Lehrbuch der physiologischen Chemie 9783111511085, 9783111143347

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Lehrbuch der physiologischen Chemie
 9783111511085, 9783111143347

Table of contents :
Vorwort zur 10. Auflage
Vorwort zur 11. Auflage
Vorwort zur 12. Auflage
Inhalt
Einleitung
I. Teil. Die Chemie der Hauptgruppen der Nahrungsstoffe und Körperbestandteile
1. Kapitel. Die Kohlehydrate
2. Kapitel. Fette, Fettsäuren und Lipoide
3. Kapitel. Sterine, Gallensäuren, Carotinoide
4. Kapitel. Die Proteine und ihre Bausteine
5. Kapitel. Die Nucleinsäuren
II. Teil. Physikalisch-chemische Grundlagen
6. Kapitel. Einige physikalisch-chemische Grundgesetze
7. Kapitel. Säuren und Basen
8. Kapitel. Oxydation und Reduktion
9. Kapitel. Kolloidchemie; Grenzflächen
III. Teil. Der Stoffwechsel
10. Kapitel. Die Fermente
11. Kapitel. Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels
12. Kapitel. Die biologische Oxydation
13. Kapitel. Die Oxydation der Kohlenstoff ketten; der Citronensäurecyklus
14. Kapitel. Der Kohlehydratstoffwechsel
15. Kapitel. Der Fettstoffwechsel
16. Kapitel. Der Eiweißstoffwechsel
17. Kapitel. Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel
18. Kapitel. Die Bedeutung der Phosphatbindung
19. Kapitel. Die Assimilation des Kohlenstoffs und des Stickstoffs
IV. Teil. Zusammensetzung und Stoffwechsel einzelner Organe und Gewebe
20. Kapitel. Die Verdauung und die Verdauungssekrete
21. Kapitel. Der Wasser- und Salzhaushalt
22. Kapitel. Das Blut
23. Kapitel. Niere; Urin
24. Kapitel. Muskel- und Nervensystem
25. Kapitel. Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge
26. Kapitel. Die Leber (ihre Rolle im Intermediärstoffwechsel)
V. Teil. Die chemische Regulation der physiologischen Funktionen
27. Kapitel. Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes
28. Kapitel. Innere Sekretion und Hormone
VI. Teil. Die Ernährung
29. Kapitel. Die Vitamine
30. Kapitel. Die Spurelemente
31. Kapitel. Der Nahrungsbedarf
Nachträge und Ergänzungen
Bibliographische Hinweise
Autorenverzeichnis zur Bibliographie
Sachregister

Citation preview

LEUTHARDT LEHRBUCH DER PHYSIOLOGISCHEN CHEMIE

LEHRBUCH DER

PHYSIOLOGISCHEN CHEMIE B e g r ü n d e t v o n S. E D L B A C H E R 12., durchgesehene Auflage, von

FRANZ LEUTHARDT

Ordentlicher Professor an der Universität Zürich

Mit 61 Abbildungen

WALTER D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp.

Berlin 1955

Alle Hechte, auch die des auszugsweisen Abdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten. — Copyright 1955 by Walter de Gruyter & Co., vormals Gr. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp. Berlin W 35 Archiv-Nr. 52 107 55 — Printed in Germany — Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 Druck: Günter & Sohn, Berlin SW 11

Vorwort zur 10. Auflage

Der verdiente Begründer des „Kurzgefaßten Lehrbuches der physiologischen Chemie", Prof. Dr. S. E d l b a c h e r , ist im Mai 1946 in Basel verstorben. Im gleichen Jahr kam die 9. Auflage seines Lehrbuches heraus. Sie hatte wegen der Ungunst der Zeit die jüngsten Fortschritte der physiologischen Chemie nur zum geringen Teil berücksichtigen können, und es drängte sich daher für die 10. Auflage eine völlige Neubearbeitung des Buches auf. Die rasche Entwicklung der physiologischen Chemie in den vergangenen Jahren hat den Stoff so stark anwachsen lassen, daß auch bei Beschränkung auf das Wesentliche eine Darstellung im Rahmen des früheren Lehrbuches nicht mehr möglich war. Sein Umfang mußte daher beträchtlich erweitert werden. Die hauptsächlichste Schwierigkeit bei der Abfassung eines derartigen Lehrbuches liegt in der Auswahl des Stoffes. Die biochemische Wissenschaft ist heute in raschem Fortschreiten begriffen und erobert beständig neue Gebiete. Es gibt natürlich einen Grundstock von gesichertem Tatsachenmaterial, der jeder Darstellung zugrunde gelegt werden muß. Wie weit aber daneben die zahlreichen Anwendungen der physiologischen Chemie in Biologie und Medizin berücksichtigt werden müssen und wie weit neue, sich erst anbahnende Entwicklungen schon für eine lehrbuchmäßige Darstellung geeignet sind, ist eine Ermessensfrage, die jeder auf seine eigene Weise lösen wird. Dem vorliegenden Buch liegen im großen und ganzen die Vorlesungen zugrunde, die ich seit 1942 in Genf und später in Zürich für die Studenten der Medizinischen Fakultät gehalten habe. Der erste Teil, der die Chemie der Naturstoffe behandelt, ist knapp gehalten. Auf Konstitutionsbeweise, Synthesen usw. wurde nirgends eingegangen. Ihre Kenntnis ist für den Mediziner entbehrlich; der Chemiker wird diese Dinge ohnehin in den ausführlichen chemischen Lehrbüchern nachlesen. Auch die deskriptiven Teile des Buches, in welchen die chemische Zusammensetzung der Organe und Körperflüssigkeiten besprochen werden, beschränken sich auf das Notwendigste. Einzig das Blut ist wegen seiner großen Bedeutung für die Klinik ziemlich ausführlich behandelt worden. Das Hauptgewicht liegt auf der Darstellung der Stoffwechselvorgänge. Alle Lebenserscheinungen wurzeln letzten Endes im Stoffwechsel; die moderne Biologie und Medizin nehmen eine Entwicklung, in welcher die chemische Betrachtungsweise immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es ist daher der Besprechung der grundlegenden biochemischen Reaktionen und des Intermediärstoffwechsels ein breiter Raum eingeräumt worden. Auch die Vitamine werden hauptsächlich in ihrer Bedeutung als Stoffwechselfaktoren gewürdigt. Die Abschnitte über die innere Sekretion enthalten eine Darstellung der chemischen und physiologischen Grundtatsachen, wobei hauptsächlich auch die Fragen berück-

Vorwort.

VI

sichtigt wurden, die für das Verständnis der klinischen Endokrinologie wichtig sind. Es war überhaupt im ganzen Buch mein Bestreben, die für den Kliniker wichtigen Probleme der Biochemie besonders hervorzuheben. Der Basler Physiologe F r . M i e s c h e r schrieb 1874 an einen Freund: „Die physiologische Chemie besteht aus einem solchen Haufen unzusammenhängender Facta, daß es wenig Sinn hat, noch mehr Häckerling hinzutun zu wollen." Die Kenntnis biochemischer Erscheinungen hat seither große Fortschritte gemacht; aber es gibt auch heute noch auf allen Gebieten der Biochemie zahlreiche isolierte Tatsachen, die wir vorläufig zur Kenntnis nehmen müssen, ohne sie in einen größeren Zusammenhang einordnen zu können. Andererseits aber vermögen wir heute doch viele Gebiete soweit zu überblicken, daß wir die grundlegenden biochemischen Vorgänge sinnvoll in den Rahmen des gesamten physiologischen Geschehens einordnen können. Ich habe mich bemüht, die biochemischen Vorgänge soweit als möglich nicht als isolierte Facta, als „Häckerling", darzubieten, sondern ihren gegenseitigen Zusammenhang und ihre Bedeutung für die allgemeinen Lebenserscheinungen aufzuzeigen. Von Hinweisen auf die Originalliteratur wurde abgesehen. In vielen Fällen wurde, besonders wenn es sich um neuere Untersuchungen handelt, der Name der Autoren beigefügt, um dem im biochemischen Schrifttum bewanderten Leser einen Hinweis zu geben. Ich möchte nicht verfehlen, Frl. M. A m s l e r für ihre treue Hilfe bei der Ausarbeitung des Manuskripts und beim Lesen der Korrekturen meinen herzlichen Dank auszusprechen. Z ü r i c h , im Mai 1952.

F. L e u t h a r d t

Vorwort zur 11. Auflage

I n der vorliegenden 11. Auflage sind insbesondere die Abschnitte über den Intermediärstoffwechsel durch neuere Ergebnisse ergänzt und überarbeitet worden. Der Citronensäurecyklus wird seiner allgemeinen Bedeutung entsprechend in einem besonderen Kapitel behandelt; ferner ist am Ende des 3. Teils ein kurzes Kapitel über die Photosynthese eingefügt worden. Auf vielfachen Wunsch geben wir am Schluß des Buches, nach Kapiteln geordnet, eine Literaturzusammenstellung, die hauptsächlich Monographien und zusammenfassende Arbeiten enthält. Ebenso sind im Text einige Hinweise auf neuere Arbeiten eingefügt worden. Wir hoffen, dadurch den Zugang zu den Originalarbeiten erleichtert zu haben. Ich möchte wiederum Frl. M. A m s l e r für ihre unermüdliche Hilfe meinen besten Dank aussprechen. Z ü r i c h , im April 1954.

F. L e u t h a r d t

Vorwort zur 12. Auflage

Soweit als möglich wurden auch in dieser neuen Auflage, die der vorangehenden nach knapp einem Jahr folgt, die wichtigsten neuen Ergebnisse der biochemischen Forschung berücksichtigt und die Literaturhinweise ergänzt. Der Bibliographie wurde ein alphabetisches Autorenverzeichnis beigefügt. Ich bin mir durchaus bewußt, daß beim heutigen Umfang der Biochemie die gleichmäßige Bearbeitung aller Teilgebiete die Kräfte eines einzelnen übersteigt. Ein Buch, wie das vorliegende, wird daher notwendigerweise in der Auswahl des Stoffs und in der Beurteilung noch strittiger Fragen vielfach die persönlichen Neigungen und Anschauungen des Verfassers widerspiegeln. Ich glaube indes aus der freundlichen Aufnahme, die das Buch bisher gefunden hat, schließen zu dürfen, daß der hier eingeschlagene Weg — die starke Betonung der dynamischen Aspekte der Biochemie — gangbar ist und den Wünschen vieler Leser entspricht. Meinen Mitarbeitern und Fachkollegen, die mich auf mannigfache Weise bei der Herausgabe der neuen Auflage unterstützt haben, möchte ich bestens danken. Möge das Buch weiter seinem hauptsächlichsten Zwecke dienen: Junge Mediziner und Chemiker zum vertieften Studium der Chemie der Lebensvorgänge anzuregen! Z ü r i c h , im März 1955.

F. L e u t h a r d t

Inhalt

Seite

Einleitung I. Teil. Die Chemie der Hauptgruppen der Nahrungsstoffe und Eörperbestandteile 1. Kapitel. Die Kohlehydrate 1. Definition und Nomenklatur 2. Monosaccharide A. Allgemeine Eigenschaften der Monosen B . Stereochemie der Zucker C. Ringstruktur der Zucker D. Die verschiedenen Gruppen der Monosaccharide 3. Disaccharide 4. Polysaccharide: Stärke, Glycogen, Cellulose, Inulin 5. Pectin, Hemicellulose, Lignin, Pflanzengummi und -schleime 6. Mucopolysaccharide 2. Kapitel. Fette, Fettsäuren und Lipoide 1. Fette A. Bausteine B . Struktur der Fette 2. Wachse 3. Phosphatide und Cerebroside A. Phosphatide B . Cerebroside 3. Kapitel. Sterine, Gallensäuren, Carotinoide 1. Sterine und Steroide 2. Gallensäuren 3. Carotinoide (Lipochrome) 4. Kapitel. Die Proteine und ihre Bausteine 1. Aminosäuren A. Allgemeine Charakteristik der Aminosäuren B . Derivate der Aminosäuren C. Die einzelnen Aminosäuren a) Monoaminomonocarbonsäuren b) Monoaminodicarbonsäuren c) Diaminomonocarbonsäuren d) Heterocyklische Aminosäuren D. Die Stereochemie der Aminosäuren E . Quantitative Bestimmungsmethoden der Aminosäuren 2. Peptide 3. Eiweißkörper A. Einteilung der Eiweißkörper B . Reaktionen der Proteine a) Fällungsreaktionen b) Farbreaktionen C. Die Analyse der Eiweißkörper D. Die Struktur der Proteine

1

. .

7 7 7 9 9 13 20 24 30 34 38 39 42 42 42 44 45 46 46 51 53 53 58 60 64 64 65 67 69 69 72 73 75 77 79 82 84 86 89 89 89 90 92

X

Inhalt Seite

E. Das Molekulargewicht der Proteine F. Die physikalisch-chemischen Eigenschaften der Proteine a) Die Proteine als Elektrolyte b) Das Eiweißmolekül als Dipol c) Elektrophorese d) Die Löslichkeit der Proteine e) Die Anwendung der Phasenregel auf Eiweißlösungen f) Die Wechselwirkung zwischen Salzen und Proteinen

99 101 101 104 106 109 109 111

5. Kapitel. Die Nucleinsäuren 1. Allgemeines 2. Das Kohlehydrat 3. Die stickstoffhaltigen Bausteine A. Purinkörper B. Pyrimidinkörper 4. Die Bindung der Bausteine in den Nucleinsäuren 5. Die Struktur der Nucleinsäuren

116 116 116 117 117 119 119 122

II. Teil. Physikalisch-chemische Grundlagen 6. Kapitel. Einige physikalisch-chemische Grundgesetze 1. Die Gesetze der verdünnten Lösungen A. Die ideale Lösung B. Dampfdruckerniedrigung des Lösungsmittels C. Gefrierpunktsdepression D. Löslichkeit und Partialdruck leichtflüchtiger Substanzen (Gase) E. Osmotischer Druck 2. Elektrolyte 3. Die Phasenregel 4. Massenwirkungsgesetz; Aktivität der Ionen

126

. . . .

126 126 126 127 128 128 129 130 132 134

7. Kapitel. Säuren und Basen 1. Die Dissoziation schwacher Säuren und Basen 2. Pufferlösungen 3. Die Messung der Wasserstoffionenkonzentration

138 139 145 146

8. Kapitel. Oxydation und Reduktion 1. Der Begriff der Oxydation 2. Das Oxydations-Reduktionspotential 3. Redoxindikatoren

149 149 152 158

9. Kapitel. Kolloidchemie; Grenzflächen

158

1. Sole und Gele 160 2. Adsorption 162 3. Anwendung der Adsorption als Trennungsverfahren; Chromatographie . . . . 1 6 6 A. Die Chromatographie 166 B. Verteilungschromatographie ; Papierchromatographie 168 C. Ionenaustauscher 170 III. Teil. Der Stoffwechsel 10. Kapitel. Die Fermente 1. Allgemeine Charakteristik der Fermente 2. Chemische Natur der Fermente A. Allgemeine Eigenschaften der Fermente B. Reindarstellung der Fermente 3. Verbindung von Ferment und Substrat

172 172 172 177 179 181 182

Inhalt 4. Einteilung der Fermente 5. Hydrolasen A. Desanimasen B. Proteasen C. Esterasen D. Carbohydrasen

XI Seite 186 187 188 190 200 202

a) Hexosidasen b) Polyasen

203 205

6. Kurze Übersicht über die anderen Gruppen (II—VI) A. B. C. D. E. F.

Phosphorylasen (II) Hydratasen (III), Desmolasen (IV) Gruppenübertragende Fermente (V) Isomerasen (VI) Fermente der Oxyd-Reduktion (VII)

207 207 207 208 210 214 214

11. Kapitel. Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels Anwendung der Isotope biologischer Elemente als „tracer"

214 219

12. Kapitel. Die biologische Oxydation

228

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Die Das Die Die Die Die Der Die

Oxydationsfermente; Allgemeines „sauerstoffübertragende" Ferment Cytochrome Katalase Peroxydasen Phenoloxydasen chemische Bau der eisenhaltigen Fermente Dehydrierung der organischen Stoffe; WasserstoffÜberträger

228 229 232 234 235 236 238 240

13. Kapitel. Die Oxydation der Kohlenstoffketten; der Citronensäurecyklus . . . 255 1. Die Oxydation des Pyruvats durch den Citronensäurecyklus 2. Die Fixierung des Kohlendioxyds 14. Kapitel. Der Kohlehydratstoffwechsel 1. Die Verdauung und Aufnahme der Kohlehydrate 2. Die wichtigsten biochemischen Umsetzungen der Kohlehydrate A. B. C. D. E. F.

Alkoholische Gärung und Glycolyse Der Glycogenabbau und die Glycogensynthese Der Stoffwechsel der Fructose, der Galaktose und der Ribose Synthese der glycosidischen Bindung; die Transglycosidasen Reaktionen der Triosen und Triosephosphate Der oxydative Abbau der Kohlehydrate

3. Die Resynthese von Glycogen aus Milchsäure; die Gluconeogenese . . . . 4. Weitere Produkte des Kohlehydratstoffwechsels 5. Verteilung und Verbrauch der Kohlehydrate im Organismus; die Regulation des Blutzuckers 6. Der Diabetes mellitus

257 271 274 274 276 278 288 293 297 299 299 300 307 309 323

XII

Inhalt Seite

15. Kapitel. Der Fettstoffwechsel 1. Die Verdauung der F e t t e 2. Absorption u n d Verteilung 3. Der Abbau der F e t t s ä u r e n 4. Die biologische Synthese der Fettsäuren 5. Die Bedeutung der C 2 -Fragmente im Stoffwechsel der Fettsäuren 6. Unentbehrliche (essentielle) Fettsäuren 7. Die „lipotrop" wirkenden Stoffe und die Rolle der Leber im Fettstoffwechsel 8. Abhängigkeit des Fettstoffwechsels von endokrinen Drüsen 9. Der Stoffwechsel des Cholesterins und der Gallensäuren

329 329 329 332 339 341 346 346 349 349

16. Kapitel. Der Eiweißstoffwechsel 352 1. Aufnahme der Eiweißkörper 352 A. Die Verdauung der Eiweißkörper 352 B. Resorption und Speicherung 353 2. Bildung und Abbau von Aminosäuren im Tierkörper 354 3. Der Abbau des Kohlenstoffgerüstes 362 4. Der Stoffwechsel einzelner Aminosäuren 367 A. Phenylalanin und Tyrosin 367 B. Tryptophan 372 C. Histidin 376 D. Cystin (und Cystein), Methionin 379 E . Arginin 384 F . Prolin 386 G. Glutamin- und Asparaginsäure; Glutamin und Asparagin 387 H . Serin und Threonin 388 I. Glycocoll 389 5. Abbau der Aminosäuren durch Bakterien und Hefe 390 6. Aminosäuren und Entgiftungs-(Detoxikations-)vorgänge 394 7. Die Ammoniak- und Harnstoffbildung 398 8. Die unentbehrlichen Aminosäuren 403 406 9. Eiweißbedarf und Eiweißminimum 10. Die „biologische Wertigkeit" der Proteine 408 11. Das Stickstoffgleichgewicht 409 12. Die Eiweißreserve des Organismus; Bedeutung der Proteine des Blutplasmas 410 13. Die Synthese der Proteine 413 14. Einfluß der endokrinen Drüsen auf den Proteinstoffwechsel 417 17. Kapitel. Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel 1. Abbau und Bildung der Nucleotide und Nucleinsäuren 2. Synthese des Puringerüsts 3. Stoffwechsel der Cofermente 4. Das weitere Schicksal der Purin- und Pyrimidinkörper

420 420 423 426 427

18. Kapitel. Die Bedeutung der Phosphatbindung 430 1. Thermodynamische Vorbemerkungen 430 2. Die Rolle des Phosphats bei der Koppelung der energieliefernden und der energieverbrauchenden Reaktionen 435 3. Glycolyse (oder alkoholische Gärung) und Phosphorylierung 439 4. Oxydative Phosphorylierung 440

Inhalt

XTTT Seite

5. ATP- und Coenzym A-abhängige Vorgänge 445 a) Phosphokreatin 447 b) Hexokinasereaktion 447 c) Bildung der glycosidischen Bindung 447 d) Coenzym A-abhängige Reaktionen: Acetylierung, Citronensäure- und Fettsäuresynthese 448 e) Säureamid- und Peptidbindung 452 19. Kapitel. Die Assimilation des Kohlenstoffs und des Stickstoffs 1. Die Kohlensäureassimilation (Photosynthese) in den grünen Pflanzen 2. Die Assimilation des Stickstoffs

453 . . . 454 463

. Teil. Zusammensetzung und Stoffwechsel einzelner Organe und Gewebe . . . .

466

20. Kapitel. Die Verdauung und die Verdauungssekrete 1. Der Speichel 2. Der Magensaft 3. Der Pankreassaft 4. Das Sekretin 5. Die Galle 6. Der Darmsaft 7. Der allgemeine Verlauf der Verdauung

466 467 468 471 472 473 475 476

21. Kapitel. Der Wasser- und Salzhaushalt

479

1. 2. 3. 4.

Verteilung des Wassers und der Ionen 480 Die Bedeutung des Kochsalzes als Nahrungsfaktor 487 Die Regulation des Säure- und Basengleichgewichts durch die Nieren . . . 488 Die endokrine Regulierung des Salz- und Wasserhaushaltes 493

22. Kapitel. Das Blut 1. Zusammensetzung 2. Das Säure-Basen-Gleichgewicht des Bluts 3. Die Plasmaproteine 4. Die Blutgerinnung 5. Die Erythrocyten und der Blutfarbstoff

493 493 497 502 508 514

A. Das Hämoglobin a) Allgemeine Eigenschaften b) Die Porphyrine c) Das Globin d) Hämoglobinderivate; Bau des Hämoglobins

514 514 516 520 521

B. Die Hämatopoese a) Die Synthese der Porphyrine b) Eisenbedarf und Eisenstoffwechsel c) Die Bedeutung des Kupfers für die Hämoglobinbildung d) Andere Nahrungsfaktoren

525 525 526 529 529

C. Der Abbau des Blutfarbstoffes a) Der Gallenfarbstoff; seine Bildung aus dem Hämoglobin b) Die Bildung des „Urobilins" aus dem Gallenfarbstoff

530 530 533

6. Die Porphyrie

537

XIV

Inhalt Seit«

23. Kapitel. Niere; Urin 1. Die Harnsekretion 2. Die „Clearance" 3. Der Stoffwechsel der Niere 4. Niere und Blutdruck 5. Der Harn; seine wichtigsten Bestandteile A. Harnstoff B. Kreatinin und Kreatin C. Harnsäure D. Aminosäuren E. Produkte der „Entgiftung" (Detoxikation) F. Kohlehydrate G. Proteine H. Farbstoffe des Urins a) Blutfarbstoff b) Bilirubin, „Urobilin", „Urobilinogen" c) Porphyrine d) Uroerythrin e) Urorosein f) Melanine g) Ehrlich sehe Diazoreaktion I. Wirkstoffe K. Anorganische Stoffe, Säuren und Basen L. Harnsediment und Harnsteine 6. Anhang: Das Sperma

539 539 541 543 544 545 546 546 547 547 548 553 554 555 555 556 556 557 557 557 558 558 559 560 562

24. Kapitel. Muskel- und Nervensystem 1. Muskel A. Der Kohlehydratstoffwechsel des Muskels B. Die Proteine des Muskels C. Der Kreatinstoffwechsel 2. Das Nervensystem A. Nervenleitung B. Stoffwechsel des Nervensystems C. Zusammensetzung des Gehirns und der Nerven

563 563 563 569 573 574 574 577 578

25. Kapitel. Stütz- und Bindegewebe; Haut und Anhänge 1. Baustoffe 2. Haut und Bindegewebe 3. Knochen- und Calciumstoffwechsel A. Aufbau des Knochens B. Verkalkung des Knochens C. Die Bedeutung des Vitamins D und der Nebenschilddrüsen D. Der Knochen als Calcium- und Phosphatreserve

578 578 582 584 584 586 589 590

26. Kapitel. Die Leber (ihre Rolle im Intermediärstoffwechsel)

592

V. Teil. Die chemische Regulation der physiologischen Funktionen 27. Kapitel. Die chemische Regulation innerhalb des Zellverbandes 1. Die pflanzlichen Wuchsstoffe 2. Die entwicklungsmechanische Induktion

598 598 601 603

Inhalt

XV Seite

28. Kapitel. Innere Sekretion und Hormone

605

1. Chemische und nervöse Steuerung 2. Allgemeines über die Bedeutung der inneren Sekretion 3. Die Schilddrüse A. Chemie des Schilddrüsenhormons B. Biologische Wirkungen des Schilddrüsenhormons C. Die Steuerung der Schilddrüse durch die Hypophyse D. Hemmung der Schilddrüse durch „antithyreoide" Stoffe E. Störungen der Schilddrüsenfunktion

605 607 609 609 612 614 616 616

4. Die Nebenschilddrüsen A. Wirkungen des Parathormons B. Klinische Bedeutung

618 618 620

5. Die Nebennierenrinde A. Ausfallserscheinungen B. Die Rindenhormone C. Die biologische Wirkung der Rindenhormone D. Steuerung der Nebennierenrinde durch die Hypophyse E. Addisonsche Krankheit F. Bildung der Sterinhormone in der Nebennierenrinde

621 622 622 624 627 629 629

6. Das Nebennierenmark 7. Die Langerhans sehen Inseln des Pankreas 8. Die Hypophyse

631 632 633

A. B. C. D.

Übersicht Das Wachstumshormon (somatotropes Hormon, STH) Funktionen des Hypophysenhinterlappens (Neurohypophyse) Funktionen des Mittellappens

633 636 637 640

9. Die endokrine Steuerung der Fortpflanzungsvorgänge 640 A. Die gonadotropen Hormone der Hypophyse und der Placenta 641 B. Die Hormone der Gonaden 644 C. Übersicht über die chemische Struktur der wichtigsten Sexualhormone und verwandter Sterine 649 D. Der Genitalcyklus 653 E. Gravidität 655 F. Endokrine Steuerung der sexuellen Differenzierung, der Entwicklung und des Wachstums 657 10. Termone und Gamone VI. Teil. Die Ernährung 29. Kapitel. Die Vitamine 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Einleitung; Übersicht Vitamin A Die D-Vitamine Vitamin E Vitamin K „Vitamin F " Vitamin B j Vitamin B 2

660 662 662 662 666 671 677 679 681 681 686

XVI

Inhalt Seite

9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

Vitamin B„ Antipellagra-Vitamin Biotin (Vitamin H) meso-Inosit (i-Inosit) Pantothensäure Die Folsäuregruppe p-Aminobenzoesäure und Sulfanilamid; Theorie der „Antivitamine" . . . . Vitamin B l a (Erythrotin, Cobalamin) Allgemeines über die Vitamine der B-Gruppe Vitamin C Vitamin P

30. Kapitel. Die Spurelemente 1. Allgemeines 2. Einzelne Spurelemente A. Kupfer B. Kobalt C. Zink D. Mangan 3. Die Spurelemente als Nahrungsfaktoren 31. Kapitel. Der Nahrungsbedarf 1. Der Energiestoffwechsel A. Das Isodynamiegesetz B. Der respiratorische Quotient C. Berechnung des Energieumsatzes D. Der Grundumsatz (Basalstoffwechsel) E. Die „spezifisch dynamische Wirkung" der Nährstoffe 2. Die Kostformen 3. Die Nahrungsmittel A. Milch und Milchprodukte B. Fleisch C. Nahrungsfette D. Cerealien E. Zucker und Süßigkeiten F. Kartoffeln G. Blattgemüse H. Leguminosen I. Früchte 4. Die allgemeine Bedeutung der Ernährungslehre

689 692 696 699 699 702 707 710 714 716 722 722 722 724 724 725 726 726 727 729 729 729 734 735 737 738 741 746 749 751 752 754 756 756 757 757 758 759

Nachträge und Ergänzungen Bibliographische Hinweise Autorenverzeichnis zur Bibliographie

762 768 798

Sachregister

802

Einleitung

Die Aufgabe der physiologischen Chemie liegt in der Erforschung des stofflichen Aufbaus und der chemischen Umsetzungen der lebenden Substanz. Wenn wir die Entwicklung der physiologischen Chemie aus ihren Anfangen verfolgen, so erkennen wir, daß sie hauptsächlich drei verschiedene Forschungsrichtungen in sich vereinigt. Als erste ist die chemische Erforschung der Naturstoffe zu nennen. Die „organische" Chemie war ursprünglich derjenige Zweig der Chemie, der sich mit den Produkten des Tier- und Pflanzenreiches befaßte. Organische und physiologische Chemie waren also in ihren Anfängen identisch. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war auf Grund der herrschenden naturphilosophischen Anschauungen der Glaube allgemein verbreitet, daß die Verbindungen organischen Ursprungs nur durch die Tätigkeit der lebenden Organismen gebildet werden könnten. Die Harnstoffsynthese W ö h l e r s (1820), welcher in rascher Folge die Darstellung weiterer organischer Verbindungen folgte, erbrachte den Beweis, daß die Bedingungen für die Entstehung „organischer" Stoffe auch in vitro realisierbar sind. Auch heute noch stellt die Erforschung der chemischen Konstitution der Naturstoffe einen wichtigen und für die physiologische Chemie grundlegenden Zweig der chemischen Forschung dar. Es ist klar, daß die genaue Kenntnis der Stoffe, welche die lebende Substanz aufbauen, die erste Voraussetzung für das Verständnis der biochemischen Vorgänge ist. Wir sehen denn auch, daß die physiologische Chemie auf allen ihren Entwicklungsstufen den Stand der organischen Chemie widerspiegelt. Die Lösung der biochemischen Probleme konnte immer nur soweit gefördert werden, als die Chemie dazu den Boden vorbereitet hatte. Umgekel rt hat aber auch die chemische Forschung von der Biologie starke Impulse empfangen; insbesondere ist in neuerer Zeit durch die Entdeckung der Hormone und der V tamine die organische Chemie vor neue Aufgaben gestellt und in mancher Hinsicht gefördert worden. Eine andere Forschungsrichtung hat ihren Ausgangspunkt in der Phys ; ologie. Zwar ist für das Verständnis vieler physiologischer Funktionen der stoffliche Aufbau der Organe nur von sekundärer Bedeutung. Zum Beispiel können die Bewegungen des Körpers aus dem Bau des Skeletts und der Anordnung der Muskeln erklärt werden, ohne daß man dabei auf den Stoffwechsel der Muskeln oder den chemischen Aufbau der Knochen Bezug zu nehmen braucht. Für das Verständnis des dioptrischen Apparates des Auges ist die Kenntnis der chemischen Zusammensetzung der brechenden Medien unnötig, wenn man nur ihre Brechungsexponenten und die Lage und Krümmung der brechenden Flächen kennt. Auch die Organisation des Nervensystems kann völlig verstanden werden, ohne daß man über die feineren chemischen Vorgänge der Nervenleitung etwas wissen muß, usw. Die Physiologen sind aber schon sehr früh auch auf Erscheinungen gestoßen, die ihrer Natur nach chemische Vorgänge sind oder bei denen jedenfalls chemische Veränderungen eine wesentliche Rolle spielen. Hierher gehören z. B. die Atmung, die Assimilation der Kohlensäure durch die grünen Pflanzen, die Verdauung der Nahrung beim Tier, die Umwandlung der Nährstoffe in die Körper1

L e u t h a r d t , Lehrbuch. 12.Aufl.

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substanz, die Bildung der Sekrete und Exkrete, die Gärung und die Fäulnis organischer Substanzen, die Blutgerinnung und vieles andere mehr. Als eine der bedeutendsten und folgenreichsten Entdeckungen muß wohl die Feststellung L a v o i s i e r s gelten, daß im Tierkörper Verbrennungen stattfinden, durch welche Sauerstoff verbraucht und Kohlensäure gebildet wird. Diese Entdeckung bewies, daß einer der grundlegenden Lebensprozesse, nämlich die Respiration und die Bildung der tierischen Wärme, chemischer Natur ist. In dem Maße, wie die Kenntnis der organischen Stoffe fortschritt, wurden auch immer mehr chemische Umsetzungen bei Tieren und Pflanzen bekannt; man erkannte allmählich, daß die ständige Umwandlung der Nährstoffe und Baustoffe, Aufbau und Verbrennung zum Wesen der Lebensvorgänge gehören. L i e b i g sprach die „tiefe Überzeugung aus, daß die Chemie allein in die Lebensprozesse Licht zu bringen vermag"; Th. S c h w a n n hat (1839) die Gesamtheit der chemischen Umwandlungen, die sich in den lebenden Zellen oder durch die Aktivität der Zellen im umgebenden Milieu abspielen, unter dem Namen der „metabolischen Erscheinungen" zusammengefaßt (vom griechischen TÖ |i£TaßoAiKÖv, was Umwandlungen hervorbringt oder erleidet). Wir bezeichnen die Summe dieser Reaktionen heute als den Stoffwechsel. Das Studium der Stoffwechselvorgänge bildet einen der wichtigsten Gegenstände der biochemischen Forschung. Man erkannte schon frühzeitig, daß viele Stoffe im Tierkörper oder in der Pflanze, also im Kontakt mit der lebenden Substanz, andersartig reagieren als im Reagensglas. Die auffallendste Tatsache besteht darin, daß Verbindungen, die in wässeriger Lösung und bei Körperwärme durchaus stabil sind und keinerlei Veränderungen zeigen, in den tierischen Geweben Spaltungen erleiden oder durch den Luftsauerstoff oxydiert werden. B e r z e l i u s vermutete eine besondere „katalytische K r a f t " als Ursache dieser Erscheinung. Es blieb einer späteren Zeit vorbehalten, den Begriff der „Katalyse" zu präzisieren. Wir wissen aber heute, daß die biochemischen Umsetzungen tatsächlich katalytische Reaktionen sind; sie werden durch besondere, von den Organismen produzierte Stoffe, die Fermente, hervorgerufen. Der Entdeckung der Fermentwirkungen entsprang die Aufgabe, nicht nur die Umwandlungen festzustellen, welche die organischen Moleküle im Stoffwechsel erleiden, sondern auch die Natur und die Wirkungsweise der Stoffe zu erforschen, welche diese Umwandlungen ermöglichen und die daher als die chemischen Werkzeuge der Organismen betrachtet werden können. Es entstand auf diese Weise ein neuer Zweig der biochemischen Forschung: die Fermentchemie. Sie bildet heute das eigentliche Kernstück der Biochemie, weil jede Stoffwechselreaktion schließlich auf die Tätigkeit bestimmter Fermente zurückgeht. Unter den chemischen Problemen der Physiologie, die wir oben genannt haben, ist die Ernährung eines der wichtigsten. Die Frage, worin die Bedeutung der Nährstoffe besteht und auf welche Weise sie in die Körpersubstanz umgewandelt werden, hat seit der Zeit L a v o i s i e r s die Chemiker und Physiologen intensiv beschäftigt und hat viel zur chemischen Erforschung der Lebensvorgänge beigetragen. Auf die Entwicklung der modernen Ernährungslehre sind vor allem die Arbeiten J . v. L i e bigs von großem Einfluß gewesen. L i e b i g hat die Bedeutung der Proteine klargestellt, indem er zeigte, daß sie als „plastische" Nährstoffe dem Aufbau der Körpersubstanz dienen; erstellte sie den Kohlehydraten und Fetten als den eigentlichen „Brennstoffen" des Körpers gegenüber; er hat die Bedeutung d.er Mineralstoffe für die Ernährung der Pflanzen und Tiere erkannt und hat schließlich als erster auf die großen Zusammenhänge zwischen pflanzlichem und tierischem Leben und den Kreislauf der Stoffe in der Natur hingewiesen. Seine Ideen wirkten in mancher Richtung weiter und befruchteten die Forschung der nachfolgenden Generation.

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Eine spätere Arbeitsrichtung, die in ihren ersten Anfängen ebenfalls auf L a v o i s i e r und L i e b i g zurückgeht, beschäftigte sich mit dem energetischen Aspekt der Ernährung. Sie hat die Methoden zur Erforschung der Energiebilanz geschaffen und gipfelt einerseits im Beweis, daß der erste Hauptsatz der Thermodynamik auch für die Organismen gilt, andererseits im R u b n e r sehen Isodynamiegesetz. Etwa zu Beginn des Jahrhunderts, in ihren ersten Ansätzen schon etwas früher, setzten die Arbeiten ein, welche schließlich zur Entdeckung der Vitamine und der übrigen essentiellen Nahrungsfaktoren führten. Diese Arbeiten zeigten, daß der Nahrungsbedarf der Tiere durch die bisher bekannten Nährstoffe und Mineralstoffe nicht gedeckt werden kann, sondern daß der tierische Organismus noch kleiner Mengen besonderer organischer Verbindungen bedarf, die er offenbar nicht selbst aufbauen kann. Die meisten dieser Verbindungen sind als Bestandteile von Fermentsystemen, als Cofermente, erkannt worden. Sie haben also katalytische Funktionen und daraus erklärt sich ihre Wirksamkeit in Mengen, die verglichen mit dem Bedarf an Bau- oder Brennstoffen sehr klein sind. In ähnlicher Richtung bewegten sich die Untersuchungen über den Nährwert der Proteine. Sie haben zur Kenntnis geführt, daß den höheren Tieren eine Anzahl Eiweißbausteine in der Nahrung zugeführt werden müssen, weil der tierische Organismus zu deren Synthese nicht fähig ist. Diese Verbindungen stellen also die eigentlichen „plastischen" Nährstoffe L i e b i g s dar. Mit den Vitaminen lassen sich gewisse Metalle wie Kupfer, Mangan, Kobalt oder Nichtmetalle wie Jod und Bor vergleichen, die in den pflanzlichen und tierischen Geweben zwar nur in kleinsten Mengen vorkommen, aber trotzdem lebensnotwendig sind. Man faßt sie gewöhnlich unter dem Namen der Spurelemente oder Oligoelemente zusammen. Die Auffindung der Vitamine stellte die Forschung vor zwei Aufgaben: die Aufklärung ihrer chemischen Struktur und ihrer Bedeutung für den Zellstoffwechsel. Die erste Aufgabe ist von den Chemikern weitgehend gelöst worden. Auch über ihre Funktion im Stoffwechsel wissen wir in vielen Fällen Bescheid. Wir kennen eine Reihe von Fermentsystemen, an welchen Vitamine als Cofermente beteiligt sind. Es zeigt sich, daß sie alle in die grundlegenden Stoffwechselprozesse der Zelle eingreifen und wahrscheinlich für alle Organismen, Tiere und Pflanzen, Bedeutung haben. Die Vitaminforschung hat sich heute weitgehend mit der Fermentforschung vereinigt. Die modernen Untersuchungen über unentbehrliche Aminosäuren, Vitamine und Spurelemente bringen die mehr als ein Jahrhundert dauernden Bemühungen zu einem gewissen Abschluß, den Nahrungsbedarf der Pflanzen und Tiere chemisch exakt zu definieren. Eine große Zahl chemischer Fragen ergab sich ferner aus der Entdeckung der inneren Sekretion. Es ist, beginnend mit dem Adrenalin, der organischen Chemie gelungen, einen beträchtlichen Teil der bekannten Hormone in reinem Zustand zu isolieren und ihre Struktur aufzuklären. In ähnlicher Weise wie bei den Vitaminen stellt sich auch hier die Frage nach dem Wirkungsmechanismus der Stoffe, die als „chemische Sendboten" von den innersekretorischen Drüsen ans Blut abgegeben werden. Da alle Hormone spezifisch auf bestimmte Gewebe oder bestimmte Vorgänge einwirken, muß sich ihre biologische Aktivität letzten Endes auch als chemische Reaktion verstehen lassen. Unsere Kenntnisse sind hier allerdings noch sehr dürftig. 1*

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Einleitung

Eine Reihe von biochemischen Problemen hat schließlich ihre Quelle in der Beobachtung des Kranken in der Klinik. Jeder krankhafte Prozeß ist von lokalen oder allgemeinen Änderungen der Stoffwechselvorgänge begleitet und gibt daher Gelegenheit zur Beobachtung biochemischer Erscheinungen. Besonders auffällig sind vielfach die Veränderungen der Exkrete; die Trübung des Harns im Fieber, das Auftreten bestimmter Pigmente, die Ausscheidung von Zucker, der Ammoniakgeruch des Atems bei Nierenkranken, der Acetongeruch bei Zuckerkranken sind den Ärzten schon sehr lange bekannt. Viele den Stoffwechsel betreffenden Fragestellungen sind denn auch von der Klinik ausgegangen. So haben z. B. die Bemühungen um die Aufklärung der Zuckerkrankheit die Erforschung des Kohlehydratstoffwechsels in mannigfacher Weise angeregt und gefördert; der Untersuchung der seltenen Alkaptonurie sind wichtige Erkenntnisse über den Abbau der Aminosäuren entsprungen, das Auftreten der Porphyrine im Harn hat den Anstoß zur Erforschung der Hämine gegeben usw. Eine große Rolle haben vor allem auch die endokrinen Störur gen gespielt. Verschiedene den Ärzten seit langem bekannte Krankheitsbilder haben sich als Folge einer mangelnden oder einer überschießenden Produktion bestimmter Hormone zu erkennen gegeben (auch die Zuckerkrankheit gehört dazu). Die Klinik hat schon früh der Physiologie eine Reihe von Hinweisen auf die Bedeutung der heute als endokrine Drüsen bezeichneten Organe gegeben, ehe man sich über deren Funktion eine genaue Vorstellung machen konnte. Schließlich waren die Mangelkrankheiten wie der Skorbut oder die Beriberi einer der Ausgangspunkte für die Erforschung der Vitamine. Die physiologische Chemie gewinnt heute für viele Zweige der Medizin eine steigende Bedeutung, sei es für das Verständnis der Krankheitserscheinungen, sei es für die Diagnostik oder die Therapie. J e mehr sich die Kenntnis der Stoffwechselreaktionen vertieft, desto eher wird es auch möglich sein, die den krankhaften Zuständen zugrunde liegenden chemischen Vorgänge zu erfassen. Die vorstehenden Hinweise dürften genügen, um das Gebiet der physiologischen Chemie in großen Zügen zu umschreiben. Sie ist ein Grenzgebiet zwischen der Chemie, der Physiologie und der Medizin. Wir fassen sie hier aber in erster Linie als eine b i o l o g i s c h e Wissenschaft auf, d.h. wir betrachten die chemischen Vorgänge in den Organismen als eine ihrer Lebensäußerungen und suchen, soweit dies heute schon möglich ist, ihre Bedeutung im Rahmen der gesamten physiologischen Funktionen zu erfassen. Die physiologische Chemie ist daher nicht ein Teilgebiet irgendeiner der anderen biologischen Wissenschaften in dem Sinne, daß sie sich nur mit einzelnen Funktionen oder Organen beschäftigen würde. Sie umfaßt die Gesamtheit der Lebenserscheinungen, soweit dieselben als chemische Vorgänge begriffen werden können. Natürlich ist auch diese Betrachtungsweise einseitig und vermag nur einen einzelnen beschränkten Aspekt der Lebenserscheinungen zu geben. Da aber die Vorgänge, durch welche die lebende Substanz sich selbst erhält, ihrem Wesen nach chemischer Natur sind, führt uns die phys ologische Chemie bis an die Grundlagen der Lebenserscheinungen heran, soweit diese naturwissenschaftlich überhaupt erfaßt werden können. Das Gebiet der physiologischen Chemie umfaßt somit die Strukturen molekularer Größenordnung und die Vorgänge, die sich innerhalb dieser Strukturen abspielen. Die organischen Moleküle sind die letzten Struktureinheiten der lebenden Substanz. Aus ihnen bauen sich zunächst die Makromoleküle a u f — Proteine, polymere Kohlehydrate, Nucleinsäuren — und aus diesen schließlich die mikroskopisch sichtbaren Strukturen der Zellen und der Gewebe. Der Aufbau der Makromoleküle aus ihren Bau-

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steinen erfolgt nach einer bestimmten Ordnung, und ebenso ordnen sich die Makromoleküle in bestimmter Weise zu den mikroskopisch wahrnehmbaren Gebilden, den Zellen und ihren Bestandteilen, und diese wieder zu den Geweben und Organen zusammen. Es ist also in den Organismen ein geordneter Aufbau vorhanden, der von den Molekülen bis zu den sichtbaren Strukturen führt. Es besteht eine Art morphologischer Hierarchie, in welcher jedes Strukturelement in ein Gebilde höherer Ordnung eingefügt ist. Man kann daher auch denjenigen Teil der physiologischen Chemie, der sich mit dem Aufbau der Makromoleküle und der Zellbestandteile beschäftigt, der Morphologie zurechnen. Im Gebiet der Feinstruktur der Zelle verschmilzt die Morphologie mit der Chemie. Wir stoßen hier auf ein altes Problem, das Problem der Protoplasmastruktur, das die Biologie beschäftigt hat, seitdem es eine Zellenlehre gibt. Wie sind die verschiedenartigen physiologischen Leistungen, zu der die einzelne Zelle befähigt ist, überhaupt möglich ? Die älteren Cytologen konnten sich nicht vorstellen, daß die zahlreichen chemischen Umsetzungen, welche den Lebensvorgängen zugrunde liegen, in geordneter Weise nebeneinander ablaufen könnten, wenn man das Protoplasma als homogene Substanz voraussetzt. Sie suchten deshalb nach mikroskopisch differenzierbaren Strukturen, und so entstanden die verschiedenen morphologischen Theorien über den Aufbau des Protoplasmas, die bald ein Netzwerk von feinen, kontraktilen Fibrillen, bald eine in Fäden auftretende Substanz, bald eine Wabenstruktur, bald die Zellgranula als Grundelemente der Plasmastruktur annahmen. Wir wissen heute aber, daß viele dieser Strukturen Kunstprodukte sind, die bei der Fixierung oder Färbung der Präparate entstehen. Die für den Ablauf der Lebensvorgänge wesentlichen Strukturelemente liegen wahrscheinlich jenseits der Grenze der mikroskopischen Sichtbarkeit. Die chemische Organisation der Zelle, welche den geordneten Ablauf der Lebensvorgänge ermöglicht, ist ein ungelöstes Problem. Wir wissen nur soviel, daß verschiedene chemische Reaktionen in bestimmten Zellbestandteilen, z. B. in den Granula oder in der Grundsubstanz des Protoplasmas, lokalisiert sind. Die Zelle ist schon häufig mit einer chemischen Fabrik verglichen worden, in der die einzelnen Prozesse in verschiedenen, voneinander getrennten Abteilungen vorgenommen werden. Solche Vorstellungen sind aber kaum geeignet, ein Bild der tatsächlichen Verhältnisse zu vermitteln. Gerade die neueren Untersuchungen haben gezeigt, daß man in der lebenden Substanz nicht zwischen Baustoffen und Betriebsstoffen unterscheiden kann. Die Makromoleküle, welche die Zellstrukturen aufbauen, sind nicht stabil, sondern werden beständig in die chemischen Umsetzungen der Zelle einbezogen. Man kann also nicht wie im Laboratorium zwischen dem Reaktionsgefäß und den reagierenden Stoffen unterscheiden, denn die Bestandteile des Reaktionsgefäßes, nämlich der Zelle, werden selbst dauernd in die biochemischen Reaktionen einbezogen. Es gibt natürlich auch relativ stabile mikroskopische und submikroskopische Strukturbestandteile ; diejenigen organischen Makromoleküle aber, welche als die eigentlichen Träger der Lebensprozesse angesehen werden müssen, sind in dauernder Umwandlung und Erneuerung begriffen. S c h o e n h e i m e r hat dies als den „dynamischen Zustand" der Zellbestandteile bezeichnet. Es ist in neuerer Zeit möglich geworden, verschiedene Fermente und Fermentsysteme in bestimmten Zellbestandteilen zu lokalisieren und damit den letzteren gewisse chemische Leistungen zuzuordnen. Man kann daher auch mit Sicherheit annehmen, daß der morphologischen Gliederung der Zelle eine räumliche Trennung verschiedener Stoffwechsel Vorgänge entspricht. Im übrigen ist uns aber die

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Einleitung

chemische Organisation der Zelle und ihr Zusammenhang mit der Protoplasmastruktur ein großes Rätsel. Es ist fraglich, ob man in denjenigen Teilen des Protoplasmas, die aktiv an den Lebensvorgängen teilnehmen, überhaupt eine Struktur im üblichen Sinne, d. h. eine dauerhafte räumliche Anordnung der Bauelemente, annehmen darf. Der submikroskopische Aufbau des Protoplasmas ist offenbar aufs engste mit den biochemischen Reaktionen verknüpft, so daß sich Struktur und Stoffwechsel gegenseitig bedingen. Wir können uns von diesen Verhältnissen kaum ein zutreffendes Bild machen, weil sie für die lebende Substanz charakteristisch und außerhalb derselben, sei es auch nur im Modell, nicht realisierbar sind. Wir haben in diesem Buch den Stoff folgendermaßen eingeteilt: der erste Teil behandelt in gedrängter Form die C h e m i e d e r w i c h t i g s t e n N a t u r s t o f f e und ihrer Bausteine; der zweite Teil rekapituliert einige p h y s i k a l i s c h - c h e m i s c h e T a t s a c h e n und ihre Anwendung in der Biochemie; der dritte Teil ist der Besprechung des S t o f f w e c h s e l s u n d d e r F e r m e n t e gewidmet; im vierten Teil werden einzelne O r g a n s y s t e m e u n d K ö r p e r f l ü s s i g k e i t e n behandelt; der fünfte Teil befaßt sich mit dem Problem der c h e m i s c h e n R e g u l a t i o n und der sechste mit der E r n ä h r u n g .

I. T e i l

Die Chemie der Hauptgruppen der Nahrungsstoffe und Körperbestandteile Erstes Kapitel Die Kohlehydrate 1. Definition und Nomenklatur Unter der Bezeichnung Kohlehydrate oder Kohlenhydrate faßt man eine Gruppe von chemischen Verbindungen zusammen, die als die ersten Oxydationsprodukte mehrwertiger Alkohole aufzufassen sind. Sie sind entweder Aldehyd- oder Ketoalkohole. Fast alle diese Verbindungen enthalten in ihrem Molekül Wasserstoff und Sauerstoff in dem Atomverhältnis wie zwei zu eins. Es ist dabei zu erwähnen, daß es natürlich eine große Anzahl von organischen Verbindungen gibt, die Wasserstoff und Sauerstoff im Verhältnis zwei zu eins enthalten, die aber durchaus nichts mit den Kohlehydraten zu tun haben, so z. B. die Essigsäure: C H 3 . C 0 0 H = C2H402 oder die Milchsäure: H . H ( 0 H ) C 0 0 H = C 3 H 8 0 3 USW. C 3 C Wie aus der genannten Definition der Kohlehydrate hervorgeht, können diese von den mehrwertigen Alkoholen abgeleitet werden. Es sind nun eine große Zahl solcher mehrwertiger Alkohole, teils als in der Natur vorkommend, teils als synthetisch dargestellt, bekannt. Das einfachste Beispiel eines zweiwertigen Alkohols ist das G l y c o l ; durch Oxydation der einen der beiden CH2 • OH-Gruppen entsteht daraus der G l y c o l a l d e h y d , der dementsprechend als einfachstes Kohlehydrat aufgefaßt werden kann: CH

2

-OH

CH

2

-OH

|

CH

2

-OH

+ O = | /H

+ H20

C


H-C-OH

H-C-OH

I

I

H-C-OH

I

H-C-OH

I

CH2-OH Pentit CH2-OH

H-C-OH

I

H-C-OH CH2-OH Aldopentose

/ H | ^O

H-C-OH

H-C-OH

I

I

H-C-OH H-C-OH I H-C-OH

I

CH2-OH Hexit

H-C-OH

I

H-C-OH

I

H-C-OH

!

CH2-OH Aldohexose

CH2-OH

L o i H-C-OH I H-C-OH I ch2-oh Ketopentose

ch2-oh I

c=o

H-C-OH I H-C-OH I H-C-OH I CH2-OH Ketohexose

Von diesen Grundtypen der e i n f a c h e n Kohlehydrate, der Monosaccharide oder Monosen, leiten sich nun die zusammengesetzten Kohlehydrate ab. Vereinigen sich z. B. zwei Moleküle einer Hexose unter Wasseraustritt, so entsteht ein zusammengesetztes Kohlehydrat nach der Gleichung: 2C6H1206 = H 2 0 + C12H22011. Die durch eine derartige Wasserabspaltung entstandene Verbindung wird dann als ein Disaccharid bezeichnet. Treten drei Moleküle zusammen, so bildet sich unter Austritt von zwei Molekülen Wasser ein Trisaccharid: 3 C6H1208 = 2 H 2 0 + C18H32016. Verbindungen, die nur aus wenigen Zuckerresten zusammengesetzt sind, werden allgemein als Oligosaccharide bezeichnet. Dieser Vorgang läßt sich allgemeiner so ausdrücken, daß bei dem Zusammentritt von «Molekülen Monosaccharid n—1 Moleküle Wasser abgespalten werden. Die dann entstehenden Verbindungen werden Polysaccharide oder polymere Kohlehydrate genannt.

Monosaccharide.

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Allgemeine Eigenschaften der Monosen

Die Oligosaccharide zeigen in der Regel noch die Eigenschaften der einfachen Zucker: gute Wasserlöslichkeit, süßer Geschmack. Sie werden daher zusammen mit den Monosacchariden als zuckerartige Kohlehydrate den polymeren Kohlehydraten gegenübergestellt, die meist in Wasser schwerlöslich oder unlöslich sind. 2. Monosaccharide Die einfacheren Kohlehydrate werden als Zucker bezeichnet. Triosen wurden zwar im lebenden Organismus noch nicht als Bausteine von Naturstoffen aufgefunden. Sie treten aber in Form von Phosphorsäureestern als wichtige Zwischenstufen des Kohlehydratabbaus auf. Dioxyaceton wird aber durch das sogenannte Sorbosebakterium (B. xylinum) aus Glycerin gebildet. Nach der Häufigkeit des Vorkommens stehen die Hexosen an erster Stelle. Zu dieser Gruppe gehören wichtige natürlich vorkommende Zuckerarten wie der Traubenzucker (Glucose) und der Fruchtzucker (Fructose). Pentosen sind im Pflanzenreich weit verbreitet, hauptsächlich als Bausteine von Polysacchariden. Im tierischen Organismus finden sich die Ribose und Desoxyribose als Bausteine der Nucleinsäuren und Nucleotide. A. Allgemeine Eigenschaften der Monosen

Durch die Gegenwart der Aldehyd- bzw. der Ketogruppe einerseits sowie durch das Vorhandensein der alkoholischen Hydroxylgruppen andererseits zeigen alle Monosen eine Reihe von charakteristischen chemischen Eigenschaften. 1. Alle Monosen reduzieren ammoniakalische Silberlösung und alkalische Kupferlösung beim Erwärmen. Diese Eigentümlichkeit kann zum Nachweis benutzt werden. Die am häufigsten gebrauchten Reagentien zum Nachweis reduzierender Zucker (Glucose) im Urin sind die folgenden: F e h l i n g s c h e L ö s u n g : Alkalische Lösung von Kupfersulfat, die Seignettesalz (K-NaTartrat) enthält; das letztere dient dazu, das Kupferhydroxyd in Lösung zu halten. B e n e d i c t s c h e s R e a g e n s : Soda-alkalische Lösung von Kupfersulfat und Na-Citrat. N y l a n d e r s c h e s R e a g e n s : Alkalische,Seignettesalz-haltigeLösung von basischem Wismutnitrat. Bei der Reduktion wird metallisches Wismut ausgeschieden.

2. Die Monosaccharide lassen sich unter Aufnahme von zwei Wasserstoffatomen zu den Alkoholen mit der gleichen Kohlenstoffzahl im Molekül reduzieren. So gibt z. B. die Glucose den sechswertigen Alkohol Sorbit. 3. Aldosen addieren direkt ein Molekül Cyanwasserstoff und gehen dabei in „Cyanhydrine" über, d. h. in Nitrile, die zu den entsprechenden Carbonsäuren verseift werden können. Diese Reaktion ist für die Zuckerchemie von der größten Bedeutung gewesen. So gibt beispielsweise eine Pentose mit Blausäure ein Cyanhydrin. Durch Verseifung des Cyanhydrins entsteht eine Hexonsäure, die in ein Lacton (inneres Anhydrid) übergehen kann. Wird dieses Lacton mit Natriumamalgam in wäßriger Lösung reduziert, so entsteht daraus eine Hexose. JJ

C

CHO

CN

COOH

CO

C

CH OH

OH OH

CH-OH

CH OH

CH OH

OH

CH OH

• CH. OH °

CH OH

CH-OH

CH-OH

CH OH

CH

CH OH

CH2-0H

CH OH

CH OH

CH-OH

CH OH

Pentose

CH2OH Cyanhydrin

CH-OH —

C

H

I

I

I

CH2OH Hexonsäure

I

CH2OH Lacton

IN)

I I

I

CH2OH Hexose



Die Kohlehydrate

Es ist also aus einer Pentose eine Hexose entstanden und man hat durch sukzessive Anwendung dieser Reaktionsfolge H e p t o s e n , O c t o s e n usw. synthetisch herstellen können. Von der Glucose ausgehend ist man z. B. bis zu einem 10-Kohlenstoffzucker, der Glucodecose, gelangt. Man bezeichnet diese Reaktion als die Cyanhydrinsynthese. Andere Additionsreaktionen sind ebenfalls bekannt. 4. Mit P h e n y l h y d r a z i n reagieren diese Monosen zunächst unter Bildung von Phcnylhydrazonen. 0 / H c / H |^O

| ^N.NH.C„H 6

I

I

(CH- OH) 4 + H 2 N- N H - C E H 5 = (CH- 0 H ) 4 CH 2 OH Hexose

Phenylhydrazin

-F H 2 0

CH 2 OH Phenylhydrazon

Die Reaktion geht aber weiter, indem ein zweites Molekül Phenylhydrazin oxydierend auf eine —CH • OH-Gruppe einwirkt, wobei eine CO-Gruppe gebildet wird unter gleichzeitiger Reduktion des Phenylhydrazins zu Anilin und Ammoniak. .H /H Q

/

Q /

I^N-NH.C.Hs

CH-OH | (CH-OH),

I

CH 2 OH

I^N-NH-CjHJ

+ H 2 N • N H • C6H6 =

C= 0 | (CH-OH),

VTTJ +CH-NH L,TL BLL! '

I

CH2-OH

Die entstandene Carbonylgruppe reagiert nun endlich mit einem dritten Molekül Phenylhydrazin unter Bildung eines O s a z o n s : .H .H Q/ Q / I^N-NH-C6H6 |^N-NH-C6H5 C= 0 C = N-NH-C„H5 | +H2N-NH-C6H6= I +H2O (CH-OH) 3 (CH-OHJJ

I

CH 2 OH

I

CH 2 OH Osazon

Die Osazone sind zur Erkennung der Monosen von großer Bedeutung, da sie im Gegensatz zu den Zuckern, die in Wasser sehr leicht löslich sind und die außerdem bei Gegenwart anderer Stoffe nur sehr schwer kristallisieren, schwer lösliche Verbindungen von ausgezeichnetem Kristallisationsvermögen darstellen. 5. Die Osazone haben noch eine Bedeutung dadurch, daß man aus ihnen durch vorsichtiges Erwärmen mit konzentrierter Salzsäure die Phenylhydrazinreste abspalten kann. Dann entstehen daraus Verbindungen mit zwei Carbonylgruppen, die O s o n e genannt werden, so z. B. das G l u c o s o n : CH 2 - O H - (CH - OH), - CO - C
• Aldose.

6. Wurde in der Cyanhydrinreaktion einerseits ein Weg gefunden, der zur Synthese höherer Kohlehydrate führt, so ist andererseits auch eine Reaktion bekannt, durch die Monosaccharide in solche mit niedrigerer Kohlenstoffzahl übergeführt werden können. Durch Einwirkung von Hydroxylamin werden aus dem Zucker Oxime gebildet:
R . i o Fettsäure (R-COOH = eine der obengenannten 4 Säuren) Das Kerasin wird bei der seltenen sog. Gau eher sehen Krankheit in großen Mengen in Leber, Milz und Lymphknoten angehäuft, und zwar in speziellen großen Zellen (Schaumzellen). 4»

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Fette, Fettsäuren und Lipoide

Diese Krankheit ist der Prototyp einer sog. Speicherkrankheit. Die ihr zugrunde liegende Stoffwechselstörung ist unbekannt.

Die Phosphatide und auch die Cerebroside zeigen, wenn sie mit Wasser gemischt werden, die Besonderheit, Myelinformen zu bilden. Sie lösen sich nämlich nicht auf, gehen aber in schleimige, gewundene Fäden über. Die Erscheinung beruht darauf, daß diese Moleküle gleichzeitig wasserunlösliche (hydrophobe) Gruppen — die Fettsäurereste — und wasserlösliche (hydrophile) Gruppen — Cholinphosphorsäure, Zucker usw. — enthalten. Beim Vermischen mit Wasser ordnen sich wahrscheinlich die Moleküle in zweischichtige Lamellen, wobei die hydrophilen Gruppen nach außen dem Wasser zugekehrt, die hydrophoben nach innen vom Wasser abgekehrt zu liegen kommen. Als Ganglioside bezeichnet E. K l e n k eine Gruppe von zuckerreichen Gehirnlipoiden, die vorwiegend im Zentralnervensystem, möglicherweise in den Ganglienzellen, lokalisiert sind. Ähnliche Verbindungen wurden aus Rindermilz isoliert. Sie sind ebenso wie die Cerebroside und Sphingomyeline Bestandteile der Protagon genannten Fraktion des Gehirns (siehe unten). Sie enthalten als Bausteine 1 Molekül Neuraminsäure (eine Polyoxyaminosäure, deren Struktur noch unbekannt ist), 1 Molekül Stearinsäure, 1 Molekül Sphingosin und 3 Moleküle Zucker, Galactose, Glucose und, wie neuerdings gezeigt wurde, auch Chondrosamin. Über ihre Struktur ist noch nichts Genaueres bekannt. Sie sind in Äther und Aceton unlöslich, nur wenig löslich in Alkohol, dagegen gut löslich in Benzol-Alkohol- oder Chloroform-AlkoholGemischen. I n Wasser bilden sie klare kolloidale Lösungen. Aus Milz sowie aus dem Stroma der roten Blutkörperchen sind in jüngster Zeit zuckerreiche, sphingosinhaltige Lipoide dargestellt worden, die keine Neuraminsäure enthalten, wahrscheinlich aber zu den Gangliosiden in enger Beziehung stehen ( K l e n k , Y a m a k a w a ) . Der Kohlehydratgehalt der verschiedenen Präparate beträgt 40—60%. Die aus menschlichen Erythrocyten gewonnene Substanz enthält als Zuckerkomponenten Glucose, Galactose und (acetyliertes ?) Chondrosamin. I n der Substanz aus Rindererythrocyten ist an Stelle des letzteren Glucosamin vorhanden. Als Säure findet sich Lignocerinsäure neben einer kleinen Menge ungesättigter Säure (Nervonsäure ?). Die relative Menge der einzelnen Bausteine läßt vermuten, daß es sich um Lignoceryl-sphingosin-tri-bis-pentasaccharide handelt. Diese interessanten Stoffe nehmen nach ihrer Zusammensetzung eine Mittelstellung zwischen Lipoiden und Mucopolysacchariden ein. Das sog. Protagon (der Name wurde 1865 von L i e b r e i c h eingeführt) wird dargestellt, indem man Gehirn nach Vorbehandlung mit kaltem Alkohol und Äther mit siedendem Alkohol extrahiert. Beim Abkühlen kristallisiert eine weiße Masse aus, die durch Umkristallisieren aus Alkohol gereinigt werden kann. Das Protagon ist kein einheitlicher Körper, sondern ein Gemisch aus Sphingomyelin, Cerebrosiden und Gangliosiden; es wurde aber lange für eine einheitliche Verbindung angesehen.

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

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Drittes Kapitel

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide 1. Sterine und Steroide Als Sterine bezeichnet man stickstofffreie Substanzen, deren Aufbau ein polycyklischer Kohlenwasserstoff zugrunde liegt. Ihr wichtigster Vertreter ist das Cholesterin, das aus Gallensteinen leicht gewonnen werden kann und der Gruppe den Namen gegeben hat (xoAfi = Galle, OTEOCS = Talg). Die Sterine stehen bezüglich ihrer chemischen Konstitution in engster Beziehung zu den später zu besprechenden Gallensäuren. Die Sterine kommen im Tier- und Pflanzenreich vor. Demnach unterscheidet man zwischen tierischen Z o o s t e r i n e n und pflanzlichen P h y t o s t e r i n e n . Die große Bedeutung der Sterine liegt darin, daß zu ihnen eine Reihe wichtiger Wirkstoffe gehören: die Sexualhormone und die Hormone der Nebennierenrinde, die Provitamine D, die durch Ultraviolettbestrahlung in die antirachitisch wirksamen Vitamine übergehen, und schließlich leiten sich auch die Aglucone der herzwirksamen Digitalisglycoside von den Sterinen ab. Cholesterin C 2 7 H 4 6 0. Diese Substanz wurde schon im 18. Jahrhundert von K o n r a d i in den Gallensteinen entdeckt. Das Cholesterin kommt reichlich in der Galle, in geringerer Menge auch im Blut vor. Es scheint mit den Lipiden vergesellschaftet in allen Zellen aufzutreten, besonders reichlich im Gehirn und im Nervensystem. Als Alkohol kann es mit Fettsäuren Ester bilden (Steride). Es tritt in den Geweben entweder frei oder in l o r m von Fettsäureestern auf. Im Blutplasma sind z. B. etwa 2/3—:i/4 des gesamten Cholesterins verestert. Die Gallensteine bestehen zum größten Teil aus Cholesterin und bilden daher das beste Material zu seiner Darstellung. Durch Extraktion der gepulverten Steine mit Alkohol und Äther und Eindunsten dieser Lösung wird es in Form von schneeweißen Kristallen erhalten. Cholesterin ist in Wasser, verdünnten Säuren und Alkalien unlöslich, leicht löslich in Äther, Chloroform, Benzol usw. Es verbindet sich mit S a p o n i n e n z u unlöslichen Komplexen. Eine alkoholische Lösung von Cholesterin wird durch Digitonin unter Bildung von Cholesterindigitonid gefällt. Diese Reaktion kann zur Bestimmung des Cholesterins verwendet werden. Gallensaure Alkalien können Cholesterin zur Lösung bringen. Cholesterin ist optisch aktiv, und zwar drehen seine Äther- oder Chloroformlösungen nach links. Cholesterin gibt charakteristische Farbreaktionen mit Schwefelsäure. Beim Unterschichten einer Lösung von Cholesterin in Chloroform mit konzentrierter Schwefelsäure nimmt die Chloroformschicht eine tiefrote Färbung an (Reaktion von Salkowski). Wird eine Lösung von Cholesterin in Chloroform mit Essigsäureanhydrid und dann mit einigen Tropfen konzentrierter Schwefelsäure versetzt, so färbt sie sich blaugrün (Reaktion von LiebermannBurchardt). Diese Reaktionen sind typisch für ungesättigte Sterine. Es handelt sich wahrscheinlich um die Bildung salzartiger Verbindungen der Schwefelsäure mit der ungesättigten Gruppe des Cholesterins (sog. Halochromie).

Der Aufbau des Kohlenstoffskeletts der Sterine ist durch lange und schwierige Untersuchungen am Cholesterin und den Gallensäuren hauptsächlich durch W i n d a u s und W i e 1 a n d aufgeklärt worden. Das Cholesterin ist ein ungesättigter, einwertiger, hydroaromatischer Alkohol mit einer aliphatischen Seitenkette:

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Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

CH3 H,C

/CH,

CH—(CH2)3—CH S

CH, Cholesterin, (C 27 H 4 ,0)

H3C

Die Formel ist in der gebräuchlichen Form dargestellt. Dabei muß beachtet werden, daß die Sechserringe dieser Sterinformel nicht Benzolringe bedeuten, sondern Cyklohexanringe (sog. hydroaromatische Ringe, die durch vollständige Hydrierung des Benzolrings entstehen). An den Ecken stehen daher nicht —CH=-Gruppen wie im Benzol, sondern —CH 2 -Gruppen. Doppelbindungen werden immer besonders angegeben. Die Anordnung der drei Sechskohlenstoffringe ist ähnlich wie im Phenanthren. Man kann daher die Sterine auch als Abkömmlinge des vollständig hydrierten Phenanthrens auffassen, entstanden durch Anfügung weiterer 3 C-Atome, die einen Fünfkohlenstoffring bilden. Dem zugrunde hegenden Kohlenwasserstoff (Cyklopentano-perhydrophenanthren) kommt, vollständig ausgeschrieben, die folgende Struktur zu: H2 X

HoC/

H, H,C' H

C

H

C

D

B

|H

H2

* \c/S\c/ h2

-CH,

C-

|H

CH

h2

*

Es ist üblich, die Ringe im Sterinskelett durch die Buchstaben A, B, C und D (Fünferring) und die Kohlenstoffatome in folgender Weise durch Ziffern zu bezeichnen :

Die Methylgruppen an C10, C^, C20 und C25 sind hier in vereinfachter Weise durch kurze Striche bezeichnet; ebenso ist die Seitenkette in ähnlicher Weise wie die hydroaromatischen Ringe unter Weglassung der C-Atome durch Striche dargestellt. Diese abgekürzte Schreibweise ist in der Sterinchemie allgemein üblich. Die Numerierung der Methylgruppen an C10 und C13 geschieht nicht einheitlich in der hier mitgeteilten Weise; vielfach wird die an C10 sitzende durch 18, die an C13 sitzende als C19 bezeichnet.

Wird das Cholesterin katalytisch hydriert, so geht es in einen gesättigten Alkohol Dihydrocholesterin ( = Cholestanol) über. I m Darm findet man ein Sterin, das sog. Koprosterin, dem die gleiche Struktur zukommt wie dem Dihydrocholesterin; es ist aber von diesem verschieden. Der Unterschied kann daher nur in der räumlichen Anordnung der Atome liegen. Die beiden Verbindungen sind Stereoisomere. Die Betrachtung der Cholesterinformel zeigt, daß verschiedene asymmetrische C-Atome vorhanden sind.

55

Sterine und Steroide

Ähnlich wie bei den Cyklohexanderivaten (vgl. Inosit S. 30) handelt es sich auch hier um eine „geometrische" Stereoisomerie. Man kann die Stellung der Substituenten der Ringkohlenstoffatome dadurch festlegen, daß man ihre relative Lage zur Ringebene angibt. Zwar ist die absolute Stellung der Substituenten zum Ring (d. h. die absolute Konfiguration der asymmetrischen C-Atome) nicht bekannt. Man kann aber ihre relative Lage, eis oder trans, ermitteln. Nach Übereinkunft nimmt man an, daß die Methylgruppe (C19) an C10 vor der Ringebene liegt. Man bezeichnet diese Lage, d. h. die cis-Stellung zu C19, gewöhnlich als „^"-Konfiguration und deutet sie in den Formelbildern durch einen ausgezogenen Valenzstrich an. Findet sich umgekehrt der Substituent in trans-Stellung zu C19, also nach Übereinkunft hinter der Ringebene, so wird diese Lage durch einen punktierten Valenzstrich angedeutet und als „«"-Konfiguration bezeichnet. Die Seitenkette an C17 findet sich bei allen natürlichen Sterinen (mit Ausnahme der herzwirksamen Glycoside) in /?-Stellung1). CH,

CH.

HC)/ Dihydrocholesterin (Cholestanol)

H Koprosterin

I m Dihydrocholesterin befinden sich also die Hydroxylgruppe an C3 und der Wasserstoff an C s in trans-Stellung, beim Koprosterin in cis-Stellung. Die Berücksichtigung der räumlichen Anordnung der Atome ist auch nötig, wenn man die Beziehungen des Cholesterins zu den Gallensäuren verstehen will. Durch geeignete Methoden kann man das Cholesterin vollständig hydrieren; dabei entsteht der Kohlenwasserstoff Cholestan. Durch oxydativen Abbau der Seitenkette des Cholestans gelangt man zu einer Säure der Konstitution I I : CH. I CH—(CH2)2—COOH

Cholansäure

CH, !H—(CH2)2—COOH

II allo-Cholansäure

Zu einem Körper mit der gleichen Struktur, der Cholansäure (I), gelangt man, wenn man von der Cholsäure ausgeht. Es zeigt sich aber, daß die aus Cholesterin hervorgehende Verbindung (allo-Cholansäure) von der Cholansäure verschieden ist. Dagegen entsteht die Cholansäure, wenn man die oben angegebene Abbaureaktion statt mit dem Cholesterin mit dem Koprosterin durchführt. Die Cholsäure hat also an C 6 die gleiche Konfiguration wie Koprosterin, nicht wie Cholestanol. Unter den pflanzlichen Sterinen erwähnen wir das Ergosterin (von T a n r e t 1889 aus Mutterkorn isoliert). Es ist weniger gesättigt als das Cholesterin, dadurch daß es im Ringsystem eine zweite und in der Seitenkette eine dritte Doppelbindung enthält. Seine Bedeutung liegt darin, daß es durch Ultraviolettbestrahlung in ein antirachitisches Vitamin übergeht. *) Näheres über die Stereochemie der Sterine vgl. Shoppee, Vitamins and Hormones 8, 255 (1950).

56

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

Steroide mit Hormoncharakter Wir haben bereits erwähnt, daß eine Reihe wichtiger Hormone dem Cholesterin nahestehen. Ihre Wirkung wird im Kap. 26 besprochen. Die Seitenkette ist bei allen diesen Verbindungen weitgehend abgebaut, bei vielen fehlt sie ganz. Man bezeichnet solche Verbindungen als Steroide. Sie unterscheiden sich durch ihre funktionellen Gruppen (Alkohole, Ketone), sowie durch Zahl und Lage der Doppelbindungen. Wir zählen im folgenden einige wichtige Hormone nach ihren biologischen Funktionen geordnet auf. Sexualhormone: CH,

CH,

=0

HOl

OH

HO!

HO

Östron (Follikulin)

östradiol

Östriol (FoUikelhormonhydrat) CH„

=0

HO

OH

H Androsteron

Testosteron CO-CH,

CH(OH).CH3

HO -Progesteron ( Gelbkörperhormon)

H Pregnandiol

Die Unterscheidung zwischen sog. „weiblichen" Sexualhormonen und „männlichen" Hormonen bezieht sich nicht in erster Linie auf ihr Vorkommen, sondern' auf ihre biologische Wirkung. Es können „weibliche" Hormone vom männlichen Organismus gebildet werden und umgekehrt. (So ist der Urin des Hengstes sehr reich an Follikelhormon.) Die Östrogenen Hormone (Östron, Östradiol, Östriol) sind dadurch ausgezeichnet, daß der Ring A aromatisch ist. Es sind also Phenole. Diese Tatsache ist wichtig für ihre Extraktion. Die Dehydrierung kann noch weitergehen. Beim Equilenin sind Ring A und B aromatisch (siehe S. 650). Das Gelbkörperhormon wird im Organismus zum Pregnandiol hydriert und dieses wird als gepaarte Glucuronsäure (Pregnandiolglucuronid) im Urin ausgeschieden. Die Östrogenen Stoffe geben Farbreaktionen, die in Verbindung mit geeigneten Extraktionsmethoden zu ihrer Bestimmung verwendet werden können; z. B. geben sie, mit konz. Schwefelsäure und Phenolsulfosäure erhitzt, bei Zusatz von Wasser eine Rotfärbung (Kobersche Reaktion). m-Dinitrobenzol in alkalischer Lösung gibt eine violette Färbung (Zimmermannsche Reaktion).

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Sterine mit Hormoncharakter

Nebennierenrindenhormone: CH,

CH, €O.CH a .OH

Corticosteron

CO-CH..OH

Desoxy corticosteron CO.CH..OH

Kendalls Verbindung „E"

Aus der Nebenmerenrinde sind annähernd 30 verschiedene Steroide isoliert und identifiziert worden ( R e i c h s t e i n , K e n d a l i ) , von denen aber nur wenige Hormonwirkung haben. Die Steroidhormone und ihre physiologischen Derivate gehören zwei Gruppen an: Es gibt solche mit 19 (oder 18) C-Atomen ohne Seitenkette und solche mit 21 CAtomen, die eine Seitenkette von 2 C-Atomen besitzen. Jede dieser Gruppen zerfällt in 2 Reihen isomerer Verbindungen, die sich durch die Konfiguration an C5 unterscheiden. I n der C lfl -Gruppe sind es die Androstan- ( = allo-Ätiocholan-) und die Ätiocholanreihe, in der C 21 -Gruppe die Pregnan- und die allo-Pregnanreihe: CH,

C1B: H Androstan

H allo-Pregnan

Ätiocholan

Pregnan

Wir werden im Kapitel über Hormone eine Reihe von Beispielen erwähnen. Die nicht phenolischen Steroide, die in Stellung 17 eine Ketogruppe besitzen, werden als 17-Ketosteroide bezeichnet. Im Urin werden ständig derartige Körper in kleiner Menge ausgeschieden; sie leiten sich von den androgenen Hormonen und den Rinderhormonen ab (vgl. S. 648). Sowohl im Blut und den Geweben als auch im Urin kommen die Steroidhormone und ihre Derivate z. T. in Form von Konjugaten vor, als Schwefelsäureester oder als

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

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Glucuronide. Aus dem Urin sind z. B. die Sulfate des Östrons und des Androsterons und die Glucuronide des Pregnandiols und des Östriols isoliert worden: \ COONa I

I i

CH (CHOH)3 Östronsulfat

CH Pregnandiolglueuronidat 0-"

Nomenklatur: Für einige der wichtigsten Sterine und Steroide existieren Trivialnamen (Cholesterin, Ergosterin, Corticosteron, Östron usw.). Für die Bezeichnung der zahlreichen natürlichen und künstlichen Sterinderivate ist eine besondere Nomenklatur entwickelt worden, welche die Natur der Verbindungen eindeutig zu kennzeichnen gestattet. Man legt den Namen des Grundkohlenwasserstoffs zugrunde (z. B. Cholestan, Pregnan, Androstan). In den sauerstoffhaltigen Derivaten wird Zahl und Funktion der Sauerstoffatome durch die entsprechenden Suffixe angegeben: -ol, -diol, -triol; -on, -dion, usw. Die Stellung der Substituenten wird gemäß dem angegebenen Schema der Numerierung dem Suffix in Klammern beigefügt, bei Alkoholen außerdem die Konfiguration (a oder ß), z. B. Androstanol-(3a)-on(17) = Androsteron; Androstandion-(3,17). Nach den allgemeinen Nomenklaturregeln wird bei ungesättigten Stoffen im Namen des Grundkohlenwasserstoffs die Silbe „-an" in ,,-en" bzw. „-dien-", ,,-trien-" verwandelt. Die Lage der Doppelbindungen wird durch ein vor den Namen gesetztes griechisches Delta bezeichnet, welchem als Index die Nummern der beiden C-Atome angefügt sind (durch Doppelpunkt getrennt), zwischen denen die Doppelbindung liegt. Wo kein Irrtum möglich ist, gibt man meist nur das erste der beiden C-Atome in der Reihenfolge der Numerierung an. Beispiel: zH-Pregnendion-(3,20) (oder A*- 5-Pregnendion-(3,20))= Progesteron. Das Präfix „allo-" wird verwendet, um die Sterine zu bezeichnen, die sich durch die Konfiguration an C5 von den Sterinen der Gallensäurereihe unterscheiden, bei denen sich also das Wasserstoffatom an Cs in trans-Stellung zu C19 befindet. Vgl. oben allo-Cholansäure. Zur Bezeichnung der Sterine, bei welchen die Hydroxylgruppe an C3 sich in trans-Stellung zu C19 befindet (a-Konfiguration), wird auch das Präfix „epi-" vor den Namen gesetzt; Beispiel: epi-Cholesterin. 2. Gallensäuren Die Gallensäuren besitzen eine gegenüber dem Cholesterin um 3 C-Atome verkürzte Seitenkette, deren letztes C-Atom eine Carboxylgruppe bildet. Als Grundkörper der natürlich vorkommenden Säuren kann die Cholansäure aufgefaßt werden (Formel S. 55). Aus ihr leiten sich die verschiedenen Gallensäuren durch Einführung von Hydroxylgruppen ab. Einzelne Säuren scheinen, soweit die Erfahrungen reichen, für eine bestimmte Tierart charakteristisch zu sein. In der Galle sind die Gallensäuren mit stickstoffhaltigen Körpern, teilweise mit dem Glycocoll, teilweise mit dem Taurin verbunden. Diese Verbindungen heißen Glycocholsäure bzw. Taurocholsäure. CH..NH, I CH 2 .S0 3 H Taurin D a s Taurin stellt ein Oxydationsprodukt der Aminosäure Cystein dar. Es wird durch Kochen von Galle mit Säure aus den Taurocholsäuren abgespalten und in Form von großen Kristallen leicht erhalten. Die Bindung zwischen Gallensäuren einerseits und Taurin oder Glycin andererseits ist amidartig, indem die Carboxylgruppe der Gallensäure mit der Aminogruppe unter Wasseraustritt sich vereinigt.

Gallensäuren

59

Die freien Gallensäuren (mit nicht ionisierter Carboxylgruppe) sind im Wasser schwer löslich. Die Alkalisalze dagegen gehen leicht in Lösung. Die gallensauren Salze setzen die Oberflächenspannung des Wassers stark herab (sog. „Oberflächenaktivität"). Diese Eigenschaft ist für die Emulgierung der Fette bei der Verdauung von Bedeutung. Unterschichtet man eine wäßrige Gallensäurelösung, die eine Spur Rohrzucker enthält, mit konz. Schwefelsäure, so bildet sich an der Berührungsfläche ein violetter Ring ( P e t t e n k o f e r sche Probe). Durch die Wirkung der konz. Schwefelsäure wird aus dem Zucker ein Furfurolderivat geb ildet (vgl. S. 5), das sich mit der Gallensäure zum Farbstoff kondensiert.

Nachfolgend einige Beispiele von Gallensäuren: CH, CH3

CH3

CH(CH2)2-COOH

CH3

I

CH2(CH2)2.COOH

HO-

CH, HO CH3

CH3

CH(CH2)2 • COOH

HO-

HO CH3

I

CH(CH2)2 • COOH

HOOH

III

Monooxycholansäure Dioxycholansäuren Trioxycholansäure

IV

=

Lithocholsäure (Formel I), < Hyodesoxycholsäure (Formel II), \ Chenodesoxycholsäure (Formel III), = Cholsäure (Formel IV).

Cholsäure: Sie bildet den Hauptbestandteil der Gallensäuren der Rindergalle und ist optisch aktiv. Desoxycholsäure: Sie wird Anthropo- oder Chenodesoxycholsäure genannt, da sie sowohl in der Menschen- als auch in der Gänsegalle vorkommt, in ersterer aber nur in kleiner Menge. Die Desoxycholsäure hat die Eigentümlichkeit, mit F e t t s ä u r e n Additionsverbindungen zu geben. Eine solche Verbindung wurde seinerzeit aus der Rinder galle unter dem Namen Choleinsäure dargestellt. Sie ist ein Additionsprodukt von 1 Mol Palmitin- oder Stearinsäure und 8 Mol Desoxycholsäure. Solche Choleinsäuren lassen sich leicht künstlich herstellen durch Kristallisation eines Gemisches der Komponenten. Die Zahl der Choleinsäuremoleküle, die von einem Molekül Fettsäure gebunden werden können, hängt von der Kettenlänge der letzteren ab (Ameisensäure keine Verbindung; Essigsäure 1 : 1 , Propionsäure 1: 3, Buttersäure bis Caprylsäure (C8) 1:4 ; Pelargonsäure (C9) bis Myristinsäure (C14) 1:6; höhere Fettsäuren 1: 8. Die H y o d e s o x y c h o l s ä u r e wurde aus der Schweinegalle dargestellt.

60

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

L i t h o c h o l s ä u r e findet sich in kleinen Mengen in der Rindergalle, etwas reichlicher in der des Menschen. Alle diese genannten Gallensäuren sind farblose, gut kristallisierende Verbindungen. In der Haifischgalle wurde von H a m m a r s t e n das Scymnol gefunden. Diesem Körper liegt ebenfalls das Kohlenstoffgerüst des Cholesterins zugrunde. Es sind drei sekundäre Hydroxylgruppen am Ringsystem und eine primäre Alkoholgruppe an der Seitenkette vorhanden. Ein fünftes Sauerstoffatom bildet an der Seitenkette einen Äthylenoxydring

• Eine Besonderheit des Scymnols liegt darin,

daß es in der Galle als Schwefelsäureester vorliegt. 3. Carotinoide (Lipochrome) Im Pflanzenreich und auch bei den tierischen Organismen ist eine Gruppe gelber Farbstoffe weit verbreitet, deren häufigster Vertreter der Farbstoff der gelben Rübe (Daucus carota), das Carotin, ist. Man faßt sie unter dem Namen der Carotinoide zusammen. Die Carotinoide sind ungesättigte Kohlenwasserstoffe, deren Formeln sich von ein und demselben Grundgerüst ableiten lassen. Teils sind es rein aliphatische Verbindungen mit offener Kohlenstoffkette, teils enthalten die Moleküle einen oder zwei sechsgliedrige Ringe (Jononring). Der Farbstoffcharakter dieser Verbindungen hat seinen Grund in einem System zahlreicher konjugierter Doppelbindungen. Es gibt auch sauerstoffhaltige Carotinoide (Alkohole, Aldehyde, Ketone, Carbonsäuren). Die freien Carotinoide sind wasserunlöslich. Sie lösen sich in Lipoiden und sind daher im Organismus meist mit den Fetten vergesellschaftet. Ihre große Bedeutung für die höheren Tiere hegt vor allem darin, daß gewisse Carotinfarbstoffe im Organismus in das Vitamin A übergehen können. Es sind heute über 60 derartige Farbstoffe bekannt. Als erstes Beispiel sei der verbreitetste Vertreter dieser Gruppe erwähnt, das /^-Carotin (entdeckt von W a c k e n r o d e r 1831). Es ist in allen grünen Pflanzenteilen der ständige Begleiter des Chlorophylls und kommt auch sonst in zahlreichen Blüten und Früchten vor. In der gelben Rübe ist das /?-Carotin der Hauptfarbstoff. Im tierischen Organismus findet es sich fast in allen Organen, hauptsächlich im Fettgewebe (Lipochrom!), in der Milch, im Serum, dessen gelbe Farbe teilweise durch Carotin bedingt ist. Im Corpus luteum ist es in beträchtlicher Menge vorhanden. Für das /^-Carotin hat sich die folgende Strukturformel ergeben (I). Das Molekül ist symmetrisch gebaut. Der Ring, den die Kohlenstoffkette an beiden Enden abschließt, ist im Riechstoff des Veilchens enthalten; es ist der sog. ß-Jononring. Neuerdings ist die Synthese des -Carotins gelungen, womit seine Struktur endgültig festgelegt ist ( K a r r e r ) . Stoffe, welche wie die Carotinfarbstoffe ein fortlaufendes System konjugierter Doppelbindungen enthalten, werden als Polyene bezeichnet. Die Farbtiefe nimmt mit wachsender Zahl der Doppelbindungen zu. Einer großen Gruppe von Naturstoffen, den Terpenen, die von den Pflanzen in verwirrender Mannigfaltigkeit produziert werden und zu denen auch die Carotinfarbstoffe gehören, liegt ein merkwürdiges Bauprinzip zugrunde: Man kann sie durch Kondensation des fünfgliedrigen Kohlenstoffskeletts des Isoprens aufgebaut denken (Ruzicka). CH2 = C—CH = CHg

Carotinoide (Lipochrome) e»

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Das Isopren ist die Grundsubstanz des Kautschuks. Wenn wir das Isoprengerüst schematisch durch ' — darstellen, so läßt sich das Carotinmolekül in folgender Weise aus 8 Isoprenresten zusammensetzen:

Sterine, Gallensäuren, Carotinoide

62

Das /^-Carotin ist in der Natur immer von einem Isomeren, dem a-Carotin, begleitet, von dem es durch Chromatographie an Calciumhydroxyd getrennt werden kann (Karrer). Es unterscheidet sich vom /3-Carotin dadurch, daß es an Stelle des einen /3-Jononrings einen a-Jononring besitzt (Formel I I rechts). In sehr kleinen Mengen ist schließlich diesen beiden Verbindungen das y-Carotin beigemischt, das nur noch einen Jononring besitzt; das eine Ende der Kette ist offen (Formellll links). Die entsprechende rein aliphatische Verbindung mit beiderseits offener Kette ist das Lycopin, der Farbstoff der Tomate, der im Pflanzenreich auch sonst verbreitet ist. Wir erwähnen diesen Farbstoff hauptsächlich aus dem Grunde, weil sich die Strukturformen aller anderen Carotinoide durch Ringschluß, Verkürzung der Kohlenstoffkette, Oxydation usw. aus der Strukturformel des Lycopins ableiten lassen. Das ^-Carotin kann im tierischen Organismus in das Vitamin A übergehen; dabei wird das Molekül unter Wasseraufnahme an der mittleren Doppelbindung gespalten. Das Vitamin A (Axerophtol) ist ein primärer Alkohol (vgl. S. 669). Für die Vitaminwirkung ist der /S-Jononring notwendig. Beim a- und y-Carotin kann also nur die eine Hälfte des Moleküls in Vitamin A übergehen. Aus dem Vitamin A leitet sich das Retinin, die Farbstoffkomponente des Sehpurpurs, ab (S. 671). Die Carotinoide und das Vitamin A geben mit Antimontrichlorid in Chloroformlösung eine intensive, aber instabile Blaufärbung (Carr-Price-Reaktion), die zu ihrem Nachweis und zur quantitativen Bestimmung verwendet werden kann.

Neben dem Carotin kommen in den Pflanzen auch der entsprechende zweiwertige Alkohol, das Xanthophyll, und verwandte sauerstoffhaltige Verbindungen sehr häufig vor. Es leitet sich vom a-Carotin ab, besitzt aber keine Vitaminwirkung (Hydroxylgruppe im jff-Jononring!). ch3N / c h 3

(i

H2C/\,C-CH HOHcl je—CH,

/

c h

3

CH—Cj^^iCHa CH,—cL JcHOH

h2

( i r;,x /CH3 c HC^NjC-CH HOd i-C—CH,

^/CH3 c HC—c/NcH H,C—oJ JcOH

CO

h Xanthophyll

CO Astacin (Enolform)

Weitere B e i s p i e l e : Das Astacin kommt im Panzer und den Eiern der Crustaceen und auch sonst bei Tieren und Pflanzen vor. Teilweise kann es an Eiweiß gebunden sein als prosthetische Gruppe eines Chromoproteids, teilweise liegt es als Ester vor. (Astaxanthin s. S. 664). Bbiin und Crocetin sind Dicarbonsäuren. Bixin ist der Farbstoff des Orleans aus der Samen schale von B i x a orellana. Es ist #er Monomethylester der Dicarbonsäure Norbixin. CH3

I

CH,

CH«

I

I

CH3

I

HOOC CH:CH C:CH CH:CH-C:CH CH:CH CH:C CH:CH CH:C CH:CH COOCH3 Bixin Das Crocetin ist Bestandteil des Glycosids Crocin aus dem Safran. Durch Behandeln der Carotine, die einen /S-Jononring besitzen, mit Phthalmonopersäure wird an die Doppelbindung des Jononringes Sauerstoff angelagert, und man erhält die entsprechenden E p o x y d e , die unter der Einwirkung von Säure sehr leicht in eine furanoide Form übergehen (Karrer):

Carotinoide (Lipochrome)

CH,

.ch3

63

ch3

//

H 2 0 \C^CH=CH—C=CH

ch3 I •CH—C=CH—

HCl

X^CH, c h2

. ch 3

Epoxyd

furanoides Oxyd

Vertreter beider Verbindungstypen finden sieh in der Natur. Flavochrom, das Epoxyd des a-Carotins, findet sich z. B. in den Blüten von Ranunculus; Violaxanthin ist das Diepoxyd des ^-Carotins aus den Blüten des Stiefmütterchens; das Auroxanthin ist das entsprechende furanoide Oxyd, ebenfalls in den Blüten von Viola tricolor.

Wir verdanken die Kenntnis der Carotinfarbstoffe hauptsächlich den Arbeiten von R. W i l l s t ä t t e r , P. Karrer, R . K u h n und L. Zechmeister. Die Carotinfarbstoffe sind bei den Pflanzen außerordentlich weit verbreitet. Die tierischen Carotinoide sind pflanzlichen Ursprungs. In den Blättern sind die Carotinfarbstoffe (Carotine und Xanthophylle) Begleiter des Chlorophylls. Sie sind als Farbstoffe zahlreicher Blüten und Früchte nachgewiesen. (Es sind in den Blüten über 30 verschiedene Carotinoide gefunden worden.) Ebenso kommen sie bei zahlreichen Bakterien, Pilzen und Algen vor. Über ihre Funktion bei den Pflanzen ist fast nichts bekannt. Nach neueren Untersuchungen spielen gewisse Carotinoide bei der Geschlechtsbestimmung der Gameten bei Grünalgen (Chlamydomonas) und beim Auswachsen der Pollenschläuche eine Rolle. Die weite Verbreitung der Stoffe läßt aber eine allgemeinere Funktion vermuten. Im tierischen Organismus begleiten die Carotinfarbstoffe meistens die Fette (Eigelb!). Sie kommen aber auch als Farbstoff der Federn (Kanarienvogel) oder des Integuments zahlreicher Tierarten vor (Fische, Crustaceen [Hummer]), Insekten (Coccinella) usw. Wegen der Doppelbindungen in der Polyenkette besteht bei den Carotinfarbstoffen die Möglichkeit von cis-trans-Isomeren. Tatsächlich sind zahlreiche derartige Isomeriefälle bekannt. Sie sind f ü r die Physiologie von Bedeutung, weil in einzelnen Fällen die verschiedenen Isomeren sich durch ihr biochemisches Verhalten unterscheiden. Am längsten ist die Existenz zweier stereoisomerer Formen beim Bixin bekannt. Man kann das natürliche Bixin durch Behandeln mit Jod in eine stabilere Form (/S-Bixin, Isobixin) überführen, die sich als Stereoisomeres der natürlichen Verbindung erwiesen hat. Als Beispiel geben wir zwei mögliche Konfigurationen des ^-Carotins (in vereinfachter Schreibweise) an:

I

I

I

centrale mono-cis-Form In Anbetracht der großen Zahl von Doppelbindungen ist die theoretische Zahl der möglichen Konfigurationen sehr groß. Anscheinend können aber nur wenige verwirklicht werden. Die

64

Die Proteine und ihre Bausteine

Isomeren unterscheiden sich durch ihre physikalischen Eigenschaften (Schmelzpunkt, Löslichkeit, Lichtabsorption) und können durch chromatographische Methoden voneinander getrennt werden. Es seheint, daß die all-trans-Form stets bevorzugt ist. Die Umlagerung kann durch verschiedene Einwirkungen zustande kommen, u. a. auch durch Belichtung. Über die Bedeutung der cis-trans-Isomeren beim Retinin siehe S. 670.

Wir erwähnen noch zwei Stoffe, die den Carotinoiden nahestehen und ebenfalls Terpene sind. In dem unverseifbaren Teil des Leberfettes und in den Fischölen findet sich der Kohlenwasserstoff Squalen C30H50: C H , . C = C H - C H , • CH™ • C = C H • CH« • CHQ • C = C H • C H « —

I

I

CH3

I

CH3

CHs

symmetrisch zu verdoppeln!

Endlich muß noch der pflanzliche Alkohol, das P h y t o l , hier genannt werden. Es ist mit dem Chlorophyll verestert und kommt demnach in allen grünen Pflanzenbestandteilen vor (vgl. auch Vitamin E, S. 677). CH3—CH—(CH2)3—CH—(CH2)3—CH—(CH2)3—C = CH—CH2. OH CH3

CHJ

(JHJ

CILG

Viertes Kapitel

Die Proteine und ihre Bausteine Die Eiweißkörper oder Proteine, die sich im Gegensatz zu den Fetten und Kohlehydraten durch ihren Stickstoffgehalt auszeichnen, sind höchst kompliziert zusammengesetzte Verbindungen. Eines der wichtigsten Ergebnisse der Erforschung des Eiweißmoleküls war die Erkenntnis, daß dieses aus Aminosäuren aufgebaut ist; es gelingt, durch hydrolytische Spaltung der Proteine eine große Zahl von Aminosäuren als einzige Spaltungsprodukte zu isolieren. Entsprechend dieser Bedeutung als Bausteine des Eiweißmoleküls soll zunächst eine Beschreibung der Aminosäuren vorausgeschickt werden. 1. Aminosäuren Aminosäuren sind Säuren, in deren Molekül mindestens ein an Kohlenstoff gebundenes Wasserstoffatom durch die Aminogruppe —NH 2 ersetzt ist. Die in der Natur als Eiweißbausteine vorkommenden Aminosäuren sind a-Aminosäuren, besitzen also die allgemeine Strukturformel: COOH H—¿—NH2

I

R

Da, wie erwähnt, die Aminosäuren die Bausteine der großen Eiweißmoleküle bilden, ist ihr chemisches Verhalten für die Betrachtung der physiologischen Umsetzungen der Proteine von größter Bedeutung. Bis jetzt sind ungefähr zwanzig verschiedene Aminosäuren aus den Eiweißkörpern isoliert worden. Man kann sie nach dem folgenden Prinzip einteilen: Jede Aminosäure besitzt mindestens eine saure und mindestens eine basische Gruppe. Dementsprechend ist die einfachste Gruppe die, bei der eine Carboxylgruppe und eine Aminogruppe im Molekül enthalten sind.

Allgemeine Charakteristik der Aminosäuren

65

I. Es sind dies die Monoaminomonocarbonsäuren. Die zu dieser Gruppe gehörigen Aminosäuren heißen Glycocoll, Alanin, Valin, Leucin, Isoleucin, Phenylalanin, Tyrosin, Serin, Threonin, Cystin, Cystein und Methionin. II. Die Monoaminodicarbonsäuren, die zwei Carboxylgruppen und eine Aminogruppe enthalten. Es sind dies die Asparaginsäure und die Glutaminsäure. III. Die Diaminomonocarbonsäuren mit zwei Amino- und einer Carboxylgruppe. Dazu gehören Ornithin, Lysin, Oxylysin und Arginin. Das Arginin trägt als zweite basische Gruppe den Guanidylrest — N H - C ( : N H ) - N H 2 . IV. Heterocyklische Aminosäuren: Sie enthalten alle einen heterocyklischen Ring. Es gehören dazu Histidin, Tryptophan, Prolin und Oxyprolin. E s sind noch einige andere Aminosäuren bekannt, die aber nicht als Bausteine der Proteine vorkommen («-Aminobuttersäure, Norleucin, /?-Oxyglutaminsäure). Mit Ausnahme von Prohn und Oxyprolin kennzeichnen sich alle genannten Säuren dadurch, daß sie am a-C-Atom eine primäre Aminogruppe tragen. Mit Ausnahme des Glycocolls sind alle aus dem Eiweiß isolierten Aminosäuren optisch aktiv, d. h. sie enthalten in ihrem Molekül mindestens ein asymmetrisches Kohlenstoffatom; davon wird weiter unten die Rede sein. A. Allgemeine Charakteristik der Aminosäuren Diese Verbindungen sind farblose kristallisierte Substanzen, die sich bis auf wenige in Wasser lösen und von denen die einfacher gebauten süßen Geschmack haben. Bei der Betrachtung der einfachsten Aminosäure, des Glycocolls, das eine substituierte Essigsäure ist, fällt der eigentümliche Doppelcharakter dieser Verbindung auf. CH2.NH2 I COOH Aminoessigsäure

Das Molekül enthält einmal die saure Carboxylgruppe und außerdem die basische Aminogruppe und dementsprechend kann eine derartige Verbindung entweder als Säure oder als Base reagieren. Man bezeichnet solche Substanzen als amphotere Stoffe. Man hat über dieses Verhalten der Aminosäuren verschiedene Anschauungen entwickelt und schon früher angenommen, daß zwischen Amino- und Carboxylgruppe eine innere Absättigung stattgefunden hat und die Aminosäuren den Charakter von intramolekularen Salzen besitzen. Tatsächlich liegen die Aminosäuren in wäßriger Lösung als sog. Zwitterionen vor:

coo-

I ch 2 —nh 3 +

I n der nicht ionisierten Form (gebräuchliche Schreibweise) existiert in wäßriger Lösung nur ein verschwindend kleiner Bruchteil der Aminosäure. Sogar im Kristall 5

L e u t h a r d t , Lehrbuch. 12.Aufl.

66

Die Proteine und ihre Bausteine

liegen die «-Aminosäuren als Zwitterionen vor. Das letztere stellt also die stabile Form dieser Moleküle dar. Der amphotere Charakter der Aminosäuren ist physiologisch von großer Bedeutung und es wird bei der Erörterung der Reaktion der Körperflüssigkeiten noch darüber zu sprechen sein. Die Doppelnatur der Aminosäuren wird besonders deutlich, wenn eine der beiden antagonistischen Gruppen derart verändert wird, daß sie ihren sauren oder basischen Charakter verliert. So gelingt es z. B., die Wirkung der Carboxylgruppe durch Veresterung auszuschalten. Die erhaltenen Aminosäureester

Abb. 2. T i t r a t i o n s k u r v e n v o n A m i n o s ä u r e n , und zwar Monoaminomonocarbonsäure (Glycocoll), Monoaminodicarbonsäure (Glutaminsäure) und Monocarbonsäure mit zwei basischen Gruppen (Arginin). Abszisse: pH-Werte; Ordinate: Säure- oder Basen-Äquivalente pro Molekül Aminosäure. Der Kreis O bezeichnet den Ausgangspunkt der Titration, das Kreuz + die Halbneutralisation der einzelnen Dissoziationsstufen; der zugehörige pH-Wert ist gleich der logarithmischen Dissoziationskonstanten. An die verschiedenen Abschnitte der Kurven sind die zugehörigen Ionenformen angeschrieben (Erklärung vgl. S. 138).

sind dann stark basische Verbindungen, da nur mehr die Aminogruppe die Reaktion bestimmt: CH 2 .NH 2

CH 2 .NH 2

¿OOH Glycocoll

COO-C2H6 Glycocolläthylester (stark basisch)

Ganz anders werden sich natürlich diejenigen Aminosäuren verhalten, bei denen mehrere saure oder basische Gruppen im Molekül vorkommen. So besitzen z. B. die Glutaminsäure und die Asparaginsäure ausgesprochen saure Natur, da auf eine Aminogruppe zwei Carboxylgruppen entfallen, und umgekehrt ist das Lysin, das auf zwei Aminogruppen nur eine Carboxylgruppe enthält, eine Aminosäure mit ausgesprochen basischen Eigenschaften.

Derivate der Aminosäuren

67

In saurer Lösung liegen die Aminosäuren als Kationen, in alkalischer als Anionen vor. Bei einem bestimmten mittleren pH-Wert oder innerhalb einer bestimmten pH-Zone existieren sie in der neutralen Form, d. h. als Zwitterion: COOH

COO-

CH2—NH3+
• ch 2 —NH 2 alkalische Lösung Anion

In Abb. 2 sind die Titrationskurven einer neutralen, einer sauren und einer basischen Aminosäure dargestellt. B. Derivate der Aminosäuren

Suspendiert man eine Aminosäure in absolutem Alkohol und leitet dann gasförmige Salzsäure ein, so bildet sich ein Ester der Aminosäure: ch2.nh2 ch2.nh2 | + HO.C2H5 = | + H20 COOH COO.C2H5 Da, wie erwähnt, diese Ester starke Basen sind, vereinigen sie sich mit der Salzsäure zu Chlorhydraten, die kristallisierende Verbindungen darstellen. Diese Ester der Aminosäuren sind für die Entwicklung der Eiweißchemie von größter Bedeutung gewesen. Werden sie nämlich durch Alkali aus ihren Chlorhydraten in Freiheit gesetzt, so lassen sie sich unter vermindertem Druck destillieren. Liegt nun ein Gemisch von solchen Aminosäureestern vor, wie es z. B. bei der Spaltung der Eiweißkörper erhalten werden kann, so gelingt es durch fraktionierte Destillation, die einzelnen Aminosäuren in Form ihrer Ester weitgehend zu trennen. E m i l F i s c h e r hat mittels dieser Methode aus dem bei der Eiweißhydrolyse entstehenden Gemisch eine Reihe von Aminosäuren abtrennen können. Außer diesen Estern können noch die verschiedenartigsten Verbindungen der Aminosäuren erhalten werden, indem besonders die Aminogruppe zu Substitutionen herangezogen wird. So gelingt es, durch Einwirkung von Säurechloriden, wie z. B. Benzoylchlorid, Benzoylderivate zu erhalten: _ ri I CH—NH • (CO • CcH6) I COOH Die Bedeutung aller dieser Verbindungen liegt darin, daß durch die Beschwerung des Moleküls mit dem Benzol- oder Naphthalinring die Substanzen schwer löslich werden, so daß man diese Reaktion dann anwendet, wenn es sich darum handelt, eine leicht lösliche Aminosäure aus ihrer Lösung zu isolieren. Als solche Derivate seien besonders die Verbindungen mit Naphthalinsulfochlorid genannt. Schüttelt man eine Aminosäure in alkalischer Lösung mit einer Lösung des genannten Chlorides in Äther, so bildet sich das schwer lösliche Naphthalinsulfon: 11 CHa-N^ CH .NHSO2.CI0H77 | 2 \ H + C1Q,S.C10H, ^ | 2 +HCj COOH COOH Es sind seither viele neue und wirksame Methoden gefunden worden, welche die Abtrennung und Reindarstellung der einzelnen Eiweißbausteine gestatten.

5

68

Die Proteine und ihre Bausteine

Kocht man wäßrige Aminosäurelösungen mit Harnstoff oder erwärmt sie mit K-Cyanat, so kommt es zur Bildung von Uraminosäuren: H

CH2 • N< :h | V2n co-nh 2 X H = COONH COOH +

+ nh 3

Diese Uraminosäuren sind meistens schwerer löslich als die entsprechenden Aminosäuren. Mit vielen Schwermetallen bilden die Aminosäuren komplexe Salze. Es seien von diesen besonders die Kupfersalze hervorgehoben, die sieh beim Kochen der Säuren mit Kupferoxyd oder -carbonat bilden können. Sie sind intensiv blau gefärbt und können zum Nachweis der Aminosäuren dienen. Andererseits bilden besonders die basischen Aminosäuren mit verschiedenen Nitroverbindungen, wie Pikrinsäure, Pikrolonsäure u. a., schwer lösliche Salze. Wir erwähnen als besonderes Beispiel die Fällung des Arginins mit der sog. „Flaviansäure" (l-Naphthol-2,4-Dinitro-7-sulfosäure), weil sie für die Isolierung des Arginins von Bedeutung ist: OH

Kohlensäure reagiert mit den Aminosäuren unter Bildung von sog. Carbaminosäuren (Siegfried). Die Aminogruppe der Aminosäuren addiert dabei das Kohlendioxyd in folgender Weise: R R I 4 1 I /H CH—NH2 + C02 = CH—N< | \COOH | COOH COOH Leitet man z. B. in eine Lösung, die äquimolare Mengen von Aminosäure und Bariumhydroxyd enthält, Kohlensäure ein, so bildet sich kein Niederschlag von Bariumcarbonat, sondern die klare Flüssigkeit enthält das Bariumsalz der Carbaminoverbindung, die sich erst beim Erhitzen der Lösung unter Bildung von Bariumcarbonat trübt: JJ R

iCH—NCH

2

. CH(NH 2 ). COOH

J

Serin. Diese Aminosäure ist ein am /S-Kohlenstoffatom substituiertes Alanin:

CH-NH2

I

COOH

Es ist also eine a-Amino-/S-oxypropionsäure und wurde zuerst aus dem Seidenleim isoliert. Eine ganz ähnliche Konstitution besitzt die a-Amino-ß-oxybuttersäure: CH.

I

HO—C—H

I

CH«

I

HO—C—H

I

H—C—NH2

H—C—OH

JOOH Threonin

CHO D(—)-Threose

Ac

Wegen der Verwandtschaft mit der Tetrose D(—)-Threose wurde sie von dem Entdecker (Rose) mit dem Namen Threonin bezeichnet. Die Existenz des Threonins als Eiweißbaustein wurde durch biologische Versuche (Ernährung von Ratten mit künstlichen Gemischen von Aminosäuren) entdeckt.

Die Proteine und ihre Bausteine

72

Cystein ist die dem Serin entsprechende Schwefelverbindung. Es kann sich durch Oxydation leicht zum Cystin umwandeln. Der Schwefelgehalt der Eiweißkörper beruht auf der Anwesenheit dieses Bausteines. Das Cystin ist also eigentlich eine Diaminodicarbonsäure. CH2SH

CH2—S—S—CH2

I

CH-NH,

I

I

I COOH Cystin

1 COOH

H—C—NH. H—G—NH,

I COOH Cystein

Cystin ist sehr schwer löslich. Es kristallisiert in schönen hexagonalen Tafeln. In seltenen Fällen wird es im Urin infolge einer spezifischen Stoffwechselstörung in vermehrter Menge ausgeschieden und kann dann zur Steinbildung Anlaß geben. Die schwefelhaltigen Aminosäuren geben beim Kochen mit Alkalien Schwefelwasserstoff ab, der bei Gegenwart einer kleinen Menge eines Bleisalzes als schwarzes Sulfid gefällt wird (Schwefelbleiprobe).

Cystin wurde 1810 von W o l l a s t o n aus einem Blasenstein isoliert (Name!). Es gibt Eiweißkörper wie die noch zu nennenden Keratine (Hornsubstanzen), die sich durch besonders hohen Prozentgehalt an Cystin auszeichnen. So wie das vorhin genannte Threonin leitet sich das Methionin von der a-Aminobuttersäure ab, denn es ist eine a-Amino-y-methylthiobuttersäure: CH2—SCHs

ch2 H—C—NHa COOH

Endlich wurde aus der Djenkolbohne ein dem Cystin ähnlicher Stoff, die Djenkolinsäure, isoliert: CH,—S-CH2—S—CHa I2 CH-NH,

CH-NH,

I

I

COOH

COOH

b) M o n o a m i n o d i c a r b o n s ä u r e n Die zwei Säuren dieser Gruppe haben entsprechend dem Vorkommen von zwei Carboxylgruppen einen vorwiegend sauren Charakter: die Asparaginsäure ist eine Aminobernsteinsäure, die Glutaminsäure eine oc-Aminoglutarsäure. COOH

COOH

I CH2

I CHg

COOH

CH-NH-

Asparaginsäure

COOH Glutaminsäure

I

Diese beiden Aminosäuren sind wichtige Eiweißbausteine. Sowohl Asparaginsäure als die homologe Glutaminsäure bilden Monoamide, die Asparagin und Glutamin heißen und im Pflanzenreich weit verbreitet sind. Asparagin ist z. B. reichlich in Pflanzenkeimlingen und jungen Pflanzen vorhanden, so in den Spargeln (daher der Name). Glutamin findet sich im Saft der Rübe.

Die einzelnen Aminosäuren

CO-NH2

CO-NH2

CH2

CH2

CH-NHJ

CH2

COOH

CH.NH2

j

j

73

j

j

j

COOH Asparagin

Glutamin

Möglicherweise kommt diesen beiden Verbindungen in den Pflanzen die Funktion zu, den aus abgebautem Eiweiß stammenden Stickstoff für die Pflanze wieder abzufangen. Es ist auch bemerkenswert, daß manche pflanzliche Eiweißkörper bis zu 40% Glutamin enthalten. Glutaminsäure geht beim Erhitzen leicht in ein Anhydrid, die a - P y r r o l i d o n c a r b o n s ä u r e , über: H2C

0=C \

CH2

GH—COOH N

/

H

Die 0xyglutaminsäure (a-Amino-/?-oxyglutarsäure) wurde lange Zeit als Eiweißbaustein angesehen. Nach neueren Untersuchungen scheint sie aber in den Proteinen gar nicht vorzukommen. c) D i a m i n o m o n o c a r b o n s ä u r e n Es sind drei physiologisch wichtige Verbindungen dieser Gruppe bekannt. Sie heißen Ornithin, Lysin und Arginin. Ersteres ist eine a , C—NH-CH,-CH,-CH,-CH H1NT | Bindungskräfte vom Typus der oben genannten sind immer an bestimmten Stellen der Peptidkette lokalisiert. E s gibt aber noch andere Bindungskräfte, die längs der ganzen Kette wirksam sein können. Sie sind zwar bedeutend schwächer als kovalente oder elektrovalente Bindungen; da sie aber an sehr zahlreichen Stellen angreifen, haben sie trotzdem große Bedeutung. Der wichtigste Typus dieser schwachen Bindungen ist die sog. „Wasserstoffbindung" (englisch. ,,hydrogen-bond"). Sie kommt zustande, wenn sich zwei elektronegative Atome (z. B. Sauerstoff und Stickstoff), deren eines Wasserstoff gebunden hält, auf genügend kleine Distanz nähern. Aus Gründen, die hier nicht erörtert werden können, t r i t t zwischen den beiden Atomen eine schwache Anziehungskraft auf. Das Wasserstoffatom bildet eine Art Brücke zwischen ihnen; z. B.: ra 0 = C / \ Wir haben als Beispiel gerade die NH-Gruppe und den Carbonylsauerstoff gewählt, weil bei der Anziehung von Polypeptidketten gerade diese beiden Gruppen eine Hauptrolle zu spielen scheinen. Zwei vollständig gestreckte Peptidketten können nämlich in folgender Weise durch Wasserstoffbindungen zusammengehalten werden (die Zickzacklinie der Valenzstriche trägt in schematischer Weise der Tetraederstruktur des C-Atoms Rechnung, die natürlich bei der Aufstellung derartiger Modelle berücksichtigt werden muß): NNH RHC< >CO HN< >CHR OC< j>NH

OCCHR HN< >CO RHC< >NH OC11,3 . . . . J

5,4

3,6

5,1

8,1

5,7

3,9

3,3

1,9

115,8

115,7

109,8

108,3

110,0

106,9

108,5

328

402

580

146

Casein Alanin

Serin *Methionin

. . . .

Cystein Cystin •Phenylalanin . . . Tyrosin Tryptophan

Prolin Oxyprolin

. . .

Total Anzahl Aminosäure reste pro Molekül

)

Collagen

5,6

. . . .

Myosin

4,2

Glycocoll

o ì? o C3 tJ CH N—C—N
I -C—C—CH.OH —C—CH H H H H H H H Inosin Adenosin Behandelt man Adenosin mit Natriumnitrit in essigsaurer Lösung, so tritt Desaminierung ein und es entsteht das Hypoxanthin-d-ribosid, das von H a i s e r und W e n z e l schon früher unter dem Namen I n o s i n entdeckt worden war. Das entsprechende Adeninnucleotid, die I n o s i n s ä u r e , ist schon von L i e b i g aus Fleischextrakt isoliert worden. Inosinsäure kann auch enzymatisch aus der im Muskel vorhandenen Adenosin-5'-phosphorsäure entstehen (vgl. S. 427). Als Pyrimidinnucleoside seien erwähnt Cytidin = Cytosin-d-ribosid und Uridin = Uracil-d-ribosid. Dem letzteren kommt die folgende Strukturformel zu: - O -

OH

121

Die Bindung der Bausteine in den Nucleinsäuren HO-C=N HC

C:0

OH HC—N—C—CH H

OH -C—C- -CH,OH H H

Beide w u r d e n v o n L e v e n e d u r c h ammoniakalische H y d r o l y s e a u s pflanzlichen Nucleinsäuren gewonnen. Sie sind gegen hydrolytische Angriffe beständiger als die Purinnucleoside. Die chromatographische Analyse der Nucleotide, welche durch alkalische Hydrolyse der Nucleinsäuren entstehen, hat ergeben, daß von jedem Nucleotid zwei isomere Formen existieren, die man durch „a" und „b" unterscheidet, z. B. Adenylsäure a, Adenylsäure b (Cohen und Carter). Sie unterscheiden sich durch die Stellung des Phosphats, das bei der „a"-Form sehr wahrscheinlich mit C2,, in der anderen mit C3, der Ribose verestert ist, z. B.: H Adenin—C—

H Adenin—C2' 3'

HCOH I o HC—0I HC

HC—0und

-PO 3 H 2

HCOH I HC

Adenylsäure b

Adenylsäure a

Literatur vgl. Ann. Rev. Biochem, 23 108 (1954) Die Nucleotide spielen n i c h t n u r als B a u s t e i n e d e r p o l y m e r e n Nucleinsäuren eine Rolle. W i r k e n n e n a u c h verschiedene nucleotidartig g e b a u t e niedrigmolekulare Stoffe, die als W i r k u n g s g r u p p e n v o n F e r m e n t e n v o r k o m m e n . Zu d e n wichtigsten g e h ö r t die schon e r w ä h n t e M u s k e l a d e n y l s ä u r e , ein Adeninmononucleotid. Sie k a n n d u r c h Addition v o n 2 Molekülen P h o s p h o r s ä u r e in die sog. Adenylpyrophosphorsäure oder Adenosintriphosphorsäure (gewöhnlich m i t A T P abgekürzt)übergehen, v o n der bei der Besprechung des Intermediärstoffwechsels ausführlich die R e d e sein wird. N=C—NH, HC C—N. I II >CH N—C—N
natürlich ist N0 + N = 1. Das Raoultsche Gesetz

besagt nun, daß der Dampfdruck des Lösungsmittels in dem Maße abnimmt, als die

A T-

ßefrierpunktidepfession

Abb. 12. Zusammenhang von Dampfdruck- und Gefrierpunktserniedrigung. Abszisse: Temperatur; Ordinate: Dampfdruck; A P = Dampfdruckerniedrigung. Im Gefrierpunkt ist der Dampfdruck des Lösungsmittels bzw. der Lösung gleich dem Dampfdruck der festen Phase (Schnittpunkt der Dampfdruckkurven des flüssigen und des festen Lösungsmittels. T0 = Gefrierpunkt des Lösungsmittels, T = Gefrierpunkt der Lösung.

Moleküle des Lösungsmittels durch die Moleküle des gelösten Stoffes ersetzt werden. Ist p0 der Dampfdruck des reinen Lösungsmittels, p der Dampfdruck des Lösungsmittels über der Lösung, so gilt: P/Po =

No

oder

Po — P = Po (1 — N„) = p 0 N .

Es ist also die relative Erniedrigung des Dampfdruckes (p0 — p)/p0 gleich dem Molenbruch des gelösten Stoffes. Die Erniedrigung des Dampfdruckes durch den gelösten Stoff hat die wichtige Folge, daß der Siedepunkt der Lösung steigt und ihr Gefrierpunkt erniedrigt wird. Der Siedepunkt einer Lösung wird erreicht, wenn ihre Dampfspannung gleich dem äußeren Druck (Barometerstand) wird. Da nun die Dampfspannung bei allen Temperaturen durch die Gegenwart des gelösten Stoffes erniedrigt ist, so kann das Sieden der Lösung erst bei einer höheren Temperatur eintreten, als dies beim reinen Lösungsmittel der Fall ist. Die Siedepunktserhöhung ist eine leicht meßbare Größe; sie kann daher praktisch angewandt werden, um die Gesamtzahl der gelösten Teilchen in einer Lösung zu berechnen.

128

Einige physikalisch-chemische Grundgesetze

C. Geirierpunktsdepression Eine weitere Folge der Dampfdruckerniedrigung ist die Erniedrigung (Depression) des Gefrierpunktes, d. h. der Temperatur, bei der sich aus der Lösung festes Lösungsmittel (aus wässerigen Lösungen Eis) abzuscheiden beginnt. Das Zustandekommen der Gefrierpunktsdepression läßt sich an Hand der Kurven erkennen, welche die Abhängigkeit der Dampfspannung des flüssigen Lösungsmittels (Wasser), der Lösung und des festen Lösungsmittels (Eis) von der Temperatur darstellen (vgl. Abb. 12). Die sog. molekulare Gefrierpunktsdepression ist die Erniedrigung des Gefrierpunktes bei einem Gehalt der Lösung von 1 g-Molekül pro Liter. I n einer solchen Lösung ist die Zahl der Moleküle pro Liter gleich der A v o g a d r o s c h e n Zahl: 6,06 X 10 23 (natürlich unter der Voraussetzung, daß die Größe der gelösten Teilchen dem einfachen Molekulargewicht der Substanz entspricht). Praktisch kann diese Größe nicht durch die direkte Messung der Gefrierpunktsdepression einer molaren Lösung der Substanz bestimmt werden, da eine solche Lösung in den meisten Fällen viel zu konzentriert wäre und große Abweichungen vom Verhalten der idealen Lösungen zeigen würde. Sie wird durch Extrapolation aus Messungen an verdünnten Lösungen gewonnen. Die molekulare Gefrierpunktsdepression ist bei idealen Lösungen nur vom Lösungsmittel, nicht aber von der Natur des gelösten Stoffes abhängig. I h r Wert f ü r Wasser beträgt 1,86°. Wenn man die Gefrierpunktsdepression einer Lösung kennt, so kann man daraus die Gesamtzahl der gelösten Teilchen berechnen. Ist A die gemessene Depression, so ist die Gesamtkonzentration der gelösten Moleküle m = A/1,86. B e i s p i e l . Messungen von A für das Blutserum verschiedener Säugetiere haben den Wert von etwa 0,56° ergeben. Die Gesamtkonzentration aller im Blutserum vorhandener Moleküle beträgt daher 0,56 : 1,86 = 0,3 Mol/1.

D. Löslichkeit und Partialdruck leichtflüchtiger Substanzen (Gase) E n t h ä l t eine Lösung einen leichtflüchtigen Stoff, z. B. ein Gas, so ist im Gleichgewichtszustand die Konzentration des gelösten Stoffes proportional seinem Partialdruck über der Lösung ( H e n r y s c h e s Gesetz). Ist p der Partialdruck des Gases, C seine Konzentration in der Lösung, so gilt also p = k • C; k ist f ü r ein gegebenes Lösungsmittel eine Konstante, die nur von der Temperatur abhängt. Die Löslichkeit der Gase nimmt mit steigender Temperatur ab. Es ist gebräuchlich, die Konzentration der gelösten Gase in Volumenprozent (Vol.%) anzugeben (ccm Gas, die in 100 ccm Lösung enthalten sind, gemessen im Normalzustand, d. h. bei 0° und 760 mm Hg). Als B u n s e n s e h e n Absorptionskoeffizienten « bezeichnen wir die Gasmenge, ausgedrückt in ccm (Normalzustand), die beim Partialdruck von 1 Atm. in 1 ccm Flüssigkeit gelöst ist. Bei einem behebigen Partialdruck p (in Atm.) beträgt daher nach dem Gesetz von H e n r y die gelöste Gasmenge pro ccm c = tx • p. B e i s p i e l . Der B u n s e n s c h e Absorptionskoeffizient für Sauerstoff, gelöst im Blutplasma bei 38°, ist • Cl~ + (NH 3 )H+ Dissoziation: HCl + H 2 0 • Cl~ + (H 2 0)H+ Für Basen gelten analoge Überlegungen. Diese wenigen Bemerkungen über die B r ö n s t e d s c h e Theorie müssen hier genügen. Sie gestattet eine einheitliche und übersichtliche Darstellung der Dissoziation von Säuren und Basen. Ihr Wert zeigt sich besonders bei der Behandlung von Elektrolyten, die gleichzeitig viele saure und basische Gruppen verschiedener Stärke besitzen wie die Proteine. 1. Die Dissoziation sehwacher Säuren und Basen Es wird als bekannt vorausgesetzt, daß die „Reaktion" einer Lösung in exakter Weise durch die Konzentration der Wasserstoffionen (H+) 1 ) definiert wird und daß man die Wasserstoffionenkonzentration nach dem Vorschlag von S. P. L. S ö r e n s e n durch ihren negativen dekadischen Logarithmus, den sog. pH-Wert, ausdrückt: P H = —log (H+). Bei der Verfolgung chemischer Vorgänge in den Säften und Geweben des Organismus stellt sich Schritt für Schritt das Problem, den Dissoziationsgrad einer 1 ) Die Konzentration (genauer die „Aktivität") eines Stoffes wird in der angegebenen Weise durch Einklammern seines chemischen Symbols ausgedrückt.

Säuren und Basen

140

schwachen Säure oder Base bei einem bestimmten pH-Wert zu berechnen. Als Dissoziationsgrad bezeichnen wir das Verhältnis des ionisierten Anteils zur Gesamtkonzentration. Qualitativ läßt sich leicht einsehen, daß mit abnehmender Wasserstoffionenkonzentration (zunehmendem pH) die Dissoziation der schwachen Säuren zunimmt, die Dissoziation der schwachen Basen abnimmt. Um den Zusammenhang zwischen pH-Wert und Dissoziationsgrad exakt festzustellen, wenden wir das Massenwirkungsgesetz an. Wir betrachten die Ionisierung einer Base im Sinne der B r ö n s t e d s e h e n Theorie als Anlagerung eines Wasserstoffions und untersuchen demnach das Gleichgewicht der folgenden Reaktionen (AH Säure, A~ Säureanion, B Base, B H + Basenkation): AH ^

Säure A - + H+

Base B + H+ .

BH+

Diese ergeben die Gleichgewichtsbedingungen: (A-) (H+) _ (AH)"

(B) (H+)

_

(BH+)

~

k b

-

k a und k b sind die Gleichgewichtskonstanten. Sie sind im Sinne der B r ö n s t e d s c h e n Theorie beide als Dissoziationskonstanten von Säuren aufzufassen. k a ist um so größer, je stärker die Säure AH, k b umso kleiner, je stärker die Base B ist. Gewöhnlich drückt man die Werte von k a und k b analog dem pH-Wert durch ihre negativen Logarithmen aus, die man ebenfalls durch p k a , pk b bezeichnet: pk a = — log k a

pkb = — log kb .

Aus den oben angeschriebenen Gleichgewichtsbedingungen folgt das bekannte Gesetz, daß in der Lösung einer schwachen Säure oder Base die H + -Konzentration durch das Verhältnis des nicht dissoziierten zum dissoziierten Anteil bestimmt wird (Verhältnis der freien Säure oder Base zum Salz): pH = pka + log

A~

B pH = pkb + log B H + .

Dies ist die sog. H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h s c h e Gleichung. Setzt man A~ = AH und B = B H + , so folgt p H = pk a resp. p H = pk b . Die H + - Konzentration einer Lösung, die gleiche Mengen der nicht dissoziierten und der dissoziierten Form einer Säure enthält, in der die Säure also zur Hälfte neutralisiert ist, ist gleich der Dissoziationskonstanten. Auf Grund dieser Tatsache kann man die Dissoziationskonstanten leicht bestimmen. Die Gleichung von H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h enthält die ganze Theorie der Pufferlösungen und der Indikatoren. Wir haben den Dissoziationsgrad « als Verhältnis des ionisierten Anteils zur Gesamtkonzentration der Säure oder Base definiert. Der Dissoziationsgrad der Säuren nimmt mit abnehmender H + -Konzentration (wachsendem pH) zu, der Dissoziationsgrad der Basen nimmt ab. Um die Symmetrie der Darstellung für Säuren und Basen zu wahren, benützen wir bei den Basen den sog. Dissoziationsrest Q = 1 — OT, d. i. das Verhältnis des n i c h t ionisierten Anteils der Base zu ihrer Gesamtkonzentration. Der Dissoziationsrest der Basen nimmt wie der Dissoziationsgrad der Säuren mit wachsenden pH-Werten zu. Eine einfache Rechnung gibt die folgenden Ausdrücke : l(T pk a Säuro: Dissoziationsgrad < k 10"P a + 10- PH Base:

Dissoziationsrest

1— =

Q =

10~Pkb 10

_pk

b + 10-P H '

141

Die Dissoziation schwacher Säuren und Basen

Die Bedeutung dieser Formeln ergibt sich am einfachsten aus ihrer graphischen Darstellung. Wenn man den Dissoziationsgrad oder den Dissoziationsrest gegen den pH-Wert aufträgt, so erhält man eine leicht S-förmig gekrümmte Kurve, die

^ Glykokoll f CO OH-Gruppe)

^Milchsäure

\\

V \ ^ \

ß- Oxybuttersäura

^ NsNX

Abb. 15. D i s s o z i a t i o n s g r a d und D i s s o z i a t i o n s r e s t i n A b h ä n g i g k e i t v o m pH bei s c h w a c h e n S ä u r e n u n d B a s e n (siehe Text)

^

\

V \

Hlstidin (Imidazolgruppe) Kohlensäure

V prim. Phosphat sog. Dissoziations- oder Titrationskurve \\ (Abb. 15), die bei Halbneutralisation \ \ (7 W/

?

osphorsäur

tV

W

/

*

0

2

•*•

6

8

10

12

pH

Abb. 17. T i t r a t i o n s k u r v e v o n d r e i b a s i s c h e n S ä u r e n mit weit auseinanderliegender (Phosphorsäure) und nahe beisammenliegender Dissoziationskonstanten (Citronensäure)

0

J

Z

3

8 keinen pH-Bereich, innerhalb dessen nur eine einzige Dissoziationsstufe vorhanden ist. Die Säure kann bei keinem pH-Wert nur in Form des primären oder sekundären Anions vorliegen.

Säuren und Basen

144

das Anion des primären Citrats weiter in sekundäres Citrat und H + zu dissoziieren, bevor die undissoziierte Citronensäure vollständig in primäres Anion und H + zerfallen ist. Bei einem bestimmten pH-Wert können also nebeneinander nicht nur zwei, sondern mehrere Dissoziationsstufen vorhanden sein. Die mittleren Stufen (im vorliegenden Beispiel primäres und sekundäres Anion) erreichen nie die totale Konzentration der Säure. I n den Abb. 18 und 19 ist das Entstehen und Verschwinden der einzelnen Dissoziationsstufen für die Phosphorsäure und die Citronensäure dargestellt. Die gleichen Überlegungen gelten natürlich auch für mehrsäurige Basen und

Abb. 19. D i s s o z i a t i o n s s t u f e n der Phosphorsäure. Die Kurven zeigen das Entstehen und Versehwinden der einzelnen Dissoziationsstufen. Weil die Werte der Dissoziationskonstanten sehr verschieden sind, gibt es pH-Bereiche, in welchen die Säure vollständig als primäres oder als sekundäres Anion vorliegt. Die beiden Stufen lassen sich daher getrennt titrieren.

für Elektrolyte, die wie Eiweißkörper nebeneinander viele saure und basische Gruppen enthalten. Prinzipiell läßt sich das Verhalten der Proteine am besten am Modell der einfachen Aminosäuren übersehen. Wie man sich leicht klar macht, sind in genügend saurer Lösung die Carboxylgruppen und natürlich erst recht die schwächer sauren Sulfhydryl- und Phenolgruppen nicht ionisiert, während die basischen Gruppen in Ionenform als Ammonium-, Imidazolium- (Histidin) oder Guanidiniumionen (Arginin) vorliegen. -NH3+ Ammonium ion

I

e l

cu

HN X

NH

+H3N. /

l

+HN

>C = NH oder

HN\

H,N//

= NH+

H Imidazoüumion

Guanidiniumion

Umgekehrt sind in genügend alkalischer Lösung alle sauren Gruppen ionisiert, währenddem die basischen im nicht ionisierten Zustand vorliegen. In saurer Lösung sind daher die Aminosäuren als Kationen, in alkalischer als Anionen vorhanden. Aus den Werten der sauren und basischen Dissoziationskonstanten folgt, daß bei mittleren pH-Werten sowohl die sauren als die basischen Gruppen in Ionenform vor-

Pufferlösungen

145

liegen. Die Aminosäuren bilden, wie wir früher bereits erwähnt haben, im neutralen Zustand „Zwitterionen" (vgl. S. 67): R I CH

//

+H3N ^COCT

In Abb. 2, S. 66, sind die Titrationskurven einer Monoaminomonocarbonsäure (Glycocoll), einer sauren (Glutaminsäure) und einer basischen Aminosäure (Arginin) dargestellt. Man kann aus diesen Kurven ablesen, wie sich die Ionisation der verschiedenen Gruppen mit dem p H ändert. 2. Pufferlösungen Bei allen möglichen biochemischen Untersuchungen stellt sich das Problem, Lösungen von bestimmter Wasserstoffkonzentration herzustellen. Es scheint zunächst, daß dies einfach durch geeignete Verdünnungen von starken, vollständig dissoziierten Säuren und Basen geschehen könnte. Für den biologisch wichtigsten mittleren pH-Bereich von etwa p H 5—9 müßten aber derart verdünnte Lösungen verwendet werden, daß der Zutritt kleinster Mengen von Verunreinigungen aus der Luft (C0 2 ) oder aus dem Glas (Alkali) oder gar der Zusatz anderer Stoffe wie Fermente, Proteine, die Wasserstoffionenkonzentration um Zehnerpotenzen verschieben würde. Das p H solcher Lösungen wäre also an sich schlecht definiert und sie können nicht gebraucht werden, um Fermentlösungen usw. von bestimmtem p H herzustellen. Eine Lösung, die ihr p H bei Zusatz kleiner Mengen von sauren oder basischen Verbindungen nur innerhalb enger Grenzen ändern soll, muß Wasserstoffionen binden oder abgeben können. Sie muß also gleichzeitig eine Säure und eine Base enthalten. Dieser Bedingung genügen Lösungen, die nebeneinander entweder eine schwache Säure und ihr Anion (AH und A - ) oder eine schwache Base und ihr Kation (B und BH+) enthalten, die also nach der B r ö n s t e d s c h e n Theorie aus einem zugeordneten Paar Säure und Base bestehen. Solche Lösungen stellt man praktisch durch Vermischen schwacher Säuren mit ihren Alkalisalzen oder schwacher Basen mit ihren mineralsauren Salzen her. Die Konzentration des Anions oder des Kations kann dann der Salzkonzentration gleichgesetzt werden. Wird einem solchen System eine Säure zugefügt, so werden die H + -Ionen nach folgender Gleichung gebunden: A - + H+ oder B + H +

• AH . BH+

Wird umgekehrt eine Base zugefügt, so verschwinden die Hydroxylionen: AH + OHBH+ + OH"

V A- + H 0 V B + H 22 0

Natürlich bleibt dabei die Wasserstoffionenkonzentration nicht streng konstant, denn durch Zusatz von H + - oder OH - -Ionen wird das Verhältnis zwischen der undissoziierten und der dissoziierten Form der Säure oder Base nach den obigen Reaktionsgleichungen verschoben Wie S. 140 abgeleitet wurde, hängt aber das p H von diesem Verhältnis ab und muß somit verändert werden; doch ist die Zu- oder Abnahme der pH-Konzentration sehr klein im Verhältnis zur zugesetzten Menge H + -oder OH - -Ionen. Derartige Lösungen heißen, in Anlehnung an ein mechanisches Bild, nämlich die Stoßdämpfung durch die Puffer eines Eisenbahnwagens, „Pufferlösungen". 10

L e u t h a r d t , Lehrbuch, 12 Aufl.

146

Säuren und Basen

Die Größe der pH-Verschiebung läßt sich mit Hilfe der Dissoziationskurven leicht bestimmen. Die Dissoziationskurve hat ihre größte Neigung im Wendepunkt, d. h. wenn die H + -Konzentration zahlenmäßig der Dissoziationskonstanten gleich ist (pH = pk); über einen pH-Bereich von etwa 0,5 Einheiten links bis 0,5 Einheiten rechts von pk (siehe Abb. 15) verläuft die Kurve fast geradlinig. In diesem Bereich bewirkt ein bestimmter Zusatz von Säure oder Lauge die kleinste pH-Änderung. Die „Pufferwirkung" ist dort also am größten. Daraus geht auch hervor, daß jedes Puffergemisch nur in einem bestimmten pH-Bereich von etwa 2—2,5 pH-Einheiten brauchbar ist. Für größere und kleinere pH-Werte nimmt seine Wirksamkeit rasch ab. Natürlich hängt die pH-Verschiebung auch vom Verhältnis der zugesetzten Menge Säure oder Base zur Gesamtkonzentration des Puffergemisches ab. Die pH-Verschiebung kann sich nur dann innerhalb gewisser Grenzen halten, wenn dieses Verhältnis genügend klein ist. Beispiel. Man stellt eine Pufferlösung her durch Vermischen von 3 ccm n/10 Essigsäure und 7 ccm n/10 Na-Acetat. Wie groß ist die pH-Änderung, wenn 1,5 ccm n/10 HCl zugesetzt werden ? Beim Zusatz der starken Säure wird nach der gebräuchlichen Ausdrucksweise aus dem Acetat eine äquivalente Menge Essigsäure freigesetzt, d. h. die zugesetzten H + -Ionen werden durch die Acetationen gebunden: CH3COO_ + H+ ¡- CH3COOH. Vor dem Säurezusatz ist der Dissoziationsgrad der Essigsäure 7: (7 + 3) = 0,7; nachher ist er auf 5,5:10 = 0,55 zurückgegangen. Das pH der ursprünglichen Lösung ist 5,05, nach dem Zusatz 4,77 (graphisch aus der Dissoziationskurve oder durch Ausrechnung nach der H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h sehen Gleichung S. 140 bestimmt), wobei für pk' der Wert 4,68 eingesetzt wird. Die Verschiebung beträgt also 0,28 pH-Einheiten. Hätte man statt der Salzsäure z. B. 2 ccm n/10 Natronlauge zugesetzt, so würde sich das pH auf 5,64, also um 0,59 Einheiten verschoben haben. In diesem Fall wäre die Pufferlösung nach der alkalischen Seite fast erschöpft. Man kann leicht ausrechnen, daß beim angegebenen Säurezusatz sich die H+-Konzentration von 9 • 10~6 Mol/1 auf 17 • 10~6 Mol/1, also um 8 • 10~6 Mol erhöht hat, während pro Liter Lösung 15 • 10~3 Mol Säure zugefügt wurden. Von 2000 H + -Ionen ist also nur eines nicht gebunden worden!

Es sind eine große Zahl von Pufferlösungen im Gebrauch, die den ganzen Bereich des pH zwischen etwa pH 2 und pH 11 überdecken. Um Lösungen mit möglichst großem Verwendungsbereich zur Verfügung zu haben, verwendet man oft auch Gemische verschiedener Säuren, deren Dissoziationsbereiche sich überschneiden. Im folgenden sind einige der wichtigsten Puffergemische aufgezählt: Essigsäure — Natriumacetat (pH 3,5—6,0), primäres Phosphat — sekundäres Phosphat (pH 5,4 bis 7,8), Glycocoll — HCl (d. h. Glycocoll-Zwitterion und Glycocoll-Kation, pH 1,2 bis 2,3), Glycocoll — NaOH (pH 9—11), Citronensäure — primäres Citrat — sekundäres Citrat (pH 1,5—6), Borsäure — primäres Borat — sekundäres Borat (pH 8—10,5), Phthalsäure — Phthalat (pH 4—6), Veronal — Acetat-Puffer nach M i c h a e l i s (Mischungen von Natrium-Diäthylbarbiturat und Acetat mit Salzsäure, pH 2,6—9). Auch in den Körpersäften und den Zellen sind Puffergemische vorhanden, deren Funktion es ist, die pH-Schwankungen innerhalb gewisser Grenzen zu halten. Besonders der pH-Wert des Blutes ist ausgezeichnet reguliert. Das wichtigste Puffersystem im Organismus wird durch das Paar Bicarbonat-Kohlensäure in Verbindung mit den Proteinen (im Blut vor allem dem Hämoglobin) dargestellt. Dieses System wird S. 497 u. ff. behandelt. 3. Die Messung der Wasserstoffionenkonzentration W a s s e r s t o f f - und H y d r o x y l i o n e n , N e u t r a l p u n k t . Das Wasser dissoziiert in Wasserstoff- und Hydroxylionen. Da die Aktivität des Wassers als konstant angesehen werden kann, besteht nach dem Massenwirkungsgesetz zwischen den Aktivitäten dieser beiden Ionenarten die Beziehung (H) • (OH - ) = konst. Dadurch ist bei gegebener H + -Aktivität in einer wässerigen Lösung die Aktivität der Hydroxylionen ebenfalls bestimmt, und umgekehrt.

Die Messung der Wasserstoffionenkonzentration

147

Bei 25° hat die Konstante in der obigen Gleichung den Wert 1,005-10~14. Die neutrale Reaktion in einer wässerigen Lösung ist durch Gleichheit der Wasserstoffionen- und Hydroxylionenaktivität gekennzeichnet, daher entspricht ihr bei der angegebenen Temperatur sehr nahe der Wert pH 7,00. Der Neutralpunkt ist eine Größe, die nur in bezug auf ein bestimmtes Lösungsmittel definiert werden kann, gewöhnlich für Wasser, aber keine absolute Bedeutung hat. D e f i n i t i o n d e s pH. Die „Reaktion" einer Lösung konnte vor der Entwicklung der Ionenlehre und der physikalischen Chemie nur qualitativ durch den Farbton bestimmter „Indikatoren" wie Lackmus, Kongo u. a. beschrieben werden. Die Lehre von der elektrolytischen Dissoziation der Säuren und Basen zeigte, daß die saure oder alkalische Reaktion einer Lösung durch die freien Wasserstoff- bzw. Hydroxylionen bedingt ist und daß somit die Konzentration dieser beiden Ionenarten das rationelle Maß f ü r die Reaktion einer Lösung abgibt. Der pH-Begriff wurde von S ö r e n s e n eingeführt (1909). Er definierte das pH einer Lösung (den „Wasserstoffexponenten") als negativen Logarithmus der Wasserstoffionenkonzentration: pH = - l o g [ H + ] , Diese ursprüngliche Definition entspricht aber nicht ganz den tatsächlichen Verhältnissen. Die experimentell bestimmbare Größe, die wir durch das Symbol „ p H " bezeichnen, ist nicht dem Logarithmus der Konzentration, sondern dem Logarithmus der Aktivität der H + -Ionen gleichzusetzen; die Aktivität ist aber, wie wir gesehen haben, eine komplizierte Funktion der Ionenkonzentration, die nur in unendlich verdünnter Lösung der H + -Ionenkonzentration gleichgesetzt werden kann. Die Bestimmung des pH beruht im Prinzip auf der Messung der elektromotorischen Kraft einer galvanischen Kette, die aus zwei Wasserstoffelektroden besteht, welche in Lösungen verschiedener Wasserstoffionenkonzentration tauchen. Ist der pH-Wert der einen Lösung bekannt, so läßt sich derjenige der zweiten Lösung aus der elektromotorischen Kraft der Kette eindeutig bestimmen. Die tatsächlich verwendete pH-Skala wird dadurch festgelegt, daß man f ü r eine geeignete Pufferlösung einen bestimmten pH-Wert annimmt. Von diesem ausgehend kann man mit Hilfe von Konzentrationsketten das p H jeder anderen Lösimg eindeutig bestimmen. Der Bezugswert ist unter sorgfältiger Prüfung der zugrunde liegenden experimentellen Daten so gewählt, daß er auf Grund unserer gegenwärtigen theoretischen Kenntnisse dem tatsächlichen Wert der Wasserstoffionenaktivität möglichst nahe kommt. T h e o r i e d e r W a s s e r s t o f f e l e k t r o d e . Eine „Wasserstoffelektrode" ist ein mit Platinschwarz überzogenes Stück Platinmetall, das mit einer Wasserstoffatmosphäre (gewöhnlich von 1 Atmosphäre Partialdruck) in Berührung steht. Taucht eine solche Elektrode in eine wässerige Lösung, so bildet sich zwischen Metall und Flüssigkeit eine wohl definierte Potentialdifferenz aus, deren Größe von der Wasserstoffionenkonzentration der Lösimg und dem Partialdruck des Wasserstoffgases abhängig ist. Verbindet man zwei solche „Wasserstoffhalbelemente", welche Löeungen mit verschiedener Wasserstoffionenkonzentration enthalten, aber unter dem gleichen Wasserstoffdruck stehen, zu einer galvanischen Kette ( „ K o n z e n t r a t i o n s k e t t e " ) , so hängt die elektromotorische Kraft derselben vom Verhältnis der Wasserstoffionenkonzentration in den beiden Lösungen ab. Dabei ist die Elektrode in der höher konzentrierten Lösung positiv gegen die andere. Man denke sich in Abb. 21 die beiden indifferenten Elektroden durch Wasserstoffelektroden ersetzt (die beiden Gefäße werden mit H 2 -Gas durchperlt) und die beiden Elektrodengefäße mit Lösungen von verschiedener H + -Ionenkonzentration gefüllt. Nach den Grundgesetzen der Thermodynamik ergibt sich für die elektromotorische Kraft einer solchen Kette der Wert: E

= 2,3-F • l 0 g (H+jj (R ist die Gaskonstante, T die absolute Temperatur, F das elektrochemische Äquivalent 96500 Coulomb, (H+)! und (H+)2 sind die H + -Ionenaktivitäten in den beiden Elektrodengefäßen). Wir nehmen nun an, daß im einen Elektrodengefäß die Aktivität der Wasserstoffionen (H+)2 = 1 ist. Man nennt eine solche Wasserstoffelektrode die n o r m a l e W a s s e r s t o f f e l e k t r o d e . Wegen log ^

= — log (H+) = pH ergibt sich dann zwischen elektromotorischer Kraft und

p H der einfache Zusammenhang:

Für 25° hat der Zahlenfaktor den Wert 0,059 Volt. Es gilt also bei Messung einer beliebigen Wasserstoffelektrode gegen die normale Wasserstoffelektrode als Bezugselektrode: 10»

Säuren und Basen

148

E = 0,059 - pH Volt oder pH =

u.osy

.

In der Praxis wird aber nie eine normale Wasserstoffelektrode als Bezugselektrode verwendet, weil sie nur schwierig mit genügender Genauigkeit hergestellt werden könnte und einige weitere Nachteile zeigt; sondern man verwendet gewöhnlich die bequemere Kalomelelektrode, deren Potential gegen die Normalwasserstoffelektrode ein für allemal bestimmt ist. Dieselbe besteht aus Quecksilber, das mit einer Schicht Hg 2 Cl 2 , Kalomel, bedeckt ist; das Elektrodengefäß ist entweder mit n/10 Lösung von KCl („n/10 Kalomelelektrode") oder mit einer gesättigten Lösung von KCl („gesättigte Kalomelelektrode") gefüllt. An der Grenze zwischen Quecksilber und Lösung bildet sich eine gut definierte Potentialdifferenz aus. Das Quecksilber ist durch einen Platindraht mit der Klemme verbunden. Die beiden Halbelemente werden zur Ausschaltung von Diffusionspotentialen, wie sie sich an der Grenze zweier verschieden konzentrierter Elektrolytlösungen immer einstellen, durch eine Brücke verbunden, die mit gesättigter KCl-Lösung gefüllt ist. Die Kette, deren elektromotorische Kraft gemessen wird, läßt sich für den Fall der n/10 Kalomelelektrode schematisch folgendermaßen darstellen: Pt, H 2 (1 Atm.) | H+ (Konzentration X) | ges. KCl | n/10 KCl, Hg2Cl2 | Hg 1

Wasserstoffelektrode

2

3

4

KCln/10 Kalomelelektrode Brücke Die mit 1 bis 4 bezeichneten senkrechten Striche bedeuten die Stellen, an denen Potentialdifferenzen auftreten. Die Zwischenschaltung der gesättigten Kaliumchloridlösung hat den Zweck, die Diffusionspotentiale bei 2 und 3 soweit als möglich zu eliminieren; man kann dann annehmen, daß sich die elektromotorische Kraft der Kette nur aus den beiden Elektrodenpotentialen 1 und 4 z usammensetzt. Die beiden Kalomelelektroden sind positiv gegen die normale Wasserstoffelektrode, und zwar beträgt der Potentialunterschied für die n/10 Kalomelelektrode 0,335 Volt bei 25°, für die gesättigte Kalomelelektrode 0,246 Volt. Wegen der Änderung der Sättigungskonzentration des KCl mit der Temperatur ist die letztere viel stärker temperaturabhängig und überhaupt weniger gut definiert als die erstere. Da die normale Wasserstoffelektrode gegen weniger saure Lösungen immer positiv ist, sind zur Berechnung des pH die obigen Werte f ü r die Kalomelelektroden vom gemessenen Potential zu subtrahieren. Die elektromotorische pH-Bestimmung mit der Wasserstoffelektrode ist die grundlegende Methode, von der alle anderen abhängig sind. Alle A n g a b e n ü b e r p H - W e r t e v o n P u f f e r lösungen gehen l e t z t e n E n d e s auf Messungen mit der W a s s e r s t o f f e l e k t r o d e z u r ü c k . G l a s e l e k t r o d e . In neuerer Zeit wird sehr oft die Glaselektrode verwendet. Die Potentialeinstellung der Wasserstoffelektrode wird in vielen Fällen durch Stoffe beeinträchtigt, welche die Elektrode „vergiften" oder durch den am Platin aktivierten Wasserstoff reduziert werden. Die Glaselektrode hat den großen Vorteil, daß sie in beliebigen Lösungen anwendbar ist (nur nicht in stark alkalischen). Sie ist aber im allgemeinen weniger genau als die Wasserstoffelektrode, und es braucht zur Messung des Potentials Röhrenpotentiometer, die stromlose Messungen gestatten, währenddem man bei der Wasserstoffelektrode immer mit einer einfachen P o g g e n dorffschen Kompensationsschaltung auskommt. Die Wirkungsweise der Glaselektrode ist im Prinzip die folgende: Die zu messende Lösung ist von der einen Lösung mit bekanntem pH durch eine sehr dünne Membran aus einer geeigneten Glassorte getrennt (gewöhnlich ist die Elektrode als kleine dünnwandige Glaskugel ausgebildet, welche in die unbekannte Lösung eintaucht; zur Ableitung dienen unpolarisierbare Elektroden [Kalomelelektroden oder Chlorsilberelektroden]). Zwischen den beiden Lösungen stellt sich nun eine Potentialdifferenz ein, welche dem pH-Unterschied proportional ist. Der Proportionalitätsfaktor hat annähernd den gleichen Wert wie bei der Wasserstoffelektrode (0,059 Volt pro pHEinheit). Die Ausbildung eines Potentials zwischen den beiden Seiten der Glasmembran beruht auf ihrer selektiven Durchlässigkeit f ü r Wasserstoffionen. Der Widerstand solcher Membranen ist gewöhnlich von der Größenordnung einiger Megohm. Praktisch geschieht die Messung derart, daß man zunächst die Elektrode eicht, d. h. man mißt ihr Potential gegen eine Pufferlösung von bekanntem pH-Wert. Dann wird diese Lösung gegen die unbekannte Lösung vertauscht. Die Differenz der beiden Potentialwerte ist proportional der pH-Differenz der beiden Lösungen. Die modernen Potentiometer sind so eingerichtet, daß sie eine direkte Ablesung des pH-Wertes gestatten; doch ist zu beachten, daß die Faktoren der einzelnen Elektroden nicht immer den theoretischen Wert haben und daß daher die zur Eichung verwendete Pufferlösung einen pH-Wert haben sollte, welcher demjenigen der unbekannten Lösung möglichst nahekommt. Über die Chinhydronelektrode siehe S. 156.

Der Begriff der Oxydation

149

Die genannten Verfahren beruhen alle auf der Bestimmung von elektromotorischen Kräften. Man bezeichnet sie daher als p o t e n t i o m e t r i s c h e oder e l e k t r o m o t o r i s c h e M e t h o d e n der pH-Bestimmung. Farbindikatoren Einer zweiten wichtigen Gruppe von Methoden liegt die Änderung des Farbtons gewisser Farbstoffe („Indikatoren") mit dem pH zugrunde. Die Indikatorfarbstoffe sind schwache Säuren oder Basen, deren Ionen anders gefärbt sind als das nicht dissoziierte Molekül. Der Dissoziationsgrad, der nach dem Massenwirkungsgesetz von der Wasserstoffionenkonzentration abhängt, läßt sich daher kolorimetrisch bestimmen. Man unterscheidet „einfarbige" Indikatoren, bei denen nur die ionisierte Form gefärbt ist, und „zweifarbige", bei denen freie Säure und Ion verschiedene Farben zeigen.

Setzt man zu einer Pufferlösung eine so kleine Menge einer schwachen Säure (oder Base) zu, daß das pH der Lösung nicht merklich verschoben wird, so stellt sich zwischen dieser Säure und ihrem Anion ein bestimmtes Verhältnis ein, das nur vom pH der Pufferlösung abhängig ist: log (A - /AH) = pH—pk. Zeigen die nicht ionisierte und die ionisierte Form der Säure verschiedene Lichtabsorption, so kann man aus der Färbung der Lösung auf den pH-Wert schließen. Darauf beruht die Anwendung von Indikatoren für die pH-Bestimmung. Ist der pk-Wert der Indikatorsäure stark vom pH der Lösung verschieden, so wird der Indikator ausschließlich in die ionisierte oder ausschließlich in die nicht ionisierte Form übergeführt. Man kann für den pH-Wert der Lösung nur eine obere oder eine untere Grenze angeben (z. B. Lösung „sauer gegen Phenolphthalein", d. h. pH < 8). Will man mit einem Indikator das pH der Lösung exakt messen, so darf der Wert von pk nur so weit von dem zu bestimmenden pH-Wert abweichen, daß das Verhältnis der beiden Formen des Indikators zwischen den Grenzen von etwa 1:5 bis 5:1 bleibt (etwa 0,7 pH-Einheiten zu beiden Seiten von pk). Die pH-Bestimmung mit Indikatoren bietet alle Vorteile der kolorimetrischen Methoden. Ihre Anwendbarkeit wird begrenzt durch die Eigenfarbe der zu untersuchenden Lösung, sowie durch sekundäre Reaktionen des Farbstoffes („Salz- und Eiweißfehler", Adsorption oder Fällung des Farbstoffes usw.). Ein einzelner Indikatorfarbstoff ist stets nur innerhalb eines begrenzten pH-Bereichs anwendbar; doch wird die pH-Skala von etwa pH 2 bis pH 10 von der Gesamtheit der zur Verfügung stehenden Farbstoffe lückenlos überdeckt. Die einfachste Anwendungsart ist das Indikatorpapier. Dasselbe gestattet aber im besten Fall nur eine Schätzung auf etwa 0,3 pH-Einheiten. Bei den exakteren Methoden wird der Indikatorfarbstoff der Lösung zugesetzt und das pH aus dem Farbton bestimmt, den dieselbe annimmt. Man stellt sich dazu eine Vergleichsreihe mit bekannten Pufferlösungen her. Diese Methode wird kurz als „Messung m i t P u f f e r n " bezeichnet. Oder man bestimmt kolorimetrisch die Farbtiefe der Lösung und berechnet daraus das pH; dazu ist die Kenntnis der Dissoziationskonstanten des Farbstoffes nötig: „ M e s s u n g o h n e P u f f e r " . Für das zweite Verfahren eignen sich besonders einfarbige Indikatoren.

Achtes Kapitel

Oxydation und Reduktion Das Verständnis der biologischen Oxydationsvorgänge setzt die Vertrautheit mit dem chemischen Oxydationsbegriff voraus. Wir werden deshalb in diesem Abschnitt die grundlegenden Tatsachen und Begriffe kurz besprechen. 1. Der Begriff der Oxydation

Durch die Untersuchungen von P r i s t l e y und L a v o i s i e r wurde der Begriff der Oxydation als Aufnahme von Sauerstoff definiert. Da aber das Wort Oxydation auch im ü b e r t r a g e n e n S i n n e angewandt wird, sollen zuerst diese verschiedenen Möglichkeiten definiert werden:

150

Oxydation und Reduktion

1. A u f n a h m e v o n S a u e r s t o f f in d a s M o l e k ü l : A + 0 = AO.

Es bildet sich ein Oxyd. Der umgekehrte Vorgang, Abgabe von Sauerstoff, heißt Reduktion. 2. Oxydation durch A b g a b e v o n W a s s e r s t o f f ; z . B . : CH3CH2OH Äthylalkohol

~

2 H

i CH3CHO Acetaldehyd

Das entstehende Produkt (in diesem Falle Acetaldehyd) enthält weniger Wasserstoff, „Dehydrierung". Wird Aldehyd in Alkohol verwandelt, so spricht man von Reduktion; bei organischen Verbindungen bezeichnet man die Wasserstoffaufnahme meist als „Hydrierung". 3. Oxydation durch V a l e n z w e c h s e l . Als Oxydation wird die Zunahme der positiven Ladung eines Ions oder die Abnahme der negativen Ladung bezeichnet. Umgekehrt ist Reduktion die Abnahme der positiven oder die Zunahme der negativen Ladung. Oxydation:

Fe++

>- F e + + + , 2J~

Reduktion:

Cu++

• Cu+, [ P e ( C N ) e ] ~ ~ ~

, J2 ,

[Fe(CN)J

Dehydrierung und Valenzwechsel sind also Reaktionen, bei denen gar kein Sauerstoff beteiligt sein muß. Diese Vorgänge können als „Oxydation" bezeichnet werden, weil sie oft durch molekularen Sauerstoff oder durch sauerstoffreiche Verbindungen (Permanganat, Chromsäure usw.) hervorgebracht werden. Im übrigen ist aber im Laufe der Zeit der ursprünglichen Bezeichnung „Oxydation" ein ganz anderer begrifflicher Inhalt unterschoben worden. Ferroeisen z. B. geht in alkalischer Lösung durch Luftsauerstoff sehr leicht in Ferrieisen über: 211 n 4Fe(0H) 2 + 0 2 + 2 H 2 0

> 4Fe(OH) 3 .

Aber der gleiche Vorgang kann auch ohne jegliche Mitwirkung von Sauerstoff vonstatten gehen, z. B.: 2Fe++ + Cl2

• 2Fe+++ + 2Cl-.

Hier wirkt Chlor „oxydierend" auf das Ferroeisen ein. Die Gleichung zeigt besser als die erste die Erscheinung, die allen „Oxydationen" gemeinsam ist: der Stoff, der oxydiert wird, gibt Elektronen ab. Das Elektron wird im obigen Beispiel von einem Chloratom aufgenommen, welches dadurch in ein Chlorion übergeht. Der erste Vorgang, die Oxydation von Ferroeisen durch Sauerstoff, läßt sich in ähnlicher Weise formulieren (schematisch): 2Fe++ + 0

— - 2Fe++ + + 0 - - .

Hier nimmt der Sauerstoff die Elektronen auf. Das zweiwertige Ion 0 — vereinigt sich aber sofort mit einem Proton und gibt ein Hydroxylion: 0 - - + H20

• 2 OH-.

Die beiden Reaktionen unterscheiden sich also nur dadurch, daß einmal das Chlor, das andere Mal der Sauerstoff die Elektronen aufnimmt, die vom oxydierten Stoff abgegeben werden. Auch die Dehydrierung läßt sich auf die Abgabe von Elektronen zurückführen. Hydrochinon z. B. wird durch verschiedene Oxydationsmittel wie Überschwefelsäure in Chinon übergeführt:

Der Begriff der Oxydation

151

OH I •

H2S208 +

II



I

¡1 + 2H2S04

I OH Dies ist eine Dehydrierung. In genügend alkalischer Lösung liegt aber das Hydrochinon als zweiwertiges negatives Ion vor und man erkennt ohne weiteres, daß dieses Ion durch Abgabe zweier Elektronen in das Chinon übergeht: OO

V



2e

ODie Dehydrierung ist hier in zwei Stufen aufgeteilt: Dissoziation unter Abgabe zweier Protonen und nachfolgende Abgabe von zwei Elektronen an das Oxydationsmittel. Formal läßt sich jede Dehydrierung derart in zwei Schritten durchführen. Tatsächlich sind aber in den meisten Fällen die Wasserstoffatome so fest gebunden, daß sie auch bei der stärksten alkalischen Beaktion nicht als H + -Ionen abdissoziieren. I n der Regel wird das Elektron zusammen mit einem Proton abgegeben, d. h. es wird ein Wasserstoffatom abgespalten. Der Wasserstoff wird entweder an das Oxydationsmittel angelagert oder, ein sehr häufiger Fall, er gibt sein Elektron an das Oxydationsmittel ab, wobei er in ein Wasserstoffion übergeht. Daß die Dehydrierung auf die Abgabe von Elektronen herausläuft, erkennt man leicht bei Betrachtung der Elektronenkonfiguration der Atome. Wir wählen als Beispiel etwa die Dehydrierung eines Alkohols (vgl. S. 286). H j H I/O H | 2H R—C< / ~ , R—C = 0 Alkohol Aldehyd Der Valenzstrich, der hier überall kovalente Bindungen darstellt, bedeutet ein Elektronenpaar, das beiden Atomen gemeinsam ist. Schreiben wir dementsprechend an Stelle des Valenzstriches, der das abzuspaltende H-Atom mit dem Nachbaratom verbindet, das Symbol des Elektronenpaars (:), so ergibt sich folgende Darstellung der Alkoholgruppe: H l/0:H R—CK: H Die Entfernung der zwei H-Atome läßt zwei vereinzelte Elektronen zurück, die sofort ein neues Paar von Valenzelektronen bilden und damit die C=0-Doppelbindung ergeben: H H " H 10-H I /0:H I H. + :X • R—C=0 + -X R—(y + R—(y: + :X H: H • . Oxydationsmittel (Übergangszustand) H

152

Oxydation und Reduktion

Der oxydierte Stoff hat bei diesem Prozeß zwei Elektronen verloren, das Oxydationsmittel X zwei gewonnen. Man faßt daher ganz allgemein die Abgabe von Elektronen als das eigentliche Kennzeichen der Oxydation auf. I n reiner Form stellt Lieh der Vorgang bei der Oxydation eines Metallions durch ein anderes Metallion oder ein Halogen dar. Hier ändert sich n u r die Elektronenkonfiguration der Atome. Bei komplizierter gebauten Molekülen wird meistens auch die chemische Struktur des Moleküls verändert, indem Wasserstoff abgegeben oder Sauerstoff aufgenommen wird. Die besprochenen Beispiele zeigen aber, daß sich auch diese Änderungen auf den einfachen Fall des Übergangs von Elektronen vom oxydierten Stoff auf das Oxydationsmittel zurückführen lassen. Bei jeder Oxydation oder Reduktion wird ein Stoff oxydiert, der andere reduziert. Man spricht daher allgemeiner von „Oxydo-Reduktion", und Stoffe, die durch Oxydation oder Reduktion auseinander hervorgehen, faßt man unter der Bezeichnung „Oxydo-Reduktionssysteme" zusammen. Es hat sich dafür die kürzere, aber sprachlich unschöne Bezeichnung „Redoxsystem" eingeführt. Z. B. sind die Stoffpaare Cystin-Cystein, Ferrocyanid-Ferricyanid solche Redoxsysteme. Auf Grund der oben entwickelten Anschauung über das Wesen dieses Vorgangs muß man annehmen, daß der oxydierende Stoff die Elektronen, die er aufnimmt, fester bindet als der oxydierte Stoff, weil sonst die Übertragung gar nicht stattfinden könnte. Die verschiedenen sich gegenseitig oxydierenden und reduzierenden Stoffe lassen sich daher in eine Reihe wachsender „Elektronenaffinität" ordnen. (Wir werden unten erklären, wie der unbestimmte Ausdruck „Elektronenaffinität" durch eine meßbare Größe ersetzt werden kann.) In dieser Reihe kann jedes Glied durch das nachfolgende oxydiert, durch das vorangehende reduziert werden. Daraus geht hervor, daß keine Substanz „Oxydationsmittel" oder „Reduktionsmittel" im absoluten Sinn ist. Es gibt allerdings Stoffe, deren Elektronenaffinität so groß ist, daß sie fast alle anderen Stoffe zu oxydieren vermögen. So kann elementares Chlor sehr vielen Stoffen Elektronen entziehen, indem es in seine äußere Elektronenschale von 7 Elektronen ein achtes aufnimmt und dabei in das Chlorion übergeht. Dieses „Oktett" von Elektronen, das dadurch entstanden ist, besitzt eine große Stabilität; d. h. es bedarf eines beträchtlichen Energieaufwandes, um ein Elektron daraus zu entfernen. Umgekehrt ist etwa im Natrium das einzelne Elektron der äußersten Schale nur schwach gebunden; es wird leicht ausgeworfen und an andere Atome abgegeben. Natrium wirkt daher fast immer als Reduktionsmittel. Es gibt aber gerade unter den organischen Stoffen sehr viele, die eine mittlere Stellung einnehmen. Sie können den einen Stoffen gegenüber als Oxydationsmittel, den anderen gegenüber als Reduktionsmittel auftreten. Für das Verständnis der oxydativen Vorgänge in den Zellen ist es sehr wichtig zu wissen, in welcher Weise sich die organischen Verbindungen in bezug auf ihre Oxydations- und Reduktionswirkung in eine Reihe ordnen. Dazu muß aber der unbestimmte Begriff „Oxydationskraft" durch einen präziseren ersetzt werden. Es ist dies das sog. Oxydations-Reduktionspotential. 2. Das Oxydations-Reduktionspotential Ein altbekanntes Beispiel einer Reihe abgestufter Oxydationswirkungen ist die sog. Spannungsreihe der Metalle. „Unedlere" Metalle wirken „edleren" gegenüber als Reduktionsmittel; ein Eisenstab, in eine Lösung von Kupfersulfat eingetaucht, überzieht sich mit metallischem Kupfer, weil das C u + + durch das Eisen, das dabei

Das Oxydations-Reduktionspotential

153

in F e + + übergeht, zum Metall reduziert wird. Derartige Vorgänge können bekanntlich zur Erzeugung von elektromotorischen Kräften verwendet werden. Trennt man z. B. eine Zinksulfatlösung und eine Kupfersulfatlösung gleicher Molarität, wie dies in Abb. 20 gezeigt wird, durch ein Diaphragma, das zwar für alle Salze durchlässig ist, aber die Mischung der beiden Lösungen verhindert, und taucht man in die Kupfersulfatlösung einen Kupferstab, in die Zinksulfatlösung einen Zinkstab, so zeigen die beiden Metalle eine Potentialdifferenz. (Diese Anordnung stellt bekanntlich ein D a n i e l l s c h e s Element dar.) Verbindet man sie leitend (über ein Galvanometer), so daß ein geschlossener Stromkreis entsteht, so fließt der Strom vom Kupfer zum Zink. Die Cu + + -Ionen, die als Oxydationsmittel wirken, nehmen an der Kupferelektrode Elektronen auf und werden dabei als Metall an der Elektrodenoberfläche niedergeschlagen; die Zinkatome an der Oberfläche der Zinkelektrode geben Elektronen ab, die über den Leiter nach der Kupferelektrode fließen, und gehen dabei als Zn + + -Ionen in Lösung. Die Elektronenübertragung geschieht hier also über den Umweg des äußeren Leiters (den Draht, der die beiden Elektroden verbindet), und es spielt sich die folgende Reaktion ab: Cu++ + Zn

-

Cu + Zn++.

Die elektrische Spannung zwischen den beiden Elektroden ist ein Maß für die Eigenschaft, die wir oben in unbestimmter Weise als „Oxydationskraft" des einen Metalls gegenüber dem anderen bezeichnet haben. Sie mißt die Tendenz der Elektronen, von der Elektronenschale des Zinks in diejenige des Kupfers überzugehen. Elektronen

Abb. 20. D a n i e l i s c h e s E l e m e n t

Man kann nun in gleicher Weise alle möglichen Paare von Metallen zu einer galvanischen Kette kombinieren und deren elektromotorische Kräfte messen. Auf Grund solcher Messungen lassen sich die Metalle in eine Reihe ordnen, in der jedes Glied mit einem vorangehenden kombiniert den positiven Pol, mit einem nachfolgenden kombiniert den negativen Pol darstellt. Dies ist die bekannte Spannungsreihe der Metalle. Jedes Glied dieser Reihe bindet seine Valenzelektronen stärker als die vorangehenden und schwächer als die nachfolgenden, kann also unter geeigneten Bedingungen die Atome der vorangehenden Glieder zu Ionen oxydieren und die Ionen der nachfolgenden Glieder zum Metall oder einer niedrigeren Wertigkeitsstufe reduzieren. Um die Stellung der einzelnen Metalle in der Spannungsreihe zu kennzeichnen, ist es vorteilhaft, die Potentialdifferenz auf ein und dieselbe Vergleichselektrode zu beziehen. Man ist übereingekommen, dafür die normale Wasserstoffelektrode zu wählen. Man denke sich etwa in Abb. 20 den Zinkstab durch eine Wasserstoffelektrode und die Zinksulfatlösung durch eine Säurelösung ersetzt, in welcher die Aktivität der Wasserstoffionen den Wert Eins hat. Wir erhalten so ein galvanisches Element, das aus einer Kupferelektrode in Kupfersulfatlösung und einer normalen

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Oxydation und Reduktion

Wasserstoffelektrode besteht. Da die elektromotorische Kraft eines solchen Elements natürlich auch von der Konzentration der Cu ++ -Ionen abhängig ist, wählen wir für diese Konzentration ebenfalls den Wert, der die Aktivität Eins ergibt. Praktisch braucht die Messung nicht gerade bei dieser Konzentration ausgeführt zu werden, denn es gibt Methoden, welche gestatten, die bei beliebiger Konzentration der Metallionen gemessene elektromotorische Kraft auf die Aktivität Eins der Metallionen umzurechnen. (Man mißt oft auch die Spannung nicht direkt gegen die Wasserstoffelektrode, sondern gegen bequemere Halbelemente wie die Kalomelelektrode, deren Spannung gegen die normale Wasserstoffelektrode bekannt ist.) Man erhält auf diese Weise das sog. „Normalpotential" E 0 des betreffenden Elements. Für das Kupfer im obigen Beispiel würde man den Wert von + 0,345 Volt finden. Das Pluszeichen bedeutet, daß die Kupferelektrode gegenüber der normalen Wasserstoffelektrode positiv ist. Weitere Beispiele von Normalpotentialen: Natrium E 0 = —2,71 Volt, Zink E 0 = —0,758Volt, Eisen (inPerrosalzlösung) E 0 = —0,441 Volt, Silber E 0 = -f- 0,799 Volt. Man kann aus diesen Zahlen alles Wünschenswerte über das Verhalten der Metalle ablesen. Der hohe positive Wert für das Silber z.B. bedeutet, daß das Silberatom wie alle edlen Metalle sein Außenelektron sehr fest gebunden hält, also nur geringe Tendenz hat, in den ionisierten Zustand überzugehen. Umgekehrt geht aber das Silberion leicht unter Aufnahme eines Elektrons in das Metall über, wirkt also oxydierend. Im Gegenteil zum Silber hält Natrium, dem ein stark negatives Normalpotential zukommt, sein Außenelektron nur sehr locker gebunden; es gibt dasselbe leicht ab und ist daher ein starkes Reduktionsmittel. Man sieht auch leicht ein, daß Metalle mit negativem Normalpotential Wasserstoffionen reduzieren können, also Wasserstoff freisetzen, wenn sie in eine saure Lösung gebracht werden. Darauf beruht die bekannte Wasserstoffentwicklung beim Auflösen von Metallen in Säuren (z. B. Zink in Schwefelsäure). Natrium ist ein so starkes Reduktionsmittel, daß es in Wasser auch bei stärkster alkalischer Reaktion immer Wasserstoff bildet. In Wirklichkeit stellen sich der genauen Bestimmung des Normalpotentials oft große Schwierigkeiten entgegen. Viele Metalle geben schlecht definierte schwankende Potentiale, weil sich an ihrer Oberfläche sekundäre Reaktionen abspielen. Es kommt vielfach auf die Vorbehandlung und Darstellungsart dea Elektrodenmaterials an. Ebenso können kleine Mengen von Verunreinigungen der Metalle großen Einfluß haben. Auch die Wasserstoffentwicklung an Metalloberflächen hängt von verschiedenen ähnlichen Faktoren ab und tritt nicht immer ein, auch wenn sie nach dem Wert des Normalpotentials zu erwarten wäre (sog. „Passivität" gewisser Metalle).

Jeder galvanischen Kette liegt eine bestimmte chemische Reaktion zugrunde, bei welcher Elektronen von einem Atom auf ein anderes übergehen. In den soeben behandelten Beispielen wird ein Metall zum Ion oxydiert, während ein anderes Ion zum Metall reduziert wird. Im Prinzip läßt sich aber jede Oxydo-Reduktion zum Aulbau einer galvanischen Kette verwerten. Wir haben oben darauf hingewiesen, daß in einer galvanischen Kette, die aus zwei verschiedenen Metallen besteht, die Elektronen nicht direkt von einem Metall auf das andere (z. B. von Zn auf das Cu) übertragen werden wie bei der direkten Reaktion zwischen dem oxydierenden und dem reduzierenden Stoff, sondern indirekt über den äußeren Leiter der galvanischen Kette. Da alle Oxydo-Reduktionsvorgänge, auch solche, an denen keine Metalle beteiligt sind, sich auf die Übertragung von Elektronen zurückführen lassen, so scheint es möglich, stets eine Anordnung zu finden, bei der die Elektronen des zu oxydierenden Stoffs von einer Elektrode aufgenommen und über den äußeren Leiter einer zweiten Elektrode zugeführt werden, die sie an ein Oxydationsmittel abgibt. In der Tat gelingt dies, wenn man

Das Oxydations-Reduktionspotential

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eine Elektrode aus unangreifbarem Material (Gold oder Platin), eine sog. indifferente Elektrode, in die Lösung des zu oxydierenden Stoffs eintaucht und mit einer zweiten indifferenten Elektrode verbindet, welche in der Lösung eines Oxydationsmittels steckt, wie dies Abb. 21 zeigt. Man erhält zwischen den beiden Elektroden eine Potentialdifferenz, und zwar ist die Elektrode, die im Oxydationsmittel steht, positiv gegen die andere. Man macht sich leicht klar, daß beim spontanen Fließen des elektrischen Stroms das Oxydationsmittel (rechts) reduziert und der oxydierbare Stoff (links) oxydiert wird. Diese einfache Anordnung ist aber für quantitative Messungen nicht geeignet. Wir wünschen ja vor allem, in ähnlicher Weise wie bei den Metallen, aus der Größe der Potentialdifferenz ein Maß für die Stärke der Oxydationswirkung zu erhalten. Es zeigt sich, daß die Lösungen immer gleichzeitig die oxydierte und reduzierte Form des Stoffs in bestimmtem Verhältnis nebeneinander enthalten müssen, wenn man definierte Potentiale erhalten will, in ähnlicher Weise wie eine Lösung nur dann Potentiometer

oxydierbarer Stoff

Oxydations mittel

Abb. 21. O x y d o - R e d u k t i o n s k e t t e

einen definierten pH-Wert besitzt, wenn sie eine schwache Säure und ihr Anion in bestimmtem Verhältnis enthält. Mißt man das zu untersuchende OxydoReduktionssystem gegen die normale Wasserstoffelektrode, so ergibt sich für die elektromotorische Kraft einer solchen Kette der Wert: 0+

2,3 RT ~NF '

g

(oxydierte Stufe) (reduzierte Stufe)

(sog. P e t e r s s c h e Gleichung). R ist die Gaskonstante, T die absolute Temperatur, F das elektrochemische Äquivalent (96500 Coulomb), N die Zahl der übertragenen Elektronen. 2,303 ist der natürliche Logarithmus von 10. E wird als OxydoReduktionspotential oder kurz „Redoxpotential" bezeichnet. Wenn die oxydierte und die reduzierte Stufe in gleicher Konzentration vorhanden sind, verschwindet der Logarithmus auf der rechten Seite; es wird E = E 0 . Wir wollen diesen Zustand als den Normalzustand bezeichnen. Durch das Potential E 0 , welches durchaus dem Normalpotential der Metalle vergleichbar ist, wird das betreffende Redoxsystem charakterisiert. Wir bezeichnen es ebenfalls als das Normalpotential des Systems. Man macht sich leicht klar, daß ein Stoff ein um so stärkeres Oxydationsmittel ist, je höhere positive Werte sein Redoxpotential gegen die Bezugselektrode hat. Verbindet man nämlich zwei Halbelemente, deren jedes ein Redoxsystem im Normalzustand enthält, zu einer Kette, so wird diejenige Elektrode zum positiven Pol,

156

Oxydation und Reduktion

deren Lösung den stärker positiven Wert von E 0 besitzt. Diese Elektrode gibt also an ihrer Oberfläche Elektronen an die Lösung ab, wobei die oxydierte Stufe des „positiven" Systems reduziert wird. Die andere Elektrode (der negative Pol der Kette) nimmt umgekehrt aus der Lösung Elektronen auf; dabei wird die reduzierte Stufe des „negativen" Systems oxydiert. In der Bilanz wird also tatsächlich das „negativere" Redoxsystem durch das „positivere" oxydiert. Das letztere wirkt also dem ersteren gegenüber als Oxydationsmittel. Auf diese Weise haben wir ein quantitatives Maß für die Oxydationswirkung beliebiger Systeme gewonnen. Wenn das Redoxpotential E 0 bekannt ist, so können wir mit Hilfe der P e t e r s s c h e n Gleichung bei beliebigen Konzentrationen der Reaktionsteilnehmer voraus berechnen, auf welche Weise zwei Redoxsysteme miteinander reagieren. Bei vielen Redoxsystemen hängt der Wert des Redoxpotentials von der Wasserstoffionenkonzentration ab. Dies ist immer dann der Fall, wenn die reduzierte oder die oxydierte Stufe eine Säure (im allgemeinen Sinne der B r ö n s t e d s c h e n Theorie) ist, also Wasserstoffionen abgibt. Ein typisches Beispiel dieser Art ist das Hydrochinon, das bereits in der allgemeinen Einleitung erwähnt wurde. Hier ist nicht etwa das Hydrochinon HO C 6 H 4 OH, sondern das zweiwertige Anion ~ 0 C 6 H 4 0 ~ als reduzierte Stufe des Systems aufzufassen, denn das Anion geht direkt durch Abgabe zweier Elektronen in das Oxydationsprodukt, das Chinon, über. Man hat also in die P e t e r s sehe Gleichung für die reduzierte Stufe die Konzentration des Anions und nicht die Gesamtkonzentration des Hydrochinons einzusetzen. Diese Konzentration ist im sauren Bereich außerordentlich klein, ändert sich aber nach den Gesetzen der elektrolytischen Dissoziation mit dem p H der Lösung. Daher muß auch das Redoxpotential pH-abhängig sein. Erst im alkalischen Gebiet tritt vollständige Dissoziation des Hydrochinons ein, und es kann die Konzentration der reduzierten Stufe der Gesamtkonzentration des vorhandenen Hydrochinons gleichgesetzt werden, die natürlich nicht pH-abhängig ist. Bei pH-Werten über 10 hängt daher das Redoxpotential des Hydrochinon-Chinon-Systems nicht mehr von der Reaktion der Lösung ab wie im sauren Gebiet. In analoger Weise kann man auch in allen anderen Fällen die pH-Abhängigkeit des Redoxpotentials deuten. Wir wollen hier die entsprechenden Rechnungen nicht durchführen, sondern verweisen auf die ausführlicheren Darstellungen in den speziellen Lehrbüchern. Die Angabe eines Redoxpotentials hat im allgemeinen nur dann einen Sinn, wenn gleichzeitig auch gesagt wird, auf welchen pH-Wert sie sich bezieht. Man kann sich die Tatsache, daß das Redoxpotential des Hydrochinon-Chinon-Systems vom pH abhängig ist, zunutze machen und darauf eine pH-Bestimmung gründen. Chinon und Hydrochinon bilden miteinander eine in Wasser schwerlösliche Molekülverbindung, die sich aus je einem Molekül der beiden Komponenten zusammensetzt; es ist dies das Chinhydron. Suspendiert man Chinhydron in einer wässerigen Lösung, so zerfällt eine kleine Menge in die Bestandteile Chinon und Hydrochinon; es bildet sich also ein Redoxsystem mit konstantem Verhältnis der reduzierten und der oxydierten Stufe. Wenn man in die Lösung eine indifferente Elektrode eintaucht und dieses Halbelement mit einer Vergleichselektrode verbindet, so erhält man eine Kette, deren Potential nur vom pH der Lösung abhängig ist. Die Chinhydronelektrode kann daher wie die Wasserstoffelektrode zur pH-Bestimmung dienen. Auch die Wasserstoffelektrode läßt sich als Redoxelektrode auffassen; die Reaktion, die der Potentialbildung zugrunde liegt, ist die reversible Oxydation des Wasserstoffs zum Wasserstoffion: H 2 ^ ^ 2H+. Die Konzentration der reduzierten Stufe dieses Systems, des molekularen Wasserstoffs, wird dadurch konstant gehalten, daß man die Lösung mit Wasserstoffgas unter Atmosphärendruck durchperlt. Nach der Gleichung von P e t e r s hängt dann das Redoxpotential nur von der Konzentration der Wasserstoffionen ab, und zwar ist:

157

Das Oxydations-Reduktionspotential

wenn eine Wasserstoffelektrode mit beliebiger Konzentration der H + -Ionen gegen die normale Wasaerstoffelektrode (pH = 0 ) gemessen wird.

Die grundlegende Gleichung von P e t e r s hat formal große Ähnlichkeit mit der H e n d e r s o n - H a s s e l b a l c h s c h e n Gleichung, welche die Abhängigkeit des pHWertes einer Pufferlösung von der Konzentration der Säure und der Base bestimmt: P e t e r s s c h e Gleichung:

E

T,

E

, 2,3 • RT ,

°+

(oxydierte Stufe)

N F - - l 0 g (reduzierte Stufe)

H e n d e r s o n - H a s s e l b a l e h s c h e Gleichung: pH = pk + log

(Base) (Säure)

In der Tat hängt das Redoxpotential in gleicher Weise von der Konzentration der beiden Oxydationsstufen ab wie das p H einer Pufferlösung von der Konzentration der Säure und der Base. Dem Normalpotential E 0 des Redoxsystems entspricht die logarithmische Dissoziationskonstante pk der Puffersäure. 100%oxydiert

0,v>VoH Abb. 22. O x y d a t i o n v o n o - K r e s o l i n d o p h e n o l . Abszisse: Potential gegen die Normalwasserstoffelektrode ; Ordinate: % oxydierte Stufe. Der Potentialunterschied zwischen 50 und 75% Oxydation beträgt 15 Millivolt; dies bedeutet, daß zwei Elektronen übertragen werden.

Ein wichtiges Problem in der Theorie der Pufferlösung besteht darin anzugeben, in welchem Verhältnis bei einem bestimmten pH-Wert nicht dissoziierte Säure und Anion zueinander stehen. In ähnlicher Weise stellt sich bei den Redoxsystemen oft die Frage nach dem Verhältnis der oxydierten zur reduzierten Stufe für ein bestimmtes Redoxpotential des Systems. Man gelangt zu einer übersichtlichen graphischen Darstellung der Verhältnisse, wenn man die Konzentration der oxydierten (oder reduzierten) Stufe als Bruchteil der Gesamtkonzentration (oxydierte Stufe + reduzierte Stufe) des Systems angibt und gegen das Potential aufträgt. Man erhält so eine S-förmig gekrümmte Kurve, die der Dissoziationskurve einer schwachen Säure oder Base völlig entspricht. In ähnlicher Weise, wie man experimentell die Dissoziationskurve durch Titration einer schwachen Säure mit einer starken Base, z. B. Alkalihydroxyd, erhalten kann, findet man die charakteristische Kurve eines Redoxsystems, indem man von der reduzierten Stufe ausgeht und sie mit einem starken Oxydationsmittel titriert oder umgekehrt von der oxydierten Stufe ausgeht und sie mit einem starken Reduktionsmittel titriert. In Abb. 22 ist als Beispiel die Oxydationskurve des reduzierten Farbstoffs o-Kresolindophenol dargestellt, aus der man für jeden Potentialwert das Verhältnis der oxydierten zur reduzierten Stufe ablesen kann.

158

Kolloidchemie; Grenzflächen

Es sei noch erwähnt, daß bei dieser Darstellung die Neigung der Kurve im Wendepunkt (bei 50% Oxydation) von der Zahl der Elektronen abhängt, die vom oxydierten Körper abgegeben werden. Für 1 Elektron (z. B. Fe + + ->• F e + + + ) beträgt der Unterschied des Potentials, wenn man von 50% Oxydation zu 75% Oxydation fortschreitet, rund 30 Millivolt. Werden 2 Elektronen übertragen (z. B. Hydrochinon -* Chinon), so beträgt dieser Unterschied nur 15 Millivolt usw. Man kann leicht verifizieren, daß bei der Oxydation des Leukofarbstoffs in Abb. 22 zwei Elektronen übertragen werden.

3. Redoxindikatoren I n ähnlicher Weise wie der pH-Wert einer Pufferlösung läßt sich auch das Redoxpotential mit Hilfe geeigneter gefärbter Substanzen bestimmen. Als „Redoxindikator" läßt sich jedes Redoxsystem verwenden, bei welchem die reduzierte und die oxydierte Stufe verschieden gefärbt sind. Z. B. ist beim Methylenblau die reduzierte Stufe (der Leukofarbstoff) farblos, die oxydierte Stufe dagegen blau. Es besteht vollkommene Analogie zwischen dem Verhalten der gewöhnlichen und der Redoxindikatoren. Fügt man einem Redoxsystem eine kleine Menge des Indikators zu, so stellt sich zwischen seiner oxydierten und seiner reduzierten Form das Verhältnis ein, das dem Redoxpotential des Systems entspricht. Man kann also bei geeigneter Lage des Normalpotentials des Indikators aus der Färbung der Lösung den Wert des Redoxpotentials ablesen. Diese Methode hat besonders bei biologischen Untersuchungen Anwendung gefunden. Es ist nicht immer möglich, bei der elektrometrischen Bestimmung ein definiertes Potential zu erhalten. I n solchen Fällen kann die Indikatormethode wertvolle Dienste leisten. Man kann die Indikatorlösung auch in lebende Gewebe oder Zellen einbringen und aus der Färbung Schlüsse auf den Wert des Redoxpotentials im Zellinhalt ziehen. Wie eben angedeutet, ist die direkte Bestimmung des Redoxpotentials in sehr vielen Fällen ungenau oder überhaupt nicht möglich. Viele Systeme reagieren nämlich so träge, daß sich das Potential erst nach längerer Zeit (Tage, Wochen!) oder überhaupt nicht einstellt. Man kennt deshalb von vielen biologisch wichtigen Systemen den wahren Wert des Redoxpotentials überhaupt nicht, sofern man ihn nicht aus anderen Daten auf Umwegen errechnen kann. Neuntes Kapitel.

Kolloidchemie; Grenzflächen Die Begriffe der Kolloidchemie finden in Chemie, Biologie und Medizin häufig Anwendung; wir lassen daher in diesem Abschnitt eine kurze Behandlung der wichtigsten Tatsachen und Begriffe folgen, soweit sie für das Verständnis der biochemischen Erscheinungen nötig sind. Der Begriff der „Kolloide" wurde vom englischen Chemiker G r a h a m aufgestellt. Er beobachtete bei Untersuchungen über die Diffusion gelöster Stoffe, d a ß gewisse Substanzen sich bei der freien Diffusion nur sehr langsam ausbreiten und Pergamentmembranen überhaupt nicht zu durchdringen vermögen. Die Lösungen dieser Stoffe geben beim Eindampfen Rückstände, die nicht kristallisiert sind, sondern gallertartige oder leimartige Beschaffenheit zeigen. Zu diesen Stoffen gehören Gelatine, Eiweis, Kieselsäure u. a. m. Im Gegensatz dazu diffundiert der größte Teil der löslichen Stoffe leicht durch Pergamentmembranen und kristallisiert mehr oder weniger leicht beim Eindampfen der Lösungen. G r a h a m nannte daher die erste Gruppe von Stoffen „Kolloide" (d. h. leimartige Stoffe), die zweite Gruppe „Kristalloide".

Kolloidchemie; Grenzflächen

Nach der heutigen Betrachtungsweise unterscheidet man nicht mehr „kolloidale" und „kristalloide" S t o f f e . Es hat sich gezeigt, daß die kolloidalen Lösungen einen besonderen Z u s t a n d der Materie darstellen, der nicht auf einzelne Stoffe beschränkt ist. Maßgebend für die kolloidalen Eigenschaften einer Lösung ist der Zerteilungsgrad des gelösten Stoffes. Die kristalloiden Stoffe G r a h a m s , wie Salze, Zucker usw., sind im gelösten Zustand vollständig in ihre Ionen oder Moleküle zerfallen. Die Geschwindigkeit der freien Diffusion oder der Diffusion durchMembranen hängt in erster Linie von der Größe der Teilchen ab. Die Ionen der Salze oder die Moleküle der meisten organischen Stoffe sind so klein, daß sie rasch diffundieren und auch in den Poren der Membranen ihre Beweglichkeit nicht einbüßen. Die kolloidalen Lösungen dagegen enthalten viel größere Teilchen; die Stoffe sind entweder nicht vollständig in die Moleküle zerfallen oder die Moleküle selbst sind so groß, daß sie in den Maschen der Membranen zurückgehalten werden. Es gibt Stoffe, die je nach dem Lösungsmittel oder den Herstellungsbedingungen der Lösungen im kolloidalen oder im „normal" gelösten Zustand auftreten können. Z.B. ist Natriumstearat in alkoholischen Lösungen vollständig in Moleküle oder Ionen zerfallen, währenddem in wässeriger Lösung die Seifenmoleküle sich zu größeren Verbänden zusammenschließen. Viele schwerlösliche oder ganz unlösliche Stoffe, wie z. B. Metalle, können durch geeignete Methoden, sei es von löslichen Verbindungen ausgehend, durch Kondensation, sei es durch Zerteilung des festen oder flüssigen Stoffes, in den kolloidalen Zustand gebracht werden. Allerdings sind derartige Lösungen oft unbeständig. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der kolloidchemischen Forschung, die Entstehungs- und Stabilitätsbedingungen des kolloidalen Zustandes festzustellen. In der Frühzeit der Kolloidchemie wurde viel über die Frage gestritten, ob kolloidale Lösungen als „echte" Lösungen oder eher als „Suspensionen" zu betrachten seien. Es handelt sieh hier aber um ein Scheinproblem, das auf eine Frage der Benennung hinausläuft. Es gibt eine kontinuierliche Reihe des Zerteilungsgradea der Materie, die von den Molekülen bis zu den sichtbaren Teilchen führt. Löst sich ein Stoff ohne Verteilungsmittel durch Verdampfung in seine Moleküle auf, so bildet er ein G a s ; zerteilt er sich in einem Verteilungsmittel (Lösungsmittel) in seine Moleküle, so entsteht eine L ö s u n g . Wird ein fester Stoff mechanisch zerrieben, so bildet er ein gröberes oder feineres P u l v e r , dessen Teilchen sich in einem Gasraum kürzere oder längere Zeit als S t a u b oder in einer Flüssigkeit als S u s p e n s i o n schwebend erhalten können. In gleicher Weise kann ein flüssiger Stoff zu einem N e b e l zerstäubt oder in einer mit ihm nicht mischbaren Flüssigkeit zu einer E m u l s i o n zerteilt werden. Zwischen den Verteilungszuständen, in welchen die einzelnen Teilchen noch s i c h t b a r sind (Staub, Nebel, Suspension, Emulsion), und dem Zustand molekularer Verteilung, wie er in den Gasen und Lösungen vorhegt, gibt es alle Übergänge. Vom kolloidalen Zustand spricht man dann, wenn die Teilchen so klein sind, daß sie vom gewöhnlichen Mikroskop nicht mehr objektgetreu abgebildet werden, aber doch nicht in die einzelnen Moleküle zerteilt sind. Zur Unterscheidung der verschiedenen Zustände haben sich die Ausdrücke „molekulardispers", „kolloiddispers" und „grobdispers" eingebürgert, die ohne weiteres verständlich sind. Man kann als obere Grenze des kolloiddispersen Zustandes, wie gesagt, etwa die Größenordnung der objektähnlichen Abbildung im Mikroskop nehmen (Wellenlänge des sichtbaren Lichts [3000—7000 Ä]). Kleinere Teilchen können bei günstigen optischen Eigenschaften (genügender Unterschied zwischen dem Brechungsexponenten des Teilchens und des Lösungsmittels) durch das Prinzip der Dunkelfeldbeleuchtung im IJltramikroskop noch sichtbar gemacht

160

Kolloidchemie; Grenzflächen

werden. Hier erscheint aber nur das vom Teilehen hervorgerufene Beugungsbild. Neuerdings gelingt es, mit Hilfe des Elektronenmikroskops wesentlich unter die Auflösungsgrenze des gewöhnlichen optischen Mikroskops herabzukommen. Im Elektronenmikroskop werden an Stelle der Lichtstrahlen Elektronenstrahlen und an Stelle der Glaslinsen magnetische oder elektrostatische Felder benützt. Die Objekte werden nach den Gesetzen der geometrischen Optik auf einer photographischen Platte abgebildet. (Die Elektronenstrahlen können zwar wie die Lichtstrahlen Beugungserscheinungen zeigen, doch ist die maßgebende Wellenlänge hier sehr klein und das Auflösungsvermögen der heutigen Instrumente wird durch andere Faktoren begrenzt.) Das Elektronenmikroskop gestattet etwa 100-fach stärkere Vergrößerungen als das gewöhnliche optische Mikroskop. Es ist dadurch möglich, Teilchen bis zu wenigen mfx herab noch in ihrer wahren geometrischen Gestalt zu erkennen und bei kolloidalen Systemen Einzelheiten der Struktur sichtbar zu machen, die vorher unbekannt waren oder nur indirekt erschlossen werden konnten. Auch zwischen molekulardispersen und kolloiddispersen Lösungen gibt es keine Grenzen. I n dem Maße, wie das Molekulargewicht der Stoffe (die Teilchengröße) zunimmt, treten die Eigenschaften auf, die für den kolloidalen Zustand charakterstisch sind. Beim Durchgang eines Lichtstrahls durch eine kolloidale Lösung oder durch eine Suspension feiner Teilchen in Luft (Staub, Rauch, Nebel) wird das Licht an den suspendierten Teilchen seitlich abgebeugt, so daß die Bahn des Lichtstrahls in der Lösung sichtbar ist (Tyndall-Effekt). Die Intensität des abgebeugten Lichtes ist umso größer, je kürzer seine Wellenlänge ist. (Nach der von L o r d R a l e i g h abgeleiteten Formel ist sie umgekehrt proportional der 4. Potenz der Wellenlänge.) Beim Durchgang von weißem Licht werden daher vorwiegend die blauen und violetten Strahlen abgebeugt, und daher kommt es, daß trübe Medien (kolloidale Lösungen, Rauch, Nebel) gegen einen dunklen Hintergrund betrachtet blau erscheinen, während sie in der Durchsicht rötliche Färbung zeigen (das Urphänomen der Goetheschen Farbenlehre!). Der T y n d a l l - E f f e k t ist die Ursache der Himmelsbläue und der atmosphärischen Farberscheinungen (Morgen- und Abendrot usw.). 1. Sole und Gele In einem Giemisch, in welchem nebeneinander Stoffe von verschiedenem Aggregatzustand (fest, flüssig, gasförmig) vorkommen, unterscheidet man die einzelnen Zustände als Phasen, unabhängig von ihrer Verteilung und räumlichen Anordnung. So bildet in einem G«fäß, das schmelzenden Schnee enthält, die Gesamtheit der Eiskristalle die feste, das Schmelzwasser die flüssige und der Gasraum, der Wasserdampf und Luft enthält, die gasförmige Phase. Es ist klar, daß verschiedene feste oder flüssige Phasen nebeneinander vorhanden sein können, aber stets nur eine Gasphase, weil alle Gase miteinander in behebigem Verhältnis mischbar sind. Gibt man z. B. in eine gesättigte Lösung von Kochsalz, die festes NaCl im Überschuß enthält, eine Handvoll Quarzsand, so erhält man ein System mit zwei verschiedenen festen Phasen, Kochsalz und Quarz. Eine Suspension von Olivenöl in Wasser besteht aus zwei verschiedenen flüssigen Phasen usw. Kolloidale Lösungen sind immer mehrphasische Systeme. Sie enthalten mindestens zwei verschiedene Phasen, von denen sich die eine im Zustand feiner Verteilung befindet. Man nennt dieselbe die disperse Phase, die andere, in welcher die Teilchen suspendiert sind, das Dispersionsmittel. Für die Biologie sind die wichtigsten Systeme •diejenigen, bei welchen das Dispersionsmittel eine wässerige Lösung, die disperse

Sole und Gele

161

Phase dagegen ein fester oder flüssiger Körper ist. Im letzteren Falle spricht man gewöhnlich von Emulsionen (Beispiel: Fettkügelchen der Milch, des Chylus usw.). Das Dispersionsmittel kann aber auch ein Gas sein; in diesem Falle spricht man von „Aerosolen" („Nebel", wenn die disperse Phase flüssig, „Rauch", wenn sie fest ist). Aerosole werden therapeutisch verwendet, wenn es sich darum handelt, wirksame Stoffe, die nicht verdampft werden können, in die feinsten Verzweigungen der Bronchien zu bringen. Flüssige kolloidale Systeme bezeichnet man allgemein als „Sole" (Einzahl „Sol"). Es gibt aber zahlreiche Systeme, die formbeständig sind und gewisse elastische Eigenschaften der festen Körper aufweisen, trotzdem das Dispersionsmittel flüssig ist. Dabei kommen alle Übergänge vom dickflüssigen, gallertartigen bis zum festen Zustand vor. Derartige Systeme heißen „Gele" (Einzahl „Gel"). Die Gele sind für die Biologie sehr wichtig; man muß das Protoplasma der Zellen und viele Strukturen des tierischen und pflanzlichen Organismus als Gele auffassen. Die Gele brauchen keineswegs eine größere Menge fester Substanz zu enthalten als entsprechende Sole. Es gibt Beispiele für Gele mit außerordentlich kleinem Gehalt an disperser Phase. Gelatine kann schon bei einem Gehalt der Lösung von 1% Gallerten bilden und beim Fibrinogen hat man Gerinnung sogar beim außerordentlich kleinen Gehalt von 4 mg pro Liter beobachtet.

Wie kommt die Gelbildung zustande ? Im Sol sind die einzelnen Teilchen der dispersen Phase frei. Die Entstehimg von formbeständigen Gallerten aus Lösungen, die nur wenige Prozent fester Substanz enthalten, kann nur dadurch erklärt werden, daß die Teilchen sich miteinander verbinden und ein räumlich ausgedehntes Netz oder Gerüst bilden. Das ist möglich, weil die gelatinierenden Kolloide in der Regel aus sehr langgestreckten ketten- oder fadenförmigen Molekülen aufgebaut sind. Wir finden derartige Moleküle bei den Kohlehydraten (Ketten aus Zuckerresten aufgebaut) : Cellulose, Stärke und verwandten Stoffen, den Mucopolysacchariden, den Nucleinsäuren und den Proteinen (Polypeptidketten). Hierher gehören auch der Kautschuk und zahlreiche in neuerer Zeit von der Industrie entwickelte hochpolymere Stoffe. Die Verflechtung der Fäden zur Netzstruktur des Greis kann durch verschiedene Kräfte erfolgen. Einmal können längs des Fadens in größeren Abständen chemische Gruppen verteilt sein, die sich mit bestimmten Gruppen eines anderen Fadens stabil verbinden können. Dadurch werden die beiden Fäden an einer bestimmten Stelle zusammengeknüpft. Die reagierenden Gruppen bilden einen „Haftpunkt". Es ist leicht ersichtlich, wie durch Wiederholung des Vorganges ausgedehnte Netze entstehen können (vgl. Abb. 23). Vielfach sind aber die Kettenmoleküle so gebaut, daß längs ihrer ganzen Ausdehnung sich Gruppen regelmäßig wiederholen, die entsprechende Teile benachbarter Ketten durch schwache Kräfte binden können (Beispiel: „Wasserstoffbindungen zwischen Polypeptidketten", vgl. das Kapitel Eiweißkörper). Derartige Ketten können sich parallel legen und auf größere oder kleinere Strecken zusammenhaften. Auch auf diese Weise können Netze gebildet werden (Abb. 23). Man darf sich natürlich derartige Bindungen nicht als starr vorstellen. Da die Kräfte, welche die einzelnen Ketten zusammenhalten, im Vergleich zu den gewöhnlichen Hauptvalenzkräften schwach sind, werden sie leicht gelöst. (Dadurch erklärt sich z. B. das Schmelzen der erstarrten Gelatine beim Erwärmen.) Da aber die Bindungsstellen sehr zahlreich sind, kommt es doch zu einer genügenden Festigkeit des Gelgerüstes. 11

L e u t h a r CH—CO • OCH3 (Phenyl-methoxyessigsäuremethylester)

CHjCK von der Esterase des Schweinepankreas die linksdrehende Komponente, von der Leber- und Magenesterase aber die rechtsdrehende Komponente rascher gespalten. Die Lipasen hefern auch ausgezeichnete Beispiele für enzymatische Synthesen. Bei vielen Estern liegt das Verseifungsgleichgewicht so günstig, daß aus Alkohol und Säure bei Gegenwart der Lipase der Ester in meßbarer Menge gebildet wird. Z. B. kann Pankreaspulver aus Glycerin und Ölsäure Triolein bilden. I n der Darmschleimhaut und im Blutserum, anscheinend auch in anderen Organen, findet sich ein Ferment, die Cholesterinesterase, das die Ester des Cholesterins spaltet oder synthetisiert. Von einigen Autoren wird angenommen, daß die Veresterung des Cholesterins mit Fettsäuren im Darm bei der Resorption der Fettsäuren eine Rolle spielt. Die Abgrenzung des Ferments von den übrigen Gewebslipasen ist unsicher; Pankreaslipase hydrolysiert Cholesterinester nicht. Ein interessantes Ferment, das in den letzten Jahren eingehend untersucht worden ist, ist die Cholinesterase, welche Acetylcholin in Essigsäure und Cholin spaltet : CH 3 CO-OCH 2 -CH 2 -N(CH 3 ) 3



CHjCOOH + HO• CH2• CH2• N(CH3)3.

Sie kommt in Gehirn und Nerven und neben anderen Esterasen auch in den Erythrocyten vor. I m Serum und im Pankreas verschiedener Tierarten ist eine sog. Pseudo-Cholinesterase nachgewiesen, welche neben basischen Estern vom Typus des Acetylcholins auch gewöhnliche neutrale Ester spaltet. Typisch für die Cholinesterase ist die Hemmbarkeit durch kleinste Mengen Eserin (=Physostigmin, das Alkaloid der Calabarbohne, Physostigma venenosum) oder Prostigmin. Neuerdings ist im Diisopropylfluorophosphat

">CH-0-1

ein sehr wirksamer Hemmkörper der

Cholinesterase gefunden worden. Die pharmakologischen Wirkungen dieser Stoffe lassen sich durch die Annahme deuten, daß sie die Zerstörung des Acetylcholins durch die Cholinesterase hemmen. In einer neueren Theorie der Nervenleitung (Nachmansohn) wird der Cholinesterase eine große Bedeutung zugeschrieben. Das Ferment ist •wahrscheinlich an der Oberfläche des Axons, an den Synapsen und motorischen Endplatten in sehr hoher Konzentration vorhanden. Es dient der raschen Inaktivierung des Acetylcholins (Zeit: Millisekunden), das nach dieser Theorie an der erregten Stelle des Nerven freigesetzt wird. Die Theorie findet eine Stütze im Verhalten des elektrischen Organs des Zitteraals (Electrophorus electricus) und anderer Fische. Der Gehalt dieses Organs an Cholinesterase ist sehr hoch und ungefähr proportional der entwickelten elektrischen Spannung. Näheres vgl. S. 575.

202

Die Fermente

I n gewissen Schlangengiften findet sich eine Esterase, die sog. Lecithinase A, welche aus dem Lecithin ein Molekül Fettsäure freimacht. Das Produkt der Spaltung, das Lysolecithin, bewirkt Hämolyse der roten Blutkörperchen. Dieselbe Esterase kommt auch im Bienen- und Skorpionengift vor. Die „Lecithinase B " , die aus dem Lysolecithin die verbleibende Fettsäure abspaltet, wurde in verschiedenen tierischen Organen und in der Reiskleie nachgewiesen. Die Wirkung der Lipasen kann durch die Zunahme der sauren Gruppen während der Spaltung gemessen werden. Eine zweite Methode f u ß t auf der Änderung der Oberflächenspannung des Substrates durch die Spaltung und wird durch Austropfen und Bestimmung der Tropfenzahl ausgeführt. Sie heißt die s t a l a g m o metrische Methode. Hier müssen auch die zahlreichen Phosphatasen genannt werden, die aus den Nucleotiden, den Phosphatiden und den Zuckerphosphorsäuren die esterartig gebundene Phosphorsäure abspalten. Auch Sulfatasen, welche Schwefelsäure abspalten, sind bekannt. Besonders die Phosphatasen spielen im Intermediärstoffwechsel eine große Rolle. Wie dies bei der Besprechung des Stoffwechsels erläutert werden wird, treten beim Auf- und Abbau der Kohlehydrate, der Nucleinstoffe, der Lipoide Ester der Phosphorsäure als Zwischenprodukte auf. Diese werden durch die Phosphatasen hydrolytisch zerlegt. Demnach finden sich in allen lebenden Zellen derartige Enzyme. Eine Phosphatase findet sich u. a. auch im Knochen und spielt wahrscheinlich bei der O s s i f i k a t i o n eine Rolle. I m embryonalen Skelett findet sich die Phosphatase überall dort, wo später Verknöcherung stattfindet. Sie fehlt dagegen in den nicht verknöchernden Knorpeln ( R o b i s o n ) . Man nimmt an, daß die Knochenphosphatase organische Phosphorsäureester spaltet, die mit dem Blut zugeführt werden. Dadurch würde lokal die Phosphatkonzentration so groß, daß Calciumphosphat ausfallen kann. Man kennt Phosphatasen, die im sauren Gebiet (pH-Optimum 4,5—6), und solche, die im alkalischen Milieu wirken (pH-Optimum 7—9,5). Die ersteren bezeichnet man abgekürzt als „saure Phosphatasen", die letzteren als „alkalische Phosphatasen". Die genannte Knochenphosphatase gehört zu den alkalischen Phosphatasen. Solche kommen außerdem in der Niere, in der Darmschleimhaut, im Blutserum vor. Die alkalische Phosphatase des Blutserums h a t f ü r die Klinik Bedeutung, weil sie bei gewissen Erkrankungen der Knochen erhöht ist (Osteomalazie, Ostitis deformans Paget). Auch bei Affektionen der Leber und der Gallengänge (z. B. Gallenstauung durch Stein, Krebsmetastasen in der Leber) findet man im Serum erhöhte Phosphatase werte. Die Bestimmung der Phosphatase beruht auf der Freisetzung von anorganischem Phosphat, wenn das Serum bei p H 8,6 mit /2-Glycerinphosphat bebrütet wird (Angabe der Aktivität in sog. B o d a n s k y - E i n h e i t e n . Normalerweise etwa 2—4 Einheiten. Anstieg bis auf > 4 0 Einheiten). Eine sehr aktive saure Phosphatase findet sieh in der Prostata ( K u t s c h e r ) ; sie geht auch in die Samenflüssigkeit über. Die alkalischen Phosphatasen scheinen M e t a l l p r o t e i d e zu sein. Sie können (insbe" sondere nach Dialyse) durch zweiwertige Metalle (Mg ++ , Mn++, Zn + + , Co + + u.a.) aktiviert -werden. Wahrscheinlich ist meistens das Magnesium der physiologische Bestandteil des MetallFermentkomplexes.

D. Carbohydrasen (Vergleiche dazu den Abschnitt über die Strukturchemie der Kohlehydrate.) Diese, die Kohlehydrate spaltenden Fermente müssen in zwei Gruppen eingeteilt werden.

Carbohydrasen

203

Die eine Gruppe wird als Glycosidasen bezeichnet. Ihre Wirkung umfaßt die Spaltung von einfachen Glycosiden. Die zweite Gruppe sind die Polyasen, welche die höheren Kohlehydrate spalten, wie die Stärke und das Glycogen. Die Glycosidasen waren die ersten Fermente, bei denen die Bedeutung der Stereochemie für das Verständnis der enzymatischen Spaltungen klar erkannt wurde. Emil Fischer ist durch die Untersuchung der zuckerspaltenden Fermente auf das bekannte Bild von Schloß und Schlüssel geführt worden (1894): „Invertin und Emulsin haben bekanntlich manche Ähnlichkeit mit den Proteinstoffen und besitzen wie jene unzweifelhaft ein asymmetrisch gebautes Molekül. Ihre beschränkte Wirkung auf die Glucoside ließe sich also auch durch die Annahme erklären, daß nur bei ähnlichem geometrischem Bau diejenige Annäherung der Moleküle stattfinden kann, welche zur Auslösung des chemischen Vorgangs erforderlich ist. Um ein Bild zu gebrauchen, will ich sagen, daß Enzym und Glucosid wie Schloß und Schlüssel zueinander passen müssen, um eine chemische Wirkung aufeinander ausüben zu können."

a) H e x o s i d a s e n Die Spaltbarkeit der glycosidischen Bindung wird durch die Natur der Zucker und die Art der Bindung, lösung dieser Differenzialgleichung gibt in bekannter Weise log x 0 /x = k(t—t 0 ), wo x 0 die Strahlungsintensität ( = Zahl der instabilen Atome) zur Zeit t 0 , x die Strahlungsintensität zur Zeit t bedeutet. Das Zeitintervall, während dessen die Strahlungsintensität auf den halben Wert absinkt, ist daher eine konstante Größe t—10 = — u n d kann als Maß f ü r die Zerfallsgeschwindigkeit dienen, denn sie ist umgekehrt proportional der Zerfallkonstanten k. W e n n ein Isotop als tracer für biologische Versuche verwendet werden soll, so darf es nicht zu kurzlebig sein. Andernfalls ist die Aktivität am Ende der Versuchszeit (wozu auch die Zeit für die Synthese der markierten Verbindungen und die Vorbereitung des Materials zur Messung gehört) so klein geworden, daß sie nicht mit genügender Genauigkeit gemessen werden kann. Glücklicherweise existieren v o n den wichtigsten biologischen Elementen Isotope mit geeigneter Halbwertszeit. Die wichtigsten Isotope, die bei der Erforschung des Intermediärstoffwechsels Verwendung gefunden haben, sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt; bei den stabilen ist die Häufigkeit des natürlichen Vorkommens in %, bei den radioaktiven die Halbwertszeit angegeben. Die angeführten Isotope sind Strahler.

Element D C N Na P S C1 K Ca Fe J

Atomgewicht des Isotops 2 11 13 14 15 24 32 35 38 42 45 55 59 130 131

Häufigkeit % 0,0156 1,1 0,38 — — — — — — — — — —

Halbwertszeit stabil 20 Minuten stabil 5000 Jahre stabil 14,8 Stunden 14 Tage 87 Tage 38 Minuten 12,4 Stunden 180 Tage 4 Jahre 47 Tage 12,6 Stunden 8 Tage

Im folgenden werden die Isotope dadurch gekennzeichnet, daß das Atomgewicht als Index in Klammern dem Symbol des Elements beigefügt wird, z. B. bedeutet C(13) den „schweren" Kohlenstoff, C(H) das langlebige radioaktive Kohlenstoffisotop, NU5) den „schweren" Stickstoff usw.

Anwendung der Isotope biologischer Elemente als „tracer"

223

Für Stoffwechselversuche können nur solche Verbindungen verwendet werden, bei denen das Indikatoratom so fest gebunden ist, daß es nicht s p o n t a n gegen ein anderes ausgetauscht werden kann. Man kann z. B. sehr leicht Deuterium in die Carboxylgruppe einer Fettsäure einfach dadurch einführen, daß man die Fettsäure in Wasser auflöst, welchem D 2 0 (schweres Wasser) zugesetzt ist. Über die Ionenform der Säure findet leicht ein Austausch des Wasserstoffs gegen Deuterium statt, bis die Carboxylgruppe Deuterium in gleichem Verhältnis enthält wie das Lösungsmittel: RCOOH

' R-COO+ H+

— D+

RCOOD.

Eine solche Verbindung wäre aber f ü r Stoffwechselversuche ganz unbrauchbar, weil sie natürlich ihr Indikatoratom D sofort durch Austausch verliert, sobald sie in wäßrige Lösung gebracht wird. Ähnlich verhält es sich mit dem Wasserstoff der Hydroxyl- oder Aminogruppen. Auch der einer Carbonylgruppe benachbarte Wasserstoff kann, besonders beim Erwärmen in alkalischer Lösung, durch Enolisierung spontan ausgetauscht werden: H

H

O

OD I

OH —c=c— I H

H,0

—c=c—

i

D O I II —c—c—, I H

doch geht diese Reaktion weniger leicht vor sich als die vorher erwähnten. Solche Verbindungen sind f ü r tracer-Versuche ungeeignet; das eingeführte Indikatoratom darf weder im Organismus noch während der Aufarbeitung durch eine spontane, d. h. n i c h t fermentative Reaktion verloren gehen. Der Gehalt einer Verbindung an stabilen Isotopen wird gewöhnlich in A t o m p r o z e n t e n ausgedrückt, d . h . man gibt an, wieviele Prozente des betreffenden A t o m s (H, N , C) durch das Isotop ersetzt worden sind. (Beim schweren Kohlenstoff und Stickstoff wird der natürliche Gehalt an Isotop v o n dieser Zahl abgezogen, 1,1%. für den schweren Kohlenstoff, 0,38% für den schweren Stickstoff, denn für die tracer-Versuche hat nur der Überschuß Bedeutung.) W a s die Bestimmungsmethoden betrifft, können wir hier nur das Prinzip andeuten. D a s Deuterium hat das doppelte Atomgewicht des Wasserstoffs; daher hat Deuteriumoyxd ( = schweres Wasser) auch ein höheres spezifisches Gewicht als Wasser (d = 1,108). Durch Messung des spezifischen Gewichts einer Mischung v o n gewöhnlichem und schwerem Wasser kann man daher den Deuteriumgehalt feststellen. Es sind zu diesem Zwecke sehr empfindliche Methoden entwickelt worden. Zur Analyse wird die organische Substanz im Sauerstoffstrom verbrannt; man fängt das Wasser auf und bestimmt seine Dichte. Das M a s s e n s p e k t r o m e t e r , das zur Bestimmung des Deuteriums und der „schweren" Isotope des Kohlenstoffs und des Stickstoffs dient, arbeitet nach folgendem Prinzip: Das zu analysierende Gasgemisch wird in kleiner Menge in eine Kammer eingelassen, in welcher durch wirksame Pumpen ein Hochvakuum (von etwa 10" 6 mm Hg) aufrecht erhalten wird. Ein von einer Glühkathode ausgesandter fokusierter Elektronenstrahl erzeugt aus den Gasmolekülen positive Ionen, welche durch ein elektrisches Feld beschleunigt werden. Durch Ausblenden erhält man ein schmales Strahlenbündel, das in ein homogenes Magnetfeld geführt und dort aus seiner Richtung abgelenkt wird. Die Größe der Ablenkung hängt bei gegebener magnetischer Feldstärke von der Geschwindigkeit, der Ladung und der Masse der positiven Ionen ab. Enthält das Gas Teilchen verschiedener Masse, so tritt im Magnetfeld eine Aufspaltung des Strahls in mehrere Bündel ein. Durch geeignete Form der Magnetpole können die austretenden Strahlenbündel wieder fokusiert werden. Indem man das die positiven Ionen beschleunigende elektrische Feld verändert, kann man sie sukzessive auf einen Austrittsspalt lenken, hinter welchem die Ionen abgefangen werden. Die Intensität des Ionenstroms der einzelnen Bündel wird gemessen. Das Verhältnis der Intensitäten gibt das Verhältnis der Teilchen verschiedener

224

Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels

Masse. Man kann auf diese Weise also das Verhältnis der Isotope in einem Gemisch bestimmen. Der Kohlenstoff kommt als C0 2 zur Messung, der Stickstoff als N 2 und das Deuterium als D 2 . Das Prinzip der heute gebräuchlichen Massenspektrometer ist in Abb. 32 schematisch dargestellt. Das G e i g e r - M ü l l e r sehe Zählrohr besteht aus einem dünnwandigen Metallrohr (oder Glas mit Metallbelag) als Kathode und einem zentralen Draht als Anode. Es ist mit einem geeigneten verdünnten Gasgemisch gefüllt (z. B. Argon + Äthylalkohol), von dessen Zusammensetzung

Abb. 32. S c h e m a d e s S t r a h l e n g a n g s in e i n e m M a s s e n s p e k t r o m e t e r . Mit Ausnahme der Polschuhe des Magneten ist die ganze Apparatur von einem vakuumdichten Gehäuse umschlossen (nach A. 0 . N i e r , aus „Isotopes in Biology and Medicine", Madison, Wisc., 1948). wesentliche Eigenschaften des Zählrohres abhängen. Zwischen Anode und Kathode wird eine Spannung (Größenordnung 1000 Volt) angelegt. Tritt nun durch die Wand ein ionisierendes Teilchen (a-Teilchen, ^-Teilchen) genügender Energie ein, so bildet sich beim Zusammenstoß mit einem Gasmolekül zunächst ein Ionenpaar (Elektron + schweres positives Ion). Das Elektron wird in der Richtung auf die zentrale Anode zu beschleunigt, macht beim Auftreffen auf Gasmoleküle weitere Elektronen frei, die ihrerseits beschleunigt werden und sekundäre Elektronen aus den Molekülen abspalten. Auf diese Weise löst das primäre Teilchen eine „Elektronenlawine" aus, die gegen die Anode stürzt; da die viel langsameren positiven Ionen zurückbleiben, bildet sich ein dem Feld des Rohres entgegengesetztes Spannungsgefälle aus, durch welches die „Lawine" schließlich gebremst wird. Die Spannung zwischen Anode und Kathode bricht also f ü r kurze

Anwendung der Isotope biologischer Elemente als „tracer"

225

Zeit zusammen. Diese Potentialschwankung läßt sich durch Verstärkung sichtbar machen und registrieren. Das G e i g e r - M ü l l e r sehe Rohr zählt also in Verbindung mit einer geeigneten Registriervorrichtung die Impulse (englisch „counts"), die durch eintreffende Teilchen ausgelöst werden. Es ist ein sehr geeignetes Instrument, um die Intensität der von radioaktiven Elementen ausgesandten Strahlung zu messen. Natürliche radioaktive Elemente wurden schon früher zu biologischen Versuchen verwendet, so z. B. das radioaktive Blei, dessen Aufnahme und Verteilung in Pflanzen und Tieren studiert wurde (v. H e v e s y 1923). Das erste biologisch wichtige Element, von welchem ein radioaktives Isotop in genügender Menge gewonnen werden konnte, war der Phosphor. Radioaktives Phosphat wurde bald nach seiner Entdeckung zu zahlreichen Untersuchungen verwendet (v. H e v e s y und andere), die zu wertvollen Resultaten geführt haben. Unter den stabilen Isotopen war das Deuterium das erste, das in genügender Menge für biologische Versuche verfügbar war. Wir verdanken die ersten grundlegenden Arbeiten auf dem Gebiet des Intermediärstoffwechsels R. S c h o e n h e i m e r . Später kam das „schwere" Isotop des Stickstoffs (Atomgewicht 15) und des Kohlenstoffs (Atomgewicht 13) dazu. Damit standen Isotope der drei wichtigsten organischen Elemente zur Verfügung. Die Möglichkeit, zahlreiche „markierte" Verbindungen synthetisch darstellen zu können, führte zu einer Reihe glänzender Untersuchungen, vor allem im Laboratorium S c h o e n h e i m e r s (etwa seit 1935).

Wir können auf die Technik der Isotopenversuche hier nicht weiter eingehen, wollen aber an drei typischen Beispielen verschiedene Möglichkeiten der Anwendung illustrieren. A. Wir haben einleitend darauf hingewiesen, daß man über das Schicksal der im Darm aufgenommenen Aminosäuren nichts aussagen kann; sie verschwinden in der Masse der vorhandenen N-haltigen Verbindungen. Es ist aber möglich, ihren Weg zu verfolgen, wenn man die Aminosäuren durch Einführung von schwerem Stickstoff in der Aminogruppe markiert. S c h o e n h e i m e r hat folgenden Versuch durchgeführt: Weiße Ratten erhielten in der Nahrung markiertes Leucin mit schwerem Stickstoff in der Aminogruppe (CH3)2• CH2• CH2• CH(NH2) • COOH (entsprechend 25 mg N pro Tag). Während der ganzen Versuchsdauer wurden Urin und Fäces gesammelt. Nach drei Tagen wurden die Tiere getötet und die verschiedenen Organe und die Excreta auf ihren Gehalt an schwerem Stickstoff untersucht. (Zur Analyse im Massenspektrometer wird der Stickstoff zuerst in Ammoniak übergeführt, welches dann zu N2 oxydiert wird.) Ein solcher Versuch gestattet die Beantwortung folgender Fragen: 1. Welcher Anteil des Stickstoffs der aufgenommenen Aminosäure wird im Körper zurückbehalten und welcher wird ausgeschieden ? 2. Wie verteilt sich die aufgenommene Aminosäure auf die verschiedenen Organe ? 3. Wird der Aminostickstoff der aufgenommenen Säure zur Synthese anderer Aminosäuren verwendet ? Die Ergebnisse der Analysen sind in den folgenden Tabellen zusammengestellt. a) V e r t e i l u n g a u f K ö r p e r s u b s t a n z u n d E x c r e t a : Der Gehalt der einzelnen untersuchten Fraktionen an N(15) ist in Prozent der gesamten zugeführten Menge angegeben. Körpersubstanz: Proteinstickstoff Nichtproteinstickstoff Excreta: Urin Fäces

56,5% 8,2% 27,4% 2,2%

b) N(i5)-Gehalt d e r P r o t e i n e in v e r s c h i e d e n e n O r g a n e n : Der NU5)-Gehalt der verabreichten Aminosäure ist = 100% gesetzt. Serum Hämoglobin Leber . . Darm . . Niere . . . 15

l e u t h a r d t , Lehrbuch. 12. Aufl.

1,67% 0,24% 0,94% 1,49% 1,38%

Herz Milz Testes Haut Muskel

0,89% 1,10% 0,77% 0,18% 0,31%

226

Die Methoden zur Erforschung des Intermediärstoffwechsels c) N(i5)-Gehalt v e r s c h i e d e n e r A m i n o s ä u r e n im O r g a n e i w e i ß : Der NO 5 )-Gehalt der verabreichten Aminosäure ist = 100% gesetzt. Leber Leucin Glycocoll Tyrosin Glutaminsäure Asparaginsäure Arginin Lysin Aminostickstoff

Darmwand

%

%

7,95 0,74 0,5 1,85 1,16 0,89 0,06 0,78

7,35 0,63 0,94 2,97 2,3 0,43 0,07 1,24

Haut und Muskel %

1,9 1,05 0,2 0,89 0,7 0,25

Aus diesen Zahlen ergibt sich die klare Antwort auf die oben gestellten Fragen. ad 1. Es wird ein beträchtlicher Teil des verfütterten Leucins im Organeiweiß zurückbehalten. Da die Proteine eine konstante Zusammensetzung haben, ist dies nur durch Austausch möglich; ein Teil des im Eiweiß vorhandenen Leucins wird durch neues ersetzt. Man glaubte früher, daß das Gewebseiweiß nur wenig am Stoffwechsel teilnimmt und daß der ausgeschiedene Stickstoff hauptsächlich aus den Aminosäuren der Nahrung stammt. Der Versuch zeigt, daß diese Annahme unrichtig ist. ad 2. Die Zahlen der zweiten Tabelle" zeigen, daß die Erneuerung des Leucins in den Proteinen der verschiedenen Gewebe mit sehr ungleicher Geschwindigkeit erfolgt. Am schnellsten werden die Serumproteine umgesetzt; sehr träge geht der Ersatz in der Haut und ziemlich langsam auch im Muskel vor sich. Wegen der Mächtigkeit der Muskulatur gegenüber den anderen Organen findet sich aber trotzdem der größte Teil des im Körper zurückbehaltenen Leucins in den Muskelproteinen. ad 3. Aus der dritten Tabelle geht hervor, daß ein Teil des Leucinstickstoffs auf andere Aminosäuren übergegangen ist. Am meisten haben die Glutamin- und die Asparaginsäure aufgenommen. (Wir werden später sehen, daß dies mit den allgemeinen Erfahrungen über die Reaktionsfähigkeit der Aminogruppe in den verschiedenen Aminosäuren gut übereinstimmt.) Das in die Proteine aufgenommene Stickstoffisotop gehört also nicht nur dem Leucin, sondern auch anderen Aminosäuren an. Zusammenfassend läßt sich auf Grund dieses Versuchs über das Schicksal des Leucins folgendes sagen: Ein beträchtlicher Teil wird direkt f ü r die Proteinsynthese verwendet, der Rest wird abgebaut; der größte Teil des frei werdenden Stickstoffs geht in Harnstoff über, ein kleiner Teil wird zur Synthese anderer Aminosäuren verwendet und wird in dieser Form ebenfalls in das Eiweiß aufgenommen. Man sieht leicht, daß eine so detaillierte Einsicht in die Umsetzungen eines Zellbausteins durch keine andere als die Isotopenmethode zu erreichen ist. B. Als zweites Beispiel soll ein Versuch besprochen werden, bei welchem das Isotop durch die biochemischen Prozesse selbst in die Verbindungen eingeführt wird. Der Isotopengehalt läßt in diesem Falle erkennen, in welchem Umfang die Synthese der organischen Verbindung in den Geweben stattgefunden hat. Bei den meisten biochemischen Synthesen wird Wasser aus dem Lösungsmittel in die organischen Moleküle aufgenommen. Wenn man daher dem Wasser Deuteriumoxyd (schweres Wasser D 2 0) beimischt, so werden die in den Geweben neugebildeten Moleküle im Gegensatz zu den schon vorhandenen oder von außen zugeführten Deuterium enthalten. Man hat diese Methode benützt, um die Synthese von Glucose und von Fettsäuren unter verschiedenen Bedingungen zu verfolgen. Die Menge des Deuteriums, das in das Glycogen oder die Fettsäuren aufgenommen worden ist, ist ein Maß f ü r den Umfang ihrer Neubildung in den Geweben. In einem Versuch von S t e t t e n und B o x e r erhielt eine Gruppe erwachsener weißer Ratten ständig soviel schweres Wasser, daß der Gehalt der Körperflüssigkeit an Deuterium während der Versuchsperiode annähernd auf gleicher Höhe blieb. Die Tiere wurden auf eine kohlehydratreiche Kost gesetzt. Das Körpergewicht blieb konstant. Nach Ablauf verschiedener Zeiten wurden die einzelnen Tiere getötet und der Deuteriumgehalt des Leberglycogens, des Glycogens der übrigen Gewebe und der Fettsäuren der Leber bestimmt. Die Resultate sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt; der Deuteriumgehalt der verschiedenen Stoffe ist in Prozent des Deuteriumgehalts der Körperflüssigkeit angegeben, der etwa 2,3 Atomprozent betrug.

Anwendung der Isotope biologischer Elemente als „tracer" Dauer des Versuchs 3 1 2 4 8 16

Stunden Tag Tage Tage Tage Tage

Leberglycogen %

Glycogen der übrigen Gewebe (vor allem Muskel) %

Leberfettsäuren %

0,6 19,6 16,4 23,6 28,8 28,9

1,7 3,0 6,1 9,6 19,9 24,3

5,4 15,4 21,9 27,8 35,8 37,8

227

Diesen Zahlen ist folgendes zu entnehmen: Trotz der reichlichen Kohlehydratzufuhr wird ständig Glucose neu gebildet und in das Glycogen aufgenommen. Die Neubildung der Glucose (Gluconeogenese) geht in der Leber bedeutend rascher vor sich als in den übrigen Geweben; der Deuteriumgehalt erreicht in diesem Organ schon nach einem Tag den Wert, den er in den übrigen Organen erst nach acht Tagen annimmt. Der Deuteriumgehalt erreicht nach einiger Zeit einen konstanten Wert; dies bedeutet, daß sich zwischen den glycogenbildenden Prozessen, Gluconeogenese und Glucosezufuhr aus der Nahrung einerseits und dem Glycogenabbau andererseits, ein Gleichgewicht eingestellt hat. Der Deuteriumgehalt der Fettsäuren zeigt an, daß auch ständig eine beträchtliche Neubildung von Fettsäuren stattfindet. Diese Versuche sind in verschiedener Richtung ausgebaut worden. Wenn man weiß, wieviel Deuterium das Glucosemolekül bei seiner Synthese aus kleineren Bruchstücken maximal aufnehmen kann, läßt sich der Anteil der neusynthetisierten Glucose im Glycogen berechnen. Wir können auf die Einzelheiten und die Voraussetzungen dieser Rechnung hier nicht eingehen. Man hat gefunden, daß im obigen Versuch nach achttägiger Dauer etwa die Hälfte des Leberglycogens aus der Glucose der Nahrung stammt und die Hälfte neu gebildet worden ist. Ähnliche Rechnungen sind auch f ü r die Fettsäuren durchgeführt worden. Man erkennt auch aus diesem Beispiel die einzigartigen experimentellen Möglichkeiten, die in der Anwendung der Isotope als „tracer" liegen. C. Dieses Beispiel soll die Möglichkeit illustrieren, durch die Isotopenmethode Bausteine organischer Verbindungen aufzufinden. In fast allen Organismen, besonders auch bei den hämoglobinführenden Tieren, werden Porphyrine synthetisiert, welche zur Bildung der Respirationspigmente (Atmungsfermente, Hämoglobin usw.) nötig sind. Bis vor kurzem war über die Vorstufen dieser Synthese nicht das geringste bekannt. S h e m i n und R i t t e n b e r g zeigten nun, daß bei Verfütterung von markiertem Glycoooll (N(15) in der Aminogruppe) das Hämin das Stickstoffisotop in beträchtlicher Menge aufnimmt; vgl. folgende Tabelle. Es wurden verschiedene mit schwerem Stickstoff markierte Aminosäuren verfüttert, das Hämin aus dem Blut isoliert und sein Gehalt an NU 5 ) bestimmt. Verfütterte markierte Verbindung

Konzentration des NU5) im Hämin

Glycocoll Ammoniumcitrat . . . Glutaminsäure . . . . Prolin Leucin Serin

1,4 0,09 0,17 0,16 0,07 1,4

10

Die Konzentration des N-Isotops ist auf die verfütterte Verbindung = 100% bezogen. Verfütterung von Serin ergibt einen ebenso hohen Isotopengehalt des Hämins wie Glycocoll. Dies rührt daher, daß Serin leicht in Glycocoll übergeht. Das Glycocoll oder ein sich vom Glycocoll ableitender stickstoffhaltiger Körper muß also bei der Porphyrinsynthese in der Weise als Baustein dienen, daß das N-Atom den Pyrroletickstoff liefert (vgl. S 525). 16»

228

Die biologische Oxydation

Zwölftes Kapitel

Die biologische Oxydation Die Betrachtung der Stoffwechselvorgänge des tierischen Organismus in ihrer Gesamtheit ergibt die Tatsache, daß im allgemeinen Substanzen mit mehr oder weniger hohem Sauerstoffgehalt bis zu den Endprodukten Kohlendioxyd und Wasser oxydiert werden. Dabei wird der größte Teil des Stickstoffs als Harnstoff oder Harnsäure, Ammoniak usw. ausgeschieden. Fast alle diese chemischen Reaktionen laufen letzten Endes auf einen Oxydationsvorgang hinaus, bei welchem Energiemengen frei werden, die sich der Organismus dienstbar macht. Der Sauerstoff wird durch das Blut in die Gewebe transportiert. Das Hämoglobin dient als Transportmittel. Die Nährstoffe der Zellen werden durch den molekularen Sauerstoff oxydiert. Andererseits kann man aber die als Nährstoffe dienenden Substanzen wie Eiweiß, Aminosäuren, Fette, Kohlehydrate jahrelang der Sauerstoffeinwirkung bei 38° aussetzen, ohne daß eine nennenswerte Oxydation eintritt, während im Organismus ihre Verbrennung bei der gleichen Temperatur mit größter Leichtigkeit stattfindet. Dies zwingt zu der Annahme von ganz speziellen Bedingungen in der lebenden Substanz. Über den allgemeinen Oxydationsbegriff siehe Kap. 8. 1. Die Oxydationsfermente; Allgemeines Wenn eine Substanz direkt mit dem m o l e k u l a r e n Sauerstoff reagieren kann, bezeichnet man sie als „autoxydabel". Die meisten Zwischenprodukte des oxydativen Stoffwechsels reagieren aber zunächst gar nicht mit dem Sauerstoff direkt, sondern geben ihren Wasserstoff an andere Stoffe oder Katalysatoren weiter und werden auf diese Art in i n d i r e k t e r W e i s e „ o x y d i e r t " . Diese Verschiebungen von H-Atomen zwischen verschiedenen Molekülen ist geradezu als ein Charakteristikum der biochemischen Reaktionen zu bezeichnen. Der Eintritt von Sauerstoff in die Moleküle erfolgt meistens durch Anlagerung von Wasser. Die Summe aller dieser Reaktionen kommt aber einem ganz allmählichen, vielfach gestuften Oxydationsvorgange gleich. Dieser stufenweise oxydative Abbau der Stoffe ist offenbar darum nötig, weil ihre Energie nur auf diese Weise ausgenützt werden kann. Würde ein Nährsubstratmolekül sofort zu den Endprodukten oxydiert werden, so würde wahrscheinlich auch der größte Teil als Wärme verloren gehen. Jede einzelne Stufe dieser Reaktionen wird durch ein besonderes Ferment katalysiert. Wir bezeichnen die Fermente, die an irgendeinem Oxydo-Reduktionsvorgang beteiligt sind, im folgenden einfach als Oxydationsfermente. (Es ist für diese Gruppe auch der Name „Redoxasen" vorgeschlagen worden.) Der Sauerstoff reagiert in der Zelle zuerst mit komplex gebundenem Eisen und oxydiert dasselbe von der zweiwertigen zur dreiwertigen Stufe. Das Eisen, welches direkt mit dem molekularen Sauerstoff reagiert, ist Hämineisen, d. h. es ist an ein Porphyrin gebunden. Dieses Hämin ist die Wirkungsgruppe des von O t t o W a r b u r g entdeckten sauerstoffübertragenden Ferments ( W a r b u r g s c h e s Atmungsferment). Durch das dreiwertige Eisen des sauerstoffübertragenden Ferments wird das Eisen anderer Häminfermente oxydiert, die nicht autoxydabel sind, also nicht von molekularem Sauerstoff oxydiert werden können. Dies sind die sog. Histohämatine, heute allgemein als Cytochrome bekannt. Neben den genannten Fermenten gibt es in den Zellen noch andere Häminfermente, deren Rolle im Zellstoffwechsel weniger gut bekannt ist: Die Katalase,

Das „sauerstoffübertragende" Ferment

229

welche Wasserstoffsuperoxyd in Sauerstoff und Wasser zerlegt, und die Peroxydase, welche die Oxydation verschiedener organischer Stoffe durch peroxydisch gebundenen Sauerstoff katalysiert. Das dreiwertige Cytochromeisen wird durch den Wasserstoff der organischen Substrate wieder reduziert. Die oxydablen organischen Stoffe reagieren aber nicht direkt mit dem Cytochrom. Ihr Wasserstoff wird zunächst von der Wirkungsgruppe besonderer Fermente aufgenommen. Diese Fermente heißen Dehydrasen. Nach heutiger Auffassung besteht der oxydative Abbau der organischen Stoffe in der Zelle im wesentlichen in einer Folge von Dehydrierungen. Die Wirkungsgruppen (Cofermente) der Dehydrasen sind die bereits genannten Pyridinnucleotide (Codehydrase I und II) und die Flavinnucleotide. Die letzteren bilden mit ihren Fermentproteinen die sog. gelben Fermente. Die Cofermente werden in Gegenwart der spezifischen Fermentproteine durch den Wasserstoff der Substrate reduziert und auf direktem oder indirektem Wege durch das Cytochrom wieder oxydiert. Sie können daher als Wasserstoffüberträger bezeichnet werden. Die Oxydation in der Zelle besteht letzten Endes also darin, daß Elektronen von den organischen Substraten auf das Cytochrom und weiter über das W a r b ü r g sehe Atmungsferment auf den Sauerstoff übertragen werden. Wir werden die Einzelheiten dieser Vorgänge in den nachfolgenden Abschnitten besprechen. Neben den Fermenten, welche die eigentlichen Oxydo-Reduktionen katalysieren, sind zum Abbau der organischen Stoffe noch andere nötig, welche C—C-Bindungen lösen, Wasser anlagern, Phosphorsäure verestern oder Phosphatgruppen verschieben u. a. m. Man hat sie als H i l f s f e r m e n t e des oxydativen Abbaus bezeichnet. Wichtige Hilfsfermente sind z. B. die verschiedenen Decarboxylasen, die aus a-Ketosäuren C0 2 abspalten, die Phosphorylasen, die das Glycogen phosphorolytisch spalten, die Hexokinasen, welche freie Hexosen verestern u. a. m. 2. Das „sauerstoffübertragende" Ferment Wir verdanken die Kenntnis der katalytischen Wirkung des Eisens bei der Zelloxydation vor allem O t t o W a r b u r g . Der wesentliche Inhalt seiner Entdeckung besteht darin, daß komplex gebundenes Ferroeisen durch den Luftsauerstoff zu Ferrieisen oxydiert und durch die oxydablen Zellsubstanzen wieder zu Ferroeisen reduziert wird. Der Sauerstoff reagiert also nicht direkt mit den organischen Stoffen in der Zelle, sondern mit dem Eisen des Atmungsfermentes. Wir schildern kurz die wichtigsten Tatsachen, die zur Entdeckung des sauerstoffübertragenden Ferments geführt haben. Die Atmung der lebenden Zellen wird durch Narkotica wie Alkohole und Urethane sowie durch Blausäure gehemmt. Wenn man Blutkohle in Gegenwart von Sauerstoff mit Aminosäuren (Leucin, Cystin) schüttelt, so werden die Aminosäuren oxydiert. Ohne Kohle tritt keinerlei Reaktion ein. Die Oxydation wird also durch die Kohle katalysiert. In ähnlicher Weise wie die Zellatmung wird auch dieser Vorgang durch die Narkotica und Blausäure gehemmt. Die Verbrennung der Aminosäure und der Blutkohle stellt also ein M o d e l l der Zellatmung dar. Es ist klar, daß die Aminosäure an der Oberfläche der Kohle adsorbiert werden muß, wenn sie durch die Wirkung der Kohle katalytisch oxydiert werden soll, und ebenso, daß die hemmenden Stoffe von der Kohle gebunden werden müssen, wenn sie mit dieser Reaktion irgendwie interferieren sollen. Es läßt sich zeigen, daß die Hemmung der Oxydation am Kohlemodell durch die Narkotica auf einer Verdrängung der Aminosäure von der Oberfläche der Kohle beruht. Wird nämlich durch eine

230

Die biologische Oxydation

bestimmte Konzentration des Narkoticums die Oxydation auf den Bruchteil l : n herabgesetzt, so ergibt die Bestimmung der adsorbierten Menge Aminosäure, daß dieselbe auf den gleichen Bruchteil 1: n vermindert ist. Ganz verschieden liegen die Verhältnisse bei der Hemmung durch Cyanwasserstoffsäure. Die adsorbierte Menge Blausäure, welche die Oxydation vollständig unterdrückt, ist im Verhältnis zur gleichzeitig adsorbierten Menge Aminosäure sehr klein. Man muß also annehmen, daß bei der Oxydation der Aminosäure nicht die gesamte Oberfläche der Kohle wirksam ist, sondern nur bestimmte Stellen, und daß die Stellen („aktive Bezirke" nach Warburg) durch die Blausäure besetzt werden. Die Narkotica wirken also unspezifisch durch Verdrängung der Aminosäure von der Kohlenoberfläche, die Blausäure dagegen spezifisch durch Blockierung der aktiven Bezirke. Die Blausäure bildet stabile Komplexe mit Eisen. Man kann in der Tat nachweisen, daß für die katalytische Wirkung der Kohle ihr Eisengehalt verantwortlich ist. Eisenfreie Kohle ist unwirksam. Das Eisen muß allerdings in der Kohle in besonderer organisch gebundener Form, wahrscheinlich als Stickstoffkomplex, vorhanden sein. Durch Verkohlung von Zucker unter Zusatz von Silikaten und etwas Hämin oder aus dem organischen Farbstoff Bismarkbraun hat Warburg „synthetische" Kohlepräparate erhalten, an denen sich der Zusammenhang zwischen katalytischer Aktivität und Eisengehalt einwandfrei nachweisen ließ. Im Kohlemodell findet sich das Eisen in unlöslicher Form an die Struktur der Kohle gebunden. Es ist merkwürdig, daß in der Zelle das Atmungsferment ebenfalls an bestimmte Strukturen geknüpft ist, von denen es sich bisher nicht hat ablösen lassen. Man kennt aber auch Eisenkatalysen in Lösung. Eines der schönsten Beispiele dieser Art ist die Oxydation des Cysteins durch Eisensalze, die schon vom Entdecker des Cysteins, E. B a u mann, beobachtet wurde. Gibt man zu einer neutralen Cysteinlösung etwas Ferrisalz, so färbt sie sich infolge der Bildung eines Ferri-Cystein-Komplexes tiefblau. Beim ruhigen Stehen verschwindet die Färbung, weil durch das Cystein das Ferrieisen zum Ferroeisen reduziert wird, das mit dem Cystein einen farblosen Komplex bildet. Schüttelt man die Lösung mit Luft durch, so erscheint infolge der Oxydation des Ferrokomplexes durch den Sauerstoff die blaue Farbe wieder. Das Eisen wird also abwechselnd durch das Cystein reduziert und durch den Sauerstoff wieder oxydiert, und man kann den Versuch so lange wiederholen, bis alles Cystein durch Verm i t t l u n g des Eisens zum Cystin oxydiert worden ist. Setzt man der Lösung eine kleine Menge Cyanid zu, so färbt sie sich auch beim Schütteln mit Luft nicht mehr blau. Das Eisen wird durch die Blausäure fester gebunden als durch das Cystein; das letztere wird durch die Blausäure aus dem Komplex verdrängt. Die Oxydation kommt zum Stillstand, weil der Katalysator blockiert wird. Die Bedeutung dieser Reaktion liegt darin, daß die Beteiligung des Eisens an der Oxydation und seine Ausschaltung durch die Blausäure direkt sichtbar gemacht werden können. W a r b u r g hat gezeigt, daß die Autoxydation des Cysteins überhaupt auf der Gegenwart von Schwermetallspuren beruht. Es ist ihm gelungen, völlig reine Präparate herzustellen, die nicht mehr autoxydabel sind.

Von besonderer Bedeutung für die Erforschung des Atmungsfermentes war sein Verhalten zum Kohlenmonoxyd. Es ist schon lange bekannt, daß das Kohlenoxyd sich mit dem Eisen des Hämoglobins verbindet: ii Ii [Fe] + CO ^

Fe[CO].

Seine Affinität zum Hämoglobin ist so groß, daß auch bei kleinen Partialdrucken der Sauerstoff verdrängt wird: II

[Fe]0 2 + CO

II

> [Fe]CO + 0 2

(vgl. S. 521). Warburg konnte zeigen, daß bei genügend hohem Partialdruck des CO (Gasgemisch z. B. 80% CO + 20% 0 2 ) auch die Zellatmung gehemmt wird.

Das „sauerstoffübertragende" Ferment

231

Das CO verbindet sich also auch mit dem Bisen des Atmungsfermentes, nur ist seine Affinität zum letzteren etwa 2000-mal Meiner als seine Affinität zum Hämoglobin. Kohlenoxyd verbindet sich wie der Sauerstoff mit dem Ferroeisen des reduzierten Ferments. Dagegen verbindet sich Blausäure nur mit dem Ferrieisen des oxydierten Ferments. Dies geht aus der Tatsache hervor, daß die Blausäurehemmung im Gegensatz zur CO-Hemmung vom 0 2 -Partialdruck unabhängig ist. Die Kohlenoxyd-Eisen-Komplexe haben nun die merkwürdige Eigenschaft, daß sie lichtempfindlich sind (entdeckt von H a i d a n e 1897). Sie zerfallen bei Bestrahlung mit sichtbarem oder ultraviolettem Licht und daher wird in einer Lösung, die ein

Abb. 33 A t m u n g v o n H e f e z e l l e n i n G e g e n w a r t v o n CO im D u n k e l n u n d b e i B e l i c h t u n g (nach O. W a r b u r g )

Gleichgewichtsgemisch von Eisen (z. B. Atmungsferment), CO und dem CO-EisenKomplex enthält, bei Belichtung das Gleichgewicht zugunsten der Spaltprodukte verschoben. Bei gleichem Partialdruck des Kohlenoxyds hält also das Eisen im Licht weniger CO gebunden als in der Dunkelheit. Daraus ergibt sich, daß auch die Hemmung der Zellatmung durch Kohlenoxyd in der Dunkelheit und bei Beüchtung verschieden sein muß. In der Tat zeigt das Experiment, daß bei Belichtung der Zellen die Hemmung zurückgeht. In Abb. 33 ist dieser wichtige Versuch W a r b u r g s dargestellt. Während der Hellperioden verläuft die Atmung fast ebenso schnell wie ohne Kohlenoxyd; es muß also der Komplex des CO mit dem Atmungsferment fast vollständig zerfallen sein. Während der Dunkelperioden dagegen beträgt der Sauerstoffverbrauch kaum 1 / 3 der normalen Atmung. Die Wirkung des Lichts ist bei gleicher Intensität von der Wellenlänge abhängig. Rotes Licht ist unwirksam; blau bewirkt eine starke Erhöhung der Atmung, d. h. eine starke Dissoziation des CO-Komplexes. Diese Beobachtungen haben es ermöglicht, das Absorptionsspektrum des sauerstoffübertragenden Ferments auf indirektem Weg zu bestimmen und damit auf seine chemische Natur zu schließen. Der grundlegende Gedankengang ist der folgende: Nur solches Licht kann photochemisch wirksam sein, das vom reagierenden Stoff, in diesem Fall von der Kohlenoxydverbindung des Atmungsferments, absorbiert wird (sog. G r o t t h u s s c h e s Gesetz). Die Wirkung des Lichts, d. h. die Zahl

232

Die biologische Oxydation

der pro Zeiteinheit durch den photochemisehen Prozeß zerlegten Moleküle, ist proportional der Zahl der absorbierten Lichtquanten. Nach den Gesetzen der Reaktionskinetik hängt aber im belichteten System die Lage des Gleichgewichts zwischen Atmungsferment, CO und 0 2 von der Geschwindigkeit ab, mit der die CO-Verbindung des Atmungsferments durch das Licht zerlegt wird. Die Lage dieses Gleichgewichts, d. h. die Menge des nicht durch CO blockierten Atmungsferments, bestimmt ihrerseits die Atmungsgröße. Wenn man Zellen in einer CO-haltigen Atmosphäre atmen läßt und die Veränderung der Atmung mißt, die sich bei Belichtung mit monochromatischem Licht bestimmter Intensität einstellt, so kann man daraus rückwärts die Lichtabsorption bei der betreffenden Wellenlänge berechnen. Auf diesem Wege hat W a r b u r g (1929) in einer Reihe glänzender experimenteller Arbeiten das Absorptionsspektrum der CO-Verbindung des Atmungsferments bestimmt. Das Spektrum hat große Ähnlichkeit mit demjenigen des CO-Hämoglobins. Man muß daher annehmen, daß die Wirkungsgruppe des Ferments ebenfalls ein Hämin, ein Porphyrin-Eisen-Komplex, ist. Die chemische Konstitution des zugrunde hegenden Porphyrins ist noch nicht sicher bekannt. Es ist vom Protoporphyrin des Blutfarbstoffs verschieden. (Näheres über die Natur dieses Porphyrins vgl. S. 238.) Das Ferment wird auch als Eisenoxygenase oder, aus später zu erörternden Gründen, als Cytochromoxydase bezeichnet. W a r b u r g hat für die physiologische Wirkung des „sauerstoffübertragenden" Ferments das folgende Schema gegeben, das ohne weiteres verständlich ist: +

(zweiwertigj

molekularer Sauerstoff

Fc^^

+

^Te

(dreiwertig)

organische Substanz

Die weitere Entwicklung hat gezeigt, daß die Reduktion des dreiwertigen Eisens des Atmungsferments nicht direkt durch die organischen Substrate der Zelle erfolgt, sondern daß andere Katalysatoren eingeschaltet sind. Das oxydierte Atmungsferment wird nämlich durch ein anderes eisenhaltiges Ferment reduziert, das Cytochrom. Erst das Cytochrom reagiert mit dem Wasserstoff der organischen Zellsubstanzen, aber auch nicht direkt, sondern durch Vermittlung bestimmter (nicht eisenhaltiger) Redoxsysteme. Das obige Schema ist also so zu verstehen, daß die organische Substanz nur durch Vermittlung des Cytochromeisens reduzierend wirkt. Das letztere oszilliert in gleicher Weise zwischen dem zwei- und dreiwertigen Zustand. Man kann sein Verhalten durch das gleiche Schema darstellen; nur muß statt „molekularer Sauerstoff" „oxydiertes Atmungsferment" geschrieben werden. 3. Die Cytochrome Das W a r b ü r g sehe Atmungsferment ist nicht der einzige eisenhaltige Katalysator der Oxydationen in der Zelle. Der englische Zoologe M a c M u n n fand schon 1885 durch direkte spektroskopische Untersuchung tierischer Gewebe Farbstoffe mit typischem Absorptionsspektrum. Besonders reichlich sind sie im Muskel vorhanden. Er nannte sie Histohämatine, weil er vermutete, daß sie mit dem Blutfarbstoff verwandt seien, und konnte auch nachweisen, daß sie durch Sauerstoff oxydiert und bei Mangel an Sauerstoff wieder reduziert werden, offenbar also respira-

Die Cytochrome

233

torische Funktionen zu erfüllen haben. Die Beobachtungen von M a c M u n n wurden aber durch H o p p e - S e y l e r bestritten und gerieten in Vergessenheit. Erst 1925 hat K e i l i n die Histohämatine wieder entdeckt und die Arbeiten M a c M u n n s z u Ehren gebracht. Er nannte die Substanzen Cytochrome. Dieser Name hat sich allgemein eingebürgert. Die Cytochrome sind wohl die am meisten verbreiteten Häminpigmente, die wir kennen. Sie kommen bei allen Tieren und Pflanzen vor, mit Ausnahme einiger anaerob lebender Organismen. In den Geweben der höheren Tiere kommen stets drei verschiedene Cytochrome nebeneinander vor, die K e i l i n durch die Buchstaben a, b, c bezeichnet hat. Sie unterscheiden sich durch die Lage der Absorptionsbanden ihrer reduzierten Form. Die reduzierten Cytochrome zeigen zwei Banden im Orange und Grün (oc- und ßBande) und eine starke Bande im Blau, die aber bei Betrachtung der Lösungen im Spektroskop weniger in Erscheinung tritt als die beiden ersten. Die Lage der Banden ist die folgende (mju): Oi

Cytochrom a Cytochrom b Cytochrom c

ß

blau

_

449 433 417

orange

grün

605 567 550

530 522

Das „Cytochrom a 3 " von K e i l i n ist identisch mit dem W a r b u r g s c h e n Atmungsferment. Von den drei Komponenten ist Cytochrom c in größter Menge vorhanden. Diese Verbindung ist löslich. Sie kann aus dem Gewebe extrahiert werden und ist in reiner Form dargestellt worden (Molekulargewicht 13000, Eisengehalt 1,41%). Die beiden anderen Komponenten scheinen so fest an die Zellstruktur gebunden zu sein, daß sie sich nicht in echte Lösung bringen lassen. Der physiologisch bedeutungsvolle Unterschied des Cytochroms c gegenüber dem Atmungsferment besteht darin, daß das Cytochrom bei physiologischen pH-Werten nicht autoxydabel ist. (Erst bei saurer Reaktion wird es durch Luftsauerstoff oxydiert.) Es verbindet sich auch nicht mit HCN oder mit CO. Dies hat seinen Grund wahrscheinlich in der besonders engen Verknüpfung des Hämins mit dem Eiweiß. ( T h e o r e l l nimmt an, daß das Hämin gewissermaßen in eine Spalte des Proteinmoleküls eingebaut ist, so daß schon aus räumlichen Gründen die koordinative Bindung anderer Bestandteile erschwert ist.) Cytochrom b kann vom Luftsauerstoff oxydiert werden, doch scheint es fraglich, ob diese Eigenschaft physiologisch eine Rolle spielt. Man kann mit dem Spektroskop leicht feststellen, daß in Zellsuspensionen (z. B. Hefe) oder Geweben beim Zutritt von Sauerstoff die Banden des reduzierten Cytochroms verschwinden. (Die Banden der oxydierten Cytochrome sind viel schwächer und in vivo schwer zu sehen.) Bei Sauerstoffmangel oder bei Zusatz von Reduktionsmitteln erscheinen sie wieder. Die Oxydation des Cytochroms in der intakten Zelle wird durch alle Faktoren verhindert, die auch die Zellatmung verhindern. Da es nicht autoxydabel ist, muß man annehmen, daß seine Oxydation durch Vermittlung des sauerstoffübertragenden Ferments erfolgt. Das letztere führt daher auch den Namen Cytochromoxydase. Die Grundtatsache, welche zeigt, daß das Cytochrom nicht autoxydabel ist, ist die folgende: Man kann in Hefezellen die Oxydation des Cytochroms durch Blausäure oder durch Kohlenmonoxyd hemmen, ohne daß dabei eine Veränderung der

Die biologische Oxydation

234

Absorptionsbanden beobachtet werden könnte. Würde der molekulare Sauerstoff direkt mit dem Cytochrom reagieren, so könnte die Hemmung nur durch eine Verbindung der Hemmstoffe mit dem Cytochromeisen Zustandekommen wie beim sauerstoffübertragenden Ferment, und dies müßte sich in einer Verschiebung der Banden äußern. Der Widerspruch ist nur so zu erklären, daß das Cytochrom indirekt durch Vermittlung des sauerstoffübertragenden Ferments oxydiert wird und daß die Hemmstoffe am letzteren angreifen. Wie wir oben bereits angedeutet haben, wird das Cytochrom durch den Wasserstoff der organischen Substrate wieder reduziert. Es entsteht nun die Frage, ob die verschiedenen Cytochrome unabhängig voneinander, also „parallel", zwischen das Atmungsferment und den Wasserstoff eingeschaltet sind oder ob eines das andere oxydiert, ob sie also, um das technische Bild zu brauchen, in Serie geschaltet sind. Die Frage ist nicht restlos geklärt. Wenn sie in Serie geschaltet sind, so gibt uns das Redoxpotential eine Vorstellung, in welcher Reihenfolge sie reagieren können. Man hat den ungefähren Wert der Normalpotentiale mit Redoxindikatoren angenähert bestimmt. Das höchste Potential hat Cytochrom a (-f- 0,29 Volt); es folgen Cytochrom c ( + 0,27 Volt) und Cytochrom b (— 0,04 Volt). Dementsprechend könnte Cytochrom a mit dem Atmungsferment und Cytochrom b mit dem Wasserstoff reagieren nach folgendem Schema: 02

>• Atmungsferment

>• Cytochrom a • Cytochrom c >• Substratwasserstoff

>• Cytochrom b

Doch ist in keiner Weise bewiesen, daß dies die wirkliche Reaktionsfolge ist. Wesentlich ist die Tatsache, daß der „Cytochromkomplex", die Gesamtheit der Cytochrome, die Oxydation der Substrate durch das Atmungsferment vermittelt. Bevor wir darauf eingehen, in welcher Weise der Substratwasserstoff oxydiert wird, sollen kurz einige Fermente besprochen werden, die entweder wie das Atmungsferment mit dem Luftsauerstoff reagieren oder den peroxydisch gebundenen Sauerstoff zu aktivieren vermögen. 4. Die Katalase Dieses Enzym z e r l e g t W a s s e r s t o f f s u p e r o x y d in Wasser und molekularen Sauerstoff. Es gibt wohl kaum ein pflanzliches oder tierisches Gewebe, in dem keine Katalase vorkommt. Die Leber zeigt einen auffallend hohen Gehalt. Katalase wird von Blausäure und Schwefelwasserstoff gehemmt. Sie ist ebenfalls als ein Häminferment aufzufassen. Leberkatalase ist in kristallisiertem Zustand dargestellt worden ( S u m n e r und D o u n c e ) . Die Wirkungsgruppe ist Protohämin (vgl. S. 517). Merkwürdigerweise hat man aus Präparaten von Leberkatalase neben dem Protohämin eine andere, blaugrüne prosthetische Gruppe abtrennen können. Es handelt sich um Biliverdin. Nach neueren Untersuchungen (Theorell) ist dieser Farbstoff aber als Artefakt aufzufassen. Er entsteht wahrscheinlich während der Aufarbeitung des Ferments durch Oxydation des Protohämins. Das Katalasemolekül enthält vier Eisenatome, also vier Hämingruppen.

Die Katalase hat im Atmungssystem der Zelle eine wichtige Funktion zu erfüllen: Sie entfernt d a s b e i D e h y d r i e r u n g e n a u f t r e t e n d e W a s s e r s t o f f s u p e r o x y d , daher auch ihre große Verbreitung. Die Untersuchungen von T h e o r e l l haben einen tieferen Einblick in den Wirkungsmechanismus der Katalase erlaubt. Auf optischem Wege konnte nachgewiesen werden, daß sich ein Molekül Katalase zunächst mit einem Molekül H 2 0 2 verbindet. Das H 2 0 2 wird an eines der (dreiwertigen) Eisenatome angelagert. Nun kann aber diese Verbindung mit gewissen oxydierbaren Stoffen (niedere Alkohole,

Die Peroxydasen

235

Ascorbinsäure) reagieren, indem sie dieselben oxydiert (z. B. Methylalkohol zu Formaldehyd), m. a. W. die Katalase wirkt als Peroxydase. E r s t bei höheren Konzentrationen von H 2 0 2 reagiert die H 2 0 2 -Katalaseverbindung mit einem weiteren Molekül Wasserstoffsuperoxyd, wobei molekularer Sauerstoff entsteht. Nach T h e o r e l l wird möglicherweise dabei das zweite Molekül H 2 0 2 an eines der drei verbleibenden Eisenatome der Katalase gebunden, und die Abspaltung des Sauerstoffs erfolgt durch intramolekulare Umlagerung. Das nachfolgende Schema illustriert die „peroxydatische" und die „katalatische" Wirkung der Katalase. HO-Fe i HO-Fe

Fe-OH i Fe-OH

primäre Reaktion: HO-Fe + H202 » i HO-Fe

Katalase

Fe-OOH ! + H20 Fe-OH

H202-Additionsprodukt „peroxydatische" Wirkung:

HO-Fe

Fe-OOH

HO-Fe

Fe-OH

i

i

HO-Fe

Fe-OOH

HO-Fe

Fe-OH

HO-Fe

Fe-OOH

HO-k

ivOOH

:

*

+ CH3OH

Methylalkohol



HO-Fe

Fe-OH

HO-Fe

Fe-OH

i

i

+ CHjO + H 2 0

„katalatische" Wirkimg: HO-Fe Fe-OOH

+ h202

sehr ia3che

> Zerfall



i

|

HO-Fe

Fe-OOH

HO-Fe

Fe-OH

HO-Fe

Fe-OH

Formaldehyd

+ HaO

+ o2

Da in den Zellen die Konzentration des H 2 0 2 immer sehr klein bleibt, wirkt unter physiologischen Bedingungen das Ferment wahrscheinlich gar nicht als Katalase, sondern es wirkt oxydierend als Peroxydase. Die peroxydatische Wirkung der Katalase verläuft sehr viel langsamer als die H 2 0 2 -Spaltung. Wenn daher die Oxydation organischer Substrate die Hauptfunktion des Ferments ist, läßt sich daraus auch die hohe Konzentration in der Leber erklären. Es liegt hier die merkwürdige Situation vor, daß bei einem Ferment die am leichtesten zu beobachtende Wirkung, die zudem mit sehr großer Geschwindigkeit abläuft, unter physiologischen Bedingungen wahrscheinlich gar keine Rolle spielt. 5. Die Peroxydasen Die Peroxydasen sind Enzyme, die den Sauerstoff aus S u p e r o x y d e n auf einen A k z e p t o r übertragen. I m allgemeinen ist das Superoxyd das Wasserstoffsuperoxyd und der Akzeptor ein Phenol. I n der Geschichte der Fermentchemie spielt die Peroxydase insofern eine bedeutende Rolle, indem W i l l s t ä t t e r an Hand der Meerrettichperoxydase das erste Beispiel einer E n z y m r e i n i g u n g gab. E r konnte das Enzym ungefähr auf das 20000-fache konzentrieren. Peroxydase oxydiert bei Gegenwart von H 2 0 2 die Gerbsäure zu einem P u r p u r o g a l l i n genannten roten Farbstoff. Diese Reaktion wurde zur Bestimmung des Wirkungswertes der Enzympräparate benützt.

Die biologische Oxydation

236

Die Peroxydasen sind wie die Katalase Häminfermente. Sie enthalten, wie am Beispiel der Meerrettichperoxydase gezeigt werden konnte, Protohämatin als Wirkungsgruppe. Das Eisen ist dreiwertig. Aus der kristallisierten Meerrettichperoxydase kann durch vorsichtige Behandlung mit Aceton-Salzsäure Hämin abgespalten werden. Das Eiweiß wird dabei nicht denaturiert. Es kann mit Hämatin wieder zum wirksamen Ferment vereinigt werden (Theorell). Es ist sogar gelungen, das Fermentprotein mit nahe verwandten Häminen (Mesohämin, Deuterohämin) zu Verbindungen zu vereinigen, die ebenfalls wirksam sind, allerdings schwächer als das natürliche Ferment. Eine Besonderheit des Proteins der kristallisierten Meerrettichperoxydase besteht darin, daß es ziemlich viel Kohlehydrat enthält (20%), Molekulargewicht 44000. Ein Molekül enthält (im Gegensatz zur Katalase) nur 1 Atom Eisen. Die Peroxydase bildet mit Wasserstoffsuperoxyd eine grüne Verbindung, indem ein Molekül H 2 0 2 an das dreiwertige Eisen addiert wird. In gleicher Weise, wie dies im Abschnitt über Katalase formuliert wurde, reagiert diese Peroxydverbindung mit dem Substrat. Peroxydasen finden sich in Pflanzen und Tieren. E c h t e (enzymatische) Peroxydasen finden sich in Leukocyten, in lymphoidem Gewebe wie Knochenmark, Milz und Lymphdrüsen, sowie im Sperma und in der Milch. Man muß dabei wohl unterscheiden zwischen der p s e u d o p e r o x y d a t i s c h e n Wirkung des Hämoglobins und derjenigen der echten Enzyme. Es müssen peroxydatisch wirkende Stoffe n i c h t u n b e d i n g t Fermentcharakter besitzen. Das Hämoglobin selbst und verschiedene Abbauprodukte desselben besitzen schwache Peroxydasewirkung. Darauf beruht die sog. B e n z i d i n r e a k t i o n (vgl. S. 555). 6. Die Phenoloxydasen Während das Atmungsferment und die Cytochrome eine ganz allgemeine Bedeutung für die Oxydation besitzen, sind die Phenoloxydasen meistens Enzyme, die spezielle Substratoxydationen bewirken. Das Nachdunkeln tierischer und pflanzlicher Flüssigkeiten und Gewebe wird darauf zurückgeführt, daß aromatische Bestandteile in dunkle Pigmente übergeführt werden, wenn sie mit dem Sauerstoff in Berührung kommen. An diesem Vorgang sind die Phenoloxydasen beteiligt. Ein solches Ferment ist die sog. Tyrosinase. Läßt man pflanzliche oder tierische Extrakte auf Tyrosin bei Gegenwart von Luft einwirken, so bildet sich ein schwarzes Pigment. Man kann nun zeigen, daß nicht nur Tyrosin, sondern ganz allgemein einwertige Phenole unter sog. Chinonbildung oxydiert werden. Die Chinone verwandeln sich dann in die dunkeln Pigmente: OH 1

OH 1

,OH Pigment

Monophenol

Diphenol

Chinon

Genaueres über die Pigmentbildung siehe S. 370. Die sog. Laccase wurde zuerst im Milchsaft des japanischen Lackbaumes (Rhus vernicifera) gefunden. Das sog. Chromogen der Lackflüssigkeit besteht aus Polyphenolen, die zu schwarzem Pigment oxydiert werden. Die Phenoloxydasen sind Kupferproteide. Die kataly tische Wirkung beruht (in ähnlicher Weise wie bei den eisen-

237

Die Phenoloxydasen

haltigen Fermenten) auf dem Valenzwechsel des Metalls. Die Cuprostufe wird durch den Luftsauerstoff zur Cupristufe oxydiert. Die Cupristufe oxydiert das Substrat, wobei sie wieder zur Cuprostufe zurückreduziert wird. Blausäure und CO hemmen das Ferment. Im Gegensatz zu den Eisen-Carbonyl-Verbindungen sind aber die Kupfer-Carbonyl-Verbindungen nicht lichtempfindlich, so daß also die CO-Hemmung dieser Kupferproteide vom Licht nicht beeinflußt wird. Das Kupfer läßt sich aus dem Ferment abspalten, indem man es gegen n/100 Cyanidlösung dialysiert. Das auf diese Weise gewonnene inaktivierte Protein verbindet sich mit Kupferionen wieder zum aktiven Ferment ( K u b o w i t z ) . Die Phenoloxydasen sind im Pflanzenreich weit verbreitet. Reine Phenoloxydase wurde aus Kartoffeln dargestellt ( K u b o w i t z ) ; ein ähnliches Ferment findet sich in Pilzen (Keilin). In Kürbissamen wurde ein Kupferproteid gefunden, das spezifisch die Ascorbinsäure oxydiert ( L o v e t t und N e l s o n ) . Das bevorzugte Substrat der Phenoloxydasen ist das Brenzcatechin. Die meisten anderen Substrate werden viel langsamer oxydiert (Tyrosin z.B. 1000-mal langsamer). Monophenole werden im allgemeinen erst nach einer gewissen Induktionsperiode angegriffen, d. h. die am Sauerstoffverbrauch sichtbare Oxydation setzt erst ein, nachdem Ferment und Substrat einige Zeit in Berührung waren. Es scheint, daß zuerst eine kleine Menge des Phenols zum entsprechenden Orthodiphenol oxydiert werden muß, welches dann die Oxydation des Monophenols katalytisch beschleunigt. Man ist zu dieser Vorstellung gekommen, weil man die Induktionsperiode bei Monophenolen durch Zugabe kleiner Mengen Brenzcatechin verkürzen kann. Zum Verständnis der biologischen Bedeutung der Phenoloxydasen ist die Tatsache von besonderer Bedeutung, daß die Chinone, die primär entstehen, durch die hydrierten Pyridinnucleotide wieder reduziert werden können (vgl. folgender Abschnitt S. 244). Da die Pyridinnucleotide ihrerseits den Wasserstoff von allen möglichen Substraten aufnehmen können, kann die Phenoloxydase durch Vermittlung des Chinons und des Pyridinnucleotids diese Substrate oxydieren. Das eigentliche Substrat des Ferments, das Brenzcatechin, wirkt dabei katalytisch, weil das Oxydationsprodukt, das Chinon, immer wieder reduziert wird. Schematisch läßt sich der Vorgang folgendermaßen darstellen ([Cu] bedeutet das Kupfer der Phenoloxydase, [Pyridin] die oxydierte, [Pyridin H 2 ] die reduzierte Stufe des Pyridinnucleotids) :

o/

[Cu+]

If /

[Cu++Y

/Brenzcatechin

jf

Orthochinon *

/

/[Pyridin H2]

Jt

[Pyridin]

/

A

Substrat

\

oxydiertes Substrat

Die Phenoloxydase kann also mit katalytischen Mengen Chinon zusammen eine „Oxydase" bilden, ähnlich dem Atmungsferment-Cytochrom-System. Wie dieses ist sie durch HCN und CO hemmbar; die CO-Hemmung ist aber nicht lichtempfindlich wie bei den Eisenfermenten. Möglicherweise besteht die wichtigste biochemische Funktion der Phenoloxydasen nicht in der Verwandlung von Phenolen in Chinone und Pigmente, sondern in der Sauerstoffübertragung auf organische Substanzen nach der oben dargestellten Reaktionsfolge. Die

„Indophenoloxydase"

Alkalisierte Lösungen von «-Naphthol und p-Phenylendiamin färben sich bei Gegenwart von Sauerstoff allmählich violett. Zerschnittene Muskulatur, Organpreßsäfte zeigen eine deutliche Beschleunigung dieser Reaktion.

Die biologische Oxydation

238

NHa + 0 2 =

+ 2HjO

OH a-Naphthol

O p-Phenylendiamin

Indophenol

P. E h r l i c h beobachtete diese Reaktion bereits 1885; bei Injektion der Farbstoffkomponenten wurden die Gewebe des behandelten Tieres blau gefärbt. Man nannte dieses Ferment später „Indophenoloxydase". Es katalysiert nur die Oxydation von p-Phenylendiamin (nicht o oder m). Die Indophenoloxydase ist weit verbreitet und sehr wahrscheinlich i d e n t i s c h m i t d e m W a r b u r g s c h e n A t m u n g s f e r m e n t . Sie wirkt nicht direkt auf das Substrat, sondern durch Vermittlung des Cytochroms, und wird durch HCN und CO gehemmt. 7. Der chemische Bau der eisenhaltigen Fermente Die genannten eisenhaltigen Fermente gehören zur Gruppe der sog. H ä m o p r o t e i d e oder H ä m i n p i g m e n t e , welche als prosthetische Gruppe die komplexe Eisenverbindung eines Porphyrins, ein Hamm, enthalten. Die Chemie der Porphyrine und der Hämine wird im Kapitel über den Blutfarbstoff besprochen, dessen Kenntnis hier vorausgesetzt wird. Warburgsches Atmungsferment. Das Absorptionsspektrum des sauerstoffübertragenden Ferments ist von demjenigen des Hämoglobins so stark verschieden (die beiden Absorptionsbanden sind wesentlich langwelliger), daß seine prosthetische Gruppe vom Protohäm des Blutfarbstoffes verschieden sein muß. Das Hämin des Atmungsfermentes (Cytohämin) zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Hämin, das im Atmungspigment (Chlorocruorin) des marinen Wurms S p i r o g r a p h i s vorhanden ist (das sog. Spirographishämin). Dieses enthält an Stelle der einen Vinylgruppe eine Formylgruppe ( H . F i s c h e r ) . Vereinfachte Formel: CH3 I

I CHa

HCO I

CH3 I

I OH2

I CH2

CH2

CH2

COOH

COOH

CH

Auch aus einem Chlorophyllderivat, dem Phäophorbid b, läßt sich ein Porphyrin und daraus durch Einführung von Eisen das „Phäohämin b " herstellen, das in der Lage seiner Absorptionsbanden dem Spirographishämin gleicht. Es enthält ebenfalls eine Formylgruppe. In beiden Fällen handelt es sich um sog. „mischfarbene" Hämine. Als „mischfarben" bezeichnet W a r b u r g solche Hämine, deren langwellige Bande im Gelb liegt. Das Protohämin ist im Gegensatz dazu ein rotes Hämin, dessen langwellige Bande im Grün liegt. Durch Behandlung mit Cystein bei schwach alka-

Der chemische Bau der eisenhaltigen Fermente

239

lischer Reaktion oder durch methanolische Salzsäure werden die Absorptionsbanden des Spirographishämins und des Phäohämins b nach kürzeren Wellen verschoben; die mischfarbenen Hämine gehen in rote Hämine über ( W a r b u r g ) . Wahrscheinlich handelt es sich um eine Anlagerung an die Formylgruppe (H. F i s c h e r ) . Auch das Hämin des Atmungsferments aus Herzmuskel ist ein mischfarbenes Hämin und läßt sich in ein rotes verwandeln. Man kann daraus schließen, daß es wahrscheinlich ebenfalls eine Formylgruppe enthält. Das Cytohämin aus Herzmuskel ist neuerdings von W a r b u r g und G u r i t z im kristallisierten Zustand erhalten worden. Die endgültige Aufklärung seiner Struktur steht noch aus. Wahrscheinlich enthält das sauerstoffübertragende Ferment nicht in allen Zellen das gleiche Häm. Im Muskel, in der Netzhaut, der Hefe und in Essigbakterien sind mischfarbene Hämine vorhanden, bei Azotobacter dagegen kommt ein grünes Hämin vor. (Grüne Hämine entstehen durch Oxydation der einen Methingruppe desPorphingerüsts [langwellige Bande im Rot]. Wir werden sie bei Besprechung des Hämoglobinabbaus kennenlernen. Vgl. S. 531.) Cytochrome. Am besten ist Cytochrom c bekannt, da es sich aus den Geweben (Herzmuskel) leicht extrahieren läßt und in reinem Zustand dargestellt werden kann. Es enthält das gleiche Hämin wie der Blutfarbstoff, also die Eisenverbindung des Protoporphyrins. Dasselbe ist sehr fest mit dem Eiweiß verbunden; man nimmt an, daß die beiden Vinylgruppen des Porphyrins mit zwei SH-Gruppen des Proteins als Thioäther verbunden sind. Es läßt sich nämlich vom Cytochrom c ein schwefelhaltiges Porphyrin gewinnen (sog. „Porphyrin c"), aus dem man durch BromWasserstoff in Eisessig Cystein abspalten kann (The or eil): CH3 I Eiweiß—CH,—S—CH CH,

Über die Wirkungsgruppe der beiden anderen Cytochrome ist wenig Sicheres bekannt. Die Absorptionsspektren der Hämochromogene, die aus Cytochrom a und b beim Behandeln mit Pyridin entstehen, lassen darauf schließen, daß Cytochrom b möglicherweise Protoporphyrin, Cytochrom a aber ein anderes Hämin enthält. Das Cytochrom a läßt sich nicht in Lösung bringen, da es fest in der Zellstruktur verankert ist. Sein Hämin zeigt nach seinem spektroskopischen Verhalten Ähnlichkeit mit dem Spirographishämin. Es ist weit verbreitet, scheint aber bei gewissen Bakterien zu fehlen. Das von K e i l i n beschriebene Cytochrom a 3 ist sehr wahrscheinlich identisch mit dem sauerstoffübertragenden Ferment W a r b u r g s . Auch über das Cytochrom b ist wenig Sicheres bekannt. Im Gegensatz zu den beiden anderen Cytochromen wird es durch Sauerstoff langsam oxydiert. Es verbindet sich wie Cytochrom c nicht mit CO oder HCN. Die Natur seines Häms ist unbekannt. Katalase und Peroxydasen. Wir haben früher (s. S. 235) bereits die Meerrettichperoxydase erwähnt, welche von T h e o r e i l im kristallisierten Zustand erhalten wurde. Sie enthält als prosthetische Gruppe Protohäm. Aus Leukocyten ist die Myeloperoxydase gewonnen worden. Sie ist ein stark basisches Protein und enthält ein Häm grüner Farbe und wurde daher als Yerdoperoxydase bezeichnet. Eine andere Verdoperoxydase (die Lactoperoxydase, E l l i o t ) kommt in der Milch vor und ist

240

Die biologische Oxydation

ebenfalls im kristallisierten Zustand erhalten worden (Theoreil). Ihr Häm zeigt Ähnlichkeit mit demjenigen des Atmungsfermentes. Sie enthält ein Häm pro Molekül. Außerdem ist aus Hefe eine Peroxydase isoliert worden, welche bei Gegenwart von H 2 0 2 Cytochrom c oxydiert. Sie enthält wahrscheinlich Protohäm ( C y t o c h r o m peroxydase). Über die Katalase siehe S. 234. Die kristallisierte Leberkatalase enthält vier Protohämgruppen pro Molekül. Die verschiedenen Häminproteide unterscheiden sich also sowohl durch ihr Häm als auch durch ihre Proteine. Das Protohäm findet sich im Hämoglobin, im Myoglobin, im Cytochrom c, in der Leberkatalase und in der Meerrettichperoxydase. Die Natur der übrigen Hämine (Atmungsferment, Cytochrom a und b, Verdoperoxydase) ist noch nicht mit Sicherheit bekannt. Es ist eine interessante Tatsache, daß das gleiche Häm, das Protohäm, so verschiedenartige Funktionen erfüllen kann, je nach dem Protein, mit dem es verbunden ist. Im Hämoglobin hat es keine katalytischen Eigenschaften, vermag aber 0 2 reversibel zu addieren; das Eisen bleibt dauernd zweiwertig. In den übrigen Proteiden wirkt es katalytisch. Im Cytochrom c oszilliert das Eisen dabei zwischen dem zwei- und dreiwertigen Zustand, in der Peroxydase und Katalase verweilt es wahrscheinlich dauernd im dreiwertigen Zustand. T h e o r e i l schreibt: „Man wird beim Arbeiten auf diesem Gebiet tief davon beeindruckt, in welchem Maße die Eiweißkörper die prosthetischen Gruppen beherrschen, etwa wie ein Virtuose sein Instrument beherrscht. Aus dem Protohämin macht das Eiweiß einmal Hämoglobin, ein anderes Mal Cytochrom, eine Katalase oder eine Peroxydase. Andererseits kann das Eiweiß auch auf verschiedenen Instrumenten dieselbe Methode spielen, so bei den Peroxydasen, die ungefähr die gleiche Wirkung haben, trotzdem die Hämine verschieden sind. Jedoch ist das Eiweiß schließlich an die Ausdrucksmöglichkeiten des Instruments gebunden. Ebenso wenig wie man ein Klavierkonzert auf der Flöte spielen kann, ebenso wenig kann das Eiweiß mit dem Hämin zusammen z. B. eine Decarboxylase bilden. Auf alle Fälle erblicken wir in dem Zusammenspiel zwischen Eiweiß und Häminen ein schönes Beispiel der ungeheuer fein differenzierten Tätigkeit der Eiweißkörper im biologischen Geschehen."

8. Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger Die bisher besprochenen Erscheinungen betreffen die Reaktion des Sauerstoffs mit der lebenden Substanz und die katalytische Wirkung des Eisens. Der Sauerstoff oxydiert komplex gebundenes Ferroeisen zu Ferrieisen; aber er reagiert nicht direkt mit den organischen Stoffen der Zelle. Wir haben schon früher darauf hingewiesen, daß aber auch das Cytochromeisen nicht unmittelbar auf die oxydablen Nährstoffe (Kohlehydrate, Fette usw.) einwirkt; im allgemeinen sind zwischen das Cytochrom und diese Substrate noch weitere Redoxsysteme eingeschaltet, deren Natur und Wirkung wir nun besprechen müssen. In der allgemeinen Einleitung wurde dargelegt, daß bei den organischen Verbindungen die Oxydation oft in einer D e h y d r i e r u n g — Entzug von Wasserstoffatomen •— besteht. Nach allen heute vorliegenden Erfahrungen ist die Oxydation der organischen Substanzen in der Zelle primär immer eine Dehydrierung. Der Eintritt von Sauerstoff in die Moleküle erfolgt durch Anlagerung von Wasser. Diese Auffassung der biologischen Oxydation wurde vor allem durch die Arbeiten von H. W i e l a n d gefördert, der als erster die große allgemeine Bedeutung der Wasserstoffverschiebung für die biochemischen Vorgänge erkannt hat. Die W i e l a n d s c h e Theorie der biologischen Oxydation in ihrer ursprünglichen Form nahm an, daß der Wasserstoff der organischen Verbindungen durch die ,,Oxydasen" der Zelle aktiviert, d. h. reaktionsfähig gemacht wird. Er soll dadurch befähigt werden, auf den molekularen Sauerstoff überzugehen, wobei die organische Verbindung dehydriert wird. Wasserstoff und Sauerstoff bilden zusammen zunächst Wasserstoffsuperoxyd, das aber durch die Katalase rasch gespalten wird. Man kann diese Vorstellung in die folgenden beiden Gleichungen zusammenfassen:

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasseratoffüberträger

241

dehydriertes Substrat

Substrat

XH2 + O2 ' H2O2

0xyda3C K

. --a8e^

Bilanz: XH2 + y202

m

>

X + HA + H2O

X + H20

Der Grundgedanke dieser Theorie besteht darin, daß die Oxydationsfermente den Wasserstoff der Substrate reaktionsfähig machen und daß der aktivierte Wasserstoff spontan mit dem Luftsauerstoff reagiert. Die erste Annahme ist richtig; der Wasserstoff der Substrate wird durch bestimmte Fermente, die Dehydrasen, aktiviert. Die zweite Annahme ist unzutreffend; der aktivierte Wasserstoff reagiert nicht direkt mit dem Luftsauerstoff, sondern er wird von bestimmten Verbindungen, den Cofermenten der Zelloxydation, aufgenommen. Nur in Ausnahmefällen werden die hydrierten Cofermente durch den molekularen Sauerstoff unter Bildung von H 2 0 2 oxydiert. Sie reagieren in der Regel mit den eisenhaltigen Fermenten, die wir oben besprochen haben; anders ausgedrückt, sie werden durch den am Eisen des Atmungsfermentes aktivierten Sauerstoff oxydiert. Während langer Jahre wurden die beiden Vorstellungen „aktivierter Substratwasserstoff" einerseits, „aktivierter Sauerstoff" andererseits als sich ausschließend einander gegenübergestellt. Die weitere Entwicklung hat gezeigt, daß sie sich ergänzen, wenn man die Annahme einer direkten Reaktion des aktivierten Wasserstoffs mit dem Luftsauerstoff fallen läßt. Den Schlüssel für die Lösung des Problems bildet die Entdeckung der wasserstoffübertragenden Cofermente. Bevor wir auf dieselbe eingehen, müssen wir noch kurz die wichtigsten Tatsachen erwähnen, die zur Annahme einer Dehydrierung geführt haben. Am besten läßt sich die „sauerstofflose Oxydation" mit Hilfe von Redoxfarbstoffen sichtbar machen, die bei der Reduktion entfärbt werden. Sehr gut eignet sich dazu Methylenblau, dessen reduzierte Stufe („Leukofarbstoff") farblos ist:

Ii

J

L

' +

blau

-±-2-H-->

II

I

¡I

1

+H+

farblos

Bringt man das Substrat bei Gegenwart des Katalysators mit Farbstoff unter Sauerstoffausschluß zusammen, so wird der Farbstoff entfärbt, weil er den Wasserstoff des Substrats aufnimmt: Substrat + Farbstoff

> dehydriertes Substrat + Leukofarbstoff.

Mit dieser Technik hat besonders T h u n b e r g das Vorhandensein von Fermenten in den Geweben nachgewiesen, die bei Sauerstoffabschluß alle möglichen Substrate zu dehydrieren vermögen (z. B. Bernsteinsäure, Milchsäure, Oxybuttersäure, Äpfelsäure, Citronensäure, Glutaminsäure). Diese Fermente werden Dehydrogenasen oder kürzer Dehydrasen genannt. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Dehydrierung der Bernsteinsäure durch die weitverbreitete Succinodehydrase. Bernsteinsäure steigert den 0 2 -Verbrauch von zerkleinertem, gut ausgewaschenem Muskelgewebe. Das Produkt der Oxydation 1» Leuthardt, Lehibuoh. 12. Aufl.

242

Die biologische Oxydation

ist Fumarsäure. Man erhält aber dieselbe Oxydation, wenn man unter Luftabschluß und bei Gegenwart von Methylenblau arbeitet. In diesem Fall wird Methylenblau auf Kosten der Bernsteinsäure hydriert: COOH I CH2 | + Methylenblau CH2 ¿OOH Bernsteinsäure

COOH I CH ->• || + Leukomethylenblau CH COOH Fumarsäure

(Diese Reaktion ist eine wichtige Zwischenstufe beim oxydativen Abbau der Kohlehydrate. Vgl. S. 257). Die Oxydation der Alkohole zu Aldehyden und weiter zu Carbonsäuren läßt sich ebenfalls als Dehydrierung auffassen; z. B.: H I /H CH 3 -C< ~ x OH Äthylalkohol

H l/OH „H .OH + ' -s. CH 3 -C< ~ 2 H > CH,-C< \OH ^O Acetaldehyd Hydrat des Essigsäure Acetaldehyds

/H > CH3-C/_0

2

Man ersieht aus diesem Beispiel gleichzeitig auch, wie das zweite Sauerstoffatom der Carbonsäure durch Wasseranlagerung an den Aldehyd eingeführt wird. Schüttelt man abgetötete Essigsäurebakterien mit Äthylalkohol oder Acetaldehyd unter Sauerstoffausschluß mit Methylenblau, so wird dasselbe entfärbt, und es erscheint in der Lösung Essigsäure. Das Methylenblau kann durch Chinon ersetzt werden. In diesem Falle wird als reduzierte Verbindung Hydrochinon gebildet (Wieland): O CH 3 CH 2 OH + 2

OH + H20

> CH3 • COOH + 2

O

OH

Ein Ferment, das Aldehyd dehydriert und Methylenblau reduziert, kommt in der frischen Milch vor, das sog. S c h a r d i n g e r s c h e Enzym. Es ist identisch mit der Xanthinoxydase (vgl. S. 428). Man nennt ganz allgemein die Stoffe, welche den Wasserstoff irgendeines Substrates aufnehmen, Wasserstoffakzeptoren. Die Körper, die den Wasserstoff abgeben, heißen Wasserstoffdonatoren. Es kann vorkommen, daß Wasserstoff zwischen zwei gleichartigen Aldehydmolekülen verschoben wird. Läßt man z. B. auf Benzaldehyd konzentrierte wässerige Kalilauge einwirken, so entsteht ein Gemisch von Benzoesäure und Benzylalkohol: CHO I

CHO I

II

+

COOH

CH2OH

I I 1 X /

I II X /

+

' X

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger

243

Diese Reaktion, die „Disproportionierung" von Aldehyd zu Säure und Alkohol, heißt nach ihrem Entdecker C a n n i z z a r o s c h e Reaktion. Von zwei Molekülen derselben Art wirkt gleichzeitig eines als Wasserstoffakzeptor und das andere als Wasserstoffdonator. Diese Reaktion hat auch biologische Bedeutung. In der Hefe, in höheren Pflanzen, in der Leber höherer Tiere findet sich eine A l d e h y d m u t a s e , welche Aldehyde nach dem Schema der obigen Gleichung umsetzt. (Das Ferment ist nicht identisch mit der Xanthinoxydase, wie früher angenommen wurde.) Als besonderer Fall der Cannizzarosehen Dismutation kann auch die Wasserstoffverschiebung aufgefaßt werden, die beim Methylglyoxal, einem Ketoaldehyd, zwischen der (hydratisierten) Aldehyd- und der Carbonylgruppe des gleichen Moleküls eintritt:

1^0 c=o CH 3 Methylglyoxal

H.O

—H I /OH C< |\OH--, -vC=0^— 1 CHj

>

COOH | HC-OH CH a Milchsäure

Ein Ferment, Glyoxalase, das diese Reaktion hervorruft, findet sich in der Hefe und verschiedenen tierischen Geweben. Es benötigt zu seiner Wirksamkeit die Gegenwart von Glutathion. Die Glyoxalase hat in den älteren Theorien der alkoholischen Gärung eine Rolle gespielt, weil man das Auftreten des Methylglyoxals als Zwischenprodukt annahm (vgl. S. 308).

Diese Beispiele mögen vorläufig genügen, um die Bedeutung der Dehydrierung oder allgemeiner der Wasserstoffverschiebung bei der biologischen Oxydation zu illustrieren. Wir werden bei der Besprechung des Intermediärstoffwechsels im einzelnen zeigen, wie Kohlenstoffketten durch eine Reihe aufeinanderfolgender Dehydrierungen abgebaut werden. Zunächst müssen wir nur zeigen, in welcher Weise der Wasserstoff, welcher durch die Dehydrasen reaktionsfähig gemacht wird, weiterreagiert. Wir haben oben bereits darauf hingewiesen, daß der Wasserstoff sich nie mit dem Sauerstoff direkt verbindet, sondern daß er von ganz spezifischen Akzeptoren aufgenommen wird. Diese Stoffe sind von O t t o Warburg entdeckt worden. Die Arbeiten, die zur Entdeckung der Wasserstoffübertragenden Fermente geführt haben, gingen von der merkwürdigen Beobachtung aus, daß rote Blutkörperchen in glucosehaltiger Ringerlösung suspendiert beträchtliche Mengen Sauerstoff verbrauchen, wenn man Methylenblau zusetzt. Ohne Methylenblau ist die Sauerstoffabsorption äußerst schwach ( B a r r o n und H a r r o p ) . Es zeigt sich zunächst, daß in cytolysierten Blutkörperchen bei Gegenwart von Methylenblau kein Sauerstoff verbraucht wird, wenn Glucose das Substrat der Oxydation ist. Die Verbrennung der Glucose ist also strukturgebunden. Dagegen oxydiert das strukturlose Cytolysat den Phosphorsäureester der Glucose, das Glucose-6-phosphat. Wir können die weitere Analyse der Vorgänge in ihren zahlreichen Etappen und Verzweigungen hier nicht im einzelnen besprechen. Es zeigte sich, daß einzelne Faktoren, die an der Oxydation der Phosphoglucose beteiligt sind, in der Hefe in größerer Menge vorkommen.

Die Arbeiten führten zur Isolierung von drei Faktoren: 1. einem Protein („Zwischenferment"), 2. einem Nucleotid, das Nicotinsäureamid und Adenin enthält („Coferment"), 3. dem sog. gelben Ferment. Sind diese drei Faktoren vorhanden, so vermittelt das Methylenblau die Oxydation der Phosphoglucose durch den Luftsauerstoff. Das Nucleotid ist mit dem Protein zu einem lockeren Komplex verbunden. Für sich allein ist weder das Protein noch das Nucleotid aktiv. Die Rolle des Coferments und des gelben Ferments bei der Oxydation der Phosphoglucose ergibt sich aus ihren chemischen Eigenschaften: beide können reduziert und wieder oxydiert werden. Beim gelben Ferment ist die Reduktion direkt sichtbar, weil es dabei entfärbt wird. Auch die Reduktion des Nucleotids (Coferment) ist optisch zu erkennen: die reduzierte Verbindung zeigt im Ultraviolett bei 345 m¡x eine Absorptionsbande und fluoresziert weiß. 10*

244

Die biologische Oxydation /OH

OH

CHj-O-P^O ....

! HOCH

\0H

HOCH HOCH

Protein

Protein

I

CH2

I

C: O

+ 2H

NH -

-2H

•N' ö

gelbes Ferment:

oxydierte Form

Leukoform ( + 2H)

Es handelt sich also hier um Redoxsysteme, deren Aufgabe darin besteht, den Wasserstoff des Substrats aufzunehmen und weiterzugeben. Das gelbe Ferment enthält als Wirkungsgruppe einen Farbstoff, der in reiner Form aus Milch isoliert worden war und daher den Namen Lactoflavin erhalten hatte. Im gelben Ferment ist die primäre Alkoholgruppe der Seitenkette mit Phosphor säure verestert. Die Wirkungsgruppe des gelben Ferments besitzt die vorstehende Konstitution. }Die Konfiguration der Seitenkette entspricht derjenigen der Ribose. (Man beachte, daß die Seitenkette aber nicht durch die Ribose, sondern durch den entsprechenden Pentit dargestellt wird!) Das sog. Coferment W a r b u r g s , das aus Erythrocyten isoliert wurde, ist ein Dinucleotid, das einen Pyridinkern in Form des Nicotinsäureamids, Adenin, zwei Moleküle Ribose und drei Moleküle Phosphorsäure enthält. Aus Hefe ist ein ähnlich gebautes Nucleotid isoliert worden, das nur zwei Moleküle Phosphat enthält (Euler). Man nennt daher das erste Triphosphopyridinnucleotid (abgekürzt TPN) oder Codehydrase II, das zweite Diphosphopyridinnacleotid (DPN) oder Codehydrase I. Codehydrase I ( = Cozymase) : NH, Nicotinsäureamid

Adenin

HOCH

1

HOCH I

0

Ribose

Ribose

Ò

Ò

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger

245

Man hatte früher angenommen, daß alle drei Phosphatreste der Codehydrase I I als Triphosphatgruppe anhydridartig miteinander verbunden seien. Verschiedene Beobachtungen (besonders auch der Abbau durch Phosphatasen, K o r n b e r g ) zeigen aber, daß auch in der Codehydrase I I die beiden Ribosemoleküle durch eine Pyrophosphatbrücke verbunden sind und daß das dritte Phosphatmolekül mit einer der freien Hydroxylgruppen der Ribose verestert ist, und zwar nach neueren Untersuchungen in Stellung 21). Codehydrase I I : OH OH I I Nicotinsäureamid—Ribose—O—P—0—P—0—Ribose—Adenin O

P0 3 H 2

O

Der Bestandteil des Nucleotids, der den Wasserstoff aufnimmt, ist das Nicotinsäureamid. Das ließ sich, daraus schließen, daß auch einfache Pyridiniumverbindungen wie das Trigonellin co-nh2

—COOH

U

N

UN

N

Pyridin

-COOH

Nicotinsäure

N+ 1 ch3 Trigonellin

Nicotinsäureamid

sich hydrieren lassen und dabei die gleiche Veränderung der Lichtabsorption zeigen wie das Nucleotid. Bei der Reduktion entsteht die ortho-DihydroVerbindung ( K a r rer). Wir müssen uns also die reversible Reduktion des Pyridins folgendermaßen vorstellen: •CO • NH„ N+

2H -2H

H.2

R

\ / N

¡—CO-NHo ' + H+

R

Die reduzierte Form der Pyridincofermente ist durch eine charakteristische Absorptionsbande im Ultraviolett bei 340 m¡i ausgezeichnet. Dank dieser Eigenschaft ist es möglich, Reaktionen, an denen Codehydrase I oder II beteiligt ist, optisch zu verfolgen. Diese Methode des optischen Tests hat in den Händen von W a r b u r g bei der Isolierung einer Reihe von Gärungsfermenten eine überragende Rolle gespielt. E s zeigt sich nun, daß in der oben besprochenen Reaktion das Glucosephosphat durch das Pyridin dehydriert wird: H Cv + H20 I ^0 (HÌoh)4 c h 2 o p o . , 3h . 2 Glucosephosphat

+

-CONH.

Pyridinnucleotid



COOH I (HC0H) 4 Phosphoglucon säure

+

CONH, HJ

+ H+

N I R hydriertes Pyridinnucleotid

Wie oben angegeben, werden für die beiden Pyridinnucleotide häufig die Abkürzungen DPN bzw. TPN benützt oder, um anzudeuten, daß es sich um Pyridiniumsalze handelt, D P N + bzw. TPN + . Die reduzierten Verbindungen werden durch DPNH 2 oder besser durch DPNH + H + bzw. DPN red. + H + bezeichnet. l

) Vgl. J . biol. Chem. 206, 299 (1954).

Die biologische Oxydation

246

Die obige Reaktion kann aber, wie bereits erwähnt wurde, nur in Gegenwart eines spezifischen Proteins stattfinden (das „Zwischenferment" W a r b u r g s = Glucose-6-phosphatdehydrase), mit dem sich das Nucleotid verbindet. Wenn das Pyridinferment katalytisch wirken soll, so muß das hydrierte Pyridinnucleotid immer wieder zurückoxydiert werden. Dies geschieht durch das Flavin des gelben Ferments: CH 2 -OPO,H,

Protein -CONH»

+

H, + H+

N R hydriertes Pyridinnucleotid

gelbes Ferment CH20P03H2

Protein -CONH,

H N+ R Pyridinnucleotid

hydriertes gelbes Ferment

Das hydrierte gelbe Ferment schließlich kann mit dem Luftsauerstoff reagieren, wobei Wasserstoffsuperoxyd entsteht: Flavin H 2 + 0 2

• Flavin + H 2 0 2 .

Oder es kann den Wasserstoff an Methylenblau abgeben, welches dadurch entfärbt wird und in Leukomethylenblau übergeht: Flavin H 2 + Methylenblau

>• Flavin + Leukomethylenblau

(Formeln siehe S. 241). Die Summe aller dieser Reaktionen besteht also darin, daß Wasserstoff vom Substrat, der Phosphoglucose, auf den Luftsauerstoff oder das Methylenblau übertragen wird. Die Fermente, die an dieser Reaktion beteiligt sind, können daher als w a s s e r s t o f f ü b e r t r a g e n d e F e r m e n t e bezeichnet werden. Im gelben Ferment ist das Alloxazin so fest an das Protein gebunden, daß unter physiologischen Bedingungen die Verbindung nicht merklich dissoziiert. Nur bei stark saurer Reaktion gelingt es, die Wirkungsgruppe vom Protein zu trennen.

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger

247

Im Gegensatz dazu bilden das Pyridinnucleotid und das „Zwischenferment" eine leicht dissoziable Verbindung, so daß unter natürlichen Bedingungen stets auch die freien Komponenten in der Zelle vorhanden sind: Pyridinnucleotid + Zwischenferment ^ ^ wasserstoffübertragendes Ferment. (Protein)

Auch das hydrierte Pyridinnucleotid bildet eine Verbindung mit dem spezifischen Protein, das hydrierte wasserstoffübertragende Ferment. Man hat also stets ein Gleichgewicht zwischen fünf Substanzen: Pyridinnucleotid, reduziertes Pyridinnucleotid, freies Zwischenferment, Verbindungen des Zwischenferments mit dem oxydierten und dem reduzierten Nucleotid. Es hat sich gezeigt, daß außer dem Glucosephosphat viele organische Substrate der Zelloxydation durch Pyridinnucleotide dehydriert werden. Der größere Teil der heute bekannten Dehydrasen besitzt als Wirkungsgruppe eines der beiden Pyridinnucleotide Codehydrase I oder Codehydrase II. Die Codehydrase I (Diphosphopyridinnucleotid) ist identisch mit der „Cozymase" der Hefe. Ihre Bedeutung als Coferment der alkoholischen Gärung war schon lange bekannt (Harden und Y o u n g 1904, E u l e r , vgl. das Kapitel Kohlehydratstoffwechsel), aber ihre chemische Konstitution wurde erst im Anschluß an die Entdeckung des Triphosphopyridinnucleotids aufgeklärt. In der folgenden Tabelle sind einige Dehydrasen zusammengestellt und es wird angegeben, welches Pyridinnucleotid als Coferment dient (I = Codehydrase I; II = Codehydrase II): Substrat

Dehydrierte Verbindung

Milchsäure Äpfelsäure Äthylalkohol Phosphoglycerinaldehyd . . Glutaminsäure Glucose-6-phosphat . . . . Isocitronensäure

Brenztraubensäure Oxalessigsäure Acetaldehyd 1,3 -Diphosphoglycerinsäure a-Ketoglutarsäure + NH 3 Phosphogluconsäure Oxalbernsteinsäure

Nähere Angaben Codehydrase über d. Ferment s. Seite: I I oder II I I I oder II II II

284, 286 260 286 281 357 245, 296 261

Je nach dem spezifischen Protein, mit dem es verbunden ist, kann also das Coferment mit verschiedenen Substraten reagieren. Die Spezifität der Dehydrierung wird im wesentlichen durch das Fermentprotein bestimmt. Wir sehen, daß bei der biologischen Dehydrierung nur eine beschränkte Zahl von Cofermenten, aber eine große Zahl von spezifischen Proteinen am Werk sind. Das oben genannte gelbe Ferment wird heute vielfach als das „alte" gelbe Ferment bezeichnet. Es sind nämlich seit seiner Entdeckung verschiedene andere Fermente aufgefunden worden, die Flavin enthalten. (Man bezeichnet Proteide, die Flavin in ihrer prosthetischen Gruppe enthalten, heute vielfach als Flavoproteide. Sie stellen eine besondere Gruppe der Chromoproteide dar.) Ihre Wirkungsgruppe enthält aber dazu noch Adenin und Ribose. Es handelt sich also um ein Adenin-Flavindinucleotid. Das erste Ferment dieser Gruppe, das entdeckt worden ist, ist die D-Aminosäureoxydase (Warburg). Sie dehydriert Aminosäuren der nicht natürlichen d-Reihe unter Ammoniakabspaltung und Bildung der entsprechenden Ketosäure (vgl. S. 356). Das Adenin-Flavindinucleotid hat die Zusammensetzung einer Verbindung aus 1 Molekül Adenylsäure und 1 Molekül Lactoflavinphosphat. Man schreibt ihm daher einen den Pyridin-Adeninnucleotiden analogen Bau zu:

Die biologische Oxydation

248

N=C—NH I I HC C—N: ii H V N—C—N/

H

CHI H-C-OH O I H-C-OH

H-C-OH I HCOH I H-COH

OH

H,C—O

P

OH 0—P

h A O—CH,

Nach neueren Untersuchungen liegen verschiedene gelbe Fermente als M e t a l l k o m p l e x e vor. Näheres vgl. S. 762. Die D-Aminosäureoxydase ist nicht imstande, reduzierte Pyridincofermente wieder zu dehydrieren wie das „alte" gelbe Ferment, sondern sie ist spezifisch auf D-Aminosäuren eingestellt. Dagegen wurde aus Hefe aber ein Ferment isoliert, welches wie die Aminosäureoxydase als Wirkungsgruppe Flavinadenindinucleotid enthält, aber mit Pyridinnucleotiden reagiert (Haas). Im Gegensatz zum alten Ferment wird seine reduzierte Form von Sauerstoff nur langsam rückoxydiert; dagegen reagiert es sehr rasch mit Methylenblau. Die Proteinkomponente ist von derjenigen des alten gelben Ferments verschieden. Man hat in verschiedenen Geweben Faktoren nachgewiesen, welche die Oxydation von reduzierten Pyridinnucleotiden durch 0 2 und Methylenblau vermitteln. Es sind dies die „Diaphorasen" ( E u l e r ) („Coenzym-Faktor" von D e w a n und G r e e n ) . Sie sind ebenfalls Flavoproteide. Auch aus Herzmuskel ist ein Flavoproteid isoliert worden, welches wahrscheinlich Flavin-Adeninnucleotid enthält und ähnliche Eigenschaften hat wie das genannte Ferment aus Hefe. Es wird durch die reduzierten Pyridinnucleotide hydriert; die hydrierte Form reagiert langsam mit Sauerstoff, aber schnell mit Methylenblau. Es ist aber vom Hefeferment verschieden, da es andere optische Eigenschaften zeigt. Es fluoresziert grün, während sonst nur die freien Flavinnucleotide, nicht aber die Flavoproteide Fluoreszenz zeigen. Ein weiteres gelbes Ferment ist aus Hefe dargestellt worden ( H a a s , H o r e c k e r u n d H o g n e s s ) . Seine Wirkungsgruppe ist Flavinphosphat wie beim „alten" gelben Ferment. Es dehydriert spezifisch das Triphosphopyridinnucleotid und zeigt die Besonderheit, daß es durch Cytochrom reoxydiert werden kann. (Es reagiert mit Cytochrom etwa 500000-mal schneller als mit molekularem Sauerstoff.) Man hat das Ferment daher Cytochromreduktase genannt. Hier ist auch das neuerdings von M a h l e r und Mitarbeitern isolierte Flavoprotein aus Herzmuskel zu erwähnen, welches die Dehydrierung von reduzierter Cozymase durch lösliches Cytochrom c vermittelt 1 ). Auch die Xanthinoxydase ist ein gelbes Ferment (vgl. S. 428). Durch Dialyse gegen verdünnte Salzsäure ( T h e o r e l l ) oder durch Ansäuern der Lösung in Gegenwart von Ammoniumsulfat ( W a r b ü r g und C h r i s t i a n ) kann man l

) J. biol. Chem. 199, 585 (1952;.

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger

24&

die Wirkungsgruppe der gelben Fermente abtrennen und das Fermentprotein rein erhalten. Es vereinigt sich bei neutraler Reaktion wieder mit dem Flavin zum aktiven Ferment. Man kann auf diese Weise auch Wirkungsgruppen austauschen. So läßt sich das Alloxazin-Adeninnucleotid des „neuen" gelben Ferments mit dem Protein des „alten" Ferments vereinigen, wobei ein „synthetisches" Ferment entsteht, dasähnliche Wirksamkeit zeigt wie das alte Ferment. Man darf annehmen, daß in der lebenden Zelle die Oxydation der organischen. Stoffe in gleicher Weise vor sich geht wie in den beschriebenen Versuchen mit den isolierten Fermenten: Der Wasserstoff des Substrates wird zunächst vom Pyridinferment aufgenommen und dann auf ein gelbes Ferment übertragen 1 ). In einzelnen Fällen wird das Substrat auch direkt von einem gelben Ferment dehydriert. Diese ersten Stufen der Oxydation lassen sich also schematisch folgendermaßen darstellen: Substrat H 2

I

dehydriertes Substrat

>• Pyridin

Jl

Pyridin H 2

Flavin H2

I

Flavin

Es entsteht nun die Frage, wie das hydrierte Flavin wieder oxydiert wird. Wir haben gesehen, daß im Modellversuch Methylenblau dazu verwendet werden kann. Zwar reagieren die isolierten gelben Fermente auch mit Sauerstoff; aber gerade diejenigen Flavoproteine, welche die Pyridinnucleotide reoxydieren, reagieren mit 0 2 so langsam, daß die tatsächliche Geschwindigkeit der Atmung damit nicht erklärt werden kann. Vor allem aber ist die Zellatmung, wie oben (S. 230) dargelegt wurde, gegen Blausäure und CO empfindlich, während die Wasserstoffübertragung über die Pyridin- und Flavinfermente durch diese Stoffe nicht gehemmt wird. Die hydrierten Flavinfermente müssen daher — direkt oder indirekt — durch das Cytochromsystem oxydiert werden. Da die Atmung der meisten Zellen durch die genannten Komplexbildner zum größten Teil unterdrückt wird, kann die direkte Oxydation des Pyridin-Flavin-Systems (unter Umgehung der Metallproteide) nur eine nebensächliche Rolle spielen. Wir kennen nun tatsächlich Flavinfermente wie z. B. die genannte Cytochromreduktase, deren reduzierte Stufe direkt durch Cytochrom c wieder oxydiert werden kann. Durch Vermittlung solcher Fermente kann der Wasserstoff, der vom Triphosphopyridinnucleotid aufgenommen wurde, am Cytochromeisen oxydiert werden. Hier können wir also die Kette der Oxydo-Reduktionsprozesse vom Substrat bis zum Sauerstoff lückenlos verfolgen. Ebenso gehört hierher das oben erwähnte neue Flavoprotein von M a h l er und Mitarb., das die Reduktion des Cytochroms c durch die hydrierte Cozymase vermittelt. (Tabelle der Flavinenzyme siehe S. 692.) Über den Mechanismus der Oxydation der hydrierten Flavine durch Cytochrom ist noch wenig bekannt. Da, wie erwähnt, verschiedene gelbe Fermente Metallkomplexe sind, wird die Reduktion des Cytochromeisens möglicherweise durch das mit dem Flavoprotein verbundene Metall vermittelt 2 ). Es ist früher die Möglichkeit erwogen worden, daß zwischen die Flavine und das Cytochrom das System Bernsteinsäure — Fumarsäure eingeschaltet ist ( S z e n t - G y ö r g y i ) . Die Fumarsäure müßte dann durch das Flavinferment zu Bernsteinsäure reduziert werden. Die Bernsteinsäure kann tatsächlich durch Vermittlung der Succinodehydrase vom Cytochrom wieder oxydiert werden. (Succinodehydrase und Cytochromsystem sind in x ) Möglicherweise ist an der Oxydation der Dihydrocozymase durch das Flavin die Ascorbinsäure beteiligt. Vgl. Arch. Biochem. Biophys. 48, 233 (1954). 2 ) Vgl. Ann. Rev. Biochem. 23, 36 (1954); Science 120, 7 (1954).

Die biologische Oxydation

250

der Zelle eng verbunden und lassen sich nicht ohne Zerstörung der Wirkung trennen. Sie bilden zusammen ein komplexes Fermentsystem.) Die Dicarbonsäuren würden sich also in folgender Weise zwischen F l a v i n und Cytochrom einschieben: Flavin

(Fumarsäure) C00H-CH=CHC00H

^

[Fei"]

'Succinodehydrase

Flavin H„

COOH-CH 2 (Bernsteinsäure)

[Fe"] (Cytochrom)

D a s Bernsteinsäure-Fumarsäure-System würde sich für diese Rolle eignen, weil tatsächlich sein Redoxpotential zwischen demjenigen des Cytochroms c u n d der Flavinfermente liegt. Das obige Schema setzt voraus, daß Flavin H 2 direkt durch Fumarat dehydriert werden kann. Tatsächlich ist ein gelbes Ferment gefunden worden, welches den Wasserstoff auf Fumarat übertragen kann 1 ). Coferment ist das Flavinadenindinucleotid. Wir wissen aber nicht, ob diese Reaktion eine allgemeine Bedeutung hat. Die wesentliche Rolle der Dicarbonsäuren f ü r die Atmung liegt in ihrer Beteiligung am Tricarbonsäurecyklus (vgl. S. 257). S l a t e r hat in Präparaten aus Herzmuskel, welche Succinat und reduzierte Cozymase zu oxydieren vermögen und die die Fermente in unlöslicher Form an Körnchen gebunden enthalten (wahrscheinlich die Trümmer der sog. Sarkosomen), einen Faktor nachgewiesen, der f ü r die Reduktion des Cytochroms c durch das Flavoprotein sowie f ü r die Oxydation des Succinats unentbehrlich zu sein scheint. Der Faktor gibt sich dadurch zu erkennen, daß er bei Behandlung des Enzympräparats mit reduzierenden Stoffen („Bai" = 2,3-Dimercaptopropanol, reduziertem Glutathion, Ascorbinsäure) in Gegenwart von 0 2 zerstört wird, währenddem die übrigen Komponenten des Systems unter diesen Bedingungen nicht verändert werden 2 ). Dieses Verhalten deutet auf eine Häminverbindung hin (vgl. die Bildung der sog. „grünen Hämine", S. 531). Der Faktor ordnet sich nach S l a t e r in folgender Weise in die Atmungskette ein (Pfeile: Richtung des Wasserstoff- und Elektronentransportes): reduziertes DPN

Flavoprotein (Diaphorase)

organische Substrate



Faktor von S l a t e r

-> Methylenblau

Cytochrom b

Cytochrom c

Cytochrom a

W a r b u r g s c h e s Atmungsferment 4 02 F i s c h e r und Mitarb., Naturwiss. 27, 197 (1939). 2 ) Vgl. Biochem. J . 46, 484 (1950).

02

Succinat

//

Succinodehydrase

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; WasserstoffÜberträger

251

Durch gestrichelte Pfeile ist die nicht physiologische Oxydation der Flavoproteine und des Succinats durch Methylenblau bezeichnet. Das Succinat nimmt insofern eine besondere Stellung ein, als bisher kein Pyridin- oder Flavincoferment gefunden werden konnte, welches seinen Wasserstoff auf das Cytochromsystem überträgt. Möglicherweise reagiert es also, wie angegeben, direkt mit dem Cytochrom b. Die Bedeutung des Slaterschen Faktors bleibt noch abzuklären, denn es sind, wie oben erwähnt, Flavoproteine bekannt, welche auch direkt mit dem Cytochrom c zu reagieren scheinen.

Welcher Art nun auch der Wasserstoffüberträger sei, der mit dem Cytochrom reagiert, so wird der Wasserstoff schließlich am dreiwertigen Cytochromeisen zum Wasserstoffion oxydiert: (Cytochrom) X + 2Fe++ + 2H+

(Cytochrom) XH + 2 F e + + +

Faßt man die bisher besprochenen Vorgänge zusammen, so gelangt man zum folgenden allgemeinen Schema der biologischen Oxydation. Die Pfeile weisen die Richtung der Elektronenübertragung : Substrat ^

Pyridin H 2n

\2H

I I

Flavin H,,

\2H

++ Fe

\

\2H

\ \ Pyridin J Flavin * dehydriertes Substrat gelbe Fermente: Codehydrase I oder Codehydrase II „altes" gelbes Ferment „neues" gelbes Ferment + Apodehydrasen Cytochromreduktase (Zwischenferment)

tl

||

++

Fe

x

+++ Fe Cytochrome

t

»+++ Fe

-Sauerstoff

»2H+I H2O

Atmungsferment

Man bezeichnet die obige Reaktionsfolge, durch welche der Substratwasserstoff schließlich zu Wasser oxydiert wird, als A t m u n g s k e t t e . Die Punkte bedeuten, daß der Mechanismus der Oxydation der reduzierten Flavine durch die Cytochrome noch nicht abgeklärt ist. Es sei auch daran erinnert, daß es Substrate gibt, die direkt durch Flavine und nicht durch Pyridin dehydriert werden, und daß in besonderen Fällen (die allerdings nur einen Nebenweg darstellen) das Flavin durch den molekularen Sauerstoff oxydiert werden kann. Bei wichtigen Dehydrasen, wie z.B. der Bernsteinsäuredehydrase, kennt man heute den Wasserstoffüberträger überhaupt nicht. Auf verschiedene Einzelheiten werden wir bei der Besprechung des Intermediärstoffwechsels zurückkommen. Wir haben uns bisher nur mit der Oxydation des Wasserstoffs befaßt. I n den folgenden Kapiteln werden wir zeigen, in welcher Weise die Kohlenstoffketten der organischen Verbindungen abgebaut werden. Kohlendioxyd entsteht, soviel wir heute wissen, immer durch Decarboxylierung, d. h. durch Abspaltung einer Carboxylgruppe. Der aufgenommene Sauerstoff stammt in allen Fällen, in denen wir den Reaktionsverlauf heute übersehen können, aus dem Wasser. Da der Oxydationsvorgang in eine Reihe einzelner Stufen aufgeteilt ist, wird auch die Energie nicht in einem einzigen Sturz freigesetzt, sondern sie kann in Teilbeträgen kaskadenartig abfließen. Wir werden auf die Bedeutung dieser Tatsache bei der Besprechung des Intermediärstoffwechsels näher eingehen. Außer den bisher genannten Fermenten der Oxydation finden sich in den Zellen verschiedenartige Stoffe, die sich durch besonders leichte Oxydations- oder Reduktion sfähigkeit auszeichnen. Dazu gehören möglicherweise auch gewisse Vitamine und Hormone. Adrenalin, Sulfhydrylverbindungen und Vitamin C sind hier in

Die biologische Oxydation

252

erster Linie zu nennen. Es ist möglich, daß diese Stoffe ebenfalls eine Cofermentnatur haben, indem sie im Verein mit Trägerproteinen wirken. Darüber ist noch nichts bekannt. Adrenalin kann in ein Orthochinon übergehen, wobei gleichzeitig Ringschluß der Seitenkette eintritt. Dieses Oxydationsprodukt wird A d r e n o c h r o m genannt: H HO—r HO—I

,0H S

CH„

Hx

^OR X

>•

NH-(CH3)

0=

Hx

CH,

>- 0 = r

NH-(CH3)

0=

X

CH, CH3

Adrenalin

Adrenochrom

Es scheint, daß Adrenochrom bei der Dehydrierung der Äpfelsäure und der Milchsäure den Wasserstoff von der Codehydrase I aufnehmen kann und dabei in eine Leukoverbindung übergeht, die autoxydabel ist, also vom Luftsauerstoff wieder oxydiert wird. Es kann also die Oxydation der genannten Substrate durch den Luftsauerstoff vermitteln. Wie weit diesem Vorgang biologische Bedeutung zukommt, ist unbekannt. Ein anderer Stoff, der vielleicht auch an Redoxvorgängen beteiligt ist, ist das Pyocyanin, ein Bakterienfarbstoff: O

Derartige Bakterienfarbstoffe könnten möglicherweise als C o d e h y d r a s e n wirken. Die Ascorbinsäure (Vitamin C) ist eine stark reduzierende Verbindung (vgl. Kap. 29). Sie geht bei der Oxydation zuerst in Dehydroascorbinsäure über: O o HO—C II o HO—C I HCHC OH Ascorbinsäure

o=c .-

2 H

,

+ 2H

o 0=C I HC— HC OH

H.C-OH Dehydroascorbinsäure

Diese Reaktion ist umkehrbar. Bei pH-Werten > 5 (d. h. bei neutraler und alkalischer Reaktion) wird die Dehydroascorbinsäure leicht weiter oxydiert, wobei die G-Kette zerfällt. Es ist möglich, daß die reversible Oxydation der Ascorbinsäure f ü r ihre Wirkung eine Bedeutung hat. Sicheres ist aber darüber nicht bekannt. Die Ascorbinsäure ist autoxydabel. Die Oxydation ist eine Schwermetallkatalyse. Besonders wirksam sind Cu- und Ag-Ionen. Es scheint, daß die Oxydation auch durch schwermetallhaltige Fermente katalysiert wird.

Die Dehydrierung der organischen Stoffe; Wasserstoffüberträger

-253

Die Sulfhydrylverbindungen von der Art des Glutathions scheinen nicht Wasserstoffüberträger im allgemeinen Sinn zu sein; wahrscheinlich kommen ihnen im Stoffwechsel speziellere Funktionen als Cofermente zu (vgl. S. 282, 308). Wasserstoffübertragende Fermentsysteme besonderer Art sind die ausschließlich auf Bakterien und einige Algen beschränkte Hydrogenase und die ebenfalls bei Bakterien vorkommende Hydrogeiüyase. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß sie mit molekularem, gasförmigem Wasserstoff reagieren. Die Hydrogenase vermag in reversibler Reaktion Wasserstoffakzeptoren durch molekularen Wasserstoff H 2 zu reduzieren: H 2 + A H 2 A. (Der Wasserstoff kann auch von nicht physiologischen Akzeptoren, z. B. Farbstoffen, aufgenommen werden; daher läßt sich das Enzym durch die T h u n b e r g t e c h n i k nachweisen.) Gewisse Grünalgen (z. B. Scenedesmus) können durch Anpassung dazu gebracht werden, den molekularen Wasserstoff zur Photoreduktion der Kohlensäure zu verwenden (vgl. Kapitel Photosynthese S. 460). Das Ferment vermag als einfachste Reaktion auch den Austausch des Wasserstoffs zwischen Wasser und molekularem Wasserstoff zu katalysieren, was leicht verständlich ist, wenn man annimmt, daß der vom Ferment (X) fixierte Wasserstoff zum Wasserstoffion oxydiert wird: H2

(XH 2 )


R + DPNH s /

Die eingeklammerte Verbindung stellt das hypothetische Zwischenprodukt der Reaktion des Pyruvats mit dem Aneurinpyrophosphat dar (über eine mögliche Formulierung vgl. S. 688). Daraus bildet sich zuerst eine S-Acetylverbindung der reduzierten Liponsäure, deren Acetylrest anschließend (durch eine Liponsäure-Transacetylase) auf das Coenzym A übertragen wird. Durch die folgende Oxydation der Dithiolform zum Disulfid wird der Zyklus geschlossen 1 ). N a c h andern Untersuchungen ( R e e d und D e B u s k ) 2 ) ist das eigentliche Coferment der Decarboxylierung eine Verbindung der Liponsäure mit dem Aneurinpyrophosphat (die erstere vermutlich säureamidartig an die Aminogruppe des Aneurins gebunden, daher L i p o t h i a m i d ) . Es konnte eine Mutante von Escherichia coli gewonnen werden, welche aus a-Liponsäure und Aneurin kein Lipothiamid bilden kann. Ein Fermentextrakt aus diesem Organismus kann Pyruvat weder mit Cocarboxylase allein noch mit Liponsäure allein oxydieren. Dies ist nur bei Zusatz des Lipothiamids möglich. R e e d und De B u s k stellen ein Reaktionsschema auf, das sich in seinen wesentlichen Zügen mit dem obigen deckt. In bezug auf die Natur des Coferments und die Interpretation der experimentellen Befunde scheinen z. Z. noch Unsicherheiten zu bestehen (vgl. O c h o a , 1. c.). Da die Liponsäure wie auch das Lipothiamid in den tierischen Geweben vorkommen (die kristallisierte Liponsäure wurde aus Leber dargestellt) 3 ), ist anzunehmen, daß in den tierischen Zellen die Oxydation des Pyruvats ebenfalls von diesem Wirkstoff abhängig ist und ähnlich verläuft wie bei den bisher untersuchten Bakterien. Wahrscheinlich verläuft auch die oxydative Decarboxylierung der a-Ketoglutarsäure in gleicher Weise. Versuche mit löslichen Fermenten aus Herzmuskel zeigen, daß die Reaktion Coenzym A-abhängig i s t j i n d daß offenbar intermediär die Succinylverbindung des Coenzyms COOHCH 2 CH 2 CO-S-CoÄ gebildet wird 4 ). Man kann also die Reaktion folgendermaßen formulieren: a-Ketoglutarat + CoA + [DPN]



Succinyl—CoA + C0 2 + D P N H + H+.

Die Decarboxylierung des a-Ketoglutarats ist mit einer Phosphorylierung gekoppelt. Es lassen sich aus Herzmuskel Enzympräparate darstellen, welche imstande sind, bei Gegenwart von Ketoglutarat, Coenzym A und ATP anorganisches Phosphat in organische Bindung (Glucosephosphat) überzuführen, wobei Succinyl-Coenzym A nach folgender Gleichung reagiert 5 ). Näheres über den Reaktionsmechanismus s. S. 763. Succinyl—CoA + ADP + Phosphat

> Succinat + ATP + CoA.

Über die allgemeine Bedeutung dieser Reaktion vgl. S. 452 und 525 Der „aktivierte" Succinylrest kann ähnlich wie der Acetylrest auf Sulfanilamide übertragen werden 6 ). Das Succinyl-CoA kann auch hydrolytisch durch eine Desacylase gespalten werden. Neuerdings hat sich auch die Abhängigkeit der Ketoglutarsäureoxydation vom Lipothiamid nachweisen lassen ( R e e d und D e Busk), und man kann daher die analoge Reaktionsfolge annehmen wie beim Pyruvat, nämlich eine primäre Bildung von SuccinylLipothiamid. l

) Näheres vgl. G u n s a l u s 1. c.; O c h o a Adv. Enzymol. 15, 183 (1954). ) J . Am. ehem. Soc. 75, 1261 (1953); Physiol. Reviews 33, 544 (1953). Fed. Proc. 13, 723 (1954). J ) R e e d und Mitarb., J . Am. ehem. Soc. 75, 1267 (1953). 4 ) K a u f m a n n ; G r e e n , Phosphorus Metabolism 1, 370, 330 (1951). 6 ) K a u f m a n n , Fed. Proc. 12, 704 (1953); vgl. auch Ann. Rev. Biochem. 21, 578 (1952). 6 ) S a n a d i und L i t t l e f i e l d , J . biol Chem. 198, 683 (1951). s

Die Oxydation des Pyruvats durch den Citronensäurecyklus

267

Wenn außer dem Coenzym A auch Adenosintriphosphat zugegen ist, kann auch Acetat mit Oxalacetat unter Bildung von Citrat reagieren. Bei Gegenwart von ATP kann die freie Essigsäure aktiviert, d. h. in Acetyl—CoA übergeführt werden. Über den Mechanismus dieser Reaktion vgl. S. 449. Über Acyloinbildung aus Pyruvat vgl. S. 763. Wie bereits erwähnt, erfolgt die Bildung des Acetylphosphats bei den Bakterien nicht direkt durch phosphorylierende Spaltung des Pyruvats. Vielmehr erfolgt zuerst die mit der Decarboxylierung des Pyruvats gekoppelte Acetylierung des Coferments und anschließend die Übertragung des Acylrests auf das Phosphat durch eine besondere „Transacetylase" (vgl. S. 449).

Durch die Kondensation der „aktivierten" Essigsäure mit der Oxalessigsäure entsteht eine Tricarbonsäure. Da die drei in Frage kommenden Säuren — Citronensäure, Isocitronensäure, cis-Aconitsäure — miteinander im Gleichgewicht stehen (vgl. S. 262), kann nicht ohne weiteres gesagt werden, welche primär gebildet wird. Aus Isotopenversuchen, auf die wir im einzelnen hier nicht eingehen können, hatte man irrtümlicherweise geschlossen, daß die cis-Aconitsäure das erste Produkt der Krebs-Kondensation darstelle. Doch haben neuere Versuche zum Resultat geführt, daß sehr wahrscheinlich die ursprüngliche Annahme richtig ist, nach der zuerst Citronensäure gebildet wird 1 ). H e m m u n g d e r C i t r a t o x y d a t i o n d u r c h F l u o r a c e t a t . Ein interessanter Hemmkörper des Citronensäurecyklus ist neuerdings im Fluoracetat (FCH 2 COOH) gefunden worden. Dieser Stoff hemmt die Oxydation des Citrats in spezifischer Weise ( P e t e r s , M a r t i u s ) . Bei Tieren, die mit diesem Stoff vergiftet worden sind, findet man eine starke Anhäufung von Citrat in verschiedenen Organen (im Gehirn auf das 10-fache, im Herzen auf das 20-fache, in der Niere auf das 80-fache des Normalwerts, keine nennenswerte Anhäufung in der Leber) ( P e t e r s , P o t t e r u. a.). Das Fluoracetat wird, wie P e t e r s und Mitarb. gezeigt haben, in den Mitochondrien in das Monofluorderivat einer Tricarbonsäure übergeführt, das isoliert werden konnte und welches die Aconitase und damit die Oxydation des Citrats kompetitiv hemmt. Der Hemmkörper ist außerordentlich wirksam (5—6 y verhindern das Verschwinden von 10 Mikromol Citrat). Es liegt hier der sehr interessante Fall vor, daß ein stark toxischer Stoff aus einem nicht oder jedenfalls viel weniger toxischen, dem Fluoracetat im Körper selbst gebildet wird („lethale Synthese") 2 ). Die Reaktionen, die von der Citronensäure weiterführen, wurden oben bereits besprochen. Das Schema auf S. 258 zeigt, wie sie sich zum Cyklus zusammenschließen. Es zeigt die Zwischenstufen, die bei der Pyruvatoxydation auftreten. Es sagt aber nichts über den Mechanismus der Einzelreaktionen aus. Eine erste wichtige Frage betrifft die Natur der Wasserstoffakzeptoren, die an den verschiedenen Dehydrierungen beteiligt sind. Die Brenztraubensäure reagiert mit der Cozymase, die Isocitronensäure mit dem Triphosphopyridinnucleotid (Codehydrase II) und die Äpfelsäure mit dem Diphospho- oder Triphosphopyridinnucleotid. Bei der Succinodehydrase ist nicht bekannt, ob ein Pyridin- oder Flavincoferment zwischen das Substrat und das Cytochrom eingeschaltet ist (vgl. S. 250 u. S. 259). Der Wasserstoff wird aber unter aeroben Bedingungen letzten Endes dem Cytochromsystem zugeführt, wie dies im Kapitel über die biologische Oxydation beschrieben worden ist. Das folgende Schema gibt einen Überblick über die am Citronensäurecyklus beteiligten Wasserstoffüberträger: *) Vgl. P o t t e r u. H e i d e l b e r g e r , Nature 164, 180 (1949). 2 ) Vgl. z. B. P e t e r s , Brit. Med. Bull. 9, 116 (1953).

268

Die Oxydation der Kohlenstoffketten; der Citronensäurecyklus Atmungskette Pyruvat CO.

2H

DPN

/

/

„aktiviertes" Acetat + Oxalacetat Citrat—Isocitrat

TPN

2H

\

C02^ a-Ketoglutarat CO

DPN

Flavinenzyme

Cytochrome t

Atmungsferment

X Succinat

-2-!i.

Fumarat—Malat

2H

.

02

DPN TPN

Oxalacetat

Das obige Schema läßt einen Aspekt der Oxydationsvorgänge hervortreten, der später bei Betrachtung der Phosphorylierungen als Mittel der energetischen Koppelung von Bedeutung sein wird. Die Substrate durchlaufen eine Reaktionskette (oder einen Reaktionscyklus), in deren Verlauf ihr Kohlenstoffgerüst zu C0 2 oxydiert wird. Man kann diese Reihe als „ S u b s t r a t k e t t e " bezeichnen. Bei jeder Oxydationsstufe wird der Wasserstoff durch einen Akzeptor aufgenommen und über eine Reihe von Wasserstoffüberträgern und Häminfermenten schließlich zu Wasser oxydiert. Man hat diese Reaktionsfolge als „ A t m u n g s k e t t e " bezeichnet. Wir werden später sehen, daß der größte Teil des Abfalls des chemischen Potentials, welcher mit der Oxydation der organischen Substrate verknüpft ist, auf die Oxydation der hydrierten Cofermente fällt. Da die Substrate ihren Wasserstoff mit Hilfe der spezifischen Dehydrasen auf die gleichen Cofermente (meistens DPN und TPN) übertragen können, vermag die Zelle durch ein und denselben Reaktionsmechanismus die chemische Energie einer großen Zahl verschiedenartiger Substrate auszunützen. Die B e d e u t u n g der D i c a r b o n s ä u r e n für die Z e l l a t m u n g Schon vor der Aufstellung des Citronensäurecyklus hatte S z e n t - G y ö r g y i die Entdeckung gemacht, daß die Dicarbonsäuren (Bernstein-, Fumar-, Äpfelsäure) die Atmung von zerkleinertem Muskelgewebe stark steigern. E r nahm an, daß das System Apfelsäure—Oxalessigsäure als Wasserstoffüberträger wirksam ist. Oxalessigsäure würde demnach durch den Wasserstoff der oxydierbaren Substrate zu Äpfelsäure reduziert, die letztere (durch das Codehydrase-CytochromSystem) wieder zu Oxalessigsäure oxydiert. Äpfelsäure 2H . | g jj Substrat T | >• [Cytochromsystem] -< 02 Oxalessigsäure Wir haben auf diese Möglichkeit schon früher hingewiesen (siehe S. 250).

Die Oxydation des Pyruvats durch den Citronensäurecyklus

269

Tatsächlich wird im Muskelgewebe, welches Kohlehydrat oxydiert (also unter aeroben Bedingungen!), bei Gegenwart von Oxalacetat Malat gebildet; es wird also gemäß dem obigen Sc hema Wasserstoff von Zwischenstufen des Kohlehydratabbaus auf das Oxalacetat übertragen ( S z e n t - G y ö r g y i , P a r n a s ) . Der Muskel besitzt also die Fähigkeit, Oxalessigsäure auf Kosten anderer organischer Substrate, sogar bei Gegenwart von Sauerstoff, zu Apfelsäure zu reduzieren. Es hat sich später gezeigt, daß gewisse Zwischenstufen des Citronensäurecyklus im zerkleinerten Muskel auch a n a e r o b verlaufen können, wenn Oxalacetat im Überschuß vorhanden ist. Das letztere nimmt den Wasserstoff auf und geht in Malat über. Auf diese Weise kann aus Pyruvat und Oxalacetat Citrat und aus Citrat a-Ketoglutarat unter anaeroben Bedingungen gebildet werden. Die Theorie des Citronensäurecyklus gibt f ü r die katalytische Wirkung der Dicarbonsäuren auf die Atmung eine Erklärung, welche durch zahlreiche Tatsachen gestützt wird. Wie wir gesehen haben, werden die Dicarbonsäuren zuerst zu Oxalessigsäure oxydiert; die letztere reagiert mit der Brenztraubensäure unter Bildung von Citronensäure. Die Dicarbonsäuren katalysieren die Atmung also dadurch, daß sie die Citratbildung ermöglichen. Es ist daher nicht nötig, noch eine besondere Funktion des Oxalacetats als Wasserstoffüberträger anzunehmen. Allerdings läßt sich die oben erwähnte Tatsache, daß Oxalacetat im Muskel sehr leicht zu Malat reduziert wird, nicht in das Bild des Citronensäurecyklus einfügen, denn im Ablauf des Cyklus wird Malat zu Oxalacetat oxydiert. Die Frage, unter welchen physiologischen Bedingungen eine zeitweilige Reduktion des Oxalacetats eintritt und welche Bedeutung dieser Reaktion zukommt, muß vorläufig offen bleiben.

Die oxydative Phosphorylierung. Die Oxydation der Brennstoffe in der Zelle ist mit der Bildung organischer Phosphorsäureverbindungen verknüpft. Dieser Vorgang heißt oxydative Phosphorylierung. Als erstes faßbares Produkt tritt dabei Adenosintriphosphat (ATP) auf, welches durch Phosphorylierung des Adenosindiphosphats entsteht (Konstitution dieser Verbindungen siehe S. 121). Das Triphosphat kann einen Phosphorsäurerest an andere Verbindungen geben. Auf diese Weise werden z. B. Zuckerphosphate oder im Muskel Phosphokreatin gebildet. Wir werden bei der Besprechung der glycolytischen Reaktionen zeigen, daß die Phosphatgruppen der Adenosintriphosphorsäure (ATP) eine für die Zelle unmittelbar verwertbare Form chemischer Energie darstellen. Die Einführung der beiden Phosphatreste beim Übergang der Adenylsäure in das ATP erfordert einen Energieaufwand. Diese Energie wird durch die Oxydationen geliefert. Man muß annehmen, daß in ähnlicherWeise wie bei der Oxydation des Triosephosphats zum N e g e l e i n Ester (vgl. S. 281) bei den einzelnen Oxydationsstufen des Citronensäurecyklus anorganisches Phosphat aufgenommen und auf das Adenosindiphosphat übertragen wird. Die bei der Oxydation freiwerdende Energie tritt unter diesen Bedingungen nur teilweise als Wärme in Erscheinung; ein beträchtlicher Teil bleibt als organisch gebundenes Phosphat aufgespeichert und kann von der Zelle für alle möglichen Zwecke gebraucht werden. Man hat ausgerechnet, daß pro Molekül oxydiertes Pyruvat ungefähr 15 Moleküle anorganisches Phosphat in organische Bindungen übergeführt werden (Ochoa). In Analogie zur Oxydation des Phosphoglycerinaldehyds bei der Gärung kann man die Koppelung zwischen Oxydation und Phosphataufnahme allgemein in folgender Weise formulieren: Substrat + anorg. Phosphat

Oxydation

phosphoryliertes Zwischenprodukt

PhophatÜbertragung

^ i i ATP

II

ADP

Zucker Phosphat- / ir ... . i—>• Kreatin Übertragung V

oxydiertes Substrat

Wir werden diese Vorgänge und insbesondere ihren energetischen Aspekt im Kapitel 18 S. 440 genauer behandeln.

270

Die Oxydation der Kohlenstoffketten; der Citronensäurecyklus

Da durch den Citronensäurecyklus nicht nur das Kohlehydrat, sondern auch die Fettsäuren und ein Teil der Aminosäuren oxydiert werden, stellt er den wichtigsten Mechanismus der Zelle für die Bildung organischer Phosphatbindungen dar. Er ermöglicht es der Zelle, einen beträchtlichen Teil der Energie, die bei der Verbrennung der organischen Stoffe verfügbar wird, zur Phosphorylierung anderer Verbindungen zu verwenden. Die große Bedeutung dieser Tatsache wird klar, wenn man bedenkt, daß die meisten biochemischen Synthesen über phosphorylierte Zwischenstufen verlaufen. Nach neueren Untersuchungen sind die Fermente des Citronensäurecyklus und der oxydativen Phosphorylierung nicht über die ganze Zelle verteilt, sondern in bestimmten Zellgranula lokalisiert. In der Leber und der Niere sind dies die Mitochondrien (Piastosomen). Diese Gebilde sind daher wichtige Organe des Zellstoffwechsels. Für die Gesamtheit der Fermente des Citronensäurecyklus, die offenbar einen organisierten Komplex bilden, wurde der Name „Cyklophorase" vorgeschlagen (Green). Die Verbindung zwischen Oxydation und Phosphorylierung kann durch gewisse Stoffe aufgehoben, die beiden Vorgänge können „ e n t k o p p e l t " werden. Zu diesen Stoffen gehört z. B. das 2,4-Dinitrophenol, das schon in sehr geringen Konzentrationen (10~4 — 10 - 6 m) die Resynthese des ATP durch atmende Mitochondrien hemmt. Ähnlich wirken gewisse Farbstoffe (Phenosofranin, Diazingrün). Weiteres siehe S. 444.

Von großem Interesse ist die Beobachtung von Martius, wonach die oxydative Phosphorylierung in Mitochondrien auch durch Thyroxin entkoppelt werden kann. Möglicherweise hängt die Beeinflussung des Stoffwechsels durch das Schilddrüsenhormon mit dieser Wirkung zusammen.

Die im Citronensäurecyklus auftretenden Dicarbonsäuren können auch direkt aus Pyruvat gebildet werden, indem das letztere ein Molekül Kohlendioxyd addiert. Es hat sich ferner gezeigt, daß die Decarboxylierung der Isocitronensäure ein umkehrbarer Prozeß ist. Dies führt auf das wichtige Problem der Kohlensäurefixierung in den tierischen Geweben, das wir im folgenden Abschnitt kurz besprechen wollen. 2. Die Fixierung des Kohlendioxyds

Verabreicht man Tieren Natriumbicarbonat, das ein Kohlenstoffisotop enthält (das stabile Isotop C(13> oder das langlebige radioaktive Isotop C), so findet man, daß nach einiger Zeit das Glycogen in den Geweben den „markierten" Kohlenstoff aufgenommen hat. Bis zu 16% des Glycogenkohlenstoffs stammen aus dem Bicarbonat. Es muß also Reaktionen geben, durch welche die Kohlensäure wieder in organische Verbindungen aufgenommen werden kann. Die nächsthegende Annahme ist die, daß diese Reaktionen in der Umkehrung von Decarboxylierungen bestehen. Schon vor der Entdeckung der Kohlensäurefixierung in den tierischen Geweben war bekannt, daß gewisse Bakterien C0 2 zu binden vermögen. Propionsäurebakterien, auch Colibazillen, sind imstande, aus C 3 -Verbindungen wie Glycerin oder Brenztraubensäure Bernsteinsäure zu bilden. Die genauere Untersuchung des Vorgangs zeigte, daß dabei Kohlensäure verbraucht wird. Es lag nahe anzunehmen, daß das Kohlendioxyd das vierte C-Atom der Bernsteinsäure liefert. Tatsächlich entsteht die Bernsteinsäure auf die Weise, daß die Brenztraubensäure ein Molekül C0 2 addiert und dabei in Oxalessigsäure übergeht. Die letztere liefert durch Reduktion Bernsteinsäure. Diese Annahme konnte durch Verwendung von „markiertem" C0 2 bewiesen werden. Das C-Isotop (schwerer Kohlenstoff C(13)) fand sich wie erwartet in. den Carboxylgruppen der Bernsteinsäure:

271

Die Fixierung des Kohlendioxyds CO,

+

COOH

CH3

CHS

« U I

C=0

-

CH„

-2 H

—H,0

¿H(OH)

I

COOH Brenztraubensäure

COOH I 1 CH IIII CH

COOH

, OT=-H • + 2 H

CH2

1

CH2

j

1

COOH Fumarsäure

COOH Äpfel-

COOH Oxalessigsäure

COOH J

COOH Bernsteinsäure

Die erste Reaktion ist eine sog. „Carboxylierung". Sie ist die Umkehrung der spontan verlaufenden Ketospaltung der Oxalessigsäure (alle ¿ß-Ketosäuren sind unstabil). Sie heißt nach ihren Entdeckern gewöhnlich W o o d - W e r k m a n s c h e Reaktion. Dieselbe Reaktion findet auch in den tierischen Geweben statt. Sie liefert die Oxalessigsäure, welche für die Ingangsetzung des Citronensäurecyklus nötig ist ( K r e b s ) . Im Muskel und in der Leber konnte die Existenz dieser Reaktion ebenfalls durch Versuche mit dem Kohlenstoffisotop definitiv bewiesen werden. Nach neueren Untersuchungen (Ochoa) ist die Reaktion von W o o d und W e r k m a n nicht einfach, sondern es sind zwei Fermente daran beteiligt. Aus Taubenleber wurde nämlich ein Ferment isoliert, das in Gegenwart des Triphosphopyridinnucleotids (TPN) die Spaltung der Äpfelsäure in C0 2 und Brenztraubensäure bewirkt, wobei das Coferment hydriert wird (TPN = oxydierte Form, H 2 TPN = reduzierte Form des Coferments). Die Reaktion ist reversibel und hängt von der Gegenwart von Mn++-Ionen ab : COOH

COOH

I

CH(OH)

I

CH2

+

Mn++

TPN

Malatenzym

I c=o I

+

C0 2

+

H 2 TPN

CH3

#COOH Äpfelsäure

oxydiertes Coferment

reduziertes Coferment

Brenztraubensäure

Wir nennen das Ferment (entsprechend der englischen Bezeichnung „malic enzyme") „Malatenzym". Durch diese Reaktion wird also (wenn sie in der Richtung des unteren Pfeils verläuft) C0 2 in der /S-Carboxylgruppe der Äpfelsäure fixiert (in der obigen Gleichung durch ein Sternchen gekennzeichnet). Durch das oxydierte Coferment kann jetzt bei Gegenwart der Malicodehydrase die Äpfelsäure zu Oxalessigsäure oxydiert werden,, wobei das Coferment wieder Wasserstoff aufnimmt: COOH CH(OH) CH2

I

COOH +

TPN

Malicodehydrase

L o i CH2

I

COOH *

*COOH

Äofelsäure

Oxalessigsäure

+

H 2 TPN

272

Die Oxydation der Kohlenstoffketten; der Citonensäurecyklus

Die beiden Reaktionen ergeben in der Bilanz die Reaktion von W o o d und W e r k m a n , d. h. Pyravat addiert C0 2 und verwandelt sich in Oxalacetat. Das Malat wirkt dabei katalytisch, denn es wird immer wieder regeneriert. Die Gesamtreaktion bedarf also zu ihrem Ablauf dreier „Cofermente" und zweier Fermentproteine: Pyruvat + C0 2 Fermentproteine : Cofermente: Mn++ Malatenzym TPN Malicodehydrase Malat Oxalacetat

Versuche mit radioaktivem Kohlenstoff (als C^ 14 '0 2 verwendet) haben diesen Reaktionsmechanismus bestätigt (Ochoa). Neben der Reaktion von W o o d und W e r k m a n i s t i n den tierischen Geweben noch eine weitere Reaktion bekannt, durch welche C0 2 fixiert wird; die Decarboxylierung der Oxalbemsteinsäure (vgl. S. 261) kann ebenfalls umgekehrt werden. Das Gleichgewicht der Reaktion liegt allerdings stark zugunsten der Spaltung. Wird aber die durch Carboxylierung der a-Ketoglutarsäure entstehende Oxalbernsteinsäure sofort zu Isocitronensäure hydriert, so bleibt das C0 a als Carboxylgruppe der letzteren fixiert, wie die folgenden Gleichungen zeigen (Ochoa): COOH

COOH

¿=0

¿=0

AH2

+ CO,

|

Mn++

— • CH—COOH

Oxalbernsteinsäure-

decarboxylase

|

CH,

¿OOH CH—6oQH + TPN I CH2

COOH Isocitronensäure

Wenn die Reaktion im Sinne der C0 2 -Fixierung verlaufen soll, so muß das Coferment immer wieder hydriert werden. Man hat als Wasserstoffdonator (in vitro) das Glucose-6-phosphat benützt, das bei Gegenwart von Glucosephosphatdehydrase Wasserstoff an das Coferment I I abgibt und dabei zu Phosphogluconsäure oxydiert wird. Die Carboxylierung der a-Ketoglutarsäure erfolgt hier also auf Kosten der Oxydation eines Wasserstoffdonators. Wenn man die Fixierung des C0 2 durch Pyruvat bei Gegenwart von markiertem Bicarbonat verfolgt, so findet man, daß nach einiger Zeit auch die Carboxylgruppe des Pyruvata das CIsotop aufgenommen hat. Dieser Befund scheint auf den ersten Blick schwer verständlich, weil anscheinend durch die Ketospaltung des Oxalacetats das ursprüngliche Pyruvatmolekül wieder entsteht. Da seine Erklärung verschiedene neue Einblicke in den Ablauf der Stoffwechselvorgänge gestattet, die von allgemeiner Bedeutung sind, wollen wir kurz darauf eingehen. Das Bestehen eines Gleichgewichtszustandes zwischen verschiedenen Stoffen bedeutet nicht, daß zwischen ihnen überhaupt keine Umsetzungen stattfinden, sondern ist nur der Ausdruck dafür, daß in der Zeiteinheit gleich viele Moleküle vorwärts und rückwärts reagieren.

273

Die Fixierung des Kohlendioxyda

Wenn wir z. B . annehmen, daß der Stoff A sich in B verwandeln kann, und umgekehrt: A ^zt B , so ist der Gleichgewichtszustand dadurch charakterisiert, daß sich pro Zeiteinheit ebenso viele Moleküle A in B wie B in A verwandeln. Ähnliches gilt auch, wenn sich die Stoffe nicht im Gleichgewicht befinden, wenn also die Reaktionen im einen oder anderen Sinn vor sich gehen. E s findet immer eine Umwandlung der Moleküle in beiden Richtungen statt; nur ist die Zahl der Umwandlungen in der einen Richtung größer als in der anderen. Betrachten wir z. B . irgendein Glied des Citronensäurecyklus, etwa das Oxalacetat. Oxalacetat wird beständig durch Oxydation des Pumarats (über Malat) gebildet, d. h. wir können feststellen, daß in der Bilanz Fumarat verschwindet und Oxalacetat entsteht. Könnten wir aber das Verhalten einzelner Moleküle beobachten, so würden wir feststellen, daß beständig auch Moleküle des Oxalacetats (über Malat) zu Fumaratmolekülen (und weiter zu Succinat), also „gegen den Strom", reduziert werden, nur ist dann die Zahl der Fumaratmoleküle, die zu Oxalacetat oxydiert werden, größer als die Zahl der Oxalacetatmoleküle, die gleichzeitig in Fumarat zurückreduziert werden. Die Tatsache, daß beim Ablauf einer reversiblen Reaktion in einer bestimmten Richtung beständig auch die Gegenreaktion stattfindet, ist die Grundlage der Reaktionskinetik. Sie gestattet, auf einfache Weise die Gesetze des chemischen Gleichgewichts abzuleiten. Man muß von dieser Tatsache ausgehen, wenn man die biologischen Versuche mit Isotopen interpretieren will. Demnach muß angenommen werden, daß die Moleküle der Oxalessigsäure, die durch Carboxylierung der Brenztraubensäure entstanden sind, sich teilweise in Fumarsäuremoleküle verwandeln. Dies hat eine wichtige Konsequenz. In der Oxalessigsäure sind die beiden Carboxylgruppen nicht gleichartig; die eine steht zur Ketogruppe in a-Stellung, die andere in ß - S t e l l u n g . In der Fumarsäure dagegen sind sie völlig gleichwertig; das Molekül ist symmetrisch. Wenn nun die Fumarsäure wieder zu Oxalessigsäure oxydiert wird, so besteht für jede der beiden Carboxylgruppen die gleiche Wahrscheinlichkeit, daß sie zur a- Gruppe wird. Wenn die ß - G r u p p e ursprünglich durch Fixierung von C0 2 entstanden ist, so tritt der aus Kohlensäure stammende Kohlenstoff nun auch in der «-Carboxylgruppe auf; er wird also bei einer anfälligen Ketospaltung der Oxalessigsäure nicht einfach wieder entfernt, sondern bleibt in der Carboxylgruppe der entstehenden Brenztraubensäure erhalten. Das folgende Schema macht diese Verhältnisse klar (der C0 2 -Kohlenstoff ist durch ein Sternchen gekennzeichnet): C0 2 +

CH3C0-C00H

COOH CH 2 -CO-COOH 2H

COOH-CH. CH(OH) • COOH - H.O

/ +

COOH-CH:CH-COOH

COOH-CH 2 -CH(OH)-COOH

oder

H,O 2 H

COOH-CH, CO-COOH

C 0 2 + CH 3 CO • COOH

COOH-CH(OH)-CH 2 -COOH - HSO - 2H

oder

oder

COOH-CO CH- • COOH

COOH • CO • CH3 + CO.

Man sieht, daß der wesentliche Grund für die Fixierung des aufgenommenen C0 2 -Kohlenstoffs im Pyruvat darin liegt, daß die Rückbildung des Pyruvats über eine symmetrische Verbindung erfolgt ist. Etwas anders liegen die Verhältnisse bei der C0 2 -Fixierung durch a-Ketoglutarat. Das C 0 2 tritt hier als sekundäre Carboxylgruppe des Isocitrats und, wegen des Aconitase-Gleichgewichts (vgl. S. 261), auch des Citrats auf (vgl. Formeln S. 262). Man macht sich leicht klar, daß unter 18

L e u t h a r d t , Lehrbuch, 12. Aufl.

274

Der Kohlehydratstoffwechsel

diesen Umständen eine Verteilung des C02-Kohlenstoffs auf verschiedene Carboxylgruppen bei der Rückoxydation der Tricarbonsäuren nicht stattfindet. Bei der Bildung der a-Ketoglutarsäure wird daher die aus dem C0 2 stammende Carboxylgruppe wieder als C0 2 abgespalten. Eine Möglichkeit für die Erhaltung des eingetretenen COa-Kohlenstoffs besteht in einer Umkehrung der Kondensation zwischen Acetat und Oxalacetat. Die sekundäre Carboxylgruppe der Citronensäure kann dabei, wie man sich leicht an Hand des Schemas S. 306 klar macht, in die a-Carboxylgruppe der Oxalessigsäure und weiter in die Carboxylgruppe des Pyruvats übergehen. Nach den gegenwärtigen Kenntnissen stellt die Reaktion von Wood und Werkman den wichtigsten Weg für die Fixierung des C0 2 dar. Eine weitere neuerdings entdeckte Möglichkeit für die Fixierung von C0 2 besteht in der Addition von C0 2 an Ribose-5-phosphat, wobei Gluconsäure-6-phosphat gebildet wird (vgl. S. 296). Es scheint auch, daß bei der Purinsynthese C0 2 in das Puringerüst eingebaut wird (vgl. S. 424).

Vierzehntes Kapitel

Der Kohlehydratstoffwechsel 1. Die Verdauung und Aufnahme der Kohlehydrate Die in der Nahrung anwesenden Kohlehydrate sind entweder einfache Zucker (meist Mono- oder Disaccharide) oder Polysaccharide. Die wichtigsten Monosaccharide sind die Glucose und die Fructose. Von Disacchariden sind hier als für den Menschen am wichtigsten zu nennen die Saccharose (Rohrzucker), die Lactose (Milchzucker) und die Maltose (Malzzucker). Der Rohrzucker ist von allen genannten Zuckern für die Ernährung des Menschen der wichtigste. Das Polysaccharid, welches als Nährstoff für den Menschen die größte Bedeutung hat, ist die Stärke. Die C e l l u l o s e ist für den Menschen als Nahrungsstoff ohne Bedeutung, wohl aber für die Herbivoren. Ehe die höhermolekularen Kohlehydrate durch die Darmwand aufgenommen werden können, müssen sie in einfache Zucker zerlegt werden. Dies ist die Aufgabe der in den Verdauungssekreten enthaltenen hydrolysierenden Fermente. Wir haben die Wirkung dieser Fermente in einem früheren Kapitel ausführlich besprochen und kommen hier nur auf einzelne Fragen zurück, die zum Verständnis der Verdauung wichtig sind. Im S p e i c h e l des Menschen findet sich ein schon 1831 von L e u c h s entdecktes Ferment, welches „Ptyalin" genannt wurde. Dieses ist eine a-Amylase. Nicht bei allen Tierarten kommt im Speichel ein stärkespaltendes Ferment vor. Dasselbe findet sich außer beim Menschen bei den Herbivoren und Omnivoren, nicht aber bei den Fleischfressern. Im Magen finden sich k e i n e auf Kohlehydrate eingestellten Fermente. Da aber im Magen eine gewisse Schichtung der Ingesta in dem Sinne stattfindet, daß die zuletzt geschluckten Anteile innen zu liegen kommen und erst nach und nach gegen außen rücken, wird die Speise erst nach einiger Zeit mit dem sauren Magensaft durchtränkt. Die Hydrolyse der Stärke kann also während einiger Zeit im Magen weitergehen, bis die Amylase durch die stark saure Reaktion inaktiviert wird. Die Menge der Stärke, welche durch die Speichelamylase abgebaut wird, bleibt immer gering. Die Hauptmenge wird erst im Darm unter der Wirkung der Pankreasamylase hydrolysiert. Über den Verlauf der Stärkespaltung siehe S. 205. Die Maltose,

Die Verdauung und Aufnahme der Kohlehydrate

275

welche durch die Amylasewirkung entstanden ist, wird weiter durch die a-Glucosidase der Darmschleimhaut, die Maltase, zu Glucose hydrolysiert. Man nahm früher an, daß die Darmschleimhaut für die Hydrolyse des Rohrzuckers ein besonderes Ferment bilde (eine Saccharase). Wie im Kapitel über Fermente (S. 204) dargelegt wurde, greift aber die oc- Glucosidase auch die Saccharose an, weil dieselbe einen a-glycosidisch gebundenen Glucoserest enthält. Die Saccharase (oder Invertase), wie sie z. B. in der Hefe vorkommt, besitzt eine andere Spezifität und ist im Darm gar nicht vorhanden. Dagegen wird der Milchzucker durch ein spezifisches Ferment, eine /?- Galactosidase, die Lactase, gespalten. Versucht man, dem Organismus Disaccharide wie Milchzucker und Rohrzucker p a r e n t e r a l (d. h. mit Umgehung des Darmes, also durch Injektion in die Blutbahn) zu verabreichen, so werden sie unverändert im Harn ausgeschieden. Es müssen diese Saccharide zuerst gespalten werden, um für den Organismus verwertbar zu sein. Die K o h l e h y d r a t e werden also zum a l l e r g r ö ß t e n Teil als Monosaccharide a b s o r b i e r t . Die Cellulose wird durch die im menschlichen Verdauungskanal gebildeten Fermente nicht angegriffen. Wohl aber vermögen die im Dickdarm angesiedelten Mikroorganismen Cellulose abzubauen. Der Vorgang erreicht indessen bei den Omnivoren bei weitem nicht die Intensität wie beim Pflanzenfresser. Es können nur dünne Zellwände aufgelöst werden; aber trotzdem hat der Vorgang für die Ausnützung der Nährstoffe und den Verlauf der Verdauung eine gewisse Bedeutung. Ein Teil der Stärke und anderer Nährstoffe vegetabilischen Ursprungs bleiben nämlich während der Passage durch den Dünndarm von der Cellulosemembran der Pflanzenzellen eingeschlossen und sind dadurch dem Angriff der Fermente entzogen. Im Dickdarm wird die Membran durch die Fermente der Mikroorganismen aufgelöst, die Stärke wird frei und kann durch die im Coecum und Colon noch reichlich vorhandene Amylase abgebaut werden. Dadurch wird die Ausnutzung der Stärke erhöht, aber außerdem hat die Bildung löslicher Kohlehydrate im vorderen Abschnitt des Dickdarms noch eine ganz andere Bedeutung: Sie bilden das Substrat für Gärungsvorgänge, die zur Bildung organischer Säuren führen (Milchsäure, Propionsäure, Buttersäure). Dadurch wird im Darminhalt eine leicht saure Reaktion erhalten, welche der Entwicklung der fäulniserregenden Bakterien entgegenwirkt. Die Fäulnisvorgänge, deren Substrat die Proteine sind, entwickeln sich erst in den tieferen Abschnitten des Colon, wo keine Kohlehydrate mehr vorhanden sind. Der Umstand, daß ein Teil der Stärke bis zum Eintritt im Colon in den Pflanzenzellen eingeschlossen bleibt, wirkt also regulierend auf die Fäulnisvorgänge im Dickdarm. Das Vorhandensein pflanzlicher Gewebe (Blattgemüse, Kartoffeln, Karotten) in der Nahrung hat daher, abgesehen von den Nährstoffen, welche sie beitragen, die besondere Bedeutung, die Entwicklung der Fäulnisbakterien im Dickdarm in gewissen Grenzen zu halten. Von großer Bedeutung ist der Aufschluß der Cellulose für die Pflanzenfresser. Dieselben vermögen einen beträchtlichen Teil ihres Energiebedarfs durch Cellulose zu decken. Wir finden denn auch bei den Herbivoren eine besondere Anpassung des Verdauungstrakts an die cellulosereiche Nahrung. Der Darm ist nicht nur viel länger als bei den Carnivoren oder Omnivoren, sondern es finden sich besondere Einrichtungen, welche dem Aufschluß durch die Mikroorganismen dienen. So ist bei den nicht wiederkäuenden Pflanzenfressern das Coecum stark vergrößert. Es bildet einen Brutraum, in welchem der Nahrungsbrei während vieler Stunden verweilt und der Wirkung der Darmflora ausgesetzt ist. Den höchsten Grad der Anpassung an die Pflanzennahrung wird bei den Wiederkäuern erreicht, bei denen die zum erstenmal gekaute Nahrung zunächst in eine besondere Abteilung des Magens gelangt, den Pansen (Rumen); hier unterliegt sie einem Gärungsprozeß. Sie gelangt von dort wieder in die Mundhöhle, wird ein zweites Mal zerrieben und wieder geschluckt. Dieser Prozeß kann sich mehrmals wiederholen. Schließlich gelangt die 18*

276

Der Kohlehydratstoffwechsel

Nahrung in dem Maß, wie sie zerkleinert und verflüssigt wird, über den Netzmagen und den Blättermagen in den Labmagen. Die Produkte der bakteriellen Zersetzung der Cellulose sind nicht etwa Zucker, sondern zur Hauptsache niedere Fettsäuren (Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure) neben Methan und Kohlensäure. Es handelt sich um verwickelte Vorgänge, deren Einzelheiten noch keineswegs aufgeklärt sind. Zur Neutralisation der entstehenden Säuren dient der Speichel, der bei den Wiederkäuern beträchtliche Mengen Natriumbicarbonat enthält. (Man hat berechnet, daß ein junger Ochse pro Tag etwa 601 Speichel mit einem Gehalt von 300 g Natriumbicarbonat produziert.) Die Analyse des Panseninhalts hat den folgenden Gehalt an Fettsäuren ergeben: Essigsäure 45—76%, Propionsäure 12—29%, n-Buttersäure 6—19%. Daneben finden sich noch kleine Mengen Ameisensäure und höherer Fettsäuren. Diese Fettsäuren werden direkt durch die Wand des Pansen aufgenommen. Beim Yerdauungsprozeß der Wiederkäuer wird nur sehr wenig reduzierender Zucker absorbiert. Die Besonderheit der Ernährung besteht also darin, daß der Wiederkäuer an Stelle der Zucker Acetat, Proponiat und Butyrat ins Blut aufnimmt.

Die durch die Verdauung entstandenen Monosaccharide wandern zum allergrößten Teil durch die Pfortader in die Leber. Während der Dauer der Resorption kann der Zuckergehalt des Pfortaderblutes von 0,2% auf 0,4% ansteigen. Die Geschwindigkeit, mit der die einzelnen Monosaccharide im Darm absorbiert werden, ist sehr verschieden. Am besten werden im allgemeinen Glucose und Fructose absorbiert, langsamer Galactose und die Pentosen. Diese Unterschiede hängen wahrscheinlich mit der verschiedenen Geschwindigkeit der Verwertung zusammen. Man hat vermutet, daß die Zucker bei der Aufnahme in das Darmepithel phosphoryliert werden und daß dieser Vorgang die Geschwindigkeit ihrer Aufnahme bestimmt (Verzär). Die Zucker sind aber jenseits des Darmepithels, d. h. in der Pfortader, in freier Form vorhanden. Die Überführung in Phosphorsäureester könnte wohl die verschiedene Geschwindigkeit ihres Eintritts in die Epithelzellen, nicht aber in das Pfortaderblut erklären, wenn nicht zusätzliche hypothetische Annahmen gemacht werden. Sehr wahrscheinlich wird die Geschwindigkeit der Absorption durch raschere oder langsamere Verwertung der Zucker in der Leber bestimmt. Die Phosphorylierung im Darmepithel ist ein Phänomen, das in erster Linie für den Eigenstoffwechsel der Epithelzellen Bedeutung hat.

2. Die wichtigsten biochemischen Umsetzungen der Kohlehydrate Die Kohlehydrate werden vollständig zu C0 2 und H 2 0 veratmet. Sie können aber auch unter anaeroben Bedingungen abgebaut werden. Dieser Abbau, der in den tierischen Geweben zur Milchsäure führt, wird als Glycolyse bezeichnet. Sehr ähnlich verläuft in der Hefe die alkoholische Gärung. Bei der Gärung und der Milchsäurebildung wird nur ein Bruchteil der Energie des Kohlehydrates frei, die bei der Atmungsreaktion gebildet wird. Wir werden sehen, daß im Organismus der höheren Tiere der Hauptweg des Kohlehydratabbaus über die glycolytischen Reaktionen führt, d. h. die Kohlenstoffkette der Hexosen zerfällt zunächst anaerob und die Bruchstücke werden dann oxydativ weiter abgebaut. Das glycolytische Fermentsystem ist besonders in solchen Geweben gut ausgebildet, die zeitweise unter Sauerstoffmangel arbeiten müssen wie der Muskel. Da die anaeroben glycolytischen Vorgänge die Substrate für die oxydativen Vorgänge liefern, ist es verständlich, daß Glycolyse und Atmung voneinander abhängig sind. Jedes tierische Gewebe, das unter anaeroben Bedingungen gehalten wird, beginnt zu g l y c o l y s i e r e n , d. h. Milchsäure zu bilden. Bei Zutritt von Sauerstoff wird die Glycolyse vermindert oder verschwindet ganz. D i e s e V e r k n ü p f u n g v o n

Die wichtigsten biochemischen Umsetzungen der Kohlehydrate

277

A t m u n g u n d G l y c o l y s e , die von P a s t e u r erstmals bei der Hefe beobachtet wurde, bezeichnet man als Pasteurreaktion. (Über den Mechanismus dieser Reaktion siehe S. 444.) Die meisten tierischen Gewebe bilden bei genügender Sauerstoffzufuhr keine Milchsäure; dieselbe tritt erst bei Sauerstoffmangel ein (anaerobe Glycolyse). Es gibt aber einzelne Gewebe, die auch bei Sauerstoffzutritt Milchsäure bilden (aerobe Glycolyse). Eines der wichtigsten Beispiele ist das Tumorgewebe ( W a r b u r g ) . In vielen Fällen ist die aerobe Glycolyse der Ausdruck einer Schädigung des Gewebes. Die malignen Tumoren (Carcinome und Sarkome) zeigen nach W a r b u r g eine besondere Art des Kohlehydratstoffwechsels. Sie glykolysieren auch bei A n w e s e n h e i t v o n S a u e r s t o f f im Gegensatz zu normalem Gewebe, das unter aeroben Bedingungen nur atmet. Tumorzellen ähneln in dieser Hinsicht dem e m b r y o n a l e n G e w e b e , welches auch aerobe Glycolyse zeigt. Neuerdings hat man gefunden, daß in der Tumorzelle offenbar das Fermentsystem des Citronensäurecyklus einen Defekt aufweist. Die Zellgranula aus Tumorzellen, die der Sitz der Oxydationsvorgänge sind, vermögen Oxalessigsäure nicht zu oxydieren ( P o t t e r ) . Es besteht offenbar in den Krebszellen eine Umstellung der grundlegenden Stoffwechselvorgänge. Wir beginnen die Besprechung des Zuckerabbaus mit den glycolytischen Reaktionen Milchsäurebildung und Gärung, die Abwandlungen derselben Reaktionsfolge sind .Sie gehören dank den Arbeiten v o n H a r d e n u n d Y o u n g , N e u b e r g , E m b d e n , M e y e r h o f , W a r b u r g u. a. Forschern zu den bestbekannten biochemischen Reaktionen überhaupt. Wir beschränken uns bei der Besprechung des Abbaus der einfachen Zucker zunächst auf die für den Tierkörper wichtigste Verbindung, die Glucose. Es existieren besonders bei den Mikroorganismen eine große Zahl verschiedener Abbauwege der Glucose, die teils aerob, teils anaerob verlaufen. Wir besprechen hier nur die Abbaureaktionen, denen die Hexosen im Organismus der höheren Tiere unterliegen, müssen dabei freilich auch die alkoholische Gärung einbeziehen, weil sie auf weite Strecken gleich verläuft wie die ersten Stufen des Zuckerabbaus in der tierischen Zelle und weil ihre Erforschung zur Erkenntnis der grundlegenden Reaktionen des Zuckerstoffwechsels wesentlich beigetragen hat. 1. Der oxydative, also aerobe Abbau der Kohlehydrate führt zu Kohlendioxyd und Wasser: C6H1206+602 = 6C02+6H20; dies ist die Atmungsreaktion. 2. Der partielle Zerfall ohne Aufnahme von Sauerstoff führt zur Milchsäure. Er spielt in der Muskulatur eine besondere Rolle und wird als Glycolyse bezeichnet: C 6 H 12 0 6 = 2C3H6 0 3 1 Glucose = 2 Milchsäure Die alkoholische Gärung verläuft im wesentlichen nach der sog. G a y - L u s s a c schen Gärungsgleichung: C 6 H 1 2 0 6 = 2 C 0 2 +2C 2 H 5 • OH Alle diese Gleichungen sind nur der summarische Ausdruck von höchst komplizierten Reaktionsfolgen und alle drei Reaktionen sind exergonisch, d. h. sie verlaufen unter Abnahme der freien Energie.

278

Der Kohlehydratstoffwechsel A. Alkoholische Gärung und Glycolyse

Die grundlegenden Feststellungen sind die folgenden: 1. Sowohl für den Ablauf von Gärungen als auch von Glycolyse ist die Gegenwart von Phosphorsäure unbedingt notwendig. Es bilden sich eine ganze Anzahl von verschiedenen Phosphorsäureestern als Zwischenprodukte. 2. Bei beiden Reaktionen findet ein Zerfall der 6 C-Kette der Hexose in zwei 3 C-Ketten statt. Es bilden sich zunächst Triosen und aus diesen durch einen Oxydationsvorgang schließlich die Endprodukte (Milchsäure bzw. Äthylalkohol C0 2 ). 3. Beide Vorgänge können durch die von den Zellen losgelösten Enzyme durchgeführt werden. Sie sind also n i c h t an die Z e l l s t r u k t u r gebunden. 4. In den Vorgang der Gärung und der Glycolyse greifen eine Anzahl Cofermente ein, und zwar die Cozymase (Codehydrase I, Diphosphopyridinnucleotid, vgl. S. 244), die Adenylsäure bzw. ihr Pyrophosphorsäureester (die Adenosintriphosphorsäure, vgl. S. 121), in der Hefe außerdem die Cocarboxylase (der Pyrophosphorsäureester des Aneurins). Ferner sind das Magnesiumion und gewisse Schwermetallionen nötig. Wir erwähnen einige gebräuchliche Namen: Das gesamte Enzymsystem der Hefe wird mit dem Sammelnamen Zymase belehnt. Das vollkommen aktivierte System wird als H o l o - oder P a n - Z y m a s e bezeichnet. A p o - Z y m a s e wird die von der Co-Zymase befreite Holo-Zymase genannt, die noch Magnesium gebunden enthält. Die von Co-Zymase und Magnesium befreite Trockenhefe enthält noch einen weiteren diffusiblen Faktor, die Cocarboxylase. Sie läßt sich aus der Hefe durch Auswaschen mit schwach alkalischen Lösungen entfernen. Man hat die von der Cocarboxylase befreite Zymase Ä t i o - Z y m a s e genannt. G e w a s c h e n e und g e t r o c k n e t e , also abgetötete Hefe gärt nicht. Sie wird aber durch Hefekochsaft (Cozymase) aktiviert. Wird H e f e p r e ß s a f t ausdialysiert, so verliert er ebenfalls seine Wirkung, da er dadurch an Cozymase verarmt. Man erhält nach diesen beiden Methoden das nach obiger Nomenklatur Apo-Zymase genannte Enzymsystem. Ganz ähnlich der Hefegärung verläuft der a n a e r o b e Zuckerzerfall zu Milchsäure, der als Glycolyse bezeichnet wird, in der Muskulatur usw. Man kann, ähnlich wie aus der Hefe, bei niederer Temperatur mit verdünnter Kaliumchloridlösung einen Muskelextrakt herstellen, der den Komplex der glycolytischen Enzyme enhält. Sowohl „Zymase" als „glycolytisches E n z y m " sind S a m m e l b e g r i f f e f ü r eine Summe von T e i l f e r m e n t e n , d u r c h deren Z u s a m m e n w i r k e n der Vorgang zustandekommt. Die Erforschung der alkoholischen Gärung und der Glycolyse im Muskel hat eine lange Geschichte, die wir hier nicht schildern können. Wesentliche Beiträge haben neben Anderen vor allem C. N e u b e r g , G. E m b d e n und O. M e y e r h o f geleistet. N e u b e r g hat 1912 das erste gut fundierte Gärungsschema aufgestellt, das den damals bekannten Tatsachen Rechnung trug. Den Ausbau der modernen Theorie im Muskel verdankt man vor allem der M e y e r hofschen Schule.

Der anaerobe Zuckerzerfall bei Gärung und Glycolyse geht im Prinzip so vor sich, daß die phosphorylierte Hexose in zwei Moleküle Triosephosphat zerfällt. Das Triosephosphat wird zu Phosphoglycerinsäure oxydiert. Aus der letzteren bildet sich durch Abspaltung des Phosphats die Brenztraubensäure. Bei der Glycolyse wird

Alkoholische Gärung und Glycolyse

279

diese durch einen Oxydo-Reduktionsprozeß zu Milchsäure reduziert. Bei der alkoholischen Gärung erfolgt Decarboxylierung, Bildung von Acetaldehyd, der dann zu Alkohol reduziert wird. Im folgenden wird diese Reaktionsfolge in den Einzelphasen dargestellt. Die schon mehrfach erwähnte Rolle der Phosphorsäure beim Zuckerabbau wurde von H a r d e n und Y o u n g bei der alkoholischen Gärung entdeckt. Wie sich später zeigte, war dies eine der folgenreichsten Entdeckungen auf dem Gebiet des Intermediärstoffwechsels. Es wird hier zunächst nur von denjenigen Phosphorsäureverbindungen gesprochen, die a u s d e m Z u c k e r selbst stammen. Die phosphorhaltigen Hilfssysteme dieses Abbaues und damit auch die Frage, wie die Phosphorsäure von einem Molekül auf das andere übertragen wird, soll erst später erörtert werden, um die Übersichtlichkeit des Bildes nicht zu stören. Ohne Phosphat findet weder Gärung noch Glycolyse statt. Das Kohlehydrat wird erst zerfallsbereit, wenn es mit Phosphorsäure verestert wird. Im Muskel wie in der Hefe besteht die erste Reaktion der Glucose, die in die Zelle eintritt, darin, daß sie in einen Phosphorsäureester übergeführt wird. Aus später zu besprechenden Gründen kann aber die Glucose nicht mit anorganischem Phosphat reagieren, sondern sie übernimmt den Phosphorsäurerest von einer anderen organischen Phosphorsäureverbindung, der Adenosintriphosphorsäure (ATP). Konstitution siehe S. 121. Das Ferment, das diese Reaktion katalysiert, ist von M e y e r h o f in der Hefe entdeckt worden und hat den Namen Hexokinase erhalten. Die Hexokinasereaktion verläuft folgendermaßen: Adenosintriphosphat + Glucose

Hexoklna3e

Adenosindiphosphat + Glucosephosphat

Natürlich muß das Adenosintriphosphat immer wieder regeneriert werden, wenn der Prozeß kontinuierlich verlaufen soll. Wir werden später sehen, auf welchem Wege dies geschieht. Die Verschiebung eines Phosphatrests zwischen Adenosintriphosphat und anderen Verbindungen ist eine der wichtigsten Reaktionen des Intermediärstoffwechsels, deren allgemeine Bedeutung im Kap. 18 eingehend besprochen wird. Der entstehende Phosphorsäureester ist das Glucose-6-phosphat: H

HOC-H

H-C-OH H2C-0P03H.

Dieser Ester führt auch den Namen R o b i s o n - E s t e r . Das Glucose-6-phosphat kann leicht in Glycogen übergehen. Wir werden auf die Glycogenbildung später zurückkommen und behandeln zunächst nur die Abbaureaktionen. Das Glucosephosphat wird nun in umkehrbarer Reaktion bis zu einem Gleichgewichtszustand in das entsprechende isomere Fructosephosphat ( N e u b e r g - E s t e r ) verwandelt. Das Ferment, das diese Reaktion bewirkt, ist eine Isomerase (Phosphohexoisomerase) 1 ): ») L o h m a n n , Biochem. Ztschr. 262, 137 (1933).

Der Kohlehydratstoffwechsel

280 | ^O H-C-OH I HO-C-H

H2coh Phosphohexoisomerase

H-C-OH

i ^ o OH Aldol Das Ferment kann aus Muskel im kristallisierten Zustand erhalten werden 1 ). Neben der genannten „klassischen" Aldolase sind weitere ähnlich wirkende Fermente bekannt geworden, welche auf Monoester von Zuckern einwirken und eine reversible Aldolspaltung bewirken. Durch Aldolase können außer dem Phosphoglycerinaldehyd auch gewisse andere, nicht phosphorylierte Aldehyde mit Phosphodioxyaceton kondensiert werden. Es ist dagegen nicht möglich, das letztere durch andere Verbindungen zu ersetzen.

Wenn man zu Muskelextrakt Hexosediphosphat zusetzt, so findet man, daß praktisch fast nur Phosphodioxyaceton gebildet wird. Es ist in den Extrakten ein Ferment vorhanden, welches die gegenseitige Umwandlung von Phosphoglycerinaldehyd und Phosphodioxyaceton bewirkt, die Phosphoglyceroisomerase oder Trioseisomerase: H2C • OH I C=0 H2C-0-P03H2



C< |N> H • C • OH H 2 C-O-PO 3 H 2

Im Gleichgewichtszustand sind nur etwa 3% Phosphoglycerinaldehyd vorhanden. (Die oben angeschriebene Reaktion verläuft also fast vollständig von rechts nach links.) Auch dieses Ferment ist kristallisiert erhalten worden 2 ). Der nachfolgende Schritt ist von größter allgemeiner Bedeutung, weil er bis heute das klarste Beispiel einer wichtigen biochemischen Reaktion darstellt, nämlich die Einführung von a n o r g a n i s c h e m Phosphat in organische Bindung. (Man beachte, daß die Phosphorylierung der Glucose n i c h t durch anorganisches Phosphat, sondern auf Kosten einer bereits vorgebildeten organischen Phosphor säur everbindung erfolgt!) Die Bedeutung dieses Vorgangs wird uns in einem besonderen Abschnitt beschäftigen. Bilanzmäßig stellt er sich folgendermaßen dar:


+ 2H

(reduzierendes Gärungsferment)

(Milchsäuredehydrase)

+ 2H

Äthylalkohol

Milchsäure

Hefe

Muskel

ph

286

Der Kohlehydratstoffwechsel

Wie aus dem Schema S. 285 hervorgeht, besteht der O x y d o - R e d u k t i o n s v o r g a n g der Glycolyse oder Gärung in einer Wasserstoffübertragung durch das Diphosphopyridinnucleotid. Es sind daran zwei Fermentproteine beteiligt, die beide in reinem kristallisiertem Zustand dargestellt werden konnten ( W a r b ü r g u. Mitarb.). Das eine dieser Fermentproteine bildet mit der Cozymase als Wirkungsgruppe das sog. oxydierende Gärungsferment (auch Phosphoglycerinaldehyd-dehydrase genannt). Das zweite bildet mit der hydrierten Cozymase das sog. reduzierende Gärungsferment. Das reduzierende Gärungsferment der tierischen Gewebe ist identisch mit der Milchsäuredehydrase, dasjenige der Hefe ist die Alkoholdehydrase. Die M i l c h s ä u r e d e h y d r a s e ist aus Rattenmuskel, Herz und Jensensarkom dargestellt worden. Es ist spezifisch auf L-Milchsäure eingestellt. Bei den milchsäurebildenden Bakterien entsteht die Säure sehr wahrscheinlich ebenfalls aus Pyruvat. Da diese Organismen aber vielfach D-Milchsäure bilden, müssen sie ein Enzym mit verschiedener sterischer Spezifität enthalten. Über eine Cytochrom c-abhängige Milchsäuredehydrase der Hefe vgl. S. 764. Die A l k o h o l d e h y d r a s e der Hefe ist in kristallisiertem Zustand erhalten worden. Sie ist ein sehr wirksames Ferment (Wechselzahl der Reduktion des Acetaldehyds 28 500). Man hat e i n e Alkoholdehydrase auch aus Leber dargestellt; dieses Enzym scheint aber viel weniger wirksam zu sein als das Hefeferment. Die Alkoholdehydrase kann zur optischen Bestimmung des Äthylalkohols dienen. Bei alkalischer Reaktion liegt das Gleichgewicht (DPN+ = Cozymase) CH 3 CH 2 OH + DPN+ < CH3CHO + D P N H + H+ stark zugunsten der rechten Seite, d. h. der Dehydrierung des Alkohols. Man gibt einen Überschuß von D P N + zu und bestimmt die Zunahme der für das reduzierte Coferment charakteristischen Lichtabsorption bei 340 m/i.

Das oxydierende Gärungsferment reagiert, wie dies oben gezeigt wurde (S. 281), bei Gegenwart von anorganischem Phosphat mit dem Phosphoglycerinaldehyd, wobei seine prosthetische Gruppe Wasserstoff aufnimmt. Die derart entstandene Dihydrocozymase dissoziiert nun vom Protein des oxydierenden Ferments ab und verbindet sich mit dem Protein des reduzierenden Ferments. Das auf diese Weise entstandene Proteid reagiert in der Hefe mit Acetaldehyd, im tierischen Gewebe mit der Brenztraubensäure, wobei die Wirkungsgruppe wieder dehydriert wird. Sie kann sich von neuem mit dem Protein des oxydierenden Ferments verbinden, womit der Cyklus wieder beginnt. I m folgenden Schema ist die Oxydo-Reduktion anschaulich dargestellt. Das Protein des oxydierenden Ferments ist mit 1, das Protein des reduzierenden Ferments mit 2 gekennzeichnet. oxydierendes Gärungsferment Phospho- 2// r g/ycerin• ——[Pyridin] aldehyd ' '—

[Pyridin} Ht

• reduzierendes

Acetaldehyd

Gärungsferment

Wie wir bereits betont haben, ist die Beteiligung des Phosphats am intermediären Stoffwechsel von grundlegender Bedeutung. Daher soll das Verhalten des Phosphats bei der Glycolyse noch etwas eingehender besprochen werden. Man macht sich an Hand des Schemas S. 285 leicht klar, daß das Phosphat einen Kreisprozeß durch-

Alkoholische Gärung und Glycolyse

287

läuft. Gewisse Zwischenstufen nehmen Phosphat auf, werden umgewandelt und geben später das Phosphat wieder ab. Das Phosphat, das von den phosphorylierten Zwischenverbindungen abgegeben wird, wird aber nicht als anorganisches Phosphat freigesetzt, sondern es wird vom Adenylsäuresystem aufgenommen, wobei Adenosintriphosphat entsteht. Das letztere kann seine labilen Phosphatgruppen wieder an die phosphatbedürftigen Zucker abgeben. Das Adenylsäuresystem ist also ein Phosphatüberträger in ähnlichem Sinn, wie die Cozymase Wasserstoffüberträger ist. Natürlich reagieren nicht die freien Nucleotide, sondern sie sind als Wirkungsgruppe mit spezifischen Fermentproteinen verbunden. Wir haben bereits die Hexokinase kennengelernt. Dieses Protein ist aus Hefe in kristallisiertem Zustand dargestellt worden. Ebenso hat man das Fermentprotein kristallisiert, welches das Phosphat vom Nege lein-Ester (Phosphoglycerinsäurephosphat) auf das Adenylsäuresystem überträgt. Es sind auch hier für eine Phosphatübertragung von einem Substrat auf ein anderes zwei spezifische Proteine nöti&. Das obige Schema der Wasserstoffübertragung gilt sinngemäß abgeändert für die Phosphatübertragung. Nun wird aber im Verlauf der glycolytischen Reaktionen nicht nur Phosphat übertragen; es wird auch anorganisches Phosphat aufgenommen: die Oxydation des Phosphoglycerinaldehyds geht mit der Aufnahme von einem Molekül anorganischem Verlauf der glycolytischen Reaktionen nirgends anorganisches Phosphat wieder freigesetzt wird, muß in der Bilanz anorganisches Phosphat verschwunden sein, und zwar ist es in eine labile Phosphatgruppe des Adenylsäuresystems übergeführt worden. Man bezeichnet die Phosphatbindungen der Art, wie sie in der Acylphosphatgruppe des Negelein-Esters vorliegen,als „energiereiehe Phosphatbindungen",weil bei ihrer Hydrolyse die freie Energie sehr viel mehr abfällt als z. B. bei der Hydrolyse gewöhnlicher Phosphorsäureester. Auch die Säureanhydridbindungen des Adenosindi- und -triphosphats sind energiereich. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß diese Phosphorsäureverbindungen im Intermediärstoffwechsel eine überragende Rolle spielen. Eine große Zahl von biochemischen Reaktionen verlaufen wie die Glycolyse über phosphorylierte Zwischenstufen. Das Phosphat kann aber, wie wir das bereits bei der Phosphorylierung der Glucose gezeigt haben, in der Regel nur durch Übertragung aus der energiereichen Phosphatgruppe des ATP eingeführt werden. Das Adenylsäuresystem vermittelt also die Übertragung von Phosphatgruppen zwischen denjenigen Systemen, die aus anorganischem Phosphat energiereiches Phosphat bilden, und denjenigen Systemen, die energiereiches Phosphat verbrauchen; mit anderen Worten, es vermittelt den Übergang von den energieliefernden zu den energieverbrauchenden Prozessen. Eine der wichtigsten Aufgaben des Intermediärstoffwechsels ist die Bereitstellung energiereicher Phosphatbindungen. Nach diesen Bemerkungen erscheint nun die Bedeutung des Phosphats für den glycolytischen Kohlehydratabbau in einem ganz neuen Licht. Wäre der anaerobe Zuckerabbau so angelegt, daß bilanzmäßig kein anorganisches Phosphat aufgenommen würde, so könnte der Prozeß, gemäß der positiven Wärmetönung der Glycolyse und der alkoholischen Gärung, Wärme produzieren und er könnte in Form seiner Zwischen- und Endprodukte Material für andere biochemische Umsetzungen liefern (z. B. kann aus Brenztraubensäure die Aminosäure Alanin gebildet werden). Dadurch aber, daß er Adenosintriphosphat im Überschuß liefert, wird seine Be-

Der Kohlehydratstoffwechsel

288

deutung für den Gesamthaushalt der Zelle gewaltig erweitert. Er ermöglicht nun den Ablauf aller Prozesse, die vom Adenosintriphosphat abhängen. Die Hefe kann in der Tat unter anaeroben Bedingungen nicht nur ihren Stoffwechsel unterhalten, sondern auch sich vermehren; ebenso kann der anaerob arbeitende Muskel seinen Energiebedarf wenigstens während einer beschränkten Zeit aus der Glycolyse decken. Die Ausbeute an energiereichen Phosphatbindungen ist beim glycolytischen Abbau des Zuckers allerdings klein. Viel größer ist er beim oxydativen Abbau, auf den wir später zu sprechen kommen. Andere Gärungsformen Als Nebenprodukt entsteht bei der alkoholischen Gärung stets etwas Glycerin (Glyceringärung). Durch geeignete Wahl der Bedingungen kann seine Menge sehr stark gesteigert werden. Die Verhältnisse sind besonders von N e u b e r g studiert worden. Bei der sog. „ z w e i t e n G ä r u n g s f o r m " wird dem Gäransatz Sulfit zugesetzt. Es bildet sich unter diesen Bedingungen kein Alkohol, da der Acetaldehyd durch das Sulfit als aldehydschweflige Säure gebunden wird; dafür wird wahrscheinlich das Triosephosphat zu a-Glycerophosphat reduziert, welches durch Dephosphorylierung Glycerin liefert. Die Bilanz lautet:

c 6 h 1 2 o 6 = C3H803 + CH3CHO + co 2 Glycerin Bei der „ d r i t t e n G ä r u n g s f o r m " arbeitet man bei alkalischer Reaktion. Entsprechend der Reaktionsgleichung S. 245 wird unter diesen Bedingungen Acetaldehyd nicht reduziert, sondern erleidet eine Dismutation zu Essigsäure und Alkohol, während wiederum das Triosephosphat Glycerin liefert. Bilanz:

2 C6H1206 = 2 C3H803 + CHjCOOH + CH3CHO + 2 C02 B. Der Glycogenabbau und die Glycogensynthese

I m Muskel und in den übrigen tierischen Geweben stellt das Glycogen die Kohlehydratreserve. Wir müssen daher die Frage erörtern, auf welche Weise das Glycogen in den Geweben abgebaut wird. Dank den grundlegenden Arbeiten der beiden C o r i ist dieser Vorgang aufgeklärt worden. Entgegen der früheren Annahme wird bei der Spaltung des Glycogens •— der Vorgang wird als Glycogcnolyse bezeichnet — nicht freier Zucker gebildet, wie dies bei der Einwirkung der Amylase der Fall ist, sondern die Glucose wird als Phosphorsäureester abgespalten. Es wird bei der Spaltung also anorganisches Phosphat aufgenommen. Der Vorgang ist eine „Phosphorolyse", nicht eine Hydrolyse.

O— Polysaccharidkette des Glycogens

0\

H OH Cori-Ester (Glu cose-1 -phosphat)

H H /I 0\ H .^oJ/ H \ L o _ OH H / \ OH H M ¡/ H OH H OH Polysaccharidkette des Glycogens, um ein Glied verkürzt

Der Glycogenabbau und die Glycogensynthese

289

Auf die angegebene Weise werden die Polysaccharidketten des Glycogens sukzessive um je eine Glucoseeinheit verkürzt. Der dabei entstehende Phosphorsäureester der Glucose ist das Glucose-1-phosphat; er trägt den Phosphatrest in Stellung 1 an der reduzierenden Gruppe und wird daher auch viel leichter gespalten als die anderen Phosphorsäureester. Der Ester trägt nach seinen Entdeckern den Namen Cori-Ester. Die Reaktion besteht ihrem Wesen nach darin, daß die 1,4-glycosidische Bindung des Glycogens C—O—C ersetzt wird durch C—0—P, m. a. W., daß ein a-Glucopyranoserest vom Glycogen auf Phosphat übertragen wird. Das Ferment, das diese Reaktion bewirkt, heißt Phosphorylase. Man verdankt seine Entdeckung C. F. C o r i und G. T. Cori. Die Muskelphosphorylase ist im kristallisierten Zustand dargestellt worden. Sie existiert in zwei Formen, Phosphorylase a und Phosphorylase b. Die letztere bedarf zu ihrer Aktivierung Adenylsäure, die erstere ist ohne Zusatz eines Coferments wirksam. Phosphorylase a kann aber durch ein in Muskelextrakten vorhandenes Ferment sowie durch Trypsin in die b-Form übergeführt werden. Man kann annehmen, daß dabei ein Coferment abgespalten wird; doch ist dessen Natur unbekannt1).

D i e p h o s p h o r y l i e r e n d e S p a l t u n g des G l y c o g e n s i s t u m k e h r b a r , d. h. bei Gegenwart der Phosphorylase reagiert Glucose-1-phosphat mit dem Glycogen, wobei eine der Polysaccharidketten um eine Glucoseeinheit verlängert und anorganisches Phosphat abgespalten wird. Es ist mit Hilfe der Phosphorylase möglich, die enzymatische Synthese des Glycogens in vitro durchzuführen; allerdings muß dabei eine kleine Menge Glycogen als „Zünder" („primer") der Reaktion zugesetzt werden. Der Vorgang besteht darin, daß an die vorhandenen Polysaccharidketten neue Glucosemoleküle angefügt werden. Durch die Phosphorylase des Muskels können nicht behebige Polysaccharidketten verlängert werden. Es muß bereits ein vorgebildetes verzweigtes Molekül vorhanden

•-

OOCXXP999*—

Kartoffel-Phosphorylase

Abb. 34. S c h e m a zur s y n t h e t i s c h e n Wirkung der P h o s p h o r y l a s e . Die Kreise bedeuten die Glucoseeinheiten. Weiße Kreise: Molekülrumpf des Glycogens bzw. der Amylose. Die schwarzen Kreise bedeuten die durch Phosphorylase an den Enden der Ketten neu angefügten Glucosemoleküle. Vgl. Cori, J . biol. Chem. 151, 21, 31, 39 (1943); 158, 321, 333, 341 (1945). 19

L e u t h a r d t , Lehrbuch. 12.Aufl.

290

Der Kohlehydratstoffwechsel

sein mit einer minimalen Länge der Seitenketten, an welche die neuen Glucosereete angefügt werden. Kartoffelphosphorylase dagegen ist imstande, schon sehr kurze Ketten von 4—6 Einheiten zu verlängern (vgl. Abb. 34). In gleicher Weise wie die Synthese des Glycogens in der tierischen Zelle erfolgt die Synthese der Stärke in der Pflanze. Es scheint, daß die Natur des entstehenden Polysaccharids von der Art der Phosphorylase abhängt (pflanzliche Phosphorylasen liefern Stärke, tierische Glycogen). Die Wirkung der Phosphorylase wird durch die Verzweigung des Glycogenmoleküls begrenzt (Struktur des Glycogens vgl. S. 36). Es scheint, daß in den Seitenketten, die mit einer 1,6-glycosidischen Bindung angeheftet sind, alle 1,4-Bindungen durch die Phosphorylase gespalten werden können, während diejenigen Ketten, welche mit einer 1,4-Bindung an der Verzweigungskette sitzen, nur bis auf eine Länge von 4 bis 5 Glucoseeinheiten, von der Verzweigungsstelle an gerechnet, verkürzt werden können. Die Substitution der 6-Stellung einer Glucoseeinheit in der Amylosekette wirkt sich also als Hindernis für die Phosphorylase aus, und zwar erstreckt sich die hemmende Wirkung über mehrere Glucoseeinheiten hinweg.

Amylo1,6-glucosidase

Phosphorylase bis hierher

für Phosphorylase nicht angreifbar!

Neuerdings haben Cori und Larner im Muskel ein Ferment entdeckt, welches imstande ist, die 1,6-glucosidischen Bindungen hydrolytisch zu spalten (Amylo1,6-glucosidase). Durch die Abspaltung des in Stellung 6 gebundenen Glucoserests wird der Weg für die weitere Wirkung der Phosphorylase frei gemacht. Durch die vereinigte Wirkung der beiden Fermente wird daher das Glycogen vollständig in ein Gemisch von Glucose-1 -phosphat und freier Glucose zerlegt. Die letztere muß natürlich vor jeder weiteren Umsetzung durch die Hexokinase phosphoryliert werden. Ein ähnliches Enzym wie die Amyloglycosidase ist in der Kartoffel und in Leguminosensamen (Vicia Jaba) gefunden worden (sog. „R-enzyme" von H o b s o n .

Der Glycogenabbau und die Glycogensynthese

291

W h e l a n u n d P e a t 1 ) . E s scheint, d a ß dieses F e r m e n t die 1,6-glucosidische B i n d u n g a u c h i n i n t a k t e n verzweigten P o l y s a c c h a r i d e n s p a l t e t , d. h . a u c h d a n n , w e n n die S e i t e n k e t t e n i c h t bis auf d a s l e t z t e Glied v e r k ü r z t ist. D a die P h o s p h o r y l a s e n u r u n v e r z w e i g t e A m y l o s e k e t t e n b i l d e n k a n n , e n t s t e h t die F r a g e , wie der A u f b a u der verzweigten K e t t e n im Glycogen u n d im A m y l o p e c t i n erfolgt. E s g i b t sowohl i n d e n tierischen O r g a n e n (Leber, Herz) als a u c h in P f l a n z e n F e r m e n t e („branching enzymes", „Q-enzyme" der K a r t o f f e l n ) , welche 1 , 6 - B i n d u n g e n herzustellen v e r m ö g e n u n d d a m i t d e n A u f b a u v o n S e i t e n k e t t e n einleiten. D u r c h die k o m b i n i e r t e W i r k u n g dieser F e r m e n t e m i t der P h o s p h o r y l a s e w e r d e n v e r z w e i g t e P o l y s a c c h a r i d e v o m T y p u s des Glycogens oder A m y l o p e c t i n s s y n t h e t i s i e r t 2 ) . Der Wirkungsmechanismus der „branching enzymes" konnte neuerdings aufgeklärt werden ( L a r n e r ) 3 ) . Es handelt sich um eine Transglucosidasereaktion (vgl. S. 297), bei welcher 1,4-glucosidische Bindungen in 1,6-glucosidische übergeführt werden. Die Polysaccharidketten werden zunächst durch Phosphorylase verlängert. Wenn sie eine bestimmte Kettenlänge erreicht haben, greift das „branching enzyme" ein, indem es ein endständiges Segment der Kette aus der 4-Stellung in die 6-Stellung eines weiter rückwärts liegenden Glucoserests überführt und damit eine Seitenkette bildet, die durch Phosphorylase weiter verlängert werden kann. Man bezeichnet das Enzym daher als eine Amylo-(l,4—1,6)-transglucosidase. Der Beweis f ü r diesen Wirkungsmechanismus wurde dadurch geleistet, daß man zunächst mit Hilfe von Phosphorylase die Kettenenden von teilweise abgebautem Glycogen durch radioaktive Glucose wieder verlängerte und auf dieses Produkt das „branching enzyme" einwirken ließ. Durch enzymatischen Abbau des entstehenden verzweigten Polysaccharids (sukzessive Einwirkung von Phosphorylase und Amylo-l,6-glucosidase) konnte der Nachweis geleistet werden, daß die radioaktive Glucose tatsächlich in die Verzweigungsstellen der Ketten eingeführt worden war. Weitere R e a k t i o n e n des

Cori-Esters*

D a s bei d e r Glycogenspaltung p r i m ä r e n t s t e h e n d e G l u c o s e - l - p h o s p h a t wird r a s c h i n Glucose-6-phosphat u m g e w a n d e l t , d. h . es f i n d e t eine i n t r a m o l e k u l a r e Verschieb u n g d e r P h o s p h a t g r u p p e s t a t t , wie wir sie in der 3 - K o h l e n s t o f f r e i h e bereits k e n n e n gelernt h a b e n . D a s d a b e i beteiligte F e r m e n t h e i ß t Phosphoglucomutase. Die R e a k t i o n ist u m k e h r b a r , a b e r d a s Gleichgewicht h e g t s t a r k a u f der Seite des 6 - P h o s p h a t s , d a s i m Gleichgewichtsgemisch 9 4 % a u s m a c h t . Man hat neuerdings zeigen können, daß die Umwandlung des Glucose-l-phosphats in das Glucose-6-phosphat über einen Diester der Glucose, das Glucose-1,6-diphosphat, führt. Die Anwesenheit einer kleinen Menge dieses Esters ist nötig, damit die Reaktion in Gang kommt ( L e l o i r und Mitarb.). Der Ester ist von P o s t e r n a k synthetisiert worden 4 ). Man kann ihn als Coferment der Reaktion betrachten, doch liegen hier besondere Verhältnisse vor: H 2 0 3 P- 0 - CH a CHCH(0H)CH(0H)CH(0H)CH- 0 - P 0 3 H 2 Glucose — 1,6 — diphosphat

Der Mechanismus der Reaktion ist aus dem folgenden Schema ersichtlich. (Die schrägen Pfeile deuten die Transphosphorylierung an.) Der Phosphatrest in Stellung 1 des Diphosphats wird nach Stellung 6 des Glucose-l-phosphats übertragen; dadurch ist ein Molekül Glucose-6phosphat (aus dem 1,6-Diphosphat) und ein neues Molekül 1,6-Diphosphat (aus dem 1-Phosphat) entstanden. Die Besonderheit dieser Reaktion besteht darin, daß das Coferment beständig verbraucht und wieder aus dem Substrat regeneriert wird, was sich durch Verwendung !) J . ehem. Soc. 1951, 1451. 2 ) C o r i , J . biol. Chem. 151, 57 (1943); H o b s o n und Mitarb., J . ehem. Soc. 1951, 596; N u s s e n b a u m und H a s s i d , J . biol. Chem. 190, 673 (1951). 3 ) L a r n e r , J . biol. Chem. 202, 491 (1953). 4 ) J . biol. Chem. 180, 1269, 1279, 1285 (1949). 19*

Der Kohlehydratstoffwechsel

292

von doppelt markiertem Glucose-l-phosphat (C und P(32>) bestätigen ließ (Cori, S u t h e r l a n d , P o s t e r n a k ) . Wenn man in diesem Fall den Begriff des Coferments noch aufrechterhalten will, kann man sagen, daß jedes Substratmolekül während einer bestimmten Phase der Reaktion die Funktion des Coferments übernimmt.

+

Glucose1,6-diphosphat po3h2 po3h2

Glucose6-phosphat PO,H2

i-Glucose-C 1 \ 6

C-Glucose-C 1 6

1 \ 6 C-Glucose-C P0 3 H a Glucosel-phosphat

+

P0 3 H 2

1 6 C-Glucose-C I I po3h2 po3h2 + \ 1 \ 6 C-Glucose-C I PO.,H

C-Glucose-. i 1 6 -

+

1 6 C-Glucose-C P0 3 H 2

Die Reaktion stellt sich nur in der Bilanz als eine Verschiebung eines Phosphatrests innerhalb des gleichen Moleküls dar. In Wirklichkeit stammt der Phosphatrest in der neuen Stellung aus einem zweiten Substratmolekül. Es handelt sich also hier wie bei den anderen iransphosphorylierungen um eine Phosphatverschiebung zwischen zwei verschiedenen Estern. Man hat neuerdings gefunden, daß auch die 1-Phosphate anderer Zucker (Mannose, Galactose, Ribose) auf gleiche Weise durch die Mutase in die 6-Phosphate verwandelt werden. (Ebenso scheint die Umwandlung des Glucosamin-6-phosphats in das 1-Phosphat möglich zu sein.) Die Reaktion kann durch Glucose-l,6-phosphat ausgelöst werden, wobei sich das 1,6-Diphosphat des entsprechenden_Zuckers bildet, das nun die Reaktion in Gang hält; z. B.: Mannose-1-phosphat + Glucose-l,6-diphosphat

Mannose-1,6-diphosphat +

+ Glucose-6-phosphat.1 In gleicher Weise verläuft auch die Umwandlung der 3-Phosphoglycerinsäure in die 2-Phosphoglycerinsäure (vgl. S. 283). Hier tritt als Intermediärprodukt die 2,3-Diphosphoglycerinsäure auf, die erstmals von G r e e n w a l d aus Erythrocyten dargestellt worden ist (sog. Greenwald-Ester) 2 ): COOH I HCOPOjHJ

I h2copo3h2 Damit ist auch der Weg aufgedeckt, der von der Glucose zum Glycogen führt: Die Glucose wird in Gegenwart der Hexokinase durch das A T P phosphoryliert. Das dabei entstehende Glucose-6-phosphat geht in den C o r i - E s t e r über und dieser wird zum Glycogen kondensiert. Das Glucose-6-phosphat wird durch die oben bereits erwähnte Phosphohexoisomerase oder Hexoseisomerase in reversibler Reaktion in Fructose-6-phosphat verwandelt. 3 ) I n verschiedenen Organen (Leber, Niere, Darm, nicht aber Muskel) kann Hexosemonophosphat durch Phosphatasen hydrolysiert werden. I n der Leber scheint ein spezifisch auf Glusoce-6-phosphat eingestelltes Enzym vorzukommen, das in Ab!) Vgl. dazu P o s t e r n a k und R o s s e l e t , Helv. Chim. Acta 37, 246 (1954). Vgl. S u t h e r l a n d , P o s t e r n a k und Cori, J . biol. Chem. 179, 501 (1950). ) Lohmann, Biochem. Ztschr. 262, 137 (1933).

2 ) 3

Der Stoffwechsel der Fructose, der Galactose und der Ribose

293

Wesenheit von Hexoseisomerase und Phosphoglucomutase weder Fructose-6-phosp h a t noch Glucose-1-phosphat dephosphoryliert 1 ). Wahrscheinlich können auch die Fructosemonophosphate durch gewisse Phosphatasen (die zur Gruppe der „alkalischen" Phosphatasen gehören) direkt hydrolysiert werden. Dies kann schon daraus geschlossen werden, daß im Organismus auch freie Fructose vorkommt (Sperma, fötales Blut). Die erwähnten Reaktionen sind im folgenden Schema dargestellt (nach Cori). An den Pfeilen ist angeschrieben, in welchem Verhältnis die Komponenten im Gleichgewichtszustand enthalten sind. Glycogen Phosphorylase

Leber-

Glucose-1-phosphat Phosphoglucomutase

,

6o/o

/

phosphatase

/

» Glucose +

anors. ph

gat

94% Glucose-6-phosphat •• >•

Brenztraubensäure Oxalessigsäure a-Ketoglutarsäure

Diese Verbindungen gehen durch Desaminierung unmittelbar in Zwischenstufen des Tricarbonsäurecyklus über. Andere Aminosäuren können in Glutaminsäure und damit in a-Ketoglutarsäure übergehen, so das Prohn und das Oxyprolin (S. 386), das Histidin (S. 376) und nach Versuchen mit der durch Deuterium markierten Verbindung auch das Ornithin. Man kann daher annehmen, daß auch das Arginin, das durch Hydrolyse leicht in Ornithin übergeht (S. 188), Glutaminsäure liefern kann. Es ist allerdings möglich, daß es für diese Verbindungen noch andere Abbauwege 20

L e u t h a r d t , Lehrbuch. 12.Aufl.

Der Kohlehydratstoffwechsel

306

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Weitere Produkte des Kohlehj'dratstoffwechsels

307

gibt, die zur Spaltung der Kohlenstoffkette führen. Glycocoll kann durch Addition von Ameisensäure in Serin übergehen (S. 388). Das letztere liefert Pyruvat. Viele Einzelheiten bleiben noch abzuklären. Theoretisch ist eine Zuckerbildung auch aus Fettsäuren denkbar. Dieselben liefern C 2 -Fragmente, die in den Tricarbonsäurecyklus einbezogen werden können. Niedere Fettsäuren wie z. B. Buttersäure sind Glycogenbildner. Die Frage ist aber umstritten, ob F e t t e in größerem Umfang zur Gluconeogenese beitragen. Die Gluconeogenese aus Aminosäuren ist ein wichtiger Prozeß, weil er den Organismus von der Kohlehydratzufuhr unabhängig macht. Ohne die Möglichkeit, Glycogen aus Eiweiß (evtl. in beschränktem Umfang aus Fett) zu bilden, könnte z. B. Hunger auch während kurzer Zeit nicht ertragen werden. Störungen der Gluconeogenese, die z. B. beim Fehlen der Nebennierenrindenhormone auftreten, äußern sich in einem Abfall des Blutzuckerspiegels (als Zeichen der Erschöpfung der Glycogenreserve) bei Nahrungsentzug. Die verschiedenen Vorgänge, die im vorstehenden Abschnitt besprochen wurden, zeigen deutlich, welch große Bedeutung dem Citronensäurecyklus im Zellstoffwechsel zukommt. Der Citronensäurecyklus dient nicht nur der Oxydation aller möglichen Brennstoffe und damit der Bereitstellung von Adenosintriphosphat, sondern er liefert auch die Zwischenprodukte f ü r wichtige Synthesen. 4. Weitere Produkte des Kohlehydratstoffwechsels Physiologische Bedeutung besitzen die Uronsäuren, besonders die Glucuronsäure. Formal entstehen sie durch Oxydation der primären Alkoholgruppen aus den entsprechenden Aldosen. N

IN)

HC-OH

H-C-OH

HO-C-H I HC-OH

-•-

I

H O IC H H-COH

I

HC-OH

H-C-OH

CH2OH Glucose

COOH Glucuronsäure

Diese Oxydation läßt sich aber nur dann vorstellen, wenn man annimmt, daß die Aldehydgruppe zuerst durch Glycosidbildung verschlossen wird. E s ist aber nicht sicher, daß die Glucuronsäure durch direkte Oxydation der Glucose entsteht. Man hat festgestellt, daß in vitro Lactat und Pyruvat die Glucuronsäurebildung steigern. Die Uronsäure könnte daher durch Kondensation von zwei C 3 -Verbindungen neu gebildet werden. B i o s y n t h e s e v o n G l u c u r o n s ä u r e . Nach Versuchen von K i n g mit markierter Glucose ist ein direkter Übergang der Glucose in Glucuronsäure möglich. Entsprechende Versuche mit markiertem Glycerin lassen aber schließen, daß auch C 3 -Ketten sehr leicht Glucuronsäure liefern, ohne daß dabei freie Glucose als Zwischenstufe auftritt. Die Glucuronsäure findet sich im H a r n in Form von Glucuroniden, gewöhnlich konjugierte oder gepaarte Glucuronsäuren (Ätherglucuronsäuren) genannt: COOH • CH • CH(OH) • CH(OH) • CH(OH) • CH • 0 • R 1 ¿0'

O

'

Der Kohlehydratstoffwechsel

308

Eine große Reihe verschiedener Stoffe, so die Produkte der Darmfaulnis wie Phenol, Indoxyl, Skatoxyl, im Körper selbst gebildete Stoffe wie das Pregnandiol (vgl. S. 58), ferner viele nicht physiologische Substanzen (Medikamente) werden im Harn als Glucuronide ausgeschieden. Die Bildung der gepaarten Glucuronsäuren ist eine Entgiftungsreaktion. (Vgl. Bibliographie unter T e a g u e . ) Als Oxydationsprodukt einer Hexose kann auch das Vitamin C, die Ascorbinsäure, aufgefaßt werden. Viele Tierarten, so z. B. die Ratte, können die Ascorbinsäure selbst synthetisieren. Für sie ist dieser Stoff kein Vitamin. Aus Versuchen mit markierter Glucose ist zu schließen, daß das Glucosemolekül als solches in Ascorbinsäure übergeführt wird (King). Zwischen Ascorbinsäure- und Glucuronsäuresynthese scheint eine enge Beziehung zu bestehen, indem Stoffe, welche die Glucuronsäureausscheidung erhöhen, auch eine vermehrte Ascorbinsäureausscheidung hervorrufen. Auch die Pentosen Ribose und Desoxyribose können von den Zellen der höheren Tiere synthetisiert werden (vgl. dazu S. 295). Bildung der Aminozucker: I m Pilz N e u r o s p o r a ist ein Ferment nachgewiesen worden, welches Hexose-6-phosphat bei Gegenwart von Glutamin in Glucosamin-6phosphat überführt 1 ). Wir erwähnen hier noch einen Stoff, der früher als Zwischenprodukt der alkoholischen Gärung angesehen wurde, das Methylglyoxal ( N e u b e r g ) . Dieses ist der Aldehyd der Brenztraubensäure: /H 0 COOH

C


¿HNH2

I

COOH

Endlich konnten E m b d e n und S c h m i t z für eine ganze Anzahl von Ketosäuren zeigen, daß bei der Durchströmung der Ammoniumsalze verschiedener Ketosäuren jedesmal die entsprechende optisch aktive L-Aminosäure entsteht.

Bildung und Abbau von Aminosäuren im Tierkörper

355

So liefert die Oxyphenylbrenztraubensäure Tyrosin, die a-Ketobuttersäure die Aminobuttersäure, die Brenztraubensäure das Alanin: OH

OH

CH3

CO

¿H-NH 2

COOH

CH-NHo C0 2 H Oxyphenylbrenztraubensäure

CH3

COOH

COOH Brenztraubensäure

Tyrosin

Alanin

Aus all diesen Versuchen läßt sich der Schluß ziehen, d a ß d i e « - A m i n i e r u n g aus K e t o s ä u r e n im O r g a n i s m u s (Leber) l e i c h t e i n t r e t e n kann. Auch a-Oxy säuren können in Aminosäuren übergehen. Wie später gezeigt werden soll, wird die Oxysäure zunächst in eine Ketosäure übergeführt. Andererseits wurde schon erwähnt, daß der Abbau auch über die Ketosäuren zu führen scheint, so daß es sich hier um eine umkehrbare Reaktion handelt. Auch die r e i n c h e m i s c h e Reproduktion dieser Reaktion wurde von K n o o p und Ö s t e r l i n durchgeführt. Ketosäuren werden beim Schütteln mit Paladiumschwarz als Katalysator in Ammoniaklösung in die entsprechenden Aminosäuren übergeführt. Es scheint bei dieser Reaktion intermediär zur Bildung einer Iminosäure zu kommen, welche dann erst zur Aminosäure reduziert wird: R

R

C = 0 + H3N = C = N H + H 2 0 ¿OOH Ketosäure

COOH Iminosäure

R

R

C = N H + H2 =

CH-NH,

COOH

COOH Aminosäure

Für die Abspaltung der Aminogruppe aus dem Aminosäuremolekül scheint der natürlichste Weg die hydrolytische Abspaltung von Ammoniak zu sein, wobei die entsprechende «-Oxysäure entstehen müßte. Man erkannte aber schon frühzeitig, daß nicht die Oxy-, sondern die entsprechende Ketosäure primär gebildet wird (Neub a u e r ) . So wird z. B. nach Verfütterung von a-Phenyl-a-aminoessigsäure (Kaninchen, Hund, Mensch) neben linksdrehender Mandelsäure Phenylglyoxylsäure ausgeschieden. Daß die erstere nicht das primäre Produkt der Desaminierung sein kann, ergibt sich daraus, daß bei ihrer Verfütterung keine Phenylglyoxylsäure im Urin auftritt. Sie muß sekundär durch Reduktion der Ketosäure entstanden sein: COOH

COOH

I

I

C=0 > Phenylaminoessig23*

I

V-

Phenylglyoxyl-

HCOH und nicht

^

V-

Mandelsäure

356

Der Eiweißstoffwechsel

Zum gleichen Resultat führten Beobachtungen bei der Alkaptonurie (vgl. S. 368). Die Eingabe von Tyrosin führt beim Alkaptonkranken zu vermehrter Ausscheidung der Homogentisinsäure (Alkapton). Würde Tyrosin dabei zuerst in die entsprechende Oxysäure (p-Oxyphenylmilchsäure) übergehen, so müßte Eingabe dieser Substanz die Alkaptonausscheidung vermehren. Das ist aber nicht der Fall. Dagegen tritt vermehrt Homogentisinsäure im Urin auf, wenn p-Oxyphenylbrenztraubensäure verfüttert wird; also muß die Ketosäure das erste Desaminierungsprodukt sein: COOH

COOH I C=0 I CH2 I



COOH I H-COH I CH2 I

und nicht

OH p-Oxyphenylbrenztraubensäure

OH

Die Desaminierung dieser «-Aminosäuren ist also mit einer Oxydation verbunden. Sie wird deshalb als oxydative Desaminierung bezeichnet und läßt sich allgemein in der folgenden Weise formulieren: COOH H-Í-NH, I R

COOH -ti^J-»

¿ = 0 4- NH, I R

Später hat K r e b s die Desaminierung der «-Aminosäuren im überlebenden Gewebe (Gewebsschnitten aus Niere und Leber) untersucht und dabei die wichtige Entdeckung gemacht, daß zwei verschiedene Fermente der oxydativen Desaminierung existieren, von denen das eine merkwürdigerweise nur die nicht in Proteinen vorkommenden optischen Antipoden der natürlichen Aminosäuren angreift (also die Verbindungen der d-Reihe, vgl. S. 77), während das andere auf die natürlichen Verbindungen eingestellt ist. Das erste Ferment läßt sich aus dem Gewebe leicht extrahieren. Es hat den Namen D-Aminosäureoxydase erhalten. Seine prosthetische Gruppe ist als Flavinadenindinucleotid erkannt worden ( W a r b u r g und C h r i s t i a n ) (vgl. S. 247). Die Aminosäure wird zuerst unter Bildung der Iminosäure dehydriert, wobei das Flavin den Wasserstoff aufnimmt. Die Iminosäure zerfällt (als unbeständige Verbindung) spontan in Ketosäure und Ammoniak. Das hydrierte Flavin reagiert unter Bildung von Wasserstoffsuperoxyd mit molekularem Sauerstoff. (Das Peroxyd wird unter natürlichen Bedingungen von der Katalase zerlegt. In reinen Fermentlösungen kann es die gebildete «-Ketosäure weiter oxydieren.) Mit d(—)-Alanin z.B. finden daher die folgenden Reaktionen statt ([Flavin] bedeutet die Verbindung des Flavinadenindinucleotids mit dem Apoferment): COOH H-C-NH 2 i.

COOH +

[Flavin]

Li

• C=NH + CH,

[Flavin] H 2

357

Bildung und Abbaa von Aminosäuren im Tierkörper COOH

COOH

I

I

C=NH

h

+

H20

>-

H3

C=0

+

NH3

CH 3

[Flavin] H j

+

02

>

[Flavin] +

H202

Die D-Aminosäureoxydase reagiert nicht mit allen D-Aminosäuren gleich gut. Einige werden überhaupt nicht gespalten. Beim Prolin wird der Ring oxydativ geöffnet : CH 2

H2C

CH 2

i n - COOH

H2C

C—COOH

IIH, O a-Keto-á-aminovaleriansäure

Die Aminosäuren der „nicht natürlichen" d-Reihe kommen in den Proteinen nicht vor. Es ist daher schwer zu sagen, welche Funktion diesem Ferment zukommt. U m das Vorkommen eines auf die D-Form der Aminosäuren eingestellten Enzyms zu erklären, hat man z. B. angenommen, daß bei der Synthese der Aminosäuren primär die racemischen Verbindungen entstehen und daß die D-Äminosäureoxydase dazu dient, die nicht natürliche D-Form wieder zu spalten. Bei Verfütterung markierter D-Aminosäuren zeigen indessen die in den Urin übergehenden Verbindungen keine Verdünnung ihres Isotopgehalts, was der Fall sein müßte, wenn im Organismus die D-Form entstehen würde. W a r b u r g hat die Möglichkeit erwogen, daß das Ferment in der Zelle vorwiegend der reduktiven Aminierung der a-Ketosäuren, d. h. der Synthese von Aminosäuren, dient. Darauf deutet die Lage des Gleichgewichts Fermentprotein

D-Alanin + Flavin
CH—CH2—CH • NH2—COOH Leucin
0CH—

A-

N %CH HC—NH/ Histidin

^H» N n \CH HC—NH/ Histamin

Es sind auch an verschiedenen anderen L-Aminosäuren Decarboxylierungsreaktionen durch Nierenschnitte nachgewiesen worden, die zu Aminen führen. Nach H o l t z wird z. B. das 1-Dioxyphenylalanin decarboxyliert: OH X

OH I r^N—OH

i—OH

CH2 I ch-nh2 I COOH Dioxyphenylalanin (Dopa)



CH2 I ch2-nh + C02 Oxytyramin

366

Der Eiweißstoffwechsel

Auch in der Leber sind ähnliche Fermente gefunden worden, so z. B. eines, das Cysteinsäure (C00H-CH(NH 2 )-CH 2 -S0 3 H) decarboxyliert ( B l a s c h k o ) . Es entsteht dabei Taurin (siehe auch Tryptophanderivate S. 376). Sehr verbreitet sind die Aminosäuredecarboxylasen bei den Bakterien (Esch, coli; Strept. haemolyticus, faecalis; Clostridium septicum, Welchii; Proteus vulgaris; u. a. m.). Man hat spezifische Decarboxylasen für die folgenden Aminosäuren gefunden ( G a l e ) : Arginin, Lysin, Histidin, Ornithin, Tyrosin, Glutaminsäure, Asparaginsäure. (Wie wir früher bereits erwähnt haben, können einzelne dieser Decarboxylasen zur quantitativen Bestimmung der betreffenden Aminosäuren verwendet werden.) Wenn Streptococcus faecalis auf einem pyridoxinarmen Medium gezüchtet wird, so verliert er die Fälligkeit zur Decarboxylierung des Tyrosins ( G u n s a l u s ) . Es zeigte sich aber, daß nicht Pyridoxin selbst, sondern ein Phosphat des Pyridoxals (siehe S. 694) das Coferment der Decarboxylasen ist. Der pyridoxinarm gezüchtete Organismus kann noch das Fermentprotein, aber nicht genügend Coferment bilden 1 ). Die Amine, die aus den Aminosäuren durch Decarboxylierung entstanden sind, können durch die sog. Aminoxydasen weiter zu Aldehyden und diese schließlich zu den Carbonsäuren oxydiert werden. Es ergibt sich also die nachstehende Folge von Reaktionen: X ¿H 2 CH-NH 2 COOH L-Aminosäure

-

X i 1 CH2 + 0 — 1 CH2NH2

X i 1

CH

2 l / H

+

+ o

+ X) NH 3

co2 Amin

X | CH2

Aldehyd

\OH Fettsäure

Die oxydative Desaminierung der Amine wurde erstmals von G u g g e n h e i m und L ö f f l e r bei Perfusion der Leber mit aminhaltigen Lösungen beobachtet. Enzyme, welche aliphatische oder aromatische Monoamine angreifen, finden sich in verschiedenen Geweben (Leber, Niere, Darm, Hirn, Lunge). Auch sekundäre Amine wie das Adrenalin (Formel S. 319) werden oxydiert. Man nennt sie Monoaminoxydasen. Bei der Oxydation des Amins wird Ammoniak, Wasserstoffsuperoxyd und der entsprechende Aldehyd gebildet: R C H 2 - N H 2 + H 2 0 = R-CHO + NH 3 + H 2 0 2 .

Diese Fermente spielen offenbar bei der Inaktivierung der physiologisch wirksamen Amine, die in den Kreislauf gelangen, eine große Rolle. Man weiß z.B. schon lange, daß Adrenalin in den Geweben rasch zerstört wird. Die Aminoxydasen der Leber dürften für den Abbau der im Darm durch Tätigkeit der Fäulnisbakterien entstehenden Amine von Bedeutung sein. Sie wirken also bei den Entgiftungsvorgängen in der Leber mit. Von B e s t wurde ein Enzym entdeckt, welches das Histamin oxydativ angreift. Es stellte sich später heraus, daß das gleiche Ferment eine Reihe von Diaminen angreift, so die Decarboxylierungsprodukte der basischen Aminosäuren Lysin und Ornithin, das Cadaverin und das Putrescin (Zeller). ') Vgl. G u n s a l u s , Fed. Proc. 9, 556 (1950).

Der Stoffwechsel einzelner Aminosäuren. Phenylalanin und Tyrosin

367

COOH CH 2 --NH2

H • C—NH„

COOH

j

1

CH2

HC—NH2

CH2

CH2

j

1

j

CH2

CH2

j

¿H 2 —NH 2

CH22—NH --NH 2

Lysin

Cadaverin

a

1 CH2 j

¿H 2

CH2—NH —NHS2

¿H 2 —NH 2

Ornithin

Putrescin

Es handelt sich also um eine Diaminoxydase. Das Ferment wird durch Cyanid und Carbonylreagentien (z. B. Semicarbazid, Bisulfit usw.) gehemmt. Merkwürdig ist die Beobachtung, daß der Gehalt des Bluts an Diaminoxydase in der Schwangerschaft stark erhöht ist (Zeller). 4. Der Stoffwechsel einzelner Aminosäuren J e nach der typischen Gruppe, welche in den einzelnen Aminosäuren enthalten ist, können sie die verschiedensten Umwandlungen erleiden. Die wichtigsten sollen hier kurz dargestellt werden. A. Phenylalanin und Tyrosin

Phenylalanin kann zu Tyrosin oxydiert werden. Dies ist eindeutig durch Verwendung von Deuteriophenylalanin bewiesen worden. Aus D,L-Phenylalanin kann man durch Behandeln mit Deuterioschwefelsäure Deuteriophenylalanin darstellen, bei dem die Ringwasserstoffatome durch D ersetzt sind. Dieses wurde an Ratten verabreicht. Das aus den Organen der Tiere dargestellte Tyrosin erwies sich dann (nach 10 Tagen) als deuteriumhaltig. OH |

D

D / > D

\ /

h / \ H

D

I

CHO

I

CHNH,

I

COOH Deuteriophenylalanin

dI



JD

]

CH2

I

CH-NH.

I

COOH Deuteriotyrosin

(Die beiden zur Hydroxylgruppe orthoständigen H-Atome sind labil; daher wird bei der Hydrolyse der Proteine das dort fixierte D wieder gegen H ausgetauscht.) Der umgekehrte Vorgang ist nicht möglich. Phenylalanin kann oxydativ desaminiert werden, wobei Phenylbrenztraubensäure entsteht: C00H C00H I I C=0

I

CH2

I

Phenylalanin

Phenylbrenztraubensäure

Der Eiweißstoffwechsel

368

Außer durch direkte Versuche mit Ge websschnitten (Krebs) wird dies durch das Auftreten der Ketosäure im Urin bei einer seltenen, angeborenen Stoffwechselstörung, der I m b e c i l l i t a s (oder O l i g o p h r e n i a ) p h e n y l p y r u v i c a (Fölling) bewiesen. Hauptmerkmal ist ein Schwachsinn leichten bis schweren Grades, der möglicherweise auf einer Entwicklungsstörung des Gehirns schon während des intrauterinen Lebens beruht. Die Krankheit tritt familiär auf. Der Urin dieser Patienten färbt sich bei Zugabe von Eisenchlorid grün (Reaktion der Phenylbrenztraubensäure). Neben der Phenylbrenztraubensäure treten im Urin Phenylmilchsäure und Phenylessigsäure auf. Wahrscheinlich ist die Oxydation des Phenylalanins zu Tyrosin nicht mehr möglich. Nach alten Versuchen von E m b d e n kann aber Phenylbrenztraubensäure (in der Niere) nicht weiter zu Acetessigsäure oxydiert werden. Es sind auch Fälle einer angeborenen Stoffwechselstörung beschrieben, die sog. „Tyrosinose", die durch vermehrte Ausscheidung von Tyrosin ausgezeichnet ist (Medes).

Eine weitere Störung im Abbau der aromatischen Aminosäuren ist die sog. Alkaptonurie. Es handelt sich auch hier um eine sehr seltene, familiär auftretende Erscheinung. I m Urin tritt eine Substanz auf, die reduzierende Eigenschaften hat {ammoniakalische Silberlösung wird in der Kälte reduziert) und sich mit Alkali schwarz färbt. Der früher „Alkapton" genannte Körper wurde von E. B a u m a n n als Homogentisinsäure identifiziert (so genannt, weil die Säure ein Homologes der Gentisinsäure ist, die durch oxydativen Abbau aus dem Aglucon eines Glycosids der .Enzianwurzel, des Gentisins, entsteht). OH CHo-COOH

Homogentisinsäure

OH

Die Ausscheidung der Homogentisinsäure ist bei eiweißreicher Kost vermehrt als Zeichen dafür, daß die Substanz aus den aromatischen Bausteinen der Proteine stammt. COOH ¿=0

C=0

COOH •

OH p-Oxyphenylbrenztraubensäure

OH

C=0

OH 2,5-Dioxyphenylbrenztraubensäure — CO, OH I f^NpCHg-COOH

Y

OH Homogentisinsäure

Die Homogentisinsäure ist sehr wahrscheinlich ein normales Zwischenprodukt beim Abbau der aromatischen Aminosäuren. Die Alkaptonurie bietet daher eine ausgezeichnete Gelegenheit nachzuprüfen, welche Stoffe als Zwischenstufen dieses

Phenylalanin und Tyrosin

369

Abbaus in Frage kommen. Vermehrt ein Stoff die Menge der ausgeschiedenen H o mogentisinsäure, so ist er selbst Zwischenprodukt oder kann in ein solches übergehen. Wir haben oben bereits ein Beispiel erwähnt: p-Oxyphenylbrenztraubensäure liefert Alkapton, nicht aber die p-Oxyphenylmilchsäure. Die letztere kann also nicht die Verbindung sein, welche durch die Desaminierung des Tyrosins entsteht. Auf diese Weise ist m a n dazu gekommen, für die Entstehung der Homogentisinsäure aus Tyrosin die vorstehende Folge v o n Reaktionen anzunehmen. I n der Homogentisinsäure ist keine der beiden phenolischen Hydroxylgruppen zur Seitenkette paraständig wie im Tyrosin. Man n i m m t daher an, daß beim Übergang in das Hydrochinonderivat eine Verschiebung der Seitenkette stattfindet. Die organische Chemie kennt Beispiele für derartige Umlagerungen, die über ein Chinol führen. Neuere Untersuchungen haben das obige Schema der Homogentisinsäurebildung, das im wesentlichen auf die Arbeiten älterer Autoren ( N e u b a u e r u. a.) am intakten Organismus zurückgeht, bestätigt und haben außerdem durch Verwendung löslicher Fermentsysteme aus Leber einigen Aufschluß über einzelne Teilreaktionen gebracht. Die Überführung des Tyrosins in p-Oxyphenylbrenztraubensäure geschieht durch eine Transaminierung, bei welcher a-Ketoglutarsäure der obligatorische Akzeptor ist. 2,5-Dioxyphenylalanin wird durch das gleiche Fermentsystem nicht angegriffen; daraus geht hervor, daß die Desaminierung schon auf der Stufe des Tyrosins als erste Reaktion erfolgt und nicht erst nach der weiteren Oxydation im Benzolring ( K n o x ) . Die Oxydation der p-Oxyphenylbrenztraubensäure zu Homogentisinsäure ist von der Ascorbinsäure abhängig, deren Wirkung spezifisch zu sein scheint. (Nur Isoascorbinsäure, die ebenfalls eine gewisse antiskorbutische Wirksamkeit zeigt, erwies sich als schwach aktiv.) Man hat schon früher die Feststellung gemacht, daß Meerschweinchen, die keine Ascorbinsäure erhalten und mit Tyrosin belastet werden, Alkaptonurie zeigen (vgl. S. 724). Der Abbau des Tyrosins zur Homogentisinsäure kann demnach in folgende Teilreaktionen zerlegt werden 1 ): Tyrosin + a-Ketoglutarat -»• p-Oxyphenylpyruvat + Glutaminsäure p-Oxyphenylpyruvat + i 0 2 > 2,5-Dioxyphenylpyruvat 2,5-Dioxyphenylpyruvat + | 0 2 • Homogentisinat + C0 2 Der weitere oxydative Abbau der Homogentisinsäure führt zur Ringöffnung. E m b d e n hatte schon vor langen Jahren (1906) gefunden, daß bei Durchströmung der Leber mit Tyrosin oder Homogentisinsäure Acetessigsäure entsteht. Neuerdings ist als weiteres Spaltstück Fumarsäure und Äpfelsäure nachgewiesen worden. Als Zwischenprodukt wird Fumarylacetessigsäure gebildet. Der Abbau stellt sich also folgendermaßen dar: OH O COOH OH COOH - 1 I COOH COOH 'N/ | HC C—CH, CH, CH 2 +h2O — 2H HC CH — 2H Homogentisi nsäureoxydase *)

OH

O

COOH COOH COOH COOH I I I I HC CH« HC CH,2 II 4I . + Ha0 „ | HC C=0 HC C=0 I I I I COOH CH3 0=C CH2 Fumarsäure Acetessigsäure Fumaryloxalessigsäure x ) K n o x , Biochem. J . 49, 686 (1951). 2

24

) Vgl. C r a n d a l l und H a l i k i s , J. biol. Chem. 208, 629 (1954). L e u t h a r d t . Lehrbuch. 12.Aufl.

370

Der Eiweißstoffwechsel

Die eingeklammerten Zwischenprodukte in den vorstehenden Formen sind hypothetisch. Die C4-Carbonsäuren werden über den Tricarbonsäurecyklus schließlich zu C0 2 und H 2 0 oxydiert.

Eine einfache Decarboxylierung des Tyrosins führt zum p - O x y p h e n y l ä t h y l a m i n , welches auchTyramin genannt wird. Es entsteht durch die Einwirkung von Bakterien auf die Aminosäure; aber auch tierische Gewebe, insbesondere die Niere, vermögen Tyrosin (wie auch Dopa) zu decarboxylieren.

0 9

CH2 CH—NH 2 I COOH Phenylalanin

oder

OH

OH

CH2

CH2

CH— NH 2 COOH Tyrosin



CH2—NH2 Tyramin

Eine weitere wichtige Substanz, welche ebenfalls aus diesen Aminosäuren gebildet wird, ist das A d r e n a l i n . Über seine Synthese siehe S. 631. Aus dem Tyrosin kann durch Oxydation das Dioxyphenylalanin entstehen: HO l _ HO—^>CH2—CH—NH2—COOH

In dieser auch „Dopa" genannten Verbindung sowie im Adrenalin befinden sich die zwei phenolischenHydroxyle in ortho-Stellung. Sie sind demnach als Derivate des Brenzcatechins aufzufassen. Phenole neigen zur Bildung von dunklen Farbstoffen und so wird auch die Pigmentbildung der Haut, die Melaninbildung, auf solche Oxydationsprodukte des Tyrosins zurückgeführt. Besonders das Dioxyphenylalanin scheint dabei eine Rolle zu spielen. I n der Haut (Melanoblasten der Epidermis) kommt ein oxydierendes Ferment, die „Dopaoxydase", vor, durch dessen Wirkung Dioxyphenylalanin in das dunkle Pigment verwandelt wird ( B r u n o Bloch). Man erhält derartige dunkle Farbstoffe auch in vitro, wenn man Tyrosin mit tyrosinasehaltigen Extrakten aus Pflanzen (Kartoffeln, Pilzen) behandelt. Die Tyrosinase ist ein Ferment, das Monophenole langsam zu Orthodiphenolen, die letzteren aber schnell zu den entsprechenden Orthochinonen und weiter zu Pigmenten oxydiert (vgl. S. 371). Wirksame Extrakte sind auch aus den melaninhaltigen Geschwülsten (Melanomen) gewonnen worden. Sehr wahrscheinlich sind die Dopaoxydase B l o c h s und die Tyrosinase (Monophenoloxydase) ein und dasselbe Ferment. Tyrosin wird im Gegensatz zum Dopa von normalen Melanoblasten nicht oder nur sehr langsam in Melanin verwandelt; doch hat dies seine Ursache wahrscheinlich nicht in einer Verschiedenheit der Fermente, sondern ist durch spezielle Umstände bedingt (lange Latenzzeit bis zur Bildung genügender Mengen des aktivierend wirkenden Diphenols aus dem Monophenol, vgl. S. 236, usw.). Melanoblasten der menschlichen Haut können durch Ultraviolettbestrahlung aktiviert werden, so daß sie auch aus Tyrosin Pigment bilden. Die Melanine gehören zu den verbreitetsten Pigmenten. Sie finden sich bei allen Klassen des Tierreichs. Sie können nicht nur aus den aromatischen Aminosäuren, sondern auch aus dem Tryptophan entstehen. Wahrscheinlich gibt es verschiedenartige Melanine. Weder ihre chemische Struktur noch ihre Entstehungsweise sind in allen Einzelheiten bekannt. Es scheint aber, daß ihnen das C-Gerüst des Indols zugrunde liegt:

Phenylalanin und Tyrosin

371

Das Tyrosin wird durch die Phenoloxydase (Tyrosinase) zuerst zu Dioxyphenylalanin (I) und weiter zum entsprechenden Orthochinon (II) oxydiert, das sich leicht in ein Dihydroindolderivat (III) umlagert. Dieses wird spontan zum entsprechenden Orthochinon (IV) oxydiert. Das letztere wird neuerdings als Dopachrom bezeichnet. Man hielt die Verbindung früher für identisch mit einem von M a z z a isolierten roten Farbstoff, der im marinen Wurm H a l l a p a r t h e n o p e i a vorkommt und deshalb den Namen Hallachrom erhalten hat. Die beiden Farbstoffe sind aber verschieden. Das Dopachrom lagert sich unter gleichzeitiger Decarboxylierung in 5,6-Dioxyindol (V) um. Das entsprechende Orthochinon (VI) ist wahrscheinlich die Muttersubstanz des Melanins, welches durch Oxydation und Polymerisation aus ihr hervorgeht. I Dopa

II Dopaorthochinon

HO—S S CH,2 I , H O — C H — C O O H

-2H

O= < / S

NH,

III 5,6-Dioxydihydroindola-carbonsäure CH,2 H O - / S i II I CH—COOH—*HO—i. A .

CH, L /CH—COOH N H

NH,

— 2H

-CH ii .CH

0= 0=

— coa

- 2H

ch 2 /CH—COOH NH

0= 0=

NH

NH VI Melaninmuttersubstanz

IV Dopachrom

5,6-Dioxyindol

Außer dem Tyrosin ist auch das Adrenalin (VII) zur Melaninbildung befähigt. Hier ist das A d r e n o c h r o m (IX) als Zwischenprodukt anzunehmen: -CH - OH CH2

HOHO—i

CH - OH — 2 H

— 2 H

Urnlagerung

NH I CH3 VII Adrenalin

VIII Leukoadrenochrom

-c=o

0 = 2 H

0=1

.CH, N

ch 3

ch 3

IX X Adrenochrom Oxoadrenochrom Nach neueren Untersuchungen scheint es, daß das Adrenochrom weiter zu Oxoadrenochrom (X) dehydriert wird. Solche Körper verbinden sich mit Ketonen leicht zu sog. Indogeniden. Man hat daher angenommen, daß bei der Pigmentbildung sich die Orthochinone (X) unter sich zu hochmolekularen Stoffen kondensieren (G. N. Cohen). Melanine kommen auch in gewissen bösartigen Geschwülsten (Melanosarkomen) vor. Der Urin der Kranken enthält Stoffe (Chromogene), die durch Oxydationsmittel in dunkle Pigmente verwandelt werden (Melanurie). 24«

372

Der Eiweißstoffwechsel

Ein Tyrosinderivat ist auch das Schilddrüsenhormon, das Thyroxin. Es wurde zuerst von K e n d a l l in reinem Zustand gewonnen und von H a r i n g t o n und Barger synthetisch dargestellt. Es ist ein Tetrajodderivat des p-Oxyphenyläthers des Tyrosins und zeigt Ähnlichkeit mit der aus dem Schwamm Gorgonia isolierten Jodgorgosäure: OH

CH,

O

jAJ V

CH2

CH

I

II

CH

CH-NH 2

COOH Jodgorgosäure

COOH Thyroxin

Über Dijodtyrosin und Trijodtyronin vgl. S. 610. Thyroxin kann unter bestimmten Bedingungen auch in vitro entstehen. Bei Behandeln von Proteinen mit Jod wird dieses in organische Bindung übergeführt. Aus derartigem Eiweiß hat man Thyroxin isolieren können. Ebenso gibt Dijodtyrosin in alkalischer Lösung kleine Mengen Thyroxin (v. Mutzenbecher). Der letztere Vorgang ist oxydativer Natur. Wahrscheinlich wird ein Molekül Dijodtyrosin durch Oxydation in ein reaktionsfähiges Produkt verwandelt, das sich mit einem zweiten Molekül unter Verlust der Seitenkette zu Thyroxin verbindet (Harington). Aus dem jodierten Eiweiß entsteht wahrscheinlich primär Dijodtyrosin, das auf dem angedeuteten Weg sekundär Thyroxin entstehen läßt1). B. Tryptophan Tryptophan bildet weder Zucker noch Aceton. Im Harn mancher Carnivoren, besonders bei verschiedenen Hundearten (Haushund, nordamerikanischer Steppenwolf, Wolf, Fuchs u. a.), findet sich eine Kynurensäure genannte Verbindung, welche, wie Ellinger bewiesen hat, ein Abbauprodukt des Tryptophans ist: 0H

UU-00011 N Kynurensäure

K o t a k e konnte als weiteres Zwischenprodukt des Tryptophanstoffwechels das Kynurenin isolieren. Nach B u t e n a n d t kommt dieser Verbindung die folgende Formel zu: Über den Stoffwechsel des Phenylalanins und Tyrosins und über Melaninbildung vgl. L e r n e r , Adv. Enzymol. 14, 73 (1953).

373

Tryptophan ^

x

%

>—CO—CH,—CH—COOH NH, NH,

Ihre Konstitution ist durch Synthese sichergestellt worden. Neuerdings ergab sich die bemerkenswerte Tatsache, daß Tryptophan bei den höheren Tieren in Nicotinsäure übergehen kann, einen Stoff also, der bisher als Vitamin angesehen wurde. (Vitamine können nach der Definition des Vitaminbegriffs von den Tierarten, für welche sie unentbehrlich sind, nicht synthetisiert werden.) Die Synthese der Nicotinsäure ist beim höheren Tier jedoch nur in beschränktem Umfange möglich und reicht zur Deckung des Bedarfs nicht aus. Der Zusammenhang zwischen Tryptophan, Kynurenin, Kynurensäure und Nicotinsäure, wie er sich nach den gegenwärtigen Kenntnissen darstellt, ist aus dem folgenden Schema ersichtlich: Tryptophan (I) CH 2 —CH—COOH NH

(

NH,

3-Oxykynurenin (III) O

O II 4c C—CH.—CH—COOH NH, NH2

!

Kynurenin (II)

-CH„—CH—COOH -nh2 NH,

OH Kynureninase, Pyridoxalphosphat

COOH COOH

Kynurensäure (VII)

OH Xanthurensäure (VIII)

OH

3-Oxyanthranilsäure (IV)

Zwischenprodukt COOH,

Nicotinsäure (VI)

+ Alanin

COOH L^ ILcooh N Chinolinsäure (V)

Der Eiweißstoffwechsel

374

Bei der A u f k l ä r u n g der Reaktionen, die T r y p t o p h a n , K y n u r e n i n u n d Nicotins ä u r e v e r k n ü p f e n , h a b e n U n t e r s u c h u n g e n a m S c h i m m e l p i l z Neurospora e i n e g r o ß e R o l l e g e s p i e l t ( B e a d l e u n d M i t a r b e i t e r ) (vgl. S. 217). M a n h a t d u r c h R ö n t g e n b e s t r a h l u n g M u t a n t e n e r z e u g t , die b e s t i m m t e S t u f e n d e r U m w a n d l u n g n i c h t m e h r d u r c h f ü h r e n k ö n n e n . D a die N i c o t i n s ä u r e f ü r d e n Pilz u n e n t b e h r l i c h i s t , ä u ß e r t s i c h der Stoffwechseldefekt in der m a n g e l n d e n E n t w i c k l u n g des Mycels. W i r d die g e e i g n e t e Z w i s c h e n v e r b i n d u n g , die n i c h t m e h r s y n t h e t i s i e r t w e r d e n k a n n , d e m Milieu z u g e s e t z t , so k a n n sich d a s M y c e l n o r m a l e n t w i c k e l n . A u f diese W e i s e i s t z. B . die 3 - O x y a n t h r a n i l s ä u r e als Z w i s c h e n p r o d u k t d e r U m w a n d l u n g v o n T r y p t o p h a n in Nicotinsäure e r k a n n t worden. M a n k a n n annehmen, d a ß die ang e g e b e n e R e a k t i o n s f o l g e bei M i k r o o r g a n i s m e n u n d h ö h e r e n T i e r e n i m w e s e n t l i c h e n d i e gleiche i s t . B e i m T i e r s c h e i n t b e s o n d e r s d i e L e b e r a m A b b a u d e s T r y p t o p h a n s b e t e i l i g t z u sein. D e r I n d o l r i n g w i r d z w i s c h e n d e m cc- u n d /?-C-Atom d u r c h e i n e s p e z i f i s c h e P e r o x y d a s e r e a k t i o n g e ö f f n e t , w o b e i als Z w i s c h e n p r o d u k t s e h r w a h r s c h e i n l i c h F o r m y l k y n u r e n i n a u f t r i t t . D a s a - C - A t o m w i r d als A m e i s e n s ä u r e e l i m i n i e r t 1 ) . Die merkwürdigste Reaktion dieser Reihe ist die Bildung des Pyridinrings (in der Nicotinsäure) aus dem Benzolring der 3-Oxyanthranilsäure (IV). Man hat angenommen, daß die Chinolinsäure (V) eine Zwischenstufe ist, weil sie im Urin der R a t t e nach Fütterung von Tryptophan a u f t r i t t und weil sie bei Neurospora die Nicotinsäure zu ersetzen vermag. Sie kann auch vom Lactobacillus arabinosus an Stelle der Nicotinsäure verwendet werden. Sie ist aber beträchtlich weniger wirksam als die letztere. Es scheint daher eher, daß sie aus einem Zwischenprodukt durch eine Nebenreaktion entsteht, wie dies im obigen Schema angedeutet ist. Das Zwischenprodukt muß notwendigerweise durch Ringöffnung gebildet werden, und man kann sich die folgende Reaktionsfolge vorstellen:

—COOH J

NH 2

j .

|—COOH —NH

CHO j 2 COOH

'S/ I OH

/

Decarboxylierung Ringschluß

|j

I

COOH v

N

\\

COOH

Ringschluß

COOH N

Zwischenprodukt (hypothetisch)

Man könnte daran denken, daß der Pyridinring der Nicotinsäure aus demjenigen der Kynurensäure entsteht. Diese naheliegende Annahme trifft aber nicht zu. Bei Verfütterung von Tryptophan, das in der /3-Stellung der Seitenkette (in Formel I mit Sternchen bezeichnet) C(14) enthält, entsteht Nicotinsäure, die kein Isotop enthält. Die Seitenkette geht also vollständig verloren. Tatsächlich hat man bei Verfütterung von L-Tryptophan und von D,L-Kynurenin an junge Ratten in deren Lebern eine Anreicherung von freiem Alanin gefunden. Aus der Leber läßt sich ein Ferment extrahieren, die Kynureninase, das L-Kynurenin und 3-Oxykynurenin in Anthranilsäure und Alanin spaltet. Das Coferment der Kynureninase ist das Pyridoxalphosphat (Wiss): O -CH—COOH NH,



\\—COOH L

J—NH„

+

CH 3 —CH—COOH | NH

*

Das Ferment spaltet in entsprechender Weise auch das 3-Oxykynurenin. Neuerdings haben W i s s und H e l l m a n n 2 ) das 3-Oxyanthranilsäurephosphat als Zwischenprodukt des Tryptophanabbaus in der Leber nachgewiesen. Die Bildung dieser Substanz !) K n o x und M e h l e r , J . biol. Chem. 187, 419 (1950). ) Helv. physiol. Acta 10, C 16 (1952).

2

Tryptophan

375

erfolgt durch einen bisher unbekannten Typus der oxydativen Phosphorylierung. Es scheint daher möglich, daß das oben angenommene Zwischenprodukt in Wirklichkeit eine Phosphorsäureverbindung ist. Das Kynurenin wird nur dann in Kynurensäure übergeführt, wenn Pyruvat oder a-Ketoglutarat zugegen ist, so daß es durch eine Transaminierung in die entsprechende Ketosäure O ^—C—CH2—C—COOH II 2-Aminobenzoylbrenztraubensäure O übergehen kann. Die letztere liefert durch Ringschluß unmittelbar die Kynurensäure. In gleicher Weise kann aus dem 3-Oxykynurenin die Xanthurensäure gebildet werden. Die Xanthurensäure (gelber Farbstoff!) wird bei der Ratte und anderen Tierarten bei Mangel an Pyridoxin (Vitamin B6) neben dem Kynurenin in vermehrter Menge ausgeschieden. Ihre Bildung unter diesen Umständen ist leicht verständlich, weil beim Fehlen des Pyridoxins das Oxykynurenin nicht gespalten werden kann 1 ). Kynurenin wird auch bei Insekten gebildet. Es dient hier als Baustein gewisser Pigmente, der sog. Ommochrome. Die Untersuchung bestimmter pigmentloser Mutanten der Diosophila und der Mehlmotte (Ephestia K ü h n i e l l i ) hat zu dem bemerkenswerten Resultat geführt, daß ihnen die Fähigkeit zur Bildung des Kynurenins abgeht. Die Wirkung des verantwortlichen Gens (v+) kann durch Kynurenin ersetzt werden. Wird das letztere den Puppen von außen zugeführt, so setzt in kurzer Zeit die Pigmentierung ein. Ein weiteres Gen (cu + ) beherrscht die Überführung des Kynurenins in das 3-Oxykynurenin. Die entsprechenden Mutanten reagieren nur auf das letztere, nicht auf das erstere ( B u t e n a n d t , K ü h n ) . Es ist dies ein besonders schönes Beispiel dafür, daß ähnlich wie bei Neurospora auch hier die Bildung der Fermente und damit die einzelnen Stoffwechselreaktionen von bestimmten Genen abhängig sind2). Ebenfalls mit Hilfe der Neurospora ist es möglich gewesen, in die biochemische Synthese des Tryptophans Einblick zu erhalten. Einer der Bausteine ist die Anthranilsäure. Aus ihr entsteht zunächst Indol: HaO

Anthranilsäure

Indol

NH

Auf welchem Weg diese Synthese erfolgt, ist noch unbekannt. Versuche mit Anthranilsäure, deren Carboxylgruppe durch ein C-Isotop markiert war, haben gezeigt, daß die Carboxylgruppe nicht verwendet wird. Das Indol kann sich wahrscheinlich direkt mit Serin zum Tryptophan kondensieren. Dies geht aus der Tatsache hervor, daß eine tryptophanabhängige Neurosporamutante das Gemisch von Indol und Serin an Stelle des Tryptophans verwerten kann ( T a t u m und B o n n e r ) : ,, +

HO-CH2—CH—COOH nh2 Serin

_H!q

ü—CHj—CH—COOH Ii nh2 NH Tryptophan

Auch für diese Reaktion ist Pyridoxalphosphat das Coenzym. Es ist anzunehmen, daß die Tryptophansynthese bei allen Organismen, die dazu befähigt sind, in ähnlicher Weise vor sich geht. Die höheren Tiere vermögen diese Synthese nicht durchzuführen. !) Wiss, Ztschr. Naturforschg. 7 b, 133 (1952). ) Vgl. dazu K ü h n , Nachr. Akad. Wiss., Göttingen, Math.-physik. Klasse, 1941, 231; B u t e n a n d t , Forsch. 11. Fortschr. 21/23, Nr. 4, 5, 6 (1947); Ztschr. Angew. Chemie 61, 262 (1949). Über Konstitution d. Ommochrome vgl. L i e b i g s Ann. Chem. 586, 217, 229 (1954). 2

Der Eiweißstoßwechsel

376

Ein seit langem bekannter Vorgang ist die Indolbildung durch gewisse Bakterien (z. B. E. coli). Das Indol wurde bei der Verdauung von Fibrin mit Pankreas als Zersetzungsprodukt der Proteine nachgewiesen. (Indol ist durch seine Rotfärbung mit salpetriger Säure — Bildung von Nitrosoindol — leicht zu erkennen.) Man stellte auch bald fest, daß es durch die Einwirkung der Fäulnisbakterien und nicht durch die Verdauungsfermente gebildet wird ( K ü h n e 1875, N e n c k i 1876). Nach der Entdeckung des Tryptophans erkannte H o p k i n s diese Aminosäure als Muttersubstanz des Indols. Aus Colibazillen läßt sich ein lösliches Ferment, Tryptophanase, gewinnen, das Tryptophan zu Indol abbaut ( H a p p o l d ) 1 ) . Coferment ist Pyridoxalphosphat (S. 695). Der Mechanismus der Indolbildung ist noch nicht restlos geklärt. Es scheint, daß die Seitenkette als Ganzes abgespalten werden kann und darauf oxydativ abgebaut wird. Man hat durch Papierchromatographie Alanin als Spaltstück nachgewiesen ( H a p p o l d ) . Da Tryptophan aus Serin und Indol entstehen kann, ist auch die Möglichkeit diskutiert worden, daß in Umkehrung dieser Reaktion die Seitenkette als Serin abgelöst wird. Der o-Aminophenylacetaldehyd oder der entsprechende Alkohol können in vitro leicht in Indol übergehen: tt

NH Es ist daher auch die Möglichkeit diskutiert worden, daß zunächst der Indolring im Tryptophan oxydativ geöffnet wird, wobei Kynurenin oder ein ähnlicher Körper entsteht. Nach Verkürzung der Seitenkette auf 2 C-Atome könnte der Indolring nach obigem Schema wieder geschlossen werden. Tatsächlich wird durch E. coli aus o-Aminophenyläthylalkohol Indol gebildet (Krebs). Von Tryptophanderivaten sei noch das Serotonin oder Enteramin erwähnt, ein blutdruckerhöhendes Amin, das im Blutserum und in chromaffinen Zellen der Darmschleimhaut vorkommt. Die Substanz ist aus Serum und den Speicheldrüsen von Octopus isoliert worden und ist sehr wahrscheinlich identisch mit dem 5-Oxytryptamin 2 ). Anscheinend wird sie auch in den Zellen von Dünndarmcarcinoiden gebildet. Ein weiteres Tryptophanderivat ist das Gramin (N-Dimethyltryptamin) aus Gerste.

Indolderivate, wie z. B. Indolessigsäure, sind Wuchsstoffe der Pflanze (s. S.601). C. Histidin

E d l b a c h e r fand in der Leber der Säuger und Vögel ein Enzym, die Histidase, welches das Histidin hydrolytisch unter Ammoniakbildung zerlegt (vgl. S. 189). Bei dieser Spaltung wird von den drei N-Atomen der Aminosäure eines als Ammoniak in Freiheit gesetzt. Es entstehen wahrscheinlich mehrere Zwischenprodukte, die sehr leicht zersetzlich sind. Sie spalten bei der Einwirkung von Natronlauge ein zweites Äquivalent Ammoniak ab, und außerdem lassen sich noch A m e i s e n s ä u r e und (natürliche) L - G l u t a m i n s ä u r e isolieren. Die summarische Gleichung dieser nur in den ersten Stadien enzymatischen Zersetzung läßt sich wie folgt formulieren: C 6 H 9 N 3 0 2 + 4H 2 0 Histidin 1

C 6 H„N0 4 + H-COOH + 2NH.•3 L-GlutaminAmeisensäure saure

) Über die Tryptophanasereaktion vgl. H a p p o l d , Adv. Enzymol. 10, 51 (1950). ) R a p p o r t , J . biol. Chem. 174, 735 (1948); E r s p a m e r , Nature 169, 801 (1952).

2

Histidin

377

Für die Erklärung dieser Reaktion bestehen folgende Möglichkeiten: 1. Entweder erfolgt der Angriff des Enzyms am Imidazolring unter E r h a l t u n g d e r A s y m m e t r i e d e s a-C-Atoms. Aus dem Histidin entsteht über Zwischenstufen das F o r m y l g l u t a m i n , das sich dann weiter in Ammoniak, Ameisensäure und L-Glutaminsäure zerlegen läßt. 2. Der Angriff der Histidase besteht in einer a-Desaminierung, die zur Bildung von Urocaninsäure (Imidazolylacrylsäure) führt, die dann durch ein z w e i t e s E n z y m , die U r o c a n i n a s e , in ein Produkt, wahrscheinüch Formylisoglutamin, übergeht, welches ebenfalls bei alkalischer Reaktion Ammoniak und Ameisensäure sowie Glutaminsäure liefert. I m folgenden sind die beiden Abbauwege dargestellt: HC—NH

L> |

CH.

enzymat. über Zwischenstufen

(—NHa)

H—C—NH, I

enzym.

HC—NH II > H C—N^

CH

CH,

Urocaninase

CH

| \ O H + NH 3

CH,

CH I 2 CH,

H—C—NH2

H—C—NH,

¿OOH Formylglutamin

COOH Histidin

(—NHS)

0=C—NH I

H

COOH l - Glutaminsäure

/O

0=C—NH

H

H—C—NH2

0 H—C—NH2

CH2

I

CH,

+ H • COOH nach I

|

x

OH

COOH-C=CH2 + H2S I

NH 2

COOH-C=CH2 I oder

NH 2

+H,0

a -Aminoacry lsäure C O O H C O C H 3 + NH,

NH 2

COOH-C=CH2 I NH 2

+

2 COOH • CH -CH» • SH I NH 2

> COOHCH—CH3 + NH 2

Der Schwefelwasserstoff wird zu Sulfat oxydiert:

COOH-CH(NH2)-CH2 ^ |

s

I COOH-CH(NH2)-CH2

H2S + 20 2 = H 2 S0 4 . Der Schwefel des Cysteins kann aber auch zur Stufe der Sulfinsäure oxydiert werden: COOH-CH(NH2)-CH2-SH > C00H-CH(NH 2 )-CH 2 -S0 2 H. Die letztere liefert Sulfit. Man hat in der Leber ein Ferment gefunden, die „Desulfinicase", welche aus Cysteinsulfinsäure schweflige Säure abspaltet ( F r o m a g e o t ) . Die Reaktion verläuft wahrscheinlich folgendermaßen: C00H-CH(NH2)-CH2-S02H • C00H-CH(NH2)-CH3 + S0 2 und würde demnach eine gewisse Ähnlichkeit mit der Decarboxylierung zeigen. I n ähnlicher Weise wie im Cystein kann der Schwefel auch im Cystin oxydiert werden, indem sich Cystindisulfoxyd bildet: COOH • CH(NH2) • CH2—S=O [ Cystindisulfoxyd COOH • CH(NH2) • CH 2 —S=0 Diese Substanz liefert Taurin (Versuche am Hund mit Gallenfistel, bei gleichzeitiger Verabreichung von Cholsäure. Das neugebildete Taurin wird als Taurocholsäure in der Galle ausgeschieden). Soviel man heute weiß, liefert die Sulfonsäuregruppe des Taurins kein anorganisches Sulfat. Das Taurin wird als solches (wohl zum größten Teil) als Taurocholsäure ausgeschieden. Es stellt also neben dem anorganischen Sulf a t eine Endstufe des S-Stoffwechsels dar. Die Oxydation des Schwefels, der in den Proteinen enthalten ist bis zur Stufe der Schwefelsäure, ist für den Säure-Basen-Haushalt des Organismus von großer Bedeutung. E r wird in neutraler Form (SH-Gruppe, Disulfidgruppe, CH 3 S-Gruppe)

384

Der Eiweißstoffwechsel

aufgenommen, aber als ßtarke zweibasische Säure ausgeschieden, die pro Atom Schwefel dem Körper zwei äquivalente Basen entzieht. Die Verbrennung von Eiweiß läßt also saure Valenzen entstehen, und daher muß die Nahrung die Basen enthalten, die zu ihrer Neutralisation nötig sind ( B u n g e ) . Die im H a r n vorkommenden Sulfate sind entweder als Sulfationen oder als sog. Esterschwefelsäuren an Phenol, Indoxyl usw. gebunden. Die Bildung dieser gepaarten Schwefelsäuren wird noch bei der Besprechung der bakteriellen Zersetzungen der Aminosäuren erwähnt werden. Eine seltene Stoffwechselanomalie ist die C y s t i n u r i e , bei welcher größere Mengen von Cystin im H a r n erscheinen. Sie kann zur Bildung von Konkrementen Anlaß geben. (Das Cystin ist in Blasensteinen von W o l l a s t o n 1810 entdeckt worden.) Merkwürdigerweise wird bei Cystinurie die Cystinausscheidung nicht erhöht, wenn Cystin per os gegeben wird. Wohl aber t r i t t nach Cystein oder D,L-Methionin eine Vermehrung des Cystins im Urin auf. Die Hauptquelle des im Urin ausgeschiedenen Cystins scheint das Methionin der Proteine, nicht deren Cystin zu sein. Das verschiedene Verhalten des Cystins und Cysteins deutet darauf hin, daß diese beiden Stoffe im Organismus auf unabhängigen Wegen umgesetzt werden können und daß ihre gegenseitige Umwandlung nicht so leicht vor sich geht, wie dies oft angenommen wird. Die Cystinurie ist eine angeborene Stoffwechselstörung. Man hat auch bei verschiedenen Hunderassen Familien mit Cystinurie gefunden. Bei Kindern kommt eine schwere Stoffwechselkrankheit vor, bei der es zur Ablagerung großer Mengen Cystin in den Organen (Milz, Leber, Lymphdrüsen) kommt. Sie ist von Störungen der Nierenfunktion und der Verknöcherung des Skeletts begleitet (renale Rachitis). Die Natur dieser Störungen ist unbekannt. E. Arginin Durch die streng spezifisch eingestellte Arginase wird diese Aminosäure in der Leber der Säuger gespalten. Dabei entstehen H a r n s t o f f und O r n i t h i n : /NH 2 /NH2 C==NH CO< Harnstoff \NH Nra2 CHI CH. + H20 = I CH2 I CH-NHj I COOH

CH2 • NH2 I CH, I CH2 Ornithin I CHNH 2 I COOH

Diese von K o s s e i und D a k i n entdeckte Spaltung ist ein Vorgang, der in vielfacher Hinsicht biologische Bedeutung hat. Durch ausgedehnte Untersuchungen konnte E d l b a c h e r nachweisen, daß überall dort, wo gesteigerte Wachstumsvorgänge im Organismus stattfinden, diese Spaltung intensiver ist. Es ist denkbar, daß diese Vorgänge zum Zellkernstoffwechsel in irgendwelcher Beziehung stehen, da doch die Zellkerne basische (argininreiche) Eiweißkörper enthalten. N e e d h a m und Mitarbeiter konnten die Theorie, daß die Arginaseaktivität in wachsenden Geweben erhöht ist, durch Versuche am Hühnerembryo bestätigen, indem im Hühnerei im Laufe der Entwicklung die Arginasemenge abnimmt.

385

Cystin (und Cystein). Methionin

Weitaus die höchste Arginaseaktivität findet sich in der Leber, und zwar zeigt sich hier ein charakteristischer Unterschied zwischen den Tierarten, die als Endprodukt ihres N-Stoffwechsels Harnstoff, und denjenigen, die als Endprodukt Harnsäure ausscheiden. Es konnte gezeigt werden, daß die Leber der Vögel und Reptilien, also der Tiere, die hauptsächlich H a r n s ä u r e und keinen H a r n s t o f f bilden, kaum Arginase enthalten. (Diese Klassen enthalten das Enzym in geringer Menge in den N i e r e n . ) Dagegen ist die Leber der harnstoffbildenden Tierklassen sehr reich an Arginase. Wir werden auf diese grundlegende Tatsache bei Besprechung der biologischen Harnstoffsynthese zurückkommen. Arginin kann im Körper der Säugetiere synthetisiert werden; dagegen ist dies bei den Vögeln nicht möglich. Bei der wachsenden jungen Ratte ist die Zunahme der Gewebe an Arginin 2—3 mal größer, als der Aufnahme durch die Nahrung entspricht (Rose). Die Synthese des Arginins wird im Abschnitt über die Harnstoffbildung genauer besprochen. Sie erfolgt über Ornithin und Citrullin. Aus welchem Material das Ornithin gebildet wird, ist nicht genau bekannt. Als Quelle kommt das Prolin in Frage, denn nach Verfütterung von deuteriumhaltigem Prolin findet man das Isotop im Ornithin, das durch Spaltung des Arginins erhalten wird ( S t e t t e n und S c h o e n h e i m e r ) . Auf eine Beziehung des Prolins zum Ornithin deutet auch die Beobachtung hin, daß bei Einwirkung von D-Aminosäureoxydase auf das D-Prolin die dem Ornithin entsprechende a-Ketosäure entsteht: HgC CHg HSC CH2 CH—COOH NH



H2C NH2

Prolin

L

C—COOH O

a-Keto-ö-aminovaleriansäure

Man hat auch an Histidin als Quelle des Arginins gedacht; z. B. geht im Hoden der Fische bei der Protaminreifung die Argininanreicherung mit Histidinschwund einher. Ein zweiter Abbauweg des Arginins ist der der Decarboxylierung. Er führt zu dem von K o s sei in den Fischtestikeln gefundenen A g m a t i n : /NH 2 HN=C< \NH—CH2—CHj—CH2—CH2 • NH2 Endlich wurden vieleVersuche darüber angestellt, die eventuelle Beziehung zwischen A r g i n i n und Kroatin zu klären. Da das Kreatin wie das Arginin eine Guanidingruppe enthält, liegt es nahe, das letztere als Muttersubstanz des Kreatins zu betrachten. Tatsächlich liefert z. B. bei Durchströmen des isolierten Herzens mit Argininlösung das Arginin Kreatin ( F i s c h e r und W i l h e l m i ) . Es wäre gut vorstellbar, daß durch oxydativen Abbau der Seitenkette Kreatin gebildet würde. Doch ist neuerdings der eindeutige Beweis geleistet worden, daß im Kreatin nur die beiden N-Atome der Amidingruppe aus dem Arginin stammen; die Zweikohlenstoffkette leitet sich vom Glycocoll ab, während die Methylgruppe aus dem Methionin stammt. Die Kreatinsynthese vollzieht sich in zwei Stufen. Zuerst wird aus Arginin und Glycocoll Guanidinessigsäure (Glycocyamidin) gebildet: ( NH, NH2 Amidingruppe I

|

I

( HN=C

HN=C

NH + H2N-CH2-COOH COOH • CH(NH2) • CH2 • CH2 • CH2 Arginin

25

l e u t h a r d t , Lehrbuch, 12.Aufl.

Glycocoll

• HN—CH2 • COOH Guanidinessigsäure

Der EiweißstoYfwechsel

386

Diese Reaktion läßt sich im überlebenden Gewebe direkt nachweisen. Wenn Gewebsschnitte aus Niere mit Arginin und Glycocoll geschüttelt werden, so entsteht Guanidinessigsäure (Borsook und D u b n o f f ) . Dieses Resultat wurde durch Verfütterung von markiertem Glycocoll und Arginin bestätigt (Schoenheimer). Das Glycocoll enthält den schweren Stickstoff in der Aminogruppe, das Arginin in der Amidingruppe. Zerlegt man das aus der Muskulatur der Versuchstiere gewonnene N-haltige Kreatin durch alkalische Hydrolyse in Ammoniak, Kohlensäure und Sarkosin:

COOH-CH2-N—C—NH2 I

Alkali

COOH-CH2-NH-CH3 + 2NH, + CO,

II

ch3nh so enthält das abgespaltene Ammoniak kein Isotop, wenn die Ratte das markierte Glycocoll erhalten hatte. Der schwere Stickstoff ist im Sarkosinteil des Moleküls vorhanden. Haben die Tiere aber markiertes Arginin erhalten, so enthält das Sarkosin kein Isotop, dagegen das Ammoniak. Aus diesen Versuchen geht klar hervor, daß das Kreatin nicht durch Abbau der Kohlenstoffkette des Arginins entstanden sein kann, sondern durch „Amidinübertragung" auf das Glycocoll.

Die Methylierung der Guanidinessigsäure durch das Methionin wurde ebenfalls im überlebenden Gewebe, und zwar in der Leber beobachtet ( B o r s o o k und D u b n o f f ) : COOH • CH(NH?) • CH2 • CH2—S Methionin

1— CH«

( H.»

HN=C

HN - A

Guanidinessigsäure

Kreatin

Auch f ü r diese Reaktionsstufe bringt die Verwendung von Isotopen den endgültigen Beweis. Verfütterung von Methionin (oder Cholin) mit Deuterium in der Methylgruppe f ü h r t zur Bildung von deuteriumhaltigem Kreatin. Die Methylierung der Guanidinessigsäure ist in vitro nur in Gewebsschnitten aus Leber beobachtet worden, ihre Bildung aus Glycocoll und Arginin dagegen in Nierenschnitten. Es wäre daher möglich, daß f ü r die Synthese des Kreatins die beiden Organe nötig sind. Kreatin (beim Wirbeltier) und Arginin (beim Avertebraten) kommen in der Muskulatur in Form ihrer Phosphorsäureverbindungen vor. Auf die große Bedeutung dieser Substanzen für die Muskeltätigkeit wird später bei der Besprechung des Muskelstoffwechsels hingewiesen. F. Prolin

Das Prohn wird durch überlebende Nierenschnitten auf dem Wege über die Glutaminsäure in die a-Ketoglutarsäure umgewandelt, welche dann dem weiteren Abbau anheimfällt. Die Ketosäure konnte bei Vergiftung des Gewebes mit arseniger Säure isoliert werden, da dadurch ihr weiterer Abbau gehemmt ist ( K r e b s ) . COOH

HjC

CH2

H2C

¿—ICOOH

N H Prolin

H2C HOOC H2N

CH. C—COOH H

Glutaminsäure

Ao ch2

Ah2

| COOH a-Ketoglutarsäure

387

Glutamin- und Asparaginsäure; Glutamin und Asparagin

Auf die große Bedeutung der oc-Ketoglutarsäure für die „Umaminierungsreaktion" und ihre Beziehung zur Glutaminsäure sowie zum Auf- und Abbau der Aminosäuren wurde schon auf S. 358 hingewiesen; ebenso wurde die Beziehung zum Ornithin und Arginin erwähnt (S. 385). G. Glutamin- und Asparaginsäure; Glutamin und Asparagin

Die wichtige Rolle, welche die beiden Aminodicarbonsäuren bei der Transaminierung spielen, wurde früher schon erwähnt (S. 358). Wir haben dort auch ein Schema mitgeteilt, welches die Beziehung der Glutaminsäure zu anderen Aminosäuren zeigt. Die Asparaginsäure ist Stickstoffdonator bei der Überführung des Citrullins in das Arginin und ist daher für die Harnstoffsynthese von Bedeutung (vgl. S. 399). Durch Clostridium Welchii kann Asparaginsäure decarboxyliert und in «-Alanin übergeführt werden 1 ): COOHCH2CH(NH2)COOH >• C02 + CH3CH(NH2)COOH. Glutamin und besonders Asparagin scheinen im pflanzlichen Stoffwechsel als Stick stoffreserve eine Rolle zu spielen. Es gibt verschiedene Fermente, welche die Säureamidgruppe des Glutamins hydrolytisch spalten. Asparaginase und Glutaminase sind bei Pflanzen und Tieren weit verbreitet. Die Fermente sind nicht in reiner Form dargestellt worden. In Leber und Niere finden sich Enzyme, welche Glutamin und Asparagin nur bei Gegenwart von Pyruvat spalten. Wahrscheinlich wird intermediär ein Dehydropeptid gebildet; z. B. COOHCH(NH2)CH2CH2CO + CHjCOCOOH

> COOHCH(NH2)CH2CH2CO N

II ch3ccooh welches unter der Einwirkung des Ferments gespalten wird: COOHCH(NH2)CH2CH2CO | N + 2 H20

||

CH3CCOOH

>

f COOHCH(NH2)CH2CH2COOH + {

[CHjCOCOOH + NH3.

Es würde sich hier also um eine Dehydropeptidase handeln (vgl. S. 198). Die Spaltung des Amids in Gegenwart von a-Ketosäuren kann mit einer Transaminierung verbunden sein, wobei die entsprechende Aminosäure gebildet wird; z. B.: Glutamin -f a-Ketoglutarsäure + a-Aminosäure + NH 3 2 ). Es hat sich gezeigt, daß die Enzyme, welche die durch Ketosäuren bewirkte Spaltung der Säureamide katalysieren, im Gegensatz zur gewöhnlichen Glutaminase und Aspyraginase hitzestabil sind. (Sie werden als „Glutaminase II" usw. vom hitzelabilen Enzym, der „Glutaminase I", unterschieden.)

Über die Synthese des Glutamins siehe S. 414. Von W a e i s c h wurde ein Enzym nachgewiesen, die G l u t a m o t r a n s f e r a s e , das den y-Glutamylrest der Glutaminsäure (oder den /?-Aspartylrest) auf Hydroxylamin überträgt: COOHCH(NH2)CH2CH2CONH2 + NH 2 OH ,

2

25«

• COOHCH(NH2)CH2CH2CONHOH + NH 3 Hydroxamsäure

M e i s t e r und Mitarb., J. biol. Chem. 189, 577 (1951). ) Vgl. M e i s t e r , J. biol. Chem. 197, 319 (1952).

388

Der Eiweißstoffwechsel

oder die NH 2 -Gruppe des Säureamids mit Ammoniak austauscht (Nachweis mit N (15, H 3 ). Möglicherweise ist das Enzym an der Glutaminsynthese beteiligt (vgl. S. 414). Es ist in Mikroorganismen, Pflanzensamen und in tierischen Organen nachgewiesen worden 1 ). Von der Bedeutung des Glutamins als Ammoniakmuttersubstanz in der Niere (S. 328) und als Ammoniakdonator bei der Purinsynthese (S. 424) wird die Rede sein. Über Transaminierungsreaktionen des Glutamins siehe S. 766. Bei der Bildung von Glucosamin liefert die Säureamidgruppe des Glutamins den Stickstoff des Aminozuckers (vgl. S. 308). H. Serin und Threonin

Serin kann im tierischen Organismus durch Spaltung der C-Kette zwischen dem cn- und dem yS-Kohlenstoffatom in Glycocoll übergehen. Dies läßt sich an Organschnitten aus Leber zeigen, welche bei Gegenwart von Serin und Benzoesäure Hippursäure bilden ( L e u t h a r d t ) . Die Verwendung von markiertem Serin bestätigt den direkten Übergang von Serin in Glycin (S he min). Der Vorgang ist umkehrbar: aus Ameisensäure und Glycocoll wird Serin gebildet. Mit C(14) markierte Ameisensäure wird in das Serinmolekül aufgenommen ( S a k a m i ) : COOH

I

Serin H-C-NH 2

COOH

¿

Glycocoll

•NH2

+ HCOOH

Ameisensäure

Das unmittelbare Spaltprodukt ist vielleicht Formaldehyd; doch ist die beim Abbau des Serins auftretende Einkohlenstoffverbindung nie gefaßt worden. Wahrscheinlich überwiegt unter physiologischen Bedingungen die synthetische Reaktion. Die Reaktion hängt von einem Coferment der Folsäuregruppe und wahrscheinlich auch vom Vitamin B 12 ab (vgl. S. 710 und 716). Threonin ist der zuletzt entdeckte Eiweißbaustein. Es wurde von R o s e bei Fütterungsversuchen an Ratten, also auf biologischem Weg, entdeckt und bald darauf isoliert (vgl. S. 404). Threonin erleidet eine ähnliche Spaltung wie Serin; es geht in Glycocoll über: COOH • CH • (NH2) • CH(OH) • CH3

COOH-CH 2 -NH 2 .

Als zweites Spaltprodukt könnte Acetaldehyd gebildet werden. Möglicherweise ist die Spaltung auch hier umkehrbar. F . K ö g l und B o r g konnten zeigen, daß H e f e durch Zusatz von G l y c o coll n a c h e i n i g e r Z e i t eine Gärbeschleunigung erfährt. Andererseits bewirkt auch Threonin diesen Effekt s o f o r t . Dies erklären die genannten Forscher dadurch, daß aus G l y c i n und dem aus der Gärung stammenden A c e t a l d e h y d Threonin aufgebaut wird. In Neurospora ist ein Enzym nachgewiesen worden, welches Serin zu Pyruvat und Ammoniak abbaut (vgl. auch S. 390): COOHCH(NH2)CH2OH • COOHCOCHj + N H 3 . Als Coferment wirkt Pyridoxalphosphat ( Y a n o w s k y ) . In diesem Zusammenhang ist von Interesse, daß Serin in vitro beim Erhitzen mit Pyridoxal undMetallionen (Al + + + , C u F e + + + ) in gleicher Weise desaminiert wird (Metzler und Snell). ») Vgl. Advances in Protein Chemistry 6, 312 (1951); 8, 150 (1953).

389

Glycocoll I. Glycocoll

Der früheste Beweis für die Bildung des Glycocolls im tierischen Organismus liegt in der Tatsache, daß viele Säugetiere bei Verfütterung von Benzoesäure dieselbe fast vollständig als Glycocoll Verbindung, nämlich als Hippursäure, ausscheiden; die Menge des Glycocolls, das als Hippursäure im Urin auftritt, kann dabei so bedeutend sein, daß die im Körper vorhandene Menge vorgebildeten Glycocolls nicht ausreicht und daß eine Neubildung der Aminosäure angenommen werden muß: COOH

CO-NHCH2COOH

+

H2N-CH2-COOH

V /

Benzoesäure

Glycocoll

Hippursäure

Auf ähnliche Weise wie die Benzoesäure wird bei vielen Tierarten (nicht beim Menschen und den Menschenaffen) auch ihr nächst höheres Homologes, die Phenylessigsäure, als Glycocollverbindung — Phenacetursäure — ausgeschieden. Wir haben bereits erwähnt, daß Glycocoll aus Serin und Threonin entstehen kann. Möglicherweise gibt es auch noch andere Bildungsweisen. Wir werden später sehen, daß das Glycocoll direkt in die Synthese des P u r i n gerüsts (S. 424) und der P o r p h y r i n e (S. 525) einbezogen wird. E s ist also ein wichtiger Baustein anderer organischer Verbindungen. Das Glycocoll kann auch in Aminoäthylalkohol übergehen. (Der letztere weist nach Verabreichung von N (15) -Glycin einen hohen Gehalt an Isotop auf [ S t e t t e n ] . ) Diese Eeaktion liefert offenbar den Aminoäthylalkohol für die Cholinsynthese (vgl. S. 381). Wahrscheinlich geht dabei das Glycocoll durch Addition eines C r Fragments in Serin über (siehe oben), welches durch Decarboxylierung Aminoäthylalkohol liefert. Das a-C-Atom des Glycocolls kann (möglicherweise über Glyoxylsäure als Zwischenprodukt) selbst in ein reaktionsfähiges ^-Fragment übergehen („aktiviertes" Formiat), welches zu verschiedenen Synthesen, u. a. zur Bildung des Serins, verwertet werden kann ( S a k a m i ) : Serin

+

[HCOOH]

CHa—COOH

CHj—CH2-pCOOH

nh2

A>H

NH,

Glycocoll / CH-!-COOH\

CHS—COOH

CHj—CH2

\0

Ah,

AH

11

/

Glyoxylsäure t

NH,

+

COa

Aminoäthylalkohol

Das C 1 -Fragment, das aus Glycocoll gebildet wird und sich an das Serin anlagert, ist hier als Ameisensäure angegeben, weil Formiat tatsächlich auf diese Weise reagiert; doch soll dies nicht bedeuten, daß das a-C-Atom des Glycocolls tatsächlich intermediär Formiat bildet. Wahrscheinlich gehen beide zuerst in ein und dasselbe „aktivierte "Cj-Fragment über. Wie erwähnt, scheint die Reaktion vom Vitamin B 1 2 und einem Faktor der Folsäuregruppe abzuhängen 1 ). ») Literatur vgl. Welch und N i c h o l , Ann. Rev. Biochem. 21, 656 (1952).

Der Eiweißstoffwechsel

390

5. Abbau der Aminosäuren durch Bakterien und Hefe Im Darm, vor allem im Colon, sind günstige Bedingungen für die reichliche Entwicklung von Bakterien („Darmflora") vorhanden. Der Dickdarm enthält noch reichlich Proteine, die zum großen Teil aus den abgestoßenen Zellen der Darmschleimhaut stammen und unter der Einwirkung der Bakterien in Fäulnis übergehen. Bei der Fäulnis handelt es sich um komplizierte Abbauvorgänge der Aminosäuren, bei denen einfache Produkte, wie Ammoniak und Schwefelwasserstoff, gebildet werden. Daneben entstehen die verschiedenartigsten Umwandlungsprodukte der Aminosäuren, die man unter der Bezeichnung „Aporrhegmen" zusammenfaßt ( A c k e r m a n n und Kutscher). Wichtige Teilvorgänge beim bakteriellen Abbau der Aminosäuren sind die Decarboxylierung und die Desaminierung. Von der Decarboxylierung war schon früher die Rede. Sie liefert Amine (vgl. S. 365). Die Desaminierung der Aminosäuren verläuft bei den höheren Tieren oxydativ unter Bildung der entsprechenden Ketosäuren. Bei den Bakterien existieren noch andere Möglichkeiten. Colibazillen können z. B. die Asparaginsäure unter Bildung von Fumarsäure desaminieren: COOH

COOH

H-I-NH2

CH

¿HJ

"

+ NHJ

L)H

¿OOH

¿OOH

Asparaginsäure

Fumarsäure

Die Reaktion ist umkehrbar und wird durch das Ferment Aspartase bewirkt ( Q u a s t e l , V i r t a n e n ) . Die Fumarsäure läßt sich aber nur dann direkt fassen, wenn ihre weitere Umsetzung durch Hemmstoffe wie Toluol verhindert wird. In intakten Bakterien wird die Fumarsäure zu Bernsteinsäure reduziert, oder sie geht unter Anlagerung von Wasser in Äpfelsäure über. Die Bildung der Urocaninsäure aus dem Histidin durch die Urocaninase beruht auf dem gleichen Mechanismus der Desaminierung. Vgl. S. 377. Colibazillen können durch einfache Wasserabspaltung das Serin und das Cystein desaminieren (Coenzym ist wahrscheinlich das Pyridoxalphosphat):

H-b-NH, I

COOH

COOH

COOH — H.0

I

C-NH2

COOH + H,0

C = NH
• C = 0 I + I R,

R2

I R2

2

2NH.

Es wird also aus der einen Aminosäure die entsprechende a-Ketosäure, aus der anderen die entsprechende einfache Fettsäure gebildet. Dabei scheinen einzelne Aminosäuren, wie Glycocoll, Prolin, Arginin, Tryptophan, immer nur als Wasserstoffakzeptoren, andere, wie Alanin, Serin, Glutaminsäure, Phenylalanin, immer nur als Wasserstoffdonatoren zu funktionieren. Die primär entstehende Ketosäure kann aber auf Kosten eines zweiten Moleküls des Reaktionspartners weiter zu der um ein C-Atom ärmeren Carbonsäure oxydiert werden. Alanin liefert z. B. bei der Oxydation durch Prolin Essigsäure und C0 2 . Andere Clostridiumarten, und dazu gehören die Gasbranderreger, sind imstande, Aminosäuren unter Freisetzung von Wasserstoff zu desaminieren. Der Verlauf dieser Reaktion ist aber nicht genau bekannt. Eine weitere Möglichkeit besteht in der einfachen hydrolytischen Desaminierung: COOH H-b-NH. I

COOH +h



H-C-OH I

R

+

NH.

R

Es gibt aber keine eindeutigen Beweise dafür, daß diese Reaktion vorkommt. Die Oxysäure könnte immer auch durch sekundäre Reduktion der Ketosäure entstanden sein. Eine besondere Art des Aminosäureabbaus wird durch die Hefe bewirkt. Bei dieser Reaktion entsteht ein A l k o h o l , der um ein Kohlenstoffatom ärmer ist als die entsprechende Aminosäure (F. E h r l i c h ) : R

¿H-NH 2

R



CH2—OH + NH, + C02

COOH Aminosäure

Alkohol

Die Annahme liegt nahe, daß die Aminosäure zuerst in die entsprechende Ketosäure übergeht, worauf diese zum nächst niedrigen Aldehyd decarboxyliert würde. Durch Reduktion entsteht aus dem Aldehyd der Alkohol, wie das folgende Schema zeigt:

392

Der Eiweißstoffwechsel R Aminosäure

R

AH-

I

NH,

CO

COOH

Ketosäure

COOH i « R l/H C< oxydativ/

Decarboxylierung

Aldehyd + CO, \\

/

\reduktlv

\

R tierischer | Stoffwechsel COOH Fettsäure

R

i:H , 2 OH

Hefestoffwechsel

Alkohol

4

^-Oxydation

Auf diese Weise werden bei der alkoholischen Gärung höhere Alkohole als Zersetzungsprodukte der Aminosäuren gebildet, so z. B. aus dem Leucin die verschiedenen Amylalkohole: CH,—CH—CH,

CH.—CH—OH« z ¿H—:NH 2 COOH Leucin

CH2

+ H2O

¿H 2 —OH Isoamylalkohol + C0 3 + NH S

Diese bilden das dem Alkohol beigemengte, stark giftig wirkende Fuselöl. Die Bildung dieser Alkohole durch lebende Hefe kann so gedeutet werden, daß die Aminosäure dem Pilz als Stickstoffquelle zum Aufbau anderer Eiweißbausteine dient, während der Amylalkohol vom Pilz nicht weiter verwertet wird. Verschiedene Bakterien und Pilze können aus Aminosäuren auch die entsprechenden a-Oxysäuren' bilden. Beim Tryptophan kann die Seitenkette vollständig abgebaut werden (vgl. S. 374, Entstehung von Indol). Außer dem Indol treten bei der bakteriellen Zersetzung auch Skatol, Indolylessigsäure, Indolylpropionsäure auf: COOH COOH CHS

I

NH Skatol

¿H,

¿H 2

I

NH ^-Indolylessigsäure

NH ß - Indolylpropionsäure

Abbau der Aminosäuren durch Bakterien und Hefe

39S

Man kann die beiden ersten Verbindungen durch Verkürzung der Seitenketten des Tryptophans entstanden denken. Indol und Skatol besitzen einen typischen fäkalen Geruch. Indolylessigsäure kann im Urin vorkommen und gibt sich durch eine Rotfärbung bei Zusatz von Salzsäure zu erkennen (Uroroseinreaktion). In ähnlicher Weise kann auch die Seitenkette des Tyrosins desaminiert und verkürzt werden: COOH ¿h 2 I CH,

COOH ¿H.

X /

N /

OH p-Oxyphenylessigsäure

OH p-OxyphenylPropionsäure

Die p-Oxyphenylessigsäure entsteht jedenfalls durch Decarboxylierung der p-Oxyphenylbrenztraubensäure. Durch weitere Verkürzung kann p-Kresol und durch vollständigen Abbau der Seitenkette Phenol entstehen: HO-. /

v . CH,

H O - /

p-Kresol

_

V

Phenol

In der folgenden Tabelle sind die wichtigsten Aporrhegmen aufgeführt, die durch bakterielle Zersetzung der Aminosäuren entstehen:

>C

Leuoin:

H3C

Isoamylamin

CH2-CH2-COOH Isovaleriansäure

Asparaginsäure: ß-Alanin

Glutaminsäure:

COOH-CH2-CH2-COOH Bernsteinsäure H 2 N • CH2 • CH2 • CH2 • COOH y-Aminobuttersäure

Lysin:

H 2 N • CH2 • CH2 • CHj • CH2 • CHa • NH 2 Cadaverin

Histidin:

HC=

-C • CHa • CH» • NH,

HN

N

> r

Histamin

=C • CH, • CH, • COOH HN

N CH

/3-Imidazolylpropionsäure

394

Der Eiweißstoffwechsel Arginin:

H 2 N • CH2 • CH2 • CH2 • CH(NH2) • COOH Ornithin H 2 N • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • NH 2 Putresein

HN ^CH-NH- CH, • CH • CH • CH, • NH 2

h2N/

2

2

Agmatin H 2 N • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • COOH (5-Aminovaleriansäure Phenylalanin:

ch2-ch2-nh2

/

Phenyläthylamin

\ _ y—CH.-COOH — Phenylessigsäure

CH2-CH2-COOH /?-Phenylpropionsäure

ch2-ch2-nh.

Tyrosin:

Tyramin H O — C H

2

• COOH

p- Oxyphenylessigsäure HO-^

CH2 • CH2 • COO

p-Oxyphenylpropionsäure Prolin:

H-C

CH,

H2C

CH„

Pyrrolidin

NU H 2 N • CH2 • CH2 • CH2 • CH2 • COOH (5-Aminovaleriansäure

Auf Grund der vorangehenden Ausführungen ist es leicht ersichtlich, auf welchem Weg diese Körper aus den entsprechenden «-Aminosäuren entstehen können. 6. Aminosäuren und Entgiftungs- (Detoxikations-)vorgänge Es ist eine seit langem bekannte Tatsache, daß gewisse toxisch wirkende Stoffe, wie z. B. Phenol, im Urin nicht als solche ausgeschieden werden, sondern daß der Körper sie in Form bestimmter Verbindungen eliminiert. Phenol z.B. wird vorzugsweise in den Schwefelsäureester übergeführt (E. B a u m a n n 1875). Man nahm an, daß der Organismus bestrebt ist, auf diese Weise die schädliche Substanz in eine weniger toxische Verbindung überzuführen, und bezeichnete daher derartige Re.aktionen als Entgiftungsvorgänge. Der Ausdruck ist nicht sehr gut gewählt, denn

Aminosäuren und Entgiftungs- (Detoxikations-)vorgänge

395

die entstehende Verbindung ist nicht immer weniger giftig als der ursprüngliche Körper. In sehr vielen Fällen aber ist sie besser löslich, und man kann annehmen, daß dadurch die Ausscheidung erleichtert wird. Aber auch dies trifft nicht in allen Fällen zu. Man faßt heute unter dem Ausdruck Entgiftungsvorgänge (Detoxikation) alle die chemischen Umwandlungen zusammen, welche ins Blut aufgenommene körperfremde Substanzen erleiden. Zu den körperfremden Substanzen sind auch solche zu zählen, die im Darm unter der Einwirkung der Darmflora entstehen. Eine häufige Form der Entgiftung besteht wie gesagt darin, daß die eingeführte Substanz an eine vom Organismus gelieferte Verbindung gebunden wird. Für verschiedene Entgiftungsreaktionen ist nachgewiesen, daß sie sich in der Leber abspielen. Von allen Organen ist die Leber natürlich am besten geeignet, die im Darm aufgenommenen körperfremden Stoffe zu „entgiften". Man nimmt allgemein an, daß sie der Sitz der hauptsächlichsten Entgiftungsreaktionen ist. Einzelne Reaktionen, wie z. B. die Hippursäuresynthese, können aber auch in der Niere stattfinden. Die Aminosäuren sind an derartigen Reaktionen auf zwei verschiedene Arten beteiligt: Sie können als Paarling von körperfremden Stoffen herangezogen werden, dienen also zu deren Entgiftung. Andererseits aber liefern sie bei der Darmfäule Aporrhegmen, die selber, nachdem sie im Darm resorbiert worden sind, Entgiftungsreaktionen anheimfallen. Zu Entgiftungsreaktionen können Glycocoll, Ornithin, Glutamin und Cystein herangezogen werden. a) Glycocoll verbindet sich, wie bereits erwähnt, mit Benzoesäure zuHippursäure, mit Phenylessigsäure zu Phenacetursäure. Beim Vogel (Huhn) wird Benzoesäure nicht mit Glycocoll, sondern mit Ornithin „gepaart". Nach Verfütterung von Benzoesäure erscheint in den Exkreten Dibenzoylornithin, die sog. „Ornithursäure": COOH

Die zugrunde liegende Aminosäure, die in Form der Ornithursäure entdeckt wurde, erhielt den Namen „Ornithin" ( J a f f e 1877). Dieser Unterschied zwischen Säuger und Vogel ist für die vergleichende Physiologie von Interesse. Das Huhn kann nämlich das Glycocoll im Gegensatz zum Säugetier nicht synthetisieren. Es wird durch eine andere, für den Vogel wahrscheinlich leichter zugängliche Aminosäure ersetzt (vgl. S. 405). Die Hippursäuresynthese ist in den Mitochondrien (Zellgranula) lokalisiert1). Über ihren Mechanismus vgl. S. 414. Auch die N i c o t i n s ä u r e wird mit Glycocoll gepaart, als N i c o t i n u r s ä u r e ausgeschieden (vgl. S. 552). Für ihre Synthese scheinen ebenfalls die Mitochondrien verantwortlich zu sein2).

b) Beim Menschen und beim Schimpansen wird die Phenylessigsäure nicht an Glycocoll, sondern an Glutamin gebunden, wobei N-(Phenylacetyl-)glutamin entsteht ( S h e r w i n und T h i e r f e l d e r ) : COOH • CH • CH2 • CH2 • CO • NH a

!) Helv. Chim. Acta 34, 1618 (1951). 2 ) Biochim. Biophys. Acta 14, 586 (1954).

396

Der Eiweißstoffwechsel

c) Nach Verfütterung von Chlor- oder Brombenzol an den Hund treten im Urin die sog. M e r c a p t u r s ä u r e n auf ( B a u m a n n und P r e u s s e 1871). Sie sind eine Verbindung des Halogenkörpers mit acetyliertem Cystein: NH-COCH, L

ll—S—CH2 • CH • COOH

Wahrscheinlich erfolgt zuerst die (oxydative) Anlagerung des Cysteins an das Halogenbenzol, worauf die Verbindung, wie viele Amine, acetyliert wird. Auch Verbindungen mit aliphatisch gebundenem Halogen (z.B. Benzylchlorid) und halogenfreie aromatische Verbindungen wie Anthracen können Mercaptursäuren bilden. Im letzteren Fall hat man neben der Mercaptursäure ein Dioxyd erivat des Anthracens im Urin gefunden: S—CH» • CH • COOH

Anthracen H

I I I

OH

h0H

1,2-Dioxy-1,2-dihydroanthracen Es ist möglich, daß die zweite Verbindung aus der ersten durch hydrolytische Abspaltung des Cystins und nachfolgende Wasseranlagerung entstanden ist. Demnach würde die Mercaptursäurebildung den ersten Schritt beim oxydativen Angriff dieser Kohlenwasserstoffe darstellen.

Von den bakteriellen Zersetzungsprodukten der Aminosäuren, die im Organismus entgiftet werden, sind besonders das Indol und die Phenole zu nennen. Durch Oxydation des Indols bildet sich I n d o x y l : OH

m—0'S0 3 H

NH Indoxyl

NH Harnindican

Dieses wird mit Schwefelsäure verestert und geht als Harnindican (Indoxylschwefelsäure) in den Urin über. Die Substanz kann durch Oxydation leicht in I n d i g o b l a u übergeführt werden: / X p ^ p O H

Ux/ NH

+

H O -

r

-

r

" \

O

O

J

A

/ N

/ X

I7U — Ux/^x/U NH

NH

NH

Indigo Als Oxydatiosnmittel kann man z. B. FeCls in stark salzsaurer Lösung (Obermeyers Reagens) oder Hypochlorit benutzen. Der gebildete Farbstoff läßt sich dann durch Ausschütteln mit Chloroform nachweisen.

Aminosäuren und Entgiftungs- (Detoxikations-) Vorgänge

397

Daß die indigobildende Substanz des Harns ein Schwefelsäureester ist, wurde erstmals von E. B a u m a n n (1876) nachgewiesen. Der Zusammenhang der Indicanbildung mit den Vorgängen im Darm zeigt sich darin, daß bei gesteigerter Darmfäulnis vermehrt Indoxylschwefelsäure ausgeschieden wird. Auch die Phenole, die aus den aromatischen Aminosäuren entstehen, werden im Urin größtenteils als gepaarte Schwefelsäuren ausgeschieden; z. B.: /").OSO

3

H

CH3/

Phenolschwefelsäure

^>-O-SO3H

Kresolschwefelsäure

Betainbildung. Werden Aminosäuren erschöpfend methyliert, so kommt es zur Bildung von sog. Betainen, die als Zwitterionen vorliegen: CH 2 -NH 2

CH2-N(CH3)3

¿OOH

¿00"

Glycocoll

Glycocollbetain

Das Glycocollbetain wurde in der Zuckerrübenmelasse gefunden. Es ist auch aus tierischen Organen dargestellt worden (Niere, Leber, Amnionflüssigkeit) und erscheint nach Verfütterung von Cholin im Urin ( A c k e r m a n n ) . Andere Betaine wurden als Nebenprodukte des Eiweißstoffwechsels in der Natur entdeckt. So konnte A c k e r m a n n das Ornithinbetain aus der Muskulatur isolieren: CH2 • NH, I

CH 2 .N(CH 3 ) 3 T

CHJ

CHG

I1H2

CHG

¿H-NH 2

CH • N(CH3)3

¿OOH Ornithin

¿ 0 0 - (Myokynin) Ornithinbetain

T a n r e t fand im Mutterkorn ein Betain des Histidins, welches Schwefel enthält. Es führt den Namen Ergothionein: HC—N V II >C-SH

c—isr

CH—N(CH3)3

cooDieses Betain kommt auch in den Erythrocyten vor. Verschiedene andere Betaine sind aus Pflanzen isoliert worden. Endlich sei hier nochmals auf das Cholin hingewiesen, welches zum Betain in naher Beziehung steht. Es dürfte, wie früher angeführt wurde, aus dem Aminoäthylalkohol durch Methylierung entstehen, nicht aber durch direkte Reduktion aus dem Betain, da nach Verabreichung von N (15) -Betain nur ein kleiner Bruchteil des Isotops im Cholin erscheint.

398

Der Eiweißstoffwechsel

CH2—N=(CH3)3 I CH 2 OH Cholin Leberextrakt oder überlebende Leberschnitte der Ratte vermögen Cholin zu B e t a i n a l d e h y d zu oxydieren (Mann und Q u a s t e l ) . Dieser A l d e h y d konnte in Form verschiedener Derivate isoliert werden. Er geht durch weitere Oxydation in Betain über. 7. Die Ammoniak- und Harnstoffbildung In den Ausscheidungen aller Tierarten finden sich mehr oder weniger einfach gebaute Stickstoffverbindungen, die als E n d p r o d u k t e des Eiweiß- und Aminosäurestoffwechsels angesehen werden können. Die wichtigsten sind Ammoniak, Harnstoff, Harnsäure. Bei den Säugetieren spielen Harnstoff und Ammoniak eine besondere Rolle. Ihre Bildung und Bedeutung sollen daher zuerst besprochen werden. Sowohl im Blut als auch im Harn findet sich Ammoniak als NH 4 + -Ion. Die im Blut vorhandene Menge ist aber außerordentlich gering. Nach P a r n a s und H e l l e r findet sich im frischen Blut nur etwa 0,03 mg in 100 ccm. Läßt man Blut aber stehen, so steigt der Ammoniakgehalt rasch bis auf 2 mg in 100 ccm. Daraus wird geschlossen, daß das Ammoniak aus einer Ammoniakmuttersubstanz (AMS), die hauptsächlich in den Erythrocyten vorkommt, gebildet wird. Diese AMS ist noch unbekannter Natur. Etwas mehr Ammoniumionen finden sich im Pfortaderblut. Sie stammen aus dem Darm, wo sie durch Fäulnisvorgänge gebildet werden. Beträchtliche Mengen von Ammoniumsalzen werden im Urin ausgeschieden. Die Größe der Ammoniakausscheidung hängt von der Art der Nahrung und von der Stoffwechsellage ab. Die Ausscheidung steigt an, wenn dem Körper unverbrennliche Säuren zugeführt werden oder wenn im Stoffwechsel aus irgendeinem Grund vermehrt Säuren anfallen. Das bekannteste Beispiel für vermehrte Säurebildung, die diabetische Acidose, haben wir früher bereits erwähnt. Das Ammoniak des Urins dient in jedem Fall der Neutralisation der ausgeschiedenen Säuren. Es ermöglicht dem Körper die Einsparung fixer Basen. Als Muttersubstanzen des Harnammoniaks kommen in erster Linie die Aminosäuren in Frage. Seine Bildung erfolgt an Ort und Stelle in der Niere. Es scheint, daß hier eine einzelne Aminosäure eine besonders wichtige Rolle spielt, nämlich das Glutamin: COOH • CH(NH2) • CH2 • CH2 • CONH2. I m Blut und in den Geweben entfällt ein beträchtlicher Teil des Nichteiweißstickstoffs auf das Glutamin. Man hat, wie bereits erwähnt wurde, beim Hund die Größe der Nierendurchblutung sowie den Glutamingehalt des zufließenden und des abfließenden Bluts gemessen und mit der Menge des im Urin ausgeschiedenen Ammoniaks verglichen. (Die Niere wurde dabei unter die Haut verpflanzt.) Es zeigte sich, d a ß in der Niere Amidstickstoff verschwand und daß die verschwundene Menge mit der Menge des gebildeten Harnammoniaks übereinstimmte (van S l y k e und Mitarb.). Soweit dieses Resultat verallgemeinert werden darf, ist also die Säureamidgruppe des Glutamins die wesentliche Quelle des Harnammoniaks. Der Harnstoff bildet bei den Säugern die Hauptmenge des ausgeschiedenen Stickstoffs. Nach Zuführung von Aminosäuren bei einem Individuum, das sich im N-Gleichgewicht befindet, erscheint der Stickstoff beinahe gänzlich als Harnstoff im Harn.

399

Die Ammoniak- und Harnstoffbildung

Bei den Sauropsiden dagegen (Vögel und Reptilien) erscheint der Eiweißstickstofi" im wesentlichen als Harnsäure. Wir haben bereits bei Besprechung des Argininstoffwechsels auf die merkwürdige Übereinstimmung zwischen dem Vorhandensein der Leberarginase und der Harnstoffbildung aufmerksam gemacht: Alle Tierarten, die als Endprodukt ihres N-Stoffwechsels Harnstoff ausscheiden, besitzen in der Leber eine hohe Arginasekonzentration („legge del arginasi" von C l e m e n t i ) . H . A. K r e b s hat 1932 gezeigt, in welcher Weise der Harnstoff in der Leber gebildet wird. Er stellte fest, daß überlebendes Lebergewebe bei Gegenwart von Ornithin aus NH 4 + und Bicarbonat Harnstoff bildet, und zwar lassen geringe Mengen von Ornithin relativ große Mengen Harnstoff entstehen. Diese Beobachtung muß so gedeutet werden, daß aus dem Ornithin durch Anlagerung von 1 Molekül C0 2 und 2 Molekülen Ammoniak Arginin entsteht, welches dann durch Arginase wieder in Ornithin und Harnstoff zerlegt wird. Das Ornithin wird also immer wieder regeneriert; wir haben es mit einer zyklisch verlaufenden Reaktion zu tun. In ähnlicher Weise wie Ornithin beschleunigt auch Citrullin die Harnstoffbildung aus NH 4 + und Bicarbonat in der Rattenleber. Wie später direkt bewiesen werden konnte, ist die Aminosäure ein Zwischenglied bei der Bildung des Arginins aus dem Ornithin. Die Harnstoffsynthese verläuft daher nach dem folgenden Schema: Ornithin COOH H

Citrullin COOH

A, A!H„

+223 + NH,

¿H,

A. Ah,-

ch n h

c h

2

\

/ \

C (

W)s

Harnstoff

"*~Arginaae

2

2

— n h

x

>c=o

H2N/

COOH

CH2

I CH2

CH 2 —NH X

>C=NH

h2N/ Arginin

Das Schema von K r e b s , das gewöhnlich als Ornithincyklus bezeichnet wird, ist durch spätere Untersuchungen weitgehend bestätigt worden. Insbesondere hat die Verwendung von markiertem Bicarbonat gezeigt, daß das C-Atom des Harnstoffs tatsächlich aus der Kohlensäure stammt, und die Verfütterung von Arginin, das in der Amidingruppe schweren Stickstoff enthielt, hat die Ableitung des Harnstoffs aus dieser Gruppe sichergestellt. Aller Harnstoff stammt aus dem Arginin, das beständig regeneriert wird. Die Synthese des Harnstoffs aus Kohlensäure und Ammoniak ist ein Vorgang, der Energie verbraucht (er verläuft e n d e r g o n i s c h , d. h. er ist mit einer Zunahme

Der Eiweißstoffwechsel

400

der freien Energie verknüpft). I m physiologischen Milieu verläuft die Synthese nach der Gleichung: 2NH 4 + + 2HCO3-

• CO(NH2)2 + C0 2 + 3 H 2 0 .

Die Zunahme der freien Energie für diese Reaktion ergibt sich zu 13800 g cal. Die Energie muß v o n anderen Vorgängen geliefert werden, die mit der Harnstoffsynthese gekoppelt sind. Die Harnstoffsynthese in der überlebenden durchströmten Leber ist v o n der Sauerstoffzufuhr abhängig und wird durch Atmungsgifte wie Cyanid gehemmt ( L ö f f l e r ) . Die einzelnen Teilstufen des Ornithincyklus sind komplexe Reaktionen. Am besten ist die Überführung des Citrullins in das Arginin aufgeklärt. In Leber und Niere findet eine Reaktion zwischen Citrullin und Glutamin- oder Asparaginsäure statt, bei welcher die Aminodicarbonsäure ihre Aminogruppe an das Citrullin abgibt und in Arginin verwandelt (Reaktion von B o r s o o k und D u b n o f f ) . Es handelt sich also um eine Transaminierung. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß die direkte Reaktion zwischen Citrullin und Asparaginsäure erfolgt. R a t n e r hat aus der Leber ein Fermentsystem isoliert, das die beiden Aminosäuren nach der folgenden reversiblen Reaktion umsetzt: COOH H-i-NH, I CH2 i OOH

Asparaginsäure

COOH +

H-i-NH, I , CHJ

CH„ I CH 2 —NH X >C=0 H2N/ Citrullin

COOH H-C-OH I CH2

COOH +

H-i-NEL, I CH2

COOH

Äpfelsäure + Fumarsäure

CH. I CHJ—NH.

>C=NH H2N/ Arginin

Wahrscheinlich vereinigen sich Citrullin und Asparaginsäure intermediär zum Succinoarginin, einer Verbindung, die neuerdings aus Algen (Chlorella) isoliert worden ist 1 ): HN=C—NH—CH 2 —CH 2 —CH(NH 2 )—COOH NH COOH— CH—CH 2 — COOH Diese Reaktion ist ATP-abhängig. Das Zwischenprodukt zerfällt in reversibler Reaktion, wobei als primäres Spaltprodukt Fumarsäure gebildet wird, welche sich bei Gegenwart von Fumarase (vgl. S. 259) mit Äpfelsäure ins Gleichgewicht setzt. Bei der Synthese des Harnstoffs aus Ammoniak und Kohlensäure in der Leber erfolgt die Argininbildung aus Citrullin und Ammoniak. Asparaginsäure kann aber nicht direkt durch reduktive Aminierung der entsprechenden Ketosäure, der Oxalessigsäure, gebildet werden. Andererseits reagiert a-Ketoglutarsäure bei Gegenwart einer reduzierten Codehydrase leicht mit Ammoniak unter Bildung von Glutaminsäure, die ihrerseits die Aminogruppe durch Transaminierung leicht an die Oxalessigsäure abgibt (vgl. S. 357 und S. 358). Die Einführung des Ammoniaks in die Harnstoffgruppe des Citrullins erfolgt also auf dem Umweg über die Glutamin- und Asparaginsäure: a-Ketoglutarsäure+ N H 3 + D P N H + H+ Glutaminsäure + Oxalessigsäure *) W a l k e r , J . biol Chem. 203, 143 (1953).

>• Glutaminsäure + DPN+ >• Asparaginsäure+a-Ketoglutarsäure

401

Die Ammoniak- und Harnstoffbildung

Die Asparaginsäure reagiert in der oben angegebenen Weise weiter. Ketoglutarsäure und Oxalessigsäure stehen als Zwischenglieder des Citronensäureoyklus in jeder Kohlehydrat veratmenden Zelle zur Verfügung. Die Äpfelsäure kann stets wieder zu Oxalessigsäure dehydriert werden. Weniger gut ist der Ablauf der ersten Stufe der Harnstoffsynthese, die Bildimg des Citrullins aus dem Ornithin, bekannt. Auch diese Reaktion kann nur in Gegenwart von Adenosintriphosphat vor sich gehen. Außerdem hängt sie von der Glutaminsäure ab. Es scheint, daß zuerst ¡x-Ureidoglutarsäure (Carbamylglutaminsäure) entsteht: COOH • CH2 • CH2 • CH • COOH I NH-CO-NHj und daß diese mit COa und NH 3 eine Zwischenverbindung bildet, die mit Ornithin unter Bildung des Citrullins reagiert (Cohen). Mögliche Rolle des Biotins siehe S. 700. Die Verknüpfung des Ornithincyklus mit dem Citronensäureoyklus ist im folgenden Schema dargestellt: Harnstoff Ornithin ATP

Arginin

+ CO, + NH,

Citrullin

Succinoarginin

Asparaginsäure Transaminierung

Fumarat

Malat

Glutaminsäure

Oxalacetat

[C2] \ 1 Tricarbonsäuren

1

+ NH,

Succinat a-Ketoglutarsäure Die Beteiligung des Adenosintriphosphats an den beiden Reaktionsstufen der Harnstoffsynthese zeigt, in welcher Weise sie mit den energieliefernden Vorgängen verknüpft ist. Durch oxydative Phosphorylierung, d. h. auf Kosten der Zelloxydationen, wird die Phosphorsäure in die „energiereiche" Polyphosphatgruppe des Adenosintriphosphats eingebaut; die Energie dieser Verbindung wird durch die synthetischen Reaktionen verbraucht (vgl. Kap. 18). Die HarnstofFbildung aus Ammoniumsalzen in der Leber ist ein eigentlicher Entgiftungsvorgang. Durch die Fäulnisvorgänge im Colon gelangt beständig Ammoniak ins Pfortaderblut. Da, Ammoniak ein starkes Zellgift ist, wäre sein Übergang in den allgemeinen Kreislauf schädlich. Die Leber führt es in den ungiftigen Harnstoff über. Das wichtigste Material für die Harnstoffbildung sind aber die Aminosäuren. Man nimmt vielfach an, daß die Aminosäuren in der Leber unter Freisetzung von Ammoniak desaminiert werden und daß die Harnstoffsynthese in jedem Fall vom freien Ammoniak ausgeht. Dies ist aber wenig wahrscheinlich. Wie wir oben gezeigt haben, liefert bei der Bildung des Arginins aus dem Citrullin die Asparaginsäure den Stickstoff; sie kann ihn ihrerseits durch Transaminierung aus anderen Aminosäuren aufgenommen haben. Die Versuche mit markierten Aminosäuren zeigen, daß sowohl die Glutaminsäure als auch die Asparaginsäure ihre Aminogruppen besonders leicht austauschen (vgl. S. 358). Da sie direkt an der Harnstoffbildung beteiligt sind, können sie dazu dienen, den Stickstoff gewisser Aminosäuren auf dem angezeigten Weg in die Amidingruppe des Arginins und damit in den Harnstoff überzuführen. 28

L e u t h a r d t , Lehrbuch. 12. Aufl.

402

Der Eiweißstoffwechsel

Weniger klar liegen die Verhältnisse bei der Bildung des Citrullins aus dem Ornithin. Soviel man heute weiß, wird bei dieser Reaktion die Aminogruppe der Glutaminsäure nicht verwendet. Wohl aber kann der Amidstickstoff des Glutamins an Stelle des Ammoniaks zum Aufbau der Carbamylgruppe des Citrullins dienen, also besteht auch bei dieser Stufe der Harnstoffsynthese die Möglichkeit, daß organisch gebundener Stickstoff direkt verwertet wird. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Aminosäuren in der Leber in wesentlichem Umfange unter Bildung von Ammoniak desaminiert werden. Wäre dies der Fall, so müßte ein beträchtlicher Teil ihres Stickstoffs bereits während der Absorption für den Organismus verloren gehen; denn das Ammoniak würde sofort in Harnstoff übergeführt. Soweit die Aminosäuren nicht bereits in der Leber in Proteine eingebaut werden, gelangen sie in den allgemeinen Kreislauf und in die übrigen Gewebe des Körpers. Wahrscheinlich tragen außer der Asparaginsäure, der Glutaminsäure und dem Glutamin nur diejenigen Aminosäuren direkt zur Harnstoffbildung in der Leber bei, welche durch Transaminierung eine der genannten Substanzen bilden oder auf irgendeinem Weg in sie übergehen können. Die beiden Aminodicarbonsäuren und Glutamin können in den peripheren Geweben (Muskulatur, Niere, Nervensystem usw.) leicht gebildet werden. Sie sind daher geeignet, Stickstoff aus diesen Geweben in einer f ü r die Harnstoffsynthese unmittelbar verwendbaren Form der Leber zuzuführen. Der Harnstoff kann vom Organismus der höheren Tiere nicht mehr verwertet werden. (Bei den Wiederkäuern ist allerdings auf dem Umweg über die Mikroorganismen des Verdauungstrakts seine teilweise Rückverwandlung in Eiweiß möglich.) Er wird daher in der Niere ausgeschieden. Verschiedene Eigenschaften machen den Harnstoff zum Endprodukt des N-Stoffwechsels sehr geeignet. Er ist gut wasserlöslich, leicht diffusibel und im Gegensatz zu den Ammoniumsalzen ungiftig. Er ist zutreffend als „entgiftetes Ammoniak" bezeichnet worden (Löffler). Durch einfache Hydrolyse geht er in die anorganischen Endprodukte des Stoffwechsels, Kohlensäure und Ammoniak, über; dieser Vorgang ist nur mit einem geringen Abfall der freien Energie verknüpft. Die Ausnützung der chemischen Energie der stickstoffhaltigen Körper wird daher nicht in nennenswerter Weise verschlechtert, wenn Harnstoff an Stelle von Ammoniumcarbonat ausgeschieden wird.

Der Harnstoff, welcher in der Leber gebildet wird, gelangt durch das Blut in die Nieren. Ein erwachsener Mensch scheidet täglich bei normaler Ernährung ungefähr 30 g aus. Auch in anderen Sekreten wie Speichel, Milch und Schweiß wird etwas Harnstoff ausgeschieden. Der Harnstoffgehalt im Blut des normalen, erwachsenen Menschen beträgt etwa 20—40 mg/100 ccm. Der Harnstoff-N macht normalerweise etwa die Hälfte des Nichteiweißstickstoffs (des sog. „Reststickstoffs") aus. Bei Niereninsuffizienz kann der Harnstoffgehalt des Blutes auf sehr hohe Werte ansteigen als Zeichen der mangelnden Ausscheidung durch das erkrankte Organ. Die vergleichende Untersuchung der stickstoffhaltigen Endprodukte des Stoffwechsels bei den verschiedenen Tierklassen hat ein sehr mannigfaltiges Bild ergeben (M. F l o r k i n und Mitarb.). Der Harnstoff ist nicht bei allen Tieren das Endprodukt des Proteinstoffwechsels. Bei den Vögeln und den meisten Reptilien tritt die Harnsäure an seine Stelle; Amphibien und Süßwasserschildkröten (Emys europaea) bilden Harnstoff, die Landschildkröten (Testudo) können aus Ammoniak sowohl Harnstoff als Harnsäure bilden. Die Fische produzieren Harnstoff; die Teleostier scheiden aber einen beträchtlichen Teil ihres Stickstoffs als Ammoniak aus (und zwar durch die Kiemen, die hier auch als Ausscheidungsorgane funktionieren). Bei den marinen Teleostiern tritt neben das Ammoniak noch das Trimethylammoniumoxyd (CH3)3NO. Bei vielen wirbellosen Tieren steht, soweit sie untersucht wurden, das Ammoniak im Vordergrund; es können aber auch beträchtliche Mengen von Aminosäuren ausgeschieden werden. Bei den Säugetieren und anderen harnstoffbildenden Tieren wird neben dem Harnstoff immer auch Harnsäure ausgeschieden. Sie stellt aber hier nicht das Endprodukt des Eiweißstoffwechsels dar, sondern leitet sich ausschließlich von den Purinstoffen der Nucleinsäuren ab. Bei vielen Tierarten kann die Harnsäure zu Allantoin abgebaut werden (vgl. S. 429); bei gewissen Fischen und den Lamelli-

Die unentbehrlichen Aminosäuren

403

branchiern (Muscheltieren) entsteht daraus Harnstoff. In diesem Falle kann man aus der Harnstoffausscheidung allein noch nicht auf das Funktionieren des Ornithincyklus schließen; doch kann die Menge der Leberarginase einen Hinweis auf sein Vorkommen geben. Bei vielen Tierklassen sind die Verhältnisse noch nicht genauer untersucht worden. Über Harnsäuresynthese siehe S. 423. 8. Die unentbehrlichen Aminosäuren Die chlorophyllführenden Pflanzen und viele Pilze und Mikroorganismen können mit einfachen anorganischen Stickstoffverbindungen, Ammoniumsalzen oder Nitraten, leben. Sie können also die Aminosäuren, die zum Aufbau ihrer Zellproteine nötig sind, selbst synthetisieren; sie sind in bezug auf ihren N-Stoffwechsel autotroph. Viele Organismen besitzen dagegen diese Fähigkeit nicht oder nur in beschränktem Maß; sie sind auf die Zufuhr der Aminosäuren von außen angewiesen. Zu den letzteren gehören wohl die sämtlichen vielzelligen Tiere; sie sind heterotroph. Die genauere Analyse der Bedürfnisse einer großen Zahl von einzelligen und vielzelligen Organismen hat gezeigt, daß in der Regel nicht alle Aminosäuren, die als Bausteine nötig sind, im Milieu oder in der Nahrung vorhanden sein müssen. Einige Aminosäuren können immer in den Zellen selbst gebildet werden, sei es durch Umwandlung anderer, sei es durch Neubildung aus einer N-freien Verbindung und einer geeigneten Stickstoff quelle. Wir haben bei der Besprechung der einzelnen Aminosäuren einige derartige Beispiele kennengelernt. Die Erfahrung hat auch gezeigt, daß die Ansprüche der einzelnen heterotrophen Organismen sehr verschiedenartig sind. Einzelne bedürfen nur ganz weniger Aminosäuren, können also den größten Teil ihrer Eiweiß bausteine selbst herstellen; andere wieder sind weitgehend auf die Zufuhr der Aminosäuren von außen angewiesen und können nur wenige selbst synthetisieren. Man bezeichnet allgemein Verbindungen, die von einem bestimmten Organismus nicht synthetisiert werden können, aber für ihn lebenswichtig sind, als für den betreffenden Organismus e s s e n t i e l l oder u n e n t b e h r l i c h . Die Liste der essentiellen Aminosäuren kann von Organismus zu Organismus anders lauten. Nach den gegenwärtigen Erfahrungen sind aber für alle Säugetiere die gleichen Aminosäuren unentbehrlich. Schon bei den Vögeln findet man Abweichungen. Andere Tierklassen sind noch kaum untersucht worden. Sehr gut bekannt sind dagegen wieder die Bedürfnisse vieler Pilze und Bakterien. Schon die frühesten exakten Ernährungsversuche, besonders die Untersuchungen v o n T h o m a s , von O s b o r n e und M e n d e l , von H a r t , M c C o l l u m und S t e e n b o c k haben gezeigt, daß die verschiedenen Proteine als Nährstoffe nicht gleichwertig sind. Als eine sehr geeignete Methode, die „biologische Wertigkeit" eines Proteins festzustellen, erwies sich der Fütterungsversuch bei der wachsenden jungen Ratte. Es zeigte sich, daß sehr ungleiche Mengen der einzelnen Proteine nötig sind, um optimales Wachstum zu ermöglichen. Mit verschiedenen Proteinen pflanzlichen Ursprungs können die Tiere überhaupt nicht über längere Zeit am Leben erhalten werden, wenn sie als einzige Stickstoffquelle der Nahrung dargeboten werden. Man nennt solche Proteine „biologisch minderwertig". Es lag nahe, die unterschiedlichen Eigenschaften der Proteine als Nährstoffe mit ihrer verschiedenartigen Zusammensetzung in Verbindung zu bringen und anzunehmen, daß in den minderwertigen Eiweißkörpern gewisse essentielle Aminosäuren in zu geringer Menge vorhanden sind oder völlig fehlen. Diese Annahme ist durch die Ernährungsversuche in vollem Umfang bestätigt worden. 26»

404

Der Eiweißstoffwechsel

Eine der ersten derartigen Untersuchungen betraf das Z e i n , einen Eiweißkörper des Maiskorns. Die chemische Analyse des Zerns ergibt das Fehlen von Tryptophan und Lysin. Mit Zein als einzigem Protein der Nahrung verlieren die Tiere rasch an Gewicht. Durch Zugabe von Tryptophan können die Ratten während längerer Zeit am Leben erhalten werden, können sich aber trotzdem nicht normal entwickeln (Willcock und H o p k i n s 1906); dasselbe zeigt sich bei Zugabe von Lysin. Normales Wachstum setzt erst ein, wenn das Zein durch beide Aminosäuren gleichzeitig ergänzt wird (Osborne und Mendel). Damit ist bewiesen, daß die Minderwertigkeit des Zerns tatsächlich auf dem Mangel an Lysin und Tryptophan beruht und daß die beiden Aminosäuren f ü r die Ratte essentiell sind. Die Unentbehrlichkeit des Lysins wurde in ähnlicher Weise auch durch Verfütterung des Gliadins (eines der Proteine des Weizenglutens) nachgewiesen. Auf diesem Weg kann aber nicht die Unentbehrlichkeit beliebiger Aminosäuren nachgewiesen werden, denn es sind nur in den wenigsten Fällen Proteine zugänglich, denen die gewünschte Aminosäure fehlt. Man h a t deshalb später versucht, einzelne Aminosäuren durch chemische Reaktionen auszuschalten. Aber auch diese Methode hat nur einen begrenzten Anwendungsbereich, weil nur für wenige Aminosäuren genügend spezifische Reaktionen zur Verfügung stehen. Die Frage, welche Eiweißbausteine unentbehrlich sind, konnte erst dann vollständig beantwortet werden, als man dazu überging, die Proteine der Nahrung durcti ein Gemisch chemisch reiner Aminosäuren zu ersetzen, das sämtliche Eiweißbausteine im gleichen Verhältnis enthält, wie sie in einem vollwertigen Protein enthalten sind ( R o s e ) . Aus solchen Gemischen kann jede beliebige Aminosäure weggelassen werden. Zeigt das verbleibende Gemisch noch die volle Wachstums Wirkung, so ist die betreffende Aminosäure entbehrlich. Genügt es nicht mehr, die normale Entwicklung zu unterhalten, so ist die unterdrückte Aminosäure essentiell. Merkwürdigerweise führten die ersten Versuche mit solchen Gemischen, die alle damals bekannten Aminosäuren des Caseins enthielten, zu einem Mißerfolg: Die Tiere wuchsen mit dem künstlichen Aminosäuregemisch nicht. Demnach mußte das Eiweiß einen noch unbekannten Wachstumsfaktor enthalten. Die systematische Suche nach diesem Faktor führte zur Entdeckung einer neuen Aminosäure, des Threonins (Rose). (Auch das Methionin war früher von M u e l l e r auf biologischem Weg entdeckt worden, nämlich durch seine Wachstumswirkung auf hämolytische Streptokokken.) Mit dieser Methode konnten die Aminosäuren, welche für die R a t t e essentiell sind, endgültig festgestellt werden. E s sind die folgenden: Valin, Leucin, Isoleucin, Threonin, Histidin, Methionin, Phenylalanin, Tryptophan, Lysin, (Arginin). Soweit Untersuchungen bei anderen Säugetieren ausgeführt worden sind, haben sie zu übereinstimmenden Resultaten geführt. Es scheint, daß der tierische Organismus neben den freien Aminosäuren noch kleine Mengen bestimmter Peptide mit spezifischer Struktur braucht. Jedenfalls hat das in Proteinhydrolysaten vorkommende Strepogenin bei der Ratte und der Maus einen deutlichen Wachstumseffekt (vgl. Anm. S. 762). Wenn die Aminosäure leicht aus der entsprechenden a-Keto- oder a-Oxysäure gebildet wird, kann sie durch die letzteren ersetzt werden. So hat z. B. a-Oxyisovaleriansäure die gleiche Wachstumswirkung wie das Valin; dasselbe gilt für die dem Leucin und Isoleucin entsprechenden Oxy- und Ketosäuren. Der Organismus kann zwar die Aminogruppe in diese Verbindungen einführen, nicht aber ihr Kohlenstoffgerüst aufbauen. Lysin muß als solches dargeboten werden. Einmal desaminiert, kann es nicht mehr regeneriert werden. Damit stimmt überein, daß sich Lysin in Isotopenversuchen als die reaktionsträgste Aminosäure erwiesen hat. Insbesondere tauscht es keinen Stickstoff aus ( S c h o e n h e i m e r und R i t t e n b e r g ) . Bei Valin, Leucin und Isoleucin können wahrscheinlich die verzweigten C-Ketten nicht aufgebaut werden. Beim Tryptophan ist weder die Synthese des Indolrings noch dessen Kondensation mit dem Serin möglich (vgl. Tryptophansynthese bei Pilzen, S. 375). Auch zur Bildung des Imidazolringes des Histidins und der aromatischen Kerne des Phenylalanins und Tyrosins, allgemein zur „Cyclopolese" (dieser Ausdruck stammt von Osborne), ist das höhere Tier nicht befähigt.

Die unentbehrlichen Aminosäuren

405

Unter den „entbehrlichen" Aminosäuren nehmen Tyrosin und Cystin-Cystein eine besondere Stellung ein. Tyrosin kann ausschließlich durch Oxydation von Phenylalanin entstehen (vgl. S. 367). Wenn die Nahrung Tyrosin enthält, so ist der Bedarf des Tieres an Phenylalanin entsprechend kleiner; m. a. W. das Tyrosin kann eine andere essentielle Aminosäure teilweise (aber nicht vollständig!) ersetzen. Ähnliches gilt f ü r das Cystein oder das Cystin. Die Bildung des Cysteins erfolgt auf Kosten des Methionins (vgl. S. 382); ist in der Nahrung Cystein oder Cystin vorhanden, so vermindert sich der Bedarf an Methionin. Man wäre daher durchaus berechtigt, auch Tyrosin und Cystin zu den essentiellen Aminosäuren zu zählen. Beide können nicht aus beliebigem Material, sondern nur aus einer ganz bestimmten andern essentiellen Aminosäure entstehen, während bei den übrigen „entbehrlichen" Aminosäuren (z. B. Glutaminsäure, Asparaginsäure, Alanin) die Bildung aus Kohlehydrat und einer geeigneten Stickstoffquelle möglich ist. Wir treffen eine ähnliche Situation bei gewissen Vitaminen. Axerophtol (Vitamin A) kann vollwertig durch das „Provitamin" jS-Carotin ersetzt werden, da das letztere im Organismus in Vitamin A übergeht. So gut wie Axerophtol als Vitamin bezeichnet wird, könnte Tyrosin zu den essentiellen Aminosäuren gezählt und Phenylalanin als „Protyrosin" aufgefaßt werden (vgl. Kapitel Vitamine). Das Arginin ist in der obigen Aufzählung eingeklammert, weil es eine mittlere Stellung zwischen essentiellen und nicht essentiellen Aminosäuren einnimmt. Die Synthese von Arginin ist beim Säugetier möglich. Man findet im Körper der wachsenden Ratte zwei- bis dreimal mehr Arginin, als mit dem Futter zugeführt worden ist. Die erwachsene Ratte vermag ihren Bedarf vollständig durch Synthese zu decken; dagegen ist das Wachstum der jungen Ratte, die in ihrer Nahrung kein Arginin erhält, nicht optimal und kann durch Argininzulage noch leicht gesteigert werden. Die Leistungsfähigkeit der Argininsynthese reicht also f ü r den erhöhten Bedarf des wachsenden Tieres nicht völlig aus. Beim Vogel (Hühnchen) ist das Arginin unentbehrlich. Es kann durch Citrullin, nicht aber durch Ornithin ersetzt werden; das will heißen, daß hier nur die zweite Stufe der Argininsynthese möglich ist, nicht aber die erste (vgl. S. 399). Für die Möglichkeit der Ornithinsynthese beim Vogel spricht die Tatsache, daß Benzoesäure mit Ornithin verbunden als Ornithursäure ausgeschieden wird. Andererseits kann das Hühnchen sich nicht in normaler Weise entwickeln, wenn nicht Glycocoll mit der Nahrung zugeführt wird. Es steht noch nicht fest, ob eine Synthese des Glycocolls überhaupt nicht möglich ist oder ob sie einfach zu langsam erfolgt, um den Bedarf des wachsenden Tieres zu decken. Auch die Entgiftung der Benzoesäure mit Ornithin an Stelle des Glycocolls spricht dafür, daß im Organismus des Vogels das letztere nicht in beliebiger Menge zugänglich ist. Wie wir früher erwähnt haben, scheint Glycocoll bei der Harnsäuresynthese in das Puringerüst eingebaut zu werden (vgl. S. 424). Wenn das Glycocoll auch bei den Vögeln ein notwendiger Baustein der Purine ist (die oben genannten Isotopenversuche sind bei der Ratte durchgeführt worden), so bedeutet dies nach dem oben mitgeteilten Schema, daß f ü r die Ausscheidung von drei Stickstoffatomen in Form der Harnsäure ein Molekül Glycocoll nötig ist. Außer f ü r den Aufbau der Körpersubstanz beim wachsenden Tier oder die Erneuerung der Gewebsproteine würde also der Vogel eine zusätzliche Menge Glycocoll f ü r die Exkretion des Stickstoffs benötigen. Die Notwendigkeit einer Glycocollzufuhr mit der Nahrung ist demnach verständlich, auch wenn man annimmt, daß ein Teil der Aminosäure in den Organen selbst synthetisiert werden kann. Wegen der großen praktischen Bedeutung der Frage sind in den letzten Jahren Untersuchungen über die Unentbehrlichkeit der Aminosäuren auch beim Menschen durchgeführt worden ( A l b a n e s e , Rose). Hier kann natürlich nur die Methode des Stickstoffgleichgewichts verwendet werden: Die Versuchsperson erhält während einiger Zeit eine Nahrung, deren Stickstoffgehalt so bemessen ist, daß N-Ausscheidung und N-Aufnahme einander gleich sind (Zustand des Stickstoffgleichgewichts). Die Nahrung enthält an Stelle von Proteinen entweder ein Eiweißhydrolysat oder eine Mischung reiner Aminosäuren. Man kann nun aus dem Hydrolysat die gewünschte Aminosäure durch chemische Methoden entfernen oder sie, im Fall daß man künstliche Gemische verwendet, einfach weglassen. Ist die Aminosäure entbehrlich, so tritt keine Änderung der N-Bilanz ein; ist sie essentiell, so wird die N-Bilanz negativ. Auf diese Weise ist nachgewiesen worden, daß alle Aminosäuren, die sich im Tierversuch als essentiell erwiesen haben, es auch beim Menschen sind. Einzig das Weglassen des Histidins hatte keine sichtbare Wirkung. Es ist aber wenig wahrscheinlich, daß diese Aminosäure beim Menschen im Gegensatz zu den anderen untersuchten Tierarten nicht essentiell ist. Wahrscheinlich sind die Reserven des Körpers so groß, daß sie bei diesen verhältnismäßig kurzfristigen Versuchen zur Deckung des Bedarfs ausreichen. Als wichtigste Ausfallerscheinung beim Fehlen einer essentiellen Aminosäure wird beim jungen Tier Wachstumsstillstand beobachtet. In einigen Fällen sollen sich auch mehr oder weniger spezifische Symptome entwickeln. So wurde bei langdauerndem Mangel an Tryptophan das Auftreten eines Katarakts (grauer Star) beobachtet. Lysin- oder Methioninmangel kann so

406

Der Eiweißstoffwechsel

zu einer Vaskularisierung der Cornea führen. Beim Fehlen von Valin wird eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit bei Berührung sowie eine Störung der Koordination von Bewegungen beschrieben. Threoninfrei ernährte Tiere sollen Ödeme und Ascites entwickeln. Es bleibt abzuwarten, wie weit diese Erscheinungen tatsächlich als spezifische Folgen des Fehlens einzelner Aminosäuren betrachtet werden können. Von großem Interesse ist der Aminosäurebedarf gewisser Mikroorganismen, weil dieselben zur quantitativen Bestimmung der Aminosäuren verwendet werden können, die sie als Wachstumsfaktoren benötigen (vgl. S. 81). Praktische Verwendung haben verschiedene Arten von Lactobacillus (L. arabinosus, L. casei, L. pentosus), Streptococcus faecalis, Leuconostoc mesenteroides u. a. gefunden.

9. Eiweißbedarf und Eiweißminimum Nach den vorstehenden Ausführungen ist es verständlich, daß die Eiweißmenge, die dem tierischen Organismus täglich zugeführt werden muß, um seine Funktionen in Gang zu halten, eine gewisse untere Grenze nicht unterschreiten darf, weil sonst der Bedarf an essentiellen Aminosäuren nicht mehr gedeckt werden kann. Das Eiweißminimum wird erreicht, wenn die Zufuhr irgendeiner der essentiellen Aminosäuren ungenügend wird; denn nach dem sog. „Gesetz des Minimums" wird der Ablauf jedes biologischen Vorgangs durch denjenigen Paktor bestimmt, der sich im Minimum befindet. Ist z. B. in einem Protein zu wenig Tryptophan vorhanden, so wird dieses Protein das Wachstum nicht unterhalten können, auch wenn alle anderen essentiellen Aminosäuren im Überschuß vorhanden sind. Das Tryptophan bestimmt allein die Geschwindigkeit des Wachstums. Da der Gehalt der verschiedenen Proteine an essentiellen Aminosäuren recht verschieden sein kann, wird auch die minimale lebenserhaltende Eiweißmenge von der Art der zugeführten Proteine abhängig sein. Eiweißkörper, die alle unentbehrlichen Aminosäuren in genügender Menge enthalten, heißen „ v o l l s t ä n d i g e " Eiweißkörper; solche, denen einzelne unentbehrliche Aminosäuren fehlen, heißen „ u n vollständig". In der Tabelle S. 114/115 ist die Zusammensetzung einiger als Nahrungsstoffe wichtigen Proteine angegeben. mg pro kg Körpergewicht Essentielle: Valin Leucin + Isoleucin . . . . Threonin Methionin Phenylalanin Lysin Histidin Tryptophan Arginin Nicht essentielle: Glycocoll Alanin Serin Cystin Tyrosin Asparaginsäure Glutaminsäure Prolin Oxyprolin

total für rj Erwachsenen von 70 kg

50 65 23 20 25 40 15 9 25

3,5 4.5 1.6

3 12 30 6 40 30 130 50 3

0,2

1,4

1,8 2,8 1,1 0,6 1,8

0,8 2,1

0,4 2,8

2,1 9,1 3,5

0,2

Eiweißbedarf und Eiweißminimum

407

Aus Versuchen am Menschen, bei welchen die Menge von Casein oder der gesamten Milcheiweißkörper festgestellt wurde, die zur Erhaltung des Stickstoffgleichgewichts nötig sind, hat man die in der Tabelle S. 406 angeführte Aminosäurezufuhr berechnet ( A l b a n e s e , M a r t i n und R o b i s o n , R o s e und M c L e o d ) . Der Bedarf der Frau ist etwas kleiner als derjenige des Mannes. Diese Zahlen stellen nicht das absolute Minimum dar. Sie geben aber gute Anhaltspunkte über den Bedarf des Menschen (wenigstens der weißen Rasse) an essentiellen Aminosäuren. In Selbstversuchen sind für den täglichen minimalen Eiweißbedarf sehr kleine Mengen ermittelt worden (tägliche Zufuhr 30—35 g während 6 Jahren, teilweise sogar nur etwa 25 g bei voller Leistungsfähigkeit: sehr wenig tierisches Eiweiß, wenig Brot, hauptsächlich Kartoffeln und Gemüse [Versuch von R h y n ] ) . Diese Werte stellen wohl ein absolutes Minimum dar, das unter günstigen äußeren Bedingungen erreicht werden kann, wahrscheinlich aber nur dann genügt, wenn der Organismus keinen zusätzlichen Belastungen (z. B. ungünstigen Umweltsbedingungen, Infektionskrankheiten) ausgesetzt ist. Sie können keinesfalls der Berechnung des Eiweißminimums für größere Bevölkerungsschichten zugrunde gelegt werden. Die optimale Eiweiß menge liegt bedeutend höher. Von der Ernährungskommission des Völkerbundes sind z. B. die folgenden Mengen empfohlen worden: Alter Jahre 0—1 1—2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 12—15 15—17 17—21 über 21 Schwangere bis zum 3. Monat vom 4.—9. Monat Stillende

Täglicher Eiweißbedarf in g absolute Menge pro kg Körpergewicht 24 36 39 42 44 50 56 61 72 78 78 85

3,5

2,5

2,5 2,0 1,5 1,0 1,0 1,5 2,0

Diese Empfehlungen tragen dem Umstand Rechnung, daß der wachsende Organismus bezogen auf die Einheit des Körpergewichts sehr viel mehr Eiweiß braucht als der erwachsene. Früher wurde als Eiweißbedarf des erwachsenen Menschen vielfach die von V o i t errechnete Zahl von 118 g pro Tag angenommen. Diese Zahl ist nach der heutigen Auffassung zu hoch. Der in der obigen Tabelle angegebene Wert von 1 g pro kg und pro Tag garantiert eine völlig genügende Eiweißversorgung. Unter bestimmten Bedingungen ist der Eiweißbedarf stark gesteigert, so während der letzten Monate der Schwangerschaft. Dasselbe gilt natürlich auch für alle pathologischen Zustände, die mit Eiweißverlusten verbunden sind. Dazu gehören z. B. die Nephrosen, bei denen im Urin beträchtliche Mengen Eiweiß verloren gehen können, schwere Verwundungen, besonders solche mit Gewebszerstörungen großen Umfangs, schwere chirurgische Eingriffe und vor allem Verbrennungen; bei den letzteren besteht oft eine sehr stark neeative Stickstoffbilanz.

408

Der Eiweißstoffwechsel

Man kann annehmen, daß heute ein beträchtlicher Teil der gesamten Erdbevölkerung (besonders asiatische Völker) mit kleineren Eiweißmengen lebt als den oben angegebenen. Es ist aber schwer anzugeben, welche Mengen noch ausreichend sind und wo die chemische Eiweißunterernährung beginnt. Die Symptome, die durch Eiweißmangel hervorgerufen werden, sind, wenn es sich nicht um sehr schwere Fälle von Unterernährung handelt, so unbestimmt und wenig spezifisch, daß sie sich nicht mit Sicherheit erkennen lassen. Dazu kommt, daß bei schlecht ernährten Bevölkerungsschichten neben dem Eiweiß meistens auch noch andere Faktoren (Vitamine, Mineralstoffe) nur in geringer Menge zugeführt werden.

Die Bestimmung der minimalen lebensnotwendigen Eiweißmenge setzt voraus, daß die Nahrung genug Kohlehydrate und Fette enthält, um den kalorischen Bedarf des Organismus zu decken. Ist dies nicht der Fall, so wird ein Teil der Proteine als Brennmaterial herangezogen, und man muß, um das Stickstoffgleichgewicht zu erhalten, eine größere Menge Eiweiß zuführen. Man kann daher unter Umständen Eiweiß dadurch einsparen, daß man das Kohlehydrat und Fett der Nahrung erhöht. Eine kalorisch ungenügende Nahrung führt immer zu einer starken Steigerung des Eiweiß Verbrauchs, weil dann Körpereiweiß zusätzlich als Brennmaterial herangezogen werden muß. Diese Tatsache ist praktisch von größter Wichtigkeit. Die Folgen der Unterernährung beruhen nicht so sehr auf einem Eiweißdefizit an sich als auf dem Zusammentreffen von Eiweißmangel und kalorisch ungenügender Ernährung. 10. Die „biologische Wertigkeit" der Proteine Die zahlreichen Bilanzversuche, die von den Klassikern der Ernährungslehre (Voit, R u b n e r , P f l ü g e r und vielen anderen) in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts durchgeführt wurden, führten allmählich zur Erkenntnis, daß nicht alle Proteine gleich gut geeignet sind, das Stickstoffgleichgewicht des Organismus aufrecht zu erhalten. Wie oben auseinandergesetzt wurde, beruhen die Unterschiede auf dem verschiedenen Gehalt an essentiellen Aminosäuren. Um die Eignung der Proteine als Stickstofflieferanten zu kennzeichnen, wurde der Begriff der „biologischen Wertigkeit" eingeführt (Thomas). Je höherwertig ein Protein ist, desto besser kann es vom Organismus verwertet werden. Die Verwertung eines Eiweißkörpers findet ihren Ausdruck in der Stickstoffbilanz. Wird an ein Tier, das während einer Vorperiode eiweißfrei ernährt wurde, ein vollwertiges Protein verfüttert, so erscheint nur ein kleiner Teil seines Stickstoffs als Harnstoff im Urin; der größere Teil wird im Körper zurückbehalten (retiniert). Bei Verfütterung von minderwertigen Proteinen wird dagegen nur wenig Stickstoff retiniert, der größere Teil geht verloren. Die retinierte Eiweißmenge im Verhältnis zur aufgenommenen kann als Maß für die „biologische Wertigkeit" verwendet werden. Das folgende Beispiel möge dies illustrieren. Es handelt sich um einen Versuch an der weißen Ratte. Alle Angaben in mg N pro Tag Aufgenommene Eiweißmenge, total Im Kot ausgeschieden, total Im Kot bei eiweißfreier Nahrung ausgeschieden Nicht absorbiertes Nahrungseiweiß im Kot . . Absorbiertes Eiweiß Im Urin ausgeschieden, total Im Urin bei eiweißfreier Nahrung ausgeschieden Durch Eiweißzufuhr bedingte Zunahme Retinierter Stickstoff Biologische Wertigkeit = ^ X ^ N

" 100 =

37,5

11,6 5,5 6,1

6,1 31,4 19,2 9,3 9,9 31,4 — 9,9 = 21,5 • 100 =

69^

Das Stickstoffgleichgewicht

4091

Im idealen Fall würde aller Stickstoff des aufgenommenen Eiweißkörpers zurückbehalten; die biologische Wertigkeit wäre dann 100%. Der Zahlenwert der biologischen Wertigkeit kann daher anschaulich so gedeutet werden, daß er die Menge eines idealen (d. h. vollständig verwertbaren) Proteins (ausgedrückt in g N) angibt, welche 100 g des verfütterten Proteinstickstoffs zu ersetzen vermöchte. Diese Menge ist natürlich umso kleiner, je minderwertiger der verfütterte Eiweißkörper ist. Da man angenommen hat, daß die körpereigenen Proteine dem oben definierten idealen Protein sehr nahekommen, ist die biologische Wertigkeit auch als die Menge Körpereiweiß definiert worden, die durch 100 g des zugeführten Nahrungseiweißes ersetzt werden kann. Die Werte betragen (nach T h o m a s ) für Fleisch und Milch annähernd 100, für Casein 70, für die Kartoffel 79, für Weizenmehl 40, für Erbsen 56, für Mais 30. (Bemerkenswert ist der hohe Wert für die Proteine der Kartoffel; die hohe Bedeutung der Kartoffel als Nahrungsmittel beruht zu einem wesentlichen Teil auf der hohen Qualität ihrer Proteine.)

11. Das Stickstolfgleichgewicht Wir haben gesehen, daß eine gewisse minimale Eiweißzufuhr nötig ist, wenn der tierische Organismus seinen Eiweißbestand beibehalten soll. Im Intermediärstoffwechsel wird beständig Organstickstoff in Harnstoff und andere Endprodukte übergeführt und ausgeschieden, auch wenn von außen kein Eiweiß zugeführt wird. Das Eiweißminimum stellt offenbar diejenige Menge Protein dar, die gerade genügt, um die „Abnützung" zu kompensieren. Beim wachsenden Tier ist noch eine zusätzliche Menge Eiweiß zum Aufbau neuer Körpersubstanz nötig (siehe die Tabelle des Eiweißbedarfs S. 407). Es ensteht die Frage, was mit dem Eiweiß geschieht, das über den Bedarf für Ersatz und Aufbau hinaus aufgenommen wird. Die Erfahrung zeigt, daß der tierische Organismus mit sehr verschiedener Eiweißzufuhr ins Stickstoffgleichgewicht kommen kann. Wird einem Tier, das bei mäßigem Eiweißgehalt der Nahrung im N-Gleichgewicht ist, mehr Eiweiß zugeführt, so folgt die N-Ausscheidung nur langsam der vermehrten Zufuhr; während einer Übergangsperiode von einigen Tagen wird weniger Stickstoff ausgeschieden als aufgenommen, die Bilanz ist positiv. Es muß also Stickstoff in den Geweben als Eiweiß abgelagert werden (Zuntz). Erst allmählich gleicht sich die Ausscheidung der Zufuhr wieder an und stellt sich ein neues N-Gleichgewicht auf höherem Niveau wieder ein. Auch bei Verminderung der Eiweißzufuhr paßt sich die Ausscheidung nicht sofort der verkleinerten Aufnahme an. Die Stickstoffbilanz wird zunächst negativ; der Organismus verliert Eiweiß, bis die Ausscheidung soweit zurückgegangen ist, daß das NGleichgewicht sich auf dem niedrigeren Niveau wieder eingestellt hat (vorausgesetzt, daß die Proteinzufuhr nicht unter dem Minimum liegt). Aus diesen Tatsachen folgt, daß offenbar der Eiweißbestand des Körpers (oder gewisser Organe) sich verändern kann. Die Organe sind imstande, bei überschüssiger Eiweißzufuhr eine gewisse Menge der zuströmenden Aminosäuren als Proteine zu speichern. Andererseits vermögen sie ohne Beeinträchtigung ihrer Funktion einen Teil ihrer Proteine abzugeben, wenn die äußere Zufuhr vermindert wird oder versiegt. An der Eiweißspeicherung oder -abgabe sind nicht alle Organe in gleicher Weise beteiligt. Bereits V o i t stellte fest, daß beim Hunger vor allem die Skelettmuskulatur und die Leber Eiweiß verlieren, während das Herz und das Gehirn ihren Bestand beibehalten. Besonders groß sind die Veränderungen des Eiweißgehalts der Leber (Luck).

410

Der Eiweißstoffwechsel

12. Die Eiweißreserve des Organismus; Bedeutung der Proteine des Blutplasmas Die eben erwähnte Tatsache, daß der Eiweißgehalt gewisser Organe je nach der Zufuhr sich ändern kann, hat die älteren Physiologen (besonders V o i t ) dazu geführt, zwei Arten von Eiweiß zu unterscheiden: solches, das der Zellstruktur angehört („organisches" Eiweiß), und solches, das als Reserve in den Zellen nur lose gebunden ist oder im Körper zirkuliert. Die Menge des ersteren ist konstant, die Menge des zweiten variabel. Die beobachteten Schwankungen des Eiweißgehalts der Organe sollten nur diesen zweiten Anteil betreffen. Diese Auffassung hat sich nicht bestätigt. Der Eiweißgehalt der Leber kann bis 50% zunehmen, wenn eine eiweißreiche Kost verfüttert wird. (Die Vermehrung ist sogar histologisch an der Vergrößerung des Zellvolumens zu erkennen.) Die Untersuchungen der verschiedenen Eiweißfraktionen, die sich aus der Leber gewinnen lassen (fraktionierte Extraktion mit Kochsalzlösung und verdünntem Alkali, fraktionierte Ammoniumsulfatlösung), haben aber keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß ein besonderes Reserveprotein in die Leberzelle eingelagert wird. Die Vermehrung des Eiweißgehalts betrifft gleichmäßig alle Fraktionen (Versuche von L u c k an der Ratte). Es scheint also, daß das im Überschuß zugeführte Protein einfach zu einer Neubildung des Organeiweißes führt. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für den Muskel. Wenn die Zellproteine der Leber und der Skelettmuskulatur auch nicht ein Reservematerial in dem Sinne darstellen wie das Glycogen oder das Fett, so können sie doch als Eiweißreserve funktionieren. Dies tritt besonders deutlich im Hungerzustand in Erscheinung. Wenn die Glycogen- und Fettvorräte aufgebraucht sind, lebt der Körper auf Kosten seiner Proteine. Wie wir bereits erwähnt haben, ist der Eiweiß verlust der einzelnen Organe sehr ungleich. Das Herz und das Gehirn z. B. verlieren auch nach langdauerndem Hungerzustand fast nichts an Gewicht. Es lebt also bei Eiweißmangel nicht jede Zelle von ihren eigenen Proteinen; die lebenswichtigen Organe wie der Herzmuskel können ihren Eiweißbestand und ihre vollkommene Leistungsfähigkeit nur auf Kosten anderer Gewebe aufrecht erhalten, deren Proteine allmählich eingeschmolzen werden. Die Konzentration der im Blut zirkulierenden Aminosäuren ist im Hunger nicht erniedrigt, sondern im Gegenteil eher erhöht, ein Zeichen dafür, daß sie trotz mangelnder Zufuhr von außen durch Hydrolyse der körpereigenen Proteine beständig erneuert werden. Wir haben früher gezeigt, daß die Glucose in der Leber teilweise durch Glycogenolyse, teilweise durch Gluconeogenese geliefert wird. Im Hunger ist Neubildung von Zucker aus Eiweiß der wesentliche Vorgang, der die Versorgung des Organismus mit Glucose garantiert. Der Proteinschwund im Hunger scheint ganz allgemein in denjenigen Organen und Geweben am geringsten zu sein, die unmittelbare Bedeutung für die Erhaltung des Lebens haben. Das eindrücklichste Beispiel ist der Herzmuskel im Vergleich zum Skelettmuskel. Auch das Knochensystem verliert nach protrahiertem Hunger verhältnismäßig wenig an Gewicht (wobei die gesamte Abnahme nur teilweise durch Eiweißverlust bedingt ist). Wir kennen die genauen Ursachen für das verschiedene Verhalten der einzelnen Gewebe nicht. In einzelnen Fällen, so beim Knochen, dürfte es an der Natur der Proteine (Collagen) und der Besonderheit der Gewebsstruktur (extrazelluläre Lokalisation) liegen, wenn ihr Abbau nur träge erfolgt. Beim Herzmuskel, der ein Gewebe mit besonders aktivem Stoffwechsel ist, kann eine solche Erklärung nicht zutreffen. Hier müssen Besonderheiten der chemischen Organisation, die offenbar direkt mit der Aktivität des Muskels zusammenhängen, es der Zelle ermöglichen, ihren Eiweißbestand aufrecht zu erhalten. (Ähnliches gilt auch für das Glycogen des Herzmuskels.) Was von Zellen und Geweben gesagt wurde, gilt auch für einzelne individuelle Proteine: ihre Bildung wird durch Eiweißmangel in ungleicher Weise beeinflußt. I m Hunger nimmt die Konzentration des Hämoglobins im Blut sogar zu, sowohl ihrem absoluten Werte nach als im Verhältnis zu den Plasmaproteinen. (AnämieD, die bei chronischer Unterernährung auftreten,

Die Eiweißreserve des Organismus; Bedeutung der Proteine des Blutplasmas

411

haben ihre Hauptursache in einem Mangel an Eisen, nicht an Eiweiß.) Die Erhöhung der Hämoglobinkonzentration beruht auf einer Verringerung der Blutmenge, die ihrerseits der Abnahme des Körpergewichts parallel geht. Die gesamte Hämoglobinmenge verringert sich also weniger als die Menge der Organproteine oder sie bleibt (bei nicht zu langer Dauer des Hungers) überhaupt konstant. Man muß also annehmen, daß bei Eiweißmangel der Hämoglobinsynthese die Priorität gegenüber dem Aufbau anderer Proteine zukommt. Ähnliches gilt wahrscheinlich auch für andere lebenswichtige Proteine (Fermente und Hormone).

Eine besondere Rolle im Proteinhaushalt des Körpers spielen die Eiweißkörper des Blutplasmas. Ihre Menge ist im Verhältnis zur Gesamtmenge der Proteine im Körper gering. Sie beträgt beim erwachsenen Menschen etwa 150 g (Konzentration 7—8%). Neben ihrer Bedeutung für die Verteilung des Wassers haben sie wichtige chemische Funktionen. Versuche mit markierten Aminosäuren (Leucin und Glycocoll mit N (15) in der Aminogruppe) zeigen, daß die Plasmaproteine rasch erneuert werden. Nach Verfütterung der genannten Verbindungen an die Ratte weist nämlich das Blutplasmaprotein den höchsten Gehalt an schwerem Stickstoff auf ( S c h o e n h e i m e r , vgl. Tabelle S. 225). Wird arteigenes Blutplasma direkt in die Blutbahn injiziert, so verschwindet es ziemlich rasch aus dem Blut (nach Versuchen mit Plasmaproteinen, die radioaktives Lysin enthielten, sind nach 24 Stunden 50% der eingeführten Proteine verschwunden). Es gelingt, durch intravenöse Injektion von arteigenem Plasma Tiere während längerer Zeit im Stickstoffgleichgewicht zu erhalten. Merkwürdigerweise kommt es dabei zu keiner vermehrten Ausscheidung von Stickstoff im Urin, wie dies immer der Fall ist, wenn Proteine auf normalem Weg, d. h. enteral, verabreicht werden ( W h i p p l e ) . Man muß daraus den Schluß ziehen, daß die in die Blutbahn eingebrachten Plasmaproteine ohne tiefer greifenden Abbau, d. h. ohne intermediäre Bildung freier Aminosäuren, verwertet werden können. Wahrscheinlich werden sie zunächst in irgendwelchen Zellen in Organeiweiß umgewandelt und gespeichert. Umgekehrt können aber die Plasmaproteine aus den Geweben rasch ergänzt werden. Es muß in den Geweben (oder in einem bestimmten Gewebe) Proteine geben, die sehr leicht in Plasmaeiweiß übergehen und eine eigentliche Reserve an Plasmaproteinen darstellen. Dies wurde durch folgenden Versuch von W h i p p l e bewiesen: Man kann bei Versuchstieren (Hund) die Konzentration der Plasmaeiweißkörper beliebig verringern, indem man Blut entnimmt und durch das gleiche Volumen physiologischer Salzlösung ersetzt, der die zentrifugierten und gewaschenen Erythrocyten wieder zugesetzt worden sind. Man entzieht dem Tier auf diese Weise eine bestimmte Menge Plasmaproteine (Plasmapherese). Nach einmaligem Plasmaentzug steigt die Konzentration der Proteine rasch wieder auf den ursprünglichen Wert an; es muß also Protein aus den Geweben nachgeliefert werden. Durch täglichen Entzug einer gewissen Menge Blutplasma kann der Spiegel der Plasmaeiweißkörper dauernd auf einem bestimmten niedrigen Stand gehalten werden. Es zeigt sich nun, daß man während der ersten 2—3 Wochen des Versuchs bedeutend mehr Plasma entnehmen muß, um den Spiegel niedrig zu halten, als während der nachfolgenden Wochen. Es besteht also im Körper eine Proteinreserve, aus der die Plasmaproteine anfänglich rasch ergänzt werden können, die aber schließlich erschöpft wird. Die Größe dieser Reserve dürfte etwa das 1—2-fache der Menge der zirkulierenden Plasmaproteine betragen. Die beiden beschriebenen Tatsachen — rasches Verschwinden der Plasmaproteine aus der Blutbahn bei Injektion, rasche Ergänzung bei Entzug — lassen eine Art Gleichgewicht zwischen den Plasmaproteinen und gewissen Proteinkomponenten der Gewebe vermuten, analog dem Gleichgewicht zwischen Blutzucker und Glycogen, doch ist diese Annahme vorläufig hypothetisch. Es ist wenig wahrschein-

412

Der Eiweißstoffwechsel

lieh, daß die Plasmaproteine als solche in die Gewebe eingelagert werden; jedenfalls gibt es bis heute dafür keine experimentellen Anhaltspunkte. Es ist auch nicht ohne weiteres verständlich, wie sie durch die Kapillarwände hindurchtreten, da dieselben im allgemeinen für die Eiweißkörper undurchlässig sind. Man kann annehmen, daß sie partiell gespalten werden und daß die Bruchstücke in den Geweben in das Gefüge der Zellproteine eingebaut werden, aus dem sie leicht wieder gelöst werden können. Es ist auch unbekannt, welche Organe als Speicher dienen. Man nimmt an, daß die Leber eine Rolle spielt; doch kommen auch andere Organe wie Lymphdrüsen, Knochenmark, Muskulatur in Frage. Bei andauernder Unterernährung nimmt die Konzentration der Plasmaproteine ab. Hauptursache ist Eiweißmangel, besonders Mangel an tierischem Eiweiß, verbunden mit einem ungenügenden kalorischen Wert der Nahrung. Man muß annehmen, daß in diesem Zustand alle Eiweißreserven der Gewebe erschöpft sind, ohne daß ein genügender Ersatz möglich ist. Die Erniedrigung der Proteinkonzentration im Plasma (die bis auf 4—5% Protein sinken kann), spielt eine Rolle bei der Entstehung des sog. „Hungerödems", denn die Senkung de» kolloidosmotischen Drucks erleichtert den Übertritt des Wassers aus den Kapillaren in die Gewebe, doch wirken noch zahlreiche tieferliegende Ursachen mit. Die Größe des Proteindefizits im Blutplasma ist ein Maß für die Größe des gesamten Eiweißdefizits im Körper. Man kann annehmen, daß das Defizit des Gesamtbestandes etwa 30 mal so groß ist wie das Defizit des Plasmas. Legt man z. B. eine Abnahme der Plasmaproteine von 7% auf 5% zugrunde, so fehlen im Plasma (Volumen z. B. 2000 ccm) 40 g Eiweiß, im Gesamtorganismus dementsprechend etwa 1200 g.

Eiweißverschiebungen, wie sie zwischen dem Blutplasma und den Geweben vorkommen, sind offenbar eine allgemeine Erscheinung. Wir müssen je nach dem Funktionszustand der einzelnen Organe ein beständiges Hin- und Herwandern von Proteinsubstanzen oder ihrer Abbauprodukte zwischen den verschiedenen Zellen und Geweben annehmen. Das eindrücklichste Beispiel für eine derartige Wanderung und Umbildung der Proteine innerhalb des Organismus lieferte uns die Entwicklung der Gonaden beim Lachs während der Fortpflanzungszeit, wie sie durch die klassischen Arbeiten von F r . M i e s c h e r klargestellt worden ist. Der L a c h s lebt sowohl im Seewasser als im Süßwasser. Zur Ablage und Befruchtung der Eier steigen die Tiere vom Meer in die Flüsse und verbringen dort etwa sechs bis zehn Monate, ohne dabei irgendwelche Nahrung aufzunehmen. Sie leben während dieser Zeit ausschließlich auf Kosten ihrer Rumpfmuskulatur. Während dieser Periode reifen die Testikel bzw. Eierstöcke. Das Gewicht der Ovarien steigt von 60 bis 100 g bis auf 2 kg. Beim reifen Lachsweibchen können die Ovarien 1 / 3 der gesamten Trockensubstanz des Körpers enthalten! Auch die Hoden vergrößern sich in bedeutendem Maße. Ein 9 kg schwerer Lachs enthält in seinen Hoden zur Laichzeit etwa 27 g Protamin (siehe Eiweiß) mit etwa 23 g Arginin. Da nun das Muskeleiweiß des Lachses etwa 5,7% Arginin enthält, so müssen bei diesem Tier mindestens 402 g Muskeleiweiß während der Testikelreifung zerlegt worden sein, um dieses Quantum an Arginin zu liefern. Tatsächlich verliert die Seitenmuskulatur des Tieres etwa 40% ihres Gewichts. Daß bei diesem Gewichtsverlust tatsächlich eine Verminderung des Eiweißgehaltes eintritt, läßt sich sogar mikroskopisch erkennen, indem die Muskelfasern Degenerationserscheinungen zeigen (Einlagerung von Fett). (Auch in diesem Fall degenerieren die aktivsten Muskeln, welche den Bewegungsapparat betätigen, am wenigsten.) Das Resultat ist also ein auswählender Abbau der verschiedenen Eiweißbausteine, indem die stickstoffreichen basischen Aminosäurekomplexe in die Testikel wandern und dort zum Protamin synthetisiert werden. Die einfachen Monoaminosäuren werden wahrscheinlich oxydativ abgebaut und dienen als „Brennmaterial". In seinen letzten Untersuchungen mit S c h e n k hat A. K o s s e i dieses

Die Synthese der Proteine

413

Heranreifen der Spermatozoon am Karpfen genau verfolgt und konnte feststellen, d a ß der Aufbau der Protamine über die von K. F e l i x gefundenen b a s i s c h e n P e p t o n e und die H i s t o n e zum Protamin erfolgt. Dabei ließ sich ein im Laufe der Entwicklung auftretendes allmähliches Ein- und Austreten der verschiedenen „Hexonbasen" (Arginin, Histidin, Lysin) in das heranreifende Protamin feststellen, welches schließlich zur Bildung des argininreichen Protamins führt. Es ist in diesem Zusammenhange daher von großer Bedeutung, daß S t e u d e l und S u z u k i in der Zwischenflüssigkeit der Hoden die Aminosäuren fanden, die im Protamin fehlen: im Protamin des Herings:

in der Hodenzwischenflüssigkeit:

Arginin

Leucin

Alanin Serin Valin Prolin

Tyrosin Lysin Histidin Cystin Tryptophan

Ähnliche Vorgänge spielen sich, wenn auch in viel geringerem Umfang, wahrscheinlich auch bei der Entwicklung der Fortpflanzungsorgane vieler anderen Organismen ab. Beim Säugetier nimmt während der Gravidität der Uterus gewaltig an Gewicht zu; auch hier wird, wenn die Zufuhr von außen nicht genügt, das zum Aufbau der großen Muskelmasse nötige Material anderen Organen, wohl vor allem der Skelettmuskulatur, entnommen. Die Erfahrung in Mangelzeiten hat gezeigt, daß die Neugeborenen von unterernährten Frauen kaum untergewichtig sind. Die Entwicklung der Frucht kann also nur auf Kosten der mütterlichen Gewebe erfolgt sein. Die Verteilung der Stoffe, insbesondere der Proteine im Organismus, wird in der Fortpflanzungsperiode in erster Linie durch die Bedürfnisse der Fortpflanzungsorgane bestimmt. Ähnliches gilt auch für die Milchdrüse.

Auf welchem Wege der Umbau der Proteine zustande kommt, ist im einzelnen nicht bekannt. Vielfach wird die Bildung des neuen Eiweißkörpers von den freien Aminosäuren ausgehen, d. h. die Gewebsproteine, die das Material liefern, müssen vollständig hydrolysiert werden. Es ist aber auch denkbar, daß größere Bruchstücke, Polypeptide, zum Aufbau des neuen Proteins verwertet werden können; wir haben diese Möglichkeit bei Besprechung der Plasmaproteine diskutiert. 13. Die Synthese der Proteine Bei der Synthese von Polypeptiden und Proteinen müssen Peptidbindungen zwischen Carboxylgruppen und Aminogruppen geknüpft werden. Die Verknüpfung .muß außerdem a u s w ä h l e n d erfolgen, d. h. die Aminosäuren müssen, je nach der Natur des Proteins, in bestimmter Reihenfolge aneinandergereiht werden. Wenn man bedenkt, daß ein Proteinmolekül einige hundert Aminosäurereste enthält, so erkennt man, daß seine Bildung ein komplexer Vorgang sein muß. Die hydrolytische Spaltung der Peptidbindung ist ein „exergonischer" Vorgang, d . h . sie verläuft mit einer Abnahme der freien Energie; das Gleichgewicht der Heaktion: RrCO-NH-Rj ,

—> R1-COOH + H 2 N-R 2

— HjO

liegt zugunsten der rechts stehenden Spaltprodukte. Eine Umkehrung der obigen Reaktion kann daher nur dann eintreten, wenn die Konzentration des Peptids sehr Mein gehalten wird, d. h. wenn es fortwährend entfernt wird.

Der Eiweißstoffwechsel

414

Wir haben bereits erwähnt, daß tatsächlich bei Gegenwart v o n Proteasen Peptide in vitro gebildet werden können. I n den bisher bekannten Fällen ist das entstehende Peptid schwer löslich und fällt aus (Beispiel siehe S. 199). I n der lebenden Zelle könnte natürlich das neu gebildete Peptid dadurch entfernt werden, daß es irgendwie weiter reagiert. Die Peptidsynthese durch Umkehrung der fermentativen Hydrolyse ist sicher möglich; es läßt sich heute aber noch nicht sagen, welche Rolle sie in der lebenden Zelle spielt. Vgl. auch S. 453. W e n n wir v o n d e m besonderen, oben genannten Fall absehen, daß das neugebildete Peptid aus der Reaktion ausscheidet, kann die Umkehrung der Hydrolyse nur durch die Koppelung mit einem energieliefernden Vorgang erzwungen werden. E s sind zwei Reaktionen bekannt, die als Modell für die Peptidsynthese angesehen werden können: die Synthese des Glutamins (I) und die Synthese der Hippursäure (II): (I) COOH • CH(NH2) • CH2 - CH2 • COOH + NH 3

• COOH • CH(NH) • CH2 • CH2 • CONH2

(II) COOH • CH2 • NH 2 + HOO C— Werden die Komponenten •— Glutaminsäure und Ammoniumionen im ersten Fall, Glyeocoll und Benzoesäure im zweiten Fall — mit wirksamen Organextrakten zusammengebracht, so erfolgt die Synthese erst bei Zugabe von Adenosintriphosphat. Wie bei vielen anderen Reaktionen bildet diese Verbindung auch hier die Brücke zwischen den energieliefernden (meist oxydativen) und den synthetischen Reaktionen. Das Adenosintriphosphat kann, wie wir früher gezeigt haben, auf Kosten der freien Energie oxydativer oder glycolytischer Reaktionen aus Adenylsäure synthetisiert werden. Seine Triphosphatgruppe kann die in ihr gespeicherte Energie unter Abspaltung von anorganischem Phosphat an andere Systeme weitergeben. Bei der Synthese des Glutamins wird pro Molekül Glutamin ein Molekül Phosphat frei nach folgender Gleichung ( S p e c k , E l l i o t und Gale): Glutaminsäure + ATP + NH 3 > Glutamin + ADP + Phosphat (ATP = Adenosintriphosphat, ADP = Adenosindiphosphat) Man hat angenommen, daß sich intermediär ein y-Glutamylphosphat bildet, das mit Ammoniak spontan unter Bildung von Glutamin reagiert. Doch ist dies in keiner Weise bewiesen. Dagegen hängt die Hippursäuresynthese vom Coenzym A ab. Die Benzoesäure wird zuerst unter gleichzeitiger Abspaltung von Phosphat aus dem ATP in ihre „aktivierte" Form, d. h. Benzoyl-Coenzym A, übergeführt, welche dann mit Glycocoll reagiert ( C h a n t r e n n e ) (vgl. S. 452). Die Glutaminsynthese scheint vom Coenzym A unabhängig zu sein. Man muß hier eher annehmen, daß der „aktivierte" y-Glutamylrest, der auf Kosten einer Anhydridbindung des ATP gebildet wird, direkt durch das Fermentprotein oder ein fest mit dem Protein verknüpftes Coferment auf das Ammoniak übertragen wird. Möglicherweise ist das Enzym identisch mit der Glutamotransferase (vgl. S. 387). Eingehend ist in letzter Zeit auch die in vitro-Synthese des Tripeptids Glutathion in Taubenleberextrakten untersucht worden (Bloch). Auch hier scheint außer dem ATP kein anderer dissoziabler Cofaktor nötig zu sein. Allen diesen Reaktionen ist, soweit wir sie heute übersehen, der eine Zug gemeinsam, daß zunächst unter Verbrauch von „energiereichem" Phosphat (Spaltung einer Anhydridbindung im ATP) eine Carboxylgruppe in eine „aktivierte" Verbindung übergeführt wird, welche mit der Aminogruppe reagieren kann. Damit ist ein möglicher Weg für die Bildung von Peptiden zwischen Aminosäuren aufgedeckt. Es sind in letzter Zeit noch weitere Reaktionen bekannt geworden, die zum Verständnis der Peptidsynthese von großem Interesse sind. N e u e Peptide können nämlich auch dadurch entstehen, daß Aminosäurereste v o n einem Peptid auf ein anderes übertragen werden. I n ähnlicher Weise wie die glycosidspaltenden Fermente vermögen die Proteinasen das eine Spaltstück des Substrats unmittelbar in eine neue Bindung überzuführen. N a c h den bisherigen

415

Die Synthese der Proteine

Erfahrungen ist es immer die Acylhälfte des Peptids, welche verschoben wird. Die Reaktion läßt sich demnach folgendermaßen formulieren: NH— R " + H 2 N—X

R—CO—NH—CH—CO I R'

Proteinase

R-CO-NH-CH-CO 4-NH-X + I R'

H2N-R"

Offenbar verläuft die Reaktion nach einem ähnlichen Mechanismus wie bei den Glycosidasen. Der links von der punktierten Linie stehende Acylrest verbindet sich intermediär mit dem Enzym und reagiert anschließend mit der neuen Aminogruppe. Man kennt heute eine ganze Reihe derartiger Peptidübertragungen durch reine proteolytische Fermente (Chymotrypsin, Pepsin, Kathepsin, Ficin u. a.). Insbesondere können Peptide auch aus Aminosäureamiden unter Ammoniakabspaltung gebildet werden ( F r u t o n und Mitarbeiter) : R—C
-markiertem Adenin nachgewiesen 1 ). Es handelt sich hier um eine spezielle Transglycosidase (vgl. S. 297), welche einen an Stickstoff gebundenen Zuckerrest verschiebt (Trans-N-glycosidase): Desoxyribosyl-Hypoxanthin + Adenin < _ Desoxyribosyl-Adenin + Hypoxanthin. Der direkte Austausch von Zuckerresten scheint also auch im Stoffwechsel der Nucleoside eine Rolle zu spielen.

Es ist nichts Genaues darüber bekannt, wie weit dieNucleinsäuren im Darm aufgespalten werden. Da die einfachen Nucleoside wasserlöslich sind, die Purine dagegen schwer löslich, sind die ersteren wohl leichter resorbierbar als die freien Purinkörper. Wahrscheinlich geht der Abbau der Nucleinsäuren im Darm kaum über die Nucleosidstufe hinaus, und es ist zu erwarten, daß die einzelnen Mononucleotide, die durch Depolymerisierung der Nucleinsäuren entstehen, sich verschieden verhalten (siehe S. 420). Über den Aufbau der Nucleinsäuren in den Geweben aus den von außen zugeführten Purin- oder Pyrimidinkörpern haben Versuche mit markierten Verbindungen einigen Aufschluß gegeben ( S c h o e n h e i m e r , Brown). Die verfütterten Verbindungen enthielten schweren Stickstoff in Stellung 1 und 3. Adenin wird in die Nucleinsäure aufgenommen; da bei Verfütterung von Adenin auch das aus den Nucleinsäuren isolierte Guanin das Isotop enthält, muß Guanin aus Adenin entstanden sein. Bei der Ratte wird verfüttertes Guanin nicht eingebaut, bei der Maus nur sehr wenig. Diese Befunde deuten darauf hin, daß das Adenin nicht als freie Base in das Guanin übergeführt wird, sondern erst nach der Bildung eines Ribosids oder Nucleotids, wie dies im Falle des Hypoxanthins durch die Isolierung von Zwischenprodukten direkt bewiesen werden konnte (siehe unten S. 425). Von allen Organen nimmt die Leber am meisten Adenin auf; in diesem Organ werden also die Nucleinsäuren am schnellsten erneuert. Auch die freien Pyrimidine (Uracil, Thymin, Cytosin) werden nicht in meßbarem Umfang in die Nucleinsäuren aufgenommen, wohl aber die Pyrimidinnucleoside. Nach Verabreichung von markiertem Cytidin enthielt sowohl das Cytosin als auch das Uracil der Nucleinsäuren das Stickstoffisotop. Es hat also eine Desaminierung von Cytosin zu Uracil stattgefunden. Das Uridin selbst wird nur in geringem Umfang verwertet. Bei Verfütterung von markierter Hefenucleinsäure (dadurch gewonnen, daß Hefe in einem Milieu gezüchtet wurde, das schweren Ammoniak enthielt; auch die Pyrimidinnucleoside in den oben erwähnten Versuchen wurden auf diesem Wege gewonnen) an die weiße Ratte werden die Pyrimidine leichter aufgenommen als die Purine. Da, wie gesagt, die freien Pyrimidinbasen überhaupt nicht verwertet werden, ist anzunehmen, daß die Spaltung im Darm höchstens bis zur Stufe des Nucle03ids führt.

Wenn man beim erwachsenen Tier die Verteilung der aufgenommenen'Purine auf die beiden Arten von Nucleinsäuren untersucht, so zeigt es sich, daß fast ausschließlich die Ribosenucleinsäure das Isotop enthält; die Desoxyribosenucleinsäure hat nur einen kleinen Bruchteil aufgenommen (in der Leber ist das Verhältnis etwa 1: 70). Die Desoxypentosenucleinsäuren, die sich ausschließlich im Zellkern finden, sind also während der Versuchsdauer (5 Tage) nicht merklich erneuert worden. Ganz anders liegen die Verhältnisse in rasch wachsenden Geweben, in denen eine starke Vermehrung der Zellen, also auch der Zellkerne, stattfindet (z. B. im regenerierenden ») K a l c k a r und Mac N u t t , Biochem. J . 50, 397 (1952).

Synthese des Puringerüsts

423

Leberparenchym). Unter diesen Bedingungen nehmen die Desoxypentosenucleinsäuren fast ebenso viel neue Purinkörper auf wie die Ribosenucleinsäuren (in Leberregeneraten ist das Verhältnis 3 : 4 ) . Ganz ähnliche Resultate über die Erneuerung der Nucleinsäuren erhielt man bei Verwendung von radioaktivem Phosphat (P(32)). Wenn man dem Organismus markiertes Phosphat zuführt, so läßt sich dasselbe in allen möglichen organischen Verbindungen nachweisen, u. a. auch in den Nucleinsäuren. Es zeigte sich auch hier, daß die Ribosenucleinsäuren ihr Phosphat viel rascher erneuern als die Desoxyribosenucleinsäuren; der Umsatz der letzteren, gemessen am Phosphataustausch, ist in den Geweben am größten, die sich rasch erneuern, im Knochenmark, in der Milz, in der Darmschleimhaut usw.

Man kann aus diesen Versuchen wichtige Schlüsse auf das Verhalten der beiden Nucleinsäuren im Stoffwechsel ziehen. Im ruhenden Kern nimmt die Desoxypentosenucleinsäure nicht am Stoffwechsel teil. Erst wenn die Teilung eingeleitet wird, die eine Verdoppelung der gesamten Chromatinmenge nötig macht, wird in die Nucleinsäure des Kerns neues Material aufgenommen. Im Gegensatz dazu wird die Ribosenucleinsäure des Protoplasmas beständig erneuert; sie hat offenbar an den Stoffwechselvorgängen der Zelle lebhaften Anteil und tauscht dabei ihre Bausteine ständig gegen neue aus. Es muß vorläufig dahingestellt bleiben, ob die merkwürdige Stabilit ä t der Nucleinsäuren des Zellkerns damit zusammenhängt, daß sie dort als Bestandteile der Chromosomen auftreten und damit irgendwie an der Erhaltung der Genstruktur beteiligt sind. Verschiedene wichtige Tatsachen, die den Stoffwechsel der Nucleinsäuren betreffen, sind schon in früheren Kapiteln erwähnt worden. Die Desoxyribosenucleinsäuren sind auf den Zellkern beschränkt; die Ribosenucleinsäuren finden sich größtenteils im Protoplasma. Es steht heute fest, daß es eine große Zahl verschiedener Nucleinsäuren gibt, die sich durch ihre Zusammensetzung und wohl auch durch ihren Aufbau unterscheiden (vgl. S. 122). Neuere Beobachtungen deuten daraufhin, daß die Desoxyribosenucleinsäuren in allen Geweben einer Tierart die gleiche Zusammensetzung haben und vielleicht sogar artspezifisch sind ( C h a r g a f f ) . Auch scheint die Menge Nucleinsäure, die in einem Zellkern enthalten ist, bei allen Geweben die gleiche zu sein. Soweit sich aus den vorliegenden Analysen schließen läßt, ist dagegen die Zusammensetzung der Ribosenucleinsäure des Protoplasmas von Gewebe zu Gewebe verschieden. Der größte Teil der Ribosenucleinsäuren ist im Protoplasma der Zelle an ultramikroskopische Körperchen (sog. Mikrosomen) gebunden, die sich durch hochtouriges Zentrifugieren abtrennen lassen ( B r ä c h e t , Claude). Auf die starke Vermehrung der Ribosenucleinsäuren im wachsenden Gewebe und in den Drüsenzellen haben wir bereits hingewiesen; sie deutet auf eine wichtige Funktion der Nucleinsäuren bei der Neubildung von Zellsubstanz hin, ohne daß wir uns zur Zeit aber ein genaues Bild von der Natur dieser Vorgänge machen können. 2. Synthese des Puringerüsts Daß der tierische Organismus die Fähigkeit zur S y n t h e s e des Purinringes besitzt, haben z. B. Versuche am Hühnerei ergeben, welche zeigten, daß die Purinmenge des Embryos im Laufe der Entwicklung ansteigt. Auch beim Säuger findet eine solche Synthese statt, denn der Säugling kann aus der purinarmen Milch Purine aufbauen. Bei den Vögeln und den Reptilien stellt die Harnsäuresynthese die Endstufe des Proteinstoffwechsels dar. Der Vogelharn verdankt dem hohen Gehalt an Harnsäure seine breiige Konsistenz. Die Menge der Harnsäure ist bei diesen Tierklassen so groß, daß man eine Beteiligung der Eiweißspaltprodukte an der Harnsäuresynthese annehmen muß. Ver-

424

Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel

fütterung von Aminosäuren (Glyeocoll, Leucin, Asparaginsäure), sowie von Harnstoff oder selbst Ammoniumsalzen bedingt bei Hühnern eine der zugeführten Stickstoffmenge entsprechende Harnsäureausscheidung. Die Lokalisierung dieser Harnsäuresynthese ist durch die Untersuchungen von M i n k o w s k i ergründet worden. E r unterband bei Gänsen alle die Leber versorgenden Blutgefäße oder führte eine Totalexstirpation der Leber durch. Derartige Tiere, welche natürlich nur kurze Zeit am Leben erhalten werden können, scheiden nunmehr anstatt der H a r n s ä u r e A m m o n i u m l a c t a t aus bis auf eine geringe Menge Harnsäure, welche nicht zum Verschwinden gebracht werden kann. Man nahm früher an, daß die Harnsäure bei den Vögeln aus zwei Molekülen Harnstoff und einer Dreikohlenstoffverbindung entsteht, schematisch dargestellt: HN—C=0 I I 0=C C—NHX LN I II >€ = 0 HN—C—NEk

Nc=o

Als eine Stütze für diese Theorie galt die Beobachtung, daß Verfütterung von Harnstoff zusammen mit Dreikohlenstoffverbindungen (Milchsäure u. a.) an Vögel die Harnsäureausscheidung vermehrt (Wiener). Wir wissen aber heute, daß die Sauropsiden nicht imstande sind, Ammoniak oder den Aminostickstoff der Proteine in Harnstoff überzuführen. Die Harnsäuresynthese muß auf einem unabhängigen Weg vor sich gehen, doch ist dieser Vorgang noch keineswegs abgeklärt. Verschiedene Untersuchungen deuten darauf hin, daß in der Leber zuerst Hypoxanthin oder Xanthin aufgebaut wird und daß diese Vorstufe dann in der Niere durch die Xanthinoxydase zu Harnsäure oxydiert wird ( S c h u l e r , K r e b s ) . Neuerdings hat man versucht, sich ein Bild über die Herkunft der einzelnen Atome des Purinskeletts dadurch zu machen, daß man durch Isotope markierte Verbindungen verfütterte ( B u c h a n a n , S o n n e und D e l l u v a ) . Bei der Synthese der Harnsäure spielen die Essigsäure und das Glycocoll eine besondere Rolle. Das Glycocollmolekül wird als Ganzes eingebaut; es liefert nämlich die beiden C-Atome 4 und 5, sowie das N-Atom 7 (siehe Schema). Die beiden C-Atome 2 und 8 (Carbamidkohlenstoff) können aus Formiat oder solchen Verbindungen stammen, die Cj-Fragmente liefern. Das C-Atom 6 leitet sich aus dem anorganischen Bicarbonat a b ; die übrigen drei N-Atome werden wahrscheinlich von den Aminosäuren geliefert. Eine besondere Rolle scheint der Säureamidstickstoff des Glutamins zu spielen 1 ). Kohlensäure Aminosäuren

Glycocoll

C. 6

\

\

N,

Formiat und Verbindungen, die C 1 -Fragmente liefern säuren !) Vgl. Ann. Rev. Biochem. 18, 174 (1949).

5

C

N.K 7

Formiat und Verbindungen, die C 1 -Fragmente liefern

425

Synthese des Puringerüsts

Die Purinsynthese hängt von einem Cofaktor wahrscheinlich auch vom Vitamin B 12 ab. Als Carbamylimidazol (I) nachgewiesen worden, das bei Gegenwart von Sulfanilamiden anhäuft 1 ). Es C-Atoms in Hypoxanthin über.

aus der Gruppe der Folsäure und Zwischenprodukt ist 4-Amino-5sich in Kulturen von Colibazillen geht durch Einbau eines weiteren

CO NH, HCN—Ribosid + Phosphat

,

/

+ Ribose-l-phosphat + H

Durch diese Reaktionen ist ein Weg zur Synthese des D P N vorgezeichnet: Synthese des Nicotinamidribosids durch Umkehrung der obigen Reaktion, Phosphorylierung des Ribosids in Stellung 5' durch ATP, Reaktion des Nicotinamidmononucleotids mit A T P nach der K o m b e r g sehen Reaktion unter Bildung von Pyrophosphat und D P N . I n analoger Weise wie die Cozymase k a n n auch die Uridindiphosphat-glucose mit Pyrophosphat unter Bildung von Uridintriphosphat gespalten werden (vgl. S. 294). Aus dem D P N kann T P N dadurch entstehen, daß der dritte Phosphatrest durch Phosphorylierung mit A T P eingeführt wird. I n gleicher Weise wie die Pyridinnucleotide kann auch das Flavinadenindi. nucleotid durch Pyrophosphat in reversibler Reaktion gespalten werden ( K o r n b e r g ) : Flavinadenindinucleotid + Pyrophosphat




+ H20 = 0 = C

i i

C—NH + NH 3 >CH

N—C—N

I II ^ HN—C—N

Guanin

Xanthin

Das Ferment, welches diese Wirkung hat, wird als Guanase bezeichnet. N=C-NH 2 HN—C=0 ni

C—NH

CH+

>

N—C—N Adenin

H,0 H20 =

|| | >CH

ni HC

C—NH

+ NH;3

N—C—N Hypoxanthin

Dieses Ferment, welches also Adenin zu Hypoxanthin desaminiert, heißt demnach Adenase. Ebenso ist eine Cytosindesaminase bekannt. Es gibt aber auch Fermente, welche die intakten Nucleotide und Nucleoside, möglicherweise sogar niedrige Polynucleotide desaminieren, z. B.: Adenosin Adenylsäure

> Inosin + NH 3 j. Inosinsäure + NH 3

Es sind folgende spezifische Desaminasen beschrieben worden: 3-Adenylsäuredesaminase, 5-Adenylsäuredesaminase, Guanylsäuredesaminase, Adenosindesaminase, Guanosindesaminase, Cytidindesaminase. 4

) 4) Näheres siehe N o v e l l i , Fed. Proc. 12, 675 (1953); J. biol. Chem. 207, 761, 767 (1954).

Der Nucleinsäure- und Purinstoffwechsel

428

Die o x y d a t i v e Phase besteht in einer Umwandlung von Hypoxanthin zu Xanthin und dieses letztere wird zu H a r n s ä u r e oxydiert. Vereinigt man alle diese Vorgänge zu einem Bilde, so ergibt sich das Schema: N=C—NH2 HN—CO I I HC C—NH H,N • i C—NH CH CH N—C—N —C—N Adenin Guanin Desaminierung 1 — HN—CO HN—CO

i

H(

A NH

>

Oxyd.

oA C—NH

HN—CO I I OC C—NH

Oxyd.

CH I II ^ HN—C—N Xanthin

CH

N—C- -N Hypoxanthin

CO HN—C—NH Harnsäure

Die Harnsäure ist also zunächst die Verbindung, in welche alle Purine übergehen. Die Oxydation des Xanthins und des Hypoxanthins zu Harnsäure wird durch die Xanthinoxydase bewirkt, die zur Gruppe der „gelben Fermente" gehört; ihre Wirkungsgruppe ist das Flavinadenindinucleotid; sie enthält nach neueren Untersuchungen Molybdän (vgl. S. 752). Die Xanthinoxydase kommt in der Leber vor. Man kann die Oxydation z. B. des Hypoxanthins folgendermaßen formulieren (Wasseranlagerung an die C=N-Doppelbindung mit darauffolgender Dehydrierung): CO HN ^ C >CH I II|| C—NH/ HC

CO + H20

H N ^ C - -N x ! II Seil HOCH C-NH/

N

NH

CO

CO

HN^^C N V,CH -f Flavin I II HOCH C—NH NH Flavin H2 + 0 2

HN^^C0=C

-N.

C—NH/

CH + Flavin H2

NH

>• Flavin -f H 2 0 2 ; H 2 0 2

>• H 2 0 + J0 2

Die Xanthinoxydase ist ein Ferment von ziemlich weitem Spezifitätsbereich. Es greift auch Aldehyde an, die zu den entsprechenden Carbonsäuren dehydriert werden. Das Ferment findet sich auch in der Milch; es ist identisch mit dem schon lange bekannten S c h a r d i n g e r s c h e n Enzym. Die sog. S c h a r d i n g e r s c h e Reaktion, die frische Milch von gekochter zu unterscheiden gestattet, besteht darin, daß in Gegenwart von Formaldehyd oder Acetaldehyd beim Erwärmen auf 40° unter Sauerstoffausschluß Methylenblau entfärbt

Das weitere Schicksal der Purin- und Pyrimidinkörper

429

wird. Der Wasserstoff wird in diesem Falle vom Ferment auf das Methylenblau übertragen, das zur Leukobase reduziert wird. Harnsäure ist äußerst schwer in Wasser löslich. Man kann sie als Keto- oder Enolverbindung auffassen: HN—CO ! I OC C—NH

N=C—OH I i HO-C C—NH

>C0

j|

HN—C—NH Keto(Lactam-)form

[|

^>C-OH

N—C—N Enol(Lactim-)form

Im Organismus ist die Harnsäure als Urat gelöst. Bei normaler gemischter Kost scheidet ein normaler Mensch täglich etwa 0,5—1,2 g Harnsäure aus. Die Harnsäure wurde von S c h e e l e 1876 in Harnsteinen entdeckt. Die Harnsäure ist beim Menschen und den anthropoiden Affen das hauptsächlichste Endprodukt des Purinstoffwechsels; bei Vögeln und Reptilien ist sie, wie wir früher erwähnt haben, das Endprodukt des Stickstoffstoffwechsels überhaupt. Die Harnsäure wird bei den meisten Säugetieren durch ein Ferment, welches als u r i c o l y t i s c h e s Ferment, Uricase oder Uricooxydase, bezeichnet wird, zu Allantoin abgebaut, einer Verbindung, die erstmals von V a u q u e l i n im Fruchtwasser, von L a s s a i g n e in der Allantoinflüssigkeit und von W ö h l e r im Harn neugeborener Kälber beobachtet wurde. HN—CO

N

MI:

I

OC

C—NH

I I : Z 0 HN—C—NH Harnsäure

• 0

C

N

I

C

C

I I I N—C- N

H2N

-

I 9.

OC

C—NH

I i z*00 HN—C—NH H Allantoin

Ein C-Atom der Harnsäure wird dabei eliminiert. Wahrscheinlich werden bei der Oxydation der Harnsäure zu Allantoin beide Ringe des Puringerüsts geöffnet (der Imidazolring a m C-Atom 4) unter Bildung eines offenen Zwischenprodukts, aus dem das Allantoin durch sekundären Ringschluß entsteht. Die Atome seines Imidazolrings entsprechen daher nur teilweise denjenigen des ursprünglichen Imidazolrings im Purin 1 ). Die früher angenommene Bildung eines bizyklischen Intermediärprodukts (Oxyacetylen-diurein-carbonsäure) 2 ) ist weniger wahrscheinlich). Man h a t Uricasepräparate hergestellt, die Z i n k enthalten; doch steht nicht fest, ob das Metall f ü r die Fermentwirkung von Bedeutung ist. Bei Dalmatinerhunden h a t man eine rezessiv vererbte Stoffwechselanomalie festgestellt, die sich in einer stark vermehrten Harnsäureausscheidung äußert. (Normalerweise scheidet der H u n d nur sehr wenig Harnsäure aus.) Die Ursache der Erscheinung ist u n b e k a n n t ; eine Korrelation mit der Uricaseaktivität der Gewebe scheint nicht zu bestehen 3 ).

Während die beschriebene Uricolyse mit dem Extrakt zahlreicher Säugerorgane leicht durchführbar ist, besitzen die Organe des Menschen gar keine oder nur minimale uricolytische Wirkung. Auch Versuche am intakten menschlichen Organismus deuten darauf hin, daß keine Uricolyse von größerem Umfang stattfindet. Vgl. B r a n d e n b e r g e r , Biochim. Biophys. Acta 15, 108 (1954); Helv. Chim. Acta 37, 2207 (1954). 2 ) Ztschr. physiol. Chem. 215, 258 (1933). 3 ) Vgl. Ann. Rev. Biochem. 10, 238 (1941).

430

Die Bedeutung der Phosphatbindung

Die im Harn ausgeschiedene Harnsäure stammt entweder aus dem beschriebenen Zerfall der als Nahrungsstoffe zugeführten Purine oder sie entsteht durch die Abnützung der Zellkernsubstanz. Wird ein Mensch p u r i n f r e i ernährt, so sinkt die Harnsäureausscheidung bis auf ein Minimum, welches nicht zum Verschwinden gebracht werden kann. Diese Minimalmenge beträgt pro Tag 0,5 g. Sie stellt diejenige Harnsäuremenge dar, welche durch den Abbau der Zellkernsubstanz des Organismus gebildet wird. Man bezeichnet sie als endogene Harnsäure im Gegensatz zur exogenen Harnsäure, welche aus dem Abbau der mit der Nahrung zugeführten Purine entsteht. Unter der Einwirkung des adrenocorticotropen Hormons (ACTH) oder der glucocorticoiden Hormone der Nebennierenrinde (Cortison) kommt es zu einer stark vermehrten Ausscheidung von Harnsäure (und Allantoin). Die Ursache ist nicht sicher bekannt. Man hat sowohl eine Ausschwemmung vorgebildeter Purinkörper als auch eine vermehrte Bildung dafür verantwortlich gemacht. Unter Arthritis urica oder Gicht wird eine Störung des menschlichen Purinstoffwechsels verstanden, bei welcher es zur Bildung der sog. Tophi (Gichtknoten) kommt, welche Ablagerungen von Harnsäure und Uraten enthalten. Nach neueren Untersuchungen werden bei der Gicht vermehrt Purinkörper aus Aminosäuren synthetisiert. (Dies würde auch den altbekannten ungünstigen Einfluß einer reichlichen Fleischnahrung erklären.) Der Harnsäuregehalt des Blutes ist beim Gichtkranken in der Regel erhöht. Entgegen der älteren Ansicht ist bei völlig intakter Niere die Ausscheidung der Harnsäure im Urin gesteigert. Nur bei Nierenkomplikationen, die aber bei der Gicht sehr häufig sind, ist sie herabgesetzt. Die Ursache der Krankheit ist unbekannt. Achtzehntes

Kapitel

Die Bedeutung der Phosphatbindung Wir haben in den vorangehenden Kapiteln verschiedene Reaktionen kennengelernt, bei denen anorganisches Phosphat in organische Bindung übergeführt wird, und haben darauf hingewiesen, welch große Bedeutung phosphorylierten Zwischenprodukten im Intermediärstoffwechsel zukommt. Vor allem liefert die Kette der glycolytischen Reaktionen dafür eindrückliche Beispiele. Es handelt sich hier nicht um vereinzelte Erscheinungen. Wir wissen heute, daß ganz allgemein die Einführung von Phosphatresten in organische Moleküle dazu dient, die Verbindungen reaktionsfähig zu machen, und daß gewisse organische Phosphorsäureverbindungen die Bindeglieder zwischen den energieliefernden Abbaureaktionen (Oxydation, Glycolyse) und den energieverbrauchenden synthetischen Reaktionen darstellen. Wir wollen daher in diesem Kapitel die Bedeutung der Phosphatgruppe noch einmal im Zusammenhang behandeln. 1. Thermodynamische Vorbemerkungen Wir müssen zunächst einige allgemeine Bemerkungen über die thermodynamischen Gesetze vorausschicken, welche den Ablauf der chemischen Reaktionen bestimmen. Wir betrachten eine umkehrbare chemische Reaktion: mA + nB + < " xP + yQ -f (Es reagieren m Moleküle des Stoffes A mit n Molekülen des Stoffes B usw. unter Bildung von x Molekülen des Stoffes P, y Molekülen des Stoffes Q usw.) Wir nehmen an, daß ein beliebiges Gemisch aller an der Reaktion beteiligten Stoffe vorliegt. Je nach dem Anfangszustand, der durch die Konzentration der reagierenden Stoffe, die Temperatur und den Druck bestimmt ist, wird die obige Reaktion in der einen oder der anderen Richtung verlaufen können. Die Thermodynamik lehrt, daß es ein allgemeines Kriterium gibt,

431

Thermodynamische Vorbemerkungen

das bei gegebenem Anfangszustand vorauszusagen gestattet, in welcher Richtung die Reaktion ablaufen wird. Man kann nämlich jedem Zustand des Systems (bestimmt durch die Konzentration der reagierenden Stoffe, die Temperatur und den Druck) eindeutig eine Größe, die sog. f r e i e E n e r g i e , zuordnen, welche die Eigenschaft hat, bei allen spontan verlaufenden Reaktionen abzunehmen. Es können nur solche Vorgänge von selbst (d. h. ohne Energiezufuhr von außen her) ablaufen, die mit einer Abnahme der freien Energie verknüpft sind. Die freie Energie wird gewöhnlich durch das Symbol F bezeichnet. Für die Differenz der freien Energie bei zwei verschiedenen Zuständen F 2 — F j schreibt man gewöhnlich A F . (Der absolute Wert der freien Energie bleibt unbestimmt; nur die Differenzen A F haben Bedeutung.) Wenn sich irgendein System, z. B. ein Gemisch reaktionsfähiger Stoffe, im Gleichgewicht, befindet, so tritt keinerlei spontane Änderung ein. Ein solcher Zustand ist nur dann möglich, wenn jede Abweichung von ihm mit einer Z u n a h m e der freien Energie verbunden ist. Dies bedeutet, daß im Gleichgewichtszustand die freie Energie des Systems ihren kleinstmöglichen Wert annimmt. Bei konstanter Temperatur (sog. i s o t h e r m e Vorgänge) und konstantem Druck ist die freie Energie nur eine Funktion der Zusammensetzung des Systems, d. h. der Konzentration der verschiedenen Komponenten. Nach den obigen Ausführungen ist daher der Gleichgewichtszustand mathematisch dadurch gekennzeichnet, daß das Differential dF der freien Energie (als Funktion der Konzentrationen betrachtet) verschwindet: dF = 0 . (Man erinnere sich daran, daß für diejenigen Werte der Veränderlichkeit, die dem Minimum [oder dem Maximum] einer Funktion entsprechen, die Ableitung der Funktion verschwindet!) Aus dieser wichtigen Gleichung lassen sich die Gleichgewichtsbedingungen beliebiger Reaktionen ableiten. Für jeden anderen Zustand ist bei einer spontan eintretenden kleinen Änderung dF < 0 , d. h. negativ. Die freie Energie ist eine Funktion des Zustandes, wie er durch Druck, Temperatur und Zusammensetzung gegeben ist. Jedem Zustand ist eindeutig ein bestimmter Wert der freien Energie zugeordnet. Wenn ein System auf zwei verschiedenen Wegen in einen neuen Zustand übergeht, so tritt dabei die gleiche Änderung der freien Energie ein; sie ist völlig unabhängig von der Art und Weise, wie der Übergang ausgeführt wird. Dies hat die wichtige Konsequenz, daß bei einer Reaktion, die über mehrere Zwischenstufen verläuft, die Summe der Werte von. A F für die einzelnen Teilstufen die Änderung der freien Energie für die Gesamtreaktion ergibt: A j'

>• X j AFj

>• X 2 AF2

af AFj + AF2 + AF3 +

• X3 AF3

>• B USW.

AF

i

'

Die freie Energie hat den Charakter eines P o t e n t i a l s . Ein mechanischer Vergleich macht dies klar. Man kann bekanntlich im Schwerefeld oder im elektrischen Feld jedem Punkt desRaumes eine Größe derart zuordnen, daß die Änderung dieser Größe A P längs einer kleinen Strecke A x , bezogen auf die Längeneinheit, also der Quotient AP/ A x gleich der in Richtung, der Strecke A x wirkenden Kraft ist (z. B. gleich der elektrischen Feldstärke). Diese Größe P heißt das Potential der Kraft oder auch die potentielle Energie. Man kann den Unterschied desPotentials zwischen benachbarten Punkten als Ursache der Bewegung eines Teilchens im Kraftfeld betrachten. In ähnlicher Weise kann man bei chemischen Reaktionen den Unterschied der freien Energie zwischen benachbarten Zuständen als treibende Kraft der Reaktion ansehen. Wir können hier nicht näher auf den Begriff der freien Energie und seine Ableitung eintreten. Diese thermodynamische Funktion wurde von H e l m h o l t z eingeführt. E r bezeichnete sie als„freie" Energie, weil sie bei jedem Vorgang denjenigen Teil der gesamten Energieänderung darstellt, welcher für die Leistung mechanischer oder elektrischer Arbeit frei zur Verfügung steht. (Bekanntlich geht bei allen Vorgängen ein Teil der Energie immer in Wärme über und ist daher für die Arbeitsleistung verloren.) Für ein tieferes Eindringen verweisen wir auf die Lehrbücher der Thermodynamik und Physik (siehe z. B. B e r g m a n n - S c h a e f e r , „Lehrbuch der Experimentalphysik", 2. u. 3. Aufl., Bd. 1, S. 541, und besonders das klassische Buch von L e w i s und R a n d a l l , „Thermodynamik und die freie Energie chemischer Substanzen"). Die Änderung der freien Energie wird gewöhnlich, wie dies bei der Wärmetönung einer Reaktion üblich ist, der Reaktionsgleichung beigefügt; z. B . : H 2 (g, 1 Atm.) + i/202 (g, 1 Atm.) = H 2 0 (1); A F 2 9 8 = —56 560 cal. Die in Klammern hinter den chemischen Symbolen der Stoffe stehenden Angaben bezeichnen den Zustand der Stoffe (g = gasförmig, 1 = flüssig). Die Gleichung bedeutet: Gasförmiger Wasserstoff von 1 Atmosphäre Druck und gasförmiger Sauerstoff von 1 Atmosphäre Druck verbinden sich bei einer absoluten Temperatur von 298° ( = 25° Cel.O zu flüssigem Wasser. B e i

432

Die Bedeutung der Phosphatbindung

dieser Reaktion nimmt die freie Energie um 56560 cal. ab (d. h. die freie Energie des Systems gasförmiger Wasserstoff + Sauerstoff ist um diesen Betrag höher als die freie Energie des daraus entstehenden flüssigen Wassers). Die Abnahme von F (negatives Vorzeichen von A P ! ) weist darauf hin, daß der durch die Gleichung dargestellte Vorgang, von links nach rechts gelesen, spontan vor sich geht. Es ist nicht gesagt, daß jeder thermodynamisch mögliche, d. h. mit einer Abnahme der freien Energie verknüpfte Vorgang auch tatsächlich abläuft. Sehr oft bestehen Reaktionshindernisse, die mit den Reibungskräften bei mechanischen Systemen verglichen werden können. Wir haben bereits früher darauf hingewiesen, daß dies ein sehr wichtiger Umstand ist. Ohne diese Reaktionshindernisse (die meist in der Natur der chemischen Valenzkräfte begründet sind) würden z. B. die wenigsten organischen Verbindungen bei Gegenwart von Sauerstoff beständig sein. Die mangelnde Reaktionsfähigkeit von chemischen Systemen kann zwei prinzipiell verschiedene Ursachen haben, die streng auseinander zu halten sind: 1. Eine Reaktion kann dann nicht ablaufen, wenn sie thermodynamisch unmöglich ist, d. h. mit einer Zunahme der freien Energie einhergeht. 2. Eine Reaktion kann, auch wenn sie mit einer Abnahme der freien Energie verbunden ist, dann nicht ablaufen, wenn die Stoffe reaktionsträge sind. Sie tritt in diesem Fall erst dann ein, wenn die Reaktionsträgheit durch geeignete Mittel — Erhöhung der Temperatur, Zusatz von Katalysatoren — beseitigt wird. D e f i n i t i o n : Reaktionen, die mit einer Abnahme der freien Energie verbunden sind, heißen e x e r g o n i s c h , solche, die mit einer Zunahme der freien Energie verbunden sind, e n d e r g o n i s c h . Diese Ausdrücke, die von Coryell 1940 eingeführt wurden, entsprechen den Bezeichnungen e x o t h e r m für Vorgänge, die mit Wärmeentwicklung, und e n d o t h e r m für solche, die mit Wärmeabsorption einhergehen. Man glaubte früher, daß das Kriterium für den spontanen Ablauf einer Reaktion die positive Wärmetönung sei: Es sollten nur exotherme Reaktionen von selbst vor sich gehen können. Tatsächlich sind in vielen Fällen die exergonischen Reaktionen auch exotherm, besonders dann, wenn es sich um Reaktionen mit hoher Wärmeentwicklung handelt. In solchen Fällen sind meist auch die Wärmetönung und die Änderung der freien Energie nicht allzusehr verschieden. Im obigen Beispiel (Bildung des Wassers aus den Elementen) beträgt z. B. die abgegebene Wärme 68270 cal. gegenüber A F = —56560 cal. Es gibt aber zahlreiche Beispiele, welche zeigen, daß nicht die Wärmebildung oder -aufnähme die Reaktionsrichtung bestimmen kann. Wir kennen spontan verlaufende Reaktionen, bei welchen Wärme aufgenommen wird. Wir erinnern z. B. an die Abkühlung, die in vielen Fällen beim Auflösen eines Stoffes in Wasser beobachtet wird. Wir müssen, was die Berechnung der freien Energie betrifft, auf die Lehrbücher der physikalischen Chemie verweisen. Es sei hier nur auf eine Möglichkeit verwiesen, die gerade auch bei der Berechnung der freien Energie von Oxydationsvorgängen vielfach Verwendung findet. Wenn man den Vorgang zum Aufbau einer galvanischen Kette verwenden kann, so ist die elektromotorische Kraft e dieser Kette direkt proportional der Änderung der freien Energie des Vorgangs. Und zwar ist ^p n . p. £ wobeiFdas Faradayäquivalent (96494 Coulomb = 23074 cal./Volt) und n die Zahl der durch die Zelle fließenden Äquivalente bedeuten. Betrachten wir als Beispiel die Auflösung von Zink in Schwefelsäure: Zn + H 2 S 0 4 = ZnS0 4 + H 2 . Man kann eine galvanische Kette zusammensetzen, bestehend aus einer Zinkelektrode und einer Wasserstoffelektrode (vgl. S. 147) in Schwefelsäurelösung. Wenn man beide Elektroden in Kontakt bringt, so fließt der äußere Strom von der Wasserstoff- nach der Zinkelektrode; die erstere ist also gegenüber der letzteren positiv. Die elektromotorische Kraft des Elements beträgt (wenn die Konzentration der Wasserstoffionen 1 n ist) 0,76 Volt. Da nach obiger Gleichung zwei Elektrizitätsäquivalente überführt werden, ist die Änderung der freien Energie für den oben angeschriebenen Vorgang A F = —2 • 23074 -0,76 = —35000 cal. Auf diese Weise können auch die Redoxpotentiale in gewissen Fällen dazu benützt werden, die Änderungen der freien Energie bei biologischen Oxydo-Reduktionen zu berechnen. Für das System Cozymase-Dihydrocozymase beträgt z. B. das Redoxpotential etwa + 0,14 Volt, für das System Flavin-Dihydroflavin etwa + 0 , 3 4 Volt. Würde man also die beiden Redoxsysteme zu einer galvanischen Kette vereinigen (wobei das Verhältnis der oxydierten zur reduzierten Stufe = 1 vorausgesetzt wird; vgl. Definition des Redoxpotentials S. 152), so würde die elektromotorische Kraft 0,2 Volt betragen; die Änderung der freien Energie beim Übergang eines Paars Wasserstoffatome vom Pyridincoferment auf das Flavincoferment hat also den

Thermodynamische Vorbemerkungen

433

Wert A F = •—2-23074-0,2 = —9200 cal. Solche Berechnungen sind für verschiedene in diesem Kapitel behandelte Fragen von Bedeutung. Eine weitere Möglichkeit zur Berechnung der freien Energie von Gleichgewichtsreaktionen ergibt sich aus ihrem Zusammenhang mit den Gleichgewichtskonstanten. Wir kommen weiter unten darauf zurück. Im Organismus verlaufen zahlreiche Reaktionen, die mit einer Zunahme der freien Energie verbunden sind. S o l c h e R e a k t i o n e n sind n a t ü r l i c h nur als T e i l v o r g ä n g e k o m p l e x e r e x e r g o n i s c h e r R e a k t i o n e n d e n k b a r . Für sich allein wären sie thermodynamisch nicht möglich. Diese Behauptung bedarf einiger Erläuterungen. Jede Reaktion ist theoretisch umkehrbar und führt daher zu einem Gleichgewicht. Betrachten wir z. B. die Spaltung C

A + B.

Wenn diese Reaktion stark exergonisch ist, d. h. mit einer starken Abnahme der freien Energie einhergeht, so bedeutet dies, daß C fast vollständig verschwindet und daß, wenn die Reaktion infolge Erreichung des Gleichgewichts zum Stillstand kommt, nur die Spaltprodukte A und B neben wenig Ausgangsprodukt C vorhanden sind. Geben wir A und B zusammen, so wird sich aber doch durch Verbindung von A und B eine kleine Menge C bilden. Es kann also auch bei einer exergonischen Reaktion die endergonische Gegenreaktion, wenn in der Regel auch nur in geringem Umfang, stattfinden. Die Lage des Gleichgewichts hängt von A F ab. Legen wir die allgemeine Reaktion mA + nB +

-

xP + yQ +

zugrunde, so gilt nach dem Massenwirkungsgesetz (PMQ)r (A)m • (B) n

=

k

(P), (Q) usw. bedeuten die Aktivitäten der betreffenden Stoffe. Die Gleichgewichtskonstante k hängt eng mit der Änderung der freien Energie zusammen, welche bei Ablauf der Reaktion von links nach rechts eintritt. Es ist nämlich (bei Umsatz der durch die Reaktionsgleichung angegebenen Zahl von Gramm-Molekülen) A F 0 = — R - T - l o g n a t k = —2,30-R-T-log k (R = Gaskonstante, T = absolute Temperatur, log nat = natürlicher Logarithmus, log = dekadischer Logarithmus; für 25° ( = 298° Kelvin) hat der Zahlenfaktor 2,30-R-T den Wert 1365 cal., für 38° den Wert 1424 cal.). Man sieht leicht, daß das Gleichgewicht um so mehr zugunsten der linken Seite der Reaktionsgleichung liegt, je größer der Abfall der freien Energie ist. Wir betrachten als Beispiel etwa die früher schon besprochene Synthese des Harnstoffs aus Ammonium- und Bicarbonationen in wäßriger verdünnter Lösung: 2 H C 0 3 - + 2NH 4 + = CO(NH2)2 + H 2 C0 3 + 2 H 2 0 ; A F = + 1 3 8 0 0 c a l . Aus dem angegebenen Wert von A F kann man nach der obigen Gleichung die Gleichgewichtskonstante berechnen. Sie ergibt sich zu etwa 10~ 10 ; d. h. wenn die Konzentration der Bicarbonat- und Ammoniumionen je 0,01 Mol/1 beträgt, so ist (bei der C0 2 -Spannung des Blutes) im Gleichgewichtszustand die Konzentration des Harnstoffs nur etwa von der Größenordnung 1 0 - 1 1 - m . Damit eine Synthese als Gegenreaktion einer exergonischen Spaltung in meßbarem Umfang zustande kommen kann, darf das Gleichgewicht nicht so einseitig zugunsten der Spaltung liegen wie im vorigen Beispiel, sondern es sollten im Gleichgewichtszustand die Konzentrationen der verschiedenen Reaktionsteilnehmer von ungefähr gleicher Größenordnung sein. Damit dies möglich ist, darf die Änderung der freien Energie keinen zu großen absoluten Wert haben. Betrachten wir z. B. wie.oben die Spaltung C

i^T*

A+ B

und nehmen wir an, daß im Gleichgewicht alle Stoffe in einer Konzentration von 0,005 Mol/1 vorliegen. Es wird sich also, wenn wir 0,01 Mol A und 0,01 Mol B pro Liter zusammenbringen, die Hälfte zu 0,005 Mol C vereinigen. 28

L e u t h a r d t, Lehrbuch. 12. Aufl.

434

Die Bedeutung der Phosphatbindung Nach dem Massenwirkungsgesetz muß die Gleichgewichtskonstante der Reaktion den Wert k

~

5-10~ 3 , 5-10~ 3 5-10- 3

~

5 1 0

haben. Aus der Gleichgewichtskonstanten läßt sich die Änderung der freien Energie leicht berechnen. Man hat dazu nur den Logarithmus der Konstanten (—2,301) mit dem Faktor 1424 zu multiplizieren und erhält also:

AF31I® = —(—2,301 1424) = +3300 cal. )311° Kelvin = 38° Celsius = Körpertemperatur). Es können also unter physiologischen Bedingungen und bei der oben angenommenen Größenordnung der Konzentrationen Spaltungsreaktionen vom obigen Typus nur dann in meßbarem Ausmaß reversibel sein, wenn ¿\F 0 nicht wesentlich kleiner (negativer) ist als der obige Wert (d. h. wenn die Dissoziationskonstante nicht wesentlich größer ist, als im obigen Beispiel angenommen wurde). Z. B. wäre f ü r A F = 0 , bei gleichen Konzentrationen von A und B wie oben, die Gleichgewichtskonzentration von C nur 2,5-10 - 6 Mol/1. Auch bei ungünstiger Lage des Gleichgewichts (stark positiver) ist eine Synthese in meßbarem Umfang möglich, wenn das Reaktionsprodukt ständig entfernt wird (wenn es z. B. schwer löslich ist; vgl. dazu den Abschnitt über enzymatische Peptidsynthese S. 199). Der aus der Gleichgewichtskonstanten berechnete Wert von A F 0 gibt die Änderung der freien Energie, die eintritt, wenn sich alle Reaktionsteilnehmer der Reaktion mA + nB +

^

x P + yQ +

im sog. „Normalzustand" befinden, d. h. wenn ihre Aktivität gleich Eins ist (Näheres vgl. L e w i s und R a n d a l l , „Thermodynamik und die freie Energie chemischer Substanzen"). A F 0 wird daher als Normalwert der Änderung der freien Energie f ü r die betreffende Reaktion (Standard free energy change) bezeichnet. Wenn die verschiedenen Reaktionsteilnehmer dagegen sich in beliebigen Konzentrationen vorfinden, wie dies die Regel ist, so tritt zu A F 0 ein Glied hinzu, welches den oben schon angegebenen Quotienten enthält. Die tatsächliche Änderung der freien Energie A E wird dann P)X ( Q ) 7 A E = AF„ + RT lognat ((A)m (B)n .". .". '

Man erkennt, daß sich aus dieser Gleichung f ü r den Gleichgewichtszustand ( A F = O) der oben gegebene Zusammenhang zwischen A F 0 und der Gleichgewichtskonstanten ergibt. Man sieht auch leicht, daß je nach dem Wert des rechts stehenden Quotienten A F ein von A F 0 verschiedenes Vorzeichen haben kann; d. h. daß der Normal wert der freien Energie einer Reaktion keineswegs deren Richtung bestimmt, sondern daß diese auch von der Konzentration der Reaktionsteilnehmer abhängt. Eine Umkehrung der Richtung der Reaktion wird besonders leicht bei kleinen Werten von A F 0 erreicht werden können. Ein physiologisch besonders wichtiger Fall tritt dann ein, wenn ein Reaktionsteilnehmer durch eine anschließende Reaktion viel rascher verbraucht wird, als er entsteht. Seine Konzentration bleibt dann sehr niedrig und die Reaktion kann unter Umständen entgegen dem Vorzeichen von A F 0 verlaufen. E i n e Aussage über die a u g e n b l i c k l i c h e R i c h t u n g einer R e a k t i o n ist im a l l g e m e i n e n n u r d a n n m ö g l i c h , w e n n zu d e m g e g e b e n e n Z e i t p u n k t d i e K o n z e n t r a t i o n aller b e t e i l i g t e n S t o f f e b e k a n n t ist. Endergonische Reaktionen mit hohem Betrag von A F werden aber im allgemeinen nur dann vor sich gehen können, wenn sie mit exergonischen Reaktionen gekoppelt sind, so daß die G e s a m t r e a k t i o n mit einer Abnahme der freienEnergie einhergeht. Man bezeichnet diese Verbindung einer endergonischen mit einer exergonischen Reaktion als e n e r g e t i s c h e K o p p e l u n g . Man kann in einer etwas weniger präzisen Ausdrucksweise auch sagen, daß die eine Reaktion die Energie für den Ablauf der anderen liefern muß. Wir haben in den vorangehenden Kapiteln mehrfach in diesem Sinne von „energieliefernden Reaktionen" gesprochen. Es sind dies vor allem die Oxydationsvorgänge, in einzelnen Geweben und bei vielen Mikroorganismen auch anaerobe Spaltungen wie die Glycolyse, die alkoholische Gärung und ähnliche Reaktionen. Eines der zentralen Probleme des Intermediärstoffwechsels besteht darin, die Verbindung dieser Reaktionen mit den endergonischen Vorgängen der Zelle festzustellen und damit zu ergründen, auf welche Weise die freie Energie der Nährstoffe den physiologischen Leistungen dienstbar gemacht wird.

Die Rolle des Phosphats usw.

435

2. Die Rolle des Phosphats bei der Koppelung der energieliefernden und der energieverbrauchenden Reaktionen Wir haben bereits in früheren Kapiteln gezeigt, daß bei der Koppelung der energieliefernden exergonischen mit den energieverbrauchenden endergonischen Reaktionen organische Phosphorsäureverbindungen eine wesentliche Rolle spielen. Tatsächlich ist die Überführung von anorganischem Phosphat in organische Bindung derjenige Vorgang, welcher der Zelle die Ausnützung der freien Energie der Nährstoffe gestattet. Die Fixierung des anorganischen Phosphats ist immer eine endergonische Reaktion, die mit den energieliefernden Vorgängen, Oxydation und Glycolyse, gekoppelt ist. Werden die organischen Verbindungen in vitro verbrannt, so geht die gesamte Energie als Wärme verloren. I n der Zelle aber wird der Oxydationsvorgang derart geleitet, daß gleichzeitig organische Phosphorsäureverbindungen entstehen (oxydative Phosphorylierung): Nährstoff + anorg. Phosphat - 0

>• C0 2 + H 2 0 + org. Phosphorsäureverbindung.

Da, wie eben erwähnt, die Bildung des organischen Phosphats endergonisch ist, wird der Abfall der freien Energie bei dieser Reaktion k l e i n e r sein als bei der Verbrennung in vitro; es bleibt m. a. W. ein Teil der freien Energie, und zwar, wie wir sehen werden, ein wesentlicher Teil, in Form der Phosphatbindung erhalten. Man kann diesen Vorgang grob mechanisch mit dem Aufziehen eines Uhrwerkes oder dem Aufladen eines Akkumulators vergleichen. I n den folgenden Schemata bedeuten die horizontalen, punktierten Linien die Energieniveaus. Nährstoffe A P der Oxydation in vitro negativ

A F der phosphorylierenden Oxydation negativ r — A P der Bildung von Phosphatbindungen positiv

Endprodukte

Die Bedeutung der durch oxydative Phosphorylierung gebildeten Phosphorsäureverbindungen liegt nun in folgendem: Sie können sich mit anderen Stoffen unter Abspaltung von anorganischem Phosphat umsetzen. Da aber ihre Hydrolyse ein exergonischer Vorgang ist, müssen auch diese Umsetzungen stärker exergonisch sein als die entsprechenden Reaktionen der ihnen zugrunde liegenden nicht phosphorylierten Verbindungen. D. h. die Phosphorylierung wird in vielen Fällen eine Reaktion thermodynamisch möglich machen, welche sonst nicht in meßbarem Umfang vor sich gehen kann. Beispiel: Glucose kann nicht direkt mit anderen Zuckern unter Bildung von Di- oder Polysacchariden reagieren. Ist sie aber in Stellung 1 phosphoryliert, so kann sie unter Abspaltung von anorganischem Phosphat in eine glucosidische Bindung eingehen; z. B. (S. 297): Glucose-l-phosphat + Fructose
- ADP + Hexosephosphat (ATP = Adenosintriphosphat; ADP = Adenosindiphosphat)

Die Bilanz der freien Energie bei einem solchen Vorgang ist aus nachfolgendem Schema zu ersehen: Adenosintriphosphat

Abnahme der freien Energie bei Hydrolyse der Anhydridbiudung des ATP

Hexosephosphat

>'

A F der Transphosphorylierung negativ (Reaktion exergonisch) Zunahme der freien Energie bei Bildung des Hexosephosphats aus anorgan. Phosphat + Hexose

Adenosindiphosphat

Wie man sieht, ist für das Verständnis der Phosphorylierung die Kenntnis der zugehörigen Änderung der freien Energie / \ F 0 von grundlegender Bedeutung. Es zeigt sich, daß man in dieser Hinsicht die Phosphorsäureverbindungen in zwei Gruppen einteilen muß : 1. Zur ersteren gehören die gewöhnlichen Ester vom Typus der Zuckerphosphate: Hexosephosphate, Pentosephosphate (in den Nucleotiden), Triosephosphate, Glycerophosphate, Phosphoglycerinsäure, Cholinphosphat usw. Die Werte von A F 0 für die Hydrolyse dieser Bindungen liegen meist zwischen etwa 2000—3000 cal.: R-0-P03— + H20

> R - 0 H + HP0 4 —; AE 0

3000oal.

Nur für die 2-Phosphoglycerinsäure ( A F 0 = —4050) und das Glucose-l-phosphat ( A F 0 = —4800) liegen die Werte etwas höher. 2. Bei den Verbindungen der zweiten Gruppe ist der die Hydrolyse begleitende Abfall der freien Energie bedeutend höher, nämlich 12000—16000 cal. Man bezeichnet die Phosphatbindung dieser Gruppe daher gewöhnlich als „ e n e r g i e r e i c h e " Phosphat bindung. Dazu gehören: Adenosintriphosphat:

OH

OH

OH

Adenin—Ribose—O—P—O—P—O—P—OH

O

O

O

Die Rolle des Phosphats usw.

437

Das A T P enthält zwei energiereiche Phosphatbindungen in F o r m der beiden Säureanhydridbindungen zwischen den Phosphatresten: Enolphosphate vom Typus der Phosphoenolbrenztraubensäure: COOH I /OH o o - p; o xOH II CH2 Acylphosphate wie das Acetylphosphat oder das (Negelein-Ester): ^

Phosphoglycerinsäurephosphat

II /OH ('—0—1< o | \OH R Amidinphosphato wie das Phosphokreatin oder das Phosphoarginin: NH II /OH C—KH—0 | \0H R—NH Hier ist der Phosphor an Stickstoff gebunden. U m die energiereichen Phosphatbindungen zu kennzeichnen, benützt man oft (nach einem Vorschlag von L i p m a n n ) s t a t t des gewöhnlichen Valenzstriches eine gewellte Linie Man muß also z. B . schreiben: OH OH OH I I I Adenosin—0— P — 0 ~ P — 0 ~ P — O H II II II

0

0

0

oder: OH I Kreatin—N~P—OH II O

usw.

Gegen die Bezeichnung der „energiereichen" Phosphatbindung lassen sich Einwände erheben, weil streng genommen der Ausdruck „Energie einer chemischen Bindung" eine ganz andere Bedeutung hat. Wir brauchen diese heute allgemein übliche Bezeichnung hier ausschließlich in dem oben angegebenen Sinn für den Normalwert der freien Energie der Hydrolyse von Phosphatbindungen. Für die Unterscheidung und Charakterisierung der verschiedenen Phosphorsäureverbindungen kann man nach L o h m a n n die Hydrolysegeschwindigkeit in 1 n Salzsäure benützen. Zwei Phosphatreste des ATP (die beiden Anhydridbindungen), Acylphosphate, Enolphosphate, Amicfinphosphate werden beim Erhitzen im siedenden Wasserbad während 7 Minuten vollständig hydrolysiert. Auch Glucose-l-phosphat und Fructose-l-phosphat werden unter diesen Bedingungen gespalten. Man bezeichnet derartige Phosphatgruppen kurz als labiles Phosphat (auch „7-MinutenPhosphat"). Die gewöhnlichen Esterbindungen sind viel stabiler. Einzelne Verbindungen widerstehen mehrstündigem Erhitzen mit 1 n HCl. Die Triosephosphate (Phosphoglycerinaldehyd und Phosphodioxyaceton) werden durch 1 n Alkali in 20 Minuten vollständig hydrolysiert (sog. alkalilabiles Phosphat). Wie man sieht, sind die energiereichen Phosphatbindungen alle labil; es gibt aber auch unter den „energiearmen" Esterbindungen solche, die säurelabil sind.

Die Bedeutung der Phosphatbindung

438

Es ist klar, daß eine Phosphatübertragung in meßbarem Umfang nur möglich ist zwischen Phosphorsäureverbindungen der gleichen Gruppe, z. B. zwischen zwei Estern oder zwischen zwei energiereichen Phosphatverbindungen (z. B. ATP und Phosphokreatin) oder von einer energiereichen Phosphatverbindung auf einen Ester. Zur Illustration möge die Angabe dienen, daß z. B. bei der Umkehrung der Hexokinasereaktion selbst bei einer (physiologisch niemals erreichbaren) Konzentration des Glucose-6phosphats und des ADP von 0,1 Mol/1 die Konzentration des ATP im Gleichgewichtszustand nur 5- 1 0 - , M o l / l betragen würde. Es ist kaum denkbar, daß in einer Zelle durch raschen Verbrauch des ATP seine Konzentration jemals so niedrig gehalten werden könnte, daß die Hexokinasereaktion'in^umgekehrter Richtung verläuft. A

F

Ca!.

15000

Energiereiche

Trans-

,

R,-~Ph

j

Phosphat-

bindungen

Phosphorylierung

V , to'

10000

l

V

£ '

5000

Xf-Ph '

Trans ii^ phophoryüerung

Xe •

[

Ester-

fbindungen

i i i / anorganisches

Phosphat

Abb. 37. E n e r g i e n i v e a u s der P h o s p h a t b i n d u n g e n (nach L i p m a n n ) (AF 0 in g cal.)

Dagegen kann eine energiereiche Phosphatbindung nicht durch Übertragung des Phosphatrests aus einem Ester oder gar aus anorganischem Phosphat entstehen. Diese Reaktionen sind stark endergonisch und können, wie oben ausgeführt wurde, nur durch Koppelung mit energieliefernden Prozessen zustande kommen. I m Schema Abb. 37 (nach L i p m a n n , leicht verändert) sind die möglichen Wege der Transphosphorylierung durch ausgezogene Pfeile, die endergonischen Reaktionen durch gestrichelte Pfeile angedeutet. Der allgemeine Verlauf der Phosphorylierungsvorgänge stellt sich also folgendermaßen dar: die freie Energie der Oxydation und der Glycolyse wird zur Bildung energiereicher Phosphatgruppen benützt, die anschließend durch Gleichgewichtsreaktionen auf andere Verbindungen übertragen werden können. Die phosphorylierten Verbindungen sind zu synthetischen Reaktionen befähigt, bei welchen das Phosphat gegen andere Reste ausgetauscht und als anorganisches Phosphat wieder

Glycolyse (oder alkoholische Gärung) und Phosphorylierung

439

abgespalten wird. Die Energie der Phosphatbindung bleibt dabei ganz oder teilweise in Form einer neuen organischen Bindung (Ester, Amid, Peptid usw.) erhalten. Auf diese Weise kann die freie Energie der Oxydation, anstatt in Wärme zerstreut zu werden, zum Aufbau neuer (endergonischer) Bindungen benützt werden. Das Phosphat wird durch die Oxydation auf ein hohes Energieniveau gehoben, von dem es unter Arbeitsleistung (organische Synthesen usw.), wie das Gewicht einer Uhr, wieder auf die Stufe des anorganischen Phosphats absinkt. Das Phosphat durchläuft in der Zelle derart einen Cyklus (Phosphatcyklus), der sich schematisch folgendermaßen darstellen läßt : ^ organisch gebundenes ^ Phosphat oxydative und Verbrauch der glycolytische Phosphatbindungen Phosphorylierung I anorganisches Phosphat < i Wir wollen im folgenden einige wichtige Reaktionen (die meist früher schon besprochen wurden oder in den nachfolgenden Kapiteln noch behandelt werden) unter den neu gewonnenen Gesichtspunkten kurz betrachten. 3. Glycolyse (oder alkoholische Gärung) und Phosphorylierung Unter den glycolytischen Reaktionen führen zwei zur Bildung von energiereichem Phosphat, die Dehydrierung des Phosphoglycerinaldehyds durch die Cozymase und die Bildung der Phosphoenolbrenztraubensäure aus der 2-Phosphoglycerinsäure (siehe S. 282 und 283). Die erste führt zur Bildung von Acylphosphat in Form des N e g e l e i n - E s t e r s : H H | | .OH _2H ,0 R—C=0 + H 3 P0 4 > R—C< R—CC x X)—P0 3 H 2 0~P03H2 Negelein-Ester 2 (Ad—P~P) + 2(X—P) • Ad—P + ( A d — P ~ P ~ P ) •

(Ad—P) + 2(X—P)

Die Bilanz des Vorgangs sieht also so aus, als ob ein Molekül ATP mit seinen beiden labilen Phosphatgruppen unter Bildung von Adenylsäure reagiert hätte. Ähnlich liegen wahrscheinlich die Verhältnisse bei der Bildung des ATP aus dem Monophosphat (der Adenylsäure). Man kann experimentell zeigen, daß AMP bei der oxydativen oder glycolytischen Phosphorylierung als Phosphatakzeptor funktioniert und ATP liefert; man könnte also annehmen, daß zuerst ein Phosphatrest unter Bildung von ADP und dann der zweite unter Bildung des ATP angelagert würde. Gewisse Beobachtungen deuten aber daraufhin, daß in Wirklichkeit immer nur das ADP das anorganische Phosphat aufnimmt. Bei Gegenwart von Myokinase kann aber, wie man leicht sieht, die Adenylsäure trotzdem phosphoryliert werden, sofern nur zu Beginn eine kleine Menge ATP vorhanden ist. Dieses reagiert mit der Adenylsäure unter Bildung von Diphosphat; das letztere geht durch Addition von anorganischem Phosphat in ATP über, welches mit der Adenylsäure wieder Diphosphat liefert und so fort, bis alle Adenylsäure zu ATP phosphoryliert ist. Auch hier reagiert bilanzmäßig anscheinend 1 Molekül Monophosphat mit 2 Molekülen anorganischem Phosphat (oder einem organischen Phosphatdonator) unter Bildung von 1 Molekül Triphosphat. Neben der Myokinase gibt es, wie neuere Untersuchungen gezeigt haben, auch Fermente, die den terminalen Phosphatrest zwischen v e r s c h i e d e n e n Nucleosidpolyphosphaten verschieben. Dazu gehört das S. 763 erwähnte Enzym, welches den endständigen Phosphatrest des Guanosintriphosphats auf das Adenosindiphosphat überträgt (GTP-ADP-Kinase). Ebenso ist eine Kinase bekannt, die Phosphat zwischen den Polyphosphaten des Uridins, Inosins und Adenosins verschiebt (Nucleosid-diphosphat-Kinase, „Nudiki"). Beispiel:

U ri d i n-ph-ph-ph + Adenosin-ph-ph

Uridin-ph-ph + Adenosin-ph-ph-ph

ATP- und Coenzym A-abhängige Vorgänge

447

Man kann aus verschiedenen neueren Beobachtungen schließen, daß bei Transphosphorylierungen neben den Phosphaten des Adenosins wahrscheinlich auch solche anderer Nucleoside eine Rolle spielen. Beispiel S. 763. Die genannten Kinasen stellen die Verbindung mit dem Adenylsäuresystem her. (Vgl. K a l c k a r , Science 119, 479 [1954].)

a) P h o s p h o k r e a t i n (siehe S. 565). In dieser Verbindung besitzt der Muskel eine Reserve an energiereichem Phosphat. Das Phosphokreatin entsteht durch eine reversible Phosphatübertragung aus Kreatin und ATP. Wird bei der Muskelkontraktion ATP verbraucht, so verläuft der Vorgang in umgekehrter Richtung. Das Phosphokreatin ermöglicht somit eine rasche, unmittelbare, von der Glycolyse oder der Oxydation unabhängige „Aufladung" des Adenylsäuresystems. Es handelt sich hier um eine Verschiebung des Phosphats auf dem Niveau der energiereichen Bindungen (vgl. Abb. 37). b) H e x o k i n a s e r e a k t i o n (vgl. S. 279). Hier wird eine energiereiche Phosphatbindung in eine Esterbindung übergeführt. Die Reaktion ist daher stark exergonisch; der Abfall der freien Energie beträgt etwa 9000 cal., d. h. die labilen Phosphatgruppen des A T P können vollständig auf den Zucker übertragen werden. c) B i l d u n g d e r g l y c o s i d i s c h e n B i n d u n g . Das Gleichgewicht zwischen den Di- oder Polysacchariden und den freien Zuckern liegt stark auf der Seite der letzteren, so daß eine Synthese aus den Monosacchariden durch Umkehrung der Glycosidasereaktion nicht zu erwarten ist. Die glycosidische Gruppe des Zuckers muß erst phosphoryliert werden. Erst dann kann sie in einer Gleichgewichtsreaktion durch Austausch des Phosphats gegen einen Zuckerrest in die glycosidische Bindung eingehen. Bei der Glucose erfolgt die Phosphorylierung durch die Hexokinasereaktion in Stellung 6 (vgl. S. 279). Erst sekundär wird durch eine „Mutase" der Phosphatrest nach Stellung 1 (glycosidische Bindung) verschoben. Es handelt sich um eine Gleichgewichtsreaktion auf dem Energieniveau der Esterbindung. Da A F 0 für das glycosidisch gebundene Phosphat etwa 1800 cal. höher ist als für das Esterphosphat in Stellung 6, liegt das Gleichgewicht zwischen Glucose-l-phosphat und Glucose-6-phosphat stark zugunsten des letzteren. Das bekannteste Beispiel für die Bildung einer glycosidischen Bindung ist die Glycogensynthese aus dem C o r i - E s t e r durch die Phosphorylase. Wahrscheinlich verläuft die Synthese aller glycosidischen Bindungen auf ähnlichem Weg. So entsteht die Saccharose durch Reaktion von Glucose-l-phosphat mit Fructose: Glucose-1-phosphat + Fructose ,

SaccharosePhosphorylase

* Saccharose + Phosphat.

Eine wichtige Reaktion ist ferner die Bildung von Purinribosiden als Vorstufe der Nucleotide; z. B.: Ribose-l-phosphat + Hypoxanthin

jT

* Hypoxanthinribosid + Phosphat

(vgl. auch S. 421). Wie wir gesehen haben (S. 297), können Glycosidbindungen auch durch Verschiebung von Zuckerresten gebildet werden. Wir verweisen auf die Beispiele S. 298.

Währenddem bei der Bildung von Saccharose aus Glucose-l-phosphat und Fructose ein Phosphatrest gegen einen Zuckerrest ausgetauscht wird, handelt es sich bei der Transglycosidasereaktion um den Austausch von Zuckerresten zwischen zwei Sacchariden. Die Verschiebung von Aminosäureresten zwischen zwei Peptiden, auf die wir bei der Besprechung der biologischen Peptidsynthese hingewiesen haben, stellt eine analoge Reaktion dar (siehe S. 415). Immer wird durch Vermittlung des Ferments eine Bindung gelöst und eine neue gleichartige gebildet. Es handelt sich also um eine Verschiebung des Zucker- oder Aminosäurerests auf dem gleichen

448

Die Bedeutung der Pho&phatbindung

Energieniveau. Die Neubildung einer Glycosidbindung erfordert immer Aufwand von Energie, also die vorausgehende Phosphorylierung des einen Zuckers durch ATP. Ist aber einmal eine glycosidische Bindung gebildet, so kann sie durch Austausch eines Zuckerrests durch eine Gleichgewichtsreaktion in eine andere übergeführt werden. P h o s p h o r o l y s e d e s G l y c o g e n s . Die phosphorolytische Spaltung der Glycosidbindung ist die Umkehrung der eben erwähnten Reaktionen. Es könnte bei oberflächlicher Betrachtung erstaunlich erscheinen, daß bei dieser Reaktion anorganisches Phosphat direkt, d. h. ohne Vermittlung des Adenylsäuresystems, in organische Bindung übergeführt wird. Das Glucosemolekül, welches phosphoryliert wird, ist aber nicht frei, sondern bereits glucosidisch an das nächstfolgende Molekül der Polysaccharidkette gebunden; das letztere wird einfach gegen Phosphat ausgetauscht. Es handelt sich um eine Umesterung zwischen zwei Gruppen auf dem gleichen Energieniveau. d) C o e n z y m A - a b h ä n g i g e R e a k t i o n e n : A c e t y l i e r u n g , C i t r o n e n s ä u r e u n d F e t t s ä u r e s y n t h e s e . Wir haben in früheren Kapiteln an verschiedenen Beispielen die Rolle des Coenzyms A besprochen und gezeigt, daß die reaktionsfähige Form der Essigsäure (die „aktivierte" Essigsäure) die S-Acetylverbindung des Coenzyms A ist. Der an Schwefel gebundene Acetylrest kann durch besondere Fermente, die Acetokinasen (oder auch Transacetylasen), auf andere Verbindungen (Acetyla k z e p t o r e n ) ü b e r t r a g e n werden. Die Acetylmercaptanbindung gehört zu den energiereichen Bindungen: A F 0 = — 12400 cal./Mol ( S t e r n , O c h o a und L y n e n ) 2 ) . Wenn daher die freie Essigsäure reaktionsfähig gemacht werden soll, muß sie erst unter Energieaufwand in die Coenzym A-Verbindung übergeführt werden. Dazu ist ATP nötig. Wir werden auf den Mechanismus dieser Reaktion gleich zu sprechen kommen. Die „aktivierte" Essigsäure kann aber auch beim Abbau gewisser Verbindungen direkt gebildet werden. Die Abspaltung des Acetylrests erfolgt unter Aufnahme von Coenzym A. Die Energie für die Bildung des Acetylmercaptans wird durch den Spaltungsvorgang selbst geliefert. Sie ist mit demselben energetisch gekoppelt. Die fraglichen Verbindungen können daher in Gegenwart der geeigneten Fermente (Transacetylasen)als Acetyldonatoren wirken. Wir wollen hier die wichtigsten vom Coenzym A abhängigen Vorgänge noch einmal zusammenfassend betrachten. Die Acetylübertragung durch das Coenzym A erweist sich immer mehr als eine der grundlegenden Reaktionen des Intermediärstoffwechsels. Eine wichtige Reaktion ist die Acetylierung des Cholins. Das Fermentsystem, das diese Reaktion bewirkt, findet sich z. B. in Gehirnextrakten. Über die physiologische Bedeutung der Reaktion siehe S. 576 u. ff. Damit die Synthese des Acetylcholins zustande kommt, sind ATP und Coenzym A nötig: Cholin + Acetat

° vr p ^r (^aT

Acetylcholin .

Wir bezeichnen hier in Anlehnung an L i p m a n n die Fermente, welche den Acetylrest von energiereichen Acetyldonatoren auf Coenzym A übertragen, als Transacetylasen, diejenigen Fermente, welche den Acetylrest von Acetyl-CoA auf Akzeptoren übertragen, dagegen als Acetokinasen. 2 ) Vgl. H ö l z e r , Ztschr. Angew.Chemie 64, 248 (1952); B u r t o n , Biochem. J. 59 44 (1935).

ATP- und Coenzym A-abhängige Vorgänge

449

Man nahm ursprünglich an, daß zuerst Acetylphosphat gebildet wird und daß dieses mit dem Cholin reagiert. Wir wissen aber heute, daß die Acetylierung des Cholins wie alle Acetylierungen durch die „aktivierte" Essigsäure, d. h. durch die Acetylmercaptangruppe des Coenzyms A erfolgt : [CoA] — S — COCHj -f HO • CH2 • CH2 • N(CH3)3 + „aktivierte" Essigsäure >• [CoA]- SH + CH3CO• 0 • CH2 • CH2-N(CH3)3 Acetylcholin

Man muß also annehmen, daß das A T P zur Bildung der „aktivierten" Essigsäure nötig i s t . L y n e n hatte ursprünglich angenommen, daß wahrscheinlich zuerst dieSHGruppe des Coferments phosphoryliert und anschließend der Phosphoryl- gegen den Acetylrest ausgetauscht wird. Nach neueren Untersuchungen L i p m a n n s wird jedoch bei dieser Reaktion Pyrophosphat g e b i l d e t : ATP + CoA + Aoetat

• Acetyl-CoA + AMP + Pyrophosphat.

Der Mechanismus der Reaktion ist noch nicht abgeklärt. Anscheinend wird nicht CoAPyrophosphat als Intermediärprodukt gebildet. L i p m a n n schlägt das folgende Reaktionsschema vor, das die beobachteten Tatsachen gut erklärt 2 ) : Enzym + Ad—P—P—P Enzym—P—Ad + CoÄ - SH Enzym—S—CoÄ + Acetat

Enzym-P—Ad + P—P ^ < .

" Enzym - S - CoÄ + Ad—P '

Enzym-f Acetyl—S—CoÄ

(Ad—P—P—P = Adenosintriphosphat, Ad—P = Adenosinmonophosphat, P—P = Pyrophosphat)

Wie wir früher erwähnt haben, entsteht bei der Oxydation des Pyruvats in verschiedenen Bakterien Acetylphosphat (vgl. S. 263). Diese Bakterien enthalten ein Ferment (zuerst bei Clostridium Kluyveri beobachtet), welches die Transacetylierung zwischen Acetylphosphat und Coenzym A ermöglicht und daher das Acetylphosphat als Acetyldonator geeignet macht ( S t a d t m a n , L i p m a n n ) : CHjCO• O• P0 3

+ [CoA]- SH

Trail3acetyla3e

'

H O - P O , " + [CoA]- S-COCH3 .

I n den Geweben der höheren Tiere, ebenso in der Hefe und gewissen Bakterienarten, fehlt aber diese „ P h o s p h o t r a n s a c e t y l a s e " ; daher kann Acetylphosphat dort nicht als Donator von Acetylgruppen dienen, also k a n n auch bei der Aktivierung der Essigsäure durch A T P und Coenzym A nicht etwa das Acetylphosphat das primäre Produkt sein. Acetylphosphat kann nur dann als Acetyldonator dienen, wenn Phosphotransacetylase zugegen ist (siehe unten). Bei Gegenwart dieses Ferments wird aber das Acetylphosphat „aktiviert" und kann nun als Acetyldonator bei der Citratsynthese, der Acetessigsäuresynthese und der Acetylierung aromatischer Amine dienen. Die neueren Untersuchungen über die Rolle des Coenzyms A bei der Pyruvatspaltung durch Bakterienfermente lassen es überhaupt zweifelhaft erscheinen, ob Acetylphosphat jemals das primäre Reaktionsprodukt ist. Es sind in Bakterien zwei verschiedene „Transacetylasen" nachgewiesen worden. Die eine, die wir bereits erwähnt haben (S. 267), bewirkt die Verschiebung des Acetylrests zwischen Phosphat und Coenzym A (Phosphotransacetylase) : " C o Ä - S H + P0 3 H 2 -O-COCH3 ; Acetylphosphat 2 ) J. Am. ehem. Soc. 74, 2384 (1952); Symposium sur le cycle tricarboxylique, II m £ Congrès international de Biochimie, Paris 1952, S. 55. 2 ) Biochim. Biophys. Acta 12, 141 (1953). CoÄ —S—COCH3 + POjHjj- OH

29 Leuthardt, Lehrbuch. 12. Aufl.


• CH 3 C0-0-P0 3 — + HCOO") in Wirklichkeit eine „thioklastische" Spaltung durch das Coenzym A ist, wie sie oben formuliert wurde. Acetylphosphat kann in Extrakten aus Cl. Kluyveri auch aus Acetaldehyd gebildet werden. Auch hier wird intermediär Acetyl-CoA gebildet: CH3CHO + C 0 Ä - S H ~ 2 H - > CH3CO-S-CoÄ, worauf durch die Phosphotransacetylase die Verschiebung des Acetylrests auf Phosphat erfolgt 1 ). Über die Rolle des Acetylphosphata im Bakterienstoffwechsel wissen wir zur Zeit nichts Sicheres. Möglicherweise stellt es einen Speicher aktiver Essigsäure dar. Wie wir früher gezeigt haben, kann der Acetylrest von der Acetylmercaptangruppe auf alle möglichen anderen Verbindungen übertragen werden: + HÖ R >• CH3CO O R Ester [Col]—S—COCH + H 2 N-R > CH 3 CO-NH-R Säureamid Der zur Acetylierung mit Acetat nötige H u b der freien Energie erfolgt auf Kosten des A T P entsprechend dem oben mitgeteilten (oder einem ähnlichen) Mechanismus. Alle anschließenden Vorgänge sind Gleichgewichtsreaktionen. E s zeigt sich immer mehr, daß Essigsäure ein wichtiger Baustein aller möglichen Synthesen ist und daß sie durch Bindung an das Coenzym A reaktionsfähig gemacht wird. Die „aktivierte" Essigsäure entsteht nun aber im Stoffwechsel in der Regel nicht aus freiem Acetat, sondern, wie erstmals M a r t i u s am Beispiel der Citronensäuresynthese gezeigt hat, direkt aus den organischen Substraten, die beim Abbau zwei Kohlenstoff-Fragmente von der Oxydationsstufe der Essigsäure liefern. Eines der wichtigsten Beispiele dieser Art bildet der Abbau der Brenztraubensäure. Hier entsteht durch oxydative Decarboxylierung direkt ein C 2 -Fragment, das sich mit Oxalacetat zu Citrat kondensieren und damit in den Citronensäurecyklus eintreten kann. Die Reaktion kann, wie wir früher bereits erwähnt haben, folgendermaßen formuliert werden (vgl. S. 265): co2 COOH C=0 I CH3

+

HS—[CoÄ]

~ 2 H_> QT I ^S—[CoÄ] ch3 „aktivierte" Essigsäure

!) Es ist allerdings auch eine Bildung von Acetylphosphat ohne Beteiligung des CoA möglich. Durch kristallisierte Phosphoglycerinaldehyddehydrase und DPN als Wasserstoffakzeptor wird Acetaldehyd unter Aufnahme von anorganischem Phosphat zu Acetylphosphat oxydiert. Die Reaktion verläuft aber sehr langsam. Das Acetylphosphat wird offenbar nach dem gleichen Mechanismus gebildet wie der tiegelein-Ester (vgl. S. 281).

ATP- und Coenzym A-abhängige Vorgänge

451

Der Vorgang verläuft unter Beteiligung des Lipothiamids,ist aber n i c h t vom ATP abhängig. Die freie Energie der Dehydrierung kann hier direkt zum Aufbau der Acetylmercaptanbindung verwendet werden. Die oxydative Decarboxylierung des Pyruvats ist stark exergonisch ( AF 0 = —16500 cal.). Da nach neueren Bestimmungen die freie Energie der Acetylmercaptanbindung etwa 12400 cal. beträgt, ist die obige Reaktion immer noch exergonisch und kann daher in Richtung des Pfeiles zu Ende verlaufen. Eine direkte Bildung von „aktivierter" Essigsäure muß auch beim Abbau der Fettsäuren angenommen werden. Die Fettsäuremoleküle werden in ß-Stellung oxydiert; aus den entstehenden ß-Ketosäuren wird das C2-Fragment als „aktivierte" Essigsäure abgespalten und in den Citronensäurecyklus einbezogen. Umgekehrt entstehen die Fettsäureketten durch Kondensation von „aktivierter" Essigsäure. Wie wir früher gezeigt haben (S. 343), wird beim Fettsäureabbau das AcetylCoenzym A in umkehrbarer Reaktion durch „Thiolyse" von /?-Ketosäuren geliefert nach dem folgenden allgemeinen Schema: c/> | N8[COA] CH2

I 0=0

| CH«

I \S[CoA]



+ [CoA] SH

CH2

I yO c
T

Kch,

Globin

Die räumliche Anordnung der Gruppen hat man sich nach dem oben angegebenen Octaedermodell der Hämochromogene vorzustellen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß auch die Seitenketten des Häms irgendwie an seiner Verknüpfung mit dem Protein beteiligt sind. Die Addition von Sauerstoff oder Kohlenmonoxyd erfolgt in der Weise, daß diese Moleküle an Stelle einer Imidazolgruppe in den Komplex eintreten, schematisch dargestellt: N

E t f — \

N

/

N

^-M

N

'

Hämoglobin ILW .

N

\ . /

N

Oxyhämoglobin



I

A l

,

5

N e-—CO

V,/

Kohlenoxydhämoglobin

Nach einer anderen Vorstellung ist im Hämoglobin eine Koordinationsstelle durch ein Wassermolekül besetzt, welches beim Übergang in Oxyhämoglobin durch 0 2 verdrängt wird (Haurowitz):

Globin

N/ Fe

N

OH,

Globin

N / Fe

N

O,

N/ \N N/ \N Diese Annahme gründet sich hauptsächlich auf die Beobachtung, daß Oxyhämoglobin im absolut trockenen Zustand seinen Sauerstoff nicht abgibt.

Messungen der magnetischen Suszeptibilität des Hämoglobins und Oxyhämoglobins haben ergeben, daß in den beiden Komplexen die Bindung des Eisens an seine Liganden verschieden ist ( P a u l i n g ) . Im Hämoglobin zeigt das Eisen die gleichen magnetischen Eigenschaften wie das freie Ferroion (Paramagnetismus). Dies deutet darauf hin, daß die Elektronenkonfiguration des Ferroions im Komplex erhalten geblieben ist. Die Bindung an die benachbarten Atome ist im wesentlichen heteropolar (Ionenbindung). Im Oxyhämoglobin ist der Paramagnetismus verschwunden. Es ist diamagnetisch. Dies deutet auf eine vollständige Umgestaltung der Elektronenschale des Eisenatoms hin. Sie hat Elektronen der Liganden aufgenommen; die Bindungen sind im wesentlichen homöopolar (Kovalenzen, Bindung durch ein beiden Elektronenschalen gemeinsames Elektronenpaar). Die Tatsache, daß an der Bindung des Häms an das Globin Imidazolgruppen beteiligt sind und daß die Natur der Bindungen, die das Eisen mit den benachbarten Gruppen verknüpfen, durch die Anlagerung des Sauerstoffs eine grundlegende Ände-

525

Die Hämotopoese

rung erfährt, macht auch die früher geschilderte Abhängigkeit der Säurestärke des Hämoglobins von der Sauerstoffbindung verständlich; denn es sind gerade die Imidazolgruppen des Histidins, welche im physiologischen pH-Bereich dissoziieren und für die Pufferwirkung des Hämoglobins verantwortlich sind. Eine eingehende Diskussion des Problems an dieser Stelle ist aber nicht möglich. B. Die Hämatopoese

a) Die Synthese der Porphyrine. Im Stuhl werden, wie wir im folgenden Abschnitt näher ausführen, beständig Abbauprodukte des Hämoglobins ausgeschieden. Es muß also auch beständig Hämoglobin neu gebildet werden. Insbesondere ist der Organismus befähigt, das Protoporphyrin aufzubauen. Die Anwendung der Isotopenmethode hat es ermöglicht, den Aufbau des Porphyringerüsts aus einfacheren Verbindungen zu verfolgen. Ein wichtiger Baustein ist das Glycocoll. Der Stickstoff und das mit ihm verbundene a-C-Atom der Aminosäure werden in den Pyrrolring eingebaut. Das tx-CAtom des Glycocolls (nicht etwa die Carboxylgruppe) liefert auch die Methinbrücken. Es werden also pro Pyrrolkern zwei Moleküle Glycocoll gebraucht, wobei die Carboxylgruppen eliminiert werden ( S h e m i n und R e t t e n b e r g ; vgl. Tabelle S. 227). Ein weiterer Baustein ist die Essigsäure. Sie wird wahrscheinlich über den Citronensäurecyklus in Succinat übergeführt, welches in Form einer „aktivierten" Verbindung (Succinyl-Coenzym A ?) reagiert. (Über die Bildung von „aktivierter" Bernsteinsäure vgl. S. 266). Diese Resultate ergeben sich aus der Lokalisation des C-Isotops im Porphyrin, das aus geeignet markierten Verbindungen biochemisch synthetisiert wurde. (Die Synthese kann durch kernhaltige Vogelblutzellen in vitro durchgeführt werden.) Man kann sich also vorstellen, daß sich zunächst substituierte Pyrrole bilden, welche sich zum Porphyrin kondensieren. Wenn die /^-ständigen Seitenketten erhalten bleiben, entsteht Uroporphyrin. Decarboxylierung führt zu den übrigen Porphyrinen 1 ). S h e m i n und R u s s e l l 2 ) haben kürzlich den Nachweis erbracht, daß (5-Aminolaevulinsäure eine Zwischenstufe der Porphyrinsynthese ist. Man kann demnach annehmen, daß sich durch Kondensation von Glycin und „aktiviertem" Succinat zunächst ac-Amino-/?-ketoadipinsäure (I) bildet, aus welcher durch Decarboxylierung die (3-Aminolaevulinsäure (II) hervorgeht: COOH—CH2—CH2—CO—S—CoA + H 2 N—CH 2 —COOH

1

COOH—CH2—CH2—C—CH—COOH

(I)

COOH—CH 2 —CH 2 —C—CH 2 —NH 2

(II)

II I | O NH 2 I II o

Zwei Moleküle von I I können sich zu einem Pyrrol (III) dem P o r p h o b i l i n o g e n kondensieren, das offenbar der Vorläufer des Uroporphyrins ist: Vgl. S h e m i n , J . biol. Chem. 198, 827 (1952); Cold Spring Harbor Symposia 13, 185 (1948); L e m b e r g und L e g g e , Ann. Rev. Biochem. 19, 445 (1950). 2 ) J . Am. chem. Soc. 75, 4873 (1953); 76, 1204 (1954). Vgl. ferner T a l k , D r e s e l , R i m i n g t o n , Nature 172, 292, 1185 (1953).

Das Blut

526 COOH

COOH

|

COOH |

ch2 1 ch2 1 •cU

+

ch2 1 ch2 1 C=0 11 ch2

COOH

CHa

CH,

CH2 I

-C

II

(HI)

Porphobilinogen

CH NH

Porphobilinogen ist der unmittelbare Vorläufer der Porphyrine; es liefert beim Bebrüten mit Kückenblut-Hämolysaten Uro-, Kopro- und Protoporphyrin (Neub e r g e r , R i m i n g t o n ) . Uroporphyrin und Koproporphyrin sind wahrscheinlich aber nicht Zwischenstufen bei der Bildung des Protoporphyrins 1 ). b) Eisenbedarf und Eisenstoffwechsel. Wenn Hämoglobin gebildet werden soll, muß eine genügende Menge Eisen vorhanden sein. Die Eisenzufuhr mit der täglichen Nahrung ist eher knapp und daher ist auch Eisenmangel die häufigste Ursache der Anämie. Verglichen mit der Eisenmenge, die als Hämoglobin im Blut kreist oder als Myoglobin im Muskel vorhanden ist, ist die Eisenreserve der Gewebe (Leber, Milz usw.) nur klein. Beim Hund hat man die folgende Verteilung gefunden ( H a h n ) :

Hämoglobin Myoglobin

% des gesamten Eisens 57 7

Totales Hämoglobin

64

Fermenteisen in den Geweben (Cytochrom usw.) Reserveeisen in Leber, Milz und Knochenmark Reserve in den übrigen Geweben

16 15 5 36

Wenn man beim Menschen eine ähnliche Verteilung annimmt und die gesamte Hämoglobinmenge zu 700 g ansetzt, so würde die Eisenreserve noch die Bildung von weiteren 200—250 g Hämoglobin gestatten. Größere Eisenverluste, wie sie durch Blutungen entstehen, können daher aus der Eisenreserve nur unvollständig gedeckt werden. Der Hämoglobingehalt des Blutes ist bei der Frau im Durchschnitt etwas niedriger als beim Mann. Wahrscheinlich sind die menstruellen Blutungen eine Hauptursache dieses Defizits. Aus dem gleichen Grund sind auch Eisenmangelanämien bei der Frau häufiger als beim Mann. Das Eisen wird besser in Form von Ferrosalzen als in Form von Ferrisalzen absorbiert. Es scheint auch, daß im Darm Ferrisalze zu Ferrosalzen reduziert werden können. Ein Teil des Nahrungseisens ist komplex gebunden; der verwertbare Anteil kann bedeutend niedriger sein als die Gesamtmenge. Dank der hohen Acidität des Magensafts geht ein Teil des gebundenen Eisens in Lösimg. Hämatineisen kann nur zu einem kleinen Teil verwertet werden. Daher bedeuten Blutungen in den Darm für den Körper einen fast ebenso großen Eisenverlust wie Blutungen nach außen. Das Eisen nimmt, was seine Absorption im Darm betrifft, eine Sonderstellung ein. Die A u f n a h m e des E i s e n s h ä n g t vom B e d a r f des O r g a n i s m u s a b *) Literatur über die Häminsynthese vgl. Z e i l e , Zschr. angew. Chem. 66, 729 (1954).

Die Hämatopoese

527

( W h i p p l e ) . Ist der Bedarf groß, z. B. bei Eisenmangelanämien, so wird viel Eisen aufgenommen ; verfügt der Organismus über genügende Reserven, so wird bei gleichem Angebot nur wenig absorbiert. Der Eisenbestand des Körpers wird im wesentlichen durch Anpassung der Aufnahme und nicht der Ausscheidung reguliert, die normalerweise sehr klein ist. Die Aufnahme des Eisens und seine Verteilung im Organismus läßt sich in besonders schöner Weise durch Verwendung von radioaktivem Eisen verfolgen. (Die meisten Versuche wurden mit dem Isotop Fe 59 durchgeführt, dessen Halbwertzeit 47 Tage beträgt.) Viele Fragen des Eisenstoffwechsels konnten erst nach Einführung der Isotopentechnik in befriedigender Weise beantwortet werden. Bei der Aufnahme des Eisens im Darm und bei seiner Speicherung in Milz und Leber scheint ein eisenhaltiges Protein eine wichtige Rolle zu spielen, das sog. Ferritin (entdeckt 1937 von L a u f b e r g e r in der Pferdemilz). Das Ferritin ist durch seinen hohen Eisengehalt ausgezeichnet, der etwa 23% beträgt. Man findet es in der Darmschleimhaut, dem Knochenmark, der Milz und der Leber, also denjenigen Organen, die an der Aufnahme des Eisens, der Bildung oder der Zerstörung des Hämoglobins beteiligt sind. Die übrigen Organe (mit Ausnahme der Testes) scheinen kein Ferritin zu enthalten. Das Ferritin kann aus den Organextrakten durch Fällung mit Cadmiumsulfat leicht in Form gut ausgebildeter octaedrischer Kristalle erhalten werden, die braun gefärbt sind. Die Kristallisation gelingt sogar auf dem Objektträger, wenn man das zerriebene Gewebe mit CdS0 4 behandelt. Das Eisen ist im Ferritin als basisches Ferriphosphat enthalten. Nach Reduktion zur Ferroform mit Hydrosulfit bei pH 4,6 kann es dem Protein durch Komplexbildner ( [Fe] 0 2 ;

[Fe]0 2 + H2A

> [Fe]H 2 0 2 + A .

Nun wird wahrscheinlich der Porphyrinring durch das Peroxyd angegriffen (Näheres unten), wobei der Komplex in Verdohämochrom übergeht. 34«

Das Blut

532

Es bleibt noch die Frage zu erörtern, auf welche Weise die Öffnung des Porphyrin rings und der Übergang zum Biliverdin stattfindet. An sich könnte jede der vier Methinbrücken des. Porphyrins angegriffen werden; es scheint aber, daß die Oxydation ausschließlich an derjenigen Brücke stattfindet, die zwischen den beiden die Vinylgruppen tragenden Pyrrolringen liegt. Es wird zunächst (Globin ) Pyridin

CH

Ee^

I n '

JVI

j N

!

I

Hämochromogen

CH II

(Hämoglobin)

V

Pyridin

P | P M^-CH-j^MCH "y

p

Verdohämochrom, Verdoglobin

p

oder

CH

TXi X T .CH F.e;X CH Jf': X v

V - i - V M

,0

CIL i Kr "

CH

V^/wijO^M M V

M

V

X* negatives Ion

P { P M—NH2 + H 2 0 2 = N H = / Benzidin

\ = N H + 2H20

Dipheno-chinon-di-imin

Niere; Urin

556 HN: H2N