Lehrbuch der physiologischen Chemie 9783111511092, 9783111143354

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Lehrbuch der physiologischen Chemie
 9783111511092, 9783111143354

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einleitung
I. Teil. Die Chemie der Hauptgruppen der Nahrungsstoffe und Körperbestandteile
II. Teil. Physikalisch-chemische Grundlagen
III. Teil. Der Stoffwechsel
IV. Teil. Zusammensetzung und Stoffwechsel einzelner Organe und Gewebe
V. Teil. Die chemische Regulation der physiologischen Funktionen
VI. Teil. Die Ernährung
Bibliographische Hinweise
Sachregister

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EDLBACHER -

LEUTHARDT

LEHRBUCH DER PHYSIOLOGISCHEN CHEMIE

S. EDLBACHER - F. L E U T H A R D T

LEHRBUCH DER

PHYSIOLOGISCHEN CHEMIE 11., verbesserte und erweiterte Auflage, bearbeitet von

FRANZ LEUTHARDT Ordentlicher Professor an der Universität Zürich

Mit 61 Abbildungen

1954

WALTER DE G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.

B e r l i n W35

Alle Rechte vorbehalten

Copyright 1954 by Walter de Gruyter & Co. vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung / J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer / Karl J . Trübner / Veit & Comp. Archiv-Nr. 51 04 54

Berlin W35

Printed in Germany

Satz: Walter de Gruyter & Ce., Herlin W 3 5 Druck: Günter & Sohn, Rerlin S W 1 1

Vorwort zur 10. Auflage

Der verdiente Begründer des „Kurzgefaßten Lehrbuches der physiologischen Chemie", Prof. Dr. S. E d l b a c h e r , ist im Mai 1946 in Basel verstorben. Im gleichen Jahr kam die 9. Auflage seines Lehrbuches heraus. Sie hatte wegen der Ungunst der Zeit die jüngsten Fortschritte der physiologischen Chemie nur zum geringen Teil berücksichtigen können, und es drängte sich daher für die 10. Auflage eine völlige Neubearbeitung des Buches auf. Die rasche Entwicklung der physiologischen Chemie in den vergangenen Jahren hat den Stoff so stark anwachsen lassen, daß auch bei Beschränkung auf das Wesentliche eine Darstellung im Rahmen des früheren Lehrbuches nicht mehr möglich war. Sein Umfang mußte daher beträchtlich erweitert werden. Die hauptsächlichste Schwierigkeit bei der Abfassung eines derartigen Lehrbuches liegt in der Auswahl des Stoffes. Die biochemische Wissenschaft ist heute in raschem Fortschreiten begriffen und erobert beständig neue Gebiete. Es gibt natürlich einen Grundstock von gesichertem Tatsachenmaterial, der jeder Darstellung zugrunde gelegt werden muß. Wie weit aber daneben die zahlreichen Anwendungen der physiologischen Chemie in Biologie und Medizin berücksichtigt werden müssen und wie weit neue, sich erst anbahnende Entwicklungen schon für eine lehrbuchmäßige Darstellung geeignet sind, ist eine Ermessensfrage, die jeder auf seine eigene Weise lösen wird. Dem vorliegenden Buch liegen im großen und ganzen die Vorlesungen zugrunde, die ich seit 1942 in Genf und später in Zürich für die Studenten der Medizinischen Fakultät gehalten habe. Der erste Teil, der die Chemie der Naturstoffe behandelt, ist knapp gehalten. Auf Konstitutionsbeweise, Synthesen usw. wurde nirgends eingegangen. Ihre Kenntnis ist für den Mediziner entbehrlich; der Chemiker wird diese Dinge ohnehin in den ausführlichen chemischen Lehrbüchern nachlesen. Auch die deskriptiven Teile des Buches, in welchen die chemische Zusammensetzung der Organe und Körperflüssigkeiten besprochen werden, beschränken sich auf das Notwendigste. Einzig das Blut ist wegen seiner großen Bedeutung für die Klinik ziemlich ausführlich behandelt worden. Das Hauptgewicht hegt auf der Darstellung der Stoffwechselvorgänge. Alle Lebenserscheinungen wurzeln letzten Endes im Stoffwechsel; die moderne Biologie und Medizin nehmen eine Entwicklung, in welcher die chemische Betrachtungsweise immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es ist daher der Besprechung der grundlegenden biochemischen Reaktionen und des Intermediärstoffwechsels ein breiter Raum eingeräumt worden. Auch die Vitamine werden hauptsächlich in ihrer Bedeutung als Stoffwechselfaktoren gewürdigt. Die Abschnitte über die innere Sekretion enthalten eine Darstellung der chemischen und physiologischen Grundtatsachen, wobei hauptsächlich auch die Fragen berück-

Vorwort

VI

sichtigt wurden, die für das Verständnis der klinischen Endokrinologie wichtig sind. Es war überhaupt im ganzen Buch mein Bestreben, die für den Kliniker wichtigen Probleme der Biochemie besonders hervorzuheben. Der Basler Physiologe F r . M i e s c h e r schrieb 1874 an einen Freund: „Die physiologische Chemie besteht aus einem solchen Haufen unzusammenhängender Facta, daß es wenig Sinn hat, noch mehr Häckerling hinzutun zu wollen." Die Kenntnis biochemischer Erscheinungen hat seither große Fortschritte gemacht; aber es gibt auch heute noch auf allen Gebieten der Biochemie zahlreiche isolierte Tatsachen, die wir vorläufig zur Kenntnis nehmen müssen, ohne sie in einen größeren Zusammenhang einordnen zu können. Andererseits aber vermögen wir heute doch viele Gebiete soweit zu überblicken, daß wir die grundlegenden biochemischen Vorgänge sinnvoll in den Rahmen des gesamten physiologischen Geschehens einordnen können. Ich habe mich bemüht, die biochemischen Vorgänge soweit als möglich nicht als isolierte Facta, als „Häckerling", darzubieten, sondern ihren gegenseitigen Zusammenhang und ihre Bedeutung für die allgemeinen Lebenserscheinungen aufzuzeigen. Von Hinweisen auf die Originalliteratur wurde abgesehen. In vielen Fällen wurde, besonders wenn es sich um neuere Untersuchungen handelt, der Name der Autoren beigefügt, um dem im biochemischen Schrifttum bewanderten Leser einen Hinweis zu geben. Ich möchte nicht verfehlen, Frl. M. A m s l e r für ihre treue Hilfe bei der Ausarbeitung des Manuskripts und beim Lesen der Korrekturen meinen herzlichen Dank auszusprechen. Z ü r i c h , im Mai 1952. F. L e u t h a r d t

Vorwort zur 11. Auflage

In der vorliegenden 11. Auflage sind insbesondere die Abschnitte über den Intermediärstoffwechsel durch neuere Ergebnisse ergänzt und überarbeitet worden. Der Citronensäurecyklus wird seiner allgemeinen Bedeutung entsprechend in einem besonderen Kapitel behandelt; ferner ist am Ende des 3. Teils ein kurzes Kapitel über die Photosynthese eingefügt worden. Auf vielfachen Wunsch geben wir am Schluß des Buches, nach Kapiteln geordnet, eine Literaturzusammenstellung, die hauptsächlich Monographien und zusammenfassende Arbeiten enthält. Ebenso sind im Text einige Hinweise auf neuere Arbeiten eingefügt worden. Wir hoffen, dadurch den Zugang zu den Originalarbeiten erleichtert zu haben. Ich möchte wiederum Frl. M. A m s l e r für ihre unermüdliche Hilfe meinen besten Dank aussprechen. Z ü r i c h , im April 1954. F. L e u t h a r d t

Inhalt

Seite

Einleitung I. Teil. Die Chemie der Hauptgruppen der Nahrungsstoffe und Körperbestandteile 1. Kapitel. Die Kohlehydrate 1. Definition und Nomenklatur 2. Monosaccharide A. Allgemeine Eigenschaften der Monosen B. Stereochemie der Zucker C. Ringstruktur der Zucker D. Die verschiedenen Gruppen der Monosaccharide 3. Disaccharide 4. Polysaccharide: Stärke, Glycogen, Cellulose, Inulin 5. Pectin, Hemicellulose, Lignin, Pflanzengummi und -schleime 6. Mucopolysaccharide

1 . .

7 7 7 9 9 13 20 24 30 34 38 39

2. Kapitel. Fette, Fettsäuren und Lipoide 1. Fette A. Bausteine B. Struktur der Fette 2. Wachse 3. Phosphatide und Cerebroside A. Phosphatide B. Cerebroside

42 42 42 44 45 46 46 51

3. Kapitel. Sterine, Gallensäuren, Carotinoide 1. Sterine 2. Gallensäuren 3. Carotinoide (Lipochrome)

53 53 58 60

4. Kapitel. Die Proteine und ihre Bausteine 1. Aminosäuren A. Allgemeine Charakteristik der Aminosäuren B. Derivate der Aminosäuren C. Die einzelnen Aminosäuren a) Monoaminomonocarbonsäuren b) Monoaminodicarbonsäuren c) Diaminomonocarbonsäuren d) Heterocyklische Aminosäuren D. Die Stereochemie der Aminosäuren E. Quantitative Bestimmungsmethoden der Aminosäuren 2. Peptide 3. Eiweißkörper A. Einteilung der Eiweißkörper B. Reaktionen der Proteine a) Fällungsreaktionen b) Farbreaktionen C. Die Analyse der Eiweißkörper D. Die Struktur der Proteine

64 64 65 67 69 69 72 73 75 77 79 82 84 86 89 89 89 90 92

X

Inhalt Seite

E. Das Molekulargewicht der Proteine F. Die physikalisch-chemischen Eigenschaften der Proteine a) Die Proteine als Elektrolyts b) Das Eiweißmolekül als Dipol c) Elektrophorese d) Die Löslichkeit der Proteine e) Die Anwendung der Phasenregel auf Eiweißlösungen f) Die Wechselwirkung zwischen Salzen und Proteinen 5. Kapitel. Die Nucleinsäuren 1. Allgemeines 2. Das Kohlehydrat 3. Die stickstoffhaltigen Bausteine A. Purinkörper B. Pyrimidinkörper 4. Die Bindung der Bausteine in den Nucleinsäuren 5. Die Struktur der Nucleinsäuren I I . Teil. Physikalisch-chemische Grundlagen 6. Kapitel. Einige physikalisch-chemische Grundgesetze 1. Die Gesetze der verdünnten Lösungen A. Die ideale Lösung B. Dampfdruckerniedrigung des Lösungsmittels C. Gefrierpunktsdepression D. Löslichkeit und Partialdruck leichtflüchtiger Substanzen (Gase) E. Osmotischer Druck 2. Elektrolyte 3. Die Phasenregel 4. Massenwirkungsgesetz; Aktivität der Ionen

99 101 101 104 106 109 109 111 116 116 .116 117 117 119 119 122 126 126 126 126 127 128 . . . .128 129 130 132 134

7. Kapitel. Säuren und Basen 1. Die Dissoziation schwacher Säuren und Basen 2. Pufferlösungen 3. Die Messung der Wasserstoffionenkonzentration

138 139 145 146

8. Kapitel. Oxydation und Reduktion 1. Der Begriff der Oxydation 2. Das Oxydations-Reduktionspotential 3. Redoxindikatoren

149 149 152 158

9. Kapitel. Kolloidchemie; Grenzflächen 158 1. Sole und Gele 160 2. Adsorption 162 3. Anwendung der Adsorption als Trennungsverfahren; Chromatographie . . . . 1 6 6 A. Die Chromatographie 166 B. Verteilungschromatographie; Papierchromatographie 168 C. Ionenaustauscher 170 I I I . Teil. Der Stoffwechsel 10. Kapitel. Die Fermente 1. Allgemeine Charakteristik der Fermente 2. Chemische Natur der Fermente A. Allgemeine Eigenschaften der Fermente B. Reindarstellung der Fermente 3. Verbindung von Ferment und Substrat .

172 172 172 177 179 181 182

Inhalt 4. Einteilung der Fermente 5. Hydrolasen A. B. C. D.

XI Seite

-

186 187

Desaminasen Proteasen Esterasen Carbohydrasen

188 190 200 202

a) Hexosidasen b) Polyasen

203 205

6. Kurze Übersicht über die anderen Gruppen (II—VI) A. B. C. D. E. F.

207

Phosphorylasen (II) Hydratasen (III) Desmolasen (IV) Gruppenübertragende Fermente (V) Isomerasen (VI) Fermente der Oxyd-Redufction (VII)

207 207 208 210 214 214

11. Kapitel. Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels

214

Anwendung der Isotope biologischer Elemente als „tracer"

219

12. Kapitel. Die biologische Oxydation 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Die Das Die Die Die Die Der Die

228

Oxydationsfermente; Allgemeines „sauerstoffübertragende" Ferment Cytochrome Katalase Peroxydasen Phenoloxydasen chemische Bau der eisenhaltigen Fermente Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger

13. Kapitel. Die Oxydation der Kohlenstoffketten; der Citronensäurecyklus.

228 229 232 234 235 236 238 240 . . 255

1. Die Oxydation des Pyruvats durch den Citronensäurecyklus 2. Die Fixierung des Kohlendioxyds 14. Kapitel. Der Kohlehydratstoffwechsel

257 271 274

1. Die Verdauung und Aufnahme der Kohlehydrate

274

2. Die wichtigsten biochemischen Umsetzungen der Kohlehydrate

276

A. B. C. D. E. F.

Alkoholische Gärung und Glycolyse Der Glycogenabbau und die Glycogensynthese Der Stoffwechsel der Fructose, der Galactose und der Ribose Synthese der glycosidischen Bindung; die Transglycosidasen Reaktionen der Triosen und Triosephosphate Der oxydative Abbau der Kohlehydrate

3. Die Resynthese von Glycogen aus Milchsäure; die Gluconeogenese . . . . 4. Weitere Produkte des Kohlehydratstoffwechsels 5. Verteilung und Verbrauch der Kohlehydrate im Organismus; die Regulation des Blutzuckers 6. Der Diabetes mellitus

278 288 293 297 299 299 300 307 309 323

XII

Inhalt 15. Kapitel. Der Fettstoffwechsel 1. Die Verdauung der Fette 2. Absorption und Verteilung 3. Der Abbau der Fettsäuren 4. Die biologische Synthese der Fettsäuren . 5. Die Bedeutung der C2-Fragmente im Stoffwechsel der Fettsäuren 6. Unentbehrliche (essentielle) Fettsäuren 7. Die „lipotrop" wirkenden Stoffe und die Rolle der Leber im Fettstoffwechsel 8. Abhängigkeit des Fettstoffwechsels von endokrinen Drüsen 9. Der Stoffwechsel des Cholesterins und der Gallensäuren

3eite

329 329 329 332 339 341 346 346 349 349

16. Kapitel. Der Eiweißstoffwechsel 352 1. Aufnahme der Eiweißkörper 352 A. Die Verdauung der Eiweißkörper 352 B. Resorption und Speicherung 353 2. Bildung und Abbau von Aminosäuren im Tierkörper 354 3. Der Abbau des Kohlenstoffgerüstes 362 4. Der Stoffwechsel einzelner Aminosäuren 367 A. Phenylalanin und Tyrosin 367 B. Tryptophan 372 C. Histidin 376 D. Cystin (und Cystein), Methionin 379 384 E. Arginin F. Prolin 386 G. Glutamin- und Asparaginsäure; Glutamin und Asparagin 387 H. Serin und Threonin 388 I. Glycocoll 389 5. Abbau der Aminosäuren durch Bakterien und Hefe 390 6. Aminosäuren und Entgiftungs-(Detoxikations-)vorgänge 394 7. Die Ammoniak- und Harnstoffbildung 398 8. Die unentbehrlichen Aminosäuren 403 9. Eiweißbedarf und Eiweißminimum 406 10. Die „biologische Wertigkeit" der Proteine 408 11. Das Stickstoffgleichgewicht 409 12. Die Eiweißreserve des Organismus; Bedeutung der Proteine des Blutplasmas 410 13. Die Synthese der Proteine 413 14. Einfluß der endokrinen Drüsen auf den Proteinstoffwechsel 417 17. Kapitel. Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel 1. Abbau und Bildung der Nucleotide und Nucleinsäuren 2. Synthese des Puringerüsts 3. Stoffwechsel der Cofermente 4. Das weitere Schicksal der Purin- und Pyrimidinkörper

420 420 423 426 427

18. Kapitel. Die Bedeutung der Phosphatbindung 430 1. Thermodynamische Vorbemerkungen 430 2. Die Rolle des Phosphats bei der Koppelung der energieliefernden und der energieverbrauchenden Reaktionen 435 3. Glycolyse (oder alkoholische Gärung) und Phosphorylierung 439 4. Oxydative Phosphorylierung 440

Inhalt

XIII Seit«

5. ATP- und Coenzym A-abhängige Vorgänge 445 a) Die Muskelkontraktion 446 b) Phosphokreatin 447 c) Hexokinasereaktion 447 d) Bildung der glycosidischen Bindung 447 e) Coenzym A-abhängige Reaktionen: Acetylierung, Citronensäure- und Fettsäuresynthese 448 f) Säureamid- und Peptidbindung 452 19. Kapitel. Die Assimilation des Kohlenstoffs und des Stickstoffs 453 1. Die Kohlensäureassimilation (Photosynthese) in den grünen Pflanzen . . . 454 2. Die Assimilation des Stickstoffs 463 IV. Teil. Zusammensetzung und Stoffwechsel einzelner Organe und Gewebe . . . .

466

20. Kapitel. Die Verdauung und die Verdauungssekrete 1. Der Speichel 2. Der Magensaft 3. Der Pankreassaft 4. Das Sekretin 5. Die Galle 6. Der Darmsaft 7. Der allgemeine Verlauf der Verdauung

466 467 468 471 472 473 475 476

21. Kapitel. Der Wasser- und Salzhaushalt

479

1. 2. 3. 4.

Verteilung des Wassers und der Ionen 480 Die Bedeutung des Kochsalzes als Nahrungsfaktor 487 Die Regulation des Säure- und Basengleichgewichts durch die Nieren . . . 488 Die endokrine Regulierung des Salz- und Wasserhaushaltes 493

22. Kapitel. Das Blut 1. Zusammensetzling 2. Das Säure-Basen-Gleichgewicht des Bluts 3. Die Plasmaproteine 4. Die Blutgerinnung 5. Die Erythrocyten und der Blutfarbstoff A. Das Hämoglobin a) Allgemeine Eigenschaften b) Die Porphyrine c) Das Globin d) Hämoglobinderivate; Bau des Hämoglobins B. Die Hämatopoese a) Die Synthese der Porphyrine b) Eisenbedarf und Eisenstoffwechsel c) Die Bedeutung des Kupfers für die Hämoglobinbildung d) Andere Nahrungsfaktoren C. Der Abbau des Blutfarbstoffes a) Der Gallenfarbstoff; seine Bildung aus dem Hämoglobin b) Die Bildung des „Urobilins" aus dem Gallenfarbstoff 6. Die Porphyrie

493 493 497 502 508 514 514 514 516 520 521 525 525 526 529 529 530 530 533 537

XIV

InhaltSeite

23. Kapitel. Niere; Urin 1. Die Harnsekretion 2. Die „Clearance" 3. Der Stoffwechsel der Niere 4. Niere und Blutdruck 5. Der Harn; seine wichtigsten Bestandteile A. Harnstoff B. Kreatinin und Kreatin C. Harnsäure D. Aminosäuren E. Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation) F. Kohlehydrate G. Proteine H. Farbstoffe des Urins a) Blutfarbstoff b) Bilirubin, „Urobilin", „Urobilinogen" c) Porphyrine d) Uroerythrin e) Urorosein f) Melanine g) Ehrlich sehe Diazoreaktion I. Wirkstoffe K. Anorganische Stoffe, Säuren und Basen L. Harnsediment und Harnsteine 6. Anhang: Das Sperma

539 539 541 .643 544 545 546 546 547 547 548 553 554 555 555 556 556 557 557 557 558 558 559 560 562

24. Kapitel. Muskel- und Nervensystem 1. Muskel A. Der Kohlehydratstoffwechsel des Muskels B. Die Proteine des Muskels C. Der Kreatinstoffwechsel 2. Das Nervensystem A. Nervenleitung B. Stoffwechsel des Nervensystems C. Zusammensetzung des Gehirns und der Nerven

563 563 563 569 573 574 574 577 578

25. Kapitel. Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge 1. Baustoffe 2. Haut und Bindegewebe 3. Knochen- und Calciumstoffwechsel A. Aufbau des Knochens B. Verkalkung des Knochens C. Die Bedeutung des Vitamins D und der Nebenschilddrüsen D. Der Knochen als Calcium- und Phosphatreserve

578 578 582 584 584 586 589 590

26. Kapitel. Die Leber (ihre Bolle im Intermediärstoffwechsel)

592

V.Teil. Die chemische Begulation der physiologischen Funktionen 27. Kapitel. Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes 1. Die pflanzlichen Wuchsstoffe 2. Die entwicklungsmechanische Induktion

598 598 601 603

Inhalt

XV Seite

28. Kapitel. Innere Sekretion und Hormone 1. Chemische und nervöse Steuerung 2. Allgemeines über die Bedeutung der inneren Sekretion 3. Die Schilddrüse A. Chemie des Schilddrüsenhormons B. Biologische Wirkungen des Schilddrüsenhormons C. Die Steuerung der Schilddrüse durch die Hypophyse D. Hemmung der Schilddrüse durch „antithyreoide" Stoffe E. Störungen der Schilddrüsenfunktion 4. Die Nebenschilddrüsen A. Wirkungen des Parathormons B. Klinische Bedeutung ; 5. Die Nebennierenrinde A. B. C. D. E. F.

Ausfallserscheinungen Die Rindenhormone Die biologische Wirkung der Rindenhormone Steuerung der Nebennierenrinde durch die Hypophyse Addisonsche Krankheit Bildung der Sterinhormone in der Nebennierenrinde

6. Das Nebennierenmark 7. Die Langerhans sehen Inseln des Pankreas 8. Die Hypophyse A. B. C. D.

Übersicht Das Wachstumshormon (somatotropes Hormon, STH) Funktionen des Hypophysenhinterlappens (Neurohypophyse) Funktionen des Mittellappens

605 605 607 609 609 612 614 616 616 618 618 620 621 622 622 624 627 629 629 631 632 633 633 636 637 640

9. Die endokrine Steuerung der Fortpflanzungsvorgänge 640 A. Die gonadotropen Hormone der Hypophyse und der Placenta 641 B. Die Hormone der Gonaden 644 C. Übersicht über die chemische Struktur der wichtigsten Sexualhormone und verwandter Sterine 649 D. Der Genitalcyklus 653 E. Gravidität 655 F. Endokrine Steuerung der sexuellen Differenzierung, der Entwicklung und des Wachstums 657 10. Geschlechtsbestimmung durch chemische Faktoren VI. Teil. Die E r n ä h r u n g 29. Kapitel. Die Vitamine 1. Einleitung; Übersicht 2. Vitamin A 3. Die D-Vitamine 4. Vitamin E 5. Vitamin K 6. „Vitamin F " 7. Vitamin B x 8. Vitamin B 2

660 665 665 665 669 674 680 682 684 684 689

XVI

Inhalt Seite

9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

Vitamin B , Antipellagra-Vitamin .' Biotin (Vitamin H) meso-Inosit (i-Inosit) Pantothensäure Die Folsäuregruppe p-Aminobenzoesäure und Sulfanilamid; Theorie der „Antivitamine" . . . . Vitamin B l a (Erythrotin, Cobalamin) Allgemeines über die Vitamine der B-Gruppe Vitamin C Vitamin P

30. Kapitel. Die Spurelemente 1. Allgemeines 2. Einzelne Spittelemente A. Kupfer B. Kobalt C. Zink D. Mangan 3. Die Spurelemente als Nahrungsfaktören 31. Kapitel. Der Nahrungsbedarf 1. Der Energiestoffwechsel A. Das Isodynamiegesetz B. Der respiratorische Quotient C. Berechnung des Energieumsatzes D. Der Grundumsatz (Basalstoffwechsel) E. Die „spezifisch dynamische Wirkung" der Nährstoffe 2. Die Kostformen 3. Die Nahrungsmittel A. Milch und Milchprodukte B. Fleisch C. Nahrungsfette D. Cerealien E. Zucker und Süßigkeiten F . Kartoffeln G. Blattgemüse H. Leguminosen I. Früchte 4. Die allgemeine Bedeutung der Ernährungslehre

692 695 699 702 702 705 710 713 717 719 725 725 725 727 727 728 729 729 730 732 732 732 737 738 740 741 744 749 752 754 . 755 757 759 759 760 760 .761 762

Bibliographische Hinweise

765

Sachregister

793

Einleitung

Die Aufgabe der physiologischen Chemie liegt in der Erforschung des stofflichen Aufbaus und der chemischen Umsetzungen der lebenden Substanz. Wenn wir die Entwicklung der physiologischen Chemie aus ihren Anfängen verfolgen, so erkennen wir, daß sie hauptsächlich drei verschiedene Forschungsrichtungen in sich vereinigt. Als erste ist die chemische Erforschung der Naturstoffe zu nennen. Die „organische" Chemie war ursprünglich derjenige Zweig der Chemie, der sich mit den Produkten des Tier- und Pflanzenreiches befaßte. Organische und physiologische Chemie waren also in ihren Anfängen identisch. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war auf Grund der herrschenden naturphilosophischen Anschauungen der Glaube allgemein verbreitet, daß die Verbindungen organischen Ursprungs nur durch die Tätigkeit der lebenden Organismen gebildet werden könnten. Die Harnstoffsynthese Wöhlers (1820), welcher in rascher Folge die Darstellung weiterer organischer Verbindungen folgte, erbrachte den Beweis, daß die Bedingungen für die Entstehung „organischer" Stoffe auch in vitro realisierbar sind. Auch heute noch stellt die Erforschung der chemischen Konstitution der Naturstoffe einen wichtigen und für die physiologische Chemie grundlegenden Zweig der chemischen Forschung dar. Es ist klar, daß die genaue Kenntnis der Stoffe, welche die lebende Substanz aufbauen, die erste Voraussetzung für das Verständnis der biochemischen Vorgänge ist. Wir sehen denn auch, daß die physiologische Chemie auf allen ihren Entwicklungsstufen den Stand der organischen Chemie widerspiegelt. Die Lösung der biochemischen Probleme konnte immer nur soweit gefördert werden, als die Chemie dazu den Boden vorbereitet hatte. Umgekehrt hat aber auch die chemische Forschung von der Biologie starke Impulse empfangen; insbesondere ist in neuerer Zeit durch die Entdeckung der Hormone und der Vitamine die organische Chemie vor neue Aufgaben gestellt und in mancher Hinsicht gefördert worden. Eine andere Forschungsrichtung hat ihren Ausgangspunkt in der Physiologie. Zwar ist für das Verständnis vieler physiologischer Funktionen der stoffliche Aufbau der Organe nur von sekundärer Bedeutung. Zum Beispiel können die Bewegungen des Körpers aus dem Bau des Skeletts und der Anordnung der Muskeln erklärt werden, ohne daß man dabei auf den Stoffwechsel der Muskeln oder den chemischen Aufbau der Knochen Bezug zu nehmen braucht. Für das Verständnis des dioptrischen Apparates des Auges ist die Kenntnis der chemischen Zusammensetzung der brechenden Medien unnötig, wenn man nur ihre Brechungsexponenten und die Lage und Krümmung der brechenden Flächen kennt. Auch die Organisation des Nervensystems kann völlig verstanden werden, ohne daß man über die feineren chemischen Vorgänge der Nervenleitung etwas wissen muß, usw. Die Physiologen sind aber schon sehr früh auch auf Erscheinungen gestoßen, die ihrer Natur nach chemische Vorgänge sind oder bei denen jedenfalls chemische Veränderungen eine wesentliche Rolle spielen. Hierher gehören z. B. die Atmung, die Assimilation der Kohlensäure durch die grünen Pflanzen, die Verdauung der Nahrung beim Tier, die Umwandlung der Nährstoffe in die Körper1

Edlbacher-Leuthardt,

Lehrbuch. 11. Aufl.

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Einleitung

substanz, die Bildung der Sekrete und Exkrete, die Gärung und die Fäulnis organischer Substanzen, die Blutgerinnung und vieles andere mehr. Als eine der bedeutendsten und folgenreichsten Entdeckungen muß wohl die Feststellung L a v o i s i e r s gelten, daß im Tierkörper Verbrennungen stattfinden, durch welche Sauerstoff verbraucht und Kohlensäure gebildet wird. Diese Entdeckung bewies, daß einer der grundlegenden Lebensprozesse, nämlich die Respiration und die Bildung der tierischen Wärme, chemischer Natur ist. In dem Maße, wie die Kenntnis der organischen Stoffe fortschritt, wurden auch immer mehr chemische Umsetzungen bei Tieren und Pflanzen bekannt; man erkannte allmählich, daß die ständige Umwandlung der Nährstoffe und Baustoffe, Aufbau und Verbrennung zum Wesen der Lebensvorgänge gehören. Liebig sprach die „tiefe Überzeugung aus, daß die Chemie allein in die Lebensprozesse Licht zu bringen vermag"; Th. Schwann hat (1839) die Gesamtheit der chemischen Umwandlungen, die sich in den lebenden Zellen oder durch die Aktivität der Zellen im umgebenden Milieu abspielen, unter dem Namen der „metabolischen Erscheinungen" zusammengefaßt (vom griechischen t ö neTCxßoAiKÖv, was Umwandlungen hervorbringt oder erleidet). Wir bezeichnen die Summe dieser Reaktionen heute als den Stoffwechsel. Das Studium der Stoffwechselvorgänge bildet einen der wichtigsten Gegenstände der biochemischen Forschung. Man erkannte schon frühzeitig, daß viele Stoffe im Tierkörper oder in der Pflanze, also im Kontakt mit der lebenden Substanz, andersartig reagieren als im Reagensglas. Die auffallendste Tatsache besteht darin, daß Verbindungen, die in wässeriger Lösung und bei Körperwärme durchaus stabil sind und keinerlei Veränderungen zeigen, in den tierischen Geweben Spaltungen erleiden oder durch den Luftsauerstoff oxydiert werden. B e r z e l i u s vermutete eine besondere „katalytische Kraft" als Ursache dieser Erscheinung. Es blieb einer späteren Zeit vorbehalten, den Begriff der „Katalyse" zu präzisieren. Wir wissen aber heute, daß die biochemischen Umsetzungen tatsächlich katalytische Reaktionen sind; sie werden durch besondere, von den Organismen produzierte Stoffe, die Fermente, hervorgerufen. Der Entdeckung der Fermentwirkungen entsprang die Aufgabe, nicht nur die Umwandlungen festzustellen, welche die organischen Moleküle im Stoffwechsel erleiden, sondern auch die Natur und die Wirkungsweise der Stoffe zu erforschen, welche diese Umwandlungen ermöglichen und die daher als die chemischen Werkzeuge der Organismen betrachtet werden können. Es entstand auf diese Weise ein neuer Zweig der biochemischen Forschung: die Fermentchemie. Sie bildet heute das eigentliche Kernstück der Biochemie, weil jede Stoffwechselreaktion schließlich auf die Tätigkeit bestimmter Fermente zurückgeht. Unter den chemischen Problemen der Physiologie, die wir oben genannt haben, ist die Ernährung eines der wichtigsten. Die Frage, worin die Bedeutung der Nährstoffe besteht und auf welche Weise sie in die Körpersubstanz umgewandelt werden, hat seit der Zeit L a v o i s i e r s die Chemiker und Physiologen intensiv beschäftigt und hat viel zur chemischen Erforschung der Lebensvorgänge beigetragen. Auf die Entwicklung der modernen Ernährungslehre sind vor allem die Arbeiten J . v. Lie bigs von großem Einfluß gewesen. Liebig hat die Bedeutung der Proteine klargestellt, indem er zeigte, daß sie als „plastische" Nährstoffe dem Aufbau der Körpersubstanz dienen; er stellte sie den Kohlehydraten und Fetten als den eigentlichen „Brennstoffen" des Körpers gegenüber; er hat die Bedeutung der Mineralstoffe für die Ernährung der Pflanzen und Tiere erkannt und hat schließlich als erster auf die großen Zusammenhänge zwischen pflanzlichem und tierischem Leben der Stoffe in der Natur hingewiesen. Seine Ideen wirkten in mancher Richtung weiter und befruchteten die Forschung der nachfolgenden Generation.

Einleitung

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Eine spätere Arbeitsrichtung, die in ihren ersten Anfangen ebenfalls auf L a v o i s i e r und L i e b i g zurückgeht, beschäftigte sich mit dem energetischen Aspekt der Ernährung. Sie hat die Methoden zur Erforschung der Energiebilanz geschaffen und gipfelt einerseits im Beweis, daß der erste Hauptsatz der Thermodynamik auch für die Organismen gilt, andererseits im Rubnerschen Isodynamiegesetz. Etwa zu Beginn des Jahrhunderts, in ihren ersten Ansätzen schon etwas früher, setzten die Arbeiten ein, welche schließlich zur Entdeckung der Vitamine und der übrigen essentiellen Nahrungsfaktoren führten. Diese Arbeiten zeigten, daß der Nahrungsbedarf der Tiere durch die bisher bekannten Nährstoffe und Mineralstoffe nicht gedeckt werden kann, sondern daß der tierische Organismus noch kleiner Mengen besonderer organischer Verbindungen bedarf, die er offenbar nicht selbst aufbauen kann. Die meisten dieser Verbindungen sind als Bestandteile von Fermentsystemen, als Cofermente, erkannt worden. Sie haben also katalytische Funktionen und daraus erklärt sich ihre Wirksamkeit in Mengen, die verglichen mit dem Bedarf an Bau- oder Brennstoffen sehr klein sind. In ähnlicher Richtung bewegten sich die Untersuchungen über den Nährwert der Proteine. Sie haben zur Kenntnis geführt, daß den höheren Tieren eine Anzahl Eiweißbausteine in der Nahrung zugeführt werden müssen, weil der tierische Organismus zu deren Synthese nicht fähig ist. Diese Verbindungen stellen also die eigentlichen „plastischen" Nährstoffe L i e b i g s dar. Mit den Vitaminen lassen sich gewisse Metalle wie Kupfer, Mangan, Kobalt oder Nichtmetalle wie Jod und Bor vergleichen, die in den pflanzlichen und tierischen Geweben zwar nur in kleinsten Mengen vorkommen, aber trotzdem lebensnotwendig sind. Man faßt sie gewöhnlich unter dem Namen der Spurelemente oder Oligoelemente zusammen. Die Auffindung der Vitamine stellte die Forschung vor zwei Aufgaben: die Aufklärung ihrer chemischen Struktur und ihrer Bedeutung für den Zellstoffwechsel. Die erste Aufgabe ist von den Chemikern weitgehend gelöst worden. Auch über ihre Funktion im Stoffwechsel wissen wir in vielen Fällen Bescheid. Wir kennen eine Reihe von Fermentsystemen, an welchen Vitamine als Cofermente beteiligt sind. Es zeigt sich, daß sie alle in die grundlegenden Stoffwechselprozesse der Zelle eingreifen imd wahrscheinlich für alle Organismen, Tiere und Pflanzen, Bedeutung haben. Die Vitaminforschung hat sich heute weitgehend mit der Fermentforschung vereinigt. Die modernen Untersuchungen über unentbehrliche Aminosäuren, Vitamine und Spurelemente bringen die mehr als ein Jahrhundert dauernden Bemühungen zu einem gewissen Abschluß, den Nahrungsbedarf der Pflanzen und Tiere chemisch exakt zu definieren. Eine große Zahl chemischer Fragen ergab sich ferner aus der Entdeckung der inneren Sekretion. Es ist, beginnend mit dem Adrenalin, .der organischen Chemie gelungen, einen beträchtlichen Teil der bekannten Hormone in reinem Zustand zu isolieren und ihre Struktur aufzuklären. In ähnlicher Weise wie bei den Vitaminen stellt sich auch hier die Frage nach dem Wirkungsmechanismus der Stoffe, die als „chemische Sendboten" von den innersekretorischen Drüsen ans Blut abgegeben werden. Da alle Hormone spezifisch auf bestimmte Gewebe oder bestimmte Vorgänge einwirken, muß sich ihre biologische Aktivität letzten Endes auch als chemische Reaktion verstehen lassen. Unsere Kenntnisse sind hier allerdings noch sehr dürftig.

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Einleitung

Eine Reihe von biochemischen Problemen hat schließlich ihre Quelle in der Beobachtung des Kranken in der Klinik. Jeder krankhafte Prozeß ist von lokalen oder allgemeinen Änderungen der Stoffwechselvorgänge begleitet und gibt daher Gelegenheit zur Beobachtung biochemischer Erscheinungen. Besonders auffällig sind vielfach die Veränderungen der Exkrete; die Trübung des Harns im Fieber, das Auftreten bestimmter Pigmente, die Ausscheidung von Zucker, der Ammoniakgeruch des Atems bei Nierenkranken, der Acetongeruch bei Zuckerkranken sind den Ärzten schon sehr lange bekannt. Viele den Stoffwechsel betreffenden Fragestellungen sind denn auch von der Klinik ausgegangen. So haben z. B. die Bemühungen um die Aufklärung der Zuckerkrankheit die Erforschung des Kohlehydratstoffwechsels in mannigfacher Weise angeregt und gefördert; der Untersuchung der seltenen Alkaptonurie sind wichtige Erkenntnisse über den Abbau der Aminosäuren entsprungen, das Auftreten der Porphyrine im Harn hat den Anstoß zur Erforschung der Hämine gegeben usw. Eine große Rolle haben vor allem auch die endokrinen Störungen gespielt. Verschiedene den Ärzten seit langem bekannte Krankheitsbilder haben sich als Folge einer mangelnden oder einer überschießenden Produktion bestimmter Hormone zu erkennen gegeben (auch die Zuckerkrankheit gehört dazu). Die Klinik hat schon früh der Physiologie eine Reihe von Hinweisen auf die Bedeutung der heute als endokrine Drüsen bezeichneten Organe gegeben, ehe man sich über deren Funktion eine genaue Vorstellung machen konnte. Schließlich waren die Mangelkrankheiten wie der Skorbut oder die Beriberi einer der Ausgangspunkte für die Erforschung der Vitamine. Die physiologische Chemie gewinnt heute für viele Zweige der Medizin eine steigende Bedeutung, sei es für das Verständnis der Krankheitserscheinungen, sei es für die Diagnostik oder die Therapie. Je mehr sich die Kenntnis der Stoffwechselreaktionen vertieft, desto eher wird es auch möglich sein, die den krankhaften Zuständen zugrunde liegenden chemischen Vorgänge zu erfassen. Die vorstehenden Hinweise dürften genügen, um das Gebiet der physiologischen Chemie in großen Zügen zu umschreiben. Sie ist ein Grenzgebiet zwischen der Chemie, der Physiologie und der Medizin. Wir fassen sie hier aber in erster Linie als eine b i o l o g i s c h e Wissenschaft auf, d.h. wir betrachten die chemischen Vorgänge in den Organismen als eine ihrer Lebensäußerungen und suchen, soweit dies heute schon möglich ist, ihre Bedeutung im Rahmen der gesamten physiologischen Funktionen zu erfassen. Die physiologische Chemie ist daher nicht ein Teilgebiet irgendeiner der anderen biologischen Wissenschaften in dem Sinne, daß sie sich nur mit einzelnen Funktionen oder Organen beschäftigen würde. Sie umfaßt die Gesamtheit der Lebenserscheinungen, soweit dieselben als chemische Vorgänge begriffen werden können. Natürlich ist auch diese Betrachtungsweise einseitig und vermag nur einen einzelnen beschränkten Aspekt der Lebenserscheinungen zu geben. Da aber die Vorgänge, durch welche die lebende Substanz sich selbst erhält, ihrem Wesen nach chemischer Natur sind, führt uns die physiologische Chemie bis an die Grundlagen der Lebenserscheinungen heran, soweit diese naturwissenschaftlich überhaupt erfaßt werden können. Das Gebiet der physiologischen Chemie umfaßt somit die Strukturen molekularer Größenordnung und die Vorgänge, die sich innerhalb dieser Strukturen abspielen. Die organischen Moleküle sind die letzten Struktureinheiten der lebenden Substanz. Aus ihnen bauen sich zunächst die Makromoleküle a u f — P r o t e i n e , polymere Kohlehydrate, Nucleinsäuren — und aus diesen schließlich die mikroskopisch sichtbaren Strukturen der Zellen und der Gewebe. Der Aufbau der Makromoleküle aus ihren Bau-

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steinen erfolgt nach einer bestimmten Ordnung, und ebenso ordnen sich die Makromoleküle in bestimmter Weise zu den mikroskopisch wahrnehmbaren Gebilden, den Zellen und ihren Bestandteilen, und diese wieder zu den Geweben und Organen zusammen. Es ist also in den Organismen ein geordneter Aufbau vorhanden, der von den Molekülen bis zu den sichtbaren Strukturen führt. Es besteht eine Art morphologischer Hierarchie, in welcher jedes Strukturelement in ein Gebilde höherer Ordnimg eingefügt ist. Man kann daher auch denjenigen Teil der physiologischen Chemie, der sich mit dem Aufbau der Makromoleküle und der Zellbestandteile beschäftigt, der Morphologie zurechnen. Im Gebiet der Feinstruktur der Zelle verschmilzt die Morphologie mit der Chemie. Wir stoßen hier auf ein altes Problem, das Problem der Protoplasmastruktur, das die Biologie beschäftigt hat, seitdem es eine Zellenlehre gibt. Wie sind die verschiedenartigen physiologischen Leistungen, zu der die einzelne Zelle befähigt ist, überhaupt möglich ? Die älteren Cytologen konnten sich nicht vorstellen, daß die zahlreichen chemischen Umsetzungen, welche den Lebensvorgängen zugrunde liegen, in geordneter Weise nebeneinander ablaufen könnten, wenn man das Protoplasma als homogene Substanz voraussetzt. Sie suchten deshalb nach mikroskopisch differenzierbaren Strukturen, und so entstanden die verschiedenen morphologischen Theorien über den Aufbau des Protoplasmas, die bald ein Netzwerk von feinen, kontraktilen Fibrillen, bald eine in Fäden auftretende Substanz, bald eine Wabenstruktur, bald die Zellgranula als Grundelemente der Plasmastruktur annahmen. Wir wissen heute aber, daß viele dieser Strukturen Kunstprodukte sind, die bei der Fixierung oder Färbung der Präparate entstehen. Die für den Ablauf der Lebensvorgänge wesentlichen Strukturelemente liegen wahrscheinlich jenseits der Grenze der mikroskopischen Sichtbarkeit. Die chemische Organisation der Zelle, welche den geordneten Ablauf der Lebensvorgänge ermöglicht, ist ein ungelöstes Problem. Wir wissen nur soviel, daß verschiedene chemische Reaktionen in bestimmten Zellbestandteilen, z. B. in den Granula oder in der Grundsubstanz des Protoplasmas, lokalisiert sind. Die Zelle ist schon häufig mit einer chemischen Fabrik verglichen worden, in der die einzelnen Prozesse in verschiedenen, voneinander getrennten Abteilungen vorgenommen werden. Solche Vorstellungen sind aber kaum geeignet, ein Bild der tatsächlichen Verhältnisse zu vermitteln. Gerade die neueren Untersuchungen haben gezeigt, daß man in der lebenden Substanz nicht zwischen Baustoffen und Betriebsstoffen unterscheiden kann. Die Makromoleküle, welche die Zellstrukturen aufbauen, sind nicht stabil, sondern werden beständig in die chemischen Umsetzungen der Zelle einbezogen. Man kann also nicht wie im Laboratorium zwischen dem Reaktionsgefäß und den reagierenden Stoffen unterscheiden, denn die Bestandteile des Reaktionsgefäßes, nämlich der Zelle, werden selbst dauernd in die biochemischen Reaktionen einbezogen. Es gibt natürlich auch relativ stabile mikroskopische und submikroskopische Struktur bestandteile; diejenigen organischen Makromoleküle aber, welche als die eigentlichen Träger der Lebensprozesse angesehen werden müssen, sind in dauernder Umwandlung und Erneuerung begriffen. S c h o e n h e i m e r hat dies als den „dynamischen Zustand" der Zellbestandteile bezeichnet. Es ist in neuerer Zeit möglich geworden, verschiedene Fermente und Fermentsysteme in bestimmten Zellbestandteilen zu lokalisieren und damit den letzteren gewisse chemische Leistungen zuzuordnen. Man kann daher auch mit Sicherheit annehmen, daß der morphologischen Gliederung der Zelle eine räumliche Trennung verschiedener Stoffwechselvorgänge entspricht. Im übrigen ist uns aber die

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Einleitung

chemische Organisation der Zelle und ihr Zusammenhang mit der Protoplasmastruktur ein großes Rätsel. Es ist fraglich, ob man in denjenigen Teilen des Protoplasmas, die aktiv an den Lebensvorgängen teilnehmen, überhaupt eine Struktur im üblichen Sinne, d. h. eine dauerhafte räumliche Anordnung der Bauelemente, annehmen darf. Der submikroskopische Aufbau des Protoplasmas ist offenbar aufs engste mit den biochemischen Reaktionen verknüpft, so daß sich Struktur und Stoffwechsel gegenseitig bedingen. Wir können uns von diesen Verhältnissen kaum ein zutreffendes Bild machen, weil sie für die lebende Substanz charakteristisch und außerhalb derselben, sei es auch nur im Modell, nicht realisierbar sind. Wir haben in diesem Buch den Stoff folgendermaßen eingeteilt: der erste Teil behandelt in gedrängter Form die C h e m i e d e r w i c h t i g s t e n N a t u r s t o f f e und ihrer Bausteine; der zweite Teil rekapituliert einige p h y s i k a l i s c h - c h e m i s c h e T a t s a c h e n und ihre Anwendung in der Biochemie; der dritte Teil ist der Besprechung des S t o f f w e c h s e l s u n d d e r F e r m e n t e gewidmet; im vierten Teil werden einzelne O r g a n s y s t e m e u n d K ö r p e r f l ü s s i g k e i t e n behandelt; der fünfte Teil befaßt sich mit dem Problem der c h e m i s c h e n R e g u l a t i o n und der sechste mit der E r n ä h r u n g .

I. T e i l

Die Chemie der Hauptgruppen der Nahrungsstoffe und Körperbestandteile

Erstes Kapitel

Die Kohlehydrate 1. Definition und Nomenklatur Unter der Bezeichnung Kohlehydrate oder Kohlenhydrate faßt man eine Gruppe von chemischen Verbindungen zusammen, die als die ersten Oxydationsprodukte mehrwertiger Alkohole aufzufassen sind. Sie sind entweder Aldehyd- oder Ketoalkohole. Fast alle diese Verbindungen enthalten in ihrem Molekül Wasserstoff und Sauerstoff in dem Atomverhältnis wie zwei zu eins. Es ist dabei zu erwähnen, daß es natürlich eine große Anzahl von organischen Verbindungen gibt, die Wasserstoff und Sauerstoff im Verhältnis zwei zu eins enthalten, die aber durchaus nichts mit den Kohlehydraten zu tun haben, so z. B. die Essigsäure: C H . C 0 0 H = C H 0 oder die Milchsäure: C H 3 . C H(0H)C00H = C 3 H e 0 3 usw. 3

2

4

2

Wie aus der genannten Definition der Kohlehydrate hervorgeht, können diese von den mehrwertigen Alkoholen abgeleitet werden. Es sind nun eine große Zahl solcher mehrwertiger Alkohole, teils als in der Natur vorkommend, teils als synthetisch dargestellt, bekannt. Das einfachste Beispiel eines zweiwertigen Alkohols ist das G l y c o l ; durch Oxydation der einen der beiden CH 2 • OH-Gruppen entsteht daraus der G l y c o l a l d e h y d , der dementsprechend als einfachstes Kohlehydrat aufgefaßt werden kann: C H

I

c h

2

- O H

C H +

2

0

=

2

- O H

yS.

|

. o h

+

H

2

0

c


\

CH2-O \

c o

\

Dioxyaceton

I

c h

2

- o h

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Die Kohlehydrate

In beiden Fällen entsteht daraus' eine Verbindung C 3 H 6 0 3 . Es wird nun der Glycerinaldehyd als eine Aldose, das Dioxyaceton als eine Ketose bezeichnet. Aldosen und Ketosen sind also zwei Gruppen von Kohlehydraten, von denen diese die Ketogruppe, jene die Aldehydgruppe enthalten. Außerdem werden die einfachen Kohlehydrate nach der Zahl der Kohlenstoffatome, die ihr Molekül aufbauen, bezeichnet. Der Glycolaldehyd ist z. B. eine Biose, der Glycerinaldehyd eine Triose usw. Der Glycerinaldehyd wird dann sinngemäß als eine A l d o t r i o s e benannt, während das Dioxyaceton als eine K e t o t r i o s e bezeichnet wird. Es sei hier gleich erwähnt, daß es namentlich die Kohlehydrate mit fünf und sechs Kohlenstoffatomen im Molekül sind, die biologische Bedeutimg haben. Sie leiten sich von den dazugehörigen mehrwertigen Alkoholen, den Pentiten und Hexiten, ab. Wir unterscheiden dementsprechend:

H-A-OH H-i-OH I HC-OH

!

ch 2 -oh Pentit

CHj-OH H-i-OH H-i-OH I H-C-OH H-i-OH I ch 2 -oh Hexit

/ H fs> H-C-OH H-i-OH H-i-OH CH2-OH Aldopentose

L o H-i-OH H-C-OH ¿h 2 -oh Ketopentose

H N> H-C-OH H-C-OH H-C-OH I H-C-OH ¿h 2 -oh Aldohexose

C=0 H-C-OH I H-C-OH H-C-OH I CH2-OH Ketohexose

Von diesen Grundtypen der e i n f a c h e n Kohlehydrate, der Monosaccharide oder Monosen, leiten sich nun die zusammengesetzten Kohlehydrate ab. Vereinigen sich z. B. zwei Moleküle einer Hexose unter Wasseraustritt, so entsteht ein zusammengesetztes Kohlehydrat nach der Gleichung: 2C6H1206 = H20 + C12H22On. Die durch eine derartige Wasserabspaltung entstandene Verbindung wird dann als ein Disaccharid bezeichnet. Treten drei Moleküle zusammen, so bildet sich unter Austritt von zwei Molekülen Wasser ein Trisaccharid: 3C6H120„ = 2H20 + C18H32016 . Verbindungen, die nur aus wenigen Zuckerresten zusammengesetzt sind, werden allgemein als Oligosaccharide bezeichnet. Dieser Vorgang läßt sich allgemeiner so ausdrücken, daß bei dem Zusammentritt von n Molekülen Monosaccharid n—1 Moleküle Wasser abgespalten werden. Die dann entstehenden Verbindungen werden Polysaccharide oder polymere Kohlehydrate genannt.

Monosaccharide. Allgemeine Eigenschaften der Monosen

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Die Oligosaccharide zeigen in der Regel noch die Eigenschaften der einfachen Zucker: gute Wasserlöslichkeit, süßer Geschmack. Sie werden daher zusammen mit den Monosacchariden als zackerartige Kohlehydrate den polymeren Kohlehydraten gegenübergestellt, die meist in Wasser schwerlöslich oder unlöslich sind. 2. Monosaccharide Die einfacheren Kohlehydrate werden als Zucker bezeichnet. Triosen wurden zwar im lebenden Organismus noch nicht als Bausteine von Naturstoffen aufgefunden. Sie treten aber in Form von Phosphorsäureestern als wichtige Zwischenstufen des Kohlehydratabbaus auf. Dioxyaceton wird aber durch das sogenannte Sorbosebakterium (B. xylinum) aus Glycerin gebildet. Nach der Häufigkeit des Vorkommens stehen die Hexosen an erster Stelle. Zu dieser Gruppe gehören wichtige natürlich vorkommende Zuckerarten wie der Traubenzucker (Glucose) und der Fruchtzucker (Fructose). Pentosen sind im Pflanzenreich weit verbreitet, hauptsächlich als Bausteine von Polysacchariden. Im tierischen Organismus finden sich die Bibose und Desoxyribose als Bausteine der Nucleinsäuren und Nucleotide. A. Allgemeine Eigenschaften der Monosen

Durch die Gegenwart der Aldehyd- bzw. der Ketogruppe einerseits sowie durch das Vorhandensein der alkoholischen Hydroxylgruppen andererseits zeigen alle Monosen eine Reihe von charakteristischen chemischen Eigenschaften. 1. Alle Monosen reduzieren ammoniakalische Silberlösung und alkalische Kupferlösung beim Erwärmen. Diese Eigentümlichkeit kann zum Nachweis benutzt werden. Die am häufigsten gebrauchten Reagentien zum Nachweis reduzierender Zucker (Glucose) im Urin sind die folgenden: F e h l i n g s c h e L ö s u n g : Alkalische Lösung von Kupfersulfat, die Seignettesalz (K-NaTartrat) enthält; das letztere dient dazu, das Kupferhydroxyd in Lösung zu halten. B e n e d i c t s c h e s R e a g e n s : Soda-alkalische Lösung von Kupfersulfat und Na-Citrat. N y l a n d e r s c h e s R e a g e n s : Alkalische, Seignettesalz-haltige Lösung von basischem Wismutnitrat. Bei der Reduktion wird metallisches Wismut ausgeschieden.

2. Die Monosaccharide lassen sich unter Aufnahme von zwei Wasserstoffatomen zu den Alkoholen mit der gleichen Kohlenstoffzahl im Molekül reduzieren. So gibt z. B. die Glucose den sechswertigen Alkohol Sorbit. 3. Aldosen addieren direkt ein Molekül Cyanwasserstoff und gehen dabei in „Cyanhydrine" über, d. h. in Nitrile, die zu den entsprechenden Carbonsäuren verseift werden können. Diese Reaktion ist für die Zuckerchemie von der größten Bedeutung gewesen. So gibt beispielsweise eine Pentose mit Blausäure ein Cyanhydrin. Durch Verseifung des Cyanhydrins entsteht eine Hexonsäure, die in ein Lacton (inneres Anhydrid) übergehen kann. Wird dieses Lacton mit Natriumamalgam in wäßriger Lösung reduziert, so entsteht daraus eine Hexose. CHO

CN | IH-OH CH-OH | +HCN U CH-OH IH-OH 1 IH-OH CH-OH | CH.-OH CH-OH j CH2OH Pentose Cyanhydrin

i

COOH 1 CH-OH j > CH-OH j CH-OH | CH-OH | CH2OH Hexonsäure

CO ¿H-OH

I

CH-OH

O + H„

A,O

H-OH

-¿H-OH

Ah—

CH-OH

CH-OH

¿H-OH

¿h

CH 2 0H Hexose

I

2

oh

Lacton

Die Kohlehydrate

10

Es ist also aus einer Pentose eine Hexose entstanden und man hat durch sukzessive Anwendung dieser Reaktionsfolge Heptosen, Octosen usw. synthetisch herstellen können. Von der Glucose ausgehend ist man z. B. bis zu einem 10-Kohlenstoffzucker, der Glucodecose, gelangt. Man bezeichnet diese Reaktion als die Cyanh ydrinsynthese. Andere Additionsreaktionen sind ebenfalls bekannt. 4. Mit P h e n y l h y d r a z i n reagieren diese Monosen zunächst unter Bildung von Phenylhydrazonen. /H

C
C H • (CH2)14 • CHa HC-0

\o—CH2—CH2 . (NH2; 4

E d l b a c h e r - L e u t h a r d t , Lehrbuch. 11. Aufl.

Fette, Fettsäuren und Lipoide

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Diese Phosphatide wurden von F e u l g e n als Acetalphosphatide bezeichnet. Sie kommen wahrscheinlich in allen Geweben vor, besonders reichlich in Gehirn und Muskel, wo sie 8—12% der Gesamtphosphatide ausmachen. Ein Colamin-Acetalphosphatid aus Gehirn ist kristallisiert erhalten worden; es liegt ihm die

\

\

HaC

H2C

H2C

H2C

HC—O—COR HC—0—COR HC—O—COR I I I HoC H2C \ O \ O / 0 II Ii 0 Np—OH

A

A

H2C—CH2—NH2H2C—CHa—NHa

HC—0—COR I ELjO \ o 0 II ^-P—OH

\

H2C—CH2—NH2

also gemischte Ester-Acetalphosphatide. Die Frage bedarf indessen noch der weiteren Abklärung. Anscheinend ist bisher aus dem Gehirn überhaupt kein Colamin-Kephalin isoliert worden, das der einfachen Formel eines Phosphatidylcolamins entspricht. Sphingosinphosphatide. An die Glycerinphosphatide schließt sich eine Gruppe von Verbindungen an, die als Baustein Cholinphosphorsäure und Fettsäuren enthalten, bei denen aber an die Stelle des Glycerins das Sphingosin tritt. Die Fettsäuren sind hier amidartig an den Stickstoff des Sphingosins gebunden. Man schreibt diesen Stoffen, die Sphingomyeline heißen, die folgende Struktur zu; die Cholinphosphorsäure ist an die primäre Alkoholgruppe gebunden: O II + CH3(CH2)12 • CH: CH • CH • CH • CHa • O • P • 0 • CH2 • CH2 • N(CH3)3 OH I!H

OH

COR Die Sphingomyeline wurden von T u d i c h u m (1884) im Gehirn entdeckt. Sie machen etwa 10—15% der Gesamtphosphatide aus.

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Cerebroside

Als Fettsäurekomponenten enthalten sie neben Stearinsäure noch Fettsäuren mit 24 C-Atomen, wie sie bei Cerebrosiden vorkommen, nämlich Lignocerinsäure und Nervonsäure. Nach mehreren Untersuchungen findet sich neben dem Sphingosin auch das Dihydrosphingosin. Zur Extraktion der Sphingomyeline aus dem Gehirn bedient man sich seiner Löslichkeit in heißem Pyridin. Die Cerebroside können der mit Aceton und Petroläther vorbehandelten Gehirnmasse schon durch kaltes Pyridin entzogen werden. Oder man extrahiert die getrocknete Gehirnsubstanz mit heißem Alkohol, erschöpft das beim Abkühlen ausfallende „Protagon" (siehe unten) mit Äther und Aceton und entzieht dem Rückstand Sphingomyelin und Cerebroside mit heißem Pyridin. Beim Abkühlen fällt das Sphingomyelin aus.

Bei der sog. N i e m a n n - P i c k s c h e n Krankheit findet man eine Infiltration von Leber, Milz und lymphatischen Geweben mit großen Zellen, in welchen Sphingomyeline in großer Menge angehäuft sind. Es handelt sich hier wie bei der G a u c h e r echen Krankheit (siehe unter Cerebroside) um eine Lipoidspeicherkrankheit. B. Cerebroside

Die C e r e b r o s i d e sind p h o s p h o r f r e i e Substanzen, die an Stelle der Phosphorsäure G a l a c t o s e oder G l u c o s e enthalten. Sie finden sich vorzugsweise im Gehirn (etwa 11% der Trockensubstanz). Die bis jetzt bekannten Vertreter dieser Gruppe sind Cerebron (Phrenosin) und Kerasin sowie das Nervon und das Oxynervon. In den Gehirncerebrosiden ist neben der Galactose nur wenig Glucose vorhanden, in den Cerebrosiden der Milz bedeutend mehr. Die Isolierung der Cerebroside, die ebenfalls von T u d i c h u m a l s besonderer Bestandteil der Gehirnlipoide entdeckt wurden, kann entweder, wie oben bereits angedeutet wurde, durch Ausziehen der mit Aceton und Petroläther vorbehandelten Gehirnmasse mittels Pyridin oder durch Extraktion des Protagons (siehe unten) mit Chloroform-Methylalkohol vorgenommen werden. Aua dem Rohcerebrosidgemisch können die einzelnen Komponenten durch fraktionierte Lösung und Fällung mit geeigneten Lösungsmitteln abgetrennt werden.

Außer den schon besprochenen Phosphatiden und dem Cholesterin bilden die Cerebroside den wichtigsten Bestandteil der weißen Substanz des Gehirns. So enthält die Trockensubstanz desselben 14% Cholesterin, 21% Phosphatide und 11% Cerebroside. Die genannten vier Cerebroside werden aufgebaut aus einer Fettsäure, dem Aminoalkohol Sphingosin und aus einem Molekül G a l a c t o s e oder Glucose. Sie sind durch die Fettsäuren charakterisiert, die aber alle 24 C-Atome besitzen. Es sind dies: 1. Lignocerinsäure CH 3 -(CH 2 ) 21 -CH 2 -COOH (im Kerasin); 2. Cerebronsäure CH3 • (CH2)21 • CH • (OH) • COOH (im Cerebron); 3. Nervonsäure CH3 • (CH2)7 • CH = CH • (CH2)12 • CH2 • COOH (im Nervon); 4. Oxynervonsäure CH3 • (CH2)7 • CH = CH • (CH2)12 • CH • OH • COOH (im Oxynervon). Die Galactose befindet sich in glycosidischer Bindung an einer der beiden Hydroxylgruppen. K l e n k gibt demnach den Cerebrosiden die nachstehende Formel: Galactose

A

CHS • (CH 2 ) 12 • CH = CH • ¿ H • CH • CHa OH NH

J Sphingosin

'

R.io Fettsäure (R-COOH = eine der obengenannten 4 Säuren) Das Kerasin wird bei der seltenen sog. Gau eher sehen Krankheit in großen Mengen in Leber, Milz und Lymphknoten angehäuft, und zwar in speziellen großen Zellen (Schaumzellen). 4»

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Fette, Fettsäuren und Lipoide

Diese Krankheit ist der Prototyp einer sog. Speicherkrankheit. Die ihr zugrunde liegende Stoffwechselstörung ist unbekannt.

Die Phosphatide und auch die Cerebroside zeigen, wenn sie mit Wasser gemischt werden, die Besonderheit, Myelinformen zu bilden. Sie lösen sich nämlich nicht auf, gehen aber in schleimige, gewundene Fäden über. Die Erscheinung beruht darauf, daß diese Moleküle gleichzeitig wasserunlösliche (hydrophobe) Gruppen — die Fettsäurereste — lind wasserlösliche (hydrophile) Gruppen — Cholinphosphorsäure, Zucker usw. — enthalten. Beim Vermischen mit Wasser ordnen sich wahrscheinlich die Moleküle in zweischichtige Lamellen, wobei die hydrophilen Gruppen nach außen dem Wasser zugekehrt, die hydrophoben nach innen vom Wasser abgekehrt zu liegen kommen. Als Ganglioside bezeichnet E. K l e n k eine Gruppe von zuckerreichen Gehirnlipoiden, die vorwiegend im Zentralnervensystem, möglicherweise in den Ganglienzellen, lokalisiert sind. Ähnliche Verbindungen wurden aus Rindermilz isoliert. Sie sind ebenso wie die Cerebroside und Sphingomyeline Bestandteile der Protagon genannten Fraktion des Gehirns (siehe unten). Sie enthalten als Bausteine 1 Molekül Neuraminsäure (eine Polyoxyaminosäure, deren Struktur noch unbekannt ist), 1 Molekül Stearinsäure, 1 Molekül Sphingosin und 3 Moleküle Zucker, Galactose, Glucose und, wie neuerdings gezeigt wurde, auch Chondrosamin. Über ihre Struktur ist noch nichts Genaueres bekannt. Sie sind in Äther und Aceton unlöslich, nur wenig löslich in Alkohol, dagegen gut löslich in Benzol-Alkohol- oder Chloroform-AlkoholGemischen. I n Wasser bilden sie klare kolloidale Lösungen. Aus Milz sowie aus dem Stroma der roten Blutkörperchen sind in jüngster Zeit zuckerreiche, sphingosinhaltige Lipoide dargestellt worden, die keine Neuraminsäure enthalten, wahrscheinlich aber zu den Gangliosiden in enger Beziehung stehen ( K l e n k , Y a m a k a w a ) . Der Kohlehydratgehalt der verschiedenen Präparate beträgt 40—60%. Die aus menschlichen Erythrocyten gewonnene Substanz enthält als Zuckerkomponenten Glucose, Galactose und (acetyliertes ?) Chondrosamin. I n der Substanz aus Rindererythrocyten ist an Stelle des letzteren Glucosamin vorhanden. Als Säure findet sich Lignocerinsäure neben einer kleinen Menge ungesättigter Säure (Nervonsäure ?). Die relative Menge der einzelnen Bausteine läßt vermuten, daß es sich um Lignoceryl-sphingosin-tri-bis-pentasaccharide handelt. Diese interessanten Stoffe nehmen nach ihrer Zusammensetzung eine Mittelstellung zwischen Lipoiden und Mucopolysacchariden ein. Das sog. Protagon (der Name wurde 1865 von L i e b r e i c h eingeführt) wird dargestellt, indem man Gehirn nach Vorbehandlung mit kaltem Alkohol und Äther mit siedendem Alkohol extrahiert. Beim Abkühlen kristallisiert eine weiße Masse aus, die durch Umkristallisieren aus Alkohol gereinigt werden kann. Das Protagon ist kein einheitlicher Körper, sondern ein Gemisch aus Sphingomyelin, Cerebrosiden und Gangliosiden; es wurde aber lange für eine einheitliche Verbindung angesehen.

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

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Drittes Kapitel

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide 1. Sterine Als Sterine bezeichnet man stickstofffreie Substanzen, deren Aufbau ein polycyklischer Kohlenwasserstoff zugrunde liegt. Ihr wichtigster Vertreter ist das Cholesterin, das aus Gallensteinen leicht gewonnen werden kann und der Gruppe den Namen gegeben hat (xoAfj = Galle, OTEOCS = Talg). Die Sterine stehen bezüglich ihrer chemischen Konstitution in engster Beziehung zu den später zu besprechenden Gallensäuren. Die Sterine kommen im Tier- und Pflanzenreich vor. Demnach unterscheidet man zwischen tierischen Z o o s t e r i n e n und pflanzlichen P h y t o s t e r i n e n . Die große Bedeutung der Sterine liegt darin, daß zu ihnen eine Reihe wichtiger Wirkstoffe gehören: die Sexualhormone und die Hormone der Nebennierenrinde, die Provitamine D, die durch Ultraviolettbestrahlung in die antirachitisch wirksamen Vitamine übergehen, und schließlich leiten sich auch die Aglucone der herzwirksamen Digitalisglycoside von den Sterinen ab. Cholesterin C 27 H 46 0. Diese Substanz wurde schon im 18. Jahrhundert von K o n r a d i in den Gallensteinen entdeckt. Das Cholesterin kommt reichlich in der Galle, in geringerer Menge auch im Blut vor. Es scheint mit den Lipiden vergesellschaftet in allen Zellen aufzutreten, besonders reichlich im Gehirn und im Nervensystem. Als Alkohol kann es mit Fettsäuren Ester bilden (Steride). Es tritt in den Geweben entweder frei oder in l o r m von Fettsäureestern auf. I m Blutplasma sind z. B. etwa 2 / s — 3 / 4 des gesamten Cholesterins verestert. Die Gallensteine bestehen zum größten Teil aus Cholesterin und bilden daher das beste Material zu seiner Darstellung. Durch Extraktion der gepulverten Steine mit Alkohol und Äther und Eindunsten dieser Lösung wird es in Form von schneeweißen Kristallen erhalten. Cholesterin ist in Wasser, verdünnten Säuren und Alkalien unlöslich, leicht löslich in Äther, Chloroform, Benzol usw. Es verbindet sich mit S a p o n i n e n z u unlöslichen Komplexen. Eine alkoholische Lösung von Cholesterin wird durch Digitonin unter Bildung von Cholesterindigitonid gefällt. Diese Reaktion kann zur Bestimmung des Cholesterins verwendet werden. Gallensaure Alkalien können Cholesterin zur Lösung bringen. Cholesterin ist optisch aktiv, und zwar drehen seine Äther- oder Chloroformlösungen nach links. Cholesterin gibt charakteristische Farbreaktionen mit Schwefelsäure. Beim Unterschichten einer Lösung von Cholesterin in Chloroform mit konzentrierter Schwefelsäure nimmt die Chloroformschicht eine tiefrote Färbung an (Reaktion von Salkowski). Wird eine Lösung von Cholesterin in Chloroform mit Essigsäureanhydrid und dann mit einigen Tropfen konzentrierter Schwefelsäure versetzt, so färbt sie sich blaugrün (Reaktion von LiebermannBurchardt). Diese Reaktionen sind typisch für ungesättigte Sterine. Es handelt sich wahrscheinlich um die Bildung salzartiger Verbindungen der Schwefelsäure mit der ungesättigten Gruppe des Cholesterins (sog. Halochromie).

Der Aufbau des Kohlenstoffskeletts der Sterine ist durch lange und schwierige Untersuchungen am Cholesterin und den Gallensäuren hauptsächlich durch W i n d a u s und W i e l a n d aufgeklärt worden. Das Cholesterin ist ein ungesättigter, einwertiger, hydroaromatischer Alkohol mit einer aliphatischen Seitenkette:

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Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

f*3 H3C

/CH3

CH—(CH2)3—CH X CHS = Cholesterin, (C27H160)

Die Formel ist in der gebräuchlichen Form dargestellt. Dabei muß beachtet werden, daß die Sechserringe dieser Sterinformel nicht Benzolringe bedeuten, sondern Cyklohexanringe (sog. hydroaromatische Ringe, die durch vollständige Hydrierung des Benzolrings entstehen). An den Ecken stehen daher nicht —CH=-Gruppen wie im Benzol, sondern —CH 2 -Gruppen. Doppelbindungen werden immer besonders angegeben. Die Anordnung der drei Sechskohlenstoffringe ist ähnlich wie im Phenanthren. Man kann daher die Sterine auch als Abkömmlinge des vollständig hydrierten Phenanthrens auffassen, entstanden durch Anfügung weiterer 3 C-Atome, die einen Fünfkohlenstoffring bilden. Dem zugrunde Hegenden Kohlenwasserstoff (Cyklopentano-perhydrophenanthren) kommt, vollständig ausgeschrieben, die folgende Struktur zu: H, Cs

H*

H2C

H

-CH. Hac/ ^CD IH c

H •C' | B

\ c / S \ c >

¡H

H2

2

Es ist üblich, die Ringe im Sterinskelett durch die Buchstaben A, B, C und D (Fünferring) und die Kohlenstoffatome in folgender Weise durch Ziffern zu bezeichnen : 12

18

4 Die Methylgruppen an C10, C13, C20 und C2S sind hier in vereinfachter Weise durch kurze Striche bezeichnet; ebenso ist die Seitenkette in ähnlicher Weise wie die hydroaromatischen Ringe unter Weglassung der C-Atome durch Striche dargestellt. Diese abgekürzte Schreibweise ist in der Sterinchemie allgemein üblich. Die Numerierung der Methylgruppen an C10 und C13 geschieht nicht einheitlich in der hier mitgeteilten Weise; vielfach wird die an C10 sitzende durch 18, die an C13 sitzende als Cjg bezeichnet.

Wird das Cholesterin katalytisch hydriert, so geht es in einen gesättigten Alkohol Dihydrocholesterin ( = Cholestanol) über. Im Darm findet man ein Sterin, das sog. Koprosterin, dem die gleiche Struktur zukommt wie dem Dihydrocholesterin; es ist aber von diesem verschieden. Der Unterschied kann daher nur in der räumlichen Anordnung der Atome liegen. Die beiden Verbindungen sind Stereoisomere. Die Betrachtung der Cholesterinformel zeigt, daß verschiedene asymmetrische C-Atome vorhanden sind.

Sterine

55

Ähnlich wie bei den Cyklohexanderivaten (vgl. Inosit S. 30) handelt es sich auch hier um eine „geometrische" Stereoisomerie. Man kann die Stellung der Substituenten der Ringkohlenstoffatome dadurch festlegen, daß man ihre relative Lage zur Ringebene angibt. Zwar ist die absolute Stellung der Substituenten zum Ring (d. h. die absolute Konfiguration der asymmetrischen C-Atome) nicht bekannt. Man kann aber ihre relative Lage, eis oder trans, ermitteln. Nach Übereinkunft nimmt man an, daß die Methylgruppe (C19) an C10 vor der Ringebene liegt. Man bezeichnet diese Lage, d. h. die cis-Stellung zu C le , gewöhnlich als „^"-Konfiguration und deutet sie in den Formelbildern durch einen ausgezogenen Valenzstrich an. Findet sich umgekehrt der Substituent in trans-Stellung zu C19, also nach Übereinkunft hinter der Ringebene, so wird diese Lage durch einen punktierten Valenzstrich angedeutet und als „«"-Konfiguration bezeichnet. Die Seitenkette an C\7 findet sich bei allen natürlichen Sterinen (mit Ausnahme der herzwirksamen Glycoside) in ^-Stellung.1)

Dihydrocholesterin (Cholestanol)

Koprosterin

Im Dihydrocholesterin befinden sich also die Hydroxylgruppe an C3 und der Wasserstoff an C 5 in trans-Stellung, beim Koprosterin in cis-Stellung. Die Berücksichtigung der räumlichen Anordnung der Atome ist auch nötig, wenn man die Beziehungen des Cholesterins zu den Gallensäuren verstehen will. Durch geeignete Methoden kann man das Cholesterin vollständig hydrieren; dabei entsteht der Kohlenwasserstoff Cholestan. Durch oxydativen Abbau der Seitenkette des Cholestans gelangt man zu einer Säure der Konstitution I I : CHS CH—(CH2)2—COOH H3C I

CH3 I CH—(CH2)2—COOH

II allo-Cholansäure

Zu einem Körper mit der gleichen Struktur, der Cholansäure(I), gelangt man, wenn man von der Cholsäure ausgeht. Es zeigt sich aber, daß die aus Cholesterin hervorgehende Verbindung (allo-Cholansäure) von der Cholansäure verschieden ist. Dagegen entsteht die Cholansäure, wenn man die oben angegebene Abbaureaktion statt mit dem Cholesterin mit dem Koprosterin durchführt. Die Cholsäure hat also an C 5 die gleiche Konfiguration wie Koprosterin, nicht wie Cholestanol. Unter den pflanzlichen Sterinen erwähnen wir das Ergosterin (von T a n r e t 1889 aus Mutterkorn isoliert). Es ist weniger gesättigt als das Cholesterin, dadurch daß es im Ringsystem eine zweite und in der Seitenkette eine dritte Doppelbindung enthält. Seine Bedeutung liegt darin, daß es durch Ultraviolettbestrahlung in ein antirachitisches Vitamin übergeht. l ) Näheres über die Stereochemie der Sterine vgl. Shoppee, Vitamins and Hormones 8, 255 (1950).

56

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

Sterine mit Hormoncharakter Wir haben bereits erwähnt, daß eine Reihe wichtiger Hormone zu den Sterinen gehören. Wir müssen hier einige chemische Besonderheiten dieser Stoffe erwähnen. Ihre Wirkung wird im Kap. 26 besprochen. Die Seitenkette ist bei allen diesen Verbindungen weitgehend abgebaut, bei den meisten fehlt sie ganz. Sie unterscheiden sich außerdem durch ihre funktionellen Gruppen (Alkohole, Ketone), sowie durch Zahl und Lage der Doppelbindungen. Wir zählen im folgenden die wichtigsten Hormone nach ihren biologischen Funktionen geordnet auf. Sexualhormone: CH,

=0

OH

HOl

HOL

Östron (Follikulin)

Östradiol

Östriol ( Follikelhormonhydrat) CH,

=0

HO

OH

H Androsteron

Testosteron CH. CO-CH,

0

CH(0H).CH 3

HO -"'

Progesteron (Gelbkörperhormon)

Die Unterscheidung zwischen sog. „weiblichen" Sexualhormonen und „männlichen" Hormonen bezieht sich nicht in erster Linie auf ihr Vorkommen, sondern auf ihre biologische Wirkung. Es können „weibliche" Hormone vom männlichen Organismus gebildet werden und umgekehrt. (So ist der Urin des Hengstes sehr reich an Follikelhormon.) Die Östrogenen Hormone (Östron, östradiol, Östriol) sind dadurch ausgezeichnet, daß der Ring A aromatisch ist. Es sind also Phenole. Diese Tatsache ist wichtig für ihre Extraktion. Die Dehydrierung kann noch weitergehen. Beim Equilenin sind Ring A und B aromatisch (siehe S. 650). Das Gelbkörperhormon wird im Organismus zum Pregnandiol hydriert und dieses wird als gepaarte Glucuronsäure (Pregnandiolglucuronid) im Urin ausgeschieden. Die Östrogenen Stoffe geben Farbreaktionen, die in Verbindung mit geeigneten Extraktionsmethoden zu ihrer Bestimmung verwendet werden können; z. B. geben sie, mit konz. Schwefelsäure und Phenolsulfosäure erhitzt, bei Zusatz von Wasser eine Rotfärbung (Kobersche Reaktion). m-Dinitrobenzol in alkalischer Lösung gibt eine violette Färbung (Zimmermannsche Reaktion).

Sterine mit Hormoncharakter

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Nebennierenrindenhormone: CO-CIL-OH

CO.CH2-OH

Corticosteron

Desoxy corticosteron CH, OH

Kendalls Verbindung .

Aus der Nebennierenrinde sind annähernd 30 verschiedene Sterine isoliert und identifiziert worden ( R e i c h s t e i n , K e n d a l l ) , von denen aber nur wenige Hormonwirkung haben. Die Sterinhormone und ihre physiologischen Derivate gehören zwei Gruppen an: Es gibt solche mit 19 (oder 18) C-Atomen ohne Seitenkette und solche mit 21 CAtomen, die eine Seitenkette von 2 C-Atomen besitzen. Jede dieser Gruppen zerfällt in 2 Reihen isomerer Verbindungen, die sich durch die Konfiguration an C5 unterscheiden. In der C19-Gruppe sind es die Androstan- ( = allo-Ätiocholan-) und die Ätiocholanreihe, in der C21-Gruppe die Pregnan- und die allo-Pregnanreihe: CH,

H Androstan

H Ätiocholan

C«i • H allo-Pregnan

Pregnan

Wir werden im Kapitel über Hormone eine Reihe von Beispielen erwähnen. Die nicht phenolischen Sterine, die in Stellung 17 eine Ketogruppe besitzen, werden als 17-Ketosteroide bezeichnet. Im Urin werden ständig derartige Körper in kleiner Menge ausgeschieden; sie leiten sich von den androgenen Hormonen und den Rinderhormonen ab. Sowohl im Blut und den Geweben als auch im Urin kommen die Sterinhormone und ihre Derivate z. T. in Form von Konjugaten vor, als Schwefelsäureester oder als

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

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Glucuronide. A u s d e m Urin sind z. B . die Sulfate des Östrons u n d des Androsterons und die Glucuronide des Pregnandiols und des Östriols isoliert worden:

Östronsulfat

Pregnandiolglucuronidat

Nomenklatur: Für einige der wichtigsten Sterine existieren Trivialnamen (Cholesterin, Ergosterin, Corticosteron, Östron usw.). Für die Bezeichnung der zahlreichen natürlichen und künstlichen Sterinderivate ist eine besondere Nomenklatur entwickelt worden, welche die Natur der Verbindungen eindeutig zu kennzeichnen gestattet. Man legt den Namen des Grundkohlenwasserstoffs zugrunde (z. B. Cholestan, Pregnan, Androstan). In den sauerstoffhaltigen Derivaten wird Zahl und Funktion der Sauerstoffatome durch die entsprechenden Suffixe angegeben: -ol, -diol, -triol; -on, -dion, usw. Die Stellung der Substituenten wird gemäß dem angegebenen Schema der Numerierung dem Suffix in Klammern beigefügt, bei Alkoholen außerdem die Konfiguration (a oder ß), z. B. Androstanol-(3a)-on(17) = Androsteron; Androstandion-(3,17). Nach den allgemeinen Nomenklaturregeln wird bei ungesättigten Sterinen im Namen des Grundkohlenwasserstoffs die Silbe „-an" in ,,-en" bzw. „-dien-", ,,-trien-" verwandelt. Die Lage der Doppelbindungen wird durch ein vor den Namen gesetztes griechisches Delta bezeichnet, welchem als Index die Nummern der beiden C-Atome angefügt sind (durch Doppelpunkt getrennt), zwischen denen die Doppelbindung liegt. Wo kein Irrtum möglich ist, gibt man meist nur das erste der beiden C-Atome in der Reihenfolge der Numerierung an. Beispiel: /l^-Pregnendion-(3,20) (oder zl4:5-Pregnendion-(3,20))=Progesteron. Das Präfix „allo-" wird verwendet, um die Sterine zu bezeichnen, die sich durch die Konfiguration an C6 von den Sterinen der Gallensäurereihe unterscheiden, bei denen sich also das Wasserstoffatom an C6 in trans-Stellung zu C19 befindet. Vgl. oben allo-Cholansäure. Zur Bezeichnung der Sterine, bei welchen die Hydroxylgruppe an C 3 sich in trans-Stellung zu C w befindet (a-Konfiguration), wird auch das Präfix „epi-" vor den Namen gesetzt; Beispiel: epi-Cholesterin. 2. Gallensäuren D i e Gallensäuren besitzen eine gegenüber d e m Cholesterin u m 3 C-Atome verkürzte Seitenkette, deren letztes C-Atom eine Carboxylgruppe bildet. Als Grundkörper der natürlich vorkommenden Säuren kann die Cholansäure aufgefaßt werden (Formel S. 55). A u s ihr leiten sich die verschiedenen Gallensäuren durch Einführung v o n Hydroxylgruppen ab. Einzelne Säuren scheinen, soweit die Erfahrungen reichen, für eine b e s t i m m t e Tierart charakteristisch zu sein. I n der Galle sind die Gallensäuren m i t stickstoffhaltigen Körpern, teilweise m i t d e m Glycocoll, teilweise m i t d e m Taurin verbunden. Diese Verbindungen heißen Glycocholsäure bzw. Taurocholsäure. CH,-NH, CH 2 .SO 3 H Taurin D a s Taurin stellt ein Oxydationsprodukt der Aminosäure Cystein dar. E s wird durch K o c h e n v o n Galle m i t Säure aus den Taurocholsäuren abgespalten u n d in Form v o n großen Kristallen leicht erhalten. D i e Bindung zwischen Gallensäuren einerseits u n d Taurin oder Glycin andererseits ist amidartig, indem die Carboxylgruppe der Gallensäure mit der Aminogruppe unter Wasseraustritt sich vereinigt.

GaUensäuren

59

Die freien Gallensäuren (mit nicht ionisierter Carboxylgruppe) sind im Wasser schwer löslich. Die Alkalisalze dagegen gehen leicht in Lösung. Die gallensauren Salze setzen die Oberflächenspannung des Wassers stark herab (sog. „Oberflächenaktivität"). Diese Eigenschaft ist für die Emulgierung der Fette bei der Verdauung von Bedeutung. Unterschichtet man eine wäßrige Gallensäurelösung, die eine Spur Rohrzucker enthält, mit konz. Schwefelsäure, so bildet sich an der Berührungsfläche ein violetter Ring ( P e t t e n k o f e r sche Probe). Durch die Wirkung der konz. Schwefelsäure wird aus dem Zucker ein Furfurolderivat gebildet (vgl. S. 25), das sich mit der Gallensäure zum Farbstoff kondensiert.

Nachfolgend einige Beispiele von Gallensäuren:

CH(CH2)2-COOH

CH2(CH2)2.COOH

CH,

CH3

HO-

HO CHS

HO CH„

CH(CH2)2 • COOH

/ N

HO.C1

HO-

in Monooxycholansäure Dioxycholansäuren Trioxycholansäure

CH(CH2)2 • COOH

7

= Lithocholsäure (Formel I), _ f Hyodesoxycholsäure (Formel II), | Chenodesoxycholsäure (Formel III), = Cholsäure (Formel IV).

Cholsäure: Sie bildet den Hauptbestandteil der Gallensäuren der Rindergalle und ist optisch aktiv. Desoxycholsäure: Sie wird Anthropo- oder Chenodesoxycholsäure genannt, da sie sowohl in der Menschen- als auch in der Gänsegalle vorkommt, in. ersterer aber nur in kleiner Menge. Die Desoxycholsäure hat die Eigentümlichkeit, mit F e t t s ä u r e n Additionsverbindungen zu geben. Eine solche Verbindung wurde seinerzeit aus der Hindergalle unter dem Namen Choleinsäure dargestellt. Sie ist ein Additionsprodukt von 1 Mol Palmitin- oder Stearinsäure und 8 Mol Desoxycholsäure. Solche Choleinsäuren lassen sich leicht künstlich herstellen durch Kristallisation eines Gemisches der Komponenten. Die Zahl der Choleinsäuremoleküle, die von einem Molekül Fettsäure gebunden werden können, hängt von der Kettenlänge der letzteren ab (Ameisensäure keine Verbindung; Essigsäure 1 : 1 , Propionsäure 1 : 3 , Butter säure bis Caprylsäure (C8) 1:4; Pelargonsäure (C9) bis Myristinsäure (C14) 1 : 6 ; höhere Fettsäuren 1:8. Die H y o d e s o x y c h o l s ä u r e wurde aus der Schweinegalle dargestellt.

60

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

L i t h o c h o l s ä u r e findet sich in kleinen Mengen in der Rindergalle, etwas reichlicher in der des Menschen. Alle diese genannten Gallensäuren sind farblose, gut kristallisierende Verbindungen. I n der Haifischgalle wurde von H a m m a r s t e n das Scymnol gefunden. Diesem Körper liegt ebenfalls das Kohlenstoffgerüst des Cholesterins zugrunde. Es sind drei sekundäre Hydroxylgruppen am Ringsystem und eine primäre Alkoholgruppe an der Seitenkette vorhanden. Ein fünftes Sauerstoffatom bildet an der Seitenkette einen Äthylenoxydring

. Eine Besonderheit des Scymnols liegt darin,

daß es in der Galle als Schwefelsäureester vorliegt. 3. Carotinoide (Lipochrome) I m Pflanzenreich und auch bei den tierischen Organismen ist eine Gruppe gelber Farbstoffe weit verbreitet, deren häufigster Vertreter der Farbstoff der gelben Rübe (Daucus carota), das Carotin, ist. Man faßt sie unter dem Namen der Carotinoid© zusammen. Die Carotinoide sind ungesättigte Kohlenwasserstoffe, deren Formeln sich von ein und demselben Grundgerüst ableiten lassen. Teils sind es rein aliphatische Verbindungen mit offener Kohlenstoffkette, teils enthalten die Moleküle einen oder zwei sechsgliedrige Ringe (Jononring). Der Farbstoffcharakter dieser Verbindungen h a t seinen Grund in einem System zahlreicher konjugierter Doppelbindungen. Es gibt auch sauerstoffhaltige Carotinoide (Alkohole, Aldehyde, Ketone, Carbonsäuren). Die freien Carotinoide sind wasserunlöslich. Sie lösen sich in Lipoiden und sind daher im Organismus meist mit den Fetten vergesellschaftet. Ihre große Bedeutung f ü r die höheren Tiere hegt vor allem darin, daß gewisse Carotinfarbstoffe im Organismus in das Vitamin A übergehen können. Es sind heute über 60 derartige Farbstoffe bekannt. Als erstes Beispiel sei der verbreitetste Vertreter dieser Gruppe erwähnt, das /^-Carotin (entdeckt von W a c k e n r o d e r 1831). Es ist in allen grünen Pflanzenteilen der ständige Begleiter des Chlorophylls und kommt auch sonst in zahlreichen Blüten und Früchten vor. I n der gelben Rübe ist das ^-Carotin der Hauptfarbstoff. Im tierischen Organismus findet es sich fast in allen Organen, hauptsächlich im Fettgewebe (Lipochrom!), in der Milch, im Serum, dessen gelbe Farbe teilweise durch Carotin bedingt ist. I m Corpus luteum ist es in beträchtlicher Menge vorhanden. Für das /^-Carotin hat sich die folgende Strukturformel ergeben (I). Das Molekül ist symmetrisch gebaut. Der Ring, den die Kohlenstoffkette an beiden Enden abschließt, ist im Riechstoff des Veilchens enthalten; es ist der sog. ß-Jononring. Neuerdings ist die Synthese des /^-Carotins gelungen, womit seine Struktur endgültig festgelegt ist ( K a r r e r ) . Stoffe, welche wie die Carotinfarbstoffe ein fortlaufendes System konjugierter Doppelbindungen enthalten, werden als Polyene bezeichnet. Die Farbtiefe nimmt mit wachsender Zahl der Doppelbindungen zu. Einer großen Gruppe von Naturstoffen, den Terpenen, die von den Pflanzen in verwirrender Mannigfaltigkeit produziert werden und zu denen auch die Carotinfarbstoffe gehören, liegt ein merkwürdiges Bauprinzip zugrunde: Man kann sie durch Kondensation des fünfgliedrigen Kohlenstoffskeletts des Isoprens aufgebaut denken (Ruzicka). CH I CH« = C—CH = CH2

61

Carotinoide (Lipochrome) B

B

B

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64

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Das Isopren ist die Grundsubstanz des Kautschuks. Wenn wir das Isoprengerüst schematisch durch ' — darstellen, so läßt sich das Carotinmolekül in folgender Weise aus 8 Isoprenresten zusammensetzen:

V

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

62

Das /3-Carotin ist in der Natur immer von einem Isomeren, dem «-Carotin, begleitet, von dem es durch Chromatographie an Calciumhydroxyd getrennt werden kann ( K a r r e r ) . Es unterscheidet sich vom /?-Carotin dadurch, daß es an Stelle des einen ß- Jononrings einen«- Jononring besitzt (Formel I I rechts). I n sehr kleinen Mengen ist schließlich diesen beiden Verbindungen das y-Carotin beigemischt, das nur noch einen Jononring besitzt; das eine Ende der Kette ist offen (Formel I I I links). Die entsprechende rein aliphatische Verbindung mit beiderseits offener K e t t e ist das Lycopin, der Farbstoff der Tomate, der im Pflanzenreich auch sonst verbreitet ist. Wir erwähnen diesen Farbstoff hauptsächlich aus dem Grunde, weil sich die Strukturformen aller anderen Carotinoide durch Ringschluß, Verkürzung der Kohlenstoffkette, Oxydation usw. aus der Strukturformel des Lycopins ableiten lassen. Das /S-Carotin kann im tierischen Organismus in das Vitamin A übergehen; dabei wird das Molekül unter Wasseraufnahme an der mittleren Doppelbindung gespalten. Das Vitamin A (Axerophtol) ist ein primärer Alkohol (vgl. S. 669). Für die Vitaminwirkung ist der ß- Jononring notwendig. Beim oc- und y-Carotin k a n n also nur die eine Hälfte des Moleküls in Vitamin A übergehen. Aus dem Vitamin A leitet sich das Retinin, die Farbstoffkomponente des Sehpurpurs, ab (S. 671). Die Carotinoide und das Vitamin A geben mit Antimontrichlorid in Chloroformlösung eine intensive, aber instabile Blaufärbung (Carr-Price-Reaktion), die zu ihrem Nachweis und zur quantitativen Bestimmung verwendet werden kann.

Neben dem Carotin kommen in den Pflanzen auch der entsprechende zweiwertige Alkohol, das Xanthophyll, und verwandte sauerstoffhaltige Verbindungen sehr häufig vor. E s leitet sich vom «-Carotin ab, besitzt aber keine Vitaminwirkung (Hydroxylgruppe im ß-Jononring!). CH,

CH, C

.GH,

ch3X/ch3

C

ch3

C

HaC^Nc—CH HC—Cr / X jCH 2 HOHcl Je—CH 3 H3C—CU J c H O H C H, H, Xanthophyll

x /

ch

3

C

HC^NC—CH Hodl^JJc—CHj CO

HC—C/NCH H 3 C—G^JcOH CO

Astacin (Enolform)

Weitere Beispiele: Das Astacin kommt im Panzer und den Eiern der Crustaceen und auch sonst bei Tieren und Pflanzen vor. Teilweise kann es an Eiweiß gebunden sein als prosthetische Gruppe eines Chromoproteids, teilweise liegt es als Ester vor. (Astaxanthin s. S. 664). Bixin und Crocetin sind Dicarbonsäuren. Bixin ist der Farbstoff des Orleans aus der Samenschale von Bixa orellana. Es ist der Monomethylester der Dicarbonsäure Norbixin.

CH3

CH3

CH3

CH3

H00C-CH:CHC':CH-CH:CH-C:CH-CH:CH-CH:C-CH:CH-CH:C-CH:CH-C00CH3 Bixin Das Crocetin ist Bestandteil des Glycosids Crocin aus dem Safran. Über seine biologische Bedeutung siehe S. 662. Durch Behandeln der Carotine, die einen ^-Jononring besitzen, mit Phthalmonopersäure wird an die Doppelbindung des Jononringes Sauerstoff angelagert, und man erhält die entsprechenden E p o x y d e , die unter der Einwirkung von Säure sehr leicht in eine furanoide Form übergehen (Karrer):

63

Carotinoide (Lipochrome) CH3X/CH3

H,

CH=CH—C=CH C^-CH.

HaC

CH,

CH S

c

=CH

HCl

H2C

C Ha

CH 3

C^/CH—C=CH— CH3 furanoides Oxyd

Epoxyd

Vertreter beider Verbindungstypen finden sieh in der Natur. Flavochrom, das Epoxyd des a-Carotins, findet sich z. B. in den Blüten von Ranunculus; Violaxanthin ist das Dicpoxyd des ß-Carotins aus d e n Blüten des Stiefmütterchens; das Auroxanthin ist das entsprechende furanoide Oxyd, ebenfalls in den Blüten von Viola tricolor.

Wir verdanken die Kenntnis der Carotinfarbstoffe hauptsächlich den Arbeiten von R. W i l l s t ä t t e r , P. Karrer, R. K u h n und L. Z e c h m e i s t e r . Die Carotinfarbstoffe sind bei den Pflanzen außerordentlich weit verbreitet. Die tierischen Carotinoide sind pflanzlichen Ursprungs. In den Blättern sind die Carotinfarbstoffe (Carotine und Xanthophylle) Begleiter des Chlorophylls. Sie sind als Farbstoffe zahlreicher Blüten und Früchte nachgewiesen. (Es sind in den Blüten über 30 verschiedene Carotinoide gefunden worden.) Ebenso kommen sie bei zahlreichen Bakterien, Pilzen und Algen vor. Über ihre Funktion bei den Pflanzen ist fast nichts bekannt. Nach neueren Untersuchungen spielen gewisse Carotinoide bei der Geschlechtsbestimmung der Gameten bei Grünalgen (Chlamydomonas) und beim Auswachsen der Pollenschläuche eine Rolle. Die weite Verbreitung der Stoffe läßt aber eine allgemeinere Funktion vermuten. Im tierischen Organismus begleiten die Carotinfarbstoffe meistens die Fette (Eigelb!). Sie kommen aber auch als Farbstoff der Federn (Kanarienvogel) oder des Integuments zahlreicher Tierarten vor (Fische, Crustaceen [Hummer]), Insekten (Coccinella) usw. Wegen der Doppelbindungen in der Polyenkette besteht bei den Carotinfarbstoffen die Möglichkeit von cis-trans-Isomeren. Tatsächlich sind zahlreiche derartige Isomeriefälle bekannt. Sie sind f ü r die Physiologie von Bedeutung, weil in einzelnen Fällen die verschiedenen Isomeren sich durch ihr biochemisches Verhalten unterscheiden. Am längsten ist die Existenz zweier stereoisomerer Formen beim Bixin bekannt. Man kann das natürliche Bixin durch Behandeln mit J o d in eine stabilere Form (/J-Bixin, Isobixin) überführen, die sich als Stereoisomeres der natürlichen Verbindung erwiesen hat. Als Beispiel geben wir zwei mögliche Konfigurationen des /¡-Carotins (in vereinfachter Schreibweise) an:

all-iraMS-Form

centrale mono-cis-Form I n Anbetracht der großen Zahl von Doppelbindungen ist die theoretische Zahl der möglichen Konfigurationen sehr groß. Anscheinend können aber nur wenige verwirklicht werden. Die

64

Die Proteine und ihre Bausteine

Isomeren unterscheiden sich durch ihre physikalischen Eigenschaften (Schmelzpunkt, Löslichkeit, Lichtabsorption) und können durch chromatographische Methoden voneinander getrennt werden. Es scheint, daß die all-

Imidazol(Glyoxalin-)ring

Histidin = a-Amino- jS-imidazolpropionsäure

Ab.

I CH.l CH.NH 2 COOH

Diese von K o s sei unter den Spaltprodukten des Störprotamins entdeckte Aminosäure ist als Baustein einer großen Zahl von Eiweißkörpern bekannt. So wie der Guanidinkern des Arginins auch in verschiedenen anderen Stoffwechselprodukten, dem K r e a t i n und K r e a t i n i n , vorkommt, findet sich die eigenartige Verkettung des Imidazolringes auch noch bei einer ganz anderen Körperklasse, den P u r i n s u b s t a n z e n , zu denen auch die H a r n s ä u r e (s. d.) gehört. Das Histidin (wie auch das Tyrosin) reagiert mit Diazoniumsalzen unter Bildimg von orange gefärbten Azofarbstoffen, z. B. mit der Diazobenzolsulfosäure, die man leicht durch Behandlung der Sulfanilsäure mit Nitrit in saurer Lösung erhält (Reaktion von Pauly): HSO3NH 2 +HNO 2

• HSO3CH C—

CH.NHj COOH

2. Das Tryptophan. Es wurde, wie der Name sagt, bei der tryptischen Verdauung der Eiweißkörper von H o p k i n s und Cole entdeckt. Auch diese Aminosäure ist ein

76

Die Proteine und_ihre Bausteine

am /S-Kohlenstoffatom substituiertes Alanin, die durch Eintritt eines Indolrestes entstanden ist: -C

c

Indolring -CH 2 -CH(NH 2 )-COOH

NH /?-Indolylalanin = Tryptophan

Das Tryptophan gibt verschiedene Farbreaktionen. Bei Zusatz von Bromwasser entsteht eine rötlich-violette Färbung. (Ältere Beobachter wie C l a u d e B e r n a r d , K ü h n e u. a. hatten bei tryptisch verdautem Eiweiß diese Färbung schon bemerkt. H o p k i n s und Cole zeigten dann, daß die farbgebende Verbindung das bei der Verdauung frei werdende Tryptophan ist.) Eine schöne violette Färbung entsteht, wenn die tryptophanhaltige Lösung bei Gegenwart von etwas Glyoxylsäure mit konz. Schwefelsäure unterschichtet wird (Reaktion von ColeH o p k i n s ) . Es handelt sich um eine Kondensation der Indolgruppe mit dem Aldehyd I Glyoxyl/H\ V säure = CO OH • C3 A B C E. F i s c h e r konnte [zeigen, daß natürliches Serin, Alanin und Cystin die gleiche Konfiguration besitzen, trotzdem Alanin rechts-, Serin und Cystin linksdrehen. E s wurde (—)-Serin in (—)-a-Amino-/?-chlorpropionsäure überführt und diese einmal in (-|-)-Alanin und zum andernmal in (—)-Cystin verwandelt:

Die Proteine und ihre Bausteine

78 COOH H„N—i-H CH2-OH l(—)-Serin

COOH H2N—C—H L(-)-a/3-chlorprc

COOH H,N—C—H -2CH. L(+)-Alanin COOH H2N—C—H CH2.S-/a l(—)-Cystin

Oder man kann z. B. das natürlich vorkommende Asparagin durch Behandeln mit Hypobromit ( H o f m a n n s c h e r Abbau) in rechtsdrehende «,/3-Diaminopropionsäure überführen; die gleiche Verbindung erhält man vom Serin aus (wie oben über das entsprechende Chlorderivat) ( K a r r e r ) . Damit ist gezeigt, daß auch das Asparagin und natürlich auch die Asparaginsäure gleiche Konfiguration haben wie das Serin. Die Asparaginsäure ihrerseits läßt sich zum Histidin und zum Oxyprolin in Beziehung bringen. Man hat auf diese Weise durch direkte chemische Umwandlungen für mehr als die Hälfte der bekannten Aminosäuren den Nachweis geleistet, daß sie gleiche Konfiguration besitzen. Es lassen aber zahlreiche vergleichende Beobachtungen über die optische Aktivität und das biochemische Verhalten der übrigen Aminosäuren den Schluß zu, daß auch diese zur gleichen sterischen Reihe gehören, sich also auf das rechtsdrehende Alanin zurückführen lassen. Bei allen Eiweißbausteinen wäre demnach die Anordnung der Gruppen um das asymmetrische «-C-Atom die gleiche. Wir haben im 1. Kapitel darauf hingewiesen, daß für die Bezeichnung der Konfiguration der Kohlehydrate der rechtsdrehende Glycerinaldehyd als Bezugssubstanz gewählt wurde. Es wäre nun von größter Bedeutung, die Beziehung der Konfiguration der natürlichen Aminosäuren zur Konfiguration des Glycerinaldehyds zu kennen. Wie oben erwähnt, kann der Vergleich nicht durch direkte Überführung der Aminosäure in eine Hydroxylverbindung bekannter Konfiguration erfolgen, weil jeder Austausch eines Substituenten am asymmetrischen C-Atom (im vorliegenden Fall der Austausch der NH 2 -Gruppe gegen die OH-Gruppe) zu einer Änderung der Konfiguration führen kann. Man ist daher auf indirekte optische Verfahren angewiesen. Wenn man die optische Aktivität der Aminosäuren mit derjenigen der entsprechenden Hydroxyl- oder Halogenverbindungen unter verschiedenen Bedingungen vergleicht, so kann man annehmen, daß bei gleicher Konfiguration der beiden Asymmetriezentren sich auch gleichartige Änderungen der Drehung zeigen werden. Z. B. wird die Einführung des gleichen Substituenten in eine am asymmetrischen C-Atom sitzende Atomgruppe eine gleichsinnige und vielleicht sogar der Größe nach ähnliche Drehungsänderung zur Folge haben oder es wird bei Änderung der Temperatur, der Konzentration, des Lösungsmittels usw. der Gang der Drehung bei beiden Verbindungen derselbe sein. Es sind über diese Frage viele Untersuchungen angestellt worden. Sie haben alle zu dem Ergebnis geführt, daß sehr wahrscheinlich die Konfiguration der natürlichen Aminosäuren derjenigen der rechtsdrehenden Milchsäure entspricht. Die (+)-Milchsäure ihrerseits läßt sich auf den l-Glycerinaldehyd zurückführen. D i e n a t ü r l i c h v o r k o m m e n d e n A m i n o s ä u r e n g e h ö r e n a l s o d e r L - R e i h e a n . Sie werden daher durch das Symbol „L" gekennzeichnet. Der Drehungssinn wird durch Bei-

Quantitative Bestimmungsmethoden der Aminosäuren

79

fügen eines Plus- oder Minuszeichens angegeben. Wir schreiben also L(+)-Alanin, L(—)-Cystin usw. Die Frage der optischen Einheitlichkeit der Eiweißbausteine h a t in neuerer Zeit großes Interesse dadurch erlangt, daß K ö g l behauptete, bei der Hydrolyse der Proteine aus bösartigen Geschwülsten beträchtliche Mengen racemischer Aminosäuren, besonders Glutaminsäure, isoliert zu haben. E r nahm an, daß in den Carcinomzellen die natürliche optische Reinheit der P r o t e i n e v e r l o r e n g e g a n g e n ist und daß darin ein wesentliches Kennzeichen der krebsartigen E n t a r t u n g liegt. E s sind allerdings gegen diese Deutung K ö g l s von verschiedener Seite gewichtige Einwände erhoben worden, und die K ö g l s c h e Theorie wird heute von den wenigsten Biochemikern akzeptiert. E. Quantitative Bestimmungsmethoden der Aminosäuren Die quantitativen Methoden sind für die Untersuchung der Stoffwechselvorgänge und die chemische Erschließung der Eiweißstruktur von großer Wichtigkeit. Die Aminosäuren sind durch ihre a-Aminogruppe als primäre Amine befähigt, verschiedene Reaktionen einzugehen. I n Gegenwart von Aldehyden, z. B. von Formaldehyd, wird die basische Natur der Aminogruppe weitgehend unterdrückt, dadurch daß der Aldehyd sich an den Stickstoff anlagert. I m einfachsten Fall k o m m t es zur Bildung von Methylenverbindungen: R H—C—NH2 +

R HCOH =

H20 +

COOH

H—C—N=CH2 ¿OOH

Die Aminosäure läßt sich nun mit Hilfe eines geeigneten Indikators (gewöhnlich Phenolphthalein oder Thymolphthalein) wie eine gewöhnliche Säure titrieren. Auf diesem Prinzip h a t S ö r e n s e n eine Methode der titrimetrischen Bestimmung der freien Aminogruppen aufgebaut, die sog. „Formoltitration". Am besten erkennt man die Möglichkeit dieser Titration bei Betrachtung der Titrationskurve der Aminosäure (Theorie der Titrationskurven vgl. Kap. 7). Infolge der Zwitterionenstruktur der Aminosäuren wird bei Zusatz von Alkali nicht etwa die Carboxylgruppe, sondern die Aminogruppe titriert. Dieselbe geht dabei vom ionisierten in den ungeladenen Zustand über, indem sie ein H + - I o n verliert; am Beispiel des Glycocolls: coo| + CH2—NH3+

cooOH-



I + CH2—NH2

H20

Dieser Reaktion entspricht der im alkalischen Gebiet gelegene Ast der Titrationskurve. Aus Abb. 3 geht hervor, daß die Aminogruppe erst bei stark alkalischer Reaktion (etwa p H 12) zu Ende titriert ist. Es gibt keinen f ü r die Erkennung dieses Endpunktes geeigneten Indikator. Setzt man dagegen der Lösung Formaldehyd zu, so wird der alkalische Ast der Titrationskurve um mehrere pH-Einheiten gegen das saure Gebiet verschoben als Folge der Blockierung der Aminogruppe durch den Aldehyd (gestrichelte Kurve in Abb. 3). Die Aminogruppe ist nun schon bei p H 8 zu Ende titriert; der pH-Wert ändert sich dort sprungartig, und deshalb kann der Endpunkt der Titration durch einen Indikator, der in diesem Bereich umschlägt, exakt festgestellt werden.

80

Die Proteine und ihre Bausteine

Eine zweite Methode zur Bestimmung der Aminosäuren stammt von W i l l s t ä t t e r . (Sie wurde aber schon früher von L ö f f l e r und S p i r o angegeben.) Löst man eine Aminosäure in starkem Alkohol, so läßt sie sich gegen Phenol* phthalein als Indikator mit alkoholischer Natronlauge titrieren. Man nahm früher an, daß in alkoholischer Lösung die basische Funktion der Aminosäuren soweit abgeschwächt sei, daß sie sich als Säure titrieren lassen. Die Möglichkeit der Titration in Alkohol scheint aber in Wirklichkeit auf einer starken

in Wasser

in Alkohol

Abb. 3. E r k l ä r u n g der F o r m o l - u n d A l k o h o l t i t r a t i o n der A m i n o s ä u r e n . Es ist die Titrationskurve einer Aminosäure gezeichnet. Durch Zusatz von Formaldehyd wird der alkalische Ast der Kurve soweit verschoben, daß der Umschlag des Phenolphthaleins erst eintritt, wenn die NH 2 -Gruppe zu Ende titriert ist. Bei Alkoholzusatz wird der gleiche Effekt durch eine Verschiebung des Umschlagspunktes nach der alkalischen Seite erreicht.

Abschwächung der sauren Eigenschaften des Indikators zu beruhen, wodurch sein Umschlagsbereich viel weiter ins Alkalische gerückt wird. Die basischen Eigenschaften der Aminosäuren erscheinen also nur relativ zum Indikator abgeschwächt; der Endeffekt ist aber derselbe: der Farbumschlag des Indikators tritt erst dann ein, wenn die Aminogruppe laut obiger Gleichung zu Ende titriert ist. Es zeigt sich, daß diese Methode auch zur Bestimmung von Eiweißspaltprodukten verwendet werden kann (s. d.). Man kann an Stelle des Alkohols auch andere Lösungsmittel verwenden, z. B. Aceton. In Aceton können Aminosäuren mit Säure titriert werden, wobei Naphthylrot als Indikator verwendet wird (Methode von L i n d e r s t r ö m - L a n g ) : COOI CH a .NH 3 +

+ H+

COOH | CH 2 .NH 3 +

Quantitative Bestimmungen der Aminosäuren

81

I n diesem Fall scheint eine tatsächliche Abschwächung der Säurefunktion durch das Lösungsmittel stattzufinden. Endlich zeigen die Aminosäuren als primäre Amine ein Verhalten gegen salpetrige Säure, das auch zu ihrer Bestimmung verwendet werden kann. Bekanntlich reagieren primäre Amine nach der folgenden Gleichung: R-NH 2 + HN0 2 = R.OH + H 2 0 + N 2

Es wird also pro Mol Aminosäure ein Molekül Stickstoff frei. Für die praktische Durchführung dieser Methode setzt man zu einem Gemisch von Essigsäure und Natriumnitrit die Lösimg einer Aminosäure zu und schüttelt etwa fünf Miauten lang. Die entstehenden nitrosen Gase werden in alkalischem Permanganat absorbiert. Man verwendet zur Durchführung den sinnreich konstruierten Apparat von v a n S l y k e , der es gestattet, die gebildete Gasmenge zu messen. Alle drei beschriebenen Methoden, die Formoltitration, die Alkoholtitration und das v a n Slyke-Verfahren haben für die Erforschung der Chemie und Physiologie der Aminosäuren und Eiweißkörper wichtige Erkenntnisse gebracht, von denen noch gesprochen werden wird. Daß man auch die Ninhydrinreaktion zur quantitativen Bestimmung der Aminosäuren verwenden kann, wurde bereits oben (S. 69) erwähnt. Weit verbreitete Anwendung, besonders in der klinischen Chemie, hat auch eine von F o l i n angegebene Methode gefunden, die auf einer Farbreaktion mit der l,2-Naphthochinon-4-sulfosäure bei Gegenwart von Alkali beruht. Ammoniak, das ebenfalls reagiert, muß entfernt werden:

=0

Folinsches Aminosäuren-Reagens

SO,H

Mikrobiologische

Bestimmungsmethoden

I n neuester Zeit hat die Bestimmung einzelner Aminosäuren auf biologischem Weg große Bedeutung erlangt. Verschiedene Mikroorganismen sind nicht imstande, alle Aminosäuren, die sie zum Aufbau ihres Körpereiweißes brauchen, selbst zu synthetisieren; sie sind, wie auch die höheren Tiere, auf deren Zufuhr von außen angewiesen. Die betreffenden Aminosäuren sind für die Organismen unentbehrliche (essentielle) Wachstumsfaktoren. Entzieht man dem Kulturmilieu eine essentielle Aminosäure, so kann überhaupt keine Entwicklung stattfinden. Setzt man sie nun dem Milieu in steigender Menge zu, so wird das Wachstum (gemessen an der Vermehrung der Zeilenzahl usw.) allmählich zunehmen, bis ein Maximum erreicht wird. Die Wachstumsgröße ist innerhalb eines gewissen Bereiches ein Maß für die Menge der vorhandenen essentiellen Aminosäure. Es ist möglich gewesen, auf dieser Grundlage sehr exakte Methoden für die quantitative Bestimmung fast aller wichtigen Aminosäuren auszuarbeiten. Einzelne Eiweißbausteine, wie z. B. die Leucine, konnten überhaupt auf diesem Weg zum erstenmal genau bestimmt werden. Erforderlich ist ein Kulturmilieu, das alle für den Organismus unentbehrlichen Wachstumsfaktoren mit Ausnahme der zu bestimmenden Aminosäure in optimaler Menge enthält. Es kommen natürlich nur Gemische aus chemisch reinen Stoffen in Frage. Man bestimmt das Wachstum für eine Reihe bekannter Konzentrationen der fraglichen Aminosäure und kann nun m i t 6

E d l b a c h e r - L e u t h a r d t , Lehrbuch. 11. Aufl.

Die Proteine und ihre Bausteine

82

Hilfe dieser Eichkurve die Konzentration einer unbekannten Lösung — z. B. eines Eiweißhydrolysats — ermitteln. Als besonders geeignet für diese Untersuchungen haben sich Milchsäurebakterien, vor allem Lactobacillus arabinosus, erwiesen. Man kann hier an Stelle des Wachstums (das meist durch die Zunahme der Trübung einer Bakteriensuspension gemessen wird) auch die Milchsäurebildung bestimmen. Mit Hilfe dieser Bakterien sind z. B. bestimmt worden: Valin, Leucin, Isoleucin, Tryptophan, Glutaminsäure, Lysin, Arginin u. a. m. Die Methode hat den weiteren Vorteil, daß sie mit sehr kleinen Mengen Material zu arbeiten gestattet. Noch in anderer Weise können Mikroorganismen zur Bestimmung von Aminosäuren herangezogen werden. Es hat sich gezeigt, daß gewisse Bakterien Fermente besitze^, welche in spezifischer Weise bestimmte Aminosäuren um ein C-Atom verkürzen, indem sie die Carboxylgruppe als C0 2 abspalten. Solche Fermente heißen Decarboxylasen. COOH I CH2-NH2 CH—NH. > C02 + I

i Das freigesetzte C0 2 kann leicht manometrisch gemessen werden. Solche spezifisch wirkenden Decarboxylasen sind z. B. bei Colibacillen und bei verschiedenen Arten von Clostridium gefunden worden (Gale). (Decarboxyliert werden Arginin, Histidin, Lysin, Tyrosin, Glutamin- und Asparaginsäure.) Sofern ein solcher Organismus nur eine spezifische Decarboxylase enthält, kann er ebenfalls zur Bestimmung der betreffenden Aminosäure in komplizierten Gemischen verwendet werden. Die Mikroorganismen sind auf diese Weise zu wichtigen Reagentien im biochemischen Laboratorium geworden. 2. Peptide Wenn zwei Aminosäuren unter Wasserabspaltung sich so vereinigen, daß die Carboxylgruppe des einen Moleküls mit der Aminogruppe des anderen säureamidartig verknüpft wird, so bezeichnet man die daraus entstehende Verbindung als ein Peptid: NH2 COOH E—¿H—CO-OH + H-N—CH—R ' l ' NH« COOH H 1 \ I R—CH—C^— \N—CH—R Der Name „Peptid" wurde von E. F i s c h e r in Anlehnung an die Bezeichnung Saccharid gewählt. Das Charakteristikum eines solchen Peptides ist also das Vorkommen der Peptidbindung: —CO-NH—. Diese Kombination von zwei Aminosäuren ist die einfachste Möglichkeit. E s kann auch eine große Anzahl von Aminosäuren sich zu komplizierteren Peptiden vereinigen, und man spricht je nach der Zahl der Aminosäuren, die ein Peptid aufbauen, von Di-, Tri-, Tetra- usw. und Polypeptiden. Es ist dann jeweils eine Carboxylgruppe mit einer Aminogruppe in amidartiger Bindung.

Peptide

83

So entsteht durch Vereinigung von zwei Glycocoll-(Glycin-)Molekülen ein Dipeptid: KH2-CHa.CO • NH-CHs-COOH Glyeyl



glycin

Sind es verschiedene Aminosäuren, die das Peptidmolekül bilden, so bezeichnet man ganz allgemein die Verbindung nach den Acylradikalen, -wobei die endständige Aminosäure mit der freien Carboxylgruppe am Schlüsse genannt wird; z. B.: C6H4OH NH2

CHa

CH3 • ¿H • CO—NH • CH2. CO—NH-CH—COOH Alanyl



glyeyl — usw.

tyrosin

Es ist gelungen, durch vorsichtige Spaltung der Eiweißkörper zu ähnlichen Peptiden zu gelangen, wie man sie auch synthetisch aus Aminosäuren aufbauen konnte. Man schließt daraus, daß die E i w e i ß k ö r p e r P e p t i d s t r u k t u r besitzen. Darüber wird bei der Besprechung der Eiweißkörper noch die Rede sein. Auch auf diesem Gebiete verdanken wir die grundlegenden Untersuchungen vor allem E. F i s c h e r . Die Peptide werden beim Kochen mit Säuren (oder Alkalien) in Aminosäuren gespalten. Auch Fermente können Peptide spalten. Darüber wird bei der Behandlung der Fermente ausführlich berichtet (siehe proteolytische Fermente). Die große Kombinationsmöglichkeit, die durch die kettenartige Struktur der Polypeptide gegeben ist, hat, vom physiologischen Gesichtspunkt aus betrachtet, größte Bedeutung. Die ungemein große Mannigfaltigkeit der Eiweißkörper läßt sich durch die zahllosen Möglichkeiten verschiedener Anordnung der Aminosäuren in den Polypeptidketten weitgehend erklären. Die Peptide spielen vor allem als Abbauprodukte der Proteine eine Rolle. Sie treten im Darminhalt bei der Eiweißverdauung als Zwischenstufen in großer Menge auf. Man muß annehmen, daß auch die Synthese der Proteine über peptidartige Zwischenstufen führt. Es kommen aber auch in den Geweben und Körperflüssigkeiten Peptide vor, die offenbar spezifische Funktionen zu erfüllen haben. Wir nennen als wichtiges Beispiel das von H o p k i n s entdeckte Glutathion, ein Tripeptid, zusammengesetzt aus Glutaminsäure, Cystein und Glycocoll: C00H.CH.CH 2 -CH,.C0-NH-CH-C0NH-CH,-C00H I I NH, CH a SH Glutamyl-cysteyl-Glycin Eine Besonderheit dieses merkwürdigen Körpers liegt darin, daß er leicht, wie das Cystein selbst, in reversibler Reaktion in das dem Cystin entsprechende Disulfid übergeht: 2R-SH reduziertes Glutathion 6»

- 2 H

, — + 2H

R—S—S—R oxydiertes Glutathion

Die Proteine und ihre Bausteine

84

Man nimmt an, daß diese Reaktion im Zellstoffwechsel eine Rolle spielt, ohne sich aber bisher über die Bedeutung des Glutathions eine klare Vorstellung machen zu können. (Über seine Rolle als Coferment vgl. S. 282 und 308). Auch gewisse Hormone sind Polypeptide, so das Oxytocin und das Vasopressin des Hypophysenhinterlappens (vgl. S. 637 u. ff.) und das adreno-corticotrope Hormon des Vorderlappens (vgl. S. 627); ferner kennen wir antibiotisch wirksame Stoffe bakteriellen Ursprungs (Gramicidin, Tyrocidin, Bacitrocin u. a.), welche eine polypeptidartige Struktur besitzen. Synthese der

Peptide

Synthetische Polypeptide haben besonders bei der Erforschung der eiweißspaltenden Fermente eine große Rolle gespielt. Wir können aber die verschiedenen Methoden der Peptidsynthese nicht besprechen, sondern verweisen auf die Lehrbücher der organischen Chemie1). Es seien hier nur zwei Methoden erwähnt, die größere Bedeutung erlangt haben. Einmal die Methode von E. F i s c h e r , die darauf beruht, daß man eine Aminosäure mit einem a-Halogenacylhali°

4. Xanthin = 2,6-Dioxypurin N=C•OH HO-i

C—NH

I I >H

N—C—N

N—C—N

5. Harnsäure = 2,6,8 - Trioxypurin N=C•OH I I HOC C—NH

I I ^C'0H

N—C—N Die angeführten Purinbasen zeigen gewisse chemische Eigentümlichkeiten: Durch Einwirkung von salpetriger Säure wird das Guanin in Xanthin und das Adenin in Hypoxanthin übergeführt : C 5 H 3 N 4 0NH 2 + HN0 2 = C5H4N402 + N2 + H 2 0 Guanin Xanthin C6H3N4 • NH2 + HNO, = C5H4N40 + N2 + H 2 0 Adenin Hypoxanthin Dieser Übergang, der auch physiologisch bedeutungsvoll ist, wird bei der Behandlung des Stoffwechsels der Purinderivate noch besprochen werden. Das Adenin wurde 1885 von K o s s e i im Gewebe der Pankreasdrüse entdeckt. Bei Fäulnis geht es unter Ammoniakabspaltung in Hypoxanthin über. Es ist eine Base und bildet ein schwer lösliches Pikrat. Das Hypoxanthin wurde 1850 von S c h e r e r im Muskel entdeckt; es findet sich reichlich im Fleischextrakt und kommt in der noch zu besprechenden Inosinsäure (einem Nucleotid des Muskels) vor. Das Guanin, zuerst von U n g e r 1844 im Guano aufgefunden, ist ebenso wie das Adenin und Hypoxanthin ein Spaltprodukt der Nucleinsäuren. Die Schuppen der Fische verdanken dem Vorkommen von Guaninkristallen ihren eigentümlichen Glanz. Es findet sich bei der sog. Guaningicht der Schweine als Ablagerung in den Gelenken, ähnlich der Harnsäure bei der menschlichen Gicht. Das Xanthin wurde schon 1817 in Harnkonkrementen gefunden. Es kommt nicht in den Nucleinsäuren vor, bildet sich aber sehr leicht durch Desaminierung des Guanins. Die Purinbasen sind in Wasser schwer löslich und geben mit Säuren kristallisierende Salze. Sie lösen sich leicht in Ammoniak und werden von ammoniakalischer Silberlösung gefällt. Auch aus der salpetersauren Lösung werden sie als kristallisierende Silbernitratverbindungen ausgefällt. Schweflige Säure und Kupfersulfat fallen sie beim Kochen als Cuproverbindungen aus. Sie fallen mit Phosphorwolframsäure aus. Die Harnsäure (von K . W . S c h e e l e 1776 in Harnsteinen entdeckt) stellt im Urin der Säugetiere eines der Endprodukte des Purinstoffwechsels dar. I n reichlicher Menge findet sie sich in den Exkrementen der Vögel und der meisten Reptilien. Bei diesen Tierklassen wird fast der gesamte Stickstoff in Form der Harnsäure ausgeschieden.

Die Bindung der Bausteine in den Nucleinsäuren

119

Die Harnsäure ist im Wasser sehr schwer löslich. Sie löst sich leicht in Alkalien unter Salzbildung auf. Ihre Salze heißen Urate. In Lösungen, die einen Überschuß von Ammoniumionen enthalten, ist auch das Ammoniumsalz ziemlich schwer löslich. Es kann auf diese Weise gefallt werden. Man findet Ammoniumurat als Harnsediment und in Harnsteinen. Harnsäure gibt die sog. Murexidprobe: Beim Erhitzen einer kleinen Menge Harnsäure mit konzentrierter Salpetersäure bleibt nach dem Abdampfen der Säure ein orangeroter Rückstand, der sich beim Befeuchten mit Alkali violett färbt. Die Reaktion beruht auf der Oxydation der Harnsäure zu Alloxan und Dialursäure, die sich mit Ammoniak zum Murexid, dem Ammoniumsalz der Purpursäure, vereinigen. Wahrscheinliche Formel: HN—C=0

I I

0=C

I

C



N = C

II

HN—C \

0=C—NH

II

C=0

I I

0=C—NH ONH, Murexid

HN—C=0 1

0=C—NH

1

o=c c
• i i + H20 HO-Fe Fe-OOH

ra9C e

"i

Zerfall

HO-Fe

Fe-OH

HO-k

Fe-OH

+ o2

Da in den Zellen die Konzentration des H 2 0 2 immer sehr klein bleibt, wirkt unter physiologischen Bedingungen das Ferment wahrscheinlich gar nicht als Katalase, sondern es wirkt oxydierend als Peroxydase. Die peroxydatische Wirkung der Katalase verläuft sehr viel langsamer als die H 2 0 2 -Spaltung. Wenn daher die Oxydation organischer Substrate die Hauptfunktion des Ferments ist, läßt sich daraus auch die hohe Konzentration in der Leber erklären. E s liegt hier die merkwürdige Situation vor, daß bei einem Ferment die am leichtesten zu beobachtende Wirkung, die zudem mit sehr großer Geschwindigkeit abläuft, unter physiologischen Bedingungen wahrscheinlich gar keine Rolle spielt. 5. Die Peroxydasen Die Peroxydasen sind Enzyme, die den Sauerstoff aus S u p e r o x y d e n auf einen A k z e p t o r übertragen. I m allgemeinen ist das Superoxyd das Wasserstoffsuperoxyd und der Akzeptor ein Phenol. I n der Geschichte der Fermentchemie spielt die Peroxydase insofern eine bedeutende Rolle, indem W i l l s t ä t t e r an H a n d der Meerrettichperoxydase das erste Beispiel einer E n z y m r e i n i g u n g gab. E r konnte das Enzym ungefähr auf das 20000-fache konzentrieren. Peroxydase oxydiert bei Gegenwart von H 2 0 2 die Gerbsäure zu einem P u r p u r o g a l l i n genannten roten Farbstoff. Diese Reaktion wurde zur Bestimmung des Wirkungswertes der Enzympräparate benützt.

Die biologische Oxydation

236

Die Peroxydasen sind wie die Katalase Häminfermente. Sie enthalten, wie am Beispiel der Meerrettiehperoxydase gezeigt werden konnte, Protohämatin als Wirkungsgruppe. Das Eisen ist dreiwertig. Aus der kristallisierten Meerrettiehperoxydase kann durch vorsichtige Behandlung mit Aceton-Salzsäure Hämin abgespalten werden. Das Eiweiß wird dabei nicht denaturiert. Es kann mit Hämatin wieder zum wirksamen Ferment vereinigt werden ( T h e o r e l l ) . Es ist sogar gelungen, das Fermentprotein mit nahe verwandten Häminen (Mesohämin, Deuterohämin) zu Verbindungen zu vereinigen, die ebenfalls wirksam sind, allerdings schwächer als das natürliche Ferment. Eine Besonderheit des Proteins der kristallisierten Meerrettiehperoxydase besteht darin, daß es ziemlich viel Kohlehydrat enthält (20%), Molekulargewicht 44000. Ein Molekül enthält (im Gegensatz zur Katalase) nur 1 Atom Eisen. Die Peroxydase bildet mit Wasserstoffsuperoxyd eine grüne Verbindung, indem ein Molekül H 2 0 2 an das dreiwertige Eisen addiert wird. I n gleicher Weise, wie dies im Abschnitt über Katalase formuliert wurde, reagiert diese Peroxydverbindung mit dem Substrat. Peroxydasen finden sich in Pflanzen und Tieren. E c h t e (enzymatische) Peroxydasen finden sich in Leukocyten, in lymphoidem Gewebe wie Knochenmark, Milz und Lymphdrüsen, sowie im Sperma und in der Milch. Man muß dabei wohl unterscheiden zwischen der p s e u d o p e r o x y d a t i s c h e n Wirkung des Hämoglobins und derjenigen der echten Enzyme. Es müssen peroxydatisch wirkende Stoffe n i c h t u n b e d i n g t Fermentcharakter besitzen. Das Hämoglobin selbst und verschiedene Abbauprodukte desselben besitzen schwache PeroxydaseWirkung. Darauf beruht die sog. B e n z i d i n r e a k t i o n (vgl. S. 555). 6. Die Phenoloxydasen Während das Atmungsferment und die Cytochrome eine ganz allgemeine Bedeutung für die Oxydation besitzen, sind die Phenoloxydasen meistens Enzyme, die spezielle Substratoxydationen bewirken. Das Nachdunkeln tierischer und pflanzlicher Flüssigkeiten und Gewebe wird darauf zurückgeführt, daß aromatische Bestandteile in dunkle Pigmente übergeführt werden, wenn sie mit dem Sauerstoff in Berührung kommen. An diesem Vorgang sind die Phenoloxydasen beteiligt. Ein solches Ferment ist die sog. Tyrosinase. Läßt man pflanzliche oder tierische Extrakte auf Tyrosin bei Gegenwart von Luft einwirken, so bildet sich ein schwarzes Pigment. Man kann nun zeigen, daß nicht nur Tyrosin, sondern ganz allgemein einwertige Phenole unter sog. Chinonbildung oxydiert werden. Die Chinone verwandeln sich dann in die dunkeln Pigmente: OH

OH

À Monophenol

Diphenol

O

-

0H

u

Pigment

Chinon

Genaueres über die Pigmentbildung siehe S. 370. Die sog. Lacease wurde zuerst im Milchsaft des japanischen Lackbaumes (Rhus vernieifera) gefunden. Das sog. Chromogen der Lackflüssigkeit besteht aus Polyphenolen, die zu schwarzem Pigment oxydiert werden. Die Phenoloxydasen sind Kupferproteide. Die katalytische Wirkung beruht (in ähnlicher Weise wie bei den eisen-

Die Phenoloxydasen

237

haltigen Fermenten) auf dem Valenzwechsel des Metalls. Die Cuprostufe wird durch den Luftsauerstoff zur Cupristufe oxydiert. Die Cupristufe oxydiert das Substrat, wobei sie wieder zur Cuprostufe zurückreduziert wird. Blausäure und CO hemmen das Ferment. Im Gegensatz zu den Eisen-Carbamyl-Verbindungen sind aber die Kupfer-Carbamyl-Verbindungen nicht lichtempfindlich, so daß also die CO-Hemmung dieser Kupferproteide vom Lacht nicht beeinflußt wird. Das Kupfer läßt sich aus dem Ferment abspalten, indem man es gegen n/100 Cyanidlösung dialysiert. Das auf diese Weise gewonnene inaktivierte Protein verbindet sich mit Kupferionen wieder zum aktiven Ferment (Kubowitz). Die Phenoloxydasen sind im Pflanzenreich weit verbreitet. Reine Phenoloxydase wurde aus Kartoffeln dargestellt (Kubowitz); ein ähnliches Ferment findet sich in Pilzen (Keilin). In Kürbissamen wurde ein Kupferproteid gefunden, das spezifisch die Ascorbinsäure oxydiert ( L o v e t t und Nelson). Das bevorzugte Substrat der Phenoloxydasen ist das Brenzcatechin. Die meisten anderen Substrate werden viel langsamer oxydiert (Tyrosin z.B. 1000-mal langsamer). Monophenole werden im allgemeinen erst nach einer gewissen Induktionsperiode angegriffen, d. h. die am Sauerstoffverbrauch sichtbare Oxydation setzt erst ein, nachdem Ferment und Substrat einige Zeit in Berührung waren. Es scheint, daß zuerst eine kleine Menge des Phenols zum entsprechenden Orthodiphenol oxydiert werden muß, welches dann die Oxydation des Monophenols katalytisch beschleunigt. Man ist zu dieser Vorstellung gekommen, weil man die Induktionsperiode bei Monophenolen durch Zugabe kleiner Mengen Brenzcatechin verkürzen kann. Zum Verständnis der biologischen Bedeutung der Phenoloxydasen ist die Tatsache von besonderer Bedeutung, daß die Chinone, die primär entstehen, durch die hydrierten Pyridinnucleotide wieder reduziert werden können (vgl. folgender Abschnitt S. 244). Da die Pyridinnucleotide ihrerseits den Wasserstoff von allen möglichen Substraten aufnehmen können, kann die Phenoloxydase durch Vermittlung des Chinons und des Pyridinnucleotids diese Substrate oxydieren. Das eigentliche Substrat des Ferments, das Brenzcatechin, wirkt dabei katalytisch, weil das Oxydationsprodukt, das Chinon, immer wieder reduziert wird. Schematisch läßt sich der Vorgang folgendermaßen darstellen ([Cu] bedeutet das Kupfer der Phenoloxydase, [Pyridin] die oxydierte, [Pyridin H J die reduzierte Stufe des Pyridinnucleotids) : [Cu+]

0 / j[ / [Cu++K

/Brenzcatechin

Jf

/

Orthochinon *

/[Pyridin H,]

\

/

[Pyridin] *

/ Substrat

1

oxydiertes Substrat

Die Phenoloxydase kann also mit katalytischen Mengen Chinon zusammen eine „Oxydase" bilden, ähnlich dem Atmungsferment-Cytochrom-System. Wie dieses ist sie durch HCN und CO hemmbar; die CO-Hemmung ist aber nicht lichtempfindlich wie bei den Eisenfermenten. Möglicherweise besteht die wichtigste biochemische Funktion der Phenoloxydasen nicht in der Verwandlung von Phenolen in Chinone und Pigmente, sondern in der Sauerstoffübertragung auf organische Substanzen nach der oben dargestellten Reaktionsfolge. Die „ I n d o p h e n o l o x y d a s e " Alkalisierte Lösungen von a-Naphthol und p-Phenylendiamin färben sich bei Gegenwart von Sauerstoff allmählich violett. Zerschnittene Muskulatur, Organpreßsäfte zeigen eine deutliche Beschleunigung dieser Reaktion.

Die biologische Oxydation

238

—NH, -NH 2 + 0 2 =

+ H 2 N-

+ 2H20

m

o

a-Naphthol

p-Phenylendiamin

Indophenol

P. E h r l i c h beobachtete diese Reaktion bereits 1885; bei Injektion der Farbstoffkomponenten wurden die Gewebe des behandelten Tieres blau gefärbt. Man nannte dieses Ferment später „Indophenoloxydase". Es katalysiert nur die Oxydation von p-Phenylendiamin (nicht o oder m). Die Indophenoloxydase ist weit verbreitet und sehr wahrscheinlich i d e n t i s c h m i t d e m W a r b u r g s c h e n A t m u n g s f e r m e n t . Sie wirkt nicht direkt auf das Substrat, sondern durch Vermittlung des Cytochroms, und wird durch HCN und CO gehemmt. 7. Der chemische Bau der eisenhaltigen Fermente Die genannten eisenhaltigen Fermente gehören zur Gruppe der sog. H ä m o p r o t e i d e oder H ä m i n p i g m e n t e , welche als prosthetische Gruppe die komplexe Eisenverbindung eines Porphyrins, ein Hamm, enthalten. Die Chemie der Porphyrine und der Hämine wird im Kapitel über den Blutfarbstoff besprochen, dessen Kenntnis hier vorausgesetzt wird. Warburgsches Atmungsferment. Das Absorptionsspektrum des sauerstoffübertragenden Ferments ist von demjenigen des Hämoglobins so stark verschieden (die beiden Absorptionsbanden sind wesentlich langwelliger), daß seine prosthetische Gruppe vom Protohäm des Blutfarbstoffes verschieden sein muß. Das Hämin des Atmungsfermentes (Cytohämin) zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Hämin, das im Atmungspigment (Chlorocruorin) des marinen Wurms CHA CHA

CH3

II

CH,

CH

CH2

CH2

CH,

k

CH,

H,

COOH

COOH

HCO

S p i r o g r a p h i s vorhanden ist (das sog. Spirographishämin). Dieses enthält an Stelle der einen Vinylgruppe eine Formylgruppe (H. F i s c h e r ) (s. vorstehende Formel). Auch aus einem Chlorophyllderivat, dem Phäophorbid b, läßt sich ein Porphyrin und daraus durch Einführung von Eisen das „Phäohämin b " herstellen, das in der Lage seiner Absorptionsbanden dem Spirographishämin gleicht. Es enthält ebenfalls eine Formylgruppe. I n beiden Fällen handelt es sich um sog. „mischfarbene" Hämine. Als „mischfarben" bezeichnet W a r b u r g solche Hämine, deren langwellige Bande im Gelb liegt. Das Protohämin ist im Gegensatz dazu ein rotes Hämin, dessen langwellige Bande im Grün liegt. Durch Behandlung mit Cystein bei schwach alka-

Der chemische Bau der eisenhaltigen Fennente

239

lischer Reaktion oder durch methanolische Salzsäure werden die Absorptionsbanden des Spirographishämins und des Phäohämins b nach kürzeren Wellen verschoben; die mischfarbenen Hämine gehen in rote Hamme über ( W a r b u r g ) . Wahrscheinlich handelt es sich um eine Anlagerung an die Formylgruppe (H. F i s c h e r ) . Auch das Hämin des Atmungsferments aus Herzmuskel ist ein mischfarbenes Hämin und läßt sich in ein rotes verwandeln. Man kann daraus schließen, daß es wahrscheinlich ebenfalls eine Formylgruppe enthält. Das Cytohämin aus Herzmuskel ist neuerdings von W a r b ü r g und G u r i t z im kristallisierten Zustand erhalten worden. Die endgültige Aufklärung seiner Struktur steht noch aus. Wahrscheinlich enthält das sauerstoffübertragende Ferment nicht in allen Zellen das gleiche Häm. Im Muskel, in der Netzhaut, der Hefe und in Essigbakterien sind mischfarbene Hämine vorhanden, bei Azotobacter dagegen kommt ein grünes Hämin vor. (GrüneHämine entstehen durch Oxydation der einenMethingruppe desPorphingerüsts [langwellige Bande im Rot]. Wir werden sie bei Besprechung des Hämoglobinabbaus kennenlernen. Vgl. S. 531.) Cytochrome. Am besten ist Cytochrom c bekannt, da es sich aus den Geweben (Herzmuskel) leicht extrahieren läßt und in reinem Zustand dargestellt werden kann. Es enthält das gleiche Hämin wie der Blutfarbstoff, also die Eisenverbindung des Protoporphyrins. Dasselbe ist sehr fest mit dem Eiweiß verbunden; man nimmt an, daß die beiden Vinylgruppen des Porphyrins mit zwei SH-Gruppen des Proteins als Thioäther verbunden sind. Es läßt sich nämlich vom Cytochrom c ein schwefelhaltiges Porphyrin gewinnen (sog. „Porphyrin c"), aus dem man durch Bromwasserstoff in Eisessig Cystein abspalten kann ( T h e o r e l l ) : CH3 Eiweiß—CH-—I•S—¿H

CH3

Über die Wirkungsgruppe der beiden anderen Cytochrome ist wenig Sicheres bekannt. Die Absorptionsspektren der Hämochromogene, die aus Cytochrom a und b beim Behandeln mit Pyridin entstehen, lassen darauf schließen, daß Cytochrom b möglicherweise Protoporphyrin, Cytochrom a aber ein anderes Hämin enthält. Das Cytochrom a läßt sich nicht in Lösung bringen, da es fest in der Zellstruktur verankert ist. Sein Hämin zeigt nach seinem spektroskopischen Verhalten Ähnlichkeit mit dem Spirographishämin. Es ist weit verbreitet, scheint aber bei gewissen Bakterien zu fehlen. Das von K e i l i n beschriebene Cytochrom a 3 ist sehr wahrscheinlich identisch mit dem sauerstoffübertragenden Ferment W a r b u r g s . Auch über das Cytochrom b ist wenig Sicheres bekannt. Im Gegensatz zu den beiden anderen Cytochromen wird es durch Sauerstoff langsam oxydiert. Es verbindet sich wie Cytochrom c nicht mit CO oder HCN. Die Natur seines Häms ist unbekannt. Katalase und Peroxydasen. Wir haben früher (s. S. 235) bereits die Meerrettichperoxydase erwähnt, welche von T h e o r e i l im kristallisierten Zustand erhalten wurde. Sie enthält als prosthetische Gruppe Protohäm. Aus Leukocyten ist die Myeloperoxydase gewonnen worden. Sie ist ein stark basisches Protein und enthält ein Häm grüner Farbe und wurde daher als Verdoperoxydase bezeichnet. Eine andere Verdoperoxydase (die Lactoperoxydase, E l l i o t ) kommt in der Milch vor und ist

240

Die biologische Oxydation

ebenfalls im kristallisierten Zustand erhalten worden ( T h e o r e 11). Ihr Häm zeigt Ähnlichkeit mit demjenigen des Atmungsfermentes. Sie enthält ein Häm pro Molekül. Außerdem ist aus Hefe eine Peroxydase isoliert worden, welche bei Gegenwart von H 2 0 2 Cytochrom c oxydiert. Sie enthält wahrscheinlich Protohäm ( C y t o c h r o m peroxydase). Über die Katalase siehe S. 234. Die kristallisierte Leberkatalase enthält vier Protohämgruppen pro Molekül. Die verschiedenen Häminproteide unterscheiden sich also sowohl durch ihr Häm als auch durch ihre Proteine. Das Protohäm findet sich im Hämoglobin, im Myoglobin, im Cytochrom c, in der Leberkatalase und in der Meerrettichperoxydase. Die Natur der übrigen Hämine (Atmungsferment, Cytochrom a und b, Verdoperoxydase) ist noch nicht mit Sicherheit bekannt. Es ist eine interessante Tatsache, daß das gleiche Häm, das Protohäm, so verschiedenartige Punktionen erfüllen kann, je nach dem Protein, mit dem es verbunden ist. Im Hämoglobin hat es keine katalytischen Eigenschaften, vermag aber 0 2 reversibel zu addieren; das Eisen bleibt dauernd zweiwertig. In den übrigen Proteiden wirkt es katalytisch. Im Cytochrom c oszilliert das Eisen dabei zwischen dem zwei- und dreiwertigen Zustand, in der Peroxydase und Katalase verweilt es wahrscheinlich dauernd im dreiwertigen Zustand. Theorell schreibt: „Man wird beim Arbeiten auf diesem Gebiet tief davon beeindruckt, in welchem Maße die Eiweißkörper die prosthetischen Gruppen beherrschen, etwa wie ein Virtuose sein Instrument beherrscht. Aus dem Protohämin macht das Eiweiß einmal Hämoglobin, ein anderes Mal Cytochrom, eine Katalase oder eine Peroxydase. Andererseits kann das Eiweiß auch auf verschiedenen Instrumenten dieselbe Methode spielen, so bei den Peroxydasen, die ungefähr die gleiche Wirkung haben, trotzdem die Hämine verschieden sind. Jedoch ist das Eiweiß schließlich an die Ausdrucksmöglichkeiten des Instruments gebunden. Ebenso wenig wie man ein Klavierkonzert auf der Flöte spielen kann, ebenso wenig kann das Eiweiß mit dem Hämin zusammen z. B. eine Decarboxylase bilden. Auf alle Fälle erblicken wir in dem Zusammenspiel zwischen Eiweiß und Häminen ein schönes Beispiel der ungeheuer fein differenzierten Tätigkeit der Eiweißkörper im biologischen Geschehen."

8. Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger Die bisher besprochenen Erscheinungen betreffen die Reaktion des Sauerstoffs mit der lebenden Substanz und die katalytische Wirkung des Eisens. Der Sauerstoff oxydiert komplex gebundenes Ferroeisen zu Ferrieisen; aber er reagiert nicht direkt mit den organischen Stoffen der Zelle. Wir haben schon früher darauf hingewiesen, daß aber auch das Cytochromeisen nicht unmittelbar auf die oxydablen Nährstoffe (Kohlehydrate, Fette usw.) einwirkt; im allgemeinen sind zwischen das Cytochrom und diese Substrate noch weitere Redoxsysteme eingeschaltet, deren Natur und Wirkung wir nun besprechen müssen. I n der allgemeinen Einleitung wurde dargelegt, daß bei den organischen Verbindungen die Oxydation oft in einer D e h y d r i e r u n g — Entzug von Wasser stoffatomen — besteht. Nach allen heute vorhegenden Erfahrungen ist die Oxydation der organischen Substanzen in der Zelle primär immer eine Dehydrierung. Der Eintritt von Sauerstoff in die Moleküle erfolgt durch Anlagerung von Wasser. Diese Auffassung der biologischen Oxydation wurde vor allem durch die Arbeiten von H. W i e l a n d gefördert, der als erster die große allgemeine Bedeutung der Wasserstoffverschiebung für die biochemischen Vorgänge erkannt hat. Die W i e l a n d s c h e Theorie der biologischen Oxydation in ihrer ursprünglichen Form nahm an, daß der Wasserstoff der organischen Verbindungen durch die „Oxydasen" der Zelle aktiviert, d. h. reaktionsfähig gemacht wird. Er soll dadurch befähigt werden, auf den molekularen Sauerstoff überzugehen, wobei die organische Verbindung dehydriert wird. Wasserstoff und Sauerstoff bilden zusammen zunächst Wasserstoffsuperoxyd, das aber durch die Katalase rasch gespalten wird. Man kann diese Vorstellung in die folgenden beiden Gleichungen zusammenfassen:

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger

241

dehydriertes Substrat

Substrat XH 2 + 0 2

0xydase

>

X + H202

H2O2

Eatala3e

.

%o, + H 2 0

Bilanz: XH 2 + i/ 2 0 2

X + H20

Der Grundgedanke dieser Theorie besteht darin, daß die Oxydationsfermente den Wasserstoff der Substrate reaktionsfähig machen und daß der aktivierte Wasserstoff spontan mit dem Luftsauerstoff reagiert. Die erste Annahme ist richtig; der Wasserstoff der Substrate wird durch bestimmte Fermente, die Dehydrasen, aktiviert. Die zweite Annahme ist unzutreffend; der aktivierte Wasserstoff reagiert nicht direkt mit dem Luftsauerstoff, sondern er wird von bestimmten Verbindungen, den Cofermenten der Zelloxydation, aufgenommen. Nur in Ausnahmefällen werden die hydrierten Cofermente durch den molekularen Sauerstoff unter Bildung von H 2 0 2 oxydiert. Sie reagieren in der Regel mit den eisenhaltigen Fermenten, die wir oben besprochen haben; anders ausgedrückt, sie werden durch den am Eisen des Atmungsfermentes aktivierten Sauerstoff oxydiert. Während langer Jahre wurden die beiden Vorstellungen „aktivierter Substratwasserstoff" einerseits, „aktivierter Sauerstoff" andererseits als sich ausschließend einander gegenübergestellt. Die weitere Entwicklung hat gezeigt, daß sie sich ergänzen, wenn man die Annahme einer direkten Reaktion des aktivierten Wasserstoffs mit dem Luftsauerstoff fallen läßt. Den Schlüssel für die Lösung des Problems bildet die Entdeckung der wasserstoffübertragenden Cofermente. Bevor wir auf dieselbe eingehen, müssen-wir noch kurz die wichtigsten Tatsachen erwähnen, die zur Annahme einer Dehydrierung geführt haben. Am besten läßt sich die „sauerstofflose Oxydation" mit Hilfe von Redoxfarbstoffen sichtbar machen, die bei der Reduktion entfärbt werden. Sehr gut eignet sich dazu Methylenblau, dessen reduzierte Stufe („Leukofarbstoff") farblos ist:

I

I

+

+2H

blau

(

||

|

| , |

+ H +

farblos

Bringt man das Substrat bei Gegenwart des Katalysators mit Farbstoff unter Sauerstoffausschluß zusammen, so wird der Farbstoff entfärbt, weil er den Wasserstoff des Substrats aufnimmt: Substrat + Farbstoff

> dehydriertes Substrat -f- Leukofarbstoff.

Mit dieser Technik hat besonders T h u n b e r g das Vorhandensein von Fermenten in den Geweben nachgewiesen, die bei Sauerstoffabschluß alle möglichen Substrate zu dehydrieren vermögen (z. B. Bernsteinsäure, Milchsäure, Oxybuttersäure, Äpfelsäuxe, Citronensäure, Glutaminsäure). Diese Fermente werden Dehydrogenasen oder kürzer Dehydrasen genannt. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Dehydrierung der Bernsteinsäure durch •die weitverbreitete Succinodehydrase. Bernsteinsäure steigert den 0 2 -Verbrauch von zerkleinertem, gut ausgewaschenem Muskelgewebe. Das Produkt der Oxydation 16

Edlbachei-Leuthardt,

Lehrbuch. 11.Aufl.

Die biologische Oxydation

242

ist Fumarsäure. Man erhält aber dieselbe Oxydation, wenn man unter Luftabschluß und bei Gegenwart von Methylenblau arbeitet. In diesem Fall wird Methylenblau auf Kosten der Bernsteinsäure hydriert : COOH

k k

!H,

COOH CH >• || CH

+ Methylenblau

DOOH Bernsteinsäure

+ Leukomethylenblau

COOH Fumarsäure

(Diese Reaktion ist eine wichtige Zwischenstufe beim oxydativen Abbau der Kohlehydrate. Vgl. S. 257). Die Oxydation der Alkohole zu Aldehyden und weiter zu Carbonsäuren läßt sich ebenfalls als Dehydrierung auffassen; z. B. : H

l/H

CH3-C
CH,- C < 3 ^O Essigsäure

Man ersieht aus diesem Beispiel gleichzeitig auch, wie das zweite Sauerstoffatom der Carbonsäure durch Wasseranlagerung an den Aldehyd eingeführt wird. Schüttelt man abgetötete Essigsäurebakterien mit Äthylalkohol oder Acetaldehyd unter Sauerstoffausschluß mit Methylenblau, so wird dasselbe entfärbt, und es erscheint in der Lösung Essigsäure. Das Methylenblau kann durch Chinon ersetzt werden. In diesem Falle wird als reduzierte Verbindung Hydrochinon gebildet (Wieland): 0 CH3-CH2OH + 2 ||

OH || + H 2 0

> CH3-COOH + 2

II

I

O

OH

Ein Ferment, das Aldehyd dehydriert und Methylenblau reduziert, kommt in der irischen Milch vor, das sog. S c h a r d i n g e r s c h e Enzym. Es ist identisch mit der Xanthinoxydase (vgl. S. 428). Man nennt ganz allgemein die Stoffe, welche den Wasserstoff irgendeines Substrates aufnehmen, Wasserstoffakzeptoren. Die Körper, die den Wasserstoff abgeben, heißen Wasserstoffdonatoren. Es kann vorkommen, daß Wasserstoff zwischen zwei gleichartigen Aldehydmolekülen verschoben wird. Läßt man z. B. auf Benzaldehyd konzentrierte wässerige Kablauge einwirken, so entsteht ein Gemisch von Benzoesäure und Benzylalkohol:

CHO

CHO

6 +6 -

COOH

ö*

CH2OH

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoff Überträger

243

Diese Reaktion, die „Disproportionierung" von Aldehyd zu Säure und Alkohol, heißt nach ihrem Entdecker C a n n i z z a r o s c h e Reaktion. Von zwei Molekülen derselben Art wirkt gleichzeitig eines als Wasserstoffakzeptor und das andere als Wasserstoffdonator. Diese Reaktion hat auch biologische Bedeutung. In der Hefe, in höheren Pflanzen, in der Leber höherer Tiere findet sich eine A l d e h y d m u t a s e , welche Aldehyde nach dem Schema der obigen Gleichung umsetzt. (Das Ferment ist nicht identisch mit der Xanthinoxydase, wie früher angenommen wurde.) Als besonderer Fall der Cannizzarosehen Dismutation kann auch die Wasserstoffverschiebung aufgefaßt werden, die beim Methylglyoxal, einem Ketoaldehyd, zwischen der (hydratisierten) Aldehyd- und der Carbonylgruppe des gleichen Moleküls eintritt: -H I ¿=0

A/ C< +H'°

0 H

I M)H

•>•0=0«-—-1

COOH H C OH

CH3 CH3 CHS Methylglyoxal Milchsäure Ein Ferment, Glyoxalase, das diese Reaktion hervorruft, findet sich in der Hefe und verschiedenen tierischen Geweben. Es benötigt zu seiner Wirksamkeit die Gegenwart von Glutathion. Die Glyoxalase hat in den älteren Theorien der alkoholischen Gärung eine Rolle gespielt, weil man das Auftreten des Methylglyoxals als Zwischenprodukt annahm (vgl. S. 308).

Diese Beispiele mögen vorläufig genügen, um die Bedeutung der Dehydrierung oder allgemeiner der Wasserstoffverschiebung bei der biologischen Oxydation zu illustrieren. Wir werden bei der Besprechung des Intermediärstoffwechsels im einzelnen zeigen, wie Kohlenstoffketten durch eine Reihe aufeinanderfolgender Dehydrierungen abgebaut werden. Zunächst müssen wir nur zeigen, in welcher Weise der Wasserstoff, welcher durch die Dehydrasen reaktionsfähig gemacht wird, weiterreagiert. Wir haben oben bereits darauf hingewiesen, daß der Wasserstoff sich n i e mit dem Sauerstoff direkt verbindet, sondern daß er von ganz spezifischen Akzeptoren aufgenommen wird. Diese Stoffe sind von O t t o W a r b u r g entdeckt worden. Die Arbeiten, die zur Entdeckung der wasserstoffübertragenden Fermente geführt haben, gingen von der merkwürdigen Beobachtung aus, daß rote Blutkörperchen in glucosehaltiger Ringerlösung suspendiert beträchtliche Mengen Sauerstoff verbrauchen, wenn man Methylenblau zusetzt. Ohne Methylenblau ist die Sauerstoffabsorption äußerst schwach ( B a r r o n und H a r r o p ) . Es zeigt sich zunächst, daß in cytolysierten Blutkörperchen bei Gegenwart von Methylenblau kein Sauerstoff verbraucht wird, wenn Glucose das Substrat der Oxydation ist. Die Verbrennung der Glucose ist also strukturgebunden. Dagegen oxydiert das strukturlose Cytolysat den Phosphoreäureester der Glucose, das Glucose-6-phosphat. Wir können die weitere Analyse der Vorgänge in ihren zahlreichen Etappen und Verzweigungen hier nicht im einzelnen besprechen. Es zeigte sich, daß einzelne Faktoren, die an der Oxydation der Phosphoglucose beteiligt sind, in der Hefe in größerer Menge vorkommen.

Die Arbeiten führten zur Isolierung von drei Faktoren: 1. einem Protein („Zwischenferment"), 2. einem Nucleotid, das Nicotinsäureamid und Adenin enthält („Coferment"), 3. dem sog. gelben Ferment. Sind diese drei Faktoren vorhanden, so vermittelt das Methylenblau die Oxydation der Phosphoglucose durch den Luftsauerstoff. Das Nucleotid ist mit dem Protein zu einem lockeren Komplex verbunden. Für sich allein ist weder das Protein noch das Nucleotid aktiv. Die Rolle des Coferments und des gelben Ferments bei der Oxydation der Phosphoglucose ergibt sich aus ihren chemischen Eigenschaften: beide können reduziert und wieder oxydiert werden. Beim gelben Ferment ist die Reduktion direkt sichtbar, weil es dabei entfärbt wird. Auch die Reduktion des Nucleotids (Coferment) ist optisch zu erkennen: die reduzierte Verbindung zeigt im Ultraviolett bei 345 mju eine Absorptionsbande und fluoresziert weiß. 16*

Die biologische Oxydation

244

/OH CH 2 -0Pé=0 I H0ÓH I HOCH I HOCH Protein I CH2 HjC—^ H3C—

\ :O C NH W

ö

/OH CH,-0-PF=0 I \0H HOCH HOCH I HOCH ¿H 2 + 2H

H

y

v '

—2H

gelbes Ferment:

oxydierte Form

^

V

Protein H

k C:O NH -

i 5 Leukoform ( + 2 H )

E s handelt sich also hier um Redoxsysteme, deren Aufgabe darin besteht, den Wasserstoff des Substrats aufzunehmen und weiterzugeben. Das gelbe Ferment enthält als Wirkungsgruppe einen Farbstoff, der in reiner Form aus Milch isoliert worden war und daher den Namen Lactoflavin erhalten hatte. I m gelben Ferment ist die primäre Alkoholgruppe der Seitenkette mit Phosphorsäure verestert. Die Wirkungsgruppe des gelben Ferments besitzt die vorstehende Konstitution. Die Konfiguration der Seitenkette entspricht derjenigen der Ribose. (Man beachte, daß die Seitenkette aber nicht durch die Ribose, sondern durch den entsprechenden Pentit dargestellt wird!) Das sog. Coferment W a r b u r g s , das aus Erythrocyten isoliert wurde, ist ein Dinucleotid, das einen Pyridinkern in Form des Nicotinsäureamids, Adenin, zwei Moleküle Ribose und drei Moleküle Phosphorsäure enthält. Aus Hefe ist ein ähnlich gebautes Nucleotid isoliert worden, das nur zwei Moleküle Phosphat enthält ( E u l e r ) . Man nennt daher das erste Triphosphopyridinnucleotid (abgekürzt TPN) oder Codehydrase II, das zweite Diphosphopyridinnucleotid (DPN) oder Codehydrase I. Codehydrase I (= Cozymase): NH2 Adenin

Nicotinsäureamid

HOCH HOCH Ribose

Ribose

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger

245

Man hatte früher angenommen, daß alle drei Phosphatreste der Codehydrase I I als Triphosphatgruppe anhydridartig miteinander verbunden seien. Verschiedene Beobachtungen (besonders auch der Abbau durch Phosphatasen, K o r n b e r g ) weisen aber darauf hin, daß wahrscheinlich auch in der Codehydrase I I die beiden Ribosemoleküle durch eine Pyrophosphatbrücke verbunden sind und daß das dritte Phosphatmolekül mit einer der freien Hydroxylgruppen der Ribose verestert ist, und zwar nach neueren Untersuchungen in Stellung 21) (2. Formel unten). Codehydrase I I : OH OH 1 „ 1 Nicotinsäureamid—Ribose—0—P—O—P—O—Ribose—Adenin O

POÄ

O

Der Bestandteil des Nucleotids, der den Wasserstoff aufnimmt, ist das Nicotinsäureamid. D a s ließ sich daraus schließen, daß auch einfache Pyridiniumverbindungen wie das Trigonellin COOH

CO-NH»

COOH

N Pyridin

Nicotinsäure

N+ I CH3 Trigonellin

Nicotinsäureamid

sich hydrieren lassen und dabei die gleiche Veränderung der Lichtabsorption zeigen wie das Nucleotid. Bei der Reduktion entsteht die ortho-Dihydroverbindung ( K a r rer). Wir müssen uns also die reversible Reduktion des Pyridins folgendermaßen vorstellen: r-^N—CO-NH 2 f^V-CO-NH, + H+

hL J

1

~ 2HH

V

-

J

V

R R Die reduzierte Form der Pyridincofermente ist durch eine charakteristische Absorptionsbande im Ultraviolett bei 340 m¡i ausgezeichnet. Dank dieser Eigenschaft ist es möglich, Reaktionen, an denen Codehydrase I oder I I beteiligt ist, optisch zu verfolgen. Diese Methode des optischen Tests hat in den Händen von W a r b u r g bei der Isolierung einer Reihe von Gärungsfermenten eine überragende Rolle gespielt. E s zeigt sich nun, daß in der oben besprochenen Reaktion das Glucosephosphat durch das Pyridin dehydriert wird : H

+ H20

I V^ O (HCOH)4 I CH20P03H2 Glucosephosphat

+

A - i CONH.



COOH

+

CONH,

+ H+

(HCOH)4 Pyridinnucleotid

Phosphogluconsäure

hydriertes Pyridinnucleotid

Wie oben angegeben, werden f ü r die beiden Pyridinnucleotide häufig die Abkürzungen DPN bzw. T P N benützt oder, um anzudeuten, daß es sich um Pyridiniumsalze handelt, DPN+ bzw. T P N + . Die reduzierten Verbindungen werden durch DPNH a oder besser durch D P N H + H + bzw. DPN red. + H + bezeichnet. !) Vgl. J . biol. Chem. 206, 299 (1954).

Die biologische Oxydation

246

Die obige Reaktion kann aber, wie bereits erwähnt wurde, nur in Gegenwart eines spezifischen Proteins stattfinden (das „Zwisehenferment" W a r b u r g s = Glucose-6-phosphatdehydrase), mit dem sich das Nucleotid verbindet. Wenn das Pyridinferment katalytisch wirken soll, so muß das hydrierte Pyridinnucleotid immer wieder zurückoxydiert werden. Dies geschieht durch das Flavin des gelben Ferments: CH2-0-P03H2 (HAOH)3

\

¿H2

CONH,

+

N

ch3[ CH,

Protein

N :0

NH

+ H+

N

C

Ö

R hydriertes Pyridinnucleotid

gelbes Ferment

OPOjH, Protein CONH,

+

N+ i Pyridinnucleotid

hydriertes gelbes Ferment

Das hydrierte gelbe Ferment schließlich kann mit dem Luftsauerstoff reagieren, wobei Wasserstoffsuperoxyd entsteht: Flavin H 2 + 0 2

Flavin + H 2 0 2 .

Oder es kann den Wasserstoff an Methylenblau abgeben, welches dadurch entfärbt wird und in Leukomethylenblau übergeht: Flavin H 2 + Methylenblau

>- Flavin + Leukomethylenblau

(Formeln siehe S. 241). Die Summe aller dieser Reaktionen besteht also darin, daß Wasserstoff vom Substrat, der Phosphoglucose, auf den Luftsauerstoff oder das Methylenblau übertragen wird. Die Fermente, die an dieser Reaktion beteiligt sind, können daher als w a s s e r s t o f f ü b e r t r a g e n d e F e r m e n t e bezeichnet werden. Im gelben Ferment ist das Alloxazin so fest an das Protein gebunden, daß unter physiologischen Bedingungen die Verbindung nicht merklich dissoziiert. Nur bei stark saurer Reaktion gelingt es, die Wirkungsgruppe vom Protein zu trennen.

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger

247

Im Gegensatz dazu bilden das Pyridinnucleotid und das „Zwischenferment" eine leicht dissoziable Verbindung, so daß unter natürlichen Bedingungen stets auch die freien Komponenten in der Zelle vorhanden sind: Pyridinnucleotid + Zwischenferment ^ ^ wasserstoffübertragendes Ferment. (Protein)

Auch das hydrierte Pyridinnucleotid bildet eine Verbindung mit dem spezifischen Protein, das hydrierte wasserstoffübertragende Ferment. Man hat also stets ein Gleichgewicht zwischen fünf Substanzen: Pyridinnucleotid, reduziertes Pyridinnucleotid, freies Zwischenferment, Verbindungen des Zwischenferments mit dem oxydierten und dem reduzierten Nucleotid. Es hat sich gezeigt, daß außer dem Glucosephosphat viele organische Substrate der Zelloxydation durch Pyridinnucleotide dehydriert werden. Der größere Teil der heute bekannten Dehydrasen besitzt als Wirkungsgruppe eines der beiden Pyridinnucleotide Codehydrase I oder Codehydrase II. Die Codehydrase I (Diphosphopyridinnucleotid) ist identisch mit der „Cozymase" der Hefe. Ihre Bedeutung als Coferment der alkoholischen Gärung war schon lange bekannt ( H a r d e n und Y o u n g 1904, E u l e r , vgl. das Kapitel Kohlehydratstoffwechsel), aber ihre chemische Konstitution wurde erst im Anschluß an die Entdeckung des Triphosphopyridinnucleotids aufgeklärt. In der folgenden Tabelle sind einige Dehydrasen zusammengestellt und es wird angegeben, welches Pyridinnucleotid als Coferment dient (I = Codehydrase I; II = Codehydrase II): Substrat

Dehydrierte Verbindung

Milchsäure Äpfelsäure Äthylalkohol Phosphoglycerinaldehyd . . Glutaminsäure Glucose-6-phosphat . . . . Isocitronensäure

Brenztraubensäure Oxalessigsäure Acetaldehyd 1,3-Diphosphoglycerinsäure a-Ketoglutarsäure + NH 3 Phosphogluconsäure Oxalbernsteinsäure

Nähere Angaben Codehydrase über d. Ferment s. Seite: I I oder II I I I oder II II II

284, 286 260 286 281 357 245, 296 261

Je nach dem spezifischen Protein, mit dem es verbunden ist, kann also das Coferment mit verschiedenen Substraten reagieren. Die Spezifität der Dehydrierung wird im wesentlichen durch das Fermentprotein bestimmt. Wir sehen, daß bei der biologischen Dehydrierung nur eine beschränkte Zahl von Cofermenten, aber eine große Zahl von spezifischen Proteinen am Werk sind. Das oben genannte gelbe Ferment wird heute vielfach als das „alte" gelbe Ferment bezeichnet. Es sind nämlich seit seiner Entdeckung verschiedene andere Fermente aufgefunden worden, die Flavin enthalten. (Man bezeichnet Proteide, die Flavin in ihrer prosthetischen Gruppe enthalten, heute vielfach als Flavoproteide. Sie stellen eine besondere Gruppe der Chromoproteide dar.) Ihre Wirkungsgruppe enthält aber dazu noch Adenin und Ribose. Es handelt sich also um ein Adenin-Flavindinucleotid. Das erste Ferment dieser Gruppe, das entdeckt worden ist, ist die D-Aminosäureoxydase (Warbürg). Sie dehydriert Aminosäuren der nicht natürlichen d-Reihe unter Ammoniakabspaltung und Bildung der entsprechenden Ketosäure (vgl. S. 356). Das Adenin-Flavindinucleotid hat die Zusammensetzung einer Verbindung aus 1 Molekül Adenylsäure und 1 Molekül Lactoflavinphosphat. Man schreibt ihm daher einen den Pyridin-Adeninnucleotiden analogen Bau zu:

248

Die biologische Oxydation

O NH

N=C—NH,- 2 HC C—NII

II

>CH

HCOH H CJ.O H HC-OH HaC

OH

Ii

P—0 P — 0 — C H .2 II II o o In dieser Verbindung wäre einfach das Pyridin durch eine andere reversibel reduzierbare Gruppe, das Alloxazin, ersetzt. Die D-Aminosäureoxydase ist nicht imstande, reduzierte Pyridincofermente wieder zu dehydrieren wie das „alte" gelbe Ferment, sondern sie ist spezifisch auf D-Aminosäuren eingestellt. Dagegen wurde aus Hefe aber ein Ferment isoliert, welches wie die Aminosäureoxydase als Wirkungsgruppe Flavinadenindinucleotid enthält, aber mit Pyridinnucleotiden reagiert (Haas). I m Gegensatz zum alten Ferment wird seine reduzierte Form von Sauerstoff nur langsam rückoxydiert; dagegen reagiert es sehr rasch mit Methylenblau. Die Proteinkomponente ist von derjenigen des alten gelben Ferments verschieden. Man hat in verschiedenen Geweben das Vorkommen von Faktoren nachgewiesen, welche die Oxydation von reduzierten Pyridinnucleotiden durch 0 2 und Methylenblau vermitteln. Dieselben wurden „Diaphorasen" ( E u l e r ) oder auch „Coenzym-Faktor" ( D e w a n und G r e e n ) genannt. Soviel wir heute wissen, sind die wirksamen Stoffe Flavoproteide. Auch aus Herzmuskel ist ein Flavoproteid isoliert worden, welches wahrscheinlich Flavin-Adeninnucleotid enthält und ähnliche Eigenschaften hat wie das genannte Ferment aus Hefe. Es wird durch die reduzierten Pyridinnucleotide hydriert; die hydrierte Form reagiert langsam mit Sauerstoff, aber schnell mit Methylenblau. Es ist aber vom Hefeferment verschieden, da es andere optische Eigenschaften zeigt. E s fluoresziert grün, während sonst nur die freien Flavinnucleotide, nicht aber die Flavoproteide Fluoreszenz zeigen. Ein weiteres gelbes Ferment ist aus Hefe dargestellt worden ( H a a s , H o r e c k e r und H o g n e s s ) . Seine Wirkungsgruppe ist Flavinphosphat wie beim „alten" gelben Ferment. Es dehydriert spezifisch das Triphosphopyridinnucleotid und zeigt die Besonderheit, daß es durch Cytochrom reoxydiert werden kann. (Es reagiert mit Cytochrom etwa 500000-mal schneller als mit molekularem Sauerstoff.) Man h a t das Ferment daher Cytochromreduktase genannt. Hier ist auch das neuerdings von M a h l e r und Mitarbeitern isolierte Flavoprotein aus Herzmuskel zu erwähnen, welches die Dehydrierung von reduzierter Cozymase durch lösliches Cytochrom c vermittelt 1 ). Durch Dialyse gegen verdünnte Salzsäure ( T h e o r e i l ) oder durch Ansäuern der Lösung in Gegenwart von Ammoniumsulfat ( W a r b u r g und C h r i s t i a n ) kann man !) J. biol. Chem. 199, 585 (1952).

0

OH

0

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger

249

die Wirkungsgruppe der gelben Fermente abtrennen und das Fermentprotein rein erhalten. Es vereinigt sich bei neutraler Reaktion wieder mit dem Flavin zum aktiven Ferment. Man kann auf diese Weise auch Wirkungsgruppen austauschen. So läßt sich das Alloxazin-Adeninnucleotid des „neuen" gelben Ferments mit dem Protein des „alten" Ferments vereinigen, wobei ein „synthetisches" Ferment entsteht, das ähnliche Wirksamkeit zeigt wie das alte Ferment. Man darf annehmen, daß in der lebenden Zelle die Oxydation der organischen Stoffe in gleicher Weise vor sich geht wie in den beschriebenen Versuchen mit den isolierten Fermenten: Der Wasserstoff des Substrates wird zunächst vom Pyridinferment aufgenommen und dann auf ein gelbes Ferment übertragen. I n einzelnen Fällen wird das Substrat auch direkt von einem gelben Ferment dehydriert. Diese ersten Stufen der Oxydation lassen sich also schematisch folgendermaßen darstellen: Substrat H 2

dehydriertes Substrat

>• Pyridin

Pyridin H 2

Flavin

Flavin Ha

Es entsteht nun die Frage, wie das hydrierte Flavin wieder oxydiert wird. Wir haben gesehen, daß im Modellversuch Methylenblau dazu verwendet werden kann. Zwar reagieren die isolierten gelben Fermente auch mit Sauerstoff; aber gerade diejenigen Flavoproteine, welche die Pyridinnucleotide reoxydieren, reagieren mit 0 2 so langsam, daß die tatsächliche Geschwindigkeit der Atmung damit nicht erklärt werden kann. Vor allem aber ist die Zellatmung, wie oben auseinandergesetzt wurde, gegen Blausäure und CO empfindlich, während die Wasserstoffübertragung über die Pyridin- und Flavinfermente durch diese Stoffe nicht gehemmt wird. Die hydrierten Flavinfermente müssen daher — direkt oder indirekt — durch das Cytochromsystem oxydiert werden. Da die Atmung der meisten Zellen durch die genannten Komplexbildner zum größten Teil unterdrückt wird, kann die direkte Oxydation des Pyridin-Flavin-Systems (unter Umgehung der Metallproteide) nur eine nebensächliche Rolle spielen. Wir kennen nun tatsächlich Flavinfermente wie z. B. die genannte Cytochromreduktase, deren reduzierte Stufe direkt durch Cytochrom c wieder oxydiert werden kann. Durch Vermittlung solcher Fermente kann der Wasserstoff, der vom Triphosphopyridinnucleotid aufgenommen wurde, am Cytochromeisen oxydiert werden. Hier können wir also die Kette der Oxydo-Reduktionsprozesse vom Substrat bis zum Sauerstoff lückenlos verfolgen. Ebenso gehört hierher das oben erwähnte neue Flavoprotein von M a h l e r und Mitarb., das die Reduktion des Cytochroms c durch die hydrierte Cozymase vermittelt. (Tabelle der Flavinenzyme siehe S. 692.) Die anderen heute bekannten Flavinenzyme reagieren aber in vitro nicht direkt mit einem der Cytochrome. Wir können also noch nicht sagen, wie in der Zelle ihre Reoxydation zustande kommt. Unsere Kenntnisse des biologischen Oxydationsprozesses weisen hier noch eine bedeutende Lücke auf. Es ist schon die Möglichkeit erwogen worden, daß zwischen die Flavine und das Cytochrom das System Bernsteinsäure — Fumarsäure eingeschaltet ist ( S z e n t - G y ö r g y i ) . Die Fumarsäure müßte dann durch das Flavinferment zu Bernsteinsäure reduziert werden. Die Bernsteinsäure kann tatsächlich durch Vermittlung der Succinodehydrase vom Cytochrom wieder oxydiert werden. (Succinodehydrase und Cytochromsystem sind in

Die biologische Oxydation

250

der Zelle eng verbunden und lassen sich nicht ohne Zerstörung der Wirkung trennen. Sie bilden zusammen ein komplexes Fermentsystem.) Die Dicarbonsäuren würden sich also in folgender Weise zwischen F l a v i n und Cytochrom einschieben: Flavin

(Fumarsäure) COOH-CH=CH-COOH

[Fe"!] 'SuccinodchyiUase

Flavin H , (Bernsteinsäure)

[Fe"] (Cytochrom)

D a s Bernsteinsäure-Fumarsäure-System würde sich für diese Rolle eignen, weil tatsächlich sein Redoxpotential zwischen demjenigen des Cytochroms c u n d der Flavinfermente liegt. Das obige Schema setzt voraus, daß Flavin H a direkt durch Fumarat dehydriert werden kann. Tatsächlich ist ein gelbes Ferment gefunden worden, welches den Wasserstoff auf Fumarat übertragen kann 1 ). Coferment ist das Flavinadenindinucleotid. Wir wissen aber nicht, ob diese Reaktion eine allgemeine Bedeutung hat. Die wesentliche Rolle der Dicarbonsäuren f ü r die Atmung liegt in ihrer Beteiligung am Tricarbonsäurecyklus (vgl. S. 257). S l a t e r hat in Präparaten aus Herzmuskel, welche Succinat und reduzierte Cozymase zu oxydieren vermögen und die die Fermente in unlöslicher Form an Körnchen gebunden enthalten (wahrscheinlich die Trümmer der sog. Sarkosomen), einen Faktor nachgewiesen, der f ü r die Reduktion des Cytochroms c durch das Flavoprotein sowie f ü r die Oxydation des Succinats unentbehrlich zu sein scheint. Der Faktor gibt sich dadurch zu erkennen, daß er bei Behandlung des Enzympräparats mit reduzierenden Stoffen („Bal" = 2,3-Dimercaptopropanol, reduziertem Glutathion, Ascorbinsäure) in Gegenwart von 0 2 zerstört wird, währenddem die übrigen Komponenten des Systems unter diesen Bedingungen nicht verändert werden 2 ). Dieses Verhalten deutet auf eine Häminverbindung hin (vgl. die Bildung der sog. „grünen Hämine", S. 531). Der Faktor ordnet sich nach S l a t e r in folgender Weise in die Atmungskette ein (Pfeile: Richtung des Wasserstoff- und Elektronentransportes): reduziertes DPN

organische Substrate

Flavoprotein (Diaphorase)

Methylenblau

02 Succinat

Faktor von S l a t e r

Cytochrom b

Cytochrom c

Cytochrom a

W a r b u r g s c h e s Atmungsferment

0, !) F i s c h e r und Mitarb., Naturwiss. 27, 197 (1939). 2 ) Vgl. Biochem. J . 46, 484'(1950).

/ / Succinodehydrase

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger

251

Durch gestrichelte Pfeile ist die nicht physiologische Oxydation der Flavoproteine und des Succinats durch Methylenblau bezeichnet. Das Succinat nimmt insofern eine besondere Stellung ein, als bisher kein Pyridin- oder Flavincoferment gefunden werden konnte, welches seinen Wasserstoff auf das Cytochromsystem überträgt. Möglicherweise reagiert es also, wie angegeben, direkt mit dem Cytochrom b. Die Bedeutung des S l a t er sehen Faktors bleibt noch abzuklären, denn es sind, wie oben erwähnt, Flavoproteine bekannt, welche auch direkt mit dem Cytochrom c zu reagieren scheinen.

Welcher Art nun auch der Wasserstoffüberträger sei, der mit dem Cytochrom reagiert, so wird der Wasserstoff schließlich am dreiwertigen Cytochromeisen zum Wasserstoffion oxydiert: (Cytochrom) XH 2 + 2Fe+++

(Cytochrom) X + 2Fe++ + 2H+

Faßt man die bisher besprochenen Vorgänge zusammen, so gelangt man zum folgenden allgemeinen Schema der biologischen Oxydation. Die Pfeile weisen die Richtung der Elektronenübertragung: ++ ++ Fe. Substrat Pyridin H 2 Flavin H 2 v Fe-Sauerstoff J \ \ \2H \2H \ +++ \ V + + dehydriertes \)-1r Pyridin Flavin • Fe F e f i Substrat »2H+J JL H»0 Codehydrase I gelbe Fermente: oder Codehydrase II „altes" gelbes Ferment + Apodehydrasen „neues" gelbes Ferment (Zwischenferment) Cytochromreduktase

Cytochrome

Atmungsferment

Man bezeichnet die obige Reaktionsfolge, durch welche der Substratwasserstoff schließlich zu Wasser oxydiert wird, als A t m u n g s k e t t e . Die Punktreihe und das Fragezeichen bedeuten, daß die Oxydation verschiedener Flavine durch die Cytochrome noch nicht abgeklärt ist. Es sei auch daran erinnert, daß es Substrate gibt, die direkt durch Flavine und nicht durch Pyridin dehydriert werden, und daß in besonderen Fällen (die allerdings nur einen Nebenweg darstellen) das Flavin durch den molekularen Sauerstoff oxydiert werden kann. Bei wichtigen Dehydrasen, wie z.B. der Bernsteinsäuredehydrase, kennt man heute den Wasserstoffüberträger überhaupt nicht. Auf verschiedene Einzelheiten werden wir bei der Besprechung des Intermediärstoffwechsels zurückkommen. Wir haben uns bisher nur mit der Oxydation des Wasserstoffs befaßt. In den folgenden Kapiteln werden wir zeigen, in welcher Weise die Kohlenstoffketten der organischen Verbindungen abgebaut werden. Kohlendioxyd entsteht, soviel wir heute wissen, immer durch Decarboxylierung, d. h. durch Abspaltung einer Carboxylgruppe. Der aufgenommene Sauerstoff stammt in allen Fällen, in denen wir den Reaktionsverlauf heute übersehen können, aus dem Wasser. Da der Oxydationsvorgang in eine Reihe einzelner Stufen aufgeteilt ist, wird auch die Energie nicht in einem einzigen Sturz freigesetzt, sondern sie kann in Teilbeträgen kaskadenartig abfließen. Wir werden auf die Bedeutung dieser Tatsache bei der Besprechung des Intermediärstoffwechsels näher eingehen. Außer den bisher genannten Fermenten der Oxydation finden sich in den Zellen verschiedenartige Stoffe, die sich durch besonders leichte Oxydations- oder Reduktionsfahigkeit auszeichnen. Dazu gehören möglicherweise auch gewisse Vitamine und Hormone. Adrenalin, Sulfhydrylverbindungen und Vitamin C sind hier in

Die biologische Oxydation

252

erster Linie zu nennen. Es ist möglich, daß diese Stoffe ebenfalls eine Cofermentnatur haben, indem sie im Verein mit Trägerproteinen wirken. Darüber ist noch nichts bekannt. Adrenalin kann in ein Orthochinon übergehen, wobei gleichzeitig Ringschluß der Seitenkette eintritt. Dieses Oxydationsprodukt wird A d r e n o c h r o m genannt: Hv .OH Hv /OH. H. OH h o - Y Y C I II H O s \ /

X c h

> • O = ^ / I NH-(CH,)

C

N c h 2 , I NH-(CH3)

o = / V C V2 ^ 0 = \ ^ \ n / ch3

Adrenalin

Adrenochrom

Es scheint, daß Adrenochrom bei der Dehydrierung der Äpfelsäure und der Milchsäure den Wasserstoff von der Codehydrase I aufnehmen kann und dabei in eine Leukoverbindung übergeht, die autoxydabel ist, also vom Luftsauerstoff wieder oxydiert wird. Es kann also die Oxydation der genannten Substrate durch den Luftsauerstoff vermitteln. Wie weit diesem Vorgang biologische Bedeutung zukommt, ist unbekannt. Ein anderer Stoff, der vielleicht auch an Redoxvorgängen beteiligt ist, ist das Pyocyanin, ein Bakterienfarbstoff: O N II k I CH, Derartige Bakterienfarbstoffe könnten möglicherweise als C o d e h y d r a s e n wirken. Die Ascorbinsäure (Vitamin C) ist eine stark reduzierende Verbindung (vgl. Kap. 29). Sie geht bei der Oxydation zuerst in Dehydroascorbinsäure über:

HO—C

o HO—C I HC— HC-OH J m•OH Ascorbinsäure

„ 2H

~ > + 2H

>JI O

0=

0=C

HC-

L

HC-OH H2C-OH Dehydroascorbinsäure

Diese Reaktion ist umkehrbar. Bei pH-Werten > 5 (d. h. bei neutraler und alkalischer Reaktion) wird die Dehydroascorbinsäure leicht weiter oxydiert, wobei die C-Kette zerfällt. Es ist möglich, daß die reversible Oxydation der Ascorbinsäure für ihre Wirkung eine Bedeutung hat. Sicheres ist aber darüber nicht bekannt. Die Ascorbinsäure ist autoxydabel. Die Oxydation ist eine Schwermetallkatalyse. Besonders wirksam sind Cu- und Ag-Ionen. Es scheint, daß die Oxydation auch durch schwermetallhaltige Fermente katalysiert wird.

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger

253

Die Sulfhydrylverbindungen von der Art des Glutathions scheinen nicht Wasserstoffüberträger im allgemeinen Sinn zu sein; wahrscheinlich kommen ihnen im Stoffwechsel speziellere Funktionen als Cofermente zu (vgl. S. 282, 308). Wasserstoffübertragende Fermentsysteme besonderer Art sind die ausschließlich auf Bakterien und einige Algen beschränkte Hydrogenase und die ebenfalls bei Bakterien vorkommende Hydrogenlyase. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß sie mit molekularem, gasförmigem Wasserstoff reagieren. Die Hydrogenase vermag in reversibler Reaktion Wasserstoffakzeptoren durch > molekularen Wasserstoff H 2 zu reduzieren: H 2 -f- A < H 2 A. (Der Wasserstoff kann auch von nicht physiologischen Akzeptoren, z. B. Farbstoffen, aufgenommen werden; daher läßt sich das Enzym durch die T h u n b e r g t e c h n i k nachweisen.) Gewisse Grünalgen (z. B. Scenedesmus) können durch Anpassung dazu gebracht werden, den molekularen Wasserstoff zur Photoreduktion der Kohlensäure zu verwenden (vgl. Kapitel Photosynthese S. 460). Das Ferment vermag als einfachste Reaktion auch den Austausch des Wasserstoffs zwischen Wasser und molekularem Wasserstoff zu katalysieren, was leicht verständlich ist, wenn man annimmt, daß der vom Ferment (X) fixierte Wasserstoff zum Wasserstoffion oxydiert wird: H2

OH I Î H2C—COOH Oxalbernsteinsäure

CO,

COOH

0=C I CH2 CO.

¿h2 ¿OOH

a-Ketoglutarsäure

Die Oxydation des Pyruvats durch den Citronensäurecyklus

259

D a s F e r m e n t , d a s die R e a k t i o n k a t a l y s i e r t , h e i ß t Succinoxydase o d e r Succinodehydrase. Der Wasserstoff wird durch das Cytochromsystem oxydiert, wahrscheinlich d u r c h d a s C y t o c h r o m b ; d o c h i s t u n b e k a n n t , a u f welche W e i s e er m i t d e m C y t o c h r o m z u r R e a k t i o n g e b r a c h t wird. D a s v o l l s t ä n d i g e F e r m e n t s y s t e m b e s t e h t a u s m e h r e r e n K o m p o n e n t e n u n d u m f a ß t n e b e n d e r eigentlichen D e h y d r a s e , welche d a s Cytoc h r o m b d u r c h d e n W a s s e r s t o f f des S u c c i n a t s r e d u z i e r t , n o c h die ü b r i g e n C y t o c h r o m e u n d die C y t o c h r o m o x y d a s e . D i e B e t e i l i g u n g d e r e i s e n h a l t i g e n H ä m i n f e r m e n t e ist u . a. d a r a n z u e r k e n n e n , d a ß die R e a k t i o n d u r c h H C N g e h e m m t w i r d . Ein weiterer wichtiger Hemmkörper ist die Malonsäure (COOH • CH2 • COOH). Sie hat bei der Erforschung der Oxydationsvorgänge, an denen die Succinoxydase beteiligt ist, eine große Rolle gespielt, weil sie bei geeigneter Konzentration die Reaktion des Ferments mit seinem Substrat spezifisch hemmt. |Es gibt z. |Zt. keine sicheren Anhaltspunkte dafür, daß zwischen dem Succinat und dem Cytochrom b andere Wasserstoffüberträger eingeschaltet sind. Wenn der Wasserstoff des Succinats tatsächlich direkt auf das Cytochrom b übertragen wird, so kann man das letztere selbst als eine Cytochromreduktase bezeichnen. Wir haben schon früher die von S l a t e r angenommene weitere Komponente des Succinoxydase-Komplexes erwähnt. Wir verweisen auf das S. 250 mitgeteilte Schema S l a t e r s , welches die Rolle dieses Faktors klarstellt. Das Succinoxydasesystem ist, soviel wir wissen, stets an die Zellgranula (Mitochondrien, Sarkosomen) gebunden. Die Komponenten sind fest mit gewissen Strukturbestandteilen verankert, von denen sie nicht losgelöst werden können. Die wirksamen Fermentpräparate stellen immer Suspensionen unlöslicher Partikel dar. Die Succinoxydase ist das typische Beispiel eines strukturgebundenen Fermentsystems. Anstatt vom Cytochrom kann bei der Dehydrierung der Bernsteinsäure der Wasserstoff auch durch künstliche Akzeptoren aufgenommen werden. Setzt man einer gewaschenen Muskelsuspension Bernsteinsäure und Methylenblau zu, so wird das letztere zur Leukobase reduziert (vgl. S. 241). Da aber die Leukobase autoxydabel ist, wird sie vom Luftsauerstoff beständig wieder rückoxydiert. Die Bernsteinsäure wird also durch Vermittlung des Methylenblaus oxydiert. Arbeitet man unter Sauerstoffausschluß, so kann die Rückoxydase des Leukomethylenblaus nicht mehr erfolgen. Die Lösung wird daher entfärbt. Man kann also die Wasserstoffübertragung direkt sehen. Wie wir schon früher erwähnt haben, kann die gleiche Methode auch bei vielen anderen Dehydrasen angewendet werden ( T h u n b e r g ) . Fumarase. B e i d e r O x y d a t i o n d e r B e r n s t e i n s ä u r e d u r c h Gewebe t r i t t l i n k s d r e h e n d e Ä p f e l s ä u r e als R e a k t i o n s p r o d u k t a u f . Sie e n t s t e h t a u s d e r F u m a r s ä u r e d u r c h A n l a g e r u n g v o n W a s s e r . Diese d u r c h d a s F e r m e n t F u m a r a s e k a t a l y s i e r t e R e a k t i o n i s t u m k e h r b a r ; d a h e r e n t s t e h t i n G e w e b s e x t r a k t e n o d e r -suspensionen b e i m Z u s a t z d e r e i n e n d e r b e i d e n K o m p o n e n t e n i m m e r d a s Gleichgewichtsgemisch (etwa 3 / 4 M a l a t neben 1/i Fumarat): COOH A H CH

COOH +h>0

- H,o

i O O H

Fumarsäure

Fumarase ü'umarase

H!>OH ¿h i

2

C O O H

l(—)-Äpfelsäure

Bildung der Oxalessigsäure aus Äpfelsäure. D i e Ä p f e l s ä u r e w i r d i n d e n G e w e b e n z u r e n t s p r e c h e n d e n K e t o s ä u r e d e h y d r i e r t . D a s F e r m e n t i s t die Malicodehydrase: 17*

260

Die Oxydation der Kohlenstoffketten; der Citronensäurecyklus COOH

HC OH I ch 2

COOH —

C=0

2 H

'H2 in

Malicodehydiase

I

¿OOH

COOH Oxalessigsäure

Äpfelsäure

Die Reaktion wird durch die entstehende Ketosäure stark gehemmt; man muß daher, wenn man mit dem isolierten Ferment arbeitet, außer dem Wasserstoffakzeptor ein Ketoreagens zufügen, das die Ketosäure bindet, wie Cyanid oder Semicarbazid. Der natürliche Wasser Stoffakzeptor ist die Codehydrase I (Cozymase). In vitro kann sie durch Methylenblau ersetzt werden. Neuerdings ist in der Vogelleber noch ein anderer Weg der Dehydrierung der Äpfelsäure aufgefunden worden, der direkt zur Brenztraubensäure führt. An dieser Reaktion ist die Codehydrase II (Triphosphopyridinnucleotid TPN) als Wasserstoffakzeptor beteiligt (Ochoa): COOH HC OH

^

COOH Äpfelsäure

COOH

+

TPN

oxydierte Stufe des Coferments

-

c=o J CH.,

+ co 2 + h 2 t p n

Brenztraubensäure

reduzierte Stufe des Coferments

Die besondere Bedeutung dieser Reaktion liegt darin, daß sie umkehrbar ist, d. h. sie kann zur Fixierung von C0 2 führen. Wir werden auf dieses wichtige Problem später zurückkommen.

Decarboxylierung der Oxalessigsäure. Als /?-Ketocar bonsäure ist die Oxalessigsäure instabil, besonders bei saurer Reaktion. Sie erleidet spontan die Ketospaltung und zerfällt in C0 2 und Brenztraubensäure: COOH

1.0 CH2

¿OOH Oxalessigsäure

COOH

I c=o

+ C0 2

CHa Brenztraubensäure

Die Reaktion wird durch mehrwertige Kationen (Mn++, Mg++, A1+++) und ebenso durch Anilin stark beschleunigt. Es scheint aber, daß sowohl bei den Bakterien als auch in den Geweben höhere Tiere thermolabile spezifische Katalysatoren der Reaktion vorkommen. Bildung von Bernsteinsäure aus a-Ketoglutarsäure. Es war schon längere Zeit bekannt, daß Hefe und Fäulnisbakterien aus a-Ketoglutarsäure Bernsteinsäure bilden können. Später wurde gezeigt, daß diese Reaktion auch in den Geweben höherer Tiere stattfindet. Die Ausbeute an Bernsteinsäure in vitro ist besonders groß, wenn man ihre weitere Oxydation durch Malonat hemmt. Es handelt sich bei dieser Reaktion nicht, wie bei der Decarboxylierung der Oxalessigsäure oder der Brenztraubensäure in der Hefe, um eine einfache Spaltung des Moleküls, sondern es findet gleich-

Die Oxydation des Pyruvats durch den Citronensäurecyklus

261

zeitig eine Dehydrierung statt. Man nennt diese Reaktion daher eine oxydative Decarboxylierung: COOH ¿=0

COOH >

¿H 2

ICH2

CH2

I CH2

COOH a-Ketoglutarsäure

+

co 2

COOH Bernsteinsäure

Der primäre Wasserstoffakzeptor ist die Cozymase. Aneurinpyrophosphat und Magnesiumionen sind Cofermente dieser Reaktion wie bei der einfachen Decarboxylierung der Brenztraubensäure zum Acetaldehyd. Nach neueren Untersuchungen sind an dieser Reaktion noch zwei weitere Cofaktoren, das Coenzym A und die • C 5 H 6 0 5 + C0 2 a -Ketoglutarsäure

Es handelt sich aber um keine einfache Reaktion. Die Verbindung, die dehydriert wird, ist ein Isomeres der Citronensäure, die Isocitronensäure, die in den Geweben leicht aus Citronensäure entsteht (siehe unten). Durch Dehydrierung entsteht daraus eine Ketosäure, die Oxalbernsteinsäure, die als /ß-Ketosäure instabil ist und in txKetoglutarsäure und C0 2 zerfällt. HO—CH—COOH | HC—COOH

I

H2C—COOH Isocitronensäure

—2H +2H

Isocitricodehydrase

0=C—COOH I HC—COOH

0=C—COOH •

H2C—COOH Oxalbernsteinsäure

¿H 2

I

I

Oxalbernsteinsäurecarboxylase

+ C0 2

H2C—COOH a-Ketoglutarsäure

Bei der Dehydrierung ist Triphosphopyridinnucleotid (Codehydrase II) Wasserstoffakzeptor. Die zweite Reaktion wird, obwohl sie auch spontan verläuft, durch ein Ferment katalysiert und bedarf des Mn ++ -Ions. Das Ferment ist offenbar ein Metallproteid. Beide Reaktionsstufen sind umkehrbare Gleichgewichtsreaktionen, können also unter geeigneten Bedingungen (Gegenwart von hydrierter Codehydrase II) ebenfalls zur Fixierung von C0 2 führen (Ochoa). Das Gleichgewicht zwischen Citronensäure, Isocitronensäure und cis-Aconitsäure. Wir haben oben erwähnt, daß Isocitronensäure aus Citronensäure entsteht; die Umwandlung erfolgt über das gemeinsame Anhydrid, die cis-Aconitsäure, und wird durch ein Ferment, die Aconitase, bewirkt ( M a r t i u s ) :

262

Die Oxydation der Kohlenstoffketten; der Citronensäurecyklus

H2C—COOH

HC—COOH

HO—CH—COOH

cis-Aconitsäure

Isocitronensäure

HO—C—COOH Ha,i—COOH (

Citronensäure

Wie man sieht, wirbt die Aconitase ähnlich wie die Fumarase; sie bewirkt reversible Wasseranlagerung an eine Doppelbindung. Die Grundtatsachen des Citronensäurecyklus. Citrat wird durch Muskel, Leber und andere Gewebe leicht oxydiert; dasselbe gilt auch für die oben erwähnten Dicarbonsäuren a-Ketoglutarsäure, Bernsteinsäure, Fumarsäure, Äpfelsäure. Unter verschiedenen Bedingungen läßt sich aber in den Geweben auch die Entstehung von Citronensäure nachweisen. So findet man eine kleine Menge Citronensäure (neben einer bedeutend größeren Menge a-Ketoglutarsäure), wenn zu einer Muskelsuspension Oxalessigsäure zugesetzt wird. Bedeutend mehr Citronensäure wird angehäuft, wenn bei Gegenwart von Malonat zu einer solchen Suspension gleichzeitig Brenztraubensäure und Fumarsäure zugesetzt werden. Es ist also anzunehmen, daß Citronensäure als Intermediärprodukt des Stoffwechsels immer entsteht und unter geeigneten Bedingungen angehäuft wird. Citronensäure steigert die Atmung des Muskels, und zwar ist die Erhöhung der Sauerstoffaufnahme bedeutend größer, als der Oxydation des zugesetzten Citrats entsprechen würde. Sie wirkt also katalytisch. Eine ähnliche katalytische Wirkung auf die Atmung des zerkleinerten Muskels zeigen auch die Dicarbonsäuren (Bernsteinsäure, Fumarsäure). Durch diese Tatsache wurde man zum erstenmal auf die große Bedeutung der Dicarbonsäuren als Zwischenprodukte des oxydativen Stoffwechsels aufmerksam. S z e n t - G y ö r g y i betrachtete sie als die wichtigsten Wasserstoffüberträger bei der Oxydation des Kohlehydrats (vgl. S. 268). Wir werden auf seine Theorie noch kurz zurückkommen. Von besonderer Bedeutung für die Theorie des Tricarbonsäurecyklus sind noch die folgenden Tatsachen. In Muskelsuspensionen hemmt das Malonat den Sauerstoffverbrauch und das Verschwinden zugesetzter Brenztraubensäure. Wir haben gesehen, daß Malonsäure die Dehydrierung der Bernsteinsäure hemmt. Man kann also aus der Malonathemmung schließen, daß die Bernsteinsäure Zwischenprodukt der Pyruvatoxydation ist. Dies wird dadurch bestätigt, daß Fumarsäure die Wirkung des Malonatzusatzes kompensiert ( S z e n t - G y ö r g y i , Krebs). Durch Zugabe von Fumarsäure (das Reaktionsprodukt der Bernsteinsäure, dessen Bildung durch Malonat verhindert wird) kann die durch Malonat zugesetzte Barriere übersprungen werden. Gleichzeitig aber beobachtet man unter diesen Bedingungen (d. h. bei Gegenwart von Pyruvat, Fumarat und einer kleinen Menge Malonat als Hemmkörper), daß sich Bernsteinsäure anhäuft, und zwar stärker unter aeroben als unter anaeroben Bedingungen (Krebs). Diese Bernsteinsäure kann nicht durch Reduktion aus der Fumarsäure entstanden sein (Umkehrung der Reaktion auf S. 257), denn dieser Weg ist durch Malonat gesperrt. Sie muß also auf oxydativem Weg aus der Fumarsäure gebildet worden sein. Die Erklärung dieser Tatsache gibt eben die von H. A. K r e b s aufgestellte Theorie des „Citronensäurecyklus". Nach dieser Theorie bildet sich zuerst aus Brenztraubensäure und Oxalessigsäure unter Abspaltung von C0 2 eine Tricarbonsäure. (Diese Reaktion wird oft „Krebs-Kondensation" genannt.) Dadurch erklärt sich die gesteigerte Bildung von Citrat aus Pyruvat bei Gegenwart einer Dicarbonsäure; die letztere liefert die zur Kondensation nötige Oxalessigsäure.

Die Oxydation des Pyruvats durch den Citronensäurecyklus

263

Bilanzmäßig verläuft die Kondensation folgendermaßen: Pyruvat + Oxalacetat + J 0 2

>• Citrat + C02 + H a O .

Der erste Hinweis auf die Möglichkeit der Bildung von Citrat aus Oxalacetat und Pyruvat ergab sich aus Versuchen von K n o o p und Martius (1936), welche zeigen konnten, daß Oxalacetat und Pyruvat sich in schwach alkalischer Lösung kondensieren und bei nachfolgender Oxydation durch Wasserstoffsuperoxyd Citronensäure liefern. Es hat sich gezeigt, daß bei der Krebs-Kondensation nicht die Brenztraubensäure selbst sich mit der Oxalessigsäure verbindet und nachträglich decarboxyliert wird. Vielmehr wird das Pyruvat zuerst oxydativ decarboxyliert, und erst die entstehende C2-Verbindung geht in die Reaktion ein. Diese Verbindung muß in naher Beziehung zur Essigsäure stehen. Der Muskel, der die Brenztraubensäure sehr leicht oxydiert, kann aber Essigsäure nicht oxydieren. Essigsäure als solche kann also nicht Zwischenprodukt der Reaktion sein. Die Untersuchungen der letzten Jahre, die wir im wesentlichen F. L i p m a n n , E. L y n e n und S. Ochoa verdanken, haben zu der grundlegenden Erkenntnis geführt, daß bei der Decarboxylierung der Brenztraubensäure zunächst ein besonders reaktionsfähiges Derivat der Essigsäure entsteht, die „aktivierte" Essigsäure. Man hatte die Existenz einer solchen Verbindung auf Grund verschiedener Beobachtungen schon früher vermutet. Es zeigte sich in der Folge, daß die „aktivierte" Essigsäure eines der wichtigsten Intermediärprodukte des Stoffwechsels ist, das in alle möglichen biochemischen Reaktionen eingehen kann. Sie entsteht nicht nur beim Abbau des Pyruvats, sondern auch bei der Oxydation der Fettsäuren. Die „aktivierte" Essigsäure kann sich direkt mit dem Oxalacetat kondensieren; sie leitet damit den Citronensäurecyklus ein. Die große Bedeutung des C i tronensäurecyklus l i e g t darin, daß er den O x y d a t i o n s w e g f ü r die aus K o h l e h y d r a t , Fettsäuren und anderen V e r b i n d u n g e n entstehenden C 2 -Fragmente darstellt. Wir besprechen zunächst die Bildung der „aktivierten" Essigsäure aus dem Pyruvat und ihre Kondensation mit dem Oxalacetat. Der Abbau der Fettsäuren zu aktiver Essigsäure wird in einem späteren Kapitel behandelt. Bei der oxydativen Decarboxylierung der Brenztraubensäure durch Bakterienfermente (Lactobacillus Delbrueckii) hat man als Reaktionsprodukt Acetylphosphat isoliert (Lipmann). Es scheint also, daß hier die oxydative Spaltung der Brenztraubensäure mit der Aufnahme von Phosphat verbunden ist, etwa nach folgendem Schema: M3H c=o

+

CH,3 Brenztraubensäure

H 3 P0 4


• Citrat + C0 2 + [DPN]H + H+

Die Bildung des acetylierten Coenzyms A aus Pyruvat könnte derart erfolgen, daß sich das Coenzym an die Carbonylgruppe anlagert, worauf Dehydrierung unter Abspaltung von C0 2 eintritt ( L y n e n ) . Der Wasserstoff wird von der Cozymase aufgenommen und die Reaktion erfordert als weiteres Coferment Aneurinpyrophosphat. COOH | C = 0 + HS—CoÄ i CHg

COOH LOH • L T P P = Lipothiamidpyrophosphat): O

O

sCH 3 —C—COOH + I ^>LTPP Sx O II CH3— C—Sv > L T P P + CoÄ—SH HSX HS.

> L T P P + DPN+ HS^

,

CH 3 —C—S x > L T P P + C02 HSX Acetyl-Lipothiamidpyrophosphat O II CH 3 —C—S—CoÄ +

.

>•

HSX >LTPP HS/

Sx I > L T P P + D P N H + H+ Sx

Es bildet sich also zuerst Acetyl-Lipothiamidpyrophosphat, aus welchem durch eine Austauschreaktion Acetyl-CoA hervorgeht. Da die Lipoinsäure auch in den tierischen Geweben vorkommt (die kristallisierte Substanz wurde aus Leber dargestellt)2), ist anzunehmen, daß in den tierischen Zellen das Pyruvat nach dem gleichen Schema oxydiert wird. Wahrscheinlich verläuft auch die oxydative Decarboxylierung der a-Ketoglutarsäure in gleicher Weise. Versuche mit löslichen Fermenten aus Herzmuskel zeigen, daß die Reaktion Coenzym A-abhängig ist und daß offenbar intermediär die Succinylverbindung des Coenzyms C00HCH 2 CH 2 C0- S- COÄ gebildet wird3). Man kann also die Reaktion folgendermaßen formulieren: a-Ketoglutarat + CoA + [DPN]

Succinyl—CoA + C02 + D P N H + H+.

Es ist ein Ferment (Desacylase) vorhanden, das anschließend den Succinylrest hydrolytisch aus der CoA-Verbindung abspaltet. Der „aktivierte" Succinylrest kann aber auch ähnlich wie der Acetylrest auf Sulfamlamide übertragen werden4). Neuerdings hat sich auch die Abhängigkeit der Ketoglutarsäureoxydation vom Lipothiamid nachweisen lassen (Reed und De Busk), und man kann daher die analoge Reaktionsfolge annehmen wie beim Pyruvat, nämlich eine primäre Bildung von Succinyl-Lipothiamid. Die Decarboxylierung des a-Ketoglutarats kann aber auch mit einer Phosphorylierung gekoppelt sein. Es lassen sich aus Herzmuskel Enzympräparate darstellen, welche imstande sind, bei Gegenwart von Ketoglutarat, Coenzym A und A T P anorganisches Phosphat in organische Bindung (Glucosephosphat) überzuführen. Wahrscheinlich reagiert dabei SuccinylCoenzym A nach folgender Gleichung5): Succinyl—CoA + ADP + Phosphat

Succinat + A T P + CoA.

Über die allgemeine Bedeutung dieser Reaktion vgl. S. 452 und 525 !) J. Am. ehem. Soc. 75, 1261 (1953); Physiol. Reviews 33, 544 (1953). R e e d und Mitarb., J. Am. ehem. Soc. 75, 1267 (1953). а ) K a u f m a n n ; Green, Phosphorus Metabolism 1, 370, 330 (1951). 4 ) Sanadi und L i t t l e f i e l d , J. biol Chem. 193, 683 (1951). б ) K a u f m a n n , Fed. Proc. 12, 704 (1953); vgl. auch Ann. Rev. Biochem. 21, 578 (1952). 2)

Die Oxydation des Pyruvats durch den Citronensäurecyklus

267

Wenn außer dem Coenzym A auch Adenosintriphosphat zugegen ist, kann auch Acetat mit Oxalacetat unter Bildung von Citrat reagieren. Bei Gegenwart von ATP kann die freie Essigsäure aktiviert, d. h. in Acetyl—CoA übergeführt werden. Über den Mechanismus dieser Reaktion vgl. S. 449. Wie bereits erwähnt, erfolgt die Bildung des Acetylphosphats bei den Bakterien nicht direkt durch phosphorylierende Spaltung des Pyruvats. Vielmehr erfolgt zuerst die mit der Decarboxylierung des Pyruvats gekoppelte Acetylierung des Coferments und anschließend die Übertragung des Acylrests auf das Phosphat durch eine besondere „Transacetylase" (vgl. S. 449).

Durch die Kondensation der „aktivierten" Essigsäure mit der Oxalessigsäure entsteht eine Tricarbonsäure. Da die drei in Frage kommenden Säuren — Citronensäure, Isoeitronensäure, cis-Aconitsäure — miteinander im Gleichgewicht stehen {vgl. S. 262), kann nicht ohne weiteres gesagt werden, welche primär gebildet wird. Aus Isotopenversuchen, auf die wir im einzelnen hier nicht eingehen können, glaubte man bis vor kurzem schließen zu müssen, daß die cis-Aconitsäure das erste Produkt der Krebs-Kondensation darstelle. Doch haben neuere Versuche zum Resultat geführt, daß sehr wahrscheinlich die ursprüngliche Annahme richtig ist, nach der zuerst Citronensäure gebildet wird. H e m m u n g der C i t r a t o x y d a t i o n durch F l u o r a c e t a t . Ein interessanter Hemmkörper des Citronensäurecyklus ist neuerdings im Fluoracetat (FCH2COOH) gefunden worden. Dieser Stoff hemmt die Oxydation des Citrats in spezifischer Weise (Peters, Martius). Bei Tieren, die mit diesem Stoff vergiftet worden sind, findet man eine starke Anhäufung von Citrat in verschiedenen Organen (im Gehirn auf das 10-fache, im Herzen auf das 20-fache, in der Niere auf das 80-fache des Normalwerts, keine nennenswerte Anhäufung in der Leber) (Peters, P o t t e r u. a.). Das Fluoracetat wird, wie P e t e r s und Mitarb. gezeigt haben, in den Mitochondrien in das Monofluorderivat einer Tricarbonsäure übergeführt, das isoliert werden konnte und welches die Aconitase und damit die Oxydation des Citrats kompetitiv hemmt. Der Hemmkörper ist außerordentlich wirksam (5—6 y verhindern das Verschwinden von lOMikromol Citrat). Es liegt hier der sehr interessante Fall vor, daß ein stark toxischer Stoff aus einem nicht oder jedenfalls viel weniger toxischen, dem Fluoracetat im Körper selbst gebildet wird („lethale Synthese")1). Die Reaktionen, die von der Citronensäure weiterführen, wurden oben bereits besprochen. Das Schema auf S. 258 zeigt, wie sie sich zum Cyklus zusammenschließen. E s zeigt die Zwischenstufen, die bei der Pyruvatoxydation auftreten. Es sagt aber nichts über den Mechanismus der Einzelreaktionen aus. Eine erste wichtige Frage betrifft die Natur der Wasserstoffakzeptoren, die an den verschiedenen Dehydrierungen beteiligt sind. Die Brenztraubensäure reagiert mit der Cozymase, die Isoeitronensäure mit dem Triphosphopyridinnucleotid (Codehydrase II) und die Äpfelsäure mit dem Diphospho- oder Triphosphopyridinnucleotid. Bei der Succinodehydrase ist nicht bekannt, ob ein Pyridin- oder Flavincoferment zwischen das Substrat und das Cytochrom eingeschaltet ist (vgl. S. 250 u. S. 259). Der Wasserstoff wird aber unter aeroben Bedingungen letzten Endes dem Cytochromsystem zugeführt, wie dies im Kapitel über die biologische Oxydation beschrieben worden ist. Das folgende Schema gibt einen Überblick über die am Citronensäurecyklus (beteiligten Wasserstoffüberträger: *) Vgl. z. B. P e t e r s , Brit. Med. Bull. 9, 116 (1953).

268

Die Oxydation der Kohlenstoffketten; der Citronensäurecyklus Atmungskette Pyruvat

coX

DPN

/

„aktiviertes" Acetat + Oxalacetat Citrat—Isocitrat

2H

TPN

2H

, DPN

C0 2 a-Ketoglutarat

Flavinenzyme

Cytochrome t

Atmungsferment

CO, Succinat

Fumarat—Malat

?.?...

2H

-

02

DPN TPN

Oxalacetat

Das obige Schema läßt einen Aspekt der Oxydationsvorgänge hervortreten, der später bei Betrachtung der Phosphorylierungen als Mittel der energetischen Koppelung von Bedeutung sein wird. Die Substrate durchlaufen eine Reaktionskette (oder einen Reaktionscyklus), in deren Verlauf ihr Kohlenstoffgerüst zu C 0 2 oxydiert wird. Man kann diese Reihe als „ S u b s t r a t k e t t e " bezeichnen. Bei jeder Oxydationsstufe wird der Wasserstoff durch einen Akzeptor aufgenommen und über eine Reihe von Wasserstoffüberträgern und Häminfermenten schließlich zu Wasser oxydiert. Man hat diese Reaktionsfolge als „ A t m u n g s k e t t e " bezeichnet. Wir werden später sehen, daß der größte Teil des Abfalls des chemischen Potentials, welcher mit der Oxydation der organischen Substrate verknüpft ist, auf die Oxydation der hydrierten Cofermente fällt. Da die Substrate ihren Wasserstoff mit Hilfe der spezifischen Dehydrasen auf die gleichen Cofermente (meistens DPN und TPN) übertragen können, vermag die Zelle durch ein und denselben Reaktionsmechanismus die chemische Energie einer großen Zahl verschiedenartiger Substrate auszunützen. Die B e d e u t u n g der D i c a r b o n s ä u r e n für die Z e l l a t m u n g Schon vor der Aufstellung des Citronensäurecyklus hatte S z e n t - G y ö r g y i die Entdeckung gemacht, daß die Dicarbonsäuren (Bernstein-, Fumar-, Äpfelsäuredie Atmung von zerkleinertem Muskelgewebe stark steigern. Er nahm an, daß das System Äpfelsäure—Oxalessigsäure als WasserstoffÜberträger wirksam ist. Oxalessigsäure würde demnach durch den Wasserstoff der oxydierbaren Substrate zu Äpfelsäure reduziert, die letztere (durch das Codehydrase-CytochromSystem) wieder zu Oxalessigsäure oxydiert. Äpfelsäure Substrat — > j j —> [Cytochromsystem] < 02 Oxalessigsäure Wir haben auf diese Möglichkeit schon früher hingewiesen (siehe S. 250).

Die Oxydation des Pyruvats durch den Citronensäurecyklus

269

Tatsächlich wird im Muskelgewebe, welches Kohlehydrat oxydiert (also unter aeroben Bedingungen!), bei Gegenwart von Oxalacetat Malat gebildet; es wird also gemäß dem obigen Schema Wasserstoff von Zwischenstufen des Kohlehydratabbaus auf das Oxalacetat übertragen ( S z e n t - G y ö r g y i , P a r n a s ) . Der Muskel besitzt also die Fähigkeit, Oxalessigsäure auf Kosten anderer organischer Substrate, sogar bei Gegenwart von Sauerstoff, zu Äpfelsäure zu reduzieren. Es hat sich später gezeigt, daß gewisse Zwischenstufen des Citronensäurecyklus im zerkleinerten Muskel auch a n a e r o b verlaufen können, wenn Oxalacetat im Überschuß vorhanden ist. Das letztere nimmt den Wasserstoff auf und geht in Malat über. Auf diese Weise kann aus Pyruvat und Oxalacetat Citrat und aus Citrat a-Ketoglutarat unter anaeroben Bedingungen gebildet werden. Die Theorie des Citronensäurecyklus gibt f ü r die katalytische Wirkung der Dicarbonsäuren auf die Atmung eine Erklärung, welche durch zahlreiche Tatsachen gestützt wird. Wie wir gesehen haben, werden die Dicarbonsäuren zuerst zu Oxalessigsäure oxydiert; die letztere reagiert mit der Brenztraubensäure unter Bildung von Citronensäure. Die Dicarbonsäuren katalysieren die Atmung also dadurch, daß sie die Citratbildung ermöglichen. Es ist daher nicht nötig, noch eine besondere Funktion des Oxalacetats als Wasserstoffüberträger anzunehmen. Allerdings läßt sich die oben erwähnte Tatsache, daß Oxalacetat im Muskel sehr leicht zu Malat reduziert wird, nicht in das Bild des Citronensäurecyklus einfügen, denn im Ablauf des Cyklus wird Malat zu Oxalacetat oxydiert. Die Frage, unter welchen physiologischen Bedingungen eine zeitweilige Reduktion des Oxalacetats eintritt und welche Bedeutung dieser Reaktion zukommt, muß vorläufig offen bleiben.

Die oxydative Phosphorylierung. Die Oxydation der Brennstoffe in der Zelle ist mit der Bildung organischer Phosphorsäureverbindungen verknüpft. Dieser Vorgang heißt oxydative Phosphorylierung. Als erstes faßbares Produkt tritt dabei Adenosintriphosphat (ATP) auf, welches durch Phosphorylierung des Adenosindiphosphats entsteht (Konstitution dieser Verbindungen siehe S. 121). Das Triphosphat kann einen Phosphorsäurerest an andere Verbindungen geben. Auf diese Weise werden z. B. Zuckerphosphate oder im Muskel Phosphokreatin gebildet. Wir werden bei der Besprechung der glycolytischen Reaktionen zeigen, daß die Phosphatgruppen der Adenosintriphosphorsäure (ATP) eine für die Zelle unmittelbar verwertbare Form chemischer Energie darstellen. Die Einführung der beiden Phosphatreste beim Übergang der Adenylsäure in das ATP erfordert einen Energieaufwand. Diese Energie wird durch die Oxydationen geliefert. Man muß annehmen, daß in ähnlicher Weise wie bei der Oxydation des Triosephosphats z u m N e g e l e i n Ester (vgl. S. 281) bei den einzelnen Oxydationsstufen des Citronensäurecyklus anorganisches Phosphat aufgenommen und auf das Adenosindiphosphat übertragen wird. Die bei der Oxydation frei werdende Energie tritt unter diesen Bedingungen nur teilweise als Wärme in Erscheinung; ein beträchtlicher Teil bleibt als organisch gebundenes Phosphat aufgespeichert und kann von der Zelle für alle möglichen Zwecke gebraucht werden. Man hat ausgerechnet, daß pro Molekül oxydiertes Pyruvat ungefähr 15 Moleküle anorganisches Phosphat in organische Bindungen übergeführt werden (Ochoa). In Analogie zur Oxydation des Phosphoglycerinaldehyds bei der Gärung kann man die Koppelung zwischen Oxydation und Phosphataufnahme allgemein in folgender Weise formulieren: Zucker

Substrat

4-

anorg. Phosphat

Oxydation

phosphoryliertes Zwischenprodukt

Phophat-

Übertragung

\

\

usw. oxydiertes Substrat

Wir werden diese Vorgänge und insbesondere ihren energetischen Aspekt im Kapitel 18 S. 440 genauer behandeln.

270

Die Oxydation der Kohlenstoffketten; der Citronensäurecyklus

Da durch den Citronensäurecyklus nicht nur das Kohlehydrat, sondern auch die Fettsäuren und ein Teil der Aminosäuren oxydiert werden, stellt er den wichtigsten Mechanismus der Zelle für die Bildung organischer Phosphatbindungen dar. Er ermöglicht es der Zelle, einen beträchtlichen Teil der Energie, die bei der Verbrennung der organischen Stoffe verfügbar wird, zur Phosphorylierung anderer Verbindungen zu verwenden. Die große Bedeutung dieser Tatsache wird Mar, wenn man bedenkt, daß die meisten biochemischen Synthesen über phosphoryüerte Zwischenstufen verlaufen. Nach neueren Untersuchungen sind die Fermente des Citronensäurecyklus und der oxydativen Phosphorylierung nicht über die ganze Zelle verteilt, sondern in bestimmten Zellgranula lokaüsiert. In der Leber und der Niere sind dies die Mitochondrien (Piastosomen). Diese Gebilde sind daher wichtige Organe des Zellstoffwechsels. Für die Gesamtheit der Fermente des Citronensäurecyklus, die offenbar einen organisierten Komplex bilden, wurde der Name „Cyklophorase" vorgeschlagen (Green). Die Verbindung zwischen Oxydation und Phosphorylierung kann durch gewisse Stoffe aufgehoben, die beiden Vorgänge können „ e n t k o p p e l t " werden. Zu diesen Stoffen gehört z. B. das 2,4-Dinitrophenol, das schon in sehr geringen Konzentrationen (10~4 — 10~6 m) die Resynthese des ATP durch atmende Mitochondrien hemmt. Ähnlich wirken gewisse Farbstoffe (Phenosofranin, Diazingrün). Weiteres siehe S. 444. Von großem Interesse ist die Beobachtung von M a r t i u s , wonach die oxydative Phosphorylierung in Mitochondrien auch durch Thyroxin entkoppelt werden kann. Möglicherweise hängt die Beeinflussung des Stoffwechsels durch das Schilddrüsenhormon mit dieser Wirkung zusammen.

Die im Citronensäurecyklus auftretenden Dicarbonsäuren können auch direkt aus Pyruvat gebildet werden, indem das letztere ein Molekül Kohlendioxyd addiert. Es hat sich ferner gezeigt, daß die Decarboxylierung der Isocitronensäure ein umkehrbarer Prozeß ist. Dies führt auf das wichtige Problem der Kohlensäurefixierung in den tierischen Geweben, das wir im folgenden Abschnitt kurz besprechen wollen. 2. Die Fixierung des Kohlendioxyds

Verabreicht man Tieren Natriumbicarbonat, das ein Kohlenstoffisotop enthält (das stabile Isotop C(13) oder das langlebige radioaktive Isotop C(14)), so findet man, daß nach einiger Zeit das Glycogen in den Geweben den „markierten" Kohlenstoff aufgenommen hat. Bis zu 16% des Glycogenkohlenstoffs stammen aus dem Bicarbonat. Es muß also Reaktionen geben, durch welche die Kohlensäure wieder in organische Verbindungen aufgenommen werden kann. Die nächstliegende Annahme ist die, daß diese Reaktionen in der Umkehrung von Decarboxylierungen bestehen. Schon vor der Entdeckung der Kohlensäurefixierung in den tierischen Geweben war bekannt, daß gewisse Bakterien C0 2 zu binden vermögen. Propionsäurebakterien, auch Colibazillen, sind imstande, aus C 3 -Verbindungen wie Glycerin oder Brenztraubensäure Bernsteinsäure zu bilden. Die genauere Untersuchung des Vorgangs zeigte, daß dabei Kohlensäure verbraucht wird. Es lag nahe anzunehmen, daß das Kohlendioxyd das vierte C-Atom der Bernsteinsäure liefert. Tatsächlich entsteht die Bernsteinsäure auf die Weise, daß die Brenztraubensäure ein Molekül C0 2 addiert und dabei in Oxalessigsäure übergeht. Die letztere liefert durch Reduktion Bemsteinsäure. Diese Annahme konnte durch Verwendung von „markiertem" C0 2 bewiesen werden. Das C-Isotop (schwerer Kohlenstoff C(13)) fand sich wie erwartet in den Carboxylgruppen der Bernsteinsäure:

Die Fixierung des Kohlendioxyds

271

*

CO.

+

COOH

COOH

A!H» Lo

CHa

0=0

+ 2H

¿OOH Oxalessigsäure

¿OOH

Brenztrauben-

CH»

A! H ( O H )

ÌOOH

6ooh

in II

—HjO

-

CH,

+ 2H

¿h

CH

2

¿OOH

¿OOH

¿OOH

Äpfelsaure

Fumarsäure

Bernsteinsäure

Die erste Reaktion ist eine sog. „Carboxylierung". Sie ist die Umkehrung der spontan verlaufenden Ketospaltung der Oxalessigsäure (alle /3-Ketosäuren sind unstabil). Sie heißt nach ihren Entdeckern gewöhnlich W o o d - W e r k m a n s c h e Reaktion. Dieselbe Reaktion findet auch in den tierischen Geweben statt. Sie liefert die Oxalessigsäure, welche für die Ingangsetzung des Citronensäurecyklus nötig ist (Krebs). I m Muskel und in der Leber konnte die Existenz dieser Reaktion ebenfalls durch Versuche mit dem Kohlenstoffisotop definitiv bewiesen werden. Nach neueren Untersuchungen (Ochoa) ist die Reaktion von W o o d und W e r k m a n nicht einfach, sondern es sind zwei Fermente daran beteiligt. Aus Taubenleber wurde nämlich ein Ferment isoliert, das in Gegenwart des Triphosphopyridinnucleotids (TPN) die Spaltung der Äpfelsäure in C0 2 und Brenztraubensäure bewirkt, wobei das Coferment hydriert wird (TPN = oxydierte Form, H 2 TPN = reduzierte Form des Coferments). Die Reaktion ist reversibel und hängt von der Gegenwart von Mn++-Ionen ab: COOH COOH CH(OH)

Ar 3H

Mn++

+

TPN

Malatenzym

2

A_o ch

+

CO,

+

HjTPN

3

*C O O H

Äpfelsäure

oxydiertes Coferment

Brenztraubensäure

reduziertes Coferment

Wir nennen das Ferment (entsprechend der englischen Bezeichnung „malic enzyme") „Malatenzym". Durch diese Reaktion wird also (wenn sie in der Richtung des unteren Pfeils verläuft) C0 2 in der y3-Carboxylgruppe der Äpfelsäure fixiert (in der obigen Gleichung durch ein Sternchen gekennzeichnet). Durch das oxydierte Coferment kann jetzt bei Gegenwart der Malicodehydrase die Äpfelsäure zu Oxalessigsäure oxydiert werden, wobei das Coferment wieder Wasserstoff aufnimmt: COOH ¿H(OH)

I

COOH

+

TPN

Malicodehydrase

A-o

CH,

Ah2

COOH *

¿OOH

Äpfelsäure

saure

+

H2TPN

272

Die Oxydation der Kohlenstoffketten; der Citonensäurecyklus

Die beiden Reaktionen ergeben in der Bilanz die Reaktion von W o o d und W e r k m a n , d. h. Pyruvat addiert C0 2 und verwandelt sich in Oxalacetat. Das Malat wirkt dabei katalytisch, denn es wird immer wieder regeneriert. Die Gesamtreaktion bedarf also zu ihrem Ablauf dreier „Cofermente" und zweier Fermentproteine: Pyruvat + C0 2 Cofermente: Fermentproteine : Mn++ Malatenzym TPN Malicodehydrase Malat Oxalacetat

Versuche mit radioaktivem Kohlenstoff (als C ( 1 4 '0 2 verwendet) haben diesen Reaktionsmechanismus bestätigt (Ochoa). Neben der Reaktion von W o o d und W e r k m a n ist in den tierischen Geweben noch eine weitere Reaktion bekannt, durch welche C0 2 fixiert wird; die Decarboxylierung der Oxalbernsteinsäure (vgl. S. 261) kann ebenfalls umgekehrt werden. Das Gleichgewicht der Reaktion hegt allerdings stark zugunsten der Spaltung. Wird aber die durch Carboxylierung der a-Ketoglutarsäure entstehende Oxalbernsteinsäure sofort zu Isocitronensäure hydriert, so bleibt das C0 2 als Carboxylgruppe der letzteren fixiert, wie die folgenden Gleichungen zeigen (Ochoa): COOH

COOH

¿=0 ¿H 2

C=0 + C0 2

|

CH2

Mn++

— ^ CH—COOH

Oxalbernsteinsäure-

decarboxylase

¿OOH a-Ketoglutarsäure

|

CH2

COOH Oxalbernsteinsäure

COOH

COOH

I

I

C=0 CH—COOH +

A

!H,

COOH

CH(OH)

H ? TPN

CH—COOH + Isocitricodehydrase

TPN

I CH,

COOH Isocitronensäure

Wenn die Reaktion im Sinne der C0 2 -Fixierung verlaufen soll, so muß das Coferment immer wieder hydriert werden. Man hat als Wasserstoffdonator (in vitro) das Glucose-6-phosphat benützt, das bei Gegenwart von Glucosephosphatdehydrase Wasserstoff an das Coferment I I abgibt und dabei zu Phosphogluconsäure oxydiert wird. Die Carboxylierung der a-Ketoglutarsäure erfolgt hier also auf Kosten der Oxydation eines Wasserstoffdonators. Wenn man die Fixierung des C0 2 durch Pyruvat bei Gegenwart von markiertem Bicarbonat verfolgt, so findet man, daß nach einiger Zeit auch die Carboxylgruppe des Pyruvats das CIsotop aufgenommen hat. Dieser Befund scheint auf den ersten Blick schwer verständlich, weil anscheinend durch die Ketospaltung des Oxalacetats das ursprüngliche Pyruvatmolekül wieder entsteht. Da seine Erklärung verschiedene neue Einblicke in den Ablauf der Stoffwechselvorgänge gestattet, die von allgemeiner Bedeutung sind, wollen wir kurz darauf eingehen. Das Bestehen eines Gleichgewichtszustandes zwischen verschiedenen Stoffen bedeutet nicht, daß zwischen ihnen überhaupt keine Umsetzungen stattfinden, sondern ist nur der Ausdruck dafür, daß in der Zeiteinheit gleich viele Moleküle vorwärts und rückwärts reagieren.

273

Die Fixierung des Kohlendioxyds

Wenn wir z. B. annehmen, daß der Stoff A sich in B verwandeln kann, und umgekehrt: A ^ r t B, so ist der Gleichgewichtszustand dadurch charakterisiert, daß sich pro Zeiteinheit ebenso viele Moleküle A in B wie B in A verwandeln. Ahnliches gilt auch, wenn sich die Stoffe nicht im Gleichgewicht befinden, wenn also die Reaktionen im einen oder anderen Sinn vor sich gehen. Es findet immer eine Umwandlung der Moleküle in beiden Richtungen statt; nur ist die Zahl der Umwandlungen in der einen Richtung größer als in der anderen. Betrachten wir z. B. irgendein Glied des Citronensäurecyklus, etwa das Oxalacetat. Oxalaeetat wird beständig durch Oxydation des Fumarats (über Malat) gebildet, d. h. wir können feststellen, daß in der Bilanz Fumarat verschwindet und Oxalacetat entsteht. Könnten wir aber das Verhalten einzelner Moleküle beobachten, so würden wir feststellen, daß beständig auch Moleküle des Oxalacetats (über Malat) zu Fumaratmolekülen (und weiter zu Succinat), also „gegen den Strom", reduziert werden, nur ist dann die Zahl der Fumaratmoleküle, die zu Oxalacetat oxydiert werden, größer als die Zahl der Oxalacetatmoleküle, die gleichzeitig in Fumarat zurückreduziert werden. Die Tatsache, daß beim Ablauf einer reversiblen Reaktion in einer bestimmten Richtung beständig auch die Gegenreaktion stattfindet, ist die Grundlage der Reaktionskinetik. Sie gestattet, auf einfache Weise die Gesetze des chemischen Gleichgewichts abzuleiten. Man muß von dieser Tatsache ausgehen, wenn man die biologischen Versuche mit Isotopen interpretieren will. Demnach muß angenommen werden, daß die Moleküle der Oxalessigsäure, die durch Carboxylierung der Brenztraubensäure entstanden sind, sich teilweise in Fumarsäuremoleküle verwandeln. Dies hat eine wichtige Konsequenz. In der Oxalessigsäure sind die beiden Carboxylgruppen nicht gleichartig; die eine steht zur Ketogruppe in «-Stellung, die andere in ß-Stellung. In der Fumarsäure dagegen sind sie völlig gleichwertig; das Molekül ist symmetrisch. Wenn nun die Fumarsäure wieder zu Oxalessigsäure oxydiert wird, so besteht für jede der beiden Carboxylgruppen die gleiche Wahrscheinlichkeit, daß sie zur oc-Gruppe wird. Wenn die //-Gruppe ursprünglich durch Fixierimg von C0 2 entstanden ist, so tritt der aus Kohlensäure stammende Kohlenstoff nun auch in der a-Carboxylgruppe auf; er wird also bei einer allfälligen Ketospaltung der Oxalessigsäure nicht einfach wieder entfernt, sondern bleibt in der Carboxylgruppe der entstehenden Brenztraubensäure erhalten. Das folgende Schema macht diese Verhältnisse klar (der C0 2 -Kohlenstoff ist durch ein Sternchen gekennzeichnet):

So 2 + c h 3 c o - c o o h

$ 0 0 H • CH, • CO • COOH + 2H (k)OH- CH. CH(OH)-COOH - H,0

300HCH:CH-C00H / +HaO COOH-CH 2 -CH(OH)^COOH

oder

COOHCH. CO-COOH

COOH CH(OH)-CH 2 -COOH - H.O - 2H

H,0 2H

oder

£ o 2 + CH3 CO • COOH

oder

i o O H - C O - CHa • COOH

i 0 0 H • CO • CHS + C0 2

Man sieht, daß der wesentliche Grund f ü r die Fixierung des aufgenommenen C0 2 -Kohlenstoffs im Pyruvat darin liegt, daß die Rückbildung des Pyruvats über'eine symmetrische Verbindung erfolgt ist. Etwas anders liegen die Verhältnisse bei der C0 2 -Fixierung durch «-Ketoglutarat. Das C0 2 tritt hier als sekundäre Carboxylgruppe des Isocitrats und, wegen des Aconitase-Gleichgewichts {vgl. S. 261), auch des Citrats auf (vgl. Formeln S. 262). Man macht sich leicht klar, daß unter 18

E d l b a c h e r - L e u t h a r d t , Lehrbuch, 11. Aufl.

274

Der Kohlehydratstoffwechsel

diesen Umständen eine Verteilung des C02-Kohlenstoffs auf verschiedene Carboxylgruppen bei der Rückoxydation der Tricarbonsäuren nicht stattfindet. Bei der Bildung der a-Ketoglutarsäure wird daher die aus dem C0 2 stammende Carboxylgruppe wieder als C0 2 abgespalten. Eine Möglichkeit für die Erhaltung des eingetretenen C0 2 -Kohlenstoffs besteht in einer Umkehrung der Kondensation zwischen Acetat und Oxalacetat. Die sekundäre Carboxylgruppe der Citronensäure kann dabei, wie man sich leicht an Hand des Schemas S. 306 klar macht, in die ot-Carboxylgruppe der Oxalessigsäure und weiter in die Carboxylgruppe des Pyruvats übergehen. Nach den gegenwärtigen Kenntnissen stellt die Reaktion von Wood und W e r k m a n den wichtigsten Weg für die Fixierung des C0 2 dar. Eine weitere neuerdings entdeckte Möglichkeit für die Fixierung von C0 2 besteht in der Addition von C0 2 an Ribose-5-phosphat, wobei Gluconsäure-6-phosphat gebildet wird (vgl. S. 296). Es scheint auch, daß bei der Purinsynthese C0 2 in das Puringerüst eingebaut wird (vgl. S. 424).

Vierzehntes Kapitel

Der Kohlehydratstoffwechsel 1. Die Verdauung und Aufnahme der Kohlehydrate Die in der Nahrung anwesenden Kohlehydrate sind entweder einfache Zucker (meist Mono- oder Disaccharide) oder Polysaccharide. Die wichtigsten Monosaccharide sind die Glucose und die Fructose. Von Disacchariden sind hier als für den Menschen am wichtigsten zu nennen die Saccharose (Rohrzucker), die Lactose (Milchzucker) und die Maltose (Malzzucker). Der Rohrzucker ist von allen genannten Zuckern für die Ernährung des Menschen der wichtigste. Das Polysaccharid, welches als Nährstoff für den Menschen die größte Bedeutung hat, ist die Stärke. Die C e l l u l o s e ist für den Menschen als Nahrungsstoff ohne Bedeutung, wohl aber für die Herbivoren. Ehe die höhermolekularen Kohlehydrate durch die Darmwand aufgenommen werden können, müssen sie in einfache Zucker zerlegt werden. Dies ist die Aufgabe der in den Verdauungssekreten enthaltenen hydrolysierenden Fermente. Wir haben die Wirkung dieser Fermente in einem früheren Kapitel ausführlich besprochen und kommen hier nur auf einzelne Fragen zurück, die zum Verständnis der Verdauung wichtig sind. Im S p e i c h e l des Menschen findet sich ein schon 1831 von L e u c h s entdecktes Ferment, welches „Ptyalin" genannt wurde. Dieses ist eine a-Amylase. Nicht bei allen Tierarten kommt im Speichel ein stärkespaltendes Ferment vor. Dasselbe findet sich außer beim Menschen bei den Herbivoren und Omnivoren, nicht aber bei den Fleischfressern. Im Magen finden sich k e i n e auf Kohlehydrate eingestellten Fermente. Da aber im Magen eine gewisse Schichtimg der Ingesta in dem Sinne stattfindet, daß die zuletzt geschluckten Anteile innen zu hegen kommen und erst nach und nach gegen außen rücken, wird die Speise erst nach einiger Zeit mit dem sauren Magensaft durchtränkt. Die Hydrolyse der Stärke kann also während einiger Zeit im Magen weitergehen, bis die Amylase durch die stark saure Reaktion inaktiviert wird. Die Menge der Stärke, welche durch die Speichelamylase abgebaut wird, bleibt immer gering. Die Hauptmenge wird erst im Darm unter der Wirkung der Pankreasamylase hydrolysiert. Über den Verlauf der Stärkespaltung siehe S. 205. Die Maltose,

Die Verdauung und Aufnahme der Kohlehydrate

275

welche durch die Amylasewirkung entstanden ist, wird weiter durch die a-Glucosidase der Darmschleimhaut, die Maltase, zu Glucose hydrolysiert. Man nahm früher an, daß die Darmschleimhaut für die Hydrolyse des Rohrzuckers ein besonderes Ferment bilde (eine Saccharase). Wie im Kapitel über Fermente (S. 204) dargelegt wurde, greift aber die a-Glucosidase auch die Saccharose an, weil dieselbe einen a-glycosidisch gebundenen Glucoserest enthält. Die Saccharase (oder Invertase), wie sie z. B. in der Hefe vorkommt, besitzt eine andere Spezifität und ist im Darm gar nicht vorhanden. Dagegen wird der Milchzucker durch ein spezifisches Ferment, eine ß-Galactosidase, die Lactase, gespalten. Versucht man, dem Organismus Disaccharide wie Milchzucker und Rohrzucker p a r e n t e r a l (d.h. mit Umgehung des Darmes, also durch Injektion in die Blutbahn) zu verabreichen, so werden sie unverändert im Harn ausgeschieden. Es müssen diese Saccharide zuerst gespalten werden, um für den Organismus verwertbar zu sein. D i e K o h l e h y d r a t e w e r d e n a l s o z u m a l l e r g r ö ß t e n T e i l a l s Monosaccharide a b s o r b i e r t . Die Cellulose wird durch die im menschlichen Verdauungskanal gebildeten Fermente nicht angegriffen. Wohl aber vermögen die im Dickdarm angesiedelten Mikroorganismen Cellulose abzubauen. Der Vorgang erreicht indessen bei den Omnivoren bei weitem nicht die Intensität wie beim Pflanzenfresser. Es können nur dünne Zellwände aufgelöst werden; aber trotzdem hat der Vorgang für die Ausnützung der Nährstoffe und den Verlauf der Verdauung eine gewisse Bedeutung. Ein Teil der Stärke und anderer Nährstoffe vegetabilischen Ursprungs bleiben nämlich während der Passage durch den Dünndarm von der Cellulosemembran der Pflanzenzellen eingeschlossen und sind dadurch dem Angriff der Fermente entzogen. I m Dickdarm wird die Membran durch die Fermente der Mikroorganismen aufgelöst, die Stärke wird frei und kann durch die im Coecum und Colon noch reichlich vorhandene Amylase abgebaut werden. Dadurch wird die Ausnutzung der Stärke erhöht, aber außerdem hat die Bildung löslicher Kohlehydrate im vorderen Abschnitt des Dickdarms noch eine ganz andere Bedeutung: Sie bilden das Substrat für Gärungsvorgänge, die zur Bildung organischer Säuren führen (Milchsäure, Propionsäure, Buttersäure). Dadurch wird im Darminhalt eine leicht saure Reaktion erhalten, welche der Entwicklung der fäulniserregenden Bakterien entgegenwirkt. Die Fäulnisvorgänge, deren Substrat die Proteine sind, entwickeln sich erst in den tieferen Abschnitten des Colon, wo keine Kohlehydrate mehr vorhanden sind. Der Umstand, daß ein Teil der Stärke bis zum Eintritt im Colon in den Pflanzenzellen eingeschlossen bleibt, wirkt also regulierend auf die Fäulnisvorgänge im Dickdarm. Das Vorhandensein pflanzlicher Gewebe (Blattgemüse, Kartoffeln, Karotten) in der Nahrung hat daher, abgesehen von den Nährstoffen, welche sie beitragen, die besondere Bedeutung, die Entwicklung der Fäulnisbakterien im Dickdarm in gewissen Grenzen zu halten. Von großer Bedeutung ist der Aufschluß der Cellulose für die Pflanzenfresser. Dieselben vermögen einen beträchtlichen Teil ihres Energiebedarfs durch Cellulose zu decken. Wir finden denn auch bei den Herbivoren eine besondere Anpassung des Verdauungstrakts an die cellulosereiche Nahrung. Der Darm ist nicht nur viel länger als bei den Carnivoren oder Omnivoren, sondern es finden sich besondere Einrichtungen, welche dem Aufschluß durch die Mikroorganismen dienen. So ist bei den nicht wiederkäuenden Pflanzenfressern das Coecum stark vergrößert. Es bildet einen Brutraum, in welchem der Nahrungsbrei während vieler Stunden verweilt und der Wirkung der Darmflora ausgesetzt ist. Den höchsten Grad der Anpassung an die Pflanzennahrung wird bei den Wiederkäuern erreicht, bei denen die zum erstenmal gekaute Nahrung zunächst in eine besondere Abteilung des Magens gelangt, den Pansen (Rumen); hier unterliegt sie einem Gärungsprozeß. Sie gelangt von dort wieder in die Mundhöhle, wird ein zweites Mal zerrieben und wieder geschluckt. Dieser Prozeß kann sich mehrmals wiederholen. Schließlich gelangt die 18«

276

Der Kohlehydratstoffwechsel

Nahrung in dem Maß, wie sie zerkleinert und verflüssigt wird, über den Netzmagen und den Blättermagen in den Labmagen. Die Produkte der bakteriellen Zersetzung der Cellulose sind nicht etwa Zupker, sondern zur Hauptsache niedere Fettsäuren (Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure) neben Methan und Kohlensäure. Es handelt sieh um verwickelte Vorgänge, deren Einzelheiten noch keineswegs aufgeklärt sind. Zur Neutralisation der entstehenden Säuren dient der Speichel, der bei den Wiederkäuern beträchtliche Mengen Natriumbicarbonat enthält. (Man hat berechnet, daß ein junger Ochse pro Tag etwa 601 Speichel mit einem Gehalt von 300 g Natriumbicarbonat produziert.) Die Analyse des Panseninhalts hat den folgenden Gehalt an Fettsäuren ergeben: Essigsäure 45—76%, Propionsäure 12—29%, n-Buttersäure 6—19%. Daneben finden sich noch kleine Mengen Ameisensäure und höherer Fettsäuren. Diese Fettsäuren werden direkt durch die Wand des Pansen aufgenommen. Beim Verdauungsprozeß der Wiederkäuer wird nur sehr wenig reduzierender Zucker absorbiert. Die Besonderheit der Ernährung besteht also darin, daß der Wiederkäuer an Stelle der Zucker Acetat, Proponiat und Butyrat ins Blut aufnimmt.

Die durch die Verdauung entstandenen Monosaccharide wandern zum allergrößten Teil durch die Pfortader in die Leber. Während der Dauer der Resorption kann der Zuckergehalt des Pfortaderblutes von 0,2% auf 0,4% ansteigen. Die Geschwindigkeit, mit der die einzelnen Monosaccharide im Darm absorbiert werden, ist sehr verschieden. Am besten werden im allgemeinen Glucose und Fructose absorbiert, langsamer Galactose und die Pentosen. Diese Unterschiede hängen wahrscheinlich mit der verschiedenen Geschwindigkeit der Verwertung zusammen. Man hat vermutet, daß die Zucker bei der Aufnahme in das Darmepithel phosphoryliert werden und daß dieser Vorgang die Geschwindigkeit ihrer Aufnahme bestimmt (Verzär). Die Zucker sind aber jenseits des Darmepithels, d. h. in der Pfortader, in freier Form vorhanden. Die Überführung in Phosphorsäureester könnte wohl die verschiedene Geschwindigkeit ihres Eintritts in die Epithelzellen, nicht aber in das Pfortaderblut erklären, wenn nicht zusätzliche hypothetische Annahmen gemacht werden. Sehr wahrscheinlich wird die Geschwindigkeit der Absorption durch raschere oder langsamere Verwertung der Zucker in der Leber bestimmt. Die Phosphorylierung im Darmepithel ist ein Phänomen, das in erster Linie für den Eigenstoffwechsel der Epithelzellen Bedeutung hat.

2. Die wichtigsten biochemischen Umsetzungen der Kohlehydrate Die Kohlehydrate werden vollständig zu C0 2 und H 2 0 veratmet. Sie können aber auch unter anaeroben Bedingungen abgebaut werden. Dieser Abbau, der in den tierischen Geweben zur Milchsäure führt, wird als Glycolyse bezeichnet. Sehr ähnlich verläuft in der Hefe die alkoholische Gärung. Bei der Gärung und der Milchsäurebildung wird nur ein Bruchteil der Energie des Kohlehydrates frei, die bei der Atmungsreaktion gebildet wird. Wir werden sehen, daß im Organismus der höheren Tiere der Hauptweg des Kohlehydratabbaus über die glycolytischen Reaktionen führt, d. h. die Kohlenstoffkette der Hexosen zerfällt zunächst anaerob und die Bruchstücke werden dann oxydativ weiter abgebaut. Das glycolytische Fermentsystem ist besonders in solchen Geweben gut ausgebildet, die zeitweise unter Sauerstoffmangel arbeiten müssen wie der Muskel. Da die anaeroben glycolytischen Vorgänge die Substrate für die oxydativen Vorgänge liefern, ist es verständlich, daß Glycolyse und Atmung voneinander abhängig sind. Jedes tierische Gewebe, das unter anaeroben Bedingungen gehalten wird, beginnt zu g l y c o l y s i e r e n , d. h. Milchsäure zu bilden. Bei Zutritt von Sauerstoff wird die Glycolyse vermindert oder verschwindet ganz. D i e s e V e r k n ü p f u n g v o n

Die wichtigsten biochemischen Umsetzungen der Kohlehydrate

277

A t m u n g u n d G l v c o l y s e , die von P a s t e u r erstmals bei der Hefe beobachtet wurde, bezeichnet man als Pasteurreaktion. (Über den Mechanismus dieser Reaktion siehe S. 444.) Die meisten tierischen Gewebe bilden bei genügender Sauerstoffzufuhr keine Milchsäure; dieselbe tritt erst bei Sauerstoffmangel ein (anaerobe Glycolyse). Es gibt aber einzelne Gewebe, die auch bei Sauerstoffzutritt Milchsäure bilden (aerobe Glycolyse). Eines der wichtigsten Beispiele ist das Tumorgewebe ( W a r b u r g ) . I n vielen Fällen ist die aerobe Glycolyse der Ausdruck einer Schädigung des Gewebes. Die malignen Tumoren (Carcinome und Sarkome) zeigen nach W a r b u r g eine besondere Art des Kohlehydratstoffwechsels. Sie glykolysieren auch bei A n w e s e n h e i t v o n S a u e r s t o f f im Gegensatz zu normalem Gewebe, das unter aeroben Bedingungen nur atmet. Tumorzellen ähneln in dieser Hinsicht dem e m b r y o n a l e n G e w e b e , welches auch aerobe Glycolyse zeigt. Neuerdings hat man gefunden, daß in der Tumorzelle offenbar das Fermentsystem des Citronensäurecyklus einen Defekt aufweist. Die Zellgranula aus Tumorzellen, die der Sitz der Oxydationsvorgänge sind, vermögen Oxalessigsäure nicht zu oxydieren ( P o t t e r ) . Es besteht offenbar in den Krebszellen eine Umstellung der grundlegenden Stoffwechsel Vorgänge. Wir beginnen die Besprechung des Zuckerabbaus mit den glycolytischen Reaktionen Milchsäurebildung und Gärung, die Abwandlungen derselben Reaktionsfolge sind. Sie gehören dank den A r b e i t e n v o n H a r d e n und Y o u n g , N e u b e r g , E m b d e n , M e y e r h o f , W a r b u r g u. a. Forschern zu den bestbekannten biochemischen Reaktionen überhaupt. Wir beschränken uns bei der Besprechung des Abbaus der einfachen Zucker zunächst auf die für den Tierkörper wichtigste Verbindung, die Glucose. Es existieren besonders bei den Mikroorganismen eine große Zahl verschiedener Abbauwege der Glucose, die teils aerob, teils anaerob verlaufen. Wir besprechen hier nur die Abbaureaktionen, denen die Hexosen im Organismus der höheren Tiere unterliegen, müssen dabei freilich auch die alkoholische Gärung einbeziehen, weil sie auf weite Strecken gleich verläuft wie die ersten Stufen des Zuckerabbaus in der tierischen Zelle und weil ihre Erforschung zur Erkenntnis der grundlegenden Reaktionen des Zuckerstoffwechsels wesentlich beigetragen hat. 1. Der oxydative, also aerobe Abbau der Kohlehydrate führt zu Kohlendioxyd und Wasser: C 6 H 1 2 0 6 + 6 0 2 = 6C0 2 + 6 H 2 0 ; dies ist die Atmungsreaktion. 2. Der partielle Zerfall ohne Aufnahme von Sauerstoff führt zur Milchsäure. Er spielt in der Muskulatur eine besondere Rolle und wird als Glycolyse bezeichnet: C 6 H 12 0 8 = 2C 3 H 6 0 3 1 Glucose=2 Milchsäure Die alkoholische Gärung verläuft im wesentlichen nach der sog. G a y - L u s s a c schen Gärungsgleichung: C 6 H 1 2 0 6 = 2C0 2 +2C 2 H 6 • OH Alle diese Gleichungen sind nur der summarische Ausdruck von höchst komplizierten Reaktionsfolgen und alle drei Reaktionen sind exergonisch, d. h. sie verlaufen unter Abnahme der freien Energie.

278

Der Kohlehydratstoffwechsel A. Alkoholische Gärung und Glycolyse

Die grundlegenden Feststellungen sind die folgenden: 1. Sowohl für den Ablauf von Gärungen als auch von Glycolyse ist die Gegenwart von Phosphorsäure unbedingt notwendig. Es bilden sich eine ganze Anzahl von verschiedenen Phosphor säureestern als Zwischenprodukte. 2. Bei beiden Reaktionen findet ein Zerfall der 6 C-Kette der Hexose in zwei 3 C-Ketten statt. Es bilden sich zunächst Triosen und aus diesen durch einen Oxydationsvorgang schließlich die Endprodukte (Milchsäure bzw. Äthylalkohol + C0 2 ). 3. Beide Vorgänge können durch die von den Zellen losgelösten Enzyme durchgeführt werden. Sie sind also n i c h t an die Z e l l s t r u k t u r gebunden. 4. I n den Vorgang der Gärung und der Glycolyse greifen eine Anzahl Cofermente ein, und zwar die Cozymase (Codehydrase I, Diphosphopyridinnucleotid, vgl. S. 244), die Adenylsäure bzw. ihr Pyrophosphorsäureester (die Adenosintriphosphorsäure, vgl. S. 121), in der Hefe außerdem die Cocarboxylase (der Pyrophosphorsäureester des Aneurins). Ferner sind das Magnesiumion und gewisse Schwermetallionen nötig. Wir erwähnen einige gebräuchliche Namen: Das gesamte Enzymsystem der Hefe wird mit dem Sammelnamen Zymase belehnt. Das vollkommen aktivierte System wird als H o l o - oder P a n - Z y m a s e bezeichnet. A p o - Z y m a s e wird die von der Co-Zymase befreite Holo-Zymase genannt, die noch Magnesium gebunden enthält. Die von Co-Zymase und Magnesium befreite Trockenhefe enthält noch einen weiteren diffusiblen Faktor, die Cocarboxylase. Sie läßt sich aus der Hefe durch Auswaschen mit schwach alkalischen Lösungen entfernen. Man hat die von der Cocarboxylase befreite Zymase Ä t i o - Z y m a s e genannt. G e w a s c h e n e und g e t r o c k n e t e , also abgetötete Hefe gärt nicht. Sie wird aber durch Hefekochsaft (Cozymase) aktiviert. Wird H e f e p r e ß s a f t ausdialysiert, so verliert er ebenfalls seine Wirkung, da er dadurch an Cozymase verarmt. Man erhält nach diesen beiden Methoden das nach obiger Nomenklatur Apo-Zymase genannte Enzymsystem. Ganz ähnlich der Hefegärung verläuft der a n a e r o b e Zuckerzerfall zu Milchsäure, der als Glycolyse bezeichnet wird, in der Muskulatur usw. Man kann, ähnlich wie aus der Hefe, bei niederer Temperatur mit verdünnter Kaliumchloridlösung einen Muskelextrakt herstellen, der den Komplex der glycolytischen Enzyme enhält. Sowohl „ Z y m a s e " als „ g l y c o l y t i s c h e s E n z y m " sind S a m m e l b e g r i f f e f ü r eine Summe von T e i l f e r m e n t e n , d u r c h deren Z u s a m m e n w i r k e n der Vorgang zustandekommt. Die Erforschung der alkoholischen Gärung und der Glycolyse im Muskel hat eine lange Geschichte, die wir hier nicht schildern können. Wesentliche Beiträge haben neben Anderen vor allem C. N e u b e r g , G. E m b d e n und O. M e y e r h o f geleistet. N e u b e r g hat 1912 das erste gut fundierte Gärungsschema aufgestellt, das den damals bekannten Tatsachen Rechnung trug. Den Ausbau der modernen Theorie im Muskel verdankt man vor allem der M e y e r h o f sehen Schule.

Der anaerobe Zuckerzerfall bei Gärung und Glycolyse geht im Prinzip so vor sich, daß die phosphorylierte Hexose in zwei Moleküle Triosephosphat zerfällt. Das Triosephosphat wird zu Phosphoglycerinsäure oxydiert. Aus der letzteren bildet sich durch Abspaltung des Phosphats die Brenztraubensäure. Bei der Glycolyse wird

Alkoholische Gärung und Glycolyse

279

diese durch einen Oxydo-Reduktionsprozeß zu Milchsäure reduziert. Bei der alkoholischen Gärung erfolgt Decarboxylierung, Bildung von Acetaldehyd, der dann zu Alkohol reduziert wird. Im folgenden wird diese Reaktionsfolge in den Einzelphasen dargestellt. Die schon mehrfach erwähnte Rolle der Phosphorsäure beim Zuckerabbau wurde von H a r d e n und Y o u n g bei der alkoholischen Gärung entdeckt. Wie sich später zeigte, war dies eine der folgenreichsten Entdeckungen auf dem Gebiet des Intermediärstoffwechsels. Es wird hier zunächst nur von denjenigen Phosphorsäureverbindungen gesprochen, die a u s d e m Z u c k e r selbst stammen. Die phosphorhaltigen Hilfssysteme dieses Abbaues und damit auch die Frage, wie die Phosphorsäure von einem Molekül auf das andere übertragen wird, soll erst später erörtert werden, um die Übersichtlichkeit des Bildes nicht zu stören. Ohne Phosphat findet weder Gärung noch Glycolyse statt. Das Kohlehydrat wird erst zerfallsbereit, wenn es mit Phosphorsäure verestert wird. I m Muskel wie in der Hefe besteht die erste Reaktion der Glucose, die in die Zelle eintritt, darin, daß sie in einen Phosphorsäureester übergeführt wird. Aus später zu besprechenden Gründen kann aber die Glucose nicht mit anorganischem Phosphat reagieren, sondern sie übernimmt den Phosphorsäurerest von einer anderen organischen Phosphorsäureverbindung, der Adenosintriphosphorsäure (ATP). Konstitution siehe S. 121. Das Ferment, das diese Reaktion katalysiert, ist von M e y e r h o f in der Hefe entdeckt worden und hat den Namen Hexokinase erhalten. Die Hexokinasereaktion verläuft folgendermaßen: Adenosintriphosphat + Glucose

Hexok na9e

'

_>. Adenosindiphosphat + Glucosephosphat

Natürlich muß das Adenosintriphosphat immer wieder regeneriert werden, wenn der Prozeß kontinuierlich verlaufen soll. Wir werden später sehen, auf welchem Wege dies geschieht. Die Verschiebung eines Phosphatrests zwischen Adenosintriphosphat und anderen Verbindungen ist eine der wichtigsten Reaktionen des Intermediärstoffwechsels, deren allgemeine Bedeutung im Kap. 18 eingehend besprochen wird. Der entstehende Phosphorsäureester ist das Glucose-6-phosphat:


0 H/

R

CH-OH | CH2

¿=0 I CH2

COOH

COOH

Bei der /3-0xydation der Fettsäuren ist das schon früher erwähnte Coenzym A beteiligt, von dessen Wirkungsart weiter unten die Rede sein wird (S. 342). Wir werden dort auch zeigen, daß die bei Spaltung der /?-Ketosäuren auftretenden C2Fragmente durch den C i t r o n e n s ä u r e c y k l u s oxydiert werden. Es entsteht nun die Frage, auf welche Weise aus den langen Kohlenstoffketten der Fettsäuren die C 4 -Kette der Acetessigsäure gebildet wird. Die scheinbar nächstliegende Annahme besteht darin, daß die Kohlenstoffketten sukzessive um 2 C-Atome verkürzt werden, bis schließlich eine C 4 -Kette übrig bleibt. Normalerweise würde nun dieselbe vollständig zu Ende oxydiert, während unter besonderen Bedingungen, z. B. im diabetischen Organismus, die Oxydation bei der entsprechenden /?-Ketosäure stehen bleibt. Nach dieser Vorstellung würde aus jedem Molekül Fettsäure gerade ein Molekül Acetessigsäure entstehen. Dies trifft aber nicht zu. Aus einem Molekül Fettsäure kann mehr als ein Molekül Ketosäure gebildet werden. Man gelangte daher zur Anschauung, daß die ^-Oxydation die Kohlenstoffkette nicht sukzessive unter Bildung der normalen, um 2 C-Atome ärmeren Säuren verkürze, sondern daß die Kette alternierend oxydiert werde, worauf sie in Bruchstücke von 4 C-Atomen auseinanderbreche, etwa nach dem folgenden Schema: — CH3—CH2—CH2—CH2—CH2—CH2—CHÜ—COOH

Caprylsäure

: CH3—CO—CH2—CO-|-CH2—CO—CH2—COOH • CHS • C • CH2 • COOH CH3 • C • CH2 • COOH 2 Acetessigsäure II II O O Durch Verwendung von „markierten" Fettsäuren ist man aber neuerdings zu einer anderen Auffassung über die Bildung der Acetessigsäure gelangt ( W e i n h o u s e , M e d e s und F l o y d ) . Es ist dies gleichzeitig ein sehr eindrucksvolles Beispiel f ü r die Leistungsfähigkeit der „tracer"-Methode. Wenn man die Acetonkörper aus einer Fettsäure untersucht, die in der Carboxylgruppe markiert ist, also dort z. B. das schwere Kohlenstoffisotop C(13> enthält, so sieht man leicht, daß das Resultat verschieden sein muß, je nachdem die eine oder die andere der oben genannten Theorien richtig ist. Gilt die K n o o p - E m b d e n s c h e Theorie der sukzessiven /?-Oxydation, so enthalten die Ketokörper kein C-Isotop, denn sie sind aus den vier letzten CAtomen der Kohlenwasserstoffkette entstanden: i i CH„—CH2—CHa—CH2-j-CH2—CH24-CH2— C(13)00H Gilt die Theorie der alternierenden Oxydation, so enthält die Carboxylgruppe der Acetessigsäure (bzw. das daraus abgespaltene C0 2 ) das Isotop, denn ein Teil der Moleküle ist aus den vier ersten C-Atomen entstanden: CH„—CH,-i-CH2—CH»—CH,—C(i3)00H Der Versuch wurde mit der C 8 -Säure durchgeführt. Es zeigte sich, daß tatsächlich die Carboxylgruppe der Acetessigsäure markiert ist, daß aber das /¡-Kohlenstoffatom

Der Abbau der Fettsäuren

337

(die Carbonylgruppe) ebenfalls C Acetessigsäure 1-jS-Oxybuttersäuredehydrase

1-

ß-Oxybuttersäure

D i e verschiedenen Beziehungen zwischen Fettsäuren, Kohlehydrat u n d „aktivierter" Essigsäure sind i m folgenden Schema kurz zusammengefaßt: >) Vgl. L y n e n und Mitarb., Ztschr. Angew. Chemie 64, 687 (1952). 2 ) Übersicht vgl. L y n e n , Bull. Soc. Chim. Biol. 25, 1061 (1953). 3 ) L e h n i n g e r und G r e v i l l e , Biochim. Biophys. Acta 12, 188 (1953).

Die Bedeutung der C2-Fragmente im Stoffwechsel der Fettsäuren Kohlehydrat

Fettsäuren

Pyruvat

„aktivierte" Essigsäure

bei Kohlehydratmangel in der Leber in den peripheren Geweben

345

Acetessigsäure

Oxalessigsäure

Acetat

Citronensäurecyklus

Eine Reihe von Beobachtungen, die wir hier nicht einzeln erwähnen können, deutet darauf hin, daß die verschiedenen C 2 -Fragmente, die beim Abbau der Fettsäureketten entstehen, nicht in gleicher Weise zur Acetessigsäuresynthese herangezogen werden. I n Stellung 1 oder 3 durch C(14> markierte n-Öctylsäure ( = Caprylsäure) liefert (Versuche mit Homogenat) eine Acetessigsäure, welche in der Carboxylgruppe mehr Isotop enthält als in der Carbonylgruppe, während eine in Stellung 7 markierte Säure einen starken "Überschuß des Isotops in der Carbonylgruppe ergibt. Auch bei der Oxydation von carboxylmarkierten Fettsäuren verschiedener Länge zeigen sich Unterschiede im Verhältnis des Isotopgehalts der CO- und COOHGruppe. Aus diesen und ähnlichen Versuchen wurde geschlossen, daß es C 2 -Fragmente gibt, welche vorzugsweise den Acetylrest, und solche, welche vorzugsweise den Essigsäurerest der Acetessigsäure liefern. Zu ähnlichen Resultaten führte auch der Vergleich der Acetessigsäure- und der C0 2 -Bildung bei Säuren verschiedener Kettenlänge. Die Frage hat noch keine eindeutige Lösung gefunden. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß es verschiedenartige C 2 -Fragmente gibt. Die Unterschiede scheinen eher durch Besonderheiten des Reaktionsablaufs bedingt zu sein, welche eine statistisch gleichförmige Vermischung der C 2 -Fragmente verhindern. Wahrscheinlich entsteht auch nicht die Gesamtmenge der Acetessigsäure durch Rekondensation der C 2 -Fragmente, sondern es kann unter Umständen ein beträchtlicher Teil im Sinne der ursprünglichen K n o o p s c h e n Theorie der ^-Oxydation direkt aus den vier endständigen C-Atomen der Kette hervorgehen 1 ). L y n e n hat kürzlich für die Tatsache, daß die beiden letzten C-Atome einer Fettsäurekette vorwiegend in der Acetylhälfte der Acetessigsäure erscheinen, eine plausible Erklärung gegeben. Ausgehend von der Feststellung, daß die Thiolase durch SH-Reagentien gehemmt wird, nimmt er folgende Reaktion an: Ferment-SH + Acetacetyl-CoA ,

' Ferment-S-Acetyl + Acetyl-S-CoA.

Der an der SH-Gruppe des Ferments hängende Acetylrest entspricht der Acetylhälfte der Acetessigsäure. Wenn die letztere durch sukzessive Verkürzung einer Fettsäurekette entstanden ist, stellt dieser Acetylrest das endständige Ca-Fragment der Fettsäure dar. Das Acetylferment kann nun in Umkehrung der obigen Reaktionsgleichung mit Acetyl-Co reagieren, welches dem „Acetyl-Pool" des Organismus entstammt. Die auf diese Weise entstehende Acetessigsäure wird daher, wenn der am Ferment sitzende Acetylrest markiert war, das CIsotop in seiner Acetylhälfte enthalten2). !) Vgl. dazu B l o c h , Ann. Rev. Biochem. 21, 273 (1952). 2 ) Vgl. L y n e n , Bull. Soc. Chim. Biol. 25, 1061 (1953).

346

Der Fettstoffwechsel

6. Unentbehrliche (essentielle) Fettsäuren Zur Annahme, daß gewisse ungesättigte Fettsäuren von den höheren Tieren nicht selbst synthetisiert werden können, also in der Nahrung vorhanden sein müssen, ist man durch Fütterungsversuche gelangt. Fettarm ernährte Ratten entwickeln typische Hautsymptome (sog. „Schachtelhalmschwanz") und andere, schwere Mangelerscheinungen, die durch Zulage von Linol- und Linolensäure geheilt werden können (Burr). Wenn auch beim Menschen keine direkten Versuche angestellt werden können, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß sich der menschliche Organismus ähnlich verhält, d. h., daß er auf die Zufuhr gewisser ungesättigter Fettsäuren angewiesen ist. Das Problem hat daher eine große praktische Bedeutung. Bernhard hat mit Hilfe von Deuterium als Indikator den Beweis, daß Linol- und Linolensäuren vom höheren Tier nicht synthetisiert werden können, in einwandfreier Weise erbracht. Die Versuchstiere (Batten) erhielten deuteriumoxydhaltiges Wasser (vgl. S. 226). Die Linolfläure und die Linolensäure wurden aus dem verseiften Körperfett als Tetra- bzw. Hexabromid isoliert. Sie enthielten kein Deuterium, ein Beweis dafür, daß ihre Kohlenstoffketten nicht aus anderem Material aufgebaut werden. Nachuntersuchungen v o n B e r n h a r d vermögen die9,10-Dioxy- und die9,10-Diketostearinsäure sowie die Stearolsäure (CH3(CH2)7-C=C(CH2)7COOH), die der Ölsäure entsprechende Acetylencarbonsäure, bei der Ratte die natürlichen essentiellen Fettsäuren zu ersetzen. In Mangelzeiten wird man immer versuchen, möglichst viele der natürlich vorkommenden Fette der menschlichen Ernährung zugänglich zu machen. Bei vielen Fetten (z. B. bei Fischölen) ist aber, um sie überhaupt genießbar zu machen, eine vorangehende Hydrierung (Härtung) notwendig. Aus praktischen Gründen, die hier nicht zu erörtern sind, werden aber vielfach auch die natürlich vorkommenden Speiseöle teilweise hydriert. Durch diese Vorbehandlung wird der Gehalt an ungesättigten Fettsäuren herabgesetzt; wenn die Hydrierung weit getrieben wird, können die wichtigen mehrfach ungesättigten Säuren vollständig verschwinden. Der Wert der Fette als Nährstoff wird daher durch die Härtimg vermindert. Solange neben solchen technisch gehärteten Fetten genügende Mengen hochwertiger natürlicher Fette (z. B. Milchfett) zur Verfügung stehen, kommt diesem Umstand keine große Bedeutung zu. Dagegen spielt die Wertverminderung der Fette eine große Rolle, wenn ausschließlich künstlich raffinierte und gehärtete Fettstoffe zur Verfügung stehen (vgl. Kapitel Vitamine unter Vitamin F).

Über die Bedeutung der Fette als Nährstoffe siehe auch Kap. 31. 7. Die „lipotrop" wirkenden Stoffe und die Bolle der Leber im Fettstoffwechsel I m Fettstoffwechsel spielt die Leber eine große Rolle. Wir haben bereits gesehen, daß sie der Bildungsort der Acetonkörper ist. Es zeigt sich aber, daß sie auch an den Vorgängen, welche die Verteilung und die Verwertung des Fettes im Organismus bewirken, hervorragenden Anteil hat. Der Ausgangspunkt für die Erforschung der Vorgänge, die in diesem Abschnitt besprochen werden, war die Beobachtung, daß pankreaslose Hunde, die mit Insulin am Leben erhalten werden, sehr fettreiche Lebern entwickeln (statt 3—4% Fett enthalten diese Organe oft über 20%. Bei langer Dauer des Zustandes tritt eine schwere Schädigung des Organs auf: Cirrhose). Durch Zulage von rohem Pankreas (auch von Pankxeassekret) oder von Lecithin kann diese Fettanhäufung verhindert werden. Der Fettgehalt der Leber ist also von der Zufuhr gewisser Stoffe abhängig. Es zeigte sich, daß für das Studium dieser Frage die weiße Ratte ein sehr geeignetes Versuchstier ist. Man kann bei der Ratte durch Verfütterung einer Diät, die reich a n Fett (oder auch an Cholesterin) ist, eine starke Anhäufung von Triglyceriden in der Leber erzwingen und kann nun die Faktoren untersuchen, welche diesen Vorgang beeinflussen. Man hat auf diese Weise verschiedene Stoffe aufgefunden, welche die Fettanhäufung in der Leber verhindern oder, wenn dieselbe schon eingetreten ist, sie zum Verschwinden bringen. Man bezeichnet diese Wirkung als „lipotrop".

Die „lipotrop" wirkenden Stoffe und die Rolle der Leber im Fettstoffwechsel

347

Der wichtigste Stoff mit lipotroper Wirkung ist das Cholin (Best): HO • CHj • CH2 • N(CHa)s. Es ist der wirksame Bestandteil des Lecithins in den oben genannten Versuchen am Hund. Aber auch gewisse Proteine zeigen lipotrope Eigenschaften, so das Casein. Es hat sich gezeigt, daß ihre Wirkung auf dem Vorhandensein der Aminosäure Methionin beruht: CH3 • S • CH2 • CH2 • CH(NH2) • COOH.

Lipotrope Wirkung zeigt ferner der cyklische Alkohol Inosit (vgl. S. 30) und noch andere Substanzen, die hier nicht besprochen werden können. (Fettlebern lassen sich experimentell durch verschiedene Diätformen erzeugen. J e nach der Art der Entstehung wird aber die Fettanhäufung von den einzelnen lipotrop wirksamen Stoffen in verschiedener Weise beeinflußt.) Andererseits gibt es auch Stoffe, welche die Infiltration der Leber mit Fett begünstigen, welche daher Antagonisten der oben genannten Stoffe sind. Merkwürdigerweise zeigt ebenfalls eine schwefelhaltige Aminosäure, das Cystin, diese Wirkung. Auch große Gaben von Vitamin B 1 (Aneurin), die über den normalen Bedarf hinausgehen, begünstigen die Entstehung von Fettlebern. Es entsteht die Frage, wie die lipotrope Wirkung zu erklären ist. Der Fettbestand der Leber ist die Resultante aus zwei entgegengesetzten Vorgängen: der Zufuhr und Synthese von Triglyceriden einerseits und ihrem Abtransport und Abbau andererseits. Daher kann eine Fettanhäufung entweder durch vermehrte Zufuhr von Fettsäuren zur Leber und eine gesteigerte Synthese oder durch einen verminderten Abtransport aus der Leber in die peripheren Gewebe oder einen verminderten Abbau der Fettsäuren in der Leber zustande kommen. Der wichtigste lipotrop wirksame Stoff, das Cholin, ist ein Bestandteil von Phosphatiden (vgl. S. 46). Cholinphosphatide (Lecithine) finden sich nicht nur in den Geweben, sondern auch im Blut. Die Annahme liegt nahe, daß die Triglyceride der Leber, wenn sie vom Körper verwertet oder in die peripheren Fettgewebe transportiert werden sollen, in Cholinphosphatide übergehen müssen. Fehlt in der Nahrung das Cholin oder die Stoffe, welche zu seinem Aufbau nötig sind, so kann die Bildung der Cholinphosphatide nicht stattfinden; die Fette, die in der Leber aus Zucker oder Eiweiß synthetisiert oder ihr mit der Nahrung zugeführt werden, bleiben als Triglyceride liegen. Diese Auffassung ist durch Versuche mit markierten Verbindungen im wesentlichen bestätigt worden. Es hat sich gezeigt, daß der hauptsächlichste Bildungsort der Phosphatide des Blutplasmas die Leber ist und daß bei Cholinmangel die Bildung der Phosphatide stark verlangsamt ist. Daß beim Fehlen von Cholin der Abtransport der Fette aus der Leber verlangsamt ist, konnte auf folgende Weise direkt nachgewiesen werden: Man untersuchte den Deuteriumgehaltder Leberfettsäuren und der Depotfettsäuren von Ratten, welche schweres Wasser (D 2 0) zugefüttert erhielten. Unter diesen Bedingungen wird in alle organischen Verbindungen, die aus kleinen Molekülen neu synthetisiert werden, also auch in die Fettsäuren, stabil gebundenes Deuterium aufgenommen. Der Deuteriumgehalt ist daher ein Maß für die Neubildung einer Substanz während der Versuchsperiode. Bei derartigen Versuchen hat sich ergeben, daß die Fettsäuren, die bei Cholinmangel in der Leber angehäuft werden, zum großen Teil durch Synthese entstanden sein müssen. Das Depotfett dagegen enthält weniger neugebildete Fettsäuren als dasjenige der Kontrolltiere, welche Cholin erhielten. Cholinmangel bewirkt also tatsächlich eine Sperre der Fettabwanderung aus der Leber ( S t e t t e n und Salcedo).

Durch die gleiche Methode wurde auch gezeigt, daß Cystin die Fettinfiltration der Leber dadurch begünstigt, daß es auf irgend einem Wege die Fettbildung anregt.

348

Der Fettstoffwechsel

Ähnlich wirkt auch Aneurin. Diese Stoffe sind also keine Antagonisten des Cholins in dem Sinne, daß sie am gleichen Vorgang angreifen, ihn aber in entgegengesetztem Sinne beeinflussen. Sie verhindern nicht den Abtransport des Fetts aus der Leber, sondern beschleunigen die Neubildung der Fettsäuren. Wir haben erwähnt, daß Methionin gleich wirkt wie Cholin. Methionin enthält eine sog. „labile" Methylgruppe an Schwefel gebunden. Diese Gruppe kann in andere Verbindungen eingeführt werden, wie wir ausführlicher im Abschnitt über den Aminosäurestoffwechsel zeigen werden. So kann bei Gegenwart von Methionin Aminoäthylalkohol methyliert und in Cholin übergeführt werden (Aminoäthylalkohol seinerseits entsteht aus den Aminosäuren Serin und Glycocoll) (vgl. S. 381 und 389). M e t h i o n i n w i r k t a l s o d a d u r c h l i p o t r o p , d a ß es d i e S y n t h e s e v o n Cholin ermöglicht. Da Inosit ebenfalls als Baustein von Phosphatiden vorkommt (vgl. S. 30), erscheint es möglich, daß dieser Stoff wie das Cholin wirkt, d. h. durch Bildung von Phosphatiden den Abtransport der Fettsäuren aus der Leber ermöglicht. Diese Erklärung setzt voraus, daß Inositphosphatide in ähnlicher Weise am Fettsäuretransport beteiligt sind wie Cholinphosphatide, eine Annahme, die nicht bewiesen ist. Inosit wirkt hauptsächlich auf die durch Cholesterinzufuhr oder durch große Gaben bestimmter Vitamine der B-Gruppe erzeugte Fettleber (sog. „Biotinleber") ein; seine Wirkung kann durch Stoffe gehemmt werden, die auf das Cholin keinen Einfluß haben, ist also vom Cholin unabhängig. Die Wirkung des rohen Pankreas oder des Pankreassekrets beim Hund läßt sich nicht allein durch den Cholingehalt des Organs erklären. Man hat aus Pankreas nicht dialysable Stoffe gewonnen (sog. „lipocaic" [ D r a g s t e d t ] und „antifatty-liver factor" [ E n t e n m a n und Chaikoff]), die frei von Cholin sind und schon in kleinen Mengen das Entstehen der Fettleber beim pankreaslosen Hund verhindern. Möglicherweise wirken diese Stoffe aber auf den Cholinstoffwechsel ein. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß beim Fehlen des Pankreassekrets das in den Phosphatiden der Nahrung gebundene Cholin und das im Eiweiß vorhandene Methionin nicht verwertet werden können.

Der gesamte Fettbestand des Körpers, dessen Hauptmasse durch das Depotfett dargestellt wird, kann bei gleichmäßiger Ernährung über längere Zeiträume konstant bleiben. Man darf sich aber nicht vorstellen, daß dabei das Fett in den Organen und Depots unverändert liegen bleibt und nicht am Stoffwechsel teilnimmt. Die bereits erwähnten Versuche, bei denen deuteriumhaltige Fettsäuren verfüttert wurden oder bei denen die Tiere deuteriumhaltiges Wasser erhielten, haben gezeigt, daß das Körperfett auch bei konstantem Gesamtbestand ständig erneuert wird. Die „markierten" Fettsäuren werden rasch in das Körperfett eingebaut. Reichert man die Körper flüssigkeit mit schwerem Wasser an, so findet man in den Fetten nach kurzer Zeit beträchtliche Mengen Deuterium zum Zeichen, daß Fettsäuren neu synthetisiert und in die Triglyceride eingeführt worden sind (vgl. S. 399). Man hat auf diese Weise gefunden, daß z. B. bei der Maus schon innerhalb von 2—3 Tagen die Hälfte des gesamten Körperfetts erneuert wird ( S c h o e n h e i m e r ) . Die Versuche mit „markiertem" Fett haben noch zu weiteren wichtigen Ergebnissen geführt. Wird solches Fett verfüttert, so weist das Leberfett den größten Deuteriumgehalt auf. Bei anschließendem Fasten der Tiere sinkt der Deuteriumgehalt des Leberfetts zuerst rasch ab, bis er einen Wert erreicht, der etwa demjenigen des Depotfetts entspricht, und sinkt dann weiter nur sehr langsam ab. Wird den mit deuteriumhaltigem Fett gefütterten Mäusen viel Kohlehydrat und Protein verabreicht, so ändert sich der Deuteriumgehalt der Fettdepots kaum, während er in der Leber stark absinkt. Läßt man die Tiere anschließend noch fasten, so steigt der Deuteriumgehalt des Leberfetts wieder an, während gleichzeitig die in den Depots gespeicherte Fettmenge bei unverändertem Deuteriumgehalt abnimmt (Best). Aus diesen Beobachtungen kann folgendes geschlossen werden: Der Fettumsatz (die Erneuerung des vorhandenen Fettes) erfolgt am schnellsten in der Leber. Die

Der Stoffwechsel des Cholesterins und der Gallensäuren

349

Leber n i m m t einerseits das Nahrungsfett am raschesten auf (was nicht etwa heißen will, daß sie den größten Teil aufnimmt); andererseits wird bei Hunger das Leberfett a u c h a m raschesten verbraucht. D a s aus Kohlehydrat neu gebildete F e t t häuft sich zunächst in der Leber an u n d wird allmählich in Depots abtransportiert, während umgekehrt T>ei Hunger aus den Depots F e t t in die Leber nachgeschoben wird. D a s F e t t kann also zwischen Leber und den peripheren Geweben je nach Bedarf in der einen oder anderen Richtung verschoben werden. 8. Abhängigkeit des Fettstoffwechsels von endokrinen Drüsen Wie der gesamte intermediäre Stoffwechsel werden auch die Umsetzungen der Fette von verschiedenen Hormonen beeinflußt. Ob es aber ein Hormon gibt, das den Fettstoffwechsel in spezifischer Weise beeinflußt („Fettstoffwechselhormon"), ist fraglich. Von besonderer Bedeutung ist die Hypophyse (und wahrscheinlich auch der Hypothalamus). Bestimmte Formen der Fettsucht (d. h. der übermäßigen Anhäufung von Fett in den Depots) gehen auf Störungen der Hypophysenfunktion zurück (Unterfunktion). Da die Hypophyse durch ihre Hormone die I^ebennierenrinde (corticotropes Hormon) und die Schilddrüse (thyreotropes Hormon) anregt, kann eie auch auf indirektem Wege auf den Stoffwechsel einwirken. Aus dem Hypophysenvorderlappen hat man Extrakte gewonnen, welche eine Verminderung des Fettbestandes des Körpers, aber eine Vermehrung des Fetts in der Leber, sowie Acetonämie (Bildung von Acetonkörpern), d. h. vermehrte Oxydation der Fettsäuren bewirken. Es sind dies die Zeichen des sog. „Fetttransportsyndroms". Wir haben diese Wirkung der Hypophyse bei Besprechung des Zuckerstoffwechsels bereits erwähnt. Das Hormon, das die genannten Stoffwechselveränderungen hervorruft, ist sehr wahrscheinlich das W a c h s t u m s h o r m o n . Unter seiner Wirkung ist die Oxydation der Kohlehydrate und Proteine verlangsamt, die Oxydation des Fettes dagegen beschleunigt (vgl. S. 636). Die verstärkte Fettoxydation gibt sich u. a. in einem Absinken des respiratorischen Quotienten nach Verabreichung von Wachstumshormon zu erkennen. Für das Zustandekommen der oben erwähnten Mobilisation des Fetts in den Depots und seine Verschiebung nach der Leber scheint das Zusammenwirken von Wachstumshormon und Rindenhormonen (bzw. ACTH) notwendig zu sein. Beim nebennierenlosen Tier haben die Hypophysenhormone keinen Einfluß. Über die Art und Weise, wie die Hormone zusammenwirken, ist nichts Sicheres bekannt. Man vermutet, daß das Hypophysenhormon direkt auf das Fettgewebe einwirkt 1 ). Das Insulin (vgl. S. 312) beeinflußt die Umwandlung von Zucker in Fett. Wie Isotopenversuche gezeigt haben, ist beim diabetischen Tier die Neubildung von Fettsäuren aus Kohlehydrat stark vermindert. I n ähnlicher Weise wie Insulinmangel wirkt Hunger; im Hungerzustand sinkt die Fettsynthese aus Kohlehydrat auf sehr geringe Werte ab (vgl. Abschnitt Diabetes S. 323). 9. Der Stoffwechsel des Cholesterins und der Gallensäuren Auf Grund v o n Bilanzversuchen an Menschen und Tieren m u ß m a n annehmen, daß das Cholesterin i m O r g a n i s m u s s y n t h e t i s i e r t wird. Der Körper junger Hunde, die vier Wochen mit einer cholesterinarmen K o s t gefüttert worden sind, enthielt ein Vielfaches des Cholesterins, das mit der Nahrung zugeführt worden war. Bei der Bebrütung des Hühnereies und auch bei der legenden Henne ist die Zunahme d e s Cholesterins bewiesen worden. V o n allen Sterinen ist nur das Cholesterin leicht resorbierbar. Der tierische Organismus kann Sterine p f l a n z l i c h e n Ursprungs n i c h t resorbieren; diese verlassen d e n Körper unverändert. Der Weg, den das resorbierte Cholesterin nimmt, ist d e m der F e t t e analog. Die Mengen des zugeführten Cholesterins schwanken je nach d e m F e t t g e h a l t der Nahrung. Sie betragen bei gemischter K o s t etwa 0,20 g und bei fettreicher K o s t können sie auf mehr als 1 g pro Tag ansteigen. Die Frage, ob eine absolute Unabhängigkeit v o n der Cholesterinzufuhr durch die Nahrung besteht, ist noch nicht eindeutig entschieden. Die Möglichkeit, daß der Mensch rein vegetarisch leben kann, spricht aber dafür. 1

) Vgl. L e v i n und F a r b e r , Recent Progress in Hormone Research 7, 399 (1952).

350

Der Fettstoffwechsel

Als Ort der C h o l e s t e r i n s y n t h e s e hat man verschiedene Organe angesprochen. Im Vordergrund stehen Leber und Nebennierenrinde. Alle neueren Untersuchungen sprechen für eine Entstehung des Cholesterins aus kleinen Bausteinen von wenigen C-Atomen. Wenn man Tieren deuteriumhaltiges Wasser zuführt, so wird, wie wir schon mehrfach erwähnt haben, in die aus kleinen Bruchstücken neu synthetisierten Verbindungen Deuterium aufgenommen. Bei Versuchen mit Mäusen zeigte es sich, daß nach 60 Tagen im Cholesterin der Versuchstiere das Verhältnis von Deuterium zu Wasserstoff halb so groß als das in den Körperflüssigkeiten war ( R i t t e n b e r g und S c h o e n h e i m e r ) . Daraus muß geschlossen werden, daß Cholesterin aus kleinen Einheiten synthetisiert wird. In der Tat haben Versuche mit „markierter" Essigsäure und anderen Verbindungen ergeben, daß Acetat offenbar die hauptsächliche Kohlenstoffquelle bei der Synthese des Cholesterins ist und daß überhaupt nur solche Verbindungen verwertet werden können, die zum Acetat in Beziehung stehen (Bloch). Dies ist eine sehr bemerkenswerte Tatsache, weil sie erneut die große Bedeutung der C 2 -Verbindungen für die biochemische Synthese aller möglichen Stoffe aufzeigt. Besonders klare Verhältnisse bietet eine Neurosporamutante, welche die Fähigkeit verloren hat, Acetat aus Glucose zu bilden („acetateless"). Setzt man zum Kulturmedium doppelt markiertes Acetat zu (C*14'H3C(13'OOH), so enthält das gebildete Ergosterin ebensoviel Kohlenstoffisotop wie das zugesetzte Acetat, d. h. das Kohlenstoffgerüst des Sterins ist ausschließlich aus Essigsäure gebildet worden (Bloch). Über die Einzelheiten der Cholesterinsynthese sind wir noch wenig unterrichtet. Durch systematischen Abbau des aus Carboxyl- und Methyl-markiertem Acetat im Gewebe synthetisierten Cholesterins versucht man, sich ein Bild vom Einbau des Acetatkohlenstoffs in das Cholesteringerüst zu machen (Bloch). Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß möglicherweise Acetessigsäure direkt zur Synthese verwendet werden kann. Zwischenstufen der Synthese sind nicht bekannt. Sicher kommen als solche die einfachen höheren Fettsäuren nicht in Frage. Die Cholesterinsynthese ist gänzlich unabhängig von der Fettsäuresynthese. Im diabetischen Organismus sinkt die letztere fast auf Null ab, während Cholesterin eher in vermehrter Menge gebildet wird. Als mögliche Zwischenstufe der Cholesterinsynthese hat man das Triterpen Squalen (s. S. 64) in Betracht gezogen, das auch im menschlichen Hautsekret nachgewiesen worden ist1).

Durch welchen Stoffwechselprozeß das Acetat entsteht, das zur Cholesterinsynthese verwendet wird, ist unbekannt. Pyruvat scheint nicht die Muttersubstanz zu sein, weil der «-Kohlenstoff des Pyruvats (CH3 -C(14)O COOH) kaum in das Cholesterin aufgenommen wird, während er für die Fettsäuresynthese sehr wohl verwertet werden kann (Bloch). Dagegen kann der Kohlenstoff kurzer Fettsäureketten einbezogen werden. Die Hauptmenge des Cholesterins wird in der Galle ausgeschieden. (Die Lebergalle des Menschen enthält im Mittel etwa 1 Promille Cholesterin.) Es wird durch die gallensauren Salze in Lösung gehalten. Doch kommt es infolge seiner schweren Löslichkeit sehr häufig zur Konkrementbildung (Gallensteine!). Auf die mögliche Bedeutung des Cholesterins für die Absorption der Fettsäuren haben wir oben schon hingewiesen. Es scheint, daß Cholesterin auch durch die Schleimhaut des Dickdarms ausgeschieden wird. Das mit der Galle in den Darm gelangende Cholesterin kann zu einem Teil wieder resorbiert werden. Neben den pflanzlichen Sterinen, die aus der Nahrung stammen und nicht absorbiert werden können, finden sich aber in den Fäces hauptsächlich zwei Sterine, die aus dem Cholesterin durch Reduktion hervorgehen, das Koprosterin und das Dihydro*) Vgl. B l o c h , Recent Progress in Hormone Research 6, 111 (1951).

Der Stoffwechsel des Cholesterins und der Gallensäuren

351

Cholesterin (Cholestanol), die beide nicht absorbiert werden können. Die beiden Verbindungen unterscheiden sich durch die Konfiguration des asymmetrischen CAtoms in Stellung 5 des Steringerüstes (siehe die untenstehenden Formelbilder; vgl. dazu die Erklärungen auf S. 55). Man hat früher angenommen, daß Koprosteriri im Darm selbst unter Einwirkung der Bakterien aus dem Cholesterin gebildet wird. Esist aber bisher nicht gelangen, diese Umwandlung in vitro in Mischkulturen der Darmbakterien hervorzurufen. Wahrscheinlich erfolgt die Bildung des Koprosterins derart, daß zunächst das Cholesterin zum Cholestenon oyxdiert und dann über das Koprostanon zum Koprosterin reduziert wird. Für die Bildung von Cholestenon als

Koprostanon

Koprosterin

Dihydrocholesterin (Cholestanol)

Zwischenstufe spricht das Vorkommen dieser Verbindung in den Fäces nach reichlicher Cholesterinverfütterung (Ratte), sowie die Tatsache, daß bei Verfüttern von deuteriumhaltigem Cholestenon das ausgeschiedene Koprosterin ebenfalls Deuterium enthält. Da Cholestenon auch in einzelnen Geweben nachgewiesen wurde (Hoden und Milz des Schweines), ist es-möglich, daß diese Vorstufe des Koprosterins teilweise aus den Geweben des Körpers stammt und nicht durch die Darmflora gebildet worden ist. Die Gallensäuren entstehen wahrscheinlich aus Cholesterin. Die Ähnlichkeit der chemischen Struktur würde zu dieser Annahme nicht genügen, denn die Moleküle könnten auch unabhängig voneinander aus ähnlichen Bausteinen gebildet werden. Es hat sich aber gezeigt, daß bei Verfütterung von deuteriumhaltigem Cholesterin an den Hund die aus der Galle isolierte Cholsäure ebenfalls Deuterium enthält. Ob der Ort der Synthese die Leber ist oder nicht, ist nicht sicher bewiesen, aber wahrscheinlich. Über den sog. enterohepatischen Cyklus der Gallensäuren siehe S. 474. Das Cholesterin ist auch die Muttersubstanz anderer Sterine. Einer Schwangeren wurde im achten Monat der Gravidität Deuteriocholesterin verabreicht. Das im Urin (als Diglucuronat) ausgeschiedene Pregnandiol enthielt Deuterium in bedeutender Konzentration. Es muß daraus geschlossen werden, daß die Muttersubstanz des Pregnandiols, das Hormon Progesteron (vgl. S.649), aus dem Cholesterin entstanden ist. In diesem Zusammenhang ist auch von Interesse, daß die wichtigsten sterinbildenden Organe, die Nebennierenrinde und der Hoden, sehr reich an Cholesterin sind. In der Nebennierenrinde nimmt bei starker Hormonsekretion der Cholesteringehalt stark ab. Die Vermutung liegt daher nahe, daß auch hier das Cholesterin zur Bildung der Sterinhormone verwendet wird; doch gibt es Versuche, welche dagegen sprechen, daß Cholesterin ein direktes Zwischenprodukt bei der Synthese von Sterinhormonen aus C2-Verbindungen ist.

352

Der Eiweißstoffwechsel

Sechzehntes Kapitel

Der Eiweißstoffwechsel 1. Aufnahme der Eiweißkörper Die Eiweißkörper sind durch ihren S t i c k s t o f f g e h a l t gekennzeichnet. Sie sind lebensnotwendige Bestandteile jeder Zelle. Da ein Teil der Eiweißkörper ständig verbraucht wird, muß eine bestimmte Menge Eiweiß immer ersetzt werden. Die Proteine können von den tierischen Organismen nicht aus anderem Material aufgebaut werden. Die einzige verwertbare Stickstoffquelle ist wiederum Eiweiß oder, genauer gesagt, die aus dem Eiweiß durch Verdauung freigesetzten Aminosäuren. A. Die Verdauung der Eiweißkörper (Siehe den Abschnitt über Proteasen)

I m Magensekret findet sich das Pepsin (S. 191), das die meisten Eiweißkörper zu Albumosen und Peptonen spaltet und durch sein bei stark saurer Reaktion gelegenes pH-Optimum ausgezeichnet ist. Nach neueren Untersuchungen kommt noch eine Protease mit Wesentlich weniger saurem pH-Optimum im Magensaft vor. I m Magen junger Tiere wird noch kein Pepsin, dafür aber das Labferment (Chymosin) produziert (vgl.S. 192). Im Darmkanal ist zwischen der Wirkung des P a n k r e a s s a f t e s und derjenigen des D a r m s a f t e s zu unterscheiden. Im Pankreassaft finden sich hauptsächlich die folgenden Proteasen: Trypsin, Chymotrypsin, Amino- und Carboxypolypeptidasen. Während also durch die Wirkung des Magensekretes noch keine nennenswerten Mengen freier Aminosäuren entstehen, können durch die kombinierte Wirkung der Pankreasproteasen solche in großer Menge gebildet werden. Im D a r m s e k r e t finden sich nun keine Proteinasen, wohl aber Peptidasen, und zwar hauptsächlich die Aminopolypeptidase und die Dipeptidase. Das Gemenge dieser beiden Peptidasen hat man früher als „ E r e p s i n " bezeichnet. Endlich findet sich im Sekret der Darmschleimhaut noch die „Enterokinase", welche die Pankreasproteinase aktiviert. Die frischen Sekrete der Magenschleimhaut und -des Pankreas enthalten die Proteinase in Form der inaktiven Profermente. Über deren Aktivierung siehe S. 191 und 194. Es ist aus der Verteilung der Fermente ersichtlich, daß das Magensekret nur eine vorbereitende Wirkung auf die Eiweißkörper ausübt, während Pankreas- und Darmsekrefc den Hauptteil der Eiweißverdauung besorgen. Die Leistung der Magenverdauung ist aber doch nicht belanglos. Durch das Pepsin wird das Bindegewebe weitgehend aufgelöst. I m Muskelfleisch werden dadurch die einzelnen Fasern freigelegt und der Fermentwirkung leichter zugänglich gemacht. Es gibt verschiedene Beispiele dafür, daß native Eiweißkörper durch die proteolytischen Enzyme weniger leicht angegriffen werden als denaturierte Proteine. (Z. B. wird natives Hämoglobin von Trypsin gar nicht verdaut, wohl aber denaturiertes; rohes Eieralbumin wird langsamer angegriffen als denaturiertes.) Es ist anzunehmen, daß der stark saure Magensaft auf viele Proteine denaturierend wirkt und dadurch ihre Verdauung erleichtert. Für den Menschen, der ohnehin fast nur gekochtes, d. h. denaturiertes Eiweiß genießt, dürfte dieser Umstand weniger wichtig sein als für das Tier.

Resorption und Speicherung

353

Man kann sich aus dem, was früher über die Wirkung der Proteasen gesagt wurde, leicht ein Bild vom Ablauf der Eiweißverdauung machen: Durch die Proteinasen (Endopeptidasen, vgl. S. 195) werden zunächst Peptidbindungen im Innern der Polypeptidketten aufgebrochen und dadurch die Moleküle in kleinere Bruchstücke zerlegt. Durch Carboxy- und Polypeptidasen (Exopeptidasen) werden die Peptidketten darauf von den beiden Enden her verkürzt, und schließlich hydrolysieren die Dipeptidasen noch die verbleibenden Dipeptide. Die Frage, wie weit das Eiweiß gespalten werden muß, u m resorbierbar zu sein, ist noch immer nicht restlos geklärt. Mit größter Wahrscheinlichkeit läßt sieh aber sagen, daß fast alles Eiweiß bis zu den Aminosäuren oder einfachen Peptiden gespalten werden muß, ehe eine Resorption stattfinden kann. Am Ende des Dünndarms ist der größte Teil der Verdauungsprodukte absorbiert. Wie vor allem A b d e r h a l d e n gezeigt hat, kann man Tiere mit einem Aminosäuregemisch ohne Schädigung lange Zeit hindurch ernähren. Der Organismus benötigt also nicht die Proteinmoleküle als solche, sondern deren Bausteine. Auch abgesehen vom hohen Molekulargewicht, welches die Aufnahme der meisten Proteine verunmöglicht, könnten dem Körper keine intakten Eiweißmoleküle einverleibt werden. Wiederholte Einführung von artfremdem Eiweiß in die Blutbahn f ü h r t zu heftigen, lebensbedrohenden Reaktionen (anaphylaktischer Schock), und der physiologische Sinn der Spaltung der Eiweißkörper vor der Resorption ist zweifelsohne der, die zugeführten Substanzen ihres spezifischen „antigenen" Charakters zu entkleiden. B. Resorption und Speichereng Die Resorption der Spaltprodukte der Proteine erfolgt fast nur durch die B l u t b a h n . Die Chylusgefäße haben als Absorptionsweg nur ganz nebensächliche Bedeutung. Nach Verabreichung von Eiweiß findet man eine Erhöhung des Aminosäuregehaltes des Blutes. Versuche von v a n S l y k e und M e y e r und anderen zeigten, daß bei intravenöser Injektion oder Absorption von hydrolysiertem Eiweiß die Aminosäuren in die Gewebe einwandern und dort stark angereichert werden. Ihre Konzentration im Gewebe ist wesentlich höher als im Blut. Nach etwa drei Stunden h a t der Aminosäuregehalt der Gewebe aber wieder den normalen Wert erreicht. Soweit sie nicht direkt durch die Nieren ausgeschieden worden sind, müssen sie also von den Geweben zur Eiweißsynthese herangezogen oder auf andere Weise verbraucht worden sein. E s besteht zwischen Eiweißkörpern einerseits und Fetten und Kohlehydraten andererseits ein prinzipieller Unterschied. Die S p e i c h e r u n g von Eiweiß in speziellen Eiweißdepots ist nicht möglich. Die Eigentümlichkeit des Eiweißstoffwechsels besteht darin, daß jeder Überschuß an Aminosäuren aus dem Organismus ausgeschieden wird, sofern er nicht als Gewebsprotein fixiert werden kann. Die in den Zellen aufgenommenen Aminosäuren werden dort f ü r kurze Zeit gespeichert und es ist höchst wahrscheinlich, daß die Synthese des Zelleiweißes aus diesem Material an Ort und Stelle vonstatten geht, daß also jede Zelle ihr Eiweiß selbst a u f b a u t . Nach allem, was wir heute über die Speicherung von Protein im Körper wissen, besteht zwar eine gewisse Eiweißreserve, die vermindert oder vergrößert werden kann. Aber es gibt kein Reserveeiweiß in dem Sinne, wie es ein Reservekohlehydrat, das Glycogen, gibt. Eiweiß kann nur in Form von spezifischen Gewebsproteinen ge23

E d l b a c h e r - L e u t h a r d t , Lehrbuch. 11.Aufl.

Der Eiweißstoffweehsel

354

speichert werden. M. L u c k fütterte Ratten mit proteinreicher und -armer Diät. Es wurden dann nach zwei Wochen die Organe der Tiere fraktioniert auf ihren Gehalt an verschiedenen Proteinen untersucht (Globulin und Albumin). Es zeigte sich, daß durch die Proteinfütterung eine Anreicherung von 50—60% an Eiweiß erzielt wurde, die sich aber g a n z g l e i c h m ä ß i g auf a l l e P r o t e i n f r a k t i o n e n ers t r e c k t e . In diesem Sinn ist die von P f l ü g e r und V o i t ausgesprochene Annahme von s p e z i f i s c h e m Reserveeiweiß zu revidieren. Auch A b d e r h a l d e n konnte durch Fütterungsversuche zeigen, daß die P r o t e i n e e i n e r Z e l l a r t i m m e r e i n e k o n s t a n t e Z u s a m m e n s e t z u n g haben. Er fand, daß die Plasma- und Serumproteine von Pferd, Rind und Kaninchen, die während vier Wochen ganz einseitig mit Grünfutter und Kleie oder Hafer ernährt wurden, immer die gleiche Zusammensetzung bewahren. 2. Bildung und Abbau von-Aminosäuren im Tierkörper Bevor wir die Umsetzungen der Proteine im tierischen Organismus besprechen, müssen wir das Verhalten ihrer Bausteine, der Aminosäuren, kennenlernen. Bildung der Aminosäuren aus a-Ketosäuren, oxydative Desaminierung. Da allenthalben in den tierischen Zellen die verschiedenartigsten Kohlenstoffverbindungen vorkommen, die Stoffwechselprodukte der Kohlehydrate und Eiweißkörper sind, ist zunächst die Frage zu entscheiden, ob die Einführung der Aminogruppe in die Kohlenstoffkette vom Organismus durchgeführt werden kann. Zur Klärung dieser Frage haben die Forschungen von D a k i n , E m b d e n und K n o o p wichtige Beiträge geliefert, welche durch die Untersuchungen von 0 . N e u b a u e r über den Abbau der Aminosäuren' sich zu einem ziemlich geschlossenen Bild über die Vorgänge vereinigen. K n o o p verfütterte y-Phenyl-a-ketobuttersäure an Hunde und konnte die entsprechende Phenylaminobuttersäure aus dem Harn isolieren. Allerdings wird nicht die freie Aminosäure, sondern ihre Acetylverbindung ausgeschieden: c6h5 1 ch2

c6h

|

ch

j

ch

1

— >

2

Ao

2

ch

1

c6h

6

2

ch-nh

I

1

COOH

y-Phenyl-a-ketobuttersäure I

y-Phenyl-a-aminobuttersäure II

1

2

1 ch

j

2

CH-NH-(C0-CH3)

2

COOH

ch

6

j

COOH

Acetylverbindung von I I

In gleicher Weise konnten D a k i n und D u d l e y beim Durchströmungsversuch aus Phenylglyoxylsäure die Phenylaminoessigsäure erhalten: C^Hs C = 0 ¿OOH

C6H6 >•

CH-NHj ¿OOH

Endlich konnten E m b d e n und S c h m i t z für eine ganze Anzahl von Ketosäuren zeigen, daß bei der Durchströmung der Ammoniumsalze verschiedener Ketosäuren jedesmal die entsprechende optisch aktive L-Aminosäure entsteht.

355

Bildung und Abbau von Aminosäuren im Tierkörper

So liefert die Oxyphenylbrenztraubensäure Tyrosin, die a-Ketobuttersäure die Aminobuttersäure, die Brenztraubensäure das Alanin:

CH3

CH2

CH3 I CO

CO

CH-NHa

COOH

COOH

¿o 2 h

¿OOH

Oxyphenylbrenztraubensäure

Tyrosin

Brenztrauben-

Alanin

CH-NH2

Aus all diesen Versuchen läßt sich der Schluß ziehen, d a ß die « - A m i n i e r u n g a u s K e t o s ä u r e n im Organismus (Leber) leicht e i n t r e t e n kann. Auch a-Oxysäuren können in Aminosäuren übergehen. Wie später gezeigt werden soll, wird die Oxysäure zunächst in eine Ketosäure übergeführt. Andererseits wurde schon erwähnt, daß der Abbau auch über die Ketosäuren zu führen scheint, so daß es sich hier um eine umkehrbare Reaktion handelt. Auch die r e i n c h e m i s c h e Reproduktion dieser Reaktion wurde von K n o o p und Ö s t e r l i n durchgeführt. Ketosäuren werden beim Schütteln mit Paladiumschwarz als Katalysator in Ammoniaklösung in die entsprechenden Aminosäuren übergeführt. Es scheint bei dieser Reaktion intermediär zur Bildung einer Iminosäure zu kommen, welche dann erst zur Aminosäure reduziert wird: R

R

R

R

¿ = 0 + H3N = 0=NH + H20

¿=NH + H2 = CH-NH,

¿OOH JOOH

¿OOH

Ketosäure

¿OOH Iminosäure

COOH Aminosäure

Für die Abspaltung der Aminogruppe aus dem Aminosäuremolekül scheint der natürlichste Weg die hydrolytische Abspaltung von Ammoniak zu sein, wobei die entsprechende ¡x-Oxysäure entstehen müßte. Man erkannte aber schon frühzeitig, daß nicht die Oxy-, sondern die entsprechende Ketosäure primär gebildet wird (Neub a u e r ) . So wird z. B. nach Verfütterung von «-Phenyl-a-aminoessigsäure (Kaninchen, Hund, Mensch) neben linksdrehender Mandelsäure Phenylglyoxylsäure ausgeschieden. Daß die erstere nicht das primäre Produkt der Desaminierung sein kann, ergibt sich daraus, daß bei ihrer Verfütterung keine Phenylglyoxylsäure im Urin auftritt. Sie muß sekundär durch Reduktion der Ketosäure entstanden sein:

Phenylaminoessig13*

Phenylglyoxyl-

V

Mandelsäure

Der Eiweißstoffwechsel

356

Zum gleichen Resultat führten Beobachtungen bei der Alkaptonurie (vgl. S. 368). Die Eingabe von Tyrosin führt beim Alkaptonkranken zu vermehrter Ausscheidung der Homogentisinsäure (Alkapton). Würde Tyrosin dabei zuerst in die entsprechende Oxysäure (p-Oxyphenylmilchsäure) übergehen, so müßte Eingabe dieser Substanz die Alkaptonausscheidung vermehren. Das ist aber nicht der Fall. Dagegen tritt vermehrt Homogentisinsäure im Urin auf, wenn p-Oxyphenylbrenztraubensäure verfüttert wird; also muß die Ketosäure das erste Desaminierungsprodukt sein: COOH

COOK

COOH

C=0

H-d-OH

lüHj I

(jHJ !

und nicht

^

I I

OH p-Oxyphenylbrenztraubenaäure

OH

Die Desaminierung dieser «-Aminosäuren ist also mit einer Oxydation verbunden. Sie wird deshalb als oxydative Desaminierung bezeichnet und läßt sich allgemein in der folgenden Weise formulieren: COOH H-CNH,

I

R

COOH C = 0 + NH3

I

R

Später hat K r e b s die Desaminierung der «-Aminosäuren im überlebenden Gewebe (Gewebsschnitten aus Niere und Leber) untersucht und dabei die wichtige Entdeckung gemacht, daß zwei verschiedene Fermente der oxydativen Desaminierung existieren, von denen das eine merkwürdigerweise nur die nicht in Proteinen vorkommenden optischen Antipoden der natürlichen Aminosäuren angreift (also die Verbindungen der d-Reihe, vgl. S. 77), während das andere auf die natürlichen Verbindungen eingestellt ist. Das erste Ferment läßt sich aus dem Gewebe leicht extrahieren. Es hat den Namen D-Aminosäureoxydase erhalten. Seine prosthetische Gruppe ist als Flavinadenindinucleotid erkannt worden (Warburg und Christian) (vgl. S. 247). Die Aminosäure wird zuerst unter Bildung der Iminosäure dehydriert, wobei das Flavin den Wasserstoff aufnimmt. Die Iminosäure zerfällt (als unbeständige Verbindung) spontan in Ketosäure und Ammoniak. Das hydrierte Flavin reagiert unter Bildung von Wasserstoffsuperoxyd mit molekularem Sauerstoff. (Das Peroxyd wird unter natürlichen Bedingungen von der Katalase zerlegt. In reinen Fermentlösungen kann es die gebildete a-Ketosäure weiter oxydieren.) Mit d(—)-Alanin z.B. finden daher die folgenden Bieaktionen statt ([Flavin] bedeutet die Verbindung des Flavinadenindinucleotids mit dem Apoferment): COOH H-d NH2 CH.,

COOH +

[Flavin]

> C=NH + CH,

[Flavin] H2

Bildung und Abbau von Aminosäuren im Tierkörper

COOH I C=NH ¿h3

[Flavia] Hj

+

HaO

+

02

COOH I c=o I ch3 >•

+

[Flavin] +

357

nh3 H202

Die D-Aminosäureoxydase reagiert nicht mit allen D-Aminosäuren gleich gut. Einige werden überhaupt nicht gespalten. Beim Prolin wird der Ring oxydativ geöffnet : H2C—CH2

H2C

CH2

H2G

Ha¿

¿—COOH

¿H-COOH

I

NH

II

NH 2 O a-Keto-• Brenztraubensäure >• a-Ketoglutarsäure Oxalessigsäure

Hier ist der weitere Abbauweg ohne weiteres zu übersehen. Er kann zur vollständigen Oxydation, zur Gluconeogenese oder auch zur Fettbildung führen. Da verschiedene andere Aminosäuren, wie wir später zeigen werden, leicht in Glutaminsäure übergehen, kann ihr Stoffwechsel in die gleichen Wege einmünden. Im allgemeinen dürften die a-Ketosäuren zunächst decarboxyliert und in die um ein C-Atom ärmeren Carbonsäuren verwandelt werden. E m b d e n und seine Mitarbeiter konnten beim Leberdurchblutungsversuch (Hundeleber) feststellen, daß die z u g e s e t z t e n A m i n o s ä u r e n d i e s e l b e n E n d p r o d u k t e l i e f e r n wie die um ein C - A t o m ä r m e r e n F e t t s ä u r e n . Sie wurden unter Decarboxylierung und Desaminierung durch ß-Oxydation abgebaut:

Der Abbau des Kohlenstoffgerüstes

CHS

CHS

¿H,

" W gibt durch /J-Oxydation kein Aceton

¿H? — CHa

¿h 2

CH-NH,

¿00H

363

¿00H n-Leucin

n-Valeriansäure

CHg Cllg

CH3 CH3

CH3 CHj

V

CH CH2

Ah.NH,

gibt Aceton

¿OOH

COOH Leuein

Isovaleriansäure

CH3 CH-NH2 I CÖÖH Valin

CH. gibt durch /3-Oxydation kein Aceton

COOH Isobuttersäure

Nach D a k i n können drei Gruppen von Aminosäuren unterschieden werden: solche, die Zucker, solche, die Aceton, und solche, die keines von beiden bilden. Demnach teilt man sie ein in: 1. Glucoplastische: Glycocoll, Alanin, (Aminobuttersäure), (n-Leucin), Serin, Cystin, Asparaginsäure, Glutaminsäure, (Oxyglutaminsäure), Prolin, Oxyprolin, Arginin. Fraglich ist die Stellung von Histidin und Valin. 2. Ketoplastische: Leucin, Isoleucin, Tyrosin, Phenylalanin. 3. Aglucoplastisclie und aketoplagtische: Tryptophan, Lysin (Histidin ist fraglich). Die eingeklammerten Verbindungen kommen nicht als Eiweißbausteine vor. Wie die einzelnen Aminosäuren der 1. Gruppe beim diabetischen Tier in Glucose übergehen, ist durchaus unbekannt; immerhin zeichnen sich bei den einzelnen unter ihnen gewisse Möglichkeiten ab, auf die bereits hingewiesen wurde. A c e t o n k ö r p e r b i l d u n g . Auf welchem Wege die Bildung von Aceton aus den aromatischen Aminosäuren erfolgt, ist nicht bekannt. Sowohl Tyrosin als auch Phenylalanin liefern mit Gewebsschnitten aus Leber Acetessigsäure (Edson). Die durch oxydative Desaminierung des Tyrosins entstehende p-Oxyphenylbrenztraubensäure und die Homogentisinsäure liefern ebenfalls Acetessigsäure. Möglicherweiso führt also der Abbau des Tyrosins über diese Verbindungen. Merkwürdigerweise scheint aber die Phenylbrenztraubensäure unter den gleichen Bedingungen keine Acetessigsäure zu hefern. Offenbar wird Phenylalanin zuerst zu Tyrosin oxydiert, bevor es in Acetessigsäure übergeht.

364

Der Eiweißstoffwechsel

Das Schema der Acetonbildung sei hier am Leucin erläutert. Beim Leucin liefert wahrscheinlich der endständige Isopropylrest direkt das Aceton. Unter oxydativer Desaminierung erfolgt zuerst die Bildung der entsprechenden Ketosäure, welche dann durch ^-Oxydation in die Acetonkörper übergeht: ° H A \CH—CH 2 —CH-NH 2 —COOH CH3/ Leucin
ch2

Ai ch2

¿H • NH • CO • CH2 • CH2 • NH2 I COOH

CH-NH-CO • CH2 • CH2 • NH2 I COOH

Carnosin

Anserin

Es ist dies eines der wenigen Beispiele des Vorkommens einer /S-Aminosäure. Die Bildung des ß-Alanins könnte etwa so erfolgen, daß Asparaginsäure decarboxyliert wird: HOOC • CH, • CH • COOH HOO C • CH2 -CH2 + C02 I • I NH2 NH2 Asparaginsäure

j8-Alanin

Über die physiologische Bedeutung von Carnosin und Anserin ist nichts bekannt. D. Cystin (und Cystein), Methionin

Wir haben bereits früher erwähnt, daß Cystein und cysteinhaltige Peptide wie das Glutathion reversible Redoxsysteme bilden nach dem allgemeinen Schema: R—SH + HS—R , ~ 2 H 1 > R—S—S—R . + 2H

Wir wissen jedoch wenig Sicheres über die Funktion dieser Systeme im Stoffwechsel. Eine wichtige Funktion des Methionins ist in den letzten Jahren aufgeklärt worden. Methionin enthält eine an den Schwefel gebundene Methylgruppe: COOH • CH(NH2) • CH2 • CH2—S—CHg .

Der Eiweißstoffwechsel

380

Diese Methylgruppe kann abgegeben und auf andere Verbindungen übertragen werden (Transmethylierung). Auf diese Weise entstehen z. B. Cholin und Kreatin. Man bezeichnet daher die Methylgruppe des Methionins als „biologisch labil". Nach C a n t o n i wird bei den Transmethylierungsreaktionen das Methionin durch ATP zuerst in ein „aktiviertes" Methionin, das S-Adenosylmethionin übergeführt, welches ein Sulfoniumsalz ist 1 ): Adenin—Ribose—S—CH2CH2CH(NH2)COOH I CH3 Es scheint diese Verbindung zu sein, welche die Methylgruppe auf den Akzeptor überträgt.

Wir haben bei Besprechung der lipotropen Wirkung darauf hingewiesen, d a ß Cholin durch Methionin ersetzt werden kann. Das Methionin liefert die Methylgruppe, welche zur Bildung des Cholins nötig ist, und ermöglicht es derart dem. Organismus, bei Cholinmangel die Base selbst zu synthetisieren. Die dem Cholin zugrunde liegende methylfreie Verbindung ist der Aminoäthylalkohol CH 2 (OH)-CH 2 (NH 2 ). Er entsteht wahrscheinlich durch Reduktion aus dem Glycocoll, denn bei Verfütterung von markiertem Glycocoll, das in der Aminogruppe N(15> enthält, findet man das schwere Stickstoffisotop in dem aus den Geweben isolierten Aminoäthylalkohol. Man kann sich nun vorstellen, daß der Aminoäthylalkohol sukzessive drei Methylgruppen aufnimmt, die vom Methionin geliefert werden, und dabei in Cholin übergeht. Der Beweis für diese Reaktion wurde von D u V i g n e ä u d dadurch geleistet, daß er an Ratten Methionin mit Deuterium in der Methylgruppe verfütterte. Das aus den Organen dieser Tiere isolierte Cholin wies einen hohen Deuteriumgehalt auf. Das Methionin geht durch Abgabe der Methylgruppe in ein Homologes des Cysteins, das sog. Homocystein, über: COOH • CH(NH2) • CH2 • CH2 • S H .

Dasselbe kann die Methylgruppe wieder vom Cholin aufnehmen, d. h. die Transmethylierung ist ein .umkehrbarer Vorgang; es kann eine Methylgruppe zwischen Methionin und Cholin ausgetauscht werden. Dies läßt sich aus der Beobachtung schließen, daß das Methionin in der Nahrung von Versuchstieren durch Homocystin + Cholin ersetzt werden kann. Es scheint aber, daß in den quaternären Stickstoffbasen +

wie dem Cholin oder dem Betain COOH-CH2-N-(CH3)3 nur eine der CH 3 -Gruppen biologisch labil ist. Die entsprechenden tertiären und sekundären Amine (Dimethylaminoäthylalkohol CH 2 OH-CH 2 -N.(CH 3 ) 2 , Dimethylglycocoll COOH-CH2-N-(CH3)2 oder Sarkosin COOH • CH 2 -NH • CH3) geben ihre Methylgruppen nicht oder jedenfalls nur langsam an Homocystein ab. Sie sind nicht imstande, das Wachstum von jungen Ratten zu unterhalten, welche Homocystin, aber kein Methionin erhalten. Dagegen hat der Dimethylaminoäthylalkohol lipotrope Wirkung, nicht aber das Dimethylglycocoll. Der erstere kann, wie Versuche mit der in beiden Methylgruppen Deuterium enthaltenden Verbindung zeigen, im Organismus leicht in Cholin übergeführt werden (Du V i g n e a u d ) . Verschiedene neuere Beobachtungen sprechen dafür, daß bei der Methylierung des Homocysteins nicht unmittelbar das Cholin die Methylgruppe liefert, sondern daß es zuerst zu Betain oxydiert werden muß. In Leberhomogenaten wird Homocystein unter anaeroben Bedingungen nur wenig methyliert ( D u b n o f f ) . Andererseits hat man als Reaktionsprodukt nicht Dimethylaminoäthylalkohol, sondern Dimethylglycocoll gefunden (Müntz). Es ist bekannt, daß Cholin sehr leicht zu Betain oxydiert werden kann (vgl. S. 397), und es ist daher möglich, daß nicht Cholin, sondern Betain der eigentliche Methyldonator ist. 1

) J. Am. ehem. Soc. 74, 2942 (1952).

Cystin (und Cystein), Methionin

381

Es sei noch erwähnt, daß auch ein schwefelhaltiges Analoges des Betains, das Sulfonium+

salz Dimethylthetin (CH3)2- S • CH2COOH, und ebenso das natürlich vorkommende Dimethyl+

propiothetin (CH3)2S- CH2CH2COOH das Cholin als Methyldonator zu ersetzen vermögen. Im nachfolgenden Schema sind die Beziehungen zwischen Methionin, Cholin und einigen daraus sich ableitenden Verbindungen zusammengefaßt (siehe auch Schema S. 717): COOH H2N—CH • CH2OH Serin -CH,

H„C—S—CH.

CH2

I (CH3)NH—CHaCH2OH

— CH,

CH,

H2N—CH2CH2OH Aminoäthylalkohol

-OH,

¿hnh, I COOH Methionin

1 -»

— —

H^C—SH t

1

ch2

- (CH3)2N—CH2CH2OH

It (CH3)3N—ch -CB 2 ch 2 oh



Cholin -CH,

chnh2 I

COOH Homocystein

Cholinoxydase

COOHCHa—NH

C=NH

(CH3)3N—CH2COOH Betain

(CH3)2N—CH2COOH -CH,

NHa Guanidinessigsäure CO OHCH2—N—CH3 C=NH

JiH2 Kreatin

Über den Reaktionsmechanismus der Transaminierung ist nichts bekannt; die Heaktion bietet dem Verständnis große Schwierigkeiten. Bei Verfütterung von Deuteriomethionin (D in der Methylgruppe) erreicht der Deuteriumgehalt des Cholins und des im Urin ausgeschiedenen Kreatinins schließlich annähernd den Wert der verfütterten Verbindung (94%, Du Vigneaud). Das will heißen, daß bei der Transmethylierung der Wasserstoff der Methylgruppe nicht ausgetauscht wird. Die Bindung an den Schwefel muß also gelöst werden, bevor sich die neue Bindung an den Stickstoff bilden kann; m. a. W., die Methylgruppe scheint gewissermaßen „durch die Luft" übertragen zu werden. Es hat sich gezeigt, daß Methionin und Cholin nicht die einzigen Quellen der labilen Methylgruppen im tierischen Organismus sind, sondern daß dieselben, wenn

382

Der Eiweißstoffwechsel

auch nur in beschränktem Umfang, aus anderen Verbindungen entstehen können, so z. B. aus gewissen G,-Verbindungen wie Formiat, Formaldehyd, Methylalkoho 1 oder aus Verbindungen, welche „aktivierte" C r Fragmente liefern wie Serin, Glycocoll, Aceton u. a. m. Der entscheidende Versuch zum Beweis der „Methylsynthese" in den tierischen Geweben wurde mit steril aufgezogenen jungen Ratten durchgeführt. Bei solchen Tieren ist die Darmflora als Produzent der labilen Methylgruppen ausgeschaltet. Wenn man ihnen schweres Wasser (D 2 0) zuführt, so läßt sich Deuterium in den Methylgruppen des Cholins und Kreatins nachweisen. Kontrollversuche zeigten, daß der Methylwasserstoff während der Aufarbeitung stabil ist und nicht ausgetauscht wird. Da, wie oben erwähnt, auch bei der Transmethylierung kein Austausch von Wasserstoff stattfindet, müssen die Methylgruppen enzymatisch aus anderen Verbindungen neu gebildet worden sein 1 ).

Die Synthese der labilen Methylgruppen hängt von einem Coferment der Folsäuregruppe und vom Vitamin B 12 ab. Näheres siehe S. 716. Über die Rolle des Methionins bei der Kreatinsynthese siehe S. 385. Bei Ernährungsversuchen an der Ratte, bei denen an Stelle von Eiweiß Gemische von reinen Aminosäuren verfüttert wurden (vgl. S. 404), hatte sich gezeigt, daß Methionin das Cystin (oder Cystein) der Nahrung ersetzen kann, aber nicht umgekehrt. Cystein kann also im Körper der höheren Tiere bei Gegenwart von Methionin synthetisiert werden. Der Verlauf dieser Synthese konnte aufgeklärt werden, wobei die Isotopentechnik eine wichtige Rolle spielte. Methionin gibt zunächst seine Methylgruppe a b ; das entstehende Homocystein verbindet sich nun mit dem Serin zum Cystathionin (Du V i g n e a u d , S t e t t e n ) 2 ) : COOH H-i-NH2

COOH +

H-i-NHa

¿H.

T

CH 2 —SH Homocystein

COOH -»

H-C-NH a

COOH

¿H.-OH

¿H„

Serin

CH2——S—CH2 Cystathionin

i

H-dj-NH,

i

Aus dem Cystathionin wird nun das Cystein abgespalten (punktierte Linie in der obigen Formel). Als zweites Spaltstück neben dem Serin ist oc -Ketobuttersäure gefaßt worden; doch ist der Mechanismus der Spaltung noch nicht abgeklärt. Entgegen früheren Annahmen stammt also die Kohlenstoffkette des Cystins nicht aus dem Methionin, sondern aus dem Serin. Das Methionin liefert nur den Schwefel. Ein Abbauweg des Cysteins führt zum Taurin, der Aminoäthansulfosäure, welches mit der Gallensäure die Taurocholsäure bildet. Nach den Untersuchungen von F r i e d m a n n und neueren Autoren geht die Bildung des Taurins wahrscheinlich über die Cysteinsäure: CH2 • SH ¿H-NH 2 ¿OOH Cystein

CH2 • SO3H •

¿H-NH 2 COOH Cysteinsäure

CH2 • SO„H *

¿H 2 -NH 2 Taurin

In der Leber kommt eine Decarboxylase vor, welche Cysteinsäure zu Taurin decarboxyliert. D u V i g n e a u d und Mitarb., J. Nutrition 45, 361 (1951). ) Literatur vgl. D u V i g n e a u d : A trail of research in sulfur chemistry and metabolism, Cornell University Press, Ithaca, N. Y., 1952. 2

Cystin (und Cystein), Methionin

383

Der organisch gebundene Schwefel wird schließlich zu einem beträchtlichen Teil als Sulfat oder als Thiosulfat im Urin ausgeschieden. Die Abtrennung vom organischen Molekül kann anscheinend auf verschiedenen Oxydationsstufen erfolgen. Es gibt Fermente (in der Leber), welche die SH-Gruppe des Cysteins und des Homocysteins als H 2 S abzuspalten vermögen (Desulfhydrasen). Im Falle des Cysteins entsteht dabei primär a-Aminoacrylsäure, die entweder unter Desaminierung in Brenztraubensäure übergeht oder durch das überschüssige Cystein zum Alanin reduziert wird (Smythe, F r o m a g e o t ) : COOH-CHCH2SH

—> COOH-C=CH2 + H2S

nh 2 COOH-C=CH, oder

-H,0

nh 2 a -Aminoacrylsäure c o o h c o - c h 3 + nh 3

NH2 COOHC=CH, NH,

+

2COOH-CHCH2-SH nh 2 COOHCH—CH3 I NH,

COOHCH(NH2)-CHa i

i

COOH-CH(NH2)-CH2 Der Schwefelwasserstoff wird zu Sulfat oxydiert: H28 + 20 2 = H 2 S0 4 . Der Schwefel des Cysteins kann aber auch zur Stufe der Sulfinsäure oxydiert werden: COOH-CH(NH2)-CH2-SH +°» >. C00H-CH(NH2)-CH2-S02H. Die letztere liefert Sulfit. Man hat in der Leber ein Ferment gefunden, die „Desulfinicase", welche aus Cysteinsulfinsäure schweflige Säure abspaltet (Fromageot). Die Reaktion verläuft wahrscheinlich folgendermaßen: C00H-CH(NH2)-CH2-S02H • C00HCH(NH2)-CH3 + S0 2 und würde demnach eine gewisse Ähnlichkeit mit der Decarboxylierung zeigen. In ähnlicher Weise wie im Cystein kann der Schwefel auch im Cystin oxydiert werden, indem sich Cystindisulfoxyd bildet: COOH • CH(NH2) • CH2—S=0 I Cystindisulfoxyd COOH • CH(NH2) • CH2—S=O Diese Substanz liefert Taurin (Versuche am Hund mit Gallenfistel, bei gleichzeitiger Verabreichung von Cholsäure. Das neugebildete Taurin wird als Taurocholsäure in der Galle ausgeschieden). Soviel man heute weiß, liefert die Sulfonsäuregruppe des Taurins kein anorganisches Sulfat. Das Taurin wird als solches (wohl zum größten Teil) als Taurocholsäure ausgeschieden. Es stellt also neben dem anorganischen Sulfat eine Endstufe des S-Stoffwechsels dar. Die Oxydation des Schwefels, der in den Proteinen enthalten ist bis zur Stufe der Schwefelsäure, ist für den Säure-Basen-Haushalt des Organismus von großer Bedeutung. Er wird in neutraler Form (SH-Gruppe, Disulfidgruppe, CH3S-Gruppe)

Der Eiweißstoffwechsel

384

aufgenommen, aber als starke zweibasische Säure ausgeschieden, die pro Atom Schwefel dem Körper zwei äquivalente Basen entzieht. Die Verbrennung von Eiweiß läßt also saure Valenzen entstehen, und daher muß die Nahrung die Basen enthalten, die zu ihrer Neutralisation nötig sind ( B u n g e ) . Die im H a r n vorkommenden Sulfate sind entweder als Sulfationen oder als sog. Esterschwefelsäuren a n Phenol, Indoxyl usw. gebunden. Die Bildung dieser gepaarten Schwefelsäuren wird noch bei der Besprechung der bakteriellen Zersetzungen der Aminosäuren erwähnt werden. Eine seltene Stoffwechselanomalie ist die C y s t i n u r i e , bei welcher größere Mengen von Cystin im H a r n erscheinen. Sie kann zur Bildung von Konkrementen Anlaß geben. (Das Cystin ist in Blasensteinen von W o l l a s t o n 1810 entdeckt worden.) Merkwürdigerweise wird bei Cystinurie die Cystinausscheidung nicht erhöht, wenn Cystin per os gegeben wird. Wohl aber t r i t t nach Cystein oder D,L-Methionin eine Vermehrung des Cystins im Urin auf. Die Hauptquelle des im Urin ausgeschiedenen Cystins scheint das Methionin der Proteine, nioht deren Cystin zu sein. Das verschiedene Verhalten des Cystins und Cysteins deutet darauf hin, daß diese beiden Stoffe im Organismus auf unabhängigen Wegen umgesetzt werden können und daß ihre gegenseitige Umwandlung nicht so leicht vor sich geht, wie dies oft angenommen wird. Die Cystinurie ist eine angeborene Stoffwechselstörung. Man h a t auch bei verschiedenen Hunderassen Familien mit Cystinurie gefunden. Bei Kindern kommt eine schwere Stoffwechselkrankheit vor, bei der es zur Ablagerung großer Mengen Cystin in den Organen (Milz, Leber, Lymphdrüsen) kommt. Sie ist von Störungen der Nierenfunktion und der Verknöcherung des Skeletts begleitet (renale Rachitis). Die Natur dieser Störungen ist unbekannt. E. Axginin

Durch die streng spezifisch eingestellte Arginase wird diese Aminosäure in der Leber der Säuger gespalten. Dabei entstehen H a r n s t o f f und O r n i t h i n : C=NH

CO
NH 2 Kreatin

Auch für diese Reaktionsstufe bringt die Verwendung von Isotopen den endgültigen Beweis. Verfütterung von Methionin (oder Cholin) mit Deuterium in der Methylgruppe führt zur Bildung von deuteriumhaltigem Kreatin. Die Methylierung der Guanidinessigsäure ist in vitro nur in Gewebsschnitten aus Leber beobachtet worden, ihre Bildung aus Glycocoll und Arginin dagegen in Nierenschnitten. Es wäre daher möglich, daß für die Synthese des Kreatins die beiden Organe nötig sind. Kreatin (beim Wirbeltier) und Arginin (beim Avertebraten) kommen in der Muskulatur in Form ihrer Phosphorsäureverbindungen vor. Auf die große Bedeutung dieser Substanzen für die Muskeltätigkeit wird später bei der Besprechung des Muskelstoffwechsels hingewiesen. F. Prolin

Das Prolin wird durch überlebende Nierenschnitten auf dem Wege über die Glutaminsäure in die «-Ketoglutarsäure umgewandelt, welche dann dem weiteren Abbau anheimfällt. Die Ketosäure konnte bei Vergiftung des Gewebes mit arseniger Säure isoliert werden, da dadurch ihr weiterer Abbau gehemmt ist (Krebs). COOH 10 I00H

HOOC

C—COOH k

Prolin

Glutaminsäure

CH, i :H ' 2 ¿OOH a-Ketoglutarsäure

387

Glutamin- und Asparaginsäure; Glutamin und Asparagin

Auf die große Bedeutung der öc-Ketoglutarsäure für die „Umaminierungsreaktion" und ihre Beziehung zur Glutaminsäure, sowie zum Auf- und Abbau der Aminosäuren wurde schon S. 358 hingewiesen; ebenso wurde die Beziehung zum Ornithin und Arginin erwähnt (S. 385). G. Glutamin- und Asparaginsäure; Glutamin und Asparagin

Die wichtige Rolle, welche die beiden Aminodicarbonsäuren bei der Transaminierung spielen, wurde früher schon erwähnt (S. 358). Wir haben dort auch ein Schema mitgeteilt, welches die Beziehung der Glutaminsäure zu anderen Aminosäuren zeigt. Die Asparaginsäure ist Stickstoffdonator bei der Überführung des Citrullins in das Arginin und ist daher für die Harnstoffsynthese von Bedeutung (vgl. S. 399). Durch Clostridium Welchii kann Asparaginsäure decarboxyliert und in «-Alanin übergeführt werden1): COOHCH2CH(NH2)COOH

• C0 2 + CH3CH(NH2)COOH.

Glutamin und besonders Asparagin scheinen im pflanzlichen Stoffwechsel als Stickstoffreserve eine Rolle zu spielen. Es gibt verschiedene Fermente, welche die Säureamidgruppe des Glutamins hydrolytisch spalten. Asparaginase und Glutaminase sind bei Pflanzen und Tieren weit verbreitet. Die Fermente sind nicht in reiner Form dargestellt worden. In Leber und Niere finden sich Enzyme, welche Glutamin und Asparagin nur bei Gegenwart von Pyruvat spalten. Wahrscheinlich wird intermediär ein Dehydropeptid gebildet; z.B.: COOHCH(NH2)CH2CH2CO + CH3COCOOH

i

NH„


( COOHCH(NH 2 )CH 2 CH 2 COOH + | [ CH3COCOOH + NH 3 .

Es würde sich hier also um eine Dehydropeptidase handeln (vgl. S. 198). Die Spaltung des Amids in Gegenwart von a-Ketosäuren kann mit einer Transaminierung verbunden sein, wobei die entsprechende Aminosäure gebildet wird; z. B.: Glutamin + a-Ketosäure

>- a-Ketoglutarsäure + a-Aminosäure + NH32).

Es hat sich gezeigt, daß die Enzyme, welche die durch Ketosäuren bewirkte Spaltung der Säureamide katalysieren, im Gegensatz zur gewöhnlichen Glutaminase und Asparaginase hitzestabil sind. (Sie werden als „Glutaminase I I " usw. vom hitzelabilen Enzym, der „Glutaminase I", unterschieden.)

Über die Synthese des Glutamins siehe S. 714. Von Waeisch wurde ein Enzym nachgewiesen, die G l u t a m o t r a n s f e r a s e , das den y-Glutamylrest der Glutaminsäure (oder den /J-Aspartylrest) auf Hydroxylamin überträgt: COOHCH(NH2)CH2CH2CONH2 +NH 2 OH

COOHCH(NH2)CH2CH2CONHOH + NH 3 Hydroxamsäure

») Meister und Mitarb., J . biol. Chem. 189, 577 (1951). Vgl. Meister, J . biol. Chem. 197, 319 (1952).

2)

25 *

388

Der Eiweißstoffwechsel

oder die NH 2 -Gruppe des Säureamids mit Ammoniak austauscht (Nachweis mit N (1B, H 3 ). Möglicherweise ist das Enzym an der Glutaminsynthese beteiligt (vgl. S. 414). Es ist in Mikroorganismen, Pflanzensamen und in tierischen Organen nachgewiesen worden 1 ). Von der Bedeutung des Glutamins als Ammoniakmuttersubstanz in der Niere (S. 328) und als Ammoniakdonator bei der Purinsynthese (S. 424) wird die Rede sein. Bei der Bildung von Glucosamin liefert die Säureamidgruppe des Glutamins den Stickstoff des Aminozuckers (vgl. S. 308). H. Serin und Threonin

Serin kann im tierischen Organismus durch Spaltung der C-Kette zwischen dem a - und dem ß-Kohlenstoffatom in Glycocoll übergehen. Dies läßt sich an Organschnitten aus Leber zeigen, welche bei Gegenwart von Serin und Benzoesäure Hippursäure bilden ( L e u t h a r d t ) . Die Verwendung von markiertem Serin bestätigt den direkten Ubergang von Serin in Glycin (She min). Der Vorgang ist umkehrbar: aus Ameisensäure und Glycocoll wird Serin gebildet. Mit C^14' markierte Ameisensäure wird in das Serinmolekül aufgenommen ( S a k a m i ) : COOH

I

Serin H-C-NH 2 HX'-OH

COOH I H 2 C-NH 2 + HCOOH

Glycocoll Ameisensäure

Das unmittelbare Spaltprodukt ist vielleicht Formaldehyd; doch ist die beim Abbau des Serins auftretende Einkohlenstoffverbindung nie gefaßt worden. Wahrscheinlich überwiegt unter physiologischen Bedingungen die synthetische Reaktion. Die Reaktion hängt von einem Coferment der Folsäuregruppe und wahrscheinlich auch vom Vitamin B 12 ab (vgl. S. 710 und 716). Threonin ist der zuletzt entdeckte Eiweißbaustein. Es wurde von R o s e bei Fütterungsversuchen an Ratten, also auf biologischem Weg, entdeckt und bald darauf isoliert (vgl. S. 404). Threonin erleidet eine ähnliche Spaltung wie Serin; es geht in Glycocoll über: COOH • CH • (NH2) • CH(OH) • CH3

COOH-CH 2 -NH 2 .

Als zweites Spaltprodukt könnte Acetaldehyd gebildet werden. Möglicherweise ist die Spaltung auch hier umkehrbar. F. K ö g l und B o r g konnten zeigen, daß H e f e durch Zusatz von G l y c o coll n a c h e i n i g e r Z e i t eine Gärbeschleunigung erfährt. Andererseits bewirkt auch Threonin diesen Effekt s o f o r t . Dies erklären die genannten Forscher dadurch, daß aus G l y c i n und dem aus der Gärung stammenden A c e t a l d e h y d Threonin aufgebaut wird. In Neurospora ist ein Enzym nachgewiesen worden, welches Serin zu Pyruvat und Ammoniak abbaut (vgl. auch S. 390):

COOHCH(NH2)CH2OH

> COOHCOCH3 + NH3 .

Als Coferment wirkt Pyridoxalphosphat ( Y a n o w s k y ) . In diesem Zusammenhang ist von Interesse, daß Serin in vitro beim Erhitzen mitPyridoxal undMetallionen (A1+++, Cu++, F e + + + ) in gleicher Weise desaminiert wird (Metzler und Snell). *) Vgl. Advances in Protein Chemistry 6, 312 (1951); 8, 150 (1953).

Glycocoll

.389

I. Glycocoll

Der früheste Beweis für die Bildung des Glycocolls im tierischen Organismus liegt in der Tatsache, daß viele Säugetiere bei Verfütterung von Benzoesäure dieselbe fast vollständig als Glycocollverbindung, nämlich als Hippursäure, ausscheiden; die Menge des Glycocolls, das als Hippursäure im Urin auftritt, kann dabei so bedeutend sein, daß die im Körper vorhandene Menge vorgebildeten Glycocolls nicht ausreicht und daß eine Neubildung der Aminosäure angenommen werden muß: COOH

CO • NH • CH2 • COOH

+

H2N-CH2-COOH

Benzoesäure

Glycocoll

Hippursäure

Auf ähnliche Weise wie die Benzoesäure wird bei vielen Tierarten (nicht beim Menschen und den Menschenaffen) auch ihr nächsthöheres Homologes, die Phenylessigsäure, als Glycocollverbindung — Phenacetursäure — ausgeschieden. Wir haben bereits erwähnt, daß Glycocoll aus Serin und Threonin entstehen kann. Möglicherweise gibt es auch noch andere Bildungsweisen. Wir werden später sehen, daß das Glycocoll direkt in die Synthese des P u r i n gerüsts (S. 424) und der P o r p h y r i n e (S. 525) einbezogen wird. Es ist also ein wichtiger Baustein anderer organischer Verbindungen. Das Glycocoll kann auch in Aminoäthylalkohol übergehen. (Der letztere weist nach Verabreichung von N (16) -Glycin einen hohen Gehalt an Isotop auf [ S t e t t e n ] . ) Diese Reaktion liefert offenbar den Aminoäthylalkohol für die Cholinsynthese (vgl. S. 381). Wahrscheinlich geht dabei das Glycocoll durch Addition eines Cj-Fragments in Serin über (siehe oben), welches durch Decarboxylierung Aminoäthylalkohol liefert. Das a-C-Atom des Glycocolls kann (möglicherweise über Glyoxylsäure als Zwischenprodukt) selbst in ein reaktionsfähiges C r Fragment übergehen („aktiviertes" Formiat), welches zu verschiedenen Synthesen, u. a. zur Bildung des Serins, verwertet werden kann ( S a k a m i ) : Serin

+

[HCOOH] t

CHj—COOH

CH2—CHj-^COOH

nh2

OH

JlH. '

Glycocoll CH-j-COOH\

U

1

j

Glyoxylsäure ?

CH2—COOH

CH2—CHg

NH,

OH

NH2

+

CO,

Aminoäthy lalkohol

Das C,-Fragment, das aus Glycocoll gebildet wird und sich an das Serin anlagert, ist hier als Ameisensäure angegeben, weil Formiat tatsächlich auf diese Weise reagiert; doch soll dies nicht bedeuten, daß das a-C-Atom des Glycocolls tatsächlich intermediär Formiat bildet. Wahrscheinlich gehen beide zuerst in ein und dasselbe „aktivierte "C1-Fragment über. Wie erwähnt, hängt die Reaktion wahrscheinlich vom Vitamin B 12 und einem Faktor der Folsäuregruppe ab1). Literatur vgl. Welch und Nichol, Ann. Rev. Biochem. 21, 656 (1952).

Der Eiweißstoffwechsel

390

5. Abbau der Aminosäuren durch Bakterien und Hefe I m Darm, vor allem im Colon, sind günstige Bedingungen für die reichliche Entwicklung von Bakterien („Darmflora") vorhanden. Der Dickdarm enthält noch reichlich Proteine, die zum großen Teil aus den abgestoßenen Zellen der Darmschleimhaut stammen und unter der Einwirkung der Bakterien in Fäulnis übergehen. Bei der Fäulnis handelt es sich u m komplizierte Abbauvorgänge der Aminosäuren, bei denen einfache Produkte wie Ammoniak und Schwefelwasserstoff gebildet werden. Daneben entstehen die verschiedenartigsten Umwandlungsprodukte der Aminosäuren, die man unter der Bezeichnung „Aporrhegmen" zusammenfaßt ( A c k e r m a n n und Kutscher). Wichtige Teilvorgänge beim bakteriellen Abbau der Aminosäuren sind die Decarboxylierung und die Desaminierung. Von der Decarboxylierung war schon früher die Rede. Sie liefert Amine (vgl. S. 365). Die Desaminierung der Aminosäuren verläuft bei den höheren Tieren oxydativ unter Bildung der entsprechenden Ketosäuren. Bei den Bakterien existieren noch andere Möglichkeiten. Colibazillen können z. B. die Asparaginsäure Vinter Bildung von Fumarsäure desaminieren: COOH I H-6-NH2 I CH, I COOH

COOH | CH + II CH I COOH

O -

Asparaginsäure

NH3

Fumarsäure

Die Reaktion ist umkehrbar und wird durch das Ferment Aspartase bewirkt ( Q u a s t e l , V i r t a n e n ) . Die Fumarsäure läßt sich aber nur dann direkt fassen, wenn ihre weitere Umsetzung durch Hemmstoffe wie Toluol verhindert wird. I n intakten Bakterien wird die Fumarsäure zu Bernsteinsäure reduziert oder sie geht unter Anlagerung von Wasser in Äpfelsäure über. Die Bildung der Urocaninsäure aus dem Histidin durch die Urocaninase beruht auf dem gleichen Mechanismus der Desaminierung. Colibazillen können durch einfache Wasserabspaltung das Serin und das Cystein desaminieren (Coenzym ist wahrscheinlich das Pyridoxalphosphat): COOH COOH I L H„ „ H - C ' N H J - ' ° > C—NH A I

COOH I C=NH

+H.0

COOH [ C=0 +

II

1

I

H2C-OH

CHA

CH 3

CH 3

H-i-NH 2

COOH

H^-SH

C—NH 2 C0

HN—CH—NH Allantoin

Es wird dabei der Pyrimidinteil des Purinringes geöffnet und das 6-C-Atom als C0 2 abgespalten. Möglicherweise bildet sich primär ein unstabiles Zwischenprodukt (nach S c h u l e r die Oxyacetylendiureincarbonsäure1). Man hat vermutet, daß die Uricase ein Metallproteid ist (Zn-Gehalt!), doch ist die Frage noch keineswegs geklärt. Bei Dalmatinerhunden hat man eine rezessiv vererbte Stoffwechselanomalie festgestellt, die sich in einer stark vermehrten Harnsäureausscheidung äußert. (Normalerweise scheidet der Hund nur sehr wenig Harnsäure aus.) Die Ursache der Erscheinung ist unbekannt; eine Korrelation mit der Uricaseaktivität der Gewebe scheint nicht zu bestehen2).

Während die beschriebene Uricolyse mit dem Extrakt zahlreicher Säugerorgane leicht durchführbar ist, besitzen die Organe des Menschen gar keine oder nur minimale uricolytische Wirkung. Viele Forscher neigen daher der Ansicht zu, daß der Mensch überhaupt nicht die Fähigkeit besitzt, Harnsäure abzubauen. Wenn diese Fassung auch vielleicht zu extrem ist, so besteht aber dennoch der wichtige Unterschied gegen die anderen Säuger. T h a n n h a u s e r und B o m m e s injizierten einem Menschen die Nucleoside Adenosin und Guanosin und konnten 82% des so eingeführten Stickstoffs aus dem Harn als Harnsäure wiedergewinnen, was anzeigt, daß keine Uricolyse von größerem Umfang stattgefunden haben kann. M Vgl. Ztschr. physiol. Chem. 215, 258 (1933). 2 ) Vgl. Ann. Rev. Biochem. 10, 238 (1941).

430

Die Bedeutung der Phosphatbindung

Die im Harn ausgeschiedene Harnsäure stammt entweder aus dem beschriebenen Zerfall der als Nahrungsstoffe zugeführten Purine oder sie entsteht durch die Abnützung der Zellkernsubstanz. Wird ein Mensch p u r i n f r e i ernährt, so sinkt die Harnsäureausscheidung bis auf ein Minimum, welches nicht zum Verschwinden gebracht werden kann. Diese Minimalmenge beträgt pro Tag 0,5 g. Sie stellt diejenige Harnsäuremenge dar, welche durch den Abbau der Zellkernsubstanz des Organismus gebildet wird. Man bezeichnet sie als endogene Harnsäure im Gegensatz zur exogenen Harnsäure, welche aus dem Abbau der mit der Nahrung zugeführten Purine entsteht. Unter der Einwirkung des adrenocorticotropen Hormons (ACTH) oder der glucocorticoiden Hormone der Nebennierenrinde (Cortison) kommt es zu einer stark vermehrten Ausscheidung von Harnsäure (und Allantoin). Die Ursache ist nicht sicher bekannt. Man hat sowohl eine Ausschwemmung vorgebildeter Purinkörper als auch eine vermehrte Bildung dafür verantwortlich gemacht. Unter Arthritis urica oder Gicht wird eine Störung des menschlichen Purinstoffwechsels verstanden, bei welcher es zur Bildung der sog. Tophi (Gichtknoten) kommt, welche Ablagerungen von Harnsäure und Uraten enthalten. Nach neueren Untersuchungen werden bei der Gicht vermehrt Purinkörper aus Aminosäuren synthetisiert. (Dies würde auch den altbekannten ungünstigen Einfluß einer reichlichen Fleischnahrung erklären.) Der Harnsäuregehalt des Blutes ist beim Gichtkranken in der Regel erhöht. Entgegen der älteren Ansicht ist bei völlig intakter Niere die Ausscheidung der Harnsäure im Urin gesteigert. Nur bei Nierenkomplikationen, die aber bei der Gicht sehr häufig sind, ist sie herabgesetzt. Die Ursache der Krankheit ist unbekannt. Achtzehntes

Kapitel

Die Bedeutung der Phosphatbindung Wir haben in den vorangehenden Kapiteln verschiedene Reaktionen kennengelernt, bei denen anorganisches Phosphat in organische Bindung übergeführt wird, und haben darauf hingewiesen, welch große Bedeutung phosphorylierten Zwischenprodukten im Intermediärstoffwechsel zukommt. Vor allem liefert die Kette der glycolytischen Reaktionen dafür eindrückliche Beispiele. Es handelt sich hier nicht um vereinzelte Erscheinungen. Wir wissen heute, daß ganz allgemein die Einführung von Phosphatresten in organische Moleküle dazu dient, die Verbindungen reaktionsfähig zu machen, und daß gewisse organische Phosphorsäureverbindungen die Bindeglieder zwischen den energieliefernden Abbaureaktionen (Oxydation, Glycolyse) und den energieverbrauchenden synthetischen Reaktionen darstellen. Wir wollen daher in diesem Kapitel die Bedeutung der Phosphatgruppe noch einmal im Zusammenhang behandeln. 1. Thermodynamische Vorbemerkungen Wir müssen zunächst einige allgemeine Bemerkungen über die thermodynamischen Gesetze vorausschicken, welche den Ablauf der chemischen Reaktionen bestimmen. Wir betrachten eine umkehrbare chemische Reaktion: > mA + nB + xP + yQ + (Es reagieren m Moleküle des Stoffes A mit n Molekülen des Stoffes B usw. unter Bildung von x Molekülen des Stoffes P, y Molekülen des Stoffes Q usw.) Wir nehmen an, daß ein beliebiges Gemisch aller an der Reaktion beteiligten Stoffe vorliegt. Je nach dem Anfangszustand, der durch die Konzentration der reagierenden Stoffe, die Temperatur und den Druck bestimmt ist, wird die obige Reaktion in der einen oder der anderen Richtung verlaufen können. Die Thermodynamik lehrt, daß es ein allgemeines Kriterium gibt,

Thermodynamische Vorbemerkungen

4SI

das bei gegebenem Anfangszustand vorauszusagen gestattet, in welcher Richtung die Reaktion ablaufen wird. Man kann nämlich jedem Zustand des Systems (bestimmt durch die Konzentration der reagierenden Stoffe, die Temperatur und den Druck) eindeutig eine Größe, die sog. f r e i e E n e r g i e , zuordnen, welche die Eigenschaft hat, bei allen spontan verlaufenden Reaktionen abzunehmen. Es können nur solche Vorgänge von selbst (d. h. ohne Energiezufuhr von außen her) ablaufen, die mit einer Abnahme der freien Energie verknüpft sind. Die freie Energie wird gewöhnlich durch das Symbol F bezeichnet. Für die Differenz der freien Energie bei zwei verschiedenen Zuständen F 2 — s c h r e i b t man gewöhnlich A F . (Der absolute Wert der freien Energie bleibt unbestimmt; nur die Differenzen A F haben Bedeutung.) Wenn sich irgendein System, z. B. ein Gemisch reaktionsfähiger Stoffe, im Gleichgewicht befindet, so tritt keinerlei spontane Änderung ein. Ein solcher Zustand ist nur dann möglich, wenn jede Abweichung von ihm mit einer Z u n a h m e der freien Energie verbunden ist. Dies bedeutet, daß im Gleichgewichtszustand die freie Energie des Systems ihren kleinstmöglichen Wert annimmt. Bei konstanter Temperatur (sog. i s o t h e r m e Vorgänge) und konstantem Druck ist die freie Energie nur eine Funktion der Zusammensetzung des Systems, d. h. der Konzentration der verschiedenen Komponenten. Nach den obigen Ausführungen ist daher der Gleichgewichtszustand mathematisch dadurch gekennzeichnet, daß das Differential dF der freien Energie (als Funktion der Konzentrationen betrachtet) verschwindet: dF = O. (Man erinnere sich daran, daß f ü r diejenigen Werte der Veränderlichkeit, die dem Minimum [oder dem Maximum] einer Funktion entsprechen, die Ableitung der Funktion verschwindet!) Aus dieser wichtigen Gleichung lassen sich die Gleichgewichtsbedingungen beliebiger Reaktionen ableiten. Für jeden anderen Zustand ist bei einer spontan eintretenden kleinen Änderung dF < 0 , d. h. negativ. Die freie Energie ist eine Funktion des Zustandes, wie er durch Druck, Temperatur und Zusammensetzung gegeben ist. Jedem Zustand ist eindeutig ein bestimmter Wert der freien Energie zugeordnet. Wenn ein System auf zwei verschiedenen Wegen in einen neuen Zustand übergeht, so tritt dabei die gleiche Änderung der freien Energie ein; sie ist völlig unabhängig von der Art und Weise, wie der Übergang ausgeführt wird. Dies hat die wichtige Konsequenz, daß bei einer Reaktion, die über mehrere Zwischenstufen verläuft, die Summe der Werte von A F f ü r die einzelnen Teilstufen die Änderung der freien Energie f ü r die Gesamtreaktion ergibt: A

—> X^

^

} AI\ AF 2 AFs ' AF A F j + AF 2 + AF 3 + AF

*****

—B

usw.

| '

Die freie Energie hat den Charakter eines P o t e n t i a l s . Ein mechanischer Vergleich macht dies klar. Man kann bekanntlich im Schwerefeld oder im elektrischen Feld jedem Punkt des Raumes eine Größe derart zuordnen, daß die Änderung dieser Größe A P längs einer kleinen Strecke Ax, bezogen auf die Längeneinheit, also der Quotient A P / A x gleich der in Richtung der Strecke A x wirkenden Kraft ist (z. B. gleich der elektrischen Feldstärke). Diese Größe P heißt das Potential der Kraft oder auch die potentielle Energie. Man kann den Unterschied des Potentials zwischen benachbarten Punkten als Ursache der Bewegung eines Teilchens im Kraftfeld betrachten. In ähnlicher Weise kann man bei chemischen Reaktionen den Unterschied der freien Energie zwischen benachbarten Zuständen als treibende Kraft der Reaktion ansehen. Wir können hier nicht näher auf den Begriff der freien Energie und seine Ableitung eintreten. Diese thermodynamische Funktion wurde von H e l m h o l t z eingeführt. E r bezeichnete sie als „freie" Energie, weil sie bei jedem Vorgang denjenigen Teil der gesamten Energieänderung darstellt, welcher f ü r die Leistung mechanischer oder elektrischer Arbeit frei zur Verfügung steht. (Bekanntlich geht bei allen Vorgängen ein Teil der Energie immer in Wärme über und ist daher f ü r die Arbeitsleistung verloren.) Für ein tieferes Eindringen verweisen wir auf die Lehrbücher der Thermodynamik und Physik (siehe z. B. B e r g m a n n - S c h a e f e r , „Lehrbuch der Experimentalphysik", 2. u. 3. Aufl., Bd. 1, S. 541, und besonders das klassische Buch von L e w i s und R a n d a l l , „Thermodynamik und die freie Energie chemischer Substanzen"). Die Änderung der freien Energie wird gewöhnlich, wie dies bei der Wärmetönung einer Reaktion üblich ist, der Reaktionsgleichung beigefügt; z. B.: H 2 (g, 1 Atm.) + i/ 2 0 2 (g, 1 Atm.) = H 2 0 (1); AF 2 9 8 = —56 5 60 cal. Die in Klammern hinter den chemischen Symbolen der Stoffe stehenden Angaben bezeichnen den Zustand der Stoffe (g = gasförmig, 1 = flüssig). Die Gleichung bedeutet: Gasförmiger Wasserstoff von 1 Atmosphäre Druck und gasförmiger Sauerstoff von 1 Atmosphäre Druck verbinden sich bei einer absoluten Temperatur von 298° ( = 25° Cels.^ zu flüssigem Wasser. Bei

432

Die Bedeutung der Phosphatbindung

dieser Reaktion nimmt die freie Energie um 56560 cal. ab (d. h. die freie Energie des Systems gasförmiger Wasserstoff + Sauerstoff ist um diesen Betrag höher als die freie Energie des daraus entstehenden flüssigen Wassers). Die Abnahme von F (negatives Vorzeichen von AF!) weist darauf hin, daß der durch die Gleichung dargestellte Vorgang, von links nach rechts gelesen, spontan vor sich geht. Es ist nicht gesagt, daß jeder thermodynamisch mögliche, d. h. mit einer Abnahme der freien Energie verknüpfte Vorgang auch tatsächlich abläuft. Sehr oft bestehen Reaktionshindernisse, die mit den Reibungskräften bei mechanischen Systemen verglichen werden können. Wir haben bereits früher darauf hingewiesen, daß dies ein sehr wichtiger Umstand ist. Ohne diese Reaktionshindernisse (die meist in der Natur der chemischen Valenzkräfte begründet sind) würden z. B. die wenigsten organischen Verbindungen bei Gegenwart von Sauerstoff beständig sein. Die mangelnde Reaktionsfähigkeit von chemischen Systemen kann zwei prinzipiell verschiedene Ursachen haben, die streng auseinander zu halten sind: 1. Eine Reaktion kann dann nicht ablaufen, wenn sie thermodynamisch unmöglich ist, d. h. mit einer Zunahme der freien Energie einhergeht. 2. Eine Reaktion kann, auch wenn sie mit einer Abnahme der freien Energie verbunden ist, dann nicht ablaufen, wenn die Stoffe reaktionsträge sind. Sie tritt in diesem Fall erst dann ein, wenn die Reaktionsträgheit durch geeignete Mittel — Erhöhung der Temperatur, Zusatz von Katalysatoren — beseitigt wird. D e f i n i t i o n : Reaktionen, die mit einer Abnahme der freien Energie verbunden sind, heißen e x e r g o n i s c h , solche, die mit einer Zunahme der freien Energie verbunden sind, e n d e r g o n i s c h . Diese Ausdrücke, die von C o r y e l l 1940 eingeführt wurden, entsprechen den Bezeichnungen e x o t h e r m für Vorgänge, die mit Wärmeentwicklung, und e n d o t h e r m f ü r solche, die mit Wärmeabsorption einhergehen. Man glaubte früher, daß das Kriterium für den spontanen Ablauf einer Reaktion die positive Wärmetönung sei: Es sollten nur exotherme Reaktionen von selbst vor sich gehen können. Tatsächlich sind in vielen Fällen die exergonischen Reaktionen auch exotherm, besonders dann, wenn es sich um Reaktionen mit hoher Wärmeentwicklung handelt. In solchen Fällen sind meist auch die Wärmetönung und die Änderung der freien Energie nicht allzusehr verschieden. Im obigen Beispiel (Bildung des Wassers aus den Elementen) beträgt z. B. die abgegebene Wärme 68270 cal. gegenüber A F = —56560 cal. Es gibt aber zahlreiche Beispiele, welche zeigen, daß nicht die Wärmebildung oder -aufnähme die Reaktionsrichtung bestimmen kann. Wir kennen spontan verlaufende Reaktionen, bei welchen Wärme aufgenommen wird. Wir erinnern z. B. an die Abkühlung, die in vielen Fällen beim Auflösen eines Stoffes in Wasser beobachtet wird. Wir müssen, was die Berechnung der freien Energie betrifft, auf die Lehrbücher der physikalischen Chemie verweisen. Es sei hier nur auf eine Möglichkeit verwiesen, die gerade auch bei der Berechnung der freien Energie von Oxydationsvorgängen vielfach Verwendung findet. Wenn man den Vorgang zum Aufbau einer galvanischen Kette verwenden kann, so ist die elektromotorische Kraft e dieser Kette direkt proportional der Änderung der freien Energie des Vorgangs. Und zwar ist ^ _ n. j\e wobeiFdas Faradayäquivalent (96494 Coulomb = 23074 cal./Volt) und n die Zahl der durch die Zelle fließenden Äquivalente bedeuten. Betrachten wir als Beispiel die Auflösung von Zink in Schwefelsäure: Zn + H 2 S0 4 = ZnS0 4 + H 2 . Man kann eine galvanische Kette zusammensetzen, bestehend aus einer Zinkelektrode und einer Wasserstoffelektrode (vgl. S. 147) in Schwefelsäurelösung. Wenn man beide Elektroden in Kontakt bringt, so fließt der äußere Strom von der Wasserstoff- nach der Zinkelektrode; die erstere ist also gegenüber der letzteren positiv. Die elektromotorische Kraft des Elements beträgt (wenn die Konzentration der Wasserstoffionen 1 n ist) 0,76 Volt. Da nach obiger Gleichung zwei Elektrizitätsäquivalente überführt werden, ist die Änderung der freien Energie f ü r den oben angeschriebenen Vorgang A F = —2 • 23074 • 0,76 = —35000 cal. Auf diese Weise können auch die Redoxpotentiale in gewissen Fällen dazu benützt werden, die Änderungen der freien Energie bei biologischen Oxydo-Reduktionen zu berechnen. Für das System Cozymase-Dihydrocozymase beträgt z. B. das Redoxpotential etwa + 0,14 Volt, f ü r das System Flavin-Dihydroflavin etwa + 0 , 3 4 Volt. Würde man also die beiden Redoxsysteme zu einer galvanischen Kette vereinigen (wobei das Verhältnis der oxydierten zur reduzierten Stufe = 1 vorausgesetzt wird; vgl. Definition des Redoxpotentials S. 152), so würde die elektromotorische Kraft 0,2 Volt betragen; die Änderung der freien Energie beim Übergang eines Paars Wasserstoffatome vom' Pyridincoferment auf das Flavincoferment hat also den

Thermodynamische Vorbemerkungen

433

Wert A F = —2-23074-0,2 = —9200 cal. Solohe Berechnungen sind f ü r verschiedene in diesem Kapitel behandelte Fragen von Bedeutung. Eine weitere Möglichkeit zur Berechnung der freien Energie von Gleichgewichtsreaktionen ergibt sich aus ihrem Zusammenhang mit den Gleichgewichtskonstanten. Wir kommen weiter unten darauf zurück. Im Organismus verlaufen zahlreiche Reaktionen, die mit einer Zunahme der freien Energie verbunden sind. S o l c h e R e a k t i o n e n s i n d n a t ü r l i c h n u r a l s T e i l v o r g ä n g e k o m p l e x e r e x e r g o n i s c h e r R e a k t i o n e n d e n k b a r . Für sich allein wären sie thermodynamisch nicht möglich. Diese Behauptung bedarf einiger Erläuterungen. Jede Reaktion ist theoretisch umkehrbar und führt daher zu einem Gleichgewicht. Betrachten wir z. B. die Spaltung C


• [ C o A ] - S H + CH 3 C0-0-CH 2 -CH 2 -N(CH 3 ) 3 Acetylcholin

Man muß also annehmen, daß das A T P zur Bildung der „aktivierten" Essigsäure nötig ist.Lynen hatte ursprünglich angenommen, daß wahrscheinlich zuerst dieSHGruppe des Coferments phosphoryliert und anschließend der Phosphoryl- gegen den Acetylrest ausgetauscht wird. Nach neueren Untersuchungen Lipmanns wird jedoch bei dieser Reaktion Pyrophosphat g e b i l d e t : A T P + CoA + Acetat

• Acetyl-CoA + A M P + Pyrophosphat.

Der Mechanismus der Reaktion ist noch nicht abgeklärt. Anscheinend wird nicht CoAPyrophosphat als Intermediärprodukt gebildet. Lipmann schlägt das folgende Reaktionsschema vor, das die beobachteten Tatsachen gut erklärt2) : Enzym + A d — P — P — P Enzym—P—Ad + CoÄ—SH


CH3COOPO3— + HCOO - ) in Wirklichkeit eine „thioklastische" Spaltung durch das Coenzym A ist, wie sie oben formuliert wurde. Acetylphosphat kann in E x t r a k t e n aus Cl. Kluyveri auch aus Acetaldehyd gebildet werden. Auch hier wird intermediär Acetyl-CoA gebildet: CH3CO - S - CoA ,

CH 3 CHO + CoA - S H

worauf durch die Phosphotransacetylase die Verschiebung des Acetylrests auf Phosphat erfolgt 1 ). Über die Rolle des Acetylphosphats im Bakterienstoffwechsel wissen wir zur Zeit nichts Sicheres. Möglicherweise stellt es einen Speicher aktiver Essigsäure dar.

Wie wir früher gezeigt haben, kann der Acetylrest von der Acetylmercaptangruppe auf alle möglichen anderen Verbindungen übertragen werden: [CoA]—S—COCH;3

+ HÖ R

>• CH3CO O R Ester

+ H2N R

* CH3CONHR Säureamid

Der zur Acetylierung mit Acetat nötige Hub der freien Energie erfolgt auf Kosten des ATP entsprechend dem oben mitgeteilten (oder einem ähnlichen) Mechanismus. Alle anschließenden Vorgänge sind Gleichgewichtsreaktionen. Es zeigt sich immer mehr, daß Essigsäure ein wichtiger Baustein aller möglichen Synthesen ist und daß sie durch Bindung an das Coenzym A reaktionsfähig gemacht wird. Die „aktivierte" Essigsäure entsteht nun aber im Stoffwechsel in der Regel nicht aus freiem Acetat, sondern, wie erstmals M a r t i u s am Beispiel der Citronensäuresynthese gezeigt hat, direkt aus den organischen Substraten, die beim Abbau zwei Kohlenstoff-Fragmente von der Oxydationsstufe der Essigsäure liefern. Eines der wichtigsten Beispiele dieser Art bildet der Abbau der Brenztraubensäure. Hier entsteht durch oxydative Decarboxylierung direkt ein C2-Fragment, das sich mit Oxalacetat zu Citrat kondensieren und damit in den Citronensäurecyklus eintreten kann. Die Reaktion kann, wie wir früher bereits erwähnt haben, folgendermaßen formuliert werden (vgl. S. 265):

co2

COOH i

-

C=0

+

___

,_

HS—[CoA]

OTT

~ 2 H ^ C
1 3 7 > 4 0

[1950]).

Oben: entspannter Muskel;

Ä n d e r u n g d e r m o l e k u l a r e n K o n - J u n t e n : kontrahierter Muskel. Erklärung siehe Text,

figuration möglich ist (Faltung der Peptidketten usw.), ergibt sich daraus die Möglichkeit von Formänderungen unter Arbeitsleistung (Edsall). Schon früher hat K. H. M e y e r eine Theorie der Muskelkontraktion aufgestellt, in welcher die Kontraktion durch elektrostatische Anziehung zwischen entgegengesetzt geladenen Gruppen und die Relaxation durch Verminderung der Ionisation dieser Gruppen erklärt wurden. Eine für das Verständnis des Kontraktionsvorganges besonders wichtige Frage ist die zeitliche Aufeinanderfolge von Kontraktion und ATP-Spaltung. Ist die Verkürzung der Muskelfaser und die Spannungsentwicklung direkt mit dem Zerfall

572

Muskel- und Nervensystem

des ATP verknüpft oder erfolgt die energetische „Aufladung" des Systems durch das ATP erst während der Relaxation („preenergyzation" und „postenergyzation") ? Die bekannten Tatsachen scheinen eher für die erste Möglichkeit zu sprechen; doch ist die Frage keineswegs geklärt1). Im quergestreiften Muskel sind verschiedene Bestandteile zwischen den A- und I-Banden ungleich verteilt, und es treten bei der Kontraktion Verschiebungen ein. Die I-Banden sind reich an Lipoiden. Im ruhenden Muskel sind Stoffe mit spezifischer Absorption im U. V. bei 265 m(i ebenfalls in den I-Banden konzentriert. Es handelt sich wahrscheinlich um Nucleotide (Adenylsäure ?). Nach starker Kontraktion verteilt sich dieser Stoff auch auf die A-Banden. Ca und Mg scheinen dagegen vorwiegend in den A-Banden lokalisiert zu sein. Diese Feststellungen lassen sich noch nicht interpretieren. Die übrigen Eiweißfraktionen des Muskels sind weniger gut erforscht. Die „Myogenfraktion" enthält die löslichen Fermente des Muskels. Über die Bedeutung des „Globulins X" ist nichts bekannt. Das Tropomyosin ist als kristallisiertes Protein dargestellt worden (Bailey). Die Kristalle, die stark hydratisiert sind und nur etwa 10% Protein enthalten, sind stark doppelbrechend. Es bildet viskose Lösungen. Die Zusammensetzimg aus Aminosäuren gleicht derjenigen des Myosins. Es zeigt auch ein ähnliches Röntgendiagramm. Wahrscheinlich ist das Tropomyosin nicht am Kontraktionsvorgang beteiligt. Im „Myogen" scheinen die Fermentproteine einen wesentlichen Anteil auszumachen. Im Kaninchenmuskel fanden B ü c h e r und Mitarb. folgenden Gehalt an Enzymen (bezogen auf die Menge der löslichen Proteine): Aldolase 9,6%, Glycerophosphatdehydrase 0,8%, Milchsäuredehydrase 3,1%, Phosphoglyceroaldehyddehydrase 22,6% (Wert etwas unsicher), Pyruvat-Kinase 4,4%. Schon diese Fermente machen etwa 40% der gesamten löslichen Muskeleiweißkörp er aus 2).

Ein physiologisch wichtiges Protein des Muskels ist ferner das Myoglobin (vgl. S. 520). Es ist ein dem Hämoglobin sehr ähnliches Atmungspigment, welches ebenfalls Sauerstoff reversibel zu binden vermag, aber zu ihm eine bedeutend größere Affinität besitzt als das Hämoglobin. Auch bei Sauerstoffspannung des venösen Blutes ist das Myoglobin noch zu 95% gesättigt. Das Oxymyoglobin stellt demnach eine lokale Sauerstoffreserve des Muskels dar, die den Sauerstoff erst bei tiefer Partialspannung abgibt. Die Zusammensetzung des Muskels. Feste Stoffe 22—28%, davon organische 20—26%. Unter den Mineralstoffen hauptsächlich Phosphat, Kalium, Calcium, Magnesium; Proteine 17—20%. Unter den organischen Stoffen ist der variabelste das Glycogen, das bis etwa 4% ansteigen kann. Die sog. E x t r a k t i v s t o f f e des Muskels umfassen eine Reihe niedrigmolekularer organischer Verbindungen, die man dem Muskel durch Kochen mit Wasser entziehen kann. Zu den wichtigsten gehören Kreatin (etwa 0,4%), Inosinsäure, Carnosin (etwa 0,2%), Carnitin, Inosit u. a. m. Über die Bedeutung des Kreatins als Phosphatakzeptor haben wir oben gesprochen. Inosinsäure entsteht durch Desaminierung der Adenylsäure. Merkwürdig ist das Vorkommen verschiedener Betaine, so des oben genannten Carnitins: (CH3)3N • CH2 • CH • CH2 • c o o Vgl. z. B. N e e d h a m , Biochim. Biophys. Acta 4, 42 (1950); M o m m a e r t s , Biochim. Biophys. Acta 4, 50 (1950). s ) Ztschr. Naturforschg. 8b, 555 (1953).

Der Kreatinstoffwechsel

573

das wahrscheinlich durch Decarboxylierung der Glutaminsäure über die y-Aminobuttersäure entsteht. Wir haben früher schon das aus dem Ornithin sich ableitende Myokinin erwähnt. Das Carnosin ist das Histidyl-jß-Alanin (siehe S. 379). Im Vogelmuskel (Gans) kommt die entsprechende Methylverbindung, das Anserin, vor. Über die Bedeutung des Carnosins ist nichts bekannt; dasselbe gilt auch für den „Muskelzucker", den Inosit. Im Muskel von O et opus wurde das 0 ctopin aufgefunden (Morizawa): .NH CH2—NH—CFCF XNH2 I CH, CH, HC N H I COOH

CH 1 COOH

Über die Funktion dieser Substanz ist nichts bekannt. C. Der Ereatinstoflwechsel

Da das Kreatin ein typischer Bestandteil des Muskels ist, sollen hier kurz die wichtigsten Tatsachen über seinen Stoffwechsel angeführt werden. Die Synthese des Kreatins, an der die drei Aminosäuren Glycocoll, Arginin und Methionin beteiligt sind, wurde bereits im Kapitel über den Intermediärstoffwechsel besprochen. An der Synthese sind Niere und Leber beteiligt. Es scheint, daß nur die Niere (nicht aber die Leber) die Guanidinessigsäure aus Glycocoll und Arginin bilden kann; die Guanidinessigsäure wird aber sowohl von der Leber als auch der Niere in Kreatin übergeführt. Die Bildung von Kreatin wurde bisher in anderen Organen nicht mit Sicherheit beobachtet. Weitaus der größte Teil des gesamten Kreatins findet sich im Muskel (Skelettmuskel und Herz). Der Muskel besitzt die Fähigkeit, das Kreatin aus dem Blut aufzunehmen und zu fixieren. Wird Kreatin enteral oder parenteral zugeführt, so erscheint nur ein kleiner Teil im Urin; der größte Teil wird von der Muskulatur festgehalten. (Auch Leber und Niere nehmen einen gewissen Teil auf.) Im Muskel findet ständig eine Umwandlung von Kreatin in Kreatinin statt: /NHJ COOH HN=C< I NNT CH,

H '°

>

.NH—CO HN=C< | NN CH,

¿H, Kreatinin Kreatin Bei Verabreichung von markiertem Kreatin erscheint das N-Isotop ausschließlich im Kreatinin; das letztere ist also das einzige faßbare Stoffwechselprodukt des Kreatins. Da es außerdem den gleichen Gehalt an schwerem Stickstoff aufweist wie das verabreichte Kreatin, ist dieses -auch der einzige Vorläufer des Kreatinins.

Das Kreatinin geht aus den Muskelzellen in das Blut über und wird im Urin ausgeschieden. Beim normalen Erwachsenen enthält der Urin ausschließlich Kreatinin; beim Neugeborenen und beim Kleinkind findet sich daneben auch Kreatin. Hier ist die Kreatinurie physiologisch; beim erwachsenen Mann deutet sie in der Regel auf eine Erkrankung der Skelettmuskulatur hin, bei der erwachsenen Frau kann sie

Muskel- und Nervensystem

574

vorübergehend auch im Normalzustand auftreten und in einzelnen Fällen kann sogar dauernd etwas Kreatin ausgeschieden werden. Wir haben früher erwähnt, daß die Ausscheidung von Kreatinin auf die Einheit des Körpergewichts bezogen eine individuelle Konstante ist (S. 546). Alle bekannten Tatsachen weisen darauf hin, daß sie von der Masse der Skelettmuskulatur abhängt. J e besser die Muskulatur entwickelt ist, desto größer ist die Kreatininausscheidung. Dies erklärt auch die niedrigere Ausscheidung bei der Frau. Bei Zufuhr großer Mengen von Kreatin während längerer Zeit kann es zu einer Vermehrung der Kreatininausscheidung kommen. Auch diese Ausscheidung nach Belastung tritt bei der Frau leichter ein als beim Mann. Die Menge Kreatin, die gespeichert werden kann, ohne daß es zum „Überfließen" von Kreatinin kommt, wird ebenfalls durch die Muskelmasse bestimmt. Es ist daher leicht verständlich, daß es infolge der weniger entwickelten Muskulatur bei der Frau leichter zur Kreatinurie kommt. Wahrscheinlich arbeitet der Prozeß, durch den das Kreatin aus dem Blut entfernt wird, beim Mann viel wirksamer als bei der Frau. Daher wird bei ihr die Ausscheidungsschwelle rascher erreicht, und dies erklärt das oben erwähnte viel häufigere Auftreten von Kreatinurie beim weiblichen Geschlecht. Bei den Muskelerkrankungen, bei denen es zur Kreatinurie kommt (siehe S. 546), ist offenbar die Fähigkeit der Muskulatur, das Kreatin aus dem Blut aufzunehmen und zu fixieren, vermindert. Die Synthese in Leber und Niere geht aber weiter; es kommt daher zur Anhäufung im Blut und Ausscheidung durch die Niere. Die verschiedenen Phasen des Kreatinstoffwechsels sind im folgenden Schema dargestellt: Niere

Niere, Leber

Blut

Muskel Phosphokreatin

t

Glycocoll 1 + Arginin J

Guanidin-1 •* essigsaure I + |

+ ATP

Kreatin

-H.0

MethioninJ Ausscheidung

Kreatin

Kreatinin

Kreatinin

2. Das Nervensystem A. Neryenleitung Die Übertragung der nervösen Impulse von der Nervenendigung (evtl. dem Endapparat) auf das Erfolgsorgan (das an den Synapsen eine andere Nervenzelle ist!) geschieht auf chemischem Weg, d. h. es werden an den Nervenendigungen bestimmte „Überträgerstoffe" freigesetzt, welche die Reaktion des Erfolgsorgans (z. B. die Kontraktion der Muskelfaser) auslösen. Der Wirkstoff der sympathischen Nerven ist nach neueren Anschauungen das Noradrenalin, derjenige der parasympathischen Nerven das Acetylcholin; genauer ausgedrückt: „adrenergische" Nerven sind die postganglionären sympathischen Fasern, „cholinergische" die parasympathischen, die praeganglionären sympathischen und die motorischen Fasern. Für alle Einzelheiten verweisen wir auf die Lehrbücher der Physiologie. Es scheint aber, daß das Freiwerden von Wirkstoffen nicht nur den Erregungszustand an den Nervenendigungen kennzeichnet, sondern daß derselbe Vorgang sich längs des ganzen Axons beim Durchlaufen der Erregungswelle abspielt. Die Stoffe sind nur an den Endigungen der Nerven besonders gut faßbar, weil sie dort in die

Nervenleitung

575

Umgebung diffundieren können, was bei den von einer Markscheide umgebenen Achsenzyündern nicht möglich ist. Man nennt Stoffe, die, wie das Acetylcholin, im Zusammenhang mit der nervösen Erregung auftreten, allgemein „Aktions substanzen" (v. M u r a l t ) . Bekanntlich wird beim Durchlaufen einer Erregungswelle die erregte Stelle der Nervenfaser elektrisch negativ gegenüber den nicht erregten Stellen. Diese Erscheinung hat ihre Ursache in einer Depolarisation der Oberflächenschicht (siehe unten). Die Fortpflanzung der nervösen Erregung ist physikalisch durch eine dem Nerven entlang laufende Depolarisationswelle gekennzeichnet, die sich als Aktionsstrom äußert. Die Oberfläche der ruhenden Nervenfaser ist nur für die Kaliumionen, nicht aber für die negativen Ionen durchlässig. Da die Konzentration der K + -Ionen im Innern der Faser 20—30-mal höher ist als außen, besteht ein bedeutendes Konzentrationsgefälle des K + , das an der Oberfläche zur Ausbildung einer Potentialdifferenz führt; für das Na+ liegen die Verhältnisse umgekehrt. Wahrscheinlich kommt die ungleiche Ionenverteilung durch einen ähnlichen Mechanismus zustande wie bei der Muskelfaser. Beim Durchlaufen der Erregungswelle bricht diese Polarisation der Membran zusammen und wird sogar umgekehrt. Die erregte Stelle ist gegenüber den unerregten negativ, und infolge der Umkehrung der Polarität ist das Nerveninnere positiv gegen die Außenlösung. Man nimmt an, daß im erregten Zustand die Permeabilität der Oberfläche zunimmt: Von außen dringt Na+ in die Nervenfaser ein, während K+ nach außen abgegeben wird (direkt meßbar an einzelnen dicken Axonfäden von Tintenfischen [Loligo] oder Krabben [Carcinus maenas] durch Verwendung von radioaktivem K und Na). Die Permeabilität für Na+ nimmt dabei während kurzer Zeit (1—4 msec. bei 6°) auf das 500-fache zu (gemessen bei Loligo). Die die Erregung begleitenden Ionenverschiebungen und ihr Zusammenhang mit den elektrischen Erscheinungen sind vor allem von H o d g k i n und Mitarbeitern durch eine ingeniöse Versuchsanordnung aufgeklärt worden. Die nervöse Erregung ist von einer Erhöhung des Stoffwechsels der Nervenfaser gefolgt (siehe unten). Man muß also annehmen, daß entweder der Erregungsvorgang selbst oder vor allem die nachfolgende Restitution des ursprünglichen Zustandes von chemischen Veränderungen begleitet ist. Das Auftreten von Aktionssubstanzen steht offenbar mit diesen chemischen Vorgängen in Zusammenhang. Die Vorstellung, daß die nervöse Erregung mit einer chemischen Reaktion verknüpft ist, scheint zunächst unvereinbar mit der großen Geschwindigkeit der Erregungsleitung zu sein. Wenn der Erregungszustand an einer bestimmten Stelle des Nervs durch die Bildung eines Wirkstoffs charakterisiert ist, so muß dieser Stoff außerordentlich rasch entstehen und wieder verschwinden (Größenordnung des Zeitintervalls < 1 Millisekunde). Gibt es genügend rasche chemische Reaktionen ? N a c h m a n s o h n hat eine Theorie der Nervenleitung entwickelt, welche diese Möglichkeit bejaht und sich vor allem auf das Vorkommen der Cholinesterase im Nerven stützt. Nach dieser Theorie wird an der erregten Stelle des Nerven Acetylcholin freigesetzt und fast augenblicklich von der Cholinesterase wieder zerstört: CH3CO • 0 • CH2 • CH2 • N(CH3)3

Cholli^esterase

CH3COOH + HO • CH2 • CH2 • N(CH3)3 .

Die Freisetzung des Acetylcholins soll in unmittelbarem Zusammenhang mit der Depolarisation der Membran stehen, so daß man sein Auftreten direkt als das chemische Äquivalent des erregten Zustandes ansehen kann. Es ist aber zur Zeit

Muskel- und Nervensystem

576

nichtmöglich, sich ein anschauliches Bild der Vorgänge zu machen und die Rolle •des Acetylcholins exakter zu umschreiben. Daß aber das Acetylcholin für die Erregungsleitung bedeutungsvoll ist, darf auf Grund aller bisherigen Erfahrungen als sicher angenommen werden. Die Cholinesterase ist besonders im Nervengewebe in hoher Konzentration vorhanden, sowohl in den peripheren Nerven wie im Zentralnervensystem, und zwar scheint sie an der Oberfläche des Axons und an den motorischen Endplatten konzentriert zu sein. Die Berechnung der vorhandenen Fermentmenge zeigt, daß sie überaus genügend ist, um die bei der Erregung auftretenden Mengen Acetylcholin in einer Millisekunde zu hydrolysieren. Zahlreiche Versuche haben gezeigt, daß Nervenleitung und Fermentaktivität eng verknüpft sind. Stoffe, welche die Cholinesterase hemmen (wie Eserin oder Diisopropylfluorophosphat), unterdrücken gleichzeitig auch die Erregungsleitung im Nerv. Als besonders günstiges Versuchsobjekt hat sich das elektrische Organ gewisser Fischarten {Zitteraal, Zitterrochen, Zitterwels) erwiesen. Dasselbe leitet sich aus der Muskulatur ab. Es besteht aus einer großen Zahl hintereinander geschalteter Platten, die den motorischen Endplatten im Muskel homolog sind. Das vom elektrischen Organ entwickelte Potential, das beim Zitteraal, Gymnotus electricus des Amazonas, 400—600 Volt erreichen kann, ist also ein Aktionspotential. Es hat sich nun gezeigt, daß das elektrische Organ sehr reich an Cholinesterase ist und daß außerdem'die Größe des Potentialabfalls im elektrischen Organ proportional der Konzentration der Cholinesterase ist; es besteht also ein deutlicher Zusammenhang zwischen Nervenfunktion (gemessen am Aktionspotential) und Fermentkonzentration!

Das hydrolysierte Acetylcholin muß immer wieder regeneriert werden. Im Gehirn ist ein Fermentsystem nachgewiesen worden, die Cholinacetylase, welche aus Acetat und Cholin das Acetylcholin resynthetisiert; als Cofermente müssen Adenosintriphosphat und Coenzym A zugegen sein ( Q u a s t e l , N a c h m a n s o h n ) . Unter Spaltung einer energiereichen Phosphatbindung geht das Acetat in Acetyl-CoA über, das mit dem Cholin reagieren kann (vgl. S. 448): Essigsäure

.aktivierte" Essigsäure

.aktivierte" Essigsäure + Cholini

-> Acetylcholin

Offenbar kann im Gewebe die „aktivierte" Essigsäure auch direkt aus anderen Substraten entstehen. Dasselbe Fermentsystem ist auch in den peripheren Nerven anzunehmen. Das elektrische Organ der Fische ist reich an Phosphokreatin. Man kann annehmen, daß es dort die unmittelbare Quelle energiereicher Phosphatbindungen für die Regeneration des ATP ist. Wir können uns in den Nerven und an den Endorganen einen Kreislauf vorstellen, wie er im untenstehenden Schema drgestellt ist. gebundenes Acetylcholin

\

Glycolyse, Oxydation energielieferndes System

Erregungsyorgang

freies Acetylcholin

Stoffwechsel der Nerven

577

Außer dem AcetyIcholm ist noch eine weitere Aktionssubstanz bekannt geworden, die bei Reizung freigesetzt wird, das Aneurin (Minz). Die ausgedehnten Untersuchungen von A. v. M u r a l t und seiner Schule haben ergeben, daß alle peripheren Nerven Aneurin, z. T. in gebundener Form, enthalten und daß bei Reizung die Menge des freien Aneurins erhöht wird. I m Herzen tritt bei Vagusreizung neben dem Acetylcholin auch Aneurin („zweiter Vagusstoff") auf. Zerstört man das Aneurin im Nerven in situ, z. B. durch Bestrahlung der R a n v i e r sehen Schnürringe an einer isolierten Nervenfaser mit U.V. (Wellenlänge unter 300 m/i, der spezifischen Absorption des Aneurins entsprechend) oder durch Einwirkung von Thiaminase, so wird die Nervenleitung blockiert (v. M u r a l t ) . Alle diese Befunde weisen auf eine Beteiligung des Aneurins an der Nervenleitung hin, ohne daß es zur Zeit möglich wäre, seine Bedeutung zu präzisieren. B. Stoffwechsel des Nervensystems Der Ruhestoffwechsel der peripheren Nerven (gemessen am Sauerstoffverbrauch) ist sehr klein (beim Frosch etwa 15—25 mm 3 0 2 pro Gramm und Stunde bei 15°). Bei Reizung steigt er an, aber sehr viel weniger, als dies etwa beim Muskel der Fall ist. Verfolgt man die Wärmebildung während der Reizung (Hill), so findet man eine äußerst geringe initiale Wärme; der Erregungsvorgang selbst verläuft also mit einer sehr kleinen Wärmetönung (pro Impuls und Gramm Nervensubstanz etwa 10~7 cal.! Für eine einzelne Faser des Ischiadicus beim Ffosch ergibt dies pro Zentimeter Länge etwa 10 - 1 2 cal.). Dagegen findet man nach Aufhören der Reizung eine lang andauernde verzögerte Wärmebildung, die sehr viel größer ist als die initiale Wärme (etwa das Zehnfache) und die dem zusätzlichen Sauerstoffverbrauch entspricht. Die gesteigerte Atmung bei Reizung der Nerven hat also mit der Erregung als solcher nichts zu tun, sondern ist ein Restitutionsvorgang. Auf welchen Vorgängen die Wärmebildung bei der Erregung beruht, ist unbekannt. Unter anaeroben Bedingungen bildet der periphere Nerv Milchsäure, doch scheint er im Gegensatz zum Muskel dieselbe nur langsam verbrennen zu können. Einen viel intensiveren Stoffwechsel als die peripheren Nerven besitzt das Gehirn, und zwar besonders die graue Substanz, also die Ganglienzellen. Die Stoffwechselvorgänge spielen sich vor allem im Zellkörper der Nervenzelle, nicht im Nervenfortsatz ab. Der Sauerstoffverbrauch des Gehirns ist hoch. Bei Sauerstoffmangel, wie er bei Atmung in verdünnter Atmosphäre, bei Konvulsionen (Epilepsie) usw. auftreten kann, vermag das Gehirn einen Teil seines Energiebedarfs aus der glycolytischen Kohlehydratspaltung zu decken; es bildet sogar bei genügender Sauer stoffversorgung immer etwas Milchsäure, gehört also zu den Geweben mit aerober Glycolyse. Dies läßt sich z. B. an Gewebsschnitten nachweisen ( W a r b u r g ) und ist durch Versuche am intakten Organismus bestätigt worden (Bestimmung der arteriovenösen Differenz der Milchsäure). Das Gehirn (die Ganglienzelle) vermag Milchsäure leicht zu oxydieren. Es ist aber nicht sicher, ob in ähnlicher Weise wie im Muskel ein Teil in Kohlehydrat zurückverwandelt wird. Das wesentliche Brennmaterial der Nervenzelle ist Kohlehydrat. Der Respirationsquotient ist nahezu = 1. Das Gehirn enthält Glycogen. Doch scheint die Reserve nicht groß zu sein und sich bei Hypoglykämie rasch zu erschöpfen. Das Gehirn ist reich an Hexokinase, kann also die Blutglucose rasch verwerten. Die Untersuchung isolierter Gehirnteile zeigt, daß die Intensität des Stoffwechsels in den verschiedenen Abschnitten des Zentralnervensystems ungleich ist. Der Sauerstoffverbrauch ist 37

E d l b a c h e r - L e u t h a r d t , Lehrbuch. 11.Aufl.

578

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge

in der Kleinhirnrinde am höchsten. Beim neugeborenen Tier (Katze, Hund) findet man die größte glycolytische Aktivität im Rückenmark. Im Verlauf der Entwicklung verschiebt sich das Maximum nach den höheren Gehirnabschnitten (Cortex, Thalamus). Wahrscheinlich stehen diese Änderungen mit der funktionellen Differenzierung des Zentralnervensystems in Zusammenhang. C. Zusammensetzung des Gehirns und der Nerven

Der typische Bestandteil des Nervensystems sind die Lipide, welche vor allem in den Markscheiden der Nerven enthalten sind. Die weiße Substanz ist dementsprechend lipidreicher als die graue. Der Gesamtgehalt beträgt 12—15% des Frischgewichts, rund die Hälfte des Trockengewichts. Für die einzelnen Gruppen der Lipide haben sich die folgenden Zahlen ergeben (Prozente des Frischgewichts): Phosphatide 6%, Cerebroside 2%, Sterine 4 % (weiße Substanz: 9%, 4%, 1—2% bzw.; graue Substanz: 4%, 1%, 1—2% bzw.). Die Myelinscheide der Nerven ist doppelbrechend. Man nimmt an, daß sie aus koaxialen Schichten von Protein und Lipiden aufgebaut ist, und zwar derart, daß zwischen zwei Proteinschichten immer eine bimolekulare Lamelle von Lipiden eingeschaltet ist. Die Neuroglia, die Stützsubstanz des Nervengewebes, enthält einen besonderen Eiweißkörper, das Neurokeratin. Möglicherweise ist dasselbe auch Bestandteil der Nervenzellen selbst (Dendriten und Achsenzylinder). Es gleicht dem Keratin, doch ist das Verhältnis der basischen Aminosäuren etwas verschieden. (Die chemische Verwandtschaft mit dem Keratin ist deshalb bemerkenswert, weil auch die Neurogliazellen ektodermalen Ursprungs sind!)

Fünfundzwanzigstes

Kapitel

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge 1. Baustoffe Die Stützgewebe (Knorpel und Knochen), das Bindegewebe, die Haut mit ihren Anhängen (Haare, Nägel, Hufe usw.) sind in ihrem chemischen Aufbau durch die Substanzen gekennzeichnet, welche für die besonderen mechanischen Eigenschaften dieser Gewebe verantwortlich sind. Es sind dies einerseits bestimmte Proteine wie das Collagen, das Elastin, die Keratine, andererseits eine Reihe von Mucopolysacchariden vom Typus der Hyaluronsäure. Man kann diese Stoffe als eigentliche Stützsubstanzen bezeichnen. Das Collagen ist durch die Eigenschaft ausgezeichnet, beim Kochen mit Wasser in ein lösliches Protein, die Gelatine (Leim, Glutin), überzugehen. Es handelt sich dabei um einen wenig tiefgreifenden Abbau des Collagens (Verkürzung der Polypeptidketten). Das Collagen ist im Bindegewebe, in den Sehnen, Fascien, Bändern usw. überall reichlich vorhanden (collagene Fasern!) und ist auch ein wesentlicher Bestandteil der Grundsubstanz des Knochens und des Knorpels. Ob die Collagene der verschiedenen Organe völlig identisch sind, ist noch eine offene Frage. Was die Bausteine anbetrifft, ist der sehr hohe Gehalt an Glycocoll, Prohn und Oxyprolin auffallend, ein ziemlich hoher Gehalt an basischen Aminosäuren und das fast völlige Fehlen von Tyrosin, Cystin und Tryptophan. Es scheint, daß im Collagenmolekül jeder dritte Aminosäurerest Glycocoll oder ein Prolin ist, und man kann sich die Peptidketten durch Wiederholung der folgenden Grundeinheit entstanden denken:

579

Baustoffe Prolin oder Oxy proIin

NH

Glycin

Andere Aminosäure

I N-—CH

N - -CH

CH—c' I R

II O

C—NH II O

C II O

\

/ CH—C I II R O

\ C — II O

8,5 A

Das Elastin bildet die elastischen Fasern des Bindegewebes (reichlich in den elastischen Bändern, z. B. Ligamentum nuchae). Sie quellen im Gegensatz zu den collagenen Fasern in verdünnter Essigsäure nicht. Elastin enthält etwa gleichviel Glycin und Prolin wie Collagen, aber nur wenig Oxyprolin, wenig basische Aminosäuren und etwas mehr Tyrosin. Die genannten Eiweißkörper sind typische f i b r i l l ä r e P r o t e i n e (vgl. S. 96). Sie sind aus Bündeln von parallelen Polypeptidketten unbestimmter Länge aufgebaut, die durch Querverbindungen zusammengehalten werden. Sie bilden auf diese Weise ultramikroskopische Fibrillen, die sich zu zwei- oder dreidimensionalen Netzen verflechten können oder sich zu den mikroskopisch sichtbaren Fasern zusammenlegen, welche ihrerseits die histologisch darstellbaren Faserstrukturen der Gewebe bilden. Nirgends liegt der Zusammenhang zwischen der m o l e k u l a r e n Struktur der Stoffe und dem Aufbau der aus ihnen hervorgehenden s i c h t b a r e n Strukturen so klar zutage wie bei den fibrillären Proteinen (und der Cellulose). Die fibrillären Proteine gehören zu den wichtigsten Bauelementen der tierischen Organe. Außer den genannten Stoffen gehören auch das Myosin und das Fibrin zu dieser Gruppe. Einzelne Vertreter wie z. B. das Seidenfibroin und das Collagen weisen eine überraschend einfache chemische Zusammensetzung auf. Im Seidenfibroin machen Glycin und Alanin zusammen s / 4 der gesamten Aminosäurereste aus, in der Gelatine (Collagen) fallen, wie eben erwähnt wurde, 60 °/ 0 der Aminosäuren auf Glycin und Prolin. Man nimmt nach der B e r g m a n n , sehen Hypothese (S. 94) an, daß sich längs der Polypeptidketten die einzelnen Aminosäuren in regelmäßigen Abständen wiederholen. Dies erleichtert offenbar die regelmäßige Aneinanderlagerung der Polypeptidk etten. Die röntgenoptischen Methoden (Beugungsdiagramme) gestatten einen tieferen Einblick in den Feinbau der Fasern. Sie zeigen, daß dieselben aus ultramikroskopischen langgestreckten Kristall chen bestehen, die parallel zur Faserachse gerichtet sind. Diese Struktur kommt dadurch zustande, daß sich die Polypeptidketten — das gleiche gilt auch für Polysaccharidketten der Cellulose — streckenweise parallel zusammenlagern und auf diese Weise ein dreidimensionales Kristallgitter bilden, wie dies schematisch in Abb. 52 dargestellt ist. Die Analyse der Beugungsdiagramme läßt eine Periodizität längs der Faserachse erkennen, die der regelmäßigen Aufeinanderfolge der Aminosäurereste in der Peptidkette entspricht. Die Peptidketten lagern sich in achsenparallelen Ebenen in bestimmtem Abstand zu Netzen zusammen; die Wiederholung der Netze in bestimmtem Abstand gibt das Kristallgitter. Abb. 53 Abb. 52 (nach F r e y - W y s s l i n g ) . zeigt diese Anordnung schematisch f ü r /¡-Keratin, bei S c h e m a d e r F a s e r s t r u k t u r . Durch welchem die Peptidketten völlig gestreckt sind. lokale Ordnung der Hauptvalenzketten entstehen Kristallgitter. Die einzelnen Peptidketten können quer zur Faserrichtung entweder durch die Seitenketten oder durch Wasserstoffbindungen zwischen den Hauptketten (vgl. S. 95) miteinander verbunden sein. Beim Keratin bilden wahrscheinlich die Disulfidgruppen des Cystins die Brückenbindungen zwischen benachbarten Ketten. Die elastischen Eigenschaften und die Kontraktilität der fibrillären Pro37*

580

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge

teine werden weitgehend durch die Natur und die Anordnung der Querverbindungen zwischen den Ketten bestimmt. Die hohe Reißfestigkeit der Fasern ist dadurch zu erklären, daß in der Längsrichtung ausschließlich Hauptvalenzkräfte wirksam sind.

Einen wichtigen Strukturbestandteil des genannten Gewebes bilden auch gewisse Mucopolysaccharide, Hyaluronsäure und Chondroitinschwefelsäure. Die erstere setzt sich aus Glucuronsäure und Acetylglucosamin zusammen, letztere aus Glucuronsäure und Acetylchondrosamin ( = -galactosamin), verestert mit Schwefelsäure. Es sind aus den Geweben verschiedene Chondroitinsulfate isoliert worden, die sich durch ihre optische Drehung und ihr Verhalten gegenüber verschiedenen Hyaluronidasen unterscheiden (K. Meyer). Die Einzelheiten ihrer Struktur sind noch wenig bekannt. Das Molekulargewicht ist sehr hoch (200000 bis mehrere Millionen). Die Moleküle bilden lange Ketten; die Lösungen sind daher viskos. Faserrichtung

o

70 À o

Abb.53. S c h e m a der S t r u k t u r d e s ^ - K e r a t i n s ( g e s t r e c k t e Wolle). Die völlig gestreckten Polypeptidketten sind regelmäßig in den achsenparallelen Prismen angeordnet, deren Dimensionen aus den Röntgenbeugungsdiagrammen berechnet werden können. Die Distanz von 10 AngströmEinheiten entspricht dem Abstand der Ketten in Richtung der abwechselnd links und rechts abstehenden Seitenketten (im Schema durch die großen Kugeln [R] angedeutet). Die Distanz von 4 Angström ist der Abstand der Ketten in der dazu senkrechten Richtung, in der die Ketten „flach" aufeinanderliegen (sog. „backbone-spacing"). Die Distanz von 3,5 Angström in Richtung der Faserachse entspricht der Länge des Aminosäurerests längs der Polypeptidkette-

Die genannten Mucopolysaccharide sind sehr weit verbreitet; sie bilden wahrscheinlich in Form von Mucoproteiden einen wesentlichen Bestandteil der Interzellularsubstanz: Kittsubstanz der Zellen, Grundsubstanz des Bindegewebes, Kittsubstanz der Fasern in den Sehnenbündeln, den Fascien usw. I n den Gefäßwänden scheint nur Chondroitinsulfat vorzukommen. Hyaluronsäure kommt nicht im Bindegewebe aller Organe vor. Sie scheint besonders charakteristisch für die Haut zu sein. Der Glaskörper des Auges enthält Hyaluronsäure, die Cornea einen Schwefelsäur eester der Hyaluronsäure.

Baustoffe

581

Die folgende Tabelle, nach Angaben von K . M e y e r zusammengestellt, gibt einige Beispiele für das Vorkommen der Mucopolysaccharide 1 ): Hyaluronsäure: Glucuronsäure + Acetylglucosamin

Hyaluronsäuresulfat

Chondroitinsulfat: Glucuronsäure -fAcetylgalactosamin

+ + + +

+ ±

Haut . . . Sehnen . . Aorta . . . Herzklappen Cornea . . Glaskörper . Knorpel . . Synovia . . Nabelschnur

+

+

+

Hyaluronate und Chondroitinsulfate sind hochmolekulare vielwertige Anionen. Sie besitzen als solche ein beträchtliches Wasserbindungsvermögen. Die Fähigkeit des Bindegewebes, insbesondere diejenige der Haut zur Speicherung von Wasser (vgl. S. 484), könnte mit dieser Eigenschaft der genannten Stoffe zusammenhängen. Man hat auch schon daran gedacht, daß sie als Kationenaustauscher wirken könnten (vgl. S. 170). Als Mucine, Schleimstoffe, haben die Mucoproteide noch die wichtige Funktion, als G l e i t m i t t e l zu dienen, so die Synovia, welche das fast reibungslose Gleiten der Gelenkflächen garantiert. (Eine ähnliche Funktion haben wahrscheinlich auch die Mucoproteide der H a u t , welche das Gleiten a u f der Unterlage, vor allem über den Gelenken, ermöglichen.) Die Mucine der Verdauungssekrete (Speichel, Magensaft, Darmsaft) machen die festen Nahrungsbestandteile gleitfähig und gewähren außerdem einen gewissen Schutz für die Epithelien des D a r m t r a k t s . Das fibrilläre Bindegewebe, das Knorpel- und Knochengewebe sind bekanntlich durch fortschreitende Differenzierung aus dem M e s e n c h y m entstanden. Sie bilden zusammen mit dem Gefäßsystem, den blutbildenden Geweben, den glatten Muskeln der Eingeweide und der Gefäße die Familie der mesenchymalen Bildungen. Es ist eine sehr bemerkenswerte Tatsache, daß wir als wesentliche Bestandteile dieser Gewebe immer das Collagen, die Hyaluronsäure, die Chondroitinsulfate finden, welche als Interzellularsubstanz die Lücken zwischen den Zellen ausfüllen. Offenbar ist die Fähigkeit zur Bildung dieser Stoffe schon den primitiven Mesenchymzellen eigentümlich; sie behalten dieselbe auch bei, nachdem sie zu Bindegewebszellen, Knorpelzellen, Osteoblasten usw. geworden sind. Die kontraktile Substanz der Muskeln, das Myosin, gehört ebenfalls zu den fibrillären Proteinen. Die Muskelzellen, sowohl die glatten wie die quergestreiften, leiten sich aus dem Mesoderm ab. Man kann also sagen, daß ein großer Teil des embryonalen Mesoderms im Lauf der Entwicklung Zellen liefert, welche fibrilläre Proteine hervorbringen, sei es in ihrem Protoplasma selbst wie die Muskelzellen, sei es in der interzellulären Substanz. Die Keratine schließlich können als die typischen Struktureiweißkörper der Epidermis, also des Ektoderms, angesehen werden. Stellt man die genannten strukturbildenden Substanzen nach ihrem Ursprung zusammen, so ergibt sich das folgende Bild: Ektoderm

Stratum corneum der Epidermis, Haare, Nägel usw.

Mesenchym Mesoderm

Bindegewebe Knorpel Knochen Glatte Muskulatur

Collagen Hyaluronsäure Chondroitinsulfate

Herzmuskel

Myosin

Skelettmuskulatur !) Science 118, 596 (1951).

Keratin

582

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge

2. Haut und Bindegewebe Die äußerste Hautschicht, die Cuticula, ist aus Keratinen aufgebaut. Sie ist als Schutzschicht aufzufassen, die aber doch eine gewisse Permeabilität besitzt und, wenn auch in geringem Umfang, einen Stoffaustausch. (Wasser und Gase) gestattet. Aus dem gleichen Material bestehen die Hautanhänge, Haare und Nägel. Das Bindegewebe der Haut besteht aus der Grundsubstanz, die im wesentlichen aus Eiweißverbindungen der Hyaluronsäure und der Chondroitinschwefelsäuren aufgebaut ist, und den collagenen und elastischen Pasern. Die Proteine der Grundsubstanz sind noch kaum bekannt. Das Bindegewebe des Corium hat nicht nur mechanische Funktionen zu erfüllen, sondern ist gleichzeitig ein wichtiges Speicherorgan. Die Haut macht einen beträchtlichen Anteil des extrazellulären Kompartiments aus. Sie ist imstande, eine gewisse Reserve von Wasser und Elektrolyten aufzunehmen (vgl. S. 484). Das Bindegewebe (im weitesten Sinn) spielt überhaupt bei vielen physiologischen und pathologischen Prozessen eine wichtige Rolle. Z. B. gehen viele Erscheinungen des A l t e r n s letzten Endes auf Veränderungen der mesenchymalen Gewebe zurück. Ebenso spielen Veränderungen der Grundsubstanz und der sie aufbauenden Stoffe wahrscheinlich bei der Atherosklerose und den rheumatischen Erkrankungen eine wichtige Rolle. Das Bindegewebe untersteht hormonalen Einflüssen. Wir erwähnen z. B. das Myxödem, das beim Fehlen des Schilddrüsenhormons auftritt und durch die Infiltration des Bindegewebes mit einer schleimigen Flüssigkeit (Mucoproteide 1) gekennzeichnet ist. An zahlreichen Gewebsreaktionen, welche durch Sexualhormone ausgelöst werden (Beispiel: Wachstum des Hahnenkamms unter dem Einfluß androgener Hormone), ist das Bindegewebe, insbesondere die Interzellularsubstanz, beteiligt. Das Wachstumshormon der Hypophyse stimuliert vorwiegend die mesenchymalen Gewebe (Akromegalie! Vgl. S. 636). Es kann hier auch der Exophthalmus erwähnt werden, der auf einer Schwellung des Bindegewebes der Orbita beruht und als Folge endokriner Störungen eintritt (Thyreoidea, Hypophyse). Die auffallend günstige Wirkung des Cortisons bei rheumatischen Gelenkerkrankungen deutet darauf hin, daß offenbar auch Hormone der Nebennierenrinde direkten Einfluß auf die Binde- und Stützgewebe haben. Es scheint, daß durch Cortison alle drei Elemente des Bindegewebes — Zellen, Grundsubstanz, Fasern — in ihrer Entwicklung gehemmt werden (vgl. S. 624). Unter den Titaminen scheint die Ascorbinsäure einen spezifischen Einfluß auf die mesenchymatischen Gewebe zu haben. Viele Erscheinungen des Vitamin C-Mangels können durch eine mangelhafte Bildung der Kittsubstanz der Kapillarendothelien und der Grundsubstanz der Stützgewebe erklärt werden (vgl. S. 721). I m Zusammenhang mit den Schutzfunktionen der Haut steht auch die Bildung des Hautfetts in den Talgdrüsen (zu denen auch die Ohrschmalzdrüsen und die M e j b o m s c h e n Drüsen des Augenlids zu rechnen sind). Ihr Sekret überzieht die Haut in dünner Schicht und durchtränkt ihre obersten Schichten. Das Sekret dieser Drüsen kann nicht in reiner Form gewonnen werden; es ist stets mit dem Sekret der Schweißdrüsen und mit Bestandteilen der Epidermis vermischt. Am besten untersucht ist das in großen Mengen zur Verfügung stehende Hautfett der Schafe (Lanolin). Besonders charakteristisch für das Hautfett scheinen gewisse höhere Alkohole zu sein; im Wollfett hat man Cerylalkohol (C26H63OH) und Carnaubylalkohol (C24H49OH) gefunden. Cetylalkohol (C16H33OH) ist, mit Palmitinsäure verestert, ein Hauptbestandteil des Walrats (entdeckt von Chevreul 1818). Im Wollfett finden sich auch die dem Carnaubylalkohol ent-

Haut- und Bindegewebe

583

sprechende Carnaubasäure (C23H47COOH) und die dem Cerylalkohol entsprechende Cerotinsäure (C26H61COOH). Die Fettsäuren sind mit den entsprechenden Alkoholen zu Wachsen verestert. Außerdem enthält das Hautfett Sterine, teilweise als Steride mit Fettsäuren verestert, sowie auch zahlreiche ungesättigte Fettsäuren. Der Gehalt an Neutralfett scheint gering zu sein.

Die Schweißdrüsen stehen im Dienst der Temperaturregulierung. Die Menge des Sekrets kann bei starker körperlicher Arbeit sehr groß sein (vgl. Kapitel Wasser- und Salzhaushalt). Der Gehalt an festen Stoffen ist gering (0,4—2%). Außer den Elektrolyten enthält es als organische Stoffe u. a. flüchtige Fettsäuren (Geruch!), Cholesterin und verschiedene der im Blut vorkommenden niedrigmolekularen Körper wie Harnstoff, Harnsäure, Kreatinin usw. Bei Erhöhung der Blutkonzentration dieser Stoffe, wie sie bei gestörter Nierenfunktion eintritt (Urämie), können sie in größerer Menge in den Schweiß übergehen. Daß es sich bei der Schweißbildung um einen echten Sekretionsvorgang handelt, geht u. a. auch daraus hervor, daß unter dem Einfluß des Nebennierenrindenhormons (Desoxycorticosteron) der Natriumgehalt zurückgeht (vgl. S. 626). Charakteristisch für die Haut ist auch die Pigmentbildung. Das Pigment findet sich in den tiefen Schichten der Epidermis, in kleinen Mengen im Corium. Es steht noch nicht fest, ob das Pigment der Epidermis an Ort und Stelle in den Epidermis zellen gebildet oder von Pigmentzellen des Bindegewebes eingeschleppt wird. Bekanntlich bewirkt Belichtung vermehrte Pigmentierung. Wirksam ist das Ultraviolett. Offenbar schützt das Pigment die tieferliegenden Hautschichten vor der Einstrahlung der photochemisch sehr wirksamen kurzen Wellenlängen. Das Material für die Pigmentbildung liefern die aromatischen Aminosäuren, möglicherweise auch das Tryptophan. Wir haben die Melaninbildung schon früher besprochen (vgl. S. 370). Die Addisonsche Krankheit ist durch eine starke Pigmentierung der Haut gekennzeichnet („bronzed disease"). In welcher Beziehung die gestörte Funktion der Nebenniere zur Pigmentbildung steht, ist aber noch nicht abgeklärt.

Die Hyaluronidasen. In den tierischen Geweben sowie in Bakterien kommen Fermente vor, die unter dem Namen „Hyaluronidase" zusammengefaßt werden und welche die Mucopolysaccharide hydrolytisch abbauen. Das an Hyaluronidase reichste Gewebe ist der Hoden der Säugetiere. Das Ferment ist hier zum größten Teil an die Spermatozoen gebunden. Doch sind Hyaluronidasen auch in vielen anderen Geweben nachgewiesen. Wahrscheinlich spielen diese Fermente im Stoffwechsel der Mucopolysaccharide eine Rolle. Hyaluronidase kommt auch in verschiedenen Schlangengiften vor. Die Hyaluronidase der Spermatozoen scheint für das Eindringen des Spermiums in das Ei von Bedeutung zu sein. Das in den Tubus eintretende Ei ist noch von einer Hülle von Zellen der Granulosa umgeben. Man nimmt an, daß die Hyaluronidase den Spermien erlaubt, die Kittsubstanz dieser Zellen aufzulösen und dadurch zum Ei vorzudringen. Von Bedeutung ist das Vorkommen von Hyaluronidasen in pathogenen Bakterien (Pneumokokken, Streptokokken, Gasbrandbazillen). Die Fermente lösen beim Eindringen der Bakterien in die Gewebe durch Hydrolyse der Mucopolysaccharide die Grundsubstanz teilweise auf und erleichtern dadurch die Invasion der Bakterien. Sie wirken als „spreading factor". (Mit diesem Ausdruck bezeichnet man allgemein Stoffe, welche die Ausbreitung hochmolekularer Substanzen wie Tusche, Trypanblau usw. in der Haut befördern. Solche Stoffe lassen sich aus Geweben, Mikroorganismen usw. extrahieren, und es hat sich gezeigt, daß die Hyaluronidasen die wichtigsten, wenn auch wahrscheinlich nicht die einzigen „spreading factors" der Gewebe sind ( C h a i n ; K . M e y e r und Mitarb.).

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge

584

3. Knochen- und Calciumstoffwechsel A. Aulbau des Knochens Die hervorragenden mechanischen Eigenschaften des Knochens kommen durch die innige Verbindung organischer und anorganischer Bausteine zustande. Das Knochengewebe besteht aus einem fibrillären Anteil von collagenen Fasern, welche in eine verkalkte Grundsubstanz eingebettet sind. Der Knochen ist das an Mineralstoffen reichste Gewebe. Die Verkalkung beginnt beim Menschen etwa mit der 8. Woche des intrauterinen Lebens in den Diaphysen der Röhrenknochen; sie ist, wie bekannt, bei der Geburt noch längst nicht vollendet. Der Endzustand wird erst mit dem Abschluß des Wachstums erreicht. Wegen der Schwierigkeit, die Knochensubstanz völlig zu trocknen, sind die Angaben über Wasser- und Mineralstoffgehalt unsicher. Die Verteilung der Mineralstoffe im einzelnen Knochen ist ungleich, weil bekanntlich die Verkalkung von bestimmten Zentren ausgeht. Die Zunahme des d u r c h s c h n i t t l i c h e n Mineralstoffgehalts der Knochen im Laufe der Entwicklung ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß das Verhältnis der vollständig verkalkten Skeletteile zu den nicht verkalkten zunimmt. Z. B. ist der Aschegehalt der kompakten Substanz beim Neugeborenen gleich groß wie beim Erwachsenen (etwa 65%), während der durchschnittliche Aschegehalt der Gesamtknochen bedeutend kleiner ist. Beim erwachsenen Menschen beträgt der Aschegehalt der Knochen, bezogen auf die trockene Substanz, etwa 70%.

Die Mineralstoffe des Knochens zeigen folgende Zusammensetzung: Kationen

%

Anionen

%

Ca++ Mg++ Na+ K+

36,7 0,6 0,8 0,15

P04— CO,—

50,1 7,6 0,04 0,05 2,33

ci-

F-

Die Zahlen können etwas schwanken. Bei verschiedenen Tierarten (Ratte, Hund) nimmt mit dem Alter der Carbonatgehalt leicht zu. Die Zusammensetzimg der Knochensalze („Knochenerde") läßt sich angenähert durch die Formel [Ca 3 (P0 4 ) 2 ]3 • CaC0 3 darstellen. Die röntgenoptische Untersuchung des Knochens ergibt ein Beugungsdiagramm, welches demjenigen der Apatitmineralien entspricht 1 ). Man hat sich die Apatite als Koordinationsverbindungen vorzustellen, in denen ein zweiwertiges Metall, hier das Ca, von drei neutralen Molekülen, hier dem tertiären Calciumphosphat, umgeben ist, von denen jedes zwei Koordinationsstellen einnimmt: {Ca[Ca 3 (P0 4 ) 2 ] 3 }++-2X-.

Als negativer Rest X - können beliebige Anionen fungieren: C0 3 —, F - , O H - usw. Es entsteht je nachdem Carbonatoapatit, Fluoroapatit, Hydroxylapatit usw. Der Komplex baut ein hexagonales Kristallgitter auf, in dessen Maschen die negativen Reste locker gebunden sind, so daß sie gegenseitig ausgetauscht werden können. Das Beugungsdiagramm der Knochenmineralien stimmt am besten mit demjenigen eines Carbonatoapatits (Dahllit) überein: {Ca[Ca3(P0 4 )2] 3 }-C0 3 , etwas ausführlicher geschrieben : 1

D e J o n g , Ree. trav. chim., Pays-Bas, 45, 445 (1926).

Knochen- und Calciums toffweehsel. Aufbau des Knochens CaO.P

PO.Ca "

\

/

Car—O O—Ca \ '---/'• / Ca03P—O Ca - 0—PO.Ca

ö Ca0 3 P

585

co,—

ö Ca

P0 3 Ca

Man kann also annehmen, daß die Knochenerde im wesentlichen aus Carbonatoapatit mit Beimengung kleiner Mengen der entsprechenden Hydroxyl-, Chlor- und Fluorverbindungen besteht. Es gibt allerdings Beobachtungen, die sich mit dieser Annahme nicht ohne weiteres vereinbaren lassen. Die Knochenmineralien verhalten sich in mancher Hinsicht eher wie ein Gemisch von Calciumtriphosphat und Calciumcarbonat als wie ein Apatit. Da eine bestimmte Modifikation des neutralen Ca-Phosphats ein ähnliches Röntgendiagramm aufweist wie Apatit, nimmt D a l l e rn agne an, daß im Knochen das genannte Gemisch vorliegt, das sich erst beim Veraschen des Knochens in Apatit verwandelt. Da der Knochen sehr leicht Ca ++ - und Phosphationen an das Blut abgibt, besteht auch die Möglichkeit, daß ein kleiner Teil der Salze in einer nicht kristallinen, leicht in Lösung gehenden Form vorliegt. Es bedürfen viele Einzelheiten noch der Aufklärung.

Die Röntgendiagramme zeigen, daß die Mineralien des Knochens in Form ultramikroskopischer Kriställchen („Kristallite") vorhanden sind, welche wahrscheinlich mit ihrer Längsachse (tertiäre Achse der hexagonalen Kristalle) dem Faserverlauf parallel gerichtet sind. Diese regelmäßige Anordnung ist im rachitischen Knochen nicht vorhanden, ein Zeichen für eine tiefgreifende Veränderung der Feinstruktur, die beim Fehlen des Vitamins D eintritt. Die organische Matrix des Knochens besteht aus einem dichten Geflecht collagener Fasern, die in eine Grundsubstanz eingelagert sind. Diese letztere besteht wahrscheinlich aus Mucoproteiden. (Ältere Autoren haben ein „Osseomucoid" beschrieben, das beim Kochen mit Säure reduzierende Substanzen und Schwefelsäure gibt, und eine albuminähnliche Substanz, das Ossoalbumoid.) In welcher Beziehung die ultramikroskopischen Kristallite der Knochenmineralien zum organischen Grundgerüst stehen, ist nicht genau bekannt. Die Einzelheiten der Feinstruktur sind noch wenig erforscht; die histologischen Bilder können darüber naturgemäß keine Auskunft geben.

Der mikroskopische Aufbau der Knochensubstanz ist bekannt: Als Bauelement der meisten Knochen (jedenfalls beim erwachsenen Menschen) kann das sog. Osteon angesehen werden, das System konzentrischer Lamellen, welches die H a verschen Kanäle umgibt. Die Osteone stoßen an den Kittflächen (im Schnitt Kittlinien) zusammen. Das Polarisationsmikroskop zeigt, daß die Lamellen anisotrop sind. Ihre Strukturelemente müssen also eine bestimmte regelmäßige Anordnung zeigen. Da der normale und der entkalkte Knochen zwischen den gekreuzten N i c o i s c h e n Prismen das gleiche Bild zeigen, müssen die optischen Achsen der anorganischen Kristallite den Fibrillen parallel verlaufen. Die genauere Analyse zeigt, daß die Fasern in den verschiedenen aufeinanderfolgenden Lamellen verschiedene Richtung haben (in ähnlicher Art wie in einer Sperrholzplatte die einzelnen Schichten kreuzweise verleimt sind!) ( D a l l e m a g n e ) . Offenbar handelt es sich hier um eine funktionelle Struktur, d. h. der ultramikroskopische Bau ist der mechanischen Beanspruchung genau angepaßt.

Ö86

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge B. Verkalkung des Knochens

Der Knochen ist im Verlauf seiner ganzen Entwicklung einem beständigen Umbau unterworfen: alte Substanz wird aufgelöst, neue angebaut. Bei der Umbildung der knorpelig angelegten Teile des Skeletts wird, wie bekannt, der Knorpel völlig aufgelöst und durch das Knochengewebe ersetzt. Aber auch Längen- und Dickenwachstum des fertigen Knochens kommen durch tiefgreifenden inneren Umbau zustande. Offenbar kann ein völlig starres Gebilde wie der Knochen nur auf diesem Weg seine äußere Form während des Wachstums beibehalten und seine Struktur trotzdem der sich ändernden mechanischen Beanspruchung anpassen. Die chemischen Vorgänge, die sich bei diesem Umbau abspielen, und die daran beteiligten Fermente sind wenig bekannt. Es ist eigentlich nur ein Prozeß genauer untersucht worden, nämlich die Einlagerung der anorganischen Salze in die vorgebildete organische Matrix, die V e r k a l k u n g , die wohl in der Neubildung des Knochens den letzten Schritt darstellt. Die Grundsubstanz des Knochens und des Knorpels sind normalerweise die einzigen Substrate, in welche Kalksalze eingelagert werden. Unter besonderen Bedingungen kann es aber auch in anderen Geweben zur Abscheidung von unlöslichen Ca-Verbindungen kommen, die ähnliche Zusammensetzung haben wie die Knochenerde. Dies kann vorkommen entweder bei pathologischen Veränderungen der betreffenden Gewebe oder bei erhöhter Ca-Konzentration in den Körpersäften (dystrophische Verkalkung, Kalkmetastasen). So wenig wir aber die lokalen Faktoren genau kennen, welche im Knorpel und im Bindegewebe den normalen Verkalkungsprozeß einleiten, so wenig können wir sagen, welcher Art die lokalen Bedingungen sind, welche in sonst nicht verkalkenden Geweben die Ausfällung der Kalksalze hervorrufen. Im einen wie im anderen Fall ist an eine chemische Veränderung der Grundsubstanz zu denken. Es entsteht nun die Frage, ob man die Verkalkung als einfache Fällung eines unlöslichen Salzes aus einer gesättigten Lösung betrachten kann. In diesem Fall ist für die Ausfällung ein Produkt der Ionenkonzentration im Blutplasma bestimmend. Nimmt man z. B. an, daß im Knochen tertiäres Ca-Phosphat gebildet wird, so ist nach dem Massenwirkungsgesetz das Löslichkeitsprodukt k = [Ca ++ ] 3 [P0 4 ]2 maßgebend. Es zeigt sich, daß das experimentell bestimmte Löslichkeitsprodukt des tertiären Ca-Phosphats wesentlich kleiner ist als das Produkt der Ionenkonzentrationen im Blut. Ähnliches gilt auch, wenn man den Carbonatoapatit zugrunde legt. Das Blutplasma erscheint also gegenüber den schwerlöslichen Knochensalzen als stark übersättigte Lösung. Bei genauer Untersuchung hat sich aber die Fällung der Ca-Phosphate (in vitro) als ein sehr komplexer Vorgang erwiesen. Je nach den Fällungsbedingungen wandelt sich nämlich der primär ausgefällte Körper weiter um, indem er entweder weitere Ionen aus der Lösung aufnimmt oder an sie abgibt. Wahrscheinlich verläuft die Fällung von Calciumphosphat in folgender Weise (Logan und T a y l o r ) : Es wird zunächst ein Phosphat gefällt, in welchem das Verhältnis Ca: P wie 1: 1 ist, möglicherweise also sekundäres Phosphat, Ca ++ + HP0 4 — >- CaHP0 4 . Dieses wandelt sich aber sehr rasch unter Abgabe von Phosphat in ein Salz mit dem Kristallgitter des Apatits um (wahrscheinlich Ca 3 (P0 4 ) 2 -H 2 0), das schließlich unter Aufnahme von Ca ++ und C0 3 — in Carbonatoapatit übergehen kann. Das Wesentliche an dieser Vorstellung liegt darin, daß die Ca++- und HP04—-Ionen des Blutplasmas nicht mit dem definitiven Knochenmineral selbst im Gleichgewicht stehen. Das letztere kann sich offenbar aus den Ionen der Lösung gar nicht direkt bilden. Die Lösung steht nur mit dem ersten Fällungsprodukt im Gleichgewicht, aus welchem

Verkalkung des Knochens

587

durch inneren Umbau und Austausch, das definitive Knochenmineral hervorgeht. Schematisch läßt sich der Vorgang in folgender Weise formulieren:

\

9 Ca++ + 9 HP0 4 —

9 [CaHP04]

-3HP0,"

Ca—O \

/

0—Ca /

Ca03P—0 - Ca - 0—P03Ca Ca03P

2 OH-

o" O HH P03Ca

{Ca[2 Ca3(P04)2 • 2 CaHP04]} 2 OH = 3 Ca3(P04)2 • 2 H 2 0 (Apatitgitter!) + co,—

+ Ca+ +

Ca—0

\

O—Ca

/

Ca03P—0-- Ca - O—P03Ca

0

0

Ca03P Ca P03Ca {Ca[Ca3(P04)2]3}C03 Carbonatoapatit In bezug auf das primär ausfallende Salz ist das Plasma nicht übersättigt; das Löslichkeitsprodukt von CaHP0 4 ist eher etwas größer als das Produkt der Ionenkonzentrationen [Ca + + ] • [HP0 4 —] im Blutplasma. Dieses Ionenprodukt ist von großer Bedeutung. Man kann es — etwas schematisierend — als Maß für die Sättigung des Organismus mit den Knochenmineralien ansehen. Es ist z. B. bei Rachitis erniedrigt. (Für normales Serum ist das Produkt Ca X P > 40, für rachitisches Ca X P < 3 5 [ H o w l a n d und K r a m e r ] . ) Bei starker Erhöhung des Produkts besteht eine erhöhte Fällungstendenz der Kalksalze, und es kann außerhalb des Knochengewebes zu Verkalkungen kommen (dystrophische Verkalkung). Dies kann z. B. eintreten, wenn infolge pathologischer Veränderungen der Knochen große Mengen seiner Mineralstoffe abgibt. Wir werden später sehen, daß die Regulierungsvorgänge im Körper auf die Konstanthaltung dieses Produkts tendieren (natürlich nur der Größenordnung nach!). Streng genommen darf nicht, wie dies oben geschehen ist, die Gesamtkonzentration des Calciums eingesetzt werden; maßgebend ist die Konzentration der Ca + + -Ionen. Da aber die beiden Größen sich meist proportional ändern, kann, wie dies oben geschehen ist, die direkt bestimmbare Gesamtkonzentration verwendet werden. Der Verkalkungsvorgang kann aber allein auf Grund eines Lösungsgleichgewichts nicht verstanden werden, denn die Fällung tritt, obwohl die Ionenkonzentration der Körpersäfte überall die gleiche ist, nur in bevorzugten Geweben ein. Es müssen also noch lokale Faktoren eine Rolle spielen. Ein solcher scheint die K n o c h e n p h o s p h a t a s e zu sein.

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge

588

R. R o b i s o n machte 1923 die merkwürdige Entdeckung, daß der Knochen eine alkalische Phosphatase (siehe S. 202) enthält; und zwar findet sich das Ferment überall dort, wo Verknöcherungsprozesse vor sich gehen, so z. B. bei den Röhrenknochen im Knorpel des Epiphysenspalts, während der hyaline Knorpel der Gelenke inaktiv ist. Besonders deutüch zeigt sich der Zusammenhang zwischen den Verknöcherungsprozessen und der Phosphatase beim embryonalen Skelett. Die als Knorpel angelegten Skeletteile, die später durch Knochen ersetzt werden, enthalten Phosphatase, und zwar tritt das Ferment zu dem Zeitpunkt der Entwicklung auf, in welchem die Verknöcherung beginnt. Die nicht verknöchernden Knorpel, wie z. B. der Meckelsche Knorpel des Unterkiefers, enthalten keine Phosphatase. Dagegen findet sie sich dort, wo die Knochen aus Bindegewebe entstehen. Bei den Selachiern, bei denen das knorpelige Skelett zeitlebens bestehen bleibt, enthält der Knorpel keine Phosphatase, wohl aber die Zahnpulpa, die das Dentin hervorbringt, usw. Worin besteht die Funktion der Knochenphosphatase ? R o b i s o n stellte fest, daß beim Einlegen von Knochen wachsender Tiere in Lösungen des Calciumsalzes von Hexosemonophosphat in der Verknöcherungszone Calciumphosphat niedergeschlagen wird. Man kann also vermuten, daß die Phosphatase durch Spaltung organischer Phosphorsäureester lokal eine so hohe Phosphatkonzentration erzeugt, daß es zur Fällung des Ca-Salzes kommt. Nun ist aber die Phosphatesterkonzentration im Blutplasma sehr gering, so daß auf diesem Weg keine nennenswerten Mengen Phosphat freigemacht werden können. Es kann sich also nur um Ester handeln, die in den Zellen a n g e h ä u f t sind. Man nimmt daher an, daß die knochenbildenden Zellen (Osteoblasten oder andere Mesenchymzellen) aus dem zirkulierenden Blut Phosphationen anhäufen, indem sie dieselben in organische Bindung überführen. Dies kann z. B. durch Phosphorolyse des Glycogens oder durch die Hexokinasereaktion geschehen. Durch die Phosphatase werden diese Ester gespalten; es entsteht lokal eine erhöhte Phosphatkonzentration, so daß Ca-Phosphat ausfallt und der Verkalkungsprozeß eingeleitet wird. Das folgende Schema faßt diese Vorgänge zusammen: Blutplasma

HPO4— —

(niedrige Konzentration !)

Ca++

Knochen HPOr Phosphorylierung

Mesenchymzelle (Osteoblast)

organische Ester (angehäuft!) Phosphatase

C a + + + K P 0 4 — (hohe Konzentration!)

1

CaHP0 4

I

Apatit

Grundsubstanz

Die Bedeutung des Vitamins D und der Nebenschilddrüsen

589

Nach dieser Vorstellung ist die Anhäufung des Phosphats, die schließlich zur lokalen Ausfällung des Ca-Salzes führt, eine Leistung der Zellen, welche die Phosphationen durch Veresterung abfangen. Natürlich können auch die planmäßig verlaufenden Abbau- und Auf bau Vorgänge, durch welche die funktionelle Struktur des Knochens erhalten wird, nur als Leistungen des lebenden Gewebes verstanden werden. Wir haben in ihre Einzelheiten wenig Einblick. Zwei Wirkstoffe sind für das Knochengewebe von großer Bedeutung, ein Nahrungsfaktor, das Vitamin D, und ein endokriner Faktor, das Hormon der Nebenschilddrüsen. C. Die Bedeutung des Vitamins D und der Nebenschilddrüsen Wir behandeln diese beiden Faktoren später ausführlicher (S. 618 und S. 677). Beide wirken nur zum Teil direkt auf den Knochen. Ihre wesentliche Wirkung betrifft die Zusammensetzung der Körpersäfte. Das Vitamin D fördert die Aufnahme des Calciums im Darm; das Parathormon reguliert die Ausscheidung des Phosphats in den Nieren. Die direkte Wirkung des Vitamins D auf den Knochen läßt sich biochemisch nicht genauer umschreiben. Sein Fehlen führt zur Rachitis mit typischen histologischen Veränderungen des Knochengewebes, denen wahrscheinlich Veränderungen der submikroskopischen Struktur parallel gehen oder sogar zugrundehegen. Die Störung äußert sich, was den stofflichen Aufbau des Knochens betrifft, in einem verminderten Gehalt des Gewebes an Calcium und Phosphat. Der rachitische Knochen fixiert weniger Mineralstoffe als der normale. Die direkte Wirkung des Nebenschilddrüsenhormons scheint in einer Förderung der Abbauvorgänge, d. h. einer Stimulation der Osteoklasten, zu bestehen, die zu einer Mobilisierung von Ca++- und Phosphationen führt (Genaueres vgl. S. 619). Abb. 54 gibt eine Schema tische Übersicht der Wirkungen der beiden Faktoren. Wir verweisen, was die Einzelheiten betrifft, auf die Kapitel Vitamine (S. 677) und Hormone (S. 618). KnochenVeränderungen sind auch unter dem Einfluß anderer endokriner Drüsen feststellbar. Bei Akromegalie, also bei Überproduktion des Wachstumshormons (vgl. S. 636), findet man eine starke Verdichtung der Knochenstruktur, bedingt durch Anbau an die Knochenbälkchen. Es handelt sich hier wohl um die allgemeine Wirkung des Wachstumshormons, welches in allen Geweben, vorwiegend auch im Stützgewebe, die Substanzvermehrung fördert. Beim sog. C u s h i n g sehen Syndrom, einer endokrinen Störung, die durch basophile Adenome des Hypophysenvorderlappens bedingt ist, ebenso beim sog. adrenogenitalen Syndrom, dessen Ursache eine Hyperplasie oder Tumoren der Nebennierenrinde ist, besteht eine ausgesprochene Entkalkung des Skeletts (Osteoporose). Da gleichzeitig die Gonaden atrophieren, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob eine Überproduktion von Rindenhormonen oder der Ausfall der Sexualhormone für die Knochenveränderung verantwortlich ist (vgl. dazu das Kapitel Hormone).

Neben dem Parathormon und dem Vitamin D untersteht das Knochengewebe — und damit indirekt auch der Ca- und Phosphatstoffwechsel — noch zahlreichen anderen Einflüssen: endokrine, alimentäre usw.; sie sind meist schwer zu interpretieren. Für die Entwicklung der Knochen und insbesondere der Zähne spielt das Fluor eine Rolle. Doch ist über die Natur seiner Wirkung wenig Sicheres bekannt. Auch andere Spurelemente sind von Bedeutung; so ist beim Hühnchen eine Störung der Knochenentwicklung bei Manganmangel bekannt. Es handelt sich hier am ehesten um Einwirkungen auf den Zellstoffwechsel.

590

Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge

Merkwürdigerweise ist der Knochen dasjenige Gewebe, welches am meisten Citronensäure enthält; 70% der gesamten Citronensäure des Organismus finden sich im Skelett. Die Bedeutung dieser Tatsache ist noch völlig unklar. Calcium bildet mit Citronensäure nicht ionisierte Komplexe (ein kleiner Teil des Ca im Blut ist in dieser Form vorhanden), so daß eine enge Verbindung der Citronensäure mit den anorganischen Bestandteilen des Knochens anzunehmen ist. Durch Citratgaben läßt sich die Rachitis günstig beeinflussen (Shol). Da Citrat bei Injektion unwirksam ist, beruht der günstige Effekt möglicherweise auf einer verbesserten Absorption des Ca im Darm. Auch die Ausscheidung von Ca wird durch Citratinjektion erhöht.

Abb. 54. Schema der Wirkung des P a r a t h o r m o n s und des V i t a m i n s D auf den Ca- und P h o s p h a t s t o f f w e c h s e l (siehe Text). D. Der Knochen als Calcium- und Phosphatreserve

Neben seinen mechanischen Funktionen hat das Knochengewebe eine wichtige Aufgabe im Dienst des Mineralstoffhaushalts zu erfüllen: Es stellt die Calcium- und Phosphatreserve des Körpers dar. Mit dem Urin und den Fäces geht beständig eine gewisse Menge der beiden Ionen verloren. Können sie aus der Nahrung nicht ersetzt werden, so greift der Organismus auf das Skelett zurück. Ein besonders eindrückliches Beispiel bietet das weibliche Tier während der Lactationsperiode. Der Gehalt der Milch an Calcium und Phosphat geht nicht zurück, auch wenn die Zufuhr in der Nahrung der Mutter ungenügend ist. Diese Stoffe werden dem mütterlichen Skelett entzogen, welches weitgehend entkalkt werden kann. Die im Dienste der Fortpflanzung stehende Milchdrüse hat also bei der Versorgung mit Kalk und Phosphat die unbedingte Priorität gegenüber den anderen Geweben dss mütterlichen Organismus.

Der Knochen als Calcium- und Phosphatreserve

591

Umgekehrt wird bei Zufuhr von Phosphat oder von Calcium ein beträchtlicher Teil in das Skelett aufgenommen. Dies läßt sich eindeutig mit Hilfe der radioaktiven Isotope zeigen (vgl. S. 222). Vom Ca finden sich nach 24 Stunden 95%, vom Phosphat 40% in den Knochen. I n den Röhrenknochen nimmt die Epiphyse zunächst bedeutend mehr auf als die Diaphyse, offenbar weil sie mehr Spongiosa einschließt und besser durchblutet ist. Nach einigen Wochen gleicht sich der Gehalt an radioaktivem Phosphat zwischen den verschiedenen Teilen des Knochens aus (Versuche an der Ratte). Dies deutet daraufhin, daß innerhalb der Rnochensubstanz Phosphationen ausgetauscht werden können. Ähnlich, wie die Knochen verhalten sich auch die Zähne. Die schnell wachsenden Schneidezähne der Ratte z. B. nehmen radioaktives Phosphat sehr rasch auf, und zwar nicht nur in der Wachstumszone der Wurzel, sondern auch in der Spitze. Das aufgenommene Phosphat verteilt sich also rasch durch das ganze Dentin. Nach Injektion von markiertem Phosphat nimmt der Knochen die Verbindung außerordentlich rasch (schon innerhalb weniger Minuten) auf und hält sie dann während langer Zeit fest, währenddem aus dem Blut die Radioaktivität ziemlich rasch wieder verschwindet. Die erste rasche Aufnahme erfolgt wahrscheinlich durch I o n e n a u s t a u s c h an der Oberfläche der Apatitkristalle. Es handelt sich um ein Adsorptionsgleichgewicht, das der Freund lieh sehen Isotherme folgt und sich sehr rasch einstellt. Man kann sich vorstellen, daß die Kristallite an ihrer Oberfläche eine Ionenschicht adsorbiert halten, die mit den Ionen der umgebenden Lösung im Gleichgewicht, d. h. in ständigem Austausch steht. Die ungeheure Oberfläche der ultramikroskopischen Kristalle gestattet es offenbar den Knochen, auf diese Weise eine beträchtliche Menge Phosphatoder Calciumionen provisorisch zu binden. Wahrscheinlich werden die oberflächlich adsorbierten Ionen allmählich auch durch Austausch in das Kristallgitter aufgenommen. Ob bei der vorläufigen Ionenbindung auch die organischen Bestandteile der Grundsubstanz eine Bolle spielen, ist eine offene Frage. Die Chondroitinschwefelsäure enthält fest an die Struktur gebundene ionisierte Sulfatgruppen. Ein derartiges Gel könnte als Ionenaustauscher wirken, indem es in seinen Maschen positiv geladene Ionen, z. B. Ca ++ , festhält. Wir wissen nicht, ob die Bedingungen für eine solche Wirkung in der Grundsubstanz erfüllt sind. Der größte Teil der primär adsorbierten Phosphationen wird aber allmählich mit Ca ++ -Ionen reagieren und auf die oben geschilderte Weise in Apatit übergehen. Dies kann durch Anbau an vorhandene oder durch Bildung neuer Kristallite geschehen. Das Knochengewebe scheint bei überschüssiger Zufuhr von Calcium oder Phosphat immer eine gewisse Menge in Form der Knochenmineralien fixieren zu können, vor allem natürlich der wachsende jugendliche oder der durch Mangel erschöpfte Knochen.

Die Auflösung der Knochenmineralien, die Déminéralisation des Gewebes, ist immer mit der totalen Resorption des Gewebes verbunden. Die Mineralstoffe können, wenn überhaupt, nur in sehr beschränktem Umfang aus der Grundsubstanz herausgelöst werden. Es betrifft dies wahrscheinlich nur den oben erwähnten adsorbierten Anteil der Ionen, der mit dem Blut im Gleichgewicht steht. Wo man unverkalkte Grundsubstanz findet (osteoides Gewebe, Rachitis, Osteomalacie), ist es durch Neubildung und nicht durch Entkalkung vorhandener Knochensubstanz entstanden. Die Resorption des Knochengewebes ist das Werk besonderer Zellen, der Osteoklasten. Die Aufnahme wie auch die Mobilisierung der Mineralstoffe geht in denjenigen Teilen des Knochens mit größter Leichtigkeit vor sich, welche den umspülenden Säften und den angreifenden Zellen die größte Oberfläche darbieten. Dies ist die Spongiosa, bei den Röhrenknochen vorwiegend die Gegend der Metaphyse. Hier ist der Knochen auch am besten durchblutet. Die Spongiosa ist nicht nur in mechanischer, sondern auch in chemischer Hinsicht der anpassungsfähigste Teil des Knochens. Durch Vermehrung und geeignete Anordnung der Trabeculae kann er sich jeder mechanischen Beanspruchung anpassen. Die feinen Knochenlamellen können aber auch leicht eingeschmolzen werden und liefern bei mangelhafter Zufuhr oder verstärkter Abgabe (Lactation!) das nötige

592

Die Leber

Calcium. Dank dieser Reserve kann der Organismus — normales Funktionieren der Regulationsvorgänge vorausgesetzt — den Blutspiegel des Calciums aufrecht erhalten, dessen Absinken für den ganzen Organismus schwere Folgen zeitigen würde (vgl. S. 618 und 620). B e d a r f u n d A b s o r p t i o n v o n Ca u n d P. Der tägliche Bedarf des erwachsenen Menschen wird zu etwa 1 g Ca und 1—2 g P angegeben. Nicht alles Calcium der Nahrung ist verwertbar. Ein beträchtlicher Teil entgeht der Absorption durch Bildung unlöslicher Salze im Darm. Als kalkfällende Stoffe der Nahrung kommen in Frage: anorganisches Phosphat, Fettsäuren (Bildung von Kalkseifen) und Phytin. Das letztere findet sich in den hoch ausgemahlenen Mehlen (dunklem Brot) in ziemlicher Menge und vermindert die Absorbier barkeit des Ca; die Frage hat daher praktisch eine gewisse Bedeutung. Ein großer Teil des Calciums und Phosphats der Fäces besteht aus nicht absorbierten schwerlöslichen Salzen. Die Menge, die wieder in den Darm ausgeschieden wird, ist entgegen der älteren Ansicht nicht groß (nach Versuchen mit radioaktivem Phosphat etwa 1 / 10 des gesamten Phosphats der Exkremente). Soweit die einmal absorbierten Ionen wieder ausgeschieden werden, geschieht dies wohl eher mit den Verdauungssäften im oberen Darmabschnitt (z. B. Galle) und nicht im Dickdarm, wie früher angenommen wurde. Auf Grund von Versuchen über die experimentelle Rachitis der Ratte (vgl. S. 679) wurde vielfach dem Verhältnis von Calcium und Phosphat in der Nahrung eine große Bedeutung zugeschrieben. Man nahm an, daß das Verhältnis Ca :P = 2 : 1 (welches ungefähr der relativen Menge der beiden Elemente im Knochen entspricht) optimal sei und die beste Ausnützung gewährleiste. Es scheint aber, daß bei genügender Zufuhr eines jeden der beiden Ionen ihr gegenseitiges Verhältnis keine entscheidende Bedeutung hat. Das Skelett nimmt allerdings während der Wachstumsperiode Ca und P im Verhältnis 2:1 auf. Andererseits aber sind die weichen Gewebe viel reicher an P als an Ca und brauchen dementsprechend mehr Phosphat. Beim Erwachsenen dürfte daher eher ein kleiner Überschuß von Phosphat, beim wachsenden Kind ein kleiner Überschuß von Ca dem tatsächlichen Bedarf entsprechen 1 ).

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Die Leber (ihre Rolle im Intermediärstoffwechsel) Wir haben die wichtigsten Stoffwechselfunktionen der Leber bereits in den verschiedenen Kapiteln über den Intermediärstoffwechsel besprochen und wollen hier nur noch eine allgemeine Übersicht geben. Die große Bedeutung der Leber beruht hauptsächlich auf ihrer besonderen Lage im Pfortaderkreislauf: Sie ist als Durchgangsstation des Blutstroms zwischen den Darm und den allgemeinen Kreislauf eingeschaltet. Der größte Teil der im Darm aufgenommenen Stoffe muß die Leber passieren, bevor er die übrigen Gewebe erreichen kann. Dadurch kann sie den Zustrom der Nährstoffe ins Blut regulieren und als Filter unerwünschte Stoffe zurückhalten. Die Blutversorgung der Leber ist beträchtlich; sie empfängt insgesamt durch die Vena portae und die Arteria hepatica 1 / 4 — 1 / 3 des gesamten vom Herzen ausgeworfenen Bluts (neuere Messungen am Vgl. H. C. S h e r m a n , „Calcium and phosphates in foods and nutrition". Columbia University Press, New York 1948.

Die Leber

593

Menschen ergaben für den Erwachsenen einen Blutfluß von etwa 1400 ccm pro Minute). Dementsprechend ist auch der Anteil am gesamten Energieumsatz im Verhältnis zur Größe des Organs (etwa 1 / 30 des Körpergewichts) sehr hoch. Die Leber ist, wie C l a u d e B e r n a r d hervorgehoben hat, gleichzeitig eine Drüse mit äußerer und innerer Sekretion. Sie gibt nach außen, d. h. in den Darm, die Galle ab, zugleich aber sezerniert sie ins Blut zahlreiche Produkte ihres Stoffwechsels, unter denen mengenmäßig wohl die Glucose an erster Stelle steht. Die Zufuhr der Nahrung und die Absorption der Nährstoffe aus dem Darm erfolgen diskontinuierlich in Schüben. Dagegen sind die grundlegenden Stoffwechselreaktionen kontinuierliche Vorgänge. Die einzelnen Zellen verfügen in der Regel nur über kleine Reserven an Nährstoffen und sind daher auf die ständige Versorgung durch das Blut angewiesen. Da sich auch die Vorräte des Bluts rasch erschöpfen würden, muß der Körper in gewissen Organen über größere Reserven der unentbehrlichen Nährstoffe verfügen, die außerhalb der Verdauungsperioden an das Blut abgegeben werden können, sonst wäre ein kontinuierliches, von der Nahrungszufuhr unabhängiges Funktionieren des Stoffwechsels nicht denkbar. Das Stoffgemisch, das im Darm aufgenommen wird, ist den Bedürfnissen der verschiedenen Zellen in keiner Weise angepaßt. Es enthält einzelne Stoffe im Überschuß, andere in zu geringer Menge; es können auch Stoffe vorhanden sein, die allgemein oder für einzelne Zellarten toxisch wirken. Die Stoffe, die im Überschuß absorbiert werden und von den Geweben nicht unmittelbar verwertet werden können, müssen in irgendeiner Form gespeichert werden, wenn sie dem Organismus nicht verloren gehen sollen; andererseits muß die Möglichkeit bestehen, in der Nahrung fehlende oder in zu geringer Menge vorhandene Stoffe aus anderem Material zu synthetisieren. Und schließlich müssen unerwünschte Substanzen vor dem Übertritt in den allgemeinen Kreislauf eliminiert werden. An allen diesen Vorgängen, welche die kontinuierliche Ernährung der Gewebe und überhaupt die Erhaltung des normalen milieu intérieur sicherstellen, nämlich 1. Ausschüttung von Nährstoffen ins Blut, auch wenn keine Nahrung aufgenommen wird; 2. Speicherung überschüssiger Nährstoffe; 3. gegenseitige Umwandlung und Synthese von Nährstoffen; 4. Eliminierung körperfremder und schädlicher Stoffe; ist die Leber in hervorragender Weise beteiligt. Dazu kommen als weitere Funktionen : 5. Bildung des Harnstoffs und anderer Endprodukte des Intermediärstoffwechsels und 6. Bildung des spezifischen Sekrets, der Galle, welches als Ausscheidungsweg für verschiedene Stoffe dient. Aus dieser Aufzählung, welche nur die wichtigsten Funktionen der Leber umfaßt, geht hervor, daß ihre chemischen Leistungen äußerst mannigfaltig sein müssen. Die wichtigsten sind größtenteils in früheren Kapiteln in anderem Zusammenhang schon besprochen worden. ad 1. Eine der wichtigsten Funktionen dieser Art ist die Abgabe von Glucose an das Blut. Sie ist dem Verbrauch in der Peripherie so genau angepaßt, daß der Blutzuckerspiegel auch bei stärkstem Kohlehydratverbrauch erhalten bleibt. Die dabei wirksamen Regulationsvorgänge wurden früher ausführlich besprochen (siehe Kapitel Kohlehydratstoffwechsel). Die Glucose kann entweder direkt aus dem Gly38

E d l b a c h e r - L e u t h a r d t , Lehrbuch. 11.Aufl.

594

Die Leber

cogen entstehen (Glycogenolyse) oder durch Neubildung aus anderen, nicht zuckerartigen Stoffen — Milchsäure, glucoplastische Aminosäuren — gebildet werden. Die Leberproteine und die mit der Nahrung zuströmenden Aminosäuren sind wichtige potentielle Quellen des Blutzuckers. Bei Erschöpfung des Glycogengehalts der Leber, die unter verschiedenen Bedingungen eintreten kann, setzt eine gesteigerte Oxydation der Fettsäuren ein, und es kommt zur Bildung vermehrter Mengen von Acetonkörpern — Acetessigsäure, Aceton, ß-Oxybuttersäure —, die von der Leber nicht verbrannt werden können und ins Blut übergehen. Da die Acetonkörper besonders beim Diabetiker in großer Menge auftreten können, hat man sich die Frage vorgelegt, ob ihre Bildung nicht einen kompensatorischen Vorgang darstellt, durch welchen die Leber den Geweben an Stelle der im diabetischen Organismus schwer verwertbaren Glucose Ersatzstoffe, die Acetessigsäure und /S-Oxybuttersäure, zur Verfügung stellt. Tatsächlich können die Gewebe durch Oxydation dieser Säuren im Citronensäurecyklus Energie gewinnen, doch verläuft diese Oxydation verhältnismäßig langsam und der größte Teil der Acetonkörper geht dem Organismus durch Ausscheidung im Urin verloren. Außerdem bedeutet die dauernde Überschwemmung der Gewebe mit diesen stark sauren Stoffwechselprodukten eine derartige Belastung des Säure-Basen-Haushalts, daß ihre Bildung kaum als zweckmäßiger regulatorischer Vorgang betrachtet werden kann. Das Auftreten der Acetonkörper in größeren Mengen ist immer ein pathognomonisch.es Zeichen für eine Störung des Intermediärstoffwechsels in der Leber, die sich in gewissen Fällen, so z. B. im Hunger, noch innerhalb physiologischer Grenzen hält, im schweren Diabetes aber alle Sicherungen durchbrochen hat. Wie wir früher gesehen haben, gibt die Leber auch Lipide und Eiweißbausteine ans Blut ab; doch sind die Verhältnisse hier weniger übersichtlich als bei der Glucosesekretion. Der Strom der Glucose fließt immer in der gleichen Richtung von der Leber, als dem Produzenten, nach den peripheren Geweben, als den Verbrauchern. Was andere Organe (Niere, Darmschleimhaut usw.) bei fehlender äußerer Zufuhr allenfalls abgeben können, fällt neben der Glucoseproduktion der Leber nicht ins Gewicht. Lipide und Aminosäuren dagegen können auch von anderen Organen ins Blut ausgeschüttet werden; je nach den vorliegenden Verhältnissen werden sie bald von den peripheren Geweben in die Leber, bald von der Leber nach den peripheren Geweben verschoben. Die Leber spielt zwar auch hier eine wichtige Rolle als r e g u l i e r e n d e s Organ, ist aber nicht einseitig der Lieferant wie beim Zucker. ad 2. Die Bereitschaft der Leber, Glucose ins Blut nachzuliefern, hängt aufs engste mit ihrer Fähigkeit zusammen, Glucose und andere Stoffe, die leicht in Glucose übergehen (Milchsäure, andere Hexosen), a l s G l y c o g e n zu s p e i c h e r n . Die Leber ist das glycogenreichste Organ. Sie kann bei reichlicher Kohlehydratzufuhr sehr große Mengen aufnehmen. Beim Hund hat man bis 18% des Frischgewichts gefunden, beim Frosch sogar 20%. Normalerweise ist der Gehalt allerdings wesentlich kleiner, etwa 1—4% (je nach dem Zustand des Tieres: Arbeit oder Ruhe). Für den Menschen sind sichere Werte schwer erhältlich, da die Analyse nur dann richtige Werte gibt, wenn sie am frischen Organ ausgeführt werden kann. Das Leberglycogen wird auch bei konstantem Bestand sehr rasch erneuert (in einem Tag etwa die Hälfte des Gesamtbestands; siehe S. 312). Die Leber ist auch ein Speicherorgan für das F e t t . Im Gegensatz zu den übrigen Stoffen umgeht das Nahrungsfett die Leber, da es zum größten Teil nicht durch die Pfortader, sondern auf dem Lymphweg absorbiert wird und sich durch den Ductus thoracicus direkt in den allgemeinen Kreislauf ergießt. Trotzdem nimmt die Leber,

Die Leber

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wie vor allem die Versuche mit markiertem Fett gezeigt haben, einen beträchtlichen Anteil des Nahrungsfettes auf. Darüber hinaus aber ist die Leber imstande, Kohlehydrat in großem Umfang in Fett überzuführen und als solches zeitweise zu speichern, bis es in die peripheren Depots abgeführt werden kann (siehe S. 339). Der mittlere Fettgehalt der Leber dürfte etwa 2—3% betragen, kann aber nach fettreicher Nahrung sehr stark ansteigen (bei der Ratte bei cholinfreier, fettreicher Ernährung über 30% des Frischgewichts). Die Leber enthält neben dem Neutralfett beträchtliche Mengen von Cholesterinestern und Phosphatiden. (Bei der Ratte wurden z. B. folgende Werte gefunden: 8,4% Gesamtlipide, 2,1% Phosphatide, 0,2% freies Cholesterin, 1,5% Cholesterinester). Die Phosphatide können aber nur zum Teil als Reservematerial betrachtet werden; ein gewisser Anteil ist Bestandteil des Protoplasmas und irgendwie in die Zellstruktur eingebaut. T e r r o i n e (1919) hat darauf hingewiesen, daß man ganz allgemein in den Geweben zwei Anteile der Gesamtlipide unterscheiden muß : Der erste wird im wesentlichen durch das Neutralfett dargestellt. Es handelt sich um Reservematerial, das in die Zellen eingelagert wird und dessen Menge je nach den äußeren und inneren Bedingungen — Zufuhr, Verbrauch — starken Schwankungen unterworfen ist („élément variable"). Den zweiten Anteil bilden die Lipide, hauptsächlich Phosphatide, im Nervengewebe auch Cerebroside, welche Strukturbestandteile der Zellen und Gewebe bilden. Ihre Menge und Zusammensetzung ist nicht oder nur wenig von den äußeren Bedingungen abhängig, was sich vor allem darin äußert, daß sie auch bei protrahiertem Hunger nicht aus den Geweben verschwinden („élément constant"). Ihre Menge macht bei der Ratte etwa 1,5% des Körpergewichts aus. Die Unterscheidung des „élément constant" und des „élément variable" der Lipide ist nützlich, wenn auch die Grenze wahrscheinlich nicht scharf gezogen werden kann. Eine wichtige Rolle spielt schließlich die Leber als E i w e i ß s p e i c h e r . Wir haben früher darauf hingewiesen, daß sich Veränderungen der Eiweißzufuhr in keinem Organ so rasch zu erkennen geben wie gerade in der Leber. Bei Eiweißmangel jümmt der Proteingehalt der Leber schon innerhalb weniger Tage stark ab. Man kann daraus schließen, daß das Organ unter diesen Bedingungen beträchtliche Mengen Proteine oder Eiweißbausteine ans Blut abgibt. Umgekehrt hält die Leber bei Zufuhr von Aminosäuren aus dem Darm einen Teil derselben zurück und baut sie wahrscheinlich zu Proteinen auf, die bei Bedarf wieder abgegeben werden können. Näheres siehe Kapitel Eiweißstoffwechsel. Als weiteres Beispiel einer Speicherfunktion der Leber sei schließlich noch die Anreicherung verschiedener S c h w e r m e t a l l e erwähnt, die besonders beim Neugeborenen sehr ausgesprochen ist. Dies hängt, wie B u n g e für das E i s e n zum erstenmal gezeigt hat, damit zusammen, daß die Milch sehr arm an Spurelementen ist. Der Säugling deckt seinen Bedarf an Eisen, Kupfer, Mangan während der ersten Lebensmonate aus den Vorräten seiner Gewebe, insbesondere der Leber, da die Zufuhr mit der Milch ungenügend ist. Bei Rindsföten ist z. B. der Fe-Gehalt der Leber etwa zehnmal so groß wie bei erwachsenen Tieren. Im Verlauf der ersten 4 Lebenswochen sinkt er aber fast auf den Wert des erwachsenen Tieres ab. Offenbar wird das Eisen hauptsächlich für die Hämoglobinsynthese verwendet. M a n g a n g e h a l t der Leber bei verschiedenen 38*

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Die Leber

Tierarten 0,12—0,35 mg/100 g Frischgewicht, beim Menschen etwa 0,2 m g % ; K u p f e r g e h a l t : 3—9 mg/100 g Frischgewicht. ad 3. Eine der wichtigsten Umwandlungen von Nährstoffen, die in der Leber stattfinden, ist die S y n t h e s e v o n F e t t a u s K o h l e h y d r a t . Wir haben darauf hingewiesen, daß beim gut genährten Tier ein beträchtlicher Teil des nicht oxydierten Zuckers in Fett übergeht (vgl. S. 339). Diese Reaktion ermöglicht auch nach Auffüllung aller Glycogenreserven eine weitere Aufspeicherung der chemischen Energie des Nahrungskohlehydrats in Form der Fettsäuren. Von lebenswichtiger Bedeutung ist die Gluconeogenese, die U m w a n d l u n g v o n E i w e i ß i n G l u c o s e . Die Aminosäuren, die Glucose liefern (glucoplastische Aminosäuren), sind auf S. 363 aufgezählt. In der Unfähigkeit, Aminosäuren in genügendem Umfang in Zucker überzuführen, hegt eine der hauptsächlichsten Störungen beim Ausfall der Nebennierenrinde. Es sprechen viele Tatsachen dafür, daß die Leber an der S y n t h e s e d e r P l a s m a p r o t e i n e beteiligt ist, doch sind die Einzelheiten des Vorgangs noch wenig geklärt. Es ist möglich, daß sie einzelne individuelle Proteine liefert (für das Prothrombin ist dies sichergestellt, für das Fibrinogen wahrscheinlich); es ist auch möglich, daß sie Bausteine für die Plasmaproteine in Form von Polypeptiden beiträgt. Verschiedene klinische Beobachtungen deuten darauf hin, daß vor allem die Bildung der Serumalbumine von der Leber abhängig ist. Wir können die zahlreichen weiteren biochemischen Synthesen, an denen die Leber teil hat oder deren Sitz sie ist, nicht anführen. Es sei nur erwähnt, daß sie bei der Bildung des Kreatins eine Rolle spielt. Eine der wichtigsten synthetischen Leistungen der Leber ist schließlich der Aufbau des C h o l e s t e r i n s und der G a l l e n s äuren. ad 4. Die sog. „Entgiftungsreaktionen", von denen die hauptsächlichsten früher besprochen wurden (siehe z. B. S. 548), haben teilweise ihren Sitz in der Leber; sicher sind aber in verschiedenen Fällen (z. B. Hippursäuresynthese) auch andere Organe wie die Nieren daran beteiligt. Die Leber eignet sich natürlich von allen Organen am besten zum Abfangen fremder Stoffe, die im Darm aufgenommen werden, denn alles vom Darm herkommend« Blut muß dieses Organ passieren. Eine wichtige Funktion ist die Entgiftung von Stoffen, die im Darm durch Fäulnisvorgänge entstehen, da viele derselben toxische Eigenschaften haben (Amine, Phenole, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und Mercaptane usw.). Doch können auch körpereigene Stoffe in der Leber durch „Entgiftungsreaktionen" harnfähig gemacht oder, wenn es sich um Wirkstoffe handelt, in inaktive Produkte verwandelt werden. Hier sind z . B . das P r o g e s t e r o n und die Ö s t r o g e n e n H o r m o n e zu nennen. Bekanntlich wird das P r o g e s t e r o n in P r e g n a n d i o l übergeführt (welches völlig inaktiv ist) und dieses wird als Glucuronid ausgeschieden (S. 58). Wahrscheinlich findet die Reduktion und Kuppelung mit der Glucuronsäure in der Leber statt. Die perorale Verabreichung von Progesteron ist viel weniger wirksam als die parenterale. Teilweise Entfernung der Leber führt aber zu einer starken Wirkungssteigerung des peroral zugeführten Hormons. Die Östrogenen H o r m o n e werden in der Leber inaktiviert. Dies ist auf verschiedenen Wegen eindeutig nachgewiesen worden. Bebrütung mit Leberbrei oder Organschnitten zerstört die Aktivität von Östradiol. Es soll dafür ein besonderes Ferment, „östrinase", verantwortlich sein (Zondek). Perfusion der Leber mit Östradiol führt ebenfalls zur Inaktivierung des Hormons, währenddem andere Organe unwirksam sind. Ähnliche Resultate hat man auch durch Einpflanzung des kristallisierten Hormons in die Milz der kastrierten Ratte erhalten. Solange die

Die Leber

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Milz an den Pfortaderkreislauf angeschlossen bleibt, tritt keine Hormonwirkung ein, wohl aber bei Transplantation des Organs, welche den direkten Zutritt des Hormons in das Blut unter Umgehung der Leber gestattet. Bei Leberzirrhose kann es beim Mann zur Vergrößerung der Brüste (Gynäkomastie) und Atrophie der Hoden kommen, weil die Östrogenen Stoffe der Nebennierenrinde durch die Leber nicht mehr inaktiviert werden. Die Bildung der konjugierten Östrogene (Östronsulfat, Östriolglucuronid) erfolgt sehr wahrscheinlich ebenfalls in der Leber.

ad 5. Die Harnstoffbildung wurde S.398 u.ff. ausführlich besprochen. Wir haben dort auch auf die zweifache physiologische Bedeutung der Harnstoffsynthese in der Leber hingewiesen: als Entgiftungsreaktion, welche das durch die Pfortader zuströmende Ammoniak fixiert, und als wichtigste Endstufe des N-Stoffwechsels, durch welche der größte Teil des Eiweißstickstoffs in die harnfähige Ausscheidungsform übergeführt wird. Die Vogelleber synthetisiert an Stelle des Harnstoffs die Harnsäure, wobei aber, entgegen der älteren Ansicht, Harnstoff n i c h t Zwischenprodukt ist. ad 6. Als spezifische Produkte der „äußeren" Sekretion der Leber können vor allem die G a l l e n s ä u r e n angesehen werden. Sie stellen jedenfalls ein Produkt der Leberzellen dar und werden aus dem Cholesterin als Muttersubstanz gebildet (vgl. S. 351). C h o l e s t e r i n selbst wird ebenfalls in der Leber synthetisiert (vgl. S. 350). Ob Cholesterin auch noch in anderen Geweben gebildet werden kann, ist unbekannt. Wahrscheinlich werden durch die Galle auch noch andere Sterine ausgeschieden. Ein weiteres typisches Ausscheidungsprodukt, das den Körper durch die Galle verläßt, ist das B i l i r u b i n . Über seine Bildung, die zur Hauptsache in der Milz oder, wenn in der Leber, in deren reticulo - endothelialen Zellen erfolgt, siehe Kapitel Blut, S. 530 u. ff. In bezug auf die Mannigfaltigkeit der chemischen Leistungen und die Größe des Stoffumsatzes steht die Leber sicher unter allen Organen an erster Stelle. Die Isotopenversuche, die wir bei verschiedener Gelegenheit erwähnt haben, haben gezeigt, daß die gesamte Substanz der Leber — Kohlehydrate, Lipide, Proteine, Nucleinsäuren — in rascher Umsetzung begriffen ist, welche diejenige der meisten anderen Organe beträchtlich übertrifft. Dies zeigt deutlich die zentrale Stellung, welche sie im Intermediärstoffwechsel einnimmt. Die Leber verfügt im allgemeinen nicht nur über große stoffliche, sondern auch über beträchtliche f u n k t i o n e l l e Reserven, d. h. die wichtigsten Funktionen (z. B. die Harnstoffsynthese) können von einem Bruchteil des Parenchyms noch bewältigt werden, sofern dieses nur intakt ist. Dies geht sowohl aus Tierexperimenten (partielle Hepatektomie) wie auch aus klinischen Beobachtungen hervor.

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V. T e i l

Die chemische Regulation der physiologischen Funktionen Die einzelnen Zellen und Organe eines vielzelligen Lebewesens besitzen eine gewisse Autonomie und Eigengesetzlichkeit: Ein aus dem Körper entferntes Stückchen Gewebe verbraucht weiter Sauerstoff und bildet Kohlensäure, der herauspräparierte Muskel bleibt reizbar, das isolierte Herz kann während Stunden weiterschlagen usw. Aber erst durch die planmäßige Zusammenfassung aller Einzelleistungen zu einer Gesamtleistung wird die Anhäufung von Zellen und Zellstrukturen, die den Körper der Pflanzen und der Tiere bilden, zu einem O r g a n i s m u s . Eine der großen Aufgaben der Physiologie liegt in der Erforschung der Einrichtungen, durch welche die Zusammenarbeit der einzelnen Teile eines Organismus erreicht wird. Wenn die Funktionen der verschiedenen Organe aufeinander abgestimmt werden sollen, so müssen Vorrichtungen vorhanden sein, durch welche sie aufeinander einwirken können, denn nur so ist eine Koordination ihrer Leistungen überhaupt denkbar. Wir kennen im wesentlichen zwei Mittel, durch welche die Tätigkeit der Zellen und der Organe gelenkt und koordiniert werden können: 1. durch die Produktion von W i r k s t o f f e n , welche die Zellfunktionen in bestimmter Weise beeinflussen und die durch Diffusion oder Konvektion vom Ort ihrer Entstehung nach dem Ort ihrer Wirkung transportiert werden. Man nennt solche Stoffe gewöhnlich Hormone. Wir können in diesem Fall von chemischer R e g u l a t i o n oder chemischer S t e u e r u n g sprechen. 2. durch E r r e g u n g s l e i t u n g ; das ist die Fortpflanzung einer bestimmten (hier nicht näher zu definierenden) Zustandsänderung (also kein Stofftransport!) entweder im undifferenzierten Protoplasma, meist aber in besonderen Leitungsbahnen, den Nerven. Wir sprechen im letzteren Fall von nervöser R e g u l a t i o n . Siebenundzwanzigstes Kapitel

Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes Auf der einen Seite ist jede Zelle ein Einzelwesen mit seinen besonderen Eigenschaften, seinen speziellen Funktionen und seinem eigenen Lebenscyklus; andererseits aber sind bei den vielzelligen Organismen die meisten Zellen als Strukturbestandteile in die Gewebe eingefügt. Das individuelle Leben der einzelnen Zelle ist dadurch den Funktionen des Gewebes untergeordnet, dem sie angehört, und in vielen Fällen ist die Abhängigkeit der Einzelzellen vom Gewebe so eng geworden, daß sie außerhalb des Zellverbandes überhaupt nicht mehr oder nur für sehr beschränkte Zeit leben können. Es müssen also innerhalb der Gewebe ganz besondere Milieubedingtingen bestehen, und es muß eine ständige Wechselwirkung zwischen den Zellen angenommen werden. Wo Zellen zu einem Verband zusammengeschlossen sind oder in einem gemeinsamen Milieu leben, tauschen sie notwendigerweise durch Diffusion Stoffe aus; es kann sich dabei um Nährstoffe, allgemeine

Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes

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Zwischen- und Endprodukte des Zellstoffwechsels oder auch um spezifische Produkte bestimmter Zellen handeln. Es ist im einzelnen oft schwer festzustellen, welche Wirkungen die von einer Zelle produzierten Substanzen auf die Nachbarzellen ausüben; aber es ist sicher, daß die Abgabe von Wirkstoffen von einer Zelle an die andere ein wichtiges Mittel für die Regulation und Koordination der Funktionen innerhalb jedes Zellverbandes ist. Wir finden aber bei den niedrigen einzelligen Organismen auch schon Erscheinungen, die auf Reizleitung im Protoplasma hindeuten. Dazu gehört z.r B. die Fortbewegung durch Geißeln (Cilien), wie sie bei vielen Mikroorganismen (Bakterien, Flagellaten) zu beobachten ist. Die Bewegung der einzelnen Geißel, insbesondere aber die gerichtete Fortbewegung der Zelle durch das koordinierte Schlagen vieler Geißeln ist nur bei Annahme einer Fortleitung von Reizen im Protoplasma verständlich. Auch bei den höheren Tieren, die bereits über besondere Apparate zur Reizleitung verfügen, kommt die Weiterleitung von Reizen im undifferenzierten Protoplasma noch vor, so z. B. bei den Flimmerepithelien, bei denen der Reiz, der die Cilien zum Schlagen veranlaßt, von einer Zelle zur anderen überspringt. Ebenso kann im Herzen bekanntlich die Muskulatur der Vorhöfe Reize nach dem As c hoffTawaraschen Knoten weiterleiten, ohne daß in ihr ein besonderer Reizleitungsapparat zu erkennen wäre. Im allgemeinen wird aber im Tierreich schon bei den auf niedriger Entwicklungsstufe stehenden Formen die Reizleitung von besonders spezialisierten Zellen, den Nervenzellen, besorgt, und man kann sagen, daß mit der aufsteigenden Entwicklung von den niedrigen zu den höheren Formen die nervöse Regulierung immer mehr an Bedeutung gewinnt. Wahrscheinlich sind die Reizbarkeit und die Fähigkeit zur Weiterleitung von Reizen eine Grundeigenschaft des Protoplasmas. Sie sind aber im Lauf der Entwicklung von der Nervenzelle in besonderer Weise ausgebildet worden. Ein weites Gebiet ist der chemischen Steuerung bei den Entwicklungs- und Wachstumsvorgängen eingeräumt. Nervöse Regulation setzt bereits das Bestehen bestimmter Strukturen, nämlich des Nervensystems und der nervös gesteuerten Apparate, voraus. Es ist daher von vornherein anzunehmen, daß bei der Entstehung der Organismen aus der Eizelle chemische Einflüsse, die von Zelle zu Zelle wirken, eine wesentliche Rolle spielen. Die Entwicklungsphysiologie liefert uns dafür viele Beispiele. Die Bildung eines vielzelligen Organismus aus der Eizelle stellt allerdings eine der am schwersten verständlichen Leistungen der lebenden Substanz dar, wie denn das Problem der Formbildung überhaupt eines der schwierigsten und unzugänglichsten der Biologie ist. Es genügt nicht, daß die Zellen sich irgendwie teilen und vermehren. Wenn bestimmte Formen zustande kommen sollen, müssen die Folge der Zellteilungen und das Wachstum räumüch und zeitlich streng geregelt sein. Dies setzt mit hoher Präzision arbeitende Steuerungsvorgänge voraus. Die Zellteilung und die Neubildung von Geweben hört aber auch mit dem Abschluß des Wachstums nicht auf. Nach Schädigungen kann zerstörtes Gewebe in vielen Fällen wieder ersetzt werden (wobei allerdings die einzelnen Tierarten und Gewebe große Unterschiede der Regenerationsfähigkeit zeigen). Viele Gewebe sind überhaupt einer beständigen Erneuerung unterworfen, so der Knochen, die blutbildenden Gewebe, die Epithelien der Schleimhäute u. a. m. Der gesamte Zellbestand der Organe bleibt nach Abschluß des Wachstums im großen und ganzen konstant und ebenso bleibt ihre Form erhalten. Wenn eine Erneuerung der Gewebe im Rahmen der bestehenden Formen stattfinden soll, so müssen regulatorische Kräfte am Werk

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Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes

sein, welche die Erhaltung der Gewebsarcbitektur gewährleisten. Wäre dies nicht der Fall, so müßten die Zellen sich regellos und unbegrenzt vermehren und das Gewebe würde daher allmählich desorganisiert. Man kann z. B. die bösartigen Geschwülste als Gewebe betrachten, bei denen diese Lenkung des Wachstums in Wegfall gekommen ist (und zwar in diesem besonderen Fall durch eine Entartung der Zellen). In diesem Zusammenhang sind die Beobachtungen von großem Interesse, die man bei der Gewebszüchtung in vitro gemacht hat. Es gelingt bekanntlich, viele Gewebe außerhalb des Körpers am Leben zu erhalten und wachsen zu lassen (Carrel); am besten eignen sich dazu embryonale Organe, die gewöhnlich in einer Mischung von Blutplasma und Embryonalextrakt gehalten werden. Bei der Züchtung in vitro bleiben aber die Gewebe meistens nicht in ihrem ursprünglichen Aufbau erhalten, sondern es tritt eine weitgehende Desorganisation ein. Die unter den Kulturbedingungen lebensfähigen Zellen beginnen aus dem Verband auszuwachsen und zu wuchern. Sie verlieren dabei ihre besonderen morphologischen Eigenschaften („Entdifferenzierung"). Man muß also annehmen, daß in solchen Gewebskulturen die im intakten Organismus tätigen, regulierenden Kräfte fehlen, ohne deren Wirksamkeit nur regellose Zellhaufen, nicht aber Organe mit bestimmter Struktur und Differenzierung der Zellen entstehen können. Offenbar spielt für die normale Entwicklung des Gewebes und die Differenzierung der Zellen der Umstand eine entscheidende Rolle, daß im Verband jede einzelne Zelle von anderen umgeben ist, mit denen sie in Wechselwirkung steht. Es gelingt unter geeigneten Bedingungen aber auch, die verschiedenartigsten embryonalen Gewebe in vitro zur geordneten Entwicklung und Differenzierung zu bringen. Man kann z. B. die knorpeligen Skelettanlagen von Hühner- und Rattenembryonen in vitro kultivieren. Sie entwickeln sich unter geeigneten Bedingungen in normaler Weise, und es kann zur Verknöcherung kommen. Hier handelt es sich nicht nur um eine Histogenese in vitro, sondern um eine eigentliche Organogenese. Ahnliche Erfahrungen wurden auch mit vielen anderen Geweben gemacht (Skelettmuskel, Herzmuskel, glatte Muskulatur, Metanephros von Hühnerembryonen, Rudimente des embryonalen Darmtrakts u. a. m.). Geordnetes und ungeordnetes Wachstum können in der gleichen Kultur nebeneinander beobachtet werden, und zwar entwickeln sich die ungestörten inneren Partien des Gewebes in geordneter Weise, während in der Randzone, in welcher bei der Präparation das Gewebe verletzt wurde und in welcher die Zellen in unmittelbarem Kontakt mit dem Kulturmedium stehen, die oben geschilderten ungeordneten Wachstumsvorgänge einsetzen. Diese Beobachtung zeigt deutlich, daß offenbar der gegenseitige Kontakt der Zellen für die normale Histogenese von großer Bedeutung ist. Wahrscheinlich sind die meisten Zellen nur innerhalb des Zellverbandes, dem sie natürlicherweise angehören, in der ihnen völlig adäquaten Situation, in welcher sie nicht nur die nötigen Lebensbedingungen vorfinden, sondern in der sie auch von den regulatorischen Einwirkungen, von denen die Histogenese abhängt, in geeigneter Weise getroffen werden. Bei der Kultur von Drüsengewebe in vitro hat man beobachtet, daß die Epithelien sieh nur dann entwickeln können, wenn gleichzeitig Bindegewebe vorhanden ist, und daß umgekehrt die hemmungslose Wucherung der Bindegewebszellen aufhört, wenn Epithelzellen vorhanden sind (Chlopin, Erdmann). Es muß also zwischen den beiden Zellarten eine Wechselwirkung stattfinden.

Es handelt sich hier um äußerst verwickelte Beziehungen, die wir in ihrer Gesamtheit nicht zu übersehen vermögen. W i r m ü s s e n a b e r a n n e h m e n , d a ß b e i d e r Lenkung der Wachstums- und Entwicklungsvorgänge neben der mechanischen Einwirkung benachbarter Strukturelemente und den allgemeinen physikalischen und chemischen Milieubedingungen (Temperatur, pH-Wert, Elektrolytgehalt) spezifische chemische Wirk u n g e n i m S p i e l s i n d . Anders wäre das organisierte Wachstum und die Differenzierung der Zellen gar nicht denkbar. Die Entwicklungsphysiologie der Pflanzen

Die pflanzlichen Wuchsstoffe

601

u n d der Tiere kennt eine große Zahl v o n Tatsachen, die eine ehemische Steuerung der Wachstums Vorgänge beweisen oder zum mindesten wahrscheinlich machen. Wachstum und Entwicklung hängen sowohl v o n den den Zellen innewohnenden Potenzen als auch v o n äußeren Einwirkungen ab. E s i s t aber i m einzelnen Fall meist schwer zu entscheiden, in welcher Weise innere und äußere Faktoren an einem bestimmten Vorgang beteiligt sind. Sicher ist, daß Milieufaktoren bei allen Wachstums- und Entwicklungsvorgängen eine große Rolle spielen. Die erste Voraussetzung ist natürlich eine genügende Versorgung der Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen. D i e Tatsache, daß die Gewebe i n vitro nur bei Gegenwart v o n sehr komplexen Gemischen wie Embryonalextrakten und Blutplasma gezüchtet werden können, deutet darauf hin, daß neben den gewöhnlichen Bau- und Betriebsstoffen offenbar noch spezifisch wirkende Substanzen vorhanden sein müssen. W i e eine Reihe v o n Beobachtungen zeigt, hängt aber nicht nur das Wachstum der Gewebe, d. h. die Vermehrung der Zellen, sondern auch ihre Differenzierung v o n äußeren Faktoren ab. In dieser Hinsicht sind z. B. die oben bereits erwähnten Versuche über die Entwicklung von Skelettanlagen in vitro von großem Interesse. Der Eintritt der Verknöcherung hängt näiplich vom Alter der Embryonen ab, aus welchen die zur Herstellung der Nährflüssigkeit benötigten Extrakte gewonnen wurden (Verdam). Wurden z. B. Fragmente der Tibia von 7 Tage alten Hühnerembryonen in einem Medium kultiviert, das Extrakt aus gleichaltrigen Embryonen enthielt, so trat keine Verknöcherimg ein; wohl aber wurde Knochensubstanz gebildet, wenn Extrakte von 13-tägigen Embryonen verwendet wurden. Metacarpalanlagen von Rattenembryonen verloren in einem Milieu, welches Preßsaft aus jüngeren Embryonen enthielt, durch Rüekdifferenzierung ihre histologische Struktur vollständig; bei Verwendung von Extrakten gleichaltriger Föten blieb das Gewebe unverändert, während mit Extrakten aus älteren Föten der normale Verknöcherungsprozeß einsetzte. Man muß aus solchen Beobachtungen schließen, daß der Eintritt bestimmter Entwicklungsprozesse von chemischen Milieufaktoren abhängig ist, sei es, daß der Anstoß zur Entwicklung von im Milieu vorhandenen Wirkstoffen ausgeht, sei es, daß die den Zellen selbst innewohnenden Entwicklungspotenzen nur bei Gegenwart bestimmter Stoffe im Milieu wirksam werden können. Wir besprechen i m folgenden zwei Beispiele etwas genauer, bei denen die chemische Lenkung der Vorgänge unzweifelhaft feststeht. 1. Die pflanzlichen Wuchsstoffe Aus dem Gebiete der Pflanzenphysiologie sei hier an die Wuchsstoffe (Auxine) erinnert, Stoffe, die das Streckungswachstum der Pflanzenzellen auslösen. (Bei der Streckung der Pflanzenzellen dehnt sich die Zellmembran; es kommt, da sich die Plasmahaut der Membran beständig anschmiegt, zu einer Vergrößerung der Vakuole, aber nicht zu einer Vermehrung der Protoplasmamenge. Der Vorgang muß streng vom Wachstum durch Zellteilung unterschieden werden.) Die Wirkungsweise der pflanzlichen Wuchsstoffe ist in ingeniösen Versuchen vor allem durch den Botaniker W e n t und seine Schüler aufgeklärt worden. Als Versuchsobjekt diente hauptsächlich die Koleoptile des Hafers. (Die Koleoptile ist das erste röhrenförmige Deckblatt des Keimlings der Gräser.) Folgendes sind die Grundversuche: Schneidet man der Koleoptile die Spitze ab, so hört das Wachstum auf. Setzt man die abgeschnittene Spitze wieder auf die Schnittfläche auf, so beginnt die Koleoptile wieder zu wachsen; legt man aber zwischen Spitze und Stumpf ein Blättchen Staniol, so tritt keine Reaktion ein. Es muß also in der Spitze (im Vegetationspunkt) ein Stoff gebildet werden, der basalwärts transportiert wird und die Zellen in der unterhalb der Spitze gelegenen Zone zur Streckung veranlaßt. Dies kann in eleganter Weise dadurch bewiesen werden, daß man die abgeschnittene Koleoptilenspitze auf kleine Agarklötzchen aufsetzt. Der Wuchsstoff diffundiert in den Agar hinein. Setzt man darauf an Stelle der abgeschnittenen Spitze das Agarklötzchen auf die Schnittfläche auf, so tritt die Wachstumsreaktion ein. (Es handelt sich um einen a k t i v e n , einseitig gerichteten Transport, nicht um bloße Diffusion.) Werden die Agarklötzchen einseitig auf die Schnittfläche aufgesetzt (so daß also nur die halbe Schnittfläche bedeckt wird), so erhält die eine Seite der Koleoptile mehr Wuchsstoff als die andere; sie wächst schneller und die Koleoptile krümmt sich (vgl. Abb. 55). Es hat sich gezeigt, daß innerhalb gewisser Grenzen der Ablenkungswinkel der im Agar enthaltenen Wuchsstoffmenge

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Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes

proportional ist. Auf diese Weise ließ sich ein Test für die quantitative Bestimmung des Wuchsstoffes (in •willkürlichen Einheiten) ausarbeiten, welcher die Grundlage für dessen chemische Isolierung darstellte. Auf Grund der obigen Beobachtungen ließ sich vermuten, A B C daß die bekannten Krümmungsreaktionen der Pflanzenteile auf Licht oder Schwerkraft, die phototropische und die geotropische Krümmung, durch ungleiche Verteilung des Wuchsstoffes zu erklären sind. Dies hat sich in vollem Umfang bestätigt. Wird C—CH H 3 C-CH 2 .CH/ |

AH,

H

Der Wuchsstoff der Haferkoleoptile scheint ein solches C 18 -Auxin zu sein. Aus dem Urin wurde noch eine weitere wirksame Substanz isoliert, die sich mit der ^ - I n d o l y l e s s i g s ä u r e identisch erwies (sog. H e t e r o a u x i n ) : C—CH,—COOH NH Die Indolylessigsäure kann leicht durch oxydative Desaminierung und Decarboxylierung aus dem Tryptophan entstehen: C—CHa—CH—COOH II I x C NH, 2

/''S C—CH2—COOH II . ITTT , . I i ,C + NH 3 + C0 2 NH " NH Sie scheint als Wuchsstoff bei Pflanzen weit verbreitet zu sein. +

O ,

n

r

2. Die entwieklungsmechanische Induktion als Beispiel chemischer Steuerung Aus der tierischen Entwicklungsphysiologie seien als Beispiele für die chemische Steuerung der Wachstumsprozesse die Vorgänge bei der Ausbildung des Amphibienkeims erwähnt. Wir können hier nur wenige Hinweise geben und müssen für alle Einzelheiten auf die ausführlichen Darstellungen in den Lehrbüchern der Entwicklungsmechanik und Embryologie verweisen. Es hat sich gezeigt, daß die Formbildungsprozesse, die zur Anlage der Organsysteme führen, weitgehend von chemischen Faktoren abhängig sind und auf chemischem Wege gelenkt werden. In der Gastrula der Urodelen (Molch, Axolotl) geht der Anstoß für die Entwicklung der Medullarplatte im äußeren Keimblatt von einem bestimmten Bezirk des anliegenden inneren Keimblattes aus. S p e m a n n hat dieses Gewebe, welches das Dach des Urdarms bildet, daher als „Organisator" ') Vgl. Ztschr. physiol. Chem. 216, 31 (1933); 220, 137, 162 (1933); 225, 215 (1934); 227, 51 (1934).

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Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes

bezeichnet. Wir wissen heute, daß es sich um eine s t o f f l i c h e Wirkung handelt, die durch direkten Kontakt der Gewebe zustande kommt. Die aus dem Organisator in das Ektoderm eindringenden Substanzen rufen dort eine nicht näher definierbare Zustandsänderung hervor, die das bisher nicht differenzierte Gewebe zur Bildung bestimmter Organanlagen befähigt. Der Vorgang wird als „Induktion", die wirksamen Stoffe werden als „Induktoren" bezeichnet. Der Grundversuch, welcher die stoffliche Natur der Induktionswirkung beweist, kann in folgender Weise durchgeführt werden: Ein Stückchen des induzierenden Gewebes wird einem Keim entnommen und in die Höhle einer jungen Gastrula eingeführt. Bei der Einstülpung des Urdarms kommt das implantierte Gewebe gewöhnlich unter eine Stelle des äußeren Keimblattes (Ektoderm) zu liegen, die normalerweise zur Bauchseite des Embryos wird. Nun aber induziert das fremde Gewebe im darüberliegenden Ektoderm die Entwicklung einer zweiten Medullarplatte, aus der je nach der Herkunft des implantierten Gewebes sich verschiedene Teile eines Embryos bilden können. Im Versuch, der in Abb. 58 schematisch dargestellt ist (nach Mangold), führte die Übertragung eines Stückes Urdarmdach zur Entwicklung eines kopfartigen Gebildes mit Auge, Gehörbläschen usw. Wesentlich für das Zustandekommen der Induktion ist die Unterlagerung und der innige Kontakt der präsumptiven Medullarplatte mit dem Organisatorgewebe.

Abb. 58 (nach Mangold). T r a n s p l a n t a t i o n e i n e s S t ü c k c h e n s U r d a r m d a c h aus d e r N e u r u l a des A x o l o t l s in eine G a s t r u l a des W a s s e r m o l c h s . Oben links: Neurula des Spenders. Ein Lappen der Medullarplatte ist zurückgeklappt; aus dem darunter liegenden Urdarmdach wird ein Stück entnommen und in die Gastrula des Wirts eingeführt (oben links). Bei der Einstülpung des Urdarms kommt das transplantierte Gewebsstück an die angezeichnete Stelle zu liegen. Die Pfeile deuten den Übertritt des Induktors in das anliegende Ektoderm an. Unten: Larve, 13 Tage nach der Operation. Auf der Bauchseite ist ein kopfartiges Gebilde induziert worden. Ähnliche Effekte lassen sich aber auch mit Geweben erzielen, die durch Behandlung mit Alkohol oder Erhitzen abgetötet worden sind. Auch ist die Fähigkeit zur Induktion nicht nur auf das Gewebe des Organisators beschränkt; man hat mit allen möglichen Organen verschiedener Tierarten Induktionswirkungen erhalten. Statt der intakten Gewebe kann man vielfach auch Organbrei oder Extrakte verwenden. Die Suche nach den wirksamen Substanzen hat zu dem merkwürdigen Ergebnis geführt, daß die Fähigkeit zur Induktion den verschiedenartigsten Stoffen zukommt; so haben sich Nucleoproteide, lipoidlösliche Stoffe, vor allem gewisse Sterine, alle möglichen Säuren und sogar synthetische organische Körper als wirksam erwiesen. Zu den letzteren gehören neben Farbstoffen wie Methylenblau auch gewisse polycyklische Kohlenwasserstoffe, die krebserregende Eigenschaften besitzen (Methylcholanthren, Benzpyren). Nicht alle diese Induktoren wirken gleichartig. Die Gebilde, die sie hervorbringen, zeigen sehr verschiedene Ausbildungsgrade. Durch Implantation genügend großer Stücke des natürlichen Organisatorgewebes können sehr gut ausgebildete Embryonalanlagen induziert werden. Abgetötete Gewebe, Gewebsextrakte oder chemische Substanzen bringen dagegen Gebilde hervor, die zwar hoch organisiert sein können und gut erkennbare Organanlagen (Gehirnteile, Augen, Hörbläschen, Chorda, Muskeln) enthalten, aber in bezug auf Anordnung und Ausbildung der Teile starke Defekte aufweisen. Es wird durch solche Induktoren wohl eine Entwicklung ausgelöst, aber es fehlen die ordnenden Kräfte, welche die Bildung der Embryonalanlage unter

Chemische und nervöse Steuerung

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natürlichen Bedingungen leiten. Auch hier zeigt sich deutlich die Rolle der wirksamen Stoffe als bloße W e r k z e u g e formbildender Kräfte. Diese letzteren lassen sich heute in keiner Weise chemisch oder physikalisch fassen. Wir müssen irgendeine innere Organisation des Organisatorgewebes selbst und eine Reaktionsbereitschaft des Ektoderms voraussetzen, ohne angeben zu können, worin diese bestehen. Die Induktoren sind nur die stofflichen Träger von Entwicklungsimpulsen, die zu bestimmter Zeit und an bestimmter Stelle von einem Gewebe an das andere weitergegeben werden. Erfolgen diese Impulse unkoordiniert, wie dies bei den künstlichen Induktionen immer der Fall ist, so ist das Resultat eine Mißbildung. Die große Mannigfaltigkeit der Stoffe mit Induktionswirkung erweckt zunächst den Anschein, daß es sich um einen sehr wenig spezifischen Vorgang handelt. Verschiedene Forscher haben denn auch einen einfachen Säurereiz als Ursache der Induktion angenommen; tatsächlich finden sich unter den wirksamen Stoffen viele Satiren. Andererseits zeigt sich aber in der Leistung vieler Induktoren eine ausgesprochene Spezifität in bezug auf die hervorgebrachten Organanlagen. Bestimmte Induktoren bringen z. B. hauptsächlich die Anlagen der Kopfregion hervor (Gehirn, Augen, Hörbläschen), während andere vorwiegend die Organe des Rumpfgebietes, Chorda, Muskulatur, entstehen lassen. Solche Tatsachen sind mit der Annahme einer unspezifischen Reizwirkung nur schwer vereinbar. Bei der Induktionswirkung von Geweben scheint deren Gehalt an Ribosenucleinsäure eine große Rolle zu spielen. Wird die Nucleinsäure durch Vorbehandeln mit der spezifischen Nuclease zerstört, so geht ihre Aktivität vollständig verloren ( B r ä c h e t ) . Isolierte Nucleinsäuren und Nucleoproteide sind gute Induktoren. Verschiedene Beobachtungen sprechen aber dafür, daß die Wirkung eher Abbauprodukten als den Nucleinsäuren selbst zuzuschreiben ist. Werden nämlich die Gewebsstückchen vor der Implantation in Agar eingehüllt, so bleibt die Induktion aus. Wahrscheinlich müssen die Nucleinsäuren des implantierten Gewebes durch Fermente des Wirtes löslich gemacht werden, ehe sie zur Wirkung gelangen. Durch die Agarhülle wird das Eindringen der Fermente verhindert. Man kann auch histologisch direkt nachweisen, daß die Nucleinsäuren im implantierten Gewebe verschwinden. Die große Verschiedenartigkeit der Substanzen, welche Induktionswirkungen hervorzubringen imstande sind, legt aber die Vermutung nahe, daß sehr viele unter ihnen gar nicht direkt wirken, sondern durch irgendeine Reaktion mit dem Gewebe des Wirtes die eigentlichen, spezifisch wirksamen Substanzen erst freisetzen. Es kann sich dabei um eine Schädigung ven Zellen handeln, die zu ihrem Zerfall (Cytolyse) und zur Bildung von Stoffen führt,welche die Entwicklungsvorgänge in den reaktionsbereiten Zellen des äußeren Keimblattes in Gang setzen. Verschiedene Forscher nehmen an, daß solche Stoffe in Form inaktiver Komplexe in den Zellen des Ektoderms selbst vorhanden sind und daraus durch die Wirkung der Induktoren abgespalten werden ( W a d d i n g t o n , N e e d h a m , B r ä c h e t ) . Auf Grund der Beobachtungen über das Verhalten der Nucleinsäuren könnte man auch annehmen, daß zwischen Ektoderm und Organisatorgewebe eine Wechselwirkung in dem Sinne stattfindet, daß Fermente des Ektoderms in die darunterliegenden Zellen des Organisators eindringen und dort diffusible Substanzen bilden, die nun als eigentliche Induktoren auf das Ektoderm zurückwirken. Alle diese Vorstellungen sind vorläufig Hypothesen. Wir wissen nur, daß die entwicklungsmechanische Induktion ein c h e m i s c h e r V o r g a n g ist. Die Natur der sich abspielenden Reaktionen ist aber noch völlig unbekannt.

Achtundzwanzigstes Kapitel

Innere Sekretion und Hormone 1. Chemische und nervöse Steuerung Die Absonderung von Stoffen, welche die Funktionen anderer Zellen in bestimmter Weise verändern können, ist wohl das einfachste Mittel zur Lenkung physiologischer Vorgänge. Es ist nicht nur innerhalb von einfachen Zellverbänden wirksam, sondern kann auf den höheren Stufen der Organisation auch dazu dienen, weit entfernte Zellen zu verbinden. Hier übernimmt der Blutstrom den Transport der Wirkstoffe. Zwischen die Zelle, die den Stoff produziert, und die Zelle, in der er zur Wirkung gelangt, ist die Körperflüssigkeit eingeschaltet; an Stelle der reinen Diffusion tritt die sehr viel raschere Konvektion durch den Blutstrom. Man spricht daher von h u m o r a l e r Übertragung der Stoffe und von h u m o r a l e r R e g u l a t i o n .

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Innere Sekretion und Hormone

Für die meisten animalen Funktionen — Tätigkeit der Sinnesorgane und des Bewegungsapparates — u n d für viele vegetativen Funktionen würde aber die humorale Regulation viel zu langsam arbeiten. Sie zeigt noch weitere Besonderheiten, welche sie für viele Zwecke ungeeignet machen. Durch einen Stoff, der in den Körpersäften kreist, werden alle gleichartigen Zellen in gleicher Weise beeinflußt. Eine selektive Reizung einzelner Elemente unter vielen gleichartigen (z. B. einzelner Fasern eines Muskels) ist auf diesem Wege nicht möglich. Dafür kommt nur ein Übertragungsmechanismus in Frage, bei welchem das wirkende Agens — sei es chemischer oder physikalischer Natur — auf einer vorgezeichneten Bahn geleitet wird. Beide Forderungen, Schnelligkeit der Übertragung und Zielsicherheit, sind erst durch die Ausbildung der Nervenleitung verwirklicht worden. Es handelt sich bei der nervösen Übertragung von Impulsen im Grunde genommen ebenfalls um einen direkten Kontakt von Zelle zu Zelle wie im einfachen Zellverband, nur wird die Berührung durch eine besondere Zellart, das Neuron, vermittelt, deren lange Fortsätze beliebige Entfernungen überbrücken können. Die Einwirkung der einen Zelle auf die andere erfolgt aber nicht durch Transport eines Stoffes der Nervenbahn entlang (eines „Fluidums", wie die alten Physiologen annahmen), sondern es ist ein spezieller Übertragungsmechanismus ausgebildet worden, der, allgemein gesprochen, in einer Zustandsänderung an der Oberfläche der Nervenfaser besteht, die mit großer Geschwindigkeit die Faser entlang läuft. Dadurch ist der unter allen Umständen zu langsame Transport materieller Teilchen über weite Strecken vermieden. Die Übertragung des Nervenimpulses auf das Plasma der Zelle ist aber wieder ein chemischer Vorgang; denn an der Nervenendigung werden, wie wir heute wissen, Wirkstoffe freigesetzt, welche die spezifische Reaktion der Zelle auslösen (Kontraktion der Muskelfaser, Ausstoßung von Sekret aus der Drüsenzelle). Humorale und nervöse Einwirkung ergänzen sich in mancher Hinsicht. Ein im Blut gelöster Stoff erreicht alle Zellen des Organismus und kann daher eine generelle Wirkung entfalten, wie das z. B. bei vielen Stoffwechselhormonen der Fall ist. Eine Lokalisation auf bestimmte Territorien des Körpers ist nur insofern möglich, als der Wirkstoff ausschließlich an einer bestimmten Zellart angreift. So stimuliert z. B. das corticotrope Hormon der Hypophyse nur gewisse Zellen der Nebennierenrinde. An sich kann jeder Vorgang der humoralen Steuerung unterworfen werden, der überhaupt auf chemischem Weg beeinflußbar ist. Wir sehen denn auch, daß das wichtigste Gebiet der humoralen Regulation der Stoffwechsel und, eng damit zusammenhängend, die Entwicklungs- und Wachstumsvorgänge sind. Die humoralen Wirkungen können ferner nach ihrer Intensität abgestuft werden; je nachdem mehr oder weniger Wirkstoff ins Blut ausgeschüttet wird, ist die Wirkung schwach oder stark. Im Gegensatz zur humoralen Übertragung arbeitet die nervöse Verbindung sehr schnell. Die Wirkung des nervösen Impulses bleibt auf die Zellen beschränkt, die unmittelbar mit den Endigungen oder speziellen Endapparaten der Nervenfasern in Kontakt stehen. Die Präzision im Zusammenspiel der verschiedenen Organe ist n u r dadurch möglich, daß jedes einzelne Element des komplizierten Apparates gesondert durch nervöse Impulse gesteuert werden kann. Auf humoralem Wege wäre dies nie zu erreichen. Andererseits kann auf nervösem Weg immer nur eine einzige Reaktion der Zelle ausgelöst werden, z. B. die Kontraktion einer Muskelfaser, denn der Mechanismus, durch welchen der nervöse Impuls auf die reagierende Zelle (Effektor) übertragen wird, ist ein für allemal festgelegt (Freisetzung einer bestimmten „Üb erträgersubstanz"), während auf humoralem Weg beliebig viele verschiedenartigen Stoffe

Allgemeines über die Bedeutung der inneren Sekretion

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auf die Zelle einwirken und sie dementsprechend auf mannigfaltige Weise beeinflussen können. Auch kann die Intensität des einzelnen nervösen Impulses nicht variiert werden; sie ist nach dem Alles- oder Nichtsgesetz immer gleich. Eine nach der Stärke abgestufte Reaktion ist nur bei solchen Effektoren möglich, die aus vielen gleichartigen Elementen aufgebaut sind (z. B. Muskeln), so daß mehr oder weniger Elemente gereizt werden können. 2. Allgemeines über die Bedeutung der inneren Sekretion An sich ist jede Zelle befähigt, Stoffe ans Blut abzugeben, die in anderen Zellen bestimmte Wirkungen ausüben ; es kann sich dabei um einfache End- oder Zwischenprodukte des Intermediärstoffwechsels handeln. So steuert z. B. die Kohlensäure, die in jeder Zelle als Endprodukt der Oxydationsvorgänge entsteht, das Atmungszentrum im Sinne einer Steigerung der Atmungsgröße. Man kann auch noch einfachere Reaktionen anführen: Das C0 2 , das in die roten Blutkörperchen eindringt, bewirkt eine Erhöhung der Wasserstoffionenkonzentration ; damit wird die Affinität des Hämoglobins zum Sauerstoff vermindert. Die Abgabe des C0 2 ins Blut verbessert also automatisch die Sauerstoffversorgung der Zellen. Hier liegt ein sehr einfacher und übersichtlicher Fall chemischer Steuerung vor. Man bezeichnet die direkte Abgabe von Stoffen durch die Gewebe ans Blut als i n n e r e S e k r e t i o n . Der Begriff wurde von C l a u d e B e r n a r d aufgestellt, und zwar bei Betrachtung der Funktion der Leber : Als Drüse liefert die Leber ein Sekret, die Galle, das sich nach außen in den Darm ergießt; gleichzeitig aber gibt sie ins Blut die Glucose ab, die sie aus Glycogen oder durch Gluconeogenese aus Eiweiß bildet. Der Übertritt von Produkten der Zelltätigkeit ins Blut wurde von B e r n a r d als „sécrétion interne" bezeichnet. Nach dieser allgemeinen Definition zeigt jede Zelle innere Sekretion, die irgend ein spezifisches Produkt ihres Stoffwechsels an das Blut abgibt. Der Ausdruck wird heute aber meistens in einem eingeschränkten Sinn gebraucht. Es gibt im tierischen Körper eine Reihe von Organen oder Zellarten, deren Funktion gerade darin besteht, spezifische Wirkstoffe zu produzieren und an das Blut abzugeben. Man bezeichnet sie als i n n e r s e k r e t o r i s c h e (oder e n d o k r i n e ) Drüsen und beschränkt den Ausdruck „innere Sekretion" auf die Bildung und Ausschüttung der Wirkstoffe durch diese Organe. Es sind dies die folgenden: Hypophyse (Vorderlappen und Hinterlappen) Nebennieren (Mark und Rinde) Schilddrüse Nebenschilddrüsen ( = Epithelkörperchen) Langerhans sehe Inseln des Pankreas Zwischenzellen der Hoden Graafsche Follikel des Ovars Gelbkörper ( = Corpus luteum) Außer diesen Organen geben aber auch noch verschiedene andere Gewebe, die nicht als innersekretorische Drüsen spezialisiert sind, spezifische Wirkstoffe ans Blut ab, so die Darmschleimhaut, die Placenta und andere. Der Thymus wird heute nicht mehr als innersekretorische Drüse angesehen. Die spezifischen Produkte der innersekretorischen Organe heißen Hormone. Der Ausdruck wurde v o n B a y l i s s und S t a r l i n g eingeführt (ôp|idco, ich errege, treibe an),

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Innere Sekretion und Hormone

um Stoffe zu bezeichnen, die, wie das von ihnen entdeckte Sekretin, auf dem Blutweg andere Organe (im Falle des Sekretins das Pankreas) zur Tätigkeit anregen. Man hat die Hormone in anschaulicher Weise mit Sendboten verglichen („chemical messengers"), die ausgeschickt werden, um die Tätigkeit der Organe zu regulieren und zu koordinieren. Es gibt Hormone, die kontinuierlich, und solche, die nur zeitweise ins Blut ausgeschüttet werden. Wir haben bei der Besprechung des Kohlehydratstoffwechsels gesehen, daß z. B. das Insulin oder die Hormone der Nebennierenrinde beständig im Blut kreisen müssen, wenn die Vorgänge ihren normalen Verlauf nehmen sollen. Solche Hormone sind unentbehrliche Bestandteile des „milieu intérieur", in welchem die Zellen leben. Ihre Wirkung läßt sich der Tonisierung der Muskulatur durch die Nerven zur Seite stellen. I n ähnlicher Weise wie im Muskel durch fortdauernde nervöse Impulse ein gewisser Spannungszustand aufrecht erhalten wird, erhält die ständige Ausschüttung der Hormone die Erfolgsorgane in einem bestimmten Zustand der Tätigkeit, der beim Wegfall des Hormons zusammenbricht. Andere Hormone werden nur dann ans Blut abgegeben, wenn die besondere Situation es erfordert. Ein gutes Beispiel ist das Adrenalin (vgl. S. 319). Es greift unter normalen Bedingungen gar nicht in den Kohlehydratstoffwechsel ein, wird aber dann mobilisiert, wenn die Gefahr einer Hypoglykämie droht und eine zusätzliche Ausschüttung von Glucose ins Blut nötig ist. Hierher gehört auch das Sekretin (vgl. S. 472), das von der Duodenalschleimhaut erst dann in den Kreislauf geworfen wird, wenn sie mit dem Chymus in Kontakt kommt, wenn also die Sekretion des Pankreas einsetzen muß. Wir werden im folgenden sehen, daß verschiedene Hormone lebenswichtig sind, d. h. daß bei ihrem Ausfall unmittelbar -eine zum Tode führende Desorganisation der physiologischen Funktionen eintritt. Dazu gehören z. B. die Rindenhormone. Es gibt andere, deren Fehlen leichtere, oft nicht ohne weiteres erkennbare Störungen hervorruft, jedenfalls aber nicht sofort zum Tode führt. I m m e r a b e r w i r d d u r c h d a s F e h l e n eines H o r m o n s der K r e i s der ä u ß e r e n oder i n n e r e n Bedingungen v e r e n g t , i n n e r h a l b dessen der Organismus in normaler W e i s e f u n k t i o n i e r t , m. a. W., es w i r d d u r c h d a s F e h l e n e i n e s H o r m o n s i m m e r die A n p a s s u n g s f ä h i g k e i t des O r g a n i s m u s v e r m i n d e r t . Man kann z. B. Tiere, denen die Hypophyse entfernt worden ist, während längerer Zeit am Leben erhalten, wenn man sie gut füttert und sonst unter optimalen Bedingungen hält. Hunger führt aber rasch zur Hypoglykämie, die fatal ausgehen kann. Das hypophysenlose Tier ist also der Belastung des Organismus durch Hunger nicht mehr gewachsen. Wenn man den N. splanchnicus durchtrennt, so können die Nebennieren auf den durch die Hypoglykämie gesetzten Reiz nicht mehr mit Adrenalinausschüttung reagieren. Solche Tiere zeigen keine sichtbare Störung ihres Zuckerstoffwechsels mit Ausnahme einer erhöhten Empfindlichkeit gegen Insulin; ihre Insuffizienz tritt also nur unter ganz besonderen Umständen in Erscheinung. Die gesamte Anpassungsfähigkeit des Organismus hat eine viel geringere Einbuße erlitten, als dies bei Entfernung der Hypophyse der Fall ist.

Eine besondere Stellung nehmen die Sexualhormone ein. Sie haben zwar über die Sphäre der Fortpflanzungsvorgänge hinaus Einfluß auf die verschiedensten Funktionen, doch betrifft ihre Einwirkung keine für das Einzelindividuum unmittelbar lebenswichtigen Vorgänge. Ohne die Geschlechtshormone kann der einmal zur Entwicklung gelangte Organismus zwar sein individuelles Leben weiter führen, aber mit seinem Tod reißt die Folge der Generationen ab. Die Geschlechtshormone sind also für den Bestand der Art von unmittelbarer Bedeutung, nicht aber für den Bestand des einzelnen Individuums.

Die Schilddrüse. Chemie des Schilddrüsenhormons

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Was die c h e m i s c h e N a t u r d e r H o r m o n e betrifft, so finden wir unter ihnen Vertreter verschiedener Stoffklassen. Das Thyroxin der Schilddrüse ist eine Aminosäure; das Adrenalin leitet sich ebenfalls von einer Aminosäure, dem Tyrosin, ab. Zahlreich sind die Sterine vertreten: Sexualhormone und Nebennierenrindenhormone. Schließlich finden wir unter den Hormonen zahlreiche Eiweißkörper oder peptidartige Stoffe, so das Insulin und die sämtlichen Hypophysenhormone. Wir kennen zwar im großen und ganzen die physiologischen Effekte, welche durch die Hormone hervorgerufen werden, und die Folgen ihres Ausfalls, aber wir wissen noch sehr wenig über den Mechanismus ihrer Wirkungen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Hormone, wie dies für verschiedene Vitamine bewiesen ist, als Cofermente funktionieren, also aktive Bestandteile von Fermenten sind. Wir müssen eher annehmen, daß sie in komplexen Fermentsystemen einzelne Reaktionen fördern oder hemmen und dadurch Geschwindigkeit und Richtung des Reaktionsablaufs bestimmen. Als Illustration kann die (allerdings noch nicht restlos abgeklärte) Einwirkung der Hypophysenhormone und des Insulins auf die Hexokinasereaktion dienen (vgl. Zusammenfassung von Stadie, Physiol. Reviews 34, 52 (1954). Um die Bedeutung eines Hormons zu erfassen, müssen sowohl die Wirkungen seines Ausfalls wie auch seiner überschüssigen Zufuhr studiert werden. Störungen im Bereich der endokrinen Drüsen („Dysfunktion") können sich sowohl im einen wie im anderen Sinne auswirken („Hypofunktion" und „Hyperfunktion"). Die Hormone müssen im Rahmen der vegetativen Regulation betrachtet werden. Wir können im folgenden nur eine kurze Übersicht geben. Die Stoffwechselwirkungen gewisser Hormone (Insulin, Rindenhormone, Hypophysenhormone) sind teilweise schon in den vorangehenden Kapiteln besprochen worden. Wir müssen es uns auch versagen, auf die historische Entwicklung unserer Kenntnisse über die innere Sekretion näher einzugehen. Viele Krankheitserscheinungen, die auf Störungen der Funktion endokriner Drüsen beruhen, sind schon sehr lange bekannt. Aber erst die Entwicklung der experimentellen Methodik hat es erlaubt, ihre Natur aufzuklären. Die Lehre von den Funktionen der endokrinen Drüsen ist heute zu einer ausgedehnten Wissenschaft der Endokrinologie geworden, welche für alle Zweige der Medizin von größter Bedeutung ist. 3. Die Schilddrüse Bei der Schilddrüse kommen sowohl Zustände der Hypo- als auch der Hyperfunktion vor. Verschiedene Krankheitsbilder, die den Klinikern schon lange bekannt sind wie das Myxödem, der Kretinismus oder die sog. B a s e d o w s c h e Krankheit haben sich als Störungen der Schilddrüsenfimktion erwiesen. Was die Anatomie und Histologie der Schilddrüse betrifft, muß auf die einschlägigen Lehrbücher verwiesen werden. Die Epithelzellen geben ein Sekret, das sog. „Kolloid", in die Höhlung des Drüsenfollikels ab. Das Kolloid ist sehr wahrscheinlich eine Hormonreserve der Drüse, die bei Bedarf verwendet wird. Auf welche Weise das im Kolloid enthaltene Hormon schließlich in den Blutstrom gelangt, ist allerdings noch nicht geklärt. Sehr wahrscheinlich spielen dabei proteolytische Vorgänge eine Rolle. Die Schilddrüse ist ein außerordentlich gut durchblutetes Organ. Trotz ihrer geringen Größe wird sie pro Stunde von etwa 51 Blut durchströmt.

A. Chemie des Schilddrüsenhormons Die Schilddrüse ist chemisch durch ihren hohen Gehalt an Jod ausgezeichnet. Der gesamte Jodgehalt der normalen menschlichen Schilddrüse beträgt etwa 10 bis 15 mg, was pro g Trockengewicht etwa 2 mg Jod ausmacht. Das Drüsengewebe besitzt eine außerordentlich hohe Affinität zum Jod. Bei Zufuhr dieses Elements wird 39

E d l b a c h e r - L e u t h a r d t , Lehrbuch. 11.Aufl.

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Innere Sekretion und Hormone

der größte Teil in der Schilddrüse gespeichert; dies hat sich in neuerer Zeit in besonders eindrücklicher Weise durch Verwendung radioaktiver Jodisotope (gewöhnlich J(131>) bestätigen lassen. Man kann die Fähigkeit zur Jodspeicherung direkt als Charakteristikum der Schilddrüsenfunktion ansehen. An der Jodspeicherung gemessen beginnt die endokrine Funktion der Drüse beim menschlichen Fötus etwa in der 12. Woche. Auch das erste Auftreten von schilddrüsenähnlichem Gewebe in der phylogenetischen Entwicklung läßt sich auf diese Weise bestimmen. Jodspeichernde Gewebe sind durch Verwendung von Radiojod nur bei Cyklostomen und höheren Wirbeltieren, nicht aber beim Amphioxus nachgewiesen worden. Im Kolloid der Schilddrüse ist ein jodhaltiges Protein, das Thyreoglobulin, enthalten (auch Jodothyreoglobulin genannt). Der Körper wurde erstmals von O s w a l d (1899) durch Salzextraktion der Drüse gewonnen. K e n d a l i gelang es 1915, durch alkalische Hydrolyse der Drüsensubstanz einen kristallisierten jodhaltigen Körper zu isolieren, den er Thyroxin nannte. Der Jodgehalt beträgt 6 5 % . H a r i n g t o n und B a r g e r gelang die Synthese der Substanz. Es kommt ihr die folgende Formel zu: J

NH2 ^—CH2—¿H—COOH

3',5' - Dijod - 4 - Oxyphenyl—

3,5 - Dijod -Tyrosin

Biologische Aktivität kommt nur der linksdrehenden Form zu. Dieselbe wurde durch enzymatische Hydrolyse aus Thyreoglobulin gewonnen. Neben dem Thyroxin wurde auch noch das 3,5-Dijodtyrosin aus der Schilddrüse isoliert: J HOCH2—CH—COOH

J

Die dem Thyroxin zugrundeliegende jodfreie Aminosäure wird Thyronin genannt ; NH2 H O — C H

2

— ¿ H — C O O H

Ihre Struktur ist wesentlich für die biologische Wirkung des Thyroxins, wie die Untersuchung verschiedener synthetisch dargestellter Isomeren gezeigt hat. Bei Entfernung der Jodatome in Stellung 3' und 5' erhält man eine Verbindung, die zwar nur 1 / 20 so wirksam ist wie das Thyroxin, aber doch qualitativ die gleichen biologischen Wirkungen zeigt. Thyronin ist dagegen völlig inaktiv. I n hohen Dosen zeigt auch das dem Thyroxin entsprechende Tetrabromderivat (3',5',3,5-Tetrabromthyronin) eine schwache biologische Aktivität. In der Schilddrüse des Sehweines und des Rindes fallen 90—95% des Gesamtjods auf Thyroxin und Dijodtyrosin. Das Thyroxin macht etwa % des Gesamtjods aus. Neben den genannten Körpern kommen in der Schilddrüse noch MonojodtyTosin und weitere jodhaltige Verbindungen vor. Die eine dieser Substanzen, die durch Chromatographie auch im menschlichen Blut nachgewiesen worden ist, konnte kürzlich von Gross und P i t t R i v e r s als 3,5,3'-Trijodthyronin identifiziert werden1). Die Verbindung wurde synthetisch dargestellt. x

) Biochem. J. 53, 645, 652 (1953).

Chemie des Schilddrüsenhormons

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Von großer Bedeutung ist die Tatsache, daß die (wahrscheinlich mit der natürlichen Verbindung identische) L-Form biologisch etwa 5-mal a k t i v e r ist als das L-Thyroxin. Möglicherweise ist daher das Trijodthyronin der eigentliche Wirkstoff der Schilddrüse und das Thyroxin nur eine Vorstufe desselben. Wie oben bereits erwähnt, wird aus dem Kolloid der Schilddrüse das Hormon durch Proteolyse freigesetzt und diffundiert ins Blut, wo es wahrscheinlich locker an ein a-Globulin gebunden wird. Man nimmt heute allgemein an, daß das an Eiweiß gebundene Jod des Blutplasmas zum größten Teil Thyroxin ist. Es ist aber möglich, daß im Blut auch thyxoxinhaltige Peptide vorkommen1). Nach Injektion von Thyroxin treten gewisse Wirkungen erst nach einer Latenzzeit auf. Man kann dies dadurch erklären, daß Thyroxin erst in eine aktive Form übergehen muß, und hat an einen Einbau in Peptide gedacht. Nachdem aber das Trijodthyronin als die wirksamste Verbindung erkannt worden ist, muß auch die Möglichkeit erwogen werden, daß das Thyroxin erst durch Jodabspaltung in das Trijodderivat als den eigentlichen Wirkstoff übergehen muß. Man darf der Abklärung dieser Frage mit größtem Interesse entgegensehen. Es ist seit langem bekannt, daß Proteine (Eieralbumin, Casein) beim Behandeln mit Jod das Halogen fixieren und daß man aus diesen jodierten Eiweißkörpern Dijodtyrosin in guter Ausbeute isolieren kann (Oswald). Neuerdings ist es durch geeignete Wahl der Versuehsbedingungen für die Jodierung (37°, biearbonatalkalische Lösung) gelungen, Proteine zu erhalten, aus denen sich neben Dijodtyrosin Thyroxin isolieren läßt und die starke Schilddrüsenwirkung zeigen2). Dijodtyrosin liefert schon beim Stehen in leicht alkalischer Lösung, besonders bei Gegenwart von Oxydationsmitteln (z. B. H 2 0 2 ) kleine Mengen Thyroxin 3 ). Es ist daher anzunehmen, daß bei der Bildung von biologisch aktiven jodierten Proteinen zuerst die Tyrosinreste jodiert werden, worauf das gebildete Dijodtyrosin oxydativ in Thyroxin übergeführt wird. Die letztere Reaktion läßt sich wie folgt formulieren: J_

J

HO—^

+

HO—/

S—CH2-CH-COOH

CH,

/ HOOC—CH

NH, -2H

JiHo

CH2 • CH • COOH

0 =

CH,

J

NH.

J

NH2

HOOC—CH

HO

Ah 2 J V

0+ CH3CO-COOH + NH3

!) Vgl. Ann. Rev. Physiol. 14, 485 (1952). 2 ) Ludwig und v. Mutzenbecher, Ztschr. physiol. Chem. 258, 195 (1939). 3 ) Harington, und P i t t R i v e r s , Biochem. J . 39, 157 (1945).

Innere Sekretion und Hormone

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F ü r die primäre Bildung von Dijodtyrosin bei der Bildung aktiver Proteine spricht auch die Tatsache, daß die Produkte erst d a n n biologisch wirksam werden, wenn pro Tyrosinrest zwei Atome J o d aufgenommen worden sind. Diese Entstehungsweise des Thyroxins in vitro kann als Modellreaktion f ü r seine Bildung im Körper angesehen werden. Die Konzentration des anorganischen Jodids im Blut ist viel geringer als in der Schilddrüse. Das Jodid wird vom Drüsengewebe um das Mehrhundertfache angereichert. I n der Tat scheint in der Drüse ein Teil des Jods eine lockere Verbindung mit hochmolekularen Substanzen zu bilden, welche die Zellmembran nicht passieren kann. Das locker gebundene J o d k a n n zur Synthese des Thyroxins dienen. Wir können jedenfalls den Eintritt des Jods in die Drüsenzelle und sein weiteres Schicksal schematisch folgendermaßen darstellen (nach S a l t e r ) : Zellmembran Blutplasma, Gewebsflüssigkeit Jfreies Jodid

Drüsenzelle J~< freies Jodid

JJ~ ' J~ J~

Z ^ an Drüsensubatanz — gebundenes Jod z: (Fermentkomplex ?) nicht diffusibel

organisch gebundenes Jod (Dijodtyrosin, Thyroxin) Die Synthese des Thyroxins erfolgt über die Zwischenstufen des Monojodtyrosins und des Dijodtyrosins. Dies geht aus Versuchen mit Radio-jod (J