d. h. Anziehungskraft für ein Valenzelektron. Als Maß der Elektronegativität 1 betrachtet man die halbe Summe der Ionisationsenergie und der Elektronenaffinität eines Atoms. Die bekannte Tatsache, daß die Elektronegativität von der 4. zur 8. Gruppe des periodischen Systems zunimmt, erklärt sich so. Die Folge ist, daß in einer Bindung zwischen C und 0 das Bindungselektronenpaar etwas näher zum Sauerstoff hingezogen ist. Die Bindung ist also polar, eine Eigenschaft, die in unseren Strichformeln nicht zum Ausdruck kommt. Einige physikalische Beweise für das Tetrae d e r m o d e l l . Die V A N ' T H O I T - L E BELsche Hypothese von der tetraedrischen Anordnung der Bindungen des Kohlenstoffatoms hat in der Folge das chemische Denken beherrscht und, wie wir gesehen haben, auch ihre quantentheoretische Begründung gefunden. Sie ist nach der v. LATJEschen Entdeckung der Interferenz von Röntgenstrahlen an Kristallen durch die Untersuchungen von B R A G G (1913) am Diamanten aufs glänzendste bestätigt worden. Es zeigte sich, daß jedes Kohlenstoffatom des Diamantgitters im Zentrum eines regulären Tetraeders steht, dessen Eckpunkte von vier anderen Kohlenstoffatomen besetzt sind (Fig. 29). Der Abstand zweier benachbarter C-Atome beträgt 1,54 Ä (1 Ä = 10" 8 cm). Später hat man an Kristallen zahlreicher aliphatischer Diamant nach BRAGG Verbindungen Abstände und Winkel genau vermessen können und auch an Gasen durch Röntgen- und Elektronenbeugung entsprechende Interferenzen erhalten. Kleinere individuelle Abweichungen in Längen und Winkeln haben sich dabei als besonders aufschlußreich erwiesen. Auch die ultraroten Schwingungs- und Rotationsspektren haben sich im Sinn der gleichen modellmäßigen Vorstellungen mit großer Genauigkeit deuten lassen. Experimentelle Hinweise auf die räumliche Lage der Bindungsrichtungen gibt ferner das Verhalten der Moleküle im elektrischen Feld. Symmetrische Moleküle zeigen im elektrischen Wechselfeld nur dielektrische Polarisation („Verschiebungspolarisation"). Die S. 17 bereits erwähnte Molekularpolarisation ist eine temperaturunabhängige Konstante. Nicht selten ist die gefundene Größe aber temperaturabhängig. D E B Y E hat dies so erklärt, daß diese Moleküle permanente „Dipole" besitzen, in denen die Schwerpunkte der positiven und negativen Ladung um einen kleinen Abstand voneinander entfernt sind. Das Produkt aus Abstand und Ladung bezeichnet man als Dipolmoment. Es ist von der Größenordnung 10~18 elektrostatische Einheiten mal cm. Im elektrischen Feld erfordert die Einstellung dieser Dipole in die Feldrichtung Energie. Die Momente sind gerichtete Größen (Vektoren). Im elektrischen Feld der Stärke E wirkt auf einen Dipol ein Kräftepaar, dessen Drehmoment fiE sin (p beträgt, wenn

s/ + je C2H/ /

Werden sie mit feuchtem Silberoxyd behandelt, so wird J durch OH ersetzt: (C2H6)3S- J + AgOH = (C 2 H 6 ) 3 S-OH + AgJ, und man erhält Sulfoniiimhydroxyde; diese sind in Wasser leicht löslich und r e a g i e r e n s t a r k a l k a l i s c h . Sie verhalten sich ganz wie starke Basen, ziehen z. B. aus der Luft begierig Kohlen-

60

Acyclische Verbindungen

dioxyd an und geben mit Säuren wieder Salze (C 2 H 5 ) 3 S'X. Unsymmetrisch substituierte Sulfoniumsalze existieren in optisch-aktiven Formen (S. 221). Bei der Oxydation der Thioäther können 1 oder 2 Sauerstoffatome an den Schwefel angelagert werden: R

\

W



-

Sulfoxyde

\

¿5

r /

^o

R

Sulfone

Der Schwefel kann also sein Oktett unter Beteiligung von d-Elektronen aufweiten. Die Sulfoxyde (C n H 2 n + 1 ) 2 SO entstehen durch Oxydation von Thioäthern mit Hydroperoxyd in Eisessig. Ihre Struktur ergibt sich daraus, daß sie sich leicht wieder zu Thioäthern reduzieren lassen; wäre der Sauerstoff an Kohlenstoff gebunden, dann würde dies nicht möglich sein, da weder Alkohole noch Äther ihren Sauerstoff durch gemäßigte Reduktion verlieren. Die Sulfone sind Verbindungen, denen man die Struktur \C n H 2 n + 1 ) 2 S0 2 zuerkennt. Sie entstehen durch stärkere Oxydation der Thioäther oder der Sulfoxyde durch Hydroperoxyd in der Wärme oder mit Permanganat sowie durch Alkylierung der Salze von Sulfinsäuren (s. auch unten) und werden durch naszierenden Wasserstoff nicht reduziert. Wie Dichlordiäthylsulfid wirkt auch D i c h l o r d i ä t h y l s u l f o n C1CH2 • CH 2 • S0 2 • CH 2 • CH2C1 blasenziehend, es wird aber durch Wasser leicht hydrolysiert.

Sulfonsäuren Sulfonsäuren bilden sich bei energischer Oxydation von Mercaptanen mit Salpetersäure. Bei dieser Reaktion bleibt die Alkylgruppe der Mercaptane unberührt; denn die Salze der Sulfonsäuren entstehen auch, wenn man Alkyljodid auf ein Alkalisulfit einwirken läßt: K 2 SO s + C 2 H 5 J = C 2 H 6 - S0 3 K + K J . äthanBulfonsaures K

Die allgemeine Formel dieser Säuren ist demnach C n H 2n+1 • S0 3 H. Bei Einwirkung von überschüssigem Äthyljodid auf Kaliumsulfit entsteht der Äthylester der Äthansulf onsäure: K j S 0 3 + 2 C 2 H 5 J = C2HJ - S 0 2 - 0 C 2 H 5 + 2 K J .

Da in den Mercaptanen der Schwefel direkt an Kohlenstoff gebunden ist, muß dies auch bei den Sulfonsäuren der Fall sein. Diese lassen sich dementsprechend auch wieder zu Mercaptanen reduzieren. Die Sulfonsäuren sind starke Säuren, bilden hygroskopische Kristalle und lösen sich sehr leicht in Wasser. Durch direkte Einwirkung von H 2 S0 4 auf Kohlenwasserstoffe lassen sie sich in der aliphatischen Reihe nur selten und schwierig gewinnen. Dagegen erhält man die gleich zu besprechenden Chloride der Sulfonsäuren sehr glatt durch Behandeln der Kohlenwasserstoffe mit einem S0 2 —Cl 2 Gemisch im langwelligen ultravioletten Licht oder in Gegenwart von Radikalbildnern wie Bleitetraäthyl oder Peroxyden, vielfach schon bei Raumtemperatur. Man bezeichnet dieses wichtige, von REED in Amerika 1936 aufgefundene Verfahren als „Sulfo-

chlorierung". Phosphorpentachlorid erzeugt aus Sulfonsäuren Sulfochloride R-80201, deren einfachste Vertreter unterhalb 200° siedende Flüssigkeiten sind. Als wichtige Darstellungsmethode verdient die Umsetzung von Disulfiden mit feuchtem Chlor Erwähnung. In den Sulfochloriden läßt sich durch naszierenden Wasserstoff C1 gegen H austauschen. Die entstehenden Verbindungen R • S0 2 H nennt man Sulfinsäuren. Die Natriumsalze dieser Säuren geben mit Alkylhalogeniden nicht, wie man erwarten sollte, Sulfinsäureester R-SO-OAlk, sondern Sulfone: C 2 H 6 -SO a Na + C 2 H 6 J = ^ > S 0

2

+ NaJ.

Amine

61

Alkyl gebunden an Stickstoff Amine Unter Aminen versteht man Verbindungen, die sich vom Ammoniak ableiten lassen, indem man seine Wasserstoffatome durch Kohlenwasserstoffreste ersetzt: CH3 • NH,

CH3 • NH • CH3

Methylamin

CH3 • N(CH3)2

Dimethylamin

Trimethylamln

Eine charakteristische Eigenschaft des Ammoniaks ist seine Fähigkeit, durch Anlagerung eines Protons an sein einsames Elektronenpaar seine Koordinationszahl auf 4 zu erhöhen und das positiv geladene Ammonium-Ton zu bilden: H

H\

\

H - ) N I + H®

/H N

/

(1

\X

>

W HJ H/ Die gleiche Additionsfähigkeit für Protonen finden wir bei den Alkylaminen wieder. Auch die schwache Säure Wasser gibt ihr Proton bis zu einem Gleichgewicht an Ammoniak ab: NH 3 + H 2 0 ;

" NH 4 ® + OH©

(2)

Die Ionen auf der rechten Seite der Gleichgewichtsbeziehung täuschen das Vorhandensein eines Ammoniumhydroxyds NH 4 • OH vor, dessen (geringe) scheinbare Dissoziation man aus der H-Ionenkonzentration berechnen kann, das aber in Wirklichkeit nicht existiert. Dagegen sind die völlig alkylierten Ammoniumhydroxyde, z. B. Tetramethylammoniumhydroxyd [(CH3)4N]® OH Q leicht darstellbar. Die niederen Alkylamine bilden in Wasser stärkere Basen als Ammoniak, wie man z. B. daran erkennen kann, daß ihre wäßrige Lösung in äquimolekularer Konzentration den elektrischen Strom besser leitet. Der Prozeß ist ganz analog zu formulieren: CH 3 -NH 2 + H 2 0

[CH 3 -NH 3 ]® + OHe

und gestattet die Definition einer Basen-Dissoziationskonstante gemäß [R-NH 3 ®][OH0j [R- NHJ[H a O]

-

wobei [H 2 0] als konstant vernachlässigt bzw. = 1 gesetzt wird. Dagegen können die vollständig substituierten Ammoniumionen R4N® natürlich kein Proton abspalten. Die quartären Ammoniumhydroxyde R 4 N • OH sind fast ebenso starke Basen wie die Alkalien. Als Maß für die Stärke der Amine als Basen ist im folgenden die Basen-Dissoziationskonstante kb bei 25° aufgeführt. Sinnvoller erscheint es aber, das Gleichung (2) entsprechende Gleichgewicht R-NH® ^

R-NH 2 + H®,

wonach das Amin als Base, die Ammonium-Verbindung als ,,konjugierte Säure" betrachtet wird, durch eine ,,Aciditätskonstante" k a auszudrücken, die die Tendenz des Amins, in das Kation überzugehen, mißt und in leicht ersichtlicher Weise mit k b durch die Beziehung kitkb = k w ( = Ionenprodukt des Wassers) zusammenhängt. Ihr negativer Logarithmus, der Dissoziationsexponent p k a (vgl. S. 78) ist ebenfalls unten verzeichnet: Ammoniak . . Methylamin . . Dimethylamin . Trimethylamin

k b x 106 . 1.65 . 42.46 59.94 6.31

k a x 10'1 61.1 2.37 1.68 15.97

Pka 9.21 10.64 10.77 9.80

62

Acyclische Verbindungen

Nomenklatur und Isomerie Soweit bequeme Bezeichnungen für die Alkyle vorhanden sind, verknüpft man deren Namen mit der Endung -amin: CH 3 *NH 2 Methylamin, C 3 H,-NH 2 Propylamin, (CH 3 ) 2 NH Dimethylamin, (CH3)3N Trimethylamin. J e nachdem ein, zwei oder drei Wasserstoffatome des Ammoniaks ersetzt sind, unterscheidet man primäre, sekundäre oder tertiäre Amine. Die Verbindungen R 4 N- OH führen den Namen quartäre Ammoniumbasen. Weitere Namen f ü r die Amine ergeben sich, wenn man sie als Kohlenwasserstoffe auffaßt, in denen H-Atome durch die Aminogruppe NH 2 ersetzt sind: CH 3 -NH 2 Aminomethan, H 2 N-CH 2 -CH 2 -CH 2 -NH 2 1,3-Diamino-propan. Für die Ammoniumgruppe existiert das Präfix Ammonio-; die gebräuchlichen Namen sind aber von der Form Trimethylbutylammoniumhydroxyd f ü r CH 3 -CH 2 -CH 2 -CH 2 -N(CH 3 ) 3 -OH usw. Die Isomerie kann bei den Aminen verschiedene Ursachen haben. Zunächst kann sie wieder wie bei den Alkoholen auf Verzweigung der Kohlenstoffkette oder auf der Stellung des Stickstoffs im Molekül beruhen. Als neuartiges Moment kommt dann hier noch der primäre, sekundäre oder tertiäre Charakter des Amins hinzu. Eine Verbindung C 3 H 9 N kann z. B. sein: L p P r o p y i m i n CH 3 -CH 2 -CH 2 - NH 2 oder ¡ j g ^ C H - N H , , C H Methyläthylamin ^ J J 5 > N H , sekundär; Trimethylamin

CHsx CH3-;N, CH,/

primär;

tertiär.

Bildungsweisen Erhitzt man Ammoniak in alkoholischer oder wäßriger Lösung mit Alkylhalogenid, so spielen sich die folgenden nucleophilen Substitutionen ab, die sich nur im Ladungstypus von den schon früher für die Alkylhalogenide besprochenen Reaktionen unterscheiden : I. H 3 N | -)- C2H5C1 II. C 2 H 6 • H 2 N [ + C2H6C1 III. (C2HE)2HN I + C2H6C1 IV. (C2H5)3N I + C2H6C1 ->•

H 3 N • C2H6© H2N(C2H5)2© HN(C2H6)3® N(C2H5)4©

+ + + +

Cle Cle Cle Cle

Man erhält also ein Gemisch der vier Alkylierungsstufen nebeneinander. Häufig kann man jedoch das Verhältnis von Ammoniak und Alkylhalogenid so wählen, daß ein bestimmtes Amin als Hauptprodukt entsteht. Auch die N a t o des Alkyls ist auf den Verlauf der Reaktion von Einfluß. Mitunter kann es von Vorteil sein, die Reaktion mit flüssigem Ammoniak ohne Lösungsmittel in der Bombe bei Raumtemperatur vorzunehmen. In der Technik vermeidet man bei Methylamin den Umweg über das Halogenid und läßt Ammoniak direkt auf Methanol in der Dampfphase bei 300—450°, vorzugsweise unter Druck, einwirken, wobei Tonerde als Katalysator dient: C H 3 O H + NH 3 = C H 3 - N H 2 + H 2 0 ; ¿ H 2 9 8 = —7.25kcal.

Mit überschüssigem Ammoniak entsteht dabei neben sekundärer und tertiärer Base ganz überwiegend Monomethylamin. Doch setzen sich die drei Basen stets am Katalysator in gewissem Grade ins Gleichgewicht. Primäre und sekundäre Amine erhält man ferner bei katalytischer Hydrierung von Aldehyden oder Ketonen in Gegenwart von Ammoniak mit den üblichen Hydrierungskatalysatoren: CH 3 . CHO + NH 3 + H 2 = CH3- CH 2 -NH 2 + H 2 0

und bei der katalytischen Hydrierung von Nitrilen: R-CN + 2 H 2 = R - CH 2 NH 2 . Um einheitliche primäre Amine zu gewinnen, verfügt man über die folgenden Verfahren, die erst später besprochen werden können, aber hier wenigstens erwähnt seien:

63

Amine 1.

Reduktion von Nitroverbindungen: C 2 H 5 - N 0 2 + 3 H 2 = C 2 H 6 -NH 2 + 2 H 2 0 .

Diese Reaktion ist wegen der beschränkten Zugänglichkeit aliphatischer Nitroverbindungen ohne größere Bedeutung. 2.

Hydrolyse von Isocyansäureestern:

3.

Alkylierung von Phthalimidkalium und folgende Spaltung mit Säuren (oder mitHydrazin):

C H 3 - N : CO + H 2 0 = C H 3 - N H 2 + C 0 2 .

|

II

)NK + C H 3 J ~ H

^/\CO/

II

)N-CHS-H

^NJO/

II

^/\CO2H

+ CH3-NH2.

Über den wichtigen Abbau der Säureamide und Säureazide zu primären Aminen s. S. 19S.

Die Zerlegung der nach den obigen Verfahren erhaltenen Basengemische ist nicht immer einfach. Leicht isolierbar sind die Ammoniumbasen. Sie sind nicht flüchtig und bleiben deshalb zurück, wenn man die salzsauren Salze mit Kalilauge zerlegt und destilliert. Die primären bis tertiären Basen können im Fall der Äthylamine und Propylamine unschwer durch fraktionierte Destillation getrennt werden. Bei den Methylaminen ist dies jedoch nicht ohne weiteres möglich, weil Trimethylamin Azeotrope mit Methylamin (mit etwa 18 Mol-°/n Trimethylamin bei Atmosphärendruck) und anscheinend auch mit Dimethylamin bildet, deren Zusammensetzung stark druckabhängig ist. Setzt man jedoch dem Gemenge noch eine ausreichende Menge wasserfreies Ammoniak zu, so destilliert das gesamte Trimethylamin in Form eines Azeotrops mit Ammoniak (etwa 10 Mol-°/0 Trimethylamin) zuerst über (Kp 7 6 0 : — 35°), und die Trennung der übrigen Basen bereitet dann keine Schwierigkeit mehr. Man destilliert in der Praxis unter 5—15 Atmosphären Druck, um mit Wasser gewöhnlicher Temperatur kühlen zu können. Im Laboratorium erreicht man eine teilweise Trennung der Methylamine auf Grund der Unlöslichkeit des salzsauren Monomethylamins in Chloroform. Eine weitere Trennung von Di- und Trimethylamin ist z. B . durch teilweise Neutralisation auf Grund der sehr verschiedenen Basizität möglich. Von den verschiedenen ehemischen Trennungsmethoden solcher Basengemische erwähnen wir die Behandlung mit Sulfo Chloriden in alkalischer Lösung. Primäre und sekundäre Basen geben mit Benzol sulfochlorid C ß H 5 -S0 2 Cl am Stickstoff alkylierte Sulfonamide C s H 6 -S0 2 -NHR bzw C 6 HJ-S0 2 -NRR', von denen die ersteren in Alkali löslich sind. Tertiäre Amine rea gieren nicht und können in geeigneterWeise, z. B. durch Destillation, entfernt werden Die Sulfonamide lassen sich mit Salzsäure bei etwa 150° unter Rückbildung der Amine spalten. Auch die Destillation tertiärer Amine über Essigsäureanhydrid oder Phosphorpentoxyd, von denen sie nicht angegriffen werden, kann für ihre Isolierung von Nutzen sein. Nicht selten ist auch die umgekehrte Aufgabe der Alkylierung von Aminen zu einer einheitlichen Alkylierungsstufe zu lösen. Hier sei von besonderen Kunstgriffen die Darstellung „Schiffscher Basen" durch Umsetzen von primärem Amin mit Aldehyd und anschließende Hydrierung erwähnt: R • CH 2 • N = CH • CH 3 + H 2 = R • CH 2 • NH • CH 2 • CH 3 ,

ferner die WALLACHsche Methylierung mit Formaldehyd und Ameisensäure, wobei diese die zunächst gebildeten Hydroxymethylgruppen zu Methylgruppen reduziert: R • CH 2 • NH 2 + HO • CH2 • OH = R • CH 2 • NH • CH 2 • OH + H 2 0 R • CH 2 • NH • CH 2 • OH + H C 0 2 H = R • CH 2 • NH • CH 3 + H 2 0 + C 0 ä .

64

Acyclische Verbindungen

Die bereits oben erwähnten Benzolsulfonamide C 6 H 5 • S0 2 • NHR lassen sich mit Alkylhalogeniden und Alkali am Stickstoff alkylieren. Durch anschließendes Erhitzen mit Säure wird dann das gewünschte sekundäre Amin abgespalten. Die quartären Ammoniumsalze, die durch Anlagerung von Halogeniden an ScMFFsche Basen des Benzaldehyds entstehen, werden durch Wasser glatt unter Abspaltung von Benzaldehyd zerlegt: r

C6H5.CH=N/

R

Rj

© © Br + H a O = C„H5 • CHO + RR.NH + HBr.

Auch dies ist eine Darstellungsmethode für sekundäre Amine. Eigenschaften Wenn wir von der oben bereits ausführlich erörterten Alkylierung der A m i n e absehen, gehören die Umsetzungen mit sauerstoffhaltigen Verbindungen unter Wasseraustritt zu ihren wichtigsten Reaktionen. Da uns diese in späteren Kapiteln noch häufiger begegnen werden, erwähnen wir sie hier nur kurz. Primäre Amine geben mit Aldehyden oder Ketonen unter Wasserspaltung Alkyliden-amine: CH 3 'NH 2 + CH 3 -CO-CH 3 = CH 3 -N = C(CH3)2 + H 2 0 .

Mit Säuren oder geeigneten reaktionsfähigen Derivaten wie Säureestern, -anhydriden oder -halogeniden entstehen Säureamide, sowohl aus organischen wie aus anorganischen Säuren: CH3-COCl + H 2 N-CH 3 = CH 3 -CO-NH-CH 3 + HCl C 2 H 5 -NH 2 + F S 0 3 K = C 2 H 5 - N H - S 0 3 K + HF.

Die primären, sekundären und tertiären Amine unterscheiden sich scharf durch ihr verschiedenes Verhalten gegen salpetrige Säure HN0 2 . Die primären Amine geben unter ihrer Einwirkung in meist wenig glatter Reaktion Alkohol, Wasser und Stickstoff (bei p H < 3 findet keine Einwirkung statt): C 2 H 5 -NH, + ON-OH = C 2 H 5 -OH + H , 0 + N a .

Als intermediäre Stufe wird man ein sofort zerfallendes „Diazoniumhydroxyd", das in der aromatischen Reihe faßbar ist, anzunehmen haben: [C 2 H S -N = N©]OH© - C 2 H 5 -OH + N 2 .

Die sekundären Amine geben mit salpetriger Säure Nitrosamine: ( C A ) 2 N H + HO-NO = (C 2 H 5 ) 2 N-NO + H ä O,

gelbliche Flüssigkeiten von eigenartigem Geruch, die in Wasser wenig löslich sind und durch konzentrierte Salzsäure leicht in sekundäre Amine zurückverwandelt werden. Die tertiären Amine endlich werden von salpetriger Säure überhaupt nicht angegriffen, es sei denn, daß sie durch die Säure oxydiert werden. Zum Nachweis primärer Amine durch Überführung in die stark riechenden Isonitrile und Senföle vgl. S. 69 und 204. Eine weitere Methode, primäre, sekundäre und tertiäre Amine als solche zu erkennen, besteht darin, daß man bestimmt, wieviel Alkylgruppen das Amin noch aufzunehmen vermag (A. W. HOFMANN). Ist z. B. eine Verbindung C S H,N identisch mit Propylamin C 3 H, • NH 2 , so wird sie beim Erhitzen mit Methyljodid (CH 3 ) 3 (C 3 H 7 )NJ = C 6 H i e NJ geben. Ist die Verbindung C 3 H 8 N jedoch Methyläthylamin (CH 3 )(C 2 H 5 )NH, so muß bei der gleichen Behandlung (CH 3 ) 3 (C 2 H 6 )NJ = C 6 H 14 NJ entstehen. Ist C 3 H 9 N endlich Trimethylamin (CH S ) S N, so wird man (CH 3 ) 4 NJ = C)H 12 NJ erhalten. Diese Verbindungen unterscheiden sich durch ihren Jodgehalt (55-4 bzw. 69-0 bzw. 63-l°/ 0 ). Der Ausfall der Analyse läßt somit einen Sohluß auf die Konstitution der Ausgangssubstanz zu.

Amine

65

Einzelne Glieder Methyl-, Dimethyl- und Trimethylamin sind brennbare, in Wasser überaus lösliche Gase. 1 Volum Wasser löst z. B. bei 12-5° 1150 Volumina Methylamin. Die homologen flüssigen prim. Amine sieden niedriger als die Alkohole und sind mit Wasser bis etwa C 6 in allen Verhältnissen mischbar. Sie besitzen einen eigentümlichen, an Ammoniak erinnernden Geruch. Die höheren Glieder sind geruchlos und in Wasser unlöslich. Das spezifische Gewicht der Amine ist beträchtlich kleiner als 1, das des Methylamins ist z. B. bei —-11° nur 0-699. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Siedepunkte : Alkyl

Primäres Amin

Methyl Äthyl n-Propyl n-Butyl n-Octyl

— 6® + 19 49 76 180

Sekundäres Amin +

7° 55 110 160 297

Tertiäres A Tri in +

3—4° 89 156 215 366

Kleine Mengen von Aminen finden sich in zahlreichen höheren Pflanzen als Produkte des Eiweißabbaus. Methylamin kommt im Bingelkraut (Mercurialis perennis) vor. Di- und Trimethylamin hat man in der Heringslake nachgewiesen; der charakteristische Geruch des Fleisches von Hummern und Seefischen rührt von Trimethylamin her. Trimethylamin läßt sich am besten durch Erhitzen von Ammoniumchlorid mit käuflicher 40°/0iger Formaldehydlösung im Autoklaven auf 120° darstellen: 2 NH4C1 + 9 CHaO = 2 (CH3)3N,HC1 + 3 C0 2 + 3 H 2 0 . Hierbei steiet infolge der Kohlensäurebildung der Druck auf 40 Atmosphären; arbeitet man im offenen Gefäß, so entstehen nur Methylamin und Dimethylamin.

Tetramethylammoniumchlorid (CH3)4N®C1© kann man z. B. durch Addition von Methylchlorid an Trimethylamin gewinnen. Es bildet zerfließliche, in Alkohol lösliche Kristalle. Aus ihm wird T e t r a m e t h y l a m m o n i u m h y d r o x y d (CH3)4N® O H 0 erhalten, wenn man die methylalkoholische Lösimg mit der äquivalenten Menge Kali versetzt. Man filtriert vom ausgeschiedenen KCl ab und verjagt den Methylalkohol durch Eindampfen mit wenig Wasser im Vakuum bei 35°. Es kristallisieren dann Hydrate der Base aus, die sehr hygroskopisch sind und begierig Kohlendioxyd anziehen. Wäßrige Lösungen der Ammoniumbasen stellt man meist aus den Chloriden durch Einwirkung von Silberoxyd dar. Die Ammoniumbasen zerfallen bei der trockenen Destillation in tertiäres Amin, Wasser und ungesättigten Kohlenwasserstoff CQH^ (HoFMAirascher Abbau, S. 113): (C2H6)4N'OH = (C2H6)3N + H 2 0 + C 2 H 4 .

Die höheren Glieder spalten teilweise einfach Alkohol ab: ( R ^ N - O H = (R^N + R2OH.

Zur Klasse der Aminoxyde gehört das Trimethylaminoxyd (CH 3 ) 3 NO, das durch Einwirkung von Wasserstoffperoxyd auf Trimethylamin erhalten werden kann und auch im Fleisch von Hummern, Haifischen und Kephalopoden gefunden worden ist. Es ist eine Base, die mit Jodwasserstoff das Salz (CH3)3N(OH)® J© bildet. Dieser Formel entspricht, daß man das Jodid aus Hydroxylamin und Methyljodid in HolUman-Blchter, Organische Chemie. 36. u.36. Auflage

5

66

Acyclische Verbindungen

gleicherweise erhalten kann, wie sich aus NH 3 und CH 3 J schließlich (CH3)4N® J© bildet. Durch Zinkstaub läßt sich die Base wieder zu Trimethylamin reduzieren. Das „Oktettpostulat" gilt in der 2. Periode des Periodensystems streng. Danach kann im Trimethylaminoxyd keine Doppelbindung zwischen N und 0 vorliegen.Man nimmt daher gewöhnlich an, daß die Bindung zwischen beiden Elementen nur durch ein (vom Stickstoff stammendes) Elektronenpaar vermittelt wird und daß infolge des damit formal verbundenen Übergangs eines Elektrons vom Stickstoff zum Sauerstoff nicht neutrale Atome, sondern die entsprechenden Ionen als Bindungspartner auftreten. Zwischen O und N liegt also gleichzeitig eine einfache Bindung und eine Ionenbeziehung vor: CH3—N—Ol e

I

CH3

~

Häufig wird das Vorliegen einer solchen „semlpolaren" Bindung, die sich durch das Auftreten eines beträchtlichen Dipolmoments zu erkennen gibt, durch einen Pfeil gekennzeichnet: (CH a ),N - > 0.

Nitroverbindungen (Nitroalkane) Die durch Stickstoff an Kohlenstoff gebundene Gruppe — N 0 2 ist von M I T S C H E R L I C H , der 1834 als erste Nitroverbindung das Nitrobenzol darstellte, Nitrogruppe genannt worden. Die aliphatischen Nitroverbindungen wurden erst 1872 von V. M E Y E R durch Einwirkung von Alkylhalogeniden auf Silbernitrit gewonnen: C 2 H 6 J + AgN0 2 = C 2 H 6 -N0 2 + AgJ.

Es liegt eine heterogene Reaktion vor, und die Hälfte des Reaktionsprodukts besteht aus einem niedrigsiedenden Isomeren (Kp: 17°), das durch Alkali leicht zu Alkohol und salpetriger Säure verseift wird und demnach der Äthylester der salpetrigen Säure, Äthylnitrit, sein muß: C 2 H 6 J + AgN0 2 = C 2 H 5 O N O + AgJ.

Wir verzeichnen also die bemerkenswerte Tatsache, daß die Reaktion sowohl am Sauerstoff wie am Stickstoff des Nitrit-Ions angegriffen hat 1 . In DimethylformamidLösung erhält man mit Natriumnitrit gute Ausbeuten an Nitroverbindungen. Während die Reduktion von Äthylnitrit Alkohol und Ammoniak gibt, erhält man aus der Nitroverbindung ein primäres Amin: C 2 H 5 -N0 2 -^C 2 H 6 -NH 2 .

Hierdurch ist die Bindung zwischen Kohlenstoff und Stickstoff bei den Nitroverbindungen bewiesen. Die bei den aromatischen Verbindungen allgemein übliche Methode, Nitroverbindungen durch direkte „Nitrierung" der Kohlenwasserstoffe mit Salpetersäure zu gewinnen, hat früher in der aliphatischen Reihe nur vereinzelt zum Erfolg geführt. Neuerdings hat H . B. H A S S gezeigt, daß die niedrigen Kohlenwasserstoffe (bis etwa C 6 ) sich mit etwa 70%ig. Salpetersäure in der Gasphase bei 400—475° in ansehnlicher Ausbeute in Nitroverbindungen überführen lassen: CH4 + HNO s = C H 3 N 0 2 + H 2 0.

Bei den höheren Kohlenwasserstoffen werden gleichzeitig Kohlenstoffbindungen gesprengt, sodaß man z. B. aus Propan bei 435° und 8 Atm. Druck nebeneinander die beiden Nitropropane CH 3 • CH 2 • CH 2 • N 0 2 und (CH3)2CH • N0 2 , Nitroäthan und Nitromethan erhält. Dieses Verfahren wird technisch ausgeführt. 1

Z u r T h e o r i e v g l . N . KORNBLUM, M i t a r b . , J . A m e r . C h e m . S o c . 77, 6 2 6 9 (1055).

Nitroverbindungen

67

Nitromethan CH 3 • N 0 2 und Nitroäthan C 2 H 5 • N 0 2 sind farblose Flüssigkeiten von ätherischem Geruch, unzersetzt destillierbar (bei 101° bzw. 114°) und in Wasser wenig löslich (Nitroäthan 4,7% bei 20°). Für die Formulierung der Nitrogruppe gelten die oben bei Trimethylaminoxyd gemachten Ausführungen. Im Sinne der Elektronentheorie ist danach die Nitrogruppe nicht — N ^ ^ , sc re en sondern — Z U ^ ^ ' w °bei hier wegen der Gleichwertigkeit der beiden Sauerstoffatome noch ein Bindungswechsel — - ^ ^ Q "—* — o d e r , genauer gesagt, ein Zwischenzustand zwischen beiden Formelbildern in Erwägung zu ziehen ist. Überall, wo man es in w-Elektronensystemen mit einer „Delokalisierung" von Elektronen zu tun hat, kann man den Zustand des Systems nur eingrenzend durch „Grenzstrukturen" beschreiben, während der wahre Zustand irgendwo in der Mitte zwischen den Grenzstrukturen liegt. INGOLD 1 bezeichnete das Vorliegen eines solchen Zwischenzustandes als „ M e s o m e r i e " (von uétros = Mitte und uipos = Teil).

Die hervorstechendste Eigenschaft der Nitroverbindungen ist die schwach saure Natur, die man beobachtet, wenn benachbart zur Nitrogruppe noch Wasserstoffatome an den Kohlenstoff gebunden sind. Solche Nitroverbindungen lösen sich in Alkalien unter Neutralisation. Da die Natriumsalze vielfach in Alkohol schwer löslich sind, kann man sie durch Umsetzung der Nitroverbindung mit Natriummethylat oder -äthylat in Alkohol direkt als farblosen kristallinischen Niederschlag gewinnen, der pro Nitrogruppe 1 Atom Metall enthält. Die Natriumverbindung des Nitroäthans hat dementsprechend die Zusammensetzimg NaC 2 H 4 0 2 N. Die wäßrigen Lösungen der Salze geben mit FeClg eine charakteristische blutrote Färbimg. Die Fähigkeit der Nitroverbindungen zur Salzbildung beruht offenbar auf dem stark elektronegativen Charakter der Nitrogruppe, die den Wasserstoff am gleichen C-Atom so stark lockert, daß er als Proton abdissoziiert, worauf die negative Ladung des Anions durch Elektronen Verschiebung zum Sauerstoff wandert : CHJ C H E - N O J +



CH3-CH =

NOA© +

H®.

Die Metallsalze haben also die allgemeine Formel CH 3 • CH = N
e

Me©.

Die den Salzen zugrundeliegenden Säuren mit dem Wasserstoff am Sauerstoff der Nitrogruppe heißen Isonitroverbindungen (auch aci-Nitroverbindungen 2 oder Nitronsäuren). Sie sind jedoch im Gleichgewicht mit den echten Nitroverbindungen nur in äußerst kleiner Menge vorhanden und nur in seltenen Fällen isoliert worden (S. 380). Aus ihren Salzen durch Zusatz der berechneten Menge Mineralsäure in Freiheit gesetzt, gehen sie mehr oder weniger rasch wieder in die echten Nitroverbindungen (die „Pseudosäuren") 3 über. Man bezeichnet eine solche reversible und meist durch ein Gleichgewicht zu beschreibende Wanderung eines Atoms in einem Molekül als Tautomerie (von TCCÜTÖS = derselbe und népos = Teil) oder „Desmotropie" (von SECTIOS = Bindung und Tpétretv = ändern) 4 . Die wäßrige Lösung des Nitromethans reagiert sauer. Die Dissoziationskonstanten des Nitroäthans und seiner aci-Verbindung betragen 2,7 X10 ~9 bzw. 3,9 X10 ~5. Auf derselben Desmotropie beruht auch das Verhalten der Nitroverbindungen gegen Brom. Wenn man ihre alkalische Lösung, die also das Anion der aci-Form enthält, 1 INGOLD, J . ehem. Soc. London 1933, 1124; vgl. a. den Begriff der „Zwischenstufen" bei F. ARNDT. Mitarb., Ber. Dtsch. Chem. Ges. 57, 1906 (1924). 2

3 4

acidum = Säure. lyeüSo; = Täuschung, Schein.

Wenn ein Proton wandert, spricht man auch von Prototropie. 5«

68

Acyolische Verbindungen

mit Brom zusammenbringt, so werden ein oder mehrere Wasserstoffatome durch Brom ersetzt, vorausgesetzt, daß sie sich an demselben C-Atom wie die Nitrogruppe befinden: CH„ • CH = NOaQ + Br2 -»• CH 3 . CHBr • NO, + Br© . Man versteht nunmehr auch ohne weiteres, weshalb sich in CH 3 -CHBr-NOg noch ein Bromatom einführen läßt, dagegen nicht mehr in (CH 3 ) 2 CBr-N0 2 . Durch Einwirkung v o n Kaliumnitrit auf primäre Bromnitroverbindungen man DinitroVerbindungen erhalten:

kann

CH 3 -CHBr-N0 2 + KNO, = CHS- CH(N0 2 ) 2 + K B r . Diese Verbindungen haben ebenfalls den Charakter v o n Pseudosäuren, da der Nitrogruppe ein Wasserstoffatom benachbart ist. Mit heißen konzentrierten Säuren geben die Nitroverbindungen unter gleichzeitiger Oxydation und Reduktion Carbonsäuren und Hydroxylamin, wobei vermutlich eine intermediäre Umlagerung der aci-Form zur Hydroxamsäure (S. 95) erfolgt:

CHj-CH = N
C< + HO-NO = >C< +H20. CH/ \NOj CH/ \N02 Die Pseudonitrole sind farblose, feste Substanzen, die im geschmolzenen Zustand und in Lösung eine intensiv blaue Farbe annehmen, die charakteristisch für viele Verbindungen ist, die eine an Kohlenstoff gebundene Gruppe NO (,,Nitroso"-Gruppe) enthalten. Die Erscheinung erklärt sich durch eine bei Nitrosoverbindungen häufige Polymerie; die blauen Verbindungen sind monomer, die farblosen polymer, da das Molekulargewicht der Nitrosoverbindungen in ihren farbigen Lösungen desto weniger über dem normalen liegt, je dunkler die Farbe ist. Die t e r t i ä r e n N i t r o v e r b i n d u n g e n endlich werden durch salpetrige Säure nicht verändert.

69

Nitrile, Isonitrile

Nitrile (Cyanide) Bei der Einwirkung von Alkylhalogenid auf Silbercyanid wiederholt sich die schon beim Silbernitrit angetroffene Erscheinung der gleichzeitigen Bildung von zwei isomeren Verbindungen. Das Cyanid-Ion (|C = N|) Q wird einmal am Kohlenstoff angegriffen, wobei ein Nitril R • C = N | entsteht, einmal am Stickstoff, wobei ein Isonitril R • N = C | gebildet wird. Die Bildung von Isonitrilen, von denen im folgenden Abschnitt die Rede sein wird, tritt weitgehend zurück, wenn man Natriumcyanid in wäßriger oder alkoholischer Lösung mit Alkylhalogenid umsetzt: C2H6J +

NaCN = C2HE-CN +

NaJ.

Auch alkylschwefelsaure Salze oder Dialkylsulfate können zur Alkylierung verwendet werden. Säureamide gehen durch Wasserabspaltung, z. B. mit Phosphorpentoxyd, in Nitrile über. Technisch können Nitrile und Säureamide durch Überleiten von Carbonsäuren im Ammoniakstrom über Borphosphat oder Wolframoxyd dargestellt werden: R-COONH4 - H20

R-CO-NH 2 bzw. R-CN.

Eines der für die Technik wichtigsten Nitrile ist die Blausäure, von deren Darstellung später noch ausführlich die Rede sein wird. Sie kann auch durch direkte Anlagerung an ungesättigte Verbindungen das Ausgangsmaterial für andere Nitrile bilden. Erwähnt sei z. B. die Anlagerung von Blausäure an Isobutylen über Aluminiumoxyd bei 400°: (CH3)2C=CH2 +

HCN =

(CH3)3C-CN

oder die Bildung des für die Kunstfaserherstellung ungemein wichtig gewordenen Acrylsäurenitrils aus Acetylen und Blausäure: HC=CH+HCN

=

H2C=CH-CN.

Schließlich sei auch noch erwähnt, daß die Wasserabspaltung aus Aldoximen, z. B. mit Essigsäureanhydrid, ebenfalls zu Nitrilen f ü h r t : CH3-CH=N-OH -

H20 =

CH3-CN.

Die Nitrile (vgl. S. 93) sind verhältnismäßig hochsiedende Flüssigkeiten von schwachem Geruch. Mit Ausnahme von Blausäure und Acetonitril CH 3 • CN, die mit Wasser mischbar sind, lösen sie sich in Wasser kaum. Basische Eigenschaften zeigen sie nicht. Von ihren Reaktionen erwähnen wir hier als wichtigste die über Säureamide als Zwischenstufe verlaufende Verseifung zu Carbonsäuren: R - C N -F 2 H A O = R C O O H +

NH3 .

Die Verseifung kann mit Säuren und Alkalien in der Wärme bewerkstelligt werden. Formuliert man die Nitrile wie das Cyan-Ion mit einer dreifachen Bindung zwischen C und N, so sind sie ungesättigte Verbindungen, die der Hydrierung zugänglich sein müssen. Tatsächlich entstehen bei der katalytischen Hydrierung (z. B. über Nickel oder Kupfer bei 200°) primäre Amine: C H 8 - C = N - f 2H2 =

CH3.CHJ.NHJ.

Isonitrile (Isocyanide, Carbylamine) Die aus Silbercyanid erhaltenen Isonitrile hat man früher als R • N = C mit zweiwertigem Kohlenstoff formuliert. Heute bevorzugt man auf Grund der valenztheoretischen Vorstellungen der Elektronentheorie die Annahme einer polaren Dreifachbindung zwischen Stickstoff und Kohlenstoff, wie man sie übrigens auch zwanglos durch Anlagerung des Carbonium-Ions R® mit Elektronensextett an das einsame Elektronenpaar am Stickstoff des Cyan-Ions entstanden denken kann:

70

Acyclische Verbindungen

®

e

® e

R + IN = CI->-R-N = C I

Frei von Nitrilen erhält man sie bei der Einwirkung von Chloroform und Kalilauge auf primäre Amine: C 2 H 5 -NH 2 + CHCI3 + 3 KOH = C 2 H 5 -N=C I + 3 KCl + 3 HaO.

Die Alkyisocyanide sind farblose, sich rasch verändernde Flüssigkeiten von äußerst widerlichem Geruch. Ihre Bildung aus Chloroform gestattet deshalb einen sehr empfindlichen Nachweis für das Vorliegen primärer Amine. Sie werden von Alkalien nicht angegriffen, von Säuren in primäre Amine und Ameisensäure zerlegt: C 2 H 5 -N=C I + 2HaO = C2H6 NH2 + HCOOH. Ameisensäure

Bei der katalytischen Hydrierung entstehen sekundäre Amine R • NH • CHS. Alle Reaktionen greifen an dem einsamen Elektronenpaar des Kohlenstoffs an, wie man daraus ersieht, daß Halogene, Halogenwasserstoff und Schwefel nur am Kohlenstoff addiert werden, wobei Verbindungen der Formel R • N=CHX (X = Halogen), R • N=CS usw. entstehen. Äthylisocyanid siedet bei 78° und ist in Wasser schwer löslich.

Alkyl gebunden an Phosphor und Arsen Wir betrachten in den folgenden Abschnitten eine Reihe von Verbindungen, die man als metallorganische Verbindungen zu bezeichnen pflegt, weil sie direkt an Kohlenstoff gebundenes Metall enthalten. Obwohl Phosphor und in geringerem Grade Arsen noch zu den Metalloiden gehören, rechnet man sie meist ebenfalls zu den metallorganischen Verbindungen. Steigt man in der 5. Gruppe des periodischen Systems aufwärts, so bemerkt man bei den Wasserstoffverbindungen eine Abnahme der Basizität und zunehmende Neigung zur Oxydation. Das Gleiche stellt man auch bei den entsprechenden Alkylverbindungen fest, die wir im folgenden kurz betrachten wollen. Phosphine Die organischen Phosphor-Verbindungen haben mit Ausnahme der Phosphorsäureester nur geringe Bedeutung. Die Phosphor-Analoga der Amine heißen Phosphine; sie sind Substitutionsprodukte des Phosphins PH 3 ; die Verbindung CH3 • PH 2 nennt man Methylphosphin usw. Die schon bei den Aminen angetroffene Steigerung der Basizität des Ammoniaks durch den induktiven Effekt der Alkylgruppen findet man auch bei den Phosphinen wieder. Die Salze der Monoalkylphosphine werden noch durch Wasser zersetzt, die Salze von Di- und Trialkylphosphinen nicht mehr. Die quartären Phosphoniumbasen R 4 P-OH sind ebenso stark basisch wie die Ammoniumbasen. Wird eine Phosphoniumbase erhitzt, so spaltet sie sich nicht wie die Ammoniumbase in Alkohol (oder C n H 2n + ELO) und Trialkylbase, sondern in Kohlenwasserstoff C n H 2n+2 und Trialkylphosphinoxyd: (C 2 H 6 ) t P- OH = C2H6 + ( C A ) , P O . Hier tritt die große Neigung des Phosphors, sich mit Sauerstoff zu verbinden, zutage. Diese kann man auch an der Leichtigkeit, mit der sich Phosphine oxydieren, erkennen. Primäre und sekundäre Phosphine entstehen durch Erhitzen von Phosphoniumjodid mit Alkyljodid und Zinkoxyd. Tertiäre Phosphine und quartäre Phosphoniumverbindungen entstehen beim Erhitzen von Phosphor mit Alkylhalogeniden, ferner beim Erhitzen von Phosphoniumjodid mit Alkoholen, indem zunächst PH 3 und Alkyljodid entstehen: PH,J + CH3OH = PHS + CH 3 J + HjO, die dann weiter miteinander reagieren. Die Phosphine sind farblose Flüssigkeiten von betäubendem Geruch. Triäthylphosphhi riecht in starker Verdünnung nach Hyazinthen.

Phosphor- und Arsenverbindungen

71

Durch Oxydation der primären Phosphine entstehen die zweibasischen Alkylphosphonsäuren R-PO(OH) 2 , die formal 1 als Alkylderivate der hypothetischen „Phosphonsäure" HPO(OH) s aufzufassen sind und deren Chloride sehr einfach aus Kohlenwasserstoffen und PC13 beim Einleiten von 0 2 erhalten werden. Die Dialkylphosphinsäuren R j R j P O i O H ) sind einbasisch und leiten sich von der „Phosphinsäure" H 2 PO(OH) ab, während die Trialkylphosphinoxyde R 1 R 2 R 3 PO keine sauren Eigenschaften haben. Arsine Sie folgen in der Nomenklatur völlig den oben beschriebenen Phosphor-Verbindungen. Die primären und sekundären Arsine R-AsH 2 und R 2 AsH werden durch Reduktion der Alkylarsonsäuren und Dialkylarsinsäuren mit Zinkamalgam und Salzsäure erhalten: Methylarsonsäure CH 3 -AsO(OH) 2 gibt Methylarsin CH 3 -AsHj, Dimethylarsinsäure (CHj^AsO-OH gibt Dimethylarsln (CH 3 ) 2 AsH, niedrigsiedende Flüssigkeiten, die sich an der Luft oxydieren. Tertiäre Arsine (s. a. S. 73) entstehen aus Arsennatrium und Alkyljodid: AsNa 3 + 3 CÜH6J = (C 2 H 5 ) 3 As + 3 N a J . Sie besitzen keinen basischen Charakter. Durch Addition von Alkylhalogenid kann man sie in die Salze der quartären Arsoniumhydroxyde R 4 A s - O H überführen. Diese werden aus ihren Salzen durch Ag 2 0 in Freiheit gesetzt und sind sehr starke Basen. Die wichtigsten Alkylverbindungen des Arsens sind die Kakodylverbindungen. Sie sind von BUNSEN2, der sie zuerst untersucht hat (1837), nach BEBZELITJS'Vorschlag nach ihrem ekelerregenden Geruch (KCXKCÜSTIS = stinkend) benannt worden. Sie enthalten die einwertige Atomgruppe (CH 3 ) 2 As—, deren Erhaltung in zahlreichen Umsetzungen bei der Begründung des Radikalbegriffs eine große Rolle gespielt hat. Kakodyloxyd [(CH 3 ) 2 As] 2 0 wird durch Destillation von Arsentrioxyd mit Kaliumacetat gewonnen („CADETsche Flüssigkeit" 1760). Beim Erhitzen des Oxyds mit Salzsäure entsteht kovalentes Kakodylchlorid (CH3)2AsCl, das durch Einwirkung von Zink in Eakodyl ( C H 3 ) 2 A S - A S ( C H 3 ) 2 verwandelt wird. Diese Verbindungen sind sehr giftig. Sie rufen teilweise schon in kleinen Mengen Brechneigung und Reizung der Schleimhäute hervor. Methylargon säure wird durch Methylierung von Natriumarsenit gewonnen: Na s AsO„ + C H S J = CH„-AsO(ONa)j + N a J . Schweflige Säure reduziert sie zu Methylarsenoxyd CH 3 -AsO, das mit Dimethylsulfat und Natronlauge zu Dimethylarsinsäure (CH 3 ) 2 AsOOH alkyliert wird. Methylarsonsäure findet wegen ihrer geringen Giftigkeit ebenso wie die Dimethylarsinsäure (Kakodylsäure) in Gestalt des Natriumsalzes therapeutische Verwendung bei Blutarmut und Hautkrankheiten.

Alkyl gebunden an die Elemente der Kohlenstoffgruppe D i e E l e m e n t e Silicium, Germanium, Zinn u n d Blei sind vierwertig wie der Kohlenstoff. Versuche, b e i m Silicium A t o m k e t t e n der gleichen Art w i e die C - K e t t e n darzustellen, sind über die Verknüpfung v o n 6 S i - A t o m e n z u P o l y s i l a n e n k a u m hinausgelangt. D i e große A f f i n i t ä t des Siliciums z u m Sauerstoff führt dazu, d a ß die Si-O-Bind u n g der recht s c h w a c h e n Si-Si-Bindung vielfach d e n R a n g abläuft. D i e Tetraalkylderivate des Silans S i H 4 lassen sich a u s SiCl 4 u n d Alkylhalogenid durch E i n wirkung v o n N a t r i u m darstellen. Sie weichen in ihren E i g e n s c h a f t e n nur w e n i g v o n den entsprechenden K o h l e n s t o f f v e r b i n d u n g e n ab. Tetraäthylsilan ( ( y j ^ S i siedet bei 153°, T e t r a ä t h y l m e t h a n (C 2 H 6 ) 4 C bei 139°. B e i d e werden durch rauchende Salpetersäure u n d durch Schwefelsäure bei gewöhnlicher Temperatur n i c h t angegriffen u n d g e b e n m i t Chlor Substitutionsprodukte. 1

Editorial Report on Nomenclature, J . Chem. Soc. London 1952, 5122. Geboren 31. März 1811 in Göttingen, gestorben 16. August 1899 in Heidelberg. Er lehrte hauptsächlich in Marburg (1838—1851) und Heidelberg (1852—1899). Siehe den Nachruf von T H . CURTIUS ( Journ. prakt. Chem. [2] 61, 381). 2

72

Acyclische Verbindungen

Durch die Erzeugung von Kunststoffen aus silioiumorganischen Verbindungen in Amerika hat die Siliciumchemie in jüngster Zeit einen außerordentlichen Aufschwung erfahren. Durch Einwirkung von Siliciumtetrachlorid auf Alkylmagnesiumhalogenide (s. u.) oder durch Leiten von Alkylhalogeniden über Siliciumkupferlegierungen bei 300" und anschließende Hydrolyse kann man Dialkylsilandiole, z. B. (CH3)aSi(OH)2 darstellen, die sich zu Siloxandiolen (Siliconen) CH3

I

CH,

I

HO—Si—O—Si—0

T

CH3

1

CH3

CH,

CHO

I

I

Si—0—Si—OH

1 1

CH3

CH3

polykondensieren. Auch zahlreiche andere Bautypen sind dargestellt worden. Man erhält so Öle, Harze, Lacke und kautschukartige Stoffe, die durch ihre große Temperaturbeständigkeit ungemein wertvoll sind. Sehr auffallend und technisch interessant ist auch die geringe Temperaturabhängigkeit ihrer Viscosität, die ihnen eine besondere Stellung unter den Schmiermitteln verleiht.

Auch vom Germanium, Zinn und Blei sind TetraalkylVerbindungen dargestellt worden. Das aus Äthylchlorid und einer Bleinatrium-Legierung darstellbare giftige Bleitetraäthyl Pb(C 2 H 6 ) 4 findet ausgedehnte Anwendung als Zusatz zu Treibstoffen, weil es durch seinen leichten Zerfall unter Bildung von Äthylradikalen C 2 H 5 x das lästige „Klopfen" der Motoren verhindert. Bei der thermischen Zersetzung der Bleialkyle wurde zuerst die Existenzfähigkeit freier Radikale (S. 116) nachgewiesen ( P A N E T H ) . Vom Silicium und Zinn hat man auch Verbindungen vom Typus (CH3)3M—M(CH3)3 dargestellt. Vom Blei und Zinn sind auch ungesättigte Derivate der zweiwertigen Metalle bekannt.

Alkyl gebunden an Metalle der 1. bis 3. Gruppe des periodischen Systems Von den Metallen dieser Gruppen leiten sich die wichtigsten metallorganischen Verbindungen ab. J e stärker elektropositiv die Metalle sind, umso polarer hat man sich die Bindung von Kohlenstoff an das Metall vorzustellen. Die ungewöhnlichen Reaktionen dieser Verbindungen beruhen durchweg auf dem polaren Charakter dieser Bindung. Schon seit langem bekannt sind organische Derivate des Zinks (FRANKLAND 1849). Beim Erhitzen von Äthyljodid mit Zink bildet sich zunächst Äthylzinkjodid C 2 H 6 -ZnJ; dieses zerfällt bei stärkerem Erhitzen nach folgender Gleichung: 2 C2H5- ZnJ = Zn(C2H5)2 + ZnJ 2 . Die Zinkdialkyle sind farblose Flüssigkeiten, schwerer als Wasser. Zinkdimethyl siedet bei 46°, Zinkdiäthyl bei 118°. An der Luft entzünden sie sich augenblicklich. Mit Halogen geben sie Alkylhalogenide. Auch durch Wasser werden sie stürmisch zersetzt, Zinkdimethyl gibt hierbei Zinkoxyd und Methan. Durch Einwirkung von Zinkdialkyl auf Alkylhalogenid hat man in einigen Fällen Kohlenwasserstoffe erhalten: Zn(CH3)2 + 2 (CHS)3CJ = 2 (CH9)3C • C H 3 + Zn J 2 .

Die Zinkalkyle, früher für synthetische Arbeiten häufig verwendet, sind heute völlig durch die Organomagnesiumverbindungen verdrängt. Diese bilden vielfach auch das beste Ausgangsmaterial für die Darstellung anderer metallorganischer Verbindungen. Den Anstoß zu ihrer Einführung in die synthetische organische Chemie gaben wichtige Beobachtungen von B A R B I E R (1898); ihre gründliche Untersuchung verdankt man seinem Schüler GBIGNARD. Bringt man Magnesium in vollkommen trockenem Äther mit Alkyljodid zusammen, so gerät der Äther ins Sieden und das Metall geht in Lösung, indem Alkylmagnesiumjodid C n H 2n+1 • MgJ entsteht. Diese Verbindung enthält 2 Moleküle Äther komplex gebunden, die nach dem Abdestillieren des Lösungsmittels nur durch andauerndes Erwärmen im Vakuum auf 100° entfernt werden können.

Metallorganische Verbindungen

73

Ätherfrei erhält man sie, wenn man Benzol oder Petroläther als Lösungsmittel anwendet und die Reaktion durch Zusatz kleiner Mengen eines katalytisch wirkenden tertiären Amins oder auch von Äther in Gang bringt. In den Lösungen dieser Verbindungen liegen nach den Untersuchungen von W . SCHLENK JUN. Gleichgewichte vor: R2Mg + MgJa ^

2 R- Mg J .

Jedoch kann der ganze Fragenkomplex nicht als geklärt gelten. In neueren Arbeiten 1 wird für die Organomagnesiumverbindungen die Konstitution R 2 Mg-MgX 2 postuliert und als Zwischenverbindung der Grignard-Reaktionen ein Komplex mit zwei Magnesiumatomen angenommen. Im folgenden beschränken wir uns auf die herkömmliche Beschreibung dieser Reaktionen als Anlagerungen von 1 Mol an polare Doppelbindungen. Die Alkylmagnesiumhalogenide sind zwar ziemlich oxydabel, aber nicht selbstentzündlich. Unter Luftabschluß erhitzt, zerfallen sie in Olefin, Magnesiumhydrid und -halogenid : 2C 2 H 6 -MgJ = 2 C 2 H 4 + MgH2 + MgJ 2 .

Mit Wasser reagieren sie unter doppelter Umsetzung (Substitution): 2 C 2 H 6 - MgJ + H 2 0 = 2 C 2 H, + MgO + MgJ 2 .

Es bilden sich also Kohlenwasserstoffe. Im Sinn der polaren Auffassung könnte man sagen: Wasser ist eine stärkere Säure als Äthan. Analog entstehen mit Alkoholen Kohlenwasserstoffe und Magnesiumalkoholate. In der gasvolumetrischen Bestimmung des aus Methylmagnesiumjodid entwickelten Methans hat man ein Mittel zur Bestimmung der Hydroxylgruppe (ZEEEWITINOW). Mit anorganischen Halogeniden reagieren die MagnesiumVerbindungen unter Metall-Austausch, z. B. entsteht Trimethylarsin nach der folgenden Gleichung (s. a. die Hg-Verbindungen, S. 74): 3 CH s -MgBr + AsBr, = (CH3)„As + 3 MgBr2.

Die wichtigste Eigenschaft der Organomagnesiumverbindungen ist ihre Fähigkeit, sich an ungesättigte Kohlenstoff-Sauerstoff- und Kohlenstoff-Stickstoffbindungen anzulagern, wobei das Alkyl an den Kohlenstoff, der MgHal-Rest an das elektronegative Element tritt. Bei der Zerlegung der Additionsverbindung mit Wasser wird der MgHalRest gegen Wasserstoff ausgetauscht 2 . Die Reaktion, für die wir später viele Beispiele kennenlernen werden (S. 74, 91, 98, 100), sei hier am Acetaldehyd veranschaulicht: C H , - C H = 0 + CH s -MgJ

CH 3 CH, C H - 0 - M g J - v CHJ-CHiOHJ-CH, + Mg(OH)J.

Aus Acetaldehyd wird also ein sekundärer Alkohol, der Isopropylalkohol, erhalten. Hingewiesen sei auf die reduzierende Wirkung, die Organomagnesiumverbindungen namentlich dann auszuüben vermögen, wenn die normale Reaktion in ihrem Ablauf behindert ist. So wird z. B. Diisopropylketon durch Isopropylmagnesiumbromid zu Diisopropylcarbinol reduziert, indem das Alkylanion ein Hydrid-Ion auf das Keton überträgt und sich zum Olefin stabilisiert: (CH3)2CH-CO-CH(CH3)2 + C 3 H 7 .MgBr - v (CH3)2CH• CH(0• MgBr)• CH(CH3)2 + C 3 H 6 .

Überraschend ist auch die Änderung im Ablauf von Magnesiumreaktionen, die nach KHARASCB durch Zusatz geringer Mengen von Metallchloriden, namentlich CoCl2 hervorgerufen wird 3 . Sie beruht auf der Bildung von Radikalen aus den entsprechenden 1 D E S S Y , H Ä N D L E R , J. Amer. Chem. Soc. 8 0 , 5824 (1958); S W A I N , B O Y L E S , J. Amer. Chem. Boa. 73, 870 (1951). 2 Meist zersetzt man die bei derartigen Magnesiumreaktionen intermediär entstehenden Additionsprodukte mit Eis; das abgeschiedene Magnesiumhydroxyd löst man sodann je nach der Empfindlichkeit des Reaktionsprodukts in Mineralsäure, Essigsäure oder Salmiaklösung. 3 Vgl. z. B. KHARASCH, LEWIS, REYNOLDS, Journ. Amer. Chem. Soc. 65(1943). 4 9 3 ; MORRISON, W I S H M A N , J. Amer. Chem. Soc. 76, 1059 (1954).

74

Acyclische Verbindungen

metallorganischen Verbindungen der edleren Metalle, die mehr zum Radikal-Zerfall neigen, und wird uns später noch beschäftigen (S. 116). Die ungemein giftigen Quecksilberalkyle (C n H 2n+1 ) 2 Hg entstehen aus Alkylmagnesiumhalogeniden auf folgendem Wege: HgCl2 + 2 C2H5 • MgOl = (C2H5)2Hg + 2 MgCl2. An der Reaktion 2 sek.- BuHgBr ^zi Hg (sek.-Bu)2 + HgBr2 mit opt. akt. sek.-Butyl hat INGOLD (1959) zuerst bimolekularen Verlauf (SE2) einer elektrophilen Substitution (von Metall gegen Metall) am gesättigten C unter Konfigurationserhaltung studiert.

Sie sind gegen Sauerstoff und Wasser beständig und wenig reaktionsfähig. Durch Jod werden sie glatt in Alkyljodid und Quecksilberhalogenid gespalten: R 2 Hg + J 2 = R - H g J + RJ. R-HgJ + J 2 = RJ + HgJ,.

(W.

Mit Alkalimetallen setzen sie S Ö H L E N S sen.):

sich

zu den

interessanten Alkalialkylen

um

Hg(CH3)2 + 2 Na = Hg + 2CH 3 Na.

Aus Alkylhalogeniden und Natriummetall lassen sich Natriumalkyle wegen der alsbald eintretenden WÜRTZ sehen Reaktion nur bei Natriumüberschuß und niedriger Temperatur darstellen. Dagegen lassen sich Lithiumalkyle aus Alkylchloriden auf diesem Wege bequem gewinnen. Die Alkalialkyle sind farblose, amorphe, auf Grund ihres stark polaren Charakters unlösliche Substanzen, die sich an der Luft entzünden. Lithiumäthyl ist kristallisiert und infolge geringerer Polarität in Äther, Benzin und Benzol löslich. Häufig findet man bei den alkaliorganischen Verbindungen Assoziation zu Komplexen. Die sonst so reaktionsträgen Äther werden durch Natriumalkyle im Sinne der Gleichung NaC2H5 + C 2 H 5 -0-C 2 H 5 = C 2 H 5 -ONa + C2H4 + C 2 H,

zersetzt. Die Reaktionen der Alkalialkyle gleichen im allgemeinen denen der Organomagnesiumverbindungen. Sie sind aber reaktionsfähiger als diese, und namentlich Lithiumverbindungen sind deshalb für Synthesen sehr beliebt'. Es verdient besondere Beachtung, daß sie sich auch an konjugierte C=C-Bindungen addieren. Über Metallalkyle als Zwischenprodukte der WTJRTZ-FITTIGsehen Reaktion vgl. S. 345. Kurz erwähnt seien hier noch die flüssigen Aluminiumalkyle, z. B. (C2HS)3A1, bei denen Addition an a-Olefine und Wiederabspaltung katalytisch zur Dimerisation der Olefine führt (ZIEGLEE) : C 2 H 5 • A1R2 + CH2 = CH 2 , C 2 H 5 • CH = CH 2 + HA1R 2 ; HA1R2 + CH2 = CH2 — - C 2 H 5 A1R2.

Gesättigte Monocarbonsäuren (Fettsäuren) Man versteht unter Carbonsäuren Substanzen, die eine an Alkyl gebundene „Carboxylgruppe" — ^ Q H

Konstitution ergibt sich am einfachsten durch

die Synthese der Carbonsäuren aus Kohlendioxyd und Alkalialkylen. Z. B. entsteht durch Einwirkung von C0 2 auf Natriummethyl NaCH 3 das Natriumsalz der Essigsäure CH3 -C(X>Na, indem sich CHS und Na an die eine CO-Bindung des Kohlendioxyds anlagern. Ganz analog bilden sieh Carbonsäuren auch durch Addition von Alkylmagnesiumhalogeniden an C0 2 : CH.-MgBr + C02 = CH,-C8 0 + N a C L CH3-C0C1 + CH 3 -C0-0Na = c g * . C O

Essigsäureanhydrid

In der Technik wird Essigsäureanhydrid durch Oxydation von flüssigem Acetaldehyd gewonnen (s. S. 109). Andere großtechnische Verfahren sind die Einwirkung von Keten (S. 159) auf Essigsäure: CH 3 .C00H + CH2 = CO = (CH 3 -C0) 2 0

sowie die Umsetzung von Essigsäure mit Phosgen, die in der Weise ausgeführt wird, daß Phosgen in Gegenwart von Salzen wie Magnesiumchlorid oder Aluminiumchlorid als Katalysator in siedende Essigsäure eingeleitet wird. Man vermutet, daß die Reaktion in den folgenden zwei Stufen verläuft: 2 CH3.COOH + MeCl., = (CHS.COO)2Me -f 2HCl (CH3-COO)aMe + COa, = (CH 3 .C0) 2 0 + MeCl, + C0 2

Die höheren Säureanhydride werden am besten durch Erhitzen der Natriumsalze der höheren Fettsäuren mit Essigsäureanhydrid dargestellt. Diese Reaktion beruht auf einem Austausch der Säureradikale. Durch Umsetzen von trockenem Natriumacetat, das mit 14C markiert war, mit gewöhnlichem Essigsäureanhydrid hat man festgestellt, daß diese Reaktion sich trotz der Unlöslichkeit des Salzes im Anhydrid schon bei Raumtemperatur, wenn auch ziemlich langsam, abspielt. Auch gemischte Anhydride der Fettsäuren, z. B. Ameisensäure-essigsäure-anhydrid, existieren. Sie spalten sich teilweise schon bei der Destillation in die Anhydride der beiden Säuren. Das Anhydrid der Ameisensäure ist nicht bekannt. Säureanhydride sind Flüssigkeiten von unangenehm stechendem Geruch, die mit Hydroxyl- und Aminogruppen in der gleichen Weise wie Säurechloride reagieren. Nur entsteht natürlich anstelle von Salzsäure dabei 1 Mol Fettsäure. Durch alkalimetrische Titration des Anhydrids und der Fettsäure kann man auf einfache Weise Alkohole und Amine bestimmen. Essigsäureanhydrid siedet bei 139 • 6° (760 mm) und hat D 1 !: 1-0871 bzw. D 2 i: 1 • 0810. Es löst sich bei gewöhnlicher Temperatur etwa in der lOfachen Menge Wasser und setzt sich in dieser Lösung verhältnismäßig langsam zu Essigsäure um, im Gegensatz zu Acetylchlorid, das durch Wasser sofort hydrolysiert wird (CH3 • CO = Ac): Ac 2 0 + H 2 0 = 2 AoOH. Nennt man die molare Konzentration des Anhydrids a, die des Wassers b, x die Anhydridmenge, die nach der Zeit t verseift ist, so ist nach der Gleichung für bimolekulare Reaktionen die Verseifungsgeschwindigkeit zur Zeit < - J L = f c (

0

- * ) ( & - * ) .

(1)

Für äquimolekulare Mengen Wasser und Anhydrid (o = 6) ist jfc ( a - , ) « ,

(la)

woraus durch Integration k = -L -1— cib) ata —x folgt. Ist die Menge des Wassers groß gegen die Menge des Anhydrids, so kann man b — x als konstant ansehen. Dann hat man eine pseudomonomolekulare Reaktion der einfachen Gleichung

|j=-t,(o-*)

(2)

Acyclisohe Verbindungen

88 oder integriert

k1 nennt man die Gcsphwindigkeitsbonstante der Reaktion. Wie man aus (2) ablesen kann, repräsentiert i j den Bruchteil der reagierenden Substanz, der in der Zeiteinheit bei der Konzentration 1 umgesetzt würde, wenn diese Konzentration dauernd aufrechterhalten bliebe. Für die Reaktion zwischen Essigsäureanhydrid und Wasser sind verschiedene Werte von k1 in der folgenden Tabelle verzeichnet (t in Minuten gerechnet). 2 h X 10

Temperatur

r in Min.

2 46 10 5 16 0

0° 18° 25°

27 6 4

Man sieht aus den angeführten Zahlen, wie stark die Geschwindigkeit mit der Temperatur steigt. In der Spalte 3 ist die „Halbwertszeit" T aufgeführt, d. h. diejenige Zeit, für die x = 1J1a, also gerade die Hälfte der Substanz umgesetzt ist. Sie ergibt sich aus (3) zu _

log 2 _ 0.6931 0-4343 ' Für bimolekulare Reaktionen und a = b ist r = 1 jlea, also von der Anfangskonzentration abhängig. T _

Die Hydrolyse von Essigsäureanhydrid wird durch Säuren beschleunigt. Nach und H I L T O N liegt der Katalyse vielleicht folgender Mechanismus zugrunde:

GOLD

rasch AC20 +

H® ^—>

Ac2OH®

langsam

Ac2OH®

• Ac® + AcOH rasch

Ac® + 2H 2 0

• AcOH + H 3 0®

Das Ion CH 3 • CO® nennt man Acetylium-Ion. Ester der Fettsäuren Ester der Fettsäuren entstehen, wie wir bereits oben gesehen haben, durch Einwirkung von Säurechloriden oder -anhydriden auf Alkohole durch Abspaltung von Säure: CH 3 -CO x > 0 + R O H - - + C H 3 C O O R + CHJ-COJH. CH3C(K

Auch aus dem Silbersalz einer Säure und Alkyljodid kann man sie gewinnen. Ihre bekannteste Darstellungsmethode ist jedoch die direkte Umsetzung von Säuren mit Alkoholen: CH3C02H Essigsäure

+

C 2 H 6 -OH Äthylalkohol


H Ö - C - Ö R ' -> H Ö - C + !OR' e -> e I O - C + R'OH.

-

|

R

-

-

|

R

"

"

|

-

R

"

I

R

~

Auch bei den Basen ist die Verseifungsgeschwindigkeit vom Dissoziationsgrad abhängig. Das wirksame Agens sind also die Hydroxylionen, die aber zum Unterschied von den H-Ionen bei der Reaktion verbraucht werden. Basen verseifen sehr viel rascher als Säuren (für Kalilauge und Salzsäure in 0,ln-Lösung ist das Verhältnis der Geschwindigkeiten bei der Methylacetatverseifung 1350). Dies erklärt sich durch die Stabilität des Carbonsäure-Anions, wodurch die rückläufige Reaktion im Einklang mit der Erfahrung ausgeschlossen wird. Der Mechanismus der Verseifung ist u. a. auch durch den beiden möglichen Mechanismen a) und b) a) b)

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0-Austausch untersucht worden. Von

R-CO-O — R x + H 2 0 = R-C0 2 H + RjOH R - C O - O - R j + H 2 0 = R-C0 2 H + R^OH

stellt a) eine „Alkyl-Sauerstoff-Spaltung", b) eine „Acyl-Sauerstoff-Spaltung" dar. Bei aliphatischen Estern herrscht im allgemeinen Mechanismus b), der Sauerstoff bleibt also beim AlkylRadikal. Spaltungen gemäß a) sind auf Sonderfälle beschränkt.

Wie die Ester durch OH©-Ion eine Hydrolyse zu Alkohol und Säure erleiden, so können sie unter der Einwirkung von Alkoholaten einer Alkoholyse unterliegen: RCO-OCH, + C«H,-OQ ^ R - C O O C ^ H , + C H , 0 © ( wobei also in umkehrbarer Reaktion ein Austausch der Alkylgruppen stattfindet. Der als „Umesterung" bezeichnete Prozeß verläuft mitunter schon bei gewöhnlicher Temperatur. Es genügt, den Ester in dem betreffenden Alkohol zu lösen und eine katalytische Menge Natriumalkoholat zuzufügen. Die Alkoxygruppe der Ester ist auch sonst recht beweglich. Die Ester bilden daher ein geeignetes Ausgangsmaterial für zahlreiche Umsetzungen, die mit den freien Carbonsäuren nur schwierig oder überhaupt nicht durchführbar sind. Durch Einwirkung von Natrium auf die siedende alkoholische oder amylalkoholische Lösung der Ester (BOUVEAULT und BLANC) entstehen primäre Alkohole: R • CO • OCjHJ + 2 H 2 = R.CH2-OH + CjHjOH,

91

Säureamide

eine Reaktion, von der man zu synthetischen Zwecken häufig Gebrauch macht. Zu dem gleichen Resultat führt auch die Reduktion der Ester mit Wasserstoff bei 300° und 200 Atmosphären Druck mit „Kupferchromit" als Katalysator. Sehr schonend verläuft die Reduktion der Ester zu Alkoholen mit LiAlH4. Tertiäre Alkohole können aus Estern leicht mit Hilfe von Alkylmagnesiumverbindungen gewonnen werden; es entsteht intermediär ein Keton: R

'°\OC2H5

+

R

''MgC1

=

+

CÄ-O-MgC,

das dann in bekannter Weise (S. 100) weiterreagiert. Aus Estern der Ameisensäure erhält man auf dem gleichen Wege sekundäre Alkohole. Über Ester-Kondensationen S. 228. Orthoester Die unter diesem Namen zusammengefaßte Verbindungsklasse leitet sich von den Orthocarbonsäuren R-C(OH) 3 ab, die in freiem Zustand nicht bekannt sind. Sie sind auf verschiedenen Wegen erhältlich, die Ester der Orthoameisensäure z.B. aus Natriumalkoholat und Chloroform: CHClj + 3 NaO • C2H5 = HC(0-C 2 H 6 ) 3 + 3 NaCl.

Orthoameisensäureäthylester siedet bei 145° und wird durch Alkalien nicht verseift, während mit Säuren Ameisensäureäthylester oder Ameisensäure entsteht. Die Orthoester stehen also den Acetalen (S. 102) näher als den Estern. Während sie deshalb aus Estern und Alkoholen durch Säurekatalyse nicht gewonnen werden können, gelingt dies glatt mit Hilfe der S. 95 beschriebenen Imidsäureester-hydrochloride: ^NH-HCl R-Ckf + 2 C2H5-OH = R-C(0-C 2 H 5 ) 3 + NH4C1. \0-C2H5 Bei der Einwirkung von Alkylmagnesiumsalzen auf Orthoester wird schon in der Kälte glatt eine Alkoxygruppe gegen Alkyl ausgetauscht und das Acetal eines Aldehyds (S. 102) erhalten: R-MgX + C2H5 O C H < ° ; ° A = R - C H < g ; C g + C 2 H t .OMgX.

Säureamide Diese Verbindungen enthalten die Gruppe ' Als Konstitufcionsbeweis dient ihre Bildung durch Einwirkung von Ammoniak auf Säurechloride und -anhydride oder auf Ester: CH3 • COC1 + NH 3 = CH3 • CO • NH 2 + HCl, (CH 3 -C0) 2 0 + 2 NH 3 = 2 CH 3 -CO-NH 2 + H a O, CH 3 -CO-OC 2 H 6 + NH 3 = C H 3 C O - N H 2 +C2H6-OH.

Aus den Ammoniumsalzen der Fettsäuren entstehen Säureamide unter Wasserabspaltung, wenn man sie stark erhitzt: CH 3 -CO-ONH 4 = C H 3 C O N H 2 + H a O.

Die Verseifung der Nitrile läßt sich auf der Zwischenstufe der Amide festhalten, wenn man als verseifendes Mittel 96%ige Schwefelsäure anwendet: C H 3 C ^ N + H 2 0 = CH 3 CO-NH 2 .

Mit schwach alkalischem Wasserstoffperoxyd kann man die Nitrile ebenfalls zu Säureamiden verseifen (Reaktion von RADZISZEWSKI). Den Mechanismus deutet man

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Acyclische Verbindungen

als einen nucleophilen Angriff des Hydroperoxyd-Anions auf den Kohlenstoff der Cyan-Gruppe (K. W . W I B E R G ) : • R-C=N9

R • C = N + HO®

H

'°'.> R - C O - N H 2 + O a + O H ®

O-OH

Der Mittelstellung der Säureamide zwischen Säuren und Nitriten entsprechend kann man aus ihnen einerseits durch Kochen mit verdünnten Säuren oder Alkalien Säuren, andererseits durch Einwirkung wasserentziehender Mittel (P 2 0 s ) Nitrile darstellen. Das Anfangsglied der Reihe, Formamid, entsteht aus Ammoniak und Kohlenoxyd in Methanol unter Druck in Gegenwart von Natriummethylat als Katalysator: CO + NHS = H C O N H 2 .

Seine technische Darstellung aus Ameisensäuremethylester und Ammoniak wurde bereits auf S. 78 erwähnt. Die Ami de sind kristallisierte, bis etwa C7 in Wasser spielend lösliche Substanzen, die mit Ausnahme von Formamid unzersetzt destillierbar sind. Formamid (Ameisensäureamid) HCO-NH 2 schmilzt bei 2,55°, hat die Dichte D2?: 1,1334 und siedet unter 15 mm bei 110°. Beim Sieden unter gewöhnlichem Druck zerfällt es in geringem Maß in Kohlenoxyd, Ammoniak, Wasser und Blausäure. Acetamid CH 3 -CO-NH 2 schmilzt bei 82° und siedet bei etwa 222°; es riecht gewöhnlich infolge geringer Verunreinigungen nach Mäusen. Wie die Carbonsäuren sind auch die Säureamide assoziiert und zeichnen sich durch anomal hohe Siedepunkte aus. Die Erklärung dafür ist in zwischenmolekularen Wasserstoffbindungen zwischen dem Wasserstoff der NH2-Gruppe und dem Sauerstoff zu suchen. Die Elektronenstruktur der Säureamidgruppe läßt eine Mesomerie zwischen den Grenzstrukturen I und II zu. Die C—N-Bindung ist kürzer als eine Einfachbindung. Die Mesomerie bedingt eine ebene Konfiguration der Säureamidgruppe, die für den Aufbau der Peptide wichtig ist.

K I

c

O

b c

-