Lehrbuch der organischen Chemie: Band 1/ Teil 1 Kohlenwasserstoffe, Halogenverbindungen, Sauerstoffverbindungen 9783111442983, 9783111076591

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Lehrbuch der organischen Chemie: Band 1/ Teil 1 Kohlenwasserstoffe, Halogenverbindungen, Sauerstoffverbindungen
 9783111442983, 9783111076591

Table of contents :
Vorwort
Stoffeinteilung
Inhalt
Einführung in das Gesamtwerk
1. Kapitel. Die Grundlagen der organischen Chemie
Systematische organische Chemie
2. Kapitel. Die Kohlenwasserstoffe
3. Kapitel. Die organischen Halogen Verbindungen
4. Kapitel. Die organischen Sauerstoffverbindungen
5. Kapitel. Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül
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FRIEDRICH

KLAGES

Lehrbuch der organischen Chemie I, 1

LEHRBUCH DER ORGANISCHEN CHEMIE IN D R E I

BÄNDEN

VON

DR. F R I E D R I C H

KLAGES

Professor der organischen C h e m i e an der Universität M ü n c h e n

1 952

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. G u t t e n t a g , Verlagsbuchhandlung Georg R e i m e r • Karl J. T r ü b n e r • Veit & Comp.

BERLIN W 35

LEHRBUCH DER ORGANISCHEN CHEMIE I. B A N D S Y S T E M A T I S C H E O R G A N I S C H E CHEMIE 1. H Ä L F T E KOHLENWASSERSTOFFE • HALOGENVERBINDUNGEN SAUERSTOFF VERBINDUNGEN VON

M i t 12 A b b i l d u n g e n u n d 25 T a b e l l e n

1952

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung

Alle Rechte vorbehalten Copyright 1952 by Walter de Gruyter & Co. vormals G. J . Gö6chen'sche Verlagshandlung / J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung / Georg Eeimer / K a r l J . Trübner / Veit & Comp. Archiv-Nr. 52 94 52

Printed in Germany

S a t z : Walter de Gruyter & Co., Berlin W 3 5 Druck: Hermann W e n d t GmbH., Berlin W 35

Meinem hochverehrten Lehrer Herrn Geh. Regierangsrat, Prof. Dr. phil., Dr. ing. e. h., Dr. med. h. c., Dr. phil. h. c. HEINRICH

WIELAND

in Dankbarkeit zugeeignet

VII

Vorwort Die Entwicklung der organischen Chemie innerhalb der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts hat gegenüber der mehr praktisch eingestellten Forschungsrichtung der Vorperiode — bedingt durch den Zwang zum Ausbau des von K E K T T L E aufgestellten Systems der organischen Chemie -— insofern einen grundsätzlichen Wandel erfahren, als nunmehr wieder rein theoretische Fragen in den Vordergrund des Interesses gerückt sind, so insbesondere die Zusammenfassung des reichhaltigen in dieser Vorperiode aufgefundenen Tatsachenmaterials mit Hilfe moderner physikalischer Methoden zu einem geschlossenen theoretischen Gebäude der „Chemie des Kohlenstoffs". Dieser Entwicklung hat die Mehrzahl der organisch chemischen Lehrbücher, die immer noch, der Forschungsrichtung der Vorperiode entsprechend, im wesentlichen auf eine beschreibende Darstellung der einzelnen Verbindungsklassen und Verbindungen eingestellt ist, bisher nur unvollkommen zu folgen vermocht, so daß ein steigendes Bedürfnis entstanden ist, diese.allgemeinen Lehrbücher durch Werke rein theoretischen Inhalts zu ergänzen. Um diese Lücke in der chemischen Lehrbuchliteratur zu schließen, wurde in dem vorliegenden neuen „Lehrbuch der organischen Chemie" der Versuch unternommen, die moderne Forschungsrichtung auch im Rahmen eines allgemeinen Lehrbuchs schon ausführlich zu behandeln und dadurch dem Chemie-Studierenden in einem einzigen Werk ein neuzeitliches Gesamtbild seiner Wissenschaft zu geben. Insbesondere wurde Wert gelegt auf ein tieferes Verständnis für die zahlreichen Beziehungen und Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Verbindungen und Verbindungsklassen, die für den noch lernenden Chemiker häufig wichtiger sind als die Einzeltatsachen selbst. Dieser erweiterte Aufgabenbereich machte allerdings eine wesentliche Vergrößerung des bisher üblichen Lehrbuchumfanges und damit die Abfassung eines mehrbändigen Werkes, wie sie auch in den Nachbargebieten (anorganische Chemie, Physik, Mathematik) bereits vorliegen, erforderlich. Doch wurden Umfang und Stoffaufteilung der einzelnen Bände so abgewogen, daß eine über einen längeren Zeitraum gehende ratenweise Anschaffung des Gesamtwerkes ohne wesentliche Beeinträchtigung des Verständnisses möglich ist; denn das Lehrbuch soll ja nicht erst kurz vor dem Examen angeschafft werden, sondern den Studierenden während eines möglichst großen Teil seines Studiums begleiten. Auch hinsichtlich der Stoffeinteilung hat sich die Notwendigkeit einer grundlegenden Änderung gegenüber den bisherigen Gepflogenheiten ergeben. So ist es z. B.

VIII

Vorwort

heute nicht mehr möglich, theoretische Fragen, wie etwa die Mesomerielehre oder die Stereochemie, im Rahmen der üblichen Lehrbucheinteilung in eine aliphatische, eine aromatische und eine heterocyclische Reihe erschöpfend zu behandeln, da ihre Darstellung jeweils die Kenntnis sämtlicher Verbindungsklassen der organischen Chemie voraussetzt. Ebenso treten bei den organischen Farbstoffen, den verschiedenen Gruppen von Naturstoffen, der Biochemie usw. häufig Stoffe nebeneinander auf, die verschiedenen Verbindungsklassen angehören, also bei keiner dieser Verbindungsklassen gemeinsam behandelt werden können. Zur Umgehung dieser und ähnlicher Schwierigkeiten wurde daher das Prinzip der geschlossenen Darstellung des gesamten Materials aufgegeben und eine Unterteilung des Stoffes in die folgenden drei, voneinander mehr oder weniger unabhängigen Teile vorgenommen: 1. Die s y s t e m a t i s c h e o r g a n i s c h e Chemie (zwei Halbbände), in der die verschiedenen organisch-chemischen Verbindungsklassen vom Standpunkt der Chemie des Kohlenstoffs aus nebeneinander behandelt werden. Hier wurden im Gegensatz zu sämtlichen bisherigen Lehrbüchern erstmals die aliphatischen und aromatischen Verbindungen nicht mehr getrennt einander gegenübergestellt, sondern sowohl die Unterschiede als auch die zahlreichen Übergänge zwischen den gesättigten, ungesättigten und aromatischen Reihen für jede Verbindungsklasse besonders hervorgehoben. Ferner wurden die bisher stets bei den einzelnen Verbindungsklassen untergebrachten und daher über das ganze Gebiet verstreuten Reaktionen des Kohlenstoffgerüstes (Oxydation, Reduktion, Synthese und Abbau) am Schluß dieses Teils nochmals in einem eigenen Kapitel zusammengefaßt. 2. Die t h e o r e t i s c h e und a l l g e m e i n e o r g a n i s c h e C h e m i e , in der, nach Beschreibung der wichtigsten Einzeltatsachen im ersten Teil und unter Voraussetzung dieser Einzeltatsachen, die theoretischen Grundlagen des gesamten Gebietes von einer höheren Warte aus behandelt werden, und schließlich 3. Die S o n d e r g e b i e t e , die die mineralisch vorkommenden organischen Verbindungen, die organischen Farbstoffe, die Grundlagen der Chemie der hochmolekularen Stoffe, die verschiedenen Gruppen von Naturstoffen und die Grundlagen der Biochemie enthalten. Das Buch ist seiner ganzen Anlage nach in erster Linie für den fortgeschrittenen Chemie-Studierenden (nach dem Diplom-Vorexamen) bestimmt und enthält für ihn, sowie auch für den fertigen Chemiker, über den rein erlernbaren Stoff hinaus genügend (vielfach in Tabellen und Formelbildern übersichtlich geordnetes) Tatsachenmaterial, um sich über sämtliche wichtigeren Gebiete der organischen Chemie einen orientierenden Überblick zu verschaffen. Doch ist die ganze Darstellung, namentlich des ersten systematischen Teiles, so gehalten, daß das Buch auch von einem Anfanger mit den üblichen anorganisch-chemischen Vorkenntnissen gelesen werden kann. Ein derartig umfangreiches Werk, das die Grenzen dessen erreicht, was ein einzelner Autor heute noch zu überblicken vermag, kann natürlich nicht ohne Hilfe

Vorwort

IX

von außen fertiggestellt werden. Insbesondere habe ich von einer sehr großen Anzahl von Kollegen in und außerhalb von München, die ich unmöglich alle namentlich anführen kann, durch Anregungen, Ratschläge, Überlassung von Sonderdrucken und vor allem auch Begutachtung einzelner Kapitel wertvolle Unterstützung erfahren, für die ich an dieser Stelle nochmals meinen herzlichen Dank aussprechen möchte. Ferner danke ich meinen Mitarbeitern, Herrn Dr. K. M ö n k e m e y e r , sowie den Herren Dipl. ehem. R. H e i n l e , W. G r i l l , H. M e u r e s c h und W. M e s c h für ihre unermüdliche Hilfe beim Lesen der Korrekturen, sowie meiner lieben Frau für ihre Mitarbeit bei der Abfassung des Manuskripts. Die Hinweise auf einschlägige Stellen in den anderen Teilen des Buches erfolgen stets durch Angabe der Kapitel und Kapitelabschnitte (z. B. III, Kap. 4, IV, 2b), so daß sich gegebenenfalls auch bei voneinander unabhängigen Neuauflagen der einzelnen Bände keine Schwierigkeiten ergeben würden. Hierbei bedeuten die vorstehenden fetten römischen Zahlen I, II und III jeweils die oben angeführten drei Bände. Innerhalb der einzelnen Bände, sowie von der zweiten Hälfte der systematischen organischen Chemie zur ersten zurück, werden dagegen stets die Seiten zitiert. M ü n c h e n im Mai 1952 Friedrich Klages

X

Stoffeinteilung I. Band, erste Hälfte Einführung in das Gesaintwerk 1. Kapitel: Die Grundlagen der organischen Chemie Systematische organische Chemie 2. Kapitel: Die Kohlenwasserstoffe 3. Kapitel: Die organischen Halogenverbindungen 4. Kapitel: Die organischen Sauerstoffverbindungen (Oxy Verbindungen, Oxoverbindungen, Carbonsäuren, Kohlensäurederivate) 5. Kapitel: Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Punktionen im Molekül I. Band, zweite Hälfte 6. Kapitel: Die organischen Stickstoffverbindungen 7. Kapitel: Die organischen Schwefelverbindungen 8. Kapitel: Die organischen Verbindungen der übrigen Nichtmetalle 9. Kapitel: Die metallorganischen Verbindungen 10. Kapitel: Verbindungen mit anormalen Funktionen (Kohlenoxydderivate, freie Radikale, organische Verbindungen mit künstlichen Isotopengemischen) 11. Kapitel: Die cyclischen Verbindungen 12. Kapitel: Die Reaktionen am Kohlenstoffgerüst (Oxydation, Reduktion, Synthese, Abbau) II. Band 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel:

III. Band 1. Kapitel: 2. Kapitel: 3. Kapitel: 4. Kapitel: 5. Kapitel: 6. Kapitel:

Theoretische und allgemeine organische Chemie Die Geschichte der organischen Chemie Die physikalischen Hilfsmittel der organischen Chemie Die Bindungen und Bindungssysteme der organischen Chemie Die Reaktionen und Reaktionsmechanismen der organischen Chemie Tautomerieprobleme Die zwischenmolekularen Kräfte und Assoziationserscheinungen Die Stereo- oder Raumchemie Sondergebiete

Die mineralisch vorkommenden organischen Verbindungen Die organischen Farbstoffe Die Grundlagen der Chemie der hochmolekularen Verbindungen Die Zucker oder Kohlenhydrate Die Isoprenabkömmlinge Sonstige stickstoffreie organische Naturstoffe (Fette und verwandte Verbindungen, natürliche Phenolderivate) 7. Kapitel: Die stickstoffhaltigen organischen Naturstoffe (Eiweißstoffe, Purinderivate, Alkaloide) 8. Kapitel: Die Grundlagen der Biochemie.

XI

Inhalt I. Band, erste Hälfte E i n f ü h r u n g in d a s G e s a m t w e r k I. Kapitel. Die Grundlagen der organischen Chemie I. Die organische Chemie als Teil der Gesamtchemie 1. Gebietsabgrenzung 2. Die organische Chemie im Periodensystem der Elemente II. Der Molekälbegriff in der organischen Chemie 1. Grundlegende Definitionen 2. Die Isomerie 3. Tautomerie und Mesomerie 4. Die Stereo- oder Raumisomerie a) Die Spiegelbild-isomerie b) Die geometrische Isomerie 5. Nomenklaturfragen

Seite

3 3 3 4 7 7 9 10 11 12 16 17

III. Die Grundlagen der Elektronentheorie der Valenz 1. Der Atombau 2. Die Natur der chemischen Valenz 3. Die Neufassung des Wertigkeitsbegriffes a) Die Gesamtwertigkeit b) Die Bindigkeit c) Die oxydati ve Wertigkeit 4. Die Elektronenformeln

20 20 23 30 30 31 31 32

IV. Zeitreaktion und Katalyse 1. Die Aktivierungsenergie 2. Die Katalyse 3. Andere Möglichkeiten der Reaktionsbeschleunigung

38 38 39 43

V. Die Aufgaben und Ziele der organischen Chemie 1. Analyse und Konstitutionsermittlung a) Die Elementaranalyse b) Die Bestimmung funktioneller Gruppen c) Die Molekulargewichtsbestimmung d) Die Konstitutionsermittlung e) Die Konfigurationsermittlung 2. Die reine organische Chemie a) Die systematische organische Chemie b) Die theoretische und allgemeine organische Chemie c) Die Arbeitsmethoden der organischen Chemie 3. Die organische Chemie als Hilfswissenschaft f ü r andere Forschungszweige VI. Das organisch-chemische Schrifttum

44 44 44 46 47 49 52 52 52 53 53 54 55

XII

Inhalt Systematische organische Chemie Seite

2. Kapitel. Die Kohlenwasserstoffe I. Die gesättigten Kohlenwasserstoffe oder Paraffine 1. Grundlegende Definitionen 2. Vorkommen und Darstellung der Paraffine 3. Die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Paraffine • • 4. Einzel Verbindungen II. Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe 1. Grundlegende Definitionen 2. Kohlenwasserstoffe mit e i n e r Doppelbindung (Olefine) 3. Kohlenwasserstoffe mit mehreren Doppelbindungen (Poly-olefine) • • a) Kohlenwasserstoffe mit kumulierten Doppelbindungen (1,2-Di-ene) b) Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbindungen (1,3-Di-ene) c) Kohlenwasserstoffe mit isolierten Doppelbindungen 4. Die Acetylene oder Alkine I I I . Die aromatischen Kohlenwasserstoffe 1. Die Grundlagen der Benzolchemie 2. Das Benzol und seine Alkylderivate 3. Kohlenwasserstoffe mit mehreren, nicht kondensierten Benzolkernen a) Kohlenwasserstoffe mit direkt verbundenen Benzolkernen b) Die Polyphenylmethane c) Kohlenwasserstoffe mit größerem Abstand der Benzolkerne

• •

• • • • • •

• •

3. Kapitel. Die organischen Halogen Verbindungen I. Allgemeines II. Die aliphatischen Halogenverbindungen 1. Die Alkylhalogenide (Monohalogen-paraffine) 2. Die Halogen-olefine und Halogen-acetylene 3. Die Polyhalogenverbindungen a) Allgemeines b) Die Alkylen-dihalogenide c) Die Alkylidenhalogenide oder gem. Dihalogenparaffine d) Die gem. Trihalogenparaffine e) Verbindungen mit vier und mehr Halogenatomen im Molekül • • • • 4. Die aliphatischen Fluorverbindungen I I I . Die aromatischen Halogenverbindungen IV. Die organischen Verbindungen mit mehrwertigem J o d 4. Kapitel. Die organischen Sauerstoffverbindungen I. Die OxyVerbindungen und ihre Derivate 1. Die Alkohole a) Darstellung und allgemeine Eigenschaften b) Die gesättigten Alkohole c) Die ungesättigten und aromatischen Alkohole d) Die Halogenalkohole 2. Die Derivate der Alkohole a) Die Metall-alkoholate b) Die Ester c) Die Äther d) Die Trialkyl-oxoniumsalze 3. Die Enole

61 62 62 66 71 78 81 81 82 100 100 101 107 107 117 117 122 137 138 139 140 143 143 147 147 154 156 156 158 158 160 162 163 165 169 172 174 174 174 182 188 190 191 192 195 206 214 216

Inhalt 4. Die Phenole a) Darstellung und allgemeine Eigenschaften b) Einwertige Phenole c) Die Phenolderivate II. Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

XIII Seite

219 219 226 228 231

1. Die Aldehyde a)- Darstellung und allgemeine Eigenschaften b) Die gesättigten Aldehyde c) Die ungesättigten Aldehyde d) Die aromatischen Aldehyde e) Die Halögenaldehyde

232 232 249 254 257 258

2. Die Ketone a) Darstellung und allgemeine Eigenschaften b) Die gesättigten Ketone c) Die ungesättigten Ketone d) Die aromatischen Ketone e) Die Halogenketone

259 259 268 269 270 272

3. Die Derivate der Aldehyde und Ketone a) Allgemeines b) Die Halogenderivate der Aldehyde und Ketone c) Die Sauerstoffderivate der Aldehyde und Ketone a) Die Hydrate ß) Die Halbacetale y) Die Acetale (5) Die Polymerisationsprodukte der Aldehyde e) Die Säure- und Peroxyderivate der Aldehyde und Ketone • • • • d) Die Schwefelderivate der Aldehyde und Ketone a) Die Schwefelwasserstoffderivate der Oxoverbindungen ß) Die Derivate der Sauerstoffsäuren des Schwefels e) Die Stickstoffderivate der Aldehyde und Ketone tx) Die Amoniakderivate ß) Die Derivate der primären Amine (ScmFFSche Basen) y) Die Derivate der sekundären Amine 4. Die Ketene 5. Die Chinone

273 273 274 275 275 276 277 280 280 282 282 283 284 285 287 290 291 295

III. Die Carbonsäuren und ihre Derivate 1. Darstellung und allgemeine Eigenschaften 2. Die Derivate der Carbonsäuren a) Allgemeines b) Die Halogenderivate der Carbonsäuren gH

+B

HOOG'/ K

d-Weinsäure-monomethylester

i

_A - B

1-Weinsäure-monometliylester

Die Grundlagen der organischen Chemie

16

+ A + B und — A — B sowie in gleicher Weise auch + A — B und — A + B sind daher o p t i s c h e A n t i p o d e n p a a r e , so daß man bei Anwesenheit von zwei Asymmetriezentren zwei P a a r o p t i s c h e r A n t i p o d e n mit jeweils g l e i c h e n i n n e r m o l e k u l a r e n A t o m a b s t ä n d e n erhält, die untereinander d i a s t e r e o m e r sind. b) D i e g e o m e t r i s c h e I s o m e r i e Eine andere Art von Raumisomerie beobachtet man bei zahlreichen Ä t h y l e n d e r i v a t e n , die stets dann, wenn auf beiden Seiten der Doppelbindung je z w e i v e r s c h i e d e n e S u b s t i t u e n t e n stehen, in zwei r a u m i s o m e r e n F o r m e n auftreten, obgleich eindeutig die g l e i c h e K o n s t i t u t i o n vorliegt. Eine einfache Erklärung dieses Isomeriefalles ergibt sich auf Grund der von V A N ' T H O F F und W I S L I CENUS schon 1875 postulierten und neuerdings auch p h y s i k a l i s c h b e g r ü n d e t e n Hypothese, daß die beiden an der Doppelbindung befindlichen C-Atome sich n i c h t g e g e n e i n a n d e r v e r d r e h e n k ö n n e n , so daß sie mit den vier an ihnen befindlichen Substituenten s t a r r i n e i n e r E b e n e festgehalten werden (näheres vgl. II, Kap. 3, II, 1). Unter diesen Umständen können in Übereinstimmung mit dem beobachteten Verhalten derartiger Verbindungen: 1. Moleküle der Konfiguration I trotz g l e i c h e r K o n s t i t u t i o n (d. h. gleicher Reihenfolge der Atome) nicht in Moleküle der Konfiguration I I übergehen, so daß I und I I als s e l b s t ä n d i g e V e r b i n d u n g e n existenzfähig sind: i 2. die innermolekularen Atomabstände v e r s c h i e d e n g r o ß e W e r t e annehmen (z. B. der Cl—Cl-Abstand in I und II), so daß sich I und I I durch verschiedene g e o m e t r i s c h e M o l e k ü l f o r m e n und damit verschiedene s k a l a r e E i g e n s c h a f t e n (z. B. Schmelzpunkt, Siedepunkt, Löslichkeit usw.) auszeichnen, und schließlich 3. n i e m a l s r ä u m l i c h a s y m m e t r i s c h e M o l e k ü l e (bzw. keine optische Antipoden) auftreten, da die Substituentenebene gleichzeitig S y m m e t r i e e b e n e ist. Diese neuartige Isomerieerscheinung nennt man geometrische Isomerie, sowie ihren wichtigsten Spezialfall, die Isomerie von Ä t h y l e n d e r i v a t e n , auch Äthylenisomerie. Doch beobachtet man eine der Äthylenisomerie ähnliche geometrische Isomerie auch bei anderen, eine Doppelbindung enthaltenden Molekülen, insbesondere bei Verbindungen mit d o p p e l t g e b u n d e n e m S t i c k s t o f f . Die formelmäßige Wiedergabe der geometrisch isomeren Verbindungen bereitet erheblich geringere Schwierigkeiten als die der optischen Antipoden, da die vier Substituenten an der C=C-Doppelbindung ohnehin in einer E b e n e liegen, so daß man ihre verschiedenartige gegenseitige Anordnung ohne weiteres in einer e b e n e n F o r m e l zum Ausdruck bringen kann (vgl. z. B. die angeführten Beispiele I und II). In Analogie zur Äthylenisomerie treten auch bei Verbindungen mit r i n g f ö r m i g e n M o l e k ü l e n geometrisch isomere Molekülformen auf, da sich die Ringatome ebenfalls n i c h t g e g e n e i n a n d e r v e r d r e h e n können. Als Beispiel seien die Raumformeln der beiden möglichen p - D i c h l o r - c y c l o h e x a n e angeführt: H.

\

CH2

CH.

- R : S T R

, „

--G

0:

—>- R S®:®R

0••0 = II

III

Bei dieser Reaktion entstehen also n i c h t , wie man früher angenommen hatte, echte N = 0 - oder S = 0-Doppelbindungen, sondern lediglich k o m p l e x a r t i g e V e r b i n d u n g e n mit s e m i p o l a r g e b u n d e n e m S a u e r s t o f f , die, wie wir später im einzelnen noch sehen werden, sich in jeder Beziehung anders v e r h a l t e n als die Verbindungen mit d o p p e l t g e b u n d e n e m S a u e r s t o f f , und die daher stets s t r e n g v o n d i e s e n u n t e r s c h i e d e n werden müssen.

c) Die „Einelektronenbindung". Eine echte Einelektronenbindung ist nur sehr s e l t e n v e r w i r k l i c h t und für denOrganiker o h n e B e d e u t u n g (vgl. S. 26, Anm. 1). Dagegen spricht man häufig von Einelektronenbindungen, wenn s e m i p o l a r gebundener S a u e r s t o f f durch z w e i e i n w e r t i g e S u b s t i t u e n t e n ersetzt wird, wie es z. B. beim Übergang von P h o s p h o r o x y c h l o r i d in P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d oder von J o d o s o b e n z o l in P h e n y l j o d i d c h l o r i d (näheres vgl. S. 169) der Fall ist, denn hier kann m a n das Oktettprinzip nur aufrechterhalten, wenn man „ E i n e l e k t r o n e n b i n d u n g e n " in folgendem Sinne annimmt: :C1:P ' :: "rCh-^ Diese Formulierung steht aber wieder mit dem D u b l e t t p r i n z i p im Widerspruch, nach dem alle Bindungselektronen bei b e i d e n miteinander verbundenen Atomen je e i n e B a h n besetzen und e i n E l e k t r o n e n p a a r bilden. JENSEN führte daher die erweiterte Vorstellung ein, daß die beiden Halogenatome in einem v e r s c h i e d e n a r t i g e n B i n d u n g s z u s t a n d vorliegen, und zwar sollte unter Wahrung der Dublettregel eines der Atome durch ein n o r m a l e s E l e k t r o n e n p a a r und eines nur auf Grund einer I o n e n b e z i e h u n g mit dem Zentralatom verbunden sein. I n diesem Falle besitzt nämlich jedes Atom ein aus v i e r E l e k t r o n e n p a a r e n bestehendes O k t e t t , und man braucht, um die offensichtliche G l e i c h w e r t i g k e i t d e r H a l o g e n a t o m e zu erklären, nur zusätzlich anzunehmen, daß zwischen ihnen

Die Grundlagen der organischen Chemie

30

sehr leicht ein B i n d u n g s a u s t a u s c h erfolgt, und daß sich zwischen den b e i d e n möglichen E l e k t r o n e n s t r u k t u r e n eine R e s o n a n z , d. h. ein m e s o m e r i e a r t i g e r m i t t l e r e r B i n d u n g s z u s t a n d ausbildet, in dem die beiden Halogenatome völlig g l e i c h a r t i g an das Zentralatom gebunden sind, und den man auch hier nur durch Anführung b e i d e r G r e n z s t r u k t u r e n (vgl. S. 11) formelmäßig wiedergeben kann: J? :C1:

:C1: "

Jedes Halogenatom wird also nur im Z e i t m i t t e l durch ein E i n z e l e l e k t r o n an das Zentralatom gebunden, während die Bindung in Wirklichkeit abwechselnd einmal durch ein E l e k t r o n e n p a a r und einmal ohne gemeinsame Elektronen lediglich durch e l e k t r o s t a t i s c h e A n z i e h u n g s k r ä f t e erfolgt. Diese Theorie vermag insbesondere die l e i c h t e A u s t a u s c h b a r k e i t der durch Einelektronenbindung gebundenen Atomgruppen (vgl. z.B. S. 169) gut zu erklären, ist aber noch nicht absolut gesichert, da grundsätzlich auch die Möglichkeit besteht, daß die Elemente der höheren Perioden das O k t e t t ü b e r s c h r e i t e n , also mehr als v i e r S u b s t i t u e n t e n i n direkter Bindung enthalten. Eine endgültige Deutung dieses Bindungstypus kann daher noch nicht gegeben werden. Auf keinen Fall hegt jedenfalls eine wirkliche Einelektronenbindung vor. Doch wurde dieser Name bisher noch nicht durch einen besseren ersetzt, so daß er bis zur endgültigen Klärung der Verhältnisse den folgenden Ausführungen ebenfalls zugrunde gelegt wird. 3. Die Neufassung des Wertigkeitsbegriffes Infolge der Möglichkeit der D i s s o z i a t i o n in Ionen, der K o m p l e x b i l d u n g und der Bildung s e m i p o l a r e r B i n d u n g e n ist häufig die Zahl der wirklich von einem Atom ausgehenden A t o m b i n d u n g e n von der W e r t i g k e i t im ursprünglichen Sinne verschieden, und es hat sich als praktisch unmöglich und auch gar nicht mehr erforderlich herausgestellt, eine allgemeine Wertigkeit, die allen Ansprüchen gerecht wird, d. h. eine moderne Passung des bis etwa 1930 gültigen Wertigkeitsbegriffes darstellt, zu definieren. Der früher gebräuchliche Begriff der W e r t i g k e i t s c h l e c h t h i n hat vielmehr eine Aufsplitterung in die drei Unterbegriffe der Gesamtwertigkeit, der Bindigkeit und der oxydativen Wertigkeit erfahren, die im folgenden einander gegenübergestellt werden sollen. a) D i e

Gesamtwertigkeit

Unter Gesamtwertigkeit versteht man die Gesamtheit der von einem Atom betätigten K o - und E l e k t r o Valenzen. Sie muß auf Grund dieser Definition stets gleich der Summe der v o n dem b e t r e f f e n d e n A t o m a u s g e h e n d e n A t o m b i n d u n g e n und seiner L a d u n g s z a h l sein. So zeigt beispielsweise der Sauerstoff im O x y d - I o n (Atombindungszahl 0, Ladungszahl 2), H y d r o x y l - I o n (1 bzw. 1) und W a s s e r (2 bzw. 0) jeweils die Gesamtwertigkeit 2, in den O x o n i u m d e r i v a t e n , wie z. B. dem H y d r o n i u m i o n oder K o h l e n o x y d (jeweils 3 bzw. 1) dagegen die Gesamtwertigkeitsstufe 4: :0PÖ

H:ö?

H:Ö:H

H

: L

:8:::0:

Der Wertigkeitsbegriff

31

Auch der K o h l e n s t o f f des Kohlenoxyds erscheint auf Grund dieser Definition normal v i e r w e r t i g , und zwar, wie wir in I, Kap. 10, I, 1 sehen werden, in Übereinstimmung mit seinem chemischen Verhalten. Ferner muß man der s e m i p o l a r e n S a u e r s t o f f b i n d u n g (etwa in den auf S. 29 formulierten Aminoxyden, Sulfoxyden und Sulfonen) z w e i W e r t i g k e i t s s t u f e n zusprechen, da die durch sie verknüpften Atome einerseits durch eine e i n f a c h e A t o m b i n d u n g verbunden sind, andererseits je e i n e L a d u n g s e i n h e i t tragen. Der Begriff der Gesamtwertigkeit entspricht danach in vielen Fällen dem früher gebräuchlichen allgemeinen Wertigkeitsbegriff und soll im folgenden immer dann Anwendung finden, wenn von der W e r t i g k e i t eines Elementes s c h l e c h t h i n die Rede ist, wie etwa vom f ü n f w e r t i g e n S t i c k s t o f f in den N i t r o v e r b i n d u n g e n oder dem s e c h s w e r t i g e n S c h w e f e l in den S u l f o n e n oder S u l f o n s ä u r e n . Er unterscheidet sich von der ursprünglichen allgemeinen Wertigkeit jedoch grundsätzlich darin, daß die K o m p l e x b i l d u n g nunmehr mit einer Ä n d e r u n g d e r G e s a m t w e r t i g k e i t s s t u f e verbunden ist, der A m m o n i a k s t i c k s t o f f also z . B . beim Übergang zum A m m o n i u m s t i c k s t o f f fünfwertig wird. Doch wird diese Fassung insofern besser den Tatsachen gerecht, als der Ammoniumbtickstoff auch tatsächlich f ü n f v e r s c h i e d e n e L i g a n d e n , wenn auch in verschiedenen Sphären, miteinander verknüpft (vgl. auch anorg. Lehrbücher). b) D i e B i n d i g k e i t Von erheblich größerer Bedeutung als die Gesamtwertigkeit ist für die organische Chemie die Zahl der von einem Atom ausgehenden A t o m b i n d u n g e n , da diese allein den M o l e k ü l z u s a m m e n h a l t bedingen. Diese Zahl wird als Bindigkeit oder koordinative Wertigkeit bezeichnet. Sind Wertigkeit und Bindigkeit voneinander v e r s c h i e d e n , so tritt, wie oben abgeleitet, sowohl bei der K o m p l e x b i l d u n g als auch bei der D i s s o z i a t i o n in I o n e n eine elektrische A u f l a d u n g d e s Z e n t r a l a t o m s ein, so daß, abgesehen von dem Vorzeichen dieser Ladung, zwischen beiden Größen die folgende einfache, bereits in der Definition der Gesamtwertigkeit zum Ausdruck kommende Beziehung gilt: D i e D i f f e r e n z z w i s c h e n W e r t i g k e i t und Bindigkeit eines E l e m e n t s ist stets gleich der Zahl d e r p r o A t o m a u f g e n o m m e n e n e l e k t r i s c h e n L a d u n g s e i n h e i t e n . So ist z. B. die Zahl der Ladungseinheiten sowohl des zweiwertigen Sauerstoffs im H y d r o x y l i o n mit der Bindigkeit 1 als auch des vierwertigen Sauerstoffs im O H J - I o n mit der Bindigkeit 3 gleich 1. Ähnlich zeigt der S c h w e f e l im S u l f a t i o n die Bindigkeit 4 und die Gesamtwertigkeit 6, muß also d o p p e l t g e l a d e n sein. c) D i e o x y d a t i v e W e r t i g k e i t Unter der Oxydationsstufe oder oxydativen Wertigkeit verstand man ursprünglich die Z a h l v o n E l e k t r o n e n , die entweder ein M e t a l l a t o m beim Übergang in ein Kation a b g i b t , oder die umgekehrt ein M e t a l l o i d a t o m beim Übergang in ein Anion a u f n i m m t . Sie drückte also jeweils die Z a h l d e r E l e m e n t a r l a d u n g e n v o n I o n e n aus, und man unterschied daher seit jeher im Gegensatz zur allgemeinen Wertigkeit eine p o s i t i v e und n e g a t i v e O x y d a t i o n s s t u f e . Später wurde der Begriff auch auf die p o l a r e n A t o m b i n d u n g e n ausgedehnt, da man diese, wie wir oben gesehen haben, als eine erste Annäherung an die „Ionenbindungen" ansehen kann. Man legt diesem erweiterten Begriff der Oxydationsstufe daher am besten die i o n i s i e r t e G r e n z s t r u k t u r d e r p o l a r e n A t o m b i n d u n g zugrunde und definiert allgemein die oxydative Wertigkeit als diejenige A n z a h l v o n E l e m e n t a r -

32

Die Grundlagen der organischen Chemie

l a d u n g e n , die ein Atom tragen würde, wenn man sämtliche von ihm ausgehenden p o l a r e n A t o m b i n d u n g e n bis zur v o l l s t ä n d i g e n I o n i s a t i o n weiter pol a r i s i e r t , d . h . die n e g a t i v e n E l e m e n t e als A n i o n e n (z. B. Sauerstoff als : 0 : e e - I o n ) und die p o s i t i v e n E l e m e n t e als K a t i o n e n (z.B. Wasserstoff als Proton) abdissoziiert. Obgleich die oxydative Wertigkeit in dieser Form in der Mehrzahl der Fälle mit der oben definierten Gesamtwertigkeit identisch wird (abgesehen vom Vorzeichen), kann sie letztere doch n i c h t a l l g e m e i n e r s e t z e n , da einerseits die K o m p l e x b i l d u n g (die ja bei der Zerlegung des Moleküls in Ionen wieder rückgängig gemacht wird) o h n e Ä n d e r u n g d e r O x y d a t i o n s s t u f e erfolgt — hier hat die oxydative Wertigkeit also das „Erbe" des ursprünglichen allgemeinen Wertigkeitsbegriffes angetreten —, andererseits wir eine Reihe von Verbindungen kennen, von deren Atomen neben p o l a r e n auch oxydativ 0-wertige u n p o l a r e B i n d u n g e n oder gar e n t g e g e n g e s e t z t p o l a r e B i n d u n g e n ausgehen. So ist z. B. im H y d r a z i n und H y d r o x y l a m i n der Stickstoff ohne Zweifel d r e i w e r t i g, doch kann man ihm in keinem von beiden Fällen die O x y d a t i o n s s t u f e — 3 zuordnen. Vielmehr ergibt sich hier die oxydative Wertigkeit erst auf einem kleinen Umweg, indem man die p o s i t i v e n und n e g a t i v e n W e r t i g k e i t e n voneinander a b z i e h t und für die unpolar gebundenen Substituenten den O x y d a t i o n s w e r t 0 annimmt. Danach hat jedes N-Atom im H y d r a z i n bei der Gesamtwertigkeit 3 nur die O x y d a t i o n s s t u f e —2 ( = —2 und ¿ 0 ) und im H y d r o x y l a m i n sogar nur —1 (—2 und + 1). Ähnlich steigert sich beim K o h l e n s t o f f die Oxydationsstufe, wenn man die C—H-Bindung in Anbetracht ihrer Ähnlichkeit mit der C—C-Bindung als in erster Näherung u n p o l a r bzw. o x y d a t i v 0 - w e r t i g annimmt, von Null im Met h a n (CH4) über + 1 im M e t h y l a l k o h o l (H 3 C—OH), + 2 im F o r m a l d e h y d (H„C=0) und + 3 in der A m e i s e n s ä u r e

(H—C^ ) auf + 4 im K o h l e n X>H d i o x y d ( 0 = C = 0 ) , obgleich ihm in allen diesen Verbindungen die G e s a m t w e r t i g k e i t 4 zugesprochen werden muß. Der Begriff der Oxydationsstufe in dieser Form ist wichtig für die Ermittlung der zur Oxydation bzw. Reduktion des betreffenden Atoms erforderlichen R e d o x äquivalente. 4. Die Elektronenformeln Die Einführung der Elektronentheorie der Valenz hat zu einer weitgehenden Klärung der verwickelten Bindungsverhältnisse geführt. Doch fehlte zunächst noch eine brauchbare S c h r e i b w e i s e , denn die bisher benutzten Punktformeln sind für die allgemeine Anwendung zu u m s t ä n d l i c h . Hier erwies es sich als die beste Lösung, den altgewohnten V a l e n z s t r i c h auch auf die Elektronenformeln zu übertragen und j e d e s E l e k t r o n e n p a a r d e r ä u ß e r e n S c h a l e d u r c h e i n e n S t r i c h wiederzugeben, der nur bei A t o m b i n d u n g e n beide Atome in der üblichen Weise m i t e i n a n d e r v e r b i n d e t und bei u n g e b u n d e n e n E l e k t r o n e n p a a r e n (auch in Ionen) zur Erreichung eines gefälligeren Aussehens der Formeln q u e r g e s t e l l t wird. Daneben findet der bisher für die Wiedergabe der Elektronen gebräuchliche P u n k t nur noch zur Kennzeichnung der nicht zu Dubletts vereinigten E i n z e l e l e k t r o n e n der f r e i e n A t o m e und R a d i k a l e Anwendung, um diese sofort auffällig von den normalen Molekülen mit p a a r e r E l e k t r o n e n z a h l z u unterscheiden.

Die Elektronenformeln

33

Die auf diese Weise erhaltenen neuen E l e k t r o n e n f o r m e l n (b) sind im folgenden für einige charakteristische Verbindungen den bisherigen P u n k t f o r m e l n (a) und den alten H a u p t v a l e n z - oder W e r t i g k e i t s f o r m e l n (c) gegenübergestellt: H H:C:H H

H I

H I

I H

H—C—H

H—C—H

i

b Methan

H "\=o HX

H. H'-

H H:CH a

,c=o

H-O-H

C

+

f . 1 H—N—H

H:N: H H

L

i

? - Hi H—N

J

l-

i

Ammoniumion

..e + Na : 0 : H

H-O-H

~

b Wasser

a

T

H—C— 1 H

b freies Methylradikal

+

Formaldehyd

H:0:H

7

H—C1 H

—Q + Na 1 0 - H

Na-O-H

Natriumhydroxyd

Wie man sieht, besteht bei den einfachen organischen Verbindungen infolge der Gleichheit von W e r t i g k e i t und B i n d i g k e i t beim K o h l e n s t o f f eine weitgehende Angleichung der neuen Formeln an die alten Wertigkeitsformeln, so daß man nicht umzulernen braucht und diese, die ja in der älteren Literatur bis etwa 1935 absolut vorherrschen, bis auf die fehlenden ungebundenen Elektronenpaare der Heteroatome direkt zu elektronischen Betrachtungen heranziehen kann. Man übernimmt sie daher ohne weiteres als v e r e i n f a c h t e E l e k t r o n e n formeln. Nicht ganz so einfach liegen die Verhältnisse dagegen bei der Formulierung k o m p l i z i e r t e r e r anorganischer S u b s t i t u e n t e n , die zur K o m p l e x b i l d u n g oder zur Ausbildung semipolarer Bindungen neigen. Hier ist die Wertigkeit und Bindigkeit des Zentralatoms verschieden, und wir erhalten demnach bei den alten Hauptvalenz- (a)und den modernen Elektronenformeln (b) verschiedene Ausdrücke: O O

löl0

o

101®

* O

H F

t I I h 3 cD-i®®'CH3 H3C—S—CH3 H-!—N—B—F

1 1 H F

H F lele

H—N—B—F H

F

b Dimethylsulfon

H

F

H—N-+B—F

U

Borfluorid-Ammoniak

Die Hauptvalenzformeln besitzen den Vorteil der ü b e r s i c h t l i c h e n D a r s t e l l u n g der o x y d a t i v e n W e r t i g k e i t e n und lassen infolgedessen sofort die für die verschiedenen Reaktionen erforderlichen R e d o x ä q u i v a l e n t e erkennen. Aber sie geben die Bindungsverhältnisse f a l s c h wieder und schreiben eine Doppelbindung, wo keine vorliegt, was zuweilen zu schweren Irrtümern geführt hat. Bei den E l e k t r o n e n formein dagegen erhält man wiederum nur bei Mitanführung der ungebundenen E l e k t r o n e n p a a r e und der e l e k t r i s c h e n Aufladung der einzelnen Atome ein richtiges Bild der WertigkeitsVerhältnisse, so daß sie reichlich umständlich wirken. 3

K l a g e s , Lehrbuch der Organischen Chemie I , 1

34

Die Grundlagen der organischen Chemie

Hier hat man zur Vereinfachung der Verhältnisse ein n e u e s S y m b o l eingeführt und gibt die semipolare Bindung heute allgemein durch einen P f e i l i n R i c h t u n g der bei der Aufrichtung der Doppelbindung oder bei der Komplexbildung stattfindenden E l e k t r o n e n v e r s c h i e b u n g wieder, so daß die mit c bezeichneten Formeln entstehen. Damit ist der Unterschied gegenüber der normalen Atombindung genügend gekennzeichnet, und es läßt sich auch die oxydative Wertigkeit befriedigend ablesen, wenn man der Komplexbindung k e i n e und der semipolaren Sauerstoffbindung z w e i O x y d a t i o n s s t u f e n zuordnet. Auch die Wiedergabe der „ E i n e l e k t r o n e n b i n d u n g " (S. 29) macht einige Schwierigkeiten, da man sie wegen des Vorliegens eines mesomeren Zwischenzustandes n i c h t m i t e i n f a c h e n F o r m e l n beschreiben kann. Doch hat man wegen ihrer nur g e r i n g e n B e d e u t u n g für die organische Chemie von der Einführung eines besonderen Symbols abgesehen und bezeichnet sie in den vereinfachten Formeln wie die normale Atombindung durch einen B i n d e s t r i c h , da auf diese Weise bei richtiger Wiedergabe der Z a h l d e r E l e k t r o n e n p a a r e und auch der U m s e t z u n g e n die Tatsache, daß auch hier alle Atome wenigstens zeitweise durch g e m e i n s a m e E l e k t r o n e n p a a r e miteinander verbunden sind, am einfachsten zum Ausdruck kommt. Im Gegensatz zur a n o r g a n i s c h e n C h e m i e liegt der Wert der Elektronentheorie der Valenz für den Organiker weniger in der Aufstellung neuer Formeln, als hauptsächlich in der k o n k r e t e n V o r s t e l l u n g , die sich nunmehr mit dem B i n d e s t r i c h verknüpft. Er stellt also nicht mehr einen Undefinierten Bindungszustand zwischen den Atomen dar, sondern er enthält jetzt w e s e n t l i c h e T e i l e d e r A t o m s u b s t a n z , denn die Elementsymbole H, C, N, O usw. bedeuten jetzt nicht mehr wie früher die v o l l s t ä n d i g e n A t o m e , sondern nur noch die in allen Verbindungen gleichartigen, von den Außenelektronen entblößten A t o m r ü m p f e , während die von Verbindung zu Verbindung wechselnde V e r t e i l u n g d e r V a l e n z e l e k t r o n e n durch die V a l e n z s t r i c h e wiedergegeben wird. Dies bedeutet die Möglichkeit einer wesentlich eingehenderen Beschreibung der Vorgänge im Verlaufe chemischer Reaktionen (z. B. des Verbleibs des Bindungselektronenpaares), auf die wir später noch ausführlich zu sprechen kommen werden. Allerdings muß man sich bei der viel größeren Ausdrucksmöglichkeit der neuen Formeln davor hüten, mehr aus ihnen heraus lesen zu wollen, als in ihnen enthalten ist, was namentlich in der Anfangszeit der Elektronentheorie häufig geschah und ihrer allgemeinen Einführung sehr geschadet hat. Um diese erweiterte Deutungsmöglichkeit voll auswerten zu können, muß man auch die anderen Symbole und Zeichen der chemischen Formelsprache e x a k t e r d e f i n i e r e n , als es bisher geschehen ist, und an die E l e k t r o n e n t h e o r i e angleichen. Dies ist im vorliegenden Buch erstmals im Rahmen eines Lehrbuches geschehen und zwar sollen sie, nach Möglichkeit in Anlehnung an die allgemeine Gepflogenheit, stets im Sinne der folgenden Regeln angewandt werden. 1. Der früher für die Kennzeichnung eines freien Radikals gebräuchliche, von nur e i n e m A t o m ausgehende Yalenzstrich (z. B. —CH3) soll in Zukunft ein normales R a d i k a l , d. h. einen i n B i n d u n g b e f i n d l i c h e n M o l e k ü l t e i l (vgl. S. 18) darstellen. Er bedeutet in diesem Falle also ebenfalls ein B i n d u n g s e l e k t r o n e n p a a r , und zwar dasjenige, das die Bindung des Radikals an den restlichen, hier nur n i c h t m i t g e s c h r i e b e n e n Molekülteil bewirkt. Wir können auf diese Weise v i e r v e r s c h i e d e n e M ö g l i c h k e i t e n des Auftretens einer „radikalartigen" Gruppe unterscheiden, wie es im folgenden am Beispiel der M e t h y l g r u p p e gezeigt sei:

35

Die Elektronenformeln H u H—C

H H—CI

H

H l

0

i

H

positiv geladenes Methylkation mit Elektronensextett (in Derivaten existenzfähig)

T H—C— I H

H—C-

negativ geladenes Methylanion mit ungebundenem Elektronenpaar (ebenfalls inDerivaten existenzfähig)

freies Methylradikal, kurzlebig (in Form von Derivaten auch langlebig) existenzfähig

in Bindung befindliches Methylradikal, z. B. in Methylchlorid (CHS—Cl)

W i r begegnen hier erstmals ionogenen Derivaten des Kohlenstoffs. Sie t r e t e n zwar infolge der mangelnden Ionisationstendenz des Kohlenstoffs n u r selten in F o r m v o n f r e i e n I o n e n in salzartigen V e r b i n d u n g e n auf (vgl. z. B. S. 154 u n d I , K a p . 9, I I , 1), spielen j e d o c h eine große Rolle als i n t e r m e d i ä r e M o l e k ü l b r u c h s t ü c k e bei zahlreichen organischen R e a k tionen, die wir in II, K a p . 4, I I , l c z u s a m m e n f a s s e n d als K r y p t o i o n e n r e a k t i o n e n kennenlernen werden. Sie h a b e n infolgedessen eigene, der N o m e n k l a t u r der ionogenen D e r i v a t e d e r N a c h b a r e l e m e n t e entsprechende N a m e n erhalten. D a s im M e t h y l k a t i o n e n t h a l t e n e , n u r v o n s e c h s B i n d u n g s e l e k t r o n e n u m g e b e n e , positiv geladene C-Atom n e n n t m a n n a c h einem Vorschlag von D I L T H E Y Carbeniumkohlenstoff u n d die e n t s p r e c h e n d e n K a t i o n e n bzw. Salze Carbeniumionen bzw. Carbeniumsalze. D u r c h die E n d u n g -eniurn (im ausdrücklichen Gegensatz z u der sonst f ü r Molekülkationen gebräuchlichen E n d u n g -onium) soll vor allem die „ u n g e s ä t t i g t e " N a t u r d e s K o h l e n s t o f f s z u m A u s d r u c k g e b r a c h t werden, d e n n die positive A u f l a d u n g erfolgt hier n i c h t wie bei d e n Oniumionen d u r c h A n l a g e r u n g e i n e s p o s i t i v g e l a d e n e n S u b s t i t u e n t e n a n das u n g e b u n d e n e E l e k t r o n e n p a a r des Z e n t r a l a t o m s , sondern u m g e k e h r t d u r c h H e r a u s S p a l t u n g e i n e s n e g a t i v g e l a d e n e n S u b s t i t u e n t e n m i t seinem Bindungselektronenp a a r u n t e r H i n t e r l a s s u n g einer E l e k t r o n e n l ü c k e : H H—NI I H

+ H+.

H I© H—N—H

H H—C—H

H

H

Ammoniumion

H -Hl-

+

H. -4 ® Ü

Carbeniumion

Die Carbeniumionen sind also im Gegensatz zu den A m m o n i u m i o n e n k o o r d i n a t i v ungesättigt. Die E n d u n g -enium w u r d e später a u c h auf die analog konstituierten, ebenfalls im Verlaufe von K r y p t o i o n e n r e a k t i o n e n als Z w i s c h e n p r o d u k t e a u f t r e t e n d e n , infolge einer E l e k t r o n e n l ü c k e positiv geladenen Ionen des S t i c k s t o f f s (Azeniumionen) und S a u e r s t o f f s (Oxeniumionen) übertragen. D a s im M e t h y l a n i o n e n t h a l t e n e n e g a t i v geladene C-Atom m i t einem u n g e b u n d e n e n E l e k t r o n e n p a a r h a t demgegenüber die f ü r ein Säureanion charakteristische E n d u n g -eniat erhalten u n d wird allgemein Carbeniatkoálenstoff bzw. die v o n i h m abgeleiteten I o n e n u n d Salze Carbeniationen u n d Carheniatsalze g e n a n n t . A u c h hier soll d u r c h d e n B u c h s t a b e n e die gegenüber d e n C a r b o n a t e n u n d C a r b o x y l a t e n k o o r d i n a t i v u n g e s ä t t i g t e N a t u r des ionogenen K o h l e n s t o f f s z u m A u s d r u c k g e b r a c h t werden.

2. Die Wiedergabe der elektrischen Aufladung der Atome und Ionen geschieht in der üblichen Weise durch die Zeichen + und — ,und zwar werden diese Symbole stets dann ohne K r e i s verwandt, wenn es sich um die nach außen in Erscheinung tretende A u f l a d u n g e i n e s I o n s s c h l e c h t h i n handelt, ohne daß ein bestimmtes Atom als Sitz dieser Aufladung gekennzeichnet werden soll (z. B. in OH - , NHg, NH 4 usw.). Zur Kennzeichnung der Aufladung b e s t i m m t e r A t o m e in einem größeren ©

M o l e k ü l v e r b a n d (etwa in einem Zwitterion wie R 3 N- -CH2—C\

/e

©

e\

//O O

oder auch

in einem komplizierteren Ion wie \ N = N = N / werden die Symbole dagegen immer in einen Kreis gesetzt, um einer Verwechslung mit den m a t e r i e l l e n B e s t a n d 3*

Die Grundlagen der organischen Chemie

36

t e i l e n des Moleküls — des Minuszeichens insbesondere mit den ungebundenen und Bindungselektronenpaaren — vorzubeugen. 3. Der bisher für die Bezeichnung von Nebenvalenzen und insbesondere auch für die Komplexbindung gebräuchliche punktierte Bindestrich • • • soll in Zukunft nur die Wiedergabe wirklich z w i s c h e n m o l e k u l a r e r B i n d u n g e n , d. h. von Bindungskräften, die n i c h t d u r c h g e m e i n s a m e E l e k t r o n e n p a a r e bewirkt werden, in Anwendung kommen. Derartigen zwischenmolekularen Kräften werden wir vor allem in der „ W a s s e r s t o f f b r ü c k e " (II, Kap. 6, I, 4), z. B. in den Doppelmolekülen der Carbonsäuren (II, Kap. 6, III, 1 cß): R-cf

je—:r X)—H"-Cr

begegnen. 4. Um die Vorgänge bei einer Reaktion besser veranschaulichen zu können, sind allgemein dünn punktierte Hilfslinien in Gebrauch, die in die Formeln der A u s g a n g s v e r b i n d u n g bzw. -Verbindungen eingetragen werden und die w ä h r e n d d e r R e a k t i o n e i n t r e t e n d e n M o l e k ü l s p a l t u n g e n (also nicht etwa bereits in dem ruhenden Molekül vorhandenen Bruchstellen) wiedergeben. Nachdem nunmehr der Bindestrich einen w e s e n t l i c h e n M o l e k ü l t e i l darstellt, sind die Hilfslinien stets so gelegt, daß sie über den w a h r s c h e i n l i c h e n V e r b l e i b d e s B i n d u n g s e l e k t r o n e n p a a r e s Auskunft geben, wie am Beispiel der Hydrolyse einer metallorganischen Verbindung gezeigt sei: Mej-R + H j - O - H

• R - H + MelÖHT

Die Reaktionsgleichung besagt also, daß der Alkylrest in diesem Fall als C a r b e n i a t i o n , d. h. m i t s e i n e m E l e k t r o n e n p a a r in Reaktion tritt und an diesem Elektronenpaar den als P r o t o n vom Wassermolekül abdissoziierenden W a s s e r s t o f f anlagert. Die früher allgemein übliche T e i l u n g d e s B i n d e s t r i c h e s würde demnach nunmehr nur noch speziell bedeuten, daß eine „Entkoppelung" des Elektronenpaares unter BUdung f r e i e r R a d i k a l e bzw. A t o m e erfolgt, wie es z. B. bei der thermischen Zersetzung vom B l e i t e t r a m e t h y l der Fall ist (vgl. I, Kap. 10, II, 4):

CH3 C H 3 r f c L c H 3 - , i t Z e , V Pb + 4 • CH3 '¿i 5. Die bisher üblichen eckigen Klammern zur Hervorhebung von k o m p l e x e n V e r b i n d u n g e n und I o n e n werden beibehalten. Sie haben sich insbesondere zur Wiedergabe von I o n e n bewährt, die zwischen m e h r e r e n F o r m e n tautomer oder mesomer sind, um anzuzeigen, daß der Übergang zwischen diesen Formen o h n e Ä n d e r u n g i h r e s I o n e n c h a r a k t e r s und ohne Mitbeteiligung des e n t g e g e n g e s e t z t g e l a d e n e n I o n s erfolgt: ®

| 0 - C = N| ^

/ x

e\

O = C= N/

mesomere Formen des Cyanations

/OH B—C>v 0

/Ol ^

R—C,

tautomere Formen des Säureimidions

Dagegen sollen, um Verwechslungen vorzubeugen, die eckigen Klammern bei der ebenfalls üblichen Einklammerung der im Verlauf von Mehrstufenreaktionen auftretenden i n s t a b i l e n Z w i s c h e n p r o d u k t e in diesem Buch stets durch runde Klammern ersetzt werden. Sie kommen nur dann in Anwendung, wenn das ange-

Formelzeichen und ¡Symbole

37

nommene Zwischenprodukt unter den Reaktionsbedingungen bisher weder isoliert noch durch seine Reaktionen einwandfrei nachgewiesen werden konnte, so daß sich ein besonderer Hinweis auf seine mehr oder weniger h y p o t h e t i s c h e Natur erübrigt. Als Beispiel eines derartigen nicht isolierbaren hypothetischen Zwischenproduktes sei das bei der A c y l i e r u n g s r e a k t i o n intermediär auftretende „ O r t h o c a r b o n s ä u r e d e r i v a t " (S. 198, 322) angeführt: R—C

Na

/ / X \ / + H — X —• ( R—C-—0—: JJ ] —• R—C

\

^ '

)

X

+ HCl

N>

6. Zur Vereinfachung der Formeln werden häufig die Bindestriche f o r t g e l a s s e n . Von dieser Möglichkeit wird besonders dann Gebrauch gemacht, wenn über die betreffende Bindungsart k e i n e n ä h e r e n A n g a b e n möglich sind, oder der Bindungstypus offensichtlich ist, wieetwa bei der ionogenen S a l z b i n d u n g oder der a t o m a r e n B i n d u n g d e s W a s s e r s t o f f s . In letzterem Falle bedeutet die dünn punktierte Hilfslinie (z. B. in XiH) stets, daß der Wasserstoff im Verlauf der Reaktion o h n e E l e k t r o n e n p a a r , also als P r o t o n zum Reaktionspartner übergeht. 7. Ferner bedeuten bzw. werden angewandt: R ein einwertiges Alkylradikal im weitesten Sinne (also einschließlich Allyl-, Benzyl-, — CH2— COOH-Radikal usw.). Dagegen wird die Verwendung von R zur Beschreibung eines o r g a n i s c h e n R a d i k a l s s c h l e c h t h i n (also einschließlich der Arylradikale) nur auf die wenigen Fälle einer Zusammenfassung aller organischen Derivate einer Verbindungsklasse (z. B. aller magnesiumorganischen Verbindungen R—Mg—X) beschränkt. R ' , R " usw. von R verschiedene Alkylradikale, im Gegensatz zu R>, R j usw., worunter z w e i b z w . m e h r e r e g l e i c h a r t i g e Radikale R verstanden werden sollen. Ar, Ar', A r " usw. aromatische Radikale mit einer vom B e n z o l k e r n ausgehenden Valenz. ^ ^ Ac, Ac'usw. Säureradikale, speziell C a r b o n s ä u r e r a d i k a l e R—C>

,,



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) In Deutschland ist z. Z. die einzige derartige Stelle die KEKULE-Bibliothek der Farbenfabriken Bayer in Leverkusen.

Die Grundlagen der organischen Chemie

56

Über diesen Originalarbeiten steht in der n ä c h s t h ö h e r e n E b e n e der Pyramide als S a m m e l o r g a n das Chemische Zentralblatt1), das von der G e s e l l s c h a f t D e u t s c h e r C h e m i k e r als der führenden Organisation der deutschen wissenschaftlichen Chemie, sowie der G ö t t i n g e r und der B e r l i n e r A k a d e m i e d e r W i s s e n s c h a f t e n betreut wird und von s ä m t l i c h e n c h e m i s c h e n V e r ö f f e n t l i c h u n g e n , die in irgend einer Zeitschrift der Welt erscheinen, j e e i n e n k u r z e n B e r i c h t veröffentlicht, so daß man sich nunmehr an Hand e i n e r e i n z i g e n Zeitschrift kurz orientieren kann, was an neuen Forschungsergebnissen herausgekommen ist. Das Zentralblatt, das jährlich bis zu etwa 50000 Referate umfaßt, ist seinerseits verbunden mit einem b e s o n d e r e n R e g i s t e r w e r k , das zunächst jährlich erscheint und dann von fünf zu fünf Jahren nochmals zu einem G e n e r a l r e g i s t e r zusammengefaßt wird. In ihm ist der Stoff 1. nach den A u t o r e n , 2. nach dem behandelten G e g e n s t a n d und, soweit es sich um o r g a n i s c h e Verbindungen handelt, schließlich 3. in einem sog. Formelregister geordnet (seit 1922). Dieses schließt sich lückenlos an das von d e r D e u t s c h e n C h e m i s c h e n G e s e l l s c h a f t herausgegebene und ebenfalls in Form eines Formelregisters erschienene L e x i k o n von S T E L Z N E R an, das die Literatur der Jahre 1910—1921 e r s c h ö p f e n d umfaßt und sich seinerseits wiederum lückenlos an das erste derartige Werk, das F o r m e l - L e x i k o n der o r g a n i s c h - c h e m i s c h e n V e r b i n d u n g e n von M . M . R I C H T E R anschließt2). Letzteres berücksichtigt sämtliche vor dem 1. Januar 1910 erschienenen Arbeiten und enthält auch die Anweisung zum Lesen des Formelregisters. An Hand dieser drei Werke kann man sich also verhältnismäßig leicht darüber orientieren, was über eine bestimmte Verbindung bereits bekannt ist.

Aber auch das Zentralblatt ist häufig noch z u u m s t ä n d l i c h in der Hand" habung, da die verschiedenen Beobachtungen über eine bestimmte Verbindung häufig über eine g r o ß e Z a h l v o n R e f e r a t e n verstreut sind. Es ist daher, wieder in einer höheren Ebene der Pyramide, ein S a m m e l w e r k geschaffen worden, das als B E I L S T E I N S Handbuch der organischen Chemie zunächst privat begonnen, dann aber von der 4. Auflage ab von der Deutschen Chemischen Gesellschaft (bzw. ab 1946 von der Gesellschaft Deutscher Chemiker) übernommen wurde und nach einem b e s t i m m t e n , im ersten Band näher beschriebenen O r d n u n g s p r i n z i p von s ä m t l i c h e n bekannten organischen Verbindungen s ä m t l i c h e Beobachtungen zusammenstellt, so daß man sich nunmehr an e i n e r S t e l l e über alle bekannten Daten einer Verbindung orientieren kann. Das Hauptwerk umfaßt die g e s a m t e L i t e r a t u r b i s z u m 1. 1. 1910 und ist in 31 Bänden erschienen. Ein e r s t e s E r g ä n z u n g s w e r k mit der Literatur bis zum 1.1.1920 ist ebenfalls b e r e i t s v o l l e n d e t und ein z w e i t e s E r g ä n z u n g s w e r k mit der Literatur bis zum 1. 1. 1930 zu etwa zwei Dritteln erschienen, während das d r i t t e E r g ä n z u n g s w e r k , das die Literatur bis zum 1. 1. 1950 umfassen soll, noch in Vorbereitung ist. Damit ist die Zahl der vollständig referierenden Werke erschöpft. Doch gibt es darüber hinaus, wiederum in einer höheren Ebene der Pyramide, noch eine Reihe weiterer S a m m e l o r g a n e , die Teilgebiete der organischen Chemie behandeln. Hier sind zunächst zwei Zeitschriften zu erwähnen, die „Angewandte Chemie", die mehr vom p r a k t i s c h e n , und die „Naturwissenschaften", die mehr vom e r k e n n t n i s x

) Dem chemischen Zentralblatt entsprechen in den angelsächsischen Ländern die noch umfangreichere amerikanische Zeitschrift Chemical Abstracts Und die (neben dieser an Bedeutung allerdings zurücktretende) englische Zeitschrift British Abstracts. 2 ) Ein weiteres Formelregister, das nahezu die gesamte ältere Literatur (bis auf die Jahrgänge 1920 und 1921) in e i n e m e i n z i g e n Werk zusammenfaßt und daher in der Praxis meistens bevorzugt wird, ist das G e n e r a l f o r m e l r e g i s t e r d e s „ B e i l s t e i n " .

Das organisch-chemische Schrifttum

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t h e o r e t i s c h e n S t a n d p u n k t aus von Zeit zu Zeit z u s a m m e n f a s s e n d e F o r t s c h r i t t s b e r i c h t e über die verschiedenen Arbeitsgebiete der Chemie (und auch anderer naturwissenschaftlicher Disziplinen) herausbringen. Daneben gibt es dann vor allem eine große Zahl von Einzelhandbüchern, die, wenn auch n i c h t voll* s t ä n d i g und durch den jeweiligen Autor mehr oder weniger s u b j e k t i v b e e i n f l u ß t , über T e i l g e b i e t e d e r o r g a n i s c h e n C h e m i e ausführlich berichten. Namentlich dort, wo der nur auf die B e s c h r e i b u n g e i n z e l n e r V e r b i n d u n g e n eingestellte „ B E I L S T E I N " versagt, sind derartige Zusammenfassungen sehr wertvoll, so z . B . auf dem wichtigen Gebiet der o r g a n i s c h - c h e m i s c h e n A r b e i t s m e t h o d i k , wo es nicht nur über die p r ä p a r a t i v e n , sondern auch über die bioc h e m i s c h e n und k a t a l y t i s c h e n Methoden schon mehrbändige Sammelwerke gibt. Auch über die verschiedenen S o n d e r g e b i e t e , wie z. B. die S t e r e o c h e m i e , die K o h l e n h y d r a t e , die E i w e i ß v e r b i n d u n g e n , die V i t a m i n e u n d H o r m o n e , die F a r b s t o f f e usw. sind sehr brauchbare Handbücher erschienen, auf die an den entsprechenden Stellen dieses Buches hingewiesen werden wird. Als oberste Spitze der Pyramide erscheint schließlich das Lehrbuch, das, ohne auf Einzelheiten einzugehen, einen e r s t e n Ü b e r b l i c k über das g e s a m t e G e b i e t d e r o r g a n i s c h e n C h e m i e vermittelt. Will nun ein Chemiker sich erstmals mit einem organisch-chemischen Problem beschäftigen, so wird er den hier geschilderten Weg in u m g e k e h r t e r R i c h t u n g verfolgen, d. h. er wird sich zunächst an Hand eines L e h r b u c h e s mit dem betreffenden Gebiet vertraut machen, dann mit Hilfe einiger H a n d b ü c h e r seine Kenntnisse vertiefen oder die geeigneten Methoden heraussuchen, und erst zum Schluß, wenn es an die Darstellung einer bestimmten Verbindung geht, wird er über den B e i l s t e i n und das Z e n t r a l b l a t t bis zu den O r i g i n a l a r b e i t e n vorstoßen. Eines darf aber der forschende Chemiker über der geschilderten Pyramide niemals vergessen: Das gesamte referierende Schrifttum ist k e i n E r s a t z , sondern immer nur ein W e g w e i s e r zu den Originalarbeiten, die erst die eigentliche G r u n d l a g e der chemischen Literatur darstellen. Nur die Original-Literatur vermag die letzten Feinheiten einer Synthese oder einer neuen Arbeitsmethode zu vermitteln, nur die Original-Literatur führt zu einem wirklichen inneren Kontakt mit den gerade bearbeiteten Problemen, und nur ein gründliches Studium der Original-Literatur gibt wertvolle Anregungen für die eigene Forschungsarbeit.

I. Band

Systematische organische Chemie Erste Hälfte

2. K a p i t e l

Die Kohlenwasserstoffe Die einfachsten organischen Verbindungen sind die K o h l e n w a s s e r s t o f f e , die, wie schon der Name 1 ) sagt, nur aus den Elementen K o h l e n s t o f f und W a s s e r s t o f f bestehen und im Sinne der Ausführungen auf S. 6 die natürliche G r u n d l a g e d e r o r g a n i s c h e n C h e m i e bilden. Sie enthalten ausschließlich die in nahezu allen organischen Verbindungen vorkommenden und für die Stabilität des Kohlenstoffgerüstes wichtigen K o h l e n s t o f f - K o h l e n s t o f f - und K o h l e n s t o f f - W a s s e r s t o f f - B i n d u n g e n . Mit ihrer Besprechung müssen wir daher beginnen. Eine zwanglose Unterteilung der Kohlenwasserstoffe ergibt sich auf Grund der v e r s c h i e d e n e n A r t e n der in ihnen vorkommenden K o h l e n s t o f f - K o h l e n s t o f f - B i n d u n g e n . Den einfachsten Bau zeigen die Paraffine, deren Kohlenstoffgerüst ausschließlich die reaktionsträgen e i n f a c h e n C - C - B i n d u n g e n enthält, die also im eigentlichen Sinne das oben beschriebene R ü c k g r a t d e r o r g a n i s c h e n C h e m i e darstellen. Daneben kennt man aber auch r e a k t i o n s f ä h i g e r e K o h l e n w a s s e r s t o f f e , die m e h r f a c h e K o h l e n s t o f f - K o h l e n s t o f f - B i n d u n g e n enthalten und als ungesättigte Kohlenwasserstoffe bezeichnet werden. In ihnen stellen die „ungesättigten" C = C - o d e r C=C-Bindungen r e a k t i o n s f ä h i g e F u n k t i o n e n im oben definierten Sinne dar, an denen unter Erhaltung des paraffinartigen Restmoleküls die eigentlichen Umsetzungen stattfinden. Unter der Bezeichnung aromatische Kohlenwasserstoffe faßt man schließlich noch eine dritte Gruppe von Kohlenwasserstoffen zusammen, die sich vom B e n z o l , dem auf S. 49 bereits kurz gestreiften r i n g f ö r m i g e n Kohlenwasserstoff mit d r e i „ k o n j u g i e r t e n " D o p p e l b i n d u n g e n ableiten. Sie sind streng genommen nur eine U n t e r g r u p p e d e r u n g e s ä t t i g t e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e , werden aber wegen ihres besonderen, von den Eigenschaften anderer ungesättigter Verbindungen abweichenden Verhaltens als s e l b s t ä n d i g e V e r b i n d u n g s k l a s s e angesehen, der man wegen ihrer großen allgemeinen Bedeutung häufig sogar die Gesamtheit der übrigen gesättigten und ungesättigten Kohlenwasserstoffe zusammenfassend als aliphatische Kohlenwasserstoffe gegenüberstellt. Da sich von den Kohlenwasserstoffen alle andern organischen Verbindungen ableiten, wurde diese Gegenüberstellung aliphatischer und aromatischer Substanzen auch auf die ü b r i g e n o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g s k l a s s e n ausgedehnt, so daß sich eine scharfe Z w e i t e i l u n g der o r g a n i s c h e n C h e m i e in aliphatische 2 ) oder Fettverbindungen (auch Fellreihe genannt) einerseits und aromatische 3 ) oder Benzolverbindungen (Benzolreihe) andererDer Ausdruck Kohlen- ist eine häufig gebrauchte Abkürzung für das Element Kohlenstoff (z. B. in Kohlendioxyd, Kohlenoxyd, ÄoAZewhydrate usw.) und darf nicht verwechselt werden mit der Bezeichnung Kohle für die hochmolekulare Substanz der n a t ü r l i c h e n K o h l e a r t e n (z. B. in ÄoA/ehydrierung, ÄoAZeveredlung usw.). 2 ) Von griech. äAei - H—C—H >• | •—H—C—H | | H—C—H I H H | H—C—H H | H Methan

Äthan

Propan

H / H H H H \ +H-C-H// | | | | \ ~ — > H—C—C—C—C—H I I I ! H H H H n-Butan

l

) 'Von lat. partim affinis — wenig verwandt. t r ä g h e i t dieser Verbindungsklasse hin.

H H- C - H H I T I — ^ H—C C - — C—H I I I H H H Isobutan

Der Name weist auf die R e a k t i o n s -

Grundlegende Definitionen

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Jeder Kohlenwasserstoff ist danach aus n CH2- Gruppen und zwei H - A t o m e n aufgebaut, woraus sich die Summenformel CnH2n+2 ebenfalls ohne weiteres ergibt.

Diese Ableitung läßt weiterhin erkennen, daß sich zwei P a r a f f i n e und damit auch sämtliche von ihnen abgeleiteten g e s ä t t i g t e n K o h l e n w a s s e r s t o f f r a d i k a l e in ihrer Zusammensetzung immer um die G r u p p e CH 2 oder ein V i e l f a c h e s von ihr unterscheiden. Verbindungen, bei denen dies der Fall ist, zeigen stets eine besonders e n g e V e r w a n d t s c h a f t bzw. eine g l e i c h m ä ß i g e A b s t u f u n g ihrer physikalischen und chemischen Eigenschaften mit w a c h s e n d e r Z a h l d e r CA t o m e , so daß man sie zweckmäßig unter der Bezeichnung homologe Verbindungen oder auch homologe Reihe zusammenfaßt. Die Paraffine stellen danach das e i n f a c h s t e B e i s p i e l für eine derartige homologe Reihe dar. Wie die oben angeführten Formeln des n- und I s o b u t a n s zeigen, kann von v i e r C - A t o m e n a b die Verknüpfung zum Kohlenstoffgerüst v e r s c h i e d e n a r t i g erfolgen, und man unterscheidet dementsprechend jeweils zwischen einer geraden oder normalen und den verschiedenen Möglichkeiten einer verzweigten Kette. Die Zahl der durch diese Kettenverzweigung bedingten Isomeriefälle läßt sich mit Hilfe einfacher Gleichungen nicht berechnen und wächst, wie aus der auf S. 10 angeführten Zusammenstellung hervorgeht, mit der Zahl der C-Atome s e h r r a s c h an. Über die durch diese Verzweigungsisomerie gegebene Möglichkeit hinaus kommen wir schließlich noch zu einer w e i t e r e n Gruppe p a r a f f i n a r t i g e r S t o f f e , wenn wir die C-Atome nicht nur zu o f f e n e n K e t t e n , sondern auch zu R i n g m o l e k ü l e n verknüpfen. Die hierbei entstehenden Cycloparaffine enthalten wegen der erhöhten Zahl von C—C-Bindungen natürlich nicht mehr die oben abgeleitete Höchstzahl von H-Atomen und gehören damit n i c h t mehr zu den e i g e n t l i c h e n G r e n z k o h l e n w a s s e r s t o f f e n . Ihre Behandlung geschieht in einem besonderen Abschnitt in I, Kap. 11, I.

Nomenklatur. Die ersten v i e r G l i e d e r der Paraffinreihe führen die oben angegebenen T r i v i a l n a m e n . Die höheren Paraffine werden nach der Z a h l d e r C - A t o m e benannt, indem man an das entsprechende g r i e c h i s c h e Z a h l w o r t die Endung -an anhängt. Man kommt so zu den Bezeichnungen Pentan, Hexan, Heptan usw. für die Paraffine mit f ü n f , s e c h s , s i e b e n und mehr C-Atomen (vgl. Tabelle 1, S. 72). Diese Namen kennzeichnen wegen der genannten Isomeriemöglichkeiten jedoch durchaus noch k e i n e e i n h e i t l i c h e n V e r b i n d u n g e n , sondern müssen zunächst nur als S a m m e l b e z e i c h n u n g für alle möglichen i s o m e r e n P a r a f f i n e g l e i c h e r K o h l e n s t o f f z a h l aufgefaßt werden. Lediglich die wichtigsten Verbindungen mit u n v p r z w e i g t e r K e t t e kann man auf diese Weise e i n d e u t i g als normale Paraffine (abgekürzt: n-Pentan, n-Hexan usw.) gegen alle anderen Kohlenwasserstoffe mit v e r z w e i g t e r K e t t e , die Isoparaffine (i-Butan usw.) abgrenzen. F ü r eine eindeutige Benennung der Isoparaffine kommt man nur bei den B u t a n e n mit der Bezeichnung I s o b u t a n aus. Bei allen höheren Gliedern der Reihe existieren jedoch m e h r e r e I s o p a r a f f i n e , und es hat sich hier als zweckmäßig erwiesen, den Kohlenwasserstoff für die Benennung im Sinne der Ausführungen auf S. 17 als einen d u r c h P a r a f f i n r a d i k a l e s u b s t i t u i e r t e n u n v e r z w e i g t e n G r u n d k o h l e n w a s s e r s t o f f aufzufassen. Als solchen wählt man im allgemeinen dasjenige n-Paraffin, das aus der l ä n g s t e n i m M o l e k ü l v o r h a n d e n e n u n v e r z w e i g t e n K e t t e gebildet werden kann, und dessen C-Atome in der auf S. 18 angegebenen Weise zur Festlegung der Stellung der Substituenten d u r c h n u m e r i e r t werden. Die den Grundkohlenwasserstoff substituierenden P a r a f f i n r a d i k a l e heißen Seitenketten. Ihre Benennung erfolgt nach den g l e i c h e n P r i n z i p i e n wie die der P a r a f f i n e , von denen sie sich ableiten, nur daß man die Endung -an der

Die Kohlenwasserstoffe

64

Kohlenwasserstoffe durch die für alle e i n w e r t i g e n R a d i k a l e charakteristische Endung -yl ersetzt (z. B. CH ;i — = Methyl, CH 3 —CH 2 — = Äthyl usw. 1 )). Auf diese Weise erhält man für die zwei möglichen I s o p e n t a n e die folgenden r a t i o n e l l e n B e z e i c h n u n g e n , die ihre K o n s t i t u t i o n erkennen lassen und damit eindeutig n u r d i e a n g e f ü h r t e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e benennen: CH

CH, 1 2 3 i (4) (3) (2) 2 (1) 2-MethyI-butan )

3

1

2 3 CH3 2,2-Dimethyl-propan

In diesen Formeln wurde bereits eine etwas v e r e i n f a c h t e S e h r e i b w e i s e angewandt, bei der die umständlichen Bindestriche zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff fortgelassen werden. Zur w e i t e r e n V e r e i n f a c h u n g , vor allem auch, um kompliziertere Formeln im l a u f e n d e n D r u c k bringen zu können, verwendet man weiterhin l i n e a r e F o r m e l n , in denen die Seitenketten eingeklammert in d e r H a u p t k e t t e m i t g e s c h r i e b e n werden, wie es im folgenden am Beispiel der vier möglichen I s o h e x a n e geschehen ist: CH3—CH(CH3)—CH2—CH2—CH3 2-Metliylpentan

CH3—CH2—CH(CH3)—CH2—CH3 3-MethyIpentan

CH3-C(CH3)2-CH-CH3 2,2-Dimethylbutau

CH3—CH(CH3)—CH(CH3)— CH3 2,3-Dimetliylbutan

Will man nur die Isomerieverhältnisse an sich bekannter Verbindungen darstellen, so ist es zur weiteren Vereinfachung der Formeln schließlich auch noch möglich, die C- u n d H - A t o m e ü b e r h a u p t f o r t z u l a s s e n und lediglich durch eine Z i c k z a c k l i n i e das Kohlenstoffgerüst s c h e m a t i s c h a n z u d e u t e n , wie es im folgenden in anschaulicher Weise für die acht isomeren I s o - H e p t a n e geschehen ist:

2-Methylhexaii

2,4-Dimethylpentan

3-Methylhexan

2,2-Dimethylpentau

2,3-Dimethylpentan

3,3-Dimethylpentan

3-Äthylpentan

2,2,3-Trimethylbutan

Außer der Numerierung der C-Atome des G r u n d k o h l e n W a s s e r s t o f f s zur Festlegung des Ortes der Seitenkette oder eines andern Substituenten ist häufig auch ihre Kennzeichnung durch k l e i n e g r i e c h i s c h e B u c h s t a b e n in Gebrauch, namentlich in der älteren Literatur. So bedeutet z. B. der Ausdruck et-, ß- oder y - M e t h y l eine am e r s t e n , z w e i t e n oder d r i t t e n C - A t o m einer Kette befindliche Methylgruppe. Die angeführten Isopentane können also auch als / ? - M e t h y l b u t a n und ß, / Ö - D i m e t h y l p r o p a n bezeichnet werden. Ähnlich wird der E n d b u c h s t a b e des griechischen Alphabets (co) häufig zur Charakterisierung eines e n d s t ä n d i g e n C - A t o m s einer Kohlenstoffkette u n a b h ä n g i g v o n i h r e r L ä n g e Eine Ausnahme machen nur die sich vom P e n t a n ableitenden Radikale, die nicht P e n t y l e genannt werden, sondern wegen ihrer nahen Beziehungen zum A m y l a l k o h o l (S. 187) den Trivialnamen Amyl- erhalten haben. 2 ) Da man die Durchnumerierung der C-Atome der Hauptkette von b e i d e n E n d e n her beginnen kann, bezeichnen die Namen 2 - M e t h y l b u t a n und 3 - M e t h y l b u t a n (sowie unten entsprechend 2 - M e t h y l p e n t a n u n d 4 - M e t h y l p e n t a n , u s w . ) jeweils den g l e i c h e n K o h l e n w a s s e r s t o f f . Hier und in allen ähnlichen Fällen wird stets diejenige Numerierungsmöglichkeit vorgezogen, bei der die substituierten C-Atome m ö g l i c h s t n i e d r i g e N u m m e r n erhalten.

Grundlegende Definitionen

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angewandt, und schließlich dienen die griechischen Büchstaben auch zur Charakterisierung des g e g e n s e i t i g e n A b s t a n d e s z w e i e r S u b s t i t u e n t e n , unabhängig von der Nummer des C-Atoms bzw. der C-Atome, an denen sie sich befinden. Hier bedeutet der Ausdruck «-, ß- oder y-Stellung (oder auch ein zu einem anderen i x ß - oder y-ständiger Substituent), daß zwei charakteristische Atomgruppen am g l e i c h e n , an b e n a c h b a r t e n oder zwei in „1,3- S t e l l u n g " befindlichen Atomen einer Kette stehen. Wie die angeführten rationellen Namen der verschiedenen I s o p a r a f f i n e zeigen, führt die Wahl der längsten unverzweigten Kette des Moleküls zur Hauptkette zwangsläufig dazu, daß sich am 1- bzw. a-C-Atom einer Kette niemals ein Paraffinradikal befinden kann, da dieses jede Kette ohne Verzweigung v e r l ä n g e r n würde, also mit zur H a u p t k e t t e zählt. Die logische Fortführung dieses Gedankenganges führt zu der Regel, daß eine Meth v l g r u p p e frühestens am z w e i t e n C-.Atom (allgemein C2 genannt), eine Ä t h y l g r u p p e frühestens an C3 und eine P r o p y l g r u p p e sogar erst am v i e r t e n C - A t o m einer Hauptkette stehen kann. Nur bei sehr s y m m e t r i s c h gebauten Verbindungen weicht man zuweilen von diesem Nomenklaturprinzip ab und legt den Paraffinen zur Erzielung eines möglichst e i n f a c h e n N a m e n s auch andere Grundkohlenwasserstoffe zugrunde. So wird z. B. das oben angeführte 2 , 2 - D i m e t h y l p r o p a n besser kurzerhand Tetramethyl-methan genannt. Ebenso ist das 3 - Ä t h y l - p e n t a n gleichzeitig ein Triäthyl-methan und das 2 , 3 - D i m e t h y l b u t a n ein symTetramethyl-ätJian1).

Eine letzte Komplikation, die allerdings nur für g r ö ß e r e M o l e k ü l e von Bedeutung ist, tritt schließlich dann auf, wenn auch die S e i t e n k e t t e n v e r z w e i g t sind. Findet diese Verzweigung bereits an dem der Hauptkette b e n a c h b a r t e n C - A t o m statt, so besteht die Seitenkette in gewissem Sinne trotzdem noch aus einem u n v e r z w e i g t e n P a r a f f i n r e s t , der allerdings nicht mehr wie bisher mit einem e n d s t ä n d i g e n , sondern mit einem der m i t t l e r e n C - A t o m e an die Hauptkette gebunden ist. Zur Benennung derartiger „ s e k u n d ä r e r " P a r a f f i n r a d i k a l e I

genügt lediglich beim s e k u n d ä r e n P r o p y l r a d i k a l (CH 3 —CH—CH 3 ) wegen des Fehlens weiterer Isomeriemöglichkeiten der (allgemein gebräuchliche) Name Isopropyl. Bei allen höheren Radikalen hilft man sich durch N u m e r i e r u n g d e r I C - A t o m e auch der Seitenketten und spricht z. B. von einem Butyl-2- (CH 3 —CH — I

C H 2 - C H 3 ) , einem tfea;?/«-Radikal ( C H 3 - C H 2 - C H - C H 2 - C H 2 - C H 3 ) usw. Liegt schließlich die Verzweigungsstelle weiter von der Hauptkette entfernt, so wird die S e i t e n k e t t e in ähnlicher Weise z e r g l i e d e r t , wie vorher das g e s a m t e Molek ü l , nur daß die die Seitenketten substituierenden R a d i k a l e „ z w e i t e r O r d n u n g " zweckmäßig (es wird jedoch nicht immer streng durchgeführt) die Endung—o erhalten. Als Beispiel für einen derartigen stark verzweigten Kohlenwasserstoff, in dem alle die genannten Möglichkeiten verwirklicht sind, sei im folgenden die K o n s t i t u t i o n s f o r m e l und der r a t i o n e l l e N a m e eines I s o - h e n e i k o s a n s (21 C-Atome) angeführt. In letzterem wurden zur weiteren Erhöhung der Übersichtlichkeit die Namen der komplizierteren Seitenketten e i n g e k l a m m e r t . Doch wird auch dieses Prinzip nicht allgemein durchgeführt:

\/

4-Isopropyl-5-(butyl-2)-0-(2-Metho-propji)-decan

sym- und as- sind die in rationellen Namen gebräuchlichen Präfixe für s y m m e t r i s c h und a s y m m e t r i s c h . 5

K l a g e s , Lehrbuch der Organischen Chemie I, 1

Die Kohlenwasserstoffe

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Als a l l g e m e i n e r Name für ein b e l i e b i g e s P a r a f f i n r a d i k a l dient die Bezeichnung Alkyl (in den Formeln symbolisiert durch den Buchstaben R = Radikal), dem als Gruppenname für die Paraffine der Ausdruck Alkane entspricht. Letzterer wurde auch von der Genfer Nomenklaturkommission für diesen Zweck vorgeschlagen, hat jedoch nur wenig Anklang gefunden. Neben den einwertigen Alkylradikalen gibt es auch mehrwertige Radikale, auf die wir jedoch erst später (S. 83,157) näher eingehen werden. An dieser Stelle seien lediglich die Namen der wichtigsten sich vom M e t h a n ableitenden mehrwertigen Radikale angeführt. Es sind dies die z w e i w e r t i g e Methylen- (—CH 2 —) und die d r e i w e r t i g e Methingrujipe (pCH), während für den v i e r f a c h s u b s t i t u i e r t e n K o h l e n s t o f f , etwa im Tetrachlorkohlenstoff oder im Tetramethylmethan, k e i n b e s o n d e r e r R a d i k a l n a m e n existiert.

Die C-Atome der Paraffine sind durchaus n i c h t alle g l e i c h w e r t i g , da sie mit einer v e r s c h i e d e n e n Anzahl von a n d e r n C - A t o m e n und damit auch von H-Atomen verbunden sind. So ist z . B . der Kohlenstoff einer e n d s t ä n d i g e n M e t h y l g r u p p e jeweils nur mit einem weiteren C-Atom verknüpft, während von dem einer m i t t e l s t ä n d i g e n M e t h y l e n g r u p p e einer unverzweigten Kette bereits zwei, von jedem M e t h i n k o h l e n s t o f f , von dem eine Verzweigung ausgeht, drei, und von jedem z e n t r a l e n C-Atom in den T e t r a - a l k y l - m e t h a n e n schließlich sogar vier C— C - B i n d u n g e n ausgehen. Die der Oxydationsstufe analoge „Carburierungsstufe" ( = Zahl der mit Kohlenstoff abgesättigten Valenzen) eines C-Atoms ist aber für eine Reihe von Eigenschaften der sich von ihm ableitenden organischen Verbindungen (z.B. für die Berechnung der h ö c h s t m ö g l i c h e n , ohne Z e r s t ö r u n g des K o h l e n s t o f f g e r ü s t e s e r r e i c h b a r e n O x y d a t i o n s s t u f e ) von großer Wichtigkeit. Man bezeichnet daher die C-Atome allgemein nach dieser C a r b u r i e r u n g s s t u f e als primäre, sekundäre, tertiäre oder quartäre C-Atome. Ihnen schließt sich als fünfte Möglichkeit der fälschlicherweise meistens ebenfalls als p r i m ä r angesehene Methankohlenstoff an, der überhaupt k e i n e n organischen R e s t mehr enthält, so daß er im Gegensatz zu allen anderen Arten von C-Atomen als einziger ohne Zerstörung von C— C-Bindungen zum K o h l e n d i o x y d oxydiert werden kann. Er wird daher zuweilen durch den nicht ganz exakten Ausdruck „nullär"1) von den eigentlichen primären C-Atomen unterschieden: r

-

j

»

r z s

V-^Zh miliarer

- H primärer

»

r

R— sekundärer Kohlenstoff

» H

t = r _

H

R

r Z ^ - ^ tertiärer

quartärer

2. Vorkommen und Darstellung der Paraffine Vorkommen. Die Paraffine sind so r e a k t i o n s t r ä g e und b e s t ä n d i g , daß sie als einzige Gruppe d e f i n i e r t e r o r g a n i s c h e r V e r b i n d u n g e n in größerer Menge m i n e r a l i s c h in der Natur auftreten. Das bekannteste Vorkommen dieser Art ist das E r d ö l , das im wesentlichen aus einem Gemisch zahlreicher p a r a f f i n a r t i g e r K o h l e n w a s s e r s t o f f e m i t t l e r e r M o l e k ü l g r ö ß e besteht. H ö h e r e P a r a f f i n e treten als f e s t e s E r d w a c h s oder O z o k e r i t zuweilen als Begleiter des Erdöls auf, während die n i e d r i g s t e n Glieder der R e i h e , vor allem das M e t h a n , sich *) Die Null als e x a k t d e f i n i e r t e r Z a h l b e g r i f f wurde erst relativ spät allgemein anerkannt. Eine den Ausdrücken primär bis quartär g l e i c h w e r t i g e , dem L a t e i n i s c h e n entnommene Bezeichnung für die C a r b u r i e r u n g s s t u f e 0 ist daher n i c h t möglich.

Vorkommen und Darstellung der Paraffine

67

in den b r e n n b a r e n E r d g a s e n anreichern. Alle diese Vorkommen sind von großer t e c h n i s c h e r B e d e u t u n g , worauf wir in III, K a p . 1 noch näher eingehen werden. Ebenfalls infolge ihrer Reaktionsträgheit werden die Paraffine dagegen in der b e l e b t e n N a t u r nur sehr s e l t e n angetroffen, da der Organismus mit ihnen trotz ihres großen Energieinhaltes nichts anfangen kann. Sie treten nur als Nebenprodukte der Zersetzung organischer Substanzen auf, so z. B. Methan bei der „Methangärung" der Cellulose in den Sumpfund D a r m g a s e n , ferner n - H e p t a k o s a n (C27H56) und n - H e n t r i a k o n t a n (C^H^) im B i e n e n w a c h s als Reduktionsprodukte der Wachsalkohole. Auch das Erdöl ist durch n a c h t r ä g l i c h e Zersetzung organischer Substanz entstanden (vgl. III, Kap. 1, II, 1).

F ü r die Darstellung einheitlicher Paraffine stehen eine große Anzahl von Methoden zur Verfügung, die sich in d r e i größere Gruppen einteilen lassen: 1. Die E i n f ü h r u n g v o n W a s s e r s t o f f in andere organische Verbindungen unter Erhaltung des Kohlenstoffgerüstes, 2. der Zusammenschluß von Paraffinradikalen unter S y n t h e s e e i n e r C — C - B i n d u n g , und 3. der Abbau höherer organischer Verbindungen durch S p a l t u n g e i n e r C — C - B i n d u n g . Die meisten dieser Verfahren sind auch über die Paraffinherstellung hinaus von Bedeutung, wenn es gilt, bestimmte Molekülteile anderer organischer Verbindungen in paraffinartige Reste umzuwandeln. Zu 1. J e nach der Ausgangsverbindung können wir d r e i v e r s c h i e d e n e Möglichkeiten der Einführung von Wasserstoff unterscheiden: a) Am wichtigsten ist der reduktive Ersatz negativer Substituenten (vor allem von H a l o g e n und S a u e r s t o f f , daneben in geringerem Umfang auch von S t i c k s t o f f und S c h w e f e l ) durch Wasserstoff. Eins der stärksten Reduktionsmittel für diese Reaktion ist k o n z e n t r i e r t e J o d w a s s e r s t o f f s ä u r e , die insbesondere die Reduktion der A l k y l j o d i d e (S. 147f.) auf folgendem Wege bewirkt: R— J + J —H

v

11 - II + J—J

Auch die Reduktion der andern genannten Substituenten erfolgt über die Jodverbindung, die bei der Einwirkung von konzentrierter Jodwasserstoffsäure auf die A l k o h o l e , Ä t h e r , Amine und selbst andere H a l o g e n v e r b i n d u n g e n als primäres Reaktionsprodukt gebildet wird: R—X + H—J

—HX

—"

R—J

+ J —H

v

R—H + J—J

Zur R e g e n e r a t i o n des teuren Jodwasserstoffs setzt man der Reaktion häufig r o t e n Phosphor zu, der mit dem abgeschiedenen Jod in PJ 3 übergeht, das seinerseits durch H y d r o l y s e den Jodwasserstoff zurückbildet. In diesem Fall kommt man natürlich mit weniger als der stöchiometrischen Jodwasserstoffmenge aus, so daß man direkt von einer durch Jodw a s s e r s t o f f k a t a l y s i e r t e n Reduktion mit rotem Phosphor sprechen kann.

Neben Jodwasserstoff wird in geringerem Ausmaße auch n a s c i e r e n d e r W a s s e rs t o f f (z. B. Natrium-Alkohol, Natriumamalgam, Zinkstaub-Eisessig, Zinn-Salzsäure usw.) als Reduktionsmittel verwandt und in einigen Spezialfällen (z. B. im Verlaufe der K o h l e h y d r i e r u n g , III, Kap. 1, I, 4a) auch k a t a l y t i s c h e r W a s s e r s t o f f . Ein umfassender Überblick über die verschiedenen Wirkungsweisen dieser Reduktionsmittel wird später (I, Kap. 12, II) gegeben. b) Auch positive Substituenten, d . h . an Kohlenstoff gebundene M e t a l l e , kann man durch Wasserstoff ersetzen. Doch handelt es sich hier um keine Reduktion mehr, sondern, da der Wasserstoff ebenfalls zu den positiven Substituenten zählt, lediglich um einen h y d r o l y t i s c h e n (oder anderen s o l v o l y t i s c h e n ) Vorgang, bei dem zwei g l e i c h n a m i g e L i g a n d e n gegeneinander ausgetauscht werden. 5*

Die Kohlenwasserstoffe

68

So kann man z. B. die meisten metallorganischen Verbindungen bereits durch W a s s e r zu den entsprechenden Kohlenwasserstoffen h y d r o l y s i e r e n : R—iMe + HO—H

>

R—H + MeOH

Doch hat diese Möglichkeit bei der relativ umständlichen und teuren Darstellung der metallorganischen Verbindungen nur b e s c h r ä n k t e A n w e n d u n g gefunden. Auch die Hydrolyse von Metallcarbiden ist ein Spezialfall dieser Reaktion. Sie ist jedoch n i c h t a l l g e m e i n zur Paraffingewinnung anwendbar, sondern je nach der Zusammensetzung des betreffenden Carbides nur f ü r die Darstellung einiger w e n i g e r K o h l e n w a s s e r s t o f f e geeignet. Die bekanntesten Carbide, die bei der Hydrolyse e i n h e i t l i c h e K o h l e n w a s s e r s t o f f e liefern, sind A l u m i n i u m c a r b i d , das pro C-Atom v i e r Ä q u i v a l e n t e A l u m i n i u m bindet und infolgedessen zum w a s s e r s t o f f r e i c h s t e n Kohlenwasserstoff dem M e t h a n hydrolysiert: C3A14 + 12 H 2 0 —• 3 CH4 + 4 Al(OH) a , u n d ' C a l c i u m e a r b i d , das pro C-Atom nur e i n M e t a l l ä q u i v a l e n t bindet und infolgedessen einen w a s s e r s t o f f a r m e n Kohlenwasserstoff, das bereits nicht mehr zu den Paraffinen zählende A c e t y l e n (S. 114) liefert.

c) Wiederum einem gänzlich andern Reaktionstypus gehört schließlich die als katalytische Hydrierung bezeichnete Anlagerung von e l e m e n t a r e m W a s s e r s t o f f an die D o p p e l - und D r e i f a c h b i n d u n g e n ungesättigter Kohlenwasserstoffe an: H H R—C=C—R

H H --t-5?R—C—C—R I I H H

^±- 2H A. R—C=C—R

Die im einzelnen erst später (S. 96) behandelte Reaktion findet bei Anwendung geeigneter Katalysatoren (insbesondere fein verteilter M e t a l l e d e r 8. G r u p p e ) bereits bei Z i m m e r t e m p e r a t u r statt und hat auch über die eigentliche Paraffinsynthese hinaus eine außerordentlich große p r ä p a r a t i v e und t e c h n i s c h e Bed e u t u n g zur Hydrierung der Doppel- und Dreifachbindungen a n d e r e r o r g a n i s c h e r V e r b i n d u n g e n erlangt. Zu 2. Auch für den Zusammenschluß zweier Paraffinradikale gibt es mehrere Verfahren. Am längsten bekannt und vielleicht das älteste synthetische Verfahren der organischen Chemie überhaupt ist a) die Wurtzsche Synthese 1 ). Sic beruht auf der Herausspaltung von zwei H a l o g e n a t o m e n aus zwei A l k y l h a l o g e n i d m o l e k ü l e n mittels eines f r e i e n M e t a l l s , woraufhin sich die hierbei entstehenden freien Alkylreste zum Paraffin zusammenlagern: • •

R—Hai + 2 Na + H a i - R

>- R—R + 2 NaHal

Als Metall verwandte W U R T Z ursprünglich N a t r i u m , das später häufig durch fein verteiltes Z i n k , S i l b e r oder K u p f e r ersetzt wurde. Die Alkylhalogenide zeigen in der Reihenfolge C h l o r i d e ->• B r o m i d e ->• J o d i d e eine gesteigerte Reaktionsfähigkeit. Die Reaktion verläuft nicht so einfach, wie es auf Grund der Reaktionsgleichung erscheint. Sie wird nach SCHLUBACH (1922) durch die primäre Bildung einer m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g aus dem Metall und der einen Reaktionskomponente eingeleitet, und die eigentR

) WURTZ

war ein französischer Chemiker, sein Name wird daher „ W ü r t z " ausgesprochen.

Darstellung der Paraffine

69

liehe Synthese findet erst in einer z w e i t e n R e a k t i o n s p h a s e durch Umsetzung dieser metallorganischen Verbindung mit dem z w e i t e n A l k y l h a l o g e n i d m o l e k ü l statt (vgl. auch I, Kap. 9, I): Vl ,l!

R—Hai + 2 Na

"

>

R—Na

""! ' '' > R - R

11 — NaHa]

Man bezeichnet daher häufig eine Synthese, bei der von vornherein eine m e t a l l o r g a n i s c h e V e r b i n d u n g mit einem A l k y l h a l o g e n i d umgesetzt wird, ebenfalls als WuRTZsche Synthese. Leider ist die WuRTZsche Synthese vielfach von unerwünschten N e b e n r e a k t i o n e n begleitet, die ihre Anwendbarkeit zuweilen stark beeinträchtigen. Insbesondere treten beim Zusammenschluß verschiedener Radikale (R und R') im allgemeinen alle drei Kombinationsmöglichkeiten (R—R, R—R' und R'—R') n e b e n e i n a n d e r auf. Ebenfalls sehr unangenehm ist die vielfach beobachtete D i s p r o p o r t i o n i e r u n g der beiden Paraffinradikale, wobei unter Wanderung eines H-Atoms ein P a r a f f i n und ein u n g e s ä t t i g t e r K o h l e n w a s s e r s t o f f entsteht: R—CH2—CH2i—Hai + Zn | Hai - CH..-CH -II —• ZnHal 2 +R-CH 2 —CH 3 + R—CH=CH 2 I H Diese Disproportionierung ist allerdings nur dann möglich, wenn wenigstens eines der beiden Paraffinradikale in «• S t e l l u n g z u m R a d i k a l a t o m W a s s e r s t o f f e n t h ä l t , da sonst die Ausbildung einer Doppelbindung unmöglich ist. Bei der Verknüpfung zweier M e t h y l r a d i k a l e (sowie auch zweier P h e n y l - oder B e n z y l r a d i k a l e ) verläuft die WuRTZsche Synthese daher immer b e s o n d e r s g l a t t . Trotz dieser Schwierigkeiten ist die WuRTZsche Synthese auch h e u t e noch von großer praktischer B e d e u t u n g , u n d es sind z. B. die auf S. 79 beschriebenen höchsten bisher b e k a n n t e n einheitlichen P a r a f f i n e n a c h ihr hergestellt worden. b) die Kolbesche Paraffin-Synthese durch e l e k t r o l y t i s c h e Zersetzung von f e t t s a u r e n S a l z e n . Sie erfolgt äußerlich n a c h einer ähnlichen Reaktionsgleichung, d e n n m a n m u ß a n n e h m e n , d a ß die bei der E n t l a d u n g der Anionen entstehenden u n g e l a d e n e n R e s t e sofort C 0 2 u n t e r Bildung der P a r a f f i n r e s t e abspalten, u n d d a ß sich letztere d a n n wie bei der WunTzschen Synthese z u m P a r a f f i n zusammenlagern : 2 R—C^ \ö,

n e

~2-

R-R

\Ö.

Der R e a k t i o n s m e c h a n i s m u s ist jedoch ein ganz anderer, da hier tatsächlich intermediär die f r e i e n R a d i k a l e auftreten. Im übrigen ist die Reaktion in noch stärkerem Maße von N e b e n r e a k t i o n e n , insbesondere wieder von einer D i s p r o p o r t i o n i e r u n g der Radikale in je ein Molekül eines P a r a f f i n s und eines u n g e s ä t t i g t e n K o h l e n w a s s e r s t o f f s , begleitet als die WuRTzsche Synthese, so daß sie an Bedeutung hinter dieser zurücktritt. c) E i n e weitere Möglichkeit der Synthese einfacher C—C-Bindungen liegt in der Polymerisation von Olefinen (vgl. S. 96) vor. Sie wird allerdings n u r selten zur Darstellung e i n h e i t l i c h e r P a r a f f i n e v e r w a n d t , d a die R e a k t i o n irü allgemeinen n i c h t n a c h d e m Zusammenschluß einer b e s t i m m t e n Z a h l von Olefinmolekülen abgebrochen werden k a n n . E s e n t s t e h t vielmehr meistens ein G e m i s c h m e h r e r e r K o h l e n w a s s e r s t o f f e verschiedener Molekülgröße nebeneinander, wie es z. B. bei der Herstellung der technisch wichtigen P o l y m e r i s a t i o n s b e n z i n e aus den Crackgasen (III,Kap. 1,11,2) der Fall ist. Als Beispiel einer e i n h e i t l i c h verlaufenden

Die Kohlenwasserstoffe

70

Polymerisationsreaktion sei die ebenfalls technisch wichtige Synthese des I s o - o c t a n s (s. unten) aus zwei Molekülen I s o b u t y l e n unter Einwirkung von S c h w e f e l s ä u r e angeführt:

ch2 II

ch3—c I

ch 3

_l_=l_

I

+CH2=c—ch3

>-

CH3

Isobutylen

Isobutylen

1

H

—->

o,ler

JL

ch 3

ch 3

I

CH3—C CH2 I ch 3

Iso-octen

I

CH—CH3

Iso-octan ( = 2,2,4-Trimethylpentan)

I ) a bei derartigen Dimerisierungsreaktionen stets e i n e D o p p e l b i n d u n g ü b r i g b l e i b t , muß m a n diese zur Darstellung des eigentlichen Paraffins in einer z w e i t e n R e a k t i o n s s t u f e nach dem Verfahren l c k a t a l y t i s c h h y d r i e r e n . In dem speziellen Fall der I s o - o c t a n s y n t h e s e kann man diese Zweistufenreaktion auch durch direkte Anlagerung von I s o b u t a n an I s o b u t y l e n umgehen, die zweckmäßig ebenfalls mit S c h w e f e l s ä u r e als Katalysator durchgeführt wird 1 ):

CH3

ch 3

1 , 1 , CH 3 —0—H -J- CH2 = C—CH3 L

CH3

Isobutan

ch 3 •

CH3

I I C H 3 — C — C H « — CH—CH3 i

('}

Isobutylen

Iso-octan

Zu einer derartigen Anlagerung an eine C = C- Doppelbindung sind allerdings im allgemeinen nur die von einem t e r t i ä r e n C - A t o m ausgehenden C—H-Bindungen befähigt. Die Reaktion dient unter der Bezeichnung „Alkylierung" vielfach in der T e c h n i k zur Paraffinsynthese. Beim Zusammenschluß s e h r v i e l e r M o l e k ü l e eines ungesättigten Kohlenwasserstoffs entstehen h o c h m o l e k u l a r e V e r b i n d u n g e n , z. B . aus Ä t h y l e n selbst ein h o c h m o l e k u l a r e s P a r a f f i n mit u n v e r z w e i g t e r K e t t e (vgl. S. 8 0 ) : b H 2 C=CH 2 + H 2 C=CH, + H2C = CH2 + H 2 C=CH 2 + H 2 C=CH 2 + H 2 C=CH 2 + • • •

—>• • • • —H2C—CHo—CH2—CH2—CH2—CH2—CH2—CH2—CH2—CH2—CH2—CH2— • • • d) Eine letzte Möglichkeit der P a r a f f i n s y n t h e s e , die allerdings ebenfalls nur zu einem G e m i s c h der verschiedenen Glieder der homologen Reihe führt, liegt schließlich in der Benzinsynthese aus K o h l e n o x y d und W a s s e r s t o f f nach F I S C H E R und T R O P S C H (vgl. III, Kap. 1,1, 4 b ) vor. Es ist anzunehmen, daß bei dieser Reaktion intermediär die r a d i k a l a r t i g e Gruppe • GH2 • entsteht, deren sehr i n s t a b i l e Moleküle sich rasch zu einer K o h l e n s t o f f k e t t e zusammenlagern, die schließlich an den Enden durch W a s s e r s t o f f abgesättigt wird, wie es im folgenden schematisiert angedeutet ist: nCO + 2 n H 2

~n-H'(V

nCH2

>- (•(CH 2 )- )

H—(CH 2 )—H

Diese Synthese bedeutet also in gewissem Sinne die praktische Durchführung des auf S. 62 zur Ableitung der Summenformel der Paraffine angestellten Gedankenexperimentes. Zu 3. Auch beim Abbau organischer Verbindungen entstehen zuweilen P a raffine, doch ist dieser W e g wegen der Z e r s t ö r u n g eines Teiles der immer wertvollen o r g a n i s c h e n S u b s t a n z im allgemeinen von geringerer Bedeutung als die vorbesprochenen Verfahren. *) Die Reaktion gehört zu den wenigen Beispielen einer entgegen der auf S. 94 beschriebenen Regel von M A R K O W N I K O W verlaufenden Anlagerungsreaktion. Bzgl. des Mechanismus vgl. auch II, Kap. 4, I I , 3- : R—H + co 2

Die Reaktion kann bei den P a r a f f i n e n selbst allerdings nur durch ziemlich scharfe R e a k t i o n s b e d i n g u n g e n , und zwar durch Erhitzen der f e t t s a u r e n Salze mit überschüssigem Alkali (S. 315) erzwungen werden, verläuft aber bei einigen komplizierteren organischen Verbindungen, insbesondere den ¿Ö-Ketocarbonsäuren (S. 495f), außerordentlich leicht und wird z. T. schon durch gelindes Erwärmen der freien Säuren auf Temperaturen unter 100° ausgelöst. b) Die Hydrierung einfacher C—C-Bindungen. Außer an doppelte und dreifache Bindungen läßt sich k a t a l y t i s c h e r W a s s e r s t o f f unter geeigneten Bedingungen auch an einfache C—C-Bindungen anlagern. Hierbei wird naturgemäß das Molekül in zwei Teile zerlegt, so daß man auch auf diesem Wege durch Abbau höherer organischer Verbindungen P a r a f f i n e gewinnen kann: R—R' + H—H

v

R—H + R'—H

Allerdings ist diese Reaktion wegen der größeren R e a k t i o n s t r ä g h e i t der einfachen C—C-Bindungen nur bei Temperaturen um 400° und unter sehr hohen W ä s s e r s t o f f d r u c k e n durchführbar. Da außerdem infolge der G l e i c h a r t i g k e i t aller C—C-Bindungen stets ein Gemisch aller möglichen R e a k t i o n s produkte entsteht, hat das Verfahren keine präparative Bedeutung zur Darstellung einzelner P a r a f f i n e erlangt, doch spielt es in der Technik eine wichtige Rolle als Grundlage der Kohlehydrierung (III, Kap. 1, I, 4a). Auch die C—C-Bindungen im e l e m e n t a r e n K o h l e n s t o f f des Rußes lassen sich mit W a s s e r s t o f f bis zum Methan abbauen. Die Reaktion verläuft mit Nickel oder P a l l a d i u m als Katalysator bereits von 250° ab, kann aber auch ohne K a t a l y s a t o r bei Temperaturen um 1200° durchgeführt werden.

3. Die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Paraffine Der Aggregatzustand der Paraffine wird durch zwischenmolekulare K r ä f t e bedingt und ist daher in starkem Maße von der Molekülgröße abhängig. Die niederen Glieder der Reihe bis etwa zu den B u t a n e n sind bei Zimmertemperatur gasförmig, die m i t t l e r e n flüssig und die höheren P a r a f f i n e , etwa vom H e p t a d e c a n (C17H36) ab, in der normalen R e i h e fest. Im einzelnen steigen, wie aus Tabelle 1 hervorgeht, die S i e d e t e m p e r a t u r e n der n - P a r a f f i n e anfangs schnell, später langsamer mit der Zahl der C-Atome an und erreichen etwa beim Nonadecan (C19H40) die mit zunehmender Molekülgröße langsam abnehmende Z e r s e t z u n g s t e m p e r a t u r . Doch kann man im V a k u u m , Hochvakuum und neuerdings im H ö c h s t Vakuum bei der Molekular de s t i l l a t i o n (vgl. S.72 Anm. 3) auch höhergliedrige Paraffine bis herauf zum H e p t a k o n t a n (C70H142) noch unzersetzt destillieren. Ähnlich steigen auch die Schmelzpunkte der normalen P a r a f f i n e unterbrochen bis zu den höchsten Gliedern der Reihe an. Doch verläuft die Kurve hier wesentlich flacher und unregelmäßiger als die Siedepunktskurve und nähert sich im Gegensatz zu dieser asymptotisch einem oberen Grenzwert von etwa 140—150°, der auch in hochmolekularen P a r a f f i n e n nicht überschritten wird.

72

Die Kohlenwasserstoffe Tabelle 1 Die physikalischen D a t e n einiger

Paraffine

1. normale Paraffine Formel CH, C2H6 C3H8 C«H10 C 6 H 12 C«H14 C 7H 1 6 CGH18 C 9 H 20 QLIH24 CIÎH 26 CJ 3 H 28 CI4H30 CI5H32 CIEH34 CI7H36 CisH38 CISHJO C2 o /

CH2:

R—CH—CH 2 i~0—S0 3 H

TT

'

Qrt

*> R—CH=CH 2

In beiden Fällen findet also die W a s s e r b i l d u n g n i c h t b e i der e i g e n t l i c h e n A b s p a l t u n g s r e a k t i o n statt, sondern entweder v o r h e r bei der V e r e s t e r u n g oder anschließend beim Z e r f a l l des M e t a l l h y d r o x y d s . Tatsächlich abgespalten werden vielmehr nur die gegenüber Wasser stärker sauren O b e r f l ä c h e n h y d r o x y d e der E r d m e t a l l o x y d e oder S c h w e f e l - bzw. P h o s p h o r s ä u r e , und man kann in der beobachteten Temperatursenkung beim Übergang von der bei 400° noch nicht erfolgenden direkten Wasserabspaltung über die bei 300° stattfindende A l u m i n i u m o x y d - und die bei 200° vor sich gehende S c h w e f e l - und P h o s p h o r s ä u r e k a t a l y s e sehr schön die beschriebene Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der A c i d i t ä t der V e r b i n d u n g H—X erkennen.

Die katalytische Wasserabspaltung ist n i c h t immer ein e i n h e i t l i c h v e r l a u f e n d e r V o r g a n g , da unter ä h n l i c h e n Reaktionsbedingungen auch Ä t h e r (S. 207) und bei der Einwirkung von Alkoholen auf konzentrierte Schwefelsäure auch deren n e u t r a l e D i a l k y l e s t e r (S. 201) entstehen können. Man muß infolgedessen immer sehr auf die Einhaltung der Reaktionsbedingungen achten. 2. Die Abspaltung von Säuren aus Estern. Infolge dieser Komplizierung durch die angeführten Nebenreaktionen ist es häufig vorteilhafter, statt von den Alkoholen direkt von den E s t e r n auszugehen, die beim Erwärmen dann o h n e K a t a l y s a t o r die Säure abspalten. Als Ester s c h w e r f l ü c h t i g e r S ä u r e n eignen sich hierzu, außer den als Zwischenprodukten bei Wasserabspaltung in Gegenwart von Säuren bereits erwähnten s a u r e n S c h w e f e l s ä u r e - und P h o s p h o r s ä u r e - e s t e r n , vor allem die viel leichter rein darstellbaren Ester a r o m a t i s c h e r S u l f o n s ä u r e n , insbesondere die gut kristallisierenden p - T o l u o l s u l f o n s ä u r e - e s t e r (I, Kap. 7, II, 1), sowie die Ester h o c h s i e d e n d e r C a r b o n s ä u r e n , wie etwa die P a l m i t i n - oder Stearinsäureester: R—CH— H CH 2 ;—OOC-R'

-HOOC-R'

>

R

~|j;H CH2

^HO.S-C^H,

R_

'?H~ H CH*—0S0 2 —C 7 H 7 ,

die l e i c h t f l ü c h t i g e O l e f i n e bereits beim Erhitzen auf 2—300° abspalten. Als leicht spaltbare E s t e r f l ü c h t i g e r S ä u r e n verwendet man hauptsächlich die A l k y l h a l o g e n i d e (S. 147), deren Befähigung zur Halogenwasserstoffabspal-

Darstellung der Olefine

87

tung von den Chlor- über die Brom- zu den J o d v e r b i n d u n g e n sowie ebenfalls von den p r i m ä r e n über die sekundären zu den t e r t i ä r e n H a l o g e n i d e n ansteigt. Die Durchführung der Umsetzung ist wegen der Flüchtigkeit der Halogenwasserstoffe nur bei hochsiedenden Olefinen auf dem Wege der thermischen Zersetzung möglich und geschieht daher meistens in Gegenwart basischer R e a g e n t i e n (z. B. von Ätznatron, Natriumalkoholat, tertiären Aminen usw.) als A k t i v a t o r e n , die die abzuspaltenden Halogenwasserstoffsäuren als S a l z e binden und dadurch das Gleichgewicht soweit zugunsten der A b s p a l t u n g s r e a k t i o n verschieben, daß diese nunmehr auch unter milden B e d i n g u n g e n in homogener P h a s e quantitativ verläuft. Doch beobachtet man hier als unerwünschte Nebenreaktion häufig eine S u b s t i t u t i o n des H a l o g e n s , im Falle der Verwendung von Natriumalkoholat z . B . die Bildung von Äthern (näheres vgl. S. 151, 208): R — C H = C H -
)C-CII CH 3 /

CH, CH,

ÖH2—CH2

"

"

CHjk

)c

CH,

CH3-

Als Katalysatoren verwendet man in diesem speziellen Fall A l u m i n i u m oder Aluminiumoxyd. Erst in Gegenwart von L u f t s a u e r s t o f f , der den abzuspaltenden Wasserstoff sofort v e r b r e n n t und dadurch das Gleichgewicht zugunsten der D e h y d r i e r u n g s r e a k t i o n verschiebt, kann auch die Äthandehydrierung unterhalb 600° durchgeführt werden.

5. Neben der Herausspaltung von Wasserstoffverbindungen ist die Abspaltung von z w e i s c h w e r e n S u b s t i t u e n t e n unter Bildung einer Doppelbindung praktisch nur von untergeordneter Bedeutung gebheben. Als wichtigstes Beispiel sei der Entzug von Halogen aus 1,2-DihaIogen-paraffinen (S. 158) mittels Z i n k oder anderer f r e i e r M e t a l l e angeführt: —

2:

¿ H , - -Hai

+ Zn

- ZnCl,^ *jjH2

Die Reaktion stellt eine Art innermolekulare WuRTzsche Synthese dar und bietet gegenüber der Abspaltung von H-—-X-Molekülen den Vorteil der g e n a u e n F e s t l e g u n g d e s O r t e s der entstehenden Doppelbindung. Physikalische Eigenschaften. Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, zeigen die Olefine hinsichtlich ihres A g g r e g a t z u s t a n d e s gegenüber den Paraffinen gleicher Kohlenstoffzahl k e i n e g r ö ß e r e n U n t e r s c h i e d e . Z. B. hegen die S i e d e - und S c h m e l z t e m p e r a t u r e n der Olefine mit e n d s t ä n d i g e r D o p p e l b i n d u n g nur um wenige Grade tiefer als die der entsprechenden Paraffine (vgl. Tabelle 1, S. 72) und lediglich die c i s - F o r m e n d e r O l e f i n e mit mittelständiger Doppelbindung schmelzen

89

Physikalische Eigenschaften der Olefine

wegen der für die Einordnung in ein Kristallgitter ungünstigen M o l e k ü l g e s t a l t wesentlich tiefer als die mit den Paraffinen gleicher Kohlenstoffzahl besser übereinstimmenden trans-Verbindungen. Tabelle 2 Die p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n einiger Olefine und P o l y - o l e f i n e Summenformel c2h4 c3h. c4H8

C6H10

CH2 = CH—CHj CH2—CH—CHj—CH3

trans-Buten-2

/ =

Trimethyl-äthylen n-Hexen-1 CeHig • n-Hexen-2 2-Methyl-penten-2 n-Hepten-1 n-Octen-1 n-Nonen-1 n-Decen-1

CloU-20

C3H4 C4H6 c6h8

Allen Butadien-1,2 J Butadien-1,3 Isopren

CeHjo |

ch2=ch2

Äthylen Propylen Buten-1 cis-Buten-2 n-Penten-1 . trans-n-Penten-2

C,H14 CgH16 C9H18

Konstitution

Name

Dimethylbutadien Diallyl

Sdp.

Smp.

—104° — 47 — 6 4

—170° —185

mittels Benzopersäure

Primäraddukt

Olefinoxyd

Die Kohlenwasserstoffe

92

Nach einem grundsätzlich anderen Mechanismus als die bisher beschriebenen Anlagerungsreaktionen verläuft schließlich die Einwirkung von Ozon, bei der, ohne daß die Bildung eines primären Additionsproduktes mit noch i n t a k t e r K o h l e n s t o f f k e t t e bisher nachgewiesen werden kpnnte, sofort eine v o l l s t ä n d i g e A u f s p a l t u n g d e r D o p p e l b i n d u n g stattfindet und ein nicht ganz exakt als Ozonid (vgl. auch S. 281) bezeichnetes c y c l i s c h e s P e r o x y - a n h y d r i d z w e i e r O x o v e r b i n d u n g e n entsteht:

N R"

: C =
-

H

I

©

_

A v

Sekundärreaktion

>

I

X

Ir t i r

Lilr,—La«

Die Anlagerung erfolgt daher in Analogie zur N e u t r a l i s a t i o n der A m i n e um so leichter, je s t ä r k e r sauer die anzulagernde Verbindung ist, und läßt sich bei Verwendung starker S ä u r e n auch r e v e r s i b e l durchführen, wie die auf S. 86 beschriebene Darstellung von Olefinen aus E s t e r n s t a r k e r S ä u r e n zeigt. Erst bei der Anlagerung s c h w a c h e r und s c h w ä c h s t e r , , S ä u r e n " , wie z.B. von W a s s e r oder A m i n e n , verschwindet die Analogie mit dem Ammoniak, da hier bei den Olefinen zwar ebenfalls keine starke Anlagerungsneigung, aber auch k e i n e r l e i T e n d e n z zur W i e d e r a b s p a l t u n g der einmal angelagerten schwachen Säuren beobachtet wird. Dies ist darauf zurückzuführen, daß nur die P r i m ä r r e a k t i o n , nicht aber die s e k u n d ä r e A n l a g e r u n g d e s S ä u r e a n i o n s X _ a n das labile salzartige Zwischenprodukt I a m m o n i a k a n a l o g verläuft. Gerade diese Sekundärreaktion geht aber mit um so g r ö ß e r e r W ä r m e t ö n u n g vor sich, je s t ä r k e r b a s i s c h das Anion X - und damit je s c h w ä c h e r s a u e r die Verbindung H—X ist. Der verminderten Wärmetönung der Primärreaktion entspricht also stets eine e r h ö h t e W ä r m e t ö n u n g der S e k u n d ä r r e a k t i o n , so daß die G e s a m t w ä r m e t ö n u n g der vollständigen Anlagerungsreaktion nahezu u n a b h ä n g i g v o n d e r A c i d i t ä t der Verbindung H—Xist. Von dieser hängt lediglich die L e i c h t i g k e i t der B i l d u n g der Z w i s c h e n V e r b i n d u n g I und damit die A k t i v i e r u n g s e n e r g i e der Hin- und Rückreaktion ab. Man beobachtet daher bei abnehmender Acidität der Verbindung H — X lediglich eine H e r a b s e t z u n g der A n l a g e r u n g s - und auch der W i e d e r a b s p a l t u n g s g e s c h w i n d i g k e i t .

Die wichtigsten Anlagerungsreaktionen dieses Typus sind in dem folgenden Formelbild zusammengestellt: CH3—CH2—OSO3H Schwefelsäurehalbester

CH3—CH3—Hai Alkylhalogenid

CH2=CH2 . „ + H—Hai

+ ¿J

|

CH3—CH2—OH Alkohol

CH3—CH2—ooc—R , +H—ONO,

Carbonsäureester

I

CH 3 —CH 2 —0N0 2 Salpetersäureester

Im einzelnen beobachtet man etwa die folgende A b s t u f u n g der R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t beim Übergang von s t a r k e n zu s c h w a c h e n S ä u r e n : S c h w e f e l s ä u r e als stärkste der gebräuchlichen Mineralsäuren vermag in konz e n t r i e r t e r Form (zuweilen sogar bereits als 67%ige Säure) g a s f ö r m i g e Olef i n e ähnlich leicht wie A m m o n i a k direkt a u s der G a s p h a s e zu a b s o r b i e r e n , wovon in der Technik zum A b f a n g e n der O l e f i n e aus Industriegasen des öfteren Gebrauch gemacht wird (vgl. S. 177). Auch die Anlagerung von H a l o g e n w a s s e r s t o f f e n erfolgt noch ziemlich glatt, und zwar wiederum abnehmend in der Reihenfolge HJ-^HBr^HCl-*HF, während C a r b o n s ä u r e n ohne Katalysatoren nur noch in w e n i g e n A u s n a h m e f ä l l e n reagieren (vgl. z. B. die t e c h n i s c h e Camphers y n t h e s e , III, Kap. 5,11,2d) und W a s s e r überhaupt n i c h t mehr angelagert werden kann. Auch in Gegenwart von n e u t r a l e n K a t a l y s a t o r e n wie N a t r i u m b o r a t , N a t r i u m m e t a s i l i k a t u. a. erfordert die Wasseranlagerung noch Temperaturen von 150—300° und Drucke von 20—50 Atmosphären. Erst in Gegenwart von S c h w e f e l s ä u r e geht die Reaktion wesentlich l e i c h t e r vor sich, und man kann nunmehr C a r b o n s ä u r e n ziemlich glatt und auch W a s s e r ohne besondere Schwierigkeiten an einige besonders a k t i v e O l e f i n e mit mindestens einem t e r -

Die Kohlenwasserstoffe

94

t i ä r e n C - A t o m zur Anlagerung bringen, weil hier die sauren O n i u m i o n e n (R—COOHj und OHj) zur Einwirkung kommen. Die Anlagerung von A m m o n i a k an u n v e r z w e i g t e O l e f i n e ist schließlich erst bei 450° und 20 A t m o s p h ä r e n D r u c k über Molybdänkontakten möglich und erfordert auch bei Verwendung der bereits schwach sauren A m m o n i u m i o n e n noch Reaktionstemperaturen von etwa 300°. Außer von der Säurestärke hängt die Geschwindigkeit der Anlagerungsreaktion in ähnlicher Weise von der S t r u k t u r d e r O l e f i n e ab, wie die der auf S. 85 beschriebenen A b s p a l t u n g s r e a k t i o n e n . Insbesondere Olefine, deren Doppelbindung von einem t e r t i ä r e n C - A t o m oder gar dem V e r z w e i g u n g s - C - A t o m e i n e s R i n g m o l e k ü l s ausgeht, treten sehr leicht in Reaktion, so daß man z. B. den t e r t i ä r e n A m y l a l k o h o l direkt als „Atnylenhydrat" (S. 188) oder das B o r n y l c h l o r i d als „Pinenhydrochlorid" (III, Kap. 5, II, c) bezeichnet. Auch die nicht mehr zu den eigentlichen Kohlenwasserstoffen zählenden a^ß-unge s ä t t i g t e n C a r b o n y l v e r b i n d u n g e n lagern sehr leicht Wasser und andere Verbindungen vom Typus I I — X unter Bildung der ß-Substitutionsprodukte der gesättigten Verbindungen an: O X O II ,H x I II R—CH=CH—C—R' R—CH—CH 2 —C—R', worauf in anderem Zusammenhang (S. 285, 269 u. a.) noch näher eingegangen wird.

Im Gegensatz zu der unter a) beschriebenen Reaktionsgruppe werden bei der Anlagerung von H—X-Molekülen nur m o n o s u b s t i t u i e r t e P a r a f f i n e gebildet, so daß bei unsymmetrischen Olefinen zwei i s o m e r e R e a k t i o n s p r o d u k t e nebeneinander auftreten können, je nachdem, an w e l c h e s C - A t o m der Wasserstoff t r i t t : R—CHX—CH 2 —R'

- CH3—¿H—CHa—CH=0 2 Acetaldol

CHa—CH—CHa—CHa I Butan-diol-1,3 •

> CH2=CH—C=CH CH2=CH—GH=GH2 CuCl + HCl Vinylacetylen Butadien OH OH OH OH I I +2 I I 2 Hs0 CHa—C=C—CHa ^ CHa—CHa—CHa—CHa '— Butin-2-diol-l,4 Butan-diol-1,4

Das e r s t e V e r f a h r e n wird trotz des ziemlich umständlichen Weges z. Z. noch in der P r a x i s bevorzugt, zumal es als einziges die Möglichkeit bietet, sich auch vom Ä t h y l a l k o h o l ausgehend in die Reaktion einzuschalten. Doch hat es gerade hier in neuerer Zeit eine scharfe Konkurrenz durch ein russisches, von L E B E D E W entwickeltes Verfahren erfahren, nach dem man die gesamte Reaktionsfolge vom Ä t h y l a l k o h o l bis zum B u t a d i e n über MnO—A1203oder ZnO—Al a 0 3 -Katalysatoren bei 400° in e i n e m R e a k t i o n s g a n g in 50%iger Ausbeute durchführen kann:

2 C2H6OH

• CHS=CH—CH=CHa + 2 HaO + Ha

Das Verfahren findet in dieser Form in Rußland bereits g r o ß t e c h n i s c h e Anwendung. Das formal ebenfalls recht einfache z w e i t e V e r f a h r e n bietet noch einige technische Schwierigkeiten, dürfte aber wegen seiner Einfachheit^ größere Z u k u n f t s a u s s i c h t e n haben. Letzteres gilt auch f ü r den dritten Weg, der den Vorteil des Ersatzes der Hälfte des relativ teuren Acetylens durch den aus K o h l e n o x y d und W a s s e r s t o f f über das M e t h a n o l leicht zugänglichen F o r m a l d e h y d f ü r sich hat.

Isopren (2-Methylbutadien) CH 2 =C(CH 3 )—CH=CH 2 ist der monomere Grundkörper zahlreicher Naturstoffe, die im 24. Kapitel zusammenfassend beschrieben sind. Die wichtigsten von ihnen, die T e r p e n e und C a m p h e r , leiten sich von einem c y c l i s c h e n D i m e r e n des Isoprens, dem L i m o n e n oder D i p e n t e n (vgl. III, Kap. 5, II, 1 a) ab, das aus Isopren bei etwa 300° im Sinne einer D i e n s y n t h e s e erhalten wird und sich bei 500° an einer schwach glühenden Platinspirale wieder in I s o p r e n zurückverwandeln läßt:

Ä Isopren

Isopren

II

/

J11-.-^ 300« "

OH

J\

I I Dipenten \ / (Limonen) / X

Von t e c h n i s c h w i c h t i g e n I s o p r e n d e r i v a t e n ist vor allem der K a u t s c h u k (III, Kap. 5, I, 3) zu erwähnen, der ein dem Buna analoges n a t ü r l i c h e s hochmolekulares Polymerisationsprodukt des Isoprens darstellt, aber auch s y n t h e t i s c h gewonnen werden kann, z. B. durch N a t r i u m p o l y m e r i s a t i o n von Isopren. Doch kommt dem künstlichen Isoprenkautschuk neben dem viel billigeren Naturprodukt k e i n e p r a k t i s c h e B e d e u t u n g zu, zumal seine Eigenschaften durch den Buna in mancher Hinsicht bereits t e c h n i s c h ü b e r h o l t sind.

Die Acetylene

107

T e c h n i s c h wird Isopren aus A c e t o n und A c e t y l e n auf dem folgenden Wege gewonnen, dessen einzelne Reaktionsstufen wir ebenfalls erst später kennen lernen werden: CH3X

CH3X

\ } = 0 + H—C=CH CH/ Aceton

,OH

CH3X

+



H

X C H / C=C—H 3-Methyl-butin-l-oI-3

Acetylen

.OH

" > CH/ CH=CH2 3-Methylbuten-l-ol-3

3 -

H

' ° >

CH2=I—CH=CH2 Isopren

2,3-Dimethylbutadien CHA=C(CH3)—C(CH3)=CHA, kurz Dimethylbutadien genannt, ist von einem gewissen h i s t o r i s c h e n I n t e r e s s e , weil es aus Aceton durch P i n a k o n r e d u k t i o n (S. 235) und anschließende Wasserabspaltung als erstes Dien t e c h n i s c h in größerem Maßstab hergestellt wurde: CH, OH3—C +

0

CH^ C—CH3

0

Aceton

CHJ

CH3

CH3—C—C—CH3

- 2 H ' °^ >

¿OH H D)I OH Finakon

C H = i —CL= cC H ,

C H 2 =äC

Dimethylbutadien

Es diente im ersten Weltkrieg auf deutscher Seite zur e r s t m a l i g e n t e c h n i s c h e n S y n t h e s e k a u t s c h u k a r t i g e r P r o d u k t e , doch war dieser „Methylkautschuk" infolge der noch ungenügenden Beherrschung des Polymerisationsprozesses zu weich, um sich gegenüber dem Naturkautschuk durchsetzen zu können. Heute ist er vom Buna r e s t l o s verdrängt. c) K o h l e n w a s s e r s t o f f e m i t i s o l i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n Am wenigsten Interesse beanspruchen schließlich Verbindungen mit mehreren, mindestens durch z w e i P a r a f f i n - C - A t o m e getrennten Doppelbindungen, da hier keine gegenseitige Beeinflussung der Doppelbindungen mehr erkennbar ist. Derartige Kohlenwasserstoffe verhalten sich infolgedessen lediglich wie ein d o p p e l t e s M o n o - o l e f i n , und man spricht von isolierten Doppelbindungen. Als Beispiel einer einfachen Verbindung dieses Typus sei das Hexadien-1,5 oder Diallyl angeführt, das durch WURTZSCHE Synthese aus A l l y l j o d i d und N a t r i u m leicht zugänglich ist: C H 2 = C H — C H 2 — J + 2 NA + J — C H 2 — C H = C H 2



CH2=CH—CH2—CHA—CH=CH2

Diese Reaktion ist gleichzeitig ein schönes Beispiel für die auf S. 84 erwähnte Möglichkeit der Synthese eines Olefins unter U m g e h u n g jeglicher D o p p e l b i n d u n g s r e a k t i o n . Komplizierteren Kohlenwasserstoffen mit isolierten Doppelbindungen werden wir ebenfalls bei den T e r p e n e n und C a m p h e r n begegnen. Auch die oben kurz gestreiften natürlichen und künstlichen K a u t s c h u k a r t e n sind P o l y e n e mit isolierten Doppelbindungen. 4. Die Acetylene oder Allane Definition. Fehlen an zwei b e n a c h b a r t e n C - A t o m e n v i e r A t o m e W a s s e r s t o f f , so muß man in Analogie zu den O l e f i n e n annehmen, daß hier eine d r e i f a c h e B i n d u n g vorliegt. Kohlenwasserstoffe, die als einzige Funktion eine derartige dreifache Bindung enthalten, werden nach ihrem einfachsten Vertreter

Die Kohlenwasserstoffe

108

Acetylene genannt und besitzen, wie sich aus der Definition ohne weiteres ergibt, die S u m m e n f o r m e l C n H 2 n _2.

Die Isomerieverhältnisse dieser Verbindungsgruppe sind etwas e i n f a c h e r als die der O l e f i n e , da die Möglichkeit der Verzweigung am dreifach gebundenen C-Atom und auch die der Ä t h y l e n i s o m e r i e fortfällt. Die Benennung erfolgt entweder auf Grund der G e n f e r N o m e n k l a t u r durch die Endung -in, die wiederum in g l e i c h e r W e i s e angewandt wird wie die Endung -an der P a r a f f i n e bzw. die Endung -en der Olef i n e , und der der vielfach übliche Gruppenname Alkine für die ganze Reihe entspricht. Daneben ist aber auch die Benennung nach dem Grundkörper der Reihe gebräuchlich, indem man die höheren Glieder der Reihe einfach als A l k y l d e r i v a t e d e s A c e t y l e n s auffaßt, was bei seiner beiderseitigen Besetzung mit je m a x i m a l e i n e m A l k y l r e s t besonders naheliegt. Praktische Beispiele für beide Benennungsarten sind in Tabelle 3 angeführt (S. 109). Die Radikale der Acetylenreihe werden, wieder in Analogie zu den entsprechenden 01 e f i n radikalen, durch die Endung -inyl gekennzeichnet, doch sind auch hier in den einfachsten Fällen T r i v i a l n a m e n gebräuchlich, die in den folgenden Beispielen eingeklammert beigefügt sind: —C=C—H

_C=C—CH 3

—CH2—C=C—H

—CH2—C^C—CH3

Äthinyl(Acetylenyl-)

Propinyl-I(Propinyl-)

Propinyl-3(Propargyl-)

Butin-2-yl-l-

Im übrigen wird, wie auch bei den Olefinen, für die Benennung von verzweigten A l k i n e n die Verwendung der Alkinylradikale nach Möglichkeit vermieden, indem man die Hauptkette so a u s w ä h l t , daß sich die dreifache Bindung in ihr befindet.

Für die Darstellung der Alkine stehen wie bei den Olefinen zwei Gruppen von Reaktionen zur Verfügung: 1. Die N e u h e r s t e l l u n g der d r e i f a c h e n B i n d u n g und 2. d i e E i n f ü h r u n g d e s f e r t i g e n A l k i n y l r e s t e s in ein anderes organisches Molekül. Zu 1. Die Herstellung der dreifachen Bindung kann im Prinzip nach den g l e i c h e n Methoden erfolgen wie die der O l e f i n e , wenn man zwischen zwei C-Atomen jeweils z w e i M o l e k ü l e der V e r b i n d u n g H — X abspaltet. Doch ist von den zahlreichen Möglichkeiten praktisch nur die H a l o g e n w a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g aus D i h a l o g e n p a r a f f i n e n in Gebrauch. Die am leichtesten durch Halogenaddition an Olefine zugänglichen oc, / ? - D i h a l o g e n i d e liefern hierbei allerdings nur dann mit Sicherheit Alkine, wenn die Bildung k o n j u g i e r t e r D o p p e l b i n d u n g e n u n m ö g l i c h ist (vgl. S. 102), sich die beiden Halogenatome also am Ende der Kette in 1,2S t e l l u n g befinden: Hai H H ...

H—C

\

Hai /

C—R

_

2

H

H

a

l

^

H—C=C—R ,

während die an sich ebenfalls mögliche Bildung von A l i e n d e r i v a t e n wiederum hinter der Bildung der d r e i f a c h e n B i n d u n g zurücktritt. Mit Sicherheit kann man die Bildung konjugierter Systeme weiterhin vermeiden, wenn man von den aus den Aldehyden und Ketonen leicht zugänglichen g e m - D i h a l o g e n p a r a f f i n e n (S. 158) ausgeht, die o h n e d i e W a n d e r u n g e i n e r D o p p e l b i n d u n g nur in A c e t y l e n e (oder die auch hier weniger leicht sich bildenden K u m u l e n e ) übergehen können: ll-^-CH^

~2H(V

R—C=CH

i C1 Allerdings hegt bei dieser Reaktion die Stellung der entstehenden dreifachen Bindung n i c h t f e s t , da die Halogenwasserstoffabspaltung bei den aus den K e t o n e n ge-

Darstellung der Acetylene

109

wonnenen Dihalogeniden, ähnlich wie bei der entsprechenden O l e f i n b i l d u n g s r e a k t i o n (S. 84), nach b e i d e n S e i t e n erfolgen kann (Gleichungen formulieren!). F ü r die Darstellung der Alkine mit e n d s t ä n d i g e r A c e t y l e n b i n d u n g sind besondere V o r s i c h t s m a ß r e g e l n erforderlich, da sie ziemlich u n b e s t ä n d i g sind und sich leicht unter Wanderung der dreifachen Bindung in das I n n e r e d e r K e t t e umlagern. Sie entstehen daher aus den 1,2- oder 1,1-Dihalogenparaffinen nur bei Verwendung von N a t r i u m a m i d als Abspaltungsmittel, da das sonst f ü r diesen Zweck gebräuchliche a l k o h o l i s c h e K a l i bereits die Wanderung der Acetylenbindung katalytisch beschleunigt.

Zu 2. Die Einführung eines Alkinylrestes in ein organisches Molekül geschieht am einfachsten über die leicht zugänglichen M e t a l l d e r i v a t e d e s A c e t y l e n s (s. unten) oder anderer Alkine nach den bei den m e t a l l o r g a n i s c h e n Verbind u n g e n beschriebenen Methoden (S. I, Kap. 9,1). An dieser Stelle seien daher nur kurz die Formeln der wichtigsten hierher gehörenden Reaktionen angeführt: a) Die A l k y l i e r u n g des Acetylens bzw. seiner M e t a l l d e r i v a t e : H—C=CNa + J—CH3 CH 3 - J + Na; C = C Na + J — C H 3

s—>

H—C=C—CH 3 + N a J CH 3 —C=C—CH 3 + 2 N a J

b) Die auf S. 113 ausführlich beschriebene A n l a g e r u n g von Acetylen (oder auch seinen Metallderivaten) an O x o V e r b i n d u n g e n : OH

OH H—C=C—H + 0 = C H 2

H—C=C—¿H2

+ HIC=0

>

CH 2 —C=C—CH 2 Butin-2-diol-l,4

Propargylalkohol

/CH3 H—C=C—H + 0 = C \CH9

OH

OH I /CH3

H—C=C—c(

X

CH 3

3-Methyl-Butin-1-01-3

Die physikalischen Eigenschaften der Alkine sind denen der O l e f i n e sehr ähnlich. Auch hier unterscheiden sich die S i e d e p u n k t e , S c h m e l z p u n k t e und'Lösl i c h k e i t s e i g e n s c h a f t e n kaum von denen der entsprechenden P a r a f f i n e g l e i c h e r K o h l e n s t o f f z a h l (vgl. Tabelle 3), während die durch die BindungsTabelle 3 Die p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n e i n i g e r A l k i n e u n d Summenformel C2H2 C3H4 C4H6

c5H8 C6H10 C4H4 C4H2 C6H6

Bezeichnung Genf. Nomenkl.

Äthin Propin Butin-1 { Butin-2 n-Pentin-1 n-Hexin-1 Butin-l-en-3 Buta-diin Hexin- 3 -dien-1,5

als Acetylenderiv. Acetylen Methylacetylen (Allylen) Äthylacetylen Dimethylacetylen Propylacetylen n- Butylacetylen Vinylacetylen Diacetylen Di vinylacetylen

Polyalkine Dichte /Temp. (flüssig)

Sdp.

Smp.

—84° —27 + 18 28 40 71

— 82° —105 —130

0,613/—80° 0,713/—55 0,668

—124

0,694/17 0,720/17

6 10 85



— 35 —



0,736/0 0,786/20

110

Die Kohlenwasserstoffe

elektronen beeinflußten additiven Molekularkonstanten wieder deutlich erkennbare, durch die dreifache Bindung bedingte Abweichungen zeigen. Hinsichtlich des chemischen Verhaltens der Alkine sind zwei verschiedene Reaktionstypen zu unterscheiden: 1. die durch die dreifache Bindung bedingten Anlagerungs- und Polymerisationsreaktionen, und 2. die Reaktionen des am dreifach gebundenen Kohlenstoff befindlichen Wasserstoffs. Eine Aktivierung oder sonstige besondere Reaktionsfähigkeit des Paraffinteiles der Alkinmoleküle wurde dagegen bisher nicht beobachtet. Zu 1. a) Anlagerungsreaktionen. Wie bei der ähnlichen Struktur zu erwarten, besteht eine weitgehende Analogie zwischen den Additionsreaktionen der doppelten und dreifachen Bindung, die sich nicht nur auf die Art der anlagerungsfähigen Verbindungen, sondern auch auf die Anlagerungsgeschwindigkeit erstreckt, denn eine Steigerung der Reaktionsfähigkeit, wie man sie etwa beim Übergang von der einfachen Doppelbindung zu konjugierten Systemen beobachtet, tritt trotz der Zunahme des ungesättigten Charakters nicht bzw. nur in untergeordnetem Maße ein. Die einzigen wesentlichen Unterschiede sind quantitativer Natur, d. h. es werden jeweils vier Halogenatome, vier H-Atome usw. zu den entsprechenden tetrasubstituierten Paraffinderivaten angelagert: Br Br

Doch ist es in den meisten Fällen auch möglich, die Reaktion nach Erreichen der Äthylenstufe zu unterbrechen, wofür wir in der technisch in großem Maßstab durchgeführten partiellen Hydrierung des Acetylens zum Äthylen (S. 99) bereits ein Beispiel kennengelernt haben. Bei der Anlagerung von zwei Molekülen einer Wasser st off V e r b i n d u n g (H—X) treten beide negative Substituenten stets an das gleiche, und zwar entsprechend der Regel von Mabkownikow immer an das wasserstoffärmste C-Atom, so daß mit Ausnahme der Anlagerung an Acetylen selbst, das in Acetaldehyd und seine Derivate übergeht, immer Ketone oder Ketonderivate entstehen: R—C=CH + 2H—X —+ R—CXa—CH,-3 Besonders wichtig ist die Anlagerung von Wasser, die stets zu den freien Oxoverbindungen (Acetaldehyd oder Ketone) führt. Doch kann man hier nicht entscheiden, ob jeweils nur ein Molekül Wasser zum Enol angelagert wird, das sich dann sekundär in die Oxoverbindung umlagert und tertiär schließlich in deren Hydrat übergeht (Reaktion a), oder ob sofort zwei Moleküle Wasser zum Hydrat der Oxoverbindung angelagert werden (Reaktion b): R—C=CH

O II > R—C—CH,•3

a) + H , 0 Enol

Keton

+ HaQ

HO

\ /

OH

>

R—C—CH,•3

Y

Ketonhydiat

b) + 2 HäQ

In allen nicht zu derartigen tautomeren Umlagerungen befähigten Systemen ist es jedenfalls möglich, die Addition der Verbindungen H—X auf der Olefinstufe abzubrechen. Aus Acetylen können mit Hilfe dieser insbesondere von Reppe

Acetylenreaktionen

111

entwickelten „VinylierungsreaJdion" u.a. die im folgenden Formelbild zusammengestellten Vinylverbindungen gewonnen werden, die von großer praktischer Bedeutimg für die K u n s t s t o f f i n d u s t r i e geworden sind (vgl. S. 163, 422 u. a.):

CH2=CH—0—R *

+ R—OH

H—C;

Vinyläther

+H

:C—H

~ H a l >- CH 2 =CH—Hai Vinylhalogenide

+

00 S

CH2=CH—O—CO—R

Y

CH 2 =CH—NH—CO—R

CH2:

Vinylester

Vinylamide

Vinylamine

Vinylthioäther

Als K a t a l y s a t o r f ü r die Anlagerung von W a s s e r , A l k o h o l e n und C a r b o n s ä u r e n verwandte man früher ausschließlich S c h w e f e l s ä u r e in Gegenwart von Q u e c k s i l b e r - I I s a l z e n . Der Mechanismus dieser Katalyse ist noch nicht völlig aufgeklärt, doch kann man annehmen, daß sich intermediär eine A c e t y l e n - q u e c k s i l b e r s u l f a t v e r b i n d u n g ausbildet, an die die eigentliche Anlagerung erfolgt, und die anschließend das Quecksilbersulfat wieder abspaltet: H—C=C—H + HgS0 4 — HgSO.

(H—C=C—HgS0 4 H)

/OH

——>

> (H2C=CH—OH) —• CH3—CH=0




\TT/ ° H

\T ! = 0

/

/

\NH2

+ H—C=C—H

—>-

\) c (/ ° H /

\C=CH

Diese ebenfalls von R E P P E aufgefundene Reaktion findet in Gegenwart von S c h w e r m e t a l l a c e t y l e n i d e n als Katalysatoren bei e r h ö h t e m D r u c k schon bei verhältnismäßig n i e d e r e n T e m p e r a t u r e n statt und hat die früher übliche Verwendung der relativ teuren A l k a l i m e t a l l a c e t y l e n i d e , die sich wie andere metallorganische Verbindungen o h n e j e d e n K a t a l y s a t o r an Carbonylgruppen anlagern (Gleichung formulieren!), fast völlig verdrängt. Einzelverbindungen. Acetylen (Äthin), das Anfangsglied der Reihe, ist die einzige Verbindung, die eine größere Bedeutung erlangt hat. Es ist infolge seiner energiereiehen Mehrfachbindung gegenüber den Elementen sehr s t a r k e n d o t h e r m (Bildungswärme = -)- 56 kcal /Mol), so daß seine Bildung aus anderen Verbindungen besonders bei s e h r h o h e n T e m p e r a t u r e n begünstigt wird (vgl. auch S. 134). Acetylen gehört infolgedessen zu den wenigen, in S t e r n a t m o s p h ä r e n nachgewiesenen o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n und entsteht nach B E R T H E L O T beim Brennen eines Kohlelichtbogens in einer W a s s e r s t o f f a t m o s p h ä r e in Ausbeuten bis zu 8%. Wesentlich günstiger werden die Ausbeuteverhältnisse bei der ebenfalls im Lichtbogen erfolgenden t h e r m i s c h e n Z e r s e t z u n g a n d e r e r K o h l e n w a s s e r s t o f f e , wenn man durch s c h n e l l e s Hindurchleiten die Gleichgewichtseinstellung verhindert. Auf diesem Wege wird Acetylen heute bereits im großen hergestellt, indem die bei der K o h l e h y d r i e r u n g und anderen technischen Prozessen abfallenden g a s f ö r m i g e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e mit großer Geschwindigkeit durch einen s t a r k e n L i c h t b o g e n von bis zu 10000 kWatt (2000 Volt und 5000 Ampere) hindurchgeblasen werden, wobei unter ohrenbetäubendem Geräusch die Umsetzung erfolgt.

Die wichtigste technische Darstellungsweise ist aber immer noch die h y d r o l y t i s c h e Z e r s e t z u n g v o n C a l c i u m c a r b i d (vgl. anorg. Lehrbücher), das im Sinne der obigen Ausführungen als das n e u t r a l e C a l c i u m s a l z d e s A c e t y l e n s aufgefaßt werden muß. Acetylen ist ein färb- und nahezu geruchloses 1 ) Gas, das als einziger Kohlenwasserstoff ziemlich stark w a s s e r l ö s l i c h ist. Es verbrennt infolge des geringen Wasserstoffgehaltes mit s t a r k r u ß e n d e r Flamme, die bei entsprechender Vermischung mit Luft s e h r h e i ß wird und dann infolge der abgeschiedenen R u ß t e i l c h e n bereits ohne Verwendung eines eigentlichen Leuchtkörpers außerordentlich s t a r k l e u c h t e t . Hierauf beruht die früher wichtigste Verwendung des Acetylens als L e u c h t g a s . Bei der Verbrennung mit z u s ä t z l i c h e m S a u e r s t o f f im Gebläse wird die Flamme e n t l e u c h t e t und man erhält infolge der h o h e n V e r b r e n n u n g s w ä r m e des Acetylens 2 ) sehr h o h e T e m p e r a t u r e n , die das Acetylengebläse insbesondere zur a u t o g e n e n S c h w e i ß u n g geeignet machen. Nur wirkte es hier anfangs sehr störend, daß Acetylen als s t a r k e n d o t h e r m e *) Der unangenehme Geruch des aus C a l c i u m c a r b i d gewonnenen Rohgases stammt von Spuren beigemengten P h o s p h o r w a s s e r s t o f f s , der sich bei der Hydrolyse des unter den Bedingungen der Carbidschmelze aus C a l c i u m p h o s p h a t entstehenden C a l c i u m p h o s p h i d s bildet. 2 ) Die Verbrennungswärme des Acetylens (312,4 kcal) ist infolge seiner negativen Bildungswärme um 56 kcal/Mol g r ö ß e r als die Summe der Verbrennungs wärmen der f r e i e n E l e m e n t e (188,2 kcal für 2 „Mol" Graphit-C-Atome; 68,3 kcal pro Mol H 2 ).

Das Acetylen

115

V e r b i n d u n g leicht in die E l e m e n t e z e r f ä l l t und zuweilen bereits in schwach komprimiertem, insbesondere aber in v e r f l ü s s i g t e m Z u s t a n d zu schweren E x p l o s i o n e n 1 ) neigt, die seine Verwendung in Stahlflaschen lange Zeit u n m ö g l i c h machten. Diese Schwierigkeit wurde erst durch die Beobachtung überwunden, daß Acetylen in A c e t o n eine ganz a u ß e r g e w ö h n l i c h e L ö s l i c h k e i t besitzt, die etwa mit der von A m m o n i a k oder S a l z s ä u r e in W a s s e r verglichen werden kann und wahrscheinlich auf die Bildung einer zwischenmolekularen Verbindung zurückzuführen ist. Infolgedessen kann man unter nur wenigen Atmosphären Druck bereits Lösungen mit bis zu 50% A c e t y l e n g e h a l t herstellen, die das Gas leicht wieder abgeben und sich völlig gefahrlos handhaben lassen. Sie haben unter der Bezeichnung Dissous-Gas Eingang in die Praxis gefunden.

Technisch bedeutend wichtiger und auch interessanter als die direkte Verbrennung des Acetylens sind seine oben bereits beschriebenen Umsetzungen zu anderen organischen Verbindungen. Insbesondere die W a s s e r a n l a g e r u n g zum A c e t a l d e h y d , die Bildung der verschiedenen V i n y l d e r i v a t e , die F o r m a l d e h y d anlagerung und schließlich die D i m e r i s i e r u n g zum V i n y l a c e t y l e n , die sich alle g r o ß t e c h n i s c h durchführen lassen, haben infolge der zahlreichen weiteren Umwandlungsmöglichkeiten dieser Primärprodukte das Acetylen zu einem der H a u p t e i n f a l l s t o r e in die a l i p h a t i s c h e Chemie gemacht, so daß es in seiner Bedeutung etwa dem S t e i n k o h l e n t e e r in der a r o m a t i s c h e n R e i h e (s. S. 123) an die Seite gestellt werden kann. Ein kurzer schematischer Überblick der wicht i g s t e n dieser vom Acetylen aus durchführbaren t e c h n i s c h e n S y n t h e s e n , auf deren Einzelheiten wir z. T. erst später näher eingehen können, ist in Tafel I (Ausklapptafel zwischen den Seiten 128 und 129) zusammengestellt. Eine weitere technische Anwendung hat Acetylen in der K u ß i n d u s t r i e gefunden, da der beim n i c h t e x p l o s i v e n Z e r f a l l entstehende A c e t y l e n r u ß besonders „ a k t i v " ist und sich infolgedessen als F ü l l s t o f f f ü r K u n s t s t o f f e , insbesondere für A u t o r e i f e n gut eignet (vgl. auch III, Kap. 5, I, 3).

Da b e i d e H - A t o m e des Acetylens sauer sind, enthalten die neutralen Salze keinen W a s s e r s t o f f mehr, sind also streng genommen bereits M e t a l l c a r b i d e . Im allgemeinen spricht man jedoch, wenn die „Salzbildung" wie oben in ü b e r s i c h t l i c h e r R e a k t i o n erfolgt, noch von A c e t y l e n i d e n , und erst in den Fällen, in denen in u n ü b e r s i c h t l i c h e n , ihrem ganzen äußeren Habitus nach zur ano r g a n i s c h e n Chemie zählenden Reaktionen die Metall Verbindungen durch Zusammenschmelzen von M e t a l l o x y d e n und K o k s bei sehr hohen T e m p e r a t u r e n gewonnen werden, bevorzugt man die der anorganischen Chemie entlehnte Bezeichnung M e t a l l c a r b i d e . Doch ist auch bei diesen „ t y p i s c h a n o r g a n i s c h e n " C a r b i d e n , soweit sie bei der Hydrolyse A c e t y l e n entwickeln (wie z . B . bei den E r d a l k a l i m e t a l l c a r b i d e n ) , anzunehmen, daß sie bereits A c e t y l e n s t r u k t u r besitzen. Bei ihrer Bildung findet also schon die eigentliche S y n t h e s e d e s A c e t y l e n s y s t e m s statt, die im Falle des Calciumcarbids technisch zur A c e t y l e n g e w i n n u n g ausgewertet wird. Zum Schluß sei noch kurz auf die große Ä h n l i c h k e i t der Reaktionen des Acetylens und der Blausäure (S. 362 f.) hingewiesen, die durch ihre enge s t r u k t u r e l l e V e r w a n d t s c h a f t Die A c e t y l e n e x p l o s i o n übertrifft bereits im Gaszustand die K n a l l g a s e x p l o s i o n an Wucht, da bei annähernd gleicher molarer Reaktionswärme (die Verbrennung von einem Mol H 2 -Gas zu gasförmigem Wasser liefert „nur" 58 kcal gegenüber der bereits mehrfach erwähnten Bildungs- bzw. Zersetzungswärme des Acetylens von 56 kcal) der Wasserstoff mit dem zur Verbrennung erforderlichen Sauerstoff „verdünnt" werden muß, so daß in der Volumeneinheit des Knallgases nur 2 / 3 s o v i e l H 2 - M o l e k ü l e enthalten sind wie Acetylenmoleküle in der des gleich stark komprimierten Acetylengases. 8*

Die Kohlenwasserstoffe

116

bedingt ist, denn beide Verbindungen enthalten als gemeinsames Charakteristikum ein an einem d r e i f a c h g e b u n d e n e n K o h l e n s t o f f befindliches H - A t o m . Sie sind infolgedessen beide s c h w a c h s a u e r , geben beide s c h w e r l ö s l i c h e S a l z e d e r e i n w e r t i g e n S c h w e r m e t a l l e und lagern sich beide, wenn auch mit sehr verschiedener Geschwindigkeit, in analoger Weise an O x o v e r b i n d u n g e n a n : HO CH 3

x /

C

feN

+H

O

CH 3

Aceton-cyanhydrin

-C=CH

»

CH 3 —C—CH 3

H CH3

Aceton

O

^

C

M CH 3

Methylbutinol

Als gemeinsame Reaktionen der d r e i f a c h e n B i n d u n g müssen weiterhin angesehen werden: 1. die der Polymerisation des Acetylens zum Benzol und Vinylacetylen analogen P o l y m e r i s a t i o n s r e a k t i o n e n i n G e g e n w a r t v o n B l a u s ä u r e , die direkt zum P y r i d i n und A c r y l s ä u r e n i t r i l führen (S. 112), 2. die ebenfalls in gleichem Sinne verlaufende Trimerisierung zahlreicher Cy a n V e r b i n d u n g e n (vgl. z.B. S. 393f.)und3. d i e i n I , K a p . 6 , I I I , la und in I, Kap. 6, I I I , 3 c beschriebenen völlig gleichartigen Additionsreaktionen von A c e t y l e n und B l a u s ä u r e an D i a z o - und A z i d o v e r b i n d u n g e n zu h e t e r o c y c l i s c h e n R i n g systemen. Einem derartig weitgehend analogen Verhalten zweier organischer Verbindungen, die sich in ihrer Struktur nur darin unterscheiden, daß eine charakteristische C H - G r u p p e der einen Substanz in der zweiten Verbindung durch ein N - A t o m ersetzt ist, werden wir in der heterocyclischen Reihe noch des öfteren begegnen (vgl. z. B. I, Kap. 11, I I u . I I I ) . Man bezeichnet in diesen Fällen die Stickstoffverbindung häufig als ein Aza-derivat der Kohlenstoffverbindung. Die B l a u s ä u r e kann man also auch als ein Aza-acetylen ansehen, doch wird von dieser Bezeichnungsmöglichkeit in diesem speziellen Fall k e i n p r a k t i s c h e r G e b r a u c h gemacht. Mehrfach ungesättigte Verbindungen der Acetylenreihe. Vinylacetylen C H 2 = C H — C ^ C H u n d Divinylacetylen C H 2 = C H — C = C — C H = C H 2 e n t s t e h e n , w i e s c h o n a u f S. 112 e r w ä h n t , b e i d e r v o r s i c h t i g e n P o l y m e r i s a t i o n d e s A c e t y l e n s i n s a u r e r K u p f e r - I - c h l o r i d l ö s u n g . Sie s i n d ä u ß e r s t u n b e s t ä n d i g e u n d e x p l o s i b l e V e r b i n d u n g e n , d e r e n p r ä p a r a t i v e H a n d h a b u n g s e h r g e f ä h r l i c h ist. T r o t z d e m h a t d a s e t w a s s t a b i l e r e V i n y l a c e t y l e n b e r e i t s eine gewisse t e c h n i s c h e B e d e u t u n g e r l a n g t , d a es a n d e r d r e i f a c h e n B i n d u n g z u e i n e r R e i h e v o n A n l a g e r u n g s r e a k t i o n e n u n t e r B i l d u n g v o n V i n y l v e r b i n d u n g e n b e f ä h i g t ist. Z. B. erhält m a n bei der W a s s e r a n l a g e r u n g in Gegenwart v o n S c h w e f e l s ä u r e u n d Q u e c k s i l b e r - I I - v e r b i n d u n g e n entsprechend der Regel von Markown i k o w d a s e i n f a c h s t e u n g e s ä t t i g t e K e t o n , d a s w e g e n seiner P o l y m e r i s a t i o n s neigung in der Kunststoffindustrie verwandte V i n y l m e t h y l k e t o n : O C H 2 = C H — C = C H + H2O

—•

CH2=CH—c—CH3 Vinyl-methylketon

Weitere p a r t i e l l e Anlagerungsreaktionen des Vinylacetylens an der d r e i f a c h e n Bindung sind die Addition von C h l o r w a s s e r s t o f f zum C h l o r o p r e n , der Muttersubstanz des C h l o r k a u t s c h u k s , sowie die bereits angeführte p a r t i e l l e H y d r i e r u n g zum B u t a d i e n : C1 CH2=CH—CH=CH2

CH2=CH—C=CH

+ UC1

CH2=CH—¿=CH2 Chloropren

E i n e a u s s c h l i e ß l i c h e A b s ä t t i g u n g d e r olefinischen D o p p e l b i n d u n g ist d a g e g e n nicht ohne weiteres möglich.

Grundlagen der Benzolchemie

117

Auch vom Divinylacetylen sind eine Reihe von Anlagerungsreaktionen bekannt. Diacetylen HC=C—C=CH entsteht bei einigen Bildungsreaktionen des Acetylens als N e b e n p r o d u k t , z. B. bei der Zersetzung von M e t h a n durch e l e k t r i s c h e E n t l a d u n g e n . Präparativ gewinnt man es am besten aus der relativ leicht herstellbaren D i a c e t y l e n d i c a r b o n s ä u r e (S. 468) durch D e c a r b o x y l j e r e n in ammoniakalischer Lösung mittels K u p f e r - I - c h l o r i d und anschließende Zersetzung des hierbei entstehenden K u p f e r - I d i a c e t y l e n i d s mit K a l i u m c y a n i d : o WW PI Cu;Cl + NH^OOC:—C=C—C=Ö—COONH4 + CICu _ 2 ¿ ^ » Cu—C=C—CfeC—Cu + 2 KCN + 2

HC=C—C=CH + 2 CuCN + 2 K+

Diacetylen ist noch wesentlich u n b e s t ä n d i g e r als Acetylen, gibt aber bei vorsichtigem Arbeiten analoge A n l a g e r u n g s r e a k t i o n e n . Es besitzt ein gewisses Interesse als einfachste Verbindung mit einem System k o n j u g i e r t e r A c e t y l e n b i n d u n g e n . Doch konnte bei ihm im Gegensatz zum Butadien keine b e s o n d e r e S t e i g e r u n g der chemischen Reaktionsfähigkeit beobachtet werden. Sterisch ist die s t a r r l i n e a r e S t a b f o r m des Moleküls bemerkenswert. Das von HUNSMANN (1950) erstmals rein dargestellte Triacetylen H C = C — C = C — C = C H

polymerisiert sich bereits dicht oberhalb —20° innerhalb weniger Stunden.

III. Die aromatischen Kohlenwasserstoffe 1. Die Grundlagen der Benzolchemie Die aromatischen Kohlenwasserstoffe enthalten auf Grund der auf S. 61 gegebenen Definition den dreifach ungesättigten B e n z o l r i n g (oder im erweiterten Sinne auch eines der in I, Kap. 11, II, 1 beschriebenen p o l y c y c l i s c h e n a r o m a t i s c h e n R i n g s y s t e m e ) als integrierenden Bestandteil. Um in das Wesen dieser Verbindungen einzudringen, müssen wir uns daher zunächst kurz mit dem wichtigen Problem der K o n s t i t u t i o n und der I s o m e r i e v e r h ä l t n i s s e des Benzolringes beschäftigen. Obgleich die bereits im Jahre 1865 von K E K U L E aufgestellte Benzolformel auch heute noch die G r u n d l a g e a l l e r B e n z o l t h e o r i e n darH H stellt, ist die Bestimmung der Konstitution des Benzolringes in se ^CH ither vergangenen nahezu hundert Jahren eines der u m // s t r i t t e n s t e n P r o b l e m e der organischen Chemie gewesen und jj jj auch heute noch nicht in allen Einzelheiten abgeschlossen. Wir können daher diesen wichtigen Fragenkomplex erst im z w e i t e n T e i l dieses Buches (II, Kap. 3, III, 1 u. 3) eingehend behandeln und wollen uns an dieser Stelle nur insoweit mit ihm beschäftigen, wie es zum Verständnis der Chemie des Benzols unbedingt erforderlich ist. Die KEKtrLEsche Benzolformel stützt sich insbesondere auf die folgenden vier Beobachtungen: 1. Auf Grund des Gesetzes der minimalen B i n d u n g s z a h l (S. 49) muß das Benzolmolekül über die zum Z u s a m m e n h a l t der Atome erforderlichen elf B i n d u n g e n hinaus noch weitere vier B i n d u n g e n enthalten, von denen nur drei auf Grund der unten beschriebenen A n l a g e r u n g s r e a k t i o n e n als D o p p e l b i n d u n g e n erkenntlich sind. Die vierte Bindung muß also eine R i n g b i n d u n g sein, so daß für das Benzol (wenn man einmal von der unter 2 ausgeschlossenen Möglichkeit der Kettenverzweigung absieht) nur die Konstitution eines C y c l o h e x a t r i e n s übrigbleibt. 2. Die.unten abgeleiteten I s o m e r e n z a h l e n polysubstituierter Benzolderivate beruhen sämtlich auf dem Postulat der Gleichwertigkeit der sechs Benzol-C-Atome, wie sie nur in

118

Die Kohlenwasserstoffe

einem u n v e r z w e i g t e n R i n g m o l e k ü l verwirklicht sein kann. Aus der Gleichheit der sechs C-Atome folgt weiterhin, daß die Doppelbindungen sich g l e i c h m ä ß i g über den Ring verteilen, d . h . ein g e s c h l o s s e n k o n j u g i e r t e s S y s t e m bilden, da andernfalls A l l e n - und M e t h y l e n - C - A t o m e nebeneinander auftreten sollten. Abgesehen von der Bestätigung der theoretisch abgeleiteten Isomerenzahlen konnte die Gleichwertigkeit der sechs Benzol-C-Atome auf dem folgenden Wege auch d i r e k t b e w e i s e n : I n der S a l i c y l s ä u r e (I) befindet sich am Benzolkern eine C a r b o x y l g r u p p e in a und eine H y d r o x y l g r u p p e in b. Die Salicylsäure läßt sich nun auf z w e i v e r s c h i e d e n e n W e g e n in übersichtlich verlaufenden Reaktionen in je e i n e Benzolcarbonsäure überführen, wobei die Carboxylgruppe das eine Mal m i t S i c h e r h e i t i n a (II) und das andere Mal m i t S i c h e r h e i t i n b (III) steht: LADENBURG

f \ ,po()TT »jj

—CO»

(Kalkdestillation) +CO a 4. Hydrolyse

c /

/-OH

H

„ t ~T? ,.„

(Zinkstaubdestillation)

/

>ä\—COOH \

/

b\-COOH III

Die beiden auf diese Weise erhaltenen „ B e n z o l c a r b o n s ä u r e n " erwiesen sich aber als mit der B e n z o e s ä u r e identisch. Die gleichen Reaktionen wurden anschließend mit der der Salicylsäure isomeren „m-" und „ p " - O x y b e n z o e s ä u r e durchgeführt, in denen sich die Hydroxylgruppe in Stellung c bzw. d befindet (formulieren!). Doch entstand auch hier immer die g l e i c h e B e n z o e s ä u r e . Die Stellungen a, b, c, und d müssen also untereinander g l e i c h w e r t i g sein. Durch ähnliche Reaktionen, deren Wiedergabe hier jedoch zu weit führen würde, läßt sich dies auch f ü r die Stellungen e und f nachweisen, so daß die Gleichwertigkeit der sechs Benzol-C-Atome heute als a b s o l u t g e s i c h e r t gelten kann. 4 . R. W I L L S T Ä T T E R konnte im Jahre 1 9 1 2 erstmals eine einwandfreie, die Konstitution eines C y c l o h e x a - t r i e n s - 1 , 3 , 5 b e w e i s e n d e Synthese des Benzols durchführen, indem er auf dem folgenden, hier etwas gekürzt wiedergegebenen Wege zunächst den C y c l o h e x a n r i n g synthetisierte und dann anschließend, also getrennt von der eigentlichen Ringsynthese, die d r e i D o p p e l b i n d u n g e n in das Molekül einführte:

/

NcOO

\ _ / c ö ; o

_CaCO.

=0

C a

Cyciohexanon

Pimelinsaures Calcium

^

"OH

Cyclohexylbromid

Cyclohexanol

•N(CH3)2

Br — HBr (Chinolinr

\

\ / Cyclohexen

+ Br*

"

>

Br

\ / 1,2-Dibromcyclohexan

H

H

+ f»> — 2 HBr

'

\ ^ 3-Dimethylamino-cyclohexen

Br erschöpfende Methylierung Hofmannscher Abbau

+ Br ä

(CH 3 ) 2 N X \ /

+2HJf(CH,), — 2 HBr

\Br Cyclohexadien-1,3

—Br

3,6-DibromcycIohexen

A X

N(CH3)

2

3,6-Bis-dimethylamino-cyclohexen

doppelte erschöpfende Methylierung doppelter Hofmannscher Abbau Cyclohexatrien-1,3,5 = Benzol

Diesen positiven Argumenten gegenüber sprachen gegen die KEKULÉsche Benzolformel insbesondere die folgenden Beobachtungen:

Grundlagen der Benzolchemie

119

1. der schon zu KEKULES Zeiten erhobene Einwand, daß niemals das Auftreten von zwei stellungsisomeren o-Disubstitutionsprodukten des Benzols, also etwa von zwei verschiedenen o-Dichlorbenzolen der folgenden Konstitution beobachtet wurde: C1

C1

Mit anderen Worten, der Benzolring zeigt auf Grund der Isomerenzahlen eindeutig die sechszählige Symmetrie eines regelmäßigen Sechsecks, während man nach KEKULE nur eine dreizählige Symmetrie erwarten sollte. Schon KEKULE konnte diesem Einwand durch die zusätzliche Annahme begegnen, daß sich die beiden isomeren Formen der o-disubstituierten Benzolderivate dauernd ineinander umlagern, d.h. daß sich zwischen den beiden Formen infolge des „Oscillierens" der Doppelbindungen eine Art „Valenztautomerie" ausbildet. Danach läge im Benzol ein echtes chemisches Gleichgewicht zweier KEKULE-Strukturen vor, die man allgemein als KEKULE-Struktur I und KEKULE-Struktur II bezeichnet: H Y HCF X

H C

C

H

V YCH

V

H

Eekul&truktur I

H

/ HC^ X

C

H

H C

=

=

C

C

\ ¿CK /

H

£ekul£struMui I I

2. Die KEKULESche Benzolformel vermag zwar stöchiometrisch die Reaktionen des Benzolkerns richtig wiederzugeben, gibt aber keine Erklärung für das vollkommen andersartige Verhalten der Doppelbindungen im Benzol und in den aliphatischen P o l y olefinen mit konjugierter Doppelbindung. Dieser wichtigste Einwand gegen die KsKULE-Formel hat immer wieder zur Aufstellung neuer Benzolformeln geführt und konnte erst in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts durch Einführung des Mesomerie begriff es befriedigend widerlegt werden. Auf Grund all dieser Beobachtungen muß man sich die Struktur des Benzols heute etwa folgendermaßen vorstellen: Die beiden möglichen Kekule-Strukturen des Benzolkerns können durch eine einfacheVe r s c h i e b u n g v o n D o p p e l b i n d u n g s e l e k t r o n e n innerhalb des Ringes ineinander übergehen. Infolgedessen bildet sich zwischen ihnen eine s e h r i n t e n s i v e M e s o m e r i e aus, die mit einer W ä r m e a b g a b e von 36 kcal pro Mol, der sog. Aromatisierungsenergie, verbunden ist. Infolge dieser Mesomerie verschmelzen beide Kekule-Strukturen zu einem e i n h e i t l i c h e n M o l e k ü l mit s e c h s z ä h l i g e r S y m m e t r i e , in dem k e i n e U n t e r s c h i e d e z w i s c h e n e i n f a c h e n und D o p p e l b i n d u n g e n mehr erkennbar sind. Man kann diesen Unterschied zwischen der alten K e k u l e sehen Benzolformel und der heutigen Vorstellung sehr instruktiv auch durch den folgenden Satz ausdrücken: Das der KEKULE-Formel entsprechende C y c l o h e x a t r i e n - 1 , 3, 5 - m o l e k ü l mit d r e i z ä h l i g e r S y m m e t r i e ist n i c h t b e s t ä n d i g , weil es unter Abgabe einer Mesomerieenergie von 36 kcal s o f o r t i n B e n z o l ü b e r g e h t . F ü r die formelmäßige Wiedergabe des Benzolringes wäre natürlich die exakte Formulierung dieser Mesomerie durch Wiedergabe b e i d e r , nunmehr durch das Mesomeriezeichen (-o-) verbundenen K e k u l e - S t r u k t u r e n zu umständlich, und man begnügt sich daher meistens mit der Anführung einer der beiden K e k u l e Formeln, wobei man stillschweigend voraussetzt, daß die L a g e d e r D o p p e l b i n d u n g e n durch diese Formulierung n i c h t f e s t g e l e g t ist. Zur Abkürzung läßt man weiterhin in der bei den Paraffinen bereits gezeigten Weise die C- und H-Atome,

120

Die Kohlenwasserstoffe

ja vielfach sogar die Doppelbindungen weg und deutet den Benzolkern lediglich durch ein Sechseck an, das mit allen an ihm befindlichen Substituenten durch einen normalen B i n d e s t r i c h verbunden wird: ^

^

oder Benzol

Chlorbenzol

Die IsomerieVerhältnisse der Benzolderivate werden durch die hohe S y m m e t r i e des Benzolringes gegenüber denen der entsprechenden n-Hexanderivate wesentlicht v e r e i n f a c h t . Wie man ohne weiteres an Hand der Formeln ableiten kann, gibt es sowohl für gleiche als auch für verschiedene S u b s t i t u e n t e n nur je drei stellungsisomere D i s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e des Benzols (gegenüber zwölf stellungsisomeren disubstituierten n-Hexanen bei gleichen und 18 bei v e r s c h i e d e n a r t i g e n S u b s t i t u e n t e n , formulieren!), für die die Bezeichnungen ortho-, meta-, und para-Verbindungen (abgekürzt o-, ra-, und p-Derivate) gebräuchlich sind: O.N—< Ortho-Stellung o-Dichlorbenzol 1,2-Dichlorbenzol

Meta-Stellung m-Chlorbrombenzol 1,3-Chlorbrombenzol

V-NO,

Para-Stellung p-Dinitrobenzol 1,4-Dinitrobenzol

Sind mehr als zwei S u b s t i t u e n t e n im Benzolring enthalten, so macht es bereits einen wesentlichen Unterschied, ob sie gleich- oder v e r s c h i e d e n a r t i g sind. Für drei g l e i c h a r t i g e S u b s t i t u e n t e n gibt es ebenfalls nur drei verschiedene S t e l l u n g s m ö g l i c h k e i t e n , die als vicinale (abgekürzt vic-), symmetrische (sym-) und a s y m m e t r i s c h e (as-) Stellung bezeichnet werden: C1 /8 A \5

iV-ci

0 /

Cl/ vic-Trichlorbenzol 1,2,3-Trichlorbenzol

sym-TrichlorbenzoI 1,3,5-Trichlorbenzol

as-Triehlorbenzol 1,2,4-Trichlorbenzol

Auch die Zahl der T e t r a s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e muß bei g l e i c h a r t i g e n S u b s t i t u e n t e n gleich drei werden, da hier die beiden verbleibenden H-Atome nur die o-, m-, oder p-Stellung zueinander einnehmen können, und aus ähnlichen Gründen kann es bei gleichartigen Substituenten nur ein Penta- und ein Hexasubstitutionsprodukt des Benzols geben. Bei v e r s c h i e d e n a r t i g e n Substituenten dagegen nimmt von den Trisubstitutionsprodukten an die Zahl der möglichen Isomeren s t a r k zu, und man kommt mit den einfachen Bezeichnungen nicht mehr aus. In diesem Fall greift man zweckmäßig wieder auf das bewährte System der Numerierung der C-Atome zurück, wie es in den angeführten Beispielen bereits geschehen ist. Hierbei ist es an sich wieder prinzipiell gleichgültig, in welcher Richtung man zählt, d. h. es sind jeweils die 2- und 6- sowie die 3- und 5-Stellung untereinander gleichwertig, doch bevorzugt man in der Praxis auch hier stets diejenige Richtung, bei der die substituierten C-Atome möglichst niedrige Nummern erhalten.

Grundlagen der Benzolchemie

121

Wesentlich schwieriger als die Ableitung der Zahl der isomeren Verbindungen ist ihre Strukturbestimmung. Sie erfolgt bei komplizierteren Verbindungen stets nach s p e z i e l l e n V e r f a h r e n , auf die hier nicht eingegangen werden kann. Daneben haben aber auch einige a l l g e m e i n g ü l t i g e M e t h o d e n , die mehr oder weniger u n a b h ä n g i g v o n d e r N a t u r d e s j e w e i l i g e n S u b s t i t u e n t e n zur Anwendung kommen können, eine gewisse praktische Bedeutung erlangt. Von ihnen muß insbesondere auf die folgenden v i e r M ö g l i c h k e i t e n hingewiesen werden: 1. o - D i s u b s t i t u i e r t e B e n z o l d e r i v a t e sind oft daran zu erkennen, daß die beiden Substituenten zu einem an den Benzolring angegliederten f ü n f - oder s e c h s g l i e d r i g e n R i n g verbunden werden können:

NH, •N

0: X

—"2H,Ov sf

2. Wie wir in II, Kap. 2, III, 3 erörtern werden, ist das e l e k t r i s c h e D i p o l m o m e n t der disubstituierten Benzolderivate aus den Teilmomenten der zu den Substituenten führenden Bindungen durch v e k t o r i e l l e A d d i t i o n entstanden. Diese vektorielle Addition führt aber bei den o-, m- und p - V e r b i n d u n g e n zu grundsätzlich v e r s c h i e d e n e n W e r t e n . 3. Wie wir ebenfalls erst später sehen werden, liegen die S c h m e l z p u n k t e der p-Verb i n d u n g e n , die sich infolge ihrer g e s t r e c k t e n G e s t a l t leichter in ein Kristallgitter einordnen lassen, nahezu ohne Ausnahme wesentlich h ö h e r als die der isomeren o- und m-Verbindungen. 4 . Am interessantesten ist schließlich ein von K Ö R N E B aufgefundenes Verfahren, mit dessen Hilfe man in sehr eleganter Weise bei b e l i e b i g e n D i s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e n des Benzols mit zwei g l e i c h a r t i g e n L i g a n d e n lediglich auf Grund a l l g e m e i n e r S y m m e t r i e ü b e r l e g u n g e n die gegenseitige Stellung der Substituenten festlegen kann: Führt man nämlich in jedes der drei möglichen Disubstitutionsprodukte einen d r i t t e n S u b s t i t u e n t e n ein, so kann je nach der gegenseitigen Stellung der ursprünglichen Substituenten eine v e r s c h i e d e n e A n z a h l v o n T r i s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e n entstehen. Z . B . erhält man aus dem p - D i c h l o r b e n z o l unabhängig davon, welches der vier H-Atome durch ein dritte» Cl-Atom ersetzt wird, immer nur das a s - T r i c h l o r b e n z o l , während die o - V e r b i n d u n g z w e i R e a k t i o n s p r o d u k t e nebeneinander (das v i c - und ebenfallsdas a s - T r i c h l o r b e n z o l ) Hefern kann, und das m - D i c h l o r b e n z o l schließlich in alle d r e i T r i c h l o r b e n z o l e überzugehen vermag:

C . V sym-Trichlorbenzol

as-Trichlorbenzol

vic-Trichlorbenzol

Man kann also aus der Z a h l d e r T r i s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e , die aus einem substituierten Benzol bei der Einführung eines ( b e l i e b i g e n ) dritten Substituenten entstehen, eindeutig rückwärts auf die g e g e n s e i t i g e S t e l l u n g d e r S u b s t i t u e n t e n in der Ausgangsverbindung schließen.

Die Kohlenwasserstoffe

122

2. Das Benzol und seine Alkylderivate Die einfachen aromatischen Kohlenwasserstoffe umfassen das Benzol und seine aliphatischen Substitutionsprodukte. Ihre Benennung erfolgt in den meisten Fällen durch T r i v i a l n a m e n , die in der aromatischen Reihe eine viel größere Rolle spielen als bei den aliphatischen Verbindungen, weil hier die reinen Stoffe vielfach schon längst bekannt waren, ehe der Konstitutionsbegriff überhaupt eingeführt wurde, ehe man ihnen also r a t i o n e l l e N a m e n geben konnte, und ehe es auch üblich war, Verbindungen nach ihrer Konstitution zu benennen. Die Bildung der r a t i o n e l l e n N a m e n geschieht in der gewohnten Weise durch Zerlegung des Kohlenwasserstoffs in eine G r u n d v e r b i n d u n g , als welche man meistens das B e n z o l selbst wählt, und die sie substituierenden A l k y l r a d i k a l e , so daß Namen wie M e t h y l b e n z o l (Trivialname Toluol), o-, m- und p - D i m e t h y l b e n z o l (o-, m-, p-Xylol) usw. entstehen. Der Benzolring wird meistens kurz als Kern, die ihn substituierenden Alkylreste auch hier als Seitenketten bezeichnet. Ist die Seitenkette ebenfalls substituiert, so zählt man ihre C-Atome mit 1', 2' usw. oder bezeichnet sie durch k l e i n e g r i e c h i s c h e B u c h s t a b e n . 2 - C h l o r t o l u o l bedeutet also ein in o - S t e l l u n g zur Methylgruppe, 1'- oder a - C h l o r t o l u o l ein in der S e i t e n k e t t e chloriertes Toluol. Zur Kennzeichnung des e n d s t ä n d i g e n C-Atoms der S e i t e n k e t t e ist schließlich auch hier der griechische Buchstabe co in Gebrauch, so daß wir für die angeführten drei Verbindungen die folgenden Benennungsmöglichkeiten haben:

2'-Chlor-äthylbenzol ß- oder aj-Chloräthylbenzol

l'-Chlortoluol x- oder cu-Chlortoluol

o-Chlortoluol bzw. 2-Chlortoluol

Die Namen der aromatischen Radikale führen ebenfalls die Endung -yl, leiten sich aber im übrigen n i c h t v o n d e n r a t i o n e l l e n N a m e n sondern von den Trivialnamen der Kohlenwasserstoffe ab, sofern man für sie nicht überhaupt b e s o n d e r e T r i v i a l n a m e n bevorzugt. So heißt z. B. das Radikal des B e n z o l s Phenyl- (bzgl. der Ableitung des Wortstammes vgl. S. 133), während der an sich viel näher liegende Name Benzyl- für den am S e i t e n k e t t e n k o h l e n s t o f f gebundenen T o l u o l r e s t -verwandt wird. Ahnlich führt das in co-Stellung mit dem Molekülrest verknüpfte Radikal des a - P h e n y l p r o p y l e n s wegen seiner nahen Beziehungen zur Z i m t s ä u r e den Trivialnamen Cinnamyl- (vgl. auch S. 378, Anm.). Erst diejenigen Derivate des Toluols, deren Bindung von einem K e r n - C - A t o m ausgeht, werden in normaler Weise o-, m- und p-Tolyl- genannt, und auch die sich von den verschiedenen X y l o l e n ableitenden Radikale führen den gemeinsamen Gruppennamen Xylyle, wie die folgende Zusammenstellung der Trivialnamen der wichtigsten aromatischen e i n w e r t i g e n R a d i k a l e zeigt.

Phenyl-

lienzyl-

o-Tolyl-

1' o-Xylyl-

Cinnamyl-

p-Tolyl-

2-m-Xylyl-

4-m-XyIyl-

Darstellung aromatischer Kohlenwasserstoffe

123

Als Gruppennamen für ein a r o m a t i s c h e s R a d i k a l s c h l e c h t h i n , dessen Bindung von einem K e r n a t o m ausgeht, dient schließlich der dem Ausdruck A l k y l der aliphatischen Reihe nachgebildete Namen Aryl. Vorkommen. Die aromatischen Kohlenwasserstoffe kommen mit wenigen Ausnahmen (vgl. z. B. S. 136f.) n i c h t in der b e l e b t e n N a t u r vor, treten aber in geringen Mengen m i n e r a l i s c h auf, z. B. in den Ausschwitzungen von Kohlelagern. Ferner entstehen sie als p y r o g e n e Z e r s e t z u n g s p r o d u k t e anderer organischer Verbindungen bei allen t e c h n i s c h e n P r o z e s s e n , die bei Temperaturen zwischen 1000 und 1400° verlaufen, und reichern sich daher in erster Linie im S t e i n k o h l e n t e e r an (vgl. III, Kap. 1, I, 2), der auch heute noch das wichtigste Ausgangsmaterial für die technische Gewinnung nahezu aller e i n f a c h e n a r o m a t i s c h e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e darstellt und diese dadurch zu den am leichtesten zugänglichen organischen Verbindungen überhaupt macht. Die Darstellungsverfahren für die aromatischen Kohlenwasserstoffe lassen sich in drei g r ö ß e r e G r u p p e n unterteilen: 1. Methoden, bei denen der B e n z o l k e r n selbst synthetisiert wird, 2. die E i n f ü h r u n g von S e i t e n k e t t e n in den Benzolkern und 3. der E r s a t z a n d e r e r S u b s t i t u e n t e n des Benzolkerns durch Wasserstoff. Zu 1. Infolge der leichten Isolierbarkeit der meisten aromatischen Kohlenwasserstoffe aus dem Steinkohlenteer hat die Synthese des Benzolringes selbst nur eine geringe p r ä p a r a t i v e B e d e u t u n g für den Aufbau von aromatischen Kohlenwasserstoffen erlangt. Lediglich die Gewinnung sehr s y m m e t r i s c h e r polysubstituierter Benzolderivate führt man praktisch am besten auf dem Wege einer Benzolringsynthese durch. Als Beispiel sei die auf S. 112 bereits kurz gestreifte T r i m e r i s i e r u n g von M e t h y l a c e t y l e n zu M e s i t y l e n erwähnt, die neben der sehr übersichtlich verlaufenden Kondensation von drei Molekülen A c e t o n mittels konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e : Ä% H C /

:

H

: 0

2

:

; +

c h H

2

:

C H

I

3

I

H;so, >

HC/ V »

:

c h ,

:

c h

3

- c

X

c

/

c - c h

3

H

das praktisch wichtigste Verfahren zur M e s i t y l e n g e w i n n u n g 1 ) darstellt. Ebenso ist für die Gewinnung von H e x a m e t h y l b e n z o l die T r i m e r i s i e r u n g von Dim e t h y l - a c e t y l e n ein sehr brauchbares Darstellungsverfahren (Gleichung formulieren!). Schließlich sei an dieser Stelle auch auf die inl, Kap. 12,1, 3 beschriebene S e l e n d e h y d r i e r u n g hydroaromatischer Substanzen nach D I E L S hingewiesen, bei der der Sechsring zwar bereits besteht, jedoch erst im Verlaufe der Reaktion a r o m a t i s i e r t wird.

Zu 2. Für die Einführung aliphatischer Seitenketten in den Benzolkern stehen ebenfalls m e h r e r e V e r f a h r e n zur V e r f ü g u n g : Bei der Verwendung von A c e t a l d e h y d sollte man in analoger Weise B e n z o l synthetisieren können (Gleichung formulieren!). Doch verläuft die Kondensation hier in a n d e r e r Richtung.

124

Die Kohlenwasserstoffe

a) Die Fittigsche Synthese. Die bei den Paraffinen beschriebene WuRTZsche S y n t h e s e wurde von F I T T I G auf die Darstellung a r o m a t i s c h e r K o h l e n w a s s e r s t o f f e übertragen. Sie verläuft hier, d . h . bei der Verknüpfung eines A r y l - mit einem A l k y l r e s t sogar besonders g l a t t , weil sich einerseits die MetallVerbindung der a r o m a t i s c h e n K o m p o n e n t e leichter bildet als die des aliphatischen Reaktionspartners, und weil andererseits diese aromatische Metallverbindung wiederum b e v o r z u g t mit der a l i p h a t i s c h e n H a l o g e n v e r b i n d u n g r e a g i e r t :

Infolgedessen tritt die Bildung der nicht gewünschten Kombinationsmöglichkeiten A l k y l - A l k y l und A r y l - A r y l hinter der beabsichtigten Alkylierung des Benzolkerns fast v ö l l i g z u r ü c k . b) Die Synthese von Friedel-Crafts. Eine zweite wichtige Methode zur Einführung von Alkylgruppen in den Benzolkern wurde 1877 von C. F R I E D E L und J . M. C R A F T S in Paris entdeckt. Sie beruht auf einer normalen A l k y l i e r u n g d e s a r o m a t i s c h e n B e n z o l k e r n s d u r c h A l k y l h a l o g e n i d e , deren Aktivität durch Verwendung von A l u m i n i u m c h l o r i d als Katalysator derart ges t e i g e r t wird, daß der sonst ziemlich reaktionsträge Benzolkern angegriffen werden kann (näheres über den Reaktionsmechanismus vgl. II, Kap. 4, II, 3b):

Die Reaktion ist von großer allgemeiner Bedeutung und dient bei Verwendung entsprechender Halogenverbindungen auch zur Synthese a n d e r e r a r o m a t i s c h e r V e r b i n d u n g e n , vor allem von A l d e h y d e n und K e t o n e n (vgl. S. 271). In dem speziellen Fall der Darstellung von K o h l e n w a s s e r s t o f f e n weist diese schöne Methode häufig den Nachteil auf, daß einerseits mehrere A l k y l r e s t e in den Benzolkern eintreten können, andererseits das Aluminiumchlorid gleichzeitig die R ü c k r e a k t i o n katalysiert. Infolgedessen treten zuweilen mehrere, verschieden hoch alkylierte Reaktionsprodukte n e b e n e i n a n d e r auf, oder es tritt eine A b s p a l t u n g bzw. W a n d e r u n g bereits im Kern befindlicher Substituenten ein. Zuweilen können sogar m o n o s u b s t i t u i e r t e Benzolderivate wie etwa T o l u o l , zu einem Gemisch von B e n z o l mit den verschiedenen möglichen Diund selbst T r i s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e n d i s p r o p o r t i o n i e r e n . Eine letzte unerwünschte Nebenreaktion beobachtet man schließlich bei der A l k y l h a l o g e n i d - K o m p o n e n t e , die sich unter der Einwirkung des Aluminiumchlorids während der Reaktion im Sinne der auf S. 151 beschriebenen Isomerisierungen in die Derivate der entsprechenden s e k u n d ä r e n oder t e r t i ä r e n Alkylhalogenide umlagern kann. So tritt z. B. bei Verwendung von I s o b u t y l bromid häufig der t e r t . B u t y l r e s t in den Benzolkern ein, und bei Verwendung von n - P r o p y l h a l o g e n i d e n werden die I s o p r o p y l d e r i v a t e erhalten:

Für die t e c h n i s c h e A n w e n d b a r k e i t der Reaktion ist es schließlich wichtig, daß man vielfach auf die Darstellung der Alkylhalogenide überhaupt verzichten und statt dessen die O l e f i n e (für die Einführung des Äthylrestes also beispielsweise Ä t h y l e n ) unter der Einwirkung von Aluminiumchlorid direkt in den a r o m a t i s c h e n K o h l e n w a s s e r s t o f f einführen kann:

Darstellung aromatischer Kohlenwasserstoffe - C

H

3



+

H20

Die Umsetzung ist im allgemeinen auf Alkohole beschränkt, die W a s s e r zu Olefinen a b s p a l t e n können, und läßt sich ebenfalls mit den O l e f i n e n selbst durchführen, wobei auch hier die Regel von MARKOWNIKOW eingehalten wird. Doch können aus dieser Tatsache noch keine Schlüsse auf den Reaktionsmechanismus gezogen werden (vgl. z. B. die Diskussion in II, Kap. 4, II, 3 b), da unter gewissen Bedingungen auch n i c h t d e h y d r a t i s i e r b a r e Alkohole, wie M e t h y l - und B e n z y l a l k o h o l zur Kondensation befähigt sind. Zu 3. Für den Ersatz von anderen Substituenten durch Wasserstoff stehen außer den bereits bei den P a r a f f i n e n beschriebenen Methoden ( H y d r o l y s e m e t a l l o r g a n i s c h e r V e r b i n d u n g e n , R e d u k t i o n von im Kern oder in der Seitenkette oxydierten und halogenierten Stoffen, A l k a l i d e s t i l l a t i o n v o n C a r b o n s ä u r e n usw.) noch d r e i , speziell in der a r o m a t i s c h e n R e i h e g e b r ä u c h l i c h e Verfahren zur Verfügung: a) die s a u r e H y d r o l y s e von A r y l s u l f o n s ä u r e n (näheres vgl. I, Kap.7, II, 1): .

b) die Reduktion von p h e n o l i s c h e n Z i n k s t a u b d e s t i l l a t i o n " (vgl. S. 225):

H y d r o x y l g r u p p e n mit Hilfe der

0—H+Zn

^> + ZnO



c) die Reduktion von D i a z o Verbindungen mit alkalischer Z i n n - I I - c h l o r i d l ö s u n g (vgl. I, Kap. 6, III, l b ) : N = N i - Ö N a + Sn(ONa)? + XaO • II

v

+ N 2 + Sn(0Na) 4

Die aromatischen Kohlenwasserstoffe unterscheiden sich in ihrem physikalischen Verhalten bereits etwas stärker von den Paraffinen gleicher Kohlenstoffzahl, doch sind die Unterschiede im wesentlichen nur g r a d u e l l e r N a t u r . So ist, wie aus Tabelle 4 hervorgeht, die D i c h t e infolge des gedrängteren Molekülbaus durchweg um etwa 30—40% h ö h e r als in der aliphatischen Reihe, und auch die S i e d e p u n k t e liegen um 10—40° über denen der n - P a r a f f i n e gleicher Molekülgröße. Sehr interessant sind weiterhin die S c h m e l z p u n k t v e r h ä l t n i s s e . Bei den r e g e l m ä ß i g gebauten Verbindungen (z. B. B e n z o l ) und von diesen vor allem bei denj jnigen, die p-ständige Metiiylgruppen im Molekül enthalten ( p - X y l o l , D u r o l , M e l l i t h o l usw.) und sich daher besondars

126

Die Kohlenwasserstoffe

leicht in ein Kristallgitter einordnen, beobachtet man jeweils relativ h o h e S c h m e l z p u n k t e , die weit über denen der entsprechenden n-Paraffine liegen, während bei u n r e g e l m ä ß i g e r S u b s t i t u t i o n , insbesondere bei den M o n o s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e n und Verbindungen mit m - s t ä n d i g e n Gruppen ( T o l u o l , m - X y l o l , I s o d u r o l usw.) besonders t i e f liegende Schmelzpunkte auftreten, die die Schmelzpunkte der n-Paraffine gleicher Kohlenstoffzahl z. T. sogar u n t e r s c h r e i t e n . Schließlich bewirkt der Übergang von der starr an den Benzolkern gebundenen M e t h y l - zu der infolge der freien Drehbarkeit um die C—C-Bindung(en) bereits beweglicheren Ä t h y l - oder gar P r o p y l g r u p p e trotz der Molekülvergrößerung ebenfalls eine S c h m e l z p u n k t s s e n k u n g . Auch hinsichtlich der L ö s l i c h k e i t s e i g e n s c h a f t e n ergeben sich einige g r a d u e l l e U n t e r s c h i e d e gegenüber den Paraffinen. Z. B. ist bei grundsätzlich ebenfalls l i p o p h i l e r und h y d r o p h o b e r Natur das allgemeine Lösungsvermögen bereits m e r k l i c h g e s t e i g e r t , so daß die aromatischen Kohlenwasserstoffe eine wesentlich g e r i n g e r e S e l e k t i v i t ä t aufweisen als die Paraffine gleicher Kohlenstoffzahl. Auch die h y d r o p h o b e N a t u r ist nicht mehr ganz so stark ausgeprägt und man kann z. B. bereits bis zu 1% W a s s e r in Benzol auflösen. Da dieses bei Zusatz von P a r a f f i n e n (Benzin) wieder ausfällt, ruft es zuweilen Störungen bei Treibstoffgemischen hervor. Tabelle 4 Physikalische K o n s t a n t e n einiger einfacher aromatischer Kohlenwasserstoffe Trivialname

rationeller Name

Sdp.

Smp.

Dichte, Temp. (flüssig)

Cumol

Benzol Methylbenzol Äthylbenzol Propylbenzol Isopropylbenzol

80° 111 136 159 153

+ 5° — 95 — 94 —101 — 97

0,879/20° 0,872/15 0,867/20 0,862/20 0,862/20

o-Xylol m-Xylol p-Xylol

1,2-Dimethylbenzol 1,3 -Dimethylbenzol 1,4-Dimethylbenzol

144 139 138

— 25 — 53 + 13

0,881/20 0,864/20 0,861/20

Mesitylen Hemellithol Pseudocumol

1,3,5-Trimethylbenzol 1.2.3-Trimethylbenzol 1.3.4-Trimethylbenzol

164 175 168

— 53 — 57

0,864/20 0,895/20 0,878/20

Prehnitol Isodurol Durol

1.2.3.4-Tetramethylbenzol 1.2.3.5-Tetramethylbenzol 1,2,4,5-Tetramethylbenzol

204 196 192

— 4 — 24 + 80

0,904/16 0,896/0 0,833/81

o-Cymol m-Cymol p-Cymol

l-Methyl-2-Isopropylbenzol 1 -Methyl-3-Isopropylbenzol 1 -Methyl-4-Isopropylbenzol

175 175 177

— 74

0,879/16 0,862/20 0,859/20

Mellithol

Pentamethylbenzol Hexamethylbenzol Hexaäthylbenzol

231 265 298

+ 53 + 169 + 129

Vinyl-benzol Phenylacetylen

146 140

— 45

Benzol Toluol

Styrol

0,847/107 0,831/130 0,907/20 0,930/20

Die chemischen Reaktionen der aromatischen Kohlenwasserstoffe lassen sich in zwei scharf voneinander getrennte Gruppen unterteilen: 1. die Umsetzungen des K e r n s und 2. die der S e i t e n k e t t e n .

Reaktionen des aromatischen Kerns

127

Zu 1. Die Reaktionsfähigkeit des K e r n s ist ausschließlich d u r c h die d r e i g e s c h l o s s e n k o n j u g i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n bedingt, deren gegenseitige Beeinflussung infolge dieser geschlossenen K o n j u g a t i o n b e s o n d e r s s t a r k i s t , so d a ß der olefinische C h a r a k t e r f a s t v ö l l i g v e r s c h w i n d e t u n d m a n z w e c k m ä ß i g v o n einem n e u a r t i g e n B i n d u n g s s y s t e m , e b e n d e m aromatischen System s p r i c h t . Zum besseren Verständnis der R e a k t i o n s f ä h i g k e i t dieses a r o m a t i s c h e n B i n d u n g s s y s t e m s ist es erforderlich, sich die auf S. 119 bereits erwähnte Tatsache ins Gedächtnis zurückzurufen, daß das Benzolsystem infolge der bei seiner Bildung frei werdenden A r o m a t i s i e r u n g s e n e r g i e um 36 kcal e n e r g i e ä r m e r ist als das Doppelbindungssystem des C y c l o h e x a t r i e n s mit der r e i n e n KEKULE-Struktur. Die Benzoldoppelbindung ist daher um d u r c h s c h n i t t l i c h 12 kcal stabiler als die olefinische, und mindestens um diese 12 kcal pro Doppelbindung müssen alle a r o m a t i s c h e n Anlagerungsreaktionen w e n i g e r e x o t h e r m sein als die entsprechenden a l i p h a t i s c h e n R e a k t i o n e n . Die Verhältnisse hegen in Wirklichkeit f ü r die Anlagerungsreaktionen des Benzols sogar n o c h u n g ü n s t i g e r , da man das aromatische Bindungssystem a l s G a n z e s betrachten muß, das bereits bei der Absättigung der e r s t e n D o p p e l b i n d u n g aufgehoben wird. Infolgedessen vermindert sich die Reaktionswärme bereits f ü r die erste Phase der Anlagerungsreaktion um nahezu die v o l l e A r o m a t i s i e r u n g s e n e r g i e von 36 kcal (genau um die Differenz der A r o m a t i s i e r u n g s e n e r g i e und der K o n j u g a t i o n s e n e r g i e des bei der Anlagerung entstehenden C y c l o h e x a d i e n d e r i v a t e s ) , und die Absättigung der beiden andern Doppelbindungen geht dann mit einer ähnlichen Wärmetönung vor sieh wie in der a l i p h a t i s c h e n R e i h e . Diese Gesetzmäßigkeit geht sehr schön aus den von G. B. K I S T I A K O W S K Y experimentell bestimmten Hydrierungswärmen der w i c h t i g s t e n D o p p e l b i n d u n g s a r t e n hervor: Bindungstypus cis-disubstituierte aliphatische Doppelbindung Cyclohexen Cyclohexadien (Durchschnitt) Benzoldoppelbindung (Durchschnitt) einfache C—C-Bindung (aliphatisch) erste aromatische Doppelbindung

Hydrierungswärme in kcal pro hydrierte Bindung — 28,6 kcal 1 ) — 28,6 „ — 27,7 „ —16,6 ,. — 9,6 „ + 5,6 „

Danach wird bei der Hydrierung der e r s t e n aromatischen Doppelbindung durch die zur Aufhebung des aromatischen Systems erforderliche E n e r g i e z u f u h r die große Hydrierungswärme der aliphatischen und alicyclischen C=C-Doppelbindungen ü b e r k o m p e n s i e r t und die Reaktion s c h w a c h e n d o t h e r m . Sie steht damit energetisch selbst hinter der Hydrierung der wesentlich beständigeren e i n f a c h e n C — C - B i n d u n g noch weit zurück. Auf diesen a u ß e r o r d e n t l i c h e n W i d e r s t a n d des Benzolkerns gegen die A u f h e b u n g d e r e r s t e n D o p p e l b i n d u n g ist in erster Linie d a s V e r h a l t e n d e r a r o m a t i s c h e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e z u r ü c k z u f ü h r e n . E r b e w i r k t , d a ß sich d a s Benzol A n l a g e r u n g s r e a k t i o n e n gegenüber ähnlich, jedoch in n o c h viel s t ä r k e r e m M a ß e r e a k t i o n s t r ä g e v e r h ä l t wie die m i t t e l s t ä n d i g e n C - A t o m e in einem a l i p h a t i s c h e n k o n j u g i e r t e n S y s t e m . I s t a b e r einmal ein p r i m ä r e s A d d i t i o n s p r o d u k t gebildet, so zeigt dieses, d a es k e i n B e n z o l s y s t e m m e h r e n t h ä l t , die n o r m a l e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t eines aliphatischen Polyolefins, d. h. es reagiert u n t e r d e n r e l a t i v s c h a r f e n B e d i n g u n g e n der P r i m ä r r e a k t i o n meistens s o f o r t w e i t e r u n t e r A b s ä t t i g u n g a u c h 1 ) E x o t h e r m e Reaktionen verlaufen vom System aus gesehen unter W ä r m e a b g a b e , zeigen also eine n e g a t i v e und e n d o t h e r m e Reaktionen entsprechend eine p o s i t i v e Reaktionswärme.

128

Die Kohlenwasserstoffe

der a n d e r n D o p p e l b i n d u n g e n . Man kann infolgedessen mit ganz wenigen Ausnahmen die primären Addukte n i c h t f a s s e n , sondern erhält sofort das v o l l ständig abgesättigte Cyclohexanderivat: H

H /

/ /

H _

V + ci2

lanssan

V

H

C1 H„ |/

\/C1

\ \

C1 H C1 H \ / \ /



+2C1

-

> V

V H

0 1

C1H C1

Grundsätzlich anders verhält sich Benzol dagegen bei S u b s t i t u t i o n s r e a k t i o n e n , da diese unter E r h a l t u n g bzw. R e g e n e r i e r u n g des a r o m a t i s c h e n B i n d u n g s s y s t e m s verlaufen. Hier wird infolgedessen die Reaktionswärme gegenüber der entsprechenden Olefinreaktion n i c h t h e r a b g e s e t z t , sondern man beobachtet wegen der nur zeitweisen Auflockerung des aromatischen Systems in den intermediär durchlaufenen aktiven Grenzstrukturen lediglich eine E r h ö h u n g d e r A k t i v i e r u n g s e n e r g i e und damit eine V e r l a n g s a m u n g d e r R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t (vgl. z . B . II, Kap. 4, II, la), so daß man etwas s c h ä r f e r e R e a k t i o n s b e d i n g u n g e n als in der Olefinreihe wählen muß. So erfolgt z. B. die C h l o r i e r u n g d e s B e n z o l k e r n s mit elementarem Chlor, das sich mit Olefinen s p o n t a n umsetzt, erst in Gegenwart von A l u m i n i u m c h l o r i d und verwandten Katalysatoren. Wir beobachten infolge dieser Verhältnisse bei den aromatischen Kohlenwasserstoffen gegenüber den Olefinen bei allgemeiner Herabsetzung der Reaktionsgeschwindigkeit eine starke Z u n a h m e der Neigung zu Substitutionsreaktionen, die hier den bei w e i t e m ü b e r w i e g e n d e n Reaktionstypus darstellen, und ein fast v ö l l i g e s Z u r ü c k t r e t e n der Anlagerungsreaktionen. Gleichzeitig bewirkt die verminderte Additionsfähigkeit eine auffallende S t a b i l i t ä t des Benzolkerns g e g e n ü b e r O x y d a t i o n s - und sonstigen A b b a u r e a k t i o n e n . a) Additionsreabtionen. Von den zahlreichen bei den Olef i n e n beschriebenen Anlagerungsmöglichkeiten hat lediglich die k a t a l y t i s c h e H y d r i e r u n g des Benzolkerns eine gewisse praktische Bedeutung erlangt. Sie erfordert im allgemeinen gegenüber der Hydrierung einer aliphatischen Doppelbindung e r h ö h t e T e m p e r a t u r e n oder a k t i v e r e K a t a l y s a t o r e n , so daß eine g e t r e n n t e H y d r i e r u n g beider Bindungsarten i m m e r m ö g l i c h ist. Doch sind die Unterschiede im ganzen nicht sehr erheblich, so daß wir in der Hydrierung aromatischer Verbindungen heute den einfachsten Weg zur Gewinnung des C y c l o h e x a n s und seiner Derivate (I, Kap. 11, I, 2d) vor uns haben, die durch diese Methode überhaupt erst leicht zugängliche Verbindungen geworden sind. Chlor und B r o m benötigen dagegen bereits e r h e b l i c h s c h ä r f e r e B e d i n g u n g e n als in der aliphatischen Reihe, um an die Doppelbindungen des Benzolringes angelagert werden zu können, und zwar erfolgt die Reaktion eigenartigerweise nur unter der aktivierenden Wirkung von U l t r a v i o l e t t - oder S o n n e n b e s t r a h l u n g , also gerade eines Aktivierungseffektes, der auf die Addition an die olefmische Doppelbindung k e i n e n s i c h t b a r e n , dafür aber auf die Paraffinsubstitution einen um so g r ö ß e r e n E i n f l u ß ausübt (vgl. S. 146). Als Reaktionsprodukt erhält man stets ein Gemisch der verschiedenen stereo-isomeren H e x a h a l o g e n c y c l o h e x a n e , da die Addition des Halogens an die Doppelbindungen sterisch nicht einheitlich verläuft. Bezüglich des Reaktionsmechanismus vgl. II Kap. 4, IT, 3a. Von den übrigen Anlagerungsreaktionen ist, abgesehen von der bereits zu den Abbaureaktionen zählenden O z o n i d b i l d u n g (s. unten), lediglich die Anlagerung des D i a z o e s s i g e s t e r s zum N o r c a r a d i e n - c a r b o n s ä u r e e s t e r (I) hervorzuheben (näheres vgl. I,Kap. 6,

lir, la):

Tafel I D i e w i c h t i g s t e n , v o m A c e t y l e n a u s g e h e n d e n syi

Kunststoffe

< POLYMER"M,T")N

CH2=CH-X Vinyl Verbindungen lineare Polymerisation




-CH,—NH,

)0 C H »2 — C H 2

-CH2—NH2

Tetrahydrofuran

Butyrolacton

Hexamethylen-diamin

£ ** c

'

OS CHj—CH,—CH,—COOH

ti-Buttersäure

C H

Y

2

Y

= C H - C H = C H

2

Polymerl8ation

Y

>

B U N A

R u Ä o f f e

Butadien

Walter de Gruyter

Co., Berlin

Reaktionen des aromatischen Kerns

V

—y.

i; + N2CH—COOR

I

>

V

129

|>CH—COOR,

1

die als einzige Reaktion dieser Gruppe bereits nach Absättigung der ersten Doppelbindung stehen bleibt.

b) Die aromatische Substitution ist als w i c h t i g s t e r R e a k t i o n s t y p u s d e s a r o m a t i s c h e n B i n d u n g s s y s t e m s gleichzeitig von außerordentlicher praktischer Bedeutung, weil sie das H a u p t e i n f a l l s t o r darstellt, durch das m a n von den Kohlenwasserstoffen des Steinkohlenteers ausgehend präparativ und technisch zu fast allen gebräuchlichen aromatischen Verbindungen gelangt. Die wichtigsten dieser Substitutionsreaktionen werden daher vielfach auch als die G r u n d r e a k t i o n e n d e r o r g a n i s c h e n C h e m i e bezeichnet. Diese Grundreaktionen, auf die im einzelnen erst später näher eingegangen wird, sind:

Cl—CH

2

—\

Methylenchlorhydrin

~

ZnCl7

Gl—CH2

/

—GH2—Cl

Ferner gehört die Kondensation der P h e n o l e (S. 224) und a r o m a t i s c h e n A m i n e (T.Kap.6, I, 3 a) mit A l d e h y d e n und K e t o n e n , die allerdings zu einer Substitution des g e s a m t e n C a r b o n y l s a u e r s t o f f s durch zwei aromatische Reste führt, diesem Reaktionstypus an. Trotz des formal gleichartigen Reaktionsverlaufes weicht der M e c h a n i s m u s all dieser Substitutionsreaktionen grundsätzlich von dem der P a r a f f i n s u b s t i t u t i o n ab und steht in naher Beziehung zur o l e f i n i s c h e n S u b s t i t u t i o n und auch A d d i t i o n . Insbesondere verhält sich der Benzolkern bei allen diesen Substitutionsreaktionen wie die olefinische Doppelbindung in erster Näherung a m m o n i a k a n a l o g , d. h. er tritt wie dieses primär mit einem u n g e b u n d e n e n E l e k t r o n e n p a a r (als Carbeniatanion) in Reaktion, wie wir in II, Kap. 4, II, 3 b eingehend erörtern werden. Man spricht daher zusammenfassend auch von anionoiden Substitutionsreaktionen des Benzolkerns. Ist in dem zu substituierenden Kern bereits ein Substituent enthalten, so entstehen bei der Einführung des zweiten Liganden nicht alle drei möglichen Disubstitutionsprodukte in gleicher Menge nebeneinander, sondern eines oder auch zwei von ihnen werden b e v o r z u g t g e b i l d e t . Hierbei beobachtet man nach H O L L E M A N die folgenden, in II, Kap. 4, III, 1 auch theoretisch begründeten Substitutionsregeln: Der bereits vorhandene Substituent übt eine d i r i g i e r e n d e W i r k u n g auf den E i n t r i t t s o r t d e s z w e i t e n S u b s t i t u e n t e n aus, und man kann die verschiedenen Substituenten auf Grund dieser dirigierenden Wirkung in z w e i sich d i a m e t r a l g e g e n ü b e r s t e h e n d e G r u p p e n unterteilen. Zur ersten Gruppe, den Substituenten erster Ordnung, gehören sämtliche A l k y l r e s t e , die Oxy- und A m i n o g r u p p e , die H a l o g e n e , die N i t r o s o - , Azo- und —SR-Gruppe sowie eine Reihe weiterer, weniger wichtiger Substituenten. Sie b e s c h l e u n i g e n die Substitutionsreaktion gegenüber dem B e n z o l als Vergleichssubstanz und dirigieren den zweiten Substituenten stets überwiegend in die o- oder p - S t e l l u n g . Hierbei wird im allgemeinen bei t i e f e r T e m p e r a t u r die o- und bei höherer Temperatur die p - S u b s t i t u t i o n begünstigt, doch kann man hinsichtlich dieser beiden Möglichkeiten niemals strenge Voraussagen machen. Zur zweiten Gruppe, den Substituenten zweiter Ordnung, gehören vor allem die N i t r o - , die S u l f o - , die C a r b o n y l - und die C a r b o x y l g r u p p e sowie der q u a r t ä r e A m m o n i u m s t i c k s t o f f . Sie v e r l a n g s a m e n gegenüber dem Benzol die Substitutionsgeschwindigkeit und lenken den zweiten Substituenten überwiegend in die m - S t e l l u n g . Nur wenige Substituenten, wie etwa die —CHC12-Gruppe sind schließlich nahezu o h n e jede dirigierende Wirkung. Diese Substitutionsregeln sind von großer praktischer Bedeutung, da jede ihnen zuwider laufende Reaktion meistens außerordentliche Schwierigkeiten bereitet, so daß

Reaktionen des aromatischen Kerns

131

einerseits zwar das lästige Auftreten schwer trennbarer Isomerengemische bis zu einem gewissen Grade v e r m i e d e n wird, andererseits aber auch zahlreiche Verbindungen, wie etwa o- und p-Dinitrobenzol (I, Kap. 6, IV, 3), nur auf U m w e g e n oder mit g e r i n g e n A u s b e u t e n dargestellt werden können. Wenn trotzdem die Gewinnung der meisten Disubstitutionsprodukte des Benzols relativ leicht vor sich geht, so ist dies nur auf den g ü n s t i g e n U m s t a n d zurückzuführen, daß sowohl die kohlenstoff- als auch die stickstoffhaltigen Beste in der r e d u z i e r t e n F o r m (—CH 3 und —NH 2 ) zur e r s t e n und in der o x y d i e r t e n F o r m (—COOH und —N0 2 ) zur z w e i t e n Substituentengruppe gehören. Man kann also je nachdem, ob man v o r oder n a c h der Reduktion der Nitro- zur Aminogruppe, bzw. ob man v o r oder n a c h der Oxydation des Toluols zur Benzoesäure die weitere Substitution vornimmt, alle möglichen Disubstitutionsprodukte erhalten. c) Abbaureaktionen. Der Abbau des Benzolringes unter wenigstens t e i l w e i s e r E r h a l t u n g d e s K o h l e n s t o f f g e r ü s t e s bereitet ziemliche Schwierigkeiten und wird praktisch auch kaum durchgeführt, da der Benzolkern selbst keine durch klassische organische Reaktionen aufklärbaren Konstitutionsprobleme mehr bietet. Immerhin ist Benzol gegen s t a r k e O x y d a t i o n s m i t t e l nicht absolut widerstandsfähig und kann mit Hilfe der folgenden Methoden p a r t i e l l abgebaut werden: a) durch Ozonabbau, der analog der Reaktion der olefinischen Doppelbindung verläuft und zu einem T r i - o z o n i d (II) führt, das z. B. beim B e n z o l selbst zu drei Molekülen G l y o x a l (S. 441) aufgespalten werden kann: / 0 \ H

O/ 30

Ck I ^CH 0 HC— / xO O | | /

o \

\/0 CH

\ / ^CH

+ 3 H 0

H

H

3 0=C—C=0 + 3 H 2 0 2 Glyoxal

n

Hier werden also a l l e d r e i D o p p e l b i n d u n g e n zerstört, so daß nur noch jeweils z w e i der ursprünglichen Ringatome z u s a m m e n h ä n g e n d e r h a l t e n bleiben. Die Reaktion diente lange Zeit als wichtiger Beweis für die R i c h t i g k e i t d e r KEKULEschen B e n z o l f o r m e l . ß) Mit Hilfe von C h l o r s ä u r e ist es möglich, Benzol über einige chlorhaltige Zwischenprodukte zur Maleinsäure abzubauen, in der noch vier C-Atome des Kerns mit einer Doppelbindung und in der der Ringanordnung entsprechenden e i s - S t e l l u n g der C a r b o x y l g r u p p e n erhalten geblieben sind:

y) Bei einer weiteren Abbaureaktion des B e n z o l s wird sogar nur e i n e D o p p e l b i n d u n g angegriffen, und es bleibt die g e s a m t e K e t t e von sechs C-Atomen mit z w e i Doppelbindungen erhalten:

Die Kohlenwasserstoffe

132

/

)

0;

>

>

H 0 0 C

x / v / \ COOH

Die Reaktion konnte bisher allerdings n i c h t in v i t r o durchgeführt werden, sondern wurde nur im Organismus von Kaninchen und Hunden beobachtet, wo sie wahrscheinlich zur E n t g i f t u n g d e s B e n z o l s dient. Sie verläuft insofern noch etwas u n b e f r i e d i g e n d , als die primär sicher entstehende, die u r s p r ü n g l i c h e R i n g a n o r d n u n g der C-Atome noch aufweisende labile e i s , c i s - M u c o n s ä u r e nicht gefaßt werden kann und sich unter den Reaktiorisbedingungen sofort in die stabilere t r a n s , t r a n s - V e r b i n d u n g umlagert. Geht man jedoch nicht vom Benzol selbst, sondern von dem viel leichter angreifbaren P h e n o l aus, so kann man den gleichen Abbau mit Peressigsäure als Oxydationsmittel auch unter sehr milden Bedingungen in vitro durchführen und erhält nunmehr tatsächlich die erwartete eis,cis-Muconsäure. Zu 2. Die gesättigten Seitenketten der aromatischen Kohlenwasserstoffe zeigen im allgemeinen P a r a f f i n c h a r a k t e r . Lediglich das dem Kern benachbarte CAtom, der „Benzylkohlenstoff", zeichnet sich wie der A l l y l k o h l e n s t o f f (S. 98) durch eine etwas g e s t e i g e r t e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t aus, die sich in einer gegenüber den Paraffinen erleichterten H a l o g e n i e r u n g (vgl. S. 146), N i t r i e r u n g (I, Kap. 6, IV, 1), Einführung v o n S a u e r s t o f f (S. 177,234u.a.) usw. bemerkbar macht. Auch eine der Autoxydation der Olef ine analoge Bildung v o n P e r o x y d e n unter der Einwirkung v o n L u f t s a u e r s t o f f ist (mit Ausnahme v o m Toluol) möglich, erfolgt aber im allgemeinen etwas w e n i g e r l e i c h t als in der aliphatischen Reihe. D a der Mechanismus dieser Seitenkettenreaktionen trotz der gesteigerten Reaktionsgeschwindigkeit durchaus noch dem der n o r m a l e n P a r a f f i n s u b s t i t u t i o n entspricht und sich damit grundsätzlich v o n dem der Kernsubstitution unterscheidet, ist es häufig möglich, durch Verwendung entsprechender Katalysatoren die K e r n und S e i t e n k e t t e n s u b s t i t u t i o n vollständig v o n e i n a n d e r z u t r e n n e n (vgl. z. B. S. 147). Die leichte O x y d i e r b a r k e i t des Benzyl-C-Atoms ist f ü r die K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g aromatischer Verbindungen von großer Bedeutung, weil es mit ihrer Hilfe gelingt, sämtliche Seitenketten unter E r h a l t u n g d e s B e n z o l k e r n s vollständig, d. h. bis zur C a r b o x y l g r u p p e abzubauen. Da die hierbei entstehenden aromatischen M o n o - und P o l y c a r b o n s ä u r e n infolge ihrer ausgezeichneten Kristallisierbarkeit leicht rein dargestellt und i d e n t i f i z i e r t werden können, dient das Verfahren meistens zur Ermittlung der Zahl und auch der S t e l l u n g d e r A l k y l r e s t e , wie im folgenden am Beispiel der drei isomeren Cymole gezeigt sei: CH3—CH—CH,-3

o-Cymol

CHg—CH—CH.3

COOH

m-Cymol

Phthalsäure

CHg—CH

CH 3 p-Cymol

CH;-3

COOH

COOH

Iso-phthalsäuie

Das Benzol

133

Ein besonderes Interesse verdienen schließlich noch die Kohlenwasserstoffe mit ungesättigten Seitenketten, deren Doppelbindung sich in oc, /^-Stellung, also in K o n j u g a t i o n s s t e l l u n g zu den Doppelbindungen des Kerns befindet. Trotz der inneren Abgeschlossenheit des Benzolsystems ist auch hier eine gewisse B e e i n f l u s s u n g d e r R e a k t i o n s f ä h i g k e i t der olefinischen Doppelbindung deutlich bemerkbar, wie u. a. die starke P o l y m e r i s a t i o n s n e i g u n g des Styrols zeigt. Befinden sich m e h r e r e B e n z o l k e r n e in Konjugation mit der olefinischen Doppelbindung, wie etwa bei den unten beschriebenen P o l y p h e n y l - ä t h y l e n e n , so beobachtet man sogar eine v o l l s t ä n d i g e Ä n d e r u n g i h r e s c h e m i s c h e n C h a r a k t e r s , insbesondere eine mit der Zahl der Benzolkerne z u n e h m e n d e N e i g u n g z u r M e t a l l a d d i t i o n u n d a b n e h m e n d e Neigung zur n o r m a l e n H a l o g e n a n l a g e r u n g . Da im übrigen auch die Konjugation zwischen Benzolkern und Doppelbindung mit einer Wärmeabgabe verbunden ist, besitzt eine vom Kern i s o l i e r t stehende Doppelbindung, ähnlich wie isolierte olefinische Doppelbindungen, die Tendenz, in d i e K o n j u g a t i o n s s t e l l u n g zu wandern. Einzelverbindungen. Benzol," der einfachste und auch bei weitem w i c h t i g s t e aromatische Kohlenwasserstoff, wurde bereits sehr f r ü h z e i t i g entdeckt. Als erster h a t es F A B A D A Y im J a h r e 1825 aufgefunden, als er mit einer Untersuchung des Nachlassens der Leuchtkraft des Steinkohlengases in kalten Wintern beschäftigt war. E r fand, daß die Leuchtwirkung durch den Gehalt des Gases an den Dämpfen einer sich bei tiefer Temperatur abscheidenden klaren Flüssigkeit hervorgerufen wird, aus der er durch Destillation und Behandeln mit Lauge ein ziemlich einheitliches Produkt isolieren konnte, das bereits eine Reihe charakteristischer B e n z o l r e a k t i o n e n gab. Seine Beobachtung geriet jedoch wieder in Vergessenheit, und erst 8 J a h r e später h a t M I T S C H E B L I C H den Kohlenwasserstoff erneut durch D e c a r b o x y l i e r u n g der aus dem B e n z o e h a r z isolierten B e n z o e s ä u r e gewinnen und auch erstmals r e i n d a r s t e l l e n können. E r stellte ferner die I d e n t i t ä t seines Produktes mit dem F A B A D A Y sehen Kohlenwasserstoff fest und nannte den Körper auf Grund der Darstellungsweise B e n z i n , welcher Name später von L I E B I G in Benzol umgeändert wurde. Dieser Name ist allerdings n i c h t s e h r g l ü c k l i c h gewählt, denn die Endung -ol, die auch in den Namen zahlreicher Benzolhomologen (z. B. ToluoZ, Xylo?, Duroi, Mellithoi) vorkommt, ist vor allem f ü r die Benennung von O x y V e r b i n d u n g e n reserviert und damit für die eines Kohlenwasserstoffs u n g e e i g n e t . Die G e n f e r N o m e n k l a t u r k o m m i s s i o n hat daher später versucht, die dem ungesättigten Charakter des Benzols besser entsprechende Endung -en einzuführen, doch konnte sich der neu vorgeschlagene Name Benzen nur in Frankreich (benzene) und in England (benzene, sprich „benzin") durchsetzen. In Deutschland dagegen hat sich der ursprüngliche Name B e n z o l erhalten, und es wurde lediglich die in England übliche Bezeichnung in getreuer p h o n e t i s c h e r Ü b e r t r a g u n g als unser „ B e n z i n " f ü r die der B e n z o l f r a k t i o n d e s S t e i n k o h l e n t e e r s analog siedenden P a r a f f i n g e m i s c h e (S. 80) verwandt. Neben der heute üblichen Bezeichnung waren früher für das Benzol noch eine Reihe w e i t e r e r N a m e n in Gebrauch bzw. vorgeschlagen worden, von denen an dieser Stelle nur der von LAURENT auf Grund der Entdeckungsgeschichte des Benzols gewählte Name Phen (von griechisch cpcaveiv = Leuchten) hervorgehoben werden muß, der sich noch in den Bezeichnungen für zahlreiche B e n z o l d e r i v a t e (z. B. im PÄewyZradikal, in Phenol, in den verschiedenen Phenonen und schließlich auch in Thiophen) erhalten hat.

Die technische Gewinnung des Benzols geschieht ausschließlich aus dem S t e i n k o h l e n t e e r (in Deutschland vor dem zweiten Weltkrieg jährlich etwa 500000 t, vgl. auch III, K a p . 1,1, 2), doch ist das so erhaltene Rohbenzol noch n i c h t ganz

134

Die Kohlenwasserstoffe

r e i n , sondern enthält stets etwa 0,15% T h i o p h e n (I, K a p . 11, III, 3b), das sich nur s c h w e r abtrennen läßt und die Ursache der I n d o p h e n i n r e a k t i o n (I, Kap. 11, III, 3 b ) des t e c h n i s c h e n B e n z o l s ist. D o c h wirkt diese Verunreinigung bei den meisten Umsetzungen n i c h t s t ö r e n d . Die Gewinnung von thiophenfreiem Benzol f ü r analytische Zwecke ist bei der außergewöhnlich g r o ß e n Ä h n l i c h k e i t v o n B e n z o l u n d T h i o p h e n nur mit wenigen chemischen Reaktionen möglich. So läßt sich z. B. T h i o p h e n infolge seiner etwas l e i c h t e r e n S u l f o n i e r b a r k e i t durch Behandeln des Rohbenzols mit k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e ausziehen, doch geht hierbei stets ein großer Teil des Benzols selbst in die Sulfonsäure über. Noch glatter gelingt die Entfernung des Thiophens durch Kochen des Teerbenzols mit E s s i g s ä u r e u n d Q u e c k s i l b e r o x y d (I, Kap. 11, III 3 b), wobei es im Gegensatz zu dem nur langsam reagierenden Benzol (I, Kap. 9, III, 1) sofort m e r c u r i e r t wird. Schließlich kann man reines Benzol auch durch D e c a r b o x y l i e r u n g der gut kristallisierenden und dadurch leicht rein darstellbaren B e n z o e s ä u r e gewinnen. Benzol ist eine angenehm riechende, stark lichtbrechende Flüssigkeit, die zwar noch farblos ist, aber im Gegensatz zu den Paraffinen bereits im m i t t l e r e n U l t r a v i o l e t t absorbiert. E s brennt infolge der gleichen prozentualen Zusammensetzung mit ähnlich stark rußender Flamme wie A c e t y l e n , ist aber im übrigen w e s e n t l i c h s t a b i l e r als dieses u n d gegenüber d e n Elementen nur noch mit 18 kcal/Mol e n d o t h e r m , so daß die oben beschriebene T r i m e r i s i e r u n g d e s A c e t y l e n s m i t der für eii\e Polymerisationsreaktion außerordentlich hohen Wärmetönung v o n 150 kcal pro Mol Benzol verläuft. Stabilitätsverhältnisse. Benzol ist auf Grund seiner e n d o t h e r m e n N a t u r bei normaler Temperatur gegenüber den Elementen n u r m e t a s t a b i l und steht in dieser Beziehung etwa in der Mitte zwischen den in e x o t h e r m e r R e a k t i o n aus den Elementen entstehenden P a r a f f i n e n und dem stark e n d o t h e r m e n A c e t y l e n . Man kann infolgedessen d r e i c h a r a k t e r i s t i s c h e T e m p e r a t u r g e b i e t e unterscheiden, in denen jeweils eine andere Gruppe von Kohlenwasserstoffen n e b e n e l e m e n t a r e m W a s s e r s t o f f beständig ist: 1. Bei t i e f e n T e m p e r a t u r e n bis etwa 500 C gehen in Gegenwart geeigneter Katalysatoren K o h l e und alle u n g e s ä t t i g t e n oder a r o m a t i s c h e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e in exothermer Reaktion in P a r a f f i n e bzw. als Endprodukt der Reaktion in M e t h a n über (vgl. S. 71, 78). 2. Bei m i t t e l h o h e n T e m p e r a t u r e n zwischen 1000 und 1500° erleiden die Paraffine bereits eine weitgehende W a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g und V e r c r a c k u n g , wobei sich bevorzugt die gegen Zerreißkräfte wesentlich stabileren a r o m a t i s c h e n R i n g s y s t e m e , insbesondere B e n z o l selbst, bildet. 3. Bei s e h r h o h e n T e m p e r a t u r e n schließlich zerfallen aber auch diese wieder, und es entsteht das sehr einfach gebaute s t a r k e n d o t h e r m e A c e t y l e n , das hier als e i n z i g e r K o h l e n w a s s e r s t o f f noch mit den Elementen im Gleichgewicht steht. Alle drei charakteristischen Temperaturstufen werden t e c h n i s c h zur Kohlenwasserstoffgewinnung ausgewertet (näheres vgl. III, Kap. 1, I), und zwar die Temperaturen u n t e r 500° zur P a r a f f i n g e w i n n u n g durch die K o h l e - (4—500°) und auch K o h l e n o x y d h y d r i e r u n g (unter 200°), die Temperaturen von 1000—1200° zur Bildung der a r o m a t i s c h e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e d e s S t e i n k o h l e n t e e r s , und schließlich die Lichtbogentemperatur zur Acetylen synthese. Verwendung. D i e Hauptmenge des Benzols wird in Mischung mit den höheren Homologen zu B r e n n z w e c k e n verwandt, wobei es sich insbesondere als k l o p f f e s t e r M o t o r e n t r e i b s t o f f bewährt hat. R e i n e s B e n z o l dient in der chemischen Industrie als Ausgangsmaterial für die Darstellung der Mehrzahl der später beschriebenen a r o m a t i s c h e n V e r b i n d u n g e n sowie als wichtiges lipophiles und hydrophobes L ö s u n g s m i t t e l . Seine Dämpfe wirken bei längerem Einatmen giftig..

Die Benzolhomologen

135

Toluol oder Methylbenzol C6H5—CH3, das nächst höhere Homologe des Benzols hat seinen Namen auf Grund seines Vorkommens im T o l u b a l s a m , einer südamerikanischen Wundbalsamart, erhalten. Es tritt ebenfalls, wenn auch bereits in wesentlich geringerer Menge als Benzol, im S t e i n k o h l e n t e e r auf und wurde früher ausschließlich aus diesem gewonnen. Heute reichen diese Mengen jedoch n i c h t mehr aus, so daß es zusätzlich auch aus M e t h y l a l k o h o l und B e n z o l s y n t h e t i s c h erzeugt wird. Toluol ist infolge der als S u b s t i t u e n t erster Ordnung wirkenden M e t h y l gruppe etwas l e i c h t e r s u b s t i t u i e r b a r als Benzol und dient daher vielfach als Ausgangsmaterial zur Herstellung höher s u b s t i t u i e r t e r a r o m a t i s c h e r Verb i n d u n g e n , z.B. von T r i n i t r o t o l u o l , das als Sprengstoff das viel schwieriger darstellbare Trinitrobenzol völlig verdrängt hat. Ferner kann es durch Seitenkettensubstitution in die wichtigen B e n y z l v e r b i n d u n g e n sowie durch Seitenketten oxydation in Derivate des B e n z y l a l k o h o l s , des B e n z a l d e h y d s und der B e n z o e s ä u r e übergeführt werden und findet schließlich wegen seines gegenüber dem Benzol e r h ö h t e n S i e d e p u n k t e s auch als L ö s u n g s m i t t e l Anwendung. Das r o h e T o l u o l des Steinkohlenteers ist wie das Benzol durch eine schwefelhaltige Substanz, das M e t h y l t h i o p h e n (Thiotolen, 1, Kap. 11, l l f , 3b) verunreinigt, die ähnlich s c h w e r a b t r e n n b a r ist, wie das T h i o p h e n aus dem B e n z o l . Doch stört seine Anwesenheit bei den meisten Umsetzungen ebenfalls n i c h t .

Die drei isomeren Dimethylbenzole führen den Trivialnamen Xylol:

o-Xylol

m-Xylol

p-Xylol

Sie kommen alle drei im S t e i n k o h l e n t e e r vor1) und werden technisch auss c h l i e ß l i c h aus ihm gewonnen. Doch lassen sie sich infolge ihrer sehr ähnlichen Siedepunkte (vgl. Tabelle 4, S. 126) nur s c h w e r voneinander trennen und werden daher häufig in Form des G e m i s c h e s verwandt, z . B . als h o c h s i e d e n d e s Lös u n g s m i t t e l . Die Abtrennung der reinen Isomeren, insbesondere der p-Verbindung, ist in neuerer Zeit durch f r a k t i o n i e r t e K r i s t a l l i s a t i o n bei tiefer Temperatur gelungen. Die Xylole dienen, wenn auch in erheblich geringerem Umfang als Benzol und Toluol, ebenfalls als A u s g a n g s m a t e r ial für die Darstellung anderer aromatischer Verbindungen, insbesondere von Z w i s c h e n p r o d u k t e n für die Farbenindustrie. Analog dem rohen Benzol und Toluol enthält auch die Xylolfraktion des S t e i n k o h l e n t e e r s als schwer abtrennbare Begleiter geringe Mengen der verschiedenen D i m e t h y l t h i o p h e n e (Thioxene), die jedoch wiederum die normalen Reaktionen nicht stören.

Die wichtigsten der in großer Zahl bekannten höheren Homologen des Benzols kommen ebenfalls im S t e i n k o h l e n t e e r vor und sind mit den gebräuchlichen T r i v i a l n a m e n in der folgenden Übersicht zusammengestellt (Physikalische Konstanten vgl. Tabelle 4, S. 126): 1 ) Das R o h x y l o l d e s S t e i n k o h l e n t e e r s enthält neben etwa 55—60% m - X y l o l , 15—18% p - X y l o l und 10—12% o - X y l o l auch geringe Mengen a n d e r e r K o h l e n w a s s e r s t o f f e , z. B. etwa 11% Ä t h y l b e n z o l .

Die Kohlenwasserstoffe

136 H

C H ,

CH3 Äthyl-benzol

H,CX

C H ,

H3C—
—CH,

Pseudocumo] H

/CH 3

3

C

Mesitylen

/CH,

N

- C H ,

X

CH.

H , C

Cumol H,

Isodurol

Prehnitol

/CH3

/CH, C H

-CH

H , C -

X

CH,

CH,

H3CX

CH,

h3Cx

-CH,

H 3 C-

/CH3 —C—CH, \CH3

H,C/

XCH3

H3C-/"^-CH H3C/

/

Pentamethyl-benzol

p-Cymol

m-Cymol

H3Cx

Duro]

m-tert.Butyl-toluol

CH, 3

H3C/

\CH3

X

°H3

l,3-DimethyI-5-tert.butyl-benzol

Hexamethyl-benzol (Mellithol)

Von diesen Verbindungen sind wir dem Mesitylen bereits bei einigen synthetischen Reaktionen (S. 112 u. 123) begegnet. Es gehört infolge seines s y m m e t r i s c h e n A u f b a u s zu den wenigen Benzolderivaten, die durch S y n t h e s e des aromatischen K e r n s am l e i c h t e s t e n zugänglich sind. Äthylbenzol wird nach F R I E D E L - C R A F T S aus Ä t h y l e n und B e n z o l (S. 125) im großen gewonnen und dient als Z w i s c h e n p r o d u k t für die S t y r o l s y n t h e s e . Cumol, p-Cymol und in geringerem Maße auch m-Cymol sind die aromatisierten Grundkörper der hydroaromatischen T e r p e n e und C a m p h e r . Sie treten daher zuweilen in ä t h e r i s c h e n ö l e n auf oder sind als A b b a u p r o d u k t e verschiedener T e r p e n e und C a m p h e r erhalten worden. m-tert.Butyl-to!uoI und l,3-DimethyI-5-tert.butylbenzol sind die Grundkörper der in I, Kap. 6, IV, 3 beschriebenen k ü n s t l i c h e n M o s c h u s d u f t s t o f f e und dienen als Ausgangsmaterial für deren Gewinnung. Sie selbst werden mit Hilfe der FRiEDEL-CRAFrs-Reaktion aus T o l u o l bzw. m - X y l o l und I s o b u t y l b r o m i d gewonnen, wobei letzteres sich in Gegenwart von A l u m i n i u m c h l o r i d intermediär in t e r t . B u t y l b r o m i d umlagert (vgl. S. 124, 151): . C H ,

Br—CH,. A101, C H

/

C—Br

CH3

/ ' H ,

CH3—C—!

+ H CH,

CH./

X

CH,

Hexamethylbenzol oder Metlii(Ji)ol ist schließlich als p e r s u b s t i t u i e r t e s Benzolderivat von einem gewissen theoretischen Interesse. Es besitzt kein am Kern befindliches H-Atom mehr und zeigt dementsprechend k e i n t y p i s c h e s „ a r o m a t i s c h e s V e r h a l t e n " mehr, kann also z. B. nicht mehr im Kern substituiert werden. Seine Darstellung erfolgt am besten durch T r i m e r i s i e r u n g v o n D i m e t h y l a e e t y l e n (S. 123) oder durch e r s c h ö p f e n d e M e t h y l i e r u n g v o n B e n z o l nach F R I E D E L - C R A F T S .

Ungesättigte aromatische Kohlenwasserstoffe. Styrol C 6 H 5 —CH=CH 2 , der einfachste ungesättigte aromatische Kohlenwasserstoff ist ebenfalls ein Bestandteil

Ungesättigte aromatische Kohlenwasserstoffe

137

des S t e i n k o h l e n t e e r s und hat seinen Namen auf Grund seines natürlichen Vorkommens im S t o r a x (tropischer Wundbalsam) erhalten. P r ä p a r a t i v stellt man es am besten durch Decarboxylierung von Z i m t s ä u r e (vgl. auch S. 378): -CH=CH—COOH

~~ c %

Erhitzen

< \

\ >—CH=CH2 /

und g r o ß t e c h n i s c h durch Dehydrierung von Ä t h y l b e n z o l her. Als eine mögliche technische Synthese der Z u k u n f t m u ß auch die auf S. 112 beschriebene T e t r a m e r i s i e r u n g d e s A c e t y l e n s oder die nachträgliche Anlagerung von A c e t y l e n an B e n z o l betrachtet werden.

Styrol verhält sich infolge der Konjugation der olefinischen mit der Benzoldoppelbindung wie ein a l i p h a t i s c h e s 1,3-Dien und zeigt insbesondere eine s t a r k e P o l y m e r i s a t i o n s n e i g u n g . Es dient daher in der Technik sowohl zur Herstellung von r e i n e n P o l y s t y r o l k u n s t s t o f f e n (z. B. Trolitul) alsauch als P o l y m e r i s a t i o n s k o m p o n e n t e für die Herstellung anderer Kunststoffe (z. B. Buna). Auch verschiedene flüssige und feste n i e d e r m o l e k u l a r e P o l y m e r i s a t i o n s p r o d u k t e des Styrols konnten isoliert und hinsichtlich ihrer Konstitution sichergestellt werden. Interessant ist schließlich noch das Verhalten des Styrols gegenüber k o n z e n t r i e r t e r S a l p e t e r s ä u r e , die eigenartigerweise nicht den Kern, sondern die S e i t e n k e t t e in («-Stellung substituiert. Styrol gehört d a m i t zu den wenigen Olefinderivaten, die bei n o r m a l e r T e m p e r a t u r an der o l e f i n i s c h e n D o p p e l b i n d u n g substituiert werden können: y — C H = C H — H + HO—N02

v

C H = C H — N 0 2 + HaO

I m Phenylacetylen liegt der einfachste aromatische Kohlenwasserstoff mit einer A c e t y l e n b i n d u n g vor. E r entsteht in Analogie zur Styrolbildung bei der Decarboxylierung von P h e n y l p r o p i o l s ä u r e (S. 379): >—C=C—COOH

~ c o ' >. / Kihitzen \

N—C=C—H /

und zeigt chemisch durchaus das e r w a r t e t e V e r h a l t e n . Insbesondere entstehen bei der Einwirkung von a m m o n i a k a l i s c h e r S i l b e r - und K u p f e r - I - s a l z l ö s u n g die f ü r Verbindungen mit AcetylenWasserstoff charakteristischen s c h w e r l ö s l i c h e n S c h w e r m e t a l l d e r i v a t e , und die Anlagerung von W a s s e r f ü h r t auch hier im Sinne der Regel von MARK O W N I K O W zum K e t o n , dem A c e t o p h e n o n (S. 271):

feCH

+ H20

Eine gewisse Steigerung der Reaktionsfähigkeit der dreifachen Bindung gegenüber dem A c e t y l e n äußert sich darin, daß hier die Wasseraufnahme bereits mit Schwefelsäure allein, also o h n e Z u s a t z v o n Q u e c k s i l b e r s a l z e n vor sich geht.

3. Kohlenwasserstoffe mit mehreren, nicht kondensierten Benzolkernen Die Eigenschaften der Kohlenwasserstoffe mit m e h r e r e n B e n z o l k e r n e n im Molekül hängen weitgehend von deren g e g e n s e i t i g e m A b s t a n d ab, so daß man sie zweckmäßig nach diesem Abstand unterteilt.

Die Kohlenwasserstoffe

138

a) K o h l e n w a s s e r s t o f f e m i t d i r e k t v e r b u n d e n e n

Benzolkernen

Die direkte Verknüpfung mehrerer Benzolkerne führt man am besten mit Hilfe der WUSTZ-FiTTiGschen S y n t h e s e durch:

Quaterphenyl

Daneben hat BUSCH in neuerer Zeit eine sehr interessante z w e i t e M e t h o d e entwickelt, die im Prinzip an die Gewinnung der h ö c h s t g l i e d r i g e n P a r a f f i n e (S. 79) erinnert. Danach wird p - D i h r o m b e n z o l mit Hydrazin als W a s s e r s t o f f q u e l l e in Gegenwart eines H y d r i e r u n g s k a t a l y s a t o r s behandelt. Hierbei übernimmt d e r ~ W a s s e r s t o f f die Rolle des M e t a l l s bei der W U R T Z sehen S y n t h e s e und verknüpft in noch nicht näher bekannter Weise unter Herausspaltung von B r o m w a s s e r s t o f f die Benzolkerne zu einem G e m i s c h v e r s c h i e d e n l a n g e r K e t t e n m o l e k ü l e , das sieh im allgemeinen leicht trennen läßt: B r — B r

+ H2 + B r — /

— 4HBr

Br + H 2 + B r — B r

T>r

Reduktion

V

/ /

\

\

/

\ /

\

_ /

P

\

'

/

\

+ H2 +

B r — B r

r

\

_

/

Auf diese Weise sind bereits Kohlenwasserstoffe mit bis zu 16 a n e i n a n d e r g e r e i h t e n B e n z o l r i n g e n hergestellt worden. Geht man bei dieser Reaktion von m - D i b r o m b e n z o l aus, so kann man in analoger Weise auch Kohlenwasserstoffe gewinnen, deren Benzolringe in m - S t e l l u n g miteinander verknüpft sind.

Die Benennung dieser eigenartigen Kohlenwasserstoffe erfolgt in der Weise, daß man die Z a h l der miteinander verknüpften Benzolringe als l a t e i n i s c h e s (nicht wie sonst üblich als griechisches) Zahlwort vor den Radikalnamen P h e n y l setzt, so daß man die Namen T e r p h e n y l , Q u a t e r p h e n y l , Q u i n q u e p h e n y l und S e x a p h e n y l für die Kohlenwasserstoffe mit 3—6 Benzolringen erhält. Für das .Anfangsglied der Reihe mit zwei Benzolkernen ist jedoch immer noch die aus dem Griechischen abgeleitete Bezeichnung D i p h e n y l in Gebrauch. Diphenyl, vielfach im Sinne der angegebenen Nomenklatur auch Biphenyl genannt, entsteht außer durch WTTRTZsehe Synthese auch beim Leiten von B e n z o l d ä m p f e n durch ein g l ü h e n d e s R o h r , eine Reaktion, der wir in verschiedenen Variationen noch des öfteren begegnen werden (vgl. z. B. I, Kap. 12, III, 4):

< >-I-i-se< >

OKD + H 2

Weitere wichtige B i l d u n g s w e i s e n d e s D i p h e n y l s y s t e m s , die allerdings nur f ü r die Darstellung seiner D e r i v a t e von Bedeutung sind, werden wir später in der B e n z i d i n u m l a g e r u n g (I, Kap. 6, II, 5b) und der d e h y d r i e r e n d e n V e r k n ü p f u n g z w e i e r B e n z o l k e r n e in p-Stellung zu Amino- (I, Kap. 12, III, 4) und in selteneren Fällen auch Oxygruppen kennenlernen.

Diphenyl selbst ist ohne Bedeutung geblieben. Es spielt jedoch als Muttersubstanz zahlreicher t e c h n i s c h e r F a r b s t o f f e (vgl. z. B. III, Kap. 2, VI, 2) eine gewisse Rolle. Ferner zeigen einige seiner Derivate eine interessante M o l e k u l a r a s y m m e t r i e (II, Kap. 7, I, Idy).

Mehrkernige Benzolabkömmlinge

139

Die h ö h e r e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e der p - R e i h e sind vor allem s t e r i s c h von Interesse, da sie infolge der ungewinkelten Verknüpfung der Benzolringe s t a r r e S t a b m o l e k ü l e darstellen und damit charakteristische p h y s i k a l i s c h e E i g e n s c h a f t e n , insbesondere anomal h o h e S c h m e l z - und in geringerem Ausmaß auch S i e d e p u n k t e aufweisen. Ferner zeigen sie gegenüber den Kohlenwasserstoffen der m - R e i h e interessante Unterschiede hinsichtlich der M e s o m e r i e V e r h ä l t n i s s e , worauf wir in II, Kap. 3, III, 1 noch näher eingehen werden.

b) D i e P o l y p h e n y l m e t h a n e Sind die Benzolkerne durch ein C-Atom getrennt, so kommen wir zu den A r y l d e r i v a t e n d e s M e t h a n s . Sie zeichnen sich gegenüber den normalen aromatischen Kohlenwasserstoffen vor allem durch eine stark gesteigerte Reaktionsfähigkeit des am Methankohlenstoff noch befindlichen W a s s e r s t o f f s aus, die wir in ihren Anfängen bereits beim einfachsten Phenylmethan, dem T o l u o l , als besondere A k t i v i t ä t d e s B e n z y l k o h l e n s t o f f s (S. 132) kennengelernt haben. Diphenylmethan kann nach F R I E D E L - C R A F T S durch Einwirkung von M e t h y l e n c h l o r i d auf z w e i M o l , oder von B e n z y l c h l o r i d auf ein Mol B e n z o l , sowie schließlich auch aus B e n z y l a l k o h o l und B e n z o l in Gegenwart von S c h w e f e l s ä u r e erhalten werden: —HaQ V -:H + HO—|CH2 HaSO,

H H

+

Benzylalkohol

C1 CH, Gl/

— 2 HCl A1C1, *

Methylenchlorid

cy

CH.

— HCl ' AlCl a

Diphenylmethan

—jH + Cl—:CH2Benzylchlorid

In ihm wird der M e t h y l e n w a s s e r s t o f f noch leichter als der M e t h y l w a s s e r s t o f f des T o l u o l s unter Bildung von B e n z o p h e n o n (S. 261) aboxydiert. Ferner läßt sich die Methylengruppe bei der Einwirkung von v e r d ü n n t e r S a l p e t e r s ä u r e bei Temperaturen oberhalb 100° unter Schonung der Benzolkerne n i t r i e r e n (formulieren!). Triphenylmethan entsteht in analoger Weise aus Chloroform und Benzol nach FRIEDEL-CRAFTS :

H

C1

H + Cl— CH h

— 3 HCl A1C1,

-CH

cr//

Es zeigt eine noch g r ö ß e r e A k t i v i t ä t des a l i p h a t i s c h e n W a s s e r s t o f f s als Diphenylmethan und läßt sich infolgedessen leicht zum T r i p h e n y l c a r b i n o l (S. 177) oxydieren oder zum T r i p h e n y l c h l o r m e t h a n (S. 153) chlorieren. Ähnlich wie in der Diphenylreihe hat auch hier der Kohlenwasserstoff selbst nur eine g e r i n g e B e d e u t u n g erlangt, doch leiten sich von ihm w i c h t i g e D e r i v a t e ab, von denen an dieser Stelle lediglich auf die T r i p h e n y l m e t h y l - h a l o g e n i d e (S. 153), - ä t h e r (S. 213), - r a d i k a l e (I, Kap. 10, II, 2) und die technisch wichtigen T r i p h e n y l m e t h a n f a r b s t o f f e (III, Kap. 2, I I I , 2) hingewiesen sei. Da der r a t i o n e l l e R a d i k a l n a m e Triphenylmethyl- für diese vielfache Verwendung reichlich u m s t ä n d l i c h ist, hat H E L F E R I C H als abkürzenden Trivialnamen die Bezeichnung

Die Kohlenwasserstoffe

140

Trityl- (z.B. T r i t y l - c h l o r i d , T r i t y l - ä t h e r usw.) vorgeschlagen, der sich rasch eingebürgert hat. Auch der von ihm sekundär abgeleitete Name Tritan für das T r i p h e n y l m e t h a n selbst findet zuweilen Anwendung. Tetraphenylmethan schließlich kann durch eine FRiEDEL-CRAFTssche Synthese (etwa aus T e t r a c h l o r k o h l e n s t o f f und B e n z o l , formulieren!) n i c h t mehr gewonnen werden, ist aber aus T r i t y l c h l o r i d und Chlorbenzol nach WURTZ-FJTTIG leicht zugänglich:

c \ 0/X /

\ —

X: C1 + 2 Na + C1

Es ist eine sehr b e s t ä n d i g e und, da sich am Methankohlenstoff kein W a s s e r s t o f f mehr befindet, auch ziemlich r e a k t i o n s t r ä g e Verbindung ohne allgemeine Bedeutung.

c) K o h l e n w a s s e r s t o f f e m i t g r ö ß e r e m A b s t a n d d e r B e n z o l k e r n e Stehen schließlich die Benzolkerne noch weiter aus einander, so ist k e i n e g e g e n s e i t i g e B e e i n f l u s s u n g mehr zu bemerken, und die Verbindungen verlieren an allgemeinem Interesse. So zeigt z.B. Dibenzyl C6H5—CH2—CH2—C6H5 (in Analogie zum „ B i p h e n y l " auch Bibenzyl genannt) als einfachstes in 1,2-Stellung d i a r y l i e r t e s P a r a f f i n im wesentlichen das erwartete Verhalten eines eine Seitenkette enthaltenden a r o m a t i s c h e n K o h l e n w a s s e r s t o f f s . Erst, wenn bei Steigerung der Z a h l d e r B e n z o l k e r n e auch hier an jedem C-Atom m e h r e r e A r y l r e s t e stehen, beide Äthan-C-Atome also dem P o l y p h e n y l m e t h a n t y p u s entsprechen, werden die Verbindungen wieder interessanter, und wir begegnen im Hexaphenyläthan (C6H5)3C—C(C6H5)3 erstmals einer Substanz, deren m i t t l e r e C—CB i n d u n g aus den in II, Kap. 3, III, 7 diskutierten Gründen so g e s c h w ä c h t ist, daß sie eine gewisse.Neigung zum Zerfall in die f r e i e n R a d i k a l e aufweist (vgl. auch I, Kap, 10, II, 2). Von größerem Interesse sind ferner die Polyphcnylderivate des Äthylens wegen der bereits beim Styrol erkennbaren starken Wechselwirkung zwischen der o l e f i n i s c h e n D o p p e l b i n d u n g und den B e n z o l k e r n e n . sym-Diphenyl-äthylen führt den Trivialnamen Stilben und kann mit Hilfe der folgenden „GitiGNARD-Reaktion" aus B e n z y l - m a g n e s i u m b r o m i d und B e n z a l dehyd gewonnen werden: -»..H CH2—MgBr + 0 = C H — / Benzylmagnesiumbromid

—•

OMgBr.

¿H—CH—

Benzaldehyd

CH=CH

trans-Stilben

cis-Stilben

Im Stilben begegnen wir dem ersten Kohlenwasserstoff, der die auf S. 16 beschriebene Ä t h y l e n i s o m e r i e zeigt. Die normalerweise entstehende e n e r g i e a r m e und s t a b i l e M o l e k ü l f o r m besitzt t r a n s - K o n f i g u r a t i o n (d. h. eine g e s t r e c k t e M o l e k ü l f o r m ) und kristallisiert infolgedessen g u t . Sie lagert sich bei U l t r a -

Mehrkernige Benzolabkömmlinge

141

v i o l e t t b e s t r a h l u n g in die e n e r g i e r e i c h e r e l a b i l e c i s - F o r m um, die infolge ihrer g e w i n k e l t e n M o l e k ü l g e s t a l t nicht mehr zur Kristallisation gebracht werden kann und eine starke Tendenz aufweist, sich in die t r a n s - F o r m z u r ü c k z u v e r w a n d e l i i , insbesondere b e i h ö h e r e r T e m p e r a t u r (vgl. auch II, Kap .7,111,2). Stilben addiert noch in normaler Weise B r o m , ist aber im Gegensatz zum Styrol bereits zur A l k a l i m e t a l l - a d d i t i o n befähigt. Die Polymerisationsneigung wird durch die beiderseitige aromatische Substitution des Äthylens (Verschwinden der Vinylgruppierung, vgl. S. 97) gegenüber dem Styrol s t a r k h e r a b g e s e t z t , so daß nur noch e i n e D i m e r i s i e r u n g z u m C y c l o b u t a n d e r i v a t stattfindet (formulieren!). as-Diphenyl-äthylen (C c H 5 ) 2 C=CH 2 mit z w e i an e i n e m Ä t h y l e n - C - A t o m befindlichen Phenylresten lagert nur noch Chlor, nicht aber mehr B r o m an die olefinisehe Doppelbindung an, während die Neigung zur A l k a l i m e t a l l a d d i t i o n stark z u n i m m t , so daß man bereits drei v e r s c h i e d e n e A n l a g e r u n g s m ö g l i c h k e i t e n kennt: 1. Die direkte Anlagerung von zwei A l k a l i m e t a l l a t o m e n : Li Li C=CHs+2Li

Die Anlagerung einer m e t a l l o r g a n i s c h e n

Verbindung:

3. Die Anlagerung von nur e i n e m M e t a l l a t o m pro M o l e k ü l unter gleichzeitiger V e r k n ü p f u n g v o n zwei D i p h e n y l ä t h y l e n - m o l e k ü l e n z u m T e t r a p h e n y l b u t a n derivat:

X

C=CH 2 + 2 Li + H 2 C=C' ^

. '

^ ^

- R—Cl + Cl • •

R—Cl + H—Cl

da jede der Teilreaktionen o h n e e r k e n n b a r e A k t i v i e r u n g s w ä r m e sehr schnell verläuft und jedes freie Chloratom bzw. Alkylradikal innerhalb von nur zwei Teilreaktionen ein g l e i c h a r t i g e s H a l o g e n a t o m bzw. f r e i e s R a d i k a l wieder er10

K1 a g e s , Lehrbuch "-er Organischen Chemie I, 1

146

Die organischen Halogenverbindungen

zeugt, so daß die hohe Aktivierungsenergie nur für die Bildung der w e n i g e n für den „Kettenstart" erforderlichen E i n z e l a t o m e , nicht aber für die g e s a m t e S u b s t a n z m e n g e aufgebracht werden muß. Jeder Vorgang also, der f r e i e H a l o g e n a t o m e , wenn auch nur in geringen Mengen, erzeugt, kann daher zur Reaktionsbeschleunigung dienen, und wir haben infolgedessen in der S o n n e n - oder U l t r a v i o l e t t b e s t r a h l u n g , die eine Aufspaltung der Halogenmoleküle in die f r e i e n A t o m e bewirkt, ein bequemes Mittel zur Aktivierung d e r P a r a f f i n h a l o g e n i e r u n g . Im einzelnen kann man den ParaffinWasserstoff nach seiner A k t i v i t ä t unterteilen in:

R—C1 + H 2 0

+ 2 H:—C1

2 R—C1 +

H20x

C1

/Cl Z

< c i

Man kann die Verwendung eines Katalysators daher auch dadurch u m g e h e n , daß man von vornherein von d e n . E s t e r n s t a r k e r S ä u r e n ausgeht. Als Beispiel sei die M e t h y l j o d i d b i l d u n g aus D i m e t h y l s u l f a t und K a l i u m j o d i d angeführt, die bereits in wäßriger Lösung bzw. Suspension unter Selbsterwärmung nach folgender Gleichung vor sich geht: CH3—0S02—0—CH3 + J:K Schließlich ist es auch möglich, den Halogenwasserstoff durch a k t i v e r e Halogenierungsmittel zu ersetzen. Als solche kommen in erster Linie die a n o r g a n i s c h e n P o l y h a l o g e n i d e , insbesondere die verschiedenen P h o s p h o r h a l o i d e (PC1 5 , PC1 3 , P B r s und P J 3 ) , sowie für Chlorierungen T h i o n y l c h l o r i d in Betracht. P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d ist das bei weitem s t ä r k s t e C h l o r i e r u n g s m i t t e l dieser Gruppe und bietet den Vorteil, o h n e N e b e n r e a k t i o n e n stets c h l o r i e r e n d zu wirken. Doch wird sein Chlorgehalt nur s c h l e c h t a u s g e w e r t e t , da unter den Reaktionsbedingungen nur e i n s der fünf Chloratome zum Eintritt in das organische Molekül befähigt ist (bzgl. des Mechanismus vgl. II, Kap. 4, I I , 2 a - [R 3 N—CN]+Br-

C - C . H , • - v 2 R—Cl + N=C—C,H & Erhitzen

>

R—Br + R 2 N—C=N

Die erste Reaktion wird zuweilen zur Darstellung von D i h a l o g e n v e r b i n d u n g e n tisch verwertet (vgl. z. B. S. 158).

prak-

Die organischen Halogenverbindungen

150

In Tabelle 5 sind die wichtigsten physikalischen Daten einiger A l k y l h a l o g e n i d e (einschl. der Fluoride) zusammengestellt. Am auffallendsten ist die gegenüber den Paraffinen gleicher Kohlenstoffzahl mit steigendem Atomgewicht z u n e h m e n d e und mit wachsender Größe des Alkylrestes a b n e h m e n d e s i e d e p u n k t s - , schmelzTabelle 5 Methyl Fluoride Chloride

Bromide

Jodide

Sdp. — 78° Sdp. — 24 Smp. — 97 D(fl.) Sdp. + 4,6 Smp. — 93 D(fl.) 1,732 + 42 Sdp. Smp. — 66 D(fl.) 2,279

Äthyl

Propyl i-Propyl

— 32° — + 13 —139 0,917 38 —119 1,459 72 —111 1,933

3° 46 —123 0,892 71 —110 1,354 102 —101 1,747

Allyl

n-Butyl | tert.-But.

Benzyl

— 11° — 3° + 32° « + 1 3 ° 140° 37 45 78 51 179 —117 —136 —123 — 29 — 39 0,859 0,938 0,897 0,847 1,103 59 70 100 73 198—9 —4 — 89 —119 —112 — 20 1,443 1,322 1,398 1,283 1,189 102 90 131 98—9 93/11 mm + 24 — 93 — 97 —103 — 34 1,848 1,733 1,614 1,711 1,571

p u n k t s - und d i c h t e - e r h ö h e n d e Wirkung der Halogene. Doch liegen die S i e d e und besonders die S c h m e l z p u n k t e gegenüber den meisten anderen organischen Verbindungen immer noch sehr niedrig. Hinsichtlich der Löslichkeitseigenschaften sind die Alkylhalogenide den K o h l e n w a s s e r s t o f f e n sehr ä h n l i c h , d.h. sie sind ebenfalls w a s s e r u n l ö s l i c h , in o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n l ö s l i c h und können ihrerseits k e i n e E l e k t r o l y t e a u f l ö s e n . Ihr Geruch ist angenehm erfrischend, doch sind die Dämpfe, namentlich die der J o d i d e , sehr g i f t i g , und man muß sich vor häufigem Einatmen schützen. Die Alkylhalogenide sind trotz der großen Reaktionsfähigkeit der C-Hal-Bindung recht b e s t ä n d i g e V e r b i n d u n g e n , die auch von W a s s e r nur sehr l a n g s a m zersetzt werden. Lediglich beim längeren Stehen im L i c h t färben sich die Bromide und vor allem die Jodide leicht braun bzw. v i o l e t t infolge einer geringfügigen Abscheidung der f r e i e n H a l o g e n e . Im D u n k e l n können sie jedoch u n b e g r e n z t aufbewahrt werden.

Das chemische Verhalten der Alkylhalogenide ist ausschließlich durch die Aktivität der C - H a l - B i n d u n g bedingt, der gegenüber die Reaktionsfähigkeit des P a r a f f i n t e i l e s völlig z u r ü c k t r i t t . Doch zeigen die u n g e s ä t t i g t e n und arom a t i s c h e n A l k y l h a l o g e n i d e in der erwarteten Weise neben den Umsetzungen des Halogens auch die Reaktionen der M e h r f a c h b i n d u n g bzw. des B e n z o l kerns. Im einzelnen können wir die Reaktionen der Alkylhalogenide in v i e r g r ö ß e r e G r u p p e n unterteilen, die wir z.T. bereits kennengelernt haben: 1. der A u s t a u s c h des H a l o g e n s gegen andere n e g a t i v e R e s t e , 2. die H a l o g e n w a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g zu Ölefinen, 3. die Umsetzung mit M e t a l l e n zu m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n , und schließlich 4. die R e d u k t i o n zu K o h l e n w a s s e r s t o f f e n (S. 67). Zu 1. Die Substitution des Halogens durch andere n e g a t i v e R e s t e erfolgt allgemein bei der Einwirkung der Alkylhalogenide auf b a s i s c h e Reagentien, und zwar entweder auf die W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g der einzuführenden negativen Reste oder, falls deren Basizität n i c h t a u s r e i c h t , auf die stärker basischen Met a l l s a l z e (bzw. deren Anionen): R—Hai + NH 3 R—Hai + MeX

>

[R—NH 3 ]+HalR—X + Me Hal

Die Alkylierungsreaktion

151

Da es bei diesen Reaktionen weniger auf den Austausch des Halogens selbst, sondern in erster Linie auf die E i n f ü h r u n g des A l k y l r e s t e s in andere Moleküle ankommt, nennt man sie allgemein Alkylierungsrcaktionen und bezeichnet dementsprechend die Alkylhalogenide als Alkylierungsmittel (vgl. auch S. 198). Die wichtigsten dieser Alkylierungsreaktionen sind in dem folgenden Formelschema zusammengestellt. Sie werden später bei den Darstellungsverfahren für die einzelnen Verbindungen näher besprochen: NH,

NaOH

CH3—OH Methylalkohol

Methylfluorid

Methyljodid NaO—R

CH3—O—R

Methylamin NaSH

ch 3 —sh Methylmercapta n

NaS—R .

CHj—S—R

Methyl äther

CH3—O—Ac Methylester

XaO—Ac (oder AgO—Ac)

CH-Hai

NaC = N i

I

| NaNQ,

x>

Acetonitril

ch 3 —N=C Methylisonitril

Thioäther

Nitromethan

^

ch 3 —so 3 h Methylsulfonsäure

CH3—R Wurtzsche Synthese

Methylnitrit

Die R e a k t i o n s f ä h i g k e i t der Alkylhalogenide n i m m t von den (ziemlich reaktionsträgen, vgl. S. 165) Fluoriden über die Chloride und Bromide zu den J o d i d e n zu. Ihre praktische Anwendbarkeit wird lediglich durch den hohen Preis der meist benötigten Bromide und J o d i d e etwas beeinträchtigt. Letztere werden daher vornehmlich in der p r ä p a r a t i v e n Chemie als Alkylierungsmittel verwandt, während man in der Technik meistens die Chloride (und die sich ebenfalls von einer starken Säure ableitenden Schwefelsäureester) bevorzugt. In dem speziellen Fall der Einwirkung der Alkylhalogenide auf S i l b e r s a l z e , z. B. auf eine alkoholische S i l b e r n i t r a t l ö s u n g : R - Hai ;-AgOX() 2

-

R—0—N0 2 + AgHal

kann man das sich abscheidende S i l b e r h a l o g e n i d direkt zum q u a l i t a t i v e n und z. T. auch q u a n t i t a t i v e n N a c h w e i s des Alkylhalogenids verwenden. Die Ausfällung erfolgt insbesondere bei den A l k y l j o d i d e n sehr rasch, ist aber immer noch eine Z e i t r e a k t i o n und darf nicht mit der praktisch momentan verlaufenden Reaktion des eigentlichen Jodions verwechselt werden.

Zu 2. Die bei der Darstellung der Olef ine bereits beschriebene Abspaltung von Halogenwasserstoff unter Bildimg einer olefinischen Doppelbindung (S. 87) erfolgt im allgemeinen unter ähnlichen Reaktionsbedingungen wie die A l k y l i e r u n g s r e a k t i o n und kann diese daher u. U. empfindlich stören, ähnlich wie wir auch umgekehrt die A l k y l i e r u n g bei der O l e f i n b i l d u n g als Nebenreaktion kennen gelernt haben. Beide Reaktionsarten hängen in ihrem Mechanismus eng z u s a m m e n und treten daher immer als K o n k u r r e n z r e a k t i o n e n nebeneinander auf, worauf wir in II, Kap. 4, II, 2 b noch näher eingehen werden. Auf dem Umweg über eine derartige O l e f i n b i l d u n g kann man auch die bei der Einwirkung von A l u m i n i u m c h l o r i d und verwandten Katalysatoren zuweilen beobachtete Umlagerung primärer A l k y l h a l o g e n i d e in die isomeren s e k u n d ä r e n und t e r t i ä r e n

Die organischen Halogenverbindungen

152

Verbindungen erklären. Sie beruht auf einer rasch hintereinander erfolgenden A b s p a l t u n g und Wieder a n l a g e r u n g des Halogen Wasserstoffs, wobei nach der Regel von MARKOWNIKOW das Halogen bei der Wiederanlagerung stets an das wasserstoffärmste C-Atom tritt: C1 E—CHa—CHa—C1

K^CH=CH 2 + HCl

>- R—¿H—CH3

Als praktisches Beispiel für eine derartige (hier intermediär erfolgende) Umlagerung haben wir auf S. 136 die Einführung eines t e r t . - B u t y l r e s t e s in den Benzolkern mit Hilfe des p r i m ä r e n I s o b u t y l b r o m i d s in Gegenwart von Aluminiumchlorid kennengelernt (Gleichung formulieren!). Zu 8. Die Bildung der metallorganischen, insbesondere die der präparativ wichtigen m a g n e s i u m o r g a n i s c h e n Verbindungen (GRiGNABD-Verbindungen) erfolgt vielfach bereits bei der Einwirkung der f r e i e n M e t a l l e auf die ä t h e r i s c h e L ö s u n g der Alkylhalogenide (näheres vgl. I, Kap. 9, I): R—Hai + Mg >- R—MgHal Durch diese einfache Reaktion wurden die m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n überhaupt erst zu einer l e i c h t z u g ä n g l i c h e n Substanzklasse. Einzelverbindungen Methylchlorid1) CH3—C1 entsteht bei der Einwirkung von C h l o r w a s s e r s t o f f auf M e t h y l a l k o h o l bei höherer Temperatur. M e t h y l a l k o h o l i s c h e S a l z s ä u r e wird daher in der Technik häufig als Methylierungsmittel verwandt. Flüssiges M e t h y l c h l o r i d erzeugt bei der Verdampfung große Verdunstungskälte und dient infolgedessen, auf die Haut gebracht, als L o k a l a n ä s t h e t i k u m . Äthylchlorid1) CaH5—C1 ist in Form von ä t h y l a l k o h o l i s c h e r Salzsäure ein technisch wichtiges Ä t h y l i e r u n g s m i t t e l . In der Pharmazie wird es zu I n h a l a t i o n s n a r k o s e n verwandt. Methyljodid1) und, soweit seine Gasnatur nicht stört, auch Methylbromid1), sowie Äthyljodid 1 ) undÄthylbromid 1 ) stellen gegenüber den Chlorverbindungen die p r ä p a r a t i v wichtigsten M e t h y l i e r u n g s - und Ä t h y l i e r u n g s m i t t e l dar. Im übrigen sind sie jedoch, ebenso wie sämtliche h ö h e r e n A l k y l h a l o g e n i d e , als EinzelVerbindungen o h n e allgemeines Interesse. Ungesättigte und aromatische Alkylhalogenide. In den Allylhalogeniden CH 2 =CH— CH2— Hai begegnen wir den einfachsten u n g e s ä t t i g t e n A l k y l h a l o g e n i d e n . Ihre Darstellung erfolgt u. a. in der oben beschriebenen Weise durch Halogenierung des A l l y l a l k o h o l s (S. 188) mit den verschiedenen P h o s p h o r h a l o i d e n (Gleichung formulieren!). Daneben wird Allyljodid auch in etwas undurchsichtiger Reaktion aus G l y c e r i n und P h o s p h o r t r i j o d i d gewonnen: OH 1

OH OH F

I

CHJ—CH—CH2

+PJ

3



CH2=CH—CH2—J + J2 +

H3PO3

Die Allylhalogenide zeigen infolge der A l l y l s t e l l u n g des Halogens eine gegenüber den gesättigten Alkylhalogeniden g e s t e i g e r t e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t (näheres *) Die einfachen Alkylhalogenide wurden früher häufig auch C h l o r m e t h y l , J o d m e t h y l , B r o m ä t h y l usw. genannt. Diese Bezeichnungsweise ist aber f a l s c h und irref ü h r e n d , da der Ausdruck „Halogenalkvl" auf Grund der Genfer Nomenklatur ein halogenhaltiges R a d i k a l , Chlormethyl also z. B. das R a d i k a l C1—CH2—, benennt und in Verbindungen, wie etwa p - C h l o r m e t h y l - p h e n o l C1—CH2—C6H4—OH, auch tatsächlich zu Nomenklaturzwecken Verwendung findet.

Ungesättigte und aromatische Alkylhalogenide

153

vgl. II, Kap. 3, III, 1) und eignen sich daher in erster Linie zur Üb e r t r a g u n g des A l l y l r e s t e s auf andere Verbindungen. Besonders A l l y l j o d i d ist ein beliebtes A l l y l i e r u n g s m i t t e l . Die Propargylhalogenide HC=C—CH2-Hal als einfachste Alkylhalogenide der A c e t y l e n reihe werden in analoger Weise durch Umsetzung von P r o p a r g y l - a l k o h o l mit den verschiedenen P h o s p h o r h a l o g e n i d e n (Gleichung formulieren!) gewonnen. Sie ähneln in ihren Eigenschaften den Allylhalogeniden und werden in ähnlicher Weise hauptsächlich zu P r o p a r g y l i e r u n g s r e a k t i o n e n verwandt.

Benzylchlorid und Benzylbromid CeH5—CH2—Hai werden am einfachsten durch S e i t e n k e t t e n h a l o g e n i e r u n g von Toluol hergestellt und lassen sich mit K a l i u m j o d i d leicht in Benzyljodid überführen. Alle drei Benzylhalogenide zeigen infolge der B e n z y l s t e l l u n g des Halogens ebenfalls eine gegenüber den gesättigten Alkylhalogeniden g e s t e i g e r t e Reaktionsfähigkeit (näheres vgl. II, Kap. 3, III, 1) und werden präparativ als B e n z y l i e r u n g s m i t t e l verwandt. Lediglich in ihrem physiologischen Verhalten weisen die beschriebenen u n g e s ä t t i g t e n und a r o m a t i s c h e n H a l o g e n v e r b i n d u n g e n ein von den gesättigten Alkylhalogeniden g r u n d s ä t z l i c h a b w e i c h e n d e s Verhalten auf, indem sie stark reizend auf die Schleimh ä u t e , insbesondere auf die der Augen, einwirken. Sie dienten daher z. T. im ersten Weltkrieg als K a m p f s t o f f e . Die Reizwirkung ist wahrscheinlich auf die Nachbarstellung des Halogens zum u n g e s ä t t i g t e n bzw. a r o m a t i s c h e n S y s t e m zurückzuführen, uncfwir werden später ähnlichen Reizeigenschaften auch bei anderen H a l o g e n v e r b i n d u n g e n begegnen, in denen sich das Halogen in einer analogen Nachbarstellung zum d o p p e l t g e b u n d e n e n S a u e r s t o f f befindet (S. 272, 380, I, Kap. 6, IV, 2).

Einer sehr interessanten Verbindungsklasse begegnen wir schließlich in den Triarylmethylhalogeniden. Die wichtigeren C h l o r v e r b i n d u n g e n werden meistens aus T e t r a c h l o r k o h l e n s t o f f und den entsprechenden a r o m a t i s c h e n Kohlenw a s s e r s t o f f e n nach Friedel-Crafts dargestellt, da, wie wir schon auf S. 140 gesehen haben, auf diesem Wege maximal nur d r e i H a l o g e n a t ö m e am Methankohlenstoff substituiert werden können, so daß d i r e k t die T r i a r y l m e t h y l chloride entstehen. Doch kann man sie auch aus den T r i a r y l c a r b i n o l e n (S. 190) durch Behandeln mit C h l o r i e r u n g s m i t t e l n , in diesem Falle z. B. bereits mit A c e t y l c h l o r i d (I), gewinnen: C1

A

5» • :

+

H

H

:

A1C 3

'

v

H

In den Triarylmethylhalogeniden hat die A k t i v i t ä t des H a l o g e n s gegenüber den Benzylhalogeniden infolge der Nachbarstellung von nunmehr drei Benzolkernen nochmals z u g e n o m m e n , so daß sich ihre Reaktionen in einigen Punkten bereits g r u n d s ä t z l i c h von denen der normalen Alkylhalogenide unterscheiden. Z. B. wird das Halogen bereits durch W a s s e r , ja sogar beim längeren Stehen an feuchter Luft, h y d r o l y t i s c h a b g e s p a l t e n und läßt sich in P y r i d i n l ö s u n g durch

Die organischen Halogenverbindungen

154

primäre A l k o h o l e auch alkoholytisch unter Bildung von T r i a r y l m e t h y l ä t h e r n (S. 213) eliminieren: Ar30 -01-i- H—0—R

...j^oj >

Ar3C—0—R

Diese gesteigerte Aktivität der C—Hai-Bindung ist in erster Linie auf eine stärkere Neigung zur ionogenen Dissoziation zurückzuführen, die, wie wir in II, Kap. 3, I I I , I erörtern werden, dadurch begünstigt wird, daß sich das organische K a t i o n in diesem Fall durch eine Mesomerie, zu der die neutrale V e r b i n d u n g nicht b e f ä h i g t ist, stabilisiert. Man kann das Chlor infolgedessen in gewissen Lösungsmitteln, z. B. in flüssigem Schwefeldioxyd, ionogen unter Bildung echter Carbeniumsalze (bzgl. der Definition vgl. S. 35) abdissoziieren. Dies äußert sich außer in dem Auftreten einer elektrischen L e i t f ä h i g k e i t auch in der Fähigkeit des Tritylchlorids, sich in diesen Lösungsmitteln mit anderen Säuren oder Salzen im Sinne normaler I o n e n r e a k t i o n e n umzusetzen. So entsteht z.B. mit Silber Perchlorat praktisch momentan ein T r i p h e n y l m e t h y l - p e r c h l o r a t : Ar3C+ e r + Ag+ C104



Ar3C+ C104 + AgCl

Eine andere Möglichkeit zur Erhöhung der Dissoziationsneigung des Halogens besteht in seinem Einbau in K o m p l e x e . Insbesondere die Additionsverbindungen des A l u m i n i u m - , Gold- und P l a t i n c h l o r i d s der allgemeinen Formel: + + A1C14 bzw. (C6H6)3C 2 PtCI6 (C6H5)3C zeigen auch in f e s t e m Zustand weitgehend Salzcharakter. Die Bildung der Triarylmethyl-Kationen ist mit dem Auftreten einer gelben Farbe verbunden, die man sowohl in Lösung als auch in den festen Salze beobachtet. Eine derartige Kombination der Salzbildung mit dem Auftreten von Färbungen nennt man Halochromie (von griech. SAs = das Salz, xp&na = die Farbe). Auf ihre Ursachen kommen wir später (III, Kap. 2, I, 2 b) noch zurück. 2. Die Halogen-olefine und Halogen-acetylene Definition. Geht man von den bisher betrachteten u n g e s ä t t i g t e n A l k y l halogeniden zu Verbindungen über, in denen das Halogen d i r e k t am unges ä t t i g t e n K o h l e n s t o f f steht, so tritt eine w e i t g e h e n d e Änderung der chemischen E i g e n s c h a f t e n ein, und wir erhalten eine völlig neue V e r b i n d u n g s klasse, die man je nachdem, ob sich das Halogen an einem d o p p e l t oder einem dreifach gebundenem C-Atom befindet, als Halogen-olefine oder Halogen-acetylene bezeichnet. Darstellung. 1. Die wichtigste Methode zur Gewinnung der M o n o h a l o g e n o l e f i n e ist die bereits auf S. 111 erwähnte partielle Addition von Halogenwasserstoff an Acetylene, die infolge der Regel von M A R K O W N I K O W allerdings nur beim A c e t y l e n selbst zu primären, sonst stets zu sekundären H a l o g e n v e r b i n d u n g e n führt: Hai

H f e C H + HHal

Hg++

>- CH 2 =CH—Hai

R—C=CH + HHal

R—C=CH 2

Die Reaktion wird durch Quecksilbersalze beschleunigt und läßt sich auch mit der sonst nur schwer addierbaren Fluorwasserstoffsäure durchführen.

Die Halogenolefine

155

2. Ferner führt die partielle Abspaltung von je einem Mol Halogenwasserstoff aus 1,2 oder 1,1 - D i h a l o g e n p a r a f f i n e n zu den Monohalogen-olefinen: C1

H

H

Cl Clf—CH»

C1—CH=CH2

J—C=C—J + % NH 3

Eigenschaften. Wie aus Tabelle 6 hervorgeht, weichen die H a l o g e n o l e f i n e und H a l o g e n a c e t y l e n e hinsichtlich ihrer physikalischen Eigenschaften merklich, aber n i c h t w e s e n t l i c h von den gesättigten A l k y l h a l o g e n i d e n analoger Zusammensetzung ab. Dagegen zeigen sie ein g r u n d s ä t z l i c h a n d e r e s chemisches Tabelle 6 Die p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n einiger H a l o g e n o l e f i n e und H a l o g e n a c e t y l e n e | Vinylchlorid Vinylbromid Vinyljodid 1-Chlorpropen 2-Chlorpropen eis-1 - Brompropen trans-1 - Brompropen

Sdp. — 14° + 16 + 56 35—6 23 58 63

Smp.

D(fl.)

— 160° 0,969 — 138 1,517 2,08 — —

— 137 — 113 — 77



0,918 1,433 1,417

Sdp. Monochloracetylen Monobromacetylen Monoj odacetylen Dichloracetylen Dibromacetylen Dij odacetylen

— 32° — 2 + 32 + 32 + 76 explodiert

Smp. — — —

— 66° — 24 + 78

Verhalten, das sich in einer Änderung der Reaktionsfähigkeit sowohl des H a l o g e n s als auch des u n g e s ä t t i g t e n S y s t e m s äußert und auf eine Mesomerie zwischen beiden Funktionen zurückzuführen ist (Näheres vgl. II, Kap. 3, III, 2). Als wichtigste Abweichung ist die deutliche Abnahme der Neigung des Halogens zu Austauschreaktionen zu nennen, die häufig erst unter Bedingungen durchführbar sind, unter denen das ungesättigte System n i c h t m e h r b e s t ä n d i g ist. Immerhin läßt sich V i n y l c h l o r i d nach R E P P E bei 80—100° mit N a t r i u m a l k o h o l a t e n in den betreffenden Alkoholen als Lösungsmittel glatt zu V i n y l ä t h e r n umsetzen: CH 2 =CH - Cl ! Na 0 - 1 1

B0H

> CH2=CH—O—R + NaCl

156

Die organischen Halogenverbindungen

In gleicher Weise wie bei den Alkylhalogeniden ist dagegen die Halogenwasserst offab Spaltung aus den Halogenolefinen zu Kohlenwasserstoffen der A c e t y l e n reihe durchführbar. Sie tritt häufig als Ausweichreaktion an Stelle der Substitution ein, z . B . beim Versuch einer Ätherbildung mit N a t r i u m a l k o h o l a t : II CH=CH:—Hai + Na O—CaH6

>

H C = C H + NaHal + HO—C a H s

Die Reaktionsfähigkeit der Doppel- und D r e i f a c h b i n d u n g wird durch das Halogen g e s t e i g e r t , was auf eine gewisse Polarisierung der Mehrfachbindungen durch die u n s y m m e t r i s c h e Besetzung mit negativen S u b s t i t u e n t e n zurückzuführen ist (vgl. II, Kap. 3, III, 2) und sich vor allem in einer ausgesprochenen Polymerisationsneigung der Vinylverbindungen» bemerkbar macht. Einzelverbindungen. Vinylchlorid CH 2 =CH—C1 wird großtechnisch aus Acet y l e n und S a l z s ä u r e in Gegenwart von Quecksilbersalzen gewonnen und ausschließlich zu hochmolekularen K u n s t s t o f f e n (S. 163) verarbeitet. Die P o l y merisation wird wie üblich durch P e r o x y d e oder U l t r a v i o l e t t b e s t r a h l u n g eingeleitet. Vinylbromid C H 2 = C H — B r verhält sich analog, hat aber noch keine praktische Anwendung gefunden. Chloracetylen HC=C—Cl, Bromacetylen H C = C — B r und Jodacetylen H C = C — J sowie die entsprechenden Dihalogenacetylene sind infolge der A k t i v i e r u n g der ohnehin s t a r k e n d o t h e r m e n AcetylenhinAxmg sehr z e r s e t z l i c h e , an der Luft s e l b s t e n t z ü n d l i c h e Verbindungen, die zu schweren E x p l o s i o n e n neigen. Ihre Eigenschaften sind deshalb bisher wenig untersucht worden. Doch scheint auch hier das Halogen relativ s c h w e r b e w e g l i c h zu sein.

3. Die Polyhalogenverbindungen a) Allgemeines Aliphatische Polyhalogenverbindungen sind in großer Zahl bekannt. Ihre chemischen Umsetzungen treten trotz grundsätzlich g l e i c h a r t i g e r R e a k t i o n s f ä h i g k e i t an Bedeutung hinter denen der Alkylhalogenide zurück, weil die von ihnen aus zugänglichen Verbindungen meistens anderweitig bequemer hergestellt werden können. Hinsichtlich ihrer physikalischen Eigenschaften schließen sie sich eng an die Alkylhalogenide an, von denen sie sich vor allem durch die für organische Substanzen sehr hohe D i c h t e unterscheiden. Im übrigen ist die siedepunktserhöhende Wirkung1) der in das Molekül eintretenden zweiten und d r i t t e n Halogenatome bei weiterer Substitution des gleichen C-Atoms geringer und bei Substitution des anderen E n d e s einer unverzweigten K e t t e etwas größer als bei den n-Alkylhalogeniden. In den L ö s u n g s e i g e n s c h a f t e n zeichnen sich die Polyhalogenverbindungen gegenüber den Kohlenwasserstoffen bei ebenfalls hydrophobem und lipophilem Charakter durch ein wesentlich gesteigertes allgemeines Lösungsvermögen aus, so daß sie vielfach als L ö s u n g s m i t t e l Verwendung finden. I ) Zum quantitativen Vergleich verwendet man besser die in II, Kap. 2, I, 7 beschriebenen S i e d e z a h l e n .

Die Polyhalogenverbindungen

157

Tabelle 7 Die p h y s i k a l i s c h e n D a t e n e i n i g e r a l i p h a t i s c h e r P o l y h a l o g e n v e r b i n d u n g e n Formel Methylen-dihalogenid Halogenoform Tetrahalogenkohlenst.

HgCHalg

Chlorid Sdp. | Smp. D(fl.) +42» 61 77

HCHalj CHal,

Äthylen-dihalogenid 1.3-Propylen-dihal. 1.4-Butylen-dihalog.

Hai—(CHJ) 2 —Hai Hai—(CH,) 3 —Hai

Äthyliden-dihalogenid Propyliden-dihalog. Isopropyliden-dihalog.

CH 3 —CH—Hai, CH,—CH,—CHHal, (CH s ) 2 CHal 2

1.1.1-Trihalogen-äthan 1.1.2-Trihalogen-äthan Acetylentetrahalogenid Pentahalogenäthan Hexahalogenäthan

CH,—Cpal 3 CHHal,—CH,Hai CHHal,—CHHal, CHHal,—CHal, CHalj—CHal„

Hai—(CH,),—Hai

—97° 1,336 — 6 4 1,498 — 2 3 1,598

84 124 162

—35

57 98 70

—97

74 114 146 162 186

Sdp.

—39

—36 —43 —29 + 189

Bromid Smp. D ( f l . )

97» —53» 2,495 150 + 8 2,890 190 93 2,961

1,258 1,08

132 167 198

10 —36 —20

1,174 109 1,166 ~ 1 3 0 1,097 115 1,325 1,441 193 — 2 6 1,600 124/19 0 1,693 210/30 + 5 7 2,091 200

2,180 1,82

Sdp.

Jodid Smp.

D(fl.)

+ 4° 119 140

3,325 4,008 4,32

181°

82 224 —13 125/15 + 6

2,098

178

1,783

Zers.

2,307 2,84



2,15

2,579 2,967 3,312 3,823

Die Benennung der Polyhalogenverbindungen erfolgt, abgesehen von den auch hier gebräuchlichen Trivialnamen, nach den gleichen Grundsätzen wie bei den Monohalogen-paraffinen, indem man sie entweder als halogensubstituierte Kohlenwasserstoffe oder aber wieder als Halogenide organischer, in diesem Fall jedoch mehrwertiger Radikale auffaßt, mit denen wir uns an dieser Stelle etwas näher beschäftigen müssen. Die Verwendung mehrwertiger Radikale zu Nomenklaturzwecken hat naturgemäß nur bei e i n f a c h e n , möglichst s y m m e t r i s c h e n M o l e k ü l e n einen Sinn, da sich nur dann von den betreffenden Radikalen auch eine genügend große Zahl von Verbindungen ableitet, so daß sich die Einführung eines b e s o n d e r e n R a d i k a l n a m e n s lohnt. Vor allem die zweiund v i e r w e r t i g e n R a d i k a l e mit je einer bzw. zwei Valenzen an b e n a c h b a r t e n C - A t o m e n werden häufig gebraucht und führen die gleiche Endung -ylen bzw. -acetylen wie die unges ä t t i g t e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e gleicher Zusammensetzung: I i CH 2 — CH2

CH 2 =CH 2 Äthylen (Kohlenwasser Stoff)

Äthylen(Diradikal)

C1 C1 I i CH2—CH2

• .\/ HC

HC=CH

Äthylenchlorid Acetylen (1,2-Dichloräthan) (Kohlenwasserstoff)

v CH

Acetylen(Tetraradikal)

C1

C1 C1 C1

HC

CH

Acetylentetrachlorid (1,1,2,2-Tetrachlorät.han)

Diese Übereinstimmung der Namen ist n i c h t z u f ä l l i g , sondern darauf zurückzuführen, daß ursprünglich das Äthylen und Acetylen nicht mit einer m e h r f a c h e n B i n d u n g formuliert wurden, sondern daß man in ihnen tatsächlich die f r e i e n R a d i k a l e sah, die dann, etwa wie die f r e i e n M e t a l l e , mit den Halogenen zum Ä t h y l e n c h l o r i d , A c e t y l e n t e t r a c h l o r i d usw. zusammentreten. Die Endung -ylen wurde in der Folgezeit auch zur Charakterisierung a n d e r e r z w e i w e r t i g e r R a d i k a l e verwandt, denen konstitutionell k e i n e unges ä t t i g t e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e mehr entsprechen, wie z. B. für das M e t h y l e n r a d i k a l und bei den Radikalen, deren freie Valenzen sich an den E n d e n e i n e r u n v e r z w e i g t e n K e t t e (in „w, o>'-Stellung") befinden. Letztere werden daneben in leicht verständlicher Weise auch als Tri-, Tetra-, Penta-methylen- usw. bezeichnet: —CH 2 —

-—CH2—-CH2—CH2—

—CH2—CH2—CH2—CH2—•

Methylen-

1,3- (bzw. tu,a>'-)-Propylenoder Trimethylen-

1,4- (bzw. cu,a>'-)-Butylenoder Tetramethylen-

Gehen schließlich beide Valenzen von e i n e m C - A t o m aus, so führt das Radikal (abgesehen vom Methylen-) die Endung -yliden, die, wie wir auf S. 83 gesehen haben, inkorrekter Weise auch zur Benennung der mit einer D o p p e l b i n d u n g an den Molekülrest gebundenen

Die organischen Halogenverbindungen

158

zweiwertigen Radikale verwandt wird. Streng genommen, sollte man jedoch die Verwendung der dort für diesen Zweck vorgeschlagenen Endung -en von der der Endung -yliden für Radikale, von denen z w e i e i n f a c h e B i n d u n g e n ausgehen, scharf t r e n n e n , wie die folgenden Beispiele zeigen: CH,X

/Gl

CH 3 X

xr

H-H„

\¡=,

C HJ, / \ c i

C HJ /

Isopropyliden-chlorid

s

a

Isopropen-cyclohexan

Für das B e n z y l i d e n - ' ( C 6 H 6 — C H < ) und C i n n a m y l i d e n r a d i k a l ( C „ H 6 — C H = C H — C H < ) sind auch die vom B e n z - bzw. Z i m t a l d e h y d abgeleiteten Trivialnamen Benzol- und Cinnamal- gebräuchlich.

b) D i e A l k y l e n - d i h a l o g e n i d e Die 1,2-AlkyIen-dihalogenide (vielfach auch kurz Alkylenhalogenide genannt) mit n a c h b a r s t ä n d i g e n H a l o g e n a t o m e n können relativ leicht durch Addition der e l e m e n t a r e n H a l o g e n e an O l e f i n e gewonnen werden. Sie reagieren wie ein v e r d o p p e l t e s A l k y l h a l o g e n i d , und man verwendet sie daher häufig, um z w e i n e g a t i v e R e s t e g l e i c h z e i t i g in ein organisches Molekül einzuführen, oder auch zu R i n g s c h l u ß r e a k t i o n e n , wie an einigen Beispielen gezeigt sei: N=C—CH2—CH2—C=N 2

2

-< +

Br—CH 2 —CH 2 —Br

— 2NaBr

2

Bernsteinsäure-dinitril

+0N"'

>

-2HBr

2

/ N ÓH2

Äthylenbromid

H

\ CH¡¡

Äthylen-imin

Auch die cj,to'-Dihalogen-paraffine (Polymethylen-halogenide) mit v i e r und f ü n f M e t h y l e n g r u p p e n zwischen den Halogenatomen sind in neuerer Zeit durch den Abbau cyclischer sekundärer A m i n e nach J. v. BRAUN (I, Kap. 6, I, l a ) leicht zugänglich geworden, wie am Beispiel der Darstellung von T e t r a m e t h y l e n c h l o r i d aus Pyrrolidin gezeigt sei: CH2-CH2.

CH2-CH2

CH2-CH/

J

CH 2 -CH 2 .

ch,cnd

Pyrrolidin

CH2-CH2\ CH2-CH2/

Hai Hai W N—C—
/

-c.H.CN .„77 >

Hai—CH 2 —CH 2 —CH 2 —CH 2 —Hai Tetramethylenchlorid.

Die Verbindungen dienen ebenfalls zum Aufbau von Substanzen mit z w e i F u n k t i o n e n im M o l e k ü l odex zu R i n g s c h l u ß r e a k t i o n e n : •CH2—CH2—CN (5H2 \

'

/CH2—CH2—C1 ^ +2yaCN —2NaCl

CH2 v.

2

CH 2 —CH 2 —CN

CH2—CH2—C1

Piraelinsäure-dinitril

Pentamethylen-chlorid

yCHg—CH2 + 2Na

—2NaCl



CH2 v

£

CHj-^iij Cyclopentan

c) D i e A l k y l i d e n h a l o g e n i d e oder g e m - D i h a l o g e n p a r a f f i n e Definition. Befinden sich die beiden Halogenatome an einem C-Atom, so spricht man von geminalen (von lat. geminus = Zwilling), abgekürzt gem-Dihalogenparaffinen. In ihnen begegnen wir erstmals Stoffen mit z w e i negativen Funktionen

Die Alkylen-dihalogenide

159

am g l e i c h e n C - A t o m , die sich also von einer h ö h e r e n O x y d a t i o n s s t u f e des Kohlenstoffs ableiten und daher streng genommen zu den erst später beschriebenen D e r i v a t e n der O x o v e r b i n d u n g e n gehören (S. 274). Doch schließen sie sich in ihren Eigenschaften infolge des N i c h t a u f t r e t e n s v o n p o l a r e n D o p p e l b i n b i n d u n g e n so eng an die übrigen Halogenverbindungen an, daß sie bereits hier behandelt werden müssen. Zur Darstellung der gem-Dihalogenverbindungen dienen die folgenden drei Reaktionen: 1. Die Umsetzung von Aldehyden (oder Ketonen) mit Phosphorpentachlorid, die analog der Darstellung der M o n o h a l o g e n v e r b i n d u n g e n aus den A l k o h o l e n verläuft, nur daß hier infolge des Fehlens einer Hydroxylgruppe die Chlorwasserstoffbildung fortfallt und b e i d e a k t i v e n C l - A t o m e auf den organischen Rest übertragen werden: R—CH=0 + PC1S

Gl R—CIT +POCl 3 \ci

^

2. Die auf 8. 110 beschriebene Anlagerung von zwei Molekülen Halogenwasserstoff an Acetylene bzw. von e i n e m Molekül Chlorwasserstoff an H a l o g e n - o l e f i n e : H

\CH—CH/01 H/ MJ1

H—C=C—H

+HC1

CH2=CH—C1

3. Der Ersatz von zwei Paraffin-H-Atomen am gleichen C-Atom durch Halogen mit Hilfe der oben beschriebenen H a l o g e n i e r u n g s r e a k t i o n e n . Doch ist der Anwendungsbereich dieser Methode auf die wenigen Verbindungen beschränkt, die nur eine substituierbare Methylen- oder Methylgruppe enthalten (wie z. B. Toluol, E s s i g s ä u r e usw.), bei denen also keine I s o m e r e n g e m i s c h e auftreten können.

Eigenschaften. Die g e m - D i h a l o g e n v e r b i n d u n g e n sind bei etwas g e s t e i g e r t e r R e a k t i o n s f ä h i g k e i t zu den g l e i c h e n U m s e t z u n g e n befähigt wie die einfachen A l k y l h a l o g e n i d e . So entstehen z. B. mit N a t r i u m a l k o h o l a t die den Äthern entsprechenden A c e t a l e : /Gl R—CH

+ Gl

NaOR' j NaOR'



/OR' R^-Ch/ + 2NaCl , OR'

oder es werden mit W a s s e r und A l k a l i in Umkehrung der angeführten Darstellungsweise die A l d e h y d e bzw. K e t o n e zurückgebildet (Gleichung formulieren!). Doch sind derartige „ A l k y l i d e n i e r u n g s r e a k t i o n e n " naturgemäß nur dann von praktischer Bedeutung, wenn die Dihalogenide nach der d r i t t e n der angeführten Reaktionen dargestellt wurden, da sonst die betreffenden Reaktionsprodukte leichter von den A l d e h y d e n oder K e t o n e n selbst, bzw. von den A c e t y l e n e n ausgehend gewonnen werden können. Die allgemeine Bedeutung der g e m - D i h a l o g e n v e r b i n d u n g e n reicht infolgedessen nicht entfernt an die der Alkylhalogenide heran. Einzelverbindungen. Methylenchlorid H2CC12 wird u. a. durch direkte Chlorierung von Methan gewonnen und dient neuerdings vielfach als n i c h t brennbares L ö s u n g s - u n d E x t r a k t i o n s m i t t e l an Stelle des etwa gleich hoch siedenden Äthers (vgl. S. 213 Anm.). Methylenjodid HSCJ2 wird wegen seiner für eine Flüssigkeit ungewöhnlich hohen Dichte von 3,325 in der Mineralogie für die Dichtebestimmung von Mineralien verwandt.

160

Die organischen Halogenverbindungen

Benzalchlorid (Benzylidenchlorid) C6H5—CHC12 ist der wichtigste Stoff dieser Reihe, da es (neben etwas B e n z o t r i c h l o r i d , s. unten) bei der S e i t e n k e t t e n c h l o r i e r u n g v o n T o l u o l über die Benzylchloridstufe hinaus relativ leicht gewonnen werden kann und infolgedessen zuweilen als Zwischenprodukt für die B e n z a l d e h y d g e w i n n u n g dient: ^

—CH 3 + 2 Cl2

^

H 0

V

-

Sie ist aber infolge der R e a k t i o n s t r ä g h e i t des aromatisch gebundenen Sauerstoffs (vgl. S. 222) nur bei Temperaturen o b e r h a l b 200° möglich und hat daher keine praktische Bedeutung erlangt.

Hinsichtlich der physikalischen Eigenschaften und Löslichkeitsverhältnisse unterscheiden sich die aromatischen Halogenverbindungen ebenfalls nicht grundsätzlich von den K o h l e n w a s s e r s t o f f e n und A l k y l h a l o g e n i d e n . Die Konstanten der wichtigsten Verbindungen sind in Tabelle 9 zusammengestellt und zeigen wieder eine Reihe von interessanten R e g e l m ä ß i g k e i t e n : Die p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n Monohalogenid Fluorid

Chlorid

Bromid

Jodid

Tabelle 9 einiger aromatischer

Dihalogenid 0-

m-

Trihalogenid P-

Sdp. Smp. D(fl.)

85° -41° 1,024

91—2° 82—3° 88,5° —34° —59° —13° 1,155 1,172 1,164

Sdp. Smp. D (fl.)

132° —45° 1,106

172° 174° 179° —18° —24° 53° 1,305 1,288 1,266

Sdp. Smp. D (fl.)

156° —31° 1,521

221°

Sdp. Smp. D (fl.)

189° —31° 1,823

70

1,994 287° 27° —

sym-



— .

87°

— .

— .



— •

















219° 54°



285° 129° —

208° 63°





116° —



275° 44° —



92° —

as-

PentaHexahalogenid halogenid

vic-

217° 219° 87° 88° —7° 1,952 2,261 2,658 285° 34°

Halogenverbindungen

213° 17° 1,446

277° 86° 1,834

271° 120°

159°





184° —







172° —

322° 228° 2,044 —

316° —



340—350° —

Die aromatischen Halogenverbindungen

167

Neben den auch hier a u f f a l l e n d niederen S i e d e p u n k t e n der F l u o r v e r b i n d u n g e n — selbst der des M o n o f l u o r b e n z o l s liegt z. B. kaum über dem des B e n z o l s — sind vor allem die Schmelzpunktsverhältnisse von Interesse: In noch ausgeprägterem Maße als bei den Kohlenwasserstoffen (Tabelle 4, S. 126) beobachtet man bei besonders r e g e l m ä ß i g e r Substitution, z. B. bei sämtlichen p-Di- und sym-Trikalogenverbindungen, ausgesprochene S c h m e l z p u n k t s m a x i m a , die sich schließlich in den h o c h s y m m e t r i s c h e n Hexahalogenbenzolen zu u n g e w ö h n l i c h hohen Werten steigern.

Das chemische Verhalten der Arylhalogenide ähnelt dem der Halogenolef ine, mit denen sie die S t e l l u n g d e s H a l o g e n s an e i n e r D o p p e l b i n d u n g gemein haben. Im einzelnen unterscheiden wir folgende Reaktionen: 1. Der Austausch des Halogens gegen andere negative Substituenten wird in Analogie zur Alkylierungsreaktion als Arylierurig bezeichnet und verläuft noch r e a k t i o n s t r ä g e r als bei den Halogen-olefinen. Doch läßt er sich infolge der g r ö ß e r e n S t a b i l i t ä t der aromatischen Verbindungen sowie insbesondere auch der Unmöglichkeit der H a l o g e n w a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g als A u s w e i c h r e a k t i o n (vgl. S. 156), durch v e r s c h ä r f t e B e d i n g u n g e n erzwingen. So kann man z. B. mit Chlor- oder B r o m b e n z o l bei Temperaturen von 200—350° unter der katalytischen Einwirkung von K u p f e r p u l v e r die folgenden A r y l i e r u n g e n durchführen, die z . T . auch praktische Bedeutung erlangt haben:

Diphenyläther

.Anilin

Benzonitril

Biphenyl

arom. Thioäther

Die Hydrolyse des C h l o r b e n z o l s zu P h e n o l ist neuerdings auch mit W a s s e r d a m p f bei 4—500° nach einem K o n t a k t v e r f a h r e n gelungen (vgl. S. 220). Bei geeigneter Substitution des Benzolkerns, z. B. durch o- und p - s t ä n d i g e N i t r o gr uppen wird jedoch die Reaktionsfähigkeit des aromatisch gebundenen Halogens stark erhöht und übertrifft u. U. sogar die der A l k y l h a l o g e n i d e (näheres vgl. I, Kap. 6, IV, 3).

2. Gegenüber den Alkylhalogeniden u n v e r ä n d e r t oder gar noch g e s t e i g e r t ist die Fähigkeit der aromatischen Halogenverbindungen zur Bildung metall-organischer Verbindungen: Br + Mg

^—MgBr ,

die im wesentlichen zu den g l e i c h e n R e a k t i o n e n , z . B . ebenfalls zur W U R T Z FiTTioschen S y n t h e s e , befähigt sind wie die A l k y l m e t a l l v e r b i n d u n g e n . 3. Schließlich beobachtet man bei den Arylhalogeniden eine geringfügige Aktivierung W I T T I G in einer leichten Ersetzbarkeit durch L i t h i u m bei der Einwirkung l i t h i u m o r g a n i s c h e r Verbindungen auswirkt:

des o-ständigen Wasserstoffs durch die Halogenatome, die sich nach

Die organischen Halogenverbindungen

168

Die Reaktion ist von t h e o r e t i s c h e m I n t e r e s s e im Hinblick auf die in II, Kap. 3, I I I , 2 beschriebene Regel von A. A N G E L I . Ihre praktische Bedeutung ist jedoch mehr n e g a t i v e r A r t , da durch derartige „ W a n d e r u n g e n " des Metalls der übersichtliche Verlauf aller Reaktionen, an denen gleichzeitig A r y l h a l o g e n i d e und m e t a l l o r g a n i s c h e V e r b i n d u n g e n beteiligt sind, wie etwa die W u R T Z - F i r r i G S c h e Synthese, empfindlich gestört wird. Einzelverbindungen.

Chlorbenzol

hat

neuerdings

als

Zwischen-

produkt für die t e c h n i s c h e P h e n o l s y n t h e s e sehr a n B e d e u t u n g gewonnen, d a es sieh nach einem K o n t a k t v e r f a h r e n aus C h l o r w a s s e r s t o f f , L u f t s a u e r s t o f f u n d B e n z o l , also praktisch o h n e C h e m i k a l i e n v e r b r a u c h , darstellen l ä ß t :

Das Wesen dieser Katalyse beruht darauf, daß die Oxydation des C h l o r w a s s e r s t o f f s zum C h l o r (DEAcoN-Verfahren, vgl. anorg. Lehrbücher) o h n e K a t a l y s a t o r erst bei 400° einsetzt, einer Temperatur, bei der das Benzol unter den Reaktionsbedingungen bereits zers t ö r t wird. Verwendet man jedoch K u p f e r - I I - c h l o r i d als Katalysator, so wirkt dieses c h l o r i e r e n d auf den Benzolkern ein und geht selbst in K u p f e r - I - c h l o r i d über, das nunmehr bereits bei 250° durch den L u f t s a u e r s t o f f in Gegenwart von C h l o r w a s s e r s t o f f zum K u p f e r - I I - c h l o r i d rechloriert wird (Gleichungen formulieren!). Chlorbenzol dient technisch als A r y l i e r u n g s m i t t e l , erwähnte P h e n o l g e w i n n u n g .

insbesondere

für die

Brombenzol C 6 H 5 — B r wird durch B r o m i e r u n g v o n B e n z o l in Gegenwart v o n E i s e n , das intermediär in ein k a t a l y t i s c h wirksames E i s e n b r o m i d übergeht, dargestellt u n d f i n d e t wegen seiner gegenüber d e m Chlorbenzol e t w a s gesteigerten Reaktionsfähigkeit vor allem p r ä p a r a t i v e A n w e n d u n g , z. B . als Ausgangsmaterial für G R I G N A R D - R e a k t i o n e n . Jodbenzol C 6 H 6 —J kann durch Jodierung von Benzol mit einem J o d - J o d s ä u r e g e m i s c h gewonnen werden, doch zieht man häufig die bequemer durchführbare Darstellung über die D i a z o v e r b i n d u n g vor. Es ist g e l b und dient als Ausgangsmaterial f ü r die Darstellung der unten beschriebenen Verbindungen mit m e h r w e r t i g e m J o d . p-Dichlorbenzol C1—C6H4—Cl. Bei weiterer Chlorierung des Chlorbenzols entsteht ein G e m i s c h aller drei möglichen D i c h l o r b e n z o l e , in dem aber, da C h l o r ein Substituent e r s t e r O r d n u n g ist, die p - V e r b i n d u n g überwiegt, die noch dazu auf Grund ihres wesentlich h ö h e r e n S c h m e l z p u n k t e s leicht abgetrennt werden kann. Sie dient unter dem Schutznamen Olobol als M o t t e n v e r t i l g u n g s m i t t e l . Die höheren Polychlorbenzole können durch stufenweise Weiterchlorierung der drei Dichlorbenzole erhalten werden, sind jedoch ohne praktische Bedeutung geblieben. l,l-p,p'-DichlordiphenyI-2,2,2-trichloräthan, auch DDT, Gesarol, Lauseto usw. genannt, wird durch Kondensation von einem Molekül C h l o r a l mit zwei Molekülen C h l o r b e n z o l in Gegenwart von S c h w e f e l s ä u r e gewonnen: CH—CC1,

CCL + H;

CH—

Cl

und zeichnet sich bei relativ g e r i n g e r G i f t i g k e i t g e g e n ü b e r W a r m b l ü t e r n durch eine sehr starke T o x i c i t ä t g e g e n ü b e r I n s e k t e n aus. Es dient daher als wichtiges I n s e k t e n vertilgungsmittel.

Organische Verbindungen mit mehrwertigem Jod

169

IV. Die organischen Verbindungen mit mehrwertigem Jod Die organischen Verbindungen mit m e h r w e r t i g e m J o d wurden v o n V. M E Y E R entdeckt und später hauptsächlich von W I L L G E R O D T untersucht. Sie sind unter normalen Bedingungen nur in der a r o m a t i s c h e n R e i h e beständig. Ihre Benennung erfolgt in Analogie zu der der später beschriebenen S t i c k s t o f f s a u e r s t o f f Verb i n d u n g e n (I, K a p 6, IV, 1 u. V, 1) und ist ohne weiteres verständlich. Als Einfallstor in die gesamte Verbindungsklasse dient J o d b e n z o l (bzw. andere A r y l j o d i d e ) , das beim Behandeln mit C h l o r unter Übergang des Jods in die d r e i w e r t i g e S t u f e Phenyljodidchlorid (I) bildet, welches seinerseits wieder beim Behandeln mit wäßrigem A l k a l i (NaOH oder N a 2 C 0 3 ) das Chlor gegen S a u e r s t o f f unter Bildung v o n J o d o s o b e n z o l (II) austauscht: j + Cl2

V

JCl a

+2Na0H

v

y j - ^ O + 2 NaCl + H 2 0

I

Ii

Im Jodosobenzol begegnen wir der ersten Verbindung, in der man heute im Gegensatz zur klassischen organischen Chemie.die Sauerstoffbindung n i c h t m e h r d o p p e l t (entsprechend der in der Literatur noch allgemein anzutreffenden alten Wertigkeitsformel C 6 H 5 — J = 0 ) , sondern s e m i p o l a r formuliert. Allerdings macht sich hier der Unterschied zwischen beiden Bindungsarten chemisch noch k a u m b e m e r k b a r , und man nahm die neue Formulierung zunächst lediglich aus A n a l o g i e g r ü n d e n an, um ein Ü b e r s c h r e i t e n d e r O k t e t t z a h l des Jods zu vermeiden. Immerhin wird der unten beschriebene auffallend s c h w a c h b a s i s c h e C h a r a k t e r der Jodoso Verbindungen am besten durch die neue Formulierung erklärt, da er auch bei anderen Verbindungen mit semipolar gebundenem Sauerstoff beobachtet wird (vgl. I, Kap. 6, II, 2 u. Kap. 7, II, 4 u. a.). J o d o s o b e n z o l entsteht in schlechter Ausbeute auch bei d i r e k t e r O x y d a t i o n v o n J o d b e n z o l mit O z o n . E s ist eine graue bis gelbliche amorphe Substanz, die sich beim Erwärmen auf höhere Temperaturen ohne zu schmelzen unter D i s p r o p o r t i o n i e r u n g zersetzt (s.u.). Gegen S ä u r e n verhält es sich wie ein s c h w a c h b a s i s c h e s M e t a l l o x y d und bildet in mehr oder weniger reversibler Reaktion u. a. die folgenden Derivate: -J(0N02)2 Phenyljodid-nitrat

®aO

*

/

\

"^^llj0

Phenyljodid-chlorid

""

Phenyljodid-lluorid

-J(OÖC—CH3)2 Phenyljodid-acetat

111

Diese Verbindungen sind jedoch ebensowenig echte Salze, wie etwa Arsentrichlorid oder Bleitetrachlorid. Die größte Ähnlichkeit besteht nach DJMROTH und CRIEGEE mit den entsprechenden Derivaten des v i e r w e r t i g e n B l e i s , mit denen sie nicht nur hinsichtlich ihrer H y d r o l y s i e r b a r k e i t etwa auf die gleiche Stufe gestellt werden können, sondern auch hinsichtlich ihrer Fähigkeit, z w e i n e g a t i v e R e s t e unter V e r m i n d e r u n g d e r O x y d a t i o n s s t u f e des Zentralatoms um zwei Einheiten a u f o r g a n i s c h e M o l e k ü l e zu ü b e r t r a g e n . So besteht z. B. v o l l k o m m e n e A n a l o g i e zwischen beiden Verbindungsklassen bei den folgenden Reaktionen (vgl. S. 164, Anm. 1): —^ JCI2 + CH 2 =CH 2 -J(OAc) 2 + CH 2 =CH 2

CH 2 F—CH,F

—CH2C1—CH2C1 OAc OAc ~

C,H J

' v

ÖH2—CH2

CH 2 =CH 2 + F,PbF 2


R—OH + NaHal

Das Verfahren hat jedoch nur in S p e z i a l f ä l l e n Anwendung gefunden, da einerseits im allgemeinen umgekehrt die A l k y l h a l o g e n i d e aus den meist leichter zugänglichen A l k o h o l e n gewonnen werden, andererseits die Reaktion häufig durch N e b e n r e a k t i o n e n , z. B. durch die stets als N e b e n r e a k t i o n der A l k y l i e r u n g auftretende O l e f i n - oder zuweilen auch Ä t h e r b i l d u n g (S. 209), gestört wird. Immerhin ist es durch entsprechende A u s w a h l d e s S p a l t u n g s m i t t e l s gelungen, die Nebenreaktionen mehr oder weniger stark z u r ü c k z u d r ä n g e n . Hierbei gilt die a l l g e m e i n e R e g e l , daß s t a r k e A l k a l i e n , wie etwa die Ä t z a l k a l i e n , B a r y t w a s s e r usw., die N e b e n r e a k t i o n e n b e g ü n s t i g e n , während m i l d e S p a l t u n g s m i t t e l , wie S o d a l ö s u n g , Blei- oder S i l b e r o x y d , C a l c i u m c a r b o n a t usw., die A l k o h o l b i l d u n g b e g ü n s t i g e n . Noch zweckmäßiger ist es zuweilen, die Reaktion in zwei S t u f e n vorzunehmen: 1. die Alkylhalogenide mit N a t r i u m a c e t a t , das infolge seiner g e r i n g e n Basizität nur s u b s t i t u i e r e n d wirkt, in die C a r b o n s ä u r e e s t e r umzuwandeln, die sich dann 2. infolge ihres anderen Verseifungsmechanismus (vgl. S. 198) o h n e N e b e n r e a k t i o n e n in die A l k o h o l e überführen lassen: R

Hai ! N a 0 - CO—CIL,

> R—0—;CO—CH3 + N a 0 ~ ; H „ R _OH

r

N a O - C O -CH

b) Natürlich kann man auch von den Carbonsäureestern direkt ausgehen und aus ihnen durch V e r s e i f u n g den Alkohol gewinnen, ein Verfahren, das häufig zur Isolierung von Alkoholen aus n a t ü r l i c h v o r k o m m e n d e n E s t e r n , z . B . aus den W a c h s e s t e r n gebräuchlich ist. c) Die Hydrolyse der Aminogruppe ist in w ä ß r i g e r L ö s u n g auch mit den wirksamsten Katalysatoren n i c h t d u r c h f ü h r b a r , sondern gelingt lediglich in der G a s p h a s e über D e h y d r a t i s i e r u n g s k a t a l y s a t o r e n o b e r h a l b 300°, ist hier jedoch stark von N e b e n r e a k t i o n e n , insbesondere wieder von der unter den gleichen Bedingungen erfolgenden O l e f i n - und auch Ä t h e r b i l d u n g begleitet. Sie ist daher ohne praktische Bedeutung geblieben, zumal die nicht zur Olefinbildung neigenden Alkohole (z. B. M e t h y l - und B e n z y l a l k o h o l ) anderweitig leichter zugänglich sind. Dagegen kann man, ähnlich wie bei der Darstellung der A l k y l h a l o g e n i d e aus primären Aminen und Nitrosylhalogeniden (S. 149), durch i n d i r e k t e S p a l t u n g d e r C—NB i n d u n g primärer Amine mittels s a l p e t r i g e r S ä u r e zum Ziel gelangen (vgl. auch I, Kap. 6, I, 1 a): Ri—NHa + 0

X — OFT

> R—0H + N 2 + H 2 0

Doch verläuft auch diese Reaktion wegen des relativ komplizierten Reaktionsmechanismus n i c h t e i n h e i t l i c h und neigt zuweilen stark zur O l e f i n - und auch Ä t h e r b i l d u n g als Ausweichreaktionen.

Darstellung der Alkohole

177

Zu 2. Die Wasseranlagerung an Olefine geschieht aus den auf S. 93 angeführten Gründen meistens über die S c h w e f e l s ä u r e - h a l b e s t e r als Zwischenprodukte. Die Reaktion dient namentlich zur t e c h n i s c h e n G e w i n n u n g zahlreicher sek u n d ä r e r und t e r t i ä r e r A l k o h o l e (Regel von MARKOWNIKOW) aus den beim Crackprozeß anfallenden oder durch P a r a f f i n d e h y d r i e r u n g leicht zugänglichen n i e d e r e n Olefinen. In der Praxis werden die primär entstehenden S c h w e f e l s ä u r e h a l b e s t e r häufig erst gar n i c h t zu den Alkoholen v e r s e i f t , sondern wegen ihrer größeren Reaktionsfähigkeit d i r e k t w e i t e r v e r a r b e i t e t , z. B. in die C a r b o n s ä u r e e s t e r ü b e r g e f ü h r t : R—OSO a H + NaO—Ac

>-

R—O—Ac + NaHS0 4

Zu 3. Die direkte Oxydation von Paraffinwasserstoff zu A l k o h o l e n ist n i c h t allg e m e i n durchführbar, weil die Alkohole bereits unter sehr milden Bedingungen w e i t e r o x y d i e r t werden (S. 181), unter denen die Paraffine gegen Oxydationsmittel noch s t a b i l sind. Sie gelingt lediglich bei Oxydation eines t e r t i ä r e n H - A t o m s , da hier ein Ü b e r s c h r e i t e n der Oxydationsstufe des Alkohols n i c h t m ö g l i c h ist, z. B. bei der oben bereits erwähnten Oxydation von Triphenylmethan zum T r i p h e n y l c a r b i n o l :

/

\——C—OH /

/

Führt man dagegen den Sauerstoff in Form der gegen weitere Oxydation geschützten und leicht sekundär zur Oxygruppe hydrolysierbaren O - A c e t y l g r u p p e ein, dann ist tatsächlich in einigen Fällen auch bei einer M e t h y l - oder M e t h y l e n g r u p p e das Abstoppen der Reaktion auf der Stufe des A l k o h o l s möglich. Als Beispiel sei die Bildung von B e n z y l a l k o h o l aus T o l u o l durch partielle Oxydation der Seitenkette mit B l e i t e t r a a c e t a t angeführt (vgl. I, Kap. 12, I, l c ) : nTT C H *

+ Pb (OAc), — Pb(OAc), - A c - O H "

\

/

\ ^>-CH

2

-0-Ac

Hydrolyse ^

• Benzylalkohol

Zu 4. Die im einzelnen erst später zu besprechende Reduktion der höheren Oxydationsstufen des Kohlenstoffs zum A l k o h o l (vgl. S. 240, 265, 314 u. a.) gelingt r e l a t i v l e i c h t nur bei den O x o v e r b i n d u n g e n , dagegen a u f f a l l e n d schwer bei den C a r b o n s ä u r e n und ihren Derivaten. Als p r ä p a r a t i v e s Red u k t i o n s m i t t e l für die O x o v e r b i n d u n g e n dient insbesondere n a s c i e r e n d e r W a s s e r s t o f f jeder Art, während die Reduktion der C a r b o n s ä u r e n nur mit L i t h i u m - a l u m i n i u m h y d r i d in befriedigender Ausbeute gelingt. In der Technik werden beide Reduktionen auch mit k a t a l y t i s c h e m W a s s e r s t o f f durchgeführt, wozu im Falle der Carbonsäure- oder auch C a r b o n s ä u r e e s t e r r e d u k t i o n allerdings Temperaturen von 250—350° und Wasserstoffdrucke bis zu 300 Atmosphären erforderlich sind. Zu 5. Als wichtigstes allgemein gültiges Verfahren für die synthetische Gewinnung von Alkoholen sind die in I . Kap. 9 , I ausführlich beschriebenen GRIGNARD R e a k t i o n e n zu erwähnen, die bei der Einwirkung von m a g n e s i u m - o r g a n i s c h e n Verbindungen auf F o r m a l d e h y d zu den p r i m ä r e n , auf sonstige A l d e h y d e zu den s e k u n d ä r e n und auf K e t o n e (oder Carbonsäureester) zu den t e r t i ä r e n A l k o h o l e n führen: 12

K l a g e s , Lehrbuch der Organischen Chemie 1 , 1

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

178

R—MgX + H 2 C = 0

R—CH2—OMgX

R—MgX + R ' — C H = 0

R—MgX +

R \

)C=0 R"/

>-

R ^CH—OMgX R'/

v

R'^C—OMgX R»/

R\

HydJ0 ys

' V

Hydrolyae

Hyo yse

'

R—CH2—OH R

>

^)CH—OH R'/

R\

>

R'-)C—OH R"

Durch Verwendung von Ä t h y l e n o x y d statt Formaldehyd gelangt man ebenfalls zu p r i m ä r e n A l k o h o l e n , die jedoch jeweils z w e i C - A t o m e mehr enthalten als die A l k y l m a g n e s i u m Verbindung: R—MgX + CH2—CH2

V

v R—CHj—CHa—OMgX

Hydrolyae

>

R—CH2—CHa—OH

Eine zweite, im e i n z e l n e n u n ü b e r s i c h t l i c h verlaufende Synthese von Alkoholen m i t t l e r e r M o l e k ü l g r ö ß e findet bei der Kohlenoxydhydrierung über geeigneten K o b a l t v e r b i n d u n g e n als Katalysatoren statt. Wir begegnen hier neben der M e t h a n o l s y n t h e s e (S. 182), bei der das Kohlenoxyd lediglich zwei Moleküle H 2 zum Methanol anlagert, u n d der P a r a f f i n s y n t h e s e nach FISCHER u n d TROPSCH (S. 70), bei der die Bildung des sich schnell polymerisierenden Radikals

:CH2 erfolgt, einer d r i t t e n M ö g l i c h k e i t der Kohlenoxydhydrierung, die die beiden erstgenannten Möglichkeiten m i t e i n a n d e r k o m b i n i e r t , indem durch Einbau der CH 2 -Radikale in das entstehende Methanolmolekül h ö h e r e A l k o h o l m o l e k ü l e synthetisiert werden, wie es im folgenden Formelbild schematisch angedeutet sei: CO + 2 H 2 nCO + 2 n H 2

v CH3—OH \ 8

V

nCH„/

Dieses dritte Verfahren hat sich insbesondere für die Darstellung von Alkoholen mit v e r z w e i g t e r K e t t e , wie z. B. von I s o p r o p y l - und I s o b u t y l - a l k o h o l bewährt. Die Alkohole unterscheiden sich hinsichtlich ihrer physikalischen Eigenschaften weitgehend von allen bisher besprochenen Verbindungen. Vor allem setzt die H y d r o x y l g r u p p e , wie im einzelnen aus Tabelle 10 hervorgeht, die S i e d e p u n k t e gegenüber denen der P a r a f f i n e g l e i c h e r K o h l e n s t o f f z a h l außerordentlich s t a r k h e r a u f , so daß sie bei den n i e d e r e n G l i e d e r n der Reihen sogar die der wesentlich schwereren A l k y l j o d i d e übertreffen. S c h m e l z p u n k t und D i c h t e werden dagegen w e n i g e r beeinflußt. Als Hauptursache der s i e d e p u n k t s e r h ö h e n d e n W i r k u n g der O x y g r u p p e ist ihre große Assoziationstendenz anzusehen, die wir ja schon vom W a s s e r her kennen und die auf die Bildung von W a s s e r s t o f f b r ü c k e n (Näheres vgl. II, Kap. 6, I, 4) zurückzuführen ist. Es ist interessant, wie dieser Assoziationseffekt durch benachbarte Alkylgruppen a b g e s c h i r m t wird. So beobachtet man z. B. beim Übergang vom Ä t h y l a l k o h o l über den I s o p r o p y l - zum tert. B u t y l a l k o h o l trotz Zunahme der Molekülgröße um jeweils eine M e t h y l g r u p p e nahezu k e i n e S i e d e p u n k t s s t e i g e r u n g , während bei den P a r a f f i n e n im gleichen Siedebereich, z. B. bei dem analogen Übergang vom n - H e x a n zum 2,2D i m e t h y l h e x a n , die Siedepunktserhöhung 37° beträgt (vgl. Tabelle 1, S. 73).

Weiterhin werden durch die Oxygruppe die Lösungsverhältnisse g r u n d l e g e n d g e ä n d e r t . Die Alkohole besitzen infolge ihres charakteristischen Aufbaus eine

Allgemeine Reaktionen der Alkohole

179

Tabelle 10 Physikalische Konstanten einiger Alkohole Trivialname

Genf. Nomenklatur

Sdp.

Smp.

65° 78 97 82

— 97° —114 —126 — 90

0,792/20° 0,789/20 0,804/20 0,788/16

D/Temp.

Methylalkohol Äthylalkohol Propylalkohol Isopropylalkohol

Methanol Äthanol Propanol-1 Propanol-2

n-Butylalkohol Isobutylalkohol tert.-Butylalkohol

n-Butanol-1 2-Methyl-propanol-1 2-Methyl-propanol-2

117 108 83

— 80 —108 + 25

0,810/20 0,805/10 0,789/20

n-Amylalkohol Gärungsamyl- } aktiv alkohol / inaktiv Amylenhydrat

n-Pentanol-1 2-Methylbutanol-1 3-Methyl-butanol-l 2-Methyl-butanol-2

138 128 131 102

— 79 —

8

0,787/15 0,815/25 0,813/20 0,807/25

n- Hexy lalkohol n-Heptylalkohol n-Octylalkohol n-Nonylalkohol n-Decylalkohol

n-Hexanol-1 n-Heptanol-1 n-Octanol-1 n-Nonanol-1 n-Decanol-1

156 174 194 214 231

— 52 — 35 — 16 — 5 + 7

0,820/20 0,879/25 0,827/20 0,828/20 0,830/20

Allylalkohol Propargylalkohol Benzylalkohol

Propen-2-ol-l Propin-2-ol-l Phenylmethanol

97 115 205

—129

0,870/20 0,972/20 1,043/19

— —



— 15

D o p p e l n a t u r , indem sie einerseits die dem W a s s e r nahe verwandte, also h y d r o p h i l e O x y g r u p p e , andererseits aber auch den h y d r o p h o b e n und l i p o p h i l e n A l k y l r e s t im Molekül enthalten. Infolgedessen sind die niederen Glieder der Reihe, in denen der Paraffinrest noch nicht zu sehr überwiegt, sowohl in W a s s e r als a u c h in o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n (einschließlich der s t a r k h y d r o p h o b e n reinen K o h l e n w a s s e r s t o f f e ) gut löslich bzw. sogar mit ihnen m i s c h b a r . Umgekehrt zeigen sie ihrerseits ebenfalls ein h o h e s Lösungsvermögen für alle A r t e n v o n S t o f f e n , und zwar werden E l e k t r o l y t e , W a s s e r usw. durch die O x y g r u p p e n , K o h l e n w a s s e r s t o f f e usw. durch die A l k y l r e s t e solvatisiert (näheres vgl. II, Kap. 6, II, 1). Die n i e d e r e n Alkohole sind daher präparativ und technisch sehr wichtige L ö s u n g s m i t t e l . Natürlich verschieben sich diese Eigenschaften stark mit der K e t t e n l ä n g e des A l k y l r e s t e s . M e t h a n o l oder gar M e t h a n o l W a s s e r m i s c h u n g e n wird man daher bevorzugt zur Auflösung h y d r o p h i l e r S t o f f e , wie z.B. von Z u c k e r n und E l e k t r o l y t e n , B u t a n o l dagegen zum Umkristallisieren von l i p o p h i l e n Substanzen, wie z. B. von K o h l e n w a s s e r s t o f f e n , verwenden. Geht man mit der Kettenlänge des Alkylrestes noch weiter h i n a u f , so verschwindet der Einfluß der Oxygruppe schließlich vollkommen. Die Alkohole oberhalb C10 sind infolgedessen k a u m noch w a s s e r l ö s l i c h und äußerlich nicht mehr von den P a r a f f i n e n zu unterscheiden. Das chemische Verhalten der Alkohole wird a u s s c h l i e ß l i c h durch die Rea k t i o n s f ä h i g k e i t der O x y g r u p p e bedingt, da eine Beeinflussung der Reaktionsfähigkeit des A l k y l r e s t e s bei dieser n i e d e r e n Oxydationsstufe noch n i c h t zu e r k e n n e n ist. Man unterscheidet f ü n f v e r s c h i e d e n e Reaktionstypen: 1. den auf S. 191 f. ausführlich beschriebenen E r s a t z des H y d r o x y l w a s s e r s t o f f s durch andere Reste unter Bildung von Alkoholderivaten. 2. die Bildung 12*

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

180

k o m p l e x e r S ä u r e n , 3. den E r s a t z der g e s a m t e n H y d r o x y l g r u p p e durch andere Substituenten, 4. die bereits früher (S. 85) beschriebene A b s p a l t u n g v o n W a s s e r zu Olefinen, 5. O x y d a t i o n s - und 6. R e d u k t i o n s r e a k t i o n e n . Zu 2. A l u m i n i u m c h l o r i d , B o r f l u o r i d , Z i n k c h l o r i d und ähnliche k o o r d i n a t i v u n g e s ä t t i g t e Verbindungen vermögen sich nach M E E R W E I N an eines der ungebundenen Elektronenpaare der alkoholischen Hydroxylgruppe unter Bildung stark saurer (vgl. II, Kap. 3, I, 4a) Komplexe anzulagern: H

R —"0 (/ 2 R—OH + Zn Cl2

->

,C1

R—Ov ©e /Gl -\Zn/

jZn/ X

R—O^

C1



R—f/

H

Diese komplexbildenden Halogenverbindungen verhalten sich daher in Alkoholen als L ö s u n g s m i t t e l n wie s t a r k e S ä u r e n und werden auch häufig wie diese als „ s a u r e " K a t a l y s a t o r e n verwandt (vgl. z. B. S. 208, 277 u. a.) Zu 3. Die Substitution der Oxygruppe durch andere Substituenten kommt praktisch auf eine V e r w e n d u n g d e s A l k o h o l s a l s A l k y l i e r u n g s m i t t e l hinaus. Doch bereitet die Übertragung der Alkylgruppe auf andere Atome hier wesentlich g r ö ß e r e S c h w i e r i g k e i t e n als bei Alkylhalogeniden, weil die C — O - B i n d u n g erheblich r e a k t i o n s t r ä g e r ist als die verschiedenen C—Hai-Bindungen. Man benötigt daher meistens K a t a l y s a t o r e n und s c h ä r f e r e R e a k t i o n s b e d i n g u n gen. Trotzdem ist die Möglichkeit der Durchführung derartiger Alkylierungsreaktionen bei der' leichten Zugänglichkeit der einfachen Alkohole zuweilen von großer p r a k t i s c h e r B e d e u t u n g , wie die folgenden wichtigsten Anwendungsbeispiele zeigen: a) der bereits früher (S. 147) ausführlich beschriebene Austausch der Oxygruppe gegen Halogen. b) der Austausch der Oxy- gegen die Aminogruppe. Er geschieht durch einfache A m m o n o l y s e des Alkohols zum A l k y l a m i n (vgl. auch I, Kap. 6, I, l a ) : R- OH + H—NH 2

• K - . M I , + H20 ,

die man in Gegenwart von Z i n k c h l o r i d (meistens verwendet man direkt die Z i n k c h l o r i d - a m m o n i a k - a d d i t i o n s v e r b i n d u n g ) bei 250—300° oder auch in der G a s p h a s e über D e h y d r a t i s i e r u n g s k a t a l y s a t o r e n (z. B. A1 2 0 3 oder T h 0 2 ) bei 300° durchführen kann. Die Reaktion verläuft jedoch n i c h t e i n h e i t l i c h , da sie einerseits sofort w e i t e r g e h t unter Bildung s e k u n d ä r e r und t e r t i ä r e r A m i n e , andererseits als Alkyherungsreaktiön wieder von einer W a s s e r a b s p a l t u n g zum O l e f in als Konkurrenzreaktion begleitet ist. c) Zur Einführung von Schwefel werden die Alkohole mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f oder Mercaptanen nach folgender Gleichung umgesetzt: R—OH + H

SH

R - 011 ;- II - S—R'

v

R - S H + H20



R—S—R' + H 2 0

Die Reaktion wird entweder in Gegenwart s t a r k e r M i n e r a l s ä u r e n in flüssiger Phase oder in Analogie zur Aminbildung mit Hilfe eines K o n t a k t v e r f a h r e n s über D e h y d r a t a t i o n s k a t a l y s a t o r e n (Th0 2 sowie auch A1203) bei 300—350° durchgeführt. In letzterem Fall ist sie ebenfalls von einer mehr oder weniger starken O l e f i n b i l d u n g begleitet.

Allgemeine Reaktionen der Alkohole

181

Zu 5. Die Oxydation der alkoholischen Oxy- zur Carbonylgruppe geschieht auf dem Wege einer D e h y d r i e r u n g (näheres über die Beziehungen zwischen Oxydation und Dehydrierung vgl. I, Kap. 12, I, 3 u. II, Kap. 4, II, 5), d. h. einer Ab Spaltung v o n W a s s e r s t o f f , der dann erst s e k u n d ä r von dem Oxydationsmittel gebunden wird : H ->

R—CH—0;H + O

R—CH=0 + H20

Sie verläuft infolgedessen w e s e n t l i c h l e i c h t e r als die Oxydation von P a r a f f i n Wasserstoff (S. 177), so daß die Alkohole zu den ausgesprochen l e i c h t o x y d i e r baren S t o f f e n gehören. Da auch die h ö h e r e n O x y d a t i o n s s t u f e n des K o h l e n s t o f f s nach Möglichkeit auf dem Wege einer Dehydrierung weiter oxydiert werden, hängt die mit einfachen Mitteln erreichbare E n d s t u f e der O x y d a t i o n ausschließlich von der Zahl der für diese D e h y d r i e r u n g s r e a k t i o n b e n ö t i g t e n , am Carbinolkohlenstoff noch vorhandenen H- A t o m e ab. Wir bemerken hier infolgedessen einen g r u n d s ä t z l i c h e n Unterschied zwischen p r i m ä r e n , s e k u n d ä r e n und t e r t i ä r e n A l k o h o l e n , die maximal bis zu den im folgenden Schema zusammengestellten Verbindungen dehydrierbar sind. Die angeführten Zwischenstufen sind m e i s t e n s f a ß b a r (näheres vgl. die Darstellungsweisen der einzelnen Verbindungsklassen): CH,—OH

~ H i > H,C=0

Methylalkohol (nullär)

R—CH2—OH primärer Alkohol

OH -ÜIi^

Formaldehyd

>

R—CH=0

H,(X

Ndh

Formaldehydhydrat +H

'°>

Aldehyd

R-CHC

^

\0H

0=C=0 Kohlendioxyd

Ameisensäure

'

0 H

H

M)H

Aldehyd-hydrat

>

R-Cf X)H Carbonsäure

I Rx )CH—OH R'/

>-

R'/

sekundärer Alkohol

;c=o

->.

ohne Zerstörung des Kohlenstoffgerüstes am ursprünglichen Carbinol-C-Atom n i c h t weiter oxydierbar

Keton R

\ R'-C—OH R"/

|

|

[

tertiärer Alkohol

Bei Anwendung s c h ä r f e r e r O x y d a t i o n s b e d i n g u n g e n fuhrt die Reaktion jeweils unter Angriff auf die vom Carbinol-C-Atom ausgehenden C—C-Bindungen zu einem G e m i s c h v e r s c h i e d e n e r C a r b o n s ä u r e n (vgl. z. B. die oxydative Ketonspaltung, S. 266), wenn nicht gar v o l l s t ä n d i g e r A b b a u zu K o h l e n d i o x y d und W a s s e r eintritt.

Zu 6. Die Reduktion der alkoholischen Hydroxylgruppe gelingt in seltenen Fällen bereits durch n a s c i e r e n d e n W a s s e r s t o f f , sofern dieser ein genügend h o h e s A b s c h e i d u n g s p o t e n t i a l besitzt (I, Kap. 12, II, lb), wird aber präparativ meistens mit konzentrierter J o d w a s s e r s t o f f s ä u r e über das als Zwischenprodukt auftretende A l k y l j o d i d in Umkehrung der J o d i e r u n g s r e a k t i o n durchgeführt (S. 67). Von praktischer Bedeutung ist zuweilen auch die Möglichkeit, die Reduk-

182

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

tion in z w e i S t u f e n — k a t a l y t i s c h e H y d r i e r u n g der durch Wasserabspaltung erhaltenen O l e f i n e — vorzunehmen (Gleichung formulieren!). Nachweis. Die Alkohole lassen sich infolge ihrer niedrigen Schmelzpunkte meistens nur s c h l e c h t d i r e k t nachweisen und identifizieren. Man führt sie daher zu diesem Zweck vielfach in ihre Derivate über, von denen sich insbesondere die leicht darzustellenden und gut kristallisierenden E s t e r d e r a r o m a t i s c h e n C a r b o n s ä u r e n bewährt haben. Am gebräuchlichsten sind die B e n z o e s ä u r e e s t e r und für die niederen Alkohole, deren „Benzoate" noch flüssig sind, auch die p - N i t r o - b e n z o e s ä u r e e s t e r (p-Nitro-benzoate).

Verwendung. Infolge der l e i c h t e n Z u g ä n g l i c h k e i t , einerseits durch S y n t h e s e , andererseits aus N a t u r s t o f f e n , stellen die niederen Alkohole bis etwa zu den A m y l a l k o h o l e n eine sehr w i c h t i g e K ö r p e r k l a s s e dar, die in ihrer Gesamtheit in noch s t ä r k e r e m A u s m a ß als das A c e t y l e n (und dieses sogar z. T. ersetzend, s. unten) als Ausgangsmaterialien für die p r ä p a r a t i v e und t e c h n i s c h e Darstellung a n d e r e r a l i p h a t i s c h e r V e r b i n d u n g e n dienen. Allerdings verteilen sich hier die verschiedenen Möglichkeiten auf m e h r e r e Verbindungen, von denen insbesondere der M e t h y l - und Ä t h y l a l k o h o l , sowie neuerdings auch der I s o p r o p y l - und I s o b u t y l a l k o h o l hervorgehoben werden müssen. Weiterhin ist von großer praktischer Bedeutung die oben bereits kurz gestreifte Verwendung der niederen Alkohole als L ö s u n g s m i t t e l sowie als R e a k t i o n s m e d i u m , um in n i c h t w ä ß r i g e r Phase s ä u r e n - und b a s e n k a t a l y s i e r t e R e a k t i o n e n sowie R e d u k t i o n s r e a k t i o n e n mit n a s c i e r e n d e m W a s s e r s t o f f durchzuführen. b) D i e g e s ä t t i g t e n

Alkohole

1

Methylalkohol oder Methanol ) CH 3 —OH (früher auch Carbinol genannt), das Anfangsglied der Reihe, kommt n i c h t f r e i in der Natur vor und ist auch nicht durch einfache Gärungsvorgänge zugänglich. Dagegen t r i t t er vielfach g e b u n d e n " auf, z. B. als M e t h y l ä t h e r eines h o c h m o l e k u l a r e n P h e n o l s im L i g n i n und in zahlreichen andern n a t ü r l i c h e n P h e n o l ä t h e r n (III, K a p . 6, II). Ferner begegnen wir e s t e r a r t i g gebundenem Methylalkohol im C h l o r o p h y l l (HI, K a p . 2 , V I I , 3), in den P e k t i n e n (HI, Kap. 4, IV, 4) und in einigen A l k a l o i d e n (HI, Kap. 7, I I I , 4). Seine Gewinnung war f r ü h e r nur in b e g r e n z t e n M e n g e n möglich, da sie ausschließlich durch t r o c k e n e D e s t i l l a t i o n v o n H o l z geschah, bei welcher er aus den Phenoläthergruppen des Lignins entsteht und sich im H o l z e s s i g bis zu 1,5—3% anreichert. Die Reindarstellung aus diesem Holzessig, namentlich die Trennung von dem als Begleiter stets auftretenden A c e t o n , bereitete einige t e c h n i s c h e S c h w i e r i g k e i t e n , so daß reiner, insbesondere a c e t o n f r e i e r M e t h y l a l k o h o l früher eine ziemlich teure und schwer zugängliche Substanz war.

Eine grundsätzliche Umwälzung bewirkte erst die bei den allgemeinen Darstellungsweisen bereits erwähnte Kohlenoxydhydrierung der I. G. Farbenindustrie, die bei 400—450° und 200 Atmosphären Wasserstoffdruck über Z i n k o x y d - C h r o m o x y d - M i s c h k a t a l y s a t o r e n 2 ) zur Methanolbildung führt (vgl. auch H, K a p . 4,1, 3) und ab 1923 großtechnisch durchgeführt wird. Durch sie stieg der Methylalkohol *) Der Name M e t h a n o l findet neuerdings vielfach auch p r a k t i s c h e A n w e n d u n g , um der durch die Kennzeichnung als „Alkohol" immer wieder vorkommenden V e r w e c h s l u n g m i t d e m Ä t h y l a l k o h o l vorzubeugen. 2 ) Die eigentliche Katalysatorwirkung übt Z i n k o x y d aus, während dem Chromoxyd lediglich die Aufgabe zufällt, bei der bereits ziemlich hohen Reaktionstemperatur das S i n t e r n d e s Z i n k o x y d s zu vermeiden.

Der Methylalkohol

183

mit einem Schlage zum t e c h n i s c h e n G r o ß p r o d u b t auf und macht seither in der Technik dem Ä t h y l a l k o h o l die führende Stellung zunehmend streitig. Zur R e i n d a r s t e l l u n g d e s M e t h a n o l s diente früher die intermediäre Überführung in den kristallisierten und leicht wieder spaltbaren O x a l s ä u r e e s t e r (Smp. 53°). Noch besser eignet sich hierzu die heute meistens verwandte C a l c i u m c h l o r i d - a d d i t i o n s v e r b i n d u n g (CaCl2(CH3OH)3), die bereits durch W a s s e r unter Bildung von C a l c i u m c h l o r i d - h y d r a t wieder zerlegt wird. Die Trennung vom Wasser kann im Gegensatz zum Äthylalkohol (s. unten) durch einfache f r a k t i o n i e r t e D e s t i l l a t i o n erfolgen, so daß das reine technische Produkt bereits über 99%ig ist. Zur Entfernung des restlichen Wassers verwendet man M a g n e s i u m , das sich primär unter A l k o h o l a t b i l d u n g auflöst. Erst dieses reagiert dann mit dem Wasser zum u n l ö s l i c h e n M a g n e s i u m o x y d , das aus dem Reaktionsgleichgewicht ausscheidet und dadurch die e x t r e m e T r o c k n u n g ermöglicht: + HsO » MgO + 2 CH —OH Mg(OCH ) 2 CH —OH + Mg 3 2

3

3

Dagegen gelingt die Darstellung a b s o l u t e n M e t h y l a l k o h o l s im Gegensatz zum Äthylalkohol n i c h t m i t Ä t z k a l k , da dieser mit Methanol im Rahmen eines Gleichgewichtes C a l c i u m m e t h a n o l a t bildet und dadurch bis zu einem gewissen Grade sogar W a s s e r l i e f e r t : CaO + 2 CH 3 —OH

Ca(OCH3)2 + H 2 0

Methanol ist eine farblose Flüssigkeit, die in W a s s e r und allen o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n unbegrenzt löslich ist, doch hebt bereits ein Wassergehalt von 4% die Mischbarkeit mit P e t r o l ä t h e r und den verschiedenen B e n z i n e n auf. Es wirkt auf den Organismus s t ä r k e r b e r a u s c h e n d als Ä t h y l a l k o h o l , ist aber im Gegensatz zu diesem ein zwar n i c h t sehr s t a r k e s , doch sehr g e f ä h r l i c h e s Grift1) (tödliche Dosis etwa 25 g), da auch bei Aufnahme noch nicht tödlich wirkender Mengen häufig schwere D a u e r s c h ä d e n , insbesondere E r b l i n d u n g , eintreten. Selbst das E i n a t m e n der D ä m p f e ist auf die Dauer s c h ä d l i c h . Methanol dient in der Technik als L ö s u n g s m i t t e l , als E r s a t z für B r e n n s p i r i t u s und vor allem als wichtiges, in seiner Bedeutung nahezu dem A c e t y l e n entsprechendes A u s g a n g s m a t e r i a l für die D a r s t e l l u n g anderer a l i p h a t i scher V e r b i n d u n g e n . Die praktisch wichtigsten dieser Möglichkeiten sind in dem folgenden Schema zusammengestellt, das sich z. T. mit dem auf Tafel I (S. 115) wiedergegebenen „Stammbaum" der vom Acetylen aus synthetisierbaren Verbindungen überschneidet (vgl. auch Taf. II, I, Kap. 10, I, 2) Ho

+ Benzol — HaO

CH,—OH

HCl *H a SO,

Methylierungsreaktionen • Ameisensäure

Bakelit und andere Kunststoffe -*"1" jj r\_Q — H,0

A1

— AlkohoIa V Ameisensäuretnethylester

Formaldehyd

+0

+ Harnstoff

— H,0

Kunststoffe

Propargylalkohol, Butindiol, Butadien, Buna usw.

Ameisensäure

(vgl. Tafel I, S. 115) r ) Die e i g e n t l i c h e G i f t w i r k u n g dürfte nicht vom M e t h y l a l k o h o l selbst, sondern von der aus ihm unter p h y s i o l o g i s c h e n B e d i n g u n g e n durch D e h y d r i e r u n g leicht entstehenden A m e i s e n s ä u r e ausgehen. Näheres siehe dort (S. 360).

184

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

Äthylalkohol oder Äthanol CH S —CH 2 —OH, auch Alkohol schlechthin, Weingeist, Spiritus oder Sprit genannt, ist der w i c h t i g s t e A l k o h o l und eine der am l ä n g s t e n b e k a n n t e n organischen Verbindungen überhaupt. Er kommt zwar ebenfalls n i c h t oder nur in S p u r e n frei in der Natur vor, und auch seine Ä t h e r und E s t e r wurden bisher n i c h t als Naturprodukte aufgefunden. Dagegen entsteht er bei einigen durch M i k r o o r g a n i s m e n bewirkten Z e r s e t z u n g s r e a k t i o n e n , vor allem bei der alkoholischen Vergärung von K o h l e n h y d r a t e n , die nach der folgenden summarischen Gleichung verläuft (näheres vgl. III, Kap. 8, I I I ) : C 6 H 12 0 6

v

2 C 2 H 6 OH + 2 C0 2

Danach wird also günstigstenfalls nur die H ä l f t e d e s G e w i c h t e s der Glukose in Alkoho übergeführt, doch enthält dieser z w e i D r i t t e l d e r C - A t o m e und, was f ü r seine Verwendung als Brennstoff wichtig ist, s ä m t l i c h e R e d u k t i o n s ä q u i v a l e n t e 1 ) der ursprünglichen Glukose, so daß der Gärungsprozeß wohl mit einem g e w i s s e n S u b s t a n z v e r l u s t , jedoch mit k e i n e m wesentlichen E n e r g i e v e r l u s t verbunden ist.

Die alkoholische Gärung ist s e i t a l t e r s h e r bekannt und auch heute noch in allen Ländern das p r a k t i s c h a u s s c h l i e ß l i c h e D a r s t e l l u n g s v e r f a h r e n für den Äthylalkohol, das technisch in allergrößtem Maßstab durchgeführt wird. Als Ausgangsmaterial dient allerdings nicht die Glukose selbst, sondern in erster Linie die viel billigere S t ä r k e (z. B. K a r t o f f e l - oder G e t r e i d e s p r i t ) , die in einer Vorstufe e n z y m a t i s c h (III, Kap. 8, II) zur b e r e i t s v e r g ä r b a r e n M a l t o s e abgebaut wird. Daneben geht man z. T. auch schon von der n o c h b i l l i g e r e n C e l l u l o s e , die durch die H o l z v e r z u c k e r u n g (III, Kap. 6, II, 6) in v e r g ä r b a r e K o h l e n h y d r a t e übergeführt wird, sowie von den beim Holzaufschluß abfallenden H e m i e e l l u l o s e n (Sulfitsprit, III, Kap. 6, II, 6) aus. Neben der alkoholischen Gärung ist nur noch ein w e i t e r e s Verfahren zur t e c h n i s c h e n R e i f e gelangt, das vom A c e t y l e n ausgehend durch Wasseranlagerung zum A c e t a l d e h y d und durch dessen Hydrierung mit N i c k e l als Katalysator schließlich zum Ä t h y l a l k o h o l führt ( A c e t y l e n - oder K a l k s p r i t ) : H C = C H + HaO

>- C H 3 — C H = 0

v

CH 3 —CH 2 —OH

Auf diesem Wege wurden namentlich im ersten Weltkrieg in Deutschland große Mengen Äthylalkohol hergestellt, doch hat sich das Verfahren in der freien Wirtschaft neben der alkoholischen Gärung n i c h t h a l t e n k ö n n e n . J a es wird heute sogar das Zwischenprodukt dieser Reaktion, der A c e t a l d e h y d , vielfach schon nicht mehr vom A c e t y l e n , sondern umgekehrt vom Ä t h y l a l k o h o l ausgehend gewonnen (s. unten). Die Gewinnung von wasserfreiem Alkohol hat seit jeher gewisse Schwierigkeiten bereitet weil Äthylalkohol mit Wasser ein a z e o t r o p e s , d. h. k o n s t a n t s i e d e n d e s Gemisch von 95,5% A l k o h o l und 4,5% W a s s e r bildet, das durch fraktionierte Destillation allein n i c h t m e h r getrennt werden kann (vgl. physik. ehem. Lehrbücher). Auch eine Trocknung mit den ') Diese wichtige Folgerung läßt sich o h n e nähere Kenntnis des G ä r u n g s m e c h a n i s m u s bereits aus der Tatsache ableiten, daß die Gärung als „ a n a e r o b e r " , d. h. sich unter Luftausschluß abspielender Vorgang o h n e M i t b e t e i l i g u n g d e s L u f t s a u e r s t o f f s , also unter voller Erhaltung der Reduktionsäquivalente des Gärungsgutes erfolgt, denn da als Endprodukt der Gärung neben dem nicht mehr oxydablen C0 2 nur Ä t h y l a l k o h o l entsteht, muß dieser a l l e u r s p r ü n g l i c h e n R e d u k t i o n s ä q u i v a l e n t e des Kohlenhydrats enthalten, wovon man sich durch Abzählen der zur Verbrennung von G l u k ose (CgHj2Og) einerseits und zwei Molekülen Ä t h y l a l k o h o l andererseits erforderlichen Sauerstoffatome leicht überzeugen kann.

Der Äthylalkohol

185

ü b l i c h e n T r o c k e n m i t t e l n (konzentrierte Schwefelsäure, metallisches Natrium, Natriumhydroxyd, Calciumchlorid usw.) ist n i c h t bzw. nur u n v o l l k o m m e n m ö g l i c h , weil diese selbst in Alkohol l ö s l i c h sind oder m i t i h m c h e m i s c h r e a g i e r e n . Das präparativ wichtigste Verfahren der Trocknung durch m e h r t ä g i g e s K o c h e n des 95%igen Alkohols über Ä t z k a l k geht zwar etwas besser als beim Methanol vor sich, führt aber, abgesehen von den großen Verlusten durch A l k o h o l a t b i l d u n g , aus den dort angegebenen Gründen nur zu einem m a x i m a l 9 9 , 5 % i g e n A l k o h o l , der dann erst in einer d r i t t e n S t u f e mit Hilfe des ebenfalls bereits beim Methanol geschilderten M a g n e s i u m v e r f a h r e n s völlig getrocknet werden kann. Das M a g n e s i u m v e r f a h r e n selbst ist schließlich wiederum nur bei einem m e h r a l s 9 9 % i g e n A l k o h o l durchführbar, weil sich das Metall sonst sofort mit einer unlöslichen M a g n e s i u m o x y d h a u t bedeckt, die jede w e i t e r e R e a k t i o n v e r h i n d e r t . Es ist daher praktisch außerordentlich wichtig, daß es technisch gelungen ist, durch Z u s a t z v o n m i t W a s s e r n i c h t m i s c h b a r e n F l ü s s i g k e i t e n , wie etwa B e n z o l , T e t r a c h l o r k o h l e n s t o f f , T r i c h l o r ä t h y l e n usw., den konstant siedenden 95,5%igen Alkohol auch d u r c h D e s t i l l a t i o n in seine Bestandteile zu zerlegen. Die W i r k u n g s w e i s e d i e s e r Z u s a t z m i t t e l beruht darauf, daß sie infolge ihrer h y d r o p h o b e n , d . h . w a s s e r a b s t o ß e n d e n N a t u r den partiellen Dampfdruck des W a s s e r s gegenüber dem des A l k o h o l s so s t a r k e r h ö h e n , daß ersteres b e v o r z u g t a b d e s t i l l i e r t und schließlich ganz entfernt werden kann. Das zurückbleibende völlig trockene Gemisch des Alkohols mit dem Zusatzmittel läßt sich dann leicht durch anschließende n o r m a l e F r a k t i o n i e r u n g zerlegen. Zum Nachweis k l e i n s t e r W a s s e r m e n g e n im Alkohol dient die Zersetzung von C a l c i u m c a r b i d , die mit r e i n e m A l k o h o l nicht erfolgt. Das hierbei entstehende A c e t y l e n ist durch Bildung des roten K u p f e r a c e t y l e n i d s sofort zu erkennen. Auch die B l a u f ä r b u n g von e n t w ä s s e r t e m K u p f e r s u l f a t oder die H y d r o l y s e von A m e i s e n s ä u r e ä t h y l e s t e r in Gegenwart von N a t r i u m a l k o h o l a t unter Bildung des schwerlöslichen N a t r i u m f o r m i a t s (Gleichung formulieren!) dienen zuweilen als Kriterium für den Wassergehalt des Alkohols. Äthylalkohol ist eine angenehm riechende, farblose Flüssigkeit, die sich wie Methanol mit W a s s e r und allen o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n in jedem Verhältnis mischt. Seine wichtigste Eigenschaft ist ohne Zweifel seine anregende und berauschende Wirkung, die ihn seit jeher und auch heute noch zu dem beliebtesten G e n u ß m i t t e l m a c h t . Die Rauschwirkung ist zwar gegenüber der der benachbarten Homologen etwas g e r i n g e r , wahrscheinlich infolge der jahrtausendelangen Gewöhnung, dafür zeigt aber der Äthylalkohol von allen niederen Alkoholen die bei w e i t e m g e r i n g s t e G i f t w i r k u n g , und sein m ä ß i g e r Genuß kann als u n s c h ä d l i c h angesehen werden, zumal der Alkohol im Körper v o l l s t ä n d i g v e r b r a n n t und ausgenützt, also schnell „ e n t g i f t e t " wird. E r s t die c h r o n i s c h e E i n n a h m e v o n v i e l A l k o h o l führt zu den bekannten Trinkerschäden. Sehr g e f ä h r l i c h ist ferner der s c h n e l l e G e n u ß von viel k o n z e n t r i e r t e m Alkohol, z. B . in F o r m von B r a n n t wein oder Likör, da man hier leicht die tödliche Dosis aufnehmen kann, ehe an der erst s p ä t e r a u f t r e t e n d e n RauschWirkung die Gefahr erkennbar ist, und- ehe auch der Körper den Alkohol durch Abbau entgiften kann. Die alkoholischen Genußmittel lassen sich in drei größere Gruppen einteilen: 1. Am längsten bekannt ist der direkte Genuß der beim Vergären von k o h l e n h y d r a t h a l t i g e n P f l a n z e n s ä f t e n oder von S t ä r k e a u f s c h l e m m u n g e n erhaltenen Gärflüssigkeiten. Im einzelnen unterscheidet man die beim Vergären z u c k e r h a l t i g e r F r u c h t s ä f t e entstehenden W e i n e , die aus G e r s t e bereiteten n o r m a l e n und die aus W e i z e n gewonnenen W e i ß b i e r e , sowie den früher durch Vergären von H o n i g w a s s e r erhaltenen M e t . 2. die Branntweine. Aus den relativ alkoholarmen Gärflüssigkeiten erhält man durch p a r t i e l l e D e s t i l l a t i o n , im Volksmund „ B r e n n e n " genannt, die verschiedenen B r a n n t w e i n e , und zwar aus den W e i n e n den W e i n b r a n d (Kognak), aus den B i e r e n den K o r n b r a n n t w e i n sowie aus der ungebrannt meistens nicht verwerteten Gärflüssigkeit von F r u c h t s ä f t e n das K i r s c h - und Z w e t s c h g e n w a s s e r ( S l i w o w i t z ) , den H i m b e e r g e i s t usw., von

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

186

W a c h o l d e r b e e r e n den G e n e v e r , von R e i s den Arrak, von Mais den W h i s k y und schließlich von Z u c k e r r o h r m e l a s s e den Rum. 3. die Liköre. Die Branntweine enthalten als Destillationsprodukte noch k e i n e n Zucker und man kommt durch deren N a c h z u c k e r u n g schließlich zu den Likören. Sie bestehen im wesentlichen aus etwa gleichen Teilen R o h r z u c k e r , W a s s e r und Ä t h y l a l k o h o l , denen geringe Mengen von D u f t - oder A r o m a s t o f f e n , sei es in Form einer „Essenz", sei es in Form a l k o h o l i s c h e r P f l a n z e n e x t r a k t e , zugesetzt werden.

Neben dieser Verwendung als Genußmittel ist der Äthylalkohol auch t e c h n i s c h ein außerordentlich w i c h t i g e r S t o f f , der alle anderen Alkohole an Bedeutung überragt. Bei weitem die größte Menge wird heute bereits als Ausgangsmaterial für die Herstellung anderer aliphatischer Verbindungen benötigt. Hier ist der Alkohol der s c h ä r f s t e K o n k u r r e n t d e s A c e t y l e n s , da beide Verbindungen durch einfache Reaktionen in A c e t a l d e h y d überführbar sind: HfeCH

+H

'°>-

CHo—CH=0

+

CH,—CH,—OH

also ein Großteil der auf Tafel I (S. 128, 129) angeführten Verbindungen auch vom Ä t h y l a l k o h o l aus zugänglich ist. In Getreideüberschußländern (USA, Sowjetrußland usw.) wird dieser Weg auch weitgehend beschritten (z. B. wird in Rußland zur B u n a g e w i n n u n g die Getreideproduktion ganzer Provinzen verbraucht), währefid man in Getreidemangelländern, wie z. B. in Deutschland, meistens den Weg über das A c e t y l e n bevorzugt. Weiterhin ist Äthanol das wichtigste V e r e s t e r u n g s m i t t e l für Säuren, eines der am häufigsten verwandten L ö s u n g s m i t t e l und dient schließlich auch unter der Bezeichnung B r e n n s p i r i t u s alä B r e n n s t o f f für den Klein- und Kleinstbetrieb. Da der reine A l k o h o l in allen Kulturstaaten mit einer hohen Steuer belegt ist, wird dieser Brennspiritus durch v e r g ä l l e n d e und d e n a t u r i e r e n d e Zusätze für den menschlichen Genuß u n b r a u c h b a r gemacht. Als Yergällungsmittel dient in Deutschland im allgemeinen ein Zusatz von 2—2 1(/2% M e t h a n o l und. 1% der aus dem Steinkohlenteer erhaltenen rohen P y r i d i n b a s e n . Letztere stellen zwar den H a u p t g e r u c h s t r ä g e r des Vergällungszusatzes dar, doch verbleibt nach deren oberflächlicher Entfernung mit S ä u r e n immer noch der M e t h y l a l k o h o l als giftige und schwer abtrennbare Beimengung, so daß vor der Verwendung von „entgälltem" Brennspiritus zu Trinkzwecken n i c h t g e n u g gewarnt werden kann.

Als wichtigste Nachweisreaktion des Äthylalkohols dient die auf S. 160 bereits beschriebene J o d o f o r m p r o b e , die allerdings auch von anderen Verbindungen (z.B. A c e t a l d e h y d , A c e t o n usw.) gegeben wird. Zur e i n d e u t i g e n I d e n t i f i z i e r u n g verwendet man meistens den gut kristallisierten p - N i t r o b e n z o e s ä u r e e s t e r (Smp. 57°). n-PropylalkohoI (Propanol-1) CHS—CH2—CH2—OH entsteht ebenfalls in geringen Mengen bei der alkoholischen Gärung und kann aus den Nachläufen der Alkoholdestillation gewonnen werden. Er wirkt etwas s t ä r k e r b e r a u s c h e n d , aber auch s t ä r k e r g i f t i g als Ä t h y l a l k o h o l und dient zuweilen als L ö s u n g s m i t t e l .

Isopropylalkohol (Propanol-2, Dimethylcarbinol) CH 3 —CHOH—CH 3 ist als einfachster sekundärer Alkohol wieder erheblich wichtiger. Seine Darstellung erfolgt: 1. durch Hydrierung von A c e t o n , 2. durch Wasseranlagerung an P r o p y l e n und 3. durch direkte Hydrierung von K o h l e n o x y d (s. oben): CH.

CH3V

/H

+h'°

CH,=CH—CH,3 3 CO + 6 H•2 s

187

Höhere gesättigte Alkohole

Besonders die letzten beiden Verfahren haben in neuerer Zeit an Bedeutung gewonnen, so daß der Isopropylalkohol heute schon vielfach in Umkehrung des ersten Weges als A u s g a n g s m a t e r i a l f ü r die A c e t o n g e w i n n u n g dient. Wir haben hier neben der, ebenfalls in Umkehrung zur normalen Acetaldehydgewinnung erfolgenden, Äthylalkoholdarstellung nach dem A c e t y l e n v e r f a h r e n (S. 184), ein zweites Beispiel dafür, daß je nach der Rohstofflage b e i d e R i c h t u n g e n einer zu einem Gleichgewicht führenden Reaktion t e c h n i s c h e B e deutung erlangen können.

Außer zur Acetongewinnung wird Isopropylalkohol in der Technik auf E s t e r verarbeitet und dient auch als Lösungsmittel. Seine physiologische Wirkung entspricht der des n-Propylalkohols. n-Butylalkohol (n-Butanol-l, kurz Butylalkohol genannt) CH3—(CH2)3—OH. Seine Gewinnung geschieht entweder durch einen speziellen Gärungsprozeß aus s t ä r k e h a l t i g e n S t o f f e n sowie aus P o l y a l k o h o l e n , wie Glycerin, Manriit usw. (vgl. III, Kap. 8, III) oder durch Hydrierung von Crotonaldehyd, der seinerseits wieder vom A c e t y l e n aus leicht zugänglich ist: 2 HC=CH

+ 2 l r /

V

2 CH3—CH=0 a

Acetaldehyd +

2H

p

.

~H'° „t >

Pipendin-acetat

» >• CH,—CH«—CH»-

CH3—CH=CH—CH=0 ö

Crotonaldehyd

Er ist als erster Alkohol n i c h t mehr mit Wasser mischbar und dient als wichtiges p r ä p a r a t i v e s (z. B. zur Trennung von Aminosäuren, vgl. III, Kap. 7, II, 1) und t e c h n i s c h e s L ö s u n g s m i t t e l (z. B. für Nitrocelluloselacke). Sekundärer Butylalkohol (Butanol-2) CH 3 —CHOH—CH 2 —CH 3 entsteht bei der Wasseranlagerung an alle drei n - B u t y l e n e (Regel von MARKOWNIKOW, Gleichungen formulieren!) und dient ebenfalls als L ö s u n g s m i t t e l .

Isobutylalkohol (Isobutanol-1, 2-Methyl-propanol-1), (CH3)2CH—CH2—OH ist der einfachste primäre Alkohol mit verzweigter Kohlenstoffkette. Er wird technisch im Großen mittels der K o h l e n o x y d h y d r i e r u n g gewonnen (s. oben) und dient in der Hauptsache als Zwischenprodukt für die I s o b u t y l e n d a r s t e l l u n g (S. 100). Ferner wird er wie der n-Butylalkohol in der Technik als hochsiedendes L ö s u n g s m i t t e l für L a c k e sowie in der Parfümerie zur Gewinnung wohlriechender E s t e r (z.B. I s o b u t y l a c e t a t ) verwandt. Er hat infolge seiner leichten Zugänglichkeit d.en früher für diese Zwecke ausschließlich gebräuchlichen Gärungsamylakohol z. T. verdrängt. Tertiärer Butylalkohol (Isobutanol-2, 2-Methyl-propanol-2) (CH 3 ) 3 C—OH ist als einfachster t e r t i ä r e r A l k o h o l von Interesse. E r wird präparativ mit Hilfe der auf S. 177 angeführten GRIGNARD-Reaktion, technisch durch Wasseraddition an I s o b u t y l e n (S. 100, Gleichung formulieren!) gewonnen und ist im Gegensatz zum n - B u t a n o l noch m i t W a s s e r m i s c h b a r . In reinem Zustand ist er bei normaler Temperatur b e r e i t s f e s t .

Von den acht isomeren P e n t a n o l e n (allgemein Amylalkohole genannt) besitzen nur noch die folgenden drei eine größere Bedeutung: CH,

CIL

H,C

CH,

2-Methyl-butanol-l II

2-Methyl-butanol-2 III

CH3 3-Methyl-butanol-l I

Die Mischung von I (Hauptanteil) und I I wird als Gärungsamylalkohol bezeichnet, weil sie die wichtigste Komponente des bei der alkoholischen Gärung als Nebenprodukt anfallenden Fuselöls darstellt.

188

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

Unter Fuselöl wird eine Gruppe von höher s i e d e n d e n , noch mit W a s s e r d a m p f f l ü c h t i g e n und mit Wasser n i c h t mehr m i s c h b a r e n Alkoholen verstanden, die beim anaeroben Abbau der E i w e i ß - A m i n o s ä u r e n des Vergärungsgutes und der H e f e entstehen. Sie reichern sich im Nachlauf der eigentlichen A l k o h o l d e s t i l l a t i o n an, destillieren aber bereits mit den ersten Anteilen des Wassers über und sind daher in schlechten Schnäpsen (Fusel) enthalten, deren s c h ä d l i c h e N a c h w i r k u n g sie durch ihre G i f t i g k e i t bewirken. Zu ihnen gehört außer den beiden G ä r u n g s a m y l a l k o h o l e n u. a. auch der oben erwähnte I s o b u t y l a l k o h o l , dessen Gewinnung aus dem Fuselöl sich jedoch nicht lohnt.

In II begegnen wir der ersten Verbindung mit einem a s y m m e t r i s c h e n CA t o m (S. 13). Dieser Alkohol tritt daher in zwei o p t i s c h e n A n t i p o d e n auf, von denen die l i n k s d r e h e n d e F o r m im Fuselöl enthalten ist. Man bezeichnet I und II infolgedessen häufig kurz als o p t i s c h i n a k t i v e n und o p t i s c h a k t i v e n G ä r u n g s a m y l a l k o h o l . Aus dem bei der Wasserabspaltung aus Fuselöl entstehenden A m y l e n g e m i s c h lassen sich 2 - M e t h y l - « - und 2 - M e t h y l - y ö - b u t y l e n durch Wiederanlagerung von Wasser in den t e r t i ä r e n A m y l a l k o h o l (III) überführen (Gleichungen formulieren!), der aus diesem Grunde A m y l e n h y d r a t genannt wird und in der Pharmazie Anwendung als S c h l a f m i t t e l findet. Der rohe Gärungsamylalkohol ist als N e b e n p r o d u k t der a l k o h o l i s c h e n G ä r u n g verhältnismäßig l e i c h t zugänglich und hat daher präparativ und technisch eine vielseitige Anwendung als h o c h s i e d e n d e s L ö s u n g s m i t t e l und R e a k t i o n s m e d i u m gefunden. Ferner dient er zur Herstellung h o c h s i e d e n d e r Ä t h e r und w o h l r i e c h e n d e r E s t e r ( D i i s o a m y l ä t h e r , A m y l a c e t a t usw.), wird aber in neuerer Zeit vom I s o b u t y l a l k o h o l etwas zurückgedrängt. P h y s i o l o g i s c h weist er neben der ausgesprochenen G i f t w i r k u n g (als Hauptbestandteil des F u selöls) auch eine b l u t g e f ä ß e r w e i t e r n d e W i r k u n g auf, die ihn in der Pharmazie zur A s t h m a b e k ä m p f u n g geeignet macht. Die höheren gesättigten Alkohole sind in großer Zahl bekannt, besitzen jedoch nur geringes allgemeines Interesse. Als Naturprodukte wurden bisher ausschließlich primäre Alkohole mit in der Hauptsache u n v e r z w e i g t e r und g e r a d z a h l i g e r Kohlenstoffkette beobachtet, so u. a. als alkoholischer Bestandteil verschiedener ätherischer ö l e der n - H e x y l - , n - O c t y l - , n - N o n y l - , n - D o d e c y l - und n - T r i d e c y l a l k o h o l sowie als alkoholischer Bestandteil verschiedener Wachs arten (vgl. III, Kap. 6,1, 3) der n - H e x a d e c y l - (C.etyl-), n - H e x a k o s y l - (Ceryl-), n - O c t a k o s y l - (C28) n - T r i a k o n t y l - (C30) und n - D o t r i a k o n t y l a l k o h o l (C32). Das Gemisch der beiden letzteren wurde früher für e i n h e i t l i c h gehalten und Myricylalkohol (C31) genannt. Octanol-2 C^Hj,—CHOH—CH3 ist durch oxydativen Abbau der Ricinolsäure (S. 478) leicht zugänglich und findet unter der Bezeichnung Caprylalkohol oder Octylalkohol schlechthin eine vielfache Anwendung als E n t s c h ä u m u n g s m i t t e l .

c) D i e u n g e s ä t t i g t e n u n d a r o m a t i s c h e n A l k o h o l e In den ungesättigten und aromatischen Alkoholen befindet sich in g r ö ß e r e r E n t f e r n u n g von der alkoholischen Hydroxylgruppe noch mindestens eine Mehrf a c h b i n d u n g bzw. ein B e n z o l k e r n im Molekül. Da eine gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Funktionen über die größere Entfernung hinweg n i c h t oder nur in untergeordnetem Maße s t a t t f i n d e t , zeigen alle Verbindungen dieser Reihe nahezu unverändert die c h a r a k t e r i s t i s c h e n R e a k t i o n e n der in ihnen enthaltenen Funktionen n e b e n e i n a n d e r . Allylalkohol CH 2 =CH—CH 2 —OH, der einfachste ungesättigte Alkohol, entsteht aus G l y c e r i n und O x a l s ä u r e beim trockenen Erhitzen auf folgendem Wege:

Ungesättigte und aromatische Alkohole CH 2 —OH I CH—OH HO cv o ' -"''V I ! + CH 2 —0:H HO - C - 0 Glycerin

Oxalsäure

189

CH.—OH

A:!H

:0—C==0 ^

C H , — Ö—C=Ö

¡

^

CH CH

partieller Ester

Allylalkohol

wird neuerdings in der Technik jedoch billiger aus dem anschließend beschriebenen P r o p a r g y l a l k o h o l durch p a r t i e l l e H y d r i e r u n g mit Palladium bei 140—150° in Gegenwart von Wasserdampf gewonnen. Er läßt sich als Alkohol leicht in die Alkohol-derivate überführen oder zum ung e s ä t t i g t e n Aldehyd bzw. zur Carbonsäure oxydieren. Andererseits kann er als Olefinderivat zum n-Propylalkohol hydriert werden oder Brom an die Doppelbindung anlagern (Gleichungen formulieren!). Eine neuartige, auch für andere ungesättigte Verbindungen typische Reaktion ist die in II, Kap. 5, III, 1 beschriebene Allylumlagerung. Höhere ungesättigte Alkohole kommen z a h l r e i c h in der b e l e b t e n N a t u r vor. Von ihnen werden wir vor allem in den C a m p h e r n sowie auch in einigen C a r o t i n o i d f a r b s t o f f e n wichtige Vertreter kennenlernen. Im Proparf ylslhohol H—C=C—CH 2 —OH liegt der einfachste Alkohol mit einer A c e t y l e n b i n d u n g vor. Er kann in der üblichen Weise durch Bromwasserstoffabspaltung aus B r o m a l l y l a l k o h o l oder neuerdings auch durch Anlagerung von A c e t y l e n an F o r m a l d e h y d nach REPPE (S. 113) gewonnen werden: CH 2 =CBr—CH 2 —OH

~HBV

HC=C—CH 2 —OH

-
- R—OMe + y 2 H 2

Nach dieser wichtigsten Methode werden vor allem die Alkoholate der n i e d e r e n A l k o h o l e mit den Metallen der 1. bis 3. Gruppe des Periodensystems gewonnen.

2. der Ersatz des HydroxylWasserstoffs durch A l k o h o l y s e der Metallderivate von W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n , deren Acidität noch unter der der A l k o h o l e liegt (Infreiheitsetzung schwacher Säuren aus ihren Salzen durch stärkere Säuren), also vor allem von Natriumamid und metallorganischen Verbindungen: NH 3 + R—ONa

R-O-H

R ' _ H + R-OMgX

Das Verfahren ist a l l g e m e i n a n w e n d b a r , jedoch etwas u m s t ä n d l i c h in der Durchführung und dient daher in erster Linie zur Darstellung der Alkoholate k o m p l i z i e r t e r e r O x y v e r b i n d u n g e n , die sich schlecht mit den freien Metallen selbst umsetzen lassen. 3. Schließlich besteht auch die Möglichkeit der Bildung von Metallalkoholaten mit Hilfe i o n o g e n e r F ä l l u n g s r e a k t i o n e n , wenn man die sich umsetzenden Salzpaare so auswählt, daß außer dem zu bildenden Alkoholat alle S a l z e u n l ö s l i c h a u s f a l l e n . So kann man z. B. die Chrom- und auch die B a r i u m a l k o h o l a t e i n sehr eleganter Weise durch doppelte

Die Metallalkoholate

193

Umsetzung von Chrom-III-chlorid und N a t r i u m a l k o h o l a t , bzw. von Bariump e r c h l o r a t und K a l i u m a l k o h o l a t , (beide Male in absolut alkoholischer Lösung) gewinnen : CrClj

:

:$Xa()C2irä

Ba(Cl()4)2 • 2 K 0C21I5



Cr(OC2Hä)3 + 3 NaCl

> Ba(OC2H6)2 + 2 KC104 löslich

unlöslich

Die Eigenschaften der Metallalkoholate sind denen der entsprechenden M e t a l l h y d r o x y d e , von denen sie sich lediglich durch Ersatz des HydroxylWasserstoffs durch einen organischen Rest ableiten, sehr ä h n l i c h , insbesondere hängen sie ebenfalls weitgehend von der S t e l l u n g d e s M e t a l l s i m P e r i o d e n s y s t e m der Elemente ab, so daß die einzelnen Gruppen g e t r e n n t behandelt werden müssen. Die Alkalimetallalkoholate, von denen vor allem die N a t r i u m v e r b i n d u n g e n von praktischer Bedeutung sind, werden fast ausschließlich durch Auflösen der f r e i e n M e t a l l e in dem betreffenden A l k o h o l hergestellt. Die Reaktion verläuft bei den n i e d e r e n A l k o h o l e n sehr stürmisch, doch besteht im Gegensatz zur Reaktion mit W a s s e r nicht mehr die Gefahr der S e l b s t e n t z ü n d u n g . Die entstehenden Alkoholate sind wie die Hydroxyde v ö l l i g i o n i s i e r t e , s a l z a r t i g e Verbindungen, die eine starke Neigung zur A d d i t i o n w e i t e r e r A l k o h o l m o l e k ü l e aufweisen, so daß z. B. N a t r i u m ä t h y l a t erst bei etwa 200° von dem letzten Molekül K r i s t a l l a l k o h o l befreit werden kann. Die hervorstechendste Eigenschaft der A l k a l i m e t a l l a l k o h o l a t e , bzw. der hier in erster Linie interessierenden R — O - - I o n e n , ist ihre s t a r k e B a s i z i t ä t , die der der A l k a l i - M e t a l l h y d r o x y d e (bzw. der H y d r o x y l - I o n e n ) in der Größenordnung entspricht, da der Ersatz eines H-Atoms durch einen Alkylrest die Basizität einer Verbindung n i c h t w e s e n t l i c h v e r ä n d e r t (vgl. S. 6). Die A l k o h o l a t e bilden infolgedessen in wäßrig - alkoholischer Lösung mit den H y d r o x y d e n ein typisches G l e i c h g e w i c h t s g e m i s c h , das sich, da der Übergang zwischen beiden Verbindungen durch einen e i n f a c h e n P r o t o n e n ü b e r g a n g erfolgt, p r a k t i s c h m o m e n t a n einstellt: R—0—H + H—O -

R—CT + H—O—H

Danach ist es weder möglich, wäßrige L ö s u n g e n der M e t a l l a l k o h o l a t e , noch, a l k o h o l i s c h e L ö s u n g e n der M e t a l l h y d r o x y d e herzustellen, da beide sich mit dem überschüssigen Lösungsmittel sofort bis zur Einstellung des Reaktionsgleichgewichtes umsetzen. So enthält z. B. die oft als Reagens verwandte a l k o h o l i s c h e K a l i u m - oder N a t r i u m h y d r o x y d l ö s u n g im wesentlichen nicht mehr das Alkalimetallhydroxyd, sondern neben Wasser bereits das A l k o h o l a t , das somit auch auf diesem Wege, wenn auch nicht in völliger Reinheit, hergestellt werden kann. Ebenso bilden Alkoholate nur mit den ihnen zugrunde liegenden A l k o h o l e n und Hydroxyde nur mit Wasser definierte Anlagerungsprodukte, und schließlich ist es wegen dieser Gleichgewichtseinstellung auch nicht möglich, Alkohole mit den A l k a l i m e t a l l h y d r o x y d e n zu t r o c k n e n , da letztere mit dem überschüssigen Alkohol sofort A l k o h o l a t e und Wasser bilden, also direkt Wasser l i e f e r n (Gleichung formulieren!). Die gleichen wechselseitigen Beziehungen bestehen auch z w i s c h e n den v e r s c h i e d e n e n A l k o h o l a t e n selbst, d. h. N a t r i u m m e t h y l a t geht in ä t h y l a l k o h o l i s c h e r L ö s u n g in leicht ersichtlicher Weise sofort in das Ä t h y l a t über und umgekehrt (Gleichungen formulieren!). Jedes Alkoholat ist also (außer in indifferenten Lösungsmitteln, wie z.B. in P y r i d i n oder in diesem Falle auch in f l ü s s i g e m Ammoniak) nur in dem z u g e h ö r i g e n A l k o h o l als Lösungsmittel b e s t ä n d i g . 13

K l a g e s , Lehrbuch der Organischen Chemie I, 1

194

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

Infolge ihrer s t a r k e n B a s i z i t ä t sind die Alkoholate zu einer Reihe von (den f r e i e n A l k o h o l e n noch n i c h t z u g ä n g l i c h e n ) Reaktionen befähigt, von denen hier insbesondere auf die unten beschriebene Ä t h e r b i l d u n g bei der E i n w i r k u n g v o n A l k y l i e r u n g s m i t t e l n hingewiesen werden soll (S. 208). Ihre wichtigste Anwendung finden sie jedoch weniger zu derartigen direkten Umsetzungen, sondern in erster Linie als e i n z i g e in a l k o h o l i s c h e r L ö s u n g b e s t ä n d i g e , s t a r k b a s i s c h e R e a k t i o n s b e s c h l e u n i g e r . So begegnen wir ihnen z. B. als e c h t e n K a t a l y s a t o r e n bei der a l k a l i s c h e n U m e s t e r u n g (S. 329) oder noch häufiger als A k t i v a t o r e n , die sich mit a n d e r R e a k t i o n b e t e i l i g e n und daher das Gleichgewicht im gewünschten Sinne beeinflussen. Letzteres ist u. a. bei der Abspaltung von H a l o g e n w a s s e r s t o f f e n aus den A l k y l h a l o g e n i d e n zu Olef i n e n (S. 87), sowie bei der Verwendung der Alkoholate als K o n d e n s a t i o n s m i t t e l für zahlreiche K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n e n (vgl. z. B. I, Kap. 12, I I I , 2e) der Fall. Für ihre praktische Handhabung ist die Tatsache von Bedeutung, daß mit Ausnahme der M e t h y l a t e alle Alkalimetallalkoholate in L ö s u n g und besonders in l ö s u n g s m i t t e l f r e i e m Z u s t a n d bei längerem Stehen an der Luft v e r h a r z e n . Die Reaktion ist auf eine geringfügige primäre O x y d a t i o n des Alkoholates zur O x o v e r b i n d u n g zurückzuführen, die dann anschließend in dem s t a r k a l k a l i s c h e n M e d i u m die eigentliche Verharzung (wahrscheinlich eine „ K o n d e n s a t i o n zu h o c h m o l e k u l a r e n P r o d u k t e n " im Sinne der auf S. 247 u. 267 beschriebenen Reaktionen) erleidet. Die Alkoholate werden wegen dieses Verhaltens niemals in Substanz oder auf Vorrat hergestellt, sondern ihre Lösungen für den jeweiligen Zweck f r i s c h b e r e i t e t . Lediglich N a t r i u m m e t h y l a t l ö s u n g e n halten infolge der größeren Luftbeständigkeit längere Zeit den T i t e r k o n s t a n t und eignen sich daher in erster Linie zu a c i d i m e t r i s c h e n T i t r a t i o n e n in a l k o h o l i s c h e r L ö s u n g .

Die Erdalkalimetallalkoholate entstehen ebenfalls bei der Einwirkung der f r e i e n M e t a l l e auf die A l k o h o l e und haben wie die Alkalimetallderivate s t a r k b a s i s c h e n C h a r a k t e r , so daß sie zu den gleichen Reaktionen wie diese befähigt sind. Am wichtigsten sind die Magnesiumverbindungen der n i e d e r e n A l k o h o l e , die mit W a s s e r sofort u n l ö s l i c h e s M a g n e s i u m o x y d abscheiden, worauf ihre Eignung zur T r o c k n u n g d e r A l k o h o l e beruht (S. 183, 185). Die Magnesiumverbindungen der h ö h e r e n A l k o h o l e entstehen nach dem zweiten der oben angeführten Darstellungsverfahren bei der Einwirkung der Alkohole auf G R I G N A R D V e r b i n d u n g e n und sind daher vielfach die am l e i c h t e s t e n z u g ä n g l i c h e n Metallderivate dieser Stoffe. Bariummethylat- und -äthylat-Lösungen werden meistens nach dem dritten Verfahren durch gegenseitige Fällung äquimolekularer Lösungen von B a r i u m p e r c h l o r a t und K a l i u m a l k o h o l a t in absolutem Alkohol gewonnen und lassen sich ebenso gut titrieren, wie w ä ß r i g e B a r i u m h y d r o x y d l ö s u n g e n .

Von den E r d m e t a l l d e r i v a t e n haben lediglich die Aluminiumalkoholate allgemeines Interesse erlangt. Sie können wegen der schützenden A l u m i n i u m o x y d h a u t nicht mehr durch Einwirkung der Alkohole auf das f r e i e M e t a l l selbst dargestellt werden, sondern entstehen, wie auch die H y d r o x y d e , nur bei Verwendung von A l u m i n i u m - a m a l g a m . In ihren Eigenschaften weichen sie bereits weitgehend von den vorbesprochenen i o n o g e n e n A l k o h o l a t e n ab und ähneln auch hierin wieder den M e t a l l h y d r o x y d e n bzw. O x y d e n . Während diese jedoch infolge der n i c h t i o n o g e n e n N a t u r d e r A I — O - B i n d u n g und der Tendenz zur Ausbildung von AI—0—AI-Brücken die Neigung zur Ausfällung als h o c h m o l e k u l a r e r N i e d e r s c h l a g aufweisen, führt die Ausbildung fester Atombindungen bei den A l k o h o l a t e n wegen des Pehlens der Möglichkeit der Brückenbildung zur Entstehung a b g e s c h l o s s e n e r E i n z e l m o l e k ü l e . Aluminiumäthylat ist infolgedessen eine bei 134° schmelzende und bei 320° siedende benzollösliche Substanz,

Die Ester

195

die in ihren Eigenschaften einen ähnlichen Übergangstypus zwischen den i o n o g e n e n M e t a l l a l k o h o l a t e n und den unten beschriebenen S ä u r e e s t e r n darstellt, wie das a m p h o t e r e A l u m i n i u m h y d r o x y d zwischen den stark basischen A l k a l i und E r d a l k a l i m e t a l l h y d r o x y d e n einerseits und den als Säuren fungierenden H y d r o x y V e r b i n d u n g e n d e r N i c h t m e t a l l e andererseits. Trotzdem vermag es als echtes Metallalkoholat die 0 — ß - G r u p p e zumindest noch „ k r y p t o - i o n o g e n " (bzgl. der Definition vgl. II, K a p . 4, I I , 1, c) abzudissoziieren, und erleidet infolgedessen in Gegenwart von W a s s e r rasch H y d r o l y s e . Die nahen Beziehungen zwischen den A l k o h o l a t e n und S ä u r e e s t e r n der amphoteren Elemente kommen u. a. auch in der gleichartigen Tendenz der A l u m i n i u m a l k o h o l a t e und B o r s ä u r e e s t e r (s. unten, S. 205) zum Ausdruck, ein v i e r t e s A l k o h o l m o l e k ü l an die f r e i e K o o r d i n a t i o n s s t e l l e des Zentralatoms unter Bildung einer gegen Wasser beständigen K o m p l e x v e r b i n d u n g anzulagern: R—(X

,0—R

)A/

+

sR

0\

R—0

H Aluminiumalkoholat

II—(X



,0—R

/Al( R—O yO—R H komplexe Alkoxysäure

Infolge der O n i u m n a t u r des koordinativ gebundenen S a u e r s t o f f s wird die Acidität de3 Alkoholwasserstoffs in diesen Tetra-alkoxy-aluminiumsäuren derart e r h ö h t , daß sie als Säuren s c h a r f t i t r i e r b a r werden. Die Fähigkeit zur Komplexbildung ist für die praktisch wichtigste Anwendungsmöglichkeit der Aluminiumalkoholate (insbesondere des A l u m i n i u m i s o p r o p y l a t e s ) als R e d u k t i o n s m i t t e l für C a r b o n y l v e r b i n d u n g e n nach M E E R W E I N P O N N D O R F (S. 2 4 0 ) von ausschlaggebender Bedeutung. Die Alkoholate sämtlicher anderen Metalle, insbesondere die der S c h w e r m e t a l l e , sind bisher nur in wenigen Fällen dargestellt worden und haben lediglich eine u n t e r g e o r d n e t e B e d e u t u n g erlangt.

b) D i e E s t e r I n den Estern ist der Wasserstoff der alkoholischen Hydroxylgruppe durch einen S ä u r e r e s t ersetzt. Sie besitzen daher die allgemeine Formel R— O— Ac und müssen infolge der beschriebenen D o p p e l n a t u r der Alkoholderivate gleichzeitig als S ä u r e a b k ö m m l i n g e aufgefaßt werden, in denen der charakteristische Wasserstoff der Säure H—O—Ac durch einen A l k y l r e s t ersetzt ist, eine Auffassung, die dem a l l g e m e i n e n V e r h a l t e n der Ester auch weitgehend entspricht. Ihre Benennung geschieht meistens nach der zugehörigen S ä u r e , indem man an den S ä u r e n a m e n den Namen des betreffenden A l k y l r e s t e s und den Gruppennamen -ester anhängt, sowie bei mehrbasigen Säuren die Z a h l der veresterten Oxygruppen in der üblichen Weise durch ein zwischengeschaltetes g r i e c h i s c h e s Z a h l w o r t wiedergibt, so daß Namen wie Salpetersäure-äthylester, Schwefelsäure-dimethylester usw. entstehen. Zu wesentlich kürzeren Bezeichnungen kommt man durch Verwendung der für die S a l z e der betreffenden Säuren gebräuchlichen Nomenklatur, indem man in Analogie zur Benennung der A l k y l h a l o g e n i d e die Ester kurzerhand als A l k y l d e r i v a t e d e r S ä u r e n (z. B. Äthylnitrat, Dimethylsulfat usw.) bezeichnet 1 ). r

) Diese zweite Benennungsart ist in erster Linie auf die gleiche f o r m e l m ä ß i g e Zus a m m e n s e t z u n g der E s t e r und S a l z e zurückzuführen, darf aber niemals dazu verleiten, auch g l e i c h e B i n d u n g s v e r h ä l t n i s s e in beiden Verbindungsklassen anzunehmen, d. h. die Ester wirklich als S a l z e zu formulieren. Denn im Gegensatz zu den Salzen stehen in den Estern die Alkylreste n i c h t a l s C a r b e n i u m k a t i o n e n (S. 35) den S ä u r e a n i o n e n gegen13»

196

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

Nur in den wenigen Fällen, in denen die a l k o h o l i s c h e K o m p o n e n t e der charakteristische Teil des Estermoleküls ist, namentlich bei den E s t e r n k o m p l i z i e r t e r A l k o h o l e m i t e i n f a c h e n S ä u r e n , wird dem Ester der N a m e d e s A l k o h o l s zugrunde gelegt, indem man diesem in der üblichen Weise den Namen des substituierenden Säureradikals voranstellt, wie es etwa in Triacetylcellulose, Trinitroglycerin usw. der Fall ist. Diese Bezeichnungen sind aber insofern i r r e f ü h r e n d , als hier die A c e t y l - oder N i t r o g r u p p e ein am S a u e r s t o f f und nicht, wie allgemein in der organischen Nomenklatur üblich, ein am K o h l e n s t o f f befindliches Wasserstoffatom ersetzt, so daß für die wirklich am Kohlenstoff substituierten Verbindungen keine Namen mehr verfügbar sind. Man zieht daher neuerdings die e x a k t e r e n Bezeichnungen Cellulosetriacetat, Glycerintrinitrat usw. vor. Für die Darstellung der Ester stehen v i e r verschiedene Methoden zur Verfügung: 1. die schon behandelte A n l a g e r u n g v o n S ä u r e n an O l e f i n e (S. 92f.), die u. U. sogar über die Ester zur D a r s t e l l u n g der A l k o h o l e selbst dienen kann. 2. die direkte W a s s e r a b s p a l t u n g aus Säure und A l k o h o l , 3. die A l k y l i e r u n g einer Säure und 4. die A c y l i e r u n g e i n e s A l k o h o l s . Zu 2. Die Wasserabspaltung aus je einem Molekül Säure und Alkohol geht nach der summarischen Gleichung R—O—H + H—O—Ac

R—O—Ac + H 2 0

vor sich und führt stets zu einem G l e i c h g e w i c h t , dessen Einstellung nur bei s t a r k e n S ä u r e n mit g e n ü g e n d e r G e s c h w i n d i g k e i t erfolgt und bei s c h w a c h e n S ä u r e n durch Zugabe geringer Mengen einer s t a r k e n Säure oder von Komplexbildnern ( B o r t r i f l u o r i d , Z i n k c h l o r i d usw., die mit dem Alkohol eine s t a r k e k o m p l e x e S ä u r e bilden, vgl. S. 180) beschleunigt werden muß. Auf den M e c h a n i s m u s dieser Katalyse werden wir später noch eingehend zu sprechen kommen (II, Kap. 3, I, 4 und Kap. 4, II, 2a). Zuweilen wird Schwefelsäure auch in übers t ö c h i o m e t r i s c h e n Mengen zugegeben, um durch A b f a n g e n des gebildeten W a s s e r s das Reaktionsgleichgewicht in dem gewünschten Sinn zu verschieben. In diesem Falle liegt natürlich k e i n e r e i n e K a t a l y s e mehr vor (vgl. S. 42).

Zu 8. Um die Einstellung des vielfach ungünstigen Reaktionsgleichgewichtes nach der eben beschriebenen Methode zu vermeiden, kann man statt des Alkohols auch s t ä r k e r a l k y l i e r e n d w i r k e n d e A l k y l v e r b i n d u n g e n verwenden, indem man in der auf S. 198 beschriebenen Weise ein m ö g l i c h s t s t a r k e s A l k y l i e r u n g s m i t t e l mit m ö g l i c h s t b a s i s c h e n S ä u r e d e r i v a t e n , d. h. ihren S a l z e n bzw. A n i o n e n umsetzt: Ac—OMe + Hai

lt

> Ac—O—R + MeHal

Für die A l k y l h a l o g e n i d e als A l k y l i e r u n g s m i t t e l verwendet man zweckmäßig die S i l b e r s a l z e der Säuren, da dann die große Bildungstendenz der Silberh a l o g e n i d e den Ablauf der Reaktion z u s ä t z l i c h b e g ü n s t i g t (S. 325). Zu 4. Schließlich ist es auch möglich, statt der Säure selbst ein a k t i v e r e s S ä u r e d e r i v a t auf den Alkohol einwirken zu lassen, um auf diese Weise die Einüber ([R] + [®|0-—Ac] - ), sondern sind durch e c h t e — wenn auch p o l a r e — A t o m b i n d u n g e n an eines der einsamen Elektronenpaare des Säureanions gebunden, so daß k e i n e I o n e n g i t t e r , sondern n e u t r a l e E i n z e l m o l e k ü l e (R—O—Ac) entstehen. Lediglich in wenigen Ausnahmefällen, wie z. B. bei dem oben angeführten J r i t y l p e r c h l o r a t (S. 154), ist aus später zu erörternden Gründen eine i o n o g e n e A u f s p a l t u n g der Esterbindung möglich.

Die Esterspaltung

197

Stellung eines ungünstigen Reaktionsgleichgewichtes zu umgehen. Derartige aktive Säurederivate werden wir später in den g e m i s c h t e n S ä u r e a n h y d r i d e n der zu veresternden Säuren mit m ö g l i c h s t s t a r k e n a n d e r e n S ä u r e n , z. B. in den S ä u r e c h l o r i d e n , kennen lernen. Sie v/erAenAcylierungsmittel und die ganze Reaktion Acylierung (näheres vgl. S. 339 f. u. II, Kap. 4, I I , 4b) genannt. Sie geht in analoger Weise wie die A l k y l i e r u n g vor sich: R—0—H + Cl- Ac

>

R—0—Ac + HCl ,

und auch hier kann man durchZusatz b a s i s c h e r R e a g e n t i e n (z. B. von P y r i d i n ) , die die in Freiheit gesetzte Säure binden, die Reaktion noch z u s ä t z l i c h a k t i vieren. Eigenschaften. Die meist dargestellten E s t e r d e r n i e d e r e n A l k o h o l e sind angenehm riechende, farblose Flüssigkeiten, die wegen des Fehlens des assoziierenden Wasserstoffs viel n i e d r i g e r s i e d e n als die S ä u r e n selbst, ähnlich wie auch die A l k o h o l e niedriger sieden als W a s s e r und die Ä t h e r (s. unten) wieder niedriger als die A l k o h o l e . Die S c h m e l z p u n k t e der Ester liegen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sehr t i e f , so daß, namentlich bei h o c h s i e d e n d e n E s t e r n mit stark v e r z w e i g t e n Molekülen, der flüssige Zustand über ein breites T e m p e r a t u r i n v a l l vorherrscht. Hinsichtlich der L ö s l i c h k e i t s e i g e n s c h a f t e n schließen sich die Ester, wiederum infolge des Fehlens von assoziierendem Wasserstoff, den o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n an, d. h. sie sind l i p o p h i l und im allgemeinen auch hydrophob. Doch ist auf Grund des Sauerstoffgehaltes das allgemeine Lösungsvermögen gegenüber den Kohlenwasserstoffen und Halogenverbindungen wesentlich e r h ö h t und einige der niederen Glieder der Reihe, insbesondere zahlreiche M e t h y l e s t e r , sind bereits merklich wasserlöslich.

Das ehemische Verhalten der Ester wird fast ausschließlich d u r c h d e n S ä u r e r e s t bedingt, da dieser die Spaltungstendenz sowohl der 0—Ac- als auch der O—RBindung wesentlich b e e i n f l u ß t . A n n e u a r t i g e n R e a k t i o n e n zeigen die Ester, abgesehen von den erst später zu behandelnden Umsetzungen des A c y l r e s t e s d e r C a r b o n s ä u r e e s t e r , lediglich die verschiedenen Möglichkeiten der W i e d e r a u f s p a l t u n g d e r E s t e r b i n d u n g , von denen wir d r e i unterscheiden müssen, die die U m k e h r r e a k t i o n e n der oben beschriebenen Bildungsweisen darstellen: 1. die bereits behandelte A b s p a l t u n g d e r S ä u r e unter O l e f i n b i l d u n g (S. 86), 2. die s o l v o l y t i s c h e S p a l t u n g d e r E s t e r a n d e r R-—0- und 3. die s o l v o l y tische S p a l t u n g der E s t e r an der Ac—O-Bindung. Zu 2. Die solvolytische Spaltung der R—O-Bindung, z . B . mit A m m o n i a k , verläuft nach der Gleichung: R:—O—Ac + H—NH.2

>

R—NH 2 + HO—Ac,

kommt also praktisch auf eine A l k y l i e r u n g d e s A m m o n i a k s hinaus. Ester können demnach analog den A l k y l h a l o g e n i d e n als A l k y l i e r u n g s m i t t e l dienen. Hierbei gilt die a l l g e m e i n e R e g e l , daß die Tendenz eines Esters zur Ü b e r t r a g u n g d e s A l k y l r e s t e s auf basische Reagentien der A c i d i t ä t d e r v e r e s t e r t e n S ä u r e , d. h. der Tendenz zur Ü b e r t r a g u n g d e s P r o t o n s auf die gleiche basische Verbindung parallel läuft. E s t e r s t a r k e r S ä u r e n , wie z . B . D i m e t h y l s u l f a t oder aromatische S u l f o n s ä u r e e s t e r sind daher wichtige A l k y l i e r u n g s m i t t e l . Die Alkylierungsreaktion rückt infolge dieser Parallelität von Alkylierungstendenz der Ester und Acidität der zugehörigen Säuren in eine nahe Beziehung zur S ä u r e - B a s e r e a k t i o n , die wir später auch t h e o r e t i s c h begründen können, denn bei der Alky-

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

198

lierungsreaktion wandert der Alkylrest in gleicher Weise als K a t i o n (Carbenium-ion) von dem zurückbleibenden S ä u r e a n i o n zur B a s e wie das P r o t o n bei jedem P r o t o n e n ü b e r g a n g (vgl. II, Kap. 4, II, 4b): Ac

O

R + ;x-

Ac—O— H + | x H ••••'

Alkylierun8 Pr ot( en K "' '

ubergang

v

Ac—0~ + R—X

> A c - 0~ i ir—X

Diese wichtige Erkenntnis erklärt sofort eine Reihe von G e s e t z m ä ß i g k e i t e n , die man bei a l l e n A l k y l i e r u n g s r e a k t i o n e n beobachtet, und die auch den Verlauf der früher bereits beschriebenen Alkylierungsreaktionen verständlich machen: a) die bereits erwähnte Regel, daß die A l k y l i e r u n g s t e n d e n z der Alkylierungsmittel in erster Näherung d e r A c i d i t ä t d e r z u g r u n d e l i e g e n d e n S ä u r e parallel läuft. Dementsprechend stufen sich die gebräuchlichen Alkylierungsmittel hinsichtlich ihrer Stärke etwa folgendermaßen ab: Dialkylsulfate > Alkyljodide > Alkylbromide > Alkylchloride > Arylsulfonsäureester > Alkylfluoride > Alkohole. b) Die Alkylierungstendenz der nur noch sehr s c h w a c h s a u r e n A l k o h o l e kann man in gleicher Weise durch O n i u m s a l z - oder sonstige K o m p l e x b i l d u n g steigern wie ihre A c i d i t ä t . Aus diesem Grunde eignen sich Säuren, die die Alkohole in die stark sauren [R—0H 2 ] + -Ionen überführen, oder die auf S. 180 beschriebenen K o m p l e x b i l d n e r als K a t a l y s a t o r e n f ü r die mit Alkoholen durchzuführenden Alkylierungsreaktionen (vgl. I, Kap. 6,1, la c) Die Übertragung des Alkylkations kann nur auf b a s i s c h e V e r b i n d u n g e n , d. h. Verbindungen mit einem e i n s a m e n E l e k t r o n e n p a a r erfolgen, und die Alkylierungstendenz ist um so g r ö ß e r , je s t ä r k e r b a s i s c h die zu alkylierende Verbindung ist. Aus diesem Grunde wählt man als Reaktionspartner nach Möglichkeit nicht die zu alkylierende Wasserstoffverbindung, sondern deren M e t a l l s a l z e , d. h. deren s t ä r k e r b a s i s c h e Anionen.

Zu 3. Eine analoge Spaltung der Ac—O-Bindung unter der Einwirkung b a s i s c h e r R e a g e n t i e n ist im allgemeinen um so s c h w i e r i g e r durchzuführen, je s t ä r k e r s a u e r die den Estern zugrunde Hegende S ä u r e ist. Betrachten wir einmal die Alkyoxyverbindungen der Elemente der dritten Periode: NaOR, Mg(OR)a, Al(OR)3, Si(OR)4, PO(OR) 3 , S0 2 (0R) 2 , C10 3 0R

so nimmt die Neigung zur A b d i s s o z i a t i o n d e s O R - R e s t e s a l s A n i o n und damit zu seiner S u b s t i t u t i o n durch andere negative Reste von links nach rechts eindeutig ab. N a t r i u m - u n d M a g n e s i u m a l k o h o l a t , die sich von stark basischen Metallhydroxyden ableiten, sind noch i o n o g e n e s a l z a r t i g e V e r b i n d u n g e n , während die sich von nahezu neutralen Hydroxyverbindungen ableitenden A l u m i n i u m a l k o h o l a t e und K i e s e l s ä u r e e s t e r bereits aus E i n z e l m o l e k ü l e n bestehen, jedoch noch mit W a s s e r unter Spaltung der „Ac—O-Bindung" h y d r o l y s i e r e n , und bei den Derivaten der a u s g e s p r o c h e n e n S ä u r e n H 3 P 0 4 , H 2 S 0 4 und HC104 schließlich jede Neigung zur Spaltung der Ac—O-Bindung v ö l l i g v e r s c h w i n d e t . Mit Ausnahme der Kieselsäureester sind die „normalen" Ester daher nicht zur Substitution der gesamten OR-Gruppe befähigt. Die Verhältnisse ändern sich jedoch sofort, wenn sich der zu spaltende Ester von einer Säure ableitet, die ein d o p p e l t g e b u n d e n e s O - A t o m in der S ä u r e g r u p p e enthält, wie etwa eine C a r b o n s ä u r e und auch die s a l p e t r i g e S ä u r e , denn hier kann die C = 0 - bzw. N = 0 - D o p p e l b i n d u n g in die Reaktion eingreifen, indem sie intermediär das spaltende Agens zu einem labilen O r t h o s ä u r e d e r i v a t anlagert, das dann (neben der an sich auch möglichen R ü c k r e a k t i o n seiner Bildung) in a n d e r e r

Die Esterspaltung

199

Richtung wieder aufspaltet, so daß sich im Endeffekt eine S u b s t i t u t i o n an der Acyl-Gruppe ergibt: R' X

0-R

Carbonsäureester

^ -|X"

R'—C—X \0K

Ä

Orthocarbonsäure-derivat

Diese indirekte Lösung der O—Ac-Bindung geht immer wesentlich schneller vor sich als die alkylierende Spaltung der Ester der starken Minneralsäuren. Sie herrscht daher bei den Estern der relativ schwachen Carbonsäuren und der salpetrigen Säure ausschließlich vor und wird, da sie letzten Endes auf eine Übertragung des Acylrestes auf andere negative Atomgruppen herauskommt, allgemein als Acylierungsreaktion bezeichnet. Im Gegensatz zu den Schwefelsäureestern, die als Alkylierungsmittel bei der Reaktion mit Ammoniak immer Alkylamine liefern, wirken die Carbonsäureester also als Acylierungsmittel und setzen sich mit Ammoniak zu Säureamiden um. Zwischen a l k y l i e r e n d und a c y l i e r e n d s p a l t e n d e n E s t e r n kann man fast immer s t r e n g u n t e r s c h e i d e n . Mit Ausnahme der Kieselsäureester können sämtliche Ester von Säuren, deren Säuregruppe nur e i n f a c h oder s e m i p o l a r g e b u n d e n e O - A t o m e enthält, nur a l k y l i e r e n d gespalten werden, auch wenn die Säuren nur s c h w a c h sind, wie z. B . die E s t e r der s c h w e f l i g e n und p h o s p h o r i g e n S ä u r e . Auf der anderen Seite können sämtliche Ester von Säuren mit d o p p e l t g e b u n d e n e n O - A t o m e n in der Säuregruppe, insbesondere sämtliche C a r b o n s ä u r e e s t e r , wegen der im allgemeinen wesentlich r a s c h e r erfolgenden Acylierungsreaktion nur a c y l i e r e n d gespalten werden. Lediglich die S a l p e t e r s ä u r e e s t e r machen eine Ausnahme und können aus den unten angeführten Gründen nach b e i d e n M e c h a n i s m e n reagieren.

Diese scharfe gegenseitige Abgrenzung der alkylierenden und acylierenden Esterspaltung war mit den alten Wertigkeitsformeln, die auch die Schwefelsäure mit d o p p e l t g e b u n d e n e m S a u e r s t o f f f o r m u l i e r t e n : q = S — O H '

noch nicht möglich, sondern konnte erst nach Einführung des Begriffes der semipolaren Bindung exakt durchgeführt werden. Sie war einer der ersten großen Erfolge der Elektronentheorie der Valenz. Von den verschiedenen Spaltungsmöglichkeiten ist am wichtigsten die allgemein als „Verseifung" (bzgl. der Entstehung des Namens vgl. HI, Kap. 6, I, 1) bezeichnete hydrolytische Spaltung der E s t e r , die bei beiden Reaktionsmechanismen zu den gleichen Reaktionsprodukten führt: R'—S0 2 —O—R + HO—H R'

(r : M)—R + H — OH

v

R'—S0 2 —OH + R—OH



R'—cf \OH + R ^ O H

,

so daß man auf Grund der Tatsache der Verseifung allein den Reaktionstypus noch nicht bestimmen kann1). Die Reaktion geht ohne K a t a l y s a t o r meistens auch Dieses ist jedoch häufig mit Hilfe der N e b e n r e a k t i o n e n möglich. So kann z.B. nur bei der a l k y l i e r e n d e n S p a l t u n g der R—O-Bindung das dem Alkohol entsprechende Olejin als Nebenprodukt auftreten oder an dem die alkoholische Hydroxylgruppe tragenden C-Atom WALDENSche Umkehr erfolgen (II, Kap. 7, III, 3). Bei der a c y l i e r e n d e n S p a l t u n g entsteht dagegen die alkoholische Komponente immer ohne j e d e s N e b e n p r o d u k t , doch ist hierbei p a r t i e l l veresterten Polyalkoholen eine A c y l Wanderung (S.418) als Nebenreaktion möglich.

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

200

in der Siedehitze nur s e h r l a n g s a m vor sich, so daß sie durch zugesetzte A k t i v a t o r e n beschleunigt werden muß. Hierzu eignen sich insbesondere s t a r k e Alk a l i e n (Alkali- und E r d a l k a l i m e t a l l h y d r o x y d e ) , die allerdings infolge der N e u t r a l i s a t i o n der entstehenden Säure in die Reaktion eingreifen und daher nicht mehr rein katalytisch wirken (vgl. S. 42). Daneben ist aber auch eine e c h t k a t a l y t i s c h e Beschleunigung der Esterspaltung durch s t a r k e S ä u r e n möglich. Sie verläuft im allgemeinen wesentlich l a n g s a m e r als die alkalische Esterspaltung, so daß man die Ester in erster Näherung als s ä u r e s t a b i l e und a l k a l i l a b i l e Alkohol- bzw. Säurederivate ansehen kann. Von den sonstigen Spaltungsreaktionen haben insbesondere die oben als Reaktionsbeispiel angeführte Aminolyse und die a l k o h o l y t i s c h e E s t e r s p a l t u n g allgemeine Bedeutung erlangt. Beide Reaktionen führen im Gegensatz zur Hydrolyse bei den verschiedenen Estertypen zu v e r s c h i e d e n e n R e a k t i o n s p r o d u k t e n und zwar wird bei den a l k y l i e r e n d reagierenden Estern s t a r k e r S ä u r e n jeweils nur die S ä u r e - und bei den a c y l i e r e n d reagierenden Carbonsäureestern jeweils nur die A l k o h o l - K o m p o n e n t e in Freiheit gesetzt, während die andere Komponente stets in g e b u n d e n e r F o r m anfallt: R'—S02—OH

+ R—O—CH 3

Alkoholyse

(CH-OH)

R'—SO,—O— R

R'—S0 2 —OH + R—NH 2

Aminolyse

(NH.)

Äther

R—OH + R'— CO—O—CH3 Carbonsäure- ester

Alkyl-amin Alkoholyse

*7ch^-OH)

R'—CO -OR

Aminolyse

(NH.)

R—OH

^

+ R ' _ CO—NH 2 Carbonsäureami d

Da die Alkoholyse der Ester schwacher Säuren stets zu einem n e u e n E s t e r führt, wird sie auch „Umcsterung" genannt. Sie spielt in der C a r b o n s ä u r e r e i h e eine wichtige Rolle (S. 328), während die Alkoholyse der Ester starker Säuren weniger als Spaltungsreaktion sondern hauptsächlich als D a r s t e l l u n g s v e r f a h r e n f ü r Ä t h e r (S. 208) von Interesse ist. Einzelverbindungen. Da die Eigenschaften der Ester hauptsächlich durch den zugehörigen S ä u r e r e s t bedingt sind, beschränkt sich der folgende Überblick zunächst auf die Ester der anorganischen Säuren, während die für den Organiker wichtigeren C a r b o n s ä u r e e s t e r erst später bei den C a r b o n s ä u r e d e r i v a t e n behandelt werden (vgl. S. 325). Als Ester der Halogenwasserstoffsäuren können in gewissem Sinne die A l k y l h a l o g e n i d e aufgefaßt werden, doch stellen sie insofern k e i n e e c h t e n E s t e r dar, als sie k e i n e n B r ü c k e n s a u e r s t o f f enthalten und infolgedessen nicht die beschriebene Doppelnatur aufweisen. Sie sind S ä u r e - , aber k e i n e A l k o h o l d e r i v a t e (im engeren Sinne) und können daher u. a. nur Spaltung nach dem A l k y l i e r u n g s m e c h a n i s m u s erleiden, worauf auch ihre Verwendung als A l k y l i e r u n g s m i t t e l beruht. Die Ester der Sauerstoffsäuren der Halogene sind äußerst z e r s e t z l i c h e und e x p l o s i b l e Substanzen. Sie haben daher nur untergeordnete Bedeutung erlangt.

Von der S c h w e f e l s ä u r e leiten sich z w e i R e i h e n von Estern ab, und zwar 1. die als Monoalkylsulfate oder Alkylschwejelsäuren bezeichneten s a u r e n S c h w e f e l s ä u r e h a l b e s t e r (R-—O—S0 3 H) und 2. die n e u t r a l e n S c h w e f e l s ä u r e e s t e r oder Dialkylsuljate (R—0—S0 2 —O-—R). Erstere entstehen aus den A l k o h o l e n und S c h w e f e l s ä u r e bereits b e i g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r und werden meistens auch auf diesem Wege sowie durch Anlagerung von S c h w e f e l s ä u r e an die o l e f i n i s c h e D o p p e l b i n d u n g (S. 93) gewonnen, während die ebenfalls mögliche Bildung aus A l k o h o l e n und C h l o r s u l f o n s ä u r e (Gleichung formulieren!)

Eater anorganischer Säuren

201

nur von geringer Bedeutung geblieben ist. Die freien Alkylschwefelsäuren sind schlecht kristallisierende, nicht -destillierbare Verbindungen, die sich nur schwer rein darstellen lassen. Lediglich die Abtrennung von der von der Darstellung her noch anhaftenden S c h w e f e l s ä u r e ist ziemlich einfach und geschieht meistens über die im Gegensatz zum B a r i u m s u l f a t in Wasser gut löslichen B a r i u m s a l z e . Die a l k y l i e r e n d e W i r k u n g der Alkylschwefelsäuren ist m e r k l i c h g e r i n g e r als die der Dialkylsulfate, ähnlich wie ja auch die A c i d i t ä t des z w e i t e n H - A t o m s der Schwefelsäure wesentlich geringer ist als die des ersten. Infolgedessen sind sie bei normaler Temperatur g e g e n W a s s e r ziemlich s t a b i l . In der Praxis dienen sie als m i l d e A l k y l i e r u n g s m i t t e l , insbesondere in Form der gut kristallisierten Alkalisalze. Die Salze der Schwefelsäurehalbester der h ö h e r e n A l k o h o l e , die sogenannten Fettalkoholsulfonate haben bei g e n ü g e n d e r K e t t e n l ä n g e des Alkylrestes s e i f e n ä h n l i c h e E i g e n s c h a f t e n (II, Kap. 6, II, 2) und dienen daher als s y n t h e t i s c h e W a s c h m i t t e l . Ihre Darstellung geschieht durch Anlagerung von S c h w e f e l s ä u r e an die entsprechenden O l e f i n e oder auch durch direkte Veresterung der A l k o h o l e .

Die Dialkylsulfate entstehen bei der Vakuumdestillation der A l k y l s c h w e f e l s ä u r e n unter Herausspaltung von S c h w e f e l s ä u r e sowie durch direkte Einwirkung von S 0 3 auf A l k o h o l e oder Ä t h e r : O Sie sind farblose, ziemlich hoch siedende Flüssigkeiten ( D i m e t h y l s u l f a t 189°, D i ä t h y l s u l f a t 208°) und zeichnen sich vor allem durch ihre s t a r k e A l k y l i e r u n g s t e n d e n z aus, die sich u. a. in der gegenüber anderen Estern auffallend leichten Spaltbarkeit bereits durch reines W a s s e r äußert. Dimethylsulfat ist nach den beiden genannten Verfahren leicht zugänglich und hat vielseitige Verwendung als b i l l i g s t e s technisches und präparatives M e t h y l i e r u n g s m i t t e l gefunden. In gleicherweise dient Diäthylsulfat als Ä t h y l i e r u n g s m i t t e l , doch lassen sich die höheren Dialkylsulfate wegen der hier möglichen O l e f i n s p a l t u n g der Alkylschwefelsäuren nur noch relativ s c h w i e r i g darstellen, so daß sie an Bedeutung hinter dem Dimethylsulfat zurückstehen. Die Dialkylsulfate sind sehr s t a r k e A t m u n g s g i f t e , weil ihre Dämpfe in der Lunge zu freier Schwefelsäure verseift werden. Ihre Gefährlichkeit wird noch dadurch erhöht, daß sie n a h e z u g e r u c h l o s sind und die Giftwirkung erst nach l ä n g e r e r Z e i t in Erscheinung tritt. Bei unvorsichtigem Arbeiten mit Dimethylsulfat sind daher schon öfters t ö d l i c h e L a b o r a t o r i u m s u n f ä l l e vorgekommen.

Von der schwefligen Säure sind ebenfalls z w e i R e i h e n v o n E s t e r n bekannt, von denen wir hier nur auf die wichtigeren n e u t r a l e n E s t e r einzugehen brauchen. Sie entstehen aus A l k o h o l e n und T h i o n y l c h l o r i d in einer Z w e i s t u f e n r e a k t i o n , so daß man nach W. Voss bei Verwendung v e r s c h i e d e n e r A l k o h o l e bei den einzelnen Reaktionsstufen auch g e m i s c h t e E s t e r herstellen kann:

R

+ HiO—R' — HCl >

.0—R' OS:

\

O—R

Diese Bildung der Schwefligsäureester ist allerdings n i c h t m i t a l l e n A l k o h o l e n durchführbar, da Thionylchlorid nicht nur v e r e s t e r n d sondern auch c h l o r i e r e n d

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

202

(vgl. S. 149) auf Alkohole einwirkt und sich beide Reaktionen niemals vollständig voneinander trennen lassen. Schwefligsäureester wirken trotz der s c h w a c h e n A c i d i t ä t der freien Säure infolge des Fehlens von Sauerstoffdoppelbindungen s c h w a c h a l k y l i e r e n d und werden auch als m i l d e A l k y l i e r u n g s m i t t e l verwandt. Weiterhin übertragen sie bei der großen Bildungstendenz des S c h w e f e l d i o x y d s leicht beide Alkoxylgruppen auf Verbindungen mit doppelt gebundenem Sauerstoff ,0—R

o s i x,

0—R

+

CH 3 X ;c=o CH/

CH 3 X

v so2+

CK/

y

;c(

0R

\0R

eine Reaktion, die wir später (S. 278) als U m a c e t a l i s i e r u n g s r e a k t i o n kennenlernen werden und die auch präparativ ausgewertet wird.

Als weitere interessante Reaktionen der Dialkylsulfite muß die U m l a g e r u n g zu d e n i s o m e r e n A l k y l s u l f o n s ä u r e e s t e r n erwähnt werden, die unter der katalytischen Einwirkung von A l k a l i j o d i d e n oder auch - r h o d a n i d e n vor sich geht: 0

t > IS—O—R 1

IR:—O

O

t >- R—S—O—R i

O

Alkylsulionsäureester

Sie stellt eine i n n e r m o l e k u l a r e A l k y l i e r u n g des einsamen Elektronenpaares am S c h w e f e l a t o m dar, die in jeder Beziehung der Wanderung des Protons bei der gegenseitigen Umwandlung der beiden t a u t o m e r e n F o r m e n d e r s c h w e f l i g e n S ä u r e entspricht (formulieren!). Durch die gegenüber dem Protonenübergang l a n g s a m e r e Wanderung der Alkylgruppen sind bei den Estern jedoch beide Formen n e b e n e i n a n d e r beständig, und man spricht daher n i c h t m e h r von einer T a u t o m e r i e , sondern von einer U m l a g e r u n g .

Die Ester der Salpetersäure werden allgemein aus den A l k o h o l e n und konzentrierter S a l p e t e r s ä u r e nach dem oben unter 2 genannten Verfahren gewonnen, wobei man entweder den Ester laufend aus dem Gleichgewichtsgemisch abdestilliert, oder aber bei der Darstellung der nicht destillierbaren E s t e r h ö h e r e r A l k o h o l e (z.B. Glycerin- oder Cellulose-trinitrat) S c h w e f e l s ä u r e zur Bindung des bei der Reaktion entstehenden W a s s e r s verwendet, d. h. die Reaktion wie eine „ N i t r i e r u n g " (I, Kap. 6, IV, 1) durchführt. Ferner setzt man zur Verhütimg von O x y d a t i o n s r e a k t i o n e n häufig H a r n s t o f f zu (vgl. S. 401). Die Salpetersäureester wirken als E s t e r s t a r k e r S ä u r e n in erster Linie a l k y l i e r e n d auf A m i n e und verwandte Verbindungen ein (Gleichung formulieren!). Doch können sie infolge des Vorliegens einer (allerdings durch M e s o m e r i e in ihrer Reaktionsfähigkeit s t a r k g e s c h w ä c h t e n , vgl. II, Kap. 3, III, 2) N = 0 D o p p e l b i n d u n g auch A c y l i e r u n g s r e a k t i o n e n eingehen, d. h. die NitroGruppe auf andere Moleküle übertragen, wovon z. B. bei einigen K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n e n praktischer Gebrauch gemacht wird (vgl. I, Kap. 6, IV, 1). Äthylnitrat C 2 H 5 —O—N0 2 ist wegen seiner gegenüber M e t h y l n i t r a t etwas gesteigerten Stabilität der präparativ wichtigste Salpetersäureester der n i e d e r e n A l k o h o l e und dient bei zahlreichen, in a l k a l i s c h - a l k o h o l i s c h e m M e d i u m stattfindenden Reaktionen, z. B. bei den erwähnten K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n e n , an Stelle der Salpetersäure als N i t r i e r u n g s m i t t e l . Die Salpetersäureester der P o l y a l k o h o l e , vor allem G l y c e r i n t r i n i t r a t , C e l l u l o s e t r i n i t r a t usw., dienen in der Technik als S p r e n g s t o f f e , da sie die zur v o l l s t ä n d i g e n V e r b r e n n u n g (Vergasung) des organischen Molekülteils erforderlichen Sauerstoffatome bereits in reaktionsfähiger Form im M o l e k ü l e n t h a l t e n .

Ester anorganischer Säuren

203

Die Ester der salpetrigen Säure entstehen sehr leicht beim bloßen Zusammentreffen der A l k o h o l e mit freier s a l p e t r i g e r S ä u r e bzw. N 2 0 3 : R

0

II + ILO

-v

NO

R—0—N=0

Daneben können sie nach BOUVEAULT aber auch durch N i t r o s i e r u n g der Alkohole mit N i t r o s y l c h l o r i d (vgl. anorg. Lehrbücher) in Gegenwart von P y r i d i n als säureb i n d e n d e m Reaktionsmedium (Gleichung formulieren!) sowie durch A l k y l i e r u n g von A l k a l i n i t r i t e n mit A l k y l h a l o g e n i d e n oder anderen Alkylierungsmitteln gewonnen werden. In letzterem Talle tritt jedoch der Alkylrest, den beiden t a u t o m e r e n F o r m e n der s a l p e t r i g e n Säure entsprechend, nicht nur an eines der am S a u e r s t o f f , sondern auch an das am S t i c k s t o f f befindliche e i n s a m e E l e k t r o n e n p a a r des Nitutions, d. h. es entstehen neben den eigentlichen S a l p e t r i g s ä u r e e s t e r n stets auch die isomeren Nitrov e r b i n d u n g e n (I, Kap. 6, IV, 1) als Neben- und zuweilen sogar als Hauptprodukt: R

e r + 0=N—O—R -i—O ... I I I I OR OR OR OR Bei Verwendung von etwas weniger Wasser ist es möglich, einige der in freiem Zustand unbeständigen P o l y k i e s e l s ä u r e n in Form ihrer E s t e r zu stabilisieren. Insbesondere KONRAD (1929) ist es durch fraktionierte Destillation der bei dieser Reaktion erhaltenen Produkte gelungen, neben dem h o c h m o l e k u l a r e n M e t a k i e s e l s ä u r e e s t e r selbst auch alle n i e d e r e n G l i e d e r der R e i h e , nämlich die Ester der D i - , T r i - , T e t r a k i e s e l s ä u r e usw. bis zur Dek a k i e s e l s ä u r e als einheitliche Verbindungen zu isolieren. Von der Borsäure haben nur die Ester der O r t h o f o r m B(OH) 3 eine größere Bedeutung erlangt. Sie werden aus B o r t r i o x y d , dem betreffenden A l k o h o l und k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e sowie noch besser aus B o r s ä u r e - e s s i g s ä u r e - a n h y d r i d [B(OAc) 3 ] und dem betreffenden Alkohol hergestellt und zeichnen sich, ähnlich wie A l u m i n i u m a l k o h o l a t (S. 195), durch die Tendenz aus, ein v i e r t e s A l k o h o l m o l e k ü l unter Bildung von in wäßriger Lösung beständigen k o m p l e x e n S ä u r e n anzulagern: R—O. /B R—0X

,0—R

R—O.

yO—R

R—O

)0-R

+ HO—R

X

R—O^0//O—R R—O

/

B

\

H+ O—R

H' undissoziierte F o r m

dissoziierte F o r m

Diese Tetra-alkoxyborsäuren sind wesentlich s t ä r k e r sauer als Borsäure*selbst und lassen sich wie die entsprechenden Aluminiumverbindungen s c h a r f t i t r i e r e n . Ihre Bildung ist von besonderem Interesse bei den später zu besprechenden c y c l i s c h e n P o l y a l k o h o l e n , die nur bei c i s - S t e l l u n g der Oxy-Gruppen zur Bildung komplexer Borsäureester befähigt sind, so daß man aus der L e i t f ä h i g k e i t s e r h ö h u n g von Borsäure

206

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

in ihrer Gegenwart Rückschlüsse auf den s t e r i s c h e n B a u des betreffenden Alkohols ziehen kann (vgl. K , K a p . 7, I I , 4a). Als Ester des Hydroperoxyds können schließlich die Monoalkyl-hydroperoxyde und Didlkyl-peroxyde aufgefaßt werden, die bei der stufenweisen Alkylierung des H y d r o p e r o x y d s nach folgender Gleichung entstehen: R-Hal + H - O - O - H

— NaHal

R-O-O-H

+

B

l ~—° aNaHal +,*a0H v

Monoalkyl-hydroperoxyd

R-O-O-R Dialkyl-peroxyd

Eine weitere B i l d u n g s w e i s e der M o n o a l k y l p e r o x y d e , die allerdings zu ihrer D a r stellung weniger geeignet ist, haben wir oben (S. 99) in der A u t o x y d a t i o n ungesättigter Verbindungen am A l l y l k o h l e n s t o f f kennengelernt. Hinsichtlich ihrer p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n ähneln die Alkylperoxyde den entsprechenden Verbindungen mit nur e i n e m S a u e r s t o f f a t o m , wie aus dem folgenden Vergleich der Siedepunkte einiger M o n o - und D i a l k y l p e r o x y d e mit den zugehörigen A l k o h o l e n und Ä t h e r n hervorgeht:

Methylverbindung Sdp. Äthylverbindung Sdp.

Monoalkyl-hydroperoxyd

Alkohol

Dialkylperoxyd

Äther

~ 1 0 0 ° (Zers.)

65,5° ~ 20/65 mm

+ 13,5« + 64°

— 24° + 34,6°

42°/55 mm

Chemischen Einflüssen gegenüber ist die R — O - B i n d u n g ähnlich r e a k t i o n s t r ä g e wie in den Ä t h e r n , so daß sie bei den engen Stabilitätsgrenzen der PeroxyVerbindungen kaum zur Reaktion gebracht werden kann. Dagegen beobachtet man die typischen Reaktionen der Peroxygruppe, die einerseits in einer Neigung sämtlicher lösungsmittelfreien organischen Peroxy Verbindungen zu außerordentlich heftigen E x p l o s i o n e n , die nicht nur durch E r h i t z e n sondern häufig bereits durch B e r ü h r u n g oder S c h l a g ausgelöst werden, andererseits in der leichten h y d r i e r e n d e n S p a l t u n g der O—O-Bindung durch n a s c i e r e n d e n und k a t a l y t i s c h e n W a s s e r s t o f f zum Ausdruck k o m m t : R—O—O—R' + H a bzw. R—O—OH + H 2

• >

R—OH + R'—OH R—OH + H a O

Aus den bei diesen Reaktionen entstehenden z w e i Molekülen A l k o h o l (bzw. je ein Molekül A l k o h o l und W a s s e r ) kann rückwärts auf die Z u s a m m e n s e t z u n g der Alkylperoxyde geschlossen werden. Die Reduktion mit E i s e n - I I - C h l o r i d wird wegen des leichten Nachweises der dabei entstehenden E i s e n - I I I - I o n e n mit Kalium-rhodanid häufig zum N a c h w e i s der Peroxyverbindungen verwandt. Eine weitere wichtige Reaktion der Alkylperoxyde (und auch anderer Peroxy Verbindungen) haben wir in ihrer k a t a l y t i s c h e n W i r k u n g bei zahlreichen Reaktionen — z. B. bei der O l e f i n p o l y m e r i s a t i o n (S. 97) — bereits kennengelernt. (Bezüglich des Mechanismus vgl. II, Kap. 4, II, 3a u. III, Kap, 3, I I I , l a

c) D i e Ä t h e r In den Äthern1) ist der charakteristische Hydroxylwasserstoff der Alkohole d u r c h e i n e n z w e i t e n A l k y l r e s t e r s e t z t , so daß sich die allgemeine Formel J ) Die Namen Äther und Ester sind auf den gleichen Ursprung zurückzuführen (von griech. aiörip = leichte Luft) und wurden früher auch im gleichen Sinne zur Bezeichnung der aus einer Säure beim Destillieren mit Alkohol entstehenden leicht flüchtigen Verbindung verwandt. Die heutige Z w e i t e i l u n g d e s B e g r i f f e s erfolgte vor etwa 150 Jahren, als V. ROSE (der Jüngere) im J a h r e 1800 endgültig feststellte, daß der aus S c h w e f e l s ä u r e und A l k o h o l entstehende „ S c h w e f e l ä t h e r " überhaupt keinen Schwefel enthält, also nicht das erwartete D i ä t h y l s u l f a t darstellt, sondern einer völlig n e u e n V e r b i n d u n g s k l a s s e angehört, die im Gegensatz zu anderen „ S ä u r e ä t h e r n " (den heutigen Estern) o h n e s i c h t b a r e B e t e i l i g u n g d e r S ä u r e aus zwei M o l e k ü l e n A l k o h o l entsteht.

Die Äther

207

R — 0 — R (bzw. R — 0 — R ' ) ergibt 1 ). Sie haben somit als e i n z i g e Alkoholderivate s y m m e t r i s c h e n A u f b a u und werden daher zu ihrer Benennung vielfach, um die funktionelle Gleichwertigkeit der beiden Alkylreste zu betonen, nicht von den Alkoholen abgeleitet, sondern direkt als z w e i f a c h a l k y l i e r t e s W a s s e r aufgefaßt. Dies ist vor allem bei den niederen Gliedern der Reihe der Fall, die in Analogie zu den Alkoholen durch Vorsetzen der Namen (und bei symmetrischen Äthern auch der Zahl) der Alkylreste vor den Gruppennamen -äther (z. B. Dimethyläther, Athylpropyläther usw.) benannt werden. Lediglich den Verätherungsprodukten k o m p l i z i e r t e r A l k o h o l e mit e i n f a c h e n A l k y l r e s t e n legt man zur Benennung den Namen des komplizierten A l k o h o l s zugrunde, dem man ebenfalls den N a m e n und soweit erforderlich auch die Zahl der ihn substituierenden A l k y l r e s t e voranstellt, wie es z. B. in Trimethylglycerin, Tetramethyl-glukose usw. der Fall ist. Doch ist die letzte Bezeichnungsart aus den schon bei den Estern angeführten Gründen (S. 196) nicht ganz korrekt. Eine weitere Benennungsmöglichkeit geht schließlich von dem der einen alkoholischen Komponente zugrundehegenden P a r a f f i n (bzw. sonstigen W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g ) aus und bezeichnet den gesamten den Wasserstoff substituierenden —OR-Rest als Alkoxygruppe

(z. B .

in

Methoxy-essigsäure

CH3—O—CH2—COOH,

p-Äthoxy-anilin

C2H6—O—C6H4—NH2 USW.). Wie die angeführten Beispiele zeigen, dient diese Möglichkeit hauptsächlich für die Bezeichnung e i n z e l n e r Ä t h e r g r u p p e n in Verbindungen, die neben den Äthergruppen auch a n d e r e F u n k t i o n e n im M o l e k ü l enthalten, also nicht mehr zu den einfachen Äthern gehören.

Für die Darstellung der Äther kommen z w e i g r u n d s ä t z l i c h v e r s c h i e d e n e Verfahren in Betracht: 1. die W a s s e r a b s p a l t u n g a u s zwei M o l e k ü l e n A l k o h o l und 2. die A l k y l i e r u n g eines A l k o h o l s mit den üblichen A l k y l i e r u n g s m i t t e l n . Zu 1. Die Wasserabspaltung aus zwei Molekülen Alkohol geht nach der einfachen Gleichung: R

O—H + H

O -R

*• R—O—R' + H 2 0

vor sich und läßt sich n u r in wenigen Ausnahmefällen, z. B. beim Kochen der reaktionsfähigen T r i a r y l c a r b i n o l e mit Alkoholen, o h n e K a t a l y s a t o r e n durchführen. Zur Reaktionsbeschleunigung dienen im allgemeinen k o n z e n t r i e r t e M i n e r a l s ä u r e n und D e h y d r a t i s i e r u n g s k a t a l y s a t o r e n , also die gleichen Substanzen, die auch die Wasserabspaltung aus e i n e m M o l e k ü l A l k o h o l zu den O l e f i n e n (vgl. S. 85) aktivieren, so daß es nicht immer einfach ist, beide Reaktionen zu trennen. Im allgemeinen erfolgt die Ä t h e r b i l d u n g bei n i e d r i g e r e r , die O l e f i n b i l d u n g bei h ö h e r e r T e m p e r a t u r . Man muß daher zur Darstellung der Äther besonders sorgfaltig die Einhaltung der R e a k t i o n s t e m p e r a t u r beachten, um einerseits eine genügende R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t zu erreichen, andererseits die O l e f i n b i l d u n g z u r ü c k z u d r ä n g e n . So entsteht z. B. beim Überleiten von Ä t h y l a l k o h o l d ä m p f e n ü b e r D e h y d r a t i s i e r u n g s k a t a l y s a t o r e n (z. B. A1203) bei 240—250° noch in der Hauptsache D i ä t h y l ä t h e r , bei 300° aber schon überl

) Für die g e s ä t t i g t e n Ä t h e r errechnet sich auf Grund dieser Struktur die gleiche allgemeine Summenformel C n H 2 n ^ 2 0 wie für die gesättigten Alkohole. Äther und Alkohole gleicher Kohlenstoffzahl sind also i s o m e r e V e r b i n d u n g e n (sie unterscheiden sich lediglich durch die S t e l l u n g des O - A t o m s , das sich bei ersteren zwischen einem C- und einem H-Atom, bei letzteren zwischen zwei C-Atomen eines Paraffins befindet), die aber trotzdem n i c h t d e r s e l b e n h o m o l o g e n R e i h e angehören, weil sie v e r s c h i e d e n e f u n k t i o n e l l e Gruppen im Molekül enthalten.

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

208

wiegend Ä t h y l e n . Lediglich M e t h y l a l k o h o l liefert infolge der Unmöglichkeit der Olefinbildung bei a l l e n T e m p e r a t u r e n den D i m e t h y l ä t h e r . Praktisch wichtiger ist die Verwendung von S c h w e f e l s ä u r e als V e r ä t h e r u n g s m i t t e l , die beim Erhitzen mit ü b e r s c h ü s s i g e m A l k o h o l (in der Praxis verwendet man ein Gemisch von 9 Gew. Teilen Schwefelsäure und 5 Gew. Teilen Äthylalkohol und läßt weiteren Alkohol in dem Maße nachfließen, wie der gebildete Äther abdestilliert) auf 130—140° die Wasserabspaltung zum Ä t h e r bewirkt, während beim Erhitzen auf etwa 200° mit einer g e r i n g e r e n A l k o h o l m e n g e die O l e f i n b i l d u n g erfolgt (vgl. S. 86). In Wirklichkeit verläuft die Ätherbildung jedoch w e s e n t l i c h k o m p l i z i e r t e r , als aus der summarischen Reaktionsgleichung ersichtlich ist, und findet mindestens in z w e i , nach M A X I M O W sogar in drei Reaktionsstufen statt: I II I + II

R:—OH + Hi—O—S03H



R—0—SO a H + H 2 0

Ri—O—S03H + HO

v

R—O—R + H 2 S0 4

R

R—O—H + H—O—R bzw. nach

>- R—O—R + H 2 0 MAXIMOW

IIa R|—O—S0 3 H + Hi—O—S02—O—R

v

III R - 0

>- R—O—R + R—O—S0 3 H

S0 2

O - R | II

O R

I + IIa + III R—OH + HO—R

>

R—O—S0 2 —O—R + H 2 S0 4 R—O—R + H 2 0

Danach wird das Wasser gar nicht z w i s c h e n z w e i A l k o h o l m o l e k ü l e n abgespalten sondern es entsteht bereits bei der Bildung der A l k y l s c h w e f e l s ä u r e , also im Rahmen einer V e r e s t e r u n g s r e a k t i o n , und in der zweiten (bzw. dritten) Reaktionsstufe findet lediglich, analog den unter 2 beschriebenen Darstellungsweisen, eine typische A l k y l i e r u n g des z w e i t e n A l k o h o l m o l e k ü l s durch den intermediär entstehenden S c h w e f e l s ä u r e e s t e statt. Diese Alkylierungsreaktion verläuft u n a b h ä n g i g v o n der B i l d u n g der A l k y l s c h w e f e l s ä u r e und läßt sich, wenn man dieser in der zweiten Reaktionsphase einen a n d e r e n A l k o h o l im Überschuß zusetzt, auch zur Bildung g e m i s c h t e r Ä t h e r verwenden (Gleichung formulieren!). Trotz dieser Komplikationen wirkt die Schwefelsäure letzten Endes nur k a t a l y t i s c h , vermag aber n i c h t b e l i e b i g e Mengen von Alkohol umzusetzen, weil sie bei der Reaktionstemperatur noch nicht vom R e a k t i o n s w a s s e r befreit werden kann und auch im Rahmen von Nebenreaktionen (z. B. durch Reduktion zu S0 2 ) z. T. z e r s t ö r t wird. Jeder Verätherungsansatz bleibt daher nach einiger Zeit infolge der eingetretenen V e r w ä s s e r u n g der S c h w e f e l säure stehen.

Mit S c h w e f e l s ä u r e als Verätherungsmittel lassen sich nur die Ä t h e r der n i e d e r e n A l k o h o l e — unter den angegebenen Bedingungen etwa bis zum D i p r o p y l ä t h e r , mit weniger Schwefelsäure auch noch bis zum D i i s o a m y l ä t h e r — gewinnen. Zur Verätherung der h ö h e r e n A l k o h o l e muß man wesentlich v o r s i c h t i g e r arbeiten und verwendet besser a n d e r e S ä u r e n . Insbesondere sind die a r o m a t i s c h e n S u l f o n s ä u r e n gebräuchlich, da sie weniger zu Nebenreaktionen neigen. Auch k o o r d i n a t i v u n g e s ä t t i g t e H a l o g e n v e r b i n d u n g e n , wie z . B . ZnCl2, A1C13, B F 3 usw., werden vielfach verwandt. Ihre K a t a l y s a t o r w i r k u n g beruht auch hier auf der intermediären Bildung s t a r k e r k o m p l e x e r Säuren (vgl. S. 180). Zu 2. Die Alkylierung der Alkohole geschieht im einfachsten Falle durch Einwirkung der üblichen A l k y l i e r u n g s m i t t e l auf die basischen N a t r i u m a l k o h o l a t e (bzw. auf ein Gemisch der A l k o h o l e mit konzentrierter N a t r o n l a u g e ) : R—Hai + NaO—R'

—>-

R—O—R'+ NaHal

Allgemeine Reaktion der Äther

209

Sie wird aber infolge der s t a r k e n B a s i z i t ä t der A l k o h o l a t i o n e n häufig durch die O l e f i n b i l d u n g (S. 86) zurückgedrängt, so daß die Reaktion in dieser einfachsten Anordnung nur zu M e t h y l i e r u n g s - und auch B e n z y l i e r u n g s r e a k t i o n e n verwendbar ist. Für die Alkylierung aller anderer A l k o h o l e ist es dagegen zweckmäßiger, mit s c h w a c h b a s i s c h e n A l k o h o l d e r i v a t e n zu arbeiten, wozu sich bei der Verwendung von A l k y l h a l o g e n i d e n als A l k y l i e r u n g s m i t t e l am besten die S i l b e r a l k o h o l a t e eignen (vgl. auch S.325), die man jedoch niemals in Substanz herstellt, sondern durch Zusatz von S i l b e r o x y d (oder bei oxydationsempfindlichen Substanzen auch S i l b e r c a r b o n a t ) als Kondensationsmittel zu dem Gemisch des A l k o h o l s und A l k y l h a l o g e n i d s i n t e r m e d i ä r entstehen läßt: R—OH + i/ 2 Ag 2 0

+ R'-Hal ^

(R—OAg)

R _ 0 — R ' + AgHal

Schließlich ist es durch Einwirkung von A l k y l h a l o g e n i d e n auf t r o c k e n e s S i l b e r o x y d sogar möglich, unter Ü b e r s p r i n g u n g d e r A l k o h o l s t u f e eine sofortige z w e i f a c h e A l k y l i e r u n g d e s S a u e r s t o f f a t o m s zum Äther zu erreichen (Gleichung formulieren!).

Die physikalischen Eigenschaften der Äther nähern sich infolge der Substitution sämtlicher assoziierenden H-Atome des Wassers durch Alkylreste wieder stark denen der P a r a f f i n e . Vor allem liegen ihre S i e d e p u n k t e viel t i e f e r als die der i s o m e r e n A l k o h o l e und sind etwa vergleichbar mit denen derjenigen Paraffine, die die g l e i c h e A n z a h l s c h w e r e r A t o m e enthalten. Tabelle 11 D i e p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n e i n i g e r Ä t h e r im V e r g l e i c h m i t a n d e r e n Verbindungen Siedepunktsvergleich Name Dimethyläther Methyläthyläther Diäthyläther Dipropyläther Dibutyläther Diisoamyläther Dibenzyläther

Formel

CH3—0—CH3 C2H1J—0—CH3 c 2 h 5 —0—c 2 h 5 c 3 h 7 —0—c 3 h 7 C4H9—0—c4h9 C5Hn—0—C5Hn c 6 h 5 -ch 2 —0—ch 2 .c 6 h 5

Äther

—24° + 7 35 91 141 172 296

Kohlenwasserstoff 1 )

—45° + 1 36 98 151 1832) 3032)

isom. Stamm Smp. Alkoh. Alkoh.

+78° + 65° 97 117 78 156 97 194 117 2192) 131 205 —

D/T

—139°

0,726/0° —116 0,719/15 —122 0,736/20 — 95 0,769/20 0,777/20 + 4 1,043/20

Auch die S c h m e l z p u n k t e liegen sehr t i e f , so daß die meisten e i n f a c h e n Ä t h e r bei normaler Temperatur f l ü s s i g sind. Ihr L ö s u n g s v e r m ö g e n ist gegenüber dem der Paraffine etwas e r h ö h t . Insbesondere zeigen die niederen Glieder der Reihe eine deutliche W a s s e r l ö s l i c h k e i t , die, wie in II, Kap. 6, II, 1 eingehend erläutert wird, hinter der der i s o m e r e n A l k o h o l e nicht wesentlich zurücksteht. P h y s i o l o g i s c h wirken die niederen Glieder der Reihe auf den menschlichen und tierischen Organismus in ähnlicher Weise b e r a u s c h e n d und in größeren Dosen n a r k o t i s i e r e n d ein, wie die A l k o h o l e . In ihrem chemischen Verhalten sind die Äther den P a r a f f i n e n ebenfalls s e h r ä h n l i c h und gehören infolge der S t a b i l i t ä t d e r Ä t h e r b r ü c k e neben den 1 ) Zum Vergleich wurden die Siedepunkte der Kohlenwasserstoffe mit der g l e i c h e n A n z a h l s c h w e r e r A t o m e (das O-Atom als Methylengruppe gerechnet) und der g l e i c h e n S t r u k t u r angeführt. 2 ) Auf Grund der S i e d e z a h l e n (II, Kap. 2, I, 7) berechnet.

14

K l a g e s , Lehrbuch der Organischen Chemie I, 1

210

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

gesättigten Kohlenwasserstoffen zu den r e a k t i o n s t r ä g s t e n o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n . An n e u a r t i g e n R e a k t i o n e n sind lediglich zu erwähnen: 1. die durch den Brückensauerstoff bedingte Neigung zur B i l d u n g v o n K o m p l e x v e r b i n d u n g e n , 2. die verschiedenen Möglichkeiten der Ä t h e r s p a l t u n g und 3. die für die praktische Handhabung wichtige B i l d u n g d e r Ä t h e r p e r o x y d e . Zu 1. Die Äther sind als A l k y l d e r i v a t e d e s W a s s e r s wie dieses (und auch die Alkohole) zur Bildung von Komplexverbindungen mit k o o r d i n a t i v u n g e s ä t t i g t e n M e t a l l - und Metalloidhalogeniden befähigt. Diese Komplexe sind infolge des Fehlens der durch den Hydroxylwasserstoff bedingten Sekundärreaktionen sogar wesentlich s t a b i l e r und l e i c h t e r i s o l i e r b a r als die des Wassers und der Alkohole und daher zum Studium der Komplexverbindungen der Sauerstoffderivate besonders geeignet. Die wichtigsten Komplexe leiten sich von den Halogeniden und organischen Derivaten der d r e i w e r t i g e n Elemente B o r , A l u m i n i u m , E i s e n , C h r o m , sowie der besonders stark koordinativ ungesättigten z w e i w e r t i g e n Metalle Z i n k und M a g n e s i u m ab: Hai | yR Hai—B-t-O^ X i R Hai

Hai | _ /R Hai—Al- 2 CH 3 —CO— 0 — R

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

212

Zu 3. Die Bildung der Ätherperoxyde ist auf eine geringfügige Aktivierung des zum Brückensauerstoff « - s t ä n d i g e n Kohlenstoffs zurückzuführen, der, ä h n l i c h d e m A l l y l k o h l e n s t o f f der O l e f i n e , bei längerem Stehen an der Luft mit dem elementaren S a u e r s t o f f unter Bildung einer P e r o x y v e r b i n d u n g zu reagieren vermag. Das hierbei primär e n t s t e h e n d e « - A l k o x y a l k y l - h y d r o p e r o x y d erleidet als A l d e h y d d e r i v a t (vgl. S. 281) durch H y d r o l y s e , A b s p a l t u n g v o n W a s s e r oder H y d r o p e r o x y d und ähnliche Reaktionen sofort eine Reihe w e i t e r e r U m w a n d l u n g e n zu Sekundärprodukten, von denen im Falle des D i ä t h y l ä t h e r s H. W I E L A N D D i - A - o x y ä t h y l - p e r o x y d , H . K I N G « - O x y ä t h y l - h y d r o - p e r o x y d und R I E C H E Ä t h y l i d e n p e r o x y d nachgewiesen zu haben glauben. Ihre E n t stehung kann man sich etwa auf dem folgenden Wege vorstellen: CH,—CH=0

a—CH»—0—CoHs /A

CH3—CH—0—C2H5 I

0—O—H a-Äthoxyäthyl-hydroperoxyd

+ H

'°V

CH,—OH7

Acetalijehyd

,0H

-HsO

\0—O—H

a-Oxyätliyl-hydroperoxyd,

.OH H(X CH3—CH^ NjH—CH 3 CK Di-a-oxyäthyl-peroxyd

/ 1/2 CH3—CH^

0 —

°\ \jH-CH

^0—CK Äthylidenperoxyd

Die G e f ä h r l i c h k e i t der Anhäufung derartiger Ätherperoxyde in altem Äther beruht vor allem darauf, daß sie beim Eindampfen des Äthers als ä u ß e r s t e x p l o s i b l e r R ü c k s t a n d verbleiben und, abgesehen von der Explosionswirkung selbst, auch durch die entstehenden B r ä n d e häufig zu schweren Laboratoriumsunfällen führen. Namentlich beim Arbeiten mit g r ö ß e r e n Ä t h e r m e n g e n als Lösungsmittel, die meistens in irgendeiner Reaktionsphase eingedampft werden, sollte man daher immer auf P e r o x y d f r e i h e i t achten, zumal die Ätherperoxyde empfindliche Substanzen auch durch ihre O x y d a t i o n s w i r k u n g zerstören können. Der N a c h w e i s d e r Ä t h e r p e r o x y d e erfolgt, wie der anderer Peroxyverbindungen, durch r e d u k t i v e S p a l t u n g der 0—O-Brücke mit E i s e n - I I - c h l o r i d (vgl. S. 206). Auch ihre Z e r s t ö r u n g führt man am besten mit E i s e n - I I - s a l z e n durch, doch muß man anschließend den hierbei entstandenen A c e t a l d e h y d ebenfalls entfernen, da dieser an der Luft n o c h s c h n e l l e r unter Bildung neuer P e r o x y d e A u t o x y d a t i o n erleidet (vgl. S. 242) als der ursprüngliche Ä t h e r selbst.

Einzelverbindungen. Dimethyläther (CH S —0—CH 3 ) ist ein bei —24° siedendes Gas, und daher ohne praktische Bedeutung geblieben. Diäthyläther (C 2 H 5 —0—C 2 H 5 ), meistens Äther schlechthin genannt, ist die bei weitem w i c h t i g s t e V e r b i n d u n g d e r R e i h e . E r wird technisch ausschließlich auf dem angegebenen Wege aus A l k o h o l und S c h w e f e l s ä u r e hergestellt und führte daher früher den Namen „ S c h w e f e l ä t h e r " (vgl. S. 206 Anm. 1). Diäthyläther ist eine sehr leicht bewegliche farblose Flüssigkeit von angenehmem Geruch, die infolge des niederen Siedepunktes außerordentlich f l ü c h t i g und f e u e r g e f ä h r l i c h 1 ) ist. Er dient wegen seiner hervorragenden Lösungseigenschaften *) Abgesehen von der großen Flüchtigkeit ist die Feuergefährlichkeit des Äthers insbesondere auch darauf zurückzuführen, daß seine Dämpfe infolge des h o h e n M o l e k u l a r g e w i c h t s einerseits sehr s c h w e r sind, andererseits bereits in g r o ß e r V e r d ü n n u n g mit Luft explosible Gemische bilden. Ferner können sie infolge ihrer g r o ß e n D i c h t e u. U. über

Die Trityläther

213

präparativ und technisch als w i c h t i g s t e s und b i l l i g s t e s mit Wasser nicht mischbares L ö s u n g s m i t t e l für F e t t e und v e r w a n d t e S t o f f e . Daneben eignet er sich aber auch infolge des durch den Sauerstoff bedingten b e s o n d e r e n L ö s u n g s v e r m ö g e n s als indifferentes (d. h. hier hydroxylfreies) L ö s u n g s m i t t e l und R e a k t i o n s m e d i u m für zahlreiche polare, gegen W a s s e r und A l k o h o l e bereits u n b e s t ä n d i g e Substanzen, wie z. B. für m e t a l l o r g a n i s c h e V e r b i n dungen. Selbst einige Salze, wie z.B. N a t r i u m j o d i d , L i t h i u m - und Calc i u m r h o d a n i d vermag er aufzulösen und ermöglicht dadurch eine Reihe von Umsetzungen dieser Salze mit organischen Substanzen in i n d i f f e r e n t e m Medium und h o m o g e n e r Phase. Von den Äthern der höheren gesättigten und auch ungesättigten Alkohole hat lediglich das als Diisoamyläther bezeichnete Verätherungsprodukt des G ä r u n g s a m y l a l k o h o l s ein gewisses Interesse als h o c h s i e d e n d e s L ö s u n g s m i t t e l für m e t a l l o r g a n i s c h e V e r b i n d u n g e n , z . B . zur Durchführung von ZEREwrriNow-Bestimmungen (I, Kap. 9, I), gefunden. Als Beispiel eines h a l o g e n i e r t e n Äthers seider ß,ß'-Dichlordiäthyläther angeführt. Er wird durch normale Verätherung von Ä t h y l e n c h l o r h y d r i n (S. 190) mittels k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e (Gleichung formulieren!) gewonnen und dient als h o c h s i e d e n d e s L ö s u n g s m i t t e l sowie als Zwischenprodukt f ü r die Darstellung / ? - s u b s t i t u i e r t e r Ä t h e r d e r i v a t e und von V i n e t h e n (S. 219).

Dagegen haben in neuerer Zeit die Äther der a r o m a t i s c h e n A l k o h o l e , insbesondere die von B. H E L F E R I C H in die chemische Praxis eingeführten und als Trityläther bezeichneten g e m i s c h t e n Ä t h e r des T r i p h e n y l c a r b i n o l s mit einfachen a l i p h a t i s c h e n A l k o h o l e n eine stets wachsende Bedeutung erlangt, da sie infolge der Aktivierung des Carbinol-C-Atoms durch die Benzolkerne sich sowohl hinsichtlich ihrer B i l d u n g als auch ihrer S p a l t u n g weitgehend von den n o r m a l e n Ä t h e r n unterscheiden und in gewissem Sinne bereits den E s t e r n nahe stehen. So entstehen sie vielfach schon beim einfachen U m k r i s t a l l i s i e r e n des T r i p h e n y l c a r b i n o l s aus den niederen A l k o h o l e n , also o h n e oder in Gegenwart von nur S p u r e n eines K a t a l y s a t o r s . Auch ihre präparativ wichtigste Darstellungsweise durch T r i t y l i e r u n g der Alkohole mit T r i t y l c h l o r i d erfolgt im Gegensatz zu anderen Alkylierungen wie eine A c y l i e r u n g s r e a k t i o n bereits mit P y r i d i n als Kondensationsmittel:

Doch ist ihre Bildung, offenbar infolge sterischer Hinderung (vgl. II, Kap. 7, IV, 2), auf die Tritylierung primärer alkoholischer Hydroxylgruppen beschränkt.

Von den Umsetzungen der Trityläther muß vor allem die auffallend l e i c h t e S p a l t b a r k e i t der T r i t y l s a u e r s t o f f b i n d u n g hervorgehoben werden, die zwar als echte Ätherbindung wasser- und a l k a l i b e s t ä n d i g i s t , in E i s e s s i g l ö s u n g große Entfernungen auf Laboratoriumstischen und Fußböden e n t l a n g k r i e c h e n , ohne sich völlig mit der Luft zu vermengen, so daß ihre Entzündung auch durch e n t f e r n t s t e h e n d e F l a m m e n möglich ist. Selbst die oft achtlos ausgegossenen w ä ß r i g e n Ä t h e r a u s z ü g e sind wegen seiner hohen Wasserlöslichkeit (7,5 Gw.%) l e i c h t b r e n n b a r . Wegen dieser großen Feuergefährlichkeit und auch der durch die P e r o x y d b i l d u n g bedingten Nachteile hat man wiederholt vorgeschlagen, den Ä t h e r durch andere, n i c h t b r e n n b a r e L ö s u n g s m i t t e l zu ersetzen, z. B. durch M e t h y l e n c h l o r i d (S. 159).

214

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

aber bereits bei n o r m a l e r T e m p e r a t u r fast augenblicklich durch verdünnte B r o m w a s s e r s t o f f s ä u r e unter Bildung des sich unlöslich abscheidenden T r i t y l b r o m i d s (Gleichung formulieren!) zerlegt wird, so daß die Reaktion unter weitgehender S c h o n u n g anderer h y d r o l y s i e r b a r e r B i n d u n g e n durchgeführt werden kann. Eine weitere w i c h t i g e S p a l t u n g s m ö g l i c h k e i t , die sogar in ind i f f e r e n t e m R e a k t i o n s m e d i u m und damit unter a b s o l u t e r S c h o n u n g aller anderen solvolysierbaren Bindungen vor sich geht, hegt in der k a t a l y t i s c h e n H y d r i e r u n g der Trityl-Sauerstoff-Bindung vor, einer Reaktion, der in schwächerem Ausmaß auch die B e n z h y d r y l - und sogar die B e n z y l ä t h e r zugänglich sind:

CH + HO—R ;

C—O—R + H 2

CH—O—R + H 2

—CH2—O—R + H 2

;CH2 + HO—R ;

—CH 3 + HO—R

Eine letzte s p e z i e l l e S p a l t u n g s r e a k t i o n , der nur die Ä t h e r d e r P o l y a r y l c a r b i n o l e zugänglich sind, liegt in der von Z I E G L E R und auch S C H O R I G I N beobachteten Zerlegung derartiger Äther durch f r e i e A l k a l i m e t a l l e vor, bei der in voller Analogie zur B i l d u n g m e t a l l o r g a n i s c h e r V e r b i n d u n g e n aus den Alkylhalogeniden (S. 152) die T r i t y l - und auch B e n z h y d r y l - S a u e r s t o f f - B i n d u n g unter Aufnahme von z w e i M e t a l l a t o m e n zerfällt:

C—O—R + 2 Na

CNa + NaOR

CH—0—R + 2 Na

CHNa + NaOR

Die p r a k t i s c h e B e d e u t u n g d e r T r i t y l ä t h e r liegt auf Grund dieser Reaktionen darin, daß sich einerseits nur p r i m ä r e A l k o h o l e tritylieren lassen, man in ihrer Bildung also ein eindeutiges Kennzeichen f ü r die S t e l l u n g d e r H y d r o x y l g r u p p e a m K e t t e n e n d e besitzt, und daß sich andererseits eine Reihe von Möglichkeiten ergibt, in Verbindungen, die m e h r e r e O x y g r u p p e n im Molekül enthalten, die primären und sekundären Gruppen g e t r e n n t u m z u s e t z e n . Hierfür werden wir insbesondere später bei den K o h l e n h y d r a t e n noch einige Beispiele kennenlernen (vgl. III, Kap. 4 , 1 , 3 e).

d) D i e T r i a l k y l - o x o n i u m s a l z e Die Trialkyloxoniumsalze stehen als Alkylderivate des OH,-Ions z u d e n Ä t h e r n in der gleichen Beziehung, wie die i n l , Kap. 6, 1,1 by beschriebenen T e t r a a l k y l a m m o n i u m s a l z e zu den t e r t i ä r e n Aminen. So erfolgt z. B. ihre Bildung in prinzipiell gleicher Weise durch Reaktion eines der einsamen Elektronenpaare des Sauerstoffs mit einem Alkylierungsmittel:

Die Trialkyl-oxoniumsalze R

215

R

I



R—N! + Ri—C1

R—N—R

I

R

er-

R

tertiäres Amin

R.

\>; + R -x

R/

Tetraalbylammoniumchlorid

O—R

x-

R/

x Äther

Trialkyloxoniumsalz

Nur ist diese Reaktion bei der relativ g e r i n g e n B a s i z i t ä t des Äthersauer-

stoffs sehr schwer durchzuführen und mit den üblichen Alkylierungsmitteln noch nicht möglich (s. u.). Sie bedarf vielmehr noch der Koppelung mit einem anderen energieliefernden Vorgang und gelang auf diese Weise erstmals Meerwein im Jahre 1937 durch Umsetzung der B o r f l u o r i d - ä t h e r - a d d i t i o n s verbindungen mit A l k y l f l u o r i d e n . Als energieliefernder Vorgang ist hierbei die Bildungstendenz des Fluoborations anzusehen, die ohne Zweifel die Wanderung des dritten A l k y l r e s t e s an den Sauerstoff unterstützt:

F I

F—B—F

. F

r-- +1 r;

R/°\R

-V

F -i le F—B—F i1 L F J

-

r

R

1© R—0 1i

L

R

i J

In gleicher Weise kann man auch die Ätheraddukte anderer K o m p l e x b i l d n e r (z. B. SbCl5, FeCl3 und — wenn auch bereits weniger leicht — A1C13) mit A l k y l chloriden zu tertiären Oxoniumsalzen umsetzen (Gleichungen formulieren!). In ihren physikalischen Eigenschaften weichen die Trialkyloxoniumverbindungen als e c h t e Salze infolge ihres i o n o g e n e n Aufbaus weitgehend von den aus Einzelmolekülen bestehenden Alkoholen und Äthern ab, d. h. sie schmelzen n i c h t ohne Z e r s e t z u n g und sind n i c h t mehr d e s t i l l i e r b a r . Ferner sind sie nur in Wasser und anderen hydrophilen Lösungsmitteln löslich.

ein starkes A l k y l i e r u n g s v e r m ö g e n aus (sie sind die stärksten A l k y l i e r u n g s m i t t e l , die wir kennen) und sind infolgedessen wesentlich unbeständiger als die Alkohole und Äther. So reagieren sie z. B., ähnlich wie die D i a l k y l s u l f a t e , schon mit reinem Wasser, d. h. sie werden in wäßriger Lösung langsam unter Bildung von je 'einem Mol A l k o h o l und Ä t h e r gespalten: R R-

-> +

+ H20

y

R—o—R+

©

R—OH,

+

Ha0

>

R—OH + OHi

R Ähnlich setzen sie sich mit Ä t h e r n , die andere A l k y l g r u p p e n enthalten, unter Übertragung des dritten Alkylrestes zu deren T r i a l k y l o x o n i u m s a l z e n um (Gleichung formulieren!), wobei sich ein Gleichgewicht zwischen allen K o m b i n a t i o n s m ö g l i c h k e i t e n b e i d e r A l k y l r e s t e einstellt. Weitere Umsatzmöglichkeiten ergeben sich mit anderen basischen S t o f f e n , wie z. B. mit t e r t i ä r e n A m i n e n , T h i o ä t h e r n und S u l f o x y d e n , auf die ebenfalls der dritte Alkylrest unter Bildung von deren O n i u m v e r b i n d u n g e n übergeht: R -i R R—0—R + RR R—0—R+

a© R—S—0—R

R"

+ NRS

+ R—O—R

R

R—Oe R

I© R—N—R I

+ R'—0—R'

R' R'-O©

I

R

• + R—0—R

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

216

Besonders groß ist die Alkylierungstendenz natürlich gegenüber dem s t a r k b a s i s c h e n H y d r o x y l i o n , so daß die freie Base im Gegensatz zu den Tetraalkylammoniumbasen auch in wäßriger Lösung n i c h t m e h r e x i s t e n z f ä h i g ist, sondern sofort im Sinne des HorMANsr'schen Abbaus (I, Kap. 6, l b y ) in je ein Molekül A l k o h o l und Ä t h e r zerfällt: R

I© R—0|

OH-

->

R—O—R + R—OH

R

Diese Übertragung des d r i t t e n A l k y l r e s t e s auf das A n i o n ist auch bei den n o r m a l e n S a l z e n möglich und erfolgt zuweilen bereits bei Zimmertemperatur. Insbesondere entsteht bei der Einwirkung von J o d i o n e n sofort das entsprechende A l k y l j o d i d , wodurch die Erfolglosigkeit aller früheren Versuche, in Umkehrung dieser Reaktion aus A l k y l j o d i d e n und Ä t h e r n O x o n i u m s a l z e aufzubauen, ihre Erklärung findet (Gleichungen formulieren!). 3. Die Enolc In Analogie zu den H a l o g e n v e r b i n d u n g e n beobachtet man auch bei den O x y v e r b i n d u n g e n ein völlig n e u a r t i g e s V e r h a l t e n , wenn die Hydroxylgruppe statt an einem g e s ä t t i g t e n , an einem d o p p e l t g e b u n d e n e n C-Atom steht. Man rechnet diese Stoffe daher nicht mehr zu den A l k o h o l e n 1 ) , sondern faßt sie zu einer n e u e n V e r b i n d u n g s k l a s s e zusammen, für die sich, ähnlich wie wir es bereits bei den 1, 3 - D i e n e n (S. 100) gesehen haben, die von der Genfer Kommission für die Benennung der Einzelverbindungen vorgeschlagene Endung -enol (entsprechend der Endung -anol für die A l k o h o l e ) als Gruppenname ,,Enole" eingebürgert hat. In den Enolen begegnen wir der ersten Verbindungsklasse, für die die auf S. 10 angeführte Voraussetzung für das Auftreten isomerer organischer Verbindungen, die S t a b i l i t ä t d e r A t o m v e r k n ü p f u n g in den Molekülen, n i c h t erf ü l l t ist, und sie lagern sich daher jedesmal, wenn sie im Rahmen einer Reaktion entstehen (z. B. durch Spaltung ihrer E s t e r oder Ä t h e r ) mit u n m e ß b a r g r o ß e r G e s c h w i n d i g k e i t in die wesentlich e n e r g i e ä r m e r e n isomeren Oxo V e r b i n d u n g e n ( A l d e h y d e oder K e t o n e , vgl. S. 231 f.) um: R—CH=CH—0—R Enoläther

(l{

CH-CH

Oll)

Enol (unbeständig)

v

R—CH 2 —CH=0 Oxoverbindung

Die Enole sind infolgedessen normalerweise n i c h t e x i s t e n z f ä h i g , und die beschriebene Umlagerung ist ein schönes Beispiel dafür, daß die Nichterfüllung der genannten Voraussetzung sofort zum V e r s c h w i n d e n e i n e r I s o m e r i e m ö g l i c h k e i t führt. Wie das Auftreten der unten beschriebenen E n o l ä t h e r und - e s t er aberzeigt, ist diese Nichtexistenz der Enole nur auf die zu rasch erfolgende Umlagerung, n i c h t dagegen auf eine p r i n z i p i e l l e U n b e s t ä n d i g k e i t der Grup\ I pierung C=C—O— zurückzuführen. Die Enole sollten daher zumindest g r u n d 1

) Nur die in freiem Zustand nicht existenzfähige einfachste Verbindung der Reihe, das „ Ä t h e n o l " C H 2 = CH—OH, wird, da man zurZeit seiner Benennung die Sonderstellung der Enole noch nicht erkannt hatte, allgemein als V i n y l a l k o h o l bezeichnet.

217

Die Enole

s ä t z l i c h e x i s t i e r e n können, und es ist auch tatsächlich in einigen Ausnahmefällen gelungen, sie als mehr oder weniger stabile Verbindungen zu isolieren, wenn durch K o p p e l u n g der Enolbildung mit einem e n e r g i e l i e f e r n d e n V o r g a n g , als welcher in erster Linie die K o n j u g a t i o n (bzw. M e s o m e r i e ) der e n o l i s c h e n D o p p e l b i n d u n g m i t a n d e r n u n g e s ä t t i g t e n S y s t e m e n in Betracht kommt, die Enole ihrerseits e n e r g i e ä r m e r als d i e C a r b o n y l v e r b i n d u n g e n werden. Ein einfaches Beispiel f ü r einen derartigen Ausnahmefall liegt im P h e n o l (S. 219f.) vor, das infolge der bei seiner Bildung aus dem zugehörigen Keton, dem Cy c l o h e x a d i e n o n , frei werdenden A r o m a t i s i e r u n g s e n e r g i e (S. 127) derart s t a b i l i s i e r t wird, daß hier die Ketoverbindung n i c h t e x i s t e n z f ä h i g ist und sich sofort in das „ E n o l " umlagert:

Cyclohexadienon

H

H

H

H

Phenol

Bei annähernd gleichem Energieinhalt der Enol- und Carbonylverbindungen treten schließlich b e i d e M o l e k ü l a r t e n n e b e n e i n a n d e r auf und lagern sich im Rahmen eines T a u t o m e r i e g l e i c h g e w i c h t s (Keto-Enoltautomerie) dauernd gegenseitig ineinander um (näheres vgl. II, Kap. 5, II. 3).

Die Existenzfähigkeit der Enole ist infolge dieser Verhältnisse immer a n d a s V o r h a n d e n s e i n k o m p l i z i e r t e r o r g a n i s c h e r M o l e k ü l e g e b u n d e n , die noch andere, die E n o l g r u p p e s t a b i l i s i e r e n d e Funktionen im Molekül enthalten und daher erst später besprochen werden können. Wir wollen aus diesem Grunde an dieser Stelle auf die übliche Beschreibung von Einzelverbindungen verzichten und uns zunächst lediglich auf das chemische Verhalten der Enolgruppe selbst beschränken. Hinsichtlich ihrer chemischen Eigenschaften beobachtet man bei den Enolen — in Analogie zu den H a l o g e n o l e f i n e n (S. 155) — ein von den Alkoholen s t a r k a b w e i c h e n d e s V e r h a l t e n , das durch eine g e g e n s e i t i g e B e e i n f l u s s u n g d e r O x y g r u p p e u n d d e r D o p p e l b i n d u n g im Rahmen einer M e s o m e r i e bedingt ist und zu einer Reihe n e u a r t i g e r R e a k t i o n e n führt. Die enolische Hydroxylgruppe ist gegenüber der alkoholischen vor allem durch eine deutlich g e s t e i g e r t e A c i d i t ä t ausgezeichnet, die die Enole bereits zu a u s g e s p r o c h e n e n S ä u r e n stempelt, deren Alkalisalze, die „Enolate" in w ä ß r i g e r L ö s u n g b e s t ä n d i g sind und nur noch teilweise hydrolysieren. An sich w a s s e r u n l ö s l i c h e E n o l e können daher in N a t r o n l a u g e unter Enolatbildung i n L ö s u n g gehen oder mit N a t r o n l a u g e aus ä t h e r i s c h e r L ö s u n g ausgeschüttelt werden. Die a b s o l u t e S ä u r e s t ä r k e ist allerdings s e h r g e r i n g und steht noch unter der der K o h l e n s ä u r e , so daß die Enole bereits beim Einleiten von K o h l e n d i o x y d in die Lösungen der Enolate wieder in F r e i h e i t g e s e t z t werden. Sie entsprechen in dieser Beziehung vollkommen den im nächsten Abschnitt beschriebenen P h e n o l e n . Ebenso geben sie wie die Phenole mit E i s e n I I I - c h l o r i d charakteristische Färbungen, so daß man sie mit vollem Recht als die a l i p h a t i s c h e n M o d e l l s u b s t a n z e n d e r P h e n o l e ansehen kann. Einer Reihe weiterer typischer Reaktionen der P h e n o l e und auch der A l k o h o l e sind die Enole dagegen infolge der U n b e s t ä n d i g k e i t i h r e s B i n d u n g s s y s t e m s n i c h t z u g ä n g l i c h . So beteiligt sich z. B. bei Versuchen, sie durch A c y l i e r u n g oder A l k y l i e r u n g in die zugehörigen E s t e r und Ä t h e r überzuführen, in den meisten Fällen die D o p p e l b i n d u n g an der Reaktion, und es entstehen s t a t t der erwarteten E n o l d e r i v a t e , unter

Die

218

O x yV e r b i n d u n g e n

und

ihre

Derivate

gleichzeitiger Umlagerung derEnol- in d i e K e t o f o r m , die andern zum Sauerstoffe-ständigen C - A t o m substituierten Verbindungen (näheres über den Reaktionsmechanismus vgl. S. 447): R R : R R ; I _ e I© \ R'i—Hai I -H H + v R'—CH—CH=0 CH=CH—OH — >- CH=CH—Ol « — > ICH—CH=0/j .— ' mesomere Grenzformen des Enolations

Enol

J

—Hai Alkylderivat der Aldehydform

Auch der A u s t a u s c h der g a n z e n H y d r o x y l g r u p p e gegen andere negative Reste ist im Gegensatz zu den Alkoholen und Phenolen n i c h t m ö g l i c h , weil diese Substitution (ebenfalls in Analogie zu den H a l o g e n o l e f i n e n , S. 155) durch die Doppelbindung so ers c h w e r t wird, daß die Enole unter den erforderlichen Reaktionsbedingungen bereits anderw e i t i g U m l a g e r u n g e n erleiden.

Die Reaktionsfähigkeit der Doppelbindung wird in Analogie zu dem Verhalten der Halogenolefine (S. 156) durch die Mesomerie mit der Oxygruppe s t a r k erh ö h t , doch überwiegen hier infolge der leichten Abspaltbarkeit des Hydroxylwasserstoffs mit dem in «-Stellung angelagerten Addenden im allgemeinen die S u b s t i t u t i o n s r e a k t i o n e n . So stellt z. B. die soeben beschriebene C-Alkylierung und -Arylierung der Enole bereits eine normale S u b s t i t u t i o n d e s O l e f i n s y s t e m s dar. Ähnlich erfolgt mit e l e m e n t a r e m H a l o g e n eine äußerst r a s c h e H a l o g e n i e r u n g des gleichen C-Atoms, die wahrscheinlich auf dem Umweg über eine intermediäre A d d i t i o n an die Enoldoppelbindung vor sich geht: 01 R—CH=CH—OH

1 C1

~" ' v

:C1

\

\R_CH—CH—O—:H /

C1 -— J lHCl v

'v

R—CH—CH=0

Weitere Substitutionsmöglichkeiten, bei denen ebenfalls jeweils die Ketoverbindungen entstehen, und die daher erst nach Behandlung der K e t o - E n o l t a u t o m e r i e besprochen werden sollen, sind die N i t r i e r u n g (I, Kap.6, IV, 1) und die K u p p l u n g m i t D i a z o v e r b i n d u n g e n (I, Kap. 6, III, lb). R e i n e D o p p e l b i n d u n g s r e a k t i o n e n beobachtet man nur bei den E n o l ä t h e r n und - E s t e r n , in denen infolge der Substitution des Enolwasserstoffs der zum Sauerstoff a-ständige Addend nicht mehr mit diesem unter Bildung der Carbonylgruppe herausgespalten werden kann.

Die Enolderivate. Wie wir noch sehen werden, ist die Unbeständigkeit der E n o l e auf die Möglichkeit der W a n d e r u n g des als P r o t o n leicht abdissoziierenden H y d r o x y l w a s s e r s t o f f s vom Sauerstoff zum /^-ständigen Kohlenstoff zurückzuführen (II, Kap.5, II, 3). Ersetzen wir den Hydroxylwasserstoff daher durch s c h w e r b e w e g l i c h e A l k y l - oder A c y l r e s t e , so kommen wir sofort zu s t a b i l e n V e r b i n d u n g e n , den E n o l ä t h e r n und E n o l e s t e r n , die auch in den einfachsten Fällen bekannt sind. Ihre Darstellung kann allerdings infolge der Nichtexistenz der Enole und auch wegen der beschriebenen C - S u b s t i t u t i o n im allgemeinen n i c h t d u r c h d i r e k t e V e r e s t e r u n g oder V e r ä t h e r u n g der Enole erfolgen, sondern geschieht meistens auf einem Umweg, indem man entweder durch partielle Addition von A l k o h o l e n oder S ä u r e n an A c e t y l e n e (vgl. S. 111) in einer Reaktionsstufe die ganze E n o l ä t h e r - (bzw. E n o l e s t e r - ) g r u p p e synthetisiert, oder indem man in ¿ ß - H a l o g e n ä t h e r n und - e s t e r n durch Abspaltung von Halogenwasserstoff nachträglich eine Doppelbindung einführt: HC=CH + HO—R(Ac)

^teize

H 2 C=CH—0—R(Ac)

-< ~ H C 1

Cl—;CH2—CH—0—R(Ac) H

Von den Reaktionen der Enolderivate ist vor allem die leichte P o l y m e r i s i e r b a r k e i t hervorzuheben, durch die sich die Anfangsglieder der Reihe, die V i n y l -

Darstellung der Phenole

219

äther und V i n y l e s t e r infolge ihrer e n d s t ä n d i g e n Doppelbindung (vgl. S. 97) auszeichnen. Ferner werden die Enoläther sehr viel l e i c h t e r als die normalen Äther h y d r o l y s i e r t und zerfallen bereits in Gegenwart v e r d ü n n t e r Säuren innerhalb kurzer Zeit. Dieser große Geschwindigkeitsunterschied gegenüber der eigentlichen Ätherhydrolyse deutet auf einen anderen R e a k t i o n s m e c h a n i s m u s hin. Wahrscheinlich erfolgt die Spaltung über eine intermediäre A n l a g e r u n g von Wasser (bzw. des OH3+-Ions) an die Doppelbindung und anschließenden Zerfall des hierbei gebildeten H a l b a c e t a l s : Xx

C=CH—O—R - t - H ' ° >

\j-CH

i

~B0H>

v

CH-CH=0

Halb-acetal (S. 276)

Einzelverbindungen. Die größte Bedeutung haben die aus A c e t y l e n und den verschiedenen A l k o h o l e n bzw. C a r b o n s ä u r e n entstehenden Vinyläther (CH 2 =CH—0—R) und -ester (CH 2 =CH—O—Ac) erlangt, die infolge ihrer P o l y m e r i s a t i o n s n e i g u n g in der Technik als Ausgangsmaterialien f ü r zahlreiche K u n s t s t o f f e dienen (vgl. S. 422). Dmnyläther CH 2 =CH—O—CH=CH 2 (Sdp. 28°) wird durch Abspaltung von zwei Molekülen Chlorwasserstoff aus / ? , / ? ' - D i c h l o r d i ä t h y l - ä t h e r (S. 213) mittels geschmolzenen K a l i u m h y d r o x y d s bei 220—250° gewonnen (Gleichung formulieren!) und neuerdings unter dem Namen Vinethen als N a r k o t i k u m an Stelle von Äther verwandt, da er g e r i n g e r e N a c h w i r k u n g e n zeigt. Er ist als Vinylverbindung sehr u n b e s t ä n d i g und nur in Gegenwart stabilisierender Zusätze haltbar.

4. Die Phenole a) D a r s t e l l u n g und a l l g e m e i n e E i g e n s c h a f t e n Steht die Hydroxylgruppe schließlich an einem a r o m a t i s c h e n Kern, so kommt man zu einer dritten Gruppe von Oxy-Verbindungen, die allgemein nach ihrem einfachsten Vertreter als Phenole bezeichnet werden. Ihre Benennung erfolgt, wie meist ens in der aromatischen Reihe (S. 122), in den einfacheren Fällen durch T r i v i a l n a m e n , und nur die komplizierteren Verbindungen haben r a t i o n e l l e N a m e n erhalten. Diese leitet man entweder vom P h e n o l selbst als Grundkörper ab (z. B. o-, m-, p-Chlorphenol) oder von der dem Phenol zugrundeliegenden W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g , indem man die Phenole als deren O x y d e r i v a t bezeichnet. Letztere Möglichkeit dient vor allem wieder zur Kennzeichnung der Oxygruppen in den m e h r e r e F u n k t i o n e n im M o l e k ü l enthaltenden Verbindungen, die nicht mehr ausschließlich zu den P h e n o l e n rechnen, wie z . B . der p - O x y b e n z o e s ä u r e H O — ^

—COOH.

Vorkommen. Die e i n f a c h e n P h e n o l e treten als Z e r s e t z u n g s p r o d u k t e der Sauerstoffverbindungen in der n a t ü r l i c h e n K o h l e in verschiedenen technischen Produkten auf, so vor allem im S t e i n k o h l e n t e e r (III, Kap. 1,1, 2), der früher wichtigsten Phenolquelle, und neuerdings in wesentlich größerer Ausbeute auch bei der K o h l e h y d r i e r u n g (III,Kap. 1,1, 5a). Ferner begegnen wir zahlreichen Phenolverbindungen in der b e l e b t e n N a t u r , zu denen u. a. das L i g n i n , sämtliche n a t ü r l i c h e n G e r b s t o f f e und auch einige n a t ü r l i c h e F a r b s t o f f e gehören. Sie werden, da sie meistens noch andere Funktionen im Molekül enthalten, erst im dritten Teil dieses Buches zusammenhängend behandelt (vgl. III, Kap. 6, II). Die Darstellung der Phenole erfolgt ausschließlich durch E i n f ü h r u n g der Oxygruppe in den aromatischen Kern, wofür drei v e r s c h i e d e n e M e t h o d e n zur Verfügung stehen, die sämtlich technische Bedeutung erlangt haben: 1. Die A l k a l i -

Die OxyverbindutJgen und ihre Derivate

220

s c h m e l z e a r y l s u l f o n s a u r e r S a l z e , 2. die Hydrolyse a r o m a t i s c h e r H a l o g e n v e r b i n d u n g e n und 3. die „Verkochung" a r o m a t i s c h e r D i a z o n i u m s a l z lösungen. Zu 1. Die Alkalischmelze der arylsulfonsauren Salze ist das älteste der drei Verfahren und beruht auf einer a n o m a l e n 1 ) h y d r o l y t i s c h e n A b s p a l t u n g d e r S u l f o g r u p p e , bei der das H y d r o x y l i o n a n d e n A r y l r e s t tritt und der Schwefel sich als S u l f i t i o n vom Kohlenstoff löst: \

- SO,Na - XaOlI



^ — O H + Na2SQ3

Die Reaktion wird praktisch durch Verschmelzen der a r y l s u l f o n s a u r e n S a l z e mit 97%iger K a l i - oder N a t r o n l a u g e und anschließendes m e h r s t ü n d i g e s E r h i t z e n a u f 300° durchgeführt. Die starke Alkalikonzentration ist hierbei u n b e d i n g t e r f o r d e r l i c h , weil bei Verwendung einer verdünnten Lauge, abgesehen von der dann erforderlichen nochmaligen T e m p e r a t u r e r h ö h u n g , neben der Phenolbildung bereits in geringem Ausmaß die „ n o r m a l e H y d r o l y s e " zu B e n z o l u n d S c h w e f e l s ä u r e bzw. N a t r i u m s u l f a t eintritt (vgl. auch I, Kap.7, II, 1). Zu 2. Die hydrolytische Spaltung aromatischer Halogenverbindungen: -C1 + Na|0H



\

-OH • XaCl

erfolgt bei der Reaktionsträgheit des a r o m a t i s c h g e b u n d e n e n H a l o g e n s (S. 167) auch in Gegenwart von K u p f e r p u l v e r und bei Verwendung von N a t r o n l a u g e als spaltendem Agens erst bei T e m p e r a t u r e n o b e r h a l b 200°, so daß sie lange Zeit als technisch undurchführbar galt. Eine derartige Vernachlässigung dieser einfach und mit billigen Mitteln durchführbaren Reaktion ist aber in keiner W e i s e g e r e c h t f e r t i g t , denn schließlich erfolgt ja auch die A l k a l i s c h m e l z e der S u l f o n s ä u r e n unter ähnlichen Bedingungen. Man muß nur, da die Arylhalogenide im Gegensatz zu den sulfosauren Salzen f l ü c h t i g sind und sich in der Alkalischmelze n i c h t l ö s e n , unter D r u c k arbeiten, um die erforderliche Reaktionstemperatur zu erreichen. Dann aber geht die Hydrolyse der aromatischen H a l o g e n v e r b i n d u n g e n noch l e i c h t e r vor sich als die der S u l f o n s ä u r e n . Die Alkalihydrolyse des Chlorbenzols hat daher in neuerer Zeit schnell t e c h n i s c h e A n w e n d u n g gefunden und dient insbesondere in den USA bereits zur Herstellung der H a u p t m e n g e des s y n t h e t i s c h g e w o n n e n e n P h e n o l s . Als günstigste Reaktionsbedingung hat sich das Arbeiten mit 8% ig er N a t r o n l a u g e bei etwa 350° erwiesen. Doch gehen auch dann noch etwa 5% des C h l o r b e n z o l s infolge Arylierung des entstehenden Natriumphenolats in D i p h e n y l ä t h e r über. Diese Nebenreaktion erfolgt aber im Rahmen eines G l e i c h g e w i c h t e s und läßt sich daher leicht dadurch z u r ü c k d r ä n g e n , daß man dem Reaktionsgemisch von vornherein etwas D i p h e n y l ä t h e r zusetzt.

Noch eleganter ist das moderne K o n t a k t v e r f a h r e n nach R A S C H I G , nach dem C h l o r b e n z o l bei 400—450° über K u p f e r v e r b i n d u n g e n als Katalysatoren direkt mit W a s s e r d a m p f , also o h n e j e d e n C h e m i k a l i e n v e r b r a u c h , zu Phenol verseift werden kann. Zusammen mit der auf S. 168 beschriebenen C h l o r b e n z o l s y n t h e s e die außer B e n z o l bloß Chlorwasserstoffgas als Reagens benötigt, ist dies die bei weitem b i l l i g s t e P h e n o l s y n t h e s e . Zu 3. Die Zersetzung aromatischer Diazoniumsalze haben wir bereits auf S. 166 als M i t t e l z u r E i n f ü h r u n g v o n S u b s t i t u e n t e n i n d e n B e n z o l k e r n kennen *) d. h. einer gegenüber der Sulfonierungsreaktion unter V e r t a u s c h u n g der O x y d a t i o n s s t u f e n erfolgenden Hydrolyse.

221

Allgemeine Eigenschaften der Phenole

gelernt. Führt man diese Zersetzung in w ä ß r i g e r L ö s u n g durch, z . B . durch Erhitzen auf 50—60° (allgemein „Verkochen" genannt), so wird, von einigen Ausnahmen abgesehen, die Diazogruppe unter A b s p a l t u n g v o n e l e m e n t a r e m S t i c k s t o f f und A u f n a h m e v o n einem Mol Wasser durch die Oxygruppe ersetzt (vgl. auch I, Kap. 6, III, 1 b):

Diazonium-Ion Das Verfahren kommt letzten Endes auf eine Substitution der A m i n o g r u p p e durch die O x y g r u p p e hinaus und findet wegen der m i l d e n R e a k t i o n s b e d i n g u n g e n hauptsächlich Anwendung zur Synthese e m p f i n d l i c h e r oder k o s t spieliger Phenole. Aber auch eine d i r e k t e h y d r o l y t i s c h e A b s p a l t u n g d e r A m i n o g r u p p e ist zuweilen möglich. Z. B. wird A n i l i n in Gegenwart von M i n e r a l s ä u r e n oder B o r f l u o r i d als K a t a l y s a t o r e n mit W a s s e r bei 300° zu P h e n o l verseift. Noch leichter erfolgt diese Reaktion bei dem etwas l a b i l i s i e r t e n aromatischen Bindungssystem des N a p h t h y l a m i n s (I, Kap. 11, I I , l b ) und insbesondere der m-substituierten Polyaminobenzole (S. 429, 430), so daß sie hier zuweilen sogar zur t e c h n i s c h e n G e w i n n u n g der Oxyverbindungen mit herangezogen wird.

Physikalische Eigenschaften. Infolge der Kombination der s t a r k a s s o z i i e r e n den O x y g r u p p e mit dem a r o m a t i s c h e n R i n g s y s t e m sieden und schmelzen auch die einfachen Phenole u n g e w ö h n l i c h hoch. Die Phenole stellen daher bei normaler Temperatur wenig f l ü c h t i g e und (mit zwei Ausnahmen) f e s t e K ö r p e r dar,. die in reinem Zustand f a r b l o s sind, sich jedoch infolge geringfügiger Zersetzung durch den Luftsauerstoff leicht rötlich färben. Tabelle 12 Die p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n einiger Trivialnamen

Rationelle Namen

Sdp.

Phenole Smp.

Dichte/Temp.

Phenol

Oxy-benzol

181°

41°

1,054/45°

o-Kresol m-Kresol p-Kresol

l-Oxy-2-methyl-benzol l-0xy-3-methyl-benzol 1 - Oxy-4-methyl-benzol

191 202 202

31 11 34

1,048/20 1,034/20 1,035/20

Xylenol-1,2,3 Xylenol-1,3,4

l-Oxy-2,3-dimethyl-benzol l-Oxy-3,4-dimethyl-benzol

212 225

75 63

1,169/15 1,023/17

Thymol Carvacrol

2-Oxy-\ 1-isopropyl3-Oxy-J 4-methyl-benzol

234 238

52 1

0,969/24 0,976/20

Die Löslichkeitsverhältnisse ähneln denen der m i t t l e r e n A l k o h o l e , d . h . die Phenole sind mit den meisten o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n , aber nicht mehr (bzw. nur bei höherer Temperatur) mit W a s s e r mischbar und, abgesehen vom Phenol selbst, auch kaum mehr in ihm löslich. Wegen ihres hohen Schmelzpunktes spielen sie, im Gegensatz zu den vorbesprochenen Verbindungsklassen, k e i n e R o l l e a l s L ö s u n g s m i t t e l .

Chemisches Verhalten. In Analogie zu den Enolen beobachtet man auch bei den Phenolen eine durch eine Mesomerie bedingte s t a r k e g e g e n s e i t i g e B e e i n f l u s s u n g der Aktivität der Oxygruppe und des aromatischen Kerns, so daß beide

222

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

eine Reihe n e u a r t i g e r U m s e t z u n g e n zeigen, die wir folgendermaßen unterteilen können: 1. die Reaktionen der Oxygruppe u n t e r E r h a l t u n g d e r A r y l - S a u e r s t o f f b i n d u n g , 2. die S u b s t i t u t i o n d e r H y d r o x y l g r u p p e durch andere negative Reste, 3. S u b s t i t u t i o n s r e a k t i o n e n a m a r o m a t i s c h e n Kern, 4. R e d u k t i o n s - und 5. O x y d a t i o n s r e a k t i o n e n . Zu 1. Die auffallendste Eigenschaft der phenolischen Hydroxylgruppe ist ihre A c i d i t ä t . Die Phenole zeigen als E n o l e deutlich s a u r e E i g e n s c h a f t e n und lösen sich daher wie diese in A l k a l i l a u g e n unter Bildung w a s s e r b e s t ä n d i g e r S a l z e (Phenolate) auf, bzw. lassen sich aus ätherischer Lösimg mit N a t r o n l a u g e ausschütteln. Die S ä u r e s t ä r k e liegt mit einer Diasoziationskonstanten von 10 —10 —10—11 noch weit u n t e r der der K o h l e n s ä u r e (erste D i s s o z i a t i o n s s t u f e : K = 4,3-10— 7 ) und ist etwa vergleichbar mit der der B l a u s ä u r e (K = 4,8 • 10~ 1 0 ) oder der der u n t e r j o d i g e n Säure (K = 3 • 10— n ). Die Phenole werden daher aus den Lösungen ihrer Salze durch Einleiten von K o h l e n d i o x y d wieder ausgefällt, bzw. können in N a t r i u m b i c a r b o n a t l ö s u n g nicht mehr unter C02-Entwicklung gelöst werden, so daß man sie auf diese Weise leicht von den stärker sauren C a r b o n s ä u r e n abtrennen kann.

Eine spezielle Reaktion des Hydroxylsauerstoffs Hegt in seiner Tendenz zur K o m p l e x b i l d u n g m i t m e h r w e r t i g e n S c h w e r m e t a l l i o n e n vor. Besonders mit E i s e n - I I I - I o n e n in neutraler oder schwach saurer Lösung entstehen s t a r k farbige, gegen A l k a l i e n unbeständige Komplexe, die häufig zum q u a l i t a t i v e n N a c h w e i s der P h e n o l e und auch E n o l e (s. diese) dienen. Der Farbton ist in den meisten Fällen b l a u bis v i o l e t t , kann aber auch b r a u n , r o t und g r ü n sein, so daß man u. U. Einzelverbindungen d i r e k t erkennen kann. Enthält das Phenol in geeigneter Stellung zur Oxygruppe ein d o p p e l t g e b u n d e n e s S a u e r s t o f f a t o m , so bilden sich wesentlich stabilere c y c l i s c h e K o m p l e x v e r b i n d u n g e n aus, die u. a. als F a r b l a c k e für den Farbton und die Faserhaftung der B e i z e n f a r b s t o f f e von ausschlaggebender Bedeutung sind (näheres vgl. III, Kap. 2, IV, 1, 2 u. V I I I , 1). K e i n e n wesentlichen U n t e r s c h i e d g e g e n ü b e r d e n A l k o h o l e n läßt die phenolische Hydroxylgruppe dagegen in ihrer Fähigkeit zur V e r e s t e r u n g und V e r ä t h e r u n g erkennen, auf deren verschiedene Möglichkeiten auf S. 228 f. näher eingegangen wird. Zu 2. In Analogie zu den aromatischen H a l o g e n v e r b i n d u n g e n wird die Substitution der phenolischen Hydroxylgruppe durch den Benzolkern wesentlich e r s c h w e r t . Sie gehört daher zu den ausgesprochen s c h w e r d u r c h f ü h r b a r e n Reaktionen und hat keine größere Bedeutung erlangt, zumal in der aromatischen Reihe u m g e k e h r t die Tendenz besteht, die wichtigeren Phenole d u r c h H y d r o l y s e a n d e r e r V e r b i n d u n g e n zu gewinnen. Z. B. läßt sich der Austausch der Oxygruppe gegen die H a l o g e n e nicht mehr mit Hilfe der konzentrierten H a l o g e n w a s s e r s t o f f s ä u r e n durchführen und tritt selbst bei Verwendung von PC15 erst o b e r h a l b 200° ein (S. 166). Noch schwieriger erfolgt die E i n f ü h r u n g der A m i n o g r u p p e (formulieren!), die beim Erhitzen des Phenols mit Z i n k c h l o r i d a m m o n i a k bei 300—350° und mit A m m o n i a k allein über A l u m i n i u m o x y d als Katalysator sogar erst bei 400° vor sich geht, jeweils also um 50—100° höhere T e m p e r a t u r e n benötigt als die entsprechenden Reaktionen der a l k o h o l i s c h e n H y d r o x y l g r u p p e (S. 180). Erst bei den labileren Bindungssystemen der N a p h t h o l e und O x y a n t h r a c h i n o n e (I, Kap. 11, II, 1 b u. c) kann man die „ A m i n i e r u n g " unter etwas m i l d e r e n Bedingungen vornehmen, so daß das Verfahren hier auch technisch anwendbar wird.

Zu 3. Ähnlich wie die e n o l i s c h e D o p p e l b i n d u n g wird auch das a r o m a t i s c h e B i n d u n g s s y s t e m durch die Hydroxylgruppe s t a r k a k t i v i e r t , und die Phenole

Substitutionsreaktionen der Phenole

223

gehören infolgedessen zu den r e a k t i o n s f ä h i g s t e n und u n b e s t ä n d i g s t e n aromatischen Verbindungen. Insbesondere beobachtet man eine wesentliche Erleichterung der Kern-Substitution, die, da die Hydroxylgruppe ein S u b s t i t u e n t e r s t e r O r d n u n g ist, in o- u n d p - S t e l l u n g zum Sauerstoff erfolgt. So kann man z. B. die S u l f o n i e r u n g und N i t r i e r u n g des Phenols bereits mit den v e r d ü n n t e n S ä u r e n durchführen. Noch stärker tritt der Geschwindigkeitsunterschied bei der H a l o g e n i e r u n g des Phenols zutage, die im Falle der B r o m i e r u n g bereits bei Verwendung von B r o m w a s s e r o h n e j e d e n w e i t e r e n K a t a l y s a t o r mit fast u n m e ß b a r g r o ß e r G e s c h w i n d i g k e i t vor sich geht. Hierbei werden unter Bildung von 2, 4, 6 - T r i b r o m p h e n o l sofort alle drei substituierbaren Stellen besetzt, und bei Bromüberschuß sogar noch ein v i e r t e s B r o m a t o m zum T r i b r o m p h e n o l b r o m aufgenommen. Die Konstitution des Tribromphenolbroms war lange Zeit zweifelhaft und man nahm früher allgemein die Konstitution I an. In Wirklichkeit kommt ihm nach S S U K N E W I T S C H jedoch die Struktur eines T r i b r o m p h e n o l e s t e r s der u n t e r b r o m i g e n S ä u r e (II) zu: Br x

,,


>=o ° \Br

für die insbesondere spricht.

die starke H a l o g e n i e r u n g s w i r k u n g

des

Tribromphenolbroms

Der große Geschwindigkeitsunterschied zwischen der Halogenierung der P h e n o l e und der der aromatischen K o h l e n w a s s e r s t o f f e spricht für einen grundsätzlich a n d e r e n R e a k t i o n s m e c h a n i s m u s bei der Phenolhalogenierung, der im einzelnen in II, Kap. 4, II, 3 b näher diskutiert wird. Außerdem deutet die Bildung des Tribromphenolbroms als Reaktionsprodukt auf die Möglichkeit hin, daß der Phenolkern nicht direkt mit dem elementaren Brom reagiert, sondern daß stets zunächst der Wasserstoff der H y d r o x y l g r u p p e substituiert wird, und daß erst das hierbei entstehende Phenolhypobromit als das eigentliche H a l o g e n i e r u n g s m i t t e l wirkt, das entweder den Kern des g l e i c h e n M o l e k ü l s (analog der KernWanderung des Acylrestes bei der unten beschriebenen FitiEsschen Verschiebung) oder aber den eines b e n a c h b a r t e n P h e n o l m o l e k ü l s bromiert. Auf diese Weise wird erst nach Substitution sämtlicher o- und p-Stellen sämtlicher Moleküle die am Sauerstoff bromierte Verbindung beständig und fällt a l s T r i b r o m p h e n o l b r o m unlöslich aus. /\ ~ % -/ O T I +

OH +

/ ~ \ _/

—HBr +Br

* > Br

^

— HBr y^r _>/ - 0 H +

—HBr

\ Br—

B r -\ / ~ %/ - O H

""

des Broms

/Br

V-O-Br

/Br \

0

Kernwandelung

de3

Broms >

Br-

.Br \

/

" \Br

T>_ keine Kernwanderung mehr möglich

Die OxyVerbindungen und ihre Derivate

224

Außer diesen bereits bei den Kohlenwasserstoffen beschriebenen G r u n d r e a k t i o n e n kennen wir infolge der gesteigerten Reaktionsfähigkeit des Phenolkerns noch eine Reihe w e i t e r e r S u b s t i t u t i o n s m ö g l i c h k e i t e n , denen die Kohlenwasserstoffe noch n i c h t z u g ä n g l i c h sind. Die wichtigsten dieser Reaktionen, die wir z. T. bereits bei den E n o l e n kennen gelernt haben, sind: a) die Nitroslerung mit salpetriger Säure (näheres vgl. I, Kap. 6, V, 1): H O — — ; H + HO - X - 0

V

HO—

N = 0

p-Nitrosophenol

Die hierbei entstehenden N i t r o s o p h e n o l e sind, soweit sie als echte Nitrosoverbindungen vorliegen (I, Kap.6, V,2), s t a r k f a r b i g . Auf ihre Bildung ist u. a. die als LiEBERMANNSche F a r b r e a k t i o n bezeichnete, bei der Einwirkung von K a l i u m n i t r i t und konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e auf Phenole auftretende i n t e n s i v e B l a u f ä r b u n g zurückzuführen, die zuweilen zum q u a l i t a t i v e n P h e n o l n a c h w e i s dient.

b) die als Kupplungsreaktion bezeichnete Einführung der A z o g r u p p e mit Hilfe von D i a z o v e r b i n d u n g e n (näheres vgl. I, Kap. 6, III, l b ) : !H + HO—N=N—Ar

HO

»

H O — — N = N — A r

c) die als Mercurierung bezeichnete Einführung von Q u e c k s i l b e r , die im Gegensatz zur Bildung anderer metallorganischer Verbindungen bereits bei der Einwirkung von Q u e c k s i l b e r - I I - a c e t a t in a l k o h o l i s c h e r L ö s u n g erfolgt (näheres vgl. I, Kap. 9, III, 1): H

O



-

H - Ac—0—Hg—O—Ac



H O — H g — O A c + Ac—OH

d) die Kondensation mit Carbonylverbindungen, bei der jeweils der g e s a m t e C a r b o n y l s a u e r s t o f f durch z w e i P h e n o l r e s t e ersetzt wird, wie am Beispiel der Phenolphthaleinbildung gezeigt sei: HO-/ HO—

VlH —!H

I ^ :

^ \

0

X

H 0 - / HO—

_

\ ^

/ \

0

/

Phenolphthalein

Die Reaktion führt infolgedessen stets zu einer V e r k n ü p f u n g m e h r e r e r P h e n o l m o l e k ü l e und ist von Bedeutung für die Gewinnung der s a u r e n T r i p h e n y l m e t h a n f a r b s t o f f e (III, Kap. 2, III, 2a). Sie kann bei Verwendung von F o r m a l d e h y d in schwach a l k a l i s c h e m (und auch schwach saurem) Medium so gelenkt werden, daß unter Verknüpfung sehr vieler Moleküle h o c h m o l e k u l a r e S t o f f e entstehen, die wichtige Kunststoffe darstellen (näheres vgl. III, Kap. 3, III, l b ) . e) Die für die Einführung von Seitenketten wichtige C-Alkylierung und CAcylierung des Phenols läßt sich d i r e k t nicht allgemein durchführen (wie bei den Enolen), weil meistens die O - S u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e , die Ä t h e r und E s t e r entstehen. Einer der wenigen Fälle, in denen der Benzolkern d i r e k t substituiert wird, liegt in der mit C h l o r o f o r m und A l k a l i im Sinne einer A l k y l i e r u n g erfolgenden S a l i c y l a l d e h y d s y n t h e s e (S. 438) nach R E I M E R - T I E M A N N vor:

Weitere Phenolreaktionen

OH

225

OH

H + Cl—CHCL

NaOH

>

.-CHOL|

2 NaOH ^

o

-OH >—CH=0

Salicylaldehyd

sowie vielleicht auch in der KoLBE'schen S a l i c y l s ä u r e s y n t h e s e (S. 488) vor. Dagegen kann die Einführung von Seitenketten häufig i n d i r e k t durch i n n e r m o l e k u l a r e W a n d e r u n g des zunächst am Sauerstoff befindlichen Substituenten erreicht werden. Sie erfolgt besonders bei den C a r b o n s ä u r e e s t e r n der Phenole sehr leicht unter der Einwirkung von A l u m i n i u m c h l o r i d und verwandten K o m p l e x b i l d n e r n und ist, da diese die Reaktionsfähigkeit der Ester auf die Stufe der n o r m a l e n A c y l i e r u n g s m i t t e l erhöhen (S. 340), als eine echte i n n e r m o l e k u l a r e A c y l i e r u n g s r e a k t i o n aufzufassen, die unter der Bezeichnung FmEssche V e r s c h i e b u n g eine der wichtigsten Methoden zur Darstellung aromatischer Oxyketone (S. 439) geworden ist: r Essigsäure-phenylester

p-Oxy-acetophenon

Die innermolekulare Wanderung der viel reaktionsträgeren A l k y l g r u p p e n erfordert etwas s c h ä r f e r e B e d i n g u n g e n , ist aber grundsätzlich ebenfalls möglich, wie die unter der Einwirkung von B o r f l u o r i d bei 85° erfolgende Umlagerung von P h e n y l - i s o p r o p y l ä t h e r in o - l s o p r o p y l p h e n o l (Gleichung formulieren!) beweist. Im Falle der A l l y l ä t h e r geht die Umlagerung infolge eines besonderen Mechanismus (vgl. II, Kap. 4, III, 4 a) sogar auffallend l e i c h t vor sich.

Zu 4. Die Reduktion der Phenole zu den entsprechenden K o h l e n w a s s e r s t o f f e n kann im Gegensatz zu den Alkoholen n i c h t mit konzentrierter J o d w a s s e r s t o f f s ä u r e durchgeführt werden, da die Arylsauerstoffbindung durch dieses Agens n i c h t a n g e g r i f f e n wird (S. 222). Dagegen gelingt sie bei Verwendung von Z i n k s t a u b als Reduktionsmittel, der beim Erhitzen mit dem Phenol auf etwa 200° unter Abdestillation des viel tiefer siedenden K o h l e n w a s s e r s t o f f s den Ersatz der Oxygruppe durch W a s s e r s t o f f bewirkt. Die Bedeutung dieser als ,,Zinkstaubdestillation" bezeichneten Reaktion liegt in der leichten Uberführ barkeit aromatischer Oxyverbindungen in die zugehörigen S t a m m k o h l e n w a s s e r s t o f f e zum Zwecke der K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g (vgl. III, Kap. 2, IV, 2a und V, 1):

Zu 5. Oxydationsreaktionen. Die Phenole enthalten als t e r t i ä r e O x y v e r b i n d u n g e n an dem die Hydroxylgruppe tragenden C-Atom k e i n e n W a s s e r s t o f f mehr und können infolgedessen nicht mehr zu C a r b o n y l v e r b i n d u n g e n dehydriert werden. Trotzdem sind sie infolge der Reaktionsfähigkeit des Ringsystems gegen Oxydationsmittel z i e m l i c h u n b e s t ä n d i g , wie u. a. aus der bei l ä n g e r e m S t e h e n a n d e r L u f t erfolgenden V e r f ä r b u n g hervorgeht. Besonders die a l k a l i s c h e n Lösungen der P h e n o l a t e sind sehr s a u e r s t o f f e m p f i n d l i c h und gehen beim Durchleiten von Luft rasch in dunkelbraune Z e r s e t z u n g s p r o d u k t e über. Doch ist es im allgemeinen n i c h t m ö g l i c h , definierte Oxydationsprodukte zu erhalten. Erst wenn man zu k o m p l i z i e r t e r e n P h e n o l d e r i v a t e n übergeht, kann man zuweilen einen e i n h e i t l i c h e n R e a k t i o n s v e r l a u f erzielen. Besonders interessant im Hinblick auf das ähnliche Verhalten der A n i l i n b a s e n (I, Kap. 6, I, 3a) ist die Möglichkeit, die zu den 15

K l a g e s , Lehrbuch der Organischen Chemie I, 1

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

226

Hydroxylgruppen o- oder p - s t ä n d i g e C - A t o m e zweier Polyphenolmoleküle d e h y d r i e r e n d zu verknüpfen. So geht z. B. G a l l u s s ä u r e bei der vorsichtigen Oxydation mit Arsensäure in E l l a g s ä u r e (vgl. HI, Kap. 2, VIII, 4a) über:

OH OH^j^-OH I

I

COOH

H-; H

COOH

|

/\

OH X / 0 H ; HO CO

j OHv — H, I (H3AS04) " I

\

H O / X x | / X OH OH

\

Gallussäure

HOv

OCOH HO 7 y OH

XQI

OH 1 /O-CO

Ellagsäure

Auch bei der L i g n i n b i l d u n g (HI, Kap. 6, II, 5) findet eine ähnliche dehydrierende Verknüpfung zweier Phenolmoleküle statt.

b) E i n w e r t i g e P h e n o l e 1

Phenol C 6 H 5 —OH ), das Anfangsglied der Reihe, wird wegen seines sauren Charakters auch Carbolsäure genannt und kommt zu etwa 1,5% im S t e i n k o h l e n t e e r vor, aus welchem es im Jahre 1834 von. R U N G E erstmals isoliert wurde. Seine technische Gewinnung geschah früher fast ausschließlich durch Auswaschen des Steinkohlenteers mit N a t r o n l a u g e , wobei es im Gemisch mit seinen Homologen anfällt. Doch reichen die auf diese Weise und bei der K o h l e h y d r i e r u n g als Nebenprodukt erhaltenen Mengen längst nicht mehr aus, so daß heute bereits der überwiegende Teil des in der Technik benötigten Phenols nach einer der genannten S y n t h e s e n dargestellt wird. Reines Phenol ist eine farblose, sich an der Luft rasch rot bis braun färbende kristallisierte Substanz von charakteristischem, scharfem Geruch, die a u f der H a u t Ä t z u n g e n hervorruft und an der Luft unter Wasseraufnahme zerfließt. Diese H y g r o s k o p i z i t ä t ist eigenartigerweise nicht wie bei anderen Substanzen auf eine besonders hohe L ö s l i c h k e i t des P h e n o l s in W a s s e r zurückzuführen (diese beträgt bei 20° nur etwa 8%), sondern umgekehrt auf eine ziemlich beträchtliche L ö s l i c h k e i t d e s W a s s e r s im v e r f l ü s s i g t e n P h e n o l (28%), denn nur bis zu dieser Grenze kann das Phenol aus der Luft Wasser aufnehmen. Zur V e r f l ü s s i g u n g b e i n o r m a l e r T e m p e r a t u r genügt aber infolge seiner relativ h o h e n k r y o s k o p i s c h e n K o n s t a n t e n (die molare Gefrierpunktserniedrigung beträgt 7,3°) in Kombination mit dem n i e d r i g e n M o l e k u l a r g e w i c h t des Wassers bereits ein W a s s e r z u s a t z v o n 5% (etwa drei molare Lösung), der den Schmelzpunkt um mehr als 20° herabdrückt. Ein ähnliches, durch Zusatz von etwa 10°/ 0 W a s s e r verflüssigtes Phenol findet wegen seiner leichten Handhabung unter der Eezeichnung phenolum liquefactum eine vielfache praktische .Anwendung.

Phenol ist ein wichtiges t e c h n i s c h e s Z w i s c h e n p r o d u k t und wird vor allem auf die P h e n o l - F o r m a l d e h y d k u n s t s t o f f e (Bakelite, usw., vgl. III, Kap. 3, l

) Betreffs der Ableitung des Namens vgl. S. 133.

227

Einzelne Phenole

III, lb), P i k r i n s ä u r e (I, Kap. 6, IV, 3) sowie zahlreiche p h a r m a z e u t i s c h wichtige Derivate, wie z. B. S a l i c y l s ä u r e (S. 489) verarbeitet. P h y s i o l o g i s c h wirkt es auf Lebewesen aller Art als s t a r k e s G i f t und dient infolge seiner keimtötenden Wirkung als D e s i n f e k t i o n s m i t t e l . Im menschlichen Körper entsteht Phenol in geringer Menge als Abbauprodukt des Eiweißbausteins T y r o s i n (III, Kap. 7, I, 1). Es wird durch Überführung in das Kaliumsalz des s a u r e n S c h w e f e l s ä u r e e s t e r s (S. 230) oder das Glykosid der G l u k u r o n s ä u r e (HI, Kap. 4, II, l a ) entgiftet und anschließend im H a r n a u s g e s c h i e d e n . Die sich vom T o l u o l ableitenden Monomethyl-phenole führen den Namen Kresole:

o-Kresol

m-Kresol

p-Kresol

Sie kommen ebenfalls im S t e i n k o h l e n t e e r vor und sind in Wasser bereits ziemlich s c h w e r l ö s l i c h , sodaß sie zur Anwendung in w ä ß r i g e r P h a s e in Seifenlösung e m u l g i e r t werden müssen. Eine derartige Emulsion von gereinigtem Kresol zeigt gegenüber dem Phenol eine g e s t e i g e r t e D e s i n f e k t i o n s w i r k u n g und dient unter dem Schutznamen Lysol als wichtiges Desinficiens. Technisch wird diese Desinfektionswirkung zur H o l z i m p r ä g n i e r u n g ausgenützt, wozu sich die Kresole infolge ihrer geringen Wasserlöslichkeit ebenfalls besser eignen als das Phe nol selbst. In der chemischen Industrie dienen die Kresole wie das Phenol als Z w i s c h e n p r o d u k t e für die Herstellung von K u n s t s t o f f e n , S p r e n g s t o f f e n usw. Die r e i n e n K r e s o l e werden s e l t e n e r benötigt, lassen sieh jedoch prinzipiell aus dem Rohkresol des S t e i n k o h l e n t e e r s isolieren. Praktisch geht man zu ihrer Darstellung jedoch zweckmäßiger von den A m i n o t o l u o l e n (Toluidinen, vgl. I, Kap. 6,1, 3c) oder den T o l u o l s u l f o n s ä u r e n aus, die sich in der angegebenen Weise über die D i a z o v e r b i n d u n g e n (bzw. durch A l k a l i s c h m e l z e ) leicht in die r e i n e n K r e s o l e überführen lassen (Gleichungen formulieren!). p-Kresol tritt in geringen Mengen im menschlichen Körper auf, wahrscheinlich als Vorstufe des Phenols beim Abbau des T y r o s i n s , und wird wie das Phenol durch die Bildung des S c h w e f e l s ä u r e h a l b e s t e r s entgiftet und als K a l i s a l z im Harn abgeschieden. Die sich vom X y l o l ableitenden Dimethylphenole haben den Trivialnamen Xylenole erhalten und kommen z. T. ebenfalls im S t e i n k o h l e n t e e r vor. Infolge der verschiedenartigen Substitution des Benzolkerns gibt es hier bereits s e c h s I s o m e r e (formulieren!), von denen jedoch keines eine größere Bedeutung erlangt hat. Ebenso sind die sich von den h ö h e r e n H o m o l o g e n d e s B e n z o l s ableitenden Phenole, abgesehen von den in III, Kap. 6, II beschriebenen Naturstoffen, ohne allgemeines Interesse geblieben.

Von den Halogenphenolen haben ausschließlich die in o- u n d p - S t e l l u n g zur Oxygruppe substituierten Verbindungen eine praktische Bedeutung erlangt, da nur sie bei der d i r e k t e n H a l o g e n i e r u n g d e r P h e n o l e entstehen. Bei Verwendung der f r e i e n H a l o g e n e (bzw. von H y p o j o d i t ) als Halogenierungsmittel erfolgt die Halogenierung im allgemeinen so rasch, daß sofort sämtliche noch u n b e s e t z t e n o- und p-Stellen substituiert werden. Zur Gewinnung der M o n o s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e muß man daher unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen arbeiten oder m i l d e H a l o g e n i e r u n g s m i t t e l , wie etwa S u l f u r y l c h l o r i d (S.145), verwenden. Die Halogenphenole zeigen im wesentlichen die Reaktionen der beiden charakteristischen Funktionen u n v e r ä n d e r t n e b e n e i n a n d e r , doch findet auch eine geringfügige g e g e n s e i t i g e Aktivierung statt. Insbesondere wird z. B. die A c i d i t ä t 15»

Die Oxyverbindungen und ihre Derivate

228

der Hydroxylgruppe gegenüber den chlorfreien Verbindungen merklich g e s t e i g e r t , so daß man z. B. das T r i c h l o r p h e n o l bereits in N a t r i u m b i c a r b o n a t l ö s u n g auflösen kann. Die Aktivierung des H a l o g e n s kommt vor allem in der bereits bei 150° erfolgenden h y d r o l y t i s c h e n A b s p a l t u n g mit konzentrierter N a t r o n l a u g e zum Ausdruck. c) D i e P h e n o l d e r i v a t e I n den Phenoläthern ist in Analogie zu den aliphatischen Äthern der Hydroxylwasserstoff der P h e n o l e durch K o h l e n w a s s e r s t o f f r a d i k a l e ersetzt. Man unterscheidet die r e i n a r o m a t i s c h e n Diaryl- und die g e m i s c h t a r o m a t i s c h a l i p h a t i s c h e n Aryl-alkyl-äther, von denen besonders die letzteren (z.T. mit noch a n d e r e n F u n k t i o n e n im M o l e k ü l ) häufig i n d e r N a t u r vorkommen und als P h a r m a z e u t i k a oder als D u f t - und G e w ü r z s t o f f e eine vielseitige Verwendung finden. Für die Darstellung der Phenoläther stehen d r e i M e t h o d e n zur Verfügung: 1. die d i r e k t e A l k y l i e r u n g und auch A r y l i e r u n g der A l k a l i p h e n o l a t e (bzw. der Lösungen der P h e n o l e in A l k a l i l a u g e n ) mit den üblichen Alkylierungsund Arylierungsmitteln (Gleichungen formulieren!). Die Herstellung der D i a r y l ä t h e r auf diesem Wege erfordert wegen der Reaktionsträgheit der Halogenbenzole wieder e r h ö h t e T e m p e r a t u r e n (bei Verwendung f e s t e r P h e n o l a t e und C h l o r b e n z o l etwa 200°) und K u p f e r p u l v e r als Katalysator, geht aber im übrigen ohne b e s o n d e r e S c h w i e r i g k e i t e n vor sich, wie z. B. die Bildung des Dip h e n y l ä t h e r s als Zwischenprodukt bei der P h e n o l s y n t h e s e (S. 220) zeigt.

2. Infolge der A c i d i t ä t der phenolischen Hydroxylgruppe können wir für die Darstellung der gemischt aromatisch-aliphatischen Äther erstmals auch die a l i p h a t i s c h e n D i a z o v e r b i n d u n g e n a l s A l k y l i e r u n g s m i t t e l verwenden (näheres vgl. I, Kap. 6 I I I , l a ) . Besonders die Methylierung mit D i a z o m e t h a n ist ein beliebtes, wenn auch k o s t s p i e l i g e s Verfahren zur Darstellung der Methyläther empfindlicher Phenole: CH2=:N=N + HO—/

\

>- IN=NI + CH 3 —0—

Schließlich kann man zur Darstellung der gemischt aromatisch-aliphatischen Äther zuweilen auch die Phenolstufe u m g e h e n und die Alkoxygruppe d i r e k t in den Benzolkern einführen, z. B. indem man die oben erwähnte „Verkochung" der D i a z o n i u m s a l z e in dem betreffenden Alkohol als L ö s u n g s m i t t e l vornimmt: ©

•N=N + O'

/R H

~ N i >•

v

R—H + IC=0

Die Oxoverbindunge n und ihre Derivate

234

Die Reaktion galt infolgedessen lange Zeit als p r a k t i s c h u n d u r c h f ü h r b a r . Das ist jedoch n i c h t der Fall, denn nach Versuchen von S A B A T I E R und in neuerer Zeit insbesondere von B O U V E A U L T liegen in fein verteiltem K u p f e r oder M e s s i n g geeignete K a t a l y s a t o r e n vor, die zwischen 250 und 350° n u r d i e A l k o h o l d e h y d r i e r u n g unter Schonung des gebildeten Aldehyds beschleunigen. Die Umsetzung einer größeren Alkoholmenge erfordert wegen des ungünstig liegenden Gleichgewichts allerdings v i e l e S t u n d e n und s o r g f ä l t i g e F r a k t i o n i e r u n g der den Katalysator verlassenden Dämpfe (vgl. auch II, Kap. 4 I, 3). Man arbeitet daher bei den temperaturbeständigeren n i e d e r e n A l d e h y d e n häufig bei noch h ö h e r e r T e m p e r a t u r (schwacher Rotglut) und verbrennt hier den am K u p f e r k o n t a k t abgespaltenen Wasserstoff sofort mit zugesetztem L u f t s a u e r s t o f f , dessen Menge sich leicht so regeln läßt, daß der gebildete Aldehyd noch nicht angegriffen wird.

Die p r ä p a r a t i v w i c h t i g e r e Alkoholdehydrierung bei t i e f e r T e m p e r a t u r geht nur in Gegenwart eines O x y d a t i o n s m i t t e l s vor sich, als welches in erster Linie C h r o m t r i o x y d , B i c h r o m a t - S c h w e f e l s ä u r e , B r a u n s t e i n - S c h w e f e l s ä u r e usw. Verwendung finden. Hier schützt man den gebildeten Aldehyd am besten durch r a s c h e s A b d e s t i l l i e r e n vor der weiteren Oxydation. Schließlich kann

man nach O P P E N A U E R die auf S. 240 beschriebene Reaktion von in einigen Fällen auch in e n t g e g e n g e s e t z t e r R i c h t u n g zur Dehydrierung p r i m ä r e r A l k o h o l e durch andere O x o v e r b i n d u n g e n und damit zur A l d e h y d d a r s t e l l u n g verwenden. MEERWEIN-PONNDORF

Zu 3. Die partielle Oxydation der Methylgruppe eines K o h l e n w a s s e r s t o f f s zur Aldehydgruppe läßt sich e b e n s o w e n i g a l l g e m e i n durchführen, wie die O x y d a t i o n zum A l k o h o l (S. 177). Immerhin gelingt sie in einigen S p e z i a l f ä l l e n , wenn die zu oxydierende Methylgruppe a k t i v i e r t ist und das Molekül keine weiteren oxydierbaren Teile enthält. So gewinnt man heute z. B. den B e n z a l d e h y d bereits überwiegend durch d i r e k t e O x y d a t i o n v o n T o l u o l mit Brauns t e i n - S c h w e f e l s ä u r e oder neuerdings auch C h r o m y l c h l o r i d (vgl. I, Kap. 12, 1,1), ohne daß wesentliche Mengen des Aldehyds zur Benzoesäure weiter oxydiert werden. Auch nach verschiedenen K o n t a k t v e r f a h r e n wird Benzaldehyd in mehr oder weniger guter Ausbeute neben Benzoesäure bei der Oxydation von T o l u o l mit L u f t s a u e r s t o f f erhalten. Bei Verwendung von S e l e n d i o x y d ( I , Kap. 12,1, lc) sowie — auf dem Umweg über eine K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n — a u c h von s a l p e t r i g e r S ä u r e (S. 240) als Oxydationsmittel "bleibt die Oxydation der Methylgruppe sogar s c h a r f a u f d e r A l d e h y d s t u f e s t e h e n . Doch wirken diese Reagentien nur auf die besonders s t a r k a k t i v i e r t e n Methylgruppen in « - S t e l l u n g z u e i n e r C a r b o n y l g r u p p e ein und können daher noch nicht zur Darstellung e i n f a c h e r A l d e h y d e verwandt werden.

Zu 4. Auch bei der Reduktion von Carbonsäuren oder ihren Derivaten muß man darauf achten, daß die Aldehydstufe als mittlere Oxydationsstufe n i c h t übers c h r i t t e n wird. Die Reduktion der C a r b o n s ä u r e n selbst zu den A l d e h y d e n ist ziemlich s c h w i e r i g durchzuführen und gelingt nur bei höherer T e m p e r a t u r , indem man die Säuredämpfe entweder nach M A I L H E bei 300° über Z i n k s t a u b leitet oder nach S A B A T I E B bei 3 5 0 ° mit A m e i s e n s ä u r e an einem T i t a n d i o x y d k o n t a k t reduziert. Die Reduktion mit A m e i s e n s ä u r e kann man auch über die S a l z e vornehmen, indem man ein Gemisch der K a l k s a l z e der Ameisensäure und der betreffenden Carbonsäure thermisch zersetzt: R—CO;—OCaO—CO;—H

>- R — C H = 0 + CaCO,

Darstellung der Aldehyde

235

Es ist zu vermuten, daß auch bei dem Kontaktverfahren intermediär die T i t a n s a l z e •entstehen und sich dann in gleichem Sinne wie die K a l k s a l z e umsetzen. Der Reaktionsmechanismus ist wahrscheinlich mit dem der auf S. 262 beschriebenen K e t o n s y n t h e s e durch K a l k s a l z d e s t i l l a t i o n von Carbonsäuren identisch, kann also kaum als eine n o r m a l e R e d u k t i o n s r e a k t i o n angesehen werden. Will m a n bei t i e f e r e r T e m p e r a t u r arbeiten, so m u ß m a n v o n C a r b o n s ä u r e d e r i v a t e n ausgehen, v o n denen sich besonders die C a r b o n s ä u r e c h l o r i d e zur partiellen R e d u k t i o n bis zur Aldehydstufe eignen. Als R e d u k t i o n s m i t t e l diente früher meistens N a t r i u m - A l k o h o l , in neuerer Zeit, insbesondere in der Technik, auch k a t a l y t i s c h e r W a s s e r s t o f f . Weiterhin lassen sich S ä u r e n i t r i l e mit Z i n n - I I - c h l o r i d - S a l z s ä u r e recht glatt zu den A l d e h y d e n reduzieren, zumal die intermediär entstehenden A l d e h y d - i m i n e unter den Reaktionsbedingungen sofort zu den A l d e h y d e n selbst v e r s e i f t werden: R — C = N + SnCl2 + 2 HCl

~SnC1V

R — C = N — H ± 0 H » + -^

R — C H = 0 + NH 4 +

H

Aldehyd-imin

Die Reduktion der E s t e r f ü h r t meistens g l e i c h w e i t e r zu den A l k o h o l e n , kann aber in S p e z i a l f ä l l e n , z. B. in der K o h l e n h y d r a t r e i h e , wenn die Bildung c y c l i s c h e r H a l b a c e t a l e (aus Lactonen) möglich ist, auch auf der A l d e h y d s t u f e unterbrochen werden ( v g l . m , Kap. 4,1, 5 c). Zu 5. E i n e Verknüpfung der Bildung der A l d e h y d g r u p p e mit der Synthese des Kohlenstoffgerüsts ist auch hier wieder m i t Hilfe v o n G E i G N A R D - V e r b i n d u n g e n möglich, die mit A m e i s e n s ä u r e e s t e r n die u m e i n C - A t o m h ö h e r e n A l d e h y d e liefern (näheres vgl. I, K a p . 9, I): / R—MgX + H

(r \0R



R y

/OMgX' CHT; \()-R

- B—OMgX

y

R

_

C H = 0

Da der entstehende Aldehyd e b e n f a l l s mit der GRIGNARD-Verbindung reagieren kann (I, Kap. 9,1), geht die Reaktion l e i c h t w e i t e r , und man verwendet deshalb zuweilen auch O r t h o a m e i s e n s ä u r e e s t e r als Ausgangsmaterial, die niemals mehr als nur e i n e A l k o x y l g r u p p e gegen den Alkylrest der GRIGNARD-Verbindungen austauschen (S. 337) und daher stets a u s s c h l i e ß l i c h in die leicht in die Aldehyde selbst überführbaren A c e t a l e übergehen: .0—R' X)—R' ( < H - 0 - R ' - ! XMir- R - R ' ~ 0 M 8 X > R - C H -^K'-'oh* R-CH=0 R' ^0—R' Ortho-ameisensäureester

Aldehyd-acetal

Aldehyd

Auch mit Hilfe von K o h l e n o x y d als dem monomolekularen Anhydrid der Ameisensäure kann man die Aldehydgruppe nach 0 . ROELEN (1938) aufbauen, indem man es gemeinsam mit W a s s e r s t o f f in Gegenwart von K o b a l t k a t a l y s a t o r e n , die wahrscheinlich intermediär K o b a l t c a r b o n y l w a s s e r s t o f f (vgl. anorg. Lehrbücher) bilden, im Sinne einer C a r b o n y l i e r u n g s r e a k t i o n (S. 95) an Olefine anlagert: -CHo—CH=0 R — C H = C H 2£ + CO + H 2i

> 100 Atm.

/

C H



^—>- R—¿: j—CH—CH 3 Diese allgemein Oxosynthese genannte Reaktion hat wegen des nicht einheitlichen Reaktionsverlaufes und der ungünstigen Arbeitsbedingungen ausschließlich t e c h n i s c h e s Interesse erlangt, hier aber infolge der billigen Ausgangsmaterialien ab 1940 ein immer breiteres Anwendungsgebiet gefunden.

236

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

Eine weitere wichtige Aldehydsynthese beruht auf der V e r l ä n g e r u n g d e r K o h l e n s t o f f k e t t e n i e d e r e r A l d e h y d e mit Hilfe der auf S. 247 beschriebenen C r o t o n a l d e h y d k o n d e n s a t i o n (nach K N O E V E N A G L ) , gegebenenfalls mit anschließender H y d r i e r u n g des zunächst entstehenden u n g e s ä t t i g t e n A l d e h y d s . Als Beispiel sei die B u t y r a l d e h y d s y n t h e s e aus zwei Molekülen A c e t a l d e h y d angeführt: CH3J —CH = Ö + H J*C H — C H = 0 (Pipendm~ H .'„° >- C H •>, — C H = C H — C H = 0 acetat) Crotonaldehyd +H

' > CH 3 —CH 2 —CH 2 —CH=0 ButyTaldehyd

,

die in der Technik meistens in einer D r e i s t u f e n r e a k t i o n über eine primäre Ald o l k o n d e n s a t i o n mit anschließender W a s s e r a b s p a l t u n g und H y d r i e r u n g durchgeführt wird. Schließlich führt auch die auf S. 330 und in I, Kap. 12, III, 2e näher beschriebene E s t e r k o n d e n s a t i o n bei Verwendung von A m e i s e n s ä u r e e s t e r n als Carbonylkomponente zur Synthese einer A l d e h y d g r u p p e , wie aus der folgenden schematischen Reaktionsgleichung hervorgeht: R R 0 = C K — O R + H|—CH—CO—R' ~ H 0 R *

0=CH—CH—CO—R'

Das Verfahren ist f ü r die Darstellung e i n f a c h e r A l d e h y d e jedoch nur von untergeordneter Bedeutung, da die Kohlenwasserstoffe, von wenigen Ausnahmen (wie z. B. F l u o r e n ) abgesehen, noch k e i n e a k t i v e n M e t h y l e n g r u p p e n enthalten. Es dient jedoch zuweilen zur Einführung von Aldehydgruppen in k o m p l i z i e r t e r e M o l e k ü l e (vgl. z. B. S. 495). Zu 6. Der Abbau einer Kohlenstoffkette läßt sich nach z w e i M e t h o d e n in der Weise durchführen, daß an der Bruchstelle in glatter Reaktion z w e i A l d e h y d g r u p p e n entstehen: 1. durch die bereits beschriebene O z o n s p a l t u n g einer in einer unverzweigten Kette liegenden o l e f i n i s c h e n D o p p e l b i n d u n g (S. 92) und 2. durch oxydative Aufspaltung disekundärer 1 , 2 - G l y k o l e mit Hilfe von B l e i t e t r a c e t a t nach C R I E G E E oder der ähnlich wirkenden Perjodsäure (vgl. I, Kap. 12, l c ) : R—C—OH

R—CH=0 — 2Ac0H ^

R'—C—OH

^ R'—CH=0

R—CH—O H2Ö

R—CH +o,

R'—CH—0

R—CH

Beide Verfahren leisten zuweilen zur Darstellung sonst s c h w e r z u g ä n g l i c h e r A l d e h y d e aus entsprechend gebauten N a t u r s t o f f e n wertvolle Dienste.

Physikalische Eigenschaften. Die S i e d e p u n k t e der Aldehyde liegen etwa in der M i t t e zwischen denen der Alkohole und Ä t h e r gleicher Kohlenstoffzahl, da einerseits der stark assoziierend wirkende Hydroxylwasserstoff der Alkohole fehlt, andererseits aber auch die C a r b o n y l g r u p p e a l l e i n infolge ihres ziemlich h o h e n D i p o l m o m e n t s gegenüber dem Äthersauerstoff s i e d e p u n k t s e r h ö h e n d wirkt (vgl. II, Kap. 2, I, 7). Hinsichtlich der S c h m e l z p u n k t e bestehen gegenüber den Alkoholen k e i n e w e s e n t l i c h e n U n t e r s c h i e d e . Die Aldehyde zeigen infolge der Möglichkeit, Wasser zu H y d r a t e n (S. 275) zu addieren, im allgemeinen ähnliche Löslichkeitseigenschaften wie die A l k o h o l e , d. h. bei grundsätzlicher M i s c h b a r k e i t mit allen o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n sind die n i e d e r e n A l d e h y d e in Wasser u n b e g r e n z t , die m i t t l e r e n immerhin noch m e r k l i c h löslich, und erst bei den h ö h e r e n G l i e d e r n der R e i h e ver-

Physikalische Eigenschaften der Aldehyde

237

Tabelle 13 Die physikalischen K o n s t a n t e n einiger Aldehyde übliche Benennung

Genfer Nomenklatur

Sdp.

Smp.

Dichte/Temp. 0,815/20° 0,788/13 0,807/20 0,817/20 0,819/11 0,834/20 0,823/15 0,821/20 0,828/15 0,828/15

Formaldehyd Acetaldehyd Propionaldehyd Butyraldehyd Valeraldehyd Capronaldehyd Önanthaldehyd Caprylaldehyd Pelargonaldehyd Caprinaldehyd

Methanal Äthanal Propanal n-Butanal n-Pentanal n-Hexanal n-Heptanal n-Oktanal n-Nonanal n-Dekanal

—21° +20 49 75 104 128 155 169 185 208

— 92° —123 — 81 — 97 — 92

Acrolein Crotonaldehyd Propiolaldehyd

Propenal Buten-2-al Propinal

53 102 60

— 88 — 74

Benzaldehyd Zimtaldehyd

Phenylmethanal /?-Phenyl-Propenal

178 251

— 26 — 8



— 42 — — —



0,839/20 0,848/21 —

1,050/20 1,050/20

schwindet die Wasserlöslichkeit v o l l k o m m e n . Trotz dieser hervorragenden Löslichkeitseigenschaften finden die Aldehyde jedoch wegen ihrer U n b e s t ä n d i g k e i t und R e a k t i o n s f ä h i g k e i t im Gegensatz zu den Alkoholen und auch Ketonen k e i n e Verwendung als L ö s u n g s m i t t e l . Der G e r u c h der n i e d e r e n A l d e h y d e ist scharf und s t e c h e n d , er wird jedoch mit wachsendem Molekulargewicht a n g e n e h m e r , so daß die m i t t l e r e n Glieder der R e i h e häufig in der R i e c h s t o f f i n d u s t r i e Anwendung finden. In ähnlicher Weise wie die olefinische Doppelbindung kann man auch die C a r b o n y l g r u p p e an den durch die B i n d u n g s e l e k t r o n e n beeinflußten M o l e k u l a r e i g e n s c h a f t e n erkennen. Häufig zum Nachweis der Carbonylgruppe verwandt werden insbesondere die A b s o r p t i o n s b a n d e der Doppelbindung im n a h e n U l t r a v i o l e t t (A etwa 3000 A) und die charakteristische R a m a n f r e q u e n z von etwa 1600 cm -1 , die beide von den entsprechenden Werten der o l e f i n i s c h e n D o p p e l b i n d u n g (A etwa 2000 A, Ramanfrequenz etwa 1400 cm -1 ) deutlich abweichen.

Hinsichtlich ihrer chemischen Umsetzungen sind die Aldehyde außerordentlich v i e l s e i t i g , da die Carbonylgruppe, abgesehen von ihrer e i g e n e n R e a k t i o n s f ä h i g k e i t , das Restmolekül gleich an zwei w e i t e r e n S t e l l e n aktiviert. Man unterscheidet daher im Aldehydmolekül die folgenden drei r e a k t i o n s f ä h i g e n S t e l l e n : 1. die C a r b o n y l g r u p p e selbst, 2. das am C a r b o n y l k o h l e n s t o f f befindliche, leicht aboxydierbare H - A t o m , und 3. die in « - S t e l l u n g zur Carbonylgruppe befindliche Methyl- bzw. M e t h y l e n g r u p p e . Zu 1. In der Carbonylgruppe der Aldehyde begegnen wir dem ersten Beispiel einer p o l a r e n M e h r f a c h b i n d u n g . Sie ist (mit Ausnahme der F o r m a l d e h y d b i n d u n g ) energetisch n i c h t m e h r u n g e s ä t t i g t , d.h. beim Übergang von der aldehydischen C = 0 - D o p p e l -in z w e i e i n f a c h e C — O - B i n d u n g e n beobachtet man k e i n e w e s e n t l i c h e W ä r m e t ö n u n g mehr (vgl. II, Kap. 2,1, 6, Tab. 5). Trotzdem ist die Carbonyldoppelbindung außerordentlich r e a k t i o n s f ä h i g , da das Doppelbindungselektronenpaar wie bei der olefinischen Doppelbindung bereits o h n e wes e n t l i c h e A k t i v i e r u n g s e n e r g i e eine aktive Grenzstruktur ausbilden kann (näheres vgl. II, Kap. 3, II, 2b).

238

Die OxoVerbindungen und ihre Derivate

Hinsichtlich der m ö g l i c h e n R e a k t i o n e n beobachtet man einen g r u n d s ä t z l i c h e n U n t e r s c h i e d g e g e n ü b e r der o l e f i n i s c h e n D o p p e l b i n d u n g . Während diese b a s e n a n a l o g reagiert, d . h . sich bevorzugt mit s a u r e n S u b s t a n z e n und H a l o g e n i e r u n g s - bzw. O x y d a t i o n s m i t t e l n umsetzt, reagiert die Carbonyldoppelbindung aus den in II, Kap. 3, II, 2 b u. Kap. 4, II, 4 näher erörterten Gründen s ä u r e n a n a l o g und setzt sich in erster Linie mit b a s i s c h e n R e a g e n t i e n , wie z. B. W a s s e r , A m m o n i a k , C y a n i o n e n , B i s u l f i t i o n e n , H y d r o x y l i o n e n und vor allem m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n um. Auf diese Anlagerungsreaktionen b a s i s c h e r (und auch anderer, ein e i n s a m e s E l e k t r o n e n p a a r besitzender Reagentien) sind insbesondere die folgenden vier wichtigsten Reaktionstypen zurückzuführen: a) die Anlagerung k o h l e n s t o f f h a l t i g e r R e s t e und des B i s u l f i t i o n s zu s t a b i l e n A d d i t i o n s v e r b i n d u n g e n , b) der über die Anlagerung der S a u e r s t o f f * , S t i c k s t o f f - und S c h w e f e l - W a s s e r s t o f f - V e r b i n d u n g e n zu i n s t a b i l e n A d d u k t e n erfolgende A u s t a u s c h d e s C a r b o n y l s a u e r s t o f f s gegen andere negative Reste, c) die auf die A n l a g e r u n g v o n W a s s e r s t o f f oder M e t a l l e n an die Carbonyldoppelbindung beruhenden R e d u k t i o n s r e a k t i o n e n , und schließlich d) die P o l y m e r i s a t i o n s r e a k t i o n e n . Zu a) Die Anlagerung basischer Verbindungen des Typus MeX oder H—X geht immer in der Weise vor sich, daß der p o s i t i v e W a s s e r s t o f f bzw. das M e t a l l k a t i o n an den S a u e r s t o f f und das b a s i s c h e A n i o n an den K o h l e n s t o f f der Carbonylgruppe tritt. Sie führt nur dann zu stabilen Additionsprodukten, wenn die neu entstehende C—-X-Bindung nahezu u n p o l a r und damit r e a k t i o n s t r ä g e ist, so daß sie nicht leicht wieder rückwärts gespalten werden kann. Die wichtigsten dieser zu stabilen Addukten führenden Reaktionen sind in dem folgenden Formelschema zusammengestellt: R

/OH / R—CH

)CH—OMgX R'/ sekundäres Alkoholat

\s03Na

Bisulfit-Verbindung

R—CH -- O

.OH R—CH

^OH * R—CH

\C=CH

Alkin-l-ol-3

Cyanhydrin (a-Oxynitrii)

Mit Ausnahme der Bildung der auf S. 283 beschriebenen B i s u l f i t v e r b i n d u n g e n werden bei diesen Reaktionen unter Übergang der Carbonylgruppe in eine s e k u n d ä r e O x y g r u p p e neue C — C - B i n d u n g e n aufgebaut. Wir lernen hier also wertvolle neue Methoden zur S y n t h e s e v o n K o h l e n s t o f f k e t t e n kennen, auf die wir später in anderem Zusammenhang noch näher eingehen werden (vgl. I, Kap. 12, III, 1). Zu den einzelnen Reaktionen ist nachzutragen: Die Blausäureaddition geht an sich bereits bei der Einwirkung der f r e i e n S ä u r e vor sich, wenn man die Reaktion durch Spuren von A m m o n i a k , der die Bildung der anlagerungsfähigen C y a n i o n e n bewirkt, katalysiert: HC=Ns + NH 3 ' A

+

>• NH4 CN"

+ K—CH=0,

0® R—CH \:=N

^OH -v R—CH

\i=N

+ :NH.

Reaktionen der Carbonylgruppe

239

Auch die Umsetzung der B i s u l f i t v e r b i n d u n g mit N a t r i u m c y a n i d (unter Herausspaltung von n e u t r a l e m N a t r i u m s u l f i t , Gleichung formulieren!) erwies sich zuweilen als zweckmäßig. In Gegenwart von v i e l A m m o n i a k wird über die Addition hinaus auch die H y d r o x y l g r u p p e s u b s t i t u i e r t — wahrscheinlich indem die Anlagerung hier an die intermediär gebildeten A l d e h y d i m i n e (S. 285) — erfolgt und man erhält die a-Aminosäurenitrile: •C=N / -H,0 + H-OsN -CH RR — C H = 0 + NH 3 >- (R—CH=NH) X Aldehydimin NH 2 a-Aminosäurenitril

Bei der leichten V e r s e i f b a r k e i t der Säurenitrile (S. 347f) läßt sich die Reaktion zum Aufbau sowohl von a - O x y - als auch von a - A m i n o s ä u r e n verwenden. Sie wird, da die entstehenden Oxynitrile in Analogie zu den Halogenhydrinen (S. 190) auch C y a n h y d r i n e genannt werden, allgemein als Cyanbydrinsynthese bezeichnet. Die auf S. 113 bereits beschriebene Anlagerung von Acetylen an die C=0-Doppelbindung wurde früher ausschließlich mit Hilfe der stark basischen A l k a l i m e t a l l a c e t y l e n i d e durchgeführt, und erst in neuerer Zeit ist R E P P E die allgemein durchführbare d i r e k t e A n l a g e r u n g v o n A c e t y l e n in Gegenwart von S c h w e r m e t a l l a c e t y l e n i d e n als Katalysatoren gelungen. Bezüglich der A n l a g e r u n g von GRIGNARD-Verbindungen vgl. I, Kap. 9, I. Zu b) Bei der Addition aller anderen polaren Verbindungen vom Typus H — X und H 2 Y erhält man u n b e s t ä n d i g e , meistens überhaupt n i c h t i s o l i e r b a r e A n l a g e r u n g s v e r b i n d u n g e n , die sich durch zahlreiche S e k u n d ä r r e a k t i o n e n — wie z . B . Rückbildung der Aldehyde, Wasserabspaltung zur C = Y-Doppel bindung (d. h. S u b s t i t u t i o n d e s C a r b o n y l s a u e r s t o f f s durch einen andern zweiwertigen Rest) sowie auch durch Substitution der Hydroxylgruppe durch einen zweiten negativen Rest X — zu den verschiedenen, auf S. 273 f. näher beschriebenen A l d e h y d d e r i v a t e n stabilisieren. Wir können uns daher an dieser Stelle m i t einer Zusammenstellung der wichtigsten Möglichkeiten begnügen: ^OH R—CH \0H

-

+ HaO -H.O

-

R—CH ; NNH2

- H—S—R'

— H—S—±t'

R-CH-0

_ + NH 3

x

1 «

^

verschiedene Folgeprodukte

yO—R' R-CH \o—R' Acetal

§11?«

+ H—Hai — H—Hai

Aldehyd-ammoniak

Aldehydimin

- H;—O—R' — H,0 *

Halbacetal

yOH

R—CH=NH

H

R'

Aldehyd hydrat

/OH R—CH \Hal Halogenhydrin

;/0 R—CH

I /OH CH \ \ N H - R' unbeständ. Add. Verb.

.OH R—CH R' unbest. Add. Verb. M

y S R' R—CH \s—R' Mercaptal

R—CH=N—R' Schiffsche Base

240

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

Bemerkenswert ist vor allem die a u ß e r o r d e n t l i c h e L e i c h t i g k e i t , mit der die A d d i t i o n und auch die W i e d e r a b s p a l t u n g in all diesen Fällen vor sich geht. Beide Vorgänge erfordern eine nur sehr g e r i n g e A k t i v i e r u n g s w ä r m e und gehören daher zu den wenigen organischen Reaktionen, die n a h e z u m o m e n t a n , fast wie eine Ionenreaktion, verlaufen. Infolgedessen kann man in allen eine Carbonylgruppe enthaltenden Substanzen den Sauerstoff über derartige intermediäre Additionsverbindungen um e i n i g e G r ö ß e n o r d n u n g e n l e i c h t e r durch andere negative Reste ersetzen (und umgekehrt) als bei den Verbindungen mit e i n w e r t i g negativ s u b s t i t u i e r t e m K o h l e n s t o f f , in denen die C—0-, sowie vor allem die später beschriebenen C—N- und C — S - B i n d u n g e n bei normaler Temperatur p r a k t i s c h h y d r o l y s e n b e s t ä n d i g sind. Auf diese, f ü r alle Carbonylverbindungen (einschliaßlich Carbonsäurederivaten) charakteristische leichte Substituierbarkeit negativer Reste jeder Art in erster Linie die Zusammenfassung aller Verbindungen mit zwei- und dreiwertig negativen Funktionen zu den großen Familien der D e r i v a t e d e r O x o v e r b i n d u n g e n und der C a r b o n s ä u r e d e r i v a t e zurückzuführen.

Zu c) Die Reduktion der Aldehyde zu den p r i m ä r e n A l k o h o l e n ist die Umkehrreaktion der zu ihrer Bildung führenden A l k o h o l d e h y d r i e r u n g und kann sowohl mit k a t a l y t i s c h e m als auch mit n a s c i e r e n d e m W a s s e r s t o f f durchgeführt werden. Die k a t a l y t i s c h e H y d r i e r u n g findet vor allem in der T e c h n i k Anwendung, erfordert aber im allgemeinen etwas s c h ä r f e r e R e a k t i o n s b e d i n g u n g e n oder andere Katalysatoren als die Olefinhydrierung, so daß man beide Reaktionen ohne Schwierigkeiten voneinander t r e n n e n kann (vgl. I, Kap. 12, II, 1). Präparativ zieht man meistens die Reduktion mit n a s c i e r e n d e m W a s s e r s t o f f (Natriumamalgam-Alkohol, Natrium-Alkohol usw.) vor, auf deren Mechanismus wir erst später (II, Kap. 4, II, 5) näher eingehen werden. Schließlich können auch w a s s e r s t o f f a b g e b e n d e Verbindungen als Reduktionsmittel dienen. Am interessantesten ist hier die Verwendung anderer A l k o h o l e , die sich nach M E E R YVEIN-PONNDORF unter der katalytischen Einwirkung ihrer A l u m i n i u m a l k o h o l a t e mit Aldehyden (und auch Ketonen s. u.) unter A u s t a u s c h d e r O x y d a t i o n s s t u f e n zu deren Alkoholen umsetzen lassen: R — C H = 0 + R'—CH 2 —OH

(R'-ch 2 -0),AI

y

R—CH 2 —OH + R ' — C H = 0

Der Reaktionsmechanismus beruht wahrscheinlich auf einer i n t e r m e d i ä r e n A n l a g e r u n g der Carbonylverbindung an das A l u m i n i u m a l k o h o l a t zu einem g e m i s c h t e n K o m p l e x , innerhalb dessen sich dann der Austausch der Oxydationsstufen relativ leicht durch i n n e r m o l e k u l a r e W a n d e r u n g e i n e s H - A t o m s vollzieht:

R'—CH2—O. R—CH=0 + R'—CH2—O^Al R'—CH2—(y R'—CH2—Ox /0=CH—R' Al H R'—CH,—o/ \o—CH—R

R'—CH 2 —0 X X

R'—CH»—q/

yO—CH—R' ri 'O=CH—R

A /

— R'—CH=0 + R'—CH2—O-^Al R — CH2—CK

Die Reaktion führt, wie zu erwarten, stets zu einem G l e i c h g e w i c h t , dessen Lage, abgesehen von den Mengenverhältnissen, in erster Linie von den R e d o x p o t e n t i a l e n der umzusetzenden Komponenten abhängt. Will man daher einen A l d e h y d r e d u z i e r e n , so wird man als Reduktionsmittel einen Alkohol mit möglichst h o h e m R e d u k t i o n s p o t e n t i a l , wie z. B. I s o p r o p y l a l k o h o l , verwenden. Auch Ä t h y l a l k o h o l hat ein relativ hohes Reduktionspotential und bietet gleichzeitig den weiteren Vorteil, daß der entstehende Acetaldehyd leicht a u s d e m G l e i c h g e w i c h t s g e m i s c h a b d e s t i l l i e r t . Will man die Reaktion dagegen nach OPPENAUER umgekehrt zur D e h y d r i e r u n g e i n e s A l k o h o l s z u m A l d e h y d (S. 234) verwenden, so wählt man zweckmäßig nicht A c e t o n , das als Oxydationsprodukt des stark reduzierend wirkenden Isopropylalkohols

241

Reaktionen der Carbonylgruppe

naturgemäß nur ein niedriges O x y d a t i o n s p o t e n t i a l besitzt, sondern das stark dehydrierend wirkende C y c l o h e x a n o n als Wasserstoffacceptor, dessen zugehöriger Alkohol (Cyclohexanol) sich umgekehrt wiederum n i c h t als R e d u k t i o n s m i t t e l eignet. Abgesehen von dieser Abhängigkeit der Gleichgewichtslage und damit der Richtung des Reaktionsverlaufes von der W a h l eines geeigneten R e a k t i o n s p a r t n e r s kann man die Reaktion ohne Schwierigkeit in beiden R i c h t u n g e n durchführen. Ihr Hauptvorteil liegt in dem durch den speziellen Reaktionsmechanismus bedingten s t r e n g e n Ausschluß von u n e r w ü n s c h t e n a n d e r w e i t i g e n R e d o x r e a k t i o n e n .

Zu d) Die Polymerisation der Aldehyde verläuft der der Olefine analog. Nur ist der Reaktionsmechanismus insofern etwas anders, als hier das erste Aldehydmolekül mit der als Katalysator wirkenden Säure primär eine normale i n s t a b i l e A d d i t i t i o n s v e r b i n d u n g liefert, die sieh als OxyVerbindung an ein zweites Aldehydmolekül unter Bildung einer neuen Oxyverbindung anlagert. Diese reagiert ihrerseits wieder mit einem d r i t t e n Aldehydmolekül, die hierbei entstehende t r i m e r e Verbindung mit einem v i e r t e n usw., bis sich schließlich eine mehr oder weniger hochmolekulare K e t t e ausbildet: R

R

I

I

H—X + CH

I

CH

O

I

X

°

R

R

I

+ CH 7

CH

O

H

R

I

CH

I

R

R

+ CH^=r=iCH

JNO/\OH

II

I

R

I

CH

R

I

CH

+...

KO^XO^NOH

Diese linearen P o l y m e r i s a t i o n s p r o d u k t e sind aber nur beim F o r m a l d e h y d beständig, da dieser als einziger Aldehyd eine energetisch u n g e s ä t t i g t e Carbonyldoppelbindung enthält und daher die Tendenz zeigt, diese unter Abgabe von etwa l O k c a l / M o l F o r m a l d e h y d in zwei einfache C—O-Bindungen umzuwandeln. Der F o r m a l d e h y d polymerisiert infolgedessen zu den in III, Kap. 3, I u. III, 3 näher beschriebenen hochmolekularen Produkten. Bei den höheren Aldehyden fällt diese Polymerisationstendenz dagegen weitgehend fort, so daß hier die lineare Polymerisation ebenso leicht r ü c k w ä r t s unter Wiederabspaltung von Aldehydmolekülen aus den polymeren, an dem einen Ende eine Oxygruppe enthaltenden Molekülen geht. Es bildet sich infolgedessen hier ein Gleichgewichtsgemisch verschieden hoch p o l y m e r i s i e r t e r Moleküle aus, die dann auf anderem Wege, nämlich durch Abspaltung der als Katalysator wirkenden Säure unter Verknüpfung beider Molekülenden zu cyclischen, nicht mehr ohne weiteres aufspaltbaren Verbindungen, stabilisiert werden können: R

R

R

I

I

I

CH

CH

CH

X

O—CH—R

-H-X

/

\

R—CH

O

oder auch

O—CH—R

U I 1

R R

R

CH

I

-0/

CH

M)

I

R

R

CH

CH

.CH—O,

OH

O

CH—R

I O

R—CH \D—CH/

I

16

Slages, Lehrbuch der Organischen Chemie I, 1

R

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

242

Diese Polymerisationsmöglichkeit, bei der (wie auch bei anderen Ringschlußreaktionen, vgl. S. 423) die Bildung s e c h s g l i e d r i g e r R i n g e bevorzugt erfolgt, beobachtet man insbesondere bei den n i e d e r e n G l i e d e r n d e r R e i h e (Acetaldehyd, Propionaldehyd und den beiden Butyraldehyden sowie unter gewissen Bedingungen auch Formaldehyd), während höhere Aldehyde im allgemeinen n i c h t m e h r p o l y m e r i s i e r b a r sind. Zu 2. Die Aldehyde tragen als p r i m ä r e V e r b i n d u n g e n am Carbonylkohlenstoff noch ein H - A t o m und können daher noch eine Stufe weiter zu C a r b o n s ä u r e n oxydiert werden: R—er + O \H

> R—CT OH

Diese Aboxydation des Wasserstoffs geschieht infolge seiner Aktivierung durch den benachbarten Carbonylsauerstoff (vgl. II, Kap. 3, I, 3) noch l e i c h t e r als die des entsprechenden Wasserstoffs der A l k o h o l e , wenn sie wie dort auf dem Wege der Dehydrierung erfolgen kann. Eine dehydrierende Aboxydation von zwei H-Atomen ist aber n u r bei Anwesenheit einer H y d r o x y l g r u p p e an dem zu oxydierenden C-Atom möglich und läßt sich daher n u r von den A l d e h y d h y d r a t e n oder H a l b a c e t a l e n (S. 275f.) aus, d . h . in w ä ß r i g e r oder a l k o h o l i s c h e r Lösung, bewerkstelligen: i /O-H R C/ \o—H

- >

K— C

J) x

OH

'»zw.

p/O—H R—-Ö \o—R'

v R—C

,0 R'

Dieser Auffassung entsprechend beobachtet man in der T a t eine auffallende Resistenz der r e i n e n und t r o c k e n e n A l d e h y d e gegenüber den meisten Oxydationsmitteln, während die Reaktion in wäßriger Lösung a u ß e r o r d e n t l i c h l e i c h t und auch mit Oxydationsmitteln vor sich geht, die wie das C h i n o n nur W a s s e r s t o f f b i n d e n , jedoch k e i n e n S a u e r s t o f f a b g e b e n können. Zur praktischen Durchführung verwendet man wegen ihrer Billigkeit meistens die üblichen s t a r k e n O x y d a t i o n s m i t t e l (Chromsäure, S a l p e t e r s ä u r e und auch L u f t sauers t off), da die entstehenden Carbonsäuren gegen die weitere Oxydation ohnehin s t a b i l sind (S. 316). Lediglich zum N a c h w e i s der A l d e h y d e dienen einige s p e z i e l l e O x y d a t i o n s r e a k t i o n e n , die in alkalischer Lösung mit k o m p l e x g e b u n d e n e n Schwerm e t a l l i o n e n als Oxydationsmittel ausgeführt werden. Hierher gehören in erster Linie die Abscheidung eines S i l b e r s p i e g e l s aus einer a m m o n i a k a l i s c h e n S i l b e r s a l z l ö s u n g (die Reaktion wird durch Zusatz von etwas N a t r o n l a u g e stark b e s c h l e u n i g t ) und die auch zur quantitativen Bestimmung geeignete Fällung von K u p f e r - I - o x y d aus der stark a l k a l i s c h e n Lösung von komplexen K u p f e r - I I - s a l z e n , z. B. von FEHLiNGScher Lösung (S. 485). Ferner führt man bei den Kohlenhydraten die quantitative Bestimmung der Aldehydgruppe häufig auch mit H y p o j o d i t l ö s u n g e n als Oxydationsmittel aus.

Neben diesen Dehydrierungsreaktionen ist zuweilen auch eine d i r e k t e A b o x y d a t i o n d e s A l d e h y d w a s s e r s t o f f s möglich, bei der dieser im Sinne einer echten Oxydationsreaktion d u r c h S a u e r s t o f f s u b s t i t u i e r t wird und als E i n z e l a t o m zum Oxydationsmittel übergeht, so daß die Reaktion auch mit w a s s e r f r e i e n A l d e h y d e n durchgeführt werden kann. Das wichtigste Beispiel dieser Art ist die mit dem e l e m e n t a r e n S a u e r s t o f f der L u f t bereits bei normaler Temperatur eintretende A u t o x y d a t i o n der Aldehyd- zur C a r b o x y l - G r u p p e , die in z w e i S t u f e n vor sich geht: I n der e r s t e n P h a s e wird in Analogie zur Autoxydation der O l e f i n e (S. 99) und Ä t h e r (S. 212) ein Sauerstoffmolekül

Oxydationsreaktionen der Aldehyde

243

zwischen den Kohlenstoff und Wasserstoff der Aldehydgruppe unter Bildung einer P e r c a r b o n s ä u r e (S. 335) eingeschoben, die dann ihrerseits in der wesentlich rascher verlaufenden z w e i t e n R e a k t i o n s s t u f e als Wasserstoffakzeptor die Dehydrierung eines z w e i t e n A l d e h y d m o l e k ü l s bewirkt 1 ), wobei sie selbst ebenfalls in die C a r b o n s ä u r e übergeht: I

R—0=0 + 0 = 0 I

»

R—0=0

H

+ H»0

v 2R—C^ II R — 0 = 0 + H 2 0

-v

\0H

R—C:

I

OH

H

Daß die A u t o x y d a t i o n tatsächlich auf diesem Wege vor sich geht, k a n n man leicht dadurch beweisen, daß man einen a n d e r e n , schneller verlaufenden D e h y d r i e r u n g s v o r g a n g mit der Aldehydoxydation k u p p e l t . So wird z. B. I n d i g o s u l f o n s ä u r e durch Sauerstoff allein n i c h t oxydiert, wohl aber wenn m a n es in Gegenwart von B e n z a l d e h y d mit Sauerstoff behandelt, und zwar stets in der d e r e n t s t e h e n d e n B e n z o e s ä u r e ä q u i v a l e n t e n M e n g e . Diese Tatsache läßt sich nur auf Grund der Annahme deuten, daß die intermediär gebildete B e n z o p e r s ä u r e die Indigosulfonsäure (I) s c h n e l l e r zur I s a t i n s u l f o n s ä u r e (II) oxydiert als ein zweites Benzaldehydmolekül, so daß der g e s a m t e B e n z a l d e h y d nur nach der e r s t e n T e i l r e k t i o n aufoxydiert wird: O—OH 2 C 6 H 5 —0=0

H0 3 S +

0= \ / \

N

c

/

H -v

C6H5-C^

S0,H

-0=0 0=0-

0

\0H

+ 2

H H0 3 S

— 0=0



\ / \

N

/

n

H Schließlich ist es NEF gelungen, die B e n z o p e r s ä u r e mit Hilfe von E s s i g s ä u r e a n h y d r i d als gemischtes B e n z o y l - A c e t y l - P e r o x y d abzufangen (formulieren!) und dadurch direkt n a c h z u w e i s e n , so daß ihre intermediäre Bildung bei der Autoxydation des B e n z a l d e h y d s nunmehr als a b s o l u t g e s i c h e r t angesehen werden kann.

Der Unterschied zwischen den beiden Oxydationsmechanismen t r i t t b e s o n d e r s d e u t l i c h bei der Einwirkung von C h l o r als „Oxydationsmittel" in Erscheinung. *) Das für diese D e h y d r i e r u n g erforderliche H y d r a t w a s s e r wird in der gleichen Reaktionsphase gebildet. Ferner kann das Additionsprodukt der primär entstehenden Persäure an das zweite Aldehydmolekül (III) bereits ohne Wasser eine innermolekulare Dehydrierung der Halbacetalgruppe unter gleichzeitiger Hydrierung der 0—O-Bindung erleiden: 0

H —0

R—0

.0—R M)

10«

H

-0/

0 (R—0^ in

^0—R

-^-y

2R-(/ OH

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

244

Bei Verwendung von f e u c h t e m A l d e h y d entsteht im Sinne einer D e h y d r i e r u n g in glatter Reaktion die C a r b o n s ä u r e als „Oxydationsprodukt". Der t r o c k e n e A l d e h y d dagegen wird unter Angriff des Kohlenstoffatoms in das S ä u r e c h l o r i d übergeführt. Hier tritt also H a l o g e n i e r u n g ein: ,.Q

,0 „ +C1*

t>

"HC1

\C1

+h.O>

p

\

t>

/OH ( S

.OH +C1 - > 2Hn

:| \() H -

H

:H

p

r /

S0

Eine letzte interessante Oxydationsreaktion ist die als Disproportionierung oder Dismutation bezeichnete g e g e n s e i t i g e O x y d a t i o n u n d R e d u k t i o n z w e i e r A l d e h y d m o l e k ü l e , die hierbei in je ein Molekül eines A l k o h o l s und einer C a r b o n s ä u r e übergehen. Diese A l d e h y d d i s m u t a t i o n kann auf d r e i v e r s c h i e d e n e n W e g e n durchgeführt werden: a) Bei der am längsten bekannten Reaktion von C A N N I Z Z A R O erfolgt die Disproportionierung unter der Einwirkung s t a r k e r A l k a l i e n und kommt in Anlehnung an eine Theorie von M E E R W E I N wahrscheinlich auf dem Wege zustande, daß das bei der Anlagerung des stark basischen H y d r o x y l i o n s a n den Aldehyd entstehende stark basische A d d i t i o n s p r o d u k t I I sich sofort, ähnlich wie bei der Polymerisationsreaktion , an ein z w e i t e s A l d e h y d m o l e k ü l unter Bildung des inzwischen von H Ü T T E L auch experimentell nachgewiesenen h a l b a c e t a l a r t i g e n Z w i s c h e n p r o d u k t e s I I I anlagert. I n letzterem hat die für die Bildung der Carbonsäure erforderliche E i n f ü h r u n g d e s z w e i t e n S a u e r s t o f f a t o m s in das zu oxydierende (linke) Aldehydmolekül b e r e i t s s t a t t g e f u n d e n , und es braucht nur noch in der in den Formeln angedeuteten Weise die W a n d e r u n g d e s A l d e h y d - W a s s e r s t o f f s unter gleichzeitiger L ö s u n g d e r B i n d u n g d e s B r ü c k e n s a u e r s t o f f s am rechten Aldehydmolekül zu erfolgen, um die Reaktion zu vollenden: H Q | /. 0 R—C( \v OH

R — C H = 0 + O—H"

II

+

0=CH—R

.0' : HOxJi 1 >•

R—C\

/.C—R

\0X

() v

R—(/

%

+ R—CH2—OH

in

Der Reaktion von CANNIZZARO sind nur t e r t i ä r e A l d e h y d e (d. h. Aldehyde, in denen die —CH=0-Gruppe an einem t e r t i ä r e n , d. h. k e i n e n W a s s e r s t o f f mehr enthaltenden C-Atom steht) zugänglich, da andernfalls in dem stark alkalischen Medium die unter 3 beschriebenen K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n e n eintreten.

b) In Gegenwart von A l u m i n i u m a l k o h o l a t als Katalysator findet die Disproportionierung des Aldehyds nach einem der MEERWEIN-PoNirooErschen Reaktion (S. 240) ähnlichen Reaktionsmechanismus statt, wobei in Ermangelung des zur Dismutation in ein S ä u r e - und ein A l k o h o l m o l e k ü l erforderlichen W a s s e r s direkt der Ester entsteht. Die Reaktion dürfte etwa im Sinne der folgenden Formeln verlaufen und beruht wie die Reaktion von C A N N I Z Z A R O auf der (diesmal durch die Komplexbildung ausgelösten) Bildung eines a c e t a l a r t i g e n Z w i s c h e n p r o d u k t e s aus z w e i A l d e h y d m o l e k ü l e n (IV), in dem der zu oxydierende Kohlenstoff wiederum be-

Reaktionen der aktiven Methylengruppe

245

reits zwei O - A t o m e i n d i r e k t e r B i n d u n g enthält, so daß die Stabilisierung zum Ester lediglich noch die i n n e r m o l e k u l a r e W a n d e r u n g des C a r b o n y l w a s s e r s t o f f s erfordert: (R'—0) 3 A1 + 0 = C H — R

(R'—0) 3 A1

0=CH—R

©

- 0 = CH—R

/ 0=CH—R

e

(IV—0)3A1 0 - C

H

A

~(R'~0)'AV

R—CO—0 —CH 2 —R

\ R ' IV

Die Reaktion hat wegen ihrer Einfachheit hauptsächlich t e c h n i s c h e s I n t e r e s s e gefunden, z. B. zur Herstellung von E s s i g e s t e r (S. 366), da man auf diese Weise das sonst übliche Dreistufenverfahren: Herstellung der S ä u r e , des A l k o h o l s und die eigentliche V e r e s t e r u n g s r e a k t i o n , wesentlich a b k ü r z e n kann.

c) Am einfachsten verläuft schließlich die durch Enzyme katalysierte biochemische Aldehyddismutation, die wir auf Grund der in III, Kap. 8, III erörterten Beweisführung als reine D e h y d r i e r u n g s r e a k t i o n auffassen müssen, bei der ein n i c h t h y d r a t i s i e r t e s Aldehydmolekül den aus einem Molekül des A l d e h y d h y d r a t e s abgespaltenen Wasserstoff aufnimmt:

! /

R—C'

H

OH

+0=CH—R

J>

R—CT + R—CH 2 —OH N)H

Auch eine d i r e k t z u m E s t e r führende Disproportionierungsreaktion scheint b i o c h e m i s c h eine gewisse Rolle zu spielen, wie aus dem Auftreten zahlreicher natürlicher Ester, deren alkoholische und Säurekomponente das g l e i c h e K o h l e n s t o f f g e r ü s t aufweisen, hervorgeht. Als Beispiele seien der B e n z o e s ä u r e b e n z y l e s t e r im Cinnamein (S. 377), der Z i m t s ä u r e - Z i m t a l k o h o l e s t e r im Storax (S. 189, 378), der P a l m i t i n s ä u r e - c e t y l e s t e r des Walrats und zahlreiche sonstige natürliche W a c h s e s t e r (III, Kap. 6, I, 3) angeführt.

Zu 3. Die Carbonylgruppe übt auf die am « - s t ä n d i g e n K o h l e n s t o f f b e f i n d l i c h e n H - A t o m e (z.B. in der —CO—CH3-Gruppe) eine stark a k t i v i e r e n d e W i r k u n g aus, und man spricht daher von einer aktiven Methyl- bzw. Methylengruppe. Die Aktivierung besteht in einer geringfügigen A c i d i t ä t s - S t e i g e r u n g des Methylenwasserstoffs gegenüber dem normalen Paraffinwasserstoff, ohne daß man jedoch schon von einer d i r e k t e n S ä u r e n a t u r sprechen kann, und ist der Aktivierung des unter 2 besprochenen Wasserstoffs am Carbonyl-C-Atom g e r a d e e n t g e g e n g e s e t z t (näheres vgl. II, Kap.3,1, 3). Die a k t i v e M e t h y l e n g r u p p e neigt daher weniger zur d e h y d r i e r e n d e n A b s p a l t u n g des W a s s e r s t o f f s , als in erster Linie zu seinem A u s t a u s c h g e g e n andere R e s t e . Die wichtigsten dieser Reaktionen sind: a) die n o r m a l e n S u b s t i t u t i o n s r e a k t i o n e n , b) die auf dem Wege der Substitution erfolgenden O x y d a t i o n s r e a k t i o n e n und c) die als K o n d e n s a t i o n bezeichnete Einführung anderer Kohlenstoffreste. Zu a) Die a k t i v e M e t h y l e n g r u p p e kann mit Hilfe der üblichen Grundreaktionen der organischen Chemie ähnlich leicht h a l o g e n i e r t , n i t r i e r t , s u l f o n i e r t , sowie auch n i t r o s i e r t (vgl. S. 289, 440) werden wie die P h e n o l e und E n o l e . Besonders die H a l o g e n i e r u n g ist eine häufig durchgeführte Reaktion, deren wichtigstem Anwendungsbeispiel wir in der Darstellung der drei H a l o g e n o f o r m e (S. 160f.) schon früher begegnet sind. Diese Reaktion läßt gleichzeitig eine weitere interessante F e r n w i r k u n g der C a r b o n y l g r u p p e erkennen: die Labilisierung

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

246

der vom Carbonylkohlenstoff ausgehenden C—C-Bin d ü n g e n , wenn das «-ständige C-Atom mit n e g a t i v e n (bzw. exakter ausgedrückt mit p o s i t i v i e r e n d e n , vgl. II, Kap. 3,1, 3) Resten besetzt ist. Sie äußert sich insbesondere in einer leichten H y d r o l y s i e r b a r k e i t dieser Bindung, wobei stets die H y d r o x y l g r u p p e an das C a r b o n y l - und der W a s s e r s t o f f an das a n d e r w e i t i g s u b s t i t u i e r t e C-Atom tritt, so daß A m e i s e n s ä u r e und (im Falle einer Substitution des A c t a l d e h y d s ) ein m e h r f a c h s u b s t i t u i e r t e s M e t h a n entsteht. Dieses g l e i c h a r t i g e Verhalten aller an der aktiven Methylengruppe durch n e g a t i v e Reste substituierten Carbonylverbindungen geht aus dem folgenden Formelbild hervor, in dem die aus A c e t a l d e h y d bei der H a l o g e n i e r u n g , N i t r i e r u n g , S u l f o n i e r u n g und bei der Einwirkung von S t i c k o x y d - A l k o h o l a t (näheres vgl. I, Kap.6, II, 6) entstehenden Primärprodukte, sowie die aus ihnen durch anschließende h y d r o l y t i s c h e S p a l t u n g der C—C-Bindung hervorgehenden di- und t r i s u b s t i t u i e r t e n M e t h a n e übersichtlich zusammengestellt sind: /> H03S—CH22—SO,H + HCT 3 \ 0 Methandisulfonsäure

HS

HaLCH + HC( 3 \ONa

H

Halogenoform

t

° 3 N;CH—CH=0 W

HSO/

,

+

2

H.so..

— 2 H20

Acetaldehyd-disulfonsäure

OaN-

-

— 3 HHal

|

Trihalogen-acetaldehyd

CHo—CH=0

)CH—CH=0 « ^ g j j U

x

o' > Hal 3 C-CH=0 I i NaO

l+iNG+^-oya^ \ 0 = N - N - / 2 C H - C H = 0 . Acetaldehyd-diisonitramin-natrium

Dinitro-acetaldehyd

W

NaO

ONa S I I HC ' 00=N—N—CH„—N—N=0 = N - N - C H 2 - N - N = 0 ++ HC x ONa

y J* 02N—CHa—N02 + H

H2C=O

Formaldehyd ist ein sich bei —23° kondensierendes farbloses Gas. E r enthält, wie schon mehrfach erwähnt, eine wesentlich s t ä r k e r u n g e s ä t t i g t e D o p p e l b i n d u n g

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

250

als andere Aldehyde und weist infolgedessen eine außerordentlich starke P o l y m e r i s a t i o n s n e i g u n g auf, so daß er nicht in verflüssigtem Zustand angewandt werden kann. Dagegen ist sein H y d r a t infolge der bei seiner Bildung erfolgenden Aufhebung der Doppelbindung ziemlich b e s t ä n d i g , und er kommt daher in Form seiner etwa 4 0 % i g e n w ä ß r i g e n L ö s u n g (Formalinlösung) in den Handel, die meistens direkt an Stelle des freien Aldehyds verwandt wird. Aus dieser Lösung läßt sich der wasserfreie Aldehyd nur schwierig z u r ü c k g e w i n n e n , da das Hydrat als e x o t h e r m e V e r b i n d u n g bei der fraktionierten Destillation n i c h t bzw. nur teilweise in seine Bestandteile zerfällt und der Formaldehyd infolgedessen trotz seines niederen Siedepunktes mit Wasser ein bei etwa 130° übergehendes, k o n s t a n t siedendes Gemisch bildet. Statt des wasserfreien Formaldehyds verwendet man in der Praxis daher meistens das als Paraformaldehyd oder auch Polyoxymethylen bezeichnete h o c h m o l e k u l a r e P o l y m e r i s a t i o n s p r o d u k t , das unter den jeweiligen Reaktionsbedingungen meistens in den monomeren Formaldehyd zurückverwandelt wird (vgl. S. 280). Als A n f a n g s g l i e d der R e i h e zeigt der Formaldehyd zahlreiche s p e z i e l l e R e a k t i o n e n , von denen vor allem seine Fähigkeit hervorzuheben ist, in s c h w a c h a l k a l i s c h e r Lösung, z . B . beim Behandeln mit K a l k m i l c h , eine der Aldolkondensation analoge P o l y m e r i s a t i o n zu erleiden, bei der im Gegensatz zur Polyoxymethylenbildung n e u e C — C - B i n d u n g e n gebildet werden. Abweichend von der eigentlichen Aldolkondensation tritt hierbei aber n i c h t die (im Formaldehyd überhaupt nicht vorhandene) a k t i v e M e t h y l e n g r u p p e , sondern, wie bei der Acyloinkondensation, der am C a r b o n y l - K o h l e n s t o f f b e f i n d l i c h e Wasserstoff in Aktion: 0

II +

H2C

0

II

»•

H—CH

OH O

I

II +

H2C—CH

O

II

v

H—CH

OH OH

| |

O

l l + H

H2C—CH—CH

O



H2C

Auch hier findet dieser s c h e i n b a r a n o m a l e Reaktionsverlauf eine befriedigende Erklärung in dem Vorliegen eines speziellen, letzten Endes auch wieder über eine Aldolkondensation verlaufenden Reaktionsmechanismus, dessen Auffindung insbesondere LANGENB E C K gelungen ist. Danach wird die alkalische Formaldehydpolymerisation durch die bei der Reaktion entstehenden di- und t r i m e r e n P o l y m e r i s a t i o n s p r o d u k t e des Formaldehyds a u t o k a t a l y s i e r t bzw. überhaupt erst ermöglicht. Im einzelnen spielen sich hierbei etwa die folgenden Vorgänge ab: Ist nur eine Spur des bereits eine aktive Methylengruppe im Molekül enthaltenden Dimerisationsproduktes G l y k o l a l d e h y d (I) vorhanden, so lagert sich dieser im Sinne einer echten A l d o l k o n d e n s a t i o n an die Carbonylgruppe eines zweiten F o r m a l d e h y d m o l e k ü l s zum t r i m e r e n G l y c e r i n a l d e h y d (II) an, der sich in dem alkalischen Medium sofort im Rahmen eines Gleichgewichts unter Wanderung der Carbonylgruppe in das Ketteninnere zum D i o x y a c e t o n (III) isomerisiert (vgl. S. 437). Dieses kann dann e r n e u t zwei Moleküle Formaldehyd an die neu e n t s t a n d e n e n a-ständigen Methylengruppen anlagern unter Bildung eines T e t r a o x y p r o p i o n s (IV), das bereits zu den K o h l e n h y d r a t e n zählt und eine „ P e n t o s e " darstellt: OH

O

I

0=CH—CH +

I

H I

I

II

C—H

OH OH >-

I

0=CH—C—C—H

I I

H

H II

l OTT fi_f\

OHO

I I

I

I I

H

H—C—C—C—H

H

H

I III

OH OH 0

I

II

H

OH OH

I

H IV

OH

II I

[

I I

H

I

H

Der Formaldehyd

251

I n den auf diese Weise entstandenen O x y o x o - V e r b i n d u n g e n ist nun auf Grund der „SCHMIDTsehen D o p p e l b i n d u n g s r e g e l " (S. 99) jeweils die zwischen den zum Carbonylkohlenstoff a- und /¡-ständigen C-Atomen gelegene C—C-Bindung l a b i l i s i e r t und wird unter den Reaktionsbedingungen leicht in U m k e h r u n g d e r A l d o l k o n d e n s a t i o n hydrolytisch gespalten (S. 247). Das bedeutet zunächst zwar nur, daß die Formaldehydanlagerung ein r e v e r s i b l e r V o r g a n g ist. Infolge der erwähnten W a n d e r u n g d e r C a r b o n y l g r u p p e i n n e r h a l b d e r K e t t e bildet sich jedoch ein Gleichgewichtsgemisch der verschiedenen pentameren Verbindungen aus, in dem auch das T e t r a o x y - m e t h y l p r o p y l - k e t o r i (V) und der T e t r a o x y - v a l e r a l d e h y d (VI) vorkommen, und diese beiden Verbindungen bilden bei der erwähnten Spaltung der Kohlenstoffkette unter V e r d o p p e l u n g der Zahl der Polymerisationskeime jeweils je ein JV ol der di- und trimeren Polymerisationsprodukte zurück, die sofort e r n e u t wie oben in R e a k t i o n t r e t e n und auf diese Weise den ganzen Formaldehyd im Sinne einer e c h t e n K a t a l y s e zum Olykolaldehyd und den trimeren Verbindungen umzusetzen vermögen: OH O OH O I I OH I II I I I : CH,—C—CH—CH—CH,

OH OH O OH OH ! I II I I CH 2 — CH—C— CH—CH 2

O OH O H OH OH II I II I I CH—CH- C H — C H - C H 2 VI

y H -+2H-Ü=°

— 2HSC=0

0

OH

CH 2 —C- CH,

0 OH II I CH—CH 2

M

+ HAC=0

— H,C=0

I

o

OH

OH

CH—CH—CH 2 Ii 1!

1L

Schließlich findet auch eine Kondensation der beiden T r i m e r i s i e r u n g s p r o d u k t e (II und I I I ) zu einem s e c h s F o r m a l d e h y d m o l e k ü l e enthaltenden P e n t a o x y k e t o n (VII) statt, das unter den Reaktionsbedingungen verhältnismäßig stabil ist und eine „ K e t o h e x o s e " darstellt. OH OH 0 OH O OH I I II I II I CH 2 —CH—CH + H — C H — C — C H 2

v

OH OH OH OH 0 OH I I I I II I CH 2 —CH—CH—CH—C—CH 2 VII

Hierdurch werden die im Rahmen der Reaktion entstehenden trimeren Verbindungen immer wieder a u s d e m R e a k t i o n s g e m i s c h e n t f e r n t , so daß als Reaktionsendprodukt in verhältnismäßig guter Ausbeute die erwähnte H e x ose entsteht. Der geschilderte Reaktionsmechanismus bietet neben der Deutung der Kondensation selbst im Sinne einer A l d o l k o n d e n s a t i o n vor allem eine Erklärung der b e v o r z u g t e n B i l d u n g t r i - u n d h e x a m e r e r R e a k t i o n s p r o d u k t e , die bei der früher angenommenen l i n e a r e n Polymerisation unverständlich war und die Verwendung dieser Reaktion zur K o h l e n h y d r a t s y n t h e s e (III, Kap. 4 , 1 , 7 a) überhaupt erst ermöglicht. W i r d der F o r m a l d e h y d z u s a m m e n m i t anderen, eine a k t i v e Methylengruppe enthaltenden Verbindungen den Bedingungen der Aldolkondensation ausgesetzt, so t r i t t stets ausschließlieh die a m s t ä r k s t e n u n g e s ä t t i g t e u n d daher a k t i v e r e C a r b o n y l g r u p p e d e s F o r m a l d e h y d s m i t der a k t i v e n Methylengruppe in R e a k tion, u n d zwar werden bei F o r m a l d e h y d ü b e r s c h u ß im Sinne einer n o r m a l e n Aldolkondensation jeweils s ä m t l i c h e a k t i v e n H - A t o m e d u r c h O x y m e t h y l gruppen substituiert, ohne d a ß irgendwelche Zwischenprodukte f a ß b a r sind. Als Beispiel sei die m i t A c e t a l d e h y d eintretende Bildung des T r i o x y m e t h y l - a c e t -

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

252

a l d e h y d s angeführt, der allerdings unter den Reaktionsbedingungen gleich weiter zum P e n t a - e r y t h r i t reduziert wird (vgl. S. 422): H

2

C = 0

H

/ H O — c h

x

H 2 C=0 + H—C—CH=0 H,C=0 H/

2

.

T+

( HO—CH2—C—CH=0 |

H.1

:/

>•

Trioxymethyl-acetaldehyd 2

H O — C H

2

\ /

Penta-erythrit

Die Kondensation des Formaldehyds mit einer aktiven Methylengruppe im Sinne einer C r o t o n a l d e h y d k o n d e n s a t i o n , d. h. unter Bildung einer V i n y l g r u p p e (Gleichung formulieren!), ist dagegen nur in Ausnahmefällen und bei h ö h e r e r T e m p e r a t u r (z.B. bei der Acroleinsynthese, S. 255) gelungen.

Bei der Einwirkung s t a r k e r A l k a l i e n erleidet der Formaldehyd in der üblichen Weise D i s p r o p o r t i o n i e r u n g nach C a n n i z z a r o zu M e t h y l a l k o h o l und A m e i s e n s ä u r e (Gleichung formulieren!). Desgleichen tritt mit den s a l z s a u r e n S a l z e n d e s A m m o n i a k s oder o r g a n i s c h e r A m i n e bei höherer Temperatur Dismutation ein, wobei die Salze der m e t h y l i e r t e n A m i n e entstehen und unter w e i t e r e r D i s p r o p o r t i o n i e r u n g der hierbei gebildeten Ameisensäure K o h l e n d i o x y d entweicht. Diese M e t h y l a m i n b i l d u n g läßt sich am besten durch Reduktion der zunächst gebildeten F o r m a l d e h y d i m i n e (bzw. ihrer Hydrochloride) mit unverändertem F o r m a l d e h y d bzw. A m e i s e n s ä u r e erklären (vgl. auch I, Kap. 6, I, l a ) : 2 H [h [ h

2

2

2

C = 0

c=nh

2 NH

+ 2

]

c = n h J

+

4

C1

ci- + e r

+

h

2

c = o

+

h

2

o

h c o o h

3 H 2 C=0 + 2 NH4C1

2 [ H

2

C = N H

>-

[ c h

3

— N H 3 3]J + C r

+

H C O O H

v

[ c h

3

— n h

+

c o



3

2

]

]

+

>

C r +

e r

H

2

2

0

2

+

2 [cH 3 —NH 3 ] Cr + C02 + H 2 0

Auf dieser Reaktion beruht die praktisch wichtige Anwendung des Formaldehyds als „ M e t h y l i e r u n g s m i t t e l " für S t i c k s t o f f v e r b i n d u n g e n . Auch zahlreiche n a t ü r l i c h e N- und O - M e t h y l v e r b i n d u n g e n dürften auf ähnliche Weise durch b i o c h e m i s c h e R e d u k t i o n der zunächst entstandenen Formaldehydderivate entstanden sein (vgl. z. B. m , Kap. 7, III, 1).

Einer letzten interessanten Gruppe von Reaktionen begegnen wir in der Neigung des Formaldehyds, gleichzeitig n a c h z w e i S e i t e n zu k o n d e n s i e r e n und dadurch zwei Moleküle einer aktiven Wasserstoffverbindung m i t e i n a n d e r z u verknüpfen: R — N H -

H + O

+

H i — N H — R

v

R — N H — C H

a

— N H — R

CH»

Ein für die Praxis wichtiges Beispiel haben wir bereits in der Bildung der P h e n o l f o r m a l d e h y d k o n d e n s a t i o n s p r o d u k t e kennen gelernt (S. 224, 226). Ähnlich kann man mit Formaldehyd die — N H 2 - G r u p p e n d e s H a r n s t o f f s zu R i e s e n m o l e k ü l e n v e r n e t z e n (S. 402 u. III, Kap. 3,111, lb), und auch für die D e n a t u r i e -

Acetaldehyd

253

r u n g v o n E i w e i ß (HI,Kap.7, I, 3a) oder die H ä r t u n g v o n E i w e i ß k u n s t s t o f f e n (Hl, Kap.7, I, 3b) ist diese Reaktion von Bedeutung geworden. P h y s i o l o g i s c h ist der Formaldehyd durch eine starke Giftwirkung ausgezeichnet, die auf der erwähnten D e n a t u r i e r u n g des E i w e i ß e s , wahrscheinlich durch Blockierung l e b e n s w i c h t i g e r A m i n o g r u p p e n , beruht. Da diese Giftwirkung besonders K l e i n l e b e w e s e n gegenüber in Erscheinung tritt, dient Formaldehyd in der Medizin als D e s i n f e k t i o n s m i t t e l , und zwar sowohl in der Form der F o r m a l i n l ö s u n g , als auch in Form seines Ammoniakderivates, des U r o t r o p i n s (S. 287). Formaldehyd wird durch H y d r o p e r o x y d in a l k a l i s c h e r Lösung in glatter Reaktion zu A m e i s e n s ä u r e oxydiert und kann auf diesem Wege q u a n t i t a t i v bestimmt werden. Die Reaktion verläuft eigenartigerweise trotz der Anwesenheit des Oxydationsmittels unter Entwicklung von e l e m e n t a r e m W a s s e r s t o f f , so daß man mit e i n e m Mol Hydroperoxyd zwei Mol Formaldehyd oxydieren kann: H2C=0 + H - 0 - 0 - H + 0 = C H

H HCT

ONaiNaO. x

*

2

O— -(Y

;CH

j

\

\ H I

/

|H2c(

/OH H 0 \ X)

\

^CH A O7

/ONa >- H 2 + 2 H c /

X)

Acetaldehyd C H 3 — C H = 0 kommt ebenfalls nicht frei oder in Form seiner einfachen Derivate in der Natur vor, doch spielt er im Verlauf des K o h l e n h y d r a t s t o f f w e c h s e l s , z . B . bei der a l k o h o l i s c h e n G ä r u n g , eine wichtige Rolle als Zwischenverbindung. Seine technische Gewinnung geschieht in allergrößtem Maßstab nach zwei grundsätzlich verschiedenen Verfahren: 1. durch die bereits beschriebene W a s s e r a n l a g e r u n g an A c e t y l e n (vgl. S. 110, 115), die überwiegend in Deutschland und anderen getreidearmen europäischen Ländern gebräuchlich ist, und 2. durch D e h y d r i e r u n g v o n Ä t h y l a l k o h o l , die sich insbesondere in den U.S.A., Sowjetrußland und anderen Staaten, denen ein genügender KohlenhydratÜberschuß zur Verfügung steht, als vorteilhaft erwiesen hat. Acetaldehyd ist eine farblose, bereits bei 20° siedende Flüssigkeit, die infolge ihrer Neigung zur P o l y m e r i s a t i o n und auch A u t o x y d a t i o n ziemlich unbeständig ist und daher zur Erzielung eines reinen Produktes stets f r i s c h d e s t i l l i e r t werden muß. Die Polymerisation wird insbesondere durch S ä u r e n katalysiert und verläuft bei Zugabe eines Tropfens konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e unter s t ü r m i s c h e m A u f s i e d e n nahezu explosionsartig, wobei sich der bei 124° siedende trimere Paraldehyd1) bildet (vgl. S. 242). Da die Trimerisation des Acetaldehyds r e v e r s i b e l verläuft, kann man umgekehrt den Paraldehyd durch Kochen mit etwas S c h w e f e l s ä u r e zu einem, allerdings sehr geringen, Bruchteil wieder aufspalten. Doch läßt sich das monomere Produkt infolge seines niedrigen Siedepunktes ziemlich leicht durch f r a k t i o n i e r t e D e s t i l l a t i o n aus dem Gleichgewichtsgemisch entfernen, so daß man mit der Zeit den gesamten Paraldehyd auf diesem Wege d e p o l y m e r i s i e r e n kann. Bei höherer Temperatur findet auch ohne Katalysator eine Depolymerisation statt. Der Paraldehyd findet wegen seiner gegenüber dem monomeren Acetaldehyd wesentlich größeren Beständigkeit, insbesondere gegen A l k a l i e n und O x y d a t i o n s m i t t e l , häufig Der „ P a r a l d e h y d " leitet sich also im Gegensatz zum „ P a r a f o r m a l d e h y d " vom Acetaldehyd ab.

254

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

praktische Anwendung an Stelle anderer alkalistabiler Aldehydderivate, wie etwa der A c e t a l e , . und auch in Analogie zum P a r a f o r m a l d e h y d an Stelle des f r e i e n A l d e h y d s selbst (vgL S. 280).

Eine z w e i t e polymere Form des Acetaldehyds liegt im kristallisierten Metaldehyd vor, der ebenfalls bei der Einwirkung von S ä u r e n , jedoch bei t i e f e r T e m p e r a t u r entsteht und nach H A N T Z S C H auf Grund der Molekulargewichtsbestimmung in Phenol t e t r a m o l e k u l a r ist. E r wird wie der Paraldehyd durch Erhitzen in A c e t a l d e h y d zurückverwandelt und findet hauptsächlich unter dem Decknamen ,,Meta" Verwendung als H a r t s p i r i t u s . Der monomere Acetaldehyd ist präparativ und vor allem technisch ein außerordentlich wichtiges Z w i s c h e n p r o d u k t zur Darstellung anderer aliphatischer Verbindungen, doch zeigt er über die im allgemeinen Teil beschriebenen Reaktionen hinaus k e i n e weiteren s p e z i e l l e n U m s a t z m ö g l i c h k e i t e n . Eine Zusammenstellung der wichtigsten der von ihm ausgehenden technischen Synthesen ist in dem auf Tafel I (S. 115) w i e d e r g e g e b e n e n , , A c e t y l e n s t a m m b a u m " enthalten. Propionaldehyd CH 3 —CH 2 —CH=0 kann durch Dehydrierung von n - P r o p y l a l k o h o l gewonnen werden, hat aber keine weitere Bedeutung erlangt. Butyraldehyd CH 3 —CH 2 —CH 2 —CH=0 wird technisch durch Hydrierung des vom A c e t a l d e h y d aus leicht zugänglichen C r o t o n a l d e h y d s hergestellt (s. oben). Er dient als Zwischenprodukt zur Gewinnung anderer „C 4 -Körper", z. B. von n - B u t y l a l k o h o l oder B u t t e r s ä u r e , sowie f ü r weitere Synthesen.

Isobutyraldehyd CH 3 —CH(CH 3 )—CH=0, der einfachste Aldehyd mit v e r z w e i g t e r Kette, wird durch Dehydrierung von I s o b u t y l a l k o h o l (S. 187) gewonnen und ist neuerdings durch dessen Großherstellung zu einem technisch leicht zugänglichen Produkt geworden. E r dient ebenfalls als wichtiges Zwischenprodukt für weitere Synthesen. Önanthaldehyd CH3—(CH2)6— C H = 0 kommt z. T. frei, z. T. in Form seiner A c e t a l e im Wein vor und bedingt in erster Linie den charakteristischen W e i n g e r u c h . Capryl- CH 3 —(CH 2 ) 6 —CH=0 und Pelargonaldehyd CH3— (CH 2 ) 7 —CH=0 wurden in einigen ä t h e r i s c h e n ö l e n aufgefunden.

c) D i e u n g e s ä t t i g t e n

Aldehyde

Ungesättigte Aldehyde mittlerer Molekülgröße kommen vielfach als n a t ü r l i c h e D u f t s t o f f e in ä t h e r i s c h e n Ö l e n vor und werden mit diesen später gemeinsam behandelt (III, Kap. 5). An dieser Stelle interessieren uns in erster Linie die n i e d e r e n Glieder der Reihe, von denen wiederum insbesondere diejenigen von Bedeutung sind, in denen die olefinische Doppelbindung in K o n j u g a t i o n zur Carbonylgruppe steht. Ihre Darstellung erfolgt, vom A c r o l e i n abgesehen, fast ausschließlich durch direkte K o n d e n s a t i o n z w e i e r A l d e h y d m o l e k ü l e mit Hilfe der auf S. 248 beschriebenen C r o t o n a l d e h y d k o n d e n s a t i o n oder auch durch nachträgliche W a s s e r a b s p a l t u n g aus einem Aldol. Bei Verwendung von P i p e r i d i n a c e t a t als Katalysator kann man die Crotonaldehydkondensation auch auf die Gewinnung p o l y - u n g e s ä t t i g t e r A l d e h y d e ausdehnen, da die aktivierende Wirkung der Aldehydgruppe auf die nachbarständige Methylengruppe auch d u r c h e i n e oder mehrere k o n j u g i e r t e D o p p e l b i n d u n g e n h i n d u r c h noch wirksam ist. So ist es z. B. R. K U H N gelungen, durch Zusammenschluß zweier C r o t o n a l d e h y d m o l e k ü l e ein O k t a t r i e n a l und aus diesem durch Kondensation mit e i n e m d r i t t e n bzw. z w e i w e i t e r e n C r o t o n a l d e h y d m o l e k ü l e n ein D o d e c a p e n f a e n a l und als höchstes Glied der Reihe ein H e x a d e c a p e n t a e n a l zu erhalten:

Ungesättigte Aldehyde CH

3

—CH=CH—CH:=0 + C H

3

3

2

; C H — C H = C H — C H = 0

3

CH:=0 +

II2OH

CH

CH

Dodecapentaen -2,4,0,8,10-aI 3

H

'°>-

C H - 0

— C H = C H — C H = C H — C H = C H — C H = C H — C H = C H — C H = 0

C H

"

— C H = C H — C H = C H — C H = C H — C H = 0 0ctat,rien-2,4,6-al

-(CH=CH—) C H

H

255

— c h = c h — C H = C H —

- H.CH-CH=CH—CH=0 — H,0

C H = C H — c h = c h — c h = c h — c h = c h — c h = c h — c h = o Hexadecaheptaen-2,4,6,8,10,12,14-al

Acrolein C H 2 = C H — C H = 0 , das Anfangsglied der Reihe wurde wegen der mangelnden Neigung des Formaldehyds zur Crotonaldehyd-Kondensation bis vor kurzem nach einem S p e z i a l v e r f a h r e n durch Abspaltung von zwei Molekülen W a s s e r ausG l y c e r i n mittels K a l i u m b i s u l f a t s bei 200° gewonnen. Hierbei geht das zunächst entstehende E n o l in der bekannten Weise sofort in den ungesättigten Aldehyd über r OH Cil2

H

OH C

HH

:T

('II - O H

-

2 H

' ° v

(CH

2

=C=CH—OH)

Erst ab 1940 ist daneben auch eine der Cro t o n a l d e h y d k o n d e ' n s a t i o n analog verlaufende, jedoch erst bei h ö h e r e r T e m p e r a t u r in der G a s p h a s e vor sich gehende direkte Methylenierung von A c e t a l d e h y d mittels F o r m a l d e h y d s in die Technik eingeführt worden: H2 C H — C H = o

Z1Tola öUU~^ö-

R—CH2—C—CH2—R ,

so daß die Methode letzten Endes auf eine z w e i t e M ö g l i c h k e i t hinauskommt, aus zwei C a r b o n s ä u r e m o l e k ü l e n ein K e t o n zu synthetisieren. Das Verfahren kann durch Variation der Reaktionskomponenten zur Synthese einer großen Zahl von Ketonen verwandt werden und bietet gegenüber der nach N E U N H O E F F E R prinzipiell auf dem gleichen Wege erfolgenden K a l k s a l z d e s t i l l a t i o n den Vorteil des A r b e i t e n s b e i t i e f e r T e m p e r a t u r , dem der Nachteil der Verwendung eines w e s e n t l i c h t e u r e r e n A u s g a n g s m a t e r i a l s sowie insbesondere auch der der z w e i m a l i g e n A b s p a l t u n g d e s E s t e r a l k o h o l s und damit des V e r l u s t e s wertvoller o r g a n i s c h e r S u b s t a n z gegenüber steht. Es dient daher hauptsächlich zur Darstellung k o m p l i z i e r t e r e r , hitzeempfindlicher Ketone. Zu 6. Die Ozonspaltung der Olefine und die Glykolspaltung mit Bleitetracetat oder Überjodsäure können in g l e i c h e r w e i s e wie zur A l d e h y d - auch zur K e t o n b i l d u n g herangezogen werden, wenn die olefinische Doppelbindung z w e i t e r t i ä r e C - A t o m e miteinander verbindet bzw. man von d i t e r t i ä r e n G l y k o l e n ausgeht:

R\ \

/R" r

_

r

/

K

K'/

R\ O'QP- „ Spaltung

\

/R" , n _ p / U—U + U—O

p

n

R\ i . + Pb(OAc) 4 ^ — Pb(OAc), — 2 HOAc

\ l

i /R" 1 /

\R"' R'/ \R'" R'/ \R'" Ferner entstehen beim o x y d a t i v e n A b b a u von Verbindungen mit v e r z w e i g t e n K o h l e n s t o f f k e t t e n , z. B. von t e r t i ä r e n A l k o h o l e n , häufig K e t o n e : Rv

/OH C

-R'/

X

CH2—R"

Oxydation

>-

R\ /OH \r,/ O / ' II R'/ I C—R"

Oxydation

Rx •

\ „



.

„ „

,0

C = 0 + R —0

R'/

M)H

Physikalische Eigenschaften. Da die S t e l l u n g d e r C a r b o n y l g r u p p e im Molekül auf das physikalische Verhalten der Oxoverbindungen nahezu o h n e E i n -

Die Oxoveibindungen und ihre Derivate

264

f l u ß ist, liegen die S i e d e p u n k t e , S c h m e l z p u n k t e und auch D i c h t e n der Aldehyde und Ketone g l e i c h e r K o h l e n s t o f f z a h l dicht beieinander, wie im einzelnen aus einem Vergleich von Tabelle 13 (S. 237) und 14 zu entnehmen ist: Tabelle 14 Die p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n der w i c h t i g s t e n K e t o n e Trivialnamen Aceton

Rationeller Name

Propion Butyron Valeron

Dimethylketon Methyläthylketon Diäthylketon Dipropylketon Dibutylketon

Acetophenon Benzophenon

Phenylmethylketon Diphenylketon



Genfer Nomenklatur Sdp.

Smp.

Propanon Butanon Pentanon-3 Heptanon-4 Nonanon-5

56° 80 102 144 182

—95° —86 —42 —34 — 6

0,791/20° 0,826/0 0,816/19 0,821/15 0,827/13

202 306

+ 20 48

1,024/25 1,111/18



Dichte/Temp.

Ebenso bestehen hinsichtlich der von der Molekülgröße abhängigen a d d i t i v e n M o l e k u l a r k o n s t a n t e n , sowie den L ö s l i c h k e i t s e i g e n s c h a f t e n keine größeren Unterschiede zwischen beiden Verbindungsklassen. Lediglich die a l l g e m e i n e B e s t ä n d i g k e i t der Ketone ist wesentlich größer als die der Aldehyde, so daß man die n i e d e r e n G l i e d e r d e r R e i h e als L ö s u n g s m i t t e l verwenden kann. Auch die Ketone sind vielfach durch einen c h a r a k t e r i s t i s c h e n Geruch ausgezeichnet. Schon A c e t o n selbst riecht sehr angenehm. Ferner nimmt, wie bei den Aldehyden, mit s t e i g e n dem M o l e k u l a r g e w i c h t die G e r u c h s i n t e n s i t ä t zu, so daß viele Ketone m i t t l e r e r Molekulargröße ausgesprochene D u f t s t o f f e darstellen und als solche auch in den ätherischen Ölen angetroffen werden, bzw. in der R i e c h s t o f f i n d u s t r i e Verwendung finden. Doch gibt es im Gegensatz zu den Aldehyden auch Ketone mit sehr u n a n g e n e h m e m Geruch. Dies ist vor allem bei den unten beschriebenen höheren M e t h y l a l k y l k e t o n e n der Fall.

Hinsichtlich der chemischen Umsetzungen sind die Unterschiede zwischen den Aldehyden und Ketonen naturgemäß e t w a s g r ö ß e r (sonst wäre die Aufteilung in zwei Verbindungsklassen nicht erforderlich gewesen!), doch besteht immer noch eine s t a r k e Ä h n l i c h k e i t beider Substanzgruppen. Als wichtigste Abweichungen weisen die Ketone gegenüber den Aldehyden auf: 1. den F o r t f a l l d e r P o l y m e r i s a t i o n s r e a k t i o n e n und 2. den F o r t f a l l d e r O x y d a t i o n s - und D i s p r o p o r t i o n i e r u n g s r e a k t i o n e n . Auf beide Punkte ist in erster Linie die wesentlich g r ö ß e r e S t a b i l i t ä t der Ketone zurückzuführen. Ferner kommen an neuartigen Reaktionen hinzu: 3. die Möglichkeit des o x y d a t i v e n A b b a u s d e r K o h l e n s t o f f k e t t e , sowie schließlich 4. einige kleinere Variationen der bei den A l d e h y d e n besprochenen Reaktionen. I m einzelnen ist zu den verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten nachzutragen (wobei wir uns an die bei den A l d e h y d e n gegebene Einteilung [S. 237 f ] halten): Zu l a und l b . Die bei der Anlagerung von Blausäure, Acetylen, Natriumbisulfit und metallorganischen Verbindungen an die Carbonylgruppe stattfindenden Synthesen verlaufen bei beiden Verbindungsarten g l e i c h a r t i g mit dem einzigen Unterschied, daß bei der Anlagerung an Ketone jeweils eine t e r t i ä r e a l k o h o l i s c h e O x y g r u p p e entsteht (Gleichung formulieren!). Ähnlich verlaufen sämtliche anderen A d d i t i o n s - und S u b s t i t u t i o n s r e a k t i o n e n der Carbonylgruppe in g l e i c h e r W e i s e wie bei den Aldehyden.

265

Allgemeine Reaktionen der Ketone

Zu l c . Einen im wesentlichen gleichartigen Verlauf der R e d u k t i o n s r e a k tionen beobachtet man bei der Überführung der Aldehyde und Ketone in die zugehörigen Alkohole, die auch in der Ketonreihe hauptsächlich mit nascierendem (unter energischen Bedingungen) und k a t a l y t i s c h e m W a s s e r s t o f f , sowie neuerdings nach M e e r w e i n - P o n n d o r f , vorgenommen wird. Dagegen tritt bei vorsichtiger R e d u k t i o n mit nascierendem Wassers t o f f , z. B. bei der Einwirkung von N a t r i u m oder N a t r i u m a m a l g a m in s t a r k alkalischer L ö s u n g , sowie eigenartigerweise auch bei der Einwirkung eines Gemisches von Magnesium und M a g n e s i u m j o d i d in ätherischer Lösung, eine völlig neuartige Umsetzung ein, die in der Aldehydreihe nur in Ausnahmefällen stattfindet: Es wird pro Mol des Ketons nur ein R e d u k t i o n s ä q u i v a l e n t aufgenommen, wobei unter Anlagerung eines Metallatoms an den Sauerstoff radik a l a r t i g e Zwischenprodukte entstehen, die Metallketyle genannt werden und sich sofort zu Doppelmolekülen zusammenlagern, die ihrerseits bei der Hydrolyse schließlich in zweiwertige d i t e r t i ä r e Alkohole, die sog. Pinakone (S. 419) übergehen: ;Vi c = 0r» +i A NT a«

V v

R'/

/ « v; r- R—C=CH 2 Na+

Für die Wiedergabe des c h e m i s c h e n V e r h a l t e n s kommt man im allgemeinen mit der F o r m e l I aus, die wahrscheinlich auch an dem mesomeren Zwischenzustand ü b e r w i e g e n d beteiligt ist.

Zu 3 c. Die Kondensationsreaktionen verlaufen in der Aldehyd- und Ketonreihe bei grundsätzlich g l e i c h e r R e a k t i o n s m ö g l i c h k e i t unter etwas a b w e i c h e n d e n B e d i n g u n g e n . So kann man zwar die Ketone in alkalischer Lösung, also unter den Bedingungen der A l d o l k o n d e n s a t i o n , in aldolähnliche K e t o n a l k o h o l e überführen: CH3—CO—CH2—H + 0=< /

/CH.

HO x CH,—CO—CH,

.CH. ^CH.

doch ist es bisher n i c h t g e l u n g e n , durch Modifikation dieser Reaktion im Sinne der C r o t o n a l d e h y d k o n d e n s a t i o n in einem Reaktionsgang zu u n g e s ä t t i g t e n K e t o n e n zu gelangen. Dagegen besteht hier die Möglichkeit, diese Kondensation mit S ä u r e n als Katalysator, die in der Aldehydreflae p o l y m e r i s i e r e n d wirken, durchzuführen. Z. B . entsteht aus A c e t o n , wenn man es mit C h l o r w a s s e r s t o f f g a s sättigt und längere Zeit stehen läßt, M e s i t y l o x y d und P h o r o n :

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

268 HC II 2 + 0 = C

I o=c HCHa

HCl

CH

HC:H2 + Mesityloxyd

0 = 0Xx

(-h^t

ch 3

I n ähnlicher Weise lagern sich in Gegenwart von S c h w e f e l s ä u r e drei Moleküle Aceton zum M e s i t y l e n zusammen (vgl. S. 123). Schließlich kann die aktive Methylengruppe der Ketone auch mit anderen eine C a r b o n y l g r u p p e e n t h a l t e n d e n V e r b i n d u n g e n eine Kondensation eingehen. Von diesen Möglichkeiten ist bei weitem am wichtigsten die auf S. 330 und in I, Kap. 12, III, 2e beschriebene E s t e r k o n d e n s a t i o n . b) D i e g e s ä t t i g t e n K e t o n e Aceton CH 3 —CO—CH 3 , das Anfangsglied der Reihe, hat als einziges Keton eine größere technische Bedeutung erlangt. Es wurde früher ausschließlich aus Eisessig gewonnen, und zwar entweder durch K a l k s a l z d e s t i l l a t i o n oder nach dem oben beschriebenen K o n t a k t v e r f a h r e n 1 ) . Beide Möglichkeiten sind heute z. T. bereits wieder durch die elegantere Dehydrierung von I s o p r o p y l a l k o h o l (S. 187) verdrängt worden. Von mehr h i s t o r i s c h e m Interesse sind einige Darstellungsverfahren aus N a t u r p r o d u k t e n , so vor allem die als A c e t o n g ä r u n g bezeichnete biochemische Gewinnung durch bakterielle Zersetzung von K o h l e n h y d r a t e n , die in Deutschland während des ersten Weltkriegs in großem Maßstab durchgeführt wurde, sowie die Isolierung aus H o l z e s s i g (III, Kap.6, II, 6), der neben E s s i g s ä u r e und M e t h y l a l k o h o l auch bis zu 0,5% A c e t o n enthält, und aus dem es als tiefstsiedende Komponente leicht durch f r a k t i o n i e r t e D e s t i l l a t i o n abgetrennt werden kann. Als weitere natürliche Bildungsweise sei schließlich noch der a n o m a l e F e t t s ä u r e a b b a u Z u c k e r k r a n k e r angeführt, bei dem es durch D e c a r b o x y l i e r u n g von A c e t e s s i g s ä u r e (S. 499) entsteht und im Harn abgeschieden wird (Aoetonurie).

Aceton ist eine farblose, leicht bewegliche Flüssigkeit, die sich vor allem durch ihre hervorragenden L ö s l i c h k e i t s e i g e n s c h a f t e n auszeichnet. So ist es z. B. infolge seiner Hydratbildungsfähigkeit noch mit Wasser mischbar, kann aber im Gegensatz zu den niederen Alkoholen bereits durch K o c h s a l z oder C a l c i u m c h l o r i d ausgesalzen und mit letzterem auch getrocknet werden. Ferner zeigt es ein gegenüber Ä t h e r wesentlich g e s t e i g e r t e s L ö s u n g s v e r m ö g e n . Es dient infolgedessen in der Technik hauptsächlich als L ö s u n g s - und Q u e l l u n g s m i t t e l , z . B . in der Kunstseidenindustrie zum Auflösen von A c e t a t s e i d e oder in der SprengstoffIndustrie zur Gelatinierung von N i t r o c e l l u l o s e . Auf seine Eignung als Lösungsmittel für A c e t y l e n wurde bereits hingewiesen (S. 115). Weiterhin findet Aceton eine vielseitige Anwendung zu s y n t h e t i s c h e n Reaktionen aller Art, z. B. für die I s o p r e n - und D i m e t h y l b u t a d i e n g e w i n n u n g (S. 107) sowie für die Darstellung zahlreicher p h a r m a z e u t i s c h wichtiger Präparate, wie etwa von S u l f o n a l und verwandten Verbindungen, der verschiedenen J ) In neuerer Zeit ist es sogar gelungen, die E s s i g s ä u r e d a r s t e l l u n g aus A c e t y l e n mit der K e t o n s y n t h e s e in einem Arbeitsgang zu vereinigen, indem man ein Gemisch aus A c e t y l e n , W a s s e r d a m p f und L u f t bei höherer Temperatur über einen Z i n k c h l o r i d K a t a l y s a t o r auf Kohle als Trägersubstanz leitet.

Ungesättigte Ketone

269

H a l o g e n o f o r m e oder der in I, Kap. 6, I, 4 c beschriebenen T r i a c e t o n a m i n d e r i v a t e . Auch präparativ gehen zahlreiche Synthesen v o n A c e t o n aus. Methyläthylketon CH 3 —CO—CH 2 —CH 3 , das nächsthöhere Homologe des Acetons, entsteht bei der Acetongärung als Nebenprodukt, hat aber keine größere Bedeutung erlangt. Im ersten Weltkrieg diente es zuweilen als Ersatz f ü r den Mangelstoff Aceton. Pinakolin (CH3)3C—CO—CH3 ist über die P i n a k o l i n u m l a g e r u n g (S. 419) aus P i n a k o n und damit auch aus A c e t o n leicht erhältlich (S. 265) und hat als einfachstes, einen tertiären A l k y l r e s t enthaltendes K e t o n , eine gewisse Bedeutung erlangt, z. B. zur Synthese von T r i m e t h y l - e s s i g s ä u r e (S. 368), sowie als Ausgangsverbindung f ü r die R e t r o p i n a k o l i n u m l a g e r u n g (II, Kap. 4 III, 4b e). Die symmetrischen höheren Ketone sind zum großen Teil bekannt, aber ohne praktische Bedeutung geblieben. Von den g e m i s c h t e n K e t o n e n treten vor allem die höheren M e t h y l a l k y l k e t o n e mit u n v e r z w e i g t e r K e t t e (z. B. M e t h y l - a m y l - , M e t h y l - h e p t y l - , M e t h y l - n o n y l - und M e t h y l - u n d e c y l k e t o n ) als bakterielle Zersetzungsprodukte von F e t t s ä u r e n auf. Sie sind die Hauptgeruchsträger r a n z i g e r F e t t e und wurden auch im R o q u e f o r t - K ä s e und R a u t e n ö l nachgewiesen. c) D i e u n g e s ä t t i g t e n

Ketone

Auch hier interessieren uns, wie bei den Aldehyden, in erster Linie die n i e d e r e n G l i e d e r der Reihe, die eine oder auch mehrere z u r C a r b o n y l g r u p p e k o n j u g i e r t e C = C - D o p p e l b i n d u n g e n i m Molekül enthalten. Für ihre Darstellung kommen vor allem z w e i V e r f a h r e n in Betracht, denen sich eine dritte, bisher allerdings noch nicht praktisch ausgewertete B i l d u n g s m ö g l i c h k e i t anschließt: 1. die W a s s e r a n l a g e r u n g an die d r e i f a c h e Bindung v o n A l k i n e n , wie z . B . an V i n y l a c e t y l e n : H2C=CH—feCH + H20

HgSalz

>

vinylierten

H 2 C=CH—CO—CH 3

2. die oben bereits beschriebene K o n d e n s a t i o n der a k t i v e n M e t h y l e n g r u p p e v o n K e t o n e n mit a n d e r e n K e t o n e n und auch A l d e h y d e n . ?. die auf S. 95 beschriebene S u b s t i t u t i o n v o n O l e f i n e n mittels B e n z o y l c h l o r i d in Gegenwart von Aluminiumchlorid. Die Reaktion kommt praktisch auf die E i n f ü h r u n g e i n e r K e t o g r u p p e in das Olefinmolekül hinaus, hat bisher jedoch nur theoretisches Interesse als a l i p h a t i s c h e s A n a l o g o n d e r F R I E D E L - C R A F T S sehen S y n t h e s e gefunden. V o n den speziellen Reaktionen der ungesättigten Ketone sind vor allem einige A d d i t i o n s r e a k t i o n e n s c h w a c h b a s i s c h e r S t o f f e hervorzuheben, die nicht wie bei den ungesättigten Aldehyden (S. 256) an die C = 0 - sondern bevorzugt a n die C = C - D o p p e l b i n d u n g angelagert werden, wahrscheinlich auf dem U m w e g über eine 1 , 4 - A d d i t i o n : / R—C=0 CH

+HCT

>

C=N

OH \

\R—CH—CH=C—R/ /

NH 2

OH \

C=N Keti8ierung

O

>- R—CH—CH2—C—R NH 2

O

R—CH -±®3i> \ R - C H - C H = C - R / Ketisiernngy R - C H - C H 2 - C - R Besonders in die Augen fallend ist die Fähigkeit zur Anlagerung von A m m o n i a k und A m i n e n , die, wie wir auf S. 94 gesehen haben, an normale olefinische Doppelbindungen nur unter e x t r e m e n B e d i n g u n g e n addiert werden können. Die Reaktion dient zur Darstellung von ß-Aminoketonen (I, Kap. 6,1, 4 c) und hat zuweilen auch praktische Bedeutung erlangt. Ebenso findet die Anlagerung von B l a u s ä u r e und die analog verlaufende Addition von N a t r i u m m a l o n e s t e r und verwandten Verbindungen Anwendung zum A u f b a u v o n C - C - B i n d u n g e n (vgl. I, Kap. 12, III, I).

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

270

Vinylmethylketon CH 2 =CH—CO—CH 3 , das einfachste ungesättigte Keton, wird nach dem ersten Verfahren aus V i n y l a c e t y l e n und W a s s e r in Gegenwart von S c h w e f e l s ä u r e und Q u e c k s i l b e r s a l z e n hergestellt. Es dient als Ausgangsmaterial für die Synthese anderer Verbindungen. Insbesondere ist seine große P o l y m e r i s a t i o n s n e i g u n g hervorzuheben, die es auf Grund seiner endständigen Doppelbindung mit dem A c r o l e i n gemeinsam hat. Mesityloxyd (CH 3 ) 2 C=CH—CO—CH 3 und Phoron (CH 3 ) 2 C=CH—CO—CH= C(CH3)2, deren Bildung aus z w e i bzw. drei M o l e k ü l e n A c e t o n wir bereits auf S. 267 kennen gelernt haben, sind die am leichtesten zugänglichen ungesättigten Ketone. Sie dienen in der pharmazeutischen Chemie als Ausgangsmaterial für die Herstellung von ß-Amino-ketonen, z.B. von T r i a c e t o n a m i n (vgl.I,Kap. 6,1,4c). 2-Methylhepten-2-on-6 (CH 3 ) 2 C=CH—CH 2 —CH 2 —CO—CH 3 , Methylheptenon schlechthin genannt, ist ein blumenartig riechendes ungesättigtes Keton mit i s o l i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n , das in einigen ä t h e r i s c h e n Ö l e n vorkommt. Vor allem aber t r i t t es häufig als Abbauprodukt von I s o p r e n a b k ö m m l i n g e n auf und läßt dann wichtige Rückschlüsse auf deren Konstitution zu (vgl. z. B. III, Kap. 2, II, l b ) . Auch umgekehrt dient es zuweilen als Ausgangsmaterial f ü r die S y n t h e s e v o n l s o p r e n a b k ö m m l i n g e n . Seine Struktur ergib t sich, abgesehen von ihrer Sicherstellung durch zahlreiche A b b a u r e a k t i o n e n , eindeutig auf Grund der folgenden, von B A R B I E R und B O U V E A U L T durchgeführten S y n t h e s e (vgl. S. 4 4 7 f.): CH,

CH, CH.

/

>C-CH=CH2

: ™ V

CH/

Isopren

^CO-CH3

.0—CH—CH2—Br + NaCH.

2-Methyl-2,4-dibrombutan

x

0

CH,

Alkalispaltung (vgl. S. 448)

;c=CH—CH,—CH

— HBr — XaBr

X)0—CH3

Natrium-acetylaceton

.CO—CH,

CH,

CH3/

;Br H

C—CH—CH«—(t I 9 — C — C H , CH,

CO—CH 3

2-Methylhepten-2-on-6

Isopentenyl-acetylaceton

Mit S c h w e f e l s ä u r e erleidet Methylheptenon eine ähnliche c y c l i s c h e K o n d e n s a t i o n zu einem Cyclohexadienderivat, wie wir sie bereits bei der Bildung von M e s i t y l e n aus drei Molekülen Aceton (S. 123) kennengelernt haben. In dem s p e z i e l l e n F a l l des Methylheptenons genügt also bereits die Aktivierung der Methylengruppe durch die benachbarte o l e f i n i s c h e D o p p e l b i n d u n g , um die Kondensationsreaktion zu ermöglichen: CH 3

C H ,

I A ,

HCi

I

H.

C-CH,

H2C

C - CH,

H«C

CH

HC

CH H o2

Ha l,3-Dimethyl-cyclohexadien-l,3

d) D i e a r o m a t i s c h e n K e t o n e Für die aromatischen Ketone ergibt sich eine wichtige z u s ä t z l i c h e Darstellungsmöglichkeit in der bereits auf S. 129 erwähnten Einführung der Ketogruppe in den aromatischen Kern mittels S ä u r e c h l o r i d e n in Gegenwart von A l u m i n i u m chlorid nach F R I E D E L - C R A F T S : R—CO — CI + H -

— HCl

• R—CO—
—CH,

—CH—C— Benzoin CH2

CO

ei +

Phenacetylchlorid

H;

HC

/

V

(AI Cl3)


-c=o Desoxybenzoin

Die O x overb indungen und ihre Derivate

272

In ihm ist die M e t h y l e n g r u p p e durch die Nachbarstellung sowohl der C a r b o n y l g r u p p e als auch des P h e n y l r e s t e s derart aktiviert, daß sie sich mit A l k y l h a l o g e n i d e n und A l k a l i wie die später beschriebenen 1 , 3 - D i c a r b o n y l v e r b i n d u n g e n (S. 447) alkylieren läßt:

O

- C H - H | Hai

1 I

R

— C = 0

+ NaOH NaHal

/

\

/

V-CH—R

H30

I

= ( )

Ungesättigte aromatische Ketone erhält man in Analogie zur Z i m t a l d e h y d s y n t h e s e (S. 258) durch Kondensation von a r o m a t i s c h e n A l d e h y d e n oder Ketonen mit A c e t o n in Gegenwart von N a t r i u m a l k o h o l a t (und auch anderen basischen Katalysatoren), wobei ebenfalls das intermediär gebildete aldolartige Zwischenprodukt i n s t a b i l ist und unter den Reaktionsbedingungen spontan in die u n g e s ä t t i g t e V e r b i n d u n g ü b e r g e h t . Z. B. entstehen aus B e n z a l d e h y d und A c e t o n je nach der Zahl der eintretenden Benzalgruppen zwei verschiedene Verbindungen, das Benzalacoton und das Dibenzalaceton: /

V

O II _ C H : = 0 + I1 2 CH -C—CIL,

H 0

O / — \ II H: > / V-CH=CH—C—C:H 2

+°CH


Benzalaceton

o •CH=CH—C—CH=CHDibenzalaceton

Ähnlich erhält man aus Z i m t a l d e h y d und A c e t o n die noch ein bzw. zwei Doppelbindungen m e h r im Molekül enthaltenden Verbindungen: O II —CH=CH—CH=CH—CH3

und

Cinnamyliden-aceton

o •CH=CH—CH=CH—C—CH=CH—CH=CH Dicinnamyliden-aceton

Ferner ist das aus B e n z a l d e h y d und A c e t o p b e n o n entstehende Benzalacetophenon C 6 H 6 —CH=CH—CO—C 6 H 5 unter dem Trivialnamen Cbalkon bekannt geworden. Diese ungesättigten aromatischen Ketone sind infolge des a u s g e d e h n t e n Systems konjugierter Doppelbindungen vom D i b e n z a l a c e t o n ab f a r b i g . Als neuartige Reaktion zeigen sie die Bildung eigenartiger f a r b i g e r K o m p l e x v e r b i n d u n g e n bei der Einwirkung von s t a r k e n S ä u r e n oder von k o m p l e x b i l d e n d e n M e t a l l h a l o g e n i d e n . Die Besprechung des Aufbaus dieser Komplexe erfolgt erst später im Zusammenhang mit den H a l o c h r o m i e e r s c h e i n u n g e n (ED, Kap. 2, I, 2b).

e) D i e H a l o g e n k e t o n e Wie die A l d e h y d e sind auch die K e t o n e in a-Stellung zur Carbonylgruppe leicht h a l o g e n i e r b a r . Die entstehenden tx-Halogenketone sind etwas b e s t ä n d i g e r als die entsprechenden Aldehydderivate und zeigen wie die A l l y l - und B e n z y l h a l o g e n i d e (S. 153) infolge der Nachbarstellung des Halogens zu einer Doppelbindung p h y s i o l o g i s c h e R e i z w i r k u n g , insbesondere wieder auf die Augen. Monochloraceton, Monobromaceton (CH 3 —CO—CH 2 —Hai) und auch ein Gemisch der beiden möglichen a-Monobrom-methyläthylketone (C2H5—CO—CH2Br und CH3—CH2Br—CO—CH3) dienten daher im ersten Weltkrieg als K a m p f s t o f f e . Ihnen

Die Derivate der Oxoverbindungen

273

folgte später das noch wirksamere a-Chloracetophenon C6H5—CO—CH2—C1 als T r ä n e n g a s der amerikanischen Polizei. Hexachlor-, Hexabrom- und Hexajodaceton entstehen bei der vollständigen Halogenierung von A c e t o n und treten als Zwischenverbindungsn bei der Bildung der drei H a l o g e n o f o r m e auf (S. 160 f.). ß-Halogenketone bilden sich bei der Anlagerung eines S ä u r e c h l o r i d s an O l e f i n e unter den Bedingungen der FRIEDEL-CRAFTSsehen Reaktion (vgl. S. 95) oder bei der direkten Anlagerung von C h l o r w a s s e r s t o f f an u n g e s ä t t i g t e K e t o n e (s. oben). Sie erleiden wie alle /^-substituierten Carbonylverbindungen (vgl. z. B. die Aldole, S. 247) leicht A b s p a l t u n g v o n H a l o g e n w a s s e r s t o f f zu u n g e s ä t t i g t e n K e t o n e n , lassen sich aber auch anderweitig umsetzen. Die kernhalogenierten aromatischen Ketone werden nach den g l e i c h e n Methoden wie die entsprechenden A l d e h y d e gewonnen, haben aber keine größere Bedeutung erlangt.

B. Die Derivate der Aldehyde und Ketone a) A l l g e m e i n e s Unter dem Begriff der Derivate der Oxoverbindungen faßt man auf Grund der oben gegebenen Definition (S. 231) a l l e V e r b i n d u n g e n zusammen, in denen der C a r b o n y l s a u e r s t o f f der Aldehyde und Ketone durch andere n e g a t i v e R e s t e ersetzt ist. Sie zeigen unabhängig von ihrer speziellen Zusammensetzung alle einen ä h n l i c h e n c h a r a k t e r i s t i s c h e n A u f b a u , und wir können sie daher stets auf eine der folgenden drei V e r b i n d u n g s t y p e n zurückführen: 1. Verbindungen vom Carbonyltypus. Sie enthalten ein d o p p e l t g e b u n d e n e s H e t e r o - a t o m , d . h . eine C = 0 - , C = S - , oder C=N-Doppelbindung und neigen infolgedessen zu A n l a g e r u n g s - und P o l y m e r i s a t i o n s r e a k t i o n e n . /YH 2. Verbindungen vom Hydrattypus: R 2 C . In ihnen ist der CarbonylsauerX X stoff durch z w e i e i n w e r t i g e n e g a t i v e S u b s t i t u e n t e n ersetzt, von denen mindestens einer noch W a s s e r s t o f f am Heteroatom gebunden enthält. Sie sind mit nur wenigen Ausnahmen u n b e s t ä n d i g und zeigen die Tendenz, unter A b s p a l t u n g der V e r b i n d u n g H — X den ersten Verbindungstypus zurückzubilden: /YH R—CH :

~HX >

R—CH=Y

Wir begegnen hier erstmals der auch bei anderen Verbindungsklassen immer wieder beobachteten a l l g e m e i n g ü l t i g e n R e g e l , daß zwei n e g a t i v e R e s t e am g l e i c h e n K o h l e n s t o f f a t o m nur dann beständig sind, wenn keiner von ihnen zum Kohlenstoff « - s t ä n d i g e n W a s s e r s t o f f enthält, da andernfalls Abspaltung eines Moleküls H—X unter Ausbildung einer C = Y - D o p p e l b i n d u n g erfolgt.

Obwohl die Isolierung der Verbindungen dieses zweiten Typus nur in wenigen Fällen gelungen ist, läßt sich ihre Bildung in Lösung m i t S i c h e r h e i t nachweisen, und ihr i n t e r m e d i ä r e s A u f t r e t e n ist für die Bildung und Spaltung aller unter I und 3 genannten Verbindungen u n e r l ä ß l i c h . 3. Verbindungen vom Acetaltypus R 2 C

/

X

, in denen der CarbonylkohlenX stoff ebenfalls z w e i e i n w e r t i g n e g a t i v e , jedoch an den Hetero-atomen w a s s e r s t o f f r e i e Substituenten trägt. Sie sind infolge des Fehlens der reaktionsX

18

K l a g e s , Lehrbuch der Organischen Chemie I, 1

Dia Oxoverbindungen und ihre Derivate

274

fähigen p o l a r e n D o p p e l b i n d u n g sowie auch der Möglichkeit zu einfachen A b s p a l t u n g s r e a k t i o n e n z i e m l i c h s t a b i l , und zwar, im Gegensatz zu den CarbonylVerbindungen selbst, vor allem gegenüber W a s s e r , A l k a l i e n und O x y d a t i o n s m i t t e l n . Sie nähern sich in dieser Beziehung von allen Oxoverbindungen am meisten den weitgehend h y d r o l y s e n - und o x y d a t i o n s b e s t ä n d i g e n Verbindungen mit wasserstoffreien e i n w e r t i g n e g a t i v e n F u n k t i o n e n , wie z . B . den A l k y l h a l o g e n i d e n , Ä t h e r n , t e r t i ä r e n A m i n e n usw. Dagegen sind sie auffallend s ä u r e l a b i l und werden durch verdünnte M i n e r a l s ä u r e n als Katalysatoren schon in kurzer Zeit hydrolysiert, weil sie durch P r o t o n e n a u f n a h m e intermediär in wasserst offhaltige Verbindungen vom H y d r a t t y p u s übergehen: yO-R / R— CH X

0

+H

R

1

+

© /R /0-

H

2

c

Hai ->~

x

X ) H

;0H

H2CX

JCHg

Hai

•Hai _ t t o

|

H

2

a

X K

C

v

\ ( K

Hai /CH

2

i

Sie zeigen eine außerordentlich starke p h y s i o l o g i s c h e R e i z - und G i f t w i r k u n g , insbesondere auf die A t m u n g s o r g a n e und wurden deshalb im ersten Weltkrieg als K a m p f s t o f f e verwandt, haben sich als solche jedoch infolge ihrer leichten Hydrolysierbarkeit nicht bewährt. Die bei der Bildung der a-Halogenäther als Zwischenprodukts auftretenden Halogenderivate vom H a l b a c e t a l t y p u s

\ ^CC/ ° H

sind der oben gegebenen allgemeinen ChaHai rakteristik entsprechend s e h r u n b e s t ä n d i g und spalten äußerst leicht wieder rückwärts H a l o g e n w a s s e r s t o f f ab, so daß ihre Isolierung bisher n i c h t m ö g l i c h war. Sie haben daher keinen besonderen Namen erhalten, doch muß man in L ö s u n g mit ihrer Anwesenheit rechnen. Auch bei Umsetzungen der Aldehyde in Gegenwart von H a l o g e n w a s s e r s t o f f s ä u r e n entstehen sie als Zwischenprodukte (vgl. z. B. S. 130). /

c) D i e S a u e r s t o f f d e r i v a t e d e r A l d e h y d e u n d K e t o n e Die einzige Sauerstoff-Funktion des C a r b o n y l t y p u s stellt die C a r b o n y l g r u p p e s e l b s t dar, so daß wir uns an dieser Stelle nur mit den Verbindungen zu beschäftigen brauchen, die z w e i e i n w e r t i g e S a u e r s t o f f r e s t e am Carbonylkohlenstoff enthalten. Sie zeigen infolge der Z w e i w e r t i g k e i t des Sauerstoffs bereits eine viel g r ö ß e r e M a n n i g f a l t i g k e i t als die Halogenderivate. oi) Die Hydrate Lagert man an die Carbonylgruppe W a s s e r an, so entstehen die bereits mehrfach erwähnten Hydrate der Oxoverbindungen:

\) C = 0 /

+ H—OH

>-

\) C (/ ° H

/

\OH

Sie stellen den P r o t o t y p der zweiten Verbindungsklasse dar und spalten bei jedem Versuch zu ihrer Isolierung sofort wieder Wasser unter R ü c k b i l d u n g d e r C a r b o n y l g r u p p e ab. Sie treten daher nur in w ä ß r i g e r L ö s u n g im Rahmen eines G l e i c h g e w i c h t e s m i t d e r C a r b o n y l v e r b i n d u n g auf und können hier durch die Abschwächung der charakteristischen A b s o r p t i o n s b a n d e der Carbonylgruppe eindeutig nachgewiesen werden (vgl. z. B. II, Kap. 2, II, 1). Die G l e i c h g e w i c h t s l a g e ist in Abhängigkeit von dem u n g e s ä t t i g t e n C h a r a k t e r der Carbonylgruppe s t a r k e n S c h w a n k u n g e n unterworfen und insbesondere bei dem stärker ungesättigten F o r m a l d e h y d und C h l o r a l praktisch vollständig zur Seite der Hydrate hin verschoben, so daß man z. B., wie wir auf S. 250 gesehen haben, den F o r m a l d e h y d trotz seines niedrigen Siedepunktes n i c h t m e h r a u s e i n e r w ä ß r i 18*

276

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

g e n L ö s u n g h e r a u s d e s t i l l i e r e n oder mit Äther extrahieren kann. Umgekehrt neigen die energetisch nicht mehr ungesättigten K e t o n e nur noch relativ w e n i g zur Hydratbildung. Als einzige s p e z i e l l e R e a k t i o n der Aldehydhydrate, die eine gewisse Verwandtschaft mit den Alkoholen erkennen läßt, sei auf die oben bereits erwähnte und f ü r die Oxydation der Aldehyde wichtige D e h y d r i e r u n g s r e a k t i o n hingawiesen. Trotz ihres unbeständigen Charakters sind die Hydrate s e h r w i c h t i g e Verbindungen, denn ohne die Möglichkeit der Hydratbildung wären die Aldehyde und Ketone n i c h t in dem oben angegebenen Maße w a s s e r l ö s l i c h , und ohne sie würden auch die meisten O x y d a t i o n s r e a k t i o n e n der Aldehyde n i c h t stattfinden können (vgl. S. 242 f.), so daß ohne Hydratbildung die wichtige b i o c h e m i s c h e R o l l e der Aldehyde als W a s s e r s t o f f d o n a t o r e n b e i R e d u k t i o n s r e a k t i o n e n undenkbar wäre. Wir begegnen hier erstmals der häufig beobachteten Erscheinung, daß die l a b i l e n , u n b e s t ä n d i g e n und s c h w e r f a ß b a r e n Verbindungen f ü r den Ablauf vieler, namentlich biochemischer Reaktionen von g r ö ß e r e r Bedeutung sind (und zwar oft gerade w e g e n ihrer besonderen Reaktionsfähigkeit) als die gut bekannten s t a b i l e n S u b s t a n z e n . Lediglich in wenigen charakteristischen Fällen ist bisher eine I s o l i e r u n g der Hydrate in Form s t a b i l e r und (infolge der starken Assoziationskräfte der beiden Hydroxylgruppen) bei normaler Temperatur auch k r i s t a l l i s i e r t e r Verbindungen gelungen. Als stabilisierender Effekt wurde vor allem die Besetzung eines bzw. beider zur Carbonylgruppe « - s t ä n d i g e r C-Atome mit n e g a t i v e n Gruppen erkannt. So entsteht z. B. das bei 52° schmelzende Chloralhydrat aus den Komponenten mit deutlich p o s i t i v e r W ä r m e t ö n u n g und wird erst beim Behandeln mit k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e wieder entwässert. Ferner zeigt Chloral infolge seiner starken Hydratisierungstendenz in wäßriger Lösung n i c h t mehr alle A l d e h y d r e a k t i o n e n . Z.B. tritt mit f u c h s i n - s c h w e f l i g e r Säure keine R o t färbungmehr ein. Weitere Carbonylverbindungen, die s t a b i l e Hydrate bilden, sind Bromal, die H e x a h a l o g e n a c e t o n e , sowie eine Reihe von Substanzen, die in a-Stellung zur Carbonylgruppe andere mehrwertige S a u e r s t o f f - F u n k t i o n e n enthalten, wie z. B. G l y o x y l säure (0=CH—COOH, S. 492) und Mesoxalsäure (HOOC—CO—COOH, S. 494).

ß) Die Halbacetale Beim Auflösen von OxoVerbindungen in A l k o h o l e n entstehen die den Hydraten entsprechenden Halbacetale:

>

OH

;C=0 + HO—R

Sie sind ähnlich unbeständige Verbindungen wie die Hydrate und werden ebenfalls erst bei stark n e g a t i v e r S u b s t i t u t i o n der «-ständigen C-Atome existenzfähig, wie u. a. die Bildung k r i s t a l l i s i e r t e r H a l b a c e t a l e des C h l o r a i s , B r o m a i s usw. zeigt. I h r Auftreten in a l k o h o l i s c h e r L ö s u n g geht einerseits wiederum aus der Abschwächung der Absorptionsbande der C = 0 - G r u p p e , andererseits aber auch aus der auffallend glatt verlaufenden E s t e r b i l d u n g bei der Aldehydoxydation in G e g e n w a r t v o n A l k o h o l e n hervor, da nur die Halbacetale d i r e k t z u d e n E s t e r n dehydriert werden können: R—

— H, X)—R'

R-c/ \o—R'

Gleichzeitig ist diese Reaktion ein schöner Beweis f ü r die Richtigkeit der Dehydrierungstheorie.

277

Die Acetale

Die Beständigkeit der Halbacetale wird sofort wesentlich g r ö ß e r , wenn ihre Bildung im Kähmen einer R i n g s c h l u ß r e a k t i o n erfolgen kann. Wir werden daher später in den K o h l e n h y d r a t e n (III, Kap.4) ziemlich stabile c y c l i s c h e H a l b a c e t a l e kennenlernen, deren b i o c h e m i s c h w i c h t i g s t e R e a k t i o n e n , die Bildung und Spaltung der G l y k o s i d e , sowie die der Di- und P o l y s a c c h a r i d e , sich an der H a l b a c e t a l g r u p p e abspielen.

y) Die Acetale Ersetzt man in den Halbacetalen auch den Wasserstoff der zweiten H y d r o x y l gruppe durch einen A l k y l r e s t (bzw., wie es dem tatsächlichen Reaktionsverlauf entspricht, die gesamte zweite Hydroxylgruppe durch einen Alkoxyrest),so kommt man zu den Acetalen 1 ). Sie gehören dem d r i t t e n V e r b i n d u n g s t y p u s an und sind damit die ersten wirklich beständigen S a u e r s t o f f d e r i v a t e der Aldehyde und Ketone, die wir kennen lernen. Als solche kommen sie vielfach n a t ü r l i c h vor, z. B. als D u f t - und Aromastoffe im Wein, sowie vor allem in sämtlichen glykosidischen D e r i v a t e n der K o h l e n h y d r a t e einschließlich der Di- und Polysaccharide (III, Kap.4, I I I u. IV), die als e c h t e , wenn auch sehr ungewöhnlich k o n s t i t u i e r t e Acetale aufzufassen sind. Die Darstellung der Acetale aus den Aldehyden und K e t o n e n kann n i c h t mehr durch eine Anlagerungsreaktion an die Carbonylgruppe allein erfolgen, sondern erfordert immer eine S u b s t i t u t i o n am g e s ä t t i g t e n C-Atom, so daß sie im Gegensatz zur H y d r a t - und H a l b a c e t a l b i l d u n g relativ langsam vor sich geht, bzw. durch K a t a l y s a t o r e n beschleunigt werden muß. Im einzelnen unterscheiden wir die folgenden vier Darstellungsmöglichkeiten: 1. die A c e t a l i sierung durch direkte Umsetzung der Oxoverbindungen mit Alkoholen, 2. die verschiedenen U m a c e t a l i s i e r u n g s r e a k t i o n e n , 3. die Umsetzung von gem-Dihalogenverbindungen mit A l k o h o l a t e n , sowie schließlich 4. synt h e t i s c h e Methoden. Zu 1. Die Acetalisierung einer Oxo-Verbindung mit zwei Molekülen eines Alkohols ist ein in zwei sehr verschiedenartigen T e i l r e a k t i o n e n verlaufender Vorgang: In der ersten S t u f e findet im Rahmen einer normalen Carbonylreaktion unmeßbar rasch die H a l b a c e t a l b i l d u n g statt, und in der zweiten S t u f e wird die Oxygruppe dieses Halbacetals mit meßbarer Geschwindigkeit gegen den zweiten A l k o x y r e s t ausgetauscht:

\: c = 0

0—R + HO—R

0—R

Erst in dieser zweiten R e a k t i o n s s t u f e tritt .also die oben beschriebene S u b s t i t u t i o n am g e s ä t t i g t e n C-Atom ein, die infolge ihres langsamen Verlaufes für beide Teilreaktionen geschwindigkeitsbestimmend ist und daher als die eigentliche A c e t a l i s i e r u n g s r e a k t i o n angesehen werden muß. Sie verläuft in erster Näherung wie eine V e r ä t h e r u n g und wird auch wie diese durch s t a r k e Säuren oder die ähnlich wirkenden K o m p l e x b i l d n e r (ZnCl2, A1C13, B F 3 *) Der Name Acetale bedeutete ursprünglich eine A cet aldehyd- /Ukohol-Verbindung, erfaßte auch im erweiterten Sinne also bestenfalls die Gesamtheit der von den A l d e h y d e n abgeleiteten A c e t a l e , denen man die Ketale als die acetalartigen Derivate der K e t o n e gegenüberstellte. Heute hat sich der Name Acetale als G r u p p e n n a m e für die g a n z e K l a s s e ä c e t a l a r t i g e r V e r b i n d u n g e n weitgehend durchgesetzt, und man unterscheidet Aldehydund Ketonacetale.

278

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

usw.) katalytisch beschleunigt. Doch ist die Reaktionsgeschwindigkeit wesentlich größer als die der Ätherbildung, was auf eine mehr formale Analogie und das Vorliegen eines anderen R e a k t i o n s m e c h a n i s m u s hindeutet (näheres vgl. II, Kap. 4, II, 2a«). Die Reaktion führt stets zu einem G l e i c h g e w i c h t , das bei den stärker ungesättigten A l d e h y d e n im allgemeinen für die A c e t a l i s i e r u n g g ü n s t i g liegt, so daß man die Acetalbildung durch mehrstündiges Kochen der alkoholischen Aldehydlösung mit einem geringen Zusatz von Salz- oder S c h w e f e l s ä u r e als Katalysator ohne Schwierigkeit vornehmen kann. Die K e t o n a c e t a l e (Ketale) werden dagegen infolge der größeren Stabilität der C = 0 Doppelbindung derart leicht wieder r ü c k w ä r t s g e s p a l t e n , daß ihre Bildung auch in abs o l u t e m A l k o h o l als Lösungsmittel nur u n v o l l s t ä n d i g gelingt und besondere Vorsichtsmaßnahmen erfordert.

ZTT 2. Unter Umacetalisierung versteht man den beim Kochen eines A c e t a l s mit einer überschüssigen Oxy- (oder auch Oxo-)Verbindung in Gegenwart eines K a t a l y s a t o r s erfolgenden Austausch der a l k o h o l i s c h e n (bzw. der C a r b o n y l - ) Komponente des Acetals gegen die entsprechende Gruppe des zugesetzten Stoffes: 0 — R

\ o -R R' R ' )/

C

HO—R'

+

x 0—R

R"x

v0—R

+ R " /)

YO—R'

X

; HO—R' C= o

>-

/

)u(

>

X ) —R '

HO—R

+

R"\ /OR )c( +

R"/

bzw.

HO—R

OR

;c=o

R'/

Beide U m a c e t a l i s i e r u n g s r e a k t i o n e n werden in gleicher Weise wie die direkte Acetalisierung desHalbacetals durch geringe Mengen von Mineralsäuren katalysiert und beruhen in ihrem Mechanismus auch auf einer gleichartigen S u b s t i t u t i o n des acetalartig gebundenen Sauerstoffrestes. Sie sind naturgemäß G l e i c h g e w i c h t s r e a k t i o n e n , die sich insbesondere zum Austausch niedermolekularer gegen höhermolekulare Substituenten eignen, da man dann den in Freiheit gesetzten niedermolekularen Alkohol (bzw. die Oxoverbindung) leicht aus dem Reaktionsgemisch abdestillieren kann. Weiterhin bieten sie den Vorteil, daß kein Wasser entsteht, man auf diese Weise also auch leicht zu den K e t a l e n gelangen kann (vgl. auch S. 283). Ihr wichtigstes Anwendungsgebiet hat die Umacetalisierung im Sinne des zweiten R e a k t i o n s t y p u s gefunden, da hier die Möglichkeit besteht, an Stelle des als „ A c e t a l i s i e r u n g s m i t t e l " dienenden Acetals RJjCfO—R)2 andere a c e t a l a r t i g e Verbindungen zu verwenden, die aus irgendwelchen Gründen ins t a b i l e r sind und daher eine wesentlich größere Tendenz zur Übertragung der Alkoxygruppen aufweisen als die A c e t a l e selbst, so daß das Auftreten von Gleichgewich'tsgemischen vermieden wird. Solche Verbindungen mit großer Acetalisierungstendenz sind: 1. die von C L A I S E N vorgeschlagenen O r t h o c a r b o n säureester (S.337), von denen speziell die Orthoameisensäureester eine vielfache praktische Anwendung gefunden haben. Hier ist es die Bildungstendenz der viel weniger ungesättigten E s t e r c a r b o n y l g r u p p e , die die Reaktion in die gewünschte Richtung lenkt. 2. die von W. Voss eingeführten Schwefligsäureester (S. 202), bei denen die Bildungstendenz des stabilen S0 2 -Moleküls, und 3. die von B. H E L F E R I C H eingeführten K i e s e l s ä u r e e s t e r (S. 205), bei denen die Bildungstendenz des hochmolekularen Siliciumdioxyds die Übertragung der Alkoxygruppen begünstigt:

Die Acetale + )c=o 0-

- - ^ " V

O - R

R

o

O

\

oder einfach

/

C

/O \ iO

Im Gegensatz zu diesen normalen A l d e h y d - und K e t o n p e r o x y d e n , die, wie das Beispiel der Ä t h e r p e r o x y d e (S. 212) zeigt, noch relativ eng durch w e c h s e l s e i t i g e Ü b e r g ä n g e mit den primär entstehenden a - O x y a l k y l - h y d r o p e r o x y d e n verbunden sind, entsteht nach R I E C H E aus den D i o x y a l k y l - p e r o x y d e n bei der Wasserabspaltung mittels P h o s p h o r p e n t o x y d eine etwas a b s e i t s stehende Gruppe von Peroxyverbindungen (I), die sich als i d e n t i s c h mit den O z o n i d e n erwiesen hat:

,0

-O

OH HO

N / / \

-Ha0 (PaOs)

X

0—0

/

\

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

282

Ihre Untersuchung hat zu einer weitgehenden Klärung der Verhältnisse bei der O z o n i d b i l d u n g geführt, und auch die auf S. 92 beschriebene h y d r o l y t i s c h e und h y d r i e r e n d e Aufspaltung der Ozonide steht in Übereinstimmung mit der angenommenen Struktur. Die Peroxyverbindungen der Oxo-Reihe weisen eine noch g r ö ß e r e U n b e s t ä n d i g k e i t auf als die M o n o - und D i a l k y l p e r o x y d e , weil sie, außer der ebenfalls sehr großen Neigung zu h e f t i g e n E x p l o s i o n e n und der Möglichkeit der k a t a l y t i s c h e n H y d r i e r u n g der Peroxy-Brücke, vor allem auch durch h y d r o l y t i s c h e R e a k t i o n e n , insbesondere durch S ä u r e n , leicht gespalten werden. Sie haben •daher keine praktische Bedeutung erlangt. d) D i e S c h w e f e l d e r i v a t e d e r A l d e h y d e u n d

Ketone

J e nach der O x y d a t i o n s s t u f e des eintretenden S c h w e f e l s unterscheidet m a n z w e i R e i h e n v o n S c h w e f e l d e r i v a t e n der Carbonylverbindungen: 1. die den Sauerstoffverbindungen analog konstituierten S c h w e f e l w a s s e r s t o f f d e r i v a t e u n d 2. die D e r i v a t e d e r S a u e r s t o f f s ä u r e n d e s S c h w e f e l s . «) D i e S c h w e f e l w a s s e r s t o f f d e r i v a t e d e r

Oxoverbindungen

Ersetzt man den Carbonylsauerstoff durch ein S c h w e f e l a t o m , wie es z. B. beim Behandeln der Aldehyde und Ketone mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in Gegenwart von S a l z s ä u r e geschieht, so erhält man in glatter Reaktion die dem P a r a l d e h y d entsprechenden trimeran Thioaldehyde und Thioketone: Rv

3

/ Rv \ C^=0 + 3 H 2 S ~~ 3H '°> (3 C = S \ Trlmeriaation (H)R'/ ' " \ (H)R'/ /

R\

s

(H)R'/ | S R/

/R'(H) v \ n / ' | \R / S X

R'(H)

Die als Zwischenprodukt bei dieser Reaktion vermuteten m o n o m e r e n T h i o - o x o - v e r b i n d u n g e n (I) können auf diesem Wege n i c h t g e w o n n e n w e r d e n , weil sie in dem s a u r e n R e a k t i o n s m e d i u m sofort p o l y m e r i s i e r e n . Sie sind äußerst u n b e s t ä n d i g e , insbesondere leicht p o l y m e r i s i e r b a r e S t o f f e von widerwärtigem Geruch, die noch n i c h t r e i n d a r g e s t e l l t werden konnten. Ihr „ u n g e s ä t t i g t e s " Verhalten läßt auf das Vorliegen einer e c h t e n C = S - D o p p e l b i n d u n g (bezüglich der Existenzfähigkeit von C=S-Doppelbindungen vgl. auch II, Kap. 3, II, 2 c) schließen. Wesentlich wichtiger sind die den Acetalen entsprechenden Mercaptale 1 ), die in voller Analogie zur Acetaldarstellung bei der Einwirkung v o n M e r c a p t a n e n {I, Kap. 7, I, 1) auf O x o v e r b i n d u n g e n unter der katalytischen Einwirkung v o n S ä u r e n oder Z i n k c h l o r i d entstehen: H -S =0 +

II H s0

H -S—R

' '>

v yS R )c( +h2o / \S—R

Da die Reaktion deutlich exotherm ist, liegt das Reaktionsgleichgewicht im allgemeinen viel g ü n s t i g e r als bei der A c e t a l b i l d u n g , so daß sich das Verfahren insbesondere auch zur Darstellung der K e t o n m e r c a p t a l e eignet. Aus Mercapta,r\-Aldehjd-Verbindung entstanden. Der Name bezeichnet also, genau wie bei den A c e t a l e n , ursprünglich nur die A l d e h y d d e r i v a t e , und man nennt daher die K e t o n m e r c a p t a l e , häufig auch Mercaptole. Doch hat sich im Laufe der Zeit der Ausdruck Mercaptale als Gruppenname f ü r die g e s a m t e V e r b i n d u n g s k l a s s e immer mehr eingebürgert und wird, wie bei den Acetalen, unterteilt in die Aldehyd- und Ketonmercaptale.

Schwefelderivate der Oxoverbindungen

283

Eine zweite Darstellungsmöglichkeit, die ebenfalls einer Acetalbildungsreaktion analog verläuft, besteht in der Übertragung der Thioalkylreste von Orthothiocarbonfiäureestern auf Aldehyde oder Ketone: O yS R . R R'—C~S—R+ ; c = o R'- -C + c \s—R / \s—R / \ s —R Eigenschaften. Die Mercaptale zeigen eine auffallende Ähnlichkeit mit den A c e t a l e n , insbesondere sind die niederen Glieder der Reihe ebenfalls alkalistabile und säurelabile Flüssigkeiten. Doch hydrolysieren sie bereits wesentlich schwerer als die Acetale. Führt man die Säurespaltung in Alkoholen als Lösungsmittel durch, so findet eine Art „Umacetalisierung" zu den Acet a l e n statt, die, da keine freie Carbonylgruppe entstehen kann, auch in der K e •tonreihe ohne Schwierigkeit gelingt, so daß man über die leicht darstellbaren M e r c a p t o l e (s. S. 282, Anm.) die K e t a l e in zwei Arbeitsgängen gewinnen kann: R'\ i H S—R ,C=0 + : R"/ HS—R

— H^

RA

/S—R

R"

V

S—R

+

HO—R j HO—R

R'x

,0—R

R " / N ) —R

Die besondere Natur als Schwefelverbindungen macht sich bei den Mercaptalen neben ihrem unangenehmen Geruch vor allem in den folgenden zwei R e a k t i o n e n bemerkbar: 1. Infolge der bekannten starken Affinität des Schwefels zu Schwermetallen kann man die Mercaptale auch mit Q u e c k s i l b e r - I I - c h l o r i d , also unter Schonung anderer hydrolysierbarer Gruppen, hydrolytisch oder alkoholytisch aufspalten: S—R

/

\S R

+ ligClj +

HO—R' ! HO—R'

V

0—R'

S—R + Hg; + 2 HCl 0—R' \S—R

2. Mit Oxydationsmitteln tritt Oxydation des Schwefels unter Bildung von Sulfonen ein (näheres vgl. I, Kap. 7, II, 2). Die Reaktion ist von großer praktischer Bedeutung für die Darstellung des Sulfonals und ähnlicher Schlafmittel: CH3V /S—C2HS CHj^ /S0 2 —CH 5 Oxydation .c: C H / \s—C2H5 CH, Diäthyl-acetonmercaptal

Sulfonal

ß) Die D e r i v a t e der Sauerstoffsäuren des Schwefels Die niederen S a u e r s t o f f s ä u r e n des Schwefels enthalten (zumindest in einer der möglichen tautomeren Formen) noch am Schwefel gebundenen W a s s e r s t o f f und können sich daher unter Neubildung einer C—S-Bindung an die Carbonylgruppe anlagern. Auf diese Weise findet die Bildung von zwei weiteren charakteristischen Derivaten der OxoVerbindungen statt: 1. Die Bisulfit-Verbindungen entstehen, wie der Name sagt, bei der Einwirkung einer möglichst konzentrierten Natriumbisulfitlösung auf Oxoverbindungen in Form eines gut kristallisierten Niederschlages: V /OH \;C=0 + H—S03Na / \s0 3 Na

Die Oxoverbmdungen und ihre Derivate

284

Sie gehören infolge der n a h e z u u n p o l a r e n C—S-Bindung zu den wenigen Carbonylderivaten vom H a l b a c e t a l t y p u s , die ziemlich b e s t ä n d i g sind. Wegen ihrer hervorragenden K r i s t a l l i s a t i o n s f ä h i g k e i t , verbunden mit einer l e i c h t e n W i e d e r a u f s p a l t b a r k e i t zur freien Carbonylverbindung bei der Einwirkung von Säuren oder A l k a l i e n eignen sie sich besonders gut zur R e i n i g u n g , I d e n t i f i z i e r u n g und auch I s o l i e r u n g v o n O x o v e r b i n d u n g e n aus S u b s t a n z g e mischen. Ihre Konstitution war lange Zeit umstritten und konnte erst in neuerer Zeit von R A S C H IG (1926/28), sowie insbesondere von L A U E R und L A N G K A M M E R E R (1935) durch Synthese der an der Oxygruppe a c e t y l i e r t e n F o r m a l d e h y d - B i s u l f i t - V e r b i n d u n g aus verschiedenen Ausgangsmaterialien endgültig im Sinne einer a - O x y m e t h a n - s u l f o n s ä u r e sichergestellt werden: / J

Na;0—Ac

O -Ac

^O

~ - N a J >• CH 2

CH 2 + \s03Na

< ~HC1

\s03Na

Jodmethansulfonsaures Natrium

- :H

Ol—Ac

CH a

+

\s03Na

Acetoxymethansulionsaures Natrium

Oxymethan-sulfonsaures Natrium (Formaldehyd-Bisulfit-Verbindung)

2. Der Rongalit C, auch Hyraldit genannt, ist das Formaldehyd-additionsprodukt des u n t e r s c h w e f l i g s a u r e n N a t r i u m s ( N a t r i u m h y p o s u l f i t , früher auch N a t r i u m s u l f o x y l a t genannt, vgl. anorg.Lehrbücher) und entsteht in grundsätzlich gleicher Weise wie die B i s u l f i t v e ' r b i n d u n g , wenn man das bei der Disproportionierung der u n t e r d i s c h w e f l i g e n (früher u n t e r s c h w e f l i g e n ) S ä u r e in alkalischer Lösung im Rahmen einer Gleichgewichtsreaktion auftretende H y p o s u l f i t i o n mit F o r m a l d e h y d abfängt:

0 0

t t NaO—S—S—ONa

0

+H,C

unterdischwefligsaures Natrium

V

t

0

t NaO—S—OH + H—S—ONa Natrium-bisulfit

Natriumhyposulfit

o

t

4-E,C=Q + 2 E , 0 )

|j

Q/

^OH Rongalit 0

Rongalit C kristallisiert mit zwei Molekülen Kristallwasser und ist weniger als F o r m a l d e h y d d e r i v a t , sondern in erster Linie als e i n e s d e r w e n i g e n s t a b i l e n D e r i v a t e der stark reduzierend wirkenden u n t e r s c h w e f l i g e n S ä u r e von Interesse. E r f i n d e t als R e d u k t i o n s m i t t e l f ü r K ü p e n - F a r b s t o f f e (III, Kap. 2, I, 4 b y ) vielseitige Anwendung.

e) D i e S t i c k s t o f f d e r i v a t e der A l d e h y d e und K e t o n e Die Stickstoffderivate der Aldehyde und Ketone leiten sich ausschließlich von den S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n ab, also in erster Linie vom A m m o n i a k , H y d r a z i n , H y d r o x y l a m i n und ihren o r g a n i s c h e n D e r i v a t e n . Sie zeigen infolge der Dreiwertigkeit des Stickstoffs eine noch größere Mannigf a l t i g k e i t als die Sauerstoffverbindungen, so daß wir hier nur auf die wichtigsten Verbindungstypen eingehen können. Die Einwirkung der Stickstoffwasserstoffverbindung führt primär stets zu einer A n l a g e r u n g an die C a r b o n y l g r u p p e unter Bildung einer n o r m a l e n A d d i t i o n s v e r b i n d u n g der Struktur I:

Ammoniakderivate der Oxoverbindungen

R

R.

\ : = o + H—N;

(H)R

285

|

xr

(H)R'//

.OH ^N^

Säuren

Dieses Primärprodukt ist als Verbindung vom H a l b a c e t a l t y p u s stets sehr unbeständig und hat daher keinen besonderen Namen erhalten. Es kann, ebenso wie die H y d r a t e und H a l b a c e t a l e , nur beim Chloral und verwandten Verbindungen in kristallisierter Form isoliert werden und stabilisiert sich in allen anderen Fällen durch S e k u n d ä r r e a k t i o n e n , die in saurer Lösung stets zur R ü c k b i l d u n g der Carbonylgruppe führen und in alkalischem (bzw. ammoniakalischem) Medium in Abhängigkeit von der Zahl der am Stickstoff befindlichen H-Atome einen verschiedenartigen V e r l a u f nehmen. Hierbei entstehen die eigentlichen s t a b i l e n S t i c k s t o f f d e r i v a t e der CarbonylVerbindungen, die man zweckmäßig auf Grund dieser Zahl der am S t i c k s t o f f befindlichen H - A t o m e , in die Derivate des Ammoniaks, der primären und der sekundären Amine unterteilt. a) Die Ammoniakderivate Die primären Additionsverbindungen des Ammoniaks an die Aldehyde und Ketone erleiden als erste Folgereaktion immer eine W a s s e r a b s p a l t u n g unter Bildung der entsprechenden Iminoverbindungen (bzgl. der Nomenklatur, vgl. I, Kap. 6, I):

\/I/O—H

Rx

( H ) R ' / N X I L - I£

N

- Ha0

C=NH

(H)»''

Diese sind als Derivate vom Carbonyltypus sehr r e a k t i o n s f ä h i g und ebenfalls nur in wenigen Fällen existenzfähig (vgl. z. B. die Chinon-imine, S. 303). Meistens gehen sie auf Grund weiterer F o l g e r e a k t i o n e n , deren Verlauf von der Natur der ursprünglichen Carbonylverbindung abhängt, in s t a b i l e E n d p r o d u k t e über, wobei wir drei Möglichkeiten unterscheiden können: 1. Am einfachsten liegen die Verhältnisse beim A c e t a l d e h y d , dessen Iminoverbindung analog der Paraldehydbildung (S. 253) zu einem cyclischen P o l y m e r i s a t i o n s p r o d u k t trimerisiert und dann mit drei Molekülen Kristallwasser kristallisiert. Es zeigt infolgedessen die gleiche prozentuale Zusammensetzung wie die primäre Additionsverbindung des Ammoniaks an die Carbonylgruppe und wird kurz Aldehydammoniak genannt. CHJ—CH HN

/ N CHJ—CH

CH—CHJ

+ ii

NH

\ H

I

CH,

+ 3H,0

H

\

i

HN

CH—CHG

i

NH

• 3H,0

\CH/

AH3

Aldehydammoniak

Der Aldehydammoniak wird durch Säuren sofort wieder hydrolytisch gespalten und dient daher vielfach zur I s o l i e r u n g und Reinigung des A c e t a l d e h y d s . Auch beim Erhitzen über den Schmelzpunkt (97°) zerfällt er in seine Bestandteile.

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

286

2. Die I m i n o V e r b i n d u n g d e s B e n z a l d e h y d s neigt, wie dieser selbst, weniger zur Polymerisation und reagiert als s e k u n d ä r e S t i c k s t o f f v e r b i n d u n g (bzgl. Nomenklatur, vgl. I, Kap. 6,1) in Analogie zu den unten beschriebenen s e k u n d ä r e n A m i n e n nochmals mit B e n z a l d e h y d . Hierbei entsteht ein alsHydrobenzamid bezeichnetes Kondensationsprodukt, in dem der g e s a m t e W a s s e r s t o f f d e s A m m o n i a k s in Reaktion getreten ist: CH=N- H

— H,0

+ 0==CH—•

-CH=N N —CH=N /

H

,CH-

Hydrobenzamid

3. Beim F o r m a l d e h y d findet schließlich sowohl eine v o l l s t ä n d i g e S u b s t i t u t i o n d e s A m m o n i a k w a s s e r s t o f f s als auch eine P o l y m e r i s a t i o n bzw. Aufrichtung der C=N-Doppelbindungen statt, und man erhält als Reaktionsprodukt unter V e r d o p p e l u n g der M o l e k ü l g r ö ß e gegenüber einer Verbindung vom H y d r o b e n z a m i d t y p u s ein sehr kompliziertes, r ä u m l i c h a u s g e d e h n t e s Molekül hoher Symmetrie, in dem j e d e M e t h y l e n g r u p p e mit z w e i v e r s c h i e d e n e n N - A t o m e n und j e d e r S t i c k s t o f f mit drei v e r s c h i e d e n e n C H 2 - G r u p p e n verbunden ist, so daß das entstehende Molekül nur e i n f a c h e C — N - B i n d u n g e n enthält. Die Verbindung hat auf Grund dieser Zusammensetzung den Namen Hexamethylen-tetramin erhalten. Ihre Bildung aus sechs Molekülen Formaldehyd und vier Molekülen Ammoniak kann man sich etwa in der Weise vorstellen, daß zunächst je drei M o l e k ü l e F o r m a l d e h y d u n d A m m o n i a k wie beim Aldehyd-ammoniak zu der t r i m e r e n I m i n o v e r b i n d u n g I kondensieren, die noch drei N — H - B i n d u n g e n enthält und daher mit drei w e i t e r e n Formaldehydmolekülen und einem v i e r t e n A m m o n i a k m o l e k ü l zu der Verbindung II weiter reagiert: H

H:

H :+ 0 = CH, :+ :H 1 NH

H,C = 0 : +: H: HN

H2C

H+ O+ H CH,

H2C

C i,

CH,

Die Schiffschen Basen

287

Die w i r k l i c h e n R a u m v e r h ä l t n i s s e und die hohe S y m m e t r i e des Moleküls kommen in dieser Formel nur schlecht zum Ausdruck. Zu ihrer Wiedergabe sind räumliche Molekülmodelb erforderlich, wie sie in II, Kap. 7, IV, 4 zusammenfassend beschrieben sind und mit denen sich jeder Organiker vertraut machen sollte. Ein derartiges R a u m m o d e l l d e s H e x a m e t h y l e n t e t r a m i n s ist in Abb. 9 wiedergegeben: Die Raumstruktur des Hexamethylen-tetramins wird infolge ihrer hohen K u g e l s y m m e t r i e relativ leicht ausgebildet, und man begegnet ihr daher ziemlich häufig. So entsteht z. B. nach H E C H T U . HENECKA (1949) auch bei der Einwirkung von S u l f o n a m i d [S0 2 (NH 2 ) 2 ] auf F o r m a l d e h y d eine analog konstituierte Verbindung, das Tetramethylen-disulfo-tetramin (III), die sich durch eine außerordentlich starke G i f t i g k e i t — sie ist etwa fünfmal so groß wie die des Strychnins — auszeichnet. Einem weiteren wichtigen Beispiel für die Raumstruktur des Hexamethylentetramins werden wir in I, Kap. 11,1, 3 f i m A d a m a n t a n begegnen. In dem dort wiedergegebenen Stuartmodell (Abb. 17b) kommt die Kugelsymmetrie besonders deutlich zum Ausdruck.

Hexamethylen-tetramin ist eine gut kristallisierende, in Wasser und Alkohol l e i c h t l ö s l i c h e Verbindung, Abb. 9 Raummodell die sich, ohne vorher zu schmelzen, oberhalb 160° zer- des Hexamethylen-tetramins setzt. Mit S ä u r e n tritt, wie bei allen Stickstoffverbindungen dieser Reihe, rasch H y d r o l y s e ein. Doch wird Formaldehyd auch durch W a s s e r a l l e i n schon in Spuren in Freiheit gesetzt, so daß sich die Verbindung als beständiges, leicht zu handhabendes F o r m a l d e h y d d e r i v a t hervorragend zu D e s i n f e k t i o n s z w e c k e n eignet. Es kommt unter dem Namen Urotropin in den Handel. ß) D i e D e r i v a t e d e r p r i m ä r e n A m i n e

(SCHIFF

sehe Basen)

Auch die Additionsprodukte der p r i m ä r e n A m i n e an Aldehyde und Ketone spalten in a l k a l i s c h e m M e d i u m sofort W a s s e r unter Bildung der entsprechenden I m i n o v e r b i n d u n g e n ab, die nach ihrem Entdecker allgemein als ScmFFSche Basen (früher auch Azomethine genannt) bezeichnet werden: R\ i /OH /Ce /ii (H)R' "" R

' " ! °>-

Rv \;=x (H)R'

R

Schiffsche Base

Sie enthalten k e i n e n W a s s e r s t o f f am Stickstoff mehr und sind daher wesentlich s t a b i l e r als die Iminoverbindung der A m m o n i a k r e i h e , so daß wir in ihnen den ersten b e s t ä n d i g e n D e r i v a t e n v o m C a r b o n y l t y p u s begegnen. Sie zeigen als solche eine ausgesprochen u n g e s ä t t i g t e N a t u r . So neigen z.B. die ScHiFFschen Basen der n i e d e r e n A l d e h y d e , ebenso wie diese selbst, zur P o l y m e r i s a t i o n , wobei meistens die c y c l i s c h e n t r i m e r e n V e r b i n d u n g e n entstehen: R I H2C I R—N

\ CH,

CH2 I

N—R

Die Oxoverbindungen und ihre Derivate

288

oder man kann sie durch. Reduktion mit nascierendem oder k a t a l y t i s c h e m W a s s e r s t o f f , sowie auch durch Anlagerung von metallorganischen Verbindungen, in die entsprechenden sekundären Amine überführen (vgl. I, Kap. 6, I, 1 a): \}H—NH—R /

- ^ C = 0 + R—NH 3

NHa—R

Die ScHiFFsehen Basen einiger höherer Amine und anderer Stickstoffwasserstoffverbindungen zeigen eine hervorragende K r i s t a l l i s a t i o n s f ä h i g k e i t und werden daher häufig zur R e i n i g u n g , I d e n t i f i z i e r u n g und zuweilen sogar Isolierung der Carbonylverbindungen aus Substanzgemischen verwandt. Die gebräuchlichsten dieser ScmFFSchen Basen sind: 1. die mit Anilin entstehenden Anile: N = u t iijö—^

^

Anil

2. die mit H y d r a z i n entstehenden Hydrazone und Azine: \

yC\

:

0 : H 2 N- NK 2

\

-X \ H S Hydrazon

• 0 :(
C=N—N=C seifung

R - C\ ^

Nitril

OH

Aus den N i t r i l e n sind dann die C a r b o n s ä u r e n mit Hilfe der üblichen Spaltungsreaktionen (S. 347f.) leicht zugänglich. Diese einfache und sehr elegante Methode, die K o h l e n s t o f f k e t t e um ein C-Atom zu v e r l ä n g e r n , hat einige interessante A b ä n d e r u n g e n erfahren, die auch praktische Bedeutung erlangt haben. So ist es z. B. P. KURTZ (1943) gelungen, die relativ teuren A l k y l h a l o g e n i d e durch die billigeren A l k o h o l e zu ersetzen und diese bei 80° in Gegenwart von K u p f e r - I - c h l o r i d mit f r e i e r B l a u s ä u r e zu den Nitrilen umzusetzen (Gleichung formulieren!). Ferner ist es trotz der Reaktionsträgheit des a r o m a t i s c h geb u n d e n e n Halogens in einigen Fällen möglich, eine der KoLBESchen Nitrilsynthese analoge A r y l i e r u n g des Cyanidions (z. B, durch Erhitzen von N a t r i u m c y a n i d mit Arylh a l o g e n i d e n in Gegenwart von Kupferpulver auf 200—250°, vgl. S. 167) durchzuführen. Weiterhin liegen in der aromatischen Reihe in der leichten S u b s t i t u i e r b a r k e i t der Diazog r u p p e nach SANDMEYER (I, Kap. 6, III, lb) und in dem der P h e n o l s c h m e l z e analogen Ersatz der Sulfo- durch die N i t r i l g r u p p e beim Verschmelzen der s u l f o n s a u r e n Salze mit N a t r i u m c y a n i d (I, Kap. 7, II, 1) zwei weitere wertvolle Verfahren vor, die N i t r i l g r u p p e in den B e n z o l k e r n einzuführen. Auf dem gleichen Prinzip wie die KotBESche Nitrilsynthese beruht die auf S. 95 beschriebene C a r b o n y l i e r u n g s r e a k t i o n , b e i der wieder die teuren Alkylhalogenide und Alkalicyanide durch die wesentlich billigeren S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n g l e i c h e r O x y d a t i o n s s t u f e , d. h. durch A l k o h o l e (bzw. ein Gemisch von O l e f i n und W a s s e r ) und K o h l e n o x y d ersetzt sind. Wie wir dort gesehen haben, kann man diese elegante Methode bei entsprechender Variation der Ausgangsmaterialien auch zur direkten Synthese der wichtigsten S ä u r e d e r i v a t e verwenden. Eine weitere synthetische Methode, bei der ebenfalls die Kohlenstoffkette um nur e i n C - A t o m verlängert wird, jedoch die Oxydationsstufen der Reaktionsteilnehmer gegenüber der KoLBESchen Synthese um jeweils eine Stufe verschoben sind, beruht auf der Einwirkung m e t a l l o r g a n i s c h e r V e r b i n d u n g e n auf K o h l e n d i o x y d (näheres vgl. S. 388 u. I, Kap. 9, I): /O R - M e + 20«

C f X

/O v

0

R—C

xO Hydrolyse ^

^OMe

R—C

\)H

308

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

Auch diese Reaktion kann man in der aromatischen R e i h e in etwas abgeänderter Form durchführen, indem man statt der GRIONARD-Verbindungen die viel billigeren aromatischen Kohlenwasserstoffe verwendet, und diese mit Phosgen oder anderen K o h l e n s ä u r e d e r i v a t e n unter den Bedingungen der F R I E D E L CRAFTSschen Reaktion (S. 142,270) umsetzt. Man erreicht auf diese Weise wiederum den Vorteil der direkten S y n t h e s e von Carbonsäurederivaten, wie die folgende Übersicht zeigt: ^ ^ c ^ /

O X

/

O

+

Nitril

. I ^ W I C

/

V

\ \

_



X

c

i

Saurechlond

/



\NH 2

. N

Amid

'

\OR Ester

SchließHch ist es auch möglich, in einfachen Carbonsäuren den organischen Molekülteil durch die üblichen synthetischen Methoden zu vergrößern und auf diese Weise zu weiteren Carbonsäuren zu gelangen. Die wichtigsten hierher gehörenden Synthesen sind die PERKiNSche Z i m t s ä u r e s y n t h e s e (S. 370) und die auf der Alkylierung des Acetessigesters und Malonesters beruhenden Synthesen (S. 460, 497), auf die wir im einzelnen erst später eingehen werden. An dieser Stelle sei lediglich auf eine interessante, von A R N D T und E I S T E R T (1935) beschriebene Möglichkeit hingewiesen, den organischen Rest einer Carbonsäure durch E i n s c h i e b e n e i n e r M e t h y l e n g r u p p e zwischen den Carboxylkohlenstoff und das oc-C-Atom des Alkylrestes der ursprünglichen Säure zu verlängern. Diese eigenartige Synthese geht von den S ä u r e c h l o r i d e n aus, die mit D i a z o m e t h a n ein D i a z o k e t o n bilden, in dem das neu eintretende C-Atom (in den Formeln fett gedruckt) zunächst die Kohlenstoffkette ü b e r das u r s p r ü n g l i c h e C a r b o x y l - C - A t o m h i n a u s verlängert. Bei der Einwirkung von W a s s e r auf die Diazoketone in s c h w a c h a l k a l i s c h e m Medium wird dann der Stickstoff abgespalten, und das Molekül stabilisiert sich unter W a n d e r u n g des A l k y l r e s t e s an die neu gebi'dets Methylengruppe, wodurch deren Einbau in das Innere der Kette vollendet wird (näheres vgl. S. 5 u. II, Kap. I I I , 3 a): /VO R—C

© 0 + CH2=N=N

/VO R—ER \CH=N=N

WRI

\CI Diazomethan

,

N N

V !

0 H // -/ / © I R—C—CH 2 \ *

Diazoketon

HO. V

—CH2—R

Zu 4. Die einfachsten, zu Carbonsäuren führenden Abbaureaktionen beruhen auf der o x y d a t i v e n Spaltung einer in einer unverzweigten Kette befindlichen C—C- oder C=C-Bindung, da die hierbei neu entstehenden primären C-Atome unter den Reaktionsbedingungen meistens bis zur h ö c h s t möglichen Oxydat i o n s s t u f e weiter oxydiert werden, man also in einem R e a k t i o n s g a n g zum Ziel gelangt. Die wichtigsten der hierher gehörenden Verfahren haben wir bereits kennen gelernt, nämlich 1. die P a r a f f i n o x y d a t i o n (S. 77), 2. die o x y d a t i v e *) Wahrscheinlich über C a r b a m i d s ä u r e c h l o r i d C1—CO—NH2 (S. 398) als Zwischenprodukt.

Carbonsäuren, physikalische Eigenschaften

309

K e t o n s p a l t u n g (S. 266), die allerdings in der Praxis nur selten (vgl. z. B. Trimethylessigsäure, S. 368) zur Carbonsäuregewinnung dient, sondern hauptsächlich zur K o n s t i t u t i o n s a u f k l ä r u n g der K e t o n e verwandt wird, und 3. den o x y d a t i v e n Abbau aromatischer S e i t e n k e t t e n (S. 132), der stets zwischen dem und /(-ständigen C-Atom einsetzt, also jede S e i t e n k e t t e (einschließlich der Methylgruppe, s. oben) in die Carboxylgruppe überführt. Außer durch oxydative kann man auch durch h y d r o l y t i s c h e A u f s p a l t u n g einer C—C-Bindung zu Carbonsäuren gelangen, wenn die zu spaltende Bindung von einem C a r b o n y l - C - A t o m ausgeht. Die bekannteste Reaktion dieser Art ist die S ä u r e s p a l t u n g der / J - K e t o c a r b o n s ä u r e e s t e r (S. 497) und die A m e i s e n s ä u r e b i l d u n g bei der Chlorof o r m d a r s t e l l u n g aus Chloral, bzw. die analoge Bildung von C a r b o n s ä u r e n bei Verwendung c h l o r i e r t e r M e t h y l k e t o n e (S. 160): O II: R—C:—CC1,

HiONa

v

O II R—C—ONa + HCC13

Besonders die letzte Reaktion findet zuweilen praktische Anwendung zur schonenden Einführung einer Carboxylgruppe in oxydationsempfindliche Substanzen, z. B. zur Z i m t s ä u r e d a r s t e l l u n g (S. 378).

Physikalisehe Eigenschaften. Von allen bisher beschriebenen Funktionen besitzt die Carboxylgruppe die s t ä r k s t e siedepunkterhöhende W i r k u n g , so daß die Carbonsäuren zu den ausgesprochen hochsiedenden S u b s t a n z e n gehören. Auch die S c h m e l z p u n k t e der n-Carbonsäuren liegen r e l a t i v hoch und zeigen den bei den Paraffinen bereits beschriebenen oscillierenden Anstieg mit der

Abb. 10 Schmelzpunktsvergleich von n-Carbonsäuren und n-Paraffinen ,

,

0

—°

» Schmelzpunkte der gesättigten normalen Carbonsäuren in Abhängigkeit von der Zahl der C-Atome (n) 0 Schmelzpunkte der normalen Paraffine doppelter Kettenlänge (C2nH.u1 u. 2) in Abhängigkeit von n

Zahl der C-Atome in v e r s t ä r k t e m Ausmaß, so daß hier beim Übergang von einer geradzahligen zur nächst höheren ungeradzahligen Carbonsäure sogar jeweils eine Schmelzpunktssenkung eintritt (vgl. Abb. 10 ausgezogene Kurve).

310

Die Carbonsäuren und ihre Derivate Tabelle 15 P h y s i k a l i s c h e K o n s t a n t e n der g e s ä t t i g t e n C a r b o n s ä u r e

Trivialnamen Genf. Nomenklatur Rationelle Namen1] Ameisensäure Methansäure Essigsäure Äthansäure Methancarbonsäure Propionsäure Propansäure Äthancarbonsäure Buttersäure n-Butansäure Propan-1 -carbons. Valeriansäure n-Pentansäure n-Butan-l-carbons. Capronsäure n-Hexansäure önanthsäure n-Heptansäure Caprylsäure n-Octansäure Pelargonsäure n-Nonansäure Caprinsäure n-Decansäure n-Undecansäure Laurinsäure n-Dodecansäure -n-Tridecansäure Myristinsäure n-Tetradecansäure n-Pentadecansäure Palmitinsäure n-Hexadecansäure Margarinsäure n-Heptadecansäure Stearinsäure n-Octade cansäure

Formel

Sdp.

HCOOH

101°

CHJCOOH

118

Smp. Diff. 8,4°

|+8°

16,6

D/T flüssig

Diss. Konst. X-10- 1

PK2)

1,226/18° 17,65 3,75 1,049/20

1,76 4,75

0,999/15

1,32 4,88

0,960/19

1,54 4,81

0,940/19

1,60 4,80

0,930/20

1,46 4,84

0,922/14

1,46 4,84

0,917/20





0,901/20





0,893/32





0,891/30





0,877/45

















0,854/64





0,836/91





0,848/70















J—36 CH3—CH2—COOH

141

—20

CH3—(CH2)2—COOH

153

— 5

CH3—(CH2)3—COOH

187

—35

CH3—(CH2)4—COOH

205

— 4

J+15 |—30

CH3—(CH2)6—COOH

222

—10

CH3—(CH2)6—COOH

238

+ 16

CH3—(CH2)7—COOH

254

12

CH3—(CH2)8—COOH

268

31

CH3—(CH2)„—COOH 212/100 mm

30

CH3—(CH2)10—COOH 225/100 mm

44

CH3— (CH2)U—COOH 239/100 mm

41

CH3— (CH2)12—COOH 251/100 mm

54

CH3—(CH2)13—COOH 262/100 mm

52

CH3— (CH2)M—COOH 272/100 mm

63

CH3—(CH2)15—COOH 281/100 mm CH3— (CH2)16—COOH 291/100 mm

CH3—(CH2)17—COOH 300/100 mm n-Nonadecansäure Arachinsäure CH3—(CH2)18—COOH 328/100 mm n-Eikosansäure Anmerkungen nebenstehend.

62 71 69 75

[ + 31 1—

6

1+26 1— 4 |+19 |— 1 }+14 3

1

|+13 2 }+H



0,862/54

1—

1

1

+ 9



}— 2 1+ 6



Carbonsäuren, Reaktionen

311

Weiterhin ist f ü r die Schmelzpunktskurve charakteristisch, daß anfangs der Schmelzpunkt m i t s t e i g e n d e r M o l e k ü l g r o ß e s i n k t , bis etwa von der V a l e r i a n s ä u r e ab der Einfluß der Carboxylgruppe soweit a b g e s c h i r m t ist, daß der n o r m a l e A n s t i e g mit. der K e t t e n l ä n g e beginnt. Dieser ansteigende Teil der Schmelzpunktskurve weist eine eigenartige Parallelität mit den Schmelzpunkten der n - P a r a f f i n e d o p p e l t e r K o h l e n s t o f f z a h l auf (Abb. 10, gestrichelte Kurve), die bei den g e r a d z a h l i g e n Carbonsäuren um etwa 5° und bei den u n g e r a d z a h l i g e n um etwa 10—15° über denen der Carbonsäuren liegen. Wie wir später sehen werden, ist diese Parallelität n i c h t z u f ä l l i g e r Natur, sondern hängt eng mit der Neigung der Carbonsäuren zur Bildung von D o p p e l m o l e k ü l e n zusammen (II, Kap. 6, I I I , 1 c ß). Der G e r u c h der Carbonsäuren ist ausgesprochen u n a n g e n e h m . Die reinen n i e d e r e n S ä u r e n riechen stets u n e r t r ä g l i c h s t e c h e n d , und erst in größerer Verdünnung erscheint der charakteristische Säuregeruch, wie z. B. der säuerliche Geruch der E s s i g s ä u r e oder der schweißartige Geruch der B u t t e r s ä u r e . Mit steigendem Molekulargewicht nimmt die I n t e n s i t ä t und meistens auch der u n a n g e n e h m e C h a r a k t e r des Geruchs z u (vgl. z. B. Essigsäure-»• Buttersäure), u m erst bei den o b e r h a l b 250° siedenden Säuren infolge der geringeren Flüchtigkeit vollkommen zu verschwinden.

Hinsichtlich der Löslichkeitseigenschaften stehen die Carbonsäuren den A l k o h o l e n nahe, d. h. die Carboxylgruppe ist stark h y d r o p h i l , und infolgedessen sind die niederen Glieder der Reihe bis zur B u t t e r s ä u r e (bei den A l k o h o l e n nur bis zum P r o p y l a l k o h o l ) noch m i t W a s s e r mischbar. Doch können bereits die P r o p i o n s ä u r e und besonders die B u t t e r s ä u r e mit Calciumchlorid und ähnlichen leicht löslichen Salzen a u s g e s a l z e n werden, und bei den höheren Carbonsäuren verliert sich die Wasserlöslichkeit schließlich ganz. In organ i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n sättigen sich die a s s o z i i e r e n d e n Kräfte der Carboxylgruppen bei der erwähnten Bildung von Doppelmolekülen g e g e n s e i t i g v o l l s t ä n d i g ab, so daß die trockenen Säuren k e i n e l i p o p h o b e n E i g e n s c h a f t e n mehr aufweisen und stets u n b e g r e n z t l ö s l i c h sind. Als Carbonylverbindungen zeigen die Carbonsäuren eine ähnliche A b s o r p t i o n s b a n d e i m n a h e n U l t r a v i o l e t t und eine ähnliche charakteristische R a m a n l i n i e wie die Aldehyde und Ketone. Doch wird in ersterem Falle infolge des Einflusses der Hydroxylgruppe eine deutliche V e r s c h i e b u n g der Lage dieser Absorptionsbande nach den k ü r z e r e n W e l l e n l ä n g e n hin beobachtet (vgl. II, Abb. 16), so daß man die Carboxyl- und Oxoverbindungen g e t r e n n t nachweisen kann.

Die chemischen Umsetzungen der Carbonsäuren sind ebenfalls sehr v i e l s e i t i g , da einerseits die Carboxylgruppe als z u s a m m e n g e s e t z t e F u n k t i o n mehrere reaktionsfähige Stellen enthält, andererseits auch hier eine gewisse A k t i v i e r u n g des Restmoleküls erfolgt. Lediglich O x y d a t i o n s r e a k t i o n e n gegenüber sind sie infolge ihrer mangelnden Dehydrierbarkeit wesentlich b e s t ä n d i g e r als die Alkohole und Aldehyde. Sie übertreffen in dieser Beziehung selbst die ebenfalls nicht mehr dehydrierbaren K e t o n e (S. 266). Im einzelnen unterscheiden wir die folgenden s e c h s R e a k t i o n s g r u p p e n : 1. die Umsetzungen des H y d r o x y l w a s s e r s t o f f s , 2. den A u s t a u s c h der g e s a m t e n H y d r o x y l g r u p p e gegen andere negative Reste, 3. die Reaktionen der C a r b o n y l g r u p p e , 4. die Reaktionen der « - s t ä n d i g e n M e t h y l e n g r u p p e , 5. R e d u k t i o n s r e a k t i o n e n und 6. A b b a u r e a k t i o n e n . x

) Nur bis zur Valeriansäure angegeben. ) Als f n - Werte bezeichnet man in Analogie zu den p H - W e r t e n die n e g a t i v e n L o g a r i t h m e n d e r D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e n (und auch anderer Gleichgewichtskonstanten chemischer Reaktionen). Sie bieten neben dem Fortfall der umständlichen Angabe der Zehnerpotenzen insbesondere den weiteren Vorteil der bequemeren Berechnung der m a x i m a l e n N u t z a r b e i t chemischer Reaktionen (vgl. II, Kap. 4, I, 3), da diese stets dem L o g a r i t h m u s d e r G l e i c h g e w i c h t s k o n s t a n t e n , in unserem Falle also PK, proportional verläuft. 2

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

312

Zu 1. Die wichtigste Eigenschaft des Hydroxylwasserstoffs ist seine A c i d i t ä t , die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Acidität aller anderen C-HydroxylVerbindungen ü b e r t r i f f t (bez. der Ursachen dieser Acidität vgl. II, Kap. 3, III, 2). Die Carbonsäuren sind daher, wie schon der Name sagt, ausgesprochene, wenn auch immer noch s c h w a c h e S ä u r e n , die C a r b o n a t e z e r s e t z e n und in Abwesenheit ihrer Salze sogar K o n g o p a p i e r blau färben. Dementsprechend sind ihre Alkalisalze in wäßriger Lösung im allgemeinen nur noch wenig h y d r o l y t i s c h g e s p a l t e n und reagieren nahezu n e u t r a l . Die D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e sinkt mit steigender Kettenlänge etwas ab und nähert sieh rasch einem konstanten Endwert von etwa 1,35 -lO - 6 (bzw. p K = 4,87, vgl. Tabelle 15), aus dem sich für eine 1 / 1 0 n o r m a l e Lösung eine etwa 0,2%ige (für A m e i s e n s ä u r e 3%ige) Dissoziation errechnet. Die Acidität kann durch n e g a t i v e (bzw. genauer p o s i t i v i e r e n d e , vgl. II, Kap. 3, I, 3) S u b s t i t u t i o n des organischen Restes wesentlich g e s t e i g e r t werden (vgl. Tabelle 22 und 25, S. 371, 452), so daß einige der substituierten Carbonsäuren (wie z. B. die T r i c h l o r e s s i g s ä u r e , vgl. Tabelle 22) bereits zu den s t a r k e n S ä u r e n zählen.

Von den Reaktionen des Hydroxylwasserstoffs ist vor allem die S a l z b i l d u n g (S. 324) sowie die ebenfalls auf den sauren ^Charakter zurückzuführende V e r esterung mit Diazomethan: /P

R—C^

\QH

+ CH2

: © ©

R-C^ + N2 X)—CH,

N=N

und anderen a l i p h a t i s c h e n D i a z o v e r b i n d u n g e n hervorzuheben (näheres vgl. I, Kap. 6, I I I , l a ) . Ferner kann man auf dem Umweg über die S a l z e den Wasserstoff auch mit Hilfe der üblichen A l k y l i e r u n g s - und A c y l i e r u n g s m i t t e l unter Bildung der E s t e r (S. 325) und S ä u r e a n h y d r i d e (S. 331) ersetzen (Gleichungen formulieren!). Zu 2. Die Substitution der Hydroxylgruppe durch andere negative Reste geht erheblich s c h n e l l e r vor sich als bei den A l k o h o l e n , weil sie, ähnlich wie die Substitution des A l d e h y d - und K e t o n s a u e r s t o f f s , über eine i n t e r m e d i ä r e A d d i t i o n a n d i e C a r b o n y l g r u p p e erfolgt: R—cf + H- X M)H

/X R—C: - 0 H x O—H

/

R- -CT

X

+H20

Sie stellt daher eine der wichtigsten Möglichkeiten zur Gewinnung der auf S. 317 f. beschriebenen C a r b o n s ä u r e d e r i v a t e dar und findet vor allem für die folgenden Reaktionen Anwendung: + HO—R'

X)—R' Säureester

Hydrolyse

R—Cy «Ir

o OH

+ HOOC—R Hydrolyse

R

\

! 's

R-cf \NH—OH Säureamid

C

Säureanhydrid

'S a &r«

o

-

Hydroxamsäure

R

v

\NH—NHr

Säurehydrazid

R

Carbonsäuren, Reaktionen

313

Bei allen diesen Bildungsweisen handelt es sieh um G l e i c h g e w i c h t s r e a k t i o n e n , so daß man sie auch rückwärts zur S p a l t u n g der S ä u r e d e r i v a t e verwenden kann. In einigen Fällen liegt das Gleichgewicht für die Gewinnung des Säurederivates sehr ungünstig. Infolgedessen muß man 7.. B die Darstellung der S ä u r e a n h y d r i d e durch direkte Wasserabspaltung aus zwei Carbonsäuremolekülen unter e x t r e m e n B e d i n g u n g e n durchführen (vgl. S. 332), und die Gewinnung der S ä u r e h a l o g e n i d e oder der T h i o c a r b o n s ä u r e n ist auf diesem Wege überhaupt nicht möglich, sondern erfordert s c h ä r f e r e R e a g e n t i e n , wie z. B. die P h o s p h o r h a l o g e n i d e oder P h o s p h o r p e n t a s u l f i d . Dagegen läßt sich die Rückreaktion auch bei diesen Derivaten in analoger Weise durch einfache Hydrolyse mit W a s s e r , gegebenenfalls unter Zusatz eines Katalysators, durchführen.

Zu 3. Auch die Carbonylgruppe wird durch die benachbarte Hydroxylgruppe in ihrer Reaktionsfähigkeit s t a r k b e e i n f l u ß t , jedoch im Gegensatz zu dieser in i h r e r A k t i v i t ä t g e s c h w ä c h t , so daß die meisten der bei den;Oxoverbindungen beschriebenen C a r b o n y l r e a k t i o n e n f o r t f a l l e n . Vor allem ist der ungesättigte Charakter der C=0-Doppelbindung f a s t v ö l l i g v e r s c h w u n d e n , und es kann nicht einmal in wasserstoffhaltigen Lösungsmitteln die Bildung irgendwelcher Additionsprodukte, wie etwa bei der Einwirkung von Wasser die der hy/OH dratartigen O r t h o c a r b o n s ä u r e n R—C—OH, nachgewiesen werden. Lediglich bei X 0H den wenigen in II, Kap. 4, II, 4 b angeführten Beispielen ist die Anlagerung w a s s e r s t o f f h a l t i g e r und s a l z a r t i g e r V e r b i n d u n g e n an die Carboxyl-C=0Doppelbindung in nachweisbarem Umfang gelungen. Trotzdem muß man auch im Normalfall mit einer geringfügigen Bildung derartiger AnlagerungsVerbindungen rechnen, denn nur über sie als Zwischenprodukte wird die l e i c h t e S u b s t i t u i e r b a r k e i t der H y d r o x y l g r u p p e verständlich. Auch zeigt die allgemeine Existenzfähigkeit h y d r o x y l g r u p p e n f r e i e r O r t h o c a r b o n s ä u r e d e r i v a t e (vgl. z. B. S. 323, 335, 346, 356 u.a.) die grundsätzliche Möglich eit der Anwesenheit von drei e i n w e r t i g n e g a t i v e n s a u e r s t o f f h a l t i g e n R e s t e n an e i n e m C - A t o m .

Infolge dieser mangelnden Neigung zur Bildung stabiler Anlagerungsverbindungen tritt die Carbonylgruppe in dem Reaktionsbild der Carbonsäuren ä u ß e r l i c h k a u m i n E r s c h e i n u n g , und es sind k e i n e Umsetzungen von ihr allein bekannt. Doch ist sie, wie wir gesehen haben, durch die Ermöglichung der Substitution der Hydroxylgruppe m a ß g e b e n d an dem gesamten Verhalten der Carboxylgruppe beteiligt und als die e i g e n t l i c h e U r s a c h e i h r e r R e a k t i o n s f ä h i g k e i t anzusehen. Zu 4. Der Einfluß der Carboxylgruppe auf die benachbarte Methylengruppe ist ähnlich dem der Carbonylgruppe in den O x o v e r b i n d u n g e n , doch ebenfalls e r h e b l i c h a b g e s c h w ä c h t . Infolgedessen lassen sich die Carbonsäuren in txStellung zwar noch leichter h a l o g e n i e r e n als die Paraffine, aber die Reaktion b e d a r f (neben der Belichtung) bereits d e r K a t a l y s e durch J o d , S c h w e f e l oder r o t e n P h o s p h o r und ist in ihrer Geschwindigkeit mit der S e i t e n k e t t e n c h l o r i e r u n g d e s T o l u o l s zu vergleichen. Genau wie dort werden auch n a c h e i n a n d e r die verschiedenen Wasserstoffatome ersetzt: CH3—COOH

„ + 01 ' ,

>- C1CH2—COOH

* Essigsäure

roter Phosphor

£

,

Chloressigsäure + Cls

„ »

C12CH—COOH

roter Phosphor

V Cl.C— COOH

roter Phosphor

Trichloressigsäure

Dichloressigsäure

314

Die Carbonsäure und ihre Derivate

Weiterhin geht die aktive Methylengruppe der Carbonsäuren k e i n e K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n e n mehr ein, und auch eine Angreifbarkeit durch O x y d a t i o n s m i t t e l , wie z. B. C h r o m t r i o x y d oder S e l e n d i o x y d (I, Kap. 12, I, lc), wurde bisher n i c h t b e o b a c h t e t . Erst beim Übergang zu den S ä u r e d e r i v a t e n , speziell den S ä u r e c h l o r i d e n (S. 320f.), S ä u r e a n h y d r i d e n (S. 331), E s t e r n (S. 325) und S ä u r e n i t r i l e n (S. 346), wird die Methylengruppe wieder a k t i v e r und u. a. zu den dort beschriebenen Kondensationsreaktionen befähigt Diese e r h ö h t e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t d e r S ä u r e d e r i v a t e läßt sieh zuweilen auch •zur k a t a l y t i s o h e n B e s c h l e u n i g u n g der Substitution der Carbonsäuren selbst verwenden, wie am Beispiel der E s s i g s ä u r e c h l o r i e r u n g in Gegenwart von r o t e m P h o s p h o r gezeigt .sei: Bei dieser Reaktion ist weder der Phosphor noch das aus ihm in dem chlorierenden Medium entstehende Phosphortrichlorid der eigentliche Katalysator, sondern erst das aus diesem und Essigsäure gebildete A c e t y l c h l o r i d , das viel l e i c h t e r c h l o r i e r t w i r d , als die Essigsäure selbst und anschließend unter Übertragung der Säurechloridgruppe im Rahmen einer „ U m c h l o r i e r u n g s r e a k t i o n " immer wieder neue Essigsäuremoleküle aktiviert, so daß man mit einer geringen Menge Acetylchlorid die gesamte Essigsäure umsetzen kann:

0 i/ 3 PCI3 + CH3—c; \0H

/

Jd • v CHa—C f \ci

+ CH,—COOH (Umchlorierung)*" CI—CH2—C

\0H

JÒ hci*^ CI—CH2—C \ci

+ ci

+

Bei Zusatz von e i n e m Ä q u i v a l e n t r o t e n P h o s p h o r s liegt k e i n e K a t a l y s e mehr vor, und der g a n z e A n s a t z geht in C h l o r a c e t y l c h l o r i d — bzw. bei Verwendung von B r o m in B r o m a c e t y l b r o m i d — über (Gleichungen formulieren!). In dieser Form wird das Verfahren hauptsächlich zur Darstellung der f ü r die Peptidsynthesen (III, Kap. 7, I, 2) benötigten a - H a l o g e n f e t t s ä u r e h a l o g e n i d e verwandt.

Zu 5. Die geringe Additionsneigung der Carboxylgruppe wirkt sich auch erschwerend auf ihre Reduzierbarkeit aus. Insbesondere den n o r m a l e n R e d u k t i o n s m i t t e l n gegenüber sind die Carbonsäuren so r e a k t i o n s t r ä g e , daß sie weder von n a s c i e r e n d e m noch von k a t a l y t i s c h e m W a s s e r s t o f f bei Temperaturen unter 200° angegriffen werden. Man kann infolgedessen Zinkstaub und Eisessig als p r ä p a r a t i v e s R e d u k t i o n s m i t t e l verwenden, ohne eine Reduktion der Essigsäure selbst befürchten zu müssen. Erst in neuerer Zeit ist es gelungen, in dem besonders aktiven L i t h i u m - a l u m i n i u m - h y d r i d (LiAlH4, vgl. anorg. Lehrbücher) ein Reduktionsmittel zu finden, das die Carboxylgruppe auch in der K ä l t e zum Alkohol zu reduzieren vermag. Bei höheren Temperaturen findet dagegen relativ leicht eine Reduktion statt, die je nach den Bedingungen zu v e r s c h i e d e n e n Produktenführt. K a t a l y t i s c h e r W a s s e r s t o f f reagiert bei 3—400°, Wasserstoffdrucken von 2—300 Atmosphären — nach O. Schmidt (1931) genügt auch Atmosphärendruck — und Verwendung von K u p f e r - , Zink- oder N i c k e l c h r o m i t k a t a l y s a t o r e n direkt bis zur A l k o h o l s t u f e (und unter etwas energischeren Bedingungen auch bis zum K o h l e n w a s s e r s t o f f ) , während die auf S. 234 beschriebene Reduktion mit Zink oder Ameisensäure bei 300° (bzw. 350°) infolge des a n d e r e n R e a k t i o n s m e c h a n i s m u s auf der Aide h y d s t u f e stehen bleibt. Etwas leichter sind dagegen einige S ä u r e d e r i v a t e zu reduzieren, insbesondere die E s t e r , die S ä u r e c h l o r i d e und auch die N i t r i l e (näheres vgl. S. 235).

Carbonsäuren, Reaktionen

315

Zu 6. Infolge der dreifachen negativen Substitution des Carboxyl-C-Atoms ist die v o n i h m a u s g e h e n d e C—C-Bindung wesentlich l a b i l e r als die entsprechende Bindung in den Oxoverbindungen und erleidet daher auch ohne Oxydation des «-ständigen C-Atoms leicht eine A u f s p a l t u n g , die meistens o h n e Ä n d e r u n g d e r G e s a m t o x v d a t i o n s s t u f e , also formal wie eine H y d r o l y s e , verläuft und in zwei Richtungen erfolgen kann: a) Der W a s s e r s t o f f tritt an den o r g a n i s c h e n R e s t und die H y d r o x y l g r u p p e an den C a r b o x y l k o h l e n s t o f f , d. h. es wird K o h l e n s ä u r e abgespalten. Diese Reaktion haben wir in der Decarboxylierung der Carbonsäuren (S. 71) bereits kennengelernt. Sie wird meistens durch t h e r m i s c h e Z e r s e t z u n g der c a r b o n s a u r e n Salze mit überschüssigem A l k a l i durchgeführt, dürfte in diesem Falle also tatsächlich als eine durch A l k a l i aktivierte H y d r o l y s e aufzufassen sein: -v R—H + Na2C03

R—

Daneben beobachtet man in ß - K e t o c a r b o n s ä u r e n und ähnlich konstituierten Säuren (vgl. S. 498 u. I, Kap. 6, IV, 2) aber auch eine d i r e k t e C0 2 A b s p a l t u n g , die ohne Wasser, also n i c h t a u f d e m W e g e e i n e r H y d r o l y s e vor sich geht und wahrscheinlich durch die Bildungstendenz des energiearmen K o h l e n d i o x y d m o l e k ü l s eingeleitet wird: O R-(/ ! \ o - ::H

-> R—H + C02

Die für die Decarboxylierung einfacher Carbonsäuren wichtigere Abspaltung der Carboxylgruppe durch Destillation der Salze mit überschüssigem Alkali führt im allgemeinen nur bei der E s s i g s ä u r e und den a r o m a t i s c h e n C a r b o n s ä u r e n zum Ziel, da die meisten aliphatischen Carbonsäuren leicht N e b e n r e a k t i o n e n eingehen, von denen vor allem die unter ähnlichen Bedingungen erfolgende K e t o n b i l d u n g ( K a l k s a l z d e s t i l l a t i o n , S. 261 f.) hervorgehoben werden muß. Sie unterscheidet sich von der D e c a r b o x y l i e r u n g lediglich darin, daß sie k e i n ü b e r s c h ü s s i g e s A l k a l i zur Abspaltung auch des z w e i t e n C a r b o x y l k o h l e n s t o f f s als Carbonation erfordert, und wird auch durch das überschüssige Alkali n i c h t v o l l s t ä n d i g zurückgedrängt:

R—C

/

0

„o R—

No Ca yO R—

\

->-

N

; C = 0 + CaC0a

R /

H

R— y

°Ca+Ca° H

-> 2R—H + 2CaC03

o Ketonbildung

Decarboxylierung

b) Die H y d r o x y l g r u p p e tritt an den o r g a n i s c h e n R e s t , während der C a r b o x y l k o h l e n s t o f f , ohne daß er direkt Wasserstoff aufnimmt, zum K o h l e n o x y d , d . h . zur O x y d a t i o n s s t u f e d e r A m e i s e n s ä u r e reduziert wird. Diese Kohlenoxydspaltung der Carbonsäuren, die hinsichtlich der Oxydationsstufen der Spaltprodukte auf eine U m k e h r u n g d e r C a r b o n y l i e r u n g s r e a k t i o n hinauskommt, findet zuweilen in s t a r k s a u r e m und w a s s e r a b s p a l t e n d w i r -

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

316

k e n d e m Reaktionsmedium, insbesondere in Gegenwart von S c h w e f e l s ä u r e statt (bez. des Mechanismus vgl. S. 339): R —C

\

konzentrierter

y- R—0H + C = 0

0—H

Sie kann bei den einfachen Carbonsäuren nur in A u s n a h m e f ä l l e n durchgeführt werden (z. B. bei der T r i m e t h y l e s s i g s ä u r e ) , geht aber bei allen a m «-CA t o m o x y d i e r t e n C a r b o n s ä u r e n , also den Pelargonyl, Caprinsäure -* Caprinat usw.). Im einzelnen unterscheidet man drei v e r s c h i e d e n e Typen von Säureradikalen: 1. die in den S a l z e n und E s t e r n auftretende Gruppe R—C.

. Sie wird, 0— der allgemeinen Nomenklatur der Salze entsprechend, durch die Endung -at und Stellung des Säureradikalnamens an das W o r t e n d e (im Gegensatz zur sonst üblichen Bezeichnungsweise in der organischen Chemie) gekennzeichnet (z. B. Natriumformiat, Äthylacetat usw.); X

2. die Gruppe R — C ^ . Sie stellt das bei weitem w i c h t i g s t e S ä u r e r a d i k a l dar und hat daher die allgemein für die Benennung von Radikalen gebräuchliche Endung -yl erhalten, die man häufig zur Vereinfachung auch fortläßt. Der Radikalname wird hier wieder in der üblichen Weise dem Namen der substituierten Verbindung, bzw. der Gruppenbezeichnung des betreffenden Säurederivats, v o r a n g e s t e l l t (z.B. Form(yl)amid, Acet(yl)anhydrid, Benz(oyl)hydrazid usw.). Als S a m m e l b e z e i c h n u n g für ein b e l i e b i g e s S ä u r e r a d i k a l dieses Typus hat man den Ausdruck Acyl- eingeführt, der dem A l k y l - der aliphatischen und dem Aryl- der aromatischen Reihe entsprechend angewandt wird; 8. die Gruppe R—C^, für die die Endung -o in Gebrauch ist (z. B.

Acetonitril,

BenzotricMorid usw.). Die Einteilung der Carbonsäurederivate geschieht in gleicher Weise wie bei den OxoVerbindungen nach den in ihnen enthaltenen Heteroatomen in die H a l o g e n - , S a u e r s t o f f - , S t i c k s t o f f - und S c h w e f e l d e r i v a t e . b) D i e H a l o g e n d e r i v a t e der Carbonsäuren Man unterscheidet z w e i R e i h e n v o n H a l o g e n d e r i v a t e n der Carbonsäuren: die Säurehabgenide, in denen lediglich die Hydroxylgruppe, und die gem-Trihalogenide, in denen der g e s a m t e S a u e r s t o f f der Carboxylgruppe durch H a l o g e n ersetzt ist. Bei weitem am wichtigsten sind:

Di 3 Carbonsäuren und ihre Derivate

320

r,/ — hcT

O

Dia Carbonsäurehalogenide

/ C1

R—Cf

/C1i l t -C - O

+ IS-0 OH \ci

321 C1

../> Ss

R—C^

+ IS0 2 + HCl

OH

Am vorteilhaftesten ist die Anwendung von T h i o n y l c h l o r i d , das n u r g a s f ö r m i g e N e b e n p r o d u k t e liefert und daher namentlich zur Darstellung h o c h s i e d e n d e r S ä u r e c h l o r i d e dient. Träge verlaufende Chlorierungen kann man durch Zusatz von Z i n k c h l o r i d beschleunigen. P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d reagiert s e h r h e f t i g , doch tritt das infolge seines ungünstigen Siedepunktes (105°) zuweilen schwer abtrennbare P h o s p h o r o x y c h l o r i d als weiteres Reaktionsprodukt auf. P h o s p h o r t r i c h l o r i d wird meistens f ü r die Darstellung t i e f s i e d e n d e r S ä u r e c h l o r i d e verwandt, da es bei der Chlorierung in die nicht flüchtige p h o s p h o r i g e S ä u r e übergeht (Gleichung formulieren!). Die Darstellung der nur selten benötigten S ä u r e j o d i d e und S ä u r e f l u o r i d e geschieht meistens nicht direkt von den Carbonsäuren, sondern sekundär von den S ä u r e c h l o r i d e n aus, indem man in diesen das Chlor nach den gleichen Methoden substituiert, die wir bereits bei den A l k y l h a l o g e n i d e n f ü r den H a l o g e n a u s t a u s c h kennengelernt haben (vgl. S. 149, 164): O R—cf \

+

^

AgCl (V2HgCl2)

+ AgF (oder y2 HgF 8 )

0

/

R—C

N

C1

+ NaJ (oder y2 CaJ,)

R—Cf

NT

+

NaCl

(V. CaC12)

Zu 2. V o n den verschiedenen Möglichkeiten der direkten Synthese der Säurechloridgruppe hat vor allem die auf S. 95 beschriebene C a r b o n y l i e r u n g s r e a k t i o n , d. h. speziell die Anlagerung v o n K o h l e n o x y d und H a l o g e n w a s s e r s t o f f an e i n O l e f i n (Gleichung formulieren!), praktische Bedeutung erlangt. Auch die direkte Anlagerung v o n A l k y l h a l o g e n i d e n an K o h l e n o x y d ist mit Hilfe eines Kontaktverfahrens gelungen, erfordert aber die für eine organische Reaktion außerordentlich hohe Reaktionstemperatur v o n 700—900°. Alle anderen Reaktionen dieser Gruppe sind dagegen nur von sekundärem Interesse und ebenfalls bereits beschrieben. Die wichtigsten von ihnen sind die Anlagerung von H a l o g e n w a s s e r s t o f f an K e t e n e (S. 292), die Einwirkung von P h o s g e n auf a r o m a t i s c h e K o h l e n w a s s e r s t o f f e nach FRTEDEL-CRAFTS (S. 308) und die Einwirkung von C h l o r auf t r o c k e n e A l d e h y d e (S. 244), die allerdings wegen der unter den gleichen Bedingungen erfolgenden Substitution der a-ständigen Methylengruppe nur in der a r o m a t i s c h e n R e i h e eine beschränkte Anwendung gefunden hat. Eigenschaften. Die Säurehalogenide sind farblose, ziemlich t i e f s i e d e n d e u n d auch t i e f s c h m e l z e n d e Substanzen, die bereits durch die L u f t f e u c h t i g k e i t hydrolytisch gespalten werden, so daß sie an der L u f t rauchen und nach längerem Stehen stets mehr oder weniger stark durch die C a r b o n s ä u r e n verunreinigt sind. Sie üben auf die Augen und Atmungsorgane eine u n e r t r ä g l i c h e R e i z w i r k u n g aus, haben jedoch infolge ihrer Unbeständigkeit gegenüber der Luftfeuchtigkeit k e i n e V e r w e n d u n g a l s T r ä n e n g a s gefunden. Die aliphatischen Glieder der Reihe sind w a s s e r l ö s l i c h , werden aber sofort nach der Auflösung Tabelle 17 Physikalische K o n s t a n t e n einiger Name Acetylfluorid Acetylchlorid Acetylbromid Acetyljodid 21

I) T

Säurehalogenide

Sdp.

Smp.

21» 51 77 108

- R—C

;\C1

X

+ HCl

0

Die Reaktion kommt praktisch auf eine der A l k y l i e r u n g s r e a k t i o n analog verlaufende Ü b e r t r a g u n g d e s A c y l r e s t e s auf andere Moleküle hinaus und wird daher allgemein als Acylierungsreaklion (näheres vgl. S. 339) bezeichnet. Die Säurehalogenide sind danach typische Acylierungsmittel und finden eine vielseitige Anwendung zur Darstellung a n d e r e r S ä u r e d e r i v a t e , sowie bei Einwirkung von R e d u k t i o n s m i t t e l n (S.235), m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n (S.235,261), oder von B e n z o l und A l u m i n i u m c h l o r i d nach F K I E D E L - C R A F T S (S.257,270), auch von A l d e h y d e n und K e t o n e n . Die praktisch wichtigsten dieser Acylierungsreaktionen sind in der folgenden Übersicht zusammengestellt: x

nh2

R—Ce N

A -NH, — HCl

R—C

NH—NH2



X


-

R—CH=0

Nci

Die Carbonylgruppe tritt jedoch infolge der s e k u n d ä r e n A b s p a l t u n g s r e a k t i o n e n selbst bei so speziellen Carbonylreaktionen, wie der eben angeführten R e d u k t i o n oder der Umsetzung mit m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n zu Ketonen (S. 261, Gleichung formulieren!), ebensowenig in der summarischen Gesamtgleichung in Erscheinung wie bei den Carbonsäuren, so daß wir Umsetzungen der Carbonylgruppe a l l e i n auch hier n i c h t kennen. Zu B. Die gesteigerte Aktivität der Carbonylgruppe macht sich weiterhin in einer gegenüber den Carbonsäuren verstärkten Aktivierung der «-ständigen Methylengruppe bemerkbar, wie u. a. aus der auf S. 314 beschriebenen leichteren H a l o g e n i e r b a r k e i t der Säurehalogenide hervorgeht. Doch vermag die Methylengruppe trotz dieser eindeutigen Aktivierung k e i n e der Aldolkondensation analoge K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n einzugehen, weil die Säurechloridgruppe auf die meist b a s i s c h e n K o n d e n s a t i o n s m i t t e l (z. B. Natriumalkoholat) a c y l i e r e n d einwirkt und diese dadurch zerstört. ß) Die geminalen Trihalogenverbindungen Die auf S. 160 bereits beschriebenen g e m - T r i h a l o g e n v e r b i n d u n g e n stellen gleichzeitig die O r t h o c a r b o n s ä u r e h a l o g e n i d e dar, worauf u. a. auch ihre Namen (z. B. C h l o r o f o r m , B e n z o t r i c h l o r i d ) hindeuten. Sie zeigen als Orthocarbonsäurederivate k e i n e C a r b o n y l r e a k t i o n e n mehr und sind dementsprechend reaktionsträge, so daß ihre nahen Beziehungen zu den Carbonsäuren nur w e n i g i n E r s c h e i n u n g t r e t e n und sie im allgemeinen zu den H a l o g e n v e r b i n d u n g e n gerechnet werden. An dieser Stelle sei lediglich auf zwei s p e z i e l l e Reaktionen hingewiesen, durch die sie mit der C a r b o n s ä u r e r e i h e verknüpft sind: 1. die h y d r o l y t i s c h e A b s p a l t u n g d e s H a l o g e n s zu den f r e i e n C a r b o n s ä u r e n . Die Reaktion kann im Gegensatz zur Hydrolyse der Alkylhalogenide und der gem-Dihalogen21*

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

324

Verbindungen außer durch Alkali auch durch 97%ige S c h w e f e l s ä u r e , ja zuweilen bereits durch Kochen mit Wasser bewirkt werden, so daß man sie unter Schonung der in alkalischem Medium leicht spaltbaren C—CCI3-Bindung durchführen kann. Sie hat auch praktische Bedeutung erlangt, z. B. zur Darstellung von Dichloressigsäure durch partielle Hydrolyse von P e n t a c h l o r ä t h a n oder von G l y o x y l s ä u r e durch Hydrolyse von Chloral: C12CH—CC13

tJU .nUn ^

C12CH—COOH

0=CH-CC1 3 ^üjSUj^

0=CH—COOH

2. die bereits beschriebene Alkoholyse der gem-Trihalogenverbindungen zu den Orthoc a r b o n s ä u r e e s t e r n , die bei der Einwirkung von N a t r i u m a l k o h o l a t erfolgt (S. 160). c) D i e S a u e r s t o f f d e r i v a t e der C a r b o n s ä u r e n «) Die Salze Die Metallderivate der Carbonsäuren sind im allgemeinen i o n o g e n aufgebaut und im Gegensatz zu den leicht hydrolysierenden Alkoholaten und sonstigen Metallderivaten organischer Verbindungen e c h t e S a l z e , die infolge der relativ großen Dissoziationskonstanten der Carbonsäuren nur w e n i g zur H y d r o l y s e n e i g e n . Ihre Darstellung erfolgt meistens nach „ a n o r g a n i s c h e n " M e t h o d e n , z. B. durch Neutralisation der wäßrigen Lösungen der freien Carbonsäuren oder auch durch direkten Umsatz der Carbonsäuren mit den basischen M e t a l l h y d r o x y d e n (bzw. bei den Schwermetallen mit den O x y d e n ) . Doch sind daneben auch typisch „ o r g a n i s c h e " B i l d u n g s w e i s e n bekannt, von denen die wichtigste die S e i f e n h e r s t e l l u n g durch a l k a l i s c h e F e t t h y d r o l y s e ist (III, Kap. 6, I, 1), die der ganzen Gruppe der hydrolytischen Spaltungsreaktionen den Namen Verseifung gegeben hat. Die Salze der n i e d e r e n C a r b o n s ä u r e n unterscheiden sich in ihrem physikalischen Verhalten nicht wesentlich von den Salzen a n o r g a n i s c h e r S ä u r e n . Insbesondere sind sie wie diese typisch h y d r o p h i l e und l i p o p h o b e S u b s t a n z e n , die sich in W a s s e r , A l k o h o l e n , E s s i g s ä u r e und P y r i d i n , nicht aber mehr in Ä t h e r , B e n z o l und ähnlichen h y d r o p h o b e n o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n auflösen. Ferner sind sie wie die anorganischen Salze innerhalb des Beständigkeitsbereiches organischer Verbindungen n i c h t d e s t i l l i e r b a r , d. h. sie erleiden stets weit v o r E r r e i c h u n g d e s e i g e n t l i c h e n S i e d e p u n k t e s (auch im Vakuum) die unten beschriebenen t h e r m i s c h e n Z e r s e t z u n g s r e a k t i o n e n . Bei den Salzen der höheren C a r b o n s ä u r e n tritt der Einfluß des organischen Molekülteiles auf die Löslichkeitseigenschaften bereits stärker in Erscheinung. Die wäßrigen Lösungen der Alkali salze zeigen infolgedessen das in II, Kap. 6, II, 2 näher beschriebene typisch kolloi d a l e Verhalten der S e i f e n l ö s u n g e n , und die Salze der E r d a l k a l i m e t a l l e sind in Wasser bereits völlig unlöslich, so daß sie beim Zusatz von Calcium- oder Magnesiumionen zu den Lösungen der Alkalimetallseifen im Rahmen einer normalen Ionenreaktion a u s fallen. Hartes, d.h. calcium- oder m a g n e s i u m h a l t i g e s Wasser ist daher zum Waschen ungeeignet und muß, um Seifenverluste zu vermeiden, zuvor e n t h ä r t e t werden. Auch die häufig nicht mehr vollständig dissoziierten S c h w e r m e t a l l s a l z e der höheren Carbonsäuren sind durchweg in Wasser unlöslich, zeigen aber auf der andern Seite bereits eine gewisse Löslichkeit bzw. E m u l g i e r b a r k e i t in o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n . Man verwendet sie daher häufig als S c h w e r m e t a l l k a t a l y s a t o r e n in lipophilen Reaktionsmedien, z. B. bei der P a r a f f i n o x y d a t i o n (S. 77). Ebenso ist die lipophile Natur der Schwermetallseifen von p h a r m a z e u t i s c h e m I n t e r e s s e , weil man mit ihrer Hilfe die physiologisch aktiven Schwermetallionen an die L i p o i d t e i l c h e n des Organismus heranbringen kann. Sie spielen daher seit jeher eine wichtige Rolle in der Pharmazie, z. B. die Bleiseifen im B l e i p f l a s t e r oder die Z i n k s e i f e n in der Zinksalbe.

Die Carbonsäureester

325

Auch von den chemischen Umsetzungen der carbonsauren Salze zählen einige ihrer ganzen Natur nach noch zur a n o r g a n i s c h e n Chemie. Dies ist insbesondere bei allen I o n e n r e a k t i o n e n der Fall, z. B. bei der Fällung der Oxalsäure als C a l c i u m o x a l a t . Aber auch die Bestimmung der D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e n der C a r b o n s ä u r e n und die der mit ihnen eng zusammenhängenden H y d r o l y s e n k o n s t a n t e n der S a l z e werden hauptsächlich in der a n o r g a n i s c h e n C h e m i e behandelt. So werden z. B. die E s s i g s ä u r e und ihr A l u m i n i u m - oder E i s e n s a l z seit jeher als typische Lehrbeispiele für s c h w a c h e S ä u r e n und h y d r o l y s i e r e n d e S a l z e angeführt. Neben diesen Ionenreaktionen zeigen die carbonsauren Salze aber auch eine Reihe von Umsetzungen, an denen das o r g a n i s c h e A n i o n allein beteiligt ist, und in denen es als I o n e n m o l e k ü l wie jedes andere organische Molekül reagiert. Mit diesen Reaktionen wollen wir uns hier in erster Linie beschäftigen. Eine erhöhte Reaktionsfähigkeit gegenüber den freien Säuren zeigen die Carboxylat-ionen bei allen auf ihrer g r ö ß e r e n B a s i z i t ä t beruhenden Reaktionen. Sie können infolgedessen leichter als die Säuren a l k y l i e r t und a c y l i e r t werden, so daß man zur Darstellung der E s t e r - und S ä u r e a n h y d r i d e häufig von den c a r b o n s a u r e n S a l z e n ausgeht und diese mit den üblichen A l k y l i e r u n g s und A c y l i e r u n g s m i t t e l n umsetzt (S. 326, 332). Das K a t i o n beteiligt sich an diesen Reaktionen im allgemeinen n i c h t und kann daher in der Reaktionsgleichung fortgelassen werden. Lediglich in den Fällen, in denen es eine besondere A f f i n i t ä t zu der S ä u r e k o m p o n e n t e des Alkylierungs- bzw. Acylierungsmittels aufweist, wie z. B. bei der häufig angewandten A k t i v i e r u n g der Wirkung der A l k y l und A c y l h a l o g e n i d e durch Verwendung der S i l b e r s a l z e der Carbonsäuren, muß man natürlich auch die S i l b e r h a l o g e n i d b i l d u n g mit berücksichtigen.

Eine Abschwächung der Reaktionsfähigkeit gegenüber den Carbonsäuren beobachtet man dagegen bei allen C a r b o n y l r e a k t i o n e n , und es ist z. B. der S a u e r s t o f f d e s C a r b o x y l a t i o n s , abgesehen von der S ä u r e c h l o r i d b i l d u n g bei der Einwirkung von P h o s p h o r o x y c h l o r i d und S u l f u r y l c h l o r i d , einer S u b s t i t u t i o n durch andere negative Reste n i c h t m e h r z u g ä n g l i c h . Ebensowenig findet eine Aktivierung der « - s t ä n d i g e n M e t h y l g r u p p e statt, und die Salze können daher w e d e r e i n e K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n eingehen n o c h i n « - S t e l l u n g h a l o g e n i e r t werden. An neuartigen Reaktionen begegnen wir lediglich der auf S. 315) bereits erwähnten L a b i l i s i e r u n g der Bindung des Carboxylkohlenstoffs an den organischen Molekülrest, die bei Temperaturen um 300° sowohl im Sinne einer K e t o n b i l d u n g (Kalksalzdestillation, S. 261f) als auch im Sinne einer D e c a r b o x y l i e r u n g (Destillation mit überschüssigem Alkali, S. 71) aufgespalten werden kann. ß) Die Carbonsäureester Die C a r b o n s ä u f e e s t e r schließen sich in ihren Eigenschaften eng an die auf S. 195f. beschriebenen Ester der a n o r g a n i s c h e n S ä u r e n an und stellen den wichtigsten Typus der a c y l i e r e n d w i r k e n d e n E s t e r dar, bei deren Spaltung fast ausschließlich nur der S ä u r e r e s t in Reaktion tritt. Wir können uns daher hier im wesentlichen auf ihre Beschreibung als C a r b o n s ä u r e d e r i v a t e beschränken. Torkommen. Abgesehen von den niederen Gliedern der Reihe sind die Carbonsäureester sehr wichtige N a t u r s t o f f e . Bereits die Ester der m i t t l e r e n C a r b o n s ä u r e n (C4 bis etwa C10) treten als Duft- und Aromastoffe in F r ü c h t e n , im W e i n und auch in einigen ä t h e r i s c h e n ö l e n auf. Doch werden sie an Bedeutung weit übertroffen von den G l y c e r i n e s t e r n (allgemein Qlyceride genannt) der u n v e r -

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

326

z w e i g t e n Carbonsäuren m i t 16 und 1 8 C - A t o m e n , die den Hauptbestandteil der als Nahrungs- und Reservestoffe dienenden F e t t e und Öle (III, Kap. 6 , 1 , 1 ) bilden. Noch höhere Carbonsäuren mit bis zu 34 C-Atomen treten in den natürlichen W a c h s e n (III, Kap. 6, I, 3) auf, und im Kork (III, Kap. 6, I, 4) liegt schließlich ein h o c h m o l e k u l a r e s V e r e s t e r u n g s p r o d u k t von im einzelnen zum großen Teil noch unbekannten O x y c a r b o n s ä u r e n vor. Die Darstellung der Carbonsäureester geschieht grundsätzlich nach den gleichen Verfahren wie die der Ester a n o r g a n i s c h e r Säuren: 1. durch Anlagerung von Carbonsäuren an mehrfache Kohlenstoff-Kohlenstoifbindungen. Die Methode spielt zwar bei der geringen Acidität der Carbonsäuren für die Gewinnung der Ester g e s ä t t i g t e r Carbonsäuren nur eine untergeordnete Rolle (vgl. S. 93), hat aber für die Gewinnung der E n o l e s t e r (S. 111, 218) und der E s t e r a c e t a l e (S. 280) eine gewisse praktische Bedeutung erlangt: HC=CH + HOOC—CH,•> Hg-Salzev H,C=CH—OOC—CH 1 3J Vinylacetat

+CH,

~C00H»

OOC—CH3 CH3"—CH v X>OC—CH3 Äthyliden-acetat

2. durch direkte Wasserabspaltung aus Carbonsäuren und Alkohol: HSO ' ' > R—C

R—Cf...

"\OH + II- O- R'

\ o — :R'

+ H20

Die Reaktion muß — von wenigen Ausnahmen, wie z. B. der Veresterung der O x a l s ä u r e , S. 458, abgesehen — bei Temperaturen u n t e r 100° stets durch K a t a l y s a t o r e n (meistens Salz- oder S c h w e f e l s ä u r e ) beschleunigt werden. Auch mit Z i n k c h l o r i d , B o r t r i f l u o r i d und ähnlich wirkenden K o m p l e x b i l d n e r n kann man die Veresterung bewirken. Betreffs des Mechanismus dieser Katalyse vgl. II, Kap. 3, I, 4. 3. durch Alkylierung von Carbonsäuren bzw. c a r b o n s a u r e n S a l z e n , die man entweder in der in I, Kap. 6, III, l a beschriebenen Weise durch Umsetzen der f r e i e n C a r b o n s ä u r e n mit D i a z o p a r a f f i n e n oder durch A l k y l i e r u n g der c a r b o n s a u r e n Salze mit den üblichen Alkylierungsmitteln (speziell wieder der S i l b e r s a l z e mit den A l k y l h a l o g e n i d e n , vgl. S. 325) bewirkt:

,0 n - c \f + n2 < \OCH 3

+ c h

c-: c. -="

,0

R—C\

,0 J"- >

\OH

bildung

R—c\

JÒ • * f>

\0:Me

— MeX

R - c \f ^OR'

4. durch Acylierung von Alkoholen, die meistens durch direkte Einwirkung der S ä u r e c h l o r i d e oder - a n h y d r i d e auf die A l k o h o l e geschieht, aber auch durch Anlagerung der A l k o h o l e an K e t e n e (S. 292) vorgenommen werden kann: o R-C^° \0—R'

Hl-O-R'

+R CH

-

=C=°,

R-CH2-cf° \0—R'

Die S ä u r e c h l o r i d e reagieren mit den Alkoholen bereits ohne K a t a l y s a t o r e n (S. 322) unter Chlorwasserstoffentwicklung, werden aber zur Vermeidung störender Einflüsse häufig auch in a l k a l i s c h e m Medium (z. B. in Pyridinlösung, vgl. S. 323) angewandt. Die S ä u r e a n h y d r i d e bedürfen dagegen s t e t s der K a t a l y s e (S. 334.)

Die Carbonsäureester

327

5. Eine s p e z i e l l e B i l d u n g s w e i s e für Carbonsäureester, deren Alkoholund Säurekomponente das g l e i c h e K o h l e n s t o f f g e r ü s t enthalten, liegt schließlich in der auf S. 244 beschriebenen Disproportionierung von Aldehyden in Gegenwart von A l u m i n i u m a l k o h o l a t e n vor. Sie dient in der Technik hauptsächlich zur Darstellung von E s s i g s ä u r e - ä t h y l e s t e r . Physikalische Eigenschaften. Die Ester s i e d e n und s c h m e l z e n infolge des F e h l e n s d e s a s s o z i i e r e n d e n Carboxyl-Wasserstoffs um etwa 80° t i e f e r als die C a r b o n s ä u r e n und etwa g l e i c h h o c h wie die A l d e h y d e u n d K e t o n e g l e i c h e r K o h l e n s t o f f z a h l . Ebenso ist, ähnlich wie bei den Oxoverbindungen, der Siedepunkt nahezu u n a b h ä n g i g v o n d e r L a g e d e r —CO—O-Gruppe innerhalb der Kette, d . h . E s t e r n i e d e r e r C a r b o n s ä u r e n m i t h ö h e r e n A l k o h o l e n sieden nahezu gleich hoch wie die isomeren E s t e r h ö h e r e r C a r b o n s ä u r e n m i t n i e d e r e n A l k o h o l e n , wie im einzelnen aus Tabelle 18 zu entnehmen ist. Tabelle 18 Physikalische K o n s t a n t e n einiger Ester Name Methylformiat Methylacetat Äthylformiat Methylpropionat Äthylacetat Propylformiat Methylbutyrat Äthylpropionat Propylacetat Butylformiat

Sdp.

Smp.

32° 57 54 80 77 81 103 99 102 107

—100° — 98 — 81 — 88 — 83 — 93 — 74 — 93 — 92

D/T 1,003/0° 0,924/20 0,923/10 0,917/18 0,901/20 0,906/20 0,898/20 0,894/15 0,891/18 0,889/20

Name Äthylbutyrat Äthylvalerat Äthylcapronat Äthylönanthat Äthylcaprylat Äthylpelargonat Äthylcaprinat Äthylbenzoat Benzylacetat

Sdp. 120° 145 167 187 208 222 244 213 215

Smp.

D/T

—93° 0,879/20° —91 0,878/15 —68 0,873/19 0,872/15 —45 0,873/16 —44 0,870/15 0,859/28 —34 1,051/15 —52 1,057/16

Auch hinsichtlich der Lösungseigenschaften sind die Ester am ehesten mit den Oxov e r b i n d u n g e n zu vergleichen. Doch ist die Löslichkeit in Wasser trotz der stärkeren Belastung des Moleküls mit Sauerstoffatomen infolge des Fehlens der Hydratbildung merkl i c h g e r i n g e r , und es sind z. B. bei Zimmertemperatur k e i n e C a r b o n s ä u r e e s t e r m i t W a s s e r mischbar. Die niederen Glieder der Reihe, insbesondere Ä t h y l a c e t a t , dienen vielfach als L ö s u n g s m i t t e l .

Das chemische Verhalten der Carbonsäureester wird wie das der Ester anorganischer Säuren in erster Linie durch den S ä n r e r e s t diktiert, der an den folgenden drei Gruppen von Reaktionen a u s s c h l i e ß l i c h beteiligt ist: 1. den unter Erhaltung der Oxydationsstufe verlaufenden s o l v o l y t i s c h e n S p a l t u n g s r e a k t i o n e n , 2. den sonstigen R e a k t i o n e n d e r C a r b o n y l g r u p p e und 3. den Reaktionen der zum Carbonylkohlenstoff « - s t ä n d i g e n M e t h y l e n g r u p p e . Neben diesen wichtigsten Umsetzungen sind 4. nur wenige Fälle bekannt, in denen auch eine Beteiligung der a l k o h o l i s c h e n K o m p o n e n t e an den Reaktionen der Estergruppe beob achtet wird. Zu 1. Wie wir bereits auf S. 198 f. gesehen haben, erleiden die Carbonsäureester infolge der Anwesenheit eines d o p p e l t g e b u n d e n e n O - A t o m s in der Estergruppe bei allen solvolytischen Spaltungsreaktionen eine a c y l i e r e n d e S p a l t u n g , d. h. sie übertragen den Acylrest im Rahmen einer normalen Acylierungsreaktion auf das spaltende Agens. Infolgedessen führen die verschiedenen Möglichkeiten der Esterspaltung (von der Hydrolyse abgesehen) niemals zu den freien Carbonsäuren, sondern stets zu S ä u r e d e r i v a t e n und den f r e i e n A l k o h o l e n :

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

328

R—er + H—X M)—R'

-> | R -c; 0—11 x O R'

- - HO—R^

P>

X

Q /

N)

Die gebräuchlichsten solvolytischen Spaltungsreaktionen sind: a) die Hydrolyse. Sie verläuft ohne Katalysator nur sehr l a n g s a m , so daß die Ester bei normaler Temperatur w a s s e r b e s t ä n d i g sind. In k o c h e n d e m W a s s e r tritt dagegen bereits eine l a n g s a m e S p a l t u n g ein, und mit ü b e r h i t z t e m W a s s e r d a m p f geht die Reaktion so schnell vor sich, daß auf diesem Wege sogar eine t e c h n i s c h e F e t t s p a l t u n g möglich ist. In Gegenwart geringer Wassermengen verläuft die Hydrolyse n i c h t v o l l s t ä n d i g und es stellt sich ein G l e i c h g e w i c h t ein. Als K a t a l y s a t o r e n bzw. A k t i v i e r u n g s m i t t e l für die Esterhydrolyse verwendet man sowohl s t a r k e A l k a l i e n als auch M i n e r a l s ä u r e n . Die wichtigere a l k a l i s c h e E s t e r S p a l t u n g führt infolge der gleichzeitig stattfindenden Neutralisation der in Freiheit gesetzten Säure direkt zu den S a l z e n : R -CT • +OH \ ö -R'

V R—cf + 0—R' V \0 H /

> R—CT Q + H0—R' X>

und stellt daher die „ V e r s e i f u n g s r e a k t i o n " im engeren Sinne dar. Sie ist wegen der M i t b e t e i l i g u n g des s p a l t e n d e n A g e n s an der Reaktion kein rein katalytischer Vorgang (vgl. S. 40), was u. a. auch darin zum Ausdruck kommt, daß m i n d e s t e n s molare Mengen des Alkalis benötigt werden, und daß das Gleichgewicht infolge der zusätzlich frei werdenden Neutralisationswärme gegenüber der eigentlichen Hydrolyse prakt'scli vollständig z u g u n s t e n der H y d r o l y s e n p r o d u k t e verschoben ist. Es tritt daher stets eine v o l l s t ä n d i g e S p a l t u n g ein, und eine Rückreaktion ist auch in wasserfreiem Medium n i c h t m ö g l i c h .

Bei der s a u r e n E s t e r s p a l t u n g wird dagegen das die Reaktion beschleunigende OH 3 + -Ion immer wieder r e g e n e r i e r t , so daß hier eine e c h t e K a t a l y s e vorliegt. Die Reaktion stellt die Rückreaktion der auf S. 326 beschriebenen Esterbildung aus Säuren und Alkoholen dar und verläuft daher über die g l e i c h e n Z w i s c h e n p r o d u k t e (Gleichung formulieren!). Die Geschwindigkeit der sauren Esterhydrolyse ist wesentlich g e r i n g e r als die der alkalischen Verseifung und liegt aus den in II, Kap. 4, II, 2 a a diskutierten Gründen etwa in der Mitte zwischen der der Acet a l e und Ä t h e r , so daß man meistens bei h ö h e r e n T e m p e r a t u r e n und h o h e n S ä u r e k o n z e n t r a t i o n e n arbeiten muß. Als saure S p a l t u n g s m i t t e l dienen insbesondere Salz- oder S c h w e f e l s ä u r e , daneben in der Technik auch a r o m a t i s c h e S u l f o s ä u r e n , wie z. B. die bei der Saccharinfabrikation als Nebenprodukt anfallende p - T o l u o l s u l f o n s ä u r e (I, Kap. 7, II, 1). Ein weiteres beliebtes technisches Spaltungsmittel ist TWITCHELLS R e a g e n s , ein bei der gemeinsamen Sulfonierung von R i z i n u s ö l und a r o m a t i s c h e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e n entstehendes S u l f o n s ä u r e g e m i s c h , das den Vorteil der gleichzeitigen E m u l g i e r u n g der meist wasserunlöslichen Ester bietet.

b) die Umesterung. Sie ist eine der U m a c e t a l i s i e r u n g analoge Reaktion, die man ebenfalls sowohl zur V e r d r ä n g u n g d e r a l k o h o l i s c h e n E s t e r k o m r p o n e n t e durch einen überschüssigen anderen A l k o h o l , als auch zur V e r d r ä n r g u n g d e r s a u r e n K o m p o n e n t e durch eine überschüssige andere S ä u r e verwenden kann:

Die Carbonsäureester

R

/>

— + No—R'

329

/>

H— 0—R" — R — 0 , ,Ö

o

/,0

;

+ R"—C X

No-R'

+ H—O—R'

x)—R" / )

R"-Cf

+ R-Cf x O-R' \O-H

0 -II

Die Reaktion dient jedoch im Gegensatz zur Umacetalisierung k a u m zum Aufbau höherer Ester, da die hierbei in Freiheit gesetzten n i e d e r e n A l k o h o l e (bzw. im zweiten Falle die in Freiheit gesetzten Säuren) infolge ihrer gegenüber dem gebildeten Ester relativ h o h e n S i e d e p u n k t e nur s c h l e c h t aus dem Reaktionsgemisch entfernt werden können. Man verwendet sie vielmehr in erster Linie zum E s t e r a b b a u , d. h. zur Gewinnung der a l k o h o l i s c h e n K o m p o n e n t e der Ester h ö h e r e r A l k o h o l e durch Bindung der Säure a n einen als R e a k t i o n s m e d i u m verwandten und daher im Überschuß vorhandenen n i e d e r e n A l k o h o l (meistens Methyl- oder Äthylalkohol). Die Umesterung verläuft als echte A l k o h o l y s e nach einem ähnlichen Mechanismus wie die H y d r o l y s e und muß daher wie diese bei Temperaturen unter 100° durch s t a r k e A l k a l i e n (in diesem Falle die A l k a l i m e t a l l a l k o h o l a t e ) oder s t a r k e S ä u r e n beschleunigt werden. Im Gegensatz zur Hydrolyse ist bei der Umesterung auch die a l k a l i s c h e S p a l t u n g ein r e i n k a t a l y t i s c h verlaufender Vorgang, da das Reaktionsprodukt n i c h t den wieder in Freiheit gesetzten Katalysator n e u t r a l i s i e r e n kann, so daß dieser sofort e r n e u t in Reaktion tritt:

¿0

©V

R-C^ ^OR'

R

yO © x C R—C—CH—C—O—R' O R O II: : I II R—Q—0—R' + H—CH—C—R'

-HO-K' u R

O R O " I II > R—C—CH—C—R'

Der glatte Verlauf der zweiten Reaktion wird insbesondere dadurch ermöglicht, daß infolge der etwas geringer aktivierenden Wirkung der Estercarbonylgruppe und der Unmöglichkeit der Ketocarbonylgruppe, unter den Bedingungen der Esterkondensation in Reaktion zu treten (I, Kap. 12, I I I , 2e), bei gleichzeitiger Anwesenheit von E s t e r n und O x o v e r b i n d u n g e n nur die C a r b o n y l g r u p p e

Die Carbonsäureanhydride

331

des Esters mit der aktiveren Methylengruppe der K e t o n e reagiert und weder eine Reaktion zwischen zwei Estermolekülen noch zwischen der Carbonylgruppe des K e t o n s und einer der anwesenden aktiven Methylengruppen beobachtet wird. Die Esterkondensation ist eine der w i c h t i g s t e n s y n t h e t i s c h e n R e a k t i o n e n der organischen Chemie und in zahlreichen Varianten bekannt. Sie soll daher, ebenso wie ihr R e a k t i o n s m e c h a n i s m u s , der wesentlich komplizierter ist, als aus den angeführten summarischen Reaktionsgleichungen hervorgeht, erst in I, Kap. 12, III, 2e eingehend behandelt werden.

Zu 4. Eine Beteiligung der alkoholischen Komponente an den Umsetzungen der •—CO—0—R-Gruppe ist nur unter Lösung der 0—R-Bindung möglich und findet vor allem bei den folgenden drei Reaktionen statt: a) bei der in Gegenwart von konzentrierter Jodwasserstoffsäure (oder auch anderen konzentrierten Mineralsäuren) eintretenden Acidolyse. Sie sollte an sich zwar ebenfalls zu einer acylierenden Spaltung, d.h. zur Bildung des A c y l j o d i d s und des freien Alkohols führen. Die Reaktion unterbleibt jedoch wegen der ungünstigen L a g e des Gleichgewichts, denn die Säurehalogenide wirken umgekehrt auf die Alkohole veresternd ein (vgl. S. 326). Dagegen findet eine Spaltung der Alkyl-Sauerstoff-Bindung statt, die wie die der A l k o h o l e und Ä t h e r gegen Jodwasserstoff instabil ist, so daß wir letzten Endes im Gegensatz zu den normalen Spaltungsreaktionen eine ausschließlich alkylierende Spaltung der Ester beobachten: + h—J y,

R'— OH + R—CT' J

+ J

R—C^

ungünstiges Gleichgewicht

'

0

-

H

/P R -C^

V

:R

+

R'-J

OH

Die Carbonsäureester sind daher der ZEIS EL sehen A1 k o x y 1 b e s t i m m u n g (S.211) zugänglich. b ) bei der Abspaltung der freien Carbonsäuren unter Übergang der alkoholischen Komponente in O l e f i n e (vgl. S. 86): /,0 Br-Ci

H 1"" s O—|0H 2 —CH—R'

,0 V

R - c f

\

+

CH2=CH—R'

0 H

Sie erfolgt bei der schwachen A c i d i t ä t der Carbonsäuren erst bei höherer T e m p e r a t u r und dient zuweilen zur präparativen Darstellung von O l e f i n e n , wenn man die Einwirkung von M i n e r a l s ä u r e n vermeiden will. c) bei der hydrierenden Spaltung der R—O-Bindung, die man in dem Spezialfall der Carbonsäureester des B e n z h y d r o l s und T r i p h e n y l c a r b i n o l s wie bei den entsprechenden Ä t h e r n (S. 214) mit k a t a l y t i s c h e m W a s s e r s t o f f durchführen kann (Gleichungen formulieren !).

y) Die Carbonsäure-anhydride Unter Carbonsäureanhydriden im engeren Sinne versteht man in der organischen Chemie die bimolekularen Wasserabspaltungsprodukte aus zwei Carbonsäuremolekülen, in denen zwei Acylreste durch ein Brückensauer st o f f at om miteinander verbunden sind: yO Ox R—.... + yC—R (bzw. R') : X)H H O

/O O x ~H'°>

R—C \

C—R (bzw. R') /

Sie weisen wie die Ä t h e r und Ester eine Doppelnatur auf und müssen als Derivate beider Säuren aufgefaßt werden. Stammen die beiden Acylreste von der

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

332

g l e i c h e n S ä u r e ab, so spricht man von symmetrischen Anhydriden oder dem Anhydrid der betreffenden Säure schlechthin, sind die Acylreste dagegen v e r s c h i e d e n , so hegen gemischte Anhydride vor. Zur Darstellung der Säureanhydride sind drei verschiedene Verfahren in Gebrauch: 1. die d i r e k t e W a s s e r a b s p a l t u n g aus zwei Carbonsäuremolekülen, 2. die A c y l i e r u n g e i n e r C a r b o n s ä u r e bzw. ihrer S a l z e und 3. die U m a n h y drisierung. Zu 1. Die Wasserabspaltung aus zwei Carbonsäuremolekülen stellt den scheinbar einfachsten Weg zur Säureanhydridgewinnung dar, ist aber bei weitem am s c h w i e r i g s t e n durchzuführen und gelingt bei den üblichen organischen Arbeitstemperaturen nur in s c h l e c h t e r A u s b e u t e bei der Einwirkung von P h o s p h o r p e n t o x y d auf die freien Carbonsäuren (Gleichung formulieren!). Eine Ausnahme machen lediglich einige D i c a r b o n s ä u r e n (S. 462, 469), bei denen die beiden Carboxylgruppen unter R i n g s c h l u ß miteinander reagieren können. Hier erfolgt die Anhydridbildung infolge der Bevorzugung von Ringschlußreaktionen (näheres vgl. S. 423) bereits ohne P h o s p h o r p e n t o x y d bei Temperaturen um 200° unter Abdestillation des gebildeten Wassers:

• ••» a

CH,—C / ° \ 0

Bernsteinsäure

/

r< 0 i Y >»

CIL- & N)

Bernsteinsäureanhydrid

\

+

; ONa ZC1

— NaCl >-

R—cf \ .0 R-C 100°Zers. 139 169 198 228 243 Zers.

—73° —45 —75 —56 —41



D/T (flüssig) —

1,082/20° 1,012/20 0,978/16 —

0,924/16

Anhydrid aus

Smp.

Caprylsäure Caprinsäure Laurinsäure Palmitinsäure Stearinsäure Benzoesäure

—1° 24 42 63 71 43

D/T (flüssig) 0,901/18° 0,860/70 0,855/70 0,847/70 0,837/82 —

In ihren Löslichkcitseigenschaftcn ähneln die Säureanhydride den Carbonsäureestern, finden jedoch infolge ihrer Unbeständigkeit keine Verwendung als Lösungsmittel, sondern allenfalls als R e a k t i o n s m e d i u m bei Reaktionen, an denen sie selbst beteiligt sind (vgl. I, Kap. 6, IV, 1 u. a.). Ihr Geruch ist bei den flüchtigen niederen Gliedern der Reihe ähnlich dem der Carbonsäuren und unerträglich stechend. Die chemischen Reaktionen der Säureanhydride kann man unterteilen in: 1. die sich an der A n h y d r i d g r u p p e und 2. die sich an der « - s t ä n d i g e n M e t h y l e n g r u p p e abspielenden Umsetzungen:

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

334

Zu 1. Die Anhydridgruppe ist in ihrem chemischen Verhalten der S ä u r e c h l o r i d g r u p p e sehr ähnlich und wirkt wie diese acylierend auf b a s i s c h e V e r b i n d u n g e n jeder Art ein: .C- R + X - H

R—Cf

->•

R—Cf

+ R—Cf OH

0'

Bei dieser Reaktion zeigen die Säureanhydride eine wesentlich g e r i n g e r e A k t i v i t ä t als die Säurechloride, so daß sie nur noch mit s t a r k b a s i s c h e n V e r b i n d u n g e n wie A m m o n i a k , A l k o h o l a t , H y d r o x y l i o n usw. spontan reagieren, während zur Acylierung von Alkoholen bereits. K a t a l y s a t o r e n erforderlich sind. Beispielsweise wird Essigsäureanhydrid in w ä ß r i g e r L ö s u n g nur sehr l a n g s a m hydrolysiert, so daß sein Geruch selbst nach Tagen noch zu erkennen ist, während nach Zusatz nur eines Tropfens konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e nahezu e x p l o s i o n s a r t i g e Umsetzung erfolgt. Ebenso sind s e k u n d ä r e A l k o h o l e , wie z. B. die K o h l e n h y d r a t e , ohne K a t a l y s a t o r e n auch gegen kochendes Essigsäureanhydrid praktisch s t a b i l . Sie werden jedoch in Gegenwart von S c h w e f e l s ä u r e , Z i n k c h l o r i d und auch b a s i s c h e n Katalysatoren, wie P y r i d i n oder N a t r i u m a c e t a t , u n t e r S e l b s t e r w ä r m u n g acetyliert. Bezüglich des Mechanismus der sauren Katalyse vgl. S. 339f.

Die Säureanhydride bieten als A c y l i e r u n g s m i t t e l gegenüber den Säurechloriden den Vorteil, daß nur eine s c h w a c h e S ä u r e in Freiheit gesetzt wird, so daß beileicht hydrolysierbaren Verbindungen (z. B. bei Acetylierung der säurelabilen P o l y s a c c h a r i d e ) k e i n b a s i s c h e s R e a g e n s (z. B. Pyridin) zur Bindung dieser Säure zugesetzt werden muß. Doch steht diesem Vorteil der N a c h t e i l gegenüber, daß immer nur e i n e r d e r b e i d e n A c y l r e s t e des Anhydrids auf die zu acylierende Verbindung übertragen wird, man also stets die H ä l f t e d e r o r g a n i s c h e n S u b s t a n z verliert. Vom Essigsäure- und neuerdings auch Propionsäureanhydrid abgesehen haben die Carbonsäureanhydride daher nur eine b e s c h r ä n k t e A n w e n d u n g gefunden. Zu 2. Die Reaktionsfähigkeit der aktiven Methylengruppe der Säureanhydride ist etwas größer als die der E s t e r , so daß sich die Anhydride ohne Schwierigkeiten c h l o r i e r e n , n i t r i e r e n und s u l f o n i e r e n lassen. Da die hierbei entstehenden Reaktionsprodukte ähnlich leicht wie die entsprechenden Oxoverbindungen (S. 246) eine h y d r o l y t i s c h e A b s p a l t u n g der substituierten Methylen- (bzw. Methyl-) gruppe erleiden, kann man auch vom Essigsäureanhydrid ausgehend zu den p o l y s u b s t i t u i e r t e n M e t h a n e n gelangen (vgl. I, Kap. 6, IV, 1 u. Kap. 7, II, 1): y . nf CH,—C

,o

+ 2H.S0, • -211,0 *

3

y> v S

;o CH.

^

.SO,H —CH \s0,H

•NO, ,0 ox / ! V —CH ' o'

n

+ H,O

CH 2 (—S0 3 H) 2 + C0 2 + CH3—COOH

+ h,O

CH 2 (—N0 2 ) 2 + C0 2 + CH3—COOH

N02

Infolge der leichten S u l f o n i e r b a r k e i t der Säureanhydride wird die S c h w e f e l s ä u r e bei ihrer Verwendung als K a t a l y s a t o r für A c e t y l i e r u n g s r e a k t i o n e n leicht unter Bildung der bedeutend schwächer katalytisch wirkenden S u l f o e s s i g s ä u r e (bzw. ihres Anhydrids: CH3—CO—O—OC—CH2—S03H) verbraucht (Gleichung formulieren!). Man kann daher derartige Acylierungen nur bei T e m p e r a t u r e n u n t e r 50° durchführen,

Die Orthocarbonsäureester

335

Weiterhin ist die aktive Methylengruppe der Säureanhydride zu Kondensationsreaktionen befähigt, die allerdings wegen der a e y l i e r e n d e n W i r k u n g des Anhydrids nicht mehr in a l k o h o l a t - a l k a l i s c h e m M e d i u m , sondern nur noch mit N a t r i u m a c e t a t oder t e r t i ä r e n A m i n e n als Kondensationsmittel durchgeführt werden können. Das wichtigste hierher gehörende Verfahren ist die P E R K I N sehe Z i m t s ä u r e s y n t h e s e (S. 370). ó) Die Carbonsäurederivate des Hydroperoxyds Als eine spezielle Gruppe der g e m i s c h t e n A n h y d r i d e m i t a n o r g a n i s c h e n S ä u r e n kann man die P e r o x y d e r i v a t e d e r C a r b o n s ä u r e n ansehen, von denen z w e i R e i h e n von Verbindungen bekannt sind: 1. die durch e i n s e i t i g e A c y l i e r u n g des Hydroperoxyds entstehenden Percarbonsäuren (R—CO—O—O—H) und 2. die b e i d e r s e i t s substituierten Diacylperoxyde (R—CO—O—O—OC—R). Zu 1. Den Percarbonsäuren sind wir bereits bei der A u t o x y d a t i o n d e r . A l d e h y d e (S. 243) begegnet, bei der sie als erstes Einwirkungsprodukt des elementaren Sauerstoffs entstehen. Zu ihrer präparativen Darstellung geht man meistens von den D i a c y l p e r o x y d e n aus, die auf N a t r i u m a l k o h o l a t als A c y l i e r u n g s m i t t e l einwirken und einen Acylrest abspalten: ^ c - R ••- XaO • i r ;\o-CK

>- i i

of + N)—R' NaO—CK

R

Die Percarbonsäuren stellen eine den C a r b o n s ä u r e n ähnliche, in Wasser l e i c h t l ö s l i c h e Klasse von Verbindungen dar, die wie die meisten organischen Derivate des Hydroperoxyds sehr u n b e s t ä n d i g , z. T. sogar e x p l o s i v sind. Ihre A c i d i t ä t ist, obgleich sie sich von dem gegenüber Wasser stärker sauren H y d r o p e r o x y d ableiten, wesentlich g e r i n g e r als die der Carbonsäuren, weil sich der Hydroxylsauerstoff hier nicht an der in II, Kap. 3, III, 2 beschriebenen M e s o m e r i e d e r C a r b o x y l g r u p p e beteiligen kann. In der Praxis dienen die Percarbonsäuren insbesondere als O x y d a t i o n s m i t t e l , die zu einer Reihe von s p e z i e l l e n O x y d a t i o n s r e a k t i o n e n , z. B.zur Herstellung von O l e f i n o x y d e n befähigt sind (S. 91,424).

Zu 2. Die in Wasser schwer löslichen, esterartigen Diacylperoxyde (häufig auch einfach als Acylperoxyde bezeichnet) entstehen bei der A c y l i e r u n g von Hydroperoxyd mit S ä u r e c h l o r i d e n in a l k a l i s c h e m Medium: Ii

xO 0, C f : | X a O - OXa X C1 CK!

-R

J> 0 , ~2SaC1 > R—Cf C—R \()—o/

Sie sind wesentlich s t a b i l e r als die einfachen Per-säuren. Insbesondere ist bei den Derivaten der höher molekularen Säuren die Explosionsneigung f a s t v ö l l i g v e r s c h w u n d e n , so daß sie zu den am leichtesten zu handhabenden organischen Peroxyverbindungen gehören. Sie haben daher eine vielseitige präparative und technische Anwendung, vor allem als P o l y m e r i s a t i o n s b e s c h l e u n i g e r (S. 97 u. II, Kap. 4, II, 3a) gefunden. e) Die Orthocarbonsäureester yO R Die wichtigsten Orthocarbonsäurederivate sind die E s t e r R'—C—O—R, die O—R sich von den normalen Estern durch „ A c e t a l i s i e r u n g " der Carbonylgruppe ableiten. Sie kommen wegen ihrer l e i c h t e n H y d r o l y s i e r b a r k e i t nicht natürlich

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

336

vor und sind reine Kunstprodukte. Ihre Darstellung geschieht nach v i e r verschiedenen Verfahren, die sämtlich den entsprechenden A c e t a l b i l d u n g s r e a k t i o n e n analog verlaufen: 1. die direkte „Acetalisierung" der Estercarbonylgruppe (Gleichung formulieren!). Sie ist n i c h t möglich, da das Reaktionsgleichgewicht in noch viel s t ä r k e r e m M a ß e als bei der Ketalisierung (S. 278) z u g u n s t e n d e r H y d r o l y s e n p r o d u k t e verschoben ist. Erst wenn man den Carbonylsauerstoff durch die leichter zu substituierende I m i d o g r u p p e ( = N H ) ersetzt, geht auf einem der Acetalisierung analogen Wege die Bildung der Orthocarbonsäureester vonstatten. Sie wird praktisch meistens durch Umsetzung der aus N i t r i l e n , A l k o h o l und S a l z s ä u r e gebildeten s a l z s a u r e n I m i d o ä t h e r (S.351) mit z w e i w e i t e r e n A l k o h o l m o l e k ü l e n vorgenommen und führt, wenn man in dieser zweiten Reaktionsphase einen a n d e r e n A l k o h o l verwendet als zur Darstellung des Imidoäthers, zu den g e m i s c h t e n O r t h o c a r b o n s ä u r e e s t e r n : ^ w c r R — C = N + HO—R' + HCl

+2h;o_r„

R—C^f X

Nitril

0-R'

- . n h c i >'

R—C£-0—R" X)—R'

Salzsaurer Imidoäther

Als K a t a l y s a t o r genügt bereits die bei der Alkoholyse des salzsauren Imidoäthers i n S p u r e n in Freiheit gesetzte S a l z s ä u r e . 2. die Umesterung, die ausschließlich im Sinne einer V e r d r ä n g u n g d e r a l k o h o l i s c h e n K o m p o n e n t e durch einen anderen Alkohol Anwendung findet: ,0—R' HO—R" R — 0 ^ 0 — R ' + HO—R" ^O—R'

0—R" >- R—C—O—R" + 3R'—OH

HO—R"

\ ) — R "

Die Reaktion wird ebenfalls durch geringe Mengen von M i n e r a l s ä u r e n oder Z i n k c h l o r i d katalysiert und dient im Gegensatz zur Umesterung der n o r m a l e n E s t e r (S. 328) auch zur Synthese der Orthoester h ö h e r e r A l k o h o l e , da infolge deren Molekülgröße der in Freiheit gesetzte niedere Alkohol wieder den t i e f s t e n S i e d e p u n k t aller Reaktionsteilnehmer aufweist und infolgedessen l e i c h t a b g e t r e n n t werden kann. Geht- man bei dieser Reaktion von den O r t h o - t h i o c a r b o n s ä u r e e s t e r n (Ersatz von O—R' durch S—R' in obiger Formel) aus, so kann man aus diesen die niedrig siedenden M e r c a p t a n e auch mit Hilfe der n i e d e r e n A l k o h o l e verdrängen, so daß sich zusammen mit der auf S. 356 beschriebenen S y n t h e s e der Ortho-thiocarbonsäureester aus n o r m a l e n E s t e r n und M e r c a p t a n e n die nunmehr wohl einfachste O r t h o c a r b o n s ä u r e e s t e r s y n t h e s e ergibt (MOCHEL 1948). 3. die bereits beschriebene Umsetzung der gem-Trihalogenverbindungen mit Natriumalkoholat (S. 160). 4. die Synthese der Orthocarbonsäureestergruppe aus O r t h o k o h l e n s ä u r e e s t e r n ( S . 3 8 9 ) und m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n :

0—R R'—Me + R—0—C—0—R

^0—R

0—R ~Me0IV

R'—C—O—R

^O—R

Die Orthocarbonsäureester sind den n o r m a l e n E s t e r n und A c e t a l e n sehr ähnliche, angenehm riechende Flüssigkeiten. Ihr chemisches Verhalten ist einerseits durch das P e h l e n d e r C a r b o n y l g r u p p e , andererseits durch die H ä u f u n g d e r A l k o x y g r u p p e n a n e i n e m C - A t o m bedingt. Infolge des Fehlens der Carbonylgruppe gehören sie zu den wenigen a l k a l i b e s t ä n d i g e n S ä u r e d e r i v a t e n . Doch

Die Carboxoniumaalze

337

ist diese Stabilität gegen basische Reagentien n i c h t a b s o l u t , und man kann sie z. B. mit A m m o n i a k zu den A m i d i n e n (S. 351) oder auch mit metallorganischen Verbindungen zu A c e t a l e n (S. 235, 261) umsetzen: R \

R

,0—R

\ O—R

O—R

HNH,

H-Me-R" R'_C—O—R + — MeO—R ^O—R H

— 3 HO—R>

NH

.NH, R'—C. NH

Âmidin

Die H ä u f u n g d e r A l k o x y l g r u p p e n an.einem C-Atom führt.zu einer gegenüber den Acetalen nochmals gesteigerten H y d r o l y s i e r b a r k e i t d u r c h S ä u r e n . Sie erfolgt hier bereits durch Spuren von Mineralsäuren mit nahezu u n m e ß b a r g r o ß e r G e s c h w i n d i g k e i t (k2so f ü r 1 n S a l z s ä u r e und M i n u t e n als Zeiteinheit äs 106), f ü h r t jedoch zunächst nur zu den in erster Näherung säurestabilen n o r m a l e n E s t e r n , die, wie wir gesehen haben (S. 328), erst unter viel s c h ä r f e r e n Reaktionsbedingungen weiter gespalten werden. Die t o t a l e H y d r o l y s e der Orthocarbonsäureester ist also eine Z w e i s t u f e n r e a k t i o n : O—R R'—C—O—R

\)—R

+H,0 + Spuren H+> — 2R—OH

R'

_çyy/P 0—R

H,0 + starke Säuren^ — R—OH

O R—C OH

Die gegenüber den Acetalen g e s t e i g e r t e S p a l t u n g s n e i g u n g kommt auch in der bereits beschriebenen Eignung der Orthocarbonsäureester zu A c e t a l i s i e r u n g s m i t t e l n zum Ausdruck (S. 278). Diese Reaktion stellt gleichzeitig ihr w i c h t i g s t e s A n w e n d u n g s g e b i e t dar. rf) Die Carboxoniumsalze Ähnlich wie die A l k o h o l e zeigen auch die C a r b o n s ä u r e n auf Grund der e i n s a m e n E l e k t r o n e n p a a r e i h r e r O - A t o m e eine gewisse B a s i z i t ä t , die in ihrer Tendenz, mit starken Säuren O x o n i u m s a l z e zu bilden, zum Ausdruck kommt. So leitet z. B. eine Lösung von k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e in E i s e s s i g den elektrischen Strom, was nach B R Ö N S T E D T auf die Bildung von „ A c i d i u m - I o n e n " zurückzuführen ist, die als Säurederivate vom Amidtypus zwischen den folgenden beiden Formeln tautomer sind: ©

y

OH

R—C:

OH,

OH

Diese w a s s e r s t o f f h a l t i g e n A c i d i u m v e r b i n d u n g e n lassen sich jedoch ebensowenig isoheren wie die O x o n i u m s a l z e d e r A l k o h o l r e i h e und spielen daher als selbständige Verbindungen keine Rolle. Erst in den W a s s e r a b s p a l t u n g s p r o d u k t e n dieser Acidiumsalze, in denen alle drei Valenzen des Oniumsauerstoffs an den C a r b o x y l k o h l e n s t o f f gebunden sind, kommt man wieder zu existenzfähigen, wenn auch sehr unbeständigen Substanzen, die Carboxoniumsalze genannt werden: y r—c:

© ...

, H

;\()H

22

X-

-H,0 ,

Acidiumsalz Klag es, Lehrbuch der Organischen Chemie I, 1

R—C=0 Carboxoniumsalz

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

338

Der E x i s t e n z b e r e i c h derartiger Carboxoniumsalze ist allerdings sehr e i n g e s c h r ä n k t , denn sie stellen, wie eine nähere Betrachtung zeigt, ihrer ganzen Natur nach die D i s s o z i a t i o n s p r o d u k t e der n o r m a l e n C a r b o n s ä u r e d e r i v a t e R—CO—X dar, deren primär entstehende C a r b e n i u m k a t i o n e n (I) sich sofort durch eine mesomere E l e k t r o n e n v e r s c h i e b u n g zu den wesentlich energieärmeren C a r b o x o n i u m i o n e n (II) stabilisieren: R—Cv

'- 0

J Ö \

R—er ©

-
- R — C = O I

I

IX-

II

Man muß daher aus der Tatsache, daß selbst die C a r b o n s ä u r e a n h y d r i d e , - c h l o r i d e und sonstigen D e r i v a t e starker Säuren keine erkennbare Tendenz zur Dissoziation in Ionen zeigen, schließen, daß das „Dissoziationsgleichgewicht" der meisten Säurederivate v o l l s t ä n d i g z u g u n s t e n der n i c h t d i s s o z i i e r t e n Verbindungen verschoben ist. M. a. W., die Tendenz des Carboxoniumions zur Anlagerung basischer Reagentien an die äußerst aktive ©

—C=0-Dreifachbindung ist so groß, daß auch die nur sehr schwach basischen A n i o n e n der s t a r k e n Mineralsäuren noch vollständig angelagert werden.

Erst die Anionen der noch stärkeren k o m p l e x e n S ä u r e n , die k e i n e r l e i B a s i z i t ä t und damit auch keinerlei Tendenz zur Bildung n i c h t d i s s o z i i e r t e r D e r i v a t e mehr aufweisen, wie z. B. das F l u o b o r a t - i o n , können sich nicht mehr an das Carboxoniumion anlagern und bilden daher s t a b i l e C a r b o x o n i u m s a l z e . So kann man z. B. nach S E E L (1943) das A c e t y l - f l u o b o r a t durch Umsetzung von A c e t y l f l u o r i d und B o r f l u o r i d gewinnen, wobei das letztere dem Acetylfluorid das Fluor mit seinem Bindungselektronenpaar (d.h. als F l u o r i o n ) unter Bildimg beider Salzionen entreißt: + CHj—c".... + \ F

BF3

>20»

CH 3 —c=o

BF 4

Die Reaktion ist trotz der großen Bildungstendenz des Fluoborations ein r e v e r s i b l e r V o r g a n g , der bei Atmosphärendruck nur u n t e r h a l b 0° in der ge-. wünschten Richtung verläuft, während o b e r h a l b + 20° bereits der rückwärtige Zerfall in die Komponenten überwiegt. Die Carboxoniumsalze sind danach ä u ß e r s t u n b e s t ä n d i g e und z e r s e t z l i e h e V e r b i n d u n g e n . Ihre Salznatur gibt sich in der starken L e i t f ä h i g k e i t s e r h ö h u n g ihrer S c h w e f e l d i o x y d l ö s u n g e n sowie auch in einigen I o n e n r e a k t i o n e n zu erkennen. Doch ist deren Zahl infolge der Unbeständigkeit der Carboxoniumionen gegenüber den meisten Anionen ebenfalls sehr beschränkt, und man beobachtet im allgemeinen beim Zugeben eines anderen Salzes die in Umkehrimg der oben angeführten Dissoziationsreaktion erfolgende A s s o z i a t i o n der Carboxoniumionen mit den A n i o n e n d e s h i n z u g e f ü g t e n S a l z e s , d . h . eine A c y l i e r u n g dieses Anions zum S ä u r e d e r i v a t R—CO—X. So erhält man z. B. beijn Zusatz von K a l i u m c h l o r i d zur Schwefeldioxydlösung des A c e t y l f l u o b o r a t e s sofort das nicht dissoziierte A c e t y l c h l o r i d und K a l i u m f l u o b o r a t : CH3—C=0+!BF4-+K+Cr

/>

>• C H 3 - C f

X

C1

+

KBF, ©

Die Carboxoniumsalze sind infolge dieser Anlagerungsneigung der C=0-Dreifachbindung die s t ä r k s t e n A c y l i e r u n g s m i t t e l , die wir kennen. Sie reagieren außer mit den genannten Anionen auch mit einer Reihe v o n N e u t r a l v e r b i n d u n g e n ,

Die Carboxoniumsalze

339

wie z. B. W a s s e r , A m m o n i a k , E s s i g s ä u r e usw., spontan unter Bildung der betreffenden Säurederivate (Gleichungen formulieren!), und selbst Ä t h e r werden acylierend gespalten: R-C=O+BF4- + O

J> R—CT

\ R'

@

+

/E

X*'

F

rF—B—F le 1 1 .

1 : F|

O y

R—Cf

+ BF 3 + R'—F

0—R Das praktisch wichtigste Anwendungsgebiet der Carboxoniumsalze stellt die ebenfalls im Sinne einer A c y l i e r u n g s r e a k t i o n verlaufende F R I E D E L - C R A F T S sche S y n t h e s e a r o m a t i s c h e r K e t o n e (S. 270) dar, bei der man ihre intermediäre Bildung aus dem S ä u r e c h l o r i d und A l u m i n i u m c h l o r i d annehmen muß: 0 O R—C— C1 + AIC13

[R—C=O] + [AICIJ~ Die Verwendung von A l u m i n i u m c h l o r i d bei dieser Reaktion ist also erforderlich, um durch die Bildimg von Carboxoniumionen das A c y l i e r u n g s p o t e n t i a l der Carbonsäurechloride derart zu s t e i g e r n , daß auch der r e a k t i o n s t r ä g e B e n z o l k e r n angegriffen wird. Eine andere Reaktion, bei der die intermediäre Bildung derartiger Carboxoniumsalze vielleicht eine Rolle spielt, ist die oben beschriebene K o h l e n o x y d s p a l t u n g der Carbonsäuren. Es ist gut denkbar, daß hier in dem s t a r k s a u r e n und w a s s e r a b s p a l t e n d w i r k e n d e n Reaktionsmedium (konzentrierte Schwefelsäure) zunächst die C a r b o x o n i u m s a l z e entstehen, die das Kohlenoxydmolekül bereits v o r g e b i l d e t enthalten und daher seine Abspaltung verständlich erscheinen lassen, wie im folgenden am Beispiel der Zersetzung einer O x y c a r b o n s ä u r e gezeigt sei:

OH

OH O

I

II

R—CH—C—OH

+ HT H (H,S04) ' ° y

lit-CHi-C^Oh

— H.+ •

R—CH=0 + © | C =© 0|

I n den Carboxoniumsalzen begegnen wir neben den S ä u r e c h l o r i d e n , S ä u r e a n h y d r i d e n und C a r b o n s ä u r e e s t e r n bereits der vierten Gruppe von Verbindungen, die als A c y l i e r u n g s m i t t e l Verwendung finden. Ein Vergleich der Acylierungstendenz dieser verschiedenen Säurederivate zeigt, daß die Acylierungsreaktion, abgesehen von dem M e c h a n i s m u s des Reaktionsverlaufes, in mancher Beziehung mit der A l k y l i e r u n g s r e a k t i o n (S. 197f) und damit ebenfalls mit der S ä u r e n - B a s e n - B e z i e h u n g verglichen werden kann. Insbesondere hängt die Tendenz zur Abspaltung eines P r o t o n s (Acidität), eines A l k y l r e s t e s (Alkylierungstendenz) und eines A c y l r e s t e s (Acylierungstendenz) in annähernd g l e i c h e r W e i s e von der Natur des mit diesen Atomgruppen verbundenen n e g a t i v e n R e s t e s X ab, und wir können daher die meisten der auf S. 198 für die Alkylierungsreaktion aufgestellten Regeln auch auf die A c y l i e r u n g s r e a k t i o n übertragen: a) Die Acylierungstendenz des Acylierungsmittels R—CO—X läuft in erster Näherung der Acidität der Säure H—X parallel. Dementsprechend stufen sich die gebräuchlichen Acylierungsmittel hinsichtlich ihrer Wirksamkeit etwa folgendermaßen ab: Carboxoniumion (d. h. Säurechlorid + A1C13) > Säurechlorid > Säureanhydrid > Säureester > Säureamid > Carboxylation 22»

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

340

b) Die A c y l i e r u n g s t e n d e n z der verschiedenen Acylierüngsmittel kann man in ähnlicher Weise durch K o m p l e x b i l d u n g mit s t a r k e n S ä u r e n oder M e t a l l h a l o g e n i d e n steigern wie die Alkylierungstendenz der Alkylierungsmittel, weil sich die mit dem Acylrest verbundene negative Gruppe X in diesen Komplexen von einer s t ä r k e r e n S ä u r e ableitet als im u r s p r ü n g l i c h e n S ä u r e d e r i v a t . Im einzelnen ist die katalytische Wirkung bei den verschiedenen Acylierungsmitteln auf dieBildung etwa der f o l g e n d e n K o m p l e x e zurückzuführen: zugehörige Säure H—X

Acylierüngsmittel

H—C1

R—CO—C1

Komplexbildner A1C13

acylierend wirkender Komplex

zugehörige komplexe Säure

[R—C0]+[A1C14]-

H+fAlCüJ-

H

R—CO—0—CO—R

H—0—CO—R

H2SO4

R—CO—0—CO—R

H—0—CO—R

ZnCl2

1© R—CO—0—CO—R ZnCl2 t R—CO—0—CO—R

BF3 R_CO—0—R R—CO—NH 2

BF3

H—0—R H—NH 2

BFS

t HO—R NH4+

R_CO—0—R R—CO—NHS+

HCl

©

H 2 0—CO—R ZnCl2 t H—0—CO—R

c) Die Ü b e r t r a g u n g des A c y l r e s t e s kann ebenfalls nur auf b a s i s c h e V e r b i n d u n g e n , die ein e i n s a m e s E l e k t r o n e n p a a r besitzen, erfolgen und geht um so leichter vor sich, je s t ä r k e r b a s i s c h die zu acylierende Substanz ist. Man wählt daher wie bei der Alkylierung als Reaktionspartner nach Möglichkeit nicht die zu substituierende Wasserstoffverbindung, sondern deren M e t a l l s a l z e , d . h . deren s t ä r k e r b a s i s c h e s A n i o n .

d) D i e s t i c k s t o f f h a l t i g e n C a r b o n s ä u r e d e r i v a t e Die Gruppe der Stickstoffderivate der Carbonsäuren ist die bei weitem r e i c h h a l t i g s t e , weil einerseits sowohl e i n e s als auch a l l e b e i d e S a u e r s t o f f a t o m e der Carboxylgruppe durch e i n oder m e h r e r e N - A t o m e ersetzt werden können, andererseits sich wie in der Oxoreihe von den verschiedenen A m m o n i a k d e r i v a t e n sekundär w e i t e r e D e r i v a t e ableiten, in denen der am Stickstoff befindliche Wasserstoff e b e n f a l l s s u b s t i t u i e r t ist. Doch überragen hier im Gegensatz zur Oxoreihe die A m m o n i a k d e r i v a t e die Derivate aller anderen Stickstoffverbindungen bei weitem an Bedeutung. a) Die Carbonsäureamide Unter CarbonsäureUmiden versteht man in Analogie zu den a n o r g a n i s c h e n S ä u r e a m i d e n alle Verbindungen, in denen die H y d r o x y l g r u p p e der Carbonsäuren durch die NH 2 -Gruppe oder substituierte NH 2 -Gruppen ersetzt ist, also außer den Säureamide schlechthin genannten e i n f a c h e n A m m o n i a k d e r i v a t e n auch die als Mono- oder Dialkyl- (bzw. Aryl-)amide bezeichneten, am S t i c k s t o f f a l k y l i e r t e n (bzw. arylierten) Säureamide, sowie diejenige Verbindungen, die m e h r e r e A c y l r e s t e am g l e i c h e n N - A t o m enthalten und sekundäre oder tertiäre Säureamide genannt werden:

R—C

O mi2

O

r

R—C:

\

N

/

/R'

/R'

\N/

/

NR'

\H primares Säureamid

O

R, - c /

Monoalkyl-

säureamid

Dlalkyl-

/ R

X

-NH

-
Säureamid

tertiäres

Die Carbonsäureamide

341

Vorkommen. Die nicht substituierten Amide e i n f a c h e r C a r b o n s ä u r e n kommen n i c h t n a t ü r l i c h vor. Doch begegnet man der Säureamidgruppierung ziemlich häufig in der b e l e b t e n N a t u r , und zwar sowohl in der Form der A m i d i e r u n g s p r o d u k t e k o m p l i z i e r t e r S ä u r e n m i t A m m o n i a k (R—CO—NH 2 ), als auch in Form der A c y l i e r u n g s p r o d u k t e k o m p l i z i e r t e r A m i n e m i t e i n f a c h e n C a r b o n s ä u r e n , insbesondere mit E s s i g s ä u r e (R—NH—CO—CH S ). Noch wichtiger ist die a m i d a r t i g e V e r k n ü p f u n g von a - A m i n o c a r b o n s ä u r e n zu hochmolekularen Verbindungen, die wir später als das charakteristische Aufbauprinzip der E i w e i ß s t o f f e (III, K a p . 7 , 1 ) kennen lernen werden. Die Darstellung der Säureamide geschieht nach zwei verschiedenen Methoden: 1. durch A c y l i e r u n g von A m m o n i a k oder A m i n e n und 2. durch Anlagerung von W a s s e r oder ähnlichen H y d r o x y l v e r b i n d u n g e n an N i t r i l e . Ihnen schließt sich als spezielle B i l d u n g s w e i s e für Monoalkylsäureamide 3. die oben beschriebene BEOKMANNSche U m l a g e r u n g (S. 290) der Ketoxime an. Zu 1. Die Acylierung des Ammoniaks und der Amine geht bei deren b a s i s c h e r Natur sehr l e i c h t vor sich und kann außer mit den typischen A c y l i e r u n g s m i t t e l n (,Säurechloriden, Säureanhydriden und Ketenen) auch mit den E s t e r n und sogar mit den f r e i e n C a r b o n s ä u r e n durchgeführt werden. I m einzelnen ist zu diesen Methoden zu bemerken: Die A c y l i e r u n g mit S ä u r e c h l o r i d e n und - a n h y d r i d e n erfordert zur Bindung der als weiteres Reaktionsprodukt entstehenden f r e i e n S ä u r e ein z w e i t e s Mol Ammoniak bzw. Amin: R—Cf. + H—NH 2 i\x

>- R—C

+ H—X \nh

+ NH

'>

NH4+X-,

2

so daß man, um bei wertvollen Aminen eine v o l l s t ä n d i g e A c y l i e r u n g zu erreichen, dem Ansatz zuweilen b a s i s c h e S u b s t a n z e n (Alkali- oder Erdalkalimetallhydroxyde, -alkoholate, -carbonate und selbst -acetate) zufügt, die die an die Säure gebundenen Amine wieder in Freiheit setzen. Dies ist natürlich bei Verwendung von K e t e n e n und C a r b o n s ä u r e e s t e r n als Acylierungsmittel (Gleichungen formulieren!), die beide mit dem basischen Ammoniak s p o n t a n reagieren, n i c h t m e h r e r f o r d e r l i c h . Doch geht in letzterem Falle die Reaktion bereits erheblich l a n g s a m e r vor sich. Die Acylierung von Ammoniak oder Aminen mit C a r b o n s ä u r e e s t e r n dient gleichzeitig als präparative Methode zur E s t e r s p a l t u n g (S. 32t)). Wesentlich schwieriger gestaltet sich dagegen die Säureamidbildung durch d i r e k t e W a s s e r a b s p a l t u n g aus C a r b o n s ä u r e n und A m m o n i a k (bzw. A m i n e n ) , d . h . bei Verwendung der C a r b o n s ä u r e n s e l b s t als Acylierungsmittel, da hier das P r o t o n viel schneller von der Säure zum Aminstickstoff unter Bildung der S a l z e wandert als der relativ schwerbewegliche Acylrest. Die Bildung der Säureamide ist daher lediglich bei Temperaturen o b e r h a l b 100° möglich, bei denen das Salz z. T. bereits wieder in die n e u t r a l e n V e r b i n d u n g e n z e r f ä l l t , so daß dauernd Säure- und Ammoniakmoleküle n e b e n e i n a n d e r im Gleichgewichtsgemisch vorkommen, und nun n e b e n dem wechselseitigen Protonenaustausch von Zeit zu Zeit auch einmal ein A c y l r e s t von der C a r b o n s ä u r e zum A m i n übertreten kann. Da diese Acylwanderung unter den Reaktionsbedingungen i r r e v e r s i b e l verläuft, läßt sich trotz ihres prozentual nur geringen Anteils bei längerem Erhitzen das g e s a m t e c a r b o n s a u r e A m m o n i u m s a l z unter Abdestillation des gebildeten Wassers in das Säureamid überführen: R _ c f , -•- NH + ,

\

R - C f . . . +HlNH 2 v OH

"i,

R-Cf \NHs

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

342

Zu 2. Die Wasseranlagerung an Nitrile, die zuweilen auch als eine „ p a r t i e l l e H y d r o l y s e " bezeichnet wird, weil zwei von den drei Kohlenstoff-Stickstoff-Bindungen der Nitrilgruppe „ h y d r o l y t i s c h aufgespalten" werden, führt primär stets zu den S ä u r e i m i d e n , die sich dann als Verbindungen vom S ä u r e a m i d t y p u s in die tautomeren S ä u r e a m i d e umlagern: Rr-C=N

r V ^

^

^OH

Nitrile

Säure-imide

X)

Säure-amide

Die Reaktion wird sowohl durch S ä u r e n als auch durch A l k a l i e n katalysiert (vgl. S. 347f), muß aber sehr v o r s i c h t i g durchgeführt werden, damit die Stufe der Säureamide n i c h t ü b e r s c h r i t t e n wird und unter v o l l s t ä n d i g e r H y d r o l y s e die c a r b o n s a u r e n A m o n i u m s a l z e entstehen (Gleichung formulieren!). Lagert man statt Wasser a n d e r e p o l a r e V e r b i n d u n g e n an die Nitrilgruppe an, so werden im allgemeinen die unter y) beschriebenen S ä u r e i m i d d e r i v a t e gebildet. Lediglich in den bei der Addition von C a r b o n s ä u r e n oder von C a r b o n s ä u r e a n h y d r i d e n entstehenden s ä u r e a n h y d r i d a r t i g e n Produkten I und I I ist der am S a u e r s t o f f befindliche A c y l r e s t so reaktionsfähig, daß er sofort unter Bildung der s e k u n d ä r e n und t e r t i ä r e n S ä u r e a m i d e , für die diese Reaktion gleichzeitig .die wichtigste Darstellungsweise ist, an den basischen Stickstoff wandert ( i n n e r m o l e k u l a r e A c y l i e r u n g ) : H O / N « jO : \ /NIX R—C=N + H—0—C—R

C—R:

R—C

C—R

N

R-C^

\OH

+ N2

Das Verfahren findet unter der Bezeichnung „ R e a k t i o n v o n BOUVEAULT" praktische Anwendung als m i l d e S p a l t u n g s r e a k t i o n für Säureamide, wenn es nur auf die Isolierung der C a r b o n s ä u r e k o m p o n e n t e ankommt. Ferner kann man es nach VAN SLYKE zum q u a n t i t a t i v e n N a c h w e i s v o n N H 2 - G r u p p e n verwenden (sog. VAN-SLYKE-Stickstoff).

b) Die Carbonsäureamide bilden als Ammoniakderivate, die am Stickstoff noch W a s s e r s t o f f enthalten, mit den u n t e r h a l o g e n i g e n S ä u r e n N-Halogenverbindungen (I,Kap. 6,1,1 be), von denen vor allem die N - M o n o h a l o g e n - c a r b o n s ä u r e a m i d e eine gewisse Bedeutung erlangt haben. Zunächst zeigen sie, wie alle Halogenverbindungen der t y p i s c h n e g a t i v e n Elemente, eine gewisse Tendenz, das Halogen wieder gegen W a s s e r s t o f f auszutauschen, und wirken infolgedessen auf andere organische Verbindungen in ähnlicher Weise h a l o g e n i e r e n d ein

Die Carbonsäureamide

345

wie die f r e i e n H a l o g e n e selbst. Sie dienen daher zuweilen als m i l d e H a I o g e n i e r u n g s T m i t t e l (z.B. N - B r o m a c e t a m i d , S. 145): H — R + Br;—NH—CO—CH3

>- R—Br + H 2 N—CO—CH 3

N o c h wichtiger ist die mit konzentriertem A l k a l i erfolgende Abspaltung v o n H a l o g e n w a s s e r s t o f f s ä u r e . Sie führt in der bereits auf S. 316) beschriebenen Weise zu dem i n s t a b i l e n , eine Elektronenlücke am Stickstoff aufweisenden Z w i s c h e n p r o d u k t I, das sich sofort unter Bildung des I s o c y a n s ä u r e e s t e r s , bzw. nach dessen Verseifung in dem alkalischen Reaktionsmedium, v o n Alkalicarbonat und dem u m ein C-Atom ärmeren p r i m ä r e n A m i n , stabilisiert (vgl. auch II, K a p . 4 , III, 4b/?): O /H II R—C—N< Br

OH"

— H , 0 — Iir~

R

Hydrolyse

R—N=!C=0

>

o

»A

Cy

Umlagerung

R—NH 2 + C0 2

Die trotz des komphzierten Mechanismus recht g l a t t v e r l a u f e n d e Reaktion wurde v o n A. W . H O F M A N N entdeckt u n d ihm zu Ehren Hofmannscher Abbau genannt. Sie hat bei der leichten Zugänglichkeit vieler C a r b o n s ä u r e n p r a k t i s c h e Bedeutung für die D a r s t e l l u n g p r i m ä r e r A m i n e erlangt. Die sekundären und tertiären Säureamide (bezüglich der Darstellung vgl. S. 342) zeichnen sich gegenüber den primären Verbindungen durch eine g e s t e i g e r t e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t aus. Bereits in den D i a c y l a m i d e n wird die Acidität des am Stickstoff befindlichen W a s s e r s t o f f s merklich erhöht, so daß er auch gegenüber Wasser deutlich s a u e r reagiert und die Bildung w a s s e r b e s t ä n d i g e r M e t a l l s a l z e möglich ist. Die T r i a c y l a m i d e besitzen zwar keinen Wasserstoff am Stickstoff mehr, doch macht sich hier die acidifizierende Wirkung der drei Acylreste in einer S t e i g e r u n g d e r A c y l i e r u n g s t e n d e n z , die annähernd auf die des E s s i g s ä u r e a n h y d r i d s ansteigt, bemerkbar. Die B a s i z i t ä t des Stickstoffs tritt dagegen in beiden Verbindungsklassen f a s t v ö l l i g z u r ü c k . Eine größere Bedeutung, etwa als A c y l i e r u n g s m i t t e l , haben die sekundären und tertiären Säureamide neben den leichter zugänglichen Sauerstoff- und Halogenderivaten der Carbonsäuren n i c h t e r l a n g t . Eine Ausnahme bilden lediglich die aus 1,4- und 1 , 5 - D i c a r b o n s ä u r e n mit Ammoniak besonders leicht entstehenden c y c l i s c h e n s e k u n d ä r e n S ä u r e a m i d e , die fälschlicherweise allgemein als - i m i d e bezeichnet werden (vgl. I, Kap. 6, I): CH,—C l .

0

\ OH + .OH

CH.—i

/

0

CH.—C\ H 2 NH

/C

B ernst einsäure

;gg

NH x

+

H2;NH

NH

V \ j

CH2—L^x X)

/o

o

Succin-imid

Phthalsäure

Phthal-imid

Sie sind wie die normalen s e k u n d ä r e n A m i d e zur Bildung b e s t ä n d i g e r M e t a l l s a l z e befähigt, die vielfach präparative Anwendung finden. ¡5. B. stellt Phthalimid-kalium ein beliebtes Ausgangsmaterial zur Gewinnung p r i m ä r e r A m i n e dar (I, Kap. 6, I, lca). V o n den sich sekundär v o n den S ä u r e a m i d e n ableitenden D e r i v a t e n seien vor allem die N-Dialkylamide R ' — C O — N R 2 hervorgehoben, die meistens durch A c y l i e r u n g v o n D i a l k y l a m i n e n gewonnen werden (Gleichung formulieren!) und infolge des Fehlens des A m i d w a s s e r s t o f f s in einigen Punkten charakteristische Abweichungen v o n den nicht substituierten Säureamiden zeigen. So s i e d e n

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

346

die Dimethylverbindungen etwas t i e f e r als die S ä u r e a m i d e g l e i c h e r K o h l e n s t o f f z a h l und sind als Verbindungen vom Estertypus n i c h t m e h r z u r T a u t o m e r i e mit einer Imidoverbindung befähigt. Sie dienen daher vielfach bei v e r g l e i c h e n d e n U n t e r s u c h u n g e n als Beispiele für Verbindungen, die mit Sicherheit A m i d s t r u k t u r aufweisen 1 ). Ferner ist es möglich, in ihnen den C a r b o x y l s a u e r s t o f f mittels P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d durch zwei C h l o r a t o m e unter Bildung der S ä u r e a m i d c h l o r i d e zu ersetzen: C1

/>

R—Cf

X

/

sR' + PC16

R—C—Cl

N

x

R' + POCI3

Die S ä u r e a m i d c h l o r i d e sind die wichtigsten Stickstoffderivate vom O r t h o e s t e r t y p u s und durch eine starke T e n d e n z zur A b s p a l t u n g d e s H a l o g e n s unter Regenerierung einer p o l a r e n M e h r f a c h b i n d u n g ausgezeichnet. Diese Halogenabspaltung kann aber nur mit den a m S t i c k s t o f f b e f i n d l i c h e n A l k y l r e s t e n im Sinne der folgenden Gleichung vor sich gehen, so daß wir hier eine einfache Möglichkeit besitzen, die sonst sehr s c h w e r z u s p a l t e n d e A l k y l s t i c k s t o f f b i n d u n g zu trennen. Sie hat als v. BRAUNScher A b b a u sekundärer Amine auch p r a k t i s c h e A n w e n d u n g gefunden (vgl. I,Kap.6, I, l a ) : R

C

/ •C1 Cl

— R'—Cl

„ R

: .01

„/ C

— R"—C1

»

R—C=N

R" \R"

ß ) Die Carbonsäurenitrile I n den Nitrilen ist der gesamte Sauerstoff der Carboxylgruppe durch e i n d r e i f a c h g e b u n d e n e s N-Atom ersetzt. Sie enthalten also die C y a n g r u p p e (—C^N) und können daher nicht nur als C a r b o n s ä u r e - , sondern auch als B l a u s ä u r e d e r i v a t e , und zwar als deren E s t e r bzw. A l k y l i e r u n g s p r o d u k t e , aufgefaßt werden. Diese Doppelnatur kommt u. a. bereits in der Nomenklatur zum Ausdruck. So wird z. B. das N i t r i l der E s s i g s ä u r e nicht nur Acetonilril, sondern als Alkylierungsprodukt der B l a u s ä u r e auch Methylcyanid genannt. Ähnlich bezeichnen die Ausdrücke Propionitril und Äthylcyanid, Butyronitril und Propylcyanid usw. jeweils die g l e i c h e S u b s t a n z . Man beachte, daß beide Bezeichnungsarten von Grundverbindungen v e r s c h i e d e n e r K o h l e n s t o f f z a h l ausgehen, und daß die Alkylcyanide e i n C - A t o m m e h r in ununterbrochener Kette enthalten als der N a m e d e s A l k y l r e s t e s angibt.

Die Säurenitrile sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen (z. B. A m y g d a l i n III, Kap. 4,III, 5), K u n s t p r o d u k t e . Zu ihrer Darstellung dienen d r e i g r u n d s ä t z l i c h v e r s c h i e d e n e Methoden: 1. die Gewinnung von den C a r b o n s ä u r e n ausgehend durch Wasserabspaltung aus den A m m o n i u m s a l z e n oder S ä u r e a m i d e n , 2. die Gewinnung von der B l a u s ä u r e ausgehend mit Hilfe der bereits beschriebenen KoLBEschen N i t r i l s y n t h e s e und ihrer Varianten (S. 307 u. I, Kap. 12, I I I , l a ) und 3. die Gewinnung von den A l d e h y d e n ausgehend mit Hilfe der ebenfalls bereits beschriebenen W a s s e r a b s p a l t u n g a u s d e n A l d o x i m e n (S. 290). Zu 1. Die Wasserabspaltung aus den Säureamiden gelingt ohne Schwierigkeiten durch mäßiges Erhitzen der Säureamide mit P h o s p h o r p e n t o x y d oder P h o s Allerdings sind die Unterschiede zwischen e i n h e i t l i c h e n A m i d e n und e i n h e i t l i c h e n I m i d e n infolge der in II, Kap.3, 111,2 beschriebenen M e s o m e r i e zwischen beiden Strukturen nur gering.

Die Carbonsäurenitrile

347

p h o r p e n t a c h l o r i d , wobei letzteres wahrscheinlich intermediär die unter den Reaktionsbedingungen unbeständigen S ä u r e a m i d - und - i m i d c h l o r i d e bildet: oder Erhitzen auf 500"

o II

R—C—NH,

PCI,

C1 : C1 \ ! / h R-O-NH

— HCl

Säureamidchlorid

>

(—Ha0) C1

\R—C=NH

— HCl

v R—C=N

Säureimidchlorid

Da die Säureamide selbst durch Wasserentzug aus den A m m o n i u m s a l z e n dargestellt werden, kann man auch von diesen direkt ausgehen, was sich im allgemeinen allerdings wegen des Mehrverbrauchs an den teuren Phosphorverbindungen nicht lohnt. Technisch wird die Wasserabspaltung bei 500° durch Leiten eines Gemisches der C a r b o n s ä u r e - (bzw. E s t e r - ) und A m m o n i a k d ä m p f e über D^hydratisierungskatalysatoren (Th0 2 usw.) durchgeführt.

Eigenschaften. Die Nitrile sind t i e f s c h m e l z e n d e , nicht unangenehm riechende Flüssigkeiten, die in Anbetracht der Tatsache, daß sie keinen assoziierenden Wasserstoff enthalten, außerordentlich h o c h sieden. Tabelle 21 Die physikalischen K o n s t a n t e n einiger Name

Sdp.

Smp.

D/T

Formonitril (Blausäure) Acetonitril (Methylcyanid) Propionitril Butyronitril

25°

— 13°

0,697/18°

82

— 45

0,783/20

97 117

— 92 —113

0,802/0 0,794/20

Name Valeronitril Capronitril önanthonitril Caprylonitril Benzonitril Benzylcyanid

Säurenitrile Sdp.

Smp.

D/T

141° 164 183 199 191 233

—96° —79 —64

0,801/18° 0,809/20 0,815/20 0,820/13 1,005/20 1,016/20

—13 —25

Als siedepunktserhöhendem Effekt begegnen wir hier wiederum dem e l e k t r i s c h e n D i p o l m o m e n t d e r M o l e k ü l e (näheres vgl. II. Kap.2,1, 7), das infolge der d r e i f a c h e n p o l a r e n B i n d u n g bei den Nitrilen recht h o c h ist. Es bedingt auch einige andere charakteristische Nitrileigenschaften, von denen vor allem auf die ziemlich hohe D i e l e k t r i z i t ä t s k o n s t a n t e und ein erstaunliches L ö s u n g s v e r m ö g e n f ü r E l e k t r o l y t e hingewiesen sei. Ferner sind die niederen Glieder der Reihe mit W a s s e r mischbar.

Die Nitrile sind wesentlich reaktionsfähiger als die S ä u r e a m i d e und zeigen als wichtigste n e u a r t i g e R e a k t i o n e n : 1. die Umsetzungen der d r e i f a c h e n C = N - B i n d u n g , 2. die Reaktionen der « - s t ä n d i g e n M e t h y l e n g r u p p e und 3. in der N i t r i l o x y d b i l d u n g wieder eine Reaktion, die sich a m S t i c k s t o f f abspielt. Zu 1. Die C=N-Bindung zeigt als p o l a r e M e h r f a c h b i n d u n g eine große Ähnlichkeit mit der C a r b o n y l - D o p p e l b i n d u n g und ist wie diese insbesondere zur Add i t i o n b a s i s c h e r V e r b i n d u n g e n sowie von k a t a l y t i s c h e m und nas eieren dem W a s s e r s t o f f (I, Kap. 12, II, 1) befähigt. Doch ist die Aktivität im allgemeinen w e s e n t l i c h g e r i n g e r , und es werden z. B. — ähnlich wie bei den ScHiFFschen, Basen (S. 288) — W a s s e r , A l k o h o l e und selbst A m m o n i a k ohne Katalysatoren n i c h t zu hydratartigenVerbindungen angelagert. E r s t s t a r k b a s i s c h e R e a g e n t i e n , wie z. B. m e t a l l o r g a n i s c h e V e r b i n d u n g e n oder s t a r k e A l k a l i e n bei längerem Kochen, reagieren in normaler Weise unter Bildung von K e t i m i n e n oder Säureamiden:

?

R—C—NH,

OH II + Ha0 R — C = N H *(NaOH ) R — C = N

NMe R—C—R'

o R-C-R'

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

348

Von besonderem Interesse ist die Reaktion der Nitrilgruppe mit s t a r k e n S ä u r e n , da diese zunächst ein Proton an den Stickstoff unter O n i u m s a l z b i l d u n g anlagern und dadurch die dreifache Bindung s t a r k a k t i v i e r e n (vgl. II, Kap. 3, I I , 2b). Die Oniumsalzbildung erfolgt auf Grund der normalen B a s i z i t ä t d e s d r e i w e r t i g e n S t i c k s t o f f s , die allerdings, ähnlich wie bei den Säureamiden, durch die Einführung des Säurerestes etwa auf die Stufe der Basizität des W a s s e r s herabgesetzt wird, so daß die Nitrile in wäßriger Lösung n e u t r a l reagieren. Die Salzbildung geht daher nur in Gegenwart s t a r k e r S ä u r e n vor sich und f ü h r t primär zu den Nitriliumsalzen: [R—C=N—h] + X~

R—Cf^NI + H—X

Diese Nitriliumsalze sind den auf S. 337f beschriebenen C a r b o x o n i u m s a l z e n analog gebaut und zeigen auch ein ä h n l i c h e s V e r h a l t e n . Insbesondere besitzen sie ebenfalls eine große Neigung, b a s i s c h e V e r b i n d u n g e n aller Art an die durch die p o s i t i v e A u f l a d u n g des Stickstoffs s t a r k a k t i v i e r t e dreifache Bindung anzulagern. So gehen schon die N i t r i l i u m c h l o r i d e z. T. in die nicht mehr dissoziierten S ä u r e i m i d c h l o r i d e über (analog dem Übergang der C a r b o x o n i u m c h l o r i d e in die S ä u r e c h l o r i d e ) und bilden mit diesen ein T a u t o m e r i e - bzw. D i s s o z i a t i o n s g l e i c h g e w i c h t (vgl. auch S. 351). Stärker basische Verbindungen werden i r r e v e r s i b e l angelagert, wie z. B. W a s s e r zu den S ä u r e a m i d e n , A l k o h o l e zu den S ä u r e i m i d o ä t h e r n (s. unten) und A m m o n i a k zu den A m i d i n e n . S t a r k e S ä u r e n wirken also als K a t a l y s a t o r e n f ü r die Anlagerung dieser Verbindungen: C1 R—C; >NH SSureimidchlorid

e r

R — G ^ N H

cr \NH. Balzsaures Amidin

NitriÜumchlorid + R—OH

+ H2O OH

o

/NH;

+*h 3 >

R—C y © ^ R—c: \ ®NH„ ' Vnh3 aalzsaure8 Säureamid

, Cr

1I yO—R R—C NH2 salzsaurer Imido-äther

+

cr

Durch weitere Umsetzungen dieser [Sekundärprodukte mit dem Reaktionsmedium kann man häufig in dem g l e i c h e n R e a k t i o n s g a n g eine v o l l s t ä n d i g e A b s p a l t u n g des Nitri 1 stickstoffs erreichen. So entstehen z. B. beim längeren Kochen von Nitrilen mit w ä ß r i g e r S a l z s ä u r e über die S ä u r e a m i d e die f r e i e n C a r b o n s ä u r e n und mit a l k o h o l i s c h e r S a l z s ä u r e über die I m i d o ä t h e r die O r t h o c a r b o n s ä u r e e s t e r (S. 336), jeweils neben S a l m i a k . Eine A l k o h o l y s e der Nitrile zu den n o r m a l e n E s t e r n ist dagegen ohne Zusatz von mindestens einem Mol W a s s e r nicht möglich, da bei der Esterbildung gleichzeitig H y d r o l y s e und A l k o h o l y s e der C^N-Dreifachbindung erfolgt: R—C

HO—R' + HO—R' HO—R'

R—C = N + EHO—R' »0

O—R' + HCl ->• R—C—0—R' — NH,C1 ^0—R' + HCl -NH,CI

0 y

R

~

C

\

o

-R'

Die Carbonsäurenitrile

349

Schließlich zeigt die Nitrilgruppe auch eine gewisse Neigung zur P o l y m e r i s a t i o n , die sich allerdings wegen der meist leichter erfolgenden A d d i t i o n der Katalysatoren an die dreifache Bindung nicht immer in der gewohnten Weise durchführen läßt. So ist z. B. eine der B e n z o l - (S. 111) oder P a r a l d e h y d b i l d u n g (S. 241) analog verlaufende T r i m e r i s a t i o n in Gegenwart von konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e nur in der a r o m a t i s c h e n R e i h e möglich und führt hier in normaler Weise zu T r i a z i n d e r i v a t e n (I, Kap. 11, II, 3ba), z. B. vom B e n z o n i t r i l ausgehend zum Kyaphenin:

C6H6—C/

N +

N

H S

C—C6HS III N

' °* Y

C6H6—C I

\ ^C I

^C—C 6 H 5 II N N N J / I C6H5

Kyaphenin

I n der a l i p h a t i s c h e n R e i h e tritt dagegen bei der Einwirkung von konzentrierter Schwefelsäure S ä u r e a m i d b i l d u n g (s. oben) ein. Dafür findet hier in a l k a l i s c h e m Medium, z. B. in Gegenwart von N a t r i u m oder N a t r i u m a l k o h o l a t , eine T r i m e r i s a t i o n statt, die aber einen andersartigen Verlauf nimmt und zu einem P y r i m i d i n d e r i v a t führt, das Kyanalkin, bzw. bei Verwendung von A c e t o n i t r i l speziell K y a n m e t h i n , genannt wird. Es ist anzunehmen, daß hierbei in dem alkalischen Reaktionsmedium primär z w e i A c e t o n i t r i l m o l e k ü l e in der unter 2 (s. unten) beschriebenen Weise zu der I I I analog konstituierten Verbindung I kondensieren, die ihrerseits dann das d r i t t e Acetonitrilmolekül unter Ringschluß zu dem eigentlichen Kyanmethin anlagert:

!

2 C H . - C -X

Y + TIA0B

>

— HÖR;

N=C I H2C

' N=C

N %

V

NNa

NaN ; \

+ C—CH,

I CH,

C—CH, I N

CH 3 N

v

NaN = C I H2C

C—CH3 I N I CH3

+ + K—OH — NaOR

/ \ H2N—C C—CH3 II I HC N W CH 3 Kyanmethin

Zu 2. D i e dreifache C = N - B i n d u n g übt auf die nachbarständige Methylengruppe eine ähnlich a k t i v i e r e n d e W i r k u n g aus wie die Carbonylgruppe der Ester. Die Nitrile sind infolgedessen ebenfalls zu einer der Ciaisenkondensation analogen Kondensationsreaktion befähigt, die aber, ähnlich wie die Aldolkondensation (S. 247), ohne Substanzverlust im Sinne einer D i m e r i s i e r u n g zu den Ketiminen der Nitrile von / j - K e t o c a r b o n s ä u r e n (IV) vor sich geht. Als Kondensationsmittel verwendet man N a t r i u m a m i d oder besser die M e t a l l d e r i v a t e s e k u n d ä r e r A m i n e , die das Metall intermediär gegen ein H - A t o m der aktiven Methylengruppe austauschen, und erst die hierbei entstehende m e t a l l o r g a n i s c h e V e r b i n d u n g (II) lagert sich dann an das zweite Nitrilmolekül an:

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

350 C X | + MeXH2 R—CH—H .

_;NH: C X X , -> | +111 i R—CHMe C—CH2—R ' NH



C X XMe I II R—CH—C—CH 2 —R

Ii

Iii

C = X XH I II R—CH—C—CH 22—R + Me XH22 iv •

Ihr wichtigstes Anwendungsgebiet hat die Methode zur Darstellung c y c l i s c h e r K e t o n e g r o ß e r R i n g w e i t e gefunden (vgl. I, K a p . 6, I, 2g). Auch mit C = 0 - und N = 0 - D o p p e l b i n d u n g e n vermag die durch die C—X-Gruppe aktivierte Methylengruppe zu reagieren, wie das Beispiel der A c y l o i n k o n d e n s a t i o n (S. 248) oder das der P h e n y l n i t r o m e t h a n b i l d u n g (I. Kap. 6, IV, 1) zeigt. Zu 3. Der Xitrilstickstoff ist als t e r t i ä r e r Stickstoff in gleicher Weise zur semipolaren Bindung von Sauerstoff befähigt wie der Stickstoff der t e r t i ä r e n A m i n e (I, Kap. 6, 11,2) oder der der s a l p e t r i g e n S ä u r e . Die Darstellung derartiger Nitriloxyde ist allerdings nicht durch direkte Oxydation von Xitrilen möglich, sondern erfolgt auf einem Umweg durch Abspaltung von Chlorwasserstoff aus Hydroxamsäurechloriden (S. 354) oder von Salpetriger Säure aus Nitrolsäuren (I, Kap. 6, IV, 2): /X— O H HO—X v •

g,

N=.N=N

R—N=C=0 Ii

Eine f ü r die Praxis wichtige Variation hat dieses Verfahren in der direkten Umsetzung der f r e i e n C a r b o n s ä u r e n mit S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e , also unter Umgehung der Säureazidstufe, erfahren. Die Reaktion erfordert k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e oder Z i n n t e t r a c h l o r i d als Katalysator und führt, wie der HoFMANNSche Abbau, gleich weiter zu den H y d r o l y s e n p r o d u k t e n d e r I s o c y a n s ä u r e e s t e r (vgl. auch II, Kap.4, I l f , 3b): 0: 0 © © -k R — N = C = 0 R — aÄ + H :R/ N 0H + Hä0->, R—NH + C0 2 2 23

K l a g e s , Lehrbuch der Organischen Chemie I, 1

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

354

rf) Die Hydroxylaminderivate der Carbonsäuren Die den Säureamiden und Hydraziden entsprechenden H y d r o x y l a m i n d e r i vate der Carbonsäuren werden wegen ihres sauren Charakters Hydroxamsäuren (aus Hydroxyl-amid) genannt und durch Acylierung des Hydroxylamins mit Säurechloriden, -anhydriden, -estern und selbst -amiden gewonnen (Gleichungen formulieren!). Eine weitere Bildungs weise haben wir oben in der Reaktion von ANGELI-RIMINI kennengelernt (S. 249). Die Hydroxamsäuren sind als Hydro xylaminderivate schwach saure Verbindungen,die mit Schwermetallionen, insbesondere mit E i s e n - I I I - I o n e n , charakteristische tief farbige Salze bilden, denen wahrscheinlich die Struktur eines cyclischen innermolekularen Komplexsalzes zukommt. Eine weitere wichtige Reaktion ist die nach ihrem Entdecker als LossEuscher Abbau bezeichnete Überführung in Isocyansäureester, die bei der Behandlung mit Phosphorpentoxyd, Thionylchlorid und ähnlichen wasserabspaltend wirkenden Reagentien erfolgt und wahrscheinlich ebenfalls über das beim HoFMANNSchen und CuRTrosschen Abbau beschriebene i n s t a b i l e Zwischenprodukt I führt (vgl. S. 316): R—N=C=0 OH

;

Von den Hydroxamsauren leiten sich eine Reihe sekundärer D e r i v a t e ab. Zunächst einmal sind sie als Verbindungen vom Säureami dtypus t a u t o m e r mit den eine O x i m g r u p p e enthaltenden Hydroximsäuren: R—C^

v -

NH—OH Hydroxamsäure

R—CK N—OH Hydroximsäure

Ersetzt man in diesen die C—Hydroxylgruppe durch C h l o r , so kommt man zu i m i d c h l o XI r i d a r t i g e n Verbindungen, die allgemein Hydroxamsäurechloride R — , streng \N—OH genommen H y d r o x i m s ä u r e c h l o r i d e , genannt werden und durch C h l o r i e r u n g von A l d o x i m e n leicht zugänglich sind: xN—OH R—C f

+C1-I-C1 H

^NOH R—Cf X C1 Hydroxamsäurechlorid

Sie verhalten sich ebenfalls wie echte S ä u r e c h l o r i d e und können den H y d r o x i m säurerest in andere Moleküle unter Bildung weiterer H y d r o x i m - bzw. H y d r o x a m s ä u r e d e r i v a t e einführen, wie im einzelnen aus folgendem Formelbild zu entnehmen ist: JST— OH R


-R' Hydroxamsäure- bzw. Hydroximsäureester

+ R'—OH ~EC1

\ NH—NH2 Säurehydrazidoxim

L

y N TJ J\

xN—OH R—C

+ NH,

r

+ HaN NH3 —HCl

O H

J

/N—OH >

~HCI

C^

XNH2 Säureamid-oxim

-

.N-OH 1 + N^-°H> —HCl

R—C

\ XNH—OH Säureoxyamidoxim

Schwefelderivate der Carbonsäuren

355

Einige dieser Hydroxamsäurederivate finden wieder Anwendung zum Aufbau heteroc y c l i s c h e r R i n g s y s t e m e (vgl. z.B. I, Kap. 11, III). Die Hydroximsäureester sind als n i c h t zur T a u t o m e r i e b e f ä h i g t e Oximverbindungen in zwei g e o m e t r i s c h isomeren Formen existenzfähig, die ebenfalls als syn- und awh'-Formsn (formulieren!) bezeichnet werden.

e) D i e S c h w e f e l d e r i v a t e d e r C a r b o n s ä u r e n Die S c h w e f e l d e r i v a t e der Carbonsäuren leiten sich ausschließlich vom S c h w e f e l w a s s e r s t o f f ab und zeigen, wie in der Oxoreihe, f o r m a l den gleichen Aufbau wie die S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n . Sie werden daher im allgemeinen als deren Thioderivate bezeichnet (Thiocarbonsäuren, Thiocarbonsäureamid usw.). Ihre praktische Bedeutung ist nur gering, so daß wir uns auf die Anführung nur weniger Beispiele beschränken können. Man unterscheidet z w e i R e i h e n v o n T h i o c a r b o n s ä u r e n : 1. die Monothiocarbonsäuren und ihre Derivate, in denen nur e i n , und 2. die Dithiocarbonsäuren und ihre Derivate, in denen a l l e b e i d e O - A t o m e der Carboxylgruppe durch Schwefel ersetzt sind. Zu 1. Die Monothiocarbonsäuren stellt man durch direkte S c h w e f e l u n g d e r C a r b o n s ä u r e n mittels P h o s p h o r p e n t a s u l f i d oder am besten durch Einwirkung von A c y l i e r u n g s m i t t e l n auf die A l k a l i h y d r o s u l f i d e sowie auch auf S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in Gegenwart t e r t i ä r e r A m i n e dar: /O X) ß x

OH

V

C1 + XaS -II

^S—H Monothiocarbonsäure (Hydrosul f idform)

Sie sind u n a n g e n e h m r i e c h e n d e F l ü s s i g k e i t e n , die infolge der relativ geringen Neigung des Schwefels zur Ausbildung von D o p p e l b i n d u n g e n (vgl. auch II, I reagieren und keiKap. 3, I I , 2 c) stets als ,,Hydrosulfidverbindungen" R— C f X V SH/ /

/OHx

nerlei Anzeichen einer Tautomerie mit der „Oxysulf idform" I R — C ^

1 erkennen

lassen. Ihre S ä u r e s t ä r k e ist etwas g r ö ß e r als die der zugehörigen C a r b o n s ä u r e n (p K (Thioeggigsäure) = 3,34; p K ( E s s i g s ä u r e ) = 4,75), und ihre S c h w e r m e t a l l s a l z e sind infolge der Ausbildung fester Me—S-Bindungen u n l ö s l i c h . Von den M o n o t h i o c a r b o n s ä u r e n sind eine Reihe von D e r i v a t e n bekannt. So können z.B. die Thio(l)carbonsäureester in einfacher Weise durch A c y l i e r u n g von N a t r i u m - m e r c a p t i d e n (I, Kap. 7,1, 1) gewonnen werden:

¿0 R-CT^ +Na:s—R' ~ : X C1

NaC

V

X> R—Cf s -Ii'

Weitere Derivate, in denen auch der Carbonylsauerstoff substituiert ist, sind die Thiocarbonsäurechloride und die (nur in der I m i d f o r m auftretenden) T h i o c a r b o n s ä u r e amide, die jedoch bisher ohne praktische Bedeutung geblieben sind: /C

1

R—C^

X

S

Thiocarbonsäurechlorid 23«

yO—R R—C\\

R—CC SH Thiocarbonsäureamid (Imidform)

X

S

Thioncarbonsäureester

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

356

Auch von der O x y s u l f i d f o r m sind Ester bekannt, die im Gegensatz zu den oben beschriebenen T h i o ( l ) c a r b o n s ä u r e e s t e r n Thioncarbonsäureester genannt werden. Zu 2. Die Ditbiocarbonsäuren erhält man durch Einwirkung m e t a l l o r g a n i s c h e r V e r b i n d u n g e n auf S c h w e f e l k o h l e n s t o f f , also in voller Analogie zur Carbonsäuresynthese aus K o h l e n d i o x y d und GRIGNARD-Verbindungen (S. 307): R—Me +

• X

R-(/

S

S

Hydrolyae

>

R-(/

SMe

S

SH

Sie geben ebenfalls in Wasser s c h w e r l ö s l i c h e (jedoch ä t h e r l ö s l i c h e ) Schwermetallsalze und werden mit A l k y l i e r u n g s m i t t e l n in ihre E s t e r übergeführt (Gleichungen formulieren!). Weitere interessante Derivate und gleichzeitig die s c h w e f e l r e i c h s t e n C a r b o n s ä u r e d e r i v a t e überhaupt sind die Orthothiocarbonsäureester, die in Analogie zu den S a u e r s t o f f - O r t h o e s t e r n durch Einwirkung von g e m i n a l e n T r i h a l o g e n v e r b i n d u n g e n auf A l k a l i m e t a l l s u l f i d e dargestellt werden können, technisch jedoch billiger aus den n o r m a l e n E s t e r n und M e r c a p t a n e n in Gegenwart von Chlorwasserstoff gewonnen werden, so daß sie heute ihrerseits wieder als Ausgangsmaterial für die Synthese der S a u e r s t o f f - O r t h o e s t e r Verwendung finden (vgl. S. 336). Ferner dienen sie — ebenfalls in Analogie zu den Sauerstoff-Orthoestern — als M e r c a p t a l i s i e r u n g s m i t t e l für Oxoverbindungen: ,C1 NaS—R R'—C ^-Cl + • NaiS—R Na^S—R \ a

O

1 ;

| ;

^ f ^

R'—C

H;S—R + H!S—R OR H;S—R

S—R R — c — S — R ^ S — R 0—R" R'—C—O—R \ q

,

I I

I -t>c=o L - /

/P

\

/S—R

v

S—-R

S—R

Im übrigen ist die Zahl der D i t h i o c a r b o n s ä u r e d e r i v a t e beschränkt, da alle durch E r s a t z e i n e s S c h w e f e l a t o m s durch andere Heteroatome erhaltenen Verbindungen bereits zur Reihe der M o n o t h i o c a r b o n s ä u r e d e r i v a t e zählen. 3. Einzelne Carlbonsäuren Die Einteilung der Carbonsäuren geschieht ähnlich wie die der Oxy-, Oxou n d Halogenverbindungen n a c h der N a t u r des die Carboxylgruppe substituierenden Restes R in die g e s ä t t i g t e n , u n g e s ä t t i g t e n , a r o m a t i s c h e n u n d H a l o g e n c a r b o n s ä u r e n . D a n e b e n werden die u n v e r z w e i g t e n g e s ä t t i g t e n u n d u n g e s ä t t i g t e n a l i p h a t i s c h e n C a r b o n s ä u r e n auf G r u n d ihres wichtigsten Vork o m m e n s in d e n n a t ü r l i c h e n F e t t e n auch u n t e r dem Begriff der Fettsäuren zus a m m e n g e f a ß t u n d h a b e n d a m i t der ganzen G r u p p e der aliphatischen Verbindungen den N a m e n gegeben (vgl. S. 61). a) D i e g e s ä t t i g t e n

Carbonsäuren

Die gesättigten Carbonsäuren leiten sich v o n d e n u m ein C-Atom ärmeren. P a r a f f i n e n d u r c h S u b s t i t u t i o n eines H - A t o m s d u r c h die Carboxylgruppe a b u n d werden d a h e r zusammenfassend a u c h als Paraffincarbonsäuren bezeichnet. Sie

Die Ameisensäure

357

kommen in großer Zahl in der belebten Natur vor, doch beobachtet man insbesondere bei den h ö h e r e n F e t t s ä u r e n mit wenigen Ausnahmen nur u n v e r z w e i g t e S ä u r e n mit einer g e r a d e n A n z a h l v o n C - A t o m e n , weil der b i o c h e m i s c h e F e t t s ä u r e a u f - und auch - a b b a u stets über die ( ^ B r u c h s t ü c k e verläuft (näheres vgl. III, K a p . 8 , III). Die Ameisensäure (Methansäure, Acidurn formicum) H—COOH wurde bereits im J a h r e 1 6 7 0 von W B A Y im Gift der A m e i s e n entdeckt und ist auch im B r e n n n e s s e l g i f t enthalten sowie in geringerer Konzentration ziemlich weit im Pflanzenund Tierreich verbreitet. Sie nimmt als Anfangsglied der Reihe eine ähnliche Sond e r s t e l l u n g ein wie der F o r m a l d e h y d . Schon ihre Darstellung erfolgt nach verschiedenen S p e z i a l v e r f a h r e n . Am wichtigsten ist die Anlagerung von N a t r o n l a u g e an K o h l e n o x y d , das den K e t e n e n in mancher Beziehung entsprechende i n n e r m o l e k u l a r e A n h y d r i d der Ameisensäure (vgl. auch I, Kap. 10, I , 2):

0 |C=0| + NaOH

O Na+

IC

\

HC^ \

OH

ONa

Die Reaktion geht bei 120—150° unter 6—8 Atmosphären Druck f a s t g e n a u so r a s c h vor sich wie die Absorption von K o h l e n d i o x y d in Natronlauge bei normaler Temperatur und wird technisch in großem Maßstab durchgeführt. Weitere spezielle Bildungsweisen sind die k a t a l y t i s c h e H y d r i e r u n g von N a t r i u m b i c a r b o n a t , die bei 170° und 60—70 Atmosphären Wasserstoffdruck in Gegenwart von P a l l a d i u m als Katalysator erfolgt, und die t h e r m i s c h e Z e r s e t z u n g von O x a l s ä u r e unter C0 2 -Abspaltung:

OH - c o , v ö

>O

*

-OH-

„ H

HO x

\ > U

0 G ; v< / W OH

+ h2

o=c(

.0© OH

Besonders das letzte Verfahren dient präparativ häufig zur Ameisensäuregewinnung und geschieht zweckmäßig in Gegenwart von G l y c e r i n , das s t a b i l i s i e r e n d auf die gebildete Ameisensäure einwirkt. Diese im wesentlichen k a t a l y t i s c h e W i r k u n g d e s G l y c e r i n s beruht wahrscheinlich auf der intermediären Bildung eines s a u r e n G l y c e r i n m o n o - o x a l s ä u r e e s t e r s (I), der schon unter 100° K o h l e n d i o x y d unter Bildung des gegenüber der Ameisensäure selbst stabileren G l y c e r i n - m o n o - a m e i s e n e s t e r s (II) abspaltet, aus dem die A m e i s e n s ä u r e schließlich durch die überschüssige O x a l s ä u r e im Rahmen einer U m e s t e r u n g s r e a k t i o n verdrängt wird:

CH2—OH CH—OH + COOH I :I CH2—OiH HO— C = 0

Ai CH—OH

CH2—OH COOH

CH2—O—C=0 1

! ;CH2—OH + HOOC—COOH

¿H—OH

CH-OH CH2—O—CH=0 ir

COOH: + HO—CH=0

¿Ho—O—C=0

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

358

Doch darf die Reaktionstemperatur 100° nicht wesentlich übersteigen, da sonst der n e u t r a l e G l y c e r i n - o x a l s ä u r e e s t e r entsteht, der sich dann, wie wir auf S. 188 gesehen haben, unter Bildung von A l l y l a l k o h o l zersetzt Auch nach einigen der oben angeführten a l l g e m e i n e n D a r s t e l l u n g s v e r f a h r e n kann die Ameisensäure gewonnen werden, so z. B. durch Verseifung ihres N i t r i l s , der B l a u säure (S. 363), oder durch Oxydation von F o r m a l d e h y d mit alkalischer H y d r o p e r o x y d l ö s u n g (S. 253). Doch kommt beiden Methoden wegen der Möglichkeit von N e b e n - oder S e k u n d ä r r e a k t i o n e n nur die Bedeutung einer B i l d u n g s w e i s e zu. Ebenso ist die Anlagerung von K a l i u m h y d r i d an K o h l e n d i o x y d : K—H +

v ^O

H+

H—q/ OK

>

H—C(f N

OH

für die Ameisensäuregewinnung nur von t h e o r e t i s c h e m I n t e r e s s e als Analogon zur allgemeinen Carbonsäuresynthese aus K o h l e n d i o x y d und m e t a l l o r g a n i s c h e n Verbindungen. (S. 307). Denn gerade diese Reaktion zeigt wieder einmal die nahen Beziehungen zwischen K o h l e n s t o f f und W a s s e r s t o f f , die selbst in so e x t r e m e n B i n d u n g z u s t ä n d e n , wie in ihren A l k a l i m e t a l l v e r b i n d u n g e n , vollkommen g l e i c h a r t i g reagieren.

Die Ameisensäure ist eine unerträglich stechend riechende, s t a r b h y g r o s k o p i s c h e Flüssigkeit, die sich mit W a s s e r in jedem Verhältnis mischt und von diesem wegen der ungünstigen Lage ihres Siedepunktes (100,6°) n i c h t durch fraktionierte Destillation abgetrennt werden kann. Die Gewinnung der wasserfreien Säure ist daher nur auf U m w e g e n möglich und geschieht meistens durch vorsichtige Zersetzung der A l k a l i s a l z e mit k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e in Ameisensäure selbst als Verdünnungsmittel (um die unten beschriebene COS p a l t u n g zu vermeiden) oder für präparative Zwecke zuweilen auch von B l e i f o r m i a t mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f . Das chemische Verhalten der Ameisensäure wird vor allem durch ihre nahen Beziehungen zu den beiden wesentlich e n e r g i e ä r m e r e n Oxyden des Kohlenstoffs, nämlich 1. dem K o h l e n d i o x y d und 2. dem K o h l e n o x y d , in die die Ameisensäure leicht durch W a s s e r s t o f f - bzw. W a s s e r a b s p a l t u n g übergeht, gekennzeichnet: /O 0=C=0 H—cf 10=01 0—H Sie ist infolgedessen im Gegensatz zu den übrigen gesättigten Carbonsäuren eine relativ l e i c h t z e r s e t z l i c h e und r e a k t i o n s f ä h i g e Substanz. Zu 1. Als Reduktionsprodukt des Kohlendioxyds enthält die Ameisensäure als einzige Carbonsäure am Carbonyl-C-Atom noch W a s s e r s t o f f , d. h. eine echte A i d e hydgruppierung

l HO—CC^/ H \ .

Sie kann daher wie ein A l d e h y d (bzw. A i d e \ X)/ h y d h y d r a t ) durch D e h y d r i e r u n g weiter oxydiert werden und reagiert z. B. auch mit so typischen Aldehydreagentien wie mit a m m o n i a k a l i s c h e r S i l b e r o x y d l ö s u n g . Ein weiteres, speziell für die Dehydrierung von Ameisensäure geeignetes Reagens ist Q u e c k s i l b e r - I I - c h l o r i d , das zu unlöslichem K a l o m e l reduziert wird und dadurch eine q u a n t i t a t i v e B e s t i m m u n g der Ameisensäure ermöglicht. Infolge der Bildung des sehr stabilen K o h l e n d i o x y d s ist die Ameisensäure sogar ein s t a r k e s R e d u k t i o n s m i t t e l , wie u. a. aus der ziemlich leicht erfolgenden D i s p r o p o r t i o n i e r u n g hervorgeht, die bei der K a l k s a l z d e s t i l l a t i o n (von Calciumformiat)

359

Die Ameisensäure

zu F o r m a l d e h y d und C0 2 (S. 262 Anm.) und bei der Reaktion von Ameisensäure mit F o r m a l d e h y d und A m m o n i a k zu p r i m ä r e m A m i n und C0 2 (S. 252u. I, Kap.6,1, l a ) führt. Ferner vermag die Ameisensäure infolge dieser starken Reduktionskraft als einzige Verbindung der organischen Chemie in Gegenwart geeigneter Katalysatoren (z. B. von fein verteiltem P a l l a d i u m a u f B a r i u m s u l f a t ) bereits bei Z i m m e r t e m p e r a t u r elementaren Wasserstoff abzuspalten, wobei sie vollständig in g a s f ö r m i g e P r o d u k t e (H 2 und C0 2 ) zerfällt. In analoger Weise spaltet auch N a t r i u m f o r m i a t (unter gleichzeitiger Anlagerung von einem Mol Wasser) spontan e l e m e n t a r e n W a s s e r s t o f f unter Bildung von N a t r i u m b i c a r b o n a t ab:

,0 ONa

/OH\ « f OH x ONa/

\

,.

/> cA)H x ONa

Die zweite Reaktion stellt die U m k e h r r e a k t i o n der oben beschriebenen Ameisensäuregewinnung durch H y d r i e r u n g v o n N a t r i u m b i c a r b o n a t dar, die hauptsächlich deshalb bei e r h ö h t e m W a s s e r s t o f f d r u c k durchgeführt werden muß, um das Reaktionsgleichgewicht z u g u n s t e n d e r F o r m i a t g e w i n n u n g zu verschieben.

Außer bei der Dehydrierung der Ameisensäure und ihrer Salze zum Kohlendioxyd beobachtet man auch beim Erhitzen der A l k a l i f o r m i a t e auf Temperaturen o b e r h a l b 400° eine Wasserstoffabspaltung, die jedoch bereits auf h a l b e m W e g e stehen bleibt und unter Entwicklung von nur 1/2 H2-Molekül pro Formiatmolekül zu einem r a d i k a l a r t i g e n Z w i s c h e n p r o d u k t führt, das sich sofort zum entsprechenden O x a l a t dimerisiert: NaOOC—H NaOOC—H OC—H

>

„ -•Hl 400 ^

/

N a O O C N a O O C

\ NaOOC-/

*

Naooi

Zu 2. Das Kohlenoxyd als zweites Oxyd des Kohlenstoffs ist nicht nur formal sondern auch seinem ganzen chemischen Verhalten nach als echtes i n n e r m o l e k u l a r e s A m e i s e n s ä u r e - a n h y d r i d aufzufassen und steht zur f r e i e n A m e i s e n säure in einer ähnlichen Beziehung wie P h o s p h o r t r i o x y d zur diphosp h o r i g e n Säure 1 ) (II) oder S c h w e f e l d i o x y d zur H—S0 3 H-Form der s c h w e f l i g e n Säure (I), die beide ebenfalls bei der Wasseraufnahme das P r o t o n und das H y d r o x y l i o n unter Aufrichtung einer Mehrfachbindung an das g l e i c h e A t o m anlagern: H + |C=0I H—0

>

Hx ^C=0 HO^

i+< —- X

H

H—O

-O

x

O

H I H—0

+

\

IP /

O

i >

H

,0

H

HO

O

H—O

i

,0

0

v

H,

„0

HO/

\ O /

H HO

X Ii

O

Diese Parallelität, insbesondere zwischen S0 2 und CO einerseits und s c h w e f liger Säure bzw. A m e i s e n s ä u r e andererseits, erstreckt sich auch auf die Bes t ä n d i g k e i t s v e r h ä l t n i s s e der S ä u r e n und Salze: Ahnlich wie die f r e i e x ) Ihre Bildung ist hier etwas v e r e i n f a c h t wiedergegeben, da Phosphortrioxyd in Wirklichkeit infolge der Nichtexistenz von P=0-Doppelbindungen eine t e t r a m e r e , dem U r o t r o p i n (S. 287) verwandte Struktur aufweist (vgl. anorg. Lehrbücher) und infolgedessen bei der Hydratisierung statt der A u f r i c h t u n g v o n D o p p e l b i n d u n g e n jeweils die L ö s u n g e i n f a c h e r P h o s p h o r - S a u e r s t o f f - B i n d u n g e n stattfindet.

3 6 0

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

s c h w e f l i g e S ä u r e sehr leicht unter Wasserabspaltung in das stabile S c h w e f e l d i o x y d übergeht, zeigt auch die freie A m e i s e n s ä u r e eine gewisse L a b i l i t ä t und zerfällt beim Behandeln mit wasserabspaltend wirkenden Mitteln, wie z. B. konzentrierter Schwefelsäure oder Phosphorpentoxyd, spontan in K o h l e n o x y d und W a s s e r . Umgekehrt werden in a l k a l i s c h e m M e d i u m , wenn die Neutralisationswärme als z u s ä t z l i c h e W ä r m e t ö n u n g auftritt, sowohl S c h w e f e l d i o x y d als auch K o h l e n o x y d unter Bildung s t a b i l e r S a l z e absorbiert. Die gleiche Neigung zur A b s p a l t u n g v o n K o h l e n o x y d oder der B i l d u n g a u s K o h l e n o x y d durch einfache Anlagerung einer Verbindung H—X zeigen auch zahlreiche Ameisensäurederivate vom Typus H—CO—X. Hierbei beobachtet man in Analogie zum Verhalten der A m e i s e n s ä u r e bzw. ihrer S a l z e die a l l g e m e i n e R e g e l , daß die Tendenz zur Kohlenoxydabspaltung mit der A c i d i t ä t d e r V e r b i n d u n g H—X und die Tendenz zur Anlagerungsreaktion mit der B a s i z i t ä t des A n i o n s X (also umgekehrt proportional der Acidität von H—X) zunimmt. So sind z. B. die gemischten Ameisensäureanhydride mit s t a r k e n S ä u r e n (z. B. F o r m y l c h l o r i d ) bei normaler Temperatur n i c h t m e h r e x i s t e n z f ä h i g , während die S a l z e , F o r m a m i d und selbst noch die E s t e r ohne Schwierigkeit durch Anlagerung von N a t r o n l a u g e , A m m o n i a k oder A l k o h o l e n an Kohlenoxyd dargestellt werden können (s. unten).

Physiologisch besitzt die Ameisensäure eine deutliche Giftwirkung, insbesondere gegenüber K l e i n l e b e w e s e n . Ameisensäure dient daher vielfach als A n t i s e p t i k u m , z . B . zur N a h r u n g s m i t t e l k o n s e r v i e r u n g . In k o n z e n t r i e r t e m Zus t a n d ruft sie auf der Haut B l a s e n b i l d u n g hervor (Ameisenbiß). Ferner ist die G i f t Wirkung des M e t h y l a l k o h o l s nach neueren Anschauungen hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß er im Organismus zu A m e i s e n s ä u r e oxydiert wird, die sich nach seinem Genuß noch tagelang im Blut nachweisen läßt. Die Ameisensäure findet, seitdem sie durch die Kohlenoxydhydratisierung leicht zugänglich geworden ist, in der Technik eine vielfache Anwendung und hat z. T. bereits die E s s i g s ä u r e verdrängt. Häufige Anwendungsgebiete sind die G e r b e r e i (zum Entkalken von Leder) und die T e x t i l f ä r b e r e i (zur Herstellung saurer Bäder und Beizen). Ferner dient sie in der beschriebenen Weise als Zwischenprodukt für die O x a l s ä u r e g e w i n n u n g .

Die Derivate der Ameisensäure zeigen infolge der erwähnten Beziehungen zum K o h l e n o x y d ebenfalls in vielen Punkten eine A u s n a h m e s t e l l u n g gegenüber den normalen Carbonsäurederivaten. Vor allem sind Ameiscnsäurechlorid, -bromid und -jodid als Derivate s t a r k e r S ä u r e n bei Zimmertemperatur nicht mehr existenzfähig, und man erhält bei Versuchen zu ihrer Darstellung stets nur ein Gemisch von K o h l e n o x y d und der betreffenden H a l o g e n w a s s e r s t o f f säure. Auch die K o h l e n o x y d s p a l t u n g der Ameisensäure beim Zusatz von k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e dürfte auf der Zersetzung des intermediär gebildeten gemischten S c h w e f e l s ä u r e - a m e i s e n s ä u r e - a n h y d r i d s beruhen (Gleichung formulieren!). Bei wesentlich t i e f e r e r T e m p e r a t u r scheint dagegen Formylchlorid b e s t ä n d i g e r zu sein. K R A U S K O P F und R O L L E F S O N (1934) gelang seine Darstellung durch photochemische Chlorierung von F o r m a l d e h y d : H 2 C = 0 + Cl2

v H—CO—C1 + HCl

Doch war es nicht möglich, die Verbindung von beigemengtem Formaldehyd zu befreien. Sie ist bei —180° l ä n g e r e Z e i t h a l t b a r , beginnt aber bereits bei —80° sich langsam zu zersetzen und zerfällt bei Z i m m e r t e m p e r a t u r u n m e ß b a r r a s c h in CO und HCl. Auch eine AdditionsVerbindung von Formylchlorid an A l u m i n i u m c h l o r i d und K u p f e r - 1 c h l o r i d konnte hergestellt werden. Die Annahme einer intermediären Bildung von Formylchlorid bei der S y n t h e s e v o n G A T T E R M A N N - K O C H (S. 2 5 7 ) ist also durchaus berechtigt.

Ameisensäurederivate

361

Ebensowenig wie die Ameisensäurehalogenide ist das s y m m e t r i s c h e A m e i s e n s ä u r e a n h y d r i d bei Zimmertemperatur bekannt. Die s t ä r k s t e n S ä u r e n , von denen sich s t a b i l e A m e i s e n s ä u r e d e r i v a t e ableiten, sind vielmehr die F l u o r w a s s e r s t o f f s ä u r e und die E s s i g s ä u r e . Besonders das gemischte Ameisensäure-essigsäureanhydrid hat eine gewisse praktische Bedeutung erlangt, da es aus A m e i s e n s ä u r e und E s s i g s ä u r e a n h y d r i d leicht zugänglich ist, und bei Acylierungsreaktionen im allgemeinen den F o r m y l r e s t auf andere Moleküle überträgt, also an Stelle des symmetrischen Ameisensäureanhydrids als F o r m y l i e r u n g s m i t t e l verwandt werden kann: H—C

A

V: C - C H + H 3

->- H—CF X

^0'

+ CH 3 —CF X

OH

Erst die Ester verhalten sich annähernd wie normale Carbonsäurederivate und zeigen nicht nur k e i n e r l e i N e i g u n g zur K o h l e n o x y d a b s p a l t u n g mehr, sondern können umgekehrt sogar durch Anlagerung von A l k o h o l e n an K o h l e n o x y d dargestellt werden. Doch muß diese Reaktion durch b a s i s c h e K a t a l y s a t o r e n (insbesondere N a t r i u m a l k o h o l a t ) beschleunigt werden: 0 R—CT +

A

|C=01

- HO

O—R

,0 + R—0"

H - c / 0—R

Diese A m e i s e n s ä u r e e s t e r b i l d u n g steht zu der oben beschriebenen N a t r i u m f o r m i a t d a r s t e l l u n g in einem ä h n l i c h e n V e r h ä l t n i s wie die a l k a l i s c h e U m e s t e r u n g zur a l k a l i s c h e n E s t e r h y d r o l y s e (vgl. S. 329). Stets ist es die starke B a s i z i t ä t der H y d r o x y l - bzw. A l k o x y l i o n e n , die die Reaktion in Gang bringt, aber nur bei der E s t e r b i l d u n g wird jeweils das Alkoholat-ion r e g e n e r i e r t , so daß die Reaktion e c h t k a t a l y t i s c h verläuft, während bei der Verwendung von N a t r o n l a u g e in beiden Fällen das Hydroxylion durch die entstehende freie Säure n e u t r a l i s i e r t wird. Es b e t e i l i g t s i c h a l s o a n d e r R e a k t i o n , so daß G l e i c h g e w i c h t s v e r s c h i e b u n g e n eintreten und man mindestens m o l a r e M e n g e n des spaltenden Agens benötigt.

Die Ameisensäureester werden gegenüber den normalen Carbonsäureestern a u f f a l l e n d l e i c h t durch Säuren hydrolysiert. Sie finden praktische Anwendung zur Einführung von A l d e h y d g r u p p e n in andere Moleküle, die man sowohl durch Einwirkung von GRIGNARD Verbindungen (S. 235),

als auch auf dem Wege der

E s t e r k o n d e n s a t i o n (S. 236) vornehmen kann. Methylformiat H—CO—0—CH 3 ist als A n f a n g s g l i e d d e r E s t e r r e i h e von Interesse und dient zuweilen als L ö s u n g s m i t t e l . Seine Darstellung geschieht durch Absorption von K o h l e n o x y d in N a t r i u m m e t h y l a t l ö s u n g oberhalb 100°. Bei der C h l o r i e r u n g geht es unter Substitution sämtlicher H-Atome in den Kampfstoff P e r c h l o r a m e i s e n s ä u r e m e t h y l e s t e r ( P e r s t o f f , S. 387) über. Ortho-ameisensäure-methyl- und äthylester HC(OR) 3 sind die wichtigsten Orthocarbonsäureester überhaupt und werden in der üblichen Weise aus C h l o r o f o r m und N a t r i u m a l k o h o l a t oder durch A l k o h o l y s e des A m e i s e n s ä u r e n i t r i l s (d.h. der B l a u s ä u r e ) über die F o r m i m i d o ä t h e r als Zwischenprodukt gewonnen (Gleichungen formulieren!). Sie finden hauptsächlich präparative Anwendung als A c e t a l i s i e r u n g s m i t t e l (vgl. S. 278). Formamid stellt man aus A m e i s e n s ä u r e und A m m o n i a k bei h ö h e r e r T e m p e r a t u r oder neuerdings auch direkt durch Anlagerung von A m m o n i a k an K o h l e n o x y d dar. Doch reicht die Basizität des Ammoniaks noch nicht aus, um bei erträglichen Temperaturen s p o n t a n mit dem Kohlenoxyd in Reaktion zu treten. Man f ü h r t die Anlagerung daher in

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

362

M e t h y l a l k o h o l als Lösungsmittel und mit B a r i u m o x y d als K a t a l y s a t o r durch, d. h. es findet wahrscheinlich mit dem zunächst entstehenden Bariumalkoholat E s t e r b i l d u n g statt, und erst dieser Ester tritt dann s e k u n d ä r mit dem A m m o n i a k in Reaktion (Gleichung formulieren!). Formamid dient zuweilen als L ö s u n g s m i t t e l zur kryoskopischen Molekulargewichtsbestimmung schwer löslicher, hydrophiler Substanzen, wie z. B. h o c h m o l e k u l a r e r K o h l e n h y d r a t e , sowie neuerdings auch als R e a k t i o n s m e d i u m .

Das wichtigste Ameisensäurederivat ist ohne Zweifel die Blausäure, die an allgemeiner Bedeutung sogar die Ameisensäure selbst übertrifft. Sie gehört dem Grenzgebiet zwischen o r g a n i s c h e r und a n o r g a n i s c h e r C h e m i e an und zeigt dementsprechend sowohl typisch a n o r g a n i s c h e Eigenschaften (z. B. die Mehrzahl der D a r s t e l l u n g s v e r f a h r e n , sämtliche I o n e n r e a k t i o n e n einschließlich der Neigung der Ionen zur K o m p l e x b i l d u n g , das charakteristische Verhalten der C=N-Gruppe als P s e u d o h a l o g e n u s w . ) als auch rein o r g a n i s c h e U m s e t z u n g e n , wie z. B. die Überführbarkeit in andere A m e i s e n s ä u r e d e r i v a t e , den Einbau in H e t e r o c y c l e n (I, Kap. 11,111, l d ) usw. An dieser Stelle wollen wir uns im wesentlichen auf ihre Beschreibung als o r g a n i s c h e V e r b i n d u n g beschränken. Die Blausäure tritt trotz ihrer Giftigkeit in einigen Pflanzen als sekundäres Spaltprodukt der B l a u s ä u r e g l y k o s i d e (III, Kap. 4, III, 5) in f r e i e m Z u s t a n d auf. Am bekanntesten ist ihr Vorkommen in den b i t t e r e n M a n d e l n , sowie in den Samen von Pangium edule in denen sie bis zu 0,1 bzw. 0,36% enthalten ist. Ferner gehört sie zu den wenigen organischen Verbindungen, die in S t e r n a t m o s p h ä r e n nachgewiesen wurden. Ihre Gewinnung erfolgt im allgemeinen nach „ a n o r g a n i s c h e n M e t h o d e n " , z. B. durch Einwirkung von S c h w e f e l s ä u r e auf B l u t l a u g e n s a l z , das seinerseits in undurchsichtiger Reaktion beim Verglühen stickstoffhaltiger organischer Substanzen (z. B. von B l u t ) mit E i s e n und P o t t a s c h e entsteht, oder neuerdings auch Natriumcyanid. Ebenso ist ihre wichtigste Darstellungsweise — durch Synthese des N a t r i u m c y a n i d s aus A m m o n i a k , N a t r i u m m e t a l l und K o h l e bei 800° über N a t r i u m a m i d und N a t r i u m c y a n a m i d (S. 396) als Zwischenprodukte — im wesentlichen a n o r g a n i s c h e r N a t u r : 2Na + 2 N H 3

~h,>

2NaNH Ä + C ~ 2 H * >

NaN=C=NNa

+ C

>

2 NaC=N

Für den O r g a n i k e r interessanter ist bereits ihre Bildungstendenz bei h o h e r T e m p e r a t u r . So tritt Blausäure stets bei der Stsinkohlengisgewinnung als thermisches Zersetzungsprodukt der s t i c k s t o f f h a l t i g e n Bestandteile der n a t ü r l i c h e n K o h l e auf (vgl. III, Kap. 1, I, 2) und wird auch technisch auf diesem Wege als N e b e n p r o d u k t d e r G a s f a b r i k a t i o n gewonnen. Ferner kann sie bei sehr hohen Temperaturen a u s d e n E l e m e n t e n s y n t h e t i s i e r t werden, wenn man einen Kohlelichtbogen in einer s t i c k s t o f f - und w a s s e r s t o f f h a l t i g e n A t m o s p h ä r e brennen läßt.

Eine typisch o r g a n i s c h e B i l d u n g s r e a k t i o n ist die W a s s e r a b s p a l t u n g aus F o r m a m i d , die man mit der F o r m a m i d b i l d u n g selbst verknüpfen kann, indem man z. B. K o h l e n o x y d und A m m o n i a k bei Temperaturen oberhalb 400° über D e h y d r a t i s i e r u n g s k a t a l y s a t o r e n leitet: IC=Ot + NH,'3

Eine weitere r e i n o r g a n i s c h e Darstellungsweise, die auch praktische Bedeutung erlangt hat, beruht auf der thermischen Zersetzung von T r i m e t h y l a m i n , das aus dem B e t a i n (I, Kap.6,1, 4 d a ) der M e l a s s e s c h l e m p e leicht zugänglich

Die Blausäure

363

ist und beim Leiten der Dämpfe durch S c h a m o t t e r e t o r t e n bei 800—1000° in auffallend glatter Reaktion in B l a u s ä u r e und zwei Moleküle M e t h a n zerfällt: ^

- nn

H—c—N;

—•

H—C=N + 2 CH,•4

H Die Blausäure ist eine bei 26° siedende, s t a r k e n d o t h e r m e Substanz (Bildungswärme = -f- 31 kcal/mol) und zeigt dementsprechend in Analogie zum A c e t y l e n die erwähnte Bildungstendenz bei h o h e n und h ö c h s t e n T e m p e r a t u r e n . Bei normaler Temperatur erleidet sie dagegen ziemlich leicht Z e r s e t z u n g und ist nur in ganz r e i n e m Z u s t a n d längere Zeit haltbar. Flüssige Blausäure kann jedoch durch Zusatz von A r s e n t r i c h l o r i d oder anderen flüssigen H a l b m e t a l l c h l o r i d e n stabilisiert werden. Hinsichtlich ihrer chemischen Umsetzungen verhält sie sich von allen Ameisensäurederivaten entschieden am s e l b s t ä n d i g s t e n und zeigt die folgenden d r e i G r u p p e n v o n R e a k t i o n e n , die sie jedesmal zu einer anderen e i n f a c h e n V e r b i n d u n g in nahe Beziehung bringen: 1. ihre Reaktionen als A m e i s e n s ä u r e d e r i v a t , 2. ihre Reaktionen als C y a n w a s s e r s t o f f s ä u r e und 3. die von der Blausäure aus möglichen s y n t h e t i s c h e n R e a k t i o n e n , die sie zum großen Teil mit dem A c e t y l e n gemeinsam hat (vgl. S. Höf.). Zu 1. Die wichtigsten von der Blausäure aus zugänglichen A m e i s e n s ä u r e d e r i v a t e sind die im Rahmen normaler Nitrilreaktionen entstehenden I m i d o ä t h e r , O r t h o e s t e r und A m i d i n - D e r i v a t e , die auch praktisch auf diesem Wege gewonnen werden (Gleichungen formulieren!). Schwieriger ist dagegen die H y d r o l y s e zur A m e i s e n s ä u r e selbst durchzuführen, da die sonst für die N i t r i l v e r s e i f u n g gebräuchlichen Reagentien N e b e n r e a k t i o n e n eingehen. So reagiert z . B . k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e gleich weiter zum K o h l e n o x y d , und mit A l k a l i e n entsteht das weitgehend hydrolysenbeständige C y a n - i o n , das sich kaum mehr wie ein A m e i s e n s ä u r e d e r i v a t verhält (s. unten). Am glattesten gelingt die Blausäureverseifung mit k o n z e n t r i e r t e r S a l z s ä u r e , doch tritt auch bereits bei l ä n g e r e m S t e h e n der w ä ß r i g e n L ö s u n g unter gleichzeitiger Abscheidung von braunen Verharzungsprodukten eine teilweise Ameisensäurebildung ein.

Zu 2. Obwohl sich die Blausäure auf Grund dieser Reaktionen eindeutig als A m e i s e n s ä u r e d e r i v a t erweist, wird sie durch diese Zuordnung ebensowenig erschöpfend charakterisiert, wie etwa die K e t e n e durch ihre Zuordnung zur O x o r e i h e (S. 292). Das w i c h t i g s t e C h a r a k t e r i s t i k u m d e r B l a u s ä u r e , das der ganzen Verbindung ihren eigenartigen selbständigen Stempel aufdrückt, ist vielmehr in ihren nahen Beziehungen zum Cyan-ion zu sehen, d. h. in ihrer S ä u r e n a t u r und in den R e a k t i o n e n i h r e r Salze. Das C y a n i o n hat nämlich eine, von der Ameisensäure völlig a b w e i c h e n d e , mit dem K o h l e n o x y d und dem S t i c k s t o f f m o l e k ü l i d e n t i s c h e E l e k t r o n e n a n o r d n u n g (vgl. auch I, Kap. 10,1, 1), d . h . es ist mit, diesen Gasen i s o s t e r 1 ) und unterscheidet sich von ihnen, ähnlich wie i s o t o p e A t o m e , nur im Gew i c h t und der L a d u n g j e e i n e s A t o m k e r n e s :

1

© © IC=OI

0 IC=NI

IN=NI

Kohlenoxyd

Cyan-ion

Stickstoff

) Bezüglich der Definition des Begriffes Isosterie vgl. anorg. Lehrbücher.

364

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

Das Cyanion lehnt sich infolgedessen, vom A g g r e g a t z u s t a n d abgesehen, in seinem Verhalten e n g a n d i e s e b e i d e n V e r b i n d u n g e n a n und zeichnet sich vor allem durch eine ähnlich große B i l d u n g s t e n d e n z und S t a b i l i t ä t aus, die zu den folgenden Reaktionen der B l a u s ä u r e Anlaß gibt. a) Die Säurenatur. Die Bildungstendenz des Cyanions bewirkt eine leichte Abspaltbarkeit des Wasserstoffs als P r o t o n . Infolgedessen ist der B l a u s ä u r e w a s s e r s t o f f trotz seiner Bindung an Kohlenstoff und im Gegensatz zu dem C—H-Wasserstoff aller anderen Ameisensäurederivate ziemlich stark s a u e r , so daß die Blausäure sogar gegenüber W a s s e r als eine, allerdings s e h r s c h w a c h e S ä u r e auftritt. Die D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e entspricht mit einem p K -Wert von 9,32 etwa der der P h e n o l e , d . h . die Salze der Blausäure werden durch Wasser t e i l w e i s e h y d r o l y s i e r t und bereits durch K o h l e n s ä u r e wieder zerlegt. b) Die Nitril-Isonitril-Tautomerie. Das Cyanion enthält nicht nur am K o h l e n s t o f f , sondern auch am S t i c k s t o f f ein u n g e b u n d e n e s E l e k t r o n e n p a a r , das e b e n f a l l s zur Aufnahme des Protons im Rahmen des Dissoziationsgleichgewichtes befähigt ist. Die normale Nitrilform der Blausäure ist daher über das b e i d e n F o r m e n g e m e i n s a m e C y a n i o n mit einer Isonitrilform (bezüglich: Isonitrile vgl. I, Kap. 10,1, 3) t a u t o m e r : H—C=N| ^ Nitrilform

©= N | J-,H+ + rU C dissoziierte Form (der Blausäure)

© © IC=N—H Isonitrilform

Die Bestimmung der Lage des Tautomerie-Gleichgewichts bereitete früher große Schwierigkeiten. Doch konnte auf Grund des R A M A N s p e k t r u m s sowie der m a n g e l n d e n B e f ä h i g u n g der Blausäure zur Bildung von den Isonitrilkomplexen analogen K o m p l e x v e r b i n d u n g e n das nahezu ausschließliche Vorliegen der N i t r i l f o r m sehr wahrscheinlich gemacht werden.

c) I n den Salzen der Blausäure sind infolge der S t a b i l i t ä t d e s C y a n - i o n s sämtliche normalen Reaktionen der N i t r i l g r u p p e unterdrückt, da diese, ähnlich wie die Anlagerungsreaktionen des B e n z o l s , erst n a c h A u f h e b u n g d e s b e s o n d e r s e n e r g i e a r m e n B i n d u n g s z u s t a n d e s stattfinden können. Die cyanwasserstoffsauren Salze besitzen daher n i c h t m e h r d e n C h a r a k t e r v o n A m e i s e n s ä u r e d e r i v a t e n , und man kann z. B. das Cyan-ion erst durch längeres Kochen mit konzentrierten Alkalien h y d r o l y t i s c h a u f s p a l t e n . Dagegen zeigt es ein dem K o h l e n o x y d ähnliches Verhalten. Insbesondere geben alle S c h w e r m e t a l l e , die zur M e t a l l c a r b o n y l b i l d u n g oder anderweitig zur k o m p l e x e n B i n d u n g v o n K o h l e n o x y d befähigt sind, mit dem Cyan-ion ebenfalls sehr s t a b i l e D u r c h d r i n g u n g s k o m p l e x e , wie im einzelnen aus anorganischen Lehrbüchern zu ersehen ist. Zu 3. Blausäure kann einerseits durch S u b s t i t u t i o n d e s H - A t o m s (meistens über die A l k a l i m e t a l l c y a n i d e ) , andererseits durch A n l a g e r u n g s r e a k t i o n e n — und zwar sowohl als A d d e n d vom Typus H — X an andere ungesättigte Systeme als auch als a n l a g e r n d e K o m p o n e n t e auf Grund der in ihr enthaltenen C = N Dreifachbindung — eine Reihe von synthetischen Reaktionen eingehen, die sie neben dem A c e t y l e n (vgl. Tafel I, S. 115) und K o h l e n o x y d (vgl. Tafel I I , I, Kap. 10,1, 2) zu einem dritten großen E i n f a l l s t o r i n d i e a l i p h a t i s c h e C h e m i e machen. Die wichtigsten der im einzelnen an anderer Stelle beschriebenen Reaktionen sind in dem folgenden Formelbild zusammengestellt.

Die Essigsäure R—C=N




w

+ R—Hai — NaHal

Ar—C=N


CH,=CH-

,OH

K , OH

^-v

CH 2 =CH—üf OH Acrylsäure

Zu 3. Die wichtigste synthetische Methode ist die schon mehrfach erwähnte PERKiirsche Z i m t s ä u r e s y n t h e s e , die auf der Kondensation der Carbonylgruppe eines t e r t i ä r e n Aldehyds mit der aktiven Methylengruppe des A c e t a n h y d r i d s beruht und in letzterem als wasserbindendem R e a k t i o n s m e d i u m unter Überspringung der Aldolstufe (analog der Crotonaldehydkondensation, S. 247) in einem R e a k t i o n s g a n g zur ungesättigten Säure führt: , 0 Ox O

i

XT

-CH=CH—cf /C—CH3 \ xox / i

V-CH,

A..

J*

+ NaOAc

>—CH=CH—cf

+ ONa

jH»—Cv \

0

/

/C—OH,

Als K o n d e n s a t i o n s m i t t e l dient meistensNatriumacetat, das in dem angegebenen Sinn durch Spaltung des primär entstehenden gemischten S ä u r e a n h y d r i d s (i) in die Reaktion eingreift. Weiterhin eignen sich als zusätzliche Katalysatoren Pyridin und andere t e r t i ä r e B a s e n , die häufig auch bereits ohne N a t r i u m a c e t a t (hier allerdings nur bis zur Stufe des gemischten Säureanhydrides) die Kondensation bewirken. Der Aldehyd muß stets t e r t i ä r sein, damit die an sich leichter eintretende A l d o l k o n d e n s a t i o n zwischen zwei Aldehydmolekülen ausgeschlossen wird. Die Methode ist daher praktisch auf die Verwendung a r o m a t i s c h e r Aldehyde beschränkt.

Zur Vermeidung dieser Schwierigkeiten geht Knoevenagl in einem zweiten Verfahren vom Malonester oder auch der freien Malonsäure aus, deren aktive Methylengruppe die der Aldehyde an R e a k t i o n s f ä h i g k e i t ü b e r t r i f f t , so daß die Reaktion auch bei Verwendung der primären und sekundären aliphatischen Aldehyde in der gewünschten Richtung verläuft. Die Reaktion stellt einen Spezialfall der C r o t o n a l d e h y d k o n d e n s a t i o n (S. 247) dar, und man verwendet daher ebenfalls Piperidin als Kondensationsmittel oder arbeitet in Pyridin als Reaktionsmedium: R—CH,—CH:=0+ H. Verseifung

COOR' COOR' .COOH COOH

,COOR' (Piperidin)

" R—CH2—CH=C

COOR'

~ 0 0 ' y R—CH2—CH=CH—COOH

Die nachträglich D e c a r b o x y l i e r u n g der zunächst entstehenden 1,3-Dicarbonsäure bereitet keine Schwierigkeiten (vgl. S. 460) bzw. erfolgt bei Verwendung der freien Malonsäure meistens bereits mit der Kondensation in einem Reaktionsgang.

Die Acrylsäure

371

In ihrem physikalischen Verhalten sind die ungesättigten Carbonsäuren den gesättigten Verbindungen sehr ähnlich. Eine Ausnahme machen nur die S c h m e l z p u n k t e der cisSäuren, die, wie die der cis-Olefine (S.89), wesentlich t i e f e r liegen (auch bei den Derivaten) als die der sich annähernd normal verhaltenden t r a n s - V e r b i n d u n g e n . Die e l e k t r o l y t i s c h e D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e wird durch den p o s i t i v i e r e n d e n E i n f l u ß (II, Kap.3, I, 3) der D o p p e l b i n d u n g auf etwa den 2—4fachen W e r t der der gleich konstituierten g e s ä t t i g t e n Säure erhöht, und zwar eigenartigerweise bei den c i s - V e r b i n d u n g e n wesentlich s t ä r k e r als bei den t r a n s - V e r b i n d u n g e n , wie im einzelnen aus Tabelle 22 zu entnehmen ist: Tabelle 22 Die

D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e n (D) und die p k - W e r t e e i n i g e r a r o m a t i s c h e r und H a l o g e n - c a r b o n s ä u r e n D - 106

D - 106

PK

Propionsäure (z. Vergl.)

1,32

4,88

Buttersäure (z. Vergi.)

Acrylsäure trans-Crotonsäure cis-Crotonsäure

5,6 2,0 4,2

4,25 4,70 4,38

6,5 12,2 5,3 4,3 3,8 590 140 3300 20000

4,19 3,91 4,28 4,37 4,42 2,23

a-Chlorpropionsäure jß-Chlorpropionsäure y-Chlorbuttersäure «5-Chlorvaleriansäure

Benzoesäure o-Toluylsäure m-Toluylsäure p-Toluylsäure Zimtsäure Phenyl-propiolsäure Chloressigsäure Dichloressigsäure Trichloressigsäure

2,85 1,40 0,70

ungesättigter,

1,54

Pk 4,85 2,83 3,98 4,52 4,70

Benzoesäure (z. Vergl.)

150 10 3,0 2,0 6,5

o-Chlorbenzoesäure m-Chlorbenzoesäure p-Chlorbenzoesäure o-Brombenzoesäure m-Brombenzoesäure o- Jodbenzoesäure m-Jodbenzoesäure

120 15 10 150 14 140 16

2,92 3,83 4,00 2,83 3,84 2,84 3,80

4,19

Die chemische Reaktionsfähigkeit der ungesättigten Carbonsäuren hängt v o n dem g e g e n s e i t i g e n A b s t a n d der charakteristischen Punktionen ab. A m interS ä u r e n , in denen in Analogie zu den essantesten sind die tx,^-ungesättigten « , / ? - u n g e s ä t t i g t e n O x o v e r b i n d u n g e n (S. 255, 269) die A k t i v i t ä t der C = C Doppelbindung durch die K o n j u g a t i o n m i t d e r C a r b o n y l g r u p p e wesentlich g e s t e i g e r t wird, so daß sie durch n a s c i e r e n d e n W a s s e r s t o f f zu den gesättigten Carbonsäuren reduziert werden können und, falls die Doppelbindung e n d s t ä n d i g ist, eine starke P o l y m e r i s a t i o n s n e i g u n g aufweisen. Ferner lagern tx, /^-ungesättigte Carbonsäuren p o l a r e W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n an die olefinische Doppelbindung an. Hierbei gilt wieder die a l l g e m e i n e R e g e l , daß der n e g a t i v e A d d e n d stets an das /^-ständige C - A t o m tritt, sich also m ö g l i c h s t w e i t e n t f e r n t von der Carboxylgruppe anordnet, was auf eine primäre 1,4-Addition und nachträgliche U m l a g e r u n g der zunächst entstehenden e n o l a r t i g e n V e r b i n d u n g e n hindeutet:

R—CH=CH—CT

+ H—X OH

v

->

OH I I R—CH—CH=C( \ OH

R—CH—CH 2 —Cf O—H

24*

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

372

Die wichtigsten dieser Anlagerungsreaktionen sind die Addition von H a l o g e n w a s s e r s t o f f e n zu den / ? - H a I o g e n c a r b o n s ä u r e n (S. 381), die Addition von W a s s e r zu den / i - O x y c a r b o n s ä u r e n ( S . 476 f.) und die auch hier nur in Ausnahmefällen mögliche Addition von A m m o n i a k zu den ß-Aminocarbonsäuren (I, Kap.6, I, 4d,0).

Eine interessante n e u a r t i g e R e a k t i o n beobachtet man beim Schmelzen der A l k a l i s a l z e d e r « , / 3 - u n g e s ä t t i g t e n S ä u r e n mit überschüssigem A l k a l i h y d r o x y d a n d e r Luft. Hierbei findet — wahrscheinlich auf dem Umweg über eine Anlagerung des Natriumhydroxyds an die olefinische Doppelbindung, Oxydation des entstehenden Alkoholats der / S - O x y c a r b o n s ä u r e zur / 3 - K e t o c a r b o n s ä u r e und deren „ S ä u r e s p a l t u n g " (S. 497) — eine o x y d i e r e n d e H y d r o l y s e d e r C = C - D o p p e l b i n d u n g unter Bildung von E s s i g s ä u r e und der u m zwei C-Atome ärmeren g e s ä t t i g t e n C a r b o n s ä u r e s t a t t : ONa R—CH=CH—COONa + NaOH



R—CH—CH2—COONa

0 + 1/l

°' v

R—C —CH2—COONa

- NaOH

+ Xa0 S

>

R—COONa + CH3—COONa

Steht die C=C-Doppelbindung in ß, y - S t e l l u n g , so verhält sie sich als i s o l i e r t e D o p p e l b i n d u n g allen Anlagerungsreaktionen gegenüber n o r m a l . Dagegen zeigt sie eine starke Neigung zur W a n d e r u n g i n d i e oc, ß-Stellung, die vor allem bei der Einwirkung von A l k a l i e n sehr leicht eintritt und nach L I N S T E A D zu einem stark zugunsten der oc, ^-ungesättigten Säure verschobenen Gleichgewicht führt. Die Reaktion stellt einen Spezialfall der D r e i k o h l e n s t o f f t a u t o m e r i e dar (näheres vgl. II, K a p . 5, I I , 4). Erst wenn die Doppelbindung noch weiter von der Carboxylgruppe entfernt ist, werden die ungesättigten Carbonsäuren s t a b i l e r , ohne daß jedoch die Neigung zur Wanderung der Doppelbindung in die Konjugationsstellung zur Carboxylgruppe (insbesondere unter den Bedingungen der A l k a l i s c h m e l z e , bei der nahezu alle ungesättigten Carbonsäuren die beschriebene Essigsäureabspaltung erleiden) völlig verschwindet. Diese T e n d e n z zur W a n d e r u n g der D o p p e l b i n d u n g hat sich als sehr erschwerend für die K o n s t i t u t i o n s b e s t i m m u n g der ungesättigten Säuren erwiesen, da sie bei den meisten Spaltungsreaktionen (z. B. bei der erwähnten Alkalischmelze an der Luft) als N e b e n r e a k t i o n beobachtet wird und dadurch die Ermittlung der Lage der D o p p e l b i n d u n g aus den Spaltprodukten unmöglich macht. Lediglich die O z o n m e t h o d e liefert im allgemeinen, aber auch nicht immer, e i n d e u t i g e R e s u l t a t e .

Einzelverbindungen. Acrylsäure ( Ä t h y l e n c a r b o n s ä u r e , Propensäure) CH 2 =CH—COOH, die einfachste ungesättigte Carbonsäure, ist ein technisches Großprodukt und wird mit Hilfe der KoLBEschen Nitrilsynthese aus Ä t h y l e n über das Ä t h y l e n c h l o r h y d r i n (S. 190), sowie neuerdings auch mit Hilfe der C a r b o n y l i e r u n g s r e a k t i o n direkt aus A c e t y l e n , K o h l e n o x y d und W a s s e r (S. 111) gewonnen: CH22 j|

CH2

,

C1 |

OH

y

CH»—C1 2 |

, ,r

nw

+ NaCT >

CH2—OH -

NaC1

CH22—CN ^ „ , |

CH,—OH

Hydrolyse ^ Dehydrai

'

CH—COOH „

CH2

< Ni(CO),

C

q

, j j q 2

,

CH ,

CH

Präparativ zieht man meistens die Oxydation von A l l y l a l k o h o l vor, dessen C=CDoppelbindung jedoch durch intermediäre Anlagerung und Wiederabspaltung von B r o m geschützt werden m u ß :

Einzelne ungesättigte Carbonsäuren CH2

CH2—Br Br

CH |

' •

CH2—Br 0xydation

CH-Br |

CH2OH

373

>

CH-Br j

CH2—OH

CH2 X

+ " v

—ZaBr a

CH

COOH

|

COOH

Acrylsäure ist eine stechend riechende, m i t Wasser m i s c h b a r e , sehr u n b e s t ä n d i g e Flüssigkeit, die, ähnlich wie A c r o l e i n , n u r d u r c h Verwendung v o n I n h i b i t o r e n (S. 255) vor der Polymerisation geschützt werden k a n n . Sie f i n d e t Verwendung in der K u n s t s t o f f i n d u s t r i e sowie zur Darstellung ihrer D e r i v a t e . Die Acrylsäureester können mit Hilfe der C a r b o n y l i e r u n g s r e a k t i o n ohne den Umweg über die freie Säure direkt aus A c e t y l e n , K o h l e n o x y d und den betreffenden A l k o h o l e n gewonnen werden (vgl. S. 111). Sie p o l y m e r i s i e r e n ähnlich leicht wie die Acrylsäure selbst und finden daher ebenfalls in der K u n s t s t o f f i n d u s t r i e Anwendung. Insbesondere der polymere A c r y l s ä u r e m e t h y l e s t e r spielte eine Zeitlang als Vorläufer des P l e x i g l a s e s (s. unten) eine gewisse Rolle. Acrylsäurenitril entsteht aus dem bei der ersten der angeführten Acrylsäuresynthesen als Zwischenprodukt auftretenden / 3 - O x y p r o p i o n s ä u r e n i t r i l durch Wasserabspaltung (bei der Destillation), wird aber neuerdings noch einfacher durch direkte Synthese aus B l a u s ä u r e und A c e t y l e n (S. 112) gewonnen. Es dient vor allem als Ausgangsmaterial zur Herstellung der O r i o n f a s e r und zur M i s c h p o l y m e r i s a t i o n m i t B u t a d i e n (als Bestandteil verschiedener B u n a s o r t e n ) . Von der n - B u t t e r s ä u r e leiten sich die folgenden d r e i u n g e s ä t t i g t e n Carbonsäuren ab: °

H 3

\:H=ch

/CH=CH^ CH 3 COOH

CH 2 =CH—CH 2 —COOH

COOH normale oder trans-Crotonsäure

Iso- oder cis-Crotonsäure

Vinylessigsäure

x

Von ihnen h a t n u r die meistens als Crotonsäure schlechthin bezeichnete t r a n s - C r o t o n s ä u r e praktische B e d e u t u n g erlangt, d a sich sowohl die V i n y l e s s i g s ä u r e infolge ihrer ß, y-ständigen Doppelbindung als a u c h die als cis-Verbindung l a b i l e r e I s o c r o t o n s ä u r e sehr leicht in sie u m l a g e r n (letztere z. B . bereits beim E r h i t z e n auf 100°). Die Crotonsäure h a t ihren N a m e n auf G r u n d ihres Vorkommens im C r o t o n ö l erhalten, wird aber p r a k t i s c h meistens s y n t h e t i s c h , z. B. aus A c e t a l d e h y d über den C r o t o n a l d e h y d dargestellt (Gleichung formulieren!). Methacrylsäure ist eine der Crotonsäure isomere, sich von der I s o b u t t e r s ä u r e ableitende ungesättigte Carbonsäure, die vom A c e t o n ausgehend durch C y a n h y d r i n s y n t h e s e gewonnen wird: CH3X

V — n

/

CH/

+

H C

=

N

.

*

CH3X /

CH/

,C=N C

\

OH

H„SO.

R—OH

CH

o

v

/

CH 2 ^

J

\

x

O—R

Methacrylsäureester

verseifen

CH 3X v

*

\

p

CH2-^

r n n



.C—COOH

Methacrylsäure

Sie besitzt eine e n d s t ä n d i g e olefinische Doppelbindung und vermag daher (ebenso wie ihre Derivate) zu hochmolekularen Verbindungen zu p o l y m e r i s i e r e n . Von besonderer Bedeutung ist der Methacrylsäuremethylester, dessen Polymerisationsprodukt unter dem Namen P l e x i g l a s bekannt geworden ist. Ein Gemisch verschiedener Ester tritt im ö l der r ö m i s c h e n K a m i l l e natürlich auf. Angelika- u n d Tiglinsäure CH 3 —CH=C(CH 3 )-—COOH leiten sich v o n d e r M e t h y l ä t h y l e s s i g s ä u r e a b u n d stehen im Verhältnis der C i s - t r a n s - i s o m e r i e zueinander. E r s t e r e h a t ihren N a m e n auf G r u n d des A u f t r e t e n s ihrer E s t e r in

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

374

einigen ä t h e r i s c h e n Ö l e n ( A n g e l i k a ö l , r ö m i s c h e s K a m i l l e n ö l usw.) erhalten. Die wichtigste der höheren ungesättigten Carbonsäuren ist die sich von der S t e a r i n s ä u r e ableitende Ölsäure, die die h ä u f i g s t e F e t t s ä u r e überhaupt darstellt und sich, wie der Name sagt, besonders in den f e t t e n Ö l e n anreichert, in denen sie bis zu 85% d e s G e s a m t f e t t s ä u r e g e h a l t e s ausmacht. Die Doppelbindung befindet sich genau i n d e r M i t t e d e r K e t t e zwischen C9 und C10, wie u. a. die auf S. 368 angeführte O z o n s p a l t u n g beweist, und zeigt c i s - K o n f i g u r a t i o n . Letzteres geht insbesondere aus dem t i e f e n S c h m e l z p u n k t der Säure selbst (14°) und auch ihrer G l y c e r i d e (daher sind die Öle bei normaler Temperatur f l ü s s i g ) hervor, sowie aus der in Gegenwart von n i t r o s e n G a s e n oder s a l p e t r i g e r S ä u r e freiwillig erfolgenden Umlagerung in die s t a b i l e r e , aber n i c h t n a t ü r l i c h v o r k o m m e n d e Elaidinsäure, die als t r a n s - V e r b i n d u n g ähnlich hoch schmilzt (51°) wie die S t e a r i n s ä u r e (69°) und zu etwa 70% im Gleichgewichtsgemisch vorhanden ist: CH3—(CH2),X

/(CH2),—COOH

\CH=CH/

Ölsäure ( 3 0 % )

.

HN0

CH3—(CH2)7,

\CH=CHX

\CH2),—COOH

Elaidinsäure ( 7 0 % )

Auch die sich von der E l a i d i n s ä u r e ableitenden s y n t h e t i s c h e n F e t t e sind im Gegensatz zu den Glyceriden der Ölsäure f e s t . Von den R e a k t i o n e n d e r Ö l s ä u r e hat vor allem die leichte H y d r i e r b a r k e i t d e r o l e f i n i s c h e n D o p p e l b i n d u n g praktische Bedeutung erlangt, da sie die Grundlage der F e t t h ä r t u n g (III, Kap. 6,1, 1) darstellt. Bei der A l k a l i s c h m e l z e wandert die Doppelbindung durch die ganze Kette in die ^ - S t e l l u n g und es findet die angeführte E s s i g s ä u r e a b s p a l t u n g unter Bildung von P a l m i t i n s ä u r e statt (Gleichung formulieren!). I m übrigen verhält sich die Doppelbindung normal und läßt sich über das B r o m a d d u k t in die C=C—Dreifachbindung der S t e a r o l s ä u r e überführen (vgl. S. 376). Auch von der P a l m i t i n s ä u r e leitet sich eine n a t ü r l i c h e u n g e s ä t t i g t e F e t t s ä u r e ab, die Palmitölsäure (C'i6) genannt wird. In ihr befindet sich die Doppelbindung in der gleichen Entfernung von der Carboxylgruppe wie in der eigentlichen Ölsäure, also wieder zwischen C9 und C10, von der Carboxylgruppe aus gerechnet. Auch die Palmitölsäure besitzt e i s - K o n f i g u r a t i o n und schmilzt daher wie die Ölsäure sehr niedrig bzw. bildet bei Zimmertsmperatur flüssige Glyceride. Sie kommt in den fetten Ölen von S e e t i e r e n vor und wird daher zuweilen auch Zoomarinsäure genannt. Als Beispiele für einige ungesättigte Carbonsäuren mit mehr als 18 C - A t o m e n seien die Erucasäure (C22), die zu der nicht natürlichen Brassidinsäure im gleichen Verhältnis steht wie die Öl- zur E l a i d i n s ä u r e , sowie die um noch zwei C-Atome reichere, ebenfalls in einer eis- und einer trans -Form auftretendeNervonsäure (C24) genannt, die erstmals aus Gehirns u b s t a n z isoliert wurde und daher ihren Namen erhalten hat. In allen vier Verbindungen steht die Doppelbindung in g l e i c h e m A b s t a n d vom P a r a f f i n e n d e der Kette wie in der Ölsäure, also im Gegensatz zur Zoomarinsäure und Ölsäure weiter von der C a r b o x y l gruppe entfernt.

Neben den Verbindungen mit e i n e r D o p p e l b i n d u n g haben auch die mehrfach ungesättigten Carlbonsäuren ein vielseitiges Interesse gefunden, da sie einerseits z. T. ebenfalls als n a t ü r l i c h e F e t t s ä u r e n auftreten, andererseits vielfach s y n t h e t i s c h dargestellt werden können. So h a t z. B. R. K U H N (1930) alle auf S. 254 angeführten u n g e s ä t t i g t e n A l d e h y d e mit Hilfe der M a l o n e s t e r m e t h o d e (S. 370) in die um zwei C-Atome und eine Doppelbindung reicheren p o l y - u n g e s ä t t i g t e n C a r b o n s ä u r e n mit einer f o r t l a u f e n d e n K e t t e k o n j u -

Einzelne ungesättigte Carbons&uren

375

g i e r t e r D o p p e l b i n d u n g e n übergeführt. Als h ö c h s t e S ä u r e dieser Reihe wurde hierbei aus dem H e x a d e c a - h e p t a - e n a l über die Heptadeca-octaen-dicarbonsäure, sowie deren H y d r i e r u n g und partielle D e c a r b o x y l i e r u n g , die S t e a r i n s ä u r e gewonnen (1937), die auf diese Weise e r s t m a l s s y n t h e t i s c h dargestellt werden konnte: /COOR yCOOR CH3—(CH=CH)7—CH:=O + H 2 ( / ~ H ' ° > CH 3 —;CH=CH) 7 —CH=C(' COOR V

COOK

6

-CO " > CHj—(OH=CH)8—COOH

+8H

°>

CHS— (CH2)16—COOH Stearinsäure

Die in den f e t t e n Ö l e n natürlich auftretenden m e h r f a c h u n g e s ä t t i g t e n Carbonsäuren leiten sich hauptsächlich von der Ö l s ä u r e durch Einführung weiterer Doppelbindungen zwischen die ursprüngliche Doppelbindung und das Paraffinende des Moleküls ab. Am bekanntesten sind: die Linolsäure CH3-CH2-CH2-CH2-CH2-CH=CH-CH2-CH=CH-(CH2)7-COOH die Linolensäure CH3-CH2-CH=CH-CH2-CH=CH-CH2-CH=CH-(CH2)7-COOH und die Eläostearinsäure CH3-CH2-CH2-CH2-CH=CH-CH=CH-CH=CH-(CH2)7-COOH, von denen die ersten beiden im L e i n ö l (Name), die dritte im j a p a n i s c h e n H o l z ö l in Form ihrer G l y c e r i d e enthalten sind. Auf ihre Bedeutung für die charakteristischen Eigenschaften der t r o c k n e n d e n öle werden wir später noch zu sprechen kommen (III, Kap. 6, I, 1). Acetylencarbonsäuren. Carbonsäuren mit einer d r e i f a c h e n C = C - B i n d u n g i m Molekül treten gegenüber den O l e f i n c a r b o n s ä u r e n a n Bedeutung zurück. Sie werden allgemein durch die Endung -Ölsäuren gekennzeichnet und entweder durch E i n f ü h r u n g d e r C a r b o x y l g r u p p e in das bereits die dreifache Bindung enthaltende Molekül, z. B. durch Einwirkung von K o h l e n d i o x y d o d e r C h l o r a m e i s e n s ä u r e e s t e r auf N a t r i u m a c e t y l e n i d e : xO + 0=0=0

>

R C

=

C

_

C

^

\)Na

RC=GNa: +

C 1

//° "C\

—NaCl

o

Ansäuern

R C = C — c / OH,

xO

O—R

oder durch Einführung der d r e i f a c h e n B i n d u n g in Carbonsäuren, z. B. durch B r o m a d d i t i o n an O l e f i n c a r b o n s ä u r e n und anschließende z w e i m a l i g e B r o m w a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g (Gleichung formulieren!), dargestellt. Die Acetylencarbonsäuren "sind stärker sauer als die Olefincarbonsäuren und zeigen im allgemeinen die Reaktionen der A c e t y l e n - und C a r b o x y l g r u p p e nebeneinander. Als einzige n e u a r t i g e U m s e t z u n g beobachtet man bei den / OR

\ - C f

+2NaCl OR

Die aromatischen Carbonsäuren sind durchwegs gut kristallisierende, in Wasser nur noch s c h w e r l ö s l i c h e Verbindungen, deren A c i d i t ä t infolge des Einflusses des positivierenden Arylrestes gegenüber der der u n g e s ä t t i g t e n C a r b o n s ä u r e n nochmals auf etwa das D o p p e l t e gesteigert ist (vgl. Tabelle 22, S. 371). In ihren chemischen Eigenschaften weichen sie nicht wesentlich von den aliphatischen Carbonsäuren ab, doch fallen, ähnlich wie in der Oxoreihe, infolge der t e r t i ä r e n N a t u r des Arylrestes alle durch die a k t i v e M e t h y l e n g r u p p e bedingten Reaktionen fort. Benzoesäure C6H5-—COOH, die einfachste aromatische Carbonsäure ist in ähnlicher Weise der Prototyp der a r o m a t i s c h e n C a r b o n s ä u r e n wie die E s s i g s ä u r e der der a l i p h a t i s c h e n C a r b o n s ä u r e n . Sie kommt verschiedentlich in der Natur vor, z. B. als Ester des C o n i f e r y l a l k o h o l s (III, Kap. 6, II, 1) im B e n z o e h a r z , aus dem sie bereits Ende des 16. Jahrhunderts von dem französischen Arzt Blaise de Viginüre durch Sublimation gewonnen werden konnte und dem sie und damit sekundär die gesamten Benzolverbindungen ihren Namen verdanken. Weiterhin tritt sie als B e n z y l e s t e r im Gemisch mit dem Benzylester der

Benzoesäure, Zimtsäure

377

Z i m t s ä u r e (s. u.) im Cinnamein, dem Hauptbestandteil des P e r u b a l s a m s (60—70%, auch zu 7 % im T o l u b a l s a m enthalten), natürlich auf. Ihre p r a k t i s c h e D a r s t e l l u n g erfolgt nach einem der oben beschriebenen Verfahren, z. B. durch Oxydation von Toluol, B e n z y l a l k o h o l oder B e n z a l d e h y d , sowie vom B e n z o l ausgehend über die B e n z o l s u l f o n s ä u r e und das B e n z o n i t r i l (Gleichungen formulieren!). Daneben war früher auch die Verseifung des durch Chlorierung von Toluol leicht erhältlichen B e n z o t r i c h l o r i d s (S. 162) in Gebrauch.

Benzoesäure ist eine in charakteristischen Nadeln kristallisierende, bereits bei 100° (insbesondere mit Wasserdampf) sublimierende Substanz, die bei n o r m a l e r T e m p e r a t u r nur w e n i g , jedoch o b e r h a l b d e s S c h m e l z p u n k t e s (unter Wasser 96°) z i e m l i c h s t a r k in Wasser löslich ist. Auf den lebenden Organismus wirkt sie g i f t i g und wird daher von den S ä u g e t i e r e n an G l y k o k o l l gebunden als H i p p u r s ä u r e (I, Kap. 6,1, 4 d « ) im Harn, von den V ö g e l n an O r n i t h i n gebunden als feste O r n i t h u r s ä u r e (III, Kap. 7 , 1 , 1 ) ausgeschieden. Kleinlebewesen gegenüber zeigt sie a n t i s e p t i s c h e E i g e n s c h a f t e n . Benzoesäure dient in der Technik als Ausgangsmaterial für die Darstellung ihrer Derivate und auch für F a r b s t o f f s y n t h e s e n . Ferner findet sie wegen ihres a n t i s e p i s c h e n Verhaltens Anwendung in der Nahrungsmittelindustrie als K o n s e r v i e r u n g s m i t t e l .

Benzoylchlorid C6H5—CO—C1 wird präparativ durch C h l o r i e r u n g von Benzoesäure mit PC16 oder SOCl2, technisch meistens direkt aus B e n z o l und P h o s g e n nach F B I E D E L - C R A F T S oder durch C h l o r i e r u n g von B e n z a l d e h y d (S. 244) gewonnen (Gleichungen formulieren!). Es ist das wichtigste a r o m a t i s c h e A c y l i e r u n g s m i t t e l und infolge der in II, Kap. 7, IV, 2 näher erörterten Mesomerieverhältnisse bereits deutlich r e a k t i o n s t r ä g e r a l s a l i p h a t i s c h e S ä u r e c h l o r i d e . So wird es z. B., was z. T. wohl auch auf seine mangelnde Benetzungsfähigkeit durch Wasser zurückzuführen ist, von W a s s e r und selbst von N a t r o n l a u g e nur l a n g s a m a n g e g r i f f e n , so daß man es nach S C H O T T E N und B A U M A N N in Natronlauge suspendiert zu B e n z o y l i e r u n g s r e a k t i o n e n verwenden kann (S. 323). I n der W ä r m e reagiert es im Gegensatz zu den Säureanhydriden mit A l k o h o l e n und P h e n o l e n auch o h n e w e i t e r e K a t a l y s e unter Salzsäureentwicklung (Gleichung formulieren!). Benzoesäureanhydrid kann nach den üblichen Methoden, z. B. aus B e n z o y l c h l o r i d und N a t r i u m b e n z o a t oder durch Kochen von B e n z o e s ä u r e mit E s s i g s ä u r e a n h y d r i d (Gleichungen formulieren!), leicht dargestellt werden, hat aber nicht entfernt die präparative Bedeutung des Essigsäureanhydrids erlangt. Bemerkenswert ist seine auffallende B e s t ä n d i g keit gegenüber Wasser, durch das es, wiederum infolge der s c h l e c h t e n B e n e t z b a r k e i t , erst nach längerem Kochen zersetzt wird. Benzoylperoxyd und Benzopersäure sind die am leichtesten zugänglichen, n i c h t e x p l o s i b l e n Peroxyverbindungen und werden daher vielfach als P e r o x y r e a g e n t i e n , z. B. als P o l y m e r i s a t i o n s k a t a l y s a t o r e n (S. 97) oder zur Darstellung von O l e f i n o x y d e n (S. 99), verwandt.

Die drei isomeren Toluylsäuren sind alle bekannt: COOH

o-Toluylsäure

m-Toluylsäure

p-Toluylsäure

und können durch vorsichtige p a r t i e l l e O x y d a t i o n der entsprechenden X y l o l e oder aus den T o l u i d i n e n über die N i t r i l e nach S A N D M E Y E R dargestellt werden (Gleichungen formulieren!). Die elektrolytische D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e der

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

378

o - T o l u y l s ä u r e (Tabelle 22, S. 371) ist wesentlich größer als die der m- und p-Verbindung und findet ihr a l i p h a t i s c h e s A n a l o g o n in der ebenfalls unerwartet hohen Acidität der c i s - C r o t o n s ä u r e . Phenylessigsäure C6H6—CH2—COOH wird aus B e n z y l c h l o r i d mit Hilfe der K O L B E sehen Nitrilsynthese gewonnen (Gleichung formulieren!). Die aktive Methylengruppe ist, ähnlich wie beim D e s o x y b e n z o i n , infolge der g l e i c h z e i t i g e n A k t i v i e r u n g v o n b e i d e n S e i t e n besonders reaktionsfähig und eignet sich, namentlich bei Verwendung der E s t e r , gut zu K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n e n . Hydratropasäure C6H6—CH(CH3)—COOH (a-Phenylpropionsäure) ist als Hydrierungsprodukt der A t r o p a s ä u r e (S. 379), die wiederum durch Wasserabspaltung aus der als Säurekomponente der T r o p a - a l k a l o i d e (III, Kap.7, III, 4a) fungierenden T r o p a s ä u r e (S. 477) entsteht, von einem gewissen Interesse und hat auf Grund dieser Beziehung ihren Namen erhalten.

In der Zimtsäure C 6 H 5 —CH=CH—-COOH (ß-Phenylacrylsäure) liegt die einfachste u n g e s ä t t i g t e a r o m a t i s c h e C a r b o n s ä u r e vor. Sie tritt vielfach in Form ihrer Ester in t r o p i s c h e n W u n d b a l s a m e n auf, z. B. mit B e n z y l a l k o h o l verestert zusammen mit dem B e n z o e s ä u r e b e n z y l e s t e r (s. o.) im C i n n a m e i n x ) des Peru- und Tolubalsams oder mit Z i m t a l k o h o l verestert im S t o r a x . Ihre Gewinnung aus den Naturprodukten ist möglich, doch wird sie präparativ und technisch besser s y n t h e t i s c h dargestellt, und zwar entweder mit Hilfe der PERKiNschen Z i m t s ä u r e s y n t h e s e (S. 370), die man in diesem Fall auch in Form einer C r o t o n a l d e h y d k o n d e n s a t i o n zwischen B e n z a l d e h y d und E s s i g e s t e r durchführen kann (formulieren!), oder durch C h l o r i e r u n g des B e n z a l a c e t o n s (S. 272) und anschließende C h l o r o f o r m s p a l t u n g , da bei dieser Reaktion die Doppelbindung n i c h t a n g e g r i f f e n wird (vgl. S. 308): O / O CH=CH-C-CH3 -CH=CH—COONa + HCC13

Von den R e a k t i o n e n der Zimtsäure ist vor allem ihre auffallend leicht erfolgende D e c a r b o x y l i e r u n g zu Styrol (S. 137) zu erwähnen, die bereits bei der Destillation stattfindet und auch unter b i o l o g i s c h e n B e d i n g u n g e n vor sich zu gehen scheint, wie aus der Vergesellschaftung von Z i m t s ä u r e und S t y r o l im S t o r a x geschlossen werden kann. Als

HOOC—CH=CH—/\

/

/

*

CH—CH—COOH

I I

HOOC—CH—CH—/ Truxillsäure \

'\

Da diese in der Natur vielfach ebenfalls m i t Z i m t s ä u r e v e r g e s e l l s c h a f t e t vorkommen, ist anzunehmen, daß auch die natürlichen Truxillsäuren aus Z i m t s ä u r e entstanden sind. x ) Vom C i n n a m e i n leitet sich der p h a r m a z e u t i s c h e Name der Zimtsäure, Acidum cinnamylicum, sowie die Radikalnamen Cinnamyl, Cinnamyliden und Cinnamoyl ab.

Die Halogencarbonsäuren

379

Die Zimtsäure tritt als Ä t h y l e n d e r i v a t in zwei g e o m e t r i s c h i s o m e r e n F o r m e n auf, von denen der normalen, bei 1 3 5 — 3 6 ° schmelzenden Form die t r a n s - K o n f i g u r a t i o n zukommt (bezüglich Konfigurationsbeweis vgl. II, Kap. 7, II, 4). Sie kann durch U l t r a v i o l e t t b e s t r a h l u n g in die energiereichere und daher labile c i s - F o r m (Isozimtsäure) umgelagert werden, von der wiederum d r e i v e r s c h i e d e n e K r i s t a l l m o d i f i k a t i o n e n bekannt sind, und zwar: 1. die von L I E B E R M A N N dargestellte Allozimtsäure vom Schmelzpunkt 68°, 2. die ebenfalls von L I E B E R M A N N aufgefundene Isozimtsäure vom Schmelzpunkt 58° und 3 . die von E R L E N M E Y E R entdeckte Isozimtsäure vom Schmelzpunkt 4 8 ° . Daß es sich bei diesen Substanzen tatsächlich um k e i n e i s o m e r e n V e r b i n d u n g e n handelt, sondern nur um verschiedene Modifikationen des gleichen Stoffes, wird vor allem durch die Tatsache bewiesen, daß alle drei Modifikationen nach Belieben durch I m p f u n g aus der g l e i c h e n Schmelze gewonnen werden können. Z i m t s ä u r e d i e n t in der T e c h n i k h a u p t s ä c h l i c h zur D a r s t e l l u n g ihrer Ester, d i e in der R i e c h s t o f f i n d u s t r i e b e n ö t i g t w e r d e n . A u c h i n der P h a r m a z i e f i n d e n sie u n d einige der v o n ihr abgeleiteten V e r b i n d u n g e n eine b e s c h r ä n k t e A n w e n d u n g , z. B. zur T u b e r k u l o s e b e k ä m p f u n g . Die oben bereits kurz erwähnte Atropasäure CH 2 =C(C 6 H 6 )—COOH ist die der Zimtsäure isomere a - P h e n y l a c r y l s ä u r e . Sie ist wegen ihrer Beziehungen zur T r o p a - und H y d r a t r o p a s ä u r e von Interesse. Als Beispiel einer a r o m a t i s c h e n A c e t y l e n c a r b o n s ä u r e sei lediglich die Phenylpropiolsäure C6H6—C =C—COOH angeführt, die in der üblichen Weise aus Z i m t s ä u r e durch B r o m a n l a g e r u n g und z w e i m a l i g e B r o m w a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g gewonnen werden kann (Gleichung formulieren!). Sie zeigt noch die den Acetylenderivaten eigene Neigung zur Bildung c y c l i s c h e r P o l y m e r i s a t i o n s p r o d u k t e , wofür die Dimerisierung des Esters zu einem NapMhalinderivat als Beispiel angeführt sei:

d) D i e

Halogencarbonsäuren

Die Halogencarbonsäuren k o m m e n , wie die m e i s t e n organischen H a l o g e n v e r bindungen, n i c h t i n d e r b e l e b t e n N a t u r vor, s o n d e r n m ü s s e n k ü n s t l i c h d a r gestellt werden, w o f ü r vor allem zwei M e t h o d e n gebräuchlich s i n d : 1. d i e E i n f ü h r u n g v o n H a l o g e n in d a s C a r b o n s ä u r e m o l e k ü l u n d 2. die E i n f ü h r u n g d e r C a r b o x y l g r u p p e in eine H a l o g e n v e r b i n d u n g . Zu 1. Durch Wahl geeigneter Halogenierungsmethoden hat man in beschränktem Umfang die Möglichkeit der F e s t l e g u n g d e s O r t e s d e s H a l o g e n e i n t r i t t s in der Hand. So f ü h r t die Halogenierung der a l i p h a t i s c h e n C a r b o n s ä u r e n stets ausschließlich zu d e n a - H a l o g e n f e t t s ä u r e n (aktive Methylengruppe, vgl. S. 146) und die der a r o m a t i s c h e n C a r b o n s ä u r e n überwiegend zu den m - h a l o g e n i e r t e n V e r b i n d u n g e n , da die Carboxylgruppe ein S u b s t i t u e n t 2. O r d n u n g ist. Weiterhin erhält man bei der A n l a g e r u n g v o n H a l o g e n w a s s e r s t o f f a n oi,ß-ungesättigte S ä u r e n stets die / ? - H a l o g e n c a r b o n s ä u r e n (S.372). Die Lenkung des Halogens in a n d e r e S t e l l e n des Moleküls bereitet dagegen g r ö ß e r e S c h w i e r i g k e i t e n und geschieht in der a l i p h a t i s c h e n R e i h e am besten durch Substitution einer H y d r o x y l g r u p p e , z. B. durch Behandeln einer O x y c a r b o n s ä u r e oder eines ihrer Derivate mit PC16, in der a r o m a t i s c h e n R e i h e nach S A N D M E Y E R über die D i a z o v e r b i n d u n g e n (S. 166).

Die Carbonsäuren und ihre Derivate

380

Zu 2. Die wichtigste hierhergehörende Reaktion ist die Seitenkettenoxydation aromatischer Halogenverbindungen. Z. B. gelangt man durch Oxydation des bei der K e r n c h l o r i e r u n g von Toluol entstehenden o- oder p-Chlortoluols (die Methylgruppe ist ein Subs t i t u e n t 1. Ordnung) ohne Schwierigkeit zur o- und p - C h l o r b e n z o e s ä u r e , so daß zusammen mit dem unter 1 genannten Verfahren die Möglichkeit zur Darstellung aller drei Chlorbenzoesäuren gegeben ist. Die Halogencarbonsäuren weisen in ihren physikalischen Eigenschaften keine wesentlichen Unterschiede gegenüber den normalen Carbonsäuren auf. Chemisch wirkt sich die Einführung des Halogens vor allem in einer s t a r k e n A c i d i t ä t s s t e i g e r u n g gegenüber den nicht substituierten Säuren aus, die die bei den u n g e s ä t t i g t e n und a r o m a t i s c h e n C a r b o n s ä u r e n beobachtete Aciditätssteigerung um d a s M e h r f a c h e übertrifft. Der Einfluß des Halogens ist, wie erwartet, in der tx- und auch o - S t e l l u n g am größten und nimmt mit der Zahl der Halogenatome zu, so daß die T r i c h l o r e s s i g s ä u r e bereits zu den s t a r k e n S ä u r e n gezählt werden muß. Ferner wirkt B r o m und auch J o d etwas stärker acidifizierend als Chlor (Einzelheiten vgl. Tabelle 22, S. 371). Im übrigen zeigen alle Halogencarbonsäuren die n o r m a l e n R e a k t i o n e n b e i d e r F u n k t i o n e n nebeneinander, und man kann in ihnen z. B. sowohl die C a r b o x y l g r u p p e in der üblichen Weise v e r e s t e r n oder in a n d e r e S ä u r e d e r i v a t e überführen als auch das H a l o g e n a t o m s u b s t i t u i e r e n oder als H a l o g e n w a s s e r s t o f f h e r a u s s p a l t e n . An s p e z i e l l e n R e a k t i o n e n wurde beobachtet: 1. eine starke p h y s i o l o g i s c h e R e i z w i r k u n g der « - H a l o g e n f e t t s ä u r e n und ihrer Derivate, die sie mit den « - H a l o g e n - O x o v e r b i n d u n g e n (S. 272), sowie mit den A l l y l - und B e n z y l h a l o g e n i d e n (S. 153) gemeinsam haben, und die wahrscheinlich wieder auf die Wechselwirkung des H a l o g e n s mit dem u n g e s ä t t i g t e n B i n d u n g s s y s t e m zurückzuführen ist. 2. die bereits beschriebene (S. 369) leichte Abspaltbarkeit von H a l o g e n w a s s e r s t o f f aus den / 3 - H a l o g e n f e t t s ä u r e n unter Bildung einer zur C a r b o n y l - D o p p e l b i n d u n g k o n j u g i e r t e n C = C - D o p p e l b i n d u n g , durch die die /3-Halogencarbonsäuren zu ausgesprochen u n b e s t ä n d i g e n S u b s t a n z e n werden. Monochloressigsäure C1—CH2—COOH läßt sich in einfacher Weise durch Chlor i e r u n g v o n E s s i g s ä u r e darstellen (vgl. S. 313) und dient vor allem zur Einführung des E s s i g s ä u r e r e s t e s (—CH2—COOH) in andere Moleküle, kann aber auch in normaler Weise in ihre S ä u r e d e r i v a t e übergeführt werden, wie aus dem folgenden Formelbild hervorgeht: Cl-

H,N—CH„—COOH Glykokoll

Phenylglycin

+ R—OH — H,0

+ NH, — HCl

—S—CH2—COOH

Chloressigester

+ C.H t —SNa — NaCl

Cl—GH2—COOH

PCI,

> ci—CH2—CO—C1 Chloracetylchlorid

Phenylthioglykolsäure

— */. H,0

+ NaSH — NaCl

HS—CH2—COOH

HO—CHj—COOH

Thioglykolsäure

Glykolsäure

Va CI—CH2—CO—O—CO—CH2—CI Dichlor-acetanhydrid

Die Halogencarbonsäuren

381

Sie ist daher ein w i c h t i g e s t e c h n i s c h e s Z w i s c h e n p r o d u k t , vor allem f ü r die I n d i g o - u n d T h i o i n d i g o s y n t h e s e (II, K a p . 2, V). I h r e physiologische A k t i v i t ä t ä u ß e r t sich in einer s t a r k e n Ä t z w i r k u n g a u f d i e H a u t . Chloressigester C1—CH2—COO—C2H6 und besonders Bromessigester zeigen als flüchtige Verbindungen eine starke R e i z w i r k u n g a u f die A u g e n und in geringerem Maße auch auf die A t m u n g s o r g a n e . Sie wurden daher im ersten Weltkrieg zeitweise als T r ä n e n g a s verwandt. Jodessigester kann aus dem C h l o r e s s i g e s t e r in der üblichen Weise durch Umsetzen mit K a l i u m j o d i d gewonnen werden (S. 149) und diente im ersten Weltkrieg auf alliierter Seite ebenfalls als K a m p f s t o f f . Er ist aber viel zersetzlicher als die C h l o r - und B r o m v e r b i n d u n g und hat sich daher nicht bewährt. Dichlor- und Dibromessigsäure Hal2CH—COOH entstehen bei der weiteren Halogenierung der M o n o h a l o g e n e s s i g s ä u r e n und gehören zu den wenigen aliphatischen, durch H a l o g e n i e r u n g von Wasserstoffverbindungen zugänglichen g e m - D i h a l o g e n i d e n (S. 159). Sie finden daher Anwendung zur Herstellung der entsprechenden A l d e h y d o v e r b i n d u n g , der G l y o x y l s ä u r e (S. 492): /Hai HOOC—CH s

Hal

+

H \

H

'

0

Kochen > mit Wasser

H 0 0

C — C H = 0 + 2 H—Hai

Glyoxylsäure

Trichloressigsäure C13C—COOH, das Endprodukt der Essigsäurechlorierung, wirkt noch s t ä r k e r ä t z e n d als die M o n o c h l o r e s s i g s ä u r e und dient daher zuweilen in der Medizin als H a u t ä t z m i t t e l . Bei der Einwirkung von A l k a l i zerfällt sie in Analogie zum C h l o r a l (S. 246) in C h l o r o f o r m und A l k a l i c a r b o n a t (Gleichung formulieren!). Die höheren a-Monohalogenfettsäuren zeigen infolge der Besetzung des «-ständigen C-Atoms mit vier verschiedenen Resten o p t i s c h e A k t i v i t ä t und dienen häufig als Vergleichssubstanzen bei K o n f i g u r a t i o n s b e s t i m m u n g e n (vgl. II, Kap. 7, II, 2d). Im übrigen sind sie zu den gleichen Umsetzungen befähigt wie die Monochloressigsäure. ß-Halogenfettsäuren entstehen bei der Anlagerung von H a l o g e n w a s s e r s t o f f s ä u r e n an a , ^ - u n g e s ä t t i g t e C a r b o n s ä u r e n (S. 371). Sie sind infolge der ß-Stellung des Halogens zur Carbonylgruppe (vgl. S. 372) s e h r l a b i l , lassen sich aber bei vorsichtigem Arbeiten mit S i l b e r o x y d in die / ? - L a c t o n e (S. 481) und mit A m m o n i a k in die /?-Aminoc a r b o n s ä u r e n (I, Kap. 6,1, 4dß) überführen (Gleichungen formulieren!). y- und ( 5 - H a l o g e n c a r b o n s ä u r e n sowie auch a r o m a t i s c h e H a l o g e n c a r b o n s ä u r e n sind, von der auf S. 480 beschriebenen Überführbarkeit der aliphatischen Verbindungen in die L a c t o n e abgesehen, ohne Bedeutung geblieben.

382

Die Kohlensäurederivate

IV. Die Kohlensäurederivate 1. Allgemeines Geht man mit dem Oxydationswert des Kohlenstoffs nochmals um eine Stufe hinauf, so kommt man zum K o h l e n d i o x y d als der einfachsten Verbindung mit o x y d a t i v v i e r w e r t i g e m K o h l e n s t o f f . I n ihm nimmt der S a u e r s t o f f s ä m t l i c h e V a l e n z e n des Kohlenstoffs in Anspruch, so daß dieser keine Möglichkeit mehr zur Verknüpfung mit einem organischen Molekülrest hat, d. h. die Vielzahl der Verbindungsklassen der O x y - und O x o r e i h e , die beim oxydativ dreiwertigen Kohlenstoff bereits auf die eine Klasse der C a r b o n s ä u r e n zurückgegangen war, geht hier nochmals zurück auf nur e i n e e i n z i g e V e r b i n d u n g , eben das K o h l e n d i o x y d . Dagegen leiten sich vom Kohlendioxyd als Grunverbindung s e k u n d ä r wieder eine Reihe von D e r i v a t e n ab, in denen der Sauerstoff mehr oder weniger vollständig d u r c h a n d e r e n e g a t i v e R e s t e e r s e t z t i s t , und die allgemein als Kohlensäurederivate bezeichnet werden. Ihre Zahl ist infolge der Z w e i b a s i g k e i t der Kohlensäure und der dadurch bedingten K o m b i n a t i o n s m ö g l i c h k e i t e n sehr groß, und es zeigt sich eine zunächst verwirrende Fülle von untereinander nahe verwandten und durch zahlreiche Übergänge miteinander verknüpften Verbindungen. Auch die Chemie der Kohlensäurederivate wird wesentlich dadurch vereinfacht, daß sich die meisten Verbindungen auf nur wenige s t e t s w i e d e r k e h r e n d e V e r b i n d u n g s t y p e n zurückführen lassen, die jeweils zu gleichartigen Reaktionen befähigt sind. Die wichtigsten dieser Verbindungstypen sind: 1. die Verbindungen vom K o h l e n d i o x y d t y p u s , 2. die Verbindungen vom I s o c y a n s ä u r e t y p u s und 3. die Verbindungen vom C a r b a m i d s ä u r e t y p u s . Sie stehen in besonders enger Beziehung zueinander, und die Übergänge zwischen ihnen beherrschen den größten Teil der Chemie der Kohlensäurederivate. Ihnen schließen sich 4. in den Verbindungen vom H a l o g e n c y a n t y p u s , 5. in den Verbindungen vom E s t e r t y p u s und 6. in den O r t h o k o h l e n s ä u r e d e r i v a t e n weitere interessante Verbindungen an, die jedoch ihrem ganzen Verhalten nach etwas a b s e i t s v o n d e n e r s t e n d r e i G r u p p e n stehen. Zu 1. und 2. Die Verbindungen vom Kohlendioxyd- und Isocyansäuretypus besitzen z w e i k u m u l i e r t e p o l a r e D o p p e l b i n d u n g e n . Sie sind infolgedessen ziemlich stark ungesättigt und zeigen eine mehr oder weniger große Tendenz zur A n l a g e r u n g p o l a r e r W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n (H—X) und beim Vorliegen einer C = N H - G r u p p e auch zu P o l y m e r i s a t i o n s r e a k t i o n e n . I n ersterem Falle gehen sie in der unten näher beschriebenen Weise in Verbindungen vom C a r b a m i d s ä u r e t y p u s mit nur e i n e r D o p p e l b i n d u n g über. Die Verbindungen vom Isocyansäuretypus unterscheiden sich von den kohlendioxydartigen Verbindungen lediglich durch die Anwesenheit von W a s s e r s t o f f an einem der doppelt gebundenen Heteroatome (meistens eine =NH-Gruppe), der das Molekül zu folgender T a u t o m e r i e befähigt: |Y=C=NH ^

H—Y—C=N|

Zu 3. Die Verbindungen vom Carbamidsäuretypus enthalten am C-Atom e i n e n d o p p e l t und z w e i e i n f a c h g e b u n d e n e p o l a r e S u b s t i t u e n t e n , von denen mindestens einer noch w a s s e r s t o f f h a l t i g ist. Sie sind infolgedessen zu einer ähnlichen T a u t o m e r i e befähigt, wie die Verbindungen vom C a r b o n s ä u r e a m i d - t y p u s (S. 317):

Allgemeines

383 ,0H

,0

h2N—cf

HN=O: OH

Carbamidsäurc

\ OH

Imidokohlensäure

und zeigen, ebenfalls in Analogie zu den Carbonsäurederivaten, k e i n e r l e i T e n d e n z z u A n l a g e r u n g s r e a k t i o n e n an die polare Doppelbindung mehr. Dagegen können sie, wie wir gesehen haben, selbst durch A n l a g e r u n g e i n e r H — X - V e r b i n d u n g aus den Kohlensäurederivaten vom K o h l e n d i o x y d - oder I s o c y a n s ä u r e t y p u s entstehen und gehen durch A b s p a l t u n g s r e a k t i o n e n leicht wieder in diese Verbindungen über: 0 = C = N H + H—X NH 2 Isocyansäure

Carbamid säurederivat

Auf diesem Wechselspiel zwischen Verbindungen vom I s o c y a n s ä u r e - (bzw. K o h l e n d i o x y d - ) und C a r b a m i d s ä u r e t y p u s beruhen die wichtigsten Bildimgsweisen und Umsetzungen nahezu aller s t i c k s t o f f - und s c h w e f e l h a l t i g e n K o h l e n s ä u r e d e r i v a t e . Hierbei beobachtet man die allgemeine Regel, daß mit z u n e h m e n d e r B a s i z i t ä t der Substituenten die Stabilität der Verbindungen vom C a r b a m i d s ä u r e t y p u s z u n i m m t (z. B. in der Reihe 0 = C ( 0 H ) 2 - > 0=C(NH 2 ) 2 -»• HN=C(NH 2 ) 2 ) und die der Verbindungen vom I s o c y a n s ä u r e t y p u s a b n i m m t (z.B. in der Reihe 0 = C = 0 - » • 0 = C = N H ) . Insbesondere alle h y d r o x y l h a l t i g e n Verbindungen vom C a r b a m i d s ä u r e t y p u s sind, da sie neben der Hydroxylgruppe noch einen z w e i t e n e i n w e r t i g n e g a t i v e n R e s t am gleichen C-Atom enthalten, in ähnlicher Weise nicht isolierbar, wie die Derivate der O x o v e r b i n d u n g e n vom H y d r a t t y p u s (vgl. S. 273). Zu 4. Die Verbindungen vom Halogencyantypus besitzen die allgemeine Formel N=C—X und sind an der Gruppe X ebenfalls w a s s e r s t o f f r e i . Sie sind infolgedessen n i c h t m e h r z u r T a u t o m e r i e mit einer Isocyansäureform befähigt und zeichnen sich auf Grund der d r e i f a c h e n C = N - B i n d u n g durch eine starke Tendenz zu A n l a g e r u n g s und zuweilen auch P o l y m e r i s a t i o n s r e a k t i o n e n aus.

Zu 5. Die Kohlensäurederivate vom Estertypus (R—0—CO—0—R) tragen wie die Verbindungen vom Carbonsäureestertypus (S. 318) k e i n e n W a s s e r s t o f f an den Heteroatomen mehr und sind infolgedessen ebenfalls n i c h t m e h r z u r T a u t o m e r i e befähigt. Vor allem aber können sie n i c h t m e h r d u r c h A n l a g e r u n g s r e a k t i o n e n dargestellt werden und auch n i c h t d u r c h A b s p a l t u n g s r e a k t i o n e n in andere Kohlensäurederivate übergehen. Vielmehr sind sowohl ihre Bildung als auch ihre weiteren Umsetzungen nur auf dem Wege einer S u b s t i t u t i o n möglich, so daß sie nicht ohne weiteres in das Wechselspiel der ersten drei Verbindungsklassen eingreifen können. Zu 6. Von den Orthokohlensäurederivaten sind auch hier nur die Verbindungen vom E s t e r t y p u s beständig, die, ähnlich wie die O r t h o c a r b o n s ä u r e e s t e r , nur durch S u b s t i t u t i o n s r e a k t i o n e n aus anderen Kohlensäurederivaten dargestellt und auch in diese übergeführt werden können. Sie stehen ebenfalls etwas abseits von der Chemie der übrigen Kohlensäurederivate. Die Nomenklatur der Kohlensäurederivate ist nicht so systematisch ausgebildet wie die der Carbonsäurederivate. Insbesondere haben viele Verbindungen T r i v i a l n a m e n erhalten,

384

Die Kohlensäurederivate

wie z. B. der H a r n s t o f f , das G u a n i d i n , die R h o d a n w a s s e r s t o f f s ä u r e , das P h o s g e n usw., oder werden zu e n g e r e n F a m i l i e n zusammengefaßt, wie z.B. die C a r b a m i d s ä u r e oder die C y a n s ä u r e d e r i v a t e . Lediglich die Bezeichnung Carb- (auch Carbyl- oder Carbo-) für das z w e i w e r t i g e K o h l e n s ä u r e r a d i k a l ^ ) C = 0 ist allgemein gebräuchlich.

Die Einteilung der Kohlensäurederivate geschieht wie die der Oxoverbindungen und Carbonsäuren nach den in ihnen enthaltenen H e t e r o a t o m e n in die H a l o g e n - , S a u e r s t o f f - , S t i c k s t o f f - und S c h w e f e l d e r i v a t e d e r K o h l e n s ä u r e . 2. Die Halogenderivate der Kohlensäure J e nach dem H a l o g e n i e r u n g s g r a d unterscheiden wir d r e i R e i h e n von Halogenderivaten der Kohlensäure: 1. die als Phosgene bezeichneten normalen K o h l e n s ä u r e - oder C a r b y l h a l o g e n i d e , 2. die als Halogenkohlensäuren oder Halogenameisensäuren bezeichneten H a l b c h l o r i d e d e r K o h l e n s ä u r e und 3. die sich von der O r t h o k o h l e n s ä u r e ableitenden Kohlenstofftetrahalogenide. a) D i e P h o s g e n e Bei weitem am wichtigsten sind die n o r m a l e n K o h l e n s ä u r e h a l o g e n i d e und von diesen wieder die C h l o r v e r b i n d u n g , das Phosgen schlechthin. Seine unerwünschte Bildimg bei der Verbrennung oder feuchten Autoxydation von C h l o r o f o r m (und auch anderen chlorhaltigen Verbindungen) haben wir bereits kennen gelernt (S. 161). Doch eignet sich diese Reaktion nicht zu seiner Darstellung, die immer noch auf dem gleichen Wege geschieht, auf dem das Phosgen im Jahre 1811 von DAVY entdeckt worden ist: Durch Anlagerung von C h l o r an K o h l e n o x y d . Nur aktiviert man diese Reaktion heute nicht mehr photokatalytisch durch S o n n e n l i c h t 1 ) oder U l t r a v i o l e t t - B e s t r a h l u n g , sondern verwendet nach PATEKNO A k t i v k o h l e bei 100—125° als K a t a l y s a t o r :

ic=oi + C12

U

-ATk t i^v keo h"l e" 8 •

C1 >/ c = o .

Die Reaktion führt zu einem G l e i c h g e w i c h t , dessen Lage u n t e r h a l b 200° fast völlig auf der S e i t e des P h o s g e n s liegt, bei 500° jedoch bereits zu 67% und bei 800° praktisch vollständig z u g u n s t e n der Z e r f a l l s p r o d u k t e verschoben ist. Durch U l t r a v i o l e t t B e s t r a h l u n g wird Phosgen auch bei n o r m a l e r T e m p e r a t u r zu einem geringen Bruchteil aufgespalten, doch findet hier natürlich unter dem aktivierenden Einfluß der gleichen Strahlung sofort wieder R e a s s o z i a t i o n der S p a l t p r o d u k t e statt.

Phosgen ist ein grüngelbes Gas von erstickendem, zum Husten reizenden Geruch, das eine beträchtliche Löslichkeit in organischen Lösungsmitteln aufweist und sich bereits bei 8° (bzw. bei normaler Temperatur unter geringem Druck) kondensieren läßt. In seinen chemischen Reaktionen steht es den C a r b o n s ä u r e c h l o r i d e n nahe und dient wie diese hauptsächlich als Acylierungsmittel, d. h. zur Einführung des C a r b y l r e s t e s in andere Moleküle, wobei man in den meisten Fällen, je nach den Reaktionsbedingungen, sowohl ein als auch alle b e i d e H a l o g e n a t o m e austauschen kann: 1 ) Von dieser BilduDgsweise leitet sich auch der Name Phdsgen (griech. cpcos = das Licht und yevvSv = erzeugen) ab, den DAVY seinerzeit wegen der aktiven Mitbeteiligung des Lichtes an dieser Reaktion vorschlug.

Das Phosgen 0=C

1

V NP

385 O—R

S—R 0=C: \ cS—R

+ »/. Aar, — VaAsCl,

o=c^

V n nh

Dithiocarbonsäureester

Fluorphosgen + H,0 •2 HCl

0=0=0 Kohlendioxyd

,Gl

+ NH,C1 — 2 HCl

+ E—OH ( 1

Die Kohlensäurederivate

386

Phosgen ist ein außerordentlich starkes Atemgilt, dessen Wirkung in erster Linie darauf beruht, daß es in der Lunge zu S a l z s ä u r e hydrolysiert. Im Gegensatz zu dem relativ ungefährlichen C h l o r w a s s e r s t o f f g a s , das infolge seiner Wasserlöslichkeit schon in den o b e r e n L u f t w e g e n restlos absorbiert wird, kann die Salzsäure also auf dem Umweg über das Phosgen bis in die L u n g e s e l b s t gelangen und dort ihre Reizwirkung auf die Lungenbläschen ausüben. Die Gefährlichkeit liegt insbesondere darin, daß sich das Phosgen bei längerem Einatmen in der Lunge a n r e i c h e r t und seine Wirkung dort erst n a c h 10—12 S t u n d e n das Maximum erreicht, man also bei l ä n g e r e m A u f e n t h a l t in einer nur schwach zum Husten reizenden Atmosphäre (bis zu 5 mg/cbm Luft) die t ö d l i c h e D o s i s aufnehmen kann, ohne es zu bemerken. Bei h o h e n K o n z e n t r a t i o n e n wirkt dagegen der s t a r k e H u s t e n reiz warnend, so daß hier, z. B. wenn man beim Undichtwerden einer Schlauchleitung einmal kurzzeitig eine größere Menge Phosgen einatmet, trotz der starken Reizwirkung weniger Gefahr besteht. Phosgen war infolge dieser Eigenschaften der g e f ä h r l i c h s t e K a m p f s t o f f des ersten Weltkriegs und hat die m e i s t e n T o d e s o p f e r des Gaskampfes gefordert. Bromphosgen 0 = CBr2 und Jodphosgen 0 = C J 2 entstehen in analoger Weise aus K o h l e n o x y d und elementarem B r o m oder J o d bei Belichtung, haben aber neben dem Phosgen ebensowenig eine praktische Bedeutung erlangt, wie die Carbonsäurebromide und -jodide neben den Säurechloriden. Fluorphosgen 0 = C F 2 siedet bei—84°, also 63° tiefer als F o r m a l d e h y d . Der Ersatz von Wasserstoff durch Fluor wirkt hier also besonders stark s i e d e p u n k t s e n k e n d (vgl. auch S. 164, Anm. 2).

b) D i e

Chlorameisensäurederivate

Das H a l b c h l o r i d der K o h l e n s ä u r e C1—CO—OH wird allgemein Chlorameisensäure oder (weniger exakt) Chlorlcohlensäure genannt, da es sich von der A m e i s e n s ä u r e durch Ersatz des letzten am Kohlenstoff befindlichen H - A t o m s , von der K o h l e n s ä u r e durch Ersatz einer H y d r o x y l g r u p p e durch Chlor ableitet. Es ist als h y d r o x y l h a l t i g e Verbindung vom Carbamidsäuretypus n i c h t e x i s t e n z f ä h i g und zerfällt daher bei der Bildung, z. B. aus P h o s g e n und W a s s e r , sofort in C0 2 und HCl: : XI 0=C(+ H

OH ~ H C 1 >

ci

/

/ ) -- H 0=C

HCl + C0 2

ci

Chlorameiaensäure

Dagegen sind einige beständige D e r i v a t e bekannt, von denen besonders die E s t e r eine praktische Bedeutung erlangt haben. Sie werden meistens durch part i e l l e A l k o h o l y s e des Phosgens (s. oben) gewonnen, die man zur Schonung des zweiten Chloratoms u n t e r h a l b -)-5° durchführen muß, entstehen aber auch bei der nachträglichen C h l o r i e r u n g v o n A m e i s e n s ä u r e e s t e r n : c i - c o ; -ci ; h o - r

-HC1y

ci—co—o—r

ei -ci i - i i — c o - o r

Als Verbindungen vom E s t e r t y p u s 6ind die Chlorameisensäureester n i c h t mehr zur A b s p a l t u n g v o n K o h l e n d i o x y d befähigt und infolgedessen ziemlich b e s t ä n d i g e Flüssigkeiten, die p h o s g e n a r t i g riechen und auch eine ähnliche R e i z - und G i f t Wirkung a u f d i e A t m u n g s o r g a n e ausüben wie Phosgen selbst. C h e m i s c h verhalten sie sich wie typische C a r b o n s ä u r e c h l o r i d e und dienen zur Einführung des —CO—OR-Restes in andere Moleküle. Z. B. entstehen mit Amm o n i a k U r e t h a n e und mit A l k o h o l e n n e u t r a l e K o h l e n s ä u r e e s t e r . In letzterem Fall bietet das Verfahren den Vorteil, daß man bei Verwendung geeigneter Alkohole auch g e m i s c h t e E s t e r herstellen kann:

Die Sauerstoffderivate der Kohlensäure ,0—R ° = •

0=C

Ansäuern

,0—:H 0=C

0—R -V

0 = C = 0 + R—O—H

c) D i e n e u t r a l e n

O—R , i

Kohlensäureester

Erst die n e u t r a l e n K o h l e n s ä u r e e s t e r können als Verbindungen v o m E s t e r t y p u s keine C0 2 -Abspaltung mehr erleiden und sind durchaus b e s t ä n d i g e Flüssigkeiten v o n angenehmem, esterartigem Geruch. Sie werden am besten in der oben angeführten Weise aus P h o s g e n (S. 385) «und A l k o h o l e n dargestellt. D a man hierbei zur Einführung des zweiten Alkylrestes auf h ö h e r e T e m p e r a t u r e n erhitzen bzw. N a t r i u m a l k o h o l a t oder P y r i d i n als Kondensationsmittel verwenden muß, dient die Methode auch zur Darstellung g e m i s c h t e r E s t e r mit zwei verschiedenen Alkylresten (Gleichung formulieren!). D o c h kann m a n diese auch direkt aus den bei dieser Reaktion intermediär entstehenden C h l o r a m e i s e n -

Die Kohlensäureester

389

s ä u r e e s t e r n gewinnen (s. oben). Die Kohlensäureester zeigen alle normalen Esterreaktionen, wie s a u r e und a l k a l i s e h e H y d r o l y s e , s a u r e und a l k a l i s c h e U m e s t e r u n g , sowie die Bildung von U r e t h a n e n und H a r n s t o f f e n bei der Einwirkung von A m m o n i a k (Gleichungen formulieren!). Auch zur Esterkondensation mit a k t i v e n M e t h y l e n g r u p p e n sind sie befähigt: 0 R CH2-C0-0-R Ntt™ 0=0/... + H:—CH2—CO—0—R * S 0=0^ +HO—R ^0—R 0—R Trotz dieser Umsatzmöglichkeiten ist das A n w e n d u n g s g e b i e t der Kohlensäureester ziemlich b e s c h r ä n k t , da alle aus ihnen herstellbaren Verbindungen anderweitig l e i c h t e r z u g ä n g l i c h sind. Lediglich die aus P h o s g e n und P o l y o x y V e r b i n d u n g e n in Pyridin als Reaktionsmedium entstehenden c y c l i s c h e n K o h l e n s ä u r e e s t e r : R - C H 0 - H of* I ; + );c=o R—CH—0—;H C1 i

R—CH—O x | V = o R—CH—0

haben in der Z u c k e r c h e m i e eine spezielle präparative Bedeutung erlangt (näheres vgl. III, Kap. 4, I, 4 c). d) D i e O r t h o k o h l e n s ä u r e e s t e r Die O r t h o k o h l e n s ä u r e e s t e r können mit Hilfe ähnlicher Reaktionen gewonnen werden, wie die O r t h o c a r b o n s ä u r e e s t e r , z. B. durch die bereits beschriebene A l k o h o l y s e von T e t r a c h l o r k o h l e n s t o f f (oder auch von C h l o r p i k r i n , I, Kap. 6, IV, 2) mit N a t r i u m a l k o h o l a t (S. 163, 387) sowie aus den s a l z s a u r e n I m i d o k o h l e n s ä u r e e s t e r n durch Kochen mit A l k o h o l e n (! RONa CL : ! X1(N0.) NaOR R0 X : I \ + : 4 NaCI \ ^ \ (bzw. — 3NaCl RONa Cr i ; X C1 NaOR —NaN02) RO

/

,0R

- NH.Cl

OR

RO

H

; -OR + cih2N=;C/ i OR RO— H

Auch in ihrem p h y s i k a l i s c h e n und c h e m i s c h e n V e r h a l t e n schließen sie sich eng an die Orthocarbonsäureester an und stellen das E n d g l i e d d e r R e i h e : .O—R H 3 C—0—R

H2C\ O—R

Methylfither

Methylenacetal

/ n ~ R C~0—R \ 0—R OrthoameisenBäuieester Orthokohleneäureester ,0—R HC^O—R O—R

dar. Insbesondere werden sie ebenfalls durch S ä u r e n außerordentlich leicht gespalten, wobei allerdings gegenüber den Orthocarbonsäureestern k e i n e G e s c h w i n d i g k e i t s s t e i g e r u n g mehr beobachtet wird, und sind g e g e n w ä ß r i g e s A l k a l i ziemlich b e s t ä n d i g . Ferner tritt in analoger Weise mit A m m o n i a k und m e t a l l o r g a n i s c h e n Verbindungen Reaktion ein, diehierzum G u a n i d i n , dem „Amidin" der Kohlensäure (S. 404) und den O r t h o c a r b o n s ä u r e e s t e r n (S. 336) führt: ,0—R d, p / n p R-C-O-R M)—R

. + a —Me < — MeO—H

R—0 V /0—R \ r ,C/ / \ R—O O—R

/NH2 + 3 NH, v,„ / — 4 ROH ' N H - C . NH 2

4. Die Stickstofiderivate der Kohlensäure Stickstoffhaltige Derivate der Kohlensäure sind in großer Zahl bekannt, so daß wir uns hier auf die Beschreibung nur der wichtigsten Vertreter beschränken müssen. Sie bestehen überwiegend aus Verbindungen vom I s o c y a n s ä u r e - und

Die Kohlensäurederivate

390

C a r b a m i d s ä u r e t y p u s , die durch zahlreiche A n l a g e r u n g s - und A b s p a l t u n g s r e a k t i o n e n besonders eng miteinander verknüpft sind. Zur besseren Übersicht werden sie meistens zu e n g e r e n F a m i l i e n zusammengefaßt, von denen wir uns hier insbesondere mit a) der C y a n s ä u r e und ihren Derivaten, b) dem C y a n a m i d und seinen Derivaten, c) der Carbamidsäure und ihren Derivaten, d) dem H a r n s t o f f und seinen Derivaten, e) dem G u a n i d i n und f) den H y d r a z i n - und H y d r o x y l a m i n d e r i v a t e n der Kohlensäure befassen müssen. a) D i e C y a n s ä u r e u n d i h r e D e r i v a t e Ersetzt man im Kohlendioxyd eines der Sauerstoffatome durch die I m i d o g r u p p e , so kommt man zum Carbimid oder der Isocyansäure, die über das b e i d e n F o r m e n g e m e i n s a m e (zwischen den angeführten Grenzformen m e s o m e r e ) Anion mit der C y a n s ä u r e tautomer ist: 0=C=NH Carbimid = Isocyansäure

Q H++[0=C=Nw «

© V O—C=N]

Carbimidform Cyansäureform des Cyanat-lons

^

HO—C=N Cyansäure

und meistens infolge ihrer s a u r e n N a t u r als Cyansäure schlechthin bezeichnet wird, obgleich die freie Säure, wie das RAMAN-Spektrum zeigt, im wesentlichen aus der C a r b i m i d - (bzw. I s o c y a n s ä u r e - ) f o r m besteht. Die Darstellung der freien Säure hat große Schwierigkeiten bereitet und ist bisher nur durch vorsichtige t h e r m i s c h e D e p o l y m e r i s a t i o n der trimeren C y a n u r s ä u r e im Kohlendioxydstrom und Kondensation der Dämpfe in einem Kältebad gelungen. Die freie Säure ist eine bei normaler Temperatur g a s f ö r m i g e Verbindung, deren Dämpfe auf die Augen und Atmungsorgane eine s t a r k e R e i z w i r k u n g ausüben, und die als Flüssigkeit auf der Haut Blasen zieht. Chemisch zeigt sie als Prototyp der Verbindungen vom I s o c y a n s ä u r e t y p u s einen stark u n g e s ä t t i g t e n C h a r a k t e r , der sich vor allem in einer außerordentlich starken P o l y m e r i s a t i o n s n e i g u n g äußert. Sie ist daher in flüssigem Zustand nur bei t i e f e r T e m p e r a t u r existenzfähig und lagert sich bereits dicht oberhalb 0° nahezu explosionsartig in das hochmolekulare C y a m e l i d (neben wenig C y a n u r s ä u r e ) um: OH n

N

N

HO—C ^ST

/

C—OH

Cyanursäure

thermische Zersetzung

o "LT ^ H

"NT J N = L i = U

II

O

II

O

Polymerisation

Hauptmenge

O

II

. . . —C—NH—C—NH—C—NH . . . Cyamelid

Geht man nicht von der w a s s e r f r e i e n Säure aus, sondern setzt sie i n L ö s u n g oder im Augenblick ihrer Bildung aus den Salzen um, so kann man auch andere Anlagerungsreaktionen durchführen, die ausschließlich unter Absättigung der C = N - D o p p e l b i n d u n g erfolgen. So entsteht z. B. beim Ansäuern einer w ä ß r i g e n L ö s u n g der Salze die unbeständige C a r b a m i d s ä u r e (S. 397), die sofort weiter in K o h l e n d i o x y d und A m m o n i a k zerfällt, d. h. es t r i t t H y d r o l y s e ein, während die Anlagerungsprodukte von A l k o h o l e n , die U r e t h a n e (S. 398), und die der H a l o g e n w a s s e r s t o f f s ä u r e n , die C a r b a m i d s ä u r e h a l o g e n i d e , infolge der Abwesenheit von Hydroxylgruppen bereits s t a b i l sind. Bei der Anlagerung von A m m o n i a k oder H y d r a z i n schließlich, die man am besten durch t r o c k e n e s

Die Cyansäure und ihre Derivate

391

1

E r h i t z e n des A m m o n i u m - ) bzw. H y d r a z i n i u m c y a n a t s erhält man H a r n s t o f f (S. 400) und S e m i c a r b a z i d (S. 405):

o=c;

0=C=NH

+ HaO

SH,

o=c(

,0—R

nh 2

+ NH,

nh 2

33

Carbamidsäure

Harnstoff

K Y+

+

Ii— OH

NH,

bewerkstelligt,

Hai

N.H,

.NH—NH,, 0=(/ xnh2 Semicarbazid

xnh2 Carbamidsäurehalogenid

Urethan

Derivate. Die am leichtesten zugänglichen Cyansäurederivate, die als Einfallstor f ü r die gesamte Gruppe der Cyansäureverbindungen dienen, sind die Salze, die man am besten durch O x y d a t i o n d e r A l k a l i c y a n i d e , z. B. durch Verschmelzen mit K a l i u m b i c h r o m a t darstellt: NaC=N

K Cr

' '°V

NaO—C=N

Das Cyanation ist im Gegensatz zur Cyansäure selbst a u f f a l l e n d s t a b i l und weder zur P o l y m e r i s a t i o n noch zu A d d i t i o n s r e a k t i o n e n befähigt. Die Alkalisalze dienen infolgedessen allgemein zur I s o l i e r u n g und A u f b e w a h r u n g der Säure. Von s p e z i e l l e n R e a k t i o n e n der Salze sei nur auf die A l k y l i e r b a r k e i t zu den I s o c y a n s ä u r e e s t e r n hingewiesen: R;—Hai + N a : N = C = 0

-

-v

R — N = C = 0 + NaHal

Von der Cyansäure sind z w e i R e i h e n von Estern zu erwarten: 1. die sich von der C y a n s ä u r e f o r m ableitenden normalen Cyansäureester ( R — 0 — C = N ) und 2. die allgemein als Isocyansäureester bezeichneten A l k y l d e r i v a t e d e r C a r b i m i d form (R—N=C=0). Die eigentlichen Cyansäureester konnten bisher n i c h t dargestellt werden, da bei allen Reaktionen, die zu ihrer Bildung führen, z. B. der Umsetzung von Chlorcyan mit Natriumalkoholat, sofort die trimeren Cyanursäureester entstehen (vgl. auch S. 394):

O—R I N

N

N=C:—CI + NaO—R ~

Na01

>

Chlorcyan

^N=C—O—R j

Va R—O—C

Cyansäureester

C—0—R

Cyanursäureester

Doch ist es prinzipiell nicht ausgeschlossen, daß die monomeren Ester, ähnlich wie die freie Cyansäure selbst, bei t i e f e n T e m p e r a t u r e n existenzfähig sind. 1

) Bei der S t a b i l i t ä t des C y a n a t i o n s gegen Anlagerungsreaktionen ist anzunehmen, daß das A m m o n i u m - und H y d r a z i n i u m c y a n a t sich nicht direkt umlagern, sondern sich als Salze s c h w a c h e r S ä u r e n mit s c h w a c h e n B a s e n zunächst in Umkehrung der Dissoziationsreaktion zu einem geringen Anteil in die f r e i e S ä u r e und f r e i e B a s e zurückverwandeln, und daß erst diese dann zu der Anlagerungsreaktion befähigt sind: =N~

Erhitzen

NH

NH 3 + 0 = C = N H

lirreversibel rreve S 1

>

0=C

/

2

NH»

Die Kohlensäurederivate

392

Die Isocyansäureester sind dagegen relativ stabile, wenn auch immer noch sehr r e a k t i o n s f ä h i g e Verbindungen. Die Methoden zu ihrer G e w i n n u n g haben wir bereits kennen gelernt. Sie geschieht entweder durch A l k y l i e r u n g v o n A l k a l i c y a n a t e n (s. oben) oder durch Einwirkung von P h o s g e n auf die Hydro-, chloride p r i m ä r e r A m i n e (über die C a r b a m i d s ä u r e c h l o r i d e als Zwischenprodukte, vgl. S. 3 8 5 ) . Auch der S ä u r e a b b a u nach CTTRTITTS (S. 3 5 3 ) oder L O S S E N (S. 354) dient zuweilen zu ihrer präparativen Darstellung. Die Isocyansäureester sind niedrig siedende Flüssigkeiten (z. B. siedet C 2 H 5 — N = C = 0 bei 60°), deren Dämpfe wie die der freien Säure auf die A u g e n und A t m u n g s o r g a n e eine s t a r k e R e i z w i r k u n g ausüben. Auch in ihrem c h e m i s c h e n V e r h a l t e n ähneln sie der freien Cyansäure, zeigen jedoch eine etwas g e r i n g e r e Neigung zur Polymerisation, die ebenfalls zu t r i m e r e n Verbindungen, den I s o c y a n u r s ä u r e e s t e r n (S. 394) führt. Bei der Anlagerung von A l k o h o l e n , A m m o n i a k oder A m i n e n entstehen auch hier, ausschließlich unter Absättigung der C=N-Doppelbindung, gut kristallisierende, am S t i c k s t o f f s u b s t i t u i e r t e U r e t h a n e bzw. H a r n s t o f f d e r i v a t e (formulieren!), die oft zur Charakterisierung und Identifizierung n i c h t k r i s t a l l i s i e r e n d e r A l k o h o l e oder A m i n e dienen. Mit Wasser tritt über ein (wiederum unbeständiges) C a r b a m i d s ä u r e d e r i v a t rasch Zerfall in K o h l e n d i o x y d und primäres Amin ein, d. h. es findet H y d r o l y s e statt: R — N = C = 0 + H20

2

Doch lagert sich bei Anwesenheit von nur wenig Wasser das entstehende primäre Amin sofort wieder an den noch unzersetzten Isocyansäureester unter Bildung von s y m m e t r i s c h e m D i a l k y l - (bzw. Diar y 1-) harnst off an (Gleichung formulieren!). Die Isocyansäureester scheiden infolgedessen bereits beim Zutritt geringer Feuchtigkeitsmengen, z. B. beim Stehen an f e u c h t e r Luft) die gut kristallisierenden s y m m e t r i s c h e n d i s u b s t i t u i e r t e n Harns t o f f e ab.

Diese h y d r o l y t i s c h e S p a l t u n g stellt neben der oben angeführten Bildung aus P h o s g e n und p r i m ä r e n A m i n e n den wichtigsten S t r u k t u r b e w e i s für die Isocyansäureester dar und zeigt gleichzeitig, da eine n o r m a l e „ E s t e r v e r s e i f u n g " unter Bildung eines A l k o h o l s und der f r e i e n I s o c y a n s ä u r e gar nicht möglich ist, daß es sich bei ihnen streng genommen nicht um S ä u r e e s t e r im engeren Sinne, sondern um A l k y l i m i d e der K o h l e n s ä u r e handelt. Der Name Isocyansäureester ist also i r r e f ü h r e n d und sollte zweckmäßig durch die r a t i o n e l l e Bezeichnung Alkylcarbimide ersetzt werden. Phenylisocyanat (Phenylcarbimid) C 6 H 5 — N = C = 0 ist der wichtigste a r o m a t i s c h e I s o c y a n s ä u r e e s t e r und besitzt keine Polymerisationsneigung mehr. Es kann aus P h o s g e n und salzsaurem A n i l i n oder durch Abbau von B e n z a z i d nach CURTIUS gewonnen werden und dient in der angegebenen Weise als Reagens zur Charakterisierung von A l k o h o l e n und organischen Aminen.

Stabile Derivate der C y a n s ä u r e f o r m stellen die drei Halogencyane dar, die sowohl als C y a n s ä u r e h a l o g e n i d e als auch als N i t r i l e der C h l o r a m e i s e n s ä u r e (S. 387) aufgefaßt werden können. Ihre G e w i n n u n g erfolgt von der B l a u s ä u r e oder ihren S a l z e n aus durch Einwirkung der e l e m e n t a r e n H a l o g e n e : N=c—;H(Na) + Hai—;Hal

— H(Na)Hal

Chlorcyan und Bromcyan sind relativ t i e f s i e d e n d e Flüssigkeiten (Sdp. 61 bzw. 127°), deren Dämpfe auf die A u g e n und A t m u n g s o r g a n e eine starke R e i z -

Die Cyanursäure und Derivate

393

W i r k u n g ausüben, so daß sie im ersten Weltkrieg eine zeitweilige Verwendung als K a m p f s t o f f e gefunden haben. Chemisch zeigen sie eine noch g r ö ß e r e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t als die Isocyansäureester, da außer den üblichen A n l a g e r u n g s und P o l y m e r i s a t i o n s r e a k t i o n e n auch eine S u b s t i t u t i o n des Halogens möglich ist. Eine reine A n l a g e r u n g s r e a k t i o n wird bei der Einwirkung t e r t i ä r e r A m i n e beobachtet, die unter Bildung q u a r t ä r e r A m m o n i u m s a l z e addiert werden. Da diese nach V . B R A U N bei der t h e r m i s c h e n Z e r s e t z u n g in glatter Reaktion in je ein Mol A l k y l h a l o g e n i d (bzw. O l e f i n und H a l o g e n w a s s e r s t o f f ) und D i a l k y l c y a n a m i d zerfallen, hat das Verfahren präparative Bedeutung zum A b b a u t e r t i ä r e r A m i n e erlangt (vgl. I , K a p . 6,1, l a ) : ©/:R N=C—N^-R R

N = C —Br + I N ( - R R

Br-

Erhitzcr

V

+ R—Br

N=C—N: X

R

Dialkylcyanamid

A m m o n i a k , p r i m ä r e und s e k u n d ä r e A m i n e werden zunächst in gleicher Weise angelagert, doch findet anschließend sofort H a l o g e n w a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g statt, d. h. man erhält unter Substitution des Halogens in einem Reaktionsgang die C y a n a m i d d e r i v a t e , während bei der Einwirkung von A l k o h o l e n infolge der Aktivierung der Cyangruppe durch die entstehende Säure (S. 348) g l e i c h z e i t i g A d d i t i o n und S u b s t i t u t i o n eintritt und die halogenwasserstoffsauren Salze der I m i d o k o h l e n s ä u r e e s t e r entstehen: N=C

NR ~0 - -Br

/H

—Br + I N ( - R R H O -R

®/iH N=C—N^-R R V (N=C—O—R + HBr)

Br

— HBr

V N=C—N( N

+

H0

"R>

©

R

,0—R]+

H,N=C(

Br~ 0—R

Imidokohlensäureester-hydrobromid

Die P o l y m e r i s a t i o n der Halogencyane geht etwas s c h w e r e r vor sich als die der Cyan" säure oder Cyansäureester und erfordert M i n e r a l s ä u r e n oder auch A l u m i n i u m c h l o r i d als Katalysatoren. Als Reaktionsprodukte entstehen in Analogie zur Polymerisation der Cyansäureester die t r i m e r e n C y a n u r s ä u r e h a l o g e n i d e (s. u.).

Cyanursäure. Die bei der T r i m e r i s i e r u n g der Gyansäure und -ihrer Derivate entstehenden Verbindungen der C y a n u r s ä u r e r e i h e sind T r i a z i n d e r i v a t e und gehören daher streng genommen zu den h e t e r o c y c l i s c h e n V e r b i n d u n g e n (Kap. I, 11, II, 3b«). Sie sollen jedoch wegen ihrer nahen Beziehungen zur Cyans ä u r e r e i h e bereits an dieser Stelle behandelt werden. Die Trimerisation der Cyansäure selbst kann sowohl von der C a r b i m i d f o r m (analog der Trimerisierung ScHiFFScher Basen, S.287) als auch von der C y a n s ä u r e f o r m (analog der Trimerisation des A c e t y l e n s zum B e n z o l , S. 111) aus erfolgen und führt ebenfalls zu einem t a u t o m e r e n G e m i s c h z w e i e r S ä u r e n , die je nachdem, ob sie sich von der C y a n - oder I s o c y a n s ä u r e ableiten, als C y a n u r - oder I s o c y a n u r s ä u r e bezeichnet werden (vgl. das Formelbild auf S. 395). Praktisch geht man zur D a r s t e l l u n g d e r C y a n u r s ä u r e allerdings nicht von der C y a n s ä u r e selbst aus, da diese bei der Polymerisation zum größten Teil in das hochmolekulare C y a m e l i d übergeht (S. 390), sondern vom H a r n s t o f f , der beim raschen Erhitzen auf 190° unter Ammoniakabspaltung eine c y c l i s c h e K o n d e n s a t i o n erleidet (vgl. S. 402).

Cyanursäure ist eine weiße, kristallisierte Substanz, die sich beim Erwärmen ohne zu schmelzen zersetzt und in wäßriger Lösung ziemlich s t a r k s a u e r reagiert. Sie geht bei der A l k y l i e r u n g d e s S i l b e r s a l z e s i n der K ä l t e in die am Sauer-

Die Kohlensäurederivate

394

stoff substituierten C y a n u r s ä u r e e s t e r über, die sich i n d e r W ä r m e u n t e r i n n e r m o l e k u l a r e r A l k y l i e r u n g des Stickstoffs in die s t a b i l e r e n I s o c y a n u r s ä u r e e s t e r umlagern, so d a ß m a n diese bei der A l k y l i e r u n g d e s S i l b e r s a l z e s i n d e r W ä r m e sofort erhält. Derivate der Cyanursäure sind von b e i d e n t a u t o m e r e n F o r m e n bekannt. Die normalen Ester können außer durch A l k y l i e r u n g d e r f r e i e n S ä u r e n auch aus den H a l o g e n c y a n e n über die monomeren C y a n s ä u r e e s t e r (S. 391) sowie direkt aus den C y a n u r s ä u r e h a l o g e n i d e n durch Einwirkung von N a t r i u m a l k o h o l a t gewonnen werden und verhalten sich wie echte E s t e r , d. h. sie erleiden a c y l i e r e n d e S p a l t u n g und gehen mit A m m o n i a k in M e l a m i n über, bzw. bilden bei der Hydrolyse C y a n u r s ä u r e zurück. Alle Reaktionen sowie auch die erwähnte Umlagerung in die Isocyanursäureester stehen im besten Einklang mit der angenommenen Struktur. Die Isocyanursäureester entstehen dagegen durch Trimerisation der I s o c y a n s ä u r e e s t e r und zerfallen wie diese bei der Hydrolyse in K o h l e n d i o x y d und p r i m ä r e s Amin, so daß auch ihre Konstitution e i n d e u t i g bewiesen ist. Die Cyanursäurehalogenide leiten sich naturgemäß nur von der C y a n u r s ä u r e f o r m ab und werden ausschließlich durch T r i m e r i s a t i o n der H a l o g e n c y a n e gewonnen. Sie verhalten sich wie e c h t e S ä u r e c h l o r i d e und gehen bei der vorsichtigen H y d r o l y s e in C y a n u r s ä u r e , mit A m m o n i a k in M e l a m i n und mit N a t r i u m a l k o h o l a t in die C y a n u r s ä u r e e s t e r über. Melamin, das A m i d der C y a n u r s ä u r e , ist eine s t a r k e e i n s ä u r i g e B a s e und liegt wie die Cyanursäure selbst in zwei t a u t o m e r e n F o r m e n vor, die jedoch keinen besonderen Namen erhalten haben. Seine Darstellung geschieht in der beschriebenen Weise durch A m i n o l y s e d e r C y a n u r s ä u r e e s t e r oder - h a l o g e n i d e , sowie auch durch T r i m e r i s a t i o n v o n C y a n a m i d (s. u.), zu dem es in der gleichen Beziehung steht wie alle anderen C y a n u r s ä u r e d e r i v a t e zu den monomeren C y a n s ä u r e v e r b i n d u n g e n . Die v o r s i c h t i g e H y d r o l y s e führt in einer D r e i s t u f e n r e a k t i o n über das A m m e i i n und A m m e l i d zur C y a n u r s ä u r e zurück. Auch hier stehen also alle Reaktionen in Einklang mit der angenommenen Struktur. Vom Melamin leiten sich ähnliche F o r m a l d e h y d p o l y k o n d e n s a t i o n s k u n s t s t o f f e ab wie vom Harnstoff (S. 402), die unter dem Namen Melaminharze in den Handel kommen. In dem nebenstehenden Formelbild sind alle diese Übergänge und Beziehungen zwischen den verschiedenen C y a n - , I s o c y a n - , C y a n u r - und I s o c y a n u r s ä u r e d e r i v a t e n nochmalsübersichtlich zusammengestellt, wobei lediglich auf die Wiedergabe der T a u t o m e r i e v e r h ä l t n i s s e des A m m e l i d s und A m m e l i n s verzichtet wurde. b) D a s C a r b o - d i i m i d o d e r

Cyanamid

E r s e t z t m a n im Kohlendioxyd auch das zweite O-Atom durch eine = N H Gruppe, so k o m m t m a n z u m D i i m i d der K o h l e n s ä u r e , dem Carbo-diimid, das in ähnlicher Weise m i t dem Cyansäureamid t a u t o m e r ist, wie das C a r b i m i d m i t der C y a n s ä u r e selbst, u n d meistens kurz Cyanamid g e n a n n t w i r d : HN=C=NH Carbodiimid

N=C—NH 2 Cyanamid

Darstellung. Als Verbindung vom I s o c y a n s ä u r e t y p u s k a n n Carbodiimid aus anderen Kohlensäurederivaten d u r c h A b s p a l t u n g s r e a k t i o n e n gewonnen werden, z . B . d u r c h W a s s e r e n t z u g aus H a r n s t o f f (S.401) mittels T h i o n y l c h l o r i d s oder d u r c h A b s p a l t u n g von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f aus T h i o h a r n s t o f f (S. 411) mittels Q u e c k s i l b e r o x y d s : H NH 0=

X NH H

— Ha0

* HN=C=NH

— Ho!

s=

H /NH V

NH H

Carbodiimid oder

3 N=C—OH Cyansäure

N

o

II Xk

N

NH

HN I 0=C

C- -OH

HO—C

Alkylierung

3 HN=C=0 Isocyansäure

OH

Y*

395

Cyanamid

I C=0

3 R—NH2 + 3 0 = C = 0 o

Cyanuraäure

/ 3 N=C—O—R Cyansaureestèr

+

OR

• A ïf»

Á

te co

Isocya nur säure

O

3 HaO

II / R—N

N

Trimeri> RO—C

Erhit-

C—OR

c

\

o = c

N—R c = o

rim,,ri < Tsierung -

3 R—N=C=0 Isocyansäureester

Cyanursäureester

R Isocyanursâureester O II

Cl

Y

I Ck

N Trim er i3 N=C—Cl sierung Chlorcyan

/ HN

N

I Cl—C

II C—Cl

C=NH

HN=C

c—NH2

I C=NH

HN=C

NH

I \

^NH' Ammclin

NH

HN

N

\ N H / Melamin

g Û H

+

NH II

I

-c

HN + HaO

S -NH/ Ammelid

NHa

H9N-

NH

o - i

Cyanursäurechlorid

/

O II

S 5

3 N=C—NH¡¡

3 HN=C=NH

Cyanamid

Carbodiimid

H,0 -NH,

I C=NH

Die Kohlensäurederivate

396

I n der Praxis geht man jedoch auf anderem Wege vor und „ v e r b r e n n t " das eine C-Atom des C a l c i u m c a r b i d s in einer der O x y d a t i o n z u m C a l c i u m c a r b o n a t analogen Reaktion in einer S t i c k s t o f f a t m o s p h ä r e bei 800—1000° zum K a l k s t i c k s t o f f , dem C a l c i u m s a l z d e s C y a n a m i d s (näheres vgl. anorg. Lehrbücher) : ,© ©x' CaC2 + N 2 v Ca++ / n = C = N ^ + c oder man setzt, wie bereits auf S. 362 erwähnt, den e l e m e n t a r e n K o h l e n s t o f f in einer der W a s s e r g a s b i l d u n g ähnlichen Reaktion mit N a t r i u m a m i d zu N a t r i u m c y a n a m i d und e l e m e n t a r e m W a s s e r s t o f f um: NaN=C=NNaBesonders das K a l k s t i c k s t o f f v e r f a h r e n wird technisch im G r o ß e n durchgeführt und stellt ein wichtiges Einfallstor zur Gewinnung anderer stickstoffhaltiger Kohlensäurederivate, vor allem des H a r n s t o f f s , dar. Ferner liegt in ihm, da der Harnstoff seinerseits bei der Hydrolyse in C0 2 und A m m o n i a k übergeht, eine t e c h n i s c h e M ö g l i c h k e i t zur i n d i r e k t e n S t i c k B t o f f h y d r i e r u n g vor, die vor der Einführung des HABER-BoscH-Verfahrens kurzzeitig in Deutschland auch praktische Anwendung zur A m m o n i a k s y n t h e s e gefunden hat.

Die Gewinnung des f r e i e n C y a n a m i d s ist bei seiner nur s c h w a c h s a u r e n Natur bereits durch Einleiten von K o h l e n d i o x y d in die wäßrige Lösung von K a l k s t i c k s t o f f (unter Ausfällung von CaC0 3 ) möglich, doch setzt man zur Darstellung der wasserfreien Verbindung besser das N a t r i u m salz mit der für die Bildung von G l a u b e r s a l z berechneten Menge S c h w e f e l s ä u r e und W a s s e r um und extrahiert das Reaktionsprodukt mit o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n . Cyanamid bildet in W a s s e r sehr leicht, in A l k o h o l und Ä t h e r mäßig lösliche hygroskopische Kristalle (Smp. 44°) und ist im Vakuum unzersetzt destillierbar (Sdp. 140°/19mm). I n seinem chemischen Verhalten ähnelt es der C y a n s ä u r e , ist jedoch als ihr A m i d eine wesentlich s c h w ä c h e r e S ä u r e und zeichnet sich durch eine größere R e a k t i o n s t r ä g h e i t und S t a b i l i t ä t aus. So ist es z. B. in n e u t r a l e r oder s c h w a c h s a u r e r Lösung vollkommen beständig und kann selbst m i t W a s s e r d a m p f d e s t i l l i e r t , bzw. mit W a s s e r unter Druck a u f 120—-130° e r h i t z t werden, ohne daß Reaktion eintritt. In Gegenwart von verdünnten M i n e r a l s ä u r e n oder A l k a l i e n findet jedoch sehr leicht D i m e r i s i e r u n g zum Dicyandiamid statt, das bei höherer Temperatur ein drittes Molekül Cyanamid unter Bildung von Melamin anlagern kann: H N

HN=C NH

+ II

\

C=NH

HN=C NH

NH

N

H 2 N—C

N

NH

I

NH 2 Dicyandiamid

C—NH 2 N

N

I

NH 2 Melamin

Weiterhin kennen wir eine Reihe von A d d i t i o n s r e a k t i o n e n , von denen vor allem die folgenden v i e r Möglichkeiten eine praktische Bedeutung erlangt haben:

Die Carbamidsäure

AcNH—C;

0 NH,

AcylWanderung

y

HN=Ci

/•OiAc X NH

Ureid

,OH

-HOAc

N = C — N H

2

2

->•

i

/NH2 ^

NH,

HN=C( NH, Harnstoff (Isoform)

,r

HN=C( X

397

r~ ' H N = C = N H

i ^

^

Guanidin

/S HN=C( nh2

Thioharnstoff (Isoform)

Am wichtigsten ist die H a r n s t o f f b i l d u n g , die man technisch durch Erwärmen der aus Kalkstickstoff, Wasser und C 0 2 erhaltenen wäßrigen Cyanamidlösung mit S c h w e f e l s ä u r e auf 70° durchführt, wobei durch z u s ä t z l i c h e K a t a l y s a t o r e n , wie M a n g a n d i o x y d oder andere schwerlösliche Metalloxyde (bzw. Hydroxyde), die Dimerisierung des Cyanamids v e r h i n d e r t werden kann. Die analog verlaufende A n l a g e r u n g v o n S c h w e f e l w a s s e r s t o f f zu T h i o h a r n s t o f f geschieht am besten durch t r o c k e n e s E r h i t z e n des Cyanamids mit A m m o n i u m s u l f i d , während die A m m o n i a k a n l a g e r u n g bereits bei n o r m a l e r T e m p e r a t u r spontan erfolgt. Die bei der Einwirkung von C a r b o n s ä u r e n eintretende U r e i d b i l d u n g stellt schließlich einen S p e z i a l f a l l der auf S. 342 beschriebenen Darstellung s e k u n d ä r e r S ä u r e a m i d e durch Anlagerung von C a r b o n s ä u r e n an N i t r i l e dar. Die wichtigsten Derivate des Cyanamids sind die oben beschriebenen S a l z e , v o n denen v o r allem der Kalkstickstoff ( C a + + [ N = C = N ] ~ ~ ) , der als k ü n s t l i c h e r S t i c k s t o f f d ü n g e r 1 ) sowie als Z w i s c h e n p r o d u k t f ü r d i e H a r n s t o f f g e w i n n u n g Verwendung findet, ein t e c h n i s c h e s G r o ß p r o d u k t darstellt. In Form der Dialkylderivate können die beiden tautomeren Formen des Cyanamids in der üblichen Weise s t a b i l i s i e r t werden, und zwar erhält man in eindeutiger, ihre K o n s t i t u t i o n b e w e i s e n d e r Reaktiondie Dialkylcyanamide (I) ausden H a l o g e n c y a n e n und D i a l k y l a m i n e n sowie die Dialkylcarbodiimide (II) aus den s y m m e t r i s c h d i s u b s t i t u i e r t e n H a r n s t o f f e n durch Wasserentzug mittels T h i o n y l c h l o r i d s :

N - C - Hai : H

-Xx

R

— H-Ha^

Rr N=C—N^

R

H /N—R

->-

0= N—R H

R

R—N=C=N—R Ii

Die D i a l k y l - und auch D i a r y l c a r b o d i i m i d e bilden mit C a r b o n s ä u r e n gut kristallisierende U r e i d e und finden daher neuerdings präparative Anwendung zur I d e n t i f i z i e r u n g und I s o l i e r u n g schlecht kristallisierender Fettsäuren. c) D i e C a r b a m i d s ä u r e

und ihre

Derivate

Die Carbamidsäure (fälschlich a u c h Carbaminsäure genannt, vgl. I , K a p . 6, I allgem.) ist das H a l b a m i d d e r K o h l e n s ä u r e und als S ä u r e a m i d t a u t o m e r mit einer I m i d o f o r m , der Imidokohlensäure. Sie e n t s t e h t sowohl bei der Addition v o n A m m o n i a k a n K o h l e n d i o x y d als a u c h der v o n W a s s e r a n C y a n s ä u r e : X)H 0 = C = 0 + NH 3

0=C^ XNH

^ 2

Carbamidsäure

yOH HN=C(^ « X 0 H

N=C—OH + H20 ,

Imidokohlensäure

Die d ü n g e n d e W i r k u n g des Kalkstickstoffs beruht auf seiner langsamen Zersetzung durch die K o h l e n s ä u r e der Luft zu C a l c i u m c a r b o n a t und C y a n a m i d , sowie dessenweiterer H y d r o l y s e zu H a r n s t o f f , der schließlich in K o h l e n d i o x y d und A m m o n i a k übergeht (vgl. S. 400). Kalkstickstoff kann also an Stelle des H a r n s t o f f s als Düngemittel verwandt werden und bewirkt gleichzeitig eine z u s ä t z l i c h e K a l k d ü n g u n g .

Die Kohlensäurederivate

398

ist jedoch als h y d r o x y l h a l t i g e V e r b i n d u n g vom „Carbamidsäuretypus" nur in Form der S a l z e beständig und zerfällt bei Versuchen zu ihrer Isolierung wieder rückwärts in C0 2 und A m m o n i a k . Dagegen sind eine Reihe von D e r i v a t e n bekannt, die sich von b e i d e n t a u t o m e r e n F o r m e n ableiten. Von den Salzen ist das A m m o n i u m c a r b a m i d a t (I) das wichtigste. Es bildet sich über die C a r b a m i d s ä u r e bei der Addition von z w e i Mol A m m o n i a k an K o h l e n d i o x y d : e /OH

o=c(

O = C = O + NH3

+ NE,

yO

o=c(

NH4+ NHJ

NH,

und spielt eine Rolle als Zwischenprodukt bei der H a r n s t o f f s y n t h e s e (S. 400). Carbamidsäurechlorid haben wir bereits als Amid der Chlorameisensäure kennengelernt (S. 387). Es entsteht bei der Einwirkung von Phosgen auf Salmiak bei höherer Temperatur (200—300°) und setzt sich als echtes Säurechlorid mit Alkoholaten zu Ure r thanen (s. u.) oder mit Ammoniak zum Harnstoff um. Es ist die erste stabile Verbindung vom Carbamidsäuretypus, der wir begegnen, erleidet aber immer noch leicht Halogenwasserstoffabspaltung unter Bildung von Cyan- bzw. Cyanursäure: 0 = C

/X

NH2

/ 0=C

O—R

C1 + H -NH+Cl"

— HCl

»

0=C=NH

I

X

C1

OH

I

/NH 2 /NH2

o=c

X

NH.

NH,

N

C1

N

V3 HO—C

\

Carbamidsäurechlorid

N

/

C—OH

Die N-Alkylcarbamidsäurechloride R—NH—CO—C1 gehen bei der Halogenwasserstoffabspaltung in analoger Weise in die Isocyansäureester über (Gleichung formulieren!). Die wichtigsten Carbamidsäurederivate sind die Ester, die infolge ihrer Säureamidnatur ebenfalls in z w e i t a u t o m e r e n F o r m e n auftreten, und zwar 1. den n e u t r a l e n E s t e r n der e i n b a s i g e n C a r b a m i d s ä u r e (I) und 2. den s a u r e n H a l b e s t e r n der z w e i b a s i g e n I m i d o - K o h l e n s ä u r e (II). Ihnen schließen sich als 3. Gruppe die n i c h t m e h r zur Tautomerie befähigten n e u t r a l e n E s t e r der I m i d o - K o h l e n s ä u r e (III) an: YO—R 0=CR

X O—R

I X

NH2

HN=C('

.O—R II

OH

HN=C^ X

III O—R

Die Carbamidsäureester (bzw. ein Gemisch aus I und II) werden hauptsächlich durch Erhitzen von H a r n s t o f f mit den betreffenden A l k o h o l e n gewonnen und haben auf Grund dieser Beziehung den Namen Urethanc erhalten (vgl. S.400, Anm.2). Sie entstehen aber auch aus C h l o r a m e i s e n s ä u r e e s t e r n und A m m o n i a k (S. 386), aus C a r b a m i d s ä u r e c h l o r i d und A l k o h o l , sowie schließlich auch durch Anlagerung von A l k o h o l e n an die freie C y a n s ä u r e in statu nascendi (S. 390):

399

Der Harnstoff x NH 2

0 = CX :

xNH,

NH2 + H —0—R

.A I --H -XU.,

/ N H ,•2

-NH,

I

o=c
-

/KHa o=c(

NHjH

NH2 -


>

+ HSCN

HN=C NH, Guanidin

•NH

c /

NH Carbodiimid

' © /NH2 SCNH2N=C^ NH, Guanidin-rhodanid

Weitere B i l d u n g s w e i s e n haben wir in der Umsetzung von O r t h o k o h l e n s ä u r e e s t e r n (S. 389) oder I m i d o k o h l e n s ä u r e e s t e r n (S. 399) mit A m m o n i a k bereits kennen gelernt. Eigenschaften. Guanidin ist als A m i d i n der K o h l e n s ä u r e eine sehr s t a r k e einsäurige Base (p k =0,5, vgl. Tabelle 27, I, Kap. 6, I, la), die hinsichtlich ihrer Basizität bereits den Ä t z a l k a l i e n (bzw. dem H y d r o x y l i o n ) nahesteht und z. B. mit der K o h l e n s ä u r e der L u f t unter Bildung des leichtlöslichen, nicht mehr zur C 0 2 - A b g a b e neigenden Carbonates zerfließt. Schwer l ö s l i c h sind das N i t r a t und das P i k r a t , die beide zu seiner Charakterisierung und auch I d e n t i f i z i e r u n g dienen. Mit s t a r k e n Säuren und B a s e n tritt H y d r o l y s e zu A m m o n i a k und K o h l e n d i o x y d ein, die bei Verwendung von Barytwasser auf der Stufe des H a r n s t o f f s unterbrochen werden kann (Gleichung formulieren!). Durch Anlagerung o r g a n i s c h e r A m i n e an C a r b o d i i mid erhält man die Alkyl- und auch Aryl-deriyate des Guanidjns, von denen das mit D e k a m e t h y l e n d i a m i n entstehende Dekamethylendi guanidin: H N = C = N H + H 2 N—(CH 2 ) 10 —NH 2 + H N = C = N H HN ;

VC—NH—(CH2)10—NH—C\

.NH NH»

unter der Bezeichnung Synthalin t h e r a p e u t i s c h e A n w e n d u n g gegen D i a b e t e s findet. Ein n a t ü r l i c h v o r k o m m e n d e s A l k y l g u a n i d i n ist das Galegin (CH 3 ) 2 C=CH—CH 2 —N=C(NH 2 ) 2 .

Guanidin, Semicarbazid

405

f) D i e H y d r a z i n - u n d H y d r o x y l a m i n d e r i v a t e der K o h l e n s ä u r e Das wichtigste H y d r a z i n d e r i v a t d e r K o h l e n s ä u r e ist das Semicarbazid 1 ), das in Analogie zur WöHLEitschen Harnstoffsynthese beim Erhitzen von c y a n s a u r e m H y d r a z i n erhalten wird (vgl. S. 400). Von allgemeinem Interesse ist weiterhin seine Gewinnung aus N i t r o h a r n s t o f f (S. 403) durch Reduktion mit N a t r i u m a m a l g a m , da diese Reaktion gleichzeitig eine S y n t h e s e d e s H y d r a z i n s y s t e m s darstellt: A H -

H

0 = C ^

,NH—N02 +HO—:N02

~H*°>

0=CF X

TSTH2

/NH—NH -NN»*"

0 = C

1

NH2

X

Kitroharnstoff

2

\

NH2

Semicarbazid

Semicarbazid ist in seinen p h y s i k a l i s c h e n und L ö s l i c h k e i t s e i g e n s c h a f t e n dem H a r n s t o f f sehr ähnlich, z e r f l i e ß t jedoch bereits an f e u c h t e r L u f t und neigt etwas zur Z e r s e t z u n g . Infolge der S ä u r e h y d r a z i d g r u p p i e r u n g reagiert der n i c h t a c y l i e r t e Stickstoff noch b a s i s c h , und es entstehen mit s t a r k e n S ä u r e n h y d r o l y s e n b e s t ä n d i g e S a l z e , von denen insbesondere das H y d r o c h l o r i d zur A u f b e w a h r u n g und S t a b i l i s i e r u n g des Semicarbazids dient. Seine w i c h t i g s t e V e r w e n d u n g findet es als Reagens zur Identifizierung und Charakterisierung der A l d e h y d e und K e t o n e (vgl. S. 288). Die Derivate des Semicarbazids erhält man in analoger Weise wie die H a r n s t o f f d e r i v a t e durch Anlagerung o r g a n i s c h e r H y d r a z i n d e r i v a t e an C y a n s ä u r e oder I s o c y a n s ä u r e e s t e r . Sie zeigen ebenfalls eine hervorragende Kristallisationsfähigkeit und dienen daher vielfach zur Identifizierung und Charakterisierung der s u b s t i t u i e r t e n H y d r a z i n e . Neben dem Semicarbazid als dem A m i d der H y d r a z i n m o n o c a r b o n s ä u r e sind auch einige Derivate der Hydrazcdicarbonsäure (HOOC—NH—NH—COOH) bekannt. So entsteht z. B. das D i a m i d durch eine d o p p e l t e W ö H L E R S c h e H a r n s t o f f s y n t h e s e aus einem Molekül H y d r a z i n und zwei Molekülen C y a n s ä u r e , und der als Vorstufe für die Darstellung von A z o d i c a r b o n s ä u r e e s t e r (I, Kap. 6, III, 2b) benötigte Hydrazodicarbonsäureester bei der Einwirkung von zwei Molekülen C h l o r a m e i s e n s ä u r e e s t e r auf H y d r a z i n : 0 = C = N H + H 2 N—NH 2 + H N = C = 0

>- H2NOC—NH—NH—CONH2 Hydrazo-dicarbonsäure-diamid

ROOC

Cl + Hj—NH—NH—H + Cl—jCOOR

»

ROOC—NH—NH—COOR Hydrazo-dicarbonsäure-ester

Als s t i c k s t o f f r e i c h s t e s Kohlensäurederivat und eine der stickstoffreichsten organischen Verbindungen überhaupt hat schließlich das Aminoguanidin eine gewisse Bedeutung zur S y n t h e s e h e t e r o c y c l i s c h e r V e r b i n d u n g e n (I Kap. 11, 1)1, lde) erlangt. Seine Gewinnung erfolgt, in Analogie zur Semicarbazidbildung aus N i t r o h a r n s t o f f , durch „ N i t r i e r u n g " von G u a n i d i n zum N i t r o g u a n i d i n und dessen Reduktion mit N a t r i u m a m a l g a m . Die Reaktion stellt also ebenfalls eine S y n t h e s e des H y d r a z i n s y s t e m s dar und ist auch von h i s t o r i s c h e m Interesse als eines der ersten brauchbaren Verfahren zur Gewinnung des f r e i e n H y d r a z i n s selbst (THIELE 1892): /NH2 = * =

H N = C • (N=C—NH—OH + HBr)

N=C:—Br + H:—NH—OH

Oxy-cyanamid + H,N—OH

©

.NH—OH X

Br~ NH—OH

Dioxyguanidin-hydxobromld

Die freie Base enthält zwei H y d r o x y l a m i n o g r u p p e n im Molekül und ist infolgedessen sehr unbeständig. Z. B. erfolgt bei der Einwirkung von A l k a l i Wasserabspaltung aus zwei Dioxyguanidinmolekülen unter Bildung des ebenfalls sehr unbeständigen Dioxydiamidins der A z o d i c a r b o n s ä u r e (I): HO—HNX HN:

H HO x .NH—OH — 2HaO + :" N—C (Alkali) y X OH H NH

HO—NHn HN

.NH—OH NH

5. Schwefelhaltige Kohlensäurederivate Ahnlich wie in den Abkömmlingen der Oxoverbindungen und Carbonsäuren kann man auch in den Kohlensäurederivaten den S a u e r s t o f f durch S c h w e f e l ersetzen, ohne daß der Verbindungscharakter wesentlich verändert wird. Ja, die Ähnlichkeit zwischen beiden Reihen ist hier sogar b e s o n d e r s g r o ß , und die s c h w e f e l h a l t i g e n K o h l e n s ä u r e d e r i v a t e zeigen, abgesehen von einer etwas größeren Beständigkeit bzw. Reaktionsträgheit, häufig bis i n s e i n z e l n e die g l e i c h e n R e a k t i o n e n wie die S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n . Doch werden darüber hinaus stets auch hier einige s p e z i e l l e S c h w e f e l r e a k t i o n e n beobachtet, so vor allem die Neigung der — S H - G r u p p e zum Übergang in eine D i s u l f i d b r ü c k e ( —S—S—) und zur Bildung s c h w e r l ö s l i c h e r , z.T. c h a r a k t e r i s t i s c h f a r b i g e r Schwer metallsalze. Soweit keine T r i v i a l n a m e n vorliegen, werden infolge dieser nahen Beziehungen zwischen den S a u e r s t o f f - und S c h w e f e l v e r b i n d u n g e n die letzteren allgemein als die Thioderivate der ersteren bezeichnet, wobei man häufig sogar die dort üblichen T r i v i a l n a m e n (z. B. Harnstoff -*• Thioharnstoff) beibehält.

a) D e r S c h w e f e l k o h l e n s t o f f Ersetzt man die O-Atome des K o h l e n d i o x y d s durch S c h w e f e l , so kommt man zum Schwefelkohlenstoff als dem einfachsten schwefelhaltigen Kohlensäurederivat. Er gehört wie das Kohlendioxyd dem G r e n z g e b i e t z w i s c h e n o r g a n i s c h e r und a n o r g a n i s c h e r C h e m i e an. Insbesondere ist seine wichtigste Darstellungsweise, die „Verbrennung" von K o h l e bei 800—1000° in einer S c h w e f e l a t m o s p h ä r e , ihrer ganzen Natur nach eine rein a n o r g a n i s c h e R e a k t i o n . Schwefelkohlenstoff ist eine bei 46° siedende, stark lichtbrechende Flüssigkeit mit typisch l i p o p h i l e n L ö s l i c h k e i t s e i g e n s c h a f t e n . Seine Dämpfe sind s e h r g i f t i g und außerordentlich l e i c h t e n t z ü n d l i c h , so daß bei seiner Handhabimg Vorsicht geboten ist. Die chemischen Umsetzungen lassen sich in zwei Gruppen einteilen: 1. die A n l a g e r u n g s r e a k t i o n e n , bei denen er sich dem K o h l e n -

Der Schwefelkohlenstoff

407

d i o x y d analog verhält und 2. die auf die spezielle Reaktionsfähigkeit des Schwefels zurückzuführenden Oxydations- und Halogenierungsreaktionen. Zu 1. Ähnlich wie K o h l e n d i o x y d vermag Schwefelkohlenstoff basische Verbindungen, wie z. B. Ammoniak oder Amine, salzartige M e t a l l s u l f i d e , N a t r i u m h y d r o x y d oder -alkoholat und metallorganische Verbindungen (nicht aber Wasser 1 ) und A l k o h o l e ) unter Bildung der unten beschriebenen Verbindungen vom Carbamidsäuretypus zu addieren: ,0—R S=(T

+

+

4- R — O N a

" S

NH—R

N SH

SNa Natr iumxanthogenai,

Ba++ S = C (

s=c/

N-AIkyl-dithiocarbamidsäure

= S C—S = + BaS

+ R~Me>

Trithiocarbonat

R-C^' SMe Dithiocarbonsaures Salz

Zu 2. Mit L u f t s a u e r s t o f f und anderen Oxydations- oder auch Halogenierungsmitteln tritt g l e i c h z e i t i g Oxydation (bzw. Halogenierung) des Kohlens t o f f s und des Schwefels ein unter Ausbildung der jeweils höchst möglichen Oxydations- (bzw. Halogenierungs-)stufen. So entstehen z. B. bei der Verbrennung mit Luftsauerstoff S c h w e f e l d i o x y d und K o h l e n d i o x y d nebeneinander, bei der Chlorierung mit Chlor T e t r a c h l o r k o h l e n s t o f f und Dischwefeldichlorid (S2C12), sowie schließlich bei der Einwirkung von S2C12 T e t r a c h l o r k o h l e n s t o f f und elementarer Schwefel (vgl. auch S. 162):

s=c=s =r C0 2 + 2 S0 2

+ 3C1,

+

2 S ' C1 '

CCI* + SjCla

>

CC14 + 3 S2

Schwefelkohlenstoff wird technisch in großem Maßstab hergestellt und findet Verwendung als l i p o p h i l e s L ö s u n g s m i t t e l und R e a k t i o n s m e d i u m (z. B. für die F R I E D E L CRAFTssche Reaktion) sowie als Ausgangsmaterial für die Gewinnung v o n T e t r a c h l o r k o h l e n s t o f f und von s c h w e f e l h a l t i g e n K o h l e n s ä u r e d e r i v a t e n , insbesondere zur Bereitung von C e l l u l o s e x a n t h o g e n a t in der Kunstfaserindustrie (Hauptmenge). Ferner dient er sowohl in freiem Zustand als auch in Form einiger Derivate (z. B. S.413) als S c h ä d l i n g s bekämpfungsmittel.

b) Das K o h l e n o x y s u l f i d Eine Mittelstellung zwischen K o h l e n d i o x y d und S c h w e f e l k o h l e n s t o f f nimmt das Kohlenoxysulfid ein, das, ebenfalls in Analogie zu einer Kohlendiozydbildungsreaktion, durch „Verbrennung" von K o h l e n o x y d in einer Schwefelatmosphäre bei Rotglut dargestellt wird. Weitere wichtige Bildungsweisen liegen in der partiellen Verseifung anderer Kohlensäurederivate vor, so z. B. 1 ) Mit Wasser tritt erst o b e r h a l b 150° Hydrolyse zu K o h l e n d i o x y d und S c h w e f e l w a s s e r s t o f f ein. Sie erfolgt wahrscheinlich über die D i t h i o k o h l e n s ä u r e als intermediäres Anlagerungsprodukt (Gleichung formulieren!).

Die Kohlensäurederivate

408

in der hydrolytischen Abspaltung nur e i n e s S - A t o m s des S c h w e f e l k o h l e n s t o f f s durch Erhitzen mit Wasser unter Druck oder in der A b s p a l t u n g d e r = N H - G r u p p e der R h o d a n w a s s e r s t o f f s ä u r e (bzw. der = N — R - G r u p p e der S e n f ö l e ) mittels k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e : S = C E S + H*iO

S = C = 0

iS ••:('—NH

II 2 0

Kohlenoxysulfid ist ein sich bei —50° kondensiarendes, narkotisch wirkendes Gas, das ebenfalls an der Luft zu C0 2 und S0 2 verbrennt. P o l a r e n Verbindungen gegenüber ist es infolge des Vorhandenseins einer Carbonylgruppe etwas r e a k t i o n s f ä h i g e r als Schwefelkohlenstoff und wird durch Wasser bereits bei normaler Temperatur langsam verseift. B a s i sche R e a g e n t i e n lagern sieh auch hier zu s t a b i l e n A d d i t i o n s v e r b i n d u n g e n an, von denen an dieser Stelle lediglich die mit A l k o h o l a t e n entstehenden E s t e r s a l z e der Monot h i o k o h l e n s ä u r e angeführt seien: ,0—R 0 = C = S + Na0—R >- 0 = c / SNa

c) D i e R h o d a n w a s s e r s t o f f - o d e r

Thiocyansäure

Ersetzt m a n den S a u e r s t o f f der C y a n s ä u r e durch S c h w e f e l , so kommt m a n zu der allgemein als Rhodanwasserstoffsäure bezeichneten Thiocyansäure, die von allen Schwefelderivaten der Kohlensäure die g r ö ß t e Ä h n l i c h k e i t mit der entsprechenden Sauerstoffverbindung aufweist. So erfolgt bereits die D a r s t e l l u n g d e r S a l z e in analoger Weise durch A n l a g e r u n g v o n S c h w e f e l an geschmolzenes N a t r i u m - o d e r K a l i u m c y a n i d , und die f r e i e S ä u r e zeigt e b e n f a l l s T a u t o m e r i e zwischen einer Thiocarbimid- und einer Thiocyansäure form: NaC=N+S

>- NaS—C=N

an5äucrl

V

H—S—C=N 7

" S=C=N—H

Rhodanwasserstoff Thiocyansäure-Form Thio-carbimid-Form

Doch herrscht hier wie bei den T h i o c a r b o n s ä u r e n (S. 355) und im Gegensatz zur C y a n s ä u r e (S. 390) die k e i n e C = S - D o p p e l b i n d u n g im Molekül enthaltende T h i o c y a n s ä u r e f o r m im Gleichgewicht vor (vgl. auch III, Kap.3, I I , 2c). Die freie Rhodanwasserstoffsäure wurde erstmals von BIRKENBACH durch vorsichtige

Zersetzung von K a l i u m r h o d a n i d mit S c h w e f e l s ä u r e bei t i e f e r T e m p e r a t u r erhalten. Sie ist eine bei -—110° schmelzende, bei normaler Temperatur gasförmige (Kondensationstemperatur +5°) Substanz, die sich als noch u n b e s t ä n d i g e r als die freie C y a n s ä u r e erweist und in flüssigem Zustand bereits zwischen —90 und •—80° zu einem bei + 3 ° schmelzenden P o l y m e r i s a t erstarrt, das oberhalb des Schmelzpunktes eine noch w e i t e r g e h e n d e P o l y m e r i s a t i o n erleidet. In verdünnter wäßriger Lösung (Konz.< 5%) ist die Säure dagegen b e s t ä n d i g und zeigt — ähnlich wie auch T h i o e s s i g s ä u r e (S. 355) und S c h w e f e l w a s s e r s t o f f gegenüber den entsprechenden S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n — eine wesentlich größere A c i d i t ä t als Cyansäure, so daß sie zu den s t a r k e n Säuren zählt.

Die Anlagerangsreaktionen erfolgen in prinzipiell gleicher Weise wie bei der C y a n s ä u r e , benötigen jedoch, da die im Gleichgewicht vorherrschende T h i o c y a n s ä u r e f o r m nur die relativ reaktionsträge N i t r i l g r u p p e enthält, etwas s c h ä r f e r e B e d i n g u n g e n . So t r i t t z. B. eine Reaktion mit Wasser erst beim Erwärmen m i t m ä ß i g k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e ein und f ü h r t sofort über die primär entstehende labile T h i o c a r b a m i d s ä u r e weiter zum K o h l e n o x y s u l f i d . Ebenso wird A m m o n i a k in einer der WöHLBRSchen Harnstoffsynthese analogen Reaktion erst beim Erwärmen des R h o d a n a m m o n i u m s auf die S c h m e l z t e m p e r a t u r

Der Rhodanwasserstoff

409

(160—170°) und nur bis zu einem etwa 30% T h i o h a r n s t o f f enthaltenden Gleichgewichtsgemisch addiert: / .NH\ I H:S-c( ^H^o, OIH /

s=c=o

HS—G=N

,NH, HS-< NH

^

Thiocarbamidsäure

Thioharnstoff (Pseudoform)

Der spezielle Charakter als Schweielverbindung kommt vor allem in den I o n e n r e a k t i o n e n der Rhodanwasserstoffsäure, sowie in der Tendenz zum Übergang in das f r e i e R h o d a n und in den R e a k t i o n e n d e s f r e i e n R h o d a n s selbst zum Ausdruck. In all diesen Fällen tritt die — S H - G r u p p e (oder das —S~-Ion) in Reaktion und zeigt infolge der A k t i v i e r u n g durch die C y a n g r u p p e eine dem J o d w a s s e r s t o f f bzw. J o d i o n sehr ähnliche Reaktionsfähigkeit, so daß man die R h o d a n g r u p p e allgemein zu den Pseudohalogenen rechnet (vgl. anorg. Lehrbücher). So beruht die Darstellung des freien Rhodans im Prinzip zwar auf der Bildung einer D i s u l f i d b r ü c k e durch O x y d a t i o n e i n e r — S H - V e r b i n d u n g , erfolgt jedoch, ähnlich wie die Bildung von e l e m e n t a r e m J o d , bereits bei der E n t l a d u n g v o n R h o d a n - i o n e n , z. B. bei der E l e k t r o l y s e v o n K a l i u m r h o d a n i d oder bei der Umsetzung von S i l b e r r h o d a n i d mit f r e i e n H a l o g e n e n , sowie schließlich auch durch Zusammengeben von R h o d a n - und K u p f e r - I I - i o n e n : 2[S—C=N]~ 2 Ag+[S—C=N]~ + Hala ++

-

2 Cu [S—C=N] 2

~

2 e

> 2 -S—C=N

-2AgHa'^

1

2 -S-feN

^

2-S-feN

P

N=C—S—S—C=N Freies Khodan

Das freie Rhodan ist eine unangenehm riechende, sehr zersetzliche gelbe Flüssigkeit (Smp. —3°), die in o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n gut löslich und auch einige Zeit haltbar ist. Seine Reaktionsfähigkeit ist vor allem auf die A k t i v i e r u n g der S — S - B i n d u n g durch die beiden N = C - G r u p p e n zurückzuführen und erreicht die der e l e m e n t a r e n H a l o g e n e . Insbesondere kann man das freie Rhodan unter gewissen Umständen a n D o p p e l b i n d u n g e n a n l a g e r n , oder in Analogie zur Halogenierungsreaktion eine R h o d a n i e r u n g der besonders reaktionsfähigen P h e n o l e und a r o m a t i s c h e n A m i n e durchführen: ( H j N ) H O — Í H + N=C—S—!S—C=N

-HSCN

(H2N) HO—/

S—C=N

Mit W a s s e r reagiert das freie Rhodan sogar wesentlich l e i c h t e r als die H a l o g e n e , so daß es in wäßriger Lösung nur sehr k u r z e Z e i t haltbar ist und sofort weiter umgesetzt werden muß. Die nicht in allen Einzelheiten aufgeklärte Zersetzungsreaktion mit Wasser führt p r i m ä r zu einer, der Bildung der u n t e r h a l o g e n i g e n S.äuren aus den elementaren Halogenen analogen, H y d r o l y s e d e s R h o d a n s , doch zerfällt die hierbei gebildete „unterrhodanige Säure" (I) sofort weiter in B l a u s ä u r e , S c h w e f e l s ä u r e und andere S e k u n d ä r p r o d u k t e : N=c—S:—S—C=N + HiOH Oj

v N=C—SOH + H—S—C=N I

> H 2 S0 4 + HC=N + Sekundärprodukte

Das Rhodan-ion bildet mit Schwermetallionen nicht ionisierte, wasserunlösliche Verbindungen. Insbesondere die farblosen Rhodanide der einwertigen Schwer-

Die Kohlensäurederivate

410

m e t a l l e (Kupfergruppe) zeigen wieder eine große Ähnlichkeit mit den entsprechenden HalogenVerbindungen. Zum s p e z i e l l e n N a c h w e i s des Rhodan-ions eignet sich vor allem das mit E i s e n - I I I - i o n e n entstehende blutrote Eisen-IH-rhodanid, das mit Ä t h e r ausgeschüttelt werden kann und auf Grund seiner charakteristischen Farbe der Rhodanwasserstoffsäure den N a m e n gegeben hat (von griech. pöSov = die Rose).

Von den übrigen Derivaten der Rhodanwasserstoffsäure haben lediglich die E s t e r größere Bedeutung erlangt, die im Gegensatz zu den C y a n s ä u r e e s t e r n von b e i d e n t a u t o m e r e n F o r m e n bekannt sind: Die normalen Khodanwasserstoffsäureester werden A l k y l - bzw. A r y l r h o d a n i d e genannt und entstehen bei der A l k y l i e r u n g und A r y l i e r u n g (nach S A N D M E Y E B , vgl. I, Kap.6, III, l b ) der r h o d a n w a s s e r s t o f f s a u r e n S a l z e oder auch aus B r o m c y a n und N a t r i u m - m e r c a p t i d : X •(• —Br

XaS---R(Ar) ~ y a B r > N

Xalfal

C—S—R(Ar)

X .(.' —St'Na -j- Hai -:R(Ar)

Die zweite Reaktion stellt gleichzeitig einen wichtigen K o n s t i t u t i o n s b e w e i s dar. Die normalen R h o d a n w a s s e r s t o f f s ä u r e e s t e r s i n d e t w a s b e s t ä n d i g e r als die C y a n s ä u r e e s t e r , zeigen aber immernoch eine gewisse L a b i l i t ä t und erleiden in Gegenwart von S ä u r e n eine a n a l o g e T r i m e r i s a t i o n zu den Trithiocyanursäureestem (Gleichung formulieren!). Eine weitere interessante Z e r s e t z u n g s r e a k t i o n ist die bei höherer Temperatur erfolgende U m l a g e r u n g zu den I s o r h o d a n w a s s e r s t o f f s ä u r e e s t e r n , die auf einer (bei der sonstigen Stabilität der S—R-Bindung [vgl. I, Kap.7,1, 1] erstaunlichen) i n n e r m o l e k u l a r e n W a n d e r u n g des Alkylrestes vom S c h w e f e l zum S t i c k s t o f f beruht: Y

X

C -S

R

Erhitzen irreversibel

^

R

:S

und besonders bei der A l l y l V e r b i n d u n g infolge der hier möglichen A l l y l - U m l a g e r u n g (II, Kap.5,III, 1) sehr leicht, d.h. bereits bei der Destillation, vor sich geht. Die bei der erwähnten Rhodanierung von P h e n o l e n und A m i n e n entstehenden arom a t i s c h e n R h o d a n w a s s e r s t off säure e s t er (Oxy- und A m i n o - a r y d r h o d a n i d e ) haben sich z. T. als sehr wirksame I n s e k t e n g i f t e erwiesen und dienen daher zur S c h ä d l i n g s b e k ä m p f u n g . Ihre technische Gewinnung erfolgt nach verschiedenen Verfahren.

Die Iso-rhodanwasserstoffsäure-ester treten sowohl in freiem Zustand, als auch in Form der S e n f ö l g l y k o s i d e an K o h l e n h y d r a t e und S c h w e f e l s ä u r e gebunden (II, Kap.4, I I I , 5) im S e n f s a m e n und anderen P f l a n z e n auf. Sie bedingen u. a. den scharfen Geruch des S e n f e s , des M e e r r e t t i c h s sowie z. T. auch der Z w i e b e l und werden allgemein Senföle genannt. Für ihre Darstellung kommen, abgesehen von der erwähnten Umlagerung der normalen Rhodanwasserstoffsäureester, vor allem z w e i R e a k t i o n e n in Betracht, die gleichzeitig für ihre K o n s t i t u t i o n b e w e i s e n d sind: 1. die A n l a g e r u n g p r i m ä r e r A m i n e a n S c h w e f e l k o h l e n s t o f f zu den A l k y l d i t h i o c a r b a m i d s ä u r e n , die beim Erhitzen ihrer Schwermetallsalze die Schwermetallsulfide unter Bildung der Senf öle abspalten, und 2. die A n l a g e r u n g v o n S c h w e f e l an I s o n i t r i l e , die der Bildung von R h o d a n k a l i u m durch A n l a g e r u n g von S c h w e f e l an K a l i u m c y a n i d entspricht: R_N=CI + S -

K R — N

C

S

S R-N-C;f. : 1 \SII H

S R-NHa + C^ ^S

Die Senföle sind stechend riechende Flüssigkeiten, von ziemlich h o h e m S i e d e p u n k t (Methylsenföl: 119°, Äthylsenföl: 131°). Sie zeigen ein ähnliches, jedoch

Die Senföle

411

deutlich g e r i n g e r e s R e a k t i o n s v e r m ö g e n als die I s o c y a n s ä u r e e s t e r . Z. B. werden keine P o l y m e r i s a t i o n s r e a k t i o n e n mehr beobachtet. Doch entstehen bei der Anlagerung von A m m o n i a k oder Aminen in analoger Reaktion die substituierten T h i o h a r n s t o f f e und bei der Anlagerung von Alkoholen die am Stickstoff substituierten T h i o - u r e t h a n e (s. unten): R—NHX

V=s

-< R '-°- H

R_N

=

C=S

R'—0



R—NHn

)c=s

H2NX

N-Alkyl-thiourethan

N-Alkyl-thiohamstofi

Von Interesse sind weiterhin die h y d r o l y t i s c h e n S p a l t u n g s r e a k t i o n e n , die man je nach den Reaktionsbedingungen so lenken kann, daß entweder p a r t i e l l e H y d r o l y s e , und zwar sowohl der C = S - als auch der C = N - D o p p e l bindung, oder t o t a l e H y d r o l y s e eintritt: j

(H.SO.tdfrNaOH)

'

R

~NH2+0=C=S

±|l2

R—N=C=S !

^ C0 2

v

HgS + R — N = C = 0

-11—NH.

1

Stets aber bleibt der Alkylrest an den S t i c k s t o f f gebunden, d. h. auch hier liegen keine e c h t e n E s t e r , sondern, ähnlich wie in den I s o c y a n s ä u r e e s t e r n (392), nur S ä u r e i m i d d e r i v a t e der M o n o t h i o k o h l e n s ä u r e (bzw. der K o h l e n s ä u r e selbst) vor. Allylsenföl CH 2 =CH—CH 2 —NCS, das wichtigste der n a t ü r l i c h e n Senföle, ist als Abbauprodukt des Senfölglykosids Sinigrin (III, Kap. 3, I I I , 5) neben diesem im Samen des s c h w a r z e n S e n f e s , im M e e r r e t t i c h und anderen Pflanzen enthalten. Als Beispiele weiterer natürlicher Senföle seien das um eine Methylgruppe reichere Crotylsenföl CH 3 —CH=CH—CH 2 —NCS, das sich vom P h e n y l ä t h y l a l k o h o l ableitende Phenyläthylsenföl C C H 5 —CH 2 —CH 2 —NCS und das eine S u l f o n g r u p p e im Alkylrest enthaltende Cheirolin CH 3 —S0 2 —(CH 2 ) 3 —NCS erwähnt. Phenylseniöl, das wichtigste a r o m a t i s c h e S e n f ö l , wird in der angegebenen Weise aus A n i l i n und S c h w e f e l k o h l e n s t o f f über die N - P h e n y l d i t h i o c a r b a m i d s ä u r e oder aus D i p h e n y l t h i o h a r n s t o f f durch At Spaltung von einem Molekül A n i l i n mittels Salzsäure gewonnen (Gleichungen formulieren!). E s dient in ähnlicher Weise wie das P h e n y l i s o c y a n a t zur Darstellung c h a r a k t e r i s t i s c h e r D e r i v a t e v o n A l k o h o l e n und A m i n e n .

d) Die M o n o t h i o k o h l e n s ä u r e und i h r e D e r i v a t e Die freie Monothiokohlensäure HO—CO—SH ^ HO—CS—OH ist als h y d r o x y l h a l t i g e Verbindung vom C a r b a m i d s ä u r e t y p u s nicht existenzfähig, und auch ihre Salze sind für den Organiker ohne Interesse geblieben. Die Salze des a m S a u e r s t o f f s u b s t i t u i e r t e n H a l b e s t e r s (R—O—CO—SH) entstehen bei der oben erwähnten Anlagerung von N a t r i u m a l k o h o l a t an K o h l e n o x y s u l f i d (S. 408), und auch ihren E s t e r a m i d e n , den Thio-urethanen (R—O—CS—NH 2 ), sind wir in den Anlagerungsprodukten von A l k o h o l e n an S e n f ö l e (s.o.) bereits begegnet. Sie enthalten als einzige Verbindungsgruppe der organischen Chemie die d r e i m e h r w e r t i g e n H e t e r o a t o m e 0 , N und S an dem gleichen C-Atom.

Das w i c h t i g s t e D e r i v a t der Monothiokohlensäure ist ihr D i a m i d , der Thioharnstoff, der in Analogie zum Harnstoff in zwei t a u t o m e r e n F o r m e n auftritt, von denen jedoch infolge der I n s t a b i l i t ä t der C = S - D o p p e l b i n d u n g die Isooder, wie man allgemein sagt, P s e u d o f o r m im Gleichgewichtsgemisch überwiegt:

Die Kohlensäurederivate

412

/NH2 S=C^ NH 2 Thiohaxnstoif

XNH -•:. HS—CF X NH 2 Pseudo-thioharnstoff

Seine D a r s t e l l u n g erfolgt in Analogie zur H a r n s t o f f s y n t h e s e entweder durch Anlagerung von A m m o n i a k an R h o d a n w a s s e r s t o f f s ä u r e (S. 408) oder durch Anlagerung von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f a n C y a n a m i d (S. 397, Gleichungen formulieren!). Auch in seinen Reaktionen ähnelt er dem H a r n s t o f f und bildet wie dieser mit starken Säuren w a s s e r b e s t ä n d i g e S a l z e und u n l ö s l i c h e S c h w e r m e t a l l d e r i v a t e , die aber bereits n i c h t - i o n o g e n e Metall-SchwefelBindungen enthalten dürften. Ferner kann er in Analogie zum Harnstoff in Umkehrung der beschriebenen Bildungsweise durch A b s p a l t u n g v o n S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in C y a n a m i d übergeführt werden S. 394). An s p e z i e l l e n R e a k t i o n e n d e r S H - G r u p p e des Pseudothioharnstoffs beobachtet man außer der erwähnten Ausfällung von S c h w e r m e t a l l d e r i v a t e n vor allem die bei der Einwirkung von P e r m a n g a n a t stattfindende Oxydation zum Di-pseudothioharnstoff und die A l k y l i e r b a r k e i t des Schwefels zu den 8-Alkyl-pseudothioharnstoffen: HNS

,NH

H2N/

NH2

v.-

> - s - s - c - BaCS 3

H SC)l

'

> S=C^--i :XSH

y

H2S + S = C = S

Durch A l k y l i e r u n g der S a l z e kommt man zu den n o r m a l e n E s t e r n (R—S—CS —S—R), die sich als sehr b e s t ä n d i g erweisen und infolge des Fehlens einer Carbonylgruppe nur s c h w e r v e r s e i f b a r sind. Die h ö c h s t e S u l f u r i e r u n g s s t u f e des Kohlenstoffs wird schließlich in der Tetrathioorthokohlensäure erreicht, deren E s t e r durch Einwirkung von N a t r i u m m e r c a p t i d e n auf T e t r a c h l o r k o h l e n s t o f f dargestellt werden können und als Verbindungen vom E s t e r t y p u s relativ b e s t ä n d i g sind. Sie werden wie die sauerstoffhaltigen Orthokohlensäureester sehr leicht durch S ä u r e n aufgespalten und wirken wie die O r t h o t h i o c a r b o n s ä u r e e s t e r auf Oxoverbindungen m e r c a p t a l i s i e r e n d ein, finden jedoch wegen der Übertragbarkeit nur der H ä l f t e der R—S-Gruppen keine praktische Anwendung in diesem Sinne: RS;Na CL I + RSjNa C1

X!1 X

+ C1

NaSR ! NaSR

RS. V RS

/.SR X

+

\

\

c = 0

• SR

/SR X

RS. +

SR

yC==0 RS

5. K a p i t e l :

Verbindungen mit mehreren SauerstoffFunktionen im Molekül Stehen mehrere Sauerstoff-Funktionen an v e r s c h i e d e n e n C-Atomen, so ist ihre gegenseitige Beeinflussung nur noch g e r i n g , und sie lassen ihre charakteristischen Reaktionen n e b e n e i n a n d e r erkennen. Man spricht daher nicht mehr von einer neuen Sauerstoff-Funktion, wie etwa bei der eine Carbonyl- und eine Hydroxylgruppe am gleichen C-Atom enthaltenden Carboxylgruppe, sondern von Verbindungen mit m e h r e r e n S a u e r s t o f f - F u n k t i o n e n im M o l e k ü l , die auf Grund der verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten unterteilt werden in: 1. P o l y o x y - V e r b i n d u n g e n , 2. O x y - o x o - V e r b i n d u n g e n , 3. P o l y - o x o - V e r b i n d u n g e n , 4. P o l y - c a r b o n s ä u r e n , 5. O x y - c a r b o n s ä u r e n , 6. O x o - c a r b o n s ä u r e n und schließlich 7. O x y - o x o - c a r b o n s ä u r e n . Alle diese Verbindungsklassen sind von großer allgemeiner Bedeutung, da einerseits ihnen wichtige Naturstoffe, insbesondere die gesamte Kohlenhydratgruppe, angehören, andererseits sie neben den bereits bekannten Reaktionen der einzelnen Funktionen eine Reihe n e u a r t i g e r U m s e t z u n g e n zeigen, an denen sich mehrere Sauerstoff-Funktionen beteiligen, und die u. U. zu völlig neuartigen Verbindungen führen, wie etwa zu den c y c l i s c h e n Ä t h e r n und L a c t o n e n .

I. Die Poly-oxy-Verbindungen 1. Die mehrwertigen oder Poly-alkohole Verbindungen mit mehreren alkoholischen Oxygruppen im Molekül werden m e h r w e r t i g e oder P o l y a l k o h o l e genannt. Sie enthalten maximal e i n e H y d r o x y l g r u p p e p r o C - A t o m und sind in zahlreichen Varianten bekannt, von denen uns hier in erster Linie die den Kohlenhydraten nahestehenden Polyalkohole, in denen an j e d e m C-Atom e i n e Hydroxylgruppe steht, interessieren, da ihnen wichtige Naturstoffe angehören. Ihre Benennung erfolgt in den meisten Fällen durch T r i v i a l n a m e n , die bei den höheren Gliedern der Reihe die von der Kohlenhydratchemie übernommene Endung -it führen. Die G e n f e r N o m e n k l a t u r verwendet die gleiche Endung -ol wie für die einfachen Alkohole und gibt die Zahl der Hydroxylgruppen in der üblichen Weise durch Einschieben eines griechischen Zahlwortes an (z. B. Äthandiol und Propantriol für Glyhol und Olycerin).

Die Darstellung der Polyalkohole geschieht nach ähnlichen Methoden wie die der e i n f a c h e n A l k o h o l e , doch sind keine allgemein für die ganze Reihe gültigen Verfahren bekannt. In ihrem physikalischen Verhalten weichen die Polyalkohole infolge der Häufung der s t a r k a s s o z i i e r e n d e n H y d r o x y l g r u p p e n "bereits weitgehend von den einfachen Alkoholen ab. Insbesondere steigen die Schmelz- und Siedepunkte außerordentlich rasch mit der Molekülgröße (bzw. der Zahl der Oxygruppen) an,

416

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

und auch der ö l i g e C h a r a k t e r der niederen Glieder der Reihe ist ohne Zweifel auf die s t a r k e n A s s o z i a t i o n s k r ä f t e zurückzuführen. Tabelle 23 Die p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n e i n i g e r P o l y a l k o h o l e Formel Glykol Glycerin Erythrit Pentaerythrit Mannit Trimethylenglykol Tetramethylenglykol Pentamethylenglykol Pinakon

CH 2 OH—CH 2 OH CH 2 OH—CHOH—CH 2 OH CH 2 OH—(CHOH) 2 —CH 2 OH C(CH2OH)4 CH2OH—(CHOH)4—CH2OH HO—(CH2)3—OH HO—(CH2)4—OH HO—(CH2)6—OH HO—C(CH3)2—C(CH3)2—OH

Sdp.

Smp.

D/T

197° 290 330

—11° 20 120 253 166

1,113/20° 1,260/20 1,451/fest



290/3 mm 214 230 239 174



16 —

35—38



1,489/fest 1,060/20 1,020/20 0,994/18 0,967/15

Hinsichtlich der Löslichkeitseigenschaften beobachtet man gegenüber den einfachen Alkoholen vor allem eine starke Zunahme des l i p o p h o b e n Charakters. So ist z. B. bereits G l y k o l nicht mehr in Ä t h e r löslich, und vom E r y t h r i t ab geht sogar die Löslichkeit in A l k o h o l stark zurück. Nur in W a s s e r selbst tritt, von den h o c h m o l e k u l a r e n K o h l e n h y d r a t e n (III, Kap. 4, IV, 1) abgesehen, keine starke Löslichkeitsabnahme mit zunehmendem Molekulargewicht ein. Die chemischen Umsetzungen der Polyalkohole sind denen der e i n f a c h e n A l k o h o l e sehr ähnlich, und wir können die Hydroxylgruppen in gleicher Weise v e r ä t h e r n , v e r e s t e r n , in die A l k o h o l a t e ü b e r f ü h r e n oder gegen a n d e r e n e g a t i v e R e s t e austauschen. Auch O x y d a t i o n s r e a k t i o n e n lassen sich wie bei den einwertigen Alkoholen durchführen, doch muß man hier besonders vorsichtig arbeiten, u m bei der Labilität der Polycarbonylverbindungen definierte Reaktionsprodukte zu erhalten (vgl. z. B. S. 433, 441). Bei all diesen Reaktionen setzen sich ohne besondere V o r s i c h t s m a ß r e g e l n alle H y d r o x y l g r u p p e n gleichzeitig um, doch ist es häufig auch möglich, e i n z e l n e H y d r o x y l g r u p p e n getrennt von den anderen zur Reaktion zu bringen. Die Ausarbeitung von Methoden zur B e s c h r ä n k u n g d e r R e a k t i o n auf e i n z e l n e , vorher bestimmbare Hydroxylgruppen ist eine der wichtigsten Aufgaben der Chemie der Polyalkohole. Als charakteristisches Beispiel sei die C h l o r i e r u n g d e s G l y k o l s angeführt: Bei der Sättigung mit C h l o r w a s s e r s t o f f g a s wird nur e i n e der beiden Oxygruppen substituiert,während die Einführung des z w e i t e n C h l o r a t o m s bereits s t ä r k e r e C h l o r i e r u n g s m i t t e l , wie z. B. P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d oder E i s e s s i g - C h l o r w a s s e r s t o f f , erfordert: HO—CH2—CH2—OH Äthylenglykol

H

~ C 1 > HO—CH2—CHj—C1 Äthylenchlorhydrin

PC1

' >

Cl—CH2—CH2—C1 Äthylenchlorid

Eine weitere Reaktion, der nur p r i m ä r e Hydroxylgruppen zugänglich sind, haben wir bereits in der T r i t y l i e r u n g v o n A l k o h o l e n m i t T r i t y l c h l o r i d - P y r i d i n (S. 213) kennengelernt, und auch die D e h y d r i e r u n g d e r O x y g r u p p e n kann man so lenken, daß entweder n u r die p r i m ä r e n oder n u r die s e k u n d ä r e n Hydroxylgruppen angegriffen werden (vgl. S. 433). All diese Verfahren sind von besonderer Bedeutung für die Chemie der K o h l e n h y d r a t e und sollen daher auch dort erst ausführlich behandelt werden (III, Kap. 4.1, 3 e). A n n e u a r t i g e n R e a k t i o n e n ist vor allem die Neigung der Polyalkohole hervorzuheben, unter gleichzeitiger Reaktion von z w e i Hydroxylgruppen mit z w e i w e r t i g e n Atomgruppen cyclische Verbindungen auszubilden. So entstehen z. B. bei der Einwirkung v o n A c e t o n oder anderen O x o v e r b i n d u n g e n auf 1, 2 - D i o l e (bzw. bei deren Abwesenheit auch auf 1, 3 - D i o l e ) in Gegenwart von Spuren von

Die Polyalkohole

417

M i n e r a l s ä u r e n als Katalysatoren c y c l i s c h e , einen 5- (bzw. 6-)Ring enthaltende A c e t a l e , die besonders in der Kohlenhydratchemie eine größere praktische Bedeutung erlangt haben (III, Kap. 4,1, 3d): /CH,

CH—0|H

X

XCH—0:H

+

0=;C(

— H,0

CH,

\ CH—0

(H ) +

/CH,

X

CH,

/CH—0

Als K o n d e n s a t i o n s m i t t e l verwendet man hierbei häufig auch wasserfreies Z i n k c h l o r i d , K u p f e r - I I - s u l f a t oder ähnliche S c h w e r m e t a l l s a l z e s t a r k e r S ä u r e n , die infolge Komplexbildung oder geringfügiger A l k o h o l y s e die als Katalysator benötigte S ä u r e hefern und gleichzeitig das bei der Reaktion entstehende W a s s e r binden.

Eine weitere wichtige Reaktion dieser Art liegt in der Neigung der Polyalkohole zur Bildung cyclischer Komplexverbindungen vor. Besonders mit S c h w e r m e t a l l i o n e n (Cu ++ , C o + + + , Ni + + , Zn + + usw.) werden häufig bereits beim bloßen Zusammengeben der Komponenten in alkalischer Lösung sehr stabile, z. T. s t a r k f a r b i g e Komplexsalze gebildet, von denen vor allem die tiefblauen K u p f e r - I I V e r b i n d u n g e n eine größere Bedeutung erlangt haben. Ihnen kommt nach W. T R A U B E die folgende, den komplexen A l u m i n i u m a l k o h o l a t e n (S. 195) verwandte Struktur zu:

Danach steht das oxydativ z w e i w e r t i g e K u p f e r mit v i e r O - A t o m e n in a l k o h o l a t a r t i g e r B i n d u n g , so daß ein z w e i w e r t i g n e g a t i v e r K o m p l e x entsteht, der im elektrischen Feld zur Anode wandert. CH»—O O—CH, Diese komplexen Anionen bilden mit den in Lösung vorhandenen Kationen K o m p l e x s a l z e , die u . U . isoliert werden können. So entstehen in Natron- oder Kalilauge die häufig schwerlöslichen A l k a l i salze (formulieren!) und in K u p f e r o x y d - A m m o n i a k l ö s u n g (vgl. anorg. Lehrbücher) die interessanten K u p f e r - I I - S a l z e mit dem T e t r a m m i n - k u p f e r - i o n als Kation, die also K u p f e r sowohl im Anion als auch im K a t i o n komplex gebunden enthalten: CH 2 —O X ©Q

I

Ai—CH,

-0\©e/(W _o/Cu\o_

H3NX HSN

^/NH3" X

NH 3

Die Bedeutung dieser Komplexsalze liegt einerseits in der Möglichkeit, K u p f e r o x y d in a l k a l i s c h e m Medium aufzulösen, die z. B . bei der Herstellung der F E H L I N G sehen Lösung ihre bekannteste Anwendung findet (vgl. S. 485), andererseits in der starken E r h ö h u n g der W a s s e r l ö s l i c h k e i t des P o l y a l k o h o l s durch den Einbau in den ionogenen K o m p l e x , von der u. a. bei der Gewinnung von K u p f e r s e i d e (III, Kap. 4, IY, 2a) Gebrauch gemacht wird. In ähnlicher Weise entstehen bei der Veresterung mit Borsäure b i c y c l i s c h e k o m p l e x e S ä u r e n (II), weil der zunächst entstehende n e u t r a l e E s t e r I in Analogie zur Bildung der auf S. 205 beschriebenen T e t r a - a l k o x y b o r s ä u r e n sofort die r e s t l i c h e Oxygruppe des zweiten A l k o h o l m o l e k ü l s zum Komplex an das Boratom anlagert: CH,-OH

+

HO. ; ; /OH B:

+

HO—CH.

CH,—O, / 27

B

HO—CH»

/O—CH,

\ O—CH» x/

B

K l a g e s , Lehrbuch der Organischen Chemie I , 1

.oc—CH2

/ CH,—OV

-3H.0

CH 2 —O. Q ,0—CH 2

I

CH,—O

> \0—CH» I N

1I

HO—CH J

HT Ii

R

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

418

Ihre Bildung erfolgt besonders leicht bei c y c l i s c h e n P o l y a l k o h o l e n mit cis-ständigen Hydroxylgruppen, in denen also die Oxygruppen gerade eine f ü r die Bildung cyclischer Komplexe besonders g ü n s t i g e S t e l l u n g einnehmen. Sie findet hier bereits in w ä ß r i g e r L ö s u n g beim bloßen Zusammengeben der Komponenten statt, so daß man aus der e l e k t r i s c h e n L e i t f ä h i g k e i t s e r h ö h u n g einer Borsäurelösung beim Zusatz eines c y c l i s c h e n P o l y a l k o h o l s auf die eis - S t e l l u n g der Hydroxylgruppen schließen kann (näheres vgl. II, Kap.7,II, 4a). Schließlich findet eine i n t e r m e d i ä r e B i l d u n g derartiger cyclischer Glykolderivate bei zwei weiteren wichtigen Reaktionen der Polyalkohole statt, auf die jedoch erst später näher eingegangen werden kann. Es sind dies einerseits die bereits kurz gestreifte Bleitetraacetat- und Perjodsäurespaltung der Glykole (näheres vgl. I, Kap. 12, IV, 1 b), andererseits die in II, Kap. 5, III, 3 ausführlich behandelte Acylwanderung partiell veresterter Polyalkohole. In beiden Fällen ist der intermediär erfolgende R i n g s c h l u ß die Ursache, daß diese Reaktionen auf 1,2- und in einigen Ausnahmefällen auch 1,3-Diole beschränkt bleiben. Einzelverbindungen. Äthylenglykol, meistens kurz Glykol genannt, ist der einfachste zweiwertige Alkohol. E s kommt nicht natürlich vor und kann v o m Ä t h y l e n ausgehend auf drei verschiedenen Wegen erhalten werden:

ch2

^ + Br„

CH2—Br *

^

ch2—oh

+2Na0_AC)

CHa—Br

~

2NaBr

V°\

CH2

CH2—OAc '

Hydrolys,

CH2—OAc

,

CH2-CH2

GH2—OH

Die d i r e k t e O x y d a t i o n mit K a l i u m p e r m a n g a n a t kommt wegen der leicht erfolgenden Sekundärreaktionen nur als B i l d u n g s w e i s e in Betracht. Dagegen hat der scheinbare Umweg über das Ä t h y l e n b r o m i d und das G l y k o l a c e t a t wegen des Fortfalls jeglicher Nebenreaktionen (vgl. S. 176) p r ä p a r a t i v e B e d e u t u n g erlangt, während schließlich der dritte Weg f ü r die relativ schwierig auszuführende Oxydation des Ä t h y l e n s zum Ä t h y l e n o x y d (S. 424) u m f a n g r e i c h e A p p a r a t u r e n erfordert und daher bei der Billigkeit der Ausgangsprodukte das gegebene t e c h n i s c h e V e r f a h r e n darstellt. Glykol ist eine ölige, farblose Flüssigkeit von brennendem, in verdünnter Lösung s ü ß e m (daher der Name, von griech. yAuKÜs = süß) Geschmack, die mit W a s s e r und den niederen A l k o h o l e n mischbar ist und sich in Ä t h e r und einigen anderen hydrophoben Lösungsmitteln nicht mehr löst. Von seinen s p e z i e l l e n R e a k t i o n e n ist außer den bereits im allgemeinen Teil beschriebenen Umsetzungen vor allem das Verhalten gegenüber k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e zu erwähnen, mit der Glykol je nach den Mengenverhältnissen z w e i v e r s c h i e d e n e R e a k t i o n s p r o d u k t e liefert: Bei Zusatz von nur w e n i g Säure entsteht beim längeren Kochen als n o r m a l e s V e r ä t h e r u n g s p r o d u k t unter Verätherung beider Hydroxylgruppen ein aus z w e i G l y k o l m o l e k ü l e n bestehender c y c l i s c h e r Ä t h e r , das D i o x a n (S. 426), während v i e l k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e eine Wasserabspaltung zum „ V i n y l a l k o h o l " bewirkt, der sich als E n o l (S. 216) sofort in A c e t a l d e h y d als das eigentliche Reaktionsprodukt umlagert: H;0/CH2_°H2NOH _2Hs0 H ÖxH x A) H (wenig H.'sO.f • OH .. H CH2—CH—OH

_Hso
|

CH2—CH—CH2 n

OAc OH OR H.

OH

|

CH2—CH—CHa

Im Gegensatz zu diesen e i n f a c h e n O l e f i n o x y d e n , deren Struktur nicht in Zweifel gezogen werden kann, spalten zahlreiche u n s y m m e t r i s c h s u b s t i t u i e r t e O l e f i n o x y d e , die an einem der Ring-C-Atome s t a r k p o l a r e G r u p p e n enthalten, wie z. B. die auf S. 483 beschriebenen G l y c i d s ä u r e n

(

)

i \R—CH—CH—COOH/,

)

die O x y d e oc, ^ - u n g e s ä t t i g t e r K e t o n e \R—CH—CH—CO—R'/ oder auch die Oxyde einiger C a r o t i n o i d f a r b s t o f f e , den Sauerstoff ähnlich leicht wieder ab wie die A m i n o x y d e (I, Kap. 6, I I , 2) und andere Verbindungen mit s e m i p o l a r g e b u n d e n e m S a u e r s t o f f . So setzt z. B. G l y c i d s ä u r e aus Jodwasserstoff quantitativ J o d i n F r e i h e i t . Diese eigenartige Oxydationsreaktion gab in jüngster Zeit Anlaß zu einer erneuten Diskussion der Olefinoxydstruktur. Am weitesten ging WALSH (1947), der direkt eine den A m i n o x y d e n ( I ) a n a l o g e S t r u k t u r ( I I ) vorschlägt, bei der das,,7r"-Elekt r o n e n p a a r d e r u r s p r ü n g l i c h e n C = C - D o p p e l b i n d u n g , ohne einem der C-Atome bevorzugt anzugehören, eine Art s e m i p o l a r e B i n d u n g z u m S a u e r s t o f f herstellt. P. KARRER (1947) lehnt diesen Vorschlag jedoch mit dem Hinweis ab, daß nur a s y m m e t r i s c h s u b s t i t u i e r t e O l e f i n o x y d e oxydierend wirken, und befürwortet aus diesem Grunde die durch i o n o g e n e S p a l t u n g e i n e r d e r b e i d e n R i n g - C — O - B i n d u n g e n entstandene Z w i t t e r i o n e n s t r u k t u r I I I , die wir auf S. 91 bereits als Primärstufe der Olefinoxydbildung durch Sauerstoffanlagerung an Olefine kennen gelernt haben, und die aus der normalen Olefinoxydstruktur IV lediglich durch E l e k t r o n e n w a n d e r u n g hervorgeht, mit ihr also m e s o m e r sein muß: O t

R3N-+0

CH2—CH2

1

II

0

e

° \

CH2—CH—COOR III

-
-

Glycidsäureester

/ ° \ CH2—CH—COOR IV

Danach kann man sich die Verhältnisse etwa folgendermaßen vorstellen: Das bei der P r i m ä r r e a k t i o n d e r O l e f i n o x y d b i l d u n g entstehende, den A m i n o x y d e n s t r u k t u r e l l w e i t g e h e n d e n t s p r e c h e n d e und daher o x y d i e r e n d w i r k e n d e Z w i t t e r i o n I I I stabilisiert sich durch m e s o m e r e E l e k t r o n e n v e r s c h i e b u n g zu IV. An dieser Mesomerie ist die Struktur I I I normalerweise so w e n i g b e t e i l i g t , daß die Neigung zu Oxydationsreaktionen vollständig v e r s c h w i n d e t . Nur im Falle einer u n s y m m e t r i s c h e n S u b s t i t u t i o n , z. B. infolge der in II, Kap. 3, I, 3 beschriebenen F- und auch A-Effekte der COOR-

426

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

G r u p p e der Glycidsäureester, wird die Struktur I I etwas stärker begünstigt und macht sich durch die beschriebenen Oxydationsreaktionen bemerkbar, ohne daß man aber bereits im r u h e n d e n M o l e k ü l von einer v o l l s t ä n d i g e n L ö s u n g des Sauerstoffs v o m Kohlenstoff sprechen kann. 2. Cyclische Äther mit einem viergliedrigen Ring sind infolge der geringeren Ringspannung bereits erheblich beständiger als die Olefinoxyde, werden aber immer noch durch m e t a l l o r g a n i s c h e V e r b i n d u n g e n aufgespalten, und auch die s a u r e H y d r o l y s e verläuft wesentlich rascher als beim Diäthyläther. 3. Die cyclischen Äther mit fünf- und höhergliedrigen Ringen verhalten sich schließlich chemisch wie n o r m a l e Ä t h e r . Der wichtigste von ihnen ist das einen F ü n f r i n g enthaltende Tetramethylenoxyd, das wegen seiner nahen Beziehungen zum F u r a n (I, Kap. 11, III, 2 a) allgemein Tetrahydrofuran genannt wird und infolge seines gegenüber dem Diäthyläther g e s t e i g e r t e n L ö s u n g s v e r m ö g e n s (s. oben) als wichtiges t e c h n i s c h e s L ö s u n g s m i t t e l dient. Die D ä m p f e wirken g i f t i g . Seine Gewinnung geschieht durch Behandeln des aus A c e t y l e n und F o r m a l d e h y d leicht zugänglichen T e t r a m e t h y l e n g l y k o l s (S. 419) mit konzentrierter Schwefelsäure (s. oben). 4. Als Beispiel eines sechsgliedrigen cyclischen Äthers sei das bei der Yerätherung von G l y k o l (S. 418) entstehende Dioxan (aus Di'ozyäthan-awhydrid) genannt. E s zeigt ebenfalls ein gegenüber Äther g e s t e i g e r t e s L ö s u n g s v e r m ö g e n und ist m i t W a s s e r m i s c h b a r . D a es ferner zufällig ungefähr bei 100° siedet und die Dichte 1 aufweist, kann es in M i s c h u n g m i t W a s s e r weder durch D i c h t e - noch durch S i e d e p u n k t s m e s s u n g nachgewiesen werden. Doch läßt es sich dank seines höheren Molekulargewichts leicht durch f r a k t i o n i e r t e D e s t i l l a t i o n vom Wasser trennen und kann als Äther auch a u s g e s a l z e n und über Natrium getrocknet werden. Seine wichtigste Anwendung findet es als L ö s u n g s m i t t e l für Cellulosederivate, vornehmlich für C e l l u l o s e ä t h e r und N i t r o c e l l u l o s e l a c k e . Seine Dämpfe sind ebenfalls g i f t i g . 3. Die En-diole Von den Verbindungen mit m e h r e r e n e n o l i s c h e n H y d r o x y l g r u p p e n im Molekül haben nur die als En-diole bezeichneten 1 , 2 - D i o x y o l e f i n e mit der Gruppierung I I HO—C=C-—OH allgemeine Bedeutung erlangt. Sie sind ähnlich u n b e s t ä n d i g wie die einfachen E n o l e und lagern sich im allgemeinen in gleicher Weise o h n e E i n s t e l l u n g e i n e s T a u t o m e r i e g l e i c h g e w i c h t e s in die entsprechenden O x y o x o v e r b i n d u n g e n um: OH OH I I R—C=C—R'

O OH II I R—C—CH—R'

oder

OH O I II R—CH—C—R'

Die Endiolgruppierung ist daher ebenfalls nur dann existenzfähig, wenn die Ausbildung der enolischen Doppelbindung durch K o n j u g a t i o n mit anderen D o p p e l b i n d u n g e n und darüber hinaus häufig auch noch durch S a l z b i l d u n g der Hydroxylgruppen begünstigt wird, d. h. wir treffen auch sie nur in k o m p l i z i e r t e n o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n an, die im einzelnen erst später besprochen werden sollen (vgl. z. B. S. 503 u. III. Kap. 8,1). An neuartigeil Reaktionen müssen vor allem zwei hervorgehoben werden: 1. die starke A c i d i t ä t s s t e i g e r u n g d e r H y d r o x y l g r u p p e gegenüber den e i n f a c h e n E n o l e n , die die Endiole zur Bildung von in wäßriger Lösung n a h e z u n e u t r a l r e a g i e r e n d e n M e t a l l salzen befähigt, sie also hinsichtlich der Säurestärke etwa den C a r b o n s ä u r e n gleichstellt, und 2. das u n g e w ö h n l i c h s t a r k e R e d u k t i o n s v e r m ö g e n der Endiole, durch das sie, insbesondere in a l k a l i s c h e r L ö s u n g , zu den gegenüber L u f t s a u e r s t o f f und auch anderen Oxydationsmitteln e m p f i n d l i c h s t e n o r g a n i s c h e n S u b s t a n z e n gehören (z. B. sind ihre Salzlösungen im allgemeinen nur u n t e r S t i c k s t o f f h a l t b a r ) . Die Oxydation geht

Endiole, Polyphenole

427

immer auf dem Wege einer D e h y d r i e r u n g vor sieh und führt (in Analogie zu der sehr nahe verwandten C h i n o n b i l d u n g aus H y d r o c h i n o n , S. 296), primär stets zu einer 1,2-Dic a r b o n y l v e r b i n d u n g , die aber meistens ebenfalls sehr l a b i l ist und s o f o r t w e i t e r o x y d i e r t wird: O O II II R—C—C—R

CH-H H 0 I I R—C ==C—R

Oxydation

Sekundärprodukte

Als Beispiel eines einfachen, keine anderen Sauerstoff-Funktionen im Molekül enthaltenden Endiols sei das Stilbeildiol angeführt, dessen Mono-alkalisalze infolge der Konjugation der enolischen Doppelbindung mit b e i d e n B e n z o l k e r n e n im Rahmen eines T a u t o m e r i e g l e i c h g e w i c h t s bei der Einwirkung von A l k a l i l a u g e auf B e n z o i n gebildet werden: NaOH Benzoin (keine erkennbare Tautomerie mit der Endiolform)

ONa O I II / — \ V-CH—C—< / ^

/
—C C—
JH Hcf ° ^ \ e / , ^-Ov o-a c=o i ©Y Ti R R R °x /C V C=CH I R In diesen Komplexverbindungen liegen k e i n e n o r m a l e n S a l z e mehr vor, sondern es dürfte unter Ausbildung eines g e s c h l o s s e n k o n j u g i e r t e n c y c l i s c h e n E l e k t r o n e n s y s t e m s auch die eigentliche „Salzbindung" n i c h t i o n o g e n e r N a t u r sein. Denn nur in diesem Falle können die beiden O-Atome lediglich durch eine E l e k t r o n e n v e r s c h i e b u n g ihren Bindungszustand vertauschen. Wir beobachten daher in jedem Ring eine M e s o m e r i e zwischen den folgenden beiden Grenzstrukturen: R—C—O Höf

\

R—C=0® ^Me® «

©/

R—C=0

» Hü/

\ l e

\

R—C—0

e

/

und damit eine mittlere, besonders e n e r g i e a r m e E l e k t r o n e n a n o r d n u n g . Für eine derartige Struktur spricht einerseits das Auftreten der f ü r Spirane charakteristischen Molek u l a r a s y m m e t r i e (vgl. II, Kap. 7,1, d a ) bei entsprechend konstituierten B e r y l l i u m - und K u p f e r k o m p l e x e n — die nur bei Annahme des ausschließlichen Vorliegens echter, zu k e i n e m P l a t z a u s t a u s c h m e h r b e f ä h i g t e r A t o m b i n d u n g e n am Zentralatom verständlich ist — andererseits die D e s t i l l i e r b a r k e i t zahlreicher dieser Komplexe.

Zu 3. Die Reaktionsfähigkeit der zwischen den beiden Carbonylgruppen eingeschlossenen Methylengruppe ist durch die b e i d e r s e i t i g e A k t i v i e r u n g derart gesteigert, daß man außer den üblichen Umsetzungen (Kondensation, Substitution, Oxydation mit Selendioxyd usw., vgl. S. 245 f.) noch einige grundsätzlich n e u a r t i g e R e a k t i o n e n beobachtet: a) eine deutlich gesteigerte A c i d i t ä t , b) die A l k y l i e r b a r k e i t und A c y l i e r b a r k e i t des m i t t e l s t ä n d i g e n C - A t o m s , und c) die leichte h y d r o l y t i s c h e S p a l t u n g einer der b e i d e n CH2—COBindungen. Zu a) Während die aktive Methylengruppe der M o n o - o x o v e r b i n d u n g e n gegenüber Wasser noch n i c h t sauer reagiert, vermag die aktive Methylengruppe der Ketoform der 1,3-Dioxoverbindungen ein Proton bereits so l e i c h t a b z u g e b e n , daß sie zur Bildung nur noch s c h w a c h h y d r p l y s i e r e n d e r A l k a l i s a l z e befähigt ist, die allgemein Enolate genannt werden. Sie entstehen infolge der sauren Natur des Methylenwasserstoffs bereits beim Auflösen des Diketons in N a t r o n l a u g e und werden zur I s o l i e r u n g meistens durch Zugabe von N a t r i u m a l k o h o l a t zu einer a l k o h o l i s c h e n L ö s u n g der D i o x o v e r b i n d u n g in kristallisierter Form ausgefällt. Wie schon der Name E n o l a t sagt, hielt man es früher f ü r selbstverständlich, daß derartige wasserbeständige Salze s a u e r s t o f f h a l t i g e r V e r b i n d u n g e n sich nur von einer H y d r o x y l v e r b i n d u n g , d. h. der (ohnehin sauren, vgl. S. 217) E n o l f o r m d e r D i o x o v e r b i n d u n g e n , ableiten können, also erst nach Umwandlung der K e t o - in die E n o l f o r m entstanden seien: 0 0 II II R—C—CH,—C—R

v

OH O I II R—C=CH—C—R

N H 1 a0M

""

ONa O I II >- R—C=CH—C—R

1.3-Dioxoverbindungen, Reaktionen

447

Diese Auffassung hat sich aber als i r r i g erwiesen, und man nimmt heute allgemein an, daß auch die K e t o f o r m ihr Proton d i r e k t an das OH-Ion abzugeben vermag, und daß das hierbei entstehende A n i o n zwischen der K e t o n - (I) und E n o l s t r u k t u r (II) m e s o m e r ist, d. h. eine m i t t l e r e E l e k t r o n e n s t r u k t u r annimmt und bei der Wiederanlagerung des Protons nicht nur die E n o l f o r m , sondern auch die K e t o f o r m d i r e k t z u r ü c k z u b i l d e n v e r m a g (näheres vgl. II, Kap. 5, II, 3): O H O II "I" II R—C—CH—C—R

0 o II © II R—C—CH—C—R i i oe o 1 II R—C=CH—C—R Ii

-H+ + H+

+ H+ —H+

OH O | || R—C=CH—C—R

Die Enolat-ionen gehören daher b e i d e n t a u t o m e r e n F o r m e n g e m e i n s a m an, und die Alkalisalze zeigen infolgedessen neben den E n o l a t r e a k t i o n e n auch eine Reihe von Umsetzungen, in denen sie wie e c h t e S a l z e der K e t o f o r m , d. h. wie m e t a l l o r g a n i s c h e V e r b i n d u n g e n der Grenzstruktur I reagieren. Dies ist insbesondere bei den unter b) beschriebenen A l k y l i e r u n g s - und A c y l i e r u n g s r e a k t i o n e n der Fall, bei deren Formulierung zur Vereinfachung die Mesomeriemöglichkeit der Natriumverbindungen fortgelassen wurde. Zu b) In der Alkylierung und Acylierung der aktiven Methylengruppe der 1,3Dioxoverbindungen lernen wir eine wichtige neue Methode zum A u f b a u v o n C—C-Bindungen kennen, die in ähnlicherWeise auch von den 1 , 3 - K e t o c a r b o n s ä u r e e s t e r n (S. 497) und 1 , 3 - D i c a r b o n s ä u r e e s t e r n (speziell dem Malone s t e r , S. 460) aus möglich ist. Sie läßt sich allgemein durch Einwirkung von A l k y l i e r u n g s - bzw. A c y l i e r u n g s m i t t e l n auf die „Enolate" der genannten Verbindungen bewerkstelligen, da diese unter den Reaktionsbedingungen stets in der G r e n z s t r u k t u r I (s. o.) reagieren und daher direkt am M e t h y l e n k o h l e n s t o f f substituiert werden: R—CO-, \ R—CO

/C±l 2

+ NaOtt ROH

R—CCk v :Na© \/ \ X : R—CO

°

H

,. R—CO x +Hal—;R'(bzw.Hal—Ac) WoTJol R—CO

/R'(bzw.—Ac) H

Dem gleichen Reaktionsmechanismus sind wir auf S. 218 bereits bei der C-Alkyl i e r u n g der E n o l e begegnet. Ein interessanter S p e z i a l f a l l dieser Reaktion liegt in der bei der Einwirkung von e l e m e n t a r e m J o d auf die N a t r i u m s a l z e d e r 1 , 3 - D i o x o v e r b i n d u n g e n erfolgenden V e r k n ü p f u n g z w e i e r D i k e t o n m o l e k ü l e zu einem T e t r a k e t o n vor: R—CO, /CO—R ) ( ' l I X a + J 2 + NaiCH ~2NaJ> R—CO \JO R

R—CO.

,CO—R ^CH—CH^ R—CO CO—R

Die Reaktion kann als eine Art WuRTzsche Synthese mit v e r t a u s c h t e n O x y d a t i o n s s t u f e n betrachtet werden, denn normalerweise wird Halogen durch zugesetztes M e t a l l , hier umgekehrt Metall durch zugesetztes H a l o g e n herausgespalten. Die Methode hat insbesondere in der M a l o n e s t e r - (S. 462) und A c e t e s s i g e s t e r r e i h e (S. 449) synthetische Bedeutung erlangt. Im Gegensatz zu dieser C - S u b s t i t u t i o n bereitet eigenartigerweise die direkte A l k y l i e r u n g und auch A c y l i e r u n g d e s S a u e r s t o f f s d e r E n o l f o r m erheblich g r ö ß e r e S c h w i e r i g k e i t e n , obwohl man annehmen muß, daß in den Metallderivaten der 1,3-Diketone

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

448

die E n o l s t r u k t u r überwiegt. Insbesondere die O - A l k y l i e r u n g d e r E n o l a t e ist mit den üblichen Alkylierungsmitteln überhaupt n i c h t m ö g l i c h , sondern gelingt nur durch Verätherung der f r e i e n E n o l e mit D i a z o m e t h a n und anderen aliphatischen D i a z o v e r b i n d u n g e n (vgl. I, Kap. 6, III, 1 a). Die O - A c y l i e r u n g kann demgegenüber zwar mit S ä u r e c h l o r i d e n und - a n h y d r i d e n in normaler Weise durchgeführt werden, jedoch ebenfalls nur, wenn man das freie E n o l (in P y r i d i n als Reaktionsmedium) umsetzt: OAc

O

OH

O

OCH 3

0

, R—C=CH—C—R - C H ' N ' >• R—C=CH—C—R

R—C=CH—C—R

(Pyridin)

Zu c) Ähnlich wie der W a s s e r s t o f f wird auch der an der aktiven Methylengruppe befindliche Kohlenstoff aktiviert und relativ leicht als C a r b e n i u m i o n herausgespalten. Eine der beiden R — C O - G r u p p e n kann infolgedessen beim Kochen mit Alkalilaugen h y d r o l y t i s c h a b g e s p a l t e n werden, wobei — gewissermaßen i n U m k e h r d e r B i l d u n g durch eine Esterkondensation — je ein Mol einer C a r b o n s ä u r e (bzw. eines c a r b o n s a u r e n S a l z e s ) und eines e i n f a c h e n K e t o n s entstehen: R—CO—CH2—;CO—R' + NaO—H

v

R—CO—CH 3 + NaOOC—R'

In dieser leichten hydrolytischen Abspaltbarkeit einer der Carbonylgruppen begegnen wir wieder der schon mehrfach erwähnten R e g e l , daß H ä u f u n g d e r n e g a t i v e n (bzw. p o s i t i v i e r e n d e n ) Substituenten an e i n e m C-Atom die von diesem Atom ausgehenden C—C-Bindungen l a b i l i s i e r t und zur hydrolytischen Abspaltung einer R — C O - G r u p p e als C a r b o n s ä u r e befähigt (vgl. z. B. die C h l o r o f o r m s p a l t u n g der trihalogenierten Ketone, S. 160). Der Einfluß der hier erstmals in g r ö ß e r e r Zahl vorhandenen R—COG r u p p e n ist jedoch viel s t ä r k e r als der der H a l o g e n a t o m e , so daß schon beim Vorhandensein von z w e i C a r b o n y l g r u p p e n im Molekül eine alkalische Spaltung möglich ist. Noch leichter, d. h. bereits bei längerem Einwirken von kalter Natronlauge hydrolysieren die T r i a c y l m e t h a n e (R—CO—)3CH, und die T e t r a - a c y l m e t h a n e (R—CO—)4C sind schließlich bereits derart labil, daß sie bisher überhaupt noch n i c h t d a r g e s t e l l t werden konnten. Die Kombination der beschriebenen S y n t h e s e d e r I , 3 - D i k e t o n e mit ihrer A l k y l i e r u n g und anschließenden h y d r o l y t i s c h e n A u f s p a l t u n g ist v o n großer praktischer Bedeutung für die Möglichkeit der V e r l ä n g e r u n g d e r A l k y l r e s t e e i n f a c h e r K e t o n e : U m an einem einfachen K e t o n eine A l k y l i e r u n g d e r a k t i v e n M e t h y l e n g r u p p e vornehmen zu können, ist es nur erforderlich, deren Aktivität durch E i n f ü h r u n g e i n e s A c y l r e s t e s zur 1,3-Diketoverbindung zu steigern und nach der Alkylierung die eingeführte R—CO-Gruppe wieder h y d r o lytisch abzuspalten: R R ^

CH

Q

Einführung ^ des Acylrestes

Q |

CH 3

Alkylierung ^

| Q

^ Q

I_ CH,

3

Abspaltung ^ des Acylrestes

Q

I~~ CH a

Einzelverbindungen: Malon-dialdehyd OCH—CH 2 —CHO, das Anfangsglied der Reihe, kann mit Hilfe einer C l a i s e n - K o n d e n s a t i o n aus A m e i s e n s ä u r e e s t e r und A c e t a l d e h y d (Gleichung formulieren!) dargestellt werden. Er neigt stark zur P o l y m e r i s a t i o n , so daß er keine praktische Anwendung gefunden hat. Acetylaceton CH 3 —CO—CH 2 —CO—CH 3 , das einfachste 1, 3-Diketon, entsteht bei der Esterkondensation aus E s s i g e s t e r und A c e t o n (vgl. S. 330). Die

Die 1,4-Dioxoverbindungen

449

flüssige Verbindung besteht z u m e h r a l s 8 0 % aus der E n o l f o r m und findet in dem angegebenen Sinne hauptsächlich p r ä p a r a t i v e A n w e n d u n g zur Synthese von Methylke tonen. Benzoylaceton C6H6—CO—CH2—CO—CH3 kann als Beispiel eines aromatischen Diketons dieser Reihe sowohl aus A c e t o p h e n o n und E s s i g e s t e r als auch aus A c e t o n und B e n z o e s ä u r e e s t e r dargestellt werden (Gleichungen formulieren!). Es geht durch weitere B e n z o y l i e r u n g seiner N a t r i u m v e r b i n d u n g in ein T r i a c y l m e t h a n , das Acetyldibenzoyl-methan, auch D i b e n z o y l a c e t o n genannt, (C6H6—CO—)2CH—CO—CH3 über, das als erste Verbindung dieser Art sowohl in der K e t o - (Smp. 107—110°) als auch in der E n o l f o r m (Smp. 101—102°) kristallisiert erhalten werden konnte (vgl. II, Kap. 1, III). Die g e g e n s e i t i g e U m w a n d l u n g beider Formen geht auch in a l k a l i s c h e m M e d i u m nur s e h r l a n g s a m vor sich (vgl. II, Kap. 5, II, 3), so daß die K e t o f o r m erst nach längerem Schütteln in Natronlauge aufgelöst werden kann. Die E n o l f o r m geht dagegen m o m e n t a n in Lösung und ist auch an ihrer E i s e n - I I I - C h l o r i d - R e a k t i o n eindeutig zu erkennen. Im Benzoyl-acetyl-aceton (Benzoyldiacetylmethan) C6H5—CO—CH(—CO—CH3)2 liegt ein anderes Triacylmethan vor, dessen E n o l i s a t i o n s t e n d e n z bereits so g r o ß ist, daß hier die K e t o f o r m im Gleichgewicht n i c h t m e h r n a c h g e w i e s e n werden kann. Ähnlich existiert auch Formylacetylaceton HCO—CH(—CO—CH3)2 nur in der E n o l f o r m . Es ist s t ä r k e r s a u e r a l s E s s i g s ä u r e (pk = 4,66) und kann ohne weiteres mit Natronlauge titriert werden.

3. Die 1,4- oder Y-DioxoVerbindungen Stehen die beiden Carbonylgruppen in 1 , 4 - S t e l l u n g , so ist ihre gegenseitige Beeinflussung n u r n o c h g e r i n g , so daß die Verbindungen an Bedeutung zurücktreten. Ihre Darstellung ist nach verschiedenen Verfahren möglich. Allgemein anwendbar ist z. B. die soeben beschriebene Ketonsynthese durch A l k y l i e r u n g und anschließende h y d r o l y t i s c h e S p a l t u n g v o n 1 , 3 - D i k e t o n e n , wenn man ein « - H a l o g e n k e t o n (I) als Alkylierungsmittel auf die Natriumverbindung des Acetylacetons einwirken läßt, sowie die D e c a r b o x y l i e r u n g der bei dem Zusammenschluß zweier K e t o c a r b o n s ä u r e e s t e r - m o l e k ü l e (II) (im Sinne der auf S. 447 beschriebenen Synthese mit vertauschten Oxydationsstufen) erhaltenen D i a c y l b e r n s t e i n s ä u r e n (III): CO—R I R_CO—CH;Na + Cl—:CH2—CO—R i

CO—R ~HC1>

COOR COOR I .1 R—CO—CHNa + J 2 + Na;CH—CO—R r ^ L ^ Ii

II

R

R-CO-CH-CH2-CO-R

R00C

>

COOR

R_GO-CH-CH-CO-R

c=o

CH2 Ve

e f

ng

" » —" Z' t/U 8

Ci = 0

k

Die y-DicarbonylVerbindungen unterscheiden sich in ihrem physikalischen Verhalten und den meisten ihrer Umsetzungen nicht mehr wesentlich von den einfachen Oxoverbindungen. An neuartigen Reaktionen beobachtet man lediglich eine starke Tendenz zur Bildung c y c l i s c h e r D e r i v a t e , bei der nunmehr die beiden Carbonylgruppen infolge ihres größeren Abstandes bereits durch e i n H e t e r o - A t o m zum R i n g geschlossen werden können. Hierbei entstehen infolge g l e i c h z e i t i g e r W a s s e r a b s p a l t u n g sofort die ungesättigten Bindungssysteme der in I , K a p . 11,111 beschriebenen f ü n f g l i e d r i g e n H e t e r o c y c l e n : 29

K 1 a g e s . Lehrbuch der Organischen Chemie I, 1

450

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

CH„—CO—R

CH,—CO—R +

NH,

-R

-R

P.S

CH,—CO—R

Succin-dialdehyd OCH—CH 2 —CH 2 —CHO, auch Bernsteinsäuredialdehyd genannt, wird präparativ durch Ozonspaltung von D i a l l y l (S. 107) oder durch Reduktion von B e r n s t e i n Bäuredichlorid gewonnen und meistens über das D i o x i m gereinigt. Er liefert bei der Cyclisierung die nicht substituierten heterocyclischen Grund Verbindungen selbst (Gleichungen formulieren!). Acetonyl-eceton CH 3 —CO—CH 2 —CH 2 —CO—CH 3 , das einfachste Keton der Reihe, kann in der beschriebenen Weise aus A c e t y l a c e t o n und C h l o r a c e t o n oder durch Zusammenschluß von zwei A c e t e s s i g e s t e r - M o l e k ü l e n dargestellt werden (Gleichungen formulieren!). Er liefert bei der Cyclisierung die a, a ' - D i m e t h y l h e t e r o c y c l e n . 4. S o n s t i g e

Polyoxo-Verbindungen

Stehen die beiden Carbonylgruppen schließlich n o c h w e i t e r v o n e i n a n d e r e n t f e r n t oder sind sie beide in der m- oder p - S t e l l u n g an d e n s e l b e n aromatischen K e r n gebunden, so hört auch die Möglichkeit der Ringbildung auf, und die Verbindungen geben über die allgemeinen Carbonylreaktionen hinaus k e i n e s p e z i e l l e n U m s e t z u n g e n mehr. So kann man z. B . v o n den drei isomeren Benzoldialdehyden: CH=0

CH=0 ..

xCH=0

I

DH=0 o-Phthalaldehyd

vCH=0

CH=0

Isophthalaldehyd

Terephthalaldehyd

nur den o - P h t h a l a l d e h y d als y-Dioxoverbindung in c y c l i s c h e D e r i v a t e überführen, bzw. mit Alkalilaugen durch eine innermolekulare CANNizzAKO-Reaktion in das P h t h a l i d umwandeln: CH=0

CH +

NaOH

(Cannizzaro)

CH=0

CH,

'\0H ONa O

—H,0 co/ Phthalid

Die Polycarbonsäuren

451

während der I s o - und T e r e p h t h a l ä l d e h y d dieser Reaktion n i c h t z u g ä n g l i c h sind. T e r e p h t h a l a l d e h y d kristallisiert aus Wasser in Form des D i h y d r a t e s aus. Eine interessante D i o x o - o x y v e r b i n d u n g ist der Oxymalondialdehyd OCH—CHOH —CHO, der ausschließlich in der E n o l f o r m H O — C H = C ( 0 H ) — C H = 0 auftritt und daher das einfachste beständige E n d i o l darstellt. Er entsteht bei der Behandlung von D i o x y a c e t o n mit N a t r o n l a u g e neben anderen Produkten und ist daher auch in den a l k a l i s c h e n A b b a u p r o d u k t e n d e r K o h l e n h y d r a t e enthalten. Als Endiol reagiert er s t a r k s a u e r und kann z. B. als B l e i s a l z gefällt werden. Ferner ist er in a l k a l i s c h e r Lösung außerordentlich o x y d a t i o n s e m p f i n d l i c h und die eigentliche Ursache der stark reduzierenden Eigenschaften der K o h l e n h y d r a t l ö s u n g e n in s t a r k e n A l k a l i l a u g e n (vgl. III, Kap. 4, I, 6 b). Er hat auf Grund dieser Eigenschaften den Trivialnamen Redukton erhalten.

IV. Die Poly-Carbonsäuren Verbindungen mit m e h r e r e n C a r b o x y l g r u p p e n im Molekül kommen z a h l r e i c h in der N a t u r vor und werden vielfach als A b b a u p r o d u k t e bei der K o n s t i t u t i o n s a u f k l ä r u n g a n d e r e r N a t u r s t o f f e erhalten. Sie stellen infolgedessen eine sehr wichtige Körperklasse dar, die jedoch im Gegensatz zu den bisher besprochenen Verbindungsgruppen weniger wegen ihrer a l l g e m e i n e n E i g e n s c h a f t e n , sondern hauptsächlich wegen der Bedeutung der E i n z e l v e r b i n d u n g e n von Interesse ist. Besonders bei der noch sehr wenig systematisch erforschten Gruppe der drei- und h ö h e r w e r t i g e n Carbonsäuren ist dies der Fall. 1. Darstellung und allgemeine Eigenschaften Die Benennung der Polycarbonsäuren erfolgt fast ausschließlich durch T r i v i a l n a m e n . Lediglich bei den g e s ä t t i g t e n D i c a r b o n s ä u r e n und sehr s y m m e t r i s c h g e b a u t e n h ö h e r e n P o l y c a r b o n s ä u r e n ist zuweilen auch eine r a t i o n e l l e Bezeichnungsweise üblich, die nach den g l e i c h e n R e g e l n wie bei den Monocarbonsäuren erfolgt. So heißt die M a l o n s ä u r e z. B. rationell P r o p a n d i s ä u r e oder M e t h a n d i c a r b o n s ä u r e .

Die Gewinnung der Polycarbonsäuren geschieht in den meisten Fällen nach s p e z i e l l e n M e t h o d e n , doch sind auch einige der bei den Monocarbonsäuren beschriebenen Verfahren a l l g e m e i n a n w e n d b a r , wenn man von den entsprechenden p o l y s u b s t i t u i e r t e n Verbindungen ausgeht. So führt z. B. die O x y d a t i o n der D i a l d e h y d e und P o l y m e t h y l e n g l y k o l e (S. 419) als Endprodukt immer zu den D i c a r b o n s ä u r e n (Gleichungen formulieren!), und auch die KoLBEsche N i t r i l s y n t h e s e (S. 307) leistet bei Verwendung von P o l y h a l o g e n v e r b i n d u n g e n als Ausgangsmaterial vielfach wertvolle Dienste. Vor allem von den , (u'-Dihalog e n p a r a f f i n e n aus findet die Reaktion häufig zum Aufbau der u m z w e i CA t o m e r e i c h e r e n D i c a r b o n s ä u r e n Anwendung (Gleichung formulieren!). Umgekehrt führen auch A b b a u r e a k t i o n e n zuweilen zum Ziel. Insbesondere bei der o x y d a t i v e n Spaltung c y c l i s c h e r K e t o n e und anderer cyclischer Verbindungen erhält man jeweils D i c a r b o n s ä u r e n , da die bei der Ringöffnung n e u e n t s t e h e n d e n C a r b o x y l g r u p p e n in diesem Fall im g l e i c h e n M o l e k ü l verbleiben: yCH2 ch2 ch2

CH2 A

c =

ch2

/CH2-CH2 0

K M n r

V

ch2 x

c h

\ c o o h 2

- c o o h

Das Verfahren dient im allgemeinen nur zur K o n s t i t u t i o n s a u f k l ä r u n g von N a t u r s t o f f e n , hat aber im Falle der A d i p i n - (S. 463) und P h t h a l s ä u r e g e w i n n u n g (S. 469) auch praktische Bedeutung als Darstellungsmethode gefunden. Eine weitere, jedoch aus29*

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

452

schließlich zum Zwecke der K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g dienende B i l d u n g s w e i s e von Dicarbonsäuren haben wir auf S. 368 im O z o n a b b a u ungesättigter M o n o c a r b o n s ä u r e n kennengelernt. Eigenschaften: Infolge der H ä u f u n g d e r C a r b o x y l g r u p p e n sind die Polycarbonsäuren n i c h t m e h r d e s t i l l i e r b a r e , gut kristallisierende Verbindungen, die mit Ausnahme der höheren Glieder der Reihe in W a s s e r und A l k o h o l l e i c h t u n d in organischen Lösungsmitteln m ä ß i g s c h w e r löslich sind. Tabelle 25 Die p h y s i k a l i s c h e n K o n s t a n t e n einiger D i c a r b o n s ä u r e n Rationelle Namen Oxalsäure Malonsäure Bernsteinsäure Glutarsäure Adipinsäure Pimelinsäure Korksäure Azelainsäure Sebacinsäure Maleinsäure Fumarsäure —

Phthalsäure Isophthalsäure Terephthalsäure

Äthan-disäure Methan-dicarbonsäure Äthan-dicarbonsäure Propan-dicarbonsäure Butan-dicarbonsäure Pentan-dicarbonsäure Hexan-dicarbonsäure Heptan-dicarbonsäure Oktan-dicarbonsäure cis-Äthylen-dicarbonsäure trans-Äthylen-dicarbonsäure Acetylen-dicarbonsäure o-Benzol-dicarbonsäure m-Benzol-dicarbonsäure p-Benzol-dicarbonsäure

Smp.

K2.IO-«

PK,

189,5° 136 185 98 151 105 140 107 134

-2

5,9-10 1,4.10-® 6,4-10-6 4,4.10"6 3,9.10-6 3,3.10-« 3,MO"6 2,8.10"6 2,8-10"6

64 4,4 4,5 5,3 5,3 4,9 4,7 4,6 4,6

1,23 2,85 4,19 4,36 4,41 4,48 4,51 4,55 4,55

4,19 5,36 5,35 5,28 5,28 5,31 5,33 5,34 5,34

130

1,4.10"2

0,9

1,85

6,05

287 179

9;5-10"4 1,85.10"2

48 40

3,02 1,73

4,32 4,40

L.O-LO" 3 2,9.10-4 3,MO"4

4,7 2,5 15

3,00 3,54 3,51

5,33 4,60 4,82

191 349 >300

Ki

Die S c h m e l z p u n k t s k u r v e d e r D i c a r b o n s ä u r e n (Abb. 11, ausgezogene Kurve) zeigt die g l e i c h e n interessanten Unregelmäßigkeiten wie die der M o n o c a r b o n s ä u r e n , jedoch in einem diesen gegenüber nochmals g e s t e i g e r t e n A u s m a ß . Insbesondere liegen die Schmelzpunkte der 0 x a 1 - und B e r n s t e i n s ä u r e wesentlich h ö h e r als die aller anderen Dicarbonsäuren, und es wird auch keinerlei Annäherung an die Paraffinschmelzpunkte beobachtet. In den S c h m e l z p u n k t s d i f f e r e n z e n zwischen den Säuren mit einer geraden und einer ungeraden Anzahl von C-Atomen kommt ein sehr großer Unterschied der G i t t e r k r ä f t e zum Ausdruck, der sich auch in den L ö s l i c h k e i t s v e r h ä l t n i s s e n bemerkbar machen muß. Infolgedessen zeigt die L ö s l i c h k e i t s k u r v e in Wasser (in Abb. 11 strichpunktiert) oder Äther ein der Schmelzpunktskurve e n t g e g e n g e s e t z t e s Verhalten. Hinsichtlich ihrer chemischen Eigenschaften zeigen die Polycarbonsäuren in erster Linie alle n o r m a l e n C a r b o x y l r e a k t i o n e n . I n s b e s o n d r e lassen sie sich wie die Monocarbonsäuren in die verschiedenen S ä u r e d e r i v a t e überführen sowie mit Hilfe dieser Säurederivate zu K o n d e n s a t i o n s - und anderen s y n t h e t i s c h e n Reaktionen verwenden. Daneben beobachtet m a n aber auch zwei Gruppen v o n n e u a r t i g e n R e a k t i o n e n , die allgemeines Interesse beanspruchen: 1. die gegenseitige Beeinflussung der e l e k t r o l y t i s c h e n D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e n der Carboxylgruppen und 2. eine Reihe v o n unter R i n g s c h l u ß verlaufenden Reaktionen. Zu 1. Die elektrolytische Dissoziation einer n-basigen Säure erfolgt bekanntlich in n voneinander u n a b h ä n g i g e n Reaktionsstufen, denen jeweils eine b e s o n d e r e G l e i c h g e w i c h t s k o n s t a n t e zukommt (vgl. anorg. Lehrbücher). Hinsichtlich

Polycarbonsäuren, Acidität i •

;

:



0,1 %

\

*

A

\

x

¿5

*

/ V \ Ä

\ A \/ \

\ / y

W

I i i ' 6

7

- Zahl

x o

1 1



AM \ 1 r\ y \ AA / 1/ * * 1 / \/

x o



M 3 / \ jf >\ \ / \ A '1 \ Y1' *

V

' 120

!

\\

\ /

I jjw I

|

453

0.01 s.

\ '

.V,

8 9 der C-Atome

70

11 —

12

13

U

0,001

x Schmelztemperaturen o Wasserlöslichkeit (in logarithmischem Maßstab)

Abb. 11 Schmelztemperaturen und Wasserlöslichkeit der gesättigten unverzweigten Dicarbonsäuren in Abhängigkeit von der Kettenlänge des gegenseitigen Verhältnisses dieser Gleichgewichtskonstanten läßt nun die Reihe der g e s ä t t i g t e n D i c a r b o n s ä u r e n sehr interessante Gesetzmäßigkeiten erkennen. Zunächst einmal konnte WEGSCHEIDER (1902) zeigen, daß auch o h n e j e d e g e g e n s e i t i g e B e e i n f l u s s u n g der beiden Carboxylgruppen die e r s t e und z w e i t e Dissoziationskonstante (Kj und K 2 ) einer D i c a r b o n s ä u r e v e r s c h i e d e n e Werte annehmen, und zwar sollte K, jeweils d o p p e l t so groß und K 2 nur h a l b so groß sein wie die Dissoziationskonstante einer M o n o c a r b o n s ä u r e (K0). Dies folgt in einfacher Weise aus dem M a s s e n w i r k u n g s g e s e t z : Bezeichnet man mit C x die molare Konzentration der Verbindung X (bzw. der Gruppe —X), so erhält man für die e r s t e und z w e i t e Dissoziationskonstante einer Dicarbonsäure die Ausdrücke: ^HOOC • • • COO-

K,= = —7\

X

,,.

C-OOC • • • COO-

(1) und K 2 = — ^

HOOC•••COOH

X

^11+

HOOC•••COO~

(2)

Andererseits ist K^, für Monocarbonsäuren definitionsgemäß gleich: R

O

=

C

XC

H +

^

—COOH

und strebt mit zunehmender Kettenlänge dem G r e n z w e r t 1,4 x 10~6 (vgl. Tabelle 15, S. 310) zu. Gleichung 3 sollte aber auch für D i c a r b o n s ä u r e n gelten, wenn deren Carboxylgruppen sich n i c h t gegenseitig beeinflussen und die g l e i c h e Acidität zeigen wie in einer M o n o c a r b o n s ä u r e . Nur muß man in diesem Fall die m o l a r e Konzentration der u n d i s s o z i i e r t e n D i c a r b o n s ä u r e in Gleichung 1 (CHOOC • • • COOH) und die des D i c a r b o x y l a t i o n s in Gleichung 2 (C-ooc • • • COO-) durch die doppelt so großen Ä q u i v a l e n t k o n z e n t r a t i o n e n , d. h. die Konzentration der C a r b o x y l g r u p p e n (C_COOH) bzw. der C a r b o x y l a t i o n e n (C—coo~) ersetzen, während für das s a u r e A n i o n HOOC • • • COO~ jeweils die Mol- und Äquivalentzahl g l e i c h bleibt. Führt man diese Rechnung durch, so erhält man durch Kombination der Gleichungen 1 bis 3 f ü r K x und K 2 die folgenden Werte:

454

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül v K

C

HOOC • • • COO~XCH+

1= —c

C

—COO~xCH+

= ~TTr

HOOC • • • COOH C

„T,

=?= 2K 0 (4)

'2

COOH

xC

„nrl • • COO~ H+ = VsQ—COO- X CH+ = 7.2 K , „0 (5) und V K 2 = -QOCHOOC•••COO—COOH Wie Abbildung 12 zeigt sind Gleichung 4 und 5 bei g r ö ß e r e r K e t t e n l ä n g e tatsächlich a n n ä h e r n d erfüllt, insbesondere die p K -Werte streben genau dem b e r e c h n e t e n G r e n z w e r t zu, während die p K -Werte auch im günstigsten Falle um etwa 20% darunter liegen. Danach üben also die beiden Carboxylgruppen

2 3

x o

x o

*f S 6 7 B — n- Zahl der C-Atome

9

10

x p Kl -Werte der gesättigten n-Dicarbonsäuren o p K2 -Werte der gesättigten n-Dicarbonsäuren p K l berechnet = — log (2 K 0 ) = 4,55 p K a berechnet = —log K 0 ) = 5,15 K 0 = lim K für gesättigte Monocarbonsäuren 1,4 • 10~6

Abb. 12 Vergleich der Dissoziationskonstanten gesättigter Mono- und Dicarbonsäuren.

von der B e r n s t e i n s ä u r e ab keinen wesentlichen Einfluß mehr aufeinander aus und zeigen praktisch die g l e i c h e A c i d i t ä t wie in den M o n o c a r b o n s ä u r e n . Erst bei g r ö ß e r e r gegenseitiger A n n ä h e r u n g beobachtet man stärkere Abweichungen, auf deren Deutung wir in II, Kap. 3,1, 3 noch zurückkommen werden. Zu 2. Die Polycarbonsäuren sind in gleicher Weise zu Ringschlußreaktioiien befähigt, wie andere Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Punktionen im Molekül, und man beobachtet auch hier wieder die bevorzugte Bildung f ü n f - und s e c h s g l i e d r i g e r R i n g e . Infolgedessen neigen nur die O x a l s ä u r e und M a l o n s ä u r e zur Bildung s t a b i l e r c y c l i s c h e r K o m p l e x s a l z e (z.B. von I ) , u n d bei K o n d e n s a t i o n s r e a k t i o n e n vermögen die Carboxylgruppen der O x a l - und M a l o n s ä u r e nur mit g e t r e n n t e n Gruppen eines Moleküls in Reaktion zu treten (z. B. zu II). Von der B e r n s t e i n s ä u r e ab ist bereits ein k o n d e n s i e r e n d e r R i n g s c h l u ß durch ein H e t e r o a t o m (z. B. zu III) möglich, und bei den h ö h e r e n Säuren werden

Polycarbonsäuren, Ringschlußreaktionen

455

schließlich sogar Reaktionen wie die i n n e r m o l e k u l a r e E s t e r k o n d e n s a t i o n oder die K e t o n b i l d u n g durch K a l k s a l z d e s t i l l a t i o n bevorzugt, bei denen eines der C-Atome a u ß e r h a l b d e s R i n g e s verbleibt bzw. a b g e s p a l t e n wird:

cocr

3 I

cocr

/COx /C0X o o ,00 0CN \ / o—Co— H 2 0 + CO

Neben dieser unter Erhaltung der Gesamtoxydationsstufe verlaufenden Spaltung läßt sich die C-—C-Bindung auch o x y d a t i v unter Bildung von zwei Molekülen C0 2 aufsprengen. Insbesondere wird die Oxalsäure als 1 , 2 - D i o x y v e r b i n d u n g ebenfalls durch H y d r o p e r o x y d in Gegenwart von E i s e n - I I - I o n e n angegriffen. Sie stellt infolge der großen Bildungstendenz des Kohlendioxyds sogar ein besonders s t a r k e s R e d u k t i o n s m i t t e l dar und findet als solches praktische Anwendung in der M a n g a n o m e t r i e (vgl. anorg. Lehrbücher). Oxalsäure dient in der F ä r b e r e i für die Herstellung von Beizen, sowie insbesondere in der a n o r g a n i s c h e n Chemie als Fällungsmittel für seltene Erden und die E r d a l k a l i m e t a l l e (vgl. anorg. Lehrbücher). Ferner eignet sie sich wegen ihrer guten Kristallisierbarkeit als T i t e r s u b s t a n z für die Maßanalyse. Bezüglich weiterer Anwendungen als Reduktionsmittel vgl. z. B. dis Darstellung von A l l y l a l k o h o l aus G l y c e r i n (S. 188).

Oxalsäure bildet als zweibasige Säure z w e i R e i h e n von Derivaten, von denen im allgemeinen nur die n e u t r a l e n V e r b i n d u n g e n von Interesse sind. Oxalylchlorid C1CO—COC1 ist im Gegensatz zum A m e i s e n s ä u r e c h l o r i d eine durchaus b e s t ä n d i g e , bei 63,5° siedende Substanz, die ohne Schwierigkeit aus O x a l s ä u r e und P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d dargestellt werden kann und wie ein n o r m a l e s Säurechlorid' zur Einführung des O x a l s ä u r e r e s t e s Verwendung findet. Immerhin läßt es eine erste Annäherung an die instabile Natur des A m e i s e n s ä u r e c h l o r i d s in seinem Verhalten gegenüber W a s s e r erkennen, das nur in Form von D a m p f eine n o r m a l e H y d r o l y s e zu Oxalsäure und HCl bewirkt, bei der Einwirkung in f l ü s s i g e m Z u s t a n d aber sofort zu v o l l s t ä n d i g e m M o l e k ü l z e r f a l l in CO, C0 2 und HCl führt (Gleichungen formulieren!). Ferner kann man O x a l y l c h l o r i d zuweilen auch in gleicher Weise wie P h o s g e n zur Einführung einer ClOC-Gruppe verwenden:

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Punktionen im Molekül

458

H2 H2

H,

+ ci—;oo—;co—ci

TT

/ — \

h 2 Ho

CO + HCl

+ Cl—;C0—ci

:H

HCl

H2 H2

jj

H / V

H

CO—CI

A n h y d r i d e d e r O x a l s ä u r e sind eigenartigerweise n i c h t b e k a n n t , und zwar weder d i m o l e k u l a r e c y c l i s c h e reine O x a l s ä u r e a n h y d r i d e vom D i o x a n t y p u s (formulieren!) noch g e m i s c h t e A n h y d r i d e mit anderen Carbonsäuren, da bei allen Anhydrisierungsversuchen sofort Zerfall in CO und C0 2 eintritt. Zur Darstellung der O x a l s ä u r e e s t e r ist infolge der großen A c i d i t ä t der S ä u r e n i c h t m e h r die Anwesenheit v o n M i n e r a l s ä u r e n als Katalysator erforderlich. E i n spezielles Interesse hatte zeitweilig der Oxalsäuredimethylester gefunden, der im Gegensatz zu anderen Estern niederer Alkohole auffallenderweise f e s t ist (Smp. 54°) und daher als leicht darstellbares Derivat des M e t h y l a l k o h o l s zu dessen Reinigung diente. Die A m i d e d e r O x a l s ä u r e werden Oxamid H 2 NOC—CONH 2 und Oxamidsäure HOOC—CONH 2 genannt. Sie lassen sich in der üblichen Weise durch Umsetzen von O x a l y l c h l o r i d , O x a l e s t e r oder O x a l s ä u r e selbst mit A m m o n i a k gewinnen (Gleichungen formulieren!). Ein weiteres interessantes Säureamid ist das c y c l i s c h e D i u r e i d der Oxalsäure, die Parabansäure, die aus H a r n s t o f f und O x a l y l c h l o r i d sowie auch aus O x a m i d und P h o s g e n gewonnen werden kann: OC—NH—;H i OC—NH—lH

Cl\ +

OC—NH

c=0

^CO

OC

+

+

OC—NH

CK

H —NH

—Cl

— 2HC1 OC

Cl

:CO / N H H

Parabansäure

und ein wichtiges Abbauprodukt der H a r n s ä u r e (HI, Kap. 7, II, 1) darstellt. Von ihren Beaktionen ist vor all -m die mit A l k a l i e n eintretende p a r t i e l l e H y d r o l y s e zum M o n o u r e i d d e r O x a l s ä u r e , der Oxalursäure HOOC—CO—NH—CO—NH 2 und die parCO—NH tielle elektrolytische Reduktion zu dem c y e l i s c h e n U r e i d d e s G l y c i n s , ;c=o dem Hydantoin (vgl. I, Kap. 6, 1 , 4 d a ) von Interesse. CH 2 —NH D a s eigenartigste Oxalsäurederivat ist ohne Zweifel das Dicyan Hydantoin (im älteren Schrifttum häufig auch freies Cyan oder Cyan schlechthin genannt), das als D i n i t r i l zur Oxalsäure in einem ähnlichen Verhältnis steht wie die B l a u s ä u r e zur A m e i s e n s ä u r e . So gibt es sich zwar auf Grund seiner Bildung durch W a s s e r a b s p a l t u n g a u s O x a m i d , sowie seiner Überführbarkeit in O x a l s ä u r e 1 ) und verschiedene O x a l s ä u r e d e r i v a t e im Verlauf v o n normalen Nitrilreaktionen: C 0 0 H

COOH

+2NH

,

CO-NH2 CO—NH 2

_2HS0

C=N I C=N

- HAS

H J*' C' * I \SH C=N

Oxamid Dicyan Hydrolyse

Flaveanwasserstoff (Thio-oxamidsäure)

+ H2:

"\3H "^SH

,

Rubeanwasserstoff (Thio-oxamid)

Die H y d r o l y s e d e s D i c y a n s zur O x a l s ä u r e wurde bereits im Jahre 1824 von WOHLER durchgeführt und war — in Verbindung mit der unten beschriebenen D i c y a n b i l d u n g a u s Q u e c k s i l b e r c y a n i d — die erste, in ihrer Bedeutung allerdings noch nicht voll erkannte Synthese einer o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g aus einer a n o r g a n i s c h e n S u b stanz.

Oxalsäurederivate

459

ohne Zweifel als e c h t e s N i t r i l zu erkennen. Doch wird es durch diese Reaktionen ebensowenig erschöpfend beschrieben, wie die B l a u s ä u r e als N i t r i l d e r A m e i s e n s ä u r e , und steht bei einer anderen Gruppe von Reaktionen, die auch hier durch die B i l d u n g s t e n d e n z d e s C y a n i o n s bedingt sind, der C y a n w a s s e r s t o f f s ä u r e und ihren S a l z e n nahe. Hierbei verhält sich das Dicyan, ähnlich wie das f r e i e R h o d a n (S. 409), in erster Näherung wie ein e l e m e n t a r e s H a l o g e n und trägt somit wesentlich dazu bei, daß man die Cyangruppe auf Grund der Gesamtheit ihrer Reaktionen als Pseudohalogen bezeichnet (vgl. anorg. Lehrbücher). Die wichtigsten der zu dieser zweiten Gruppe gehörenden Reaktionen sind: 1. die B i l d u n g v o n D i c y a n bei der t h e r m i s c h e n Z e r s e t z u n g von Q u e c k s i l b e r c y a n i d , die bereits im Jahre 1815 von GAY-LUSSAC durchgeführt wurde und auch heute noch als D a r s t e l l u n g s v e r f a h r e n dient. Ihr nahe verwandt ist die der Abscheidung von e l e m e n t a r e m J o d analoge D i c y a n b i l d u n g bei der Einwirkung von K u p f e r - I I - S a l z e n auf C y a n - I o n e n : Hg(C=N) 2

E ~.f/ e n



< ~2CuCy

N=C—C=N

2 Cu++ + 4 C=N~

2. die der Bildung von H y p o h a l o g e n i t e n analoge H y d r o l y s e der C—CBindung bei der Einwirkung von A l k a l i l a u g e n , die zu einem Gemisch der A l k a l i Cyanide und A l k a l i c y a n a t e f ü h r t : N=C—!C=N

Na0H

>

NaC=N + NaO—C=N

3. die „Verbrennung" von A l k a l i m e t a l l in einer Atmosphäre von D i c y a n unter Feuererscheinung: N=C—C=N + 2 Na

» 2 NaC=N

4. die bereits mit s c h w e f l i g e r S ä u r e durchführbare r e d u z i e r e n d e S p a l t u n g der C—C-Bindung unter Bildung von B l a u s ä u r e und die in Umkehrung dieser'Reaktion erfolgende, mit der Oxydation der HalogenWasserstoffe zu den freien Halogenen vergleichbare d i r e k t e O x y d a t i o n von Blausäure zu D i c y a n mittels L u f t s a u e r s t o f f s bei 80—100' in Gegenwart von wäßrigen K u p f e r - I I s a l z l ö s u n g e n (P. KTJRTZ 1944): N=C—C=N

+ H

' — - 2 HC=N

— H , (Luft-O a )

5. der gegenüber anderen Nitrilen (Tab. 21, S. 347) auffallend n i e d r i g e S i e d e p u n k t von —21° und die f ü r eine organische Verbindung ungewöhnlich große T h e r m o s t a b i l i t ä t des Dicyans. Dicyan ist ein farbloses, s t a r k e n d o t h e r m e s 1 ) und infolge seiner l e i c h t e n R e d u z i e r b a r k e i t zur B l a u s ä u r e sehr g i f t i g e s Gas von stechendem Geruch, das mit sehr heißer Flamme verbrennt und bei niederer Temperatur ausgesprochen i n s t a b i l ist. So v e r h a r z t es z. B. ähnlich wie Blausäure in wässeriger Lösung zu einem braunen Zersetzungsprodukt, das Azulmsäure genannt wird, und p o l y m e r i s i e r t bei 400° zu dem hochmolekularen Paracyan. Erst bei s e h r h o h e n Temperaturen wird es stabil und entsteht daher beim Brennen eines L i c h t b o g e n s in einer S t i c k s t o f f a t m o s p h ä r e . Auch in H o c h o f e n g a s e n t r i t t es zuweilen auf und gehört ebenfalls zu den wenigen organischen Verbindungen, die in S t e r n a t m o s p h ä r e n und Kometenschweifen nachgewiesen wurden. 1 ) Die B i l d u n g s w ä r m e aus den E l e m e n t e n beträgt + 7 3 kcal/Mol. Die Verbindung ist also mit einer Bildungswärme von +36,5 kcal pro Cyangruppe noch stärker endotherm als B l a u s ä u r e mit nur + 3 1 kcal/Mol (vgl. S. 363).

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

460

Malonsäure HOOC—CH2-—COOH, die einfachste 1 , 1 - P a r a f f i n d i c a r b o n s ä u r e , kommt vereinzelt in der N a t u r vor (z. B. im R ü b e n s a f t ) und wurde erstmals beim oxydativen Abbau der Ä p f e l s ä u r e (S. 483) erhalten (Name! von lat. malus = der Apfel). Praktisch wird sie mit Hilfe der KoLBEschen Nitrilsynthese aus c h l o r e s s i g s a u r e m N a t r i u m und N a t r i u m c y a n i d dargestellt: NaOOC CH2

C1 | NaC X ~ K a C 1 > NaOOC—CH2—C=N cyanessigsaures Natrium

Hydr lyae

"

> HOOC—CH2—COOH

Von ihren speziellen Reaktionen muß vor allem die außerordentlich leicht erfolgende D e c a r b o x y l i e r u n g unter Bildung von E s s i g s ä u r e hervorgehoben werden, die bereits beim Erhitzen dicht über den Schmelzpunkt erfolgt: HOOC—CH.—icooiH

150

° > HOOC—CH3 + C02

Die Reaktion ist, ähnlich wie die hydrolytische Spaltung der 1,3-Diketone, auf die gleichzeitige Anwesenheit von zwei p o s i t i v i e r e n d e n S u b s t i t u e n t e n an e i n e m C-Atom zurückzuführen (vgl. S. 448) und findet in gleicher Weise bei allen s u b s t i t u i e r t e n Malonsäuren statt. Eine weitere, allerdings nur auf die Malonsäure s e l b s t beschränkte Reaktion haben wir oben in der mit P 2 0 5 erfolgenden Bildung von K o h l e n s u b o x y d (S. 295) kennen gelernt.

Die wichtigsten Derivate der Malonsäure sind ihre E s t e r , speziell der D i ä t h y l e s t e r , der allgemein als Malonestcr schlechthin bezeichnet und aus dem oben beschriebenen c y a n e s s i g s a u r e n N a t r i u m meistens direkt durch s a u r e A l k o h o l y s e (Gleichung formulieren!) gewonnen wird. In ihm ist die m i t t e l s t ä n d i g e M e t h y l e n g r u p p e in ähnlicher Weise durch die beiden benachbarten Estergruppen a k t i v i e r t , wie die der 1 , 3 - D i k e t o n e durch ¿ie beiden K e t o g r u p p e n (S. 446). Abgesehen von den normalen Kondensationsreaktionen kann man daher den Malonester ebenfalls in eine w a s s e r b e s t ä n d i g e N a t r i u m v e r b i n d u n g überführen, deren Anion in gleicher Weise zwischen einer „ K e t o " - und einer „ E n o l f o r m " mesomer ist: O V©

o V

RO—C=CH—C—OR

0II -


Alkylierung 2

ROOC x \ ROOC/

HOOCx

)CH-R' CH2—R' HjOOC;/ Wir werden später im A c e t e s s i g e s t e r noch eine d r i t t e Substanz dieser Art kennenlernen, die sowohl zur K e t o n - als auch zur S ä u r e s y n t h e s e geeignet ist (S. 497),

Die Malonsäure und ihre Derivate

461

Von den übrigen Derivaten der Malonsäure ist lediglich das c y c l i s c h e D i u r e i d , die Barbitursäure von allgemeinem Interesse. Sie tritt ebenfalls als A b b a u p r o d u k t d e r H a r n s ä u r e auf und liegt infolge der Möglichkeit der Ausbildung eines a r o m a t i s c h e n B i n d u n g s s y s t e m s überwiegend in der tautomeren I m i d f o r m vor: OH CO—OH \-(V - O H

III- NHX

+ :

/CO—NHC > yco x CO—NH

CO ~ 2 H , ° > -

H - NU

C = N

/

;

\

CH N

Barbitursäure

C—N

C—OH

X

QJJ Imidform

Amidform

Die I m i d f o r m ist, offenbar infolge ihres Phenolcharakters, stärker s a u e r a l s E s s i g s ä u r e (PK(sauer) = 4,02), während die in Form der unten beschriebenen D i a l k y l d e r i v a t e vom Veronaltypus stabilisierte A m i d f o r m eigenartigerweise gegenüber Wasser nicht nur k e i n e n S ä u r e c h a r a k t e r mehr zeigt, sondern sogar ausgesprochen b a s i s c h reagiert (PK(basisch) des Y e r o n a l s = 7,95; vgl. Tabelle 27, I, Kap. 6, I, la).

In der Barbitursäure ist die M e t h i n g r u p p e (der Imidform) — wahrscheinlich infolge ihrer o- bzw. p-Stellung zu d r e i „ p h e n o l i s c h e n " O H - G r u p p e n — noch leicht substituierbar und kann u. a. n i t r i e r t oder n i t r o s i e r t werden. Durch Reduktion beider Substitutionsprodukte gelangt man zu dem für die H a r n s ä u r e s y n t h e s e (III, Kap. 7, II, 1) wichtigen Uramil (I): OH /C=N (02N—)

AN,

C—OH

C—OH

:

C—N I OH

II

OH

HC w

V

ON—C^

Nitroaier. ^ bzw. Nitrier.

OH Reduktion

H»N-

/

U n

\

-OH

CO—NHX

I OH

OH (HOON)HON=C; ;c=o i n NCO—NHX Das N i t r o s o d e r i v a t (II) liegt überwiegend in der t a u t o m e r e n I s o n i t r o s o f o r m (III) vor und wird Violursäure genannt. Es dient als Ausgangsmaterial für die A l l o x a n g e w i n n u n g (S. 495).

Die Ureide der an der Methylengruppe d i - a l k y l i e r t e n M a l o n s ä u r e n können die tautomere aromatische Form n i c h t m e h r b i l d e n . Sie besitzen s t a r k e h y p n o t i s c h e E i g e n s c h a f t e n und dienen daher vielfach als S c h l a f m i t t e l . Die pharmazeutisch wichtigsten Verbindungen dieser Reihe sind: COH.

)c=o CoH s Veronal = Diäthylbarbitursäure

c o - NH \c=o CO—NH Luminal = Phenyl-äthylbarbitursäure 1

CH 2 =CH—CH 2

V

/CO—NH ^>C=0 x CO—NH

xCO- - N H

CH2=CH—CHA

Phanodorm = Äthylcyclohexenylbarbitursäure C„H6X

C O - N - C H

2

H /

X

^)C=0 CO—NH

Dial = Diallybarbitursäure 3

c,H9X

)c=o C

CO—NH

CO—NH

Prominal = N-Methyl-luminal

) N-Methyl-C-cyclohexenyl-C-methyl-barbitursaures Natrium.

CH.

/

C

,CO—N—CH 3 \C=0 \ CO—NNa Evipan 1 )

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

462

Die h ö h e r e n C a r b o n s ä u r e n der Malonsäurereihe treten hinter dieser an Bedeutung zurück. Ihre Darstellung erfolgt fast ausschließlich durch A l k y l i e r u n g der aktiven Methylengruppe des M a l o n e s t e r s , und sie dienen daher vielfach als Z w i s c h e n p r o d u k t e bei der Synthese anderer Carbonsäuren mit Hilfe der M a l o n e s t e r m e t h o d e . Abweichend von der Malonsäure selbst können sie infolge der Substitution der Methylengruppe n i c h t m e h r zum Kohlensuboxyd entwässert werden (S. 295) und lassen sich daher durch E s s i g s ä u r e a n h y d r i d in c y c l i s c h e S ä u r e a n h y d r i d e mit einem v i e r g l i e d r i g e n R i n g überführen (Gleichung formulieren!).

Die einfachste 1 , 4 - D i c a r b o n s ä u r e ist die Bernsteinsäure HOOC—CH 2 —CH 2 — COOH. Sie kommt vielfach in der N a t u r vor, z. B. m i n e r a l i s c h in einigen B r a u n k o h l e a r t e n u n d i m B e r n s t e i n , a u s d e m sie v o n LIBAVITJS u n d GROLL b e r e i t s u m

die Wende des 17. Jahrhunderts durch D e s t i l l a t i o n erhalten wurde, und dem sie ihren Namen verdankt. Auch in zahlreichen Pflanzen wurde sie beobachtet. Vor allem aber ist sie ein wichtiges b i o c h e m i s c h e s Z w i s c h e n p r o d u k t beim Abbau der E s s i g s ä u r e (vgl. III, Kap. 8, III). Zu ihrer t e c h n i s c h e n G e w i n n u n g dient entweder die b i o c h e m i s c h e Reduktion von Ä p f e l - oder W e i n s ä u r e im Verlauf von S p a l t p i l z g ä r u n g e n (vgl. I I I , K a p . 8, III) oder die Synthese aus A c e t y l e n und F o r m a l d e h y d über B u t i n - und B u t a n d i o l (Tafel I, S. 128, 129), sowie aus Ä t h y l e n über das Ä t h y l e n c h l o r i d mit Hilfe einer doppelten KOLBE sehen Nitrilsynthese: ¡j®»

ci, ,

CH2

CH2—C1 OH2—Gl

mri,. ^ syntheseV

CH2—CN CH2—CN

Hydro-) lyse V

Eine weitere interessante Synthese geht vom Natrium-malonester aus, der, ähnlich wie die Enolate der 1,3-Diketone (S. 447), bei der Einwirkung von J o d eine WuRTzsche Synthese mit v e r t a u s c h t e n O x y d a t i o n s s t u f e n erleidet und nach V e r s e i f u n g und D e c a r b o x y l i e r u n g des dimeren Reaktionsproduktes leicht in Bernsteinsäure übergeht: ROOC

COOR

['HjXa | ,J2-!- Na('!lI ROOC

COOR

ROOC ~

2NaJ

>-

COOR

CH—CH ROOC

HOOC ^Ir'hoxyi"

COOH

CH2—CH2

:('()() R

Bernsteinsäure ist eine hochschmelzende und, wie das mineralische Vorkommen beweist, s e h r b e s t ä n d i g e Substanz. Chemisch zeichnet sie sich vor allem durch eine Reihe von R i n g s c h l u ß r e a k t i o n e n aus, bei denen der Ring jeweils durch nur e i n H e t e r o - A t o m geschlossen wird (s. oben). Durch n a c h t r ä g l i c h e R e d u k t i o n der hierbei entstehenden c y c l i s c h e n S ä u r e - D e r i v a t e kommt man nicht nur zum B u t y r o l a c t o n (S. 482), P y r r o l i d o n (I, K a p . 6, 4 d / ? ) usw., sondern auch zu den in I, K a p . 11, III beschriebenen fünfgliedrigen heterocyclischen Grundverbindungen P y r r o l , F ü r a n und T h i o p h e n , von denen letzteres im Falle der Reaktion mit dem gleichzeitig reduzierend wirkenden S c h w e f e l p h o s p h o i auch direkt erhalten werden kann. (Seite 463.) Im Bernsteinsäureanhydrid begegnen wir dem ersten c y c l i s c h e n S ä u r e a n h y d r i d . Es läßt sich wie alle Säureanhydride zu A c y l i e r u n g s r e a k t i o n e n verwenden, wobei jedoch stets die in Freiheit gesetzte Carboxylgruppe des Anhydrids i m M o l e k ü l v e r b l e i b t , so daß in direkter Reaktion nur die s a u r e n D e r i v a t e der Bernsteinsäure gewonnen werden können: CH2—CO. CH2—COOH /O + H — X I

Höhere gesättigte Dicarbonsäuren

C H

2

— C O

463

GH2—CO—OH

n

über

) N H

Ml_salz ¿

co—OH

H

C H

250»

>

I

v

V

NH

I ,) CH=cir

c h = c h

r c h C H = C H

N H

CH^ff7

Pyrrol

I

n

C H = C H

Pyrrolidon

V

/O

x

Bernsteinsäureanhydrid

C H = C H

X

— C O .

CH 2 —co

Succinimid

C H „ — C O

2

I

Thiophen

n

2

— C O

;o

\0

CHj—CH2

/

Butyrolacton

Furan

Succinimid ist das am leichtesten zugängliche aliphatische s e k u n d ä r e C a r b o n s ä u r e a m i d (vgl. S. 345) und als solches zur Bildung b e s t ä n d i g e r M e t a l l s a l z e befähigt. Das schwer lösliche Q u e c k s i l b e r s a l z findet zuweilen therapeutische Anwendung als Queck Silberpräparat.

Bernsteinsäuredinitril wird neuerdings nicht mehr über die freie Bernsteinsäure sondern direkt durch Anlagerung von e i n e m Molekül B l a u s ä u r e an A c r y l s ä u r e n i t r i l (bzw. zwei Molekülen B l a u s ä u r e an A e e t y l e n ) gewonnen (vgl. Tafel I, S. 128,129). Es dient in der Technik als Ausgangsmaterial für die Herstellung von T e t r a m e t h y l e n d i a m i n (I, Kap. 6,1, lc), das seinerseits als Kondensationskomponente für die Herstellung von P o l y a m i d k u n s t s t o f f e n Verwendung findet (III, Kap. 7, I, 3). Glutarsäure HOOC—(CH 2 ) 3 —COOH kommt vereinzelt in der Natur vor, z. B. heben der Malonsäure im R ü b e n s a f t , und kann ebenfalls durch eine z w e i f a c h e N i t r i l s y n t h e s e (formulieren!) oder durch eine zweifache M a l o n e s t e r s y n t h e s e gewonnen werden: R O O C

R O O C

C O O R

ClINa + Ji—CH2—iJ + NaiCH R O O C

Verseifung Decarboxylierung

C H — C H

C O O R

R O O C :

R O O C

C O O R

C O O R

2

— C H

C O O R

Auch die Adipinsäure HOOC—(CH 2 ) 4 —COOH ist ein N a t u r p r o d u k t , hat aber in erster Linie t e c h n i s c h e B e d e u t u n g erlangt, da sie infolge der Kette von sechs C-Atomen als e i n z i g e a l i p h a t i s c h e D i c a r b o n s ä u r e aus a r o m a t i s c h e n V e r b i n d u n g e n gewonnen werden kann. Ihre Darstellung erfolgte früher hauptsächlich durch o x y d a t i v e R i n g ö f f n u n g des durch Hydrierung von Phenol leicht zugänglichen C y c l o h e x a n o n s : H 2 H2

"VOH



2 H ,

/CH2—CH2N^ Cr0 3

CH»

s

C O O H

Daneben stellt man sie heute aber auch schon mit Hilfe einer T o t a l s y n t h e s e aus A e e t y l e n und K o h l e n o x y d über das auf S. 426 bereits angeführte T e t r a -

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

464

h y d r o f u r a n als Zwischenprodukt her. Das Verfahren ist sehr b i l l i g , da (einschließlich der beiden Formaldehyd-C-Atome) vier der sechs C-Atome aus K o h l e n o x y d und nur zwei aus dem relativ teuren A c e t y l e n stammen: CH III

CH

C—CH,—OH

+ -

C—CH 2 —OH

CH 2 —CH a —OH I CH a

Butindiol

Butandiol

+ 2 CO + H , 0 Carbonylierungsreaktion

+ 2H.

CH 2 —CH 2 —COOH CH. Adipinsäure

— HaO

= Tetrahydrofuran

J-Cl

+ 2 HCl

—H,0

CH,—CH«

NaCN + i C1 NaiCN

CH«

Tefcramethylen-chiorid

Adipin-dinitril

Das Verfahren kann durch entsprechende Variation der z w e i t e n T e i l r e a k t i o n auch zur direkten Synthese des wichtigsten Adipinsäurederivates, des für die Gewinnung von H e x a m e t h y l e n - d i a m i n (I, Kap. 6, I, l c d ) als Zwischenprodukt benötigten Adipin-dinitrils verwandt werden. Als theoretisch interessante Bildungsreaktion sei weiterhin die Adipinsäurebildung bei der E l e k t r o l y s e v o n B e r n s t e i n s ä u r e h a l b e s t e r n angeführt, in deren Verlauf sie auf Grund einer KoLBESchen P a r a f f i n s y n t h e s e (S. 69) entsteht: ROOC—CH,—CH,—C00" ¡2 ulu2

— 0

(ROOC—CH 2 —CH »" ^»uw» ^"22 -f-COO •)

-> C0 2 + V 2 ROOC—CH 2 —CH 2 —CH 2 —CH 2 —COOR Schließlich h a t man auch versucht, die Adipinsäure in Analogie zur G l u t a r s ä u r e aus Ä t h y l e n c h l o r i d mit Hilfe einer zweifachen M a l o n e s t e r s y n t h e s e aufzubauen (Gleichung formulieren!) Die Reaktion f ü h r t jedoch n i c h t z u m Z i e l , weil Äthylenchlorid nur noch mit e i n e m Mol M a l o n e s t e r unter Bildung eines C y c l o p r o p a n d e r i v a t e s reagiert (näheres vgl. I, Kap. 11,1, 1).

Adipinsäure ist eine sehr b e s t ä n d i g e V e r b i n d u n g , die als e i n z i g e der einfachen Dicarbonsäuren bei der Einwirkung von Essigsäureanhydrid in das um e i n C - A t o m ärmere c y c l i s c h e K e t o n übergeht (BLAircsche Regel, s. o.). Sie findet als Ersatz für W e i n s ä u r e in der B a c k p u l v e r i n d u s t r i e Anwendung und wird neuerdings in großen Mengen in der K u n s t s t o f f i n d u s t r i e zur Herstellung von P o l y a m i d k u n s t s t o f f e n (III, Kap. 7,1, 3) benötigt. Die h ö h e r e n g e s ä t t i g t e n D i c a r b o n s ä u r e n kommen zuweilen n a t ü r l i c h vor, haben jedoch im allgemeinen nur s p e z i e l l e s I n t e r e s s e als Abbauprodukte von Naturstoffen gefunden. So erhält man z. B. beim oxydativen Abbau von R i c i n u s ö l die Pimelinsäure, von K o r k die Korksäure und von Ö l s ä u r e (Ozonabbau, vgl. S. 368) die Azelainsäure. Als höchste bis jetzt bekannte Verbindung der Reihe wurde die im K o r k natürlich vorkommende Eikosandicarbonsäure mit 22 C-Atomen in unverzweigter K e t t e aufgefunden.

3. Gesättigte Polycarbonsäurcn Verbindungen mit mehr als zwei C a r b o x y l g r u p p e n im Molekül enthalten bereits eine verzweigte Kohlenstoffkette. Sie haben bei weitem nicht die Bedeutung der Di- oder gar M o n o c a r b o n s ä u r e n erlangt und sind nur als E i n z e l v e r b i n d u n g e n von Interesse. In der Methan-tricarbonsäure liegt die einfachste T r i c a r b o n s ä u r e vor. Sie ist infolge der gegenüber der M a l o n s ä u r e nochmals gesteigerten Zahl der an e i n e m C - A t o m befind-

Maleinsäure, Fumarsäure

465

liehen p o s i t i v i e r e n d e n Reste bereits derart l a b i l i s i e r t , daß sie in freiem Zustand n i c h t m e h r e x i s t e n z f ä h i g ist und bei Versuchen zu ihrer Darstellung sofort unter A b s p a l t u n g v o n C0 2 in M a l o n s ä u r e übergeht. Dagegen ist i h r Ä t h y l e s t e r eine durchaus beständige, aus N a t r i u m - m a l o n e s t e r und C h l o r a m e i s e n s ä u r e e s t e r sehr leicht zugängliche Verbindung: ROOC x

ROOC.

— NaCI

; C H N a + Cl—COOR ROOC

ROOC—CH ROOC^

Hydrolyse

/ HOOC. >

— CO,

I HOOC—CH

HOOC, ;ch,

HOOC

HOOG

Die M e t h i n g r u p p e des Methantricarbonsäureesters zeigt, ähnlich wie die der T r i a c y l m e t h a n e , gegenüber der Methylengruppe des Malonesters eine n o c h m a l s g e s t e i g e r t e A k t i v i t ä t . Z. B. reagiert der Wasserstoff trotz der Bindung an den Kohlenstoff bereits so s t a r k s a u e r , daß der Ester in B i c a r b o n a t l ö s u n g unter C0 2 -Entwicklung löslich ist. Doch stellt man die Natriumverbindung meistens in a l k o h o l i s c h e m M e d i u m durch A u s f ä l l e n m i t N a t r i u m a l k o h o l a t her und kann sie dann in gleicher Weise wie beim Malonester mit den üblichen A l k y l i e r u n g s - und A c y l i e r u n g s m i t t e l n am K o h l e n s t o f f substituieren. Bei der nochmaligen Einwirkung von C h l o r a m e i s e n s ä u r e e s t e r entsteht hierbei der Methan-tetracarbonsäureester C(COOR)4 (Gleichung formulieren!), der als solcher durchaus b e s t ä n d i g ist und infolge des Pehlens von W a s s e r s t o f f am Zentralatom auch k e i n e s a u r e n E i g e n s c h a f t e n mehr aufweist. Erst die bei der Verseifung entstehende f r e i e M e t h a n - t e t r a c a r b o n s ä u r e ist l a b i l und zerfällt im Moment der Entstehung sofort unter Abgabe von z w e i M o l e k ü l e n C0 2 in M a l o n s ä u r e , da sie als Endglied der Reihe: .COOH H2C^ COOH

H3C-COOH Essigsäure

COOH HC—COOH COOH /

Malonsäure

Methan-tricarbonsäure

COOH COOH x COOH x COOH Methan-tetracarbonsäure

naturgemäß n o c h w e n i g e r existenzfähig ist als die M e t h a n t r i c a r b o n s ä u r e . Tricarballylsäure, die einfachste Tricarbonsäure, deren Carboxylgruppen sich a n v e r s c h i e d e n e n C - A t o m e n befinden, k a n n aus d e m durch Bromaddition a n A l l y l b r o m i d leicht zugänglichen 1, 2, 3 - T r i b r o m p r o p a n durch eine d r e i f a c h e KoLBEsche N i t r i l s y n t h e s e gewonnen werden: CH 2 II • CH

CH,— Br + Br

» >

NaC=N

CH !—Br + N a ; C s N :

CH, —Br

CK-C=N ~

3NaBr

>

CH—C=N

Na!C=N

CH 2 —COOH Hydrolyse

v

¿H—COOH ¿H.—COOH

Sie ist w e g e n ihrer nahen Beziehungen zur C i t r o n e n s ä u r e (S. 487) v o n B e deutung. Als Beispiele einiger beständiger Tetracarbonsäuren seien die bei den auf S. 462 f. beschriebenen Synthesen der B e r n s t e i n - und G l u t a r s ä u r e aus M a l o n e s t e r als Zwischenprodukt auftretenden Ä t h a n - und P r o p a n - t e t r a c a r b o n . s ä u r e n genannt. 4. Die ungesättigten Polycarbonsäuren D i e einfachsten u n g e s ä t t i g t e n D i c a r b o n s ä u r e n sind die Malein- u n d Fumarsäure. Sie zeigen die g l e i c h e Z u s a m m e n s e t z u n g , u n d m a n m u ß ihnen auch die g l e i c h e S t r u k t u r zuerteilen, da sie beide durch Abspaltung v o n e i n e m 30

K 1 a g e s , Lehrbuch der Organischen Chemie I , 1

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

466

Mol W a s s e r aus Ä p f e l s ä u r e (S. 484) entstehen und rückwärts durch Wasseranlagerung wieder in Äpfelsäure übergeführt werden können. Sie müssen also im Verhältnis der c i s - t r a n s - I s o m e r i e zueinander stehen und bilden infolge ihrer leichten Darstellung und Handhabung seit jeher das klassische Untersuchungsobjekt der Erscheinungen der Ä t h y l e n - I s o m e r i e . Ihre K o n f i g u r a t i o n s b e s t i m m u n g erwies sich als sehr einfach, denn nur die M a l e i n s ä u r e ist zur Bildung eines c y c l i s c h e n A n h y d r i d s befähigt, ihr muß also die c i s - K o n f i g u r a t i o n zukommen. Ferner entsteht sie als e i s - V e r b i n d u n g bei der R i n g ö f f n u n g c y c l i scher V e r b i n d u n g e n , wie z.B. von B e n z o l (vgl. S. 131) oder auch Chinon (S. 303) stets ausschließlich, wenn man die Reaktion unter Bedingungen durchführt, unter denen eine gegenseitige Umwandlung beider Säuren n o c h n i c h t m ö g l i c h ist: CH—COOH Oxydation ^

Q

CH—CO

HOOC—CH

Anhydrisierung ^

CH—COOH

CH—CO

Malein-Säure

Maleinsäureanhydrid

CH—COOH Fumarsäure

Von allgemeinem Interesse sind weiterhin die S t a b i l i t ä t s v e r h ä l t n i s s e und die Möglichkeiten der g e g e n s e i t i g e n U m w a n d l u n g beider Säuren. Die F u m a r s ä u r e ist als t r a n s - V e r b i n d u n g infolge des größeren Abstandes der sich gegenseitig abstoßenden Carboxylgruppen eindeutig beständiger und entsteht daher aus der M a l e i n s ä u r e beim E r h i t z e n ü b e r d e n S c h m e l z p u n k t , bei U. V . - B e s t r a h l u n g oder bei c h e m i s c h e r A k t i v i e r u n g (z. B. durch Spuren von HN0 2 , Jod, HgCl2, K 2 S 2 0 8 , organischen Aminen sowie bei der Umlagerung der E s t e r auch durch m e t a l l i s c h e s K a l i u m ) freiwillig in exothermer Reaktion mit einer W ä r m e t ö n u n g von •—6 kcal/Mol. Eine direkte Umwandlung der F u m a r - in die M a l e i n s ä u r e ist dagegen n i c h t m ö g l i c h . Sie gelingt nur auf dem Umweg über das M a l e i n s ä u r e a n h y d r i d , indem man bei Temperaturen um 300° die im Gleichgewichtsgemisch in Spuren vorhandene Maleinsäure a n h y d r i s i e r t und als Anhydrid durch D e s t i l l a t i o n entfernt. Wir beobachten also zwischen den beiden Säuren die folgenden Übergangsmöglichkeiten: CH—COOH ||

CH—COOH \

_ .

.

Bei Aktivierung > spontan

HOOC—CH ||

^ „ „

ftA > 300°

CH—COOH

>

CH—CO x

y

CH—Co/ Hydrolyse

/'

Dementsprechend entsteht bei der W a s s e r a b s p a l t u n g a u s Ä p f e l s ä u r e bei etwa 150° überwiegend die stabilere F u m a r s ä u r e , während bei r a s c h e m E r h i t z e n a u f h ö h e r e T e m p e r a t u r sofort unter Abspaltung eines zweiten Wassermoleküls M a l e i n s ä u r e a n h y d r i d gebildet wird, das bei normaler Temperatur leicht in Maleinsäure überführbar ist. Auch die übrigen p h y s i k a l i s c h e n und p h y s i k a l i s c h - c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n beider Säuren, wie etwa die S c h m e l z p u n k t e und die e l e k t r o l y t i s c h e n D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e n , zeigen die f ü r äthylenisomere Verbindungen e r w a r t e t e n Unterschiede, worauf später noch näher eingegangen wird (II, Kap. 7, II, 3).

Die C = C - D o p p e l b i n d u n g besitzt in beiden Säuren im wesentlichen die gleiche Reaktionsfähigkeit wie in den einfachen /3-ungesättigten Olefincarbonsäuren und ist insbesondere ebenfalls durch n a s c i e r e n d e n W a s s e r s t o f f reduzierbar (vgl. S. 371). Lediglich B r o m wird bereits merklich schwerer a d d i e r t , und es werden infolge der M i t t e l s t e l l u n g der Doppelbindung k e i n e P o l y m e r i s a t i o n s r e a k t i o n e n mehr beobachtet. Maleinsäure kommt nicht natürlich vor und hat ihren Namen, wie die Malons ä u r e , auf Grund ihrer genetischen Beziehungen zur Ä p f e l s ä u r e erhalten. Technisch wird sie meistens durch Oxydation von B e n z o l oder C r o t o n s ä u r e mit

Höhere ungesättigte Polycarbonsäuren

467

L u f t s a u e r s t o f f über V a n a d i n p e n t o x y d - K a t a l y s a t o r e n gewonnen. Sie fällt hierbei in Form ihres wichtigsten Derivates, des Maleinsäureanhydrids an, das eine dem C h i n o n ähnliche Konstitution aufweist und sich wie dieses hervorragend als p h i l o d i e n e K o m p o n e n t e für die DiELs-ÄLDEBSche D i e n s y n t h e s e eignet:

+

O

\

o Tetrahydxo-naphthochinon

Tetrahydio-phthalsäureanhydrid

Fumarsäure tritt vereinzelt natürlich auf, z. B. im E r d r a u c h (Fumaria officinalis) und hat auf Grund dieses Vorkommens ihren Namen erhalten. Ferner stellt sie ein wichtiges Zwischenprodukt beim biochemischen E s s i g s ä u r e - und B e r n s t e i n s ä u r e a b b a u dar (vgl. III, Kap.8,III). Sie kann in dieser Eigenschaft n i c h t d u r c h M a l e i n s ä u r e ersetzt werden.

Die nächst höheren Homologen der Malein- und Fumarsäure sind die Citraconund Mesaconsäure, die ebenfalls im Verhältnis der c i s - t r a n s - I s o m e r i e zueinander stehen, und zu denen die Itaconsäure s t e l l u n g s i s o m e r ist. Alle drei Säuren hängen genetisch eng mit der C i t r o n e n s ä u r e (S. 487) zusammen, aus der sie über die wichtigste u n g e s ä t t i g t e T r i c a r b o n s ä u r e , die im E i s e n h u t (aconitum napellus) natürlich vorkommende Aconitsäure gebildet werden: CH2—;COO|H

CH,—COOH — H,0

HO—:C—COOH Hi—CH—COOH Citronensäure

II

H—C—COOH

1—COOH H—COOH

CH,—C—COOH

CH3—C—COOH — CO.

Citraconsäure

Konfigur. Umkehr

HOOC—C—H Mesaconsäure

CH2—COOH

-CO,

I

CH2=C—COOH

Aconitsäure

Itaconsäure

In der Muconsäure liegt eine ungesättigte Dicarbonsäure mit zwei k o n j u g i e r t e n C = C D o p p e l b i n d u n g e n vor. Sie entsteht in analoger Weise wie die Maleinsäure a u s a r o m a t i s c h e n V e r b i n d u n g e n durch o x y d a t i v e R i n g ö f f n u n g (vgl. S. 132). Von den drei möglichen g e o m e t r i s c h i s o m e r e n F o r m e n konnte bisher nur die stabile t r a n s , t r a n s V e r b i n d u n g und die auch hier labilere e i s , e i s - V e r b i n d u n g gewonnen werden, während die c i s , t r a n s - M u c o n s ä u r e nur in einigen Derivaten beschrieben wurde:

/CH. .CH. /COOH HOOC/ V)H/ V)H/

c

^

CH

\ch-/

CH

\cooh

^COOH trans, trans-Muconsäure Smp. 298»Zers.

eis,trans-Muconsäure (unbekannt)

;CH\ y COOH CH I

CH /COOH V CH

cis,cis-Muconsäure Smp. 187°

Die einfachste Dicarbonsäure der Alkinreihe ist die Acetylen-diearbonsäure. Sie kann durch Abspaltung von zwei Molekülen Brom Wasserstoff aus a'-Dib r o m b e r n s t e i n s ä u r e dargestellt werden: H Br H Br -v HOOC—C=C—COOH Acetylendicarbonsäure HOOC—C-C—COOH Acetylen-dicarbonsäure ist eine bei 179° schmelzende, relativ b e s t ä n d i g e Verbindung, die infolge der Aktivierung der Carboxylgruppen durch die dreifache 30*

468

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

Bindung bereits zu den starken Säuren (vgl. Tabelle 25, S. 452) zählt. Sie kann noch leichter als Propiolsäure decarboxyliert werden, am besten durch Erhitzen des sauren Kalisalzes, wobei propiolsaures Kalium entsteht: KOOC—C=C—COOH

— CO,

-> KOOC—C=C—H Von ihren Derivaten h a t lediglich der D i ä t h y l e s t e r allgemeine Bedeutung erlangt, da er in gleicher Weise wie A c e t y l e n (S. l l l f . u. I, Kap. 6, I I I , l a u . 3c) zur Anlagerung anderer ungesättigter Verbindungen unter . R i n g s c h l u ß befähigt ist und daher zuweilen zur Synthese der C a r b o n s ä u r e e s t e r c y c l i s c h e r V e r b i n d u n g e n dient. So entsteht z. B. bei der Trimerisierung der Hexaäthylester der auf S. 471 beschriebenen M e l l i t ( h ) s ä u r e : COOR ^ ROOC—C^ + ROOC—iC

V

COOR C—COOR C—COOR

ROOC—COOR L-COOR r ROOC—

!OOR Mellit(h)säureester COOR Eine eigenartige Methode zur Darstellung höherer Polyacetylen-dicarbonsänren h a t A. v. B A E Y E R beschrieben. Aus der Kupferverbindung des p r o p i o l s a u r e n K a l i u m s (I) kann man durch s c h w a c h e O x y d a t i o n s m i t t e l , z.B. mit K a l i u m - e i s e n - I I I - C y a n i d , das Kupfer herausspalten. Hierbei treten (wieder im Sinn einer WuRTzschen S y n t h e s e m i t v e r t a u s c h t e n O x y d a t i o n s s t u f e n , vgl. S. 417) die beiden Acetylenreste zum Dikaliumsalz der D i a c e t y l e n d i c a r b o n s ä u r e (II) zusammen. Das Monokaliumsalz dieser Verbindung (III) erleidet wie das Monokaliumsalz der Acetylendicarbonsäure sehr leicht D e c a r b o x y l i e r u n g zum diacetylen-monocarbonsauren Kalium, dessen K u p f e r v e r b i n d u n g (IV) die oxydative Herausspaltung des Kupfer-I-oxyda, in diesem Fall unter Bildung des D i k a l i u m s a l z e s der Tetra-acetylendicarbonsäure (V), nochmals erleiden k a n n : — Cu.0

KOOC—C=C—C=C—COOK KOOC—C=C—Cu + O + Cu-:-C=C—COOK : I I Ii H+ KOOC—C=C—C=C—COOH in — CO,—H + + Cu

KOOC- -C=C- - C = C - p C u + O + Cu—C=C—C=C—COOK IV IV — Cu.0 > KOOC—C=C—C=C—C=C—C=C—COOK

Alle Verbindungen dieser Reihe sind, wie zu erwarten, sehr u n b e s t ä n d i g und v e r h a r z e n bereits beim Stehen a m Tageslicht.

5. Die aromatischen Polycarbonsäuren Die drei isomeren Benzoldicarbonsäuren sind bekannt und haben Trivialnamen erhalten: COOH

COOH COOH

COOH J

s

COOH

Isophthalsäure Smp. 349°

COOH Terephthalsäure Smp. 300°

) I m geschlossenen Rohr. Andernfalls schmilzt die Substanz bereit3 zwischen 190 und 200° unter W a s s e r a b s p a l t u n g und A n h y d r i d b i l d u n g .

Die Phthalsäure

469

Die wichtigste von ihnen ist die Phthalsäure, die der ganzen Gruppe den Namen gegeben hat. Sie wurde erstmals im Jahre 1836 von LAURENT durch Oxydation des bei der Anlagerung von zwei Molekülen Chlor an Naphthalin (Name!) entstehenden Naphthalin-tetrachlorids mit Salpetersäure erhalten: H

C1

v

C(

Ki

I XC1

¿ R—C—COOH < Hlyse f d r o ' R-C—COOH

Die einfachen a-Oxocarbonsäuren sind schlecht kristallisierende, s i r u p ö s e Verbindungen, die, ähnlich wie C h l o r a l , infolge der Nachbarstellung der stark p o s i t i v i e r e n d e n C a r b o x y l g r u p p e ein beständiges kristallisiertes H y d r a t d e r O x o g r u p p e (formulieren!) bilden können. Sie zeigen im allgemeinen die Reaktionen der C a r b o x y l - und O x o g r u p p e nebeneinander, wobei mit Alkoholen in Gegenwart von M i n e r a l s ä u r e n meistens die C a r b o x y l g r u p p e v e r e s t e r t wird, ehe Acetalisierung der Carbonylgruppe eintritt, während umgekehrt A m m o n i a k und p r i m ä r e A m i n e nach der Salzbildung zunächst mit der C a r b o n y l g r u p p e unter Bildung S C H I F F scher B a s e n in Reaktion treten, so daß die Darstellung der S ä u r e a m i d e nur auf Umwegen möglich ist. Von den speziellen Reaktionen ist insbesondere die außergewöhnlich große L a b i l i t ä t d e r C O — C O O H - B i n d u n g hervorzuheben, die noch leichter als die der O x a l s ä u r e und der « - D i o x o v e r b i n d u n g e n aufgespalten werden kann.Besonders wichtige Spaltungsreaktionen sind: 1. die o x y d a t i v e Spaltung mit H y d r o p e r o x y d in Gegenwart von F e - I I - I o n e n oder m i t a m m o n i a k a l i s c h e r S i l b e r oxydlösung, 2. die mit k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e eintretende K o h l e n o x y d s p a l t u n g und 3. die beim Erhitzen mit A m i n o v e r b i n d u n g e n (III, Kap. 8, II) und auch b i o c h e m i s c h leicht eintretende D e c a r b o x y l i e r u n g : R_CO—OH + C02i

o — — 1 — > - R—CO—-OH + C = 0 || R—C—COOH >R—CH=0 + C02' Erhitzen

_n „++ ig

Glyoxylsäure, OCH—COOH, die einfachste A l d e h y d c a r b o n s ä u r e , ist wahrscheinlich als eine der b i o c h e m i s c h e n V o r s t u f e n d e s G l y c i n s (I, K a p . 6 , 1 , 4d

ROOC—CO—COOR Mesoxalester

| Decarboxylierung COOH

C0 2 4J-,TT ^ V/11: -W j COOH

Mesoxalsäure bildet infolge der b e i d e r s e i t i g e n Substitution der Ketogruppe durch n e g a t i v e Reste (vgl. S. 276) ein s e h r b e s t ä n d i g e s H y d r a t (Smp. 121°), das infolge der Labilität der freien Säure n i c h t m e h r e n t w ä s s e r t werden kann. Dies gelingt nur bei den wesentlich stabileren Estern, die in der wasserfreien Form infolge der K o n j u g a t i o n d e r d r e i C a r b o n y l g r u p p e n (RO—CO—CO—CO—OR) g r ü n g e l b sind (ähnlich wie die 1,2-Dioxoverbindungen, S. 440). Die ebenfalls beständigen E s t e r h y d r a t e sind dagegen, wie auch das H y d r a t d e r f r e i e n S ä u r e , wegen der Aufhebung des konjugierten Systems f a r b l o s , wodurch indirekt die Bindung des Wassers als K e t o n h y d r a t w a s s e r bewiesen wird. Als weitere Folge der Hydratbildung sind die Ester der n i e d e r e n A l k o h o l e sehr leicht in W a s s e r l ö s l i c h , doch bei dem hohen Schmelzpunkt der Hydrate nicht mehr mit ihm m i s c h b a r (vgl. S. 343, Anm.). D a s bekannteste Derivat der Mesoxalsäure ist ihr c y c l i s c h e s D i u r e i d , d a s Alloxan, das ein wichtiges Abbauprodukt der H a r n s ä u r e (III, Kap. 7, I I , 1) u n d anderer P u r i n d e r i v a t e darstellt. E s entsteht in normaler R e a k t i o n beim Zusammenschmelzen v o n M e s o x a l s ä u r e u n d H a r n s t o f f u n d kann durch Behandeln mit A l k a l i e n wieder rückwärts in die Komponenten z e r l e g t werden: HN—- H

o_A Hll

HO -!C. -() :I + :C=0 ;| H HO—|C=0

,

Erhitzen Alkali

HN—C=0 1 1 0=C C=0 | | HN—C=0 Alloxan

7n



HN—C=0 1 1 0 = C ÖH—OH | | HN—C=0 Dialursäure

Alloxan bildet ebenfalls ein sehr b e s t ä n d i g e s H y d r a t , das erst bei etwa 200° im V a k u u m in die auch hier g e l b e wasserfreie Verbindung übergeht. Im übrigen zeigt es alle n o r m a l e n K e t o n r e a k t i o n e n und kann z.B. mittels Z i n k s und S a l z s ä u r e

495

Die 1,3-Oxocarbonsäuren

zum zugehörigen s e k u n d ä r e n A l k o h o l , der Dialursäure (S. 483), reduziert sowie in K e t o n d e r i v a t e übergeführt werden. Von letzteren haben wir das O x i m als I s o n i t r o s o d e r i v a t der B a r b i t u r s ä u r e bereits unter dem Namen Violursäure kennengelernt (S. 461). Es wird praktisch meistens auch von der B a r b i t u r s ä u r e aus dargestellt und dient auf diesem Wege als w i c h t i g e s A u s g a n g s m a t e r i a l für die Gewinnung des A l l o x a n s selbst.

2. Die 1,3- oder ß-Oxocarbonsäuren Steht die Oxogruppe in ß- S t e l l u n g zur C a r b o x y l g r u p p e , so kommen wir zu einer Reihe von Verbindungen, die mit den 1 , 3 - D i k e t o n e n und der Malonsäure nahe verwandt sind, und sich letzterer gegenüber durch eine nochmals ges t e i g e r t e T e n d e n z zur A b s p a l t u n g der C a r b o x y l g r u p p e auszeichnen. Die freien Säuren sind daher ä u ß e r s t z e r s e t z l i c h e S u b s t a n z e n und spielen nur eine untergeordnete Rolle. Dagegen sind ihre D e r i v a t e , wie z. B. die E s t e r , S a l z e , Ami de und N i t r i l e , durchaus beständig. Insbesondere die ersteren haben sowohl t h e o r e t i s c h als auch p r a k t i s c h eine große Bedeutung erlangt. Wir werden uns daher im folgenden in erster Linie mit den K e t o c a r b o n s ä u r e e s t e r n als den wichtigsten Verbindungen dieser Reihe befassen. / 3 - K e t o c a r b o n s ä u r e e s t e r kommen n i c h t n a t ü r l i c h vor. Dagegen sind die f r e i e n S ä u r e n bzw. ihre S a l z e in dem nahezu neutralen Reaktionsmedium der Lebewesen l e i d l i c h b e s t ä n d i g und spielen hier infolge ihrer großen Reaktionsfähigkeit eine wichtige Rolle als Zwischenverbindungen. Insbesondere treten sie beim F e t t s ä u r e a b b a u als D e h y d r i e r u n g s p r o d u k t e der / ? - O x y f e t t s ä u r e n auf und werden neuerdings auch als Ausgangsstoffe für verschiedene b i o c h e m i s c h e S y n t h e s e n angesehen (III, Kap. 8, III).

Die Darstellung der /?-Oxocarbonsäureester schließt sich eng an die der nahe verwandten /S-Diketone an, nur daß man bei den Kondensationsreaktionen an Stelle des K e t o n s als M e t h y l e n k o m p o n e n t e einen C a r b o n s ä u r e e s t e r verwendet. Am gebräuchlichsten ist die E s t e r k o n d e n s a t i o n zwischen zwei Carb o n s ä u r e e s t e r m o l e k ü l e n nach C L A I S E N mit Natrium 1 ) als Kondensationsmittel (vgl. auch S. 330): R' Rr-COi—OR" + H|—CH—COOR"

R' Ka bz

R—CO—CH—COOR , , Q

(bz. C1—CO—B )

R (bzw. CO—R') | R—CO—CH—COOR

Die Reaktion hat für den s y n t h e t i s c h e n Aufbau von K e t o n e n und C a r b o n s ä u r e n eine ähnliche Bedeutung erlangt, wie die vom A c e t y l a c e t o n und M a l o n e s t e r ausgehenden Synthesen, und genau wie dort ist auch hier eine direkte Substitution des E n o l w a s s e r s t o f f s nur mit D i a z o m e t h a n oder mit Acylierungsmitteln in P y r i d i n als Reaktionsmedium (vgl. S. 447f.) möglich: O—CH3

O—CO—R'

R—C=CH—COOR

-
-

CH3—C—CH3

Acetessigsäure

Die drei Verbindungen werden wegen dieses genetischen Zusammenhangs häufig auch zusammenfassend als ,,Acetonkörper" bezeichnet. Im Benzoylessigester C6H6—CO—CH2—COOR (Acetophenon-earbonsäureester) liegt der einfachste a r o m a t i s c h e ß - K e t o c a r b o n s ä u r e e s t e r vor. Er entsteht bei der Kondensation von B e n z o e s ä u r e e s t e r und E s s i g e s t e r und findet zur Synthese a r o m a t i s c h e r K e t o n e Anwendung.

Die Oxalessigsäure HOOC—CO—CH2—COOH enthält gleichzeitig eine oc- und eine ¿ S - K e t o c a r b o n s ä u r e g r u p p i e r u n g und ist daher s e h r l a b i l . Sie stellt eine wichtige b i o c h e m i s c h e Z w i s c h e n v e r b i n d u n g dar, die sich als Dehydrierungsprodukt der Ä p f e l s ä u r e beim biochemischen Essigsäureabbau hinter der B e r n s t e i n s ä u r e , F u m a r s ä u r e und Ä p f e l s ä u r e einreiht (vgl. III, Kap. 8,111). 32*

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

500

Die freie Säure spaltet als / ? - K e t o c a r b o n s ä u r e vor allem die zur Oxogruppe j ß - s t ä n d i g e C a r b o x y l g r u p p e sehr leicht ab und geht daher sowohl in vitro, z . B . bei der B r e n z r e a k t i o n d e r W e i n s ä u r e (S. 493), als auch beim b i o c h e m i s c h e n Abbau in B r e n z t r a u b e n s ä u r e über: HOOC; CH2 CO—COOH



CH3—CO—COOH + C0 2

Die f r e i e S ä u r e tritt infolge der Konjugation der enolischen Doppelbindung mit b e i d e n C a r b o x y l g r u p p e n ausschließlich in der E n o l f o r m auf, die so beständig ist, daß sie in einer eis- (Smp. 152°) und einer t r a n s - F o r m (Smp. 184°) isoliert werden kann. Man spricht daher besser von einer Oxymalein- und einer Oxyfumarsäure, denn wenn die Ketoverbindung auch n u r in S p u r e n im Gleichgewicht vorhanden wäre, müßten sich die beiden stereoisomeren Formen über sie s o f o r t i n e i n a n d e r u m l a g e r n : '

HO—C—COOH

0=C—COOH

H—C—COOH

H—HC—COOH

II

Oxymaleinsäure

|

Oxalessigsäure

HOOC—C—OH

||

H—C—COOH Oxyfumarsäure

Das wichtigste Derivat der Oxalessigsäure ist der allgemein als Oxalessigester bezeichnete D i ä t h y l e s t e r . E r wird durch E s t e r k o n d e n s a t i o n aus O x a l - und E s s i g e s t e r gewonnen (Gleichung formulieren!) und liegt ebenfalls überwiegend, jedoch nicht ausschließlich in der E n o l f o r m (80%) vor. Oxalessigester ist zu allen normalen Reaktionen der / ? - K e t o c a r b o n s ä u r e e s t e r befähigt. Insbesondere läßt er sich ebenfalls a n d e r a k t i v e n M e t h y l e n g r u p p e s u b s t i t u i e r e n , liefert mit Phenylhydrazin einen N - P h e n y l - p y r a z o l o n c a r b o n s ä u r e e s t e r (formulieren!) und geht bei der Ketonspaltung in B r e n z t r a u b e n s ä u r e und C0 2 , bzw. bei der Säurespaltung in O x a l s ä u r e und E s s i g s ä u r e über (Gleichungen formulieren!). E r findet daher vielfache präparative Anwendung zu Synthesen aller Art. Acetondicarbonsäure HOOC—CH2—CO—CH2—COOH ist eine Ketodicarbonsäure, die z w e i m a l die A c e t e s s i g s ä u r e g r u p p i e r u n g und damit zwei reaktionsfähige Methylengrupp3n im Molekül enthält. Man kann sie aus C i t r o n e n s ä u r e durch K o h l e n o x y d s p a l t u n g gewinnen (S. 487), stellt sie praktisch jedoch meistens aus D i c h l o r a c e t o n und K a l i u m c y a n i d nach K O L B E dar. Die freie Säure ist etwas beständiger als Acetessigsäure und kann aus Essigester u m k r i s t a l l i s i e r t werden (Smp. 135° u. Zers.). Sie tritt ebenfalls als intermediäres Stoffwechselprodukt n a t ü r l i c h auf, und es ist durchaus möglich, daß über sie in d e r N a t u r die g l e i c h e n A l k a l o i d e aufgebaut werden, die man über ihren Ester in v i t r o synthetisch erhält (z. B. III, Kap. 7, III). Ihr wichtigstes Derivat ist wiederum der D i ä t h y l e s t e r , kurz Acetondicarbonsäureester genannt, der ebenfalls synthetisch, über das auf S. 487 erwähnte, bei der doppelten Nitrilsynthese aus D i c h l o r a c e t o n entstehende D i n i t r i l , erhalten wird. Er hat infolge der Anwesenheit von zwei a k t i v e n M e t h y l e n g r u p p e n zu zahlreichen S y n t h e s e n cyclis c h e r N a t u r s t o f f e , insbesondere in der A l k a l o i d r e i h e , Verwendung gefunden.

3. Sonstige Ketocarbonsäuren Die 1,4- (oder y-) und 1,5- (oder d-)-Ketocarbonsäuren sind nur von geringem Interesse, da sie weder eine gegenseitige Beeinflussung der Sauerstoff-Funktionen erkennen lassen, noch ihnen wichtige Naturstoffe angehören. Eine allgemeine Darstellungsweise liegt in den soeben beschriebenen K e t o n - bzw. C a r b o n s ä u r e s y n t h e s e n vor, indem m a n entweder 1 , 3 - D i k e t o n e mit -

CH 2 —C-OH S

R

y-Ketocarbonsäure

>\

ch 2 —C/

\

CH=C(f X

\ r cyclisches Oxylacton

0

R

Enol-Lacton

Die Enol-Lactone sind im allgemeinen b e s t ä n d i g , erleiden aber zuweilen Verschiebung der D o p p e l b i n d u n g unter Bildung der normalen Lactone a,/?- u n g e s ä t t i g t e r O x y f e t t aäuren: Isomerisierung^

CH=C—R

CH—C

I

>

CH—CH—R

Lävulinsäure (y-Keto-valeriansäure) CH 3 —CO—CH 2 —CH 2 —COOH ist die einfachste y-Ketocarbonsäure. Sie entsteht beim Kochen von H e x o s e n mit k o n z e n t r i e r t e r S a l z s ä u r e über c o - O x y f u r f u r o l als Zwischenprodukt (näheres über den Reaktionsmechanismus vgl. III, Kap. 4,1, 2) und h a t auf Grund dieser Reaktion ihren Namen erhalten (von Lävulose = Fruktose). Sie geht mit B r o m in die gut kristallisierende / ? , ( 5 - D i b r o m v e r b i n d u n g (formulieren!) über und dient infolge dieser leichten Identifizierungsmöglichkeit zum Nachweis von Zuckern. Bei r a s c h e m E r h i t z e n auf 250° kann sie fast unersetzt destilliert werden, während bei l ä n g e r e m E r h i t z e n dicht unterhalb der Destillationstemperatur das tiefer siedende E n o l - L a c t o n aus dem Gleichgewichtsgemisch abdestilliert. Ein kompliziertes T r i k e t o c a r b o n s ä u r e d e r i v a t ist die durch Abspaltung von z w e i Molekülen Wasser aus zwei Molekülen A c e t e s s i g e s t e r unter Ringschluß entstehende Dehydracetsäure. Sie tritt bei der Acetessigestersynthese als N e b e n p r o d u k t auf, da nicht nur der E s s i g e s t e r , sondern auch der gebildete A c e t e s s i g e s t e r Esterkondensation erleiden kann. Hierbei greift die k o n d e n s i e r e n d e E s t e r g r u p p e des einen Acetessigestermoleküls in die mittlere (als die r e a k t i o n s f ä h i g s t e ) M e t h y l e n g r u p p e des zweiten Acetessigestermoleküls ein, und man erhält einen (hier in der E n o l f o r m wiedergegebenen) Tri-

502

Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül

k e t o - c a r b o n s ä u r e e s t e r , der infolge der ¿-Stellung der enolischen Oxy- zur Estergruppe sofort „ U m e s t e r u n g " zu dem als Dehydracetsäure bezeichneten E n o l - L a c t o n erleidet:

H3C—CK

.OH

ii

HC

,

RO.

+

/

Enolform

.0;H ROx

C=0

i

H;CH—CO—CH3

()li

Acetessigester

^

c=o CH—CO—CH,

HCX

O

Ketoform

Triketocarbo nsäureester

M3=0 I

CH—CO—CH,

HC

— ROH (Umesterung)

O Dehydracetsäure

Die Dehydracetsäure besitzt also k e i n e f r e i e C a r b o x y l g r u p p e . Ihre Säurenatur beruht vielmehr darauf, daß sie als ^ / J ' - D i k e t o c a r b o n s ä u r e e s t e r (ähnlich wie die T r i a c y l m e t h a n e , S. 449) infolge Aktivierung des (fett gedruckten) Methinwasserstoffs durch d r e i / ? - s t ä n d i g e C a r b o n y l g r u p p e n praktisch vollständig in Form eines Gemisches der d r e i m ö g l i c h e n E n o l f o r m e n (formulieren!) vorliegt, öffnet man den Lactonring, z. B. durch K o c h e n m i t M i n e r a l s ä u r e n , so ist die entstehende f r e i e T r i k e t o c a r b o n s ä u r e naturgemäß e b e n s o w e n i g e x i s t e n z f ä h i g wie die M e t h a n t r i c a r b o n s ä u r e und zerfällt sofort unter D e c a r b o x y l i e r u n g in ein 1 , 3 , 5 - T r i k e t o n (Diacetylaceton), das, wahrscheinlich wieder über eine Enolform, sofort Ringschluß zum D i m e t h y l p y r o n (I, Kap. 11, II, 4) erleidet:

H,C—C/ HC.

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